Deutsche —AXUVUII —X Friedrichs d.

Gr. bis zur ...

Karl Theodor von Heigel

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Bibliothek

Deukſcher Geſchichte

unter Mitwirkung von

D. Gutſche, W. Schultze, E. Mühlbacher, M. Manitius, J. Jaſtrow, G. Winter, Th. Lindner, V. v. Kraus, G. Egelhaaf, M. Ritter, R. Koſer, K. Th. Heigel

herausgegeben von

H. v. Zwiedineck-Südenhorſt.

ſStuttgart 1899.

3. G. Cotta'ſche Buchhandlung Nachfolger G. m. b. G.

Deulſche Geſchichte

vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Aufföfung des alten Reiches

Von

K. Ch. Heigel.

Erſter Band.

Vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zum Feldzug in der Champagne. (1786— 1792.)

ORTE

Stuttgart 1899.

3. 6. Sotta’fhe Buhbandlung Nachfolger G. m. b. G.

AMeR echfe vorbehalten.

Drucd der Union Deutliche Verlag⸗gelellſchaft in Stuttgari.

Worrede.

Das deutſche Volk darf fih Glüd wünſchen, daß ihm ein fo wichtiger Ab: Ichnitt feiner Gejhichte, wie die Zeit vom Tode Friedrich des Großen bis zur Gründung des deutichen Bundes, von zwei Meiftern, Häuffer und Sybel, ge: Ichildert worden it. So reih an wichtigen Begebenheiten, an Ummälzungen, die mit der Revolution in Franfreih begannen, aber nicht endbigten und nad) einem Jahrhundert noch nachwirken, jo furchtbar und fruchtbar war jene Zeit, daß ſchon im Jahre 1811 ein beuticher Schriftfteller, Karl Reihard, in jeinen „Modernen Biographien“ ohne Uebertreibung jagen konnte: „Die zwanzig Jahre feit dem Ausbruch der Revolution verdienten um ihrer großen, ſich gewaltjam häufenden Begebenheiten willen den Namen eines Jahrhunderts.”

Für Deutfchland bradten jene Jahre das ſchwerſte Verhängnis, Kriegs- unglüd, Fremdherrſchaft, den Zufammenbrud des Neiches, dann aber auch das Herrlichſte, den fiegreihen Kampf des Volkes um feine höchſten Güter. Diefe wechfelvolle und lehrreihe Gejhichte von der’ Demütigung und Wiedergeburt der deutſchen Nation haben die genannten Gelehrten, die beide mit ftaatsmänniicher Einfiht den ftillen Geift des Forſchers verbanden, in unübertreffliher Weiſe ge: ſchrieben.

Mit folheh Meiſtern in Wettbewerb zu treten, erſchien mir, als ich den Auftrag erhielt, den erften Teil des nämlichen Zeitabfchnittes für die „Bibliothek deutſcher Geſchichte“ zu behandeln, von vornherein unmöglich; ich fonnte nur an eine Nachlefe denken und für meine Darftelung nur einige Teilnahme erhoffen,

9% 5011.09

VI Vorrede.

indem ich meine Aufgabe von einem anderen Geſichtspunkte als meine großen Vor— gänger auffaßte und das Wiſſen von jenen Ereigniſſen durch Aufſchluß neuer Quellen bereicherte.

Ich habe mich beſtrebt, mehr Reichsgeſchichte zu geben. Freilich iſt es dankbarer, ſich auf die Politik der zwei größten deutſchen Staaten zu beſchränken. Die Wandlungen, wie ſich dieſe beiden Mächte einander nähern, ſich abſtoßen und dieſes Schauſpiel ſich immer wiederholt, iſt in allen Lagen intereſſant. Nur möchte ich mich gegen eine Art teleologiſcher Geſchichtsbetrachtung mancher Schriftſteller verwahren, als hätten der große Kurfürſt und Friedrich IL. bei ihren Entihlüffen auch ſchon die Schlachten bei Königgräß und Sedan vorhergejehen und vorausbedadit.

Die Arhivalien über die Reihsangelegenheiten, z. B. über die Kaifer: wahlen jenes Zeitalter, waren vor mir faum von anderen Forjchern zur Hand genommen worben; ich hoffe alſo wenigjtens nach diefer Richtung eine Lüde aus- gefüllt zu haben. Aus dem nämlichen Grunde, weil Sybel und Häuffer nur flüchtig darüber hinweggingen, behandelte ich manche Ereigniffe, 3. B. den Auf: itand in den Niederlanden, den Krieg in Holland u. a. ausführlid,, während ich über ſolche, die Hinlänglich beleuchtet worden und allgemein befannt find, mid) fürzer faßte.

Bon erjchöpfender Ausbeutung des Uuellenftoffes kann natürlich nicht die Rede fein; daran ift bei neuerer Gefhichte überhaupt nicht zu denken. Allein ih darf wohl behaupten, daß ich wenigjtens den größten Teil der auf bie politiijhen Vorgänge bezüglihen Urkunden mit redlihem Bemühen durchforjcht babe, um daraus ein umfafjendes, treues Bild der Ereigniffe und Zuftände zu gewinnen. Der in den Wiener Archiven gelagerte Quellenftoff ift in Vivenots Werk der Deffentlichkeit übergeben. In preußifchen und bairiſchen Archiven habe ich die einschlägigen Akten und Briefihaften jelber durchgejehen, wenigitens etwas genauer, als es meinen Vorgängern möglid war. Auf mande Begebenheit fällt demzufolge in meiner Darftellung mehr Licht, und ich darf jagen, auf manche ein neues Licht.

Freilich, vorfihtige Behandlung ift auch bei diefen Quellen erften Ranges geboten. Einer, der's am beften willen mußte, Bismard, äußert ſich jehr arg: wöhnifch über die Benügung der Gefandtichaftspapiere durch die Hiſtoriker: „Die Depeſchen und Briefe find, auch wo fie einmal etwas enthalten, denjenigen, welche

Borrebe. VII

die Perſonen und Verhältniſſe nicht kennen, nicht verſtändlich; wer weiß da nach 30 Jahren, was der Schreiber ſelbſt für ein Mann war, wie er die Dinge an— ſah, wie er ſie ſeiner Individualität nach darſtellte“ u. ſ. w. Die Schwierigkeit, ſich dieſe Fragen zu beantworten, liegt auf der Hand, doch der redliche und Eritiiche Forſcher wird fich Schließlich doch über die Perſönlichkeit des Verfaſſers und den Wert feiner Berichte Har werden. In zweifelhaften Fällen hat er ja für die Gefchichte neuerer Zeit ein riefiges gedrudtes Material zur Kontrolle vor fich, zeitgenöffiiche Berichte und Neußerungen aller Art, die zwar nicht amtlich, aber trotzdem umb zuweilen eben deshalb vollwichtige Zeugniffe find. „Der Hauptdienft,” jagt Taine, „den die litterariihen Schriften dem Hiftorifer ermeifen, befteht darin, daß fie ihm die erlofchenen Gefühle vor Augen führen.“ Aber nicht nur dem Geſchichtſchreiber, auch feinen Leſern vermitteln die Stimmen der Zeit das leichtere Verftändnis diefer Zeit. Deshalb Ihöpfte ich aus der Litteratur jener Tage reichlicher als meine Vorgänger.

Die politifhe Geſchichte war mir wie billig das Wichtigfte, doch bemühte ih mich auch nachzuweiſen, wie über dieſe wechſelnden Ereigniffe damals in den verſchiedenen Volkskreiſen gedacht wurde; insbejondere juchte ich darzulegen, wie fih der Eindrud der franzöfifhen Revolution auf den deutichen Volksgeiſt mit ihrem Fortfchreiten veränderte, An fich wertloje Erzeugniffe der damaligen Tages: litteratur waren für diefen Zwed jehr jchägbar, denn ſolche Flugblätter und Zeierfaftenverje brüden nicht jelten gerade die Stimmung und Gefinnung der großen Mehrheit aus.

Bon unferer Haffiichen Litteratur, überhaupt von Kunft und Wiſſenſchaft, Handel und Gewerbe und dem Einfluß der politifchen Ereigniffe auf fie joll im zweiten Teil noch ausführlicher die Rede jein. Wer das Gefamtleben einer Nation auch nur während einer Spanne Zeit zu ſchildern hat, muß freilich alles übergehen, was nicht für das Ganze harakteriftiich, Fein Wahrzeichen der Zeit oder Saat für die Zuhmft iſt.

Gerade der Abjchnitt der Weltgeichichte, den ich zu behandeln hatte, ift wie faum ein anderer je nach der Barteien Gunft und Haß verjchiebenartig be- urteilt worden. Wie leidenfhaftlih z. B. ftritten ſich die Hiftorifer über den Uriprung der Revolutionskriege! Ich gab mir Mühe, ftreng fachlich zu ſchildern. Allein das Unterbewußtjein, die Liebe zur engeren Heimat und zu den Stammesgenofjen wird die Arbeit auch des unparteiifchiten Forſchers beeinflufen.

VII Borrede.

Und bei allem Streben nad Objektivität jein Gewiſſen fann er nicht, fol er nit unterbrüden! Er wird immer cum studio und mandmal cum ira ichreiben müffen.

Um dem Lejer die Kontrolle meiner Darftellung zu ermöglichen, glaubte ih von Angabe der Beweisftellen in Anmerkungen nicht abjehen zu dürfen; im übrigen nahm ich von gelehrtem Beiwerk Umgang; kritifche Erörterungen wurden nur in den wichtigften Fällen aufgenommen, ſonſt beichränfte ich mich darauf, zu erzählen, „wie es geſchehen ift”.

R. Th. Beigel.

Inbaltsverzeidnis.

GErſtes Bud. Dom Bode Friedrihs des Großen bis zum Verkrag von Reichenbach. 1786 bis 1790,

Griter as mitt .

e I” das deutiche Volf 4-28.

weiter Me 2958 IH. 29—58. Dritter Abſchnitt Der Thronwechjel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinſtaaten 59—116. Bierter Abichnitt. . . . . - . . . 117-150 Der Aufftand in den 117-130. Der Kampf zwiſchen der oranifhen und der patriotifchen Partei in Holland und die preufifche intervention 131—150.

Fünfter Abichnitt 151—178

Die europäiiche Inge 1 im Jahre 1737 511 34. Eriebeih Wipelm IT. und die Öffentliche Meinung 155 160. Graf Herkberg 151—162. Kaifer Joſeph 11.

und die orientaliihe Trage 162 168.

Der Türfentrieg von 1788 169—172.

er ee ee» 179-216 Preußen und die Rurie 179182. Das Miederaufleben des Nuntiaturftreites 1+3—184. Das Projekt einer römifhen Königswahl 185--186. Irrungen

X Inhaltsverzeichnis.

Achter Abſchnitt. Be a en ee Zeopolb in Tosfana 239246. Die Uebernahme der Regierung in den öfterreihifchen Erblanden 247 250. Annäherung an Preußen 251—258. Vorbereitungen zur Kaiferwahl 259— 260. Der Reichenbacher Vertrag 261—270.

Zweites Bud.

Vom Abſchluß des Reichenbacher Derfrages bis zum Feldzug in der Champagne.

Erjter Abſchnitt . DEE Die franzöfifche Revotution und der deut F vü⸗ eiſt 273—326.

urückeroberung der —— en ; Niederlande 2

der Ruhe in den Erblanden 343— 346. Der Wahltag in Frankfurt 347—356.

Die Kaiferwahl und die öffentlihe Meinung 357—358. Das Projeft einer

Wahl des Erzherzogs Franz zum römiſchen König 359—360, Wahl und Krönung Leopolds 11. 361— 366. Das Ende des Lütticher Streites 367 374.

Neue Spannung zwiſchen Defterreih und Preußen 375—377.

DE Eu ——— Preußen und Polen 378—382. Der Kongreß in Eiftowa 383— 354. Der Stantäftreich in Polen 385— 390. Preußen und Defterreich und die franzöfi

Revolution 3I0—391. Der Kongreß in Siftoma 391—392. Leopold 11,

und bie franzöfifhe Revolution 393—397. _Friedrih Wilhelm 11. und die franzöfifche Nevolution 397—398. Biſchoffswerder und Herkberg 399 405.

Leopold 11. und die franzöfifche Revolution 405—406. Bifchofiswerder und Hergberg 406—408. Leopold I]. und die franzöfifhe Kevolution 408—413.

Die Vereinigung von Ansbach und Baireuth mit Preußen 413—417. Der

über die Rechte der Neihsfürften im Elfaß 417—419.

Die Emigranten in Deutſchland 419—423. Leopold II. und die franzöfifche

Revolution 423—426. Aranfreih und die europäifhen Mädte 426-432,

Vierter Ab mitt en nn. 449-574

Marie Antoinette und bie Parteien in Franlreich 463—468. über die franzöſiſche Revolution 468 470. Wachſende Kriegsgefahr 471—489.

zolen und die deutſchen Mächte 489 495. Franfreih und Preußen 495 —500. Bundesvertrag zwiſchen Deſterreich und Preußen 501—506. Tod Leopolds 11. 507 —514. Die i i 515—532. Der firien und das

Deutihe Reih 533—545. Der Mahitag in Frankfurt 545—554. Der ürftenfongrek zu Mainz 554—556. Der Krieg und das Deutſche Neid)

556568. Vreufen und Bolen 568574.

Erlies Bud.

Dom Tode Friedrihs des Großen bis zum Vertrag von Reichenbach. 1786 bis 1790.

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Trriedrihs d. Gr. bi zur Auflöjung des beutichen Reichs. 1

Erfter Abfchnitt.

Friedrid; der Große und das deukſche Polk,

jchnitte. Von dem erjten Einmarſch preußifcher Truppen in Sclefien bis

zum Hubertusburger Frieden, der ihm den Gewinn der neuen Provinz fiherte, hielt er mit nur zehnjähriger Unterbrechung durch friegerifhe Thaten ohne gleichen die Welt in Atem; während der folgenden dreiundzwanzig Jahre war er ein riedensfürft in der volliten und jhönften Bedeutung des Wortes. Wie er den Wohlſtand feines Staates hob und ficher ftellte, wie er die verjchiedenen Stämme zu einer einzigen, jelbjtbewußten Nation erzog, it gewiß nicht weniger bewunderns⸗ wert als das Werf des Feldherrn. Die Mehrheit der Zeitgenofien urteilte frei: (ih anders. Ihnen jchien die geräufchlofe Thätigfeit ein Ausruben, der Ber: ziht auf perjfönlihen Ruhm zu Guniten der allgemeinen Wohlfahrt ein Nach: lajjen der geiftigen Kraft zu fein. Denn der Lärm und die Wechſelfälle des Krieges allein halten die jtumpfe Menge in Spannung, und fie ift von jeher gewohnt, die Größe eines Fürften einzig nad feinen ſoldatiſchen Erfolgen zu \ mejlen. Der Siege von Torgau, Roßbach und Yeuthen ſich erinnernd, wollte man nicht begreifen, daß der Held im böhmischen „Kartoffelfrieg” jo vorfichtig feine Soldaten und feinen Kriegsruhm jchonte.

Uebrigens war Friedrich in der That ein anderer geworden. Nur nicht ein Schwäderer. Die jeeliihen Erjhütterungen und das Mühſal der fchlefi: ihen Kriege hatten ihn vor der Zeit gealtert. Was von Schwärmerei, Füg: jamfeit und Weichheit in ihm gewejen war, wurde von jeiner hervorragenden Eigenſchaft, Thatkraft, aufgefogen. Er war jtreng, ftarr, eigenwillig geworben. Die Welterfahrung machte ihn zum Menjchenverädter. Es gab nichts Großes mehr für ihn als die Pflicht. Seine Geringihägung des Menſchen hielt ihn nicht ab, der Menjchheit zu nügen. Ein wahrhaft leivenfchaftliher Arbeitstrieb verband ſich noch immer mit einer unverwüjtlichen Arbeitskraft. „Es ift nicht nötig, daß ich lebe, wohl aber, daß ih handle.” In Einrihtung und Ber: waltung des Staates däuchte ihm nichts unter feiner Würde, nichts außerhalb

D Regierung Friedrichs II. zerfällt in zwei zeitlich völlig gleiche Ab—

4 Erſtes Bud. Erfter Abſchnitt.

feiner Königspfliht. Er hielt die Regelung der großen Wafjerjtraßen ficherlich für wichtiger als die Pflafterung eines Aderftädthens, doc er jorgte für die eine wie die andere mit der gleihen Aufmerfjamfeit und Strenge.

Die Aufgabe, die der König nad dem Friedensſchluſſe vor ſich ſah, würde einen Fürften von glänzenden Geiftesgaben, aber ſchwachem Willen in Verzweif: lung geftürzt haben.

Das Land war vermwüftet, die Bevölkerung vermindert und verarmt, bie gejeglihe Ordnung gelodert. Günstig für Friedrich war der einzige Umftand, daß in der eroberten Provinz feine Anhänger gegen die Mißvergnügten eine erbrüdende Mehrheit bildeten. An der Einnahme der Stadt Schweidnig durch Laudon 3. B. mag böjer Wille mitgeholfen haben, doch der Fall Warkotſch, diejes gegen den König ſelbſt gerichtete Internehmen, mißglüdte und blieb ver: einzel. Nah den Opfern des Krieges jedoch war Friedrich der jchlefiichen Bevölkerung doppelt fiher, denn „der menſchlichen Natur ift es gemäß, fi durh das Gute, was man anderen erzeigt, ebenfo ſehr zu verbinden, wie durh das, was man empfängt” (Machiavelli). Immerhin ift es Faum zu viel gejagt, daß die Aufgabe des Königs die Gründung eines neuen Staates war.

Die erfte, die größte Sorge war die wirtichaftlihe. Da jedoch fein blühender Aderbau möglih ift ohne blühenden Gewerbefleiß und umgekehrt, galt es Neuerungen, Erziehung, Anregung und Berfude in allen Zweigen. „Die Arbeit des Königs für Landeskultur und Landbau urteilt ein Ken: ner!) ift nicht frei von einzelnen Lücken, Mißgriffen und inneren Wider: ſprüchen. Nichtsdeſtoweniger bildet fie in ihrer Gejamtheit noch einen reichen und wohlgegliederten Organismus, in weldhem eine Funktion die andere fördert, feine ohne Bedeutung für die Entwidelung des Staates ilt. Keine Regierung eines andren Landes entfaltete damals eine jolhe Summe raftlofer Thätigfeit für den einen Kulturzweck.“

Erziehung, Bildung ift aber nicht immer die Frucht der Freiheit. Wenn Friedrih die Seinen unter Umftänden zur Wahrnehmung ihres Vorteils zwang und feinen Wideritand duldete, befand er fich im Rechte des Erziehers.

Sagen wir ohne Umſchreibung: Friedrih beanſpruchte für fih abjolute Macht „ohne Gegengewicht und ohne Kontrole,” und er war unbejchräntter Herr in feinem Reiche. Dies nun ift der heifle Puntt.

Die Mehrzahl der Bücher über die Großen und Größen der Geſchichte find, was im Zeitungsftil „offiziös” genannt wird; daneben aber behauptet ſich die öffentlihe Meinung, die oft ganz anders lautet. Die „öffentlide Meinung” ift das, was man ſich über Menjhen und Ereigniffe unter vier Augen jagt. In diefen ungebrudten Dialogen über Friedrich fommt heute noch und immer wieder der Gegenſatz zur Sprache, der zwiichen ben Staatslehren und den Staats: handlungen bes großen Monarchen befteht. Man beruft fich dabei namentlich auf den Antimacdiavell. „Antimachiavel ou Examen du prince de Machiavel*, 1739 geichrieben, das Buch eines Kronprinzen! Ein Thronfolger hat nur Ziele.

!) Stadelmann, Preußens Könige und ihre Thätigleit für die Landeskultur, II, 237.

Friedrich der Große und das beutfche Volk. 5

Wenn er von lebhaftem Geifte ift und warm empfindet, wird er fich diefelben jo weit wie möglich fteden und bie freifinnigfte Regierung für die wünſchens— werte halten. Auf den Thron gelangt, wird er, muß er mit den gegebenen Berhältnifien rechnen. Widrige Winde und Wolfen zwingen ihn, zu freuzen; er wird auch zeitweilig verſchlagen. Weil er den Kurs ändert, jcheint er der Welt ein anderer. Aber welcher Staatsmann, der am Ruder ftand, ift jemals in ge rader Yinie zum Ziel gelangt?

Ueber das Ziel war fi Friedrich völlig klar. „Nicht zum Vergnügen,” ſchreibt er an Voltaire, „nicht zur Prunkſtellung, ſondern nur zur Arbeit ift ber Fürft an die Spige des Staates geſtellt; er hat die Pflicht, feine Unterthanen glüdlih zu machen . . . Der Fürft verhält Tich zum Volf, wie das Herz zu dem mechaniſchen Bau unjeres Körpers. Das Herz befommt Blut aus allen Gliedern des Körpers und treibt es wieder bis zu den äußerften Teilen bin; der Fürft empfängt von jeinen Unterthanen Treue und Gehorfam und gibt ihnen dafür Wohlftand, Ueberfluß, Ruhe, überhaupt alles, was zum Beiten und zum Fortſchritt der Gefellihaft beitragen fann.“ „Der Fürft ift der Vormund des Volks,“ jagt er ein andermal (Antimadiavell). „Des Fürften Intereſſe ift ſchlechtweg eins mit der Wohlfahrt des Staats“ (Essai sur les formes du gou- vernement). „Wenn die monarchiſche Negierungsform den Vorzug vor der republifaniichen haben jol,” jagt er im Buch von der Regierungstunft, „jo muß der Souverän alle jeine Kräfte aufbieten, um die Stellung aud auszufüllen, in welche er geſetzt iſt; . . . er muß fürs Ganze ſehen, denfen, handeln!” Den „eriten Diener” des Staats nannte er fi, und das war bei ihm nicht wie bei mandem anderen eine Redensart: bis zum legten Atemzug ftellte er jeine ganze Kraft in den Dienft des Vaterlandes. Noch auf dem Sterbebette empfahl er jeinem Nachfolger als erften Grundſatz, nit an den perſönlichen Vorteil, ſon— dern immer nur an das Wohl des Landes zu denfen. So hatte er am Bor: abend der Schladht bei Rosbach feine Minifter ſchwören laſſen, daß fie, falls er in die Hände des Feindes geriete, den Krieg für das Vaterland fortführen jollten, „als ob er gar nicht auf der Welt geweſen wäre”. Wie anders bei Napoleon J., für den der Staat nie etwas anderes war, als er ſelbſt! Dieje Pflichttreue, dieſe herbe Selbitverleugnung, diefe immer jtramme Bevorzugung des „Dienftes” wurden denn auch von Freund und Feind anerfannt und be: wundert. Sogar Marie Antoinette, die dem Eroberer Echlefiens nie verzeihen fonnte, daß er ihre Mutter gedemütigt hatte, ließ dem Sterbenden Gerechtigkeit widerfahren. „Uns bat er viel Böfes zugefügt,“ fchrieb fie an ihre Schweiter Chriftine, „für die übrige Welt ift er ein Störenfried, für fein eigenes Land aber war er ein König.” Napoleon I. rühmte gegenüber Frau von Remuſat, der alte ri jei einer von den Regenten gemwejen, die ihr Handwerk am beiten verftanden. Und doc läßt fich erſt heute, da einige dreißig Bände von Fried: richs „politifcher Korrejpondenz” vorliegen, da auch Taufende von Entſchließungen aus allen Gebieten der Staatsverwaltung befannt gemadt find, der rechte Be: griff von Mannigfaltigfeit, Schärfe und Tiefe diejes jeltenen Genius ge: winnen.

Im Antimachiavell hatte der Kronprinz Friedrih den engliſchen Konſtitu—

6 Erfted Bud. Erfter Abſchnitt.

tionalismus gepriefen, die Staatsform, die das Parlament zum Schiedsrichter der Könige mache und dem Fürften alle Macht gebe, Gutes zu thun, alle Macht, Schlimmes zu thun, entziehe. Aber die Erkenntnis der beiten Staatsform ift noch fein zulänglider Grund zu ihrer Einführung. „Es find Brandenburger,” fagte er jelbft fpäter, „und feine Engländer!” Ueberdies machte der Tod des Kaifers allen Theorien ein Ende. „Diejer Todesfall” fchreibt Friedrich an Vol— taire „zeritört alle meine friedlichen Gedanken. ch glaube, im Monat Juni wird es mehr auf Pulver, Soldaten und Trandeen anfommen als auf Schau: fpielerinnen, Balletts und Schaufpiele... Ich bin Ihnen fehr dankbar dafür, daß Sie den Drud des Antimachiavel beendet haben. Augenblidlih kann ich nit daran arbeiten, da ich mit Geſchäften überhäuft bin.“ Und an Podewils ſchreibt er: „Lieber Podemils, ich habe den zum Marſche beitimmten Regimen: tern befohlen, Pferde anzufaufen und ſich marfhfertig zu halten” .... Ein Trompetenftog im Mittagszauber einer Sommerlandfhaft! Der Ruf zu den Waffen war verhängnisvol. Er riß die überraſchten, widermwilligen Völker in lange blutige Kämpfe. Nichtsdeftoweniger war er Deutſchlands Wederuf und Morgenbotſchaft ...

Dreiundzwanzig Jahre regierte dann Friedrich, wie wir eingangs erwähnt haben, unter dem Zeichen des Krieges, denn die Pauſe nach dem Dresdener Frieden war nur die Stille vor neuem Gewitter. Preußen, ein kleines Eiland in einer unheimlich bewegten, dumpfgrollenden See! Er und ſeine fünf Mil— lionen Unterthanen hatten hundert Millionen gegen ſich; der Einzelne gegen die Welt! Und er iſt, der Einzige! nicht unterlegen. Er wurde geſchlagen, nie be— ſiegt. Er ſog Kraft aus dem Unglück. Friedrich der Kühne wurde Friedrich der Große.

Ein Reich, in dem ſieben Jahre lang die Panduren hauſten, hat zunächſt andere Bedürfniſſe, als eine Verfaſſung. So blieben denn auch in der neuen Aera die alten Regierungsgrundſätze maßgebend. Alles für das Volk, nichts durch das Volk. Er ſelbſt weiſt die Plätze in ſeinem Staate an, er entſcheidet, was für ein Amt einem jeden angemeſſen iſt. Im Adel erblickt er nach ſeinem eigenen Ausdruck eine Brutanſtalt tüchtiger Offiziere. Deshalb be— günſtigt er ihn auf jegliche Weiſe und duldet nicht, daß Edelgüter an Bürger: liche übergehen. Das Landvolf ift dazu da, die Erde zu bearbeiten und Sol: daten zu liefern; deshalb duldet er nicht, daß ein Bauer auswandert oder einem andern Ermwerbszweig fich zuwendet. Er läßt ſächſiſche Schullehrer fommen, da: mit feine brandenburgiihen Bauern bejier unterrichtet werden, zieht aber für diefe Bildung jehr enge Grenzen, nur was das praftifhe Bedürfnis erheiicht, braudhe der gemeine Mann zu willen. „Aufklärung ift ein Himmelslicht für diejenigen, welche auf der Höhe jtehen, ein verzehrender Feuerbrand für bie große Menge!“ Das Volk fol jo geartet und gebildet und ausgerüftet fein, wie er es will, joll um feinen Fürften gejchart fein, wie ein Armeeforps um feinen Führer; das Volk fol eine Majchine fein, an welcher alles Räderwerf, der Fürft allein Motor; das Volk fol gehorchen, entweder mit Verftändnis für die beſſere Einfiht des Oberhauptes oder in ſtummer Ergebenheit.

Harte Grundjäge, nad denen er auch unerbittlich verfuhr! Aber hatte er

Friedrich der Große und das deutſche Volk. 7

nicht eben dieſem ſtraffen, dennoch patriarchaliſchen Regiment ſeinen wunder— ähnlichen Erfolg zu danken gehabt? Und trotz dieſes echt altpreußiſchen Geiſtes im neuen Staat waren Friedrichs Arbeit und Erfolg Frucht für das geſamte deutſche Volk.

Bei der allgemeinen Herabſtimmung des Nationalgefühls waren ſich die Deutſchen kaum bewußt geworden, daß Friedrichs Siege in einem Bruderkrieg erfochten wurden. Der religiöſe Gedanke war in den Völkern nicht mehr ſo mächtig, daß fie die Waffengänge in Schleſien und Böhmen als einen Religions: frieg auffaßten,, troßdem man es in ben leitenden Kreiſen katholiſchen wie proteftantifhen verfuchte, fie als Kämpfe um den Glauben darzuftellen. So nahmen benn viele auch im feindlihen Lager herzlihen Anteil an ben über: rajhenden Erfolgen eines Fürften, der feinen jungen Staat gegen eine Welt in Waffen verteidigte. Auch im deutſchen Süden, deijen Söhne in den Regimen— tern der „Reichſtruppen“ ftanden, freute man fich über Roßbah und gönnte den Franzofen, die ſich jeit einem Jahrhundert als die Herren bes beutjchen Reichs aufipielten, die empfindlihe Züchtigung. Es ilt eine längft anerkannte Thatjahe, daß Friedrihs Sieg bei Roßbach am meiften dazu beigetragen hat, / den ſchädlich ausgearteten Einfluß der Franzofen zu brechen. Der bdeutiche Nationalitolz wachte wieder auf, und bamit wieder der Mut und der Drang zu jelbftändiger nationaler Schöpfung, fo daß mit Recht Roßbach als die Hippofrene der Deutſchen gefeiert warb. Deshalb fteht der fiebenjährige Krieg am Eingang | des goldenen Zeitalter unferer Litteratur, wie die Perferfriege am Eingang v der Berifleifhen Zeit. Kein anderer hat diefe mächtige Wirkung der Thaten Friedrichs beredter gefchildert als Macaulay, der jonft jo abfällig über unferen Helden urteilt. „Die Nachricht von der Schlacht bei Roßbach erregte die Ge- müter der ganzen ungeheuren Bevölferungsmenge von den Alpen bis zum bal: tiihen Meere und von den kurländiſchen Grenzen bis zu denen von Lothringen. Weitfalen und Niederfahien waren überſchwemmt gewejen von einem Heer frember Eindringlinge, die eine unverftändlihe Sprade redeten und deren mut: willige und zügellofe Sitten die ſtärkſten Gefühle von Widerwillen und Haß erregt hatten. Jenes große Heer war nun in bie Flucht gejchlagen von einer Heinen Schar deutſcher Krieger, unter der Führung eines Fürften, der väter: licher: und mütterlicherfeits aus deutſchem Blute ftammte und deſſen blonbes Haar und deſſen klares blaues Auge ihn ala Germanen verfündeten. Geit ber Auflöfung von Karls des Großen Reich hatte die germaniſche Raſſe noch nie einen jolhen Sieg über die Franzofen gewonnen. Die Kunde davon rief einen Sturm der Freude und bes Stolzes hervor in der ganzen großen Völferfamilie, welche in den verſchiedenen Mundarten der alten Sprache des Arminius redete. Friedrihs Ruhm begann einigermaßen den Mangel einer gemeinjamen Regie: rung und einer gemeinfamen Hauptftadt zu erfegen. Er wurde ein einigender / Mittelpunft für. alle echten Deutichen, ein Gegenftand wechleljeitiger Beglüd: wünſchung für den Baier wie für den Weltfalen, für den Bürger von Frankfurt wie für den von Nürnberg. Damals erſt wurde es offenbar, daß die Deutſchen wirklich eine Nation waren. Damals zeigten fi die erften Spuren jenes patrio- tiſchen Geiftes, weldher 1813 die große Befreiung Mitteleuropas vollbradte und

8 Erſtes Buch. Erſter Abſchnitt.

welcher noch heute die alte Freiheit des Rheins gegen fremden Ehrgeiz behütet und noch lange behüten wird.“ Nicht Preußen und den Preußen wandte ſich die Sympathie des deutſchen Volkes zu: nur dem König galt die Bewunderung. Goethe hat dafür den treffenden Ausdruck getroffen: das Volk war „fritziſch“ geſinnt. „Denn was ging uns Preußen an? Es war die Perſönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte!“ Unter den Geſchichtsforſchern dürfte der Badenſer Ernſt Poſſelt der erſte geweſen fein, der von der Trag— weite des preußiſchen Sieges die volle Erkenntnis beſaß und ihr begeiſter— ten, ja überſchwänglichen Ausdruck gab: „Du Erſter unter den Helden! Was war Europa vor Dir? Während die Bourbonen an den zarten Brüſten ihrer Weiber und die Oeſterreicher mit dem Roſenkranz ſpielten, machten ihre Condés und Eugens den Erdkreis zittern. Außer ihnen galt etwa nur noch England. Die übrigen Majeſtäten blähten ſich unter ihrem Hofgeſinde oder wurden von jenen Uebermächtigen im Fall der Noth als Lückbüßer gebraucht. Portugal ließ Ketzer braten, Holland fraß ſeine Staatsmänner, und ſelbſt Preußen ſchlug ſich wie ein braver Degen nur für fremden Vorteil herum. Verſchüttet im Gewühl ungeheurer Abſichten und kleinlicher Mittel lag alle wahre Staatskunſt. Du kamſt, da ward es Tag und da lernte das Volk ſeinen Werth und die Majeſtät ihre Pflicht; da thaten deine Donner bey Roßbach und bey Liſſa den Uebermächtigen die große Lehre kund, daß in dem Geiſt und in dem Herzen eines Mannes die Kraft von Heeren liegen kann; da entſtand der Pariſer und Hubertusburger Frieden, entſtanden Joſephs Reifen, Guſtavs Königss reden, Ludwigs XVI. états généraux und Achtung des Bauernſtandes und Sieg des erworbenen Verdienſtes über das Geerbte und Denkfreyheit und Preß— freyheit; da war der Begeiſterung fürder kein Flug, der Weisheit keine Tiefe gefährlich; da wurde unbeſorgt und unbeſtraft unter deinen Augen geſchrieben wider dich und du lächelteſt und freuteſt dich, daß dir dein großes Werk gelungen ſei, du Schöpfer deines Zeitalters!“ Wie die große Perſönlichkeit des Königs auf andere größere Geiſter wirkte, zeigt Leſſings Beiſpiel. Sein höchſtes Ziel ſei eine Anſtellung in preußiſchen Dienſten, ſchreibt er 1757 an Gleim, damit er nicht länger nötig habe, ſeinen Bekannten nur ins Ohr ſagen zu dürfen, daß der König von Preußen dennoch ein großer König ſei. Die kriegeriſchen welterſchütternden Ereigniſſe bilden den Hintergrund des heiteren Bühnenſpiels, deſſen Verwickelungen jo einfach, deſſen Geſtalten gleichwohl un— vergänglich find: Minna von Barnhelm iſt die edelſte künſtleriſche Verherr— lichung des preußiſchen Waffenruhmes. Und unter dem Eindrucke der mächtigen Erfolge Friedrichs führte Leſſing in feinen kritiſchen Schriften tödliche Streiche gegen die Verwelſchung des Geihmads der Deutihen. Noch unmittelbarer wirkten die Ereignifje auf die Geſchichtſchreibung. Man wird in unferer hifto- riſchen Xitteratur vor dem Zeitalter Friedrihs des Großen nirgends eine Sprade von joldem Freimut und folder Begeifterung finden, wie in ber oben angeführten Stelle aus Poſſelt. Und Freimut und Herzenswärme, bünft mi, find dem Geſchichtſchreiber ebenſo unerläßlih wie Urteilsfhärfe, zumal wenn er von vaterländiihen Dingen jchreibt. Juſtus Möfer jagt richtig: „Unfer hiſtoriſcher Stil hat fi in dem Maße gebeilert, wie ſich der preußifche

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Name ausgezeihnet und uns unjere eigene Geichichte wichtiger und merther gemacht hat.“

Dieſe Wirfung erlofh auch nicht, als Friedrich fein Schwert in die Scheibe ſteckte. Nimmer dürfte jenes Zeitalter nah ihm benannt werben, wenn ber fieg- reihe Held dem geiftigen Xeben ber Nation gleihgültig gegenüber geitanden hätte. Dem war aber nicht jo! Nichts däuchte ihn verfehrter als die Meinung, ein unmillendes und dummes Volk jei leichter zu regieren als ein aufgeflärtes. Der Fachgelehrte wird zwar mit Friedrichs Lehrplan für die Ritterafademie, in welcher die Söhne aus adelihen Häujern unterrichtet und erzogen werden jollten, nit in allen Punkten einveritanden jein. „Die Auctores classiei müſſen auch alle ins Deutiche überjegt werden, damit die jungen Leute eine Idee davon friegen, was es eigentlich ift; jonften lernen fie die Worte wohl, aber die Sache nicht.” Den Geift der Sprade fann füglich der nicht ſchätzen, der ihrer nicht mächtig ift, aber vom Inhalt der griechiſchen und römischen Litteratur hatte Fried: rih die höchſte Meinung. Ihre Kenntnis galt ihm als das mädhtigfte Bildungs- mittel, auf fie ſetzte er jeine Hoffnung, daß auch der Deutfche dereinft feine großen Scriftiteller haben werde, wie der taliener, Engländer und Franzoſe.

Wie er jelbit unermüdlich beitrebt war, feinen Geift zu bilden, jo war er ftets bereit, eines andern Suchen nad Wahrheit zu fördern und zu unterftügen. Sant jagt im Aufjag: „Was ift Aufklärung“, der 1784 in der Berliner Monatsfchrift erſchien: „Ich höre von allen Seiten rufen: Räfonnirt nicht! Der Offizier jagt: Räſonnirt nicht, jondern erercirt! Der Finanzrath: Räfonnirt nicht, fondern be— zahlt! Der Geiftlihe: Räjonnirt nicht, jondern glaubt! Nur ein einziger Herr in der Welt jagt: Räſonnirt jo viel ihr wollt, aber gehorcht!“ „Kant hätte noch mehr jagen können,“ ſetzt Trendelenburg in feinem Eſſay über Miniſter Zedlig binzu, „dieſer Herr wollte ſogar, daß als denkende Wejen die Menſchen raijon- niren lernten und ftellte jeinem Minifter die Aufgabe, es lehren zu laſſen.“

Der Krieg mit den alten Monardien Europas war glüdlich beendigt, nun galt’s, den Krieg im Namen der fortichreitenden Aufklärung fiegreid zu Ende zu führen. Das Wort: „Die Religionen müßen alle toleriret werben und muß der Fiskal nur das Auge darauf haben, daß Feine der andern Abbrud thue, denn bier muß ein Jeder nach feiner Façon jelig werden,” Tennzeichnet am deutlichften den Anbruch einer neuen Zeit. Mochte immerhin er felbft, auch darin wie in vielem feinem Namensgenofjen, dem Hohenftaufen Friedrich IL, ähnlich, !) von leidenſchaftlichem Hab gegen allen pofitiven Glauben erfüllt fein und in Briefen und Gedichten alles Kirhentum mit bitterem Hohn verfolgen, jo war doch die Handlungsweife des Negenten von dieſer perjönliden Stim- mung niemals beeinflußt. „Wenn nur der Papft“ jchreibt er an d’Alembert „leine Lehrfäte gegen Moral vertaufht und Barmherzigkeit predigt, jo werde ih ebenjo wenig fein Feind fein, als der Feind des Dalai Lama, der da thronet zu Tibet.” „Wenn der Kaijer Klöfter aufhebt,“ jchreibt er ein andermal an den nämlidhen, „jo baue ich dagegen abgebrannte Fatholifche Kirchen wieder auf und lafje überhaupt einem Jeden bie Freiheit, nach feiner Weile zu denfen.“

i) BoedH, Ueber Friedrichs des Großen claffiishe Studien, 17.

denn

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Und nit bloß Gebanfenfreiheit gab er dem Volfe, auch für Rebe: und Preßfreiheit war jein Beijpiel epochemachend. „Gazetten, wenn fie inter- ellant fein follen,” fagte er zu Podewils, „mühen nicht geniert werben.“ Freilih entipriht auch hier die Handlungsmweife nicht immer den aufgeflärten Worten. Als die Kölnifche Zeitung ihn angriff, wies er feinem Bertreter in Köln 100 Dulaten an, um bandfeite Yeute zu dingen, die den mißliebigen Beitungsjchreiber prügeln folten. Der Leiter der Erlangiſchen Zeitung mußte jogar dem preußifchen Oberjten, der ihn auf königlichen Befehl hatte züchtigen lafjen, für die empfangenen Hiebe noch eine Quittung ausftellen. Als Hamann eine Streitfchrift gegen des Königs Abhandlung über die deutſche Yitteratur zu ſchreiben unternahm, gab ihm Nicolai, der die Berliner Zuftände am beiten kennen mußte, den freundichaftlihen Nat, er möge „jeine PBhilippicam im Pult ruhen laſſen,“ bamit er nicht etwa unfreiwillig in Spandau oder Stettin Quartier befüme. Weber das Journal de Berlin, nod die Spenerſche Zeitung erhoben fih nad) Inhalt oder Form irgendwie über die Organe anderer Hauptitäbte. Ya, Reffing, dur die Ablehnung feiner Bewerbung um die Berliner Bibliothefar: ftelle gereizt, wirft 1769 in einem Briefe an Nicolai die Behauptung auf, die gerühmte Berliner Preßfreiheit beſchränke ſich auf die Freiheit, gegen die Religion zu ſchreiben. „Laſſen Sie es aber doch einmal einen in Berlin verjuchen, über andere Dinge jo frei zu fchreiben, ald Sonnenfels in Wien gejchrieben hat; lajien Sie es ihn verjudhen, dem vornehmen Hofpöbel jo die Wahrheit zu jagen, als diefer fie ihm gejagt hat; laſſen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Unterthanen, der gegen Ausfaugung und Despotismus feine Stimme erheben wollte, wie es jett jogar in Frankreich und Dänemark gejhieht, und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Yand bis auf den heutigen Tag das jflavifchite Land von Europa ift.” Allein Leffing urteilt, wie bemerkt, nicht unbefangen; der gerechte Unwille über die Bevorzugung eines Pernety macht ihn ungerecht; er überfieht, daß es zwar abſcheulich ift, Sottifen gegen bie Re: ligion zu Markt zu bringen, daß aber immerhin darin ein Fortichritt liegt, daß auch ein freches Wort nicht fofort den Büttel in Aktion bringt. Wolle Freiheit in Wort und Schrift ift im Staat eines abfoluten Herrfchers überhaupt un: möglih, dod war der Engländer Moore, der 1775 nad Berlin fam, überrajcht von dem Freimut, womit hier öffentlihe Angelegenheiten bejproden werben durften. Ein noch günftigeres Urteil glaubt der Verfafler einer Serie von Ars tifeln „über Berlin” in der Berliniihen Monatsſchrift aus den Jahren 1783 und 1784 fällen zu dürfen: er rühmt nicht nur die nad des Königs Willen neugeorbnete Juftizpflege, „die unparteiiih dem Bauern gegen den Edelmann, dem Privatmann gegen den Minifter, dem Unterthan gegen den König Recht giebt,” fondern aud die Einwirkung der väterlihen Strenge und Milde des Königs auf des Brandenburgers freien Sinn, guten Mut und frohes Herz. Straffes perſönliches Regiment hielt Friedrih für unbedingt notwendig, aber nit Unmünbdigfeit des Volkes. Vor allem genoß wiſſenſchaftliche Forſchung unbedingte Freiheit. Mochte er jelbft die deutichen Gelehrten noch fo gering fhägen und war e8 5. B. unverdient, wenn er eine volle Schale des Zornes über den Profeſſor Titius in Wittenberg ausgoß, der über einen von Friedrich

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in die Zeitungen gefhmuggelten ſchlechten Witz, mwonad irgendwo der Hagel einen Ochſen erichlagen haben jollte, eine von Gelehrſamkeit triefende, umfaſſende Abhandlung ſchrieb! die Achtung vor der Wiſſenſchaft hat er nie verlegt und verloren. Eine freiere Bewegung in Wiſſenſchaft und Litteratur tritt denn auch unverfennbar hervor. „Er hat den bürgerlihen Mut großgezogen und bem deutichen Volke das zurüdgegeben, was ihm jo lange abhanden gefommen war, einen Charakter.“ Ein in jenen Tagen jeltener Mut der Ueberzeugung ift haraf: teriftiich für die Philofophen des Friedericianiichen Zeitalters, und ebenfo treffen die Mendelsjohn, Engel, Möfer, Garve darin zufammen, daß fie praftifche Lebensweisheit anjtreben, die Pflichten und die Beftimmung des Menſchen, wie des Bürgers feitzuftellen traten. Die politiſchen Wiſſenſchaften fanden jett erft einen wirklichen Inhalt; eine neue Wiffenihaft, die Statiftif, trat an ihre Seite. Und wenn aud jede unmittelbare Anregung fehlte, vom friſchen Hauch feiner Wirkjamfeit waren auch die politiihen Schriftiteller, die K. F. Moſer, Häberlin, Schlözer u. a. belebt. Der einflußreihite und in gewiſſem Sinn be: deutendfte unter ihnen, Schlözger, hatte für die große Perfönlichkeit des Preußen: fönigs nicht das volle Verjtändnis; er fpricht wiederholt von einer „wilden Größe“; welfifhe und ruffiihe Einflüffe jpielen dabei mit. Als fi aber für ihn Aus: fiht eröffnete, aus bannöverifhem Dienfte in preußiſchen übertreten, eine Pro: fejjur in Halle erlangen zu können, war er mit Freuden dazu bereit. „ch ſehe“ jchreibt er am 22. April 1778 an Minifter Zedlig „die preußifche Regie: rung als die allerakftivite der Welt in unjrem saeculo an.” Beileres Los fönne man fih nicht wünſchen, als ein Rad oder Rädchen in diejer außerordent— lihen Maſchine zu fein; mit Recht habe ein Franzoje geäußert: „Hätte bie preußiſche Regierung, wie Frankreich jeit einem Jahrhundert, über 30 Millionen Menihen zu gebieten gehabt, jo würde Franfreih ſchon Tängft eine preußiſche Provinz fein.” Nicht anders war es mit Johannes Müller, Als ihm Zedlitz 1773 eine Rektorſtelle anbieten ließ, fagte er mit Freuden ja; freilich pries er, als die Anftelung auf Hindernifje ftieß, fein Glüd, daß er nicht unter das Zwangs— regiment eines abjolutiftiihen Monarchen gefommen fei, aber wie wenig Ernft es ihm damit war, beweiſt die Thatſache, daß er fortfuhr, hiſtoriſche Schriften in franzöfifcher Sprade abzufafien, damit das Auge des großen Königs auf ihn gelenft werde. Und als dies endlich gelang und König Friedrich dem fchon be: rühmten jungen Schweizer Audienz gewährte, äußerten fih Freude und Ent- züden bei diefem in ausjchweifender Weile. Er vergleicht Friedrihs Haupt mit demjenigen bes Gottes von Eythere; nie habe er einen jüngeren Greis, niemals lebhaftere Augen, feinere Züge, milderen Gefichtsausdrud gejehen. „O Fried: rich, Friedrich, ich werde did nie aus dem Gedächtnis verlieren, jo wie ich dich in diefem göttlihen Augenblid jah,; müßte ich hundert Jahre alt werden und dich niemals wiederfehen, jo werde ich mich immer daran erinnern, daß ich Cäjar und Alerandern gejehen habe.) Und obwohl Müller die erhoffte Anftellung

i) Weit weniger günftigen Eindrud empfing der König von feinem Gafte, „hr Herr Mayer“ fchrieb er an b’Alembert, der den Hiftorifer warm empfohlen hatte, „ift bier ge: weſen; ic geftehe, daß ich ihn fehr für das Kleine fand."

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vorerft nicht erlangte, wirkte der Eindrud der Begegnung auf riebrich fo ftarf nad, daß ihn nah längerem Aufenthalte im Braunfchweigiichen das Mieberbetreten preußifhen Gebiets in freudige Aufregung verjeßte: „Sch hätte den Zöllner umarmen mögen, weil er ein Preuße war. Mit den Preußen und für die Preußen will ich leben und fterben, oder ih will nicht leben!” (29. März 1781.) Tüchtigkeit, Strenge, Schärfe und Ausdauer be: zeichnet Goethe, der ſonſt auf Berlin nicht gut zu fpreden war, als „ſpezifiſch preußifche” Tugenden, und er wünſcht deshalb, daß der deutſche Geiſt nad) diefer Richtung ebenjo in preußiihe Schule fomme, wie jeit den Siegen Friedrichs die Refruten in allen Yändern nach preußiihem Reglement gebriflt würden.

Mit beionderem Nachdruck pflegt von den Gegnern des Königs auf die abfälligen Urteile Windelmanns bingemwiejen zu werden. In der That fühlte fich diejer Gelehrte, der „das Neih des Schönen für Deutichland öffnete” (Ger: vinus), ber verjpätete Humaniſt, der in der heiteren Kunft der Alten Iebte, von ben Greueln des fiebenjährigen Kriegs jo abgeftoßen, daß er nur mit Ab: jheu von feinem Vaterland und feinem König jprad. „Es ſchaudert mich,” fchrieb er an Uſteri, „wenn ih an den preußiihen Despotismus und an ben Schinder der Völker gedenfe, welcher das von der Natur jelbit vermaledeite und mit libyſchem Sande bevedte Land zum Abſcheu der Menſchen machen und mit ewigen Fluche belegen wird. Meglio farsi Turco circonciso che Prussiano!” „Mein Vaterland” jchrieb der Altmärfer nad) feiner Heberfiedelung in die Runftftabt Dresden „vergefle ih gern ... Mein Vaterland ift Sachſen, ich erfenne fein anderes, und es ijt fein Tropfen preußiihen Blutes in mir!” Doch der Groll 0! über die Charafterfeitigfeit der „Leuchten der Wiſſenſchaft“! verſchwand, als eine Berufung in Dienft des Berliner Hofes in Ausſicht ftand, Doc die be- rüchtigte Kabinetsordre Friedrichs: „Für einen Deutſchen find 1000 Thaler ge: nug!” jegte diefer Hoffnung ein Ziel. Trotzdem brach in Windelmann am Abend feines Lebens die Yiebe zur Heimat dur; nicht das jelbitgewählte Vaterland Sadjen wollte er nochmals fehen, fondern „ſich dem großen Könige darzuftellen, mar jein Stolz” (Goethe). Auf eine ähnliche Bekehrung ftoßen wir bei Herder. In feiner Philofophie der Geſchichte fand er für die Kriegsthaten und die Staats: funit König Friedrihs nur Worte des Unmuts und des Widermillens, aber ſchon feine Abhandlungen „über den Einfluß der Regierungen auf die Wiſſenſchaften und der Willenihaften auf die Regierungen” lieft ſich wie eine Lobſchrift auf die erzieheriihen Tugenden, die Fürforge, die Volksfreundlichfeit des Königs, und vollends dem Toten zollt Herder in der erſten Sammlung der Humanitätsbriefe begeiftertes Lob.

Auch auf die Kunſt erftredte fih der Einfluß des Königs. Nicht immer in mwohlthätigem Sinne. Durch perfönlide Einmiſchung des hohen Bauherrn wurden nicht felten gerade die glüdlichiten Ideen des geihidten Genofjen aus den Rheinsberger Tagen, des Majors von Knobelsdorff, beeinträchtigt, und nad dem Tode biejes Künftlers fam bie helle Mittelmäßigfeit obenauf. Doc ent: behrt das FFriedericianifhe Berlin nicht eines großen Zuges, und die Rokoko: räume in Potsdam gehören in Bezug auf feine und reigende Behandlung aller

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inzelheiten zu dem Glüdlihften, was dieſer Gejhmad überhaupt hervorge: bradt hat.!)

Aber es war franzöſiſche Kunft, und die Schöngeifter und Gelehrten, die in jenen Räumen den König umgaben, waren fajt ausſchließlich Franzojen. Die Jronie des Schidjals fügte, daß derjenige, der den Ruf franzöfifher Un: überwindlichfeit bei Roßbach vernichtete, der damit zur Befreiung des deutſchen Geiltes das beite und hödhfte gethan hatte, jelbft fein Leben lang in den Banden ber einjeitigften franzöfiihen Geihmadsrihtung blieb. Der franzöfiiche Klafii- zismus ftaf ihm jo im Blute, daß er vor d’Alembert erflärte, er möchte weit lieber die Athalia gedichtet, als die Triumphe des fiebenjährigen Krieges erfochten haben. Die Deutihen galten ihm wie feinem Voltaire nur als „Barbaren“, die deutſche Sprahe war für ihn nur das, was für den Gebildeten der pro: vinziale Dialeft if. Zugegeben, daß ihn Herr Hofpoet Pietſch und andere „Dichter“, die er in feiner Jugendzeit zu lefen befam, wenig befriedigen konnten, daß ihm der Formalismus und die Selbjtüberhebung der Gottſched und Lambert, mit denen er perfönlid in Berührung trat, lächerlich erjcheinen mußten, aber er verichloß feine Augen auch vor den glänzenden Fortihritten, welche deutjche Litteratur und Wiſſenſchaft unter feiner Negierung und unter dem Einfluß jeiner eigenen Thaten und Beftrebungen machten; er wußte das wirklich Gute, ja, das wirflih Große von der Spreu der herfömmlichen Produktion nicht zu jondern. Er ſah in der Meifiade nur eine „ſehr überflüffige Nahahmung Miltons”; er nannte Goethes Göß eine abſcheuliche Nahahmung der jchled;: ten Stüde Shafeipeares; er behauptete von Yohannes Müller, er leide, wie alle Deutichen, an dem Uebel der Logodiarrhoe; er ftrih Mendelsjohns Namen aus der Lifte der für die Akademie Vorgejchlagenen; er ging in jeiner Unbe: fangenheit jo weit, daß er troß mangelhaftefter Kenntnis der deutſchen Yitteratur fih aud noch zum Nichter aufwarf und nur den Mut derjenigen Scriftiteller rühmte, die „nicht mehr erröteten, Deutiche zu fein”. In einem Geſpräch mit Mirabeau nahm der König, als er gefragt wurde, weshalb der Cäjar ber Deutihen niht auch ihr Auguftus geworden, weshalb er jih jo ablehnend gegen die deutſchen Dichter und Gelehrten verhalten, e& als ein Berdienft in Ans ſpruch, daß er die freie Entwidelung diefer Männer nicht geftört habe. Auch diejes Wort ift verteidigt und gelobt worden; man hat gelagt, der König habe durch feine Nichtbeachtung der deutjchen Yitteratur die beiferen Kräfte angeipornt, das ungünftige Urteil des Königs durch immer bedeutendere Leitungen zu wider: legen! Das heißt denn do in Ehrfurdt „erblinden”! Die Zeitgenofien urteilten darüber anders. Als Herzog Karl Auguft von Weimar den Vorſchlag Klopftode, daß deutſche Kunft und Litteratur von Reichswegen unteritügt werden jollten, bei Kaifer und Reichstag zu befürworten gedachte, wollte er die Vorbereitungen in aller Stille ohne Willen des „deutſch-franzöſiſchen“ Friedrich getroffen willen. Auch waren nicht alle von des Königs hartem Urteil Betroffenen jo duldjam wie Goethe, der an Möſers Tochter jchreibt, es habe für ihn nichts Befremden: des, daß der König feines Stüdes in Unehren erwähne, denn „ein billiger und

!) Moltmann, Baugeihichte Berlins, 95.

14 Erftes Bud. Erfter Abſchnitt.

toleranter Geſchmack möchte wohl feine auszeichnende Eigenjhaft eines Königs fein; vielmehr dünft mich, das Ausſchließende zieme fih für Große und Bor: nehme“.) „Alles joll Ein Leiſten, Ein Schuh fein,” Hagte Hamann, „Fabriken und Heerdienit, ſowie (unleferlihes Wort) und Kritik!“ „Was follen Eng: länder, Franzoſen, Staliäner von uns Deutichen denken,” jchrieb Prinz Auguſt von Gotha an Herder, „wenn ein großer König an der Spree jo von unjerm jegigen Zuſtande ſchreibt!“ Und Klopftod, der jchon früher geklagt hatte:

„Sagt's der Nachwelt nicht an, Daß er nicht achtete, Was er werth war, zu fein!“

antwortete auf den Angriff des Königs mit dem Gebicht „Rache“: „Lange er- warteten wir, bu würdeſt Deutichlands Muſe jhügen, aud jo mit Ruhm dich frönen, durch den jchöneren Lorbeer deden des anderen Blut... Sich nidt zu rähen, war er ſchonend genug, ber Deutſche, ... doch du jelber haft ihn an dir gerät ... du erniederteft did, Ausländertöne nachzuſtammeln, bafür den Hohn zu hören: Selbit nad Arouets Säuberung bleibe dein Lied noch tudesk!“ Selbft die jpezififch „preußifhen” Dichter, Gleim, Ramler, die Karſchin, beflagten wehmütig die Abmwendung des Sohnes vom Vaterland.?)

Nod anderes trug dazu bei, die Bewunderung des Siegers von Zorndorf, des „MNeftor und Ulyſſes im Fürſtenrat“, herabzumindern. Jenen Kreifen, welde die Mejfiade mit brünftiger Andacht laſen, mußte der Schüler Voltaires, der nicht minder rückſichtslos wie fein Meifter die „Fafen” und das „Fromme Gefajel” verhöhnte, wie der Antichrift vorfommen. Und aud im Eatholijchen Zager konnte der Mann, der fi zwar als Regent feine Ungerechtigkeit erlaubte, von dem man aber wußte, daß er bei feinen b’Alembert und d'Argens ftets von „ber Hure von Babylon” und dem „Hohenpriefter des Baal” ſpreche, nur mit Bitterfeit beurteilt werden. Spricht doch fogar Leſſing jein Bedauern aus, daß das jchlechte Beilpiel eines Cynifers auf dem Throne im Volk die Achtung vor Heiligkeit und Religion untergraben und das von oben unterjtüßte „rationa- liſtiſche Berlinertum” allenthalben ſchlimme Früchte reifen werde.

In Sachſen hatte die Bevölkerung das ſchwere Leid, das die fchlefifchen Kriege über das Yand gebracht hatten, aud in den Friedensjahren nicht ver: geilen, und Friedrichs Sparjamfeit erjchien den an die üppige Pracht des

!) Uebrigens jcheint bie Schrift, die Goethe ald Antwort auf Friedrichs De la littera- ture Allemande 1781 ausarbeitete, die aber nicht veröffentlicht, fondern, wie es fcheint, von Goethe felbit wieder vernichtet wurde, eine ziemlich derbe Zurückweiſung enthalten zu haben. (B. Suphan, Friedrichs des Großen Schrift über die deutſche Litteratur, 53.)

2) An Derteibigern fehlte e8 dem Könige allerdings auch ſchon damals nicht. Der Ber: faffer jener oben erwähnten Artifel „Ueber Berlin” (Berlinifhe Monatsfgrift, Jahrg. 1784, 557) fagt: „IH frage Sie, aber nur Ihnen möchte ich dieſe Frage thun, der Sie von meinem Patriotismus überzeugt find: Was haben wir denn ſelbſt igt für große Schriftfteller im Fach der Gefchichte? im Fach der Politif? für angenehme Ueberfegungen der Alten? Alles dies hat mancher jüngere Barde nicht bedadt, ber im Grunde doch bloß übel nimmt, daß der König von Preußen Voltairen und Algarotti Penfionen gab und ihm feine gibt,”

Friedrich der Große und das deutſche Bolt. 15

Dresdener Hofes Gemwohnten als „preußifche Knauferei”. Hinwieder fpottete man in Hannover, wo bie wachſende Macht des Nahbarftaates natürlicherweiſe Eiferfuht und Mißbehagen wedte, über das „preußiiche Drilliyitem”. Sn anderen deutjchen Landen hatte man bei aller Bewunderung und Begeifterung für den König doch aucd Mitleid mit feinen Unterthanen, die für den Heros beroifhe Opfer bringen müßten. Wieland jprah in einem Briefe an einen Freund fiherlid die Meinung vieler aus: „König Friedrich ift zwar ein großer Mann, aber vor dem Glüde, unter feinem Stode sive Scepter zu ftehen, be- wahre uns der liebe Gott!”

Ya, im eigenen Lande walteten ähnlihe Empfindungen. Kein Zweifel, der Fürft, den „der Neid und der Haß zweier Weltteile nur brüden, nicht beugen konnten” (Pofjelt), war in Preußen, dem er in ber Reihe der erften Mächte einen Ehrenplag erfämpft hatte, feineswegs beliebt. Diefe auffällige Thatjache erklärt fi weniger aus dem Drud, der unbejtreitbar auf der preußi- ihen Bevölkerung laſtete; auch mit den Reiten ber Selbftverwaltung der Ges meinden und ber Freiheit der Perjönlichkeit war aufgeräumt worden; der Staat miſchte fih in alle Familienfahen, der Einzelne war nichts, der Staat alles; \ der Madtitellung des Staates wurde jede Rüdfiht auf Weberlieferung und alten Brauch geopfert. Allein ſolcher Drud war vom aufgeflärten Despotismus überhaupt untrennbar. Und doch hat es harte Zwingherren gegeben, die in ihrem Lande nichtsdeftoweniger volfstümli und beliebt waren. Die Unbeliebt: heit Friedrichs erklärt fi) vornehmlid aus dem damals und heute noch land: läufigen, erſt in allerneuejter Zeit berichtigten Urteil über feine Wirtjchafte- und Finanzpolitif.

Friedrich, der „gefrönte Nealift”, wie ihn Garlyle nennt, ſah, feit die Waffen ruhten, im „Nützlichen“, in Hebung der leiblihen Wohlfahrt des Staates jeine erfie Aufgabe. „Dur die Herren Encyflopäbiften” jehreibt er 1771 an Voltaire „bin ich ein ganz anderer Menih geworden; fie haben ja jo viel gegen die gebungenen Henfer gefhrieen, die Europa in ein Blutbad tauchten, daß ich mich fortan wohl hüten werde, ihrer Kritik neue Nahrung zu geben.” Hebung des Aderbaues, vor allem aber der Gewerbe und Gewerke, wie des Handels war demgemäß jeine Herzensjorge. „Man muß mit dem Aderbau anfangen,“ jchreibt er 1773 an Voltaire, „dann zum Fabrikweſen und endlich zu einem feinen Kandel fortjchreiten. Sobald alles dies feſte Wurzel gefaßt bat, entiteht Wohlitand, und ihm folgt der Ueberfluß, ohne weldhen die Künfte nicht gedeihen fünnen. Die Mufen verlangen, daß der Fuß des Parnaß von dem Pactolus benegt wird. Erft muß man etwas zu leben haben, ehe man fih unterrichten und frei denfen fann.“

Die unbedingte Verurteilung der damaligen Steuerverwaltung, der Eins führung der franzöfifhen Regie durch Friedrih it von Guftav Schmoller auf Grund der Kabinetsbriefe des Königs, der jogenannten Minuten, kritiſch ge: prüft worden. Nun erjcheinen die Thatſachen in einem ganz andern Lichte, und für jeden Unparteiiſchen ift der Beweis erbradt, „daß die folgen: ſchweren Entſcheidungen vom Frühjahr 1766 nicht in erfter Linie zurückgehen auf eine unmotivirte Mifftimmung über feine deutſchen Beamten, nicht bloß auf

16 Erftes Bud. Erfter Abſchnitt.

zufällige Todesfälle im Kreife der Minifter oder auf Forderungen einer Accife: erhöhung, welche die deutihen Beamten abgelehnt hätten. Nein, es handelte fih um große fundamentale Fortichritte in der Organifation der Staatöver: waltung überhaupt und ber indirekten im fpeziellen.” Die Einrichtungen Frank: reichs gaben Anſtoß und Vorbild, aber fie wurden nicht fopiert. Gerade das: jenige, was in Frankreich jo unheilvoll wirkte, die Steuerpadt, fand in Preußen nicht Annahıne, und was der franzöfiichen Steuertehnif und Beamtenmafchinerie entlehnt wurde, war unzweifelhaft ein Fortſchritt, da man erſt dadurch aus dem Gebiet der alten Stadt:Wirtjchaftspolitif in das der Staats-Wirtſchafts- politif fam. „Die Regie wurde gerade, weil fie allen lokalen, provinziellen, ftändiihen und hergebrachten Sonderrehten und Privilegien entgegen geitellt war, weil fie nur als fönigliche zentraliftifche Behörde fi fühlte, nad allen Seiten hin die Trägerin des monarchiſchen Staatsgedantens.“

Aber die großen Maſſen fannten ebenjomenig die Vorgefhichte, wie die ferne liegenden Ziele der füniglihen Beihlüffe. Sie jahen nur die gegen- wärtigen Wirkungen, eine neue Gefchäftsführung und Die Yeitung in ben Händen Fremder. Die natürliche Abneigung gegen die Ausländer machte fie gegen die jeweiligen Mißgriffe doppelt empfindlih. Nicht der gemandtefte Redner würde fie überzeugt haben, dab die Denunziationen der fogenannten „Kaffeeſchniffler“ für die preußifche Staatsentwidelung von irgend welchem Nußen feien. Die Gebildeten hinwieder fonnten fih mit der eigentlihen Tarif: und Handelspolitif des Königs nicht befreunden. Er ging ihnen in feinem Eifer für den Schußzoll zu weit. Alles in allem, Mihvergnügen und Unzufriedenheit waren in weiten Kreijen verbreitet. Als Goethe 1778 nah Berlin fam, war er höchlich befremdet, „über den großen Menſchen feine eigenen Lumpenhunde räjonnieren zu hören.” ?)

Wie wenig dankbare Erinnerungen das Mifbehagen über ein gegenmärtiges Uebel zu mildern vermögen, erjehen wir aus der Entrüftung Berlins über die föniglihen Verfügungen im befannten Arnold Müllerſchen Prozeß. Als der Großfanzler von Fürſt, weil er das Urteil des Kammergerichts verteidigt hatte, plöglih in Ungnaden entlafien wurde, machte ihm andern Tags die vornehme Berliner Gejellihaft „in langer Wagenreihe” ihre Aufwartung. Und doch hatte der König 30 Jahre lange jedes Eingriffes in Prozeßſachen fich enthalten. Und doch hatte er drei Tage nad) feiner Thronbefteigung die Folter abge: / ſchafft, und doch war er e& gewejen, ber jchon im Jahre 1746 dem Etats: *

„Von der Bewegung der Puppen kann man auf die verborgenen Räder, beſonders auf die große alte Walze, F. R. gezeichnet, mit taufend Stiften fchließen, die dieſe Melodien hervorbringt.” ... „Es ift ein Schön Gefühl, an der Duelle deö Kriegs zu figen in dem Augen: blick, da fie überzufprubeln droht.“ (Goethe an Charlotte v. Stein, Berlin, 17. Mai 1778.) „Auch in Berlin war id im Frühjahr: ein ganz ander Schaufpiel! Wir waren wenige Tage da, und ich gudte nur drein wie ein Kind in Schön:Raritätensflaften. Aber du weit, wie ich im Anfchaun lebe; es find mir taufend Lichter aufgegangen. Und dem alten Fritz bin ich recht nah worden, denn ich hab fein Mefen gefehn, fein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und zerriffenen Vorhänge, und hab über den großen Menfchen feine eigenen Zumpenhunde räjonniren hören.” (Goethe an Merd, 5. Auguft 1778.)

Friedrich der Große und das beutiche Volk. 17

minifter von Cocceji den Befehl erteilt hatte, „ein Teutiches Allgemeines Land— recht zu verfertigen, welches fi bloß auf die Vernunft und Landesverfaflungen gründet, . . . damit einmal ein gewijles Recht im Lande etabliert und die un— zähligen Edifte aufgehoben werden mögen”. Uebrigens hatte der Arnoldjche Prozeß für die Rechtspflege die ſegensreichſte Folge. An die Stelle Fürfts trat Kaſimir Freiherr von Carmer. Ihm und feinem großen Mitarbeiter, Karl Gottlieb Sparez, gelang das Riejenwerf, die Gerichtöverfallung, die Prozeß: ordnung und das Allgemeine Landredt für die preußiihen Staaten zu vollenden.

Dem jcharffinnigen Monarhen „der alte Frig, der alles wußte, was er willen wollte!” dies föftlihe Wort legt Goethe in den „Aufgeregten” dem Chirurgus Breme von Bremenfeld in den Mund fonnte die Mifftimmung im Lande nit verborgen bleiben, mochte Hertzberg noch jo jchwungvoll in afademijchen Reden das Glüd des Landes und die Yiebe des Bürgers preiien! Um fo fchhroffer lehnte der Gekränkte es ab, um die verlorene Neigung zu buhlen. Seine Geringihäßung fteigerte ih zur Menfchenveradtung. Als von einem Schulmann Sulzer geiprähsweije bemerkt wurde, die moderne Pädagogik gebe von dem Grundjage aus, daß der Menſch von Natur mehr Neigung zum Guten als zum Böſen habe, unterbrah ihm Friedrich: „Mehr Neigung zum Guten? Ah, mein lieber Sulzer, er fennt nicht diefe verdammte Raſſe, wie ich fie fenne!” Auch das befannte Wort: „Ich bin es müde, über Sklaven zu regieren!“ it aus des Königs pejlimiftiiher Weltanihauung abzuleiten, wenn es auch durch die nachfolgenden Ereignijje in anderes Licht gerüdt wurde und heute wie eine Prophezeiung des 4. Auguft 1789 fi anhört. Friedrich ragte bereits in eine neue Zeit hinein, die ihn nicht mehr würdigte, die er nicht mehr verftand. Er zog fih immer mehr in die Einjamfeit zurüd; er hatte niemand um fich, der ihn aufrichtig liebte; er Fannte fein Vergnügen, feine Erholung, er lebte nur noch dem, was er als jeine Kegentenpflicht betrachtete. Nur wenn er einmal zur Parade nad Berlin fam, lebte die alte Popularität wieder tage: fang auf. „Sie fönnen fi nicht vorftellen,” fchreibt der engliſche Gejandte Elliot an einen Verwandten in London, „wie das Volk ſich freute, ihn zu Pferde zu jehen: alles Klubgefhwäg von einen Lande, das unter dem Gewicht jeiner Laſten ftöhnt, und von einer Nation, die mit einer Rute von Eifen be: berrjcht wird, verſchwand vor dem aufrichtigen Zuruf aller Bevölferungs- ihichten, die fi verbanden, ihre Begeilterung für ihren großen Monarchen zu bezeugen.” Der braujende Zuruf der Menge überraſchte auch einen Ham: burger Bürgerſohn, der 1783 einer Parade in Berlin anmohnte, auch der „Republikaner“ fühlte fih von Ehrfurcht bezwungen, als er des Mannes gewahr wurde, „deſſen Name alles Denkwürdige eines halben Jahrhunderts bezeichnete”. Freilih mußte er ſich jagen, daß dieſe verwelkte Erſcheinung kaum nod der Gegenwart angehöre.')

) R. Kofer, Die legten Tage Friedrihs des Großen, in der beutjhen Rundſchau, 48. Band, 195. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Auflöfung des deutichen Reicht. 2

18 Erfted Bud. Erfter Abſchnitt.

Am 17. Auguft 1786 morgens 2 Uhr erlojch der legte Lebensfunfe. Die Todesanzeige in der Berlinifchen Zeitung ift von Herkberg verfaßt. „Wenn die allergerechtefte Bewunderung reden will, jo macht der allergerechteite Schmerz verftummen. Sein Volk betete ihn an, Europa ſuchte ihm nachzuahmen, bie Welt bewunderte ihn und die Nachwelt wird erftaunt die Geſchichte jeiner Thaten faum glaublich finden. Wenige Könige waren jo groß wie Er, noch weniger jo gut wie Er, faum Einer jo groß und gut zugleih wie Er! Wer Gefühl für Geiftesgröße und für Thätigfeit zur Beförderung für Menſchenglück hat, wird feinen Namen nie anders als jegnend ausſprechen!“ „Gleichwie in einer freien Republik” jchrieb Johannes Müller in feiner Darftellung des Fürftenbundes „um einen patriotifchen Konjul oder um einen großen Senator, der zu feinen Vätern gebt, alle Guten und Edlen trauern, doch mit Maß, weil immer das Vaterland bleibt, und weil nicht förperliches Dajein, jondern die bleibenden Marimen und das uniterblihe Beifpiel feine Säule geweſen, jo im Neid, als der König von Preußen ftarb. Wir willen aus mehreren Provinzen, Republifen und Königreichen, daß . . . von den Thronen bis in die Hütten, von den grauen BZeitgenofjen feiner erjten Siege bis auf das unmündige Alter wenige Menjchen ohne ganz befondere Nührung das Wort feines Todes nachgeſprochen ... Die Welt weiß, daß als König, Staatsmann und Feldherr wenige aus allen Jahr: hunderten ber Univerjalhiftorie die Vergleihung mit ihm aushalten!” „Wir find darüber einig,“ ſchrieb Herder in den „Humanitätsbriefen”, „dab wenn Ein großer Name auf Europa mädtig gewirkt hat, es Friedrich gewejen. Als er ftarb, jchien ein hoher Genius die Erde verlaffen zu haben; Freunde und Feinde feines Ruhms ftanden gerührt; es war, als ob er auch in feiner irdifchen Hülle hätte uniterblich fein mögen!”

Das hochgeſpannte Lob war für einen Friedrich nicht zu überſchwenglich, nur die Schilderung der Volksftimmung entiprah nicht völlig der Wahrheit. Die Wirkung der Todesnahridht war eine ganz andere. In weiten VBolfsfreijen atmete man förmlich auf und äußerte unverhohlen feine Freude über das Ende des läftigen Regiments. In jenen Tagen bielt fih Graf Mirabeau, deffen Name binnen wenig Jahren dem Erbfreis bekannt werden follte, der fich aber bisher faft nur durch Schriften von zügellofer Sinnlichkeit und Abenteuer von bedenf: lihfter Art befannt gemadt hatte, als Flüchtling in Berlin auf. Er war, ob: wohl jein aufdringliches Gebaren dem König beſchwerlich fiel, in Sansfouci empfangen worden und würde, falls ihm ein einflußreiches Amt eingeräumt worden wäre, gar gern in Berlin geblieben fein. Mirabeau ſchildert nun den Eindrud, den die Nahricht vom Tode des Königs in Berlin hervorrief, mit den häglichiten Farben. „Ich, der ich ihn gefehen, gehört habe, ich, der ich bis in das Grab den füßen Stolz nähren werde, daß ih ihm Intereſſe eingeflößt babe, ich jchaudere no, und meine Seele ergrimmt über das Schaujpiel, das Berlin meinen ftaunenden Augen am Todestag des Helden, der die Welt vor Erftaunen verftummen und vor Bewunderung reden machte, darbot. Alles war totenftille, aber niemand war traurig; alles war beichäftigt, aber nie: mand war betrübt,; nicht ein Bedauern, nicht einen Seufzer, nit ein Lob befam man zu hören! Darauf laufen aljo jo viele gewonnene Schladten, fo

Friedrich der Große und. das deutſche Voll. 19

viel Ruhm, eine Regierung von beinahe einem halben Jahrhundert, angefüllt mit Wundern, hinaus? Man war ihrer bis zum Abſcheu überbrüffig... Was erwarteten fie denn? Den Raub des Schages. Der einzige General Möllen: dorff meinte.” !)

Dohm, der damals ſchon in preußiſchem Staatsdienft fand und mit Mira- beau in Berlin verkehrt hatte,?) ftellt in feinen Denkwürdigkeiten die Berechtigung des von Mirabeau erhobenen Vorwurfes nicht in Abrede, jondern ſucht denfelben nur einzufchränfen: „Hofleute, Militär, Gefchäftsmänner, dieje alle, oder doc die meiften von ihnen mögen freili allein, wenigftens vorzüglih mit dem Ein- fluſſe beihäftigt geweien fein, den die große Veränderung zunächſt auf ihr Schidjal haben werde. Aber Mirabeau ſah nicht den Bürger, den Bauer: dieje wußten jehr wohl, was jie an dem Könige verloren hatten.“

Auch im NReih und im Ausland mochten viele vom Tode des Beneideten, Gefürdteten mit Genugthuung hören, aber überall lebte das Bemußtjein der unvergleihlihen Bedeutung des Toten. Wir haben ſchon gehört, dab Marie Antoinette nicht umhin konnte, ihrem Feinde das Lob eines großen Regenten zu zollen. Saijer Joſeph II. ſchrieb, nachdem ihm das Ableben des Neben: buhlers dur den Prinzen von Reuß angezeigt worden war, an feinen Staats: fanzler Kaunig: „Als Soldat beflage ich den Tod eines großen Mannes, der für immer epochemadend in der Geſchichte der Kriegsfunft bleiben wird; als Bürger bedaure ich, daß diefer Tod 30 Jahre zu ſpät eingetreten ift, denn 1756 wäre er vortheilhafter gewejen ala 1786.” In Norbamerifa wurden Trauer: feierlichfeiten für den Freund der Freiftaaten veranftaltet. In Paris verbrängte die Botſchaft aus Sansjouci für den Augenblid ſogar das Intereſſe am neueften Klatih über die „Autrichienne*. Sn dem fizilianifhen Städten Caltani- fetta ließen fih die nah antiker Weile auf dem Marktplatz figenden Ein: wohner von dem Gafte ihrer Stabt, Goethe, immer wieder von dem großen Preußenkönig erzählen, und Goethe hielt für geraten, den Tod des Königs zu verjchweigen, „um nicht durch eine fo unjelige Nachricht den Wirten verhaßt ju werben“.

Abgeſehen von den allgemeinen Nachrichten über die Aufnahme der Todes: nahricht können wir uns über das Urteil der Zeitgenofjen über Friedrih nur aus der in den nächſten Jahren angewachſenen Litteratur über ihn eine Mei— nung bilden.

Wie mannigfaltig äußern fih da Gefühle der Rührung, des Schmerzes, der Bewunderung, ber Achtung, des Grolles, des Haſſes! In Predigten und Freimaurerreden, in Gedichten und Abhandlungen, in Büchern und Briefen! „Welcher Unterſchied,“ heißt es in einer Flugſchrift „Wünſche in Rüdficht auf eine Biographie von König Friedrich II.“, „zwifhen den Thränen, die über

) Mirabeaus Mitarbeiter, J. Mauvillon, bezeugt ausdrüdlich, daß dieſe ganze Stelle von Mirabeau jelbft herrühre. (De la monarchie Prussienne, I], 193.)

2, „Mirabeau verftand die Kunft zu fragen in einem Grabe, von dem es ſchwer ift, dem einen Begriff zu geben, der feinen Unterredungen nicht beigemwohnt hat.“ (Dohm über Mira: beau, herausg. von 2. Geiger in den Atad. Blättern I, 13.)

20 Erftes Bud. Erfter Abfchnitt.

Friedrich Wilhelms Wangen ftrömten, dba er zum erjtenmal Sansjouci betrat, und zwiſchen der Empfindung des gutmütigen Bauern in Baiern, welcher auf die Nachricht von Friedrichs Tod einige Groſchen hervorlangte, um zur Bes freiung feiner Seele eine Meſſe lefen zu laſſen!“ In Berlin erjchien ein Kupfer: ftih: „Friedrichs Abjchied von der Erde”. Der König fteigt in den Olymp empor, trauernd ftehen die Seinen, die Königin-Witwe als Ceres, Ferdinand von Braun: jchweig als Hannibal, Graf Hertberg als Solon, General Möllendorf als Alki— biades (!). Gleichzeitig entitand in Wien ein Pamphlet „Der Rachetag“, auf deſſen Vignette fi eine geborftene Säule zeigt, von welcher das Standbild Fried— richs durch eine Erdipalte zur Unterwelt verjinkt! In den Gedächtnisreden der Prediger und Beamten in Preußen fam natürlich faſt ausſchließlich die Loyalität zu Wort. Die Karſchin preift den „Alleinzigen”, Gleim fordert alle Dichter auf, „ihn zu fingen, den Einzigen, den Unerſetzlichſten, den Nichtgeftorbenen, ben Ewiglebenden!” Auch Schubart, der feit neun Jahren auf dem Hohenasperg ihmadhtete, gab in einem Gedicht „Friedrich der Einzige, ein Obelisf”, dem Schmerz und der Betrübnis jo überfchwenglihen Ausdrud, daß man an der Aufrichtigkeit zweifeln muß. Er gedenkt der Rein, die bei Friedrihs Tod den „ſilberlockichten Grenadenſchwinger“ Gleim durchwühle, und den Barden Ramler mit gejunfener Tuba, und die Karſchin, Boruffiens Bardale; doch was fie Hagen und jingen, dringe nicht an die Ohren des Volks, denn „des Greifen feuchender Totenruf, des benarbten Kriegers Schädelichlag, der Witwe Geächz, des Waifen Geheul, der Armen Geſchluchz übertäubten in Boruffiens Gauen all ihrer Sänger weinende Klage”. Da Elingt viel aufrichtiger, weil viel natürlicher, wenn ein Baier, Franz Xaver Huber, in einem Liede „Der Baier am Grabe Friedrichs” den Retter der Selbjtändigfeit Baierns feiert:

„Der Vater wird es feinem Sohn, Und der dem Enkel jagen,

Wie gut e8 war dem Baierland In König Frievrihs Tagen.

Sie werden dann mit Segen nod Sein Angedenfen feiern,

Der feiner war von Wittelsbach Und doc fo gut den Baiern.“

Auch die Münchner Zeitung feierte in einer Ode „Friedrich II. und Mari: milian III. im Reiche der Toten” den Anwalt der Selbitändigfeit Baierns. Friedrihs Geift bringt dem einfam und traurig im Elyfium irrenden Schatten des in Baiern unvergefienen Marimilians III. die tröftlihe Nachricht, daß in Straßburg ein Wittelsbahiiher Sprößling Ludwig I. das Licht der Welt erblidt habe und damit die Zukunft Baierns gefichert jei. .

„Da heitert Marens Stirn fi auf,

Vertraulid ging das edle Paar

Abfeits. Von was die Rede war,

Weiß ih noch nicht, doch denken könnt ihr's, Baiern!”

Friedrich der Große und das beutfche Volt. 9

Die Münchner Zeitung weiß auch von einem Teſtament Friedrichs zu be— richten, wonach ohne Benachteiligung irgend einer Macht ein ewiger Friede in Europa geſtiftet und allzeit erhalten werden könnte; Abſchriften des Planes ſeien bereits an alle europäiſchen Kabinette verſendet. Demgemäß ſoll eine ge— wiſſe Anzahl großer Mächte ihre Herrſchaft ſo befeſtigen und Monarchien von ſo weitem und dauerhaftem Umfang beſitzen, daß eine nicht zu erſchütternde Maſſe dadurch erwachſe; alsdann werde es den Staaten zweiter Ordnung nicht mehr möglich ſein, einen Krieg zu unternehmen, Europa werde kaum noch von einer heftigeren Erſchütterung heimgeſucht werden. „Der Gottheit ähnlich, welche ſie vorſtellen, dürfen die Joſeph, Katharina, Ludwig, Guſtav nur wollen, und der große Entwurf Friedrichs des Einzigen wird Wirklichkeit ſein.“

Nur rhetoriſches Wortgeklingel vernehmen wir aus dem Eloge de Frederic, den in Paris der „Oberftallmeilter und Hiftoriograph Sr. Kön. Hoheit bes Grafen von Artois, Mr. Laureau” veröffentlichte; dagegen zählt ein Eloge du roi de Prusse aus ber Feder eines franzöfiichen Dffizierd Guibert zu den ge: biegenften Zeitungen militärifcher Kritif über Friedrichs Thaten. Von Lobjprüchen trieft die Dde eines Spaniers, „Der Held des Nordens” von Don J. M. de Meras y Alfonjo, von Gift und Galle Shäumt über ein „Lebensbild”, das ein „freimütiger Mann“, ein öfterreihifcher Gelehrter Richter, in Amſterdam ber: ausgab. Ein berühmter Kenner griehifher Geſchichte, der Engländer John Gillies, ſchrieb ein Schriftden „Ein Blid auf die Regierung Friedrichs II.”, worin zwifchen Friedrich und König Philipp von Makedonien eine Parallele ge: zogen wird; beide heben ihre von rohen, unwiſſenden und unfreien Barbaren bevölferten Staaten aus fleinen Anfängen zu bedeutender Machtftellung empor, durch Tapferkeit und Energie, aber aud durch Tüde und Hinterlift und ohne jede Scheu in der Wahl der Mittel.

Unmittelbar nah dem Ableben des Königs traten aud die Anekdoten— jammler auf den Plan. Lebten ja doch taufend und aber taufend Erzählungen vom „alten Frig“ im Munde bes Volks, wie er im Feldlager unter Generälen und Gemeinen, in Sansfouci im Kreis jeiner Minifter und Hofgelehrten, bei Audienzen von Würdenträgern und Bittftelern jeinem Wit die Zügel ſchießen ließ. Das von Nicolai und anderen gejammelte Anekvotenmaterial ift für die Kenntnis des Helden nicht ohne Wert, denn indem uns fo viele intime Züge vorgeführt werden, fönnten wir am eheften ein annähernd getreues Porträt er: halten, doch leider ift nur gar zu vieles erfunden oder mwenigftens nicht genug beglaubigt!

Nicht auf höherer Stufe ftehen die unmittelbar nach dem Ableben Friedrichs zur Stillung der erften Neugierde des Publikums veröffentlichten, nur auf ober: flächlichſter Benützung der Quellen beruhenden „hiftoriihen Gemählde” und „zebensbilder”. Auf die Tradition, die fi allmählich über den „alten Fritze“ bildete, ift faum ein anderes Buch von fo wirkſamem Einfluß geworden, als bie „Zuverläßigen Beyträge zur Negierungsgefhichte Friedrichs II.” und ein paar andere Schriften des Berliner Konfiftorialrats und Gymnafialdireftors Anton Büſching, eines eifrigen Sammlers auf den Gebieten der Geſchichte und Statiftif, In der That wird uns von Büſching der alte König menſchlich näher gebracht

22 Erſtes Bud. Erfter Abſchnitt.

als irgendwo, aber „ver Spiritus, ich meine, der Geift” hat fich bei der Erzäh- lung des Herrn Rektors gänzlich verflüchtigt. Wir erfahren, wie viel oder wenig Hemden der König bejaß, wie er bei Tiih die gewöhnlichen Anftands: regeln außer acht ließ, wie er in vertrautem Kreife am liebiten mit Zötchen fih unterhielt, wie er in Rebe und Schrift grobe, grammatifaliihe Schnitzer machte u. dgl. Manches ftammt aus Mitteilungen des Kriegsrats von Schöning, der in der nädhiten Umgebung des Königs lebte, und darf wohl als beglaubigt gelten, mandes aber, 3. B. gerade der ſkandalöſe Klatich über den Hang bes Königs zu mwidernatürlihen Ausfchweifungen, wird von dem gelehrten Pedanten ohne jede Beglaubigung den Leſern aufgetiicht; ſchon bald nad dem Erfcheinen der Biographie wurde der Spott laut, Büſchings vorzüglichite Gefchichtsquelle ſei die Unterhaltung der Gäfte im Cafe „zur neuen Welt” gewejen. Von ben Stellen aus Briefen und Kabinettsbefehlen des Königs mag wohl das meifte echt fein, allein da der „Geſchichtſchreiber“ nur das Wunderlihe, Willfürliche, Auffälige herausgefucht hat, erhalten wir eben doch nur ein Zerrbild. Man iprad deshalb die Vermutung aus, Büſching habe wohl den König mit Abficht berabgejegt, weil dieſer vom Klerus jo geringihägig gedacht und gefchrieben habe; Brettjchneider 3. B. nannte Büſchings Beiträge das Werk „eines boshaften Pfaffen, der dafür auf die Feſtung gehört”, aber Dohm nimmt ihn gegen diefen Vorwurf in Schug; Büjhing habe im auten Glauben gehandelt, daß er nur dann ben Pflichten der Gerechtigkeit genüge, wenn er auch die Schwächen eines Helden hervorhebe. Insbeſondere in den „Zuverläßigen Beyträgen” werben unter Zugrundelegung ftatiftiiher Tabellen auch die Verdienfte des Königs um Zuwachs der Bevölkerung, Anlage neuer Städte und Dörfer, Hebung des Fabrik: wejens, Anbau öder Gründe, Ordnung der Finanzen ꝛc. mit warmem Xobe bedacht.

Neben dem Rektor des Berliniſchen und Kölniſchen Gymnaſiums mag füglich der hannöveriſche Leibarzt und Hofrat Zimmermann genannt werden. Der vielgeſuchte und vielgenannte Arzt wurde im Juni 1786, als der König ſchon ein Sterbender war, nach Potsdam gerufen und unterwarf ſeinen Patienten einer wunderlichen Kur. Als er deshalb angegriffen wurde, verteidigte er in einer eigenen Schrift fein Verfahren, blieb aber dabei nicht ſtehen, ſondern jchilderte die in der Reſidenz des Königs empfangenen Einbrüde überhaupt. Zimmermanns Leiftung wird am beften durch das witige Wort Hippels gekenn: zeichnet, das Buch müſſe eigentlih den Titel führen: „Zimmermann I. und Friedrich II.” Vom Standpunkt des gläubigen Lutheraners wendet ſich der Verfaffer entrüftet gegen die „Aufllärungssynagoge” und „Duadjalberliga”, die Nicolai und Genofjen in Berlin, und gegen das gottloje Treiben in Potsdam. Der Troß, den man bier dem Himmel entgegenegt, verurjacht dem Radamantchen Herzensbeflemmung; er muß den „jchredlichen” König bebauern, der mit fo un: erihrodenem Sinn jeinem Ende entgegenjah.

Diefe Auslafjungen erregten den Unmwillen des befannten Aufflärers und theologifhen Abenteurers, Karl Friedrih Bahrdt, der wiederholt auf Wunſch des Königs vom Kultusminifter Zedlig gegen den orthodoren Senat der Univerfi: tät Halle in Schug genommen, unter Friedrihs Nachfolger aber alsbald wegen

Friedrich der Große und das deutſche Volk. 23

einer Satire auf das preußifche NReligionsebift in die Magdeburger Zitadelle geſchickt worden war. Der Titel der an Grobheit unübertrefflihen Schrift lautet: „Mit dem Herrn von Zimmermann, Ritter des St. Wlabimirordens von ber dritten Klaſſe, föniglihen Leibarzt und Hofrat in Hannover ꝛc., deutſch ge: iproden von Dr. Carl Friedrich Bahrdt, auf feiner Univerfität weder ordent— lichem noch außerordentlihem Profeſſor, feines Hofes Nat, feines Ordens Ritter u. ſ. w.“ Nicht wie ein Ritter, fondern wie ein Troßbube habe Zimmer: mann den großen König angegriffen. Wenn darüber gezetert werde, daß der König weder an Gott noh an Ewigkeit geglaubt und als Undrift den Weg ins Senfeits angetreten habe, fo jei dies nur der alte Mönchstrug, der jeden, der nit den gewöhnlichen Kirhenglauben habe, des Mangels an Glauben überhaupt bezichtige. „Friedrich hat, wie alle ſcharf denkenden Philojophen, das Daſein Gottes und die Unfterblichleit der Seele nur bezweifelt, weil er bie Gründe für beides nicht entjcheidend fand. Das ilt das einzige, was man von ihm annehmen fann, wenn man feine Schriften gelejen hat.” Ebenſo wenig habe er das Nichtjein Gottes als eine erwielene Wahrheit angejehen, bürfe alfo gar nicht als Atheiſt bezeichnet werden. Und mas habe überhaupt Glaube oder Unglaube bei der Beurteilung eines folden Mannes zu thun? „Wiffen Sie in der ganzen Weltgeihichte einen König, der bei dem orthodoreiten Kirchenglauben jo mweije und jo gut war umd jo unausſprechlich für fein Volt gearbeitet und fo unbejchreiblich viel Gutes geftiftet und mit jo anbetungswiürbiger Herzens: güte das Gute fo geliebt und ſich über das Gute jo gefreut habe, wie Friedrich bei jeinem Unglauben?” Statt fih in Sansjouci über den Mangel an gläus bigem Sinn zu entjeßen, hätte der „armfelige Ritter mit feinem lutheriſchen Katehismus” vielmehr feiner Pfliht ale Arzt nachkommen und den Kranfen einer vernünftigeren Kur unterwerfen, der Scufter hätte bei feinem Xeiften bleiben follen.

Der Streit zwiſchen dem Vertreter orthodoren Kirchentums und dem längit allem Bofitivismus entfremdeten Libertin dauerte fort, Kogebue mifchte fih ein mit dem Pasquill, „Dr. Bahrdt mit der eilernen Stirn“, auch für den Freimaurer traten leidenfchaftliche Anwälte auf, doch all der wüfte Lärm förderte in nichts die Erkenntnis Friedrichs IL., und fomit haben wir nicht Anlaß, darauf einzugehen.

Auf mwiflenihaftlihen Boden gelangen wir erſt mit Ernft Poſſelts Beiträgen zur Gedichte des großen Königs. In feinen Reden kommt er wiederholt auf Fyriedri zu ſprechen; er hält aber die Zeit noch nicht für reif, die Gefchichte des Königs zu jchreiben. „Deine nahe Größe drüdt noch zu jhwer auf uns, du Held des achtzehnten Yahrhunderts! Wer trägt den Strahl der Sonne, die g’rad über ihm glüht?” Erft „wenn die Päane verhallt fein werden und der Stimme bes Neides niemand mehr hordhen wird, dann wird Er in feiner ruhigen Größe vor das Gericht der Nachwelt und der Wahrheit treten!” Friedrich ift für Ernit Poſſelt der „Retter der deutſchen Freiheit”, diefen Ruhm habe er fih als Stifter des Fürftenbundes erworben; es wird daher an anderer Stelle darauf zurüdzufommen fein.

Einen erfreulichen Beitrag lieferte Wilhelm von Archenholtz, der ſelbſt bis

24 Grites Bud. Erfter Abſchnitt.

1763 in der preußiſchen Armee gedient hatte, mit feiner zuerſt im Berliner hiſtoriſchen Taſchenbuch veröffentlihten Geſchichte des Tiebenjährigen Kriegs. Die durch frifhe, anihaulide Daritellung und warmen Patriotismus ausgezeichnete Studie verdient den Beifall, der ihr geworden, und die Anhänglichkeit des Publikums bis zum heutigen Tag.

Als „wichtigfte” Litterariihe Ericheinung nah Friedrichs II. Ableben feiert bie Berliniihe Monatsſchrift die in römischen Lapidarftil geſchriebene Gedenf: ſchrift des faiferlihen Hofrats Melchior von Birfenftod. Das Latein wählte der Verfaſſer, weil es der Würde des Gegenjtands am bejten entſpreche und zugleih „weil in unfern Tagen das echte Nömerlatein immer feltener und jelbft aus den Hörfälen verdrängt werde”. Es erichienen übrigens fofort mehrere Ueberjegungen, darunter eine von Minifter Herkberg ein Beweis, weld ge: maltiges Aufjehen die Kundgebung aus Wien in Preußen wachrief. Im all: gemeinen zollt Birfenitof dem „zum Olymp Emporgeftiegenen, doch längft jchon als Halbgott Bewunderten“ enthujiaftifches Lob, ihm, der „ein wahrer Selbit: herrſcher im Staat, im Rat, im Heer, ... ein Despot, aber aud würdig, es zu fein, aller Fürften Beiſpiel und Lehrer, doch unerreichbar als Herricher!” Zwar habe Germaniens Schußgott mit Ingrimm betrachtet, dab der große Sohn Deutihlands nur um Galliens feinere Mufe buhlte und die deutiche verhöhnte, doch der Gott habe verföhnt gelädhelt, als jener zuerft wieder die durch den Haß der Auguren und die Ränke der Prieſter verfolgte Philoſophie ihrer Feſſeln entledigte und zu ſich emporhob, der Sekten ladhte und den Aberglauben der Schwärmer zerjtörte. Man jieht, die Lobſprüche ftammen aus dem Kreije der Wiener Aufflärer, doch erinnern an die Wiener Herkunft auch die Nügen und die gewundenen Ausiprüche über Friedrihs Politik in den ſchleſiſchen Kriegen und bei Stiftung des Fürſtenbundes. Daß die Wiener Nänie „in Abficht auf Darftellung der feineren Züge des Charakters”, wie jogar Schlözer rühmend hervorhebt, von feiner einheimischen übertroffen wurde, mag richtig fein, aber poetiſchen oder wiſſenſchaftlichen Wert fann fie nicht beanfpruchen.

Von wirklicher, dauernder Bedeutung war unter allen durch Friedrichs Tod hervorgerufenen litterarifhen Erſcheinungen nur das Werk jenes Franzofen, der am 25. Januar 1786 im Stadtſchloß zu Potsdam dem König gegenüber: geltanden war, der Vertreter einer neuen Zeit dem größten Vertreter des zur Nüfte gehenden Jahrhunderts. Allerdings ift das vierbändige Werf „De la monarchie Prussienne sous Frederie II* nit von Mirabeau allein verfaßt, der größere Teil ftammt von einem Ingenieuroffizier in Braunſchweig, J. Mauvillon, aber Mirabeau leitete das Ganze, und auch fein Anteil an den einzelnen Partien ift zweifellos beträdhtliher, ald Mauvillon in der nah Mirabeaus Tod erſchienenen zweiten Auflage zugeben will. Mirabeau hatte ſich nur zweimal kurze Zeit in Berlin aufgehalten, aber er hatte jcharfe Augen und er verftand es, ſich von allen Seiten die nötigen Aufilüffe zu erholen; „es war ganz unmöglid,” ver: fihert Dohm wohl aus eigener Erfahrung, „Seinen Kragen, die oft gar nicht das Anjehen von Fragen hatten, auszuweichen.“ Mirabeaus Buch ift häufig als „Pamphlet“ bezeichnet worden; gewiß mit Unrecht! Der Verfaſſer läßt in der vorausgeſchickten Weberficht über die Entwidlung der brandenburgifhen

Friedrich der Große und das deutſche Boll. 5

Geihichte und auch ſonſt an vielen Stellen den ungewöhnliden Anlagen und Regententugenden Friedrichs volle Gerechtigkeit widerfahren. Freilih will er den Nachweis liefern, daß der König troß hervorragender Geiltesfräfte, trotz

er Größe und Feltigfeit feines Charakters nicht vermocht habe, jeine Unter: glücklich zu machen. Ein wahrhaft weiſer Regent darf nicht, wie Friedrich, dem Merkantilismus huldigen, ſondern darf nur Phyſiokrat ſein, das iſt das Dogma, um welches ſich die ganze Schilderung der preußiſchen Monarchie bewegt. Die Begünſtigung, die der König dem Fabrikweſen zu teil werben ließ, die Begierde, alles Mögliche und Unmögliche zu monopolifieren, die übertriebene Sparjamkeit in manden Teilen der Staatsverwaltung, die drafoniiche Strenge im Militärwejen werben hart getadelt, Hertzbergs hiftorijch- ſtatiſtiſche Exkurſe der Schönfärberei bezichtigt. Dagegen wird der König gegen den Vorwurf unerlaubter Selbitjiuht in Schuß genommen. „Seines eigenen Vorteild wegen, möchte einer jagen, hat er ſolchen Arbeitseifer ent widelt; um feinetwegen hat er feine Unterthanenzahl, feine Einkünfte, jeine Macht zu fteigern getrachtet: mag jein, aber darin bejteht eben die weiſe Ein: rihtung der Natur der Dinge, daß der wahre Vorteil des Landesfürften umd das Wohl der Unterthanen gar nidht voneinander zu trennen find.”

Das Werk Mirabeaus rief bei allen denjenigen, die fich getroffen fühlten, einen Sturm des Unwillens wad. Graf Hertberg nahm in feiner nächiten akademiſchen Feitrede Veranlaffung, die „grundlofen und unverjhämten” Be: hauptungen des Franzoſen zurüdzumeifen; der Generaldirektor des Accijeweiens, de la Haye de Launay, leugnete die Richtigkeit der von Mirabeau zu Grunde gelegten Berechnungen; Nicolai ließ in der Allgemeinen deutſchen Bibliothek eine „vernichtende”“ Kritif erfcheinen. Aber es fehlte auch nicht an Lob und Zuftimmung, ja, Mauvillon behauptet in der Vorrede zur zweiten Auflage, das verläfterte Buch habe ſich des lebhaften Beifalld des gegenwärtig in Preußen regierenden Königs zu erfreuen gehabt, und dieſe Verficherung ift nit unglaub— würdig. Daß das Buch „Sehr viel wahre und fcharffinnige Bemerkungen” enthalte, hebt au Dohm in feinen Denkwürdigkeiten rühmend hervor.

Eine lange Reihe gleichzeitiger litterarifher Erſcheinungen, bie ſich mit König Friedrich beihäftigen, können wir füglid übergehen, da darin weſentlich neues nicht geboten ift und nur aus des Autors Vorliebe oder Abneigung fi die Entftehung erklärt. Von ihnen gilt der Spott in Klopftods Ode „Der Nachruhm“:

„Und nun ſetzen die Richter ſich hin und richten die Schatten, Weiſer Entſcheidungen voll,

Alles, nachdem bei dem glimmenden Docht der Erzählende dunkel Oder dunkler es ſah!“

In helleres Licht die geſchichtliche Perſönlichkeit zu ſetzen, war überhaupt erſt möglich, ſeit ſich eine reiche Quelle erſchloß, die autobiographiſchen Auf— zeichnungen des Helden ſelbſt.

Der geheime Finanzrat Wöllner, deſſen Name in den nächſten Jahren häufiger als jeder andere genannt wurde, machte in ſeiner Antrittsrede bei

26 Erfted Bud. Erfter Abſchnitt.

Aufnahme in die Berliner Akademie am 30. November 1786 die überrafchende Eröffnung, daß im Ardiv ein von 1740 bis 1779 reichendes Memoirenwerf Friedrichs verwahrt werde und Friedrich Wilhelm II. bereits die Erlaubnis zur Veröffentlihung gegeben habe. in der Afademiefigung vom 25. Januar 1787 verlas Hergberg die berühmte Einleitung zur Histoire de mon temps, bie, wie das ganze Werk, „völlig im Gejchmad des Thukydides gejchrieben, von über: rafchender Unparteilichkeit und Beſcheidenheit getragen jei”.")

Die Herausgabe der hinterlaffenen Schriften des Weijen von Sansjouci (15 Bände 1788, 4 Supplementbände 1789) fand in den Sturmjahren, während alle Augen auf Frankreich gerichtet waren, nicht die gebührende Beachtung. Im allgemeinen war die Aufnahme eine ungünftige. Diele waren verlegt durch harte Aeußerungen in ben Briefen des Könige. Auch auf Johannes Müller mußte abfühlend wirken, daß er zu lejen befam, wie wenig jchmeichelhaft König Friedrich von ihm dachte; trogdem ließ er in einer Anzeige der Oeuvres posthumes in der Allgemeinen Litteraturzeitung dem ſeltenen Geiftesgepräge des Werkes alle Gerechtigkeit mwiderfahren. „Wo ift nun das Yand, wo das Volk und das Jahrhundert, das ftolz fein dürfte auf einen Weifen, der bejier geherriht, auf einen König, der beſſer geichrieben, ja, das ftolz fein dürfte auf einen größeren Mann?“ Andere aber, Freunde der neuen fränfifchen Freiheit, 3. B. Großing, urteilten feit dem Bekanntwerden der been und Ab: fihten des veritorbenen Monarchen, er habe zu viel Eigenwillen gehabt, um ein guter Staatsmann, zu viel Geiz, um ein guter König, zu viel Eigenliebe, um ein aufrichtiger Schriftfteller zu fein. In den Kreifen der Anhänger des alten Glaubens und der alten Ordnung man beadite die Flugſchriften „Geſin— nungen eines Theologen über den Schriftiteller Friedrich“, „Gefinnungen eines Rechtsgelehrten über Friedrichs Werke” u. a. entjegte man ſich über die materialiftiichen und ſkeptiſchen Anihauungen eines legitimen Monarhen. Es jei gar nicht zu glauben, daß ſolche Blasphemien wirklih von einem Könige ausgingen, wird in einer Flugichrift bemerkt, man fönne nur annehmen, daß vieles von „ver Höllenbrut der illuminierten Freigeifter und falichen Aufklärer” unterſchoben worden jei.

So ſchwankte das Urteil über den König bin und her,

„Bald hoch zu der Wolfe gehoben, Bald gefenft in den Staub” ...

Den einen war er Romulus und Numa, Titus und Cäſar in einer Perjon, den anderen Julian und Nero.

Manche, welche die Größe des Monarden wie des Menſchen erfannten und_anerfannten, wollten doch an ein glüdliches Wachstum der von ihm ge: fegten Keime nicht glauben. Hielt doch 3. B. ein jo ſcharfſinniger Politifer wie Fürft Kaunig hartnädig daran feſt, dat der Einfluß des großen Monarden auf jeinen Staat und das deutſche Volt nur ein vorübergehender fein, daß

) Berliner Monatöfchrift, Jahrg. 1787, 167, 172.

Friebrih der Große und das deutſche Bolt. 97

nah dem Tode des Fugen Regenten die Großmacht von felbft wieder zum Kur: fürftentum Brandenburg herabfinfen werde. Erklärte doch jelbit Juſtus Möfer, hinter dem König ftehe nicht jein ganzes Voll, und das preußifche Volk habe zwar einen großen König, fei aber deshalb noch feine große Nation.

Und als die Tage der Erniedrigung Preußens famen, als wie eine ihmwarze Sturmwolfe die Gefahr heraufzog, dab der Name Preußen aus der Reihe der jelbftändigen Mächte wieder gelöjcht werden ſollte, da ſchien es, als ob jene recht behalten follten, die in Friedrich II. nur ein glänzendes Meteor erblicdten.

Dennoch waren es falſche Propheten! Nur vorübergehend fonnte der Ein: Huß des großen Mannes verbunfelt werden, jein Geift lebte in feinem Volke fort. Er blieb nad Goethes ſchönem Wort ber „Bolarftern”, das Symbol des Nichtuntergehens, das leuchtende Zeichen für die Epigonen, die das Staatsruber zu lenken hatten. Häufig wurde Friedrich II. von Zeitgenoffen und Nachwelt mit Luther zufammengeitellt. Ein nad Friedrichs Ableben in Schubarts Vater: ländifher Chronik erjchienenes Totengefpräh führt den Abgeichiedenen im Elyſium mit Luther zufammen und läßt den Neformator ausrufen: „Ya, Frige, einen Wurf haft du ins Zeitenmeer gethan, deſſen Kreife ſich taujendfältig bilden und noch an die Ufer der Ewigkeit jchlagen werden!“ Mochten auch jonft die beiden größten Söhne Deutſchlands wenig Berührungspunfte haben, in einem kommen fie ſich wirklich gleih: in der mädtigen Wirkung auf das Volk: Hätte nicht die Erinnerung an Friedrih und Friedrichs Ruhm die Enkel belebt, jo würden fie, einmal ſchmählich unterworfen, fih nimmer fo raſch und jo fräftig aufgerichtet haben, wie e& in der Spanne Zeit zwilchen Jena und Leipzig fi volljog; der Gedanke an ihn war ein Halt in der tiefiten Erniedri— gung; der Stolz auf ihn gab Kraft zur Erhebung aus tiefem Fall.

Und was für Preußen geihah, geihah für Deutfhland. Gleihwie in den Tagen von Prag und Roßbach das deutſche Volk fih daran gewöhnt hatte, gegenüber dem von Ruſſen und Franzofen, Ungarn und Kroaten verteidigten Erzhauſe in König Fri den Vertreter deutichen Weſens und deutſcher Inter: ejien zu erbliden, jo fehlte es auch fortan nicht mehr an Ereigniffen und Wendungen, bei welchen das deutiche Bewußtjein mit dem preußifchen zufammen: fiel. Gerade der ftrengite Kritiker des Negenten Friedrih, Graf Mirabeau, hat diefe Gemeinſchaft der Intereſſen am ſchärfſten erfannt. Weber dem frifchen Grab des Königs richtete Mirabeau im legten Abjchnitt feines Werkes ein feierliches Wort ans deutſche Boll. Er beſchwört die Deutjhen, dem Banner des Haujes Brandenburg zu folgen und fih um diefe Macht zu jcharen, denn „die preußiihe Monardie ift offenbar das Palladium der deutichen Freiheit, und dieſe hat den entjchiedenften Eindrud auf den Wohlftand von Europa .. Jeder Freund der Menjhheit muß aljo mit euch Anteil nehmen an ber Erhal: tung diejes edlen Gebäudes und wäre es auch nur, weil es vorzüglich das Werk jenes außerordentlihen Mannes ift, deilen Bewunderung jeder denfende Geift fich felbft zum Gejege macht.“

Die Apoftrophe bezieht fih auf den beutjchen Fürftenbund, den Mirabeau als das eigentlihe Meiſterwerk Friedrichs bezeichnet. Da aber Hand in Hand

28 Erſtes Bud. Erfter Abſchnitt.

damit eine Verteidigung und Lobpreifung der deutſchen Rleinftaaterei geht, jo mußte diejes Lob im Munde bes Franzofen Mißtrauen erregen. Den einfichtigeren und unbefangenen Politikern konnte vielmehr nit entgehen, daß die Macht: ftellung, welde Friedrih der Große feinem Staate erfämpfte, zum Nachteil des habsburgifchen Haufes erfämpfte, am meiften dazu beitrug, den Zufammenfturz des Deutihen Reiches zu befchleunigen.

Und doc hatte Mirabeau recht! Die politiihe Erneuung, die Auferjtehung eines neuen, lebensfähigen Deutjchland konnte nur von der Seite ausgehen, von welcher vorzugsweiſe die Zerrüttung der alten Ordnung gelommen war, ber Speer allein, der die Wunde geſchlagen hatte, konnte auch die Heilung bringen.

Zweiter Abjchnitt. Joſeph U.

ſolutiſtiſchen Zeitalter nad) Beendigung des fiebenjährigen Kriegs auf

den europäifchen Thronen eine Fülle von glänzender Begabung, redlichem Willen, unermüdlidem Eifer! Während das junge Preußen durch den großen Sriedrid zu einem Staat von europäifcher Bedeutung emporgehoben wurde, wuchs in der altehrwürdigen Wiener Hofburg ein Fürft heran, der menigitens an Pflichttreue und Neinheit der Abfichten von feinem andern Monarchen über: troffen wird.

Parteigeift und perfönliche Befangenheit haben es mit fich gebradt, daß die meijten Hiftorifer, um die Vorzüge bes einen Helden leuchtender hervor: treten zu laflen, den Nebenbuhler verdunfeln. Weshalb jollte man nit an dem einen, wie an dem andern Vertreter aufgeflärten Menjchentums und pflicht- treuen Fürftentums feine Freude haben und nicht, wie Goethe einmal in Bezug auf fein Verhältnis zu Schiller forderte, lieber ftolz darauf jein, „daß zwei folche Kerle vorhanden feien?” Freilich fteht feſt, daß Joſeph als Feldherr nicht entfernt an die Größe Friedrichs reiht, daß Joſephs Wirtſchafts- und Yinanz- politif der genialen, das Jahrhundert überholenden Regierungsfunft des Königs nicht ebenbürtig ift und daß auch überrafchenderweije bei dem ob feiner Strenge gefürchteten Preußenkönig mehr die Milde, bei dem ob jeiner Bolfsfreundlichkeit berühmt gewordenen Joſeph mehr die Härte ale Grundzug des Charakters ericheint.

Goethe hat im fiebzehnten Buch von „Wahrheit und Dichtung” von den öffentlihen Zuftänden jener Epoche, in welcher die Feudalverfaſſung zur Rüſte ging, ein anmutiges, freilich nur die Lichtjeiten hervorhebendes Bild entworfen. Mit den Monarden der beiden deutihen Hauptmächte wetteiferten noch andere mweltlihe und geiftlihe Fürften in Bejeitigung von eingenifteten Mißbräuchen und in Einrichtungen zu Gunften edler Menſchlichkeit; fie trugen den Geift der Reform ins Gebiet der Staatswirtichaft, des Unterrichtsweſens, der NRechtöpflege. Die

Os ya Namen haben jchlimmen Klang. Wir finden aber in dem ab:

30 Erfted Bud. Zweiter Abjchnitt.

Leibeigenihaft wurde aufgehoben oder doch gemildert, die Rechtſprechung von hemmenden Feſſeln befreit, das Strafrecht verlor ſeine unmenſchliche Strenge, dem Lehrftande ward eine würdigere Stellung eingeräumt, den Religionsparteien Duldſamkeit zur Pflicht gemacht, Luft und Licht drangen in die dumpfen Gelaſſe von Staat und Kirche. Mit weldem Yubel wurden bie Finanzreformen Tur: gots begrüßt, die Abſchaffung der lettres de cachet, die Aufhebung der eng: berzigen Preßbeſchränkungen! Wie lebhaft nahm man Partei für Guſtav II. in feinem Kampfe mit der jtaatsfeindlichen Uebermacht der Ariftofraten! Welch freudige Anerfennung zollte man der ſchlichten Größe Wafhingtons und Frank: ins! „Die heiterfte Hoffnung verbreitete fich über die ganze Welt, und Die zu: traulihe Jugend glaubte fih und ihrem ganzen Zeitgeſchlechte eine jchöne, ja berrlihe Zukunft verfpreden zu dürfen!” „Wenn heute,” jagt Kant im Jahre 1784, „bie Frage geitellt wird: Leben wir jegt in einem aufgeflärten Zeit: alter? jo ift die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menſchen, wie die Sachen jegt ftehen, im ganzen genommen, ſchon im Stande wären oder darein auch nur gejegt werden fönnten, in Religionsdingen ih ihres eigenen Verftandes ohne Leitung eines andern ficher und qut zu be: dienen, daran fehlt noch jehr viel. Allein daß jekt ihnen doch das Feld geöffnet wird, ih dahin frei zu bearbeiten, und die Hinderniffe der allgemeinen Auf: flärung oder des Ausganges aus ihrer ſelbſtverſchuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen.”

Allein dieſes hoffnungsvolle „Zeitalter der Aufklärung” hatte eine trübe Kehrfeite, und nirgends traten die Schatten jo ſcharf und unvermittelt hervor, wie im Charafterbild Joſephs II.

Mit Recht hat man darauf bingewiejen, daß zu den Zuftänden, welde gemeinhin als Zofephinifche Aera bezeichnet werden, jhon unter Maria Thereſia der Grund gelegt worden jei. Bis ins Jahr 1747 laſſen fih die Hauptzüge des neuen Syſtems zurüdverfolgen; fortan verloren die Lobkowitz, Harrach, Dietrichftein, Kinsky, die Vertreter des ftänbifchen, ftreng fatholifchen Defterreiche, Stellung oder Einfluß, die Kaunig, Choted, Hapfeld, Roſenberg, Vertreter bes aufgeflärten Abjolutismus, traten an ihre Stelle.

Nah dem Tode des Gemahls ernannte Maria Therefia ihren Sohn Joſeph zum Mitregenten, aber fie war nicht gejonnen, ihm einen jelbitändigeren Wirkungskreis zu überlaſſen, als ihn der zärtlich geliebte, trogdem ängſtlich in untergeorbnete Stellung verwiejene Gatte innegehabt hatte. Der junge Mann von leicht erregbarem Temperament, voll Ehrgeiz und Thatendrang, empfand als jchwer zu ertragende Demütigung, daß er, obwohl mit der Krone des römi— Ihen Reichs geſchmückt, in allen wichtigen Fragen an die Entſcheidung der Mutter gebunden war. mmer wieder kehrt in feinen Briefen die Klage, daß er nur den „leeren Titel eines Mitregenten” führe; immer wieder begab er fi auf Reifen, um nicht, wie er in einem Briefe an Marie Antoinette fpottet, „in Wien als fünftes Rad am Wagen figurieren zu müjjen“.

Schon damals war die allgemeine Aufmerkſamkeit auf die ungewöhnliche Erſcheinung gerihtet. Diefer junge Mann von guter Figur, mit hoher Stirne, fanft gebogener Naje, hellen, blauen Augen, das „Raiferaugenblau” war

Joſeph II. 31

eine Zeitlang eine beliebte Modefarbe in Wien der in der Refidenz nur bie Uniform feines Regiments und auf Reifen das befannte Wertherfoftüm trug, der nicht beffer fpeifte als ein Lieutenant und nichts anderes dazu trank als Wajler, der jedem Bittjteller freien Zutritt gewährte, der alles jelbjt kennen zu lernen ſuchte, der überall Werkftätten und Manufakturen befuchte, der den arbeitjamen Landmann lobte, den unternehmenden Bürger aufmunterte, ben übermütigen Edelmann geringihägte, das war ein anderer Fürft als die Karl und Fer: dinand, die nah ſpaniſchem Vorbild in unnahbarer Majeftät gethront hatten!

Diefe Betrachtung machte auch außerhalb Deiterreihs allerlei Hoffnungen rege. 1771 jchrieb Wieland, der den jeraphiichen Ueberſchwang feiner Jugend: periode ſchon abgeftreift hatte und in ben Fußitapfen Lafontaines und Crebil: lons wandelte, einen etwas ernfteren, didaktiſchen Roman „Der goldene Spiegel”, „eine Art von jummarifhem Auszug des Nüglichiten, was die Großen und Edlen einer gefitteten Nation aus der Gejchichte der Menjchheit zu lernen haben.“ Das Buch war dem Kaiſer Tai-Tſu, dem „vorurteilslofeiten unter den Söhnen des Himmels“ zugeeignet, d. h. dem jungen Joſeph; Wieland jchmeichelte jich, das Gemälde eines idealen, durch Philojophen geleiteten Staates werde dem reformluftigen Kaifer gefallen und vielleicht dem Verfaſſer zu einflußreiher Stel: lung in Wien verhelfen.

Freilih fand das Auftreten des jungen Kaifers nicht alljeitige Zuftimmung. Sn den Kreifen der Edelleute erregte es Anftoß, daß ein Mitglied des Erzhaufes um den Beifall der Menge buble und zur Unzeit am Gefüge der Stände rüttle. Der Klerus war ungehalten, daß ein Sohn der frommen Maria Therejia in Paris mit Buffon und anderen Gelehrten der neuen Richtung freundſchaftlich verfehrte, wenn es auch beifälig aufgenommen wurde, daß Joſeph an Ferney demonftrativ vorbeifuhr, ohne Voltaire zu beſuchen. Am Hofe zu Berfailles fpottete man über den deutſchen Sonderling; feine Schlihtheit nannte man Mangel an Politefie, feine Offenheit Cynismus, feine Sparjamfeit Geiz.

„Wenn ih nad Haufe zurüdfehre,” jchreibt Joſeph an die Schweiter, „fo fomme ich mir jedesmal höchſt überflüffig vor; ich habe den Drang, zu arbeiten, viel zu arbeiten, aber was fann meine Arbeit fruchten?” Wohl war er jeit 8. Auguft 1765 römiſcher Kaifer deutſcher Nation, und Joſeph fühlte fi auch mehr als jeine habsburgifhen Borfahren als Deuticher und als Oberhaupt des Deutſchen Reiche. Aber die Verfuche, in Erfüllung der Pflicht eines Reichsober— baupts dem erftarrten Neichsförper neue Lebenskraft einzuflößen, jcheiterten in Häglicher Weile. Nach feinem NRegierungsantritt ſuchte er im Reichshofrat, ber zur Verjorgungsanftalt für unfähige Edelleute und unfrudtbare Gelehrte herab: gejunfen war,!) eine rajchere und unparteilichere Geſchäftsführung durchzuſetzen, doch die verroftete Machine war nicht mehr in Stand zu bringen. Nicht befjer ging es mit dem Reihsfammergeriht. Welcher Geſchäftsgang ſich hier ein: gebürgert hatte, erhellt daraus, daß einzelne Prozeſſe ihon hundert und noch mehr Sahre dauerten, 3. B. war der Prozeß wegen des Anſpruchs der Grafen von

') Mofer, Patriotifhes Arhiv, X, 347. 5. €. v. Moſer war jelbjt Mitglied des Reichshofrats,

32 Erfte8 Bud. Zweiter Abichnitt,

Bentheim-Tedlenburg auf die Herrichaft Bedbur jeit dem Jahre 1600 unerledigt. „Zwanzigtauſend Prozeſſe,“ jo verfihert ein Haffifcher Zeuge, Goethe, der 1772 jelbft am Reichskammergericht in Praxis geftanden war, „hatten ſich aufgehäuft, jährlich konnten fechzig abgethan werden und das Doppelte fam hinzu.” Es war, wie Lichtwer jpottet, ein Gericht, das

„nie jemand unrecht that, Denn ch’ der Reichsſchultheiß ein Urteil publizierte, Verftarb Partei und Advofat.”

Die vorgejchriebenen Viſitationen hatten jeit 166 Jahren gänzlich aufgehört. Nun beſchloß Kaifer Joſeph, den verrotteten Zuftänden ein Ende zu machen, „auch bier jollte aufgeregt, gerüttelt und gethan fein”. Er bradte die Viſita— tionen wieder in Gang, aber wenn das Tempo vorher zu langjam gewejen war, jo fam jet durch das Drängen bes Kaijers eine Haft, eine Ungeduld in die Ver: bandlungen, die ebenfomwenig eine gejunde Entwidelung fördern fonnten, und ber Zwieipalt der Höfe, der bei mander Gelegenheit in heftigen Streit aus— ihlug, bradte die Reform vollends zu Fall. Nah zehn Jahren wurde die Vifitationsfommiffion wieder aufgelöft, und alles blieb beim Alten. Es fam fo, wie der Göttinger Profeffor Pütter flagend vorausgejagt hatte, daß „zu einer Zeit, die die Vorſehung beftimmt zu haben ſchien, in Ruhe und Friede die innerlihe Wohlfahrt des Neiches auf ganze Jahrhunderte zu befeltigen, unter ber Regierung des beiten Kaifers, bei der preiswürdigiten Gelinnung der gejamten hohen Reichsſtände dennod ein ſchon jo weit gefommenes Werk, wonad bisher eine ganze Reihe unferer Vorfahren gejeufzet, auf einmal unvolljogen erftiden und daß aljo jelbft der Schein, ein Geſetz pünktlich zu befolgen, deſſen Weſen zernichten ſollte! O tempora, o mores!”!) Die ganze Reihsverfajjung war ja erftorben; daß dieſelbe überhaupt noch Dauer hatte, wollten einige Politiker, wie Friedrich II. ironisch bemerkt, „gewiß mit Unrecht” aus dem deutſchen Nationalphlegma erklären. Nichts Fennzeichnet diefe Auflöfung beſſer, als ein Zug in Goethes Darftellung der Krönungsfeier Joſephs II. Jedermann deijen weiß fich der Erzähler zu erinnern, war dem Sohne Maria Therefias „wegen jeiner ſchönen Zünglingsgeftalt geneigt,” aber der eigentliche Held der Frank— furter Feittage war der furbrandenburgishe Wahlbotſchafter, Herr von Plotho. „Aller Augen waren auf ihn gerichtet, befonders wo er ausftieg. Es entitand jederzeit eine Art von frohem Ziſcheln, und wenig fehlte, daß man ihn applau= dierte, Vivat oder Bravo zugerufen hätte.” Und weshalb? Weil Vlotho feiner: zeit bei Ausbruch des fiebenjährigen Kriegs den kaiſerlichen Notarius April, der ihm, von einigen Zeugen begleitet, die gegen König Friedrich ergangene Acht: erflärung zu infinuieren gedachte, mit der lafonifchen Gegenrede: „Was! Er in- finuieren?” die Treppe hinuntergeworfen hatte oder hatte werfen lafjen. „So hoch ftand der König und alles, was ihm mit Leib und Seele ergeben war, in der Gunft der Menge, unter der fi außer den Frankfurtern ſchon Deutiche

’) Patriotiſche Gedanken über einige das Kayſerliche und Reichskammergericht und deſſen Bifitation betreffende Fragen (1768), 58.

Joſeph II. 33

aus allen Gegenden befanden.” In feinem von allen dieſen deutſchen Männern tauchte der Gedanke auf, daß es widerfinnig fei, wenn eine dem Vertreter von Kaifer und Reich zugefügte Beleidigung von Bürgern des Reichs auch noch mit Beifall aufgenommen werde. Ein Kaifer zumal, der aus eigener Macht nicht eine Kompagnie Soldaten marjchieren laffen fonnte, hatte nur auf Komplimente, nicht auf wirkliches Anjehen zu rechnen.

„Der römische Kaiſer“ jpottet d’Alembert in einem Briefe an König Friedrich „it eine Bildfäule, welche man, weil es jo herkömmlich ift, verehrt, aber nicht fürchtet!”

Am Wiener Hof jelbit war der einflußreihite Mann nicht der Sohn der Kaiferin, jondern der Kanzler. Kaunig hatte jih als Gejandter in England, insbejondere aber am franzöfiihen Hofe den Ruf eines Hugen Diplomaten er: worben und bewährte fih nad jeiner Aufnahme ins Minifterium als ebenfo umfichtiger Staatsmann. Sein Hauptwerf war der Vertrag von Verſailles vom 1. Mai 1756, mwodurd Frankreich mit jeinem „hiſtoriſchen“ Gegner Dejterreich ausgeföhnt und in den großen Bund der Mächte, welche die Demütigung Preußens anjtrebten, aufgenommen worden war. Die Eiferfuht des Thron: folgers auf den Einfluß des „Großveziers“ hatte Schon 1761 in einer Staats— ratsſitzung zu einer ärgerlichen Scene geführt und brach auch in der Folge, wie jehr fih die Kailerin Mühe gab, ihren Sohn verjöhnlich zu ftimmen, bei manchem Anlab aufs neue hervor.

Es beitand ſchon ein natürlicher Gegenſatz zwijchen dem jungen Kaijer, der die erften Tugenden eines Mannes in joldatiicher Abhärtung und fpartani- ſcher Einfachheit der Bedürfniſſe erblidte, und dem Lebemann Kaunit, der auf elegante Erſcheinung und Toilettenfünfte ftolzer war, als auf feine Begabung. Dazu Fam, daß der Kanzler mit Recht auf die Meberlegenheit feiner Erfahrung, feiner Studien, feines Scharfblids pochte, während Joſeph von feinem Beruf, wie von jeinem Geift und redlihen Willen eine nicht minder hohe Meinung hatte. Zwiſchen beiden jtand, nad Kräften auf friedliche Vermittelung bedacht, die Kaijerin. Maria Therefia war von der Natur mit ungewöhnlicher Herrſcher— begabung ausgerüftet und verband damit unermüdlichen Eifer und den beiten Willen; die Regententafel des achtzehnten Jahrhunderts hat faum eine zweite jo ſympathiſche Erfcheinung aufzumweifen. Bon „Frauenpolitif” kann bei ihr nur in- jofern geſprochen werben, als fie ſich in einzelnen Fällen gegen ihre eigene An fiht, ja jogar gegen ihre fundamentale Auffaffung von Recht und Moral ent: weder vom Sohne, der ihrem Herzen am nädjften ftand, oder von ihrem erjten Diener, defjen weltmännijche Beredjamteit fie blendete, zu wichtigen Unternehmuns gen beftimmen ließ. So 3.3. in der polniſchen, in der bairiſchen frage.

Als der jchon ſeit Anfang des Jahrhunderts wiederholt zwiihen den Höfen von Berlin und Petersburg bejprodene Plan einer „Entglieverung” Polens 1764 neuerdings auftauchte und zu einem Bündnis jener Mächte führte, drang Joſeph, obwohl er den Eroberer Schlefiens ebenjo bitter haßte, wie er den Sieger von Torgau und Leuthen bewunderte, fofort auf Teilnahme Deiterreichs an dem Gewinn verſprechenden Geihäft. Dagegen fträubte ſich der Nechtsfinn Maria Therefias lebhaft gegen die Vergewaltigung des polniſchen Volkes, und

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 3

34 Erſtes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Kaunitz ſuchte wenigftens die Begehrlichfeit Joſephs zu zügeln und die angeftrebte Aneignung polniſchen Gebiets in den Schranken einer Maßregel zur Sicherung des eigenen Zandes zu halten. Im wejentlihen drang Kaunig mit feinen Bor: ſchlägen durch, was den Thronfolger zu ungnädigen Auslaffungen über den allzu ängftlihen „Gunctator zur Unzeit“ reizte.

Der redtlihen Begründung entbehrte auch das Vorgehen Defterreihs im bairiſchen Erbfolgeftreit. Dies empfand niemand jo aufrihtig, wie Maria Therefia. Allein Joſeph forderte ftürmifh, man dürfe die günftige Gelegenheit, die das Erlöfchen des bairiihen Stammes der Wittelsbacher biete, nicht unbe: nut laffen, und man muß geitehen: er war von großen Gefichtspunften dabei geleitet. Sein ganzes Streben ging ja dahin, Defterreih in einen geſchloſſenen Einheitsftaat umzuwandeln, in welden dem deutihen Element die leitende Stellung zugedadt war; der Plan wäre aber nur durchführbar gewefen, wenn das Deutichtum in Defterreih durch beträdhtlihen Zuwachs an rein deutfchem Gebiet gefräftigt worden wäre. Auch diesmal ftand Kaunig in der Mitte. Einerſeits unterjtügte er den Plan Joſephs gegen die Gewiljenszweifel der Kaiferin, anderjeits tradtete er die allzu weitreichenden Gelüfte Joſephs auf das Maß des pofitiv Erreihbaren herabzuftimmen. In georoneten Finanzen, einem tüchtigen Kriegswejen und einer vorſichtigen Politik ſah er die notwendigen Grundlagen zu Wohlfahrt und Stärfe des Staates. Mit den beiden eriten Erfordernijjen aber ſah es im Kaijerftaat nicht zum beiten aus, das konnte ſich Joſeph jo wenig wie Kaunig verhehlen. In jedem Briefe an die Mutter betonte Sojeph, jeit fih aus dem Streit um das bairifche Erbe der dritte Krieg mit Preußen entiponnen hatte, die Ueberlegenheit der preußiſchen Waffen; er fann fih banger Bejorgniffe nicht erwehren; troßdem drängt der Heißblütige immer auf Entjcheidung, raſche Entſcheidung. Allein gerade diefer jugendliche Ungeftüm erjchredte ebenfo die Kaiferin, die den zärtlich geliebten Sohn nicht länger den Gefahren des Feldzugs preisgegeben willen wollte und die Strafe des Himmels für ihr ungerechtes Beginnen fürdtete, wie den Kanzler, der im Bemwußtjein der Schwäche Oeſterreichs nicht alles auf eine Karte fegen wollte. Daß fich die Mutter dazu berbeiließ, ihren Todfeind Friedrih ohne Willen des Sohnes um Frieden anzugehen, däuchte Joſeph eine unauslöfhlide Schmach. Er verglich fih einem Soldaten, der, wenn man feine Dienfte nicht mehr brauche, einfach verabjichiedet werde, einem Kavalier, dem man verbiete, jeine angegriffene Ehre reinzuwaſchen. Das Verhältnis zur Mutter wurde immer gejpannter. Maria Therefia ergießt ih in einem Fur; vor ihrem Tode an Kaunitz gerichteten Schreiben in bittere Klagen; es ſei nachgerade unerträglih, wie ihr Sohn in jeiner krankhaft überreizten Stimmung fie „berabfanzle und durchgeißle“. Kaunit gab ihr recht. „Die Mutter, und welche Mutter! der Bruder, die Diener jeder Art, alle Welt wird in gleihem Geſchmacke behandelt. Man wird eines Tages das haben, was man verdient hat, feinen einzigen Freund, und zu Dienern Schurken oder gefinnungslofe Leute. Welche Ausſicht!“ Auch ihren Sohn felbit warnte Maria Therefia mit mütterlider Bejorgnis. „Ih muß fait zweifeln,” ichreibt fie, „ob du noch aufrichtig bit. Ih muß fürdten, daß du niemals einen Freund finden wirft, der dem Joſeph, auf deſſen Rechnung du fo viel

Joſeph 11. 35

bürdeft, von Herzen ergeben ift; denn nicht vom Kaifer, nit vom Mitregenten gehen jo ironifhe, boshafte, häßliche Worte aus, fie fommen aus dem Herzen Joſephs, und das ijt es, was mich beunruhigt, was einft das Unglüd deiner Tage fein wird und das Unglüd der Monardie, von uns allen nach fich ziehen wird .... Wie hervorragend auch deine Talente fein mögen, es ift unmöglich, daß du all die Erfahrung haft, Vergangenheit und Gegenwart fennft, um alles allein thun zu fönnen .... Du prahlſt immer nur mit esprit, du läufft ihm nah, wo bu ihn zu finden glaubit, ohne weitere Ueberlegung. Ein witziges Wort, eine gewählte Redensart, das feilelt dich ganz und gar, mag es nun zu lejen oder zu hören fein, du wendeſt es dann bei ber nächſten Gelegenheit an, ohne genügend zu bedenken, ob es auch pafje ... .“

Und dieſe Sorgen der Mutter wuchſen, da fie jah, daß ihr Sohn ſich immer mehr der Kirche entfrembe und, gleih dem verhaften Friedrich den Lehren der Freidenfer laufchend, das geheiligte Band zwiſchen Staat und Kirche löfen wolle. „Daß du gut ſprechen und jchreiben fannft, das weiß ich wohl; ih hoffe jogar noch, daß dein Herz das Rechte empfindet, aber dein Eigenfinn und deine Vorurteile werden das Unglüd deiner Tage jein und find thatfächlich ihon das meinige!”

Kein Zweifel, Maria Therefia urteilte zu ftreng, wenn fie die Urſache ber Entfremdung nur in Joſephs „Eigenfinn” erblidte: die Widerfprüche in ber Denk- und Empfindungsweife von Mutter und Sohn find die gähnende Kluft zwifchen der alten und der neuen Beit.

Auch im Verhältnis zu den Geſchwiſtern gibt fih, wenn nicht Eigenfinn, doch ein ftolzer Eigenmille fund. Er war feinem jüngeren Bruder Yeopold auf: richtig zugethan, aber er vergaß feinen Augenblid, daß er der Erbe des Thrones und das Oberhaupt der familie, und duldete feinen Widerfprud. Als es wegen der Verlajienichaft des Vaters zwilchen den Söhnen zum Streit fam und der jüngere in energifcher, aber durchaus ſachlicher Weije fein Recht verteidigte, fand Joſeph die Ausdrüde zu ftarf und das Benehmen des Bruders höchft anftößig. Um ernften Zwiſt zu verhüten, bewog Maria Therefia den jüngeren zum Nach— geben, obwohl fie dem älteren unredht gab. „Einem jungen Fürften, der ein wenig eitel geworben ift durch den an ihn verſchwendeten Weihraud, der ohne: bin dazu Anlage hat, ift eben alles anftößig, auch das Geringfügigite, was ihm im Wege fteht oder Widerftand leiftet.” Ueber Schweiter Marie Antoinette ur: teilte Joſeph, wenigftens bevor er fie bei jeinem Parifer Aufenthalt näher kennen gelernt hatte, mit faſt graufamer Härte; in vielen Briefen ergeht er ji in Ausdrüden der Entrüftung über das unvorfichtige Betragen der Königin, die notwendigerweije den Schein auf ſich lade, als ob fie das Lafter nicht bloß dulde, Tondern teile. Doch zu ähnliden Warnungen fühlte fi ja auch die Mutter verpflichtet, und die Beforgnis war nicht unbegründet; ſchon türmten ſich dunkle Bolten auf, Vorboten des Sturmes, der fi bald gegen die Königin und das Königtum erheben follte!

Um über Joſeph gerecht zu urteilen, darf man auch nicht unbeacdhtet laſſen, daß er die in der Kritik anderer an den Tag gelegte Strenge auch gegen ſich übte. Doch von den Vorwürfen, die in den Briefen der Kaiferin und des

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Kanzlers zum Ausdrud kommen, ift wenigftens der eine begründet: der Hang zu Mißtrauen und Mißachtung gegenüber den beftbewährten und treueften Dienern des Haufes ift ein häfliher Schatten im Charakter Joſephs. Obwohl 3. B. Kar: dinal Herzan als Vertreter des Kaiſers in Nom lange Jahre mit Geihid und einer Gefügigfeit gegen feinen Hof, die an einem Kirchenfürſten füglih überrafchen muß, die jchwere Aufgabe durhführte, den Papft von ernftem Widerftand gegen die in Wien beliebten firhlihen Neuerungen zurüdzuhalten, nannte ihn Joſeph doch einen Wit, einen „Halunfen erfter Klaſſe“.,) Dem Drang, durd ein draſtiſches Wort die Lacher auf jeine Seite zu ziehen, fonnte er niemals wider: jtehen. „Er redete” jagt Hormayr „gar jo gern in lauter lieux communs und regierte in proverbes.* Wenn die Mitteilung des genannten Hiftorifers Glauben verdient, wies Joſeph das Geſuch des von ihm jelbit hochgeſchätzten Sonnenfels mit dem Verschen ab: „Icarus Icarias nomine fecit aquas,* und als die unga- riſche Hoffanzlei ihn beftürmte, jih in Buda frönen zu laffen, erwiderte er: „Pueri puerilia tractant!* Durch jolde „Scherze”, die nicht einmal wißig waren, entfremdete er fih manden aufridhtigen Diener.

An den Briefen der Mutter kehrt auch immer wieder die Klage, daß ihr Sohn gerade den Mann zum Vorbild gewählt habe, der ihr das ſchwerſte Herze: leid bereitete und jeiner undriftlicen Gefinnung wegen Abſcheu einflößte. „Der Held, der jo viel von fich reden macht, diejer Eroberer, hat er einen einzigen Freund? Muß ihm nicht die ganze Welt Mihtrauen entgegen bringen?” Die Mutter habe ganz recht, erwidert darauf Joſeph, „der König darf von einem Mann von Ehre nicht nahgeahmt werden, von einem Mann von Charakter, den ich nicht aufgeben will für alle ihönen Vorbilder, wenn fie damit nicht vereinbar ſind;“ doch diejer Abjcheu dürfe nicht abhalten, andere große Eigenichaften jenes Mannes zu bewundern; nur dem Kriegsmeifter, dem Regenten wolle er nacheifern.

Da lag der Wunſch nahe, das Vorbild näher kennen zu lernen, und als im Sommer 1769 überbies bie Staatsflugheit erheiſchte, die Anfichten des Königs über die Weltlage zu erforfchen, erbat fich Joſeph von Friedrich eine Zufammenfunft. „Er ift ein Genie,” jchrieb Joſeph nad der eriten Begegnung in Neiße an die Mutter, „ein Mann, der bewundernswürdig jpricht, aber aus jedem Wort fühlt man heraus, daß er faljch iſt.“

Das in Wien und Berlin gleihmäßig empfundene Bebürfnis, eine ein= jeitige Machtvergrößerung Rußlands auf Koiten Polens zu verhindern, führte im Herbft 1770 zu einer zweiten Zujammenkunft der Monarden in Mähriſch— Neuftadt. Aus den dort ausgetaufhten ſchmeichelhaften Verſicherungen hätte gefolgert werden fönnen, daß die beiden Monarchen die freundfchaftlichfte Ge: finnung begten und von Nuten und Notwendigkeit eines innigen Einvernehmens zwijchen Defterreih und Preußen durchdrungen gewejen wären. In der Tat gingen auch beide Mächte in der polnischen Frage eine Zeit lang mit einander. Allein aus den Berichten des Fürften Kaunig an die Kaiferin und den Briefen Friedrihs an Bruder Heinrich erhellt, wie wenig Ernft e& beiden Teilen mit

) Der Brief Joſephs an Leopold vom 31. Auguft 1780, der diefe Stelle enthält, ift bei E. Brunner, Theologiihe Dienerſchaft Kaiſer Jofephs 11., S. 54, zum erftenmal veröffentlicht,

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der zur Schau getragenen Verföhnung war. Jeder glaubte an Wachſamkeit und Klugheit dem andern überlegen zu fein. Kaunig freut fi, den durch Glüd emporgelommenen Soldatenfönig überliftet zu haben, und König Friedrich macht fih weiblich luſtig über die Eitelkeit des alten Diplomaten und die Abhängig: feit des Kaifers von jeinem „väterlichen“ Lehrmeiſter. Wie fih das Verhältnis zwiſchen Deiterreih und Preußen feit der Abtretung Schlefiens geftaltet hatte, fennzeihnet Friedrich am aufrichtigften in einem Briefe an den Erbprinzen von Braunfhmweig: „Es fteht nun einmal im Buche des Schidjals gejchrieben: Rom und Karthago können nicht neben einander beftehen.”

Ein Realpolitifer wie König Friedrich dachte wohl feinen Augenblid daran, das ruſſiſche Bündnis den zweideutigen Verjprehungen eines Kaunig zu opfern, und er jchloß fi noch enger an Rußland an, jeit zu Tage trat, dab Joſeph die Abfihten auf Baiern feineswegs aufgegeben habe. Bei den Tefchener Friedensverhandlungen hatte das ruffiiche Kabinett die Pläne Joſephs beſonders wirkſam durchfreuzt, während das Bündnis mit Frankreich, auf welches Maria Therefia immer das Hauptgewicht legte, nicht die erwarteten Früchte getragen hatte. Dieje Erfahrung lieh Joſeph in einer grundjägliden Aenderung des poli: tiſchen Syſtems das Heil erbliden. Auf dem ruffifhen Throne ſaß Katharina II., eine willensſtarke, große Negentin, aber immerhin eine Frau: darauf baute Sofeph feinen neuen Plan. Er hoffte perfönlid das Vertrauen und die Freund: haft der Zarin zu gewinnen und auf ſolche Weife den preußifchen Nebenbubhler aus dem Felde zu jchlagen. Dagegen wollte Maria Therefia, die der Zarin ihr unweibliches, freigeiftiges Weſen nicht verzeihen konnte, von der Annäherung an Rußland, die nicht bloß in Berlin, jondern auch in Berfailles verftimmen mußte, nichts wiſſen. Aber durch feinen Ungeftüm riß Joſeph auch diesmal die Wider: ftrebende mit fich fort; er ließ zuerft ohne Wiſſen der Mutter durch feinen Ge: jandten in Petersburg eröffnen, daß er den lebhaften Wunſch hege, die von ihm bewunderte Zarin fennen zu lernen, und als aus Petersburg freudige Zuftim- mung eintraf, wagte ſich auch die Kaiferin nicht mehr zu mwiderjegen, um jo weniger, da auch Kaunit das Borhaben des Kaifers billigte.

So erfolgte die erfte Begegnung mit der Zarin zu Mohilem am 4. Juli 1780, Für das Gelingen der daran gefnüpften Abfihten war ein Wort ent: jheidend. Katharina warf einmal mitten im Geſpräch die Frage bin, es jei doch wunderbar, daß ein römischer Kaifer nit Rom als Hauptftadt befige. Joſeph erwiderte lahend, er habe freilih von Cäſar Auguftus ber ein altes Anrecht, aber er fönne es ja nicht geltend machen, da an der Erhaltung der italienijchen Staaten zu viele Mächte beteiligt jeien; dagegen, jo fügte er mit Nachdruck hinzu, werde es ja wohl ein Leichtes fein, daß fih Kaiferin Katharina ihr Rom an: eigne, die Stadt Konftantins am goldenen Horn. Diejes Wort gewann ihm für alle Zeit die Gunft der Zarin, befiegte den Einfluß König Friedrichs in Peters: burg, wurde Grund: und Eckſtein des Bündniffes, das in den nächſten Jahren zur Reife fommen, für Joſeph und feinen Staat aber nur verderblide Folgen bringen jollte.

Nach jeiner Rückkehr drängte Joſeph fort und fort, man möge aus der veränderten Sachlage jo rajch wie möglich Nuten ziehen. Maria Therefia teilte

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aber die Freude ihres Mitregenten über den Erfolg feiner ruſſiſchen Reife nicht und weigerte ihre Zuftimmung zu jedem Schritte, der das gute Einvernehmen mit Frankreich ftören könnte. Nur mit Mühe verhütete Kaunig, daß der neue Gegenfaß in offenen Streit überging.

In folden Stunden des Unmuts mochte ſich wohl in Joſeph der heiße Wunſch nah dem Alleinbefig der Krone regen. Am 29. November 1789 ging derjelbe in Erfüllung, freilid um einen Preis, den Joſeph jelbit, der feine Mutter troß alledem aufrichtig liebte, niemals zugeftanden hätte: Maria Therefia wurde in der faiferlihen Gruft bei den Kapuzinern mit ihrem treugeliebten Gatten vereinigt.

König Friedrih war ſich fofort klar über die Tragweite des Thronwechſels in Dejterreih. „Voilä un nouvel ordre des choses!*

Seht war für den Vierzigjährigen der Augenblid gekommen, ins Yeben zu rufen, was er in den vor Jahren niedergejchriebenen „Reveries* als Ziel feines Lebens, als Richtſchnur feiner Denk: und Handlungsweife bezeichnet hatte. Ein völlig centralifiertes Gemeinmwejen zu jchaffen, deffen Oberhaupt ſich mit voller SFreiheit bewege, aber in Förderung bes Gemeinmwohles feine erfte und erniteite Tfliht erfenne: das war Joſephs II. Regierungsideal. Abjolute Gewalt be: anipruchte er noch entichiedener als König Friedrid. Ein Monard), der an Eid: ſchwüre und Geſetze gebunden jei, werde nimmer im Stande fein, Großes zu vollbringen; nur im Befig voller Freiheit könne er fich jeder Nüdfiht auf die eigene Perfon entäußern und ausſchließlich das Gemeinwohl im Auge behalten.

Diefer „Traum“ feiner Jugendzeit follte jet verwirklicht werden: dahin zielten die zabllofen Verordnungen und Gefege, die in rajchefter Folge mit über: ftürzender Haft aus dem Kabinett des Kaifers famen. „Daß ein Kaifer,” jagt Johannes Müller in feiner Darftcllung des Fürftenbundes, „der mit freiem Blid und viel umfafjendem Genie faſt ganz Europa gejehen, die lange ſtillſchweigend auf Defterreih angewandten Beobadhtungen ins Werf ſetzen werde, dies erwartete ein jeder; wenige verſahen fich der fühnen, jchnellen Manier, die ſich durch feine eingewurzelte Meinung, durch fein urfundliches Recht hemmen ließ.” Mäßigung war der in ſchwungvollen Plänen und überſchwänglichen Hoffnungen ſich ver: zehrenden Natur Joſephs ebenjo unmöglich, wie ein fih Begnügen mit allmäh- [ich heranreifenden Erfolgen. Ein Wort ift dafür bezeichnend: „Bon bem, was ich unternehme, will ich auch fogleih die Wirkung empfinden. Als ich den Prater und den Augarten herrichten ließ, nahm ich auch feine jungen Sproſſen, die erſt der Nachwelt einft gedient hätten; nein, ich ließ Bäume pflanzen, unter deren Schatten ic) jelbft und meine Mitmenſchen Vergnügen und Vorteil finden mögen.” Hof, Staat, Kirhe und Volk jollten im Sinn jenes als Ideal aufgeitellten „despotisme li6* umgeftellt werben.

Aus den zahlreihen, bisher nur lofe verbundenen Ländern und Völkern follte ein Kaijerftaat im wahren Sinne des Worts geichaffen werden. Es jollte in Zukunft das war wenigftens das Ziel der Maßnahmen Joſephs II., wenn auch vorerft die Chefs der Provinzialbehörden belaffen, ja jogar mit weitreichen: den Befugniffen ausgeftattet blieben, nit mehr Ungarn und ein Königreich) Ungarn, nicht mehr Tiroler und eine Graffhaft Tirol, nicht mehr Böhmen und

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ein Königreih Böhmen geben, fondern nur noch Deiterreiher und ein Kaiſer— tum Defterreih. Zu diefem Zwede ſollten alle Sonderrechte, Verfaſſungen und Privilegien der einzelnen Provinzen aufgehoben werben; die hiftorifch entwidelten Eigentümlichkeiten der verfchiedenen Kronlande wurden nicht berüdiichtigt, für alle jollten die nämlihen Verwaltungsprinzipien und Bermwaltungsnormen in Geltung treten.

Ebenjo jollten, wenn aud die Etandesunterfchiede erhalten blieben, doc) die Standesvorredte verihmwinden. Schon Maria Therefia hatte getabelt, daß ihr Sohn „die Zernicdhtung der Großen plane, unter dem jpeciofen Vorwand, den mehreren Teil zu fonjervieren”. Der Vorwurf ging zu weit. Joſeph wollte nicht den Adel bejeitigen, aber er juchte nicht wie jeine Vorfahren die fozialen Vorredte, Sitten und Vorurteile zu erhalten. Er entzjog dem Grundadel bie Bauernſchaft, forderte gleihe Steuerpflicht, geftattete die Fideikommiſſe zu allo- difieren, unterwarf die Edelleute dem allgemeinen Landredt und den Kriminal: behörden. Edelmann, Bürger und Bauer follten gleich fein vor dem Gejet, d. 5. vor dem abfoluten Willen des Oberhauptes; dieſe oberite Gewalt jelbit aber follte nur höheren fittlihen und patriotiihen Jweden dienen, dem Gemein: wohl, der res publica.

Aus den nämlidhen Gründen follte aud die Ausnahmftellung des Klerus aufhören. Die Seelforger follten nur noch Staatsbeamte fein, wie die Nichter und Bürgermeifter. Zugleich ſchien, damit der Kaiſer thatfächlich der Herr im Lande werde, Einſchränkung der geiftlihen Macht überhaupt und vor allem bes päpft- lichen Einfluffes geboten zu jein; es jollten nicht länger 60000 Orbensleute, durdhaus abhängig von ihren römijchen Obrigfeiten, einen Staat im Staate bilden.

Um dieſes großartige Reformwerk durdzuführen, entfaltete Joſeph eine unermübdliche Thätigfeit. Er gönnte fich feine andre Erholung, als einen Spazier: gang im Augarten und abends ein Plauderftündchen im Salon der Fürftin Liehtenftein oder im Billardzimmer des Fürften Kaunig. Er verjagte es fich, der Schönen Litteratur Aufmerkſamkeit zu ſchenken oder wiſſenſchaftlichen Studien obzuliegen, denn er jah jede nicht den Regierungsgeihäften gewidmete Stunde für verloren an. Seine Arbeitskraft war erjtaunlid, und er ließ fih alle Ber: waltungszweige gleihmäßig angelegen fein. „Er war ein geborner Bureaufrat,” jagt Ranfe, „thätig im Kleinften, aber immer in einer Anfchauung des Ganzen, die feinem hohen Standpunkte entſprach“. Sein janguinifches Temperament ließ ihn die feſte Zuverficht hegen, daß er aus eigener Kraft das Schwere zu leiften vermöge, aus der Vereinzelung Einheit, aus der Verſchiedenheit Gleichheit, aus der Verwirrung Ordnung zu jchaffen.

Mit der Reform des Hofwejens wurde der Anfang gemadt. „Cette republique f&minine*, wie er in einem Briefe an Leopold den Hofftaat der Mutter verjpottet, jollte aufgelöft werden. Die ſpaniſche Manteltraht verſchwand; auch als Alleinherrfcher trug Joſeph nur den einfahen Militärrod ohne Aus: zeihnung. Zugleih verihwand die ſpaniſche Etikette, die langen Titulaturen mwurben abgejhafft, wie die enblojen Zeremonien bei Hoffeiten und Staats: aftionen. Aus Fürſt Khevenhillers Memoiren erhellt, welhe Aufregung dieje „Revolution von Oben” in ben Hofkreifen hervorrief. „Wenn es jo fortgeht,

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werben wir von einer Ordnung am Hofe wenig mehr willen.” Dabei wurde gar zu einjeitig auf Erſparungen Bedacht genommen; es macht einen pein- lihen Eindrud, daß nad und nad alle Gejchwilterte und Berwandten bes Kaifers, um dem öden, ärmlichen Hofleben zu entrinnen, der Reſidenz den Rüden kehren.

Allgemein war nad Joſephs Regierungsantritt erwartet worden, baf ber einflußreichite Natgeber der Kaiferin, Fürſt Kaunig, der dem Kaiſer jo häufig unbequem gewejen war, nicht mehr lange an der Spite des Minifteriums bleiben werde. Doch das Verhältnis hatte ſich in der legten Zeit etwas günftiger ge: ftaltet, da Kaunig den beiden Lieblingsplänen des Kaiſers nicht mehr widerftrebt hatte; er hatte die ruffenfreundlihe Schwenkung der öfterreichifchen Politik gebilligt und die auch nad) dem Tejchener Frieden heimlich fortgejegten Bemühungen für eine Abrundung Oeſterreichs durch baieriſches Gebiet wenigftens nicht zu vereiteln gefucht. Auch gegen die geplante firdenpolitiiche Reform war von dem warmen Verehrer der franzöfiichen Aufklärungsphiloſophie Widerftand nicht zu befürchten. So erklärt fih, daß der früher fo mißliebige „Großvezier” an der Spite des Minifteriums blieb. „Bleiben Sie mein Freund,” fchrieb Joſeph nah Maria Therelias Nbleben, „werden Sie auch meine Stüße und helfen Sie mir bie ſchwere Bürde tragen, die mir jett aufgeladen ift.” Den mafgebenden Einfluß aber, den der Kanzler zu Lebzeiten der Kaijerin ausgeübt hatte, beſaß er unter Joſeph nicht mehr. Daß der Monarch felbft alle Kräfte des Staates zu leiten babe, war ja der erite Grundjag in Joſephs Syſtem.

Nichts deito weniger war auch diefer ftolz auf feine Selbſtändigkeit podhende Negent nicht völlig unabhängig von feiner Umgebung, ja, nicht jelten war er nur das Werkzeug in den Händen von Dienern, die um jo mädtiger waren, je geichidter fie ihre Macht zu verhüllen wußten.

Es iſt natürlih eine grotesfe Webertreibung, wenn Sebaftian Brunner fait alles, was unter Joſeph II. im Intereſſe der Aufklärung für den Staat und gegen die Kirche unternommen wurde, als Werk der Freimaurer ange: fehen willen will; nur um der Glorie oder des zeitlichen Gewinnes der Logen: bäupter willen babe der Kaijer alles thun müfjen, wie ein Figürchen im Puppen: ipiel, das an Fäden durch unfichtbare Hände gelenkt wird. Immerhin waren die geheimen Orden von mächtigem Einfluß. Schon die in jenen Jahren er: wachſene umfangreiche Xitteratur über Freimaurerei beweilt, welche Ausdehnung und Bedeutung die geheimen Orden gewonnen hatten. Die myjiteriöfe Spielerei war in die Mode gefommen. Freimaurerlieder waren allenthalben im Schwang, Freimaurerzeihen wurden als joujoux an den Uhren getragen, die Damen be: dienten fich weißer Müffe à la franc-macon, in Schaufpiel und Oper jpielten Winfelmaß und Kelle eine bedeutſame Nolle. Wichtiger war, daß jehr viele an: gejehene und einflußreihe Männer den Logen angehörten, und es ilt gewiß fein Zufall, daß immer zahlreihere Mitglieder des Ordens in die unmittelbare Ilm: gebung des Kaijers famen. Auf Nechnung diefer Krejel, Born, Eibel u. a. ift fiherlih manche Uebertreibung des Joſephinismus zu fegen. Am entichiedenften ſpricht Ranke diefen Vorwurf aus. „Sei es, daß Joſeph mehr von Janjeniften oder mehr von Ungläubigen umgeben war, fie boten ohne Zweifel einander auch

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bier die Hand, wie in dem Angriff auf die Jeſuiten; allen zufammenhaltenden, auf eine äußerliche Einheit der Kirche abzielenden Snftitutionen machte er ohne Unterlaß den Krieg.” ')

Allerdings läßt ſich nicht genau feftitellen, weldhen Grundſätzen der Kaiſer jelbft in Bezug auf die einzelnen Fragen der inneren Politik huldigte, bei welchen Vorgängen und Verordnungen die Anregung unmittelbar von ihm ausging.?) Schon deshalb nicht, weil fih noch zu Lebzeiten Joſephs vielfach tendenziöje Er: findungen breit madten. So it 3. B. das befannte offene Schreiben an Kar: dinal Herzan in Rom, das mit den Worten anhebt: „Seit id} den Thron beftieg und das erfte Diadem der Welt trage, habe ich die Philofophie zur Gejeßgeberin meines Reiches gemacht!” ein Schriftftüd, das von allen älteren Biographen als eine Art Regierungsprogranım des Kaijers angejehen wurde, von Arneth als Fälſchung nachgewieſen worden. Auch ift aus den von Brunner veröffentlichten Derihten jenes Gejandten zu entnehmen, daß vieles, was der Snitiative des Kaiſers zugejchrieben wurde, vom öſterreichiſchen Klerus jelbft ausging.?) Die jojephiniihe Richtung entſprach ja einem Zuge der Zeit.

Schon 1763, alfo noch bevor ſich Joſeph in öffentliche Angelegenheiten einmijchte, war jenes vielgenannte Buch des Juftinus Febronius „über den Zu: ftand der Kirche” erichienen, das auf die Anfchauungen der Zeitgenofjen über Staats: und Kirchenrecht bedeutiamen Einfluß übte. Gegenüber der kirchlichen Tradition war hier die Behauptung aufgeftellt, der Papſt jei nur der Erfte unter den Biſchöfen, ein Konzil jtehe über dem Papft, die Kirche zwar ſei untrüglich, nicht aber der Papit; kurz, der ganze Inhalt der Schrift war ein fortgejegter Angriff auf die monarhiiche Verfafjung der fatholifhen Kirche. Und doch ver: barg fi) unter dem Pjeudonym Febronius einer der höchſten Würdenträger der Kirhe in Deutichland, Johann Nikolaus von Hontheim, Weihbifchof von Trier. Zwar gelang es den Vorftellungen und Drohungen des Kurfürften von Trier, den Berfafler zum Widerruf zu bewegen, aber zugleich drang ein Wort Hont: heims in die Deffentlichkeit: „Die Sätze meiner Schrift hat die Welt gelejen, geprüft und angenommen; mein Widerruf wird denfende Menjhen jo wenig

) Ranke, Die römifhen Bäpfte, 3. Bb., 209.

2) Ueber die Frage 3. B., ob das befannte abfällige Urteil über die Freimaurerei im Patent vom 17. Dezember 1785 von Joſeph felbft herrühre, ob diefelbe feinen wirklichen An: fihten entſpreche u. ſ. w., ift ſchon von den Zeitgenofien in zahlreihen Flugichriften geftritten worden. Die Schrift: „Was ift Gaufeley, oder vielmehr: Was ift nit Gaukeley?“ nimmt den Kaifer in Schuß gegen den Verdacht, als ob aus feinem Munde ein ſolches Verdikt ftammen fönnte; der Urheber des Patents fei gar wohl befannt, aber „ich ſchöne deines Namens, hero: ftratifche Seele! um nicht etwa die Ohren der Edleren damit zu bejubeln. Dein Bewuhtfein, daß du von würdigen Männern ber Unwürdigſte geicholten wardſt, foll dir zur Strafe noch bei ipäter Nachwelt verbleiben. Gaudeley war dein Ausdrud und nicht der Ausdrud des Weijen: fo eine Stimme wäre ein Afterflang feines erhabenften Geiſtes!“ Dagegen fpottet ein anderer Freund der Maurerei in „Bier Briefen, abgefafjet von dreyen hellftrahlenden Kirchenlichtern über den guten Einfall des Kaiſers, den Freymaurern ein Gebiß anzulegen,” über das wider: finnige Vorgehen, den Jefuitismus ausrotten zu wollen und die treueften Bundesgenofien in diefem Kampfe mit kaltem Hohn zurüdzuftoßen.

3) ©. Brunner, Theologiihe Dienerihaft, 9.

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bewegen, dieſe Säße zu verwerfen, als jo manche verfuchte Widerlegung.” Als dem Fürſten Kaunig erzählt wurde, Hontheim habe den Febronius widerrufen, erwiderte er: „Hat er ihn auch widerlegt?” Insbeſondere auf den beutjchen Episfopat übte der Febronius gewaltige Wirkung. Die gallifanifhen Lehren für die beutjche Kirche anzupaſſen, die ganze Kirche in eine ariftofratijche Repu— blik Tediglih unter dem Vorfiß des Papftes zu verwandeln, das Kirchenredht mit den Staats: und Rechtsanſchauungen der Gegenwart zu verjöhnen: diefe Wünjche drangen in alle Schichten des höheren Klerus in Deutichland,

Deshalb fanden die firchenpolitiihen Reformen Joſephs bei einem nam: haften Teile des öfterreihiichen Klerus ebenjoviel Beifall, wie fie in andren Kreilen unbedingt verurteilt wurden. Echt febronianiih war die erite Verord— nung vom 14. März 1781, wodurd der Verkehr der geiftlihen Orden mit den Obrigfeiten in Rom beſchränkt wurde, fowie die Verordnung vom 26. März 1781, welde die Veröffentlihung der päpftlihen Bullen, der Hirtenbriefe und jonftiger Kurrenden der Bijhöfe von der Genehmigung der Landesregierung ab: bängig madte. Ein Mandat vom 4. Mai forderte, daß die Bullen Unigenitus und In coena Domini, in denen eine widerrechtliche Ausdehnung der päpftlichen Gewalt zum Ausdrud käme, aus allen Ritualen herausgeriffen werden follten. Desgleihen mußte in allen Brevieren die Stelle, wo erzählt wird, daß Papit Gregor VII. dem Kaifer Heinrich IV. wegen undriftliden Lebenswandels die Herrichaft entzogen habe, mit Druckerſchwärze überftrihen werden. Ein Edikt vom 1. Oftober 1781 legte den Landesbifchöfen einen Eid auf, daß fie, falls die Unterthanenpflicht mit dem Gehorfam gegen den Papft nicht in Einklang zu bringen wäre, nur auf das Landesgejeg zu achten hätten. Ferner wurde, auf daß endlich der jeſuitiſche Geift aus Kirhe und Schule in Defterreih entwiche, allen Deiterreichern der Beſuch des Collegium germanicum in Rom verboten. Dagegen jollten die Novizen geiftlichen Standes in neuen, unter ftaatlihe Auf: ſicht geitellten Priefterfeminarien Aufnahme finden; bier jollten fie fern von Iholaftiihem Getöjfe in allen, den Kindern Levis nützlichen Wiſſenſchaften und Uebungen unterwiefen, aber auch darauf hingewieſen werben, daß ſich die Wirkſamkeit des Klerus auf geiftlihe Dinge zu bejchränfen habe, wie ja auch den Apofteln von Chriftus jelbit nur geiftlihe Verrichtungen auferlegt worden jeien.

Die wichtigſte und rühmlichite That Joſephs auf firhenpolitiihem Gebiet war das Toleranzpatent vom 20, Dftober 1781.) Duldſamkeit gegen Anders- gläubige hatte er ſchon in den Briefen an die Mutter als erfte Chriftenpflidt be: zeichnet. Vor dem Freidenker van Smieten ließ er fich darüber noch freimütiger aus: „Toleranz ift ein redender Beweis von den Fortſchritten des menſchlichen Geiftes, der fih dur die Macht des Aberglaubens fühn einen Weg gebahnt, welchen Jahrtauſende vorher die Zoroafter und Confutje gewandelt, und der zum Glück für die Menjchheit zur Heerftraße der Monarchen geworden ift.” Defjen- ungeachtet glaubte er nicht eine förmliche Gleichftelung der Afatholifen mit den Katholifen zum Geſetz erheben zu dürfen; dem von ihm aufgeitellten Gentrali-

') 6. Frank, Das Toleranzpatent Kaiſer Joſephs II., 37.

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fierungssyftem entſprach es vielmehr, daß auch er nur eine Staatsreligion, natür: ih die fatholiihe, anerfannt willen wollte. Demnach jollte nur diefem Be: fenntnifle öffentlihe Ausübung zuftehen; den Afatholifen blieb es nad) wie vor verwehrt, neue Kirchen zu errichten; nur Bethäufer (ohne Gloden und Türme, fowie ohne öffentlihen Eingang von der Gafje) waren ihnen geitattet, und innerhalb diejer Räume jollten fie in Ausübung des Gottesdienftes nicht be— hindert werden. Dagegen jollten fie in bürgerlichen Verhältniſſen den Katholiken völlig gleichgeftellt fein; alle Hinderniffe in Bezug auf Zulaffung zu Häufer: und Güteranfauf, zu Bürger: und Meifterrecht, afademiihen Würden, Zivilämtern ꝛc. wurden aufgehoben. Damit trat Defterreih in die Neihe jener Staaten, in welhen der Wert des Bürgers nur nah der Erfüllung feiner Pflichten gegen den Staat, nicht nad feinem Glauben bemeſſen wird. Von einer Bevorzugung ber Proteſtanten fann nicht geſprochen werden; die ungariihen Proteftanten glaubten jogar über unbillige Beihränfung ihrer biftoriihen Nechte Beichwerde erheben zu müſſen; in Böhmen wurden die Kreisämter durd ein Hofdekret an— gewiefen, die Bevölkerung zur Standhaftigfeit im rechten Glauben zu ermahnen und den Leuten zu erflären, daß die von der katholiſchen Kirche getrennten Sekten fein wahres Prieftertum hätten. Immerhin wurde der Ausbreitung des Protejtantismus durch das Toleranzpatent Vorſchub geleiftet. Binnen furzer Zeit ftieg die Zahl der Proteftanten in den Kronlanden um das Doppelte, die Zahl der Bethäufer um das Sechsfache.

Es darf nicht unbemerkt bleiben, daß Leopold, der als Nachfolger des Bruders vieles wieder aufhob, was Joſeph in Staat und Kirche angeordnet hatte, bei Erlaß des Toleranzedifts begeiftertes Yob fpendete. „Die Religion wird dir zu danken haben, daß du Europa aufgeklärt und die wahre Religion vom Aberglauben und von den Mißbräuchen gereinigt haft, welche ſich darin eingeichlihen hatten und welche viele beflagten, ohne gleich dir den Mut zu bes figen, fie Stirn an Stirn und an der Wurzel des Uebels anzugreifen.”

Durch kaiſerlichen Erlaß vom 29, November 1781 wurden alle jene Ordenshäuſer, deren Angehörige „weder Schule halten, noch predigen, noch ben Beichtituhl verfehen, noch den Sterbenden beiftehen, noch jonft in studiis fich bervorthun”, d. h. alſo jene Klöfter, deren Konventualen ſich ausſchließlich der Beichaulichkeit und Askeſe widmeten, für aufgehoben erklärt. Nichts hat dem Raijer jo viele Gegner wachgerufen, als diejer gegen die Klöfter geführte Schlag. In jüngfter Zeit hat Brunner aus den Alten neue, unerfreulihe Mitteilungen gezogen; diejelben find im liberalen Lager nicht genügend gewürdigt worden, wohl deshalb, weil ſich der Berichterftatter in übertreibenden Zufägen und Nupß: anwendungen gefällt. Der unbefangene Hiftorifer muß aber daraus entnehmen, daß unter den Aufflärern der jofephiniihen Periode die unfauberen Elemente vorherrſchten und das firdhenftürmerifhe Treiben diejer Leute feine Billigung verdient. Nicht fo fait, was geſchehen ift, ſondern wie es gejchehen ift, muß getadelt und beflagt werben. Wenn man vernimmt, daß zur Zeit des Ablebens der Kaijerin Maria Therefia 2067 Klöfter mit etwa 60000 Mönden und Nonnen beftanden und deren viele über Eigentum im Wert von ausgedehnten Herrſchaften verfügten, jo fann man fi der Anſchauung nicht verfchließen, daß eine ſolche

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Ausdehnung des Orbenswejens, insbejondere ein jo ungeheurer Beſitz der toten Hand im Intereſſe einer gefunden Staatswirtſchaft eingefchränft werben mußte. Joſeph ſelbſt wollte aud) das jäkularifierte Kloftergut nicht zu weltlichen Zweden verwendet wiſſen. In einem Handbillet an den Grafen Blümegen vom 27. Februar 1782 erllärte er, nach Vollzug der Aufhebung der vitam contem- plativam führenden Klöfter an Zahl etwa 700 wolle er das Vermögen nur einer großen Religions: und Pfarrkaſſe zuweiſen, „deren Einkünfte allein zu Beförderung der Religion und des damit jo eng verfnüpften und jo jchul: digen Beiten des Nächſten zu verwenden ſeien.“ Mit dem ftattlichen Kloſter— gebäuden hatte er allerlei, zum Teil großartige Pläne vor. So 5. B. jollte das Königsklofter nahe bei der Hofburg in Wien in eine Fremdenherberge in größtem Maßſtab umgewandelt werden; noch liegen bei den Akten die Baurifie. Das Portal der Hauptfaflade trägt die Ueberſchrift: Domieilium nationum! Es wagte aber fein unternehmender Kapitalift, den Plan zu verwirkliden. So erwies jih mande Idee als unausführbar. Auch führte die Räumung von Kirhen und Klöftern nicht felten zu unwürdigen Ausjchreitungen,; ein großer Teil des Kloftervermögens fam nicht den geplanten Zweden, fondern nur ge wijjenlojen Beamten und Spekulanten zugute. Es fol fih das Wunder er: eignet haben, dab filberne Engel von den Altären geradenwegs in die Rod: tafhen der Zaijerlichen Kommifläre flogen. In Innsbruck bie die Gattin eines Beamten „Muttergottes von Waldraſt“, weil fie bei feftlihem Anlaß ein foftbares Geſchmeide trug, das noch vor Kurzem den Hals der Madonnenftatue jener Wallfahrtsfirhe geſchmückt hatte.!) Wie Friedrich IT. feine franzöfifchen Negiebeamten gelegentlih als „Räuber“ bezeichnete, jo mußte auch Joſeph II. einmal das Geftändnis machen, jeine Abfichten in Bezug auf Verwendung bes Religionsfonds jeien von Pharifäern getadelt, von betrügeriihen Zöllnern mif: braucht worden.

Doch über den ärgerlihen Ausfhreitungen dürfen die Lichtfeiten nicht ver: geilen werden. Die unverjöhnlihen Gegner des Jojephinismus pflegen zu ver: jhmweigen, daß von einer Aufhebung der Klöfter unter Joſeph II. gar nicht geſprochen werden kann, jondern nur von einer Reduktion; es blieben ja noch immer 1425 Klöfter beftehen, deren Mitglieder fih nah wie vor dem Unterricht oder der Krankenpflege widmen konnten und in ihren Einkünften nicht geſchmälert wurden. Und mag aud ein erheblicher Teil des Vermögens der aufgehobenen Klöfter verichleudert worden jein, der größere konnte doch zur Hebung des welt: lien Klerus und zu wohlthätigen Stiftungen verwendet werden. Noch wichtiger war, daß ein jo ausgebehnter Grundbefit der freien Arbeit überlafjen und für Taufende eine Duelle des Wohlftands wurde. Ein Hiftorifer, der für die Auf: bebung der Klöfter in Inneröfterreih zum erftenmal das gejamte authentifche Material, Klofteralten, Protofolle, Inventare, Berichte der Aufhebungsfom: mifläre ac. benügt und insbejondere die jozialen Wirkungen der Klofteraufhebung einer bejonnenen und gründlichen Unterfuhung unterzogen hat, faßt fein Ur: teil in die jchwerwiegenden Worte zuſammen: „Sofeph IL. Hat damit Oeſterreich

!) Zäger, Kaiſer Joſeph II. und Leopolds II. Reform und Gegenreform, 78.

Joſeph II. 45

vor einer Revolution von unten bewahrt, welche in Frankreich mit zerftörerifcher Hand alles Kirchentum vernichtete.” })

Um die Anhänger der „alten Schule des Priefterftandes” von den wohl: wollenden Abfichten der Negierung zu überzeugen, jollte durch Litteratur und Tagesprefie auf die Gemüter eingewirft werden. Volle Cenfurfreiheit wurde nicht gewährt. Nur in Bezug auf die Perfon des Kaijers hob die Cenjurver: ordnung vom 11. März 1781 faft jede Beichränfung auf, jo daß z. B. eine gelegentlih der Papftreife veröffentlichte Flugichrift, die den anftößigen Titel führte: „Was wäre zu thun, wenn der Kaifer erfommuniziert würde?” ja jogar das „1784 in Berlin” gedrudte, angeblih von einem Ritter von Steinsberg verfaßte zotige Pamphlet, „Der A2jährige Affe, ein ganz vermaledeites Märchen”, ungehindert verfauft werden durfte. Dagegen wurde 1784 eine deutjche Heber: ſetzung von Voltaires Werken verboten, und in Bezug auf polemiſche Schriften über Religion und Kirche läßt fi ein einheitliches, folgerichtiges Vorgehen der Genjurbehörden nicht erfennen.

Im allgemeinen bietet das Schriftweien in Defterreih unter Joſeph II. ein unerquidliches Bild. Kaifer Joſeph jelbit ift nicht frei von Schuld. Die Lobredner hoben ihm zum Ruhme hervor, daß er nicht, wie Friedrich IL, die franzöfifche Litteratur liebte, daß er mit Voltaire und den anderen litterariichen Größen des Nachbarreiches nichts zu jchaffen haben wollte. Goethe ftimmt biefer Anficht nicht bei. „Das gereichte diefem Fürften nicht einmal zum Ruhme,“ jagt er in „Wahrheit und Dichtung“, „denn es hätte ihm und feinen Unter: nehmungen nicht gefchadet, wenn er bei jo jchönem Verſtande, bei jo herrlichen Gefinnungen etwas geiftreiher, ein beſſerer Schäger bes Geiftes geweſen wäre.” Goethe trifft auch hier das Richtige: es geht ein gar nüchterner Zug durch bie ganze Joſephiniſche Hera. Joſeph jelbit befaß weder für die Litteratur, noch für die bildenden Künfte Verftändnis oder auch nur Neigung. Herder, ber anfänglich große Hoffnungen auf den Kaifer geſetzt hatte, urteilte jpäter über den „großen Wollenden” im Gegenjag zu König Friedrich, „der zu thun wußte,“ jehr ungünftig, bauptjächlich auch deshalb, weil der Kaijer den Wert und bie Bedeutung guter Litteratur jo gar nicht geihägt und „im Grund genommen den ganzen Bücherhandel für einen Käfehandel angefehen hat”. Die auffällige Thatſache erklärt ſich teile aus Joſephs Anlagen, teils aus den Eindrüden der Jugendzeit.

In Oeſterreich war das Gebiet der ſchönen Litteratur ſeit Jahrhunderten brach gelegen.?) Um einen regeren Wetteifer mit den litterariſchen Leiſtungen

i) Ad. Wolf, Die Aufhebung der Klöfter in Inneröſterreich 1782 -1790, 165.

) In den 1777 anonym erfchienenen, angeblid) aus dem Franzöſiſchen überjegten „Denk— würbigfeiten aus Wien“ findet fi eine merfwürbige „Berhältnistabelle der Chronologie des Gefhmads zwiſchen Deutichland und Wien”, die den Beweis erbringen foll, daß jede Gattung der Litteratur von den Romanen „im Gefchmade der Banife” bis zu „Werthers Paſſions— tolletten” in Wien erft acht oder nod mehr Jahre fpäter ald im übrigen Deutichland be: fannt wurde, Blumauerd „Beobahtungen über Defterreihs Aufflärung und Literatur” (1782) find immerhin lehrreih, wenn fi aud die Kritik jelbft nur wenig über die gefcholtene Pro: buftion erhebt.

46 Erftes Bud. Zweiter Abſchnitt.

des deutjchen Nordens zu erweden, wurde 1760 in Wien die „Deutſche Gefel: ſchaft“ geftiftet. Won dieſem Zeitpunkt an läßt ſich in Defterreih zwar eine überrafchende Regfamleit auf litterariſchem Gebiet beobachten man will binnen zwei Jahren 1100 einheimifche Autoren gezählt haben, nicht aber ein Auf: Ihwung. Gewiß waren insbejondere die auf Hebung der Mutterfpradhe ge: richteten Beltrebungen der Sonnenfels, Riegger, van Smieen u. a. dankens— wert, aber Zeitungen von hervorragender Bedeutung gingen au aus diefem Kreife nicht hervor; all die Dramen, Satiren ꝛc. des Staatsrats v. Gebler, des Feldmarſchalls v. Ayrenhoff, des Schaujpielers Stephanie und anderer vom Lokal: patriotismus hochgeftellter Schriftiteller find heute verfchollen. Wenn der Berliner Nicolai in feinen Zitteraturbriefen erflärte, Deiterreih habe feinen Schriftiteller aufzumweiien, der die Aufmerkſamkeit des übrigen Deutjchland verdiene, jo war diefe Behauptung, die Sonnenfels entrüftet als „Nationalbefhimpfung”“ zurüd: wies, im ganzen und großen rihtig. Als nun Kaifer Joſeph den Kampf gegen Zelotismus und Aberglauben eröffnete, fand er nur allzu viele litterarifche Bundesgenofjen. Einzelne waren ernſt und ehrlich beftrebt, den pebantijchen Scholaftizismus zu befehden, ſchädliche Vorurteile auszurotten und den For: derungen der Vernunft, die ja Gott felbit in den Menfchen gelegt hat, freie Bahn zu öffnen, aber die eigentlichen Helden der Aufklärung, die den größten Lärm madten, waren traurige Kitteratoren. In welch ſchalen Dityramben auf die Aufklärung, in welch jeichter Reimerei und leerem Phrajengeflingel ge: fielen fi diefe Haſchka, Alringer, Blumauer und hundert andere! Auch bier zeigte fih, wie richtig König Friedrich eine gewiſſe Gattung geſetzgeberiſcher Philojophen beurteilte: „Ich habe zwar die größte Hohadtung für die Lehren folder Philojophen, aber in Wahrheit muß ich geitehen, daß Toleranz nicht die berrihende Tugend diefer Herren ift!” Denn nicht wenige von den in Nauten: ftrauchs Biedermannschronif gepriefenen Aufflärern waren unduldſame und un: gerechte Zeloten. Mande, 3. B. Eibel, der Verfaſſer der Schriften: „Was ift der Papſt?“ „Die Schädlichfeit der Ohrenbeicht” zc. Hatten früher dem Jeſuiten— orden angehört oder doch gute Dienfte geleiftet, und ſuchten nun die Aufrichtig- feit ihres Uebertritts zur Sache der Aufklärung durch überihmwänglihe Hymnen auf den Kaifer oder cyniſchen Spott über kirchliche Einrichtungen zu erhärten. Die nämlichen Leute, die fi über die Roſenkranzandacht weidlich Luftig machten, ihwangen unabläffig das Weihrauhfaß vor „dem Gottgefandten”, der „Wolluft der Nationen”, dem „Ermweder und Erretter, der den Mönchen das tyrannifche Scepter entwunden, den Geiſt aus dem Schlaf der Dummheit gerüttelt, die Fahne der Liebe über dem Grab des Aberglaubens aufgepflanzt” habe! Welcher Nugen konnte geftiftet werden mit der Monachologia, der Anatomia monachi und andren Pamphleten des Erjefuiten Born, des mutmaßlichen Originals des Schikanederſchen Saraftro! Mit den „Briefen aus dem Noviziat”, den „Marof: kaniſchen Briefen”, dem „Fauftinus“ zc. des Johann Pezzl! Bon feinen Wiener Freunden freilid wurde diefer Satirifer mit Voltaire vergliden, aber treffend ift gejagt worden, der Herr Privatjefretär des Fürften Kaunig verhalte ſich zu dem Philofophen von Ferney ungefähr jo, wie der „Fauftinus” zu Goethes „Fauſt“. Was foll man dazu jagen, daß Rautenftraud in jeiner Biedermannss

Sofeph 11. 47

chronik au den Sefretär der Wiener Nuntiatur, Egiſti, aufführt, einen Mann, der die geheime Korreſpondenz feines Herrn gegen klingenden Lohn an die Staatskanzlei auslieferte!

Als eine nah jeder Richtung erfreulihe Erfcheinung kann auch der Fähigſte des ganzen Kreijes, Joſeph v. Sonnenfels, nicht gelten. Diejer Ge: lehrte, der nad bemwegter Lehr: und Wanderzeit 1763 zum Profeſſor für Kameral: und PBolizeimiffenihaft ernannt wurde, erwarb fih um Hebung des geiftigen Lebens in feinem Vaterlande großes Verbienit. Insbeſondere gilt dies von feinen Bemühungen um die Reinigung des Bühnenwefens, das in Wien einer unglaublihen Bermwilderung anheimgefallen war. Hier führte der Hans: wurft, der in Prehaufer einen in feiner Art vollendeten Vertreter hatte, noch in den jechziger Jahren unbeftritten das Scepter; Stüde voll Teufeleien, Zoten und Unfinn, wie „Megära, die fürchterliche Here, oder die bezauberten Hänge: leuchter“ und dergleichen traurige Poſſen und pofienhafte Trauerjpiele waren des Entzüden des Publiftums. Aber „Der Mann ohne Vorurteil”, die von Sonnenfels gegründete Zeitjchrift, rückte dem Unweſen tapfer zu Leibe und ver: drängte zulegt do die Hanswurftiade von der Bühne. In der Frage, ob Sonnenfeld’ „Briefe über die Wienerifhe Schaubühne” völlig unabhängig von der „Hamburgifhen Dramaturgie“ entitanden find, dürfte die Antwort kaum zu Bunften des Wiener Gelehrten ausfallen; immerhin find darin viele jchäßens: werte Winfe über dramatische Kunft und Bühnentehnif gegeben. Auch Miß— ftände anderer Art befämpfte „ver Mann ohne Borurteil” mit ebenjoviel Frei— mut wie Beredjamleit.

Allein davon abgejehen, daß Sonnenfels feinen Einfluß nicht immer auf ehrenhafte Weije verwertete es hätte ihn faft feine Stelle gefoftet, daß er einmal bei Einführung einer neuen Straßenbeleuchtung feinem Bruder Franz unerlaubten materiellen Gewinn zumwendete,) auch die maßloje Selbjtüber: bebung, die fih in den Briefen und der Selbftbiographie diefes Protagoras fundgibt, ift nur geeignet, das wirkliche Verdienſt zu verbunfeln. Ueberdies läßt fih aus den von Hermann Rollet veröffentlichten Briefen Sonnenfels’ an Klo folgern, dab Sonnenfels zwar nicht die Berufung Leſſings nah Wien geradezu verhindert, daß aber der um feine Stellung als Mittelpunkt des fchön: geiftigen Lebens in Wien bejorgte Gelehrte wenigftens dazu beigetragen bat, den Verfaſſer von „Minna von Barnhelm”, der „nicht den Ruhm eines fo guten Mannes habe”, in Wien unmöglid zu machen.“) Als Lejling, bald nachdem jeine auf Wien gejetten Hoffnungen vereitelt worden waren, auf der Rückreiſe aus Stalien die Kaijerftadt berührte, fand er zwar bei Kaijer Joſeph, der ins: befondere an „Emilia Galotti” Gefallen gefunden hatte, ehrenvolle Aufnahme, ging aber den ehemaligen Gönnern, dem „großen Gejhmeiß”, aus dem Wege

'ı) Wilhelm Müller, Jojeph von Sonnenfels, 39.

2) Leſſings Braut, Eva Königs, fcheint das Richtige zu treffen, wenn fie in einem Briefe an ihren Bräutigam über Sonnenfeld bemerkt, es jei „Seinem Charakter nad) unmöglich, daß er wünſchen jollte, Sie an der Seite zu haben. So ftolz er ift, jo fühlt er doch den Inter: ſchied zwiſchen fih und Ihnen."

48 Erites Bud. Zweiter Abſchnitt.

und verficherte, von einer Anftellung in faiferlihen Dieniten nichts mehr willen zu wollen.

Um die nämlide Zeit, da ber Streit zwiichen Leſſing und Sonnenfels ausbrah, wurde auch in Klopftod die Hoffnung rege, in Wien einen aus: gedehnteren Wirkungsfreis zu finden. Der Dichter hatte dort einflußreiche Freunde; von ihnen wurde der jchon früher ins Auge gefaßte Plan einer kaiſer— lihen Akademie wieder aufgegriffen. „Der Kaijer liebt fein Vaterland, und das will er auch durch Unterftügung der Wiflenichaften zeigen. Nur dies barf ich jagen!” Dieje in die Widmung der „Hermannsſchlacht“ eingeflochtene, geheim: nisvolle Erklärung bezog fi auf die von ihm mit Fürft Kaunig und andren faiferlihen Beamten eröffneten Verhandlungen.

Eine Akademie der Künfte und Wiſſenſchaften unter Klopftods Leitung und zugleih ein Nationaltheater, mit Zejfing an der Spige! Als der Kaijer dem „erften Barden” jein in Gold mit Brillanten gefaßtes Bruftbild „nicht zur Belohnung, fondern zur Bezeugung Seiner Hochachtung“ überjandte, glaubte der Dichter darin eine fihere Gewähr für die Erfüllung des ſtolzen Wunfches erbliden zu dürfen; allein Joſeph ließ den Gedanken an jene Berufungen, wenn es ihm damit überhaupt ernit gewejen war, jedenfalls bald wieder fallen. Um— ſonſt ließ der enttäufchte Dichter in der Ode „Die Roßtrappe“ (1771) einen Mahnruf ergehen:

„Dein ehrenvoll Wort (des Worts Ankündiger trauert!) Hältft du das dem Vaterland nicht, fo ſchweigt

Auch von dir die ernfte MWahrheitäbezeugerin,

Die Bertraute der Unſterblichkeit, Deutihlands Telyn!” .

Als Joſeph die Alleinregierung übernommen hatte und mit feinem anti: römiſchen Reformwerk hervortrat, richtete Klopftod nochmals ale Wortführer des proteftantiihen Deutichlands begeifterte Verje „an den Kaifer“, der

ne. . den Priefter wieder rufet zur Jüngerfchaft

Des großen GStifters, machet zum Unterthan

Den johbeladenen Landmann, machet den Juden zum Menfden ... Mer hat geendet, wie du beginnjt?!”

Damals jang auch Herder in ebler patriotifher Wallung:

„O Kaifer, du, von neunundneunzig Fürften Und Ständen wie des Meeres Sand

Das Oberhaupt, gib uns, wonach wir dürften, Ein deutſches Vaterland,

Und ein Gefet und eine fhöne Sprade Und rebliche Religion!” ...

Welch eine Perſpektive eröffnet der Gedanke: wenn ein praktiſcher und zugleich ideenreiher Kopf wie Herder, ein Klopftod mit feinem patriotifchen Feuereifer, ein Leſſing mit feinem das Jahrhundert überholenden Weitblid als Bundesgenofjien Joſephs in Wien gewirkt hätten! Wie anders würde feinen

Joſeph II. 49

Reformen der Boden geebnet, wie anders ihr Einfluß im ganzen Reiche ge: fräftigt und aktuell geworden jein! Statt der nichtigen Aufklärichtpoefie der Blumauer und Haſchka ein geiftiges Streben und Schaffen, wie es einige Jahr: zehnte jpäter das Keine Weimar ſah Wien wäre nicht mehr bloß die Reſidenz des Kaijers und der Sitz des Neichshofrats geweſen, ſondern in Wahrheit Hauptitadt und Mittelpunkt Deutjchlands geworben!

Doch echte Geiftesfraft blieb unbeachtet, während die unberufeniten Schreib: gejellen, wenn fie nur der Emanzipation des Staates und der Kirche das Wort redeten, zu Einfluß und Anjehen gelangten.

Daraus erflärt jih, dab Joſeph, obwohl er Feineswegs ein Freigeift war wie Friedrich II. fondern an den Dogmen der Kirche immer fefthielt, wie ein zweiter Julian gehaßt und verläftert werben fonnte.

Der „Revolution von oben” jegten alle, die aus Gefinnungstreue oder Egoismus an den alten Inſtitutionen feitgehalten wiſſen wollten, erbitterten Miderftand entgegen. Im Namen dieſer Partei ergriff Kurfürft Klemens Wenzeslaus von Trier das Wort; in einem offenen Schreiben an den Kaifer forderte er Zurüdnahme der gegen die beiligften Rechte der Kirche verftoßenden Maßregeln, jonft werde auf den Sturm gegen die Altäre bald der Sturz der Throne folgen. Joſeph wies aber die Einmifhung barſch zurüd, „nicht als Gefeßgeber, nicht als Moralift, jondern als guter Soldat, der den gefunden Denichenveritand und den ehrlihen Köhlerglauben an der Hand hat”.

Da verjuchte ein mächtigerer Schußherr fein perjönliches Anſehen zu Gunjten des bedrängten Kirchentums geltend zu maden. Das Unerhörte wurde Ereignis: die Welt jah wieder wie im elften und zwölften Jahrhundert einen Papſt nad) Deutjchland kommen.

Vergebens juchte der Faiferliche Gefandte, Kardinal Herzan, im Namen feines Herrn, den Plan zu hintertreiben: Pius VI. hielt daran feft, um wenig: tens, wie er zum fpanifhen Gefandten jagte, feine Hirtenpflicht erfüllt zu haben, wenn ihn fein Vertrauen auf die Güte und den Neligionseifer des Kaifers täufchen ſollte. Herzan glaubte an jo lautere Beweggründe nicht. „Mir deucht,“ ſchreibt er an Kaunig, „daß die Eigenliebe die Ruhmbegierde als einen Ge: wiſſensdrang anſehen madt.“ Auch Joſeph erblidte in der Reife nur den „Ausfluß jener den Papſt ganz und gar beherrſchenden myiteriöfen Sehnjucht, als Retter der Kirche zu erjcheinen, die doch von niemand angegriffen ift“. Als ehrfurchtsvoller Sohn der Kirche will er jeinen Gaft begrüßen, aber auch als „ein Mann, der erhaben ift über Phrajen und etwaige dramatijche Scenen, mit denen man ihn zu ködern gebächte”, als „ein Regent, der feine andere Rüdjicht kennt ala das Wohl feines Staates”. Der Verdruß über den unwilfommenen Beſuch jpricht ſich draftifh aus in der Antwort auf die Ans frage einiger Biſchöfe, ob fie dem Papft in Wien ihre Ehrfurcht bezeigen dürften: „Wien fteht Jedermann frey, der ſich nicht in den Fall gejegt hat, es vermeiden zu müſſen, aljo können, ihrem Vorwitze Genüge zu leiften, Biſchöfe binfommen oder ausbleiben, wie fie wollen.“

Welch ſchroffer Gegenſatz fih jhon zwifhen Anhängern und Gegnern der Reform ausgebildet hatte, läßt fih aus den Gelegenheitsichriften der beiden

Heigel, Deutide Geſchichte vom Tode Friedrichs db. Gr. bis zur Nuflöfung des deutſchen Reihe. 4

50 Erftes Bud. Zweiter Abſchnitt.

Barteien erkennen. Die in febronianiſchem Geift gefchriebene Flugſchrift: „Was ift der Papft?” rief eine Flut bitterer Ermwiderungen hervor, ebenſo die Schrift „Beweis, daß vormals die Päpfte den römiſchen Kaifern unterthan gewejen“. Ein anderer Autor wirft die Frage auf: „Mas wäre zu thun, wenn ber Kaifer erfommuniziert würde?” und gibt die Antwort: „Zu laden, aus vollem Halfe zu lachen!“ „Wie,“ ruft P. Merz, „soll aljo der Kaifer den Kirhenbann nicht achten bürfen? Nein, mein Herr, denn der Kirchenbann würde ungültig jein und gar feine Wirkung haben, denn er hat nie in die Nechte andrer eingegriffen und ilt nie zur Keßerei abgefallen!”

Joſeph jelbit begte Sorge, es möchte zu ärgerlihen Auftritten fonımen. Die Befürhtung war unbegründet. Wohl ftrömten Hunderttaufende täglich zu: jammen, um den Papft zu ſehen, und wo berjelbe ſich zeigte, warfen ſich die Gläubigen fcharenweije in den Staub. Auch der Kaifer verjäumte feine Ge: legenheit, dem Oberhaupt der Kirche die ſchuldige Ehrfurdt zu bezeigen, aber er blieb ceremoniös und zurüdhaltend, jolange Pius innerhalb der Mauern von Wien weilte. Bei den Verhandlungen mit dem Papite und anderen geiltlichen Wiürdenträgern wich er feinen Finger breit von der Stellung zurüd, welde er bisher in firhenpolitiihen Fragen eingenommen hatte. „In Bezug auf die Ge- ſchäfte,“ jchrieb er am 29. März an Bruder Leopold, „ind der Papſt und ich auf demjelben Standpunkt, als wenn er nicht hierher gefommen wäre” Als Pius wiederholt feine Abreife verjchob, wurde der Kaiſer ungeduldig. „La sec- catura fängt an, peinliher zu werben.“ Nach vierwöcentlihem Aufenthalt verließ Pius die Kaiſerſtadt. Daß er verſtimmt war und in der Erfolglofigfeit feiner Reife eine Demütigung erblidte, geht aus verſchiedenen Neußerungen, fowie aus den Erklärungen, weldhe er nad der Heimkehr im Kardinalskollegium abgab, unzmweifelhaft hervor. Ebenſowenig fam es gelegentlich des kurzen Gegen: bejuches, den Joſeph im Dezember 1783 in Nom abitattete, zu einer Ausföhnung. Man hat Nahwirkfungen der Befuche darin erbliden wollen, daß in der nädjiten Zeit feine durchgreifenden Neuerungen auf kirchlichem Gebiet angeordnet wurden, dat durch Erlaß vom 25. April 1784: „Da dur diefes Jahr der Beweis Elar vorhanden liegt, daß unendlich viel Brojhüren nur geſchmiert werden und jchier feine einzige noch an das Tageslicht gefommen ift, die der hiefigen Gelehrjamfeit Ehre gemacht oder dem Publico einige Belehrung verſchafft hätte,” die Ber: öffentlihung der lugichriften von Erlegung einer hoben Kaution abhängig ge: macht wurde, daß der Kaifer in das zur Negelung der Logenverhältniſſe des Freimaurerweſens erlajiene Patent vom 16. Dezember 1785 die höhnifche Bemerkung einfloht, „die Geheimniſſe des Ordens jeien ihm ebenjo unbewußt, als er deren Gaufeleien zu erfahren jemals vorwigig genug gewejen jei”. Allein aus den Briefen Joſephs läßt fich erjehen, daß jein Eifer für die Emanzipation des Staates nicht erfaltet und jein Mut nicht gebroden war.

Davon gibt auch Zeugnis das in der Geſchichte des Unterrichtsweiens epochemachende Schulgeieg vom 26. Auguft 1784, in welchem eine Reihe von ethiſchen Momenten zum erfitenmal auftritt, die in anderen Staaten erit nach und nad Eingang fanden und heute wenigitens zum größeren Teil in den Kanon der modernen Pädagogik aufgenommen find.

Joſeph II. 51

Das überrafhend ftrenge Vorgehen gegen die Univerfitäten ftand im Ein: Hang mit Joſephs Prinzipien: Beſeitigung aller Sonderrehte, Gleichftellung aller vor dem Gejeg! Die aus dem Mittelalter herübergelommenen Einrichtungen und Freiheiten wurden einfach abgef&hafft, die Einkünfte in die Hände des Staates gegeben. Den Lehrern, die alle Vorrechte einbüßten, war doch nur ein bürftiger Erjag geboten dur die Verfügung, daß fie künftig vor Gericht mit „Herr“ angerebet werben jollten!

Doch wenn fich auch einzelne und Körperichaften zu Klagen über die Härte der Reformen genötigt ſahen, für die Allgemeinheit hatte Joſeph immer ein fühlendes Herz und eine offene Hand. Davon geben viele hundert humanitäre Grün: dungen rühmliches Zeugnis. Die hervorragendfte Schöpfung war das nad) dem Vorbild des Hötel-Dieu in Paris errichtete allgemeine Krankenhaus in Wien, das fi zur tüchtigſten Pflanzſchule ärztlicher Kunft auffchwang und biejen Auf jeit einem Jahrhundert fefthält. Das Joſephinum für Militärärzte, das erite Findelhaus, das erfte Taubftummeninftitut in Wien, zahlreihe Spitäler, Irrenhäuſer, Waifeninititute, Befferungsanftalten und ähnliche Stiftungen find unter den Aufpizien des gefrönten Menfchenfreundes ins Leben getreten.

Humane Beweggründe und zugleih phyſiokratiſche Grundjäße leiteten Joſeph bei Vollendung der Urbarialgefeggebung, welche ſchon von Maria The: refia in Angriff genommen morden war und in ber völligen Aufhebung der Reibeigenihaft (1785) gipfelte. Als überzeugter Anhänger der Lehren Ques— nays hoffte Joſeph, der deshalb mit befierem Fug, als weil er eines Tags in Mähren den Pflug in die Hand genommen hat, den Namen eines „Bauern- freunds” führen kann, dur Befreiung der Arbeitskraft des Landmanns die Wohlfahrt des nüglichen Standes und nicht minder den Nationalreihtum zu fördern. Die jegensreihe Wirkung diejer That wird heute niemand mehr in Abrede ftellen, wenn auch jonft gerade manche volfswirtichaftlihe Maßnahmen den ftrengen Tadel Häuffers berechtigt erjcheinen laſſen, daß Joſeph „das alte Weſen von Grund aus zerrüttete, den zähen und erftarrten Stoff den gemalt: ſamen Erperimenten phyfiofratifher und encyklopädiſtiſcher Aufflärung unter: warf und eine Verwirrung und Gärung bervorrief, deren Nachmwirkungen weit über feine Regierungszeit hinausreihten”. Die Aufitellung einer gerechten, gleich mäßig verteilten Grundfteuer bezeichnete er felbit als das Hauptwerk feines Lebens, aber das Endergebnis, das Steuerpatent vom 1. November 1789, konnte niemand befriedigen.

Für die Urproduftion, den Aderbau, jolten auch die Juden herangezogen werben; hauptfählih aus diefer Rückſicht auf das praftifche Staatsintereffe ift die Stellung Joſephs zur Judenfrage zu erklären, philanthropifche Gründe traten erft in zweiter Reihe hinzu. Die Juden follten gezwungen werben, dem Staat nüßlichere Dienfte zu leiften, und dafür eine etwas günftigere joziale Stellung erlangen. An eine Emanzipation der Juden dachte Joſeph noch gar nicht. Immerhin bedeuten die Jubenpatente einen weſentlichen Fortſchritt gegenüber den BZuftänden unter Maria Therefia, welche jede Anfiedlung von Juden ſchlechtweg verbot, da fie „Leine ärgere Velten vorn Staat fenne, als dieſe Nation“.

Erfted Bud. Zweiter Abfchnitt.

wit Od

Auf das Anfiedlungsweien nahm Joſeph nicht minder eifrig Bedacht, als König Friedvrih, und entſprechend jeiner Lieblingsidee, dem deutſchen Element zur Herrfhaft in den Kronlanden zu verhelfen, wurde insbejondere die Anfied: fung von Deutihen in allen Ländern magyariſcher und jlavifher Zunge von Staats wegen unterftügt.

Im allgemeinen kann Joſephs volkswirtſchaftliche Politik als eine jchuß: zöllnerifche bezeichnet werben. Gerade Defterreich, jo wurde gefolgert, mit feinem Reihtum an Naturproduften aller Art fönne fih am leichteften frei machen vom Ausland; man brauche aljo nur die ausländifche Konkurrenz abzuwehren, jo werde die Produktion im Lande erftarlen. Aber der ganze Staat müſſe im Auge behalten werden; das gegen das Ausland abgeſchloſſene Zollgebiet joll alle Teile der Monarchie umſchließen. „Die Zollſchranken, welche den Verkehr zwiſchen den einzelnen Provinzen hemmen, müflen fallen,” in diefen Worten fommt auch wieder fein Zentralifierungsiyitem zum Ausdrud, „alle Erbländer müflen als eins angejehen werben, während bisher jeder Herr nur auf feine Herrichaft jehe, jeder Kreishauptmann nur auf feinen Kreis, jedes Land nur auf fein Wohl bedacht jei und fein Menſch das Ganze der Monardie ins Auge faſſe.“ Mit welhem man fann fagen leidenjchaftlihem Eifer der Kaiſer die gewerb: lihe Thätigkeit zu fördern juchte, wie unermüdlich er bemüht war, die Lebens: bedingungen jedes einzelnen Kabrifationszweiges fennen zu lernen, bezeugen die von Mennert mitgeteilten Hanbbillets; andrerjeits zeigt fi) auch hier wieder, wie Joſeph durch doftrinäres und deſpotiſches Vorgehen nicht jelten Schädliches ihuf, wo er in menſchenfreundlicher Abficht das Beſte anftrebte. Ein wirklicher Aufihwung läßt fih in der Woll- und Leinwandinduftrie in Böhmen, Mähren und Schlefien beobadten.

Ganz modern wenn diejer Ausdruck geitattet ift zeigt ſich Joſeph in jeiner Handelspolitif. Auf Hebung des Verkehrs in den Donauländern und auf vorteilhafte Handelöverträge mit den befreundeten Staaten richtete er fein Haupt: augenmerf, und wohl mit Recht erklärt Adolf Beer, die handelspolitiihe Stellung Delterreihs in den Balfanländern und im Orient würde ſich weit günftiger ent: widelt haben, wenn Joſephs Nachfolger an ähnlichen Beftrebungen fejtgehalten hätten.)

Im Jahre 1786 erſchien in der Monatsſchrift „Deutiches Muſeum“ eine Reihe von Artikeln „Aphorismen zur allgemeinen Kunde der geſamten faijer: lihen Staaten”; es darf wohl angenommen werben, daß die empfehlende An: zeige unmittelbar aus öjterreihifchen Regierungskreiſen ſtammte. Als goldene Frucht der jechsjährigen Regierung Joſephs wird gefeiert, daß die Bevölferung auf 19%. Millionen geftiegen jei; das glänzende Ergebnis fei nur zu erzielen geweſen durch treue Pflege der phyſiſchen und fittlihen Kultur, Duldung aller Religionsbelenntniffe, Aufhebung der Klöfter, Zivilifierung der Juden und Bis geuner, Aufmunterung der Kolonifation, Errichtung neuer Fabrifen und lebhafte Förderung des Handels.

Im Often und im Weſten Länderzuwachs zu erlangen, dort, um ber

) Adolf Beer, Joſeph II., im Neuen Plutarch, 9. Bb., 146.

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Induſtrie und dem Handel der Kronlande ein neues Abjaggebiet zu Schaffen, bier, um dur Erwerbung einer rein deutſchen Provinz dem deutſchen Element im vielfpradjigen Deiterreih den Supremat zu fihern: das waren die Zielpunfte für Joſephs auswärtige Politil. Daraus erklären fi die Annäherung an Rußland und die Anjchläge auf Baiern. In diefen Hauptpunften verhielt ſich jegt auch Fürft Kaunig nicht mehr ablehnend. Der Vergrößerungsſucht Ruf: lands, erklärte er, könne nicht gefteuert werden, alfo müjje Defterreih Hand in Hand mit Rußland Ländergewinn erftreben; ebenfo werde es großen Vorteil bringen, Baiern gegen die Niederlande einzutaufchen, da der Beſitz an der weit abliegenden Nordjeefüfte immer eine gewiſſe Abhängigkeit von Franfreich mit ſich bringe, die Abrundung durch Baiern dagegen den Kaiferftaat nad) jeder Richtung jelbftändig made.

Bei der Zujammenkunft mit der Zarin in Mohilem war zu freundichaft: lihen Beziehungen zwijchen den zwei mächtigſten Ditreichen der Grund gelegt worden. Katharina hatte den ritterlihen, gejcheiten Fürften, der fich jo freimütig und vertraulich zu geben wußte, in der That lieb gewonnen. „Ich käme niemals zu einem Ende,” jchrieb jie an Baron Grimm, „wenn ich Joſephs Lob fingen wollte; er ijt der jolidefte, tieffte und gejchictefte Kopf, den ich kenne; der muß früh aufftehen, der ihm den Rang ablaufen will!” Der günftige Eindrud war von Dauer. Noc lange nad Joſephs Tod klagte fie die Defterreiher an: „Sie hatten einen Adler, aber fie erfannten ihn nicht!” Auch Joſephs Urteil über Katharina lautete im allgemeinen nicht ungünftig, aber er war überhaupt nicht der Mann, der jich duch perfönlihe Eindrüde und Neigungen beeinflufien ließ; er gab in Petersburg ſchöne Worte, weil er fih vom Zujammengehen mit Ruß: land glänzenden Vorteil verſprach. In diefer Hoffnung beftärften ihn Beteue: rungen der Zarin, die feineswegs den tatſächlichen Berhältnifien entipraden. Die Türfei wurde als ein unrettbar der Auflöfung verfallenes Land geſchildert; die Teilung des türkiſchen Beſitzes auf der Balfanhalbinjel ſei nur noch eine Frage der Zeit. Kaiſer Joſeph trug zwar, als wegen bes Einfalls der Ruſſen in die Krim der Krieg mit ber Pforte unmittelbar bevorzuftehen ſchien, troß aller Freundihaftsihwüre Bedenken, für Wieberherftellung des griechifchen Kaifertums feine Truppen zu opfern, aber er hielt durch jeine Rüftungen und dur jeine offene Parteinahme für die ruffiihen Ansprüche die europäiſchen Mächte von thatkräftiger Unterftügung der Türkei ab, fo dab im Divan jelbit die jFriedenspartei das Uebergewicht erlangte. Katharina erfannte willig an, daß Rußland den Defterreihern, wenn diefe auh nur Gewehr bei Fuß fich aufgeitellt hatten, den Bejig der Krim zu danken babe. Nie werde Rußland jäumen, jchrieb fie am 1. Dezember 1783 an Joſeph, ebenjo dienftwillig das öfterreichifche Interefle zu wahren, wie Joſeph ihr zuliebe das ruſſiſche ge: fördert habe. Und als Joſeph darauf vertraulich eröffnete, die Gelegenheit zur Vergeltung fei ſchon gekommen, denn er trage ſich mit der Ablicht, die Nieder: lande gegen Baiern und das Erzitift Salzburg zu vertauſchen, und Rußland werde dabei gute Dienfte leiften können, gab die Zarin freundliche Zuſage. Es jei ihr nur willfommen, daß fie ihr Verſprechen einlöfen könne; die Erftarfung Deiterreih® fomme ja auch ihrem eigenen Staat zugute; fie habe unverzüglich

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ihren Gejandten Romanzow beauftragt, am Zweibrückenſchen Hofe für die Wünſche des Kaiſers zu wirken.

Es war ein öffentliches Geheimnis, daß die Taufchverhandlungen mit Karl Theodor aud nad dem Teichener Frieden fortgefegt wurden. Wenn fie nicht rajcher den gewünjchten Erfolg hatten, fo lag die Schuld nur daran, daß man fih über die Höhe des Preijes nicht einigen konnte; der Kurfürft verlangte die ganzen öſterreichiſchen Niederlande, der kaiſerliche Gejandte Graf Lehrbach hoffte noch, die Forderung herabzudrüden. Der Wiberftand des Kurfürften wäre alio durch weiter reichende Zugeſtändniſſe zu befiegen gewejen, aber um den Teſchener Bertrag unschädlich zu maden, mußte auch bie Zuftimmung der Zweibrüdenjchen Agnaten erlangt werden. Doch alle Verſuche, den Herzog Karl Auguft für den Tauſchhandel zu gewinnen, blieben erfolglos, und au die Vorftellungen des Grafen Romanzow führten nicht zum Ziel; als die Sprade der Unterhändler drohender wurde, legte der Herzog bein Reichstag gegen bie „auf Entfernung des MWittelsbahifhen Haufes aus dem deutſchen Reich“ zielenden Umtriebe des Wiener Hofes Verwahrung ein und nahm die Hülfe des Königs von Preußen in Anſpruch. Die ungewöhnlich heftige Ausbrudsmeife, deren ſich König Friedrich in den Verhandlungen wegen der ländergierigen, deſpotiſchen Anjchläge des Kaifers bedient, verrät feine Erregtheit. Mit jugendlihem Ungeſtüm rüftete er fih zur Abwehr. „Zum Schutze der deutſchen Freiheit” griff er auf die ſchon früher im preußiſchen Minifterium und im diplomatiihen Verkehr mit andern deutihen Staaten mehrfach erörterte dee eines „Fürftenbundes nah dem Bor: bild desjenigen von Schmalkalden” zurüd. Gegen die Tyrannei des Kaijers, erwidert er auf abmahnende Vorjtellungen Hergbergs, helfe nur feftes Zufammen: balten aller bedrohten Staaten, gleihmwie ja niemand im ftande jei, ein Pferd auf einmal des ganzen Schweifes zu berauben, während dies leicht zu erreichen jei, wenn ein Haar nad dem andern ausgezogen werde.

Der Hülferuf des Herzogs von Zweibrüden, der feit und feierlich erklärte, er wolle lieber unter den Ruinen feines Landes jein Grab finden, als zu ungerechter Gemaltthat feine Zuftimmung zu geben, rief auch bei den übrigen Reichsſtänden lebhafte Aufregung wach. Unter dem Eindrud diefer Stimmung gelang, was ſonſt wohl feine Kunft preußiicher Diplomaten, feine Waffen: that preußiſcher Heere zu ſtande gebradht hätte: die Vereinigung geiftliher und mweltlicher, fatholifcher und protejtantifcher Reihsftände unter Schug und Leitung Preußens. Am 23. Juli 1785 wurde ber von Hergberg entworfene und vom König ſelbſt verbeflerte „Entwurf einer reichsverfafiungsmäßigen Verbindung der deutichen Neihsfürften” von Brandenburg, Sachſen und Hannover angenommen, und binnen kurzem trat die Mehrheit der Reichsftände, darunter auch der Kur: fürſt und Erzbifhof von Mainz, dem Bündnis bei. Umſonſt ftellte Joſeph feine Umtriebe am Münchener Hofe in Abrede und bejchwerte fi über die arg— liftigen Verdrehungskünſte des Berliner Kabinetts. „Wenn der König von Preußen die Hölle gegen mich aufhegen fünnte, jo würde er e& gewiß thun, ohne auf die Folgen zu achten; mag daraus entftehen, was da will, wenn nur er feine Mut auslajlen kann!“

Doch dieſe Klagen änderten nichts an ber Thatjahe, daß Joſeph eine

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ſchwere Niederlage erlitten hatte. Zur Zeit des baieriſchen Erbfolgekriegs hatte Joſeph den König von Preußen ſeinen „Gegenkaiſer“ genannt; jetzt nahm Friedrich in der That eine ſolche Stellung ein. Von allen Seiten wurde dem „Retter der deutſchen Freiheit“ zugejubelt.) Die „Darſtellung des Fürſten— bundes“ von Johannes Müller iſt ein begeiſterter Aufruf zum Kampf wider die öſterreichiſche Weltmonarchie. „Der Fürſtenbund iſt, wenn er ſeine Auf: gabe löſt, der Stolz der Gegenwart, die Hoffnung der Zukunft.“

„Wer für das Gefeg ift,“ ſchrieb Ernit Poſſelt, „für den ift der teutiche Bund; wer wider das Geſetz iſt, wider ben ift der teutiche Bund; er ift für die Verfafliung des Neihs, was für ein ehrwürdiges Gebäude aus den Zeiten

Vorbei ift jegt die Zeit der Ferdinande und Karl, die Zeit der eifernen Ge- waltthat!” Nicht bloß war der nächſte Zwed der Vereinigung, die Einverleibung Baierns zu verhüten, glüdlich erreicht: der Fürltenbund von 1785, ber Sieg der fonjervativen und territorialen Politik Friedrichs über Joſephs imperialiftifche Tendenz hatte eine noch weit wichtigere Bedeutung. Zum erjtenmal tauchte in deutichen Politifern der Gedanke einer Einigung Deutſchlands mit Ausschluß Cefterreihs und unter Führung Preußens auf, der Gedanke, der immer feltere Wurzeln trieb, bis das Jahr 1871 die Erfüllung bradte. Schon König Friedrich felbit erfannte die Tragweite jeiner moralijhen Eroberung; der Fürftenbund wurde Editein eines neuen politiſchen Syſtems: während gerade Friedrich bisher darauf hingewirkt hatte, das Verhältnis Preußens zum Reich zu lodern und bedeutungslos zu maden, follte fortan deutſche Politik der Grundpfeiler der europäiſchen Machtſtellung Preußens fein.

Und während Joſeph durch unvorjichtige Bedrohung der ntegrität des Reichsgebiets feinen Einfluß in Deutfchland einbüßte, tauchten neue Gefahren auf, die den Beſtand der ölterreihiihen Monarchie jelbit in Frage ftellten.

Das nämlihe Voll, das den Thronfolger Joſeph vergöttert hatte, war, faum daß der Erjehnte den Thron beitiegen hatte, verftimmt, mißtrauifch, unzufrieden. Früher war er der Träger aller Hoffnungen, der Vermittler zwiihen Regierung und Volk gemwejen; der Selbftregent, der fih in feiner „ſtuartiſierenden“ Weiſe, wie Schlözer rügte, alles zu willen und alles zu thun vermaß, war fait allen unbequem. Es trat zu Tage, wohin ein unitarifch- abjolutiftiiches Regierungsſyſtem troß ber redlichſten Abfichten des Regenten nur zu leicht führt: zu bureaufratiiher Bevormundung. Ein Fürft, der auch Gedanken und Gefühle der Unterthanen zum Guten lenfen will, erſcheint gleich— mäßig den Freunden bes Guten wie des Böſen als Hindernis der Freiheit und des Glüde.

Bejonders unzufrieden war man in Ungarn. Die dee, aus ben ver:

’) Behauptungen des Abenteurers Trend find nicht ernfthaft zu nehmen, doch ift immerhin für die allgemeine Furcht vor der „Habgier” Joſephs bezeichnend, daß Trend das Märchen auftifcht, der „Kapitän: Bafja” in Konftantinopel habe dem preußifchen Gefandten den zwiſchen Defterreih und Frankreich verabredeten Plan einer Teilung Deutjchlands enthüllt, und zur Ab: wehr dieſes Unbeils fei der Fürftenbund geftiftet worden. (Trend contra Mirabeau, 36.)

56 Erfted Bud. Zweiter Abfchnitt.

fhiedenartigen Beltandteilen der öſterreichiſchen Monardie einen einheitlichen Staat zu bilden, war das Vermädtnis Maria Therefias. Joſeph ging aber, um zu biefem Ziel zu gelangen, allzu baftig, allzu rüdjichtslos gegen Tradition und hiltorifhe Rechte vor. Der Zumutung, ſich als König Ungarns in Preß— burg krönen zu laffen, feste er ein barjches Nein entgegen; die Krone bes heiligen Stephan ließ er nah Wien bringen und gemwiflermaßen als Kuriofität in der Schapfammer niederlegen. Den ungariihen Reichstag rief er nicht mehr zufammen; die Komitatöverfammlungen wurden durch kaiſerliche Kommijfionen erjegt. Das Deutihe wurde zur alleingültigen Gejhäftsipradhe erhoben. „Die deutſche Sprache iſt Univerjalipradhe meines Reiches,“ jchrieb er an einen Magnaten, „ih bin Kaifer des deutſchen Reiches, demzufolge find die übrigen Staaten, die ich befige, Provinzen, die mit dem ganzen Staate in Vereinigung einen Körper bilden, wovon ich das Haupt bin... Wäre das Königreih Ungarn die widhtigite und erſte meiner Befigungen, jo würde ich die Sprache desjelben zur Hauptſprache meiner Länder machen; jo aber verhält es ſich nicht.”

Für die Entwidelung und Ausbreitung der beutjchen Sprade ijt die Vorliebe Joſephs für deutihes Spradtum, die als Gegenftüd zu Friedrichs des Großen Abneigung wohltuend anmutet, epochemahend geworden. Die Magyaren fühlten fih aber gerade durch die Zurüdjetung ihrer Landesſprache am jchweriten verlegt.!) Der ungariiche Adel machte wie ein Mann Front gegen den Kaijer; da und dort wurden die Steuern verweigert; in Sieben: bürgen fam es 1784 zu Unruhen, die nur mühjam durch Waffengewalt ge: dämpft wurben.

In den deutihen Provinzen ftand es nicht viel beffer. Hier gab es eine radifale Partei, denen jogar das Tempo der Sofephinifhen Reformen im Intereſſe der Aufklärung noch zu fchleppend erjchien. So wird der Kaijer 5. B. in einer Flugihrift „Ein Verteidiger des Volks an Kaiſer Joſeph“ (1785) „ein hinter feiner Zeit zurüdgebliebener Deſpot“ genannt; man bediene ſich in Defterreih großer Worte, liebäugle aber immer noch mit dem Alten, wie in ber Zeit der Ferdinande; insbejondere die Verordnung gegen die Auswanderung verdiene als „Brandmal der Sklaverei” verurteilt zu werben.

Weit zahlreiher aber waren die frondierenden Gegner der firdlichen Neue: rungen, als deren Haupt der Erzbifhof von Wien, Kardinal Migazzi, anzujehen war. Joſephs Wunſch, die „apoftoliiche Einfachheit” des hriftlichen Gottesdienftes mwieberhergeitellt zu jehen, rief eine Reihe von Verordnungen hervor, die von den Gläubigen als unerträglide Einmifhung der weltlichen Gewalt aufgefaßt wurden. Zahl und Form für die Gottesdienfte wurden aufs genauefte vor: geſchrieben, Amulette, Roſenkränze ꝛc. verboten; in der Chriſtnacht durfte Feine

ı) Merkwürdigerweiſe wurde das Sprachedikt auch von Deutſchen in Ungarn verurteilt. In Schlözers Staatdanzeiger (Jahrg. 1788, 339) führt ein in Ungarn lebender Deuticher, Matthias Rath, bittere Klage über den „unjeligen Gedanken”, in den öfterreihifhen Staaten, in denen das beutiche Element keineswegs die Oberhand habe, das Deutiche zur Staatsſprache zu erheben. Die unerträglihe Vergewaltigung fei nur den evangelifhen Deutfhen in Ungarn zuliebe angeordnet, obwohl diefe als ber ungebilvetfte Teil der öfterreihiihen Bevölkerung gelten müßten.

Joſeph II, 57

Mette beſucht, am Fohannistag fein Sonnenwendfeuer angezündet, bei den Pro: zejfionen nicht mehr geſchoſſen werden; aller unnötige Zierat in den Kirchen, alle Martertafeln, Feldkreuze und ähnliches „ſolches Gezeug” jollten verſchwinden. Böſes Blut machte namentlich eine im Intereſſe der Gefundheitspflege erlaſſene Verordnung vom 26. uni 1784, wonach alle Verftorbenen, hohen, wie niederen Standes, in Leinwandjäde eingenäht, mit Kalf beiprengt und dann ohne Truhen in die Erde gelegt werden jollten. Als von allen Seiten Berwahrungen ein: liefen, nahm die Regierung das Mandat zurüd, doch nicht ohne neuerdings zu verlegen durch den Spott, es habe fich nicht vorausjehen laffen, welch hohen Wert die Leute darauf legten, daß ihre Körper länger ein ftinfendes Nas blieben!

Solche Webertreibungen und Uebergriffe reisten jogar Ausländer und Proteftanten zu beftigem Widerſpruch. Die leidenſchaftlichſten Anklagen richtete der Verfaſſer der rajch berühmt gewordenen Geſchichte der Eidgenofienichaft, Johannes Müller, gegen den „gefrönten Nevolutionär”, gegen ben „Friedens: ftörer, der Staat und Kirche aus den Angeln reife”. Alle Welt war erftaunt, in einer durch die Reife Pius’ VI. nah Wien veranlaften Schrift des pro: teftantifchen Schweizers eine Verherrlichung der katholiſchen Hierarchie auf Koſten des freiheitsfeindlichen Kaifertums zu finden. „Ohne die Hierardie hätte Europa feine Geſellſchaft, welche, geihähe es auch wegen ihres eigenen Vorteils, über den allgemeinen Vorteil unaufhörlid wachen müßte. Von dem an war eine Freiftatt wider den Zorn der Potentaten: der Altar; es war eine Freiheit wider den Mißbrauch des priefterlihen Anjehens: der Thron; und in dem Gleid; gewicht lag öffentliches Wohl. Bon dem an fonnte jeder feinen Herrn wählen unter mehreren Fürften: jolang die Welt einem einigen diente, war Freiheit nur, wo Gato fie fand.” Freilich war auch bei diefer Schwenfung Müllers das perfönliche Intereſſe im Spiel. Indem er die eben genannte Schrift dem Karbinal Albani überfandte, bot er jeine Feder zur Verteidigung des päpſtlichen Stuhles und der Religion fürmlih an, fügte aber mit wunderlicher Unbefangenbeit binzu: „Allein, wenn dieje Partei nicht will, daß ich ihrer Sache mein Talent widme, wäre e& Hug von mir, mic mit der andern Partei zu entzweien ?“ Auch nachdem die Ausfiht, in Nom zu Einfluß und Würden zu gelangen, ge: ihwunden war und damit der ſchwärmeriſche Religionseifer des Hiftorifers fi verflüchtigt hatte, jeßte er den FFederfrieg gegen Kaijer Joſeph vorwiegend in preußifhem Intereſſe fort. Die jhon erwähnte Schrift über den Fürften: bund befämpft ebenjo den Religionsverädhter, wie ben Feind der deutjchen Frei: beit. „Es ift immer patriotiſch, wider Ideen, die ſich gegen die Gejege erheben, mißbilligend zufammenzutreten!” ... „Wenn die Hierarhie ein Uebel wäre, beiler doch als Defpotie! Sie ſey eine leimene Mauer, fie iſt's doch gegen Tyrannei; der Priefter hat jein Gefeg, der Defpot hat feins!”

Auch im Kaiferftaat jelbit Fam es da und dort zu Kundgebungen gegen Joſephs Kirchenpolitik. Noch immer liefen von geiftlihen und mweltlihen Be: börden, Prälaten und Schriftitelern VBerwahrungen gegen das Toleranzpatent ein. Eine Flugihrift „Ob Seine Majeftät die Toleranz einführen können?” beftritt dem Landesherrn das Recht, andere Befenntnijje zu dulden, denn es fei feine Pflicht, zu verhüten, daß jeine Bürger nah dem Tode der Teufel hole.

58 Erftes Buch. Zweiter Abſchnitt.

Als die erfte evangelifhe Kirhe in Wien fertig gebaut war, fand ſich alsbald ein Pasquill angeheftet, das den Kaiſer als Verführer der Braut Chrifti ver: läſterte. Joſeph ließ die Schmähſchrift druden und zum Belten der proteftanti- jhen Armen öffentlich verkaufen.) Was nützte es, daß er zugleih eine Er: flärung erließ, er beabfihtige als gehorfamer Sohn der katholiſchen Kirche nicht ihre Schädigung, nur ihre Reinigung? Wer gegen religiöje Ueberzeugungen fämpft, darf nicht an kühle Ueberlegung appellieren! „Der Kaifer,” jo urteilt ein engliſcher Diplomat, „achtet nicht genug auf die allgemeinen Vorurteile und Schwächen der Menjhen, räumt ihnen zu wenig ein und bedenft zu wenig, mit welcher außerordentlihen Vorſicht allgemeine Neuerungen, jelbjt wenn fie weile find, eingeführt werden müſſen. Er fühlt nicht genug, daß ber geringjte Schein einer Unterbrüdung ein wahres Uebel ift, weil die Menge ebenjo jehr vor dem Scheine flieht, wie fie vor wirklicher Unterdrüdung fliehen würde.” Durd die in den Kultus eingreifenden polizeilihen Anordnungen und Verbote fand ſich das Volk in feiner Andacht, in feinen heimatlihen Anihauungen, in liebgewordenen Gewohnheiten verlegt. Die meilten Verbote blieben einfach unbeachtet, bejonders an Orten, die nicht unmittelbar unter Aufficht der Regierung ftanden; der Aus: führung wurde da und dort jogar Widerftand entgegengeiegt. Als in der Haupt: fire des tirolifhen Städtchens Hall auf kaiſerlichen Befehl ein paar Seitenaltäre abgebrochen werben jollten, rotteten fih Bürger und Bauern zufammen, „um das Heiligtum gegen Abjolons Söhne zu ſchützen“, und vertrieben die Arbeiter aus der Kirche. Weit gefährlichere Folgen hatte der Kulturfampf in den Nieder: landen. Hier blieb es nicht bei Proteften und Demonftrationen, hier fam es zu blutigem Aufruhr. Brüffel jah das Vorfpiel der grauenhaften Tragödie, deren Schauplat bald der prunkvolle Wohnſitz der Könige Frankreichs werben ſollte!

In diefen Tagen, da ſich aleihjam der erfte Zug an der Sturmglode der Revolution vernehmen ließ, ftarb Friedrich II.

Kaijer Joſeph hatte ehedem auf den Tod feines Nebenbuhlers weitreichende Hoffnungen gefegt, und fein Kanzler hatte ihn darin beftärkt, indem er erflärte, es gebe wohl eine Großmacht Friedrich IL., aber feine Großmacht Preußen; wenn Preußen jenen Regenten nicht mehr an der Spite habe, werde ſich bald zeigen, wer der Herr im Neiche jei.

Doch jegt, da diefe Wendung eingetreten war, nahmen den Kaifer ganz andere Aufgaben in Anſpruch. Es galt, der wachſenden Unzufriedenheit im Lande Herr zu werden und den Abfall ganzer Provinzen zu verhüten. Im guten Glauben an fein Recht und von ber Ueberzeugung bejeelt, daß die Rück— fiht auf das Staatswohl jede andere ausſchließe, trat Joſeph mit ſchonungs— lofer Strenge auf. Wie ein Philipp II, hielt er militärifhe Maßnahmen für ausreihend, um der Gefahr die Spige zu bieten; doch er mußte die Erfahrung machen, daß bie abjolute Monarchie fich ausgelebt habe und eine neue Zeit auch neue NRegierungsgrundfäße erheiſche.

) So wird auf dem Titelblatt behauptet; Nicolai hält auf Grund genauer Information die Behauptung für erdichtet. (Neife durch Deutichland, III, 29.)

Dritter Abfchnitt.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deuffchen Mittel- und Rleinfaaten.

nahm, begrüßte ihn das preußiiche Volk mit frohen Hoffnungen. Auch

in jenen Kreifen, denen es nicht an Verſtändnis für die Größe des Vor: gängers mangelte, war eine Stimmung vorherrſchend, die wohl am beften durch Schlözers Wort gekennzeichnet wird: „Der gütige König (Friedrich Wilhelm) wird wohl nie die furdtbare Größe feines Oheims erreichen, aber in Güte des Charaf: ters und Herzens und in ernitlicher Beglüdung feiner Unterthanen läßt er ihn meit zurüd.”!) Das Hamburger Politiſche Journal erwähnt aus einer kurz vorher eridhienenen Studie eines Franzojen über Friedrich II. ein günstiges Urteil über den Thronfolger: derjelbe jei ein Mann „von angenehmen, zugleich Ehrfurdt erwedendem Anjehen, ziemlich faltem, natürlich ernithaftem Charakter, ftarfer Urteilsfraft, über jede Eitelkeit erhaben” ; es jei zwar nicht unbedenklich, daß er das geiellige Vergnügen ungemein liebe und für die Schönheit in Kunft und Natur allzu ſtarken Affekt hege, aber auch dieje Fehler würden ihn nicht hindern, ein ebenio großer General wie guter König zu werden.?) Ganz anders freilich urteilte und prophezeite ein anderer Franzoje, deſſen Scharfblid nicht in Zweifel gezogen werben fann, Graf Mirabeau, der als geheimer Emiſſär der franzöfiichen Regierung in Berlin weilte und für Ludwig XVI, Taleyrand und Galonne Stimmungsberichte entwarf: „Was ich für das Ganze prophezeien fann? Nichts ale Schwäche und Verwirrung. So viel jcheint jiher, daß die kleinen Intriguen, die Schönen Künfte, die Blauröde, die Subalternen, die Garderobiers und vor: züglih die Sekte der Jlluminaten den neuen König am Gängelband haben!... Hat der neue König ein Syitem? Ich glaube es nit! Hat er Verftand? Ich

I: Friedvrih Wilhelm II. am 17. Auguft 1786 die Regierung über:

) Schlögers Staatsanzeigen, Jahrg. 1786, 438. ?) Volitifhes Journal, Jahre. 1786, 26.

60 Erfted Bud. Drittter Abfchnitt.

bezweifle es. Hat er Charakter? Ich weiß es nicht!“) Mirabeaus Schilde: rungen find aber nur mit äußerfter Vorficht aufzunehmen; er war verftimmt, weil fein aufdringliches Anerbieten, dem neuen Monarchen als Mentor zur Seite zu treten, unbeachtet geblieben war und weil er fehen mußte, daß nicht Prinz Heinrih, der Freund und Gönner des Franzojentums in Litteratur und Politik, fondern Graf Hertberg, der überzeugungstreue Anhänger des Bündniſſes mit England, maßgebenden Einfluffes bei Friedrihd Wilhelm ſich erfreute, Aller: dings zeigt fih auch Graf Herkberg nicht als aufrichtiger Freund der Wahrheit, wenn er feinen Nachruf an den großen Friedrich mit der feierlihen Erklärung ſchließt, die Nation könne fich getroft vor Augen halten, daß der Verſtorbene durch Beifpiel und Lehre einen Nachfolger berangebildet habe, in welchem er nach feinem eigenen Zeugnis wieder aufleben werde.) Und doch wußte Herb: berg am beiten, daß König Friedrich von feinem Neffen nur geringe Meinung gehegt hatte und daß Friedrich Wilhelm gerade in rüdhaltlofer Umkehr von der äußeren und inneren Politik feines Vorgängers für den Staat das Heil, für fih den Weg zum Nuhme erblidte. Xorfichtiger und deshalb richtiger urteilte der Kaiferlide Gejandte am Berliner Hofe, Fürft Neuß, über den Thronerben fur; vor deſſen Regierungsantritt: „Soviel ich die Gemütseigenihaften bes Kronprinzen zu beurteilen mid unterfangen fann und dazu Gelegenheit hatte, jo jeheinen NRedlichkeit und Wohlwollen jeinen Charakter zu beitimmen. Er ift überaus herablaſſend und leutjelig und hat dabei einen edlen Anftand ... Ob er einen feiten und ftandhaften Charakter wirklih habe und in diefem Falle (gegenüber Günftlingen) beibehalten werde, muß ſich erit zeigen.“ °)

Friedrich Wilhelm, geboren am 25. September 1744 in Berlin, war ber Sohn des älteften Bruders König Friedrichs II., jenes unglüdlichen Prinzen Auguit Wilhelm, der durch eine im Juli 1757 in Böhmen erlittene Schlappe die Ungnade des Bruders auf ſich geladen hatte und bald dem Schmerz über die unverdiente Kränfung erlegen war. Nun fonnte fein ältefter Sohn, Friedrich Wilhelm, als Erbe des Thrones gelten; der Oheim felbft nahm fich der Erziehung des Knaben wenig an, ließ ihn aber durch tüchtige Lehrer unter: rihten. Dem Geihmad der Zeit und ber Richtung des Königs entjprechend, mußte die Mutterfpradhe hinter der franzöfifchen zurüditehen; Friedrih Wilhelm vermochte fih denn aud in deutſcher Sprache nicht viel gewandter auszudrüden als jein Obeim; doch während dieſer fein lebenlang franzöfifher Sprache und Litteratur den Borzug einräumte, hegte der Neffe entſchiedenen Wider: willen gegen das welihe Schrifttum. Der Kronprinz entwidelte fich zu einem Jüngling von jeltener Schönheit; trogdem wendete der König dem reicher be— gabten und aufgewedteren jüngeren Bruder Heinrich wärmere Neigung zu und verhehlte nicht, dab er diefem lieber die Krone zumenden würde Als an

) Geheime Geſchichte des Berliner Hofes oder Briefwechiel eines reifenden Franzofen vom 2. Juni 1786 bis zum 19. Januar 1787. A. D. Franz, ©. 64.

) Hertzberg, Mémoire sur Ja derniere annde de la vie de Frederic II., 4: „qui le recommence, selon sa propre expression, qui continue son administration dans les mömes principes en les rectifiant, lorsque l'imperfection humaine le rend necessaire.*

2) ©. Wolf, Defterreih und Preußen 1780—1790, 223.

Der Thronwechiel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinjtaaten. 61

Friedrich Wilhelm ein ftarf ausgeprägter Hang zur Sinnlichkeit zu Tage trat, mußte er fi, erft 21 Jahre alt, auf des Königs Befehl mit Elifabeth von Braunjhmweig vermählen, aber die erzwungene Ehe wurde von beiden Gatten ald drüdende Laſt empfunden. Dagegen jah der Liebesbebürftige alles Glüd der Erde in verirautem Umgang mit einem bürgerlihen Mädchen, dem damit das traurige 208 zufiel, als „Preußens Pompadour“ in der Gefchichte zu er: jcheinen. Wilhelmine Enke, die Tochter eines Hofmufifers, wußte den Prinzen durh glüdlihe Unterhaltungsgabe und hübſche Geftalt an ſich zu feſſeln, und das Verhältnis mit der durch Scheinehe mit einem Kammerdiener Nie ver: bundenen, 1796 zur Gräfin Lichtenau erhobenen Gunſtdame erhielt fih, wenn auch unter wechjelnden Formen, bis zum Ableben Frievrih Wilhelms. Die Schmeichelreden in huldigenden Briefen, die an die Gräfin in den Tagen ihres Glüdes gerichtet wurden,) haben nicht mehr Wert als die höhniſchen Aus: lafjungen über „Madame Mind”, „Gräfin Dunfelheim” ꝛc. in den gegen fie gerichteten Pamphleten; immerhin dürfte die warme Teilnahme, die auch von unabhängigen geiltvollen Männern, u. a. von Lavater,?) der Gräfin gewidmet wurde, als Beweis gelten, daß fie in jungen und alten Tagen in der Hunt, zu gefallen, eine Meifterin war. Ye unmiderftehlicher fich der Prinz zur Freundin bingezogen fühlte, deſto unleibliher wurde ihm das ehelihe Band, und als dasjelbe 1769 gelöft worden war, geitaltete fih auch die zweite Ehe mit Zuife von Heſſen um nichts erfreulicher.

Wohl faum aus innerem Drang, jondern nur dem Oheim zu Gefallen fnüpfte Friedrich Wilhelm 1770 mit Voltaire einen Briefwechſel an; das Thema, die Frage von ber Unfterblichkeit ber Seele, mag den Prinzen angezogen haben, aber die Briefe an den Philofophen rühren nicht von ihm jelbft her, jondern find von jeinem alten Lehrer, dem Schweizer Beguelin, aufgejegt.

Daß König Friedrih den Neffen ſchlecht, ja ſchimpflich behandelt Habe, it nur eine Sage, die hauptfählid auf die wenig verläjfige Erzählung Damp: martin, des Hofmeifters im Haufe der Madame Niek, zurüdzuführen ift.’) Der König zeichnete ihn jogar bei manden Gelegenheiten aus; unter anderem nahm er ihn zur Zufammenfunft mit Kaifer Joſeph nah Mähriſch-Neuſtadt mit. „Ein junger Mann von ftattliher Eriheinung und gutmütigem Weſen,“ fo ihildert Herzog Albert von Sadhjen:Teihen in feinen Memoiren den Kron- prinzen von Preußen, den er in Neuftadt fennen gelernt hatte, „doch von irgend welhen hervorragenden Anlagen konnte ich nichts an ihm entdeden.” Nicht anders urteilte König Friedrich ſelbſt. Zwiſchen Oheim und Neffen beitand ein natürlicher Gegenſatz, der eine aufrichtige Neigung von vornherein ausjchloß. Die weiche, zu Gefühlsihwärmerei neigende Gemütsart Friedrih Wilhelms war in den Augen bes Königs ein Fehler, während dem Prinzen für die opfer:

) In großer Zahl mitgeteilt im zweiten Band der Apologie der Gräfin Lichtenau, (Zeipzig 1808.)

) Apologie, II, 191, 196.

) Quelques traits de la vie privee de Frederic Guillaume II, par A. H. Damp- martin (1811), 7.

62 Erfies Bud. Dritter Abfchnitt.

willige Pflichttreue, wie für den Wahrheitseifer des Königs, der allein ihn dem Chriſtentum entfremdet und in die Arme der franzöſiſchen Aufflärungsphilofophie getrieben hatte, das Verftändnis mangelte. Dazu famen nod andere Momente. Dem fparfamen König war es ein Greuel, daß der Neffe dem Hang zu Vergnügen und SFreigebigfeit nicht bloß jeine Einnahmen opferte, jondern bei Berliner Kapitaliften, ja ſogar bei fremden Höfen Geld borgte; 1775 erbat ſich der preußiiche Thronfolger in Wien ein Darlehen von 100000 Dufaten, und Kaifer Sojeph bemwilligte dasfelbe, obwohl es ihm nicht unbedenklich erihien, da der Prinz auch ſchon von feiner Schweiter, der Prinzejjin von Oranien, ſowie von der franzöfiihen Regierung große Summen entliehen hatte. König Friedrichs Leben war ein unausgejegtes Schaffen und Wirken zum Wohl feines Staates; dagegen hatte der Thronerbe zwar ein hohes Bewußtjein jeiner von Gott ver: liehenen Stellung, aber wenig Intereſſe an erniter Beichäftigung, an wiſſen— Ihaftlihen Studien oder militärifhen Mebungen. Den ftrengen König fürdteten alle, auch diejenigen, die ihn liebten; dem gutmütigen Prinzen war niemand gram, aber er genoß nicht die Achtung, ohne welche aufrichtige Liebe nicht denkbar ift. Denn er war allzu unbejtändig und unſelbſtändig; insbejondere wenn es fih um Religion oder um Frauen handelte, war er von beflagensmwerter Schwäche. Abgeftoßen vom trodenen Nationalismus, fprang er ins andere Ertrem über; er überließ fich religiöier Schwärmerei und glaubte fein und feiner Unterthanen zeitlihes und ewiges Heil am beiten zu fördern, wenn er fi von Erleudteten, die fih des unmittelbaren Verkehrs mit der Gottheit zu rühmen hatten, in religiöfen Fragen und weltlichen Gejchäften leiten ließ. Es war ja die Zeit der Dffenbarungen Smwedenborgs, der Wunderfuren Gafners, der Ent: zückungen Jung:Stillings, der empfindfamen Kundgebungen Lavaters, die Zeit, in welcher Hunderttaujende ſehnſüchtig und vertrauend den Lehren lauſchten, die über das Hereinragen einer Geifterjphäre in unfere Welt Aufklärung in Aus: ſicht ftellten.

Allein auch diefer in Friedrih Wilhelm bejonders ftarf entwidelte, reli— giöje Drang nad überfinnlihen Gnadenwirfungen hielt ihn nicht ab, finnlichen Neigungen zu fröhnen, und jo wurde er immer abhängiger von jenen Liſtigen, die den einen oder den anderen Trieb fich dienftbar zu machen mußten.

Madame Nie hatte auf Befehl des Königs die Hauptftabt verlaffen und ein Landhaus in Charlottenburg bezogen. Hier gab es Feſte und heitere Schaufpiele, hier fanden fi aber auch geiftlihe und weltlihe MWürdenträger zu ganz anderen Zweden ein. Hier verfammelten jid, als der Gejangbuchftreit die Gemüter mädtig erregte, die Gegner ber vulgären Aufklärung und der chriftus- ofen Philofopie, die am Lehrbegriff der Belenntnisichriften der Reformation gegenüber der modernen Kritik feithielten; bier wurden die Streitichriften gegen die Allgemeine deutſche Bibliothef und die Berliner Monatsjchrift beraten; es trat zum eritenmal zu Tage, welche Hoffnungen fih an den fünftigen Regenten Preußens fnüpften.

Im baierifhen Erbfolgefrieg fand der Kronprinz Gelegenheit, Proben feiner Tapferkeit abzulegen. Nah dem Gefecht bei Trautenau ſprach ſich Friedrich in überrafchend herzlihen Worten über den Anteil jeines Neffen am

Der Thronwechfel in Preußen. Die beutihen Mittel: und Kleinftaaten. 63

glüdlihen Erfolg des Tages aus. Es ſchien fi eine vertraulichere Annähe- rung zwiſchen beiden vorzubereiten, allein ber günftige Eindrud verlor fi wieder infolge des Mißlingens der Miſſion nad Petersburg. Friedrich Wilhelm vermochte nicht die Zarin, die durch den geiftvollen Joſeph gewonnen worden war, zu Gunften Preußens umzuftimmen, ja, Katharina verhehlte gar nicht, daf fie den Prinzen, der feit der vielverjprechenden Jugendzeit nur an Embonpoint, aber nit an Geiſt zugenommen babe, berzlih gering ſchätze. Der Mißerfolg in Petersburg wirkte auf das Verhältnis zwiſchen Oheim und Neffen ungünitig zurüd, und wenn dieſer überhaupt die Hoffnung gehegt hatte, einen feiner Stellung entſprechenden, wichtigeren Wirfungsfreis zu erlangen, jo jah er fi darin enttäufht. Der Aufenthalt am Hofe, wo die Abneigung des Königs befannt war, konnte nur läjtig fein, der Dienft in der großen Kaferne Potsdam gewährte ihm feine Befriedigung, zu wiſſenſchaftlichen Studien fühlte er fi nicht bingezogen, um jo enger ſchloß er fi aljo an „Freunde“ an. Neben Madame Niek, der er, wie der Apologet Dampmartin jagt, „die Zärtlichkeit eines Baters, die Treue eines Freundes, die Leidenfchaftlichfeit eines Geliebten zumendete,” gewann immer ftärferen Einfluß ein aus Sachſen gebürtiger ver: abjchiedeter Offizier, der ihm während der Gampagne in Böhmen näher getreten war, Johann Rudolf von Bijhoffswerder. Durd ihn wurde der Kronprinz in den Orden der Rofenfreuzer eingeführt. Diejer im 17. Jahrhundert von ihwäbifchen Theologen, vermutlih in Tübingen geftiftete, auch in Norbdeutich: land weit verbreitete Geheimbund rühmte fich des Befiges einer uralten Theo: jophie und befonderer geheimer Wiſſenſchaften und Künſte, die der angebliche Stifter, Chriftian Roſenkreuz, von indiihen Brahmanen und ägyptifchen Priejtern erlernt haben ſollte. Im allgemeinen jcheint der Orden eine fatholifierende Richtung verfolgt zu haben, ja, er wurde geradezu mit dem zwar aufgehobenen, aber nicht erlofhenen Orden der Fejuiten in Zufammenhang gebradt.!) Dem nad Berlin verpflanzten Zweig läßt ſich Tolche Tendenz nicht nachweiſen, da: gegen gefiel man ſich bier in jpiritiftiichem Spuf und alchimiſtiſchen Experi— menten. Ob Bilhoffswerder die geheime Genoſſenſchaft nur zu ehrgeizigen Zweden ausbeuten wollte, ob er an die ausgeframten Myfterien und Wunder glaubte, ift nicht feſtzuſtellen; jedenfalls wußte er feinen Strebegeift geſchickt zu verbergen. Niemand ahnte, daß dieſer Falltaff ohne Humor, der nur für Wiederheritellung der alten Rechtgläubigfeit und die Freuden einer mwohlbejegten Tafel Intereſſe zeigte, einft eine jo bedeutjame Rolle im Staate jpielen werde. Vorerſt begnügte er fih damit, der wenig beachtete Freund des einflußlojen Prinzen zu fein, und das Vertrauen des Bruders Ormesus Magnus jo ftolzen Namen führte der fürftlihe Genojje im Kreije der Fratres roseae et aureae crucis zu feinem uneigennügigen Freunde und Führer wuchs, ſeit er ſich durch das Allheilmittel des Vaters Roſenkreuz von einem läftigen Geſchwür befreit glaubte.

Und noch ein anderes Mitglied der Brüdergemeinde wußte fi) dem Prinzen unentbehrlih zu machen, ein Mann von hoher Begabung, aber intrigant und

i) Dohm, Denfwürbigkeiten meiner Zeit, V, 47.

64 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt.

berrihfüchtig, Johann Chriftoph Wöllner. Derfelbe hatte Theologie ftubiert und war als Pfarrer der herrſchenden aufgeflärten Richtung zugethan geweſen. Er trat auch als Schriftfteller für die landwirtichaftlihen Reformen König Friedrichs auf, aber die Abficht, fich den König geneigt zu maden, wurde nidht erreicht; Friedrich fonnte dem „betriegerifhen und intriganten Pfafen” nicht verzeihen, dab der Bürgerlihe die Hand der Tochter eines Generallieutnants erjchlichen babe, und wies ein Gefuh um Verleihung des Adels mit höhniſchen Worten ab. Dagegen erlangte Wöllner, nicht bloß durch einflußreiche Freunde, jondern auch durch feine tüchtigen wirtjchaftlihen Schriften empfohlen, bei Prinz Heinrich eine Anftellung als Kammerrat. Erſt in vorgerüdtem Mannesalter trat er in den Roſenkreuzerorden ein, und bald zählte der befehrte Rationalift zu den an— gejeheniten Weifen der Loge. Mit phantaftifchen Verfuchen, die Univerjaltinktur zu gewinnen, gingen fehr praftifche Beitrebungen, bei welchen Ormesus Magnus die erfte Role fpielte, Hand in Hand. Schon am 30. November 1780 ſchreibt Biihoffswerder an einen „Oberdireftor” Bruder Rufus: „Aeußerte 5. W. für den hochwürdigen Bruder Heliconus (Wöllner) viel Liebe und Zutrauen.” Der mwohlmeinende Prinz war hoderfreut, den Mann gefunden zu haben, mit deſſen Hülfe er einft im ftande fein werde, den jchwierigen Anforderungen des Herrſcheramts ehrenvoll zu genügen. Wöllner hielt dem Prinzen Vorlejungen über Regierungsfunft; die bier ausgeſprochenen Mahnungen und Warnungen wurden jpäter die Richtſchnur für Friedrich Wilhelms Negierungsthätigfeit. Von den Grundfägen Friedrichs II., jo verlangte der Lehrer, muß zur inneren Politif Friedrih Wilhelms J., von den Irrungen der franzöfifchen Aufklärung muß zur „reinen Religion Jeſu“ zurüdgelehrt werden, und das erfte und befte Mittel, Religion und Moral wieder in Achtung zu fegen, ift das Beifpiel des Oberhauptes.

Man hat in Wöllner einen verfappten „Sendling Roms“ gewittert, aber die Beichuldigung ift völlig unbegründet.‘) Auch vertrat er in öfonomijchen und jozialen Fragen durchaus nicht ein reaktionäres Programm; er empfahl Aufhebung der Leibeigenihaft, Begünitigung eines freien Bauernftandes gegen: über dem allzu mädtigen Großgrundbefig, Verbeflerung der jozialen Stellung der Juden, Abihaffung der Werbung im Ausland, Stiftung von humanitären Anftalten und andere in Defterreih von Joſeph II. ins Leben gerufene Re— formen, und ber Kronprinz ging auf die berebt verteidigten Neuerungen bereit: willig ein.

Doch in den legten Negierungsjahren Friedrichs II. gewann noch ein dritter die Gunft und das Vertrauen des Thronerben.

Die Lebenskraft des Königs ging erjchredend ſchnell zur Neige; wiederholt wurde ein jähes Ableben befürdtet. Die Ausficht auf den bevorftehenden Um— Ihwung gab dem Thronfolger erhöhte Bedeutung. Gerade derjenige von den Kabinettsminiftern, der auf die Leitung der auswärtigen Politik, ſoweit überhaupt unter König Friedrichs Regierung davon gefprochen werben konnte, maßgebenden Einfluß übte, Graf Hergberg, ſchloß fi, durch zeitweilige Bevorzugung des

') Philippfon, Geſchichte des preußiſchen Staatsweſens vom Tobe Friedrichs des Großen bis zu ben Freiheitskriegen, I, 80.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutjhen Mittel: und Kleinftaaten. 65

Grafen Finkenftein verlegt, an den Kronprinzen an; er arbeitete, was ja über: haupt feine liebſte Beihäftigung war, Denkſchriften über verjchiedene aktuelle Fragen aus und juchte den Prinzen auf ſolchem Wege mit jeinen politijchen Grund: fägen zu befreunden. Die Madtftelung Preußens jei jogar noch einer Steigerung fähig, verjicherte der jelbitbemwußte Staatsmann, wenn mit einigen Prinzipien, die ſich überlebt hätten, entjchieden gebroden und neuer Wein in neue Schläuche gefüllt würde. Daneben erging fi der Minifter mit Eluger Berehnung in bitteren Klagen über des Königs Eigenfinn; Friedrid Wilhelm tröftete: „Ich rate Ihnen, Ihren hiefigen Aufenthalt wie einen Feldzug anzufehen, wo man für das allgemeine Befte dulden muß, und noch einmal Ihre Geduld zu ſtärken“ (9. Zuli 1786). So konnte Hergberg getroft den fommenden Ereignifjen ent: gegenjehen, und bieje vertrauensvolle Stimmung wurde, wie erwähnt, von der Mehrheit des preußiihen Volfes geteilt.

Die günftigen Erwartungen wurden auch nicht enttäufcht. Was nach dem Tode Friedrichs II. über das Auftreten und die erften Anordnungen bes neuen Königs in die Deffentlichfeit drang, konnte nur beifällig aufgenommen werden. Friedrih Wilhelm legte die zartefte Pietät für den großen Toten an ben Tag; nur in einem Punkt erklärte er, werde ber legte Willen des Königs nicht be- achtet werden: ein jo großer Fürft dürfe nicht feinem Wunſche gemäß prunflos beftattet werden, der Dank der Nation müſſe fih in einer glänzenden Zeichen: feier fundgeben.

Am 18. Auguft 1786 hielt Friedrih Wilhelm II. Einzug in Berlin. Schon die freundlihe Miene und der leutjelige Gruß des Monardhen gewannen ihm viele Herzen. Unverzüglid wurden alle Schulden aus der Kronprinzenzeit ge« tilgt, die nachſichtigen Gläubiger wurden mit Auszeichnungen, die Armen mit reihen Spenden bedacht. Dankbar wurde auch bemerkt, daß der neue Herr im Verkehr mit Beamten und Offizieren fich nicht mehr des deipotifch klingenden „Er“ bediente. Im Minijterrate betonte der König feine Wahrheitsliebe, den Generälen gab er die Verfiherung, daß er ſtets an preußifcher Zucht fefthalten wolle; durchgreifende Aenderungen halte er nicht für geboten, denn der große König fei in Auswahl feiner Diener fo glüdlich geweien, daß der Nachfolger nichts beileres thun könne, als die Bewährten fih jo lange wie möglich zu erhalten.) Da die Beziehungen zwifchen Herkberg und dem Thronfolger geheim geblieben waren, war man in weiten Kreifen freudig überrajcht, als der König diefen Minifter, in welchem das auswärtige Syitem Friedrichs verkörpert jchien, nicht bloß nicht entließ, jondern durch Verleihung bes ſchwarzen Adlerordens aus: zeihnete und ihm trog offener Oppofition des Prinzen Heinrich den maßgebendften Einfluß auf die Leitung der Politik einräumte. Im ganzen Lande herrichte eine frohe, gehobene Stimmung.

Wenn man jih der oben erwähnten Ausiprühe Mirabeaus über den Thronfolger erinnert, wird man nicht ohne Befremden unter den fih und dem Könige Glück Wünſchenden den Grafen Mirabeau gewahr werden. Am Tage

') Journal politique, 1786. Septembre, 12, 29 etc. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedtichs d. Gr. bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 5

66 Erfted Bud. Dritter Abfchnitt.

der Thronbefteigung Friedrih Wilhelms überreichte ihm der „biplomatifche Lakai der franzöfiihen Gejandtihaft”, wie der Gejandte D’Eiterno den unbequemen Rivalen bezeichnete, einen Brief, der bald darauf, angeblich weil das Gerücht verbreitet gemwejen wäre, Mirabeau habe eine Satire auf Friedrich II. vorgelegt, auch im Drud erſchien; es jollte nichts anderes damit beabfichtigt fein, als „dem neuen Negenten die Hoffnungen und Wünſche der Reblihen vor Augen zu bringen”. Der uneigennüßige Marquis Poja beginnt mit Lobſprüchen auf den veritorbenen König; mit dem Tode diejes großen Mannes jei aber das Zeitalter des Abjolutismus und des Militarismus abgelaufen, jetzt ſei die aufgeflärte Menjchlichkeit berufen, den Thron zu befteigen. Jetzt müſſe die militärische Sklaverei ein Ende haben; die allgemeine Wehrpflicht, diefe aus einem eilernen Zeitalter und einem halb barbarijchen Lande ftammende Einrichtung ſoll auf: gehoben und eine Miliz nach Art der fchweizerijchen eingerichtet werden; dadurch fünne ber Kriegsdienjt ein Gegenjtand des Wetteifers und des Ruhmes werben, während bisher nur willenlofe Herden zur Schlahtbanf zogen. Ebenfo joll mit allen anderen Zwangsmitteln der Tyrannei aufgeräumt werden. Niederwerfung des Ariftofratismus, diefer Geißel aller Monardien und Republifen, Gleich: ftellung aller Stände, Glaubens: und Gewifjensfreiheit, vollkommene Preßfreibeit, freifinnige Reform des Schulwefens, Abſchaffung des Lotto, Erfegung der Zölle, des ungerechteften lleberreites ber Feudalbarbarei, und der den armen Mann belaftenden indireften Steuern durch direfte Grundfteuer, Aufhebung der Mono: pole, ſchon zeigt fich die ganze Konftitution von 1791 in dieſen Vorjchlägen, die dem hohen Adrefjaten durch allerlei ſchmeichelhafte Anipielungen ſchmackhafter gemacht werben jollen!

Friedrih Wilhelm jcheint in der That der Anſprache, die ihn als Friedens— fürften feierte, freundliche Aufmerkjamfeit gewidmet zu haben; Mirabeau ver: fihert, es jei ihm nicht bloß für fein Werk über die preußiſche Monardie, das er gerade unter ber Feder hatte, auf Befehl des Königs amtliches Material zur Verfügung geftellt, jondern auch ein Poften im Staatsdienft angeboten worben.!) Wahrſcheinlich ift dies nicht. Allerdings war mandes in den phyfiofratijchen Anfihten Mirabeaus mit den Grundfägen der neuen Regierung vereinbar, aber die an die Spige geftellte Forderung ftand, wie in allen Gegenjchriften von Arnim, Zimmermann u. a. hervorgehoben wurde, in jo jchroffem Gegenjag zur altpreußifhen Tradition, daß es ſchon um deſſen willen unmöglich war, dem rabifalen Antragiteller einen Einfluß einzuräumen, wie er ihn erhofft haben mochte.

Aud andere Rüdfihten ſchloſſen folhe Begünftigung aus. Mit den Frans zofen und dem Franzoſentum follte ja jegt bei Hofe und im Staate aufgeräumt, dem deutſchen Element zur gebührenden Herrichaft verholfen werben; diefer namentlih von Hergberg betriebene Wunſch wurde gewiffermaßen zum Regierungs:- ſyſtem erhoben. Lauten Beifall fand im ganzen Lande ein vom König im Minifterrat geſprochenes Wort: „Wir find Deutſche und wir wollen es bleiben!“ ?)

i) Stern, Das Leben Mirabeaus, J, 207. ) Journal politique, 1786. Novembre, 7.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinftaaten. 67

Sn Staat und Gefelihaft, Kunft und Wiſſenſchaft trat demgemäß ein Umſchwung zu Tage.

Die wirtihaftlihe Reform, auf welche noch zurüdzufommen fein wird, führte zur Entlafjung der vielen Franzoſen, welche bisher die Verwaltung des Zoll- und Steuerwejens fait ausichließlih in Händen gehabt hatten, wo ein Erſatz notwendig war, traten deutſche Beamte ein.

Auh die Akademie der Wiſſenſchaften verlor das franzöfifche Kleid, das den einheimiihen Gelehrten mit Recht anitößig geweien war; bie Vorträge jollten fortan auch in deutiher Sprache gehalten werden können, die Mitglieder erbielten ausreihenden Gehalt, zahlreiche deutſche Schriftiteller und Gelehrte: Ramler, Engel, Garve, Selle, Wöllner, Bode u. a. wurden zu Mitgliedern ernannt, in Zufunft jollte der Körperichaft das Necht freier Wahl ihrer Mit: glieder zuitehen. Die einheimische Litteratur jollte nicht länger neben der glän: zenderen Schweiter als Ajchenputtel dienen. Gleim, der an den König die Bitte um Förderung der deutjchen Dichtung gerichtet hatte, erhielt willlommene Ant: wort: mit Vergnügen werde ber König der deutjchen Mufe, für welche der „alte Grenadier” mit jo echt deuticher Treuberzigfeit eintrete, feinen Schuß zuwenden, „beionders wenn fih ale Deutichen bemühen, Euch zu gleihen und, jeder in jeiner Art, den Eurigen gleih Werfe liefert”. Chrenvolle Auszeihnung wurde Ramler zu teil. Das Anſehen Ramlers jtügt fi heute im wejentlihen nur auf die Thatjache, daß Leſſing ihn als Kritifer hochichägte; die öden Dichtungen finden faum noch Beadhtung. Damals galt aber Namler als der erfte Dichter in preußiihen Landen, und es war immer fchmerzlich empfunden worden, daß König Friedrich dem berühmten Manne jo wenig Beachtung jhenkte. Dagegen wies ihm Friedrich Wilhelm einen beträchtlihen Ehrenſold an und betraute ihn mit der Leitung des neuen Nationaltheaters. Jetzt famen auch beſſere Zeiten für die Karſchin, die unentwegt, obwohl der Angebetete fih wenig dankbar zeigte, das Lob des großen Friedrichs gejungen und einmal, als ihr das angebotene Douceur doch gar zu geringfügig erihienen war, jogar einen guten Vers gebichtet hatte:

„Zwei Thaler find zu wenig Für einen großen König!”

Seht aber ging, wie es in ber Biographie ber Dichterin aus der Feder ihrer Tochter heißt, „die Sonne des neuen Monarchen jo janft und mwohlthätig auf, daß alle Welt die Karſchin aufmunterte, die allgemeine Gnade zu benugen”. Dies ließ fie fih nicht zweimal jagen, und „Preußens Titus” erwies fich gegen „Preußens Sappho” dankbarer als fein Vorgänger. Es wurde ihr zu Ehren ein Felt veranftaltet, wobei MWöllner, der in ſchwarzem Sammetfoftüm, ein goldenes Kreuz um den Hals, erjchienen war, die Gefeierte jogar mit Verſen begrüßte:

„Freu' dich, Deutſchlands Dichterin, Freu dich hoch in deinem Sinn, Der König hat befohlen mir,

Ein neues Haus zu bauen bir!”

68 Erftes Buch. Dritter Abfchnitt.

Wirklich erhielt fie als königliches Geihenf ein Eckhaus am Haakeſchen Markt, das ihr jährlih Hundert Thaler einbrachte, und fonnte fortan forgenlos „des teuren Friedrich Wilhelms goldne Zeit” befingen.')

Die Ausgezeihneten und Bejchenkten zählten, wie man fieht, nicht zu den bebeutenden Bertretern der deutjchen Litteratur, nad Weimar drang fein Strahl der föniglihen Gnade, immerhin war es eine erfreuliche Ericheinung, daß in „Sparta” die heimiſche Dichtkunſt beachtet und aufgemuntert wurde.

Wichtiger war, was zur Förderung des deutſchen Bühnenweſens gejchah. Schon unter dem verftorbenen König hatte der aufgewedte Karl Theodor Döb- belin als Direktor einer deutjchen Truppe den Verſuch gewagt, das Berliner Publikum mit gediegeneren deutſchen Dramen zu befreunden, 1763 war jogar „Nathan der Weiſe“ auf dem Theaterhen an der Kochſtraße zur eriten Auf: führung gelangt, aber der Kampf mit dem franzöfiihen Schaufpiel, das ſich ausſchließlich der Gunſt des Hofes und der Gebildeten erfreute, war zu ungleich; die deutſchen Schaufpieler hatten, um nur überhaupt ein Publikum zu finden, immer wieder zum Hanswurft zurückkehren müfjen.

Das Wort: „Wir find Deutihe und wollen es bleiben!“ fette dieſer Erniedrigung ein Ende. Schon im November 1786 durfte Döbbelins Truppe das prädtige Schaufpielhaus auf dem Gendarmenmarkt beziehen; der König jelbft wohnte der erften Aufführung bei, die verachtete deutjche Bühnenkunft fam zu Ehren und vergalt dieſe Auszeihnung mit alänzendem Aufihwung. Im nächſten Jahre traten Namler, Johann Jakob Engel, der feinfinnige Verfafler der „een zur Mimik”, und ein geheimer Oberfinanzrat von Beyer an die Spitze der zum königlichen Nationaltheater erhobenen Bühne. Welch bebeut- famer Faktor im deutihen Kulturleben das Berliner Theater in den nächſten Fahren wurde, erhellt jhon daraus, daß hauptſächlich von hier aus Shafeipeare für die deutijhe Bühne gewonnen wurde, daß hier Fled, Iffland, die Schid, die Ungelmann u. a. ihre jhönften Triumphe feierten.

Auch in der Mufif errang das deutſche Element ehrenvollen Sieg. Unter Friedrich IL. Hatten fait ausichließlih Vertreter der deutjch:italieniihen Schule, namentlid Graun und Hajie, das Berliner Opernhaus beberricht; jetzt Fam dank den Bemühungen des Kapellmeifters Neihardt neben den älteren Stalienern auch Gluds Muje zur Geltung. Gleichzeitig wurden durd den von Faſch ge: gründeten Gejangverein, aus welhem fih die Berliner Singafademie ent: widelte, die großartigen Schöpfungen Bachs zum erjtenmal in würdiger Weife dem Publifum vorgeführt. Friedrich Wilhelm felbft war ein warmer Verehrer der Muſik, ja, er hegte wohl nur für diefe Kunſt aufrichtiges Intereſſe; er pflegte in den Kammerfonzerten den Cellopart mit Fleiß und Sorgfalt zu fpielen, „als ob er dafür bezahlt würde”. Mozart jchrieb für ihn mehrere Streichquartette; als der Meilter im Mai 1789 Berlin bejuchte, wollte ihn der König durd) ftattliche Anerbietungen in feiner Umgebung fefthalten, aber der Plan fcheiterte an Mozarts Anhänglichkeit an den Kaiſer und die Kaijerftadt.

Nicht minder erfreulihen Aufihwung nahmen die bildenden Künfte. Es

') Pröhle, Friedrich der Große und die deutfche Litteratur, 186.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten, 69

war den Berlinern immer anftößig geweſen, daß Friedrich II. fait ausſchließlich franzöfifhe Baumeifter ſchätzte und befchäftigte. Beim Einfturz des von Gontard erbauten Kirchturms auf dem Gendarmenmarkt war der Unwille über die Fran— zolen, die „mit Pfefferkuchen, ftatt mit Steinen bauten”, zu ſtürmiſchem Aus: drud gefommen, aber der König hatte fi in feiner Vorliebe nit beirren laffen. Jetzt wurden endlich auch deutſchen Baumeiftern dankbare Aufgaben übertragen, Langhans begann den Bau des Brandenburger Thors; es war nur eine freie Nahbildung der Propyläen, aber die Durdiührung in edlen Verhältniſſen und reinjtem Stil lieferte den Beweis, daß Winkelmann und Leffing nicht vergeblich gelehrt hatten. In Potsdam wurden das Marmorpalais und andere Hofbauten aufgeführt und mit plaftiihem Schmud von Schadows Meiſterhand ausgeftattet. Die Akademie der bildenden Künfte erhielt einen verftändnisvollen Leiter in Chodowiedi und eine verftändige Verfaſſung. Für die deutiche Kunſt in Berlin ſchien ein „glorreiher Sommer” anzubrehen. Nicht alle glüdlihen Neuerungen waren auf die Anregung des Königs zurüdzuführen, aber er hatte jederzeit für Künftler und Kunft ein Wort der Anerkennung und Aufmunterung, jo daß er das Lob eines Kumftfreundes nicht unverdient genoß.

Auch was von des Königs Frömmigkeit verlautete, wurde anfänglich von der Mehrheit der Bevölferung mit Genugtbuung aufgenommen. Der jteptifche Nationalismus der Fridericianiichen Nera hatte im eigentlihen Volke niemals Wurzel gefaßt, und auch in den höheren Kreifen waren viele des trodenen Tones jatt und wandten fich vertrauensvoll wieder den Altären zu. Auch führte der König eine überaus gemäßigte Sprade. „Jh will in meinen Staaten feine Fanatifer und feine Schwärmer haben,” ſchrieb er bald nad jeinem Ne: gierungsantritt an Minifter Zedlig, „aber ich will auch nit, daß die Narren und Buchhändler fih auf Koften der Religion bereihern.“ Das Schulweſen, das noch immer in ärmliden Anfängen ftedte, jchien endlich bejleren Zeiten ent: gegenzugehen. Obwohl der Kultusminifter Zedlig den Fridericianifhen Grund: jägen huldigte, beließ ihn Friedrih Wilhelm im Amte, ja, ſogar der freifinnige Schulgejegentwurf vom 24. Januar 1787, der die Leitung des gefamten Schul: wejens einem fachmänniſchen Kollegium übertrug, erhielt die Zuftimmung des Monarden. Dem ländlichen Unterrichtswejen wurde jetzt erjt regere Aufmerf: famfeit zugemwendet. Bisher waren bie Lehrer fait überall auf die MWohlthätig: feit der Gemeinde angemwiejen geweſen; es gab nur 195 Echulmeifterftellen, die ein Einfommen über 100 Thaler abwarfen, 30 Lehrer hatten weniger als 830 Thaler Gehalt, 1 Lehrerftelle warf nur 20 Thaler ab; nicht jelten war ber Hirte oder der Nachtwächter auch im Belite des Schulamts; feit 1779 waren viele Invaliden angeftellt worden, darunter jolde, die jelbjt nicht lefen und ihreiben konnten. Jetzt wurde ernftlih für Aufbefferung der Lehrergebalte, Errihtung von Schulhäuſern zc. Sorge getragen, Aufgabe der ins Leben ges rufenen Zentralftelle jollte es fein, durch zwedmäßige Anordnungen und ſchär— fere Ueberwadhung eine Hebung der Qualität der Lehrer und damit des Unter: richts allmählich zu erreichen. ?)

!, Stadelmann, Preußens Könige in ihrer Thätigfeit für die Landeskultur, III, 51.

70 Erſtes Bud. Dritter Abſchnitt.

Ungeteilte Zuftimmung fand aud die Wiederaufnahme des Nechtäver: fahrens in ber viel erörterten Müller Arnoldſchen Sache. König Friebrich hatte den wie ſich jpäter herausitelte unbegründeten Verdacht gefaht, daß das Kammergeriht einem unbemittelten Kläger, dem Müller Arnold zu Rommerzig, aus Rüdfiht auf vornehme Beklagte Unrecht zugefügt babe, und war mit äußerfter Strenge gegen die beteiligten Nichter vorgegangen; dieſelben waren entlaffen und mehrere Monate in der Feſtung Spandau gefangen gehalten worden; in der reblichiten Abiicht, die Heiligkeit des Rechts zu wahren, hatte der König eine ungerechte Gemaltthat verübt. et wurde der Prozeß wieder aufgenommen; ein fönigliches Nefkript vom 14. November 1786 erklärte, daß fih die volle Unſchuld der fünf Kammergerichtsräte herausgeftellt habe und diejenigen, die wieder in königliche Dienfte treten wollten, auf fonvenable Weiſe bei vorfommender Gelegenheit angeftellt werben follten. Dieſe Entſcheidung wurde überall mit Genugthuung begrüßt; in Sclözers Staatsanzeigen erſchien anläßlih der Thatfahe, daß „das Verbreden des in den Tagebüdern ber preußifhen Gefhichte jo berühmt gewordenen, jchredlihen 11. Dezember 1779” gejühnt worden fei, eine warme Lobrede auf Preußens Fürften, der mehr das deal eines Vaters feiner Unterthanen als eines Eroberer vor Augen babe. „Die Armee wird unter ihm gewiß noch beſſer gebildet, als fie vor: ber war, und immer die erfte der Welt bleiben. Aber aud dem Zivilitande wird die ihm gebührende Würde wiedergegeben, von der der verftorbene König oft zum größten Nachteil gar nichts wiſſen wollte.“ Die Webertreibung lag jo offen zu Tage, daß jih ein Verehrer des alten Königs gedrungen fühlte, in einer Zuſchrift an Schlözer Verwahrung einzulegen; Friedrihs Wert jei im Ausland beſſer gefannt und geihägt als in Deutihland, wo man, weil ein Irrtum entvedt und berichtigt worden fei, vor allen Lichtjeiten des früheren Regiments fi verjchließe. „Aber Friedrich bleibt doch der große Friedrich!” ’)

Wenn in der Arnoldſchen Sade die prinzipielle Bedeutung im Vorder: grund ftand, jo waren andere Fälle, in welchen Friedrih Wilhelm mehr Milde walten ließ als jein Vorgänger, um der beteiligten Perjönlichkeiten willen von Intereſſe. Der Nittmeifter Gebhard Lebredht von Blücher, der ſich im fieben: jährigen Krieg durch friſchen Wagemut hervorgethan, doch in den Friedensjahren den Ruf eines Verſchwenders und Naufbolds auf fi geladen hatte, war 1773 beim Avancement übergangen worden; die Beſchwerde des Gekränkten hatte ber König mit dem draſtiſchen Wort abgefertigt: „Der Rittmeifter Blücher kann ſich zum Teufel ſcheren!“ Darauf hatte Blücher feine Entlafjung genommen, und aus dem fchneidigen Neiterführer war ein betriebjamer Landwirt geworden. Nah Friedrichs Tod aber regte fih in Blücher das Soldatenblut, er bat um Wiederverwendung, und Friedrih Wilhelm leijtete, indem er ihn als Major in jein Regiment wieder eintreten ließ, dem preußifhen Staat einen nüßlichen Dienft. Nicht geringeren Gewinn bradte das mwohlwollende Verhalten gegen Hans von NYork, der als Junfer wegen Ungehorjams Faffiert worden war, jeßt

ı) Schlözerd Staatsanzeigen, Jahrg. 1787, 231.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten. 71

aber mit Rüdfiht auf rühmlihe Führung im Feldzug der Holländer in Indien wieder in die preußiihe Armee aufgenommen wurde.

Auch in militärifhen Kreifen wurde gebilligt, daß der neue König, um nit mehr allein die Verantwortung für die Fortentwidelung des Heerweſens zu tragen, ein eigenes Kriegsminifterium berief. Der Sold der Offiziere wurde erhöht, die Werbung im Ausland eingeſchränkt, das Invalidenweſen geordnet, für Hebung von Artillerie und Genietruppen, die von König Friedrih etwas geringichägig behandelt worden waren, durch Erridtung von Bildungsanftalten Sorge getragen.

Noch einfchneidender und umfafender war die Neform der Zivilverwaltung. Als Vorbild dienten die Einrihtungen unter Friedrih Wilhelm I., für deffen patriarhalifches, deutſches Regiment der Enkel bei jever Gelegenheit befondere Vorliebe an den Tag legte. Unmittelbar nad dem Thronwechſel wurde wieder ein Generaldireftorium „zur Verwaltung der allgemeinen Staatswirtihaft” be: rufen; die „von Sr. Königl. Majeftät Allerhöchftfelbit auf das Genauefte be: ftimmte und revidierte Inſtruktion vom 28. September 1786” fette die Kom: petenzen des Generaldireftoriums, der oberften Finanzbehörde, des Kriege: minifteriums und des Domänendireftoriums feit, jowie die Grundfäge, wonach alle Finanz: und Kameralgeihäfte zu verwalten jeien. !)

Als oberfter Grundfat war darin fetgefegt, dab dem Lande jede mit der Verfaſſung des Staates verträglide Erleichterung gewährt werde. Dieje Tendenz führte zur Abſchaffung ber franzöfifhen Regie; auch die Tabaks- und Zudermonopole wurden aufgehoben, im Xccifewejen jolte für Verhütung von Pladerei und Bedrüdung Sorge getragen werden. Die widhtigfte wirtjchaftliche Neuerung war die Abſchaffung ber Kornzölle; der Getreidehandel follte, wie es ebenfo Zuftus Möfer in feinen „Patriotiſchen Phantafien“ wie Mirabeau in feinem offenen Briefe gefordert hatten, gänzlich freigegeben werden. Melden Einfhränfungen und Schwankungen diefe Anordnung ſchon in nächſter Zeit unterlag, wird fpäter zu beleuchten fein. Der Verſuch, eine allgemeine direfte Steuer einzuführen, mißlang.

Der Landeskultur wurde im ganzen nicht jo eifrige Pflege zugewendet, wie unter dem vorigen König, insbejondere bie Kolonijation wurde faſt gänzlich fallen gelaffen; es fonnte aber auch mindeltens zweifelhaft erjcheinen, ob bie darauf zielenden Beitrebungen, die eine Menge ſchlechte Elemente in den Staat gelodt hatten, Nahahmung verdienten oder nit. Dem Programm Mirabeaus entiprad es, daß fat allen Bürgerlichen, weldhe Edelmannsgüter faufen wollten, im Gegenfaß zur Gepflogenheit König Friedrichs die Erlaubnis gewährt wurde. Einzelne Zweige, 3. B. die Pferdezucht, erfreuten fi banfenswerter Förderung; die Forftwirtichaft nahm glüdlihen Aufſchwung.

Von höchſter Tragweite war es, daß Friedrich Wilhelm auch über bie Grenzen jeiner Gewalt Anſchauungen, welche ſich den Theorien Mirabeaus näherten, zu buldigen ſchien. Aus Anlaß der Klage eines entlaffenen Beamten, die durch alle Inftanzen gegangen war, ſprach fi der Großfanzler von Carmer freimütig

) Stabelmann, II, Urkunden, 125.

72 Erſtes Bud, Dritter Abſchnitt.

dahin aus, daß „Officiales publici ohne gegründete Urſache nicht bimittiert werben fünnen,” und Friedrich Wilhelm erklärte fih mit diefer Anficht einver: ftanden. Damit war mittelbar zugegeben, daß die Beamten nicht al& Diener des Fürften, jondern des Staates zu betrachten jeien ein Grundjaß, der un— weigerlih die Lehre von der abjoluten Gewalt des Fürften aus dem geltenden Staatsrecht verdrängen mußte.

Faſt überall glüdliche Neuerungen oder doch verheißungsvolle Anfänge! Und da auch die auswärtige Politif günftige Erfolge erzielte, fonnte nicht aus— bleiben, daß faft das ganze preußiiche Volk mit froher Genugthuung auf feinen volfsfreundlichen Fürften blidte. Als das erfte Jahr der Regierung Friedrich Wilhelms abgelaufen war, feierte Hergberg in einer akademiſchen Rebe, mas alles vom König und von ihm jelbit geleiltet worden war. Er glaubte nachmeifen zu fönnen, daß der neue König „das Regiment Friedrichs II. ganz in deſſen Grundfägen, mit der nämlihen Rührigkeit, Treue und Sorgfalt für das allgemeine Beite, nur mit mehr Güte und Milde, mit mehr Gefühl für die allgemeine Billigeit in der That wieber von vorne angefangen und fortgeführt bat”. Der afademifche Panegyrifus an ſich hätte geringe Bedeutung zu bean: ſpruchen, aber das Lob fand thatjählih Widerhall im ganzen Lande; das Ge leiftete galt als Unterpfand einer glüdlihen Zukunft.

Doch waren für Eingeweihte und aufmerfjame Beobachter von vornherein dunkle Punkte wahrnehmbar.

Bor allem mußte die Unjelbitändigfeit des gefeierten Monarchen Be- denken erregen. Faſt fämtlihe bisher jo günftig verlaufene Neuerungen waren im wejentlihen auf den Einfluß von Hergberg, Möllendorff, Carmer u. a. zurüdzuführen. Da lag die Bejorgnis nahe, daß einmal eine weniger erwünjchte Einwirkung ebenjo leiht den Regenten zu jchädlihen Entſchlüſſen bewegen fönnte.

Diefe Befürdtung war um fo begründeter, als fi Friedrich Wilhelm auch als König von jenen Beziehungen, in welche ihn jein finnlihes Temperament verftridt hatte, nicht loszureißen vermochte. Das Privatleben des Königs bot noch immer Stoff für die pifanten Stimmungsberihte, welche Mirabeau aus Berlin an Galonne und Talleyrand richtete und König Ludwig XVL, wie Talleyrand verfiherte, „viel Ihmadhafter befand, als die Depeihen des be: glaubigten Gejandten”. Bibel und Geſangbuch waren wieder hoffähig geworden, aber die Nüdfehr zur Frömmigkeit feste den unfittlihen Zuftänden in ben höchſten Kreiſen feineswegs ein Ende. Obwohl Luife von Heilen ihrem Gatten jechs Kinder gefchenft hatte und das eheliche Verhältnis ſcheinbar ungeftört fort: dauerte, ging der König noch eine morganatiſche Verbindung mit einer Hof: dame der Königin, Julie von Voß, ein. Der Berftoß gegen Sitte und Moral wurde dadurch um nichts weniger peinlich, daß das Oberfonfiftorium, mit Luthers Biligung ber Doppelehe Philipps von Heffen fih entfhuldigend, zur unwürdigen Doppelehe jeine Zuftimmung gab. Natürlich fteigerten ſich auch in erfchredender Weiſe die Anforderungen an die königliche Privatichatulle. „Der König von Preußen” ſpottet Kaifer Joſeph in einem Briefe an feinen Bruder Leopold (8. Februar 1787) „hat endlich Fräulein Voß zu feiner Maitrefje erklärt; er

Der Thronmwechfel in Preußen, Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten, 3

hat ihr zum Anfang eine Anweifung auf zwei Millionen gegeben; das heißt ein Bergnügen teuer bezahlen, das er billiger haben fönnte!” Als die Gräfin Singen: heim dieſer Titel war der Nebengattin eingeräumt worden ſchon nad Jahresfrift der Aufregung und ben Anftrengungen des Kampfes mit nimmer endenden Hoffabalen erlag, famen andere Gunſtdamen an die Reihe. Auch Mirabeau, der in feinen geheimen Berichten die ſinnliche Schwäche des Königs bitter verurteilte, gab fih alle Mühe, einer franzöfiihen Sirene, Mabame Yoly de Fleury, einen ſolchen Poften zu verihaffen. Neben allen anderen Lieblingen wußte jih aber Madame Rietz dauernd in der Gunft des Königs zu behaupten.

Gefährliher war der Einfluß der Genofjen des Rojenfreuzerbundes. Biihoffswerber, von König „Ormefus Magnus” zum Generaladjutanten erhoben, wußte um jo fiherer alles Erwünjchte durchzuſetzen, je weniger er jemals einen eigenen Willen zu erfennen gab. „Nichts zu ſcheinen, alles zu jein, war Biſchoffs— werders Politik“ (Philippjon). Mit der Rietz ftand „der Unergründliche” auf beitem Fuße, und der Dritte im Bunde war Wöllner. Im Haufe des lebteren war eine eigene Schaubühne für Geilterjeberei eingerichtet; hier richtete u. a. der Schatten Cäfars, von dem geſchickten Bauchrebner Steinert dargeitellt, an den König wohlberechnete Worte. Durch natürlide und „übernatürliche” Mittel mußten die Liftigen fih in der Gunft des Königs immer mehr fehzujegen und für fih und ihre Werkzeuge hohe Belohnungen zu erreihen. Wöllner wurde nicht bloß nobilitiert, fondern auch zum Mitglied der Akademie ernannt, und ihm, dem leidenjchaftlihen Gegner der Aufklärung, wurde der gejamte jchrift- liche Nachlaß Friedrichs II. ausgehändigt, damit er die zur Veröffentlihung be: ftimmten Stüde auswähle. Die Ausgabe der Oeuvres posthumes litt denn auh an beflagenswerten Mängeln; Gibbon joll den übereilten, unwiſſenſchaft— lihen Abdrud als Schmach für die deutjche Nation bezeichnet haben.!) Natür: (ih war aber Wöllner nicht gejonnen, mit „alademijchen” Auszeichnungen fi zu begnügen. Es war von vornherein darauf abgejehen, daß Wöllner den Vertreter der aufgeflärten Grundfäge Friedrichs II, den Kultusminifter Zeblig, verdrängen und jelbit an die Spite des Kirchen: und Schulmefens treten follte, um den großen Kampf für Wiederaufrihtung der Neligion und Reinigung der Kirche zu eröffnen. „Wenn Ormejus Magnus“ fchrieb er ſchon im Auguft 1786 an Bruder Farferus (Bifchoffswerder) „etwa den Plan hat, daß ih ihm das geiftlihe Departement im Lande wieder emporheben fol, eine Sade, die ihm der Orden jehr hoch anrechnen würde, jo ftände ihm alsdann nichts im Wege, mir jothanes Departement al® Ministre anzuvertrauen, und ih mürbe meine noch übrigen ſechs Lebensjahre hindurch recht fleißig fein, die Aufllärer zu demütigen. Selbit die Ordensobern würden vielleicht nicht böje jein, wenn Ormesus Magnus ihren Ober-Haupt-Direktor in profanen Verhältniffen biftin- guierte.” Als Zeblig micht jofort zu Fall gebracht werben konnte, änderte Wöllner feinen Plan. Draſtiſch fennzeichnen die Worte, die er am 7. Dftober an den König jelbft richtete, das Strebertum des frommen Mannes! „Die neue Inſtruktion für das Generaldireftorium wird heute dafelbft publicirt. Ich merke

) Dohm, Dentwürdigfeiten, V, 50.

74 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt.

indeſſen doch, daß alle Minifter bis auf den einzigen Werber (de Launays Nach— folger) noh den Satan im Herzen haben und ihre Departements:Souveränetät nicht ganz verlieren wollen ... Ich habe von jeher jo gern Minifter des geiſt— lihen Departements werden wollen; wage ich wohl zu viel, Em. Königliche Majeftät zu bitten, mir unterdejjen den vafanten Platz als Finanzminiſter zu geben? Ich kann dem ohneradtet noch immer alle Immediat-Commiſſiones Ew. Königlihen Majeftät beſorgen.“) Allein auch diefer Sturm war verfrüht; der Minifterpoften wurde dem Orbensbruder abgeſchlagen, aber es erfolgte wenigftens die Ernennung zum geheimen Überfinanzrat und Chef des Baudepartements, und obwohl diefe Stellung nit das mindeſte Anrecht gab, gingen fortan alle Anträge des Generaldireftoriums durch feine Hand. Ihm war auch bie joge: nannte Dispofitionsfaffe anvertraut, in deren Beltände fein anderer Minifter Einblid hatte. König Friedrich hatte daraus jährlich für feinen eigenen Bedarf etwa eine halbe Million entnommen, unter dem Nachfolger wurde jchon im eriten Jahre der dreifache Betrag zur Beftreitung außerordentliher Hofausgaben verbraudt. Wurden aber je einmal Mittel zu anderen Zweden bemilligt, jo erklärte Wöllner, es fei lediglich als Ausfluß königlicher Gnade zu betrachten, fo daß Friedrich Wilhelm jelbft eine ftaatsrechtlich nicht begründete Anſchauung von feiner Finanzhoheit in fih aufnahm. Die widhtigften Aemter im Finanzfach waren im Belig von drei Brüdern Beyer, die dem Nofenkreuzerorden ange: hörten und intime Freunde Wöllners waren; die Frau des einen rühmte ſich offen, die Erhebung Schulenburgs zum Minifter durchgejegt zu haben.

Es erregte peinliches Aufjehen, als über ſolche Vorgänge Hinter den Cou— liſſen, insbejfondere über das Treiben der Kamarilla, die „aus Geifterfeherei und jefuitiiher Freimaurerei Profeffion machte“, eine Flugſchrift „Geheime Briefe über bie preußifhe Staatsverwaltung feit der Thronbefteigung Friedrich Wilhelms II.“ (Utrecht 1787) die auffälligften Enthüllungen brachte. Offenbar ftammten biejelben aus eingeweihten Kreifen; der geheime Finanzrat v. Borde wurde als Berfaljer genannt. Dem König jelbit war darin warme Anerkennung gezollt, doch mit der Einfhränfung, daß zwar zur Zeit noch der Einfluß des ftaatsflugen, einjihtsvollen Hertzberg übermwiege, daß aber zu beforgen jei, bie Einmifhung ſelbſtſüchtiger Günftlinge werde bald ale Männer von Kopf und Herz aus der Umgebung bes Königs verdrängen. Bielleiht war Hertzberg jelbit an der Abfaffung nicht ganz unbeteiligt. Eine Verteidigungsſchrift für Wöllner und Bifchoffswerder mit dem rätjelhaften, geihmadlojen Titel „Jmakoromazyp⸗ ziloniafus” fucht den Verfaffer der „Geheimen Briefe” im Lager der ſchwer getroffenen Merkantiliften.

Doch gerade dieſer Gegenjag überdauerte faum die Anfänge der neuen Regierung. Sm wirtihaftlihen Fragen zeigten fich zuerft die Wirkungen eines Mangels an Entſchloſſenheit und Konfequenz, bie allmählih aud auf anderen Gebieten der Regierungsthätigkeit zutage traten. „Es fehlt der Politik Friedrich Wilhelms II. an der Einheit des alles beherrfhenden Gedankens, die unter

) Preuß, Zur Beurteilung des Staatsminifterd von Wöllner, in ber Beitfchr. für preuß. Geſchichte und Landeskunde, III, 90.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinftaaten. 75

feinem Vorgänger die Kräfte des Staates gebildet hatte.“) Diejer von Ranke gegen die auswärtige Politil gerichtete Vorwurf gilt au für die innere, es fehlten nicht bloß die Welt: und Menſchenkenntnis Friedrichs II., jondern auch die Selbitändigkeit und Thatkraft Friedrich Wilhelms I. Mit dem aufwuchernden Koterie: und Protektionswejen, das manchen Ratgebern, „die unter den beiden Regierungsvorgängern unmöglich geweien wären”, entjcheidenden Einfluß ein: räumte,?) war die Durchführung eines einheitlihen wirtſchaftlichen und handels— politiihen Syitems überhaupt nicht vereinbar.

Eine Zeitlang hatte es den Anſchein, als wolle die preußifhe Regierung nad engliihem Vorbild in völlig neue Bahnen einlenfen. Freigebung bes Ge— treidehandels wurbe verfündigt, aber damit ftand ſchon bie Aufrechthaltung der ftaatlihen Kornmagazine in Widerſpruch, und von freihändleriicher Politik war vollends nicht mehr zu reden, jeit ein 1788 erlafjenes Edift, „um einem Ge: treivemangel vorzubeugen und dem Kornwucher zu fteuern”, für Preußen und Pommern die Ausfuhr von Gerfte und Hafer gänzlich verbot. Bald folgte eine zweite Verordnung, welde die Ausfuhr von Getreide aus allen Provinzen durch hohen Aufihlag einihränkte, und im Januar 1789 wurde die Ausfuhr aller Arten von Getreide ins Ausland „gänzlich und bis auf weitere Verfügung ſchlechterdings“ verboten. Daneben wurden aber gelegentlich wieder Anordnungen getroffen, melde nur in einem Gemeinmwejen mit unbeſchränkter Handelsfreiheit am Plate geweſen wären. Nicht anders ging es auf anderen Wirtichafte- gebieten; troß des Widerſtrebens des Generaldireftoriums, inäbefondere bes Minifters Struenjee, eines eifrigen Anwalts englifcher Defonomie, nahm eine rüdjchreitende Bewegung immer rajcheres Tempo an, bis wieder die verlafjene Bahn der Wirtichaftspolitif Friedrichs II. erreicht war.

Wie die geplanten Retormen allmählich erlahmten und endlich fogar das Gegenteil des Angeftrebten zum Gejeg erhoben wurde, zeigt fih am deutlichiten in der Lotteriefrage. „In Ihren Staaten” fo hatte Mirabeau dem neuen König zugerufen „gibt es eine reißende Plage, die Sie gar nicht geſchwind genug austilgen fünnen; ohne Zweifel würde eine ſolche Wohlthat den erften Tag Ihrer Thronbefteigung am würdigſten auszeichnen: ich meine das Lotto, das nur noch ſchändlicher und entjeglicher wäre, wenn Sie ſelbſt daraus Nuten ziehen wollten!” In der That zeigte fich Friedrich Wilhelm entichlojlen, das unfittlihe Spiel, das jelbft des Armen letztes Gut, die Hoffnung, vergiftet, aufzuheben. Er war ungehalten, al® das mit Prüfung ber Frage betraute Generaldireftorium lediglich die materielle Seite, den Nugen für die öffentlichen Kaſſen, berüdiichtigte, und wiederholte gehobenen Tones die Forderung, daß „eine jo jchäblihe Quelle, daraus das Unglüf jo vieler taujend Unterthanen ent- jpringt, je ehender je lieber veritopft werde”. Als aber das Generaldireftorium den Grundjag aufftellte, daß an den Sontraften der Lottopächter vorerft nicht gerüttelt werden dürfe, berubigte jich der König, und noch che die Kontrafte abgelaufen waren, wurde beftimmt, daß die Lotterie fortan zum Bejten des

!) Ranke, Hardenberg, I, 162. 2) Stadelmann, III, 7.

76 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt.

Invalidenfonds vom Oberfriegsfollegium, aljo vom Staat jelbjt betrieben werben fol.

Die trübfte Wendung vollzog fi auf dem firchenpolitifchen Gebiete. Ohne Zweifel war es geboten, aud von Philippfon wird diefe Notwendig: feit anerfannt ben Ausſchreitungen der Aufklärungsepoche, die der pofitiven Religion förmlich den Krieg erklärt und den Gläubigen die Stellung von Heloten aufgenötigt hatte, entichlofen entgegenzutreten. Waren doc die meiften geift- lihen Behörden mit Männern befegt, die alles andere, nur nicht Geiftliche waren! Wenn alfo der Monarch dem Minifter Zedlig erklärte, er „wolle nicht mehr leiden, daß man in jeinem Lande die Religion Jeſu untergrabe, dem Bolt die Bibel verädhtlih made und das Panier des Unglaubens, des Deismus und Naturalismus öffentlih aufpflanze”, jo brauchte dieſe Kundgebung noch nicht mit Miftrauen oder Bejorgnis aufgenommen zu werden; e8 war eben der Rück— ſchlag gegen die allzu üppig ins Kraut gejchoffene reigeifterei der Fridericiani— Ichen Periode! Allein das eine Ertrem wurde nur verlaſſen, um ins andre überzugehen; jett wurde das Sadducäertum verfolgt, aber einem gleißneriichen Pharifäertum zum Sieg verholfen. Darüber war doch fein Zweifel möglich, daß Geheimbündler und Glüdsritter, wie Möllner und Bilchoffswerder, nicht die rechten Männer fein Eonnten, um die Herrichaft der Gottesfurdt und guten Sitte aufzurichten! Solange noch Zedlig am Ruder ftand, war eine Reaftion im Kirchen: und Unterrihtswejen unmöglih, aber feine Zeit war abgelaufen. Als im Verhalten des Königs eine Abnahme des Vertrauens bemerklich wurde, bat der Minifter um feine Entlaffung; der Monarch ging nicht ſogleich darauf ein, doch fonnte er dem Drängen der Roſenkreuzer nicht lange widerſtreben; am 3. Juli 1788 erhielt der „Werfmeifter der fridericianiihen Schulreform“ den Abſchied, und noch am nämlihen Tage wurde MWöllner zugleih zum Juftizminifter und zum Chef des geiftlichen Departements in allen Iutherifchen Kirhen:, Schul: und Stiftsfahen ernannt.

Wenige Tage fpäter (9. Juli 1788) erſchien das längft vorbereitete Edikt, die Neligionsverfaffung in den preußifhen Staaten betreffend. Dadurch follte erreicht werben, daß „bejonders nah dem Erempel des in Gott ruhenden Groß: vaters Majeität” die chriftliche Neligion der proteftantiihen Kirche in ihrer urſprünglichen Neinigfeit und Echtheit wieberhergeitelt werde. Die Ausbreitung der Srrlehren der Sozinianer, Deilten, Naturaliiten und andrer Sekten follte gehemmt, insbejondere für den geiftlihen Stand der jtrenge Bibelglaube wieder zum Gejeb erhoben werben.

Das Religionsedift hat noch in jüngfter Zeit an Paul Cafjel einen An- walt gefunden. Das mit einem heiligen Ernſt abgefaßte Werf bürfe nicht ge: ſchmäht, jondern müſſe bewundert werben; e& ſei nur als Proteft gegen franzöfifche Frivolität und auffläreriiche Flachheit aufzufaflen, und Friedrich Wilhelm habe, indem er fi dazu aufraffte, „eine That gethan, die mehr moraliihen Mut zeigte, wie eine Schladt 2.” !)

Unbedingt ift zuzugeben, daß der König von befter Abſicht befeelt war,

) P. Caſſel, Friedrich Wilhelm II., 87.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 177

aber in der Politif werden nicht die Triebfedern, jondern die Nefultate beurteilt. Gewiß verdient auch weniger das Edikt jelbit, als die Ausnützung der unſchuldig flingenden Worte getadelt zu werben. Das Edikt will ja „die Störer des Gottesdienftes und der kirchlichen Verfaffungen” nur zum Schuß „der wichtigften Angelegenheit, nämlich der völligen Gemwifjensfreiheit” zurüddrängen, aber unter dieſem Vorwand wurde die Gewiſſensfreiheit jelbft nicht mehr geachtet. Der alte Geift der ſymboliſchen Orthodoxie follte wieder erwedt, die Schule „von Zedlitzſchen Einflüſſen“ gereinigt, d. h. nach engherzig fonfeffionellen Gefichts: punften geleitet werden; Kirchen: und Schulämter gelangten nur noch an „ge: finnungstüchtige” Bewerber ; mißliebige Prediger wurden trog günftigen Ausgangs der Unterfuhung oder fogar ohne Unterfuchung und Urteil entlafjen. !)

Im Religionsedift war Aufrechterhaltung „der den preußiihen Staaten von jeher eigentümlich gewefenen Toleranz der übrigen Sekten und Religionsparteien“ zugelichert, zugleich. aber öffentlicher Gottesbienft nur den drei Hauptlonfeffionen und den bisher öffentlih geduldeten Sekten geitattet; dies war doch offener Bruch mit jener Tradition, die zu Preußens Wahstum nicht weniger beige: tragen hatte, als die Siege von ;yehrbellin und Leuthen! Und mußte nicht Gläubigen und Freidenfern anftößig erſcheinen, daß die Forderung „Religion und Moral” von einem Hofe ausging, wo jo loderen Sitten gehuldigt wurde, und von MWürdenträgern, die trog ihrer Frömmigkeit für die Sittenlofigfeit des Hofes feine Augen hatten!

Die Beröffentlihung von unziemlihen Protejten gegen das Religionsedift bot erwünjdten Anlaß zu ftrengerem Vorgehen gegen das freie Wort. Da „die Preßfreiheit in Preßfrechheit ausartete, mithin gegen das Edikt allerlei aufrühreriihe Schartefen gedrudt werden”, verlangte der König Vorjchläge, wie die Cenſur „wieder auf beiferen Fuß eingerichtet werden” könne. Am 19, De: zember 1788 erſchien das „Erneute Cenfuredift für die preußifchen Staaten”. Dasjelbe war nicht milder und nicht ftrenger als die Verordnungen in den meilten andern deutihen Staaten; immerhin bot es MWöllner und jeinen Leuten eine neue Handhabe zu ftrengem Einjchreiten gegen die Widerſacher des Ob: flurantismus.

Die für das Oberſchulkollegium erteilte Anftruftion, die Magna Charta des preußiſchen Schulwejens, erlitt mehrfahe Abänderungen. Alle Lehrbücher, in welchen fi noch „Windbeuteleien der ſchönen fogenannten Aufklärung” fanden, wurden verboten; zum lutheriihen Religionsunterricht durften nur „die chrift: lihe Lehre im Zufammenhang”, für den reformierten nur der „kurze Unterricht in der Kriftlihen Lehre” benügt werden. Auch die Univerfitäten, insbefondere die theologiſchen Fakultäten, follten von „neumodiſchen“ Lehrern gefäubert werben; die Hochſchulen ſollten endlich einmal aufhören, „Warten der falſchen Aufklärung und Heimftätten der Sittenlofigfeit” zu fein. Darauf zielte u. a. das Verbot von theatraliſchen Aufführungen in den Univerfitätsftädten, damit die Jugend Feine Gelegenheit habe, die edle Zeit und ihr Geld unnügerweife zu vergeuden. Ja,

i) Preuß, III, 71. Rethwiſch, Der Staatäminifter Frhr. v. Zedlig und Preußens höheres Schulweſen im Zeitalter Friedrichs des Großen, 209.

78 Erſtes Bud. Dritter Abfehnitt.

das Verbot theatraliiher Vorftellungen wurde auf alle preußifchen Städte aus: gedehnt; nur das Nationaltheater in Berlin und die privilegierten Truppen Döbbelins und Wäfers durften weiter jpielen, damit das Publikum „nur gehörig qualifizierte Schaufpiele” zu ſehen befomme.

Und diefes Verbot wurde erlaffen zu einer Zeit, da über die Geparat- aufführungen von Singfpielen und Balletten auf dem Theaterhen der Madame Niet die pifanteften, wenn auch teilweiſe falſche oder übertriebene Gerüchte im Umlauf waren!

An Gründen zu Unzufriedenheit und Mißbehagen fehlte es aljo nicht: troß- dem muß überraſchen, daß der Verſuch, den dhriftlichefonjervativen Staat wieder aufzurichten, eine jo leidenjchaftliche, ſüürmiſche Oppofition hervorrief, daß der Name des Monarhen, der eben noch als der Bielgeliebte gefeiert worden war, faft unterjanf in einer Flut von Schmäh- und Lälterichriften, wie fie kaum in der Sansculottenprefje Frankreichs ihres Gleihen fanden. Freilih haben auch an dieſer ſchmutzigen Litteratur die Franzoſen mwejentlihen Anteil. Das Beiipiel Mirabeaus, auf deſſen „Geheime Geſchichte des Berliner Hofes” noch— mals zurüdzutommen jein wird, bemeijt, wie ſchwer e& den verwöhnten Fran— zojen fiel, daß ihnen der neue König die bevorzugte Stellung, die fie unter dem Philoſophen von Sansjouci genoſſen hatten, entziehen wollte. Wie lächerlich erfcheint dem jelbjtbewußten Manne der Verſuch, die franzöfiiche Ueberlegenheit zu beftreiten! wie bitter verhöhnt er die Berliner „Deutjchtümelei”, die ein Barbarenvolf ohne Kunit und Litteratur im Handumdrehen den Trägern der Civilifation gleichitelen wolle. Auch die Revolution warf ſchon ihre Schatten voraus, der Kampf gegen die Regierungen lag jozujagen in der Luft, da konnte heftiger Widerftand gegen das Pharijäertum der Wöllner und Genofien nicht ausbleiben.

Natürlich ging fofort der abenteuerliche Bahrdt unter die Pasquillanten. In ihm regte fich der alte Jlluminat ; zwifchen Nojenfreuzern und Illuminaten herrfchte ja grimmige Fehde, obwohl Zwede und Ziele der beiden Geheimbünde im weſent— lihen aufs Nämliche hinausliefen. Bahrdt jchrieb ein Luitjpiel „Das Religions: edikt“ (Thenakel 1789), in welchem der Mangel an Witz durch zügelloje Gemein: heit verdedt werben joll; das Machwerk trug dem Berfafjer ein Jahr Feitungshaft auf der Magdeburger Eitadelle ein. Eine „Geſchichte aus der Planetenwelt: dreyerley Wirkungen” (Germanien 1789) jchildert in lüfterner Sprade, wie ein fanftmütiger, liebreiher Regent, verführt vom Sinnentaumel einer „in Luxus erjoffenen” Stadt und insbejondere bes Liebestempels der Madame Wiek zu einem verächtlichen Schwächling herabſinkt. Noch unflätiger ift die Schrift „Saul der Zmweyte, genannt der Dide, König von Kanonenland”. Auch hier wechjeln Ausfälle gegen Berlin, das zweite Ephejus, wo fich alles vereinigt, um Geld und Gejundheit, Unſchuld und Ruhe zu rauben, mit wollüftigen Schilderungen der Myiterien des Hauſes Nie und mit Verwünſchungen der Henker der Glaubensfreiheit. Vom NReligionsedift heißt es: „So etwas war jeit Nebu— fadnezar nicht erjchienen, ganz natürlih mußte es alfo auch allgemeine Sen: jation erregen.“ „Wurm (Wöllner), Wurm! Dein Glaubensedift hat dich ver: ewigt! Feſt haft du deinen Namen der Kirchen: und Ketzergeſchichte einverleibt !

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfgen Mittel: und Kleinftaaten. 79

Nah Jahrhunderten wird man ihn noch mit Widerwillen und Abſcheu aus: ſprechen!“

Weshalb in dieſer Schlammflut vorwärtsdringen? Das Mitgeteilte genügt, um die Erbitterung der Radikalen zu kennzeichnen. Mit Ekel wenden wir uns ab von Erzeugniſſen, für welche Cosmann den rechten Namen „Schund- und Schartekenlitteratur“ gefunden hat, aber die Entrüſtung über Ausſchreitungen darf nicht überſehen laſſen, daß auch die gemäßigten Freiheits- und Vaterlands— freunde den Uebergang des Regiments an mangelhaft befähigte oder gewiſſen— loſe Streber und Frömmler bitter beklagten. Gewiß hat Dampmartin recht, wenn er in ſeiner Verteidigungsſchrift für die „preußiſche Pompadour“ als Thorheit zurückweiſt, daß nach dem Unglückstag von Jena alle Schuld an Preußens Verfall auf Friedrih Wilhelm II. und das Kleeblatt Rietz-Wöllner— Bifhofjswerder abgeladen wurde. Schädlich haben aber der Zelotismus, die Heuchelei, die Verſchwendung diejer Dunfelmänner, die faft ein Jahrzehnt hin: durch die innere Politif Preußens beherrſchten, unzweifelhaft gewirkt. König und Bolf wurden einander entjremdet, damit war dem ftolzen Bau Friedrichs des Großen die fräftigite Stüge entzogen.

In Kurjahien war man jeit langem gewohnt, auf einen Gegenjaß zwiſchen dem waffenklirrenden Sparta an der Spree und dem Site jchöner Künfte und gejelliger Bildung, Elb-Athen, wohlgefällig binzumeijen. „Nirgend“ jo rühmte jogar Voltaire „waren die Genüſſe des Friedens fo reich verfammelt, nirgend waren die Huldigungen für die Kunft jo enthufiaftiih, nirgend der Zufammenfluß der Fremden jo lebhaft wie in Dresden, dem glängendften Hofe Europas”.')

Das war faum zu viel gejagt. War doch ſchon unter dem cynijch- genialen Auguft dem Starken, der durch fein „Königs-Deſſin“ der gefchichtlichen Stellung des Kuritaates die Lebensadern unterbunden und burch leichtfertige Kriege den Wohlftand des Landes geftört hatte, die polniſch-ſächſiſche Refidenz die erjte Kunititadt des Reichs geworden, eine üppig jchöne, in den Norden vorgeichobene Kolonie des Südens! Welches deutihe Bauwerk konnte fich meſſen mit der originellen und grandiojen Arditeltur des Zwingers, ber doch nur als Vorhof für ein noch prächtigeres Schloß gedacht war! Sogar bie Luft: bauten bes practliebenden Mar Emanuel von Baiern waren den Schöpfungen Augufts nicht ebenbürtig. In diefe Prunfräume [ud der König die dramatijche Kunſt Franfreihs zu Gaft; bier wurden die Opern Lullys, die Schaufpiele Corneilles und Racines ebenjo glänzend wie gediegen aufgeführt. Freilihd war damit nur ftattlihe Bethätigung füritliher Würde beabfichtigt, mit dem Volks— leben hatte dieſe Kunſt feine Gemeinſchaft, fie war nur eine fünftlih getriebene Blüte, aber die Pflege war deshalb nicht weniger verbienftlihd. „Die poli- tiſche Geſchichte“ jagt Hettner „hat gar manche trübe Schatten aus der Negie- rungsgefhichte Nugufts des Starken und Augufts III. hervorzuheben; der Kunſtgeſchichte wird das ſchönere Los zu teil, der mit Anfpielung auf den Namen Auguft bei den Zeitgenoffen beliebten Bezeichnung eines neuen

I) Voltaire, Siöcle Louis XV, 81.

80 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt.

Augufteiihen Zeitalters eine gewiſſe Wahrheit und Berechtigung zuerfennen zu können.”

Der böſe Dämon Sachſens unter Auguft II. war der allmädtige Major domus, Graf Brühl, der Jahrzehente lang die Leitung der gefamten Zivil: und Militärverwaltung in Händen hatte. Nachdem die Bekämpfung der ſchwer be- drängten Tochter und Erbin des legten Habsburgers nicht den erhofften Geminn gebracht hatte, wechjelte er die Politik; fortan ließ er fein Mittel unverjucht, das den glüdlicheren Nebenbubler König Friedrih von Preußen ſchädigen fonnte; den ſächſiſchen Premierminifter trifft in erfter Neihe die Verantwortung für den fiebenjährigen Krieg, der doch die ſchlimmſten Folgen für Sadjen jelbit im Gefolge hatte. An Brandihagungen allein hatte das unglüdlihe Land mehr als fiebzig Millionen Thaler zu zahlen.) „Es iſt eine betrübte Erinnerung des Kriegs“, heißt es in einer von Baron Gartenberg an Brühl gerichteten Dentihrift, „wenn man auf den Rathäufern der Städte eine Reihe Schlüfjel zu unbewohnten und von den Einwohnern unerfhmwingliher Abgaben wegen verlafjener Häufer antrifft.” Dod am Könige und feinem Minifter gingen die Erfahrungen der Kriegsjahre jpurlos vorüber‘, bei Hofe dauerte bie maßloje Verſchwendung fort, die Unterthanen jeufzten unter ber faum noch erträglichen Steuerlaft. Als Auguft IH, ftarb (5. Dftober 1763), fam erft zu Tage, wie gewifjenlos fein Minifter mit den öffentlichen Geldern umgegangen war. Glüd: liher Weife war aber auch in der Brühlfhen Periode die Verfhwendung mit Kunftliebe und Geihmad Hand in Hand gegangen. Wie unter Auguft II. die fran: zöſiſche Kunſt in Dresden eingezogen war, fo herrſchte unter dem Nachfolger die italienifhe. Die von Gaetano Chiaveri gebaute Hoffirche zählt zu den ihönften Schöpfungen des italienifhen Baroditils; eine ebenſo edle Zierde der Stadt iſt das Werk des einheimischen Georg Bähr, die der Petersfirhe in Rom nachgebildete Frauenfirhe. Der in Rom gebildete ſächſiſche Hofmaler Raphael Mengs zählte zu den gefeiertften Größen des Zeitalters; für den Grafen Brühl malte Ganaletto die lebensvollen und getreuen Anfichten ſächſiſcher Städte; vor allem: damals famen die föftlihen Meifterwerfe des Cinquecento und ber Renaiſſance in die Dresdener Galerie, 1743 Holbeins Madonna, 1753 Raphaels Sirtina. Die Oper war von Haſſe und feiner ihönen Gattin Fauſtina beherrſcht; aus italieniiher Schule ftammten die „Taleftri” und andere beadhtenswerte Werfe der Kurprinzeffin Maria Antonia, Kaifer Karls VII. Tochter, die mit ſchwärmeriſcher Hingebung den Mufen huldigte. Dem König joll nicht vergeſſen werben, daß er mit den Worten: „Diefer Fiſch ſoll in fein rechtes Waller tommen!” den Verfaſſer der „Gedanken über die Nahahmung der griedhijchen Werke in Malerey und Bildhauerkunft” nah Rom ſchickte. Wie beraufchend die Schäge der funftiinnigen Wettiner auf einen empfängliden Kopf wirkten, zeigt fich gerade an dem Altmärfer Windelmann, der fih aus den Kafematten einer Zwingburg in die Gärten Armidas verfegt glaubte und, um dieſer ihöneren Welt leben zu können, Heimat und Glauben abihwor. Auch Herder feierte entzüdt dieſe Reize:

1) Flathe, Geſchichte des Kurftaates und Hönigreihes Sadfen, II, 502.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinftaaten. 81

„Blühe, deutfches Florenz, mit deinen Schägen der Kunftwelt, Stille gefihert fei Dresden:Dlympia uns.

Phivias-Windelmann erwadht an deinen Gebilvden,

Und an deinem Altar fprojjete Raphael Mengs!“

Doh es war ein Glüd für Sahjen, daß es 1768 in Friedrich Auguft IV. einen jchlihteren, jparjameren Regenten erhielt. Nun mwurbe endlich verjucht, den zerrütteten Finanzen aufzuhelfen; der Willtür der Höflinge und Beamten, die unter den Vorgängern auch in Sadjen eine „polniihe Wirtſchaft“ geführt hatten, wurde gefteuert, der ganzen Staatsverwaltung wieder das Gepräge ber Ehrlichkeit und Ordnung zurüdgegeben. Eingedenf der Nachteile, welche bie Verquickung fähfifher und polnischer Jnterefien dem Stammlande ſchon gebracht hatte, verzichtete der Kurfürft auf die polnifhe Krone. Im bairiſchen Erbfolge: ftreit Schloß er fih, um jeine Anſprüche als Gatte einer bairiſchen Prinzeſſin an die Allode der bairiſch-wittelsbachiſchen Linie durchzujegen, an Preußen an; die Verwendung des Gewinns, den ihm ber Tefchener Friede brachte, fand auf: richtigen Beifall. Als Friedrich II. die deutihen Fürften aufforderte, den fort: gefegten, auf Eintaufch Baierns gerichteten Umtrieben Joſephs II. einen Damm entgegenzufegen, ließ fi Friedrih Auguft nah einigem Zögern zur preußifchen Auffaffung befehren und trat (23. Juli 1785) dem Fürftenbunde zur Erhaltung des bedrohten Reichsſyſtems bei.

Dieſe ruhige, bejonnene Leitung ber auswärtigen Politik trug weſentlich zum erfreuliden Auffhwung der inneren Berhältnifie bei. Der lange Friede wirkte wohlthätig auf Aderbau, Handel und Gewerbe, und jo gelangten bie geicheiten, rührigen Bewohner des Kurſtaates allmählih wieder zu dem früher ſprichwörtlichen Wohlſtand. Der rationell gepflegte Bergbau blühte auf; die Induſtrie entwidelte fich freier und glüdlicher als in den größeren Nachbar: ftaaten. Neben dem durch Fürftengunft geförderten Dresden behauptete Leipzig, das fich eines regjamen, reihen Bürgerftandes und einer bedeutenden Hoc: ihule rühmen fonnte, ehrenvollen Rang unter den deutichen Städten. Leipziger Studenten wurben die Neformatoren unjrer Kitteratur. Die Herausgeber und Mitarbeiter der „Neuen Beiträge”, die den Mut fanden, unabhängig von Gottihed neue Wege einzuichlagen und bie Poefie aus dem Bannfreis der Ge: lehrſamkeit herauszuführen, hatten joeben in Leipzig ihre Studienjahre zurüd: gelegt; in die Leipziger Tage fielen Leſſings erfte dramatifhe Verſuche; in ben Hörjälen und im gefunden Volksleben Leipzigs holte fi) der junge Goethe frucht: bare Anregung. Schon war Leipzig die unbeitrittene Metropole des deutjchen Buchhandels, und damit hängt auch zufammen, daß den Lehrern und Schrift: ftelern jener Stadt univerjellere Bildung, weiterer Blid, freierer Ton nad): gerühmt wurden. „Mein Leipzig ift ein Klein: Paris, das bildet jeine Leute!”

Die kurhannöverſchen Lande wurden, jeit Georg I. am 31. Oftober 1714 in Weſtminſter als König von Großbritannien und Srland gefrönt worden war, von London aus regiert. Zwiſchen Welfen und Hohenzollern beitand, ob: wohl fie Nahbarn und Religionsverwandte waren, nur felten aufrichtiges Ein: vernehmen; die Nebenbuhlerihaft um die erite Stellung im deutihen Norden ihuf einen natürlihen Gegenſatz. Namentlich Georg II. war ein leidenfchaft:

Heigel, Deutjche Beihiäte vom Tode Friedrichs d. Gr, bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 6

82 Erftes Buch. Dritter Abichnitt.

liher Gegner Preußens, nicht bloß folange er in den jchlefiichen Kriegen als Bundesgenofje Maria Therefias mit der „pragmatifchen” Armee gegen Preußen und Franzofen operierte, jondern auch nachdem er dur die hannöverſche Kon: vention von 1745 ganz andre Pflichten auf fi genommen hatte. Der Eoniti- tutionelle Regent Englands hatte, wie aus der Geheimforreipondenz Georgs mit den hannöverſchen Räten nachgewieſen werden fonnte!), ebenfo fein „Geheimnis des Königs”, wie der abſolute Monard von Franfreih. Als König von England mahnte Georg feine Minifter, für den Frieden zwiſchen Preußen und Defterreich zu wirken; als Kurfürft von Hannover, von der Abſicht getragen, aus preußifchem Gebiet „ein namhaftes Avantage zurechtzuſchneiden“, juchte er durch jedes Mittel die Verjöhnung zu hindern. Wie jo häufig in der era der eriten beiben George, mußte fi das englifche Intereſſe dem hannöverſchen unterordnen, wurbe England, wie Ledy jagt, mit hannöverihem Ruder gefteuert.

Doch die Bereitwilligkeit König Friedrihs, die Erhaltung der von Frank— reih bedrohten Lande des welfiihen Haufes zu verbürgen, führte zwar nicht in der Gefinnung Georgs, doch in der Politif des hannöverihen Kabinetts einen Umſchwung herbei. Infolge des Bertrags von Weltminfter vom 16. Januar 1756 ftand England im neuen Kriege zwifhen Preußen und Deiterreih als Bundesgenoſſe an Friedrichs Seite, und die hannöverſchen Truppen leifteten zur Befreiung des deutjchen Bodens von franzöfiiher Invaſion trefflihe Dienfte. inmitten der Stürme des fiebenjährigen Kriegs ftarb Georg II. (25. DE: tober 1760).

Sein Sohn Georg III., der jechzig Jahre lang in der wichtigften Periode der Weltgefhichte über die aufgeklärteite Nation der Erde das Szepter führen follte, war in England und nad engliihen Grundfäßen erzogen worden. „Sn England geboren und erzogen,” jprah er am Schluß jeiner eriten Rebe im Parlamente, „rühme ich mich, ein Brite zu heißen und zu fein.” Das war feine Phraſe; das deutſche Blut gewann niemals Einfluß auf Georgs III. An: Ihauungs: und Handlungsweife, er fühlte fih ganz als Engländer, Hannover war ihm nur eine Fleine Provinz des britifchen Reiches.

Am Bunde mit Preußen bielt Georg III. vorerit feit; an ber Ehren: baftigfeit feines großen Minifters Pitt fcheiterten alle Verfuhe, England zu einem Separatfrieden zu verloden, obwohl von öjterreihiicher Seite warnend vor Augen gebracht wurde, welche Gefahr die Kurlande „bey dem in statu quo bleibenden aggrandissement des preußifchen Hofes, ſowohl der Nachbarſchaft, als viel andrer despotifcher Abfihten und unter der Ajche glimmenden An— ſprüchen halber” bedrohe. Als aber die Kriegsluft im erjchöpften England abnahm, wurde die Stellung Pitts unhaltbar, und der Günftling des Königs, der Schotte Bute, trat an die Spige des Kabinetts. Nun erlahmte die Krieg: führung auf dem Kontinent; Lord Bute forderte dringlicher als Maria Therefia, daß Preußen ein namhaftes Opfer an Land und Leuten bringe, und da König Friedrich diefe Zwangslage nicht anerfennen wollte, wurde mit Aufopferung der Intereſſen des Bundesgenoffien am 10. Februar 1763 der Parifer Friede ge:

) Borlowsky, Die englifhe Friebensvermittlung im Jahre 1745, 6.

Der Thronwechfel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 83

ſchloſſen. Pitt hatte ſicher nicht unrecht, wenn er beklagte, daß dieſer Friede den Ruhm des Strieges beflede, aber Bute berief jih auf das Beiſpiel des Landmannes, deſſen Vorteil nicht bloß erheiſche, daß die Feldfrucht üppig beran- reife, ſondern daß fie auch glüdlih in die Scheuer gebracht werde. Die Er: rungenfchaften des Pariſer Friedens waren ja ungemein günftig. Die Kämpfe diesjeits und jenjeits des Ozeans hatten die Unwiderſtehlichkeit der englischen Marine bewieſen; die Frucht ihrer Siege war ein mächtiger Auffhwung der tolonialen Madtitellung Englands. Doch England zog nicht lange Nuten aus dem Sieg der germanifch-proteftantiihen Rafje über die romanijch-fatholifche in Nordamerifa. Bald führte der natürlihe Gegenfag des Charakters und ber Interejlen des Mutterlandes und der Kolonien zum Abfall der bedeutendften transatlantifhen Staaten; die Hartnädigfeit des Königs, der jedes Zugeftändnis verwarf und in ben verjöhnlichen Ratſchlägen Burkes und or’ nur verfappte Rebellion witterte, machte den Bruch unheilbar. „König Georg III.“ jagt Lord Brougham, „war ein Mann von beichränften Geift, deſſen Grenzen auch die jorgfältigite Erziehung nicht zu erweitern vermocht hatte, und von hartnädigem Charafter, den wohl feine Erziehung hätte mildern können; er hatte in feinen Anihauungen und Neigungen viel von jener Entichloffenheit, die auch Fleinen Menſchen, die ohne Unterjheidungsgabe und mit ebenfoviel Fyeftigfeit für das Gute wie für das Schlechte eintreten, einen Schein von Gleihmut gibt, der oft für Seelengröße angejehen wird und damals mehr als einmal die Ehre zu erjegen hatte. In allem, was jih auf Ausübung der föniglichen Herrichaft bejog, war er der Sklave einer tief eingewurzelten Selbſtſucht, und feine Regung von Güte fand Zutritt zu feiner Seele, wenn es fih um Erhaltung oder Aus: übung feiner Macht handelte. In allen andren Dingen war er fanft und friedfertig; wenige Fürften find jo mujterhafte Yamilienväter und ſo treue Freunde geweien. Doch von dem Augenblid an, wo es fih um fein Königsrecht bandelte oder wo ſich jeine Bigotterie angegriffen glaubte, bäumte fich ein un— beugfamer Stolz in ihm auf, und bittere Feindjeligfeit, berechnete Kälte und unverjöhnlicher Grol füllten feine ganze Seele.” ')

Das Urteil des leidenſchaftlichen Whig, der im Gegenfat zu feinem Partei: genoffen Burfe jogar in den Ideen Dantons und Robespierres berechtigte und erhabene Wahrheiten erblicdte, ift nicht maßgebend; in manchen Fällen wird die unbefangenere Nachwelt die Ehrenhaftigfeit und die Charafterftärfe Georgs II. rühmen, wo Brougbam Selbitfuht und pedantifhe Hartnädigkeit zu tadeln findet. Doch ift unzweifelhaft, daß in der amerifanijchen Frage zu viel Beharrlichkeit, zu wenig Staatsklugheit entwidelt wurde. Georg hatte fein Verftändnis für die Strömung der Zeit; er jah in allem, was Franklin für die Kolonien forderte und der ftaatsmännifche Pitt bemwilligen wollte, unftatt: hafte Zugeftändniffe an Volfsverführer; er glaubte merfantile Kunitgriffe ab— lehnen zu müſſen, wo es fih um weltgejchichtlihe Prinzipien handelte. Als ber Sturm losgebroden war, mwähnte der König noch immer, durch fleine Mittel

) Brougham, Esquisses historiques des hommes d'etat du temps de George III. traduites par Legeay, 14.

84 Erfted Bud. Dritter Abichnitt.

und halbe Maßregeln alles gut machen zu fönnen, und als er endlich aufrichtig einlenfen wollte, war es zu jpät: die Trennung der beiden Weltteile war voll: endete Thatſache. England ſah fich genötigt, die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten anzuerfennen, aber diefer Verluft wurde zur nämlichen Zeit faft auf: gewogen dur die Ausdehnung der britiihen Macht in Indien. Gewiß, die Anfänge der indo-britifhen Herrihaft find wenig ehrenvoll, die hinterliftige Hand: lungsweile Lord Clives und die Gemaltthaten Warren Hajtings verdienen gebrandmarft zu werden, doch die yortentwidelung der engliichen Kolonialpolitif weilt einen Zug von Größe auf, wie er faum auf einem andren Blatt der Weltgeſchichte fih findet. Mit dem Monopol: und Ausbeutungsigitem murde aufrihtig gebrochen, die neuen Gebiete erhielten eine trefflihe Organijation, den Eingeborenen wurden freiejte wirtichaftlihe Bewegung und volle Religions: freiheit gewährt, die Ueberlegenheit der neuen Herren wurde ihnen fo ſchonungs— vol und doch jo überzeugend vor Augen gebradt, daß fie von wenigen vorübergehenden Störungen abgejehen in der Herrihaft der Europäer ihr Glück und ihre Größe zu erbliden fi gewöhnten. Die Weltgefhichte hat fein zweites Beijpiel aufzumeiien, daß ein verhältnismäßig fo Fleiner Staat, der noch vor zweihundert Jahren feinen Fuß breit überjeeichen Gebiets jein eigen genannt hatte, fi über den ganzen Erdball zu einem Weltreich ausdehnte, von dem in Wahrheit gejagt werden kann, daß darin die Sonne nicht unter: gehe. Durh einen dreiundzwanzigjährigen Krieg mit der franzöfifchen Nation wurden die neuen Errungenjhaften glücklich verteidigt, und nad dem Zufammen- ſturz des Napoleoniihen Kaiferreihs konnte die Alleinherrichaft Englands zur See als gefihert gelten. Pag immerhin das Hauptverbienft großen Staats: männern, wie Lord Chatham und Pitt dem Jüngeren, tüchtigen Heerführern, wie Elliot und Wolfe, kühnen Seefahrern, wie Rodney, Howe und Neljon, gebühren, jo ift es doch jehr die Frage, ob England die furdtbaren Erſchütte— rungen jener Zeit überwunden hätte, wenn nicht den Thron ein Monard) inne= gehabt hätte, der zwar nicht immer der Zuftimmung, aber jederzeit der Achtung und der Zuneigung feiner Völker ſich erfreute.

Unter den beiden Vorgängern Georges III. hatte Hannover jeine eigene Verwaltung gehabt, und die Könige jelbit hatten längere Zeit in dieſem Lande verweilt; jeit 1760 aber war der Sit der hannöverſchen Kanzlei, von welder die wichtigſten Entjcheidungen ausgingen, in Zondon. Da ber Regent jelbit in jeinem deutſchen Lande niemals mehr Hof hielt, konnte es nicht ausbleiben, dab dem Adel erhöhte Bedeutung zufiel, jo daß wohl von einer oligarhifhen Regierungsform in Hannover geiproden wurde. Dagegen fam dem Lande zu ftatten, daß es nicht gleich anderen Nachbarflaaten die ungeheuren Koften eines Hofhalts a la Verjailles zu beftreiten hatte; es erfreute fich ge: ordneter Verhältnifje und ftattlihen Wohlitandes; in der Zwangslage, daß die Zandesjöhne unter britiiher Flagge faft überall mitfechten mußten, wo britijche Intereſſen zu verteidigen waren, jahen die Unterthanen Georgs III. nichts Un: natürliches.

Eine eigentümliche Bedeutung gewann in der zweiten Hälfte des vorigen Sahrhunderts die hannöverſche Yandesuniverfität Göttingen. An diefer 1734

Der Thronwechſel in Preußen. Die beutfhen Mittels und Kleinftaaten. 85

gegründeten Hochſchule hatten freie Forſchung und jelbitändige Pflege der Wiffens ichaft eine würbige Heimftätte gefunden. Früher als anderswo wurde bier mit dem Grundjaß, daß die Gelehriamfeit um ihrer jelbit willen ehrwürdig ſei, gebrochen und die Forderung aufgeftellt, daß die Wiſſenſchaft in engfte Ver: bindung mit dem Leben gejegt werden müſſe, daß alſo eine Hochſchule die Aufe aabe habe, ihre Schüler zu praftiihen und patriotifchen Bürgern heranzubilden. Der berebte Theologe Mosheim, der feinfinnige Pädagoge Gesner, der bahn bredende Vertreter echter Altertumsmwiflenihaft, Chriftian Gottlob Heyne, und viele andre tüchtige Gelehrte und Lehrer entfalteten eine für ganz Deutichland eriprießliche Wirkſamkeit. Bon bejonderer Wichtigkeit aber wurde der Auf: ihwung, den in Göttingen die Gefhihtswillenihaft und die Publiziftit nahmen. Ludwig Spittler erfaßte zuerft die Gejchichte, die bis dahin unfrei geweſen war und im Dienfte der Theologie oder der Jurisprudenz oder der Humaniora geitanden hatte, als etwas Selbjtändiges und jchrieb zum erftenmal lebendige Volksgeſchichte.

Noch bedeutſameren Einfluß übte ein andrer Göttinger Hiſtoriker nicht ſo faſt auf den Entwickelungsgang der hiſtoriſchen Wiſſenſchaft, obwohl es auch hierfür von Wichtigkeit war, daß er zuerſt in Gibbons Bahnen einlenkte, als auf die Belebung des politiſchen Sinnes in Deutſchland, Auguſt Ludwig von Schlözer. Eine liebenswürdige Erſcheinung in der Litterärgeſchichte iſt er nicht. Sein Witz iſt ſchwerfällig, ſein Selbſtbewußtſein macht faſt komi— ſchen Eindruck, ſeine Verachtung des bel esprit verführt ihn zu pedantiſcher Einjeitigfeit; trogdem ift fein Verdienſt gar nicht hoch genug anzujchlagen. Durch ausgedehnte Reiten hatte er jeinen Gefichtsfreis erweitert, ohne daß durch dieſen univerjellen Zug die deutiche Eolidität der Arbeit und die Uns beiangenbeit des Urteils gejhädigt worden wären. Die Gejhichte geftaltete fih in feinem Geilte als zufammenhängende Entwidelung in organiicher Ein: heit; nicht bloß die äußeren Scidjale des Volfes beobachtete er, noch mehr beihäftigte ihn das Wachstum desjelben von innen heraus: die uriprüngliche Zujammenfegung aus verjchiedenen Beitandteilen, die Veränderungen bes ſtaat— lihen Wefens, die agrariihen Berbältniffe, Handel und Wandel, Kunft und Litteratur. Da ſchlug fih ihm von jelbft die Brüde von der Vergangenheit zur Gegenwart; um die Zeitgenofien über die widtigiten Vorkommniſſe des politiihen, jozialen und litterariihen Lebens aufzuklären und zugleich der Nach: welt zuverläjjigen hiftoriihen Stoff zu überliefern, gab er (1776—1782) den „Briefwechjel meift hiſtoriſchen und politiichen Inhalts” und (1782—1793) die „Staatsanzeigen” heraus.

Der glänzende Erfolg diefer Unternehmungen die Staatsanzeigen hatten zeitweilig einen Abjat von 4400 Eremplaren beweilt, daß fie einem Be: dürfnis des Zeitalter entipradhen. Der Freimut, womit Schlöger und jeine Mitarbeiter wenigſtens die nicht-hannöverſchen Vorgänge beipraden und bie Gewaltthaten Kleiner Despoten öffentlich rügten, war in Deutichland etwas ganz Neues, und die ungewöhnliche Erſcheinung war von gewaltiger Wirkung. Immer weitere Kreife befehrten fih zum Grundjag: die ſchrankenloſe Deffentlichkeit ift der gerechtefte Richter! Bot ſich doch fogar ein jo feingebildeter Fürft, wie Herzog

86 Erftes Buch. Dritter Abſchnitt.

Karl von Sadjen: Meiningen, als Mitarbeiter an, um „Aufflärung und Dul: dungsgeift zu befördern und Bosheit und Dummheit zu entlarven und zu unter: drüden!” Dem Herausgeber zollt der Herzog warmes Lob. „Ihr Briefmechiel wird überall gelejen,“ ſchrieb er (23. Juni 1781), „er ift jebt das einzige Bud) jeiner Art, das fo allgemeinen Nugen jtiftet und jo manche gute dee in dem Herzen eines wohldenfenden Negenten erwedt ... D beiter Mann! fahren Sie bo ja fort, uns fo viel Gutes und Nüsliches befannt zu machen und laffen Sie fih nie durch etwas abſchrecken, Ihr Journal fortzufegen!” N) Noch über: ſchwenglicher jchrieb ein aktiver Diplomat, Graf Schmettow (12. November 1786): „Sie, Herr Profefjor Schlözger, haben der Welt mehr genußt, als ſelbſt Luther. Glauben Sie es mir, daß fich wirklich Schon böje Minifter und Fürften vor Ihnen fürdten! So find unzählige Gottlofigfeiten Ihrentwegen unterblieben. Feinde haben Sie ſich freilich gemacht, auch war fein Monfignore, fein Abbate in Nom Luthers Freund, aber Gott und ehrlihe Menſchen, die das Gute zu ſchätzen wiſſen, müſſen Ihnen wohlwollen, und wenige oder gar feine Ihrer Mitmenjchen werden auf dem Tobbette des gethanen Guten jo gewiß und ruhig entihlummern können, als Sie!” ?) Freilich ftehen dieſen Urteilen über die Göttinger Publiziftif zahlreihe minder günftige und ablehnende gegenüber. Heyne, der Göttinger Kollege, macht fi über den „politiihen Pausbad” weiblich luſtig; Meufel be: klagt, daß der „ſtolze Zeus bes politiſchen Himmels” ſich auch zum Despoten im litterariihen Reihe aufſchwingen wolle; Goethe jchreibt 1780, der ganze Göttinger Briefwechjel fei „die Unternehmung eines ſchlechten Menſchen“, und nennt auch jpäter noch Schlöger den „deutſchen Aretino”. Als Schlözer 1781 mit dem Fürftbiihof von Speier, weil in deſſen Ländchen noch mittelalterliche Steuern und Frondienfte üblich waren, fhonungslos ins Geridht ging, wurde er als „gemeinſchädlicher Pamphletiſt“ bei feinem Landesherrn verklagt. Georg II. erklärte aber, daß er fich „zur Ahndung freimütiger Bemerkungen eines politifchen Privatſchriftſtellers nicht für qualifiziert” anfehe. Schlözer frohlodte, daß Feine hohe Hand lang genug fei, um einen Hannoveraner zu bedrüden! Nun führte der Bifhof in einem öffentlihen Rundfchreiben an die Reichstagsabgeordneten Klage über Schlözer; das ganze Reich jollte fih in Bewegung ſetzen gegen die Nahfiht, deren ſich die „Ichamlofe Frechheit eines in allem Betracht nieder: trächtigen Schriftitellers” bei feiner Regierung erfreue.’) Doc erit die Reaktion, die infolge der Ausartung der freiheitlihen Bewegung in Franfreih aud in Hannover der freien Meinungsäußerung engere Schranken 309, ſetzte ber politiſchen Wirkjamkeit Schlözers, die ohne Zweifel mehr Nugen als Schaden gebradt hat, ein Ende.

In Pfalz: Baiern herrſchten trübe Zuftände; es waren, wie Wejtenrieder jagt, „die in vieler Nüdfiht traurigen Jahre, wo ein bäßlicher Parteigeift und eine alle perjönliche Sicherheit zerftörende Verjolgungsiudt ſchamlos herrjchten.” *)

’, Ehriftian v. Schlözer, N. 2. v. Schlözers öffentliches und Privatleben, II, 209.

2) Ebenda, II. 119.

°) Kurze Bemerkungen, wie fich gegen den göttingishen Profefior Schlöger zu benehmen fei! (1784)

+ Beyträne, VI, 405.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinftaaten. 87

Zweimal im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts war ‘der Verſuch bai- riſcher Fürften, durch Unterftügung Frankreichs das Ziel ehrgeiziger Wünfche zu erreihen, mit Verwüſtung des Landes beftraft worben; bie Folge war eine Hägliche Zerrüttung ber wirtichaftlihen Verbältniffe des mit natürlichen Quellen des Reichtums jo gejegneten Staates. Auch bie innere Politik jener ehr: geizigen Wittelsbaher war nicht glüdliher geweien. Mit dem Schimmer der Hofhaltung fand in trübem Widerfprud die Verarmung des Landes, aber dieſem materiellen Niedergang entſprach nur zu getreu ber Verfall des geiftigen Lebens. Man braucht nicht an das verächtliche Wort Friedrichs II. über Baierns Bewohner zu erinnern, auch von aufgeflärteren Eingebornen wurde zugeftanden und beflagt, daß der bairifche Stamm, in der glänzendften Periode des Mittel- alters ein Hauptträger deutſcher Bildung, feit Jahrhunderten faft auf allen Kulturgebieten binter andern deutfhen Stämmen zurüdgeblieben jei. Weſten— rieder, jelbft ein mwürdiger Geiftliher, gefteht freimütig, daß nirgend die Be: vormundung durd den Klerus fo ſchädlich gewirkt habe, wie in Baiern; wüfter Aberglaube beherrichte die Menge, die, in ftumpfer Selbſtgenügſamkeit verfunten, jedem Fortfchritt abhold war. „Man wollte jchlechterdings, daß alles in dem Zuftand von Ruhe beharren follte, in welchem ... das Vaterland feit einigen Menjchenaltern erhalten worden war. Jede auch nod jo Kleine Verbeſſerung hieß man eine Neuerung, und mit jeder Neuerung verband man den Begriff einer Gefahr... Man fürchtete ji vor jedem ungewöhnlihen Laut und arg: wöhnte überall ein verborgenes Giſt . . .“) Eine Klage, die au im Munde der geiftvollen Tochter Neders, die an der Wende unfres Jahrhunderts deutiches Volkstum beobachtete, noch mwiederfehrt. In ihrer Schilderung des ſüddeutſchen Volfscharakters jagt Frau von Stael: „Hier verharrt man in einem Zuſtand eintönigen Behagens, der für die Regſamkeit der Gefchäfte, wie bes Geiftes gleih ſchädlich iſt. Der jehnlidhite Wunfch der Bewohner diejer friedlihen und fruchtbaren Landſchaften erftredt fih nur darauf, weiter zu leben, wie bisher, und biefer Wunſch genügt nicht einmal, fi das zu erhalten, womit man fi zufrieden geben will.”

Der mwohlgefinnte, volksfreundlihe Mar Joſeph II. hatte fih ernſtlich an- gelegen fein lafien, die Landeskultur zu heben und die Volfebildung zu fördern. Die Stiftung der Münchner Akademie der Wiſſenſchaften ift ein bedeutſamer Markitein in der Gefchichte des geiftigen Lebens in Süddeutſchland. Es ging fortan aufwärts, aber nur langjam. Ebenſo die ftammverwandten Defter: teiher, wie die Norddeutſchen, blickten mit Geringſchätzung auf die Baiern, und diefe übten wunderliche Vergeltung, indem fie fih nur noch trußiger von ber Gemeinfchaft mit den deutſchen Brüdern abfonderten. Der „Eurfürftliche Hof: poet” Matthias Ettenhueber klagt zornig über die Zurücdfegung feiner Landsleute:

„Denn, wie ein Wiener fagt, fann es ohnmöglich fein,

Daß fih ein dummer Bayr ftellt bey der Dichtkunft ein,

Nur Sadfen, Sadjfen ift das Stammhaus der Poeten ! G'nug, wenn man am Parnaß uns läßt den Blasbalg treten!

) Meftenrieder, Gefhichte der bairiihen Afademie der Wifjenfhaften, I, 7.

88 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt.

Ein Bierfhlaud und Poet! Der Bayr ein Mufenfohn! O diefes wär’ zu viel für eine Nation,

Die nad) der Hefe riecht! Wie fol in unferm Magen Der reine Dichterfluß fi mit dem Schleim vertragen!” ')

Doch Ettenhueber jelbft äußert an andrer Stelle feinen Unmwillen über das Phäakentum feiner Umgebung:

„Des Schwelgens ift fein End’, es ſchwelget Jung und Alt” ...

und ein andrer bairiſcher Publizift, Andreas Zaupfer, jpricht fein Bedauern aus, daß „die diden Säfte des guten Bieres ... ihnen (ben Baiern) vieles von ber Schnelltraft benehmen und alfo zu feinen oder raihen Empfindungen untaugs liher maden.“ ?)

Kaiſer Joſeph beurteilte die Sinnlichkeit des bairiihen Volkes in Religion und Leben nicht alimpflicer, als König Friedrich. Als der Papft im April 1782 Münden befuchte, wies Joſeph jeinen Gejandten Lehrbah an, zu „in: vigiliren”, wie die Anmwejenheit des jeltenen Gaſtes auf Fürften und Volk in Baiern einwirke. „Wenn Sie mid) etwas auch von ben dummen Zügen der baierifhen Andacht und Schwärmerei ... benachrichtigen können, jo werde ih Ihnen dafür verbunden jeyn.”?) Graf Lehrbach weiß denn auch allerlei zu er: zählen, wie die „noch äußerit rohe und materielle” Münchner Bevölkerung den Papſt förmlich anbete; allerdings jeien auch viele über den Beſuch des Papftes ungehalten, nämlich diejenigen, welche die Bejorgnis ergriffen habe, daß infolge des Zufammenfluffes jo großer Volksmaſſen in München allzubald Mangel an Sommerbier eintreten fönnte.

Regent der bairifhen Lande war jeit 1777 Karl Theodor von Pfalz: Sulzbach. Ihm wird im „teutichen Staatsalmanach“ des ſchwäbiſchen Satirifers Weckhrlin (1784), worin die einzelnen Fürften und GStaatsmänner nad ihren Verdienften Elaffifiziert find, unter den Gönnern der Künfte und Wiſſenſchaften der erfte Platz zugeiproden.‘) Dagegen ift in Wedhrlins ſtatiſtiſcher Tafel,

) Reinhardftöttner, Studien zur Kultur: und Literaturgefhichte Altbayerng, I, 13.

2) Der Zuſchauer, I, 83.

) Brunner, Theologifhe Dienerſchaft ıc., 480.

9 Wekhrlin, Graues Ungeheuer, 1784, 1, 168.

Geſetzgebung, Staatswirthichaft, Kultur, teutfcher Patriotismus, allgemeines Menſchenwohl:

Räthe: Sefretäre: Friedrich der Einzige. Feldmarfhall Zacy. Karl Friedrich v. Baden. Baron Herzberg. Joſeph II. Kanzler Carmer. Wilhelm, Graf v. Hanau. Baron Fürftenberg zu Münfter.

Karl Wilhelm Ferdinand v. Braunfchweig. Künfte, Wiffenfchaften, Aufflärung, Nationalglanz:

Räthe: Sekretäre: Karl Theodor v. Pfalzbaiern. Friedrich Wilhelm, Prinz v. Preußen. Friedrich, Landgraf v. Caffel. Baron v. Dalberg zu Mainz. Leopold v. Anhalt. Graf Firmian zu Salzburg.

Ermft II. v. Gotha. Karl Joſeph, Kurfürft v. Mainz. Karl Auguft v. Weimar.

Der Thronwecjel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinftaaten. 89

„wie viel Genie, Wig, Wiffenihaft und Geihmad im vierten Viertel des act: zehnten Jahrhunderts die einzelnen Städte Teutjchlands befigen,” der Refidenz Karl Theodors jo ziemlich der letzte Pla angemwiejen.!)

Sehen wir einmal zu, inwiefern die beiden auffällig abweichenden Urteile Geltung beanſpruchen können.

Am 30. Dezember 1777 übernahm Karl Theodor, der in der rheinifchen Pfalz ſchon jeit 1742 die Zügel geführt hatte, die Regierung über Baiern. Auch ſchon ala Kurfürft von der Pfalz hatte er durch kirchenpolitiſche Maßregeln bei dem evangeliihen Teil der Bevölkerung Anftoß erregt. Der Beichwerden über Verlegung der im weltfälifchen Frieden und im fogenannten Hallefchen Rezeß von 1685 den Proteftanten zugejicherten Rechte gab es, wie ein Ankläger in den „Staatsanzeigen” verſichert, fo viele, daß der reformierte Kirchenrat ihon 1754 „ganze Volumina vorlegte”, da „der Judenſchaft mehr Freiheit zu- ftand als der reformierten Kirche”. Hauptfählih um diefer Bebrüdung willen wanderten viele taujend Familien nach Amerifa aus. „Es find wenige Beifpiele in der Weltgefchichte,” bemerkt dazu Schlöger, „daß ein Land feine Intoleranz jo hart hat büßen müſſen; die Bedeutung des Wortes ‚Pfälzer‘ für ‚Rolonift‘ in der engliſchen Sprache bleibt ein bauerndes Beifpiel davon.““) Die Rechts— pflege, wie die Verwaltung krankten an der Käuflichfeit der Memter und ber Beamten, und die 5500 Mann ftarfe Armee mit einem Stab von Generalen und Offizieren, der an Zahl ben preußifchen faft überbot, erregte den Spott ber Zeitgenoffen. Doc diefe Mängel hinderten nicht, daß Karl Theodor, jelbft ein echter Pfälzer, der Liebling der Pfälzer war. Das elegante Treiben in Mann: beim, der jüngften unter den deutſchen Refidenzen, die Bewunderung, die von Fremden aller Nationen dem „deutjchen Mäcen“ entgegengebradht wurde, wirkten jo beftridend auf die Nheinländer, daß fie mit Stolz fich ihres Landesherrn rühmten. Auch fehlte es Karl Theodor feineswegs an Eigenjchaften, die einem Regenten die Liebe des Volkes erwerben. Er war von milder, heiterer Sinnes— art, frei von Mißtrauen und übertriebener Strenge; erft in vorgerüdtem Lebens: alter unter dem Einfluß feiner Umgebung wurde er unduldfam und hart gegen

Nationalerziehung, Induſtrie der Tugend, Philantropie:

Räthe: Sefretäre: Karl, Herzog zu Württemberg. Ferdinand, Prinz v. Braunſchweig. Karl Wilhelm, Graf zu Naſſau-Uſingen. Herr v. Rochow.

Heinrich v. Bibra, Fürſtbiſchof zu Fulda. Franz Ludwig v. Erthal, Fürſtbiſchof zu Würz⸗

burg. i) Graues Ungeheuer, 1784, I, 12. Genie Wis Wiſſenſchaft Geihmad Bein -. . ... 15 20 15 10 Böttingen . . . . 5 5 25 0 Leipig » - 2.2. 10 10 20 5 Münden . . . . 5 0 15 0 Mannfeim . . . . 10 10 10 5 BR: 5.5 4% 10 5 15 5

2) Schlöger, Staatdanzeigen, 1786, 294.

90 Erſtes Bud. Dritter Abſchnitt.

alle, die ſich ſeinen Anſichten und Abſichten nicht fügen wollten.) Seine ritter- lihe Erfcheinung und feine gefellfaftlihen Talente gewannen ihm ben Ruf des „eriten Kavaliers des heiligen römiſchen Reichs”, dem die vielen Liebesverhält- niffe, in welche ihn feine Sinnlichkeit verftridte, und die Vorliebe für die Jeſuiten nicht allzu Schwer angerechnet wurden. Zog doch der nämliche Fürft den großen Eynifer Voltaire als gefeierten Gaft in feine Refidenz ?) und fpenbete wenigitens berühmten Gelehrten des Auslands mit freigebiger Hand Gold und Weihraud! Vor allem aber rühmte man jein BVerftändnis für bdarftellende und bildende Kunſt. „Die Kunft ift feine eigentlihde Sache”, verfihert der Reiſeſchriftſteller Rießbeck, „ein Engländer jol ihm deshalb das jonderbare Kompliment gemacht haben, er verdiente eigentlih ein Privatmann zu jein.”?) Die Stiftung ber Akademie der Wiſſenſchaften und der deutſchen Gejellfchaft in Mannheim, die Bereicherung der Galerien, die Ausführung prunfvoller Bauten, die Gründung der eriten deutſchen Hofbühne unter dem Beirat Leſſings und Wielands, die glänzenden Xeiftungen der Mannheimer Oper wurden als „ſchätzbare Denkmale des Freundichaftsbundes eines großen deutſchen Fürften mit den Mufen” im ganzen Reiche gefeiert.

Nun wurde diefer Fürft, der fich feit 35 Jahren in ein nicht bloß von Schmeichlern bewundertes, jondern feinen Unterthanen wirklich zufagendes Regie: rungsſyſtem eingelebt hatte, durch Mar Joſephs III. Tod zur Negierung über Baiern berufen, und zwar war er durch die Hausverträge verpflichtet, in ber bairiſchen Hauptitadt dauernden MWohnfig zu nehmen. Die fonnigen Rebgelände der Pfalz jollte er vertaujchen mit der rauhen, waldbebedten bairiſchen Hochebene; ftatt der leichtblütigen, leichtlebigen Pfälzer follte er derbe, verſchloſſene, gegen alles Fremde voreingenommene Altbaiern um fi haben! Ihnen ſollte er erit Vertrauen und Zuneigung abringen, ihnen follte er, der felbit auf Nachkommen— ſchaft faum noch hoffen fonnte, den Verluft einer fünfhundertjährigen Dynaltie, eines vergötterten Regenten, wie es Mar Joſeph III. gewejen war, erjegen! Die Aufgabe erjhien ihm jo ſchwierig und jo wenig lodend, daß er nicht Be: denfen trug, mit dem Erzhaufe in Verbindung zu treten, um ganz Baiern oder doch einen Teil gegen angemefjene Entihädigung abzutreten. Der Widerftand der Zweibrüdenihen Kognaten, die an Preußen eine Stüte fanden, verhinderte zwar den Tauſch, aber der Plan wurde nur vertagt, nicht aufgegeben; bis an fein Lebensende blieb der Kurfürft willfährig, auf neue Verhandlungen mit Defterreich einzugehen. Dieſer Wunſch war in Baiern ein öffentliches Geheim: nis und wurde als unerträglider Shimpf empfunden. Die Gattin des Herzogs Clemens, Maria Anna, die ſchon 1778 in den Tagen der höchſten Gefahr durch

!) So urteilt namentlich Weftenrieder. Karl Theodor, ber „im Grunde und für fi fehr liberal dachte“, fei nur „mitteld der bösartigen Vorjpiegelungen und mitteld der ſchwärzeſten, unverantwortlichiten Berunglimpfungen und Verläumdungen der Nation” ſcheu und argwöhniſch gemadt worden. (Beyträge, VI, 397.)

2) Val. den teilweife nach ungedrudten DOriginalforrefponbenzen im kgl. geh. Hausardiv zu Münden bearbeiteten Auffag „Karl Theodor von Pfalzbaiern und Voltaire” in Heigel, Eſſays aus neuerer Geſchichte, 145.

3) Briefe eines Franzoſen über Deutfchland, I, 82.

Der Thronwechfel in Preußen. Die beutfhen Mittel: und Kleinitaaten. 9]

Appell an König Friedrich die Selbitändigfeit Baierns gerettet hatte, ftand an der Spige der „Patrioten”, die dem „Pfälzer offen und heimlich Oppofition madten. „Man fieht noch allgemein,“ jo ſchildert der öfterreihiiche Geſandte, Graf Lehrbah, dem Kaiſer die Stimmung der Münchener Bevölkerung, „bie Ergebenheit des Herrn Kurfürften für den Allerböchften Hof mit den gehäffigiten Augen an; es iſt fait Fein Haus, in welhem man nicht das in Kupfer geftochene Porträt des Königs Friedrich II. von Preußen aufhängt und als Schußgott Baierns verehrt, und der Herzog Karl von Zweibrüden, welcher früher (megen feiner Verfhwendung) jozufagen der Abſcheu und das Schredbild der Nation gewefen, ift von biejer durch die Einwirkungen der Herzogin Klemens (Maria Anna) und ihrer Anhänger der Liebling geworden und hat in allen Gefchäften den mädhtigiten Einfluß, mwährend man den Abſichten und Verordnungen des Herrn Kurfürften mit Verachtung und Leichtſinn zu begegnen pflegt.” ')

Raſch war die gehobene Stimmung verflogen, der beim Einzug des Kur: fürften Ettenhueber Ausdruck gegeben hatte:

„Ein Fürft, ein Volk, ein Herz und Sinn, Und Pfälzer, ihr feid unfre Brüder!“ ?)

Schon wenige Monate jpäter mußte Ettenhueber zur Strafe für einige Stachelverſe über das lüfterne Defterreih ins Gefängnis wandern. Die Alt: baiern klagten über Zurüdiegung gegenüber den „Krifchern”, die im Staat und Heer die erften Stellen befämen und ihr Hauptgeſchäft darin erblidten, den Yandesherrn gegen bie eigenen Unterthanen aufzuheben.

Die einflußreichfte Stellung am Hofe nahm der Beichtvater des Kurfüriten, der Mannheimer Erjefuit P. Ignaz Frank, ein. Nachdem feine rührige Thätig: feit für den Tauſchhandel mit Deiterreih nicht den gewünjchten Erfolg ge: funden hatte, eröffnete er ebenjo leidenjchaftlichen Kampf mit den altbairifchen Patrioten, wie mit ben „Aufllärern”, die den üppig wuchernden Wunder: und Aberglauben einſchränken wollten, Wie notwendig für Baiern folde Reformen waren, dafür bietet die von Zaupfer herausgegebene Zeitichrift „Der Zuſchauer“, die für Münden eine ähnliche Bedeutung hatte, wie für Wien „Der Mann ohne Vorurtheil”, eine Fülle trauriger Beijpiele.’) In Münden lefe man, jo Hagt Zaupfer, nur „Melufinen und Heumonsfinder, Münchener oder Auge: burger Zeitung und den Pater Kochem“. Die erfte Ausgabe von Goethes Werfen von 1787 wurde nur von einem einzigen Münchner beftellt,*) während eine Schrift mit dem ſchönen Titel: „Wunderfame Begebenheit der mirafulojen

) Erhard, Bayerifhe Patriotenverfolgung, 61.

2) Reinharbftöttner, I, 49.

») Manche wollten deshalb auch in der Rettung ber Selbftänbigfeit Baierns fein Glüd erbliden. Die Flugſchrift „Es wird doch noch geichehen oder 36 Hypothefen über die Möglich: keit des bairiſchen Ländertauſches“ (Frankfurt und Leipzig 1736) gibt der Hoffnung Ausdrud, ed werde doch noch gelingen, das verjumpfte Baiern zu feinem Heile unter das Szepter des aufgellärten Joſephs zu bringen.

4) Mar Koch, Ueber Weſtenrieders ſchönwiſſenſchaftliche Thätigkeit, im Jahrbuch für Münchner Geihichte, IV, 44.

92 Erſtes Bud. Dritter Abſchnitt.

Augenwendung des gnabenreihen Vefperbildes in der St. Petersfirhe, auf Ver- langen vieler marianifcher Verehrer und Pflegkinder zum Drud befördert, als ein Schrödenbild allen Freygeiftern vor Augen geftellt“, reißenden Abſatz fand. Unmittelbar nad dem Regierungsantritt Karl Theodors wurden die aufflärenden Beitrebungen der Akademiker, wie fih aus dem Verhalten der amtlichen Preſſe entnehmen läßt, noch eine Zeitlang von oben unterftügt, aber ſchon 1780 be: gann die Verfolgung der von Soft, Gruber, Kreuttner u. a. mit Kores, Dathan und Abiron verglichenen Aufklärer. Als vollends aus geheimen ‘Bapieren einiger Mitglieder des Jluminatenordens angeblich ftaatsverräteriihe Pläne dieſes ge: heimen Ordens aufgededt wurden, überließ der geängftigte Kurfürft, um Thron und Altar zu retten, fait ausjchließlih den P. Franf und Genofjen die Zügel. Wohl war es, mochte man auf das ärgerliche Leben des Stifters Weishaupt oder auf die Zwede des Bundes bliden, nicht unberechtigt, daß die Regierung gegen die gefährlichen Streber einjhritt und der Aufrihtung eines Staates im Staate vorzubeugen juchte,!) aber jchon die Ergebnifje einer oberflächlichen Unter: fuhung wurden dazu benüßt, den Fürften zu ertremen, gehäfligen Maßregeln zu drängen. Das Bücherzenjurfollegium erhielt verjchärften Befehl, gegen alle „der ſchlechten Aufklärung dienenden” Schriften einzufchreiten. Frank und fein rührigfter Mitarbeiter, Johann Kaſpar von Lippert, vom Volk ſchlechtweg „der Edle von”, von Weftenrieder wunderlicherweiie der „bairiſche Nobespierre” ge: nannt, bildeten eine Art Inquiſitionsgericht, das fich zur Auffpürung und Be: ftrafung von Jluminaten jeglihe Willfür erlaubte, auch gegen die tücdhtigften und unbefcholteniten Männer, die nur durch unvorfichtige Neußerungen oder dur Läffigkeit in Beachtung der Kirhengebote Verdacht erregt hatten. Das „gelbe Zimmer” in der Refidenz, in welchem die „Spezialtomiffion” tagte, war der Schreden des Landes. Die Verfolgung artete in eine unwürdige Hetze aus, jo daß in Münden, wie Andreas Buchner, jelbit ein Klerifer und ein befonnener Forſcher, bezeugt, „fein Mann von Kopf noch eine Nacht ruhig im Bette jchlafen fonnte”. Wer der Zugehörigkeit oder auch nur der Hinneigung zum Illumina— tismus ſchuldig befunden wurde, erhielt, wenn er niederen Standes war, eine „teibsfonftitutionsmäßige Anzahl Karbatjchitreihe” und wanderte ins Arbeits: haus; Beamte oder wohlhabende Bürger büßten mit langer Gefangenihaft und Zandesverweifung. Die Illuminatenhetze in Baiern erregte widerwärtiges Auf: fehen im ganzen Reiche. Schlözer richtete deshalb 1788 eine zornige Philippika gegen das „Kuttenregiment” in Baiern. Seit einigen Jahren jpiele diefes Land vor den Augen Deutſchlands eine Role, die ebenjowenig der Philofophie des Yahrhunderts Ehre made, wie fie den günftigen Erwartungen entſpreche, die das aufgeklärte Regiment Marimilians III. erregt babe; jetzt dagegen empfehle ſich die Anlegung eines „bairifhen Martyrologiums”, einer Lifte jener Männer, die um ihrer aufgeflärten oder patriotiſchen Gefinnung willen barbariihe Strafen erlitten. In langer Reihe folgen dann die Namen und die Leidensgejchichte der Führer der „antiwienerifchen patriotiihen Partei” Andree, Lori, Obermayr :c.,

) Die Zwangslage der Regierung wird aud von Schubart anerlannt (Vaterländiſche Chronik, Jahrgang 1787, I, 44).

Der Thronwechſel in Preußen. Die dbeutihen Mittel: und Kleinftaaten. 93

und der wirfliden und angeblihen Illuminaten Weishaupt, Milbiller, Fronhofer, Hillesheim, Zaupjer u. a.!) Auch der Züricher Rießbeck, der, wie erwähnt, in den „Briefen eines reifenden Franzoſen über Deutihland”?) dem Charakter und den Anlagen Karl Theodors hohes Lob zollt, beflagt zugleih, daß der Fürft dieje Vorzüge gar nicht entfalten könne, da er völlig eingehült werde von einer übergroßen Schar von Beamten, die nichts zu arbeiten, und Offizieren, die nichts zu fommandieren haben ... „Die Triebjedern der Hofmaſchine aber ſtecken in einer Kutte oder in einem Eotillon!”

Es wäre jedoch ungerecht, wollte man annehmen, daß an ber bedauerlichen Entfremdung zwiihen Fürft und Volk nur der Regierung alle Schuld beizu: meſſen wäre: für vieles findet fi die Erflärung in den verknöcherten fozialen Verbältnifien des Kuritaates. Ein Beifpiel möge genügen. Als der Kurfürſt die gewiß nicht unbillige Anordnung traf, dab es aud Händlern und Handwerks: leuten aus ber Borjtadt Au geftattet fein follte, in München Lebensmittel zu verfaufen und Arbeit zu juchen, hielten fich die Bürger der Hauptftadt dadurd „in ihrer Nahrung beſchränkt“, und der Stadtrat erlaubte fih, in wenig ehr: erbietiger Weiſe Gegenvorftellungen zu maden. Darauf reifte der Kurfürft plöß- ih nah Mannheim ab, und als nun auch die vielen Hofbeamten und Lafaien und Trabanten Befehl erhielten, dorthin überzufiedeln, gab es in der ganzen Stadt großen Jammer. Der Zorn der Bürgerichait lenkte ſich auf den Magiftrat, der „ven Ruin der Stadt herbeigeführt habe”. Der Landesherr wurde demütig erfucht, in jeine getreue Refidenz zurüdzufehren, und als er endlich diefen Bitten Folge leiftete, wurde der „erhabene Wohlthäter” in überfchwenglider Weiſe ge- feiert. Bald darauf aber fam es wegen einer öffentlihen Dankjagung für die Verfhönerung der Stadt unter Karl Theodor wurde der „engliihe Garten” aus einer jumpfigen Niederung hervorgezaubert zwifhen dem taftlojen Stadt: rat und dem Günftling des Kurfürften, dem bochbegabten und verdienten Ameri: faner Benjamin Thompfon, nahmals Grafen von Rumford, zu neuem Zwift. Nun verhängte Karl Theodor über die Widerfpenftigen, „weil fie den Ausdrud Ihuldigen Dankes verhinderten“, jchwere Strafen. Der Bürgermeifter und mehrere Näte wurden ihres Amtes entjeßt und mußten vor dem Bild des Landesherrn knieend Abbitte leiften. Mißſtimmung herrſchte demnach im Rolf, wie auf dem Throne, und jo gewährt die Geſchichte der Regierungszeit Karl Theodors in Baiern ein trübes Bild.

Bei feinem andren Stamme waren die Charafterzüge, wodurdh ſich im achtzehnten Jahrhundert der Sübdeutihe vom Norddeutihen unterfchied, jo ſtark ausgeprägt, wie in Schwaben: eine gewiſſe urwüchlige Biederfeit, ftolze rei: heitsliebe und derber Freimut, Hang ſowohl zu poetiſchem Gefühlsleben wie zu philoſophiſcher Abitraktion, aber auch Driginalitätiuht, Rechthaberei und Nei- gung zu ſchildbürgerlicher Kleinmeifterei. Jene Vorzüge ſchwäbiſchen Geiftes und Charakters offenbaren ſich am herrlichſten in Friedrich Schiller; die Untugenden

) Schlözers Staatdanzeigen, Jahrgang 1788. 263. Spanische Inquifition in Baiern unter der Regierung Karl Theodors (Helmftebt 1804). ) 1783 erſchienen, neue Folge 1790.

94 Erfted Bud. Dritter Abjchnitt.

werden augenfällig, wenn wir und 3. B. mit der Leidensgejchichte des trefflichen Juriften und Staatsmannes Johann Jakob Mofer vertraut mahen. Nachdem er Jahrzehnte hindurd in Amtsftuben und Ausihuhligungen gegen das Zopftun jeiner Landsleute angefämpft hatte, wurde er zu guter Lebt wegen jeiner mit aller Loyalität geführten Verteidigung der verfaffungsmäßigen Rechte des württem: bergifchen Volkes vom Landesvater mit fünfjähriger Kerferhaft bedacht.

Ebenjo wie perfönlihe Eigenart im ſchwäbiſchen Wolfe am ftärkjten ent: widelt war, war auch fein andres Stammesgebiet im Deutſchen Reich jo mannig- fach gegliedert, wie das ſchwäbiſche. Kein andrer Kreis hatte jo viele und ver: ſchiedenartige Stände, jo viele proteftantiihe und katholiſche, geiftlihe und welt: liche Fürften, geiftlide und weltlide Stifter, Grafen und Herren, unabhängige und „forreipondierende” Neichsftädte. Im Laufe der legten drei Jahrhunderte hatten fich aber die Macht und das Anjehen des Herzogtums Württemberg in jolhem Grade gefteigert, daß nach und nach das alte ſchwäbiſche Herzogtum in ihm aufging.

In Württemberg regierte jechzig Jahre (1737—1797) Herzog Karl Eugen, der im Gedächtnis des ganzen deutichen Volkes namentlich deshalb heute noch fortlebt, weil er als „militäriiches Waifenhaus” jene Schule geftiftet hat, bie den jungen Schiller zu ihren Zöglingen zählte.

Karl Eugen war am Hofe Friedrichs II. erzogen worden, und für ihn hatte der große König jenen Fürftenipiegel verfaßt, in welchem jo eindrings (ih wie berebt die Pflichten der Fürften gegen die Völker verfündigt find.!) Dod die trefflihe Anleitung brachte nicht die erhofften Früchte. Ueber das Mip- regiment Karl Eugens in den eriten Jahrzehnten feiner Negierung gab es nur eine Stimme. Die Berirrung des Fürſten, im Eleinen Lande den abjoluten Monarchen in großem Stile zu jpielen, wurde eine Quelle des Unheils für das Land. Als Karl Eugen bei feinem eigenmäcdtigen und gemwaltihätigen Vorgehen noch auf ein ſchwaches Hindernis, die württembergiiche Landſchaft, ftieß, jcheute er fich nicht, die verbrieften und von ihm beſchworenen Landesrechte einfach um: zuftoßen und an die Stände unerhörte Zumutungen zu ftellen. Dem Abgeord— neten der Stadt Tübingen, der gelegentlich einer Beſchwerde das Wort Vater: land ausſprach, fiel er ins Wort: „Was Vaterland, ich bin das Vaterland!” Um ſich gegen die Gemwaltthätigfeit feines Herrn zu fihern, erbat und er: wirkte der Yandichaftsfonjulent J. J. Mofer die Verleihung des Charakters eines dänischen Etatsrats, aber auch diefe Vorſicht bewahrte ihm nicht vor der jchon erwähnten Beitrafung; er wurde wegen „unrubigen Betragens und ohne genug: jame Beurteilungsfraft affeftierter Zaumlofigkeit” auf dem Hohentwiel einge: kerkert.) Die Ausgaben des verjchwenderifhen Fürften ftanden durchaus nicht im Verhältnis zu den Einkünften, und die Finanzkünfte, zu denen er feine Zu: Hucht nahm, waren um nichts reinliher, als die unter feinem Vorgänger von dem berüchtigten Juden Süß erfonnenen Praktiken. Da aber trog alledem in

') Miroir des princes ou instruction du roi pour le jeune Duc Charles Eugene de Wurtenberg; Oeuvres de Frederic le Grand, IX, 1. 2) A, Schmid, das Leben J. 3. Moiers, 281.

Der Thronwechfel in Preußen. Die deutfhen Mittel: und Kleinitaaten. 95

Stuttgart das freie Wort nicht verftummen wollte, und der ftändiihe Ausſchuß gerichtliche Klage beim Reichshofrat einleitete, wählte der Herzog Ludwigsburg zu feinem MWohnfig. Hier vergeudete er ungeheure Summen für Schloßbauten, Mummenſchanz, Jagden zc., getreu jeinem Vorbild Ludwig XV. in Verjailles. Daneben wurde für das Militärwejen unnötiger Aufwand entfaltet, indem nicht bloß eine übergroße Armee mit zahlreihem Dffizierforps auch in Friedens- jeit aufgeftellt blieb, jondern auch häufig Eoitjpielige militärifhe Schaufpiele, Luſtlager ꝛc. veranftaltet wurden. Das jährlihe Militärbudget im Betrage von 1600 000 Gulden überftieg bei weitem den Bedarf der übrigen kleinen Staaten.

In Karl Eugens Regierung laflen fih aber zum Glüd für das Land zwei völlig verſchiedenartige Perioden unterjheiden: nad) dreiunddreißig Jahren einer deſpotiſchen, ſinnlos verſchwenderiſchen Wirtjchaft leitet der fogenannte Erb: vergleih von 1770, der die zur Tilgung der ungeheuren Schuldenlaft notwendige Ausjöhnung mit den Ständen bradte, in die Periode eines fparjamen, zurüd: gezogenen Lebenswandels und einer höchſt verdienftvolen Thätigfeit hinüber. Es wurde zwar in Berjailles und an gefinnungsverwandten deutſchen Höfen weidlich geipottet über das am fünfzigften Geburtstag des Herzogs, 11. Februar 1778, von allen Kanzeln verlefene Schriftjtüf, worin er der Neue über feine Ausihmweifungen und dem Vorjag der Beſſerung Ausdrud lieh, aber wenn auch die Form der Umkehr nicht gerade der Würde des Thrones angemeflen war, fo gereicht doch die Sinnesänderung, zu welder namentlih auch der günftige Ein- fluß der zweiten Gemahlin, der geiftvollen Franzisfa von Hohenheim, beitrug, dem Fürften zur Ehre. Seither famen die auh von Schiller gerühmten glüd: lihen Anlagen des Mannes, fein Scharfblid und feine Bildung, zu erfreulicher Geltung, und die noch immer beträchtlihen Summen, bie für Bauten, Samm- (ungen, Bühne ꝛc. verwendet wurden, famen nit mehr dem Vergnügen und der Ruhmſucht des einzelnen, jondern dem Aufihwung von Kunft und Willen: ihaft im Lande zu gute.

Wie im Zeitalter des Abjolutismus durch Wirkſamkeit und Beijpiel eines pflichttreuen Regenten das Wohl des Landes gefördert und das Anfehen eines kleinen Staates weit über das Verhältnis jeiner Macht gehoben werden Eonnte, beweiit ein Blid auf Baden und auf Karl Friedrich, der neben dem Türfenfieger Ludwig wohl als der bedeutendfte und ohne Nebenbuhler als der edelfte in der Reihe der Zäringer bezeichnet werden muß. Es wird erzählt, er habe einmal die ſcherzhafte Aeußerung gemadt, fein Nahbar in Württemberg thue alles, um fein Land zu Grunde zu richten, während er felbit alles thue, um das einige emporzubringen, troßdem vermöge feiner von beiden jein Ziel zu erreihen. Das allzu bejcheivene Wort entipricht nicht der Wahrheit: das äußere Wahstum des Staates wie der Aufſchwung der Landeskultur geben von der erfprießlichen Wirk: janıfeit des badifchen Regenten rühmliches Zeugnis. Die Markgrafihaft Baden, in deren Beſitz fich die Linien Baden-Baden und Baden-Durlach teilten, umfaßte bis zum Liüneviller Frieden nur fiebenundfiebzig Duadratmeilen. Nur ein etwa neunundzwanzig Duadratmeilen umfajjender Teil fam 1746 unter das Scepter Karl Friedrichs. Doch bald herrſchte innerhalb und außerhalb des Ländchens

96 Erftes Bud. Dritter Abfchnitt.

nur eine Stimme, baß dasfelbe mufterhaft verwaltet werde und das Wort: „landesväterliches Regiment” in Baden nicht als leere Phraje anzufehen fei. Die Finanzen waren trefflich geordnet, das Schulweſen erfreute ſich befonderer Fürſorge des Regenten, die Rechtspflege wurde durch Reformen in Joſephiniſchem Geifte gehoben. Wie ernft e& fih Karl Friedrich angelegen fein ließ, die für das allgemeine Wohl förderlichſte Wirtichaftspolitif fich anzueignen, erhellt aus feinem merkwürdigen Briefwechſel mit dem älteren Mirabeau und Du Pont, den bervorragenditen Vertretern der phyliofratiiden Schule. Insbeſondere die Schriften des Marquis Mirabeau hatten ben lernbegierigen Fürften lebhaft an: geregt, ebenjo „l’ami des hommes ou trait@ de la population“, worin aus dem Sate: Homo miser sacerrima res die Lehre gezogen wird, daß die Hebung des verfommenen Bauernftandes als erite Fürftenpflicht zu gelten habe, wie die „Theorie de l’impot*, dieſer Notjchrei gegen die übliche Steuerverpadtung und andre merfantiliftiihe Praftifen. Karl Friedrih begnügte ſich aber nicht mit afademifcher Zuftimmung, fondern jchritt zu praftiicher Verwertung. Er beſchloß, die von den Phyfiofraten verlangte Belteuerung, den impot unique, einzuführen; daran follten jih andre wirtichaftspolitiiche Reformen im Geifte der „neuen Ordnung” reihen. Als dabei Schwierigkeiten erwuchſen, wandte fi Karl Friedrich an Mirabeau ſelbſt. „Meine Eigenfhait ale Menſch“, fchrieb er am 22. No: vember 1769 an den Franzoſen, „ermädtigt mich, Ihre Freundſchaft für mich zu fordern, und legt mir die Pflicht auf, fie zu verdienen, indem ich mid) be- ftrebe, meinesgleihen nüglich zu fein.” Bor allem will er von Mirabeau hören, wie am beiten der im badiſchen Ländchen herfümmlichen allzu großen Teilung der bäuerlichen Güter entgegengewirkt werden fönne.!) Schon dieje Frage be: weift, welch jcharfen Blid der Fürft für die geplanten Reformen mitbradte. Die fpäteren Briefe zeigen ihn als eifrigen Schüler der phyfiofratiihen Lehre. Doch die Vorliebe für die Landwirtichaft verleitete ihn nicht zur Geringihäßung der Gewerbe und des Handels. „Die Zufriedenheit und Opulenz des ganzen Volks“ zu feftigen, bezeichnet er jelbit als „ichwer zu erreihendes, aber den Fürften erſt wahrhaft zum Fürſten erhebendes Ziel”.

Ein reicheres Feld war diejer Thätigfeit eingeräumt, jeit Karl Friedrich nad dem Ableben Auguft Georges, des legten Markgrafen von Baden-Baden (21. Oftober 1771), die ſeit Jahrhunderten getrennten badiſchen Yande unter feinem Szepter wieber vereinigte. In dem neu erworbenen Gebiet herrjchte das fatholiiche Bekenntnis vor; damit erwuchſen dem proteftantiichen Fürften ſchwere Pflichten, die ihm aber gar nicht unmwilllommen waren. „Möge die göttliche Vorſehung,“ jchrieb er an Du Pont, den er zum Erzieher jeines Sohnes beitellt hatte, „mir jo viel Kraft und Klugheit geben, als erforderli it, um meine alten und meine neuen Unterthanen jo glüdlich zu machen, wie ich es möchte, dann werde auch ich es jein, insbejondere wenn ich unter den verfchiedenen Be: fenntniffen den Geiſt der Eintracht und der Brüderlichkeit herrſchen jehen

!) Knies, Karl Friedrichs von Baden brieflicher Berlehr mit Mirabeau und Dupont, 3. Emminghaus, Karl Friedrihs von Baden phyfiotratifche Verbindungen, Beftrebungen und Ber: fuche, in Hilbebrands Jahrbüchern für Nationalölonomie und GStatiftif, 19. Band, 1. Heft.

Der Thronwechjel in Preußen. Die deutichen Mittel: und Kleinftaaten. 097

werde.” !) Mit Milde und Gebuld ging er an firchenpolitifhe Reformen; von ber Hajt und ber Gemaltthätigfeit des Joſephinismus hielt er fich glüdlich fern. „In jenem religiöjfen Mittelgebiet, das zwijchen dem bogmenlojen Pietismus und der fromm jchwärmenden Humanität liegt, wurzelt Karl Friedrichs Bil: dung.” ?) Es war ungerecht, daß ſich die Fatholiihen Untertanen Baden: Badens über Bedrüdung beklagten, und es war eine unverdiente Kränkung für den wohlwollenden Fürften, daß jene Mißvergnügten fogar einen Prozeß beim Reihshofrat anftrengten. Karl Friedrich Tieß jedoch niemals die katholiſchen Unterthanen im allgemeinen den Troß einzelner entgelten und brachte endlich alle zur Einfiht, daß fie ſich glüdlih ſchätzen dürften, einem fo aufgeflärten, aber zugleich duldjamen und friedfertigen Herrn untergeben zu fein. Einen treuen Berater hatte Karl Friedrich an feinem Minifter Wilhelm von Edels- heim, einem der hervorragendften deutſchen Staatsmänner jenes Zeitraums. „An fait allen Reformen hat der ‚Choifeul von Karlsruhe‘, wie man ihn da: mals im Hinblid auf feinen allmädtigen Einfluß wohl bezeichnet hat, Anteil, faft überall hat fein klarer, praftiiher Blid das Richtige zu treffen gewußt.” (Obfer.) Nachdem ein Dekret vom 23. Juli 1783 die Leibeigenihaft aufgehoben und die am ſchwerſten drückenden Zölle und Auflagen befeitigt hatte, wurde dem Markgrafen ein „allgemeiner Landesdank“ votiert; die Antwort des Gefeierten enthielt goldene Worte über Freiheit und Baterlandsliebe, die im Munde des Bolksfreundes nicht als Phrajen erfhienen. Es war von unberechenbarer Wichtigkeit, daß gerade in der Zeit, da in Frankreich die Revolution aufloderte, wenigftens in dem größten deutſchen Nachbarftaat ein Fürſt regierte, der, wie Goethe rühmt, „bejonders wegen feiner vortrefflihen Regierungszwede unter den deutſchen Regenten hoch verehrt war”, und daß hier Fürft und Volk in glüdliher Eintracht lebten.

„Der materielle Wohlitand kann fich nicht befeitigen, wo die geiftige Ent: widelung zurüdbleibt.” Diejer Gedanfe fehrt in Karl Friedrihs Kundgebungen immer wieder. Die erfte Gattin des Markgrafen, Karoline Luiſe, galt für eine Gelehrte. Der Schwede Björnftahl, der 1773 den Hof in Karlsruhe befucht hatte, wußte feinem Landsmann Linne nicht genug zu rühmen, weld eifrige Schülerin der große Botaniker in einer deutſchen Fürſtin gefunden habe. Karoline war vergeblih bemüht, Linne ſelbſt zur Weberfiedelung nad Karle- ruhe zu bewegen. Voltaire war wiederholt ein Gaft der marfgräfliden Refi- denz; er glaubte offenbar der Markgräfin das denkbar höchſte Lob zu ſpenden, wenn er vor d’Hermandes erflärte: „Es gibt feine Franzöfin, die ſich mit ber Markgräfin von Baden an Geilt, Kenntniffen und Freiheit meſſen könnte.“ Wichtiger war des Markgrafen Verſtändnis für die Befreiung des beutjchen Geiftes von der franzöſiſchen Herrichaft; nicht an ihm lag die Schuld, daf nicht Karlsruhe, jondern Weimar der Mittelpunkt deutſcher Bildung und deutichen Schrifttums wurde. Als für Klopftod die Ausficht einer Berufung nah Wien entihwunden war, erließ der Markgraf an den „Sänger der Religion und des

!) Knies, 134. 2) Hausrath, Die firhengejchichtliche Bedeutung der Regierung Karl Friedrichs, 4. heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Or, bis zur Auflöfung des deutjhen Reiche. 7

98 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt.

Baterlandes” eine jchmeichelhafte Einladung; die Ernennung zum Hofrat jollte den Dichter dauernd an Karlsruhe fefleln. Als aber die Höflinge über das bärenhafte Gebaren des Dichters, der auch im Schloſſe feine Pfeife ſchmauchte und die Titel und Würden feiner Umgebung nicht refpeftierte, zu fpotten be- gannen, empfahl ſich der Dichter „franzöſiſch“, ohne fi von feinem fürftlichen Gönner zu verabſchieden. „Das abgejhmadte Abſchiednehmen hat Gottjched erfunden.” Klopftod gedachte jedoch des Markgrafen, eines „Mannes, mit dem man etwas jprechen fünne”, immer mit Liebe und Hodhadtung. !)

Auch Herder, der ſchon 1770 Karlsruhe bejucht hatte, zollt dem Mark: grafen hohes Lob. „Er ift der erſte Fürft, den ich ganz ohne Fürſtenmiene fenne,” ... „der befte Fürft, der vielleicht in Deutfchland lebt.) Auf Wunſch des Markgrafen jchrieb Herder die Denkſchrift „Idee zum erften patriotifchen Inftitut für den Allgemeingeift Deutichlands”, einen Aufruf zur Stiftung einer Akademie behufs Durhführung großer nationaler Aufgaben und Förderung des vaterländijchen Geiltes. Leider war in Deutfchland gemeinfam nur der Mangel an Gemeinfinn, die Regierungen erblidten in dem genialen Vorſchlag des auf: geklärten Fürften eine Gefahr für ihre Selbftändigfeit, und fo blieb der Plan in der unfruchtbaren Debatte über Rätlichfeit und Nuben des Unternehmens fteden.

In feinen legten Lebensjahren ſchloß Karl Friedrich einen innigen Seelen: bund mit Jung:Stilling. Nur zu dem Zwede, „durch feinen weit ausgedehnten Briefmechjel und feine Schriftftellerei Religion und praftifches Chriftentum zu fördern”, ohne jede amtliche Verbindlichkeit wurde der liebenswürdige Myſtiker in die Dienfte jeines Freundes gezogen, und es braudt, um die Ausdehnung und die Bedeutung ber Karlsruher „philadelphiihen Gemeinde” zu kennzeichnen, nur an die Belehrung des Zaren Alerander und der Frau von Krüdener er: innert zu werben.

Nah dem Tode jeiner Gattin Karoline Luife vermählte fih Karl Friedrih zum zweitenmal (1787) auf die linfe Hand mit Luife Karoline Geyer von Geyersberg, die (1796) von Kaifer Franz zur Reichsgräfin von Hochberg erhoben wurde.) Die Ehe wurde fpäter für ebenbürtig erflärt, mit dem Zuſatz, dab im Falle des Ausfterbens der Defcendenz aus erfter Ehe die männlihen Nachkommen aus zweiter Che zur Nachfolge berechtigt jein jollten, einer Beitimmung, die in der Folge, ala die Selbftändigfeit oder doch die Unteilbarkeit Badens gefährdet wurde, enticheidende Bedeutung gewann.

An Landgraf Friedrih II. von Heſſen-Kaſſel haftet der Makel, daß er hejfiihe Truppen an England zum Kampf mit ben wiberjpenftigen Kolonieen in Amerika verkauft hat. Allerdings ift verfucdht worden, die Verwerflichkeit des heſſiſchen Soldatenhandels in Abrede zu ftellen. Man hat darauf hinge—

)D»D. F. Strauß, Klopftod und der Markgraf Karl Friebrih von Baden, in Sybels biftor. Zeitfchr., I, 424.

?) Haym, Herber nad) feinem Leben und feinen Wirkungen, I, 379.

) Kleinfhmibt, Karl Friedrich von Baben, 97.

Der Thronwecfel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Hleinftaaten. 09

wiefen, daß die Opfer jelbit für das Unrecht ihres Landesherrn und für das Schimpfliche ihrer Stellung feine Empfindung hatten; man hat jehr richtig darauf aufmerfjam gemadt, dab auch die Regenten von Gotha, Württemberg, Darmftabt, ja ſogar der „vielgeliebte” Mar Joſeph III. von Baiern fein Be: denfen trugen, ähnliche Geſchäfte abzuſchließen. Entſchuldigt wird freilich ber Menſchenhandel des Landgrafen dadurch nicht. Es war unter allen Umftänden verwerflich, daß Landesfinder für einen dem Vaterlande fremden Zweck geopfert wurden, daß überdies der größte Teil des Blutgeldes nicht zu Staatszweden für Hebung der allgemeinen Wohlfahrt, fondern für Liebhabereien des Fürften Verwendung fand. Freilih war die Preſſe nicht frei und nicht entwidelt genug, um dem Unmillen über das Schalten der Regierung öffentlichen Ausdrud zu geben, doch fehlte es nicht gänzlih an Zeihen und Zeugniſſen, daß der Handel in weiten Kreifen der Bevölferung verurteilt wurde.

Dagegen fehlte es der Periode Friedrihs IT. auch nit an Lichtfeiten. Er machte aus feinem Kafjel eine prächtige Stadt, wo nicht bloß der Luxus, fondern auch die Kunft eine Heimftätte hatte. Die berühmte Galerie dantt ihm die wertvolliten Ermwerbungen, und unter den bumaniftiihen Anftalten Deutichlands verfügte faum eine zweite über jo hervorragende Kräfte, wie das Kollegium Karolinum, Auch die Bejorgnis, daß der Landgraf, der jelbit zum Katholicismus übergetreten war, jeine neuen Glaubensgenofjen auf Koften der Proteftanten begünftigen werde, erwies fih als unbegrün- det; es wurde gewiſſenhaft an der Gleichberehtigung der Bekenntniſſe feit: gehalten.

Die Einwirkung der großen Berjönlichkeit des Preußenfönigs zeigt fidh be: ſonders deutlih an Landgraf Ludwig IX. von Hejjen:Darmitadt und feinem Sohne gleihen Namens. Der Vater erblidte, wie König Friedrich, die erite Regentenpflicht in rühriger Sorge für Ausbildung feiner kleinen Heeresmacht, wobei er fich freilich zulegt in militärische Evielereien verlor, der Sohn, der fich jelbft längere Zeit am Berliner Hofe aufgehalten hatte, eiferte dem großen König nah in Wertihägung und Stubium der franzöfiihen Aufflärungsphilojophie. Doch nahm der junge Fürft auch an dem Aufihwung der deutſchen Litteratur regen Anteil, und jein freundſchaftliches Verhältnis zu Schiller und Goethe würde gewiß noch erfreulichere Früchte getragen haben, wenn nicht ſchon bald nad dem NRegierungsantritt Ludwigs X. das gejegnete Land der Schauplat verheerenden Krieges geworden wäre

Ein entſchiedener Anhänger der „neuen Lehren” war auch Kurfürft Emme: rih von Mainz. Ebenſo jein Regierungssyften, wie die damit erzielten Er: folge erinnern in vielem an die Neformen Joſephs II. Hier wie dort war der Wunſch lebendig, den Kultus in feiner Reinheit wieder herzuftellen, dem Aber: glauben zu fteuern, den allzu großen Befiß der Toten Hand einzufchränfen, die ftaatsbürgerlihen Rechte auf die Angehörigen aller Belenntniffe auszubehnen, durch Heranziehung geiftliher Einfünfte das Schulmwefen zu fördern. Hier wie bort aber wurde der Erfolg geſchädigt durch Mebereifer und Haft, und es

') Eelkling, Die deutſchen Hülfstruppen im norbamerifanifhen Befreiungsfrieg, 43.

100 Erfied Bud. Dritter Abſchnitt.

mußte in einem Kleinftaat noch läftiger wirken, wenn die Regierung fi in alles und jedes einmiſchte, um die Unterthanen weiſe und glücklich zu machen. Der Tod des ftattlihen Kirchenfürften (11. Zuni 1774) fchien bei Hofe, wie im Staatsleben einen jähen Umſchwung herbeizuführen. Der neue Herr, Friedrich Karl von Erthal, ſchien völig unter dem Einfluß ber Jeſuiten zu ftehen. Alle äußeren Formen eines geiftlihen Regiments fehrten wieder, die Schulen wurden den geiftlihen Orden zurüdgegeben, mit der Duldjam: feit gegen Nichtkatholiken ſchien es zu Ende zu gehen, wie mit dem eleganten weltlihen Treiben der Reſidenz. Doch in folder Strenge war die Reaktion nit von langem Beltand. Friedrih Karl war zu ehrgeizig, als daß er ſich gegen bie freifinnigen Ideen, denen die Schöngeifter aller Nationen begeiftertes Lob jpendeten, auf die Dauer verfchlofjen und den höfiſchen Prunf, der allen Standesgenofjen unerläßlid erjchien, gänzlih aufgegeben hätte. Als fi Ge: (egenheit bot, große Politik zu treiben und dem Kurfürftenftaat höhere politifche Bedeutung zu geminnen, ging er auch darauf eifrig ein. In der That gewann ed den Anſchein, als jollte nochmals dem Erzfanzler des römijchen Reichs eine wichtigere Stellung im Staatsleben beſchieden werden, und zwar fügte e& bie Laune des Geſchicks, daß die Anregung von proteftantiicher Seite ausging. Als König Friedrih zum Schuße der „deutſchen Freiheit” die deutihen Fürften um fih ſcharte, war ihm viel daran gelegen, aud das Oberhaupt der geiftlichen Fürften für feinen Bund zu gewinnen. In Friedrihs Auftrag unterhandelte Karl Auguft von Weimar mit dem Erzbifchof, und diejer Schloß ſich wirklich (18. Dftober 1785) dem Fürftenbunde an. Dafür wurde Mainz als Sit bes Bundesrats in Ausficht genommen und damit dem Erzfanzler eine Art Vorſitz zuerfannt. Und es dauerte nicht lange, jo fiel, wie wir jehen werben, dem Mainzer Kirhenfürften auch die Rolle des Führers der deutſchen Bilchöfe im Kampf mit der Kurie zu, die Zeit der Aribonen ſchien wieder anzubreden in deutfhen Landen!

Als Kurfürft von Köln war 1761 auf Clemens Auguſt, den Bruder des Schattenfaijers Karl VII., Mar Friedrih von Königseck gefolgt. Jener war der grand seigneur gewejen, der die Pracdtliebe und die Genußſucht der weltlihen Standesgenofjen teilte und fich vieles erlaubte, was ſich für einen geiftlihen Fürften wenig ziemte. Trogdem hatte er fi allgemeiner Beliebt: heit erfreut, denn er war ein leutjeliger Herr; Monteuil rügte jogar die ridi- eule et ind&cente familiarite des Kirchenfürften. Für die verderbliche äußere Politit und das dadurd heraufbejchworene Unheil wurde er von den eigenen Unterthanen nicht verantwortlich gemacht, war e& ja doch nichts Ungewöhnliches, daß ſich ein deutjcher Fürft gegen klingenden Lohn zu Liebesdieniten für Frank: reich bergab. Kaum war jedoch der bisherige Koadjutor Mar Friedrich zur Regierung gefommen, jo verfhwanden in Bonn die Masteraden und die Reihers beizen, die italieniihen Primadonnen und die franzöfiihen Schaujpielerinnen. Marimilian Friedrich war ein fittenftrenger Mann, der niemals ber Pflichten feines geiftlihen Amtes vergaß. Seine Sparjamfeit freilih gefiel den ver: mwöhnten Nefibenzbewohnern ganz und gar nit. Die Stimmung der Bürger: ſchaft fand Ausdruck in den Spottverfen:

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutfhen Mittel- und Kleinftaaten. 101

„Bei Clemens Auguft trug man blau und weiß, Da lebte man, wie im Paradeis!

Bei Mar Friedrich trug man ſchwarz und rot, Da litt man Hunger und ſchwere Not!”

Durh die diplomatifhen Künfte des Fürſten Kaunitz und die reichen Spenden des Wiener Hofes wurde erreiht, daß 1780 Marimilian Franz, der jüngfte Sohn der Kaiferin Maria Therefia, zum Koadjutor gewählt wurde. Nach dem Tode Mar Friedrichs (1784) folgte er in der Regierung; es war von wid: tiger Bedeutung, daß in jenen Tagen, da fih im politiihen und kirchenpoliti— ichen Leben der Nation große Dinge vorbereiteten, ein Habsburger, ein Bruder Joſephs II., die Würde eines Kurfürften von Köln und Herzogs von Weftfalen inne hatte. Mar Franz hatte nicht das cholerifhe Temperament und den Auf: klärungsdrang jeines Bruders, doh war auch er liberalen Neuerungen nicht abhold. Er war geachtet und beliebt, denn wenn aud „große Traftamente, Bälle, Divertifjements mit Birutfhaden und ländlichen Feitins als herrliche Ausnahmen vorfamen, fo war doch Ordnung, Defonomie der einmal feftgejegte Punkt, die beitimmte Negel des weit ausjehenden Fürften.”') Die von ihm und jeinem SKabinettsminifter von Waldenfels zur Hebung der Landesmwohlfahrt getroffenen Anordnungen zeugten von gejunden wirtichaftlihen Grundfägen und redlihem Eifer.) Sogar von dem jpäteren preußiihen Generalgouverneur des MNiederrheines, Juſtus Gruner, der in jeiner Schilderung der geiftlichen Fürftentümer nur grau in grau malt, wird zugegeben, daß Mar Franz die dankbare Verehrung des Landes verdiene. ?)

In Koblenz, der Nefidenz des Kurfüriten von Trier, regierte jeit 1768 Clemens Wenzeslaus, der jüngſte Sohn des Kurfürſten Friedrih Auguft von Sachſen. Er war urjprünglih für die militärische Laufbahn erzogen und in der öſterreichiſchen Armee zu hohem Range befördert worden, hatte auch an der für die öflerreichiihen Waffen unglüdlihen Schlaht bei Torgau teilgenommen. Bald darauf aber trat er, ohne eigentliche theologische Studien gemacht zu haben, in den geiftlihen Stand, und die Gunit bes faiferlichen Hofes verihaffte ihm eine Reihe von Bilchoffigen, zulegt au die Kurwürde von Trier. Auch ihm ipendet die Lokalgeſchichte in Anerkennung feines mafellofen Privatlebens und jeiner Verdienfte um die Verſchönerung von Koblenz dankbares Lob‘); vom Standpunkt der deutfhen Gedichte aus muß dasſelbe weſentlich eingeſchränkt werden. Er war ein ſchwärmeriſcher Verehrer der franzöſiſchen Nation und bes jranzöfijchen Wejens. Solange fich diefe Neigung nur in Begünftigung der fran: zöfiihen Künftler und Schriftfteller fundgab, mochte es hingehen, folgte er doch nur berühmten Muftern, aber nad; Ausbrud der Revolution erwuchlen daraus

') Reife auf dem Rhein (1794), II, 194. (Der Berfaffer war %. Or. Lang, Gymnafial- lehrer in Koblenz.)

2, Ennen, Franfreih und der Niederrhein, II, 425.

3, Gruner, Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung, oder Schilderung bes fittlihen und bürgerlihen Zuſtandes Weftfalend am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, II, 410.

* Dominilus, Koblenz unter dem legten Kurfürften von Trier, 49.

102 Erfted Bud. Dritter Abſchnitt.

ernfte Nachteile und Gefahren für das Kurfürftentum, wie für das ganze Reich. Koblenz wurde von Emigranten überflutet. Nicht bloß der römiſche Nuntius, !) auch unparteiiſche Zeugen ſchildern entrüftet das fittenloje, übermütige Treiben diefer Gejellihaft. Der Münchener Lipowsky, den ein Auftrag feines Kur: fürften dorthin geführt hatte, jchrieb nad) Haufe, man ſei verjucht zu glauben, daß Koblenz eine franzöfiihe Stadt geworden und der Kurfürft von Trier nur der Gaft der umbherftolzierenden franzöfifhen Prinzen und Kavaliere jei. ?) Welch gefährlihe politiiche Folgen dieſe Verbrüderung hatte, wird jpäter barzu= legen fein.

erfahren und haltlos war die firhlice Politif des letzten Kurfürften von Trier. Anfänglich hatte es den Anfchein, als ob er ins Zager bes auf: geflärten Klerus übertreten werde; er geftattete die Anſäſſigmachung von Afatholifen, verminderte die Feiertage, ſuchte den Scholaftizismus der Landes: univerfität einzudbämmen, aber namentlid unter dem Einfluß des ftreng kuria— liſtiſchen Generalvifars von Augsburg, des Erjefuiten Bod, vollzog ſich allmäh— lich ein Umſchwung. Nun bewog der Kurfürft, wie erwähnt, den Weihbiſchof Hontheim zu Widerruf feiner antirömiſchen Lehrſätze; nun hielt er fih für berufen, dem reformeifrigen Kaifer ein warnendes Halt entgegenzurufen; auch der Empfang des Papjtes in Augsburg im Mai 1782 wurde zur antifaijer: lihen Demonftration aufgebaufht. Dagegen nahm Clemens Wenzeslaus wie: der eine gänzli veränderte Haltung gegen die Kurie ein, als infolge des Münchner Nuntiaturftreites im Sommer 1786 ben deutſchen Epiffopat jene merkwürdige Bewegung ergriff, deren Wurzel im Grunde doc zu den verpönten Maßnahmen Zojephs II. gegen den Papft und die römiiche Kirche zurüdreichte, denn nur aus ber Sofephinifchen Strömung ſchöpften die deutichen Kirchenfürften die Anregung und den Mut, ihre geiftlihen und weltlichen Jnterefjen gegen den römischen Stuhl zu verteidigen. Schon 1769 wurden auf einem bijchöflichen Kongreß zu Koblenz Beſchwerden gegen die ſich fteigernden pefuniären Anforde: rungen der römiſchen Kurie erhoben; unter verjchiedenartigen Titeln und zu ben verjchiebenartigiten Zwecken floffen ja jährlid ungeheure Summen nad) der Metropole der katholiſchen ChHriftenheit. Die in Koblenz gefaßten Beſchlüſſe ftießen jedoch auf Schwierigkeiten und verliefen im Sande. Da wurde 1785 in Münden, längft gehegten Wünſchen des pfalzbairiſchen Hofes entſprechend, eine mit allen Fakultäten nah Iſidoriſchen Prinzipien ausgeftattete Nuntiatur errichtet, offenbar in der Abficht, die ordentliche bifhöflihe Gewalt innerhalb der Kurftaaten zu neutralifieren und zu ſchwächen. Die Ernennung des neuen Nuntius Monfignore Giulio Zoglio rief deshalb in den firhlichen Kreifen Deutſch— lands gewaltige Aufregung hervor. Die Vertreter der höchſten geiftlichen Arifto: fratie, die vier Erzbiihöfe von Mainz, Köln, Trier und Salzburg, beſchloſſen, durch feites Zufammenmwirfen die gegen bie deutſche Kirchenverfafjung verftoßende Neuerung abzuwehren. ?) Sie entjandten im Sommer 1786 Bevollmädhtigte zu

'!} Memorie storiche di monsignore Bartolomeo Pacca, 145. ?, Züge aus dem Leben Felir Lipomälys, im oberbairifhen Ardiv, 12. Band, 93. ) Münch, Geſchichte des Emfer HKongreffes und feine Punbktate, 45 ff.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 103

einem Kongreß nad Bad Ems, und am 25. Auguft 1786 wurde bie fogenannte Emjer Bunktation, die in einer Reihe von Sätzen das Verhältnis des Epi: jfopats zum römijhen Stuhl regeln und der deutſchen Kirche ihre urfprüngliche Verfaflung und Disziplin wiedergeben jollte, an Papft und Kaiſer geleitet. Mit auffälliger Entjchiedenheit war dargelegt, daß der deutſche Klerus zwar den Primat des römiſchen Biſchofs willig anerfenne, jedoch die aus den ge: fälſchten ifivoriihen Defretalen abgeleiteten Anſprüche der Kurie zurüdmweijen müſſe. Nicht länger follten demnach geduldet und ertragen werden die mit der biſchöflichen Gerichtsbarkeit umvereinbaren Eremtionen und NRefervationen, die Annaten und Palliengelder, der von Gregor VII. eingeführte Bijchofseid, der den kanoniſchen Gehorſam in förmliche Unterthänigfeit ummanble, bie eigenmächtigen Eingriffe ber Nuntien in bifchöflihe Gerechtſame und andre Inkonvenienzen.

Auch die Eröffnung der neugeſtifteten Univerſität Bonn, an welche Kur— fürſt Maximilian Franz eine Reihe von Aufklärern berufen hatte, gab Anlaß zu antirömiſchen Demonſtrationen (Nov. 1786). Der ſtreitbare Nuntius in Köln, Monfignore Pacca, nahm den Fehdehandſchuh auf. Als in Köln der Profefjor der Theologie, Johann Weimer, anfündigte, er wolle eine Reihe von Thejen, welche gegen die Hierardie der römischen Kirche gerichtet waren und dem Geifte der Emſer Punktation entipraden, in der akademiſchen Aula öffent: [ih verteidigen, erzwang der Nuntius durch Androhung hoher Kirchenftrafen die Schliegung der Aula. Dieſe „unbefugte Einmifhung Roms in deutſche Angelegenheiten” rief einen Sturm der Entrüftung wach; immer leibenjchaft: liher wurde die Sprache der öffentlihen Organe. Eine Schrift Eybels: „Was it der Bapft?” fand, obwohl ihr Inhalt durch eine eigene Bulle verworfen und verdammt wurde, allgemeine Berbreitung. Die Mainzer Monatsſchrift zog mit Iharfen Waffen gegen die Feinde der Emjer Bejchlüffe zu Felde. In der „All: gemeinen deutſchen Bibliothek” wurde die Anmaßung der römiſchen Kanoniften verjpottet. Das Hamburger Politiſche Journal ſchrieb: „Man redet laut und allgemein von der Wieberauflebung der alten, oft wiederholten hundert Be: ſchwerden der teutihen Nation gegen den päpitlihen Stuhl, welche Beſchwerden bauptfähli darin beftanden, die Freiheiten der teutfhen Kirche gegen die Ein- griffe der römischen Kanzley zu fichern.” Eine Mainzer Korreipondenz weiß zu berichten, daß ber Erzbifchof feinen Amtsgenofjen eine Reihe weitreichender Vor: ichläge empfehlen werde: Beſchränkung des Faftengebots, Aufhebung der Ordens: und Prieftergelübde, Neform der Domfapitelverfafjung u. ſ. w. Zur Beratung fol eine deutjhe Synode berufen werden, „von alters her eine Lieblingsidee unseres Kurfürften, um auch durch diejes wichtige Ereignis feine Regierung zu verewigen.” Unter Mitwirfung und Vortritt der erſten Kirchenfürften des Reihe ſchien fih eine Trennung von Rom, die Gründung einer beutjchen Nationalfirhe vorzubereiten.

Das Schidjal der Emfer Punftation hing vor allem von der Aufnahme bei Kaijer Joſeph ab. Das bisherige Verhalten des Kaiſers gegen ben römi— ſchen Stuhl geftattete die Folgerung, daß er die Bundesgenoifenjchaft der deutihen Erzbifhöfe im Kampfe mit Rom freudig begrüßen werde. Dieſer

104 Erftes Buch. Dritter Abſchnitt.

Hoffnung ift auf einem vielverbreiteten Bilde Ausdrud gegeben. Die vier Erz: biſchöfe figen einträdtig beifammen unter einem Bildnis bes Kaijers, das bie Unterschrift trägt: „Schirmvogt der deutſchen Kirche”, im Hintergrunde fieht man in einem mit päpftlihem Wappen gezierten Wagen den Nuntius abfahren, Der jüngere Bruder des Kaifers, Großherzog Leopold von Toskana, ſprach fih in den Briefen an Joſeph begeiftert für eine entſchloſſene Jnitiative zu Gunften der Erzbifhöfe aus. Jetzt eine Nationalfynode, ein aufrichtiges, feites Zufammenwirten von Kaijer, Klerus und Volf, und das deal der Willegis und Aribo werde zur That und der Schimpf von Kanofja werde gejühnt werden! Schubart frohlodte:

„Deutfche zerbrachen die ſchändlichen Feſſeln

Der kriegeriſchen Roma!

Schon zerren ſie an den noch ſchändlicheren Feſſeln Der kirchlichen Roma .. .!”

Alein Kaifer Joſeph verhielt ſich gegenüber den antipäpftlihen Demon: Itrationen der Erzbiichöfe überrafchend fühl und ablehnend.

Anfänglih ſchien es, ald wolle er feinen Arm nicht verfagen. „Die vier Erzbiſchöfe Deutſchlands,“ fchrieb er am 21. November 1786 an Bruder Leopold, „baben fi wegen des Mißbrauchs der Disziplinargewalt, die fi der römiſche Hof durch feine Nuntien beilegt, bei mir beſchwert und ihre Reformpläne vor: gelegt. ch habe fie angefeuert, fie jollten fich mit den jtimmbefähigten Biſchöfen ins Benehmen jegen, um gemeinfam mit ihnen das römische Joh abzuſchütteln.“ Leopold ermwiderte: „Die Vorſchläge der Biſchöfe jcheinen mir im gegenwärtigen Augenblid von allergrößter Wichtigkeit zu fein. Ich glaube, daß fie ſchon des— halb, weil jie fih an Sie gewendet haben, alle geiftlihen Fürften dafür ge: winnen werden, das felbitjüchtige, dejpotiihe römische Joch abzujchütteln. Man muß die Biſchöfe unterftügen und aneifern, man muß die Aufhebung ver Nuntiaturen in Deutichland, vor allem die in Wien, durdjegen und nur einfache Gejandte, wie fie von anderen Staaten gejhidt werden, zulaflen, man muß ihnen jede Gerichtsbarkeit nehmen und niemals Geiftlihen zu diefen Poſten Zus tritt gewähren, man muß die Biihöfe und geiftlihen Fürften Deutſchlands ver: anlajjen, zujammenzutreten und ein nationales Konzil oder eine Synode zu be: rufen, wo fie jelbit ihre Beichwerden gegen Rom beraten, ihre Selbftändig: feit wiederherſtellen und alle von Rom geraubten Rechte fich wieder an— eignen fünnen.” Doch der Kaifer wurde bald aus einem lauen Freunde ein Gegner der Bewegung. „Eine deutſche Nationaljynode,” jchrieb er an Leopold (14. Dezember 1786), „würde niemals zu Ende gehen, und gewiß würden fich die Herren babei mehr mit anderen Dingen ala mit firdhlihen Reformen be: ihäftigen.” Offenbar fürdhtete der Kaifer, die deutſchen Kirchenfürften möchten ih erlauben, die Berechtigung der vom Kaiſer für Oeſterreich angeordneten kirch— lien Einrihtungen zu prüfen, und glaubte vom Papſte weniger bejorgen zu müfjen, als von benachbarten Vertretern einer Nationalkirche. Er verhieß zwar den Emfer Verbündeten feinen Schuß, betonte aber, daß die Durchführung der Beichlüffe von der Zuftimmung der Biihöfe, fowie ber weltlichen Reichsſtände abhängig fein

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittel: und Kleinftaaten. 105

werbe, Durch dieſe ablehnende Haltung des Kaiſers war ber römiſchen Kurie bie Möglichkeit geboten, durch Fuge Benügung der Umftände und der Schwächen ihrer Gegner den mweitjehenden Plan zu nichte zu machen. Es gelang, die Eiferfucht der Bilhöfe rege zu machen. Der Fürſtbiſchof von Speier, im übrigen als Anhänger der Joſephiniſchen Ideen befannt, wurde der Führer der Oppofition gegen die „Uebergriffe” der Metropolitane; Pfalz-Baiern vertrat entichlofjen feine Souveränitätsredhte, die für die Zulaflung einer Nuntiatur ausreichend feien, und drohte mit Ablöfung von jeder Metropolitangewalt. Auch dur die Vor: gänge in Brabant wurden die Erzbiſchöfe eingefchüchtert: Aehnliches konnte fi jeden Augenblid am Rhein abipielen. Die Haltung bes preußiſchen Kabinetts war lau und zweideutig; während preußifche Diplomaten öffentlich zu Gunften der Erzbiihöfe auftraten, wurden von der Regierung dem römijchen Stuhl weit: gehende Zugeftändniffe angeboten.!) Unter folhen Umftänden konnten auch bie Verhandlungen auf dem Regensburger Reihstage zu feinem andern Ziel führen, als daß ben widerfpenftigen Kirchenfürften der Rat gegeben wurde, durch güt- lihen Bergleih mit dem Papite eine Entjcheidung über die flrittigen Fragen herbeizuführen. Zuerſt ſchloß der Mainzer durch Vermittelung Preußens Frieden mit Rom; dann trat unter dem beunruhigenden Eindrud der Vorgänge in Frantreih Clemens Wenzeslaus von Trier, „da jetzt die Einigkeit zwiichen Haupt und Gliedern ganz bejonders nötig jei”, von der Emfer Punktation zurüd; Köln folgte diefem Beifpiel; nur der Fürftbiihof von Salzburg, Hieronymus Colloredo, der ſich offen zu den Febronianiſchen Grundjägen befannte, war nicht zu bewegen, den in Ems vertretenen Standpunkt aufjugeben.

Die Organifation eigener Landesbistümer und die Emſer Bewegung ließen auch den Gedanken einer Säfularifierung der geiftlihen Gebiete in Deutſch— land wieder aufleben. Schon vor vierzig Jahren hatte Friedrich II. dieſer Idee an den europäifchen Höfen Eingang verihaffen wollen; Kaifer Karl VII. ſollte für den Verzicht auf die öÖfterreihiihe Erbſchaft durch fäkularifierte Hochſtiftsgebiete entichädigt werden.) Damals war der Plan, der das Haus Defterreich einer wichtigen Stütze beraubt hätte, gejcheitert, weil die Kunde zu früh in die Deffentlichfeit drang und bei den Reichsſtänden fo ſtürmiſche Ent: rüftung wachrief, daß der Kaijer für gut fand, feine Beteiligung abzuleugnen und ein für allemal abzulehnen. Auch König Friedrih gab den Plan auf, ja, bei der Stiftung des Fürftenbundes legte er großes Gewicht darauf, daß auch geiftlihe Fürften fih mit feiner Schöpfung befreundeten. Trogdem lag ber Säfularifationsgedanfe ſchon fozufagen in der Luft. In Schlözers „Staats: anzeigen” wird jchon 1786 die Frage aufgeworfen, weshalb doch in den geift: lihen Fürftentümern, die doch Wahlmonardieen feien und zu den gejegnetiten Provinzen des Reichs zählten, die Unterthanen nicht jo glücklich jeien, wie in

) Münd, 851.

2) Daß nit, wie Ranfe, Zwölf Bücher preußiicher Geſchichte, V, 80, meint, Karl VII., fonbern Friedrich II. der Vater des Sälularifationsprojeft3 war, hat Volbehr, Der Urſprung des Sälularifationsprojeft3 in den Jahren 1742 und 1743 (Forfchungen zur deutichen Geſchichte, 26. Band, 265) nachgewieſen.

106 Erfted Buch. Dritter Mbfchnitt.

andern Staaten, und bie Frage wird dahin beantwortet, daß bie Urſache in der BVerweltlihung und dem Strebertum der Prälaten zu finden fei; deshalb könne die Aufhebung von Staaten, deren Eriftenz gegen bie erſten ftaatswirtjchaftlichen Grundjäße verftoße, nur noch eine Frage ber Zeit fein.) Man könnte ein: wenden, daß biefe Auffaffung nur aus Schlözers feindjeliger Gefinnung gegen die Priefterfchaft zu erklären jei, aber aud der römiſche Nuntius in Köln, Bartolomeo Pacca, äußerte fih auf ähnlihe Weife. Im Berichte über feine NReije nah Berlin im Sommer 1786 verfichert er, daß in den Ländern geiftlicher Fürften die Furcht vor bevorftehender Säfularifierung noch peinlier empfunden werde, als jelbft ver Steuerdrud in den preußijchen Staaten.?)

Je Eräftiger fich infolge des Verfalls der Reihsverfaffung einzelne Staaten entwidelt hatten, beito unhaltbarer wurde die Lage der kleineren und Fleiniten Souveräne. Aus dieſen wunderlihen Staatögebilden war längft die Kraft zur Behauptung ihrer Selbitändigfeit entſchwunden; nur die Macht der Gewohnheit und die Eiferfucdht der Stärferen ftüßte noch die Ohnmädtigen. Welch geringen Shut die Reihsverfafjung bieten fonnte, war im bairifchen Erbfolgefrieg zu Tage getreten. An der Reichsverfaſſung hatte man gebaut und fortgebaut mit beuticher „Gründlichkeit”, aber als der mittelalterlich verfchnörfelte, immerhin ftattlihe Bau fertig war, zeigte fih in erfchredender Weile, daß die Grund: feſten durch die unaufhörlih von Nord und Oſt und Weit heraufgejogenen Stürme ſchweren Schaden erlitten hatten. Es bedurfte nur eines bejonders heftigen Stoßes, um die verworrenen territorialen und ftändifchen Verhältniſſe über den Haufen zu werfen.

Der Abfolutismus zeigte ſich nirgend in fo abjchredender Geftalt, wie an den Höfen der Eleiniten Machthaber. Hier wurde am eiferfüchtigiten die Re— jpeftierung des Gottesgnadentums gefordert; hier wurden fremde Abenteurer gehätjchelt, während die einheimischen Talente nur Bettelfuppe aben; bier war ber Adel am kläglichſten in Käuflichfeit und Wohldienerei verjunten; hier gab es Präfidenten und Hofmarfchälle, wie fie freilich nicht ohne Uebertreibung in der Sturm: und Dranglitteratur geſchildert werben; hier diente das von Höflingen erfundene, „witzige“ Wort zur Rihtihnur: „Der Bauer gleicht einem Mehlfad; ift er auch ſchon geleert, jo ftaubt er wenigftens noh, man muß ihn nur tüchtig Elopfen!” Dem Wehritand war ein unmürdiges, hartes Los bejchieden. Bedauert doch jogar ein jo überzeugter Anhänger der beftehenden Ordnung, wie der homburgiſche Geheimrat von Creuz, die Soldaten, die „durch oft wieder: holte, einförmige Kriegsübungen bis zum Sterben ermübdet, in engen Monturen wie an Ketten gejichloffene Miffethäter gemartert, ... halb zu Tode gepeitichet und mit Prügeln, wie die Hunde zur Jagd, alſo ‚zum Kriege dreffieret‘ wer: den.“ °) Bitter tadelt Creuz auch die Maitrejienwirtichaft, den Kleiderlurus, den Jagdunfug der Eleinen Höfe. „Man wird nicht Urſache haben,” jagt er in ben 1767 veröffentlichten „teutichen Gedanken”, „Sich zu verwundbern, wenn einmal

) Staatsanzeigen, Jahrgang 1786, 385. ) Memorie storiche di monsignore Bartolomeo Pacca, 98. >, Creuz, Bermifhte Anmerkungen, in Reue politiiche Kleinigkeiten, 37.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutihen Mittels und Kleinftaaten. 107

bey einer Hauptrevolution biefem oder jenem Hofe feine weiteren Maßregeln übrigbleiben jollten, als per notarios et testes zu proteftieren. . . . Wer fieht nit große Revolutionen voraus?“ !) In den geiftlihen Fürftentümern ließen die Landſtände, die freilih auch nicht jelten gegen eriprießlihe Reformen ſich fteiften, den fürftlihen Abjolutismus nicht in fo gehäjligen Formen zur Herr: ihaft gelangen; durch ſtändiſche Kontrolle wurden allzu drüdende Befteuerung und übermäßige Begünftigung von Ausländern abgewehrt. Dagegen hatten ſich die Eleinen weltlihen Landesherren der läftigen Bevormundung längft entledigt, oder das ſtändiſche Inſtitut war zu einer Steuerbewilligungsmafdhine herab- gewürdigt. Und dba des Geldes nie genug vorhanden war, wurden bier noch ohne Scheu jene abjheulihen Finanzkünfte angewendet, die in größeren Staaten längft verpönt waren, Der tiefite wirtihaftliche Verfall zeigte fih in den fpannelangen reichsritterſchaftlichen Befigungen. Wenn eine Ortichaft befonders herunter: gefommen und verlottert ausjehe, jagt Mofer, brauche man nicht erit nad) der Herrſchaft zu fragen, jiher habe man ein ritterfchaftliches Dorf vor ſich. Trübjelig jah es auch in den Reihsftädten aus, bie ehedem der Stol; des Reiches und, wie früher die Klöfter, Jahrhunderte hindurch die Träger der Bildung geweſen waren, in deren Kulturleben der deutſche Volkscharakter jeinen glücklichſten Ausdrud gefunden hatte. Wohl erinnerte nod mandes, zumal in den größeren Kommunen, die auf der rheiniihen Bank ſtimmberechtigt waren, 3. B. der Reichtum der Wobhlthätigkeitsitiftungen, an die entſchwundene Blüte. In Hamburg, Lübeck, Frankfurt ꝛc. fehlte es nicht an reichen Bürgern, und in vielen Familien hatten fih die Schlichtheit, die Biederkeit, die Kunftliebe der Vorfahren erhalten. Ein Paul von Stetten der Jüngere, der Geihichtichreiber jeiner Vaterftabt Augsburg, fann als ein treffliher Vertreter deutjhen Bürgertums gelten, und die Schilderungen Goethes aus feinen Frankfurter Jugendtagen bieten im allgemeinen doch ein anziehendes, liebenswürdiges Bild. Doc die ängftliche Abſchließung der ratsbürgerlihen Familien, das eiferfüchtige Feithalten an ver: alteten Formen des ftädtifhen Regiments, ber Nepotismus oder die „Ketten: freundfchaft”, wie der deutihe Ausdrud in einer Ehlinger Satire lautet, ?) hatten in den kleinen NRepublifen unendlihen Schaden angeſtiftet. An Stelle der großen Kämpfe des Mittelalters gab es Stürme im Wafjerglas, die aber das Gemeinweien nicht weniger ſchädigten als jene. An Gemeinfinn fehlte es den Herren, wie den Zünftlern, dagegen wetteiferten beide im Hang zu Wohl: leben und Schmelgerei. Kirmeſſen und Wallfahrten, Scheibenſchießen und Schwörtage gaben erwünjchte Gelegenheit zu Gaftereien, die größtenteils auf Rehnung der gemeinen Kaffe gingen. „Nur der Bauch ift der Reichsſtädter Abgott,” ſpottet in einer 1785 erſchienenen Flugſchrift ein „deuticher Staate- bürger”, „alle übrigen geiltigen und nur den feineren Sinnen gewibmeten ge: ſellſchaftlichen Vergnügungen müſſen diefem weichen!“ ) „Man kann bey ber

1

) Ereuz, 47.

2) Ad. Wohlwill, Weltbürgertum und Baterlandsliebe der Schwaben, inöbefondere von 1789—1815, 7.

®) Meber einige Reichsſtädte Teutihlands, von einem Staatsbürger, 14.

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gegenwärtig beinahe allgemeinen inneren Gährung ber Reichsftädte auf eine vor: bandene, jehr bösartige Materie in ihrer Verfaſſung jchließen und eine nahe Revolution, die um jo weniger verhindert werben fann, als fie in der Natur der Sache liegt, vorherjagen.” Für die verlotterten, verjchuldeten Gemeinweſen gebe es nur eine Rettung: „ein freiwilliges, engeres Band mit dem Faijerlichen Hofe.” 1) Die Satire des Zeitalters holte ſich ihre Stoffe mit Vorliebe aus den Reichsftäbten, es fei nur an Wielands Meifterwerf, die föftlichen „Abderiten“, erinnert. Insbeſondere Wedhrlin, den die Nörblinger Philifter geärgert hatten, verfolgte mit graufamem Hohn die „nafenlange Nördlinger Welt”, das „von der Abzehrung begriffene Augsburg”, die „Schurzfledmajeftaeten” der ſchwäbiſchen Neichsftäbte, die „wie Spinngewebe in ber deutſchen Monardie bangen“. ?) „Dieje 51 Nepublifen, von welchen die mäcdhtigite nicht 4000 wehrhafte Leute ins Feld ftellen kann und die geringfte eine Straße lang ift,“ verfichert ein faiferlicher Publizift, der fi unter franzöfifhem Pſeudonym verbirgt, „ind ein fteter Gegenitand des Spottes und der Verachtung des andren Teiles der Nation, welcher ich nicht zu ihnen rechnet.” Die armen Tröpfe, deren Rolle in ber Geſchichte ausgejpielt wäre, könnten zur Zeit nichts Beſſeres thun, als freiwillig den Anſchluß an größere Staaten oder den Schutz des großmütigen Kaijers juchen.®)

Doch aud in den Kleinitaaten, wie wenig erfreulich im allgemeinen die berrfhenden Zuftände waren, fehlte es nicht an rühmlichen Erſcheinungen; auch bier gab es Fürften, die ihren Beruf gewiſſenhaft auffaßten und ihren Pflichten getreulih nachfamen. Nur ein Name ſoll bier genannt werden, ein Name, der mit der Auferftehung des deutichen Geiftes unauflöslic verknüpft ift, Karl Auguſt von Weimar. Läßt jich doch das Jahr 1771, in welchem Wieland von der geiftvollen Herzogin Anna Amalia als Erzieher des vierzehnjährigen Karl Auguft nah Weimar berufen wurde, gewilfermaßen als Anfang der klaſſiſchen Periode unjrer Litteratur bezeichnen. Die Hoffnung, daß Kaifer Joſeph die führen- den Geilter des Vaterlandes um ſich fammeln werde, war nicht erfüllt worden, die deutihe Muſe irrte noch umber, wie die freißende Latona, um ein Aſyl zu finden, wo fie ihre Götter gebären könne, da ftieg als jchirmendes Delos ein bisher wenig genanntes und befanntes mitteldeutiches Städtchen empor, und bald zog die hier fich entwidelnde litterarifche Bewegung blühenden Geifteslebens die Blide der aanzen gebildeten Welt auf fih. Zwar der Dichter des Neuen Amadis war nicht der Mann, unjrer nationalen Poeſie Schwung und Richtung zu geben, aber der junge Herzog felbit fand den Größeren, deſſen Genius bie Nefidenz an der Ilm auf ein halbes Jahrhundert zum leuchtenden Mittelpunkt des Geilteslebens der deutichen Nation erhob. Nur ein Fürft, der jelbit große Eigenihaften des Herzens und bes Geiftes befigt, vermag die Größe andrer

) Ueber einige Reichäftäbte, 25.

2) Anfelmus Rabiofus, Reife durch Oberbeutichland, 67. Graues Ungeheuer, X, 193 ff.

) Vhilofophiiche Bemerkungen über die Republiten überhaupt und bie freien Reichöftäbte insbefondere. Aus dem Franzöſiſchen des Herrn Serieur le Sonnant wörtlich überſetzt (Amiter: dam 1787), 32, 52 ff.

Der Thronmwechfel in Preußen. Die deutfchen Mittel: und Kleinftaaten. 109

zu erfennen und ihre Fähigkeiten zum Vorteil des Staates zu verwerten. Es zeugt vom Scharfblid des jungen Herzogs, daß er bei einem kurzen Beſuche in Frankfurt die Ueberzeugung gewann, der Verfaſſer des Göß und des Werther fei auch andern Anforderungen, als fie an Dichter geftellt zu werben pflegen, gewachſen. Obwohl alle Welt den Schritt mißbilligte, ernannte er unmittelbar nah jeinem Regierungsantritt den jehsundzwanzigjährigen Dr. Goethe zum Mitglied des Geheimen Eonfeil und erwarb fih damit zugleich einen Diener, Lehrer und Freund ohnegleihen. „Einen Mann von Genie,” erwiderte er dem warnenden Minifter v. Fritih, „an einem andern Orte zu gebrauchen, al& wo er jelbft feine außerordentlihen Gaben gebrauchen kann, heißt ihn mißbrauden!” ') Freilich folgte zunächſt die „tolle Zeit”, in welcher fih der Herzog und ſein Günſtling zügellos ihrem jugendlichen Uebermut überliegen und das ftille, fteife Refidenzftädtchen aus Nand und Band braten, jo daß es nicht bloß die Prüden und die Pedanten erjchredte. Der öffentlihen Meinung galt natürlich der Sturm: und Drangdichter als Verführer. Herder urteilte noch milde, indem er annahm, daß Goethe abjichtlich den Herzog zu Ercefien verleite, um die Scief: beiten der allzu Fünftlichen Erziehung gut zu macden.?) Noch 1785, als Goethe und Karl Auguſt längit ſchon zur Befinnung gefommen waren, jchrieb der „reifende Franzofe” (der Schweizer Rißbeck): „Goethe ift in vielen Dingen aus Grundjag für das Natürliche, Auffallende, Kühne und Abenteuerlihe; er ift der bürgerlihen Polizey ebenjo feind als der älthetiihen; feine Philoſophie grenzt ziemlih nahe an die Rouffeaufche,”?) Ohne Zweifel war aber Karl Auguft in feinem leidenfchaftliden Drang nad Uingebundenheit und Abenteuern der Ton: angebende. „Der Herzog,” erzählte Goethe jpäter, „wußte mit feinen Kräften nicht wo hinaus, und wir waren oft jehr nahe am Halsbredhen ... Ein Herzog: tum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber hätte er fich eines erringen, erjagen und erftürmen können, das wäre ihm etwas geweſen.“

Doch in Weimar hatte es nicht wie an andern Eleinen Höfen bei Trinf: gelagen und Mummenfhanz jein Bewenden. Die Regierung wurde niemals vernachläſſigt, eher läßt fi jagen, daß zu viel experimentiert wurde, doch ijt auf wichtigen Gebieten ein glüdliher Fortichritt erfennbar. Da dem Herzog, wie er gelegentlich eines Vorſchlags zur Verbefferung des Gymmnafiums erklärte, „der allgemeine Glaube lächerlich erihien, dab dem allermenjhlichften von allen menſchlichen Begriffen, der Erziehung des Menſchen, im Aftenftil und modo voti aufgeholfen werde,” berief er zur Reform des Kirchen: und Schulmefens den geiftvolliten Theologen des Zeitalters, Herder. Die Rechtspflege wurde durch neue Gejegbücher gehoben; für Bergbau, Feld: und Forſtwirtſchaft erließ Goethe, jelbft ein inniger Naturfreund, manche erfprießliche Anordnung. Doch wie Goethe trog erniter Hingabe an die Staatsgejchäfte zu vielfältigen wiſſenſchaftlichen Studien und poetifhen Schöpfungen Muße erübrigte, jo ſuchte auch der Herzog höher zielende Aufgaben auf; eifriger und einfichtsvoller als die meiften

i) Wegele, Karl Auguft von Sachſen-Weimar, 23. ?) Haym, Herder nad; feinem Leben und feinen Werfen, II, 14. ?) Briefe eines reifenden Franzoſen über Deutichland, IL, 56.

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Standesgenofien wandte er aud den Reichsangelegenheiten jeine Fürjorge zu, und wiederholt war jein Eingreifen von wichtigen Folgen begleitet. Schon im Sommer 1778 bejuchte er König Friedrih in Berlin, um fi mit ihm über die deutjche Lage und die Abwege der öfterreihifchen VBergrößerungsgelüfte zu beraten. Sogar die dee eines Fürftenbundes tauchte damals jhon in Weimar auf, freilih mit ganz andern Abfihten und Zielen, als fie jpäter dem Werke König riedrihs zu Grunde lagen. Die im Winter 1778 von Preußen erhobene Forderung, es möge im Weimarifchen die Werbung von Soldaten für den böh— mijchen Feldzug geftattet werden, jegte den Weimarer Hof in Berlegenheit; der Wunſch des übermächtigen Nachbars konnte nicht abgelehnt werden, andrerjeits war zu befürdten, daß Defterreih das AZugeftändnis an den Gegner ahnden werde. Goethe, zu einem Gutachten aufgefordert, riet zu dilatoriiher Behandlung des preußiichen Antrags, zugleich aber zu freundichaftlicher Verbindung „mit wohl- gelinnten Mititänden, deren Länder diefen oder ähnlichen Unannehmlichkeiten ausgejegt jeien, (um fi) ſolchen Zumutungen ſtandhaft widerfegen zu können;“ daraus würben ſich wohl noch weitere glüdlihe Folgen entwideln.!) Alſo eine Art Triasidee! Ein Bund von Mittel: und Kleinftaaten zur Behauptung ihrer Selbitändigfeit gegen Defterreih und Preußen! Den Reihsftänden war ja das Recht, ſich untereinander zu verbünden, durch die Reichsverfaflung verbürgt, und fie hatten ſich wiederholt desjelben bedient, wenn das Oberhaupt nicht that, was jeines Amtes, oder that, was nicht feines Amtes war. Uebergriffe der faijer: lihen Gewalt wurden aber, namentlich feit Joſeph durch den Tod feiner Mutter jreiere Hand gewann, immer allgemeiner befürchtet; deshalb fand der Gedanke eines Schuß: und Trugbündnijjes an verjchiedenen Höfen freunde. 1782 ver: handelte der badiſche Minifter Edelsheim darüber mit Weimar. „Jedem deut: ichen Herzen und befonders einem freien Fürftenfinn,” jchrieb er an Karl Auguft, „muß es wehe thun, die Sklaverei mit jo ftarfen Schritten auf das Vaterland ftürmen zu jehen und zu fühlen, daß fein Band mehr unter den Gliebern des ganzen Körpers eriltiert, die, wenn fie verbunden wären, einerlei Sinn hätten und Gut und Blut für Freiheit wagen wollten, gewiß den jo jyftematifchen, langjamen Drud ihrer Nebenlieger no lang aufhalten könnten.) Zugleich Ipriht aber Edelsheim jein Bedauern aus, daß man fi heute nicht mehr an Frankreich und England halten könne, da diefe Mächte, ehedem „Starke Eichen”, heute nur no „ſchwache Rohre” wären. Troß diefes Bedenkens wurden aber

') Erbmannädörffer (Aus den Zeiten des deutichen Fürftenbundes, 1885) bat auerft auf das intereffante Aftenftüd aufmerffam gemacht. Noch eingehendere Würdigung lieh ihm Ottokar Lorenz (Goethes politiihe Lehrjahre, 1893) zu teil werben, doch ſcheint mir die Behauptung, könne „fein Zweifel darüber fein, daß man es in diefem Ratſchlag unfres Dichters mit nichts Geringerem, als mit der eigentlichen Uriprungsidee des Fürftenbundes zu thun bat“ (S. 59), zu weit zu gehen. Lorenz ift, wenn fich ein „Kompendienjchreiber” die Bemerkung erlauben darf, in denfelben Fehler verfallen, den er an andern rügt, baf „fie fich durch den Namen ber Unionsbeftrebungen beftimmen laffen, alle ähnlichen Bünbniffe unter die gleihen Geſichtspunkte zu bringen“ (S. 66). Der Gebanfe einer Fürftenaffociation war noch früher ſchon in Heſſen— Kaſſel aufgetaucht; Graf Schlieffen hatte bald nach Beendigung des fiebenjährigen Krieges dahin zielende Unterhandlungen mit Kurpfalz angelnüpft.

2) Lorenz, 62.

Der Thronwecjel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 111

mit Frankreich geheime Unterhandlungen angefnüpft; auch Karl Auguft ließ fi trog der Warnungen Goethes dazu verleiten. Die füderativen Pläne iheiterten jedoh an einem Hindernis, an welchem die unter dem Namen bes Gruppenfyitems bis in bie neuefte Zeit hinein vererbte Politik immer gejcheitert it, an der Unmöglichkeit, die Eiferfucht der mittleren und kleineren Staaten gegeneinander und die darin beruhende Abftoßungsfrajt ohne einen mit mäch— tiger Anziehungskraft ausgeitatteten politiihen Mittelpunft zu überwinden. Ein folder Mittelpuntt war erſt gegeben, als König Ariebrih, dem die Bewegung nicht unbefannt geblieben war, den Gedanken auffaßte und mit jugendlicher Kraft die Stiftung eines Bundes „nah ſchmalkaldiſchem Mufter” betrieb. Karl Auguft wirkte, obwohl ihm eine militärifch organifierte Union anfänglich Be: denken einflößte,!) zum Gelingen bes Planes eifrig mit.?) Er bejudte in Friedrihs Auftrag befreundete Höfe, um die Scheu gegen einen Bunb mit preußijher Spite zu befämpfen, doch wurde auch von ihm mit Nahdrud betont, daß er die Führung Preußens nur jo lange anerkennen wolle, als die deutichen Intereſſen mit ben preußifchen zufammenfielen. Er betrachtete über- haupt den Fürftenbund weniger vom Standpunkt der Politif, als der Natio: nalität; das gefunfene deutjche Anfehen jollte dadurch gehoben, der Reichsver— fafiung wieder Lebenskraft zugeführt werden. Gerade damals, da Goethe, in dem der Dichter zum Durchbruch fam, um „den heißen Durft nad wahrer Kunit zu ſtillen,“ Mantelſack und Dachsranzen in eine Poftchaife padte und nad) Stalien entfloh, entfaltete der Herzog, dem jebt die Jahre „die rechte Richtung feiner Kraft gegeben” hatten, eine umfafjende politiihe Thätigfeit. Nach dem Ableben des großen Königs fteht Karl Auguft eine Zeitlang im Mittelpuntt der Reichspolitik. Deshalb wollte man auch in Rom nicht alauben, daß der Günit: ling des Herzogs von Weimar nur zu antiquariichen Studien die Hauptitabt der fatholifchen Chriftenheit aufgejucht babe. Der Ffaiferlihe Gejandte, Kardinal Herzan, hatte ein wachſames Auge auf den myjteriöjen Neifenden und ließ ihn dur feinen Sefretär in der Dfteria Campanella ausforichen, ja jogar Goethes Briefe wurden durd Herzans Späher aufgefangen und durchſucht.“) Auf faifer: liher Seite wurde befürchtet, der Weimariſche Minifter trachte in Rom für eine vertrauliche Annäherung des preußifchen Hofes an den römifhen Stuhl und die Bewerbung eines preußiihen Prinzen um die Mainzer Koadjutorie die Wege zu ebnen. In Wirklichkeit hatte Goethe feine derartigen geheimen Aufträge, und Karl Auguft fuchte nicht einem preußiichen Prinzen, fondern dem Würz- burger Domfjcholafter und Univerfitätsreftor Karl Theodor von Dalberg die Anwartihaft auf den Kurftuhl Frievrih Karls zuzumenden. Diejer in den Vierzigern ftehende Gelehrte, dem ſpäter eine fo einflußreihe Nole beſchieden fein jollte, begann bereits bie allgemeine Aufmerkjamfeit auf ſich zu ziehen.

!) Lorenz, 79.

2) Ranfe, Die beutfchen Mächte und ber Kürftenbund, I, 216 ff.

) Brunner, Theologiihe Dienerfhaft, 151, veröffentlicht einen Brief der Frau Rath an ihren Sohn vom 17. November 1786, der in den Aften ber Gejandtfchaft liegen ge: blieben war.

) Brunner, 157, 161 ff.

112 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt.

Welch überfhwenglihe Hoffnungen auf ihn gejegt wurden, beweiſt Schubarts 2ob. „Ich kenne feinen großen deutſchen Mann, dem das Glück fo viel Gered: tigkeit wiederfahren läßt, als unferm Dalberg, mir ift aber auch fein Mann befannt, der bei fo viel Genie, fo tiefer Gelehrſamkeit die bemunderungswürdigite Melt: und Menſchenkenntnis befigt, der zwifchen der päpftlichen Hierardie und den Rechten der deutihen Kirche jo äußerft geihicdt zu balancieren weiß, und der bei Katholifen und Proteftanten in gleich großer Verehrung fteht, als Dalberg.” ')

Dalberg galt als gemäßigter Anhänger der liberalen Grundjäge Emmerich Joſephs; in der Emjer Bewegung hatte er fi klug zurüdgebalten, jo daß er im deutſchen, wie im römiſchen Lager als Bundesgenofje angejehen war. Durch Begünftigung diefes Diplomaten in der Eoutane hofften die preußifche Regierung und ihre Freunde, den öfterreihifhen Einfluß in Mainz abzuwehren und dem Fürftenbunde einen nüglihen Anhänger zu fichern.?)

Die Stiftung des Fürftenbundes it nit bloß im allgemeinen eine wichtige Etappe auf dem Wege der Hohenzollern zum Kaijerthrone,?) jondern auch von jo weſentlicher Bedeutung für die Kabinettspolitif der nächſten Jahre, daß wenigitens mit ein paar Worten nochmals darauf zurüdgegrifien werden muß.

. Wir haben beobachtet, wie durch Friedrichs des Großen Erſcheinung zum erftenmal ſeit Jahrhunderten eine fräftige Regung politiihen Selbitgefühls in Deutihland wachgerufen wurde. Cs gab nod feine preußiihe Partei, aber gewiß war ſchon in vielen die Weberzeugung lebendig, daß dem preußifchen Staat, der einen großen Kurfürjten und einen großen König gehabt hatte, die Führung Deutichlands beſchieden fein werde. Der Verfaſſer der „Lebensläufe in auffteigender Linie”, Theodor von Hippel, hat einige Jahre jpäter flar und bündig diejer Anihauung Ausdrud gegeben: „Den preußiichen Staat halte ich für den einzigen, weldher dem Despotismus in Deutihland und einer deutfchen Univerjalmonardie entgegenzuarbeiten im ftande ift und aus dem Menjchen: recht und wahre Aufklärung ausgehen könnten.) Durd das Bündnis Kaijer Joſephs mit Rußland und Franfreih in die Enge getrieben, ſuchte König Friedrich Hülfe in engerem Anſchluß an die lebensfräftigeren deutſchen Staaten, um „zugleich die allgemeine Stellung Preußens in Europa und die bejonderen Verhältnifje Deutſchlands aufrecht zu erhalten.” °)

Durh den „Aifociationstraftat” vom 23. Juli 1785 verbanden fich die

) Baterländifche Chronik, Jahrgang 1788, 426.

2) Brunner, 163.

2) Ditofar Lorenz glaubt, daß erft von Dohm die Gefhichte des Fürftenbundes fo gebreht und gewendet worden jei, daß fie „unferm hiſtoriſchen Gemütäleben zu einer Art von Ber: fühnung zwifchen dem gewaltigen Sieger von Roßbach und dem deutſchen Reichsſtandpunkt“ verhalf, und will die außerdeutſchen Beftrebungen ftärfer betont wiffen, dod nennt aud er an andrer Stelle die Union „ein mit Recht als Vorbild für die Entwidelung unfres heutigen deutihen Reichs gepriefenes Einigungswerk“. (Goethes politifhe Lehrjahre, 67, 76.)

) Biographie des königl. preuß. geh. Kriegsrats v. Hippel in Königsberg, 157.

5) P. Bailleu, Der Urfprung des deutfhen Fürftenbundes, in Sybels hift. Zeitfchrift, 41. Bd., 410.

Der Thronwechfel in Preußen. Die beutfchen Mittel: und Kleinftaaten. 113

drei Kurfürften von Brandenburg, Sachſen und Braunfhmweig:Lüneburg zu ge: meinfamer Abwehr der öfterreihifchen Uebergriffe und zur Aufredthaltung des beitehenden Reichsſyſtems; unter den geheimen Artifeln war namentlich der eine von Wichtigkeit, daß die drei unierten Kurfürften bei einer künftigen Königs: wahl nur nad gemeinjchaftlihem Webereinfommen zu Werke gehen jollten.?) Zugleih wurde allen patriotiijhen Ständen der Eintritt in das Bündnis vor: behalten. Zunächſt folgten die Herzoge von Sahjen: Weimar, Gotha, Zwei: brüden, Braunschweig: Wolfenbüttel, der Landgraf zu Heſſen-Kaſſel, die Marl: grafen von Ansbah und Baden und der Fürft von Anhalt-Deflau; jpäter noch der evangeliihe Bilhof von Dsnabrüd und die beiden Medlenburg. Bor: wiegend waren es aljo norbbeutiche und proteftantifche Mitglieder; um jo wid: tiger war es und um jo freubiger wurde es von König Friedrich begrüßt, daß auch der erſte Kirchenfürft des Reichs, Friedrich Karl von Mainz, feinen Beitritt erklärte.

Johannes Müller, der kurz vorher in mainzifhe Dienfte getreten war, erflärte in einer Flugſchrift, es jei eine Ehrenpflicht, daß „derjenige, der nicht für fih und feine Familie, fondern für das Reich der Deutihen Kurfürft und für die germaniſche Kirche der erfte Erzbiichof fein will”, durch feinen Beitritt einen Bund janfktioniere, den „unjchuldsvolle edle Gerechtigkeit und gemeines Wohl empfahlen, die Herzen des Volkes billigten ...“ „Es ift Zeit, fich über bie Routine zu erheben: jey katholiſch oder proteftantiich, du bift ein freier teutſcher Mann, defien Vorältern lieber haben fterben wollen als dienen!” ?)

Es war ein bedeutjamer Sieg Friedrichs über die Kaiferpolitif Joſephs! Mochten immerhin, abgejehen von Pfalz-Baiern, deſſen Regent aus perſönlichen Gründen gegen Defterreih nicht einmal fein Hausreht wahrte, die meiften fleineren und Eleinften Reihsftände dem Bunde fernbleiben, jo umfaßte derjelbe doch gerabe die fräftigften deutichen Staaten, und durch den Beitritt des Mainzers war ihm jogar eine Mehrheit im Kurfürftenfollegium gefihert. Ob Friedrich, wie wohl behauptet worden ift, ernftlich fi mit dem Gedanken trug, die Union an die Stelle des alten Reichsſyſtems zu ſetzen und das ftaatsrechtliche Ver: bältnis der Stände untereinander und zum Reichsoberhaupt in einen Verband jouveräner Staaten unter preußifcher Hegemonie und mit Ausſchluß Deiterreihs zu verwandeln, ift mehr als zweifelhaft.

Die Verbündeten waren ja durchaus nicht geneigt, für die Durchführung des Bundesgedanfens mwejentlihe Opfer zu bringen; fie beobachteten das Anwachſen Preußens nicht weniger argwöhniſch, als die Fleineren Reichsſtände die Ausdeh— nung der faijerlihen Macht. Joſeph jelbit beeilte fi, dem Reichstage anzuzeigen, daß alle Unterhandlungen wegen eines Ländertaufches aufgegeben jeien?); mit der Bejeitigung diefer Gefahr verflüchtigte ſich auch das Intereſſe der Fürften an der Union, und wir haben feinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß Friedrich jelbft noch weitere Schritte zum Ausbau feines Unternehmens beabfichtigt habe.

') Ranke, I, 232 fi. 2%. 0. Müller, Bom Fürftendbunde; fämtliche Werte, IX, 292, 295. ) Dom, Denkwürbigleiten meiner Zeit, III, 129. Heigel, Deutfche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr, bis zur Aufldfung des deutichen Reiche, 8

114 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt.

Lebhafte Teilnahme wurde dem Werfe faft nur noch von Karl Auguft von Weimar zugewendet. Nach Friedrichs II. Ableben ließ er durch jeinen ehemaligen Erzieher, Grafen Görtz, ber in preußifche Dienfte übergetreten war, dem Ber: liner Hofe eine Reihe von Vorfchlägen zum Ausbau der Union unterbreiten. „Sollte auch der Hof, dem Sie jet dienen, dadurd ein wenig das Anjehen der Oberbdireftion verlieren, jo werden Sie dod alles anwenden, um Deutſch— land dieſen Dienit zu leiften. So innig ich perfönlih dem preußiichen Haufe und den Glievern besjelben ergeben bin, jo muß id doch, vermöge meines Standes, no mehr dem allgemeinen Vaterlande und dem Staate, dejjen Mit: glied ich bin, anhänglich fein.“ Von den Vorfchlägen des Herzogs war nament: lid einer von eminent praftifher Bedeutung; die politifche Union ſollte auch zu einer fommerziellen geitaltet, das heißt: es jollte ein deutſcher Zollverein ge: gründet werden. Auch die Einführung eines allgemeinen deutichen Geſetzbuches für Zivil und Strafrecht wurde als wünjchenswert bezeichnet. ')

Friedrich Wilhelm II., der als Kronprinz regen Anteil an der Stiftung des Bundes genommen hatte, ja denjelben gewiſſermaßen als fein eigenes Werf betrachtete, begrüßte den Gedanken, mittels der Union eine Reichsreform durchzuſetzen, mit ungeheuchelter Wärme. Weniger ernft gemeint waren bie Danfesworte, die Minifter Herkberg den „weiſen Wünſchen“ des Herzogs von Weimar jpendete; er ſchlug zugleich Aenderungen vor, die für die Unionsfüriten unannehmbar, ja verlegend waren. Der eitle Hergberg, jchrieb Karl Auguit an den mainziſchen Landjägermeilter von Stein, habe „nur ein Herz für jeine eigenen Subeleien” und wolle nichts florieren laffen, was von andern erfonnen ſei. Doch aud dem Kurfürften von Mainz war der Weimarifhe Entwurf an— ftößig; es werde peinlichen Eindrud hervorrufen, meinte er, wenn die Union als „reformieren wollender Neichsteil" auftrete; der geplante Kongreß werde als „Begenreichstag” ericheinen und den Kaifer zu Repreijalien reizen. Nicht tröft liher waren die Erflärungen aus Sachſen und Hannover. Sadjen wollte den geiftlichen Kurfüriten von Mainz nicht als gleichberechtigt anerkennen, und Hannover bradte in Erinnerung, daß die Einigung feineswegs eine Umgeſtaltung der Reichsverfaſſung bezwedt habe. Karl Auguft ließ es fich eifrig angelegen jein, die gegen feine Neformpläne erhobenen Einwände zu entfräften. Eine ftarfe Macht, die Gewohnheit, ſchrieb er an den ſächſiſchen Konferenzminifter Löben, ftehe feinem Verſuche, die alte deutihe Denkart zu weden, feindlich entgegen; trogdem wolle er nicht ablafjen von feinem Werke; dem Geifte der Trägbeit, der auf den Reichsfüriten feit dem meitfälifchen Frieden lafte, müfle ein Ende gemacht, der deutihe Nationalgeift müfje wieder lebendig werden. „In den Mahnungen und Warnungen des Herzogs”, jagt Ranke, „atmet ein Geift, der fähig war, nicht allein die Union zu beleben, fondern die Nation überhaupt.” Doch läßt fi nicht leugnen, daß die Vorfchläge des Herzogs, der allen, alſo auch den ſchwächſten Mitgliedern der Union gleiche Rechte und Pflichten zugeteilt willen wollte, nicht nur mit der Form der Reichsverfaſſung und der hergebracdhten Gliederung der Stände unvereinbar, fondern auch für die mächtigeren Reichsſtände

') Wegele, 50.

Der Thronwechſel in Preußen. Die deutſchen Mittel: und Kleinftaaten. 115

unannehmbar waren. Auch unter Habsburgiſchem Einfluß wurde der Ausbau der Union befämpft. Der Zufammenfturz des Reiches fei unausbleiblih, er: flärte eine Schrift „Etwas vom Patriotismus im deutſchen Reich”, wenn die angeblih „patriotiſche Bruderſchaft“ fortfahre, die geheiligte Würde des Reiche: oberhaupts anzufallen und zu entehren; es heife die gefchichtlihe Wahrheit auf den Kopf ftellen, wenn gegen Defterreih der Vorwurf friedbrüdiger Anfchläge erhoben werde, gegen Defterreih, das doch, wie männiglih noch in frifhem An— denken trage, von ganz andern Häufern hintergangen, mißhandelt und beraubt worden ſei. Das Recht und das Reich vertrete der Kaiſer; ein Feind des Reihe ſei alſo jeder, der neben dem Kaiſer eine neue feindlihe Macht auf: richten wolle. ')

Die Warnungen waren jhon nicht mehr nötig. Zwar tauſchten die unierten Höfe noch zeitweilig freundfchaftlih und patriotifch Elingende Verſicherungen aus, aber fie wünjchten weder einen aufrichtigen Anſchluß aneinander, noch eine kräftige Neugeftaltung der deutſchen Verhältniſſe.

Auch Johannes Müller, der die Schöpfung der Union jo freudig begrüßt hatte, fonnte fich nicht mehr verhehlen, dab der Bund geftorben fei, daß man nur eine feierliche Beftattung der Leiche für überflüffig gehalten habe. In einer zweiten Flugſchrift: „Teutſchlands Erwartungen vom Fürftenbund“ ?) wandte er fich entrüftet gegen jene Staatsmänner, die im lebten Werk des großen Friedrichs nur einen für den Augenblid errihteten Damm gegen öſterreichiſche Gelüfte jehen wollten, nicht den Grund: und Editein eines neuen Reichsgebäudes.

Da jprehe man immer von bebenfliher Gefährdung der Reichsverfafjuna, aber verlohne es fich denn der Mühe, die gegenwärtigen deutſchen Zuftände auf: recht zu erhalten? „Ohne Geſetz noch Juſtiz, ohne Sicherheit vor willfürlichen Auflagen; ungemwiß, unfre Söhne, unjre Freiheiten und Rechte, unfer Leben einen Tag zu erhalten; die bilflofe Beute der Uebermadt; ohne wohlthätigen Zufammenhang, ohne Nationalgeift zu eriftieren, jo gut bei ſolchen Umftänden einer mag das ift unjrer Nation Status quo. Und die Union wäre ba, ihn zu befeftigen?” Dem Kaifer jelbft könne ja nur erwünſcht jein, wenn unter jeiner Regierung dem Reiche eine neue Hoffnung erblühe, denn feit den Tagen Marimilians J., die „das Kammergericht, die Kreisverfaffung und das Regiment, überhaupt Modell, Grundzüge, Vorarbeit” hervorgebraht, habe es für eine patriotiiche Wirfjamfeit feinen günſtigeren Augenblid gegeben, als die Gegen: wart. est müſſe endlih der Deutiche feinen BVerftand und feinen Mut be: währen, um eine lebensfräftige Reform der Reichsverfafjung durchzufegen, um zu gemeinſamem Vaterlandsgeifte vorzudringen, „damit auch wir endlich jagen dürften: Wir find eine Nation!” Doch wie fleine Geifter finde der große Augenblid! Die Hoffnung der Patrioten auf Reform und Auferitehung ſei dem Erlöſchen nahe! „Verflucht jei der Mann, Schande fomme über fein Haupt, der den Säumigen das Wort redet! ... Was Satire jeheint, ift leider Ge:

'; Etwas vom Patriotismus im deutſchen Reich. Bon einem Deutichen mit deutſcher Freiheit (1788). ) Joh. Müller, Sämtliche Werte, IX, 811.

116 Erftes Bud. Dritter Abſchnitt.

ſchichte!“ Dem Biedermann bleibe aljo nichts übrig, als gelaffen und gewiſſen— haft feinem Fürften weiter zu dienen, „wenn er jeines Landes ober Ländchens Vater it.“ „Wen aber der Geilt Gottes treibt, öffentlih für die Rechte der Menſchheit zu reden, der ftreue den Samen vernünftiger Freiheit aus, unbejorgt, ob er die Frucht davon erlebe. Montesquieu hat mehr gewirft, als alle Fürjtenunionen.”

Mit Net nennt Wend diefe Kundgebung Müllers „einzig in ber damaligen Bubliciftit Deutſchlands.“) „Eine Schrift von jo energifchem, zulegt fait revo: futionärem Tone, nicht geichrieben im Namen einer reihsftändifchen Oppofition gegen den Kaijer, nicht im Namen eines geächteten Fürjten, einer beeinträchtigten Religionspartei gegen die Beſchlüſſe der Reihstagsmajorität oder dergleichen, ſondern eine Verurteilung des ganzen Neihszuftandes im Namen ber Nation, welcher diejer Zuftand zur Schmach gereihe!” Ein Wetterleuchten zudt durch diefe Klagen und Verwünſchungen. Wenn die Entrüftung über die verrottete Verfaſſung, die Scham ob der Erniebrigung der Nation in vielen deutjchen Herzen fo lebendig waren, fann es nicht befremden, daß zwei Jahrzehnte jpäter die Zertrümmerung des alten Neichsgebäudes mehr Befriedigung, denn Mitleid erregte. „Wenn etwas nicht mehr ftehen kann”, heißt es ſchon in einer Flug: ichrift von 1766 ‚Noch etwas zum bdeutjchen Nationalgeift‘, in Bezug auf das römijche Neich, „so ift’s nicht ſchade, wenn es in die Grube fällt.”

') Wend, Deutichland vor hundert Jahren, I, 192.

Dierter Abfchnitt.

Per Aufffand in den öſterreichiſchen Piederlanden. Per Kampf wwiſchen der vraniſchen und der patriotiſchen Partei in Bolland und die preußiſche Intervention.

ie unter dem Namen Niederlande zujammengefaßten Herzogtümer und Grafſchaften (Brabant, Limburg, Luxemburg, Geldern, Flandern,

Hennegau und Namur) ſtanden mit der öſterreichiſchen Monarchie nur in loſem Zuſammenhang. In Brüſſel reſidierte als Stellvertreter des Monarchen ein Generalſtatthalter, gewöhnlich ein Mitglied der kaiſerlichen Familie oder des höchſten Adels; unter ihm ſtanden der Staatsrat, der Geheime Rat und der Finanzrat, welche die eigentlichen Staatsangelegenheiten leiteten. Dagegen war die geſetzgebende Gewalt geteilt; die Verordnungen der Regierung bedurften der Zuſtimmung des ſtändiſchen Ausſchuſſes. Auch in die innere Verwaltung der einzelnen Provinzen hatte die Regierung nicht einzugreifen. Die Rechtspflege war jelbftändigen Obergerihten überlaflen; der Große Nat zu Mecheln genoß das Anfehen eines oberften Gerichtshofes. Als Richter und Beamte durften nur Landeskinder angeftellt werden. Die bewaffnete Macht beftand aus einer Art Landwehr, die gegen den Willen der Stände nicht außer Landes verwendet werden durfte; nur in den Feltungen lagen einige öfterreichifche Regimenter. Nicht bloß neue Steuern beburften der Genehmigung der Stände, fondern auch die alten mußten jährlich bewilligt werden. Jeder Regent mußte eiblich ge: loben, daß er jeinen Unterthanen ein milder und gerechter Herr jein und ihre Gebräude und Rechte nicht antaften wolle. Ja, in dem berühmteften und freifinnigiten Freiheitsbriefe, dem „Blyde inkomst* („joyeuse entree*) der Herzogtümer Brabant und Limburg!) war jogar (Artikel 59) die Beitimmung enthalten, daß die Unterthanen, jals der Negent eines der ftändijchen Grund:

!, Eine deutſche Ueberſetzung in den „Altenftüden zur Gefchichte der öfterreichifchen Nieder: lande“ (1787), 50.

118 Erſtes Bud. Vierter Abfchnitt.

geiege verlegen würde, von jelbft ihrer Dienitpflicht entbunden jein follten, bis das ihnen geſchehene Unrecht wieder gut gemacht wäre!), eine Beitimmung, die von den Brabantern als Anerfennung bes jus revolutionis ausgelegt wurde. Auch räumte der „Frohe Willkomm“ dem dritten Stande, der Bürgeridaft, von vorneherein eine Bebeutung ein, wie fie andre Verfaffungen nicht kannten. Vom Recht der Steuerverweigerung war denn auch im Laufe ber legten Jahrhunderte wiederholt Gebrauch gemacht worden; die Regierung hatte ſich für ſolche Not: fälle ein Hülfsmittel zurechtgelegt, die „vervanghenisse*, d. h. den Grundfat, daß die Uebereinſtimmung von Adel und Klerus an ſich ſchon die Einwilligung des dritten Standes nad) fich ziehe.

Wie man fieht, unterfchied jih die Negierungsform ber jüblichen Nieder: lande nicht weſentlich von derjenigen in den Generalitaaten; bier wie dort war jede Provinz ein Staat im Staate, nur daß der Statthalter in Brüffel als Stellvertreter eines fremden Souveräns, des Herrn der öſterreichiſchen Erblande, anzujehen war.?)

Trogdem galten die Belgier als ein anhängliches, monarchiſch gejinntes Boll. Auch von ihnen galt nod das Wort des Hugo Grotius: „Den Nieder: (ändern ift Ergebenheit gegen ihren Landesherrn angeboren, wie den Spaniern, nur mit dem Unterſchied, daß der Niederländer die Gejege über die Könige ſtellt.“ Namentlih Maria Therefia hatte ſich allgemeiner Beliebtheit und Ver: ehrung erfreut.?) „Maria Therefia war in Belgien wie eine Gottheit verehrt,” verfihert der Erzbifhof von Medeln, Pradt, „auch werben ihre Altäre noch lange in den Herzen der Einwohner jener Gebiete aufrecht bleiben.” *) Zwar wollte fie das Recht der Steuerverweigerung des dritten Standes nit an- erkennen und ſetzte behufs geregelter Steuererhebung eine neue, den Ständen anftößige Behörde in Brüffel ein, jonft aber nahm die ftaatsfluge Frau auf den Freiheiteftols der Belgier gebührende Rüdfiht. „Begnügen Sie fi,” jichrieb fie an Karl von Lothringen, den fie 1758 zum Statthalter der Nieder: lande berufen hatte, „ver Hahn des Dorfes zu jein, und laſſen Sie im übrigen den Sachen ihren Verlauf." ’) Karl nahm dieſe Mahnung ernft und vertrat jederzeit mit Wärme, insbejondere gegenüber dem Fürſten Kaunitz, die belgischen Vorredhte; zum Dank dafür wurde ihm bei der fünfundzwanzigjährigen Jubel: feier feiner Regentihaft (1777) von den Brabantern auf dem Lothringerplage zu Brüfjel ein Standbild errichtet. In den Krifen der jchlefifchen Kriege ftanden

!) Mömoires historiques et politiques des Pays-Bas Autrichiennes (dedies à l’em- pereur), (1784), 386.

?) Nudelingen, Belgien unter Maria Therefia (aus dem Vlämifchen überjegt von Stuben: raud), 27.

3 Auch Confcience in feiner Gefchichte Belgiens, 403, erzählt: „Jeder trauerte (beim Tode Maria Therefias), als ob feine eigene Mutter geftorben wäre; bei der Totenfeier in ber St. Gudulalirche zu Brüffel hörte man nichts als Seufzen und Schluchzen. Der Fußboden der Kirche fchimmerte gegen den Echein bes Tageslichts, benekt von den Thränen der Dankbarkeit und bes Schmerzes.“

* Prabdt, Ueber Belgien in den Jahren 1789—1794 (aus dem Franzöfifhen, 1821), 89.

®) Rudelingen, 138.

Der Aufftand in den öfterreidifchen Niederlanden. 119

die Belgier treu zu Defterreih und trugen die ſchweren Geld: und Blutopfer ohne Widerfprud; hauptfählih mit belgiſchem Kapital wurden bie ungeheuren Kriegsanleihen Defterreihs gededt. Belgien konnte unter den öſterreichiſchen Provinzen als eine der reichften und als die beitfultivierte gelten. Zwar ber Handel war jeit hundert Jahren kläglich zurüdgegangen; ihm war, jeit bie holländifche Negierung im meitfälifchen Frieden die Sperrung der Schelde durchgeiegt hatte, recht eigentlich die Lebensader unterbunden. Georg Foriter, der 1790 Belgien bejuchte, entwirft ein trübes Bild vom Niedergang der alten Herrlichkeit der belgiihen Städte und dem „traurigen Volt von Brabant”; im Hafen zu Antwerpen, der für taufend Schiffe Raum geboten hätte, jah er nur ein paar Heine Fahrzeuge liegen. Doch die belgiiche Induſtrie behauptete no eriten Rang; Gent, Medeln, Löwen, Brügge mit ihren zadigen Giebel: häuſern und majeftätiihen Domen, wo man jelbit heute noch im vollen Mittel: alter zu wandeln glaubt, waren noch immer volfreihe, betriebfame Stäbte. Noch immer lieferte Gent die beften Tuche, Brügge die feinfte Leinwand, Brüſſel hatte feine berühmten Lederjabrifate und Antwerpen zählte zu den erften Gelb: plägen Europas.

Großen Reihtum und damit auch Einfluß bejaß in Belgien der Klerus. Als Mittelpunkt geiftliher Bildung und Propaganda galt die Hochſchule zu Löwen, die zu Karls V. Zeiten durch berühmte Lehrer geglänzt und die Blüte der Jugend aus allen Ländern Europas zu Schülern gehabt, jeit langem aber mit den Fortichritten der deutſchen Schweiterinftitute nicht mehr gleihen Schritt gehalten hatte. Immerhin beherrſchte fie noch das religiöfe Leben Belgiens, jo daß, zumal in den höheren Ständen, eine ftrengere firhliche Gefinnung lebendig war, als in Deutſchland oder Frankreich.

Das Hlerifal:partifulariftiihe Staatswejen Belgiens mußte einem auf: geflärten Abjolutiften, wie Joſeph II., befonders anjtößig ericheinen, und ander: ſeits mußten die firchlich-politiichen Reformen, die der Kaiſer mit rüdfichtslofer Härte durchzuführen unternahm, gerade hier auf hartnädigen Wiberftand ftoßen. Joſeph hatte nach jeinem Regierungsantritt die Huldigung der Belgier entgegen: genommen und die Aufredhthaltung der Joyeuse entrée und ber übrigen Frei: heitöbriefe beſchworen. Er ließ fih in den nädften Jahren die Hebung bes materiellen Wobhlftands der Niederlande eifrig angelegen fein; nah Abſchluß des Friedens von Verjailles 1783 hatte es den Anjchein, als ob die Forderung Kaifer Joſephs, daß die Schelde wieder für den Seehandel der belgiichen Staaten geöffnet werden jollte, den Krieg zwilchen Holland und Defterreich entzünden werde. Doc die Furcht, der Freundichaft Frankreichs verluftig zu gehen, ließ den Kaiſer gegen eine ftattliche Geldentfchädigung feine Forderung zurüdziehen. Wenn nun jhon diefe Wendung die Zuneigung der Bürger von Antwerpen und Brüſſel zu ihrem neuen Herrn abgekühlt hatte, jo mußte es ihren ftolgen Sinn nod empfindlicher verlegen, daß Joſeph in dem niederländijchen Staaten ein Handelsobjekt erblidte, um mit dem Kurfürften von Baiern, deſſen Gebiet ih zur Abrundung Deflerreihs empfahl, ein Taufhgeichäft einzugehen. Die Mipftiimmung wandelte fi vollends in Erbitterung, als der Kaifer mit Reform: plänen hervortrat, die als Angriffe auf die Religion und als Eingriffe in die

120 Erfted Buch. Vierter Abjchnitt.

verfafjungsmäßigen Rechte der Nation ausgelegt wurden. Den Belgiern war die dee eines öſterreichiſchen Gejamtitaates an ſich unfahbar; nad Joſephs Abſicht aber follten die Belgier es lafien fi die nämlihen Worte anwenden, womit Schiller das Verhältnis Karls V. zu den Niederländern des jechzehnten Sahrhunderts fennzeihnet, „nur ein Glied des Rieſenkörpers fein, den die Ehrjucht eines Einzigen zu ihrem Werkzeuge gebrauchte, fie jollten aufhören ihr eigener Zweck zu jein, der Mittelpunkt ihres Dafeins war in die Seele ihres Regenten verlegt." Den Belgiern erjchien es als Unrecht, daß die in ben Erb: landen eingeführten Neuerungen aud vor ben Grenzen Belgiens nicht Halt maden jollten, zumal Neuerungen, die nach dem Urteil der gelehrten Väter von Löwen zur Wiederkehr der „Zeiten bes erobeam und des Kälberdienftes zu Bethel” führen mußten. Während fi in Oeſterreich zahlreihe angejehene Mit: glieder des Klerus jelbit an der Reformpropaganda beteiligten, trat in Belgien die gejamte Geiltlichfeit wie ein Mann gegen die geplante „Reinigung des Ehriftentums” auf. Im Haufe des römischen Nuntius in Brüffel wurde der Widerftand organifiert. Am 13. Juni 1786 richteten die Stände von Flandern an den Kaiſer eine geharnifchte Verwahrung gegen die kirchlichen Reformen; die Gemüter der weltlihen, wie der geiftlihen Unterthanen ſeien darob in Ver: zweiflung geraten! Beſonders die Religionslafje werde allgemein als eine ab- ſcheuliche Anftalt angejehen, deren Name ſchon Entrüftung bervorrufe; noch nie fei die Verlegung bes heiligften Rechtes des Eigentums von Kirchen, Klöftern und frommen Stiftungen auf fo anftößige Weife von einem Despoten janftioniert worden.)

Mit folhem Troß war bei Kaifer Joſeph nichts auszurichten, er ließ den Ständen eine ernfte Warnung zugehen und betrieb nur noch eifriger den Ausbau feines Reformwerkes. Durch Edikt vom 16, Dftober 1786 wurden bie biſchöflichen Seminarien, in welchen die jungen Geiftlichen bisher ihre Bildung empfangen hatten, aufgelöft und zwei ftaatlihe Seminarien in Löwen und Zuremburg eröffnet. Die Univerfität Löwen erhielt eine neue Organijation, firhlich gefinnte Zehrer wurden entjegt, Dagegen andre berufen, die als Jünger der Aufklärung den Kampf gegen „die alte Schule der Prieſterſchaft“ mit leiden: Ichaftliher Entjhlofienheit aufnahmen und febronianifhe Grundfäge verkün— digten. Im neuen Generaljeminar zu Löwen fam es zu Erzeflen; in den Sturm: petitionen der Seminariften war freilihd nicht bloß über die Unkirchlichkeit der Lehrer, ſondern auch über das dünne Bier Klage geführt. Als der Minifter Belgiojojo drei Bataillone Ynfanterie, ein Regiment Dragoner und jechs Kanonen nah Löwen abſchickte, war es mit der Nevolte raſch vorbei, aber die große militärifhe Expedition gegen ein paar Hundert Leute madhte auf die Un: befangenen einen lächerlichen Eindrud und fteigerte den Unwillen in den Kreifen der Gemaßregelten.

Joſeph mißbilligte zwar das Vorgehen Belgiojojos; er wäre, jchrieb er, allein nach Löwen gegangen, um der Schlange des Aufruhrs den Kopf zu zertreten; im allgemeinen aber bezichtigte er die Negierung in Brüffel des

! Brunner, Myfterien der Aufllärung, 434.

Der Aufftand in den öſterreichiſchen Niederlanden. 121

Mangels an Regjamkeit und Entjchlofienheit. „Sie kennen meine Werkzeuge,“ jhrieb er (21. November 1786) an Bruder Leopold, „man muß immer jechs- mal treiben, bis man die Scläfrigen endlich zu etwas bringen und ihren ſchlechten Willen bemeiftern fann.“ Der Vorwurf richtete fih namentlich gegen Joſephs Schweiter Marie Chriftine und deren Gatten Herzog Albredt von Sachſen-Teſchen. Das Ehepaar war von Maria Therefia kurz vor ihrem Tode zu Statthaltern der Niederlande ernannt worden; die beiden Gatten jollten, wie früher einmal Klara Eugenia von Spanien und ihr Gemahl Erzherzog Albredt, gemeinfhaftlih die Regierung führen und wurden aud in amtlihen Schrift: fttüden „les gouverneurs* genannt.!) Marie Chriftine, deren Andenfen in ebeliter Weife durch das Meifterwerf eines großen Künftlers, Canovas Grabmal in der Auguftinerfiche zu Wien, erhalten ift, war eine bedeutende Frau. Ein Beitgenofje, der Erzbiichof von Mecheln, der als eingeweihter, wenn auch nicht unparteiifcher Gewährsmann gelten kann, rühmt den durchdringenden Geiſt und das eble Herz der Statthalterin, jowie ihre Anhänglichfeit an das belgijche Volk; doch jei fie allzu abhängig von Stolz und Herrſchbegier, allzu befangen in ben Vorurteilen der habsburgiihen Traditionen geweſen, in Tugenden und Fehlern jener Anna von Defterreih ähnlih, die den Kampf zwiſchen Königtum und Fronde ebenſo oft durch ihre Nachgiebigkeit, wie durch ihre Strenge verfchärfte.*) Auch an Margareta von Parma erinnern Charakter und Schidjale der Tochter Maria Therefias, wie fih überhaupt mande Parallele zwiſchen Vorgängen von 1565 und 1787 ziehen läßt. Marie Chriftine ftand den Joſephiniſchen Reformen an fi nicht feindfelig gegenüber, aber fie hielt e8 für angemeſſen, langjam damit vorzugehen und das Volk darauf vorzubereiten.) Sie jah vor: aus, welch gefährlihe Folgen das Einfchreiten gegen die Löwener Orthoboren nad jich ziehen könne, denn hinter der aufgeregten Priefterfchaft, die in ber 2oderung der Verbindung mit Rom ein gefährliches Zugeftändnis an den Janſenismus erblidte, ftand das wurde ſchon damals von unbefangenen Politifern richtig beurteilt*) das in feinen religiöfen Empfindungen verleßte, srollende Volk.

Troßdem wäre es, wie ber beite Kenner dieſer niederländiſchen Berhält: nifje, Theodore Jufte, annimmt, um der firdlihen Neuerungen allein willen wohl faum zur Voltserhebung in Waffen gelommen ), wenn nicht Joſeph auch das Palladium der Niederländer, die ftändifche Verfafjung, angetaftet hätte. Am 1. Januar 1787 erſchienen faiferlihe Verordnungen, welche die gejamte Regierungsgewalt in einer einzigen Behörde, dem Generalgouvernement, kon— jentrierten und ein bureaufratiihes Syſtem ins Leben riefen, wonach das ganze

) Adam Wolf, Marie Ehriftine, Erzherzogin von Defterreich, ], 186.

?) Ueber Belgien in den Jahren 1789 bis 1794, 75.

2) a. Wolf, 247.

) ©. den, wie es ſcheint, von Schlözer jelbft geichriebenen Aufſatz über den religiöfen Charakter der Brabanter in Staatsanzeigen, 14. Band, 4. Auch das Hamburger polit. Journal nennt die Unterdrüdung der „ganz ultramontanifch gefinnten” Univerfität Löwen bedenklich (Jabra. 1786, 851).

°) Th. Juste, La Revolution Brabanconne, 87.

122 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt.

Land in neun Intendanturkreiſe unter je einem Regierungsfommifjär geteilt wurde, ohne daß dabei die alte Abgrenzung ber Provinzen refpeftiert war. Desgleichen wurde für die Rechtspflege eine neue Einteilung getroffen, ohne Rüdfiht auf die beftehenden zahllofen Territorialgerichte, Lehensgerichte, geiftlihen Gerichte u. ſ. w.) Ohne Zweifel war Joſeph II. von volfsfreundlichen Abfichten geleitet. Namentlich die Juftizreform entjprad einem Bedürfnis; nur durch die von Joſeph eingeführte Zentralifierung fonnte eine Vereinfahung der mweitichweifigen, foft: fpieligen und verworrenen Rechtsbehandlung erreicht werben.?) Allein jo durch— greifende Aenderungen hätten nur nad Befragung und mit Zuftimmung der Stände angeordnet werben follen. Die Aufnötigung der neuen Organifation war eine offene Verlegung der Privilegien, deren Aufrechthaltung Joſeph felbft feierlich gelobt hatte. Sogar Freunde und Anwälte des Kaijers mißbilligten die „einfeitige Bethätigung des abjoluten Herrſcherwillens“.*)

Joſeph mochte hoffen, daß der Nugen der Umzgeftaltung der drei Haupt: gebiete des öffentlichen Lebens, Nechtspflege, Verwaltung und Kirche, die Nieder: länder befehren werde, aber dieje Erwartung ſchlug fehl. In den Niederlanden war eben Alles Privilegium, die gejelichaftlihe Ordnung beruhte auf den bunt: ihedigen, mittelalterlihen Einrichtungen, jedermann lebte von feinem Anteil daran *): dieje hiſtoriſchen Rechte jollten nun dur einen Federftrich vernichtet fein! Der Brabanter, der Hennegauer, der Zuremburger follten ihr patriarcha— liſches Sonderleben opfern zu Gunſten eines Fürften, der fich bei feinen Ber: bandlungen mit dem Pfälzer der niederländiihen Provinzen wie einer gewöhn: lihen Tauſchware bedient hatte! Ein an fich geringfügiger Vorfall jteigerte die Aufregung. Ein Handelsmann in Brüffel, de Hondt, wurde wegen Betrugs bei einer Lieferung für die Armee verhaftet und zur Vernehmung vor den Militär: behörden nad Wien gebradt: das war eine neue Verletzung der Grundrechte, nah welchen es nicht erlaubt war, einen Eingebornen vor einen fremden Ge: richtshof zu ziehen. Die Bevölkerung aller Provinzen geriet in leidenjchaftliche Aufregung. Der Rat von Brabant, der ſich immer als eine Art Mittelpunft des politiihen Lebens der Niederlande angejehen hatte, glaubte den Fortichritten des abjolutiftiichen, gemwaltthätigen „Wiener Geiftes” nicht länger zufehen zu dürfen. Am 19. April 1787, während fi Kaifer Joſeph ſchon auf der Reife nad dem Cherjones befand, erliefen die Stände von Brabant eine Erklärung, die offene Verlegung der vom Kaiſer beichworenen Verfafjung lege ihnen die Pliht auf, der Regierung den weiteren Bezug der Steuern zu verjagen; ber Nat von Brabant habe fich nicht eher als aufgelöft zu betrachten, als bis er auf geieglihe Weife, d. h. mit Zuftimmung der Stände aufgelöft werde; einer Wiederholung von Rechtsverletzungen, wie des Falles de Hondt, müſſe ein für allemal dur eidliche Zuficherung des Kaifers vorgebeugt werden.

’) Meiner und Spittler, Göttinger biftor. Magazin, Jahrg. 1787, I, 753, 758.

?) D. Lorenz, Jojeph II. und die belgifche Revolution nad den Papieren des General: gouverneurd Grafen Murray, 8.

) Ueber die jegige Gährung in ben öfterreichifchen Niederlanden (Aus dem Franzöſiſchen, Köln 1787), 46.

4 Hanke, Die deutfhen Mächte und der Fürftenbund, II, 24.

Der Aufftand in den öfterreihifchen Niederlanden. 123

Bergebens juchte das Statthalterpaar die mißliebigen Einrichtungen zu rechtfertigen. Wenn ſchon bisher die Eingriffe der Regierung in das Kirchen: tum in ben Beſchwerden bes Klerus und ber Stände eine Hauptrolle ge: jpielt hatten, jo erregte es neue Unzufriedenheit, dab Hofrat Martini, der als Urheber der anftößigften Julianiſchen Neuerungen galt, zur rafcheren Durhführung der Neformen nah Brüffel geihidt wurde. Das Erſcheinen des kirchenfeindlichen Aufflärers hatte die nämliche Wirkung, wie vor zwei— hundert Jahren die Ankunft des Biſchofs Granvella, der in den Niederlanden die nquifitionsgerihte in Gang bringen jollte: die Wirkung eines Signals zur Volfserhebung. Es fehlte auch in Brüffel nit an Männern, die, wie Vanſen im „Egmont“, den Mitbürgern haarſcharf nachwieſen, wie feſt der Monarch gebunden ſei, „feine Macht oder eigenen Willen an ihnen zu be: weifen, merfen zu lafien oder gedenken zu geitatten, auf feinerlei Weiſe!“ wie der Dejterreiher aber offen die Verfaffung verlegt habe und alle noch vollends zu Sklaven machen werde, wenn es nicht gelänge, einen Damm gegen die Tyrannei aufzumwerfen. Namentlich ein wenig beichäftigter Advofat, aber rühriger Agitator, Henri van ber Noot, brängte zu allgemeiner Volks— bewaffnung. Die Zunftmiliz wurde durd Freiwillige verftärft; auch fnüttel- bewaffnete Bauern zogen in die Städte und boten ihre Hülfe gegen ben gemein- jamen Feind an.?) Am 30. Mai fam es in Brüffel zu offener Erhebung. Die Pläge und Straßen füllten fih mit lärmenden Volksmaſſen, alle Mienen, alle Blide verrieten die Luft zum Aufruhr. Während Taufende den Palaft des Statthalterpaares umlagerten, überbradte eine Deputation der Stände ein Ultimatum, das noch für den nämliden Tag die Zurüdnahme aller verfafjungs: widrigen Beſchlüſſe und die Abjegung der mißliebigen Sendboten bes Kaifers verlangte. Die geängftigten Statthalter wagten feine Weigerung; um Mitter: naht wurde vom Balkon des Stabthaujes den noch immer verfammelten Volks: maflen der Rüdtritt des verhaßten Minifters Belgiojofo angefündigt, die an: tößigen Verordnungen follten vorläufig juspendiert werden. Als diefe Antwort von der Menge mit ſtürmiſchen Hochrufen auf Kaifer und Verfaſſung begrüßt wurde, gaben ſich Albert und Chriſtine der Hoffnung hin, daß die gefährliche Bewegung ein glüdlihes Ende gefunden habe; fie erblidten im Widerruf um jo weniger ein Nergernis, da fie jchon die Anordnung für ungejeglich erachtet hatten.

Anders aber dachte Kaijer Joſeph über die Wendung der Dinge in den Niederlanden. Er befand fih noch am Dniepr, als ihn die erften Allarmnad: richten aus Brüffel erreichten; ber Zorn über die Schwäche jeiner Regierung bradte ihn um alle Faſſung. „Prinz Albredt und meine Schwefter,” jchrieb er am 16. Juni an Kaunitz, „deren Unzufriedenheit mir gar wohl befannt ift, iheinen gar nicht böfe zu fein über die neueften Vorfälle; der Brief des Prinzen beweift, daß ihm Herz, Kopf und Vernunft völlig durdgegangen find!”?) Auch Kaunig, der von jeinem früheren Aufenthalt in Brüffel die Eiferfucht der

') Borgnet, Histoire de Belges ä la fin du 18. siöcle (deux. «dit.), I, 83. ?) Beer, Joſeph II., Leopold II. und Kaunik, ihr Briefwechſel, 268.

124 Erſtes Bud. Vierter Abichnitt.

Niederländer auf die Selbftändigfeit der Provinzen fannte, hatte immer von ſelbſtherrlichem Auftreten abgeraten. Joſeph hatte fih nur ungern gefügt; ſolche Nachgiebigkeit werde nur den Hohmut der Niederländer fteigern und auch in Ungarn und andern reformbebürftigen Provinzen die Oppofition ermutigen. Jetzt glaubte er mit grimmiger Befriedigung auf die Berechtigung jeiner Auffaffung hinweiſen zu dürfen: verwünfcht die Fügjamfeit und verwünſcht die falichen Rat: geber! Auch der Zarin, die ihre Teilnahme ausgedrüdt und zu Geduld und Mäßigung gemahnt hatte, antwortete er nur mit Klagen über feine unzuverläffigen Leute. „Man hat meine Abwejenheit böswillig benügt, um fich die unverzeib: lichften Exrzeffe zu erlauben, während meine Regierung alle erforderlichen Vor: fehrungen unterließ, dann aber in ſchmählicher Feigheit alle Forderungen be: willigte und nun von mir verlangt, ich fol zu ihren Verſprechungen einfach Ja fagen!”!) „Sm meinem Leben habe ich niemals fo gerechten Unmut empfunden,” fchrieb er am 23. Juni an Kaunig, „ih kann Ihnen meinen Willen erft nad einigen Stunden ruhigen Nachdenkens mitteilen. Alles, was aus diefem Anlaß geihrieben und geichehen ift, ift mir ganz und gar unbegreiflich und fcheint, mit faltem Blut angejehen, von jemand herzurühren, der dem Narrenhaus ent: fprungen ift. Die Regierung hat offenbar den Kopf verloren; fie gebraud)t Worte, wie ‚der unvermeidliche Verluft der Niederlande‘, um unerhörte Schritte zu rechtfertigen, die feinen Sinn haben, die nichts bemeifen und nie etwas bemweijen können. Ich bin unwiderruflih entichloffen, nimmermehr dem zuzu— ftimmen, was die Regierung zu veriprechen gewagt hat, jondern es in aller Form zurüdzumeifen. Selbſt auf der Breſche der Stabt Wien würde ich mich einer jo entehrenden und erniedrigenden Zumutung nicht fügen, viel weniger aljo in dem Zuftand, in welchem ich mich jet befinde, und mit dem Willen, dem Mut und der Unerfhrodenheit, die ih in mir fühle.”?) Als Kaunig an: zeigte, daß er zur Beruhigung der Brabanter die ſtürmiſch begehrte Zurüd: fendung des Handelamannes de Hondt gewährt habe, antwortete Joſeph mit neuen Vorwürfen. „Indem man immer nadhgab, hat man, wie jegt klar vor Augen liegt, nichts gewonnen, jondern die Sache nur jchlimmer gemadt! Das it ja ganz natürlih, denn wenn erhiste und unverfhämte Leute jehen, daß man Angit hat, dann wagen jie alles, und ich ftaune, daß das Volk von Brüffel und die Narren, die es aufbegen, nicht auch meine Hojen verlangt haben und daß die Regierung nicht, um Ruhe zu ftiften, gelobt hat, daß ich fie jedenfalls ihiden werde. Das, was Sie mir anraten, mein Fürft, ift eine Feigheit, und felbft wenn ich den ficheren Tod vor Augen hätte, würde mir niemand die Ge: nehmigung entreißen. Sie werden das Schriftitüd, das mir zur Schande ge: reicht, verdientermaßen in Stüde zerreißen und dann der Regierung zurüdjenden, damit fie fieht, wie ich über die Sade denfe. Wer in diefem Tone mit mir zu reben wagt, ilt weder der Freund Joſephs, noch des Haifers.“’) Auch dem

’) Arneth, Briefmechjel Joſephs IL. und Hatharinas von Rußland, 294.

2) Ebenda, Anmerkung.

) Brunner, Correspondances intimes de l’empereur Joseph Il, avec son ami le comte de Cobenzel et son premier ministre le prince de Kaunitz, 150,

Der Aufftand in den öfterreihifhhen Niederlanden. 125

Bruder Leopold, der in diefer Frage eine zweideutige Rolle jpielte, nicht felten der Schwefter Chriftine recht gab, aber dem Bruder nicht unrecht zu geben wagte, verſicherte Joſeph in jedem Briefe, er werde ſich nichts abtrogen laflen, jondern den von den Rebellen zugejchleuderten Fehdehandſchuh aufnehmen. „Es handelt ſich nicht mehr um die Verfaffung der Niederländer oder um die Wiederher: ftelung des Zuftandes vor ſechs Jahren, nein! aufgemuntert durch ihre Erfolge gegenüber der Regierung und im Bemwußtjein ihres Uebergewichts wollen fie ſich unabhängig mahen, oder, was aufs gleiche binausläuft, fie wollen eine neue Verfaſſung und für die Königlichen Hoheiten und die Regierung, die nur Dumm: beiten gemadt haben, freie Vollmaht! Das foll ich mit ihnen beraten unter Garantie zweier fremder Mächte, die fie nicht nennen. Ich überlaſſe es Ihnen, zu beurteilen, ob ich mich jemals auf jo etwas einlaffen fann!” Leopold goß Del ins Feuer, indem er das Haus des römiſchen Nuntius als die Brutftätte aller Umtriebe gegen den Kaifer bezeichnete. „Rom bat das alles angeftiftet, um Deutichland zu beunrubigen und die Fortjegung der Reformen zu verhindern, welche die Biſchöfe durhführen wollen, um fih nad dem von Ihnen gegebenen Beijpiel der römiſchen Autorität und den Schwindelgejhhäften des römischen Hofes zu entziehen (19. Juli 1787). )

Anders aber wurde von unbefangenen Beobadtern geurteilt. Es erregte nicht geringes Auffehen, daß der proteftantifche Hiftorifer Spittler zu Gunften der unterbrüdten Niederländer feine Stimme erhob und an den Kaifer bie feierliche Aufforderung richtete, er möge nicht vom Throne aus das verderbliche Beifpiel der Nichtbeachtung gejegliher Schranken geben. „Sey geredht, großer Kaijer!” läßt er die Niederländer den Monarchen anrufen, „du mwillt unfern Gottesdienft gereinigt wiffen, unfere Religion foll von Aberglauben frey, unjere Hierardie unabhängig jeyn vom großen Oberpriefter zu Rom. Aber jey gerecht, wir find blos das, wozu uns deine Mutter hat erziehen und bilden lafien...., firafe uns nit, daß wir treue Unterthanen und treue Zöglinge deiner Vor: eltern waren. Uns jcheint heilig, was dir Aberglaube zu fein jcheint ... Sey gerecht, unfere Neligionsüberzeugung hat eben das Recht, das die deinige hat... Kannft du Ruhe fordern, wenn du deinem Volke feine Heiligthümer nimmft?!”®) Leidenſchaftlicher fieß fi eine Stimme aus Irland vernehmen, wo bie Klagen der Brabanter über Verlegung der Gemwiffensfreiheit natürlich das lebhafteite Mitgefühl fanden: „Du haft noch nie gejehen, was ein Volk vermag, du haft nur Tyrannen und Sklaven gejehen! Auf deinen Reifen haft du nur Auto: maten, Unterdrüder, Kranke fennen gelernt, du haft noch fein Volk gejehen!”?) Ein Flugblatt mit der aufreizenden Ueberſchrift: „Warum wird Kaifer Joſeph von feinem Volke nicht geliebt?” unterzog die Strenge, die übertriebene Spar: famfeit und das Bevormundungsſyſtem des faiferlihen Negiments einer ab: fälligen Kritik.

Die Anhänger der Zojephinischen Reformen erblidten, wie jhon Leopolds

) Arneth, Joſeph II. und Leopold von Toskana, ihr Briefwechjel von 17811790, 90. ) Meiners und Epittler, Göttingiiches hiftoer. Magazin, Jahrg. 1737, I, 747. ) Un defenseur du peuple ä l’empereur Joseph Il. (1787).

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Erklärung erjehen ließ, in der ganzen Bewegung die Frucht römiſcher Umtriebe. „Wenn man no im mindejten zweifeln fann,” heißt es in einer vermutlich von den Aufklärern in Brüffel oder Löwen ausgegangenen Schrift, „daß die igigen Unruhen in den Niederlanden jamt und fonders von der Geiftlichfeit herrühren, fo it man wahrlich mit Blindheit geichlagen.” Das dumpfe Schweigen der Prieſterſchaft im allgemeinen, wie die prophetifhen Weherufe einzelner Auguren, die häufigen Verſammlungen des Klerus, die zahlreichen Flugſchriften voll Klagen über den Verfall der Religion feien deutliche Beweiſe, wo die Anftifter der Hetze gegen den gütigften aller Monarchen zu fuchen ſeien.) „Mit einem Wort,” antwortet Schubart auf die Anklagen des oben erwähnten Flugblattes, „Joſeph wird nur von Dümmlingen, Fanatifern, fteifen Orthodoren und blinden Eiferern nicht geliebt, wahrhaftig aufgeflärte Seelen nennen jeinen Namen mit liebe: vollem Entzücken.“?)

Wie mußte Joſephs Unmut gefteigert werden, als er vernahm, daß einzelne Mitglieder der brabantijchen Kammer mit dem franzöfifchen Gejandten in Brüfjel in Fühlung getreten feien, um das Intereſſe Franfreihs an ihren Beſchwerden rege zu mahen! Troßdem fonnte er, nachdem fich die erfte Aufregung gelegt hatte, ſich nicht verhehlen, daß er vorerft den von der Schweſter eingejchlagenen Meg der Mäßigung verfolgen müſſe. Namentlich die entjchievene Haltung des Fürften Kaunig bewog ihn zur Nachgiebigfeit; der Kanzler hatte jogar, weil er des Kaijers Auffaffung für unrichtig und gefährlih anjah, um jeine Entlaffung gebeten. Um nicht den bewährten Ratgeber zu verlieren und die angedrohte jhwere Verantwortung auf ſich allein zu laden, ſchlug Joſeph zur Vermittlung vor, die belgiſchen Provinzen jollten Deputierte nah Wien jenden, auch das Statthalterpaar und Graf Belgiojojo jollten dorthin fommen; er, der Kaifer, wolle alle hören und Klagen und Aufflärungen abwägen, um die zum Wohle bes Landes erforderliche Entſcheidung zu treffen. Inzwiſchen folte Graf Murray, auf eine genügende Heeresmacht geftügt, die Ordnung in Belgien wiederherftellen und die Negierungsgefhäfte leiten. „Mäßigung, mit Feftigfeit gepaart!” an diefjem „Syſtem“, jchrieb Joſeph am 19. Juli an Leopold, wolle er gegenüber den Wideripenftigen fefthalten. „Die Nachrichten aus den Niederlanden find noch immer nicht günftig zu nennen, wenn auch die Leute ſchon etwas mehr Vernunft und Anftand an den Tag legen. Es ift nun abzuwarten, was fie wegen der Abgeordneten bejchließen werden. Offenbar habe ih fchon durch meine Feſtigkeit, gepaart mit Güte, einen günftigen Umſchwung erzielt, die erfte Hige ift verflogen, das Militär hat jeine Befehle und ift, wenn es fein muß, zum Schlagen bereit.” „In den Niederlanden it alles ruhig,” fchreibt er ein paar Tage jpäter, „der große Handitreich hat eine glänzende Wirkung erzielt.” Leopold erwidert mit überfchwenglihen Glückswünſchen: „Ich betrachte die An: gelegenheit in den Niederlanden als völlig beendigt; zur Stunde ift fiher alles wieder in Ordnung und die Aufregung fpurlos verflogen. Ich bin überzeugt, daß Sie jegt alles nah Ihrem Belieben einrichten fönnen; diefen Umſchwung

!) Meber die jekige Gährung in den Niederlanden, 86. ) Vaterlandschronit, Jahrg. 1787, T, 97.

Der Aufſtand in ben öfterreihifchen Niederlanden. 127

verdankt man Ihrem Entſchluß, Strenge und Milde zugleich walten zu laſſen, und der Umſchwung iſt um ſo erfreulicher, als der Stand der politiſchen Ange— legenheiten, insbeſondere in Holland, die Lage des Königs von Preußen und die nah innen und außen hervortretende Schwäche Frankreichs für neue Kom: binationen und vorteilhafte Pläne Raum gewährt.“

Dod die Hoffnungen des Kaifers und feines Bruders ſchlugen fehl. Zwar die Berufung von Abgeorbneten wurde in Belgien mit Befriedigung aufgenom: men, und gegen Ende Juli ging eine Deputation nah Wien ab; dagegen er: regte die Berufung eines Generals auf den Statthalterpoften Miftrauen und Mipbehagen. Obmohl der hochbetagte Kommandant der kaiſerlichen Truppen mit niemand weniger Aehnlichkeit hatte, ala mit dem „bohläugigen Toledaner mit der ehernen Stirne”, wurde von ben Volksführern die Erinnerung an Herzog Alba und fein blutiges Regiment heraufbefhmworen. Vor allem erregte die Kunde vom Anmarich deuticher Truppen Bejorgnis, der Diktator möchte mit leihter Mühe den Widerftand der von van der Noot organijierten Freiforps breden und dann, um dem Kaijer gefügige Unterthanen zu gewinnen, bie alte Verfafjung gänzlich aufheben. Bon allen Seiten, auch von den gemäßigten „Von: fiften”, deren Führer der angefehene Advokat van Vonk war, und die damals noch im Gegenjag zum flerifalen Anhang van der Noots als die „Konftitutio: nellen” bezeichnet werden konnten, wurbe der laute Ruf erhoben, das Hereinziehen fremder Truppen in die Provinzen ftehe im Widerjprud mit den Privilegien der Belgier. Die Klage war begründet; andrerfeits trugen die im Juli von den Brüfjeler Kommiffionen gefaßten Beſchlüſſe, die über die wichtigiten Staatsange: legenheiten mit jouveräner Mißachtung der faijerlichen Regierung verfügt hatten, jo ausgeſprochen revolutionären Charakter, daß der Kaifer das Recht der Not: wehr für fich geltend machen konnte. Die geheimen Weifungen an Murray ließen denn auch feinen Zweifel zu, daß der Kaifer mit Waffengewalt allen Widerftand breden, die Niederlande militäriih bejegen und dann alle bisher gemachten Zu: geftändniffe zurüdnehmen wollte.) Die Auslegung aber, daß der Kaifer nur deshalb deutſche Truppen nah den Niederlanden fommandiere, um die Bürger und Handwerker des läftigen Soldatenfpieles zu entheben und ihnen für ihre zuftändige Arbeit Zeit zu fehaffen, fonnte von den Niederländern nur als Hohn empfunden werden.

Erzherzogin Marie Chriftine und ihr Gemahl thaten nad ihrer Ankunft in Wien ihr möglichftes, den drohenden Sturm zu beihwichtigen, aber fie fonnten fh darüber nicht täuſchen, daß fie des Kaifers Vertrauen verloren hatten, daß Joſeph nod immer über die Anmaßung der belgiihen Stände und die Nad: giebigfeit feiner Stellvertreter aufs äußerfte erregt war. Da er in ben ftänbi: ihen Beichlüffen einen ftrafbaren Eingriff in feine Souveränetätsrechte erblidte und den Grundſatz: spoliatus ante omnia in integrum est restituendus, für fih in Anſpruch nahm, erließ er ein Dekret, woburd alle jeit Anfang Mai von der Regierung in Brüſſel erlaffenen Dekrete für ungültig erklärt wurden, gerade in dem Nugenblid, da die aus Vertretern der gemäßigten ftändifchen

’) Lorenz, Joſeph II. und die belgifhe Revolution, 29.

128 Erfted Bud. Vierter Abſchnitt.

Partei gebildete Deputation in Wien anlangte. Diefer Schritt des Kaijers ver: Ihärfte aufs neue den Streit, die Stände erließen offene VBerwahrungen, immer häufiger Fam es zu Zujammenrottungen und Ausichreitungen, immer unverhüllter wurde von van der Noot und Genofjen die Befreiung vom habsburgiſchen Joch als Ziel der Volkswünſche verkündigt. Dadurd war die Wirkſamkeit der Abge: ordneten in Wien von vornherein gelähmt, und auch die Widerjprüche zwiichen den bejänftigenden Anſprachen des Kaifers an feine Gäfte in Wien und ben ftrengen Inftruftionen für den Kommandanten in Brüffel find aus dem Gegenjag zwiſchen fonftitutionellen und revolutionären Beftrebungen in den Niederlanden unjchwer zu erklären.

Andrerjeits war es für Murray feine leichte Aufgabe, den Befehlen des Kaifers nachzukommen, ohne zu einer erniten Volkserhebung zu reizen. Die faiferliche Forderung, daß alles wieder auf den Fuß zu fegen fei, auf dem es vor den Unruhen ſtand, beanſpruchte auch die Wiedereröffnung des von den Ständen geichloffenen Generaljeminars. Dem widerjegten fih die Stände aufs entſchiedenſte; die Aufhebung des allen anftößigen Inſtituts, erflärten fie, ſei eine unerläßlihe Bedingung zur Wiederheritellung der gejeglihen Ordnung.

Auch finanzielle Schwierigkeiten bebrängten den Statthalter. Der Kaijer braudte Geld zur Teilnahme am ruffifchtürkifhen Kriege und mollte, wie in jolden Fällen gewöhnlid, in den Niederlanden eine Kriegsanleihe eröffnen; zur Bürgſchaft jollte eine Hypothek auf die Domänen des Landes angewiejen werden. Ohne Einwilligung der Stände war über die Domänen nicht zu verfügen, an diefe Zuftimmung aber im Augenblid nit zu denfen. Murray riet dem Kaifer, um den Preis der Aufhebung bes Generaljeminars ein Don gratuit zu begehren, aber davon wollte Joſeph nichts hören. Schließlich kam das Finanzgeſchäft ohne ſtändiſche Beteiligung zu ftande, aber die Ablehnung jeines Wunſches hatte den Kaifer gereizt; es kam Befehl aus Wien, daß endlich gegen die revolutionären Vereine und Berjammlungen ftrenger ein: geichritten werde; die Nationaltofarden follten verboten, die Freimwilligenforps aufgelöft werben. Wenn ſchon die Durchführung diefer Anordnungen nicht ohne Tumult ablief, jo gab die Leichenfeier eines Freiwilligen am 20. September Gelegenheit zu einer von den Komitees vorbereiteten großen Demonftration in Brüffel. Das Militär erhielt Befehl, die Straßen zu jäubern, auf den größeren Plägen wurden Kanonen aufgefahren, die in den Nachbarſtädten liegenden Truppen wurden berbeigerufen, doch auch Taufende von Freiwilligen griffen zu den Waffen, und in einigen Hauptftraßen erhoben fi Barrifaden. Jeder Augen: blik Fonnte einen Zufammenftoß bringen! Der Erfolg war faum zweifelhaft; dur ihre beſſere Ausrüftung und Disziplin hätten vermutlich die Faiferlichen Truppen den Sieg errungen, und der Nbfiht des Kaijers hätte nur ent» ſprochen, „mit dem Degen in ber Fauft zu zeigen, wer der Herr ift.” Troß: dem wollte fih Murray, ſei es, daß ihn, wie der Kaiſer ihm vorwarf, unjoldas tiſche Schwähe auf einen Augenblid übermannte, fei es, dab ber Wunſch, Blutvergießen zu vermeiden, alle anderen Rüdfihten zurüddrängte, in offenen Kampf nicht einlaſſen; er erlieh ein Manifeft, das den Aufitändifchen über: aus weitreichende Zugeltändnifje einräumte. Der Kaiſer denke nicht daran, jo

Der Aufftand in ben öfterreichifchen Niederlanden. 129

ward verfichert, die altehrwürdigen Verfaſſungen der Provinzen anzutaften; alle Privilegien jollten aufrecht erhalten, dagegen die neuen Juftiztribunale und Sn: tendanturen gänzlih abgeihafft bleiben; ausdrüdlih war noch hervorgehoben, daß die Regierung künftig ihr Verhalten gegen Klöfter und Klerus ftreng nad den Beitimmungen der Joyeuse entrde bemefjen werde.

Die überrafhende Erklärung erregte ſtürmiſchen Jubel, Brüffel wurde glänzend beleuchtet, auch in andern Städten gab es Dankes- und Freudenfeſte. Doch Joſeph wollte die Verföhnung nit um ſolchen Preis erfaufen. Im nämlihen Augenblid, da jih Murray zu den weitreichenden Zugeftändnifjen ver: ftanden hatte, traf aus Wien der Befehl ein, den Rebellen entſchloſſen die Stirn zu bieten; zunächſt follten die Freiwilligencorps in allen Städten aufgelöft und entwaffnet werden. „Falls fie fich wiberjpenftig zeigen, mögen fie mit Gewalt der Uniform entfleivet und dann im Hemde nad Haufe gefchidt werden.” !) Als die Nahriht von den Unruhen vom 20. September nah Wien gelangte, nahm Joſeph von Murrays Schilderung des Volksjubels nah Verkündung der Proflamation feine Notiz, ſondern ftellte nur die trodene Frage, wie viel Tote und Berwundete der Straßenfampf gefoftet habe; als ber Statthalter erwidern mußte, daß ein Kampf nicht ftattgefunden habe, erfolgte unverzüglich feine Ent: laſſung. Nun wurde ein Soldat, auf deſſen unbedingten Gehorfam und rück— ſichtsloſe Strenge zu zählen war, General d'Alton, mit dem militärijchen Kommando in Belgien betraut; Graf Trautmannsdorff, ein junger Mann von biederem Charakter und nad) Ehriftinens Urteil faſt allzu familiärer Leut— jeligfeit, jollte die Zivilverwaltung leiten. Zugleich wurden aud Prinz Albrecht und feine Gattin Chriftine wieder als Statthalter eingefegt; fie ſollten die Ge— müter beſchwichtigen helfen, aber nur repräjentieren, nicht regieren. Noch ehe die Gatten in Belgien eintrafen, kam es in Brüffel (22. Januar 1788) zum eriten Kampf. TQTrautmannsdorff forderte vom Brabanter Nat die Ausführung aller vor 1. April 1787 erlafjenen Ordonnanzen, der Rat aber wollte ſich ohne Zuftimmung der Stände nicht dazu verjtehen. Nun erklärte Trautmannsdorff, er werde die Herren nicht auseinander gehen laffen, ehe nicht das geheifchte Defret fertiggeftellt fei; zugleih wurden die Straßen von Truppen bejekt. Als ji vor dem Palaft, in welchem der Rat verjammelt war, eine Menge Volkes zufammenrottete, wurde die Säuberung des Platzes befohlen; das Volk wider: fegte fi; der Offizier ließ Feuer geben, und mehrere Tote und Verwundete blieben auf dem Platze.

Eine verhängnisvolle Kataftrophe! Das erfte Blut war gefloffen, die Revolution Hatte begonnen, und obwohl bier ganz andere Triebfedern wirkten, wurde bie belgifche Volkserhebung Beiſpiel und Vorbild für eine größere welt: geichichtliche Bewegung, die Umwälzung alles Beftehenden in Franfreih!

Für den Augenblid war in Belgien durch das jtrenge Einjchreiten der Regierung die gewünſchte Wirkung erzielt: die Oppofition war eingefchüchtert; doch war der feindlihe Gegenjag zwijchen Volf und Regierung nicht aufgehoben, jondern noch verſchärft. Erzherzogin Chriftine beurteilte die Lage richtig. „Es

Lorenz, 51. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr, bis zur Auflöſung des deutſchen Reichs. 9

130 Erftes Bud. Vierter Abichnitt.

wäre Täufhung,” jchrieb jie an den Bruder, „zu glauben, daß das Volk be: friedigt und eine volllommene Ruhe hergeftellt wäre. Die Geiftlichfeit glaubt ihre Prinzipien nicht aufgeben zu dürfen. Furcht und Mißtrauen berrichen überall, und es iſt ſchwer anzunehmen, daß eine Rückkehr zu andern Anſchauungen, eine Harmonie der Gedanken und des Vertrauens erfolgen werde.” !) Es war nur die Stille vor dem Sturm.

Während fih im katholiſchen Belgien unter jo merfwürdigen Umftänden die Revolution vorbereitete, wurde auch das proteftantiihe Schweiterland von ſchweren politiſchen Erfhütterungen heimgeſucht.

Auch hier führen Regungen des Freiheitstriebes zum Bürgerkrieg, und daran knüpft ſich ein raſcher Siegeslauf preußiſcher Truppen bis vor die Thore von Amſterdam. Eine Epiſode von weltgeſchichtlicher Bedeutung, und doch Vielen nur dadurch bekannt, daß in Immermanns Münchhauſen der einäugige Spielmann „der Patriotenkaſpar“ heißt, „weil er in den Unruhen von 1787 als fünfzehnjähriger Knabe zu den holländiſchen Patrioten gelaufen war”. Wir find darüber trefflich unterrichtet, denn wir befigen ausführliche Mitteilungen und Berichte der Vertreter gerade jener Mächte, die an Erregung und Bezwingung des Aufitands den Haupt: anteil hatten. Freilich, wie verjchiedenartig werden bie nämlichen Vorgänge und Beftrebungen von den verfchiedenen Erzählern beleuchtet! Der Franzoſe Caillard beklagt den Erfolg der Gewalt, der Preuße Görg feiert den Sieg des Rechts, der Engländer Harris frohlodt über den Triumph der englifchen Sntereflen! Caillard beteuert, daß nichts in Frankreich jo jehr zur Revolution ermutigt und gereizt habe, als das Fiasko der franzöfifchen Regierung in Hol: land; der preußifche Minifter Hergberg rühmt, dab das entſchloſſene, Fühne und uneigennügige Auftreten Preußens die Revolution, die von den Niederlanden aus die Nachbarländer zu überfluten drohte, eingevämmt und bezwungen habe. ?)

Durch die Utrechter Union vom 29. Januar 1579 trennten fi die fieben nördlichen Provinzen der Niederlande mit vorwiegend proteftantifcher und ger: manifcher Bevölferung vom katholiſch-walloniſchen Süden. Es war beabfichtigt, dem ftaatsflugen, unerjchrodenen Führer des Freiheitsfampfes, Wilhelm von Dranien, monarchiſche Gewalt zu übertragen, do die Ermordung des Prinzen am 10. Juli 1584 verhinderte die Aufrihtung eines nationalen Königtums.

) A. Wolf, 272.

®) Memoire sur la revolution de Hollande, par le citoyen Caillard, ci-devant charge d’affaires à la Haye, eingefügt in L. P. Segur, Histoire des principaux événemens du rögne de Frederic Guillaume Il. (1800), I, 136. SHiftorifge und politifhe Denkwürdig— keiten bes königl. preuß. Staatöminifterd Johann Euftah Grafen v. Börk (aus deſſen hinter: lafjenen Papieren, 1827}, II, 42. Diaries and Correspondence of James Harris, first earl of Malmesbury, ed, H. Grandson (1844), II, 68. Recueil des deductions ete., qui ont été rediges et publies pour la cour de Prusse par le ministre d’etat comte de Hertz- berg (1789), II, 418. Außerdem find die einfchlägigen Dokumente der preußiſchen Ardive verwertet von Th. v. Pfau, Gefhichte des preußiſchen Feldzugs in der Provinz Holland im Jahr 1787 (1790) und v. Trofchle, Der preußifche Feldzug in Holland 1787 (1875), die fran- zöſiſchen Arhivalien in Une invasion Prussienne en 1787, par Pierre de Witt (1886). Intereſſante Schriftftüde aus dem mweimarifhen Ardiv find von Böthlingk, Die holländiſche Revolution und der deutſche Fürftenbund (1874), benügt.

Der Kampf zwifchen der oranishen und der patriotifchen Partei. 131

Die republifanifche Idee Tiegte; die ſieben Provinzen, deren jede auch nach ber Befreiung von der ſpaniſchen Herrſchaft eiferfüchtig ihre Selbftändigfeit zu wahren fuchte, einigten fi zu einem Bundesftaat; dem Haufe Dranien-Nafjau, das einft dem beutichen Reihe einen Kaifer gegeben hatte, dieſem „Makkabäer— geichleht des Calvinismus, das in vier Generationen bis zum Ausfterben des Hauptitammes feinen Sohn erzeugt bat, der nicht ein Held war und ein Pro: teftant” (Treitfchke), blieb nur das Amt eines Statthalters und Oberbefehlshabers im Felde. Wilhelm IIL., der Urenkel des Begründers der niederländifchen Frei: beit, jelbft der ruhmvolle Wächter der von Ludwig XIV. bedrohten Freiheit Europas, glei groß als Feldherr wie als Staatsmann, widerſtand dem An— dringen feiner Freunde, die volle Souveränetät eines erbberechtigten Fürften aufzurichten, aber naturgemäß mußte die weltgeſchichtliche Bedeutung jenes Fürften, der überdies in England wirklich eine Krone gewann, den Einfluß und das Anſehen des oraniſchen Haufes wie des Gtatthalteramtes erheblich ver- ftärfen. „Es war ein Verhältnis höchſt perjönlicher Art, zu anſpruchsvoll für die Beamten einer Republif, zu unfiher für ein Fürftengeichleht, vergleichbar allein mit der Stellung, die einft das Strategenhaus der Barfiden neben dem Rate von Karthago behauptete.” ) „Die Holländer ala Bürger,” jagt Friedrich II. in feiner klaſſiſchen Schilderung der Völker und Staaten Europas im adt: zehnten Jahrhundert, „verabjcheuen die Statthalterfchaft, welche fie als den Weg zur Tyrannei anjehen, und als Kaufleute haben fie für die Politik überhaupt fein Intereſſe.““ Nicht im Demos mwurzelte das Nepublifanertum, der Bauer und ber Kleinbürger waren vielmehr die treueften Anhänger des „Stathouber”, aber die bürgerlihen Patriziate ftanden eiferfühtig und mißtrauifh dem mili: täriſchen Oberhaupt des Freiftaates gegenüber und juchten die wirklichen oder angeblichen monarchiſchen Beitrebungen der Oranier zu befämpfen. „Der Auf: ftand der Parifer (gegen Mazarin) war die Geburt der Armut.... Das Murren der Niederlande war die ftolze und Fräftige Stimme des Reichtums.“ Diefe von Schiller gezogene Parallele paßt auch auf die Vorgänge in Frank: reih und Holland im achtzehnten Jahrhundert, nur trat mit furdtbarer Deut: lichfeit zutage, daß Hunger und Rachedurſt der Armen gewaltigere Mächte find, als die Aufwallungen des Selbftgefühls und der Freiheitsliebe bei den Reichen.

Weniger ihrem Umfang als ihrem Reichtum hatte die Provinz Holland zu danken, daß ihr eine gewiffe Oberhoheit innerhalb der Union eingeräumt war; nicht bloß übten die Stände von Holland großen Einfluß auf die Bundeszentral: gewalt, jondern der Ratspenfionär von Holland hatte die diplomatiſche Vertretung der Staaten, ſowie die Aufficht über die Bundesfinanzen an fich gezogen, jo daß er gleihfam als bürgerliches Oberhaupt dem militäriihen, dem Statthalter, gegenüberftand. Doch auch bie übrigen Provinzen beanjpruchten ſelbſtändige Verfügung über ihr Kriegswejen und begnügten jih, wenn Kriegsgefahr es

') Treitichle, Die Republif der vereinigten Niederlande, in den hiftorifch:politifchen Auf: fägen, II, 460. ) Frederic II, Histoire de mon Temps, chap. I, ed Knoerich, 28.

132 Erfted Bud. Vierter Abſchnitt.

erheiſchte, Kleine deutiche Fürften als Condottieri anzumwerben. Da auch Hader und Kämpfe der Provinzen und der Parteien untereinander fein Ende nahmen, jant das Anſehen der Republif immer tiefer. Während der Welthandel noch immer feine wichtigften Emporien in Holland hatte, während feine andere Nation jo viele Männer, deren Namen mit den wicdhtigiten Fortſchritten menschlicher Kultur verknüpft find, aufzuweiſen hatte, ftand die politiihe Macht jeit langem nicht mehr auf der Rangſtufe der wirtichaftliden Verhältniffe „In Gefolg- ihajt der engliihen Macht,” jagt Friedrich II. 1746 geringſchätzig vom Vater: lande der Tromp und Ruyter, „Ichließt fih Holland an, wie eine Schaluppe den Furchen des Kriegsihiffes, dem fie angehängt ift, folgen muß.“

Das wurde freilih anders, als die Generalitaaten, durch franzöfifchen Einfluß bewogen, im nordamerifaniihen Befreiungskfrieg auf die Seite der Kolonien traten. Doch der Zwift der Parteien wurde auch durch diefe Schwenfung nit ausgelöfcht, ja, die Oppofition gegen Wilhelm V. von Oranien wurde verichärft, da die Gegner, die „Patrioten”, wie jie fich jelbit nannten, für die im Krieg erlittenen Niederlagen dem Statthalter, der im Intereſſe Englands die vaterländiiche Marine vernachläſſigt habe, die Verantwortung aufluden. !) Die Patrioten ergriffen jede Gelegenheit, die Befugniffe des Statthalters ein- zufchränfen und das oranifhe Haus zu demütigen. Im Mittelpunkt der feindlichen Beitrebungen ftand van Gyzelaer, der Penfionär von Doortredt, „ein Mann ohne Welt”, wie eine oranifhe Flugſchrift fpottet, „der vor dem Prinzen: Statthalter nicht einmal den Hut zieht und in Gegenwart von Botfchaftern ein Fußbad nimmt.” ?) Auch van Berfel und Zeebergen, die Penfionäre von Hol: land und Haarlem, gehörten diefer Richtung an; namentlid von Berfel war es befannt, daß er mit Norbamerifanern und Franzoſen in enger Verbindung ftand. Von verftedten Umtrieben gingen dieje einflußreihen Penfionäre allmählich zu offenem Angriff über. Sie wollten die Statthalterfhaft oder doch die Erblich— feit des Amtes befeitigen und den Schwerpunft der Verfaffung aus ben General: ftaaten in die Provinzialftände verlegen. In Zeitungen und Flugichriften wurbe der Grundfaß verteidigt, daß die Intereſſen des nach Tyrannis ftrebenden Prinzen unvereinbar jeien mit dem Wohl eines Freiftaates, daß der engliſche Vicefönig den Frieden der Republif bebrohe. In Stadt und Land bildeten ſich Freicorps; die Ausrüſtung wurde hauptfählich von den Mennoniten beftritten, denen politifche Gleichberechtigung in Ausficht geitellt worden war. ?) Insbeſondere in der Provinz Holland gab es Mifvergnügte und Neuerungsfüchtige. In Holland war ja ber Handel die Pulsader bes öffentlichen Lebens, und bei der aufftändifhen Bewegung

) „Wohl nicht ganz mit Unrecht” fei diefer Vorwurf erhoben worden, bemerkt der un: befangene, gut unterrichtete Claufewig (Der Feldzug des Herzogs Karl Wilhelm Ferd. v. Braun: ſchweig von 1787, in Hinterlaffene Werke, IX, 258). Zweifellos ift e8 aber nur eine Erfindung der Patrioten, daß Wilhelm, als der Sieg der hollänbifchen Flotte über die englifche bei Dogger: bank (5. Auguft 1781) befannt wurde, ausgerufen haben fol: „Ich hoffe wenigftens, daß bie Engländer feine namhaften Berlufte gehabt haben!”

?) Ueber die gegenwärtigen Unruhen in Holland (1787), 46.

) Schreiben eines alten Staatömannes über die wahren Urſachen des unglüdlihen und gefährlihen Zuftandes der Republik in Schlögers Staatsanzeigen, Jahrgang 1786, 14.

Der Kampf zwifchen der oraniihen und ber patriotifchen Partei, 133

waren namentlih auch handelspolitifche Intereſſen im Spiele. Die englifche Kaufmannſchaft wollte verhüten, daß der franzöfifche Handel an Holland eine Stüße finde; die franzöfifche Handelswelt bewachte ebenfo eiferfüchtig die freund: ſchaftlichen Beziehungen Englands zu den Draniern. „Liegt es nicht offen zu: tage,” jagt Mirabeau in feinem nad dem unglüdlicen Kriege von 1787 an die Bataver gerichteten Aufruf, „dab England das Haus Oranien jouverän maden will, weil ihm die Niederländer noch immer zu viel Furcht einflößen, troß der ungeheuren Verlufte, welche fie vor und feit Erklärung des ungerech— teften aller Kriege erlitten haben? Würde England je daran gedacht haben, fih zur Stüge der Statthalterfhaft in den Generalftaaten herzugeben, wenn es nit des Glaubens wäre, daß diefe Regierungsform am wenigiten geeignet für ein Volk, deſſen Wohlftand den Briten immer ein Dorn im Auge war? Nur um die Bataver zu erniedrigen, zu vernichten oder doch allzeit in Abhängig: feit zu erhalten, um aus ihnen europäijhe Inder zu maden, gaben die Engländer der Republik Statthalter, die ihnen eine Erhöhung des Anjehens und deshalb einen jtändigen Tribut der Dankbarkeit ſchuldig wären!“ ) So wurde die holländiſche Frage Ihon vor dem Kriege auch in franzöfiihen Negie: rungsfreifen beurteilt; die Gejandten im Haag hatten Weifung, die Patrioten auf jede Weife zu unterftügen und zu fördern, damit nicht England an einem unterwürfigen niederländiſchen Gemeinweien eine Stüße zur Monopolifierung des Welthandels gewinne. In einem Staat, der „aus den wunderbarſten Elementen von Föderation, Republif, Monardie, von delegierter Macht, Domanial: beſitz und erblichen PBrärogativen zufammengefegt war“ ?), hatten fremde Gefandten, die fih in die Verfaſſungswirren einmiſchen wollten, leichtes Spiel. Das Haus des franzöfiichen Gefandten im Haag, des Herzogs von Bauguyon, war die Sammel: ftätte der frondierenden Batrioten. Dagegen tradhtete der engliſche Gefandte, Sir James Harris, der mit ungewöhnliher Rührigkeit leidenſchaftliche Abneigung gegen Frankreih verband, dem Statthalter Anhänger zu werben. Die üppigen Gelage bei Sir Harris übten nicht geringe Anziehungskraft; ein guter Koch, jagte er, kann mir nützlicher ſein, als ein guter Sekretär; daneben fuchte er Taglöhner und Arbeiter durch reihe Geldipenden für feine „Aſſoziation“ zu gewinnen.

Zur PVerihärfung des Gegenfates trug noch bei, daß Wilhelm V. mit einer preußiſchen Prinzeſſin, Frieberife Wilhelmine, Friedrichs II. Nichte, vermählt war. „Sie find glücklich zu preifen,” jol König Friedrich zu ihr beim Abſchied im Oktober 1766 gejagt haben, „Sie werden fi in einem Lande niederlafjen, wo Sie alle Vorteile des fünigliden Standes finden, ohne eine ber bamit verbundenen Ungelegenheiten empfinden zu müjjen.” Wie wenig zutreffend aber diefes Wort war, Fonnte der König bald aus den jich fteigernden Klagen ber Prinzejfin über die Feindjeligfeit der Hohmogenden und die Umtriebe der Pa- trioten entnehmen. Prinzejjin Wilhelmine war eine Frau von ungewöhnlichen Anlagen. Nicht bloß Görk rühmt an ihr „durchdringenden Verſtand, klare

!, Mirabeau, Aux Bataves sur le Stathouderat (1788), 108. 2) Elaufewik, 259.

134 Erfted Bud. Vierter Abſchnitt.

Anſichten, richtige Beurteilungskfraft und männliche Entſchloſſenheit“ '), auch der Herzog von Vauguyon erfennt an, daß fie am oranifchen Hofe das männliche Element vertrete. Natürlih war aber eine fo ftolze, gebieterifhe Dame, die in einem abjolutiftiihen Staate auferzogen war und fi als die nächſte Verwandte eines großen Königs fühlte, am wenigiten dazu geeignet, zwiſchen ihrem Gatten und den auf volle Truhen pochenden Mynheers in Amfterdam einen Ausgleich zu fördern; Abjtammung, Grundfäge und Selbſtbewußtſein wiejen fie mehr darauf hin, ihren Einfluß zur Durchbrechung der peinlihen Schranken des Statt: balteramtes aufzubieten. Bei ihrem Oheim fand fie jedoch wenig Geneigtheit zur Unterftügung ihrer Pläne. König Friedrih, der mit wadhjendem Mißtrauen auf die Freundſchaft des Kaijers mit der Zarin blidte, hielt e& mehr denn je für geboten, die freundfchaftlihen Beziehungen zu Frankreich aufreht zu halten. Sogar als die Staaten von Holland und Friesland dem Prinzen Wilhelm das Kommando über die Bejakung im Haag abnahmen, gab der König feine neutrale Haltung nit auf; er begnügte fih, „als aufrichtiger Freund der Staaten, an deren Wohl: und Ruheſtand er einen jo großen und wahren Anteil nehme”, zu verföhnlicer Haltung gegen den Enkel jo berühmter und hochverdienter Ahnen zu mahnen (17. September 1785).°?) Infolge der drohenden Haltung Kaifer Joſephs, der feine Anſprüche auf Maftriht und die Befreiung der Schelde nur vertagt, nicht aufgegeben hatte, gingen die Generalftaaten am 10. November 1785 mit Franfreih ein Schutz- und Trugbündnis ein; aud diefe Wendung hatte den Beifall des Königs von Preußen. „Man braucht durchaus nicht zu befürchten,” ſchrieb Herr von Bergennes dem neuen Gefandten für Holland, Marquis Verac, „daß der König von Preußen fein Benehmen ändern wird; er denkt nicht daran, jeine Soldaten marfchieren zu laffen, um damit dem Statt: halter Wilhelm einen Vorteil zu verjchaffen.”

Um fo unermübdlicher ſuchte Sir James Harris den zu gefährlicher Höhe aediehenen Einfluß Franfreihs zu breden. Den Abſchluß des Bünd- niffes mit Franfreih empfand er wie eine perjönliche Beleidigung. „I würde niemals mehr eine Depeſche jchreiben, wenn ich je die Weiſung erhielte, mic mit Franfreih auf freundihaftliden Fuß zu jegen, diefem Staat meinen Beifall zu geben oder meine Unterftügung zu leihen!” Der Gejandte Frank: reihe, Marquis Verac, war ihm an Geſchäftsgewandtheit nicht gemachfen, und an Brinzeifin Wilhelmine hatte der Engländer eine entjchloffene Bunbes- genoſſin.

Die Thronbeſteigung Friedrich Wilhelms II., des Bruders der Prinzeſſin, bahnte auch in Berlin einen Umſchwung zu Gunften der oraniſchen Sade an. Der ritterlihe König zeigte von vorn herein mehr Geneigtheit, den Statthalter zu unterjtügen, und wurde darin beftärft durch Hertzberg, der ſchon zu Lebzeiten des alten Königs das Einjchreiten Preußens in Holland als Ehrenſache be: zeichnet hatte. Doh nur im Einverftändnis mit Frankreih wollte Friedrich Wilhelm handeln. Der preußiſche Gejandte in Paris, Baron Goltz, follte die Auf:

) Görk, II, 78. 2, Hertzberg, Recueil, II, 418.

Der Kampf zwifchen der oraniihen und ber patriotifhen Partei. 135

merkfjamfeit König Ludwigs auf die „ebenjo ungejeglichen, wie dreiften Bejchlüffe der Staaten von Holland” lenken; zugleich jollte Graf Görk, der fi fchon im bairiſchen Erbfolgeftreit als gemwandter Diplomat bewährt hatte und das be— fondere Vertrauen der Prinzeffin Wilhelmine genoß, als außerorbentliher Bot: Ihafter nah Holland gehen, um in verſöhnlichem Sinne zu wirken. Vor feiner Abreife (24. Auguft 1786) hatte Görg eine Unterredung mit dem König; er legte dar, daß fi eine entſchloſſene Initiative in den holländiſchen Händeln ihon deshalb empfehle, um das etwas geſunkene militäriihe Anjehen Preußens wieder zu heben und dadurch auch den deutſchen FFürftenbund zu befeftigen; Liebesdienfte in Holland werde König Georg gern damit belohnen, daß er als Kurfürft von Hannover ein treuer Bundesgenofje bleiben werde. Friedrich Wilhelm war mit diefer Auffaſſung nur teilmeife einverjtanden; das Wohl Preußens werde durch friedliches Verhalten am beften gefördert; denn wenn man Frankreich mifvergnügt mache, ſetze man Preußens natürlichen Feind, den Kaiſer, in Vorteil. Görtz fand vor einer jchwierigen Aufgabe: er jollte Frieden ftiften, während weder die oranifhe, noch die patriotifhe Partei den Frieden wollte, und bie ihm erteilte Inſtruktion „enthielt eigentlih nur das Belenntnis, man jei außer ftande, eine zu erteilen“.!) Jedenfalls war er, um eine Verföhnung zu betreiben, zu jpät gefandt worden; als er im Haag eintraf, war der Bürger: frieg thatſächlich ſchon ausgebroden. Im September 1786 ließ der Statthalter ein paar geldriſche Städte, Elburg und Hattem, die fih den Holländern an- ſchließen wollten, von jeinen Truppen befegen und brandihagen. Darauf gaben die Provinzialitaaten von Holland eine draftiiche Antwort: fie juspendierten den Prinzen in feiner Stellung als Generalfapitän der Provinz Holland. Nun er: Härte zwar Görk, der Beſchluß der Provinzialftaaten werde als Beleidigung für feinen föniglihen Herrn aufgefaßt werden, aber Friedrih Wilhelm war nicht gejonnen, dem Wort feines Gefandten den nötigen Nahdrud zu geben. Görtz erhielt jogar eine Rüge, weil er ſeine Inſtruktion überjchritten habe, und der Prinzeffin wurde zu verftehen gegeben, es wäre wohl das befte, wenn ihr Gemahl, der fih nun doch einmal unmöglich gemacht habe, die Statthalterichaft an feinen Sohn abträte; den Hochmogenden wurde zwar wiederholt der freund: ihajtlihe Rat gegeben, mit dem Statthalter Frieden zu ſchließen, aber zugleich auch die Verfiherung, daß Preußen nit daran benfe, duch aufdringliche Ein: miſchung die Friedensarbeit zu ftören.

Darauf erfolgte aber von beiden Seiten entjchiedene Ablehnung. Wil« helmine beteuerte, zur Abdanfung ihres Gatten nimmer ihre Zuftimmung zu geben; die Stände erflärten, ein Souverän das holländiihe Volt könne fi) mit feinem Diener dem Statthalter überhaupt nit um Friedens: bedingungen herumftreiten. Friedrih Wilhelm fand zwar die Sprade der hochmütigen Leute unerträglich und beflagte das Schidjal feiner Schweiter, be: tonte aber immer wieder, daß er das eigene Gehöfte nicht gefährden dürfe, um dem Nahbarhaus Hülfe zu bringen.

Auch das franzöfifhe Kabinett entjandte einen außerordentlichen Vertreter,

) ®örg, II, 56.

136 Erftes Bud. Bierter Abfchnitt.

Herrn von Neyneval, nad) dem Haag, um einen Ausgleich betreiben zu lafjen. Wilhelm wies jedoh die „eines Oranien unwürdigen“ Vermittlungsvorichläge zurüd. Wie ungehalten der Franzoſe darob war, beweiſt der ungewöhnlich obige Ton feiner Depeihe an das auswärtige Amt. „Ein Prinz von Naffau, der die Stirn hat oder jo Ihwächlich ift, feine Angelegenheiten durch jeine Frau betreiben zu laffen, der fich den Natfchlägen feines Schwagers, des Königs von Preußen, widerjegt, der die Wege zur Verföhnung, die ihm der König von Frankreich zeigt, nicht einfchlagen will, jcheint mir ein fompleter Narr zu jein!” (3. Januar 1787).') Die Franzofen erlaubten fih im Haag überhaupt eine übermütige Sprade. Caillard verftieg jih einmal vor dem Grafen Görk zur Behauptung, Frankreichs Intereſſe erheiihe nicht bloß die Schwächung, fon: dern die Vertreibung des Statthalters (d’expulser le stathoudre); freilich mußte er bald darauf im Auftrag feines Minifteriums jene Auslafiungen als „ebenfo unfhidlih wie unbegründet” zurüdnehmen. Dagegen ſchien der Nachfolger Vergennes’, Graf Montmorin, noch entjchiebener in Holland auftreten zu wollen. „Sie werben den Patrioten unfre Hülfe anbieten,” fchrieb er an Verac, „ver König ermächtigt Sie, in diefer Sache alles zu thun, was Ihnen möglich iſt! ... Wir jehen die Dinge in Holland für jo wichtig an, daß wir allenfalls auch zwei Millionen dafür opfern wollen, ja ſelbſt das Doppelte, wenn es nötig fein follte!” Trogdem erfannte Sir Harris jhon damals ganz richtig, daß ein thatkräftiges Eingreifen Franfreihs nicht zu befürdten fei. „Das Uebel iſt viel größer,” fchrieb er nad) London, „die Heilung aber viel leichter, ald man gewöhnlid annimmt. Frankreich wird fich nicht abenteuerlich in einen Krieg ein: lafien, denn es hat weder eine Armee, noch Geld, noch ein Minifterium!” Als der Gejandte aufgefordert wurde, fi) nad London zu begeben, um vor den Miniftern perjönlich jeine Auffafjung zu vertreten, erwiderte er: „Mit großem Vergnügen werde ich dem Befehl Sr. Majeſtät gehorchen und noch in diefer Nacht auf: breden. Mit noch größerem Vergnügen werde ich dann den Befehl zur Nüd: fehr entgegennehmen, mit dem Donner Jupiters bewaffnet, wenigftens mit jenem Donner, defjen er fich bediente, um Danaö zu verführen.” Am 23. Mai fand im Haufe des Lordfanzlers die enticheidende Beratung ftatt. William Pitt warnte vor Weberftürzung und wies auf die ſchädlichen Folgen eines neuen Kampfes mit Franfreih, alle übrigen Mitglieder des Kabinets aber waren altionsluftig, und Sir Harris aab die beruhigende Verfiherung, es werde für England gar nicht nötig fein, felbit in den Krieg einzutreten, e& werde ſich alles Erforderlihe mit Geld machen laſſen. Endlich fiegte Harris über die Be: dächtigkeit Pitts und die Sparjamfeit des Königs; es wurden ihm vorläufig 20,000 Pfund Sterling angewiejen. ?)

Inzwiſchen war es jchon zu einem Zufanmenftoß zwijchen ſtatthalteriſchen Truppen, die einen ftrategiihen Punkt bei Utrecht bejegen wollten, und patrio: tiihen Freifcharen gefommen. Die Stände von Holland erhoben Klage vor den Generaljtaaten, der Statthalter habe eigenmächtig jeine Befugnis über:

1) Witt, 142. ?) Diaries and correspondence, II, 303. Dinner at the Lord Chancellor's.

Der Kampf zwifchen der oraniſchen und der patriotiichen Partei. 137

ſchritten, das Grundgefeg der Union jei damit thatſächlich als aufgelöft zu be- traten; zuglei ließen fie durch ihren General, den Nheingrafen von Salm, die Stadt Utrecht in der gleihnamigen Provinz bejegen und entließen alle Difiziere, welche fich weigerten, der Provinz Holland den Treueeid zu leiften. Sm Haag wurde aber der Antrag Hollands abgelehnt, und die entlaffenen Offiziere wurden von den Generalftaaten in Sold genommen. a, in Holland jelbit fehlte es dem Statthalter nit an Anhang. Die Dodarbeiter in Amfterdam waren zum Losſchlagen gegen die verhaßten Mynheers bereit; ein barauf zielender Anschlag war nur infolge der Uneinigfeit der Verfchworenen zunichte geworden. Unter dieſen Umftänden glaubten die Stände von Holland die Initiative er: greifen zu müjjen. Um „durd männliden Entſchluß die Republik zu retten”, wurde eine Kommilfion von fünf Mitgliedern zur Verteidigung des Landes er- nannt und mit diktatoriſchen Befugniffen ausgerüftet. Der General der hollän— diſchen Truppen war zu jeinem Verdruß nicht unter den Gemählten. Graf Salm, „vornehmer, aber weniger ehrenhaft als fein Urbild Gil Blas“, hatte ſchon bisher eine zweideutige Haltung beobachtet; bald war er nach Pots- dam gegangen, um für den Statthalter preußiiche Hülfe zu erwirfen, bald nad Verfailles, um für die Patrioten ein gutes Wort einzulegen. Jetzt war er nicht wenig erboft über die erlittene Zurüdjegung; er beſchwerte fih in Berfailles, fol fi aber au dem Statthalter wieder genähert haben. „Glauben Sie mir,“ joll er zu Graf Callenberg gejagt haben, „ich bin feineswegs ausſchließlich auf Bitronen erpicht, ich könnte mich recht gut wieder an Orangen gewöhnen!”

Der Bürgerkrieg war unvermeiblih. Die Truppen des Statthalters, etwa 4000 Mann, waren den Streitkräften der Patrioten nicht gewachſen, dagegen war die Möglichkeit nicht ausgejchloflen, in den Generalftaaten eine Mehrheit für die oraniſche Sade zu gewinnen. Deshalb faßte Prinzeſſin Wilhelmine, um ihren perfönliden Einfluß in die Wagichale zu werfen, den Entſchluß, nad dem Haag zurüdzufehren.) Sir Harris war nicht einverftanden, wollte fich aber, da die Prinzeffin auf ficheres Gelingen hoffte, nicht geradezu widerſetzen. „Wenn die Prinzeſſin,“ fchrieb Harris (am 25. Juni 1787) an Lord Carmartben, „wirklich durch ihre Gegenwart erreiht, daß ſich die Deputierten als Männer betragen, jo will id in ihr einen Engel verehren.” Schon vier Tage ſpäter aber jchreibt er: „Meine Befürchtungen waren nur zu ſehr begründet, die Prin— zeifin von Oranien ift geftern von Freiwilligen bei Gouda gefangen genommen worden!”

Am 28. Juni frühmorgens verließ die Prinzefjin zu Wagen die Stadt Nymmegen. hr Gefolge beftand nur aus vier Perfonen, einer Ehrendame, dem Oberften Bentind, dem Kammerherrn Graf Nandwyd und einem mit der Erziehung der Prinzen betrauten preußiſchen Offizier Stampfort. Unweit Schoon- hoven ftieß das Gefährte auf die Vorpoften des holländifhen Korbons, die

!, Nach Caillards Anfiht wäre dem Reifeplan ber Prinzeifin von vornherein die beftimmte Abſicht zu Grunde gelegen, eine feinblide Begegnung herbeizuführen und dadurch das Kriegs— wetter über die Häupter der Patrioten heraufzubefhwören (Segur, I, 319); aus Sir Harris Depeihen läßt ſich aber erfehen, daß ein folder Schachzug nicht geplant war.

138 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt.

Reifenden wurden angehalten und von einem Zug Neiterei nah Schonhooven zurüdgeleitet, die Prinzeffin von Dranien war eine Gefangene. Das Bauern: haus, in welhem fie übernadtete, war mit Schildwadhen umitellt, jogar im Schlafzimmer pflanzte fih ein Bürgergardiit mit blanfem Säbel auf. Im Ber: lauf der Nacht trafen einige Mitglieder der Berteidigungsfommiffion ein. Die Prinzeffin beſchwerte fih über die unerhörte Gewaltthat; die Herren hatten aber dafür nur ein Achjelzuden und bedeuteten ber hohen Frau, dab ſie ihre Reife nad dem Haag nicht fortjegen fünne. Dagegen durfte fie ungehindert am nächſten Tage die Rüdkehr nad) Nymmegen antreten. !)

Sir Harris erblidte in dem Zwiſchenfall nicht bloß eine unerträgliche Demütigung der Prinzeffin, fondern auch eine entſcheidende Niederlage der eng: liſchen Bolitif. „Mein teurer Lord,” jchrieb er vom Haag an Carmarthen, „Schach der Königin und in einem oder zwei Zügen Schadhmatt, das ift, fürchte ih, der Stand unjres Spieles. Die Politik hat mir ſchon oft Verdruß be= reitet, hat mich aber noch nie in folden Zorn verfegt, wie heute. Obwohl die wichtigsten Dinge auf dem Spiele ftehen, obwohl die erfte Frau der NRepublif in die traurigfte Lage geraten ift, war auch nicht einer von ben Deputierten zu bewegen, vor der gewöhnliden Stunde fein Bett zu verlaffen, und wenn fie endlich aufitanden, geſchah es nur, um zu bemeilen, daß fie in wachem Zuftand nicht weniger gebanfenlos und träg find, als im Schlafe!” Er hoffe nichts von Preußen, er fürdte alles von Frankreich, deſſen Streitkräfte Schon um Givet zufammengezogen würden, er halte einen Kampf ber oranifchen Partei mit den Patrioten für ausjichtslos und unmöglid. Doch der engliidhe Staatsſekretär teilte die trüben Befürchtungen des Geſandten nit. „Laffen Sie fi doch,” ſchrieb er an Harris (3. Juli), „durch das Schach der Königin nicht entmutigen, lafjen Sie nur den Ritter zu Hülfe fommen, und alles ift gerettet! Ich beflage die Unannehmlichkeiten, denen die Prinzeffin, deren Charakter ein beileres Los ver: diente, ausgejegt iſt, aber ich hoffe, daß fi der Vorgang noch zum Guten menden wird. Wenn der Bruder der Prinzeffin, ver König von Preußen, nicht der ſchmutzigſte und jchäbigfte aller Fürften ift, muß er ihr Genugthuung ihaffen, fofte es, mas es fofte... Ich Halte es für felbftveritändlih, daß auf die erite Kunde von der Gefangennehmung der Prinzeſſin ein ftarfes Corps Befehl zum Vormarſch von Weſel aus erhalten wird; wenn ſich der König von Preußen nicht an Frankreich förmlich verkauft bat, muß er jo handeln. Achten Sie auf Maftriht und fürdten Sie nichts von den 25 Bataillons in Givet!” *) Natürlich! Nahdem hauptſächlich durch Englands Einmiſchung die Dinge in Holland jo weit gebiehen waren, dab das Haus Dranien mit gewaffneter Hand Genugthuung fordern mußte, ſollte „der Ritter” zu Hülfe fommen, jollte Preußen das rähende Schwert ziehen!

Vorerſt war jedoch Frievrih Wilhelm nit gefonnen, England diejen Liebes: dienft zu erweifen. Natürlid war er erbittert über die Verhaftung feiner

) Ad. Jakobi, Vollſtändige Gefchichte der fiebenjährigen Verwirrungen unb ber barauf erfolgten Revolution in den vereinigten Niederlanden (1789), II, 290. 2) Diaries, II, 329.

Der Kampf zwifchen der oraniſchen und ber patriotiiden Partei. 139

Schweiter. „Man hat die Prinzeffin in einer Herberge feitgehalten,” jchrieb er an feinen Gefandten in Berjailles, „man hat fie von ihrem Gefolge getrennt, man bat Garbdiften mit blanfen Säbeln vor, ja jogar in ihr Zimmer geftellt! Ih kann in dem ungeheuerlihen Anſchlag gegen eine mir jo naheftehende, hoch: verehrte Perjönlichkeit nichts anderes erbliden als eine perſönliche Beleidigung!” Alein Friedrih Wilhelm wollte Familien: und Staatsangelegenheiten ausein: ander halten: er wollte Genugthuung fordern, aber nur für fih und feine Schweiter; die oraniſche Sache follte davon getrennt bleiben. Und immer nur im Einvernehmen mit Frankreich jollte gegen die Schuldigen vorgegangen werden.

Ohne Zweifel würde ein friebliher Ausweg gefunden worden fein, wenn die franzöfiiche Regierung der billigen Forderung Friedrich Wilhelms bereit: willig Vorſchub geleiftet hätte. Allein in Verjailles wollte man einerjeits bie Freundſchaft mit den holländiihen Patrioten nicht aufgeben, andrerjeits fehlte es zu thatkräftiger Unterftügung der Freunde ebenfo an gutem Willen, wie an der nötigen Kraft. Die Haltung der franzöfiihen Regierung in der holländifchen Frage kann nur richtig gewürdigt werben, wenn man fich die innere Lage Frank: reihs in den fritifchen Tagen vergegenwärtigt. In der Notabelnverfammlung im Frühjahr 1787 war zum erjtenmal die entjeglihe Finanznot des Staates aufgededt worden. Freilich hatte Brienne verfihert, durch die vorgeſchlagenen Sinanzreformen jei leicht und unfehlbar Abhülfe zu ſchaffen. „Die auswärtigen Nationen,” hatte der würdige Finanzminifter ausgerufen, „mögen flaunend er: fennen, weld unermeßlihe Hülfsquellen unjrem Franfreih zu Gebot ftehen.” Im Ausland mag vielleiht infolge diefer funfelnden Parlanentsreden der Kredit der franzöfiihen Finanzen wieder etwas geftiegen fein,!) im Lande jelbft Eonnte fih niemand verhehlen, daß der Staatsbanferott unabweislich bevorftehe; in dem verrotteten Hof: und Staatöleben war ja eine lebensfähige Finanzreform gar nicht möglid. Das ancien regime ging feiner Auflöfung entgegen, jchon regten fih auch jene finſtern Gemwalten, die den Sturz von Thron und Altar als Ziel verfolgten. Wenn ein Haus von Ueberſchwemmung beimgejucht ift, Keller und Erdgeſchoß überflutet find, das Waſſer ſchon in die höher gelegenen eleganten Wohnräume emporzufteigen beginnt, ift es leicht begreif- ih, daß der Hausherr, wenn in der Nachbarſchaft im Haufe eines Freundes Feuer ausbricht, Feuerfchein und Signale unbeadhtet läßt! Umſonſt juchte der Kriegsminifter, Herr von Segur, die Aufmerkſamkeit König Ludwigs auf Holland zu lenken, viermal verſuchte er im Kronrat ein Memoire, das die Notwendigkeit einer militäriſchen Demonftration darlegen jollte, zur Berlefung zu bringen, immer wieder wußte der Finanzminifter entſcheidende Beihlüffe hintanzuhalten, und die Situngen, welche der Bildung des Lagers bei Givet gewidmet jein ſollten, wurden fo verfihert mwenigitens der Sohn des Kriegsminifters dazu verwendet, daß der König und feine Räte die gut erzählten Anekdoten des Herrn von Malesherbes anhörten. *)

') Ueber die Assemblee des Notables in Frankreich, in Sclögerd Staatsanzeigen, 10. 8b., 50. ?, Segur, Mömoires, Ill, 241.

140 Erftes Bud. Bierter Abſchnitt.

Der Berliner Hof war in zwei Lager geteilt. Das Haupt der Franzoſen— freunde, die von Einmiihung in die holländiſchen Händel nichts hören wollten, war Prinz Heinrich, der Oheim des Königs; wenn er ſchon früher die Vorliebe feines großen Bruders für franzöſiſchen Geift und franzöfiiches Weſen geteilt batte, jo war diefe Neigung noch genährt worden durch die jchmeichelhafte Auf: nahme, die ihm 1784 in Paris und Verfailles zu teil geworden war: als bie des höchſten Preiies würdige femme obscure im Gegenjat zur vertu couronnede de gloire hatte ihn damals Marmontel gefeiert. „Noch einmal,” jchrieb Mira: beau 1786 an Zauzun, „Prinz Heinrich iſt ein echter Franzoſe, wird Franzoſe bleiben und als Franzofe fterben.” !) Weberdies war der Prinz, der im Dienit: alter allen übrigen Generalen voranging, verjtimmt über die am 1. Januar 1787 erfolgte Ernennung bes Erbprinzen von Braunfchweig zum Feldmarihall; damit war ausgeiproden, daß im Kriegsfall die Führung dem Braunfchweiger zuftehen folte. Im Minifterium galt Herr von Find als ergebener Freund der Fran: zofen; es wurde deshalb, als die Nichte des Minifters, Fräulein von Voß, die Gunft des Königs gewann und zu Föniglihen Ehren emporſtieg, aud) ein Steigen des franzöfiichen Einfluffes erwartet. Allein die neue Gunſtdame teilte nicht die franzöfifhen Sympathien ihrer Familie, fondern bevorzugte Herkberg und das Bündnis mit England. Das mag dazu beigetragen haben, den König zu friegerifcher Aktion, die er bisher beharrlich zurüdgewiefen hatte, geneigter zu maden. Dazu fam, daß die holländiſchen Patrioten fortfuhren, in öffentlichen Organen die Schweiter Friedrich Wilhelms und ihren Gatten mit Hohn und Spott zu überhäufen und gegen Deutihe und Engländer verächtliche Ausfälle zu richten. Schlözer veröffentlichte als Probe der „unbändigen Patriotenwut“ im Auguft 1787 einen Auszug aus einer holländiihen Zeitung. „Wilhelmine von Preußen, die jühe Mutter des Waterlands,” war darin als PVerräterin gebrandmarft; fie pflege mit engliihen Lords und preußifchen Generälen ge: heime Unterhandlungen, um das arme Holland an die Engländer auszuliefern! An die Engländer, die den Holländern jeit zweihundert Jahren mehr als 1900 Millionen erpreßten oder ftahlen, die gegen Holland allzeit wie Straßen: räuber oder Spigbuben von Profejfion verfuhren, die umentwegt den Troß eines Kain, die Heuchelei eines Yudas, den Neid eines Laban an den Tag legten! „Ehe wir uns unter das Joch der deutichen oder englifchen Verräter beugen, wollen wir lieber jo lange fechten, bis alle Hoffnung entjchwindet, dann unfre Städte verbrennen, unſre Deiche durchſtechen, und wenn alles verwüjtet ift, ein andres Vaterland ſuchen!““) In der opregten Nederland- schen Courant wurde ausgeführt, daß Wilhelm von Dranien des Todes ſchul— dig ſei; auch der Politicke ruyer erinnerte bibelfeft daran, daß das Blut ber Tyrannen Gott angenehmen Geruch habe. Der Penfionär van Berfel nannte in öffentliher Ratsverfammlung das Betragen des Königs, der immer von Genugthuung ſpreche, während gar fein Unrecht vorliege, anmaßend und

) Witt, 162. 2) Legter Ausbruh der Patriotenwut in Holland, in Schlözers Staatsanzeigen, 11. Bb., 235.

Der Kampf zwiſchen der oranifchen und der patriotifchen Partei. 141

tyranniſch; das holländiſche Volk müſſe die preußiſchen Forderungen mit Ver: achtung zurüdmweijen. ')

Andrerfeits erhoben fih auch in Deutſchland Stimmen gegen die „un: männliche” Politif, die den Frieden um jeden Preis erhalten und jogar die Beihimpfung einer Tochter des preußiſchen Königshaujes dulden wolle. „ch weiß nicht,” Schreibt Schubart im Auguft 1787, „ob lange Friedensruhe ben Charakter eines Bolfes veredle oder verjchlimmere? Was wir find, find wir durch Kriege geworben; der Krieg wedt die Geifter, und im Frieden entjchlafen fie... Lieber einen Körper und Geift wedenden Krieg, als einen trägen, nervenabjpannenden, geiltlähmenden Frieden!” „Preußens finniger Kriegsgeift, der Urbild für alle Welt wurde,” jei wie ein Leu erwacht und warte nur auf des Königs Wort, um über die Krämer von Amfterdam berzufallen. ?)

Trogdem würde fih Friebrih Wilhelm mohl faum für den Krieg ent: ihieben haben, wenn nicht England die beftimmte Verfiherung gegeben hätte, daß es zur Unterdrüdung der Feinde des oraniſchen Haufes mitwirken werde. „Die freie und offene Art,” ſchrieb Wilhelmine an Sir Harris, „womit fi Ihr Hof ausiprad, war in Berlin von ftärfiter Wirkung; ich kann Ihnen dafür nit genug danfen!”

Den Ausihlag gab die Nachricht, daß die Pforte an Rußland den Krieg erflärt habe. Nun war Kaifer Joſeph als Bundesgenofje der Zarin im Diten teftgehalten, während ihm ſchon der Aufftand in den Niederlanden zu jhaffen madte; dadurch war alfo Preußen von der Furt befreit, daß der Kaifer bie preußifche Intervention in Holland ftören oder im Fall eines Mißerfolgs der preußiihen Waffen die Anſchläge auf Schlefien oder Baiern erneuern werde,

Nun wurde den in Weftfalen und im Magdeburgifchen liegenden Regi- mentern Marſchbefehl gegeben und dem Herzog von Braunſchweig das Kommando übertragen. Als die Kunde davon in die Deffentlichkeit drang, fragte der fran: zöfifche Gejandte an, mas mit den NRüftungen beabfidhtigt werde. Doc jchon daraus, daß Ludwig XVI. am 20. Auguft, aljo gerade in den Tagen der Krifis, den Marquis Verac, den überzeugten Freund und Führer der Patrioten, aus dem Haag abrief und durch den Grafen von Saint: Prieft erjegte, ließ fich entnehmen, daß der Thatendrang Franfreihs in befcheidenen Grenzen bleiben werde. „Unter den gegebenen Berhältnifien den Geſandten zurüdrufen, bieß nichts andres, als Holland und die republifaniihe Partei aufgeben.” (Witt.)

Am 8. September überreichte Thulemeyer den Hohmogenden von Holland ein Ultimatum: binnen vier Tagen follten ſich die Stände entjcheiden, ob fie die von Preußen verlangte Genugthuung zugeftehen wollten oder nicht.“) Es war gefordert, daß die Stände wegen Beleidigung der Prinzeffin von Oranien bei Friedrich Wilhelm fich entihuldigen, auch die Fürftin felbit um Verzeihung bitten und zur Rückkehr nah dem Haag einladen, endlih die Vermittlung Preußens zwiſchen dem Erbftatthalter und der Provinz Holland annehmen

') Ad. Jakobi, II, 310. ?) Baterlandschronik, Jahrgang 1787, I, 59, 76 fi. ®) Hertzberg, Recueil, II, 428.

142 Erfted Bud. Vierter Abjchnitt.

jfollten. Am 12. September gaben aber die Stände von Holland und Friesland eine Erklärung ab, fie fünnten auf das Anfinnen des Königs nicht eingehen; zur Aufflärung der obmwaltenden Mißverſtändniſſe wollten fie eine Kommiffion nad Berlin entjenden.

Noh am nämlihen Tage überfchritt der Herzog von Braunſchweig die niederländijhe Grenze. Ein Manifeft verfündigte, dab Preußen nicht mit den Generalitaaten Krieg führen, jondern nur von der Provinz Holland Genug: thuung erwirfen wolle.) Das Unternehmen jollte gewiflermaßen als familien: angelegenheit behandelt werden, um das franzöfifhe Kabinett nicht in die Zwangslage zu verjegen, den Bundesgenofjen Beiftand leiften zu müſſen.

Die Kriegspartei in Holland baute zuverfihtlih auf franzöfiihe Hülfe, waren do fort und fort die beruhigendften Zuficherungen gegeben worden. Noh nah dem Eintreffen des preußifchen Ultimatums hatte der neue Leiter des Minifteriums des Auswärtigen, Montmorin, an Caillarb gejchrieben, nad) feiner Anjicht ſei von holländiſcher Seite alles geſchehen, was der König von Preußen billigerweije verlangen fünne; ein Einmarſch preußifcher Truppen werde auch von Frankreich als Kriegserklärung aufgefaßt werden. „Seine Majeftät iſt feft entſchloſſen, als Bundesgenofje der Provinz Holland Hülfe zu leiften.” Nie kläglich fiel aber diefe Hülfeleiftung aus! Zweihundert franzöfifhe Kano— niere und einige Offiziere ohne Waffen und Uniformen nahmen SKriegsdienite bei den Patrioten, das war alles! Freilich ließ der Kriegsminifter, Herr von Segur, Feldzugspläne ausarbeiten, aber es war ja für nichts gejorgt, es fehlte am Nötigften, vor allem an Geld; auch war zu befürdten, daß die wenigen Ichlagfertig zur Verfügung ftehenden Bataillone das Lager bei Givet war immerhin vierzig Meilen von der nieberländiihen Grenze entfernt zu fpät fommen würden. Unter dieſen Umftänden fiegte in Verſailles die Friedens» politif des Sädelbewahrers; man bejhloß, auf die Patrioten zu vergefjen. Im näditen Frühjahr, jchrieb Montmorin an St. Prieft, fönne und wolle man den Patrioten helfen. Nur jchade, daß der Herzog von Braunſchweig nicht bis zum Frühjahr warten wollte!

Kein Geringerer denn Claufewig nennt den Einmarſch der Preußen in Holland ein „leichtfinniges Unternehmen”. Nicht die Zahl der Verteidiger die Holländer verfügten über ungefähr 20000 Mann, teil® deutſche Söldlinge, teils freiwillige Schügen —, aber der Charakter des Kriegsichauplages und das Beilpiel des unglüdlihen Feldzugs der Franzoſen von 1672 hätten vom Ein: marſch mit jo geringfügigen Streitkräften zurüdhalten jollen.?) Damals war die Niederung weitlih der Vechte durch Durchſtechung der Dämme in eine wogende See verwandelt worden, und dadurch behindert hatte ſogar die erdrückende Ueber: macht der Franzoſen nichts ausrichten können. Clauſewitz felbit erflärt das Wagnis von 1787 daraus, daß man „in Berlin von den Rüftungen und dem Geift der Niederländer eine fehr Eleine dee gefaßt hatte“. Vor allem wirkte der Mangel an Einheit des Kommandos lähmend auf die Operationen der Patrioten. Nicht

i) Recueil, II, 433; Pfau, 71. 2) Clauſewitz, 284.

Der Kampf zwifhen ber oranifhen und ber patriotifchen Partei. 143

der Rheingraf von Salm, den Claufewig ſchlechtweg als „Schwindler“ abfertigt, jondern die Verteidigungskommiſſion in Amfterdam hatte die militärijche Yeitung. In Amfterdam gab es aber neben der ftärferen Kriegspartei auch viele Oran— giften und Gemäßigte, die darauf drangen, daß der Weg ber Unterhandlungen nicht verlafjen und die Mediation Preußens angenommen werde. Während dieje Spaltung die Kriegführung der Patrioten beeinträcdhtigte, wurde das moralifche Uebergewidht der Angreifenden durch das Vertrauen auf die Führung durch einen der berühmteften Helden der Fridericianiſchen Tafelrunde gefteigert.

Auch in der Hoffnung auf den Beiltand der Elemente jahen ſich die Holländer betrogen. Der Herzog von Braunjchweig hatte für feinen Einfall die Zeit des Neumonds gewählt, weil in diejen Tagen der Einfluß von Ebbe und Flut ein befonders geringer zu fein pflegt. Obwohl die Schleujen auf: gezogen und die Dämme durchſtochen waren, machte das Gewäſſer feine Miene, den Preußen den Weg zu verfperren; die Ueberfhwemmung erreichte erft, als der Hauptichlag gegen Amiterdam ſchon geglüdt war, den gewünjchten Höhegrad. !)

Alle Operationen hatte der Herzog von Braunfchweig mit ber Genauigfeit eines Mathematifers vorausberechnet, und über die Bewegungen der Gegner war er, da es überall Anhänger des Statthalters gab, vortrefflich unterrichtet. So fonnten feine 20000 Mann rafh und ficher wie auf einem wohlbefannten Paradefeld den Einmarfh ins Werk jeten,; das Triebwerk klappte vorzüg: lid. In der Provinz Geldern wurden die Preußen wie Befreier vom Bolfe empfangen; überall wurde ihnen ein vergnügtes Dranje boven! zugerufen; Scharen von Kindern zogen mit und fangen das alte, von den Patrioten ver: botene Volkslied Wilhelmus van Naſſauen; herrliches Wetter begünftigte das Vorrüden; es jhien zu einem Vergnügungsfeft, um nicht zu jagen zu einem FJamilienfeft zu gehen. Um das gute Einvernehmen mit der Bevölkerung zu erhalten, wurde auf ftrenge Mannszucht gejehen; in Merkerk mußten wegen Plünderung drei Mann des Regiments von Marwig Spiefruten laufen, der Kapitän erhielt Arreft, der Kommandeur die Entlafiung, und nur legterem wurbe auf Bitten des Dffizierscorps die Strafe erlafjen.

Da ber Waffengang ausſchließlich gegen die Provinz Holland gerichtet fein jollte, war es von wichtiger Bedeutung, daß der Rheingraf von Salm die Stabt Utreht, die von den Preußen gar nicht angegriffen werben durfte, ohne jede Nötigung räumte. Er zog mit den deutſchen Soldtruppen nad Amfterbam, aber die Bürger mweigerten fi, den Verräter einzulafien; darauf liefen die Soldaten auseinander, und ihr jauberer Feldherr ward nicht mehr gefehen. In Utreht waren nah Salms Abzug alle Bande der Ordnung gelöft, die Frei: willigen waren nicht mehr zu halten, die Bürger zerbradhen aus Zorn oder Furcht ihre Waffen, die franzöfiichen Offiziere fuchten vergeblih der Verwirrung und der Fahnenfluht zu fteuern. Auch im Haag volljog fi unter dem Ein: drud des fiegreihen Bordringens der Preußen ein Umfhwung. Die Flucht des Rheingrafen, die Uebergabe des wohlbefeftigten Gorfum beim erften Kanonen:

) Troſchke, 35.

144 Erftes Buch. Vierter Abfchnitt.

ſchuß, das Fiasko der auf Ueberſchwemmung des Kriegsichauplages zielenden Maßregeln, das waren jo peinlihe Weberrafhungen, dab die Hocdhmogenden ganz und gar den Kopf verloren. „Heut früh fieben Uhr,” jchrieb der fran: zöſiſche Geſandte am 18. September an Montmorin, „bat mid der Groß: penfionär, ih möchte unverzüglich zu ihm fommen; er führte dann die ver: worrenften Reben und vermwidelte fi jo in Widerjprüde, daß mir flar wurde: entweder ift der Mann nicht mehr Meiiter feiner Einne, oder er will be: reit3 auf eine Umwandlung feines Verhaltens vorbereiten.” !) Drangefarbene Kofarden flogen an alle Hüte; mer fih nicht damit verjehen wollte, war der Beihimpfung auf offener Straße ausgefegt,; eine Fahne der Patrioten wurde vor dem Haufe des engliichen Gejandten in Stüde zerrifien; Gyzelaer und andere Führer der aufftändiichen Bewegung mußten eiligft nah Amiterdam flüchten.

Schon am 20. September konnte Prinz Wilhelm im Haag feierlihen Einzug balten. Kirhtürme, Häufer, Schiffe waren mit oraniihen Flaggen geihmüdt; die Kutiche des Statthalterd wurde von Bürgern dur die Strafen gezogen, des jubelnden Zurufes war fein Ende. Es war zugleih ein Tag ftolzen Triumphes für Sir Harris. „Ich bin fein Anhänger der fentimentalen Mode,“ fchrieb er an Sir Carmarthen, „aber meine Augen wurden feucht, als ich hier mit dem Fürſten wieder zufammentraf ...“

Nur in vereinzelten Fällen ftießen die preußifchen Truppen auf ernjteren MWiderftand. In den Stabträten wurden die patriotiihen Mitglieder dur Drangiften erjegt, ganze Abteilungen Patrioten ohne Führer ergaben fih ohne Slintenfhuß, auf den Wällen von Feftungen, die nur durch regelrechte Belage: rung oder blutigen Sturm hätten genommen werden fünnen, wurde beim An marſch der Preußen das Drangebanner aufgezogen. Welche Panik unter den Batrioten ausgebroden war, beweift die Thatfache, daß eine holländifche Fregatte mit zehn Kanonen, die auf eine Sandbank des Lek geraten war, fih an ein Grenadierbataillon und eine Schwadron Hufaren ergab.

Nur in Amfterdam behielten die Bürger ruhig Blut; die reichite Stadt der Niederlande ſchien mannhaften Widerftand entgegenfegen zu wollen. Gerade deshalb jchien es geboten, auch dieſe Pofition der Patrioten zu nehmen. „Laſſen Sie fih nit dur die drohende Sprache der Franzoſen abſchrecken,“ jchrieb Sir Harris an den Herzog von Braunfhweig, „Franfreid wird in Schach gehalten; der König von Großbrittanien läßt die Ausrüftung einer ftaatlichen Flotte betreiben.” Herzog Ferdinand erwiderte kurz, er fei von der Notwendig: feit des Vormarjches gegen Amfterdam überzeugt und jei entichloffen, ihn aus— zuführen.

Es konnte in Berfailles nur als bittere Jronie empfunden werben, daß ein Schreiben der Generalftaaten Sr. Allerchriſtlichſten Majeftät die Wiederher— ftelung der Ordnung in Holland anzeigte; der wohlwollende Bundesgenoſſe werde gewiß mit Befriedigung vernehmen, daß die Irrungen mit dem Herrn Statthalter glücklich beigelegt jeien und die Verftändigung mit dem preußifchen Hofe bevorftehe, jo daß die Bitte um franzöfifche Vermittlung außer Kraft gejegt

) Witt, 275.

Der Kampf zwifchen der oraniichen und ber patriotifhen Partei. 145

werde und bie Hilfe Sr. Majeftät nicht mehr nötig jei. Gleichzeitig ertönte freilih ein Klageruf aus Amfterdam: Europa bürfe fi nicht länger gleichgültig verhalten, der Sturz des Edpfeilers werde den Zujammenfall der vereinigten Provinzen nah ſich ziehen. Doc die Gelegenheit war einmal verfäumt; die Küftungen wurden zwar mit bemonjtrativem Lärm fortgejegt, aber das fran= zöfifche Kabinett konnte nicht mehr daran denken, feine unthätige Haltung auf: zugeben.

Herzog Ferdinand war wegen des Widerltandes, den er vor den Mauern Amfterdams zu erwarten hatte, nicht ohne Beſorgnis; eine regelrehte Belage: rung bot erhebliche Schwierigkeiten, der Winter war nit mehr fern, und in- folge ftarfer Regengüſſe hatte das Wajler in den überſchwemmten Landftrichen eine gefährliche Höhe erreiht. Der Herzog Fnüpfte deshalb nochmals mit den Führern der Patrioten Unterhandlungen an; er forderte Entwaffnung ber Frei— iharen, Wiedereinjegung der alten Magiftrate und Beitritt zu den im Haag ges faßten Beihlüffen, vor allem Abbitte vor der Prinzeffin von Oranien. Die Bedingungen wurden aber in Amſterdam verworfen, und ebenjo fanden neue An: träge der Patrioten nicht die Zuftimmung des Statthalterpaares.

Nachdem Herzog Ferdinand jelbit, um ſich über die Ausfichten einer Be: lagerung oder eines Sturmes zu unterrichten, einen Ritt bis hart an die Vor: werke von Amfterdam gewagt hatte, wurde am 28. September in den Gemächern der Prinzefiin im Haag Kriegsrat gehalten. Der Herzog legte dar, daß nur ein raſcher Angriff zum Ziele führen fönne, und da auch Eir Harris auf mög: lichſte Bejchleunigung drang, wurde der Sturm bejchlojien.

Zur Berteidigung der nah Amfterdam führenden Dämme waren nicht bloß an den wichtigften Punkten Schanzen aufgeworfen,!) jondern auch Kriegs: ihiffe im Zuyderſee und Y-Strome aufgeftellt; nur das Haarlemer Meer, auf welhem man von Südweſt bis in die Nähe von Amſterdam vordringen fonnte, war ohne Dedung geblieben. Diejer Fehler war von Herzog Ferdinand nicht überjehen worden; eine preußiſche Abteilung feste in Fahrzeugen über das Haarlemer Peer und griff die Belagerten im Nüden an. Nach Clauſewitz war namentlich dieje Flanfenbewegung enticheidend für den glüdlichen Erfolg. Gleich: zeitig (1. Oftober) wurden alle Vorwerfe an der Stirnfeite angegriffen. Der erfte Sturm auf Oudekerk mißlang und foftete beträchtlihe Opfer, aber die Preußen erneuten, wie es in einem Berichte heißt, „mit der ihnen eigenen Herz: baftigfeit“ immer wieder den Angriff, bis zulegt ale Schanzen, zulegt aud das wichtige Amftelveen genommen waren. ?)

Schon tags darauf erbat ji der Stadtrat einen Waffenftillftand, bis eine nah dem Haag entjandte Deputation zurüdfehren würde. Der Herzog ging darauf ein, traf aber für alle Fälle die nötigen Vorkehrungen zum Hauptangriff auf die Stadt. Zugleich betrieb er bei den Generaljtaaten die Ausfertigung

’) Eine genaue Schilderung der Befeftigungsarbeiten der Batrioten bietet Nogalla von Bieberftein, Die Preußen vor Amfterdam 1737, nad niederländifhen Quellen (Deutiche Revue, Jahrg. 1889, I, 231).

2) Polit. Journal, Jahrg. 1787, II, 950.

Seigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bi8 zur Auflöjung bes deutſchen Reiche. 10

146 Erſtes Buch. Vierter Abſchnitt.

von Marfchpatenten für die noch bei den Patrioten ftehenden regulären Truppen; die Kommandeure der widtigften Pojten zogen ab, und die Preußen nahmen von den verlaffenen Werfen Beſitz. „Im Promenieren,” jpottet General Kald: reuth in feinem Berichte, „wurde jo ein Dutend Gefhüge genommen.” Da nunmehr von brei Seiten die preußiichen Batterien gegen die Stadt gerichtet waren, mwagten bie Belagerten den Widerftand nicht mehr fortzufegen. Die unmittelbare Umgebung unter Waffer zu jegen, wie man es 1650 zur Abwehr Wilhelms II. gethan hatte, wäre ein foftipieliges Mittel gewejen, ohne daß ein Bombardement dadurch ausgejchloffen geweſen wäre.!) So fapitulierte denn die Stadt am 10. Dftober unter den vom Statthalter geforderten Bedingungen; die Rädelsführer der patriotiihen Bewegung, voran die Diktatoren von Woerde, wurden abgejett; die meilten flohen nad Franfreih, worauf ihre Käufer vom Pöbel geplündert wurden. Um bas Selbftgefühl der Beſiegten zu ſchonen, ver: zichtete Herzog Ferdinand auf feierlihen Einzug; nur das Leydener Thor wurde von den Preußen bejegt, die Stadt jelbit von Truppen des Statthalters. Gegen Ende Oktober zog die preußiihe Armee aus Holland ab, bloß eine Abteilung von 4000 Mann unter General Kaldreuth blieb auf Wunſch des Statthalters vorerft nod) zurüd, ohne daß die Niederlande für den Sold aufzukommen hatten. Friedrih Wilhelm wollte auch auf jeden Erjag der Kriegsfoften verzichten; fpäter ließ er fih von feiner Umgebung beftimmen, eine halbe Million Gulden zu fordern; die ganze Summe wurde jedoh unter die heimgefehrten Truppen ver: teilt. Das großmütige Verhalten des Siegers erleichterte die Verſtändigung der gemäßigten Patrioten mit dem Statthalter; die Unterworfenen wetteiferten in Dienftbeflifjenheit und Gefügſamkeit; das beite Einvernehmen ſchien ber: geitellt, die Verföhnung befiegelt zu fein. Die Stände von Holland und Weit: friesland ließen jogar auf den Sieg des Braunfchweigers eine Denkmünze jhlagen und widmeten dem Herzog ein in Gold geprägtes Eremplar „als Zeichen nie erlöfhender Dankbarkeit”.?) Sir James Harris wurde von feiner Regierung als Lord Malmesbury in den Peerftand erhoben; Friedrich Wilhelm gab ihm den preußijchen Adler ins Wappen, und der Statthalter bat ihn, die Devife des oraniichen Haufes zu führen: „Je maintiendrai*.

Die Einnahme von Amfterdam, die den rafchen Siegeszug der Preußen frönte, ‚machte in ganz Europa gewaltigen Eindrud. Das Hamburger politijche Journal bradte in jeinem Dftoberheft eine ausführlihe Schilderung der Expedi— tion, die mit dem ſtolzen Glückwunſch ſchließt: „Dieſe Thaten haben der Weis- heit und den fFeldherrntalenten des Herzogs von Braunfchweig ewige Ehre ge: macht und feinen Ruhm über den der Condé und Turenne, die vor 115 Jahren Holland mit mehr denn 100000 Mann befriegten und Amſterdam nicht ein: nehmen fonnten, erhoben!“ °) Goethe jchrieb von Caſtel Gandolfo (12. Dftober 1787) an Herder: „Das wäre bie erfte Erpedition, wo fih unfer Jahrhundert in feiner ganzen Größe zeigt! Das heißt eine sodezza! Ohne Schwertſtreich,

!) Clauſewitz, 310. ?) Jakobi, II, 357. ) Polit. Journal, Jahrg. 1787, II, 954.

Der Kampf zwifchen der oranifchen und ber patriotiichen Partei. 147

mit ein paar Bomben, und niemand, der fih der Sache annimmt!“) Auch Karl Auguft preift die unvergleichliche Sicherheit des Auftretens der preußiichen Armee und ihres Führers. Kühler beurteilt Herder den preußiſchen Erfolg; er rühmt zwar die „ſchon geführte Unternehmung des Herzogs”, mißbilligt aber, daß Preußen „in einer fubalternen Privatbeziehung” Erefutionstruppen ver: wendet habe (10. Dezember 1787). Doch ſolche Bedenken tauchten jedenfalls nur vereinzelt auf; wo man ſich nicht bes Sieges der Preußen freute, jah man mit Befriedigung die moralifhe Niederlage Franfreihs. Sogar Kaifer Joſeph jchrieb nicht ohne Schabenfreude an Bruder Leopold: „Franfreih hat Holland verloren, für das e8 jo viel Mühe und Sorge aufgewendet hat. Der König von Preußen bat eine dankbare Rolle gejpielt; wenn Franfreih den Schimpf vergißt, den ihm Preußen angethan, dann hat es einen guten Magen.” ?) Hertzberg, ber im Gegenfat zu jeinem Amtsgenofjen Fink von Finkenftein das Bündnis mit England und den Einmarſch in Holland empfohlen hatte, benügte die Feltjigung der Akademie zu einer ftolzen Siegesfanfare. Es war nicht gerade taftvoll, daß er den Amsterdamer Jean Mandrillon, der nad Berlin gefommen war, um dem Könige im Namen der gemäßigten Patrioten Frievensvorjchläge zu unterbreiten, zu der Siegesfeier einlud, und es war geſchmacklos, daß er den Herzog von Braun: ſchweig mit Cäſar verglih und an bas veni, vidi, viei nad) der Schlacht bei Bela erinnerte, er hätte, meint Mandrillon, höchſtens jagen fönnen: „veni, vidi, intravi!“ °) |

Die Demütigung Frankreichs lag zu Tage. Das engliihe Kabinett ftellte jogar in Verfailles das Anfinnen, daß bie durch den preußiſchen Sieg geſchaffene Sadlage förmlich durch eine Urfehde: Erklärung Franfreihs anerkannt werde, und nicht minder tief als Frankreichs Anjehen war offenbar Frankreichs Selbft: vertrauen gejunfen, denn der demütigenden Forderung wurde nachgekommen. Montmorin erklärte: „Seine Majeftät trägt fein Bedenken, die Verfiherung zu geben, daß jener oben erwähnten Anzeige (eine preußifche Invaſion Hollands nit dulden zu wollen), feine Folge mehr gegeben werden joll und wegen ber holländischen Vorgänge feine feindliche Abficht gehegt wird.” (27. Dftober 1787.) *) Die peinlihe Niederlage Frankreihs mwedte fogar Bejorgnis, daß das europätjche Gleichgewicht allzu empfindlich geftört und ausjchweifenden Eroberungsplänen die Bahn geöffnet wäre. In einem merkwürdigen Briefe an Karl Auguft (17. November 1787) ſprach Goethe, der fih eben in Rom aufhielt, die Be- fürdtung aus, daß Kaifer Joſeph und die Zarin aus dem Umſchwung in Europa den Hauptgewinn ziehen möchten. „Mir jcheint es für Freund und Feind be- denflih, daß Frankreich fo weit herunter it!” Wenn diejenigen Staaten, die allein den Kaijerhöfen Schach zu bieten vermögen, fich untereinander befehden,

) Böthlingk, 49. In der Suphanſchen Sammlung finder ſich der Brief nicht.

2) Arneth, Joſeph II. und Leopold, II, 141.

%) M&moires pour servir ä l’histoire de la revolution des provinces unies en 1787, par J. Mandrillon (Paris 1791), 72.

*#) Hertzberg, Röcueil des deductions ete., II, 438. Witt nennt diefe Erflärung des Kabinett von Verfailles „catögorique* (a.a.D., 298). Eine merlwürdige Auffaffung!

148 Erftes Bud. Vierter Abſchnitt.

wer fol dann verhindern, daß Katharina Konjtantinopel und Joſeph Italien für fih nehmen? „Man legte fih mit ein paar Linienſchiffen in den Golf von Neapel und bäte fi zwei Thore von Rom aus, jo wäre die Sade gethan!” Die Stimmung des Volks und jogar des Klerus in Italien ſei einem ſolchen Putſch durchaus günſtig. „Noch geſtern jagte ein jtebzigjähriger Mönch: Wenn ih nur noch in meinen alten Tagen erleben jollte, daß ber Kaifer käme und uns alle aus den Klöftern jagte, jelbit die Religion würde dabei gewinnen.“ ')

In Frankreich jelbit wurde die Haltung der Regierung als unverantwort: liche Vernachläſſigung der durd eine glorreihe Tradition auferlegten Pflichten empfunden. Bon der Erregtheit der Volksftimmung zeugt Mirabeaus Schrift: „Aux Bataves sur le Stathouderat.* „Ein Tag der Trauer war’s für ganz Europa, an dem die preußiſche Invafion eure edlen Pläne, unglüdliche Bataver, zerftört hat! Ueberall wurden duch tiefe Entrüftung die Erfolge eurer Be- drüder verbunfelt; überall brannten die Völker, obwohl fie ihrer Rechte beraubt find, vor Begier, von ihren Herrihern zur Nahe für den euch zugefügten Schimpf aufgerufen zu werden! Doch die Fürften allein haben dieje heilige Begeifterung, die einen neuen Kreuzzug anzufachen ſchien, nicht geteilt; jie haben eurer Unglüd halb mit Staunen, halb mit Schreden betradtet, wie man den Blitz berniederfahren ſieht. Ah, ihr werdet nit einen finden, der jo groß: mütig wäre, euch jeinen Schuß anzubieten, jo uneigennüßig, daß er nicht einen Preis auf feine Dienfte jegte, jo großdenfend, daß er eure Nechte zu eigenem Nachteil anerkennen würde, jo wahrhaft ruhmliebend, daß er feine Völker durch den Hinweis auf euer Beiſpiel ermutigen möchte, auch von ihm Rechenſchaft über feine Herrſchaft zu fordern!” Doch wie! Sollten denn die Bataver auf die Opferwilligfeit eines Fürften angewiejen, jollten fie nicht jelbft im ftande jein, ihre Ehre und ihre Freiheit wieder zu erringen? Gewiß, fie würden fih im günftigen Augenblid wieder ermannen und nochmals den Haß befunden, der fie, jomweit ihre Geſchichte zurüdreihe, gegen Tyrannen immer bejeelt habe. Ganz Europa werde dann die ftolzen Waffen der Bataver fegnen! „Den wer könnte vergeflen, daß ihr das ältefte der freien Völfer waret, dab ihr niemals aufgehört habt, es zu fein, daß ihr einen Boden, wo die Elemente nur den Grundftoff liefern, ertragsfähig und fruchtbar gemadt und mit Städten bebedt habt, daß ihr zuerft vor zweihundert Jahren jene erhabene Duldfamkeit ein: geführt habt, ohne welche weder unter den Gliedern einer Familie, noch unter den verſchiedenen Staaten Eintradht beitehen fann, daß ihr den unglüdlichen Wadtländern hülfreihe Hand geboten, daß ihr mehr als einmal die Freiheit des Ozeans wiederhergeftellt, Europa den Frieden wiedergegeben, die Könige durch Vergleihe verſöhnt habt, daß Feine andre Nation der neuen Zeit vor euch verftanden hat, Reihtum mit Freiheit zu verbinden, daß ihr, von der Vorjehung in ein Land gelegt, das Ueberſchwemmungen, anftedenden Krankheiten und allen damit verbundenen Berheerungen preisgegeben ift, darin wie auf einem Ehren: poften treu ausharret, um alle Hülfsmittel der Intelligenz und des Mutes zu

1) Goethes Werke, IV. Abth., 8. Bd., 295.

Der Kampf zwifhen der oranifchen und ber patriotiihen Partei, 149

entfalten!” Gegen „Nabuhodonofor”, den König der Preußen, führt Mirabeau in diefem Aufruf eine ganz andere Sprade, als ein Jahr vorher in feinem Glückwunſch zur Thronbefteigung. „Du, Nachfolger eines Helden, der immer nur den Defpotismus des Genius ausübte! Der du jelbit ſolche Größe hättet erreihen können, wenn du Schritt für Schritt die Preußen zu politifcher Freiheit erhoben und ihnen die einzige Wohlthat erwiejen hätteft, deren fie der große Friedrih nicht teilhaftig machte, weil er fie derjelben nicht für würdig erachtete! Du Haft dich jetzt nicht geihämt, dich zum Werkzeug eines zornigen Weibes herzugeben und einen freien Staat mit Füßen zu treten! Hätteit du wenigftens nicht den Augenblid gewählt, ba der mächtige Verbündete Hollands durch ein gebieterifhes Schickſal gefeffelt war, man hätte dann nur deine Barbarei gejehen, ohne dich der Feigheit zu zeihen; raſche Strafe würde di ereilt und damit die Scheuflichfeit deines Unterfangens ſich ge: mindert haben! Bittere, die Nahe wird nun nur um jo jchredlicher fein!“ Und wieder, wie in jenem an riedrih Wilhelm gerichteten Memorandum ftelt Mirabeau eine Reihe von „droits inalienables et imprescriptibles* auf, deren Durdführung er jegt nur noch von ben fich jelbft befreienden Völkern erwartet: „Alle Menſchen find frei geboren, ale Menichen find einander gleich, alle Macht gebt vom Bolfe aus, jede Obrigkeit, mag fie zur Geſetzgebung, zur Verwaltung oder zum Richteramt berufen fein, ift dem Volk zur Rechenſchaft verpflichtet” ) u. ſ. w.

Die Wirkung folder Feuerworte darf nicht unterfhäßt werben. Wie Mirabeau, ſahen fi auch andre Apoftel der Revolution ermutigt durch die Schwäche der franzöfifchen Negierung, die ebenfo die königliche Macht zu Grunde richten mußte, wie fie bie königliche Würde preisgegeben hatte. Auch in Holland verhallte der Ruf des Anwalts der Völker nicht ungehört. Die Hoffnung, daf der preußiihe Sieg die oraniſche Sache ftügen und Fräftigen werde, war trügeriih. Trotz des Jubels, womit die Wiederherftellung der Ordnung be: grüßt worden war, gewann die Auffaffung Boden, daß die Einmijchung der Fremden in heimiſche Verfaſſungsfragen eine Kränfung der nationalen Ehre bedeute, das Volk wendete fih von den Draniern ab, und durch diefe Ent: fremdung wurde, als wenige Jahre fpäter die Revolutionsheere, vereint mit den verbannten Patrioten, den Hollandsdiep überjchritten, der Sturz der Dynaſtie beichleunigt.

Ja, für Preußen jelbit hatte ber leicht errungene Sieg in den Nieder: landen eine verhängnisvolle Kehrſeite. Mit Genugthuung fonnte der Preuße auf die glänzende Probe der Schlagfertigfeit und der Tüchtigfeit des Heeres bliden; wäre es nur bei diefer berechtigten Hebung des nationalen Selbftgefühls, die in der Erbauung des Brandenburger Thores im Weſtend von Berlin Ausdrud fand, geblieben! Doch der mühelos errungene Sieg verführte zur Ueberhebung, insbejondere mande Neuerungen aus militärischen Kreifen zeugen von maßlojem Selbjtvertrauen. „Für Preußen die glänzendite Epoche,” heißt es in einem Briefe des Generals Kaldreuth, „mit dem erften Tempo des Degens

') Mirabeau, Aux Bataves, 117.

150 Erftes Bud. Vierter Abfchnitt.

bringt e$ ganz Europa zum Gehorjam.”!) Mit ſchwachen Streitkräften hatte Herzog Ferdinand von Braunſchweig ein von Verteidigungsmitteln feineswegs entblößtes Nahbarland angegriffen, und das Wagnis war gelungen. 1792 zog der nämliche Fehler des Feldheren, der wieder mit unzulänglider Macht den Einfall in Franfreid gewagt hatte, eine demütigende Niederlage nah ſich. Durch Frankreichs Schwähe im holländifchen Streit getäufht, mußte Preußen ein Luſtrum fpäter die Erfahrung machen, daß die Engpäfie der Argonnen weniger leicht zu nehmen feien, ala die Schleufenfhanzen vor Amfterdam.

) Militär. Litteraturzeitung, Jahrg. 1875, 200.

Fünfter Abfchnitt,

Die eurvpäiſche Tage im Jahre 1787, Friedrich Wilhelm I.

und die üffentlide Meinung Graf Berkberg. Raiſer

Jofeph I. und die vrienfalifche Frage. Die Tripelalliang und die Railerhöfe. Der Türkenkrieg von 1788.

ihau über die Weltlage um die Mitte des Jahres 1787.) Er ftaunt

über den gewaltigen Umſchwung im legten Jahrzehent, das er als Ge: fangener auf dem Hohenaſperg vertrauert hatte. Seine Betrachtung dringt nicht in die Tiefe, ift auch aus begreiflihen Gründen er hat auf dem Hohenaſperg Vorficht gelernt nicht frei von Schönfärberei; immerhin gewährt es Intereſſe, zu hören, wie ein Deutjcher von Herz und Kopf die legten Wand- lungen und die bevorftehenden Wechſelfälle am Vorabend der großen Revolution beurteilt. Vor allem ift beacdhtenswert, wie unbefangen ber Oberdeutjche bei aller Bewunderung Kaiſer Joſephs die Entmwidelung Preußens würdigt und diefem Staate ben Beruf, Deutihland um fich zu Scharen, zufpridt. Man fieht: der Fürftenbund hat abgeblüht, aber die Samenfnofpe ift geblieben, die Frucht geht, wenn auch langjam, ber Reife entgegen.

Maria Therefia, die edle, Fromme Fürftin, ift heimgegangen, und ihren Thron hat der Fühnite Reformator aller Zeiten, Joſeph IL, eingenommen. „Ras man in Jahrhunderten nicht that, that er in wenig Jahren. . . Er ftupfte die Eichel, wollte den Eihbaum fehen und fah ihn!” Man jehaute in der Kaiferftadt an der Donau einen Papſt, doc nicht in der troßigen Stellung eines Hildebrand vor Heinrich IV., fondern als demütigen Bittjteller, der von jeinem Kaifer und Herrn Schonung erwirfen will. Man jah, wie Friedrich der

J erſten Hefte der „Vaterländiſchen Chronik“ hält Schubart eine Ueber—

) „An mein Vaterland“, in Schubarts Baterländ. Chronik, 1787, 1; „Zeichen ber Zeit“, ebenda, 105.

152 Erjtes Bud. Fünfter Abfchnitt.

Einzige jein Leben mit einer „Götterthat” beſchloß, mit der Stiftung bes Fürften- bundes, an den fi noch immer die Hoffnungen auf eine befjere Zukunft fnüpfen. Man jah in Amerika durch Weisheit und Kühnheit einen neuen Freiftaat er: ftehen und in Europa den alten batavijhen Freiſtaat durch Feigheit und Thoren: finn zum Niedergang fi neigen.

Auch anderwärts regt ſich der Geilt der Neuerung und des Aufruhrs, Im Lüttichſchen gärt es; in Trient hat das Volk, erboft über die neue Militär: fonjfription, die faiferlihen Adler zertrümmert; in Venedig will das Volk nicht länger als Knecht der Signoria dienen; in Toskana best der Biſchof von Piltoja gegen die Neformen des aufgeflärten Leopold; in Irland zerrt der Dämon Revolution fhon lange an der Kette. Bald fireut die Auflflärung den Samen der Unzufriedenheit aus und macht das leicht mißverjtändlihde Wort Freiheit die Köpfe der Halbgebildeten jchwindeln, bald widerſetzt ſich der finitere eilt der Unduldfamfeit wohlthätigen Reformen, um feine alte Zwingherrſchaft aufreht zu erhalten. „Ohne den Scharfblid der großen politifhen Seher, eines Kaunig, Herkberg, Pitt, ohne den Tubus der Apofalyptifer und ohne die Netorte des Bako und Leibniz läßt ſich jegt bloß mit gefunden Augen und ſchlichtem Menſchenſinne aus den Zeichen der Zeit auf große, in Staatsverfaffung, Religion und Wiffenfchaft tiefeingreifende und revoltierende Ereigniſſe ſchließen. .. . Das europäiſche Staatsſyſtem ijt allen Anzeihen zufolge einem großen Umſchwunge jehr nahe!”

Der türkiſche Mond jcheint immer trüber und wird bald ganz ins Meer finfen, fort mit den Barbaren nah Afien! Dem perfiihen Schah lahmt der von Wolluft entnerute Arm am Säbelgriff; der Sinefier genießt viel und handelt wenig; Japan ächzt unter dem Joch eines Tyrannen. Von Afrika „beleden unsre Kenntniffe nur die Südfpige und die am Rand ertürmten, Hoc): trogenden Freiftaaten”. Das jengende Klima, die wilden Tiere und Menſchen, die ihre Wildheit den Tieren abgelernt zu haben fcheinen, ſcheuchen den forjchenden Wanderer noch immer vom Kern des Landes zurüd.” Amerika, auf deffen jung: fräulidem Boden Wajhington, größer als Brutus, den neuen Freiftaat gegründet hat, redt jugendfräftig feine Glieder.

Sn Europa ift zwar „noch nicht der Tag angebroden, aber es hat zu dämmern begonnen”. In Portugal freilih ift der Geift des großen Pombal erlofchen, ohne Spuren der Aufklärung zu binterlaffen, und in Spanien fliehen die Mujen vor der Mordfadel der Jnquifition, aber Stalien will nicht mehr bloß mit goldenen Nepfeln jpielen, jondern finnt auf Ermannung und Thaten. Glüdlih dur feine vollkommene Staatsverfaflung, ftark dur die Kraft feines Volkes behauptet England erften Rang unter den Mächten. Nicht minder feft und gejihert bier tritt zu Tage, daß Schubart die politiihen Verhältnifie weniger jcharf erfaßt, als Foriter!) und Johannes Müller?); er ahnt gar nit, daß in Frankreich in Wirklichkeit die Macht ſchon den Händen des Königs entglitten, daß nicht bloß eine Revolution, fondern die Auflöfung nahe ift! erhebt ſich

1 G. Forſters Werke, VIL, 159, 180, 188. ?) Joh. Müller an feinen Bruder, Kafjel, 23. November 1782; gef. Werke, 30. Bb., 81.

Die europäiſche Sage im Jahre 1737. 153

Franfreih über die Nachbarn. „Gejunde Politif, immer tiefer wurzelndes, weiſes Finanziyitem, geübte Land: und Seemadt erhalten dies Reich bei aller Kleinheit, zu der fih der Nationalgeift immer tiefer hinabneigt, in Würde und Anjehen, und was dieſe Krone am meiften empfiehlt, fie macht es ſich zu unjrer Zeit zum Geichäft, das Syitem des Friedens über Europa zu verbreiten: neben der Lilie weht die Palme!” Holland, das moderne Tyrus, geht dem Verfall entgegen; der Schimpf, den die falſchen Patrioten der mit dem Deljweig des Friedens reifenden Statthalterin zufügten, wird ſchlimme Früchte tragen! Ruß: land, der jhredhafte Kolof, wird ganz Europa aus dem Gleichgewicht bringen, wenn es fich erit in feiner ganzen Größe aufrichtet. „Sechsundfünfzig Millionen Menihen zu einem Zwede wirkſam, was vermögen dieſe!“ Schweden erhält durch Guſtavs gelaffene Weisheit fein altes Anfehen zurüd. Dänemark wartet des elektriſchen Funkens, der jein tapferes Volk wieder beleben wird. In Polen jcheint der braujende Geift der Nation zur Ruhe gelangt zu fein, das Land ſonnt jih im Lichte der Nedlichkeit feines Stanislaus, aber wehe, wenn es diefen König verliert! even Batrioten jchaudert es, daran zu denken!

Frieden und Glück find auch in Deutjchland eingefehrt. Joſeph und Friedrich Wilhelm fihern den Frieden und fpenden das milde Licht der Auf: Härung, ohne daß deutſche Sehnenfraft erlahmt wäre. Die Fürjten gelobten, „jede Gewaltthat der Alleinherrihaft”" das Wort paßt jchlecht zu dem Lob: gefang auf den Kaifer! mit vereinten Kräften abzuwehren; fo erftand „ber unjre Freiheit jo feit gründende deutſche Fürftenbund”. Auch in den Biſchöfen des Neichs regt ſich apoftolijcher Geiſt; die Feſſel der Hierardie wurde mutig abgeftreift. Ein frifcher, mutiger Ton herricht im Denken, Reden und Schreiben der Deutihen! Sogar das trogige England füngt an, deutſchen Geift befler zu würdigen. Sn ber Litteratur fehlt es freilich nit an trüben Erjcheinungen. Die Nahäffung der Nachbarn über dem Rhein ift noch nicht aufgegeben; die deutiche Sprache donnert nicht mehr wie zu Hermanns und Luthers Zeiten, ſon— dern girrt, wie eine Flöte in der Maiennadt; „der deutſche Genius läßt ſich von Gnomen das Haar fräufeln, von Niren mit Eau de Levant bejprengen und von Elfen bebändern und bemaſchen“. Leichtiinniges Getändel gilt mehr als ernites Studium, Duodezalmanadhe und wollüftige Romane beherrſchen den Markt. Die Wiſſenſchaft ift ins Zeichen der Encyflopädien getreten; fie fucht das Fett von allen Suppen abzufhöpfen, bat aber dem Bolfe nichts auf: zutiihen als eine Kapuzinerfuppe. Die Zeitungen begnügen ſich, zinngießer: mäßig zu politifieren und ihre Leſer mit ſchalen Märlein und fühlen Facetien zu unterhalten. Aber noch leben und wirken große deutſche Männer, noch leben Klopftod, Wieland, Herder, Goethe, Lavater, Gerftenberg, Schiller, die Grafen Stolberg, Claudius, Bode, Gedide, Engel, Garve, Nicolai, Möfer und Mojer, Männer, die für die Ehre ihres Baterlandes arbeiten und den austretenden Strom immer wieder ins Bett zurüddrängen.

Vor allem ift Preußen berufen, Deutihland groß und ftark zu machen. Seit den Tagen des Großen Kurfürften, der mit Eleiner Macht große Thaten vollbrachte, baute jeder Regent planmäßig weiter an der Schöpfung des Staates, der fortwährend die Augen der Welt auf fi zog. Auf Friedrich Wilhelm I., den

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Schöpfer des Syitems, und auf Friedrich den Großen, den Ermeiterer, folgte Friedrih Wilhelm II., der Vollender! „Er it ganz Gnade und Milde” bier führt die Dankbarkeit das Wort, denn Schubart erhielt durch Vermitte— lung Friedrich Wilhelms die Freiheit —, „bie ftille Größe dieſes Regenten verdient den jchönften Lorbeer. Religion gilt ihm als das erfte, aber nit weniger eifrig wirft er fir Verbeſſerung der Erziehungsanitalten, für Förderung des Kunfifleißes, der Landwirtfchaft, des Handels und der Gewerb— ſamkeit. Die Krieger find noch von jenem Geift bejeelt, der zu Friedrichs Zeiten mit halben Welten rang und objiegte. Der Patriot meint vor Freude, daß nunmehr Vaterlandsſprache, Vaterlandsgeiſt an der Spree wieber Geltung haben und in den Sälen der Afademie die Namen der Engel, Garve, Ramler, Selle und dein Name, Hertberg, des Auslands Namen übertönen !”

„Mit einem Wort: kein Land kann fich derzeit rühmen, jo große Staats: männer, Krieger, Weife, Künftler und vortrefflihe, Lit und Kraft im Staat verbreitende Männer jo gedrängt nahe beifammen zu haben, als Preußen, ber Liebling der Vorſehung!“

Schubart blieb ein Bemwunderer Preußens und ein Anwalt Friedrich Wilhelms II. Noch im Sommer 1788 ſchreibt er: „Glüdlih ein Rei, drin ein Friedrich Wilhelm gebeut, ein Finfenftein ſpricht, ein Hertzberg jeine Eſſays fhreibt und ein Möllendorff handelt!” !) Sogar das Religionsebift ſucht er troß feines Widerwillens gegen den „oberften Biſchof und Pädagogarchen des preußiichen Staates”, Herrn von Woellner, zu rechtfertigen; angefichts der ſchmachvollen Schriften gegen Religion und Baterland, wie fie in jüngfter Zeit aufgewuchert feien, könne einem Fürften nicht verargt werden, wenn er fi und den Staat auf die Reagierenden in Kirche und Geſellſchaft fügen wolle, Freilich ſei nicht zu billigen, daß auf die „bisherige, nicht ſelten übertriebene Dentfreiheit” jet ein „Denkzwang“” gefolgt jei, eine fommandierte Frömmigfeit, die dem freien Geift der Nation nicht anftehe und Preußens Ruf zu jchädigen drobe. Unbegreiflich jei auch die Liebelei des Berliner Hofes mit der Kurie. „Eine der jeltjamiten Erfcheinungen in Berlin ift der päpftlide Gejchäfte- träger, Graf Guiccioli: was würde der große Friederih, was der orthodore Friedrih Wilhelm, was die alten föniglihen und furfürftlihen Verfechter der proteftantifden Freiheit jagen, wenn fie dies Phänomen von ihrem Sternenfige erblidten?” „Doch,“ jest Schubart refigniert und vorſichtig hinzu, „der preußifche Staat ift Schon einmal von der Vorſehung auserlefen, der Welt ungewöhnliche Schaufpiele zu geben. ... Der Erfolg muß erft die Weisheit der neuen Ber: ordnungen rechtfertigen!” ?)

Doch in anderen Kreifen wurde die innere Bolitif des Berliner Kabinetts weniger nachſichtig beurteilt. Es wurde ſchon dargelegt, wie fih unter dem Eindrud der kirchenpolitifhen Neuerungen eine Gegnerſchaft bildete, aus deren Reihen heftige Angriffe gegen den König und die von ihm begünftigten Geheim—

') Baterl, Chronif, Jahrg. 1788, 632. 2) Ebenda, Jahrg. 1789, 172.

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bündler und Glüdsritter gerichtet wurben.!) Doch auch bie fedften Pamphlete aus deutfcher Feder überragte an leidenſchaftlicher Hige eine Schrift jenes Fran: zoſen, der ein Jahr vorher die Thronbefteigung des preußiſchen Monarchen fo freudig und begeiftert begrüßt hatte. Da bie „Geheime Geihichte des Berliner Hofes“ troß aller Ermwiderungen und Widerlegungen die Beurteilung Friedrich Wilhelms II. bis auf den heutigen Tag über Gebühr beeinflußt hat, muß darauf näher eingegangen werben.

Im Sommer 1787 erſchien zuerft eine franzöfiiche, bald darauf auch eine deutſche Ausgabe von Briefen eines reifenden Franzoſen mit Nachrichten intimften Charakters über den Berliner Hof. Obmohl Graf Mirabeau nicht genannt war und mwenigitens anfänglid feine Autorſchaft abzuleugnen juchte?), war über den Verfaſſer niemand im Zweifel. Heute willen wir gewiß, daß der „Geheimen Geſchichte“ im Wefentlihen die Briefe zu Grunde liegen, die Mirabeau während jeines Aufenthalts in Berlin an jeine Gönner, Abbs Talleyrand und den Herzog von Lauzun, gerichtet hatte und die zur pifanten Lektüre für den Hof von Verfailles beitimmt waren.

Die eriten Stüde enthalten Stimmungsbilder vom Hofe des großen Friedrichs, defien Leben zur Rüfte gebt, fo daß der Thronfolger ſchon den Mittel: punft des Hoflebens bildet. Mirabeau, der häufig im Haufe des Prinzen Heinrich verfehrte, war gut unterrichtet, und jah und hörte manches, was ſich den Augen des großen Publikums entzog; aud ſonſt fehlte es damals einem Franzoſen in Berlin nicht an dienjtwilligen Zuträgern; insbejondere der Kampf der Parteien um die Gunft des künftigen Herrſchers it ficherlih im allgemeinen getreu nad dem Leben gezeihnet. Vom fterbenden Könige wird mit ehrfurdhtsvoller Be— wunderung geſprochen, und im Urteil über den Thronfolger und feine Freunde die Grenze erlaubter Kritif nicht überfchritten. Einen andern Ton aber ſchlagen die fpäteren Briefe an. Da ſich der Verfaſſer inzwifchen überzeugt hat, daß eine Berüdfihtigung feiner Wünſche nicht zu erwarten ift und der franzöfiiche Einfluß überhaupt vom Hofe verdrängt werben joll, tritt die Luſt am Standal in den Vordergrund, das Urteil wird ſchärfer, der Ton leidenfchaftliher. Um die für Klatſch und Mebifance ſehr zugänglichen Lejer in Verſailles und Trianon zu amüfieren, die Gegner ber Franzoſen in Berlin anzufhwärzen und die Per: fönlichkeit des Berichterftatters intereffant zu machen, wird entitellt und verzerrt, gefäliht und bejubelt, jo daß fih nur noch eine Sammlung von Karikaturen darbietet. Man wird beim Lejen des Gedanfens nicht los: Welch ein Unglüd ift es, über großes Talent zu verfügen, wenn man nicht ben Charakter befigt, um es zum Guten zu verwerten! Wie widerlih wirkt durch handgreifliche Lebertreibung

'; In der „Allgemeinen deutfchen Bibliothef” wurden von Profeffor Hencke nicht weniger als 59 Schriften über das Heligionsedift beſprochen (Reiche, Die polit, Litteratur unter Friedr. Wilhelm IL, 16).

?) Die Redaktion der Berlinifchen Monatäfchrift begleitet Die Nachricht, daß Mirabeau in einem Briefe an einen freund in Deutjchland (8. November 1788) die Autorfhaft von ſich abgemwälzt habe, mit den Worten: „Wir freuen uns, von einem fo talentvollen Manne, als wofür Graf Mirabeau allgemein erfannt wird, eine fo pofitive Erklärung befannt zu machen,” (Jabra. 1789, I, 168.)

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das Zerrbild von Frievrih Wilhelm, der „bald wieder Marfgraf von Branden: burg fein wird“. „Aus drei Beltandteilen ift der Charafter bes Königs zu: fammengefegt: aus Falfchheit, die er für Gewandtheit anfieht, Eigenliebe, die ji beim geringften Anlaß verlegt glaubt, und einer Berehrung des Goldes, die bei ihm nicht jo fait Geiz ift, als eine Leidenschaft, zu beißen. Das erite von diefen Laftern madt ihn mißtrauiſch gegen jedermann, denn wer grundſätzlich betrügt, hält fi) immer für betrogen. Das zweite Lafter bewirkt, daß er immer mittelmäßigen oder ganz unbedeutenden Leuten den Vorzug einräumt. Das legte trägt dazu bei, daß er ein jo ftilles und einfames Leben führt, wodurch jene andern Fehler noch verftärkt werden!” !) Was ſonſt von läppifhen und lafterhaften Gewohnheiten des Monarden und von tollen Epiſoden des Hof: lebens erzählt wird, entzieht fi der Wiedergabe. Und wie das Privatleben Ihändlih, jo jei die Negierung fopflos und deshalb der Verfall des Staates nicht mehr aufzuhalten. „Nie ließ ih einem Reihe ein rajcherer Rüdgang prophezeien! Man unterwühlt es von allen Seiten auf einmal. Man ver: mindert die Quellen ber Einkünfte, man fteigert ins Maßloſe die Ausgaben; man achtet feine Grundfäge; man handelt nad bloßen Einfällen; man ſchwächt die Armee; man benimmt den Wenigen, die zu brauden wären, allen Mut; man macht jelbit diejenigen mißvergnügt, um deren willen man alle andern verlegt hat; man entfernt alle Ausländer von Verdienſt; man umgibt fih nur mit unbebeutenden Xeuten, nur um das Anjehen zu haben, als ob man allein regiere.” ?) So ift das arme Preußen nur noch „ein Land, in das die Priefter, . die Vifionäre und die Buhlerinnen fi teilen werden”. „Fäulnis vor ber Reife!” in diefes Schlagwort faßt Mirabeau feine Charakteriftit des preußiichen Staates zuſammen. „Bordelle auf den Fittihen des Adlers, und ih will ihn mit leichter Mühe aufs Haupt jchlagen! Möge diefes Wort bes Kaijers nicht ein prophetiiches jein!”

Das Pamphlet wurde zwar, wie es bei Libellen biejes Schlages herkömm— ih, mit Begierde verfhlungen, binnen kurzer Zeit waren 20000 Eremplare vergriffen’) rief aber bei bejonneneren Leſern nur Unwillen und Entrüftung hervor. Prinz Heinrich, der Oheim des Königs, der jelbit die Sendung Mirabeaus nah Berlin erwirkt hatte!) und nun fein Vertrauen ſchmählich vergolten ſah, behandelte die Tölpelei, wie fie e& verdiente; er verteilte jelbft eine größere An: zahl Erenplare an Belannte jo hätte es damit wohl aud der alte Frig ge: halten!?) Die preußifhe Regierung drang in Paris auf Verbot der Läfterjchrift und Beitrafung des Berfaflers; nad langem Zaudern wurde zwar das Buch

', Histoire secr&te de la cour de Berlin ou correspondance d’un voyageur frangais, depuis le 5 juillet 1786 jusqu’au 19 janvier 1787; Oeuvres de Mirabeau, ed. M. Me- rilhou, VI, 380.

2) Ebend., 30%.

3) Ebend., VI, S. V.

*, Mezieres, vie de Mirabeau, 112.

°) Aud) Goethe übte an der Schmähfchrift lakoniſche Kritik. „Mirabeaus Bud,” fchrieb er an Charlotte von Stein, „will ich fhiden, wenn's möglich if. Die Herzogin bat es wieder holen laſſen und es foll fort. Du verlierft nichts an diejer Lektüre.“ (Briefe, IX, 90.)

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durch Henkers Hand verbrannt (10. Februar 1789), doch weigerte fih das Parijer Parlament, gegen den Verfaſſer einzufchreiten.')

Hertzberg, der in Mirabeaus Schrift als ein aufgeblajener Hohlfopf ge: ihildert ift, „für den unterm Monde nichts Wert bat als Herkberg und Preußen“ ,*) gab feiner Entrüftung in einer akademiſchen Feſtrede, welche die Errungenschaften des zweiten Regierungsjahres Friedrih Wilhelms II. feierte, pathetiſchen Ausdruck. Er vergleicht den ungenannten, nur allzu befannten Ber: fajler mit Heroftrat, Profop und Aretino, die er an Echamlofigfeit und Tüde noch übertreffe.°) Der Redner vermengt aber unbilligerweije die „Geheime Ge: ſchichte“ mit dem Werk „über die preußiſche Monardie”, dem fich ernftere Be— deutung nicht abiprechen läßt.

Mit patriotiichem Eifer wandte ſich der Hiftorifer Ernit Poffelt gegen „den Franzoſen, der Nichts ift für das Gute, Alles für das Böſe!““) gegen ben „modiihen Pasquino“, der vor jein Faunenantlig die Masfe des Sittenrichters band. Mirabeau jei nad Berlin gegangen, um fich Friedrich Wilhelms Gunft zu erbetteln, aber zu jeinem Leidweſen jei vom föniglihen Tiſche fein Bröjamlein abgefallen und die dem König zugedadhte Nipafia, die Marquije von Fleury, jei zurückgewieſen worden, ja endlich jeien der Kuppler und jein Helfershelfer, Marquis Luchet, aus Berlin jo gut wie weggejagt worden. „So haben wir... den Sclüfjel zu diefem Arhiv von Lügen, Schmähungen, Widerjprüden und Bosheiten aller Art, die er gegen den preußiſchen Staat überhaupt, gegen deſſen weijen und menfchenfreundlichen König und gegen eine Reihe von Männern zujammengetragen bat, welche auf die Verehrung der Zeitgenofien die gerechtefte Anſprache haben.” Neidiſche Verleumdung jei es, wenn behauptet werde, daß Preußen, dur die Kriegs: und Staatsfunft eines Friedrich Fünftlih in bie Höhe aeihraubt, ohne ihn herabzufinfen beginne. „Ein Staat, wider aller Völker Macht von Gott jelbft erhalten durch dich, ift beftimmt, unfterblich zu jein, wie du ſelbſt!“

Dankbarkeit und Eitelkeit liefen auch den befannten Abenteurer Baron Trend zur Abwehr Mirabeaus fchreiten.) Friedrih Wilhelm hatte ihm den größten Teil der von König Friedrich in Beichlag genommenen Familiengüter zurüdgegeben; dafür wollte jih Trend erfenntli zeigen, um jo lieber, da damit erwünſchte Gelegenheit geboten war, die eigene Perjönlichkeit gegen den berühmten Mirabeau auszufpielen. Weil er wie fein andrer die Trieb:

) Stern, Das Leben Mirabeaus, 1, 285.

*”, Histoire secrtte, 89.

) Geichichte des zweiten Regierungsjahres Friedrich Wilhelms II., vorgeleien von Her: berg in der fönigl. Afademie der Wiffenich. am 21. Nuguft 1788, 156.

4, Ernit Boilelt, Ueber Mirabeaus Histoire secrete de Ja cour de Berlin (1789). Die Schrift ift „dem Geifte Friedrichs des Großen” gewidmet. Das Titelfupfer zeigt folgendes Bild: „Eine Bildfäule Jupiterd; der Gott figt da, in ruhiger Majeftät, den Donnerfeil in der Hand und zur Seite den Adler. Ein mutwilliger Knabe wirft einen Stein nad ihm, Wil fagen: fo wenig Jupiter dem Werfen des mutwilligen Anaben zürnt ober fich irgend dadurch entehrt hält, fo wenig achtet Friedrih Wilhelm II. der Läfterungen eines Mirabeau.“

°) Trend contra Mirabeau oder politisch: critifche Beleuchtung der geheimen Geſchichte des Berliner Hofes von Fhrn. Friedrih von der Trend. Aus bem Frans. (7) 1789.

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federn der preußiihen Maſchine Fenne, wird verfichert, ſei er berufen, dem Parifer Charlatan darzuthun, wie wenig Richtiges und MWahres er in Berlin ergattert habe. Wie gefchmadlos die Chrenrettung bes Königs durchgeführt wird, mag ein Beifpiel beweifen. Den Vorwürfen bezüglih der finnlichen Ausshweifungen des Königs begegnet der Anwalt mit zwei Fragen und Ant: worten: „Sit es wahr, daß der König von Preußen die Frauen liebt? Niemand zweifelt daran. ft das bei einem König ein Verbreden? In dem Zuftand, in dem fi heute Preußen befindet, darf der König den Myrthen Eupidos vor dem Lorbeer des Mars den Vorzug geben!” Bon einer „Eritiichen Beleuchtung” der Schrift Mirabeaus ift feine Rede; mit den allgemeinen politi- ſchen Betrachtungen bes Franzofen erflärt fi Trend einverftanden, denn er ift „ein Gegner jeder willfürlihen Macht, aljo des öſterreichiſchen wie des preußiichen Syitems“.

Dagegen ift es Herrn Hofrat Zimmermann gerade um bie Rettung des Berliner „Syftems” zu thun.!) Er nennt zwar feine Schrift eine „Verteidigung Friedrichs des Großen“, bietet aber im Wejentlihen eine Apologie der Männer, die das Vertrauen bes regierenden Königs erworben hatten. Minijter Wöllner werde in Mirabeaus „boshafter Charteke“ nur deshalb mit Hohn und Spott verfolgt, weil er „jo voll unüberwindlichen Mutes für die Sache Gottes, gegen die Ausrottung des Chriftentums und den wilden Strom der Aufklärung“ an: fümpfe. Bitteres Unreht werde jeinem „teuren Freunde”, dem Kammerherrn Marchefe Luchefini, zugefügt, und ebenſo wenig verdiene Luchhefinis Schwager, Oberſt Bijchoffwerber, den Vorwurf, als ob er fi zum Mitregenten des Königs binaufichrauben wolle; der Oberft bejorge einzig und allein die Korreipondenz für die Kavallerie, wie fie Herr von Geufau für die Infanterie zu überwachen habe. Mirabeau fpeie nur deshalb Gift und Galle, weil ihn die beiden fchönen Töchter des Oberften zu häßlich befunden hätten; wie uneigennüßig der Bertraute des Königs geblieben fei, erhelle daraus, daß jene Mädchen unlängft zur Klage gezwungen waren: „Wir haben nicht Geld genug, um täglid in bie Komödie zu gehen!” Dem König ſei das höchſte Lob zu jpenden, daß er Männer „voll jo ausgezeichneter, wahrer, moralijher Erhabenheit und Größe” der Freundichaft und des Vertrauens würdige.

Glücklicherweiſe hat König Friedrich Wilhelm diefe „Ehrenrettungen“ nicht nötig. Das von dem franzöfiihen Spion gezeichnete Bild ift fehon deshalb un: wahr, weil es nur die Schatten zeigt und nicht das Licht. Schon aus den äußeren Regierungshandlungen läßt fich entnehmen, wie übertrieben die Klage über die Trägheit und den Stumpffinn des Königs, der „nur für Lottojpiel und tändelnde Muſik Intereffe zeige”. Vom gewöhnlichen Verkehr mit den Miniftern abgejehen, pflegte Friedrih Wilhelm einen großen Teil des Jahres auf Reifen in jeinem Königreihe zu verwenden; dabei hielt er Mufterungen und Manöver ab, beriet mit den Beamten über die Bebürfniffe der einzelnen Provinzen und Städte, befihtigte Fabriken und Manufakturen und ließ es auch an Aufmunterung von

') Zimmermann, Verteidigung Friedrichs des Großen gegen den Grafen von Mira: beau (1788).

Friedrich Wilhelm II. und die öffentlihe Meinung. 159

Kunft und Künftlern nicht fehlen. Daß die Regierung in ihren Bemühungen um die Landeskultur nicht immer glüdlih war, daß der Tabakbau, die Seiben- raupenzucht und ähnlihe Schöpfungen die forgfältige Pflege ſchlecht belohnten, fann nit dem Negenten zur Laſt gelegt werben; daß im zweiten Jahr ber Regierung Friedrih Wilhelms die Zöle erheblich herabgemindert wurden und die Stadt Stettin Erlaubnis zur Getreidveausfuhr erhielt, wird von Hergberg als wichtige Errungenschaft gefeiert.!) Von der menjhenfreundlichen Gefinnung bes Königs gab es manch freundlichen Zug zu erzählen. Als er fich bei einer Feuers: brunft in Breslau eifrig am Rettungswerk beteiligt hatte, rühmte jogar ber Kepublifaner Georg Forfter die Pflichttreue „eines Fürften, deſſen Unterthanen die beruhigende Ueberzeugung hätten, daß ihr Oberhaupt bei Tag und Nacht auf feinem Poſten verharre”.?)

Freilich, ein Herabfinfen von der hohen Stellung, welche Preußen unter Kriedrid dem Großen eingenommen hatte, ift unverfennbar; ohne daß es im einzelnen nachzuweiſen wäre, trat allmählih in der ganzen Verwaltung eine Abnahme der Kräfte ein, die jchließlih zur Kataftrophe des Jahres 1806 ge: führt hat. Am deutlichiten läßt fi der ungünftige Umſchwung auf dem Gebiet der Geiftespflege erfennen. Bei der eriten Geburtstagsfeier des Königs, am 25. September 1786, hatte der Akademiker Engel das ftolze Wort ausgeiproden: „Unter den Monardien Europens ift die unfrige faft die einzige, wo Staats- klugheit und Menjchenliebe jene entehrenden Feſſeln des Gewiſſenszwanges nicht bloß weiter gehängt, nicht bloß erträglicher und leichter gemacht, fondern fie zerriffen und zerbrocdhen haben.” ?) Schon im nädhften Jahre würde Engel dieje Erklärung nit mehr abgegeben haben oder nicht mehr abgeben haben dürfen. Unter dem Einfluß der Wöllner und Bifhoffwerder und rühriger Mitwirkung ber bei Hofe begünftigten Geheimbünde wurde die Forderung „Religion und Moral” im Sinne des ftrengen -Bibelglaubens ausgebeutet. Das Schulweſen wurde nad Elerifalen Geſichtspunkten reformiert, mißliebige Prediger wurden troß freiiprechender Urteile des Rammergerichts entlaffen oder ohne Unterfuchung und Urteil beftraft, kurz, wie Preuß jagt, „die Geiſtesdeſpotie Wöllners ſetzte in dem Kulturftaat Preußen den Segen der Denf:, Preß- und NRechtöfreiheit zur Zeit des großen Königs in ein neues, zuvor immer noch nicht allfeitig genug erfanntes Licht”.t) Dem Einfluß der Dunfelmänner ſuchte das „Kränzchen“ entgegenzuarbeiten, in welchem fich der Minijter von Struenjee, der geheime Finanzrat Wlömer, die Pröbfte Teller und Zellner, Bibliothefar Biefter und andere Gefinnungsgenofien „zur Beiprehung vaterländiicher Angelegenheiten“ verjammelten.

Bünftigeren Eindrud gewährte die äußere Politik Friedrich Wilhelms in diejen Jahren. Wir, befigen zur Feſtſtellung des objektiven Thatbeftandes eine

) Geſchichte des zweiten Negierungsjahres 2c., 168.

2) G. Forfter, Schriften politiichen Inhalts, 35.

») J. J. Engel, Schriften, IV, 81.

*) Preuß, Zur Beurteilung des Staatsminifters von Wöllner, in der Zeitſchr. für preuß. Geſch., III, 79.

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zuverläfiigere Quelle als die Panegyriken Hergbergs: die eigenhändigen Schrift: ftüde des Königs. Aus Hunderten von Signaten, Depeſchen und Briefen läßt fih der Vorwurf Mirabeaus am ficherften widerlegen. Der König hat auf politiichem Gebiet nicht nur eine rege Thätigfeit entfaltet, jondern auch in manden Fällen mehr Scharffinn und Staatsflugheit an den Tag gelegt, als der von den Zeitgenofien To hoch gefeierte Herberge. Mar Dunder und Paul Bailleu haben aus dem Briefwechjel des Königs mit feinem Minifter nachgewielen, daß Hergbergs Anfichten und Ratſchläge durchaus nicht immer die glüdlicheren waren.!) Der Miniſter war aus der ardhiviitiihen Laufbahn hervorgegangen; „selehrte und politifche Beitrebungen durchdrangen fi fortan in ihm, einander fördernd, aber nicht minder auch hemmend.” Seine Gejchichtsfenntnilfe und jeine Vertrautheit mit den Archiven ließen fih bei Abfaſſung amtlicher Noten trefflich verwerten, aber es wurde darauf zu viel Gewicht gelegt; der Politik Hergbergs haftet ein gewiſſer doftrinärer Zug an; er glaubte durch diplomatische Kunſtfertigkeit und gelehrte Nuseinanderjegungen auch da zum Ziel zu gelangen, wo es lohnender gewejen wäre, ohne Umjchweife eine gefunde ntereffenpolitik zu verfolgen. Er wäre ein vorzüglicher Hülfsarbeiter eines großen praftifchen Staatsmannes geweſen, ihm jelbit fehlte der große Zug; er gehörte zu jenen Politikern, die in der Staatsfunft ein Monopol ihrer Kafte erbliden und mehr der Schablone nach berühmten Muftern als den Bedürfniffen der Gegenwart Redhnung tragen. Fremden Diplomaten mißfielen die Eitelfeit und die Ruhm— begierde des preußiſchen Minifters. Der ſchwediſche Geſandte in Berlin, von Cariſien, dem Scarfjinn und Objektivität nachgerühmt werben, ſchreibt 1793 aljo allerdings erit nach dem Sturze Herkbergs —: „Mit einer ganz übertriebenen Anficht bezüglich der preußifhen Macht, für die, wie er glaubte, nichts unmöglich jei, vereinigte er ein brennendes, unruhiges Verlangen, die Grenzen Preußens noch weiter auszudehnen und dadurd fein Minifterium zu einem in der Geſchichte glänzend daftehenden zu maden ... Aufs höchſte von jeiner vermeintliden Weberlegenheit als Staatsmann, Landwirt und Gelehrter eingenommen, zeigte Graf Her&berg im übrigen täglich feine ſchwache Seiten, deren ſich die Perſonen, welche feiner Eitelkeit ſchmeichelten, mit Vorteil zu be— dienen wußten, um ihm die geheimften Pläne zu entloden.“ ?)

Wir haben gejehen, daß Herkberg den Gedanken eines fefteren Bundes deuticher Fürften, den Karl Auguft von Weimar neuerdings angeregt hatte, geringichägig ablehnte und damit den Beweis lieferte, daß er für den eigent- lihen Beruf Preußens nicht das volle Verftändnis hatte. Wir haben gejehen, daß er zur friegeriichen Aktion in Holland drängte, die zwar dem preußifchen Heere ehrenvollen Lorbeer, dem preußifhen Staate aber feinen Vorteil bradte. Nah fiegreiher Beendigung „jeines” Feldzugs ſuchte er um jeden Preis eine Verwidelung Preußens in neuen Krieg fernzuhalten, einem blutfcheuen Arzte

’) Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg, von M. Dunder, in Sybels hiftor. Zeitichr. Jahrg. 1877, 1. Graf Hergberg, von P. Bailleu, in hiſtor. Zeitſchr, Jahre. 1879, 442.

?) Arnheim, Aus einer fchwebiihen Gefandtichaftärelation über Preußen von 1793, in Forſchungen zur brand.epreuß. Geſch. II, 267.

Graf dertberg. 161

vergleihbar, der auch dann noch mit Mirturen zu helfen jucht, wenn nur ein entichloifener Schnitt die Heilung bringen fann. Als das von Frankreich wohl- wollend unterftügte Bündnis der Kaiferhöfe die übrigen Mächte Europas zum Widerftand nötigte, war Hergberg dem großen Augenblid nicht gewachſen; er verfäumte über der Jagd nah Fleinem Gewinn die Gelegenheit, durch feites Auftreten in der orientaliichen Frage die deutiche zur Entſcheidung zu bringen. „Weiſe Mäßigung“ galt ihm als einzig würdiges Negierungsprogramm, die Kunit des Worts als Allheilmittel, womit fi alles erreichen laſſe; in der ge fährlihften Krifis fand er immer wieder einen Ausweg, der die Möglichkeit gewährte, „die Kräfte des Staates für die Zukunft aufjujparen”.

Der König war, mie fih aus jeinen Signaten erjehen läßt, mit den Grundjägen jeines Minifters durchaus nicht immer einverftanden; ihm fehlte es nicht an Mut und Entichlofjenheit, um im günftigen Augenblid auch eine entſcheidende That zu wagen. Friedrih Wilhelm, von oberflähliher Bildung und ernften Studien abhold, verfügte nicht über jene Kenntnifje, die einem Staatsmann feine Aufgabe erleichtern, aber er bejaß den gejunden Menjchenveritand, der ihn aud in jchwieriger Verwickelung das Richtige erfallen ließ; er war, obwohl im allgemeinen indolent, ein jcharfer Beobachter; er war langſam in jeinen Erwägungen und zögernd und vorfihtig vor dem Entihluß, aber von dem, was er id einmal zurechtgelegt, ganz erfüllt und dann auch zäh und beharrlih. Freilich, den Mut, auch jeinem Minifter Widerſtand zu leiften und jelbftändig die Snitiative zu ergreifen, bejaß er nicht; erit jpäter, als die Lage fi weniger günftig geitaltet hatte, bewog ihn Luccheſinis Einfluß, die von Herkberg empfohlene Politik aufzugeben. Wer möchte aber aus der Anhänglichkeit an Hertzberg einen jhweren Bormwurf ableiten! Sah doc alle Welt mit Hochachtung und Bewunderung auf den Staatsmann, der in vierzigjähriger Amtsthätigfeit immer ruhig, immer taftvoll, in tadellofer Haltung Kabinettsgeichäfte bejorgt, mehr Traftate ent: worfen, mehr Staatsjchriften verfaßt hatte, als alle übrigen Minifter Europas, ohne daß er ſich den inneren Angelegenheiten der Monarchie gänzlich entzogen oder der Pflege der Willenichaften entjagt hätte. Man glaubt den weltmänniſchen Neſtor der europäiihen Diplomatie jelbft zu hören, wenn der fonft jo erplojible Georg Forfter die Aufgaben und Ziele preußifcher Politik jchildert: „Die Seele des preußiihen Staates muß Anhänglichfeit an das jeit einem Jahr— hundert gelegte Syftem eines regelmäßigen Fortichreitens in Macht und Größe bleiben... . Ein preußifches Kabinett, das anfangen wollte, die Finanzen in Verwirrung zu bringen, den Schag auszuleeren, die Armee einem großen Eroberungsplane zu opfern, würde das Gewicht, das Preußen jeit zwanzig Jahren in Deutichland und Europa behauptet, vermindern und dadurch offenbar die ironiſche ‚Vorſchrift, wie man aus einem großen Reiche ein Fleines machen fönne‘, welche der verehrungswürdige Franklin 1774 jchrieb, im Ernft zu be: folgen ſcheinen.“)

Auch in der orientaliihen Frage hielt Herkberg an dem Bejtreben feit, „die rechte Mitte zu finden”. Je entſchiedener Defterreih jih dem Dften zus

') G. Forfter, Schriften polit. Inhalts, 191. Heigel, Deutihe Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. bie zur Aufldfung des deutſchen Reiche. 11

162 Erftes Bud. Fünfter Abſchnitt.

wandte, je mehr es fih an der unteren Donau auszubreiten fuchte, deſto zuverfichtliher Fonnte Preußen hoffen, in Deutjchland die gebührende Stellung zu erringen. Jede Vergrößerung Defterreihs im Often war auch für Preußen von Vorteil. Dagegen ſah Herkberg, weil er eben den deutſchen Beruf Preußens nicht richtig würdigte, den Inbegriff politiicher Weisheit eines preußi- jhen Staatmannes darin, Defterreih zu jhaden, immer und überall zu ſcha— den, freilid niemals ohne den gemejjenen Ton, die disfreten Manieren, das mwohlwollende Lächeln des mwohlerzogenen Staatsmannes abzulegen, und immer mit folder Behutjamfeit, daß eine direfte Kriegsgefahr nicht erwachſen fönne.

Es wurde jchon dargelegt, weld gute Dienfte Kaifer Joſeph der Zarin (1783) im Kriege mit der Pforte leiftete. Er ließ nicht bloß geichehen, daß Katharina im Widerjpruch mit den beftehenden Verträgen die Krim ihrem Reiche einverleibte, ſondern unterftügte die ruſſiſchen Anſprüche aud noch bei den Friedensverhandlungen dur die Erklärung, daß er eine Weigerung der Pforte auch feinerfeits mit einer Siriegserflärung beantworten würde. Für diefe Ger fälligeit dankbar, gab Katharina die Zufage, daß aud fie den Wünfchen des Kaijers in Bezug auf den Eintaufh Baierns nicht mehr widerftreben werde. Der Plan jcheiterte an der Aufrichtung des Fürftenbundes, aber das gute Ein: vernehmen der Kaiſerhöfe dauerte fort; Katharina und Joſeph wechfelten mit: einander Briefe voll Schwung und Zärtlichkeit, die von einem in die thatjäch- lihen Berhältniffe nicht Eingeweihten als Briefe von Liebenden angejehen werden fönnten.

Im Auguft 1786, wenige Tage vor dem Ableben Friedrichs II., eröff: nete Katharina ihrem Freunde, daß fie neuerdings ernften Anlaß habe, über den Großherrn in Stambul, der die jchugherrlihen Redte Ruflands über Georgien bejtreite, ungehalten zu jein; zugleich war mitgeteilt, daß fie die neu- erworbene Krim zu bejuhen gedenfe, und der Hoffnung auf eine Begegnung mit dem Kaiſer Ausdrud gegeben. !) Joſeph fand diesmal den Ton des Briefes etwas hochgeſchraubt und hielt es für beleidigend, daß die Einladung in Form eines Poſtſkriptum gefleivet war; er wolle, ſchreibt er an Kaunitz, „a la princesse de Zerbst Catherinisee* begreiflid maden, daß er auf belifatere Behandlung Anſpruch zu erheben habe.) Kaunig bejchwichtigte jedoch den Empfindlihen; der Brief der Zarin wurde in freundfchaftlichfter Weife mit dem Verſprechen erwidert, Joſeph werde, falls es ihm jeine Regierungsgeſchäfte er: laubten, mit Freuden der Einladung Folge leiten. Doch die BVerftimmung Joſephs war nicht gehoben, ja, er befreunbete fich jogar mit dem Gedanfen, dem Bündnis mit Rußland zu entjagen und mit dem Nachfolger König Friedrichs, deſſen ganzes Auftreten ihm Vertrauen einflößte, in engere Ver: bindung zu treten. In einer für den Staatsfanzler beitimmten Denkfchrift führte er aus, welch heilfame Folgen ein aufrichtiges Zujfammengehen der Häufer Defterreih und Preußen für Deutſchland und ganz Europa nah fid

Arneth, Joſeph II. und Katharina von Rußland, ihr Briefwechfel, 274. *) Beer, Joſeph II., Leopold Il. und Kaunig, ihr Briefwechſel, 242.

Kaifer Joſeph II. und die orientalifhe Frage. 163

ziehen könnte.) „Wenn die Häufer von Defterreih und Brandenburg aufrichtig zu einander halten und nad gemeinjamen Plänen handeln, fo haben fie nichts zu fürdhten, weder von irgend einer andern Macht, noch ſogar von mehreren verbündeten Mächten; fie werden die Schiedsrichter fein nicht bloß von Deutſch— land, jondern von Europa; fie werden von allen Mächten gefucht werben, aber jelbft niemals nötig haben, die Gunft eines andern zu erbitten; ber allgemeine Weltfriede wird nur von ihrem Willen abhängen; wenn fie fi einander ftüten, können fie das Glüd ihrer Unterthanen begründen und ihre Staaten zu Blüte und Wachstum bringen; fie können fi alle ihnen wünjchenswert erfcheinenden Vorteile erwerben und den andern Mächten nad ihrem Belieben Anteil zu: wenden; das find unbeftreitbare Wahrheiten, die man mathematifch beweifen fann.” Kaunig war nicht wenig beftürzt, als ihm ein Syſtemwechſel zugemutet wurde, der unvermeidlich das eigentliche Werk jeines Lebens, das Bündnis Defterreichs mit Frankreich, vernichtet hätte. Er erbat ſich Bedenkzeit, machte aber fogleich darauf aufmerfjam, daß die Fortdauer der freundſchaftlichen Beziehungen zu Ruß: land und Franfreich mit einer Annäherung an Preußen faum vereinbar fein werde. Das habe an fi nichts zu bedeuten, ermwiderte Jojeph, denn „wenn es möglich wäre, im König von Preußen ebenjo feite Ueberzeugung von den unberechenbaren Borteilen einer wahren und aufridhtigen Allianz zwifchen unfern Staaten wadhzurufen, wie ich fie hege, jo könnte man, glaube ich, auf jede andre Verbindlichkeit verzihten”. Zu diefer Anſchauung war aber Kaunig nicht zu befehren. Zwiſchen ihm und Preußen war nun einmal Todfeindihaft gejekt, und fein ganzes Trachten ging dahin, ben Gegner in die Ferſen zu jtechen. „Richts wäre erwünſchter,“ fchrieb er am 30. Auguft 1786 an den faijerlichen Gejandten in Berlin, „als wenn der neue König in eine vollflommene Ruhe und Eihherheit gegen uns verjegt werden Fünnte. Um dieſes zu erwirfen, müſſen wir forgfältig die Klauen verbergen, um dann, wenn man uns auffordern follte, defto ficherer hauen zu können. . . Diejes und nichts andres muß ber ganze Endzwed unfrer Politif fein, denn daß jemals unjer wahres Staatsinterefie mit dem bes preußiſchen Hofes auf folide, dauerhafte Art vereinigt und gleich: fam in eines zufammengejhmolzen werden fönnte, gehört bloß unter die frommen Wünſche.“ Eine Vergrößerung Defterreihs werde immer bei Preußen auf Widerſtand ſtoßen; Kollifionen könnten alfo nur durch gemeinfame Partage oder mit dem Degen in der Fauft gelöft werden. Das erite bleibe immer nur ein Flickmittel, deshalb verlange Dejterreihs Intereſſe, darauf binzuarbeiten, daß der neue König immer mehr von Eriegeriiher Gefinnung abgezogen werbe und die preußiſche Maſchine an Kraft einbüße, damit Dejterreih, wenn Zeit und Umftände es erlaubten, mit aller Gewalt fi darauf ftürzen und fie zerftören könne.

Weniger draftiih, aber ebenjo offen, ſprach ſich Kaunig gegenüber dem Kaifer aus, deſſen Verjöhnungswünjhe er in einem Memorandum vom 10. Dezember 1786 befämpfte. *) Weder Vorteile noch Erjparnifje jeien davon

!; Reflexions sur l’alliance avec la Prusse (Beilage zum Brief des Kaiferö an Kaunig vom 6. Dezember 1786); Ranke, Die deutfchen Mächte und ber Fürftenbund, Il, Anhang, 298. ) Très humbles observations du prince Kaunitz etc.; Ranfe, 303.

164 Erſtes Bud. Fünfter Abfchnitt.

zu erwarten; alle übrigen Mächte im Often und Weiten würden ji) gegen das neue Bündnis erheben, und vor allem würde das Bündnis jelbit der notwen- digen FFeftigfeit entbehren, denn wie fünnte Dejterreih je des Unrechts ver: geilen, das ihm von Brandenburg zugefügt wurde, wie fönnte der König von Preußen fich je der Furcht erwehren, daß dem ſchwer beleidigten Defterreich doch nicht zu trauen ſeil Die allgemeine Lage habe fih durch den Thronwechſel in Preußen ebenjowenig verändert, wie die preußiihe Politif; auch heute noch jeien die Intereſſen der Nebenbuhler ſchlechterdings unvereinbar, und es wäre unverantwortlih, um der Ermwerbung eines jo zweideutigen Freundes willen bewährte Verbindungen aufzugeben. „Wenn nit auf beiden Seiten,” erwiberte Joſeph noch am nämlihen Tage, „die Ueberzeugung befeftigt werben fann, daß die Verbindung für beide von Vorteil ift, dann laſſen fich freilich nicht Dauerhaftig- feit und Vorteil davon erwarten, jondern nur ſchwere Nachteile und zumal ernite Gefahr für denjenigen, der die dee zuerft aufs Tapet bringt; ih ftimme aljo mit Ihnen überein, daß man den Gedanken fallen laſſen und als ein jchönes, aber zur Zeit unausführbares Luftichloß betrachten muß.” Demgemäß fnüpfte Joſeph die Verbindung mit der Zarin wieder an, doc hatten ihn die von Kaunitz geltend gemachten Gründe nicht völlig überzeugt. Im Gegenſatz zu Kaunig war der Vizekanzler Graf Philipp Cobenzl, in welhem Kaunit einen rüdhaltslojen Vertreter feiner Politik erblidte, ein Freund des preußiſchen Bündnifies; mit ihm beriet ſich Joſephh ohne Willen des Kanzlers noch im Februar 1787 über die Ausführung des Planes, wobei nur der Staatsreferendar Spielmann ins Vertrauen gezogen war; ja, noch im September 1787 ift von dem Syſtemwechſel die Rede. „Was die allgemeinen Gefichtspunfte anlangt,” jchreibt Joſeph an Gobenzl, „jo bin ih ganz Ihrer Meinung, daß es zwedmäßig wäre, dur freundichaftliche Verftändigung mit dem König von Preußen zu einer Arron: dierung zu gelangen und ſich von Franfreih fo viel als möglih unabhängig zu maden, aber mir jcheinen die Mittel, um dies zu erreichen, zu gewagt und wegen ber möglichen Folgen zu gefährlid. Leben Sie wohl, id) werde niemand ein Wort davon jagen.” !) Erft 1792 wurden bieje Fäden von Franz II. im Verein mit Cobenzl und Spielmann wieder aufgegriffen.

Um feinen „theuren Heros” von ſolchen Grillen abzuziehen, beitand nunmehr Kaunig, der früher abgeraten hatte, auf der Reife des Kaijers nad dem Cherjonnes.?) Da der Kaijer verftanden habe, die ftolze Zarin in eine er- gebene Freundin umzumandeln, werde es ihm auch jet ein Leichtes fein, die hohe Frau jeinen Wünſchen günftig zu jtimmen. „Wenn ich fünfundzwanzig Jahre jünger wäre, würde ich mir die Erlaubnis erbitten, Sie begleiten zu dürfen, ebenjo um das jühe Glüd zu genießen, längere Zeit in Ihrer Umgebung zu verweilen, wie um beobachten zu fönnen, welche Feinheit und Liebenswürdigkeit Sie gegenüber der Kaijerin entfalten werden.““) Joſeph war dem Rat und

') Brunner, Correspondances intimes de l’empereur Joseph II. avec son ami le comte de Cobenzl, 60, 66.

2) Beer, 253.

2) Ebend,, 244.

Kaiſer Joſeph II. und die orientalifhe Frage. 165

den Schmeihelworten des Fürften zugänglich; am 22. Dezember zeigte er der Zarin an, daß er fi in Cherſon einfinden werbe.

Im Februar 1737 wurde zur Abreije gerüftet. Kaunig gab feinem Herrn noch gute Lehren auf den Weg. Durch unauffälliges Eingehen auf die Lieb: babereien und Schwächen der Zarin foll fie gefügig gemacht werden, zum Aus: taufh Baierns und zur Vernichtung des Fürftenbundes, „der abicheulichiten Macdination, welde die Tüde des Berliner Hofes ausgejonnen hat,” die Hand zu bieten. Joſeph jchrieb denn aud an die Zarin wie ein Liebender, dejjen Herz von dem Gedanken erfüllt ift, daß er bald das Ziel feiner Sehnſucht er: reihen fol. „Mid drängt die Eigenliebe, diejer Trieb, der den Menſchen nie ganz verläßt, Eurer Majeftät zu entdeden, wie jehr Sie den Grafen Falfenftein (unter diefem Namen war er bei jeinem erjten Bejuche in Rußland aufgetreten) verändert finden werben. Er trägt jet eine Perüde; die Anfpannung aller Kräfte, die zur Erfüllung einer ebenjo peinlihen wie undankbaren Aufgabe notwendig war, hat ihn jo alt gemacht und hat ihm auch ein gutes Stüd feiner Heiterkeit geraubt. Nur fein Herz und jeine Hingebung an Eure Kaiferliche Majeftät find unberührt geblieben; dieſe Treue fann nimmer weder durch Zeit, noch durch irgend welche Umjtände einen Wandel erfahren!” „Ich ſehe mit Entzücden die Hoffnung auftauchen,” ermwiberte ebenjo verbindlich die Zarin, „in wenig Wochen dem Grafen von Falfenftein wieder zu begegnen; meine Freude iſt unbejchreiblich!”

Es ift bier niht am Plage, auf die Reife der Zarin in der Krim, von welder Graf Segur, der Freund Lafayettes und Waſhingtons, eine fo anziehende Schilderung geboten hat,') und auf die merkwürdige Epiſode: Joſeph II. in Cherjon, näher einzugehen. Die Briefe des Kaijers an Kaunit und Lacy geben vom Scharfblid des Neifenden nicht gerade durhaus glüdliche Proben. Er läßt fich nicht jelten durch einen ungünjtigen erſten Eindrud zu unbilligen und un: rihtigen Urteilen verleiten. In Potemkin fieht er nur „einen ganz hübſchen ungen, der fehr wenig Geift befigt und durch den Wandel feines Gejchids ganz außer Fafjung gebradt it“. Bon Katharina denkt er nicht viel befler. „Der Grundzug ihres Charakters ift eitel Vergnügungsfugt.” Freilich, jolange Joſeph bei der Zarin weilte, folgte ein originelles Felt dem andern, und dieje phan— taftiichen Reiterjpiele, buntfarbigen Regatten und blendenden Feuerwerfe wirkten fogar auf den nüchternen Sinn des Kaifers beraufchend. „Sn diefem Lande ift einfah alles möglich,” jchreibt er an Lacy, „Zeit und Geld jpielen gar feine Role!” „Welch merkwürdige Reife,” jagte er zu Graf Segur, mit dem er abends, umjchwärmt von vielen taufend reihgeihmücdten Koſaken, durd die nogaifhe Steppe luftwandelte, „wie hätte ich mir je träumen laſſen, daß id) einmal mit ber Zarin und einem franzöfiichen Gefandten eine Luftfahrt durch die Steppe der Tartaren machen würde; das ift ein ganz neues Blatt in der Geſchichte!“ „Auch mir erfheint es,” erwiderte Segur, „wie eine Scene aus ‚zaufend und eine Nacht‘, ich heiße Giafar und gehe mit dem nad feiner Ge: wohnheit verfleideten Chalifen Harun-al-Raſchid fpazieren!” Auf die Dauer

') Memoires ou souvenirs et anecdotes, par le comte Segur, II, 1.

166 Erftes Bud. Fünfter Abichnitt.

freilich ließ fich Jofeph durch die gleißenden, auf Täufhung der Kaiferin be: rechneten Truggebilde, die „Dörfer Potemkins“, nicht täufchen. Der ärmliche Flecken Cherion war auf Potemkins Wink in einer Spanne Zeit zur blühenden Handelsitadt umgewandelt worden; da anferten zweihundert Handelsſchiffe im Hafen, zwei große Kriegsichiffe waren bereit, vom Stapel zu laufen; ungeheure Kajernen, prächtige Kirhenbauten gingen der Vollendung entgegen; ein mäch— tiges Thor gegen Süden trug die bedeutungsvolle Inſchrift: „Weg nad Kon: ftantinopel”. Katharina war entzüdt und vollbefriedigt; dem Kaifer aber ent: ging es nicht, daß die auf den ſchlecht gebauten Wällen aufgeitellten Kanonen ohne Gefahr für den Beltand der Werfe gar nicht abgefeuert werben konnten, daß die aufgefchichteten Kanonenkugeln nicht in die Nohre paßten, daß die aus grünem Holze gebauten Kriegsichiffe in kurzer Zeit verfaulen müßten, daß bei niebrigerem Waſſerſtand die Schiffe den Dnjepr berauf nicht bis Cherjon gelangen konnten u. 5. f. Ron Politik war zwijchen der Zarin und ihrem Gafte nur felten die Rede; der Kaifer erfannte aber, daß Katharina vor Be: gierde brannte, mit den Türken anzubinden und im Süden neuen Zuwachs zu gewinnen. Er ſuchte, wie Fürſt Kaunig beim Abſchied anempfohlen hatte, diefe Kriegsluft zu zügeln; der gefährlichere Feind ſei Preußen, deshalb jei es geboten, zunächit gegen dieſen mit vereinten Kräften aufzutreten. „Deftruf: tion des preußiichen Staates” hatte Kaunig dem Eaiferlihen Gefandten in Petersburg, Grafen Ludwig Cobenzl, geradezu als das gemeinjame Ziel ber ruſſiſchen und öfterreihifchen Politif bezeichnet.) Um gegen Preußen gefichert zu fein, jei kluge Aufrehthaltung der Freundſchaft mit Frankreich notwendig. Auch die polnische Frage müſſe bei der nächſten Erledigung des Thrones von den beiden Oſtmächten allein geregelt werben.

Eine Zeitlang ſchien auch die Zarin zur Auffaffung des Kanzlers befehrt zu fein. Der Kriegsdurſt ber hohen Frau, berichtete Ludwig Kobenzl am 9. Auguft 1787 an den inzwiſchen nah Wien zurüdgetehrten Yofeph, habe ſich erfichtlich vermindert, jeit der Raifer in jeinen Geſprächen über den Orient nur jo geringen Eifer an den Tag gelegt habe; in diefem und im nächſten Jahre fünne der Frieden wohl als verbürgt gelten.

Doch die Zuverficht des Diplomaten trog. In Stambul war die mohamme: danifche Bevölkerung durch die beftändigen Drohungen Rußlands und die friege- riijhen Demonftrationen in der Krim in heftige Aufregung verjegt worden; aud) der engliihe Gejandte jchürte die Bewegung; Abdul Hamid lief Gefahr, durch einen Aufftand entthront zu werden, wenn er noch länger zauderte, die Heraus: forderung der Zarin anzunehmen. So wurde der Krieg vom Diwan bejchlofjen und dadurch unvermeidlich gemadt, daß der Großvezier den ruffischen Gejandten Bulgakow ins Gefängnis der fieben Türme fteden ließ.

Die Kunde von diefer Wendung berührte in Wien peinlid. „Der Krieg, den die verfluchten Türken eben an Rußland erflärt haben,” ſchrieb Joſeph am 30. Auguft 1787 an Bruder Leopold, „und die Gefangennahme des Minijters Bulgalow, trog aller Drohungen und Bitten meines Internuntius und bes

’) Beer, Die orientalifche Politik Defterreihs feit 1774, 84.

Kaifer Joſeph 11. und die orientalifche Frage. 167

franzöfiichen Gejandten, nötigen mich, ohne Widerrede den casus foederis an: zuerfennen, denn Rußland ift der angegriffene Teil. Kaum habe ich ein wenig geflidt, was man während meiner Abweſenheit in den Niederlanden verborben hatte, fommt glei eine neue Verlegenheit, ein Krieg in dieſen verfluchten Ländern, mit einem Geleit von allen möglichen Krankheiten, Peſt und Hunger und überdies mit wenig Ausfiht auf Gewinn.” !) Ohne Zögern ftellte er jedoch der Barin feinen Degen zur Verfügung. „Die Türken müſſen in der That den Verſtand verloren haben,” jchrieb er an Katharina, „Tonft würden fie vor jolhem Wagnis ſich gehütet haben. Ich kann mir denken, welche Entrüftung Eure Majeftät erfüllt und teile diefe Empfindung. Warum find wir nicht in diefem Augenblid in Sebaftopol? Da fünnte man fi doch bei gutem Wind aufmaden, um dem Großheren und feinen unverfhämten Näten mit Kanonen ihüffen guten Morgen zu wünſchen! Getreu dem Gelöbnis, das mich als Ber: bündeten an Eure Majeftät knüpft, und noch bereitwilliger aus inniger Anhäng: lichfeit und Freundſchaft, werde ich mit allen mir zu Gebote ftehenden Kräften beweijen, daß ih Ihre Sade auch für die meine anjehe!”*) Die Antwort der Zarin floß über von Freude und Dankbarkeit; dagegen war aus den Zeilen Leopolds unſchwer herauszulejen, daß er einem Kriege, der jo große Gefahren mit fih bringe und fo jchwere Opfer heiſche, beflommenen Herzens entgegen: ſehe. „Ich bin überzeugt,“ bemerkt er in feiner vorjidhtigen Weile, „daß Sie ber wirklichen Vorteile, die ein folder Krieg der Monardie bringen kann, voll: fommen ficher fein werden.” Leopold jpricht es nicht deutlich aus, aber feine Worte laſſen nicht daran zweifeln: er wünſcht, dab Joſeph dem gefahrvollen Unternehmen fern bleibe, und er glaubt, daß fich die Verwidelung meiden laffe. *)

Warum war Kofeph nicht zu diefer Anichauung zu befehren? Ranke er: hebt deshalb jchwere Anklage. „Es ift wohl als der verhängnisvollite Schritt zu betrachten, daß Joſeph inmitten diefer Schwierigfeiten (in Belgien, Ungarn :c.) fih dennoch entſchloß, an dem ruffiich-türkifchen Krieg teilzunehmen.“ Beer weilt den Vorwurf leichtfertigen Kriegseifers zurüd; der Kaifer habe nicht anders handeln fönnen, da er durch feinen Vertrag verpflichtet gewejen fei, Rußland zu unterftügen. Diejer Auffaffung juchte Joſeph jelbit am franzöfiichen Hofe Eingang zu Ichaffen. „Die Türken,” jchreibt er an Marie Antoinette (5. November 1787), „haben Rußland förmlich angegriffen; ih kann mid), ohne meine Der: bindlichkeiten zu verlegen, ohne wortbrüdhig zu werden, der Pflicht nicht ent: ziehen, gegen den Türfen zu rechter Zeit und an rechtem Ort vorzugehen.” *) Gewiß, das war die Pflicht des Kaijers, aber über die Zahl der zu ftellenden Hülfstruppen war feine Beftimmung in den Vertrag aufgenommen; es wäre aljo nicht nötig geweien, mit Aufbietung fo gewaltiger Streitkräfte in den Krieg einzutreten. Auch beweijen die zwiichen Joſeph und Kaunitz gewechjelten Briefe, in denen jchon über das Fell des noch nicht erlegten Bären geftritten wird,

J Arneth, Joſeph II. und Leopold, II, 115.

?) Arneth, Joſeph II. und Katharina, 299.

°) Alph. Huber, Die Politik Kaifer Joſephs II., beurteilt von feinem Bruder Leopold, 23. *) Arneth, Marie Antoinette :c., 110.

168 Erjtes Buch. Fünfter Abſchnitt.

Sofeph wollte Serbien, Kaunig die Moldau und die Waladhei als Siegespreis verlangen zur Genüge, daß unter den Gründen, die zur Teilnahme am Krieg mit der Pforte bewogen, die Hoffnung auf Gewinn gemwichtig in die Wagjchale fiel. Gewiß wurden aber auch höhere Gefichtspunfte vom Kaifer ins Auge gefaßt: er hoffte durh Kampf und Sieg das Anjehen feines Regiments zu fteigern und dadurch auch feiner inneren Politif Achtung und Geltung zu erringen,

Joſeph überſchätzte die ruffiihe Macht. Segur erzählt, er habe aus feinen Unterhaltungen in Cherſon die Ueberzeugung gewonnen, daß Joſeph, wenn er auch die Tajchenjpielerfünjte Potemkins durchſchaute, für die Schwäche des ruſſiſchen Koloſſes gar fein Auge hatte; er jprad von den Streitfräften und dem Reichtum Rußlands nur mit ungemejjener Bewunderung; es imponierte ihm, daß Katharina durd feine Stände und Privilegien gehindert war, ihrem eigenen Willen zu folgen. An Reichtum, jagte er, kann ſich niemand mit ber Zarin mefjen, fie fann Unſummen verfchwenden und braucht doch nichts ſchuldig zu bleiben, „denn ihr Papier ift juft jo viel wert, als ihr beliebt, und wenn fie will, kann fie aus Leder Geld maden!” Er wies darauf hin, wie der rujfische Soldat, gleichviel, ob er Sold empfängt, ob er in einem Bett jchlafen kann, ob ihm zur Stillung des Hungers Brot gereiht wird, ohne Murren vollzieht, was ihm befohlen wird, ja, ohne Klage ſich für ſeine Kaiferin totichlagen läßt. Mit folden Hülfsmitteln, ſolchen Unterthanen, fjolden Truppen muß man fiegen! Der Gedanfe aber, daß Rußland nicht feine ganze Kraft im Kriege einjegen, daß Nufßland nit mit Aufbietung aller Kraft feinen Bundes- genojien unterftügen könnte, fcheint in ihm gar nicht aufgetaucht zu fein.

Noch im Herbft 1787 wurden Truppen in Ungarn zufammengezogen. Den Oberbefehl wollte der Kaifer jelbit führen, Feldmarſchall Graf Lacy ſollte ihm, wie vor zehn Jahren, zur Seite ftehen. Obwohl im bairiſchen Erbfolgekrieg nichts weniger als glänzende Erfolge erftritten worden waren, genoß Lacy das volle Vertrauen des Kailers. Das Wiederfehen mit ihm, hatte Joſeph von Cherjon aus gejchrieben, werde wohl die einzige Freude fein, die ihn in Wien erwarte. Lacy hatte die Gunst des Kaiſers hauptjählich dadurch gewonnen, daß er rüchaltlos den reformatoriſchen Ideen Joſephs huldigte und den auf Ver: größerung Defterreich& zielenden Plänen zuftimmte. In militäriſchen Kreifen dagegen erregte es Unmut, daß Lacy dem älteren Zaudon, auf deſſen Feldherrn- gaben der failerlihe Soldat mit Recht feiteres Vertrauen ſetzte, vorgezogen wurde; galt doch der Sieger von Kunersdorf ſeit König Friedrichs Tod nicht bloß in den Augen der Defterreiher als der erite lebende Feldherr, während dem nad) Art ſeines Lehrmeifters Daun bedächtigeren Lach, dem „Zauberer von Torgau“, fein rechtes Vertrauen entgegengebradt wurde.

Die Ruſſen eröffneten den Krieg mit wenig Glüd. Zwar erfoht Suma: row, der Gouverneur der Krim, bei Abwehr eines Angriffes auf die Feitung Kinburn, einen glänzenden Sieg (12. Dftober 1787), aber an Vorbringen und Angriff Fonnte, da es den ruffiichen Truppen am Nötigften mangelte, nicht gedaht werden. „Bon Rußland höre ih nur Worte,” Elagte Joſeph feinem Bruder (6. Dezember 1787), „ſehe aber feine Thaten; bis jetzt haben fie troß

Der Türfenfrieg von 1788. 169

ihrer Großſprecherei jo gut wie nichts getban und werben auch weder im Winter, noch im ‚Frühjahr etwas thun. Solange dieſer Potemkin an der Epite fteht, ift nichts zu hoffen; wenn man nur zur Intrigue Talent und nicht einmal per: ſönlichen Mut befigt, fann man im Kriege nichts Großes vollbringen.” })

Doch auch die erfte Maffenthat der Defterreiher, ein Handſtreich gegen Belgrad, mißlang.“) Defterreih hatte noch nie jo ftarfe Heeresmaflen gegen die Türkei ins Feld geftellt; 245000 Mann Fußvolk, 37000 Reiter und 900 Geſchütze jollten in Thätigfeit treten.?) Allein die Streitkräfte waren in zu viele Abteilungen verzettelt, und als es zum Schlagen fommen jollte, war von planmäßigem Zufammenwirfen der Rufen und der Deiterreicher nicht bie Nede. Zwar wurde die Feſtung Sabac von der öjterreihiihen Hauptarmee zur Uebergabe gezwungen (24. April 1788), dann blieb aber Joſeph, ftatt mit den ermutigten Truppen einen neuen Sturm auf Belgrad zu wagen, mehrere Monate unthätig bei Semlin zwifhen Donau und Save ftehen. Lacy wollte einen Angriff ber Türfen abwarten und inzwijchen Verftärkung an fich ziehen, aber der Aufenthalt in der fumpfigen Landſchaft erzeugte Mechjelfieber und Ruhr, bald lagen 20000 Mann in den Spitälern, der Soldat wurde mutlos, die Disziplin loderte fih. Nun glaubte Joſeph mit den „wie verborrte Afiaten im Lager umber: wandelnden” Truppen nichts Ernftes unternehmen zu dürfen. „Ich kann Ihnen von hier nichts andres melden,” jchrieb er am 18. Juli an den in den Nieder: landen fommandierenden General d'Alton, „als daß wir täglich den Fliegen den kleinen Krieg ankündigen und jeder fih, jo gut es geht, gegen Fieber und Durchfall zu hüten ſucht; was die Türken betrifft, jo ſcheinen fie uns ver: geilen zu haben, und wir erwidern ihnen ein Gleiches!” Joſeph jelbit, obwohl ein Dann von militäriiher Haltung und Einfachheit, war fein Soldat, geſchweige denn ein Feldherr; dazu fehlte es ihm an Ruhe, Kaltblütigfeit, Ausdauer; fein choleriſches Temperament ließ ihn raſch von übermütiger Zuverficht zu trüber Entmutigung übergehen; auch trieb er die Vorficht und Zurüdhaltung zu weit; feine Kriegführung, die mit dem Leben der Soldaten geizte, entjprad wohl feiner ſchönen Menſchlichkeit, aber nicht den Vorfchriften der Kriegsfunft. Im Auguft wurde er ſelbſt frank; er konnte nicht einmal mehr jelbit jhreiben, nur ein Roftjkriptum pflegte er eigenhändig hinzuzufügen, um über feine Krankheit, die er auch dem Sekretär nad Möglichkeit verbergen wollte, Nachricht zu geben. „Was mid) augenblidlih am meiſten beunrubigt,” jchrieb er aus Jubuka am 15. Auguit 1788, „it der trodene Huften; meine Kräfte ſchwinden; ich magere erfichtlich ab, weil ih jede Nacht ohne Schlaf verbringe. Seit einiger Zeit gefellte ſich zu den andern Leiden auch noch ein leichtes Wechjelfieber. Es macht mir Mühe, mi auf dem Pferde zu halten, jelbft wenn ih nur Schritt reite. Trogdem

') Arneth, Joſeph II. und Leopold II., II, 146.

*) Joſeph felbit erblidt im Scheitern dieſes Anfchlags den Urſprung aller folgenden Kriegsfälle (Note de 8. M. l’Emp. Joseph sur la campagne de l'année 1788; Arneth, II, 326).

*, Wiener, Kaiſer Zojeph II. ald Staatömann und Feldherr, Defterreihs Politik und Kriege in den Jahren 1763—1790, in den Mitteil. des k. k. Kriegsardivs, Jahrg. 1885, 1065. Zinteifen, Gejch. des osman. Reiches, VI, 646.

170 Erfte3 Bud. Fünfter Abſchnitt.

halte ich an meiner Aufgabe feſt und werde daran feithalten, jolange ich mich noch fortichleppen kann, denn gerade jebt ift; wie ich feit glaube, mein eigenes Eingreifen vonnöten.”!) Die Nachrichten wurden aber immer verzweifelter. Durch die Unthätigfeit der Gegner ermutigt, griffen die Türfen unter Yujuf Paſcha das Corps Wartensleben bei Mehadia an und nötigten es zum Rückzug auf Föniſch; damit waren fie Herren der Donau bis Belgrad, und nichts konnte fie mehr hindern, in das unter der Pflege deuticher Anftebler hoffnungsvoll aufgeblühte Banat einzufallen. Das mußte von Joſeph und den Seinen als unerträglider Schimpf empfunden werden. Sie waren bei einem alten Klephten, den fie für frank und ſchwach gehalten hatten, eingeitiegen, um ihm einen Teil feines Raubes abzunehmen, aber der UWeberfallene verteidigte nicht bloß das Seine, jondern verfolgte die Eindringlinge in ihren eigenen Hof, ber ganze Angriff endete in Schmah und Scham!

Um nicht jelbft im Rücken angegriffen zu werben, mußte Jofeph den Nüdzug antreten. Wie demütigend war es für ihn, dem Bruder, der das Unternehmen deutlich genug widerraten hatte, das Scheitern aller Pläne eingeftehen zu müjjen. Leopold drang in ihn, er möge heimfehren, um feinen franfen Körper zu pflegen und fich dem Neiche zu erhalten. „Wie könnte ich jet die Armee verlaffen,” erwiberte Joſeph (20. September), „jett, wo alles den Kopf verloren hat, wo wir durch das unverantmwortliche Benehmen der Generäle Rapilla, Wartensleben, Bredainville und Aspremont gezwungen find, den Rüdzug anzutreten, das Banat dem Feinde zu überlaffen, wo wir nicht einmal Siebenbürgen deden können, das ebenfalls der Verwüſtung preisgegeben fein wird! Und alles dies, ohne eine eigentlihe Schlacht verloren zu haben, ohne daß einer von jenen Herren zu ſolchem Verhalten ge: nötigt gewejen wäre! Nein! ohne Schwertitreih haben fie die vorteilhafteiten Pofitionen aufgegeben, aus den nichtigften Gründen, während wir jelbjt niemals den Feind angreifen konnten! Mehr des Schredens, des Unheils, der Schmad fönnte gar nicht auf uns geladen werben! Wenn ich einen Plan ausgearbeitet babe, wird er durch diejenigen zu nichte gemadt, die daran mitarbeiten follten! Mit einem Wort, ich kann Ihnen, teurer Freund, nur jo viel jagen, daß ich der Unglüdlichite aller Menſchen bin und moraliih und körperlich jo unſägliche Dual erdulde, wie fie überhaupt denkbar ift. Lieber will ich aber unter einem Baume den Tod erleiden, als daß ich die Dinge in dem Zuftand verlafje, in welchem ich fie bier jehe. Denn der Marſchall (Lacy) ift jelbft jo verzweifelt, daß er nicht mehr weiß, was er beginnen jol.”?) Doch dem Tiefgebeugten jollte noch mehr des Schredens und der Schmach widerfahren! Wenige Stun: den nachdem der Kaifer dem Bruder jo trübe Botſchaft gejendet hatte, fam es nächtlicderweile während des Marjches in der Nähe von Lugos infolge von falſchen Alarmſchüſſen zu einem Handgemenge zwiſchen den Abteilungen des Nach— trabs. Die Entfernteren, durch den Lärm erjchredt, glaubten an einen Ueber— fall, mit Bligesjchnelle durcheilte die Schredenspoft das ganze Heer, im Nu waren die Kolonnen in wilder Auflöfung. Die Reiter braden in die zerriffenen

') Beer, Joſeph II., Zeopold II. und Kaunik, 302. 2) Arneth, Yofeph II. und Leopold II., II, 194.

Der Türkenkrieg von 1788. 171

Glieder des Fußvolfs ein, Kugeln ſchwirrten durch die Luft, denn aus Wut oder Angft begannen viele zu feuern, während die meilten ihre Waffen und alles Gepäd fortwarfen und in ftürmiicher Flucht ihr Heil ſuchten. Kein Machtwort eines Führers vermochte die Maſſen zum Stehen zu bringen, der Kaiſer jelbft wurbe bis Karanfebes mitgeriffen. Zum Glüde für die Defterreiher ſchickten ſich die Türfen erit nad) Tagesanbruch zur Verfolgung an; inzwischen hatten fich die Kaifer: lihen wieder einigermaßen gejammelt, und es gelang, die Türfen abzumehren. Immerhin fielen zahlreihe Kanonen, Troßmwagen, Zelte und das faiferliche Gepäd in die Hände der Türken. „Wer hätte es für möglich gehalten,” ſchrieb Joſeph an den Bruder, „daß jogar Offiziere und die Fuhrleute der Armee völlig den Kopf verloren, ſechs Stunden bis Lugos flohen und hier noch jchrieen, alles ſei ver: loren, alles möge ſich durch fchnellite Flucht retten! ... Ich weiß nit, wie ih meinen Zeiden und der allgemeinen Entmutigung noch Widerftand zu leiften vermag; ih finde feinen Schlaf mehr, nicht eine halbe Stunde dauert mein Schlummer, den Reit der Nacht verbringe ich in jchmerzlihen Betrachtungen!“ „Wie jchmerzlich bedauere ich,” jchrieb Leopold, „dab die Rufen jo unthätig bleiben, jo daß ihnen die ganze türfifhe Armee auf dem Hals bleibt und alles, was im Banat mit großer Mühe angebaut worden ift, der Verwüſtung anheimfällt. Meder mit der Belagerung von Oczakow, nod von Chocym geht es vorwärts, und die Flotte des Kapudan-Paſcha ift in voller Stärke ins Schwarze Meer zurück— gekehrt. Es jcheint, daß Rußland durch den Krieg mit Schweden, wie ſchwach er auch geführt wird, merkwürdig in Verlegenheit geraten ift und lieber ſich mit ben Polen befchäftigt, ala daß es gegen die Türfen etwas Tüchtiges unter: nähme” ... „Ih kann nahempfinden, was Sie leiden,” erwiderte er auf bie Botichaft von der Schredensnaht von Lugos, „wenn Sie fehen, wie die Türken Ihre Provinzen verheeren, aber ich hoffe, daß der Feind durch die vorgerüdte Jahreszeit bald gezwungen fein wird, zurüdzugehen und Ihre Staaten zu ver: lajjen, und daß man dann während des Winters unterhandeln und Frieden ſchließen kann; Sie haben ihn ja unbedingt nötig, da Sie ſo ſchlecht unterftüßt werden von einer Bundesgenojlin, die Ahnen alles verdankt, für die Sie ſich großmütig aufopfern, die aber jelbft nichts thun will.” „Hätte man glauben follen,” jchrieb der im Lager Potemkins weilende Gejandte Joſephs, Prinz von Ligne, „daß diejes verfallene Dsmanenland den ruſſiſchen Staat in die traurigite Lage zu verjegen vermöcte? Der Plan der Türfen war wohl beredjnet, denn wenn ber König von Schweden drei Wochen früher angegriffen und wenn es dem Kapudan-Paſcha geglüdt wäre, mit dem Wald von Maften, die den Liman bededten, die armen Fiſcherkähne und die Küftenfahrzeuge, welche die ganze Flotte unjrer romanhaften Fahrt auf dem Borifthenes ausmadhten, zu ver: nihten, jo ging König Guftav nach Petersburg und der Paſcha nah Cherjon!” ?)

Dod die Sorgen, die dem Kaifer den Schlaf raubten, beſchränkten fich nit auf den unglüdlichen Feldzug; die ganze politifche Lage hatte ſich fo ungünjtig wie möglich geftaltet, und es ſchien nur eine Frage der Zeit, daß noch gefährlichere Feinde auf den Kampfplag treten würden.

') Gräfier, Jofephinifche Euriofa, I, 286.

172 Erſtes Bud. Fünfter Abichnitt,

Das Bündnis der beiden KHaiferhöfe hatte in London, wie in Berlin Be: forgnis eingeflößt. Es war fein Geheimnis, daß Marie Antoinette bei ihrem Gatten mit leidenfchaftlihem Eifer die Uebereinitimmung der Intereſſen Frank: reichs und Defterreihs vertrat!) und auch das Minifterium Brienne an eine Erneuerung der Allianz von 1756 unter Beiziehung von Rußland dachte. Man wußte in Berlin und London, daß fih auch Stanislaus von Polen, der abgedanfte Geliebte der Kaiferin Katharina, aufs neue an feine Gönnerin angejchlofien und zum Krieg mit der Pforte polnische Hülfe in Ausſicht geitellt habe. Es ſchien aljo auch eine engere Verbindung derjenigen Staaten, die eine Verteilung der Balfanhalbinjel unter die beiden Oſtmächte nicht dulden wollten, geboten zu fein, und dieje Idee hatte einen ebenſo rührigen, wie geihidten Anwalt an Sir James Harris, dem engliſchen Gejandten im Haag. Bei einem Beſuche, den Friedrih Wilhelm II. feiner Schweiter, der Erbitatthalterin Wilhelmine, im Frühjahr 1788 in Loo abftattete, wußte Harris den König perjönlich zu gewinnen; Prinzeffin Wilhelmine wirkte eifrig mit. Schon in der nächſten Nacht, während fi das Gefolge der höchſten Herrichaften auf einem Ball ver: gnügte, wurde zwiſchen Friedrih Wilhelm und Harris ein Bundesvertrag ab: geihlofien und Tags darauf (13. Juni 1788) in proviforiiher Weiſe unter: zeichnet. Demgemäß verpflichteten ji die beiden Mächte zur Aufrehthaltung der Unabhängigteit der Niederlande und der von ihnen garantierten Verfafjung; für den Fall eines Angriffs wurden gegenjeitige Hülfeleiftung und Gemährleiftung des Belisftandes zugeiagt. ?)

Das neue Bündnis ſtieß in Berlin auf lebhaften Widerftand des Prinzen Heinrih und der ganzen franzöfiich gelinnten Partei. General Möllendorf wies darauf bin, daß Preußen dadurch unter Umständen genötigt werden könnte, feine Landeskinder zum Schub engliſcher Kolonien in Amerifa oder Afien zu opfern. Auch Hertzberg war gefränft, weil der Looer Vertrag ohne jein Wiſſen abgeichlojien worden war; da Preußen damit viel zu weitreichende Verpflichtungen ein: gegangen habe, arbeitete er einen neuen Entwurf aus, worin die Anforderungen herabgemindert waren. Allein das engliiche Kabinett beitand darauf, daß die beiden Mächte gleihmäßig die Verteidigung ihres Belites übernehmen müßten; um nicht ijoliert zu bleiben, mußte Preußen nachgeben, und am 13. Auguſt wurde der definitive Vertrag zu Berlin unterzeichnet. *) Der Defenfivcharafter it darin jtark betont; nur im Fall eines feindlichen Angriffs follte jede Macht der andern mit 16000 Mann zu Fuß und 4000 Mann zu Pferd zu Hülfe fommen, doch follten die preußiſchen Hülfstruppen nur in Europa verwendet werden dürfen. Andere Gefichtszüge gewinnt aber die Einigung vom 13. Auguft, wenn die erit von Nanfe befannt gemachten geheimen Artikel berüdfichtigt wer: den.) Darin ift nicht bloß eine Erhöhung der ftipulierten Hülfstruppen auf 64000 Mann, jondern aud die Aufnahme von Holland und Schweden in das

') Arneth, Marie Antoinette, Joſeph II. und Leopold II., 113. ?) Ranle, Die deutfhen Mächte und der Nürftenbund, II, 63. 2) Hertzberg, Recueil, II, 449, 452.

) Ranke, II, 358.

Die Tripelallianz und bie Kaiferhöfe. 173

Bündnis in Ausſicht genommen; im gegenwärtigen Krieg der Kaiſerhöfe mit der Pforte jollen die Verbündeten in allen Punkten, welche fih auf ihre Ver: bindung oder auf das allgemeine europäifhe Syftem beziehen, vertrauliches Einverftändnis pflegen.

Der Bundesvertrag mit Holland war ſchon am 15. April abgeichlojien worden.‘) Ein vierter geheimer Genofje war der Großfürft:Thronfolger von Ausland. Friedrich Wilhelm hatte ihm durch den Grafen Goer& mitteilen laſſen, daß er infolge der Halsftarrigfeit Katharinas, die von preußiicher Vermittelung im Orient nichts wiſſen wollte, Anſchluß an England juhen müjle. Darauf erwiderte der Großfürft: „Alles, was ich vorläufig jagen fann, ift, daß meine Anhäng— lichkeit an das Syſtem, welches mich mit dem König von Preußen verbindet, unwandelbar ift, und daß ich von ganzem Herzen feinen Anfichten beiftimme.” ?)

Eine Ausdehnung des Bündniſſes auf die Türkei war nicht ins Auge ge: faßt; auch war der in Wien und Petersburg gehegte Verdacht, die Pforte ſei von Preußen und England zu ihrem Widerftand aufgereizt worden, nicht be= gründet.?) Es lag aber in der Natur ber Sade, daß die Mächte, die fich mittelbar zur Erhaltung des Beliges der Türkei verpflichtet hatten, mit dem Diwan in enger Fühlung blieben.

Noch ehe an Schweden die Einladung zum Anjchluß an das Lover Bündnis erging, hatte Guftav III. ſchon gegen die Kaijerhöfe Stellung ergriffen. Da ihm die allgemeine Lage günftig ſchien, um die an Rußland verlorenen Pro: vinzen wieberzugewinnen, ließ er es nicht lange bei biplomatifcher Fehde bewen- den; jhon im Juni 1788 erklärte er an Rußland den Krieg. Bon welder Siegeszuverfidht er bejeelt war, erhellt aus der prunfenden Erklärung im Staats: rat, er werde von allen Denkmälern ruffiihen Hochmuts nur die Statue Peters des Großen fhonen, um den Namen Guftav auf das Fußgeftell eingraben zu lafjen. *)

Hergberg dagegen wollte nicht den Krieg. Er hoffte, durch Unterhandlungen zu erreichen, daß feinem Staat das Schiedsrichteramt in den europäifchen Händeln, wo möglih auch ein annehmbarer Gewinn an Land und Leuten zufiele. Er holte einen Plan hervor, den er jchon bem verftorbenen König vorgelegt hatte und 1791 nochmals zur Grundlage der Verhandlungen in Reichenbach machen wollte; darnach jollten nach gemeinfamem Beſchluß der Mächte die Moldau und die Walachei an Defterreih fallen, Galizien an Polen zurüdgegeben, dagegen die polnifhen Gebiete von Danzig und Thorn an Preußen überlaffen werben. Zu amtliher Kundgebung des Planes in Wien jcheint es nicht gekommen zu jein, aber Kaunig erhielt über Konftantinopel davon Kenntnis.d) Natürlich reiste ihn der Vorſchlag des „ſiebengeſcheiten“ Herkberg nur zu Hohn und Spott; wie fünne man, um von andern Hinderniſſen zu fehmweigen, nur einen

) Hertzberg, Recueil, II, 444.

*) Goerk, Hiftor. und polit. Denfwürdigfeiten, II, 205.

) Häuffer, Deutſche Gefhichte vom Tode Friedrihs d. Gr. I, 234. *) Segur, M&moires, III, 405.

’) Beer, Die orientaliiche Politik, 104.

174 Erftes Bud. Fünfter Abichnitt.

Augenblid glauben, daß die Türken fih gutwillig zu Abtretungen bequemen würden! wie fönnte Defterreich die Hand bieten, daß Preußen ohne Opfer und Rififo den Hauptgewinn davontrüge?!) Fürft Neuß, der kaiſerliche Geſandte in Berlin, wurde angewiejen, feinen Zweifel auffommen zu laffen, daß Defter: reich zu einer neuen Vergrößerung Preußens auf Koften Polens niemals jeine Einwilligung geben werde.

Als der Türkenkrieg eine jo unerwartet ungünftige Wendung nahm, wurden Stimmen laut, die an Preußen und das ganze Reich die Aufforderung richteten, dem Kreuzzug gegen die Türfen beizutreten.

Möglihit lange war der Mikerfolg der Kaiferlihen verjchleiert worden. In dem berufenften Organ, der „mit E. f. allergnädigiter Freiheit” erfcheinenden Wiener Zeitung, die den Bürger der Kaijerftabt zweimal in der Woche mit politiijhen Nachrichten verjorgte, wurde zwar eine Unmafje von Detail über den Feldzug mitgeteilt, aber eine wirklich aufflärende, der Wahrheit entiprechende Daritellung nicht geboten. Die Münchner Zeitung brachte, um das Zurüd: weichen der Kaiſerlichen zu erklären, Verſe „eines der beften deutjchen Dichter“:

„Ein mweifer, grauer Waffenfreund Schlägt nidt in Eile, prüft den Feind, Weiß feinen Vorteil wahrzunehmen Und raſch Erbittern Flug zu zähmen; Sein Arm, fein Fuß fennt Ruhe nicht, Er täufchet, dringet vor und meichet, Bis er den Augenblid erreichet,

Der ihm die Siegeäfrone flicht!“ ?)

Ueber die Schlappen der Kaiferlihen drangen nur unbeftimmte Gerüchte in bie Zeitungen; in ben kaiſerlich geſinnten Organen wurde derartiges gewöhn— (ih als „böswillige Ausftreuung von Antilascyanern” zurücdgemwiejen. Als aber

') Menzel, Neue Geſchichte der Deutichen, VI, 215, auch noch Weiß, VII, Einl, 2, 621 u. a. benügen einen Brief Kaifer Joſephs, d. d. „Wien im Jänner 1788”, der die Ablehnung der von Friedrich Wilhelm II. angebotenen Vermittlung begründet. „Ich habe den Degen gezogen, und er wird nicht eher wieder in die Scheide kommen, bis ich Genugthuung, bis ich das wieder babe, was man meinem Haufe entzogen.” Wie die Türken die Marime hätten, günftige Ge: legenheiten zu Eroberungen auszunügen, fo fei aud das Haus Hohenzollern zum Gipfel feiner Größe gelangt; in fchwerer Zeit habe es der bedrängten Maria Therefia eine Provinz geraubt, und ebenjo habe es auch bei der Teilung Polens den befieren Teil für fi) genommen ıc. Der Brief ift zum erftenmal gedrudt in der Sammlung „Briefe von Joſeph dem Zweyten” (Leipzig 1821), 121. Im Vorwort erflärt die Brockhausſche Berlagshandlung, das fie die bisher noch ungebrudten Stüde von „einem im Auslande lebenden Deutſchen“ erhalten habe; darunter foll nah Wurzbach, Biogr. Leriton VI, 311, V, 375 und V, 311, der bekannte Exieſuit Grofing zu verftehen fein. Der Brief, der auch in Schufellas Sammlung (3. Aufl., 212) Aufnahme fand, ift zweifellos als Fälfhung zu betrachten; abgejehen von äußerlihen Gründen fpricht gegen bie Echtheit ſchon die Thatſache, daß Kaifer Joſeph niemals, am wenigiten aber im Januar 1783, einen nad Inhalt und Ton fo infolenten Brief an den König von Preußen gerichtet haben würde; er dachte ja damals, wie die Briefe an Cobenzl beweilen, noch immer an Aus: föhnung und Freundſchaft mit Preußen.

?) Münchner Zeitung, Jahrg. 1788, 619.

Der Türlenkrieg von 1788, 175

endblih der wahre Sadjverhalt nicht mehr verheimlicht werden fonnte und eine Trauerpoft nad) der andern aus Ungarn eintraf, wurde wenigftens in Ober: deutichland von den namhafteiten Publiziften die Sache des Kaifers ala Sache aller Deutſchen aufgefaßt: auf die eigentliche Volksſtimmung jind freilih aus der bürftigen Preſſe jener Tage feine Schlüffe zu ziehen.

„Der ift fein Deutſcher,“ ruft Schubart aus, „dem nicht das Herz über die mißlihe Lage feines Kaifers blutet!” „Welch ein Schaufpiel! eine Nation ohne Taktik, ohne Akademien, ohne Aufllärung padt einen chriftlichen Kaiſer und eine genialifche Kaiferin bei der Kehle und würgt fie zum Erftiden!” Jeder Deutihe müfje erröten, wenn er höre, was fein Kaifer im Kampf mit den Ungläubigen zu tragen und zu leiden habe! Freilich gäbe es im Neiche genug feile Politifer, denen Religion und deutjche Freiheit gleichgültig geworden jeien, die aljo mit Vergnügen den Türken wieder vor Wien erbliden würden, ohne zu bebenfen, daß diejer blutige Komet Zerftörung und Barbarei an feinem Schweife trage. Unfaßbar müfje es jedem Patrioten erfcheinen, daß Preußen, das eble Preußen, Gewehr bei Fuß die Not des Kaifers mit anjehe, immer nur mit frem: den Mächten liebäugle und feine deutſchen Pflichten mißachte. Die Schuld jchiebt Schubart wie wir willen, mit Unreht auf die Franzojenfreunde in Berlin. Der Luftjegler Blanchard habe, als er jüngft in Berlin eine Auffahrt veranftaltete, einen Zimmergejellen gefragt, woher der Wind gehe, und die Antwort erhalten: „sn Berlin weht er immer von Franfreih!” Die Langjamkeit der ruſſiſchen Operationen beweije zur Genüge die „ohnehin befannte Treulofigkeit der Aſiaten“. „Drei ruſſiſche Heere, an 100000 Mann ſtark, fluten ganz nahe bei den Türken, Schlagen fi aber nit. ‚Warum, Dedipus?‘ fragt die Sphinr. Dedipus flüftert der Sphinr die Antwort ins Ohr. ‚Hinab in den Orfus mit jo einer Politik!‘ ruft die Sphinr.“ !)

Auch Wecdhrlin tritt im Namen der Zivilifation für den Kaifer ein. In den „Hyperboräiſchen Briefen” läßt er zwei Raguſaner (Preußen) für die Türfen beten. „Mag man immer,” erläutert der eine, „in der Hoffapelle zu Warſchau für die Rufen, in Regensburg für die Defterreiher beten, dem Ragujanijchen Intereſſe entjpriht nur die Niederlage Joſephs und der Sieg des Türken.” Doc der zweite rafft fich zu andrer Anfhauung auf. „So, Freund, müfjen wir als Ragujaner denken: als Weltbürger aber und als Menſchen find wir ver: pflichtet, den deutihen Waffen Glück zu wünſchen. Es ift Zeit, daß ber Bar- barisme ein Ende nimmt. Der Menschlichkeit, der Kultur, ben Sitten, die in jo Schöner Blüte ftehen, ift daran gelegen, die Türkei in die Hände gefitteter Völker zu bringen, ein Intereſſe, das größer ift, als Gleihgewicht und Verträge!” ?)

Kühler wird aber die orientalifche Krifis in norddeutſchen Organen beurteilt; bier handelt es fih nur um

„ein Gefpräh von Krieg und Kriegsgeſchrei, Wenn hinten, weit, in der Türfei Die Völker aufeinander ſchlagen“.

1) Baterländ. Chronik, Jahrg. 1788, 670, 788. ?) Spperboräifche Briefe, Jahrg. 1788, IV, 138.

176 Erſtes Bud. Fünfter Abſchnitt.

Das Hamburger politifche Journal findet das leichtfertige Verhalten des Kaifers „ohnbegreiflih” und vertraut der Weisheit Herkbergs, daß auch diefer Handel auf eine Weiſe geichlichtet werde, welde die Ruhe Deutſchlands im Süden und Norden fichern könne.)

Eine überrafhende Wendung vollzog fih in Polen, ja, es gewann den Anſchein, als ob an einer polniihen Frage ein allgemeiner Weltkrieg ſich ent: zünden werde. König Stanislaus hatte, wie erwähnt, den Kaijerhöfen Hülfe im Türkenkrieg in Ausficht geitellt. Das neue Bündnis bedurfte aber der Be: ftätigung durch den Reichstag, und die Wahlen fielen im Herbit 1788 nidts weniger als rufjenfreundlih aus. Am 13. Oktober wurde im Reichstag ein preußijcher Proteft gegen das Bündnis mit Rußland vorgelejen; die Republik jei von feiner Seite bedroht, habe aljo ein Schutzbündnis nicht nötig; wenn fich trogdem Polen ohne jeden Anlaß in den Krieg mit der Pforte einlaſſe, müfje Preußen den Traftat von 1773, der die Integrität Polens verbürgte, als gelöft anjehen.?) Die in warmem, freundihaftlihenm Ton gehaltene Warnung madte Eindrud; es wurde zwar die Aufftelung einer Armee von 100000 Mann be: jchloffen, aber die Verwendung follte nicht dem Könige, ſondern einer eigenen Reihstagstommiffion zuftehen. Als Rußland gegen diefen Beſchluß Vorftellungen erhob, beharrte der Reichstag, beftärft durch eine zweite preußifche Note, bei jeiner Auffafjung der Lage. Ja, Walewsfi, der Woimode von Siradien, forderte in offener Verfammlung den Beitritt der Republik zur Tripelallianz; der Antrag wurde zwar vertagt, aber die freundichaftlihen Beziehungen der Mehrheit des Reichstags zu Preußen dauerten fort. Während König Stanislaus und bie Kaiferhöfe, als fie fich zu gemeinjchaftlicher Verteidigung gegen gemeinjchaftliche Feinde verpflichteten, in erfter Reihe zwar den Türken, in zweiter aber Preußen im Auge gehabt hatten, jchien ſich jegt ein Bündnis zwifchen Polen und Preußen gegen Rußland anzubahnen.

Katharina wußte freilih ein Mittel, wie der vom Weiten drohenden Ge— fahr zu begegnen jei. Defterreih habe ja, jo fchrieb fie an Joſeph, ein natür- liches nterefje daran, endlih einmal dem Uebermut Preußens zu Steuern; es brauche nur eine Armee in Böhmen aufzuftellen, jo werde die Preußenfreund: Ihaft der Polen raſch verfliegen. Doch Joſeph, mehr noch durch das Mißgeſchick jeiner Waffen als durch jeine Krankheit gebrochen, wies die Zumutung mit aller Entichiedenheit zurüd. Er bedaure zwar lebhaft, jchrieb er am 24. November an die Zarin, daß nun die von ihm von jeher vertretene Auffaffung, dab Preußen als der grimmigfte Feind der Kaiferhöfe anzufehen fei, Betätigung finde, aber in Krieg mit Preußen könne er fi nicht einlaffen. „Sie dürfen von meiner Aufrichtigfeit und Bundestreue feit überzeugt fein, fo daß Sie mir glauben können: wenn ich einmal etwas als unmöglich bezeichne, dann ift auch wirklich nichts zu maden. Es ift mir nicht möglich, zu gleicher Zeit mit Preußen und ber Pforte Krieg zu führen; ich fanın mich nicht zu gleicher Zeit gegen beide verteidigen, denn unglüdlicherweife find meine Länder, mit Ausnahme der Lombardei, auf allen

!) Polit. Journal, Jahrg. 1788, 993. 2) Ebenda, 1070.

Der Türkenkrieg von 1788. 177

Seiten von diefen ftarfen Feinden und ihren Verbündeten eingefhloffen” ). Auch Leopold pflichtete ber Auffaſſung des Bruders bei. „Ich bin ganz und gar Ihrer Anſicht, daß man fih unter feinen Umftänden durh Rußland zu einem Schritt verleiten lafjen darf, der Ihnen von allen Seiten Feinde auf den Hals zieht, Ihlieglih würden Sie geopfert werben zu Gunften eines Verbündeten, der für Sie nichts thun will und nichts thun kann, denn die Abfihten der Kaiferin, mögen fie auch bie beiten von ber Welt jein, werben weder von ihren Miniftern, noch von ihren Generälen beadhtet, davon hat der Feldzug des laufenden Jahres einen Haren und unanfedhtbaren Beweis gegeben!” Wie ungehalten Joſeph jelbft über den Bundesgenofien war, erhellt aus feinen Briefen an Kaunitz. „Bon ben Ruffen ift wirfjame Unterftügung nicht mehr zu erwarten, von ihnen fann man nur Verfprehungen und ſchöne Worte erlangen, es fehlt ihnen an Geld, an Kredit, an Energie, und ihre Zarin bejchäftigt fi nur mit den In— triguen ihrer Günfilinge!”

Der Feldzug von 1788 geftaltete fi aber noch günftiger, als es nad dem Rüdzug der Hauptarmee zu erwarten war. Im Dftober ergab ſich die Feltung Choczim, die ſchon feit Juni von einem aus Ruſſen und Defterreihern zujammengejegten Corps unter Befehl des Prinzen Joſias von Koburg belagert worden war. Ein andres faijerliches Corps in Kroatien, an deſſen Spike im Auguft der gefeierte Laudon getreten war, zwang ſchon nad wenigen Wochen das feſte Dubita zur Uebergabe und nahm am 3. Dftober Novi mit ftürmender Hand. Noch kurz vor Jahresſchluß gelangte auch die Belagerung der Feitung Oczakow zu glüdlihem Abſchluß. Potemkin, der fih nur, jolange es fih um Zujanmenwirfen mit den Oefterreihern handelte, unthätig und ſchwankend ge: zeigt hatte, war weder der läppiiche Ordensjäger, für den er vom Prinzen von Ligne, noch der verbuhlte Schwädling, für den er von Joſeph gehalten wurde; jelbft ein echter Nuffe, wußte er auch bei den ihm untergebenen Truppen die religiöfen und nationalen Jmpulje zu weden, jo daß jie vor Begierde brannten, ih mit den Ungläubigen zu mefjen, und ungeltüm den Angriff forderten. Doch erft, als er den günftigen Zeitpunkt gekommen glaubte, am Tage des Schutz— patrons des heiligen Rußland, ordnete er den Sturm an. Nach einftündigem, mörderifchem Kampfe, in dem Pardon weder gegeben, nod gefordert wurde und 10000 Türfen und 4000 Ruſſen auf dem Plage blieben, war die Stadt ge: nommen (17. Dezember 1788). Es war ein glänzender Abſchluß des Feldzugs, aber Joſeph, wie jchmeichelhafte Glückwünſche er auch an Katharina richtete, fonnte es nur als Demütigung empfinden, daß den rujfiihen Waffen erft nad dem Abzug der Defterreicher glorreiher Sieg beihieden war. Potemkin, der ver: jpottete „Serailgeneral”, z0g im Triumph in Petersburg ein; Joſeph jelbft war wie ein Flüchtling, als ein kranker, gebrochener Mann nah Wien zurüdgefehrt. Zwar die Krankheit ſchien fih allmählich zu heben, aber der Geift konnte nicht gefunden, folange er den finiteren Mächten des Zweifels, des Grolles und bes Grames verfallen war. Mit fieberhaftem Eifer oblag der Pflichttreue untertags,

') Arneth, Joſeph II. und Katharina, 321, 323. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Br, bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche, 12

178 Erfted Buch. Fünfter Abfchnitt.

während die Menge geihäftig und geſchwätzig an der Hofburg vorübereilte, der Arbeit; nachts brütete er über das Scheitern feiner alten Pläne und grübelte über neue. Die Aerzte geboten Zerftreuung und Ruhe, und die Gejchwilter drangen in den Kranken, der Mahnung Folge zu leiten. „Du fennft weder mein Amt,” ermwiberte er der Schwefter Ehriftine, „noch die Art, wie es ver: jehen jein will; ich werde mit aller moralifhen und phyſiſchen Kraft, die mir noch übrig ift, auch fernerhin thun, was der Dienft und das Wohl meines Vater: landes erheifhen, um die Folgen, die für mein Leben daraus entjpringen fönnten, babe ich mich nicht zu befümmern.”

Sechſter Abſchnitt.

Preußen und vie Rurie. Pas Wiederaufleben des Duntiafurfireifes. Das Projekt einer römiſchen Rönigs- wahl. Irrungen und Einungen innerhalb des Fürften- bundes. Preußen und die orienfalildıe Frage Per Türkenkrien von 1789. Der Abfall der öſterreichiſchen Diederlande. Per Tütfidier Streit.

BZeihen des Dualismus; aus dem Gegenſatz zwiſchen Defterreih und

Preußen find die verjchiedeniten Wendungen und Wandlungen zu er: Hären. Auch das für die Zeitgenoſſen überrafchende FFreundichaftsverhältnis Preußens, der Schutzmacht des Proteftantismus in Deutſchland, zur römiſchen Kurie ift aus jenem Gegenjat herausgewachſen. Ebenſo die Abſicht, einen engeren Anſchluß der deutſchen Erzbiihöfe an den Kaifer zu verhindern, wie der Wunſch, einem Freunde des Fürftenbundes, Karl Theodor von Dalberg, die Anwartichaft auf den Mainzer Kurftuhl zu verfchaffen, hatten das Berliner Kabinett bewogen, im Streit der deutſchen Erzbifhöfe mit Rom eine ver: mittelnde Stellung einzunehmen. Damals Hatte Dohm, der Gejchäftsträger Preußens beim weftfäliihen Kreisdireftorium, in Verbindung mit Fohannes Müller zu Gunften der frondierenden Erzbifhöfe auf die preußiiche Regierung einzumirfen geſucht; die erſte proteftantiihe Macht könne und dürfe nicht anders auftreten und werde fih dadurch in Fatholifhen, wie proteſtantiſchen Landen in Anjehen jegen.!) Doch die Rüdfiht auf das geipannte Verhältnis des Kaijers zur Kurie ließ es dem preußiſchen Kabinett angemeflener erjcheinen, mit Rom in freundliche Beziehungen zu treten und dadurch den beutichen Katholiken klar zu machen, daß gerade das hriftlich-fonjervative Preußen, obwohl unter einem proteftantifhen Oberhaupt, als natürlide Schugwehr gegen die

S: dem Frieden von Hubertusburg fteht die deutſche Geſchichte im

!) Gronau, Chrift. Wilh. v. Dohm, 1865.

180 Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt.

Neuerungen der Aufklärer und Freigeiſter zu betrachten jei. So bot ſich ber Welt das merkwürdige Schaufpiel, daß ein römischer Nuntius einem preußijchen Monarchen öffentlich huldigte und der proteftantijchen Regierung die Wahrung der katholiſchen Intereſſen empfahl.

Am 5. April 1788 richtete Pius VI. an Friedrich Wilhelm II. einen Brief, deſſen Aoreffe ſchon den überrafdhenden Umſchwung verrät. „An den aller: durdlaudtigften, großmädtigften Friedrih Wilhelm, Preußens erhabenen König“, lautet die Meberfchrift, „Euer Majeftät” die Anrede. Zum erftenmal zollte die Kurie einem Nachkommen des legten Hochmeifters des Deutſchen Ordens könig— (ide Ehren, während nod Klemens XI. dem großen Friedrich den Königstitel verweigert und den darauf erhobenen Anjprud eine „unerträglihe Anmaßung” genannt hatte. Jetzt richtete Pius an den großmütigen König von Preußen die Bitte, er möge den Abfall ber Erzbifhöfe verhüten und einem Gefandten, der alles Weitere münblih vortragen werde, freundliche Aufnahme gewähren. „Aus diefer unfrer Sendung an Did, allerdurdlaudtigfter und großmächtigſter König, fannft Du erjehen, welches Vertrauen Wir in Did jeßen und wie viel Wir Uns von Deiner Menjhlichfeit (humanitate) veriprecdhen.” ')

Der Brief jollte dem Könige, der einen Beſuch der weitlihen Provinzen plante, von Monfignore Pacca, dem Nuntius in Köln, überreicht werben. Hergberg gab bezüglich der Aufnahme beruhigende Zufiherungen, und fo traf denn Pacca am 6. Juni 1788 in der clevejchen Stadt Weſel ein. Es gereichte dem Legaten zu hoher Genugthuung, daß er wie ein Geſandter erjten Ranges mit föniglihen Ehren aufgenommen wurde; die ganze Beſatzung des Feitungs: ftäbtchens bildete Spalier, als Pacca am 9. Juni zur Wohnung des furz vor: ber eingetroffenen Königs feine Auffahrt hielt. Im Berichte über die Audienz rühmt Pacca die ftattlihe Erjcheinung des Königs, auf melde die Worte der heiligen Schrift über Saul anzuwenden feien: ab humero et sursum eminebat super omnem populum.?) rievrih Wilhelm nahm das Schreiben des heiligen Vaters mit artigen Worten entgegen. Pacca rühmte den Schub, den der hochherzige König ſowohl den Katholifen jeines Neiches, als der fatholiihen Sache im allgemeinen angebeihen laffe, und gab der Hoffnung Ausdrud, daß die preußifche Regierung der wegen der Mainzer Koadjutorie ein- gegangenen Verpflichtungen eingedenf bleiben werde. Darauf erwiderte Friedrich Wilhelm, er werde in feinem Wohlwollen verharren und nad Kräften dazu bei- tragen, dab das Mißverftändnis im fatholifchen Lager ein glüdliches Ende nehme. Bei der Tafel juchte der Nuntius nochmals das Geipräh auf den Nuntiaturftreit zu lenken; der König ließ ſich aber nicht mehr darauf ein und fprad immer nur von der Austrodnung der pontinifhen Sümpfe und den Ausgrabungen in Pompeji und Herfulanum. Aus diefer Zurüdhaltung will Pacca ſchon damals die Folgerung gezogen haben, daf es dem König nicht ernftlih um Unterftügung bes heiligen Stuhles zu thun gemwefen jei; fchon die Freundichaft mit Kurmainz

) Hertzberg, Recueil des deductions etc., II, 472. ) Memorie storiche di Bartolomeo Pacea, ora cardinale di 8. Chiesa, sul di lui soggiorno in Germania dall’ anno 1786 al 1794, 95.

Preußen und die Kurie. 181

babe aufrichtiges Zufammengehen mit Rom ausgejchloffen. „Ich hielt für ficher, daß ber König von Preußen, wenn unter Umftänden eine beftimmte Entſcheidung gefordert werben jollte, aus Gründen ber jogenannten Staatsraijon, die für die Kabinette jo ſchwer in die Wagſchale fällt, uns unbedenklih aufopfern würde, wie dies ja auch 1790 in Frankfurt bei den Beratungen über bie Faiferliche Kapitulation in gewiſſem Sinne geſchehen ift.“ Auch das Schreiben des Königs an den Papft, das dem Nuntius durch Dohm eingehändigt wurde, enthielt feine beftimmte Zufage; es war wieber nur dem Wunſche nad friebliher Beilegung des Zwiftes innerhalb der katholiſchen Kirche Ausdrud gegeben, ja, aud bie SHöflichkeitsformeln waren ziemlih fnapp zugemeflen.‘) Doch blieben freund: ſchaftliche Beziehungen aufrecht erhalten; konnten doch die fatholifhen Einwohner von Eleve dem Nuntius nicht genug rühmen, wie duldfam ſchon „il gran re Frederico* fi} verhalten habe und wie zufrieden fie mit dem gegenwärtigen Regiment feien.

Ohne Zweifel fteht es mit den MWejeler Vorgängen in innerem Zufammen: bang, daß unerwartet im Auguft 1788 ein kaiſerliches Hofdelret den Regens— burger Reichstag aufforderte, über den Nuntiaturftreit ein Gutachten abzugeben, damit endlich dieſe Frage durch ein Neichsgejeß geregelt werde. Das Eingreifen des Kaifers mußte um fo mehr überrafhen, da er fi, wie wir wiflen, während des Emjer Kongreſſes paſſiv verhalten hatte und namentlich dem Kurfürften von Mainz, der immer mit Preußen unter einer Dede ftede, abgeneigt war; ?) offenbar wollte er jet den mit Kurmainz befreundeten und ein Bündnis mit Rom anftrebenden Berliner Hof nötigen, Farbe zu befennen. In der That er: hob Kurmainz Klage, daß die preußiiche Regierung im Widerfpruh mit früheren Zuſagen nichts thue, um die Kurie von unerlaubten Eingriffen in die Rechte der Erzbiſchöfe zurüdzuhalten.?) Welche Eingriffe gemeint waren, erfährt man aus einer Flugſchrift von ungemein leidenjchaftlihem Charakter, die entweder aus Wiener Jlluminatenfreifen oder, was noch wahricheinlicher ift, aus erzbifchöf: lihem Lager ftammt und den lärmenden Titel führt: „Das unqualifizierliche Betragen des Herrn Cäſar Zoglio, Nuntius in Münden.” *) Die Schrift zählt eine Reihe von Fällen auf, in denen der Münchner Nuntius widerrechtlich in weltlihe und geiftlihe Gerichtsbarkeit eingegriffen habe; zugleich wird der an— maßliche Anſpruch des Papftes auf freie Verfügung über den Zehent aller geift- lihen Güter zurüdgemwiejen und die alte Klage über die Aufrichtung der Nuntiatur

!) Im Abdruck in Herkbergd Sammlung (Recueil, II, 475) lautet die Anrede: „Sere- nissime princeps et clarissime praesul*; in Paccas Memorie (S. 98) wird verfichert, daß ed im Driginal laute: „praesulum maxime*.

2) „Ce fou*, Joſeph an Leopold, 5. März 1787 (Arneth II, 71).

2) Reuß, Deutihe Staatskanzlei, 22. Bd., 369.

) Der ausführliche Titel lautet: „Das unqualifizierliche Betragen bed Herrn Cäſar Zoglio, Nuntius in Münden und Erzbiſchofs zu Athen, famt der vom Pius VI. (sic) an den Herren Nuntius erlaffenen Dezimationsbulle und dem zur NReichsbiftatur den 22. Auguſt ge: brachten Faiferlihen SHofbekrete, die ftändigen Nuntiaturgeridhte in Deutihland und derfelben vermöge anmaklicher Fakultäten und Jurisdiktion wagende Eingriffe in die erz- und bifchöflichen Diögefanrehte betreffend” (Frankfurt und Leipzig, 1788).

182 Erſtes Bud. Sechſter Abfchnitt.

in Münden wiederholt, über diefen Gemwaltaft des Papftes, zwiefach unerträglich in einer Zeit, da „die Lehre der unfterblihen Männer Preira und Febron bie erbichtete und erſchlichene Alleinherrichaft des Papftes von den Kathedern Deutich- lands verbrungen hat“. „Was die Alten von den Kometen glaubten, daß die Ausbünftung ihres Schmeifes die übelften Folgen für das Wohl der Menſchen verbreite, diefes fann man in Wahrheit von ber Anftellung eines Herrn Nuntius in München behaupten.”

Wieder ſuchte Dohm durchzufegen, daß die preußiiche Regierung im neu entbrannten Streit fejte Stellung nehmen und die Erzbifchöfe durch entjchlofiene Verteidigung ihrer Rechte gewinnen möge. Doc in Berlin behielt der Wunſch, weder den Papft, nod den Mainzer Kurfürften zu verlegen, die Oberhand. Hergberg jchrieb an Dohm: „Die ganze Nuntiaturfahe ift ein wahres Kreuz unfrer biefigen großen Politik und jollte uns nad meinem Sinn gar nicht be- ſchäftigen.“ ) Auch im Namen des Königs wurde an Dohm gejchrieben: „Wir find von biefer ſehr verwidelten Sache, in welcher beide Teile nad ben ver: ſchiedenen Berhältniffen recht und unrecht haben, jehr beläftigt und Wir haben fein Intereffe, noch Beruf dabei, als daß Wir aus Freundſchaft für den Kur: fürften von Mainz Uns dieſer Sade in Rom angenommen haben.” In diejem Sinne wurde auch dem Kurfürften von Mainz ermwidert, Preußen könne ſich nicht in einen jo verworrenen Streit einmifhen und werde nur, wenn die habernden Parteien jelbit es wünjchten, die Vermittlung übernehmen. Frau von Couben: hoven, die Freundin des Kurfürften Friedrich Karl, beurteilte die Stimmung des Berliner Hofes ganz richtig, als fie Dohm den Nat erteilte, er möge jein Sturmlaufen gegen Rom aufgeben: „Man hat mir gejagt, daß die Abficht Ihres Hofes in fraglider Angelegenheit barauf zielt, nicht daß etwas gethan wird, ſondern zu verhindern, daß etwas gethan wird.”

Inzwiſchen hatten die Erzbiichöfe in Regensburg gejonderte Erklärungen über die Nuntiaturfrage abgegeben (September 1788). Insbeſondere das Kölnifshe Memorandum erregte den Unmwillen Paccas, und im Auftrag des Nuntius veröffentlichte der in Brüffel lebende Erjefuit Heller eine Gegenſchrift?), deren beleidigende Sprache nad dem Urteil des proteftantifchen Kirchenhiſtorikers Plant „alles übertraf, was jemals in biefer Art erlebt und erhört worden war”.?) Der Verfaffer des kölniſchen Memorandums wird als frecher - Be: trüger, der die ſchamloſe Kunſt, Urkunden zu fälfhen, zu nie erreichter Höhe gebracht habe, gebrandmarft; den deutfchen Erzbiihöfen wird der Vorwurf ge: macht, baß fie dur ihre Neuerungen mit unverantwortlihem Leichtfinn die Kirche gefährden, „in einer Zeit, da ohnehin die ehrwürdigften Wahrheiten und die beftbefeitigten Grundfäge durch die furchtbaren Erjhütterungen wanfend ge: macht werben, welche eine falſche Philojophie, verbunden mit tyranniſcher Ge- walt, in der politiihen und der kirchlichen Welt veranlaßt.”

) Gronau, 169.

®) Reflexions sur les 73 articles du prom&moire presente ä la Diete de l’empire (Ratisbonne 1788).

) Plank, Neuefte Religionsgefhichte (1790), IT, 460.

Das Wiederaufleben des Nuntiaturftreites. 183

Die Schrift des belgifchen Jeſuiten rief heftigen Span in Regensburg hervor. Die Gejandten der Erzbiſchöfe erneuten ihre Klagen wider den Ein: pringling Zoglio, doch der Vertreter von Pfalz:Baiern nahm den Angegriffenen in Shut und erklärte, der baieriſche Hof werde, falls in Regensburg die Stimme der Wahrheit ungehört verhalle, feine Staaten von ber Diözefangewalt der Biſchöfe völlig ablöjen und durch Errichtung eigener Bistümer das Wohl feiner Unterthanen, die Gewiflensfreiheit und die Religion im Lande auf immer und allezeit ficher ſtellen.) Gereizte Erwiderungen blieben nit aus; im ganzen Reihe ericholl wieder der Kampfruf: Hie Nom, bie deutſche Freiheit! Das Straßburger Konfiftorium nannte in einem Schreiben an das Speierer Ordina— riat die Emjer Punftation eine Sammlung von wiberfinnigen, harten Grund: jägen, deren Annahme nur unjelige Verwirrung über bie Chriftenheit bringen würde; in fatholifhen Zeitungen wurde über die Mainzer Jluminaten und bie baigneurs d’Ems gejpottet, und die jofephinifhe Wiener Kirchenzeitung und andere Organe der Reformpartei vergalten mit offenen und verftedten Angriffen gegen die „Sklaven Roms“.?)

Ein Rundſchreiben des Erzbifhofs von Mainz vom 18. Juli 1789 berief eine Diözefaniynode, auf welder, wie es in den Tagen der Hatto, Willegis und Aribo gehalten worden jei, nüßlihe und notwendige Reformen für den Bereich der Erzdiözefe gemeinfam beraten werben jollten. Als wünjchenswerte, dem Geift des Jahrhunderts angemejjene Aenderungen waren in der auf dem Boden bes Emjer Programmes ftehenden Mainzer Monatsjhrift namhaft gemacht: Der: minderung der Klöfter, Aufhebung der Prozejfionen, Empfehlung des Bibellejens, Erlaubnis des Zurüdtritts von BPrieftern in den Laienftand aus wichtigen Gründen, Einführung einer deutichen Liturgie, zeitgemäße Umpgeftaltung der geiftlihen Bruderſchaften u. ſ. w. Ueber diefe und andere auf Bereinfachung und Veredelung des fatholiihen Kirhentums zielende Reformen ſollte vorerft von den Klofter: und Pfarrfonventen Vorberatung gepflogen werben. *)

Doh in Mainz tauchten bald ganz andere fragen und Sorgen auf, die den Synodenplan in ben Hintergrund ſchoben. Der Streit mit Frank— reich wegen ber Befisverhältniffe im Elſaß bradte dem Kurfürften, die neue Kaiſerwahl dem Erzfanzler eine Laſt von Geſchäften. Auch die Drohung Pfalz. Baierns, mit Zuftimmung Roms die betreffenden Landesteile vom Metro: politanverband abzulöfen, blieb nicht ohne Eindrud auf die Erzbiſchöfe. Es wäre wohl rajcher zur Ausſöhnung mit Rom gefommen, wenn nit ein Manifeit der römiſchen Kurie aufs neue Unmwillen und Bejorgnis im Lager der Emjer Verbündeten hervorgerufen hätte. Zu Anfang des Jahres 1790 wurde dem Regensburger Reihstag ein päpftliches Breve in Form eines umfangreichen Buches: „Sanctissimi domini nostri Pii VI. responsio ad metropolitanos Moguntinum, Trevirensem, Coloniensem et Salisburgensem super nuntiaturis*, vorgelegt.*)

', Mainzer Monatfchrift von geiftlihen Sachen, Jahrg. 1790, 77.

2) Seb. Brunner, Aufllärung in Defterreid, 471.

) Mainzer Monatichrift, 729.

*) Romae 1789, 336 Duartjeiten. Pacea ſpendet der päpftlichen Kundgebung begeiftertes

184 Erſtes Bud. Sechſter Abſchnitt.

Auch dieſe Staatsſchrift wurde dem „neuen Therſites in Lüttich“, dem „fana— tifchen Syeller, der auch in feinem Journal historique et litteraire ſchon von verichiebenen Jahren her alles Gift der Parteilichkeit mit einer eritaunlichen Unverfhämtheit ausgießt“), zugejchrieben; vermutlich” wurde aber das Material aus Deutichland geliefert und in Rom felbit verarbeitet.?) Nicht weniger ſchroff als in den „Reflexions* werben auch hier die deutſchen Kirchenfürften der frevel- haften Auflehnung gegen den Träger der höchſten Kirhengewalt bezichtigt, einer Felonie, die um fo ftrafbarer, da fie zu einer Zeit auftrete, bie ohnehin ben Glauben und die Kirche heillofen Gefahren ausfege. Früher fei der Ruf nad Abſchaffung der Nuntien von den deutichen Proteftanten ausgegangen; jegt werbe von Erzbifhöfen gegen rechtmäßige apoftolifhe Gewalten ſchonungslos vor: gegangen, während die Proteftanten großmütigen Schu gewährten. „Wir wiſſen, daß proteftantiihe Fürften ihre Ehre und ihren Ruhm darein jegen, zu verhüten, daß Neuerungen eindrängen, damit alles im gegenwärtigen Stande erhalten bleibe.” Hoffentlich werde auch der Kaifer, wie er in feiner Wahl: fapitulation bejhworen habe, die Nechte des römiſchen Stuhles verteidigen. Bejonders beflagenswert fei die Auflehnung des Vorftandes der Mainzer Kirche, der boch in jeiner Erklärung vom 2. Mai 1787 gelobt habe, auf die Grundjäge des Emfer Kongrefies nicht mehr zurüdzufommen und die päpſtliche Autorität zu rejpeltieren. Dieſem Gelöbnis habe fi auch der damalige Koadjutor v. Dal: berg angeichlofien, und der König von Preußen habe durch eine von Luccheſini unterzeichnete Erklärung vom 14. Mai 1787 für Erzbifhof und Koadjutor Bürg: Ihaft übernommen; da diefe Thatjahe ſchon von mainziſcher Seite in einer deutſchen Zeitjichrift befannt gegeben worden fei, braude es auch in Rom nicht mehr als Staatsgeheimnis angejehen zu werden. Was bie Nuntiaturen betreffe, fo werde die römiſche Kurie in den Hauptpunften niemals nachgeben; in Einzel: heiten werde ſich vielleicht dur unmittelbares Benehmen mit dem römifchen Stuhl eine Abänderung erreichen lafjen. Die Mainzer Synode möge nur zu: fammentreten; jobald aber bie vom Trientiner Konzil geftedte Grenze über: fchritten werde, fei ftrenge Ahndung unausbleiblic.

So hart und ſchonungslos würde die Kurie wohl faum geſprochen haben, wenn fih nicht ihre Stellung gegenüber den Erzbifhöfen wejentlih günftiger geftaltet hätte. Die Ausbreitung der Revolutionsideen z0g insbejondere für bie rheiniſchen Kurfürften jo viel Aufregung und Gefahr nah fih, daß eine Fort: führung des Streites mit Rom ſich von jelbft verbot; auch Die Zertrümmerung des Kirchentums in Frankreich warnte vor jegliher Spaltung der geiftlihen Geſellſchaft. Unter dieſen Umftänden mußte Friedrih Karl, dem der preußische Gefandte Stein allen Ernftes zutraute, daß er eine deutiche Tiara anftrebe, ben hochfahrenden Plänen entfagen. „Der große Streit unfrer Erzbiſchöfe,“ ſchrieb

Lob: „E quest’ opera una rieca miniera di sagra pellegrina erudizione sull’ importante oggetto della potestä, che ha il sommo pontifice in vigore del suo Divino primato d’inviarelin ogni tempo e in ogni facoltä legati, apoerisarij, nuncij o vicari) apostolici.* (Memoriefstoriche, 116.)

i) Plant, II, 483. Münd, 392.

2) Mainzer Monaticdrift, 821, 1021.

Das Projekt einer römiſchen Königswahl. 185

Plant 1790, „it... in den verflofienen vier Jahren jo geführt worben, daß alles beim alten blieb und ber höchſten Wahrſcheinlichkeit nach noch länger dabei bleiben wird”. *)

Unter dem Eindrud des freundichaftlihen Verhältniſſes des preußiſchen Hofes zum römiſchen Stuhl, das im Beſuche des Nuntius Pacca in Wefel Aus: drud fand, vollzog fich nicht nur, wie oben dargelegt wurde, eine Annäherung des Kaiſers an die Emfer Verbündeten, fondern das Wiener Kabinett hielt auch den Augenblid für günftig, um den Mainzer Kurfürften von Preußen abzu: ziehen und dadurch den Fürftenbund, der immerhin einmal gefährlih werben fönnte, zu jprengen.

Sm Auguft 1788 kam ber mainziſche Gejchäftsträger am Wiener Hofe, v. Helm, der mit Spielmann, dem Günftling des Fürften Kaunig, in Fühlung ftand und mit bem mainzifhen Minifterpräfidenten Albini befreundet war, an den Hof Friedrih Karla nah Aſchaffenburg.) Der Diplomat machte fein Hehl daraus, daß er im Auftrag des Kaifers ericheine, um zu fonbieren, ob der Kurfürft noch immer an dem unnatürliden Bündnis mit Preußen fefthalten wolle. Der Fürftenbund, wie er von König Friedrich geitiftet worden fei, habe in Wien feine Furt erregt, denn ein Bunb von brei aufeinander eiferfüchtigen Mächten werde weder Gutes noch Böſes ftiften. Dagegen habe der Beitritt des Mainzers wie ein Donnerſchlag gewirkt, denn bamit ſei der Beſitz der Kaifer- würde für das habsburgifhe Haus in Frage geftellt. Gerade deshalb aber gewinne die Krone außergemwöhnlihen Wert, und ber Kailer betrachte es jetzt ſchon als wichtigſte Aufgabe, feinem Bruder Leopold die Nachfolge im Reich zu fihern. Warum follte diefer Wunſch nicht zu erfüllen fein? Der Kaiſer be: zwede nichts andres als die Erhaltung des Reichs, der geiftlihen Fürftentümer, ber Domlapitel und bes Adels; von Nustaufch- oder Teilungsplänen fei nicht mehr die Rede. Der Kaijer ftehe mit allen Mächten, den britiihen Hof aus: genommen, auf beftem Fuße; der König von Preußen werde nicht müde, freund: Ihaftlihe Verficherungen zu geben, Frankreich gehe Hand in Hand mit Defter: reich. Auf die Stimmen von Trier, Köln, Böhmen und Pfalz könne das Erzhaus mit Sicherheit zählen; wenn nun aud der Erzfanzler zur Wahl des römischen Königs die Hand reihen würde, ftände der Erfüllung des Eaiferlichen Wunſches nichts mehr im Wege. Der Kurfürft könnte für dieſen Dienft jeden Lohn vom Kaifer fordern. Doch die Sache eile, denn der Kurfürft von Pfalz: baiern jei ein hochbetagter Mann, und des Nachfolgers, des Herzogs von Zwei: brüden, jei man nicht fiher. Auf ewige Zeiten würde ſich der Kurfürft das Haus Habsburg zu Dank verpflichten, wenn er fi jegt an den Kaiſer anfchlöffe. Dan habe in Wien zuverläflige Kunde, daß die drei proteftantiihen Mitglieder des Fürftenbundes ſich untereinander dahin geeinigt hätten, daß die Kaiferkrone künftig zwiſchen katholiſchen und proteftantiihen Höfen wechſeln ſollte. Daraus fönne der Kurfürft entnehmen, daß ihn die proteftantiihen Fürften nicht als

) Blant, 11, 397. *) Preuß. geh. Staatdarhiv. Acta, enthaltend bie Correfpondenz mit dem Churfürften von Naynz und dem Obriften von Stein, betreffend die römifche Königswahl 1788.

186 Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt.

gleichberechtigten Genoffen, fondern nur als Werkzeug anjähen, daß es für ben Kanzler des Neihs und den Primas der deutſchen Kirche nur im Anſchluß an den Kaifer Ehre und Vorteil gebe.

Friedrih Karl jelbit ſetzte den preußifhen Gejandten an feinem Hofe, Obriſt v. Stein, von den Wünſchen und Anerbietungen des Kaiſers in Kenntnis. Damit bewies er, daß er zur Zeit noch nicht gejonnen fei, vom Bündnis mit den nordbeutfchen Mächten abzufallen, aber die PVorftellungen Helms waren, wie Stein leiht durchſchauen fonnte, nicht ohne Eindrud geblieben. Friedrich Karl wollte zum Kaifer nicht nein jagen, aber auch die Bundesgenoſſen nicht vor den Kopf ftoßen; in feiner Verlegenheit forderte er Stein auf, ihm darüber Gemwißheit zu verfchaffen, wie ſich der preußijche Hof jelbit zur Wahl eines römiſchen Königs verhalten werde, und ob in der That geheime Abmahungen zwijchen den drei proteftantifhen Mächten beftänden. Darauf wurde nad) längeren Erörterungen zwiſchen Friebrih Wilhelm und jeinen Räten Her&berg und Finten: ftein folgendes ermwidert. Was Helm in Aſchaffenburg über Umtriebe des Lon— doner Kabinetts und über ein Zufammengehen Preußens mit dem Erzhaufe enthüllt habe, ſei eitel Erdichtung. „Es find lauter Lügen, bie diefer Menſch erfonnen bat, um fi Gehör zu verfhaffen.” Der Wiener Hof habe in Berlin noch fein Wörthen von der Wahl eines römifhen Königs verlauten laffen, werde fid auch gewiß hüten, dies zu thun, ehe er nicht ohnehin der Stimmenmehrheit verfihert wäre. „Ich ftehe in der That mit dem Kaifer auf gutem Fuße, aber von freundjchaftlihen Beziehungen ift Feine Rede, und es ift feit der bolländifhen Affäre zwifchen den zwei Höfen nicht mehr verhandelt worden. Ich bin weit entfernt, mit den beiden Kaiſerhöfen Hand in Hand zu gehen, um eine Teilung polniſchen Gebietes vorzunehmen oder auf Koften der Pforte Er: oberungen zu maden; nicht einmal geiprähsweife wurde derartiges berührt.” Etwas Wahres jei nur an der Enthüllung über das Bündnis der deutichen protejtantifchen Mächte. „Unter dem Siegel der Verfchwiegenheit und im Ber: trauen auf die Diskretion des Herrn Kurfürften will ih ihm nicht verhehlen, daß ich mit den AKurfürften von Sachſen und Hannover in Bezug auf bie künftige Königswahl im Cinverftänbnis ftehe, ohne daß wir uns jedoch bisher über einen beftimmten Kandidaten geeinigt hätten.” Jedenfalls wäre dem Kur: fürften von Mainz von allen Beihlüffen Kenntnis gegeben und nur im Ein vernehmen mit ihm gehandelt worden; von einem Beitritt des Mainzers zum Bündnis werde wohl am beiten, um unnötiges Aufjehen zu vermeiden, Umgang zu nehmen jein.

Natürlih waren diefe Eröffnungen nicht geeignet, den Argwohn des Kur: fürften zu befchwichtigen. Er verlangte nahbrüdlich, in den Bund aufgenommen zu werden; bie vier Unionsfürften jollten ſich ſodann verpflichten, an Könige: wahl und Wahlfapitulation nur nach gemeinfamen Beratungen und einftimmig gefaßten Beihlüffen ſich zu beteiligen.

Die mainziihe Forderung ftieß jedoh in Hannover und Dresden auf Widerfprud. Von hannöverſcher Seite wurde darauf hingewieſen, daß man den britten geheimen Artikel des Bundesvertrags, der die Ueberlaſſung einer neunten Kur an Heſſen-Kaſſel berühre, einem fatholifhen Kurfürften unmöglich

Irrungen und Einungen innerhalb bed Fürftenbundes, 187

befannt geben könne, und von kurſächſiſcher Seite wollte man die Gleichberech— tigung des Mainzer nicht anerkennen; es beitehe ja die Union fo wurde bier und bort hervorgehoben —, wozu bedürfe man neuer Verträge!

Auch Herkberg machte den König darauf aufmerfjam, dab mainzifche Gefandte an andern Höfen eine andre Sprade führten, als der Kurfürft felbft gegenüber dem Berliner Hofe; in Dresden 3. B. habe der mainziſche Gejandte erflärt, man fönne ja doch bei einer Kaijerwahl im Ernft nit an ein andres Haus denken, als an das habsburgiſche. Diefe Anficht dede fi aber durchaus nit mit ber Auffafjung und dem Intereſſe Preußens; man binde fi aljo zu eigenem Schaden gewifjermaßen die Hände, wenn man fich zu tief mit dem Mainzer einlafle.

Da aud Friedrih Wilhelm dem Minifter beiftimmte, wurde von Aus: behnung bes Vertrags auf alle Kurfürften des Fürftenbundes abgejehen,; nur Sonderverträge zwifhen Mainz einer- und Brandenburg und Hannover andrer: ſeits wurden (24. Dezember 1788 und 1. Januar 1789) abgeſchloſſen, „daß die zwey Stimmen wie nur Eine feyn und nicht anders als einmüthig ver: iproden und ertheilt werben follen”. Sachſen weigerte fih, ein ähnliches Ab- fommen zu treffen, jo daß der Mainzer jelbft in Berlin beantragte, die Ver: bandlungen einzuftellen und dem Dresdener Hofe zu überlafjen, „wozu in Rüde: ſicht gedachter Konvention Patriotismus und wunionsmäßige Gefinnungen ihn etwa fünftig noch beftimmen möchten“

Schon wenige Wochen fpäter gewann es den Anſchein, als ob bie Feſtig— feit der neuen Verträge auf die Probe geitellt werben. follte.

Am 14. April 1789 eröffnete Friedrih Wilhelm durh ein Billet feinen Kabinettsminiftern Finkenſtein und Herkberg, er habe zuverläffige Kunde, daß Kaifer Joſeph den laufenden Monat nicht mehr überleben werde; fie möchten aljo ein Gutachten abgeben, was bei Erledigung des Kaiferthrones von preußis ſcher Seite zu gejchehen habe.) „Wie im gegenwärtigen Augenblid die Fürſten des Reichs gefinnt find,“ fügte der König hinzu, „wäre es nicht unmöglid, dem Haufe Oeſterreich die Kaiferfrone zu entreißen, und ficherlihd würde ein folcher Wedel, wenn man nur das Reichsintereſſe berüdfichtigt, einen wejentlichen Borteil bedeuten. Allein wenn das Haus Defterreich feine natürlichen Kräfte behält, welcher Vorteil könnte dann für Preußen herauskommen? Die Kriege mit Defterreih würden das Neich nicht mehr angehen, und der deutſche Fürften: bund würde uns nicht mehr nüßen!”

Aus der von beiden Miniftern unterzeichneten Antwort erhellt, daß von preußijcher Seite vermutlich ſchon bei Stiftung des Fürftenbundes die Zuwen— dung ber Kaijerfrone an eine andre Dynaſtie ins Auge gefaßt wurde.

Es fommt alles darauf an, erflärten die Minifter, ob bei Erledigung des Raiferthrones der Herzog von Zweibrüden fhon in Beſitz des Kurfürften: tums Pfalzbaiern gelangt ſei oder nicht; wenn das eritere der Fall ift, jo muß von feiten Preußens alles daran gefegt werben, ihm zur Kaijerfrone zu ver:

') Preuß, Staatsardiv. Correspondance du Roi avec le ministöre, touchant les mesures ä prendre apr&s la mort de l'’empereur Joseph II, 1789.

188 Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt.

helfen: Herzog Karl Auguft, eventuell jein Bruder Mar Joſeph find die natürliden Kandidaten des Fürftenbundes. Dagegen wäre Karl Auguft ohne den Befiß Baierns nicht in der Lage, die ftandesmäßigen Mittel aufzubringen; auch würde Karl Theodor dem verhaßten Neffen niemals feine Stimme geben und niemals dem Erzhaufe widerftreben; es würde alfo nicht möglich fein, eine Stimmenmehrheit für den Herzog zufammenzubringen. Denn auch Kurſachſen, das ſelbſt geheime Abfichten auf die Krone habe, werde wohl kaum ben Herzog oder einen andern nidht-öfterreihiihen Bewerber auf: richtig unterftügen; eine Erhebung des Kurfürften von Sachſen aber verftoße gegen das Intereſſe Preußens. Unter den gegebenen Umftänden ſei es aljo wohl das rätlichfte, die Wahl des Brubers des regierenden Kaijers ſich gefallen zu laſſen; jedenfalls ſei es nicht angezeigt, erhebliche Anftrengungen zu maden und großen Gefahren fih auszufegen, um jene Wahl zu hintertreiben. Die Kaiferfrone gewähre ja im Grunde dem öfterreihifchen Haufe nur geringe Bor: teile, und „jolange die Habsburger im Befit ber höchſten Würbe, wird bie Furcht vor ihnen immer dem brandenburgifhen Haufe Bundesgenofien werben“.

In einem Memoire vom 15. April 1789 führt Herkberg biefe Gedanken noch weiter aus. Beſonders ein Sat ift für die Politik des Minifters kennzeichnend und liefert den Beweis, daf Karl Auguit von Weimar nicht unrecht hatte, wenn er behauptete, Herkberg habe für den deutſchen Fürftenbund fein Herz und fein Verftändnis. Der Kurfürft von Sachſen, heißt es nämlich, trachte weniger nad der Kaiferfrone, als nach der polnifchen; zu dieſer könne er aber nur mit preußilcher Hilfe gelangen, „ba ja Preußen überwiegenden Einfluß in Polen bat, der für Preußen zur Zeit aud viel mehr Be: deutung bat, als der in Deutſchland, wo die Macht der verfchiedenen Souveräne ſchon zu anfehnlich und zu geteilt ift, als daß der König von Preußen den größten Teil davon dem rivalifierenden Haufe Defterreich entgegenitellen fönnte”.!) Ergebnis aller Erwägungen ſei: Preußen läuft feine Gefahr, wenn es nach dem Tobe Joſephs II. wieder einen Kaiſer aus öſterreichiſchem Haufe zuläßt; im Gegenteil, es fol diefe Wahl, wenn fie nicht abzuwenden ift, jelbft begünftigen, denn die Eiferjuht und die Furt vor dem Kaijer werben immer die beutihen Fürften ins brandenburgiiche Lager treiben und den König von Preußen, der als natürliches Gegengewicht fich darbietet, zum Gegentaifer (anticdsar) erheben. Noch günftiger wäre es freilich, wenn die Krone dem habs- burgifhen Haufe entfremdet werben könnte. Zu diefem Zweck fol das inter: regnum möglichjt verlängert werden, „um bis zum Tode des Kurfürften von ber Pfalz Auffhub zu gewinnen, denn dadurch würde die Lage von Grund aus geändert werden“,

Zugleih wurden von Herkberg und Finkenftein Vorſchläge gemacht, wie mit Hilfe der Bundeshöfe eine Elarere unb würdigere Wahlkapitulation zu ſtande

') 2... une influence pröponderante en Pologne, laquelle devient à present plus essentielle pour la Prusse que celle de l’Allemagne, la puissance des differens sou- verains est dejä trop considerable et trop partagee, pour que le Roi de Prusse puisse en enlever la plus grande partie à la maison rivale d’Autriche.*“

Preußen und die orientaliihe Frage. 189

zu bringen wäre, „damit die faiferlihe Macht in die engiten Schranken zurüd- gewiejen werde“.

Ein Signat Frievrih Wilhelms vom 16. April 1789 billigte das Gut: achten der Minifter und ordnete an, daß jekt ſchon Geheimrat Sted, der in den Reichsangelegenheiten am beften bewandert ſei, mit Ausarbeitung eines für Preußen vorteilhaften Kapitulationsentwurfes betraut werben joll.

Doch erſt ein Jahr fpäter traf das Ereignis ein, dem dieſe Vorbereitungen galten, der Tod Joſephs II. Dagegen trat der feindlihe Gegenjag zwiſchen Preußen und Defterreih noch im legten Lebensjahre des Kaijers in ber orien: taliſchen Frage fchroff zu Tage.

Kaiſer Joſeph hegte, nachdem der Feldzug gegen bie Türken im Herbft 1788 durch die Erfolge Laubons und des Prinzen von Koburg eine etwas glüdlichere Wendung genommen hatte, den aufrihtigen Wunſch, mit der Pforte Frieden zu ſchließen. Choifeul, der franzöfiihe Botſchafter in Konftantinopel, übernahm die Vermittelung. Die VBorjhläge des Kaifers waren nicht unbillig; er verlangte bloß eine „fihere und fonvenable Grenze” für Defterreih und die Abtretung Oczakows für Rußland. Da Abdul Hamid jelbft zum Frieden geneigt war, hätten die Verhandlungen vermutlich zu einem Ausgleich geführt, wenn nit ein ebenjo einflußreicher, wie gewandter und rühriger Gegner wiberftrebt hätte, ber preußifhe Gejandte in Stambul, von Diez. „Wir haben nichts fo jehr zu fürdten,” fo hatte Hergberg diejen Gejandten inftruiert, „als einen Separatfrieden zwiſchen der Pforte und einem der Eaiferlihen Höfe; Sie müſſen aljo dies auf jede mögliche Weife verhindern.” Der Gefandte jelbft wäre fogar gern noch weiter gegangen; er wurde nicht mübe, darzulegen, daß es für das Intereſſe Preußens nichts Förderlicheres gäbe, als ein Bündnis mit der Pforte und fräftige Teilnahme am Krieg mit Defterreid. So weit wollte jedoch Herkberg nicht gehen; er wollte Preußen nicht in den Krieg verwideln, ſondern hoffte durch kluge Ausbeutung der Lage eine erwünfchte Arrondierung für Preußen zu er: langen.!) „Wenn die Defterreiher geichlagen und an die Donau zurüdgedrängt jein werben, dann wird ber König feine bewaffnete Intervention ankündigen und den friegführenden Mächten unfern Hauptplan vorlegen.” Um aber biejes Ziel zu erreihen, mußte verhindert werden, daß die Friedenspartei in Konftanti= nopel die Oberhand erlange. Diez ftellte dem Grofvezier vor, der Dreibund werde nur dann zu thätiger Hilfe gegen bie Kaiferhöfe zu gewinnen fein, wenn alle Bermittelungsvorihläge abgemwiejen würden. „ch zeigte den QTürfen bie Zähne,” jchrieb er (22. Dezember 1788) an Hergberg, „ich rüdte ihnen gewalt- jam auf den Leib und erreichte dadurch ſchließlich meine Abficht; fie haben fi nun zu tief mit uns eingelafjen, als daß fie zurüdigehen könnten, und jo haben wir fie und ihre Geſchäfte nun in der Gewalt.” Diez hatte die ganze alttürfijche Partei auf jeiner Seite; die große Mehrheit des türkijchen Volkes erblidte im Kampf mit den hiftorifchen Feinden des Islam, Defterreih und Rußland, einen Slaubenskrieg, den der Moslim, folange er noch eine Flinte und eine Patrone

’) Häuffer (der den ichriftlichen Nachlaß des Gefandten v. Diez benütt hat), Deutiche Geſchichte, I, 235.

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beſitze, unerbittlich fortzuführen habe. Auch war durch den letzten Feldzug die Hoffnung auf Sieg und Triumph des Halbmondes mächtig gehoben worden. Unter dieſen Umſtänden hatte der vermittelnde Geſandte Frankreichs einen ſchweren Stand. Am 19. März 1789 ſchrieb Joſeph an ſeinen Bruder: „Ihre guten Wünſche für Wiederherſtellung meiner Geſundheit rühren mich tief, aber ich fürchte, ſie werden ſich ebenſo wenig verwirklichen, wie diejenigen für den Frieden; weder Friede, noch Geſundheit wird zu erlangen ſein. Ich habe noch keine Antwort aus Konſtantinopel; Preußen, Schweden und England ſchüren die Flamme, während Frankreich und Spanien nur geringes Anſehen in Konſtanti— nopel genießen.) Als bald darauf (1. April 1789) Sultan Abdul Hamid ftarb und der junge, thatenluftige Selim III., ein erbitterter Gegner Oeſterreichs, den Thron beftieg, war jede friedliche Einigung ausgejchloffen. Die Bemühungen der faiferliden Diplomatie, Frankreich und Spanien zur Mitwirtung am Türken: frieg zu bewegen, blieben erfolglos; die ungünftige Finanzlage war bier wie bort der enticheidende Grund der Weigerung. ?)

Auch die Freundichaft der beiden Kaiferhöfe war infolge der im abgelaufenen Jahre gemachten Erfahrungen erkaltet. Joſeph war jegt voll Mißtrauen gegen die ruffiiche Politif und Kriegführung; er befürchtete, daß jein Bundesgenojie, wie er an den Prinzen von Koburg ſchrieb, „nur eine gute Gelegenheit ab: lauern wolle, um ohne Gefahr vorzurüden, während bis dahin uns die ganze Laſt des Feindes am Hals Hinge“!?) Er ſchickte nad Petersburg einen Operationsplan, wonach ein ruffifches Corps unter Romanzow, „no ehe das Gras wüchſe“, bis an die Donau vorrüden und die Walachei bis an die Aluta bejegen, ein anderes unter Potemkin nach der Moldau ziehen, die Dejterreicher dagegen die Heine Walachei beſetzen jollten. Dagegen überjandte Potemkin dem Kaifer einen Feldzugsplan, der an die Defterreicher weit ftärfere Anforderungen ftellte. Joſephh war über die Zumutung, dab Hohenlohe und Koburg ohne rufiiihe Hülfe den Kampf in Moldau und Waladei aufnehmen folten, in hohem Grade ungehalten. „Ich lege Ihnen hier einen Fleinen Entwurf bei,” fhrieb er an Kaunig, „ber unſrer Antwort auf den von Rußland mitgeteilten Operationsplan zu Grund gelegt werben fol. Ich habe ihn noch ziemlich höflich abgethan, trog der Abgeihmadtheit und Unverfhämtheit, die darin zu Tage treten. Die Rufjen wollen nichts thun und jogar die Moldau den Türken über: lafien, jo daß wir neuerdings alle ottomanifhen Truppen auf dem Hals hätten; erit wenn wir ganz allein den Anprall ausgehalten haben, werden fie vielleicht im Herbit den Verſuch madhen, gegen Bender oder Aderman etwas zu unter: nehmen.) „Man muß geitehen,” fchrieb er an Herzog Albrecht von Sadjen: Zeichen, „daß die Ruffen die Rolle eines Alliierten jpielen, nicht id.” °) Joſeph trug fogar Bedenken, ob unter jolden Umftänden das Bündnis mit Rußland erneuert

) Arneth, Joſeph II. und Leopold II., IL, 231.

?) Beer, Die orientalifche Politit Defterreihs, 121.

2) Wiener, Kaifer Jofeph II. als Staatsmann und Felbherr, in den Mitteilungen des f. k. Ariegsardivs, Jahre. 1885, 119.

) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 329, Anmerkung.

3, Wolf, Marie Chriftine, II, 10.

Der Türkenkrieg von 1789, 191

und in den Krieg wieder eingetreten werben jollte, doch ſelbſt Leopold, der früher vor dem Türkentrieg gewarnt hatte, ftellte jegt dem Bruder vor, man dürfe den einzigen Bundesgenofjen nicht aufgeben, wenn man auf allen Seiten von Feinden umlagert jei. „Der Krieg mit der Pforte, die Gefahr, daß Ruß— land einen Separatfrieden abſchließen und uns im Kampfe mit der Türkei, mit Preußen, vielleiht auch mit Polen allein laſſen fönnte, die Ohnmacht Frankreichs, das weder jegt noch in abjehbarer Zeit Hülfe leiſten kann, die Mißgunft des Königs von Peuben, der Mitglied jenes deutihen Bundes ift, ben ich ganz und gar nicht für bedeutungslos halte und deſſen gegen uns gerichtete Politif nur durch die perfönlihe Schwäche des Königs gelähmt wird, das Uebelwollen Eng» lands, das mit Preußen und Holland eng verbunden ift und jchon für fich allein im ftande wäre, Franfreih im Schad zu halten und in ben Niederlanden eine Spaltung hervorzurufen: alle diefe Gründe beitimmen mich, die Erneuung ber Alianz mit Rußland für wünſchenswert zu halten, und zwar möge dies fo raſch und jo verbindlich wie möglih abgemaht werden! Man muß der Kaijerin ſchmeicheln und fie dadurch unjerm Intereſſe günftig ſtimmen; befonders vor: teilhaft wäre e& auch, wenn man bie Jugend am ruffiihen Hofe gewinnen und den Großherzog von feiner perjönlichen Zuneigung zum König von Preußen abbringen könnte.) Auch Kaunig hielt daran feft, daß das Bündnis mit Rußland nüslih und notwendig fei; im Falle eines Bruches würde die Zarin von ben Beherrihern Preußens und Englands mit offenen Armen empfangen werben; ber Krieg müfje aljo wieder aufgenommen und jogar mit Aufwand aller Kräfte geführt werden, denn nur eine glüdlihe Waffenthat werde zu ehren: vollem Frieden verhelfen. „Ein coup d’eclat, wie Sie e& nennen,” ermwiberte fpöttifch der Kaiſer, „läßt fich nicht nach Belieben herbeiführen, fondern nur von Zeit und Umftänden erwarten.” Doch gab auch Joſeph feinem Kanzler recht: unter den gegebenen Berhältniffen bleibe nichts andres übrig, als die Unterhandlungen in Konftantinopel abzubrehen und aufs neue das Glüd der Waffen zu verjuchen.

Nachdem einmal diefe Entjcheidung gefallen war, hätte Joſeph am liebiten jelbft feine Truppen gegen den Feind geführt; da aber feine Krankheit fich immer gefährlicher geftaltete und feine Umgebung wiederholt das Neußerjte be: fürdtete, war an perfönlihe Teilnahme am Feldzug nicht zu denfen. Troß der Unfälle, weldhe das öfterreihiiche Hauptheer unter Lacys Führung im verflofjenen Jahre erlitten hatte, wollte Jofeph wieder diefem Heerführer die oberfte Leitung anvertrauen; als Lacy jelbit jeiner geſchwächten Geſundheit wegen ablehnte, übertrug er das Kommando über die Hauptarmee nicht, wie e& Offiziere und Soldaten jehnlid wünſchten, dem Feldmarihall Laudon, fondern dem hoch— betagten Hadid, doch behielt er fich jelbft vor, von Wien aus alle Operationen zu leiten, fo daß er als der eigentliche Oberbefehlshaber zu gelten hätte. Die Hauptarmee, die jih in Syrmien und im Banat fonzentrierte, jollte von drei weiteren Corps unter Laudon, Hohenlohe und Koburg in Kroatien, Sieben: bürgen und der Moldau unterftügt werden. Im Gegenjag zum Feldzugsplan

!) Arneth, Jofeph II. und 2eopold II., II, 247.

192 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt.

bes vorigen Jahres jollte diesmal angriffsweife vorgegangen werben, wie es Prinz Eugen in feinen Türfenfriegen immer gehalten habe, und zwar jollte der erfte Hauptangriff gegen Bosnien gerichtet, im Herbft ſodann wo möglid ein entſcheidender Schlag gegen Belgrad geführt werben.

Die Nüftungen ließen auch diesmal zu wünſchen übrig. Der Kaifer jelbft führte noch am 11. Mai Klage, daß er „wochenlang Refruten in Wien nur mit Mänteln herumſchleichen jehe, weil fie feine Röde haben”. Faſt täglich richtete Joſeph an Hadid Befehle und Belehrungen aller Art; an Sorgfalt und Wachſam— feit wenigitens ließ er es nicht fehlen. Welche politifhen Ziele er nunmehr verfolgte, erhellt aus den „Gedanken über die heurige Campagne“ (Zarenburg, 21. Juni). „Es ift fiher und unleugbar,” wird darin ausgeführt, „daß ein baldiger Friede mit der Pforte nicht allein wegen des unabmwendbaren Unheils des Krieges, jondern beſonders wegen der fritifhen Lage des politiſchen Syftems von Europa für uns äußerſt wünſchenswert ift.” Die Schwäche Frankreich, die Zmweibeutigfeit bes in Rußland allmächtigen Potemkin, ja, „was das Wichtigite ift”, der ungeahnte Aufſchwung der Autorität Preußens, das mit England, Holland, Schweden und vielen deutſchen Fürften im Bunde jtehe, in Konftantinopel den größten Einfluß befige und demnächſt wohl auch mit der Pforte in eine Allianz treten werde, „die Gewißheit, daß alles diejes bloß gegen uns gerichtet ift und auf Schwähung meines Haufes, Auflöfung meiner Allianz mit Rußland und Wieder: vereinigung Galiziens mit Polen zielt, damit Preußen zur Belohnung Thorn, Danzig und die Palatinate Pofen und Kaliſch fih aneignen könne, an allem diejem ift nicht zu zweifeln”. Um aus fo bedenklicher Lage zu entrinnen und wenigitens die Türken zum Frieden zu zwingen, jol man ihnen möglichſt raſch einen empfindlicden Streid zu verjegen tradhten; deshalb fol der größere Teil der Armee unverzüglich gegen Belgrad operieren und dabei durch eine offene Feldſchlacht die Entſcheidung herbeiführen.

Als Hadid immer wieder der Gelegenheit zu einem Treffen auswich, war der Kaifer über dieſe Aengftlichfeit jehr ungehalten, weil dadurch die Türken nur in dem Wahne beſtärkt würden, daß eine faiferlihe Armee die Krummfäbel fürdte. Allmählich überzeugte er fih, daß der ehedem jo fühne Reitergeneral durch Alter und Kränklichkeit verzagt und läffig geworben ſei; er berief Habid ab und übertrug das Kommando unter freudiger Zuftimmung der Armee an Laudon, „ven einzigen, dem es im Heere in erfter Linie gebühre”.!) Noch ehe Laubon den Oberbefehl übernahm, erjtritt das Corps Koburg am 1. Auguft im Verein mit einer Heineren ruffiihen Abteilung einen glänzenden Sieg bei Foljchani; der Lömwenanteil gebührte freilih dem Ruſſen Sumwarow, in deſſen Wejen Held und Poſſenreißer wunderlich vereinigt waren, der fi verwegen über alle taf- tiihen Bedenken hinweggeſetzt und den faijerlihen Feldherrn zur Annahme feines Schlachtplanes genötigt hatte. Gleichzeitig warf auch General Clerfayt die Türken, die das Schupaneder Thal überſchwemmt hatten, bei Mehadia

') Janko (Das Leben des k. k. Feldmarfhalls Gideon Ernft Freih. v. Laudon, 402) er: zählt, der Marichall habe in Solbatenkreifen ſolche Verehrung genoffen, daß er beim Eintreffen im Lager vor Dubiga mit dem Ruf: „ES lebe der heilige Laudon!“ empfangen wurbe!

Der Türkenfrieg von 1789. 193

zurüd. Durch diefe Erfolge, die das erfhütterte Selbftvertrauen der Faiferlichen Truppen wieder aufrichteten, wurde das Unternehmen gegen Belgrab weſentlich erleichtert. Als „Vater Laudon“ trogdem zögerte, feuerte Kaunig ihn an, ben entjeheidenden Streih zu führen; es jei ja doch nur ein Kampf mit Türken und nicht mit einer preußifhen Armee zu führen. „Alſo nur friſch voran, mein lieber Feldmarſchall, audaces fortuna juvat, im Krieg muß etwas gewagt werden, das wiſſen Sie befjer als ih!” Ebenio ungeduldig trieb und drängte der Raifer, der es ohnehin als unerträglihe Dual empfand, daß er in feinen Schlöffern den fiehen Körper pflegen und einem andern bie Führung feiner Truppen zu Kampf und Gieg überlaffen mußte. „Sie werben mir glauben,” ſchrieb er an Clerfayt, „wie ſchmerzlich e& mich berührt, daß ih an dem Unternehmen nicht teilnehmen darf, daß ich wie ein elender Invalide bier bleiben muß, aber das ift nun einmal mein Schidjal.” „Wir erwarten,” fchrieb er an Schweiter Chriftine, „daß unfre Truppen über die Save gehen und vor die Feftung Belgrad rüden werben; ich fann dir nicht beichreiben, welcher Gram, welche Unruhe mich peinigen, weil ich nicht jelbft hingehen fann.” Da Joſeph immer wieder einjchärfte, zur Nettung des von allen Seiten bedrängten Staates jei eine rajche militärifhe That unbedingt notwendig, ließ Laudon, feine Bes denken zurüddrängend, am 11. September die Truppen über die Save feken; tags darauf wurde Belgrad eingejhloffen.") „est find wir drinnen in biefem Walle des Dftens,” fchrieb der Fürft von Ligne, der vor Belgrad die faiferliche Slottille auf der Donau befehligte, an Graf Scgur, „die Thore haben wir nicht wie Aurora mit Roſen geöffnet, jondern mit Fingern von Feuer. Die Kühnbeit und Gejchidlichfeit des Uebergangs über die Save, die Raſchheit des Marjches und bes Eindringens in die Linien des Prinzen Eugen, die Kühnheit oder Ver— wegenheit der Refognoscierung bis hart an die Paliffaden, dies alles ift die Leiftung von vierzehn Tagen und wahrhaftig würdig der jchönften Thaten des Feldmarſchalls Laudon.” Noch vor der Einſchließung Belgrads erfochten Koburg und Suwarow am Rymnik (11. September) einen zweiten glänzenden Sieg. Unmittelbar darauf aber wurde Sumaromw infolge einer Intrigue des eiferfüchtigen Potemkin von der Armee abberufen, jo daß fi auch der Prinz von Koburg genötigt jah, den Rückzug gegen Fokſchani anzutreten. Schon begannen in Joſeph ängftliche Zweifel aufzufteigen, ob nicht auch dieſer Feldzug in Ohnmacht und Ermattung endigen werde, da gelang der ſehnlich erwartete „coup d’&clat*! Am 8. Oktober wurde Belgrad, nachdem die Bruftwehren durch das Feuer der faiferlihen Batterien völlig der Erde gleihgemadt worden waren, von Dsman Paſcha übergeben: auf den Zinnen der Feitung, die 1717 Prinz Eugen als glorreihiten Siegespreis erfämpft hatte, die Karl VI. 1739 dank jeiner ſchwäch— lichen Politik und der Unfähigkeit jeiner Generale hatte aufgeben müffen, flatterte wieder das Faiferliche Banner. In der Bruft des Kaifers ftritt die Freude über den Sieg feiner Truppen mit dem Unmut, daß ihm felbit der Lorbeer verjagt geblieben war. „Daß ih nicht dabei jein konnte!“ fchrieb er an Chriftine, „wie furchtbar ift es, frank zu fein!” „Mir fehlen die Worte,” jchrieb er an Laudon

!) Janko, 421. Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. bis zur Aufldfung des deutſchen Reichs. 13

194 Erftes Bud. Sechſter Abfchnitt.

(12. Dftober), „um Ihnen die Empfindung meiner Freude und Dankbarkeit aus: zubrüden; der von Ihnen dem Staat und zum Ruhme unſrer Waffen geleiftete Dienft überfteigt alle meine Wünſche und krönt Ihre ehrenvollen Kriegsthaten.“ Laudon follte nun noch ein möglichſt großes ſerbiſches Gebiet bejegen, da es ja bei dem Friedensſchluß hauptſächlich auf das uti possidetis anfäme Allein das Unternehmen gegen Orſova mußte wegen der Ungunft der Witterung auf: gegeben werben; immerhin waren bie Kaijerliden bis Zwornik vorgedrungen und hatten jo ruhmvolle Thaten vollbradt, daß Joſeph mit Befriedigung auf den Feldzug zurüdbliden Eonnte.

Doch was nügten alle Erfolge im Donauland, wenn auf wichtigerem Schau: plag, in Belgien, die Empörung fiegte und den kaiſerlichen Waffen nur ſchmach— volle Niederlage beſchieden war, mächtige Parteien in Ungarn und Siebenbürgen fih gegen ihren Landesherrn erhoben und der Dreibund ber nordiſchen Mächte, verftärft duch Schweden und Polen, drohend gegen Defterreih fih aufrichtete! Wenige Wochen nad Laudons und Koburgs glorreihden Siegen mußte Joſeph in einem Briefe an Cobenzl das furdtbare Geftändnis machen: „Noch nie hat es einen gefährlicheren Augenblid für die Monardie gegeben, nie einen unglüd: liheren, peinliheren für mich ſelbſt!“ Als der nah Wien zurüdgefehrte Laudon bein Empfang in der Hofburg den Kaifer auf fi zumwanfen ſah, brah er in Schludzen aus, jo erfchütterte ihn ber Anblid der kläglich ge: brochenen Geftalt, an der nur noch die ernft und traurig blidenden Augen lebendig ſchienen.

„Indem Saifer Joſeph die Krim durdhwanderte,” fagt Herder in den Briefen zur Beförderung der Humanität, „wohin nie ein römiſcher Kaifer ge: fommen war und nie einer zu einem ſolchen Zwed hätte fommen mögen, fingen die Niederlande an zu glühen, . . . und im unglüdlichen Türfenfriege loderten faft alle Provinzen in hellen Flammen auf!”

Wir haben gefehen, wie in den belgiſchen Provinzen der Widerftand der Stände und des Klerus gegen die Anordnungen Joſephs, die eine Neform der Verwaltung, der Rechtspflege und des Kultus bezwedten, durch das ftrenge Einfhreiten General d’Altons für den Augenblick bezwungen worden war. !) Hojeph hatte die ganze Bewegung von Anfang an unterfhägt. „Die Unruhen in den Niederlanden,” hatte er am 13. Oktober 1787 an die Zarin gefchrieben, „Sind ebenjo lächerlich zu Ende gegangen, wie fie angefangen haben“.“) Gein Bruder Leopold war auch bier vorfichtiger im Urteil gemefen. „Mag immer: bin der Aufftand beendigt jein,“ fchrieb er (17. Dezember 1787), „fo dauert doch die Gärung fort, da ja die Geiftlihen immer wieder die Gemüter jhüren, und es wird wohl lange dauern, bis man fih auf die Leute wieder

i) Die Münchner Staatsbibliothet verwahrt eine umfangreihe Sammlung (168 Bände und Kartons, 1872 bei Antiquar Cohen in Bonn gefauft; Belg. in Fol. 116; in 1441; in 224”; Cod. gall. 838—846) Abhandlungen, Flugblätter, Zeitungen, Karikaturen ıc. zur Geſchichte des belgiſchen Aufſtands. Da ich für meine gedrängte Darftellung die reichhaltige Duelle nicht erfhöpfend benüten konnte, feien Forſcher, die ſich mit dem Abfall der öfterreichi: ſchen Niederlande eingehender beichäftigen wollen, darauf aufmerffam gemadt.

2) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 302,

Der Abfall der öfterreihifhen Niederlande. 195

verlaffen kann und das gegenfeitige Vertrauen wieder bergeftellt fein wird.“ !) Die rüdjichtslofe Entjchloffenheit, die d’Alton im Straßenfampf vom 22. Januar 1788 an den Tag gelegt hatte, fand den vollen Beifall des Kaifers. „Ich bin Ihnen dafür jehr verpflichtet," jchrieb er an den General, „und id) bitte Sie, bei jeder Gelegenheit auf die nämlihe Weife fortzufahren, obwohl ich glaube, daß dieſes Erempel nicht ohne Wirkung bleiben wird.“ *) Wirklich trat nad) jener Kataftrophe auf einige Monate Ruhe ein, und vielleiht wäre ber Auf: ftand jo urteilt wenigftens der im Oktober 1787 nad Brüffel berufene Eivilgouverneur Graf Trauttmannsborff nicht mehr aufgelebt, wenn nicht der Kaiſer, der ftets von einer mechaniſchen, gleihförmigen Unterwürfigkeit aller Unterthanen allzugroßen Nugen erwartete, unerbittlih auf der Durdhführung jeiner verfafjungsmidrigen Reformen bejtanden hätte. Namentlih das General: - feminar in Löwen gab Anlaß zu neuen Mißbelligkeiten. „Alles hätte ein fried: liches Ende genommen,” verfihert Trauttmannsborff in jeiner 1792 veröffent: lichten Rechtfertigungsſchrift, „wenn nicht der Kaifer in betreff des unglüd: jeligen Generaljeminars, von dem im Augenblide alles abhing, fo bartnädig auf feinem Willen beftanden hätte.” °) In der Frage: Darf der Staat die Auf: fiht über die Erziehung der Geiftlihen beanſpruchen? trat der alte Gegenjak zwiihen Staat und Kirche jchroffer denn je hervor. Unter den gegebenen ſchwierigen Verhältniffen wäre mwenigftens zeitweilige Nachgiebigkeit am Plage gewefen, aber fie widerſprach ebenjo den Grundſätzen bes Zeitalter, wie bem Charakter des Kaiſers. Wieder weigerten fih die jungen Theologen, in eine Anftalt einzutreten, deren Beftehen jchon ein Hohn auf die ehrwürdige Kirchen: verfafjung der Niederlande jei, und Lehrern zu gehorchen, die offen die Allgemwalt des Staates und die Auflehnung gegen Rom predigten.*) Es jei dringend ge- boten, betonten fie in ihren Eingaben an Biihöfe und Stände, die belgische Kirhe vor Anftedung dur die in Deutjchland zur Herrſchaft gefommenen Jrr: lehren zu bewahren; jei doch in Ems offen ausgeiprodhen morben, daß bie Metropolitangewalt über dem Primat des Papftes ſtehe; von den beutjchen

!) Arneth, Joſeph II. und Zeopold II., II, 150,

2) Recueil de lettres originaux de l'’empereur Joseph II. au general d’Alton, com- mandant des troupes aux Pays-Bas, depuis d&cembre 1787 jusqu’en novembre 1789 (De l’imprimerie du comite patriotique à Bruxelles, 1790), 6. Der Ausſchuß ber belgifchen Patrioten veröffentlichte dieje aufgefangenen Briefe, wie im Borwort dargelegt wird, um vor ganz Europa den Beweis zu liefern, daß die Auflehnung gegen den „blutbürftigen Tyrannen”, den „Mann mit dem Tigerhergen”, nad den Satzungen göttliher und menfhlicher Gerechtigkeit geftattet und geboten war.

) Trauttmannsdorff, Fragmens pour servir ä l'histoire des &vönemens, qui se sont passes aux Pays-Bas depuis la fin de 1787 jusq'en 1789, 11.

) Aus diefen Kreifen ftammt das Pasquill:

„La pöle au cul

A ces docteurs sortis de Vienne,

La pele au cul.

Pourquoi Stoeger (Direltor des Generalfeminars) est-il venu? Pour voir donner (qu'il s’en souvienne)

A la doctrine Jansenienne

La pele au cul* etc.

196 Erftes Buch. Sechſter Abſchnitt.

Rebellen werde die Vernichtung des Tridentinum angeftrebt und als unaus— bleiblihe Folge ein ſchmachvolles Schisma. Als ein faiferliher Erlaß vom 17. Juni 1788 die „von Züge und Bosheit biktierten” Angriffe auf die Necht: gläubigkeit der Lehrer des Generaljeminars zurüdwies, gab der Primas ber belgifchen Kirche, Kardinal von Frankenberg, im Namen aller Biſchöfe zur Ant: wort, die Prüfung der Rechtgläubigkeit ftehe nicht der fürftlihen Gewalt, fon: bern den Nachfolgern des hl. Petrus und der übrigen Apoftel zu, und ver: weigerte Befehlen, deren Befolgung eine Verjündigung gegen Gott und bie Kirche wäre, den Gehorfam. Darauf wurden die bifhöflihen Seminare durch faiferlide Kommiſſäre, die von Heinen Truppenabteilungen begleitet waren, ge: ſchloſſen und die Zöglinge als Gefangene nad) Löwen abgeführt, wo fie im "Generaljeminar ihre Studien fortfegen follten. Dabei fam es in Mecheln und Antwerpen zu Aufläufen; in Antwerpen fol der Biſchof, wie d’Alton dem Kaijer verficherte, vom Fenſter feines Palaftes das Volk angefeuert haben, aud) fol von Mönden Geld unter die Menge verteilt worden fein.) Durch Waffen: gewalt wurde zwar die Ruhe wieder hergeftellt, aber der Streit zwifchen Kardinal Frankenberg, der ganz Europa zu Zeugen der Mißhandlung des belgischen Kirhentums aufrief, und Trauttmannsdorff, den der Apologet Frankenbergs „einen Mann von jhwahen, aber herrſchſüchtigem Charakter, dabei ohne Religion, ganz der Sekte der Wiener Jlluminaten ergeben und ihr blindes Werk: zeug” nennt,?) dauerte fort. Unzmweifelhaft hatte der Vorfämpfer der römijchen Kirche die große Mehrheit des belgiichen Volkes hinter fi. Am 15. Juni wurde er im Namen des Kaifers aufgefordert, binnen vierundzwanzig Stunden bezüglich des theologischen Unterrihts im Generaljeminar eine Erflärung abzu— geben; die Erwiderung lautete furz und bündig, daß „der in Löwen erteilte Unterricht nicht als orthodor zu betrachten fei”. Zugleich verfaßte der Kardinal zur Begründung feines Urteils eine ausführlichere „Erklärung über den Unter: richt des Generaljeminars zu Löwen”, die den Beweis liefern follte, daß Die beilloje Schöpfung des Wiener Jluminatismus nur Srrlehrer und Verführer der Jugend beherberge und die Aufhebung der Anftalt ebenfo im Intereſſe der Rechtgläubigkeit, wie aus jehuldiger Rüdfiht auf die Privilegien des belgischen Volkes geboten jei.?) Kaifer Joſeph fol im Unmut über den unbotmäßigen Ton des Schriftftüdes an den Rand geichrieben haben: „Der Erzbiihof muß fi beugen, oder er muß zerjchmettert werden“.') Dagegen wurde die Brand: ichrift in Belgien mit Jubel aufgenommen. Der Biograph des Kardinals findet des Frohlockens fein Ende, da er auf das „Meifterwerk evangelifher Mäßigung

!) Recueil de lettres, 44.

?, Theiner, Der Kardinal Johann Heinrih Graf von Frankenberg, 106.

) Die Dentichrift findet fi in der alle wichtigeren Attenftüde zur Geſchichte des Ber: fafjungs:, wie des Kirdpenftreites in Belgien umfaflenden Sammlung, die von 1787 bis 1789 „de l’imprimerie des nations* gedrudt wurbe (Recueil des Representations, Protestations et Röclamations faites à 8. M. J. par les Representants et Etats des Provinces des Pays- Bas Autrichiens, Supplöment, 14. tom., 3).

*) „L’archevöque doit plier ou casser* (Gerlache, Hist. du royaume des Pays- Bas, 126).

Der Abfall der öfterreichiichen Niederlande. 197

und theologifhen Scharffinns” zu ſprechen fommt. „Ganz Belgien jauchzte bei Eriheinung der Erklärung vor Freude und Bewunderung auf und begrüßte fie als das nahe Ende feiner Leiden und als die heitere und glüdlihe Morgenröte der endlichen religiöfen Befreiung. Das Werk wurde durch die Umftände ein wahres Volksbuch und erhielt in wenigen Wochen mehrere Auflagen; es wurde jelbft in alle belgiſchen Mundarten übertragen, um es ben Gläubigen aller Stände nur recht zugänglich zu machen. Der Name Franfenbergs lebte in allen Herzen; ihn ſprachen mit Ehrfurcht die Mitglieder der Stände aus, die Magiftrate, die Gelehrten, die Bürger, wie die Krieger; er hallte in lieblihen National: gefängen von den Xippen der Greife, wie der Mütter und der Säuglinge (sic) wieder; alle feierten ihn als den gottberufenen und gottbegeifterten Erretter ihres und ihrer Väter Glaubens! Selten hat ein Werk einen größeren und dauernderen Eindrud auf eine Nation ausgeübt, als Franfenbergs Erklärung auf die belgifche, fie wurde fozufagen der erite Grundftein, ja das Fußgeſtell ihrer Freiheit und Unabhängigkeit.) Frankenberg felbit erjchraf über die Wirkung des Proteftes, die fich allenthalben in Kundgebungen gegen den Landes: berrn äußerte, auf Trauttmannsdorffs Erſuchen juchte er in einem Hirtenbriefe unter Berufung auf Chrifti Wort: „Gebet dem Kaifer, was bes Kaiſers ift, und Gott, was Gottes ift!” das aufgeregte Volk zu befhwichtigen, jedoch nicht, ohne an den Raijer die erneute Mahnung zu richten, er möge die Kirche nicht länger beunrubigen und die unfeligen Mandate zurüdnehmen. In leidenſchaftlicherem Tone beſchwor eine anonym veröffentlichte Flugſchrift: „152 Abjurditäten, nad): gewiejen in Edikten, Orbonnanzen und Grundjägen der Geſetzgebung, welche unter dem Namen Joſephs II. feit feinem Regierungsantritt erjchienen find,” ben „unglüdlichen und betbörten” Fürften, er möge endli die Nänfe, womit falſche Priefter und gottlofe Schriftgelehrte feine ſchöne Seele und jein edles Herz umgarnt hätten, erfennen und zunichte machen. Als in belgifchen Städten eigene Gebete „für Erleuchtung des Zandesherrn” angeordnet wurden, that bie Brüffeler Regierung das Schlimmfte, was fie thun konnte; fie verbot alle „außergewöhnlichen” Andachtsübungen, da fie nur dazu beftimmt jeien, ver: brecheriſche Anſchläge gegen die Regierung zu verhüllen.

Der Zwielpalt zwiſchen Volt und Regierung kam zu offenem Ausdruck, als die Stände des Hennegau die Steuern vermweigerten; erit wenn die Regierung auf ben gejeglihen Weg zurüdgefehrt wäre, follten die von der Regierung ge: wünſchten Steuern wieder bewilligt werben. Nun hielt nicht bloß d’Alton, der, wie jein Kollege klagt, immer nur durch rüdfichtslofe Strafen zu wirken juchte, immer erobern und befiegen wollte und jeden Tag neue Gewaltthat plante, *) jfondern aud Trauttmannsdorff, der im allgemeinen Ueberredung und Nachficht für wirkfjamere Mittel anjah, ftrenges Auftreten für geboten. Sogar der fein: finnige Fürft von Ligne, der einem alten belgiſchen Geſchlechte entftammte und 1781 auf jeinem Schloffe Belveil den Kaijer bemirtet hatte, riet zu ernten Mapregeln. „Wenn ich heute nach Belgien käme,” fagte er zu Joſeph, „würde

') Theiner, 196. 2) Trauttmannsborff, 13.

198 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt.

ih als Patriot ein Wort, das freilich mwiderlih zu werden anfängt, als Bürger ein ebenfalls ſchon entitellter Name und wenn das nichts bälfe, als öfterreichifcher General reden und handeln, hier einen Erzbifchof, dort einen Priefter, einen diden Mönd, einen Profeffor, einen Brauer und einen Advokaten einſtecken.““) Der Kaijer jelbft war durch „die Impertinenzen, bie in Belgien zur Mobe, zum guten Ton zu gehören ſcheinen“, insbefondere durch die Steuerverweigerung im Hennegau aufs äußerfte gereizt. „Man will von der Verlegenheit, in die mich der Türfenfrieg gebracht hat, profitieren,” ſchrieb er an Trauttmannsborff (8. Januar 1789), „man glaubt mich in Geldnot und will mir deshalb demütigende und gefährliche Zugeftändniffe entreißen, aber fie haben fih in mir getäufcht, ich bin feit und unwiderruflich entſchloſſen, nicht zu wanfen und zu weichen.““) Ein Signat vom 7. Januar 1789 wies den Eivil- gouverneur an, die Stände von Flandern und Hennegau, die das Band bes Friedens zwifchen Volk und Landesherrn zerfchnitten hätten, nicht mehr zu be: rufen; die Beamten jollten nur noch dem Souverän verpflichtet, alle Kaffen und Arhive von der Regierung übernommen werden. Dieje Strenge jchredte zwar für den Augenblid die Stände von Brabant, unter denen der privilegierte Adel das Uebergewicht hatte, jo daß fie fich zur Annahme der Faijerlihen Forderungen bereit zeigten, aber die Hennegauer beharrten bei ihren Beſchlüſſen. Darauf erklärte der Kaifer alle Rechte und Privilegien diefer Provinz für aufgehoben; vom Rate von Brabant wurde durch Refkript vom 18. Juni verlangt, daß der gegenwärtige Steuerfag ein für allemal als bewilligt und das Recht der Geſetzes— promulgation al® aufgehoben gelten follten,; der dritte Stand follte eine neue Drganijation erhalten. Als der Rat jeine Zuftimmung verfagte, wurbe nod am nämlihen Tage die Aufhebung der joyeuse entree verfügt. „Ich habe mich entſchloſſen,“ ſchrieb Joſeph an d'Alton, „alle Schwierigkeiten raſch abzu— ſchneiden. Wenn es ohne Waffengewalt abgeht, um ſo beſſer; wenn nicht, muß man zum Schwert greifen mit Feſtigkeit und Energie, darf nicht mehr zaudern und zweifeln, darf nichts anfangen, ohne es zu Ende zu bringen, darf nicht ab— ftehen, ehe die Unterwerfung durchgeführt ift. Ob eine foldhe Operation mehr oder weniger Blut Eoftet, kann nicht in Betradht fommen!”°) D’Alton triumphierte: „Der 18. Juni ift ein Glüdstag für das Haus Defterreih; am 18. Juni wurde die Schlacht von Rollin geſchlagen, die dem öſterreichiſchen Staate Rettung bradte, und am nämlichen Tage wurde der Kaiſer wieder Herr der Nieber- lande.” Dem Kardinal Frankenberg wurde verboten, feinen Palaſt zu verlaffen; viele Rädelsführer der Bewegung wurden verhaftet; die Bauern von Tirlemont, die gegen bie Gefangennehmung eines populären Brauers demonftrierten, wurden mit Pulver und Blei zu Paaren getrieben. Erzherzogin Chriftine und Herzog Albreht waren mit der „Rriegserllärung an bas eigene Land” nicht einver: ftanden. Herzog Albrecht mißbilligt in feinen Memoiren mit Entſchiedenheit den „Despotismus, der durh Militärgewalt die Stimme des Volkes zum

’) Gräſſer, Joſephiniſche Euriofa, I, 270. 2) Wolf, Marie Chriftine, II, 4. 2) Recueil de lettres, 28.

Der Abfall der öfterreichifchen Niederlande. 199

Schweigen bringen wollte”. Trauttmannsdorff, der biefe Stimmung fannte, drang auf die Entfernung des Statthalterpaares, und auch der Kaifer meinte, jeine Schweiter möge lieber die jhöne Galerie in Düfjelborf, als veraltete Privilegien ftudieren und bewundern. Als dur die ftrengen Maßnahmen der Regierung die Ruhe wieder hergeftellt ſchien, jchrieb er befriedigt an die Schweiter (26. Zuli): „Endlih ift in Brabant unfre Parthie gewonnen und mit beftem Erfolg, in aller Ruhe; man wird das Phantom vergeflen, das bort jeit zwei Jahren Alle unglüdlih gemadht bat. Man jprah von der Konftitution, ohne fie zu fennen, ohne einen anderen Vorteil zu haben, als die Illuſion und das Recht, Grobheiten jagen zu dürfen.”

Doch die Hoffnung, daß der legitimen Sade ein leichter Sieg zufallen würde, erwies fich als trügerifh. Der Aufftand in den Niederlanden jog neue Nahrung aus der revolutionären Bewegung in Franfreih; die Erftürmung der Baitille in Paris, der „Sieg der Parifer über die abjolute Fürftenmadht” hob auch in Gent und Brüffel das Selbftvertrauen und den Mut ber Oppofitions: parteien; auch bier fühlte und regte fich der britte Stand, und diefe Neuerungs: ſüchtigen verbanden fi mit den Mißvergnügten der privilegierten Stände, deren Verlangen auf Erhaltung des Beftehenden gerichtet war. In Brüffel tauchten Maueranihläge auf, welche die lakoniſche Aufforderung enthielten: Icı comme à Paris. Als Führer der Patrioten, die für die Rechte des Klerus und der Stände eintraten, konnte der rührige van der Noot gelten; die Regierung hatte beabfichtigt, ihn feftzunehmen, aber er war rechtzeitig entflohen und fuchte nun im Ausland Bundesgenofjen für feine Partei zu werben. Aus dem Nachlaß des Ratspenfionarius in Holland, 2. P. van de Spiegel, find die authentiichen Schriftſtücke veröffentlicht worden, die über ven Verlauf der Verhandlungen van ber Noots im Haag, in Berlin und London Aufſchluß geben.!) Im Haag fuchte der Agent die Gunft des Ratspenfionarius durch lodenden Hinweis auf eine Wieder: vereinigung ber gefamten Niederlande zu gewinnen; man fönnte ja, meinte er, einen Sohn des Prinzen von Dranien zum Statthalter der ſüdlichen Provinzen ernennen! Ban de Spiegel ging zwar auf diefen Gedanken nicht näher ein, gab aber das wohlwollende Verſprechen, die Republif werde dem ſtammverwandten Nachbarn bilfreihe Hand bieten, jobald die Unabhängigkeit Belgiens nur einigermaßen gefichert jcheine.?) Beim Abſchied erhielt van der Noot eine Empfehlung an van Reede, den holländiſchen Gefandten in Berlin, der ihn bei Herkberg ein- führen follte. Gleichzeitig empfing ber preußifhe Minifter ein Memorandum des Staatspenfionars, worin auseinandergefegt war, welche Vorteile die Un: abhängigfeit Belgiens für den Dreibund bieten würde; vor allem aber müſſe verhütet werden, daß die Belgier in Franfreih Hülfe juchten. Hergberg war ber Idee zugänglich, obwohl er jchon bei der erften Zuſammenkunft mit van ber Noot erkannt hatte, daß man mit dem unreifen Roturier nicht ein Bündnis ein-

) Bon einem Enfel herauägegeben (Resume des Negociations, qui accompagnörent la revolution des Pays-Bas Autrichiens, par L. B.J. van de Spiegel, 1841).

?) Bon dieſem Beſcheid erhielt auch Trauttmannsborff Kenntnis (Notes que Mr. le comte de T. a remise au cabinet de Vienne, 19).

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gehen könne und ber von ihm entwidelte Plan vorerſt fehr geringe Ausficht auf glüdliches Gelingen biete. Er gab freundliche Worte, die fih im all: gemeinen mit dem unbeftimmten Verſprechen des Holländer bedten.!) Da: gegen war von Pitt, dem Leiter der englifchen Politik, nicht einmal eine Audienz für den belgiſchen Demagogen zu erreiden.

Für van der Noot follen in erfter Reihe Gründe von perfönliher Natur beftimmenb gewejen jein: die Erbitterung über den Verſuch, ihm die Freiheit zu entziehen, und hochfahrender Ehrgeiz. Das iſt auch glaublih, denn es wäre fonft unbegreiflih, wie der „Retter des Altars” für die Hülfe Holands einen fo bedenklihen Preis anbieten fonnte; eine Unterordnung Belgiens unter das oranifhe Haus war ja mit den Fatholiihen Intereſſen ſchlechterdings nicht vereinbar.

Bon ganz anderen Fdeen war der Führer der demofratifchen Partei, Jean Francois Bond, Aovofat beim großen Nat von Brabant, getragen; ihm war das Vorgehen des Kaijers gegen den Klerus nicht anftößig, aber er war ein Gegner Joſephs als Anhänger des von Montesquieu gelehrten und foeben von der franzöfifhen Nationalverfammlung zur Grundlage des Staatslebens erhobenen Grundſatzes von der Souveränetät des Volkes, Zunächſt ftrebten er und feine Gefinnungsgenofjen nur die Wiedereinführung der alten Verfafjung an; bald aber wurde ihr Ziel die Losreißung des Vaterlandes von der Verbindung mit einem „fremden Staat, der Belgien nur als erobertes Land betrachte und ausbeute”. Bond ftiftete im Verein mit angefehenen Vertretern der Bourgeoifie den Geheimbundb „pro aris et focis“, der im Dftober 1789 nahezu 50000 Mit: glieder zählte und über reihe Geldmittel und Waffenvorräte verfügte. Auf Unter: ftügung von jeiten Hollands oder Preußens wollte ſich Vond nicht verlaffen; von fremden Genofjen fei überhaupt nichts Gutes zu erwarten, da fie ben belgifhen Befreiungsfampf nur für ihre eigenen Intereſſen ausnügen würden; die wehrhaften Bürger der Niederlande jelbit jollten den kaiſerlichen Söldlingen die Spige bieten. Immerhin wurde aud von den Vondiften auf wohlmollendes Entgegenfommen Mirabeaus und der franzöfifchen Freiheitsfreunde gerechnet.

Joſeph verhehlte fich nicht, daß durch die Ummälzung in Franfreih für die Nachbarſtaaten, vor allem für Belgien, das mit unzähligen Fäden an Franf- reich gefnüpft war, eine ernfte Gefahr heraufbejhworen war. „Sorgen wir,” Ichrieb er am 29. Juli an Schwefter Chriftine, „daß diejes Beilpiel nicht auch bei uns die Köpfe verbrehe!” ?) Allein weder der Kaifer, noch die Negenten in Brüffel fanden zur Verhütung der Anſteckung die geeigneten Mittel. Es wäre, wie ein Kenner ber belgifhen Verhältniſſe verfichert, nicht unmöglich oder allzu ſchwierig gemwejen, den natürlihen Gegenjag zwijchen van der Noot und Vond, zwiſchen den Anhängern der alten Ordnung und den Freunden der neufräntifchen Sreiheitölehre, zu Gunften der Regierung auszubeuten, oder doc die Vereinigung

') Van de Spiegel, Pieces justificatives, 70. Rapedius de Berg, M&moires et documents pour seryir ü l’histoire de la revolution Brabangonne, par P. A. F. Gerard, 1, 277.

2) Wolf, II, 17.

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der beiben Parteien zu verhindern. !) Die gemäßigten Bondiften wären, jolange ihr Geheimbund noch in den Anfängen ftedte, durch einige freifinnige Zugeſtändniſſe zu gewinnen gewejen, aber Jojeph wollte durchaus nicht, wie er e8 nannte, vor dem Bolfsdejpotismus das Knie beugen. Als ihm Trauttmannsdorff den Entwurf einer Konftitution für Belgien vorlegte, jandte er ihn zurüd mit dem Bemerfen, ein Souverän fönne fih eine jolde Miſchung franzöfiiher und englifcher Ideen nimmer aufdrängen lafjen; bie Brabanter möchten nur ja nicht glauben, daß ihr Herzog jo zaghaft die Flinte ins Korn werfen werde, wie der König von Frankreich. Sogar der Klerus hätte damals unſchwer bewogen werben fünnen, den MWiderftand gegen die Staatsgewalt aufzugeben. In ber franzöfiichen National: verfammlung war offen der Grundfag ausgeiprodhen worden: die Wejenheit des Klerus widerjpricht den allgemeinen Menſchenrechten, die Eriftenz eines Klerus ift mit der neuen Zehre vom Gejellihaftsvertrag nicht vereinbar! „Stehen inner: halb einer allgemeinen Geſellſchaft befondere Geſellſchaften,“ ſprach Mirabeau, „jo ftören dieje die Einheit der Prinzipien und das Gleichgewicht der Kräfte der erfteren; große Korporationen fünnen dur die aus ihrem Zufammenhalten er: wachjende Stärke und die von ihren Intereſſen gebotene Widerftandsfähigfeit dem Staate ſelbſt gefährlich werden.” Folgerihtig dürften die Geiftlihen nicht mehr eine geſchloſſene Kajte mit Grundbefig bilden, fondern nur Sittlichfeits- und Unterrichtsbeamte fein. Mirabeau und die Seinen forderten alfo, wie Joſeph II., daß alle Diener der Deffentlichfeit ausjchließlich der Regierung unterjtellt jein müßten. Doch in Franfreid, wo nur noch die Leidenſchaft regierte, wurden aus biefer Lehre ganz andre Konfequenzen gezogen, als in ben kaiſerlichen Erb: landen: auf die Einziehung der alten Kirchengüter und die Auflöfung der alten Religionsgemeinden folgte die Mißhandlung der „eidweigernden” Priefter, folgte ein Sturmlaufen gegen alles Kirhentum, gegen die Religion felbft. Eine jo radikale Ummälzung mußte ben belgifhen Klerus erjchreden; biefe Stimmung hätte von der Regierung benügt werben follen, und fiher hätte der Klerus und damit die Bauernſchaft durch rechtzeitiges Einlenken beſchwichtigt werben können. Allein auch auf kirchenpolitiſchem Gebiet wollte Joſeph keine Zugeſtändniſſe machen, ja, im Oktober wurden in Belgien, wo doch die religiöſen Orden zum Blut der Nation gehören, neuerdings zwölf große Abteien unter weltliche Ver— waltung geſtellt.

Auch der Zwiſt zwiſchen d'Alton und Trauttmannsdorff wirkte lähmend. Wie eine Maſchine, deren Motoren nicht planmäßig in einander greifen, ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann, ſo iſt eine Regierung in ſtürmiſchen Zeiten verloren, wenn bie einzelnen leitenden Gewalten nicht einträchtig zuſammenwirken. Aus dem Gegenjaß der Tendenzen der beiden Kommandierenden erklärt fich die wider: ſpruchsvolle Haltung der Brüffeler Regierung; fie machte fich Feinde und verlegte die Freunde, fie wollte nicht vernichten und wußte nicht zu gewinnen.

Inzwiſchen ließ fich in dem holländiſchen Städtchen Breda ein comite patrio- tique unter dem Vorfig van der Noots nieder. Bon hier aus wurden bie Ver: bandlungen mit dem Ausland fortgejegt, Aufrufe zur Bildung von Freiſcharen

') Borgnet, Histoire des Belges à la fin du 18. siöcle, I, 146.

202% Erfted Bud. Sechſter Abſchnitt.

erlafien; in einem Brandbrief des Advokaten van den Eynde wird die Aus- wanderung nad) Breda mit dem Auszug der römijchen Plebejer auf den heiligen Berg verglichen.) Enblih erhielt die Regierung dur Verrat Kenntnis von dem Geheimbund und ließ Schuldige und Verdächtige in großer Zahl verhaften; doch Vond entlam, als Priefter verkleidet, und auch Karbinal Frankenberg war, als Soldaten in den erzbiihöflichen Palaft eindrangen, nicht zu finden. ?)

Nun glaubte der Ausfhuß von Breda, ermutigt durch die Vorgänge in Frankreih, wo das Königtum am 5. Dftober eine neue Niederlage erlitten hatte, und im Vertrauen auf die Sympathien der großen Mehrheit der Bevölkerung, zum Angriff jchreiten zu dürfen. In der Naht vom 23. Dftober überjchritt eine Freiſchar, in ber fih auch Geiftlihe und Mönche befanden, *) die Grenze. Den Oberbefehl führte Jean van der Merſch, ein verabſchiedeter General, ber fih im fiebenjährigen und im baierifhen Erbfolgefrieg ausgezeichnet hatte und außer ftrategifchen Kenntniffen aud) ein ſchätzbares organifatorifches Talent bejaß. Auf ihn festen die Vondiften feftes Vertrauen, während er von van der Noot, der fi gebarte, als habe er jchon viele taufend Preußen und Holländer zu fommanbieren, mehr gehemmt als gefördert wurde. Die Freifharen beftanden aus etwa 3000 Mann, jchlecht bewaffneten und nichts weniger als fampfluftigen Leuten; nicht wenige feinen an die von Herrn Friedensrichter Schaal aus- gejuchten Rekruten erinnert zu haben. Aber der Fürft von Ligne hat redt: „Solde bewaffnete Volfehaufen find acht Tage lächerlich und acht Tage fpäter gefährlih! ... Das Volk lernte raſch, daß es fräftigere Arme befite, als es jelbft geglaubt Hatte, und die Regierung lieferte leider nicht den Beweis, daß fie mehr Kopf habe, als jenes!” *) In allen belgiihen Städten, hier laut, dort in der Stille, wurde das Bundeslied der Patrioten gefungen:

„Pour leur chere patrie Les Belges remontrants

Au risque de leur vie Maintiennent leur serments: Lion Belgique,

Dös qu’on te pique,

Tu sais montrer les dents!“

Und die Vlamen jangen:

„Boer-jongers Patrioten

Hebt couragie, schept maer moed Nog een wenig 'tsol wol hotten Alles maer in orden doet.“

!) Gerard, Rapedius de Berg, II, 801.

”) Ein Spottbilb zeigt den Kardinal, wie er fi Hinter einem Vorhang verftedt, mit der Ueberfchrift: „Et iterum modicum et non videbitis me.“

?) Das Waffentragen der Geiftlihen wirb auf vielen Bilbern verfpottet. So ift 3. 8. der Abt von Tongerloo bargeftellt in Soutane mit Kanonenftiefeln und Sporen, das Biret auf dem Haupt, ben Säbel an ber Seite; ein andre Bild zeigt einen Kapuziner mit Huſaren⸗ mütze und Säbel ıc.

*) M&moires du prince de Ligne; Oeuvres V, 108, 109.

Der Abfall der öfterreichifchen Niederlande. 203

Mit ungenügenden Streitkräften rüdte van ber Merih am 25. Oftober in Turnhout ein. Tags darauf verſuchte der Ffaijerlihe General Schröder mit ein paar Bataillons die Stadt zu entjegen, ließ fi aber in einen Hinterhalt loden und mußte das Feld räumen. Diefer Erfolg bob das Selbitvertrauen und mehrte den Anhang der Patrioten; eine Stabt nad) der andern erklärte ih für das Programm von Breda, die wenigen Anhänger der Krone jchmwiegen, in kurzer Zeit verfügte van der Merfch über ein ftattliches Heer. Die Nachricht von der Niederlage bei Turnhout traf in Wien gerade während ber Feier der ruhmvollen Erftürmung Belgrads ein; mit einem Schlag war die Siegesfreude Joſephs zu nichte! Freilich jchrieb er an Leopold leihthin: „In den Nieder: landen ift endlich die Bombe geplagt; die Entdedung eines Komplottes trug dazu bei, den Einmarſch der fogenannten patriotiihen Armee in Brabant zu beihleunigen; unglüdlicherweife beging General Schröder die Dummheit, fich mit nur zwei Bataillons zu jchlagen, und wurde zum Rüdzug gezwungen.“ !) Joſeph faßte aber die Lage in den Niederlanden ſehr ernft auf. Nicht mit Unredt tabelte er, daß d’Alton den Rebellen nicht jogleih an der Grenze ent: gegentrat und mit allen verfügbaren Kräften den Vormarjch verhinderte. „Man muß aus dieſer unglüdjeligen Lage herauszulommen juchen, jobald als möglich; wenn es nicht gelingt, vor Anbruch des Winters die Ruhe herzuftellen, werben fih für Belgien und die ganze Monardie die verhängnisvollften Ereigniffe ein— ftellen.“ ?) Graf Segur, der auf der Rüdreije von Petersburg einige Tage in Wien verweilte, fand den „Grafen von Falfenitein” völlig gebeugt und gebrochen. „Ein allgemeiner Wahnfinn,” klagte der Kaifer, „hat bie Völker ergriffen; bie Brabanter 3. B. haben fi empört, weil ich ihnen das geben wollte, was Ihre Nation mit großem Geſchrei verlangt!” ?) In einem Briefe an feine Schwefter Ehriftine (3. November) zieht Jojeph einen wenig glüdlichen Vergleich zwiſchen der franzöfiihen und der brabantifchen Revolution: „Was dieje Franzojen thun, um fich eine gute Konftitution zu geben, indem fie fie zerſtören! Diejelbe Thor: heit berricht zum Teil in Brabant. Es befteht nur der Unterſchied, daß ber franzöfifhe Naufh vom Champagner kommt; er kommt raſch, ift aber leicht und verfhwindet wieder rafch, während jener der Brabanter vom Bier fommt; der iſt alfo langwierig und hartnädig”.*) Da aud in der Hauptitabt die Auf: regung mit jevem Tage höher flieg, wurde Chriftine von Trauttmannsborff zur Abreife gedrängt; die Erzherzogin weigerte fih, um nicht den Schein der Flucht auf fi zu laden, doch Trauttmannsborff zeigte ein Billet des Kaijers, das bie Abreife des Statthalterpaares befahl. Als nun Ehriftine und ihr Gemahl bie Refidenz verließen, zeigten fich die nämlihen ungünftigen Folgen, wie bei ber Flucht der franzöfifhen Prinzen; ein Teil des Adels verließ ebenfalls das Land, ein andrer jchlug fich auf die Seite der Patrioten. Auch wurde die Politik der Regierung nah dem Abzug des Statthalterpaares nicht einheitliher und fefter.

) Arneth, Jofeph II. und Leopold II., 285.

) Gerard II, 860.

) Segur, Mömoires ou Souvenirs et anecdotes, III, 554. ) Wolf, II, 19.

204 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt.

D’Alton, der gegen van der Merſch immer nur Fünftliche Feldzugspläne entwarf, ſuchte Brüffel und die übrigen noch von den Kaijerlichen bejegten Städte durch äußerfte Strenge vom Abfall zurüdzubalten, Trauttmannsdorff dagegen hoffte, durch fein „Syftem der Moderation” die Oberhand zu gewinnen. Nicht einmal die Proflamationen der Patrioten führten fo leidenfchaftlihe Sprade, wie die Briefe Trauttmannsdorff an ben Kailer, worin er die mörderiſche Politif feines Kollegen beklagte. „Ich babe bisher immer nur im ftillen gefeufzt über bie Handlungsweife des Grafen d'Alton,“ ſchrieb er (19. November), „heute zwingt mi endlih mein Gemilfen, offen zu erklären, daß er in der legten Zeit bie Hauptihuld trägt an allen entjcheidenden Unfällen. Ich rede gar nicht von dem Mißerfolg unjrer militärifhen Operationen; leider ift es ja klar, daß dadurch Em. Majeftät alle diefe Länder verlieren werden, jondern nur von der Ungeredhtig- feit, womit man gegen Eurer Majeftät Unterthanen vorgeht, unter dem Vorwand, man müfje Geifeln haben, oder die Anftifter des Aufitandes entfernen; das muß natürlih zur Empörung reizen und die ganze Nation zur Verzweiflung bringen. Die Auswanderung, diefer Hauptquell unjres Unglüds, ift wenigftens teilmeije aus diefer Urſache entiprungen; jedermann flüchtet, ehe er weggejchleppt wird, denn jedermann ift diefer Gefahr ausgeſetzt! . . Es wird feine Form mehr be: achtet; niemand wird vor ben zuitändigen Richter geführt; das Säbelregiment, gegen das ſich ganze Provinzen erklärt haben, befteht in der That. Darüber beflagen ſich auch nicht bloß die Bewohner diejes Landes. Gejtern famen der Gejandte von Holland und der Gefhäftsträger von Frankreich zu mir und fragten, ob ich hier bleiben werde, denn fie möchten im Falle, dab ich abreifen würde, nicht den außerordentlihen Maßregeln des Generallommandanten auögefegt fein. Sicherlich herrihht darüber nur eine Stimme: Es gibt heutzutage in Europa fein Land, deſſen Bewohner weniger Sicherheit der Perfon und des Eigentums ge- nießen, als dasjenige, wo jih Ew. Majeftät wiederholt dafür verbürgt haben!” ') Sedenfalls war die drakoniſche Strenge d'Altons ſchon deshalb nicht am Plage, weil er gar nicht über die Kräfte verfügte, um feine Strafmandate durchzuführen. „Es ift immer eine Thorheit,“ jagt Gerard in feiner Biographie des belgijchen Staats: mannes Rapedius de Berg, „ein Volk mit Gewalt bezwingen zu wollen, wenn man dazu nicht die ausreichende Macht bejist. Graf d’Alton ſprach davon, Gent anzuzünden, um ein warnendes Beijpiel aufzuftellen, und er hatte weder das Material, um es in Brand zu hießen, noch viel weniger die Leute, um ein foldhes Unternehmen auszuführen und für die Folgen einzuſtehen.“?)

Als eine Stadt nad der andern von den ungejchidt verzettelten Dejter: reihern geräumt werden mußte und der Berluft des ganzen Landes in drohende Nähe rücte, hielt auch Joſeph einen Syſtemwechſel für geboten; er ftellte d’Alton vor, man dürfe auch empörte Unterthanen nicht wie Türken behandeln, und ermädtigte Trauttmannsdorff zur Zurüdnahme der Anordnungen, die den Auf:

!) Trauttmannsdorff, Fragmens, 94. Die Anllagen werden zurüdgemieien in einer nad d'Altons Tod erfchienenen Schrift: Memoires pour servir ü la justification de feue son excellence le general comte d’Alton.

?) Gerard, Il, 402.

Der Abfall der öfterreihiichen Niederlande. 205

ruhr entfaht hatten. Am 21. November wurde die Aufhebung der Stände widerrufen, ber Rat von Brabant wieder eröffnet, am 25. November jogar das Generalfeminar geſchloſſen und eine allgemeine Amneftie bewilligt. Trautt: mannsdorff jcheint mit dieſen Zugeſtändniſſen ſogar jeine Inſtruktion über: ſchritten zu haben; wenigſtens ſchrieb Joſeph an Leopold (6. Dezember): „Unſere Sache in den Niederlanden ſteht ſehr ſchlecht. Der Miniſter hat alles mögliche zugeſtanden, aber ich glaube, er hat damit nicht nur keine gute, ſondern eine ſchlechte Wirkung erzielt, da die Aufſtändiſchen dadurch nur kühner gemacht worden ſind. Der Generalkommandant hat völlig den Kopf verloren; ſeine Dispoſitionen waren ſchlecht ausgedacht und noch ſchlechter ausgeführt; jetzt will er fi in Brüſſel fonzentrieren und hat alles übrige aufgegeben.“ !) In der That war der Widerruf der fatalen Maßnahmen nicht mehr im ftande, die Belgier zu beihwicdhtigen und wurde nur als Zeihen von Schwäche und Furt angejehen. Als fih Trauttmannsdorff jogar auf Unterhandlungen mit dem Ausihuß in Breda einließ, befam jein Gejandter Morte zu hören, bie nur als Abweifung aufzufafien waren. Die errungenen militäriſchen Vorteile hatten den Mut der Patrioten gehoben; auch galt ihnen die Unterftügung, welche Preußen den auf: ftändiichen Lüttichern gewährte, ald Beweis, daß aud fie im Notfall auf Hilfe zählen dürften. Am entjchiedenften gingen die Stände von Flandern vor; am 25. November erklärten fie den Kaijer aller Gewalt und Rechte, die er als Graf von Flandern ausgeübt, für verluftig und verfündigten die Unabhängigkeit ihrer Provinz.

In diefem kritiſchen Augenblid beging d’Alton den Fehler, mit van der Merih, der aus Furdt vor der Leidenjchaft der Menge und aus Achtung vor den biftorifhen Prinzipien einen friedlihen Ausgleich gewünſcht hätte, einen Waffenftillftand abzuſchließen (2. Dezember). „Diefer Moment,” urteilt Herzog Albredt von Sachſen-Teſchen, „entſchied den Berluft der Niederlande für ben Kaifer.” Nun war auch die Disziplin der faiferlihen Truppen, die immer zurüdmweichen mußten, ohne befiegt zu fein, ſchon jo gelodert, daß ganze Scharen zu den Patrioten übergingen. Als auch in Brüffel der Aufftand ausbrach, baderten Trauttmannsdorff und d'Alton über die Mittel, die zur Dämpfung ber Unruhen anzuwenden wären, jo lange, bis ber größte Teil der Bejagung mit den Bürgern fi verbrüberte und die Stadt nicht mehr zu halten war. Wie fopflos die Verteidigung geleitet war, beweilt die Thatjahe, daß der Schaf, die Kriegsfaffe und die Archive, deren Flüchtung feine Schmwierigfeit geboten hätte, bei der Räumung von Brüfjel in die Hände der Sieger fielen. Den Reit der Truppen führte d’Alton nad) Zuremburg, das dem Kaifer treu blieb. Hier mußte auch Graf Philipp Cobenzl, den der Kaifer nad) den Niederlanden ab: geordnet hatte, um zu retten, was zu retten wäre, Halt maden; ohnmächtig mußte er zuſehen, wie die belgischen Provinzen fi als unabhängige Republik fonftituierten. Denn diefes Ziel wurde jet von allen Parteien, ebenfo von Adel und Klerus, wie vom Bürger: und Bauernftand angeftrebt. Der Domberr van Eupen ſprach im Haag, wo er als Vertreter des Brebaer Ausſchuſſes weilte,

) Arneth, Jofeph II. und Leopold II., II, 298.

206 Erſtes Bud. Sechſter Abſchnitt.

offen aus: „Jetzt, da wir Brüſſel haben, wollen wir einen Kongreß aus den Deputierten der Provinzen berufen; in ihm ſoll die Souveränetät der Nation repräſentiert ſein.“

Am 18. Dezember zog van der Noot, der „Befreier Belgiens“, unter unermeßlichem Jubel der Bevölkerung feierlich in Brüſſel ein; die neuen Republikaner fühlten ſich beglückt, wieder einem Oberhaupte zujubeln zu dürfen. „Nie waren die alten Herrſcher Belgiens mit größerem Prunk aufgenommen worden.“) Am Thore von St. Gudula erwartete ihn der Klerus auch Kardinal Frankenberg, der fich bisher verftedt gehalten hatte, war wieder auf: getaucht und geleitete ihn zum Tedeum in das Münfter. Mittags folgte ein Feitmahl, das die adeligen Damen dem „belgiichen Franklin“ gaben. Abends wurde im Theater, wo van ber Noot in der Ffaiferlihen Loge Pla nahm, Voltaires „Mort de Cesar“ aufgeführt. Alle Anjpielungen auf Freiheitsliebe und Tyrannenhaß wurden ſtürmiſch beflatiht. Der Jubel erreichte den Höhe: punft, als eine Schaufpielerin in der faijerlichen Loge erfhien und dem gerührten Triumphator eine Bürgerfrone aufs Haupt drüdte. ?)

Dagegen trafen die legten Nachrichten aus den Niederlanden das Haupt des franfen Kaifers wie Keulenſchläge. Wie jehmerzlih er es empfand, daß Pro: vinzen, deren Treue unter feinen Vorfahren nie in Wanken geraten war, von ihm abfielen, erhellt aus den verzweifelten Briefen an die Geſchwiſter. „Von den Niederlanden fommt Feine Nachricht mehr,“ jchrieb er (23. Dezember) an Leopold, „dort ift alles verloren! Es fehlt uns an Truppen und Subfiftenzmitteln; die Mannſchaft dejertierte in ganzen Compagnien; es wird als ein Glüd zu be: traten fein, wenn wir Luxemburg halten können. Kein Schimmer von Hoff: nung erhellt diefes Mißgeſchick, ein Ausgleich ift nicht mehr möglich, die Feder fträubt jih, alle Einzelheiten meiner traurigen Lage darzulegen.” ?) „Was fol ich über das Mißgeſchick in den Niederlanden jagen!” ſchrieb er an Ehriftine (28. Dezember), „es richtet mi in meinem leidenden Zuſtande vollends zu Grunde. Ih kann nicht mehr atmen, nicht jchlafen, mich nicht rühren, jo daß ih die ganzen Nächte fitend zubringen muß. Du kannſt dir meine Qualen vor: ftelen. Für den Augenblid find die Niederlande völlig verloren. Man muß die Ereignifje und die Gelegenheit, das Land wieder zu erobern, abwarten; alle Wege der Berföhnung find verfchlojien, alle Nachficht, die ich walten ließ, war verschwendet.” Die Mitglieder der Regierung in Brüffel ſchoben ſich wechſel—⸗ feitig die Schuld zu. „Unfer Herr,” jchrieb Chriftine an Eleonore Liehtenitein (25. Dezember), „kann von dem unjeligen d’Alton, wie Auguftus von Varus verlangen, daß er ihm jeine Legionen oder Negimenter wiebergebe und dazu das Land, das unmwiederbringlid verloren ift. In Bezug auf Trauttmannsdorff ift nur zu fühlbar alles eingetroffen, was ich von feinem Leichtfinn und feinem Mangel an Einſicht befürchtet habe!” „Bejonders durch den unjeligen d'Alton bat der Kaifer das Land, eine Armee von 22000 Mann, Geld und Gejhüge

') Th. Juste, Hist. du rögne de l'’empereur Joseph 1I et de la r&volut. Belge, I, 305. ) Borgnet, I, 148. ) Arneth, Joſeph II. und Leopold II., II, 305.

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verloren. Dieſer Mann will immer die Schuld auf andere ſchieben, während er allein der Schuldige ift. Dieje Fremden haben ja fein Herz für die Monardie, weder für den Souverän noch für das Land!” Ein andermal glaubt aber Ehriftine die Hauptſchuld auf den Bruder jchieben zu müfjen. „Die Lage bes Kaiſers ift entjeglich,” fehreibt fie (22. Januar 1790) an die Freundin, „feine Aufregung muß bei diefer Häufung von Krankheit und Uebeln aller Art furchtbar fein. Nach meiner Anſicht hat er fich dies alles jelber zugezogen. Er hat auf feine eiferne Gefundheit getroßt; er hat gegen alle göttlihen und menſchlichen Geſetze gehandelt, indem er jene nicht hören wollte, die ihm aus Anhänglichkeit die Wahrheit jagten, auch wenn fie nicht angenehm zu hören war. Nun haben wir das Ergebnis. Die jchönfte, reichſte, anhänglichfte aller Provinzen ift ver: loren und bamit eine Hauptfinanzquelle. Fortgerifien von ber Thorheit eines ehrgeizigen Weibes (der Zarin), mit weldem er fi niemals hätte perfünlich einlafien jollen, eröffnete er den unfeligen Krieg, der jein Land verwüftet, Menjchen und Geld verzehrt hat und zulegt noch einen Krieg mit Preußen in brohende Ausſicht ftellt. Alle, die fein Land und feine Familie lieben, find untröftlich.“ ®)

Im Groll über den Triumph der Revolution verftand fi Joſeph fogar zu einem Schritte, der für ihn nad allem, was gejchehen war, eine Demütigung jondergleihen war: er ließ dur Kardinal Herzan den Papft bitten, es möge auf die belgifchen Bifchöfe zu Gunften des Erzhaufes eingewirft werden. Dem Geſuche wurde auch wilfahrt. Wie mochte dem Kaifer das Herz pochen, als er las, wie Papft Pius, von dem er ftets nur in geringfchägiger Weile geſprochen hatte, mit eindringlihen Worten die belgifchen Bifchöfe aufforderte, zur Treue gegen ihr angeltammtes Herrſcherhaus zurüczufehren! ?)

Doch auch diefes Mittel konnte den Zufammenfturz des Faiferlihen Re: giments in den Niederlanden nicht mehr aufhalten. Die Biihöfe weigerten fich, der Mahnung bes heiligen Vaters Folge zu leiften. Der jeitherige Beherricher der Niederlande, erwiberten fie, habe zu oft das Vertrauen der Belgier getäufcht, als daß fie jegt den milden Verheißungen Glauben ſchenken fönnten; die Nation babe nichts andres gethan, als was fie thun durfte und mußte; den geiftlichen Hirten des Volkes obliege ale höchſte Pflicht, den alten Glauben, den Stolz bes belgiſchen Volkes, zu ſchützen, den Wolf vom Schafftall abzutreiben und die ſchändliche Seuche, welche die Nation angeftedt hätte, fernzuhalten. °)

Am 7. Januar 1790 traten die Abgeorbneten der einzelnen Provinzen in Brüffel zufammen. Bor Beginn der Sigungen hielt Abbe van Eupen in St. Gudula die Feitpredigt. „Unfer Volk verlacht die philoſophiſchen Thorheiten des Tages; es weiß, daß feinen Waffen durch feine Frömmigkeit der Sieg ge: worben ift; es hat gejehen, daß unſer Glüd das Werk des Gottes Israels ift!” *) Im Kongreß führte Kardinal Frankenberg den Vorfig. Schon am 10. Januar gelangte die Bundesafte für die Vereinigten belgischen Staaten zu einftimmiger

) ®olf, II, 83. 38.

?) Brunner, Theologifche Dienerſchaft :c., 191.

2) Wolf, Geſch. der Fathol, Kirche unter Pius VI., III, 618. *) Gachard, Documens sur la Révolution Belge, 24.

208 Erjtes Bud. Sechſter Abſchnitt.

Annahme. Freilih war die neue, in den Hauptzügen der holländiichen nachgebil: dete Verfaſſung, wie fi bald zeigen ſollte, nicht im ftanbe, die im Volk Hlaffen- den Gegenjäße zu überbrüden, war aljo jhon, ehe die einzelnen Berfügungen ins Leben traten, dem Untergang verfallen. Vorerſt aber ſchien die Herrichaft Defterreihs am Niederrhein vernichtet zu fein, denn der glüdlihe Ausgang des Befreiungstampfes brachte dem neuen Staat auch Bundesgenoſſen. Zange hatte Pitt widerftrebt, zur Unterftügung des belgiſchen Aufftandes die Hand zu bieten; endlih gewann die Nüdficht, daß die Belgier um jeden Preis von Anlehnung an Frankreich abgehalten werden müßten, die Oberhand. War doch befannt, daß Mirabeau, der „große Mirabeau”, wie er jeit kurzem von halb Europa genannt wurde, die Zujage gegeben habe, die Sadhe der Freiheit auch in Belgien zu verteidigen, ja daß jogar ſchon eine franzöfiiche Heeresabteilung an der Grenze des Hennegau zufammengezogen werde. !) In Berlin hoffte man, daß fich der neue Staat nicht bloß an das Deutjche Reid was ber Herjog von Aren: berg, ber Führer der belgifhen Magnaten, ſchon in Ausficht geitellt hatte —, fondern aud an den Fürftenbund anfchliefen werde.?) Demnach wurde in Berlin am 9. Januar 1790 von den Bertretern ber drei verbündeten Mächte ein Vertrag vereinbart, des Inhalts, daß die drei Mächte ſtillſchweigend die Unabhängigkeit Belgiens anerkennen, die damit zufammenhängenden Fragen ge: meinfam beraten und für alle Folgen ihrer Bejchlüffe mit vereinten Kräften einfteben follten.°) Damit war eine revolutionäre Schöpfung von Vertretern der 2egitimität gewiffermaßen janftioniert worden, ein gefährliches Beifpiel in jenen Tagen, da bie Revolution in Franfreih ſchon das Königtum befiegt hatte und ein ftürmijcher Freiheitsdrang vom Weften her das ganze Abendland durchzog! Freilich, der Aufftand in Belgien war, mochten immerhin die Manifeſte der Patrioten mit Citaten aus Holbah und Helvetius verziert fein, vom Anfang bis zum Ende grundverjdieden von der Bewegung in Franfreid. Dafür ift bejonders ein Vorgang in Löwen, der als legte Scene des Schaufpiels gelten fann, Garakteriftiih. Am 12. Januar legte eine lärmende Menge Feuer an das jtattlihe Gebäude, das zur Aufnahme des Generalfeminars errichtet worden war; was bie Flamme nicht verzehrte, wurde mit dem Brecheiſen zertrümmert, fein Stein follte erhalten bleiben! An Stelle des verhaßten Gebäudes aber fam ein Standbild der Religion mit dem Wappen ber vereinigten Staaten Belgiens.

Nicht von Preußen dies hebt Ranke mit Nachdruck hervor —, fondern von der belgiihen Hierardhie war die bee ausgegangen, bie öfterreichiichen Niederlande, das alte Stammgut der Habsburger, in eine unabhängige Republif zu verwandeln. Doch am Niederrhein, wie auf der Balfanhalbinfel, hatte preußifcher Einfluß die Gegner Defterreihs ermutigt und geftärft. Noch auf

) Memoire mis sous les yeux de Sa Maj. le Roi de Prusse le 13. nov. 1789; van de Spiegel, Resum& ete., 125. Note remise à Mr. de Reede, 159.

?) Mömoire de mr. de Stein; Ranke, II, 134.

2) Convention entre les Rois de Grande Bretagne et de Prusse et les Etats-Gene- raux des Provinces Unies des Pays-Bas, le 9. janv. 1790; van de Spiegel, 149.

Der Lütticher Streit. 209

einem dritten Schauplaß trat Preußen dem Kaijer, und zwar nicht als dem Beherricher der öfterreihiihen Monardie, jondern als dem Oberhaupt des deutichen Reiches feindlich gegenüber: auch im Lütticher Streit jchlug fich der Berliner Hof, ohne eine Solidarität monarchiſcher Intereſſen anzuerkennen, auf Seite der Aufftändifchen, während Kaiſer Joſeph auch bier als Vertreter der Stabilität und Legitimität die Volksbewegung zu unterdrüden tradtete.

Der Anlaß zum Lüttiher Streit war der geringfügigfte von der Welt. In dem zum Hochſtift gehörigen Badeorte Spaa war von alters her das Hazardipiel eingebürgert. Gleich jeinen Vorgängern, die fein Bedenken trugen, aus der Konzejlionierung von Spielpädtern Gewinn zu ziehen, hatte Biichof Konftantin von Hoensbroeh dem Befiger eines Tanz: und Spielhaufes einen Freibrief ausgeftellt, nah weldem fein andrer zur Haltung eines folden Haufes befugt jein follte. Darüber fam es zum Streit mit Spaaer Bürgern, die einen zweiten Spielflub erridten wollten; von bürgerlicher Seite wurde behauptet, der Hazarboftroi gehöre zu jenen landesherrlihen Befugniſſen, deren Ausübung von der Zuftimmung der Stände abhängig fei. Der Handel fam vor das Reichsfanmergericht. Beide Parteien beriefen fih auf den Fexher Vertrag von 1316, wodurd feitgejegt worden war, welche Rechte der regierende Biihof aus eigener Zuftändigkeit und welde er nur mit Genehmigung der Stände (par le sens du pays) ausüben jollte.!) Da die Entſcheidung bes Reihsfammergerichts, wie gewöhnlich, auf fih warten ließ, fam es in Spaa zu ärgerliden Scenen; der Biſchof entjandte zum Schuße der dortigen Polizei eine Zruppenabteilung, was von den Gegnern als neue Nechtsverlegung angefehen wurde.

Doch der Streit um die Spielhölle war nur die Veranlaſſung zur Auf— lehnung, die Urſachen lagen tiefer. Eine 1790 anonym erſchienene, vermutlich aus Wiener Illuminatenkreiſen hervorgegangene Flugſchrift „Patriotenſtimme eines freimütigen Teutſchen über die dermaligen Empörungen, Unruhen und Gährungen in- und außerhalb des teutſchen Reiches“, die im übrigen mit Ent— ſchiedenheit für die Rechte des Biſchofs eintritt, führt die Unzufriedenheit der Lütticher auf die Mängel zurück, welche dem geiſtlichen Regiment überhaupt anhafteten. „Eigentum wird immer beſſer verwaltet und im Wert zu erhöhen geſucht, als ein Gut, welches man nur auf einige Jahre beſitzt, um es hier— nächſt wieder an einen Fremden zu überlaſſen.“ Schädliche Wirkung müſſe es nach ſich ziehen, daß in der Regel Ausländer, die mit den Landesverhältniſſen

) Borgnet, Histoire de la revolution Liögeoise de 1789, I, 15. Eine Denkſchrift „Coup d’oeil sur l’'histoire et la constitution du pays de Liege et sur les d“mäles en 1786* (1789) verteidigt die bifhöflihen Rechte; Schlözer zollt (Staatsanzeigen, Jahrgang 1790, XIV, 314) den ftaatsrechtlihen Ausführungen im allgemeinen Beifall, erlaubt fi aber bitterböfe Gloffen über das bifchöflihe Regiment in Lüttih. Bemerkenswert ift ein Wort Schlözers über das Ständeweſen: „Die hier oben gebrauchte Wendung, als ftammten alle Land: ober Reichäftände ſamt allen ihren Rechten bloß von ber Gnade und dem freien Willen bed Alleinherrſchers her, ift lange nicht mehr Mode, Stände find früher, wie der Fürft; fie er: Ihaffen ihn erft. Daß ſich hie und da nachher der Schöpfer von feinem Gefhöpfe hat vernichten lafjen, gehört unter die Unbegreiflichteiten des Menſchengeſchlechtes.“

Heigel, Deutihe Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Er. bis zur Auflöfung des deutſchen Neiches. 14

210 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt.

nicht genügend vertraut jeien, an die Spige der Hochſtifter fämen, meift hoch— betagte Männer, die fich nicht mehr in den neuen Beruf einleben fönnten. Auch hätten die geiftlichen Fürften nicht jelten jehr hohe Summen für ihre Wahl und für die Beftätigung durch Kaifer und Papſt zu zahlen; für die Familie müſſe möglichft rafh und ausgiebig geforgt werden u. ſ. w.

Auch dem Heinen Lütticher Staat war aus ſolchen Urfadhen eine ſchwere Schuldenlaſt erwachſen; die Folge war, daß die Unterthanen, und zwar, ba Klerus und Adel befreit waren, faſt ausſchließlich die Angehörigen bes dritten Standes über harten Steuerdrud zu klagen hatten. Dazu fam, dab Biſchof Hoensbroech, den die oben erwähnte Flugihrift als „einen Mann von vorzüg: lihen Geiftesgaben, doch etwas zu feurig, zu raſch in der Ausführung feiner Entſchlüſſe“ bezeichnet, feine Kronrechte nicht bloß feftzuhalten, jondern womöglich zu erweitern trachtete und deshalb als Feind der alten Yandesverfaflung an: geſehen war. Im allgemeinen galt die Lütticher Verfaffung als eine ber frei: finnigften des Kontinents; „fie verdient,” jagt der Neihsfammergerichtsrat Hoſcher (1789), „von den freien Engländern beneidet zu werben und der fünftigen fran: zöſiſchen Konftitution zum Mufter zu dienen!” !) Als Mirabeau 1787 bei einem Bankett in Yüttich vernahm, daß große Unzufriedenheit im Lande berriche, Toll er gejagt haben: „Ja, was haben denn Sie noch zu wünſchen, meine Herren? Wir Franzojen ſuchen nur deshalb eine Revolution zu mahen, um einige von den Bürgſchaften der Volkswohlfahrt zu erlangen, die Sie feit Jahrhunderten befigen!” ®)

Noch war der Prozeß um den Spieloftroi nicht zum Austrag gebracht, als ein neuer Streit zwifchen Biichof und Ständen entbrannte. Um dem drüdenden Getreidemangel abzuhelfen, hatte der Biſchof ein Verbot der Getreideausfuhr erlaſſen, wieder ohne die Genehmigung der Landftände einzuholen. Ob biejer Eigenmädhtigfeit wuchs die Erbitterung im Lande; wie in Belgien vereinigten fi aud) bier die Unzufriedenen zu einem geheimen Klub, der Societe patriotique; bald tauchten aber auch öffentlich in Lüttich, Vervier, Spaa und andern Städten farbige Kofarden, „die legalen Herolde des Aufruhrs“, wie fie in der bijchör: lihen Antlagefhrift genannt werden, auf. Die beiden vom Biſchof wegen ihrer „Neigung für das franzöſiſche Freiheitsſpiel“ abgejegten Bürgermeilter Fabri und Cheftret und der PVerfafler der bemofratiihen „Lettres sur le pays de Liege*, Bafjenge, waren die populäriten Häupter der Oppofition. Immer ftürmifcher verlangten die Batrioten Zurüdnahme des Edikts von 1684, wodurh Biſchof Marimilian Heinrih von Baiern mwiderrechtlih den Anteil des dritten Standes an der Landesvertretung eingefhränft und dem Landesherrn größeren Einfluß auf die Gemeindewahlen gefichert hatte.

Da fam die Nahricht von ber Erftürmung der Baitille nach Lüttich. „Ein lange niedergebrüdtes und, wie es jchien, für jedes Gefühl von Freyheit ge: lähmtes Bolt”, jagt Dohm in feiner Verteidigung der preußifchen Politik in

!, Hoher, Benträge zur neueften Gefchichte der Empörung beuticher Unterthanen, Borrede, 46. ) Henaus, Constitution du pays de Liege, Pröface, VII.

Der Lüttiher Streit. 211

der Lütticher Frage, „hatte plötzlich ſeine Kraft gefühlt, und feine Kraft war Recht geworden; was wenige Wochen vorher Verbrechen, der ausgejuchteiten Strafe würdig gewejen wäre, ward igt von einem Ende Europa’s zum andern mit zujauchzendem Beyfall vernommen, und felbft die Ausſchweifungen eines Volks, das zum rächenden Richter fih erhoben hatte, jchienen der Entſchuldigung fähig.” !) Wenn der Beamte eines monarchiſchen Staates in einer offiziöjen Schrift jo duldjam die in Wahrheit gar unrühmliche Kataftrophe beipricht, fo begreift fich Leicht, weldhen Eindrud das Ereignis bei heißblütigen Wallonen, bie, wie Dohm jagt, „von jeher mehr Gallier als Deutfhe waren”, hervorrufen mußte. „Ihr prozepluftige Unterbrüder des Rechts!" wagte Bafjenge im „Avant-coureur* zu jchreiben, „Ihaut hin auf Paris und zittert!”

Am 17. Auguft brad in Lüttich die Revolte los. Die Patrioten bemägtigten fich des Nathaufes; dem heimfehrenden Cheftret „wallete der brauſende Strom des Volkes bis an's Margaretbenthor mit entblößten Degen entgegen, jpannte die Pferde von feinem Wagen ab und ziehete denjelben im Triumph nad Haufe“.?) Tags darauf wurden ben vom Bifchof ernannten Beamten Schlüfjel und Ardive abgenommen und die Führer der Patrioten, Fabri und Cheftret, von der auf dem Marktplag verfammelten Menge zu Bürgermeiftern gewählt. „Das Bei- fpiel der Frangofen”, jchrieb der gemäßigte Fabri fpäter an Lonhienne, „hatte unjre Köpfe erbigt, man überftürzte fih am 18. Auguft, und ich wurde fort: geriflen wie alle Andern.” ?) Zweifellos war es, wie au von Georg Forfter in feiner Beichreibung des Lüttiher Aufftandes zugeftanden wird, ein ungejeß: liches Vorgehen. „Wider die Form haben bie Lütticher geſündigt!““) Gewalt: thaten wurden nicht verübt. „Die Lüttiher Nation”, rühmt eine Denkjchrift der Stände, „bat der Welt das jeltene, das einzige Beiſpiel einer ohne Nahe, ohne Blutvergießen, in der Form eines Öffentlihen Feſtes vor fih gegangenen Revolution gegeben!” Deshalb will auch der einheimijche Hiftorifer des Lütticher Landes, Henaur, die Erhebung nit als Revolution au: geihaut willen. „Man hat ja nicht eine neue Verfaſſung verfündigt: nur die alte wurde wieder hergeftellt, indem man dem Volke die Wahl feiner Magiftrate zurüdgab und dem britten Stand feine Vorrechte.““) Abfall vom Landes: berrn war noch nicht beabfichtigt, denn als Hoensbroech auf Einladung bes neuen Bürgermeifters Cheftret, mit rot:gelber Kokarde auf dem Habit, nad Lüttih fam, wurde er mit braufendem Jubel begrüßt; auch ihm wurden, wie furz zuvor dem demofratiihen Bürgermeifter, die Pferde ausgefpannt; loyale Patrioten zogen den Wagen bis zum Rathaus. Hier unterzeichnete Hoensbroech „ohne Widerftand” verfichert die Denkſchrift der Patrioten, „umringt von gezüdten Schwertern” behauptet der Biſchof, eine ihm vorgelegte Er: Härung, welche die Beltätigung des neuen Magiltrats und die Abſchaffung des

) Dohm, Die Lütticher Revolution im Jahr 1789 und das Benehmen S. K. Maj. von Preußen bey berjelben (1790), 15.

?) Kurze Meberficht des Lütticher Aufruhrs vom Jahr 1789 (1789), 3.

®) Borgnet, I, 148.

) ©. Forfter, Schriften politifchen Inhalts, 241.

>) Henaux, Histoire du pays de Liege, 11, 277.

312 Erjted Bud. Sechſter Abſchnitt.

Edikts von 1684 ausſprach. Dann kehrte er unbeläftigt nach jeinem Luſtſchloß Seraing zurüd. Die Berufung der Stände auf den 31. Auguft wurde vom Biſchof in einer an den neuen Stabtrat gerichteten Zufchrift förmlich gutgeheißen; der Landtag follte beraten, wie die Steuern und Abgaben gerechter verteilt und die Laſten ber ärmeren Bevölkerung erleichtert werben fönnten.

„Heiter, wie eine Morgenröte, die einen jehönen Tag verfündigte, war ber bisherige Zuftand der Dinge in Lüttich.“ ?) Da verbreitete fich plöglich die Kunde, Biſchof Konftantin habe fich heimlich auf fremdes Gebiet nad) der Abtei St. Marimin bei Trier geflüchtet (27. Auguft); damit war ausgeiprocdhen, daß die Zuftimmung des Biſchofs zu den volkstümlichen Neuerungen nur als erzwungen angejehen werde, mithin der Rechtskraft entbehre. Gleichzeitig erichien ein Dekret des Reichs: fammergerihts, das die Vorgänge in Lüttich mit dem Namen Rebellion brand: markte und bie Fürften bes weſtfäliſchen Kreifes zur Erefution aufforderte.

Mochte auch die Furt vor anftedender Wirkung der eriten Nahahmung des franzöfifhen Beiſpiels in einem deutſchen Staate die Strenge des Reiche: fammergerichts verſchärft haben, jo war doch gegen Rechtmäßigkeit und Gerechtig— feit des Urteils nichts einzuwenden. Durch die Nichtbeteiligung des Landesherrn und zahlreiher Mitalieder des Domfapiteld war auch die Gefeplichfeit der Be: Ihlüffe der am 31. Auguft eröffneten Ständeverfammlung in Frage geitellt. Unter dem Einfluß der fortfchrittlihen Elemente wandelte fi der MWiderftand gegen das abjolutiftiiche Regiment des Biſchofs mehr und mehr in einen An: fturm gegen das Feudalſyſtem. Auch Gewaltthaten blieben nicht aus. In den Maſſen jpufte die franzöfiihe Theorie des neuen Gefellihaftsvertrages; dazu fanı die Erregung infolge der feit dem Siege des Volkes noch höher geftiegenen Teuerung; die Leidenfchaften des Magens wirkten zufammen mit den Leiden: ſchaften des Gehirns, fo daß bei den Unruhen im Dftober das radifale Element die Oberhand gewann. Bewaffnete Pöbelrotten brachen ins Rathaus ein; fie verlangten, daß das reihe Vermögen der frommen Stiftungen unverzüglich unter das Volf verteilt werden ſollte. Eine Zeitlang war zu befürdten, daß bie Bewegung in einen Krieg gegen den Belit und die Befigenden ausarten und die rohe Gewalt in der Stadt die höchſte Macht im Staate werde, doch gelang e8 ber Bürgergarde, die Beutefüchtigen abzumehren und die Ordnung wieder berzuftellen. Die Stände richteten nun an das Neichsfammergericht eine Denk: fchrift, welche die Zurüdnahme des Erefutionsdefrets forderte; ”) zugleich wurde ber Biſchof eingeladen, in die beruhigte Hauptitabt zurüdzufehren. „Hätte jegt der Biſchof“, meint Forfter, der den Lüttiher Streit in maßvoller Weije beurteilt, „die Ruhe und das Glüd feiner Unterthanen gewollt, anftatt ſich auf den übertriebenen Punkt des Rechts zu fteifen, wo es das größte Unrecht wirb, jo wäre jeine Santtion das Unterpfand des ſchönſten Friedens geworden.” Konitantin glaubte jedoch mit der ganzen Strenge des Gejeges gegen Verführer und Verführte vorgehen zu müſſen; er begehrte jchleunigen Bollzug der Erefution

i) Dohm, 41. ) De rebus Leodiensibus novissimis simplex et dilucida expositio, Augusto camerae imperat. iudieio trium ordinum Leodiensium nomine die 5. oct, 1789 oblata.

Der Lüttiher Streit. 213

in einer Denkſchrift, welche von den Lüttiher Zuftänden eine jo düftere Schilderung entwarf, daß fie nach dem Urteil des Reichöfammergerichtsrats Hofcher „nur von Miltons Hölle übertroffen werden kann“. !)

Schon in diefem Schriftitüd wird über die „argliftige Negotiation” des preußiihen Hofes und bejonders über das Auftreten des preußiſchen Bevoll- mädhtigten in Lüttich Beichwerde erhoben. Im September war der clevijche Kreis: direftorialrat v. Dohm im Auftrag feiner Regierung nad Lüttich gelommen, um den wahren Sachverhalt zu erforfchen und nad Möglichkeit zwifchen Fürften und Volk zu vermitteln. Er ſuchte in verföhnlidem Sinne auf die Gemäßigteren einzuwirfen, machte jedoch auch fein Hehl daraus, daß er die Bellrebungen der Patrioten, jo weit fie auf gleihmäßigere Verteilung der Steuerlaft und Hebung des dritten Standes gerichtet waren, für zeitgemäß und beredtigt anjehe. Das Auftreten des Gefandten jtand im Einklang mit den Intentionen jeiner Regierung. Hertberg jelbit gewährte dem Bürgermeifter Yabri, der als Vertrauensmann der Lüttiher Stände nad Berlin gefommen war, freundlide Aufnahme und erflärte, die preußiiche Regierung werde zu erreihen ſuchen, daß der Bifchof das verhaßte Edikt von 1684 miderrufe; dagegen werde fih Preußen als deutſcher Reichsſtand der Mitwirkfung an der vom Reichsgericht angeordneten Erefution nicht entziehen können.) Man dürfe in der Lüttiher Sade, jchrieb Hergberg an Dohm, das Recht nicht mißachten, aber auch die Politik nicht unberüdfichtigt lafien; die Unterdrüdung der Lütticher Stände könne man ſchon deshalb nicht zugeben, weil fonft auch den Brabantern Zweifel an der Auf: richtigfeit der preußiſchen Freundſchaft aufiteigen würden; vor allem aber gelte es, die Lüttiher wie die Brabanter von der Bundesgenofjenichaft mit dem revolutionären Frankreich zurüdzubalten. Als ſich die Kreistruppen zum Ein: marih in Lüttih jammelten, eröffnete Dohm den Ständen in vertraulicdher Weife, daß die Meinung Preußen-Eleves nicht dahin gehe, entſprechend der Forderung des Biſchofs und des Kapitels einfach den vorigen Zuftand wieder berzuitellen, jondern daß ein vernünftiger Vergleich zwiichen Regierung und Stän: den getroffen werden foll.°)

Deffentlih wurde, als im Dftober neun Bataillons preußifchen Fußvolks unter Kommando des Generallieutenants v. Schlieffen in das Hochſtift ein: rüdten, befannt gegeben, die Bejegung erfolge, um den geitörten Ruheſtand des Landes wieder herzuftellen und der Weiterverbreitung bedrohlicher Ideen zu be: gegnen. Auch kölniſche und pfalzbairiihe Erefutionstruppen follten mitwirken, allein das kölniſche Fußvolk machte, da der Kurfürft von Köln feine Leute nicht unter preußiſches Kommando ftellen wollte, an der Maas Halt; nur etwa taufend Pfälzer vereinigten fi mit den Füſilieren Schlieffens. Dem Vormarſch der Kreistruppen wurde, obwohl in Lüttich Anjtalten zur Verteidigung getroffen worden waren, fein Widerftand entgegengejegt; jogar von der Zitadelle von Lüttih konnte in aller Ruhe Bejig genommen werden (30. November). Nichte:

’) Hurze Ueberficht des Lütticher Aufruhrs vom Jahr 1789. *) Juste, La revolution Liegeoise de 1789, 17. 2) Gronau, 180.

214 Erftes Bud. Sechſter Abſchnitt.

deftoweniger war die Volfsvertretung entihloffen, das angefangene Werk zu vollenden und nicht eher zum Gehorfam unter den Landesherrn zurüdzufehren, bis eine den Volkswünſchen entſprechende Reform der Berfaflung durchgeführt wäre. Natürlich trug auch das überrafchende Gelingen des Kampfes der belgiſchen Freiſcharen dazu bei, die Nachbarn zu ermutigen und im Widerftand zu be: ftärten. „Ein undiszipliniertes Volt,” jagt Dohm, „wagte es, 18000 Mann der bisziplinierteften Truppen anzugreifen, und die Nachricht von jeinem Anz: griffe und feinem Siege erfcholl zugleich; die Eroberung von Gent und fo vielen andern wichtigen Städten bewiejen fait zuerft das Dajein einer Macht, über die man wenige Wochen früher nod als chimäriſche Zeitungserfindung gelädelt hätte.” Die Vondiften in Brabant waren zum Bündniſſe bereit, und auch in Lüttich fehlte es nit an Stimmen, welche die Vereinigung der ftammverwandten Nationen im Zeihen ber Freiheit und Gleichheit forderten.

Um die Losreifung des Hochftiftes vom deutihen Reich zu verhindern, durfte dies wird von Dohm gewiß mit Recht hervorgehoben an einfeitiger Verteidigung der bifchöflihen Rechte nicht feftgehalten werden. Sogar das neue Erfenntnis des Neichöfammergerihts vom 4. Dezember ſuchte einzulenfen; es wurde zwar auf der Beftrafung der riedensftörer beitanden, aber auch dem Fürftbiihof die Mahnung erteilt, „die Beſchwerden des Volkes gänzlich zu ent: fernen”. Seht wurde aber vom patriotifchen Ausschuß die Kompetenz des Kammer: gerichts überhaupt beitritten; feines der Reichsgerichte dürfe fih in Privat: ftreitigfeiten zwiihen Regierung und Ständen von Lüttih einmifchen; nur dem König von Preußen ftehe das Recht der Vermittlung zu, auf Grund eines reis briefs Kaiſer Marimilians I., der den Herzogen von Cleve die Aufgabe überwies, die lüttichſche Nation bei ihren Rechten und Freiheiten zu hüten und in ihren Streitigkeiten mit den Bilhöfen den Schiedsiprud zu fällen.

Doch weder das Reichskammergericht, noch die Mitftände des weftfälifchen Kreifes wollten dieſes Vorrecht Preußens gelten laflen, da ja die angezogene Beitimmung jenes alten Freibriefes durch die fpäter von Kaiſer und Reich feit: gejegte Kreiseinteilung aufgehoben worden ſei. In der entjcheidenden Direftorial: fonferenz ftimmten die Delegierten von Köln und Pfalzbayern (Münfter und Jülich) für unbedingte und unverzüglide Volftredung des Wetzlarer Urteils; Preußen (Cleve) aber erklärte, es jollte unter der Bedingung, daß ungeftörte Ruhe erhalten bleibe und die nicht zu Recht gewählten Beamten ihre Stellen niederlegten, für Wiedereinführung der verfaffungsmäßigen Zuftände vor 1684 Sorge getragen werben.!) Dohm gab fih Mühe, auch dem Biſchof Far zu machen, dab unter den gegebenen Verhältniſſen fein andrer Ausweg möglich fei; Erhaltung eines Reichslandes für das Reich, Abwendung eines traurigen Bürger: friegs, Abwehr des revolutionären Treibens von Deutihland, das jeien Gründe von folder Wichtigkeit, daß um ihretwillen auch von Vollziehung eines reiche: geritlihen Urteils abgejehen werden dürfe; unter ſolchen Umitänden fönne wohl von einem geiftlihen Fürften erwartet werden, daß er fein gutes Recht dem Wohl feines Volles aufopfern werde. Auch Friedrich Wilhelm jelbit juchte

) Dohm, Anlagen, 141.

Der Lüttiher Streit. 215

die preußische Politik vor Biſchof Konftantin zu rechtfertigen; ein ernfter Waffen: gang mit den empörten Unterthanen des Bilchofs, führte er in einem eigen: bändigen Schreiben (31. Dezember) aus, könnte leicht für die ſchwachen Exe— futionstruppen Niederlage und Schande, für den rechtmäßigen Herrn von Lüttich) den Verluſt des Fürftentums nach ſich ziehen; der Biihof möge in jeine Refidenz zurüdfehren, das Kreisdireftorium werde bis zur Aufrichtung einer neuen Ber: fafjung Ordnung und Ruhe aufrecht erhalten. Doch es war verlorene Yiebes- müh. Biſchof Hoensbroech lie fünf Wochen lang gar nichts von ſich hören; endlih fam zwar eine Antwort (8. Februar 1790), aber fie lautete entſchieden abjihlägig und war nad) Dohms Auffafjung in den „anzüglichften und widrigiten Ausdrücken“ abgefaßt. Erſt wenn in Lüttich alles wieder in ben Zuftand vor der Rebellion zurüdgebraht und dem kammergerichtlichen Sprude vollfommen Genüge geleitet jein werbe, könne von Verſöhnung und Berfaljungs* reform die Nede fein. !)

„sn diefer mißlihen Lage” mit diefen Worten jchließt Dohm feinen im Februar 1790 furz vor Joſephs II. Ableben gejchriebenen Bericht „befindet fih anjego die jo berufene Lüttiher Erekutionsfade.” Preußen habe dabei nur „mach patriotiihen und fonftitutionsmäßigen Grundjägen” gehandelt und dafür, dab das Hodftift vor dem Untergang bewahrt und bei dem Deutſchen Reich er: halten worden ſei, aller deutihen Patrioten Anerkennung und Dank verdient.

Die Rechtfertigung Dohms ift nicht unbegründet, nur verjchweigt fie, wie es die Weisheitsregeln der Diplomatie vorfchrieben, das ausihlaggebende Moment. Auch in der Lüttiher Frage ftanden fih Preußen und Defterreih feindlich gegenüber; ſollte fich Preußen um eines reichsgerichtlihen Erfenntnifies willen in Kampf mit einem Volfe einlajjen, das unter Umftänden bald im Krieg mit Defterreih als Bundesgenoſſe nützliche Dienfte leiften konnte.

Natürlich entging dem Wiener Kabinett nicht, welche Berechnung der auf: fälligen Begünftigung der Wallonen zu Grunde lag. Doch aud von andern Reiheftänden wurde das Verhalten Preußens ungünftig beurteilt. „Bei Lüttich ift auch ein Bod geichoflen worden,” urteilt fogar Forfter, „ver König ift da— durch um das Zutrauen des Reichs gefommen.”?) Der Kurfürft von Mainz, obwohl mit Preußen verbündet, mißbilligte aufs entſchiedenſte die Verlegung der Reihöverfaffung. „Es kann der Einfiht Eurer Majeftät nicht entgehen, daß die übeljten Folgen entftehen werben, wenn von dem Mädhtigften der unierten deutſchen Fürften das gehäßige Beifpiel einer jolhen Veränderung in der deutichen Verfaſſung gegeben werben jollte.”?) In Weslar wurde als Beleidigung emp— funden, daß der Herzog von Cleve „jo eigenmädtig und bem übernommenen Auftrage widerfprehend” vorgehe. Nicht minder heftige Vorwürfe wurden vom Standpunkt der öffentlihen Moral aus erhoben. „Alfo ein deutſcher Fürft,“ ruft die ‚Patriotenftimme‘, „der jelbft von jeinen Unterthanen einen blinden Gehorfam fordert, genehmigt nicht nur, ſondern unterftügt die Empörung,

) Polit. Journal, Jahrg. 1790, 59. 2) G. Forfter, Schriften, VIII, 108. ’) Bolit. Journal, Jahrg. 1790, 175.

216 Erited Bud. Sechſter Abſchnitt.

ftatt daß es Pflicht von ihm wäre, feinen Reihsmitfürften bey Ehre und Würde zu ſchützen.“ Ein fliegendes Blatt aus jenen Tagen zeigt den König von Preußen, wie er am rechten Arm den päpftliden Nuntius im Ornat mit Hirtenftab und Fefuitenhütlein, am linken einen mit Säbel und brennender Fadel ausgerüjteten Bloufenmann führt; die Ueberſchrift lautet: „1789 Bon Gottes Gnaden!“

Die Parteinahme Preußens für die Aufſtändiſchen in Lüttich hängt zuſammen mit der laxen Politik, die Hertzberg gegenüber der franzöſiſchen Revolution für erlaubt anſah. Begrüßte er doch den Baſtillenſturm als einen außerordentlichen Glücksfall für Preußen! Frohlockend ſchrieb er an den König: „Die Allianz zwiſchen Oeſterreich und Frankreich iſt vernichtet, Oeſterreich kann nicht mehr auf Frankreich zählen!“ )

Gewiß, Nutzen und Gewinn waren durch das Bündnis mit der Revolution zu erreichen, aber es war nicht der Weg, auf dem ein Hohenzoller zur Löſung der deutſchen Frage gelangen konnte.

) M. Dunder, Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg; Hiſt. Zeitichr., 37. Bb., 8.

Siebenter Abjchnitt.

Auffände und Unruhen in Rleineren deutſchen Reidıs-

gebieten. Gãrung in den öſterreichiſchen Staaten. Preußens

Bündnis mit Polen und der Pforte, Iofeph IL und Die

franzöſiſche Revolution. Per Weltkrieg in Sid. Pas

Tebensende Joſephs I. Urteile der Zeitgenoſſen über Jofeph II.

und dem Aufftand der Wallonen im Maasgebiet befteht ein fchroffer

Gegenfag. Im revolutionären Frankreich wurde dies Har erfannt. „Die belgifhen Provinzen fünnen uns fein Intereſſe einflößen,” jchreibt die Gazette de France am 3. Juni 1790, „hüten wir uns, fie zu ftören! In dieſen feftlihen Tagen haben fie Altäre zu errichten, die Bilder der Hl. Jungfrau mit Blumen zu jhmüden, Mönde in reihe Chorgewänder zu büllen und hunderttauſend Kerzen zu den Füßen ihrer Bilder zu verbrennen. Was kümmert's uns, wer ber Hirt dieſer groben Hammelherde jein wird! Anders dagegen verhält es fi mit den braven Lüttihern: ihnen wünſchen glüdliches Gelingen alle Wohlgefinnten, alle Feinde der Unterdrüdung!” !)

Die Ausbreitung der Revolution in den zwei legten Yahrzehnten des vorigen Jahrhunderts läßt fich mit einer Epidemie vergleichen, mit einer jener Volksfrankheiten, von der raſch hintereinander verſchiedene Länder heimgejucht werden. Sie fordern innerhalb derjenigen Bevölferungsgruppe, in welder die Vorbedingungen in gefährlichiter Fülle vorhanden find, die zahlreichiten Opfer; fie Haben ihren Aufihwung, ihren Höhepunkt und ihr allmählihes Verlöſchen.

Doch müfjen wir auch bei diefem Vergleiche gewiſſe Grenzen ziehen. Der Anftedungsftoff fam von Weiten. Die erſte Anregung, die Neußerung des Volks— willens im Gegenjaß zur bejtehenden Gewalt, ging von Amerika aus; man fann weder den Gedanken, noch die Apojtel, die Franklin und Waſhington, tadeln,

I dem Abfall der Niederlande von der öfterreihifhen Herrſchaft

’) Henaux, Hist. du pays de Liege, II, 286.

218 Erſtes Bud. Siebenter Abſchnitt.

doch in Europa unterlag die fortihrittlihe Idee verſchiedenen Wandlungen, je nad ber Gejundheit des Volfes und je nach den größeren oder Fleineren Sünden der Gewalthaber. Eine Auflehnung der Maffen gegen die herrfchende Macht fand an vielen Punkten ftatt, doch anders äußerte ſich diefer Widerftand in Holland als in Franfreih, anders in Ungarn als in Schweden. Je unnatürlicher die ftaatlihen und gejeljchaftlihen Zuftände waren, defto größer war die Gefahr, daß die urfprüngliden Ideen ausarteten. Ein und derſelbe chemifche Stoff fann ja durch verjchiebenartige Verbindungen ebenjomwohl zum Segen wie zum Ber: derben wirken. Während über diefen Staat nur ein wohlthätiges Gewitter niederging, loderte ein andrer beim erften Blig in Flammen auf.

Wir werden noch an andrer Stelle zu unterfudhen haben, wie der Revo— [utionsgedanfe und vor allem das franzöfifche Beilpiel auf den deutichen Volks: geift eingewirft haben und warum es in deutjchen Landen nicht zum Umfturz aller Dinge gefommen ift, bier jei nur in Kürze auf einige Symptome hin— gewiefen, die noch zu Lebzeiten Joſephs IL. in deutſchen und öſterreichiſchen Landen hervortraten.

Im Auguft 1789 kam es zu Unruhen in der Nahbarichaft des Elſaſſes. In der unter öfterreihiiher Herrichaft ſtehenden Landvogtei Ortenau empörten ih die Bauern gegen die Städte, denen fie fronen und Holz liefern mußten; in der Reichsſtadt Gengenbach durchwühlten die Delegierten der Aufftändifchen „mit feurigen Augen” Regiftraturen und Archive, ohne „das große rote Buch” zu finden, in bem zu lejen wäre, daß fie ihren Herren feine Leiſtungen jehuldeten. ) Die gräflich Leyenſchen Untertbanen, die Bewohner von Saar: brüden und St. Johann in der naſſauiſchen Grafſchaft Saarbrüden, die gräflich Bentheimſchen Unterthanen von Burgfteinfurth, die Bauern in der zum Hochſtift Straßburg gehörigen Herrichaft Oberkirch und an andern Orten rebellierten jamt und jonders wegen angeblichen Mißbrauchs der herrihaftlihen Waldnugungen. Die ftraßburgifchen Unterthanen äußerten dabei, fie meinten es gewiß nicht ſchlecht mit ihren Herren, benn fie wollten ihnen nicht, wie es in Frankreich üblich, die Köpfe abſchlagen, jondern nur ein paar überflüffige Federn ausrupfen. Eine Revolte in Trier hätte ſich leicht zu einem Gegenftüd zum Lüttiher Streit auswachien können. Die Bürgerſchaft verlangte Wiederheritellung der alten Zunftverfafjung und andrer aufgehobener Anftalten und Gebräude, Straßenanſchläge reisten das Volk zur Erhebung gegen den Tyrannen, da ſetzte der Kurfürft raſch aus beliebten Mitgliedern des Domkapitels und der Bürgerjchaft eine Kommiffion zufammen, die, mit unumſchränkter Gewalt ausgeftattet, allen berechtigten Beſchwerden ohne weiteres Benehmen mit der Regierung abhelfen jollte, und dieſe Nachgiebigkeit bämpfte das Feuer, ehe es zum Durchbruch fam. Ebenfo Hug und gnädig verfuhr Friedrich Auguft von Sachſen, als die Bauern in Meißen, Torgau und andern Orten ihren Herren den Gehorfam weigerten, Aufhebung der Fronen forderten und mit Nieberbrennung ber Schlöffer drohten. Die bewaffneten Rotten wurden durd Militär auseinander gejagt; zugleih wurde aber auch eine Kommiffion berufen, welche die Klagen der Unterthanen unterfuchen und geeignete Abhülfe

) Hofer, 112.

Aufftände und Unruben in Heineren deutſchen Reichsgebieten. 219

treffen jollte. „Ein jchöner Zug von deuticher Fürftenehre,” bemerkt dazu Georg Forfter, und Reihsfammergerichtsrat Hofer rühmt in feiner aftenmäßigen Dar: ftellung der erwähnten Unruhen auf deutihem Boden den glüdlihen Gegenſatz zwiichen Frankreichs und Deutſchlands gejellichaftlihen Verhältniſſen. In Deutjch: land, wo Militär und Bürgerſchaft von Pflichttreue durchdrungen find, „ift es nicht jo leicht möglih, daß der Pöbel den Meifter jpielen, daß er den Herrn mit Füßen treten kann, ebenio als auch die Gelege Deutichlands den Unterthan gegen Unterdrückung ficher ftelen und ihm Hülfe verſchaffen“!1)

Gefährlihere Bedeutung als in dieſen fleinen Reichsgebieten drohte der Wideritand gegen die Staatsgewalt in den Eaiferlihen Stammlanden zu er: langen. In Ungarn erlitt das Joſephiniſche Syftem eine nit minder empfindliche Niederlage als in Belgien. Es wurde ſchon dargelegt, wie feft und bebarrlih Joſeph trachtete, die bunt durcheinander gemwürfelten Stämme im unteren Donaugebiet, Szefler und Magyaren, Rumänen und Raizen, in geiftige Abhängigkeit von der beutichen Kultur zu bringen und auf jolche Weiſe feinen Einheitsitaat über Ungarn auszudehnen, wie aber dieſe Tendenz beionders bei den Magyaren auf erbitterten Widerftand ftieß. Die ungarifche Hoffanzlei wies das faiferlihe Mandat, das die deutſche Sprache zur Amts: ſprache erhob, als verfaffungswidrig zurüd; das war ber befte Weg, um den Kaiſer im Glauben an die Notwendigkeit feiner Anordnung zu beftärfen. Die Wegführung der Stephansfrone nah Wien, die Aufhebung der munizipalen Sonderredte, die Einfegung von fönigliden Kommifjären ftatt der verfaflungs- mäßigen Obergejpane, die neue Juftigordnung, die Aufhebung der Leibeigen— ihaft und andre „Gewaltmaßregeln eines nicht gefrönten Königs” riefen jen- feitö der Leitha ebenfo heftigen Unmut wach, wie fie von Anhängern des Joſephinismus begeiftert gepriefen wurden. „Wir fehen feinen geringeren End— zwed,” jo rühmt ein Artikel im Hamburger politiihen Journal das „groß: artige Germanifierungswert” im DOften, „als ein ungeheure, von ber Natur berrlich bedachtes Neich durch den Segen der Kultur no einmal aus fich jelbft zu erzeugen, e& zu verdoppeln, fünf Millionen unglücklicher Menſchen zu zehn Milionen glüdlicher umzuſchaffen, ein neues Reich ohne Blutstropfen der Unter: thanen und ohne Erbitterung der Nachbarn zu erobern, und dieſen mächtigen Staat mit der Monarchie Dejterreich durch Gleichheit der Verfaſſung, Gejekgebung, Sprade und Sitten innigft zu vereinen!” ?) Dagegen erblidte man in Ungarn im Streben des Kaijers, feine Staaten „zu einem Koder der Gefege, zu einem Erziehungsfyftem, zu einer Monarchie zu verjchmelzen”, einen Angriff auf die heiligiten Volksintereſſen. Eine nationale Bewegung griff um fih, wie fie Ungarn noch nie gefannt hatte.

Es war ein entjcheidender Wendepunkt im Verhältnis der alten bajuwa— riſchen Oftmarf zu den Ländern der anftoßenden Donaunieberung. Die Ueber: ſpannung des Prinzips der Germanifierung hatte ein mächtiges Aufftreben aller bebrohten Nationalitäten, in erfter Reihe des Magyarentums, das fich im Kampfe

) Hofcher, Vorrede, 19. ?) Rolit. Journal, Jahrg. 1786, 657.

220 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt.

mit dem überlegenen Gegner erft der eigenen Kraft bewußt wurde, zur Folge. Namentlich gegen das Spradedift wurde von den Vertretungen ber einzelnen Geſpanſchaften leidenichaftliher Proteft erhoben. In ihrem Mißbehagen über die herrſchſüchtigen „Schwaben“ verftiegen fih magyarifhe Autoren zu den wunder: (ihften Ausſprüchen. Es ſei unerfindlih, wie ber deutſchen Kultur vor der ungarifchen der Vorrang eingeräumt werden könne, jo erklärte ein Deutic: Ungar, Matthias Rath, evangelifcher Prediger in Raab, jeit kurzem erft hätten die Deutfchen einen Klopftod, während die Ungarn ſchon vor hundert Jahren Dichter hatten, denen fein deutſcher Poet an die Seite zu ftellen jei.') Ohne Rüdfiht auf die Thatfahe, daß die Magyaren in Ungarn nur ein Drittel ber Bevölkerung ausmachten, kehrte der Refrain immer wieder: „Ungarn ift Ungarn; wer ba lebt, joll ungariſch lernen!” Bisher hatten fich die Gebildeten fait geſchämt, die magyariſche Sprache zu gebrauchen; jetzt wollten fie nur noch das eigene Idiom gelten lajjen und ftiehen das Deutſche hakerfüllt zurüd; in mehreren Ortichaften wurde das Spradedift und andre deutiche Schriften feierlich verbrannt.

Auch die Mode gewann politiihe Bedeutung. Der deutſche Hut wurde verjehmt; der Patriot durfte nur noch das Nationalgewand tragen. „Die deutichen Inſaſſen“, berichtet Paſtor Keresztefi in feinem Tagebuh, „ver: ſteckten fich oder Fleideten fih in magyariihe Tracht, denn fie bejaßen anders nicht viel Mut; der magyariſche Eifer verftieg fih fo weit, daß man bie deutſche Tracht, die in halb Europa getragen wurde, verhöhnte und ver: brannte... Im ganzen Baterlande waren jämtlihe Geſpanſchaften in Gärung. Anfänglich floſſen die Beſchwerdeſchriften nur heimlich und Nüfternd, endlich ver: ftändigten fie fi durch Rundichreiben derart, daß die gejpannten Saiten überall den gleihen Ton von fih gaben.” ?) Am lauteften Eagten die Junfer und Herren, die auch in ihrem Stanbesgefühl beleidigt waren; drang doch der Kaijer auf Gleichſtellung aller vor dem Geſetz und lieg was ganz bejonderen lin: mut erregte! die Paläfte der Magnaten gleich den Häufern der Bürger mit fortlaufenden Nummern verfehen! In Ungarn fei recht eigentlich der Adel der Träger der Revolution, verfichert eine 1790 herausgegebene Flugſchrift mit dem fenfationellen Titel „Babel; Fragmente über die jegigen politifchen Angelegenheiten in Ungarn“. Nirgend in der Welt jei der Adel maßlofer in jeinen Anſprüchen und zuchtloſer in feinem Auftreten; jeder Edelmann wolle König jein auf jeinen paar Hufen. Wenn aber jemand auftritt und den „rohen Hunnenfinn“ zu zivilifieren trachtet, dann jpielen fi die Herren, die auf ihren eigenen Höfen ein Fanni- balifches Fauftreht üben und den Bauersmann halb zu Tode prügeln, als lauter Montesquieus und Franklins auf. Einen Schnürrod tragen, gilt als vollgültiger Beweis des Patriotismus; dagegen maden ſich dieje Afterpatrioten und falichen Rakoczys kein Gewiſſen daraus, das Vertrauen der Nation zu ihrem rechtmäßigen König zu untergraben. Namentlich die Proteftanten find jogar zu verräteriſchem Anſchluß an Religionsverwandte im Lager der Feinde Defterreihs bereit; man beachte doch die merkwürdige Erideinung, dab „bermalen vier protejtantifche

!, Krones, Ungarn unter Maria Therefia und Joſeph II, 42. ) Ebenda, 52,

Gärung in den öfterreihiihen Staaten. 221

Höfe mit Ausihluß aller fatholiihen ein Bündnis gemacht und in diefes Bündnis niemand fonft als den Türken aufgenommen haben!“ Der eigentlihe Erbfeind Defterreihs, der wohlbekannte proteftantiiche Fürft im Norden, ift auch in Ungarn Anftifter und Helfershelfer der Revolution!

Die Proteftanten in Ungarn hatten das Toleranzedift mit freudigem Dank begrüßt, aber bald verſchwand diefe Stimmung und machte andern Gefühlen Platz; fie wollten die Duldung, jo erflärten fie, nicht als willfürliches Geſchenk des Königs entgegennehmen, fondern begehrten eine reichögejegliche Anerkennung und Berbürgung ihrer Rechte. Sie jahen fich troß des Toleranzpatents von allen hohen Nemtern und Würden ausgeſchloſſen, die Ausübung des Gottes: dienftes war erichwert, das Cherecht beichränft, die Zenſur gerade ihnen gegenüber ftreng gehandhabt; fie bejchwerten fich deshalb über das „Wiener Sluminatenregiment” nicht weniger leidenfhaftlih als der Primas Batthiany und feine Biſchöfe. Ob gerade von proteftantijhen Kreifen die Verbindung mit Preußen angelnüpft wurde, muß, da in den betreffenden Korreipondenzen nie mals Namen der Beteiligten genannt find, bahingeftellt bleiben. Unmwahrjcheinlich ift es nicht, daß die konfeſſionellen Beziehungen den Ausſchlag gaben; erblidte doch der proteftantiiche Teil der Bevölkerung Ungarns jeit mehr denn hundert Jahren in den Kurfürften und Königen von Brandenburg: Preußen ihre Schuß: herren! Der große Kurfürft, Frievrih Wilhelm I, Friebrih II. hatten fi wiederholt bei Kaiſern und Päpiten der ungarischen Proteftanten angenommen. Auch diesmal wurde die antihabsburgifhe Bewegung in Ungarn von preußiſchen Staatsmännern wohlwollend in Berechnung gezogen. Der preußiihe Gejandte in Konftantinopel gab jhon im Frühjahr 1788 den Rat, die Mikftimmung in Ungarn nicht unbenügt zu laffen und die Aufrihtung eines unabhängigen König: reichs jenfeits der Leitha zu unterftügen.!) Hertzberg nannte damals die dee „ebenſo barod wie unausführbar”;?) als aber die Möglichkeit eines Krieges mit Defterreich näher rückte, befreundete fih auch die preußiſche Negierung mit jenem Vorſchlag. Als ein Herr von Hompeſch, der fi für einen Abgeordneten der ungarijhen Malcontents ausgab, im April 1789 nad Berlin fam, nahm ihn der König förmlich in feine Dienfte; ja, in einem Briefe an Hergberg ftellte Friedrih Wilhelm jogar die Behauptung auf, daß er jelbit als Nachkomme ber Anjou Anſpruch auf Ungarns Krone habe, eine Auffaffung, gegen melde jogar der in genealogifhen Fragen fattelfefte Hertzberg entſchiedenen Proteft erhob. Die Verbindung mit Ungarn blieb aufrecht erhalten; wiederholt werden in Berliner Kabinettspapieren hommes de confiance erwähnt, die über die Beſchwerden der ungariihen Stände Beratung pflogen.

Es ift wenig befannt, daß auch Herzog Karl Auguſt von Weimar in dieſe Angelegenheit verflochten war. Als Friedrich Wilhelm von ungarifhen Herren um Rat gefragt wurde, welchen Fürſten die befreite Nation zum Oberhaupt wählen follte, verwies der König auf Karl Auguft; es wurden auch wirklid mit

1) Häufler, I, 225. ?) Marczall, Preußiſch⸗ ungariſche Verhältniffe 1789--1790, in den Litterar. Berichten aus Ungarn, Jahrg. 1878, II, 28.

222 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt.

Weimar Unterhandlungen angelnüpft, allein Karl Auguft zeigte feine Luft, ſich auf den abenteuerlihen und gefährlihen Plan näher einzulaffen. ')

Bon jchriftlihem Verkehr wurde vorfihtig abgejehen. Als von Wien aus die Nachricht verbreitet wurde, Hergberg habe bei den Verhandlungen in Reichen: bach den öfterreihiihen Kollegen ungarifche Korreiponbenzen ausgeliefert, wurde über diefen Schachzug, wie Jacobi nach Berlin berichtet, weiblich geladht, „da über die Vorftellungen der Ungarn feine einzige Aufzeichnung eriftiert”.?) Worauf diefe Vorftellungen zielten, erhellt aus ber Inſtruktion Friedrich Wilhelms für Hergberg vom 11. Juli 1790; die Ungarn verlangten, daß der König von Preußen als Herzog von Schlefien und Rechtsnachfolger der ſchleſiſchen Stände die ungarische Verfaſſung gewährleilte, da dur König Matthias 1605 den ſchleſiſchen Ständen diejes Recht eingeräumt worden ſei.

Die anfänglichen Mißerfolge der kaiferlihen Waffen im Türfenkrieg leifteten der magyariichen Bewegung Vorſchub. Die Geſpanſchaften mwagten zwar nicht, die geforderten Rekruten und Steuern zu weigern, knüpften aber an jede Bewilligung das Begehren, der Kaiſer möge die verlegte Kontinuität ber Landes: verfaſſung wieder herftellen. Auch Siebenbürgen, wo das bürgerliche Element überwog, beteiligte fih am Kampf gegen die zentralijierenden Tendenzen des Kaiſers; bier hatte insbejondere die Aufhebung der Selbitverwaltung der Ge: meinden böjes Blut gemadt. Als zur Fortiegung des Türfenfriegs immer neue Opfer gefordert wurden, ohne daß „der König mit dem Hut” Miene machte, einen Reichstag einzuberufen, nahmen die Komitate zu dem legten gejet- lihen Mittel ihre Zuflucht; fie ftellten an den Iudex curiae, der in Ermanglung eines Palatins der höchite Beamte des Königreihs war, das Begehren, er möge die Rechte des Landes wahren und fraft feines Amtes jelbit einen Reichstag berufen. Es war noch nicht die Revolution; es waren nur unbegründete Gerüchte, wenn in Wien von blutigen Zufammenftößen in Debregin und Dfen erzählt wurde; aber es fehlte nur no der Tropfen, der den vollen Krug zum Leber: fließen brachte!

Auh in den deutſchen Erblanden mebrten ſich die Anzeihen von Un— zufriedenheit und Oppofitionsluft. Insbeſondere das Tiroler Volf, das „viel erträgt, nur feine Neuerung im altgewohnten gleihen Schritt des Lebens“, grollte ob der kirchlichen Neuerungen und ob der Nichtbeachtung der hochverehrten ſtändiſchen Privilegien. Die Forderung eines offenen Landtages jpielte hier eine ähnliche Rolle, wie in Ungarn die Garantie der Berfafjung, und auch bier ftand faft der gejamte Klerus auf Seiten der Oppofition.?) Die Aufregung über das Regiment der Freigeifter und Freimaurer machte fih in ben deutjchen Provinzen nur in Proteften und Pamphleten Luft, aber jeder Tag fonnte ernfte Unruhen bringen.

Unter diefen Umständen mußte dem Kaifer alles daran gelegen fein, jeine Truppen zu freier Verfügung zu befommen, und dazu war der Friede mit der

) Marczall, 31. 2) Preuß. Staatsarchiv, Acta, betreffend die Eonvention von Reichenbach, 1790. ) Egger, Geſchichte Tirols, III, 126.

Preußens Bündnis mit Polen und der Pforte. 223

ui

Pforte erforderlih. „Der Friede mit den Türken”, jchreibt er (2. Dftober 1789) an Katharina, „wird um jo wünjchensmwerter, da immer offener und peinlicher zu Tage tritt, mit welch gefährlichen Anſchlägen der König von Preußen ſich trägt; aud der Wahnfinn, der, hervorgerufen durch die Freiheitsphrajen der Franzofen, beute fait in allen Köpfen ſpukt, läßt es angezeigt erjcheinen, daß zwei jo große Mächte, wie die Ihre und die meinige, ſich feit aneinander fchließen, um alle Ausshreitungen niederzuhalten.“ ) Des Ummeges durd die franzöſiſche Botſchafts— fanzlei überbrüffig, beauftragte Joſeph den Feldmarſchall Laudon, unmittelbar mit dem Großvezier in Unterhandlung zu treten. Unter dem Einbrud ber jchweren Niederlagen bei Fokſchani und Belgrad hatte die Friedenspartei in Stambul die Oberhand gewonnen, doch mußte der einflußreiche, rührige Diez die Verftändigung mit dem SKaijer immer wieder aufzuhalten. Da zwijchen Defterreih und Preußen offene Feindſchaft aufgewahjen war und auf beiben Seiten ein entjcheidender Waffengang ins Auge gefaßt wurde, drängte auch Hergberg, dem früher ein offenes Zufammengeben mit dem Türfen „inconvenable“” erihienen war, zum Abſchluß eines Bündniffes mit der Pforte. Doch aud diefer Wunſch ftieß bei den mißtrauiſchen Moslemin auf Schwierigkeiten. „ch mache jeden Tag“, jchrieb Diez (1. November 1789) an Hergberg, „dem Minifte- rium, dem Serail und den Ulemas die ftärfften Vorftellungen, aber ich kann feine genügenden Erflärungen erhalten.” Durch Beftehung eines Dragoman war ber Divan in Befig der Korrefpondenz zwijchen dem preußiſchen Gefandten und jeiner Regierung gelommen, wußte aljo, was er von Berlin zu hoffen und zu befürdten habe, und verwertete diefe Kenntnis, um günftigere Bedingungen zu erlangen.?) Diez ſuchte den unerwarteten Widerftand durch alle möglichen Künfte, fogar durch eine mit Hülfe der Ulemas in Scene geſetzte Palaftrevolution zu brechen, umfonft! Es handelte fich insbefondere darum, die Pforte zur Ab: tretung von Oczakow und ber Krim an die Rufen geneigt zu maden; dann wäre ein Separatfriede mit Rußland leicht zu ftande gefommen; Defterreich allein wäre nicht im ftande gewejen, den Krieg weiter zu führen, hätte aljo die von Preußen vorgejchriebenen Bedingungen, den „großen Plan” Herkbergs, annehmen müſſen. „Uns fommt zu ftatten,” jchrieb der Minifter (8. Dezember) an Diez, „daß alle belgiihen Provinzen fi empört haben, was die Kräfte des Kaifers furchtbar fpaltet. Die Ungarn und Galizier ftehen auf dem Punkte, dasjelbe zu thun, wenn die Pforte feithält. Sparen Sie alfo weder Geld nod Mühe, um die Hauptſache zu erreihen! Auch die Polen warten nur auf unſer Bündnis mit den Türken; in Moskau jelbit herricht große Aufregung. Niemals find die Chancen für uns fo günftig gewejen!” Allein die Herren im Divan wußten immer neue Vorwände zu finden, um die Verhandlungen binzubalten; no zu Neujahr mußte Diez befennen, die Bündnisfrage ftehe genau noch auf dem nämlichen Punkte, wo er vor Monaten jo hoffnungsvoll angefnüpft habe.

Freilih ging es ben öfterreihijchen Staatsmännern nicht beſſer. Der Kaijer wollte jegt aufrihtig den Frieden, die allgemeine Lage nötigte ihm ja

1) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 359. *, Häuffer, I, 238. _

224 Erfted Bud. Siebenter Abfchnitt.

diefen Munich förmlich auf, er jah feinen Staat auf allen Seiten von dräuenden Wellen umſpült: nur ein rajcher Friede mit der Pforte fonnte Rettung bringen. „Wir werden aller Wahrjcheinlichkeit nach im Frühjahr mit Preußen und Polen den Krieg haben,” ſchrieb er an Leopold (3. Dezember), „Frankreich fann und will uns nicht helfen, Rußland ift gänzlich erichöpft, die Niederlande ftehen in Aufruhr, der Geilt der Empörung hat auch Ungarn und Galizien erfaßt, uns jelbft beginnen die Mittel zum Wideritand zu fehlen, alles dies macht mid) zittern! Es bedarf eines Wunders, wenn wir heil aus diefen Gefahren hervor: gehen ſollen!“ ) Dazu fam noch die Furt, daß Rußland einen Separatfrieben eingehen und Laſt und Leid des Krieges auf Defterreich allein abladen möchte. Auf die Freundihaft der Zarin glaubte Joſeph bauen zu dürfen, aber er fürchtete Potemkin, deſſen Umtriebe im Hauptquartier des Großveziers die Verhandlungen nit wenig erjchwerten. Die Pforte war nicht abgeneigt, mit Rußland einen Separatfrieden zu jchließen, damit die ganze türkiſche Streitmacht zur Wieder: eroberung Belgrads aufgeboten werden fönnte. Um bieje Wendung abzuwehren, gingen die Öfterreihiichen Räte Stürmer und Wallenburg im Januar 1790 nad Schumla, wo bereits ein Gejandter Potemkins eingetroffen war; wenn nicht der Friede, follte doch menigftens ein zweijähriger Waffenſtillſtand erwirkt, vor allem aber ein Sonderfriede der Pforte mit Rußland verhindert werden. ?) Zur Unterftügung jeiner Wünſche wandte jih Joſeph auch unmittelbar an die Zarin (6. Januar 1790), „Mein Eörperlies Leiden, der ſchwere Schlag, den id) duch den Verluſt der Niederlande erlitten habe, der Angriff, der mir im fommenden Frühjahr von jeiten Preußens bevorfteht, alles dies erfüllt meine Seele mit Sorge und Bitterfeit. Em. Majeftät wiffen, wie heiß ih den mir anvertrauten Staat liebe, und werben aljo meinen Zuftand begreifen. ch wünſche lebhaft, daß der Friede mit der Pforte zu ftande komme; wenn es aber nicht gelingen, oder wenn ich bei dem Verſuch, eine rebelliihe Provinz wieder zu gewinnen, in Krieg mit Preußen und Polen verwidelt werben jollte, jo möge mir, wie bisher ih Eurer Majeftät zur Seite geftanden habe, nunmehr Ihre bülfreihe Hand geboten werben, damit mir mein väterliches Erbe, Ihnen ein verläffiger Bundesgenoſſe erhalten bleibe. Nur weil ich feit zwei Jahren als Ihr Verbündeter mit den Türken Krieg führe, bin ich in fo verzweifelte Lage geraten, aus der mich jegt nur Ihre Freundſchaft und Ihr guter Wille befreien fönnen.” Die Antwort Katharinas lautete beruhigend. „Ich made mir ein Vergnügen daraus, meine Schuld gegen Em. Majeität abzutragen; Ihre Zuver: ſicht ſoll Sie nicht betrogen haben, und ich bitte Sie, überzeugt zu fein, daß ich jedes bei der gegenwärtigen Lage zuläffige Mittel ergreifen werde, um Sie gegen den ungerechten Angriff eines neuen Feindes zu verteidigen.” °) Es war an ſich nicht wahrſcheinlich, daß Rußland feinem Bundesgenoffen in einem Krieg mit Preußen Hülfe verfagen würbe, aber vorerft war die Haltung Rußlands troß der glatten Worte der Zarin nichts weniger als bumdesfreundlih. In Peters:

) Arneth, Joſeph IT. und Leopold IL, II, 293. 2) Beer, Die orientalifche Politik Defterreihs, 130. 2) Arneth, Joſeph II. und Katharina II., 346, 348.

Preußens Bündnis mit Polen und der Pforte. 2235

burg hüllte man ſich dem Grafen Cobenzl gegenüber in geheimnisvolles Schweigen; es war nicht zu ergründen, ob das ruſſiſche Kabinett ben Frieden wolle oder nicht, und auf welche Bedingungen es fich einlaffen werde. Seit ber Angriff Guftav III. zu Waſſer und zu Land zurüdgejhlagen worden war, beftand für das Zarenreich feine ernite Gefahr mehr, denn die Spitze des polniſch-preußiſchen Bündniffes, das im Dezember 1789 die Zuftimmung des polnischen Reichstages gefunden hatte, war gegen Defterreich, nicht gegen Rußland gerichtet. So fahte auch Joſeph die Lage auf; jein befter Feldherr follte den Preußen entgegen: geftellt werden, Laudon follte den Oberbefehl in Böhmen übernehmen, „weil diefes der Teil meines Staates ift, der am gefährlichiten bedroht und an deilen Erhaltung folglih aud der Monarchie am vorzüglihiten gelegen if” (6. Januar 1790). Da es aber fait unmöglih ſchien, den Krieg nach zwei Seiten mit Erfolg zu führen, wurden die Bemühungen, mit der Pforte zum Frieden zu gelangen, fortgefekt.

Dod die Vertreter des Kaifers fließen bei ihren Verhandlungen mit dem Großvezier und dem Reis:Effendi auf die nämliche orientalifhe Verſchmitztheit, die den preußiſchen Gejandten zur Verzweiflung bradte. Die Türken kargten niemals mit Verfiherungen ihrer Friedensliebe, aber wenn die Defterreicher über die Bedingungen ſprechen wollten, begann ber Großvezier Anekdoten aus jeinem Leben zu erzählen oder der Neit-Effendi fpradh über das alte Rom und das moderne Frankreich. Freilich ſuchten auch die faiferlihen Gejandten einen möglichſt großen Teil der Beute des legten Feldzugs für Defterreih zu retten und ließen deshalb, der Anftruftion des Staatsfanzlers entiprecdhend, bie nötige Klarheit und Bejtimmtheit vermifjen. Joſeph jelbft klagt darüber. „Nichts will uns gelingen,” jchreibt er an Leopold (28. Januar), „wir haben Pech auf allen Seiten, aber wir find teilweife jelbft jchuld daran! Ich kann durchaus nicht erreichen, daß Fürft Kaunik ſich offen ausſpricht. Wir hätten anfangs einige fehr vernünftige Gründe für den Frieden vorbringen können, nein! ich habe ihn nit dazu bringen fönnen, wir bleiben bei unjrer zmweideutigen Sprade und machen alle Welt dadurch mißtrauifh. Die Zeit vergeht, der König von Preußen wird wohl ſchon fein Bündnis mit der Pforte gefchloffen haben, es ſchwindet alle Hoffnung, dem Krieg auf zwei Seiten auszuweichen!“) In der That brachte Diez, wie er felbft gefteht, „durch ganz verzweifelte Mittel” und durch Nachgiebigkeit in wefentlihen Punkten die Unterhandlungen zum erwünfchten Biel: am 31. Januar 1790 wurde das Bündnis zwifchen Preußen und der Pforte unterzeichnet. Herkberg hätte gewünſcht, daß nur im allgemeinen preußifhe Vermittlung und Bürgfchaft hätten zugefihert werden follen; bie Zuftimmung des Diwans war aber nicht anders zu erreichen, als daß auf ein fürmlides Schuß: und Trugbündnis eingegangen wurde. Mit gemeinfamen Kräften jollte die Rüdgabe Galiziens von Defterreich erzwungen, dann follten Galizien an Polen, Thorn und Danzig an Preußen abgetreten werben.

Nicht Hergberg, der die in Brüffel und Dfen, Warſchau und Konftantinopel angefnüpften Fäden nur zu einem funftvollen diplomatiſchen Gewebe benügen

) Arneth, Joſeph II. und Leopold II., II, 313. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Or, bis zur Auflöfung des beutfähen Reiche. 15

226 Erftes Buch. Siebenter Abſchnitt.

wollte und die Abtretung von Thorn und Danzig an Preußen durch überlegene Staatöfunft zu erwirfen hoffte, wohl aber Friedrich Wilhelm war entſchloſſen, zum Schwert zu greifen. Die europäifhe Lage war für Preußen ungemein günftig. Die Bündniffe mit England, Holland, Schweden und Polen, die Revo: lution in Franfreid, die mit dem Königsthron auch ben Vertrag von BVerjailles zertrümmert hatte, der Abfall der Niederlande, der für den Kaiſer den Ent: gang einer ftattlichen Heeresmadht und einer reihen Einnahmsquelle bedeutete, der Aufitand in Ungarn, die Gärung in den deutichen Erblanden, der Fortgang des Krieges mit der Türkei, dieje Faktoren fiherten Preußen ein entſchiedenes Vebergewidht, wenn es ſich entſchließen wollte, den Streit mit dem Nebenbuhler mit den Waffen zum Austrag zu bringen. „Defterreih hatte ſich wider feine Sinterejjen an der Donau nur darum zum Genoſſen Rußlands gemacht, um jeine Stellung in Deutihland gegen Preußen zu ftärken; man zahlte Maß für Maß, wenn Preußen jegt ebenfo in die orientaliiche Frage eintrat, um bie deutſche Frage zu entjcheiden.” ) Dazu war Friedrich Wilhelm entihloffen. Als an Stelle von Diez, der fih durch feine Minierfünfte unmöglich gemadt hatte, Major v. Knobelsdorf nad Konitantinopel entjandt wurde, ſchärfte der König jelbjt dem neuen Gefandten ein, er möge im Diwan auf fofortige Eröffnung bes Feldzuges dringen; die Türken follten von Kroatien aus vordringen, der preußifche Major v. Goetze jollte ihre Operationen leiten.

Mit fieberhafter Angft und Aufregung verfolgte Joſeph von feinem Kranfenbette aus die politifhen Vorgänge. Wie hätten Körper und Seele Heilung finden können, da er täglich aufs neue den Gifttranf düſterer Nachrichten jhlürfen mußte! Nicht bloß vereinzelten Entwürfen, feinem ganzen Syſtem drohte furchtbare Niederlage! Volksaufklärung war das Ziel und Streben feiner Regierung gewejen, das Himmelsliht der Vernunft jollte alle Bürger, Arm und Neih, Hoch und Niedrig, zur Geiltesfreiheit leiten, jebt zeigten feine Gegner höhniſch auf die Flamme, die den Thron eines mächtigen Königs, des Gatten der Lieblingsichweiter des Kaifers, ergriff, und bewiefen, daß fie von bderjelben Leuchte Nahrung nehme! Die Revolution, die ſchon in Belgien den Bürger gegen die Krone in Waffen gerufen hatte, richtete in Frankreich noch furchtbarer ihr Dradenhaupt empor und drohte alles Beltehende zu zer: trümmern.

Den Kaiſer überrajchten die Parifer Vorgänge nit. Er hatte die Gefahr, die hinter dem Glanz und Prunf des franzöfiijhen Hof: und Staatswejens lauerte, früher erfannt, als die Bedrohten. Darum die auffallende Strenge gegen feinen Liebling Marie Antoinette, barum die eindringlicden Mahnungen, fie möge nicht nur die Pflichten ihres Standes nit verlegen, jondern auch den böjen Schein meiden! Er jah über den bunt belebten Gärten von Marly und Trianon ben Gemwitterbimmel, er hatte während feines Aufenthalts in Frankreich Land und Leute gut ftudiert.

Nun traf das alles ein, was er befürchtet, aber die Konjequenz war grau: jamer, als die ſchlimmſten Ahnungen. Joſeph erkannte, daß der in Paris ge:

) M. Dunder, 10.

Joſeph Il. und die frangöfiihe Revolution. 937

führte Schlag nicht bloß den König, jondern das Königtum treffen müſſe. Dieje Demütigung empfand er nicht minder jchmerzlih, als das Mißgeſchick feiner Truppen am Niederrhein und feiner Diplomaten an ben europäiichen Höfen. Aus al den pridelnden Scherzworten über die „Defterreicherin” war ein Nek gefnüpft worden, das fich feit und immer feiter um das jchöne Haupt zufammen 309. Im Juli 1789 zürnt der Kaifer nur über bie ber Schweiter und ihrem Gatten zugefügte Beleidigung. „Ich überlafje es Ihnen,” jchreibt er (30. Juli 1789) an Yeopold, „ven Eindrud zu beurteilen, ven die abſcheuliche, ſchmachvolle Role, die man den König hat jpielen laſſen, auf mich gemacht hat; fie haben ihn wie einen Gefangenen nad Paris gefchleppt, ihn dort unterzeichnen laſſen, was nad ihrem Willen war, und ihn gezwungen, bie Kofarde, das Zeichen ber Empörer, an den Hut zu fteden. Man wird es jpäter nicht glauben wollen, daß ſolche Dinge ohne Schwertitreih, ohne bejondere Notwendigkeit ſich wirklich zugetragen haben!” !) Im Dftober ſchon fchreibt er: „Sch zittere für die Königin!” und im Dezember muß er zornig zugeftehen: „Der Pöbel von Paris ift heute der Zwingberr von ganz Frankreich!“ Er verfannte aber auch nicht, daß jeine Schweiter und ihr Gatte das Mißgeſchick teilweije ſelbſt verjchuldet hatten, und insbejondere war er ungehalten über das Treiben der königlichen Prinzen, die beim eriten Ton der Sturmgloden in Paris fich jelbit in Sicher: beit braditen, dann aber von fremden Höfen aus Del ins Feuer goflen und dur ihre Umtriebe die Lage des königlichen Dulderpaares inmitten des ge: reisten Volkes immer unerträglider machten. Als Graf d’Artois im Dftober 1789 aus Turin an Joſeph einen fürmlihen Aufruf richtete, er möge feine Macht zur Bekämpfung der Revolution aufbieten, da es Feigheit wäre, dem Treiben in Paris noch länger unthätig zuzufhauen, lehnte Joſeph die Ein: miſchung barſch und bündig ab (30, Dftober 1789). „Ich bin ficherlich weder Demokrat, no Ariftofrat, von beiden habe ich, wie ich glaube, weber den Ruf noch das Behaben!” Er müſſe aber doch daran erinnern, daß Artois und die übrigen Prinzen eben aud nur Bürger ihres Staates jeien, nicht für ſich allein einen Staatsförper bildeten und nicht das Recht hätten, den vom König mit der Nation gefaßten Beichlüffen den Gehorfam zu verſagen; Artois und jeine Freunde möchten lieber mitwirken, um jener Sorte von Dppofition, die als ariftofratifche bezeichnet werben könne und, in fich jelber ſchwach, zu ſchlimmer Ein: wirfung aber gerade ftark genug jei, ein Ende zu machen; fie möchten, kurz gejagt, nad Frankreich zurüdfehren und fih mit allen andern zu gemeinfamer Arbeit für das Wohlergehen des Staates vereinigen. „Unterwerfen Sie fi der An: fit der großen Zahl, die ven Ausschlag gibt!” ?)

„Der König mit der Nation!” Diejes Wort im Munde Jojephs II. verfündet die neue Zeit! Sogar dem ftolgen Selbitherricher drängte ſich die Meberzeugung auf, daß der Wille der Mehrheit einer Nation vom Leiter des Staates beachtet werden müſſe, von dieſem Zugeftändnis zur Anerfennung

') Arneth, Joſeph IL. und Leopold II., II, 264.

) Arneth et Flammermont, Correspondance secr&te du Comte de Mercy-Argenteau avec l’empereur Joseph II et le Prince de Kaunitz, 275. Joſeph II, in der Neuen Freien Breffe, Jahrg. 1890, Nr. 9157.

298 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt.

der Erfprießlichkeit einer thätigen Mitwirkung des Volfes an der Regierung war nur noh ein Schritt! Zugleih läßt Joſephs Brief an Artois erfennen, daß feine Auffaffung von Würde und Aufgabe eines Fürften mit dem Treiben der FFlitterhelden in Berjailles, die das Leben nur für eine artige Komödie und den Staat nur für einen Sädel zur Bezahlung ihrer Schulden anjahen, nichts gemein habe. Hatte doch Ludwig XVI. für Bruder Artois noch vor kurzem 21 Millionen Schulden zahlen müflen! Der Prinz von Guimene, der Bufen- freund Monfeigneurs, hatte Bankerott mit einem Ausfall von 28 Millionen gemacht! Und dieje Pflichtvergeflenen ſprachen jet von Ehre und Vaterland!

Auch in den Briefen an Mercy, den faiferlihen Botſchafter in Paris, äußerte Joſeph Bejorgnis, daß die verkehrte Politif der Emigranten dem Königspaar ein trauriges Geſchick bereiten werde. Mit Unreht made das franzöfifhe Volk die Königin für das Bündnis mit Defterreih verantwortlich; davon abgejehen, gerade diefe Verbindung babe den Franzoſen die erjprieß: lichſten Dienfte geleiftet. „Nur diejes Bündnis, das ich trog der Ungerechtigkeit, des Uebelwollens und ber Schwäche Franfreihs aufreht erhalte, ſichert heute der franzöfifhden Nation noch einige Achtung.” Troß feiner glänzenden Erfolge im legten Türkenkriege erftrebe er nichts anderes, als den Frieden, denn wenn ein allgemeiner Weltbrand drohe, müſſe jeder wachſam und gerüftet auf jeinem Poften ftehen. „Der Schwindel, der fait alle Nationen erfaßt bat, ift zu be— rüdend, und all das, was in Frankreich ftraflos geſchehen konnte, ift für die niedrigften Volksklaſſen ein zu verführeriiches Beilpiel, als daß nicht unter ſolchen Umſtänden jedermann den Frieden wünſchen müßte.“

Die Zertrümmerung des Lilienthrones, die düſtere Geftaltung der euro: päilhen Lage ließen ihn die Niederlage in Belgien um jo peinlicher empfinden. „Es ift für mich eine tödliche Bitternis,“ jchrieb er (3. Januar 1790) an Mercy, „angefichts der ganzen Welt entehrt, verhöhnt und von einer Handvoll Leute verjagt worben zu fein.”

Bon allen Seiten zog fih ſchwarzes Gemwölf zufammen, nod war es ftill in den Lüften, aber es war die bange Stille der Erwartung! In kurzer Frift können türkiſche Heere im Oſten, preußiſche und polnifhe im Norden den Kampf eröffnen, der Feind fteht in engftem Bund mit der Volfsbewegung in Belgien, in Ungarn: blutige Kämpfe, wichtige Entſcheidungen jcheinen be— vorzuftehen! Ob der nädite Tag den Beginn der FFeindfeligfeiten bringen werde, dieſe frage quälte den kranken Kaiſer graujamer, als jein förperliches Leiden. Und jogar in den deutſchen Erblanden mwiderftrebten alle dem meiland Allbeliebten, Adel, Klerus, Boll, da brad fein ftarfer Sinn!

Wie einit Karl V., den verſchiedenen Gang ber Uhren betradtend, bie Folgerung zog, daß noch weit weniger der Menſchen Denken und Tradten unter ein Taktmaß zu bringen jei, jo verzweifelte auch Joſeph daran, die ungeheuren Schwierigkeiten, die fich jeinem Reformwerke entgegentürmten, zu bemältigen. Die ftolze Seele verftand fich zur Refignation, zum Widerruf!

Namentlih zwei Entihliefungen aus Seinen legten Tagen geben bavon Zeugnis. Er wiberrief feine Anordnungen für Ungarn und genehmigte bie Wiederbelebung der alten Andahtsübungen und religiöfen Gebräude; er ver:

Das Lebensende Joſephs II. 2929

zihtete alfo auf Durchführung jener Aufgaben, die ihm zeitlebens als bie wid: tigften gegolten hatten: Zentralifierung jeiner Erblande und Reinigung des Glaubens und der Sitte feiner Völker.

Als die Stimmungsberihte aus Ungarn immer bebrohlicher Tauteten, die Beihwerden immer heftiger, die Komitatsverfammlungen immer ftürmijcher wurden, forderte Joſeph von der Hoffanzlei ein Gutachten, wie das Vertrauen der aufgeregten Bevölferung wieder zu geminnen jei. Die Näte antworteten ein: mütig: nur weitreihende Nachgiebigkeit kann den Aufitand verhindern. Kaunitz beihwor den Kaifer, er möge den Wünſchen der Ungarn willfahren; Leopold wies darauf hin, daß längeres Zaubern ber Regierung nur eine Steigerung der nationalen Ansprüche zur Folge haben könne.) So willigte denn Joſeph ein, und am 28. Januar 1790 erſchien ein föniglihes Edikt, das alle Ein- rihtungen und Anordnungen des Kaiſers aufhob, mit Ausnahme des Toleranz: erlajjes, der Pfarrregulierung und der Beltimmungen über das Verhältnis zwiihen Grundherren und Unterthanen. „Da wir in Erfahrung gebracht haben, daß ihr der alten Form der Verwaltung ben Vorzug gebt und in ihr allein euer Glüd zu finden glaubt, fo ftehen wir feinen Augenblid an, aud darin euren Wünjchen nachzugeben.” „Ich wünſche von Herzen,“ jo ſchloß der Aufruf, „daß Ungarn an Glüdjeligkeit und Ordnung fo viel gewinne, als ih ihm durch meine Neuerungen verihaffen wollte.” ?) Zur Erklärung jeines Schrittes ſchrieb Joſeph an feinen Bruder: „Seht einen Reichstag einberufen, hieße alles in Ber: wirrung bringen! Nur einige Forderungen bemilligen, würde nicht genügen. So mußte ih mich denn auch entihließen, alle meine Verordnungen zurüdzu: nehmen und alle Dinge wieder in den Stand zu fegen, wie fie zu Zeiten meiner jeligen Mutter waren: damit ift alles weitere abgeſchnitten, die Wirkung frei: ih muß abgewartet werden!” Das wichtigfte Zugeftändnis war bie Zurüd: bringung der Stephansfrone nad Buda. Der unermeßliche Jubel, womit die Snfignien im Magyarenland aufgenommen wurden, bewies, welche Kraft bie nationale Bewegung in den legten Jahren gewonnen hatte; jogar Schlözer, der das Edikt vom 28. Januar 1790 als einen „wahren Triumph für das allge: meine Anti-Stuartihe Staatsrecht“ feiert, verjpottet die magyarifchen Ueber: treibungen. In Dfen wurde von alt und jung, hoch und niedrig auf den Straßen getanzt, wie jonft nur auf den Redouten; bei einem Feſtgelage im biſchöflichen Palaft blieb fogar ber Fafttag unbeachtet; die Krone wurde zu allgemeiner Befihtigung und Huldigung in der Schloßkapelle Tag und Nacht ausgeftellt, wie das hochwürdigſte Gut. „Selbft der Hinfende jprang vor Freude,“ erzählt Keresztefi, „und alle Welt rief: Es lebe die ungarifche Freiheit!” °)

Als die Stephansfrone aus der Faiferliden Schatzkammer mit feierlihem Gepränge abgeholt wurbe, drang der braufende Jubel der Menge aud in das Gemad bes kranken Kaifers. Auf feine Frage wurde ihm berichtet, das vor

‘) Arneth, Jojeph II. und Leopold I1., II, 318. Ranke, Die deutſchen Mächte, II, 158. ?) Schlöger, Staatsanzeigen, Jahrg. 1790, Bd. 14, 121, 173. ®) Krones, 57.

230 Erftes Bud. Siebenter Abſchnitt.

der Hofburg verfammelte Volk juble, weil es die Hungersnot als Züchtigung Gottes wegen der Gefangenhaltung der ungarijhen Krone aufgefaßt habe und fih nunmehr ber frohen Hoffnung auf das Ende aller Not hingebe. „Nun jehe ih,“ ſoll Joſeph ausgerufen haben, „daß Gott all meine Werke zertrüm: mern will!” ')

Die Briefe Joſephs an Leopold laſſen erfennen, welch furdtbare Seelen- fämpfe ihn in jenen Tagen peinigten. Natürlid wurde dadurch fein körper— liches Leiden verfchlimmert; häufiges Blutbreden und ftürmifches Herzklopfen verrieten, daß der Kranfe am Rande des Grabes wandle. Troßdem widmete er jeden fieberfreien Augenblid den Regierungsgeſchäften; die legten Kräfte ipannte er an, um zur Abwehr der von allen Seiten aufziehenden Gefahren die nötigen Mahnahmen zu treffen. Mit Ungebuld erwartete er den Fall Or: jowas; dann, jo hoffte er, würde die Pforte nicht länger den Frieden weigern, und Laudon könnte die ganze Streitmadht gegen Preußen und Polen aufbieten. Die Niederlande! Diejer Verluft bebrängte jein Gemüt am jchwerften. „Ihr Zand bat mich getötet,” jchrieb er an den Fürften von Ligne, „die Einnahme von Gent war mein Todesfampf, die Räumung von Brüfjel mein Tod. Welche Shmah! Daran jterbe ih; man müßte ja ein Kloß fein, würde man daran nicht zu Grunde gehen. ch danfe Ihnen für alles, was Sie für mid gethan haben; Laudon hat mir viel, viel Gutes von Ihnen erzählt. Gehen Sie in die Niederlande; machen Sie, daß das Land zu jeinem Fürſten zurüdfehrt; wenn Sie dies aber nit zu jtande bringen können, jo bleiben Sie dort, opfern Sie nicht zu meinen Gunften Ihren Vorteil auf, Sie haben ja Kinder!” Der Fürft bewahrte dem Kaifer die Treue auch über das Grab; er blieb, obwohl jein eigener Sohn unter die Fahnen van der Merſchs getreten war und Sailer Leopold dem Vertrauten jeines Bruders mit Kälte begegnete, in öſterreichiſchen Dienften.

Joſeph verlangte von jeinem Leibarzt Guarin ein offenes Urteil über feine Krankheit; als ihm eröffnet wurde, daß ihm nur noch kurze Lebensfrift be— ſchieden jei, belohnte er den Freimut des Arztes mit einem reichen Geldgejchent und einem FFreiherrnpatent. Die Seelenruhe, womit Joſeph dem Tode entgegen: blidte, erregte aller Bewunderung. „Seine erftaunlihe Faſſung,“ ſchrieb der preußiſche Gejandte Jacobi, der an Joſeph immer zu mäkeln wußte, „überraicht ale Welt und läßt jagen, er wolle bis zu feinem legten Augenblid den ver: ftorbenen König von Preußen nachahmen!““) „Der Didter hat unrecht,“ jagte Joſeph zu Graf NRofenberg, „wenn er jchreibt: Du tröne au cercueil le passage est terrible! Mir ift der Schritt nit ſchrecklich, ih bin ruhig, es kränkt mich nur, daß ich durch jo harte Lebensplage jo wenig Glüdlihe und jo viel Undanfbare gemacht habe!” Jedes Wort verriet Entſchloſſenheit und Ge- laſſenheit. Auch jest noch trug er nur einen Gebanfen in der Seele: ben Staat,

Am 29. Januar berief er, da feine „fo äußerſt zerrütteten Gejundheits-

) Gräffer, Joſephiniſche Euriofa, II, 66. ?) Preuß. St. A. Berichte Jacobis aus Wien,

Das Lebensende Joſephs II. >31

umftände in den gegenwärtigen, wichtigen Angelegenheiten des Staates nicht mehr geftatten, den Gejchäften wie vormals zu obliegen”, eine Kommiffion, beftehend aus Konferenzrat Fürft Stahremberg, Feldmarjhall Graf Lacy und Obriftfämmerer Graf Roſenberg. Die Situngen jollten in ber Hofburg nahe dem Gemach des Kaijers ftattfinden, damit diefer jelbit, wenn es fein Zuftand erlaube, teilnehmen könne. Er beſchwor feinen Bruder Leopold, jo raſch als möglich nad Wien zu fommen (6. Februar). „Ich kann nur dann ruhig iterben, wenn ich den Staat in den Händen jeines Oberhauptes weiß!” Doch aud diejer Troft blieb ihm verjagt. „Ich wäre Ihrem Befehl entiprechend jogleich abgereift,“ ermwiberte Leopold, „wenn nicht die Erjchütterung über bie über: raſchende Wendung mir ein Unwohljein zugezogen hätte, das mich mehrere Tage ans Zimmer fefjelte; auch Habe ich natürlich für mich und meine zahlreiche Familie viele Anordnungen zu treffen.) In Wahrheit wollte ſich Leopold, wie er jeiner Schweiter Chriftine enthüllte, nicht als Mitregenten in die Staats: geſchäfte hineinziehen lajjen, damit „es nicht den Anjchein gewinne, als ob er den nämlihen Grundfägen huldige, wie jein Bruder”; auch fürdtete er, daß Joſeph fich wieder erholen und der Nachfolger in eine peinliche Lage bei Hofe fommen könnte. ?)

In Wien zweifelte niemand mehr am nahen Ende, am menigften der Kaifer jelbit. Nach einem befonders heftigen Fieberanfall ließ er einen Priefter rufen und empfing andächtig die legte Wegzehrung. Dieſer Schritt wurde namentlich außer: halb Defterreichs als „Umkehr“, als Abfall vom Philofophentum aufgefaßt. „Wie mußte die Seele des gewaltig wollenden Joſephs zerwühlt worden fein,” jagt Georg Forfter in den Erinnerungen aus dem Jahr 1790, „welche zerfleifchenden Er: fahrungen mußten vorangehen, um ihm diejes Belenntnis der Unmacht: Herr, bein Wille geſchehe! dieſe Refignation feines Willens in das höhere Geſetz der Notwen— digkeit abzuringen!“ ?) Die Folgerung beruht auf falſchen Borausjegungen. Joſeph hatte bei aller Verehrung der Aufflärungsphilofophie immer an den Satungen jeiner Kirche feitgehalten und wiederholt, wie die Wienerifche Kirchenzeitung berichtete, „mit anderen Kindern Gottes vermengt”, das Abendmahl empfangen. Ale Welt verfah fih unter der Hand mit Trauergewändern, Schaufpiele und öffentlihe Beluftigungen wurden eingejtellt, öffentlihe Gebete in den Kirchen angeordnet, Kuriere ftanden bereit, die Todesnahricht den europäifchen Höfen zu überbringen.

No ein legter Schlag, der ſchwerſte, traf den Kaiſer: fein einziger Lieb: ling wurde noch vor ihm von jähem Tode hinweggerafft. Elifabeth von Württem: berg, die Gattin des Erzherzogs Franz, die für Joſeph kindlich ſchwärmeriſche Zuneigung begte und ebenjo zärtlid von ihm geliebt wurde, fiel bei dem An: blid des Sterbenden in Ohnmacht, wurde von einer Frühgeburt überraſcht und ftarb unmittelbar nad der Entbindung. Als dem Kranfen die Trauernad): richt mitgeteilt wurde, flagte er, den Kopf auf die Arme ftügend: „Und ich

) Arneth, Joſeph II. und Leopold II. 11, 317, 319. 2) Wolf, II, 102. ) G. Forfter, Erinnerungen aus dem Jahr 1790, 20.

232 Erfted Bud. Siebenter Abſchnitt.

lebe no und habe doch alles verloren! Alles auf der Welt ift mir mißglückt, jedes Glück habe ich jcheitern ſehen! Begrabet fie raſch, damit für meine Leiche Plaß werde!” Er hatte nicht mit Unrecht als hart und rüdjichtslos gegen feine Umgebung gegolten,; in den legten Tagen war er weich und mild und Fargte nicht mit Dank und Anerkennung. Bon Schweſter Chriftine, von Mercy, Lacy und andern Getreuen, aud von jeiner Armee nahm er berzlihen Abſchied. Den ganzen Tag über arbeitete er, angefleidet auf einem Lehnftuhl figend, mit feinen Sefretären. Por allem war ihm daran gelegen, das Werf, das er immer als Grunditein feiner Politik betrachtet, dem er jo ſchwere Opfer gebracht hatte, das Bündnis der Haiferhöfe, und dadurch feinem Nachfolger die Hülfe Rußlands im drohenden Krieg mit Preußen zu fihern. Als die Zarin ihm ein bündiges Veriprehen gegeben Hatte, dankte er ihr gerührt in einem eigenhändigen Schreiben (16. Februar). „In dem Augenblide, da ich dur meine Krankheit ganz gebeugt und gebrochen, den Tod erwarte, erhalte ih den Brief Eurer Majeftät. Die Wirkung desfelben ift unbeſchreiblich; fie gibt mir die Kraft, mit ſchwacher Hand noch diefe Zeilen zu jchreiben. Niemals wurde ein folder Brief geſchrieben; nur Eure Majeftät können das fühlen, wollen und thun, was Sie fagen. Ihre Worte find heilig; fie find ein Troft für mich in meinem trau: rigen Zuftand und ein Schuß und Schirm für meinen Bruder, für deſſen Ge: fühle und Gedanken ich gutitehe und den ich jtündlich erwarte... Ich werde alfo die Züge der Hand Eurer Majeftät, die mich fo glüdlich gemacht haben, nimmer wieder ſehen! Ich fühle die ganze Bitterfeit der Gewißheit, dab ich Sie zum legtenmal meiner innigen Freundſchaft und höchſten Ehrerbietung ver: fihern kann . . .1) Joſeph ließ den Brief an die Zarin dem Fürften Kaunig zur Begutachtung vorlegen. Kaunitz ſchrieb noh am nämlichen Tage: „Boll ber zärtlihen Anhänglichkeit, die Eurer Majeftät längft befannt ift, ſchmerzlich bewegt und tief ergriffen und zugleich erfüllt von höchſter Bewunderung, kann ih diefem Schreiben jowohl mit Rüdfiht auf den Inhalt als auf den Zeitpunkt der Abfaſſung nur Beifall zollen. Laſſen Sie gütigft den ältejten und er: gebenften Ihrer Diener ſich ausweinen . . .“ Darauf erwiderte Joſeph: „Mein lieber Freund: Ich bin von Ihren Worten gerührt, aber was kann ich thun, als mich dem Willen der Vorſehung unterwerfen? Seien Sie verſichert, daß ich das höchſte Vertrauen, das Sie vor allen andern verdienen, Ihnen nie— mals verſagt habe, und daß es mir beſonders ſchwer fällt, auf die Dienſte Ihres glänzenden Geiſtes verzichten zu müſſen. Ich umarme Sie und empfehle Ihnen in dieſen ſo gefahrvollen Zeiten mein heißgeliebtes Vaterland!“

sn der Naht vom 19. auf 20. Februar unterzeichnete er noch alle ihm vorgelegten Schriftitüde. Als ſich der Todesfampf einftellte, ſprach er mit fefter Stimme: „Das ift der Anfang des Todes!” Um 4 Uhr morgens verjdied er. Die Leiche wurde mit herkömmlichem Prunf in der Hofburg aufgebahrt; Taujende drängten fich in fchmerzlicher Ergriffenheit oder gedankfenlofer Neugierde an ben Sarg, um das marmorgewordene Antlig noch einmal zu fehen. Am 22. Februar wallte der Leihenzug zur Kapuzinerfiche, in deren Gruft Maria Therefia und

’) Arneth, Jofeph 11. und Katharina IL, 349.

Das Lebensende Joſephs II. 233

viele habsburgiſche Kaifer die letzte Rubeftätte gefunden hatten. Nach dem üblichen Zeremoniell pochte einer von den Leuten des Kaiſers an das eiferne Thor ber Kirhe. Der Guardian fragte: „Wer begehrt Einlaß?“ Die Antwort lautete: „Weiland römifcher Kaifer Joſeph IL” Nachdem Frage und Antwort noch zweimal wiederholt waren, öffnete fi das Thor, und die Leiche wurde in ber Gruft beigefegt.

Sacobi, der Vertreter Preußens am Wiener Hofe, verliert, der Tod bes KRaifers habe nur ein allgemeines Aufatmen zur Folge gehabt. „Die Wiener Bevölkerung bezeugt gar fein Bedauern über feinen Verluſt. Man fritifiert alles, was Ihro Majeftät gethan hat, und zieht jogar den Abſchied, den er von feiner Armee genommen hat, ins Lächerlihe; er habe eben, jagt man, Komöbdie gejpielt bis zum legten Augenblid.” Die harten Worte Jacobis verdienen aber gewiß nicht unbedingten Glauben. Auch wenn wir nicht beftimmte Zeugniffe vom Gegenteil hätten, dürften wir ohne weiteres annehmen, daß Joſeph, deſſen Name wenigftens den Armen und Bebrüdten immer wie ein Evangelium ge: Hungen hatte, von vielen aufrichtig betrauert wurde.

Wir können heute von der öffentlichen Meinung jener Tage nur durch Würdigung der in Zeitfehriften, Tagesblättern und Privatlorreipondenzen nieder: gelegten Urteile der Zeitgenofjen eine Vorftellung gewinnen; freilich wird auch durch baftige Sournaliftenmahe und jelbitgefälige Profefforenweisheit die „Wolfe: ftimme” nur bedingt und mangelhaft zum Ausdruck gebradt.‘) Da ftoßen wir auf ſchneidende Diſſonanzen!

Von den großen Dichtern und Denkern des Zeitalters wurde die Kata— ſtrophe in Wien wenig beachtet. Klopſtock ſchwieg; er grollte noch über das Scheitern der Berufung nach Wien.“) Schiller, unſer nationalfter Dichter, gefiel ſich in ſeiner Jenenſer Periode noch in einem Weltbürgertum, das ihn die Entwickelung des eigenen Vaterlandes als etwas Gleichgültiges anſehen ließ. „Das vaterländiſche Intereſſe,“ jagt er in einem Briefe an Körner (13, Ok— tober 1789), „it nur für unreife Nationen wichtig, für die Jugend der Welt; es ift ein armjeliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu fchreiben, einem philoſophiſchen Geifte ift diefe Grenze durchaus unerträglih.”°) Bei folder Gefinnung ift es begreiflih, daß der Dichter auch einem jo bedeutenden Ber: treter römischen Kaifertums fein wärmeres Intereſſe ſchenkte. Goethe, ber in Joſeph immer mehr den eroberungsluftigen Genofjen der Zarin, als ben auf: geflärten Reformator erblidt hatte, flodht nad dem Tod bes Kaiſers in einem Brief an Karl Auguft nur die Bemerkung ein: „Die Römiſche Kaiferfrönung in Frankfurt werden wir num doch nicht verfäumen; das find Iuftige Ausfichten!” *) Dagegen wibmete Herber in den „Briefen zur Beförderung der Humanität” dem „Schätzer der Menichheit” einen warmen, mwürdevollen Nahruf. „Vor neun

) Guglia, Der Thronwechſel von 1790 und die öffentliche Meinung in Deutfdland; Beil. zur Allg. Beit., Jahre. 1890, Nr. 64 ıc.

2) Munder, F. ©. Klopftod, 421.

) Janſſen, Schiller als Hiftorifer, 87.

*) Briefwechfel des Großherzogs Karl Auguft mit Goethe, I, 161.

234 Erftes Bud. Siebenter Abfchnitt.

Jahren, da der Kaijer auf den Thron ftieg, warb er als ein Hülfsgott angebetet und von ihm das Größefte, Rühmlichſte, faft das Unmögliche erwartet; jetzt trägt man ihn als ein Sühnopfer der Zeit zu Grabe!” Keiner der römischen Raijer habe ein jo tragiiches Geſchick erfahren, wie Joſeph, der nicht bloß feine Abfihten nicht erreichte, fondern die ganze Mühe und Arbeit feines Lebens jelbft wieder ausftreihen mußte, und doc habe feiner wahrhaft Großes jo feurig gewollt und eritrebt, wie Joſeph: „Nur das zu Viel war fein Verhängnis!” ')

Bon Johannes Müller ftammt der Nefrolog im Journal von und für Deutichland, das als Organ des faiferlih und joſephiniſch gefinnten Ober: deutichlands von dem fuldaiſchen Domherrn und Hoffammerpräfidenten v. Bibra herausgegeben wurde. ?) Die Frage: War Joſeph II. wirklid ein großer Mann oder verzehrte ihn bloß der Wunſch, dafür angejehen zu werben? jei noch nicht endgültig zu beantworten. Wer nur darauf jehe, daß der Kaifer jeine eigenen Befehle und Geſetze häufig widerrufen mußte, daß er eine Fülle von Plänen ins Werk zu jegen juchte und unvollendet wieder aufgab, daß er immer nad Vergrößerung jeiner Hausmadht trachtete, daß er an heimlicher Angeberei Ge: fallen fand, daß er Verbreden gegen das Staatseigentum mit übertriebener Härte bejtrafte, daß der Geift einer rein bürgerliden Wirtſchaftlichkeit ſich allzu breit machte, müſſe verſucht fein, ihm wahre Größe abzufpreden. Dagegen werde jeber philojophiih Dentende, der Joſephs religiöfe Duldſamkeit, die Be: Ihränfung des Möndtums, die Verdienfte um die Aufflärung der Nation, die Verteidigung des Bürgerftandes gegen den Drud des Adels, die raftlofe Thätig: feit, Geduld und Mannhaftigkeit des Kaijers ins Auge falle, fein Bedenken hegen, ihn den größten Männern des Altertums an die Seite zu jtellen. Auch wer dem Negenten fein Lob jpenden wolle, müſſe doch vor feiner tragijchen Größe fi beugen. „Dies ift nicht der Gang des gewöhnlichen Mannes! Will man auch den Verluft Joſephs II. nit beklagen, jo wird jedoch jedes gefühl: volle Herz feinen Leiden eine Thräne weihen!“

Man fieht: wie Kaifer Joſeph, dur die Not gedrängt, fi zur Ent: ſagung durchfämpfte und der in feinen Staaten übermädtigen Stimmung Zu: geftändniffe machte, jo war auch mit dem Hiftorifer, wohl unter dem Einfluß des Kampfes mit Nom, in den fein Gebieter, der Kurfürft von Mainz, ver: flohten war, eine Wandlung vor fich gegangen: Während er no, wie oben dargelegt wurde, vor wenigen Jahren als Hüter der Bundeslade, als Anwalt der bedrängten Kirhe, dem NReligionsverähter Joſeph ſchroff entgegengetreten war, rühmt er jet das Reformwerk und ſpricht von der Belehrung mit ironiſchem Bedauern: „Mönche werden zulegt ihn zum Heiligen erheben, weil er jein Leben fromm endigte und den Erzbifhof von Wien um Vergebung bat!“ In einem Briefe an feinen Bruder (22. März 1790) fält Müller das an Herders Worte erinnernde Urteil: „Das Werk Joſephs wird allenthalben vernichtet; er hat nichts gethan, weil er zu viel und Alles auf einmal thun wollte!” °)

') Herder, Briefe zur Beförderung der Gumanität, zweite Sammlung, 48.

?) Journal von und für Deutichland, Jahrg. 1790, II. Stüd, 175. Bgl. 3. v. Müller, Gef. Werke, 38. Teil, 144.

) J. Müller, Gef. Werte, 30. Bd., 263.

Urteile der Zeitgenoffen über Joſeph II. 255

Die fühle Stimmung der Fürftenbundsfreife fennzeichnet der in Wielands Teutihem Merkur dem „tödtlichen Hintritt” des Kaifers gewidmete Aufſatz.) Wieland ftellt darin als die zwei wichtigſten Creigniffe des Februar 1790 den Tod Joſephs II. und die Aufhebung der Möndsorden in Frankreich einander gegenüber und mißt dem Beſchluſſe der Nationalverfammlung höhere Bedeutung zu, denn „die Wahrheit zu jagen, bie Zeit ift jchon lange vorbey, da das Leben eines römischen Kayfers und in Germanien Königs von jo mohlthätigen Ein: flüffen auf das teutſche Reich jeyn konnte, daß der Tod besjelben, an fich felbit betrachtet, für eine die ganze Nation betreffende Calamität angejehen wurde und in dieſer Rüdjiht einen jehr lebhaften und allgemeinen Schmerz erregte. Germanien hat feit dem biedern, populären und ächt teutfchen Fayferlichen Ritter Marimilian I. feinen Kayfer mehr gehabt, den man in dem Sinne, worin Er ed war, einen teutfchen König und einen König der Teutſchen hätte nennen fönnen.” Jetzt fei die Verbindung der deutichen Stände mit dem Reichsober: haupt jo loder geworben, „daß die heutigen Stellvertreter der alten römischen Augufte als jolhe dem heiligen Reiche weder viel Gutes, noch viel Böfes thun könnten . . .“ Der jüngſt verftorbene Kaifer jei jedenfalls ein bedeutender Menſch gemwejen; es jei aber zweifelhaft, „ob die Nachwelt mehr den unerfhöpflichen und unermüdlichen Geift des Fürften, der jo viel Großes und Gutes dachte, wollte und anfing, bewundern oder über den Eigenfinn des böjen Genius mehr eritaunen joll, der allem, woran er die Hand legte, jo hartnädig und unerbittlich entgegenarbeitete.” Jedenfalls habe Joſeph „den Troft im Sterben gehabt, daß jein Tod gerade in den Zeitpunkt fallen mußte, wo er, aller billigen Hoffnung nad, mwohlthätig für die Welt werden kann.“ Schlözer, ein aufrichtiger Be- wunderer der modernen been Joſephs, aber ein Gegner „des Despotentums, welches fih über Vertrag und Ueberlieferung achtlos hinwegſetzte,“ widmete dem Verewigten nicht einen befonderen Nachruf, jondern gab nur dem Abdruck der Verordnungen, wodurd in Ungarn alles wieder in alten Stand gejett wurde, die Ueberſchrift: „Denkmal Joſephs.““) Dagegen wird der Kaifer in einem Organ, wo man e3 weniger vermuten follte, begeiftert gefeiert, im Hamburger politiihen Journal.) „Kämpfend im Reiche mit Heeren von Vorurteilen, mit dem Hafle des Eigennußes, dem Grolle des Stolzes, der Finfternis des Mönch— tums, der Verjährung des Feudalſyſtems, dem Zorne der Faulheit, dem Neide der Großen, den Waffen der Feinde, der Hinterlift der Freunde, mit der Un: danfbarkeit der glüdlicheren, mit ber Unzufriedenheit der unerleuchteten Unter: thanen, mit der Gewalt des Aufruhrs, mit dem Pabſte zu Rom, mit dem Sultan zu Konftantinopel, unbefiegt und unerkannt ging er nad neunjähriger Mühe hinweg, und fonnte, arbeitend für’s künftige Jahrhundert, von feinen Tagen den Lohn nicht haben.” Das Magazin von Meiners und Spittler bringt freundliche Anekdoten von Joſeph II., damit nicht, wie es „die Stim: mung bes größten Teils des einheimifchen und auswärtigen Publikums bejorgen

') Teutfcher Merkur, Jahrg. 1790, I, 315. ) Schlözer, Staatsanzeigen, Jahrg. 1790, Bd. 14, 111. Polit. Journ., Jahrg. 1790, I, 235, 241.

236 Erſtes Bud. Siebenter Abſchnitt.

laſſe,“ das Andenken eines Gerechten durch giftige federn und Zungen ent: weiht werbe.

Die offiziellen und akademiſchen Trauerreden bieten wenig Bemerfene: wertes. Ein biographijcher Artikel in Schlitegrols Sammlung von Nefrologen feiert in ſchwungvoller Sprache die Verdienite des Monarden, von dem man, wie Sully von Heinrih IV., jagen fönne: „Die Zeit war das Einzige, was ihm zu feinen glorreihen Unternehmungen nod fehlte.“ Der Weg eigener Er: fahrung würde ihn fiher zum hohen Ziel geführt haben. „Pan denke fich ihn als einen fechzigjährigen Mann, mit fühlerem Blut, mit der Klugheit des Alters, mit den großen und theueren Erfahrungen jeiner früheren Jahre: würde er nicht vielleicht der beglücendfte und glüdlichfte Regent der Erde geworben jein?“ ?) Johann Georg Jacobi, der Bruder des Philojophen, nahm in einer zu Freiburg gehaltenen Trauerrede den Kaifer gegen jene Aufklärer in Schuß, die ihm nicht verzeihen wollen, daß er auf dem Sterbelager die Tröftungen ber Kirche ver: langte und empfing. ?) Der Olmützer Profefjor Reifinger will „ohne Zittern“ „die häufigen Klagen unterfuhen, die gegen Joſeph gemurrt und geplärrt werben”.?) Ein PBrofeffor der „ſchönen Wifjenjchaften” in Bonn, der bald darauf zu trauriger Berühmtheit gelangen ſollte, Eulogius Schneider, feierte den „Lühnften Reformer aller Zeiten” in einer ſchwulſtigen Trauerelegie:

„Und gelangteft du zum Throne, Griffeft du dem Höllenfohne Fanatismus ins Geſicht:

Ha, da ſpie das Ungeheuer Schwefeldampf und Gift und Feuer, Ganz beſiegteſt du es nicht!” *)

Als legte, nicht ſchwächſte Zeitftimme über Joſeph jei der Nefrolog in Georg Forfters „Erinnerungen” angeführt.) Noch heute wird das Schlußwort gern citiert: „Aus der Fadel feines Genius ift ein Funke in Deiterreih ge: fallen, der nicht wieder erlischt.”

Forfter hat das Nechte getroffen. Nicht als deutſcher Kaifer hat ſich der erite Lothringer Bewunderung und Liebe verdient. Er hat die Erwartungen deutiher Patrioten e8 jei nur an die Ausfprühe von Karl Friedrich von Moſer und deſſen politiſchem Antipoden Creuz erinnert nit erfüllt. Freilih wäre es ſchwer gewefen, dem zur hohlen Form gewordenen Kaijertum einen lebendigen Inhalt einzugießen, damals befonders ſchwer, da der gewal: tigfte Vertreter des deutſchen Partikularismus oder, wie er es nannte, „Der teutjchen Libertät“, noch lebte, Friedrich der Große. Zwar hatte Joſeph, wie dargelegt wurbe, nad) jeinem Regierungsantritt ſich bemüht, das fait eingeroftete

) Schlichtegroll, Sammlung von Netrologen, Jahrg. 1790, I, 151.

2) Angezeigt von J. ©. Schlofjer im Neuen Deutihen Mufeum, Jahrg. 1790, 1058.

») Joſeph der Zweite, eine Vorlefung, gehalten am 10. April 1790 von F. Reifinger. 4) Brunner, Myfterien der Aufllärung, 525.

) G. Forfter, Erinnerungen aus dem Jahr 1790, 25.

Urteile der Zeitgenofjen über Joſeph II, 237

Räderwerk der Zentralgemwalt in lebhafteren Gang zu fegen, aber ber Verſuch war geicheitert, ebenjo infolge der ungebuldigen Ueberhaftung von feiten bes KRaifers, wie des Widerftands der auf ihre Souveränität pochenden Reichsſtände. Trogdem wäre es nicht unmöglich geweien, die Bedeutung bes römischen Kaijer: tums zu heben. Joſeph hätte feine wichtigfte Aufgabe darin erbliden müſſen, die nationalen Intereſſen aufzufpüren und zu fördern; er hätte dem beutjchen Volk zum Bemußtfein bringen müflen, daß es im Oberhaupt des Neichs ben natürliden Schugherrn der geiftigen und leiblihen Wohlfahrt der Nation zu erbliden habe, und daß eine feftere Verbindung der deutſchen Staaten nicht bloß Opfer heile, ſondern auch Worteile gewähre. Ohne Zmeifel hätten mande wirtihaftlihe Fragen eine Regelung nad) höheren nationalen Gefidhtspunften zugelaflen; es gebt 3. B. aus den im Journal von und für Deutichland perio- difch wiederkehrenden „Anfragen zu Deutſchlands Wohl” hervor, daß in ſolchen Dingen bereits ein zentripetales Bedürfnis empfunden wurde. Durch eifriges Bemühen, den deutſchen Handel im Norden wie im Süden zu heben, eine Bes ſchränkung der Binnenzölle innerhalb des Reichs herbeizuführen, dem deutſchen Gewerbfleiß neue Abfapquellen zu erjchließen, wäre auch die Bedeutung bes Raifertums gefteigert worden. Dagegen trachtete Joſeph nur das ınaterielle Wohl der habsburgifchen Erblande durch ftrenge Abſchließung vom Ausland, d. h. den deutſchen Staaten, zu fördern; der beutiche Standpunkt fam gar nicht in Betradht. Noch wichtiger wäre die Würdigung des geiltigen Elements ge: wejen. Gerade weil Friedrih II. den Aufſchwung in Litteratur und Wiſſenſchaft mißachtete, hätte Joſeph diejer Seite des deutſchen Kulturlebens erhöhte Beachtung widmen müflen. Doch auch dafür mangelte ihm das Verftändnis; ihm wog Lejfing nicht ſchwerer als Sonnenfels, Blumauer galt ihm jo viel oder jo wenig wie Wieland, Alringer war ein bequemerer Hofpoet als Klopftod. Auch die nationale Bewegung innerhalb der deutſchen Kirche, die der Nuntiaturftreit wach— gerufen hatte, wurde, wie erwähnt, in Wien nur als gleihgültige Sache auf: gefaßt. Vor allem hätte der Kailer, um das Vertrauen der Reichsbeutichen zu gewinnen, durchaus geredht und uneigennüßig fein Ehrenamt verwalten müflen. Doch das Verhalten in der bairishen wie in der polnischen Frage bewies, daß auch er, wie fo viele feiner Vorfahren, um einer Vergrößerung der Hausmadt willen bereit war, Macht vor Recht zu ftellen, und daß er den Vorteil jeines Haufes höher jchägte, als die in der Frankfurter Bartholomäuskirche beſchworene Reichsverfaffung. So nur fonnte es kommen, daß das Vertrauen der deutjchen Patrioten zum Träger der Stauferfrone erloſch und der ehebem gefürdtete Stören- fried im Norden als Schirmherr des Rechts und der von ihm geftiftete Fürften- bund als heilſame Schugwehr gegen imperialiftiichen Ehrgeiz angejehen wurden.

Für Defterreich aber bedeutete das Walten des unermüdliden, erniten, nüchternen, echt deutjchen Regenten unſchätzbaren Gewinn. Der ſpaniſche Geift wurde von Joſeph ein für allemal aus der Wiener Hofburg verbannt; in den feit Jahrhunderten faft brachgelegenen Boden pflanzte er Keime, die teilweise erit ein Jahrhundert fpäter aufiproßten und zu frudtbringenden Aehren heran: reiiten. Allerdings war feine auswärtige Politit auch für Defterreich nicht vorteilhaft; es erwies fich als Fehler, daß er, um Preußen zu befämpfen, dem

238 Erftes Buch. Siebenter Abſchnitt.

Bündnis mit Rußland und der Rüdfiht auf Franfreih jedes Opfer bradte; das Ergebnis war, daß Joſeph jelbit am Abend feines Lebens die Lage feiner Staaten als eine verzweifelte betrachten mußte. Auch gegen die innere Politif muß der Vorwurf erhoben werben, daß er allzu baftig, ungeduldig, herriſch vorging „il faut faire les grandes choses tout d’un coup,* jagt er felbft in feinem Regierungsprogramm von 1765) —, daß jeine Hohadtung vor dem Zeitgeift in Geringſchätzung des Herfommens, feine Drdnungsliebe in manchen Fällen in Schablonentum, jeine Strenge in Härte ausartete. Trogdem ift Joſephs Andenken mit Recht noch heute jedem Defterreiher teuer. Schon die unvergleidh: liche Pflichttreue, die recht eigentlih als Grundzug feines Wejens, als faculte maitresse in Taines Sinn, bezeichnet werden fann, erhebt ihn über die meiften Regenten der neuen Zeit. Der öfterreihiiche Bauer weiß, daß er Befreiung vom brüdenden Joch der Grundherren, Rehtsihug, mit einem Wort, eine menfchlichere Eriftenz dem Fürften zu danken bat, der jelbit den Pflug zur Hand nahm, um den Nähritand zu ehren. Der Bürger gedenkt dankbar des auf: geflärten Monarden, der lange vor dem Pere Duchesne Gleichheit aller vor dem Gefeß zum eriten Dogma der Staatsverwaltung erhob,?) des Menjchen- freundes, der feine Luftgärten dem Volke öffnete, jedem Bittiteller freien Zu: tritt gewährte, den Armen und Kranken, Blinden und Waiſen hülfreihe Hand bot. Der Schulmann verehrt in ihm den Neformator des Volksunterrichts, der Soldat den Drganijator der Armee; dem Deutſch-Oeſterreicher gilt er als der vornehmfte Träger der dee der Neichseinheit und des Deutſchtums; allen aber fam zu gute, daß er, das Wejen der Religion als Gottes: und Menjchen: liebe auffallend, die Unduldjamfeit und den Gemwiflenszwang der Ferdinandeiſchen Zeiten bejeitigte und einer freundlideren Auffaſſung des Menſchentums Bahn brad. Die Joſephiniſchen Ideen, die, von ungerechten und ungeididten Sad: waltern mißbraudt, von vielen Zeitgenofjen noch drüdend empfunden wurden, find, im Laufe der Zeit gemildert und geläutert, ein Segen ber Bölfer ge: worden. Mit der Begründung des tragiihen Ausgangs, der ihm jelbft die Klage entprefte: „Alle meine Pläne habe ich fcheitern ſehen!“ wird nicht die Bedeutung eines Schidjals erfhöpft. „Oft ift der Wille,” fagt Herder mit Beziehung auf Joſeph II., „größer als die That, das Unternehmen edler, als die Ausführung.”

) Arneth, Maria Therefia und Joſeph II., ihre Korrefpondenz, III, 360.

®) „Pauyres ou riches, tous hommes sont egaux en droits* (Lettre Du Püöre Duchesne aux ouvriers, 4). Der gleiche Grundjag wird als Fundament der allgemeinen Gerichtsordnung von 1787 verfündigt (Luſtkandl, Die Zofephiniihen Ideen und ihr Erfolg, III, 50).

Achter Abfchnitt.

Tevpold in Toskana. Pie Hebernahme der Regierung in den üfterreichifchen Erblanden. Annäherung an Preußen. Porbereitungen zur Railerwahl. Der Reichenbacher Derfrag.

Bruders. Die Friedensverhandlungen mit der Pforte waren erfolglos

geblieben; Preußen hatte fih mit der Pforte verbündet, und es war faum nod zweifelhaft, daß im fommenben Frühjahr das fieggewohnte preußifche Heer die ſchleſiſche Grenze überfchreiten werde. England und Holland ſtanden auf Seite Preußens, wenn auch bie Feitigfeit des Dreibundes in Zweifel ge- zogen werben fonnte. Die Niederlande, die einträglihite Provinz Deiterreichs, waren für das Erzhaus vorerit verloren; in Ungarn fonnte jeder Tag den offenen Aufitand bringen; auch in den übrigen Kronländern war die Stimmung erregt, faft feindſelig.

AU dieſer mwiderftrebenden Elemente Herr zu werden, war feine leichte Aufgabe, aber Leopold löfte fie, nicht mit des Schwertes Schneide, nicht durch fieghafte ftaatsmännifche Ueberlegenheit, jondern durch Vorſicht und Wachſam— feit, Mäßigung und Nachgiebigkeit, wobei ihn offenbar das Vertrauen leitete, daß die Zukunft zurüderftatten könne, was der Mißgunſt des Augenblids ge- opfert werde.

Man hat aus der Thatſache, daß namentlich in der inneren Politif Leo— polds ſchroffe Widerjprüche hervortreten, die Folgerung gezogen, daß er nicht umjonft folange in ber Vaterftadt Mackhiavells gelebt, daß er dem Negenten: ideal des Principe nachgeeifert habe. Ernft Hartmann und andre mögen in diefen Anflagen zu weit gegangen fein, aber es läßt ſich nicht beitreiten, daß Leopold in vorgerüdtem Lebensalter einer gewiſſen nüchternen Klugheit vor den früher fo ftark betonten philoſophiſchen Grundſätzen den Vorzug einräumte, daß er jogar welſche Lift nicht verſchmähte, wenn er dadurch einen Feind entwaffnen,

J drangvoller Zeit übernahm Leopold von Toskana das Erbe ſeines

240 Erfteö Bud. Achter Abſchnitt.

eine Gefahr abwenden fonnte. Ohne Zweifel war Leopolds Befonnenheit für den Staat in mander Beziehung vorteilhafter, als Joſephs ftürmifches Vor: wärtsdrängen: trogdem wird fi unſre Neigung lieber dem immer geraden, bei allem Ehrgeiz jelbftlojen, bei aller Gemwaltthätigfeit liebenswürdigen Joſeph zuwenden.

Kein Zweifel, die Verwaltung Toskanas unter Großherzog Leopold war im allgemeinen gut und erjprießlih, aber was zur Erklärung der weniger glüd: lihen Erfolge des Kaifers und Königs Zeopolds angeführt wird, dient auch zur Rechtfertigung des Vorgängers. „Freilich ift Toskana,” jagt Erome, „ein großer, aus verjchiebenen Provinzen zujammengejegter Staat, bewohnt von heterogenen Nationen, freilih ift das friedliche Hetrurien feine Monardie, welche Erobe: rungen zu machen oder das gepriefene Gleichgewicht von Europa aufrecht zu erhalten ftrebte und deswegen jein inneres Intereſſe dem äußeren je aufopfern mußte.) Auch Wedherlin nimmt diefe Entichuldigung für Joſeph in Ans ſpruch; die beiden Brüder, jagt er, jeien Nerzten vergleichbar, deren einer mit Brehmitteln, Zugpflaftern ꝛc. zu heilen ſuchte, dies griff die Kranken fo ftarf an, daß ihnen die Arznei verleidet wurde, während der andre Opiate, Tijanen, Fünftelfäfte und dergleichen bot, dies nahmen die Patienten gern, weil es angenehm roh. „Sener fand aber verhärtete Körper vor, diejer vorbereitete: hätte Joſeph II. fein eigener Nachfolger fein fünnen, fo würde er ohne Zweifel Leopolds Theorie ergriffen haben.” *)

Durch Gejeg vom 14. Juli 1763 hatte Kaifer Franz I. verfügt, daß das Großherzogtum Toskana, das er einft gegen fein Stammland Lothringen hatte eintaufchen müflen, niemals unmittelbar unter dem Beherricher der öſterreichi— ihen Erblande ftehen, jondern dem jemweiligen zweiten Sohne zufallen jolte. Demgemäß wurde nad Franz’ I. Ableben der zweite Sohn Leopold Großherzog von Toskana; am 13. September 1765 hielt der Acdhtzehnjährige Einzug in ‚Florenz.

Der äußeren Erſcheinung Leopolds er war von fjchmächtiger, un— ſcheinbarer Geftalt, hatte Eleine Augen, aufgeworfene Lippen, bünnes Haupt: haar, fehlte jeglicher Reiz. Auch jeiner Rede mangelte, was die Geilter fejlelt oder die Herzen gewinnt, Er beſaß weber bie liebenswürbigen Um: gangsformen, noch den jchneidigen Wit feines Bruders; dagegen war er ihm an Bildung und Kenntniffen unzweifelhaft überlegen. Schon in früher Jugend bieß er jeiner Zernbegierde und feines Fleißes halber im Familienfreife „der Doftor”.?) Der Spigname fcheint fi erhalten zu haben; wie Biſchof Ricci erzählt, pflegte König Ferdinand von Neapel, der häufig in Florenz als

!) Die Staatöverwaltung von Tosfana unter der Regierung Sr. Königl. Maj. Leopolds II, aus dem Stalienifchen überf. von Erome (1795), 2.

?) Wedherlin, Paragraphen, II, 94. Roſcher, Geſch. der Nationalölonomil in Deutfch: land, 1, 684: „In einem jo völlig ausentwidelten Lande wie Toslana, das feit Jahrhunderten bloß zwiſchen Demokratie und Cäſarismus gewechfelt hatte, waren viele Dinge natürlih, für die es in Defterreih mit feinen vielen halbmittelalterlihen Provinzen noch an jeder Unterlage fehlte.”

) Fiſcher, Leopold II., eine philofophifhe Rhapſodie, 14.

Leopold in Toskana, 941

Gaft verweilte, feinen Wirt ala „Dottore* anzureden. !) MWecdherlin, der Leopold auf feiner Krönungareife in einem fränfifhen Städtchen ſah, hebt als charak— teriftifhen Zug hervor, daß der König, jobald der „betäubende und kleinſtädtiſche Lärm des Empfanges” verrauſcht war, unverzüglid) nach einem Buche griff und auf: merkſam zu lefen begann.?) Schlözer, der 1782 Florenz bejuchte, ſchildert eine anmutige häusliche Scene aus dem Palazzo Pitti, wo der Großherzog in prunf: vollen Räumen wie ein ſchlichter Bürger lebte. Der Fürft führte den Profeſſor in die Gemäder der Großherzogin; hier jaß Marie Luife, an einem Strumpfe ftridend, im Kreiſe ihrer Kinder; im Geſpräch mit dem deutſchen Gelehrten Ihalt fie auf die vornehmen talienerinnen, die fi der Arbeit jhämten, und fie und ihr Gatte ruhten nicht, bis Schlözer alle Schreib: und Rechnungshefte der Prinzen durchgeſehen hatte. °)

Die erften Regierungshandlungen Leopolds zogen die Aufmerkſamkeit der ganzen abendländiſchen Welt auf fih. Herder weiſt in feinem Nachruf an Joſeph II. darauf hin, daß der ob jeiner Reformen vielgepriefene und vielverläfterte Kaiſer diejelben zum großen Teile von jeinem jüngeren Bruder „gelernt und geborgt” habe. *) Dies ift infofern richtig, als Joſeph bis zum Tode der Mutter nur in militärifschen Dingen feine eigenen Ideen durchführen konnte, während Leopold menigftens ſeit 1770 als jelbftändiger Souverän Grundfäße der Auf: Härung praktiſch bethätigen fonnte. Auch Leopold entwidelte darin lebhaften Eifer, war aber glüdlicherweije frei von jener Ungebuld, die den Bruder, wie König Friedrih fagte, häufig den zweiten Schritt thun ließ, ehe er den erſten recht gemacht hatte. „Joſeph befahl das Gute,” jagt Erzbiichof Pradt, „und zwang die Menihen, es zu nehmen; Leopold ließ ihnen Zeit, das Gute jelbjt zu wollen.” °) Wenigitens wurde den Reformen mehr Zeit zur Reife ge: lafjen, als in Defterreih; deshalb fahte in Tosfana mandes feite Wurzel, was dort wieder vertrodnete und zu Grunde ging.

Die erite Sorge galt den zerrütteten Finanzen des Staates. Im Jahre 1790, fur; vor feiner Ueberjiedelung nah Wien, ließ Leopold offenbar nad) dem Vorbild des Nederfhen Compte rendu von 1781 burd feinen Minifter Francesco Gianni einen Rechenſchaftsbericht über die Staatsverwaltung der legten fünfundzwanzig Jahre ausarbeiten und der Deffentlichfeit übergeben, „damit das Volk fich jelbft überzeuge, ob die Staatsgelder gewilfenhafte und wirtichaftliche Verwendung gefunden hätten.” °) In Zufammenhang mit der FFinanzreform ftand die neue Ordnung der Gemeindeverfaflung; den Gemeinden wurde Selbit: wahl ihrer Obrigfeiten, der Gonfalonieri, Prioren und Generalräte, eingeräumt; die Bermittelung zwiigen Kommune und Regierung oblag den Gemeinde:

!) Votter, Das Leben und die Memoiren des Scipio von Nicci, Biihof von Piſtoja und ®rato, 11, 162.

?) Medherlin, Baragraphen, I, 38.

2) Schlögerö Biographie, 1, 323.

4) Herber, Ideen zur Beförderung ber Humanität, 49.

>) Pradt, Ueber Belgien (aus dem Franzöſiſchen), 73.

) Governo della Toscana sotto il regno di $. M. il re Leopoldo II (1790). Ins Deutjde übertragen von Erome (ſ. ©. 240).

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bit zur Auftdfung des deulſchen Reichs, 16

242 Erftes Bud. Achter Abſchnitt.

kanzlern.) Die beabfitigte Einführung eines allgemeinen bürgerlichen Geſetz— buches für ganz Toskana jcheiterte an verſchiedenen Schwierigkeiten, dagegen war epochemachend die Reform der Strafgejeßgebung, wobei Beccarias Schrift: „Ueber Vergehen und Strafe” zu Grunde gelegt war, ein Beifpiel, das bei allen Völkern Europas Nahahmung fand. Die Folter, die Tobesitrafe, Die Gütereinziehung wurden abgeſchafft; eriter Grundjag war: die Rechtspflege darf niemals aufhören, menjchlic zu jein, und neben bem ftrengen Recht muß auch der natürlichen Billigfeit Rechnung getragen werden.

Auch uneingeſchränkte Preßfreiheit wurde als Grundſatz aufgeftellt; das oben erwähnte offizielle Werk citiert einen Ausiprud Leopolds: „rn meinem Staat darf alles öffentlich gejagt werden!" Doch ftimmten Theorie und Praris nicht immer überein. In unerfreulihem Widerſpruch mit den freifinnigen Re— formen jtand die Thatſache, daß die Geheimpolizei zu den wichtigiten Faktoren der tosfanifhen Negierung und der Polizeiminifter Chelotti zu den einflußreichiten Männern bei Hofe zählte. Die auffällige Ericheinung erklärt fih aus dem ver: ſchloſſenen, argwöhniſchen Weſen Leopolds, worüber fich Joſeph oft beklagte. „Mein Bruder ift ſehr mißtrauiſch,“ jchrieb Joſeph ſchon 1769 an die Mutter, „und jucht alle feine Handlungen zu verbergen und in ein gewiſſes Geheimnis zu büllen. Ich glaube ihn richtig erfannt zu haben und kann Em. Majeftät verfihern, nichts in ihm gefunden zu haben, als eine trefflihe Grundlage, aus: gebreitete Kenntniſſe, unglaubliche Arbeitjamkeit, aber in der Wahl der Mittel und der Perfonen hat er nidht immer Glüd, und das verbüftert ihn und macht ihn häufig mißtrauifh.” ?) „Du mit deinen glüdlihen Anlagen und Kenntniffen,” mahnte er den Bruder jelbit, „iollteit doch lieber in Gejellichaft verkehren und nicht jelbftquäleriich di in dein Kabinet begraben oder einfam umberwandeln.“ Freilih glaubte Leopold gerade durch den Bruder zu folder Vorficht genötigt zu jein. „Ich bin,” fchreibt er an Schmweiter Ehriftine (25. Januar 1790), „von Zeuten bes Kaijers jo umzingelt und ausfpioniert, daß ich mich nicht zu rühren wage, aus Furdt, mir Unannehmlichfeiten zuzuziehen.““) Nun war zwar Kaifer Joſeph in der That nicht frei von Eiferfucht auf den Thronfolger und mochte wohl Vorkehrungen getroffen haben, um über die Vorgänge im Palazzo Pitti unterrichtet zu werden, aber es war gewiß nur franfhafte ANengitlichkeit, wenn Leopold die gleihgültigften Briefe an die Geihwifter, in denen fein Wort ben Itrengiten Richter zu ſcheuen hatte, nur durch geheime Boten überbringen ließ und alle einigermaßen wichtigeren Mitteilungen mit Zitronenfäure fchrieb. *) In Becattinis „Vita privata di Leopoldo* wird höhnifh darauf hingewieſen, daß der Großherzog die Inquiſitionsgerichte zwar für geiltlihe Dinge aufgehoben, für weltlide aber eingeführt und die geheime Angeberei förmlich in ein Systema Leopoldinum gebracht habe. Freilich werden die Angaben dieſer Schrift durch ihre gehäffige Tendenz entwertet, aber aud weniger verbädtige Zeugen be: Hagen die Vorliebe Leopolds für Shirren und Spione.

I) A. Reumont, Geſchichte Toskanas unter dem Haufe Lothringen-Habsburg, II, 79. 2) A. Wolf, Leopold II. und Marie Chriftine, ihr Briefmechiel, 81.

’) Arneth, Maria Therefia und Joſeph IL, I, 276.

4) Wolf, 77.

Leopold in Toslana. 243

In feinen volfswirtichaftlihen Anfhauungen nahm Leopold, der mit feinem Bruder Joſeph in den Staatswiſſenſchaften von Karl Freiherrn von Martini unterrichtet worden war !), im ganzen und großen den phyſiokratiſchen Stand: punft ein. Wie Karl Friedrich von Baden unterhielt er regen Verkehr mit dem älteren Mirabeau und ſuchte die im ami des hommes niebergelegten Grundfäge in die Praris einzuführen. Die in Toskana jeit langem endemijche Teuerung führte bier, nod ehe Adam Smiths Lehre ihre mächtige Wirkung auf öffentlihe Meinung und Gejeßgebung der zivilifierten Welt auszuüben begann, zur Freigebung des Getreide: und Viehhandels. Nah der Anficht des Minifters Pompejo Neri wäre nur dieſem Syftem zu verbanfen geweſen, daß Toskana fih langjam wieder in den „Garten Italiens“ ummanbdelte. ?) Zu Ehren des Freihandels wurde eine eigene Medaille geprägt, auf welcher die „Göttin des Weberflufjes” die Fadel ſchwingt, um die alten und veralteten Gejege zu verbrennen. *) Auch mit Monopolen, Zunftzwang und andern mittel: alterlichen Ueberreſten wurde aufgeräumt, aber im Widerſpruch mit den phyfio- fratiihen Forderungen ftüßte fih das Finanzweſen größtenteils auf Zölle und Acciſen. An den beitehenden Agrarrehten wurde nichts geändert; die in Tos— fana ſeit undenklichen Zeiten durchgeführte Mezzeria oder Halbwinnerihaft war für den Landmann günftiger als alle andern in Stalien zur Herrihaft ge: fommenen Syiteme. Für Verbeſſerung der Adergründe, für öffentlihe Bauten, insbefondere Damm: und Straßenanlagen, wurden großartige Mittel in fünf: undzwanzig Sahren 9782846 Liores!) aufgewendet, die Kultivierung des Chianathals und der Maremmen erregte Auffehen in gang Europa. Im Unter: richtsweſen wurden glüdlihe Berbeflerungen eingeführt; es murben dafür 1010623 Livres verausgabt, aljo nad Eromes PVerfiherung „eine ver: bältnismäßig größere Summe, als irgend ein Staat für Kulturzwede ver: wendete”.

Ganz „joſephiniſch“ waren die Firdenpolitiihen Ideen Leopolds. Beide Brüder verfolgten die nämlihen Ziele, wenn auch auf verichiedenen Wegen. Während Joſeph auch bier nad) Soldatenart ohne Verzug und ohne Zugeſtänd— nifje Unterwerfung unter jeinen Willen forderte, hielt Leopold für angemefjener, fih der Zuftimmung, womöglid auch der Mitwirkung der maßgebenden Kreiſe, insbejondere der Bilchöfe, zu verfihern; jener ordnete Neuerungen an, ohne erft darauf vorzubereiten, dieſer ließ eine klug berechnete Belehrung vorausgehen. So war feine vierundzwanzigjährige Wirkſamkeit „ein ununterbrocdhenes ort: ſchreiten zu einem Ziel, welches nur er und diejenigen wahrnehmen fonnten, die für geräufchlofe Thaten einen Sinn hatten.” °) Nur in Bezug auf Beſchränkung des Einfluffes der Kurie ſchien ihm Joſeph, wie wir oben ſahen, nicht einmal

) Ho:Bidermann, Der öfterreih. Staatsrat von 1760 bis 1848, 107.

2) Hillebrand, Ein fürftlicher Reformer des achtzehnten Jahrhunderts, in Zeiten, Bölter, Menſchen, IV, 247.

2) Wolf und Zwiedined:Südenhorit, Defterreih unter Maria Therefia, Joſeph II. und Leopold II., 322,

*) Erome, II, 21.

IB. P. Wolf, Geſch. der röm.:tath. Kirde unter der Regierung Pius VI, 2.

244 Erſtes Bud. Achter Abſchnitt.

raſch und entjchieden genug vorzugehen; Bejreiung vom „eigennüßigen und des: potiichen Joch des römischen Hofes“ ift Das ceterum censeo, das in den Briefen Leopolds immer wiederkehrt. Geiftlihen und firhlihen Fragen wurde aud aus doftrinärem Intereſſe befondere Aufmerfiamkeit gewidmet. Leopolds Ratgeber, der aufgeflärte, intelligente, aber reizbare und unvorjichtige Scipione Ricci, Bifchof von Piftoja, verfihert, der Großherzog habe fih einer gründlicheren theologiſchen Bildung erfreut, als viele Prälaten; das Rundichreiben 3. B., woburd die tos— kaniſchen Biſchöfe zu gutachtliher Neuerung über verjchiedene firhlihe Fragen aufgefordert wurben, habe er, an den Ecelesiastique citoyen ſich anlehnend, jelbit entworfen. Auch Leopold war, wie fein Bruder, aufrichtig religiös; ſogar der auf furialiftiihem Standpunkt ftehende Biſchof Franzefi von Montepulciano erfannte dies an; „nur um des Vorteils der Religion und der Kirche willen“ wur: den firchenpolitiihe Neformen durchgeführt, an denen aber Cantu beflagenswert findet, daß es „mehr die Reformen eines Janfeniften, als eines Philofophen.“ ') Um der Weberfüllung des tosfaniichen Landes mit Prieitern und Mönden ab» zubelfen und ärgerlihen Vorfommniffen, wie fie gerade damals in Nonnenklöftern aufgebedt worden waren, vorzubeugen, wurben mehrere Klöfter aufgehoben, bie übrigen unter firengere Zucht geftelt. Die geiftlihen Seminare erhielten eine ähnliche Reorganifation, wie das belgische Generalfeminar; die Inquifition wurde einfah „aus höchſter und abfoluter Iandesherrlicer Autorität” aufgehoben, dem Mißbrauch mit Ablaßbriefen, Wunderbildern, Walfahrten x. nad) Kräften geſteuert. In vielen Fragen ging Zeopold feinem Ratgeber Ricci noch bei weitem nit fireng und offen genug vor; für die Neform der biichöflihen Gerichte 3. B., dieſes „unvollftändige und unverftändige Werk”, lehnt Ricci jede Ber: antwortung ab; Zeopold, jo klagt er, jei in ſolchen Dingen von einer „Nachficht gewejen, die an Schwäche grenze.” ?) Trotzdem erregten dieje kirchenpolizei— lihen Mafregeln, insbejondere das radikale Vorgehen gegen die weitverzweigten und mit der biftoriihen Entwidelung des Landes zufammenhängenden Bruder: haften, im Klerus und in der kirchlich gefinnten Bevölkerung Mißftimmung. „Der Großherzog ſcheint nicht zu ahnen,” jchrieb der englifhe Gefandte Horace Mann, „daß die geiftlihen Waffen eines Tages für ihn zu mächtig fein werden.“ Leopold glaubte fih dadurch zu deden, daß er 1786 die Berufung einer Synode zu Piftoja veranlaßte. In der That wurde von den Teilnehmern nicht bloß das firhenpolitiihe Syitem der Regierung gebilligt, jondern noch weit heftiger als auf dem Emjer Kongreß gegen die römifchen Uebergriffe Stellung genommen. Doch die Mehrheit der Bevölkerung jah darin ein verwerfliches Sturmlaufen gegen die Religion; in Prato fam es jogar aus Anlaß einer angeblichen Pro: fanierung von Reliquien zu erniten Unruhen.

Solche Erfahrungen im eigenen Lande, insbejondere aber die Wahr: nehmung, daß die rückſichtsloſen Aufflärungsverjuche Joſephs den Verluft Belgiens nach ſich zogen, flößten dem Fürſten, der jonit für das Lob der Logen fo em: pfänglich geweſen war, Bedenken ein; er jagte ſich förmlich [os von ber Ideen—

) Cantü, Storia di cento anni, ], 464. ®) Potter, II, 122, 160 ff.

Leopold in Toskana. 245

gemeinjchaft mit Joſeph und beffagte deſſen Schroffheit und Starrfinn. Belgien zu beihwidhtigen, meinte er, jei wichtiger, als ji mit dem Türken herum: zuſchlagen, und um den Berluft einer fo einträglihen Provinz abzuwenden, fünne man in Nahjiht und Zugeftändniflen gar nicht zu weit gehen. Da er mußte, daß feine Schweiter Ehrijtine noch immer mit einflußreihen Notabeln der Niederlande in Verbindung ftehe, machte er fie zur Vertrauten eines Glaubens: befenntnifies, das mit der Neformthätigkeit in Tosfana jchwer in Einklang zu bringen ift und jedenfalls mehr von politifhen Rückſichten als von innerer Ueberzeugung diftiert war. „Ich habe zufällig erfahren,” fchreibt er am 25. Januar 1790 an Chriltine, „daß man in den Niederlanden verjchiedene Gerüchte verbreitet, um mich in üblen Ruf zu bringen. Glüdlicherweije find fie alle falſch, und ich jchreibe Ihnen dieſe Zeilen, damit Sie über die Thatſachen unterrichtet find und mich nötigen Falles in Schuß nehmen können. Man jagt, ih unterjtüße die Yanfeniften, die Synode von Piltoja und den Bilchof, der einer ift, ja, man erzählt, daß ich einen Vertreter der Utrechter Kirche in Florenz babe. Dies alles ift grundfalih! Man weiß hier gar nicht, was ein Janſeniſt ift, noch um was es fich bei diefen Dingen handelt. Der öffentliche Unterricht, die Seminarfchulen find ganz in den Händen ber Bilchöfe, ohne daß fich die Regierung irgendwie einmifht. Man hält Hier für Yanfeniften die ftrengeren Biihöfe, die ihren Prieftern verboten haben, Theater und Bälle zu bejuchen zc. Niemals miſcht fih die Negierung in Angelegenheiten der Kirhenzudt, außer durch Vermittelung und zur Unterftügung der Bifchöfe. Die Synode von Piltoja ſprach nur den Beitritt zu den Forderungen der gallifaniihen Kirche aus, die noch niemals des Janſenismus bezichtigt worden ift, doch habe ich ihre Grund: fäge nicht gebilligt, habe nur ihre Ausübung in Bezug auf Kirchenzucht ge: ftattet; ich habe darin nichts den Geſetzen des Landes Anftößiges jehen Fönnen, und ber römijche Hof, der feit zwei Jahren die Beſchlüſſe jener Synode prüft, bat feinen Einwand dagegen erhoben. Der janjeniftiihe Vertreter hat nie exi— ftiert und wäre nie geduldet worden. Das find nur abgefchmadte Lügen!” Ebenſo entſchieden verwahrt ſich Leopold gegen die Anihuldigung, als ob er gegen den Reliquiendienft oder überhaupt gegen den Kultus der Fatholifchen Kirche feindfelig vorgegangen fei. „Mein Glaubensbefenntnis lautet: in der apoftolifhen, römiſch-katholiſchen Kirche Religion zu verbleiben, zu leben und zu fterben, niemals auf Verfolgungen mich einzulafjen, aber auch niemals Leute zu befördern oder auszuzeichnen, die feine Religion haben oder dies doc vorgeben, dagegen die Bilchöfe zu unterftügen, denen ja in erfter Reihe die Aufficht über Geſchäfte und Zucht der Kirche zuſteht.“!)

Auch Leopolds Neigung zu Fonftitutionellen Einrichtungen, in welcher Ranke den Hauptunterfchied gegenüber der unbeugfamen, imperialiftiihen Natur Joſephs erblidt,?) trat erit zu Tage, feit er auf dem Wege nad) Damaskus als „gelebriger Schüler des Zeitgeiftes” die Erfahrung gemadt hatte, daß unzufrievene Völfer mit Gewalt fih nehmen, was die Fürften allzu hartnädig

i) A. Wolf, Leopold I. und Maria Chriitine, ihr Briefwechſel, 88. 2) Rante, Die deutihen Mächte, II, 172.

246 Erfted Buch. Achter Abſchnitt.

vorenthalten. „Ih glaube,” fährt er in jenem zur Veröffentlichung beftimmten Belenntniffe fort, „daß der Fürft, au in einem Erbreih, nur ber Angeftellte und Beamte feines Volles ijt, daß er ihm alle Sorgfalt, alle Mühen bei Tag und Nacht widmen muß, dab es für jedes Land ein Grundgejeg oder einen Vertrag zwiſchen Volk und Fürften geben joll, woburd die Stellung und bie (Gewalt des letteren bejchränft werden. Ich glaube, daß ber Fürft, wenn er den Vertrag nicht hält, damit thatſächlich auf jeine Stelle, die ihm nur unter jener Bedingung verliehen ift, verzichtet, und daß niemand mehr verpflichtet ift, ihm ferner noch Gehorjam zu leilten. Ich glaube, dak nur die vollziehende Gewalt dem Fürften zufteht, die gejeßgebende dagegen dem Volfe und feinen Vertretern, und daß das Volk bei jedem Thronwechſel durch Auferlegung neuer Bedingungen feine Macht erweitern Fann.”

In ähnlidem Sinne fpricht fih auch das Manifeit aus, das Leopold noch vor dem Ableben feines Bruders ausarbeitete und an bie Statthalter jchidte, damit es fogleich nach feinem Regierungsantritt in Belgien verbreitet werde. ') Es entſpricht nit durchaus der Wahrheit, wenn darin erklärt wird, Leopold habe Joſephs Angriffe auf die alte Verfaſſung der Niederlande niemals gebilligt, auch die Eingriffe in die Rechte der Kirche immer getadelt und miberraten; er jei für das Geſchehene nicht verantwortlich zu machen, mithin auch feines vertragsmäßig geficherten Erbfolgerechts nicht verluftig geworden. Zugleich jind weitreichende Zufiherungen in Ausſicht geftellt. Es ſoll eine allgemeine Amnejtie bewilligt wer: den; von den Beamten der faiferlihen Regierung ſoll feiner in den Niederlanden Wieberanftellung finden, außer mit Zuftimmung der Stände; die Nemter follen nur an Eingeborene verliehen werden, und zwar joll dem Regenten nur die Wahl unter je drei von den Ständen aufgeitellten Kandidaten zuitehen; zu General: ftatthaltern follen nur Mitglieder der Faiferlihen Familie berufen, als Minifter und Generäle nur Eingeborene angeftellt werden; das Militär fol neu formiert und nur von belgiihen Offizieren befehligt werden; das Generalfeminar fol für immer geſchloſſen, die Erziehung der Geiftlihen ausihließlih den Erzbifchöfen überlafien bleiben; die Stände follen zujammentreten, wie oft und wann es ihnen belieben mag; neue Geſetze follen nur mit Zuftimmung der Stände er: lafjen werden; in Streitigfeiten zwiſchen Statthalter und Minifterium foll den Ständen die Enticheidung zufallen. *) Sogar die Bürgſchaft einer fremden Macht für Aufrechterhaltung der belgischen Privilegien wollte Leopold zugeftehen, umſonſt, weder die Etänbe, noch der neu berufene Kongreß gaben eine Antwort. °) Die Hoffnung, die verlorene Provinz auf friedlidem Wege wieder zu gewinnen, mußte aufgegeben werben.

) Borgnet, 1, 153.

?) Gachard, Documents politiques et diplomatiques sur la revol. Belge de 1790, 130. Deelaration du roi Leopold, rend. aux «tats des differentes provinces, d. d. 2. mars 1790.

) Die ablehnende Haltung der Belgier wird in einem Gebidte: „Le dragon zelö ou epitre ü mes compagnons* (handiriftlih auf der Münchner Staatsbibliothek) folgendermaßen begründet:

„Quelle paix esperer done d’un si brusque Roi, Qui donnoit à son frere avis, projets et loi,

Die Uebernahme der Regierung in ben öfterreichiichen Erblanden. 947

Am 25. Februar 1790 traf in Florenz die Nachricht ein, daß Kaiſer Joſeph aus diefer Welt gejchieben jei, und Erzherzog Franz in Erwartung feines Vaters, des Thronfolgers, die Regentihaft übernommen habe.

Schon 1784 war zwijchen Joſeph und Leopold feſtgeſetzt worden, bie tos— fanifhe Sefundogenitur follte abgefhafft, demnach nad Joſephs oder Leopolds Ableben die Vereinigung Tosfanas mit den öfterreihiihen Erblanden vollzogen werben. Leopold hatte ſich dabei nicht verhehlt, daß bie FFeitiegung mit den Verträgen in Widerjpruch ftehe und das toskaniſche Volf fich nicht ohne weiteres jolde Einverleibung in Defterreih gefallen lajjen werde, allein er hatte nicht gewagt, ſich dem dringliden Begehren des Bruders zu widerſetzen. „Ich habe unterzeichnet,” entichuldigte er fein Verfahren vor Schwelter Chriftine, „denn nah meinem Tode werden die Meberlebenden ja doch thun, was fie wollen, mag das Papier von mir unterzeichnet fein oder nit.” ') Er hätte hinzufügen follen, dat auch er als Meberlebender den Vertrag nicht als bindend anſehen werde. So geſchah es nah Joſephs Tode; indem Leopold die Regierung ber habs: burgiihen Lande übernahm, trat er das Großherzogtum Toskana zu jouveränem Belig an feinen zweiten Sohn Ferdinand ab.

Vor feiner Abreife von Florenz richtete Leopold nohmals an den Biſchof von Piftoja die Mahnung, tapfer im Kampfe gegen die Römlinge auszjuharren, allein Ricci glaubte zu erkennen, daß die Aufmunterung nicht mehr der wirklichen Gelinnung des Fürften entſprach, dab Leopold ſchon mwillens war, „mit den alten Gegnern Frieden zu jchließen, weil er befürchtete, daß der Kampf für die Aufklärung zum Aufitand der Völfer und zum Sturz der Throne führen könnte.” ?) Die nächſten Ereigniffe gaben diefer Auffaflung redt. Kaum hatte Leopold Toskana verlajien, fam der Zorn gegen den „Janſeniſten“ zum Ausbruch; Ricci mußte fi vor der aufgeregten Menge flüchten; die auf fein Geheiß entfernten wunder: thätigen Heiligenbilder wurden zur Sühne feierlih dur die Straßen getragen und dann an die alten Stätten zurüdgebradht. Auch Florenz wurde der Schau: plag von Unruhen; nur durch raſches Einfchreiten der Bürgerwehr konnte die geplante Plünderung des Schates abgewehrt werben. Unter dem Eindrud dieſer Vorgänge erließ Leopold als Vormund des minderjährigen Großherzogs eine

Qui crayonnait chez lui les desseins sanguinaires, D’immoler ses sujets, leurs autels, leurs mystöres, Qui tout le tems, qu’il fut Toscanois souverain, Dans le chisme et l'erreur trempa toujours sa main, Qui fit violence au Christ et au ciel fit la guerre, N'avoit pour Dieu que lni et son fröre sur terre, Qui regardoit pour rien les plus saints des serments, Disoit n’&tre que jeux pour plaire à des enfants, Qu’un souverain chez s0i, comme ses uniformes, De nos plus sacres droits pouvoit changer les formee, Qu'un contract aujourd’hui juré devant l'autel, Demain, s'il le vouloit, cessoit d'ätre &ternel: Le peuple sous un Roi n’est jamais qu’un esclave, On en fait ce qu’on veut, füt-il fidöle ou brave.“ ’) Beer, Leopold IL, Franz II. und Katharina. Ihre Korreſpondenz, 215. ) ®otter, II, 233, 2386.

248 Erſtes Buch. Achter Abſchnitt.

Verordnung (6. Mai 1790), die thatſächlich einen Wechjel des bisherigen Syſtems bedeutete. Es wird zwar betont, dal; die bisher geltenden allgemeinen Ver: fügungen über geiftlihe Angelegenheiten feine Aenderung erleiden follen, aber die Regentſchaft wird ermädtigt, nad Ermeffen von den Kultusgejegen Umgang zu nehmen, denn dieſe Worte können gewilfermaßen als neues Negierungs- programm Leopolds gelten —: „Es fommt vor allem darauf an, die Ruhe wieder berzuftellen und alles zu vermeiden, was die Gemüter erbittern und zu Störungen Anlaß bieten könnte.“

Schon während der Reife und nad der Ankunft in Wien (6. März 1790) wurde Leopold von allen Seiten beftürmt, die unterbrüdten Rechte der Stände der einzelnen Kronländer wieder freizugeben und die Joſephiniſchen Kirchenreformen fallen zu laſſen. Der Ungeftüm, womit dieje Forderungen erhoben wurden, erichredte den Fürften. „Nicht die Strapazen der Reife,” jchreibt er am 15. März an die Schweiter Chriftine, „haben mein Xeiden ver: ſchuldet, jondern der traurige Zuftand, die grenzenlofe Verwirrung des ganzen Landes; trogdem gebe ih mich der jchmeihelnden Hoffnung hin, nach und nad wieder alles zur Ruhe zu bringen.” „Ich bin erdrückt von Geſchäften,“ ſchreibt er am 19. März, „ich habe alles in unglaublider Verwirrung vorgefunden; ic habe niemand, auf den ich mich verlafjen oder bei dem ich mir Rat erholen kann; feit zehn Tagen arbeite ich jeden Tag fiebzehn Stunden an meinem Schreibtiſch und fomme nicht einen Augenblid dazu, frifche Luft zu ſchöpfen.“ Die Klage Leopolds beweilt, daß der Staatsfanzler Fürft Kaunit den maßgebenden Einfluß, den er unter Maria Therefia und aud noch unter Sofeph genofjen hatte, nicht mehr bejaß; er blieb zwar im Amte, aber gerade in den widhtigften Fragen der auswärtigen Politik gingen die Meinungen des Fürften und des Kanzlers aus: einander, und Kaunig mußte die Erfahrung machen, daß ber neue Herr troß jeines gelajienen Temperaments um nichts nachgiebiger oder lenkſamer war, als der Feuerkopf Joſeph. Auch Lacy verlor jeinen Einfluß; fein Syſtem erſchien dem jparjamen Fürften, der feine Eroberungen plante, jondern nur den alten Beſitz zuſammenhalten wollte, allzu koſtſpielig.

Um zum Frieden mit dem eigenen Volke zu gelangen, erließ Leopold eine Reihe von Verordnungen, welche die Aufhebung verſchiedener Einrichtungen Joſephs zur Folge hatten. ') An Stelle der mißliebigen Steuerregulierung trat das alte Abgabenfyitem; mit dem Zentralifierungsplane wurde gebroden, alle Stellen und Behörben lebten wieder auf, wie fie früher in den einzelnen Provinzen be: ftanden hatten; den Städten wurde freie Wahl der Magiftrate eingeräumt; bie anftößigiten Strafbeitimmungen des Joſephiniſchen Geſetzbuches, das Gaſſenkehren, das Schiffeziehen, das Anſchmieden, insbefondere die Konduitenliſten wurden abgeſchafft. Der Klerus erhielt wieder freiere Bewegung; die Generaljeminarien wurden aufgehoben, einige fäfularifierte Stifter und Klöfter wurden wiederher: geftelt, andre mit dem alten Belit ausgeftattet; auch die auf Neinigung und Vereinfahung des Gottesdienites berechneten Anordnungen follten ihre Geltung

') Scheld, Neuefte Gefchichte der Länder des öfterr. Siaiferftaats, I, 20. Krones, Handbuch der Geſchichte Defterreichs, IV, 544.

Die Uebernahme der Negierung in den öſterreichiſchen Erblanden. 249

verlieren. Dagegen wurbe am Toleranzedikt feitgehalten, die ftaatsrechtlihen Ver: bältnifje der Juden wurden fogar noch günftiger geftaltet, und die von Rom erhoffte Wieberheritellung aller Klöfter blieb aus. Auch Leopold hielt grund: fäglih daran feſt, daß ihm als Yandesherrn in Kirchenjachen die oberfte Gemalt zuftehe; von ſörmlicher Reftauration in Kirchenſachen kann nicht geiprochen werden.

Im allgemeinen gilt dies aud von Leopolds Berhältnis zur ſtändiſchen Verfaflung. Der Landesherr hörte die über Joſephs Gemwaltthaten Elagenden Abgeordneten der Provinziallandtage wohlwollend an und munterte fie fogar auf, ausführlihe Beſchwerdeſchriften einzujenden. Schon im März 1790 traten alle Landtage zufammen, und der Grol über die erfahrene Mißachtung und das Beilpiel der franzöfiihen Wolfsvertretung bewirkten, dab die Stände überall hochgeipannte Wünſche und leidenſchaftliche Beſchwerden kundgaben. Die Regierung war jedoch nur zu unweſentlichen Zugeſtändniſſen, nicht zu grundſätzlichen Neuerungen bereit; die Grundlagen des Staats gedachte Leopold ebenſowenig preiszugeben, wie Joſeph II. Dagegen iſt es eine Uebertreibung, wenn Hock die Folgerung zieht, daß Leopold den Ständen jede Exiſtenz— beredtigung abgeiproden und recht eigentlih die Art an die Wurzeln des Ständewejens gelegt babe.!) Für Leopold war, wie jchon erwähnt, vor allem der Wunfh maßgebend, den inneren Frieden berzuftelen, um den äußeren Feinden widerftehen zu können; deshalb trat er wenigitens anfänglich den zentrifugalen Beitrebungen ber Provinzen nicht entgegen. Nur durch ſolche Nachgiebigfeit konnte er hoffen, den Dorn, der in ben öfterreichiichen Staatslörper eingedrungen war, zu entfernen, das heißt, die geheime Verbindung Preußens mit faiferlichen Unterthanen unſchädlich zu machen. Auf Preußens Hülfe pochten ja ebenjo die aufftändiihen Niederländer, wie die zum Aufftand fi vorbereitenden Ungarn. Einige Führer der nationalen Partei waren nad Wien gelommen, angeblih um an der Beftattung Kaifer Joſephs teilzunehmen, in Wahrheit, um ohne Auffehen mit dem preußiſchen Gejandten Jacobi zu verhandeln. Jacobi hatte Weifung von feinem Hofe, die nationale Bewegung der Ungarn zu unterftügen. „Jacobi fol,“ jchrieb Friedrich Wilhelm eigenhändig auf ben Bericht des Gejandten vom 13. März, „den ungarijhen Mecontents zu wiſſen maden, daß ich bereits an ber Grenze Oberjchlefiens die Reiterei zufammenziehe und daß bie Urlauber aller jchlefiihen Regimenter auf den 8., die biefigen auf den 1. April einberufen find.” ?) Johannes Müller, damals noch in kurmainziſchen Dienften ftehend, beurteilte aljo die Lage ganz richtig, wenn er der Befürdtung Ausbrud gab, daß fih an der Kriegsluft Friedrich Wilhelms ein allgemeiner Krieg entzünden könnte. „Die Zeiten werden äußerjt bedenklich,” jhrieb er (7. Januar 1790) an feinen Bruder, „ganz gewiß ift, daß der König von Preußen (perfönlih, nicht fein Minifterium) den Krieg will, durchaus!“*)

Zwar war das englifche Kabinett mit der Haltung Preußens in der ungari:

') Hod:Bidermann, Die Berfaffungstrifis in Steiermark zur Zeit der erſten franzöfifchen Revolution, in Mitteil. des hift. Wereins für Steiermart, 21. Bd., 15.

2) Preuß. St.A. Berichte Jacobid aus Wien.

2) Joh. v. Müller, Ge. Werte, 30. Bd., 24%.

250 Erſtes Bud. Achter Abfhnitt.

ſchen Frage nicht einverftanden, aber Preußen hatte die Hülfe der Seemächte nicht unbedingt nötig. Die preußifche Armee war den dur den Türfenfrieg demorali- fierten und geſchwächten öfterreihiihen Truppen mindeftens ebenbürtig, Ruß: land wurde durch Schweden, Polen und die Türkei in Shah gehalten, der franzöfifhen Regierung war durd) die inneren Wirren die Möglichkeit der Ein: miſchung in auswärtige Händel benommen.

Unter folden Umftänden konnte auch Kaunig nicht den Krieg mit Preußen empfehlen, aber er jah in entſchloſſenem, beherztem Auftreten das ſicherſte Mittel, den Staat aus feiner verzweifelten Lage zu retten. „ch kann nicht einſehen,“ ſchrieb er am 16, März an Leopold, „welches Hindernis gegen rajcheite Aus: führung des von Marſchall Laudon vorgelegten Konzentrationsplanes geltend zu maden wäre. Im Gegenteil, ich finde ihn jehr paflend und halte jeine Durch— führung für fehr wünſchenswert, damit man in Berlin aus diejer erften mili täriijhen That entnehmen kann, dab man im Irrtum war, wenn man das gegenwärtige Regiment für ſchwächer hielt, als das vorige: eine Auffaflung, die gar nicht raſch genug zeritört werden fann! ... Eure Majeltät werden gewiß ebenjo feit überzeugt jein, daß einerfeits nur die fräftigfte Fortführung des Krieges mit der Pforte uns den Frieden von diefer Seite bringen fann, und daß andrerjeits nur eine augenfällige Kraftentfaltung dem Berliner Hofe Zurüd: haltung auferlegen und einen Angriff von diejer Seite wenigitens aufichieben fann.”") Leopold hielt aber auch eine folde Drohung nicht für angemejlen; er glaubte alles aujbieten zu müfjen, um den unjeligen Türfenfrieg zum Er- löfhen zu bringen und mit Preußen zu friedliher Verftändigung zu gelangen. ?)

Deshalb ſetzte er fich unmittelbar mit Friedrih Wilhelm ins Benehmen. Leopolds Schreiben vom 26. März ift in ungewöhnlich herzlihem Tone abgefaßt. Er erklärt, fein ganzes Regierungsprogramm laſſe ih in die Worte zujammen- faſſen, daß er mit allen Nahbarn und überhaupt mit aller Welt in Frieden leben wolle. Den Türkenkrieg beendigt zu fehen, fei fein ſehnlicher Wunſch, und da er nichts verlange, als die Grenzen des Paſſarowitzer Friedens, werde es leicht zum Frieden fommen, wenn erit die Türfen einfähen, daß fie von Preußen und Polen feine Hülfe zu erwarten hätten. Der König möge aljo Europa den Frieden geben, indem er die Hand ergreife, die ihm vertrauensvoll gereicht werde; Leopold werde jeder billigen Forderung zuftimmen, ja fogar dem Fürftenbunde beitreten, wenn er bazu eingeladen werde. Den beiten Beweis jeiner Mäßigung habe er durch jein Anerbieten für die Belgier gegeben; hoffentlich

!) Beer, Joſeph II., Leopold II. und Kaunik, 361.

2) Ranke, Die deutſchen Mächte, II, 174, der das Driginal im Berliner Archiv eingefehen hat, erkllärt, daß das Datum undeutlich gefchrieben ift und ebenjogut 26 wie 25 gelefen werden fann. Der Zweifel wird dadurch befeitigt, dab dad Konzept im Wiener Ardhiv zwar nicht von der Hand des Honzipienten, fondern von Kanzleihand, aber in voller Deutlichleit das Datum des 26. März trägt, und daß noch weitere vier Kopien des Briefes mit „le 26 mars 1790* datiert find. (Gütige Mitteilung ded Herrn Ardivrats Dr. Winter) Nah Ad. Beer, Die orientalifche Politik Defterreihs, 136, wäre das Schreiben Leopold8 vom 28. März datiert; diefe Angabe wirb aber nicht bloß durch unfre Konftatierung aus Konzept und Kopien, jondern auch dadurch widerlegt, daß ber von Kaunitz vorgelegte Entwurf zu einem Schreiben an Friebrid) Wilhelm beutlih das Datum 26. März trägt.

Annäherung an Preußen. 2351

werde jener Aufftand bald zu Ende fein, nötigenfalls aber an andrem Orte die Erfenntnis durchdringen, daß es fich dabei um eine allen Fürften gemeinjame Sache hanble.

Gelegentlih des erften Empfanges in der Hofburg zeichnete Leopold den preußiihen Gefandten Jacobi in auffälliger Weile aus. Der Diplomat jchildert denn auch mit hellen Karben, welch glüdliher Umſchwung fich feit der Ankunft des neuen Herrn in Wien volljogen babe; Leopold habe feinen jehnlicheren Wunid, als Frieden und Freundſchaft mit Preußen, die erplofible, ſtrebe— riſche Politik Joſephs jei endgültig aufgegeben. „Wenn es feinen Krieg mit Preußen gibt, wird ſich Leopold fiherlih von Rußland abwenden, wie es den Wünſchen der ganzen Nation und jedes guten Dejterreihers entſpricht. Sich rubig verhalten, allen Vergrößerungsplänen entjagen, den Nachbarn wieder Ver: trauen einflößen, die Finanzen in die Höhe bringen, den Ackerbau heben, bie Bevölkerung mehren und eine fchöne, ftattlihe Armee befiben, das will Leo: pold anftreben; es ijt ficherlih das glücklichſte und weifefte Ziel, vorausgeſetzt, dab ihm die Wahl frei bleibt.” Im Lande wiſſe man die Mäßigung und Spar: jamfeit des Fürften, der aus Toskana einen eriparten Schat von 28 Millionen mitgebracht habe, wohl zu jhägen; der Adel ſchwärme für ihn, „die Ungarn weinten vor Freude, als jie ihren Souverän ſahen.“ Die friegsluftige Partei mit ihrem Lacy werde bei jolchen Intentionen des Herrn nicht durchdringen. „Jedermann betrachtet einen Krieg mit Preußen als das größte Unglüd, das über Defterreih kommen fünnte!” ')

Leopolds Schreiben an Friedrih Wilhelm wurde durch den öfterreichijchen Gejandten Prinzen Reuß in befonderer Audienz überreiht, ein Vorgang, den Ranke mit Recht als „einen großen hiſtoriſchen Moment” bezeichnet. Das fried- lihe Anerbieten traf gerade in günftigen Zeitpunfte ein: zwiſchen England und Preußen war eine bevenklihe Verſtimmung eingetreten, der Dreibund drohte aus den Fugen zu gehen.

Das Berliner Kabinett wollte dafür eintreten, daß der neue belgijche Frei: ftaat weder an Defterreih zurüdfalle, no in engere Verbindung mit Frankreich trete. Das Minifterium Pitt hatte zu Joſephs Zeiten der nämliden Anſchauung gehuldigt; jeit dem Negierungsantritt Leopolds aber wurde die belgiihe Frage in London mit andern Augen betrachtet. Leopold habe fich ja bereit erklärt, die alten Vorrechte und Freiheiten der Niederländer zu rejpeltieren, damit jei jeder Grund weggefallen, gegen Oeſterreich feindjelig aufzutreten. Seit Ver: fündigung der Unabhängigkeit Belgiens nehme der Streit zwiſchen den einzelnen Provinzen und Ständen fein Ende; Belgien werde fi nicht als jelbftändiger Staat zu behaupten vermögen; jollte man, nur um das ſchwächliche Gefüge eine Zeitlang zu flügen, einen Krieg entzünben, der den Handelsinterefjen Eng: lands ſchweren Schaden bringen fönnte? ?)

) Preuß. St. A. NHabinettsakten Friedrih Wilhelms II. Immediatkorreſpondenz mit dem diesfeitigen Gefandten v. Podewils und dem Nefidenten Frhrn. v. Jacobi-Klöſt. Berichte Jacobis vom 3, und 7. April 1790.

?) Ban be Spiegel, 177.

IS tr iD

Erites Bud. Achter Abfchnitt.

Während von Berlin noch den Brüfieler Generalftaaten die tröftlihe Ver: fiherung zuging, die Tripelallianz werde eine Unterjohung Belgiens nicht zugeben, war man in London ſchon geneigt, van der Noot und Genoſſen ihrem Schickſal zu überlaffen.

Auch in der orientaliihen Politif gingen die Intereſſen Englands und Preußens auseinander. Der engliihe Gejandte in Berlin ließ die Bemerkung fallen, jeine Regierung babe mit Befremden vernommen, dab im preußiſch— türfifhen Bundesvertrag fogar von einem Angriffsfrieg gegen Defterreich die Rede jei; der König möge doch einem jo bedenklichen Vertrag jeine Zuftimmung verfagen und lieber im Verein mit England einen Ausgleich zwischen Deiterreich und ber Pforte unter der Bedingung der Wieberberftellung des alten Beſitz— ftandes betreiben.

Auf England, dies konnte man fich in Berlin nicht verheblen, war in einem Krieg mit Dejterreich nicht zu rechnen, und nicht viel befjer ftand es mit Schweden und Polen, ja jogar der Türke war nur ein unzuverläffiger Bundes: genoſſe. Sollte man trogbem, auf die eigene Kraft vertrauend, den Krieg wagen, den Krieg, der ja doch einmal geführt werden mußte, um für das Haus Hohen: zollern eine leitende Stellung in Deutichland zu erfämpfen?

Wir haben intime Nachrichten vom Berliner Hofe in ben mehr als freimütigen Briefen bes Oheims des regierenden Königs, Prinzen Heinrich, an den Vertrauensmann ber Zarin Katharina, Baron Grimm. !) Der Sieger von Freiberg glaubte fich über Zurüdjegung von Seite der leitenden Kreije beflagen zu dürfen und vergalt mit bitteren Urteilen über den König und die einflußreichen Ratgeber. Insbeſondere in dem „ultramontanen Günftling des verftorbenen und des jegigen Könige”, Marchefe Luchhefini, der unauf: hörlich zum Kriege hetze, und in Hergberg, der einem nicht weniger ausfchweifen: den Chauvinismus buldige, erblidt er unfelige Dämonen, die den preußiichen Staat an den Abgrund drängen. „Wir find noch im Ungewiffen über Krieg und Frieden,“ jchrieb er am 7. März an Grimm, „ich weiß freilich nichts andres darüber, als was ih vom Publifum und von alten Freunden erfahre. Unſer ‚großer‘ Hergberg fchürt das Feuer; er wäre würdig eines Plaßes unter den Revolutionsmännern! Freilih würde er an Berebfamfeit einem Mirabeau oder Barnave nachſtehen, aber dafür könnte niemand fo fein wie er Beleidigungen zujpigen. Ich hoffe, daß feiner Bosheit zum Troß die Ruhe wieder hergeitellt wird.” Einige Wochen jpäter (29. März), kurz vor dem Eintreffen des Schreibens König Leopolds in Berlin, fieht der Prinz die Lage weit drohender an. „ch fürdte, daß meine Hoffnung getäufht wird. Man darf auf nichts mehr Ihwören, ſeit ein Staliener die Politif leitet und beftändig auf ein und dasjelbe Ziel losjteuert, obwohl er in feinem Vorhaben oft geftört worden iſt.“ „Ich glaube,” jchrieb er am 2, April, „daß bald die Stürme von allen Seiten losbreden werden. Es it unmöglich, fih von dem biefigen Wirrfal eine Vor: ftellung zu machen; es läßt fih mit einer Nationalverjammlung vergleichen, augenblidlid wüßte ich feine jchlimmere Bezeihnung dafür zu finden. Belinnen

') Lettres de Grimm ü l'imperatrice Catharine II, publ. par J. Grot, 373 etc.

Annäherung an Preußen. 255

Sie fih doch, mein lieber Freund, auf einen Ort, wo wir einige freunde um uns verfammeln und ein paar Monate in Ruhe zubringen fönnten. Ich muß von hier fort. Schon der Verdacht, daß ich etwas von politifhen Dingen wijjen und ihnen beipflidten fünnte, ift eine Beleidigung. In Wahrheit werde ich weder einer Zeile, noch eines Wortes gewürdigt. Ein Welcher, ein Narr von Minifter (un fou de ministre) und ein guter Tropf (un bon homme) fodhen alles unter fi aus; es find abjcheulihe Zuſtände!“

Prinz Heinrih urteilt offenbar nur deshalb jo jchwarzgallig, weil er jelbft allen Einfluß auf die Regierung verloren hatte. Er hat namentlich darin unrecht, daß er den Minifter Hergberg für einen Gefinnungsgenofien Luccheſinis anfieht und zur Kriegspartei zählt. Gerade Herkberg war es, der mit Nüd: ficht auf die zweideutige Haltung Englands und der übrigen Verbündeten vom Kriege dringend abriet. „Eure Majeftät werden ſelbſt am beften beurteilen, ob Sie nicht zu viel wagen, wenn Sie allein den Krieg gegen zwei jo furdtbare Mächte aufnehmen und ſich dabei auf drei Bundesgenofjen verlaflen, die ſamt und fonders ſchwach und wenig zuverläjfig find, ob Sie nicht um einer un: fiheren Hoffnung auf Gewinn willen, Gefahr laufen, Ihren Schag, Ihre Armee, Ihr Land zu Thädigen!” ')

In diefem Augenblid, während ſich in Berlin die verjchiedenartigiten Ein: flüffe für und wider den Krieg geltend machten, traf Leopolds Schreiben ein, das mit jo verbindlichen Worten dem Wunſche nad Frieden und Freundichaft mit Preußen Ausdrud gab. Schon die Rüdfiht auf England gebot, das An: erbieten nicht ſchlechtweg abzulehnen, dod die Antwort Friedrich Wilhelms klang nicht gerade tröftlih. Preußen, fo war darin erklärt, habe ein ernftes Intereſſe daran, den Untergang der Türkei und die Teilung des türkiſchen Gebiets zwiſchen den beiden Kaiferhöfen nicht zu dulden; die Abweifung preußifcher Vermittelung babe den König zu eigenen Rüftungen genötigt; auch jetzt noch wolle er zum ‚Frieden die Hand bieten, jedoch nur, wenn das Gleichgewicht im Norden und Oſten dauernd gefichert würde.

In ähnlihem Sinne ſprach fi) der engliihe Gejandte in Wien aus. Hier fonnten fi der Monarch und jein Kanzler gerade über den weſentlichſten Richt: punft der Politik nicht einigen. Während Kaunig alles vermieden wiſſen wollte, was den Bund mit Rußland lodern fünnte, und fein Hehl daraus machte, daß er die Hülfe Rußlands zur Zühtigung Preußens haben wolle, war Leopold ge: neigt, dem Dreibund näher zu treten. Der engliſche Geſandte erhielt jogar die merkwürdige Weifung, er möge zwar den gewöhnlichen Verkehr mit dem Kanzler fortjegen, aber die von ihm erhaltenen Erklärungen nicht als den Willen der Regierung anjehen; Leopold ſelbſt werde ihm von Fall zu Fall dur den Vize: fanzler Cobenzl die allein gültigen Erklärungen zugeben lafien.

Die Ständeveriammlung in Wien nahm jehr ſtürmiſchen Berlauf. In bürgerlichen Kreifen wurde übel vermerft, daß der neue Monarh dem Adel und dem Klerus wiederholt Beweiſe jeiner Gunft und jeines Vertrauens gab. „Alle, die den Fürften näher kennen,” jchreibt Jacobi an jeinen Hof,

) Rante, 183.

2354 Erites Bud. Achter Abſchnitt.

„verfihern, daß fein Auftreten von heute in ſchroffem Widerſpruch mit feinem früheren Verhalten fteht.” Dem Adel wurde Zurüdgabe aller hiſtoriſchen Vor: rechte verheißen; da dies die Wiedereinführung des alten Abgabenſyſtems zur Vorausjegung hatte, murrten die Bauern; nun follten dieje durch den Klerus beihmwichtigt werden, aber dazu waren neue Zugeftändniffe notwendig. „Die verftändigen Leute glauben, daß der König, wenn er der Nacdhgiebigkeit gegen: über den Ständen nicht bald ein Ziel ſetzt, ganz und gar von ihnen abhängig wird. Wenn erit noch die Bauern dazu kommen, jo fann es, zumal wenn der Krieg mit Preußen ausbricht, zu ähnlichen Scenen fommen, wie fie Frankreich) in äußerite Verwirrung gebracht haben.”

Unter ſolchen Umftänden mußte Leopold noch dringlider den Frieden wünjchen, allein feine verjöhnlihe Stimmung ſchlug um, als ihm ber Preis be: fannt wurde, den das preußiſche Kabinett auf feine Freundichaft ſetzte. Nach dem von Herkberg ausgearbeiteten Plane jollte Defterreih die größere Hälfte Galiziens an Polen zurüdgeben, Polen aber die Städte Danzig und Thorn an Preußen abtreten; dafür joll Preußen feinen Einfluß auf die Pforte geltend machen, daß fie auf die von den Ruſſen eroberte Krim verzichte und gegenüber Defterreich fih mit den Grenzen des Paſſarowitzer Friedens begnüge; außerdem fol Preußen die Zurüderoberung Belgiens für Deiterreih nicht verhindern und dem König von Ungarn bei der Kaiferwahl die brandenburgiihe Stimme geben. Nur auf ſolche Weiſe könne das Gleihgewicht im Often bergeitellt und das Miß— trauen zwiſchen Defterreih und Preußen ein für allemal ausgelöſcht werden. „Seine Majeftät würden darin ein Opfer erbliden, das der König von Ungarn dem Wohl der beiden Staaten und der Ruhe aller europäifchen Nationen brächte.“!)

Dieſe Bedingungen fand Leopold unannehmbar. Galizien müſſe ein für allemal aus dem Spiele bleiben, erklärte er dem engliſchen Geſandten; er ſtrebe keinen Gewinn an, er wolle aufrichtig den Frieden, aber einen Frieden, der mit der Ehre des Monarchen und der Nation vereinbar ſei; Oeſterreich ſei doch bisher im Kampfe mit den Türken Sieger geblieben; warum ſollte es jetzt ſogar ſchweren Verluſt tragen, nur damit dem völlig unbeteiligten Preußen reicher Gewinn in den Schoß falle!

Leopold durfte ſich um fo freier ausſprechen, da ſich wenigſtens vorüber: gehend Ausficht zeigte, daß auch Frankreich und Spanien mittelbar zur Unter: ſtützung der öfterreidhifchen Snterefjen die Waffen erheben würden. Zwijchen England und Spanien war es wegen des Nootlajunds in Kalifornien zu Miß— helligfeiten gelommen, und Spanien, das einem Kampfe mit England nicht ge: wadhien war, nahm unter Berufung auf den bourboniſchen Familienpakt von 1762 die Hülfe Frankreichs in Anſpruch.“) Am franzöfiihen Hofe war man ſchon längft der Frage näher getreten, ob nicht ein ausmwärtiger Krieg als Heilmittel gegen die Verwirrung im Innern mit Erfolg anzuwenden und der Krone dadurch

) Preuß. Std. Acta, betreffend Die Konvention von Reichenbach 1790. Points essentiels de conciliation, 2) Spbel, Geihichte der Revolutionszeit, I, 171.

Annäherung an Preußen. 955 das erforderliche Uebergewidht über die Nationalverfjammlung zu jchaffen wäre. Rafayette, der, in der Mitte zwifchen König und Volfsvertretung vorfichtig fteuernd, augenblidlich des mächtigſten Einfluffes fih rühmen konnte, wünſchte nichts jehnliher, als die Demütigung Englands und einen Radefrieg gegen den von Preußen bejhirmten Erbitatthalter von Holland, aber die Jakobiner waren gegen jeden Krieg, aus Furt, daß der König die militärischen Kräfte zur Wieder: befeftigung feiner Stellung verwende. Die Rechte, wie die Linfe ftanden mit auswärtigen Mächten in Fühlung. Der öfterreihiiche Gefandte, Graf Mercy, war eifrig beitrebt, den Getreuen des Königs die Intereſſengemeinſchaft der Häufer Bourbon und Lothringen:Habsburg überzeugend barzuthun und das Bündnis von Verfailles wieder aufleben zu maden; der preußiiche Gejandte Graf Golg ftand mit Petion, einem der jafobiniihen Führer, in Verbindung und lieferte biplomatiiches Material zur Bekämpfung der Hofpartei. Als die Regierung am 14. Mai von der Nationalverfammlung in Anbetracht der fritifchen Lage Europas die zu vorbereitenden Rüftungen erforderlihen Mittel verlangte, ftellte Yameth den Gegenantrag, es möge feitgejegt werden, daß nur der National: vertretung das Recht über Krieg und Frieden zuftehe. Zwar erhob zu aller Erftaunen ein Mann, der bisher für den grimmigften Feind bes Königtums ge: golten hatte, zu Gunften des Kronrechts feine Stimme. Erſchreckt dur den wadhjenden Einfluß der radifalen Linfen und damit des Pöbels und beftochen durch eine vom König zugeficherte Jahresrente, warf Mirabeau feine Autorität zur MWiederaufrihtung eines kräftigen Königtums in die Wagſchale und fette durh die Wucht feiner Nede die Bewilligung der Rüjtungsgelder durch; im Hauptpunfte ftimmte aber die Mehrheit nicht der Auffaffung ber Regierung und der Nechten bei, jondern einem vermittelnden Vorſchlag, dab über Krieg und Frieden dem König zwar Antragftelung und Sanftion, der Nationalverfamm: lung aber die eigentlihe Beſchlußfaſſung zuſtehen ſolle. Dieſe Einſchränkung ſchloß für den Augenblick die Möglichkeit einer Teilnahme Frankreichs an einem auswärtigen Kriege aus, und mit dieſer Gewißheit ſchwand aud die Ausſicht auf eine Schilderhebung Spaniens gegen England.

Das Berliner Kabinett fonnte nun wieder entjchiedener und entichloffener gegen Defterreih auftreten. Prinz Heinrich verurteilt in den ſchärfſten Aus— drüden den „eitlen, blinden Hergberg, der Preußen in ein Labyrinth unflarer Derträge verwidelt habe und dadurch zu gefährlidem und nutzloſem Krieg ge: zwungen” jei. „Wenn noch in diefem Jahre der Krieg ausbricht, wird es zu feiner entjcheidenden That fommen; die Stellung der Defterreiher ift von der Art, daß man fie mit Ausfiht auf Erfolg nit angreifen kann; dies war es, was mir den Krieg von 1778 jo verhaßt machte, und dies jollte ein preußiſcher Minifter nicht vergeifen haben!” ?) Prinz Heinrich war aber, wie erwähnt, in die Regierungspolitif nicht eingeweiht und urteilte nur nad dem äußeren Schein. In Wahrheit wollte Hergberg den Krieg vermieden willen und lediglich durch friegerifhe Drohungen und kluge Vermittelung die gewünſchten Abmachungen erwirfen, während der König bie Eriprießlichkeit ausgedehnter Verhandlungen in

!, Lettres de Grimm, 384.

250 Erftes Bud. Achter Abfchnitt.

Zweifel zog. Hertzberg verfiherte dem engliſchen Gejandten in Wien, jein Gebieter jei „jo leidenjhaftlih auf den Krieg verjeflen”, daß er nur mit Mühe zurüdzubalten jei, den Degen zu ziehen.) Der Mobilmahung ftimmte auch Hergberg zu. 30000 Mann wurden an bie oftpreußifche Grenze vorgeſchoben, die übrigen Truppen in Schlejien zufammengezogen, ber König ſelbſt ſchickte fih an, in das Hauptquartier zu Schönwalde zwiſchen Franfenftein und Reichen: bach abzugeben. Am 7. Mai fchrieb Friedrich Wilhelm an Hergberg: „Hüten Sie fih ja, dem Jacobi Weijungen zu geben, die uns die Hände binden könn— ten, und beharren Sie immer auf der conditio sine qua non, daß Oeſterreich einen Teil Galiziens an Polen abtreten muß.” ?) Am 26. Mai jchrieb er an Facobi: „Die niederflefiihen Truppen nehmen Aufftellung in der Grafjchaft Glatz, die oberfchlefiihen, durch eine gute Kavallerie verftärkt, bei Neiſſe. Sie find den Streitkräften, die Defterreih zunächſt entgegenftellen kann, überlegen. Außerdem find 12 Bataillone und 20 Schwabronen im Marih nah Schlefien, denen die Armee folgt, ſobald die Antwort, die ich erwarte, mir dazu Grund gibt. Treffen Sie Maßregeln für den Fall, dab Sie Wien verlaffen müfjen, dort gute Verbindungen zu unterhalten.” °)

Die Antwort, die Leopold im legten Augenblid der feftgejegten Frift nad Berlin entjandte, lautete abermals ausweichend; er jei im allgemeinen mit den preußijchen Bedingungen einverftanden, fönne aber in den Abtretungen der Pforte ausreichenden Erjag für Galizien nicht erbliden (25. Mai). Doch der Ueber: bringer des Briefes, Graf Zinzendorff, lie den Minifter eine vertrauliche Note des Kailers lejen, die der Geneigtheit, den Stand vor dem Kriege anzuerkennen oder um jeden andern anftändigen Preis den Frieden zu erhalten, Ausdruck gab. „Run it der Friede jehr wahrfcheinlich,” frohlodte Herkberg (30. Mai), „Eure Majeftät braucht nicht zum Angriff zu jchreiten, Defterreih wird fich ohnedies zu Zugeftänbnifien bereit finden laflen.” Die Armee möge in Schlefien bleiben und der König an ihre Spite treten, aber nur, um für alle Fälle geiichert zu fein und den ftattlihe Beute verheißenden Unterhandlungen erwünſchten Nach— drud zu geben.

Mit den friedlihen Verfiherungen des öſterreichiſchen Botſchafters ftand jedoh ein Stimmungsberiht Jacobis aus Wien (2. Yuni) in fchroffem Wider: jprud.*) Laudon, fo war darin berichtet, ift, ſeit ihm der Oberbefehl über die Armee in Böhmen übertragen wurde, der Held des Tages; die jungen Erzherzoge können ſich nicht fatt jehen an dem Gefeierten, fie laſſen nicht ab, Fragen an ihn zu richten und ihm ihre Verehrung zu bezeigen. Nun wird es bald lebendig werden in unferm Lager, fann man auf Schritt und Tritt hören, unjer Zaudon wird fih gewiß nicht mit Dedung der Grenzen begnügen, er

') Herrmann, Gefhichte des ruffifhen Staates, VI, Anhang V, 555.

?) Preuß. St. A. Papiers et actes, touchant la marche du Roi avec son armee en Silesie, la negociation, qui fut etablie a Reichenbach ete. 1790.

2) M. Dunder, Friedrich Wilhelm II. und Graf Hertzberg; Sybels hiſtor. Zeitſchrift, 37. Bdb. 17.

*) Preuß. St. A. Jmmebiatlorrefponden; mit den bdiesfeitigen Gejanbten v. Pobewils und dem Reſidenten Frhrn. Jacobi-Klöft, 1790,

Annäherung an Preußen. 957

wird nad alter Römerart den Krieg ftrads in Feindesland hinübertragen. Ein Wort des Generals fam in Umlauf: die Niederlande fönnten wohl aud in Schleſien wieder erobert werden, fowie ein andres: im Krieg um Schleſien habe er den erften Lorbeer erfodhten, damals habe er bort einen Hut verloren, num wolle er ausgehen, ihn wieder zu finden. !)

Auch aus Warſchau gelangte unerfreulihe Botfchaft ins preußiiche Haupt: quartier. Die Polen, jo berichtete Lucchefini, immer felbftfüchtig und mißtrauiſch, dächten gar nicht daran, Thorn und Danzig gutwillig abzutreten, es wäre benn, daß ihnen ganz Galizien zurüdgegeben würde; dazu werde ſich aber Defterreich niemals verftehen.

„Die Polen find Elende,” ſchrieb Friedrih Wilhelm (17. Juni) an Herb: berg, „und verdienen nicht, was ich für fie thun wollte, ihre Undankbarkeit macht fie verächtlich in meinen Augen.” Dies fei auch feine Meinung, erwiderte Hergberg, aber zur Zeit könne man die polnische Freundſchaft nicht entbehren; fie würden Schon noch Vernunft annehmen und nach einiger Zeit auch mit einem Stüd Galizien vorlieb nehmen.

Doch Friedrih Wilhelm, von der Ueberlegenheit feiner Truppen überzeugt, wollte von längerem Warten nichts mehr hören. Binnen drei Wochen müſſe alles ins reine fommen, fchrieb er (14. Juni) an Herkberg; „es ift lächerlich, foviel Zeit zu verlieren, wenn man eine Armee, wie die meinige, befitt; ich will nicht, daß fie duch Krankheiten und Defertion geſchwächt wird, und dies müßte erfolgen, wenn das Stillliegen in den Uuartieren nod länger dauern würde.) Nicht bloß Herkberg, auch Finkenftein beflagte dieſes „allzu haftige” Drängen auf Waffenenticheidung, das um fo weniger am Plate jei, da der König von Ungarn wirklich das Menfchenmögliche thue, um den Frieden zu erhalten. „Es jcheint mir Ruhmes genug zu fein,” ſchrieb Finfenftein an den Kollegen, „ben Wiener Hof zu folden Anerbietungen bewogen zu haben.” „Es hängt nur von uns ab, einen ehrenvollen und vorteilhaften Vergleich ein: zugehen; wenn wir barauf verzichten, räumen wir dem Feinde ſchönes Spiel ein und entzweien uns mit unſern Verbündeten, bie ſolchen Widerſtand nicht begreifen werden; dagegen wird der König von Ungarn als Friedensfreund in hellem Strahlenglanz erjcheinen.” „Gewiß wäre es jehr erwünſcht, wenn ber König zu einer Ermwerbung, an der nun einmal fein Herz hängt, gelangen fönnte, aber es ift höchſt beventlih, durch einen Krieg diejelbe erreichen zu wollen, da man ja dabei immer den gefährlichften Zwifchenfällen ausgefegt if. Wenn der Wiener Hof auf den status quo eingeht, vermag ich nicht einzufehen, wie man das Anerbieten zurüdmweifen fünnte. Krieg zu führen, nur um Zuwachs zu erlangen und den Polen einen Gefallen zu erweilen, wie follten wir ein ſolches Berhalten vor Europa rechtfertigen?“ ®)

Am 17. Juni richtete Leopold an Friedrich Wilhelm nochmals ein

) Janko, Laudons Leben, 489. 2) Preuß. St. A. Korreſpondenz zwiſchen Finkenſtein und Hertzberg während der Neichen: bacher Verhandlungen, 16. Juni bis 19. September 1790. +) Ebenda. Briefe Finlenſteins vom 21., 23., 30. Juni 1790, Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrich d. Gr. bis zur Mufldfung des beutfchen Heichen, 17

258 Erſtes Buch. Achter Abſchnitt.

Schreiben, das gewiſſermaßen als Ultimatum gelten ſollte. Unter wiederholten Verſicherungen freundſchaftlicher Ergebenheit erbot er ſich, den Fürſten Reuß und den Staatsſekretär von Spielmann nach Schleſien abzuordnen, damit ſie dem König oder den von ihm aufgeſtellten Bevollmächtigten alle nötigen Auf— klärungen gäben; entweder könne „auf Grund bes status quo essentiel oder auf Grund einer Ausgleihung gegenjeitiger Vorteile” ein Uebereinfommen ge: troffen werden. „Jh bitte Eure Majeftät zu erwägen, daß ich in diefer ganzen Angelegenheit alle erdentlihe Nachgiebigfeit an den Tag gelegt habe, ſowohl aus Mäßigung und Liebe zum Frieden, als um der ehrenvollen Vermittelung Eurer Majeftät willen. Daß ih darin bis zur äußerten Linie gegangen bin, die mir von der eigenen Ehre gezogen wird und da beginnt, wo Zugeſtändniſſe nicht mehr durch Gründe der Billigkeit, der allgemeinen Wohlfahrt und der Intereſſengemeinſchaft zu rechtfertigen find. Das deutiche Reich und ganz Europa verehren in Eurer Majejtät einen Fürften, der die Macht feiner Herrihaft nur zum Schutze der Gerechtigkeit, der allgemeinen Ruhe und der eigenen Würde gebraucht; da ich die nämliche Gefinnung bege, jo meine ih, wir follten nur auf diefer neuen Bahn zum Ruhme miteinander wetteifern und mit vereinten Kräften darnach traten, Achtung, Eintradt und Freundfchaft zwifchen uns auf: recht zu erhalten.”

Ein jo herzlih und ehrerbietig ausgeiprodhener Wunſch Ffonnte nicht ein: fah abgelehnt werden. Friedrich Wilhelm ermächtigte alfo feinen Minifter Hergberg zur Eröffnung von Unterhandlungen zu Neihenbah in Schlefien. Etwas andres als der status quo, ſchreibt Hertzberg (24. Juni) an Finken— ftein, werde fich freilid faum erreichen laffen, „Doch werde ich wenigftens alles thun, um den Krieg zu verhindern, der von polnischer Seite lebhaft gewünscht wird.“ Dem Anfinnen der Gefandten Englands und Hollands, zu den bevor: ftehenden Verhandlungen beigezogen zu werben, jegte Friedrich Wilhelm leb— haften Widerftand entgegen: „Warum foll ih Spione in Reichenbach zulaſſen?“ Als aber Mr. Ewart erklärte, feine Regierung werde jolde Zurüdjegung nicht ruhig hinnehmen, und Hergberg vorftellte, daß die Gelandten der Seemädte wenigitens in den Hauptpunften die preußiſchen Forderungen unterftügen wür— den, gab der König nah. Nun hielt Finkenftein den Sieg der Friedensfreunde für gefihert. „Ich ehe voraus, daß der von preußifcher Seite vorgelegte Ent: wurf nicht unverändert zur Annahme gelangen wird, aber nad einigem Markten und Feilſchen wird ein Vergleich zu erreihen fein, der den König befriedigt und den Krieg verhindert. Freilih, was werden die Türken dazu jagen und was werden die Polen beginnen?”

Solange die Frage: Krieg oder Frieden? nicht entichieden war, Fonnte auch die Erhebung Leopolds auf den Kaiferthron nicht als gelihert gelten. War bob von Preußen, wie wir gejehen haben, die Uebertragung der Krone an das Haus Zweibrüden ernitlih ins Auge gefaßt worden, war doch der Plan Joſephs, durh die Wahl des Bruders zum römifchen König die Kaiferwahl im voraus zu regeln, am Widerftand des Fürftenbundes gejcheitert.

Am 26. März, alſo gleichzeitig mit der eriten Einladung zu friedlicher Löjung der ſchwebenden Streitfragen, richtete König Leopold an Friedrich

Vorbereitungen zur Kaifermahl. 259

Wilhelm die Bitte, ihm bei ber bevoritehenden Kaiferwahl die brandenburgifche Stimme zuzumwenden. !) Die Antwort befhränfte fih auf ein Fühles Schmeidhel: wort, der König von Preußen fönne ſich nicht verhehlen, daß Leopold um feiner Geburt und feiner perjfönlihen Vorzüge willen auf die erhabene Würde gerechten Anſpruch habe. In den ſpäter zwifchen beiden Monarchen gewechfelten Briefen wird die Wahlangelegenheit nicht mehr erwähnt.

Kaifer Joſeph hatte vor zwei Jahren zuerft den Kurfürften von Mainz zu gewinnen und dadurch den Fürftenbund zu ſprengen verfuht. Auf gleichem Wege wollte Leopold zum Ziel gelangen. Anfangs April fam ein außerorbent: licher Gelandter des Königs von Ungarn, Graf Schlid, nah Mainz, um in herfömmlicher Weile die Stimme bes Kurfürften zu erbitten; zugleich legte er aber in geheimer Audienz dar, welche Vorteile Kurmainz von einem Ya zu er: warten habe, welchen Gefahren es durch ein Nein fi ausſetze; die Nüdficht auf Preußen brauche den Kurfürften nicht zu beunrubigen, denn Zeopold jelbit jei ein warmer Freund der Union und werde derjelben beitreten, ſobald der Friede mit Preußen erreicht fei. Friedrih Karl ermiderte ausweidhend mit einem Scherzwort: die römische Krone gleiche einem Fräulein von hoher Ge: burt, deſſen Hand nicht ohne weiteres zu erlangen ſei; der König von Ungarn möge erft einmal zeigen, mweldes Los er der Dame zu bieten habe.) Zu: gleich brachte der Kurfürſt dem preußiichen Hofe das Anfinnen Leopolds zur Kenntnis. Darauf wies Friedrid Wilhelm feinen Minifter Herkberg an, ben Mainzer in den Stand der Verhandlungen mit Defterreich einzumweihen (22. April); der Berliner Hof werde ein durchaus befriedigendes Wiener Angebot nicht ab- lehnen, habe aber zur Zeit noch feine bindende Zujage gegeben. In der Wahl: frage würde Preußen am liebiten Hand in Hand mit Kurmainz geben, doch dann möge der Kurfürft auch in der Lütticher Angelegenheit dem preußifchen Kabinett, das vielleicht nicht ganz fonftitutionel, wohl aber nad den Grund: ſätzen einer aufgeflärten, weitjehenden Politik gehandelt babe, nicht länger widerjtreben.

Auch von Hannover wurde angefragt, ob das Berliner Kabinett der Be: werbung Leopolds zuftinnmen oder einen andern Kandidaten aufitellen werde? Dabei ließ man durdbliden, daß man zwar am Fürftenbund feftzuhalten ge: denfe, aber für Ausſchließung Zeopolds nicht zu haben fei, da nur diefer Bewerber Ausfiht habe, durchzudringen. Hergberg felbit teilte diefe Auffaflung. „Ich für meine Berfon glaube,” ſchrieb er an den König (Reihenbad, 6. Juli), „daß Eure Majeftät Ihre Stimme dem König von Ungarn nit mwohl verfagen fönnen.” Friedrich Wilhelm erhob feinen Widerſpruch, ließ aber an die fur: fürftlihen Mitglieder des Fürftenbundes die Aufforderung ergehen, fie möchten unter allen Umftänden für Aufihub der Wahl bis zur Entſcheidung in der Friedensfrage ihren Einfluß geltend machen.

Am 26. Juni wurden in dem jchlefiichen Städtchen Reihenbadh, und zwar

') Preuß. St. A. Acta, betreffend die Wahl eines römischen Königs nad) den Abfterben Sofephs II, *) Ebenda. Acta, die Wahl Leopolds II. betreffend. Bericht Steind vom 9, April 1790.

260 Erſtes Buch. Achter Abichnitt.

in dem Haufe des um die fchlefiihe Wollinduftrie verdienten Handelsmannes Sadebed am Ring, von den Vertretern Defterreichs, Preußens, Großbritanniens und Hollands die Verhandlungen eröffnet. Die Defterreicher ſtanden noch unter dem Drud der Hiobspoft vom Kriegsſchauplatz, wo die öfterreihifchen Truppen bei der Belagerung von Giurgewo eine Schlappe erlitten hatten; der an ſich unbedeutende Borfall hatte als ſchlimmes Borzeihen für die Fortjegung des Kriegs peinlihe Entmutigung in Wien hervorgerufen. Dagegen erhielt Herk: berg von feinem Könige einen Brief, der von dem Selbftvertrauen und der friegeriihen Stimmung im preußiſchen Hauptquartier Zeugnis gab. „Sie werben gut daran thun, Herrn von Spielmann ja nicht zu weit entgegen zu fommen; wenn das Gebiet, das fie an Polen abtreten wollen, zu Elein ift, fann man nicht darauf eingehen; wir würden uns mit der Pforte entzweien und zugleich das Vertrauen der Polen verlieren, wenn die Entihädigung für Danzig und Thorn nicht ausreichend wäre; ber status quo in pleno wäre für uns gemifler: maßen ehrenhafter.” „Ueberhaupt,” jo jchließt das Schreiben, „werden Sie einjehen, daß ich hier an der Spite meiner Armee weniger nadhgiebig fein darf, als wenn ich von meinem Kabinett in Berlin aus unterhandelte.” ) Troß jenes Winfes jeines Föniglihen Herrn glaubte Hergberg den profitablen Tauſchplan nicht aufgeben zu dürfen, aber er fpannte die Anforderungen an Defterreich jehr hoch. Da von Polen die Städte Danzig und Thorn, jowie ein Strid) Landes längs des Obrafluſſes von der Mündung in die Warthe bis zum Urfprung an ber fchlefiihen Grenze, endlid das Gebiet zwijchen Nete und Warthe an Preußen abzutreten wären, müſſe von Deiterreich ein entjprechender Teil Gali- ziens mit Brody und den Salzwerfen von Wieliczla an Polen zurüdgegeben werden. Auf eine jolhe Bedingung, erklärte Spielmann, könnte Defterreich nur in dem Falle eingehen, wenn es Belgrad behalten dürfte. Dazu war aber Hergbergs Einwilligung nicht zu erlangen. So ſchien nad) der erjten Sigung nur wenig Hoffnung auf friedlide Einigung geboten zu jein. Trotzdem ſchrieb Herkberg ganz befriedigt an den König, der status quo ſei bejeitigt, ber Entſchädigungsplan wenigitens im Prinzip von den Gegnern zugeitanden, das Geſchäft aljo in beflem Zuge. Friedrich Wilhelm antwortete zuftimmend: „Sie haben gut daran gethan, von Anfang an Belgrad und das Gebiet dies: jeits der Donau ftreitig zu machen; boffentlih werden dieſe Herren ihre Anjprühe im Verlauf der Berhandlungen herabmindern.” Nachdem an den näditen zwei Tagen die Verhandlungen fortgedauert hatten, legte Herkberg am 29. Juni einen Entwurf vor, der genauer die von Preußen geforderte Sebietsverfchiebung feitießte und die Bedingungen andeutete, unter welchen Rußland in den Frieden einzufchließen, jowie die Beruhigung der Niederlande zu erzielen wäre. ?)

Die Vertreter Defterreihs hörten den Vortrag jehweigend an und erklärten

') Preuß. St. A. Papiers et actes, touchant la marche du Roi avec son armée en Silesie, et la nögociation, qui fut #tablie a Reichenbach. Schreiben Friedrich Wilhelms von 26, Juni 1790.

) „Points preliminaires ete,* bei Herkberg, Recueil des deductions, III, 97.

Der Reichenbacher Vertrag. 961

fodann, fie könnten über die angeregten Fragen ohne neue Anweilung ihrer Regierung nit verhandeln. Damit mußte man fih auf preußiicher Seite zu: frieden geben; die Sigungen wurden ausgeſetzt, während die Ronzentrierungss märſche der Armeen fortdauerten.

Die öffentlihe Meinung in Deutihland jtand, wie aus der Tagesprejle zu erjehen ift, dem andauernden Wechſel zwiichen friedlichen und friegerifchen Rund» gebungen ratlos gegenüber. Nie habe es, klagt Schubart in der Vaterländijchen Chronik, fo viel Myftiiches, Nenigmatifches, Unbegreifliches in den Staatsereignifjen gegeben, ala feit dem Ableben Joſephs II. „In fengender Sommerhitze ftehen jegt drei preußifche Heere, eins unter dem Könige und dem Herzog von Braun- ſchweig, zwei befondere Heere unter Möllendorf und Friedrich von Braunfchweig, und zwei große kaiferliche Heere unter Laudon und Hohenlohe, ohne daß noch eine Kriegserflärung erfolgt wäre... Indem die Krieger in der Sonne jchwigen, arbeitet Hergberg im Schatten an der Ausföhnung . . . Mars nahm JIrene mit ins Feld!” 1) Ueber die SFriedensbedingungen waren allerlei begründete, wie abenteuerlide Gerüchte im Umlauf; Preußen fordere das ganze öfterreichijche Schleſien, der Friede erfolge auf Betreiben der Königin von Franfreih, die zur Rettung ihres Thrones die deutſche Macht aufbieten wolle u. ſ. f.

Als ein Tag nad dem andern verftrich, ohne dak eine Antwort aus Wien in Neihenbah eintraf, wurde man auf preußiiher Eeite unruhig. Jacobi in Wien ſagte dem Vicefanzler Cobenzl ins Gefiht, man wiſſe im preußifchen Hauptquartier recht gut, daß Baron Herbert im Auftrag des Wiener Hofes in Bukareſt insgeheim mit den Türken verhandle; offenbar bejtehe die Abſicht, das preußische Kabinett erft in Sicherheit einzumiegen und dann plößlich durch bie Meldung eines Sondervertrags mit der Pforte aufzufchreden, um den Reichen: bacher Forderungen die Spike abzubrechen. Darauf beteuerte zwar Cobenzl, fein Gebieter fei folder Winkelzüge nicht fähig, doch blieb in Jacobi der Argwohn rege, daß in Neichenbah und Bufareft ein binterliftiges Doppelipiel (double tripotage) getrieben werde. ?)

Noh ehe der alarmierende Bericht Jacobis ins preußifche Hauptquartier gelangte, war hier ein Umſchwung erfolgt; der König ließ das Syftem Herk: bergs fallen und jchidte fih an, die Fahne zu entrollen. Denn nur als Sieg uchefinis und der Kriegspartei darf es aufgefaßt werden, daß unmittelbar vor Abſchluß der Verhandlungen das ganze Friedenswerf auf den Kopf geitellt und gerade das Gegenteil der bisherigen Vorjchläge gefordert wurde?) Am

) Chronik, Jabra. 1790, 486, 444, 446.

2) Preuß. St.A. Des Baron v. Jacobi:Nioejt Relationes etc. Jacobis Beriht vom 12. Jult 1790.

2) Sybel, 182. Die Anficht Zinfeifens (Gef. der Türkei, VI, 785), Friedrich Wilhelm babe aus Furt vor friegerifcher Verwickelung die rabuliftiiche Politik Hergbergsd aufgegeben, ift gegenüber den Mitteilungen Hergbergs an AFinkenftein unhaltbar. Auch die Darftellung der Reichenbacher Borgänge in v. Cöllns Vertrauten Briefen über die inneren Berhältniffe am preußifchen Hofe (II, 157), wonad Luchefini, durch eine Intrigue Biſchoffswerders an Etelle des erkrankten Herkberg geihoben, mit Spielmann die „unglüdlihe Konvention“ geſchloſſen hätte, fteht mit den Alten in Widerſpruch.

2062 Erites Bud. Achter Abjchnitt.

11. Juli brachte Luchefini nach Reichenbach einen acht Seiten langen, eigen: händigen Brief Friedrih Wilhelms; darin war der Minifter angewiejen, bei Miederaufnahme der FFriedensverhandlungen einen neuen Weg einzufchlagen. „Polen hat zu erkennen gegeben, daß es ganz und gar nicht geneigt ift, auf den vorgejhlagenen Austaufh mit den galizischen Diftriften einzugeben; die Türfen würden alles Vertrauen verlieren, wenn man fi wegen der Entſchädi— gung nur an fie halten wollte. In diefer Erwägung und insbejondere mit Rüdfiht auf den Zeitverluft, den bie binterliftig geführten Verhandlungen uns verurjachen, iſt es, wie ich beſchloſſen habe und Ihnen hiemit eröffne, am beiten, den status quo vor dem Kriege vorzuichlagen. Damit läßt jih am beften zum Frieden gelangen; daran werde ich mid) halten und will, jobald die Zuftimmung des Miener Hofs eintrifft, ven Grafen von Luzi über Wien ins Lager des Groß— wejlirs jenden, um der Pforte Nachricht zu geben.”

Außerdem verlangte der König, in ben Friedensvertrag müſſe auch bie Garantie der belgiihen Verfaſſung aufgenommen werden, womit ja auch bie Seemädte einverftanden jeien. Endlich ſoll der Anſpruch erhoben werden, daß König. Leopold die ungarifche Verfaffung beftätige und die Bürgichaft des Königs von Preußen als Herzogs von Schlefien zulaſſe. „Sie werben jelbft fühlen, wie wichtig es für Preußen ift, diefe bedeutungsvolle Stellung zu gewinnen, und wie günftig die gegenwärtigen Umftände ſich anlafjen.” „Was den status quo, an fih gewiß eine ehrenhafte Forderung, betrifft, jo ift mir, wenn man ihn mweigern jollte, der gerechteſte Anlaß zum Kriege geboten; dann fann mir. England feine Hülfe nicht verfagen, und die vorteilhafte Allianz mit den Türfen wird noch befeftigt; anderjeits ließe fich vielleicht, wenn e& gelänge, den status quo vom Wiener Hofe zu erzwingen, die Verbindung Defterreihs mit Rußland auflöfen. Jedenfalls wäre es jo unziemlih wie ſchädlich, an der Spige einer ichlagfertigen Armee die Zeit mit langen Unterhandlungen zu verlieren.”

Betroffen erwiderte Herkberg, er ſei in fein Projekt nicht verliebt und habe nur im Intereſſe des Königs feine Vorſchläge gemacht; die darauf zielen: den Verhandlungen würden ficher nicht mehr Zeit gefoftet haben, als man zur Beratung über Wiederherftelung des Zuftandes vor dem Kriege brauchen würbe. Jetzt von den bisherigen Bedingungen plöglih abgehen und andre aufitellen, heiße Leopold eine kaum erträglide Demütigung auferlegen; der Anjprucd auf Sarantie der ungarischen Verfaſſung vollends ſei gleihbebeutend mit einer Kriegserklärung.

Nun ift der Krieg wohl nicht mehr abzuwenden, ſchrieb Herkberg an den Kollegen, denn was ih Tem König von Ungarn zumuten fol, kann er nicht annehmen, ohne fich Telbit zu entehren. „Luccheſini ift ganz und gar für den Krieg, ebenjo Herr von Jacobi; es iſt nur qut, daß fie jelbft an Ort und Stelle jehen werden, welche Schwierigkeiten und Gefahren der Krieg mit ſich bringen

wird, insbejondere in Bezug auf die Verpflegung ... Man jcheint ſich mit einem Feldzugsplan zu tragen, der nad meiner Anficht niemals Erfolg haben fann, man will nämlich wiederum Böhmen angreifen... Ich kann den Gieß—

bad in feinem wilden Laufe nicht mehr aufhalten!” Wenn Hergberg trogdem gehofft haben mochte, daß der König die War:

Der Reichenbacher Vertrag. 263

nung feines jonft jo geichägten Minifters beachten werde, fo ſah er fih ent: täufht. Ein zweiter Brief Friedrih Wilhelms vom 12. Juli wiederholte kurz und bündig die Weifung, den status quo als Grundlage der Verhandlungen zu wählen; nur die Garantie der ungariſchen Konftitution wurde aufgegeben. „Bas die Ungarn betrifft, jo weiß ich nicht, woraus Sie entnehmen, dab id in der Garantie eine conditio sine qua non erblide; es fommt vor allem darauf an, daß die Ungarn felbit von mir diefe Garantie fordern, mas fie am 14. d. Mte. thun wollen; dann wird es immer noch Mittel und Wege geben, vor den öfter: reihiichen Miniftern auf gemäßigte Art etwas davon anzubringen.” Den Ge: jandten Englands und der Niederlande fol der neue Entihluß des Königs befannt gegeben werden. Die ernite Zeit erheifche ernftes Auftreten; England möge recht bald eine Flotte ins baltifhe Meer jenden, um den König von Schweden zu retten und die preußifchen Küften zu deden.

Am 12. Juli erhielt Fürft Reuß endlich die Antwort auf die Vorfchläge vom 29. uni. Im Wejentlihen waren die preußiihen Bedingungen angenont: men; nur auf dem Beſitz von Belgrad ſollte beftanden und ftatt des geſorderten Teiles von Galizien ein andrer von der Sau bis Brody angeboten werden. Nun brach Hergberg jelbit nah Schönwalde auf, um dem Könige die Vorteile einer Verftändigung auf Grundlage des Wiener Angebots auseinander zu ſetzen. Doc alle Anftrengungen waren vergeblich; der König verlangte „in beftimmten, ja ſogar ftrengen Ausdrücken“, dab auf dem status quo beftanden werde, da nur biefe Forderung für Preußen anftändig und angemefjen ſei. Ueberdies machte er, um der genauen Beachtung feiner Anordnung verfichert zu fein, den Vorſchlag, daß auch Marqueje Luchefini den Konferenzen beimohnen jollte, allein Her&berg lehnte jo beihämende Kontrole ab. Kaum war der Minilter nad Reichenbach zurüdgefehrt, wurde ihm ein Handbillet des Königs eingehändigt, das den ge: meſſenen Befehl enthielt, binnen zehn Tagen müſſe der Friede geichloffen fein oder die Verhandlung abgebrochen werden. „Ihre Abfichten mögen ja gut jein, aber Sie jchädigen das Staatswohl, wenn Sie nicht furzweg alles abjchneiden, was die Verhandlungen hinausziehen fann. Mithin ift es meine Aufgabe, Sie daran zu bindern, indem ich Ihnen aufs Beſtimmteſte auftrage, nur meinen Willen zu vollziehen und fich nicht mehr länger von Fürft Kaunitz narren zu laſſen.“

Hertzberg mußte alſo, wie ungern er auch auf ſeinen eigenen „Friedensplan“ verzichtete, den Defterreihern das neue Ultimatum kundgeben. Fürſt Reuß und Spielmann, fichtlih betroffen, fuchten mwenigitens einige Beihränfungen des status quo, insbejondere Auslieferung der Feltung Orfowa, durdzufegen, doch Hergberg blieb umerbittlih. „Ich war ja dazu genötigt,“ jchreibt er an Finken— ftein, „alles rundweg abzuſchlagen.“ Die Gejandten der Seemädte unterftügten in der Sitzung die preußiſche Forderung, gaben aber in einer Sonderbefprehung ben Defterreihern ihre Bereitwilligkeit zu erfennen, dafür zu wirken, daß zwar im allgemeinen der Stand vor dem Kriege zur Grundlage dienen, dem König von Ungarn aber unbenommen fein follte, fi über kleine Abtretungen zur Sicher: heit feines Staates unmittelbar mit der Pforte zu verftändigen.

Nohmals, am 16. Juli, gab der König feinen unmiderruflihen Entichluß

254 Erjtes Bud. Achter Abſchnitt.

zu erkennen, daß er von ber Erfüllung der aufgeftelten Bedingung den Frieden abhängig machen wolle. „Wir werben ja jetzt jehen, ob es der Wiener Hof auf Krieg ankommen laflen wird ; die geftern eingelaufene Depeſche Jacobis zeigt zur Genüge, daß fich die Verlegenheiten für den Wiener Hof, wenn er fich weigert, auf meine Abſichten einzugehen, noch fteigern werben. Möglicherweife wird ſich ber König durch die ſchlechte Gefinnung des Fürften Kaunig und den falfhen Ehrgeiz bes Marſchalls Lacy zum Krieg verleiten lafjen; jedenfalls war der feſte, kräftige Entihluß, den ich gefaßt habe, das einzige Mittel, eine Unterhandlung abzu: ichneiden, die von Defterreih mit Hinterliftiger Abjiht endlos hinausgezogen worden und für mich, der ich zum erftenmal eine Armee befehlige, wenig ehren: voll gewejen wäre. Ich bin hocherfreut, daß Sie fo getreu auf meinen Willen eingegangen find; man darf nun von dem einmal eingeichlagenen Wege nicht mehr abweichen.” Auf die Meldung Hergbergs, daß Fürſt Neuß auf eine be: ftimmtere Erklärung Preußens bezüglid der belgifhen Frage gebrungen habe, erwiderte Friedrih Wilhelm: „Und ich erwarte vor allen Dingen, daß ber Miener Hof jofort und beftimmt eine Erklärung abgibt, ob er auf den status quo eingehen will oder nicht; ehe dies nicht geichehen, werde ich mich über feinen andern Artikel äußern.” Man fieht, in Schönwalde herrſchte Eriegsluftige Stimmung; man hoffte und wünſchte, daß die dem Wiener Hofe gejegte Frift ohne Ergebnis verftreihen möchte. „Da es nicht unmahrjcheinlih iſt,“ ſchrieb der König am 20. Juli, „daß der Wiener Hof wieder nur eine verzögernde Antwort geben wird, jo beauftrage ih Sie, ohne Aufihub an dem Kriegs: manifeft zu arbeiten, damit es fertig ift, wenn dieſe Leute mich nochmals zum Narren halten wollen. Alle meine Maßnahmen find getroffen; nichts kann und darf fie aufhalten, als die Annahme des unbejchränften status quo!” Spielmann ließ das drohende Wort fallen, der Wiener Hof werde, wenn man ihn zum Heußerften reize, vor ganz Europa den Beweis liefern, daß Preußen die Ungarn und die Galizier zum Aufitand aufgeftachelt habe; Herkberg meldete es, ohne eine Bemerkung daran zu Inüpfen, aber auch der König ging gar nicht darauf ein, Sondern wiederholte bloß den Befehl, das Manifeft bereit zu halten. „Wenn die Umftände mich zum Aufbruch nötigen, werde id es Ihnen anzeigen und werde Sie von allen Kriegsvorfällen unterrichten.” Zugleich wurde ber Aufbruch der Truppen auf den 25. Juli feftgefegt; von allen Seiten jollte gleichzeitig der Einmarſch in Böhmen bemeriftelligt werden.

Doch das Unerwartete traf ein. Am 23. Juli nahmittags überbradhte ein Kurier die Antwort des Wiener Hofes, und am nächſten Morgen gab Fürft Neuß die Erklärung ab: König Leopold ift bereit, auf Grund des status quo mit der Pforte Frieden zu ſchließen. Freilih war die Bemerkung. eingeflodhten, der König von Ungarn gebe fi der Hoffnung hin, daß die Pforte freiwillig unter Vermittelung des Königs von Preußen einige Grenzmodififationen zu: geftehen werbe.

Der Zufag fei unbedenklich, ftellte Herkberg dem König vor, denn er enthalte weder für die Pforte, noch für Preußen eine wirkliche Verpflichtung; Preußen fünne noch immer feine Vermittelung von näher zu bejtimmenden Abtretungen abhängig machen.

Der Reichenbacher Vertrag. 265

Die überrafhende Botichaft aus Wien ließ nun aud in Schönwalde eine friedlichere Stimmung die Oberhand gewinnen. Friedrih Wilhelm genehmigte die MWiederanfnüpfung der Verhandlungen und übergab feinem Minifter ein Memoire, das fünf Punkte als Mittel zur Ausgleihung feiner Abjichten mit den Wünſchen der Seemädte in Vorſchlag bradte. Nachdem Dejterreih den ftrikten Befig: fand vor dem Kriege als Friedensbafis angenommen habe, joll derjelbe auch von den Miniftern der Seemächte unverzüglich garantiert werben, bamit die Defterreiher nicht wieder Zeit hätten, für die Wiederbelebung ihrer Hoff: nungen zu wirken; in die preußiiche Gegendeflaration fol zwar eine Erwähnung diefer „Hoffnungen“ aufgenommen werden, doch mit dem Beifügen, daß für den Fall einer Erwerbung des Wiener Hofes ein Erjag für Preußen geboten werde‘); in der belgiihen Frage fol Preußen Hand in Hand mit ben ver: bündeten Seemädten gehen; der Friede mit Rußland ſoll mit den fchwebenden Unterhandlungen nichts gemein haben, die Sicherftellung der Türkei fol Preußen überlafien bleiben, das nur einen Frieden auf der Bafis des status quo stricte zulafien werde; die Schlußverhandlungen follen unter der Aufſicht und Ber: mittelung der Minifter der Höfe von Berlin, London und dem Haag ftattfinden.

Friedrih Wilhelm war noch nicht frei von Beforgnis, daß Herkberg wieder in das alte Fahrwafler einlenfen und zu Gunften feines „grand dessin“ ben Vertretern Defterreihs oder der Seemächte unpafiende Zugeſtändniſſe machen könnte; er wies daher den Minifter an, den Entwurf der Gegendeflaration vor ber Konferenz ins Hauptquartier zu fenden. Hertzberg erwiderte, er werde bie Erklärung nad Berjtändigung mit den Vertretern der Seemädte abfafjen; die fünf Punkte jeien auch in feinem eigenen Berichte enthalten geweien. „Allein ich jehe wohl, daß ih Eurer Majeftät Vertrauen nicht mehr genieße und nicht mehr genießen werde, daß ih nur noch Spradrohr:-Minijter fein ſoll.) Und doch glaube ih, auch bei diefer Gelegenheit beweifen zu können, daß ich die Sntereflen des Staats fenne und zu wahren mweiß, jo gut wie andre, wenn man mid nur rüdhaltlos darüber jprechen ließe.” Trotzdem blieb der König bei feinem Argwohn und forderte Vorlage des Entwurfes. „Die erfte Pflicht eines Minifters ift, jeinem Herrn zu geboren; ich hoffe nicht nötig zu haben, Sie daran zu erinnern.” Auch der am nächſten Tage von Her&berg vorgelegte Entwurf fand nicht die ungeteilte Billigung des Königs; es wurde noch einiges abgeändert, „damit Preußen ſowohl gegenüber den belgiſchen Generalftaaten als der Pforte möglichft freie Hand behalte.“

Am 26. Juli traten die Vertreter der vier Mächte zu neuer Beratung zufammen. Insbeſondere die Forderung, daß Preußen als Bürge ber belgischen Verfaſſung aufgeitellt werde, ftieß bei Reuß und Spielmann auf heftigen Wider: ſpruch; war doch mit Sicherheit vorauszufehen, da dann auch die Stände von Ungarn und Galizien das nämlihe Zugeftändnis heiſchen würden. Eine von

'ı... „Que dans la surdite contredeclaration Prussienne on ne parle de ces esperances que pour insister sur des esperances d’un “quivalent en cas d’acquisition de la part de la cour de Vienne* .

7)... „(Que je ne dois &tre que le Ministre Porte-voix* .

2665 Erftes Buch. Achter Abſchnitt.

den Gejandten der Seemädhte vorgeichlagene Erklärung wurde von Friedrich Wilhelm nicht genehmigt. „Sie jhien mir nah Ton und Ausdrud unannehm: bar zu fein, weil fie den Eindrud zuließ, als ob ich mich entichuldigen wollte, daß ich mich in die häuslichen Angelegenheiten eines andern Staates eingemifcht hätte, diefe Wendung war ungeziemend, und überdies hat es fi) darum nie gehandelt. Wenn der Artikel nach meiner Faflung vorgeichlagen jein wird, muß auf ſchleunige Unterzeichnung gedrungen werden. Den Deiterreihern darf es nicht zweifelhaft bleiben, daß ein weiterer Aufihub als Abfiht, den Krieg herbeizuführen, aufgefaßt werden müßte.”

Herkberg jelbit begab fih nochmals nad Schönwalde und juchte den König zu überreden, von der Garantie der belgiichen Verfaſſung abzuftehen, da fie von den Defterreihern nun und nimmer bewilligt werden fünnte, umjonft, Friedrih Wilhelm beharrte auf feinem Entſchluß.

Diefe Beharrlichkeit wird durch die außerorbentlihe Gunft der Lage für Preußen erklärt und gerechtfertigt. Gerade am 26. Juli ſchrieb Graf Luzi, der auf der Reife nad) Konftantinopel begriffen war, aus Wien: „Der Thron Leopolds ift bis zu den Grundfeften erjchüttert. Eure Majeität hält das Geſchick einer der eriten Mächte Europas in Ihrer Hand. Sollten Eure Majeftät ſich genötigt jehen, das Schwert zu ziehen, niemals hat ein Krieg unter glüdlicheren Aufpizien begonnen! Nicht einige Unzufriedene, ganz Ungarn, die gejamte jtarfe und Friegeriiche Nation ift bereit, fich zu erheben.”

Nah Reichenbach zurückgekehrt, berief Hertzberg die Gefandten zur ent— Icheidenden Sigung. Nach langer, flürmifcher Debatte wurde der preußiſche Ent: wurf angenommen. „Indem ich den Defterreihern gewiſſermaßen Gewalt anthat,” meldete Herkberg abends dem König, „und immer mit dem Abbruch der Verband: lungen drohte, jegte id) durch, daß die Deklarationen unterzeichnet und ausgetaufcht wurden.” Auch Luchefini war bei der legten Konferenz anwejend geweſen und hatte, dem Prinzen Reuß die Uhr vor die Augen haltend, zum Abſchluß ge: drängt. „Die Deiterreiher,” jchrieb Hergberg an Finkenftein, „haben nur mit heftigem Widerftreben unterzeichnet; ich war genötigt, die ſchwerſten Drohungen gegen fie hervorzufehren. Herr von Spielmann geht morgen weg und will mit niemand mehr jprehen. Ich babe unter den peinlichſten Verbrießlichkeiten, die mir namentlid von Schönwalde bereitet wurden, zu leiden gehabt; ich müßte einen Band jchreiben, wollte ich mich darüber weiter auslafjen. Herr von Luccheſini hat eine Hauptrolle dabei geipielt; er iſt auch zum Bevollmächtigten für den Friedenskongreß auserfehben. Ich balte es nicht für ziemlih, meine eigene Meinung über den Traktat auszufprechen; ich habe dazu nur meinen Namen und meine Feder hergegeben, alles übrige war mir von ber Hand des Königs vorgezeichnet.“ Auch als Friedrih Wilhelm zum glüdlihen Abſchluß der Ber: bandlungen gratulierte, erwiderte Hergberg froftig: „Es ift an mir, Eure Majeltät aus Anlaß des Vertrags zu beglückwünſchen, da er ja einzig und allein Ihr Werk ift.” Doch auch die Verftimmung über die erlittene Zurückſetzung konnte den Minifter nicht bewegen, auf „Teinen” Tauſchplan völlig zu verzichten. Er habe fih nochmals wegen Danzig und Thorn mit dem engliihen Gejandten ins Benehmen gejegt, meldete er dem König, und Mr. Ewart habe die Meinung

Der Reihenbadher Vertrag. 267

geäußert, hierüber werde am beiten von Luccheſini in Warſchau verhandelt werden. „Ich habe feinen Grund,” antwortete der König, „mich in diejer Sadıe zu beeilen, denn ich will nicht, daß die Defterreiher wieder anfangen, von Orſowa zu fpreden; dies würde aber unfehlbar gejchehen, wenn fie von ſolchen Verhandlungen Wind befämen.“

An 27. Juli 1790 wurde in Form gegenjeitiger Erklärungen folgendes feſtgeſetzt.) Defterreih erklärt fich bereit, mit der Piorte Waffenftilliftand zu ihließen, um auf Grundlage des Beitandes vor dem Kriege Friedensverhandlungen einzuleiten; dabei ift der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß ſich die Pforte zu einigen verjöhnlihen Grenzmodififationen verftehen werde. Falls der Krieg zwischen Ruß— land und der Türfei fortdauern follte, wird Defterreich nicht mehr daran teil: nehmen. Bon preußiiher Seite wird gefordert, daß jene der Türkei angefonnenen Modifitationen jedenfalls freiwillige fein müßten, daß fodann der König von Ungarn dem preußijhen Staat einen entſprechenden Erſatz leilten und das Nähere auf einem zu berufenden Friedenskongreß feitgeftellt werden folte.

In einer gejonderten Erklärung verſprach Preußen, in Uebereinftimmung mit den verbündeten Seemädten dafür Sorge zu tragen, daß bie belgischen Provinzen unter die Herrichaft des Haufes Defterreich zurüdfehrten; dafür jollte ihnen eine Garantie ihrer alten Verfaſſungen gewährt werden. Emwart und de Neede gelobten im Namen ihrer Höfe, für wechjelfeitige Erfüllung der von Deiterreih und Preußen übernommenen Berbindlichkeiten einzutreten und auf dem Friedenskongreß die weitere Vermittelung zu übernehmen.

Noch war aber fraglih, ob Leopold den Reichenbacher Vertrag aner: fennen und unterzeichnen werde. Bon Finkenſtein wurde es bezweifelt; da Spielmann zornig ohne Abjhied Reichenbach verlafien habe, werde der Handel wohl noch ein Nachipiel haben. Hertzberg ſchloß ſich diefer Befürchtung nicht an; die Krilis in Ungarn, ermwiberte er, werde Leopold wohl nötigen, den Vertrag zu genehmigen, „allein was it damit gewonnen? Xeopold wird zu: ftimmen, aber in einigen Jahren Rache dafür nehmen! Ich habe dies alles vorgeftellt, aber man hat mir durch eigenhändige Briefe des Königs den Mund verſtopft!“

Am 4. Auguſt überbrachte Fürſt Reuß die ratifizierte Urkunde; Leopold hatte wirklich unterzeichnet, obwohl die preußiſchen Forderungen in Wien allge— meine Erbitterung hervorgerufen hatten. Fürſt Kaunitz, der früher den Tauſch— plan des „abſcheulichen, inſidiöſen“ Hertzberg geſchmäht hatte, war über das Zurüdgreifen auf den status quo noch ungehaltener; er mußte, wie Hergberg in Reichenbach, durch ein Handbillet jeines Herrn förmlich gezwungen werden, zum Abſchluß der Verhandlungen die Hand zu bieten. *)

Dem Troß der Preußen, jchrieb Leopold an Schweiter Chriftine, den Ränken der engliihen und holländiihen Diplomaten und dem Aufftandsgelüfte

', Preuß. St. Korreſpondenz mit Hergberg 1790. In deuticher Ueberſetzung abge: drudt im Bolit. Journal, Jahrg. 1790, 870.

2) Beer, Joſeph II., Leopold IT, und Kaunitz, 368. Beer, Die orientalifche Politik Defterreichs, 149.

2068 Erſtes Bud. Achter Abichnitt.

der Ungarn habe er nicht länger ftand zu halten vermodt.‘) Auch das uner: wartete Ableben Laudons (14. Juli) mochte als ernfte Mahnung zur Nachgiebig: feit empfunden worden ſein.

Friedrih Wilhelm nahm, wie es jcheint, die zuftimmende Antwort Zeopolds mit Befriedigung entgegen; er 309 den Friedensboten zur Tafel und ſprach ihm jeine Freude aus, daß nunmehr der Degen in der Scheide bleiben und unver: züglich die Abrüftung beginnen könne.

Ohne Zweifel bedeutete ja der Reichenbacher Vertrag für ben Augenblid einen glänzenden Erfolg Preußens, eine Niederlage Defterreihs. In einem Glückwunſch des Grafen Golg an Friedrih Wilhelm (1. Auguft) find die Licht: jeiten überfchwenglich gepriefen. „Niemand kann in Abrede ftellen, daß der von Eurer Majeftät diktierte Friede ebenfo ehrenvoll für Sie und vorteilhaft für die Pforte, wie demütigend für das Haus Defterreih if. Eure Majeftät erfreuen fih der Genugthuung, daß Sie Ihren Gegner vor ganz Europa ge: nötigt haben, auf Bedingungen einzugehen, denen das freie Ermefjen Eurer Majejtät zur Grundlage diente. Ohne die Eiferfucht einer benahbarten Macht zu erregen, haben Eure Majeftät den glänzenden Ausfichten eines Krieges ent: jagt und lieber Jhrem Lande Nuhe und Frieden, bie Grundlagen bes Glüdes der Völker, erhalten. Der Vorteil für Eure Majeftät befteht in der Schwächung des Gegners und in der Auflöfung des Bundes zwiſchen Defterreih und Ruß: land; aus diefem Grunde ift der Friede, der überdies von Ihrer Großmut und Selbitlofigfeit Zeugnis gibt, für Sie nicht minder glorreih, als ein glüdlicher, erfolgreiher Krieg.”

Diefe Auffaffung ſcheint in norddeutihen und proteftantifchen Kreiſen die vorherrjchende gemwejen zu fein. Die Berliner Monatsihrift nimmt wiederholt die Gelegenheit wahr, die Großmut und die Friedensliebe Friedrih Wilhelms zu preifen.

„Zeurer König! Friedenswonne Gibſt du und zum Cigentum, Und im Glanz der Morgenfonne Singet alles deinen Ruhm!“ ?)

Namler feierte in der Berliner Akademie den „Fürften der Brennen”, der opfermutig das Feuer, das jhon ganz Europa zu erfaffen drohte, ausge: löſcht, der

„. . . nicht wie Pyrrhus erobern will, aber ein befferer Pyrrhus Seinen Cineas hört!” ?)

Noch reihere Xobesipenden erhielt Cineas:Hergberg, als deſſen Werk der Neihenbadher Friede von der öffentlihen Meinung angejfehen wurde. Das Hamburger politifhe Journal rühmt den „aroßen Mann, deſſen Geiſt, deſſen gründliche, tiefe und vieljährige Kenntnis des europäifhen Staatsiyitems, defjen

) Wolf, Leopold 11. und Marie Chriftine, 184. *) Ode von 8. ©. v. Raumer in der Berl. Monatäfchrift, Jahrg. 1790, 201. +) Ebenda, 387.

Der Reichenbacher Bertrag. 269

bis auf den heutigen Tag ebenſo weije als glüdlihe Politik, deſſen ebenfo red: fihe als erhabene Vues politiques, folange er Staatsminifter ift, das politiiche Glück von Preußen und wahrlihd aud von ganz Europa gemacht haben.” !) Die Bürgerfhaft von Reichenbady bereitete am 8. Auguft dem Minifter eine Ovation, um „ihre freude am lobpreislihen Gebeihen des Pazififationskongrefies“ an den Tag zu legen. Ebenſo mwetteiferten in Breslau Behörden und Bürger: Ihaft, um dem Monardhen und dem Minifter ihre dankbare Bewunderung fund: zugeben. „Es floß fein Tropfen Menjchenblut,” läßt Schubart in der Chronif einen Preußen frobloden, „und doch haben wir unjrer Nebenbuhlerin Auftria die blutigen Lorbeerfränge vom Haupte geriffen!”?) Dem „Schiedsrichter von Europa“ ſchien eine jo gebieteriſche Stellung eingeräumt zu fein, daß die Er: folge des großen Friedrih in den Schatten gedrängt waren.

Es fehlte aber auch nicht an Stimmen, die über das Reichenbacher Werk weniger günftig, ja jogar abjällig urteilten, Wedherlin ſchrieb unter dem Titel: „Der Friede zu Reichenbach“ ein Loblied auf den Krieg, der unter gegebenen Berhältnifjen einem faulen, mit den unerbittliden Gefegen der Natur und ber menſchlichen Leidenihaft in Widerjprud ftehenden Frieden vorzuziehen fei.?) Schlözer ſah in dem „Eleinmütigen” Auftreten der preußiſchen Politifer in Shlefien den Beginn des Berfalles der fridericianifhen Macht. „Man erzählt feltfame Dinge von dem status quo in Preußen,” fchrieb er (19. Juli 1790) an Graf Schmettow, „fein Mut mehr in der Nation, nicht einmal ein militäri- iher mehr! Man fol ſelbſt Defterreih fürchten! Schidjal der Menjchheit! Zwei Augen Friedrihs des Adlers jchließen fih, und jehs Millionen Menschen werben umgeftaltet; vielleicht in dreißig Jahren jpriht man von Preußen, wie vor dreißig Fahren von Polen!” *) Der amerikaniſche Gejandte in Paris, Morris, jchrieb jeiner Regierung: „Preußen ift, obwohl es die Bedingungen des Reichenbacher Vertrages diktiert hat, vollftändig hinters Licht geführt wor: den.“ Die Aeußerung bezog ſich ebenjo auf das Gebaren der Seemädte, wie auf das Verhältnis zwiſchen Defterreih und Rußland. Auf preußifcher Seite wurde, wie aus dem Schreiben des Grafen Gol& erhellt, die Sprengung des Bündniffes der Kaijerhöfe erhofft; diefes Vertrauen wurde aber enttäufct. Leopold Hatte nicht verfäumt, der Zarin die Hülflofigfeit jeiner Lage zu ſchil— dern und jeine Nachgiebigfeit gegen Preußen als ein „für den Augenblid ge botenes Weichen vor dem Sturme” zu entfchuldigen. „Da einerjeits die Hoffnung fehlſchlug,“ jchrieb er am 13. Juli an Katharina, „daß wir die Pforte zum Frieden zwingen werben, andrerjeits die Gefahr befteht, daß alle Streit: fräfte Preußens über mich herfallen, ohne daß ich ihnen ebenbürtige entgegen: ftellen oder auf baldige Hülfe hoffen könnte, ſah ich mich vor die graufame Wahl geftellt, entweder die ohnehin ſchon durch den belgischen Aufitand und die ungarijhen Unruhen gefährdete Monarchie preiszugeben oder mich zu entjchließen, meinen dumpfen Widerwillen zu befiegen und als Grundlage des Friedens einen

) Hamb. polit. Journal, Jahrg. 1790, 925.

) Ehronit, Jahrg. 1790, 552.

) Wedherlin, Paragraphen, J, 117.

) Schlözers öffentlihes und Privatleben, II, 166.

270 Erſtes Bud. Achter Abſchnitt.

in jeder Hinfiht unangenehmen und unvorteilhaften Zuftand anzunehmen.” ?) Katharina erwiderte, fie könne leider im Augenblid thatkräftige Hülfe nicht verfprehen, habe aljo gegen Annäherung Leopolds an Preußen nichts einzu- wenden, „aber ich hoffe, Eure Majeftät wird mir beipflichten, daß wir auch in Zukunft traten jollen, unfer Bündnis gegen alle Angriffe und Umtriebe unfrer Feinde zu verteidigen und unter allen Umftänden aufrecht zu erhalten.” In Petersburg war man nicht geneigt, auf türkifhe Beute zu verzichten und den Krieg mit der Türfei ohne namhaften Vorteil für das eigene Reich zu beendigen, um jo weniger, jeit man mit Schweden zu peinlicher Ueberraſchung des Berliner Hofes zu Werelä (14. Auguft) einen glimpflichen Frieden geſchloſſen hatte. „Der König ift ſehr böfe über den Abfall Schwedens!” jchrieb Herkberg an Finfenftein. Hinwieder wurde die Kunde vom Neichenbader Bertrag von den Polen, wie Goltz aus Warſchau meldete, mit Entrüftung aufgenommen. „Alſo der König von Preußen hat uns verlaflen und verraten!” Wie ein Blik zündete die Nahricht in Brüfjel! Auf Preußens Hülfe bauend, hatten bie PBatrioten gegen den Landesherrn fich erhoben; jegt war e& zum mindeften un: gewiß, ob Preußen und die Seemächte im bevorftehenden Entſcheidungskampfe den rächenden Arm Leopolds zurüdhalten würden. Der Brüfjeler Kongreß richtete an das Berliner Kabinett ein Schreiben, das halb flehend, halb drohend daran erinnerte, dab das Wort eines Mächtigen nicht weniger ernft verpflichte, als ein gejchriebener Vertrag. Auch die Stände von Lüttich befürchteten von der Ausſöhnung Preußens mit Defterreih für ſich ſchlimme Folgen und grollten ob der Treulofigfeit des angeblihen Verführers. Alle dieje bisherigen Klienten waren fortan erbitterte Gegner. Bedauerlicherweile hatte Herkberg verfäumt, die Anerkennung des Fürftenbundes in fefter Gliederung zu fordern, ja es war in Reihenbad von Deutſchland und deutjchen Intereſſen überhaupt gar nicht die Rede geweien. Hertberg kannte ja fein höheres Ziel, als „europäiiche” Politik zu treiben, und ebenfowenig begriff der Italiener Luccheſini, wie nüglich und not: wendig es für die jüngfte und ſchwächſte Großmacht geweſen wäre, getreu der fridericianifchen Ueberlieferung im Geleife deutſcher Politik zu bleiben.

In der Reichenbaher Konvention wurzelt der Bafeler Separatfrieden von 1795. Der Gegenfag zwiihen Defterreih und Preußen wurde in Neichenbad) nur verhült, nicht aufgehoben und trat unmittelbar nach der „Ausföhnung” in alter Schärfe zu Tage. Nur eine jo gewaltige Kataftrophe, wie der Sturz des Königtums und der gejellfchaftlihen Ordnung in Franfreih, war im jtande, die Nebenbuhler zu Handihlag und Bündnis zu bewegen, aber gar bald ent: zweiten ſich die Eiferfüchtigen, die ſich nicht lieben und nicht laſſen konnten, aufs Neue. Da die Hülfe der verbündeten Seemädhte unzureichend und unzuverläflig war, mußte Preußen im nämlichen Augenblid, da der Bund zwischen Deiterreid und Rußland wieder fefter gefnüpft wurde, mit Frankreich, fogar mit dem revolu— tionären Frankreich Fühlung fuchen und auch einen hohen Preis fich gefallen laſſen.

') Beer, Leopold II., Kranz II. Katharina II., 128, 130.

Zweikes Bud.

Bom Abſchluh des Reichenbacher Vertrages bis zum Bafeler Frieden. 790 bis 1795.

Erfter Abjchnitt.

Die franzöſiſche Revolution und der deukſche Polksgeift.

enn man bie Revolution für das Werft von Menſchen ausgeben wollte,” jagt Victor Hugo, „Jo müßte man auch Ebbe und Flut für das Werk der Wellen ausgeben!”

Steigende, Elingende, dennoch nicht goldene Worte! Ebbe und Flut find aus der Anziehung von Sonne und Mond, aus kosmiſchen Einflüfjen zu erklären. Staatsummälzungen find Kollifionen zwifchen dem bislang herrſchenden Staats- willen und dem Gemeinmillen, alfo immer und überall Menſchenwerk. An welche hülfreihen Mächte glaubt denn Victor Hugo? an den Himmel oder an die Hölle? In dem einen wie im andern Falle an ein Wunder. Wunder find infommen- furable Erſcheinungen; fie wurzeln überhaupt nicht auf geichichtlihem Boden. Wir dagegen haben mit berehenbaren Größen und Kräften, mit Menjchenwerk zu thun, das eben als joldhes Bewunderung verdient. Bis vor furzem mar dieje ſowohl franzöfifcher: wie deuticherfeits übertrieben. Wenn wir uns auch des natürlichen Abſcheus gegen die Mörder nicht erwehren fonnten, legten wir ihnen doch überrafchend neue, große, rebliche Abfichten unter, wir gaben jedem Barrabas den Willen eines Erlöjere.

Davon it man endlich zurüdgefommen. Tocqueville und Taine haben durch ihre unmiberleglihen Auffchlüffe über Urfprung und Wejen der Bewegung den Wahn befeitigt, daß wir um der Revolution willen Frankreich als die größte Wohlthäterin der Menschheit zu verehren hätten; diefe beiden Foricher haben dargetban, daß die reformatorijhen Gedanken der Nevolutionszeit nicht franzöfifjhem Geifte entiprungen, jondern von England und Amerika entlehnt find, ja jogar von abjolutiftifchen Herrſchern, Friedrich II. Joſeph II., Katha— tina II., herrühren. Auf ein riefiges Quellenmaterial geftügt, legt namentlich Taine die Einfeitigfeit und Nurzfichtigkeit gerade der volkstümlichſten Gejchicht: jchreiber der franzöfifchen Revolution offen dar; die Thiers und Mignet, Michelet und Blanc ſahen und fchilderten nur das Gute, Gefunde und Zukunftskräftige

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bi zur Auflöſung des deutſchen Reiche. 18

274 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt.

in der Bewegung; für die Uebelftände waren fie blind oder doch naächſichtig, fie zeigen uns auch den Schreden durch einen rofigen Flor. Diefe Mängel hat Taines Scharſſinn aufgededt, aber er jelbit iſt in den entgegengefegten Fehler geraten. Ihm ift das ganze Nevolutionswerf ein Abgrund von Thorheit, Elend und Verbreden; wie die andern Schönfärber find, ift er ein Echwarzjeher. Die allgemeine Voritellung von den Mitgliedern der Konftituante und des Konvents entiprah früher den Bildern Davids, lauter Brutuffe in einer Art Werther: foftüm; wenn wir Taine glauben, waren fie jamt und ſonders heuchleriſche Scurfen, blutdürftige Dummköpfe und eitle Hanswurfte.

„Alles, was Taine jagt, ift,“ wie Marc Monnier treffend bemerkt hat, „wahr, allein aud das Gegenteil ift es meiftens nicht minder.” Taine wollte die Kehrſeite der Medaille zeigen. Die Fülle des Jammers und Greuels, die ihm feine Unterfuchungen aufdedten, erfüllte ihn mit Bitternis, die ſchmutzigen Einzelheiten verefelten ihm das Ganze; jo erſchien ihm das Pantheon jchließ- li als ein Tolhaus. Er ſah die ſchwarzen Punfte genau, die lichten Dagegen durch einen Nebel. Ohne Zweifel ift er ein Geſchichtsforſcher von allererjtem Range, aber fein Werk ift nicht objeftiv und unparteiiſch, alfo lange noch nicht das legte Wort über die franzöfiiche Revolution und ihre Männer.

Noh ein zweiter Vorwurf, Einfeitigfeit in einer andern Richtung, muß Taine gemaht werben. Ueber Einfluß und Wirkungen der Revolution auf die lateinifhen und germanifhen Nachbarn Frankreichs erfahren wir von Taine jo viel wie nichts. Nah ihm hätte fih die Revolution in Frankreich wie auf einer weltverlorenen Inſel vollzogen; nad) ihm wäre der Baum der Erfenntnis ausſchließlich franzöſiſches Gewächs, nur franzöfiiher Grund wäre der Nährboden für feine Wurzeln geweſen, nur galliiches Volk hätte feine Früchte gefoftet.

Dieſe Lüde wird im Weſentlichen ausgefüllt durch Albert Sorels treff: liches Wert: „L’Europe et la Revolution‘. Sorel zeigt uns die franzöfiiche Revolution, die den einen als das Ende alles Guten, den andern als der An: fang einer neuen, beſſeren Zeit erſchien, als den natürlihen und notwendigen Fortgang der europäiihen Geſchichte; er will nachweiſen, daß „die Revolution feine auch noch jo eigentümlihe Folge gehabt hat, die fih nicht aus der Ge: ſchichte Europas ableiten und durch die vorausgegangenen Zuftände des ancien regime erklären ließe”. Sorel faßt aber in der Hauptſache doch nur die poli- tiihen Zuflände ins Auge, den Einfluß der Pitt und Hergberg, Leopold und Suftav auf die Entwidelung der Revolution und die negenteilige Einwirkung. Wir nehmen mit Befriedigung wahr, daß er fih mit Vorliebe auf Zeugniſſe deutſcher Gejchichtihreibung beruft; vor allen hat ja Sybel das große Verdienit, zuerft die Beziehungen nachgewieſen zu haben, die zwiſchen den englijchen und preußiſchen, ruſſiſchen und öfterreihiihen Staatsmännern einer: und den Nevolutionshäuptern andrerjeits beitanden, den Einfluß gewertet zu haben, den die polnifche und andre politifche Fragen auf den Gang der Ereigniſſe in Frank: reih ausübten, endlich feitgeitellt zu haben, daß die revolutionären Ideen in den europäiihen Kabinetten ebenſo Ehuß und Boden fanden, wie in ben Sigungsjälen und Klubhäufern von Paris.

Aber die Frage: wie wirkte die franzöfiiche Nevolution auf den Volles:

Die franzöfiiche Nevolution und der deutiche Volksgeiſt. 975 geift in Deutſchland? iſt, wie ih glaube, noch nicht erfchöpfend beantwortet worden. Nicht als ob es an gründlichen Arbeiten fehlte!) Allein man hat ji, glaube ih, doch immer zu einjeitig an die Ausſprüche der großen Denfer und Dichter des Zeitalters gehalten. Was Klopftod und Wieland, Schiller und Goethe, Johannes Müller und Kant über die Revolution gejagt haben, ift be- fannt, aber damit ift noch nicht erklärt, wie die franzöfiihen Ideen auf die weitelten Schichten des Volkes wirkten, wie fie von Edelleuten und Bürgerlichen, Militärs und Publiziſten aufgefaßt, verftanden und mißverftanden wurden!

Um darüber zu einer allerdings aud nur bedingten und mangelhaften Vorftellung zu gelangen, empfahl es fi, denſelben Weg einzuſchlagen, den Taine gewählt, um das Wejen des ancien regime und der neuen Gejellichaft zu ergründen; es wurden Quellen der verjchiedenften Art in ungeheurer Zahl gejammelt und geprüft, nicht bloß Ausfprüche jener Auserwählten der Nation, jondern auch Urteile der Tagesprefle, die Stimmen von Schöngeiftern und Pedanten, von boshaften und böswilligen, oberflächlihen und gründlichen Er: zählern und Kritikern in Zeitungen, Briefen und Berichten, trodenen Ver: waltungsaften und äßenden Satiren, gereimter Fluh und Segen, langatmige Vorreden zu biftorifchen und politischen Schriften, Flugblätter und Karikaturen.

Mit ſolchen Hülfsmitteln läßt fih die Wirkung der Revolution auf den Volksgeiſt wenigftens etwas genauer analyfieren, als es bisher geichehen. Frei: li laſſen fih aus der überreichen Fülle verhältnismäßig nur wenige Züge ver: werten; hoffentlich werden fie genügen, um von den leitenden Ideen, den Stim: mungen und Strömungen jener Zeit ein charafteriftiiches Bild zu geben.

Bor allem drängt fih eine Beobadhtung auf, die gegen das allzu ab: fällige Urteil Taines fpridt: in allen Kreifen, bei hoch und niedrig, jung und alt, wurden von der großen Mehrheit der Zeitgenojien die Anfänge der Revolution mit Begeifterung begrüßt, ihr Fortgang noch von vielen mit Bei- fall verfolgt. „Glückſeliges Zeitalter!” wird im Berliner Yournal gefpottet, „bald wird unſer Deutihland lauter Politiker und lauter Genies haben!” „Die franzöſiſche Revolution verdrängt durch ihr gemaltiges Intereſſe alles,” klagt Arhenholg in der Minerva, „die beiten Gedichte bleiben ungelefen, man greift nur noch nad Zeitungen und jolden Schriften, die den politiihen Heißhunger itillen.” Um der erjchredenden Vernadläjfigung der früher jo hoch gehaltenen Litteratur zu feuern, gründete Schiller 1794 die „Horen”; unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit follte wieder vereinigt werden, was durch die poli: tiihen Ereignifjfe aufgeregt und verwirrt worden war.

Dieje allgemeine Teilnahme wäre nicht möglich gewejen, wenn Die

!) 8. Biedermann, Deutichland im 18. Jahrhundert, II, 2, 1189. Levi-Brull, L’Allemagne ilya cent ans (Revue des Deux Mondes, XCII). Wenck, Deutfchland vor hundert Jahren, II, 1. Guglia, Die eriten litterariichen Gegner der Revolution in Deutihland, in Zeitichr. für Geſch. und Bol., Jahrg. 1888. H. Carnot, Les premiers @chos de la revolution Francaise au delä du Rhin (Compte rendu de l'institut de France, Jahrg. 1888, 5). Blennerhajjet, Die Deutſchen und die franzöfiiche Revolution (Deutſche Rundſchau, Jahrg 1889,51, 216). Philippfon, Nüdwirlung der Nevolutionstriege auf Die inneren Berhältniffe Preußens, in Gefchichte des preuß. Staatsweſens vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zu den Freiheitstriegen, II, 1.

276 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt.

Bewegung dem Bebürfniffe der Zeit und ihr Verlauf wenigitens bis zu einer gewilfen Grenze der allgemeinen Sinne: und Denfart von damals nicht entiproden hätte.

Vieles wirkte zufammen, um die Deutihen auf die dee der Volks— jouveränetät vorzubereiten. Die zwei großen Schüler der franzöſiſchen Auf- Elärungsphilofophie, Friedrich II. und Joſeph II., juchten wie Guftav III. in Schweden, Leopold in Toskana, Tanucci und Garaccioli in Neapel, Pombal in Portugal, Struenjee in Dänemark Natur: und Vernunftrecht in Gefeggebung, Juſtiz und Verwaltung ihrer Staaten einzuführen. Gemwiß, die Praris ftimmte nicht immer mit der Theorie überein, auch mußten nicht jelten fortjchrittliche Seen zur Vermummung andrer Pläne und Abfichten dienen. Immerhin war der aufgeflärte Abfolutismus eines Friedrichs, eines Joſephs ein ungeheurer Fortichritt gegen den ſpaniſchen und franzöfiichen Abjolutismus der Philippe, Ferdinande und Ludwige.

Die Verwandtſchaft zwiſchen den reformatoriſchen Gedanken Friedrichs des Großen und der Mirabeau und Condorcet offenbart ſich am deutlichſten in dem preußiſchen Landrecht. Friedrich II. hatte Schon bald nad feinem Regierunge: antritt ben Pfälzer Cocceji damit betraut, „ein teutfches allgemeines Landrecht, welches ji bloß auf die Vernunft und Landesverfafjungen gründet, zu ver- fertigen”. Die Frucht der von Eocceji begonnenen, vom Großfanzler Carmer und Kammergerichtsrat Sparez während der ganzen Regierungszeit Friedrichs II. fortgeführten Yuftizreformen war das allgemeine Geſetzbuch für die preußiichen Staaten, das in den Jahren 1784 bis 1788 als Entwurf veröffentlicht und nah neuen Abänderungen 1794 unter dem Titel „Allgemeines Landrecht“ mit Gefegeskraft eingeführt wurde. Was jchon in jenem Entwurf über Staats: gewalt, über Rechte und Pflichten der Bürger gejagt wird, finden wir im MWejentlihen in der franzöfiihen Verfaſſung von 1791 mieder. Sogar dem ihönen Wort „allgemeine Menjchenrechte” begegnen wir jhon im preußijchen Landrecht; allerdings werben fie von diefem nur zugeftanden, injoferne fie ji mit dem Staatswohl vertragen. Die „Deutihe Zeitung”, von Beder in Gotha berausgegeben, hat einmal die verwandten Stellen aus dem preußiſchen Gejep- buch und aus der „Erklärung der Menſchenrechte“ nebeneinander geftellt: da haben wir einerlei Auffaflung, zuweilen einerlei Ausdrud.

Unter dem Einfluß der Aufflärungsphilojophie und gefördert durch die Läjfigfeit der Genfur unter König Friedrih hatte man fih zumal in Berlin gewöhnt, über politifche Dinge ſehr frei zu ſprechen. Ein jchlagendes Beijpiel dafür ift die Thatjache, dab im beftangejehenen Organ ber Berliner Aufklärung, in der Berliner Monatsjchrift vom Jahre 1783 ein Profeffor J. 5. 9. die neue amerifanifche Freiheit poetiich verherrlihen und dem alten Europa bie Verjagung der Fürften und eine republifanifche Verfaflung als das Wünſchens— werte hinftellen durfte:

„Und du, Europa, richte das Haupt empor;

Einft glänzt aud dir der Tag, wo die Kette bricht, Du, Edle, frei wirft, deine Fürſten

Scheuchſt und, ein glüdliher Volksſtaat, grüneft!”

Die franzöfifhe Revolution und ber deutfche Volksgeift. 977

„Es ift nicht denkbar,” ſchrieb Georg Forfter, „daß ein Europäer, der fih nur einigermaßen um die Schidjale feiner Gattung befümmert, den Namen Franklin und den davon unzertrennlichen, unvergleihlihen Ruhm nicht kennte.“

Sogar einem fo freimütigen Manne wie Schlöger wurde biefe Schwärmerei für die Nepublif zum NAergernis. Für den Deutichen, fchrieb er, fei es eine Schande, der amerifanifhen Freiheit, obſchon fie noch in den Kinderſchuhen ftede, auf den Knien zu buldigen, und wenig Gelbftahhtung zeige, wer bie deutſche Größe vergißt und Deutſchlands Fürften ohne Anlaß begeifert. Im „sahre 1784, aljo noch unter der Regierung Friedrichs II. gibt die Berliner Monatsfhrift den Fürften den Rat, die Einführung republifanifcher Verfaffungen jelbft anzubahnen, denn nur dur ſolchen Opfermut fünnten fie fi nach den Großthaten Friedrichs no neuen Ruhm erwerben. Schiller ſuchte den Grund, warum fein Fiesko in Berlin jo viele Aufführungen erlebte, in dem republi- kaniſchen Geifte, der in der preußiſchen Hauptftabt weit verbreitet jei. Der Nationalismus in der Behandlung religiöfer Fragen wurde auch für politifche Erörterungen maßgebend. So mwimmelt denn die Litteratur jener Tage von Ausſprüchen einer feindjeligen Gefinnung gegen bie Fürften und die monardijche Regierungsform. In den ſechs Bänden, welche der befannte Schnepfenthaler Pädagoge Salzmann über das menſchliche Elend (Karl von Karlsberg ober über das menjchlihe Elend, 1784—1788) gejchrieben hat, kehrt immer wieder bie Klage: „Unfere Staaten tragen die Schuld, daß die Erde nur ein Jammer: thal!“ Wie ift es nur möglih, fragt ein Defterreiher in einer Flugichrift über den Türkenkrieg von 1788, daß Millionen Menſchen jo tierifh dumm find, für einen einzigen Menſchen Gut und Blut zu opfern, nur weil er eine Krone trägt, und was hat der Invalide davon, daß der Staat nad allen Himmelsitrihen wächſt, während er jelbit nur in einer dumpfen Stube mühjam umberhumpeln fann? „Leute, die in dummem Gehorfam fi unter das Jod jeder deipotiihen Obrigkeit beugen,” ſchrieb Schubart 1776 in der „Ehronit“, „And nicht beiler, ala das Vieh, das vor jeinem Treiber hergeht und nichts mehr hört, als das Klatſchen der Peitſche; ein unrubiges, zu Rebellion geneigtes Volk ift gewöhnlih ein großes Volk, fo jagt der Radikale Pryce, und er hat recht!“ Auch in Nepublifen, heißt es im „Deutſchen Zuſchauer“ 1787, fommen bisweilen Revolutionen vor, aber diefe Unannehmlichkeiten find vorüber: gehend; ganze Generationen genießen dort einer Glüdfeligfeit, von der man in monarchiſchen Staaten feinen Begriff hat! Auch die legte Konjequenz des Illu— minatismus war unzweifelhaft Befreiung der Menjchheit von Fürftengemwalt. „Je mehr fih die Aufklärung ausbreitet,” jagt der Stifter des Ordens, Adam Weishaupt, „deito entbehrliher werben die Fürften, und einft, freilich erft in ferner, unberechenbarer Zukunft wird das Menſchengeſchlecht nur nod eine Familie und die Welt der Aufenthalt vernünftiger Menſchen ohne Gewalt: thätigfeiten und Ordnungsſtörungen fein.”

Noch lebendiger waren jo radifale Anihauungen bei den Dichtern und Shhriftftellern vertreten. Es braucht nur an die Sturm: und Drangperiode erinnert zu werben. Freiheitsdurſtige Poeten verfündeten nicht bloß die un: bedingte Berechtigung der Leidenjchaft, die Emanzipation der Liebe von Gejek

278 Zweites Bud. Erſter Abſchnitt.

und Sitte, die Erhabenheit des Subjelts über Meinung und Achtung der Ge: jelichaft, jondern wandten fich feindfelig au gegen Gefeg und Ordnung. Seit J. J. Rouſſeau die Nüdkehr zur Natur, zum urjprünglihen, unverfälichten Menſchentum gepredigt und die Phantafie der Zeitgenofien an Diderots „wadren Wilddieben und Scleihhändlern” fih entzündet hatte, nahm die Schwärmerei für die Qumanitätsapoftel mit Flinte und Räuberhut fein Ende, und die „beipo: tiihen Kniffe” der Minifter und die „tyranniiche Willkür” der Amtleute konnten nicht abichredend genug geichildert werben. Goethe fennzeichnet die Bewegung in einem Briefe an %. F. Neichardt (28. Februar 1790) folgendermaßen: „Ritter, Näuber, Wohlthätige, Dankbare, ein redlicher, biederer Tiers-Etat, ein infamer Abel... und durchaus eine wohlfitwierte Mittelmäßigfeit, aus der man nur allenfalls abwärts ins Platte, aufwärts in den Unfinn einige Schritte wagt, das find nun jchon zehn Jahre die Angredienzien und der Charakter unjrer Romane und Schauſpiele!“ Wenn fjogar dem milden Claudius das Wort entichlüpft:

„Der König fei der beſſere Mann,

Sonſt fei der Beſſere König” ...

jo feierte Graf Friedrih zu Stolberg in einem Atem: „Zell, Hermann, Klopftod, Brutus, Timoleon“,

als „Namen, flammend ins eherne Herz gegraben“. Im „Freiheitsgefang aus dem zmwanzigiten Jahrhundert” (1775) feiert er, „trogend dem Pöbel, gehüllt in Schulftaub,” den Anbruch einer neuen Zeit:

„Willkommen, Jahrhundert der Freiheit, Großes Jahrhundert, willfommen, Du ſchönſte Tochter der fpätgebärenden Zeit!”

und die Schlufftrophe prophezeit die Nevolution:

„Donner entrollen deinem Fußtritt, und es ftürzgen dahin Die Throne, in die goldenen Trümmer Tyrannen dahin! Du gießeft aus mit blutiger Hand der Freiheit Strom! Er ergeußt fi über Deutſchland! Segen blüht

An feinen Ufern, wie Blumen an der Wiefe Quell!”

Mit dem dunklen Freiheitsprang war das Bewußtſein erwadht, daß es ſchlecht ſtehe um das deutſche Volk, und der Glaube, daß eine Umwälzung der deutihen PBerhältniffe unter allen Umftänden nur beſſere Zeiten heraufbringen fönne. Nicht dem deutſchen Patriotismus Fam dieſe Bewegung zu gute! Gab es doch Fein lebendiges deutjches Neich mehr, jondern nur noch zwei Groß: ftaaten, die ſich eiferſüchtig überwachten und offen oder heimlich befriegten, da: neben einige lebensfähige und ſehr viele nicht mehr dafeinsberedhtigte Staaten, deren Regenten fih beim Anſchluß an die eine oder andre Großmacht von Nüglicpfeitsrüdfihten, oft nur von Laune leiten ließen! War doch der bittere Spott des Franzoſen Mirabeau nicht unberechtigt, dab gerade unter den deutſchen

Die franzöfifche Revolution und der deutiche Bolkögeift. 2379

Fürſten immer viele bereit, „ben traurigen Wollüften von Babylon:Paris vor der rührenden Ehre, im bejcheidenen Haufe als Hirten des Volks zu leben, den Vorzug zu geben“. Es begreift ſich, daß nicht die Fürften Träger der deutichen Einheitsivee geblieben jind, aber auch im Adel und Klerus, im Bürger: und Bauernftand war das Nationalgefühl erlofhen, wurde dem PBerfall des Reichs mit erſchreckender Gleihhgültigkeit zugejehen. Als Karl Friedrich Mojer in feiner Schrift „Vom deutſchen Nationalgeift” nicht etwa an deutſche Einheit, ſondern nur an Eintracht und Verträglichkeit mahnte, jpotteten Nicolai, Bülow u. a. über den „Wiener Byzantinismus”, über die Einfalt und Engherzigkeit des Patrioten, Nicolai nennt ſchlankweg den nationalen Standpunkt „niedrig“ und den National: geift ein politifches Unding. Die einen geftelen fi in jelbitgefälligem Parti: fularismus, die andern und zwar bie beiten Köpfe ala Weltbürger, denen bie Entwidelung des eigenen Baterlands gleichgültig war. „Deutfchland ift ein viel: föpfiges Aggregat von einer großen Anzahl ganz verfchiedener Völker und Staaten,” erklärt Wieland im Patriotiſchen Beitrag zu Deutſchlands höchſtem Flor, „durch nichts als feine Staatsverfafjung und eine gemeinfchaftliche, wiewohl nicht durch— gängig angenommene Schriftſprache verbunden, fonft durch alles andre, Religion, Staatswirtihaft, Polizei, Sitten, Gebräude, Lage, Verhältniffe, Intereſſe, Mundarten, Grade der Kultur u. j. w. zum Teil himmelweit verſchieden, ge- trennt und in Kollifion geſetzt!“ Es könne diefer Unterjchiede und Gegenjäße wegen, folgert er mit fühler Refignation, in Deutichland dasjenige, was man „Rationaluniform” nennen fönnte, ſchlechterdings nicht geben. „Ich fchreibe,” fagt Schiller im Proſpekt der Rheiniſchen Thalia (1784), „ala Weltbürger, der feinem Fürften dient; frühe verlor ih mein Vaterland, um es gegen die große Welt auszutauschen.”

Unbeftreitbar hat diefer Mangel an Gemeinfinn und Nationalgeift ebenjo mitgewirkt, die Gemüter für die Revolution empfänglih zu maden, wie ber enbloje Jammer über die kleinliche Gegenwart, wie die dichteriſche Verklärung der Armen und Elenden.

Dazu Fam, dab das Kirchentum in Deutfchland durch die febronianiſche Bewegung und den Zwiſt der deutichen Erzbiichöfe mit der römischen Kurie geſchwächt war. Auch die zahlreichen geheimen Orden und Brüderſchaften, bie ih in eriter Reihe gegen die beftehenden kirchlichen Einritungen wandten, be: reiteten die Geifter auf die Revolution vor. Ein ftiller Kampf war allenthalben zwiichen Volk und Regierung entbrannt. Der Abfolutismus jah im Volke nur Nullen, denen erſt durch die vorgefegte Ziffer, d. i. die Regierung, ein Wert verliehen werde; nun hatten aber Montesquieu und jeine Schüler zu rechnen begonnen und entdedt, dab die dunkle, wimmelnde Maſſe die wahre Kraft ift und daß fie ale Macht an fich reißen fünne, wenn fie einig jet.

Das bürgerliche Selbftgefühl war erftarft, und immer härter angefochten wurden die Vorrechte des Adels. Bis vor furzem war Deutichland jo recht das Dorado der bevorzugten Stände geweien. „In Deutichland,” erzählt Goethe aus feiner AYugendzeit, „war es noch faum jemand eingefallen, jene ungeheure privilegierte Maſſe zu beneiden oder ihr die glüdlihen Weltvorzüge zu mißgönnen.” Jetzt wurden dieſe Vorrechte in ftaatswirtjchaftlihen Schriften,

280 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt.

wie in der ſchönen Litteratur bemängelt und angefochten; dagegen wurde für den Bauer, „das Lafttier der menſchlichen Geſellſchaft“, Erleichterung gefordert; überhaupt jollen im Intereſſe des allgemeinen Wohlftandes die Arbeiterbienen, nicht mehr die Drohnen im Bienenjtod bevorzugt fein. Sogar der wadere, nüchterne Juſtus Möſer, deſſen Freiheitsliebe feine phrygiſche Mütze trägt, ber immer bereit, das Schädliche zu bekämpfen, das Gute in den beſtehenden Ein— richtungen aber ebenſo lebhaft zu verteidigen, wird bitter, wenn er auf den deutſchen Bauernſtand zu ſprechen kommt:

„Gehn viele da gebückt und welken In Elend und in Müh,

Und andre zerren dran und melfen, Wie an dem lieben Vieh;

Und ift doch nicht zu defendieren

Und gar ein böfer Braud),

Die Bauern gehn ja nit auf Vieren, Es find ja Menſchen aud!“

„Ja Spanien ift das Pflügen jo jhimpflih, als in Deutfchland das Abdeden, Sollten wir es etwa auch dahin bringen? Sollen wir die Hummeln ehren und die Bienen beſchimpfen?“ „Einen Menſchen verbrennen, weil er Jude ift,” erklärt Schlöger, „und einem andern die höchſten Stellen verſchließen, weil er nit vom Abel, find Species von einem Genus, Reliquien vormaliger Bar: barei und mittelalterliher Schmugrefte.” Das „Teutihe Mufeum” erlaubt ſich den Ausfall: „Der Schornfteinfeger, der Holzhacker, der Nachtwächter, der Bettler jogar braucht Genie, aber was in aller Welt braucht der Edelmann, wenn er einmal aus einer Mutter aus gutem Geſchlechte gekrochen iſt?“ Der junge Jean Paul zieht in den „Grönländiihen Prozeffen” (1783) einen wigelnden Vergleih zwiihen altem Adel und altem Käſe; was dort die Ahnen, das jeien hier die Maden, in den Nahtommen vollends fpiegele fih das Bild der Vor: fahren nur noch fo, wie das Bild der Sonne in der Pfütze. „Komödien und Nomane,” heißt es in der Berliner Monatsſchrift, „wimmeln heutzutage von Dellamationen gegen den Adel!” Wenn früher in manden Schulen, wie 3. ®. aus einem Programm des Görliger Rektors Baumeifter zu erſehen ift, zwiſchen den Söhnen Adeliger und den Schülern, „jo niedriger Geburt find“, die wunder: lichften Unterfchiede gemadht wurden, die Abdeligen brauchten nit Griechiich zu lernen, die Bürgerlihen waren von den Leibesübungen, vom Baden ꝛc. aus: geihloffen, fo gefielen ſich jett freifinnige Pädagogen unter dem Einfluß von Roufjeaus Emile in jo bizarren Phantafien, daß Herder verfiherte, er möchte ſolchen Bolfstümlern nicht ein Kalb, geichweige denn ein Kind zu erziehen geben. Manche Schriftiteller glaubten ſchon daran mahnen zu müffen, daß wegen der Sünden einzelner Mitglieder nicht die ganze Inſtitution ver: worjen werden dürfe. Der unlängft geadelte Kotzebue hielt fih für berufen, „in einer Zeit, wo die Gleichheit aller Stände der Stedenejel ift, auf welchem junge Dichter reiten”, den Adel gegen „die himärische Afterfreiheit” in Schuß zu nehmen. Möſer wandte ſich ebenfo gegen finnlofe Gleichmacherei, wie gegen

Die franzöfifhe Revolution und ber deutiche Bolksgeiit. 281

unverdiente Geringihägung der fogenannten niederen Stände: „Wer ift denn der Vornehme, wer der Geringe? Der Mann, der aus feinem Gomptoir ber halben Welt Gejege und Königen Kredit gibt, oder ber Pflaftertreter, der in einem langen Mantel zu Rate geht? Der Handwerker, der Taujende dem Staate gewinnt, der Krämer, der fie hinausfhidt, oder der Mann, der von jeiner Bejoldung lebt und dem gemeinen Wejen in Fütterung gegeben ift?“ Den Vorrang des „echten Adels”, erklärt Möfer, wie Taine, aus „der Ehre und dem Net, die erften Kontrahenten und Eigentümer des Landes gemejen zu fein”. Der hannöverſche Geheimjelretär Brandes wirft 1787 in ber Ber: liner Monatsfchrift die Frage auf: „Iſt es den deutihen Staaten vorteilhaft, daß ber Adel die erften Staatsbedienungen befigt?” und bejaht diefelbe aus geſchichtlichen und philofophiihen Gründen. „Laßt alfo dem Adel jeine Vor: rechte, aber Eontrolliert ihn, daß er nicht weiter greife, nicht in Rückſicht feiner Geburt fih alles erlaubt halte... und ihr Bürgerlichen! vergeht nicht, daß wenn fie Eble find, ihr Freie ſeid!“ Auch Schubart nimmt den Adel gegen den Neid hungriger Dichterlinge in Schuß, denn jener kehre Stadeln nicht nur nach unten, ſondern auch nad) oben; er fei bie ftarfe und einzige Wehr gegen die Willfürherrichaft der Fürften.

Denn auch das Mißbehagen an fürftliher Eigenmacht und das Verlangen nah deren Beſchränkung gehörten zu den Zeichen ber Zeit. Der vergötterte Roufjeau war zwar gegen jede Rolfsvertretung; trogdem fand der Wunſch nad einer Beteiligung bes Volkes an der Regierung aud in Deutjchland allerorts freudigen Widerhall. Der Streit der mwürttembergiiden Landftände mit dem deipotiihen Karl Eugen, das Märtyrertum des Johann Jakob Mojer, der mannhaft für die landſchaftlichen Rechte eingetreten war, erregten Teilnahme im ganzen Reich. Entrüftet verurteilte Wecherlin die Gepflogenheit der Re: gierungen, mißliebige Landftände zu plagen und zu pladen, und falls fie fich weder einihüchtern noch füdern ließen, kurzweg unfchädlich zu machen. Möſer empfahl auch für die deutichen Staaten „die englifhen Regierungsformen”. „Ber da foll mitthaten, muß auch mitraten, ift die uralte Formel des deutſchen Rechts.” Im Recht fieht er die Freiheit, und das Recht ift ihm „der Ausdrud der Mehrheit Stimmbefäbigter”. Der berebtefte und beharrlichite Anwalt ftändifcher Sreiheiten und Rechte war Schlözer. Er drüdt feine Anſicht Mar und bündig aus. „Jede Regierungsform, wo der gute Herrſcher nicht durch Volfsrepräfen: tanten gelehrt und geleitet, der nichtgute im Notfall gezügelt und gezüchtigt wird, ift unnatürlih und für die Zukunft gefährlich“ Im „sFürftenfpiegel” wendet er fih gegen die Ueberfpannung des Gottesgnabentums der großen Aürften, die zu Willtüraften und Gewaltthaten verleite, und gegen die Groß: mannsfucht der Kleinen, die den übertriebenen Lurus, die Gallomanie, die frivolen Finanzfünfte jo vieler deutſchen Höfe verſchulde.

Ueber die Landftände hinaus geht ein Vorſchlag im Journal von und für Deutſchland (1785), aus den da und dort tagenden fogenannten patriotifchen Gejelligajten einen „Nationalkonſeß“ zu bilden, der aufrichtiger und rüd: haltlojer als Landitände und Parlamente den Willen des ganzen deutſchen Volkes offenbaren werde.

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Freilih boten die Näume und Gelaſſe des gotiichen Bauwerkes „Deutiches Reich“ am Vorabend der Nevolution, wie wir gejehen haben, gar wechſelvolle Eindrüde. Während in Baden ber humane Karl Friedrih fein Land nad Duesnays Lehren zu fördern und heben bejtrebt war, hatte das ſchwäbiſche Nahbarland ebenjo unter der Willfür und Härte, wie unter der Verfchwendung eines Karl Eugen zu leiden; in Pfalz:Baiern ftoßen wir unter dem fchlaffen und finnlihen Karl Theodor auf das Durcheinander von verbienftvollen Kunſt— beftrebungen und unerträgliher Bebrüdung von Wiſſenſchaft und Litteratur; in Preußen läßt fih Frievrih Wilheln II. von Rofenfreuzern und Gunftbamen leiten; in Defterreich herrſcht der ehrgeizige, pflichttreue, aber ungeftüme und eigenwillige Joſeph. Die Fäulnis in den geiftlihen Herrſchaften ift unheilbar, die Neichsritterfchaft verfommen, an Kaftengeift, konfeſſionellem Hader und Finanznöten Franken die Reichsſtädte.

Welche Fehler und Mißgriffe der Negierungen bejonders peinlid) von dem deutihen Volk empfunden wurden, enthüllt eine aus dem Wiener Aufflärungs- lager 1790 hervorgegangene Flugichrift „Patriotenftimme eines freymütigen Deutfhen über die dermaligen Empörungen und Gärungen in und außerhalb des deutſchen Reiche”, ohne Zweifel eine der bedeutjamften Kundgebungen aus ber Revolutionszeit. Der allenthalben emporwuchernde Geiſt der Unbändigfeit und Gejelojigfeit wird vom Berfafler verurteilt und befämpit; „man flagt in Deutihland entweder aus Dummheit und Vorurteilen oder aus Gewohnheit, Tabeljucht und Bosheit oder aus einem unrubigen Geiſt“; immerhin feien viele Klagen der Unterthanen nur allzuſehr begründet. „Ih glaube, daß der Hauptgrund der beitehenden Mißſtimmung in der zu weiten Machtausdehnung der Negenten zu fuchen jeye!” Die Fürften möchten bedenken, daß die Völker nicht bloß Pflichten, jondern aud Rechte haben, „denn es ift ein unumjtößlicher Grundjag, daß die Fürften ihre Macht durch freiwillige Verträge mit den Unter: thanen erlangt haben, nicht um jelbe zum Nachteil der letteren anzumenden, fondern um fie nad) den Landesgejegen zu regieren“. Woher hätten denn bie Fürften das Recht befommen, ihre Unterthanen, wie das liebe Vieh, als Soldaten zu verkaufen und zu verpadhten? das Getreide des Lanbmanns durch das gehegte Wild abfreffen zu laffen? Tauſende von Steuergulden für Operiften und Tänzer, für Karnevalsiherze und Pharao zu verausgaben? Nun habe die Geduld des Volks ein Ende, und dringend verlange alles nach zeitgemäßen Reformen. Insbeſondere eine gerechtere Steuerverteilung jei unerläßlich ge: boten; der Mittelftand könne nicht länger allein alle Laſten zum Unterhalt des Staates tragen. Wozu die vielen und mannigfaltigen Steuern und Abgaben, deren Erhebung nicht felten unverhältnismäßig hohe Koften verurfahe? Eine Steuer, eine allgemeine Grundfteuer, genüge, und dazu die Accije, deren Ein: führung dur Friedrich II. früher jo leidenichaftlich beflagt worden jei und jeßt als Segen empfunden werde. Für Kaffee, Thee, Zuder, Tabak, feine Weine und andre Zurusartifel!) mögen recht hohe Zölle angejegt werden, bamit nicht den Unbemittelten unerihwinglihe Laſten aufgebürdet werden müßten. Dem

) „Worunter ih aud bie Spanferfel zähle" ...

Die franzöfiihe Revolution und der beutiche Voltsgeift. 283

Getreidewucher fol entjhlofjen geiteuert, Teuerungen durch Anlage von Maga: zinen vorgebeugt, der VBiehverfauf nach auswärts verhindert, für alle Lebens: mittel ein feiter Tarif eingeführt werden. Die Rechtspflege foll vereinfacht und von übermäßigen Koften befreit, die Weitläufigfeit der Prozeſſe abgeftellt, den rabuliftiichen, gemwinnjüchtigen Advolaten das Handwerk gelegt werden. Ins— befondere müſſe der mit der Jagd verbundene Unfug ein Ende haben. Am beften wäre es freilih, wenn die Negenten einer für ihre Länder fo verberb: lichen Paſſion gänzlich entjagten; jedenfalls müfje darauf beftanden werben, daß ih die Jagden auf fejtumzäuntes Privatgut der Fürften und Herren beichränfen. Ohne Achtung der Religion könne fein Staat beftehen, daher müfje jede Regie: tung für Erhaltung des öffentlihen Gottesdienftes, Heranziehung würbiger Seiftliher, Unterdrüdung fittenverderbender Bücher ꝛc. Sorge tragen, aber nicht minder wichtig ſei die Hebung des Unterrichtsweſens. Mit den Eulen auf dem Lande ſehe es noch traurig aus. „Kann der Schulmeifter nur die Gloden läuten, dem Herrn Pfarrer Bücher und Chorrod nachtragen, Lichter anfteden und pußen und mitunter auch einen Knecht des Pfarrers abgeben, jo it er ein braver, geſchickte Mann.... Möchten doch unſre Fürften und Herren weniger auf Schaufpiele, Opern, Jagden und Maitreffen verwenden und von dem Ueberſchuß die Echuldiener befier bejolden, damit fie rechtichaffene und geſchickte Männer in ihre Dienfte ziehen könnten!” Auch dem Armenweſen joll mehr Beachtung geſchenkt, das Necht auch des Aermſten auf Arbeit rejpektiert werben. „Arbeitsloje Menſchen und faules Gefindel find allezeit am erften bey ber Hand, wenn ein Tumult entfteht, um ungeftraft rauben und plündern zu können.” Zu den fchlimmften Landplagen gehöre das Zahlenlotto; „möchte doch endlih durch einen Reichsſchluß diejes land» und fittenverberbende Spiel von unfren Grenzen verbannt werden!” Auch dem Lurus in Stadt und Land müſſe wieder eine heiljame Schranke gezogen werben; jett werde häufig das ganze Heiratsgut auf die Hochzeit verwendet; eine Kindstaufe fofte fo viel, als eine Familie ein ganzes Vierteljahr zu ihrem Unterhalt brauche; der Prunf bei den Begräbniljen verjchlinge nicht felten die beſcheidene Erbſchaft. Das Rolf müſſe einfacher, gefitteter, gebildeter werden, ber Landesvater mit gutem Beijpiel vorangehen, jonft werde der Geift der MWiderfeglichfeit immer beunruhigender aufwachien und die Empörung auch in deutihen Landen unausbleiblich jein.

Merkwürdig ift, daß Friedrich II., obwohl er die Unhaltbarkeit der Finanz: lage Frankreichs längft erfannt hatte, den jo nahe bevorftehenden Ausbruch einer Revolution nicht ahnte. Andre Geifter von ftrenger Art aber jahen den großen Sturm, der eine Ummälzung alles Beftehenden herbeiführen werde, jeit langem voraus. Der Gedanfe geht bis auf Leibniz zurüd. Herder madt in den Briefen zur Beförderung der Qumanität auf einen überrafhenden Ausſpruch des Whilofophen aufmerkſam. Aus der Ausbreitung des Unglaubens und ber Eelbftjuht wird auf die Wahrfcheinlichfeit einer Generalrevolution, die ganz Europa umgeftalten werde, ein Schluß gezogen. „Kommt man biejer epidemi- Ihen Krankheit, deren Wirkungen bereits fichtbar zu werden beginnen, noch rehtzeitig zuvor, fo laſſen fich ihre Folgen vielleiht noch hemmen; nimmt fie aber überhand, jo wird die Vorſehung die Menſchen gerade durd eine Revo:

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lution heilen, und was auch fommen mag, am Ende zum Wohle des Ganzen leiten, wenn es auch nit ohne Züchtigung derjenigen, die durch ihre böfen Handlungen wider ihren Willen zur Beförderung des Guten beitrugen, weder erreicht werben wird, noch erreicht werben fann.” In den Achtziger Jahren wurde der Ausbruch einer Revolution jhon von vielen für unabwendbar ge: halten. Der gut fonjervative Homburger Creuz ruft, da er auf den Jagd— unfug der Ebdelleute und die Maitreffenwirtichaft der Höfe zu ſprechen fommt, befümmert aus: „Wer jieht da nicht große Nevolutionen voraus?” „Europa jheint auf dem Punkt einer jchredlihen Revolution,” ſchreibt Georg Forfter an Johannes Müller, „vie Mafje ift fo verderbt, daß nur Blutlaffen wirkſam fein fann. Vom Thron bis zum Bauern find alle Stände von dem, was fie fein jollen, herabgefunfen, und feiner mehr, als unfre vorgeblichen Gottesgelehrten.“ Sohannes Müller hegt die gleiche Beforgnis; in einem Briefe an feinen Bruder vom 23. November 1782 zieht er daraus die drollige Nuganwendung: „Ich bin im Grunde des Apoftels Meinung, daß nicht Heiraten befjer ift, befonders für den gelehrten Stand und in unfern Zeiten: weil ih nad der Beurteilung aller großen Staatsmänner Europa zu NRevolutionen bereitet, in welden es immer beſſer ift, nur für fich forgen zu dürfen.“ In feiner Berner Abſchiedsrede 1786 fagte der Gejhichtichreiber: „Große Zubereitungen und Wahrzeihen eines Uebergangs der vorigen in eine ganz neue Ber: faſſung der menſchlichen Gefellichaft bezeichnen unjre Zeit!”

As nun zu Tage trat, daß vom Ballhaus in Verjailles in der That eine Ummälzung der gejellihaftlihen Ordnung ausgehen werde, und der Baftillefturm zeigte, worauf diefe Bewegung in Frankreich ziele, wurde das „Morgenrot einer befjeren Zeit”, der „Frühling der Menfchheit” faft in allen Kreifen mit fchranfen: lojem Jubel begrüßt. Zwar behauptet ein feiner, befonnener Beobachter, der Ihon erwähnte Hannoveraner Brandes, in Adelskreifen und in der Gejchäfts: welt ſei von vornherein Gefeglofigkeit befürchtet und deshalb der ganzen Be: wegung mit Mißtrauen begegnet worden, nur der Bürgerftand und die Ge: lehrten hätten der Erſcheinung Sympathie entgegengebradt.

Alein in Bezug auf den Adel ift die Verſicherung auffallenderweije nit einmal richtig. Wenn wir die uns erhaltenen beifälligen Urteile über bie Revolution Fichten, zeigt ſich, daß unverhältnismäßig viele aus adeligen Kreijen ftanımen. Eben in diefen hatte ja die fladhe Freigeifterei feuchenartig um fi gegriffen. Weberaus zahlreih waren die Edelleute, allerdings meift ſolche ohne feſten Beſitz, die eine Ehre darein fetten, nicht nur die Standesvorurteile, ſondern au die ehrwürdigen Ueberlieferungen abzuihmwören; fie drängten ſich förmlich dazu, die Vorredhte ihres Standes zu opfern. Das Gleiche läßt fih ja aud) in Frankreich beobadten: die eifrigften Vorkämpfer des Ariftofratismus waren Roturiers, die higigften Demokraten Ebdelleute! Bon einen Adeligen, Eduard von Glauer, wurde die franzöfifhe Konftitutionsurfunde zuerſt ins Deutjche über: tragen; Clauer ift auch der Verfaſſer der Flugichrift „Der Kreuzzug gegen die Franken“, die in ebenſo leidenfchaftlicher, wie geſchickter Weile gegen eine Ein: miihung Deutſchlands in die inneren Verhältniffe Franfreihs Stimmung zu machen ſuchte. Den gleihen Gedanken, nur in vorfichtigeren Worten zum

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Ausdruck gebracht, vertritt eine von dem eben erſt verabſchiedeten Miniſter Grafen Hertzberg 1791 in der Berliner Akademie gehaltenen Rede: „Ueber die Revolutionen der Staaten.” Das Ziel der franzöſiſchen Revolution, „welche, aufgeklärt und angetrieben von den neueren Philofophen, die beftmögliche Kontti- tution ftiften und fogar die englifche übertreffen will, indem fie Monarchie und Republik vereinigt und der Nation die gejebgebende Macht, dem Könige die ausübende Macht zufichert, doch jo, daß er den Stellvertretern der Nation unter: geordnet bleibe”, ift dem Redner offenbar nicht unfympathiih. Deshalb will er auch, daß Frankreich nicht geitört werde, denn die Neigung der Franzoſen zur republifanifchen Staatsform kann nur dazu beitragen, die dauernde Ruhe Europas und die Erhaltung des Gleichgewichts zu fihern; „dem natürlihen Syſtem ber republifanifhen Staatsform entipregend, haben die Franzofen, wie fie aud offen erklärt haben, allen ehrgeizigen Plänen zur Bedrohung der Nachbarn ent: jagt“. Der Wiener Profeſſor Aloys Hoffmann, der am erbittertften gegen ben „philanthropiſch-kosmopolitiſch-demokratiſchen Schwindel des Zeitalters” zu Felde 30g, erblidte in Her&berg, „vor dem jederzeit alle Lichterzieher deutſcher Nation in Ehrfurdt auf allen Vieren gekrochen“, den ſchlimmſten Patron der revolutio: nären Propaganda; natürlich ift es nur eine boshafte Erfindung Hoffmanns, wenn er verfihert, der Parifer Konvent babe ben König von Preußen um Ueberlafjjung von Hergbergs Porträt und Schriften erſuchen lafjen.

Dffen trat auf Seite der Revolutionsmänner Graf Guſtav von Schlabren: dorf aus Pommern, ein philanthropiſcher Sonderling, der den Reichsfreiherrn von Stein nah England begleitete, auch mit Friedrich Heinrich Jacobi und andern Gelehrten und Schöngeiftern in Verbindung trat, dann nah Paris überfiebelte und fi eng an die Führer der Girondiften anſchloß; befannt iſt die verbürgte Thatjache, daß der deutiche Graf, ber als Genofie Vergniauds zum Tode verurteilt worden war, der Guillotine nur durch den Zufall entging, daß er am verhängnisvollen Morgen feine Stiefel nicht finden fonnte. Aus einem alten holländiſchen Edelgeſchlecht ſtammte Johann Baptift, oder wie er fich jpäter nannte, Anadharfis von Cloots, der in Paris als „Vertreter der Menjchheit” eine jo abenteuerlihe Rolle jpielte. Zu den rührigiten Anwälten der Freiheitsidee zählte der Verfaffer des befannten Buches: „Ueber den Umgang mit Menfchen,” Adolf Freiherr von Knigge, der ſchon zur Vorbereitung der Geifter auf die Revo: (ution nicht wenig beigetragen hatte. Der jeihte Lebekünſtler war einer der frucht: barften Scriftfteller des Illuminatenkreiſes; die Revolution begeilterte ihn zu zahlreihen politiihen Schriften, u. a. einer in Voltaireſcher Manier gejchriebenen Geſchichte der Aufklärung in Abyjfinien (unter dem Pſeudonym Benjamin Noldmann herausgegeben), einer Satire auf das deſpotiſche Regiment in einzelnen deutichen Staaten. Während bes Feldzugs von 1792, aljo zu einer Zeit, da das deutſche Reich ſchon gegen das revolutionäre Franfreih Front machte, fiel es Goethe auf, daß am Unterrhein gerade die höheren Stände zu demofratijchen Neuerungen binneigten.

Sogar im Fürftenitande fand die Nevolution Freunde und Verehrer. ne: befondere am Gothaiihen Hofe waren wohl infolge des langjährigen, vertrau: lihen Verkehrs mit Voltaire ſolche Sympatbien lebendig. Prinz Auguft ruft

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jeinem Freunde Herder aus der Ferne ein nicht mißzuverftehendes salute della liberta zu. Ein wunderlider Brauh war nah H. U. Reichards Erzählung bei der frau Herzogin eingebürgert. In ihren Gemächern wurden immer die Büjten derjenigen Männer, welde in Paris gerade im Vordergrund der Aktion jtanden, aufgeitellt; jobald der Nevolutionsheld die Gunft des Bolfes eingebüßt hatte, wanderte fein Brufibild aud) in Gotha in die Polterfammer. Als Neichard einen „Revolutions:Almanah” ankündigte, beftellte die Herzogin, durch den Titel verführt, ein Dugend Eremplare; als fie aber fand, daß das Büchlein gegen die Revolution geſchrieben war, ſchickte fie erboft die Eremplare zurüd.

Zu den blutdürftigften Genofjen Robespierres zählte ein deutfcher Fürft, der eine Zeitlang zu wichtiger Rolle beftimmt zu jein ſchien. Fürſt Friedrich IT. von Salm:Kyrburg war, wie oben dargelegt wurde, 1787 von den mit ihrem Statthalter badernden Generalftaaten zum Generalifiimus der holländifchen Armee berufen worden; als er aber beim Anrüden der Preußen Utrecht ohne Nötigung räumte, wurde er al& „Verräter” von feinen Truppen verlaffen. Er ließ dann ein paar Jahre nichts von fi hören; 1792 taudte er als Enragé in Paris auf, fiel aber als Opfer des 9. Thermidor unter der Guillotine.

Die eigentlihen Träger des Nevolutionsgedanfens in Deutſchland waren Gelehrte und Schöngeifter. Sogar die Gottesgelahrtheit ſchien damit vereinbar zu fein. „Soviel ih alte und junge Theologen nad) modernem Schnitt habe fennen lernen,” verfihert Neihard, „joviel Demokraten und Werteidiger der franzöfifhen Nevolution habe ich kennen lernen.” Zu den Klubiften in Mainz ftelte der Klerus einen ftattlichen Prozentjab. Einer der verworfenften Revo: Iutionshelden war der Erfranzisfaner und ehemalige Profefjor des Kirchen: rechts an der Straßburger Hochſchule, Eulogius Schneider, der das Schredens: regiment in Straßburg leitete; jogar ber Dichter der Marjeillaife hat den Verfafier der Parodie: „O liebe Guillotine, wie thuft du jo wohl!” und ähnlicher ruchloſer Scherze „le scelerat* genannt. Der katholiſche Pfarrer Funk, ein Freund bes „Marat von Straßburg”, der Franzisfaner Johann Shletterbef aus Trittberg, der Erjefuit Dorih aus Mainz und viele andre Mönde und MWeltgeiftlihe aus den Rheinlanden fuchten ihr Heil im revolutionären Frankreich.

Natürlich muß unterſchieden werden zwiſchen platoniſchen Liebhabern der Revolution, die im Freundeskreis oder im vertrauten Briefwechſel ihre Zu— ſtimmung zu den Vorgängen in Verſailles und Paris ausſprachen, und ſolchen, die heimlich oder offen danach tradhteten, die franzöfiichen Theorien in Deutſch— land in Thaten umzufeßen.

Auf diefe mehr oder minder gefährlichen „Apoftel der That” wird bei der Frage nad) der revolutionären Propaganda in Deutichland zurüdzufommen jein. Die meilten waren „Halbftudierte”, die ihren Beruf verfehlt hatten. „Der halbkluge Menſch,“ schreibt Heyne an Forſter, „bleibt immer ein größerer und böferer Narr als der ganz dumme.” In Ifflands „Kokarden“ und Goethes „Aufgeregten” werden dieje Magifter als Schläulinge dargeftellt, die im Trüben fiſchen wollen, als Brandftifter, die beim großen Feuer auf Beute hoffen.

Bon Leuten dieſes Schlages gingen die zahllofen Brandfchriften aus, die

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Schlözers Entrüftung wadriefen, die „Schartefen und Pasquille, die aus den infamften Meuchel- und Winkeldrudereien kommen“, bie viel zu lange in deutjchen Staaten gebuldet worden jeien. Im Zenſurweſen tritt ja der Heinliche und fpießbürgerliche Zug, der der inneren deutſchen Politik anhaftet, befonders deutlich hervor. Auf Marat und Robespierre durfte die feurigite Lobrede gehalten werben, wenn man nur vorher vor dem eigenen Landesherrn einen Knids gemacht hatte; der Ausbruch der roten Revolution im Nahbarftaat durfte laut gepriefen werden, wenn man nur bie eigenen Öffentlichen Berhältnifje alles Zobes und aller Anerkennung würdig nannte. Zu den ungeftümften, brutalften Erzeugnijien der rabdifalen Litteratur gehören die zahlreihen, unter dem Pjeudonym Eihbaum heraus: gegebenen Brandſchriften.) Yon ähnlichem Charakter ift die „hiſtoriſche Skizze”: „Zuzifer oder gereinigte Beiträge zur Geſchichte der franzöfiihen Revolution“. Was Mallet du Pan und andre Fürftenfnehte von den Blutthaten der Revo: lution gejchrieben, jei alles erlogen; der beite Beweis bafür jei die Thatſache, dab es Leute, die folches jchreiben, noch immer gebe. Auch aus der Schrift „Galerie ausgezeichneter Handlungen und Charaktere aus der franzöfiihen Nevo- lution”, die fälſchlich Schubart zugeſchrieben worden ift, läht fi ohne Mühe die Aufforderung berauslejfen, dem „glorreihen Auferſtehungswerk“ nicht fernzu— bleiben, fondern den Fürften durch Thaten den „Willen der Völker“ kundzu— thun. Wenn man die Verzeichniffe der 3. B. in Baiern verbotenen Trud: ſchriften?) durchſieht, drängt fi zwar unmutige Klage auf, daß mande edle Geifteswerfe nur deshalb, weil den Herren Zenfurräten das Berftändnis mangelte, der Nutznießung des Volkes entzogen blieben; anbrerjeits wird man peinlich überrafcht dur die Beobadtung, welch üppige Schund: und Schmuglitteratur jene Jahre hervorbraditen.

Sarmlofer, für die Revolution nur in der Theorie ſchwärmten Deutſch— lands Dichter und Denker, unter ihnen am mwärmften Klopftod und Kant.

Mit Jubel begrüßte der Sänger der Meffiade, der gerade von feinem fürftlihen Mäcen unterhalten wurde und im republifaniihen Hamburg lebte, die dtats généraux:

„Der fühne Reihstag Galliens dämmert ſchon, Die Morgenfhauer dringen den Wartenden Durh Mark und Bein: o fomm, du neue, Labende, jelbft nicht geträumte Sonne!

Gefegnet fei mir du, das mein Haupt bededt, Mein graues Haar, die Kraft, die nah Sechzigen Fortdauert, denn fie war's, fo weithin

Brachte fie mich, daß ich dies noch erlebte!”

Nicht ohne komische Selbitgefälligfeit trug Klopftod fortan jeine Sympatbien zur Schau; er fiegelte mit einem Brutusfopf, legte nach Mirabeaus Tod Trauer:

’, Eine reihe Sammlung politiicher Flugſchriften, auch folcher, bie jofort nach Erjcheinen in Beichlag genonimen wurden, befindet ſich unter den Berichten der zweibrüdenfhen Reichstags: gefandtfhaft an Herzog Karl Auguft (bair, Staatsarchiv, zweibrüdenfde ComitialeActa 1790 :r.).

) Münchner Kreisarchiv. Geheimeratsakten, die zur Zenfur übergebenen Schriften betr, 1785 1794.

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fleider an, feierte die wichtigſten Beſchlüſſe der Nationalverfammlung in ftolzen Verjen und bedankte ſich für die Verleihung eines franzöfiihen Bürgerdiploms mit böfifcher Unterwürfigkeit: „Es ift unmöglich, ſolche Ehre zu verdienen !“ Klopftods entſchiedene Parteinahme für die Sache der Revolution erregte bei Freunden und Gegnern ber Bewegung großes Aufjehen. Schubart fnüpft in der „Chronik“ an die falſche Nachricht von einer Reife Klopftods und Stolbergs nah Paris begeifterte Worte. „Der größte Mann der Deutihen kommt mit Silberloden, verjüngt fi im feligen Anblide eines entfeflelten Volkes und giebt au jein Delgefäß auf den Altar des Baterlands!” Dagegen beflagt ber Miener Aloys Hoffmann den Abfall des gottbegeiiterten Sängers, der eben mit feinem fechzigften Lebensjahre ſchon vollkommen „fertig” geworben jei.

Klopftod ſchwärmte aber für die Revolution nur, jolange fie abjtraft und auf lauttönende Reden von Freiheit und Menjchenrechten bejchränft war; als fie aber die ſchönen Worte in blutige Thaten ummwandelte und alles, was ihr im Wege ftand, mit ehernem Fuße zerftampfte, erichraf er über bas In: geheure, das er nicht zu deuten vermochte; er widerrief feine Zuftimmung und verwünjchte, was er eben gebenedeit hatte, er entihloß ſich ſogar zur Zurüd: ſendung des franzöſiſchen Bürgerdiploms:

„Wenn id) zurüdfende den Siegelbrief, Welchen mir Frankreichs herrihende Hunderte Einft zur Belohnung des Bürgerfinnes

Von der entfernten Seine fandten,

O fo vernehmt, Herrfher vom Seinejtrand, Was Deutfchlands Barden unmiberftehlich ftarf Von euch entfernt, zurüdichredt, wegſtößt, Bon Franfreihs Bürgern ewig trennt” ...

„Deutſchlands Barde“ beflagte feinen Irrtum, bis er ſich bei einer andern Miedergeburt der „heiligen Menfchlichkeit”, diesmal in der Perfon eines neuen Zaren aller Reußen, tröftete.

Wichtiger ift die Stellungnahme Kants, deſſen Aufrichtigfeit und Selbft: Iofigkeit über jeden Zmeifel erhaben find. Hippolyte Carnot weift in einer hiſtoriſchen Studie über das „erfte Echo der franzöfiichen Revolution in Deutſchland“ mit Genugthuung darauf hin, daß jogar der Weifefte der Deutfchen, der Magier des Nordens, den niemand ber Leichtfertigfeit zeihen werde, für die Revolution eingetreten jei. Nun thut man zwar gut, die Mitteilung Varnhagens zu be: zweifeln, daß der Königsberger Philofoph nah Proflamierung der franzöfiichen Republif mit Thränen in den Augen ausgerufen habe: „Ach jage mit Simeon: Herr, laß deinen Diener in Frieden jcheiden, nachdem ich den Tag des Heils gejehen habe!” Aus Kants eigenen Worten läßt fi) aber nachweiſen, daß er die Grundjäße der älteren Jakobiner gebilligt hat. Er hatte ja jelbit von jeher gelehrt, daß alle Gewalt nur aus dem Willen der Nation abzuleiten ſei, und erblidte nun in der Nevolution gewiflermaßen ein Erperiment, das die von der Vernunft verlangte, vollkommene Staatsverfafung ſchaffen jollte. Freilich war es eine Verfennung des Gedanfenganges des deutſchen Philofophen, wenn

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er zum Gefinnunge: und Bundesgenofien der Robespierre und Danton ge: ftempelt wurde. Hielt es doch ein Schüler Kants, der Würzburger Profefior Reuß, ſchon im Sommer 1792 für geboten, in einer akademiſchen Streitjchrift die Philofophie feines Lehrers gegen den Vorwurf in Schuß zu nehmen, daß aus ihr die franzöfifche Revolution ihren Urjprung genommen babe! Im Glauben an die Erfprießlichleit der Grundfäte von 1789 Tieß fih Kant auch durch die Schredensherrfhaft nicht irre machen. Noch im „Streit der Fakultäten” (1798) hält er ihnen eine warme Lobrede und ftellt jegensreiche Folgen für die Menſchheit in Ausficht.

Entſchieden trat au, um hier noh die Philojophen anzureihen, Fichte für die leitenden Gedanken der Bewegung ein. Die anonym herausgegebene Schrift „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publiftums über die fran- zöſiſche Revolution”, an der übrigens auch feine junge Gattin, eine Nichte Klopftods, mitgearbeitet haben foll, verteidigt offen das jus revolutionis, das Recht der Mehrheit eines Volkes, die Staatsverfaflung, wenn nötig, auf gewalt: ſame Weife umzugeftalten. „Die Menſchheit ift noch weit entfernt, zu willen, was ihr not thut, aber, wenn id mich nicht täufche, ift das Morgenrot ges fommen, und der volle Tag wird anbrechen!“ Die gleiche Anficht vertrat der Rantianer Karl Bernhard Reinhold, der aus dem Wiener Aufklärerfreife ber: vorgegangen war und namentlich im „Teutihen Merkur” anonym feine Arbeiten veröffentlichte. Von Friedrich Heinrid Jacobi wird niemand fefte politiiche Grundjäge erwarten; wenigftens den Anfängen der Revolution wendete er, wie fein Bruder Johann Georg, der Poet und Profefior der ſchönen Wiffenjchaften in Freiburg, aufmerfjame Teilnahme zu. Zwei Tübinger Stiftler, die fpäter die Führer berühmter Philoſophenſchulen geworden find, Schelling und Hegel, tollen die Erzählung ift nicht gut verbürgt mit allerlei revolutionärem Brimborium in der Nähe des Univerſitätsſtädtchens einen Freiheitsbaum auf: gerichtet haben.

In Mainz, wo Frievrih Karl von Erthal, ſelbſt ein Freund der Auf: klärung, den Kurftuhl inne hatte, wo Johannes Müller, Sömmering, Heinie, Georg Forſter fih aufhielten, gab es befonders viele Illuminaten und Demo: fraten. Nirgend wurde freier geſprochen und gejchrieben, als in diejer geiftlichen Reſidenz; die Jahrestage der Eröffnung der Konftituante und des Baftillenfturmes wurben bier als „Feiertage der Menjchheit” feftlih begangen. Johannes Müller, der jeit 1788 die einflußreiche Stelle eines geheimen Kabinettsjelretärs des Kur: fürften inne hatte, begrüßte die Zerftörung der Baftille als „ſchönſten und wich— tigften Tag jeit dem Untergang der römischen Weltherrſchaft“ und pries das „luftreinigende Donnerwetter, das, auch wenn es hie und da einen erjchlägt, immer befier jey, als die Luftvergiftung, die Bert!” „But ift immer,” jchreibt er (15. September 1789) an jeinen Bruder, „daß die Fürften gewahr werden, fie jeyen Menſchen, und daß die Vorfehung fie aus dem Schlaf rüttelt, in melden die lange Geduld der Nation fie einwiegt.“ Und im nächſten Jahre jchreibt er an den nämlihen: „Heute it nun das Freiheitsfeſt! Ich geſtehe, daß ih doch bisweilen glaube, es wird Beftand haben. Gott jcheint mir diejes Werk zu thun; er will einmal eine neue Ordnung der Dinge. Der Freiheits—

Heigel, Deutfce Geſchichte vom Tode Friedricht d. Or, bis zur Aufldfung bes deutſchen Reichs. 19

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finn ift zu tief und allgemein in die Völker gefahren, und zu offenbar gewinnen fie dabey, um ſich's wieder entreißen zu laſſen. Gott jelbjt will parcere subjectis et debellare superbos.“ Georg Forfter, der auf Müllers Betreiben als Biblio: thefar des Nurfürften berufen worden war, befreundete fich als Verehrer der engliſchen Verfaſſung leicht mit der Staatsummälzung in Franfreih, denn es war „ein bemwegterer, aljo ein bejjerer Staat”; ihn hatte längft der „deutiche Stumpffinn” angewidert, „der nur einen Kigel der Neugierde darüber verjpürt, daß in der Ferne ohne fein Zuthun Zuftände bedroht und untergraben werden.” Schon früher hatte er für Mirabeau eine Lanze gebroden; auf bie unbe: jonnenen Streidhe eines jo leuchtenden Genius dürfe fein Gewicht gelegt wer: ben: „Das Gold ift nicht minder Gold, weil man es felten oder nie ganz unvermifcht gefunden hat.” Im Erwachen der Franzoſen zur Freiheit erblidte Forfter die Reaktion der Natur gegen unnatürlihen Zwang; deshalb war ihm auch ber Sprung von einem Ertrem zum andern etwas Selbftverftändliches; die Blut: thaten der Revolution fchienen ihn leicht zu wiegen gegen „ben jyftematiichen Mord von Taufenden für den Ehrgeiz Friegeriiher Defpoten und die Vergiftung der Freuden von Hunbderttaufenden durch Erpreffung und Unterdrüdung”. Die Nachtſitzung vom 4. Auguft war ihm ein „glorreiches Ereignis, in ber Welt ohne Beifpiel”. Mit geipannter Erwartung verfolgte er die Einführung der Volksherrihaft im Nacbarlande und wurde in feiner ſympathiſchen Auf: fafjung dur eine im Sommer 1790 unternommene Reife nah Frankreich noch beſtärkt. „Der Anblid des Enthufiasmus im Volke,“ jchrieb er an Heyne, „vorzüglid auf dem Champ de Mars, wo man die Zubereitungen zum großen Nationalfefte machte, ift berzerhebend, weil er jo ganz allgemein durch alle Klaſſen des Volkes geht und jo rein und einfah auf das gemeine Beſte mit Hintanfegung des Privatvorteils wirkt. Wir leiden mandes, jagten mir viele, und kämpfen jegt mit großem Ungemach; jelbit unjer Vermögen wird eine große Verminderung leiden, aber wir wiſſen, unfre Kinder werden’s uns banken, denn ihnen fommt es zu gute! Bei dieſer Selbftverleugnung, die einen hohen, moraliſchen Genuß nicht ausschließt, läßt fih auf eine beſſere Zukunft ſchließen!“

Die Genoſſen des Göttinger Hainbunds, die, wie aus Johann Heinrich Voß' Briefwechſel erhellt, noch immer intime Verbindung unterhielten und ſich an dem Schibboleth „Klopſtock“ als „Geweihte“ erkannten, teilten rückhaltlos bie Begeiſterung ihres Meiſters. „Ich fühlte mich nie kosmopolitiſcher als jetzt,“ ſchrieb Stolberg im Oktober 1789, „und möchte das macta nova virtute! aus: rufen von den Pyrenäen bis zum Nhein, von der Memel bis zur Garonne!“ Voß dichtete noch 1792 den „Gejang der Neufranken“:

„Wir nahn, wir nahn! Bebt, Mietlingsfcharen, Entfliehet oder ſterbt!“

und verfünbete in der deutſchen Marjeillaije allen tyrannifchen Deys und heuch— leriſchen Muftis den Untergang. Feurige Freiheitsliebe glüht in den Gedichten des Schwaben Hölberlin;

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in begeifterten Hymnen feierte er das Erwaden der Menfchheit, und noch 1792 begrüßte er die auf deutſchem Boden erjcheinenden Franken als „glüdlichere Brüder”. Ya, fogar von Ernft Morik Arndt, dem „Gallophobe par excel- lence*, fann Hypolite Carnot mit Befriedigung feititellen, daß er zwar nie ein Freund der Franzofen, wohl aber als Jüngling ein Freund der frangöfiichen Ideen gemwejen fei.

Nur die preußifche Pichtergruppe, Vater Gleim an der Spike, verhielt fih von vornherein ablehnend gegen die von der „Heimat der Deiften und Ratio: naliften” ausgehende Bewegung. Als Ausgeburt der Aufklärungsphilofophie brandmarft Gleim die Volksherrſchaft:

„Kein Wunder, daß das Tier mit feinen taufend Köpfen Auf Königäthrone tritt und Königsköpfe frißt!

Die Urſach'? Die dürft ihr nicht tief im Brunnen fchöpfen: Weil's dumm geboren ward und dumm gelafjen iſt!“

Natürlid waren Gleim und die Seinen entrüftet über den Abfall Klopftods vom deutſchen Vaterland:

„Er, unfer Klopftod, will die Fahnen Des Aufruhrs tragen, Brutus fein? Ha! welder doch von den Satanen, Die er ſchuf, gab das ihm ein?“

In den Weimarijden Kreifen war die Aufnahme geteilt. Goethe war gereift und geläutert aus Italien zurüdgefehrt; er hatte dort, wie er jagt, „ich felbit wieder gefunden”, aber die Neigung zu dem braujenden Treiben ber erftien Weimarer Jahre Fehrte nicht wieder. Wie Herzog Karl Auguft als Patron des Fürftenbundes fich in ernfte Gejchäfte verfenft hatte, jo war Goethe, nad Wielands Ausdrud, „mit untadeliger Sophrofyne und aller ziem: lichen Weltklugheit ausgeftattet”, gleich unermüdlich im Dienft des Staates, wie der Mufe. Die Mißftände des ancien regime wurden von dem Dichter Har erkannt; man findet in ber „Natürlihen Tochter” wie im „Reineke Fuchs“ jo mandes fräftige Wort darüber. Auch die Rede des Richters in „Hermann und Dorothea” darf wohl als Ausdrud der Gelinnung des Dichters angejehen werben:

„Denn wer leugnet es wohl, daß hoch ſich das Herz ihm erhoben, Ihm die freiere Bruft mit reineren Pulfen geſchlagen,

Als fih der erfte Glanz der neuen Sonne heranhob,

Als man hörte vom Rechte der Menfchen, das allen gemein fei, Bon der begeifternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit!”

Doch das Ungejtüme, das Unberechenbare der Bewegung erjchredte ben Dichter. „Einem produftiven, thätigen Geifte,” jagt er in den Tag: und Jahres: beften, „einem wahrhaft vaterländifch gefinnten und einheimiſche Litteratur befördernden Manne wird man es zu gute halten, wenn ihn der Umfturz alles Beitehenden jchredt, ohne daß die mindefte Ahnung zu ihm jprähe, was dann

292 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt. befjeres, ja nur anderes daraus erfolgen ſolle. Man wird ihm beiftimmen, wenn es ihn verdrieft, daß dergleihen nfluenzen fih nah Deutſchland er- ftreden.” Er wird dadurch an die Religionswirren erinnert: „Franzthum drängt in biefen verworrenen Tagen, wie ehemals Lutherthum es gethan, rubige Bildung zurüd.” Manches ironiſche Wort zeugt von ber „vieljährigen Richtung feines Geiſtes gegen die franzöfiiche Revolution”, die er jelbft für fih in Anſpruch nimmt. Er zieht aus den Parifer Vorgängen nur die Lehre, daß „aud in diefem Falle der große Haufen ſich treu blieb und Wort für That, Schein für Beſitz in großer Heftigfeit nahm“, und weift die aufdringlichen Freiheitsapoftel zurüd:

„Willkür fuchte doch nur jeder am Ende für fid, Willft du viele befrei'n, fo wag' es, vielen zu dienen!“

Die Größe der Erfheinung läßt er gelten. „Das fonzentrierte Unheil der Barijer Bluthochzeit“ macht auf ihn „einen großen, tragiſchen Eindrud, deſſen Erhabenheit das befondere Elend vor unſern Bliden verſchlingt“.

„In tyrannos!* war ber Wahlſpruch geweſen, den der junge Schiller auf das Titelblatt feiner „Räuber“ gejegt hatte. „Stelle mid vor ein Heer Kerls, wie ih,” ruft Karl Moor, „und aus Deutihland fol eine Republik werben, gegen die Rom und Sparta Nonnenklöfter fein follen!” Doch diefe leidenihaftlihe Wut gegen die beitehende Ordnung war von Schiller überwunden. Indem er zwei Jahre vor Ausbruch der Revolution die Geftalt des Welt: bürgers Poſa ſchuf, befreite er fih aus der Unraft und Zerfahrenheit der Zeit: fimmung und war nur noch „ein neiblofer und ruhiger Bewunderer des großen, drängenden Menichenozeans”. Im Vorwort zur Gefchichte des Abfalls der ver: einigten Niederlande (1788) preift er zwar ben „großen und beruhigenden Ge: danken, baß gegen die trogigen Anmaßungen der Fürftengewalt endlid noch eine Hülfe vorhanden,” und will zu Ehren „einer Begebenheit, wo bie bebrängte Menſchheit um ihre ebeliten Rechte ringt,” ein „Denkmal bürgerlicher Stärke vor der Welt aufitellen,“ doch gegen die Volkserhebung in Franfreih, bie fo viele in Schillers Umgebung begeifterte, verhielt er fich fühl; die Revolution ſchien ihm nur ein „interefjanter” Borgang zu fein, deſſen Entwidelung er ohne wärmere Teilnahme verfolgte. Immerhin verdient Beahtung, daß eine fo iharfe Beobadhterin wie Frau von Stein in Schiller einen verfappten Anhänger der neufränfiihen Ideen erblidte und noch 1793 Zweifel begte, ob er gänzlich befehrt jei. Schiller ſelbſt fehrieb no am 26. November 1792 nad dem Ein: fal der Franzoſen in die Rheinlande an Körner: „Wenn die Franzofen mic) um meine Hoffnungen (auf eine Berufung nad Mainz) bringen, jo kann es mir einfallen, mir bei den Franzoſen befjere zu jchaffen.” Während aber Körner dem „bodintereffanten Verſuch einer Staatengründung nah Vernunftprinzipien“ andauernd feine Neigung zumandte, überzeugte fih Schiller mehr und mehr von der „Wiberrechtlichfeit und Zmwedlofigfeit” der Ummälzung. „Es ift fehr inter: eſſant,“ jchrieb er an Körner, der für Göſchen eine geſchichtliche Studie über die englifhe Revolution jchreiben jollte, „gerade in der jekigen Zeit ein gejundes Glaubensbefenntnis über Revolutionen abzugeben, und da es ſchlechterdings zum

Die franzöfiihe Revolution und der deutſche Volksgeiſt. 203

Vorteil der Nevolutionsfeinde ausfallen muß, jo können die Wahrheiten, bie den Regierungen gejagt werben müflen, feinen gehälligen Eindrud machen!” Eine Zeitlang trug er fih mit der Abfiht, ein Memoire zur Verteidigung Ludwigs XVI. zu fchreiben. „Es gibt Zeiten, wo man öffentlich ſprechen muß, weil Empfänglichkeit dafür da ift, und eine folche Zeit jcheint mir bie jetzige zu fein.” Als ihm Körner vorjtellte, daß „das Teuer, welches jest brennt, als das Werk einer höheren Hand geehrt und weder Del noch Waſſer hineingegoffen werben ſoll“, ftand Schiller von feinem Vorhaben ab; er blieb aber ein Gegner der Revolution. „Ich kann,” jchreibt er am 4. Februar 1793 an den Freund, „Seit vierzehn Tagen feine franzöfifche Zeitung mehr leſen, jo efeln diefe elenden Schindersknechte mich an.” Bon diefer Auffaffung zeugen auch die gegen Anadharfis Cloots, Eulogius Schneider und andre Umſtürzler gerichteten Xenien; im „Spaziergang“, im „Lied von der Glode” wendet er ſich mit Entjchievenheit gegen bie unklaren, leidenfchaftlihen Streber jeines Zeitalters und die wahn- wigigen Jünger der Gejeglofigkeit. Jeder Patriot fol dieſe Ideen entwidelt er in den Briefen an den Herzog von Auguftenburg mit felbitthätiger freier Denktraft das Geſetz juhen und nah Berebelung ber Gefühle und fittlicher Reinigung des Willens traten; auf dem Wege äfthetifcher Selbiterziehung der Menſchheit wird es gelingen, das Beitehende zu beſſern und zu beleben: Der Meg zur Freiheit führt dur die Schönheit! Das „politiiche Gejchwirre” der Zeitgenoffen vermag ihn nur zu beläftigen, nicht zu belehren. „Es ift im buch— ſtäblichen Sinne wahr,“ jchreibt er (3. Auguft 1795) an Reinhardt, „daß ich gar nicht in meinem Jahrhundert lebe, und ob ich gleih mir habe jagen laſſen, daß in Frankreich eine Revolution vorgefallen, fo ift dies ungefähr das mwichtigite, was id) davon weiß.”

Die älteren Mitglieder des Weimarer Kreijes waren jamt und fonders Freunde des politifch-fozialen Umſchwungs in Franfreih. Herder, durch das Schlagwort Humanität gewonnen, ſprach laut und offen jeine Freude aus; end: lih ſei die Herrſchaft des Friegeriihen Adels und des den Geift veröbenden Klerus zu Ende, frohlodte er; wie die Reformation die geiltlichen Bande gelodert habe, jo werde die Revolution die legten Feſſeln der Menjchheit fprengen. Es läßt fich begreifen, welches Auffehen ſolche Worte in dem ftillen Kleinftädtchen bervorriefen, wie der Klatſch fie von Haus zu Haus trug bis zur Nefidenz des Herzogs! Der Herr PVizepräfident bes Oberfonfiftoriums freut fih der Auf: hebung des Adels, der Beſchränkung Tandesfürftliher Gewalt! Goethe war ernftlih böje über das unvorfihtige Gebaren des Freundes. Als Herder fih 1792 zur Badekur nad Aachen begeben hatte, jchrieb Goethe, der auch hier Antonio und Taſſo in feiner Perjon vereinigte, an das Ehepaar Herder: „Bergeflen Sie nicht, Gott zu preifen, daß er Sie und Ihre beiten Freunde außer Stand geſetzt hat, Thorheiten ins Große zu begehen.” Der feurige Humanitätsapoftel wollte ſich durchaus nicht die von den Freunden empfohlene Zurüdhaltung auferlegen; erft nad unliebfamem Zufammenftoß mit der Frau Herzogin erklärte er feinem Gefinnungs: genofjen Knebel, er habe fi nun feit vorgenommen, „nicht mehr zu fündigen mit der Zunge”. Als Georg Müller, der Bruder bes Hiftorifers, mit ſpöttiſchem Hin- meis auf „den großen Politikus Wieland” ein bitteres Urteil über die „Bande

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von Fanatifern”, genannt franzöfiiche Nationalverfammlung, fällte, ſchwieg Herder verftimmt und ließ fih auch dur Müllers Hinweis, da er im republifanifchen Nachbarland Frankreichs ſich leichter über den Charakter der neueften Ereignifle unterrichten könne, in feiner Auffaffung nicht beirren. Noch in den „Briefen zur Beförderung der Humanität” (Frühjahr 1793) ſpricht ſich das feite Vertrauen auf heiljame Errungenfchaften des „Geiftes der Zeiten“ aus; der Verfaſſer ift über: zeugt, daß „jeit Einführung des Chriftentums und feit Einrichtung der Barbaren in Europa außer der Wiederauflebung der Wiflenfhaften und der Reformation fih nichts ereignet hat, das diefem Ereignis an Merkfwürdigfeit und Folgen gleich wäre”. „Geift ber Zeit, it er der Genius ber Humanität jelbit, oder deſſen Freund, Vorbote, Diener? Ich wollte, daß er das erite wäre, glaube e& aber nicht; das letzte hoffe ich nicht nur, ſondern bin deſſen fait gewiß!” Erft die Hinrihtung des Königs und die eroberungsjüdhtige Politif der neuen Republik riefen einen Umſchwung im Herderichen Haufe hervor; nicht bloß Frau Karoline machte „das dreifache Kreuz über die entlarote falfche Freiheit der Neufranken“, auch ihr Gatte war über das „Wüten der Lernäiſchen Schlange” in Paris be: troffen und Elagte, daß die Welt ftatt eines Luthers, deſſen fie zu glüdlicher Reform bedurft hätte, nur einige Münzer befommen habe. „Won der politifchen Welt fein Wort mehr!” ſchreibt er (1. Mai 1793) an Gleim, „im jebigen Moment dünkt jie mir wie Hamlet abiheulih: auch hieraus aber, auch aus diefer Verwirrung ber Töne muß fih etwas Gutes und Großes ergeben und wir werden es noch erleben!”

Solange die Nationalverfammlung tagte, befannte ſich auch Wieland, deſſen „Teutſcher Merkur” nicht nur in litterariihen, fondern auch in politijchen Fragen vielen Gebildeten als Führer diente, zu den Grundfägen der Revolution. In der Schrift „Ueber die Gefeglichkeit der Anwendung, welche die franzöfiiche Nation von ihrer Aufklärung und ihrer Gewalt macht“, (1789) äußert er doch nicht ohne Bedauern Zweifel am Erfolg der Revolution, die „jo be deutungsvoll im Intereſſe Europas und ber ganzen Menjchheit Frankreich erfüllt”. In den „Göttergeſprächen“ lehnt Jupiter ab, die Sache ber Könige zu ver: teidigen, ba ja doc jedes Volk das Recht habe, jelbft zu feiner politifchen Wirtihaft zu ſehen. Allmählih vollzog fih aber in der Auffaſſung oder doch in der Sprade Wielands eine Umkehr. Der Berfafjer einer 1793 veröffent: lihten revolutionären Flugſchrift „Doctor Martin Luther“ (vermutlid Mauvillon in Braunjchweig) hebt grollend hervor, daß „ein Dichter, der die Gewandtheit der Grazien aus jonifhem Boden ins deutſche Vaterland verpflanzte”, fi jo weit vergeffen konnte, von den Jakobinern als von „Pferbemelfern, Menjchen: jreffern und Troglodyten” zu ſprechen. Immerhin war Wieland noch zur Zeit der Schredensherrichaft ein Gegner der Einmiſchung Deutichlands in die ſtaats— rechtlihe Entwidelung des Nachbarftaates; jei doch auch Grommell von ben europäifhen Mächten als legitimes Haupt der Nepublif England angejehen worden, obwohl er „um nichts bejjer ala Nobespierre”. '

Auh Kammerherr v. Knebel, Bergrat Einfiedel und andre Genofjen bes Weimarer Kreiles brachten der Revolution lebhafte Sympathien entgegen; fie verteidigten die Verkündigung der Menſchenrechte, den Aufihwung des dritten

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Standes, die neue Verfaffung mit leidenſchaftlichem Eifer gegen die Anhänger ber alten Ordnung; „fie ftritten,” Elagt Frau von Stein, „daß fie alle zugleich ſchrieen!“ Auf einen Feuerkopf, wie Jean Paul Friedrich Nichter, mußte die Erklärung der Menſchenrechte wie ein neues Evangelium wirken. Schon in den „Grön: ländifhen Prozeſſen“ (1783) hatte er die Heinlihen und doch fo drüdenden Verhältniffe der Gegenwart mit bitterer Ironie gegeißelt; wegen ber heftigen Ausfälle gegen den Adel war er von Kotzebue „ein ungeichliffener, elender Wig: ling” geſcholten worden. Noch revolutionärer in Inhalt und Sprade find bie Teufelspapiere (1789), Ein Neffe des Dichters, der bemofratiihe Schriftiteller Richard Otto Spazier, verfihert, fein Oheim fei zeitlebens ein nlühender Be: wunderer des girondiftiichen Freiheitsideals geweſen. Im Eſſay „Charlotte Corday” (1799) wird die Heldin gepriejen, die „nicht für die Legitimität einen Republikaner, fondern für die Nepublif einen Tyrannen” tötete. Auch ein älterer Dichter der Genigzeit, Marimilian Klinger, hielt, obwohl in ruſſiſchen Dienjten zu hohen amtlihen Würden emporgeftiegen, mit freudiger Zuftimmung zur Auflehnung des dritten Standes nicht zurüd; die Greuel der Revolution verglich er mit Medeens Zauberfefjel, in den die ftarren Glieder des abgelebten Alten geworfen werben müßten, um wieder jung und ſchön hervorzufommen.

Nicht weniger wohlwollend ftand eine dritte Gruppe von Schriftitellern, die im Gegenſatz zu den Vhilofophen und Dihtern als Politifer bezeichnet werden fönnen, der Nevolution gegenüber. Die Preſſe hatte zwar noch nicht die ausgedehnte praktiſche Bedeutung, wie heute, immerhin gab es ſchon einzelne, von namhaften Gelehrten herausgegebene Wochen: und Monatsſchriften, welche die Anihauungen und Wünjche beitimmter Volkskreiſe vertraten und eine vermittelnde Stellung zwifhen Regierungen und Regierten einnahmen. Namentlid einige Organe in dem von engliihem Geifte angehauchten Hannover trugen zur Heran— bildung einer öffentlihen Meinung in Deutjchland mwejentlid bei. Den erften Pla unter den politiihen Beratern der Deutfhen nahm unbeftritten Schlözer ein, doch verbanfte der „Rabamanthys von Göttingen”, wie ihn feine Bewunderer nannten, bieje Bedeutung mehr dem Freimut und der geiftreichen Form, als der Feſtigkeit und Folgerichtigkeit feiner Urteile. Auch in Bezug auf die franzöfiiche Revolution läßt fich diefe Beobahtung mahen. Während Schlözer offenbar aus Nüdjiht auf König Georg gegen den Freiheitskampf der Amerikaner Bartei ergriffen und den „Streit für Handfof und Contreband'“ verfpottet hatte, bradte er der Erhebung der Franzofen, die ihn bei feinem Parifer Aufenthalt jo ehrenvoll aufgenommen hatten, die lebhaftefte Zuftimmung entgegen. „Eine der größten Nationen der Welt,” ruft er aus, „die erfte in allgemeiner Kultur, wirft das oc der Tyrannei endlich einmal ab. Zweifelsohne haben Gottes Engelein im Himmel ein Te Deum laudamus darüber angeftimmt!” In einem „Ludwig der Große, Mordbrenner in Speier im Jahre 1689” betitelten Aufſatz in ben „Staatsanzeigen” bezichtigte er ben regierenden König von Frankreich eines Anſchlags, die Stadt Paris in Flammen aufgehen zu laſſen, eines Anjchlags, den man einem Kurzfichtigen, der auf Anftiften des Adels jogar den großen Neder entfernt habe, wohl zutrauen könne. Am 29. November 1789 ſchrieb der bäniihe Geſandte in Dresden, Graf Schmettow, an Schlözer: „Man fann nicht

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leugnen, daß es ein Glüd für Frankreich ift, das ich zwei und ein halbes Jahr bewohnt habe und etwas kenne, jetzt auf einmal das Joch abgejchüttelt zu haben. Ich billige die dabei verübten Grauſamkeiten nicht, aber im Verhältnis mit dem Guten und Großen, was erzielt worden ijt, will das nichts jagen. Wer ver: mag einen Ader zu beſäen, ohne daß einige Körner auf den Steinen liegen bleiben und andre von den Vögeln gefreflen werden? Indes ift fein bürgerlicher Krieg in Frankreich gewejen, der jo wenig Blut gefoftet hätte, als die jegige Revo— lution, und feiner hat jo ausnehmend große, glüdlihe Folgen für Franfreih und zugleich für ganz Europa gehabt. Jeder König, jeder Minifter wird nun benfen: veniet summa dies!” Schmettow konnte dabei auf volle Zuſtimmung Schlözers rechnen. Noch die Vorgänge vom 5. und 6. Dftober wurden in den „Staats: anzeigen” in Schuß genommen. „Druderei, Pulver, Dolde und Feuer fönnen unendlich viel Böſes ftiften, haben unendlich viel Böjes geftiftet; wer wird aber deswegen zum Glüd der Menſchheit wünfchen, daß ſolche nie erfunden wären?” Doch die günftige Anfhauung ſchlug zu Anfang des Jahres 1790 in das Gegenteil um. In einem Artikel „Das Neuefte aus Franfreih” gab Schlözer dem Be: dauern Ausdrud, daß das ehedem jo große, glüdliche Reich einer „grenzenlojen Ochlokratie“ zum Opfer falle; etwa zwölf ruchloſe Crommwells und fünfzig Böſe— wichte zweiter Klafle hätten es fertig gebracht, daß Macht und Anfehen der Krone in Ehlamm verſanken: eine Contrerevolution müfje dem Monarchen, der nur deshalb unglüdlich wurde, weil er jein Volt glücklich machen wollte, Rettung bringen. Das ancien rögime, „den monardifchen Dejpotismus, der jeit hundert: undjehzig Jahren ein großes Volk in Feljeln hielt“, wollte freilich auch Schlözer nicht wieder aufgerichtet willen; er erinnert an England, das nad) Karl I. einen Erommwell, aber nah Karl II. einen William erhielt, „und ift noch bis auf den heutigen Tag das glüdlihe Heim des freien Briten!” Ein andrer Aufjat „Adreſſe an die Provinzen Frankreichs” wendet fich zornig gegen „die Helden ber Gaſſe und der Gofie in Frankreih”, gegen den Grafen Mirabeau, der dem Strang, aber nicht der Schande entgangen fei, den „Heinen“ Robespierre, den Marktihreier Bethion, den geldgierigen, innmer betrunfenen Orleans, den drolligen Barnave, die ränfejüchtigen Lameth, den undankbaren Noailles und die andren Querföpfe und Schurfen, die eine Ehre darin jähen, die Henker Frankreichs zu werden. Die Provinzen möchten fi aufraffen, durch Wahlen das Unheil wieder gut zu machen, das fie durch Wahlen verfchuldet hätten; nah dem Sturz des Deipotismus auf dem Throne jollten fie doh nicht die dümmſte Art des Deipotismus, die Pöbelherrichaft, dulden! Der „Abfall Schlözers von ber Sade der Revolution erregte nicht geringes Aufſehen. Campe, Wieland und andere Freunde bes Freifinns ergingen fi in heftigen Klagen über die „Göttinger Windfahnenpolitif”. Schlözer erwiderte (Offene Antwort an Herrn v. P..t auf deſſen Schreiben aus Frankfurt a. M. vom 15. April 1790), er babe nicht feine Auffaflung von Staats: und Menſchenrechten, jondern nur jeine An- fit über die in Paris geübte Praris gewechſelt und infolge beſſerer Belehrung wechſeln müſſen. Erft jetzt wiſſe er, daß bie Erftürmung der Baftille nichts weniger als eine Heldenthat, nur ein Akt ſchmählichen Verrates war; erſt jebt wifle er, daß zwilchen ber jcheinbar jo tugendhaften Nationalverfammlung und

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den Strolben, die das Königsſchloß in Verjailles bedrohten und die Schlöffer der Edelleute in Brand ftedten, eine frevelhafte Verbindung beſtehe. Trogdem halte er an feinen alten Grundfägen feit; er jehe in monardifchem und arifto: kratiſchem Dejpotismus ein großes Uebel, aber ebenjo im ochlokratiſchen, und er werde der Sünden des Parijer Parlaments ungeadhtet die Revolution an fih für notwendig und heilfam betrachten.

Einen ähnlichen Standpunkt nahm Schlözers Kollege, der Hiltorifer Spittler, ' von vornherein ein; ohne Bewunderung und ohne Entrüftung betrachtete er auf: merkſam das aufregende Schaufpiel jenfeits des Rheines. Er beflagt das durch eitle Nednerfünfte und halbverdaute Philofophie verichuldete Unheil, er geißelt bie ZTreulofigfeit und Gemwaltthätigfeit der Parijer Helden, aber er betont au, daß mächtige Fortichritte im Leben der Menſchheit ich niemals ohne eine ftattliche mixtura dementiae vollzogen und insbefondere das hochwichtige und heilfame Reformationswerk nicht minder verwerflide revolutionäre Ausschreitungen im Gefolge hatte, als die Volkserhebung in Franfreid. Ebenfalls von einem Hannoveraner, dem geheimen SKanzleifefretär Auguft Wilhelm Rehberg, dem Jugendfreunde des Reichsfreiherrn von Stein, ftammen die trefflichen Beiprehungen der Schriften von Sieyes, Mirabeau, Mounier, Lally-Tollendal u. a. in der Jenaiſchen Allgemeinen Zitteraturzeitung. Die Aufiäge erfchienen 1793 gefammelt als „Unterfuhungen über die franzöfifche Revolution”; zugleich werden in zus ſammenhängender Darftelung „die Grundſätze geprüft, auf denen bie Syſteme beruhen, nad) denen man Frankreich hat reformieren wollen”. Das Bud übte eine ungewöhnlich ftarfe Wirkung; nicht wenige Leſer wurden durch den unanfehtbaren Nachweis der politiichen Unreife der neuen Regenten Frankreichs von übertriebener Bewunderung der Revolution geheilt Gen z. B. leitete feine Befehrung geradezu auf Nehbergs „Unterfuhungen” zurüd —; andrerfeits ftieß der Verfafler bei Rationaliften und Schöngeiftern auf heftigen Widerſpruch; Fichtes „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publitums über die franzöfifche Revolution” ift vorzugsmweife gegen den „Sophilten der Jenaer Litteraturzeitung” gerichtet. Rehberg war aber jo wenig wie Spittler ein einfeitiger laudator temporis acti; für Bejeitigung von Mißbräuchen tritt er als freimütiger Anwalt auf; fo gibt er 3. B. dem Adel den dringenden Rat, rechtzeitig felbit aufzugeben, was im modernen Staat ein= für allemal nicht mehr haltbar jei. In jo bedingter Weiſe billigte ja jogar Juftus Möjer den Verſuch einer jozialen Neform; er wolle die Franzojen, jagt er, als das erjte Volk in der Welt anerkennen, wenn fie auf dem Wege ihrer Theorie vom Recht der Menichheit etwas Fruchtbares und Dauerhaftes zu Stande brächten, doc fehlte ihm der Glaube an jo glüdliches Gelingen. Wie ja auch) Goethe meinte:

„Daß Verfaſſung ſich überall bilde, wie fehr ift'3 zu wünſchen, Aber ihr Schwäger verhelft uns zu Verfaffungen nit!"

Es begreift fih leicht, dab Publiziften vom Schlage Schubarts und Wecherlins, die immer mit Lebensforgen zu kämpfen hatten und nicht jelten für geringe Schuld in der Feſtungszelle büßen mußten, den „Anbruch der neuen Zeit” mit ausfchweifenden Hoffnungen begrüßten. Schubart ließ zwar die ge

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botene Rüdfiht auf Herzog Karl, den „ein treues Wolf nie anders als mit Monnezähren nennt“, nicht mehr aus den Augen, widmete aber den Tendenzen und den Fortichritten der Nevolution bewundernde Teilnahme. Noch 1788 hatte er feinen deutſchen Landsleuten den nationalen Sinn der Franzofen als Mufter aufgeitellt:

„Was holt vom Nachbar nicht fih übern Rhein

Mein Landsmann alles her? Die Moden, Kochkunſt, Wein, Die Sprade, die er gern ftatt feiner eignen fpridt,

Nur da er fie zu öfters radebridt.

Dod daß der Gallier fein Land vor allen ehrt,

Bei Rang und bei Geburt auch Kunft und Miffen fchäßet, Durch richtigen Gefchmad, dur feinen Wit ergößet,

O würde das von ihm der Deutfhe mehr gelehrt!“

Zwei Jahre fpäter ließ er „mit Rückſicht auf den bevorftehenden Sieg der Gleichheit aller Menſchen“ vom Titel jeiner Zeitichrift die Bezeichnung „vaterländifch” weg und nannte fie nur noch ſchlechthin „Chronit”. „Nichts ift in der neuen Weltgeſchichte ſo groß,” fchreibt er (5. März 1790), „als das, was jeit einigen Monaten in Frankreich gefhah: Der König ift der Erſte unter einem freien Volf, die Rechte der Bürger find auf gleihen Schalen gewogen, und Frankreich nähert jih dem Sonnenpunfte jeiner Größe und Kraft.” Die „ſchwarzen Ahndungen” der Schlözer und Schirach jeien Geflunter faljcher Propheten. „Nein, Bruder Franke, deine Freiheit wird veſtgewurzelt ftehen, wie ein Berg Gottes, wann du fie nur bewahreft durch hohen Sinn, Vaterlands— liebe, Tugend, Gottesfurdt!” Das Freiheitsfeit in Straßburg zu Ehren der Erridtung der Nationalgarden begeiftert den Chroniqueur zum Ueberſchwang: „Man glaubte das himmlische Jeruſalem zu jehen und die Geifter der Seeligen in jeinen friftallenen Paläſten jauchzen zu hören!” Ebenfo hieß der erzentrijche Medherlin, der ſchon im „Grauen Ungeheuer” Voltaire als den Größten im Reihe der Geifter, Rouſſeau als Beglüder der Menſchheit und Beaumardais als das „Zünglein an der Wage” gefeiert hatte, in den „Hyperboreiſchen Briefen” die franzöfiihe Revolution willkommen und pries fih glücklich, daß er wenigitens aus der Ferne noch das Neih der Philofophie und Toleranz ſich aufridhten jehe. Die blutigen Ausschreitungen beirrten ihn nicht. „Mandher, der vom Pöbel zerrifien wurde, dürfte vor der ordentlichen Juſtiz nicht beſſer durchgefommen fein. Vergleichen Sie, beliebt’s Ihnen, den Tod eines Damien mit dem eines Foulon, und laſſen Sie uns geltehen, daß ein Staatsopfer nod ein erträglicherer Anblid ift, als ein Juſtizopfer. Sind wir von den Geſetzen etwan mehr Billigkeit gewohnt? Hätten fie weniger Scheufale begangen?” Unter dem Drud der Zenjur mußte MWedherlin feine Sprade allmählich mildern. „Andre mögen Aufruhr predigen,” läßt er einen Schäfer fagen, „wir, Philint, wollen Frieden predigen . .. Lernt, daß man nie etwas durch Empörung gewinnt, an die Stelle der alten Tyrannen treten neue!” Die Furt vor der Zelle ließen ihn endlich den Kampf gegen den „Ariftofratismus” und für das „Reforma- tionsſyſtem“ gänzlich aufgeben. „Gewiſſen Herren möchte ih ins Ohr flüftern:

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ein Philojoph jhägt den Pöbel zu gering, um feine Ruhe für ihn aufzuopfern. An feinen Augen ift die Welt nicht wert, daß fi ein Weifer um ihr Schidjal kümmert!”

Auch bedächtigere Geifter verlodte der im Weſten angebrodene „Völker: frühling” zur Schwärmerei. Joachim Heinrid Campe, der Verfafler „Robinfons des Süngeren”, ber eine Zeitlang als Nachfolger Baſedows das berühmte Philantropinum in Deſſau geleitet, 1786 einen Ruf als herzoglich braunfchweigifcher Edufationsrat und Kanonifus des Cyriakusftifts angenommen hatte, ging im erften Revolutionsjahre eigens nad) Paris, „um der Leichenfeier des Defpotismus beizumohnen”. Campe war von einem ehemaligen Schüler, Wilhelm von Humbolbt, begleitet; in Walenciennes ließen fich beide von einer jungen Putzmacherin das Freiheitszeihen, die franzöfiihe Kofarde, anbeften. „Es war mir,“ fchreibt Campe, „in diefem Augenblid zu Mute, als hätte die ganze franzöfiihe Nation Bruderfhaft mit mir gemacht, und hätte es bier jegt gleich eine Baltille zu erobern gegeben: wer weiß” Während der erft zweiundzmwanzigjährige Humboldt „Har und froftig wie die Dezemberfonne” (Görres) die Parifer Ein: drüde nur „mit mesure und Ueberlegung” auf fi wirfen läßt, öffnet Campe „jchrankenlos die Bruft der Begeifterung für die Sade der Menjchheit”. Auch nod in den „Briefen aus Paris“, die er nad der Heimkehr veröffentlichte (1790), jpricht fich ein überfchwenglicher Enthufiasmus aus, den man am mwenigften bei einem Manne fuchen würde, deffen „feiten und unſchwärmeriſchen“ Charakter Leſſing befonders hervorgehoben hatte. Im Vorwort wird es als höchſtes Glück des Verfafiers gepriejen, daß er die „Ichönfte Periode jener großen Weltbegeben: heit” beobachten fonnte, als höchſte Auszeihnung für den Landesherrn, den Herzog von Braunichweig, daß der Verfaſſer fein Glüd verfünden und jeine Beob- achtungen öffentlich mitteilen darf. „Nur in einem Lande, wo man nichts von Deipotismus weiß, ift e8 erlaubt, über Deipotismus und Freiheit jo zu jchreiben, wie ich darüber gejchrieben habe; nur unter einem Trajan darf man, wie Plinius, auf die Greuel und Frevelthaten der Nerone und Domitiane fchelten.” Ent: rüftet erwiderte Alois Hoffmann in der „Wiener Zeitſchrift“ (1792): „Wie lange noch wird man dulden, daß fosmopolitifche und philanthropiihe Schriftfteller, in deren Händen heute die öffentliche Meinung iſt, dem wildelten Freiheitstaumel huldigen?” Bon den Parifer Briefen des „Nevolutionsrats” Campe laffe ich zur Entfhuldigung nur annehmen, daß fie jamt und jonders in einem Irren— hauſe gejchrieben worden jeien.

Zu den „rüdhaltlofen Reformatoren”, die jogar Körner für ftaatsgefähr: ih anfah, gehörte der Freund Mirabeaus, der ehemalige Jngenieuroffizier Mauvilon in Braunſchweig. An diefen „arbeitfjamen und befcheidenen Mit: arbeiter” (Mezieres) find Mirabeaus „Briefe an einen Freund in Deutſchland“ gerichtet, die über die legten Abfichten des großen Bolfstribunen jo merkwürdige Auffchlüffe bieten. Noch im März 1790 verlangte Mirabeau von jeinem Freunde ausführlichen Bericht über die moraliſche Wirkung der Revolution auf die Fürften und Völker Deutſchlands; Mauvillon hat in der That einen ſolchen Stimmungs— beriht überfandt, der uns aber leider nicht erhalten blieb. Aus Maupillons Feder dürfte auch die ſchon erwähnte Schrift „Doctor Martin Luther!

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Deutihe gejunde Vernunft, von einem Freunde der Fürften und des Volkes“ !) berrühren. Inhalt und Sprade, ſowie die häufigen Hinmweife auf Mirabeaus Reden und auf die Schrift „über die preußifche Monarchie” deuten auf Mauvillon; auch Alois Hoffmann hielt ihn für den Verfafler. Die Schrift foll gegen Ein: miſchung Deutichlands in die franzöfiihen Angelegenheiten Stimmung maden, und warnt vor Unterdrüdung des freien Wortes. Wie verberblih war es, führt der Verfafjer aus, daß Karl V. und franz I. das große Reformations- werf, das die Lehren und Sitten der Kirche reinigen jollte, nicht zum Abſchluß kommen ließen! Möge nicht auch jetzt wieder verhindert werben, daß die Revolution Lehren und Sitten des Staates reinige und läutere! „Die Franzoſen wollen fich nun einmal nicht wieder von Hetären und Antinouffen, Sejanen und Narciffen beberrihen laſſen; wer möchte ihnen auch zumuten, daß fie zur alten Ber: faſſung zurüdfehrten, aus ber Scenen hervorgingen, über die man jo gern den Schleier der Bergefjenheit fallen laffen möchte.” Man laſſe aljo Frankreich ſich austoben! Nicht die Jakobiner, aber auch nicht der König und die bewaffneten Mächte Europas werden den gefährdeten Staat retten, jondern der Bauer, der wieder ruhig jeinen Ader pflügt, der Kaufmann, der jeinen Geſchäften nachgebt, ber Beamte, der feinem Amte obliegt, der Krieger, der feinen Dienft verfieht das find die regeneratores, die MWiederheriteller des Staates. Fürften find nur heilig, wenn fie die Rechte der Menfchheit ehren, wenn ihnen das edle Glaubens» befenntnis Knigges als Evangelium gilt. In Stalien gibt e8 ein kleines Tier, das die Schlafenden aufwedt, wenn Sforpione und andere giftige Ungetüme in bie Nähe kommen; diefem nüßlihen Tier find die Freunde der Wahrheit und der Aufklärung zu vergleichen. Bor Schurferei und Dummheit warnen, ift nicht Verrat, jondern patriotifhe Pflicht: „man kann freund der Revolution fein, ohne ein Freund der Schaflöpfe zu werben!”

Aehnliche Anſchauungen vertrat der Profefjor der Geſchichte in Königsberg, Karl Ehregott Mangelsdorff, der bezeichnenderweife am Tage der Stiftung des preußiihen Königtums eine Feitrede „über den Geift der Revolutionen” hielt (1790). Er fieht im Gegenjag zu Maupillon in Preußen unter Frievrih Wil: beim II. einen Muſterſtaat, defjen Unterthanen „über alle Vorftellung glücklich“ jeien, aber wenn es eine ſüße Pflicht, wohlmwollenden Monarden zu geboren, jei es andrerfeits ein gutes Recht unglüdlicher Völker, deſpotiſchen Unterbrüdern den Gehorfam zu verfagen. Wenn der Zwang unleidlih, das Zepter zum eilernen Stab der Pharaonen oder zur Knutpeitſche tatarifher Chane werde, dürfe das Volt dem Menſchenhaſſer die Stirn bieten und die Greuel der Defpotie von fih abmwälzen.

Eine bemerkenswerte Schrift „Ueber Nevolutionen, ihre Quellen und bie Mittel dagegen“ (1792) ftammt aus ber Feder eines Hofpredigers in Detmold, Johann Ludwig Ewald. Es wird darin nicht für die Revolution, aber gegen die zur Revolution drängende abjolutiftiihe Staatsform Partei ergriffen. Wo immer bie Völfer fih gegen ihre Fürften erhoben, trug das Mißregiment der Fürften die Schuld. Auf ftehende Heere können ji dejpotifche Herren nicht ver:

') „Richt in Berlin, aud, leider! nicht in Braunfchweig, eher noch in Wien,” 1793.

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laſſen: haben etwa die Prätorianer und die Janitſcharen die Entthronung von Tyrannen verhindert? Auch ftrengfte Zenfur fann nicht als wirffamer Kordon gegen revolutionäre Ideen gelten: nur Menjchlichfeit der Regenten vermag die Regierten im Zaume zu halten. Gleichheit der Menfchen ift ein utopifcher Traum, ‚reiheit ift ein Wort, das mißbraucht werben und fchädlih wirken fann, aber ein gewifles Maß von Freiheit darf feinem Menſchen verfümmert werden, font bat er das Recht, feine Kette zu zerbrechen. Vor allem hat jeder Anſpruch auf unbedingte Religions: und Gewiſſensfreiheit. Steuern und Abgaben müſſen beitehen, aber den Unterthanen fol nicht mehr abgenommen werben, als was zu würbigem Unterhalt des Fürften und des Staates notwendig ift. Ungerecht ift es, den Staatsjädel zur Befriedigung des Dünkels der Regenten heranzu: ziehen, und lächerlid ift es, dab in Deutjchland der Graf als Fürft, der Fürft als Herzog, der Herzog als König auftreten will und deshalb unangemeſſenen Aufwand treibt. Noch anftößiger ift den Unterthanen der Mißbraud der Jagd— rechte. Die Jagd iſt ein männliches und ein fürjtliches Vergnügen, macht dem Fürften den Aufenthalt im eigenen Lande wertvoll und bringt ihn der Hütte des Armen nahe, aber wie häufig wird die fürftlihe Jagd infolge der damit verbundenen Mißſtände der Fluch des Landes! Wenn Hirfche und Eber die Saat des fleißigen Landmannes verwüjten, was kann da die Berufung auf ein altes Pergament helfen! Ein noch fürchterlicherer Dejpotismus ift der von manchen Monarchen betriebene Menjchenhandel. Gewiß, der Unterthan ift ihuldig, fein Vaterland mit den Waffen zu verteidigen, aber er darf nicht für fremdes Intereſſe um Geld geopfert werden. „Wer findet ein Wort für diejen mehr als jultanijhen Dejpotismus? Was märe Seelenverfäuferei, wenn bas feine ift? Wie viele Flüche famen auf das Haupt ber Fürften, die jolches frevelten!” Die Fürften möchten fich nicht länger durch die Echmeicheleien der Höflinge, die Liebfofungen der Maitreſſen, Die Heuchelei der Beichtväter kirren lafjen, jondern endlich lernen, mit eigenen Augen zu jehen. „Nur eine gerechte, gütige, väterliche Regierung fann auf die Dauer für Aufruhr fihern; Härte, Defpotismus führt ihn früher oder fpäter herbei!” Die zuverläffigfte Abwehr jeder Revolution ift vertragsmäßige Beihränfung der Fürftengewalt zu Gunften der Völker. Möge man doch die Bemweisfraft der Zahlen gelten laſſen: „200,000 wollen in Frankreich die uneingefhränft monardifche, 24,000,000 die demokratiſche Staats- form!” Es fann nicht wunder nehmen, daß ber Verfaſſer diejer Schrift, der noch eine ähnliche über die Pflichten des Adels veröffentlichte, mandes Wider: wärtige erfuhr, jo daß er fein Amt niederlegte und in die Reichsſtadt Bremen überfiedelte.

Karl Friedrih Cramer, Profeffor der geiftlihen Beredſamkeit in Stiel, der ih Schon dur feine Bemühungen um Epuration der Univerfitätsbibliothet er wollte alle Dogmatifen, Konzilienfammlungen und ähnlichen „Käſekram“ entfernt willen als radifalar Zelot hervorgethan hatte, kündigte 1793 eine Ueberjegung der Schriften Pethions an und feierte den hinterliftigften der Revolutionshelden als Märtyrer der Rechtſchaffenheit. Von feinen Borgejegten zur Rechenſchaft gezogen, antwortete er mit einer Lobrede auf die Revolution; deshalb feines Amtes entjegt, z0g er mit feiner Familie nach Paris und legte dort eine Buch:

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handlung mit Druderei an. Goethe widmete der Weberfiedelung „Anadarfis des Zweiten” das Kenion „Deutichlands Revande an Frankreich“:

„Manchen Lakay ſchon verfauftet ihr uns ald Mann von Bedeutung, Gut! Wir fpedieren euch hier Cramer als Mann von Berbienft!“

Auch der Hiftorifer Ernſt Poflelt in Karlsruhe mußte wegen Hinneigung zu den „neufräntiihen” Ideen zuerft feine Profefiur in Karlsruhe, dann den Poften eines Amtmannes in Gernsbach aufgeben. In der 1793 herausgegebenen Geſchichte des Prozejjes gegen Ludwig XVI. verurteilt er zwar jene „Witenden, die eine der merkwürdigſten Nevolutionen zum Abſcheu der Welt gemacht haben,” aber er bewundert die Girondiften und ihre Ideale, eine „Freiheit, in deren Genuß in einer Republit der Norbamerifaner, unter einer eingejchränften Monarchie der Britte und unter guten Fürften der Teutſche ſich glüdlih fühlt”. In einer fpäteren Ausgabe (1802) nimmt Poſſelt entſchiedener gegen die Revolution Bartei, aber auch für die fonftitutionelle Staatsform. „Was anfangs neunzehn Zwanzigſtel von Frankreich die heilige Revolution nannten, heißt nun im Ein: flang von ganz Europa die ſchreckliche. Man hat einjehen gelernt, daß es Nepubliten gebe ohne Freiheit und im Gegenteil, wie Sieyes (den Poſſelt im Lexikon der franzöfifchen Revolution‘ als den ‚Pitt der Revolution‘ bewundernd feiert) fchon mitten im Sturm gejagt hat, die Freiheit vielleicht nirgends ficherer beiteht, als in einer gehörig bejchränften Monardie.” Der Kieler Philojoph Martin Ehlers vertrat im „Teutihen Merkur” den Grundfag, nur von politiicher Stärkung des dritten Standes jei das Heil der Geſellſchaft und von unbedingter Preßfreiheit der Sieg der Aufklärung zu erwarten; die franzöfiiche Verfafjung von 1791 ift ihm „das erhabenfte Werk der Menjchheit, in welchem das Ber: bältnis, worin die verſchiedenen Zweige der Staatsmacht gegeneinander geſetzt find, meifterhaft geraten zu fein jcheint“. Der junge Gent, damals Geheim— jefretär beim Generalbireftorium in Berlin, ein eifriger Kantianer, teilte die An Ihauungen jeines Lehrers über die heilfame Wirkung ber franzöfifhen Neue: rungen. „Das Scheitern dieſer Revolution,” jchreibt er an Garve, „würbe id für einen der härteften Unfälle halten, bie je das menjchliche Gejchlecht betroffen haben. Sie ift der erfte praftiiche Triumph der Philofophie, das erfte Beiſpiel einer Regierungsform, die auf Prinzipien und auf ein zufammenhängendes Syſtem gegründet ift; fie ift die Hoffnung und der Troſt für jo viele alte Uebel, unter denen die Menjchheit feufzt.”

Allerdings gab es auch unter den Gelehrten und Schriftitellern grundjäß- lide Gegner der Revolution.

Der Encyklopädift Baron Grimm, der gothaiſche Gejhäftsträger am franzö- fifhen Hofe und litterarifche Vertrauensmann der Zarin Katharina und des Prinzen Heinrich von Preußen, hatte ſchon früher der Befürchtung Ausdrud gegeben, daß bie mißverjtandenen Lehren Roufjeaus und Boltaires großes Unheil in der Welt ftiften würden. Schon in den fiebziger Jahren hatte er gejchrieben: „Der Menſch ift weder für die freiheit, no für die Wahrheit gemacht; unfinnige Träumer find es alſo, die es nah großen Ummälzungen in Staat und Geſellſchaft gelüftet; der Gewinn wäre nicht des Opfers wert.” Im Januar 1789 beklagte er den „nicht mehr auf:

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zubaltenden Sieg des Schwindelgeiftes” in Europa; nad den Dftoberfcenen in Berjailles und Paris forderte er die Zarin auf, Durch ihr mächtiges Wort den „Höllen: geift der Revolution” in feinen Schlund zurüdzubannen; auch in der Folge wirkte er eifrig für ein Bündnis der europäiichen Höfe zur Befämpfung der revolutionären Propaganda. Der von König Georg zum Hofrat erhobene und geabelte Schweizer Arzt Zimmermann, der auch zu den Günftlingen Friedrih Wilhelms II., Wöllner und Biſchoffswerder, in vertrauten Beziehungen ftand, warnte in mehreren Schriften vor dem Gift der franzöfischen Ideen und vor den ſchon angeftedten Illuminaten; namentlich gegen den als „Yluminaten, Demofraten und Bolfsverführer ent: larvten Baron Knigge” waren die nicht bejonders fpigigen Pfeile gerichtet. In der von Kaifer Leopold „mit gnäbdigfter Zuftimmung“ entgegengenommenen Denkſchrift „Ueber den Wahnwitz unjres Zeitalter und die Fräftigften Hülfs— mittel gegen die Morbbrenner, die uns aufklären wollen” empfahl Zimmermann, einen Fürftenbund in Regensburg gegen die Volfsverführer zu ftiften. Auch ein andrer Schweizer Arzt, Chriftoph Girtanner, der ſich 1789 in Göttingen niedergelaflen hatte, war als politiſcher Echriftfteller in fonjervativem Sinne thätig. In den „Hiftoriihen Nachrichten und politiihen Betrachtungen“, welche eine Gejhichte der franzöfiihen Staatsummälzung bis zum Jahre 1793 enthalten, wie in den „Politiſchen Annalen” fuchte er der Verherrlihung der Revolution entgegenzuwirfen. In der „Wahren Darftellung der großen franzöfiihen Staats: revolution“ (1792) des oldenburgiihen Konfiitorialrats Krufe wird die Nach— giebigfeit Ludwigs XVI. gegen die Forderungen der Mirabeau und Barnave ein „beflagenswerter Akt trügeriichen Wahnes,” die ganze Umwälzung in Frank: reich „fehlerhaft und illoyal in ihrer Entftehung, gottlos und unmenſchlich in ihrer Ausführung, ſchwankend und ungewiß in ihrem Beitand und Folgen“ ge: nannt. Dem fruchtbaren Schriftfteller und Bibliothefar Ottokar Neihard in Gotha waren ſchon 1786 auf einer Reife durch Frankreich die drohenden Vorzeihen eines gewaltiamen Umfturzes nicht entgangen; damals fühlte er „auch nicht den mindeften Trieb, ſich dafür oder dagegen zu erklären”. Bald gab er jedoch diefe Zurüdhaltung auf. „Erbittern mußte jeden gemäßigten Sinn” fo begründet Reichard in feiner Selbftbiographie den Umſchwung „das tolle Gebaren gewiſſer unrubiger Köpfe meines deutjchen Vaterlandes, die in Schriften und Handlungen als Ausrufer und Trabanten der ‚neuen Menjchenredite er: jhienen und deren Treiben ih mich mit Wort und That entgegenwarf, weil meine genaue Kenntnis der Perfönlichkeit vieler diefer Weltbeglüder trog ber vorgebundenen Larve mich die wahren Beweggründe ihres Handelns hell durch— ſchauen ließ.” Er veröffentlichte deshalb eine Reihe von Flugihriften, die zur Abwehr des Jakobinertums diesfeits und jenfeits des Nheines mahnten, den „Auf: ruf eines Deutihen an jeine Landsleute am Nhein”, die „Adreffe an den gefunden Menſchenverſtand“ u.a. In den „Betrachtungen über die franzöfijche Revolution” des hannoverſchen Geheimjefretärs Ernit Brandes, der in London die Bekanntſchaft Burfes gemacht hatte, wird zwar die Notwendigkeit von Reformen in Franfreih, ja ſogar der Abwehr reaftionärer Uebergriffe durch bewaffnetes Volk zugeftanden, aber das Werk der Konftituante ald ungeeignet und unwürdig für ein großes Reich zurückgewieſen.

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Im allgemeinen aber waren die akademiſchen Kreife die Träger ber freiheitlihen Bewegung in Deutfchland. Ein Gegner der Revolution, der bairifche Hofrat von Edartshaufen, nennt in einer Schrift: „Was trägt am meiſten zu der Revolution itziger Zeiten bey?” den Umfturz aller Dinge geradezu ein Werk des Uebermuts der franzöfiihen Gelehrten, das durch die deutſchen Kollegen nad Deutfchland verpflanzt werben fol. „Die deutihen Profeſſoren,“ jchreibt Alois Hoffmann in der „Wiener Zeitſchrift“ (1792), haben nun wirklich in corpore immer weniger Urſache, auf ein gewiſſes Myrrhenbündlein ihrer Kollegen jtolz zu fein, die es jet immer lauter und lauter zu Tage legen, daß fie die: jenigen Herren find, von welchen geſchrieben fteht: Sie wollen fi der Meinungen der Menſchen bemädhtigen, das Oberſte zu unterft jegen und das Unterfte zu oberit, Könige in den Staub und Schulmeifter auf den Thron!” In Mainz jei bereits der Anfang gemacht: dort feien zwei Profefioren als geſtrenge Herren an ber Spite, der Katholik Dorſch und der Proteftant Forfter! Der gleiche Thatendrang bejeele die Herren Käftner, Weishaupt, Ehlers, Cramer, Ebeling, Brendel, Eulogius Schneider und viele andre: caveant consules! Auch der nicht genannte Verfaſſer einer Flugichrift „Philojophiiche Bemerkungen über bie Republifen” behauptet, daß „feine Menſchen in der Welt bei aller ihrer übrigens unverfennbaren Gelehrjamfeit ſchlechtere Philoſophen, ſchlechtere Menſchenkenner, ſchlechtere Bemerker ſind, als die deutſchen Profeſſoren“, und daß dieſe ſich überall hervordrängenden Streber für alles Unheil in der ſtaatlichen Entwickelung die Verantwortung zu tragen haben.

Natürlich ſind wir über die Stimmung der Kaufleute und Induſtriellen weniger unterrichtet, als über diejenigen der Schreibſeligen. Da die beſitzenden Klaſſen bei einer politiſchen Umwälzung Gefahr liefen, die Früchte ihrer früher geleiſteten Arbeit zu verlieren, beſtand in der eigentlichen Geſchäftswelt, wie Brandes verſichert, wenig Neigung, in den Kampf für das freie Staatsbürgertum einzutreten. Immerhin hören wir, daß der erſte Jahrestag der Erſtürmung ber Baftille, der 14. Zuli 1790, in Hamburg unter vorwiegender Beteiligung der Kaufmannstreife gefeiert wurde; die Frauen erfchienen in Weiß mit Schärpen in den franzöfiihen Farben; Klopftod trug feine Ode „Der Fürft und jein Kebsweib“ vor und erntete raufchenden Beifall. Auch Varnhagen, deifen Familie 1794 nah Hamburg überfiebelte, verfihert, daß die ganze fogenannte gebildete Welt der Nevolution Glüd und Gebeihen wünſchte, wozu freilih das unver: ihämte Gebaren der zahlreihen Emigranten nit wenig beitrug. In Leipzig, dem erften Handelsplag Sadjens, wurden „Die Kokarden“, ein Schaufpiel Ifflands, das gegen die einreißende Gejeglofigfeit Stimmung maden wollte das Stüd ſchließt damit, daß die befehrten Rebellen „mit zärtliher Gewalt” ben Fuß des Fürften auf ihre Kokarden fegen, und die „Weiblihen Jakobiner“, eine alberne Poſſe Kogebues von reaftionärer Richtung, ausgepfiffen; ber Negiffeur mußte auf der Bühne Abbitte leiften, daß er folde Stüde zur Auf führung gebradt habe. Noch überzeugender jcheint für das Eindringen revo- (utionären Sinnes in die bürgerliden Kreife in Deutſchland die Thatſache zu ſprechen, daß es in ben zwei legten Decennien des vorigen Jahrhunderts in faſt allen deutſchen Reichsſtädten, mochten fie vorwiegend ariftofratifches oder zünftiges

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oder bürgerliches, aber nicht zünftiges Regiment haben, zu mehr oder minder heftigen Erjhütterungen fam; allein dieje Erſcheinung ift, wie Eugen Guglia nachgewieſen hat, nicht auf unmittelbare Einwirkung der franzöſiſchen Revolution zurüdzuführen; der Einfluß franzöfifcher Theorien ift freilich ebenfowenig zu beftreiten. Entweder wurde, wie in Nürnberg, eine Zoderung der engherzigen Optimatenherrſchaft angeftrebt, oder es kam wegen Holzabgabe, Steuern ꝛc. zum Streit zwilhen Stadtrat und Bürgerichaft; auch Getreidemangel und Teuerung riefen da und bort Unruhen hervor. Entſchieden revolutionären Charakter hatten eigentlih nur die erft ins Jahr 1797 fallenden Auftritte in der ſchwäbiſchen Reichsſtadt Reutlingen. Hier wählten die Zünfte trog aller Protefte des Magiitrats einen bürgerlihen Zwölferausfhuß; diefer begnügte fih bald nicht mehr mit dem ihm zugedachten Wirkungskreis, der fih auf Negelung der Steuerverhält- nifje beſchränken follte, fondern befretierte, offenbar an franzöfifches Beifpiel ſich anlehnend, Abfaufbarkeit der Leibeigenihaft, „weldhe die Menſchenwürde ent: ehrt und besmwegen in unjrem hellen eitalter, wo man die urfprünglichen Menjchenrechte ftets mehr ſchätzen lernt, mehrfällig aufgehoben wurde,” Ablös— barfeit der jogenannten Gottesgaben und andrer dingliher Rechte, Kontrole der Stadtrechnungen durch bürgerliche Reviforen u. j. w. Die Bürgerjchaft hielt zu den Zwölfern, doch auf Betreiben des Magiftrats verfügte der Reichshofrat die Auflöfung des Reutlinger „Wohlfahrtsausſchuſſes“. Die in Hamburg zu Anfang der Neunziger Jahre ausgebrodhenen Handwerkerunruben hatten feinen politiihen Charakter. In Worms entipann ſich in den Achtziger Jahren ein leivenjhaftliher Kampf zwijchen dem Magiftrat, den jogenannten Dreizehnern, und der Bürgerihaft. Nachdem es wiederholt zu Aufläufen gelommen war, gingen die Dreizehner ben Neichshofrat um Schug gegen die „Machinationen aufmwiegleriiher Bürger” an, und die Reichsbehörde lie; auch in diefem Sinne ein jcharfes Mandat ergehen. Darauf richteten aber die Bürger ein Immediat— gefuh an den Kaifer, worin nicht bloß Zurüdnahme des Spruches, der fie „dem ganzen Bublico zu ihrer offentlichen Beihimpfung als Rebellen erfcheinen” Lafie, fondern auch Abſchaffung des Dreizehnerlollegiums auf Grund der Rachtung von 1519, Aufhebung der Fleifchaccife, Verbot der willfürlihen Veräußerung von Gemeindegütern 2c. verlangt waren; zugleich ließen fih die Wormjer vom Dom: fapitel und von den katholiſchen Stiftern der Stadt Zeugniffe ausftellen, daß ihr Auftreten mit Rebellion nichts gemein gehabt habe. Der Kaifer wies die auf Berfafjungsänderung zielenden Anträge ab, den materiellen Beſchwerden wurde Abhülfe zugefichert. In gleicher Weife betonten die Dortmunder, die 1705 gegen die Willfür eines Bürgermeifters Front madten, in ihrer Bejchwerde: Ihrift, daß fie nicht „in blindem Freybeitstaumel” fich gegen die Obrigfeit auflehnen, jondern nur notgedrungen der Verlegung der alten Privilegien ein Biel jegen wollten. Auch die Klageichriften aus andren Städten nehmen nit etwa Bezug auf die neuen ftaatsrechtlihen Theorien, fondern immer nur auf „uralte Sitte und Recht“. In der Schrift „Wodurch kann das wechiel: jeitige Vertrauen zwiſchen Rath und Bürgerfchaft der Reichsftadt Nürnberg gänz: lid und bauerhaft wieberhergeftellt werden?” wird ausdrüdliih der Wunſch hervorgehoben, Gott möge die liebe Vaterfiadt, wie das ganze deutſche Vater: Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Fricdricht db. Sir. bis zur Auflöfung des deutſchen Reichs. 20

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fand vor den Schreden einer Nevolution bewahren. Die nämliche Beobadtung läßt fi bei den Unruhen in Breslau und andern jchlefifhen Städten im Früb: jahr 1703 maden. Bald da, bald dort gab es Anzettelungen, Aufläufe, Widerjeplichkeiten gegen Magiftrate und militäriſche Behörden, aber nicht die Idee der Volfsjouveränität verleitete dazu, fondern der Hunger. Zuerniten Scenen fam es insbejondere in den Gebirgsdörfern an der böhmiſchen Grenze. Durch die Stodung der Leinwandausfuhr infolge des Krieges und die mucherijche Gewinnſucht der Händler waren die Weber in ſchwere Bedrängnis geraten, die Armen rotteten fi zufammen und übten an den wirklichen oder vermeintlichen Urhebern ihres Unglüds blutige Vergeltung. Die Behörden waren des Glaubens, daß „bei dem gemeinen Manne durch die franzöfiiche Propaganda ſchlechte Be: griffe entitanden . . . und diefer Geift der Unruhe gleich bei der Geburt erftidt werden” müſſe, und ſchritten deshalb anfänglich mit großer Strenge gegen bie Aufftändifhen ein; da der wohlwollende Monarch diejes Vorgehen mißbilligte, verfiel man auf den Gedanken, die Händler zur Zahlung hoher Leinwandpreije und zur Lieferung billigen Garnes zu zwingen, erreichte aber damit nur, dab die Märkte verödeten und den Arbeitern der Abjat fehlte. In Breslau fam es im nämlihen Jahre aus nichtigem Anlaß zu höchſt bedenkflihen Unruhen. Die Handwerfsgehülfen ließen fih mit der Bejagung in förmlichen Kampf ein, zahl: reihe Tote blieben auf dem Plage. Da fi die Aufregung auch der Bürger: ſchaft mitteilte, verftand fich die Staatsgewalt zu einer bemütigenden Kapitulation; die Nebellen wurden fogar für die vier Tage, an weldhen fie der Erzeiie halber die Arbeit verfäumt hatten, aus Staatsmitteln entihädigt.

Harmlofere Bilder entrollen die Prozeßakten über angeblihe Verſchwörungen und revolutionäre Vorgänge in bairiſchen Städten. In dem freundlichen Neuötting, nabe bei dem befannten Wallfahrtsort Altötting, wurde 1794 eine notpeinliche Unterfuhung wegen hochverräterifcher Umtriebe zahlreiher Angeflagter eröffnet; Geheimrat von Lippert, der „Großinquifitor von Baiern“, wie ihn der Volks: mund nannte, leitete jelbft die Verhandlungen. Was war das Ergebnis? Bei ein paar Maltefer Prieftern wurden allerlei „aufrühriihe franzöfifche Pieces”, u. a. die Henriade von Voltaire (!), die Konftitutionsurfunde der Franzoſen, eine Parabel vom Senfförnlein, das zum Freiheitsbaum erwädhlt, eine Rede von Eulogius Schneider ꝛc. aufgefunden; im Stübchen des Bräuers Pallauf hatten die Stammgälte verdädhtige Kappen getragen, an Freitagen war dort Fleiſch gegeſſen, bei einem Bolzenihießen eine Scheibe mit einem unanftändigen Bild aufgeftellt worden x. 1791 fam in Münden zur An: zeige, daß ein proteitantiiher Kaufmann aus Nürnberg, Bäumler, einen geheimen Klub geftiftet habe und im Guggemoosjhen Kaffeehaus nächtliche Zu: jammentünfte ftattfänden; die Unterfuhung ergab, daß das Ganze auf Spaß hinauslief. Im nämlihen Jahre wurden mehrere Bürger, Beamte und Schaufpieler in Münden wegen Tragens geheimer Abzeihen in Unterfuhung gezogen; es ftellte fih Heraus, dab bei einer Hochzeit jeidene Bänder mit einem verliebten Verschen und den Anfangsbuchitaben des Ehepaares unter die Gäfte verteilt worden waren! Weniger unſchuldig waren vielleiht Die Bujanmenfünfte einer „Freundichaftsgejellihaft” in der Univerfitätsftadt Ingol—

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ſtadt, deren Mitglieder über die neueſten Vorfälle in Paris „geſchichtliche“ Vor: träge hielten.

Welche Wirkung die Lehren und das Beifpiel Frankreihs auf dem Lande üben würden, war vorerft nicht abzujehen. Auch in Deutſchland gab es ja einige Taujend Edelleute, die es für ihr gutes Necht anjahen, von der Arbeit ihrer Hinterfaflen zu leben, und gab es Millionen Hörige, die niemals zu einigem Wohlitand gelangen fonnten, weil die harten Frondienfte und die maßlos ge: fteigerten Lehensabgaben jeden Aufſchwung der Landwirtſchaft verhinderten. Nun drang auch in die Hütten der deutihen Bauern bie frohe Botichaft von der Erklärung der Menjchenrechte und fteigerte das Mißbehagen über die Herren, bie ihr Recht an Wald und Flur, Hof und Herb in vielen Fällen gar nicht nachweiſen konnten, und wedte den Wunſch nad Löfung oder doch Loderung der drüdenden Feſſeln. In vielen Landichaften, in Preußiſch-Schleſien, in Kurſachſen, in der Grafſchaft Saarbrüden, der Grafihaft Leyen, im Gebiet der Reichsſtadt Gengenbad und in andern fleinen Herrihaften braden Unruhen aus. Die Bauern forderten ihre angeblich oder wirklich in älterer Zeit innegehabten Waldrechte zurück oder weigerten Dienft und Robot; in nädtlihen Zuſammenkünften ermunterten fie ſich zur Widerjeglichkeit; die Schulzen fanden nicht jelten felbit an der Spitze der Be: wegung. Die Oppenauer Thalbauern erklärten vor Gericht, fie wollten nichts andres, als ihr Recht, und wer ihnen dies verfagt habe, fei „gerupft“ worden, babe aber feinen Kopf noh auf den Schultern, in Frankreich werde dies ganz anders gemacht!

„Das gemeine Wejen,” jchrieb Johannes Müller am 10. März 1790 an feinen Bruder, „ift in äußerfter Gärung, nicht ſowohl der Kriege wegen, die Leopold wohl beilegen wird und niemand ernfllih will, aber wegen bes alles pervadierenden Geiftes der Freiheitserneuerung. Es gärt furdtbar in Jülich, Köln, Trier... . Ungarn ift noch unzufrieden, und jeßt fangen Böheim und Defterreih an, fie wollen ihre großen, alten Rechte zurüd.... Wer, o Bruber, hätte noch in Friedrichs lekten Jahren die Möglichkeit folder Scenen geträumt? Wer gab nicht die Völker auf, als eine Million disziplinierter Krieger für die Fürften ftanden? Wie weit es gehen und wie es endigen werde, fann ein menjchlicher Verftand nit vorausfagen, doc ift wahrjcheinlihd am Ende Gewinn für die Menfchheit!"

Im Sommer 1790 erſchien im Journal von und für Deutichland, das bislang als Organ des Faiferlih und joſephiniſch gefinnten Oberdeutichlands gelten konnte, ein Brandartikel: Fürften Deutſchlands, habt acht! Spione durch— Ichleihen eure Staaten und ftreuen verberblihe Lehre aus! Freiheit und Gleichheit lautet der Lockruf, ift der Vereinigungspunft der Betrüger und Be: trogenen! Der nämlihe Auffag unter dem Titel „Nachricht von einer vorgeb- lien patriotiihen Gejellihaft, welde in Paris unter dem Namen einer Zu: ſammenkunft von der Fortpflanzung (Club de la propagande) zufammengetreten,” wurde im Münchener Intelligenzblatt und anderen Organen abgedrudt und erihien auch in breiterer Ausführung als Flugfchrift unter dem Titel „An alle Mächte Europens Nachricht von einem Verfhmwörungsplane gegen die all: gemeine Ruhe, nebit einer Rede, gehalten (von M. D.) im Club de la pro-

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pagande am 21. May 1790.” Der Nebner (Mathieu Dumas?) befämpft einen Grafen von M. (Mirabeau?), der die Auffaffung vertreten hatte, e& ſei noch nit an der Zeit, an die Organifierung der Freiheit bei anderen Völkern zu denken, und es fomme nur darauf an, die Berfaflung Franfreihs auf demo: fratifher Grundlage aufzubauen, die Nahbarftaaten würden dann ſchon folgen und die Szepter der Könige zu ben Füßen der Völker legen. In ſolchem Zumarten, erklärt der Redner M. D., liege eine große Gefahr; die Fürften Europas würden fich unzweifelhaft zur Abwehr des Umfturzes verbinden, und dann würde es ſchwer halten, das freie Frankreich gegen fo viele Feinde zu verteidigen; deshalb müſſe ſchon vorher mit der Fadel der Revolution der ganze Kontinent in Flammen geitedt werben. Dieſe Nede jo folgert der Verfaſſer der Flugichrift lafje deutlich die allen Staaten gemeinſame Gefahr erfennen. Amerika fei als die Wiege der revolutionären Umtriebe der Gegenwart anzu: jehen; dort jei der Plan ausgehedt worden, die alte Welt zu unterwerfen, und da dies nicht möglich, jo lange Europa mächtige Fürften und glückliche Völker befige, jei Unfriede zwifhen Fürften und Völfern gefät worden; in Frankreich jei bereits die unbeilvole Saat aufgegangen, das reihe Land werde von einem Häuflein Wahnfinniger beherriht, die gleih Spulwürmern in den Eingeweiden des Landes aufwuchſen und ben ganzen Körper zernagen. Allen Mächten obliege demnach die Pflicht, die Entwürfe der Ruchloſen, die dem allerchriſtlichſten König den Purpur von den Schultern zerren wollten, zu vernichten; zu dieſem Zmede jei ein Kongreß zu berufen, für die Gegenwart ein weit dringenderes Bebürfnis, als in den Tagen von Cambrai. Schon entfalte der Pariſer Klub zur Ver: pflanzung des revolutionären Gedankens ins Ausland rührige Thätigkeit; ſchon zähle er 666 Mitglieder, die zur Löjung der verjchiedenen Aufgaben in ſechs Klafjen geteilt ſeien: die erite joll die Grundjäge der neuen Geſellſchaftslehre feftftellen, die zweite die gewonnenen Rejultate in Zeitungen und Drudjchriften befannt machen, die dritte zur Verbreitung ber Ideen Ausihüffe in allen größeren Städten Franfreihs gründen, die vierte im Ausland Propaganda treiben, die fünfte alle Mißſtände des Regiments aufdeden und bekämpfen, die jechite die er: forderlihen Reformen zum Zwed freiheitlicher Ausbildung des jozialen Lebens ins Werk jeten. Auf ſolche Weife gegliedert und mit reichen Mitteln ausgeftattet, werde die „Fortpflanzungsgejellichaft” binnen kurzem ganz Europa revolutionieren.

Auh das Hamburger politiihe Journal teilt den Verfhmwörungsplan mit und fnüpft daran den Aufruf: „Und nun, ihr Könige, ihr Fürften, ihr Staats: minifter, ihr Obrigfeiten in Nepublifen, ihr Magiftrate in Städten! Ihr habt nun mwenigitens Vorfenntnis! Eure Sade iſt's nun, mit eurer Klugheit darüber zu denken und zu handeln. Wir haben allenthalben Freunde, jagen die Männer der Propagande, wir haben Aifociierte, Abgeordnete an Ort und Stelle mit In: itruftionen }"

Diefe „Aflociierten” waren nad mweitverbreiteter Anficht die Freimaurer und die Jlluminaten. War diefe Anſicht begründet?

Unzweifelhaft haben die Lehren der Franc-magons auf die Nevolution in Frankreich eingemirkt; von maureriicher Seite ſelbſt wurde dieje Thatjache immer zugeltanden und gutgeheißen. „Die Bewegung von 1789,” erklärt Jouauſt in

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jeiner Gejhichte der Loge zu Rennes, „begonnen mit rein humanitärem Charakter und in der Hoffnung auf beftändige Harmonie zwifchen König und Volk und zwiſchen Adel, Geiftlichfeit und Bürgerftand, war ein teilmeife in den Logen vorbereitetes großes Werk, während für den durch blinden Widerftand des König: tums, wie durch den Egoismus und die Eitelkeit des Adels und bes Klerus ver: anlaßten jchredlihen Zufammenfturz der alten Geſellſchaft die Maurerei nicht verantwortlich gemacht werben kann”. Der Gebanfe, daß mit dem flerifal:ab: jolutiftiichen Syftem gebrochen und eine neue Ordnung auf den Widerlagen der Freiheit, Gleichheit und Bruderliebe aufgerichtet werben müſſe, hatte längft in den Logen Wurzel gefaßt; er kann, mag immerhin die Behandlung politifcher Fragen nad) den Saßungen ausgefchloffen geweien fein, geradezu als politisches Programm ber Maurerei gelten. „La parfaite union* in Rennes und andere Logen in Frankreich gaben zur Zerftörung der Baftile und ähnlichen Vorgängen öffentlih ihre Zuftimmung fund. Und an der Spite des Geheimbundes ftand Herzog Philipp von Orleans! Kein Wunder, daß Marie Antoinette in den Genofien ihres Todfeindes die Anftifter alles Unheils erblidte. „Hüten Sie fi) vor allen SFreimaurerverbindungen,” ſchrieb fie (17. Auguft 1790) an Bruder Leopold, „man wird Sie wohl ſchon davor gewarnt haben; auf diefem Wege glauben die Böſewichte in allen Ländern das gleiche Ziel zu erreihen; möge Gott mein Vaterland und Sie vor ähnlichem Unglüd bewahren!” Auch Prinz Heinrih von Preußen jah in den Geheimbünden eine ernite Gefahr. „Wenn Sie,” jchrieb er (11. April 1790) an den in Paris weilenden Grimm, „Shre Chapellier, Ihre Lameth, Ihre Barnave haben, jo haben wir unfere Illumi— naten, unsre Illuminaten und wieder unfre Illuminaten!“

Es erregte nicht geringes Aufjehen, daß der Mundermann Caglioſtro bei feiner Verhaftung in Rom im November 1789 vor dem Inquiſitionsgericht er: flärte, als ein in die höchften Grade eingeweihter Maurer könne er verjihern, daß Zwed und Ziel der Maurerei die Vernihtung des Deipotismus und deshalb zur Zeit der Anſchluß an das revolutionäre Frankreich ſei. Reichard erzählt in feiner Selbftbiographie einen Vorgang, der in Gotha im Sommer 1790 Aufregung bervorrief. Logenbruder Beder verflocht in eine Feſtrede am Geburtstage des Her- 3098 die neueften Parifer Ereignifle; beim Eintritte folder Zeihen und Wunder, erklärte er, müfje jeder Maurer der Gleihgültigkeit entjagen und Partei er: greifen; welche Partei der Redner meinte, war leicht zu erfennen, ba er die an: wejenden Militärs ermahnte, „eine weife Neutralität zu beobachten, wenn ihre Hülfe bei Volksaufläufen erfordert würde”. Neichard und andere Logenbrüder beſchwerten fih jedoch über ſolche Empfehlung der Revolution und traten aus dem in politiicher Beziehung verdächtigen Ylluminatenbunde aus. m einer 1791 veröffentlihten Schrift „Projekte der Ungläubigen zur Aufhebung der Religioſen und Einziehung der geiftlihen Güter, ins Licht geftelt aus den Werfen Friedrichs des Großen,“ wird der Grundfag aufgeftellt, die Revolution jei nur der Rückſchlag der von den Mächtigen der Erde felbit begünftigten Bewegung; von König Friedrih und jeinesgleihen fei den Frreimaurern zu Anjehen und Einfluß verholfen worden, jegt werde die unheimlihe Macht von unbekannten Oberen dazu aufgeboten, die Throne zu zertrümmern. Auch eine Schrift

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„Weber die Gefahr, die den Thronen dur das falſche Syftem der Aufklärung drohet” (von Friedvrid von Pries von Lömwenburg), macht die geheimen Orden für das Hereinbrechen der Sturmflut verantwortlid. Insbejondere in der vom Wiener Profeſſor Alois Hoffmann in den Jahren 1792 bis 1793 heraus: gegebenen „Wiener Zeitfchrift” Fehrt diefe Anklage in allen Tonarten wieder; ber Herausgeber bezeichnet als Hauptzwed feiner Gründung: „bem wilden Frei— heitstaumel fosmopolitiicher und philanthropifcher Horben einen Damm entgegen: zuſetzen.“

Von maureriſcher Seite wurde die Beſchuldigung verräteriſcher Umtriebe mit Entrüftung zurückgewieſen. Die vereinigten drei Prager Logen erließen am 28. Auguft 1792 eine „Erklärung an das Publikum“, worin fie „voll Gefühl ihrer eigenen Unſchuld, aber auch voll des Wunfches, eine falſche Beſchuldigung nicht länger tragen zu dürfen”, den Angeber Hoffmann aufforderten, „ohne Winfel: züge zu jagen, was er weiß, oder ebenjo ehrlich zu widerrufen, als er vorfichtig anklagte“. Darauf ſchränkte Hoffmann, der früher ſelbſt Minervale geweien war, jeine Anklage ein; er habe unter den gefährlihen Gejellihaften nicht die echten Freimaurerlogen verftanden, jondern nur „ſchlechte Sekten und geldfchneiderifche Winkelkomplotte, die fi vor dem Publikum mit dem Schilde der Maurerei bebeden möchten”; der „wahren“ Maurerei wolle er gern „ihre ehemalige Zierde und Wert: ſchätzung überall wieder verfchaffen helfen”. Mit Genugthuung verjihert Hoffmann, der König von Preußen felbft habe ihn „zur privilegierten Durchgeißelung der Deutſchen und zumal der preußifhen Aufklärer” ausdrüdlic aufgefordert und habe ihm in einem zweiten Schreiben den wärmften Dank ausgefproden für die Aufdelung der „heimlichen Ränke eines verborgenen Haufens übelgefinnter und ſchlechtdenkender Menſchen“. Auch Kaifer Leopold, fo verfichert der Publizift, habe mit ihm ſchon im September 1790 zu Schönbrunn „in einem fhlechten Kapotrod” die Gründung eines Journals zur Bekämpfung der falſchen Aufklärung bejproden; nad feiner Rundreiſe im Reich habe ihm der Kaifer jeine Beobach— tungen über den revolutionären Schwindel in Deutjchland mitgeteilt, ja, er habe ihm jogar zum Danke für die loyale Haltung der Zeitichrift eigenhändig zwei Eintrittsfarten zu Hofredouten überreiht. Desgleihen wird dem Kurfürften Karl Theodor Lob geipendet, weil in Baiern jeder Beamte eidlich verfichern müſſe, daß er feinem geheimen Orden angehöre, fowie dem hannöverſchen General Freytag wegen feiner Stiftung einer „allgemeinen Militärafiociation“, „um ben Kleinen deutſchen revolutionsluftigen Mirabeaus, Condorcets und Briſſots, die fo gerne das ganze Deutfchland ebenjo wie das arme Frankreih in Flammen ſähen, das Handwerk niederzulegen.” Sich jelbft rechnet es Hoffmann zum Ruhme an, daß feine Feinde „für die hämifche Geläufigfeit, nur die ſchlechteſte Seite von einer Sade zu fehen, ven Namen Hoffmannismus aufbrachten“, daß er „der Heerführer der Objkuranten” genannt werde, daß Eulogius Schneider gegen ihn das Epigramm richtete:

„Bon ihm (Leopold II.) geſchützet, fchrieb ein feiler Sklave Pasquille auf den menfhlihen Verftand

Und fagte zu den Bölfern: Werdet Schafe

Und ledet freundlich eures Mörderd Hand!“

Die franzöjifche Revolution und der deutſche Bolfsgeitt. 311

Die Revolution geht von der Freimaurerei aus, dieſes ceterum censeo werbe er immer wiederholen, obwohl er von den beutjchen Jakobinern fortwährend bedroht, von den franzöfifhen durch Beftehungsverfuche beleidigt werde. „Die Shhriftfteller und Illuminaten haben die heutige Revolution bewirkt”, aber in Deutſchland fol es ihnen nicht gelingen, denn was er über geheime Anjchläge der Bolfsverberber erfahre, made er dur Gegenminen unſchädlich, „und du, o Nachwelt, folft urteilen, mit welchem Erfolg!“

Nah dem Tode Leopolds Il. ging die Wiener Zeitſchrift ein, und Hoff: mann verlor jeine Profejiur, doch er ließ nicht ab, die angeblihe Propaganda der Illuminaten zu befämpfen. In einer Schrift „Höchſt wichtige Erinnerungen über einige der ernfteiten Angelegenheiten biefes Zeitalters” (1795) wandte er fih gegen Sonnenfels, der in einer akademiſchen Rede Bildung und Aufklärung gegen die über alles Maß hinausſchießenden Vorwürfe von Objfuranten und Dilatoren verteidigt hatte. Der gefeierte „Prometheus Defterreihs”, jo klagt Hoffmann, fei damit zur „Partei der drei noch lebenden deutichen Frankenaktiv— bürger, Klopftod, Campe und Schiller, und ihrer Vafallen Mauvillon, Knigge, Ehlers, Weishaupt, Harlem u. a. unter dem Oberbefehl des bermaligen oberjten und allmädtigen Generals der alten Illuminaten, Robespierre,” übergetreten, und „ſein Ruhm und fein bedeutender Einfluß in litterarifhen Angelegen: heiten laſſe ihn leider zu einem brauchbaren Werkzeug zur Konjolidierung des Illuminatismus in Defterreich deftiniert” erfcheinen. Mit leidenſchaftlichem Eifer wiederholt Hoffmann die alten Anklagen gegen „jene wilden Genies”, die „in brandftifteriicher Aufflärungsfudht ihr Unweſen eigentlih ſchon vom Jahr 1772?) an zu treiben begannen“, „deren charakteriſtiſche Kennzeichen eine völlige Ruſtizität und ein Libertinismus, der fih über alle politiichen und konventionellen Verhältnifie hinausjegte”. Der verftorbene Kaiſer habe gewußt, welche Gefahren für Staat und Kirche die moderne Richtung, insbejondere das damit verbundene Klubwefen mit fi bringe, und habe oft zu erkennen gegeben, daß er die Ju: minaten für jchädliche Leute halte, deshalb werde jet das Andenken des edlen Fürften von pöbelhaften Kalumnianten ſyſtematiſch verunglimpft. Der „deutihe Mirabeau”, Mauvillon in Braunfhweig, habe einen Revolutionsplan für Deutfhland ausgearbeitet und an viele Freimaurerlogen und alle Illumi— natenflubs zu thatkräftiger Förderung verfendet. Als die ftreitbarften Mitarbeiter am Werk der Zeritörung ſeien anzufehen der „abejfinifche Ervezier Baron Wurm: brandt, Knigge, der Doktor mit der eijernen Stirn, Ehren:Bahrdt, der Konten: tiffimus und Löſchpapierdeſpot Nicolai, der feinnafige Jeſuitenriecher Biefter, der Querpfeifer Bode, diejer größte Hebebaum der franzöſiſchen Revolution, der Dagon des illuminatiichen Philiftertums Weishaupt, der Goddam hyperheroifche Kraftheld Mauvillon, der Philanthrop mit der feinen Lade, Trapp, der wohl: befannte franzöfifche Aktivbürger Klopfitod, der Räuber-Apologift Schiller, der weinerliche Jeremias des menschlichen Elends, Salzmann, ber holfteinifche Marat

!) Vermutlich wird dieſes Jahr genannt, weil Wieland, der von Hoffmann als Häuptling der „Modernen” angejehen wird, 1772 an den Weimarer Hof berufen wurde und den „Teutichen Merkur begründete.

312 Zweites Bud, Erfter Abſchnitt.

Henings, der erzkatholifche Orthodore und leibeigene Schildknappe des Baron Knigge, Hübner zu Salzburg, die Berliner Monatſchrift, das Jenaiſche ntelli: genzblatt, die Gothaiſche gelehrte Zeitung und nod andere Menjchenbeglüder, Reformatoren und Illuminaten deuticher Nation.” Sogar ein Engländer, der berühmte Burke, diejer zweite St. Georg, dem es wohl nod gelingen mwerbe, den Draden der Hevolution zu töten, habe auf deutiche Zluminatenjchriften als auf beunruhigende Symptome einer allgemeinen Aufwiegelung hingewieſen.

Während in der „Wiener Zeitjchrift” die Geſinnungstüchtigkeit Friedrich Wilhelms II. und des preußifchen Kabinetts mit warmem Lobe bedacht worden war, wendet fi die jpätere Schrift Hoffmanns entrüftet gegen Preußen, das fi nicht ſchäme, an Frieden und Freundichaft mit der Republik zu denken und den Kampf gegen die Revolution aufzugeben. „Denn angefihts bes franzöſiſchen Ambafiadeurs darf fein Wort mehr gegen die Ideen von Revolution, Anarchie, Freiheit ac. gejchrieben und gefproden werden; man muß die Revolution und ihre Stifter loben, denn fie waren es, wodurd der neue Freund in jene neuen Verhältniſſe geriet, wo man erft feine Rechnung dabei fand, mit ihm in Freund: ihaftsbündniffe zu treten.” Bon den Berliner Akademikern und Schreibern drohe die ſchlimmſte Anftedung für den deutſchen Süden. „Bei uns heißt ‚Re: volution* vorerft noch Stimmen und Laden, die volle Muſik und der Kanonen: donner jollen no fommen.” Die „Nicolaitiihen Berliner Bibliothefihmiede” zeiht auch der pfalzbairifche geiftlihe Nat Stattler in der Schrift „Unfinn der franzöſiſchen Freiheits:Philofophie” des „blind franzöjelnden Revolutionstaumels“. „Die heutige franzöfiihe Repräfentanten-Staatsweisheit it noch ganz neugebaden, und was gerade das größte Unglüd ift, fie ift noch dazu aus Berlin nad Frank: reih durd Voltaire, Mirabeau und andere gleichen Gelüftes überbracht worden, welche fie ehevor in Berlin von wohlbefannten Freiheitsrumorfnechten erlernet hatten.” Bon Zöllner, Bahrdt, Schulze, Zeller und andern preußiſchen Schrift: ftellern gehe nicht minder verwerfliche Lehre aus, als von den Franzoſen, die über ihren König zu Gericht figen. Auch das „Wiener Magazin der Kunft und gitteratur” (1793—1797) und die „Eudaimonia” (1795) enthalten geharnijchte Artikel gegen die Freimaurer und Illuminaten, die überall Fürftenhaß und Revolutionsluft gefäet hätten. In der legtgenannten Zeitjehrift wird namentlich Schiller als Vater bes Uebels gebrandmarkt: „Die, Räuber‘ waren nicht bloß Vorbote der Revolution, jondern haben zur Vorbereitung am meijten beigetragen.” Sogar Mozarts Zauberflöte, 1791 zum erftenmal auf dem Wiedener Theater in Mien aufgeführt, wurde nicht nur mit der Maurerei in Verbindung gebradt, dieſe Beziehungen liegen ja ciien zu Tage, fondern unmittelbar als Allegorie auf die franzöfiiche Nevolution gedeutet. Die Königin der Nacht fei die Regierung von Frankreih, Tamino das Volk, Bamina die Freiheit, Sarafiro die Weisheit, die Priefter Saraftros die Nationalverjammlung, Monoftatos die Emigration, die drei Nymphen ber Königin die Vertreter der drei Stände ıc., das Ganze verjinnlihe die Befreiung des franzöfiihen Volkes aus den Feſſeln des ancien regime. Es wurde jogar Unterdrüdung der Oper, deren ungewöhnliche An: ziehungsfraft nur aus den Umtrieben der im Finftern wühlenden Geheimbündler zu erflären jei, beantragt, jedod ohne Erfolg.

Die franzöſiſche Revolution und ber deutſche Volfsgeift. 313

Nicht weniger abentenerlich Elingt, was eine 1791 zu London anonym erfchienene Schrift „Lettres d’un voyageur* ihren Leſern aufzutifchen hatte. Ale deutichen Gelehrten, jo wird darin verfichert, find Illuminaten; Weimar ift der Mittelpunkt des Jluminatismus; Herder, Wieland und Böttiger haben dur ihre geheimen Verbindungen den Sturm in Franfreid angefacht und find au als die eigentlichen Urheber der nunmehr ſchon in bie deutſchen Nhein: lande verpflanzten Revolutionspropaganda anzufehen.

Sogar in der Berliner Monatsihrift, deren Herausgeber Biefter jelbit von den Reaktionären zu ben politifhen Brandftiftern gezählt wurbe, erhob 1793 ein „Misomystes* feine Stimme gegen die mit den Jakobinern unter einer Dede ftedenden Geheimorden. Zwar bürfe der Vorwurf nicht jchledt: weg auf alle geheimen Gejellihaften ausgebehnt werben, immerhin liege ſchon in ber Thatfahe, daß ganze Scharen von Männern fih eidlich verpflichten müßten, jeden Befehl einer unbefannten Obrigkeit blindlings zu vollziehen, eine ernfte Gefahr für Fürften und Regierungen. Insbeſondere der franzöjiiche Maurer Bonneville ſei als gefährlier Apoftel des Gleichheitswahnes an: zufeben; ehedem babe er jeine Aufgabe darin erblidt, die Jeſuiten aus der Maurerei zu verdrängen, jetzt tradhte er jelbft danach, mit allen Mitteln des Jeſuitismus einen Weltbürgerbund zu revolutionären Zmweden zu fliften und insbejondere die Deutichen, die ja jchon einmal den Erbball von den Feſſeln des friegerifhen und fpäter von dem noch ſchimpflicheren Drude des kirchlichen Nom befreit hätten, ein drittes Mal für die Freiheit ber Völker zu den Waffen zu rufen.

Immer neue „Enthülungen” über Anftifter, Bundesgenofjien und Gegner der Revolution traten zu Tage. Am September 1793 beridtete im Schles— wigihen Journal ein angebliher Wiener Korrefpondent „M. Erdmann” über einen Geheimbund, der ſich die Ausrottung ber Freimaurerei und zugleich ber Aufklärung und die Wiederherftellung der ftaatlihen und kirchlichen Zuftände des dreizehnten Jahrhunderts zur Aufgabe gemacht habe; Großmeifter der neuen Sefte „Die Eklektiker“ (es fann nur der 1783 von Ditfurth, Brönner u. a. geftiftete „Eklektiſche Bund“ gemeint fein, deſſen humanitäre Prinzipien freilich mit den hier gejchilderten nichts gemein haben) jei fein Geringerer gewejen, als Kaijer Leopold II.; auf kaiſerliches Geheiß fei von den Spionen Hoffmann, Kob, Königsberg u. a. rührige Thätigfeit entfaltet worden, während Zimmer: mann, Marfard, Kogebue u. a. die Bekämpfung ber falſchen Philoſophiegrund— fäge mit litterarifchen Waffen übernommen hätten. Als Antwort erjchien bie vermutlih von Hoffmann verfafte Schrift „Ueber Eklektiker und Illuminaten oder Pertheidigung des verewigten Kaifer Leopold gegen die Calumnien des angeblihen Wiener Korrefpondenten Erdmann”. Die Behauptung, daß Leopold mit den Ellektifern in Verbindung geftanden habe, wird als „alberne Lüge“ zurüdgemwiefen, denn die Efleftiter lägen gerade jo wie die Brüder der Loge vor dem goldenen Kalb der Freiheit anbetend im Staube; noch gefährlicher freilih feien die Illuminaten, die nichts anderes bezwedten, als dem „Welt: erſchütterungsſyſtem ber neuen Nepublit Bahn zu maden, demfelben Anhänger zu gewinnen und ale aufrühreriihen Feuerföpfe unter einem Schirme zu vereinigen“.

314 Zweites Bud. Erſter Abſchnitt.

Noch weiter greift die Anklage in den „Fragmenten zur Biographie des verfiorbenen Geheimrats Bode” (1795). Der Schriftiteller Johann Joachim Bode, ber feinfinnige Ueberjeßer der Werke Sternes und Smollets, feit 1778 Geſchäſtsführer der Gräfin Bernftorff in Weimar, war ein rühriges Mitglied des Freimaurerordens. Da er entdedt zu haben glaubte, daß die Jeſuiten und der Jeſuitismus verberblicen Einfluß auf die Maurerei gewonnen hätten, über- trug er nicht nur Bonnevilles Schrüten, die den nämlichen Gedanken vertraten, ins Deutihe, jondern fuchte auch eine durchareifende Neform des Ordens durdhzufegen. Auf Bodes Betreiben wurde 1782 nad Wilhelmsbab bei Hanau ein Konvent berufen, „um den Phantaftereien und Beuteljchneidereien liftiger Betrüger und Schwärmer endlich ein Ziel zu jegen” (MW. Keller, Geſchichte der Freimaurerei, 192). Die von vielen deutihen Logen beihidte Verfammlung tagte unter dem Vorſitz des Herzogs Ferdinand von Braunjchweig und bes Prinzen Karl von Heffen, verlief jedoch erfolglos. Als nicht mehr zu bezweifeln war, daß der Konvent nicht die erhoffte Palingenefie des Maurertums bringen werde, ließ fih Bode von Baron Knigge zum Eintritt in den Jlluminaten: orden, von dem ſich für Humanitäre Weltverbeilerung Größeres erwarten lafje, überreden. 1787 ging er, von Major von dem Buſche begleitet, nad) Paris, um auch in den dortigen Logen für feine Reformideen Anhänger zu gewinnen.

Aus diejen Beftrebungen wird nun in den „Fragmenten“ die Beſchuldigung abgeleitet: In Wilhelmsbad ift zuerft der Plan gefaßt worden, die Regierungen Europas zu flürzen, um auf den Trümmern einen reinen Maurerftaat aufzu: rihten; Bode und von dem Buſche find aljo als die eigentlichen Urheber der franzöfiihen Revolution anzujehen.

Alois Hoffmann endlich weiß das Allergenauefte von dieſer Verſchwörung zu berichten. In der „Aftenmäßigen Darftelung der Deutfhen Union und ihrer Verbindung mit den Jlluminaten:, Freimaurer: und Rofentreugerorden” erzählt er, im Jahre 1788 habe ein geheimes Rundſchreiben in Univerjitäts- und Beamtenfreifen „die für die Wahrheit bewaffneten Philofophen” zur Ent: thronung des Aberglaubens aufgerufen, hauptfählich auf Betreiben bes „Ober: fansculotten” Bahrdt habe fich eine „Union“ gebildet, und aus biejem Lager jeien jeither ale Angriffe auf das preußifche Neligionsedift und andere Um: triebe gegen Kirhe und Staat ausgegangen. 1788 jeien die deutſchen lu: minaten Bode und von dem Buſche nah Paris gereift, hätten bort in den angejehenften Logen das Illuminatenſyſtem eingeführt und den Großmeifter der franzöfiichen Zogen, Philipp von Orleans, ferner Lafayette, Bailly, Con: dorcet, Mounier, Lameth, Lally-Tollendal und andere in den Illuminatenorden aufgenommen; Mirabeau fei jchon 1786 auf Mauvillons Betreiben in bie höchſten Grade eingeweiht worden. Mit einem Worte: von Maupillon, Bode und von dem Buſche fei „die Revolution zur Reife und in Aktivität gebracht” worden; das Haupt der Schuldigen aber fei Knigge, der jene Apoftel der That für das Illuminatenſyſtem geworben habe.

Ale diefe Vorwürfe und Anklagen wurden fpäter, Eunterbunt durchein— ander gewürfelt, in den „Denfwürbigfeiten zur Geichichte des Jakobinismus“

Die franzöfiihe Hevolution und der deutiche Volksgeiſt. 315

bes Abbe Barruel wiederholt.) Danah wäre die Nevolution das Werk „der in der Yafobinerhöhle vereinigten Sophiften und Adepten der Hinterhaltslogen, Roſenkreuzer, Sonnenritter und Kadoſchmaurer, Schüler von Voltaire und Jean Yaques, Adepten der Tempelherren, Abkömmlinge von Swebenborg und St. Martin und Weishaupts Epopten”. Die Unterfchiede der Verbindungen hätten wenig oder gar nichts zu bedeuten. „Unter den Freimaurern, die bei den Roſenkreuzern oder Philalethen vorhin große Träumer oder Geifterjeher waren, fanden fi bald die eifrigiten Apoftel von Weishaupt und feiner Re: volution,” und ebenfo ift „von den Adepten Swedenborgs zu den von Weis: haupt nur ein Schritt”. Was Barruel aber von den Führern der Propaganda in Deutjchland zu jagen weiß, ilt nicht dazu angethan, die Glaubwürdigkeit der Angaben zu erhöhen. Als die verwegenften Verſchwörer bezeichnet er „den im Preußiſchen ſich berüchtigt gemachten Martiniften Hülmer” („nicht zu verwechſeln mit dem Geheimrat Hilmer in Berlin, der fih auf eine ganz entgegengefeßte Weife ausgezeichnet hat“), „George Föfter, welher in den Myſterien von Swend Smwedenborg vierzehn Tage faftete und betete, um bald die Erſcheinung eines Geiftes, bald den Stein der Weiſen zu erhalten,” au den in Kurſachſen lebenden Schriftiteler Andreas Rebmann, der „zwei Helden gleiher Art, Robes— pierre und Knigge, in Apologien feierte”. Das ganze Gelichter ftehe im Sold der Barijer Revolutionsmänner, die im erften Kriegsjahr dreißig, im zweiten einundzwanzig Millionen aus dem öffentlihen Staatsihat entnahmen, um bie Verbreitung ihrer Ideen zu fördern und dadurch den Armeen der Ohnehoſen die Wege zu bahnen. Auch die Studentenunruhen, die im Februar 1794 das Städten Jena in Aufregung verjegten, feien auf jene ſchmutzige Quelle zurüd: zuführen; die „Amiciften”, die jenen Skandal hervorriefen, jeien nichts anderes als Adepten Weishaupts, alfo Jünger des Gleichheitswahnes und Vorpoften ber franzöfiihen Heere. Habe doch ein enaer Student, Graf von Plettenberg, ein Neffe des Fürften Kaunig, unlängft in einem Bab bei Hannover das An- finnen gejtellt, baß „Sein Domeftif neben ihm an öffentliher Tafel fie, welches aber nicht zugeitanden worden”. „Man achte dieſes nicht für ein Hiftörchen von einem einzelnen Thoren. Seine Thorheit ift jetzt die herrſchende Thorheit unter den Studenten auf allen Univerfitäten Teutichlands und die Frucht der Lehren ihrer Dozenten, ohne dab die Regierungen dem Unweſen fteuern.” Knigge, auf deſſen angebliches Geftändnis die oben erwähnten Lettres d’un voyageur ihre Anklagen gründeten, ftellte jede Art von Verbindung der Maurerei mit dem Jakobinerklub in Abrede. In einer Satire „Joſephs von Wurmbrand, faiferlih abeſſiniſchen Erminifters politifches Glaubensbefenntnis mit Hinficht auf bie franzöfifche Revolution und ihre Folgen” (1792), in deren Vorwort er ih jelbjt als Verfaſſer nennt, verteidigt er fih und feine Gefinnungsgenofjen gegen die „bübifhen LZäfterungen” eines „unwiſſenden Schwäßers, der Profefjor

') Die „Memoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme* ftügen ſich in vielen Punkten auch auf Robinfons „Proofs of a conspiraey against all the religions and governments of Europe carried on in the sccret meetings of freemasons, illuminati and reading societies*,

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des teutichen Styls ift und feine Seite ohne grammatifalifche Fehler ſchreiben kann, der ſich jogar nicht fcheut, des Kaifers Majeftät als Mitarbeiter feines elenden Journals anzugeben”. Glüdliherweije werde joldher Unfinn im Norden Deutſchlands gar nicht verftanden, denn bort jei auch der Defpotismus ber Edelleute und der Priejter eine unbekannte Sache, dort dürfe jedermann freimütig für die Sache des Volkes und der Aufklärung eintreten. Das Urteil über eine jo gewaltige Weltbegeben: heit, wie die franzöfifche Revolution, bleibe am beften der Nachwelt überlaſſen; mit moralifhen und politiihen Gemeinplägen fei diefer braufende Sturm nicht zu befhwictigen. Die Ummälzung in Frankreich, deſſen Bevölkerung den grau: jamen orientaliihen Dejpotismus des Hofes nicht mehr ertragen konnte, fei fiher nicht ſchlechtweg zu verurteilen, ein anderes aber fei es, den Aufruhr ins eigene Vaterland zu verpflanzen, und von diefer Schuld wiſſe er fich rein. Immerhin wäre es als ein Glüd zu betrachten, wenn die deutjchen Fürften recht viel lernen möchten von dem warnenden Beifpiel des Strafgeridhts im Welten; möge endlich verzichtet werden auf das römische Necht, dieſes „Alphabet des Dejpotismus, wonach der Wille des Fürften das höchſte Geſetz fei”, möge aufgeräumt werben mit dem abergläubiihen Wuft, der aller Vernunft wider: ftreite und das wahre Ehriftentum verhülle und begrabe. In einer anderen Satire „Des feligen Herrn Etatsrats Samuel Konrad von Schafsfopf hinter: laſſene Papiere” (1792) verfpottet Knigge feine Gegner als Mitglieder des „uralten Pinielordens”, deſſen Tendenz das löbliche Ziel verfolge, den Dummen und Unwiſſenden die Herrjchaft über die Welt zu fihern. Ein in Baiern hand: Ihriftlih verbreitetes Pamphlet: „Welches iſt das Verhältnis zwifchen den Sluminaten und den Kapuzinern?” jucht den ironifhen Nachweis zu liefern, daß die Kapuziner, „diefe gebärteten Skorpionen”, ein weit gefährlicherer Ge— heimbund feien, als die Illuminaten.

Aus dem Kreiſe der Mainzer Aufgellärten ergriff fein Geringerer als der Koadjutor des Kurfürften das Wort zur Abwehr der „Dunfelmänner” ; Dalberg ift der Verfaſſer der 1793 anonym erfhienenen Schriſft „Von dem Einfluffe der Wiſſenſchaften und fchönen Künfte in Beziehung auf öffentliche Ruhe“. Er wendet ſich gegen den bei Fürften und Staatsmännern mehr und mehr um ich greifenden Wahn, als ob die öffentlihe Ruhe und die Sicherheit der Staaten durch geheime Pläne der in Klubs und Afademieen vereinigten Philoſophen und Schriftfteller bedroht feien. Die Belorgnis erkläre jih aus der offenfundigen Thatſache, daß in jenen Kreifen häufig mit auffallender Bitter: feit über Verfafjungen und Regierungen geurteilt werde; dennoch fei fie im allgemeinen unbegründet; man möge alfo das Kind nicht mit dem Bade aus: ichütten. „Aus der nämlihen Blume jaugt die Biene Honig, die Spinne Gift.“ Der Mann der Wiffenihaft firebe natürlich im Intereſſe des allgemeinen Fort: fchritts die Aufhebung veralteter Einrihtungen und unpaſſender Geſetze an, habe aber nichts gemein mit den leichtfertigen Egoiften und Nabuliften, die eine Auflöfung aller gefellichaftlihen und ftaatlihen Bande anftrebten. „Weder die Maintenon, Pompadour und Dubarry, noch die Chamillard, Choijeul und Vergennes, noch die blutjaugeriihen Generalpächter gehörten dem Gelehrten: ftande an, au Neder und Mirabeau waren nicht Gelehrte von Profeflion.”

Die franzöfiihe Revolution und der deutjche Volksgeiſt. 317

Ebenjo nahm aud Mounier, der bedeutendjte Rhetor der Eonftituierenden Verfammlung, der vor dem Scredensregiment nad Weimar geflüchtet war, „die Philofophen, Freimaurer und Illuminaten“ gegen den Verdacht body: verräteriicher Umtriebe in Schug. Seit in Frankreich der Freiheitsgedanfe durch blutige Greuel geichändet werde, jei es üblich geworden, der Philojophie des achtzehnten Jahrhunderts die Verantwortung für alle Ausichreitungen des Zeitgeiftes aufzubürben und Voltaire und Rouffeau als die Anftifter des großen Weltenbrandes zu verlältern. Wie ungerecht! Iſt nicht erit durch die Philo— fophie der religiöfen Unduldfamfeit, die bisher jo graufame BVerfolgungen ver: ihuldet hatte, das Schwert entwunden worden? Hat nicht Voltaire, wenn er auch nicht frei war von Schwächen und Fehlern, am meilten dazu beigetragen, blinden Aberglauben und barbariihe Vorurteile zu enttbronen? War Noufjeau, wenn er ſich auch himäriihen Träumen allzu willig überließ, nicht ein reblicher Bürger, ein mufterhafter Gatte und Bater? Wurde nicht erft durch ihn dem Reichen zu würdigen Gebrauch jeiner Schäte, dem Armen zu zufriedenem Wandel der Weg gezeigt?

Die Revolution, führt ſodann Mounier aus, wurde durch Urfachen not: wendig gemacht, die mit der Philofophie nichts gemein hatten. Das Volt grollte ob der jchlechten Finanzwirtichaft, der verrotteten Verwaltung, der Käuf— lichkeit des Nichterftandes und andrer grauenvoller Mißftände, und aus dieſem Zorne ilt die Revolution erwachſen. Die römijche Plebs Hatte feine Philo: jophen, und doch zog fie, um einen heilfamen Umſchwung im Staatsleben zu erzwingen, auf ben heiligen Berg. Wilhelm Tell faßte den Gedanken, fein Vaterland zu befreien, obwohl er wahrjcheinlih niemals ein philoſophiſches Buch gelefen hatte. Die Parlamente, die jhon viele Schriften freier Denker ala ftaatögefährlich verbrennen ließen, ſetzten nicht felten felbit dem Willen des Monarchen Ungehorfam und Troß entgegen. Die Entwidelung der engliſchen Verfafjung liefert den Beweis, daß eine Teilnahme des Bolfes an ber Regierung keineswegs zum Untergang des Staates führen müſſe, und die Auf: rihtung des Freiftaates in Nordamerifa gab das Beilpiel, wie ein Volk feine Unabhängigkeit erringen könne, wozu alfo immer auf Voltaire und Rouſſeau deuten!

Nicht anders verhalte es fih mit der Beihuldigung, daß die Revolution von FFreimaurern und Ylluminaten angezettelt worden ſei. Gewiß, ungefährlid) jeien dieſe Leute nicht, denn mit ihrer Hülfe könnten fich leicht Gaufler und Intriguanten an die Spike eines Staates ſchwingen, aber eine Revolution gehe nicht aus folhen Kreifen hervor. Wenn Barruel aufdedte, daß ein Novize, der die Aufnahme in höhere Grade anftrebe, „um den Tod Hirams zu rächen“, einer Gliederpuppe den Kopf abſchlagen müfje, wenn man darin Vorbild und Aufmunterung zum Königsmord erbliden wollte: was in aller Welt habe ber unglüdlihe Ludwig XVI. mit König Hiram gemein? Wie Bode überall Jefuiten, jo habe Barruel überall Jakobiner gewittert; beiden habe der Haß die Augen nicht geichärft, jondern verdunfelt. „Wenn auch fein einziger Freimaurer mehr auf der Melt eriftierte, jo würden Nevolutionen doch unvermeiblih jein, wenn die Negierenden ihre Finanzen zu Grunde richten, ihre Armeen mißvergnügt

318 Zweites Buch. Erfter Abſchnitt.

machen, Unordnung in alle Teile der Verwaltung fich einjchleichen laffen und dann eine große Anzahl Bolfsdeputierter zufammenberufen, um von ihnen Unterftügung zu verlangen.” Auch müffe unterfhieden werben zwifchen ber Gejellihaft, die fi jelbit den Namen Illuminaten beilegte, und dem Popanz, ber heutzutage dieſen Namen trage; das Publikum habe ſich daran gewöhnt, alle Charlatans des achtzehnten Jahrhunderts, Anhänger der St. Germain, Sweben- borg und Gaglioftro, Roſenkreuzer und Martiniften unter diefem Begriff zu: fammenzufafjen; jo jei es gefommen, daß die Echüler Weishaupts, eines auf: geflärten und achtbaren Mannes, zur Zeit veradhteter und gefürchteter feien, als die Jakobiner. Freilich verdiene Weishaupts Stiftung fein Lob. „Er hätte bedenken follen, daß, wenn die Regierungen nicht das Recht haben, die Freiheit der befonderen Meinungen einzujchränfen, diejenigen, die Verſamm— lungen veranftalten und es auf fi nehmen, irgend eine Lehre vorzutragen, auch nicht berechtigt find, fih der Obrigkeit zu entziehen. So handelte Sofrates nit; er forderte von feinen Schülern feinen Eid, jchmeichelte nicht ihrem Ehrgeiz und Begierden, er lehrte Gerechtigkeit nicht nur jeine Freunde, jondern alle Menſchen, die ihn hören wollten, und lehrte fie im Senat und auf öffentlihen Plägen.“ Im Intereſſe der Aufrechterhaltung der beſtehenden Gemwalten und der allgemeinen Sicherheit dürfe es Feine Obrigfeiten geben, die nicht von Geſetz anerkannt feien. Immerhin habe weder Weishaupt ſelbſt Regierungen ftürzen wollen, noch ſei jo ruchlofe Abficht bei feinen Anhängern vorausjujegen. „Nichts wäre widerjinniger, als die Ausſchweifungen der Revolution der Frei: maurerei in die Schuhe zu jchieben, nichts thörichter, als die Revolution als das Werk von Bode und von dem Buſche hinzuftellen.... Die Fabeln von den Arbeiten des Herkules find nit erftaunlider!” Wer Mirabeau gekannt babe, könne die Behauptung, daß er ſich zum blinden Werkzeug unbefannter Oberen bergegeben habe, nur lächerlih finden. In Weimar habe man aller: dings ſowohl für das franzöfiiche Volk, als für die Freiheit Sympathie gehegt, und Böttiger jei wohl nicht der einzige geweſen, der auf die galliichen Frei— heitsbeftrebungen einen Trinkſpruch ausbradte, doch was dann von Jakobinern und Sansculotten im Namen der Freiheit und Gleichheit gepredigt und ver: broden wurde, jei weder in Weimar nod irgendwo in Deutjchland gebilligt worden. „Man irrt fih, wenn man den Regierungen dadurch nützlich zu werben glaubt, daß man alle diejenigen, die nicht jllaviih an den Vorurteilen des großen Haufens hängen und bloß durch die Macht der Vernunft die Abftellung der Mißbräuche bemerkitelligen wollen, den Regierungen gehäffig macht. Diefe unflugen Freunde der Machthaber find ihnen ebenſo jchädlich als ihre Feinde, weil fie zu gefährlihen Maßregeln verleiten und es dahin bringen, daß die alten Mißbräuche geſchätzt und heilig gehalten werben.” Die Staatsmänner Europas möchten doc, ftatt überall Hang zu Nevolutionen zu mittern, von der Revolution in Frankreich lernen und ihr Ziel darin erbliden, aus häßlichem Ge: fängnis die Wahrheit zu erlöfen.

Gewiß hat Mounier recht. Gewiß find die Enthüllungen über geheime Verbindung zwifchen Jakobinern und Illuminaten nichts als Schauermärden, ja, es laſſen fih vor dem Ausbruch der Revolutionskriege vollgültige Zeugniſſe für

Die franzöfifche Nevolution und der deutſche Vollsgeiſt. 3109

die Thätigkeit einer Revolutionspropaganda auf deutſchem Boden jchwerlich er: bringen.) Doch aus der Furcht der einen läßt fih auf die Hoffnungen der an; verendhließen, und auf Grund der oben gefammelten Zeugniffe läßt fi als Thatſache fetitellen: in weiten Kreifen Deutichlands wurde das Erwachen bürger: licher Freiheit beifällig begrüßt, und wenn auch fpäter der Abjcheu vor den

') Schon ein Blid auf die Zufammenjegung der Jlluminatenlogen läßt erfennen, daß es gewiß nicht ftatthaft, ja daß es lächerlich wäre, die von Hoffmann und Barruel erhobene Be- fhuldigung auf die ganze Gefellfchaft auszudehnen. Eine auf Geheiß der pfalzbairiihen Regierung von einem ausgeichiedenen Genoflen, dem Stadt: und Landgerichtsphufifus Winterhalter, auf: geftellte Lifte (Hreisarhiv Münden, Geheimratäalten, Jluminatenwefen betr.), die mit anderen uns befannten Mitgliederverzeichniffen im allgemeinen übereinftimmt, zählt u. a. auf: Bruber Marentius (Graf Armansperg), Miltiades (Baron Ow), Mufäus (Baron Montgelas), Numenius (Graf Kolomwrat), Numa Rompilius (Graf Lobron), Dreftes (Hofrat v. Pettenkofen), Panſa (Kanonifus Delling), Sulla (Baron Meggenhofen), Telemach (Graf Seefeld d. J.), Tiberius (Merz), Manes (Pfarrer Schilcher), Neftorius (Spaur, Domberr in Salzburg), Theopompus (Br. Haffeitl), Timagoras (Dillis), Thejeus (Baron Erdt), Thrafybulos (Baron Dirniz), Tamerlan (Baron Schredenftein), Beipafian (Baron Hornftein), Ulyſſes (Graf Seefeld d. Aelt.), Xenofrates (Graf Bortia), Romulus und Remus (zwei Grafen Stadion), Spartacus (Weishaupt), Theophraftus (Häberl), Alcibiades (Hoheneicher), Apollo (Graf Seeau), Arminiu (Dr. Krenner), Arianus (Graf Cobenzl), Attilius Negulus (Edartöhaufen), Auguftus (Graf Königsfeldt), Bajazzo (Zaupfer), Hellanifus Lesbius (Utzſchneider), Hermes Socher), Herodianus (Wieland), Hutten (Buchner), Hannibal (Baron Bafjus), Cato (Zwad), Brutus (Graf Savioli), Colbert (Baron Mändl), Eotis (Graf Rambaldi), Eurtius (Graf Salern), Demoredes (Winterhalter), Diomedes (Graf Eoftanzo), Perifled (Baron Eder), Philoktetes (Baron Fül) sc. Zur Mannheimer Loge gehörten nah Ausjage des Kapitäns St. Julien: Graf Keith, Graf Spaur, v. Meitral, Kapitän v. Petralba, Profeffor Klein, Hoffammerrat Römer, Bibliothefar Drouin, Kupfer: ſtecher Verhelst, Mufitus Wendling, Hofihaufpieler Bord u. a Auch Oberftlieutenant ſnachmals bairifher Kriegsminifter) Graf Triva gab 1796 zu Protofoll, daß er früher dem Illuminatenbund angehört habe. Gegenichreiber Meirner erflärte 1797, daß er von Graf Eoftanzo zum Eintritt in den Orden vorbereitet, von Hoflammerfelretär Schießl eingeführt worden fei, als Mitglieder babe er den geiltlihen Rat Soder, Hoflammerrat Semmer, Hofrat Graf Savioli, Brofefjor Trerl u. a. kennen gelernt. Nachdem ſchon 1784, 1785 und 1787 furfürftlihe Verordnungen den Jluminatenorden aufgelöft und die MWiebervereinigung ber Mitglieder verboten hatten, erihien am 15. November 1790 ein neues Mandat. Noch immer zähle ber verpönte Orden zahlreiche Mitglieder in Pfalz: Baiern; in den Berfammlungen werde gegen Religion, Staat und Regierung gehest und als oberiter Grundiag verfündet, daß zur Durhführung der böfen Abſichten jegliches Mittel angewendet werden dürfe; deshalb wird nidt bloß das Verbot der Beteiligung an geheimen Zufammenkünften erneut, fondern jeder Bewerber um ein Öffentliches Amt fol eidlich beteuern, daß er feiner geheimen Gejellichaft angehöre. Die Geſuche der Bifhöfe von Freiſing und Regensburg, ed möge den Geiftlihen der Jlluminateneid erlaffen werben, da fie ſchon einen ähnlihen Schwur vor der Fanonifchen Weihe zu leiften hätten, wurden abgewiefen. Am 5. Oftober 1796 beantragte die Oberlandesregierung ſelbſt beim Kurfürften, das juramentum purgatorium illuminatismi möge den Mesnern und den Schullehrern erlaffen werben. Bon erſteren ftehe feft, daß fie „feinen weiteren Begriff ald von den gewöhnlichen Stol: und anderen Andachtöverrihtungen” hätten. „Die Landſchullehrer aber find wegen der noch immer obwaltenden innerlihen ſchiefen Verfaffung beynahe um nichts beſſer: fie fennen außer ihren Namen: und Chriſtenlehrbüchel faum ein andereö Bud; viele von ihnen wiffen zuverläffig nicht, was das Wort Illuminat auf deutich jagen will, Endeögeiegter Neferent hat ſchon einmal von einem als Marktsbürgermeifter erwählten Strumpfftrider den Eid ab: genommen, ber ftatt Illuminat fi des Wortes ‚Lemonade‘ gebrauchte.” Darauf wurde an: geordnet, daß „Simple Mesner” von der Eidesleiftung befreit fein, die Schullchrer aber und jene Mesner, die zugleih Schullehrer find, dazu angehalten werben follen.

320 Zweites Bud. Erfter Abichnitt.

Greueln der Revolution übermog, jo wurden doch von Vielen jegensreiche Folgen für das Vaterland und die Menjchheit erwartet.

Da liegt die Frage nahe: Warum fam die Revolution niht aud in Deutijhland zum Durchbruch?

In der Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Zuftänden und im Ber: langen nad einer gerechteren Gejelihaftsordnung begegneten fih, wie wir gejehen haben, Franzojen und Deutſche. Mit gleicher Leidenſchaftlichkeit donnerten die einen wie die andern gegen bie herrihenden Mächte, mit gleihem Mangel an Klarheit und realer Gründlichkeit ſprachen fie fich über die Ziele, die wünſchens— werte Zukunft aus.

Doch weder das Pathos, noch die Dunkelheit der Sprade kann darüber täufchen, daß beide Völker nit dasſelbe wollten, den ungleichen Verhält— niffen und dem verjchieden gearteten Nationalcharafter gemäß nicht dasjelbe wünſchen fonnten.

Die Franzofen waren ein geeinigtes Volk mit einer Gentralregierung, feit acht Jahrhunderten durch ihre Könige, vor allem durch Ludwig XIV. in einem ftarfen Nationalbewußtjein erzogen und erhalten. Was war Deutſchland für den Deutihen? Ein Schod Staaten von vielerlei Umfang und allerlei Ein: rihtung, dur die Sprade und eine ſchwächliche Reichsverfaſſung loſe mitein: ander verbunden. Das Stammland oder Stammländchen und deſſen Regent waren das Konkrete, Kaifer und Neih ein allgemeiner Begriff. Johannes

tüller fab jhon im September 1789 richtig voraus, daß als feiteiter Damm gegen Ausbreitung der Revolution der deutſche Partikularismus ſich be währen werde. „Daß Frankreichs Beifpiel die Nahbarn aufwedt," ſchrieb er (25. September 1789) an Profeſſor Vogt, „it ſehr natürlih; in mehr als einer Nüdfiht haben fih ja gewiſſe deutiche Länder noch mehr zu beffagen. Es iſt aber wohl nicht zu beforgen, dab in Deutihland eine gewiſſe Revindi: fation der vergefjenen Menſchenrechte mit folder Barbarei wie bort vor ſich gehen ſollte; unſer Volk ift phlegmatijcher, es hatte auch Feine St. Barthelemy, eher einen Dreißigjährigen Krieg. Und dann vermag aud) die Menge nicht jo viel; unfere Heere find bisciplinierter und, leider! die Provinzen einander zu fremd, um in irgend etwas gemeine Sache zu machen.“ Wer die Sonderredte und Sonderart antaftete, war für den Heilen oder Baier oder Sadjen ein Feind, mochte er von der Spree oder von der Seine fommen. Sclagbäume überall, und jeder Schlagbaum eine Kluft zwiihen den Nachbarn! Darum fonnte Frau von Stael jagen: „Es giebt in Deutichland zu viel neue, zu wenig gemeinfame Ideen.“

Neue Ideen! D ja, der Germane dachte über die höchſten Güter der Menjchheit, die Freiheit des Gewiſſens und das Recht der Perjönlichkeit, jo viel und jo gern, wie der Franzoſe, aber der in Deutfchland weit ftärfer als in Frankreich entwidelte Jndividualismus lehnte fich gegen die Freiheitsihablone des revolutionären Doltrinarismus auf. Dem Deutihen Dingen fih an den fühnen Gedanken die nüchternen Einwände. Mit der Weberlieferung und mit der Urväter Gewohnheit um einer Neuerung willen zu breden, zauberte er, während der Franzoje für die junge Göttin alles ließ, mas ihm bisher lieb

Die franzöfiihe Revolution und der deutſche Vollsgeiſt. 391

oder heilig gewejen, und der neuen ‚sahne wahrlih bis in die Hölle folgte! So verſchieden geartet die deutichen Stämme unter ji waren, einen deutſchen Nationalcharakter gab es immer. Zur Wejenheit aber gehört das Temperament, und das der Germanen ift nicht das der Yateiner!

Dazu fam, daß die Deutihen troß alledem weit religiöfer geblieben waren, als ihre Nahbarn. Die Neligionsveradtung war bei ihnen nicht, wie in Frankreich, ins Volk gedrungen; bei ihnen war die Neligion nod immer Gegenftand der Wiſſenſchaft, Poefie und allgemeinen Erbauung. Diejen Unter: ichied hielt Chateaubriand in feinen 1797 erichienenen Betradhtungen über bie Nevolutionen für den entjcheidenden. „Die Neligion behauptet jih in Deutſch— land durch die moralifhe Stärke des Volkes und durch die Tugenden und die Aufklärung des Klerus. Dit ſah ih in Deutichland einen ehrwürdigen Pfarrer vor der Thüre jeiner ländlihen Behaufung in zwanglofer Unterhaltung mit den Dörflern, die ganz gerührt jchienen, und ich glaubte mich in bie Zeiten verjegt, da der Gott Jakobs mit den Patriarhen am Bord ber Brunnen verkehrte.“ Sogar der Nationalismus war in Deutichland ein anderer, als im Vaterland Voltaires. Der Proteftant konnte ohne Abfall vom Bekenntnis alten Glauben mit neuen Ideen weiterbauen. Während in Frankreich das „Glaubensbefenntnis des javoyiichen Vikars“ nur ein geiftliches Paraboron in ber Constitution civile fand, hatte es in Deutjchland eine tiefe und nahhaltige Bewegung der Gemüter zur Folge. Man leje darüber bei Kant. Wie froftig war die Rhetorif, mit der Robespierre das höchſte Wejen feierte, verglihen mit der Inbrunſt eines Scleiermader, wie lächerlich erjcheint der Kult des Prairial neben der groß: artigen Neform bes deutjchen Proteftantismus! Auch bei den Katholifen hatte die Zweifelſucht des achtzehnten Jahrhunderts nicht dem Unglauben zur Herr: Ihaft verholfen. Joſeph II. blieb trog jeines Kampfes mit Rom ein gehorfamer Sohn der Kirhe und verwahrte fih gegen den Vorwurf, als wolle er die Philoſophie über die Religion fegen. „Wenn alle anderen Völker der Erbe,” jagt Chateaubriand, „der Religion den Gehorfam und die Achtung aufgeiagt haben werben, wird fie bei den Deutihen noch eine Zuflucht finden!”

Ebenjo fehlte den Deutichen ganz und gar der demokratiſche Zug, ber den Franzojen im Blute liegt. Im eriten Nevolutionsjahr genügte ein Dekret, um bie bemofratiihen Grundfäge in bie Gejeggebung und ins Leben zu führen, und die Neuerung fand nirgends Widerftand. In Deutjchland wäre dies einfach undenkbar geweſen. Wie jchon in der germanischen Urzeit eine Scheidung des Volfes in Edle und Gemeinfreie beitanden hatte, jo war die Achtung vor biftorifhen Rechten auch noh an der Wende des actzehnten Jahrhunderts lebendig. Sogar jene Schriftfteller, die den Streit der Stände mit Genugthuung begrüßt hatten, wollten „das forinthiihe Kapitäl des Staates”, wie Burfe den Adel nannte, nicht ſchlechtweg befeitigt wien. Jean Paul, der in den „Grün: ländifhen Prozejjen” die blinde Ehrfurdt der Maflen vor „gotiſchen Alter: tümern“ verfpottet hatte, jhuf in jeinen Romanen eine Reihe von Idealgeſtalten aus dem Kreiſe der Bevorzugten der Gejellihaftl. Mauvillon preift in ber Einleitung zu den von ihm. (1793) herausgegebenen Briefen Malouets über die Revolution das Beijpiel des edlen Cimon, der zwar immer für die ärmeren

Heigel, Deutſche Beihichte vom Tode Friedrichs d. Or, bis zur Auflöfung des deutſchen Reiche. 21

322 Zweites Bud. Erfter Abſchnitt.

Mitbürger ein fühlendes Herz und eine offene Hand hatte, aber um ber Auf: rechterhaltung der Verfaſſung willen aufs entjchiedenfte fich weigerte, dem gemeinen Mann volles Stimmrecht zu gewähren. Echte Humanität, erklärt er, müſſe allen gemeinjam fein, aber von Briſſot und feinesgleichen werde ein faljcher Begriff von Humanität gepredigt, und der Ehrgeiz eines Paine, der Neid eines Forſter werde nur Unruhen und Bürgerfrieg erregen. „Gewiſſe Schranfen müfjen in der menſchlichen Geſellſchaft bejtehen bleiben.”

Vor allem war auch in Deutjchland diefes Moment wird von Taine beionders hervorgehoben das Feudalregiment nidt jo drüdend, wie in Franfreid. Der Bauer jtand zwar auch in harter Dienftbarkeit, mußte alle möglihen Abgaben entrichten, peinlihe Eingriffe in fein häusliches Leben erbulden, aber es hatte ſich ein gewiſſes patriarchaliſches Verhältnis zwiihen ihm und jeinem Herrn erhalten; in jähen Notfällen fand der Land— mann Hülfe beim Gutsherrn, fiber war feinem Alter eine Zufluchtsftätte; er bejann fi alfo, die Schwere Hand abzujchütteln, die ihn zwar drüdte, aber hielt. Der Bürger war in den meilten deutichen Staaten von Civilämtern und Offizier: ftellen nicht fo ftreng ausgejchlojlen, die Unterordnung des dritten Standes nicht fo fchroff durchgeführt, wie in Frankreich, wo alle wichtigeren und einträg: liheren Stellen dem Adel vorbehalten waren, wo Saufherren und Gelehrte, Handwerker und Bauern fich als Tiers-etat zu einem Ganzen verbunden anjahen und gemeinfam die Befreiung vom od des Privilegiums anitrebten. In Deutihland rechneten fih die Graduierten gar nicht zum dritten Stande; fie bildeten eine Art Bindeglied zwiichen Adel und Bürgertum. Auch der Reichtum war in Deutichland vorteilhafter verteilt. Mochte immerhin das politifche Re: giment in den meilten Reicheftäbten in den Händen des Patriziats fein, jo trennte doch den Bürgeritand nicht eine fo tiefe Kluft von den Geſchlechtern, daß nicht jtattliher Befig eine Brüde gebildet und in taufend Fällen ein Connubium ermöglicht hätte. Und es gab in Deutjchland keine Stadt, in der alle Lebenselemente Fonzentriert gewejen wären, wie in Frankreich, deſſen Hauptitadt entjcheidenden Einfluß auf die politifche und fociale Entwidelung des ganzen Landes übte.

Auch das fürjtlihe Regiment hatte fich in den meilten deutihen Staaten weniger Blößen gegeben, wie das ancien regime im großen Nachbarreiche. Gerade in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatten, wie wir ge fehen haben, nicht wenige Fürften in Befeitigung von Mißbräuchen und in Schöpfungen zu Gunften edler Menſchlichkeit gemetteifert, Staatswirtichaft, Unterrihtswejen und Nedispflege mwohlthätig reformiert. Die Vielftaaterei er: ſchien aus diefem Grunde vielen Zeitgenoffen nicht einmal als ein Uebel. Nicht bloß der fonfervative Kammerherr v. Creuz behauptet, dab „ein Volk wie das deutihe, um jo freier it, in je mehr Staaten es ſich teilt;" auch Wieland vertritt im „Patriotiſchen Beytrag zu Teutſchlands höchſtem Flor” die Auf: fafjung, daß das deutſche Wolf gerade infolge feiner Zerjplitterung „einen höheren Grad menſchlicher und bürgerlicher Freyheit“ genieße, als irgend ein anderes „großes policiertes Volk in der Welt”, „Der eine von den vielen Reichsſtänden wird immer ben anderen im Schad halten, es wird aljo immer

Die franzöfifhe Revolution und der deutihe Bolkägeift. 323

Gewiſſens- und Nebefreiheit geben, der einzelne Tyrann wird dem Abfcheu ber übrigen Teile der Nation ausgefegt jein.” Der aufgeflärte Abjolutismus hatte in Deutihland aud viel Gutes gewirkt; das wurde vom Volke anerkannt, und es beitand auch deshalb weniger Geneigtheit, dem franzöfiihen Beifpiel zu folgen. Aus allen Teilen des Reiches laſſen fih Stimmen vernehmen, die zwar ber Revolution grundſätzlich eine gewiſſe Berechtigung zuerfennen, doch den Gedanken einer Ausdehnung auf das eigene Vaterland als Undanf gegen mwohlgefinnte Fürften zurüdweifen. Der Wiener Poet Alringer rühmt (1792) die Mäßigung Kaifer Xeopolds, der fih in den Streit zwiſchen König und Volk in Frankreich nicht einmiſche, dagegen alle berechtigten Wünjche der eigenen Unterthanen zu erfüllen trachte!

„Wir aber in des Glüdes Pforte danfen

Dir, weifer Schiffelenfer Leopold!

Und rufen in die offene See: Ihr Franken,

Wir find fhon längſt, wohin ihr fommen wollt!“

In der Schrift „Ein Wort zur Beherzigung, den Fürſten und Herren Deutichlands gewidmet” (1790) von Auguft Friebrih Cranz, dem Herausgeber des Journals von Berlin, wird unterſchieden zwiſchen „Lafterhaften Regierungen, die das Volk nur ausfaugen wollen,“ und „guten,“ die das leibliche und geiitige Mohl auch des gemeinen Mannes zu heben juhen. Zu den guten Fürſten zählt der Verfaſſer die Herzoge von Braunſchweig, Weimar und Gotha, den Markgrafen von Baden, den Landgrafen von Heflen-Homburg, den Fürften von Anhalt:Dejiau, den Kurfürften von Köln. „Im diefer Herren Ländern ift fein Aufitand zu befürdten, jelbit bei aller Denk: und Preßfreiheit, aber wenn ber Fall einträte, jo bedürfte Feiner ſein Militär; jeder dieſer Regenten könnte allein mit einem Donnermwetter im Munde und dem Stode in der Hand ganze Haufen zufammengelaufener Bauern zur Ruhe verweilen.” Ebenfo jei in Preußen eine Revolution einfah unmöglid. „Wo Friedrichs II. ſchröckliches Auge hinblidte, dba bebte der Unerihrodhene, und um Friedrich Wilhelms Gunft buhlt das ganze Voll.” Vor allem aber: noch nie habe ein preußifcher Monarch die Geſetze des Yandes veradtet! Die nämliche Anfhauung vertritt der ungenannte Autor der „Philofophiihen Bemerkungen über die Republifen”. Bei einem Vergleih zwiſchen den Zuftänden in der Schweiz und in Preußen werbe ber monarchiſche Staat nit den kürzeren ziehen. „Es iſt einfach lächerlich, die Ehrerbietung zu ſehen, welche dieje armen Leute (in der Schweiz) gegen ihre Herren hegen, und fie dennoch von Freiheit jprechen zu hören. Ein preußifcher Bauer ift freier, als ein Bürger in der Schweiz. Man findet dajelbft wohl Schuſter und Schneider, welde Edelleute find, aber feine freien Menſchen!“ Georg Forfter gab, obwohl er mit dem Herzen ſchon im Lager der Bor: fümpfer bes freien Staatsbürgertums ftand, vor Ausbruch des Krieges noch der Meberzeugung Ausdrud, daß Deutichland vor einer Revolution geſichert jei. „Ebenfowenig,“ jchrieb er im Sommer 1790, „wie die auf Granit und Waden: gebirg fih erhebenden Städte an Donau und Rhein ficherer find vor Erdbeben ala Meifina und Catanea, jo wird fih auch unter dem ehrwürdigen gotiſchen

324 Zweites Bud. Erfter Abfchnitt.

Denkmal unferer Reihsverfaffung fein Vulkan entzünden und die zierlich ge: jchnörfelten Türmden, ſchlanken Säulenbüfhel und ſchaurigen Spitzgewölbe in die Luft fprengen.” Freilich fehle es auch in Deutihland nit an Mißbräuchen und linterdrüdung, aber auszuhalten jei es überall, und es mache ihm feine Freude, wenn fi da und dort beunrubigende Symptome zeigten. „Die Reihe ift jegt nicht an Deutſchland, durch eine Revolution erfhüttert zu werben; es bat die Unkoften der lutheriſchen Neformation getragen, jowie Holland und England, jedes zu feiner Zeit, den Schritt, den fie zur fittlichen und bürger: lihen Freiheit vorwärts thaten, mit einem blutigen Jahrhundert haben erfaufen müflen; jet gilt es uns, und ih wünſchte jo berzlih, man möchte fih am frangöfifhen Feuer wärmen, nicht verbrennen.“ Der Göttinger Profefjor Käftner feierte in den „Gedanken über das Unvermögen der Schriftjteller, Ems pörungen zu bewirken,” die „republifanifhe Freiheit der Niederdeutſchen“ und widmete feine Schrift dem Herzog Friebrih Auguft von Braunfchweig. Schlöger, der bie Konftituante in Verjailles jo froh begrüßt und die Auflehnung gegen Ludwig XVI. gebilligt hatte, wies eine Ausdehnung der Bewegung auf die deutfhen Lande mit Entrüftung zurüd. Die Erhebung der Maffen möge den Fürften, die Ausartung des Freiheitsfampfes den Völkern zur Warnung dienen. „Aus Cäſars Aſche wuchſen drei Tyrannen, und auf die Trümmer des Thrones trat Crommell.” Im Dezember 1791 eridien in den „Staatsanzeigen zur Abwehr unbilliger Verdächtigung des preußiichen Volkes” ein Auffag, verfaßt „in Potsdam von einem Patrioten des preußiichen Landes und der deutſchen Litteratur”. Geheimrat Hillmer beftürme den Monarchen, es möge durch Ver: Ihärfung der Cenſur und andre ftrenge Maßregeln dem Eindringen der Re volution vorgebeugt werden; mit Unrecht, denn der preußiſche Unterthan habe jolhes Mißtrauen wahrlich nicht verdient. „Es ift feine Spur in allen Landen des preußiſchen Monardhen, daß die franzöfifhen Unruhen bier die geringite Nahahmung fänden. (Dazu bemerkt Schlözer: „So wie auch Georg III. er: Härte, Er wiſſe, Gottlob! nichts von innerer Gefahr wegen Aufwiegelung im Schoß des lieben deutſchen Vaterlandes!”) Das werden alle Staats: und Ge ihäftsmänner, welche unjer Land wirklich kennen, einmütig bezeugen. Wir find im ganzen ein religiöjes, moralifches, induftriöfes, thätiges, verftändiges, auf: geflärtes, unverberbtes Land; ein ſolches Land empört ſich bei einer weiſen, gerechten, zwedmäßigen Regierung nicht!” Zwar werde laut und frei, wie es Männern und Deutjhen gezieme, auch über Verfügungen der Regierung ges rebet, über ſchädliche Machtſprüche und Webergriffe, doch jo ſei es ſchon lange vor den franzöftiihen Unruhen gehalten worden. „Es ift aljo feine Nach— ahmung, feine Anftedung von dort, vielmehr ift es die ſchönſte Schugwehr da⸗ gegen. Dieſe fogar geſetzlich geftattete Freiheit, diefe rechtlichen Hülfsmittel, wobei doh Achtung und Gehorfam gegen die Anordnungen der oberften Gewalt befteht, müſſen jeden der Bernunft fähigen Menſchen an ein Land binden, deſſen Regierung ihre Macht nicht mißbraucht, nicht mißbrauden will und kann.” Jedenfalls die große Mehrheit des Volks war aufrichtig loyal, und war man irgendwo, wie 3. B. in Baiern, mit einem Herrn unzufrieden, fo wurden nur Verehrung und Hoffnung auf den Nachfolger übertragen.

Die franzöfiihe Revolution und der beutiche Volkägeift. 395

Aber die Philofophen! Sie waren doch wie oben gezeigt wurde in ber Mehrheit den neuen Lehren zugethan?

Mit Mab und Ziel. Auch die Gelehrten, die Dichter und Künſtler zeigten ſich germaniſchen Geblüts. Sobald in Franfreih die Göttin der Ver: nunft ihr weißes Kleid bejudelte und, mehr Megäre als Lichtgeftalt, Perfonen und Eigentum zerftampfte, während jie von Freiheit, Gleichheit, Brüderlich: feit brüllte, wandten fie ſich ſchaudernd ab. Fritz Stolberg, der nicht weniger freudig, als jein Bruder, den „im Weſten aufgehenden Tag“ gefeiert hatte, ruft 1798:

„Bei meiner Mutter Aſche! Das duld' ich nicht! Ihr follt nicht Franken nennen der Völfer und Der Zeiten Abfhaum! nennt Weithunnen, Dann noch befhönigend, ihre Horden .. .“

Und Johann Georg Jacobi beſchwört die Fürften:

„Aus des Pöbels tollen Händen, Die am felbjtgeftürzten Herd Vaterland und Freiheit ſchänden, Winde Fürftenmaht das Schwert!”

Kant bemwunderte zwar immer nod eine Berfaflung mit Bolksvertretung, doh wie er in feinem Syftem der reinen, wagemutigen Bernunft die fon: fervative praftifhe gegenüberftellte, war er im Leben zugleich ein unabhängiger Forfcher und ein gehorfamer Untertfan. Was er von den Philojophen und ber Ungefährlichfeit ihrer Spekulation ſagte, fonnte von allen jeinen gelehrten Kollegen gelten: „Dieſe Klaſſe it ihrer Natur gemäß nicht geeignet, Zuſammen— rottungen zu bewirken und Klubs zu ftiften, kann aljo vom Argwohn, daß fie gefährlihe Propaganda made, nicht getroffen werben.”

Ales in allem: Die große politiihe Bewegung in Frankreich hatte in Deutihland mit unerheblichen Ausnahmen nur eine geiftige Bewegung zur Folge. Ihr Anfang war glühende Begeifterung, ihr Ende Refignation, doch nicht feiges Verzichten auf die That, ſondern klare Erkenntnis ber Schranken, der Kräfte und ihrer Aufgaben.

Goethe behielt recht mit feiner Mahnung, daß jeder fein eigen Feld beitele und daß bei Neuerungen mehr die Bedürfnifie, als die Wünfche zu be: rüdfihtigen feien, denn die Bebürfniffe haben Grenzen, die Wünfche jchweifen in fchranfenlofe Weite; nicht in der Nevolution, in der Evolution beruhe die Hoffnung beſſerer Zeiten; die natürlihe Entwidelung der Keime zu fördern, darin beitehe die Kunft zu regieren. Goethe behielt recht, und Juſtus Miöfer, der „unvergleihlihe Dann“, wie ihn Goethe nennt: der Geift der Reform foll fih mit dem Geift der Tradition verbinden; beide follen fih durchtränken, gegenfeitig ergänzen und läutern; die Geſellſchaft ftübe fih auf die Familie, ber Staat auf die jelbftändigen Gemeinden!

Indem jpäter die Männer, denen die Wiedererhebung Preußens zu danken ift, die Hardenberg, Humboldt, Scharnhorft, Stein diefen Grundjägen folgten,

326 Zweite Bud. Erfter Abſchnitt.

bewiejen fie fich als echte und große Staatsmänner. Dieſe Grundfäße drangen ins Volk, und aus ihnen jchöpfte die deutſche Nation zugleich aufgeklärt und treu! die Kraft zum Widerftand gegen den natürlichen Sohn der Revolution, den ſoldatiſchen Eroberer und Diktator.

„Richt weil Volk und Staat in Frankreich weiter,” jagt Zorenz von Stein, „jondern eben weil fie nicht jo weit waren, als in Deutihland, traf dort die Revolution ein, während bier nur eine Umgeftaltung ftattfand.” Im Bolfs: leben der Franzofen, wo alles von äußerlichen, ſtürmiſchen Jmpulfen ausgeht, fommt es zu vulfanifhen Eruptionen, nicht aber zu organischen Entwidelungen; die deutſchen Bildungen, jene Reformen, die nicht bloß die Gejundung Preußens, jondern ein neues Deutichtum zur Folge hatten, laffen fi mit den langjam heranwachſenden neptunifchen Formationen vergleihen. In Frankreich, jagt der Franzoje Corel, wo aller Boden gleich gemacht wird, ergießt fich der wilde Strom verheerend über alles Land; in Deutjchland halten ihn Dämme auf, er vertieft fih zu Seen und zieht aus ihnen beruhigt und abgeklärt hervor ins Weite.

Zweiter Abfchnitt.

Zurürkeroberung der öfferreichifdeen Diederlande. Wiederherflellung der Ruhe in den Grblanden. Der Wahltag in Frankfurt. Die Raiferwahl und die öffentliche Meimung. Das Projekt einer Wahl des Erzherzogs Fran zum römiſchen Rünig Wahl und Rrönung Tevpolds I. Die frangöfifche Revolution und die Rechte der deutſchen Reidisflände Pas Ende des Tüfticher Streifes. Neue

Spannung jwilcken Dellerreich und Preußen.

eit dem Regierungsantritt Leopolds ſtand der Wunſch, die verlorenen Nieder:

A ande wieder zu gewinnen und ben Abfall der widerſpenſtigen Ungarn zu

verhindern, im Vordergrund der Politif des Wiener Kabinetts. Daraus

erklärt fi, daß Leopold zur nämlichen Zeit, da er, durch die Ausbreitung der Revo⸗

Iution erfchredt, zur Abwendung des allgemeinen Umfturzes an Hoffmann und andre

Rückſchrittsmänner ſich anſchloß und in Wien ein firenges Polizeiregiment übte,

den Niederländern gegenüber eine Sprache führte, die unmittelbar an das neue

Grundgejeß ber franzöfifchen Geſellſchaft, die Declaration des droits de l’homme,

erinnerte und nach modernem Sprachgebrauch als fortfchrittlich-fonftitutionell zu bezeichnen wäre.

Doch aud die weitreichenden Zugeftändnifje des Manifefts vom 2. März 1790 vermodten die Abneigung gegen das öfterreihifhe Regiment nicht zu über: winden; der Kongreß weigerte fih, auf Verhandlungen mit der abgejegten Dynaftie einzugehen. Zwar in den Reihen der demofratiihen Partei, die ben fapitalsfräftigen Teil der Bevölferung, die Befiger der Banken, Sciffswerfte und Lagerhäufer in fi ſchloß, wären viele bereit gewejen, mit dem neuen Herrn Frieden zu machen; fonnte doh nur unter dem Schu und mit dem Beiltand eines Monarden eine Nenderung der Verfaſſung, die auch den nicht privilegierten Klaſſen zu politiichen Rechten verholfen hätte, durchgejegt werden! Allein diefe „Vondiften”, wie fie nach ihrem Führer benannt wurden, konnten

328 Zweites Buch. Zweiter Abjchnitt.

gegen die ariftofratijch-Elerifale Partei, die fich willig der Leitung van der Noots überlafien hatte und im Kongreß über die Mehrheit verfügte, nichts ausrichten, Leopold mußte einjehen, dab er bloß durch Zugeſtändniſſe und Verſprechungen nit wieder zum Befig der verlorenen Provinzen gelangen werde; er gab jedoch die Hoffnung nicht auf, ohne Blutvergießen diefes Ziel zu erreihen, und nahm vorerit eine abwartende Stellung ein. „Für den Augenblid,“ ſchrieb er an feine Schwefter Marie Chriftine (12. Juni 1790), „ift an einen Umſchwung zu meinen Gunften nicht zu denfen, denn die Demofraten haben weder Kraft, noch Macht. Ich glaube aljo nichts andres thun zu fönnen, als deutſche Truppen binzufenden, unter dem Kommando eines geichicten, Eugen und feiten Mannes; der fol ins Land vorzudringen ſuchen, ohne fi irgend welche Ausfchreitungen zu erlauben, und ſoll mit einer Erklärung verjehen jein, die in meinem Namen dem Lande in aller Form nicht nur bie jhon in meinem früheren, nit an: erfannten und angenommenen Manifeit gemadten Anerbietungen wiederholt, fondern aud Erhaltung und Wiedereinſetzung ihrer alten Verfaſſungen, Geſetze und Vorrechte verbürgt, mit ſolchen Nenderungen, wie fie mit Zuftimmung der Provinzen und auf ihr Verlangen gemadt werden fönnen und ihnen am angenehmiten jind; vor allem fol eine entjprechendere, anfehnlichere und ge: techtere Vertretung des flahen Landes in den Ständeverfammlungen mit den Ständen jelbjt vereinbart werden; während dieſe Erklärung veröffentlicht und zugleih Amneftie und Generalpardon verfündigt werden, jollen die Truppen vorrüden. Dann werden, wenn nur die Erklärung Klar und gerecht abgefaßt fein wird, die Wohlgefinnten und die Landleute jih um unſre Truppen ſcharen und bie Nädelsführer und fanatiihen Patrioten fih aus dem Lande entfernen. Mit Sicherheit wäre jedenfalls dann auf günftige Wendung zu rechnen, wenn von England, Holland und Preußen Nichteinmiſchung gelobt oder jogar Ber- mittlung übernommen würde.” })

So raſch, wie Leopold hoffte, vollzog fich die glüdlihe Wendung nicht; daß fie fih allmählich anbahnte, dafür forgte der Parteihader in den belgiſchen Landen jelbit. Es iſt ja feine jeltene Erſcheinung, daß zwei Parteien von grundfäglih abweichenden Nichtungen zur Belämpfung einer mißliebigen dritten fi vereinigen und in Verfolgung des nächſten Zieles einträchtig zufammen: wirken; faum ift jedoch der Sieg errungen, jo fommt es zwiſchen den Siegern zu Zwiltigfeiten und erbitterter Fehde. So auch in Belgien. So lange mit den verhaßten „Scergen des Abfolutismus und des Illuminatismus“ zu fämpfen war, hatten die Klerifalen, die auf dem Boden der mittelalterliden Verfaffungen ftanden, mit den Anhängern der neufränkiihen Ideen gemeinſame Sache gemacht; nad dem Sturz der habsburgiſchen Herrjchaft aber zerfiel das unnatürlihe Bündnis. Die Klerifalen verfügten jegt über die ftaatliche Autorität und die öffentlihen Gelder; Vond war nit einmal in den Kongreß auf: genommen worden. So trug denn das neue Staatögejlige ein gewiſſermaßen theofratifches Gepräge. Da alle Mitglieder des Kongrefies den Eid der Treue in die Hände Falkenbergs ablegten, erſchien der Kirchenfürft als Oberhaupt der

U. Wolf, Leopold IT. und Marie Chriftine, ihr Briefwechfel, 154.

Zurüderoberung der öfterreichifchen Niederlande. 329

oligarhiihen Republik.) Meußerlih ordnete fih auch der Führer des Auf: ftands, van ber Noot, der „gottgeliebte, weije, fternfundige Seher”, wie ihn die Chronique Brabangonne feierte, mit allen Zeichen der Ehrerbietung dem Kardinal unter, aber der eigentlihe Leiter der Regierung war weder der . gravitätiiche Kardinal, noch ber geihäftige van der Noot, jondern der Groß: pönitentiarius und Domprediger van Eupen. „Der eigentlihe Mader, die Seele des Aufitands ilt van Eupen, während van der Noot nur der Tambour und Lärmmacher ift!” So urteilt der Berfaffer eines 1790 unter dem Pjeudonym Leſueur erichienenen Büchleins „Abgeriſſene Masken”, der franzöfiihe Schaufpiel- dichter Robineau.*) Borgnet hat freilih recht: das phantaftifche, jchlüpfrige Pamphlet darf im allgemeinen ebenfowenig als Quelle für die Geſchichte des belgiihen Aufftands benugt werden, als Poltaires Pucelle für eine Lebens: geihichte der Jungfrau von Orleane.?) Doc die Charafterporträts der leitenden Perfönlichkeiten haben gewiß neben lächerlichen Uebertreibungen manden lebens: wahren Zug aufzuweiſen; dies läßt fih aus den Urteilen Forſters und andrer Zeitgenoſſen feititelen. Die Schauer: und Schandgefchichten, die über van der Noot zum beiten gegeben werden, tragen den Stempel breifter Erfindung an fich, allein das wüſte, umfittlihe Treiben in den „patriotiihen” Kreifen wird auch von unverfängliden Zeugen getadelt. Yan Eupen wird von Nobineau ge: idhildert als „ein Mann in den Bierzigern, mit blonden, glatt zurüdgeftrichenen Haaren, bleihem Geſicht, langſam im Reden, zuderfüß von Worten, ber ver: Ichlagenfte und feinite aller Jünger des heiligen Ignatius“, der „mehr als einen FJamilienzug mit Marzarin und Cromwell gemein hatte”. Die Behauptung, daß der Agitator in der Soutane dem Jlluminatenorden angehört habe, ift mehr als unwahrſcheinlich.

Aehnlich verhält es fih mit dem Duellenwert eines in dramatifche Form gefleideten, ebenfalls von Robineau gefertigten Machwerks, der „Geheimen Ge: Ihichte des belgiſchen Aufftands”.‘) Der Verfaſſer will darin „zwei Frevler, die unter dem Mantel der Religion die Zeichtgläubigkeit und die Gutmütigfeit der Flamänder mißbraudten und fie an den Rand des Verderbens ftießen, entlarven”. Der Beteuerung, daß van der Noot für fi einen belgiſchen Thron aufrihten wollte, ift wohl ebenjowenig Glauben zu ſchenken, wie der Angabe, daß van Eupen die ganze Bewegung nur um der Zurüdberufung der Jeſuiten willen in Scene gejegt habe. Thatſache aber ift, daß van Eupen, weil er leihtgläubig in jedem freundlichen Worte eines englifchen oder preußifchen Diplo: maten eine Zufage ausreihenden Schutzes erblidte oder doch dieje Zuverficht

) Wuttfe, Der Kampf der Freiheitsmänner und der Geiftlihen in Belgien; Naumers Hiftor. Taſchenbuch, 4. Folge, 5. Jahrg. (1864), 326.

) Les Masques arrachees ou vie privee de L. E. Henri Van der Noot et Van Eupen, par Jacques le Sueur, espion honoraire de la police de Paris et ci-devant employ& du ministere de France en qualit@ de clairvoyant dans les Pays-Bas Autrichiens, I, 58.

) Borgnet, Histoire des Belges à la fin du 18. sitcle, introduction.

*) Histoire secrete et anecdotique del’insurreetion Belgique ou Van der Noot. Drame historique en 5 actes, dédié à Sa Majeste le Roi de Bohöme et de Hongrie, traduit du Flamand de Van Schön-Schwartz (Beau-Noir = Robineau).

330 Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.

zur Schau trug, in erfter Reihe verjchuldete, daß die belgiihe Republif das Geburtsjahr ihrer Selbftändigfeit nicht überlebte. Ahm war es vor allem darum zu thun, daß jede Anlehnung an franzöfifches Vorbild und deshalb auch jede Bundesgenofjenichaft mit dem priefterfeindlichen Frankreich vermieden werde; feindjelig ftand er ben Vondilten oder Progrefliften gegenüber, von einer frei gewählten Volfsvertretung wollte er nichts willen. „Hüten Sie fih, davon öffentlich zu ſprechen,“ rief er einem Vondiften zu, „Sie würben es mit Stod: ftreihen zu büßen haben!” Um fich gegen ihre Gegner zu behaupten, traten die Vondiften zu einer neuen „Vaterländiſchen Geſellſchaft“ zufammen; fie zählten einflußreihe Männer zu den ihrigen, darunter Mitglieder des höchſten Adels; dem Herzog von Urfel wurden ſogar wegen diefer Verbrüderung mit ber Volkspartei ehrgeizige Abfichten unterfhoben. Zu Bonds Anhängern zählte auch van der Meerih, der Kommandant der Kongrehtruppen, der bisher mit feinen ichleht bewaffneten, ungeſchulten, disziplinlofen Leuten jo erftaunlihe Erfolge errungen hatte.

Doch das Kriegsglüd fing an wetterwendiſch zu werden, als van der Meerih, durch den Kongreß gezwungen, die Kaiferlihen in Luxemburg angriff; Marihall Bender trieb die Eingebrungenen nad) Namur zurüd. Ban der Meerich madte fein Hehl daraus, daß er noch jchlimmere Wendung befürdte, daß er deshalb am Liebften ſehen würde, wenn feine Landsleute die günftigen Bedingungen Leopolds annähmen und zum Gehorfam unter den rechtmäßigen Landesherrn zurüdfehrten. „Greift zu,” foll er gejagt haben, „jett bietet man euch Gold; wer weiß, ob ihr jpäter noch Kupfer erhalten werdet!” Da die Armee ihrem Führer treuergeben war und ber vondiltifch gefinnte Herzog von Urfel über die Freiwilligen in Brüffel verfügte, wäre es anfänglich nicht Schwer gefallen, das oligarhifhe Regiment zu ftürzen,; allein Bond wollte, um ja nur ben Bürgerkrieg zu verhüten, von thatkräftigem oder gar gewaltſamem Einfchreiten nichts hören; er begnügte fich, dem Kongreß eine Adreſſe vorzulegen, worin in ehrerbietigfter Sprache um Eröffnung von Verhandlungen zur Ausarbeitung einer neuen Verfafjung erjucht war. Auch mittels einer Flugſchrift „Unparteiiſche Erwägungen über die gegenwärtige Lage von Brabant” juchte er jeinen Lande: leuten begreiflih zu machen, daß es zwiſchen oligarchiſcher Tyrannei und fran= zöſiſcher Volksherrſchaft noch ein befieres Drittes gebe: eine wirkliche Volks: vertretung neben ber gefeßmäßigen Regierung.

Troß des vorfidhtigen Verhaltens des Führers der Volkspartei fam es aber infolge ber Gemwaltthätigfeiten van der Noots zu lärmenden Auftritten in Brüffel. Nun durdgogen Scharen von Freiwilligen die Stadt mit dem Ruf: „Reine jelbftherrlihen Staaten! Hoch das fouveräne Volk!“ Schon richteten fich die Bajonette der Freiwilligen gegen van der Noot und feine Anhänger, doch ber Herzog von Urfel gewährte den Bebrängten ritterliden Schuß; ja, der hoch— ablige Demofrat und der bürgerlihe Dligarh umarmten und füßten fi vor allem Volk.

Von diefem BVerjöhnungsfeit, das ih am 8. März 1790 auf dem großen Marktplag zu Brüffel abjpielte, entwarf Chodowiedi eine Föftlihe Zeichnung; die buntfchedigen Satelliten der beiden Führer, Mönde und Edelleute, Fleiſcher

Zurüderoberung der öfterreihifchen Nieberlanbe. 331

und Haarfünftler, Matrofen und Schugbefohlene des heiligen Erispinus, find treffend cdharafterifiert.

„In Brüfjel geht alles drunter und drüber,” läßt Robineau den Taujend- ſaſſa Leſueur nad Paris berichten, „es ift gar nicht abzufehen, wie ſich das Poſſenſpiel noch weiter abwideln wird; geftern haben die Demofraten geliegt, aber fie haben ihre Gegner nicht wirklich überwältigt; ſechs Kannen Blutes hätten genügt, um den belgiihen Provinzen eine andre Phyfiognomie zu geben: bie Führer des Volkes haben aber nicht gewagt, jo viel zu opfern, nun werben fie es vielleicht fhon in vierzehn Tagen felbft zu bereuen haben.”!) Da es den Leuten van der Noots flar geworden war, mie nahe am Abgrund fie ge: ftanden hatten, boten fie alle Kräfte auf, um die Oberhand zu gewinnen. Zu diefem Zwede wurde das Gerücht ausgeftreut, Vond ftede mit ben Deiterreihern unter einer Dede und trage fih mit dem Plane, Brüfjel den Kaiferliden in die Hände zu jpielen. An den Kirchenthoren angebeftete Aufrufe forderten Erhebung gegen die Feinde der Verfaffung und der Religion, und es gelang auch, das Proletariat für diefe Auffaffung zu gewinnen. Mit Hülfe beute- ſüchtiger Strolde und wild erregter Bauern führte van der Noot am 16. und 17. März die Entfcheidung herbei. Es fam in der Hauptitabt zu den gröbften Ausihreitungen. Viele Häufer angefehener Progreiliitten wurden geplündert, Bond mußte entfliehen, auch dem Herzog von Urjel, der am 8. März den Minifter großmütig gerettet hatte, wurde, als er im Ständehaus gegen das Treiben der Myrmidonen van der Noots Einſpruch erhob, mit aller Deutlichkeit zu verftehen gegeben, er möge, wenn ihm jein Leben lieb jei, der Stadt den Rüden kehren.

Im Lager van der Meeris rief die Kunde von biefen Gemwaltthaten heftige Erbitterung hervor. Viele Dffiziere fagten fih vom Kongreß förmlich los; aud die Truppen wären nicht abgeneigt geweſen, gegen Brüffel zu mar: ſchieren, um mit den „jechzig Tyrannen”“ aufzuräumen.?) Allein van der Meerſch ftimmte zwar den Beichlüffen der Üffiziere bei und ließ die Papiere eines Ab— gejandten des Kongreſſes in Beichlag nehmen, war aber zu offenem Vorgehen gegen bie Regierung nicht zu bewegen. Der Kongreß hatte zum Erjag für den verbädtigen van der Meerih auf Empfehlung der Prinzeffin von Dranien einen preußifhen Offizier, Baron Schönfeld, auserjehen; dem neuen Führer war ein mwohlfeiler Triumph verſchafft worden, indem ber beftochene Rommanbant von Antwerpen, Gaveau, an Schönfeld die Citadelle auslieferte und dieſes Ereignis wie ein wichtiger Sieg gefeiert wurde. Als jedoch Schönfeld gegen Namur anrüdte, erklärten die ihm untergebenen Truppen, fie würden gegen van der Meerſch nicht Fechten. Abermals ſchien den Vondiften der Sieg in die Hände geipielt zu fein, allein auch diesmal ging er ihnen dur Zaudern und Zögern verloren. Als van der Meerſch aufgefordert wurde, fein Berhalten vor dem Kongreß zu rechtfertigen, glaubte er fi fügen zu müflen. Kaum hatte er Namur verlaffen, gewann die NRegierungspartei die Oberhand, Bond

!) Masques arrachees, II, 90. ) Borgnet, ], 165.

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und feine Anhänger fonnten ſich mit Mühe über die franzöfifhe Grenze retten, van der Meerſch wurde in Brüfjel verhaftet, und die Protefte gegen bas un: gejeglihe Gebaren der PBatrioten blieben unbeachtet. Auch in Gent, wo bie demo: fratiijhe Partei insbejondere infolge der Eiferſucht auf die bevorzugte Stellung Brüffels zahlreihen Anhang hatte, wurde ein Anſchlag gegen die Regierung mit Hülfe des Klerus unterdrüdt der Kongreß hatte gefiegt, und van ber Noot trug nicht Bedenken, den glüdlihen Erfolg zur Unterbrüdung der Gegner auszubeuten. Alle Gefängnifje wurden mit Vondiften angefült, in Brüfjel mußten die „politiihen Verbrecher“ jogar in Klöftern untergebradt werben; die ein: beimijche Prefie wurde rückſichtslos gefnebelt, nur zügelloje Ausfälle gegen die „Derräter” waren geitattet, mißliebige auswärtige Blätter durften nicht ein- geführt werden; die eigenen PBarteigenofjen van der Noots geitanden, daß der „belgifhe Geßler”, Graf d'Alton, nicht fo willfürlich gefaltet habe. Vergebens fuchte der bejonnenere van Eupen dem Mißbrauch der Gewalt zu feuern; er fah ein, daf die Republif unvermeidlih Schiffbruch erleiden müſſe, wenn die Parteien fortfahren würden, in maßlofer Wut fich jelbit zu befehden, und juchte deshalb durch heimliche Verbindung mit angejehenen Vonckiſten eine Berföhnung anzubahnen. Doch die gejundere Nuffafiung der Lage vermochte bei ben ver: blendeten Parteigenofien nicht durchzudringen. „Wer ift der Verräter am Vater: land,“ jchrieb der Ami des Belges (23. Juni), „der den Bondiften Zuficherungen gemacht hat oder mit folcher Abjicht ſich trägt, man ergreife und richte ihn! Wir find Chriften, wir fennen nicht Feindſchaft und Nahe, aber wir wollen nicht Frieden und Verföhnung mit den Feinden Gottes und des Vaterlandes!” ') Auf ein Gerüht, daß die Vondiften den Kardinal Frankenberg ermorden wollten, zogen Taujende von Bauern bewaffnet unter Führung ihrer Pfarrer in die Hauptſtadt; Bildnifje van der Noots wurden als Feldzeichen mitgetragen, und in den Schenken, wo man fie untergebradht hatte, wurden vor ihnen, wie vor Heiligenbildern, Kerzen angezündet. Der Erjefuit Feller verfocht im Journal historique bie Aufftelung von Revolutionstribunalen zur Vollendung des Werkes, das der „rührende Enthufiasmus der Landleute” in Angriff genommen habe, und noch deutlicher verlangten der Ami des Belges und der Vrai Brabancon radikale Säuberung des Yandes von Dttern und Molchen. ?)

Ein anihaulides Bild von den verworrenen Zuftänden Belgiens im Frühjahr 1790 wird in Georg Forfters klaſſiſcher Beichreibung der Reife nad Belgien, Holland, England und Frankreich entworfen.) Mag auch die Schilderung durh den Freiſinn des Verfaſſers über Gebühr zu Ungunſten des „Revolutionsipieles gemweihter Müßiggänger“ beeinflußt fein, jedenfalls hatte er damit recht, daß er die Brüffeler Berhältnifie Schon damals als un: haltbar anſah. Inmitten der reiheitstrunfenen durfte man freilich ſolche Bejorgnis nicht laut werden laſſen. „Man liefe Gefahr, gefteinigt zu werden,

') Borgnet, I, 180.

?) Dal. ©. 194, Anmerkung 1.

+, ©. Forfter, Anfichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern ꝛc., herausg. von W. Buchner; Bibl. d. Deutihen Nationallitteratur, XIII, 128.

Zurüderoberung der öfterreihifchen Niederlande. 333

wenn man fich merken ließe, daß die freiheit noch in etwas anderm beftehen müfje, als van der Noots Bildnis im Knopfloch zu tragen, daß Religion etwas mehr jei, als das gedankenloſe Gemurmel der Rojenkranzbeter.” Vor bem Rathaus zu Brüffel, deſſen hoher Turm mit dem Standbild St. Michaels ge: frönt ift, wimmelte es zwar von Bemwaffneten, aber ihre Erjcheinung war nichts weniger als friegeriih; man glaubte eher auf einer Neboute als in einem Kriegslager ji zu befinden, !) Zumal vor den Kirchenthüren drängte fich zahl: reiches Volk, denn hier waren die Mandate des Kongrefjes angeichlagen, da: neben aber auch leidenjchaftlihe Aufforderungen, gegen die inneren Feinde des Baterlands mit Feuer und Schwert einzufchreiten. Denn „das gute, chriftlich- gelehrige Volk, das fih nah den Wünfchen der Diener der Kirche gebildet hat,” heißt es im Ami des Belges (9. Juni 1790), „toll gegen die faljche Philo: jophie des Jahrhunderts geichügt, vor Toleranz, Philofophismus, Janjenismus, Bondismus, lauter Brüdern und Schweitern, bewahrt bleiben“.

Es gab bereits, verfichert Foriter, eine ftarfe royaliftiihe Partei, die auf die Anerbietungen König Leopolds gern eingegangen wäre. „Allein bie Maſſe des Volks hat von feinen Seelforgern gelernt, den Namen Yeopold mit Abſcheu zu nennen und mit demfelben, wie mit Joſephs Namen, den furdt: baren, bunfeln Begriff der Srrgläubigfeit zu verbinden. Dieje Schredbilder mögen hinreichend jein, um den Ständen den Gehorjam der Brabanter zu: zufichern; werden fie ihnen aber auch einft Kraft und Mut einflößen, Yeopolds Krieger zurüdzufhlagen? ... Die einzig gegründete Hoffnung der Etände von Brabant und der. übrigen Provinzen auf bie Erhaltung ihrer Unabhängigkeit liegt in der Eiferfucht der Mächte Europas gegen das Haus Oeſterreich.“?)

Um jo peinliher mußte in Brüfjel die Nachricht von den Reichenbadher Unterhandlungen, von der Ausföhnung Preußens mit Defterreih überrajchen! Auh in England und Holland beitand nicht viel Geneigtheit, fih an einem belgiichen Freiſtaat einen gefährlichen Nebenbuhler in Handel und Gewerbe heran: zuziehen. Sogar im deutſchen Reich wurden Stimmen laut, die, um die gänzliche Ausſchließung Deutihlande vom Norbfeegeitade zu verhindern, die Wieder: vereinigung der Niederlande mit Defterreih als Reichsſache betrachtet wiſſen wollten; habe ja doch das beutiche Reich 1732 die pragmatifche Sanktion ge: währleiſtet!“) Mit einemmal verloren fih die Freunde, erhoben fih auf allen Seiten Widerfaher der jungen Republif. Daß das Berliner Kabinett die Liebelei mit den Brüſſeler Revolutionären nur als Mittel zu vorteilhafter Auseinanderjegung mit Defterreih betrachte, fonnte nicht mehr bezweifelt werden; in Berlin wie in London wurde denn aud den Hülfe Heiichenden offen erklärt, es gebe feinen andern Weg mehr, als Verföhnung mit Leopold.

Nun wurde in Paris angepodt. Der franzöfifhen Regierung fam das Anfinnen nicht ungelegen; durch eine „große Diverfion” in Belgien

) Forfter, 149.

?) Ebenba, 205.

) J. A. Sclettwein, Die Ungerechtigkeit der Trennung der Niederlande vom Haufe Defterreih (1790), 24.

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wäre ja der Wiener Hof ein für allemal verhindert geweſen, fih in die franzöfifjhen Angelegenheiten einzumifchen. ) Oberft Dumouriez wurde aljo im uni 1790 nad Belgien abgeordnet, um ſich über die Widerftandsfähigfeit des Landes zu unterrichten und insgeheim die Uebertragung der Statthalterjchaft an den Herzog von Orleans, den man von Paris gern wegbeförbert hätte, zu be: treiben. Allein der Bertrauensmann ber franzöfiichen Regierung empfing von ben belgiſchen Zuftänden feinen günftigeren Eindrud, als Georg Foriter. Ban ber Noot jo berichtete Dumouriez nah Paris jei ein waghalfiger, Eopflojer Majanielo und van Eupen ein heuchleriſcher Schurke; beide jeien nur Werkzeuge ber Höfe des Dreibunds, über deren wahre Gefinnung das belgiſche Volt gröblich getäufcht werde. Der Armee fehle es nicht an Mut, aber an Waffen, Uniformen, Lebensmitteln, Munition, Geld, Offizieren und Kriegszucht. Ueberzeugt, daß aus diefem Chaos für Frankreich fein Vorteil erwachſen könne, verließ Dumouriez Brüffel, ließ jedoch für den Kongreß zwei Denkſchriften zurüd; die eine jollte die Bethörten belehren, daß fie von den fremden Mächten nur am Narrenjeil umber: gezogen würden, die andre ſollte nügliche Winfe für den Krieg mit dem übermädhtigen Defterreih geben. Nicht freundliher ala Dumouriez urteilte Desmoulins über die Entwidelung im Nachbarlande, defjen Erhebung er ehedem in ſchwungvoller Feftichrift begrüßt hatte. „Halten wir uns nicht länger auf mit bem chinejen- artigen Volke!” rief er in der Nationalverfammlung, „ver Verftand diefer Leute fteht fill, Fortjchritt ift ihnen etwas Unbekanntes, ihr Denten bleibt fi immer glei, wie ihr Bier, in diefem, wie im vorigen Jahre!” ?)

Am 27. Juli wurde der Reichenbadher Vertrag unterzeihnet. In Bezug auf Belgien war barin feftgefegt, daß die brei verbündeten Mächte die Zurüd- eroberung Belgiens nicht hindern follten; dagegen ficherte Leopold den ort: beitand der alten Landesverfaflung und eine allgemeine Begnadigung zu; bie Gewährleiitung diejes Verſprechens jollte den drei vermittelnden Mächten zus ftehen. °)

Als an der Ausföhnung Preußens mit Defterreih nicht mehr zu zweifeln war, richtete der Kongreß an König Friedrich Wilhelm eine Aufforderung, er möge endlich jein Gelöbnis, den Belgiern zum Sieg verhelfen zu wollen, einlöfen und fir ganz Europa ein Engel des Friedens werden. Doc auf die beweglichen Vorftellungen wurde fühl geantwortet. Es ſei durchaus falſch, erwiderte Herb: berg, die Sache jo darzuftellen, als ob Preußen die Belgier zur Revolution gereizt oder ermutigt hätte; der König von Preußen habe nur gegen Gewalt: thaten, wie fie Joſeph II. fich erlaubte, feinen Schuß in Ausſicht geſtellt; jest aber, da Joſephs Nachfolger auf dem Throne der Habsburger nicht in Unter: drüdung, jondern in Aufredhterhaltung der Verfaſſungen feine Regentenpflicht erblide, jei es an den Belgiern, den überflüffigen Widerftand aufzugeben und die eigenen Wünſche dem allgemeinen europäiichen Intereſſe unterzuorbnen.

!) Das Leben des Generald Dumouriez, von ihm jelbft beichrieben, II, 100. ?) Borgmnet, I, 212.

’) Ban de Spiegel, 291.

4) Ebenda, 303.

Zurüderoberung der öfterreihiichen Niederlande. 335

Auch im Haag machte van Eupen noch einen legten Verfuh, den Nachbar zur Hülfeleiftung zu bewegen. In einer Unterrebung mit dem Großpenfionarius van de Spiegel (11. Auguft) legte er dar, wie vorteilhaft es für die Mächte des Dreibunds wäre, wenn dem Haufe Defterreich, das jo oft die Ruhe Europas geftört und den Auffchwung friedliebender Nahbarftaaten gehemmt habe, die wichtigſte Finanzquelle verſchloſſen bleibe, jei doch für Defterreih in den Jahren 1754—1787 aus ben belgiihen Provinzen eine Einnahme von 250 Millionen Gulden gefloffen! Wan de Spiegel lehnte aber die Vorichläge des Kongreſſes als undurdführbar ab; falls es zum Bruch zwifhen Preußen und Defterreich gefommen wäre, hätte fich vielleiht die Unabhängigkeit Belgiens behaupten lafien; angefichts der Reichenbacher Konvention aber jei Unterwerfung geboten; ben Freunden Belgiens bleibe nichts andres zu thun übrig, als möglichft günftige Bedingungen zu erwirken. „Wir wollen aber nicht um ſolche Gnade betteln!” rief van Eupen, „wir wollen nichts von Unterwerfung hören, wir werben allem, was da fommen mag, fühn die Stirn bieten! Wir fürdten niemand! Unſre Armee wird binnen wenigen Tagen 40000 Mann ſtark fein; mit joldhen Streit: fräften wird fih der UWebergang der Defterreiher über die Maas verhindern laffen, und wir find entſchloſſen, uns bis zum legten Blutstropfen zu wehren!” Umſonſt riet van de Spiegel, den legten günftigen Augenblid zu Unterhand— lungen mit dem Wiener Kabinett zu benügen. „Nein, feine Unterhandlung mit Wien!” war van Eupens lektes Wort, „wir wollen überhaupt mit nie- mand zu thun haben, der nicht Elipp und klar die Unabhängigkeit unfres Vaterlands anerkennt!“ ?)

Wenn jo ftolzen Worten ftolze Thaten folgen jollten, war es höchfte Zeit, den Widerftand zu organifieren. Schon waren die für die Niederlande beftimmten öfterreihiihen Regimenter im Anmarſch begriffen, und ein Verſuch den Kongreh: truppen, das dem Haufe Deiterreich treugebliebene Limburg zu bejegen, war durch eine Niederlage bei Olne (3. Auguft) vereitelt worden. „Uns fann Gott allein noch beljen!” rief van Eupen im Kongreß, „nur auf Gottes Beiltand und eigene Kraft können wir uns ftügen!” Ein Aufruf ans Volk fuchte aber wieder die troftlofe Lage zu beihönigen, indem bie faljche Behauptung aufgeftellt war, auf dem Reichenbacher Kongreß jei in Bezug auf Belgien überhaupt fein end» gültiger Beſchluß gefaßt worden; nur für alle Fälle jei es geboten, das Heer in Achtung gebietenden Stand zu jegen, um Herb und Altar zu jchügen. „Wir wollen der Welt zeigen, daß es noch Belgier gibt, und daß wir nicht umſonſt unsre Hoffnung auf Gott den Herrn gejeßt haben. Wenn wir die Altäre Gottes verteidigen, wird er unfre Herde beſchirmen.“?) Zur Rettung des Vater: lands wurde allgemeine Bolfsbewaffnung angeordnet und eine Zwangsanleihe von zehn Millionen eröffnet.

In den offiziellen Anjpraden wurbe immer wieder an Makkabäiſchen Opfermut und altrömifche Heldenthaten erinnert, doch aud) die ſchwungvollſten Worte vermochten nicht in weiteren Kreijen thatkräftigen Pflichteifer wachzurufen:

) Ban be Spiegel, 313. ?) Borgnet, 1, 204.

336 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

nur etwa 20—30000 Landleute folgten dem Aufgebot. Das Lager der neuen Kreuzfahrer bot ein wunderliches Schaufpiel. Die Pfarrer und PVifare, mit Säbeln umgürtet, marjchierten an der Spite ihrer Pfarrfinder,; bis an bie Zähne bewaffnete Mönde tummelten fih zu Pferde; ſogar einzelne Biſchöfe verjahen die Stellen von Heerführern. Die meiften LZagergenofjen waren mit Jagdflinten, viele nur mit Nerten und Knütteln bewaffnet; als gemeinfames Abzeihen trugen fie rote Aufihläge an den Röcken. Den Oberbefehl führte van der Noot, der ji, um fein Leben gegen Anjchläge der Verräter zu jhügen, mit einer Leibwache berittener Brüfjeler Bürger umgeben hatte. Gemeinfame Gebete und fromme Gefänge wecdjelten mit Waffenübungen. „So bereiteten ih,” jchrieb der Vrai Brabangon, „die Juden in ber glorreihen Zeit, da Viaffabäus, das Vorbild riftlicher Feldherrn, fie anführte, zu ihren Feldzügen vor: durch brünftiges Gebet und heiße Andacht. So wird das Lager der frei: willigen zu einem Lager ber Heiligen werben!” ... „Ehe ein Monat vorüber ift, werben die Defterreiher aus Luxemburg weggefegt fein!” Auch in deutſchen Zeitungen wurde von Brüfjeler Korrefpondenten der ftolzeften Zuverficht Aus- drud gegeben: „Geſättigt, jchliefen die Belgier, wie der Löwe, über ihrem Glüde ein; gereizt, jchütteln fie ihre Mähnen, ftehen zufammen von ganzem Herzen und rächen fih als Helden!” ?)

Unzweifelhaft hätte van der Noot vor allem trachten follen, Zeit zu ges winnen, um die Nüftungen in ausgebehnterem Maße zu betreiben und die Neulinge im Waffendienit beſſer einzuüben, doch ihm erſchien es nütlicher, jo raſch wie möglich einen entjcheidenden Schlag zu führen; offenbar hoffte er, durch einen glüdlihen Erfolg auf die drei Mächte, deren Vertreter am 17. Sep- tember im Haag mit faiferlihen Bevollmächtigten zur Regelung der belgischen Frage zufammengetreten waren, einen Drud zu Gunften Belgiens auszuüben. Auf van der Noots Geheiß wurde an verfchiedenen Punkten die Maas über: Ihritten, aber die Belgier wurden überall, wo fie mit faiferlihen Truppen zufammenftießen, geſchlagen und zurüdgebrängt (22.—24. September). „Die Brabanter,” jpottete Schubart in der Vaterländijchen Chronif, „find lauter Merkuren geworben, an Kopf und Fuß geflügelt!” ?) | Unter dem Eindrud der Niederlage wuchs der Parteihader nur um jo leidenfchaftliher empor. Wenn die Bemannung eines Schiffes fich gegen ihre Führer aufgelehnt und den Kapitän und den Steuermann verjagt hat, jo müſſen auf die Kommanbobrüde und ans Steuerruder fofort wieder feefundige Männer geftelt werden, denen alle unbedingten Gehorfam ſchulden. Wenn aber die Aufftändiichen jelbit fih in Parteien jpalten und das Ded der Schauplaß leiden: Ihaftliher Kämpfe bleibt, jo wird das Fahrzeug an der nächſten Klippe ſcheitern. Diefem Schidjal mußte auch Belgien verfallen, da ſich der ganze nationale Aufſchwung in Parteiung und Selbſtſucht aufgelöft hatte. Die meilten Edel: leute wären am liebften jofort unter das alte Regiment zurüdgefehrt; die Aremberg, Urfel und andre vornehme Familien gaben ſich faum noch Mühe,

) Mündner Zeitung, Jahrg. 1790, 686. ?) Baterl. Chronik, Jahrg. 1790, 554.

Zurüderoberung der öfterreichifhen Niederlande. 337

ihre Hinneigung zu Defterreich zu verbergen. Auch in den wohlhabenden bürger: lihen Kreifen herrichte diefe Gefinnung vor, denn unter dem Gewaltregiment der Stände und infolge der Anftrengungen, welche die Selbfterhaltung erheifchte, hatten Handel und Gewerbe, Kunft und Wiſſenſchaft ſchwer zu leiden. Auch im Lager der Freiwilligen war der Kriegseifer gedämpft; die Führer hatten Mühe, die Mannſchaft beifammen zu halten; war doch den einberufenen Bauern und Handwerkern verjichert worden, der Feldzug werde in wenigen Wochen zu Ende fein!

Endlich ordnete auch der Kongreß einen Gejandten nah dem Haag ab, jedoch niht um Unterwerfung anzubieten, ſondern nur um durch Schein: verhandlungen Zeit zu gewinnen, denn no immer beraujchten fich die kriegs— luftigen Führer an der Hoffnung, dur Aufgebot der ganzen Bevölkerung einen glüdlihen Umſchwung zu ermögliden. Durch die Brandreden und faljchen Vorſpiegelungen der Führer fanatifiert, wollte die Menge in ihrer revolutionären Ueberreiztheit alle von Vernunft gezogenen Schranken überjpringen. Keine Verftändigung mit Leopold, dem Feind des Glaubens und der Kirche! Keine Verftändigung mit den Lauen und Lahmen, die mit PVernunftgründen den Verrat am Vaterland bemänteln wollen! Ein Pamphlet „Die Brüffeler Frei- willigen und ber jouveräne Kongreß“ enthielt die leicht verftändliche Auf: forderung: „Damit genug für heute, aber morgen müfjen wir alle Verräter, die es im Kongreß und bei andern Behörden gibt, aufjuden: es müjlen Erempel ftatuiert werden!” Wirklich drangen einmal ein paar Dußend Freis willige in die Verfammlung der Stände von Brabant ein und verlangten, es jollte zum Gefeß erhoben werden, daß jeder, der fih auf Zugeltändnifje an Leopold einlaffe, gehängt werde. Die ungebetenen Gäfte traten in brutaliter Weife auf, einer ſchlug mit der Fauft jo derb auf den Tiſch, daß alle Schreib: zeuge überflojien. Das Straßenvolf in Waffen war jetzt Brüſſels Gebieter, die Regierung völlig abhängig vom Defpotismus der von Elend, Begeifterung, Furcht und Beutegier vorwärts getriebenen Maſſen. Van der Noot aber ſchien fih der Zuverficht hinzugeben, er brauche nur, wie Mojes, während des bevor: ftehenden Kampfes die Hände gen Himmel zu heben, jo werde der Sieg ber Republik gefichert fein.

Am 14, Oktober richtete Leopold von Frankfurt aus, wo er furz vorher die Kaiferfrone empfangen hatte, einen in ruhigem, aber feſtem Tone gehaltenen Aufruf an die Belgier. Darin war das Verjprechen wiederholt, daß die Ver: faffungen aller Provinzen auf dem Standpunkte, den fie zur Zeit Maria Therejias eingenommen hatten, belafjen bleiben joltten; nur ſolche Veränderungen, welche das öffentliche Wohl erheiiche, follten auf Fonftitutionelem Wege, d. i. im Einverftändnis mit den Vertretern der Provinzen getroffen werden. Zugleich wurde eine Amneftie bewilligt, von welcher nur diejenigen ausgenommen fein follten, die etwa verhindern würden, daß das Gnadenwort des Kaijers zu allgemeiner Kenntnis gelange. Bis zum 11. November wurde zu freiwilliger Unterwerfung Frift gegeben; nad) Ablauf diejes Termins werde die Ffaiferlihe Armee ein- marjchieren und die Amneftie außer Kraft treten. ')

) Ban de Spiegel, 325. Heigel, Deutfche Gedichte vom Tode Friedrichs d. Br, bie zur Auflöſung des deuiſchen Neicht. 22

| 338 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

Dieje faiferlihe Afte wurde am 31. Dftober im Haag von ben Vertretern der Vermittlungsmäcdte, Lord Audland, Graf Keller und van de Spiegel, ben belgiichen Bevollmächtigten übergeben, mit der Erklärung, daß zwiichen den drei Mächten und Kaijer Leopold vollfommene Uebereinftimmung beftehe; daran ward die Mahnung geknüpft, die Belgier ſollten fich raſch unterwerfen, widrigenfalls fie ebenjo des Wohlwollens der drei Mächte, wie der faiferlihen Gnade verluftig gehen würden.

Im Manifeit vom 14. Oftober waren mande Zugeſtändniſſe, die ber Kaifer am 2. März dur jeine Schweiter Marie Ehriftine in Ausficht geftellt hatte, nicht mehr enthalten, 3. B. daß die unter ber früheren Regierung an: geftellten Beamten nicht mehr in Wirkſamkeit treten jollten, daß zu Statt: baltern nur Mitglieder des einheimischen Adels oder Erzherzoge zu berufen feien, die Minifter und der Oberlommandant dem Statthalter untergeordnet jein follten u. ſ. w. !)

Auch ohne ſolche einichränfende Beitimmungen wäre das Ultimatum in Brüffel nur mit Wutgejchrei aufgenommen worden. Die Menge gefiel fih in läppiichen Kundgebungen. Das kaiſerliche Schriftftüd wurde unter großem Spektakel auf dem Marktplag verbrannt. Eine „Antwort des jouveränen Volkes von Brabant”, ein unfäglih albernes Machwerf, wurde in Umlauf gejekt; darin Heißt es u. a.: „Da Uns berichtet worden ift, daß die angekündigte Schrift, die nur eitles Wortgepränge und hohle Beriprehungen enthält, wirflih in Unjerem Lande verbreitet it, jo thun Wir zu willen, daß Wir Uns nad} reifliher Ueberlegung und fraft Unfrer fouveränen Macht entichlojjen haben, jene Kundgebung des Dejpotismus zu verurteilen, daß fie bei Tages: anbruh auf dem großen Marfte Unjrer Hauptftadt zu Füßen des Freiheits— hutes in Stüde zerriffen und dann verbrannt werden fol. Wir erlauben, daß diefes Unjer Dekret gedrudt und an der Stange des befagten Freiheitshutes, und wo es ſonſt nötig erfcheint, angeheftet werde. So geichehen und bejchlofien zu Brüfjel, Unfrer Hauptitadt, am 6. November 1790, im zweiten Jahre Unfrer Regierung. Das jouveräne Volk von Brabant.“ ?)

Veberhaupt läßt ſich aus der durh das Kaiferwort bervorgerufenen Pampbletlitteratur am beutlichiten erjehen, welchen Grad von FFieberhige bie Aufregung in den „patriotiihen” Kreifen erreicht hatte. Schon im Frühjahr hatte fih orfter über die Maffenproduktion auf diefem Gebiet gewundert und geärgert. „Plumpheit im Ausdruck, der gemwöhnlih bis zu Schimpfwörtern binunterfteigt, ein fchiefer oder vollends eingejchräntter Blick, ein mattes, ober: flächliches, einjeitiges, abgenußgtes Raifonnement, und auf der ariltofratifchen Seite noch zu diefem allem ein blinder Fanatismus, der feine Blöße ſchamlos zur Schau trägt: das ijt die gemeinjchaftlihe Bezeihnung aller niederländifchen

') Parallele entre les conditions proposees aux Etats Belgiques par la declaration de l’archiduchesse gouvernante en date du 2 mars 1790 et celles, qui sont contenues dans le manifeste de l’Empereur en date de Francefort du 14 octobre 1790 (par un des ministres), 1790.

) Borgnet, I, 219.

Zurüderoberung der öfterreihiihen Niederlande. 339

Hefte des Tages.) In der Schrift „Das ganze belgiſche Wolf” wird das Manifeit ein „Werk des Hafjes und der Schurferei” genannt, Leopold „ein noch gottloferer Ränkeſchmied, als Joſeph IL” „Er wirbt überall Näuber und Banditen, um fie gegen uns ins Feld zu ſchicken; er verläßt fich darauf, daß es in unfrer Armee immer noch einige Verräter gibt, ſogar Offiziere von Rang, die fi nicht fchämen, zum Ausgleih zu raten. Dod er ftübe fich nicht auf jo ſchwachen Beiftand, denn wir find feit entichloffen, uns um jeden Preis jener Schurken zu entledigen, fie, ſowie alle andren Royaliften zu verjagen oder ſogar aufzuhängen, wenn fie nicht offen ihren Verrat abſchwören und ihrer Gottlofigfeit, ihren Läfterungen und Seßereien entjagen.”?) Eine andere Flugſchriſt nennt den Kaiſer „gierig, wie ein Wolf, graufam, wie ein Tiger”; „er hofft wohl inmitten des allgemeinen Blutbads und Unbeils eine unrehtmäßige, immerdar verabjcheute und verfluchte Autorität aufrichten zu fönnen, allein er wird, ba das Maß feiner Sünden voll ift, endlich für feine Gottlofigkeit, für feine Ver: achtung der Menichenrechte und bes göftlihen Gerichts den verdienten Lohn erhalten.” ?)

Andrerjeits wird in zahlreihen Flugihriften der Nüdfehr unter den alten Zandesherrn das Wort geredet und Leopolds Herrichertugenden warmes Lob geipendet. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung wäre ja bereit gewejen, fih von der Revolution loszufagen. Namentlih in Brabant fehnten fich viele wieder nad den Glanze eines Hofes;*) viele wollten jich nicht länger ver: hehlen, daß der Parteihader unvermeiblih die Kraft des Landes aufzehren werde, daß nur ein ftarfer Regent die notwendige Ruhe zurüdbringen Fönne. °) Das „belgifhe Martyrologium aus dem eifernen Jahre 1790“ zieht einen Ber: gleich zwiichen dem Kultus der Niederländer mit van der Noot und dem Tier: bienft ber Wegypter, die audh nur aus Furcht und Schreden dem Krokodil göttlihe Ehre erwiejen.‘) Ein Flugblatt „Die rebelliihen Engel der Nieder: lande“ zeigt, wie der Noler triumphierend auf dem Throne fich niederläßt, während der Anhang van der Noots in toller Haft den Berg hinabflüchtet.

Den republifaniihen Waften gereichte zum Nachteil, daß General Schön: feld, der jeit dem Sturze van der Meerſchs den Oberbefehl führte, als geborner Preuße jeit dem Abſchluß der Neichenbaher Konvention mit argwöhniſchen Augen betradhtet wurde; Dumouriez bezichtigt ihn fogar, doch ficherlihd mit Unredt, des DBerrates.”) Obwohl Schönfeld auf die Unzulänglichkeit feiner

'! Gg. Forſter, I, 184.

2) Le peuple Belgique entier (1790).

9) Avis et sentiments d’un homme qui ne prötend s’attribuer que le sens commun pour juger de la conduite de Pierre Leopold ete, (1790).

* Sg. Forſter, I, 220.

) Diefe Tendenz verfolgen: Les quatre-temps d'un honnete Belge, qui pendant la revolution ne fut ni royaliste, ni patriote, ni statiste, ni Vonckiste, ni aristocrate, ni democrate (1790); Mon hommage ü Leopold II ou idees philosophiques sur la necessite de delivrer la Belgique des moines, qui l'inondent et la detruissent (1791); Le desespoir des democrates Brabangons (1791) etc.

*) Le Martyrologe Belgique l’an de fer 1790, 64.

) Das Leben des Generald Dumouriez, von ihm felbft geichrieben, II, 108.

340 Zweites Bud. Zweiter Abfchnitt.

Streitkräfte hinwies, beichloß der Kongreß, am Widerftand feitzuhalten, allein eine Bitte um Verlängerung des Waffenftillitandes wurde im Haag abgelehnt. „Keine Stunde Aufſchub!“ ermwiderte Graf Mercy: Argenteau, der Vertreter Deiterreidys im Haager Kongreß.

Um nicht allein die ganze Verantwortung zu tragen, verjtärkte fich der Kongreß durch Mitglieder der Provinzial:Zandtage. Am 13. November eröffnete van Eupen die Verhandlungen mit feuriger Rede. Groß jei die Gefahr, aber von Verrätern werde fie übertrieben; die Hoffnung auf Hülfe brauche nicht auf: gegeben zu werden; eine ftattlihe Schar Baftilleftürmer ziehe den bedrängten Brüdern zu Hülfe; die Nachricht vom Anmarſch überlegener kaiſerlicher Heeres: abteilungen jei ein Märchen. Ebenjo die Erhaltung der Religion, wie die Sorge ums Vaterland lege die Piliht auf, im Kampf gegen Leopold auszuharren. Ale Anweſenden jollten, die Hand aufs Kruzifir legend, Treue geloben bis zu Sieg oder Ilntergang.

Allein van Eupens Anträge fanden bei der Mehrheit der Verfammlung nur froftige Aufnahme. „Heute wendet ihr euch an den britten Stand!” rief der Bürger Haut von Namur, „ihr betrachtet ihn als Vertreter des Volkes, ihr zieht ihn zu Nate, ihr wollt euch aus ihm für die Verhandlungen mit den drei Miniftern einen Panzer machen! Aber glaubt ihr denn, daß ihnen die Schwäche diefes Panzers entgehen wird? Willen fie denn nicht, daß ihr allein die öffentlihen Angelegenheiten und Intereſſen durch Aufitelung von Theorien, deren Schwäche euch jegt ſelbſt einleuchtet, beherricht habt? Thut jekt alles, was ihr wollt, ihr werdet euch euren Feinden gegenüber nicht mehr der Ver: antwortung entichlagen können, fie laftet auf eurem Haupte! Es ift eure That: tragt jet auch die Folgen!” ')

In zwölfter Stunde, am Abend des lekten Tages vor Ablauf der Waffen: ruhe (21. November) faßte der Kongreß den Beihluß, den dritten Sohn des KRaijers, Erzherzog Karl, zum Großherzog von Belgien zu erheben; dadurch ſollte der Kaijer verjöhnt und, wenn nicht die Nepublit, doch die nationale Selb: ftändigfeit gerettet werden. Unter den gegebenen Verhältniffen war aber dieje Mahl nur eine Poſſe. Die Boten, welde dem kaiſerlichen Feldmarſchall Bender melden follten, weldes Heil dem Haufe des Kaiſers widerfahren jei, wurden gar nicht vorgelaflen. Unmittelbar nah Ablauf des Waffenftillftandes rüdten die Kaiferlihen über die Maas. Schon am nächſten Tage ergab fid Namur; die Sieger wurden wie Befreier in der feſtlich geihmüdten Stabt empfangen. Als dem unfähigen Schönfeld der Oberbefehl abgenommen mwurbe, lief der größte Teil der Kongreßtruppen auseinander. Auch der neue Kommandant, General Köhler, fonnte Brüffel nicht deden; die Bürger ſelbſt dachten gar nicht mehr an Verteidigung. Van der Noot, van Eupen und andre Führer des Aufftands entzogen ſich durch Flucht der Nahe des betrogenen Volkes; auf Ein: ladung des Landtags hielt Marihal Bender am 2, Dezember feitlihen Einzug in der Hauptftabt Brabants. Nachdem fih in Gent das legte Häuflein be-

') Th. Juste, Hist. du rögne de l’empereur Joseph II et de la revolution belge de 1790, III, 28.

Zurüderoberung der öfterreihiichen Niederlande. 341

waffneter Freiihärler aufgelöft hatte, ergab ſich auch die Hauptitadt Flanderns, nirgends ftießen die Kaiferlihen auf erniten Widerftand, faſt ohne Blutvergießen wurde das ganze Land bejegt.

Gerade während der preufiihe Kammerherr von Ned, der die Glüd: wünſche jeines Königs zur Kaiferfrönung nad) Wien zu überbringen hatte, bei Fürft Kaunig zu Tiſche ſaß, traf die Meldung des Grafen Palffy ein, daß der belgifche Aufitand als beendigt angejehen werden könne; Palffy felbit habe, während Marſchall Bender noch einige Meilen entfernt war, mit etwa 15 Hufaren von Brüffel Befit genommen. „Das ift ein Beweis,” rief Kaunig, „da nur die Kanaille widerftrebt hat, und daß in den befjeren Ständen der Nation niemand im Widerſtand beharren will!” Gleichzeitig ſandte der Kaijer ein Billet, worin der Freude Ausdrud gegeben war, daß die Unterwerfung fih ohne Blut: vergießen vollzogen habe. Auch über die Nachricht, daß van der Noot durchs Fenſter entfommen jei, war Zeopold hoch erfreut. „Gott ſei gedankt, daß er gerettet ift, daß ich alſo nicht vor die harte Notwendigkeit geftellt bin, ihn feiner Schuld entjprechend zu Strafen!” !)

Am 12. Dezember ftimmte Kardinal Frankenberg im Münfter St. Gudula das Tedeum an, ein harafteriftiiches Gegenftüd zu jenem feierlihen Empfang van der Noots nach Vertreibung der Defterreiher! ?)

Die belgifhe Revolution war von Leopold befiegt, doch blieb fie Siegerin über Joſeph II. Leopold jelbit willigte ein, daß durch den Haager Schluß: vertrag vom 10. Dezember fait alle Joſephiniſchen Neuerungen umgeitoßen wurben. Nach der von Graf Mercy und den Gelandten des Dreibunds unter: zeihneten Konvention jollten ale Verfafjungen, Privilegien und Gebräude der Niederländer, wie fie von Karl VI. und Maria Therefia anerkannt worden waren, wieder aufleben. Desgleihen wurden alle Verordnungen Joſephs in Bezug auf Klöfter, Seminarien, Prozeffionen ꝛc. aufgehoben, alle geiftlichen Angelegenheiten unter unmittelbare Leitung der Biſchöfe geftellt, die Klöſter wenigſtens teilweije ihrer Beftimmung zurüdgegeben, die Privilegien der Uni: verfität Löwen wieder in Kraft gejegt. Außerdem gelobte der Kaifer, nur mit Zuftimmung der Stände Abgaben zu erheben, von Einführung der Konjkription Abftand zu nehmen und niemals Truppen gegen Bürger aufzubieten, es fei denn zur Durdführung von Beichlüffen der einheimifhen Gerichte und Obrigfeiten.

Unter diefen Bedingungen verbürgten Preußen, England und Holland dem Kaiſer „auf ewige Zeiten” den Befig ber belgiihen Provinzen.) Schon von Beitgenofjen wurde es befremdlich gefunden, daß gerade drei protejtantijche Mächte dem Fatholifhen Kaifer die Verpflihtung auferlegten, die Reform des

!) Preuß. St.:Arhiv. Acta, betreffend die Schidung bes Kammerherrn von Red nad Wien 1790.

2) Juste, III, 91. In Theiners Biographie des Kardinald Frankenberg wird die Feier in St. Gubula nit erwähnt. Die Behauptung, bie Belgier hätten fih nur deshalb dem Kaiſer unterworfen, weil die Franzofen „nach diefen fchönen Provinzen geizten” (5.219), ift natürlich nicht aufrecht zu halten.

®) Hertzberg, Recueil etc., III, 234.

342 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

Kirchenweſens, die Joſeph II. mit Anlehnung an die Tendenzen der Reformation durchgeführt hatte, zu vernichten. Die Unterwerfung des von ſo unfähigen Köpfen geleiteten Belgiens wäre auch ohne Zuſtimmung der drei Mächte nicht allzu ſchwer gefallen; wenn ſich Leopold trotzdem zu ſo weitreichenden Zugeſtändniſſen herbeiließ, ſo geſchah es wohl mit dem Vorbehalt, eine günſtigere Gelegenheit zur Wiedererlangung unbeſchränkten Einfluſſes abzuwarten.

„Dem Grafen Mercy,“ ſchrieb Leopold an ſeine Schweſter Marie Chriſtine, „haben wir die Erhaltung der Niederlande zu verdanken! Ihr Sekretär tanzt in meinem Zimmer vor Freude!” !) Mercy wurde denn aud dazu auserfehen, bis zu völliger Beruhigung des Landes an Stelle des Statthalterpaares die Verwaltung zu übernehmen, ?) eine Aufgabe, die Erzbiſchof Pradt mit Rüdficht auf den no immer die Gemüter verwirrenden Parteigeift mit dem Auftrag verglich, eine Schadhtel mit Flöhen offen zu halten, ohne daß einer der be— henden Inſaſſen heraushüpfe.

Den Ausgang der belgiſchen Revolution verſpottet Weckherlin in folgender Fabel. Die Schafe in Elis empörten ſich wider ihren Gebieter. Zuerſt wurde Pan abgeſchickt, damit er den Rebellen auf der Flöte ſüße Weiſen vorpfeife und ſie dadurch zur Ruhe bringe. Als dies nicht half, ſollte Aeskulap ſeine Kunſt verſuchen, doch auch die Mittel des Arztes ſchlugen fehl. Da ergrimmte Jupiter; er ſchüttelte die Locken ſeines Hauptes, und die ganze Herde ſtob auseinander. Ein paar Wölfe im Schafspelz, die den Aufruhr angefacht hatten, entkamen. „Und jo ungeitraft läfjeit du fie entrinnen?” fragte der Nat der Götter. Doch Zeus antwortete: „Würde mir ihre Haut den Schaden erjegen?” ?)

Durch flug bemeffene Zurüdhaltung brachte Yeopold auch die gefährliche Bewegung in Ungarn zum Stillitand. Nachdem einmal durch die garmaniſato— riſche Politik Joſephs II. das Nationalgefühl der adelihen wie der bürgerlichen Kreife wachgerufen war, hatte das Edikt vom 28. Januar 1790, das die Ver: orbnungen Joſephs für Ungarn zurüdnahın, die Aufregung nicht mehr zu be: ſchwichtigen vermocht. Die gerade in Ungarn übermäcdtigen Privilegierten hatten von ben been der franzöfiichen Revolution fo viel aufgenommen, als mit dem Fortbeitand ihrer alten Vorrechte und Anſprüche vereinbar war; unter ‚Freiheit verftanden fie die Unantaftbarfeit ihrer jozialen Stellung, unter Nation den Ring von einigen Hunderttaujend Edelleuten und dem damit eng ver: bündeten Klerus. Nur diefen Bevorzugten war Möglichkeit gegeben, öffentlich die Stimmen zu erheben, und die Sprade, die fie fih im März 1790 in den Verjammlungen der Geſpannſchaften gegen den Nachfolger des „deutichen Königs mit dem Hut” erlaubten, war verwegen genug.*) Von der Preßburger Geſpannſchaft wurde eine Erklärung abgegeben, die ungariihe Nation habe bie Erbfolge des weiblichen Zweiges der Habsburger nur unter ber Bebingung zus

1) Molf, II, 204.

?) Juste, Le comte de Mercy-Argenteau, 82.

) Wedherlin, Paragraphen, I, 241.

) Horvath, Gefchichte der Ungarn, Il, 616. Fehler, Gefhichte von Ungarn (2. Aufs lage), V, 589.

MWiederherftellung der Ruhe in den Erblanden. 343

Pflihten nachkomme; der Vertrag zwiſchen Dynaftie und Volk verliere alfo feine Rechtskraft, jobald jene Zufage nicht erfüllt werde; einer jelbitherrlich fich ge: barenden Regierung jei die Nation feinen Gehorfam ſchuldig. Daran fnüpften ih die übertriebenften Forderungen; vor allem wurde ftürmifch die Aufhebung des von Maria Therefia eingeführten Urbarialſyſtems verlangt.

Die Antwort LZeopoldos im Manifeft vom 14. Mär; war mild und ver: ſöhnlich, doch befriedigte fie die Ungarn nicht, weil fie nicht jo weitreichende konſtitutionelle Zufiherungen enthielt, wie der Aufruf an die Niederländer. Man babe feinen Augen nicht getraut, erwiderte der Peiter Komitat, als man aus dem Manifeit die traurige Gewißheit eriah, dab die Negierung für ihre Ver: fafjungstreue feine genügende Bürgichaft leiſten wolle.

Gewiß würden fi die Herren ſolche Sprade nicht erlaubt haben, wenn ihnen nicht Ausfiht auf preußiſche Hülfe eröffnet gewejen wäre. Auch von Rom wurde gegen den antikurialiftiihen Schüler Scipione Niccis Propaganda gemadt. In einem merkwürdigen Briefe an jeine Schweiter gibt Leopold jelbft diefer Auffafiung Ausdrud; die Worte geben auch dafür Zeugnis, daß von einer „Belehrung“ Leopolds nicht zu ſprechen ift, dab er nur, weil es ihm als Gebot der Staatsklugheit erichien, öffentlih von den Joſephiniſchen Grundfägen fih losjagte. „Was Rom betrifft,” jchrieb er am 17. Juni an Marie Chriftine, „io wüßte ih nicht, weshalb ich es jchonen jollte, nachdem dieſer Hof gegen mich und meine Familie ganz offen und jchamlos den Aufruhr gepredigt hat; er leugnet dies nicht einmal, er thut noch alles, um die Ungarn aufzumwiegeln, jo daß jogar auf dem Reichstag in Buda angeregt worden ijt, dem Papit eine Ergebenheitsadrejje zu jenden; er treibt es ebenjo in Galizien, in der Lom— bardei, in Tosfana; obgleih ih in allen firdlichen Fragen nachgegeben babe, wird von Rom das Volk gegen die Regierung aufgehetzt. Ich ſpreche gar nicht von den Niederlanden und von Deutichland, bejonders von Münden, dies ift ja ohnehin befannt. Ebenſo het er Polen gegen uns, hegt durch Luccheſini und den Grafen Guiccioli, der von Rom eigens nad Berlin gejandt worden ift, um an biefem Hof gegen uns Stimmung zu maden, den Frieden zu erichweren und den Wahltag in Frankfurt zu jtören. Ich jchone die Mönde, jo viel ich vermag, aber ich kann weder offen zeigen, daß ich jie achte, noch ihnen die ganze Autorität, die fie befaßen, zurüderftatten; ohnebies achten fie weder Zaum noch Grenzen. Glauben Sie mir, ich thue alles, was ich kann, doch bei der gegen: wärtigen äußeren und inneren Lage, mit meinen Leuten und bei ber jegigen Stimmung läßt fi Gutes weder vollbringen, noch für die Zukunft voraus: jehen, und Sie werden fid in furzem überzeugen, was für ſchöne Dinge der ungarifhe Reichstag bringen wird!” !)

Am 6. Juni wurde der Reichstag eröffnet, zum erftenmal feit 230 Jahren wieder in der Landeshauptſtadt Dfen. Die Aufregung in ftändiichen Kreifen war noch immer im Wachſen begriffen; die Mehrheit war entichlojjen, ſich ein für allemal gegen Angriffe auf ihre feudale Verfaſſung zu fihern. Durch ein Inauguraldiplom, gewillermaßen ein Gegenftüd zur Wahllapitulation der

) Wolf, II, 161.

344 Zweited Buch. Zweiter Abſchnitt.

römifhen Könige, jollte der Wiederkehr eines Regierungsiyftems, wie es Staifer Joſeph zur Geltung zu bringen verfuht hatte, für alle Zeit ein Riegel vor: geihoben werden. Leopold ließ fi aber auch durch beleidigende Angriffe nicht aus jeiner abwartenden Haltung aufftören. Erſt nachdem der Vertrag von Reichenbach die Gefahr einer preußiſchen Offenfive befeitigt und ein Sieg Cler: faits bei Kalafat (26. Juni 1790) die Kriegsluft des Diman gedämpft hatte, wurde die Sprade der Regierung gegenüber den Ständen entichlofjener und deutlicher. Am 20, Juli erging an den Oberftlandesrichter ein Erlaß, der den allzu üppigen Hoffnungen der Stände ein Ziel ſetzte. Die Geduld des Königs, war darin erklärt, jei endlich erſchöpft, denn es ſei nur allzu Elar geworden, daß viele Ungarn, ja jogar ungariſche Behörden nicht in gleihem Maße, wie der König ſelbſt, von Ehrfurdt vor dem Geſetz erfüllt ſeien. Ein neues Inaugural— biplom werde fih der König niemals aufdrängen laflen; wie es unter Maria Therefia gehalten worden jei, jo joll es aud ferner jenfeits der Leitha ver: bleiben. Wenn nochmals Neußerungen fielen, wie 3. B., die legitime Thron: folge in Ungarn jei durch die Negierung des nichtgefrönten Joſeph als unter: broden anzujehen, jol gegen ſolchen Hochverrat fireng eingejchritten werden. Inzwiſchen war aud im Bürgerjtand teild durch den Einfluß der franzö- fiihen Revolution, teils infolge der ſelbſtſüchtigen Politik der Privilegierten eine lebhafte Bewegung in Fluß gefommen. Sogar aus reaftionären Wiener Kreifen erging die Mahnung, der dritte Stand in Ungarn möge fi) doch endlidy der groben Willfür des Adels, der in Bürgern und Bauern nur geborene Anechte erblide, fräftiger erwehren. Die ſchon erwähnte Fluafchrift „Babel”,') als deren Verfaſſer fi der Herausgeber der „Wiener Zeitjchrift”, Alois Hoffmann, befannt hat,“) zog zwiſchen dem Ofener Reichstag und der Pariſer National: verſammlung eine Parallele, die freilich bald dem Fluch der Lächerlichkeit an— heimfallen jollte. Im Pariſer Parlament herriche ohne Störung und Trübung bolde Eintradt, während in Ofen, wo nur Mißgunſt, Neid und Eiferjucht zu Worte kämen, eine Verwirrung eingerifjen jei, wie bei dem Turmbau zu Babel. Dort ftreite der Bürgerftand mannhaft gegen tyranniſchen Ariftofratismus; bier laſſe fih ein Volk von fieben Millionen durch 70000 Edelleute am Gängel: bande führen. Dort habe der Drang nad} Freiheit zur Zerftörung ber Baitille geführt; bier werde von den Ariftofraten durch das geplante Jnauguraldiplom eine neue Zwingburg zur Knechtung des Yandes aufgerichtet. Dort ziele alles Thun und Tradten auf Gleichheit aller Bürger; bier ſollen durch das neue, „mehr als hunnifche” Grundgeſetz bie legten Ehrenrechte der Bürgerlichen ver: nichtet werden. In Frankreich werde, abgefehen von einigen zügellojen Streichen bes Gafjenpöbels, die Ehrfurdt vor dem König nie und von niemand verlegt, in Ungarn gelte es als patriotifche Pflicht, gegen den rechtmäßigen Yandesherrn den breiften Ton rebelliiher Bauern anzujchlagen. Möchten doc endlich ber Landmann und ber Bürger in Ungarn in den Spiegel der franzöfifchen Zu:

’) Babel, Fragmente über die jehigen politiihen Angelegenheiten in Ungarn, Gedrudt im römifchen Reiche, 1790. 2) Miener Beitfchrift, I, 304.

Wiederherftellung der Ruhe in den Erblanden. 345

ftände bliden und aus diefem Bild den Mut zu männlichen Thaten jhöpfen. „Wendet eure Ohren weg von den verderbliden Eingebungen eurer treulojen

Aufwiegler, . . . entfernt die giftigen Obrenbläjer von euch, die aus einem fremden Lande zu euch kommen und euh Haß und Uebermut lehren gegen euren guten und rechtmäßigen Erbfönig, . . . hütet eudy, durch entehrende Be:

leidigungen die Gewalt eures Königs einzufchränfen, zu einer Zeit, wo er um eures PVaterlandes willen ale Macht bedarf, um euren und feinen Feinden zu widerftehen!”

Gegen jo „maßloje Verhegung des gemeinen Mannes” legte ein „freier Ungar” Verwahrung ein, jedod nicht ohne fich ebenfalls gegen das Uebermaß ber nationalen Reaktion auszuſprechen, ja, es wird fogar anerkannt, daß Joſeph II. bei jeiner Zurückweiſung der Anmaßung des ungarischen Adels Recht und Staatsflugheit auf feiner Seite gehabt habe. „In Wahrheit werben die kom— menden Generationen fih wundern, daß wir nad dem Tode Joſephs aud das Gute von der Erde vertilgten, bloß darum, weil e8 aus Defterreich fam.” !)

Gleichzeitig regte fi der Tiers-Etat auch in Galizien. Auch hier wurden Klagen laut, daß ein paar hundert Edelleute es wagen fönnten, als die einzigen Vertreter der Nation fi aufzufpielen; ber Regierung wurde zugerufen, fie möge zum Schutze des Bürgertums nicht länger zulaiien, daß eine Handvoll Leute im achtzehnten Jahrhundert Anſprüche erhöbe, die höchftens im vierzehnten am Plage geweſen wären. ?)

Eine neue Zeit war ja angebroden, eine Zeit, die nicht einmal die Erhaltung, geihweige eine Ausdehnung der Privilegien der bevorzugten Stände dulden wollte! Sogar gegen den ſtaatsrechtlichen Kanon des Werboecz, aus weldem alle Vorrechte des ungariihen Adels abgeleitet wurden, erhoben ſich fkeptifche Stimmen, und alle, welche über Drud und Unterdbrüdung Klagen zu müſſen glaubten, jahen im König ihren natürlihen Anwalt. °)

Dazu fam, daß auch die in Ungarn eingejprengten nicht magyariichen Stämme, insbejondere die Serben eine mädhtige nationale Strömung ergriffen hatte. Eine Adreſſe des Landtags der „ilyriihen Nation“ zu Temesvar erflehte den Schub des „angebeteten Monarchen” gegen die „Barbaren, die fih erft vor kurzem aus den Höhlen Afiens ergoflen hätten“, d. i. gegen bie Magyaren. *)

Unter ſolchen Umjtänden mußten auch die unzufriedenften Ultras bes Dfener Neichstages Bedenken tragen, am Wibderftand gegen die Krone feftzuhalten, und Leopold, der am 10. November in Preßburg eintraf, entwaffnete durch kluges Auftreten die legten Widerſacher. Dem Fürften mit Dolman und Kalpak wurde mandes gern bewilligt, was dem „König mit dem Hut” verweigert

Auszug aus „Eleutherii Pannonii mirabilia fata, dum in metropoli Austriae famosi duo libelli, Babel et Ninive, in lucem venissent*, in ber Wiener Zeitfhrift, I, 312.

2) Magna charta von Galizien oder Unterfuhung der Bejchwerben des galizifchen Adels über bie öfterreichifhe Regierung (1790).

) Guftermann, Die Ausbildung der Berfaflung des Königreihs Ungam, 11, 273.

Großing, Ungarifches allgemeines Staats: und Negimentärecht, 135. ) Fehler, V, 612.

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worden wäre. Auf Antrag Zihys wurde der vierte Sohn Leopolds, Erzherzog Alerander, zum Palatin gewählt, und Leopold wußte hinwieder feinen Dant in verbindlichite Form zu Eleiden, indem er erklärte, er werbe die Kindesliebe jeines Alerander fortan nur danach bemeiien, wie der Balatin feinen Pflichten gegen Ungarn nadhfomme.

In den königlichen Landbtagspropofitionen vom 10. November wurde das zur Regelung des Verhältniſſes zwiihen Bauern und Grundherrſchaft unter Maria Therefia proviforiich eingeführte Urbarium zum öffentlihen Gejeg er: hoben, ferner die Zahl der freien föniglihen Städte erhöht, der Zutritt zu öffentlichen Nemtern auch fir Bürgerliche erleichtert, eine zwedmäßigere und ge: rechtere Verteilung der Beiträge zu den Militärausgaben angeordnet.!) Wenn diefe Neuerungen als Zugeltändnifje an den Zeitgeift anzufehen und der adelichen Mehrheit des Reichstages nicht willkommen waren, fo entiprad) doch das Krönungs: diplom vom 14. November den Wünſchen der Dfener Berfammlung. Darin war nicht bloß das Verfprehhen gegeben, daß die Krone des h. Stephan auf immerdar im Lande bleiben follte, jondern auch allen noch zu Rechte beftehen- den Freiheiten des Grund: und Waffenabels beftändige Geltung zugelichert.

Am 15. November ging die Krönung mit herkömmlichem Prunf vor fid. Auh ein Vertreter des Königs von Preußen, Kammerherr v. Red, der den Glückwunſch feines Herrn zu überbringen hatte, wohnte der Feier bei. Das lebendige, farbige Treiben von Magyaren und Raczen, Zigeunern und Sadjen, von Magnaten und Bilhöfen, Honveds und Czikos, die Pracht der Uniformen und Drnate, der Ueberfluß an reihgeihmüdten Kutfhen und Pferden, das eigen: artige Zeremonie bei Kirchen: und Hoffeiten machten auf den norbdeutichen Gaft, wie er an feinen Hof (24. November) berichtete, übermältigenden Ein: drud.?) Es gehe zwar die Sage, daß ein großer Teil der ungarifhen Nation fih noch vor kurzem mit dem Gedanfen getragen babe, den redhtmäßigen Sou— verän zu verlaffen, doch nunmehr ſei ale Wideripenftigfeit entwichen und braufender Jubel fülle die Krönungsftadt. Nicht bloß fei dem ob feiner Leut— ſeligkeit allbeliebten Könige ein beſonders ftattlihes Krönungsgeſchenk gewidmet worden, fondern der Reichstag habe auch einmütig erklärt: ganz Ungarn werde jeinem König Gut und Blut zur Verfügung ftellen, damit der Vertrag von Neihenbah, falls fi der König dadurch beengt fühlen follte, wieder ums geftoßen werden könne und mit der Pforte nur ein der Würde der Dynaſtie und der Wohlfahrt des Vaterlandes angemeflener Friede geſchloſſen zu werden braude.

Auch in den deutſchen und jlaviichen Erblanden gelang es, die gefährdete Ruhe wiederherzuftellen, in den deutſchen Provinzen hauptjählih durch Nach— giebigkeit in kirchlichen Dingen, in den flavifhen durch Zugeftändniffe an das nationale Programm. Die Errihtung eines Lehrituhles für die czechiiche Sprade an der Prager Hochſchule wurde von wichtiger Bedeutung für bie

') Einige der widhtigften Hungariihen Landtagsalten (1790), 7. 2) Preuß. St.:Arhiv. Acta, betreffend die Schickung des Kammerheren von Red nad Wien, 1790.

Der Wahltag in Frankfurt. 347

nationale Entwidelung Böhmens; czechiſches Sprachtum fam wieder in Auf: nahme, Dichter und Gelehrte bedienten ſich des früher verachteten Idioms, die vaterländifhe Geſchichte genoß eifrigere Pflege, auf allen Gebieten des Volks— lebens nahm das ſlaviſche Element friiheren Aufihwung. !) Für das Deutichtum in Defterreich wurde dieje Toleranz Zeopolds II. und feines Nachfolgers Franz’ II. verhängnisvoll: der deutiche Kulturftaat Deiterreih, den Kaifer Joſeph hatte aufrichten wollen, verlor fi) aus dem Bereich der Möglichkeit! Für den Augen: blid aber trug die Nachgiebigkeit der Regierung nicht wenig dazu bei, das An- jehen der Dynaltie zu befejtigen.

Es wurde oben dargelegt, daß der Verſuch Joſephs II., noch zu jeinen Lebzeiten dem Bruder Leopold die Nachfolge im Reich zu fihern, am Wider: ftand Preußens jcheiterte, daß aber durch die Umtriebe des Wiener Hofes immerhin eine Loderung des Fürftenbundes erreiht wurde. Dem Mainzifchen Hofe Hatte aufgedeckt werden müffen, daß die drei proteftantiihen Mitglieder in Bezug auf die fünftige Königswahl ein geheimes Abkommen getroffen hatten, und infolge des Mainziihen Proteftes gegen ſolche Sonderbündelei hatten ſich zwar Brandenburg und Hannover, nicht aber Sachen zu gemeinfamem Vor: gehen in der Wahlfrage mit Kurmainz vereinigt. Als Kandidat des Fürften: bundes war wenigftens von 'preußifcher Seite Herzog Karl Auguſt von Zwei: brüden, eventuell fein Bruder Mar Joſeph in Ausfiht genommen, doch war über die Perfonalfrage zwiſchen den proteftantiihen Mächten eine Einigung noch nicht erzielt. *)

Es wurde auch ſchon berichtet, dab nad dem Ableben Joſephs II. vom Wiener Hofe der Verſuch erneut wurde, den Kurfürften von Mainz von jeinen Verbündeten zu trennen, ohne jedoch den gewünſchten Erfolg zu erzielen. Andrer- jeits war zwiſchen Kurmainz und Preußen infolge des Lütticher Streites ernite Mipftimmung aufgewachſen, Mainz und Sachſen ftanden fih um alter Vikariats—

') D’Elvert, Zur Geſchichte des Deutſchtums in Defterreih-Ungarn mit befonderer Rüdficht auf die flavifch-ungarifhen Länder; Schriften der Hift.sftatift. Sektion der mähriſch-ſchleſiſchen Geſellſchaft, 26. Bd., 580. Palady, Die Grafen Kaspar und Franz Sternberg und ihr Wirken für Kunſt und Wiffenfhaft in Böhmen, 6.

?) Die im bair. Staatdardiv (Kaften blau, 423/6) verwahrte Korreſpondenz zwiſchen Friedrih Wilhelm und Karl Auguft im Jahre 1790 bezieht fi nur auf die zweibrückenſchen Irrungen mit der Neichäritterfchaft, die Aufnahme der Wittelsbachiſchen Bausverträge in die Wahlfapitulation, die Verlegung ber zweibrüdenfhen Rechte im Elfaß u. a., die Königs: wahl wird darin nicht berührt. Auch die Korrefpondenz zwifchen dem zweibrüdenfhen Lega— tionsrat Freiherrn von Montgelas (dem nachmaligen bairifhen Minifter), der fich feit Mitte Auguft in Frankfurt befand, und dem Konferenzminifter von Efebed enthält feine auf die Kandidatur Karl Augufts bezüglihe Nachricht. Der Bruder Karl Augufts, Mar Joſeph, Oberft bes franzöfifchen Negiments d'Alſace in Straßburg, begab fi im Juli zu einem Beſuch der preußifhen Wahlbotſchafter nach Frankfurt. Hier teilte er mit, er habe infolge ber revolutionären Bewegung in Straßburg den franzöfifchen Militärdienft aufgeben und deshalb die Großmut feines Oheims, des Kurfürften von Baiern, anrufen müffen; es habe fich auch ein beſſeres Einvernehmen mit Karl Theodor herftellen Iafien, aber niemals werde fi) das Haus Zweibrüden in feiner danfbaren Gefinnung gegen Preußen, dem es feine Rettung verbanfe, beirren laffen (Preuß. St.:Arhiv. Bericht der preuß. Wahlbotfhafter vom 13. Juli 1790).

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ftreitigfeiten willen faft als Feinde gegenüber, fo daß der habsburgifche Be: werber auch jegt ein entjchiedenes und gejchloffenes Auftreten des Fürftenbundes nicht zu befürdten hatte.

Da der Erzfanzler die Eröffnung des Wahltags auf den 1. Juli angejegt hatte, fanden fih ſchon im Juni einige Vertreter der Kurfürjten und anderer Neihsftände in Frankfurt ein.’) Ein lebhafter Streit um die Quartiere war vorausgegangen. Die brandenburgiihen Wahlbotichafter hatten von jeher das fchlechteite Quartier, ein Haus in der Saalgafje, innegehabt; erit bei der Wahl Franz’ I. war ihnen das Eronftättiihe Haus am Roßmarkt eingeräumt worden. Jetzt wurde von der Frankfurter Duartierfommijfion erklärt, das Gronftättiicde Haus müſſe als das einzige dazu geeignete für den zu erwählenden Kaifer vorbehalten werden; Kurbrandenburg möge fih um das freigewordene pfälziihe Quartier bewerben. Friedrich Wilhelm ordnete aljo, damit eine ber föniglihen Würde entſprechende Löſung der Uuartierfrage gefunden werde, den Geheimrat v. Hochſtetter nah Frankfurt ab. Diefer riet aber jelbft zum Verzicht auf das pfälziſche Duartier, weil damit „zu unabjehlihen, zeitiplitterigen Weit: läuftigfeiten Anlaß gegeben würde”. Auch die mit Kurbaiern wegen Ueber: laſſung des Belliihen Haufes eingeleiteten Unterhandlungen führten, da die Mit: bewerbung Hannovers hinderlih war, zu feinem ‚Ergebnis. Endlich wurde vom Neihsquartiermeifter Grafen v. Pappenheim das fürftlih Deſſauiſche Uuartier vorgeihhlagen und vom Berliner Hofe angenommen, jedoch nicht ohne daß von legterem „Empfindlichkeit und Befremden” ob des wenig jchidlihen Angebots zu erkennen gegeben wurden. „Der jchlechtefte Bezirf aller Churhöfe ift der, der Churbrandenburg angewiefen.“

Am 1. Zuli wurde unter Trompetenfhall die Eröffnung des Wahltags verfündigt, doch der ganze Monat verftrih, ohne daß jämtliche zur Wahl er: forderlihen Botichafter eingetroffen waren. Die bereits Anweſenden benüßten die Muße zu feierlihen Auffahrten und Komplimentsbejuchen, für welche jeit Jahrhunderten ein ftrenges Zeremoniell vorgeichrieben war. Der Chronift des Wahltags von 1790, Johann Ehriftian Jäger, rühmt zwar als bedeutungsvollen Sieg der fortihreitenden Entwidelung des gejunden Menjchenverftandes, daß die alten hochgeipannten Zeremonien verfhwunden und „Leutjeligfeit und Popu— farität an Stelle des fteifen Prunks“ getreten ſeien,“) allein weder die Er: zählung des Chroniften ſelbſt, noch die Berichte der Gejandten beftätigen jenes Lob; die Zeremonielfragen boten auch diesmal den ergiebigften Stoff zu ebenfo lebhafter wie harmlojer Thätigfeit der Herren Gejandten. Großes Auffehen rief es hervor, dab der kurkölniſche Botjichafter, Freiherr v. MWaldenfels, Be: ſuche von Magiftratsperjonen erhielt, ohne vorher die Notififation gemacht zu haben; die Sache wurde endlih dahin aufgeklärt, dab der Botjchafter beim Privatbeſuch eines Schöffen eine Viſitenkarte abgegeben hatte, auf welcher jchon ber Ambafjadeurcharakter angegeben war. °)

1) Preuß, St.⸗Archiv. Kaiſer Leopolds Il. Wahlakten, R. 10, 87 f., 121. 2) Jäger, Wahl: und Krönungsdiarium Raifer Leopolds II., 111. 2) Preuß. St.⸗Archiv. Kaiſer Leopolds Wahlaften.

Der Wahltag in Frankfurt. 349

Auh der „ungewöhnlih geihwinde Gang der Verhandlungen”, ben Waldenfels unmittelbar nad feiner Ankunft in Frankfurt anregen wollte, er: ihien den Bertretern der Fürftenbundsmädte anftößig; offenbar fei es, fo meinten die preußifchen Diplomaten, vom Kurfürften von Köln darauf abge: jehen, zu verhindern, daß die Beratung der Wahl und der Wahlfapitulation nah den „Regeln der Beſonnenheit“ vor fich gehe. Insbeſondere am Mainzer Hofe war man veritimmt über das Drängen des kölniſchen Miniiters, und hellen Unmut erregte es vollends in Berlin, daß Kurföln den Königstitel Preußens beanftandete.e So unerhörte Petulance verdiene ernftefte Zurüd: weijung, ſchrieb Hertberg an die preußifhen Botichafter, und ebenjo müſſe gegen leichtfertige Ueberhaftung der Wahl ein Riegel vorgeihoben werden; das Intereſſe Preußens und des Fürftenbundes erheiihe, daß vor endgültiger Bei: fegung der Irrungen zwiſchen Preußen und Defterreih auch in Frankfurt fein enticheidendes Wort falle.

Jmmerhin galt es für die öffentlihe Meinung faum noch als zweifelhaft, da fih die Wahl auf den König von Ungarn und Böhmen lenfen werde. Freilich wurden aud andere Bewerber öffentlid genannt und angepriejen, doch handelte es jich in vielen Fällen wohl nur um ein Trinkgeld für den Berfafler. In einer Flugſchrift: „Ueber die Lage und Bebürfniffe des Deutichen Reiches oder braucht Deutihland einen mächtigen Kaijer?” wird die Frage entſchieden verneint. Was habe denn das Neich dem Regiment der „mächtigen“ Herren, Karls V., Ferdinands II. ꝛc., zu verdanken gehabt? Nichts anderes, ala daß es in alle möglichen nutzloſen Kriege verwidelt, die Freiheit der Fürften bebroht, die Wohlfahrt der Völker geſchädigt wurde! „Die ganze Verfaſſung bes deutſchen Staatslörpers jcheint mit einem mächtigen Oberhaupt nicht zu barmonieren, nicht für ein foldes gemacht zu fein.” Unter Yofeph II. fei bejonders deutlich zu Tage getreten, daß der Herr der mweitgejpannten öfterreihifhen Erblande nit im jtande jei, zugleih den Pflichten eines Oberhauptes des deutſchen Reiches zu genügen. Zu diefer Stellung befähige weit beifer der Beſitz eines Landes von mittlerer Größe und rein deutihem Charakter, und foldes Land befige ein Fürft, der auch ſonſt aller erforderlichen Vorzüge jih rühmen fönne: „der treubeutichen Bojaren erhabenfter Regent, Karl Theodor“. ) Dagegen bringt die Schrift: „Wer kann Kaifer werden?” den Kurfürften von Sadjen in Vorſchlag; von Leopold müfje ſchon deshalb abgejehen werden, weil er mit dem allgewaltigen Rußland allzu eng verbunden jei, mithin nit wahrhaft deutiche Politik treiben könne. Ein dritter „Publizift” empfiehlt Die Ueber: tragung der deutſchen Kaiferfrone an einen geiftlihen Fürften und zwar an Marimilian Franz von Köln.?) Es ſei ja weder nötig noch nütlich, immer gerade den Herrn der habsburgifhen Erblande zum römiſchen König zu wählen. Auch Preußens Monarch jei nicht dazu geeignet: „Der preußiiche Adler ſchwingt ſich ohne die drüdende Laſt der Reichsinſignien höher empor, ſchwebt freier über Germanien, jhügt fiherer Deutſchlands Konftitution.” Alle anderen angejehenen

') Bgl. die Befprehung in Schubarts Baterl. Ehronif, Ihgg. 1790, 466. ?) Die Verbindung bed Reichsſzepters mit dem Krummſtabe. Eine politifche Phantafie.

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weltlihen Stände feien in widrige, mit den Neicheintereijen nicht vereinbare Verhältniffe und Rückſichten verftridt. Warum aber follte ſich die deutſche Krone nicht mit der Infel vertragen? Wenn vollends ein jo würdiger Ver: treter der Infel fi darbiete, wie Marimilian Franz von Köln, der Liebling feiner großen Mutter Maria Therefia, ein wohlwollender, welterfahrener Fürft im Beſitz von mädtigen Piründen und reichen Einkünften, was hindere, diejen würdigften Kandidaten auf den Königsthron zu erheben? „Wie das an— zugreifen ſey, überlaffen wir dem Nachdenken unfrer Leer!” Peffimiftifch be: trachtet die deutichen Zuftände der Verfafjer einer Schrift: „Warum foll Deutſch— land einen Kaifer haben?” Er faßt das Ergebnis feiner Betradhtung in den Ruf zufammen: Fort mit der gegenwärtigen Reicheverfaffung, und zwar je eher, je lieber! Welden Nuten habe denn Deutichland von dem Scattenbild eines Kaijers? Löſe man doch endlih auf, was ſchon längit nicht mehr zu: fammengehöre! Dagegen nimmt eine Ermwiderung: „Deutihland muß einen Kaifer haben!” die beftehende Verfafjung in Schutz. Die natürliche Lage des Reiches, die weientlihe Verjchievenheit der Stämme, der ungeheure Umfang, die Mannigfaltigfeit von Klima, Sitten, Staats: und Handelsintereflen, alle dieie Faktoren laſſen weder ein rein monarchiſches, noch ein republikaniſches Syſtem zuläſſig erjcheinen; es it nur eine aritofratiihe Regierungsform möglich. Ebenſowenig läßt fih aber das Bedürfnis nah einem Oberhaupt beftreiten. Nur dur das Frortbeftehen des Kaifertums kann das Auseinanderfallen der nur loder verbundenen Reichsſtandſchaften verhütet, kann den ſchwächeren Gliedern der nötige Schuß gegen die Vergrößerungsjucht der Stärferen gewährt werben Die Nörgler und Tabler jollen nur einmal die Kultur Deutſchlands mit der Entwidelung anderer, weit günftiger gelegener Reiche, wie Stalien, Spanien, Portugal :c., vergleihen! In welchem Lande find Aderbau, Landmwirtichaft und Viehzucht jo glüdlich entwidelt? welches Neih mit Ausnahme von England ift jo ftarf bevölfert? wo erfreuen fi die Bürger eines verhältnismäßig jo be- friedigenden Wohlſtands? Wenn andere Völker berühmtere Dichter aufzuweiſen haben, jo fann Deutichland mit Stolz der größten Philofophen, Mechaniker, Nechtslehrer und Staatsmänner ſich rühmen, und vielleicht wird es auch bald in der ſchönen Litteratur die Palme erringen. Wo jolde Entwidelung möglich it, da kann das Verfaſſungsweſen nicht jo morj und vernichtungswert fein, wie es von vereinzelten Mißvergnügten gejchildert wird. „Die Konftitution Deutichlands aber, jo kompliziert fie ift, kann nur jo beftehen, wie fie iſt.“ Nicht aus Nüdfiht auf Fürften und Höflinge, fondern im Intereſſe der natio: nalen Wohlfahrt ift die Aufrehthaltung des Kaifertums, ift baldige Aufftellung eines würdigen Oberhauptes zu wünjhen! Bon patriotiſchem Stolz ift auch die Flugfchrift des befannten Gießener Zuriften Renatus v. Sendenberg ge: tragen: „Gedanken über verſchiedene Paragraphen der kaiſerlichen Wahlfapitu« lation, dur Germanus Biedermann herausgegeben.” Wohl fei es zu beflagen, daß religiöfe und politiihe Gegenfäte noch immer fo mächtig jeien, daß jogar ein Krieg zwilhen Nord und Süd in drohender Ausfiht ftehe, doch die Wahl eines ftaatsflugen, befonnenen Kaifers werde dieſe Gefahr verſcheuchen. „Teutſche, haltet zufammen, laſſet euch nicht durch bejonderes Intereſſe irennen! Stehet

Der Wahltag in Frankfurt. 351

ohne Rückſicht auf die verſchiedenen Religionsmeinungen wenigſtens in allem, was mit Fremden zu verhandeln, für einen Mann! und dann ſchauet kalt und kühn umher, wie euer Dichter jagt:

‚Und fiehet falt und fühn umher, Ob jemand ift, Der nad feinem Mädchen bliden will!‘ ')

ob jemand ift, der auch nur nah einem Dörfchen, das euerm Reich zuftehet, bliden will?!"

Erft feit die Nachricht vom glüdlihen Abſchluß der Verhandlungen zwiſchen Preußen und Defterreih nad Frankfurt gelangt war, fam etwas mehr Ernit in das Wahlgejhäft. Am 11. Auguft wurde mit der Beratung der Wahlfapitu: lation auf dem Römer begonnen. Wie vielen Beſchwerden jollte dabei ab- geholfen, wie vielen Wünjhen Rechnung getragen werben! Der Fürftenjtand mit dem Fürftbiihof von Speier an der Spige erneute die alte Klage über ungebührlihe Zurüdjegung hinter dem Kurfürftenkollegium; die Reichsritterſchaft wollte für ihre Reichsunmittelbarkeit Fräftigere Bürgihaft erlangen; der ſchwä— biſche Kreis verwahrte ji gegen Landvogtei und Landgericht in Schwaben; die Reichsſtädte verlangten völkerrechtliche Feftiegung freien Handels zu Waffer und zu Lande in Kriegszeiten; der eidgenöfliiche Kanton Bern forderte, daß in ber Wahlfapitulation nicht mehr der Verpflichtung des Kaifers, die Zurüderwerbung der ehedem deutjchen Gebiete in Italien und der Schweiz ſich angelegen fein zu laffen, gedadht werde; der König von Sardinien wollte die ihm als Herzog von Savoyen und Montjerrat und als Reichsvikar in Italien zuftehenden Rechte beftimmt und deutlich zum Ausdrud gebracht ſehen; Kurbraunſchweig führte Klage über willtürlihe Anjprüche des rheinischen Vikariats; Fürft Taris wünfchte, daß das Reichspoftweien förmlich als Taxisſches Erblehen anerkannt und gegen die Angriffe der Preife auf das Monopol der Familie vom Wahltag Stellung genommen werde.

Wichtiger war, daß Mainz und Köln den Nuntiaturftreit hereinziehen und ihre Beſchwerden über Verlegung der Konkordate durch den römischen Stuhl in die Kapitulation aufgenommen willen wollten. Der gegen Rom geplante Angriff batte jedoch geringe Ausiiht auf Erfolg. Der nah Frankfurt entjandte außer: ordentliche Nuntius, Monfignore Caprara, ein rühriger, geichmeidiger Diplomat, hatte an den brandenburgiijhen Wahlbotjchaftern, mit denen er eifrigen Ber: fehr unterhielt, einen ſtarken Rüdhalt;?) mit diefer jedermann befannten That: ſache ftand in wunderlichem Gegenſatz, daß die nämlichen Gefandten ſich weigerten, die Legitimation Capraras anzuerkennen, weil das Beftallungsfchreiben in ber: fömmlicher Weife nur an die fatholifhen Kurfürften gerichtet war. Da Branden: burg, Sachſen, Trier und Pfalz-Baiern der Wiederaufnahme des Nuntiaturftreits entichieden widerjtrebten und au der König von Böhmen unter den gegebenen Verhältnifjen nicht gegen die Kurie auftreten fonnte, war es den beiden Erz

') Klopftod, Der teutihe Jüngling. 2) Preuß. St.⸗Archiv. Bericht Dften:Sadens vom 7. Auguft 1790.

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biſchöfen unmöglich gemadt, ihre antirömifhe Politik wieder aufzunehmen. Auch erklärte Pius VI. in einem verföhnlichen Cchreiben an Marimilian Franz, es liege dem römiſchen Stuhl nichts ferner, als eine Verlegung der Rechte der deutſchen Metropolitane; um der ernſt gefährdeten Einheit und Wohlfahrt der Kirhe willen möge in Deutichland nicht länger Zwietracht gejäet werben. !) Schließlich wurde denn auch der Kölnische Antrag nur in erheblih abgeſchwächter Beftalt in die Kapitulation aufgenommen, und außerdem ein Zufag, der fünftige Kaiſer wolle „bie Erz: und Biſchöfe bei dem bisher ruhig bejefjenen Umfang ihrer Erz: und Bistümer, jowie ihrer Metropolitan: und Diözefangeredhtfamen dort, wo ihr jus dioecesanum und ihre geiftlihe Gerichtsbarkeit durch den Weftfälifchen Frieden jufpendiert ift, erhalten”.”) Dieſes Gelöbnis richtete ſich aber nicht gegen den römiſchen Stuhl, fondern gegen bie Gelüfte weltliher Fürften; es beweift, daß der Säkularifationsgedanfe ſchon fozufagen in der Luft lag. Herb: berg nahm es in einem Briefe an den Kölner Nuntius Pacca geradezu als Verdienft der preußifhen Vermittelung in Anſpruch, daß die Auflehnung der deutſchen Kirdhenfürften jo alimpfliches Ende genommen habe.?)

Auch die erften Rückwirkungen der franzöfiihen Revolution auf das deutſche Reich famen auf dem Wahltag zur Sprache.

In der berühmten Nachtſitzung der frangöfiihen Nationalverfammlung vom 4. Auguft 1789 war der geiftlihe Zehent abgeſchafft worden; jpätere Ver: fügungen fpradhen die Aufhebung aller fremden geiftlichen Gerichtsbarkeit aus und ſchufen aus eigener Machtvollkommenheit für das ganze Königreid eine neue Kirchenverfaffung, welde das geſamte Kirchenwejen dem fouveränen Etaat unterorbnete. Ebenjo wurden die gutsherrliche Gerichtsbarkeit, alle Grundzinfen, Gülten und jonftigen Feudallaften abgeſchafft. Nun war aber die Ausdehnung diefer Maßnahmen auf das Eljaß natürlih ebenjowenig vereinbar mit den Diözefanrehten, welche mehreren rheiniſchen Erzitiftern und Stiftern im Elſaß zuftanden, noch mit den landesherrlihen Gerechtſamen auf elſäſſiſchem Boden, weldhe einzelnen deutjchen Zehensherren durch bie Friedensfhlüffe von Münfter, Nymmwegen und Ryswick, jowie durch Sonderverträge mit der franzöfischen Krone belafjen worden waren. Zwar begab ſich Chevalier Ternan im Auftrag des Minifteriums Montmorin im Mai 1790 nad) Speier, um mit bem bortigen Fürftbifhof und feinen Amtsgenoffen einen Ausgleih anzubahnen; auch den mweltlihen „Befigern gewiffer Lehen im Eljaß” follte gemäß Beſchluß der Nationalverfammlung vom 15. Mai eine Entihädigung zuerkannt werben. Allein der Speirer Biſchof lehnte jede Unterhandlung ab mit der Erflärung, daß fragliche Befigungen und Rechte den deutſchen Biſchöfen und Fürften nicht bloß nach Lehenrecht zuftänden, fondern durch ebendiejelben Verträge, welche die Abtretung des Elſaß an frankreich verfügten, garantiert jeien, mithin auch nicht ohne Zu:

') Bair. St.: Archiv. Pfalz-Zweibrückiſche Komitialakta. Sanctissimi Pii papae VI. literae ad archiepiscopum Coloniensem 1790 (gedrudt).

2) Artitel 1, 32. Crome, Die Wahllapitulation des römifhen Kaiſers Leopold IL, 12.

°) Preuß. St.:Arhiv. Acta, betreffend die Wahl eines röm. Königs ıc. Brief Herkbergs an Pacca v. 19. DEt. 1790.

Der Wahltag in Frankfurt. 353

ftimmung der mitvertragenden und garantierenden Mächte und ohne Genehmigung des Kaijers und des Reiches abgeſchafft oder verkürzt werden könnten.) Auch von ben übrigen Fürften, die fih durch jene Eingriffe der franzöfiijhen National: verjammlung beeinträchtigt fahen, wurden ähnliche Erklärungen abgegeben. Unzweifelhaft hatten fie das Recht auf ihrer Seite, doch das allmädtige Parla— ment, in dem ſchon die Revolutionsparteien die Oberhand gewonnen hatten, dachte nicht daran, nur um papierener Verträge willen von der Aufrichtung des neuen Gefellfhaftsvertrages, der mit dem geſamten Feudalregiment auf: räumen follte, abzuftehen. Daran vermochten weder die Vorftellungen des eigenen Minifteriums, noch die an den deutſchen Neichstag gerichteten Beſchwerden etwas zu ändern. Da eine frievlihe Löſung nicht mehr möglich ſchien, wollten die Betroffenen menigftens bie Gelegenheit benügen, die Aufmerkjamfeit des künftigen Neihsoberhauptes auf die brennende Frage zu lenken. Der Bilchof von Speier, der Landaraf von Heflen:Darmftadt, der Fürft von Leiningen und andere Reichsſtände braten aljo ihre Beſchwerden vor das Forum des Wahl: tages.?) Das Kollegium war auch nicht abgeneigt, gegen die „Zubringlichkeiten” der Verfaflungsihmiede in Verjailles, die nad) den Theorien des eigentlihen Revolu: tionsherdes, des Palais Noyal, die Gleichftellung aller und die Souveränität der Maſſen, alio die permanente Anardie predigten, etwas zu thun. Obwohl ber Vertreter Böhmens darauf hinwies, daß die Franzojen eine ſolche Verwahrung als Kriegserflärung auffafien könnten und die ſchwäbiſchen und vorderöfterreichiichen Lande von Truppen und Feſtungen entblößt jeien, wurde beſchloſſen, ben fünftigen Kaifer um Schuß und Beiftand gegen die Beraubung deutſcher Neichsftände dur das franzöfifhe Parlament anzugehen.?)

Noh ein anderer Beihluß des Kollegiums ftand mit der revolutionären Bewegung im Nachbarreih in Zufammenhang. Um zu verhüten, daß die in Sranfreih zur Herrichaft gelangten chimäriſchen Grundfäge nad) Deutichland verpflanzt würden, ftellte Kurmainz den Antrag, es follte fortan auf deutſchem Boden feine Schrift geduldet werben, die mit den jymbolifhen Büchern beider Befenntniffe oder mit den guten Sitten nit vereinbar fei oder zum Umfturz der gegenwärtigen Verfajjung und zur Störung der öffentlihen Ruhe beitragen fönnte. Von Braunfchweig und Brandenburg wurde eingewendet, es jei Sadıe der Zandesherren, für Ruhe und Sicherheit zu jorgen, und ein Antrag, der gewiffermaßen die Auflicht über das gefamte Bücherweien im Reich zum faijer: lihen Rejervatrecht erhebe, ftehe mit den fouveränen Rechten der Reichsftände in Widerfprud. Trotzdem wurde von der Mehrheit dem Vorſchlage zugeftimmt, die Aufnahme des Verbots in die Wahlfapitulation beſchloſſen) und zugleich an den Kaifer die Aufforderung gerichtet, es möge den bedenklichen Folgen,

) Bair. St.:Arhiv. Zweibrüdifche Komitialakta. Erklärung des Fürſtbiſchofs von Speier v. 25. Juni 1790. ) Jäger, Wahldiarium, 195. ) Bair. St.:Arhiv. Akta, römiſche Königsmwahl 1790 betr. 4) Art. 1, $ 8; Jäger, Anhang, 5. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. biö zur Aufldöfung des deutlichen Heide. 23

354 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

welche aus jchrantenlojer Preß- und Drudfreiheit für die Allgemeinheit erwachſen fönnten, durch ein Neichögejeg vorgebeugt werden.!)

Dem Wunſche einiger Buchhandlungen entiprehend, wurde dem Reiche: oberhaupt auch die Abftellung des Büchernachdrucks empfohlen.”) Schon jeit längerer Zeit hatte dieje Frage die Geilter beſchäftigt. Die meilten Stimmen erhoben fich gegen den Büchernachdruck als ftrafbaren Raub am geiftigen Eigen: tum der Autoren,?) doch fehlte es ihm auch nit an Verteidigern. Nur duch diefe mit Unrecht verläfterte Hantierung, heißt es in der Streitichrift: „Für und wider den VBüchernahdrud aus den Papieren des blauen Mannes”, werde verhindert, daß ſich die Verleger in Deutichland zu füritliher Macht auf: ſchwindelten; nur der Büchernachdruck habe große geiltige Bewegungen ermög: licht, mit ihm jteige und finfe die allgemeine Aufklärung. Als das Verbot im MWahlkollegium beantragt wurde, wies Braunſchweig darauf bin, daß einer weiteren Ausdehnung von Faiferlihen Verfügungen über das Bücherwejen Die landeshoheitlihen Gerehtjame im Wege ftänden, allein die Furcht vor dem An: wachjen der revolutionären Bewegung beſtimmte die Mehrheit des Kollegiums aus: nahmsweiſe zum Verzicht auf die Tradition, nur Beihränfungen der Eaijerlichen Autorität in die Kapitulationen zuzulaſſen. E& wurden fogar vom furfürftlichen Wahlkonvent ſelbſt Verbote aufrühreriiher Schriften erlaflen. „Da der Geift der Unruhe und des Widerjtandes wider die Obrigfeiten in den jegigen Zeiten und biefigen Gegenden ſchon ftarf und allgemein zu werden“ beginne, jollten das jüngft angekündigte „Journal für Menfchenrehte” und das „Yournal general de l'Europe“ nicht verfauft und verbreitet werben dürfen. Auch Kur: brandenburg erklärte fi) einveritanden, ja, Herkberg wies jogar die Botſchafter an, barauf hinzuarbeiten, daß auf dem Wahltag alles zur Ruhe Deutſchlands Erforderlihe angenommen würde; insbejondere jollten fie auch von den bairiſchen Kollegen zu erfahren fuhen, wie e8 mit den Illuminaten ſtehe, die ſich Die Ausbreitung des Demofratismus in Deutſchland zum Ziele gejegt hätten. „Es finden ji in dieſer Geſellſchaft gar viele Jeſuiten.“ Friedrich Wilhelm felbit hatte den Schritt angeregt, „um fich vorzujehen gegen diefe Race”.*) Vom

) Erome (die Wahltapitulation des röm. Kaiferö Yeopold II. mit biftor. und publizift. Erllärungen, 33) gibt dem Bedauern Ausdrud, daß der Prefparagraph in die neue Kapitulation, biefe „magna charta Germaniae*, aufgenommen wurde. Habe doc Leopold felbft einmal geäußert, er bedaure jeden, der dad Weſen der Religion bloß im Glauben ſuche oder auf die Spigfindigfeit der Dogmatik übergroßen Wert lege. Freilich fünne die öffentliche Ruhe durch eine zügellofe Preſſe in bebauerlicher Weiſe geftört werben, jedoch eine Revolution fei in Deutichland nicht zu befürchten, „da unfere Reichverfafjung eine vermijchte, auf gültige Verträge und Grundgefege fundierte Negierungsform ift, jene in frankreich aber ganz deſpotiſch war,“ und weil in Deutichland niemals die Unterthanen jo unmenſchlich gebrüdt wurden, wie in Frantreih, wo „Ludwig XIV. und Ludwig XV. ganz vergafen, daß fie bed Volkes wegen ba wären, nicht umaelehrt".

2) Art. VII, 8 1; Jäger, Anhang, 14.

) Aufgezählt in Kayfers Abftellung des Büchernachdruckes als ein in ber neueften faifer: lichen Wahlfapitulation zu übertragender Gegenftand betrachtet (1790), 8.

4) Preuß. St.⸗Archiv. Akta, betreffend die Wahl eines römiſchen Kaiferd. Schreiben Hergbergs vom 17. Dftober 1790.

Der Wahltag in Frankfurt. 355

bairiſchen MWahlbotihafter Grafen Oberndorff wurde darauf eine Erklärung ab: gegeben, die Jluminaten feien zwar dem Anjchein nad in Baiern ausgerottet, in anderen Ländern daure aber ihre ſchädliche Wirkſamkeit fort. „Die allgemeine Meinung”, verfihert Graf Goerg, „gehe dahin, daß die ganze Bewegung von den Erzjefuiten geleitet werde”.

Der ſtändiſchen Gepflogenheit, die Wahlfapitulationen zur Befeitigung ber Zandeshoheit auszunügen, entiprad) die neue Verfügung, daß der Kaifer für fi allein an das Neihsfammergericht weder Inſtruktionen noch Inhibitionen er: lafjen dürfe,) ſowie die den Kurfürften eingeräumte Vergünitigung, bei Friedens— verhandlungen ihrer befonderen Angelegenheiten wegen ſich durch eigene Gejandte vertreten zu laſſen.?)

Da der Lüttiher Streit noch immer nicht ausgeglihen war, lag der Ge: danfe nahe, auf dem Wahltage auch diefe Frage in die Debatte zu ziehen und durch einen darauf bezüglihen Beihluß dem künftigen Neichsoberhaupt die Hände zu binden. Sowohl der Biſchof als die Aufftändifchen hatten, worauf noch zurückzukommen ift, zur Wahrung ihrer Interefien Agenten nad Frankfurt abgeordnet. Der Fal fam denn auch in den furfürftlihen Quartieren häufig zur Sprade, allein die Verſuche, auh im Plenum Verhandlungen anzulnüpfen, j&eiterten am entjchloffenen Widerftand Preußens. Die preußifchen Vertreter waren angewiejen, die Lütticher Exekutionsſache ein für allemal nicht zu offi- zieller Beratung zuzulafjen;*) im vertraulichen Verfehr jollten fie die Anhänger der Erefution zu einer milderen Auffaſſung des Aufftandes zu bewegen juchen. Doch auch diefe Bemühungen waren erfolglos, denn insbejondere der Kurfürft von Mainz, defien jelbftbewußtes, gebieterifches Auftreten nicht jelten den Un— mut der preußifchen Gejandten wadhrief, ja, jogar die eigenen Minifter zur Be: merfung reizte, ihr Herr wolle offenbar das ganze Reich regieren, wie jein Domlapitel, wollte von Schonung ber rebelliihen Unterthanen des Bijchofs von Lüttich nichts hören. Bei ihm, jo jpottete Often-Saden, ſei ſolche Strenge auch wohl begreiflih, denn er müfle ja jelbjt befürdten, dab jeine hartbebrüdten Unterthanen über furz oder lang der Verfuhung unterlägen, ihr Sklavenjoch abzujchütteln.*)

In der Lütticher Frage und in verjhiedenen mit dem Bifariat zufammen: hängenden Gtreitigfeiten trennten fih der mainziihe Domdechant Freiherr v. Fechenbach und der hannöverihe Minifter v. Ompteda von ben übrigen Ber: tretern der Fürftenbundsmädte. Diten-:Saden und Goer& hatten vollauf zu thun, um zu verhüten, daß der Streit in offenen Skandal ausarte und der zur Eindämmung der habsburgiihen Macht gefliftete Bund nicht gänzlich zerfplittere.?) Nur die Thatjahe, daß die vier katholiſchen Kurböfe faft in allen Fragen ein:

’) Art. XVI, $ 8; Jäger, Anhang, 31.

2) Art. IV, 8 11; Jäger, Anhang, 11.

2) Preuß. St.: Archiv. Kaifer Leopolds Il. Wahlakten. Inftrultion für Often:Saden und Goertz vom 30. Mai 1790.

) Ebenda. Bericht Oſten-Sackens vom 24. Auguſt 1790.

5) Ebenda. Finalrapport vom 30. Oltober 1790,

356 Zweites Bud. Zweiter Abichnitt,

trädhtig zufammenbhielten, nötigte auch die Unierten, untereinander einige Nach— giebigfeit walten zu laffen und zur Wahrung ihrer Intereſſen zufammenzuftehen. „Dur den engen Anſchluß von Trier, Köln, Böhmen und Pfalz,” berichtete Diten-Saden am 29. Auguft, „bat fi die Lage fo geftaltet, daß fait immer vier gegen vier Stimmen einander gegenüberftehen; durch diefe Stimmengleichheit wird einfach verhindert, daß überhaupt etwas Neues in die Kapitulation auf: genommen werde,” Kurtrier jo daralterifieren die preußiichen Botichafter ihre Widerfadher im Wahlfonvent ſei durdaus abhängig vom Wiener Hofe. Der Kurfürft von Köln, der es gar nicht erwarten fönne, feinen Bruder als gefröntes Oberhaupt des Reiches zu jehen, bringe die ärgerlichſte Unruhe in alle Geſchäfte. Dagegen jei das Auftreten der kurböhmiſchen Minifter allzeit beionnen und gemäßigt; offenbar ſcheine ihr Gebieter unter dieſem Zeichen jeine Regierung antreten zu wollen, Völlig unbedeutend und belanglos ſei die Rolle der Vertreter Pfalz. Baierns in Frankfurt; nur durch eine jelbitändigere Haltung der Baiern könnte die drückende Uebermacht des öfterreihiihen Ein: Huffes gebrochen werben, allein die Hoffnung, diefe Leute zur natürlichen Auf: faſſung der politiihen Lage zu befehren, ſei ein: für allemal ausgeſchloſſen. Che nicht einer von den Zmweibrüdener Herzögen zur Regierung gelangen werde, jei auf einen Beitritt Pfalz:Baierns zum Fürftenbund und damit auf eine Mehrheit im Kurfürftenfollegium nicht zu rechnen. Vielleicht fünnte aber durch Heſſens Beitritt ein Erſatz geichaffen werden; Preußen müſſe alfo eifrig bafür eintreten, daß der heiße Wunſch des wohlgefinnten Landgrafen Friedrih erfüllt und Heflen:Kafjel zum Kurfürjtentum erhoben werbe.

Die Errihtung einer neunten Kurwürde fam denn aud in Frankfurt zur Sprade. Bon heſſiſcher Seite wurde eine Schrift verbreitet, die den Beweis liefern follte, daß fich die Belehnung Heſſen-Kaſſels mit der Kurwürde ebenfo aus Grünben des Rechts und der Billigfeit, wie aus Rüdfiht auf die gegenwärtige politifche Lage empfehle.) „Ohne die Grenzen der Bejcheidenheit zu überſchreiten,“ dürfe Landgraf Friedrich behaupten, daß der älteren heſſiſchen Linie durch hohes Alter, dur Verdienſte vieler Familienmitgliever um die deutſchen Herrſcher, durch Umfang, Lage und PVerhältniffe des Landes, durch regelmäßige Webertragung des Echußes der faiferlihen Wahlftabt, endlih durch die dem heſſiſchen Haufe innewohnende Neigung, für Aufrehthaltung von Frieden und Ordnung im Reiche einzutreten, der erfte Anspruch auf die Kurmwürde zuftehe. Und im gegenwärtigen Augenblid empfehle es fih ganz bejonders, den Fluten des Bürgerfrieges und der Gefeklofigkeit, die über die Weſtmark hereinzubrechen drohten, einen feiten Damm entgegenzuftellen.

Während in der genannten offiziöfen Schrift aus Rückſicht auf die katho— lichen Rurfürften die Frage des Belenntnifjes feine Nolle jpielt, Tegt ein anderes Memorandum „Privatgedanfen über die neunte Kur” das Hauptgewicht auf die Thatſache, daß dur die Uebermacht der Fatholifhen Stimmen im Kurfollegium die Gleichberedhtigung des evangeliihen Belenntnifies verlegt, mithin die Er:

') Bair. St.:Arhiv. Zweibrüdifhe Komitialakta 1790. Heſſen-Kaſſelſches Promemoria, Kaſſel, 15. Sept. 1790.

Die Kaiferwahl und die öffentliche Meinung. 357

richtung einer vierten evangelifhen Kur notwendig fei. Freilich könnte dieſer Rüdfiht auch dur Erhöhung Württembergs Rechnung getragen werben, allein um feiner ftattlihen Heeresmaht und jeiner gefüllten Kafjen willen verdiene Heſſen den Vorzug.

Der Nebenbuhler Hefjens blieb die Antwort nicht ſchuldig. Eine geharnifchte Erklärung zur Verteidigung der württembergijchen Anſprüche räumt ein, daf Heſſen-Kaſſel über eine anfehnlichere Heeresmacdht verfüge, allein das Kleine Land fönne die dadurch geforderten, unerjhwinglihen Ausgaben offenbar nur mit engliihem Gelde beitreiten.) Da müſſe aljo doch die Frage erlaubt jein: Ja, werden denn die englijchen Subjidiengelder immer fließen? Und eine nod wichtigere: Was für Troft und Hülfe gewährt dem römijchen Reiche eine Heeres: macht, worüber der eigene Herr nicht nach eigenem Willen verfügen fann? Sei ed doch feineswegs ficher, daß deutiche und engliſche Antereffen immer Hand in Hand gehen und die Reichspflichten des Kurfürften von Hannover den Vorteil Englands zurüddrängen werden. Dagegen jei Württemberg aus eigenen Mitteln im ftande, den mit der Kurwürde verbundenen Aufwand zu bejtreiten, und ftehe an der Spite des ſchwäbiſchen Kreifes, der bei einem Zuſammenſtoß mit Frantreih als Vormauer des ganzen Reiches vielleicht bald eine wichtige Nolle ipielen werde.

Als Anwalt Heſſen-Kaſſels beantragte Brandenburg, gelegentlich der Kapi— tulationsverhandlungen auch über Errichtung einer neunten Kur zu beraten, doch nur Sadjen ftimmte bei, ſämtliche katholiſche Kurfürjten und Hannover lehnten es ab, auf die Frage einzugehen.”)

„Je näher ber Wahltermin heranrüdt,” Elagten die preußijchen Geſandten, „deſto weniger gibt fich der Kurfürft von Mainz Mühe, noch länger zu verbergen, daß er fi von uns abgewendet hat und mit dem König von Ungarn handelseins geworden iſt.“ Daß die Gejandten richtig beobachtet hatten, erhellt aus einer vertraulichen Mitteilung des kurböhmiſchen Botjchafters an den Vertreter Baierns, „daR Churmainz dermal umgeftimmet jeye, von feinem bisherigen engen An: ſchluß an den Churbrandenburgiſchen Hof nachlaßen und fi bey Vorkommniſſen des Königs in Böhmen Majeftaet für die Zukunft günftiger erzeigen würde”.°) Um dem Wiener Hofe feine Belehrung zu beweifen, bemühte fich jegt der Kur: fürſt von Mainz jelbft, jenen Plan, den Kaifer Joſeph angeregt, aber infolge der ablehnenden Haltung des Erzfanzlers wieder fallen gelaffen hatte, ins Werk zu jegen: neben dem Kaiſer zugleid einen römischen König aus dem habsburgifch: lothringifhen Haufe aufzuftellen. Da ohne Zuftimmung Brandenburgs und Braunjchweigs auf günftigen Erfolg nicht zu rechnen war, teilte Friedrich Karl dem preußiſchen Gejandten an feinem Hofe, DObriften Stein, feinen Gedanken

) Bair. St.Archiv. Zweibrückiſche Komitialafta 1790. Berichte des Grafen v. Seins heim an Baron Eſebeck über die Wahllapitulationsverhandlungen 1790, Ueber Heflen:Hafjels oder Württemberg Borzug zur Kurwürde als eine Beleuchtung der Privatgedanfen über die neunte Kur.

2) Preuß. St.:Ardiv. Bericht des Grafen Goerk vom 30, Dit. 1790.

?) Bair. St.: Archiv, Bericht der Wahlbotjchafter an Graf Vieregg vom 28. Aug. 1790,

358 Zweites Buch, Zweiter Abjchnitt.

in vertraulicher Weife mit.) Endlich gehe das Zwijchenreich zu Ende, jagte er, und mit ihm der ſchnöde Mißbrauch, den Pfalz und Sachſen mit dem Vikariat getrieben hätten. Um aber zu verhindern, daß folder Unfug ſchon in nädjiter Zeit wieder das Neich behellige, gebe es nur ein Mittel: gleichzeitig mit Leopolds Kaiferwahl deffen älteften Sohn Franz zum römischen König zu erheben. Mie im gegenwärtigen Augenblid von feinem anderen Bewerber ernftlih die Rede fein fönne, ala von Leopold, jo werde die Lage des Reiches aud nad Leopolds Ableben feinen anderen Kandidaten zulaffen, als den Erzherzog Franz. Leopold fei ein gebrechliher Herr, dem fein hohes Alter beichieden fein werde. „Sollte er wirklich frühzeitig von der Welt weggeſchafft werden, fo wären Millionen Koften verloren, und wir hätten wieder ein leidiges Interregnum mit allen feinen Unannehmlichkeiten und Nachteilen.” Freilich biete die deutſche Geſchichte fein Beilpiel, daß ein Kaifer und ein König zugleid; gewählt worden wären, doch feien gar nicht jelten zu Lebzeiten römifcher Kaifer deren Söhne zu Königen erhoben worden. Möge man alfo lieber fogleih thun, was man jpäter nicht unterlajien fönne!

Friedrih Wilhelm war anfänglich nicht abgeneigt, dem Vorſchlage des Kurfürften von Mainz feine Zuftimmung zu gewähren, allein Hertzberg hielt den Monarchen zurüd. Unzweifelhaft verftoße es gegen das Intereſſe Preußens, fich jegt jhon mit einem römifchen König zu belaften; der Vorſchlag dazu fönne nur von einem heigblütigen Parteigänger Defterreichs ausgehen. Weshalb jetzt ſchon an einen Nachfolger denfen, da doch Leopold erit 43 Jahre zähle? Der Revolutions- geift, der angeblich die jofortige Doppelwahl befonders rätlich erjcheinen laſſe, könne wohl Defterreih, nicht aber die trefflich regierten preußifchen Lande gefährden. Aus Erſparungsrückſichten einen ſolchen Schritt zu thun, möge fih für einen Kurfürften von Mainz ziemen, doch nicht für einen Kurfürften von Brandenburg! Vor allem aber müfle in Betradt fommen, daß der Vorſchlag die Wahlfreiheit der Kurfürften bedrohe. Seit den Tagen der Dttone und Heinriche fei es auch nicht mehr vorgefommen, daß Söhne von Kaifern noch zu Lebzeiten der Väter zu Königen gewählt worden jeien. Seht den Erzherzog Franz als König auf- ftellen, heiße das Reichsregiment ſogleich auf zwei Menichenalter an das ohnehin ihon übermädtige Defterreih ausliefern! Um bdiefes Uebergewicht unſchädlich zu machen, jei der Fürſtenbund geftiftet worden; jetzt gehe ein Vorſchlag, der dem Bunde jede Bedeutung rauben würde, von demjenigen Fürften aus, ber ſich jonjt als treuefte Stüße der Union gebare! Offenbar fei es ihm darum zu thun, ſich dem fünftigen Reichsoberhaupt gefällig zu ermweifen und für fi und jeine Familie ftattlihen Lohn einzuheimjen, aber feinesfalls dürfe der ver: bängnisvolle Antrag von Preußen und den übrigen Unionsmädhten angenommen werden.

Friedrich Wilhelm ließ ſich durch diefe Gründe umftimmen; auch das feite Zufammenhalten der Anhänger Defterreichs, die möglichft wenig neue Beftimmungen

') Preuß. St.:Arhiv. Afta, betreffend den von dem Kurfürften von Mainz Er. Kal. Majeftät gethanen Antrag, mit bem römifchen Kaiſer Leopold zugleich feinen Sohn Erzherzog Franz zum römischen König zu wählen, 1790. Bericht Steins vom 30. Aug. 179%.

Das Projelt einer Wahl des Erzherzogs Franz zum römischen König. 359

in die Kapitulation aufnehmen laffen wollten, hatte den König erjchredt, jo daß er jeinen Minifter ermädhtigte, die Ablehnung des Mainzifchen Planes zu betreiben.

Inzwiſchen hatte Kurfürit Friedrich Karl dur feinen Staatsrat Müller auch den Wahlbotihaftern Brandenburgs und Braunfchweigs in Frankfurt feinen Borihlag eröffnen laſſen. Wenn die Zuftimmung der unierten Höfe zu erlangen wäre, fünnte die Sache in wenigen Tagen entichieden jein, fönnte in Frankfurt das glänzende Schaufpiel der Doppelwahl eines Kaijers und eines Königs vor fich gehen!

Doch auch Dften-Saden und Goerg waren von dem jüngften Schachzug der Mainziihen Politit wenig erbaut und richteten an ihren König die Mahnung, fih nicht für die nächſte Kaiferwahl, bei welcher vielleiht das Zweibrückenſche Haus im Beſitz der Pfälziſchen Kur wäre, ſchon jetzt die Hände zu binden, Darauf ſchrieb denn auch Friedrich Wilhelm an den Kurfürften von Mainz, daß er fih zu dem angefonnenen Schritte nicht verftehen könne (9. September). Co: lange es ein deutjches Reich gebe, habe fich die Sorge der Fürften immer darauf gerichtet, die Erblichfeit des Kaifertums abzumehren; unmöglid könne aljo ein König von Preußen jest jelbft diefe Umwandlung begünftigen. Bei einer neuen Mahl werde fidh vielleiht günftigere Gelegenheit bieten, zu einer angemejlenen Kapitulation zu gelangen. „Diefer Wunſch mwurzelt in der Erfahrung, die das Neih unter der Regierung des vorigen Kaifers gemadt hat; nur mit Mühe wurden ja die Wirkungen diefes Regiments, das die Neigung zum Despotismus deutlich hervortreten ließ, durch die patriotifhe Verbindung, deren Hauptftüge Eure Durdhlaudt bilden, unſchädlich gemacht.”

Als Often:Saden das föniglihe Schreiben im Mainziihen Quartier abgab, machte der Domdehant und SKabinettsminifter Freiherr von Fechenbach allerlei freimütige Geftändbniffe. Frievrih Karl habe dem Könige von Ungarn jelbft feinen Plan bezügli der Erhebung des Erzherzogs Franz unterbreitet, allein Leopold habe abgelehnt, das Projekt zu unterftügen, da er nicht etwas anjtreben wolle, was niemals durKdringen werde. Abgejehen vom Wunſche, ih dem künftigen Kaifer gefällig zu zeigen, habe den ehrgeizigen und eiferfüchtigen Kur: fürften die Abneigung gegen feinen Koadjutor Dalberg zu jeinem Vorſchlag bewogen: ber ihm aufgedrungene Nachfolger jollte wenigitens der Auszeichnung, einen Kaiſer zu wählen und zu frönen, verluftig werden. Auch der Widerwille gegen Sachſen und Pfalz: Baiern, denen er das Vikariat mifigönne, habe mit: gewirkt. Unrichtig fei die Behauptung des Kurfürften, daß Pfalz:Baiern den nämlichen Plan ins Auge gefaßt und befürwortet habe; wiſſe doch alle Welt, daß Karl Theodor nichts glühender wünſche, als jelbft die Kaiferfrone zu erlangen.)

Auch Braunschweig verhielt fi gegen das „große Deſſin“ Frievrih Karls ablehnend,; es fönne, jo wurde von Ompteda erklärt, im Mainziſchen Antrag nur eine Verlegung der Reichsverfafiung und eine Gefahr für die deutſche Freiheit erblidt werden. Dagegen wollte fih Sachſen, obwohl es ebenfalls den Mainzifchen Anſchlag mißbilligte, nicht zu einer beftimmten Erklärung verftehen, daß es mit Brandenburg und Braunfhweig Hand in Hand gehen werde; es wolle zwar den durch die Union auferlegten Verpflichtungen getreulich nahlommen, doch da num einmal

’, Ebenda. Bericht Dften:Sadens v. 21. Sept. 1790.

360 Zweites Bud. Zweiter Abichnitt.

Brandenburg mit Kurmainz in befondere Verbindung ſich eingelafjen habe, jo möge es jebt auch ſelbſt dafür Sorge tragen, daß „diefen in Anjehung bes Ehurfürftlihen und Fürftlihen Collegit zu bejorgenden Unannehmlichkeiten auf gute Art ausgewichen werden möge”.

Ohne Zuftimmung Preußens und Hannovers, dies konnte fih Friedrich Karl unmöglich verhehlen, war die geplante Doppelmwahl nicht durchzuſetzen; der Gedanfe wurde aljo fallen gelaſſen. Dagegen wurde mit Leopolds Erhebung endlih Ernſt gemadt, der feierlihe Wahlaft auf den 30. September an- beraumt. Die drei geiftlihen Kurfürften wollten jih, wie es herkömmlich war, in eigener Berfon dazu einfinden; die weltlichen ließen fih bei Wahl und Krönung durh ihre Wahlbotichafter oder außerordentliche Geſandte vertreten. Wie tief das Anſehen der ehedem jo leidenfchaftlih ummorbenen Erzämter gejunfen war, zeigt eine Stelle in der Inſtruktion für die brandenburgiſchen Botſchafter: „Da Wir es unter Unjerer Würde finden, die in der Goldenen Bulle vorgeichriebenen und herkömmlichen Erzfämmerer:Verrihtungen durch unfern eriten Wahlbotſchafter vollbringen zu laflen, jo wollen Wir, ohne auf das zu fehen, was einbevor ge: ichehen, foldhe fo und in der Maße Unjerem Erbfämmerer (Fürften von Hohen: zollern-Hechingen) gänzlich überlafien, ſowol bey ber Prozeffion, als bey der Krönung und auf dem Nömerplage,; nur den Ecepter joll, wenn es bezüglich) der andren Inſignien von den Wahlbotihaftern geichieht, der brandenburgijche Gejandte vortragen, die An: und Entkleidung ift dem Erbfämmerer zu überlaſſen.“

Am 22. September nahmittags „gefiel es,” wie das Diarium ehrerbietig berichtet, „Seiner Churfürftlihen Gnaden von Mainz in Ihrer erhabenften Qualität zwar Öffentlich, jedoch mit gemäßigter Pracht, als welche Höchſtdieſelbe vermutlich auf die Wahl: und Krönungstäge veriparten, Dero Einzug zu halten“. Die Kirhenfürften von Trier und Köln famen in den nädften Tagen, auch die Statthalterin der öfterreihiichen Niederlande, Marie Chriftine, und ihr Gemahl, Herzog Albrecht von Sachſen-Teſchen, Neichsvizefanzler Fürft Collorevo, Vize— ftaatsfanzler Graf Cobenzl, viele Mitglieder des deutſchen und ungarischen Fürften: ftandes und Edelleute in großer Zahl fanden fi in der Wahlftabt ein. „Die Menge der Fürften und Großen in und außer Deutfchlands,” rühmt ein Bericht: erftatter in Schubarts vaterländifher Chronik, „it fo zahlreih und der Pomp, der fie umftrahlt, jo gewählt, geſchmackvoll und reich, daß die Neugierde, in und außen beaugt, wie die vier Lebende in der Apofalypje, fih faum ſatt jehen ann.” Da Frankfurt in die Lande des ſächſiſchen Rechtens gehörte, erließ der Kurjürft von Sachſen als Reichsvikar die herfümmliche „Polizey- und Taxordnung“, wonach männiglich ſich friedlich und befcheidentlich zu gebaren, des Rumor, Schlägerei und Auflauf zu enthalten, an gefährlihen Orten nicht Tobad zu rauden, die Domeftiquen nicht Degen und Stöde tragen zu lafjen x. Um die Sicherheit des „Frankfurter Wonnegetümmels” nah außen zu jhügen, wurden auf des Erzfanzlers Anſuchen die Hejlen:Kafjelihen Truppen bei Hanau zufammengezogen, Auch lud der Stadtrat den Direktor der gaftierenden Pariſer Schaufpielertruppe, b’Emery, vor fi, ließ den politiihen Leumund aller Mitglieder feitftelen und gab jtrengen Bejehl, feine Stüde zu geben, die „auf den Freiheitsgeiſt, in specie auf die franzöfiihe Revolution irgend einen Bezug hätten”.

Wahl und Krönung Leopolds II. 361

Am 30. September wurde Leopold einftimmig gewählt.

Soweit fih aus den Stimmen der Prefje und anderen Kundgebungen auf die Öffentlihe Meinung ſchließen läßt, wurden dem neuen Reichsoberhaupt im Eüden wie im Norden warme Sympathien entgegengebradt. „Kein Deutſcher,“ ruft Schubart aus, „wünſcht einen anderen Kaifer, als Ihn! Wenn die dreißig Millionen Deutſche Alle in Einen Haufen zufammengedrängt ftänden und ein Starker des Himmels träte auf eine Wolfe und fragte: Deutfche, wer fol euer Oberhaupt jeyn? jo würd’ es aufdonnern, wie MWogengebrüfl: Leopold!“ }) Klopftod feiert den Gewählten als Friedensfürften:

„Dank dir, unfer Vater,

Daß mir dein Feſt und unfer Feft

Unter des fegentriefenden Friedens

Beihattenden Fittihen feiern!

Mit tief anbetendem Preiſe des Weltbeherrichers, Der uns did und deine Väter gab,

Mit ftiller Ruh feiern wir,

Mit Freude im Herzen

Und ihrer entzüdenden Thräne.” ?)

Das gediegenite norbdeutihe Organ, das Hamburgiſche Politifhe Journal, erinnert daran, daß Leopold viele Jahre das Glück Staliens war,’) und die Berliner Monatsſchrift betont zwar, dab die Bedeutung der Frankfurter Mahl: und Krönungstage unwiederbringlid dahin, räumt aber willig ein, daß der neue Kaifer nicht minder dur Vorzüge des Geiftes und des Herzens, als durch Ge: burt und Anſehen berufen fei, die deutiche Krone zu tragen. Habe er doch erfaunt, dab das Glüd des Neiches bedingt jei von Frieden zwiichen Donau: völfern und Brennen:

„. . . vor allem jauchze mein Lied, Höher als über gemonnene Schladten Zu Land und Meer,

Daß Auftrias und Boruffias Herricer, Friedrih Wilhelm und Leopolp, Sie, Freunde find!“ *)

Am 4. Dftober zog Leopold in Frankfurt ein. Bei dem Riebhof, eine halbe Stunde vor der Stadt, wurde er von ben drei geiftlihen Kurfürften, dem Stadtrat und einer jubelnden Menge empfangen. Dann wandte fidh der feier: lihe Zug, der aus nicht weniger als 1336 Perfonen zu Fuß, 1493 Reitern, 82 jehsipännigen und 22 vierjpännigen Wagen beftand, nad) der Stadt. „Man jagte, nur die Triumphe der römischen Jmperatoren können bamit verglichen

') Schubart, Baterl. Chronik, Jahrg. 1790, 664. 2) Ebendba, 665.

2) Politiſches Journal, Jabra. 1790, 1132.

*) Deutſche Monatsfchrift, Jahrg. 1790, III, 185.

362 Zweites Buch. weiter Abſchnitt.

werben.” 1) Nun folgte Feſt auf Felt. Die franzöfifhe Truppe feierte mit Voltaires „Merope” Triumphe; Iffland, „die Zierbe der beutichen Bühne als Schriftiteler und Schauspieler” (Schubart), gab ein patriotifches, der Gegenwart angepaftes Schaufpiel: „Friedrih von Defterreih” ?); die freunde der Ton: funft wurden dur Abbe Voglers Orgelfpiel im Münfter und des Wunderfnaben Dülons Flötenfonzerte entzüdt; der taliener Girandolini veranftaltete Feuer: werke von nie gefehener Pracht; der Franzoſe Velong erregte durch jeine Fechter- fünfte das Staunen der Kenner; kurz, „alle Herrlichkeiten der Welt find in Frankfurt jo aufgehäuft, daß man vor ihrem Strahlenerguffe die Augen zu: drüden möchte”. Es wurde aber auch mit Lob und Anerkennung erzählt, daß der Gefeierte jelbft an diefer Pradt um der großen Koften willen fein Gefallen fand und fih alle Empfangsfefte in Wien verbat, da es ihm „mehr Freude maden würde, wenn er die Viltualienpreife herunterjegen könnte“. Aus anderen Gründen entiprang die Mißachtung der foftfpieligen, altmodiſchen Felte in der deutfchen Kaiferftadt bei den, wie Schubart fpottet, „Teit neuelter Zeit nach arfadifher Natureinfalt ftrebenden Franzojen”. So warf z. B. die Straß: burger Zeitung die Frage auf, was denn „bei jolhen geldfrefienden Zeremonien” die Menſchheit gewinne, und verhöhnte den bei ſolchen Gelegenheiten bejonders auffällig zu Tage tretenden Kajtengeift.?)

Der Tadel ift nit unberedtigt. Der von den in Frankfurt anmwejenden Fürften beliebte Aufwand ftand weder zu ihren eigenen Einnahmen, noch zur Leiftungsfähigfeit ihrer Unterthanen im richtigen Verhältnis.) Auch paßten manche mittelalterliche Zeremonien und Gebräuche nicht mehr ins adhtzehnte Jahr: hundert. Trogbem werden wir uns lieber an Goethe halten, der in jeiner ebenjo ſchlichten, wie großartigen Schilderung der Krönung Joſephs II. den „unendlichen Reiz einer politifch:religiöjen Feierlichkeit” zur Anſchauung zu bringen weiß, als an Karl Heinrich von Lang, deſſen ſatiriſche Darftellung der Frank: furter Feſte von 1790 faum weniger befannt ift, als jene klaſſiſche Geſchichte eines Krönungstages.’) Auch in Schubarts Chronik wird nachdrücklich hervorgehoben, daß zwar die Scenen im Römer und in der Bartholomäusfirche „eine etwas

') Bolitifches Journal, Jahrg. 1790, 1134.

*, Yfflands Dramat. Werke, 6. Bb,, Einl., 4. Es handelt fih um Kaiſer Friedrich III., den „sriedfertigen”, wie er im Drama von Aeneas Sylvius genannt wird. Iffland wählte diefen Stoff, weil in der Gefchichte Friedrichs III. „das Bild einer jehr ſchweren Regententugend, bes Gleihmuts”, und zugleich Gelegenheit, einen glorreihen Friedensſchluß zwiſchen Ungarn, Böhmen und Defterreih zu feiern, geboten fei.

) Vaterländifche Chronif, 682.

4, In Girtanners Politischen Annalen (I, 400) findet ſich ein VBerzeihnis der „Ausgaben Sr. Churf. Gnaden zu Mainz bei der Wahl und Krönung Kaiſer Leopolds II.” Obwohl in dem Begleitichreiben d. d. Mainz 20. Dez. 1792 erflärt ift, daß das Schriftftüd aus dem Mainzer Jakobinerklub ftamme und der Einfender nicht für die Echtheit gut ftehen wolle, fcheinen bie Angaben, die mit ähnlichen Berechnungen übereinftimmen, richtig zu fein. Danach hätten fi u. a. die Ausgaben für Kleider und Livren des kurfürftlichen Hofftaates auf 80970 Gulden, für neue Kutihen und Pferde auf 45055 Gulden, für Fourage auf 13897 Gulden, die Gejfamtausgaben auf 426274 Gulden 30 Kreuzer 1 Pfennig belaufen.

5) Memoiren des K. H. Nitter von Lang, I, 209.

Wahl und Krönung Leopolds II. 363

gotiſche Geftalt haben”, daß aber der fie bejeelende majeftätiihe Zug immer die Herzen deutiher Männer rühren werde.

Am 9. Dftober morgens ertönte wieder, wie am Wahltage, die Sturm glode, das Signal zum Beginn der Krönungsfeier. Lang, der ala Kurier des Erbtruchſeſſen Fürften von Dettingen Gelegenheit hatte, den Feten beizumohnen, johildert fie als eine „abgejchmadte Puppentomödie” von „altteftamentarifcher Judenpracht“. „Der Kaiferornat fah aus, als wär’ er auf dem Tröbelmarfte zufammengefauft, die faiferlihe Krone aber, als hätte fie der allerungeſchickteſte Kupferſchmied zufammengejchmiebet und mit Kiejelfteinen und Glasicherben befett, auf dem angeblichen Schwert Karla des Großen war ein Löwe mit dem böhmischen Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nad welchen der Kailer alle Augen: blide vom Stuhle herab und hinauf, hinauf und herab, fich anfleiden und aus: fleiden, anjchmieren und wieder abwijhen lafjen, fih vor den Biſchofsmützen mit Händen und Füßen ausgeitredt auf die Erde werfen und liegen bleiben mußte, waren in der Hauptjache ganz diefelben, womit der gemeinfte Mönd in jedem Bettelflofter eingekleidet wird. Am poffierlichiten war es, als eine Biſchofs— müge im lieblichſten Najenton und lateinifch zur Orgel hinauf intonierte, ob fie nun wirflih den Serenissimum Dominum, Dominum Leopoldum wollten in regem suum habere, worauf der bejahende Chorregent gewaltig mit dem Kopfe fchüttelte, feinen Fiebelbogen greulid auf und nieder ſchwenkte, die Chorjung: frauen und Singfnaben aber im höchſten Diskant herunterriefen: fiat! fiat! fiat! Sowie aljo von Seite diejer Kleinen Herrichaften nichts mehr entgegen zu ftehen ſchien, ging’s num mit der Krone eilends auf das Faiferlihe Haupt, vom Empor aber mit Heerpaufen und Trompeten donnernd herab: Haderipump! Haderipump! Pump! Bump!”

Nicht refpektierliher ſpricht Wedherlin von der nationalen Feier. Er be: dauert den armen öſterreichiſchen Prinzen, der in der alten, durchräucherten Stadt, vermummt in den gotifchen Mantel eines verjährten Kaifers, die blonden Locken unter eine ſchwere Krone gepreßt, mit Rolandsjporen an den Schuhen, zur Schau geitellt werden ſoll! Wenn ihm der Schweiß in diden Tropfen auf die Stirne tritt, dann werben bie Höder und Faßbinder von Frankfurt in Entzüden geraten; wenn er fie lang genug als Schaufpieler beluftigt hat, werden fie ihm ein Vivat ins Ohr brüllen, deſſen Efel ihm die jchmachtenden Sinne vollends betäuben wird. „Man läßt dich fühlen, daß du fo gut wie wir, unter dem Fluche Adams ſtehſt: Im Schweiß deines Angefihts jollft du dein Brot eſſen!“ )

) Wedherlin, Graues Ungeheuer, I, 292. Auch die von Profeffor Meufel in Erlangen herausgegebene Zeitfchrift „Mufeum für Künftler und Aunftliebhaber” enthält eine überaus ab: fällige Kritik der Krönungsfeſte. „Das einzige öffentlihe Dentmahl; weldes von der Krönung in Frankfurt zurüdbleibt, ift das Portrait des Kaiſers auf dem Römer nebft dem Schäbel von dem gebratenen Ochſen, weldyer dem Bolfe preißgegeben und jedesmal bey der Zunft, die ihn erobert hat, aufgeftellt wird.“ Mit Recht nennt dies Jäger, der Herausgeber des Diariums (Jäger, Wahl- und Krönungsbiarium Kaifer Leopolds II., 382) eine „Lindifch:freche Tirade“ und ermwidert auf die höhnifchen Bemerkungen über den auf dem Wahltag üblichen Ausdruck „vortrefflicher Herr Wahlbotjchafter” mit der Frage, warum denn der Herr Profeffor Meufel nicht gegen das undeutſche Ehrenwort Magnificenz und andere akademiſche Titulaturen feine Stimme erhebe?

364 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

Mögen ber blafierte Allerweltstadler Lang, der profejfionelle Spötter Wedherlin mit ihrem Witz niedrigfter Gattung Lader finden, die Gebildeten ftellen fih auf Goethes Seite! „Der Totaleindrud bei mir,” jo bejchliefit der Berichterftatter der Vaterländiſchen Chronik feine Schilderung, „war folgender: Freude und Wohlbehagen über deutſchen Reichtum, deutſche Pracht und Fülle, über jo mandes grotesfe, dem Fremdling oft lächerliche, dem Sohne des Landes deſto ehrwürdigere Schaufpiel, weil er den Geiſt feiner Nation in den auffallenditen Sontraften darin fand; Entzüden über den körperlichen und geiftigen Wohlitand, über jo manden Herzenszug unjeres neuen Kaijers, jtillgetban, aber feurig ermwidert von den Glüdlihen, die er traf, und laut begrüßt von der wißbegierigen Liebe, Nicht im Gange der ganzen Begebenheit überhaupt, die für das Herz zu viel Steifes und Zurüditoßendes hatte, jondern in einzelnen Ecenen und einzelnen Vorfälen lag dies Intereſſe.“

Einen wertvollen Beitrag zur Geſchichte der Frankfurter Tage von 1790 bieten die „Nachrichten über einige der wichtigſten Perſönlichkeiten des Neichs“, welde vom zweiten brandenburgiihen Wahlbotihafter Grafen Goer& zur In— formation des Berliner Hofes abgefaßt wurden. !)

Der neue Kaifer jcheint dem Gefandten ein aufgeflärter, unterrichteter, fähiger Mann zu fein; er fpricht gut und in einem herzlichen Ton, der für den Hörer etwas Gemwinnendes hat; er ipricht aber viel, vielleiht ein wenig zu viel! Nicht jelten überrafcht der Freimut, womit er verfänglide Dinge offen heraus: fagt. Seine Regierung wird friedlich und ruhig verlaufen und für feine Monardie eine Periode des Glüds bedeuten. Ausgeſchloſſen ift freilich nicht, daß er jo eble Gelinnungen nur heuchle; dies wird fih am rafcheiten zeigen, wenn man ihm in der nämlichen freimütigen Weife gegenübertritt. Die höchſten Beamten des Kaijers, der Staatsfanzler Fürſt Kaunig, der Vizekanzler Graf Cobenzl und der Neichshofratspräfident Fürſt Colloredo, überbieten fi in Haß gegen Preußen; jo lange diefe Männer am Ruder ftehen, wird gutes Einvernehmen zwiſchen den Höfen von Wien und Berlin niemals von Dauer fein. Glücklicherweiſe jcheint feiner von den Herren erhebligen Einfluß auf den Kaifer zu befiten; eher gilt dies von Geheimrat von Spielmann, der es mit Preußen wenigftens nicht ver: derben will; auch General Manfredini, der die Erziehung der jungen Erzherzöge geleitet hat, gilt viel bei dem Kaifer. Graf Metternich kann ji, obwohl er hervorragende Fähigkeiten gewiß nicht beligt, immerhin noch zu einem gewandten Diplomaten ausbilden. Die meiften Gefchäfte beſorgt der Kaifer ohne Beiziehung der Minifter, ja jogar ohne Hülfe eines Sefretärs; höchſtens diftiert er einem feiner Eöhne. Sein Lieblingsplan jcheint auf Ausbreitung des öfterreihiichen Einfluffes in Stalien gerichtet zu fein; deshalb hat er die zwei Prinzejfinnen von Neapel, denen über furz oder lang die Nachfolge zufallen wird, für fi gewonnen.

Die feindfelige Haltung, welde der Kurfürſt von Mainz während bes

') Preuß. St.Archiv. Akta, betreffend die Mahl eines römischen Kaiſers 1790. Notions sur quelque personnes les plus importantes dans l'’empire, d. d. Wasserloch pres de Francfort, 30. sept. 1790.

Mahl und Krönung Leopolds II. 365

Wahltags einnahm, macht erflärlih, daß Goerk von ihm ein gar ungünftiges Bild entwirft. Der eitle, hochmütige, ehrſüchtige Kirhenfürft wolle das ganze Reich regieren und vergeſſe gänzlih, daß er zwar an Rang, aber nit an Macht der Erfte im Neich jei. In die Union fei er offenbar nur aus Verdruß, weil ihn Joſeph II. feine Rolle jpielen ließ, eingetreten. Dabei habe er bloß Sinn für Lurus und Vergnügen; die Arbeit überlaffe er jeinen Günftlingen. Anfangs jei Graf Sidingen, der ergebene Diener des Wiener Hofes, in höchſter Gunft geſtanden; dann habe ihn Graf Metternich abgelöſt; jetzt überwiege der Einfluß der Frauen, insbefondere der Frau von Coudenhoven; ſehr bald aber werde Herr von Albini ale anderen ausitehen, und wenn erft diefer hoffärtige Mann als Kanzler an der Spite ftehe, dann werde die Mainziihe Wirtſchaft noch unerträgliher werben.

Den Koadjutor Baron Dalberg nennt Goertz einen „alten, intimen Freund”, der fich troß feiner Beförderung gar nicht verändert habe und zweifellos einmal ein tadellofer Fürft der Kirhe und ein pflichttreuer, unparteiiicher Kanzler des Reichs fein werde. Der Kurfürft von Trier fei ein herzensguter, aber jchwacher Mann, der jhon aus Rüdfiht auf feinen Bruder, Herzog Albrecht von Sadjen: Teihen, zum Wiener Hofe halte. Ueber des Kurfürften von Köln unruhiges, turbulentes Wejen brauche fein Wort mehr gejagt zu werben; es ſei ebenjo befannt, wie das ränkevolle Treiben des Günftlings Waldenjels. Leber ben bairiihen Wahlbotſchafter Grafen von Oberndorff wird nur gejagt, daß er bei Kurfürft Karl Theodor alles gelte. Hohes Lob wird dem ſächſiſchen Minifter Grafen von Loeben gezollt, weil er immer die Bundestreue gegen Preußen als erfte Pflicht betrachtet habe. Bon den fürftliden Miniftern wird der badiſche Gejandte Baron Edelsheim als bedeutendſte Perfönlichkeit gefchildert; doch jei er ein Mann ohne feſte politiihe Grundfäge, der fih bald an Oeſterreich, bald an Preußen anlehnen wolle.

Mit ſtarkem Nahdrud heben Goertz und jein Kollege Often-Saden in einem „Finalrapport“ (30. Oktober) hervor, daß bie Union den auf fie gejegten Hoffnungen nicht entſprochen habe; trogbem dürfe Preußen nicht aufhören, als Schirmherr der Freiheit die deutihen Fürften um fich zu jcharen. Nicht felten höre man die Behauptung, Preußen braude Deutfchland nicht und werde durch die Rüdfihten auf das Reich nur in feiner natürlihen Entwidelung gehindert; dieſe Anficht jei aber grundfalih! Wachſam und feit die Neihsverfaffung zu ſchützen, dies ſei die wichtigſte Aufgabe des preußiihen Staates. Den deutſchen Fürften müſſe zum Bemußtfein gebracht werden, daß Preußen allein im ftande jei, die Uebermacht Defterreihs unschädlich zu maden, und daß es bereit ei, Kurfürften und Fürften im Beſitz ihrer Länder und Würden zu erhalten, ohne von ihnen eine andere Unterordnung zu verlangen als diejenige, die nad dem auch in der Politif geltenden Gejeß der Schwere ohnehin dem mächtigeren Staate zufomme.

Aeußerlih betrachtet ſchien fih das Verhältnis zwiſchen Defterreih und Preußen jeit Abſchluß des Reichenbacher Vertrages überrafhend freundſchaftlich zu geftalten. Leopold zeichnete die Vertreter Preußens in Frankfurt bei jedem Anlaß aus und wurde nicht müde, fie feiner Ergebenheit und Friebensliebe zu

366 Zweites Bud. Zweiter Abjchnitt.

verſichern.) Am Tage nad der Krönung richtete der Kaiſer an Frievrih Wil: helm ein eigenhändiges Schreiben, worin er für das Entgegenfommen bei der Kaiferwahl feinen Dank ausiprad. Er habe feinen heißeren Wunſch, verficherte er, als ji den Freund des Königs nennen zu bürfen; deshalb habe er ohne Kummer große Opfer gebradht, denn feines jei zu groß, wenn es gelte, ein Syſtem des Friedens und der Freundſchaft zwiſchen Defterreih und Preußen zu begründen.

Wir haben feinen Anlaß, in die Aufrichtigkeit der Aeußerungen Leopolds Zweifel zu ſetzen. Oſten-Sacken und Goertz ſchrieben die freundlihe Wandlung dem Einfluſſe Spielmanns zu. Allein davon abgejehen, daß Kaunig und Cobenjl, ber eben erft in Reichenbach erlittenen Demütigung eingedenf, in ihrer Abneigung gegen Preußen beharrten: der Gegenjaß der Intereſſen der beiden Staaten war nicht zu überbrüden, und die natürlice Folge war, daß hüben und drüben das Mißtrauen niemals erlofjh. Dem weiſen Ermefjen des Königs, jchrieben die preußiihen Geſandten, müjje überlajjen werden, welder Wert den freundichaft: lihen Worten des Kaijers beizumefjen jei. Friedrich Wilhelm ließ es zwar in feiner Antwort an den wärmiten Beteuerungen des Dankes und der Freude nicht fehlen, madte aber gegenüber jeinen Miniftern die fühle Bemerkung: „Ich wünjchte, daß diefer Fürft auch jo handeln möchte, wie er jchreibt.”

Insbeſondere die Haltung Oeſterreichs in der Lütticher Frage rief in Berlin neuerdings Unzufriedenheit wach. Das preußijche Kabinett hatte, wie oben dar: gelegt wurde, den aufitändiihen Bürgern von Lüttich) das Verſprechen gegeben, es wolle nicht zulafien, daß Biſchof Hoensbroech wieder eingejegt werbe, ohne auch jeinerjeits den Bürgern ihre 1684 durch nadte Willkür abgejhafften, ver: fafjungsmäßigen Rechte zurüdzugeben. Auf ſolche Beichränfung wollten aber weder der Biſchof, noch das Richterfollegium in Weplar, noch die übrigen mit der Grefution betrauten Stände eingehen. Hoensbroed lehnte jeden Eingriff in jeine fouveränen Rechte ab und forderte bedingungsloje Vollftredung des reichsgericht- lihen Urteils. Unter diefen Umftänden hielt e& der preußiſche Monarch für geraten, jeine Truppen gänzlich zurüdzuziehen und die Erefution den rheiniichen Fürften zu überlaffen. Welche Abfichten ihn dabei leiteten, lehrt ein Brief an den Kurfürften von Mainz (22. April).) „Wie Ew. Kurfürftlide Durchlaucht ihon willen werden, it mein General Schlieffen mit allen Truppen aus dem Hoditift Lüttich abgezogen und hat dasfelbe feinem Schidjal überlafjen, da der Biſchof in ftolzer und ſogar ungebührlicher Weije alle meine Vorfchläge zu einem gemäßigten Vergleich verworfen hat. Ew. Kurfürftlide Durchlaucht werden hoffentlich den patriotiihen Abjichten Preußens Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Die preußiſche Vermittelung allein hat die Ruhe in diefem Lande, das jonft den unberechenbaren Folgen eines blutigen Bürgerfrieges ausgejegt geblieben wäre, mwiederhergeitellt; die Truppen der drei Kurfürften hätten nicht ausgereiht, um die Lüttiher zur Vernunft zu bringen. Ich habe das Land bejegt mit freier Zuftimmung der Bevölkerung und bin eine Kapitulation eingegangen, die mir

! Preuß. St.Archiv. Bericht vom 17. Dit. 1790. 2) Ebenda. Alta, betreffend die Wahl Leopolds II., 1790.

Das Ende des Lüttiher Streites. 367

jegt nicht erlaubt, einfach den Spruch des Reichskammergerichts zur Richtſchnur zu nehmen. Der Biichof wird leichter durch Annahme der preußiihen Vor: ichläge feinen Befig zurüderlangen, als durch Nichterjprüche, die vielleiht ver: faffungsmäßig jein mögen, die aber einfach nicht zu vollziehen find. Es handelt fih ja um ein in Waffen ftehendes Voll, um Nachbarn eines anderen Volkes, das darauf brennt, jih der Unterordnung unter feinen Landesherrn und das Neich zu entziehen... .”

Am 16. April zogen die Preußen aus Lüttich ab. Auch die Pfälzer mußten die Stadt. verlalien; ihre Bitte, es möge ihnen die Zitadelle überlaffen werden, war von Sclieffen abſchlägig beichieden worden.!) Unmittelbar darauf wurde die Abjegung des Fürftbijchofs proflamiert. Georg FForfter, der ein paar Wochen vorher die betriebfame Landihaft an der Maas beſucht hatte, empfing im allgemeinen von Land und Leuten günftigeren Eindrud, als von den Brabantern; er glaubte bei der vorwiegend aus Bergknappen und Eifenarbeitern beitehenden Lüttiher Miliz mehr Disziplin, Subordination und Beherztheit zu finden, als bei den brabantiihen Bauern und den limburgiihen Hirten.?) „Die Leute waren durchgehends von ihren politiihen Verhältniſſen bis zum Ueberſtrömen voll, hingen daran mit unglaublihem Eifer und' ſchienen ſich im gegenwärtigen Zeitpunkte, wie alle freien Völker, mit den öffentlihen Angelegenheiten beinahe mehr als mit ihren Privatbedürfnifien zu bejhäftigen.” Unangenehm berührt fühlte ſich Förſter dur das übertriebene Selbitvertrauen der Lüttiher und die beleidigenden Ausdrüde, die fie fih gegen das Neichsfammergeriht und die deutihen Fürften erlaubten. Die ftolze Zuverſicht auf die eigenen Kräfte, die ihnen eine Wiederkehr des alten Regiments als unmöglich erfcheinen ließ, drängt zu weiteren revolutionären Maßnahmen: Auflöfung des geheimen Nats, Kon: fisfation der bifhöflihen Güter und Tafelgelver, Aufhebung der Zünfte, Vor: bereitung einer neuen Negierungsform. Mittelpunft des neuen Staatsförpers war vorerjt der Gemeinderat; alle Reformen waren mehr oder weniger der neuen franzöfiihen Gejeggebung nachgebildet und jollten den Webergang zum rein demofratijhen Staat anbahnen. Von den beiden Bürgermeiftern, die bisher die Führer der Bewegung gewejen waren, wurde nur Fabry wiedergewählt; Cheftret, der jeinen aufgeregten Landsleuten zu wenig Entihlofjenheit zu haben ſchien „er Ihwagt zu viel mit Peter und mit Paul,“ jpottete der einflußreihe Publizift Baſſenge —, mußte einem obſkuren Advofaten Donceel Pla mahen; man bediente ji des Vorwandes, Chejtret jei als militärifcher Befehlshaber unent: behrlih, und die Vereinigung beider Stellen ſei nicht thunlich. Inzwiſchen hatte das Reihsfanmergeriht die weftlihen Kreife nochmals zur Vollftredung des Urteils an den Nebellen aufgefordert, und obwohl jih das Berliner Kabinett alle Mühe gab, die „bizarre“ Erefution, die nur ungeheure und unnötige Koften verurjahen und vielleiht noch ähnliche Aufftände in Nachbarländern nah fi ziehen werde, zu verhindern, rüdten pfälziſche und kölniſche Truppen gegen Lüttich vor. Als e8 zum Schlagen fommen follte, wurbe der Oberbefehl über die in

) Borgnet, Histoire de la revolution Liögeoise, I, 261. 2) Sg. Forfter, Anfihten vom Niederrhein ꝛc., I, 105.

368 Zweites Bud. Zweiter Abſchnilt.

Tongres jtehenden lüttihijchen Truppen nicht dem Kommandanten der National: garbe, Cheftret, dem Liebling der Soldaten, den der Biſchof Hoensbroech beshalb den „König von Tongres” nannte, übertragen, jondern einem Verwandten des Bürgermeifters Donceel gleihen Namens.!) Nicht dem Geſchick dieſes allzu bebädhtigen Führers oder hervorragenden Heldenthaten der lüttichiſchen Miliz, fondern nur der beifpiellofen Kopflofigfeit im feindlichen Heere war es zuzu— ichreiben, daß die Aufftändiihen fich gegen die an Zahl und Ausrüftung über: legenen Reichstruppen fiegreich behaupteten.

Mir befigen draftiihe „Erinnerungen“ an den LZütticher Feldzug der kur: rheinischen Erefutionstruppen aus der Feder eines Teilnehmers, des furmainzifchen ngenieuroffiziers Eidemeyer.’) Da berjelbe zwei Fahre jpäter mit der Er: Härung, der Kurftaat Mainz habe für ihn aufgehört zu eriftieren, in die Dienite der frangöfiichen Republik übertrat, ift der Bericht über die Kriegsthaten der fur: mainziſchen Truppen vielleicht gar zu grau in grau gemalt; im allgemeinen aber bieten die überrajchenden Mißerfolge des Kontingents unerfreulihe Beftätigung. Am 23. Mai wurde die mainzifhe Brigade in der Nähe des Frauenſtifts Biljen von einer Fleinen Abteilung Lüttiher Schügen verſcheucht. Am 26. Mai wurde die Stadt Haffelt von den Mainzern angegriffen; die Aufftändiichen flohen durch das entgegengefegte Thor, aber ein paar mwohlgezielte Kanonenſchüſſe genügten, um bie Stürmenden zu zerjprengen, und noch am nämlichen Tage zog bie mainziſche Brigade in die alten Quartiere zurüd. Auch nachdem trierifhe und pfälziſche Truppen dazu geſtoßen waren und der pfälziſche General Fürft Men: burg den Oberbefehl übernommen hatte, wurde nicht glüdlicher geftritten. Am 29. Juni ging das ganze Heer bei Maaseyf über die Maas, doch nad unbe: deutenden Händeln mit den Aufftändiichen wurde wieder der Rüdzug angetreten, nad Eidemeyers Anficht, weil „die Offiziere meinten, es ſei doch eigentlich un— erlaubt, ihre Leute um ‚Patrioten‘ aufzuopfern, ein Name, der damals mit Lumpengefindel gleihbebeutend war”.

Nun wurde die Stimmung in Lüttich noch zuverſichtlicher, alle Hüte ihmüdten fi mit Freiheitsfofarden, im Lager wie in Werkftätten und Fabrik: jälen eriholl das nationale Kampfliev: „Valeureux Liegois ete.* Trotzdem fonnte der greife Fabry, in beflen Händen die Fäden der Regierungsgewalt zufammenliefen, fih nicht verhehlen, daß die Lage äußerft kritiſch fei und bie Lüttiher aus eigenen Kräften fi nicht auf die Dauer behaupten fünnten. Er trat deshalb mit van Eupen und anderen Führern ber bisher noch fiegreihen Belgier in Berbindung.?) Allein zwiihen den Nebellen mit dem Roſenkranz und den Anhängern der allgemeinen Menjchenrechte, die ihren Biſchof ohne Skrupel feines Eigentums beraubt hatten und fi in auffälliger Geringihägung bes Priejter: ftandes gefielen, war ein Bündnis nicht möglid. Mehr Geneigtheit zur Hülfe: leiftung zeigte das preußiſche Kabinett. Dohm, der fih in Lüttich großer Be: liebtheit erfreut hatte mit Mühe nur konnte er fi, wie Forſter verfichert,

') Borgnet, I, 255. ?) Denfwürdigfeiten des Generald Eickemeyer, ber. v. König, 87. 3) Borgnet, 1, 284.

Das Enbe des Lüttiher Streites, 369

den Umarmungen der tonangebenden Köhlerweiber entziehen —, fuhr auch nad feiner Abreife von Lüttich fort, mit den vom Reichskammergericht geächteten Behörden zu unterhandeln. Dabei war insbefondere der Wunſch maßgebend, den Anſchluß der Lüttiher an Frankreich fernzuhalten. „Ich glaube die beite Probe meines Patriotismus dadurch gegeben zu haben,” ſchrieb Friedrich Wilhelm (21. Juni) an den Kurfürften von Mainz, „daß ich allein bisher einen Appell der Stände von Belgien und Lüttih an die franzöfiihe Nationalverfammlung verhindert und ihnen bie Verpflichtung auferlegt habe, jih nicht vom Neiche zu trennen.” Als aber nad Bekanntwerden des Reichenbaher Vertrags die Aus— fiht auf preußiihe Hülfe ſchwand, wandten fih die Lüttiher an ihre weftlidhen Nachbarn, mit denen fie ja durch Bande des Blutes, wie durch Gemeinschaft der Intereſſen weit inniger verbunden waren, als mit dem deutichen Reich. Henkart und Reynier, die Redakteure des „Journal patriotique“, verhandelten in Paris mit Montmorin und Neder, Mirabeau und Lafayette; fie erfreuten fi überall ehrenvoller Aufnahme, die Adrefje der Lütticher an das franzöfiihe Volk wurde in der Nationalverfjammlung mit Beifall überjchüttet, aber außer jchmeidel- haften Worten und freundlihen Wünſchen war nichts zu erlangen. ’)

Um gegen die Rückkehr des Biſchofs einen Riegel vorzufchieben, wurde in der Perſon eines lüttichſchen Domherrn und Großgrundbefigers, des Prinzen Ferdinand von Rohan-Guemensé, nad) alter Tradition ein „mambour* als Negent aufgeftelt. Am 13. September leiftete Rohan in der Ständeverfammlung den Eid auf die Gefege und Freiheiten des 18. Auguft 1789 und hielt eine Art Thronrede voll Selbitbewunderung und ftolzer Hoffnung. ?)

Inzwiſchen dauerte die ärgerliche Kriegspoſſe fort, die zwar nur geringe Blutopfer Eoftete, aber die Verwüſtung weiter Zandftrihe und bie Ausfaugung des ganzen Landes zur Folge hatte. Im Auguſt ſchien ih die Reichsarmee zu ernfterer Anftrengung aufzuraffen, doch aud diesmal folgte auf voreiligen Angriff ein jchleuniger Nüdzug. Die pfälzischen und trieriihen Truppen marſchierten darauf beim, die mainzifchen und münfterifchen verharrten in herkömmlicher Untätigfeit.

Wie fhon erwähnt, wurde aud in Frankfurt der Verfuh gemadt, die deutjchen Stände mit der Lüttiher Erhebung zu befreunden, doch pochten die Abgeordneten an allen Thüren vergeblih an. Auch die preußiichen Botſchafter verhehlten ihnen nit, daß an Unterhandlungen überhaupt nie gedacht werben könne, ehe nicht der rechtmäßige Landesherr zurüdberufen ſei. Die Wiedereinjegung Hoensbroechs ſtand denn auch an der Spite der von preußiſcher Seite aus: gearbeiteten und zur Annahme empfohlenen „articles de penitence*, welche bie Abgeordneten von Frankfurt heimbradten. Am 4. Dftober famen die Borfchläge in Lüttich zur Verlefung, wurden aber mit Entjchievenheit abgelehnt. °)

Die Erekutionstruppen waren ja nicht zu fürdten, allein von anderer Seite tauchte ernftere Gefahr auf. Wenige Tage vor der Krönung ſandte Obrift

") Histoire parlamentaire de la revolution Frangaise, VII, 215.

®, Henaux, Histoire de Liüge, II, 299.

’) Juste, 29. Hier wird aud ein wohl faum begründetes Gerücht mitgeteilt, die Abs fafjung der articles de p£enitence habe dem nad Aachen ausgewanderten Lütticher Domlapitel 50000 Franes gefoftet.

Heigel, Deutiche Gedichte vom Tode Friedrichs db. Or. bis zur Anflöfung bed deutichen Aticht 24

370 Zweites Bud. Zweiter Abichnitt.

Stein vom mainziſchen Hoflager in Aihaffenburg eine aufregende Nachricht nad) Berlin. Leopold war gelegentlih einer Unterredung mit dem Kurſfürſten über den Lütticher Streit mit einem neuen Vorſchlag hervorgetreten. Wenn bie Aufitändifchen fih noch länger dem Urteil des Reichskammergerichts widerſetzen würden, follte der furrheiniiche Kreis den Kaifer um Hülfe angehen, und bieje werde nicht verfagt werden. Da nad glüdlicher Unterwerfung Belgiens gewiſſer— maßen die Vorwerke Lüttichs ſchon von öfterreihiihen Truppen bejegt feien, werde die Unterwerfung feine Schwierigkeit bieten. !)

Ein folder Vorſchlag war gegen die in Reichenbach getroffene Abrede. Hergberg ließ jofort die öſterreichiſchen Minifter daran erinnern, daß fie damals verſprochen hätten, fi nicht in den Lütticher Handel einzumiſchen. Das beſte werde fein, die Entſcheidung über den fchwierigen Fall einem aus Vertretern der Direktoren der beteiligten Kreife gebildeten Kongref zu überlaſſen. Daß die Lütticher den Biſchof wieder aufnehmen müßten, fei jelbftverftändlih; andrerfeits möge auch diejer, den Forderungen der Billigfeit Rechnung tragend, volle Amneftie gewähren, das Edikt von 1684 aufheben, freie Wahl der ftädtiichen Behörden und ber Ver: treter des dritten Standes in der Ständekammer zufidhern.

In diefem Sinne ſprach fih Dohm auch im Lüttih aus.?) Die Stände wären gern bereit gewejen, darauf einzugehen, allein der Stadtrat und bie Sektionen widerfegten jich entichloffen der Zurüdberufung des „Despoten”. Vom Nufe: „Plus de Hoensbroech! Plus de Hoensbroech!* dröhnte der weite Platz.“) Das hieß: den Bogen überjpannen; es war eine Herausforderung der Neihsfürften, die unmöglich zugeben durften, dab die fouveränen Rechte eines Standesgenofjen von den eigenen Unterthanen einfach umgeftoßen würden. Zwar endete auch der „dritte Kreuzzug”, wie Cidemeyer den im Dezember unter: nommenen dritten Angriff der mainziſchen Brigade verjpottet,*) mit kläglichem Mißerfolg; als aber nad) der Niederlage der Mainzer bei Bije (9. Dezember) der Kaiſer jelbjt zur VBollitredung der Weslarer Urteile die Hand bot, war ber Ssreiheitstraum der Lüttiher Patrioten raſch zu Ende. Umſonſt legte Dohm gegen den Einmarſch der Kaiferlihen unter Feldmarihal Bender Verwahrung ein, indem er behauptete, die Unterwerfung der Lütticher dürfe nur von den Direftorialfürften nah den in Frankfurt feſtgeſetzten Gelichtspunften durchgeführt werben; °) der Proteit blieb unbeachtet.

Trogdem war Friedrih Wilhelm nicht mehr zu bewegen, den Widerftand gegen die Durchführung der reichsgeſetzlichen Beſchlüſſe fortzufegen. Dieſes ängſtliche Zurüdweichen gerade im entſcheidenden Nugenblid, klagte Dohm, laſſe die Unter: werfung Lüttichs zugleih als Niederlage Preußens ericheinen. „Der Triumph unferer Feinde vor unjeren Augen, der gänzliche Verfall des preußiſchen Anjehens

') Preuß. St.Archiv. Alta, betreffend die Wahl eines römiſchen Königs 1790. Bericht Steins vom 6, Oft, 1790.

2?) Gronau, C. W. v. Dohm, 199.

2) Henaux, II, 308.

) Eidemeyer, Denfwürbigleiten, 99.

) Danz, Zweite Fortfegung der Staatsrechtlihen Betrachtungen über die Lüttichiſchen Unruhen (1791), 45.

Das Ende des Lüttiher Streites, 371

und Namens in biejen Gegenden jchlägt mich fo nieder, daß ich es nicht ausbrüden kann!” Hertzberg teilte diefe Auffafiung; ihm felbit, jchrieb er an Dohm, jei es in Reichenbach nicht beſſer gegangen, in ſolchen Fällen heifche die Rückſicht auf Staat und Monarden Gehorfam und Schweigen. ')

In Lüttich jelbit erfolgte unter dem Drud der widrigen Verhältniſſe ein Umſchwung. Die Anhänger Hoensbroechs traten aus ihren Verſtecken hervor; in der Mehrheit der Bevölkerung regten fi wieder zwei mächtige jeelifche Faktoren, die nur vorübergehend durd das terroriftiiche Treiben der patriotiichen Klubs zum Schweigen gebradht waren: Gemiflen und Gewohnheit; jegt nannte man wieder öffentlich die Freunde der Unabhängigkeit Utopilten und die Gegner des Biſchofs Feinde des Waterlands. Auch der würdige Fabry mußte die Wandel: barkeit der Volksgunft erfahren; von den eigenen Anhängern wurde ihm vor: geworfen, daß er fih von den Preußen habe hinters Licht führen laflen; der franzöliihe Emigrant Sabatier de Caftres jchilderte ihn ald Ausbund von Un: gerechtigfeit, Wahnwitz und verräteriiher Tüde, jo daß jogar Biſchof Hoens- broech jein Bedauern über jolche Uebertreibungen ausiprad. Die Stände famen überein, dem Kaifer ihre Unterwerfung anzubieten, unter der Bedingung, daß feine Reichstruppen an der Belegung teilnehmen jollten. Dod die nad) Wien geihidten Abgeordneten fonnten nit einmal eine Audienz erlangen. Un: bedingte Unterwerfung unter die reichsgerichtlihen Beſchlüſſe und den recht— mäßigen Landesherrn, fo lautete das Faijerliche Ultimatum.*) Zwar ging im Stadtrat nochmals ein Beihluß durch, gegen die Vergewaltigung durd den Kaiſer Verwahrung einzulegen, doch war die Panik fchon jo allgemein, daß fein Druder mehr den Mut hatte, die Veröffentlihung des Schriftjtüds zu übernehmen.

Vergeblid) wurde von preußifcher Seite wenigftens auf diplomatiihem Wege ein legter Verſuch gemacht, die Kataftrophe abzuwehren. Baron Jacobi:Klöft erklärte, Preußen werde nicht dulden, daß das Mitglied eines fremden Kreijes der Kaifer war als Vertreter des burgundiichen Kreijes angerufen worden mit der Erefution betraut werde; der Wiener Hof möge doch jo willfürliches und verfafjungsmwidriges Verfahren meiden, zumal nad) den in Reihenbadh und Frankfurt gegebenen Zufiherungen; in Berlin jei wohl befannt, daß die Ent: Scheidung im Lütticher Streit nur durch eine Antrigue des Kurfürften von Köln und des Grafen Metternich eingefädelt jei: da möge fich denn doch der Kaifer vor Augen halten, ob für ihn die Zufriedenheit und die Freundſchaft des preußiihen Staates nicht wichtiger feien, als die Rüdfiht auf Glück und Gunft bei einem Kurfürften von Köln. ?)

Diejen Vorwürfen gegenüber betonte Spielmann, daß ſich der Kaifer in dem leidigen Lütticher Handel nur von feiner verfafjungsmäßigen Pflicht leiten

) Gronau, 205.

2) Juste, 36.

) Preuß. St.:Ardiv. Correspondance du Roi avec le baron de Jacobi-Kloest, son ministre plenipotentiaire ü Ja cour de Vienne, sur les affaires générales et en particulier sur celles des Provinces Belgiques et sur la negociation de paix äà Sistowe et ü Peters- bourg, 1791. Berichte Jacobis vom 3., 5., 8. Januar 1791. Erlafie an Jacobi vom 10., 15., 17. Januar 1791.

372 Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

lafle. Es dürfe nicht zugegeben werden, daß ſich ein Ländchen wie Lüttich über Beſchlüſſe des Reichsgerichts luftig made; gerade in einer Zeit, da die Volks— ftimmung in weiten Kreifen unrubiger und ungebärbiger werde, bürfe folche Mißachtung des Rechts nicht ungeahndet bleiben; unausbleiblih würde es fonit in allen deutſchen Staaten zu Auflehnung und Aufſtand fommen. Möchte doch der König von Preußen feine unjelige Politif in der Lütticher Frage, die ihn wahrlih feine Roſen pflüden ließ, endlih aufgeben; fogar die mit Preußen verbündeten Fürften hätten jede Verantwortung für das unbegreiflihe Vorgehen ihres Bundesgenofjen abgelehnt; wenn der König trogdem dabei verharre, werbe er im Reiche ganz verlaffen ftehen.

Darauf wurde Jacobi von feinem Hofe angewiejen, nochmals in nad) drüdlichfter Form (d’une manidre nerveuse) gegen das willfürlihe Verfahren, wie es jest von Reichs wegen gegen Lüttich beliebt werde, Verwahrung einzu: legen. Wenn der Kaijer jeine Mäßigung beweiſen wolle, möge er im Verein mit Preußen einen Ausgleich betreiben, aber nicht auf Grundlage des ohne Sadfenntnis gefällten und dur Ränke veranlaßten Weglarer Spruches, jondern der in Frankfurt bemilligten Artifel. An dem guten Willen des Kaifers zweifle niemand, doch könne man in Berlin nit ohne beflemmenden Eindrud ver: folgen, daß gerade die nächſten Verwandten des Kaiſers, Erzherzog Maximilian, der Kurfürit von Köln, und Erzherzogin Marie Chriftine, die Statthalterin der Niederlande, unabläjjig gegen Preußen hegten, jener in Mainz, dieje durch ihren Gatten Herzog Albredt in Sadjen. Auf folhem Wege werde ein har: monifhes Einvernehmen zwiſchen den zwei mäcdhtigften deutſchen Staaten nicht erreicht werden, und doch hänge davon ber Friede im Reiche, ja vielleicht in ganz Europa ab!

Inzwiihen war in Lüttich die Kataftrophe eingetreten. Am 10. Januar 1791 flüchtete der „Mambour” Prinz Rohan aus der Stadt; aud ein paar hundert Patrioten, welche die Rache des Biſchofs zu fürchten hatten, zogen unter Trommelihlag und mit fliegendem Banner auf franzöfiiches Gebiet. Tags darauf rückten Faiferlihe Truppen in Lüttih ein; ihnen folgten die mainziichen und münfterijhen Regimenter.

Eidemeyer macht fi weidlih darüber luftig, dab die Mainzer von den Bürgern der Stadt Verviers mit Lorbeer befränzt und als Retter des Vater: lands und Helden von antifer Größe gefeiert wurden. ?)

Nun wurde das alte Regiment mit aller Strenge wiederhergeftellt. Die von der Revolution vertriebenen Bürgermeifter und Räte hielten im Stadthaus feierliben Einzug; der Geheimrat, der Stadtrat, die Zünfte, kurz, alle Behörden und Genofjenfhaften wurden jo, wie fie vor dem 18. Auguft 1791 beftanden hatten, wieder eingeführt; das Edift von 1684 trat wieder in Kraft.

Der Berliner Hof proteftierte neuerdings gegen ſolche „Ausbeutung bes Sieges einer zweifelhaften Sahe”. Wenn der Herr Vizekanzler, jo erklärte Sacobi, fort und fort verfichere, e& liege dem Kaiſer nichts ferner, als ein ge: waltthätiges Auftreten im Lüttiher Handel, jo ſei ihm wohl unbefannt ge

') Eidemeyer, 100.

Das Ende des Lütticher Streites. 373

blieben, wie es in der unglüdlichen Stadt zur Zeit ausſehe. Der Delegierte des Biichofs, Domherr von Waſeye, verfahre gegen Schuldige und Unfchuldige mit bespotifcher Härte, und ber öjterreihiiche Kommandant, General von Kheul, leihe zu jeder Gemaltthat feinen bewaffneten Arm. Ein preußiich:clevijcher Ver: treter fünne fih, ohne das Schlimmfte zu risfieren, gar nicht nad) Yüttich bes geben, und doch habe bei der endaültigen Entſcheidung Cleve mit ebenjo viel Recht mitzufpreden, wie Münfter und Yülih. Preußen habe dem Kaijer bei Unterwerfung der Niederlande, bei der Kaiferwahl, bei den Kapitulationsver- handlungen und manchen anderen Gelegenheiten gute Dienfte geleiltet; um des Ichuldigen Danfes willen möge jest wenigftens nicht zugelaiien werden, daß Heine Neichsfürften den König von Preußen öffentlich beleidigen. Lüttich jei unterworfen, e& könne aljo nichts nügen, fondern nur jchaden, wenn der Rache— durſt eines Unverföhnlihen jede Beiriedigung ſuchen dürfe. Kailer Leopold ließ aber dieje Vorftelungen und Vorwürfe nicht gelten. Er kenne Herrn von Wajeye von Florenz her, erflärte er dem preußiihen Gejandten, und habe jelbjt den würdigen Mann zum Kanonikat empfohlen; etwas hikig möge ber Wallone fein, doch gegen Recht und Billigkeit werde er fih nie verfehlen. Bald werde ja auch der Biſchof jelbit wieder eintreffen, dann werde alles ins richtige und fonftitutionelle Geleife kommen. „Wenn dies zutrifft,“ wurde von Berlin ermwidert, „wenn der Biſchof eine unbeſchränkte Amneftie bewilligt und fih mit den Ständen auseinanderfegt, werden wir uns damit begnügen.” !)

Am 12. Februar kehrte Fürftbifhof Hoensbroeh in feine Reſidenz zurück. Vom Wiener Hofe war ihm in der That nahe gelegt worden, daß er durch eine allgemeine Amnejtie zur Beruhigung der Gemüter beitragen möchte, doch ließ ſich Hoensbroech nicht darauf ein; nur diejenigen, die fih Beleidigung des Landesherrn hatten zu Schulden kommen lafien, wurden begnadigt; bie übrigen Patrioten, jo weit fie fih nicht nah Frankreich oder Holland geflüchtet hatten, traf jchwere Strafe; in langer Reihe erfolgten Berbannungsurteile, Gütereinziehungen, Hinrichtungen.

Eine offiziöfe Flugichrift fuchte nachzumeilen, dab in Lüttich „keineswegs allzu ſtreng“, fondern „äußerft gelinde” verfahren werde. Noch immer feien Hochrufe auf die Patrioten in Lüttich zu vernehmen; noch immer werde in ben fürftlihen Waldungen wie auf herrenloſem Boden geplündert; unabläffig werde von den ‘Flüchtlingen in Paris und Berlin, im Haag und in Brüfjel gegen den Landesherrn von Lüttich gehegt und gemühlt; da fei es doch wohl Pflicht der Regierung, durch Beitrafung der Schuldigen die Aufregung zu dämpfen und weitere Ausbreitung der revolutionären Ideen zu verhindern. ?) Anders urteilte frei: ih Georg Forfter, obwohl er damals noch in Dieniten des Kurfürften von Mainz ftand. „Das arme Lüttich büßt mun für feinen Freiheitsfinn!” Elagte er in einem Briefe an Heyne (22. Januar 1791).?) Die von den rheinischen Kurfürften ges

!) Preuß. St.Archiv. Erlaffe an Jacobi vom 31. Januar, 4., 7., 18. Februar. Berichte Jacobis v. 5. u. 18. Februar 1791.

2) Die neueſte Lage der Lütticher Angelegenheiten (Wetzlar, 1791), 57.

2) G. Forſters ſämtliche Schriften, VIII, 141.

374 Zweites Bud. Zweiter Abjchnitt.

forderte, dem erichöpften Hochſtifte auferlegte Entihädigung für die Koften der Erefution fand Forfter unbillig hoch, das Vorgehen des Kaijers eigenmächtig, die Beichlüffe des Reichsfammergerichts zopfig. „Dieje elenden Wetzlarer Rabu— liften möchten jich gern für die höchſte geſetzgebende Gewalt in Deutſchland an: gejehen willen. Das iſt dann die Verfaſſung, worauf man in Deutjchland jo ftolz iſt! Die Korruption ift wirklich jchon jo weit gefommen, daß man fi wundern muß, wie alles noch zufammenhält, deſto eher ftürzt alles mit einemmal über den Haufen!” „Preußen ift die dupe in diefer Sade, wie überhaupt in der ganzen Negociation mit Defterreih, ... es muß eine traurige Zerrüttung im preußifchen Kabinett ftattfinden, daß alle Maßregeln Hergbergs zu Waller werden. Hätte Preußen im Frühling losgeſchlagen!“) Auch ruhigere Bolitifer mißbilligten die reaftionären Ausſchreitungen in Lüttich; es wurde ja dadurd nur erreicht, dab die zahlreihen Flüchtlinge auf franzöſiſchem Boden fih eng an die Jakobiner anichloffen und auch die Landsleute in der Heimat in biefe Verbindung veritridten. „Leopold ſelbſt,“ jagt der belgiiche Geſchichtſchreiber Juſte, „und feine vornehmiten Minifter waren nichts weniger als für Hoensbroed) eingenommen, der Berliner Hof nannte ihn den „blut: triefenden Priefter', und doch verdanfte der ‚Tyrann von Seraing‘, wie ihn die Batrioten ſchalten, feine Wiedereinjegung nur dem Abfall Preußens und der Wilfährigkeit Oeſterreichs. Diejer politiihe Fehler ließ die in Lüttich ohnehin ſchon verbreiteten Sympathien für Frankreich noch mächtiger aufwachſen, jo daß es jpäter ein leichtes war, die von der franzöfiihen Nationalverfamm: lung defretierte Einverleibung durdzuführen.” *)

Zwar jhob Herkberg öffentlih alle Schuld an der ſchlimmen Wendung des Lütticher Streites auf die Halsftarrigfeit der Patrioten; die Sprache Yacobis in Wien gibt jedoch Zeugnis von der Verftimmung des Berliner Hofes. Was fei von den gnädigiten Komplimenten des Kaijers zu halten, jchrieb Her&berg an Dften:Saden, wenn gleichzeitig in Lüttich der Beweis geliefert werde, daß Oeſterreich gar nicht daran denfe, auf die preußiihen Wünſche irgend welche Rüdfiht zu nehmen! Wie wenig ftimme der Ton, den jetzt fogar Herr von Spielmann ſich erlaube, mit der in Reihenbad, in Frankfurt geführten Sprade überein!

Auch über die Auslegung des wichtigften Punktes des Reichenbacher Ber: trags Fam es zu Irrungen zwilchen den Höfen von Wien und Berlin. Um die wechieljeitig erhobenen Beſchwerden richtig zu würdigen, muß der Umſchwung der europäifhen Lage jeit Abſchluß jenes Vertrags ins Auge gefaßt werden.

Der König von Ungarn und Böhmen hatte ji darin verpflichtet, mit der Pforte einen Waffenftillitand zu fchließen, dem jo bald wie möglich der Friede auf Grund des Standes vor dem legten Kriege folgen jollte; bis dahin folte er fich jeder Beteiligung am Kriege Nußlands gegen die Türfei enthalten, und der Friede zwiichen den beiden leßtgenannten Mächten jollte als eine vom Reichenbacher Vertrag völlig unabhängige Angelegenheit betrachtet werben. Der

) 9. König, ©. Korfter Leben, II, 92. 2) Juste, 37.

Neue Spannung zwiſchen Defterreid und Preußen. 375

erften Verpflichtung kam Defterreih pünftlih nad. Obwohl General Clerfait unmittelbar vor der Einigung in Schlefien einen namhaften Erfolg auf dem Kriegsihauplag an der Donau erftritten hatte und dur die Vereinigung der Armeen Sumarows und des Prinzen von Koburg Ausſicht auf einen glüdlichen Hauptichlag eröffnet war, wurden auf die erite Nachricht von der Neichenbader Konvention die Feindfeligfeiten auf der ganzen Linie eingeftelt. Am 19. Sep: tember wurde zu Giurgewo ein Waffenftilftand auf neun Monate abgejchlofien; bis zum Ablauf diefer Frift jollte auf einem demnächſt zu berufenden Kongreß der Friede geſchloſſen werden. ')

Es wurde ſchon geichildert, welch jchlimmen Eindrud die Ausſöhnung Preußens mit Defterreih in denjenigen Erblanden, die zum Widerftand gegen die Dynaftie von Berlin aus ermutigt worden waren, hervorrief. Nicht weniger peinlih wirfte die Nachricht im Diwan. Zwar wäre das türfiihe Hauptheer wahricheinlih verloren geweſen, wenn nicht jenem Vertrag gemäß die Trennung ber Defterreiher von den Ruſſen erfolgt wäre; trogdem wurde der Vorwurf laut, daß ſich das Berliner Kabinett jeinen bundesmäßigen Verpflichtungen in der Hauptſache entzogen habe; Troſt gemwähre nur die Hoffnung, daß Preußen nunmehr mit ungeteilten Kräften gegen Rußland fich wenden werde.

Auch in Deutichland wurde der Ausbruch des Krieges mit Rußland als nahe bevorftehend betradhtet. „Den Preußen ift es ernit, einen Blutgang mit den Rufjen zu wagen,” ſchrieb Schubart in den Tagen der Frankfurter Feite, „0000 ihrer Krieger zuden ſchon an der Ruſſiſchen Grenze das Schwerbt, 20000 mannfejte Pommern falten die Stirne und harren auf das Befehlswort: Feuer! ... Wenn es zmwilchen den Preußen und Rufen zum Raufen fommt, jo wird der Kampf erichredlich jeyn, denn beede Nazionen find die jtreitgeübteiten in der Welt, und erjtere brennen vor Begierde, ihren erworbenen Kriegsruhm vor aller Welt zu behaupten. Ihr Oberfeldherr (Karl Wilhelm Ferdinand Herzog von Braunjchweig) ift der Erfte in der Welt, und wenn er feinen Huth quer jezt, jo gilt es Sieg oder Tod!” °)

Doch die maßgebenden Kreife in Berlin waren, insbefondere jeit Schweden zu Werelä Frieden mit Nufland geſchloſſen Hatte, auf einen Krieg an der Oftgrenze nit erpiht. Auf die dringenden Borftellungen des Großwelirs wurde erwidert, ein Winterfeldzug im Norden jei mit allzu großen Schwierig: feiten verbunden; auch möge erft die Pforte ſelbſt den Krieg erniter und eifriger betreiben; feit die preußifche Vermittelung den Abzug der Oeſterreicher erwirft habe, jei gegen die ſchwachen Ruſſen auf dem Kriegsichauplag nichts Ernites mehr unternommen worden. Vor allem mußte die Bejorgnis, trob des Reichenbacher Vertrags auch die Deiterreicher im Felde gegen fih zu haben, von entjchievdenem Auftreten gegen Rußland abhalten. Unmittelbar vor der Kaijer- frönung fam es zwiſchen Kaunig und Jacobi zu heftigen Auseinanderjegungen. °)

') Binkeifen, Gefchichte des osmanischen Reiches, VI, 796.

2) Vaterl. Chronik, Ihgg. 1790, 677.

3) Preuß. St.-Archiv. Korrefpondenz mit Herkberg, 1790. Bericht Jacobis vom 29. September 1790.

376 | Zweites Bud. Zweiter Abſchnitt.

Kaunit ftellte die Behauptung auf, im Reichenbacher Vertrag habe der König von Ungarn zwar die Zufage gewährt, Rußland im Kampfe mit der Pforte nicht mehr zu unterſtützen, allein dieſe Berpflihtung wäre als erlojchen zu be- traten, jobald Preußen an Rußland den Krieg erklären würde. Oeſterreich will eben, bemerfte dazu Jacobi in feinem Berichte, von jeinen intimen Be: ziehbungen zum Zarenreihe nicht ein Tüpfeldhen aufgeben und dem guten Freunde wenigitens noch zur Erwerbung von Ozakow behülflich fein. Darauf erging Reifung an den Gejandten, gegen die „ebenjo falſche, wie hinterliftige Aus: legung des Vertrags” Verwahrung einzulegen, ebenjo wurden die Wahlbot— ſchafter in Frankfurt beauftragt, von Leopold jelbit Aufklärung zu verlangen. Friedrih Wilhelm war entrüftet über das Verhalten Kaunigens. „Das iſt eine offene Verlegung des Reichenbacher Vertrags,” jchrieb er an feine Minifter, ‚id will fie ihnen vergelten, wie fie es verdienen!” Hertzberg fuchte den Monarchen zu beruhigen. Entweder gebe der Kaifer eine Erklärung, wie Preußen fie fordere; dann werde auch Rußland, der Ausficht auf öſterreichiſche Hülfe beraubt, mit fih Handeln laſſen! Oder der Kaiſer erkläre fi) mit der Auslegung feines Minifters einverftanden; dann habe der König wieder freie Hand, um die Vorteile anzuftreben, die er um der Erhaltung des Friedens willen aufgegeben habe; dann könne man wieder mit Polen und Ungarn in Verbindung treten und den Aufftand in Belgien neu beleben; von inneren und äußeren Feinden bedroht, werde der Kailer bald bereuen, daß er in Neichen: bad nur eine Falle geitellt habe. Auch die Vertreter von England und Holland teilten die preußiſche Auffaſſung, daß Oeſterreich jich weder direkt noch indirekt am Krieg mit der Pforte beteiligen dürfe.

Dagegen blieb Kaunig dabei, daß feine Auslegung allein dem Sinn der Worte entſpreche. So viel Franzöfiich, bemerkte er jpig gegen Jacobi, verftehe er doh auch, um einen Sab richtig überlegen zu können; es jei doch nicht im Ernft zu verlangen, daß Delterreih Gewehr bei Fuß zujehen müjje, wenn das befreundete Rußland angegriffen würde.

Allein Leopold war aud diesmal nicht geneigt, e8 auf offenen Bruch mit Preußen anfommen zu laſſen. Die Auffaffung Kaunigens, erklärte er dem Grafen Goerg in Frankfurt, ſei nicht die feine, doch wolle er den alten, ver: dienten Mann nicht öffentlich bloßftellen; das preußifche Kabinett möge fich alfo damit begnügen, durch Jacobi dem Fürften eröffnen zu lafjen, daß der Streit: fall durch befriedigende Aufklärung des Kaifers erledigt jei.

Damit war die Kriegsgefahr für den Augenblid befeitigt, doch der Groll nicht erlojhen. Zwar jpredhe der Kaijer, berichtete Jacobi, nur in den wärmiten Ausdrüden von Preußen und dem preußifhen Monarchen, allein die Handlungs: weile des Wiener Kabinetts ftehe nit im Einklang mit jo ſchönen Worten. Defterreih habe ja nur notgebrungen, nit aus aufrichtiger Friedensliebe in Reichenbach nachgegeben; naturgemäß werde es fich der aufgezwungenen Ber: pflihtungen jo raſch wie möglich zu entledigen juchen. Deshalb habe es mit den Seemädten geheime Verhandlungen angezettelt, um jomohl die Abfichten Preußens in Bezug auf die Garantie der belgiſchen Verfaſſung zu vereiteln, als auch in der orientaliihen Frage vorteilhaftere Zugeſtändniſſe zu erlangen.

Neue Spannung zwiſchen Dejterreih und Preußen. 377

Auch die Freundichaft mit Rußland beftehe ungeſchwächt fort; Leopold widme, genau wie jein Vorgänger, der Zarin jede mögliche Aufmerkjamfeit. Solange Kaunig, Eobenzl und Lacy am Ruder feien, werde auch feine Aenderung ein: treten; dieſe Todfeinde Preußens feien unabläſſig bemüht, auch im Reiche Miftrauen und Mißgunft gegen Preußen rege zu machen, insbejondere ben Kurfürften von Sachſen ins öfterreichifche Lager zu ziehen. „Ach befürdte, daß jetzt ſchon freundfchaftlihe Briefe zwiſchen Friedrich Auguft und Leopold ge: wechjelt werben; der König von Ungarn hat ihm feine Dienfte angeboten, um ihm zur Krone Polens zu verhelfen.” Leopold, das trete immer deutlicher zu Tage, jei wanfelmütig und unzuverläffig. Während er in Tosfana gegen bie Prieſterſchaft feindjelig aufgetreten ſei, übe er jett gegen Klerus und Abel weitreihende Nachgiebigfeit. „Solange mir alfo nicht das Gegenteil bewiejen wird, werde ich immer befürdten, daß er feine Grundjäge in der Schule der Mazarin und Aldobrandini gebildet hat.” In Ungarn habe er den ſtörriſchen Geiſt bezwungen, indem er vorfihtig und verichlagen die alte Lehre befolgte: Trenne die Unzufriedenen, und du wirft fie beherrihen! Troßdem würde es, jobald es not thäte, nicht allzu Schwer fallen, in Ungarn den Widerftand gegen die Dynaftie wieder zu beleben.

Auch der preußiihe Kammerherr v. Ned machte in Wien ähnlihe Be: obachtungen. Hier ſei alle Welt unzufrieden mit Preußen, fchrieb er am 15. Dezember an Hergberg, und von jeiten der befreundeten Briten geichehe alles, um dieſe Entfremdung nicht ſchwinden zu lafjen; wenn Preußen fidh nicht in der Lüttiher Frage und bei den Haager Verhandlungen zur Nach: giebigfeit entichließe, werde es troß der aufrihtigen SFriedensliebe des Kaifers zum Kriege fommen, und Defterreich werde zu einem Waffengang mit Preußen nur allzu viele Bundesgenojjen finden.

Man fieht, ein halbes Fahr nah der „Ausjöhnung” in Reihenbad war die Lage jo ziemlich wieder die nämlidhe, wie damals, ala Goethe im preußiichen Hauptquartier in Schönmwalde mit Spannung erwartet hatte, ob „das hoc): getürmte Gewölk den Krieg oder den Frieden bringen” werbe.

Dritter Abfchnitt.

Preußen und Polen. Der Kongreß in Siſtowa. Der Staatsſtreich in Polen. Der Streit mit Frankreidı über die Rechte der Reichsfürſten im Elſaß. Teopold IL und die framgöfifce Revolution, Die Emigranten in Deutſchland. Biſchoffswerder und Berkberg. Die Zu— fammenkunft Teppolds und Friedric Wilhelms in Pillnik.

Pie Pillniker Deklaration.

einmal Prinz Heinrich, werde es wohl nicht eher fommen, als bis fi

Kaifer Joſeph und König Friedrid nah dem Vorbild von DOftavian und Lepidus zu einer Teilung des beutichen Reiches verftändigten. Etwas jpäter im Jahre 1769 ſchrieb der Prinz, er müſſe zugeben, daß jener an und für fih gejunde Plan aus mancdherlei Gründen nicht ausführbar jei: vielleiht wäre zur Sättigung der geborenen Nebenbubler befjer eine Teilung Polens vorzunehmen.

Was Prinz Heinrich nur ſcherzweiſe als möglih und erwünjcht angedeutet hatte, ging bald darauf in Erfüllung. 1772 vereinigten fih Preußen und Defterreih mit Rußland zur Abreißung beträchtlicher Gebiete von der alters: ſchwachen jarmatifhen Nepublit; freilih ging die von Prinz Heinrich gebeate Hoffnung, daß die Bereicherung der Rivalen dur fremde Beute den alten Hader ſchwinden machen werde, nit in Erfüllung.

Man hat lange Zeit in Deutjchland eine „moraliiche Pflicht“ darin er: blidt, von der „Beraubung des ritterlihen Polens” nit ohne Krofodilsthränen zu fprehen. Heute wird wohl faum noch behauptet werden, daß nur fträfliche Naubgier des Königs von Preußen die Kataftrophe verichuldet habe. Wenn nicht Friedrich die Teilung angeregt und durchgejegt hätte, jo wäre die ganze Republik unrettbar dem Zarenreiche verfallen. Noch andere gute Gründe fielen in die Wagſchale. Preußen war auch nad dem Gewinn Schlefiens nad)

F aufrichtiger Ausſöhnung zwiſchen Oeſterreich und Preußen, äußerte

Preußen und Polen. 379

Friedrihs eigenem Ausdruck ein Zwitter, der nit mehr unter die Klein: ftaaten einzuordnen war, doch ebenjomwenig ſich den Großmädten an die Seite ftellen konnte. Wenn fih daraus ein den biltorifhen Mächten ebenbürtiger Staat entwideln jollte, jo mußte ihm das Verbindungsglied zwiſchen Oſtpreußen und den alten Provinzen eingefügt werden. Und diejes Weichjelland war ſchon in der Stauferzeit mit Deutfchland vereinigt geweſen; deutihe Ritter hatten es für das Neid), deutiche Priefter, Kaufleute und Bauern für die Kultur erobert. Es war alſo nur eine Wiederaneignung verlorenen Eigentums, wenn berjenige Staat, der das Erbe des deutſchen Ordens angetreten hatte, das von den Polen erbeutete Kernland des Ordens wieder an fih rip.

Wie immer man übrigens über die Berechtigung zur Teilung Polens urteilen mag, jedenfalls war die Wirkung für das Land nur von Vorteil, Während es unter polnifhem Regiment eine von Bettlern bewohnte Wüſtenei geworden war, gedieh es nach der Vereinigung mit Preußen in fürzeiter Zeit zu erfreulicher Blüte; nirgend trat glänzender zu Tage, was der „Despotie: mus” eines aufgeklärten, pflichttreuen Monarchen für Landesfultur und Volks— wohlfahrt zu leiten vermag.

Allein je kräftiger fich die neue Provinz entwidelte, deito ftörender wurde empfunden, daß gerade die zwei wichtigften Städte des Meichjellandes, Thorn und Danzig, in polniſchem Befig geblieben waren. Durch die Eiferfucht Defter: reihs und Nußlands war dem preußiſchen Anteil an der Beute das wichtigfte Stüd entzogen worden: deshalb lag in der erften Teilung Polens jchon der Keim zur zweiten. Denn die preußiſche Politik mußte fortan den Gewinn ber beiven Weichjelitädte ala bedeutfamftes Ziel im Auge behalten. Nah dem Aus: bruch des Türfenfriegs hatte Hergberg den Plan gefaßt, Polen zu freiwilligem Verzicht auf die Städte gegen Zurüderlangung Galiziens zu bewegen; allein in Polen jelbft war wenig Geneigtheit zu Tage getreten, und gerade mit Rüdjicht darauf hatte Friedrich Wilhelm während der Reichenbacher Konferenzen den Plan fallen gelaſſen. Aufgegeben war jedoch der Gedanke nicht; immer wieder tauchten die Namen Danzig und Thorn in den Schriften der Minifter und Diplomaten auf.

Seit April 1789 war Girolamo Luchhefini, der Tafelgenofje des alten Fritz, als Bertreter Preußens in Warjchau beglaubigt; jeine Aufgabe war „überaus ſchwierig und nicht ohne Zweideutigfeit, wie das der infolge der wider: ſpruchsvollen Pläne Herkbergs eigentümlich unfichere und jchwanfende Charakter der preußifhen Politit mit ſich brachte“.) Der verſchlagene Staliener war jedoch jeiner Aufgabe gewachſen; obwohl der Reihenbaher Vertrag in Polen als Abfall Preußens vom Bündnis mit Erbitterung aufgenommen wurde, wußte Zuchefini eine für das preußifhe nterefje gewonnene Partei zujammen: zubalten. Da die Polen die Entkräftung ihres Staates mit Recht der Schwäde der Zentralgewalt und insbefondere dem Mangel an einer geordneten Thron: folge zufchrieben, juchte jede Fraktion diefem Bedürfnifje nach ihrem Sinne ab: zubelfen. Die Anhänger Preußens wollten die polnifhe Krone dem Prinzen Louis Ferdinand angeboten willen; auch unter ben zahlreicheren freunden ber

!) Bailleu in der Allg. deutfchen Biographie, 19. Bb., 346.

3850 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt.

ſächſiſchen Kandidatur dachten viele an Bermählung der Erbtodter Friedrich Augufts mit einem preußiihen Prinzen, auf welchen fpäter der polniſche Thron übergehen fönnte. Hertzberg aber, dem es offenbar gelegen Fam, den Abfichten des Marcheje entgegenzutreten, wie dieſer in Neidhenbad den funftvollen Plan des Minifters zerftört hatte, widerriet jede engere Berbindung der Kronen Preußen mit Polen. Eine Vereinigung beider Reihe, führte er in einer Denkſchrift an den König (6. September) ') aus, werde ja doch von den beiden Kaijerhöfen niemals zugelajien werden; auch die Erhebung eines preußiichen Prinzen auf den polniſchen Thron werde in Wien und Petersburg immer befämpft werden; gejegt den Fall aber, daß fie durchzuſetzen wäre, fünnte fie jogar Preußen zum Nachteil gereihen, wenn der neue König dem Intereſſe jeines Reiches vor dem: jenigen feines WBaterlandes den Vorzug gäbe. „Preußen bat feinen gefähr: liheren Feind, als ein georbnetes polnifches Neih unter einem Könige, der feine Kräfte gebrauden will und kann!“ Aus diefem Grunde jei aud die Er: hebung eines Piaſten nicht zu wünſchen; ift er ein Schmwädling, fo wird er entweder ruſſiſchem oder öjterreihiihem Einfluß unterliegen; it er kräftig und unternebmend, jo fann Preußen, das gegen Polen völlig offene Grenzen bat, in bebrängte Lage geraten; eine ftarfe polnifhe Regierung würde jofort mit den alten Anſprüchen auf Oft: und MWeftpreußen hervortreten oder doch dem Nachbarn die Hoheitsredhte über die Weichjel und den Danziger Hafen ftreitig maden. Aus allen biefen Gründen werde Preußen am beiten fahren, wenn wieder ein Kurfürft von Sachſen die polnische Krone trage; derjelbe wäre, um zum Ziele zu gelangen, auf freundichaftlihe Dienite Preußens angemiejen, und würde fih aud als König ſchon in Anbetradht der geographiihen Lage Sadjens der Nüdfiht auf Preußen niemals entihlagen können.

Auch Finkenitein teilte die Auffaſſung feines Kollegen; nicht bie Erhebung Friedrich Auguſts auf den polniſchen Thron, erklärte er, fondern nur eine end: gültige Negelung der polniihen Thronfolge, die Aufrichtung eines erblichen Königsthrones in Warſchau widerfirebe dem preußischen Intereſſe. Die beiden Minifter drangen aud bei Friedrih Wilhelm mit ihren Vorftelungen dur; obwohl der König, von Luckhefini beeinflußt, dem politifhen Syitem Hertbergs bereits mißtrauifch gegenüberftand, entſchied er fih doch für Verzicht auf eine Kandidatur feines Neffen. Luccheſini machte nun den Vorſchlag, die polnijche Thronfrage vor den zu berufenden Friedensfongreß zu bringen. Auch hiermit war Finfenftein nicht einverftanden, da es nur dem Wiener Hofe eine Handbhabe biete, fich auch in die polnischen Angelegenheiten einzumijchen. „Was die Polen betrifft,“ fügte der Minifter in einem vertraulihen Schreiben an feinen Amts— genoſſen Hergberg hinzu, „jo habe ich ihnen niemals das geringfte Vertrauen geichenft und habe unjer Liebesverhältnis mit der Nepublif immer nur als eine für den NAugenblid berechnete Sache angejehen; es iſt mit recht ernften Be: denfen verfnüpft und wird uns früher oder jpäter nicht bloß feinen Nußen bringen, jondern uns jogar in unangenehme Händel mit den Nadhbarn ver:

') Preuß. St.:Arhiv, Kabinettäakten Friedrich Wilhelms II. Denkihriit Herkbergs vom 6. September 1790.

Preußen und Polen. 381

wideln.” !) Auch Herkberg machte feinem Groll über Leute, die ſich unbefugter Weije in alle politiichen Gejchäfte drängten, in fräftigen Ausdrüden Luft, konnte aber nicht verhindern, daß die neuen Vorſchläge Luckhefinis für die preußifche Politik in den ofteuropäilchen Fragen den Beifall des Königs fanden und Luc: cheſini ſelbſt mit Vertretung der preußifchen Intereſſen auf dem Friedenskongreß in Siſtowa betraut wurde.

Im Dezember 1790 fanden fi die Bevollmächtigten Defterreichs, der Pforte und der Dreibundsmädte in dem unmirtliden Stäbthen an ber Donau ein; die Ruffen hatten fich gemweigert, den Kongreß zu befdhiden, weil fie die Ein: miſchung fremder Mächte nicht dulden wollten. In den Briefen des britijchen Gejandten, Sir Murray Keith, an feine Schweitern wird uns das Leben in dem jchmugigen Bulgarenftädthen in einer Reihe von artigen Genrebildern vor Augen gebradt.?) Die Gejandten mußten, zum Entjegen mander würdiger, alter Herren, in bürftigen Häuschen untergebracht werben; die Zimmer waren nit viel größer als Taubenſchläge; Sofas und Polfter bildeten das ganze Hausgerät. Der eine und andere türfifche Einwohner von Siſtowa murmelte wohl, wenn der Vertreter einer abendländiihen Macht des Weges fam, ein zorniges „Giaur“ in den Bart; die Griehen grüßten reipeftvoll, dod nur mit ben Augen, weil fie fürdteten, von ihren Tyrannen, den Türken, beobadtet zu werden. Die Diplomaten der Pforte benahmen jich im allgemeinen redt gefittet und böflih, insbejondere ber hochbetagte Neis Effendi verlor niemals feine würbevolle Haltung und fein verbindliches Lächeln, aber die Schwerfälligfeit der Turbanträger wurde nur von ihrem Eigenfinn übertroffen. „Die türfifchen Bevollmächtigten find wie Auftern; daß fie fich fortbewegen, fteht feit, aber es iſt jehr fchwer zu erkennen.” „Wenn Mahomed jeinen Beamten befohlen bat, eigenfinniger zu fein als die Maulefel, dann it fein Befehl wörtlich befolgt worden.” °) Es dauerte lange, bis fih ein geeigneter Raum für bie Sigungen fand und die Reihe der Plätze feitzufegen war, denn die Türken hatten gegen alle Vorſchläge religiöje Bedenken einzuwenden. „Die Religion it für diefe Herren immer der Mantel, mit dem fie ihre Unmifjenheit oder ihren Eigenfinn verbergen.” Waren aber endlich die Türken befriedigt, jo hatte gewiß einer der abendländifhen Diplomaten eine Bejchwerbe vorzubringen. Welch herrlihe Ausficht! ruft der Engländer aus, wir werden den ganzen Winter in bulgarifden Hütten zubringen müfjen! „Freilih, wenn der Neis Effendi Recht behielte mit jeiner VBeteuerung, daß die vor der Feftung Ismail ftehenden Rufjen bald mit Schimpf und Schande abziehen müßten, würde aud) der Kongreß raich zu Ende fein; dann würde wohl aud die ftolze Dame im Norden zum Frieden zu haben fein, doc es fragt fih, ob jo ſtolze Zuverficht des türfifchen Kollegen am Plage iſt!“

Die Bejorgnis des Briten war begründet. Am 22. Dezember wurde

') Preuß. St.:Arhiv. Korreipondenz zwiſchen Fintenftein und Her&berg 16. Juni bis 19. September 1790. Schreiben Finkenſteins vom 17. September 1790.

?) Sir Robert Murray Keith, Memoirs and correspondence, Il, 324.

2) Ibid., 354.

382 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

Ismail, die ſtärkſte aller Feltungen an der Donau, von Sumarow mit ftürmender Hand genommen; damit war dem ganzen Feldzug eine entfcheidende Mendung zu Gunften der ruffiihen Waffen gegeben. „Mostovias Krieger,“ deflamierte Schubart in feiner „Vaterländiſchen Chronif”, „jeder ein eherner, vorwärts rollender Turm, zerbrachen Felten, gingen über die Donau und fegen nun die Straße bis nah Stambul. ‚ch bedarf keiner VBermittelung! Ich will allein Kriege zürnen, Frieden ſchließen!‘ Dies ift die Sprache der nordischen Riefin, und fie wird ihren furdhtbaren Plan binausführen, da das übrige Europa mit unbegreiflich politiihem Phlegma dem herriihen Spiele zuſieht!“ ) „Seit der Würgeichlaht von Pultawa,” schrieb Poſſelt, „itieg Rußland mit der Schnelle eines Wetterftrahls über die Völker empor, fteigt täglih auf und wird, wenn jein grenzenlojes Glüd ihm noch einen Peter I. oder eine Katharina 11. gibt, daftehn,

an den Sternen das Haupt,

mit der Nechten Kamtſchatſchkas ftarrende Erdzunge faſſend,

Herkules’ Säulen mit der Linken!“ ?)

Eine vielbeadhtete Flugichrift „Ueber die Gefahr des europäiichen Gleich: gewichts“ (London, 1790) beflagte in leidenjchaftliher Sprade, daß die Ueber: madt des Mosfowitertums das europäiihe Gleichgewicht aus den Fugen ge: rifjen habe; nur dur geichloffenen Widerftand aller Nahbarn werde das abend: ländiihe Kulturleben zu retten fein.

Die Wirkung des ruſſiſchen Sieges trat auch in Siſtowa alsbald zu Tage. Der Geſandte Dejterreihs, Baron Herbert, nahm gegenüber den Osmanen und den Vertretern des Dreibundes einen faft drohenden Ton an, der mit der bis— berigen Nadhgiebigfeit des Kaifers in auffälligem Wideriprud ftand.°) Oeſter— reich hatte fih in Neichenbach zum Frieden mit der Pforte auf Grundlage des Befipftandes vor dem Kriege verpflichtet; jet wurde die Zufage von Herbert dahin gedeutet, daß nicht der Beligitand, wie er vor dem Kriege war, jondern wie er vor dem Kriege hätte jein ſollen, zu verjtehen jei. Mit diefer Wendung war beabjichtigt, die durch frühere Verträge mit der Pforte in Ausficht geftellte Ab— tretung von Alt-Orſowa und den Diftrift der Unna zu erreichen und zugleich dem ruſſiſchen Kabinett, das den Abſchluß des Friedens möglichſt hinausſchieben wollte, Gefallen zu ermweijen.‘) Anprerjeits traten Preußen und England mit der einen Forderung auf, daß Delterreich fich förmlich verpflichten jollte, Rußland nicht weiter zu unterftügen. In Wien juchten Baron Jacobi und Lorb Elgin den öfterreihiichen Staatsmännern begreiflih zu machen, daß die ungeheuren Er- folge der rujliihen Waffen für die öfterreihiihe Monardie nicht weniger be: drohlich jeien, als für andere Staaten; die Erwerbung von Ozakow jei für Nufland nit notwendig, der Befig der Krim müſſe ihm genügen.?) Endlich

!) Vaterl. Chronik, Ihgg. 1790, 890.

2) Ehenda, 800.

>) Zinkeiſen, VI, 808.

) Beer, Die orientaliſche Politik Defterreihs feit 1774, 142.

5) Preuß, Et.:Ardiv, Correspondance du Roi avec le baron de Jacobi-Kloest 1791. Erlafje an Jacobi vom 24. Januar, 2. u, 4. Februar 1791.

Der Kongreß in Siftowa. 383

machten aud die Osmanen in Siftowa injofern Schwierigfeiten, als fie nicht die Konvention von Neihenbah, an welcher fie feinen Anteil gehabt hätten, jondern nur den zwijhen dem Prinzen von Koburg und dem Großwefir ver: einbarten Waffenftilftand als Grundlage des Friedens gelten laſſen wollten. !) Die Türken, ſchrieb Keith (17. Januar), wüßten recht gut, daß fie nur einen Weg zu gehen hätten; trogdem jeien fie jo halsftarrig, daß ihnen jelbit das Heinfte Zugeftändnis abgerungen werden müfje. Auch die freilich in manchen Fällen nur erheuchelte Unwiffenheit der Moslemin war ein läftiger Hemmſchuh. „Nicht wahr, Spanien liegt doch in Afrika?” fragte einer von den Mollah in voller Seelen: ruhe vor allen Kollegen. ?) Unter jolhen Umftänden war natürlich ein gebeihlicher Fortgang der Berhandlungen nicht möglich; faft ein ganzer Monat verſtrich, bis endlich einmal ber Reichenbacher Vertrag und der unbeichränfte status quo von allen Teilnehmern endgültig ald Ausgangspunkt der Verhandlungen anerkannt wurben. Daß es überhaupt jo weit fam, war das Verdienſt Luckhefinis, deſſen Diplomatenfünfte jogar am öſterreichiſchen Gejandten einen aufridhtigen Be: mwunderer hatten. „Luccheſini hat die Türfen und die Vermittler alle unter: jocht,“ ſchrieb Herbert nad Wien, „er ift die bewegende Kraft von allem, was bier geſchieht.“ Um fo mehr fei zu beflagen, daß Oeſterreich unter den preußis ihen Staatsmännern feinen leidenjchaftliheren Gegner habe, als den liftigen Welihen. In Wien ſah man aud mit Mißtrauen auf die Entfendung eines außerordentliden türfiihen Gejandten an den Berliner Hof; nicht minder bes unrubigte ein Gerücht, Friedrich Wilhelm beabfichtige, noch bei Lebzeiten des Markgrafen Karl Alerander die fränfiihen Markgrafſchaſten Ansbah und Bai- reuth an fi zu reißen. Darauf wurde Jacobi beauftragt, dem „Klatſch“ ent: gegenzutreten; der Markgraf werde regieren bis ans Ende feiner Tage, der König denke gar nicht an Entfernung eines fo jparfamen NRegenten, der jähr: lid einige Hunderttaufend Thaler Staatsjchulden abtrage.. Trotzdem erhielt fih die Spannung der beiden Höfe. Aufrichtige Freundſchaft mit Defter: reih wäre ja freilich eine jchöne Sache, ſchrieb Herkberg (11. Februar 1791) an Jacobi, aber das Wiener Minijterium werde niemals ehrlichen Handichlag bieten, jondern immer lieber unter dem Schein von Offenheit und Legalität jeine gefährlichen Ränfe weiterfpinnen. Um nichts freundlicher beurteilte Jacobi die Aufrichtigkeit der Wiener Staatsmänner. „Was mir die friedlichen Ab: fihten des Wiener Hofes beffer als ſolche Beteuerungen zu verbürgen jcheint, ift die fritifche Lage, in welche er geraten ift, weil es an gutem Einvernehmen zwiſchen Souverän und Unterthanen fehlt. Man kann in Wahrheit jagen, daß noch mindeftens die Hälfte der Defterreiher mit dem gegenwärtigen Regiment unzufrieden ift. Der Kaifer hat jo viel Leuten das Verſprechen gegeben, allen Beichwerden abzuhelfen, daß es ihm jetzt nicht möglich ift, allen fein Wort zu halten.” In Ungarn dauerte der Zwiſt zwiſchen Katholiten und Protejtanten fort, und von beiden Parteien werde über Nichterfüllung faijerliher Ver: ſprechungen Klage geführt. In Belgien jei der Geift der Empörung feineswegs 1) Binfeifen, 309. 2) Keith, 348.

384 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

bezwungen; Graf Mercy habe über die Ausföhnung der Wallonen wenig Tröfts liches zu berichten. Doch aud durch dieſe Schwierigkeiten werde nicht verhindert, daß jich der Kaifer mit ehrgeizigen Plänen trage; die Abrundung der Erblande duch venetianishe und mailändiſche Gebietsteile jei offenbar ein Lieblings: wunſch des Kaifers, auch das Beltlin werde als notwendiges Verbindungsglied zwiſchen den italienischen und den deutſchen Kronlanden angefirebt.

Die Schuld an der Verfchleppung der Friedensverhandlungen jchoben ſich die öfterreihiihen und die preußifhen Diplomaten wechjeljeitig zu. Wenn Spielmann in Wien gegen „das, was er Metaphyfif nannte”, und „die fcho- laſtiſchen Verwickelungen der diplomatiihen Erklärungen in Siſtowa“ loszog, erwiderte Jacobi: Dieje Vermwidelungen hat einzig und allein Baron Herbert ins Leben gerufen, „von ihm ift mit der fpigfindigen Unterſcheidung von ‚vor: läufiger' und ‚vorbereitender' Grundlage der Anfang gemadt worden”. Dazu hat unferen Gefandten nur die Haltung der vermittelnden Mächte gezwungen, ſchloß Spielmann die erregte Debatte (20. Februar), man weiß ja, dab der Faiferliche Hof in Siftowa noch empfindlicher gebemütigt werden foll, ala in Echlefien!

Der Streit in Siftoma drehte ſich insbejondere um die Doppelforberung, daß die Bürgfhaft des Königs von Preußen in den Friedensvertrag auf: genommen und auch des Neichenbadher Vertrags ausdrüdlih Erwähnung ge: ſchehen jollte. Der erfte Punkt, jo war der Vertreter Preußens angemwiejen, fönne nötigenfalls aufgegeben werden, ber zweite unter feinen Umſtänden; die Würde der Krone verbiete ſolche Nachgiebigfeit.

Doch ebenjo beftimmt weigerte fih das Wiener Kabinett, auf die preußiiche Forderung, die eine unerträgliche Demütigung bes Kaijers bedeute, ſich einzulaſſen. „Alles, was der Wiener Hof in Reichenbach verſprach,“ ſchrieb Kaunig (8. April 1791) an den preußifchen Gejandten, Fürften von Neuß, „hat derjelbe wirklich erfüllt oder zu erfüllen fich bereit erflärt! . .. Enthalten die Reichenbadher Deklarationen das Verſprechen oder das Verlangen, daß fie im Friedensinftru: ment angeführt, beftätigt oder in wejentlihen Punkten wiederholt werden jollen? Nein! Alfo kann es auch nicht gefordert werden!” Nur für den Fal könne das Wiener Kabinett von feiner Weigerung abgehen, wenn aud) ein feierlicher Verzicht Preußens auf alle Erwerbungen in Polen in die Friedensurfunde Auf: nahme fände.

Auf diefe Wendung wollte man fich aber in Berlin nicht einlafjen. Hertz— berg und Finkenftein rieten dringend ab, fich zu der angejonnenen Verzichtleiftung zu verftehen (19. April). Wenn aud die in Wien beliebte Auslegung nichts anderes als eine neue Chicane bebeute, jo empfehle fih do, unter den ger gebenen Verhältnifien lieber auf der Erwähnung des Reichenbacher Vertrags nicht weiter zu bejtehen. „Wenn wir auf dieſen Vorſchlag des Wiener Kabinetts eingehen, kann dasfelbe nicht mehr beanfprucen, daß Em. Majeftät auf jede Erwerbung verzichten, und wir behalten freie Hand in Bezug auf Danzig.“ Da der König die Auffaflung feiner Minifter teilte, wurde Jacobi angemiejen, den Verzicht auf die Einfügung des Neichenbadher Vertrags anzuzeigen, zugleich aber gegen die von Wien aus ſyſtematiſch betriebene Verhegung der Polen Ver: wahrung einzulegen; Preußen wünſche die Erwerbung von Danzig, doch werde

Der Staatsſtreich in Polen. 385

an gemwaltjame Aneignung nicht gedacht; man könne ruhig abwarten, bis ſich die Polen jelbft zur Abtretung bereit erflären würden.

Die Spannung zwiſchen den preußiſchen und öfterreichifchen Diplomaten dauerte fort, und der Gegenjag wurde noch verſchärft durch ein Ereignis, das für Polen und die Nachbarmächte der Ausgangspunkt einer neuen Zeit zu werben idien. Eines Tages rief Fürft Kaunig an offener Tafel dem gegenüber figenden preußiihen Gejandten zu: „Haben Sie ſchon die große Neuigfeit aus Warſchau vernommen?” Als Jacobi verneinte, jagte der Fürft in ernftem Tone: „Sn Polen iſt die Revolution ausgebrochen.” !)

Der ftarfe Ausdrudf wurde von Kaunig, der aus feiner Abneigung gegen die Polen nie ein Hehl machte, gewiß mit Abficht gewählt; berechtigt war der: ſelbe nicht, da nicht mit Mißachtung ber beftehenden Gejete zu Werke gegangen wurde. Denn ſchon feit September 1789 war ein vom Reichstag gewählter Ausihuß damit betraut, eine Reform der Verfaſſung durdhzuführen, mit dem ausgeiprochenen Zwede, dem unwürdigen Einfluß der fremden Schranken zu jegen. Da die Ruſſen, die in Polen den ſtärkſten Anhang hatten, insbejondere feit den glänzenden Erfolgen an der Donau ihr Ziel, die polnifche Republik vom BZarenthrone abhängig zu machen, dreifter. und offener verfolgten, glaubten König Stanislaus und die „Patrioten” nicht mehr länger jäumen zu dürfen; die War- nungen des preußiihen Gefandten, der in zwölfter Stunde Wind befommen batte, beichleunigten die Ausführung. Am 3. Mai gab der König im Reichstag, während von ihm Mitteilungen über eine Finanzfrage erwartet wurden, plößlich eine Erklärung ab, der gejeglich berufene Reformausſchuß habe feine Arbeit be: endigt, und um eine von übermäcdhtigen Nachbarn geplante, neue Zerreißung Polens zu verhüten, müſſe unverzüglich über Annahme der neuen Verfaffung Entiheidung getroffen werden. Troß entrüfteten Widerfpruches der ruffifchen Bartei wurde der Entwurf verlefen. Der polniſche Thron fol fortan im Haufe Kurſachſens erblich fein; demnach fol nad Ableben des jegigen Königs ber Kur: fürft von Sachſen ohne weiteres die Regierung übernehmen; da auch diejer ohne männlihe Nachkommen, fol feine einzige Tochter Marie Augufte zur Infantin von Polen, ihr fünftiger Gemahl zum König erhoben werben, und mit ihm foll eine neue Erblinie beginnen. Auch follen dem Träger der Krone freiere Bewegung und ftärferer Einfluß eingeräumt, vor allem das liberum veto, das Einipruchs- recht, das jedem einzelnen Landboten die Möglichkeit gewährte, den ganzen Reichstag lahm zu legen, abgejhafft werden. Außerdem joll die Scheidewand zwiihen Adel und Bürgerftand fallen, die Leibeigenihaft aufgelöft werden, alle Polen jollen gleihe Rechte genießen und gleihe Pflichten gegen das Vaterland zu erfüllen haben. ?)

Schon das Verlejen des Berfaffungsentwurfes im Neihstag wurde wieder: holt duch Ausbrüche des Unmwillens unterbroden; nad) Beendigung des Vortrags beklagten zahlreihe Redner ebenfo die geplanten Neuerungen, wie die Ueber: baftung des wichtigen Unternehmens, insbefondere die Landboten aus den an

) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobis vom 9. Mai 1791. 2) Bolit. Journ., Jahrg. 1791, I, 475. Heigel, Deutſche Beihichte vom Tode Friedrichs d Br. biß zur Auflöfung des deutſchen Reichs 95

386 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

Rußland grenzenden Provinzen erhoben den Weheruf,” die Abſchaffung des Wahlrechts fei das Grab ber polnischen Freiheit. Doc die Abftimmung ergab einen glänzenden Sieg der Patrioten; der König und die Mitglieder des Reichs: tags beſchworen die neue Berfafjung; ein Tebeum im Dom bejchloß die Feier.

Raſch verbreitete fi die Kunde von diefen Vorgängen in den europäiſchen Hauptftädten; im allgemeinen wurde fie wohlwollend aufgenommen. |Das Ham: burger politiihe „Journal ſpendete „dem Genie und der Entſchloſſenheit“ des bisher verfannten Poniatowsky begeiitertes Lob, während} das Königtum in Frankreih zu ärmlicher Bedeutungslofigfeit herabgefunfen jei, habe fich Polen wieder mit einem kühnen Rud in den Sattel geſchwungen; nun werde es wieder beadtet werden müſſen im europäifhen Rate, denn „ſolange Polen monarchiſch beherrfcht wurde, war es blühend und der Gejeßgeber des Nordens“, !)

Auch Schubart verglih den politiihen Staatsftreih mit der Ummälzung in Frankreich.“) „Es iſt ein großes Gedanfenfeit für den Philofophen, daß ſich zu gleiher Zeit zwei der mächtigften Reiche in Europa aus einer verborbenen Verfaflung in eine befjere hinauszudringen ftreben. Wiederherftellung der Menjchen: würde, Philojophie und Freiheit Begriffe, die man in deſpotiſchen Staaten faum atmen darf find jegt zu Warſchau, wie in Paris im Schwunge. Der Pole arbeitet fih aus der Halbbarberei heraus; er ilt gleihlam noch halb Menih und halb Erdkloß (!). Der Franke aber übernahm die weit ſchwerere Arbeit: die durch Gewaltthat und Sittenlofigkeit verlorene Schnell: und That: fraft wieder herzuftellen. Beide Reihe brauchen einerlei Mittel, nämlich Wieder: beritellung der bürgerlichen Freiheit und Ausmwurzelung des Defpotismus und Adelöftolzes.” Im den nächſten Monaten fam Schubarts Organ immer wieder mit ſchwärmeriſchen Lobſprüchen auf die Schöpfung des 3. Mai zurüd, jenes Tages, „der in der polniihen Geſchichte feines gleichen nicht hat, auf den die Völker ber Erde mit Staunen hinbliden und der in den Kabinetten der benachbarten Mächte wirkten mußte, wie der Pojaunen Getön aus Horebs Wetternadt”. Skeptiſcher betrachtete Schlözer den Umſchwung in Polen; ſchon die erite Mit: teilung der neuen Konftitution wurde von ihm mit kritiſchen Gloſſen verjehen, und ein halbes Jahr ſpäter führte er bittere Klage über die „fortdauernde, durch die neue Konftitution janktionierte, innere Sklaverei der polniſchen Nation”. ?) Bon heilſamem Erfolg der vielverfprehenden Zufierungen der Verfafjung wollte auch der den Polen mwohlgejinnte Neifende, der über einen Beſuch Polens im Sommer 1791 in der Berlinifhen Monatsſchrift berichtete, nicht viel beobachtet haben. *) „Bei allen Staatsänderungen ift die Ausführung das Schwierigfte, wie wir it an Frankreich ſehen; zumal in Polen, wo jeder herrſchen wollte und geordnete Einrihtungen als das Grab der freiheit anjah, ließ ſich wohl mandes Gute beichließen, aber bis it faft nichts durchſetzen.“

Welchen Anteil hatten Preußen und Defterreih am polnifden Staatsftreih? Die Frage iſt, obwohl diplomatische Aktenftüde in Menge befannt

) Polit. Journ, Jabra. 1791, I, 479.

) Baterl, Chronif, Jahre. 1791, 307, 331 fi. ) Staatsanzeiger, 16. Bb., 328; 17. Bd., 130. 4) Berlinifhe Monatsichrift, 18. Bd., 162.

Der Staatöftreih in Polen. 387

geworden find, ſchwer zu beantworten, weil ſich nicht mit unbebingter Sicherheit entſcheiden läßt, welche Aeußerungen aufrichtig gemeint, welche auf Täufchung bes Gegners berechnet waren. Während Sybel für die Anficht eintrat, daß Kaijer Reopold, ein warmer Freund der Wiedergeburt Polens, den Plan der polnijchen Patrioten gelannt und gefördert habe, ?) folgerte Ernft Herrmann, getreu ber alten polniſch⸗franzöſiſchen Auffaflung, aus den nämlichen Schriftftüden, daß Leopold aus abjolutiftiiher Neigung die rujfiichen Intereſſen begünftigt, die Verfafjung vom 3. Mai als ein Werk preußifchen Einfluffes gehaßt und verfolgt habe.) Sybel wies darauf hin, daß einige der eifrigiten Reformfreunde zur alten öfterreihiichen Partei gehörten, daß ſich polniſche Edelleute am Hofe Leopolds immer befonders ehrenvoller Aufnahme zu erfreuen hatten, daß insbejondere die Fürftin Czartorisfa vol Rührung die warmherzige Freundichaft Zeopolds für ein freies Polen rühmte. Leopold habe fih mit dem Plane getragen, an der Weichſel ein ftarkes Königreih aufzurichten, deffen fünftiger Herr, der Kurfürft von Sachſen, ber hiftoriihe und natürliche Bundesgenoffe Defterreihe, dem kaiſerlichen Einfluß von Wittenberg bis Danzig und Riga zur Herrihaft verhelfen werde.) Allein

') Bernhardi, Geſch. Rußlands 11, 2, 307 ftimmt biefer Auffaffung bei.

2) Sybel, Geſch. der Revolutionszeit, I, 292. €. Herrmann, Geich. des ruffiichen Staates, VI, 361. E. Herrmann, Die öſterreichiſch-preußiſche Allianz vom 7. Febr. 1792 und die zweite Teilung Polens. Eine Streitfchrift gegen Prof. H. v. Sybel. Sybel, Kaiſer Leopold II. ; Hiftor. Zeitihr. 10. Bd, 387. €. Herrmann, Die polnische Politif Kaiſer Leopolds II.; Forſchungen zur deutihen Geſch, IV, 385; V, 287. Sybel, No einmal über Leopold II. gegen €. Herrmann; Hiftor. Zeitfchrift, 12. Bd., 260. Sybel, Polens Untergang und der Revolu- tionskrieg; Hiftor. Zeitſchr. 23. Bb., 66 (wiederholt gebrudt in Vorträge und Aufſätze, 175).

2) Sybel hat die Behauptung, daß Kaifer Leopold als der eigentliche Urheber des pol: nifchen Staatöftreiches anzufehen fei und auch ben Gebanfen der ſächſiſch-polniſchen Perfonal: union zuerft aufgefaßt habe, fpäter nach Einfihtnahme der Korrefpondenz des Taiferlichen Gejandten in Warfhau, du Cache, fallen gelaffen, doch daran feftgehalten, daß Leopold für einen entichiedenen Freund der polnifhen Beftrebungen zu gelten und fi bes neuen polnifhen Zus ftandes mit Wärme und Thatkraft angenommen habe (Vorträge und Auffäge, 183). Er weiſt darauf hin, daß fchon am 9. Mai 1791 von Leopold dem Lord Elgin proponiert worden fei, nad Abſchluß der beablichtigten Allianz Defterreihs, Englands und Preußens die Garantie ber Befigungen und der Berfaffungen aud) auf Polen auszudehnen. Allein fhon Herrmann hat Bedenfen geäußert, ob Leopold dabei wirklich an die Verfaffung vom 3. Mai gedacht habe, ob er überhaupt jchon am 9. Mai in Florenz, wo er die erwähnte Unterredung mit Lord Elgin hatte, von Vorgängen in Warfchau vom 3. Mai Kenntnis gehabt haben könnte. Sybel will den Einwand nicht gelten lafjen; wenn die Nachricht Über die PBroflamation der Maiverfaffung, jagt er, jhon am 6. Mai in Berlin befannt war, fo fonnte fie aud ohne befonderen Kraftaufwand bi8 zum 9. Mai nad Florenz gelangen und niemand wird es Herrmann glauben, daß eine fo welterregende Kunde nicht bis dahin ſchon zu Leopold gebrungen wäre. Das Bedenken Herrmanna fheint mir aber nicht fo unbegründet zu fein. In deutfhen Zeitungen taucht, fo meit ich es auf Grund des mir erreihbaren Materiald überfehen kann, vor dem 10. Mai keinerlei Nachricht über ben Borgang in Warfchau auf; die Mitteilungen an genanntem Tage beichränfen fih auf allgemeine Andeutungen; erft mehrere Tage jpäter werden eingehendere Schilderungen gebracht. Ob wirklich in dem immerhin noch ein paar Tagreifen entfernten Florenz am 9. Mai jo genaue Kunde eingetroffen fein konnte, daß ber Kaifer ſchon über Garantie der neuen Berfafjung verhandeln mochte, ift mindeftens zweifelhaft.

Sybel beruft ſich ferner auf eine Depefhe vom 24. Mai, wodurch Kaunig den Grafen Eobenzl anwies, bei Rufland die unbedingte Anerfennung ber neuen Berfaffung Polens zu

388 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.

auch Sybel mußte zugeben, daß manche Aeußerungen und Vorfälle gegen eine jelbftthätige Teilnahme Defterreihs am Staatsjtreih ſprechen, und was nod wichtiger, er mußte einräumen, daß noch im Juni 1791 das ganze diplomatifche Corps in Wien der Anficht war, das faijerlihe Kabinett wolle auch in dieſer Frage zu Rußland halten und deshalb die gegen Rußland gerichtete, durch preußifche Umtriebe angeftiftete Warſchauer „Revolution“ erbrüden. ebenfalls ging Sybel zu weit, wenn er, nur auf bypothetiiche Beweiſe geſtützt, behauptete, die Regeneration Polens fei als der eigentliche Brennpunkt der Politik Leopolds II. anzufehen, wie aud die Behauptung, daß die von Leopold begünitigte Ver: jhmelzung Polens und Sachſens die politifche Vernichtung Preußens bedeutet hätte, eine Uebertreibung ift. Freilich it der Auffaffung Herrmanns, daß preußi- ſcher Einfluß die Patrioten zum Staatöftreih ermutigt habe, ebenfomwenig bei- zupflihten. Es ift ſchon deshalb nicht glaublich, weil die wichtigſte Beſtimmung ber Waiverfaflung, die Aufrihtung einer erblichen Thronfolge in Polen, dem preußifhen Intereſſe zumiberlief. Hergberg war denn auch über den hinter dem Rüden des „Bundesgenoffen” ausgehedten „Theatercoup” höchſt aufgebracht, und im gutachtlichen Bericht des Minifteriums an den König (6. Mai) wurde

beantragen. Allein wenn man ben von Sybel felbft mitgeteilten Inhalt diefer Depeſche näher ind Auge faht, fo läßt fi wahrnehmen, daß die Forderung bes Fürſten Kaunig nicht aus Sympathie mit den polniihen Patrioten, fondern nur aus Abneigung gegen Preußen hervor: gegangen ift. Kaunitz preift den Borteil, den ein feftes Zufammengehen ber beiden Kaiferhöfe gegenüber ber verwerflien, immer treulofen Politif Englands und Preußens biete, und ſpricht die Hoffnung aus, Rußland werde ſich niemals hinter vem Rüden feines treuen Bundesgenoſſen mit Preußen oder Türfen einlaffen. Die Herrſchſucht Englands, das alle Staaten des Kontinents meiftern wolle, fei unerträglich; Preußens Abficht gehe offenbar dahin, feine Herrihaft auf polnifhem Boden möglichft auszudehnen. Died made zur Pflicht, auch den polnifhen Staat moglichſt ſtark und fräftig zu machen, damit er ſich der preußifhen Anfechtungen erwehren könne. Rußland Habe allerdings früher ein Intereffe daran gehabt, daß Polen geſchwächt werde; heute verhalte fich dies anders; um die neue Berfaffung umsuftoßen, würbe Katharina bie preußiſche Mitwirkung nicht umgehen fünnen; jeder neue Fortſchritt Preußens aber fei ebenjo eine Gefahr für Rußland, wie für Polen; man müffe alfo die neue Berfaffung anerkennen, um Polen gegen Preußen in der Hanb zu haben.

Die Depeche vom 24. Mai bemweift aljo nichts anderes, als daß Kaunig den Umſchwung in Polen, ben man nicht ungefhehen mahen konnte, gegen Preußen auszunugen ſuchte; an „warme” und „thatkräftige” Teilnahme an der Wiedergeburt Polens braucht um folder Worte willen nicht gedacht zu werben.

Auch haben wir ein unverfängliches Zeugnis dafür, daß Leopold den Argwohn feines Kanzlers geteilt und in Preußen den Anftifter des polniſchen Staatäftreiches erblidt habe. Bon Mantua aus jchrieb Leopold am 20. Mai 1791 an Kaunitz der Brief ift erft nach dem legten Sybelſchen Aufjage von Beer (Joſeph II., Leopold II. und Kaunig, ihr Briefwechſel, 404) ver: Öffentliht worden —: „Die in Polen ausgebrodene Revolution ift ein außerordentlich wichtiges Ereignis; es ift wahrſcheinlich, daß die ganze Nation dabei nicht ftehen bleiben wird; man muß vor allem abwarten, was Rußland dazu fagen wird, denn offenbar unterhält der Berliner Hof heimliches Einverftändnis mit bem König von Polen und ſchmiedet Pläne, die ſüchſiſche Prinzeffin mit dem zweiten Sohne des Königs von Preußen zu vermählen.” Mit diefer Auffafjung des Staatäftreihes ftimmt überein, daß Leopold am 25. Mai zu Lord Elgin jagte, angefichts ber bedenklichen, alle Nahbarn bedrohenden Berfaffungsänderung in Polen müfje er vorfichtig zu Werke gehen, könne aljo feine guten Beziehungen zu Rußland nicht auf einmal opfern und nadı England und Preußens Wünſchen mit der Pforte Frieden maden.

Der Staatäftreih in Polen. 389

die Behauptung wieberholt, Preußen jei nur dann gegen große Gefahren ge fihert, wenn in Polen die Wahlfreiheit, d. h. die Anarchie erhalten bleibe. Da aber no immer ein Krieg mit Rußland zu befürchten und von England nad den legten Rundgebungen bes Volfswillens feine Hilfe zu erwarten war, durfte man fich nicht auch noch Polen zum Feinde mahen. Deshalb wurde dem polnifhen Botſchafter in Berlin die vollfte Zufriedenheit mit den Vorgängen in Warſchau ausgeiprodhen, und Jacobi in Wien mußte erklären, Preußen werde, obwohl in feiner Weile am Ausbruch der polniſchen Revolution beteiligt, die Beihlüffe einer freien Nation achten und anerkennen und auch die Wahl bes trefflihen Kurfürften von Sachſen freundlih unterftügen. Hinwieder beftärfte die Wärme diefer preußiſchen Verſprechungen den Fürften Kaunig im Argwohn, daß hinter den Beichlüffen des polniſchen Reichätages eine preußifche Intrigue ftede und bie Abtretung Danzigs ben Preis für die überrajchende Will- fährigfeit des Berliner Kabinetts bilden werde. Kaunitz empfahl deshalb ent: ſchiedenes Zuſammengehen mit Rußland, allein Leopold, immer der behutfame Politiker, fuhr fort zu verfihern, daß er einer „Wiedergeburt“ Polens auf: richtiges Wohlmollen entgegenbringe.!) Er forderte nit bloß England und Preußen zur Gemwährleiftung der Maiverfafjung auf, fondern ftellte auch in Peters: burg den Antrag, Rußland möge den Kurfürften von Sachſen als Erbfönig Polens anerkennen; in Dresden ſuchte er dahin zu wirken, daß ber Kurfürft aus Rüdfiht auf die Zarin von der Forderung einer noch ftärferen Krongemwalt in Polen abftehe. Man braucht die Gönnermiene Leopolds durchaus nicht, wie Herrmann verlangt, nur als eine Maske des „Virtuofen der Verftellung“ zu betrachten. Es war gewiß nicht ernit gemeint, wenn Leopold feine Haltung damit begründete, daß die monarchiſche Kräftigung Polens als europäijches Be: bürfnis gefordert werde, aber andere Intereſſen kamen ins Spiel. Bom Wiener Hofe ging die Anregung aus, daß die Erbfolge auch auf die Brüder des Kur: fürften ausgedehnt werde; der ältefte diefer Brüder war der Eidam Leopolds. Schon im Juni 1791 ſprachen faiferlihe Diplomaten von einer permanenten Union Polens und Sadhjens, wenn auch nur als von „ſächſiſchen Velleitäten“ ; ein beftimmter Antrag wurde freilich erft nach Leopolds Ableben im Mär; 1792 in Petersburg geftelt. „Diefer Plan war es,” jagt Sybel, und für die Regierung Franz II. ift der Vorwurf nicht unbegründet, „der Preußen auf der Stelle hinüber in Rußlands Arme trieb und jo das deutſche Bündnis gegen Franfreih von Anfang an dur den Keim des polnifhen Haders vergiftete.”

Im Frühjahr 1791 hatte ſich die europäiiche Lage jo drohend wie möglich geftaltet. Je nachdrüdlicher die Diplomaten die SFriedlichkeit ihrer Regierungen beteuerten, deito eifriger wurden die Kriegsrüftungen fortgefeßt.

Aus Berlin braten die Zeitungen nur friegeriihe Stimmungsbilber. „Der militärifche Geift,” verfiherte Schubarts Chronik, „ift wieder in ben Preußen erwacht, fie wollen nicht mehr mit der Feder, fie wollen mit dem Degen in der Fauft verhandeln. Krieg ift mein Lied, weil alle Welt Krieg will, jo fei es

) Ueber den Zwieſpalt der Meinungen in Wien, ſ. Sybel, Hiftorifhe Zeitichrift 12. Bd., 275.

390 Zweites Buch. Dritter Abfchnitt.

Krieg‘. So fingt man jegt in Potsdam, unter dem Schalle der wirbelnden Trommel, nahe am Totengewölbe Friedrichs des Einzigen, daß ſich die heiligen Gebeine bewegen!” !) Der Krieg wäre vielleicht auch ausgebrochen, wenn nicht in Großbritannien, deſſen Regierung die Nolle eines bewaffneten Friedensftifters zwifhen Rußland und der Pforte übernommen hatte, die Kriegspartei eine jähe Niederlage erlitten hätte. In einer ſtürmiſchen Sigung des Unterhauſes am 12. April wurde zum Beihluß erhoben: da England fid ein für allemal nur zur Selbftverteibigung in Krieg einlafjen dürfe, jei weder gegen Rußland, weil es die englifche Vermittelung abgelehnt habe, noch gegen Frankreich, deſſen Be- völferung endlih im Staate Ordnung ſchaffen wolle, eine drohende Haltung zu: läſſig. Umfonft wies Edmund Burke, der unverſöhnliche Gegner des revolu- tionären Frankreichs, darauf hin, daß in Paris nicht zu Gunften gefeglicher Ordnung, ſondern der wildeſten Gejeglofigfeit geftritten werde, daß aljo ganz Europa ein bringlides Intereſſe daran habe, die Allen gefährlihe Brunft in Franfreih zu löihen; umſonſt hob Pitt hervor, daß man ſich nicht bloß um Oczakow zanken oder gar für die Abtretung Danzigs an Preußen erhigen wolle, fondern daß es für Großbritannien die wichtigite Lebensfrage jet, eine weitere Ausdehnung der ruffiihen Herrihaft im Mittelmeergebiete zu verhüten. Das Miniiterium errang zwar fchlieglich ein Vertrauensvotum, aber es mußte unter dem Drude der vom ruffiihen Gejandten Roftopfchin geſchickt bearbeiteten öffent: lihen Meinung den Kurier, der in Petersburg das Ultimatum übergeben jollte, zurüdrufen. ?)

Die Friedensfundgebung im englifhen Parlament war infofern au eine Niederlage der preußischen Politik, als Pitt befonders durch das Berliner Kabinett zum Vorgehen gegen Rußland gedrängt worden war. Nicht Herkberg hatte dieſe Forderung erhoben; von ihm war (6. März) in London angeregt worden, man möge die von Dänemark angebotene Vermittlung annehmen, um einen billigen Vergleih mit Rußland zu erlangen. „Gewiffe Leute aber,” jo klagte Herkberg, „wußten ben Kriegseifer des Kabinetts von St. James zu entflammen, ohne über die maßgebende Stimmung bes englifchen Volkes unterrichtet zu fein. Hätte man meinen Borihlag, wie ih ihn ben 6. März gethan, nicht umgeftoßen, jondern befolgt, fo wäre die ganze Scene des Widerſpruchs der engliſchen Nation unterblieben, die ruſſiſche Kaiferin hätte nie etwas davon erfahren und bie Alliierten hätten ihr das Gejeg gegeben, und nicht von ihr genommen.” ?) Pitt ſelbſt brach nun völlig mit dem bisher feitgehaltenen Syftem. Er lieh in Siftowa erklären, daß England gegen die Abtretung von Oczakow an Rußland nichts einzuwenden habe; in Berlin wurde angezeigt, es ſei auf das Eintreffen einer engliihen Flotte in der Oftfee nicht zu rechnen; Lord Elgin wurde be- auftragt, im Gefolge Leopolds nach Florenz zu gehen, um eine freundfchaftliche Annäherung Englands zum Kaiſer anzubahnen.

Kaum war aber von London aus die Parole gegeben: die Ummwälzung in

') Baterl, Chronik, Jahrg. 1791, 265. *?) A. Sorel, L’Europe et la Revolution Francaise II, 204. 2) Poſſelt, E. F. Gr. v. Herüberg, 26.

Preußen und Defterreih und die franzöfifche Revolution. 391

Frankreich geht das übrige Europa nichts an! kam es in Paris zu unerbörten Gewaltaften gegen das Königtum. „Verewigt in der Geſchichte Frankreichs,“ jo beginnt der Bericht im Politiihen Journal, „ohne jeines gleichen, merk: würdiger als die Tage der Schlachten bei Poitiers und Pavia, in denen aud franzöfifhe Könige gefangen wurden, ift der 18. April 17911”) An diefem Tage, an dem auch die Ueberlafjung des Yakobinerflofters an die Geſellſchaft der Verfaſſungsfreunde erfolgte, wollte Ludwig XVI. einen längft gefaßten Beſchluß ausführen; um nicht länger von den ftörrifchen, aufgeregten Mafjen der Haupt: ftabt abhängig zu fein, wollte er fih nah St. Cloud begeben. Allein eine den Tuilerienhof füllende Menge ließ den Wagen nicht abfahren. Umfonft befahl Lafayette der Wache, der bebrängten königlichen Familie Quft zu machen, bie Soldaten verhöhnten den Kommandanten, die „Vertreter des fouveränen Volkes“ beihimpften den Fürften jo lange, bis dieſer nad) ftundenlangem Tumult end» ih den Wagen wieder verließ und ins Schloß zurüdfehrte. Seit diefem Tage war Ludwig der Gefangene feines eigenen Volkes; auch Lafayette, der bisher noch das gute Einvernehmen mit der Nationalgarde vermittelt hatte, verlor die Zügel aus ben Händen, ber Pöbel von Paris war König von Fyranf: reih. Immer deutlicher trat zu Tage, daß in Frankreich nicht die Einführung einer verfaffungsmäßigen Staatsform, die auch im übrigen Europa fo viele warme freunde hatte, jondern die Abichaffung des Königtums von den mäch— tigften Parteien angejtrebt werde; es war aljo vorauszufehen, daß ſich bie monardiihen Staaten Europas auf die Dauer nicht jeder Einmiſchung würden enthalten fönnen. Auch diefe Ueberzeugung trug dazu bei, baß troß aller feinb- jeligen Stimmung und Spannung aus Anlaß der orientalifhen Frage die Armeen Gewehr bei Fuß ftehen blieben.

Seit Preußen mit dem Berzicht auf die Erwähnung der preußiichen Bürg- Ihaft im Friedensvertrag nachgegeben hatte, drang der Vertreter des Kaifers in Siftoma, Baron Herbert, nur noch beharrliher auf weitere Zugeſtändniſſe. Mylord Keith war dieſe „Halsftarrigfeit” ein Dorn im Auge.?) Längſt wäre man zum Frieden gelangt, Elagte er, wenn nicht diefer „Mann der Fleinlichen Mittel” immer wieder den Abſchluß verzögert hätte, indem er bei jeder Kleinigkeit vorgab, erit die unmittelbare Zuftimmung des Kaifers einholen zu müſſen.

„Gräberftille, furchtbar ſtumm,

Herrſcht um Siſtows Heiligtum,

Mit geftredtem Halfe ftehen an der Gränze Horcher, der Erwartung voll,

Ob der Ungarn Säbel oder Kiel der Gänfe Uns den Frieden bringen fol?” ?)

Die Diplomaten der Mächte des Dreibundes waren über die Berjchleppung um jo ungehaltener, da Siftowa für müßige Tage ein ungaftliher Aufenthalt war. Ein pedestrian congress, wie der gegenwärtige, jpottet Keith, fei in der Welt:

1) Polit. Journal, Jahrg. 1791, I, 466. *, Sir Robert Murray Keith, Memoirs, II, 362. 2) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 290.

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gefhichte noch nicht dagewefen; feiner von den adt in Siſtowa anmefenden Miniftern fei während des Winters in einem Wagen gefahren, denn auf einem Düngerwagen habe doch feiner figen wollen. Ebenjo auffällig zeichne fich der Kongreß duch feine Wohlanftändigfeit aus, denn feiner von den Botjchaftern babe bisher von den Siftower Frauen mehr als die Nafenjpigen gejehen. Die in Siftoma wohnenden Türfen blieben gegenüber den Ungläubigen ftumm, wie bie Fiſche; es gab Feine Bühne, feine Bälle, fein Abenteuer; nur mit Angel: Iport konnten fi die Herren unterhalten; bie und da gab es einen großen Schmaus, wozu jedoch die Eßwaren aus Wien, Bufareft und Konjtantinopel zu: jammengeholt werben mußten. Keith behauptet, daß die Diplomaten in Siftomwa famt und ſonders natürli mit Ausnahme feiner Lordſchaft eine aus: geſprochene Vorliebe für türkifche Piafter gehabt hätten; inwieweit der Vor: wurf berechtigt war, entzieht fih der Beurteilung. Es gab auch wohl einmal eine Ueberraihung in türfiihem Geihmad. Eines Tages kam die Nachricht, dem Großwefier fei nad) feiner Ankunft das Amtsfiegel abverlangt und in der folgenden Naht der Kopf abgejchnitten worden, weil er durch feine Läſſig— feit den Verluft Ismails verjchuldet hätte.) Der neue Großweſier Juſſuf Paſcha, jo hieß es weiter, made Miene, den legten Mann des Türfenreiches ins Feld zu ftellen; der Sultan habe nicht bloß die Wiebereinnahme der Donau: pläße, fondern aud die Zurüderoberung der Krim befohlen. Die Folge war, daß in den näditen Tagen in Siftoma der Vertreter Dejterreihs finfter blidte, die Gejandten der Dreibundsmächte vergnügte Mienen zeigten. An und für fich, Ihreibt einmal Keith, wäre es um die Türfei gewiß nit Schade, aber jedes davon abgeriffene Stüd würde in die Klauen einer gewiſſen nordiſchen Heroine fallen, die das grauenhafte Bedürfnis habe, zwanzigtaufend und noch mehr Menſchen aufzuzehren. „Ergo muß Selim III. auf feinem erhabenen Diwan erhalten bleiben, und es ift von größter Wichtigkeit, daß die männermorbende Dame genötigt werde, einige Schritte zurüd zu ihren ehemaligen Grenzen zu machen.” ?) Es blieb den Gejandten der Dreibundsmächte nicht verborgen, daß Baron Herbert mit einem ruffiihen Offizier in einem benachbarten moldauifchen Städtchen zufammentraf, und noch unliebjamer wurde beobachtet, daß ber Zurüd: gefehrte in den Situngen den jchroffiten Ton anſchlug. Baron Jacobi wurde angemiejen, über die unerträglihe Sprache Herberts in Wien Klage zu erheben. „Die von Herbert vertretenen Grundjäge, die zu nichts anderem führen können, als zum Zufammenbruch alles Bertrauens auf die Verträge, mußten Seine Majeftät ebenjo überrafchen, wie fränfen.” ?) Plötzlich fam ſogar die befremdende Kunde: der Friedenskongreß ift geiprengt, Baron Herbert hat nah ſtürmiſchem Streit mit den Türken Siftowa verlafien. „Das Ereignis,” jchrieb Herkberg

') Schon im Februar 1791 fchrieb ein Berichterftatter aus Berlin in Schubarts Chronif: „Des Großweſiers Kopf fteht ſehr loder auf dem Rumpfe, benn er ift ein Verräter, 'ber es heimlich mit Potemkin hält, woraus fich allein feine ganz unbegreiflihe Erftarrung erklären fäßt. Unfer Oberſter Luſi (Luchefini), eine weljhe Flamme, mit dem Dele unferer Politik geträntt, rüttelte an ihm vergeblich.” (Chronik, Jahrg. 1791, =)

?) Keith, Memoirs, 408,

2) Preuß. St.:Arhiv. Erlab an Jacobi vom 17. Juni 1791.

Der Kongreb in Siftoma. 393

an Jacobi, „kann füglic nicht mehr bejonders überraſchen, nachdem der Wiener Hof feine Forderungen ſchon jo übermäßig hinaufgeichraubt hatte. Man muß jett abwarten, ob der Kaiſer das Verhalten feiner Minifter billigt oder nicht.“ Dem Briefe des Miniiters ift ein Apoftill von der eigenen Hand des Königs beigefügt, das am deutlichften zeigt, wohin die Dinge bereits gefommen waren: „Sie werden fih bemühen, mir jo rajch wie möglich ſichere Ausfunft zu ver: Schaffen, wie ſtark die öfterreihiichen Truppen find, die im gegenwärtigen Augen: blid in Böhmen und Mähren ftehen.”

Da gerade in dem Augenblid, da die Defterreicher, wie Keith arg: mwöhnte, nur auf einen Schuß in der Walachei lauerten, um den Ruſſen wieber offen die Hände zu reihen, trat in Franfreih ein Ereignis ein, das nicht nur den Sturz des Königtums bejchleunigte, jondern auf die ganze europäifche Politik gewaltige Rüdwirkung übte.

In der Naht vom 20. Yuni 1791 entflohb Ludwig XVI. mit feiner Familie aus Paris; er wollte von einem fiheren Plage im nörbliden Frankreich oder nötigenfallg von fremdem Boden aus mit Hilfe der befreundeten Monarchen den Kampf gegen die Revolution eröffnen. Es war, wie wir heute wiſſen, nicht bloß auf Rettung der königlichen Familie, jondern auf Wiederaufrichtung des abjoluten Königtums abgefehen; die Denkichrift, in welcher die Gründe ber Flucht dargelegt find, läßt über die ANbficht des Königs, die feit 1789 dem Königtum aufgenötigten Beichränfungen wieder aufzuheben, feinen Zweifel beftehen.

Die Flucht aus der Hauptitadt ging glücklich von ftatten, allein in Barennes wurde der Wagen angehalten, die Flüchtlinge mußten umkehren, taufend johlende Blufenmänner und Weiber gaben unerwünſchtes Geleite. Durch Pethions und Davy Dumas Memoiren, jowie die von Pimpenet mitgeteilten offiziellen Akten— ftüde find wir über alle Einzelheiten der Leidensgeſchichte der königlichen Familie vom 21. bis zum 25. Juni genau unterrichtet. Da war feine Schmähung jo roh, daß fie nicht der verhaßten Defterreiherin ins Antlig gejchleudert, feine Drohung fo rafend, daß fie dem in ftumpfer Ergebenheit ſich binbrütenden König erjpart geblieben wäre! In Paris, wo ber traurige Zug am Abend des 25. Juni ans langte, war an den Straßeneden zu lefen: „Wer dem Könige zuflaticht, wird geprügelt, wer ihn beleidigt, wird gehängt!” Demgemäß wurden bie Ge- fangenen mit eifigem Stillfehweigen empfangen.) Um fo lauter und wilder ging es in den nächſten Tagen in der Nationalverfammlung her. Nod war in der Mehrheit der Abgeordneten monardiiches Gefühl lebendig, ja, es ſchloſſen fi in diefen Tagen jogar die aus dem Jakobinerklub ausgefchiedenen gemäßigten Feuillants, die Genofjen Barnaves, enger an die älteren fönigstreuen Elemente ber Nationalverfammlung an, und dieſe fonftitutionelle Fraktion ſuchte aufrichtig die Monardie und die Freiheit zu verföhnen und dadurch beide zu retten. Doc was vermocdten die Wenigen, was vermochte überhaupt noch die fonjtituierende Berfammlung gegen den fi) immer furchtbarer aufrichtenden Dejpotismus der Menge! Jeden Tag konnte es zum entjcheidenden Sturm auf die Tuilerien

') Oncken, Das Zeitalter der Revolution, des Kaiſerreichs und der Befreiungäfriege, I, 331.

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fommen, jeden Tag fonnte ein grauenvolles Geihid die königliche Familie ereilen! ?)

Diejer peinliden Gewißheit fonnte fih auch Kaifer Leopold nicht ver: jchließen, und daraus erwuchs für ihn die Notwendigkeit, alle anderen Abfichten und Pläne zu vertagen, bis das Leben der Schweiter geſichert und ber Zer: trümmerung des franzöfifhen Thrones Einhalt geboten wäre. In Berlin wurde die Tragweite der Pariſer Ereignifje jogleich richtig beurteilt. „Der Kaiſer kann jegt unmöglid feinen Schwager ohne Hülfe laſſen,“ jchrieb Hergberg (29. Juni) an Jacobi, „er wird im Verein mit Spanien und Sardinien traten, ihn mieder auf den Thron zu heben; das wird ihn zwingen, fih in Siſtowa gefälliger und nachgiebiger und zuvorkommender zu zeigen.” Yacobi, der furz zuvor, d. h. vor dem Fluchtverfudh Ludwigs nur von Rüftungen und Märfchen in den öjterreichifch- ungarifhen Provinzen und von ftolzen, ſchroffen Neußerungen der öfterreidhiichen Minifter zu berichten hatte, konnte plöglich einen erfreulihen Umſchwung der Stimmung in Wien feftitellen. Der Kaifer überhäufe ihn, ſchrieb Jacobi, mit Verfiherungen aufrichtiger Freundſchaft, und die Mienen der Minifter jeien zwar nicht heiterer, aber artiger geworben; trotzdem dürfe man enticheibende, das faifer: lihe Kabinett bindende Bejchlüffe nicht erwarten. „Diejer Kaifer verfolgt in eriter Reihe immer das Prinzip, alles und jedes hinauszufchieben, jolange es irgend angeht; an dieſem Prinzip bat er feit feinem Regierungsantritt ebenfo in Bezug auf die Verwaltung feiner Staaten, als in ber auswärtigen Politif mit gutem Erfolg feitgehalten. Dieje Methode hat er fih in ber Schule des Biſchofs von Piftoja angeeignet; fie entipricht ebenjo der ihm angeborenen Nengit: lichkeit, wie dem Wunſche, die Ereignifje an fih heranfommen zu laſſen und für feinen Vorteil auszubeuten. Fürft Kaunitz befämpft umfonft diefe Politif, bie er als ‚Horentinifche‘ verhöhnt und für unwürdig des vornehmiten europäiichen Hofes anfieht.“

Erft von Sybel ift die Stellung Leopolds II. zur franzöſiſchen Revolution richtig beurteilt worden. Früher hatten deutiche wie franzöfiiche Hiftorifer im Kaifer einen überzeugungstreuen, eifrigen Vorkämpfer der Legimität erblidt. Auch noch Ernft Herrmann hatte die Auffafjung vertreten, Leopold habe feinen glühenderen Wunſch gekannt, als die legitime Sache an den Safobinern zu rächen und das alte Königtum in Frankreich wieder aufzurichten: jo bald wie möglid habe er Frieden und Freundichaft mit Preußen geſchloſſen, um fih dann auf Frankreich zu ftürzen und den Draden der Revolution zu belämpfen.

Dagegen hat Sybel, insbejondere aus ben zwijchen ben Geſchwiſtern und ihren Bertrauensmännern gewechſelten Briefen nachgewieſen, daß Leopold den franzöfiihen Dingen überrafhend fühl gegenüberftand, jo lange wie möglich jede Einmifhung ablehnte und nur aus Rüdjiht auf feine Schweiter zeitweiſe diefe Richtung aufgab.*) Ob er wirklich aus Meberzeugung dem Bolfe ein „Recht auf Mitarbeit am Staate” zuerfannte,?) ift mindeftens zweifelhaft. Allerdings

!) Glagau, Die franzöfifche Legislative und der Urfprung der Revolutionskriege, 3. 2) Hifter. Zeitfchrift, 10. Bb., 387. 2) Dnden, I, 396.

Zeopold II. und die franzöſiſche Revolution. 395

befannte er fi in den Briefen an Schweiter Chriftine zu Grundfäßen, die den Kundgebungen der franzöfiihen Konitituante jehr nahe kamen, aber es ſcheint fih dabei nur um augenblidlihe Zugeitändniffe an unzufriedene Unterthanen gehandelt zu haben; fein Verhalten gegenüber den Ständen der Erbftaaten läßt nicht darauf jchließen, daß er den Anjpruch des Volkes auf ein Grundgejek oder einen Grundvertrag zwiſchen Volk und Fürften zu heilſamer Beſchränkung des Fürftenrechts willig anerkannt hätte. Schwerer fiel in die Wagſchale der Wunſch, nicht in gefährlihe Händel im Welten verwidelt zu werden, folange die orien- taliſche Frage rätlih erieinen ließ, das Pulver auf der Pfanne troden zu halten. Weshalb die Volksfreunde in Frankreich reizen, jolange Gefahr drohte, daß der mit größter Anftrengung faum bemältigte Aufitand in den Niederlanden wieder auflebe? Zu gewagten Unternehmungen, wie fie Guftav II. von Schweden zum Schutze der Legitimität für unbedingt geboten erachtete,) war Leopold nicht zu haben. Sympathie mit den Volksfreunden in Paris war ihm ebenfo fremd, wie Mitgefühl mit den Emigranten; gerade gegenüber den in Frankreich fi regenden neuen, unberehenbaren Kräften erſchien ihm fein „Syſtem bes Zu: wartens” befonders zwedmäßig und zeitgemäß. Deshalb erwiderte er auf die Bitten feiner Schweiter, die in thatfräftigem Beiltand zur Erhaltung des gefährdeten Lilienthrones eine Ehrenpfliht aller Monarchen Europas erblidte, nur mit freundlichen Ratihlägen und Warnungen. Noch entſchiedener ablehnend verhielt er fich gegen die Forderungen der Emigranten. Ihn verdroß nicht weniger, als feinen Bruder Joſeph das Gebaren diefer Flüchtlinge, die fein Hehl daraus machten, daß ihnen die Rettung Ludwigs XVI. minder wichtig erjcheine, als die MWiederherftellung des alten Feudalismus, die auch fein Bedenken trugen, dur berausforberndes Benehmen gegen die Nationalverfammlung die deutjchen Fürften, deren Gaftfreundihaft fie genofjen, in Streit und Krieg zu verwideln. In einem Briefe an Schweiter Chriftine vom 31. Januar 1791 fpricht fich Leopold über fein Verhältnis zu Franfreih und den Franzoſen freimütig aus: „Der König und die Königin find von einer ſchlimmen Umgebung fo übel beraten, daß man nicht weiß, wie ihnen zu helfen wäre. Zwietradht und Unzufriedenheit find in Frankreich fo ſehr in alle Schichten der Bevölkerung eingedrungen, daß der Staatsbanferott mit allen läftigen Folgen unvermeidlich if. Am ſchwerſten wäre es, die Prinzen und die übrigen Emigranten zu befriedigen und zu be ruhigen; dieſe Leute denken immer nur an fi, begehren nur Geld und Aus— zeichnungen, wollen alles jelbit machen und fümmern fi blutwenig um ben König. Sie thun nichts, als fich beflagen und über Sie, über mid und über alle, die nicht blindlings ihre Wünſche und Pläne unterftüsen wollen, die nieber: trädtigften Dinge in Briefen und Schriften fehreiben und druden laffen. Mein Verhalten gegen fie entſpricht, glaube ih, den Geboten der Gerechtigkeit und der Mäßigung; ich habe darauf beitanden, daß fie die Waffen niederlegen, um ben Kurfürften (von Trier) nicht länger in Verlegenheit zu bringen und Deutſch— land vor einem Angriff zu bewahren, ehe wir gerüftet, die Jahreszeit günftig und das Bündnis fertig fein werden. Ich habe ihnen in Dberöfterreih eine

') Klinkowström, Le comte de Fersen et la cour de France, I, 116.

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Zufluchtsftätte angeboten, auch der König von Preußen und der Landgraf von Heflen werden ihnen auf meine Bitte eine ähnlihe Einladung zugehen lafien, aber alle ihre Wünſche kann ich nicht befriedigen, und mit ihren Leuten, die bloß lügen und verleumden fönnen, will ich jchlechterdings nichts zu thun haben. Auch denfe ih nicht daran, ohne Mitwirfung der übrigen Höfe Ver: pflichtungen einzugehen, die mic in einen unbeilvollen Krieg mit Frankreich ver: wideln könnten; id werde mich auf nichts einlaffen, ohne zu wiffen, wie fich die anderen Mächte verhalten werden und welche Abfichten Rußland gegen Polen im Schilde führt!“ ) Immer beftand er auf der Bedingung, daß dem euro: päifhen Bunde zum Schuße des fonfervativen Prinzips auch wirklich alle euro: päiſchen Mächte beitreten müßten, auch dann noch, als es jchon jo gut wie fidher war, daß England zu einem Angriffsfrieg gegen Frankreich nicht die Hand bieten werde. „Jh will mit den Höfen verhandeln,” jchrieb er an Ehriftine, „ich bin für meinen Teil zur Aufftelung von 40000 Mann bereit, die Truppen fünnen unter Führung des Fürften Hohenlohe jederzeit an den Rhein marfdieren; doch fie werden ſich nicht eher in Bewegung jegen, als bis der große Bund zu ftande gefommen fein wird; nur wenn die Franzojen felbft das Reich angreifen follten, würde ich meine Leute fofort marſchieren lafjen.”

Als Marie Antoinette ihrem Bruder enthüllte, daß fie und ihr Gatte fi aus ihrer unmwürdigen und gefährlihen Lage durch Flucht befreien wollten, riet Leopold anfangs von dem gefährlihen Verſuche ab;?) ſpäter gab er feine Zu: ſtimmung und erflärte ſich bereit, im Falle des Gelingens der Flucht dem Könige Hülfstruppen zur Verfügung zu ftellen. Bon Luremburg aus follten, fobald der Fluchtverfuch gelungen wäre, 8—10000 Mann Kaiferlihe in Frankreich ein: marjhieren, um, wie Marie Antoinette wünjchte, „einerjeits den Föniglichen Truppen als Vorbild zu dienen, andererjeits diejelben im Zaume zu halten”. ®) Natürlich mußte Leopold auch darauf gefaßt fein, daß diefe Hülfe ihn felbft in Krieg mit Frankreich verwideln werde. Als er fih nun für diefen möglichen

) Wolf, Leopold II. und Marie Ehriftine, ihr Briefwechſel, 207.

2) Namentlih Fürft Haunig war ein grunbjäglicher Gegner des Fluchtverſuchs. Er freibt am 23. Juni 1791 an Mercy: „Bor Entwidlung aller diefer unumgänglich notwendigen Prorequiſiten (Berhandlungen wegen gemeinfamen Borgehend aller europäifchen Staaten) kann ich einesteild die Flut des Königs, andernteild aber was immer für eine einfeitige Unter: nehmung de comte d’Artois nicht anders als für ganz ungeitig, äußerſt bedenklich, höchſt ge: fährlih und überhaupt für fo beichaffen anjehen, daß ich hieraus das unvermeidliche größte Unglüd für ernannten König und feine familie, die nacdhteiligften Folgen für den ohnehin noch fehr ſchwankenden Ruheſtand unferer Niederlande und unüberfehlihe, allgemeine Weiterungen beforgen muß.” (Vivenot, Quellen zur Gefch. der deutfhen Kaiferpolitit Defterreihs I, 540.) Auch Mercy konnte fih banger Belorgnis, ob das gewagte Unternehmen glüdlicdh verlaufen werbe, nicht erwehren. „Die Einzelheiten,” jchrieb er am 11. Mai an Marie Antoinette, „melde id bezüglich ber Flut von Herrn von ber Mard erfahren babe, lafjen mich zittern wegen ber damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren; fie verlangt ein Zufammenmirken zahlreicher Getreuer, und bieje alle find zerftreut. Der Schritt bebeutet das Neuferfte, Erfolg oder Nieder: lage. Sind die Dinge wirklich fo gelagert, daß biefes gefährliche Wagnis unabwendbar ſcheint?“ (Arneth, Marie Antoinette, 163.)

9 Arneth, Marie Antoinette, 165.

Friedrich Wilhelm II. und bie franzöfifche Revolution. 397

Fall nah Bundesgenofjien umfah, wurde ihm die Genugthuung zu teil, daß ihm gerabe derjenige Fürft, ber bisher gegen ben Wiener Hof eine jo ablehnende, ja feindlihe Haltung beobachtet hatte, als erfter die Hand zum Bunde bot, der König von Preußen.

Auf das Hofianna, womit in Preußen faft alle Stände den Nachfolger des großen Friedrichs begrüßt hatten, war gar bald der Ruf: Steiniget ihn! gefolgt. Mander Vorwurf ift unbegründet, insbefondere der am häufigften erhobene, daß Friedrih Wilhelm II. nur ein träges Zotterleben geführt und um die Regierung fi nicht gefümmert hätte. Inwieweit andere Klagen und Anlagen berechtigt find, ift ſchwer zu beurteilen; der komplizierte Charakter Friedrih Wilhelms II. ift nicht mit ein paar Schlagworten zu erklären. Zweifellos war das finnlihe Temperament des Fürften von unbheilvollem Einfluß; nod gefährlicher aber war, daß er, ungleich den meilten anderen Fürften bes achtzehnten Jahrhunderts, finnliche Freuden als jchwere Sünde auffaßte und ihretwegen Scham und Reue empfand; dieſe Gewiffensangft brachte ihn in Abhängigkeit von den geheimen Orden. Insbeſondere die Roſenkreuzer umjpannten ihn mit myſtiſchem Gewebe. Wie fhädlih Bruder Chryfophiron, Minifter Wöllner, auf die innere Verwaltung einwirkte, wurde jchon dargelegt. Nicht weniger bedeutſam war der Einfluß des Bruders Farferus, des 1789 zum Generalabjutanten ernannten Dberften Bifchoffswerber, insbejondere in Bezug auf die auswärtige Politif. Er war in die intimften Fragen eingeweiht, in den KRabinettsaften ftößt man immer wieder auf feinen Namen. Ueber feinen Charakter läßt ih, da wir Schriftftüde vertrauliher Natur von ihm nicht befigen, fein feites Urteil bilden. Jedenfalls war er nit bloß ein gewiſſen- und rüdiichtslofer Streber, jondern ein Mann von Geift und feinem Könige treu ergeben.!) Es fann auch nicht behauptet werben, daß feine Ratſchläge an fich ſchlecht und Ihädlich gewejen wären. Von feinen Gegnern freilich wurde ihm viel Schlimmes nadgejagt; gerade im März 1791 braten die Zeitungen ein natürlich falihes Gerücht, es ſeien geheime Korreipondenzen des Dberften mit den Feinden des Königs aufgefunden worden, der neue Haman werde demnädft am höchſten Galgen in Berlin baumeln.?) Biſchoffswerder begünftigte im Gegenfag zu Herkberg ein freundfhaftlihes Verhältnis zwiſchen Preußen und Defterreich, doch dürfte jchwer nachzuweisen fein, daß er damit nur „in religiöfer und politifcher Hinfiht retrograde Grundfäge verfechtende Rojenkreuzerpolitif” ?) getrieben habe. Der Vorwurf läßt fih faum aufrecht erhalten, feit von Sybel überzeugend bar: getban ift, daß Kaifer Leopold auch noch im Frühjahr 1791 gar nicht daran dachte, fih zum Vorkämpfer der Gegenrevolution aufzumerfen.

Preußen hatte bisher den Aufftändifhen in Belgien, in Ungarn, in Lüttich bülfreihe Hand geboten. Auch der Umfturz in Frankreich war von Herkberg nicht ungern gejehen worden, weil ein in feinen Grundfeften erfhütterter Staat bis auf weiteres ebenjfowenig als Bundesgenofje Defterreihs, wie als Gegner Preußens in Betracht fommen konnte. Bon diefen Gefihtspunften aus war ja

') Bailleu in der Allg. d. Biographie, 2. Bb., 675. ) Baterl, Chronif, Jahrg. 1791, 138. 2) Philippſon, I, 294.

398 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.

die franzöſiſche Revolution von manchen deutſchen Politikern freundlicher Teil: nahme gewürdigt worden. „Ein König ohne Autorität,“ hatte der ſächſiſche Geſandte in Berlin am 2. Oktober 1789 an ſeinen Hof geſchrieben, „ein Miniſterium ohne Macht, ein Staat ohne Geld und ohne militäriſche Kraft, mit einem Wort, ein Schiff auf ſtürmiſcher See, deſſen einziger Führer ein Mira— beau iſt: welche Bedeutung kann ein ſolches Frankreich in Europa noch haben?“ !) Auch Friedrich Wilhelm hatte fi der Wendung gefreut, welche die mit Defter- rei, wie mit den holländifchen Patrioten verbündete franzöfische Regierung lahm legte; war doch dadurch das Lebenswerk des Fürften Kaunig, der Bund zwiſchen den Häufern Bourbon und Lothringen:Habsburg, jo gut wie zertrümmert! In Paris ging ſogar einmal das Gerücht, der König von Preußen habe Pethion, den Wortführer der radikalen Oppofition, zu einer Brandrede in ber Kon ftituante beglüdwünjdht. Das Gerücht war jedenfalls falſch. Thatſächlich aber fam im September 1790 ein „Kommiffionsrat” Ephraim nah Paris, um im geheimen Auftrag ber preußiichen Regierung einerfeits vom Minifterium Mont: morin für den Fall eines Krieges zwiſchen Preußen und Rußland eine wohl: wollende Haltung zu erwirken, andererjeits der gemäßigten Oppofitionspartei Lameth-Barnave die Unterftügung Preußens anzubieten. *)

Doh diefe Stimmung des Berliner Hofes konnte nicht mehr andauern, feit immer offener zu Tage trat, daß gerade die einflußreichiten Volksmänner in Paris nit bloß Beihränfung der Königsgewalt, jondern Abjchaffung des Königtums, ja die Auflöfung aler gejelihaftlihen Ordnung begehrten. Auch die Leiden der föniglihen Familie mußten auf den bei aller Schwäde ritter: lichen Friedrih Wilhelm Eindrud machen. Es entſprach aljo unzweifelhaft den perjönlihen Wünfchen des Monarden, daß Oberft Biſchoffswerder im September 1790, aljo in den nämlichen Tagen, da jener wunderliche Vertreter der preußi- ſchen Regierung den Abgeordneten der Konjtituante jeine Aufwartung machte, dem öfterreihifhen Gefandten in Berlin, Fürften Neuß, die erfte Andeutung machte, es werde wohl notwendig werden, fi über gemeinjame Schritte zur Rettung des Königtums in Frankreich zu einigen. Einige Monate fpäter, während fih die Diplomaten Defterreihs und Preußens in Siftoma und Wien gerade aufs heftigite befämpften, am 7. Januar 1791 eröffnete Biichoffswerder frei« ih nur im tiefften Geheimnis dem faiferlichen Geſandten, es ſei der leb- baftefte Wunjch feines Herrn, zur Abwehr der Revolution mit Defterreih in Ver: bindung zu treten, ja, der König ftelle das fonfervative Intereſſe jo hoch, daß er dem Kaiſer zulieb fogar die Abtretung von Oczakow an die Rufen zulafjen wolle; demnächft werde zu weiterer Verhandlung ein Vertrauensmann des Königs nad Wien fommen. Am Efaiferlihen Hofe wurde die Nachricht mit Mißtrauen aufgenommen; der Vertrauensmann, meinte Kaunit, werde wohl nur ein Spion jein, der in Wien alles Erreihbare ausjchnüffeln wolle. Am 19. Februar traf Biſchoffswerder jelbit in Wien ein. Schon bei der erften Zufammentunft wurde es dem Grafen Cobenzl Elar, daß es ſich nicht um Epiegelfechterei handle. Freilich

1) Molf, Defterreih und Preußen 1780—1790, 189. 2) Sybel, Geſch. der Nevolutionszeit, I, 274.

Friedrih Wilhelm II. und die franzöfifche Revolution. 399

verblüffte den geſchulten Diplomaten die unerhörte Offenherzigfeit des Unter: händlers. Bifchoffswerder ftellte fi dem Faiferlihen Minifter vor als „einen Mann, ber wenig Erfahrung in politiichen Dingen hat, aber das Herz feines Königs befjer fennt, als alle feine Minifter, der fih für den glücklichſten Sterbliden halten würde, wenn es ihm gelänge, das Wohl zweier Nationen durch einen innigen Freundihaftsbund der beiden Höfe zu begründen”.!) Wenn nur der Kaijer die aufrichtige Weberzeugung hege, daß er im König von Preußen einen ehrlichen, friedliebenden Dann vor fi habe, werde das Bündnis zu ftande fommen, denn über die ftrittigen Punkte werde fich leicht eine Einigung erzielen lafjen. Preußen fönnte ja ohne viel Mühe den alten Bund mit Rußland erneuern und daraus namhaften Vorteil ziehen, allein der eigene Nuten müßte dur Vergrößerung Rußlands erfauft werden, und dazu wolle der König nicht die Hand bieten. „Seine Majeftät,“ warf Cobenzl ein, „wäre alfo wirklich im ftande, rüdhaltlos auf jede neue Erwerbung zu verzichten?” „Ganz gewiß,“ beteuerte der Oberft. „Sie wiſſen natürlih, daß man von Danzig geiproden hat und noch ſpricht; in der That würde der Gewinn diejer Stadt dem König große Freude maden, wenn die polnifhe Nation gegen anderweitige Entihädigung dafür zu haben wäre. Daß Rußland, wenn wir feinen Abfichten nicht entgegentreten, gern dazu die Hand bieten wird, willen wir, und der König hofft, dab auch der Kaifer fi nicht mehr mwiderjegen wird, wenn erſt einmal der Freundichaftsbund der beiben Fürften geſchloſſen iſt.“ Von preußifcher Seite werde nicht gefordert, daß Defter- reich der Verbindung mit Rußland gänzlich entjage; Defenfivbündniffe könne man ja mit jedermann ſchließen; es handle fih nur darum, zu verhüten, daß Ruß: land fich übermäßig vergrößere und, wie es den Anjchein babe, auch in deutſchen Fragen den Diktator jpielen wolle; darin liege ja ebenjo für Defterreih, wie für Preußen eine ernite Gefahr. Als Cobenzl den „biplomatiihen Dilettanten“ durch die Frage aus dem Sattel werfen wollte, wie denn jo freundjchaftliche Verfiherungen mit der feindjeligen Haltung des preußifhen Bevollmächtigten in Siftowa in Einklang zu bringen wären, erwiderte Biihoffswerder unerjchroden, in Siftoma werde eben Herkbergiiche Politit getrieben, diefe ſei aber nicht mehr die Politif des Königs von Preußen. Leider jei man heute noch auf des Minifters Dienfte angewiefen, denn der altersihwahe Finkenitein zähle nicht mehr mit, und von den übrigen Miniftern könne feiner einen ordentlihen Ber: trag redigieren. Höchitens Alvensleben könnte einmal mit der Zeitung der aus— mwärtigen Angelegenheiten betraut werden; vorläufig fei aber Herkberg noch unentbehrlih. Dies fei bedauerlih, erwiderte Eobenzl, unter ſolchen Umftänden werbe die gemwünfchte Veritändigung ſchwerlich zu erzielen jein, denn Hergberg werde feinen Widerſpruch nicht aufgeben. Das wolle er auf ſich nehmen, erklärte darauf Bilhoffswerder; wenn nur die beiden Monarchen jelbft überzeugt wären, daß das Wohl ihrer Staaten innigen Anſchluß erheifche, werde ſich alles übrige ohne Mühe ordnen lafien. Alle diefe Wünfhe und Klagen, Enthüllungen und Verheißungen ließ Bifchoffswerder durcheinander wirbeln, noch niemals, verficherte Eobenzl, habe er jemand über die widtigften politiihen Fragen jo

) Beer, Leopold II., franz Il. und Katharina, ihre Korreſpondenz, Analeften, 234.

400 Zweite Bud. Dritter Abſchnitt.

leichthin ſprechen gehört. Auf den Kaiſer, dem Biſchoffswerder einen eigen: bändigen Brief Friedrich Wilhelms überreichte, machte die „drollige Ehrlichkeit” Biſchoffswerders günftigen Eindrud. In einer zweiten Unterredung mit Cobenzl führte Biſchoffswerder womöglich noch offenherzigere Sprache. Falls von Defter: reich gegen frieblihe Erwerbung von Thorn und Danzig, gegen den Anfall der fränkiſchen Markgrafihaften durch Verftändigung mit dem regierenden Mark: grafen, enblih gegen Eintaufh der beiden Laufigen nah dem Ausfterben ber männlichen Linie des kurſächſiſchen Hauſes fein Widerfpruch erhoben würde, wäre Preußen bereit, die Anſprüche Defterreihs auf Teile von Baiern anzuerkennen ober andere Erwerbungen feines Freundes zu begünftigen. !)

Troß alledem ſprachen ſich Kaunig und Spielmann, vom Kaijer zu gutacht- liher Neußerung aufgefordert, gegen ein Bündnis mit Preußen aus. Es jei ja möglih, daß der König wirklich den Frieden wünſche, um deſto ungeftörter jeinen Liebhabereien und Leidenihaften frönen zu können, aber weil die Freundeshand gar jo aufdringlich geboten werde, jei wahrfcheinlich nichts anderes beabſichtigt, als Defterreih vor Rußland zu fompromittieren, um deſto leichter Thorn und Danzig zu ergattern. Namentlih für Kaunitz ftand es feit, daß man ſich um bes Lockrufes aus Berlin willen in nichts einlaffen dürfe, was in Petersburg einen zmweideutigen Eindrud hervorrufen fünnte. Als Bilhoffswerder in einer britten Unterredung mit Cobenzl auf die Erwerbung Danzigs zurüdfam, erflärte der Faijerlihe Minifter, von Zuftimmung Defterreichs zu ſolchem Handel fünne feine Rebe jein, folange von Preußen dem Reichenbacher Bertrage gemäß am Status quo feftgehalten werbe; nur wenn jede Leiftung mit einer Gegenleiftung vergolten werde, könnte ein Vergleich von dauernder Geltung geſchloſſen werden. Da Biihoffswerder feine Vollmacht hatte, auf ſolche Bedingungen einzugehen, mußte er unverrichteter Dinge von Wien abreifen, doch die Fäden zwijchen beiden Höfen wurden nicht entzwei gejchnitten. Gerade weil in der Sendung bes Rofenfreuzers nur eine Finte zu erbliden ſei, ſchrieb Kaunig an den inzwiſchen nah Florenz abgereiften Kaifer, müſſe man bem Berliner Hofe mit gleicher Münze bezahlen. Demgemäß wurde Fürft Neuß angemiejen, den König der Geneigtheit des Kaijers zu Freundfhaft und Bündnis zu verlichern. „Bei ber vorausgefegten Uebereinftimmung ber Gemüter beider Souveräne hinſichtlich der Quaestio an jei wohl fein gegrünbeter Zweifel über die vergnüglicde Bes richtigung des Quo modo zu hegen, wenn ſich anders beide Höfe die gerechte und billige Beobachtung einer mwahrhaften, in jeder Rüdfiht genauen Reziprozität gefallen laſſen, die allein ein folides, allen Zeiten und Umſtänden angemeſſenes Alianziyitem gründen, alles gegenfeitige Mißtrauen aus der Wurzel heben und gegen alle bejorglihen Rückfälle fihern könne.“

Leopold felbft kargte nicht mit herzlihen Worten. „Der Bericht,“ fchrieb er am 4. März 1791 an Friedrich Wilhelm, „den Oberft von Biſchoffswerder Eurer Majeftät über eine Sendung, die mir ſowohl um des Gegenftands ber Unterhandlung, ala um der Perſönlichkeit des Unterhändlers willen höchſt will: fommen war, wird, wie ich hoffe, durchaus Ihrem liebenswürdigen Vertrauen

1) Beer, 51.

Biihoffswerber und Herkberg. 401

entiprehen und Ihnen die Ueberzeugung einflößen, daß es nicht von meiner Entſcheidung abhing, wenn das Ziel nit volllommen erreicht worden ift, ba bie unſchätzbaren Vorteile einer dauerhaften Verbindung unferer ntereffen niemand höher anfchlagen kann, als ich, und da ich feinen aufrichtigeren und heißeren Wunſch bege, als mich ohne jeden Nüdhalt meiner Herzensneigung bingeben zu Dürfen.” *)

Wie man fieht, war bei diejen Verhandlungen von einer feindlichen Spiße des geplanten Bündnifjes gegen Frankreich mit feinem Worte die Rede, ja, der Name Frantreih wurde abgejehen von einer ganz nebenſächlichen Bemerkung gar nicht erwähnt.

In Berlin fand die Meldung des Günftlings nicht gerade freundlide Auf: nahme. Bifchoffswerder hatte fih in Wien zur Aeußerung Hinreißen laſſen, man fönnte ja, um vom Divan die Abtretung eines Grenzitriches au Defterreich durchzufegen, die Verhandlungen in Siſtowa noch etwas hinausziehen. Bejonders diefem Natjchlag wurde von Oberſt Manftein, dem Adjutanten des Königs, und Minifter Finkenftein Hertzberg war gar nicht ins Geheimnis gezogen lebhafter Widerjpruch entgegengejegt, und auch der König wollte weder von Ber: ihleppung des Friedens, noch von Heranziehung Rußlands zum Bündniſſe hören. Hergberg war gerade in diefen Tagen vol Zorn über den „Machiavellismus” des Kaiſers und jeines Minifteriums.:) „Nach den Nahrichten,” fchrieb er an Luccheſini, „welche wir von Jacobi erhalten, bat das Wiener Minifterium die Geſchäfte des Friedenskongrejles in eine Lage gebradt, dab ich feinen Ausweg mehr jehe und nichts anderes übrig bleibt, als entweder ben Kongreß zu fprengen, oder überall hinzugeben, wohin uns die Wiener haben wollen.” Die Sendung Bifchoffswerders war dem Minifter amtli nicht befannt gegeben worden, aber nicht geheim geblieben. „Herr v. B. ift hierher zurüdgefehrt,“ jchrieb er an Luccheſini, „und in feine alte Gunft und in feine Gejchäfte wieder eingetreten. Er ift dem König nad) Potsdam gefolgt, jeit zwei Tagen aber nad) Halle ge: gangen, wo er mit dem Herzog von Braunſchweig, ich weiß nicht worüber, eine Beiprehung haben wird. Man glaubt hier allgemein, daß er eine Reife dur die Laufit und Böhmen bis an die Thore von Wien gemadt hat und von dort über Breslau zurüdgefehrt it und daß es ih um ein Bündnis mit dem Wiener Hofe handelte, ic) weiß aber nicht wie und weshalb. Ich mwühte dies nicht in Einklang zu bringen weder mit unjeren Intereſſen, noch mit der hochmütigen Haltung, welche das Wiener Minifterium unferem Hofe gegenüber beobachtet. Es gehen hier Dinge vor, die ich weder erklären, nod) einem Briefe anvertrauen fann... Meine Lage it Höchft eigenartig, und nur mein Patriotismus läßt mid) fie ertragen.”

Es vergingen mehrere Wochen, ohne daß mit Wien wieder angefnüpft wurde, und vielleicht wäre Biſchoffswerders Plan nit wieder aufgegriffen worden, wenn nicht der jchon erwähnte Syſtemwechſel in England für Preußen die Gefahr der Abfperrung von allen übrigen Mächten heraufbeſchworen hätte. Damit gewann bie Politik Bifchoffswerders wieder Oberwaſſer. Am 1. Mai

') Preuß. St.:Arhiv. Negociations de Bischofswerder pres de l'’empereur. ?) Ebenda. Schreiben Herkbergs an Luchefini vom 8. März 1791. Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedtichts d. Gr. biß zur Auflöfung des deutſchen Reiche, 26

402 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.

wurden neben Hergberg und Finkenftein zwei neue Minifter, die Grafen Schulen: burg und Alvensleben, ins Kabinett berufen, angeblich wegen des hohen Alters Fintenfteins und der Kränklichkeit Hergbergs. „Legteres ift gar nicht wahr,” fchrieb Herkberg an Pofjelt, „da ih mich jo gut als ein Mann von breißig Jahren befinde.) Schulenburg und Finfenftein überreihten am 3. Mai eine Denkichrift, worin fie Angelichts der noch immer drohenden Haltung Rußlands und der offenfundigen Bewerbung Englands um die Gunft Leopolds unter günftigen Bedingungen den Abſchluß eines Bündniſſes mit Defterreih empfablen. Biihoffswerder wurde vom Könige angemwiefen, auch den Minifter Alvensleben in die Wiener Verhandlungen einzumeihen, dagegen jollte Herkberg feine Kenntnis davon erhalten. Trotzdem blieben auch diefem die Abmahungen des Günftlings nicht verborgen. Er richtete ein „lektes Wort” an den König. „Die Wahrheit ift, man will Eurer Majeität meine Dienfte verleiden und einen nur allzu eifrigen und freimütigen Minifter mwegjagen zu einer Zeit, da er alles thut, was ein tüchtiger, anftändiger Staatsmann thun fann, um ben Staat aus einer höchſt beunruhigenden, bedenklihen Lage herauszuziehen. Meine Krankheit, die jetzt als Vorwand gebraudt wird, hat mich noch nie abgehalten, meinen Verpflichtungen nachzukommen. Bei meinem jüngften Aufenthalt in Potsdam war ih nachts unpäßlid, ftand aber um ſechs Uhr auf, fchrieb bis Mittag zehn Depefchen und hatte Unterredungen mit Finkenftein, Schulenburg und Jadjon. Ich ſchulde dieje furze Verteidigung meinem Gewiljen und meiner Ehre, die Entidheidung verbleibt Eurer Majeftät. Ich hege keinen anderen Wunſch, als daß Ew. Majeftät in Zufunft auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten befjer bedient fein mögen, als bisher.” Friedrich Wilhelm ſuchte den Gefränkten zu beruhigen; er fei mit deſſen Dienften durchaus nicht unzufrieden, und zur Verſtärkung des Minifteriums habe ihn nur der Wunſch bewogen, dem mit Arbeit Ueberladenen einen Teil der Laſt abzunehmen, damit die politiihen Arbeiten künftig rafcher und gründlicher erledigt werden könnten. „Ich werde niemals Einflüfterungen Gehör fchenten, die darauf berechnet wären, Männer zu verdächtigen, deren Charakter und Vaterlandsliebe mir jo gut befannt find, wie e& bei Ihnen der Fall ift.”

Bon der Zeitihrift Schubarts wurde mit Befriedigung gemeldet, daß bie Umtriebe gegen „einen der größten deutihen Staatsmänner” erfolglos geblieben feien. Das nämlihe Organ bradite auch Mitteilung von einem offenen Briefe Herkbergs an ben Grafen von Echernay, worin der Vorwurf, als ginge bie feindlihe Schwenfung gegen Frankreich von Hertzberg aus, zurüdgemiejen war; biefer Staatsmann habe immer „eine gerade, rechtliche und gerechtliche Politik” verfolgt, wie jie aud) von einem Minifter des Auswärtigen unbedingt verlangt werden müſſe; Hergberg ſei aljo nicht für alles verantwortlich zu machen, was von „Aventuriers, die ſich für preußifche Emiſſärs ausgeben”, gejagt und gethan werde; es fünnte ja freilich befremdlih erſcheinen, daß er jelbit jeine Apologie jchreibe, allein „um gewiſſer Kleinihädel willen“ fei es auch wohl einmal am Plage, dab ein großer und guter Mann fein eigenes Lob verkünde. ?)

) Bofjelt, E. F. Graf v. Herkberg, 26. ?) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 341, 411.

Bifchoffswerber und Herkberg. 403

Hertzberg blieb aljo vorerft noch im Kabinett, doch die nächſten Ereignifie ließen den Gegner der Einigung mit Defterreich nicht wieder zu Einfluß gelangen. Einerfeits rief der polnische Staatsftreih in Berlin die Bejorgnis wach, daß auch auf Polen im Falle eines Krieges mit Rußland und Deiterreich nicht mehr mit Sicherheit zu rechnen jei, andererjeits legten, wie oben bargeftellt wurde, die aus Frankreich herübertönenden Hülferufe ber Schweſter dem Kaiſer die Pfliht auf, wenigitens die Möglichkeit eines Krieges mit Franfreih ins Auge zu fallen und ſich deshalb nad anderen Seiten die Arme frei zu machen. Am 21. Mai jchrieb Friedrih Wilhelm an Leopold, er hoffe um jo ficherer auf das Auftandefommen bes Friedens, als er jelbit jeden Gedanken auf Danzig aufgegeben habe, aljo wohl auf gleiche Uneigennügigfeit des Kaiſers zählen dürfe. Am 25. wurden Schulenburg und Alvensleben nah Charlotten: burg beſchieden; hier gab Friedrich Wilhelm den nichts weniger als freudig Ueber: raſchten feinen beftimmten Willen fund: Bifchoffswerder joll abermals den Kaijer aufſuchen, um nunmehr endgültig den Bundesvertrag abzuſchließen. Auf Ans tegung Finkenfteins wurde in die Inſtruktion für den Oberft der Vorbehalt auf: genommen, Preußen werde nur dann rüdhaltlos die Hand bieten, wenn Kaunitz endlich darauf verzichte, die Verhandlungen in Siftowa nod weiter zu verwirren und zu verjchleppen. Preußen wolle einem freien, unabhängigen Polen mit feinen gegenwärtigen Grenzen feine Anerkennung nicht verfagen und bie Wahl des vortrefflichen Kurfürften von Sachſen mit Freuden gutheißen; nur müſſe darauf beftanden werden, daß die Erbtodter Friedrih Augufts nicht mit einem Prinzen des ruſſiſchen, preußiichen oder öfterreihiichen Haufes vermählt werde. Auch könne Rußland nicht im Bunde der beiden deutſchen Mächte der Dritte fein, und Defterreih müfle fih ausdrücklich verpflichten, in einem preußijch ruffiihen Kriege neutral zu bleiben. Zur Verftändigung über die Einzelheiten des abzujchließenden Vertrages jollten die beiden Monarden im jählischen Luft: ſchloſſe Pilnig zufammentreffen. Bon Franfreid) war aud in diefer Inſtruktion gar nicht die Rede.

Kaum war jevoh Biſchoffswerder nach Italien abgereift, jo gelangten nad Berlin Nachrichten, daß die Politik des Kaifers oder wenigftens des Fürſten Kaunig ftärfer denn je zu Rußland binneige. Ohne Abtretung von Orſowa und dem Unnabezirk, erklärte Herbert in Siftowa, fei an Frieden nicht zu denken; ohne Beiziehung Rußlands, fagte Spielmann in Wien zu Jacobi, werde ſich ein Bund mit Preußen nicht ſchließen lafjen. Bergebens erinnerte Luccheſini an den Reichenbacher Vertrag; vergebens wies Jacobi darauf hin, wie widerfinnig es jei, Rußland zum Beitritt zu einem Bunde einzuladen, der gerade die Ein- jhränfung der ruffiihen Macht bezwede. Spielmann ermwiderte, das alles jei Ihön und gut, aber man wolle nit um der Taube auf dem Dade willen den Sperling aus der Hand laſſen; wenn die Türken nit zur Nachgiebigfeit an— gehalten würden, müßten die Kanonen wieder zum Wort kommen, und bie beiden Kaiferhöfe würden fih jchon in Reſpekt zu ſetzen wiſſen.

Wirklich verließen der öfterreihiihe Geihäftsträger, Baron Herbert, und ber Vertreter Ungarns, Graf Eſterhazy, am 18. Juni die Kongrefitadt Siftoma: das war die Sprengung des Kongreiies. Gern oder ungern mußten auch in

404 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

Berlin Vorkehrungen getroffen werden, um der neuen Kriegsgefahr zu begegnen; im Laufe des Juli follten fih 80000 Mann unter dem Oberbefehl des Herzogs von Braunschweig jammeln, um in drei Kolonnen in Mähren einzufallen.?)

In diefem Augenblid am 24. Juni fam kurze Botichaft von Biſchoffswerder, der Zwed feiner Sendung jei erreicht, der Kaifer habe jchleunigen Friedensihluß in Siſtowa befohlen, die Pillniger Zufammenkunft angenommen.

Schon am 14. Juni, alfo vor dem Fluchtverfuh Ludwigs XVI., war die Nachricht in Mailand aufgegeben worden. Der Kaijer hatte den Vertrauens: mann Friedrih Wilhelms aufs freundlidite aufgenommen. Die europäiſche Lage hatte fich ja infofern zu Ungunſten Defterreichs verändert; als das ruffische Kabinett aus den englifhen Parlamentsverhandlungen die Gewißheit gezogen hatte, daß es feinen Krieg mit dem Dreibund zu befürchten habe; dadurch war der Wert der Freundſchaft Defterreichd erheblich herabgemindert worden, ja, Leopold hegte fogar Argwohn, daß fi die bundesfreundliche Gefinnung in Petersburg in feindlihe Tüde verwandelt habe. Mit Freuden wolle er mit Preußen Hand in Hand gehen, jagte er zu Bilchoffswerder, nur müſſe vorher in Siftowa alles glatt gemacht werden.

In Mailand kamen nun auch zum eritenmal die franzöfifchen Angelegen: beiten zur Sprade. Friedrich Wilhelm hatte kurz zuvor duch Baron Rol im Auftrag des Grafen von Artois die irrtümlihe Meldung erhalten, König Ludwig wolle für ſich preußiihe Waffenhülfe erbitten; er hatte darauf aus: weichend geantwortet, vor Abjchluß des Friedens zwiichen Defterreih und ber Türkei könne jih Preußen auf derartige Verpflihtungen nicht einlafjen. Indem Biſchoffswerder dieſe Epifode erzählte, ftellte er, wozu er wenigitens durch feine Schriftliche Inſtruktion nit ermächtigt war, in fichere Ausfiht, dab Preußen feine Beziehungen zu Franfreih ganz nad Ermefjen und Wunſch des Kaifers regeln werde. Leber diefe Zuſage hoch erfreut, legte Leopold dem Oberften dar, welche Haltung er gegen Frankreich und die Revolution einzunehmen gedenke. Das thörichte Kriegsgejchrei der Emigranten berühre ihn nicht, aber es dürfe auch nicht außer Acht gelaflen werben, welche Gefahr aus der in Frankreich ein— geriffenen Zügellofigfeit für alle Monardien erwachſe. Das Uebel müfje in den Anfängen erftidt werden, ſonſt könnte das jchlimme Beijpiel leiht Nahahmung finden, wie es denn auch ſchon da und dort in der Nachbarſchaft zu Unruhen gefommen jei. Ueberdies, wer vermöchte Falten Blutes zuzufehen, wie Ehre und Leben der königlihen Familie in Paris einem wütenden Pöbel preisgegeben jeien! Das einzige Mittel zur Rettung des Thrones und zur Abwehr der revolutionären Propaganda biete die Bereinigung aller europäiihen Mächte; ſchon die drohende Aufrihtung eines jolhen Bundes werde die Franzofen zur Vernunft bringen.

Biihoffswerder war mit diejen Anfichten und Wünſchen einveritanden; voll Freude jchrieb er nach Berlin, Friede und Freundſchaftsbund feien als geſchloſſen anzufehen, die Zufammenfunft der Souveräne in Pillnig braude nur noch das Siegel aufzuprägen.

Friedrih Wilhelm war jedoch durch die Beſchwerden Luchefinis und Jacobis

') Sybel 1, 296.

Leopold II. und die franzöfiihe Revolution. 405

fo mißtrauifch geworden, daß er den Miniltern durch feinen Adjutanten jagen ließ, die jhönen Worte des Kaijers fönnten ihm nichts helfen, er wolle endlich einmal Thaten jehen. In diefem Sinne erging aud Weifung an Jacobi. Zwar habe Kaunig in feinem jüngften Erlaß an Reuſch überrafchend ſanft Elingende Saiten aufaezogen, auch aus Mailand ſei Nachricht eingetroffen, der Kaiſer babe ihleunigen Abſchluß des Friedens anbefohlen, aber man müſſe erſt Thatfachen abwarten zum Bemweife, daß es dem Wiener Hofe Ernft fei mit feiner Freundfchaft, daß er die Vermittlung des Dreibundes wirflih annehmen wolle. Glüdlicherweife werde die joeben eingetroffene Nachricht von der Gefangennehmung König Ludwigs dem Willen des Kaijers gegen den Widerftand des Kanzlers zu Hülfe fommen.?)

Die Depeche Jacobis vom 2. Juli ſchildert die jähe Wirkung diefer Nachricht in Wien. Der preußiihe Gejandte ſaß gerade wieder im Haufe des Kanzlers bei Tifche, als die Ankunft eines Eilboten den Wirt nötigte, die Tafel zu ver: laſſen. Als er nah einer Weile zurüdfehrte, war zwar jeine Miene gelaflen, ein harmloſes Geipräh fam in Gang, aber bald war der Kanzler nicht mehr im ftande, feine Aufregung zu unterbrüden, er teilte feinen Gäften die peinliche Nahriht mit. „Wie ein Blig fuhr diejelbe in die Verfammlung!”

Bon diefem Augenblid an war das Hauptinterejje der öfterreichiichen Politik nicht mehr auf den Kongreß von Siftoma, jondern auf die Vorgänge in Paris vereinigt. Die Aufklärung über den Miberfolg des Fluchtverſuchs wirkte in Wien um jo peinliher, da dem Kaifer furz vorher Nachricht zugegangen war, daß alles aufs glüdlichfte verlaufen, der König in Mek, die Königin in Lurem: burg eingetroffen ſei. Unverzüglih hatte er der Schweiter wärmften Glücks— wunsch gefendet (2. Juli). „Ich jegne den Himmel für Ihre Befreiung! Der König, der Staat, Franfreih, alle anderen Monarhien werden Ihrem Mut, Ihrer SFeftigkeit und Klugheit Befreiung und Rettung verdanken. Warum fann ih in dieſem Augenblid nicht bei Ihnen und dem Könige fein, um Sie zu umarmen und die Genugtbuung des Bruders, ſowie des Freundes und Bundesgenofjen fundzugeben, daß Sie endlih von den Sie bebrohenden Gefahren fi losgerungen haben! Alles, was ich babe, gehört Ihnen: Gelb, Truppen, alles! Berfügen Sie frei darüber, ih wünjche nur Ahnen zu dienen und Ihnen meine Freundichaft allezeit, befonders aber bei diefer Gelegenheit zu bemeijen!” Auch dem König hatte Leopold im überſchwänglicher Weife feine Freude über den Sieg der guten Sache bezeugt. *)

Der Jubel wurde jäh zum Schweigen gebradt. Bon König Ludwig jelbft fam traurige Kunde: Der legte Verſuch, fih aus der Umflammerung feindlicher Gewalten zu befreien, war gejcheitert! „Der König ift wieder feſtgenommen, ift ein Gefangener in Paris. Er hat beſchloſſen, Europa von jeiner traurigen Lage zu unterrichten, und indem er dem Kaijer, jeinem Schwager, fein Leid enthüllt, zweifelt er nicht, daß diefer alles thun wird, was ihm jein großmütiges Herz eingibt, um Franfreihs König und Königtum zu retten!” ®)

') Preuß. St.-Ardiv, Erlaß an Jacobi vom 3. Juli 1791. 2) Arneth, Marie Antoinette, 181, 182. ) Ebenda, 185. Eigenhändiges, undatiertes Schreiben Ludwigs XVI.

406 Zweites Bud. Dritter Abjchnitt.

Kaunig war wie umgewandelt und wurde nicht müde, den fremden Diplo: maten vorzuftellen, daß ale Monarden Europas die Ehrenpfliht hätten, den unglüdliden König von Franfreih zu jhügen, daß alle anderen Sorgen hinter diefer heiligen Sade zurüdtreten müßten. In der Wiener Zeitung erſchien ein von Kaunig beeinflußter Artikel, der die Revolution in Frankreich als unver: antwortlihe Rebellion bezeichnete und den Ausdruck „jogenannte National: verfammlung” gebrauchte. Dabei blieb jedoh Kaunig, was Jacobi nicht ent: ging, vorfihtig genug, niemals von einem Einmarſch öfterreihiidher Truppen in Frankreich zu ſprechen; immer fchob er „bas europäifche Konzert zur Wahrung der monarchiſchen Rechte” in den Vordergrund.

Unter dem Eindrud der Nachrichten aus Mailand und Wien erfolgte am 5. Juli die endgültige Entlafjung Hergbergs. Da der Minifter feit längerer Zeit nicht mehr in unmittelbarer Fühlung mit dem Könige ftand, hatten fich die Beiden in manden Fragen einander förmlich entgegengearbeitet. Während ber König dur Biichoffswerder die Annäherung an Defterreidh betrieb, hoffte Hertz— berg durch einen Ausgleih mit Rußland wenigftens einen Teil feines „großen Deffin“ zu retten und ein Stüd polnifhen Landes zu gewinnen. Als er aber nicht mehr daran zweifeln konnte, daß ihm von feinen Kollegen wichtige Depeichen unterfchlagen würden, forderte er Aufllärung; er erhielt zur Antwort, es fei der Wille des Königs, daß ihm gewiſſe Schriftitüde verheimlicht würden.) Darauf erbat Herkberg feinen Abſchied, und diesmal ohne den erhofften Mip- erfolg. „Aus gewiſſen Rüdiichten,” erflärte der König, und um dem mit allzu vielen Geichäften Ueberhäuften einen Teil der Arbeit abzunehmen, wolle er einwilligen, daß jih die Dienfte feines Getreuen fortan auf das Kuratorium ber Akademie und die Aufficht über den Seidenbau bejchränfen follten.

Der Sturz des Minifters wurde in Berlin als das länaft vorbereitete Werk Kaijer Leopolds angejehen.?) Auch Herstzberg teilte diefe Auffaſſung. „Eie werben, wie ih wohl annehmen darf,” jchrieb er nad feiner Entlaſſung an Luccheſini, „durch diefe Wendung ein wenig überrafcht fein; fie brach über mich lediglid infolge einer Abmachung Biſchoffswerders in Mailand herein, weil man in mir einen zu bigigen Preußen erblidte.” In einem Briefe an Poſſelt be: bauptete Her&berg, der Kailer habe geradezu die Forderung geitelt, daß ber bislang tonangebende preußiihe Minifter „als erflärter Feind des öfterreidhifchen Hauſes“ bejeitigt werde.) Als Lucchefini, der auch mit dem Geftürzten in höf— liher Verbindung blieb, im September 1791 mitteilte, Kaifer Leopold habe ben Erzherzog Franz angemwiejen, die biltoriihen Vorträge Herkbergs als die gediegenften Lehrbücher für einen Fünftigen Negenten zu ftubieren, ermwiberte Hergberg, auh von Reuß und Spielmann fei ihm jeinerzeit in Reichenbach hohes Lob geipendet worden; dann freilih ſei die ginftige Stimmung in

') Precis de la carriöre diplomatique du comte de Hertzberg (lleberarbeitung ber an Friedrid Wilhelm II. gerichteten Denkſchriften); W. A. Schmidt, Zeitichr. für Gefchichts: wiſſenſchaft I, 31.

?) (Friebr. v. Cölln) Vertraute Briefe über die inneren Verhältnifie am preußiſchen Hofe jeit dem Tode Friedrichs Il., 66.

3) Poſſelt, 26.

Bifchoffswerder und Herkberg. 407

Wien ins Gegenteil umgelhlagen; ja, man habe fih ein Vergnügen daraus gemacht, ihn von feinem Plage zu verdrängen, wofür er bie Beweiſe in Händen habe. ?)

Es war nicht der Sturz eines Gemaltigen; immerhin erregte die Ent» fernung des „legten Trägers der Fridericianiihen Politik“ großes Auffehen. In Preußen wurde fie von Vielen als Sieg der Reaktion über die Aufklärung aufgefaßt, nun werde Preußen, jo befürdteten fie, Arm in Arm mit Defterreidh nicht bloß den Yakobinern in Franfreid, fondern auch den Freunden ber Freiheit und bes Fortjchritts im eigenen Lande den Krieg erklären. Das Hamburger politiiche Journal feierte den von Undankbaren verbrängten Staatsmann, „ber mit jo vielem Glanze die Bahn der Unfterblichfeit wandelte und beinahe dur ein halbes Jahrhundert an den mehrften Unterhandlungen und Begebenheiten von Europa thätigen Anteil hatte”.?) Noch ftürmijcher beklagte Schubarts Vater: ländifhe Chronik den „Niedergang des hochaufſtrahlenden Geiftes im Berliner Minifterium”, den Sturz des großen Mannes, der „in feiner breißigjährigen Thätigfeit oft einer belebenden Sonne glich, welche ihre bejeelenden Einflüffe in alle Adern und Nieren des Staates ausgok”.?)

Hergberg 309 ſich nad) feiner Entlaffung auf fein Landgut nahe bei Berlin zurüd. „Dort lagert er nun, ein zweiter Cincinnatus, unter dem Schatten der Bäume, die er jelber gepflanzt hat.) „Ich bin zur Zeit,” jchrieb Herkberg im September 1791 an Luccheſini, „der zufriebenfte Menſch von der Welt und bin glüdlih, daß ich feinen Anteil" mehr habe an dem Wechſel der Syſteme.“ In Wahrheit fonnte er fih zu folder Entfagungsfreudigfeit durchaus nicht auf: jhwingen. Er gab die Hoffnung nicht auf, die Gnade des Königs wieder zu erlangen und damit die Leitung der auswärtigen Politif, auf welde er, durch jo lange Thätigkeit und das Lob feiner Anhänger verwöhnt, eine Art Monopol zu bejigen wähnte. Er beitürmte den König mit Denkſchriften, um ihm vor Augen zu rüden, daß der neue Weg nur in die Irre führe. Allgemeines Auf: fehen erregte ein akademiſcher Vortrag Herkbergs über „äußere, innere und religiöje Staatsrevolution” (gehalten in der Sigung vom 6. Dftober 1791).°) Den Zweden und Zielen der franzöfiichen Revolution wird hier unverblümt An: erfennung, ja Bewunderung gezollt; die franzöfiiche Nation trachte, fich die beft- möglihe Berfafjung, eine befjere jogar, als die engliihe, zu verfchaffen, indem fie die gejeggebende Gewalt ausſchließlich dem Volke, die ausübende dem unter Auffiht der Volfsvertretung ftehenden Könige übertrage und auf ſolche Weife monardijches und republifaniiches Syitem zu vereinigen juche. Welches Schickſal der noch im Fluß befindliden Revolution beſchieden jein werde, laſſe ſich nicht vorausjehen; jedenfalls aber werde ihr das Verbienft bleiben, die Mißbräuche der vorigen, mehr ariftofratifchen, als abjolutiftiihen Staatsform vermindert, eine

’) Preuß. St.⸗Archiv. Briefwechſel des Grafen Hergberg mit dem Marquis Luchhefini. Schreiben Hergbergs vom 10. Sept. 1791.

*) Polit. Journal, Jahrg. 1791, I, 784.

2) Vaterl. Chronik, Jahrg. 1791, 326, 341, 481.

4) Ebenda 497.

) Staatsanzeiger, 17. Bd, 46.

408 Zweited Bud. Dritter Abſchnitt.

tüchtigere Staatswirtſchaft ermöglicht, eine weniger eroberungsfüchtige äußere Politik zum Gejek erhoben und dadurd ein beijeres Einvernehmen mit Preußen und England angebahnt zu haben. Freilich wäre wünſchenswert, dab fidh die Revolution mit weniger Heftigfeit und Ausgelaffenheit volljöge, die Würde bes Monarhen weniger erniedrigt, die Unterfchiede der Geburt und der Stände nicht gänzlich aufgehoben werden möchten, doch wer möchte um ſolcher Gebredhen willen die Verjüngung des Staates jchelten!

Solche Worte, in den Räumen des erften preußiſchen Staatsinftituts ge— fproden, mußten den König, der fih foeben zur Bekämpfung ber Revolution mit Defterreich geeinigt hatte, peinlich berühren. Da überdies nicht verborgen blieb, daß der gefränfte Minifter vor dem und jenem aud feiner Mißbilligung der neueften preußiihen Politik Ausdrud gegeben habe, wandte fi der König noch entichiedener von dem „Frondeur” ab. Herkberg hatte, um einen Ueber— blid über die Früchte feiner ftaatsmännifhen Thätigkeit zu gewähren, alle von ihm ausgearbeiteten Staatsverträge, politiihen Gutadten zc., in einem großen Sammelwerf vereinigt; ald er 1792 den dritten Band veröffentlihen wollte, wurde die Herausgabe nicht geltattet; erſt 1795, als die preußifche Politit nad) mander Richtung wieder in Hertzbergiſche Pfade einlenfte, wurde, kurz vor dem Tode des Minifters (27. Mai 1795), das Verbot zurüdgenommen.

„Sprechen Sie mit meinen Verwandten über die Schritte, die von außen unternommen werben müflen! Sollten fie Furt haben, muß man fi mit ihnen auseinanderjegen!” So ſchrieb Marie Antoinette im eriten unbewachten Augenblid nad der erzwungenen Rückkehr in die Tuilerien an Graf Ferjen.!) Nur nod vom Ausland erhoffte die hohe Frau Befreiung, doch nit in Waffen jollten die Retter ericheinen.?) „Der König glaubt,” ſchrieb fie (8. Juli) an Ferien, „dab offene Gewalt, jelbjt wenn ein Ultimatum vorausgeſchickt wird, unberechen- bare Gefahr nad) fich ziehen Fönnte, nicht bloß für ihn und feine Familie, jondern für alle jene im Königreich gebliebenen Franzojen, die ſich der Revolution nicht angejchloffen haben; unzweifelhaft wird es einer fremden Armee gelingen, in Frankreich einzubringen; aber das Volk wird, bewaffnet, wie es it, von ben Grenzen und den fremden Truppen binwegfliehen und jih dann ber Waffen gegen diejenigen Mitbürger bedienen, welde man ihm jeit zwei Jahren aus Anlaß unferer Reife und bei jeder anderen Gelegenheit als feine Feinde be— zeichnet hat.” Ein Kongreß der Mächte jolte dahin ging der Wunjch des föniglihen Paares energiihe Vorftellungen an die Nationalverfammlung richten; die Waffen jollten lediglich im Hintergrunde gezeigt und nur im äußerften Notfall gebraucht werden.

In diefem Sinne richtete denn aud) LZeopold von Padua aus am 6. Juli an den Kurfürften von Mainz als Oberhaupt des Kurfürftenfollegiums und an die Könige von England, Preußen, Spanien, Sicilien und Sardinien einen Aufruf zu gemeinfamem Vorgehen zum Schute des franzöfiihen Thrones. In firengem Ton fol Freilaffung der föniglihen Familie gefordert werden, dagegen

!) Lettres de Marie Antoinette, publ. par de la Rocheterie et de Beaucourt II, 253. 2) Lenz, Marie Antoinette im Kampf mit der Revolution; Preuß. Jahrbuch, 78. Bd., 258.

2eopolb II. und die franzöfifhe Revolution, 409

jollen die Mächte Anerkennung der franzöſiſchen Verfaſſung zufihern, jedoch nur in dem Umfange, ben der von jedem Zwang befreite König felbit zugeſtehen wolle.) „Ich rechne darauf,” jchrieb Leopold am 8. Juli an Ehriftine, „das Reich zu Fräftigem Handeln zu bewegen, und habe deshalb an die Kurfürften geihrieben. Allein für ebenjo notwendig halte ich es, die Franzofen und ben Grafen von Artois von unbefonnenen Streichen zurüdzuhalten. Ich habe ihn davor gewarnt, aber ich weiß nicht, ob es etwas frucdhten wird. Man ſieht, dem Könige wurden jchledhte Ratichläge gegeben, und dann wurde er verraten. Weiß Gott, zu welchen Ausſchreitungen fie ſich fortreißen lafjen werben! Ich hoffe, ihnen zuvorzuflommen, doch wenn es mir nicht gelingen follte, werde ich fie eremplarifch züchtigen!“ ?)

Don erniten Rüftungen in den öfterreihiihen Erbitaaten war auch nad dem Aufrufe vom 6. Juli nicht die Rede, nur ein paar Bataillons wurden auf den Kriegsfuß gejeßt. Dieje Lauheit machte jogar die preußifchen Minifter neuerdings mißtrauiſch; fie mahnten den König zur Vorſicht, denn fait habe es den Anichein, als wolle der Kaifer nur durch andere die Kaftanien aus dem Feuer holen laſſen. „Der Kaifers Abficht,” jo wurde im Namen des Königs an Jacobi gejchrieben, „wird von uns durchſchaut, jo viel Sorgfalt er auch darauf verwendet, fie zu verbergen; jie geht dahin: ich fol in der frangöfifchen Sache vor: geihoben und dann ſoll aus meiner Einmiihung für ihn felbft der größtmögliche Gewinn gezogen werden. Allein ich bin feit entichlojjen, ihn ruhig an mich beranfommen zu laflen und in dieſer jchwierigen und wichtigen Angelegenheit ebenfalls mit all der Vorficht zu handeln, welche ihre Natur und ihre Folgen, jowie meine Erfahrungen über das gewöhnliche Verhalten des Wiener Hofes notwendig machen.“ Der nächſte Erlaß ſchärfte dem Gejandten nochmals ein, er möge fich in ber franzöſiſchen Frage immer vor Augen halten, daß der König nicht jelbit vorangehen, jondern auf alle Fälle den weit ftärfer beteiligten Kaijer zuerft handeln laſſen wolle. Auch Biſchoffswerder, der von Stalien aus zur Weiterführung der Verhandlungen nah Wien gegangen war, hielt, obwohl oder vielmehr gerade weil Fürft Kaunig ihn diesmal mit ausgefuchter Zuvorfommten: heit aufnahm, eine beobadhtende Stellung für angemefjen. Der leitende Minifter, ſchrieb Jacobi (16. Juli), habe ſich arg verrechnet, wenn er fih der Hoffnung bingebe, durch ſolche Ränfe die Vertreter der preußifchen Intereſſen einzujchläfern. Hinwider ftand Kaunig mit nicht geringerem Mißtrauen den preußiichen Ber: fiherungen und Forderungen gegenüber. Noch am 23. Juli betonte er in einem Schreiben an Cobenzl „die Unficherheit, inwiefern die Berliner und Londoner Höfe, gefegt au, daß fie in die Unternehmung einzugehen jcheinen, es auf: richtig damit meinten und nicht etwa gefährliche Nebenabfichten, es fei zu ihrer eigenen Vergrößerung oder zum Nachteil unferes Hofes mit ausführen wollten”.®) Allein auch Kaunig mußte einräumen, dab die Nachteile, welche die Einigung mit Preußen etwa bringen könnte, gegen den ficher zu erhoffenden Nuten nicht

’) Bivenot, Quellen zur Gefchichte der deutichen Kaiferpolitif Defterreihs während ber frangöfifchen Revolutionäfriege I, 185.

) Wolf, Leopold Il. und Marie Chriftine, 246.

Bivenot I, 203.

410 Zweites Bud. Dritter Abichnitt.

in Betracht fämen. In einem Memorandum über das „neue politiihe Syitem“, das ber Freundſchaftsvertrag des Kaijers mit Preußen inauguriere, nannte der Kanzler die bevorftehende Abmachung „gewilfermaßen den zweiten Band bes Vertrags von Berjailles, der feiner Zeit ganz Europa in Staunen verjegt und bie ölterreihiihe Monarchie gerettet hat“. Diefes Wort aus dem Munde bes Kanzlers, der im Vertrag von Berjailles jein glorreiches Lebenswerk erblidte, bedeutete einen gründbliden Umſchwung in feiner Auffaſſung der deutſchen und der europäifhen Lage. Dem Oberſten Bilhoffswerder zollte er hohes Lob; freilich fei derjelbe, verſichert Kaunig dem Kaijer, erſichtlich überraicht gemejen ob der Ehrlichkeit, Offenheit und Vernünftigfeit der öfterreihiichen Vorfchläge.!)

So wurde denn am 25. Juli in Wien von Kaunig und Bifchoffswerder ein vorläufiger Vertrag abgeſchloſſen, für welchen eben jener Vertrag von Ver: failles von 1756 als Borbild diente,?) der aljo nur defenfiven Charakter haben follte.°) Auch find darin die fonjervativen Intereſſen keineswegs ſtark betont; in Bezug auf Frankreich wird nur von beiden Staaten das Verſprechen gegeben, nad Kräften für das Zuftandefommen des Bundes aller europäiichen Mächte zu wirken. Außerdem jicherten fidh beide Staaten für den Fall einer Nuheftörung im Innern gegenjeitige Dülfe zu; das war für Preußen ohne Belang, da fi alle Provinzen gleihmäßig der tiefiten Ruhe erfreuten, während das Verſprechen für Defterreih von Wichtigkeit werben konnte, da in Ungarn noch zahlreiche Mißvergnügte grollend beifeite ftanden und in den Niederlanden gelegentlich der Rundreife des zurüdgefehrten Statthalterpaares neue Unruhen ausgebrochen waren.*) Die früher von Bilchoffswerber geforderte Garantie des Beſitzſtandes der Türfei war fallen gelajien worden. In Bezug auf Polen war die Abrede getroffen, daß feine von beiden Mächten den Befigitand oder die Verfaflung Polens antajten und die zur Thronfolge berufene ſächſiſche Prinzeffin mit feinem Prinzen der beiden Höfe fih vermählen jollte. Endlich jollte keine Der beiden Mächte mit einer dritten ein Sonderbündnis eingehen; dagegen’ jollten Rußland, England und Holland zum Beitritt eingeladen werden. Damit war einer An: näherung Preußens an Rußland ein Riegel vorgeihoben, während Oeſterreich den alten Bund mit Rußland nicht aufzugeben brauchte.

Es begreift ſich leicht, daß in Wien der Abſchluß diejes Vertrags mit auf: rihtigem Bergnügen begrüßt wurde. Nun fei ihm ein Unternehmen gelungen, triumpbierte Kaunig, wie Spielmann dem Oberften Biſchoffswerder anvertraute, ein Werk, um deſſentwillen ihn zwei große Völker in allen Zeiten jegnen würden. Zu Biſchoffswerder ſelbſt äußerte der Kanzler, die neue Allianz erjege nicht nur den Vertrag von Berjailles, fondern eröffne noch weit größere Ausfichten,

!) Beer, Joſeph II., Xeopold Il. und Kaunitz, 419.

2) Bivenot I, 217.

) Der „Acte preliminaire signé le 25 juillet 1791* ift u. a. gebrudt bei Martens, Recueil des traites V, 5; der in ber Collection of State Papers p. 1 mitgeteilte Traité de partage entre les cours d’Autriche, de Russie, de l’Espagne et de Prusse ä Pavie au mois de Juillet 1791 ift felbftverjtändlih eine plumpe Fälſchung.

4) Zeifberg, Zwei Jahre belgifcher Geihichte (1791, 1792); Sigungsberichte der Wiener Atademie, Jahrg. 1890, VII, 112.

Zeopold II. und die frangöfifhe Revolution. 411

als diejer, und biete das beite Gegenmittel gegen alles Unheil, das von wütenden Narren angeftiftet worden fei und noch fortwährend angeftiftet werde.!) Auch ber Kaiſer war hoch erfreut. „Ich ſehe diejes Geichäft als abgeſchloſſen an,” fchrieb er am 26. Juli an Kaunig, „und ich erwarte davon hohen Nußen und beruhigende Wirkung für die Monarchie; ohne Zweifel hat das Vertrauen, das Sie mit Neht dem Herrn von Biſchoffswerder bei Ihren Unterredungen ein: geflößt haben, viel zum Gelingen beigetragen und wird biefen Herrn überzeugt haben, daß es, wenn man mit uns ehrlich verhandelt, nur leidlich geringe Schwierigkeiten gibt, daß man aber zu nichts fommen wird, wenn bie Quckhefini oder Jacobi die VBermittelung in Händen haben.” ?) Was dem Kaifer den Vertrag noch ganz bejonders empfahl, enthüllt ein Wort in einem Briefe an Schweiter ChHrijtine: „Ich Ichließe einen Vertrag mit Preußen, Rußland und England, der auf lange Zeit den Ausbruch eines Krieges verhindern und den Fürſtenbund vernidten wird.” °)

Der Vertrag vom 25. Juli wurde denn aud in Preußen mit weit geringerer Befriedigung aufgenommen. Viele jahen in einem Zujammengehen Preußens mit Defterreih unter allen Umijtänden ein Verhängnis; der Staat Friedrichs des Großen, jo befürdteten fie, der natürliche Vertreter des Fortſchritts und der Auf: Härung in Deutihland, werde dadurd zu Schaden fommen. Andere hegten Sorge, daß nun jchon ein Fleiner Funke genügen werde, um ben Krieg mit Frankreich zu entzünden. Auch der freiwillige Verzicht auf die Errungenſchaften des Fürſten— bundes wurde beklagt. Bezeichnend find dafür die Auslaſſungen der VBaterländijchen Chronik Schubarts.”) Bisher fei es Syitem der preußifchen Politik geweſen, in allen Fragen als vollwidhtiger Gegenpart Defterreichs aufzutreten und den Im— perialismus der Habsburger abzuwehren. Jetzt fomme plöglih überrafchende Märe: Aller Zwift der Nebenbubler jol auf ewige Zeiten begraben jein, ihre Eiferſucht fol fih in unverbrühlide Treue wandeln! Die magijche Gewalt des Oberſten Biſchoffswerder habe Wunder vollbracht! „Was feit mehr als fünfzig Sahren in feines Menſchen Herz fam, was Friedrich der Große, der jharfe Seher in die Zufunft, nie ahndete, ift nun feiner Zeitigung ganz nahe, der Bund Preußens mit Defterreih, aljo emwiger Friede in Deutichland!” Freilich fei zweifelhaft, wie lange dieſes „ewig“ Geltung haben werde, „dieje politiſche Emigkeit ift oft von fo furzer Dauer, wie die am Altar geichworene Liebe und Treue der neumodiihen Ehen!” Sa, von einigen zu grübelndem Tiefſinn ge: neigten werde fogar die frage aufgeworfen: Iſt folh ein Bündnis aud dem wahren Heile Deutichlands, der bürgerlihen und Religionsfreiheit zuträglich?

Der Gedanke, daß von der Schlihtung des Habers der zwei mädhtigften Staaten des Reichs die Wiederheritellung der deutjchen Einheit zu erwarten jei, daß nun der deutiche Name wieder zu Ehren fommen könne, gelangt nirgends zum Ausdrud. In den niederen Bevölkerungsſchichten ſchweiften die Blicke über:

') Herrmann, Geſchichte des ruffiihen Staates; Ergängungsband: diplomatiihe Korre: ipondenzen aus der Revolutiongzeit, 38.

2) Beer, 421.

) Wolf, Leopold und Marie Chriftine, 256.

4) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 506, 529, 535.

412 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

haupt nicht über die Grenzen des engeren Baterlandes, die Angehörigen der höheren Stände gefielen jih, wie ſchon dargelegt wurde, in weltbürgerlihem Stolje. „Wenn man überhaupt von dem Deutihen jagen fann, daß er ein Vaterland hat und weiß, was Patriotismus ift,“ fo beginnt im Braunſchweigi— ſchen journal eine Abhandlung über die deutjchen Verhältniffe der Gegenmwart.?) Aller Nugen des wunderlichen Bündnifjes werde Deiterreich zufallen, erörterte Schubart in einem weiteren Xeitartifel am 16. Auguft 1791: „Defterreich über alles!” Der unjcheinbare, aber Huge und ehrgeizige Leopold hat die habe: burgiſch-lothringiſchen Erbftaaten auf eine Madtitufe erhoben, die fie bislang nur einmal eingenommen hatten. Die nordiſche Riefin fteht ihm getreu zur Seite, Polen ift ihm zugethan, Baiern iſt ebenfo eng mit ihm verbunden, wie Sadjen, der Britte gibt fich zufrieden, wenn ihm Leopold nicht den Ehrenfig an Bojeidons Seite ftreitig mahen will, nun entjagt auch Preußen der alten Feindſchaft, alles deutet darauf hin, daß Defterreicdy wieder zu jener furdhtbaren Höhe auffteigen wird, die unter Karl V. auf ganz Europa ihre Schatten warf!

Auch im preußiihen Kabinett war von Befriedigung oder Freude über die jüngfte Wendung nicht die Rede. Beſonders Schulenburg war ein Gegner der Verbindung mit Dejterreih. Noh am 16. Juli hatte er Biſchoffswerder vor den Liften und Kniffen des Kaifers gewarnt. „Seien Sie gegen dieſen Fürften auf der Hut. Unter den gemwinnendjten Formen verbirgt er den verichlageniten Charakter von der Welt; er weiß jeinen Machiavell auswendig. Fürdten Sie den Fürften Kaunik weniger, als den Kailer und die Jtaliener, deren er ſich bedient.” Nach Abſchluß der Konvention gab der preußiſche Miniſter offen dem Bedauern Ausdrud, daß ſich der Vertreter Preußens durch Gemährleiftung bes öfterreichiichen Velisitandes eine Schwere Verantwortung aufbürden und mit einem Linfengericht dafür abfinden ließ. Dem Fürften Kaunig war nit unbefannt, dat Schulenburg „nad dem Beiipiel des Hergberg” mit Vergnügen den Bund verhindert oder doch wieder zerjchnitten hätte, „weil nad der Berliner einge: mwurzelten Denkungsart man fi allda zu glauben nicht gewöhnen fann, daß es in der Welt doch irgendwo ehrliche Leute geben fünnte”.*)

Das neue Bündnis erſchien vielen fo unnatürlid, daß fie zur Erklärung auf den Gedanken verfielen, der eigentlihe Zweck fei eine neue Teilung Polens. „Ich höre ein Geflüfter um mich her,” jchrieb ein Berliner Berichterftatter ſchon im Juli 1791 an die Vaterländiſche Ehronif, „als wären Geifterftimmen; ein Geift tritt aus der Wolfe, deutet auf Bohlen und ſpricht: die Könige haben das Meſſer in der Hand, um dich aufs Neue zu ſchälen!“ Dazu fügte Schubart die Bemerkung: „Ih kann die neue Theilung Pohlens nicht glauben, ob fie gleich durch laute und geheime Berichte beitätigt wird; höchſtens könnte es dahin fommen, daß der König von Preußen ohne Schwerdtihlag Danzig und Thorn befäme, zu einiger Entjhädigung der ungeheuren Koiten, die er durch jeine drohende Stellung aufgewandt hat.” °) Zur Entjhädigung, jo glaubte man,

) Wend II, 220. 2) Kaunig an Spielmann, 26. Juli 1701; Bivenot I, 216. 2) Naterl. Chronik, 516.

Die Bereinigung von Ansbach und Baireuth mit Preußen. 413

werde Preußen geichehen lafien, daß Baiern gegen die Niederlande eingetaufcht werde; aus Münden jelbft wollte Schubart fichere Kunde haben, daß an „dieſer für Defterreih jo außerordentlih vorteilhaften und für Deutſchland jo höchſt fritiihen Sache“ unabläffig gearbeitet werbe.!) Auch in Reichstagsfreifen regten fih folde Gerüchte, Graf Görg, der preußiſche Geſandte zu Regensburg, ſowie ein Agent Schulg richteten an das Berliner Kabinett dringliche Mahnung, bei Ratifi- zierung des Wiener Vertrags nachträglich eine Beitimmung über Gemwährleiftung der deutichen Reichöverfaffung einzufügen, denn von Vielen werde befürdtet, daß es bei der Einigung der zwei deutſchen Hauptmächte auf Bergewaltigung ſchwächerer Neichsftände abgefehen fei. Es erging deshalb aus Berlin Weifung in diefem Sinne an Bilchoffswerber.?)

Auch die in aller Stille vollzgogene Bereinigung der fränkiſchen Markgraf: ſchaften Ansbah und Baireuth mit Preußen wurde anfänglih von Manden als Gewaltaft aufgefaßt. Was Hacobi, wie oben erwähnt, als unbegründeten Klatſch bezeichnet hatte, war bereits vollendete Thatjahe. Am 16. Januar 1791 hatten Friedrih Wilhelm II. und Markgraf Karl Alerander einen Vertrag unterzeichnet, wonach die beiden Fürftentümer, die nach Ableben bes finderlofen Markgrafen ohnehin an die königliche Linie der Hohenzollern bätten übergehen müfjen, vom Markgrafen ſchon jegt gegen Zufiherung einer Jahresrente von 300000 Gulden abgetreten werden jollten.

Karl Alerander, der legte Markgraf von Ansbach-Baireuth, der Sohn der Lieblingsihmweiter Friebrihs des Großen, war nichts weniger als ein eifriger Vertreter hohenzollernſcher Hauspolitif; er benützte jeden Anlaß, um feine Selb: ftändigfeit zur Schau zu tragen, und neigte deshalb auch mehr zu Defterreich, als zu Preußen. Das Verhältnis zum Berliner Hofe befjerte fich erit, jeit 1787 Demoijelle Clairon, die ehedem gefeierte Phädra ber Comedie francaise, die 1770 den Markgrafen nad Ansbach begleitet und dann fiebzehn Jahre lang den Pla einer erften Gunftvame behauptet hatte, dur eine Engländerin Lady Eraven, die Dichterin des Schaufpiels Nurjad, verdrängt worden war. Der geiftvollen, Glanz und Abwechslung liebenden Dame behagte es in dem ab: gelegenen fränkiſchen Städtchen nicht lange; fie wollte lieber an der Seite ihres Freundes die europäiihen Hauptſtädte beſuchen oder am brittifchen Hofe eine Nolle fpielen. Deshalb begünftigte fie die Pläne des Berliner Hofes, der, um künftigen Schwierigkeiten vorzubeugen, die Einverleibung der Fürftentümer jchon zu Lebzeiten des Markgrafen zu erreihen wünſchte. Durch den Einfluß der Lady wurde 1790 Karl Auguft Freiherr von Hardenberg, der bisher in braun: fchweigifhen, dann in hannöverſchen Dieniten geitanden hatte, als wirklicher Geheimrat nah Ansbah berufen; die Anregung war von Friedrich Wilhelm ausgegangen, der einen ihm ergebenen, verläjligen Mann in der Umgebung jeines Vetters haben wollte. Während der neue Minifter die Wünſche des Berliner Hofes zu fördern tradhtete, arbeiteten jeine Kollegen, insbeſondere Sedendorff,

1) Baterl, Chronik, 568. *) Preuß. St.⸗Archiv. Vorftellung des Kabinettöminifteriums an den König vom 10. September 1791.

414 Zweites Bud. Dritter Abjchnitt,

rührig gegen die Abtretung, wie fie auch ihren Herrn beftürmten, der ge— planten Ehe mit der Fremden zu entjagen und eine ftandesmäßige Verbindung einzugehen. Auch Demoifelle Clairon, die „mit gebrodhenem Herzen” nad) Paris zurücgefehrt war, beſchwor ihren „heros*, er möge nicht den unauslöjchlichen Shimpf einer Flucht vom Throne auf fih laden. „Einen Thron verlafien, beißt den Beweis liefern, da man unwürdig war, benjelben einzunehmen.“ ?) Um den Markgrafen ſolchen Einflüfen zu entziehen, lub ihn Frievrih Wilhelm nad Neujahr 1791 zu den Faſchingsfeſten am Berliner Hofe ein. Hier gelang es unfchwer, durch Ausfiht auf Verforgung ihrer Kinder die Eraven und dur fie den Markgrafen zu gewinnen: ?) am 16. Januar wurde der erwähnte Vertrag unterzeichnet. Auch die Furcht, daß die Revolution über kurz oder lang wenigitens die Eleinen Throne mwegfegen werbe, joll dazu beigetragen haben, den Marf: grafen für den ihm angejonnenen Verzicht gefügig zu flimmen. Der Abjchied von den Unterthanen fiel ihm nicht Schwer. „Mit feinem brittiichen Herzen,“ verfihert Lady Eraven, und das Wort ift leider auf viele deutſche Fürften thatjächlih anzuwenden, „feiner franzöfiihen Kultur und feiner italienischen Liebe für die ſchönen Künfte fühlte er fih in Deutjchland wie außer feiner Heimat.” ’) Im Sommer 1791 war es, obwohl feine amtliche Befanntmadhung erfolgt war,*) nur noch ein öffentliches Geheimnis, dab der Markgraf, der fi mit Lady Craven nad Oftende begeben hatte,°) nicht mehr nad) Ansbach zurüd: fehren werde. Bald werde fi) der Vorhang aufrollen, heißt es in der Vater: ländiſchen Chronit vom 8. Juli, und ein Prolog werde mit den Worten be— ginnen:

„Ihr Herren in Logen und auf dem Barterre,

Ihr Frauen, vernehmet die neue Märe:

Der Preußentrone Herrlichkeit

Erhöht der Glanz von Anspah und Bayreuth!”

Die Ansbacher, Baireuther und Vogtländer, in einer Zahl von 200000 Köpfen,‘) „ein herrlicher, deutſcher Menſchenſchlag“, feien zwar durch den jähen Wedel etwas überrafcht, aber dadurch getröftet, daß Friedrih Wilhelm allge: mein für einen wohlwollenden Monardhen und Hardenberg für einen guten Minifter gelte. „Die Preußen haben damit einen kräftigen Fuß im Reiche.” Amtlih mahte Markgraf Alerander erft am 2. Dezember 1791 von Bordeaur

i) Julius Meyer, Karl Mlerander, der letzte Markgraf von Ansbach-Baireuth, Demoifelle Hypolite Elairon und Lady Elifa Craven, in Beiträge zur Gefhichte der Ansbadifchen und Baireuthiichen Lande, 200.

?) Damit fteht die Erflärung der Lady Craven, fie habe jede Entſchädigung ihrer Dienste abgelehnt, nicht geradezu im Widerfprud (Dentwürdigkeiten der Markgräfin von Anspach, a. d. Enal., I, 272).

?) Dentwürbigfeiten, II, 355.

) Der Markgraf hatte durch Dekret d. d. Oftende, 9. Juni 1791 nur fund gemadt, daß er „bis zu feiner Rücklehr“ den Freiherrn von Hardenberg mit der Ianbeöherrlihen Gewalt betraut habe (Hardenbergs Leben und Wirken, von F. Arndt, 25).

) Noch im Dftober des nämlihen Jahres fand in Liffabon die Vermählung ftatt.

°) Die Zahl ift zu niedrig gegriffen; die beiden Fürftentümer Hatten auf 160 Quadrat» meilen 385 000 Einwohner,

Die Bereinigung von Ansbach und Baireuth mit Preußen. 415

aus befannt, daß er „leine, wie er ſich ſchmeicheln fönne, nicht ohne Ruhm und Segen geführte Regierung” zu Gunften des nächſten Agnaten niedergelegt habe; und am 5. Januar 1792 wurde der Thronwechſel dur einen Erlaß Friedrich Wilhelms II. feierlih verkündet.) Der Herzog von Württemberg legte Ver: wahrung ein, daß auch von der Herrihaft Weiltingen, in welder ihm jelbft auf Huldigung, Gefeßgebung und Befteuerung Anſpruch zuitehe, für Preußen Befig ergriffen worden ſei; es braden auch Unruhen in der Herrichaft aus, aber Württemberg mußte fih ſchließlich damit zufrieden geben, daß die preußiſche Regierung die eingezogenen Proteftler freigab und, wie der amtliche Erlaß vom 21. März 1792 erklärte, „über die ganze unangenehme Begebenheit einen Vor: hang zog“.“) Preußen hatte nicht bloß zwei fchöne, im Herzen Deutjchlands gelegene Provinzen erworben, jondern aud die Thatjahe, daß Hardenberg Ge— legenheit fand, in jeiner neuen, fat felbitändigen Stellung fein ungewöhnliches Verwaltungstalent zu zeigen, fam dem preußiihen Staate zu gute.

Der Vorſtoß preußiicher Herrfhaft nach dem deutfchen Süden erregte großes Aufjehen. Der ob jeiner Handelihaft vielgetadelte Markgraf wurde von Wedhrlin in einem beachtenswerten Aufjag „Ausfihten ins Anspachiſche“ in Schuß genommen.?) Die Einverleibung der Füritentümer, wird darin ausgeführt, biete dreifahen Vorteil für das Neih, dad Haus Brandenburg und die Fürſten— tümer ſelbſt. Dem Reiche könne es nur förderlid fein, daß durch die Lage ber Fürſtentümer der neue Beliger gleihjam zum natürlihen Schiedsrichter zwijchen Baiern, Böhmen, Sachſen x. gemacht, mithin das Friedensiyftem in Deutjchland befördert jei. Der Vorteil des brandenburgijchen Haufes, das jeinen Staat erweitert, feinen Einfluß geiteigert, feine Einfünfte vermehrt habe, brauche nicht erft erörtert zu werben; gewinne es doch zwei blühende, produftenreiche und der Berbejlerung ungemein fähige Provinzen, und damit nit nur drei neue Stimmen auf dem Reichstag, jondern auch maßgebenden Einfluß in einem zweiten Reichskreiſe; der preußiihe Adler dehne nunmehr feine Fittiche vom farpathiichen Gebirge bis an den Fichtelberg aus. Die Bewohner von Ansbach— Baireuth endlich Fönnten fih zu dem Taufh nur Glück wünſchen. Es ſei Thatſache, daß die brandenburgifchen Unterthanen fih der günftigften Lage erfreuen. In einem größeren Staatsförper gebe e& nicht die in Kleinftaaten mit Juſtiz, Finanzen und Verwaltung verbundenen Pladereien und Nedereien; außerdem werde das kleine Gebiet bei der Bereinigung mit einem größeren dur Ausdehnung feines Marktes, Eröffnung neuer Handelswege und Erleich— terung des Abjates feiner Produkte Gewinn erzielen. Bor allem werde der Weltbürger und Menjchenfreund frohlodend begrüßen, daß der infame Menfchen: handel ein Ende habe. „Von nun an, meine werthen Nahbarn, habt ihr nimmer zu fürdten, daß man euch nad Amerifa oder Sibirien verkauft, um euch für Händel zu verbluten, die euch jo wenig angehen, ald den Mann im Monde.” Da aljo alles zum Vorteil ausgejchlagen habe, verdiene Karl Alerander feinen

) Brunn, Magazin zur näheren Kenntnis des phufiihen und politiihen Zuftandes von Europa, Jahrg. 1792, 189.

2) Schlözers Staatsanzeigen, 17. Bb., 279.

) Weckhrlin, Paragraphe, (1791) IT, 153.

416 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

Tadel. „Was fünnte ein Regent in unjeren Tagen, da das Handwerk jo jauer und jo undantbar geworden ift, da wir e& ben Kronträgern jo ſchwer maden, ruhig zu ſchlafen, was könnte ein mwohlberathener Regent Befleres thun? Oder wäre er nicht ebenjo gut beredtigt, nah Ruhe und Glüd zu fhmadten, wie jeder Privatmann? Er hat feine Pflicht erfüllt, wenn er ein durch feine Re: gierung gefegnetes Land in kluge und wohlthätige Hände übergibt.”

Die erjte Frucht der Ausjöhnung zwiſchen Defterreih und Preußen war der Abichluß der Friedensverhandlungen zu Siſtowa. Am 4. Auguft 1791 wurde der Vertrag von den Vertretern Oeſterreichs, der Pforte und ber ver: mittelnden Mächte des Dreibundes unterzeihnet. Da mehr denn einmal die Beforgnis aufgetaucht war, dab das Werk überhaupt nicht zu ftande fommen werde, berrjchte über das Gelingen aufrichtige Freude. Sogar die Türken wurden dadurch aus der gewohnten Teilnahmlofigkeit aufgerüttelt. Als Kanonen: fhüffe den Abſchluß des Friedens verfündeten, umarmten fi die Turbanträger, wie Lord Keith erzählt, voll feierliher Rührung und würden auch die abend- ländifhen Diplomaten in die Arme geſchloſſen haben, wenn ſich dieje nicht aus Nüdfiht auf die von Salben triefenden Bärte der Kollegen in rejpeftvoller Ent: fernung gehalten hätten.

Natürlich bedeutet der Friedensſchluß für den Botjchafter nur einen Triumph der Ehrlichkeit und der Entſchloſſenheit Alt:Englands; nur durch dieje brittiihen Tugenden ſei erreiht worden, daß das europäifhe Gleichgewicht neugeftärft aus deu Verhandlungen in Siltowa bervorgehe.) Das nämliche PVerdienft nahmen aber auch die preußiihen Diplomatenkreife für fih in An: fprud. „Diejer Friede,“ fchrieben Alvensleben und Schulenburg am 17. Auguft an den König, „it ebenjo ruhmvoll für Em. Majeität, als vorteilhaft für die Pforte und mwohlthätig für die Ruhe Europas und das Glüd der Menichbeit; biejfe That genügt, um das Andenken an Ihre Negierung für alle Ewigkeit zu erhalten!“

In der That konnte der Friede von Siftoma nur als Sieg der Mächte des Dreibunds aufgefaßt werden. Die verbündeten Kaijerhöfe hatten ihr Ziel, die Verdrängung der Türken aus Europa, nicht erreiht; von dem, was feiner: zeit Katharina und Fojeph in Cherjon geplant hatten, war nur weniges zur Aus» führung gelangt. Der Kaifer mußte nad) einem Verluſt von 150000 Dann und einem Aufwand von 200 Millionen Gulden zulafien, daß alles wieder in den Stand gejegt werde, wie es vor ber Ariegserflärung vom 9, Februar 1788 gewejen war; er mußte die fruchtbare Walachei, ja auch Belgrad, deſſen Behauptung ſchon das Andenken an Laubon gefordert hätte, wieder aufgeben. Nur Alt-Orſowa und einige kleine Eroatifhe Grenzorte fielen an Defterreid; das Flüßchen Ezerna follte künftig die Grenzicheide der beiden Reiche bilden. ?) Die hohe Pforte machte fein Hehl daraus, daß fie mit den in Siftowa erlangten Bedingungen zufrieden fei; jeder von den Vertretern der vermittelnden Mächte

', Keith, Memoirs, 471, 472. s 2) Martens, Recueil des principaux traites, V, 18. Geſchichte des öfterr.:ruff.-türf. Krieges in den Jahren 1737—1792 (1792), 234.

Der Streit mit Frankreich über die Nechte der Heichsfürften im Elſaß. 417

erhielt als Gejchent des Dimans 30000 Piafter, ein arabifches Pferd und foft: bares Pelzwerk.

Günftiger als für Defterreih lagen die Verhältniffe für Rußland. Die jüngften Siege der Rufen an der Donau und die Erjtürmung von Anapa hatten bie Türken jo entmutigt, daß Potemkin jogar mit harten Friedens- bedingungen nur auf ſchwachen Widerftand ftieß. Am 11. Auguft wurden die Präliminarien zu Galacz unterzeichnet; Rußland „begnügte ſich“ mit Oczakow und der Dnjeftrgrenze, die übrigen Eroberungen jollten der Pforte zurüdgegeben werden. Damit nicht zufrieden, bot Potemkin alles auf, um den Frieden zu verhindern, allein er ſtarb plöglih am Sumpffieber (15. Dftober 1791). Der Tod des gefürchteten Hetman mwedte bei den Türken Hoffnung, durd eine Fort: fegung des Krieges günftigere Bedingungen zu erlangen, doch General Bes: borodfo betrieb die Verhandlungen jo energiih, daß am 9. Januar 1792 ber förmlihe Abſchluß des Friedens erfolgte.

Inzwiſchen hatten die Beichwerden der im Elſaß begüterten deutſchen Fürften über die Verlegung ihrer Rechte ſowohl die franzöfiihe Nationalver: jammlung, als den beutihen Neichstag beſchäftigt. In Paris wurde von Peyfonnel Schlözer fpottet, der Herr Konful von Smyrna habe fi wohl durch feine jchlechten hiſtoriſchen Schriften einen Sig im Parlament verdient! über die elſäſſiſche Frage Bericht erftattet.?) Natürlih war es für ihn eine feftftehende Thatſache, dab frankreich teils durch Eroberungsrecht, teils durch feierlihe Verzichte des Kaifers und der Neichsftände die volle Souveränität über das ganze Elſaß befite; demgemäß konnte er in den Beſchwerden der deutſchen Fürften nichts anderes als unberechtigte Webergriffe erbliden. Solde An: maßung dürfe aber den Herzogen von Zweibrüden und den anderen Zwing: herren im Eljaß um jo weniger nachgeſehen werden, da fie ihre Unterthanen bisher auf unverantwortlihe Weife ausgefaugt und mißhandelt hätten. Diejen Behauptungen trat der Abgeoronete für Hagenau und Weißenburg, Baron von Ratfamhaufen, entgegen; Peyſonnel habe von den jtaatsrechtlihen Verhält: niſſen im Eljaß ein ganz faljches Bild entworfen, denn nicht „souveraindte*, fondern nur „suprematie* ſei dem König von Frankreich durch die weſtfäliſche Friedensafte und andere Verträge überlafjen; was auf ſolche Weife vom Ober: haupt des Staates feierlih beſchworen worden ſei, bürfe die Nation nicht ein- fach beifeite jchieben, ohne fih an der fides publica zu verfündigen. Die Bedrückung der elſäſſiſchen Unterthanen ſei freilih eine Thatſache, aber die Schuld treife nicht die Fleinen Yandesherren, die aus ihrem Befig noch dieſelben Einkünfte, wie vor Jahrhunderten bezögen, fondern die franzöfifhe Regierung, welde die Abgaben im Eljaß feit hundert Jahren von 300000 auf 6 bis 7000000 Livres hinaufgetrieben habe. Wenn Franfreih nun zu ſolchem Drud aud noch offene Nechtsverlegung füge, jo zwinge es damit den Kaijer, auf Ber: geltung zu finnen. Die Worte des eljäfliihen Edelmannes erregten natürlich nur den Unmut der VBerfammlung; von Eljäfjern und Franzofen wurde die Be:

) Altenftüde zur elfäffifhen Frage in Schlögers Staatsanzeigen, 16. Bb., 199.

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bis zur Auflöfung de deutichen Reichs. 27

418 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt.

hauptung verfohten, daß dem franzöfifhen Wolf das gute Necht zuftehe, ben unerträglihen Zuftänden im Elſaß ein Ziel zu feben.

Dagegen kam der Regensburger Reichstag „nach genauer Prüfung der vorgelegenen Akten und reifer Erwägung aller Umftände” zum Schluß, daß das Vorgehen der Franzofen gegen die in Elſaß-Lothringen begüterten Reichsſtände nur als Rectsverlegung und Friedensbruch aufzufaſſen ſei.) Zwar ſei die Hoffnung auf Widerruf der Fränfenden Verfügungen oder angemeſſene Ent: fhädigung noch nicht aufzugeben, aber freilich müfje „bei der damaligen unfteten Lage der Umftände” dem weiſen Ermejjen bes Königs von Aranfreih anheim— gegeben werben, ob eine nochmalige Verwendung zu Gunften ber deutichen Fürften vorteilhaft erjcheine; im übrigen müſſe dem SKaifer überlaffen werden, zur Verteidigung der Neichsverfaffung und zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung die geeigneten Vorkehrungen zu treffen. „Dem Ausgang der großen Sache”, bemerkte dazu Schlözer, „Sieht jeder, der Gefühl von deutſcher Ehre hat und fi gern im Glauben ftärfen möchte, daß es ein deutſches Kaiferreich gebe, mit Affeft entgegen.” Cine in die nftruftionen mehrerer Reichstagsgefandten aufgenommene Beftimmung, es follte angelichts der Thatjache, daß im öffent: lihen Handel und Wandel zwijhen den Nadhbarftaaten bisher aller Nachteil auf deutjcher Seite geweſen fei, durch Reichsbeſchluß die Einfuhr franzöſiſcher Waren in Deutſchland verboten werden, gelangte nit zur Annahme. Die Gallomanie der Deutihen, klagte Schubart, laſſe fo nüsliche Handelspotitif nit auffommen. „Deutichland it reich genug in fih, hat Yandesprodufte aller Art genug, hat Meifter in allen Künften, Fabrifen und Manufakturen, dennoch greift e& lieber nad) fremdem Dunft, opfert Millionen für Fragen der Mode und der Eitelkeit!” *)

Es fehlte aber auch in Deutichland nit an Stimmen, welde den Fran: zofen Recht gaben oder doch vor unbilliger Aufbaufhung der elſäſſiſchen Frage warnte. Ein XYeitartifel in der Gothaiſchen Zeitung vom 1. Juli 1791 wandte fih mit Schärfe gegen die „landläufige” Auffafiung des Haders mit den meit- lihen Nahbarn. In verjhiedenen deutihen Staaten habe man unbedenklich allerlei Aenderungen am alten Lehensiyitem vorgenommen, man habe Stiite, Klöfter, Kirhen, Majorate, Fideilommifje, Leibeigenichaft, Fronen und Abgaben und bdergleihen aufgehoben; weshalb jollten nun gerade der franzöfiichen Re— gierung ſolche Reformen nicht geitattet jein? Und was im eigenen Haufe er: laubt jei, das könne auch in dem mit allen Souveränitätsredhten an Frankreich abgetretenen Elfaß nicht verwehrt werden. Wenn Joſeph II. die Rechte und

!) Neichdgutachten an Ihro Röm. Kayferl, Majeftät d. d. Regensburg 6. Aug. 1791, die Beichwerden der durd die feit dem Monat Nuguft 1789 ergangenen franzöfiihen Schlüffe in Elfaß:Lothringen und fonften reichsfriedensſchlußwidrig beeinträdtigten Reichsſtände betreffend (Gedr.) Rechtliche Prüfung der unterm 8. und 11. Auguft und 2. November vorigen Jahres von der franzöfifhen Nationalverfammlung erlafjenen Verfügungen in Bezug auf das Elſaß (1790). Die Befigungen, Cinfünfte, freiheiten, Rechte und Prärogative der deutſchen Reihsfürften, Kirchen und Körper im Elſaß, vertheidiget gegen die Beichlüffe der franzöfiihen Nationalverfamm: lung (1790).

) Baterl. Chronif, 511.

Die Emigranten in Deutfhland. 419

Einkünfte der Biihöfe von Regensburg und Paſſau eigenmächtig bejchneiden durfte, ohne daß der Neihstag Einſpruch erhob, warum follte jet das Neid, warum jollten insbejondere die proteftantiihen Neicheftände um der Nechte der geiftlihen Fürſten im Elſaß willen ſich gefährlichen Verwidlungen ausfegen? Denn ſchwere Gefahr jei mit einem Krieg gegen Frankreich verbunden, diefe Gewiß: beit dürfe man nit aus den Augen verlieren. Erft unlängst bei dem Ein— ſchreiten deutſcher Reichs- und Kriegsvölfer gegen die aufftändifchen Lütticher fei die Untauglichkeit der deutſchen Wehrverfaffung auf befhämende Weife zu Tage getreten. Allein aud zugegeben, das Reid wäre im ftande, fich mit Frankreich zu meijen: weshalb jollte man Elſaß und Lothringen zurüderobern? etwa um die ohnehin Schon furchtbare Uebermacht des habsburgiſch-lothringiſchen Haujes dur neuen Zuwachs zu fteigern? Uebrigens werde es fi auch der Kaiſer zweimal überlegen, mit Frankreich anzubinden, denn ein neuer Aufftand in den Niederlanden würde nicht ausbleiben. Dann würden wohl auch deutihe Yande in die Empörung bineingerifien werben, wie feinerzeit die Franzofen durch die amerifanifhen und holländiihen Händel angeitedt worden feien. Hoffentlich werde es zwiſchen Franfreih und Deutichland nur zu harmlojem Schriften-, nicht zum Kugelwechſel kommen; deshalb müfje der gefährlichite Brandftoff entfernt, müjje endlich dem frieobrüchigen Treiben der franzöfifhen Emigranten auf deutijhem Boden ein Ziel geſetzt werben. ')

Man braucht nicht alle von dem Abenteurer Zaudhardt über das Treiben der Emigranten am Rhein zum beften gegebenen Anekdoten“) für bare Münze zu nehmen, allein thatjähli hatte fich die Ueberfüllung der Rheinlande, ins: bejondere der erzitiftiichen Gebiete mit franzöfifhen Flüchtlingen zur ärgerlichen Landplage ausgewahjen.?) Die deutſchen Fürften hatten, als nad) dem Baftille: ſturm die Auswanderung der Prinzen und Edelleute begann, eine Ehrenpflicht darin erblidt, ihre Standesgenoſſen gaftlih aufzunehmen. Mande gingen aber in der Nüdfichtnahme gegen die jelbitfüchtigen Grandjeigneurs, die in der Ge: fahr ihren König verlaffen hatten und die Wiederberftellung ihrer Standes: vorrechte immer höher ftellten, als die Rettung des Monarden, viel zu weit. Namentlih der Kurfürft von Mainz, von feinem Kanzler Baron Albini bejtärkt, gefiel fih in der Nolle eines Schugherrn der Emigranten; dem Prinzen von Condé wurde das Schloß in Worms eingeräumt; die täglich wachſende Schar von Evelleuten wurde in den erzitiftiihen Schlöffern und Städten mit ebenjo viel Ehrerbietigkeit wie Freigebigfeit behandelt. Ein namhafter Teil der Schüß: linge erwies fih wenig dankbar; fie benahmen ſich nicht wie Gäfte, ſondern wie die Herren des Landes; rafch war das Menetefel der Revolution vergeſſen, und am Hofe eines deutichen, eines geiftlihen Fürften lebte die Sittenlofigfeit von Verjailles wieder auf. „Am Hofe Erthals ging es hoch her,” erzählt der Emi:

!) Staatsanzeigen, 236.

?) Laudhardt, Leben und Schidjale, III, 29. Nach einer Angabe aus Koblenz hätte fih die Zahl der ausgewanderten Edelleute am 4. Oftober 1791 auf 42687 belaufen (Bolit. Sournal, Jahre. 1791, II, 1091).

») A. Sorel, L’Europe et la r&volution Francaise, II, 165.

420 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt,

grant Baron d'Escars, „ih war täglich mittags und abends zu Tiſch geladen, nicht bloß zu den großen Feitihmäufen, fondern auch in den vertrauteften Kreis des Kurfürften zu Frau v. F. und Frau v. E., die man in Mainz im lüfter: ton die zwei Minifter des Fürften nannte.” Nicht weniger eifrig nahm ſich Kurfürft Clemens Wenzeslaus von Trier der überrheiniihen Gäfte an. Koblenz wurde förmlich der Mittelpunkt der franzöfiihen Royaliſten, die von hier aus die Gegenrevolution aufrollen und das alte Regiment wieder aufridhten wollten. ') „Diejer bifhöfliche Hof,” jchreibt Frau von Naigecourt im Januar 1791, „ift jest ſtark in der Mode, er vereinigt die beite Gefellihaft Frankreichs.” Hier gab es nicht bloß täglich Galatafel und Konzert, hier wurden von den Führern der legitimiftiijhen Bewegung mit und ohne Beiziehung des Kurfürften und jeiner Minifter Beratungen gepflogen, von hier aus gingen Bertrauensmänner an bie europäifhen Höfe, von bier aus erließen die Prinzen in jenen Tagen, ba bas Leben des unglüdlihen Königs aufs äußerfte gefährdet war, geharnifchte Pro: tefte gegen jede Nachgiebigfeit des Königs mit der hochmütigen Begründung: Höher ala die Perfon Ludwigs fteht der Thron der Bourbons, ihn rein zu halten von verbrederiihen Zugeftändnifjen an die Revolution ift die erite Pflicht eines fönigstreuen Aranzojen!

Nah mehr als einer Richtung verdient ein Brief eines „durd Stand und Gefchäfte reipeftablen” Franzofen aus Koblenz an das Hamburger politische Hournal?) Beadhtung. Der Herausgeber der Zeitung wird beglüdwünfht, daß er eine fländige Aufſchrift „Auswärtiges Frankreich” eingeführt habe. „Der Ausbrud hat hier viel Vergnügen gemadt, er iſt fo wahr als glücklich gewählt. Wer noch an einem auswärtigen Frankreich zweifeln will, der fomme hierher; er wird hier eine Cour de France finden, wie fie fonft in Berjailles war und jegt bier ift.” „Die Liebe und Ergebenheit gegen die Prinzen ift ein ge: meinjchaftliher Enthufiasmus aller Franzofen, die den Wert diefes Namens fühlen, ihr Vaterland lieben und ihre echte, wahre Konftitution ehren.” Wenn der König zu Zugeftändnifien an die herrichende, araufame und ungeredhte Faktion gezwungen werde, jo fönnten biejelben für das ausmärtige Frankreich nicht Geltung haben. „Kann der franzöfifhe Monarch, felbft wenn er es wollte, ſolche Dekrete janktionieren, bie jeine erften und heiligiten Eide verlegen, die geheiligteiten Verpflichtungen, welde er jo vielen Provinzen, Ständen und feinem Throne ſchuldig ift, vernichten?“

Die deutfhen Bürger hatten anfänglich ihr Wohlgefallen an der Maſſen— einwanderung in ihre Städte. Man hatte Mitleid mit dem Schidjal der vor: nehmen Familien, die in der Fremde eine Zufludt ſuchen mußten; dazu fam die ben Deutichen angeborene Ehrerbietung vor allem Ausländiſchen; nicht wenig trugen auch Geihäftsrüdfichten zur freundlichen Stimmung gegen die Fremden bei, d. 5. jolange diefe über volle Kaflen zu verfügen hatten; freilich wurde wieder von anderen die durch die Meberfüllung der Städte verſchuldete Erhöhung der Wohnungs: und Lebensmittelpreife beflagt. „Man jah das bunte Getümmel

) E. Daudet, Histoire de l’&migration 1739—1798, III, Coblentz. _ 2) Polit. Journal, Jahre. 1791, II, 1021.

Die Emigranten in Deutfchland. 421

der NAusgewanderten,” erzählt Iffland, der Yeiter der Mannheimer Hofbühne, „ihre charakteriſtiſchen Eigenheiten, ihre Thorheiten, freute fih des intereflanten Umganges mit einigen gebildeten Männern, man lebte ganz angenehm in bem Duoblibet, das jeden Tag eine andere Geftalt annahm; die Verwidlungen, der Blutlampf, der daraus entftehen, unjeren und jeden Frieden fo graujam zer: reißen follte, ahndeten wir nicht.” ') „Alles wimmelt hier von Franzofen zwiichen Mainz und Koblenz,“ Hagte Foriter, „der ganze Rheingau ift davon gepfropft vol; alle Wirtshäufer find angefüllt und folglich den Mainzern jebe Luftbarkeit dahin unmöglich gemadt. Das wäre noch zu ertragen, allein jie vertheuern uns alles; alles koſtet doppelt fo viel als fonft, und das junge Gemüfe, worauf man fih den ganzen Winter vertröftete, it gar nicht zu haben, weil bie reichen Familien ed & tout prix wegfaufen.”?) Allein die Scene wechſelte; bald waren die meiften Emigranten aller Mittel entblößt, und ber Kredit verringerte fich im gleihen Maße, als die Ausfiht auf die Zurüderlangung ber Familiengüter dahin: ſchwand. Nichtsdeftomeniger gefielen fih mande Windbeutel, die ihren Unter: halt nur durch die Großmut deutſcher Fürften beftritten, in dünkelhafter Gering- ſchätzung der Deutſchen. Sie gerubten, bei diefen Philiftern zu wohnen, aud) wohl ihre Börfen anzunehmen, aber im übrigen fuchten fie die „plumpen Ge: fellen”“ nad Kräften fih vom Leibe zu halten, und es erregte nur ihre Spott: luft, wenn die Barbaren fi mit ihnen auf gleihe Stufe ftellen wollten. „Das war in Frankreich,“ jagt Albert Sorel, „das klaſſiſche Syftem, mit den guten Deutjchen umzugehen, und es war in gleicher Weile Haffiiher Brauch bei den ‚guten Deutſchen‘, daß durch den Stadel ſolche Spöttereien ber ererbte Haß gegen die Franzoſen wieder aufgewedt wurde.“ Bald erlofch auch das legte Mitleid mit Leuten, die ihr Mißgeſchick mit fo wenig Würde trugen, nur durch Hoffart ihre Armut weit zu machen ſuchten und feine Rüdfiht auf ihre Wirte kannten. Der ruhige Bürger aus der Pfaffengaſſe des Reiches fing an, zu be: greifen, daß die furchtbare Ummälzung im Nachbarlande doch nicht fo ganz un— begründet und unberechtigt gewejen war; das unwürdige Schaufpiel, das die Emigranten boten, erklärte den Deutſchen die Revolution beſſer, als es alle Schriften und Agenten der Propaganda erklären konnten.

Ein Beriht aus Karlsruhe in der Berliniihen Monatsjchrift (15. April 1791) ſchildert draftiih das Schmarogerunmweien am marfgräflihen Hofe. °) Niemand werde den deutichen Fürften verübeln, wenn fie als gaftfreie Wirte fi zeigen wollten, aber der Ueberſchwang verdiene ernite Rüge. Der deutjche Mann werde mißadhtet, wenn er nicht Stammbaum und Ahnen aufzumeijen babe; dagegen genüge die Thatiahe, dab jemand außerhalb der Reichsgrenzen geboren fei, um ihm an deutichen Höfen eine ehrenvolle Aufnahme zu fichern. Um den Schwarm diefer feinen Herren und Damen jtandesgemäß zu unter: balten, werde ein Aufwand gemacht, der den Unmut der hartbedrängten Steuer: zahler nur allzu berechtigt erfcheinen laſſe. Und zu allem übrigen Echaden werde

’, Jffland, Meine theatralifhe Laufbahn; Dramat. Werke, I, 197. 2) Klein, ©, Forfter in Mainz 1788—17983, 192. 2) Berlinifhe Monatsſchrift, 17. Bb., 562.

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zulegt noch der Krieg kommen, denn wer fünnte es den gegenwärtigen Gewalt: babern in Frankreich verdenfen, wenn fie endlih einmal daran gingen, bie Neſter ihrer gefährlichiten Feinde unmittelbar an den Grenzen auszunehmen?

Ebenjo bittere Klagen famen aus Koblenz. Ein unparteiiicher Beobachter, der bairiſche Kriegsrat Lipowsky, glaubte fih, als er in bie erzbiichöfliche Refidenz kam, in eine franzöfifche Stadt verfegt, denn jeder, der das zügelloje Treiben der Emigranten fehe, mülle in biefen Uebermütigen die Herren und Eigentümer erbliden, die den guten Erzbiſchof als Gaft in ihrer Mitte duldeten.‘) Während feines Aufenthalts wurde zu Ehren ber Weberführung des heiligen Banners, der Driflamme, ins prinzlihe Lager die Oper „Richard Löwenherz” zur Aufführung gebradht. Die Arie des Blondel: „O Richard, o mon roi!* erregte bei den franzöfiihen Kavalieren jo ftürmifche Begeiſte— rung, daß fie auf die Bühne fletterten, das Bretterichloß, in dem König Kihard gefangen ſaß, zertrümmerten und den Befreiten famt feinem getreuen Diener im Triumph dur das Haus trugen, womit die Aufführung ihr Ende fand. ?)

Doch die loyalen Schwärmer übten gar wenig Rückſicht auf ihren eigenen König. „Dieje Partei,” meinte ſchon Mirabeau, „zählt eine Menge Leute, welche die Rüdfehr zum alten Syftem gern um den Preis des Lebens des Königs erfauft hätten.” ?) Sie verfpotteten die Shwähe Yubwigs, fie nannten die Zugeftändnifie, bie er wohl oder übel den Volfsvertretern einräumen mußte, einen Verrat an ben Königspflichten, fie hegten vor dem Oberhaupte ihres Vaterlandes im Grunde nicht mehr Achtung, als die Volksverführer in Paris. Noch ſchlimmer wurde der Königin mitgefpielt. Den vornehmiten Teil der Emigranten bildeten ja bie nämlichen 2eute, die jehon in den Tagen des Glüds fürmlih ein Gewerbe daraus gemacht hatten, die verhaßte „Oeſterreicherin“ zu verleumden und mittelft zotiger Anekdoten und Stadhelverje in den Schmutz zu ziehen. Sept befchuldigten fie die hohe Frau, daß jie durch Verhandlungen mit Mirabeau und Barnave und anderen Revolutionsmännern die Würde des Lilienthrones verlegte. „Was hat nur euch Franzoſen meine arme Schweiter gethan,” fragte Erzherzogin Chriftine einen Emigranten in Brüjiel, „daß auf fie fogar in meinem Park und an allen öffentlichen Gebäuden beihimpfende Jnichriften angebracht werden?" Wie auch im übrigen die Anjhauungen in den Kreifen des hohen Adels auseinander gehen mochten, in einem Punkte waren fie einig; es galt ihnen als jelbftverftändlich, daß die Fürften und Völker Europas feine wichtigere Pflicht hätten, als ihnen bie Verbannung jo erträglih wie möglich zu madhen und fo rajch wie möglich zur Rückkehr zu verhelfen. Perfönliher Vorteil dürfe nit in Betracht kommen gegen das gemeinjame Intereſſe aller Staaten, und nur niedrig Gefinnte könnten

') Züge aus dem Leben ꝛc. Lipowskys; Oberbair. Archiv, 12. Bd.. 98.

2) Zu ähnlichen Scenen fam es bei einer Aufführung bed Richard Lömenherz in Mann: heim bald nad dem mißglüdten Fluchtverſuch des König Ludwigs XVI. Die Borgänge auf der Bühne, fo erzählt Jifland, riefen im Zufchauerraum bald mwilbes Gejchrei, bald lautes Schluchzen wach; bei der Befreiung Richards ftien alles auf Stühle und Bänke, die Offiziere zogen ihre Degen, ber Nuf „Aux armes!* im Parkett übertönte den Lärm auf der Bühne. Yffland I, 201.

°) Correspondance entre le comte de Mirabeau et le comte de la Marck, III, 155.

Die Emigranten in Deutichland. 423

auf den Gebanken fommen, im gegenwärtigen Augenblid an Frankreich, weil es die Schwähe des deutihen Reiches jo oft und fo graufam ausgenügt habe, Vergeltung zu üben! Europa dürfe dieſe Forderung fehrte in allen Ton arten wieder nicht eher ruhen, als bis die Revolution niedergeichlagen, bis die alte Verfaſſung des vornehmjten Reiches der Chriftenheit wieder hergeftellt wäre! Den Kern, die Ehrengarde der internationalen Hülfstruppen follte eine Armee bilden, welche der Prinz von Condé teils durch freimillige Teilnahme der ausgewanderten Franzoſen, teils durch Werbung auf deutihem Boden zu fammeln trachtete. Freilich war zu erwarten, daß die franzöfifche Regierung die jtändige Bedrohung der Grenzen auf die Dauer nicht dulden und auf ſolche Weije das Neih in Krieg verwidelt werde, aber das wollten gerade bie Führer der Emigranten. Die Kurfürften von Mainz und Trier felbft und einige weltliche Neichsftände leifteten dem Unternehmen Vorſchub, während andere die damit verbundene Gefahr erfannten. Marimilian Franz von Köln erteilte den Magiftraten von Andernad und Ahrweiler ſtrenge Rüge, weil biefelben, „ohne die widrigen Folgen diefer Vermiſchung franzöfiihen Leichtſinns mit unferer biederen deutſchen Charafterfeftigfeit jowohl im Phyfiihen ala im Moralifchen einzufehen, von den mißlichen politiihen Folgen gar nit zu Sprechen“, Werbungen und Maffenübungen gebuldet hatten; in feiner Gemeinde des Erzitiftes follten mehr als 20—30 Emigranten geduldet werden. !)

Niemand urteilte über das Treiben der Emigranten nüchterner und ftrenger, als Kaifer Leopold. „Das fchwerjte ift,“ fchrieb er am 31. Januar 1791 an Ehriftine, „die Prinzen und die Emigranten im Zaum zu halten und zu be— friedigen. Sie denfen immer nur an ihre eigene Sade, fie wollen nur für ſich Geld und Autorität haben, um den König befümmern fie fih wenig. Sie thun nichts, als ich beflagen und über mich, über Sie, über alle, die nicht blind: lings ihre Pläne unterftügen wollen, die niederträdtigften Dinge jehreiben und druden. Ich glaube, dag mein Betragen gegen fie vollkommen den Grund: lägen der Mäßigung und Gerechtigkeit entipricht. ch habe darauf beitanden, daß fie die Waffen niederlegen, um den Kurfürften von Trier aus ber jchwierigen Lage, in bie fie ihn verftridten, wieder zu befreien und Deutſchland vor einem franzöfifhen Angriff zu bewahren, ehe es gerüftet und das europäiſche Konzert zufammengetreten wäre. Ich habe ihnen in Oberöfterreih ein Ajyl angeboten und habe den König von Preußen bewogen, ihnen ein ähnliches Anerbieten zu machen, ebenjo auch den Landgrafen von Helfen, aber ihre jonftigen Wünſche vermag ich nicht zu befriedigen, und ich geftehe, daß ich mit ihrer verlogenen und verleumbderijhen Umgebung nichts zu thun haben will, daß ih auch ohne den Beitritt der anderen Höfe durchaus nicht vorgehen will, daß ich allein mich nicht in einen gefährlichen Krieg mit Frankreich einlafjen werde, ohne zu wiſſen, was die anderen thun und welche Abſichten Rußland gegen Polen im Schilde führt.”

Im Dezember 1790 jandte der Graf von Artois, der fi als Herren über „Frankreich im Ausland” fühlte, einen Vertrauensmann, Baron d’Escars, nad Wien, um den Raifer für die Gegenrevolution zu interejfieren, allein Leopold

4 Schlögerd Staatdanzeigen, 17. Bd., 289.

424 Zweites Bud. Dritter Abichnitt.

lehnte jede Unterhandlung ab. Nichtsdefloweniger fuhr Artois fort, fih an ben Kaijer heranzudrängen. Herr von Galonne, der „große Calonne”, ging nad Wien, um den Kaifer für eine Unterrebung mit dem Prinzen günftig zu ftimmen. Da jedoch der Brief Calonnes, wodurd er feinem Gönner anzeigte, daß er bie Reife angetreten habe, in das „Ichwarze Kabinett” in Wien gelangte, erfuhr Leopold vorzeitig, welch unwillkommenen Gaft er zu erwarten habe. Nun follte ihm Kaunitz den Läftigen vom Halſe ſchaffen. „Unter allen Umftänden muß der Graf von Artois verhindert werden, hierher zu kommen, Sie fennen bejier, als ich, die Gründe! Naten Sie mir, ich flehe Sie an, wie es fih am leichteften und gründlichiten machen läßt, ein für allemal fich loszukuppeln von diefen franzöfifchen Flunfereien, die nur jchlimme Folgen haben fünnen, zumal fie für die Königin zu nichts Gutem führen und nad) den legten Erklärungen des Königs und der Königin durhaus nicht geduldet werden dürfen.” ?) Es lie fih aber nicht verhindern, daß Calonne nah Wien fam und dem Kaifer einen Brief des Prinzen mit der Bitte um Gewährung einer Unterrebung übermittelte. Die Antwort Leopolds war eine ſchroffe Ablehnung „aus politiihen Gründen von ber größten Wichtigkeit ſowohl für den Kaijer, als für den König und bie Königin von Frankreich“. Umſonſt verwahrte fi Artois „in jchmerzliher Be: wegung” geaen das beleidigende Miftrauen, das ihm die Zurüdhaltung des Kaijers enthülle;?) auch dieſer Angriff wurde abgeihlagen. „Ich habe ja doch,” fagte Leopold zu Kaunig, „Ichon ben Grafen d'Escars aufs bünbdigfte über den Sinn meines Briefes aufgeklärt, daß ih mid nämlich ein für allemal nit in feine Pläne und Anſchläge hineinziehen laffen will!” Da in diefen Tagen die Flucht ber föniglihen Familie aus Paris beſchloſſen wurde, ſchien es noch bringlidher geboten, vor den unvorfichtigen Streichen der Emigranten auf der Hut zu fein.°)

Als aber trog alles Abwinkens der Graf von Artois am 18. Mai in Mantua bei dem Kaijer fich einfand, konnte fich diefer einer mündliden Er: örterung ber brennenden Frage nicht entziehen. Er benüßte aber auch, wie er an Marie Antoinette jchrieb, die günftige Gelegenheit, dem Prinzen feine roman haften Pläne nad Kräften auszureben.*) Als Artois auseinanderjegte, es jei feine Zeit mehr zu verlieren, er wolle unverzüglich alle Franzojen in Stalien um fih jcharen und den Kampf für die föniglihe Sadhe eröffnen, bämpfte 2eopold die Glut mit altem Waflerftrafl. Er werde feinen Finger rühren, erflärte er, folange nicht der König und die Königin außerhalb Paris in Sicher: heit wären und fich jelbft an die befreundeten Fürften um Hülfe wenden würden; dann erit, und wenn ihm von England und Preußen feine Schwierigkeiten in den Weg gelegt würden, wolle er mit Spanien und Sardinien und anderen Regierungen ins Benehmen treten, um die Wieberaufrihtung des franzöfiichen Thrones zu betreiben.°) Bis dahin möchten die Emigranten und vor allen

) Beer, Joſeph II., Leopold 11, und Kaunik, 384.

?) Feuillet de Conches, Louis XVI., Marie Antoinette et Madame Elisabeth, ], 441. ) Lenz, 26.

Arneth, Marie Antoinette, 177.

°) Leopold an Kaunik, Mantua, 20. Dat 1791; Beer, 404.

Zeopolb II, und bie franzöfifche Revolution. 425

der Graf von Artois jich hüten, durch unvorſichtige Streidhe die königliche und ihre eigene Sache zu gefährden. „Der Prinz ſchien mir dazu auch den beften Willen zu haben und durd meine Gründe überzeugt zu fein, aber die Yeute in feiner Umgebung ftadheln ihn immer auf.” Das Mißlingen des Fluchtverfudhs der föniglihen Familie legte dem Kaijer die Verpflichtung auf, ernitere Maß: nahmen ins Auge zu fallen, um feine Schweiter aus unmürbiger Lage zu be: freien; mit den Emigranten wollte er aber troßdem nicht gemeinfame Sade madhen. Am nämliden Tage, da er die Einladung zu gemeinjamen Schritten gegen bie Nationalverjammlung an die europäifchen Mächte ergehen ließ, jchrieb er an die Statthalterin von Belgien und an den Kurfürften von Trier, fie möchten um jeden Preis den Prinzen von Condé und jeine Leute von thörichtem Losſchlagen zurüdhalten. „Sie fönnten, ohne daß irgend ein Vorteil davon zu erwarten wäre, nur recht großes Unheil anrichten, wenn fie nicht abwarten, bis die mädhtigeren Fürften zu Hülfe fommen.” ') Noch deutlicher ſprach ſich Leopold gegenüber dem Kurfürften von Köln über feine Auffafjung der Lage aus (29. Juli): „Ich beflage die franzöfiihen Prinzen und Flüchtlinge von ganzem Herzen, aber ih beffage no mehr den König und die Königin; fie müſſen gejhügt und zugleih muß verhindert werben, daß ſich das franzöſiſche Syitem befeftige und ausbreite und auch in anderen Staaten Wurzel falle. Bon dieſer Notwendig: feit bin ich überzeugt, allein um etwas Eripriefliches auszurichten, barf man nicht bloß den von Zorn und Haß eingegebenen Anjchlägen der Prinzen und, wenn ich jo jagen darf, der unbejonnenen, von Gelomangel bebrängten Thoren in ihrer Umgebung Folge leiften, fondern man muß nad) einem von den mäch— tigften Höfen gebilligten Plane vorgehen; unferen Borjtellungen und Forderungen ſoll die Ausjiht auf thatkfräftiges Auftreten mit den Waffen Nachdruck geben, aber e8 muß dafür gejorgt fein, daß man für den Fall, daß die Drohungen wirkungslos bleiben, auch jofort in Aktion treten kann.”

Man fieht, Yeopold wollte etwas thun zum Schutze jeiner Schweiter und zur Abwehr der revolutionären Propaganda, aber jeine vorfihtige Zurüd: haltung wollte er deshalb nicht aufgeben. ?) Ein „Konzert” der europäifchen Mächte zuftande zu bringen, war ja nichts weniger als eine leichte Sache.

Mit Preußen waren durch die von Biichoffswerder und Kaunig unter: zeichneten Präliminarien Frieden und Freundſchaft angebahnt, aber ſchon im nächſten Augenblid war das Verföhnungswerk wieder ernftlih bedroft. Als Friedrich Wilhelm Befehl erteilte, ihm die Reinfchrift des Bundesvertrags zur Unterzeihnung vorzulegen, gaben die Minifter zugleich eine Beſchwerde über die

', Bivenot, I, 545.

2) Vermutlich aus Emigrantenkreifen ftammt das im Sommer 1791 aufgetauchte Gerücht, Kaifer Leopold habe während feines Aufenthalts in Benedig zur Herzogin von Bolignac ges äußert, er werde, wenn fich die Nationalverfammlung irgend eine neue Gemwaltthat gegen feine Schwefter erlauben follte, die Stadt Paris in einen Aſchenhaufen verwandeln. Wedherlin wies die Fabel als unverfchämte Beleidigung des Kaijers zurüd, denn Leopold fei weder ein fo lädherlicher Bramarbas, dat er die Leute hängen wolle, ehe er fie habe, noch ein jo ungerechter Richter, daß er für die Schuld der Nationalverfammlung das ſchuldloſe Volk büßen liche (Baragrapbe II, 253).

426 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

jüngften Wiener Abmahungen zu den Akten. Biſchoffswerder habe in mehreren Punkten feine Inftruftion überfhritten, und insbefondere durch „den bie gegen feitige Hülfe gegen die inneren Revolutionen betreffenden Artikel, wozu er nicht ermächtigt geweſen ſei“, Preußen eine ſchwere Verantwortung auferlegt.!) Auch der Vorichlag des Faiferlihen Kabinetts, an die ſranzöſiſche Nationalverfamm: lung eine Mahnung zu rihten, fand in Berlin fühle Aufnahme. Das Minis fterium ſprach fi in zwei an den König gerichteten Gutachten mit aller Ent: jhiedenheit dahin aus, daß eine Ausdehnung der Revolution auf preußiiches Staatsgebiet als völlig ausgeſchloſſen gelten könne. Dieſe Anficht teilte auch der franzöfifhe Gejandte in Berlin. „Wie es fcheint,” berichtete er am 2. Auguft, „it bei der preußifchen Regierung bisher noch feine Furcht aufgetaudt, daß die franzöfiiche Revolution auch die preußiichen Staaten aniteden könnte. In ber That, wenn man auf alle Neuerungen verzichtet, wenn die Grundfteuern feit Aufitelung der älteften Katafter unverändert geblieben find, wenn die Nedhts: pflege vortrfflih geordnet ift, wenn die Einnahmen des Staates die Ausgaben derart überfteigen, daß fie die Unterhaltung einer Hülfsreferve ermöglichen, end: lih, wenn man über eine in jeder Weiſe zuchtgewohnte Armee verfügt, braucht man eine Revolution nicht zu fürchten, zumal wenn es ſich um ein Volk handelt, deſſen Charakter eher alles andere ift, als wanfelmütig und unbeftändig.“ ?) Demgemäß wurde Jacobi angewiejen, feiner Maßregel, die als Herausforderung der franzöfifhen Regierung ausgelegt werden könnte, zuzuftimmen. Mit Vor: ftelungen ſei nichts gedient, wenn nicht erforberlihen Falles fofort mit be- waffneter Hand der gehörige Nahdrud geübt werde; von dieſem wichtigiten Punkte aber jei bisher noch gar nicht die Rede gemwejen; der Abbruch aller Ver: bindung mit Frankreich werde ſich ſchwer durchführen laffen und von ben Unter— tbanen der verbündeten Mächte peinlih empfunden werden; vor allem fomme es auch darauf an, welde Stellung Großbritannien in diejer Frage einnehmen werde.?) In einer geheim zu baltenden Beilage der Depeihe war noch ein anderes Hindernis hervorgehoben: Was foll, wenn den Waffen der Verbündeten der Gieg zu teil wird, mit Elſaß und Lothringen geihehen? Soll Preußen fo beträchtliche Gebiete wieder unter Defterreihs Scepter fommen laſſen? Auf feinen Fall ohne genügende Erfagentihädigung! Jedenfalls muß aljo der Wiener Hof, ehe die preußifhe Regierung fih auf weiteres Entgegenkommen einlafjen fann, über diefen Punkt eine beruhigende Erklärung abgeben.

Kaunig war über das „jo unhöfliche, wie unfreundlice” Zurüdweichen bes preußiſchen Kabinetts jehr aufgebradt. Es fei eine Kränfung für Kaiſerliche Maiorität, jchrieb er am 14. Auguft an Spielmann, dab die von Bijchoffs- werder unterzeichneten Artifel noch immer nicht ratifiziert jeien; er könne fid feine andere Urſache ausdenten, als daf in Berlin neue Bedenken aufgetaucht feien, ob man der Feindihaft gegen Oeſterreich fih aufrichtig entſchlagen fol. Unter dieſen Umſtänden bleibe nichts anderes übrig, als ebenfalls die Rati—

) Herrmann, Geidichte des ruffifhen Staates, Ergänzungsband, 42. 2) A. Sorel, II, 240. 3) Preuß. St.⸗Archiv. Erlak an Jacobi von 28. Juli 1791.

Frankreich und bie europäifchen Mächte. 427

fifation aufzuſchieben und dazu eine Erklärung abzugeben, daß Defterreih dem Bündnis nicht eher beitreten werde, bis Preußen dem ärgerlihen Trugbündnifje mit der Pforte förmlich und feierlich entjagt haben werde.!) Zugleich richtete Kaunig an Biichoffswerder dringliche Mahnung, er möge doch fein fegensreiches Werk nit, faum daß es ins Leben getreten jei, zu Grunde gehen laſſen. „Ihr König hat nad meiner Anfiht durch ben Abſchluß des Bündniſſes eine große politiihe That vollbradht, aber, mein werter Freund, es bleibt ihm noch etwas jehr Wichtiges zu thun; er muß feinen Miniftern und allen jeinen Dienern innerhalb und außerhalb Preußens offen jagen: Der Kaifer ift jegt wirflih mein Bundesgenoſſe und mein perjönlicher Freund; folgerichtig habe ich in ein politiiches Syitem eingelenkt, das zu bem bisher verfolgten in allem den Gegenfaß bildet! Vergeſſen Sie das nicht und beachten Sie e8, wenn Sie mein Wohlgefallen erringen wollen, bei jedem Wort und bei jeder Handlung, denn dieje Gefinnung iſt heute die meine und muß demgemäß von allen meinen Dienern geteilt werden.” ?)

Wenn jchon die preußifhe Antwort in Bezug auf den europätichen Verein troß der freundlichen Worte im Grunde als Ablehnung aufgefaßt werden mußte, °) jo wurde der Vorjchlag des Kaiſers in London noch bündiger zurückgewieſen. „ohne Einwilligung Englands,” ſchrieb Mercy (28. Juli) an Marie Antoinette, „läßt ſich nichts Wirkjames erreihen!” *) Um die wahren Abfichten des Kabinetts von St. James zu erforihen, ging der getreue Mentor der Tochter Maria Therefias jelbft nach London. Bald konnte er nicht mehr daran zweifeln, daß in England fein Menſch daran denke, zur Wiederaufrihtung des franzöfifhen Thrones den Degen zu ziehen. Weshalb gegen das englifche Intereſſe handeln, das doch nichts anderes als die Shwähung Frankreichs erheiihe? Wenn diejer Staat der Anardie an— beimfällt, wird er feine Kolonien nicht mehr behaupten fünnen, und San Domingo und andere Bejigungen werden wie überreife Früchte den Engländern in den Schoß fallen. Weshalb aljo die Neutralität aufgeben, wenn man baraus ben nämlichen Vorteil ziehen fann, wie aus einem glüdlichen Kriege? „Sie kennen die engliſche Geſchichte,“ fagte ein Mitglied des Herrenhaujes zu einem fremden Diplomaten, „ih frage Sie, ob Franfreih in der Zeit unferer Bürgerfriege jemals die Sache des Königtums bei uns unterftüßt hat?” Mercy verlieh London nach furzem Aufenthalt gänzlich entmutigt. Am Vorabend feiner Abreife fagte er zum franzöſiſchen Gejandten Barthelemy: „ch war immer der Meinung, daß England bei allen unglüdlihen Händeln Ihres Vaterlandes die Hand im Spiel hatte; heute bin ich mehr denn je von diejer traurigen Wahrheit über:

1) Bivenot, I, 223.

?) Ebenba, I, 229.

3) „Jene (Aeußerung) Sr.königl. preuß. Majeftät jehe ich im Grunde als beifällig an, jedoch zeiget fich aus legteren und dürfte der erlauchten Beurteilung Euer Gnaben nicht entgehen, daß diefe zwar fehr günftigen Rüdäußerungen dasjenige noch nicht beftätigen, was einige Minifter diefes Hofes im Neiche behaupten, daß nämlich alles nur auf den Ef. Hof anlommt und man fönigl. preußifcherieitS dem biesfeitigen Beifpiel ganz unbedingt zu folgen bereit ſei.“ Kaunitz an ben Kurfürften von Mainz, 18. Augquft 1791. (Bivenot, I, 225.)

J Arneth, Marie Antoinette, 186.

428 Zweite Bud. Dritter Abſchnitt.

zeugt; es ift mir zur Gewißheit geworden, daß England, wenn aud alle anderen Mächte zur MWiederaufrihtung Franfreihs ſich die Hände reihen wollten, fort: fahren wird, die Stüßen des franzöfiichen Thrones zu unterwühlen, um durch deſſen Zuſammenbruch für ſich felbft freie Bahn zur Weltherrichaft zu öffnen.” ') Wirklih gab König Georg dem Kaifer eine ausmweichende Antwort, ?) und feine Minifter lehnten aufs beftimmtefte jede Teilnahme am europäifhen Konzert ab. Durch engliſchen Einfluß wurde auch Spanien, dejien Monarch jchon feine Zus ftimmung erklärt hatte, wieder abjpenftig gemacht. Wie hätte Spanien mit feinen elenden Finanzen, feinem zerrütteten Heerweſen zu entichlojjener Vertei— digung der bourboniſchen Hausintereſſen den Mut finden follen! Leopold jelbft urteilte darüber: „Spanien ift durchaus nicht übel gefinnt, aber es kann bei feinen traurigen Verhältniffen ein für allemal nichts maden!”?) Gegen ben Willen oder doch ohne wohlmollende Unterjtüßung Englands fonnte Spanien fhon gar nit an Krieg denken, denn es hätte fih damit der Gefahr ausgejegt, feine Kolonien und damit feine ergiebigiten Einnahmen zu verlieren. Zwar wurde dem Grafen von Artois auf fein ftürmijches Andringen ein „Vorſchuß“ bewilligt, aber die an den Pyrenäen zufammengezogenen Truppen löften ſich bald wieder auf. „Dem König von Frankreich wird es nicht ſchwer fallen,” ſchrieb Karl IV. an Guſtav von Schweden (3. Auguft), „ſich durch Verleihung einer Konftitution mit feinem Bolfe wieder auszujöhnen!” *)

Auch auf dem Throne von Neapel ſaß ein Bourbon, Ferdinand IV., ber

Gemahl einer Schweiter Marie Antoinettens, Karoline. Es hatte eine Zeitlang den Anſchein, als jei wenigjtens von dieſer Seite eifrige Mitwirfung an allen Mabnahmen gegen das revolutionäre Frankreich zu erwarten. Um jo mehr über: raſchten in Wien die wenig tröftlihen mündlichen Erläuterungen des neapoli- tanifhen Gefandten zu der Zufage feines königlichen Herrn. Nicht beiler jah es mit der Mitwirkung Sarbiniens aus: in Bezug auf Beſchickung eines Kon: grejies ein lautes Ja, in Bezug auf Bereititelung von Truppen ein bürftig ver: hülltes Nein.) Spielmann mußte endlih dem preußiihen Gejandten das Gejtänbnis maden, dab an thatfräftige Mitwirkung der vom Kaijer aufgeforderten Mächte nicht zu denken ſei. Dann bürfe man aber auch, erklärte Jacobi, nicht leicht: fertig in Paris Lärm Schlagen, denn möglicherweije könnte die Nationalverfamm: lung, dur das Fiasfo der Pläne zu Gunften des Königs ermutigt, eine gegen die Würde der Mächte verftoßende Antwort geben. Der faijerlihe Diplomat mußte dies zugeben, aber, fuhr er fort, wozu brauchen wir die fremden Mächte? Schon die Ausföhnung zwiihen Preußen und Defterreih hat in Paris ftarfen Eindrud gemadt; wenn unfere beiden Höfe eine gemeinfame Erklärung abgeben, fo fann mit Sicherheit auf günftige Wirkung gerechnet werden!

Eine friedlihe VBerftändigung ſchien um fo leichter möglih, da in Frank:

!) Sorel, li, 287.

2) Bivenot, I, 227.

s) Feuillet, IV, 181.

) Fersen, I, 153.

®) Preuß. St.:Arhiv. Beriht Jacobis vom 10. Auguft 1791.

Frankreich und bie europäifchen Mächte. 429

reich jelbft jeit dem mißlungenen Fluchtverfuh eine neue Wendung eingetreten war. Nicht bloß das grimmige Geſchrei der Gafjenhelden unter den Fenftern ber Tuilerien, jondern mehr nod die Erwägung, dab aus längerem Widerftand nur ber verachtete Artois Nugen ziehen werde, hatte in der Königin den Ent: ſchluß gereift, ihrem Gatten die Annahme der Verfajlung zu empfehlen. Frei— li war fie von aufridtigem Anſchluß an das Werk der Revolution weit ent: fernt; fie madte einen Verſuch, die revolutionäre Gewalt, die fie zu breden nicht vermocht hatte und die ihr jegt in einem begabten, ehrerbietigen jungen Manne, wie Antoine Barnave, in minder abjchredender Form entgegentrat, ſich dienftbar zu machen; deshalb gab fie jih den Anſchein, als ſei fie zur konſti— tutionellen dee befehrt worden. „Wenigftens eine Zeitlang,” jchrieb fie an Mercy:Argenteau (31. Juli), „müſſen bie Leute im Glauben gelafjen werden, daß ich ihren Ratſchlägen folgen will.” Eine Zeitlang! Es war ihr alfo nur darum zu thun, Auffhub zu gewinnen, bis von ben befreundeten Höfen ausreichende Hülfe zu erlangen wäre; wirkliches Bertrauen zu den befehrten Safobinern, den Feuillans, hatte fie nicht, im Grunde des Herzens galten aud) fie ihr als eine vilaine race d’hommes.!) Daraus erklärt fih das Janus— antlig in ihren Briefen. In einem Briefe an ihren Bruder Leopold vom 30. Juli gab fie der Genugthuung über den erjehnten „Abſchluß der Revolution” Ausdrud. „Heute find die Umſtände weit hoffnungsvoller. Gerade die Männer von größtem politiihen Einfluß find zufammengetreten und haben fi offen für Erhaltung der Monarhie und des Königs und für Wieberherftellung der Orbnung ausgeiproden. Seit ihrer Annäherung find die Bemühungen der Aufwiegler mit großer Kraftüberlegenheit niedergehalten worden, die Nationalverfammlung hat im ganzen Lande ein Anfehen und eine Feitigfeit gewonnen, die fie allem Anschein nah dazu benügen will, den Gejegen wieder Achtung zu ſchaffen und ber Revolution ein Enbe zu ſetzen!“ Doc dieje Freude war biftiert;*) wie bie Königin wirklich dachte, enthült ein Brief an Mercy vom nächſten Tage. „Ich würde mich erniedrigt fühlen,” ſchrieb fie an Mercy, „wenn ich nicht hoffen fönnte, daß mein Bruder begreifen wird, daß ich in meiner Lage gezwungen bin, alles zu thun und zu jchreiben, was man von mir fordert.“ ®)

Doc) Leopold erfahte gern die Gelegenheit, ſich glimpflih aus dem Handel zu ziehen. In feiner Antwort äußerte er zwar Bedenken, ob von den Männern, die fich zur Miederaufrihtung des Thrones und zur Wieberherftellung der Orb: nung erbötig zeigten, loyale Erfüllung der Zuſage zu erwarten fei, und ftellte für den Fall, daß auch diesmal nur liftige Täufhung beabfichtigt wäre, das Einfchreiten der Fürften Europas in Ausficht, aber fein Mahnwort an die Schweſter lief im Grunde doch nur auf eine Wiederholung ber Forderungen ber Feuillans hinaus. „Will man in Franfreih dem Königtum wieder zu feftem Beitand verhelfen, jo muß der allerchriſtlichſte König freiwillig die Konftitution

!) Zen, 260.

2) Glagau, Die franzöfifche Legislation und der Urfprung ber Revolutionäfriege, 23, hat überzeugend nachgewieſen, daß der Brief vom 30. Juli 1791 von dem Triumvirat Barnave, Duport, Alerander Lameth ohne die Mitwirfung der Fraktion Lafayette abgefaht wurbe.

2) Arneth, Marie Antoinette, 188, 193, 198.

430 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

annehmen; es darf fein Zweifel beftehen über jeine vollfommene Willensfreiheit, und da man daran jo lange zweifeln fann, als feine Entiheidung widrigen Zwifhenfällen und Folgen ausgejegt it, To wird nur die Ausftattung ber Ver— faffung mit den Hauptmerfmalen einer monarchiſchen Regierung genügend bes ruhigen.” Wie ftolz diefe Worte auch klingen mochten, jo enthielten fie doch im Kern den Ratichlag, der König möge, um ſich mit feinen Unterthanen aus zuföhnen, die VBerfafliung annehmen. Am 7. Auguft fagte der Kaifer zum preußi: fhen Gejandten: „Nun, die Herren von der Nationalverjammlung find ja, wie es fcheint, von ihrer eriten Hige zurüdgefommen und wollen der Vernunft wieder Gehör geben; wenn fie in ſolcher Weije fortfahren, wird alles gejagt fein (tout sera dit), und unjere Maßnahmen werben zu ſpät fommen.”!) Bon biefer Auf: fafjung ließ fih der Kaifer weder dur das Drängen der Zarin zu offenem Bruche mit den gefährlichen Feinden des monardifhen Prinzips, noch durch die Kriegsluft König Guftavs abjpenftig machen, denn es war nicht ſchwer zu durch— Ihauen, daß es der Zarin nur darum zu thun war, die deutfhen Mächte im Welten zu befchäftigen, um in Polen freie Hand zu behalten, und der ungeftüme, lärmende Guftav, der immer Guſtav Adolf fpielen wollte, ohne Staat und Heer auf außergewöhnliche Anitrengungen vorbereitet zu haben, war für ben bedächtigen Leopold fein wünſchenswerter Bundesgenoffe.

Es war aljo für den Kaifer eine peinliche Ueberraihung, als gerade in dem Augenblid, da er zur verabrebeten Zuſammenkunft mit dem Könige von Preußen nah Pillnig abreifen wollte, der Graf von Artois ohne Anfrage und Anmeldung in Wien eintraf. Weil angeblih in den Gafthäufern fein paſſendes Quartier zu finden war, flieg der Prinz bei dem fpanifchen Gejandten ab; er führte jih mit den Worten ein: „Ih muß zu Ihnen fommen, da Sie heute der einzige Gejandte des Bourboniſchen Hofes find!” Der franzöfiihe Gejanbte, Marquis von Noailles, wollte dem Prinzen feine Aufwartung maden, wurde aber nit angenommen. ?) Artois hoffte zuverfichtlih, mit feinen Vorftellungen und Wünſchen geneigtes Gehör zu finden, da Defterreih durch den Frieden von Siſtowa den läftigen Feind im Dften abgejchüttelt hatte und auch auf Preußen nicht mehr ängftlich zu bliden brauchte. „Jetzt ift nicht mehr zu bezweifeln,” ſchrieb Polignac nad dem Friedensfhluß an Ferien, „daß wir mit unferen auf MWiederherftellung der Ordnung gerichteten Wünſchen durchdringen werden.“

Was Artois und die Seinen unter „Wiederherftellung der Ordnung in Frankreich” verftanden, wird in einem Emigrantenbriefe aus Koblenz in folgende Punkte zufammengefaßt: Garantie der franzöfiihen Staatsfhulden und der Affignate, Neuberufung der Stände in alter Weife und Ordnung nad Amt: mannjhaften, Wiebereinjegung des Klerus in feine Güter mit Uebernahme ber darauf verjchriebenen Aſſignate, aber unbejchränfter Freiheit, die volljogenen Verkäufe zu beftätigen oder für nichtig zu erklären, Reduktion der allzu großen Pründen, Reform des Klofterwefens, gleiches Recht für alle zur Erlangung öffentlicher Aemter, Entwaffnung der Dorfihaften, Wiederherftelung des Adels,

!) Preuß. St.:Archiv. Bericht Jacobi vom 10. Auguft 1791. 2, Polit. Journal, Jahre. 1791, II, 1009, 1011.

Deiterreih und Preußen. 43V

jedoch ohne Wiedereinführung der Steuerfreiheit, Zufammenbleiben der Stände: verfammlung bis zu vollfommener Kräftigung des Staatsweſens, Anwendung firenger Gewalt gegen alle Widerfpenftigen. !)

Die Ankunft des Grafen von Artois in Wien erregte allgemeines Auf: jehen, weil alle Welt glaubte, es handle fih um eine Berufung des Prinzen zu gemeinjamer Beſprechung eines Einfalls in Frankreich. Auch der preußiiche Gejandte war diejer Anjiht. In Wien herrſche, berichtete er am 20. Auguft, eine merkwürdig gehobene, friegeriihe Stimmung. Man fönne von faiferlichen Generälen hören, mit 40 oder 50000 Mann werde ein leichter Sieg über die disziplinlofen Armeen Franfreihs davonzutragen fein. Da Feldmarihall Lacy den Kaifer nah Pillnig begleiten werde, jei am Ernft der Lage nicht mehr zu zweifeln. Freilich, wie ſei mit dieſem friegeriihen Lärm die Thatſache zu vereinen, daß der Kaifer eine Minderung der Armee um 25000 Mann be: ſchloſſen habe?

Auch im Berliner Kabinett wußte man nicht, was eigentlih von ber Haltung des Kaijers zu denken fei. Einerjeits habe er erklärt, die ganze Sache jei abgethban, wenn der König von Franfreid die Verfaſſung annähme, und an biefer Wendung fei wohl nicht mehr zu zweifeln, andererjeits habe man fihere Kunde, daß der Kaijer mit Kurfürft Karl Theodor wegen des Durch— marſches von 40 000 Mann durch pfalzbairiiches Gebiet in Unterhandlung ftehe. ?)

Sjacobi wurde demgemäß angemwiejen, von Cobenzl ein Wort der Aufklärung zu erbitten, das er „angefichts der freundichaftlihen Beziehungen ber beiden Höfe wohl beanſpruchen könne”; vor allem möge eröffnet werden, was das Er: fcheinen des Grafen von Artois in Wien zu bedeuten habe? Cobenzl erwiberte, zu jeinem Bedauern ſei er nicht imftande, diefe Frage zu beantworten; er fünne nur verfihern, daß man von faijerlicher Seite dem preußifchen Hofe ge- wiß nichts vorenthalten werde, was für ihn von Intereſſe jein könnte. Auch die Mipftimmung, melde Fürft Kaunik jeit der Ankunft des Prinzen in Wien an den Tag legte, wußte Jacobi nicht zu deuten, bis er erfuhr, der Kanzler ſei eiferfüchtig auf Herren von Spielmann, der allein zur Unterrevung des Kaijers mit dem Prinzen beigezogen worben jei und deshalb als der „kommende Mann“ angejehen werde. Aeußerlich verfehre Kaunig mit den Emigranten in verbind- lihfter Weife, aber in vertrautem Kreiſe gebe er dem Unmut über die Leicht: fertigfeit und Unzuverläfligfeit der Franzoſen häufig draftiihen Ausdruck. Das gegen werde erzählt, daß ber Kaiſer vor Artois beteuert habe, wenn es von ihm abhinge, würde er die Miflethäter in Paris für ihr Verhalten gegen den allerchriſt— lichſten König aufs ftrengite züchtigen.) Von den Franzoſen werde denn aud) eine triumpbierende Miene zur Schau getragen; alles deute darauf hin, daß der franzöfiihe Handel in den Vordergrund der kaiſerlichen Politif gerüdt jei, daß der Entichluß beranreife, zu Thaten überzugehen. Freilich dränge ſich immer wieder die Frage auf: Wie verträgt fi mit diefem Säbelklirren die Verminde: rung der faiferlihen Streitkräfte?

!) Bolit. Journal, 932.

) Preuß. St.:Arhiv. Erlaß an Jacobi vom 25. Auguft 1791.

») Ebenda. Berichte Jacobis vom 23., 24., 27., 29. Auguft 1791.

432 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

In Wahrheit hatte aber Artois feine Veranlaſſung zu fiegesfrohem Auf: treten; er fand am failerlihen Hofe, wo er durch den jpanijchen Botichafter eingeführt worden mwar,!) nicht die günftige Aufnahme, wie er fie erhofft hatte. Leopold war ungehalten über das aufdringliche Gebaren bes ungeladenen Gaftes. „sh mußte meine Abreife nad) Böhmen um zwei Tage verſchieben,“ ſchrieb er an Marie Chriftine, „da plöglih und unverfehens der Graf von Artois hier er: ſchien. Er verlangt Truppen, um in Frankreich einzurüden, und will als Regent, als Monfieur anerfannt werden. Er fommt aud nah Dresden und Pillnig, aber ich weiß nicht, was er dort will, denn jo ſchnell, wie er meint, werden bie Saden nicht gehen.” ?) Auch Kaunig und Gobenzl vertraten die Anfiht, man dürfe nicht den Glauben aufkommen laflen, als ob ſich das kaiſerliche Kabinett ins Schlepptau der Emigrantenpolitit habe nehmen laſſen. Einmal fam es in ber Hofburg zu einer peinlihen Auseinanderjegung. Als Artois daran erinnerte, der Kaifer habe doch jeinerzeit in Italien bewaffnetes Einjchreiten der Mächte in Ausficht geitellt, erwiderte Leopold Fühl, die Lage habe fich eben jeither von Grund aus verändert. Es habe fich gezeigt, daß auf die Mitwirkung der Mächte nit zu zählen fei, und wenn er damals Waffenhülfe in Ausficht geitellt habe, fo müſſe er heute das Verſprechen zurücdnehmen. Nun fpielte Artois eine Karte aus, deren Einlöfung gar nit in feiner Macht ftand; er bot ala Lohn für bie Mitwirtung an der Gegenrevolution die Abtretung Lothringens an.) Doc auch diefe Verjuhung ließ den Kaifer fühl; er ging auf die heikle Sadhe gar nit ein. Artois mußte fich endlich auf die Bitte beſchränken, der Zufammen: funft in Pillnig beimohnen zu dürfen. Das wolle er nicht hindern, antwortete Zeopold, doch der Prinz möge fih nur ja nicht der Hoffnung hingeben, eine Aenderung des Syſtems zu erzielen.

Während die beiden Monarchen fi ſchon zur Reife nah Sachſen an: I&hidten, dauerten die Reibungen zwiichen den öfterreichifchen und den preußifchen Diplomaten fort. In Berlin ſah man mißtrauifch auf die Anftrengungen bes Fürften Kaunis, in das neue Bündnis auch Rußland hereinzuziehen.*) Am 24. Auguft, alfo am Borabend der Pillniger Zuſammenkunft, erging eine für den Argwohn und die Eiferfuht des Berliner Kabinetts bezeichnende Note an Jacobi: „Die Erklärung des Grafen Eobenzl, daß fi Seine Kaiſerliche Maje: ftät über die franzöfifche Angelegenheit nicht ausiprehen könne, ehe nicht die erwarteten Antworten ber übrigen Höfe einliefen, ift ſchwer zu vereinen mit dem Wunſche dieſes Monarchen, es möchte derjenige preußifche General, der im Falle

’) Polit. Journal I, 1009.

2) Wolf, Leopold II. und Marie Chriftine, 252.

’) Das Anerbieten fam auch zur Kenntnis bes preußiſchen Gefandten. „In ben Unter: rebungen ber emigrierten Franzoſen mit den Miniftern,“ berichtete Jacobi am 24. Auguft, „ift aud von Lothringen die Rede gemwefen, aber nur in unbeftimmten Ausdrücken.“ Das preußiſche Minifterium wies ihn darauf an: „Die Nahricht von ber Abtretung Lothringens zum Erſatz für bie Kriegäfoften, wovon ihon in ber Unterredung zwiichen dem Kaiſer und dem Grafen von Artois die Sprache geweſen fein fol, ift von der höchſten Wichtigkeit und verbient mit äußerfter Aufmerkſamleit verfolgt zu werben.“

) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobis vom 17. Auguft 1791.

Die Zufammentunft Zeopolds II. und Friedrih Wilhelms II. in Pillnik. 433

des Bruches die gegen Frankreich beitimmten Truppen befehligen würbe, zur Zufammenkunft in Pillnig mitgenommen werden, damit er jih mit Marſchall Lacy, den ber Kaiſer zu diefem Behuf mitbringen werde, ins Benehmen feßen fönne . . . Sie werden aljo zwar den jreunbichaftliden Weg, den wir gegen: über dem faijerlihen Kabinett eingeſchlagen haben, nicht verlaffen, doch die Augen offen halten, damit Ihnen nichts entgehe, was fi dort abjpielt.“ ')

Am 25. Auguft e8 war gewiß fein Zufall, daß der Tag des heiligen Zubwig gewählt wurde, trafen Leopold, von Erzherzog Franz, Marſchall Lacy und Herrn von Spielmann begleitet, und bald nad ihm Friedrich Wilhelm, in deſſen Gefolge fi Prinz Hohenlohe, Biichoffswerder und Manftein befanden, auf Schloß Pillnig ein. Am nächſten Tage fam der Graf von Artois mit den hervor: ragendſten Vertretern des franzöfiichen Hochadels und Herrn Nafjau:Siegen, einem Agenten der Zarin; Artois hatte ſich in Dresden einquartiert, blieb jedoch, der Einladung des Kurfürften Folge leiftend, die nächſte Naht in Pillnig. Mit dem Empfange fonnte der Franzoſe zufrieden fein, denn die Monarchen zeichneten ihn auf ehrenvolle Weife aus; an der Tafel, im Theater, bei Feuerwerk und Nahtmayl war er an ihrer Seite, während Galonne von Spielmann und Bilhoffswerder in die Mitte genommen wurde. Es hatte den Anjcein, als gehe die Aufmerkſamkeit, welche fih die hohen Gäfte des Kurfürften von Sachſen gegenfeitig widmeten, über das Maß der Hoflitte hinaus, als werde ein Freund: Ichaftsbund der Fürſten das Verſöhnungswerk der Diplomaten frönen.

Wie wenig ernft aber die in Pillnig ausgetaufchten, jchmeichelhaften Ber: fiherungen gemeint waren, bemeift der gehäjfige Bericht, den Staatsreferendär Spielmann über die dortigen Vorgänge dem Fürſten Kaunig erftattete.) Bon Friedrih Wilhelm II. und feinem Sohne werden fehr ungünftige Portraits ent: worfen. „Der König ift eine ungeheure Fleiſchmaſchine. Er ſpricht ſehr ſchlecht, nie in einem Zufammenhang, immer in halb abgebrocdhenen, kurzen Säßen. Er zeigt handgreiflich einen großen Mangel an Kenntnis der Geſchäfte. Ich glaube gewiß nicht im geringiten zu irren, wenn ich positive verfichere, daß er der Mann ganz und gar nicht ift, der je aus eigener Determination gehandelt hat und fünftighin handeln wird. Sichtbar hänget alles bei ihm von ber Impulſion ab, die er von diefem oder jenem Ratgeber erhält, und die gute oder üble Eigen- ſchaft des Natgebers fließt auf ihn entjcheidend ein.” „Des Kronprinzen Aeußer: liches ift nichts weniger als günftig für ihn. Er fieht jo ziemlich einem ‘Feld: mweibel gleih. Graf Hartig behauptet, eine vertraulihe Aeußerung des Grafen Brühl, Gouverneurs des Kronprinzen, in fihere Erfahrung gebracht zu haben, nad) welcher Aeußerung diefer Prinz alle üblen Eigenfchaften des verftorbenen Königs in vollem Maße haben joll, ohne eine einzige der guten nur im geringften zu befigen.“ ®)

!) Preuf. Ste⸗Archiv. Erlaß an Jacobi vom 24. Auguft 1791.

2) Nivenot, I, 236.

2) Kaunig iprad in feiner Antwort Dank dafür aus, daß ihn Spielmann mit den „Alteurs der Pillniger Schaubühne” bekannt gemacht habe, und Mnüpft baran die Bemerkung: „Es ift zu bedauern, dab die Berliner Aſpelte auch fchon für bermal und noch viel mehr für die Zufunft nicht viel Gutes verſprechen.“ (Bivenot 1, 241.)

Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr. biß zur Auflöfung des deutſchen Reichs, 28

434 Zweites Bud. Dritter Abfchnitt.

Spielmann ſpricht die Vermutung aus, daß ohne die Ankunft des Grafen von Artois allem Anſchein nah überhaupt gar fein „ſpezifiques Geihäft” auf das Tapet gefommen wäre, „welches meines Erachtens nur deſto bejjer gemwefen wäre”. „Allein jobald Artois in Pillnig angelommen war, brachte jomohl er, ale Mr. Calonne mit einer Dreiftigfeit und Zudringlichkeit ohne Beifpiel alles bergeftalt in Bewegung, dab fih endlich Seine Majeität der Kaiſer und ber König bewegen ließen, jene Deklaration, die in dem Schreiben Seiner Majeftät enthalten ift, zu unterzeichnen.” „Mit entjegliher Hartnädigkeit,” wie auch Leopold jeinem Kanzler Elagte,!) entwidelte Artois in zehn Artikeln eine Art Syftem, auf welche Weije das Revolutionswerk umgeſtoßen und dem legitimen Recht zum Sieg verholfen werden fünnte.?) Die Brüder des gefangenen Königs und die übrigen Mitglieder des Königshaufes jollten an die franzöfiihe Nation ein Manifeft richten, worin gegen bie rechtswidrigen Uebergriffe der National: verfammlung, wie gegen bie erzmungene Zuftimmung bes Königs Verwahrung eingelegt wäre; der ältere Bruder, Monſieur, ſollte an Stelle des in feiner freien Beitimmung gehinderten Königs als Regent auftreten und der franzöſiſchen Nation das bewaffnete Einfchreiten Europas anfündigen; der Kaijer jollte ihn als Vertreter des Königs dadurch anerkennen, daß er die Klagen der um ihren eljäffiihen Befig beraubten deutſchen Fürften vor den Richterftuhl des Prinzen brädte; Preußen und Sardinien follten Truppen an die franzöfifhe Grenze vor: fchieben, die Einwohner von Paris, insbefondere die Umftürzler in der National: verjammlung und ihre Helfershelfer jollten mit ihren Köpfen für die Sicherheit der königlichen Familie verantwortlich gemacht werden; den franzöfifchen Offizieren und Soldaten follte unverwehrt bleiben, fich in den deutfchen Staaten an der Grenze zu fammeln und zu formieren; zur Beftreitung der mit diefen Vorbereitungen zum Kriege verbundenen Ausgaben jollte der Regent eine Anleihe von 10—12 Millionen eröffnen, wofür auch in Deutſchland Zeihnungen geftattet wären.

Dieje weitreichenden Forderungen, deren Annahme mit einer Kriegserflärung an Frankreich gleihbedeutend gewejen wäre und zugleid eine Art Abſetzung des Königs durch Europa bedeutet hätte, wurden von Leopold mit unverhohlener Ent: rüftung aufgenommen. Herr von Spielmann, der eben nod jo freundichaftliche Miene gezeigt hatte, erklärte Herrn von Calonne, er jei zu dienftlihem Verkehr mit ihm überhaupt nicht ermächtigt. Zuvorfommender waren die preußiichen Dffiziere und Diplomaten; auf Friedrih Wilhelm hatten die ftürmijchen Bitten des Prinzen ftarfen Eindrud gemacht, doch mußte Leopold ihn wieder umzu— ftimmen, jo daß die beiden Souveräne fih zu einer gemeinfamen Antwort einigten, die nur als Ablehnung der Emigrantenwünjdhe aufgefaßt werben fonnte.?) Die Aufftellung eines Regenten, war darin erklärt, würde ebenfo gegen Recht und Billigkeit, wie gegen die einfadhiten Gebote der Staatsflugheit ver: ftoßen. König Ludwig jei über den Plan einer Intervention Europas unter:

!) Beer, Kaunitz, 424.

) Points & fixer prealablement aux grandes opérations, 20 acht 1791; Bivenot, I, 231.

?) Communication verbale des Haifers als Antwort auf die vom Grafen v. Artois überfandten Points a fixer; Bivenot, I, 233.

Die Zufammenfunft Leopolds IT. und Friedrich Wilhelms 11. in Pillnig. 435

richtet und werde im Vertrauen auf dieje Hülfe die Kraft finden, auch unter ſchwierigen Berhältniffen die Würde feines Thrones zu wahren. Die Rechte der im Elfaß begüterten Fürften werde der Kaijer zu jchügen miffen, ohne daß die Anerkennung oder ber Beiftand eines Regenten vonnöten wäre. Ein voreilig von den Emigranten erlaſſenes Manifeft würde ebenfo jchädlich wirken, wie ein Vorſtoß einer vereinzelten Truppenabteilung. Die franzöfiihen Flüchtlinge follten in den deutſchen Staaten, wo fie ein Aſyl gefunden hätten, ruhig und friebfertig wohnen; zu Nüftungen und friegeriihen Maßnahmen fönne ihnen vor Abſchluß des europäifchen Konzerts feine Erlaubnis gewährt werben.

Mit diefer wenig zuvorfommenden Antwort wollten fich jedoch die fran- zöſiſchen Gäfte nicht abfertigen laſſen; fie fuhren fort, die Minifter mit Bor: ftellungen und Forderungen zu beftürmen. Spielmann klagt, er habe ſich der beijpiellofen Unverfhämtheit und Zudringlichfeit (une effronterie et une impor- tunite sans exemple) des Grafen von Nrtois und des Herrn von Galonne gar nicht erwehren fönnen. Auch auf den König von Preußen und auf Bilchoffs- werder machten bie Selbftüberhebung des Prinzen und die Leichtfertigkeit Calonnes erfältenden Eindrud. Ansbejondere am Manifeft wollten Artois und jeine Leute unter allen Umftänden feitgehalten willen; fie bebrängten Leopold jo lange, bis er endlih Herrn von Spielmann beauftragte, eine Erklärung auszuarbeiten, welche in allgemeinen Ausdrüden die Drohung einer europätichen Intervention enthielte, alſo mwenigftens einem Wunſche des Prinzen entiprädhe, ohne den weiter reichenden Forderungen Rechnung zu tragen; die unmilllommenen Gäfte jollten gewiffermaßen mit einem Kompliment und einer feinen Gabe abgejpeift werben. Leopold erklärte fih auch mit dem Entwurfe Spielmanns einverftanden, weil darin, wie er an Kaunitz jchrieb, „alles vorgefehen fei, um einen Mißbrauch, wie ihn der Graf von Artois beabfichtigen fünnte, unmöglihd zu maden”.!) Die Befreiung des Königs von Franfreih und die Wiederherftellung einer monarchiſchen Regierung auf eine den Rechten des Fürften, wie der Wohlfahrt der Nation entjprechende Weije werben als eine für alle europäifchen Souveräne wichtige Angelegenheit bezeichnet, und die beiden Eouveräne ſprechen die Hoff: nung aus, daß das gemeinfame Intereſſe von allen Mächten werde anerkannt werden. „Alsdann und in diefem Fall (alors et dans ce cas) find die beiden Majeftäten bereit, in wechjeljeitigem Einvernehmen die erforderlichen Streitkräfte aufzubieten, um das gemeinfame Ziel zu erreihen. Bis dahin (en attendant) werben fie ihren Truppen Befehl geben, fich bereit zu halten.” *) Indem aljo

') Beer, 425.

) Die „Döclaration signde en commun par S. M. l’Empereur et S. M. le Roi de Prusse ä Pillnitz le 27 aoüt 1791* ift nad) dem Abprud in den Nouvelles extraordinaires, 1791, 77 und im Hamburger Korreipondenten, Jahrg. 1791, 153, aufgenommen in Martens, Recueil des traites (II. edit., Gottingue 1826) V, 260, und in Naumann, Recueil des traitös et conventions conclus par l’Autriche (Lips. 1855), I, 468. Ein Originalbofument befindet fich weder im k. geh. Staatsarchiv zu Berlin, noch im k. k. Haus-, Hofr und Staats: archiv zu Wien. Jenes befigt nur einige gleichzeitige Abjchriften, darunter eine von der Hand bes Freiberen von Jacobi Klöft, und eine andere, vom Kabinettsarchivar Klapro:h der Gazette de Leide entnommen; in Wien find verwahrt ein Entwurf der Deflaration mit Einfchaltungen

436 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

das Einſchreiten gegen die revolutionären Mächte von der Zuftimmung aller europäiihen Mächte abhängig gemacht wurde, war der ganzen Erklärung bie Spitze abgebroden; dem kaiſerlichen Kabinett war ja befannt, daß England fi auf feinen Fall zur Mitwirkung verpflichten werde. Die Erklärung follte nur ein Schredihuß jein, um die Anhänger der Volksherrſchaft in Franfreih zu glimpfliherem Auftreten gegen die föniglihe Familie zu bewegen.

Am 27. Auguft traten Calonne, Spielmann und Biſchoffswerder zur ent: ſcheidenden Sitzung zuſammen. Galonne erklärte, daß jeinen Gebietern mit ber von Spielmann beantragten, verſchwommenen Erklärung nicht geholfen fei, und fuchte nochmals durch eifrige Vorftelungen eine günftigere Faſſung zu erreichen. Als er immer auf neue Einwände ftieh, verlor er, wie Leopold jeinem Kanzler erzählte, alle Belinnung. „Wenn man ihm widerſprach, ſagte er: ‚Ab, es fommt mir eine neue bee!‘ doch es war eine neue Thorheit!” Beſonders bie Rüftungsfrage gab Anlak zu erregten Neben. Galonne wollte um jeden Preis den Monarchen die Verpflichtung aufbürbden, ihre Truppen mobil zu machen und einen Winterfeldzug zu unternehmen, allein er vermodte den Wiberftanb ber beutihen Kollegen nicht zu brechen: der Entwurf Spielmanns mit allen feinen Vorbehalten und Einihränfungen wurde angenommen und unterzeichnet.

Ohne Zweifel fam auch die polnische Frage in Pillnig zur Sprade, ohne daß jedoch eine Entſcheidung herbeigeführt wurde. Kurfürft Friedrich Auguft,

und Berbefferungen und eine vermutlich gleichzeitige Abfchrift, und eine dem Schreiben bes Kaiferd an Kaunitz d. d. Prague 29(!!) aohıt 1791 (veröffentliht von N, Beer in Sybels Hiftor. Zeitichr., 27. Bd., 25) beiliegende Abſchrift. Alle dieſe handſchriftlichen Exemplare ftimmen ſowohl untereinander, als mit dem Abdrud bei Martens bis auf wenige, unerhebliche Ab: meihungen überein. Martens (V, 261) reiht der Deklaration 6 den Nouvelles extraordinaires, 1791, 80 und ber Collection of state papers, 43 entnommene „Articles secrets ajoutes à Ja prec&dente declaration* an. (Die verbündeten Mächte werden Mabregeln treffen, um bie mit Frankreich beftehenden Verträge aufrecht zu erhalten; bie beiden Mächte werden den Peteröburger Hof für die polnische Thronfolge des Kurfürften von Sachſen zu gewinnen ſuchen; die beiben Mächte behalten fid, das Recht vor, einige von ihren gegenwärtigen oder künftigen Befigungen nad gegenfeitigem Einvernehmen zu vertaufchen; die beiden Mächte werben, jobald es das Ber: hältnis zu anderen fremden Staaten zuläßt, fi über eine Verminderung ihrer Armeen zu einigen fuchen; der König von Preußen verjpricht dem Erzherzog Franz feine Kurftiimme und wird fi der Aufitellung eines Nadjfolgers in der Perfon des einen oder anderen Erzherzogs nicht widerjegen; zum Entgelt dafür wird fid) der Kaifer bei ber Republil Polen für Abtretung von Thorn und Danzig verwenden, während der Kaifer erwartet, daß Preußen bei England und den Generalftaaten eine Abänderung der Haager Konvention in Bezug auf Belgien erwirken wird.) Der Herausgeber bemerkt dazu: „Diefe Artikel find von den vertragichließenden Mädten weber jemald anerfannt, noch veröffentlicht worden; man fann alſo biejelben keineswegs für authentiſch ausgeben,” und verweift auf die im Rundſchreiben des Königs von Preußen vom 6. Dezember 1791 und im Rundſchreiben des Kaiſers vom 2. Dezember 1791 enthaltenen Wiber: fprüche mit dem Inhalt der geheimen Artikel. Die Thatſache, daß diefe Artikel in fämtlichen oben genannten Handichriften fehlen, benimmt wohl aud den legten Zweifel, daß man es nur mit einer Fälfhung zu thun habe. Zwar find in zwei handichriftlihen Eremplaren, welche aus dem gräflich Dietrichfteinihen Archive an das Wiener Haus:, Hof: und Staatdardiv gelangten, auch die Articles secrets angefügt, aber jchon aus dem Umftande, daß darin verjchiedene Ab- weichungen und Berbefferungen des Textes ſich finden, ift zu folgern, daß es jüngere Abjchriften find, die neben jenen gleichzeitigen mit offiziellem Charakter nicht in Betracht fommen können.

Die Pillnitzer Deklaration. 437

der immer nur „in jehr beftimmten und zugleih mit der größten Behutiamteit abgemefjenen Ausdrüdungen” jprad und auf Spielmann den Eindrud eines „Sehr wohl inftruierten, edel und rechtſchaffen denkenden Herrn” machte, zeigte fih fehr dankbar für die Bereitwilligkeit der beiden Nachbarmächte, ihm zur Er: langung der polnijchen Krone behülflih zu fein, machte aber feine Einwilligung von unbedingter Zuftimmung Ruflands und von Nenderungen der polnijchen Berfaflung in monardiihem Sinne abhängig; aud wollte er die Thronfolge nicht bloß auf den künftigen Gemahl jeiner Tochter, ſondern aud auf jeine Brüder und alle fünftigen Kurfürften von Sachſen ausgedehnt willen. Neben: ber wurden zwiſchen Spielmann und dem „jehr gelehrten und vorzüglich ge: ſchickten“ ſächſiſchen Kabinettsminiſter von Gutihmid freundlihe „propos* in Bezug auf eine Vermählung der kurfürſtlichen Erbtochter mit Erzherzog Karl ausgetauscht.) Daß die beiden Monarden in einem geheimen Nadhtragsartikel zur Verwendung bei dem Hofe von St. Petersburg ſich verpflichtet hätten, iſt nicht richtig.) Auch am 10. September gab Friedrich Auguft, von den polnijchen Ständen zur Entſcheidung gedrängt, nur eine ausmweichende Antwort; die Sache ſei zu widtig, als daß fie fich übers Knie abbrechen lafje, der Kurfürft müſſe erft genauer die Beftimmungen der neuen Verfaſſung ftubieren. Auf erneutes Andringen des Warſchauer Reichstages genehmigte der Kurfürft nur den Zus fammentritt polniſcher und jähfijcher Vertrauensmänner in Dresden zu Beratung verjchiedener ftaatsrechtliher Beitimmungen. °)

Die Pillniger Erklärung vom 27. Auguft 1791 hatte eine weder vom Verfaſſer noch von den Souveränen beabjichtigte Wirkung. Wie Kaiſer Leopold über das Schriftftüd dachte, erhellt aus ben Worten, die er noch am Abend nah der legten Sigung an Kaunig richtete. Der Kanzler möge feine Angjt haben, fein Herr babe ſich auf nichts eingelaffen, was ihm die Hände binden fönnte. Der bypothetiiche Charakter der verabrebeten Erklärung lafje nichts übrig als den Schein einer BVerpflihtung. „Die Worte: ‚alsdann und in diejem Fall’ (d. h. wenn alle zur Mitwirkung eingeladenen Mächte fich bereitwillig zeigen würden) find für mic) das Gejeg und die Propheten; wenn England uns im Stiche läßt, hat ‚diefer Fall‘ für mich zu eriftieren aufgehört.” *)

Als Leopold von Pillnig nah Prag reifte, begleiteten ihn der Kronprinz von Preußen, der Prinz von Hohenlohe und Graf Ferſen; aud der Marquis von Bouills und der Herzog von Polignac gingen mit, um immer bei ber Hand zu jein, wenn fich Gelegenheit böte, für das Programm der Prinzen Stimmung zu maden. Als aber Bouille bei Marihall Lacy nur leiſe anpochte, wurde er ichroff zurüdgemiejen. Zu ſolchen Beiprehungen habe er gar feine Vollmacht, erwiberte Lacy, aber jo viel könne er verfihern, daß fi der Kaifer niemals in leichtfertiger Weile auf einen Krieg einlajen werde, deſſen Ausgang an: gelichts der reihen Hülfsquellen Frankreichs und der Unangreifbarkeit der fran-

) Bivenot, |, 240.

2) Bgl. S. 436, Anmerkung. ») Bolit. Journ., IT, 1165. 4) Beer, 425.

438 Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.

zöfiichen Grenzen fi nicht vorausjehen laſſe.) Nicht minder deutlich gab Leopold jelbjt zu erkennen, daß er nicht daran benfe, einen Krieg vom Zaune zu breden. Prinz Hohenlohe fand ſogleich bei der erſten Aubienz, „daß ber Kaijer zu einer thätigen Hülfsleiftung für ben König von Frankreich wenig ge: neigt fei, doch aber das Gegenteil gern glauben maden möchte, fein Zaubern ganz geſchickt zu entjchuldigen wilfe und die Schuld auf die Emigranten werfe, die er durch eine Menge Anekdoten lächerlich zu mahen und gegen die er auch jeine, des Erbprinzen Abneigung zu weden ſuche“.“) Hobenlohe erklärte, fein föniglicher Herr hege die Abfiht, etwas zu thun, um der immer weitere Kreife ergreifenden demofratiihen Gefinnung entgegenzuwirfen, und gab den Wunſch zu erkennen, mit Bouille und einem faiferlihen General für den Krieg bas Nötige zu verabreden, allein „dies wurde elubiert”. Da Hohenlohe fi nicht verhehlen konnte, daß auf diefem Wege nichts zu erreichen ſei, vermied er fortan „mit Affektation”, vom Kriege zu ſprechen. Nur bei Erzherzog Franz und einigen wenigen faiferlihen Räten, welche ſowohl mit der preußifhen Allianz, als mit bem Kriegsplane einverftanden waren, fand er freundlihe Aufnahme, obwohl auch diefe ihm das Geftändnis madten, „daß man in Wien an ben blauen Rod noch nicht gewöhnt jei”. Dem Grafen Ferfen, der wegen der Landung ſchwediſcher Truppen einen Vertrag fließen follte, war eine ähnliche Erfahrung beſchieden. Es wurde ihm ’eröffnet, der Kaiſer werde jeine Zuftimmung geben, wolle aber vorher die Ankunft eines Kuriers aus Petersburg abwarten. Ferien blieb aljo in Prag, allein es fam fein Kurier, und fomit wurde auch fein Ver: trag mit Schweden abgeſchloſſen. Auch die militärischen Vorbereitungen waren nur auf den Schein berechnet; es hieß zwar, daß einige Regimenter Befehl erhalten hätten, nach Vorderöſterreich aufzubrechen, boch hörte man nichts von Verträgen wegen des Durchmarſches durch den bairischen Kreis.

Die faiferlihen und die preußiſchen Diplomaten Hatten im Verlauf von wenigen Wochen ihre Rollen völlig vertaufht. Während auf preußifcher Seite die Luft zu bewaffnetem Cinfchreiten gewachſen war, zeigte man fih am kaiſer— lihen Hofe weniger geneigt, denn je. Am 29. Auguft erklärte Kaunig dem preußiichen Gejandten, der Gedanke, ein europäifches Konzert zu ftande zu bringen, müffe endgültig aufgegeben werben. Nicht einmal auf Spaniens Beitritt ſei mehr zu hoffen; zwar fei der König ober, was dasjelbe bedeute, Graf Florida Blanco gar zornig über die Frechheiten der Parifer Nationalverfammlung, allein: „dal detto al fatto un gran tratto!* „Wenn König Ludwig, woran faum noch zu zweifeln ift, fih zur förmlihen Annahme der Verfaſſung entſchließt, ift alles zu Ende!” Die nämlihen Worte vernahm Jacobi einige Tage jpäter aus dem eigenen Munde des Kaijers. Als der Gefandte in Prag den Glückwunſch feines Herrn zur Krönung überbradhte, ließ fi) Leopold mit ihm in ein längeres Geſpräch über die europäiihe Lage ein, das mit den Worten ſchloß: „Wenn

!) Bouille, Memoires (1801), 296. ®) Häuffer, I, 301, nad) einem handſchriftlichen Schreiben des Erbprinzen von Hohenlohe an Friedrih Wilhelm IL, d. d. Brag 17. Sept. 1791.

Die Pillnitzer Deklaration. 439

der König von Frankreich die Konftitution annimmt, ift alles zu Ende! Die Sadıe ift dann abgemadt!” ')

Eo verhielt es fih mit Wert und Bedeutung der vielgenannten Pillniger Erflärung. Als eine „erhabene Komödie” wollte fie Mallet du Pan angejehen wiſſen.“) Ernfthafte Politiker konnten darüber nicht im unklaren fein, daß der Kaifer durhaus nicht heißes Verlangen trage, den eben erjt teuer erfauften Frieden wieder zu opfern. Allein es gab zwei Klaffen Perfonen, die ein inter: eſſe daran hatten, den Sinn der Akte vom 27. Auguft zu entitellen: die Führer der Revolution, um daraus nachzuweiſen, daß der König verräterifche Verbin: dung mit dem Ausland unterhalte, und die Emigranten, um Freund und Feind an ein Bündnis Europas zu Gunften der legitimen Sache glauben zu maden. Auch damit wirkten die Emigranten nur zum Sturze des Königtums; fie waren nur Werkzeuge der Umiturzpartei. „Die Emigranten,” jchreibt der königstreue Herausgeber des Journal politique, Antoine NRivarol, „haben bis jetzt, ohne es zu willen, der Nationalverfammlung zu Entſchloſſenheit und Thatfraft verholfen; dur die von ihnen erregte Furcht verfnüpfen fie alle franzöfifchen Herzen und Geifter mit der gefeßgebenden Verfammlung.” ?) Nichts hätte den Hof ſchlimmer bloßftellen können, als der Brief, wodurch Monfieur und der Graf von Artois dem Bublitum die Erklärung vom 27. Auguft mitteilten. Zu den Schreden, welche dem Bürgerftande ſchon der Gedanke an eine Wiederherftellung des alten Regiments einflößte, fam nun noch die Furt vor einem feindlichen Einfall, und die Abneigung dieſer Kreife gegen die Emigranten wurde noch verichärft dur die Sorge um das Baterland. Der von Koblenz datierte Brief ftellt ein förmliches Manifeft dar, ebenjo beleidigendb für die mit feindlichem Ein- fall und Niederlage bedrohte Nation, wie bemütigend für den König, der vor ganz Europa der Feigheit geziehen und der allgemeinen Verachtung preisgegeben wird.*) Es wird angekündigt, daß „die Mächte, deren Hülfe fie erbeten hätten, in der That entichlofjen jeien, ihre Kräfte dem Rettungsmwerfe zu widmen, und daß der Kaifer und der König von Preußen fich zu diefem Zwecke mwechfelfeitig verbunden hätten”. Bei allen anderen Höfen beftehe „die nämlide Abficht“. Die engliſche Nation, „zu großmütig, um zu durchkreuzen, was fie ala gerecht anfieht, wird ficher dem edlen und unwiderſtehlichen Bunde nicht widerftreben”. Die nad) jeder Art von Ruhm geizende Katharina wird gewiß nicht darauf ver: zihten, „die Sache aller Souveräne zu verteidigen”. Wenn ber König gemalt: fam gezwungen würde, eine Verfaſſung gutzubheißen, „welche er im Herzen ver- wirt und feine Königspflict für ihn unannehmbar macht”, jo wollten fie, die freien und unabhängigen Mitglieder des Königshaufes, angefichts der ganzen Welt und in feierlihiter Form gegen dieſen nichtigen Akt und alle jeine Folgen Verwahrung einlegen. Um jeden Zweifel über die babei maßgebenden Ab- fihten auszuſchließen, wird hinzugefügt: „Falls Em. Majeftät gezwungen würben,

) Preuß. Staatsarchiv. Bericht Jacobis vom 2. September 1791. ®) Mallet da Pan, M&moires et correspondance I, 254.

») Rivarol, Oeuvres choisies, pub]. par Lescure (1862), 264.

4) Sorel, II, 262.

440 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

uns ſolches Auftreten zu verbieten, und zu erklären, dab Sie dieſes Verbot in voller Freiheit ergehen laffen, jo würde auch diejer Befehl, der offenbar Ihren Gefühlen ebenfo widerfpricht, wie Ihren wichtigften Pflichten, uns nicht bewegen fönnen, unfere eigene Pflicht zu verlegen, Ihre wahren Intereſſen zu opfern und die Haltung aufzugeben, welche Frankreich in folder Lage von uns fordern fann.” Am Tage des heiligen Ludwig, Jo fpottet der Herausgeber der VBaterländifchen Ehronif, raudten in Koblenz, Trier, Worms, Mainz die köſtlichſten Gaftmähler, perlten franzöfiihe und deutjche Weine, trug Kanonendonner Segenswünſche für Franfreihs König zu den Wolfen, zu gleicher Zeit aber wurde der franzö— fiihe Thron für erledigt erklärt, Monfieur als der gejegliche Lenker der Geſchicke Frankreichs anerfannt und gefeiert!

Als die Verfaſſung von Ludwig XVI. thatſächlich anerkannt worden war, wiederholten die Prinzen ihren Proteſt. „Die Sanktion, welde der König de facto einem monftröjen Geſetz erteilt hat, ift de jure null und nichtig.” „Der König war nicht frei, feine Sanftion ift jomit ungültig, und wir geben ben ftärfften, entfchiedenften Beweis von Gehorjam und Treue, wir erfüllen nur unfere Pflicht gegen Gott und Vaterland, wenn wir in diefem Falle trügerijchen Befehlen nicht geboren.” „Wir proteftieren für den König und in feinem Namen gegen Alles, was nur ein faljches fönigliches Gepräge trägt. Da des Königs wirkliche Stimme durch feine Unterdrüdung zum Schweigen gebradt wird, jo wollen wir jeine Organe jein und feine wahren Gefinnungen auf ſolche Weife zum Ausbrud bringen, wie fie im Eid bei feiner Thronbefteigung aus: geiprochen, wie er fie dur die Handlungen feines ganzen Lebens zum Ausbrud gebracht hat, wie fie in der Erklärung zu Tage getreten find, die er im eriten Augenblid, da er fi für frei hielt, für die Deffentlichfeit beftimmte. Er kann, er darf feine andere Gefinnung hegen; den Föniglihen Willen enthalten nur die Alten aus jener Zeit, da er noch frei atmete.” Im Namen des Königs felbft, im Namen des nur auf einen Augenblid getäuſchten und verblendeten Volkes, im Namen der Religion, des höchſten Wejens und der ewigen Gerechtigkeit wird Verwahrung eingelegt gegen die Konititution, die nichts anderes iſt, als ein Un: geheuer, das fich anſchickt, die göttlihen und menjchlihen Gejege zu vertilgen!

Das Manifeft, das dem Könige im Auftrage der Prinzen durch den Herzog de la Force überbracht wurde, rief in den Tuilerien große Beitürzung hervor, die Königin joll unter Thränen ausgerufen haben: „Kain! Kain!” !)

Das aud in deutſchen Zeitungen verbreitete, großſprecheriſche Schriftftüd erhob gegen die königliche Familie eine furchtbarere Anklage, als fie in den Vorwürfen der mwütendften Revolutionäre enthalten war. In einem Augenblid, da Ludwig XVI. feinen anderen Schuß mehr finden fonnte, als den Anſchluß an die Verfaflung, jchalten feine nächften Angehörigen diefen Schwur im voraus einen Meineid und raubten dem Handeln des Bruders den legten Schein von Aufrichtigkeit.

Nah der Eidesleiftung des Königs gewann es den Anfchein, als ſei die Stimmung in Paris und im ganzen Lande zu Gunften bes volfsfreundlichen

!; Daudet, III, 128.

Die Pillniger Deklaration. 441

DOberhauptes umgefchlagen, als habe Frankreich erft jegt die ariftofratiiche Staats— form gänzlich abgeftreiit, um fich in eine wirkliche Monardie zu verwandeln. Nicht bloß dem Könige wurden auffällige Huldigungen dargebradt, auch bie Königin wurde, wenn fie eine Oper ihres Lieblings Glud bejuchte oder zu Pferde im Bois de Boulogne erfhien, mit dankbarem Zuruf begrüßt. Diefe erfreuliche Stimmung wurde durch den Lärm der Emigranten zwar nicht jählings umge— wandelt, aber die Wirfung von Mißtrauen und Furcht blieb nicht aus. Mit den jchlauen Bedingungen und Abihwähungen, womit Spielmann fein Schrift: ftüd ausgeftattet hatte, war gar nichts gedient. Das wunderbare „Dann und in diefem Falle”, das den Kaifer und den Kanzler in Entzüden verjegt hatte, ging an den Franzoſen jpurlos vorüber. Sie legten das Schriftftüd, das von feinem Verfaſſer für zünftige Diplomaten, aljo für Leute beftimmt war, bie zwiſchen den Zeilen zu lejen und in verhüllten Anjpielungen zu jprechen pflegen, mit dem Spürfinn der Leidenjchaft nad) eigenem Ermefjen aus. Das Volk will einfahe Gedanken und vereinfacht alles Gemwundene und Gefünftelte, ohne ſich zu kümmern, ob der Sinn unverändert bleibt. So nahm das franzöfiiche Volk die Pillniger Erklärung nicht als dasjenige auf, was fie war, als ein biplo- matijches Mittel, eine läftige Verpflichtung von fi abzufchieben, fondern als dasjenige, was bie Prinzen aus ihr machten, als eine gegen Frankreich ge: rihtete Drohung. Auf ſolche Weiſe ausgelegt, hat fie die traurigen Ereigniffe, die fie hintanhalten jollte, nur beichleunigt und hat dem Könige nicht bloß Feine Hülfe gebradt, jondern die legte Stüße entzogen.

Der Kaiſer war über die gefliffentlihe Entjtellung der Billniger Ab: machungen höchſt ungehalten. „Ich kann Ahnen nicht verhehlen,” jchrieb er (5. September) an Artois, „daß mich der Inhalt des Briefes Eurer Königlichen Hoheit und die zwei Memoires, die mir der Herzog von Polignac zugeitellt hat, peinlich berührten, da ja die darin enthaltenen Vorjchläge gerade den Gegenſatz zum Inhalt der Deklaration bilden, die wir Ihnen joeben in Pillnig eingehän: digt haben, die alles ausjpridht, was wir für Sie thun fünnen und wollen.” !) Es war, ſchrieb Cobenzl an Kaunitz, angefichts der ſich häufenden Beweiſe des zudringlichen Yeichtfinns des Prinzen einmal notwendig, ihm ohne Schonung die Meinung zu jagen; „es ift aber immer noch mehr zu wünſchen, als zu hoffen, daß der Erfolg der Abficht entipredhen wird”. Auch in einem Briefe Leopolds an feine Schweiter Chriftine vom 5. September wurden die alten Klagen über die Emigranten in verjhärftem Tone wiederholt. „Bei meiner Rüdfehr von Pillnitz ſandte mir der Graf von Artois zwei Schriftftüde, die ein Manifeft ent: halten, in welches die Einfegung Monfieurs zum Regenten und taufend andere Dinge im vollen Widerſpruch mit den Pillniger Beichlüffen aufgenommen jind. Ih habe ihm aljo eine fräftige Antwort geben und gegen foldhe Verdrehung Verwahrung einlegen müſſen. Diefe Prinzen mit ihrer Projeftenmacerei, und bejonders Galonne, der fie am Gängelbande führt, fih in alles einmiſcht und ein faljcher, jchlechter Wicht ift, denken nur an fih und nit an den König, nicht an die Sade; fie wollen nur Ränfe jpinnen, Verwirrung anftiften und

J Bivenot, I, 243.

442 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

mi und den König von Preußen verleiten, einen Schritt zu thun, der uns bie Nötigung auferlegen würde, alle Kräfte anzuftrengen und unfere Truppen aus den Niederlanden zu ziehen, was bort leicht zu Ungelegenheiten und Aufruhr führen fönnte; den Beweis liefert das Billet, das Sie mir geſchickt haben und das den Grundfägen diejer Leute auf ein Haar entſpricht. Es ift nichts mit ihnen anzufangen; dem Könige und der Königin kann nur durch ein Zuſammen— wirken aller Höfe geholfen werden; freilih wird das feine Schwierigkeiten haben, da Spanien nicht handeln will und von England daran behindert wird; ober aber, man wartet, bis der Banferott in Frankreich ausbricht, die neue Gejep: gebung heranreift, die Satzungen fi einbürgern und die Verwirrung fih noch weiter ausbreitet, um daraus Nußen zu ziehen. Der Prinzen und ihrer Leute aber kann man fi nicht bedienen, man kann ihnen weder trauen noch helfen; fie tradhten nur danach, uns in Verlegenheit zu bringen und bloßzuftellen; nur die Königin, Herr Ferſen und Bouille empfinden und fprechen nad) meiner An- fiht in diefen Dingen vernünftig, befonders Ferſen, mit dem ich außerordent— lich zufrieden bin.” „Ich kann nicht begreifen,“ jchrieb Leopold (9. Dftober) an Ehriftine, „wie die Prinzen fi immer noch ſchmeicheln, auch nad) der Erklärung des Königs eine Gegenrevolution ins Werf zu ſetzen, und wie fie glauben können, daß irgend ein Hof fi für fie intereffiere.“ !)

Gewiß nicht gegen den Willen Leopolds war in einem Artifel der amt: lihen Brüffeler Zeitung vom 1. DOftober ausgeführt, der Pillniger Erklärung fei, nachdem der König von Frankreich die Verfaffung angenommen babe, keinerlei Geltung mehr beizumefjen. Freilich fonnten hinwieder die deutfchen Freunde der Emigranten darauf hinweiſen, daß die Wiener Zeitichrift vom 1. Dftober, alfo drei Tage nad dem Eintreffen der Nachricht von der Beeidigung des Königs auf die Verfaſſung, zum erftenmal die Pillniger Erklärung und zugleih den Proteft der Bourboniihen Prinzen abgevrudt habe.) Der Kaijer, jo faßte die Vaterländiſche Chronif ſchon damals richtig die Lage auf, ift gewiß nichts weniger als friegaluftig, aber er hat das ungewiſſe Schickſal des Königspaares in Baris vor Augen und kann deshalb nicht, wie er wohl möchte, einfach jagen: „Die Dinge in Frankreich gehen uns nichts an!” Jedenfalls wird es aber noch ganz anderer Erjchütterungen bebürfen, bis das Oberhaupt der Erbitaaten und des beutichen Reiches kaiſerliche Truppen in die vorderen Reichslande entfendet.

Das preußifch:öfterreihiihe Bündnis wurde auch in Pillnik nicht zum Abſchluß gebracht; es hatte bei „generalen Freundſchaftsverſicherungen“ der Monarchen jein Bewenden, doch ließ Friedrih Wilhelm einmal die Neußerung fallen, daß er den Gebanfen eines Austaufches der Laufiß aufgegeben habe, weil der Kurfürft von Sadjen nicht darauf eingehen wolle. Bilchoffswerber be: ſchränkte fich darauf, zu baldiger Fertigitelung der Allianz zu mahnen; Spiel: mann, dem es „nicht rätlich jchien, hiermit zu eilen“, vertröftete auf die ruhigere Zeit nad) der Rückkehr des Kaiſers in feine Hauptitadt.

Die öffentlihe Meinung freilich erblidte, da, um Kaunigens Wort zu ge:

) Molf, 264, 268. 2) Wiener Zeitfchrift, I, 105.

Die Pillniger Deklaration. 443

brauden, die Vorgänge hinter den Kuliffen nur für die Acteurs auf der Schau: bühne fihtbar waren, im Bündnis der deutſchen Großmädte mit feindlicher Spige gegen das neue Frankreich ſchon eine vollendete Thatſache. Deshalb legte die Preſſe der Pillniger Zuſammenkunft eine übertriebene Bedeutung bei; ber unmittelbar bevorftehende Ausbruch des Krieges mit Franfreih wurde je nad dem Standpunkte des einzelnen Organs erhofft oder befürchtet. Vom Bunde der brei mächtigſten deutſchen Fürften, jagt das Hamburger Politiihe Journal, wirb in den Annalen des Reichs eine neue Epoche datieren; es jei auch Zeit, daß die Monarden fih einmal aufrafften, die Schmah des franzöfiihen Thrones zu rächen, jonjt werde das Syftem ber Zerjegung der Geſellſchaft ganz Europa an— fteden und alle Länder jo unglüdlid machen wie Frankreich.) Die Wiener Zeitihrift gab der Hoffnung Ausdrud, nun werde doc einmal der ruchloje, revo- lutionäre Ton in den beutjchen Zeitungen ein Ende haben, nun werde man doch endlih die Scheu vor dem unvermeidlihen Waffengang ablegen, da ja auch das revolutionäre Franfreih feine Schonung des Menjchenblutes an den Tag lege.*) In einer im Auguft 1791 erſchienenen Flugichrift: „Sind die euro: päiſchen Mächte nah dem allgemeinen Völkerrecht befugt, die neue franzöfiiche Regierungsverfaflung, fo wie fie gegenwärtig eingerichtet ift, nach fruchtlos ver: fuchten Vorftellungen mit gewaffneter Hand zu befämpfen?” wird die Frage bejaht, da die Fürften, insbefondere die deutfchen Neihsftände an die eigene Erhaltung denken müßten, alfo im Stande der Notwehr handeln würden. In der „Kur: fürftlih gnädigft privilegierten” Münchener Zeitung darf man Erörterungen politiiher und ftaatsrechtliher Natur nicht ſuchen; fie pflegte nur Nachrichten über Hoffefte und Unglüdsfäle, Fremdenverkehr und Ernteausfichten zu bringen; Parifer Neuigkeiten wurben nur ſpärlich und behutfam mitgeteilt. Während von ber Prager Krönungsfeier die ausführlichſte Schilderung geboten wird, find der Pillniger Zufammenfunft nur ein paar Säge gewidmet. Es werde berichtet, daß „beede Monarden ſich die lebhafteften Freundichaftsbezeugungen erwieſen“. „Augenzeugen verfihern, daß nichts der Rührung gleicht, wovon alle Anweſenden durchdrungen waren, die das Glüd hatten, die größten Monarden von Europa fo eng vereinigt zu jeben, daß fie nur eine einzige Familie auszumachen ſchienen, und man hat alle Urſache, fi von diejer glüdlihen Stimmung eine dauerhafte Ruhe und das Glüf von Deutichland zu verfprecden.“ °)

Unverbrofjen befämpfte der „Wandsbeder Bote“, Matthias Claudius, wenn auch nur mit den Waffen des Schalke, den Bund des deutjchen Geiftes mit dem franzöfiihen Schwindelgeiit:

- „Do nun ift frei, wo jedermann Rad Schlagen und rumoren fann!“

Da jei doch matürliher und gefünder enger Anjchluß der Deutihen zur Aufrechthaltung des Glaubens, der Moral und der bürgerliden Ordnung. *)

') Polit. Journal II, 849, 985.

) Wiener Heitfchrift II, 80, IV, 84.

) Mündener Zeitung, Jahrg. 1791, 773.

) (Claudius) Asmus omnia sun secum portans, VI.; Urians Nachricht von der neuen Aufklürung, 115.

444 Zweite Bud. Dritter Abſchnitt.

Bon weit zahlreiheren Stimmen aber wurde die Erjprieglichleit des Bundes ber deutichen Großmädte, insbejondere die Notwendigkeit eines Angriffsfrieges gegen Frankreich angezweifelt. Die „Baterländifche Chronif”, von vornherein miß: trauiſch gegen das „Antis$ergbergiihe Syftem”, glaubte aus der in Pillnik „möglich gemachten, unmöglihen Thatfahe”, dem Freundihaftsbunde zwiſchen Defterreih und Preußen, nur ſchlimme Folgen für das Reich vorausjagen zu dürfen. „Was ift die Macht des ganzen übrigen Deutichlands gegen Defterreichs und Preußens verbundene Macht? Unfere Unterwerfung hänget alfo nur davon ab, ob die beiden wollen oder nicht.” . . .

„Wenn Löw’ und Adler Freunde find, So darf ber Wald, jo darf die Luft erbeben.” ...

„Damit ift der Fürftenbund, Friedrichs legte große Geiltesthat, von ber fo viel Sagens und Redens war, die Dohm und Müller jo deutſch und herzlich fommentierten, die unfere Barden befangen, von der unjere Patrioten jo große Erwartungen hatten, in ein Nichts zerronnen!” ')

Schlözer wies darauf hin, daß der fühle Wortlaut der Pillniger Dekla— ration die Emigranten durchaus nicht zu dem in ihrem Manifefte angeichlagenen großiprecheriihen Tone berechtige. Ein „Ariftofrat” hatte dem gefürchteten, freimütigen Publiziften die beiden Schriftftüde des Prinzen zugefendet, damit ihm Elar werde, daß Soldaten und Kanonen nun bald den Kontinent vom Schwindel eingebilveter Freiheit und Gleichheit furieren würden; es fei ja bie höchfte Zeit, dem Treiben der „ichriftitelleriihen Buben” in Deutichland zu fteuern und ben in ihren Journalen und auf ihren Kathedern verwegenen Aufruhr predigenden Gelehrten die Peitiche zu geben. Um dieſe Anflagen des „beutichen Schwarzen am Rhein” zu entkräften, ftellte Schlözer feit, welden Nuten die in Frankreich zum Siege gelangte Revolution jett ſchon gebradht habe. Sie habe aufgededt, welcher Unfinn darin liege, daß hochwohlgeborene Schwachköpfe und privilegierte Faulenzer nur von der Arbeit der gejcheiten und fleißigen Leute leben; fie habe gelehrt, daß ein Monarch, wie jhon Friedrich der Einzige erklärt habe, nur der erfte Beamte des Staates, mithin troß feiner Unverletzlichkeit dem Bolfe zu Red' und Antwort über feine Handlungen verpflichtet fei. Dem: nad jei in Frankreich, wo die Negierung bis in die allerneuefte Zeit für die allgemeinen Menjchenrechte weder Augen noch Ohren gehabt habe, eine Revo: lution notwendig gemwejen, in Deutſchland nicht; freilich fehle es auch hier nicht an Mängeln und Mißbräuchen, und auf diefe aufmerffam zu machen, fei Auf: gabe und Pflicht der Schriftfteller; man möge aljo aufhören, jeden Freiheits- prebiger einen Aufrührer und jede Rüge Zügellofigfeit zu ſchelten.) Immer wieder gab Echlözer der Ueberzeugung Ausdrud, daß eine Anſteckung Deutſch— lands dur die revolutionären Ideen nicht zu fürchten, mithin eine Abwehr mit Säbel und Flinte nicht notwendig ſei. Der Vergleih mit dem brennenden Haus fei nicht pafjend, denn wenn das Haus des Nachbarn brenne, laufe das eigene ohne weiteres Gefahr, vom Feuer ergriffen zu werden; dagegen könnten ſich

) Baterl. Chronik, Jahrg. 1791, 567, 601, 610. 2) Schlöger, Staatsanzeigen, 16. Bd., 456.

Die Pillniger Dellaration. 445

Grundfäte des Umſturzes in einen Nahbarftaat nur dann fortpflanzgen, wenn darin durch ähnliche Gebrehen und Mißſtände eine gewiffe Empfänglichfeit er: zeugt wäre. Dies fei aber in Deutichland nicht der Fall. „Mir kömmt fein Volk in der Welt reifer zur ruhigen Wiedererwerbung verlorener Menſchenrechte vor, ala das deutiche Volk, und zwar gerade wegen feiner von Unwifjenden oft verläfterten Staatsverfafjung. Langſam wird dieſe Revolution freilich geichehen, aber jie geichieht! Die Aufklärung fteigt, wie in Franfreih, von unten herauf, aber ftößt auch oben an Aufllärung; wo gibt es mehr kultivierte Souveräne, als in Deutichland? Dieſes Auffteigen läßt fih nit durch Fünffreugermänner und Zwölfpfünder in die Länge hindern. Und daß es allmählich ohne Unfug, ohne Anarchie geſchehe, wird allem Anſchein nah mehr das Werk der Schrift: fteller als der Kabinette jein. Fürften werden Fürften bleiben, und alle deutichen Menſchen freie Menſchen werden!” !) Als die Angriffe gegen die Verteidiger der franzöſiſchen Neuerungen fortdauerten, wandte fih Schlözer nochmals gegen den Irrtum, daß Revolution und fFreiheitsbrang ein und basjelbe feien. „Ein Demokrat, der behauptete, daß nit ein Menih, auch nicht bloß ein paar hundert Menſchen, Nobili, Magiftrate, Beamte genannt, daß Schidjal von Mil: lionen Menihen ohne weitere Rückſprache entſcheiden müſſen, it ein Philo: foph, ein Menfchenfreund, eine Schugwehr, gleih ftarf gegen Tyrannei und Anarchie.” ?)

Am leidenfhaftlichften wurde die Einmifhung Deutichlands in die inneren Angelegenheiten der Franzoſen von einer „in Germanien 1791, im zweiten Jahre der Freiheit” erſchienenen Flugihrift „Der Kreuzzug gegen bie Franken“ bes fämpft.°) Heute höre man allerorten von Verträgen und Rüftungen, und alle diefe Bajonette jollen gegen die Franken gerichtet werden, die doch Deutichland in feiner Weije gereizt oder beleidigt hätten. Wozu ber Lärm? Weil ber Franke aus einem gefefjelten Tier endlich ein freier Menſch geworden ift, weil man an ber Seine nicht mehr glaubt, daß Tugenden, Talente und Wiſſenſchaft fih erben laſſen, wie man den Rod des Vaters erbt, daß man friegeriiche Kennt: niffe und Tapferkeit nicht faufen fann, wie man den Wed vom Bäder fauft, weil man fich dort vor Augen hält, daß der Stifter der chriſtlichen Religion auch nicht Herr von Chriftus geheißen hat u. j. w. Welch eine Thorheit, an der Seine wieder das alte Raubſchloß mit feinen Falbrüden, Mauern und Bärengruben aufrichten zu wollen! „Sit die neue Konftitution ihr Glüd, warum follten wir fie ihnen nicht gönnen? Iſt aber ihr Glüd nur ein Traum, wo iſt ber Traftat, der euch das Recht gibt, fie darin zu ſtören?“ Freili die Ariftofraten

) Staatsanzeigen, 17. Bd, 225.

2) Ebenda, 96.

» G. Forſter hielt den kurz zuvor zum Amtmann in Gernsbach bei Baden-Baden er- nannten Ernſt Poſſelt für den Verfaſſer. „Der Kreuzzug gegen die Franken,“ ſchrieb er am 9. Auguſt 1791 an Heyne, „ſoll von Poſſelt ſein. Er zeigt hauptſächlich die Ungereimtheit der Bemühungen Heiner deutſcher Fürſten gegen Frankreich und macht bemerklich, daß das Aufhetzen gegen die neue Verfaſſung hauptſächlich der nicht beeideten Geiſtlichkeit zuzuſchreiben ſei.“ (G. Forſters ſämtliche Schriften, VIII, 155.) Die bedeutſame Flugſchrift iſt jedoch nicht von Pofſelt, ſondern von Clauer abgefaßt.

446 Zweites Bud. Dritter Abſchnitt.

ſchreien: „Unjere Sache ift die gemeinfhaftliche Sache der Könige! Die politifche Kegerei der Franzoſen muß vertilgt werben, ſonſt wirft fie anftedend!” Als ob in Frankreich etwas anderes geftürzt worden wäre, als die Tyrannei der Kuppler und Maitreffen, denen der gute König ohne fein Willen feinen Namen und feine Gewalt geliehen hat! Damit hat doch die Entwidelung in Deutihland nichts gemein, wo man mit Friedrich dem Einzigen des Glaubens ift, daß das Volt nicht um des NRegenten, fondern der Regent um des Volkes willen eriftiert.

Aber, jo jagen die deutſchen Fürften, wie fünnen wir an bie Gerechtigkeit und Friedensliebe der Franken glauben, wenn fie uns mitten im Frieden als Feinde behandeln? Sind nicht die in Eljaß und Lothringen begüterten Souveräne ihrer Rechte und ihres Eigentums, die deutfchen Biſchöfe ihrer Diöceſanrechte beraubt worden?

Auch diefen Einwand läßt die Flugjchrift nicht gelten. Was von ben Rechten Frankreichs und der deutſchen Fürſten im Elſaß zu halten jei, könne nit als ausgemadt gelten. Schon Ludwig XIV. habe unter Berufung auf ben mweftfälifchen Frieden die elſäſſiſchen Fürften als wirkliche Unterthanen be— trachtet; jedenfalls ſei dieſe Auffaſſung von den Fürften jelbit dadurch gefördert worden, daß fie durch Annahme von lettres patentes ihre Reihsunmittelbarfeit aufgaben und der franzöfiihen Hoheit huldigten. Und ob ein deutſcher oder ein franzöfifher Biſchof Die Leute in Eljaß und Lothringen zum Himmel führe, das fönne doch den Deutſchen gleichgültig fein! „Hätten wir nur jene Hirten, bie ihre Schafe nicht bloß weideten, fondern auch fcheren und ſchlachten ließen, hätten wir fie nur ganz los! Die Herrſchaft des Priefterreiches, wovon Rom die Haupt: ftabt und der Mittelpunft ift, das iſt es doch eigentlich, wofür gegenwärtig mit jo vieler Hite geftritten wird.” Noch fei der größte Teil der deutſchen Bürger und Bauern zu weit zurüdgeblieben, als daß fie das in Frankreich Erreichte anzus ftreben gedächten; ihre Thätigfeit gehe darin auf, für die eigenen und die Staats: bedürfniffe zu forgen und zu arbeiten. „Baut indeſſen nicht zu ftarf auf feinen bungrigen Magen und jeine Unwiſſenheit!“ Ein unglüdlicyer Krieg gegen Frankreich würde unfehlbar für Deutichland die Revolution im Gefolge haben, „Dann wehe den Fürften! Dann werben die Häufer der Fürften, des Adels und ihrer Diener in Flammen jtehen, und die rauchenden Provinzen am Rhein werben gar bald dem übrigen Deutjchland eine Berheerung ankündigen, bie weit jhredlicher fein wird, als es die Scenen des Dreißigjährigen Krieges gewejen find! Den Anhang des Pam: phlets bildet ein Gebet mit der Bitte um Bewahrung vor Pfaffenliſt und Pfaffen: trug, Epaulettenftolz und Bürgerkrieg, wilden Tieren und Intendanten, Bluts ſchändern und frommen Eminenzen u. ſ. w.

Das radikale Braunfchweigiihe Journal verjpottete im voraus das bunt- jchedige Heer, das der Kaiſer gegen das revolutionäre Frankreich ins Feld rufen wolle:

„Hier fehsunddreißigtaufend Mann Läßt Deftreih ftradlid rüden an,

Und, die noch bejler follen beißen, Seht, vierundzwanzigtaufend Preußen! Mit zwanzigtaufend läßt ſich ſchön

Der Vetter Bourbon aus Spanien ſehn;

Die Pillniger Deflaration. 447

Dort dreißigtaufend Savoyarben

Mit Murmeltier und SHellebarben,

Und dort Herr Condé lobejan

Dei Worms mit noch zehntaufend Mann.”

Schmach über das Ziel der Nüftungen des monarchiſchen Europas: bie Freiheit nieberzufchlagen, die Herrlichfeiten des alten Regiments wiederherzuftellen, den Bauern wieder zum Vieh herabzumürdigen! ?)

Wieland war längft nicht mehr der Lobredner der Revolution, deren An: fänge er mit ſchwärmeriſchem Enthufiasmus begrüßt hatte, jeit Mirabeaus Tod und den an Ludwig XVI. verübten Gewaltaften beurteilte er nüchtern und mißtrauifch die Entwidelung im Nahbarreihe. „Ein Volt,” ſchrieb er im Herbft 1791 im Teutfhen Merkur, „das frey jeyn will und in zwey vollen Jahren noch nicht gelernt bat, daß Freyheit ohne unbedingten und unbegränzten Gehorfam gegen die Gejege in der Theorie ein Unding und in der Praris ein unendlid: mahl ſchändlicherer und verberblicherer Zuftand ift, als aſiatiſche Sflaverey, ein Volt, das auf Freyheit pocht und fih alle Augenblide von einer Faction von Menihen, qui salva republica salvi esse non possunt, zu den wildeften Ausichweifungen, zu Handlungen, deren Gannibalen fih jhämen würden, auf: beten und binreifjen läßt, ein jolches Volk ift, aufs Gelindefte zu reden, zur Freyheit noch nicht reif und wird allem Anfehen nad noch mande fürchterliche GConvulfionen zu überftehen haben, bis fein Schidjal auf die eine oder andere Art entichieden iſt.“ Trotzdem brachte der Teutſche Merkur einen geharniſchten Artikel gegen jenen im Journal von und für Franken erteilten Nat, das ge: fittete Europa durch einen bewaffneten Korbon gegen die in Frankreich aus: gebrochene moralifhe Peſt abzuſchließen. „Ach! mit den Korbons ift es eine eigene Sade! Die vielen Kordons, welhe man Unwürdigen austeilte, ihre Bruft zu zieren, und Unſchuldigen, um ihnen den Hals zuzuziehen, waren ja eine von ben Urſachen der Revolution!” Wieland jelbit ſprach in einem Nachwort feine volle Zuftimmung aus. Man möge fich durch die teils wahren, teils übertriebenen, teils ganz falſchen Schilderungen des Elends der Anarchie infolge des Einreißens ber alten Berfaflung in Frankreich nicht verleiten laſſen, dort alles und jebes von ber graufenhaften Seite anzujehen und bei dem Worte Freiheit nur an Laternenpfähle, rajende Fiſchweiber und die fannibalifhen Dftoberfcenen zu denken. Das deutſche Volk, das Thon fait alles befigt, was das franzöfifche durch die Revolution erft zu gewinnen hofft, ſoll jo großmütig fein, den Be: freiungsprozeß bes Nahbarn nicht durch rechtswidrige und unnötige Einmiſchung zu ftören. Ein „europäifches Konzert” könnte dem Könige, der nicht ohne eigene Schuld die Liebe feines Volkes verloren habe, im günftigften Falle nur dazu bes hülflih jein, „auf den Trümmern feines eigenen Reiches wieder einen deſpotiſchen Thron auf dem Naden etliher Millionen Sflaven zu erbauen, welche wahr: fcheinlih, nad Ausführung einer jo edlen Ritterthat, von den Einwohnern Fran: reihs noch übrig”. ?)

) Braunfchweiger Journal, Jahrg. 1791, IIL, 230. 2) Der Neue teutfhe Merkur vom Jahre 1791, II, 224, 418, 427.

448 Zweites Bud. Dritter Abichnitt.

Auch der preußiſche Hauptmann Archenholz, der jeit September 1791 felbft in Paris lebte, die Zuftände aljo aus eigener Erfahrung beurteilen konnte, gab den Monarchen zu bedenken, daß weder ihre Verbrüderung, noch die glüdlichiten Erfolge ihrer Heere im ftande fein würden, das alte Königtum in Franfreid wieder aufzurichten; dies jei nur durch Ausrottung des größeren Teiles der Nation zu erreihen. „Es ift bier nit, wie bey fonftigen Revolutionen, die Frage, ob diejer oder jener Menſch König ſeyn, fondern ob eins der zahlreidhiten, cultivirteften und mächtigſten Völker der Erde, das jeit einigen Jahren aus dem tiefiten Schlamm der Sklaverey emporgeitiegen war und bie ſüßen Früchte der Freyheit nicht ſowohl gefoftet, als fi daran bis zur Ueberladung genährt hatte, ob ein ſolches Volk jogleih wieder ruhig den Naden unter das Joh beugen und bie zerbrochenen Ketten wie Spielfadhen betrachten würde?” Haben doch Schweden und Polen ihre Verfaſſung geändert, ohne daß die Nachbarn das Bedürfnis em pfanden, dagegen einzujchreiten; weshalb ſich jet um einer Gegenrevolution willen mit dem mächtigen Franfreih in einen Krieg einlaffen, von bem „ein Mann, der unter Friedrichs Fahnen gedient hat und das Lokale kennt,” fagen muß, daß er den Angreifern faft unüberwinbliche Hinderniffe in den Weg ftellen wird. !)

Es würde nicht ſchwer fallen, ähnliche Auslafjungen in Preſſe und Litte— ratur jener Tage in großer Zahl ausfindig zu machen. In weiten Kreiſen der Geſellſchaft war man fich zwar nicht darüber Har, daß fein Staat das Recht habe, einem anderen zu verbieten, jeine Regierungsform zu geftalten, wie er jelbft e8 für rechtmäßig und erſprießlich halte, daß aljo die Pillniger Deflara: tion troß ihrer Wenn und Aber eine Verfennung der wichtigften Grundzüge inter: nationalen Lebens bedeute, allein man fonnte fi ber Furt nicht erwehren, daß der Bund zwiſchen Defterreih und Preußen einen Rüdftoß gegen die bisher vorwärtsftrebende Richtung auf politiihem und religiöfem Gebiete herbei: führen werde.

1) J. M. v. Archenholz, Minerva, I, 18.

Dierter Abjchnitt.

Befterreic und Preußen vor den Rebolufionskriegen. Ratharina II. und:die deutſchen Mächte. Marie Antoinette und die Parfeien in FJrankreich. LTevpold I. und Die franzöſiſche Revolution. Wachſende Kriegsgefahr. Das auswärtige Frankreich. Bundesvertrag zwiſchen Dellter- reich und Preußen. Tod Teopolds II Pie franzöſiſche Rriegserklärung. DerWahltag in Frankfurt. Der Fürften- kongrek m Mainz. Der Krieg und das deukſche Reid. Preußen und Polen.

vor wenigen Jahrzehnten die heftigften litterariihen Kämpfe hervor:

© gerufen hat. Vom Gegenjage zwiſchen Sybel und Herrmann war ſchon oben die Rede. Während die beiden Hiftorifer in ber Frage, welche Stellung gegenüber dem polniſchen Staatsftreihe einerſeits Kaifer Leopold, andererjeits die preußijche Regierung eingenommen habe, abweichende Meinungen verfohten, begegneten fie fi in der Auffaffung, daß der Anftoß zur zweiten Teilung Polens nit von den deutihen Mächten, jondern von Rußland ausgegangen fei. Weit heftiger aber entbrannte der Streit über das Verhältnis Defterreichs und Preußens zum revolutionären Franfreih; mit dem Urſprung der NRevolutions- kriege jteht ja die Frage in Zufammenhang, welcher Staat am Mißerfolge dieſes MWaffenganges und damit an der Auflöjung des alten Reiches die Schuld trage. Bis in die fünfziger Jahre war die Anficht vorherrichend, daß die ſchwerſte Verantwortung auf Preußen falle, deſſen Regierung aus felbitfüchtigen Beweg— gründen plöglich auf jeiten des veracdhteten Feindes trat und dadurch das ver- bündete Defterreih nötigte, nur mit eigenen Kräften den ungleihen Kampf fortzujeßen, bis es, am eigenen Körper aus jchweren Wunden blutend, bie Beraubung und endlich den ſchmählichen Zuſammenbruch des Deutihen Reiches geihehen laſſen mußte. Diefe Anfiht wurde nun ziemlich gleichzeitig von Häuffer und Sybel in umfafjenden, auf neuen Quellen beruhenden Darftellungen

Heigel, Deutfche Gefchichte vom Tode Friedricht d. Gr, bit zur Auflöfung des deutſchen Heiche, 29

8— ir ſind in die Betrachtung einer Periode eingetreten, deren Beurteilung

450 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

der Nevolutionsperiode bekämpft.) Keiner von beiden Forſchern fühlte fi berufen, den Bafeler Separatfrieden zu billigen, aber fie juchten zum erjten: mal die Entitehung und die Beweggründe des unerfreulichen Ereigniljes zu er: Härten; indem das feindjelige Verhalten des Faiferlihen Miniſteriums Thugut Elargelegt wurde, war in der That, da von feinem Staate felbftmörberijche Handlungsweife zu verlangen it, in gewiſſem Sinne eine Rechtfertigung der preußiihen Politik erreiht. Sybel und Häuffer benütten hauptjählid die preußifhen Archive; auch durch Veröffentlihungen aus franzöfifchen, ruſſiſchen und engliihen Archiven wurde die Politik jener Mächte wenigitens jo weit auf: gehellt, daß wenigftens der allgemeine Charakter mit Sicherheit erfennbar war. Da aber no immer die Aufflärung über die individuellen Motive der faiferlichen Rolitit mangelte, wurde die Nachricht freudig begrüßt, daß man aud in Wien aufgehört habe, die Heimlichkeit als erites Gejeg und Lebensbedingung der Archive anzujehen. Zum erftenmal fonnte Vivenot für feine Biographie des Bejehle: babers der Neichsarmee, Herzog Albrechts von Sachſen-Teſchen, die jedoch über den Rahmen der urjprünglich gewählten Aufgabe hinauswuchs und fih auf dem Titel des zweiten Bandes ſelbſt als Beitrag „zur Geſchichte des Bajeler Friedens“ harakterifierte, ?) die Wiener Archive benügen. Doch nicht auf Grund neuer Ent: hüllungen, fondern nur weil er das mittelalterliche Verhältnis der Reichsſtände zum Kaiſer ohne Einſchränkung als Maßſtab für die Beurteilung ihrer Politit an der Wende des achtzehnten Jahrhunderts anwendete, erhob er aufs neue die ſchwerſten Anklagen gegen die Politik Friedrih Wilhelms II. und die „Eeindeutichen Ge: ſchichtsbaumeiſter“, welche die Geihichte des Bajeler Separatfriedens, des „eigent: lihen Wendepunftes der neueften deutſchen Geſchichte“, zu Gunften einer idealen preußiihen Spitze verfälicht hätten. Die Arbeit Vivenots ift aber jo unkritiſch und formlos, daß fie faum als etwas anderes denn als Pamphlet angejehen werden fann. Mit ungleih ſchärferen Waffen juchte ein paar Jahre jpäter Her: mann Hüffer, der jeine Forſchung auch auf die Parifer Ardive ausgedehnt hatte, den Beweis zu führen, daß Eybels Darftellung durch die Tendenz, das Aus: ſcheiden Defterreihs aus dem deutſchen Staatsverbande als rätlich und geboten ericheinen zu lafjen, allzujehr beeinflußt worden ſei und dadurch an Zuverläflig: feit verloren habe.) Dagegen führte auch Sybel immer neue Beweife ins Feld, um feine Stellung zu verteidigen. Angriff und Abwehr verrieten leidenſchaftliche Erregtheit der Streiter, der Zweikampf wandelte fich in ſtürmiſchen Buhurt, und büben wie drüben wurde die Grenzlinie zwifchen wiſſenſchaftlicher Erörterung und feindjeliger Polemik nicht immer beachtet. Die Hejtigkeit des Federkriegs

) H. v. Sybel, Geſchichte ber Nevolutionszeit von 1789—1800, Bd. 1-5, 1853 1870. (4. Aufl. 1882.) 2. Häuffer, Deutfhe Gefhichte vom Tode Friedrichs bes Großen bis zur Gründung des Deutfhen Bundes, Bd. 1—4, 1854—1857. (4. Aufl. 1869.)

?) Alfr. Edler v. Bivenot, Herzog Albrecht von Sachſen-Teſchen als Reichsfeldmarſchall I, 1864, II, 1. u. 2, Abth., Zur Geſchichte des Bafeler Friedens, 1866.

) 9. Hüffer, Diplomatiihe Berhandlungen aus der Zeit der franzöfifhen Revolution, Bd. 1: Defterreih und Preußen gegenüber der franzöfifhen Nevolution bis zum Abſchluß bes Friedens von Campo Formio (1865); Bd, 2: Der Najtatter Kongreß und die zweite Koalition (1878—1879).

Defterreih und Preußen vor den Revolutionsfriegen. 451

erklärt fih aus dem Charafter der Zeit, in welder dieſe Schriften entitanden. Der Gegenfat zwiſchen den zwei größten deutſchen Staaten, deren jeder die Führung Deutichlands beanſpruchte, war zur Zeit der Beröffentlihung ber eritgenannten Werfe jchon zu unerträgliher Spannung gediehen, der entjcheidende Waffengang daran war nicht mehr zu zweifeln ftand bevor, und die Bar- teien fcharten jih enger um ihre Banner; die Fehde zwiſchen Sybel und Hüffer aber erhob fi, faum daß der Bruderfrieg von 1866 zu Ende war, da Friede zwar urkundlich feftgefegt, doch in die Gemüter der Deutfchen noch nicht zurück— gekehrt war. Auch der redlichite Hiftorifer vermag fih dem Einfluffe mächtiger Beitftrömungen nicht zu verſchließen; eine unbefangene Darftellung der Be: ziehungen zwijchen Deiterreih und Preußen war unmittelbar vor und nad 1866 ebenjo unmöglich, wie eine völlig unparteiifhe Würdigung des Verhältnifjes zwifhen Heinrich IV. und Gregor VII. in der Zeit erbitterten Kulturfampfes. Erft in ruhigerer Stimmung fann man die Ueberzeugung gewinnen, daß es in den meiften Fällen gar nicht zuläflig it, die Schuld an verhängnisvollen politiſchen Kataftrophen einer einzelnen Perjönlichfeit oder einem einzelnen Staate auf: zubürben.

Heute fält es nicht mehr jo jchwer, die Vorgänge und Entwidelungen vor hundert Jahren ſachlich zu beurteilen. Defterreih ift aus dem beutjchen Staatsleben ausgejhieden, der Kampf um die Führerjchaft ift entſchieden, es beiteht fein Grund mehr, die Rechtfertigung des einen in Vorwürfen gegen den anderen zu juchen und damit die öffentlihe Meinung zu Gunſten des einen gegen den anderen zu beeinfluffen. Freilih, Vorſicht und Zurüdhaltung find auch heute noch geboten. Es ift viel leichter, eine Politik jchlechtweg zu verbammen, als zu jagen, ob es denn wohl nad) dem natürlichen Lauf menſchlicher Dinge, nad) dem für die einzelnen Staaten jo gut wie für den einzelnen Menſchen geltenden Lebensgejeß und nach ber bejonderen Beihaffenheit der Verhältnijje anders hätte fommen fönnen.

„Die Beziehungen zwischen Defterreih und Preußen,” erklärt der rufjische Hiftorifer Bilbajoff in Uebereinftimmung mit Sybel, „können nur dann richtig beurteilt werden, wenn das Verhältnis Katharinas II. zu Frankreich und den deutihen Mächten gebührend gewürdigt wird.” !) Für die Lebens: und Regie: rungsgeihichte dieſer jo verjchiedenartig beurteilten Fürftin find in jüngiter Zeit neue Quellen erſchloſſen worden; erft feit uns ihre Memoiren und Briefe be: fannt geworden find, läßt fich der Charakter der „Minerva des Nordens”, in dem niedrige Eigenihaften des Weibes mit hohen Vorzügen des Mannes, LZaunen: baftigfeit und Hochherzigkeit, Sinnlichkeit und Thatendrang, Eitelkeit und Pflitgefühl wunderlihd vereinigt waren, befjer verftehen. Namentlih im Briefwechjel mit ihrem litterariſchen Vertrauensmann Baron Grimm, dem „franzöſiſcheſten Deutſchen“ das Wort ftammt von St. Beuve tritt ihre Perjönlichkeit ohne Maske und Schleier entgegen. Wenn fi) einerfeits jhwer begreifen läßt, wie Katharina die öde Speichellederei ihres Faktotums er bittet fie einmal, ihn „unter ihren Hunden zu behalten”! viele Jahre

*) Bilbafoff, Katharina II. im Urteil der Weltlitteratur II, 470.

452 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

lang ertragen konnte, !) jo leuchten uns andererjeits Proben der Schärfe, Viel: jeitigfeit und Unabhängigkeit ihres Geiftes entgegen. Sie war ein geborener Staatsmann, Politik beherrfchte ihr Leben, und fie errang auf dieſem Gebiete glänzende Erfolge, wenn auch zu bezweifeln ift, ob ihre Thaten der Wohlfahrt Nußlands förderlich waren. Ruhmſucht war denn doch Katharinas ſtärkſte Leiden: ichaft, und dieſer Trieb lieb auch fie nur tatarifhe Eroberungspolitif treiben. Sie wollte Polen haben, um Europa näher zu fommen, doch nicht um fi an europäiiche Kultur anzulehnen, jondern nur um leichter in alle Händel der Nach— barn ſich mifchen zu fönnen. Auch Katharina ließ ſich den Fehler zu ſchulden fommen, den Schlözer an Peter I. rügte, daß aller Fleiß auf die obere Etage des Haufes verwendet, die untere aber vernadjläffigt wurde, oder ohne Allegorie geſprochen, daß eine Akademie der Wiflenichaften, aber feine halbwegs tüchtige Volfsihule vorhanden war. Für Katharinas Stellung zur franzöfiihen Re— volution war ausſchließlich das politiiche Intereſſe Rußlands maßgebend; deshalb trat fie gleichzeitig gegen die Franzojen, welche das Königtum vernichten wollten, und gegen die Polen, welche die Königsgewalt wieder aufzurichten trachteten, als Feindin auf. Während fie für den nordamerifaniichen Unabhängigkeitsfampf geihwärmt hatte, ließ fie fich von der europäifchen Begeifterung für den Baſtille— fturm nicht einen Augenblid fortreißen; fie fühlte fi) ganz als Vertreterin des auf: geflärten Dejpotismus; fie hatte nur Hohn und Spott für die Anmaßung der „Schuh: flicker“, die plöglih ein Talent für Regierung und Gefeggebung an ſich entdedt hätten; fie fchalt die Parifer Vollsmänner Tollhäusler, die in Zwangsjaden ges ftectt werden müßten, gegen die unverzüglich der heilige Krieg zu eröffnen wäre, aber von Schweden, Spaniern und Deutſchen, nit von den Ruſſen. Wenn auch ihr das Treiben der Emigranten in manden Stüden mißfiel, fie würden, meinte fie, unfehlbar ihr Ziel erreichen, „wenn fie nur bie vier oder fünf kleinen Ingredienzien hätten, die ja jo leicht aufzutreiben find: Mut, Feftigkeit, Groß— berzigfeit, Klugheit und das nötige Urteil, um alles richtig zu gebrauden,” jo wurde fie doch nicht müde, die Notwendigkeit einer Reftauration in Frankreich hervorzuheben. Wenn ſich nicht Frankreich felbft dazu aufraffen könne, die ihuldigften Häupter der zmwölfhundertköpfigen Hydra zu zertreten und dadurch Staat und Geſellſchaft zu retten, jo müſſe fich das Ausland diefer Pflicht unter ziehen. Ein Didingishan müfle fommen, um Frankreich zur Vernunft zu bringen; 20000 Rofafen würden genügen, um den Weg von Straßburg nad) Paris zu jäubern. ?)

Dod der Grimm der „royaliste par metier et par devoir* befchränfte ſich auf Schmähreden und Drohmworte; jie operierte noch allenfalls mit Noten, niemals aber mit Soldaten. In Wahrheit hat niemand der revolutionären Propaganda fo hervorragende Dienfte geleiitet, als Karl Hillebrand mag jelbft das un— galante Wort verantworten die „obligate Heulerin über die Revolution”. Durch

', 8. Hillebrand, Katharina Il. und Grimm; Deutiche Rundihau, 25. Bb., 377. Einmal ipricht Katharina mit Wohlgefallen von einem unglaubli gefhmadlofen Gediht von Senac de Meilhan, das fie mit der Kathedrale St. Veter in Rom vergleiht (Bilbafoff, Katharina II. im Urteil der Weltlitteratur I, 572).

2) Brüdner, Katharina II, und die franzöfifche Revolution Ruff. Revue, III, 490.

Katharina II. und die deutichen Mächte. 453

ihre polnische Politik hat fie fort und fort das Mißtrauen der deutfhen Großmächte genährt, und als es endlich zur Waffenentiheidung fam, vereitelte fie jelbit das Gelingen bes von ihr gepredigten „Rreuzzuges gegen die Franken“, indem durd) ihre Umtriebe die preußiſchen und öfterreihifchen Heere vom Rheine abgezogen wurden. Es war ihr ausjhlieflih darum zu thun, die läftigen Nachbarn zu befhäftigen. „Je me casse la tete,* fagte fie im Sommer 1791 zu ihrem Geheimfchreiber, „um den Berliner und Wiener Hof in die franzöfiihen An— gelegenheiten bineinzubringen. Der preußiihe würde ſchon gehen, aber ber Wiener bleibt figen.” An den Bizefanzler Oftermann jchrieb Katharina: „Die Höfe verftehen mich nicht. Ai-je tort? Il y a des raisons qu’on ne peut pas dire; je veux les engager dans les affaires, pour avoir les coudees franches; ih babe viele unfertige Unternehmungen, und es ift nötig, daß fie bejchäftigt feien, um mich nicht zu ftören.”!) Der Verfaffer der gediegenften Biographie Katharinas, Bilbaſoff, macht fich Iuftig über ven Wetteifer der Vertreter preußiſcher und öſterreichiſcher Intereſſen, die Zarin als den eigentlihen Störenfrieb zu denunzieren; er jagt aber nichts von jenen zwei von Kalinfa ans Tageslicht ge: braten Schriftitüden, welde den unmwiderleglihen Beweis liefern, daß die An: regung zur zweiten Teilung Polens in der That von Katharina ausging. ?) Am 27. Mai 1791 jchrieb Katharina an Potemkin: „Wir beabfichtigen nicht zu früh mit den Polen zu breden, obwohl wir dazu Recht und Grund baben nad einer fo niederträdhtigen, von ihrer Seite ausgehenden Berlegung unferer Freundfhaft und nah dem Umfturz verichiedener, durch unjere Garantie befeftigter Beſchlüſſe, wie auch infolge vieler Beleidigungen, die wir von ihnen erduldet.“ Ein „unzeitiges“ Einrüden ruffiiher Truppen würde die Preußen nah Polen ziehen, man müſſe alfo vorerit lieber tradhten, jede Verbindung zwiihen Polen und Preußen aufzulöfen und unmöglih zu maden. Nach einer Aufzählung der Mittel, welche hierzu angewendet werben follten, fährt die Kaiferin fort: „Die Zeit wird zeigen, ob wir Polen auf die eben bejchriebene Weiſe an uns ziehen fönnen; follten alle unfere Bemühungen fich fruchtlos erweijen und Unterhandlungen nicht zum Ziele führen, jo wird man nicht zögern dürfen, mit Anwendung der äußerften Mittel, und zwar mit Hülfe einer Refonföderation die Pläne der uns Mißgünftigften zu verwirren; vielleicht wird die jegige Um: wandlung der polniihen Konftitution ſchon allein uns eine Handhabe dazu bieten.” Noch zuverfichtliher und deutlicher jchrieb Katharina am 29. Juli an ihren Feldmarſchall, die Mißachtung, welche der König von Polen mit jeinem Anhang andauernd an den Tag lege, werde fie dazu nötigen, bie Feinde ber Konftitution um das ruffiihe Banner zu fcharen und zu ihrer Unterftügung das auf der Balfanhalbinjel frei gewordene Heer in Polen einmarjchieren zu laffen; zugleich joll der römiiche Kaifer von der Notwendigkeit jo ftrengen Vorgehens überzeugt und der König von Preußen wenigitens von Widerſetzlichkeit zurüd:

) Brüdner, Katharina IL, 415.

2, Life, Zur polnifchen Politik Katharinas II. 1791: Hiftor. Zeitihrift, 30. Bb., 281. KRalinfa, Der vierjährige polnische Reichätag von 1738— 1791, aus dem Polnischen von M. Dohrn, I, Ein. XXVI.

454 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

gehalten werden. „Entweder wird e8 uns gelingen, die jetige Verfaffungsform aufzuheben und bie frühere polnische Freiheit (!) wiederherzuftellen,; dann werben wir dadurch für unjeren Staat auf ewige Zeiten eine vollftändige Sicherheit ein: ernten. Oder aber, wenn in dem Könige von Preußen eine unüberwindliche Habgier zu Tage treten jollte, jo werden wir uns gezwungen fehen, um für die Zulunft den Sorgen und Unruhen ein Ende zu maden, in eine neue Teilung der polniihen Lande zu Gunften der drei verbündeten Mächte zu willigen.“ Die arıne Zarin! Was bleibt ihr anderes übrig, als fi) dem „habgierigen” Preußen anzuschließen, um das „undankbare“ Polen zu ftrafen oder vielmehr zu beglüden, da ja der „bejonnene” Teil der Bevölkerung „ſchon längſt feine Hoffnungen auf Rußlands Kräfte und Hülfe gebaut hat“. Kalinka nennt diejes Schreiben das Todesurteil Polens, das fein Pole ohne Grauen lefen werde. „Einen ſolchen Reihtum von Kombinationen neben einer völligen Gleichgültigkeit dafür, ob fie erlaubt oder im höchſten Grade verbrecheriſch find, eine ſolche Weite und Piel: jeitigfeit des Blides neben folder Nüchternheit und Scharffiht, einen ſolchen unbiegjamen, alles zertrümmernden Willen, eine jolde genaue Angabe der Zeit, der Mittel, der Perfonen und ihrer Rollen, und alles dies auf ein Jahr vorher, unter Taufenden von Intereſſen und Einflüffen, die fih untereinander freuzen, findet man nicht leicht fonft in der Gefchichte der menſchlichen Thätigkeit!” Katharina gab auch ihren Bundesgenoſſen ſchon im Herbit 1791 zu erkennen, daß fie entſchloſſen ſei, den mißliebigen Zuftänden in Polen ein Ende zu machen. „Jeder von den beiden Kaijerhöfen,” jagte Fürft Gallizyn in Wien zu Kaunig, „bat eine ernfte Miffion zu erfüllen und eine Gegenrevolution burdzuführen, der öjterreihifche in Paris, der ruſſiſche in Warſchau.“ Kaunig hatte gegen diefe Anſchauung nichts einzuwenden; ihm war vor allem daran gelegen, den Bund der Kaiferhöfe jo lange wie möglich" am Leben zu erhalten. Deshalb verficherte er mit Wärme, Oeſterreich erblide in der Unterftügung Ludwigs XVI. jeine erfte Ehrenpflidt; die Annäherung an Preußen fei nur zur Förderung dieſes Zweckes erfolgt, fei aber nur ein „zeitliche, den bisherigen Syftemzmweden der Allianz Defterreihs mit Rußland untergeorbnetes Mittel“.) Auch Leopold erflärte der Zarin, nur die Lauheit der europäifchen Mächte hindere ihn, mit der nämlichen Entichiedenheit gegen die Revolutionäre aufzutreten, wie fie die große Kaijerin, auch Hierin Mufter und Vorbild für alle Souveräne, an den Tag lege. „Die Unficherheit und die Langjamkeit, die den Bemühungen, ein europäijches Konzert zu Stande zu bringen, entgegenwirken, und die Pläne und Bitten des allerchriſtlichſen Königs und der Königin, meiner Schweiter, haben mid bewogen, unterbeilen ben Weg direkter Verhandlungen einzufchlagen, ſowohl um jeden Zweifel an meiner Gefinnung auszufchließen, als um die Wirkung der fpäteren gemeinfamen Schritte und Maßnahmen möglichft wirkjam vorzubereiten und die Lage in Frankreich einjtweilen etwas erträglicher und für die Zukunft hoffnungs— voller zu geitalten” (9. September 1791). Einige Tage jpäter wiederholte der Kaijer die Beteuerung, er werde für König Ludwig alles thun, was „bie Um: ftände und die Ereignifie erlauben werden“. „Sn jedem Falle werben wir, Em.

') Beer, Leopold II, Franz II. und Hatharina, 85, 105.

Katharina IT. und die deutfhen Mächte. 455

Kaiferlihe Majeftät und ich, alles gethan haben, was wir in biejer großen An: gelegenheit thun müſſen und thun fönnen; ich jehe meinen Ruhm nur in inniger Uebereinftimmung unferer Grundfäge und der Mafnahmen vor den Augen Europas und der Nachmelt.” ')

Diefe Hebereinitimmung beftand aber in Wirklichkeit gar nit. Während Katharina dem Programm der Emigranten geneigt war, wollte Leopold davon nichts wiſſen. Es wurde ſchon erwähnt, daß Leopold während des Aufenthalts in Prag von Anhängern der Emigrantenpolitit beftürmt wurde, die Annahme der Berfaffung durch König Ludwig und damit den Sieg der Eonftitutionellen Idee zu verhindern. „ch werde mich aber durd niemand von meinem Wege ablenfen laſſen,“ fagte Leopold zum preußiichen Gejandten, „ih werde dem Egoismus der Emigranten und der Leidenſchaft des Königs von Schweden feine Zugeftändnifje maden. Das Projekt einer Regentfhaft halte ich für lächerlich, die Aufitellung eines preußij:öfterreidhiichen Heeres für verfrüht und gefährlich, und auf den Landgrafen von Heſſen-Kaſſel einzumirfen, damit er jeine Truppen den Emigranten zur Verfügung ftelle, fält mir gar nicht ein.” In ähnlichem Sinne ließ ih Kaunig gegen Marquis Luckhefini, der ihn auf der Heimreije von Siftowa aufgefucht hatte, über die Lage aus. Vorerſt jei gegen Frankreich nichts zu machen; wenn nicht ein Bürgerkrieg dort ausbredhe, fehle es an jeglicher Handhabe, um für den König einzutreten. Auch die Haltung ber deutjchen Neihsfürften ermutige nicht dazu, einen Krieg vom Zaune zu breden; der Kur: fürft von Pfalz: Baiern habe die Bitte des Königs von Schweden, eine Anzahl Pfälzer in ſchwediſche Dienfte treten zu laffen, abſchlägig bejchieden; der Herzog von Württemberg babe den Kaijer willen lafjen, er werde, auch wenn ber Neichsfrieg gegen Franfreih erklärt werden jollte, nit in der Lage fein, Truppen ins Feld zu ftellen,; von anderen Neihsitänden ſei die Bitte einge: laufen, es möge vom Durchzug faijerliher Truppen durch ihre Gebiete Umgang genommen werben; insbejondere der hannöverfhe Hof ſuche die befreundeten Regierungen auf jede Weije von friegeriihem Vorgehen gegen das in gejunder Neubildung begriffene Frankreich abzuhalten. Jacobi wußte zur Erklärung der Friedensſtimmung des Faiferlihen Kabinetts noch einen triftigeren Grund: ben fläglihen Stand der öfterreidhifchen Finanzen. Die drei Türfenfriege, fo wird in Sacobis Memorandum dargelegt, und die gegen Preußen gerichteten Nüftungen haben Defterreih 210 Millionen Gulden gefoftet; dagegen trug bie allgemeine Kriegsfteuer 35 Millionen ein, aus dem Joſephiniſchen Schag wurden 30 Millionen, aus dem von Florenz mitgebradten Schag 18 Millionen ent: nommen, aus dem Berfauf von Domänen und Kirhengütern 25—30 Millionen gelöft, von Belgien noch im Jahre 1788 2 Millionen Subjidien bezahlt; es blieb aljo immer noch eine Schuld von 100 Millionen, deren Berzinfung 3—4 Mil: lionen erfordert. Und während die Schulden ftiegen, ſanken die Einnahmen; die belgijehen Unruhen, die Verwüſtung des Banats, die Entkräftung ausgebehnter Gebiete der Monardie haben in Verbindung mit den häufigen Veränderungen in der inneren Verwaltung ein Sinfen der Yahreseinnahmen um 5—6 Mil:

1) Beer, 153, 155.

456 Zweite Bud. Vierter Abſchnitt.

lionen zur Folge gehabt. An Steuererhöhung kann nicht gedacht werben, denn die Mihftimmung der Bevölferung darf nit mehr geiteigert werden. Die Kaufleute Elagen über die Abſchaffung des Stempels, die Landleute über die unbeſchränkte Zulafjung auswärtiger Weine und die Einfuhr raffinierten Zuders, auch andere Stände haben durch die Aufgebung der Schußzollpolitit Joſephs Il. ihr Vermögen eingebüßt; die Nüdficht auf diefe ber gegenwärtigen Regierung grollenden Leute macht Vorfiht und Bedächtigfeit zur Pflicht; deshalb mird Deiterreih, jolange es irgend angeht, kriegeriſche Abenteuer meiden.

Noch ſchwärzer jchilderte der Sekretär der preußiihen Gejanbtichaft in Wien, Herr v. Ceſar, der in Abmwejenheit des nah Prag gereilten Jacobi eine Zeit lang die Geſchäfte führte, die politiihen und wirtſchaſtlichen Zuftände der Erblande. Eine Hebung ber Finanzen fei durch die teils noch nicht ge: bobene, teils neuerdings eingetretene Unordnung unmöglid gemadt. In den Niederlanden gährt es; Erzherzogin Chriftine fieht ſich genötigt, die äußerfte Strenge zu entfalten; in allen Städten müſſen ſtarke Bejagungen unterhalten werben, jo daß die belgifchen Provinzen nicht bloß Feine Einkünfte abmwerfen, fondern noch beträchtliche Zuſchüſſe für Militärausgaben beanſpruchen. Ungarn und Siebenbürgen, „aufgeregt dur die Ueberjchwänglichkeiten einer konſti— tutionellen Verwaltung”, bliden no immer mißtrauish auf einen Souverän, den man noch vor kurzem einen Meineidigen zu nennen wagte; das Sinnen und Trachten der Nation zielt nur auf Schwädhung des Anfehens und ber Ein- fünfte der Dynaftie, die als ein Eindringling angejeben wird. Nirgends findet das franzöfiihe Beispiel jo empfindlide Gemüter, als bei den leicht erregbaren Magyaren. Es fehlt nicht an Verbindung mit den Führern der Barijer Rationalverjammlung; Unterhändler war der bekannte Baron Trend, der deshalb auf Befehl des Prinzen von Koburg in Buda verhaftet und in Ketten nad Wien gebracht wurde, um vor ein Kriegsgericht geitellt zu werden. Auch Böhmen, Mähren, Galizien, gereizt durch den ewigen Wechjel in der inneren Verwaltung und ausgefaugt durch außerordentlihe Steuern und Lieferungen während des legten Krieges, find nicht mehr im ftande, neue Laſten zu übernehmen; die Ein: nahmen aus den italienischen Provinzen jind unter dem regierenden Monarchen auf die Hälfte herabgejunfen.

Unter folden Umjtänden, jo folgert auch Herr v. Ceſar, verbietet ſich friegeriihe Politif von jelbft; an Erhöhung der Militärausgaben ift nicht zu denken, nur erhebliche Verminderung des ftehenden Heeres kann der Monarchie Rettung bringen.

Die Schilderungen der preußifhen Diplomaten waren im Wejentlihen nicht übertrieben. Wie wenig ernit die Huldigungen gemeint waren, welche das belgiiche Statthalterpaar gelegentlich der Jnauguration in den einzelnen Provinzen von den Vertretern aller drei Stände entgegennahm, !) bewiejen die Aufitände im nächiten Jahre. Nicht beifer jah es in Ungarn aus, und in den deutfhen Kronländern wurde zwar die Aufhebung der firhlihen Neuerungen Joſephs II. dankbar auf:

’) v. Zeißberg, Zwei Jahre belaiiher Geidichte (1791, 1792); Sitg.:Ber. d. philof.-hift. Cl. der Wiener Afademie, 123. Bd., 165.

Marie Antoinette unb die Parteien in Frankreich. 457

genommen, aber die Kinneigung der neuen Regierung zu freihänblerijchen Grundfägen mwenigitens vom Landmann als unbeilvolle Wendung empfunden.

In erfter Reihe hat aljo wohl die Rüdfiht auf die wirtſchaftliche Be: drängnis der eigenen Staaten dem Kaijer die Einmiſchung in die franzöfifchen Angelegenheiten verleidet. Dazu fam die im Charakter Leopold wurzelnde Abneigung gegen jede wie er zu jagen pflegte „gewaltſame Ueberftürzung”. „Es ift erftaunlich,” verficherte Jacobi in dem eben angezogenen Bericht, „daß dieſer Monarch ſich niemals zu Fräftigem Vorgehen entſchließen kann.“ Gerabe diefe unzeitige Nachgiebigkeit in allen Dingen habe verjchuldet, daß es im Innern nirgends an Aufwieglern und im Ausland an der gebührenden Achtung der faiferlihen Macht fehle. Auch die Nüdfiht auf die Schweiter und den franzöſiſchen Königsthron ließ auffällige Feindfhaft gegen die Träger der Gewalt in Paris nicht angemejjen erjcheinen. Marie Antoinette jelbit bat ja inftändigft, ihr Bruder möge nichts zulaflen, was die gejunde Wendung zum Belleren, die Heranbildung einer fönigstreuen Partei ftören Fönnte.

Freilih war es in den diplomatijchen Kreijen fein Geheimnis, daß bie offenen Kundgebungen der Zufriedenheit der Königin unter äußerem Zwang er: folgten und nur den Zwed hatten, fie vor dem Zorne des Volkes ficher zu ftellen.*) Aus den vertraulihen Briefen des königlichen Paares erhellt denn auch, daß diefe Anficht den Thatſachen entiprah. Im Grunde des Herzens wünſchte König Ludwig nichts anderes, als wieder freie Hände zu befommen, um dann von der neuen Verfaſſung jo viel oder fo wenig übrig zu lafjen, als er für gut hielt. Marie Antoinette beflagte bitter ihre unmwürbige Lage und die Charakterfhwähe ihres Gatten, der nit nad Gebühr empfinde, wie fhmählid er behandelt werde. Die Freundichaft mit den Barnave und Duport war mit Aufgebung der wichtigiten Dogmen der Xegitimität zu teuer erfauft, als daß die königlichen Gatten den neuen Stüßen des Thrones volles Vertrauen zugewendet hätten. Sie befanden fih in ähnlicher Lage, wie Spaziergänger, die im Walde von fahrendem Volk angefallen werden. Einige von den An: greifern jchämen fih, dab ihre Genofjen fi jogar rohe Gemwaltthat erlauben wollen, und beteuern den Veberfallenen, fie würden nicht zulafien, daß ihnen etwas zu leide geſchehe. Die Erſchrockenen nehmen zwar die angebotene Hülfe an, fchütteln aber nur zaghaft die Hände ihrer Netter und jpähen umber, ob nit ein Hüter des Gefeßes ihnen gegen Widerjaher und Freunde zu Hülfe fomme. „Machen Sie meinem Bruder klar,“ fchrieb die Königin an Mercy, „dab ih nur von ihm Rettung erhoffe; unfer Glüd, unjer Leben, die Eriftenz meines Sohnes hängen von ihm allein ab!” ?) Freilich den Krieg fcheuten König und Königin, doch nur weil fie Furt hegten, daß die Hife und die Maßloſigkeit der Emigranten greuelvollen Bürgerfrieg entzünden würden. Deshalb wurde in der Denkſchrift, weldhe die leitenden Grundſätze des Königs bei Annahme der Verfafjung entwidelte, ein Einfall der befreundeten Fürften in Frankreich ab: gelehnt und nur ein „Kongreß unter Waffen“ als ficheres Mittel zur Wieder:

1) Preuß. St.:Archiv. Bericht Ceſars vom 17. Sept. 1791. ?; Feuillet de Conches, II, 225.

458 Zweites Bud, Bierter Abſchnitt.

heritellung der Ordnung in Franfreih erbeten.) „Die verbündeten Mächte müfjen Forderungen aufftellen, welde die nüßlihen Aenderungen herbeiführen, und zugleich Streitkräfte aufbieten, welche ihren Forderungen den nötigen Nach— drud geben. Die Erklärung der verbündeten Mächte kann dem Könige jeinen Rang und feine Macht zurüdgeben, und der König wird mit Hülfe der Ber: bündeten feinem Staate Ordnung und Frieden zurüdgeben.” Doch die „nütz— lihen Nenderungen”, die von Europa gefordert werden jollten, um dem Könige die Freiheit und der Krone die alte Würde zurüdzueritatten, waren jo meit- reihend, daß auf gutwillige Zuftimmung der Nationalverfammlung nicht zu rechnen war. Die Denkichrift jelbft gibt diefem Zweifel Raum; das Wort: „man darf, wenn es möglich ift, feinen fremden Krieg haben“, ift bezeichnend für die Hoffnung, daß Europa, falls der moraliiche Drud ſich nicht fräftig genug erweijen jollte, auch jeine Waffen zur Rettung des Königtums nicht verfagen würde. ?)

Solde Wünſche fanden aber, wie ſchon dargelegt wurde, am kaiſerlichen Hofe nur noch fühle Aufnahme.

Bon Pillnig begab ſich Leopold nad Prag, um fi zum König von Böhmen frönen zu laffen. Die böhmiſchen Stände hatten auf dem am 22. März 1790 eröffneten Landtag die Forderung geitellt, alle Neuerungen Joſephs II, ſamt und jonders Mebergriffe des übelberatenen Monarden, jollten wieder aufgehoben werden. Leopold verhielt ſich dazu nicht ablehnend; er machte die neue Steuer: verteilung rüdgängig, das Generalfeminar in Prag wurde geſchloſſen, die biihöflihen Seminarien wurden wieder eröffnet, die Gemeinden erhielten Einfluß auf die Beſetzung der ftäbtifchen Memter, die Autonomie der Prager Hochſchule wurde wiederhergeitellt, jedoch erflärte Leopold durch Patent vom 28. Juni 1791, er werde auf Abänderungen der ftändifchen Nechte über das Jahr 1764 nicht hinausgehen.) Er ſoll fih auch bereit erklärt haben, dem Königreich Böhmen eine Verfafjung zu geben, doch mit diefem Anerbieten, da ja die MWohlthat in eriter Reihe dem Bauernjtand zu gute gefommen wäre, beim Adel auf heftigen Widerſtand geitoßen jein.*) Dagegen wurde vom ganzen Kronlande dankbar begrüßt, daß Leopold die Wenzelfrone von Wien nad Prag zurüdbringen und den Ständen zu fernerer Aufbewahrung übergeben ließ, und es fonnte als feier: lihe Anerkennung der Selbftändigfeit des Königreichs gelten, daß er fich bereit finden ließ, fi in der Landeshauptftadt frönen zu laffen. Am 6. September ging die Krönung vor fid; es war ein nationaler Feittag, wie ihn die Moldau— ftabt jo prunf: und freudenvoll noch faum gefeiert hatte.) Die Spradenfrage jpielte Schon eine bebeutfjame Rolle. Es wurde von deutichen Zeitungen mit

) M. de la Rocheterie et M. de Beaucourt, Lettres de Marie Antoinette II, 284. Beigelegt einem Briefe Marie Antoinettend an Leopold vom 8. Sept. 1791.

?) Lenz, Marie Antoinette im Kampf mit der Revolution, 271.

) Tomed, Geſchichte Böhmens, 455. Schlefinger, Geihichte Böhmens, 564.

) Preuß. St.Archiv. Bericht Jacobi vom 24. Sept. 1791.

5) Ein Berichterftatter in der Vaterländiſchen Chronit hebt befonders hervor, die Sicher: heit in Prag fei während der Feittage jo ungefährdet, „daß man in jeber Nadtftunde in den Gafjen der Stadt mit einem Hut voll Dulaten frei herumgehen könnte“ (S. 601).

Zeopold 11. und die franzöſiſche Revolution. 459

Befriedigung mitgeteilt, daß Leopold im Verkehr mit den böhmijchen Ständen fih nur der deutſchen Sprache bediente, während die Stände ihre Huldigung zuerft in böhmischer, dann erft in deutſcher Sprade ablajen.')

Noch waren dieje Fertlichkeiten nicht beendigt, als die Kunde einlief, der König von Frankreich habe die Verfafjung angenommen. Dem preußifchen Geſandten wurde die Nachricht mit überihwänglihem Aufpus übermittelt: Herr: li Elingt es über den Rhein herüber! Im nämlichen Augenblid, da der König die Verfaſſung genehmigt, erhält er volle Freiheit der Perfon und des Handelns zurüd, alle Thore der Tuilerien werben geöffnet, damit alles Wolf feinen guten König fehen fann, die höchſten Hofbeamten eilen wieder zum Dienfte des Monarchen herbei, die fremden Minifter werben eingeladen, fih zum feltenen Feſte einzu: finden, Barnave und Lameth und alle Gutgefinnten und Belehrten ftehen huldigend zu Füßen des Thrones! ...

„Damit it für mich die franzöfifhe Angelegenheit erledigt!” wiederholte Leopold. Es werde ja vielleicht, ſagte er zu Jacobi, in Frankreich nod zu mancherlei Wechjelfällen fommen, namentlih wenn einmal der unvermeidliche Banterott offen erklärt werden müfle, doch dieſen Uebeln fünne aud durch fremde Einmifhung nicht abgeholfen werden. Die franzöfiihen Prinzen, warf Jacobi ein, find jedenfalls nicht der Anficht, daß alles zu Ende ift; fie behaupten, der König habe nicht freiwillig gehandelt, ſondern fih nur der Gewalt gefügt. „Die franzöfifhen Prinzen,” erwiderte Leopold, „haben jehr unflug daran gethan, in ihrem Manifeft jolhe Behauptungen aufzuftellen; ihre Pläne find ein Tchlechtes Machwerk, zumal der Gedanke der Erhebung eines Regenten, den Fürft Kaunit in Gegenwart des Grafen von Artois vortrefflih als ‚Regenten in partibus infidelium* gekennzeichnet hat! Wenn der König von Frankreich die Verfafjung annimmt, iſt für mich alles zu Ende: das habe ich jchon in Pillnig dem Grafen von Artois erflärt, und der König von Preußen bat mir zugeftimmt!”

Die „Baterländifche Chronik” zollte dem Kaifer, weil er in diefer Frage dem Zeitgeift fo viel Verftändnis entgegenbringe, hohes Lob, „Er jelbit ift zu jehr Vater feines Volkes, um einen verfühnten Vater mit feinen guten Kindern in neuen Zwift jegen zu helfen.“ ?) Auch Kaunig gab feine Befriedigung über diefen Ausgang offen zu erkennen. „Nad meinem Sinne follten wir und Ge- noſſen,“ fchrieb er an Spielmann, „Gott danken, daß dieſer gute Kerl von König durch feinen Entſchluß uns aus der Verlegenheit, die wir uns felbit an den Hals gezogen hatten, glüdlich befreit hat!”°) Zum Erftaunen der fremden Diplomaten fonnte man an offener Tafel aus Kaunigens Munde hören, es fei durchaus nicht alles jchlecht, was die Revolution gebradht habe. Er hatte zur Abfaſſung eines Gutachtens über die Lage Frankreichs die Revolutionglitteratur ftudiert und war, indem er mandes, was den anderen und ihm jelbft als Unreht und Gemaltthat erjchienen war, verjtehen gelernt hatte, ein nad): lichtigerer Richter geworden. Trug er fih doch jelbft mit dem Gedanken, ein

i) Mündiner Zeitung, Jahre. 1791, 769, 774. Baterl, Chronif, Jahrg. 1791, 601. 2) Baterl. Ehronil, 651. 2) Vivenot, I, 259.

460 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

Parlament aus Vertretern aller habsburgiihen Erblande zu berufen und mit einer allgemeinen Staatsreform zu betrauen! Damit wollte er auf friedlichen Wege erreihen, was Kaiſer Joſeph durch gewaltſame Aufhebung aller Privilegien der einzelnen Staaten bezwedt hatte: die Schöpfung eines öfterreichiichen Ein: beitsftaates.!) Auch Staatsreferendär Baron Sperges pries wie ein Genofje bes Berliner Aufklärungskreiſes den ſtaatsrechtlichen Umſchwung im Franken: reihe. „Welches Glüd,” jagte er zu Herrn v. Ceſar, „daß eine jo widtige Revolution wie die franzöfiiche, nur jo wenig Blut gefoftet hat; es gibt faum ein zweites Beifpiel in der Weltgeſchichte; wie viele Kriege hat die engliiche Nevolution im Gefolge gehabt!”

Den wahren Grund der Freude über das Verſchwinden ber Kriegsgefahr erblidten Jacobi und Gejar übereinftimmend wieder in ber Furdt vor An: ftedung Belgiens, wo es jchon da und dort zu Unruhen gefommen war, und in ber finanziellen Bedrängnis Dejterreihd. Zu den alten Schulden ſeien noch beträdhtlihe neue hinzugekommen. „Die Krönung in Prag foftete etwa 800000 Gulden, die Feitlichkeiten in Frankfurt und Peſt 3 Millionen, die Hochzeiten von zwei Erzberzogen 2 Millionen; dem Grafen von Artois wurden 2—3 Mil: lionen vorgeftredt; 5 Millionen mußten für den Unterhalt der Truppen nad Brüfjel gefhict werden, das macht 14 Millionen außerordbentliher Ausgaben; in einer Zeit, da aus Belgien und dem Banat fo gut wie gar feine Einkünfte gezogen werden! Der Geldmangel machte fich bereits in peinlichiter Weije fühl: bar! Da begreift es fich leicht, daß man ſich nicht dazu veritehen will, die Kriegsfahne aufzurollen!”?) Der eifrigite Anwalt der „nterventionspolitif, der Schwede Ferjen, war entrüftet über die Fahnenflucht des geborenen Ber: treters der Zegitimität. „ch habe mich in Bezug auf die Abfichten des kaiſer— lihen Kabinetts nicht getäuscht,” jchrieb er vor feiner Abreife von Prag an König Guftav, „hier will man nur alles hinausſchieben bis zum nächften Früh: jahr, um fid nur ja nicht zu wirklichem Handel aufraffen zu müflen.” *) Kaunig wußte die Zurüdhaltung des kaiſerlichen Kabinetts durch mannigfache Gründe zu rechtfertigen. „Eine Einmiſchung,“ ſchrieb er in feiner für den Kaijer bejtimmten Denkichrift, „wäre nur dann am Plate gewejen, wenn ſie entweder der König von Frankreich gefordert oder unjer Intereſſe notwendig gemacht hätte; es hat fie aber weder der König gefordert, noch ift fie unferem Intereſſe angemeſſen.“ Die Annahme, daß der König nicht freiwillig gehandelt habe, als er die Verfafjung annahm, jei nicht zuläffig, da der König jelbft feierlich das Gegenteil beteuere. Eine Gefahr, daß das republifanifhe Gelüfte aud andere Völker anwandle, liege nicht vor; was in einem Staat von alters

) Preuß. St.:Arhiv. Vericht Jacobi vom 10. DE. 1791.

?) Die Finanznot war jo hoch geftiegen, daß das kaiſerliche Kabinett im Januar 1792, ald am Ausbruch des Krieges nicht mehr zu zweifeln war, Bedenken trug, 6000 Mann, welde Borderöfterreih deden jollten, fofort auf den Kriegsfuß zu ſetzen. Der jähfiihe Gefandte Graf Schönfeld berichtete, ein Zaiferlider General, der das Vertrauen des Kaifers geniehe, babe ihm verjihert, daß nur der Mangel an Geld diefes Zaubern verfhulde (Herrmann, Die öfterreichifch: preußiiche Allianz, 106).

) Feuillet de Conches, IV, 106,

Leopold 11. und bie franzöftfche Revolution. 461

herkömmlich oder als neue Errungenſchaft eingeführt fei, berühre ſchon den Nach: baritaat wenig ober gar nit. Die Türkei z. B. habe von jeher bejpotijches Regiment gehabt, ohne daß diefe Thatfache jemals die Regierungsformen anderer Reiche beeinflußt hätte; ebenjowenig fei von den republifanifhen Regierungen verjucht worden, ihr Syſtem anderen Völkern aufzudrängen. Vollends die Re: gierungsänderung in Frankreich jei mit Genugthuung zu begrüßen. „Die neue Verfaſſung macht Franfreih für alle europäifhen Staaten weniger gefährlich, als unter dem alten Regiment. Wenn fie jchlecht ift, fo berührt dies nur Franf: reich, ift aber für alle anderen Nationen eine gleihgültige Sade. Die angeb: lihe Gefahr einer Anftedung anderer Völker durd; das ſchlechte Beifpiel des franzöfiichen Volkes ift nichts als ein blinder Lärm und ein durch die Thatjachen längst berichtigtes Wahngebilde.“) Man fieht, die politiihen Grundſätze des failerlihen Kanzlers ſtimmten faft Punkt für Punkt mit der Auffaffung der engliihen Staatsmänner überein: Frankreich hat durch die Revolution an Anz jehen und Kraft verloren, warum follten wir Gefahren und Anftrengungen auf uns laden, um die ehedem übermäcdhtige und übermütige Nation wieder in den Sattel zu heben! „Mögen die Minifter,” fchrieb Jacobi am 24. September, „sagen, was fie wollen, jo viel fteht feit, daß der Kaiſer gegen Frankreich nichts unternehmen will und fann.”

Zwar mußten die Emigranten, insbejondere der Herzog von Polignac, nad der Rückkehr Leopolds nad Wien eine Zeit lang zu hintertreiben, daß ber Marquis von Noailles empfangen werde, doch auf Andrängen des Kanzlers wurde dem Gejandten des fonftitutionellen Frankreichs ſchließlich doch geftattet, in öffentlicher Aubienz das Schreiben, worin König Ludwig die Annahme ber Verfaflung anzeigte, dem Kaifer zu überreichen. Leopold zögerte auch nicht, dem Schwager jeine Befriedigung über den volksfreundlichen Entihluß auszuſprechen (23. Dftober); zugleich wurde aber der Erwartung Ausdrud verliehen, daß in der Folge „jene für alle Könige und Fürften gemeinfamen Urfahen, aus den jüngften Ereigniſſen für die Zukunft ſchlimme Schlüffe zu ziehen, wegfallen möchten, jo dab es nicht nötig würde, ernſtlich einzufchreiten”.?) Diefe Betonung bes Fortbeſtehens des Konzerts der europäifhen Mächte ftand nicht ganz im Einklang mit der Erklärung, daß die Sade ein für allemal als abgethan ans geſehen werde. „Es herrſchen eben in Wien wecjelnde Strömungen,” jo erklärt der preußiſche Gefandte den Widerſpruch, „es gibt hier auch wieder Augenblide, wo das Fortbeftehen des Stonzerts den Plänen des Wiener Hofes angemefjen befunden wird.” Im Frühjahr während des Aufenthalts in Stalien habe der Kaifer ohne Zweifel den Vorſatz gehabt, gegen Frankreich etwas zu unternehmen und in diefem Sinne den franzöfifhen Prinzen Verſprechungen gegeben; ernitlih habe er freilih auch ſchon damals nur beabfichtigt, der

') Reflexions du Prince Kaunitz sur la nouvelle constitution de la France, son acceptation et ses suites possibles, tant au dehors qu'au dedans de ce royaume; Bivenot, l, 284. Reflexions du prince Kaunitz sur les pretendus dangers de la contagion, dont la nouvelle constitution frangaise menace tous les autres etats souverains de l’Europe; Vivenot, I, 285.

) Bivenot, I, 269.

462 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt.

Nationalverfanmlung Furcht einzuflößen. Nach der Rückkehr in feine Haupt: ftabt jei der Kaifer von Kaunig in frieblidem Sinne beeinflußt worden. „ch wage zu behaupten, daß der leitende Minijter es für das größte Un: glüd anjehen würde, wenn ber Kaiſer ſich auf feindjelige Map: nahmen gegen frankreich einließe, und ih babe Grund anzunehmen, daß Seine Majeftät der Kaijer zur Zeit noch der nämlidhen An: ihauung huldigt.“ Auch Spielmann denke darüber nidt anders, nur Eobenzl jei der entgegengelegten Anſicht, babe aber zu wenig Einfluß, um jeine Meinung zur Geltung zu bringen. „Auch bei ge: fpanntejter Aufmerkſamkeit vermochte ich feine Nenderung in dieſen Stimmungen zu erfennen: man will fi angefichts der kritiſchen Lage der Monarchie nicht einer unvermeidlihen Gefahr ausjegen, wenn man aud den Schein vermeiden möchte, als wollte man den König von Frankreih im Stiche laſſen.““) Das Berliner Kabinett ftimmte dieſer Auffafjung bei. Der Wiener Hof ſo kennzeichnet ein Erlak an Sacobi die Lage mödte gern die demofratiihe Partei ein- ihüchtern und von neuen Gewaltthaten gegen das königliche Paar zurüdiheuchen; er will auch die eigenen Unterthanen im Zaum halten, teil® dur die Vor: ftellung, daß das europäifche Konzert noch fortbeitehe, teils durch allmähliche Heranziehung von Truppen gegen Belgien; andererfeits will er feinen Lärm aufichlagen, um nicht in den eigenen Landen einen Ausbruch revolutionärer Leidenſchaft wachzurufen.*)

Leopold ging aber noch einen Schritt weiter. Am 12. November erließ er an diejenigen Mächte, die er im Juli zum Einfchreiten gegen die Revolution aufgefordert hatte, ein neues Rundjchreiben, das nur als unbedingte Ab: wiegelung aufzufaflen war; die Gefahr für Leben und Ehre des Königs von Frankreich fei bejeitigt und damit auch der Grund zu gemeinfamem Auftreten der Mächte weggefallen. ”)

Die Gewißheit, daß der Kaiſer nicht daran benfe, feine Truppen an den Rhein zu ſchicken, hatte auch den Kriegseifer des Berliner Hofes gedämpft. Als Herr von Mouftier, der nad) Frankreich zurüdberufen worden war, am 1. Oktober fih von König Friedrich Wilhelm verabjichiedete, beteuerte diefer, die Hand am Degen, er würde mit Freuden dem König von Franfreih mit 50000 Mann zu Hülfe eilen, wenn der Kaijer fich entſchließen könnte, eine Armee von gleicher Stärke ins Feld zu ftellen, aber von diefer Seite jei jchlechterdings nichts zu hoffen!) Die Scheu, daß man nur dazu auserjehen fein könnte, für den Nebenbuhler die Kaftanien aus dem Feuer zu holen, ließ alle anderen Rüdjichten zurüdtreten. „Die Königin von Frankreich,” jagte ein preußiſcher Diplomat zu König Guſtav, „it die Schweiter des Kaiſers; mein Herr muß aljo befürchten, daß fie, wenn erft der Krone die alte Macht zurüdgegeben wäre, nur ihren Bruder begünftigen würde!” Auch der glüdlihe Erfolg eines Krieges mit

i) Preuß. St.:Archiv. Bericht Jacobi vom 19. Okt. 1791. 2) Ebenda. Erlaß an Jacobi vom 27. Oft. 1791.

2) Nivenot, I, 270.

) Sorel, I, 280.

Leopold II. und die franzöfifhe Revolution, 463

Franfreih würde nur Defterreich zu gute kommen. Jacobi wurde noch im September angewiejen, dem Kanzler zu erklären, baß unter allen Umſtänden, falls Eljaß und Lothringen an die öfterreihifhe Monarchie zurüdfallen würden, ausreichender Erjaß für Preußen bejchafft werden müßte.!) Weshalb jollte man überhaupt mit der gegenwärtigen Lage unzufrieden fein? Der preußiiche Gejandte in London, Herr v. Nedern, machte fein Hehl daraus, daß auch der Berliner Hof in der Ohnmadt Frankreihs Vorteil und Gewinn erblide; vor dem nächſten Frühjahr werde alfo auf feinen Fall etwas Ernſtes unternommen werben; freilih, wenn in Franfreih der Bürgerkrieg ausbrehen würde, müßten die Nad): barmächte einjchreiten, doch würden wohl die Pariſer jelbft inzwiſchen zur Ver: nunft fommen, Abwarten und zufehen, wie fi die Dinge entwideln! Wenn der Kaifer, jo jchrieb das Berliner Minifterium am 30. September an Jacobi, für die Abmachungen des verfloffenen Sommers fein Intereſſe mehr an den Tag legt, fo ift es nicht unjere Sade, darauf zurüdzulommen; insbejondere mit Rüdficht auf den gebieterifhen Ton, in welden das Wiener Kabinett zurüdzu: fallen jcheint, muß von unferer Seite alles vermieden werden, was als Auf: dringlichfeit ausgelegt werden fönnte!

Auch die Fortdauer der vertraulihen Beziehungen zwiſchen den beiden Kaijerhöfen wurde in Berlin mit Mißtrauen betradhtet; andererjeits erregte in Wien Anitoß, daß Preußen jein Schuß: und Trugbündnis mit dem Türken nicht aufgeben wollte. Im Reiche aber fühlte man fih dur den Bund ber beiden Großmächte, deſſen Schwähe man nicht fannte, beunruhigt, ja, der preußiichen Regierung wurde ein Gerücht zugetragen, ber württembergiiche Minifter v. Seden: dorff betreibe ein Bündnis aller nicht zur Union gehörigen Staaten mit dem bannöveriichen Hofe, jo daß das Reich in drei Gruppen unter faiferlicher, preu— ßiſcher und hannöveriſcher Führung zerfiele.?)

Von deutſcher Seite war alſo Frankreich im Herbſt 1791 gewiß nicht ernſtlich bedroht. Wenn trotzdem die Kriegsgefahr ſich ſteigerte, ſo war dies nur durch das herausfordernde Gebaren der Emigranten, wie durch die Händel: ſucht der Parifer Umftürzler verſchuldet.

Die Wahlen für die gejeßgebende Berfammlung in Paris brachten einen entichiedenen Sieg der DOrbnungsparteien. Die große Mehrheit der Franzofen fühlte fih dem Monarden für die Annahme der Verfaffung zu Dank verpflichtet und wollte von neuer Minderung und Herabwürdigung der föniglihen Gewalt nichts wifjen; diefe Thatſache wird dadurch bezeugt, daß in der neuen National: verjammlung die fönigstreuen Elemente überwogen. Troßdem wußten ſich bie Gegner des monarchiſchen Prinzips durch geſchickt berechnete Hetze bald wieder zu Herren der Lage aufzufhwingen, indem fie in der Prefje, wie in der Kammer rührig und raftlos darauf hinwiejen, die königliche Familie unter: halte geheime Verbindung mit den europäifchen Mächten, die Pillniger Defla- ration ſei eine Beleidigung der franzöfifhen Nation, die Anfammlung der Emi: granten an den Grenzen dürfe nicht länger mehr geduldet werden. Insbeſondere

’) Preuß. St.Archiv. Erlaß an Jacobi vom 25. Sept. 1791. ?) Ebenda. Erlaß an Jacobi vom 30. Sept, 1791.

464 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

die Genofjen der Gironde ſchürten diefe Lohe, vor allem ihr Führer, der Journaliſt Brifjot, eine Art überfpannter Figaro, mehr nah Beſchäftigung ftrebend als nad Macht, leichtinnig genug, um alles zu jagen, offenherzig genug, um alles zu glauben, jhwärmerifch genug, um alles zu wagen (Sorel). Wenn es gelang, dem Bolfe einzureden, da König Ludwig und die „Dejterreicherin“ im Grunde als Hochverräter an der Unabhängigkeit und Größe Franfreihs anzujehen jeien, foftete e& nur noch wenig Mühe, die beftehende Verfafjung zu ftürzen; wenn es gelang, Frankreich in Krieg mit dem Auslande zu verwideln, war es ein Leichtes, die Freunde des Fortichritts und der Aufklärung ans Ruder zu bringen. Am 20. Dftober 1791 hielt Brifjot in der Nationalverfammlung eine donnernde Philippifa gegen die Emigranten und ihre Gönner in Deutſchland, mittelbar aber auch gegen die Regierung, die dem Unfug der Artois und Conde bisher feig und müßig zugejehen habe. Frankreich nehme, jo behauptete der Rebner, in Europa ſchon längft nicht mehr den Pla ein, der ihm durch feine Geſchichte und jeine Bedeutung angewiefen werde; jedes deutſche Fürftlein (principieule d’Allemagne), das vor Franfreihs Zorn zittern jollte, das für ſolche Unver: ihämtheit im vorigen Jahrhundert fofort die Blitze Ludwigs XIV. auf fi ge zogen hätte, erlaube ſich heutzutage ungeftraft, erklärte Feinde Frankreichs zu beherbergen und ihren feindjeligen Umtrieben Vorſchub zu leiften. Nicht minder verlegend fei die Drohung der größeren Mächte, die Waffen zu erheben, weil das franzöfiihe Volk fich jelbft feine Gejege geben wolle. Diefer unwürdige Zuftand jei nicht mehr zu ertragen; man müfje die Mächte zwingen, Farbe zu befennen, entweder den Schuß ber franzöfifhen Rebellen aufzugeben oder offen als Feinde Frankreichs aufzutreten. Wenn die Antworten der Höfe nicht voll: fommen befriedigend ausfallen würden, gebe es feine Wahl: „Wir müfjen gegen alle Mächte, die uns zu bedrohen wagen, ſelbſt zum Angriff fchreiten!” Aller: dings fehlte es nit an Widerſpruch gegen Briffots Uebertreibungen; es wurde darauf bingewiejen, daß die von König und Volk befhmworene Verfafjung jedem das Recht zur Auswanderung gemwährleifte, daß die Eonftituierende Berfammlung vor ihrem Auseinandergehen eine allgemeine Amneftie beihlojien habe, daß es lächerlich jei, vor der Handvoll Leuten, die fi in den rheiniſchen Kurfürften: tümern um bie weiße Fahne jharten, Angjt zu zeigen, umfonft! Es trat zu Tage, daß Brifjot und die Seinen richtig gerechnet hatten, als fie zugleich an die Furcht und an den Stolz ihrer Mitbürger appellierten. Ein Beſchluß vom 8. November jebte für die Ausgewanderten den 1. Januar 1792 als lekten Termin zur Rückkehr feit; die Prinzen und die königlichen Beamten follten im Falle des Ungehoriams zum Tode verurteilt werden, und die nämlidhe Strafe jollte alle diejenigen treffen, die an feindliher Zujammenrottung teilnehmen würden. Mochte Ludwig XVI. auch allen Grund haben, über das treuloje, über: mütige Gebaren feiner Brüder erzürnt zu fein, fo konnte er doch unmöglich einer jo brafoniichen Bedrohung zuftimmen; er legte gegen den Beichluß der Nationalverjammlung fein Veto ein, richtete aber gleichzeitig an die Ausge- wanderten eine legte Mahnung, ins Baterland und zur Pfliht zurüdzufehren. Auh an den Beriht des Minifters Montmorin über die Beziehungen Franfreihs zum Ausland (31. Oktober) fnüpfte ſich eine bochpolitifche Debatte;

Marie Antoinette und die Parteien in Frankreich. 465

die Nationalverfammlung fand Geſchmack daran, nicht bloß im eigenen Land über Sonnenſchein und Regen zu gebieten, jondern aud den Mächtigen der Erde unverblümte Wahrheiten vorzubalten. Der Abgeordnete Ruhl kam aber: mals auf die deutſchen Patrone der widerjpenitigen Emigranten zu ſprechen und riet, mit ihnen furzen Prozeß zu machen. „Wenn Friedrich der Große mit Leuten von diefem Schlage zu thun hatte, ſchickte er ihnen einen Werbeoffizier mit einem Briefe, der klipp und klar feine Forderung ausiprad) und fein weiteres Federlejen geitattete; dieſe Art von Unterhandlung erzielte immer glüdlichen Erfolg und foftete den König nicht mehr als hundert Louisdor!” Dem Drängen der Nationalverfammlung nacdhgebend, ſandte Minifter Vergennes am 18. No: vember nad Trier, das ja als Mittelpunkt des „auswärtigen Frankreichs” gelten fonnte, eine fategoriihe Note, die den Kurfürften für die militäriſchen Bor: bereitungen der Emigranten verantwortlidd machte und für den Fall der Nicht: beachtung der legten Warnung das Einjchreiten des Königs in Ausficht jtellte.

Die Antwort des deutfhen Kirchenfürſten lautete jpig genug; König Ludwig ſelbſt bezeichnete fie in einem vertraulichen Briefe an Breteuil als „Berfitlage”. Der Kurfürft leugnete die Rüftungen einfach ab und erwiderte die „Durch nichts begründeten” Beichwerden mit Klagen über Verlegung jeiner eigenen Rechte; im Namen des Königs könne wohl nicht geſprochen werden, da diefer Monarch überhaupt nicht mehr die Freiheit zu eigener Entſchließung genieße. Es begreift fih, daß fo herausfordernde Worte im Munde eines deutichen „Fürftlein” auch den Gemäßigten in der Nationalverfammlung unerträgli dinften. Die Miß— ftimmung gegen die Emigranten und ihre Schirmberren führte jogar zu vorüber: gehender Einigung der Anhänger Lafayettes mit dem Triumvirat der Feuillants. Als der an Stelle Montmorins zum Minister des Auswärtigen ernannte de Leſſart bei der Beratung des Emigrantengejeges am 29. November der Kammer be: greiflih machen wollte, die Negierung habe jchon alles gethan, um die Würde der Nation gegen unbefugte Cinmifhung des Auslands zu wahren, wurde dieſe Auffafjung von allen Seiten befämpft, dem Minifterium Mangel an nationalem Ehrgefühl, an Entjchievenheit und Entjchloifenheit vorgeworfen. Die Gefandten Franfreihs, rief der Abgeordnete Ruhl, z. B. Herr von Montefjon in Münden, find noch bis zum heutigen Tag von einem Troß von Lioree: dienern umgeben und mit dem ganzen Brimborium der abjolutiftiichen Aera ausgeftattet; fie find jelbit nur gehorfame Diener der hochmütigen deutſchen Fürften, denen doch nur franzöfiiches Geld zu ihrer Stellung verholfen bat.!) Eine im Namen des Departements Paris dem Monarchen überreihte Adreſſe war von Barnave und Duport verfaßt; die Anhänger der verfafjungsmäßigen Staatsform bofften duch ſolches Zugeitändnis an die Volksſtimmung ihren ge: funfenen Einfluß wieder zu fräftigen, um dem Anfturm der republifanifchen Linken befjer gewachſen zu fein.?) Dem König war in der Adreſſe der Nat ge: geben, er möge der beichworenen Verfaſſung unverbrüdlihe Treue halten, denn beim erſten Anzeichen einer Gefahr für diefes Palladium würde fi das ganze

1) Moniteur, 1791, 1336. ?) Glagau, Die franzöfifche Legislative und der Urſprung der Revolutionäfriege, 62. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Gr, bis zur Aufläfung des deutſchen Reicht. I, 30

466 Zweite Bud. Vierter Abſchnitt.

Volk wie ein Mann zu feinem Schuße erheben. Dem unduldfamen Vorgehen der Nationalverfammlung gegen die Priefter könne die Betätigung verjagt, aber der Beichluß gegen die Hocverräter im Auslande müſſe aufs Fräftigfte durchgeführt werden.

„Die Adreſſe,“ jchrieb Marie Antoinette an Ferſen, „verdient alle An- erfennung in Bezug auf die Ausführungen über das Dekret gegen die Priefter, aber die Schurfen haben Furcht gehabt und im übrigen ein Schock unverfhämter Redensarten bineingebradt.” Im Grunde bes Herzens hegte fie ja, wenn fie auh an die Führer der gemäßigten Partei Annäherung gefucht und gefunden hatte, nur Verachtung gegen alles, was ſich „Wolfsvertretung” nannte. „Man kann,” jchrieb fie ein andermal an Ferjen, „von diefer Berfammlung feinen Vorteil erwarten; es iſt eine Rotte Böjewichte, Narren und Dummköpfe; die wenigen unter ihnen, welche die Ordnung aufredht erhalten wollen und etwas befler gefinnt find, werden nicht angehört oder wagen nicht zu ſprechen.“ Sie baute noch immer auf einen bewaffneten Kongreß; nur die Hülfe des Auslands, glaubte fie, fünne den mwanfenden Thron gegen den Anfturm der Feinde im eigenen Lande fügen. „Unfere Lage wird mit jedem Tage peinlicher,” ſchrieb fie (25. November) an Mercy, „allein die Nationalverjammlung gewährt ein jo erjchredendes Bild der Werworfenheit, alle anftändigen Leute find der ewigen Unruhe jo müde, daß ich glaube: man kann ſich mit. einiger Klugheit noch berausziehen, aber dazu muß ich fort und fort auf dem bewaffneten Kongreß beftehben, wie ih es ſchon gejagt habe. Nur ein Kongreß wird es möglid machen, ben Thorbeiten der Prinzen und Emigranten eine Schranke zu ziehen, und in Paris wird die allgemeine Verwirrung vorausfichtlich binnen furzem einen ſolchen Höhegrad erreihen, daß mit Ausnahme der Republifaner alle Welt froh fein wird, wenn eine ftärfere Macht fih anſchickt, alles wieder ins Geleife zu bringen. Doch mein Bruder möge glauben, daß die Schritte, die wir vor der Welt offen zu thun gezwungen find, für unfere Lage unerläßlid find; wir müfjen um jeden Preis das Vertrauen der Mehrheit gewinnen, aber wir wollen und fönnen eine Verfaflung nicht dauernd anerfennen, die für Franfreih nur Unglüd und Verderben bringt; wir wünſchen einen erträgliden Stand der Dinge, doch diefer kann nicht durch Franzofen geſchaffen werben; es ift uns umgänglid notwendig, daß uns die Mächte zu Hülfe fommen, freilih auf zweck— entiprehende und achtunggebietende Weiſe.“ Sie hegte die fefte Ueberzeugung, daß ſich längit die Wolfen gelichtet hätten, wenn nicht durch ihren Bruder die europäifchen Mächte verhindert worden wären, jchleunigere Hülfe zu bringen; nur diefer „Verrat“ habe fie gezwungen, mit jo demütigender Berftellung fi abzuquälen, die Shmugigen Hände der Aufwiegler zu drüden und da zu lächeln, wo fie lieber zerfchmettert hätte. „Begreift Ihr,“ ſchrieb fie (7. Dezember) an Serien, „in welder Lage ich mich befinde, welche Rolle ih den ganzen Tag fpielen muß? Zumeilen höre ich mich ſelbſt nicht mehr, und ich muß nachdenken, um mich zu überzeugen, daß wirklich ich es bin, die fo fpricht, aber was wollt hr? Es ift nun einmal notwendig; wir würden noch tiefer finfen, als wir ſchon gefunfen find, wenn ich nicht fchleunigft diefe Rolle ergriffen hätte; wenigſtens werden wir baburch Zeit gewinnen, und das ift alles, was wir brauchen. Welches

Marie Antoinette und die Parteien in Franfreid. 467

Glück, wenn ich eines Tages wieder fo in die Höhe käme, daß es mir möglich wäre, biefen Schurfen zu beweifen, daß ich mich feineswegs von ihnen narren ließ! ... Welches Unglüd, daß der Kaifer uns verraten hat! Wenn er uns Hülfe geboten hätte, wenigftens nachdem ich im September ihm alles ausführlich auseinanderjegte, hätte der Kongreß ſchon einen Monat darauf ftattfinden können; das wäre unfer Glüd gewejen, denn jegt jchreitet hier die Kriſis mit großen Schritten vorwärts und wird vielleiht den Kongreß überholen. Woher wird uns dann Hülfe zu teil werden?” Sie blidte mit Genugthuung auf die Stürme, welde die Erbitterung über die Emigranten in der Kammer entfejfelte, denn dieſer Lärm, hoffte fie, werde endlich doch noch die Einmifhung der Mächte herbei: führen. „Ih glaube, wir werden demnächſt den Krieg erklären, nicht an eine Maht, die uns gewahfen wäre denn dazu fehlt uns der Mut —, aber einigen deutſchen Kurfürften und Fürſten, von denen wir hoffen, daß fie nicht im ftande fein werben, fi) gegen uns zu verteidigen. Die Thoren! Die Schreier werden nicht gewahr, daß fie mit ſolchem Beginnen nur uns einen Dienft erweijen, denn wenn wir Krieg anfangen, werben fi unfehlbar alle Mächte zur Verteidigung der angegriffenen Rechte die Hand reihen. Dod es muß den Mächten Klar jein, daß wir hier nur den Willen anderer zur Ausführung bringen, daß wir zu allen Schritten durch Gewalt genötigt find und daß uns im gegebenen Falle nichts beifer dienen fann, als uns tüchtig auf den Leib zu gehen.” ') Nicht anders dachte König Ludwig felbft. Auch er nahm insgeheim die Hülfe des Auslands in Anjprud. Erjt vor einigen Jahren ftieß Jules Flammer: mont im Berliner Arhiv auf unumftößlihe Beweiſe, daß der Argwohn ber Kriegspartei, der König ftehe in geheimer Verbindung mit dem Ausland, nit unbegründet war. Am 3. Dezember richtete Ludwig an den König von Preußen ein eiaenhändiges Schreiben, das in beweglichen Ausdrüden die Bitte um fchleunige Hülfe enthielt; nur ein bewaffneter Kongreß der Mächte werbe verhindern, dab die Flamme des Aufruhrs den franzöſiſchen Thron verzehre. Im Sanuar 1792 wurde diefer Brief dem Grafen Schulenburg eingehändigt und durch den Ueberbringer, Dragonerkapitän Belzunes, die Verhandlung über die Entihädigung für die Koften der preußiſchen Rüftungen mweitergeführt.?) Wir werden darauf zurüdtommen. Der geheime Verkehr mit dem Ausland ift nachgewieſen, doc die von Flammermont gezogene Folgerung nichtsbeito= weniger ungerecht und unrichtig. Die Verbindung mit den befreundeten und verwandten Höfen kann nicht ſchlechtweg als „Verrat an Frankreich” gebrand: markt werden. Hatten denn die Gegner der Krone ein beſſeres Recht, ſich als Vertreter Franfreihs anzujehen? Hit zur Verteidigung des Eigentums, ber Freiheit, des Lebens nicht auch ein gewagter Schritt erlaubt? Cs ift wahr, durch den Krieg mußte auch der unjchuldige Teil der Bevölkerung Franfreichs in Mitleidenichaft gezogen werben, aber vielleiht war noch um diefen Preis das Sand vor wilder Anarchie zu bewahren, das Leben der Fföniglihen Familie

') M. de la Rocheterie et M. de Beaucourt, Lettres de Marie Antoinette, II, 326, 335, 343, 347.

2) Flammermont, Negociations secrötes de Louis XVI et le baron de Breteuil avec la cour de Berlin (Decembre 1791—Juillet 1792), 9.

468 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

zu retten! Sollte die Regierung davon abjehen, die Nahbarn zum Löſchen auf: zufordbern, weil vorauszufehen war, daß auch dadurch die Räume des Haufes Schaden leiden mußten?

Doch die Nachbarn beeilten fih nicht, dem Hülferuf Folge zu leiften. Am Wiener Hofe, der doch zuerft den Gedanken eines bewaffneten Kongrefles an: geregt hatte, beftand, wie jchon dargelegt wurde, wenig Geneigtheit, fi den Gefahren und Koften eines Feldzuges auszufegen. Die europäifhen Mächte, jo verfiherte Kaunik noch in den legten Tagen bes November dem preußifchen Gejandten, haben weder die Pflicht, noch das Recht, in innere Angelegenheiten Frankreichs ſich einzumiſchen, folange der Umfturz der alten ftaatsrechtlichen Formen innerhalb ber Grenzen jenes Staates ſich vollzieht. Um die Herrſchaft in Frankreich ftreiten jegt drei Parteien, zwiſchen denen es feine aufrichtige Ger meinſchaft gibt: König, Nationalverfammlung und Emigranten. Die Prinzen verfolgen nur ſelbſtſüchtige Politik; fie wollen den Krieg, aber nicht um dem König zu helfen, fondern um aus dem allgemeinen Chaos für fich jelbit, für die MWiederaufrihtung der alten Privilegien Vorteil zu ergattern. Wenn die Zarin und die bourboniihen Höfe immer behaupten, der König ſei ein Ger fangener und deshalb habe jein Schwur auf die Verfaflung feine Bedeutung, fo iſt bo wohl die Frage aufjumwerfen: weshalb hat er dann Aenderungen ber Verfaflung nicht mwenigftens in Vorſchlag gebradt? Daß er dies nit gethan hat, ift ein unverwerflihes Zeugnis für die Freiheit feiner Entjheidung. In der Nationalverfammlung bat eben jegt eine gemäfjigte Richtung die Oberhand gewonnen; auf dieje bejonnene Mittelpartei will der König fi ftügen; jol man nun die ruhige Entwidelung ber VBerhältniffe ftören und neue Erjchütterungen hervorrufen? joll man nicht lieber ruhig zumwarten und ſich darauf bejchränfen, den Wohlgefinnten zur Wiederaufrihtung einer genügend ftarfen Krongewalt unter der Hand Unterftügung zu gewähren?!)

Mit diejen frieblihen Worten des Kanzlers jcheint in Widerſpruch zu jtehen, daß eine Anfrage des Kurfürften von Trier, ob er im Notfalle auf die Hülfe des KHaifers rechnen dürfe, in bejahendem Sinne beantwortet wurde und Marſchall Bender, der Befehlshaber der Faiferlihen Truppen in Belgien, Befehl erhielt, fich bereit zu halten.?) Allein die Verfügungen find an jo viele Bor- behalte gefnüpft, daß auch daraus nicht auf eine kriegsluftige Stimmung des Wiener Hofes zu ſchließen iſt; es jollte nur der Schein vermieden werden, als ob das NReihsoberhaupt jeine Berpflihtung zum Schutze der Reihsfüriten nicht ernft nähme.

Die Abneigung vor „gewaltthätiger” Einmiſchung war auch durch erneute Vorftelungen aus Emigrantenfreijen nicht zu überwinden. Das dreifte Drängen der franzöfiichen Prinzen, erklärte Kaunitz, ift durd die neueften Vorgänge in Paris nicht begründet; der König ift mit feiner Lage zufrieden; das Gerücht, bie föniglihe Familie babe ſich zu Condé geflüchtet, ift nichts als eine Erfindung

) Schlitter, Zur Gefchichte der franzöfifhen Politif Zeopolds II.; Einleitung zu ben Briefen der Erzberzogin Marie Chriftine an Leopold Il. LXXXIX. 2) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobi vom 23. Nov. 1791.

Kaunik über die franzöfifhe Revolution. 469

der Emigranten, die durch biefes Märden den Eindrud der Zöniglihen Auf: forderung zur Heimkehr verwifchen wollten. Das kaiſerliche Kabinett wird fich aljo weder durch ſolche Ausftreuungen nod dur den Papageienlärm in ber Nationalverfammlung vom Standpunkt eines ruhigen, leidenfchaftslofen Be: obachters verdrängen Lafien.!)

Die neutrale Haltung des Wiener Hofes wurde aud in Berlin gebilligt. Jacobi verficherte dem Fürften Kaunitz, das preußifche Kabinett zolle der er: leuchteten Auffaffung des Kanzlers ungeteilten Beifall. „Solange fi die Be- wegung innerhalb der franzöfiihen Grenzpfähle vollzieht, befteht für uns fein Grund, fih einzumifchen.“ Gewiß fei zu beflagen, daß in Franfreih ein Geift brutaler Willfür zur Herrihaft gefommen fei, aber auch dieje traurige Lage verdiene immer noch ben Vorzug vor dem Bürgerkrieg, ben eine Einmifchung des Auslandes heraufbefhwören könnte. „Jedenfalls wird ſich Preußen in feiner Weile von der Bahn trennen, welche Ihre Kaijerlide Majeftät eingefchlagen haben, und von dem Webereinfommen, das zur Grundlage unferer Beziehungen dient.“ ?)

Wie Fürft Kaunig, der bebeutendfte Staatsmann der alten Schule, die Lage Franfreihs nad der Annahme der Verfafiung durh den König und die Rückwirkung diefer Thatfache auf die Politik der großen Mächte beurteilte, er: fahren wir aus den Aphorismen, die er, wie fih aus dem Anhalt ergibt, die Scriftitüde felbit tragen fein Datum in den letten Monaten des Jahres 1791 feinen Geheimfchreibern diktiert hat.) Er zeigt ſich dabei von einer neuen Seite. Nicht bloß verraten feine Betradhtungen über die allgemeinen Menſchen— rechte ſtarke Beeinfluffung durch die franzöſiſche Aufklärungsphilofophie: vor allem ift das Zugeltändnis, daß England feinen Ruhm und feine Größe nur der Verfafjung zu danken habe, fennzeichnend für den Anbruch einer neuen Zeit. Es ift nicht daran zu denken, erklärt er, daß ein fo großer Staat wie Frank: reih auf die Dauer mit einer Verfaſſung, wie fie zur Zeit befteht, regiert werden fann, allein ebenjo wenig ift die Rückkehr zum alten Regiment möglich. Man muß aljo nah einem Ausgleich juchen. Mit Gewalt ift nichts zu machen, wenigitens nichts Dauerhaftes, denn das Mittel könnte verderblicher wirken, als das Uebel jelbft, wenn über furz oder lang ein Rückfall erfolgen würde. Es muß alſo ein fonftitutionelles Syftem gefunden werden, das für den König ans nehmbar ift und zugleich bie Nation befriedigt; ein ſolches fol der König jelbit anbieten, um feinen guten Willen zu beweifen und auch für die Zukunft die Nuhe des Landes zu befeftigen. Doch es wäre allzu ſchwierig und zeitraubend, ein neues, nicht zu viel und nicht zu wenig bietendes Syſtem erft ausfindig zu maden, und es wäre liberflüffig, da es ja ſchon eine allen Anfprüchen genügende Verfaſſung gibt. „Der König ſoll alfo vor feinem Volke und feiner National: verfjammlung fih dazu erbieten, ohne weiteres die engliihe Verfaſſung anzuerkennen, die ja, was für ganz Europa eine befannte Sade ift, den Ruhm

2) Preuß. St.:Arhiv. Berichte Jacobis vom 30. Nov. und 3. Dez. 1791. ?) Ebenda. Erlaffe an Jacobi vom 1. und 11. Dez. 1791. ) Vivenot, I, 290.

470 Zweites Bud. Vierter Abichnitt.

und die Wohlfahrt der Nation begründet hat. Dadurch ift nicht ausgeſchloſſen, daß im Einvernehmen mit der Bolfsvertretung einzelne Aenderungen getroffen werden, wie fie das eigentümliche Bedürfnis der franzöfiihen Nation erfordert.”

Am Bunde mit Rußland will Kaunig auch unter den veränderten Ver: bältnifjen feftgehalten wifjen, doch fol aud mit Preußen Friede und Freund: ſchaft geichloffen werden, zumal an ber Aufrichtigfeit der Zuneigung Friedrich Wilhelms nicht zu zweifeln fei. „Sein Vorgänger, jonft ein großer Mann, hat ein politiiches Syftem befolgt, das in allem und jedem den Anfichten und Inter— eſſen des Wiener Hofes zumiberlief und ihn mit diefem jo gründlich verfeindete, daß dadurch alle Ereignifie feiner Regierungszeit beeinflußt waren; er konnte niemals auch nur auf einen Augenblid jene Ruhe des Geiftes und der Seele genießen, bie ſchließlich doch allein im ftande ift, das Glüd der Fürften, wie der anderen Menjchen zu begründen. Unbeftreitbar war der König von einem be: Hagenswerten Irrtum befangen, wie es die traurigen Folgen feit nahezu fünfzig Sahren ſattſam bewiejen haben.” Der Nachfolger, Frievrihd Wilhelm, habe diejen Irrtum erfannt und ftrebe, ſich davon frei zu machen, aber es genüge nicht, das falſche Syftem aufzugeben; der König müſſe fih auch von allen Anhängern diejer falſchen Richtung abwenden, jonft werde ein aufrichtiges Einverftändnis zwifchen den ausgejöhnten Feinden nicht möglich fein. „Geredtigfeit, gefunde Vernunft und vollkommen durchgeführte Gegenfeitigfeit müfjen die Grundlagen des neuen Bundes fein, und pünftlih muß an dem Grundfaß feitgehalten werden: Was du nicht willft, daß man dir thu’, das füg’ auch feinem andern zu!” Die rechte Form für den Freundichaftsvertrag zu finden, wird feine Schwierigkeit bieten; die Hauptiadhe ift, daß man aufrichtig gefonnen ift, mit ber alten, faljchen Tradition ein für allemal zu brechen und die Forderungen ber neuen Zeit ohne Rückhalt anzuerkennen.

Das vorübergehende Bündnis der Feuillants mit der Partei Lafayettes hatte zur Folge, dab in das fonft nur aus gemäßigten Elementen zufammen- gejegte Minifterium de Leffart ein Vertreter der fehneidigeren Richtung, Graf Narbonne, als Kriegsminifter aufgenommen wurde. Narbonne war ein gern ge jehener Gaft in den Salons der Frau von Stael und Frau Condorcet, in denen für die Republik platonifch geſchwärmt wurde; er zählte auch zu den vertrauten Freunden Lafayettes.!) Seit in Franfreih das ca ira immer lauter ericholl, jeit fich immer klarer herausftellte, dal; auch die Verfaffung da, wo es fih um Schuß mifliebiger Perfonen und Einrihtungen handelte, nur ein toter Buchſtabe fei, erblidte die Feine Schar Edelleute, die in Lafayette ihren Führer verehrte und teilmeife, wie biefer, die Schule des amerikaniſchen Feldzugs durchgemacht Hatte, im Kriege das befte Mittel, die Leidenschaften des Volkes auf ein würdigeres Ziel Hinzulenfen. Wie wenig Blut habe die glorreihe Revolution in Amerika gefoftet! Wohl nur, weil man gezwungen war, ſich unaufhörli mit äußeren Feinden herumzufchlagen. Ebenſo bedeute der Krieg aud für Frankreich nicht eine Gefahr, jondern die Rettung aus heillofer Verwirrung und die Abwendung

") Lacretelle, Histoire de la Frauce pendant le 13° siöcle, IX, 32. Villemain, Souvenirs contemporains d’histoire et de litterature, 28.

Wachſende Ariegägefahr. 471

einer häßlichen Pöbelderrihaft. Selbit wenn der Waffengang mit ganz Europa zu wagen wäre! Wenn fchon Ludwig XIV. einer europäifchen Liga erfolgreichen Widerftand entgegengefegt habe: um wie viel leichter werde ein freies Wolf der Söldnerſcharen der Nachbarn fih erwehren!

Diefer Auffaffung huldigte auch Narbonne, obihon er fi nidt fo offen und Öffentlih dazu befannte, wie Biron, Rohambeau und andere Fayettiften. Der Einfluß des neuen Kronrates trat fogleih in ber füniglihen Sigung am 14. Dezember zu Tage. Der König felbit zur Linfen des Präjidenten der Nationalverfammlung ftehenb verlas ala Antwort auf die jüngften Beichlüffe der Bolfsvertretung eine Erklärung, deren energifher Ton alle Welt überrajchte. Nah dem Willen des Volkes habe die Regierung ſowohl die Emigranten zu Ihleuniger Rüdfehr ins Vaterland, als aud den Kaijer und die deutichen Fürften zu firenger Beachtung der jchuldigen Rüdfihten gegen Frankreich aufgefordert. Daraufhin habe zwar der Kaifer, wie es von einem treuen Bundesgenofjen Franfreichs nicht anders zu erwarten, jede Zufammenrottung von Kriegsvolf in deutſchen Staaten verboten, dagegen werde von einigen deutihen Fürften eine Haltung beobachtet, die nur als Beleidigung Frankreichs aufgefaßt werden könne. Der Vertreter der franzöſiſchen Nation fenne aber jeine Pflicht; zunächſt fei dem Kurfürften von Trier eröffnet worden: falls nicht bis zum 15. Januar die An: jammlungen der Emigranten in Kurtrier aufhörten, werde gegen den anmaßenben Feind Franfreihs nah Gebühr vorgegangen werben. !)

Nach diefen Worten erjcholl jubelnder Zuruf von allen Seiten des Hauſes; fogar der jelten gewordene Ruf: Es lebe der König! war zu hören.

Die nämliche Aufforderung, fuhr der König fort, werde ih an alle richten, die fih erfrechen, Frankreichs Sicherheit zu bedrohen; ich werde niemals dulden, daß unfere Nation ungerächt beleidigt wird. Auch an den Kaiſer habe ich noch— mals geichrieben, er möge feinen ganzen Einfluß aufbieten, um die Wider: fpenftigfeit jener Fürften zu brechen und dadurch das Unheil des Krieges vom Deutihen Reiche fernzuhalten. Man darf wohl hoffen, daß die Mahnung aus folhem Munde Gehör finden wird, allein für alle Fälle habe ich gleichzeitig die nötigen militärifhen Maßregeln angeordnet, um meinen Erklärungen den nötigen Nahdrud zu geben. Denn falls mein Wort nicht beachtet wird, bleibt nichts übrig, als der Krieg, und fein Mann von Ehre wird ſich der Ueberzeugung ver: ichließen, daß eine Nation, die feierlih auf alle Eroberungen verzichtet hat, (un peuple, qui a solennellement renoncé aux conquötes!) zwar nur notgedrungen fih auf Krieg einläßt, aber auch nicht davor zurückſcheut, wenn die eigene Sicher: beit und die Ehre es gebieten! Es ift hohe Zeit, den fremden Nationen zu zeigen, daß in Franfreih Volf, Parlament und König einig und eins find! Mit er: neuter Verfiherung unverbrüdlicher Verfafiungstreue ſchloß die Rede des Königs. „Ich fühle aufs tieffte, wie herrlich es ift, der König eines freien Volfes zu fein!“

Auch der neue Kriegsminifter, der die Freiheit der Gegenwart als Bürg— ichaft des Sieges feierte, wurde mit Beifall überfchüttet.?) „Bannen müfjen wir

) Moniteur, 1463. ?) Minerva, Ihrgg. 1791, I, 213.

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jenen Geift der Entmutigung, der Frankreich ſchon als geichlagen anjehen möchte, wenn es feine Freiheit gegen den Bund von ein paar Defpoten zu verteidigen hat; it es doch fiegreich geblieben, als es fich nur um eines Mannes willen mit einer weit furdhtbareren Koalition zu jchlagen hatte!” Sobald es fih um Schub des Baterlandes handle, gebe es in Franfreih nur noch eine Partei; begeiftert werde fich die Armee um ihre Führer, das Volk um feinen König ſcharen. „König und Vaterland find eins!” Frankreich habe über drei wohlgerüftete Armeen zu verfügen und dürfe dem Aufbruch an die Grenze nicht bloß mit Bertrauen, fondern mit Befriedigung entgegen jehen. „Eine Ber: längerung des gegenwärtigen Zultands ber Unruhe und Aufregung würde zur Anarchie führen. Dagegen steht feit: der erfte Aufruf zum Kampfe ift das Signal zur Wiederkehr der Ordnung!”

Dem Miniſter mochte es mit jeiner Begeilterung ernit jein, dagegen ent: ſprach die in der Nationalverfammlung abgelejene Erklärung durchaus nicht der Anſchauung und den Wünfchen des Könige. Wie von ihm die Yage aufgefaßt wurde, erhellt aus den vertraulichen Aufichlüffen, womit er vor Baron Breteuil jein Verhalten rechtfertigte (14. Dezember).‘) Den Krieg wolle auch er, aber nit aus den von Narbonne dargelegten Gründen. Wenn die Reden, die er im Auftrag der eigentlihen Machthaber halten müfje, den Krieg herbeiführen würden, jo wäre dies nur ein „politifcher”, nicht ein Bürgerkrieg, und es fönnten davon auf alle Fälle günitige Folgen erhofft werden. An einen Sieg ber Franzofen jei wohl mit Rüdfiht auf die phyfiiche und moralifche Zerrüttung des Staates nicht zu denken; die Niederlage würde eine raſche Wandlung herbei: führen; die Franzojen würden dann von den Errungenschaften der Revolution nichts mehr willen wollen und reuig jelbit den zertrümmerten Thron wieder aufrichten. Falls aber wider Erwarten den Franzojen Sieg bejdhieden fein follte, jo würde aud daraus die Krone Nuten ziehen, denn jeder glüdliche Krieg fteigere die Beliebtheit und das Anjehen des Regenten. Für ihn könne es alfo feine jchlimmere Wendung geben, als daß die deutjchen Fürften, durch Franfreihs Drohungen eingefhüchtert, der franzöfiihen Regierung volle Genug: thuung leiten würden. Dies würden die prahleriihen Faktionen als großen Sieg auspojaunen und zur Steigerung ihres Kredits ausbeuten, und die verberblicdhe Maſchine würde dann wohl noch eine Zeit lang fortarbeiten. Daß es nicht dahin fomme, daß der Kaijer endlich feine Zauderpolitif aufgebe und fih zum Schuß der bedrohten Kurfürften bereit erkläre, dafür jollten feine Getreuen wirken; er jelbft müſſe dabei unbeteiligt erfcheinen, um nicht den Verdacht aufflommen zu lafien, daß er Frankreichs Niederlage herbeiwünſche. „Mein Benehmen muß fo eingerichtet fein, daß die Nation in ihrem Unglüd feine andere Rettung fieht, als fi in meine Arme zu werfen.”

Fata trahunt. Ueber ihm war das Verhängnis. Er hatte verjäumt, rechtzeitig den gefährlidhiten „Volfsbeglüdern” die Köpfe vor die Füße zu legen. Jept war es zu entichloflenem Handeln zu jpät; er mußte zu Winfelzügen feine Zuflucht nehmen, die ihn nur in neue Gefahren verftridten. Der Kaifer, der

) Feuillet de Conches, IV, 296.

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durhaus nicht darauf erpiht war, den legten Grofchen zur Rettung des Haufes Bourbon aufs Spiel zu jegen, konnte darauf hinweiſen, daß ein König, ber die Intereſſen- und Ideengemeinſchaft der Krone mit der Volksvertretung jo ſtark betone, des fremden Schuges nicht bebürfe. Dagegen wußten die Volks— vertreter recht gut, dab die patriotifche Begeifterung des Monarchen biktiert und die Verbindung des Hofes mit den europäifchen Kabinetten menigftens nicht gänzlich abgefchnitten war; den kriegeriſchen Fanfaren wurde alſo Beifall ge- fpendet, doch der Argwohn gegen den Gemahl der „Defterreiherin” nicht auf: gegeben.

In Paris und Paris war ja ausichlaggebend für Frankreich war man im allgemeinen nicht gerade friegsluftig, aber nur nod die Angehörigen der äußeriten Rechten und der äußerften Linfen waren überzeugte Gegner des Kriegs. Barnave und feine Freunde, die ein halbes Jahr fpäter als Mit: glieder des „öſterreichiſchen Ausſchuſſes“ vor Gericht gezogen wurden, hatten zwar aud dazu beigetragen, daß ein Minifter berufen werde, der entjchloffener als jeine Vorgänger für die Ehre der Nation eintrete, allein durch diefes Zus geftändnis an die Öffentliche Meinung wollten fie nur den Briffotins den Boden abgraben; fie hofften, ein ſolches Warnungszeihen werbe die allzu anmaßenden deutſchen Nachbarn zur Vernunft bringen, und da vom Kaifer felbit ein gemalt: thätiges Eingreifen nicht zu bejorgen, werde die Ruhe erhalten bleiben und die Emigrantenfrage zu friedliher Löfung gelangen. Aus anderen Gründen wollten die Nobespierre und Desmoulins und Marat, die offen und unverblümt auf die Republik losfteuerten, von Rüftungen und Krieg nichts wiflen. Ein fiegreidher Feind, jo festen fie im Yakobinerflub auseinander, werde das gejtürzte Gößen- bild des Abjolutismus wieder aufrichten, dody auch ein Sieg der franzöfiichen Waffen berge nur Gefahren für die Freunde der Freiheit. Die wohlgedrillten Soldaten Fönnten allenfalls auch zu anderen Zmweden verwendet werden, als zum Kampfe mit Defterreihern und Rufen.

Dagegen war in immer weiteren Kreifen die Ueberzeugung aufgewadjen, daß es früher oder fpäter zu feindlihem Zufammenftoß zwiſchen „dem göttlichen Recht der Könige und der Souveränität des Volkes” fommen müſſe.) Es lag im Weſen der Revolution, daß ihre Anhänger danach trachteten, das neue Evan: gelium weiter auszubreiten; das „Land der Freiheit” und das feubale Europa fonnten nicht auf die Dauer in Frieden leben. Diefer Anfiht Huldigte auch der neue Kriegsminifter, dem ſich raſch die Gunſt des Volkes zugewendet hatte. Zwar waren die Vorrechte des Adels in Frankreich abgejchafft, aber damit war die im Bürger: und Bauernftand feftgewurzelte Bewunderung des grand seigneur nicht ausgerottet; nur mußte diefer mit modernen Schlagworten ſich vertraut gemacht haben. Darauf verftand fich aber niemand bejjer als der im Bureau d’esprit ber Frau von Staöl zu den modernen Ideen befehrte Ariftofrat, der galante, wißige Lebemann Narbonne.?) Als Piöce de rösistance feines politischen

") M&emoires, correspondance et manuscrits du general Lafayette; Des armees frangaises 1789—1792, III, 300. ) Olagau, 76.

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Programms bezeichnete er in einem Schreiben an den Mentor der Königin, Grafen Mercy: Argenteau (21. Dezember), die „gleihmäßige Abwehr der Emi- granten und der Republifaner”. In jo aufgeregten Tagen jei es nit am Plage, den Ruf nad Reform der ftaatlihen Einrichtungen zu erheben; ſondern jeder, der es mit König und Vaterland gut meine, müſſe an der beftehenden Verfaſſung fefthalten und vor allem jede fremde Einmifchung zurückweiſen. Graf Mercy möge wieder nah Paris zurüdfehren, da feine Gegenwart fidherite Ge- währ „für die Nufrichtigfeit der Königin gegen die Nation” bieten werde.

Auch der für den Kriegsfall zum Führer der franzöfiichen Heere auserjehene Zafayette verfündigte als Lojung: Für König und Staat gibt es fein Heil außer im engiten, aufrichtigſten Anſchluß an die Verfaſſung, mögen ihr aud noch fo viele Mängel anhaften. Wenn der König mohlgerüftete Heere zur Ber: teidigung der Verfafiung bereit jtellt, wird die Krone das alte Anjehen unb die alte Beliebtheit zurüderlarigen.

Auch ſpäter noch, als die franzöfiiche Republik ſchon in den legten Zügen lag und „die Erften der Nation (vor Bonaparte) auf den Knieen zu rutſchen be- gannen” (1799), urteilte Lafayette: „Es war ein jchwerer Fehler der Fürften Europas, daß fie die ruhige Entwidelung Frankreichs ftörten! Hätten fich bei der Unſchlüſſigkeit der Freiheitsfreunde, wie die ſchwierige Frage der vollziehenden Gewalt zu löfen fei, die Monarchen raſch dazu verftanden, die Menſchenrechte mit den Rechten eines gejegmäßigen Königtums in Einklang zu bringen, fie wären bejler damit gefahren, als mit dem Vertrag von Pillnik, den ih damals den ‚großen Freibrief ver Jakobiner‘ genannt habe. Dieje Verbindung der Mächte, die widhtigfte von allen, wurde nicht gejchloffen gegen die Verbrechen bes Auguft und des Septembers, nicht gegen die Schafotte und die Schredensherridhaft, die vorauszufehenden oder doch notwendigen Folgen jener Greueltage, nein, fie wurbe gejchloffen gegen die von einer Nationalverfammlung in zwanzig Monaten zwanglos ausgearbeitete Verfaſſung, die, vom Volt mit Jubel begrüßt, vom König angenommen, durd den König allen Höfen befannt gegeben und von biejen felbft mit heuchlerifhen WVerwahrungen wieder vorgelegt worden war.“ ')

Am offenften und lauteften vertraten die Männer der Gironde den Ge: danken: Nur der Krieg mit den Schugherren der verjagten Ariftofraten kann Franfreih vor der Wiederkehr der Abfolutiften bewahren, nur der Krieg kann ung die Errungenschaften der Revolution retten! Isnard bezeichnete dies geradezu als wichtigſte Aufgabe der Volksvertretung. „Unfere Vorgänger, die Mitglieder der Konftituante, ſchufen die Freiheit durch philofophifche Lehren und Volks— erhebungen; wir haben fie durch die Diplomatie und das Schwert zum Triumph zu führen; dies ift die Aufgabe, die für unfere Legislatur aufgejpart blieb.” Isnard, Briffot, Vergniaud und andere Gefinnungsgenoffen verlangten von vornherein offenen Bruch mit Deiterreih und Annäherung an Preußen und England. Viele Franzojen jahen ohnehin in Defterreih den natürlichen Gegner, den Erbfeind, der von jeher, wie Abbe Bernis einmal gejagt hatte, wie ein

) Memoires etc, de Lafayette; Lettre du général Lafayette à M. d’Hennings III, 265.

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Blutegel an Frankreichs Größe und Wohlſtand geflogen habe.!) Das PVerfailler Bündnis mit Defterreih von 1756, das „grand wuvre* des Fürften Kaunitz, war in Frankreich eigentlich immer unpopulär gewejen; nicht mit Unrecht war die Anficht verbreitet, daß es nicht zum Aufſchwung, jondern zum Niedergang ber Machtſtellung Frankreihs in Europa beigetragen habe. Die Schande bes jiebenjährigen Kriegs, die Niederlagen der franzöfifhen Diplomatie, die Teilung Polens, die Niederwerfung der Türkei, die Vernichtung der republifanifchen Partei in Holland wurden auf den widernatürliden Bund der natürlichen Feinde zurüdgeführt. Marie Antoinette war als „Dejterreiherin”, als Tochter Maria Therefias und Schweſter Leopolds II. immer mit jcheelen Augen angefehen worden. Graf Segur, der als ein zu den Grunbjägen der Revolution befehrter Diplomat der alten Schule dieſe Verhältniſſe am beften zu beurteilen mußte, fagt geradezu: „Der Haß gegen Defterreih war die herrſchende Leidenſchaft in Sranfreih.” ?)

Am mächtigiten aber trieb zum Kriege die finanzielle Notlage des Landes. Auf allen Gebieten der Verwaltung war Hägliche Unordnung eingeriffen; nicht bloß war das Triebwerk des ftaatlihen Organismus ins Stoden geraten, fon: dern viele Räder verfagten gänzlich den Dienft. Die Aſſignatenwirtſchaft ftand in vollſter Blüte; im Dezember 1791 wurden 1800 Millionen Aifignaten emittiert, die Ausgabe von weiteren 300 Millionen ftand bevor. Da jedoch nicht einmal der Schein einer Dedung geboten war, ſank der Kurs tiefer und tiefer; im Dezember 1791 ftand er auf 68%, im Januar 1792 auf 66, im Februar auf 60, im März auf 53; erft nah dem glüdlichen Verlauf des Feldzugs ftieg er wieder auf 69.) Im Zufammenhang mit der Entwertung der Staatspapiere ftieg der Notftand im Lande, vor allem in der Hauptitadt. Es rächte fih, daß auf dem Lande, feit man aud den Bauernitand in die Politik hereingezogen hatte, Ader: bau und Viehzucht unverantwortlid vernadläffigt worden waren; infolge davon machte fih Mangel an Lebensmitteln insbefondere in der KHauptitabt immer empfindlicher fühlbar, die Brotpreife ftiegen ungeheuerlih in die Höhe. Im Oktober 1791 mußte die Municipalität von Paris zu Getreideanfäufen im Aus: fand ihre Zuflucht nehmen, obwohl fie fih für ſolche Handelsgeſchäfte weder für befugt, noch für berufen anſah; es mußte geichehen, um den durch das Elend der Maſſen hervorgerufenen, faſt täglich wiederfehrenden Straßenaufläufen ein Ziel zu ſetzen. Unter folhen Berhältnifjen wuchs der dumpfe Haß der Beſitz— lojen gegen die Befißenden immer mädtiger empor. Seit die Stimme Mira: beaus, der unabläfjig die „Armen und Elenden” vor Verhegung durch gemifjen: loſe Aufwiegler gewarnt hatte, verhallt war, gelangte die jozialiitifche Forderung gleichheitlicher Verteilung des Eigentums immer dringlicher und ftürmifcher zum Ausdrud. Marat lehrte täglih im Ami du peuple, daß bie beitehende Ver: fajjung ein wertlojes Papier jei, jo lange nicht wirklich für Neih und Arm gleihe Rechte gefichert wären. „Was nüßt es dem eigentlichen Volke, daß jet

!) Chuquet, Les guerres de la revolution, I, 8. ?) Segur, Mémoires ou souvenirs et anecdotes, II, 84. * Ad. Schmidt, Parifer Zuftänbe, II, 96, 104, 108.

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ftatt der Edelleute und Pfaffen ſiebengeſcheidte Advokaten und wucheriſche Makler das Heft in Händen haben?”

Nicht bloß der Staatsbankerott ſchien unvermeidlich bevorzuftehen, die Unzufriedenheit der Maſſen drohte über Stadt und Land noch ſchlimmeres Un— heil zu verhängen. Dieſe Gefahr ließ der zur Zeit herrſchenden Bourgeoifie jelbft den Krieg als Eleineres Uebel ericheinen. In diefem Sinne erklärte Brifjot in der Kammer: „Der Krieg it im gegenwärtigen Augenblid eine Wohlthat für unfer Vaterland!”

Wie man fieht, war der Boden zur Aufnahme des Kriegsgedanfens überaus empfänglid, als die Antwort des Wiener Hofes auf die im Auftrag der National- verjammlung geitellten Forderungen in Paris eintraf,

Meder Kaiſer Leopold, der Agamemnon cunctator, wie ihn jhon die Zeit: genofjen nannten, noch fein zur Zeit jo verfafjungsfreundliher Kanzler waren, wie zur Gemißheit feftgeftellt werden fonnte, Freunde einer friegeriihen Politik. Doch auch ihre JZurüdhaltung hatte eine Grenze. Sie hatten feinen Grund, ſich darüber zu härmen, daß Frankreich durd die inneren Wirren feinen Einfluß in Europa verloren hatte, aber eine noch tiefere Herabdrüdung der Ftegierungs: gewalt in Frankreich war weder mit den ntereifen, noch mit der Ehre des Wiener Hofes vereinbar.!) Auch die Volfsverführung durfte feine weiteren Fort: fohritte machen, jonft war die Anftefung Belgiens zu befürdten. Die Reichs- fürften, die durch den Sieg der Revolution ihre lehensherrliden Rechte im Elſaß verloren hatten, waren nod ohne Genugthuung. Zweibrüden und einige andere weltlihe Stände wären nicht abgeneigt gewejen, die von ber franzöſiſchen Re: gierung angebotene Abfindung mit Geld anzunehmen, allein die geiftlichen Fürſten wollten davon nichts willen; einen Artikel des weftfäliichen Friedens: vertrags mißachten, erklärten fie, heiße den ganzen in Frage ftellen. Die Ber: weltlihung des Kirchenguts in Frankreich hatte alle geiftlichen Fürften mit Arg- wohn und Bejorgnis erfüllt; jeit während des erſten fjchlefiichen Krieges zum erjtenmal der Vorſchlag gemaht worden war, Kaifer Karl VII. für den Verzicht auf das habsburgiihe Erbe durch eingezogene Hochſtiftsgebiete zu ent: Ihädigen, lag der Gedanke der Säfularijation der geiftlihen Fürftentümer ge: wiflermaßen in der Luft. Im kaiſerlichen Intereſſe durfte aber nicht zugelafien werben, dab jolche Ideen feitere Geftalt annähmen, denn an ben Kirchenfürften hatte die Faiferlihe Politit im allgemeinen immer die willfährigften Bundes- genojjen gehabt. Es war in Wien als jchwerer Schlag empfunden worden, daß Kurmainz, auf faiferlihen Schuß verzichtend, dem Fürſtenbunde beigetreten war; ein folder Hall durfte fich nicht wiederholen; es mußte um jeden Preis verhütet werden, daß etwa auch der Kurfürft von Trier oder der Bilhof von Speier engere Fühlung mit Preußen fuchten oder fih dem Schuße der vielgepriefenen Hüterin des „hiſtoriſchen Rechts“, der Zarin Katharina, empfahlen. Es durfte nicht dahin fommen, daß der römiſch-deutſche Kaifer nicht mehr als natürlicher Anwalt der Legitimität und Fürftenehre angejehen, daß Defterreih jchlieglih außer Ver: bindung mit dem übrigen monardiichen Europa gefegt wäre! Ebenfowenig fonnte

) Lenz, 295.

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es dem Kaiſer gleichgültig fein, daß feine Schwefter in Briefen an den und jenen die Gleihgültigkeit ihres Bruders beklagte und ihn für das Unglüd feiner nächſten Blutsverwandten und den Verfall des Königtums in frankreich ver: antwortlih machte.) Am 16. Dezember richtete fie wieder einen Hülferuf an Graf Mercy: „Möchte fih doch mein Bruder vor Augen halten: früher oder jpäter wird er doch, ob er will oder nicht, in unfere Sade verwidelt werben! Wenn wir jo thöridht find, anzugreifen, wird er als Oberhaupt des Neiches für die Sicherheit des deutichen Reichsförpers einftehen müffen, und da er es mit jo zudtlojen Soldaten, wie es die unjeren find, zu thun bat, wird feinem Gebiet bald von allen Seiten zugelegt werden. Um unjere perjönlide Sicher: heit braucht man nicht mehr beforgt zu fein; das Verhalten, das wir uns ſelbſt zum Gejeß gemadt haben, indem wir die Miene annehmen, ald gingen wir freiwillig den Weg, den wir gehen müjlen, gewährt uns Sicherheit; aber das Schredlichite für uns wäre, wenn wir in diefem Zuftande beharren müßten... . Eurem Eifer, Eurer bewährten Anhänglichfeit vertraue ih mid an, damit Ihr eine jo widtige, Eure ganze Einjiht, Klugheit und Bejonnenheit fordernde Angelegenheit zu gutem Ende hinausführt. Doch es ift feine Zeit zu verlieren! Der Nugenblid ift da, uns zu helfen; wenn man ihn verjtreichen läßt, ift alles zu Ende, und auf dem Kaifer wird vor den Augen der ganzen Welt der ſchmach— volle Vorwurf haften bleiben, daß er feine Schweiter und feinen Neffen und Bundesgenofien in tiefiter Erniedrigung verfommen ließ, obwohl er fie hätte befreien fönnen.”) Mercy unterließ auch nit, den Klagen der Königin durch eigene Vorftellungen Nahdrud zu geben. Das Schreiben Mercys an den Kaifer (Brüffel, 24. Dezember 1791) lieſt fi wie eine Erwiderung auf die oben erwähnte Denkſchrift des Fürften Kaunig, worin die Gefahr einer Ans ftetung der faiferliden Staaten durch die Revolution in Franfreih mit forg: lofem Lädeln in Abrede geitellt war.°) Dieje Gefahr beiteht, beteuert Mercy, und nicht bloß für Belgien, fondern für alle Erblande. „Nicht bloß werben die Reden in der Nationalverfammlung immer wilder und herausfordernder, auch ſonſt häufen fih die Anzeihen, daß die Tollheit der Nation im Zunehmen begriffen ift und ſehr bald an die Nachbarn die Frage herantreten wird, ob nicht um ber eigenen Sicherheit willen gewiſſe Vorkehrungen geboten feien. Hat doch unlängit der verworfenfte der Parijer Federhelden eine Ankündigung er: laffen, worin er allen Fürften und Monarchen auf eigene Fauft den Krieg erklärt.” Der Ruf: Freiheit und Gleichheit! wird, mag er immerhin nur ein Hirngeipinit fein, auch anderswo als Evangelium begrüßt werden, da er ben Armen ein Glück auf Erden verheißt, das ihnen das Chriftentum erft im Himmel geben will! Unvermeidlich werden die Lehren von den allgemeinen Menſchenrechten, von ber Souveränität des Bolfes anitedend wirken. „Wenn ih mir erlaube, ſolche Betrachtungen anzuftellen, jo geichieht es, weil fie mir

!) Shlitter, Einleitung, XCII.

2) Arneth, Marie Antoinette, Joſeph II. und Leopold II, 234.

) Auszüge aus dem Berichte Mercys vom 24. Dez. 1791 find eingeflodten in die Vor— lage der Staatölanzlei an die Konferenzmitglieder vom 17. Jänner 1792; Qivenot, I, 330.

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an meinem gegenwärtigen Aufenthaltsort förmlich aufgedrängt werben; weil ic) bier in den Niederlanden in klarſter Deutlichkeit erfenne: es ift nur dem Einfluß der verpefteten Nachbarichaft zuzufchreiben, daß das durchlauchtigſte Statthalter: paar nicht vermag, die Ruhe wieder herzuftellen,“

Ansbejondere der warnende Hinweis auf die Niederlande, wo in der That die Anhänger van der Noots bald da, bald dort Unruhen anzettelten, mußte in der Wiener Hofburg Eindrud machen. Aus einzelnen Anzeihen hatte ſich auch ſchon früher erkennen laffen, daß die friedlihen und freundlihen Worte des Kaifers über den Umſchwung in Frankreich nicht aus dem Herzen famen. Zwar wurde der Vertreter des neuen fonftitutionellen Staates, was die Agenten des „auswärtigen Frankreichs“ nicht wenig mißtrauifsh und mißmutig machte, bei Hofe jogar mit befonderer Auszeichnung empfangen, allein in fonderbarem Gegenſatz ſtand die Zuwendung von zwei Millionen an die widerfpenftigen Brüder des Königs, wodurch fogar der Argwohn des Berliner Kabinetts wach: gerufen wurde. „Das ift eine merkwürdige Kehrjeite der Wiener Karte,” jchrieb das Minifterium am 18. Dezember an Jacobi, „Sie werden tradten, der Sache auf den Grund zu jchauen, ich zähle auf Ihre Wachjamteit.” ')

Fürft Kaunig felbft erklärte dem preußifchen Gejandten ohne Umfchweife, dab die immer trüberen und unheimlicheren Nachrichten aus Paris ihm den Entihluß, am Frieden feitzuhalten, ſchwer madten. „Wenn der König aud) zur Zeit der Zuftimmung zur Konftitution noch frei und fein eigener Herr war, fo jcheint er e& heute nicht mehr zu fein.” Die Lage wird offenbar erniter, berichtete Jacobi nad) Berlin. „Wenn erft die Niederlande völlig beruhigt find, wird wohl von Wien gegen die Franzoſen ein höherer Ton angeſchlagen werden!” Dann werde fi das faiferlihe Kabinett no lange mäßigen müſſen, wurde von Berlin erwidert, denn die jüngften Nachrichten aus den Niederlanden jeien Ihlimm genug; die neuen Subfidienforderungen jeien von den Ständen von Brabant einfach abgelehnt worden; der Hab gegen die am Ruder jtehenden Beamten falle faſt noch jchwerer ins Gewicht, als die Abneigung gegen die öſterreichiſche Herrſchaft; allenthalben rühre fi der dritte Stand, um neue Rechte zu erringen.

Unter dem Drud folder Nachrichten fühlte Kaunig felbit das Bebürfnis, den Plan des öſterreichiſch-preußiſchen Bünbniffes wieder auf die Bahn zu bringen. Er ſehe es als jeine Pflicht an, erklärte er dem preußifchen Gefandten am 20. Dezember, ohne Rüdhalt darzulegen, wie er die gegenwärtige Lage beurteile. Wie thöricht das Emigrantenvölfchen in den Tag hineinlebe, immer mit großen Worten um fich werfe und doch nur blauen Dunft aushede, zeige jo recht deutlich eine foeben veröffentlichte Flugſchrift: „Ein Blid auf die polis tiſchen Intereſſen der verfchiedenen europäifchen Fürſten hinſichtlich der franzö— ſiſchen Republik“. Wie falſch werde darin die Politik des Kaiſers beurteilt! Wie undankbar werde auch hier nit viel anders als in der Nationalver: jammlung das Bündnis von 1756 als Wurzel des Unheils für Frankreich verläftert! Und doch ſtamme das Machwerk wahrjcheinlih aus der Feder des

Preuß. St.-Arhiv. Bericht Jacobi vom 18. Der. 1791.

Wachſende Kriegsgefahr. 479

Herrn von Calonne jelbit! Mit ſolchen Leuten könne man nicht zufammen: gehen! Doch auch die Schreier in der Nationalverfammlung bürfe man nicht länger ihren Unfug treiben lafien; es ſei an ber Zeit, ihnen endlich ein: Bis hierher und nicht weiter! zuzurufen. Der Kaifer wolle denn auch einen falten Waſſerſtrahl nach Paris hinüberfenden: eine ungefährliche Sache, denn vor ſolchen thörichten Braufeföpfen (insenses et téméraires) braude man ſich nicht zu fürdten. „Es liegt klar zu Tage, daß ein fefter Bund zwiſchen Defterreih und Preußen jede Störung durd fremde Mächte volllommen ausfhliet.” ')

Bon Cobenzl war ohnehin zu erwarten, daß er jedem Schritte gegen das revolutionäre Frankreich willig zuftimmen werde, doch auch dem friedliebenden Spielmann jhien es an der Zeit zu fein, der bedrängten Königsfamilie hülf- reihe Hand zu bieten und ben Gutgelinnten in Frankreich tröftlihe Ausficht auf Unterftügung zu gewähren; Spielmann iſt der Verfaſſer der an die fran- zöfifche Regierung gerichteten Note vom 21. Dezember 1791, deren „fefte” Sprade nur darauf berechnet war, „die anmaßende Nationalverfamnlung zur Vernunft zu bringen”, die aber nicht wenig dazu beitrug, den Krieg unver: meidlich zu machen. Der Kaifer nimmt darin offen Partei für den Kurfürften von Trier; die zur Zeit in Frankreich herrfchende, übermütige Partei habe nicht bloß die unabänderlihen Rechte deutſcher Fürften verlegt, jondern bedrohe jetzt fogar deutjches Land mit feindlihem Einfall; der Kaifer habe deshalb den Marſchall Bender angemwiefen, für den Fall ernftlicher Bedrohung deutſchen Ge: biets dem Kurfürften unverzüglich Hülfe zu bringen. An den guten Abfichten des Königs zmweifle niemand, aber für gemäßigte Grundfäge fei heute in Frank— reih fein Raum; diefe traurige Erfahrung habe die Nachbarn genötigt, auf Abwehr zu finnen und ſich zu einem Verein zufammenzufhliegen „zur Aufrecht— haltung ber öffentlihen Nuhe und zur Wahrung der Sicherheit und Ehre der Krone”.

Noch ehe diefe Note in Paris eintraf, hatte hier ein Gerücht, daß dem— nächſt in Nahen ein europäiſcher Kongreß tagen werde, um gewiſſe Nenderungen der franzöfifhen Konftitution mit Waffengewalt zu erzwingen, die Gemüter erregt. Um nicht Entmutigung einreißen zu lafen, juchte Briffot in der Kammer (29. Dezember) überzeugend darzulegen, daß ein Zufammengehen aller oder auch nur mehrerer Mächte gar nicht im Bereich des Möglichen liege.?) Der Kaiſer wird fich hüten, anzugreifen, rief Briffot, denn es ift ihm wohl befannt, dat die Söhne Franfreihs Vaterland und Freiheit bis zum legten Blutstropfen verteidigen würden. Dagegen kann er felbit auf feine Unterthanen ſich nicht verlaflen; überall ift der Aufftand vor der Thüre, überall weiß heutzutage auch der Soldat, daß er nicht, was die Fürften aus ihm machen wollen, ein Feind, ſondern ein Sohn des Volkes ift. Der Kaifer hat, wenn er uns angreift, nichts zu gewinnen, alles zu verlieren; das weiß er felbit, und überdies ift er von Natur gerecht und friedliebend, er ift nur zu ſchwach, um den jchlimmen Ratgebern, die ihn zu verkehrten Maßnahmen drängen, entichloffenen Wider:

') Preuß. St.:Ardhiv. Bericht Jacobi vom 21. Des. 1791. ) Moniteur, 1528.

480 Zweites Bud. Vierter Abichnitt.

ftand entgegenzufegen. „Doch genug vom Wiener Kabinett! Was liegt uns an der Politik der Höfe, uns, die wir frei fein und ihre Freiheit verteidigen wollen und können! Frankreich will den Frieden, aber es fürchtet nicht den Krieg; es ſucht feine Bundesgenofjen, e8 hat jelbft 25 Millionen Verteidiger, es hat anderen Shut nicht nötig!” Auch der preußiſch-öſterreichiſche Bund ift nicht dazu an— gethan, Furcht einzuflößen. Wird der Pillniger Vertrag ftärker fein, als die natürlihe Feindichaft zwifchen den beiden Mächten? Wird der auf jparfamite Verwendung feiner Mittel angemwiejene König von Preußen feine Armee und feinen Schat aufs Spiel ſetzen, um einem Nebenbuhler zu helfen, mit dem es feine Intereſſengemeinſchaft, feine Freundichaft geben kann? Die beiden Staaten mögen fich vorübergehend aneinander ſchließen, doch aus diefem Bündnis wird fein Krieg entipringen, oder wenn e& doch dazu fommen follte, wird er uns nicht gefährlih werden. Ebenjowenig haben wir von den übrigen Mächten Europas zu fürdten; fie alle brauden den Frieden und fcheuen den Krieg; fie fönnen ji zwar nicht verhehlen, daß der Friede die Ausbreitung der Revolution begünftigt, aber fie wiflen au, daß der Krieg den Samen der Freiheit noch raſcher nad) allen Himmelsrichtungen ausjtreuen wird. Auch wir wollen nicht den Krieg, aber wir dürfen den Frieden nicht um den Preis der Schande faufen. Wir müſſen eine jo entichlojjene Haltung einnehmen, daß die Feinde unjerer Freiheit fich nicht bloß ſcheuen werden, mit uns anzubinden, jondern daß es ihnen auch deutlih wird: Frankreich will die angefehene Stellung, die es früher unter den Mächten eingenommen bat, um jeden Preis zurüdgemwinnen!

Demgemäß ftellte Brifjot eine Reihe von Anträgen, wie ber biplomatijche Verkehr mit den fremden Höfen zu regeln ſei, um alle unberedtigten Zumutungen abzuwehren und alle berechtigten Anſprüche Frankreichs zu behaupten. Brifjots Nede fand lauten Beifall, allein die Anträge wurden vertagt, da die Mehrheit ber Kammer teils mit ihrem Inhalt, teils mit dem jchroffen Tone nicht einver: ftanden war.

Diefe gemäßigte Stimmung ſchlug aber um, als die faiferlihe Note vom 21. Dezember in Paris befannt wurde. Nie war es bisher in der National: verjammlung fo ftürmifch zugegangen, als am Neujahrstag 1792. Alle Bar: teien waren einig in ber Entrüftung über die anmaßende Strafpredigt des Kaijers. Jetzt gebe es nichts anderes mehr, als den Krieg, rief der Feuillant Vaublanc; am beiten werde no im Laufe des Januar, ehe ſich der Bund der deſpotiſchen Mächte feit geichlofien habe, der Feldzug eröffnet und Europa das große Beijpiel der Rache einer beleidigten Nation gegeben werden. Sogar Alerander Zameth erging fih in zornigen Morten über das hoffärtige Verhalten des Kaijers und der rheinifhen Fürſten. Die leidenfchaftlichfte Rede hielt Jean Debry, dem jpäter bei dem Raftatter Gefandtenmord eine jo Fägliche Rolle bejchieden fein ſollte; der deutiche Kaijer, rief er, beabfichtige offenbar nichts geringeres, als den Emigranten und Prieftern aufs neue die Herrichaft über Frankreich in die Hände zu fpielen. Auch der Kriegsminifter ftimmte ein in den Ruf nad entichloffenem Auftreten gegen die beleidigende Einmifchung der Fremden; Frankreich dürfe getroft zum Schwerte greifen; bei feiner legten Be: obachtungsreiſe habe er ſich überzeugt, daß die Armee volllommen friegstüchtig

Wachſende Kriegsgefahr. 481

fei; die Disziplin lafje nichts zu wünſchen übrig; die Offiziere der Linientruppen feien faſt durchwegs aufrichtige Freunde der Verfaſſung, Feitungen und Geſchütz— wejen im beiten Stande. „Ich zweifle nicht einen Augenblick an unferem Triumph!” Schließlich wurde ein diplomatiſcher Ausihuß ernannt, der die Frage: ob Krieg, ob Frieden? beraten und über das Ergebnis der National: verfammlung berichten Jollte.

Die Aufregung der Volfsvertretung teilte jich dem ganzen Lande mit. Obwohl die an der deutichen Grenze liegenden Truppen ftreng ermahnt worden waren, gegen Nachbarn, die erft nad) vorausgegangener Kriegserflärung als Feinde anzufehen wären, fih jeder Gemwaltthat zu enthalten, fam es nicht felten zu Feindſeligkeiten. Deutſche Grenzorte wurden von bewaffneten Scharen durchzogen; welche Abfichten fie dabei verfolgten, enthüllten die Worte auf ihren Fahnen: Paix aux cabanes, guerre aux chäteaux! Durd die lär: menden Kundgebungen erichredt, ließ fih Kurfürft Klemens gegenüber dem franzöftichen Gejandten Sainte-Croir zu einer förmlichen Abbitte herbei; da er feinen innigeren Wunſch bege, als die Harmonie zwifchen den bisher jo be freundeten Nachbarſtaaten ungeftört zu jehen, habe er Befehl gegeben, daß bie militärifhen Abteilungen der Emigranten binnen acht Tagen aufgelöft und weitere Zujammenrottungen von Bewaffneten in Aurtrier nicht mehr geduldet werden jollten. ')

In Wien und Berlin wurde dem plötlich erregten Ariegslärm im allge: meinen geringe Bedeutung beigemefien. Frankreich fei, jo glaubte man bier auch in maßgebenden Kreifen, durch die Revolution in feinen Grundveften jo erihüttert, daß es weder die Kraft noch den Mut befige, mit ftarfen Gegnern anzubinden. Mit Entrüftung hörte man in Wien, daß in Paris an allen Straßeneden ein Aufruf von Prudhomme „an alle Völker Europas” zu lejen fei, die Ankündigung eines Werfes, das die Verbrechen aller lebenden Monarchen aufzählen wolle. „Diefer Prudhomme,” las Spielmann dem preußiichen Ge: fandten aus einem Briefe des Grafen Mercy vor, „war noch vor kurzem ein armijeliger LYederarbeiter; heute befoldet er einige zwanzig Mitarbeiter, die feine andere Aufgabe haben, als republifaniihe Brandfchriften auszuhecken und überallhin zu verbreiten!” Die revolutionäre Leidenſchaft fei in Paris jo hoch geftiegen, daß jeder Tag den Ausbruch eines allgemeinen Aufitandes bringen fönne; nur mit Waffengewalt werde man die Nafenden bändigen, doch müſſe man ſich auch die Gefahren einer Schilderhebung der republifanifchen Partei vor Augen balten.?) Kaunig teilte die Entrüftung über die „Auswüchſe der großen Bewegung”, gab fich aber feine Mühe, feine Geringſchätzung der Parifer Maul: belden zu verbergen; von Einmifchung in ihre Händel wollte er nichts hören. „Es find,” berichtete Jacobi, „des Fürften eigene Worte: ‚Nach meiner Meinung wäre e& der Gipfel der Thorbeit, eine Gegenrevolution in Frankreich mit Ge walt durhführen zu wollen; man muß durch Vernunftgründe auf diejenigen

i) Minerva, 1, 327, 328, 331. ) Preuß. St.Archiv. Minifterialforreipondenzen mit Jacobi in Wien 1792. Bericht Jacobis vom 4. Januar 1792. Heigel, Deutihe Gedichte vom Tode Friedrichs d. Br. bis zur Aufiöfung des deutſchen Reicht. 1. 31

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Leute, die überhaupt noch der Meberlegung fähig find, einzuwirken ſuchen!““ In gleihem Sinne ſprach ſich der Kanzler aud gegen den Fürſten von Nafjau aus, der nad) Wien gefommen war, um auf den Kaifer zu Gunften der aus— gewanderten Prinzen einzuwirfen. Die franzöfiiche Regierung jelbit würde gegen den Aufenthalt der Prinzen in Trier nichts einzuwenden haben, wenn fie fi dort ruhig verhielten; dies möchten fih die hohen Herren aber einmal zu Herzen nehmen, denn bisher habe ihr lärmendes Benehmen die föniglihe Sade nur geihädigt. „Sie jollen ein für allemal das Trugbild aufgeben, das alte Syitem in Frankreich wieder auf den Thron jegen zu wollen!“) Auch der Kaifer äußerte fih mißmutig über das Treiben der Emigranten, die offenbar die deutichen Höfe zu auffälligen Schritten zwingen wollten; ebenjowenig wie eine Verlegung der Würde des Neichs zuläffig fei, dürfe man fi eine Sprade erlauben, die den Vorwand zu einem Einfall in deutiches Gebiet geben und damit zum Krieg führen würde. Unter der Hand gaben jedoch Spielmann und Cobenzl dem preußiichen Gejandten zu verftehen, es wäre wohl am Plate, wenn die preußiſche Negierung etwas weniger Worficht entwideln und mit der Mobilmahung den Anfang maden möchte.

Darauf wollte fih aber die preußiiche Regierung nicht einlaffen. Wenn der Kaiſer fo erklärte das Berliner Kabinett dem Wiener Gefandten feine Truppen im Breisgau verjtärke, fo habe eine ſolche Anordnung nichts Auf: fälliges, und niemand fönne deshalb Verdacht jchöpfen, daß eine Einmifhung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs beabfichtigt werde. Dagegen fünnte ein ähnlicher Schritt der preußiichen Regierung nur als eine kriegeriſche Kund— gebung aufgefaßt werden, da ja Preußen feine Grenzen gegen Frankreich zu ihüsen habe. Ein voreiliges Karbebefennen würde nur die Pläne der Parijer Hetapoftel fördern und den Ausbruch des Krieges, den der weile Sinn bes Kaijers verhüten wolle, zur notwendigen Folge haben. Ya, der gemäßigte, ver: jöhnlihe Ton, den der Wiener Hof mit einemmal gegen die franzöfiiche Res gierung anjchlage, nötige zu bejonderer Vorſicht. Freilich dränge die Königin von Frankreich auf entichloifeneres Vorgehen, allein die Rüdficht auf Finanznot und militäriihe Mißſtände nötige die Faiferlihe Negierung zu Zurüdhaltung, und daraus erkläre fi die zweidentige und ſchwankende Bolitif, die man fi fonft Schwer zurechtlegen könnte. Noch weniger Kriegsluft fei in Hannover, Helen, Pfalz-Baiern und Württemberg zu entdeden. „Meine Politik geht ihren gewieienen Weg. Ich babe beſchloſſen, nicht einen Schritt vorwärts zu madhen ohne Hebereinftimmung mit dem faiferlihen Hofe, der ja an dieſer Sache unendlih mehr intereffiert ift, als ich.“ ?)

In der deutihen Preſſe wurden die friegerifhen Kundgebungen der fran- zöfifhen Kammer mit Ruhe, ja mit Gleichgültigfeit aufgenommen. Ohne Zweifel wäre das ſüdweſtliche Deutichland gegen raſchen Einfall einer franzöfiichen Armee jo gut wie gar nicht gededt geweien. Die Handvoll pfälziiher und mwürttembergiiher Truppen fonnten nit an Widerjtand denfen, und bis eine

1) Preuß. St.Archiv. Berihte Jacobis vom 7. und 14. Jan. 1792. ) Ebenda. Erlaffe an Jacobi vom 29. Jan. und 9. Febr. 1792.

Wachſende Hriegsgefahr. 483

faiferliche Armee vorgejchoben wurde, konnten alle jüddeutichen Refidenzen von Franzoſen bejegt fein. Trogdem glaubte faft niemand ernftlih an Krieg, und noch weniger fürdtete jemand den Krieg. Wenn eine Warnung, das Reich möge ſich nicht in Händel mit Frankreich einlajfen, fundgegeben wurde, jo bewog dazu nur Mitgefühl mit den Vorkämpfern der Freiheit, nicht ein Zweifel an der Weberlegenheit der Armeen Defterreihs und Preußens. Nur ein aus dem preußiihen Offiziersftand hervorgegangener Journaliſt, Johann Wilhelm von Archenholz, beurteilte jchärfer die Gefahren des Zujammenftoßes mit einem für feine Umabhängigfeit kämpfenden Bolfe. Er beflagte die Ver: blendung, die dem franzöfiihen Wolfe Feine Entjchlofienheit, dem franzöfiichen Heere feine Kraft zutraue, und verwies warnend auf die wichtigen Vorteile der Gegner. „Sie fämpfen gleichjam vor ihren Thoren, wo bie zahlreichen Feftungen fie nach allen Unfällen und Niederlagen deden; eine Barriere, die alle Siege Eugens und Marlborougbs aufbielt! Jede Quadratmeile mußte bier mit Blut erfauft werden, und immer jeßten befeitigte Mauern den Fortichritten diejer großen Feldherren ihre abgemefjenen Schranken. Ein jolcher Krieg wäre alfo für Deutſch— land ein Unglüd!” Obwohl ein alter preußiſcher Soldat und ein guter deutjcher Patriot, müſſe er doch aus aufrichtiger Meberzeugung vorausfagen: die Liebe zur Freiheit wird die franzöſiſchen Waffen unwiderſtehlich machen!)

Am 14. Januar 1792 wurde aufs neue in der Pariſer Nationalverfammlung in die Kriegstrompete geitoßen. Indem der Girondift Genfonne die Beihlüffe des diplomatiihen Ausichufles verfündete,?) machte er für alles Unheil, das feit einem halben Jahrhundert Frankreich heimſuchte, das Bündnis mit Dejter: reich verantwortlih. „Frankreichs Schwäche, Deiterreihs Uebermacht find auf den unfeligen Traftat von 1756 zurüdzuführen.” Den Danf ernten wir jet dadurch, dab der Kaifer uns offen beleidigt! Mag er auch die militärijchen Zufammenrottungen an unferer Grenze verboten haben, jo wird doch dieſes Verbot feineswegs beachtet, die Anfammlungen dauern fort, die Emigranten legen die weiße Kofarde nicht ab, und die deutichen Behörden dulden diefes Zeichen des Aufruhrs, während friedliche, mit den Farben der franzöfiihen Nation geſchmückte Bürger auf failerlihem Grund und Boden verhöhnt und mißhandelt werden. Die im Finftern jchleichende Politif des Faiferlichen Kabinetts hat auch Preußen umgarnt; ohne Zweifel ift das Bündnis ſchon fertig, ohne daß der Kaifer den älteren Bundesgenofjen auch nur einer Mitteilung gewürdigt hat! Schon deshalb ift der Vertrag von 1756 als zerriffen zu betrachten! Frankreichs König darf fih jo ſchmachvolle Behandlung nicht gefallen lafjen! Wie einft in ähnlicher Lage Friedrich der Große, „ein König, deilen Genius allein feinen Defpotismus ent: Ihuldigen kann“, durch rajche That das Net feiner Feinde zerriß, indem er dur jähen Angriff den Anſchlägen der übermäcdhtigen Feinde zuvorfam, jo muß » auch unfer König unverzüglich eine unummundene Erklärung fordern, daß nichts Feindfeliges gegen Frankreich geplant und die Unabhängigkeit der franzöfijchen Nation in allem und jedem rejpeftiert werde; wenn eine ſolche Erklärung ab:

') Minerva, I, 369. ?) Buchez et Roux, Histoire parlamentaire de la revol. frang., 13. tom., 46.

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gelehnt wird oder nicht vollfommen befriedigend ausfällt, joll den Vertrags: brüchigen die Rache einer beleidigten Nation ereilen!

Auch andere Redner forderten ftrenge Abrehnung mit Defterreih: eine ungünftige oder auch nur undeutliche Antwort joll jofort mit Kriegserflärung beantwortet werden! Wergniaud verwies nochmals auf Friedrich den Großen: wenn dieſer König, deſſen Vernichtung im Rate der Mächte beichloflen war, nicht jelbit den Angriff gewagt hätte, würde fein Nachfolger heute nur Mark: graf von Brandenburg heißen! Noch leidenſchaftlicher forderte Briffot den Krieg. Den Kaifer und alle Abjolutiiten made die Furcht vor der fiegreihen Macht der Freiheitsgedanfens zu unverföhnlihen Widerſachern Frankreichs. „Eure Feinde find Könige, und ihr jeid ein Volk; fie find Deipoten, und ihr feid frei; eine aufrichtige Vermittlung zwiſchen Tyrannei und Freiheit gibt es nicht!” Endlich ftellte der Präfident der Nationalverfammlung, Guadet, den Antrag: Da ſchon das Wort Kongreß für Frankreich eine Beleidigung ift, ſoll jeder Franzofe, der fih an einem Kongreß beteiligt, als Hocverräter anzujehen fein. Der Antrag wurde angenommen und vom König genehmigt, die Abjtimmung über den Anz: trag Genfonnes dagegen vorerit vertagt.

Das Minilterium ſuchte abzumwiegeln; es gab mit bejcheidenen Worten der Nationalverfammlung zu bedenken, daß die Entſcheidung über Krieg und Frieden dem König zuftehe, der Monarch werde feine Anhänglichkeit an die Berfafjung am beiten beweifen, wenn er ebenfoviel Mäßigung bei den Unterhandlungen mit ben fremden Mächten, wie Entichloffenbeit bei den Nüftungen an den Tag lege; einer ſchwächlichen Nachgiebigfeit werde er ſich gewiß nicht ſchuldig machen; der Kurfürft von Trier habe bereits den Rückzug angetreten, der Ehre Frankreichs jei Genugthuung zu teil geworben.

Doch dieſe auf Abſchwächung der Wirkung der kaiſerlichen Dezembernote berechnete Erklärung wurde von der Nationalverfammlung mit Mißvergnügen aufgenommen. Nicht auf den kleinen Fürſten von Trier fomme e& an, wurde erwidert, jondern auf den Kaifer und den von ihm angedrohten Kongreß; ent: weder joll Yeopold Elipp und Ear auf jede Einmiſchung verzichten, oder es foll ber Degen gezogen werben. Es muß ja doch einmal, rief der Abgeordnete Daverhoult, der enticheidende Kampf zwiſchen Licht und Finfternis, zwijchen Aufklärung und Lügengeift ausgefochten werden! „Seien wir offen! Die freunde ber freiheit wollten der Philojophie zu Hülfe fommen; fie wollten einen großen Bund ftiften, um in ganz Europa eine gejunde Volkserhebung hervorzurufen; beflagenswert freilich ift das Los der Menſchheit, da Licht und Leben nur aus Leiden und Unglüd der Völker hervorgehen können!“) Schließlich nahm denn aud die Nationalverfammlung am 25. Januar einen Antrag Brijjots an: es fol noch bis zum 1. März gewartet werden, ob der Kaijer die geforderte Erklärung geben will, dann ſoll der beleidigten Ehre Frantreihs mit den Waffen Genug: thuung verjchafft werden. Mit dem Rufe: Die Konjtitution oder den Tod! ging die Werfammlung auseinander. Welches Ziel Briffot eigentlih im Auge hatte,

1) Buchez et Roux, XIII, 59.

Wachſende Kriegägefahr. 485

geitand er jelbit in einer jpäteren Rechtfertigungsſchrift:) „Als ich auf die Kriegserflärung drang, war es meine Abfiht, die Abſchaffung des Königtums einzuleiten... . . Jeder Aufgeflärte verftand mich, als ich Nobespierre, der immer von drohendem Verrat ſprach, antwortete: Ich habe nur eine Furcht, nämlich die, daß wir nicht verraten werden; wir brauden Verrat, unjer Heil beruht darin, denn es ftedt noch viel Gift in unferem Staatsförper, und wir brauden noch ſtarke Entladungen, um es auszuftoßen! Der große Verrat wird nur den Verrätern verhängnisvoll, für die Völker aber von Nutzen jein; er wird zer: trümmern, was der Größe der franzöltihen Nation im Wege ſteht!“

Die Gegner der Friegsluftigen Gironde mwagten nicht mehr, fi offen auszuſprechen. Zwar hielten die Männer vom Berg an der Anficht feit, daß es ſich nicht verlohne, für die beftehende Verfafjung, den „Zwitter zwiichen Freiheit und Sklaverei”, Opfer zu bringen. Robespierre nannte den Kriegslärm eine unbeilvolle Komödie, denn Gefahr drohe den Freunden ber Freiheit nicht von Koblenz, fondern von Paris; Lafayette brenne vor Begierde, den General Monk zu fpielen; zuerit müſſe der innere Feind unſchädlich gemacht, dann erft gegen die übrigen Tyrannen des Erbballs das Schwert gezogen werden. Auch Danton erblidte im Krieg, wenn er ihn auch für unvermeidlich hielt, eine zur äußerften Vorſicht mahnende Gefahr für die Freiheit.) Doh nur im Klub wurden ſolche Neben laut; in der Nationalverfammlung mwagten auch die Jako— biner nicht, fi gegen die herrſchende Stimmung auszuſprechen. |

Ebenfo ſcheute die Partei Lameth vor offenem Kampfe mit den Girondilten zurüd. Ueber die Wünſche und Befürdtungen der Mittelpartei unterrichtet eine aus ihrem Kreife hervorgegangene Denkſchrift, welche die Königin im Jänner 1792 ihrem Bruber übermitteln ließ.) Ein für allemal ſoll als unumftößlicher Grundſatz anerkannt werden: Die Nüdkehr zum alten Syſtem ift unmöglich, die vom König angenommene Verfaffung muß in ihren Grundzügen beitehen bleiben. ‘Freilich ift manches daran einer Verbeflerung bedürftig. Im Drang nad Reform im Einne des Zeitgeiftes ift man über das eigentlihe Ziel binausgeftürmt, für die Erefutivgewalt der Krone find allzu enge Schranfen gezogen worden; ber König muß aljo jo viel Gewalt zurüderlangen, daß er ſich gegen feine zwei Feinde, die reaftionslüfternen Emigranten und die zügellojen Republifaner, wirkſam verteidigen fann. In diefem Kampfe kann und joll der König aud von feinem Bundesgenofjen, dem Kaijer, unterjtügt werden. Bor allem muß jedoch der Kaifer der Anmaßung der rheinifchen Kurfürften und der Händelfuht der Emigranten jteuern; dann erft darf er andere Ziele ins Auge fafjen. Der Kaiſer ift der natürlihe Bundesgenofle Frankreichs, zumal jet, da nad dem europäiſchen Syftem die großen Mächte fich gegenjeitig ftügen müſſen; er ſelbſt muß trachten, den Frieden in Frankreich aufrecht zu erhalten, um feinen und unferen Feinden, bie jeit langem Verwirrung und Unordnung ſäen, Das Epiel zu verderben. Sein eigenes Intereſſe gebietet, daß er dem König fräftige

1) J. P. Brissot, A tous les r&publicains de France, sur la societ€ des jacobins (29. octobre 1792), 8.

?) Buchez et Roux, XII, 412.

) Arneth, 240, 269.

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Unterftügung gewährt, aber zugleich alles vermeidet, was feinen Bundesgenofjen bloßjtellen oder hemmen könnte. Diefe Revolution ift die Sache der Könige, wie der Völker. Noch einen Augenblid, und es wird bie Anficht fiegen, daß in großen, bevölferten Ländern Monarchen notwendig find zur Erhaltung der Freiheit und des Friedens; diefer Grundfag muß über die Revolution die Ober: hand gewinnen, doch es gibt dazu fein anderes Mittel, als den Völkern zu zeigen, daß die Monarchen weder ihre Feinde, noch die Helfershelfer ihrer Feinde find. Der Kaijer will fih ja in feinem eigenen Lande nicht auf die Seite einer bejtimmten Klaſſe ftellen; wie jollte er ſich beigehen lafjen, in Frankreich einem winzigen Bejtanbteile des Volkes gegen alle übrigen jeinen Arm zu leihen? Ein jolcher Verſuch, dem eigenen Vorteil gewiß nicht förderlich, würde vollends jür Frankreich ein finfteres Verhängnis heraufbejchwören.

Der Beihluß vom 25. Januar, der in feiner fchroffen Faſſung einer Kriegserflärung an den Kaifer fehr ähnlich jah, wurde vom König abgelehnt; gleichzeitig wurde aber der Kammer mitgeteilt, die Regierung felbit habe vom Kaiſer billige Aufklärung verlangt und werde fi nur mit volllommen befries digender Antwort begnügen. Darauf wurde zwar von den radikalen Blättern fort: gefahren, über Mangel an Mut und Energie in den leitenden Kreifen zu lagen, allein in der Kammer wurde, was nad dem Lärm der legten Tage überrafhen mußte, fein direfter Angriff auf die Regierung unternommen, die Bewegung ftaute zurüd, der Kriegseifer war erlahmt. !)

Aud die Note, welche de Leſſart an den Wiener Hof richtete (21. Januar), war nichts weniger als herzhaft oder herausforbernd.?) Zwar wird gegen das Verhalten des Kurfürften von Trier und insbefondere gegen die verlegende Aeußerung, der König von Frankreich jei nicht mehr als freier Herr feiner Ent: ſchließungen zu betrachten, Verwahrung eingelegt, aber zugleih der Erwartung Ausdrud gegeben, der Kaijer jelbit werde gegen ſolche Ungebühr einzufchreiten wiffen. Auch die Drohung mit dem Bunde der Fürften Europas habe in Frankreich Argwohn und Unmut wachgerufen, allein es ſei ja gar nicht zu glauben, daß ber Kaijer, der nächte Verwandte und treue Bundesgenofje des Königs, einem Plane zugeitimmt babe, der nur auf die ebenſo feindfeligen, wie leichtfertigen An: zettelungen der Emigranten zurüdzuführen fei. Ein bemwaffneter Kongreß bebeute nichts anderes, als gewaltiamen Umſturz der franzöfiihen Verfaſſung; dazu werde ber gerechte, frievliebende Kaifer gewiß nicht die Hand bieten wollen. Die franzöfifche Verfafjung verdiene nit die vom Ausland erhobenen Vorwürfe. Wenn es da und dort zu Ausſchreitungen des Pöbels gelommen und jogar bie ſchuldige Achtung vor dem Monarchen verlegt worden fei, fo könne dies nicht mwundernehmen, da Frankreich joeben erft die gewaltigfte Revolution der Welt: geſchichte durchgemacht habe. „So viele Gegenjäge, jo mächtige Anftrengungen, jo tiefgreifende Neuerungen, jo furdtbare Erfhütterungen mußten eine alljeitige Erregung zurüdlafien, und es wird noch längere Zeit brauchen, bis volllommene Ruhe eintreten wird.” Früher habe es wohl eine Gemeinfhaft der Intereſſen

) Glagau, 141. ?) Bivenot, I, 380.

Wachſende Kriegsgefahr. 487

des Königs und der Emigranten gegeben, doch mit der Anerkennung der Ber: fafjung habe der König felbit jede Verbindung mit ihnen gelöft; was fünnte ihn noch an „titele und befitloje” Leute knüpfen, die „alle Höfe in Unruhe verjegen, fi jelbft als eine Macht zur Geltung bringen wollen und an nichts anderes denken, als an Rache für die ihnen zugefügte Unbill und an Sieg ihrer eigenen Anſprüche?“ Die kaiferlihe Regierung möge fich nicht beirren laſſen durch den in Frankreich herrichenden freieren Ton; infolge der dur die Revolution er: zeugten Aufregung ſei es nicht möglich, jede Ausjchreitung und Taftlofigkeit fofort nach Gebühr zu ahnden. „Dean höre aber einmal auf, uns zu bedrohen und damit den Freunden des Umfturzes immer neuen Vorwand zu Aufwiegelung an bie Hand zu geben, dann wird die Ordnung bald zurüdfehren!“ Augen: blicklich beſchäftige cin Wort alle Geifter, den einen Furcht und Abicheu, -den anderen heißes Verlangen einflößend, das Wort: Krieg. An der Spige ber Kulturfreunde, denen der Krieg nur Abjcheu einzuflößen vermöge, ftehe der König. „Sein Geilt, wie jein Herz juhen jeden Gedanken daran niederzu: halten; er ſieht auh in einem glüdlihen Kriege nur ein Unglüf für ben Staat und eine Geißel für die Menjchheit.” Möge ih auch die Faiferliche Regierung nit zu Schritten hinreißen lafjen, die zum Krieg führen müßten, Auch dem Kaifer könne ſogar ein glüdliher Krieg nicht erwünjcht jein, da er feine andere Frucht brädte, als das Verderben feines treueften Bundesgenoffen. In Frankreich aber jeien nicht etwa bloß der König und fein Kronrat von frieblihen und freundfchaftlihen Gefühlen bejeelt, jondern der ganze geſund denkende Teil der Nation. „Wir wollen nidts als den Frieden; wir wollen nichts als das Ende jenes beunrubigenden Zultandes, der noch foftipieliger ift, als der Krieg; wir wollen nichts als die Wiederkehr geordneter Verhältniſſe, allein man hat uns allzu gerechten Grund zu Bejorgniffen gegeben, als daß es nicht geboten wäre, uns ausdrüdli zu beruhigen.”

Das franzöfifhe Kabinett hätte nicht friebfertiger ſprechen können. Briffot und jeine Leute hatten in der Kammer den Ruf erhoben: Wir müjjen uns ſchlagen oder unſere Ehre ift verloren! Dies hatte auch den König genötigt, an ben Degen zu greifen, doc die neue Erklärung bewies, daß man in ben Tuilerien zwar aud vom Krieg Rettung erhoffte, aber an nichts weniger dachte, als jelbit den Krieg mit Defterreih zu eröffnen, daß man im Kaijer vielmehr den natürlichen Bundesgenoffen und fünftigen Retter erblidte.

Die Frage war nun: Wird der Kaiſer auf die herausfordernden Drohungen der franzöfifchen Nationalverfammlung oder auf die beichwichtigenden Worte der franzöfiichen Regierung das Hauptgewicht legen?

Am 4. Januar 1792 jchrieb Leopold an feinen Gejandten in Berlin, Fürften Neuß, nah den legten Nachrichten über die Pariſer Vorgänge werde nichts anderes übrig bleiben, als „eine ernithafte Partei gegen Frankreich zu ergreifen.” Er wolle aber nur nad reiffter Ueberlegung und in aufrichtigem Einverftändnis mit dem König von Preußen vorgehen, und da bejonders General Biihoffswerder „zur Gründung und Beförderung des Allianziyitems zwiſchen beiden Höfen mit jo vielem Eifer ſich ausgezeichnet“ habe, wäre es ihm fehr erwünjcht, wenn der König feinen Vertrauten mit den nötigen Verhaltungs:

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befehlen und Vollmachten nah Wien jenden möchte, damit endlich einmal über die franzöfiichen Angelegenheiten ein gemeinjamer Beichluß gefaßt werde. „Sie fönnen dem König als einem Biedermann verfihern, daß mein Vorſatz Heilig und unabänderli ift, mit ihm die fordialfte Freundichaft zu pflegen.”!) Als Leopold die Staatskanzlei aufforderte, fih über die Aufgaben und Pflichten des Tages zu äußern, fiel das Gutachten (12. Januar) fhärfer aus, als nad) der bisherigen Haltung der tonangebenden Staatsmänner zu erwarten war.

„Wenn nod) irgend ein gejunder Menjchenverftand in Paris übrig ift, jo ſollte man mit allem Grunde hoffen können, dab es dem König gelingen dürfte, die Nation das Uebermaß von Gefahren einjehen zu machen, denen fie ſich aus— jegen würde, wenn fie e& zum wirklichen Bruce gegen fie von jeiten fo vieler Mächte fommen liege Gefahren, die um fo infalfulabler jein müßten, da es Frankreich offenkundig an einer disziplinierten Armee, an aller Subordination, an Gelde mangelt... Sollte aber gegen alle bejiere Vermutung der König nicht im jtande fein, unter feiner Mediation einen folhen PVergleihsweg zu eröffnen, und auch fein anderer zu gütlicher Beilegung der Sache gebahnt werben fönnen, jo wird zwar freilich zulegt nichts anderes als die Gewalt der Waffen übrig bleiben!) Am 17. Januar wurde vom Minifterrat unter Borfig des Kaifers beichlofien, „von dem angenommenen paſſiven Dperationsplan weiter vorzurüden.” Es jollte an die Mächte Europas die erneute Aufforderung zu gemeinfchaftlihem Vorgehen gegen die Feinde des franzöfifchen Thrones gerichtet werden, wobei jedoch „jorgfältig darauf zu achten, daß nicht etwa der Faiferliche Hof in einfeitige, von der Beiwirkung anderer und injondberheit bes preußiichen Hofes ifolierte, thätige Maßnahmen verwidelt werde”. Solche Vorſicht ſchien um fo mehr geboten, da man in Wien wußte, daß franzöfiiche Agenten in Berlin, London und anderen Plägen an der Arbeit waren, um das öſterreichiſch-preußiſche Bündnis nit zum Abſchluß gelangen zu laffen.?)

Das Bündnis war ja noch immer nicht über „generale“ Freundſchafts— verfiherungen hinaus gefommen. Die Hauptverhandlungen wurden in Berlin zwifhen Neuß einerjeits und den Miniftern Findenftein, Schulenburg und Alvensleben andererjeits geführt. Friedrich Wilhelm hatte dem Kaifer die Wahl überlaffen, ob der Vertrag in Wien oder Berlin gejchloffen werben jollte; Leopold hatte fih für Berlin entjchieden, da er „jeden Anlaß benugen wolle, dem König die aufmerfjamfte Nüdjiht zu zollen”.*)

Die Diplomaten fonnten ſich aber über verjchiedene Punfte nicht einigen. Kaunig hielt eine Veröffentlihung des YBundesvertrages nicht für geboten oder zwedmäßig; in Berlin überwog die Anficht, man dürfe die Reichsfürſten nicht im unflaren lafjen, daß der Bund der zwei mädtigften Staaten nicht eine Ver: gewaltigung der ſchwächeren bezwede. Unjere Regierung muß, jo beifchten die Minifter, vor dem Verdacht gefichert bleiben, daß fie Defterreich zur Einver:

') Bivenot, I, 304.

2) Ebenba, I, 337.

2) Ebenda, 1, 327, 364.

+ Preuß. St.:Arhiv. Negociations de Bischofiswerder 1791—1792. Kauni an Reuß, 4. Januar 1792.

Polen und die deutfchen Mächte. 489

leibung Baierns ermutige oder gar dazu feine Unterftügung leihen wolle!). Mit herzlihen Berfiherungen wurde hüben und drüben nicht gefargt. „Wir find feſt entſchloſſen,“ verficherte Kaunig dem Vertreter Preußens, „auch nit den kleinſten Schritt ohne Wiſſen und gegen den Willen Ihres Königs zu unter: nehmen, denn es ift jo Ear wie der Tag: wenn wir beide eines Herzens und Sinnes find, fünnen wir uns ruhig ſchlafen legen, feine Macht der Welt wird unjeren Schlummer zu flören wagen.” ?)

Der gefährlihite Gegenſatz zwiſchen beiden Höfen klaffte in der pol: niſchen Frage.

Schon im Sommer 1791 war die Meinung, dab neue Gewaltichritte gegen Polen von den Nachbarmächten geplant wären, weit verbreitet. Eine neue Teilung Polens liegt in der Luft: diefer Gedanke wird in ber Vaterländiichen Chronik und in anderen Zeitjchriften vielfach erörtert. „ch höre ein Geflüfter um mich ber, ald wären Geifterftimmen; ein Geift tritt aus den Wolfen, deutet auf Polen und ſpricht: Die Könige haben ſchon das Meffer in der Hand, um dih aufs neue zu ſchälen!““) Was hatte es genußt, daß das Reformwerk vom 3. Mai 1791 von den aufgeflärten Staatsmännern aller Nationen gefeiert worden war, daß For „im Namen aller Freunde einer vernünftigen Frei: beit” zur Nettung Polens Glück wünjhte, daß Payne im Warſchauer Staats: ftreih Mufter und Vorbild erblidte, wie eine erſchlaffte Regierung aus eigener Kraft wieder Achtung und Anjehen erlangen fünne, daß Hergberg in einer afademifchen Rede den Umſchwung in Polen als die lauterite und geredhtefte aller Revolutionen rühmte.) Was hatte es genugt, daß ſowohl vom Kaifer als vom König von Preußen das Verjprehen gegeben worden war, den Willen einer freien Nation zu achten, Rußland war nicht gefonnen, im Bunde der dritte zu fein, damit war die ganze Lage jofort verändert. In der Weigerung Rußlands lag für die beiden Genoffen der eriten Teilung Polens nicht bloß eine Verlodung, jondern eine Art Nötigung, nicht dem immer mächtiger auf: ftrebenden Zarenreihe allein die Beute zu überlaffen. Dazu fam, daß der Staatsftreich feineswegs den erhofften Auffhwung der inneren Berhältniffe ge: bracht hatte; wüſte Anarchie herrjchte im Lande, eine Genejung des Staats: wejens war als nahezu ausgeichloffen anzufehen. Ein warmberziger polnischer Patriot, deſſen Denkwürdigfeiten eine zuverläflige Quelle für die Geſchichte jener Tage bieten, der Magnat Michael Oginski, räumt felber ein, daß aud die Aus: wüchſe der Revolution in Frankreich nachteiligen Einfluß auf das Schickſal Polens üben mußten; die monardiichen Regierungen der Nahbaritaaten mußten ver: hindern, daß fih in ihrer Mitte ein neuer Herb revolutionärer Leidenſchaft aufthue, und fonnten immer auf Zuftimmung und Unterjtügung eines namhaften Teiles des polniihen Volkes rechnen?).

') Preuß. St.Archiv. Memorandum bes preuf. Minifteriums vom 8. Nov. 1791.

?) Ebenda, Bericht Jacobi vom 21. Der. 1791.

9) Baterl. Chronik, Ihgg. 1791, 515, 517.

) Oginsli, Dentwürbigfeiten über Polen; Popig und Fink, Bibliothek ausgewählter Memoiren, II, 1. Abteilung, 117.

) Ebenda, III, 1. Abteilung, 133, 155.

490 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

Im Herbit 1791 traten Katharinas Abfichten deutlicher zu Tage. Als ein Vertrauensmann des Grafen von Artois, Graf Vaudreuil, in Wien ruhm: redig verlicherte, die Zarin werde demnächſt zu Gunften der legitimen Sache in Frankreich eingreifen, machte jich der preufßifche Gefandte über ſolchen „Aber: glauben” weiblich luftig. „Der gute Graf! Seine erhigte Einbildungsfraft läßt ihn übertriebene Hoffnung hegen! Die Kaiferin von Rußland wird fich zu nichts anderem berbeilaffen, als zu Redensarten, die man nad Belieben drehen und deuten kann. Dagegen ſteht joviel feit: dieſe Fürftin fähe nichts lieber, als dan die deutſchen Großmächte in fernen Landen durch Kampf und Not feit: gehalten würden, damit fie jelbit in Polen die Ellenbogen frei bekäme!“)

Im kaiſerlichen Kabinett gingen die Anfichten in der polnischen Frage aus: einander oder jchienen wenigitens auseinander zu gehen. Kaunig gab mit Vor: liebe dem Mitgefühl für die polnische Nation Ausdrud; er könne, jagte er, nur eine ſchreiende Ungerechtigkeit darin erbliden, wenn man ein Volk hindern wolle, fi eine befiere Verfaſſung zu geben. Trogdem widerriet auch er, „ſich zur Er: haltung einer Berfaffung zu verpflichten, die das wanfelmütige polnische Volf fih gegeben habe, ohne jemand ein Wort zu ſagen;“ nun follten die Leute nur zujeben, wie fie aus eigenem Vermögen ihre Berfafjung behaupten und fort: entwideln könnten! ?) Epielmann ging nod etwas weiter; die Höfe von Wien und Berlin, jagte er zum preußiichen Gefandten, hätten das gleiche Intereſſe, mit der Zarin über das Schidjal Polens fih zu einigen; ohne Rußland fei nichts zu machen, da der ruffiihe Einfluß in Polen die ftärkite Verbreitung habe. Wie Kaifer Leopold jelbit über Polen dadte, war ſogar den nächſt— beteiligten Politikern zweifelhaft; während der kurſächſiſche Geſandte des Glaubens war, ber Kailer werde die Beftrebungen der polnifchen Verfaflungspartei unter: fügen, meinte der Vertreter der polnifhen Regierung, Graf Woyna, am Wiener Hofe jei gar nichts gewiß, als die Ungewißheit, wie man fi) gegen Polen ver: halten werde.

In Berlin war man von vornherein einer Anerkennung des neuen Zus

’) Preuß. St.Archiv. Bericht Jacobi vom 29. Okt. 1791.

) „Que ce seroit un grand fardeau de vouloir protiger cette nation toujours inconsequente dans le maintien d’une constitution, quelle sétait donnde sans dire gare à personne, que c’etoit ainsi ü elle seule de tacher de la consolider; que la consideration, que le repos de la Pologne &toit n&cessaire pour celui des puissances voisines, ne lui sembloit pas d'un assez grands poids pour la balance politique; que pourvu qu'aucune puissance ne se mölat des affaires internes de ce royaume, on pourroit ötre indifferent sur leur police interne.* (Bericht Jacobis über feine Unterredung mit Kaunik v. 2. Nov. 1791.) Der Ausfprucd des faiferlihen Kanzlers verrät gewiß alles cher als die warme Teilnahme für die polnische Verfafjung, von welher Kauni nad Sybels Auffaffung (I, 453) erfüllt geweien fein fol. Kaunitz wollte die Erblichkeit der polnifhen Krone und die Uebertragung an das ſächſiſche Haus, aber mit fo einfhnürenden Beſtimmungen, daß der Gegenſatz zwiſchen feiner Auffaſſung und ber Berliner Politif bei weitem nicht als fo ſchroff anzufehen ift, wie es Sybel für geboten hält. Schon im Dezember 1791 erllärte der ruffifche Gejandte Bulgakow in Warfhau, die Verbindung feines Hofes mit dem öfterreichifchen fei eine fo enge, daß lekterer Rußland in den polnischen Angelegenheiten gewiß feinen Zwang anthun ober deffen Plänen fich widerſetzen würde (E. Herrmann, Die öfterreichiich:preußifche Allianz und die zweite Teilung Polens, 45).

Polen und die deutſchen Mächte, | 491

ftandes in Polen abgeneigt und deshalb über das einlenfende Zugeltändnis des Wiener Kabinetts hoch erfreut. Die Auffaflung des Fürften Kaunitz, erwiderte das Minifterium im Namen des Königs, verdiene ungeteilten Beifall; es hieße fih eine läftige und gefährliche Verpflichtung aufladen, wenn man die Gewähr: leiftung der polnifhen Verfaſſung übernehmen wollte; Preußen habe zwar im Bundesvertrag den Beſitzſtand Polens verbürgt, aber nie und nirgends die Ver: fafjung und das Regiment jenes Staates. „Wir find entzüdt, daß zwijchen unjerer Anſchauung und derjenigen eines jo erleuchteten und weiſen Staats: mannes, wie Fürft Kaunig es ilt, jo vollkommene Webereinftimmung berricht.“ ')

Fortan nahm die Erörterung der polniihen Frage im diplomatiichen Ver: fehr der drei Ditmächte die wichtigſte Stelle ein. Das Wiener Kabinett be: günftigte die Uebertragung einer erblien polnifhen Krone an das ſächſiſche Kurhaus, jedod nur mit vorfichtiger Zurüdhaltung. Chevalier Landriani wurde nah Dresden entjandt, um den Kurfürften zur Annahme der Krone zu bewegen, aber zugleid) vor Forderungen zu warnen, die den Petersburger Hof zu offenen Feindfeligfeiten reizen Fönnten. ine königliche Machtftellung, wie fie der Kur: fürft begehre, jo war im Memorandum der Etaatsfanzlei dargelegt —, werde von Rußland niemals geduldet werden und laufe ebenfo dem Intereſſe Defter: reichs zuwider. Auch bezüglich des anderen Streitpunftes, der Verbindung der polniſchen Krone mit der furfürftlihen Würde, hielt Kaunig für unthunlich, „eine Vorliebe und einiges Emprejjement an den Tag zu legen, indem ſolches die Aufmerkjamkeit Preußens und Rußlands in gleihem Maße erregen und von dem erfteren Hofe wahrfcheinlih als eine Verlegung der Präliminarartifel der Allianz angefehen würde.” Der Wiener Hof möge fih aljo in diefen Dingen „ganz gleichgültig und unteilnehmend“ bezeigen. Die Vorfchläge fanden auch die Billigung des Kaiſers. „Ich genehmige durchaus und in allen Punkten Ihren Vortrag.” ?)

Die Sendung Landrianis erzielte nicht den gewünjchten Erfolg. Kurfürft Friedrih Auguft blieb bei jeiner Forderung: „Entweder geben die Mächte, ins: befondere auch Rußland, die feite Zufiherung, daß fie die Uebertragung der Krone Polens an Sadhjen anerkennen und gutheißen, ober ich lehne das Ans erbieten der Polen von vornherein ab.”

Auh noch im Januar 1792 wurde in Wien an den Grundzügen biejer Politik in der polnischen Frage feftgehalten. Darüber unterrichtet uns ein wichtiges Aktenftüd, der Erlaß des Kanzler an Neuß vom 4. Yanuar.’) Als „Hauptziel des politiichen Regierungsiyitens des Kaijers“ bezeichnet Kaunitz die „dauerhafte Erhaltung der allgemeinen Ruhe, auf eine aufrichtige, ungerftörbare Eintracht zwifchen dem Wiener und dem Berliner Hofe gegründet.” Um dies aber zu erreichen, jei notwendig, daß endlid einmal bei den Nachbarn bes pol: niſchen Reiches jener Zunder von Eiferfuht und Mißhelligkeiten entfernt werde, dem der verworrene Zuftand Polens unter der alten Berfaflung fortwährend Nahrung gebe, jo daß die Verhetung der Parteien niemals aufhörte und jede

) Preuß. St.⸗Archiv. Erlaf vom 10. Nov. 1791.

2) 9. Beer, Leopold Il, Fran; II. und Cathartna, 116. ) Vivenot, I, 107.

492 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

Königswahl, ja faft jeder Reihstag Unruhen brachte. Zu diefem Zwede empfehle fih Anerkennung der Hauptarundjäße der neuen Konflitution vom 3. Mai, ins: bejondere der Uebertragung der erblihen Krone an den Kurfürften von Sachſen, doch genüge dazu nicht die Bereitwilligfeit der deutihen Mächte, ſondern auch Rußland müfe dem Bündnis beitreten und insbejondere der polniſchen Bolitif der Verbündeten aufrichtig zuftimmen. Dann fönnten die drei Höfe ohne jede Schwierigkeit „das Hauptintereffe, welches fie in Anfehung Polens gemein haben, und welches darin befteht, daß diejes Reich feinen Grad, der ihnen furdtbar wäre, jemals erreiche, durch gemeinfamen Einfluß und Mafregeln aufredt er: halten und gegen innere und äußere Evenements ficher ftellen.” Ein Bedenken, das vielleiht am Berliner Hofe gegen die von Wien empfohlene Erbmonardie beitehen möchte, könne leicht zeritreut werden: der Bruder des Kurfürften von Sadjen, dem möglicherweije die Krone zufallen würde, ſei zwar ein Tochter: mann des Kaijers, werde aber wohl ohne Nahfommen bleiben, und es werde den Wiener Hof gleihgültig laſſen, mas die Nepublif mit ihrem künftigen Ober: haupt über die weitere Erbfolge vereinbaren wolle.

Zugleih ſoll Reuß in Berlin als leitende Punkte der Rolitif des faijer: lihen Kabinetts in der franzöfiihen Angelegenheit darlegen: Zu einer förm— lihen Entſcheidung iſt noch nicht Anlaß geboten, jo lange wie möglich ift jede Einmiſchung in die Händel des Nachbarſtaates zu vermeiden, doc ſoll den Feinden der föniglihen Familie und des Königtums die Criftenz des europäiichen Kon- zerts durch angemeflene Beweiſe, etwa durch einen öffentlichen Vereinigungsakt vor Augen gebradht werben.

Damit war man in Berlin vollflommen einverftanden, dagegen wurde der Wiener Antrag bezüglich Polens abgelehnt. Dieje Dinge feien gar Fritiicher, jpinofer Natur, heißt es in einer von allen Minijtern unterzeichneten Note vom 13. Januar; der preußifhen Regierung liege die Abficht ferne, der Durhführung der polnischen Konftitution gewaltfamen Widerftand entgegenzufegen oder die Erhebung des Kurfürften von Sachſen auf den polniſchen Thron zu beanftanden, allein es jei bedenklich, fich auf irgend etwas einzulafien, ohne über die Ab: fihten Rußlands beruhigt zu fein; deshalb habe Preußen bisher alles ängſtlich vermieden, was als Verpflichtung ausgelegt werden Fönnte, und halte volle Ber: ftändigung der drei Mächte für unbedingt geboten. !)

In Wien war man zur Zeit über einen anmaßenden Schritt des Zaren- bofes, der das Verhältnis deutjcher Fürften zu Kaifer und Reich in merfwürdiger Beleuchtung zeigte, verftimmt.?) Der Kurfürft von Trier hatte im Dezember 1791 dem Reichstage angezeigt, daß er, um endlich für die Verlegung feiner Rechte dur Frankreich Genugthuung zu erlangen, die Hilfe Rußlands als eines Garanten des mweitiälifchen Friedens erbeten habe. Wirklich verlangte der Vertreter Ruß— lands in Regensburg, zur Beihlußfaffung über die Klagen der rheinifchen Fürften zugelaflen zu werden. Wie verfümmert auch der nationale Gedanke in deutichen Landen war, jo rief doch eine jo unmürdige Bettelei eines deutſchen Fürften

’) Beer, 119. Note des preuß. Minifteriums vom 13. Jan. 1792. Preuß. St.Archiv. Bericht Jacobi vom 24. Dez. 1791.

Polen und die deutihen Mächte. 498

um die Gunft der Zarin peinliches Auffehen hervor.) Der Kurfürjt hatte zwar für gut befunden, die Verfiherung zu geben, er habe fi zu feinem Geſuch „ohne auswärtige Anregung” entichloffen, doch die öffentliche Meinung glaubte nicht daran; man wollte jogar willen, daß von rufjiiher Seite auch anderen rheinischen Fürften unter der Hand freundichaftlide Nufmunterung zugegangen fei.?) Mehrere Reihsftände, die Bifhöfe von Worms, Speier, Hildesheim, Paderborn, der Herzog von Zweibrüden u. a., follen bereit gewejen fein, den Trierfhen Fußltapfen zu folgen, doch die Mipbilligung der größeren Staaten hielt fie davon zurüd.”) Kaiſer Leopold gab durch feinen Gejandten in Mainz zu verftehen, daß er den unpatriotiihen Handel mit Mißvergnügen anfehe, und auch das Berliner Kabinett wies feinen Reichstagsgejandten an, den unmwürdigen Einflüfterungen mit Nahdrud zu begegnen.!) Eine von einem furtrierifchen „Bedienten” abgefaßte Nechtfertiaungsichrift fand es freilich unbegreiflih, wie jemand tadeln wolle, daß der Kirchenfürft „ven Stolz, die Zierde ihres Ge: fchlehts und unjeres Jahrhunderts, die große Kaiferin, deren ganze Regierung ein hellleuchtender Tag ohne Dämmerung jey,” um Gunft und Gnade angerufen habe. Dagegen fuchte ein anderer Publizift, ein hannöverſcher Auditeur Wader: bagen, nachzuweiſen, daß die Zarin gar nicht das Recht habe, jih als Garant des weſtfäliſchen Friedens aufzufpielen, und beklagte die Blindheit der Deutfchen, die von der im Diten fi aufthürmenden ungeheuren Gefahr nichts ſähen oder nichts jehen wollten. Nocd vor 100 Jahren habe man in Deutichland faum von der Grijtenz eines ruſſiſchen Neiches etwas gewußt; feit 40 Jahren aber trachte der Moskowiter unentwegt und beharrlih, Einfluß auf die deutichen Angelegen: beiten zu gewinnen, und ohne Zweifel werde er fein Ziel, die deutjchen Fürften von fih abhängig zu machen, mit jlavifher Zähigfeit und Hinterlift wirklich erreichen. Kein deuticher Mann, den nit der lucri bonus odor beeinflujle, fönne darüber anders denken; nur in Preußen ſchiele man immer nad Rußland.

Doch auch in Wien war fchon zur nämlichen Zeit, da in Berlin und Petersburg noh um Anerkennung der polnifhen Verfaſſung geworben wurde, feine Geneigtheit vorhanden, zu Gunften des Königs Stanislaus oder des Kur: fürften von Sachſen thatkräftig einzugreifen. Kaunit fühlte ſich beängftigt durch das Schweigen Rußlands in Bezug auf feine Abfihten gegen Polen; ohne Zweifel wolle man in Petersburg nur abwarten, bis der endgültige Friede mit der Pforte geſchloſſen und Defterreih in die franzöfiihen Händel verwidelt wäre, um über Polen berzufallen und die neue Verfaflung über den Haufen zu werfen. „Uns liegt nun daran, zu erproben, ob einer und welder von den zwei Höfen, der Berliner oder Peteröburger, aufrihtig mit dem hiefigen zu

!) Unparteiifhe Gedanken (f. Anm. 3), 29.

2) Verſuch eines Bemeifes (ſ. Anm. 3), 80.

) (Roth) it die Kaiferin von Rußland Garant des weſtfäliſchen Friedens? (Dezember 1791). Unparteiifche Gebanten über die vom Kurtrierifchen Hofe geſchehene Anrufung der Kaiferin von Rußland um Unterftügung gegen bie Eingriffe Frankreichs (1792). (Mader: hagen) Berſuch eines Beweifes, daß die Kaiferin von Rußland den mweftfälifchen Frieden weder garantieren Tönne noch dürfe (Üftober 1793).

) Verſuch eines Bemweifes, 78.

494 Zweites Bud, Vierter Abſchnitt.

Werke geht. Iſt es dem preußiichen Hofe ernit, mit Deiterreih eine wahre, dauerhafte Freundſchaft einzugehen, jo wird er unferer Abſicht, den polnischen Angelegenheiten eine zwar unjchäblihe, aber ruhige Konfiftenz zu verichaffen, die Hände bieten, da es ihm nur in einem alle fonvenieren fann, die Wieder: beritellung ber rufliihen Uebermacht in Polen zu begünftigen, in bem Falle nämlih, daß derjelbe jelbft eine gewaltſame Vergrößerung auf Unfoften der Nepublif vorhabe oder vorbereiten wolle, ein Fall, welcher mit den Grund: ſätzen, auf welden feine Allianz mit uns gebaut ift, nicht beftehen könnte.“ Falls Preußen diefen Weg einihlagen wolle, gebe es für Defterreich feinen anderen, als jelbit nad Kräften den ruffiihen Einfluß in Polen zu veritärken, in der Vorausficht, daß das ruffiiche Antereffe in Polen zwar irgend eine augen— blidliche, aber feine dauerhafte Koalition zulaffe. ')

Es war aber dem Kanzler, wie ein der nftruftion für Neuß vom 25. Januar beigelegtes Billet bemweift, mit diefer Erörterung der polniſchen Frage nicht vollkommen ernft. Er müſſe der Hugen Vorficht des Botſchafters über: laſſen, von dem an ihn gerichteten, „sehr heiklen“ Schreiben den rechten Gebraud zu maden; es jei damit nur beabfidhtigt geweien, ihm „irgend etwas Borzeig- liches, feineswegs aber aus der Hand zu Gebendes zu liefern,“ wodurd etwa der gute Wille des Herrn von Bifhoffswerder für den Kurfürften von Sachſen beſtärkt und unterftügt werden könnte. Falls jedoch der Gefandte trogdem nach— geben müßte, wäre wenigſtens wünſchenswert, daß Bijchoffswerder zu offen= herziger Ausiprahe über die preußifhen Pläne gegen Polen ermächtigt werde.

In Berlin wurde nun zwar von Bifchoffswerber erflärt, er nehme an ber von Defterreich geforderten Anerkennung der Unabhängigkeit und freien Verfaſſung Polens feinen Anſtoß, allein die Minifter waren nicht geneigt, auf diefe Wünſche einzugehen. Fürft Neuß fcheint des Glaubens gemwejen zu fein, dab die Ans regung zum Staatsftreih vom 3. Mai von Preußen ausgegangen fei. „Graf Schulenburg,” ſchrieb er an Kaunit,*) „mißbilligt in hohem Grade den Anlaß, den der hielige Hof in den legten Jahren zu den jegigen Ereigniffen in Polen gegeben hat, wünſcht die Sade ungeſchehen machen zu können und ſucht alſo alle nähere Verpflichtung gegen diefe unruhige Nation zu vermeiden.” Der Ans fiht, daß Polen als Pufferſtaat nützlich und nötig fei, ftimme auch der preußiſche Miniſter bei, doch befürchte er, daß durch offene Anerkennung diefer Thatjache und durch vertragsmäßige UnterftüGung Polens die Zarin verlegt und vielleicht erjt recht zu Gewaltthaten gegen Polen gedrängt werden könnte. Dies wolle das preußiſche Kabinett vermeiden, dagegen liege ihm der Gedanke, jelbit Erwerbungen in Polen zu machen und fich zu diefem Zwede mit Rußland zu verbünden, gänzlich fern; der Vorteil Preußens heiiche nur, daß Polen „nicht die Kraft zu gebrauchen lerne, die ihm bisher unbefannt war;“ ſchon um des preußifchen Weichſelhandels willen müjle Polen ein ſchwacher Staat bleiben, ja, alle drei Nahbarftaaten hätten ein jorgfältiges Augenmerk darauf zu richten, „daß die polnische Nation nicht überfliegen möge.”

1) Binenot, I, 358. *) Ranfe, Analeften; Reuß an Haunig, Berlin, 6. Februar 1792.

Polen und bie deutihen Mächte. 495

Mochte es nun dem faijerlihen Kabinett mit feinen polenfreundlichen Schritten ernft gewejen fein oder nicht: die Beforgnis, daß von Rußland und Preußen hinter dem Rüden und mit Ausschluß Defterreihs eine Teilung der Beute geplant werden möchte, ließ den Widerftand in Berlin bald aufgeben. Konnten ja doch aus Frankreich jeden Tag jo drohende Nachrichten eintreffen, daß ber kaiſerliche Hof feine zurüdhaltende Politik aufgeben mußte! Auch aus den Niederlanden fam eine Aufforderung Mercys, der Kaiſer möge end: lih gegen Frankreich einfchreiten, denn jchon trete der Rückſchlag der dortigen Bewegung in Belgien hervor; die Unterftügung der Monarchie in Frankreich ſei das einzige Mittel, die Ruhe in den Niederlanden zu erhalten.) Es ver: einigte fich aljo das bejondere öſterreichiſche Antereffe mit dem allgemeinen, um den Widerftand gegen die gefährlihe Entwidelung der Dinge in Frankreich not: wendig erjcheinen zu laffen. Dazu war aber die Hülfe Preußens von nöten. Um nun nicht das Bündnis in der zwölften Stunde zum Scheitern zu bringen, wurden die ohnehin nicht von allen Miniftern geteilten Rüdfichten auf Polen geopfert. Reuß nahm aljo den Antrag des preußifchen Minijteriums an, dab in den Bundesvertrag ftatt der Worte: Gemährleiftung der freien Verfaſſung Polens (d. 5. der Verfaffung vom 3. Mai) die Lesart: Gemwährleiftung einer freien Verfaflung Polens eingejegt werde, ein Ausdrud, der Preußen jo gut wie feine Verpflichtung auferlegte, von Defterreich aber den Verzicht auf den großen polniſch-ſächſiſchen Plan heifchte. Der ſcheinbar jo geringfügige Austaufch ber Gejchlehtswörter bedeutete für das Neid Eobiesfys den Untergang. „Es war die vernichtende Entſcheidung über Polens Selbitändigfeit.” *)

Wir haben gejehen, daß das von Barnave und Lameth beeinflußte Minis fterium de Leſſart fich eifrig angelegen fein ließ, den Kaijer über die Haltung Franfreihs zu beruhigen und damit die Kriegsgefahr aus dem Wege zu räumen, daß dagegen Narbonne und feine Leute dem Kriege nicht grundfäglich wider: ftrebten, fondern nur verhindern wollten, daß Frankreich gezwungen werde, allein mit halb Europa ſich einzulafien. Bon einem Zweikampfe zwiſchen Defterreich, dem Hort der Legitimität, und dem Eonititutionellen Frankreich wurde günjtiger Erfolg erhofft, und dadurch jollten dem monarchiſchen Prinzip neue Freunde ge— mwonnen werben. Deshalb wandte Narbonne nicht bloß den Rüftungen größte Sorgfalt zu, jondern verfuchte auch jedes Mittel, um den Kaifer von Bundes: genofen zu entblößen. Ein munderlider Gedanfe war es, den Herzog von Braunfhmweig, den Genofjen der Fridericianiihen Siege, den Bezwinger ber bolländifchen Revolution, an die Spite der franzöjifchen Armee zu rufen. Nicht

) Feuillet de Conches, IV, 338; Rapport du comte de Mercy au prince de Kaunitz, 24. dee. 1791. Leopold ſchrieb am 31. Dez. 1791 an Marie Ehriftine: „Je suis convaincu, que sous main van der Noot, van Eupen, van der Mersch, Vonck, les Barnaves, et tout cela est d’accord ensemble et que les Etats, qui ont en Brabant l'interöt, que les liquidations et les comptes de leur gestion ne se voient pas, cherchent ü animer les autres, pour que les troubles se maintiennent et quelqu’explosion möme brouille les cartes et empöche qu'on ne revoie leurs friponneries et qu'ils perdent leur credit.“ (A. Wolf, Leopold II. und Marie Chriftine, ihr Briefwechſel, 233.)

?) Sybel, Hift. Zeitſchr. X, 430.

496 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

bloß Narbonne, den dabei die Erinnerung an einen anderen Deutiden, der in trüber Zeit die franzöfiihe Waffenehre gerettet hatte, an Marſchall Morig von Sachſen leiten modte, wies auf den Herzog hin; aud der getreue Ferien gab der Königin den Rat, fie möge an dem berühmten deutjchen Feldherrn eine Stüge des franzöfiihen Thrones zu gewinnen ſuchen. „Er ift ein Dann von Geilt, Talent und Ehrgeiz, er hat Einfluß in Berlin; glauben Sie nicht, dab es danfenswert wäre, ihn zu gewinnen? Er war immer ein Freund Frankreichs!” !) Herzog Karl Wilhelm ftand bei dem König von Preußen in Gunft und Anſehen; man durfte hoffen, an ihm für gewiſſe Wünjche der fran- zöſiſchen Regierung einen einflußreihen Vermittler zu erwerben. Narbonne jhlug aljo dem Könige vor, einen Schügling der Frau von Stael, den Sohn bes Generals Euftine, nah Braunſchweig zu fenden, um dem Herzog den jchmeichel: haften Vorfchlag zu unterbreiten. Cuftine hatte in Berlin militäriſche Studien gemacht und die Gunſt des Prinzen Heinrich, des Oberhauptes der „franzöfifchen Partei” am preußiihen Hofe und vertrauten Freundes des Herzogs von Braun: ſchweig, erlangt; er fonnte aljo troß jeiner Jugend er zählte erft 23 Jahre als geeigneter Zwifchenträger gelten. König Ludwig ſchwankte, die Königin er: blidte in dem Anjinnen eine „tolle dee”; fchlieglih drang aber die Forderung Narbonnes durch, Euftine wurde nah Braunichweig abgeordnet. Das Fönigliche Schreiben, das er zu übergeben hatte, enthielt nur allgemeine freundfchaftliche und friedlihe Berficherungen; ein förmlidher Antrag jollte erſt gejtellt werben, wenn über die Gefinnung des Herzogs Klarheit aefchaffen wäre. ?)

Euftine fand in Braunfchweig freundliche Aufnahme, doc der Herzog zeigte fih jeinem Gajte in anderem Lichte, als dieſer erwartet hatte. „Er ift jo berichtete Cuftine nah Paris ein pbilofophiicher Fürft, ein Freund ber Geiſtes— freiheit, aber fchließlich doch ein Fürft, der ebenſowenig Geſchmack an der Volke: herrſchaft, wie an der Kirche findet.” Worurteilslofigkeit, Neformeifer, Menſchlich— feit jeien in ihm, wie bei Voltaire und Friedrich, vereinigt mit Verachtung der unmwillenden Menge und des gewöhnlichen Haufens; er bewundere die Grund: fäge der Nevolution, aber er beflage die Unordnung, welche fie im Gefolge babe. Obwohl nun Cuftine durch diefe und andere „Widerſprüche“ im Weſen und in den Anfichten des Herzogs fait entmutigt war, glaubte er doch im Ber: trauen auf den Ehrgeiz des FFürften den Zweck feiner Sendung enthüllen zu dürfen. Um Frankreich, jo erklärte er dem Herzog, die alte Größe wieder zu verichaffen, fehle ihm nichts anderes, als ein Mann von feitem Charakter, der Ordnung in die Armee bringe, die Leidenihaften des Volkes zügle und dem Staat die Achtung der Mächte erzwinge. „Und wenn nun die franzöfiiche Nation durd) das Organ ihrer Vertretung erflären würde: Es gibt in der jchweren Krifis, die uns im Innern und von außen bedroht, nur einen Mann in Europa, der vermöge jeines Ruhmes und feiner Talente jener hohen Beftimmung entjpräde, und wenn nun die franzöfiiche Nation diefen Einzigen, der ſich jelbit der Nachwelt jhuldet, um jeine Dienfte angehen, wenn der König fi durch

!, Fersen, 1, 317. ) Sorel, La mission de Custine à Brunswick en 1792; Revue historique, I, 154.

Frankreich und Preußen. 497

eine öffentliche Kundgebung diejer Erklärung anfchließen würde, und wenn biejer große Mann Sie felbit wären, Monjeigneur, was würden Sie zur Antwort geben?” Im erften Augenblid war der Herzog betroffen, dann erhob er allerlei Einwände und erbat Bedenkzeit. Anderen Tags lehnte er das Anerbieten ent— ſchieden ab. Er wifle den hohen Wert des in ihm gejegten Vertrauens wohl zu würdigen, ſchrecke auch vor den damit verbundenen Schwierigkeiten nicht zurüd, und ebenjowenig vermöge der banale Vorwurf, daß er dur Annahme des Anerbietens in die Reihen der Gegner der legitimen Sade trete, ihn zurüdzus ſchrecken, allein er befige zu viel Eigenliebe, um jeine Kräfte und feinen Eifer einer ausfichtslojen Aufgabe zu widmen, und daran ſei doch gar nicht zu zweifeln, daß er in Franfreich im tollen Wirbel der Parteien fich nimmermehr behaupten . fönnte. „Sie haben zu viel geiftreiche Leute, allzu erleuchtete und ftrenge Richter, und die öffentlihe Meinung iſt gar wandelbar” Trogdem glaubte Euftine nit alle Hoffnung auf Belehrung des Herzogs aufgeben zu müjlen; wenn der König jelbft, meinte er, eine offene, dringliche Bitte an feinen Standes: genofien richten möchte, fei von diefem noch nicht das legte Wort geſprochen.

In England jollte ein Mann, der fi jpäter als Meiſter in allen diplo: matifhen Künften und Schlichen bewährte, der ehemalige Biſchof von Autumn, Talleyrand, den Boden für ein Bündnis mit Franfreid eben; zu diefem Zweck follten jogar bedeutende Abtretungen, es war die Nede von den Inſeln de France und Bourbon in Ausficht geitellt werden. Doch auch Talleyrand follte zunähft nur als Privatmann in London auftreten und nur unter der Hand für den natürlihen Bund der „Brüder in gejeßmäßiger Freiheit” wirken.

Ein Diplomat, der ſchon früher in Deutihland mehrfach thätig geweſen war, Barbe:Marbois, wurde damit betraut, in Negensburg die Vertreter ber fleineren deutihen Höfe in franzöfiihem Sinne zu bearbeiten; er follte ihnen vor Augen führen, weldhe Gefahr das preußiich:öfterreihiihe Bündnis für die Unabhängigkeit der übrigen Neihsftände bedeute, wie der Schwache von Frank— reih allein uneigennügigen Schub zu erwarten habe. Insbeſondere follte der Herr Botihafter man fieht, wie die Staatskunſt der Revolution wieder ein: lenkt in die Schleihwege der geheimen Diplomatie Ludwigs XV. die un: ehelihen Söhne des Herzogs von Zweibrüden zu gewinnen fuchen, um durch fie auf dem zärtlihen Vater und durch diefen auf den AKurfürften von Baiern ein: zumwirfen und auf jolde Weije Pfalzbaiern in die Arme des „hiſtoriſchen Bundes: genoffen” Frankreich zurüdzuführen.

Noch dunklere Pfade juchten die Vertreter der „geſetzmäßigen Freiheit“ einzujchlagen, um ein Bündnis mit Preußen zu erreichen oder doch die Ver: einigung der deutichen Großmädhte zu ftören. Es fchien fich gerade eine bequeme Handhabe zu bieten. General Biron, der ſich genauer Kenntnis der verſchlungenen Berliner Verhältniſſe rühmte, glaubte in dem preußiihen General Heymann einen dienftwilligen Bundesgenoflen gefunden zu haben; auch „die den Illuminaten— freifen angehörigen und beftechlichen Leute in der Umgebung des Königs“, Biſchoffswerder, Wöllner, Gräfin Dönhoff, ihr Oheim Lindorf, Madame Nik und ihr Gatte follten für das Intereſſe Frankreichs verpflichtet werden, Talley:

rand, dem Biron zunädit feinen Plan enthüllt hatte, war davon entzüdt. Heigel, Deutihe Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr, bis zur Auflöſung des deutſchen Reis. I. 32

498 Zweites Bud). Pierter Abſchnitt.

„sh werde für den Erfolg diefer großen Sade alles thun, was in meinen Kräften fteht ... Hat fi erft einmal der König von Preußen für uns ent: ſchieden, dann find wir die Herren der Lage, die Verfafjung wird ſich glücklicher Fortentwidlung erfreuen, und alles Mißtrauen wird ſchwinden; ich zweifle nicht mehr daran, dab die Beſchlüſſe des Königs von Preußen ſich von denjenigen des Kaifers trennen werden ...” ')

Talleyrand wäre am liebiten jelbit nah Berlin gegangen, doch de Leflart glaubte dorthin eine angejehenere Perfönlichkeit, einen Minifter, ſenden zu müfjen. Ein „erprobter” Diplomat, Graf Segur, erhielt (22. Dezember) den Auftrag, auf die preußifche Regierung einzumwirfen, daß fie von Einmiſchung in die Angelegenheiten Franfreihs und von Unterftügung des Kurfürften von Trier abjehe; ferner follte er dahin wirken, daß die Zufammenrottungen der Emigranten aufhörten und die im Eljaß begüterten Fürjten eine Entſchädigung annähmen. De Lejlart und feine Kollegen hatten aber längft aufgehört, die einzigen Leiter der franzöfiihen Bolitif zu fein. Biron mollte keineswegs auf die Durchführung feiner eigenen Pläne in Berlin verzichten; im Einver: ftändnis mit Talleyrand betraute er einen Allerweltsfünftler, einen Herrn de Jarry, mit einer geheimen Miſſion nad Berlin, um die einflußreihen Roſen— freuzer für die fonftitutionelle Sadhe anzumwerben. De Jarry ftand aber ſchon im Sold des legitimiltiihen Grafen von der Marf; faum hatte er von Biron die geheimen Aufträge erhalten, waren biejelben den Royaliſten, fowie bem Grafen Mercy befannt. Damit war der Plan Birons und feiner Freunde, in der preußiichen Reſidenz Boden zu gewinnen, von vornherein vereitelt.

Doch auch dem Vertreter der franzölifhen Regierung war fein befierer Erfolg beſchieden. Schon die Wahl des Vermittlerö war feine glüdlihe. Segur hatte zwar einen von Ludwig XVI. unterzeichneten Vollmachtsbrief aufzumeifen ; gleichzeitig traf aber ein Schreiben Breteuils an Graf Schulenburg ein, das dem Gefandten die Berechtigung, als Vertreter der fönigliden Wünſche zu gelten, rundweg abſprach. Auch Roll, der Agent der franzöfifchen Prinzen, wußte zu berichten, daß fih Segur während feines Aufenthalts in Straßburg mit dem jakobiniſch gelinnten Bürgermeifter Dietrih zu gemeinjfamer Förderung einer gleichzeitigen Erhebung aller freiheitsbedürftigen Völker verbunden habe.

Begreifliherweife wurde aljo dem „Verräter an jeinem königlichen Herrn” am Berliner Hofe ein wenig gnädiger Empfang zu teil. Der Franzoſe war böhlih erftaunt, überall auf verjchloffene Thüren und verlegene Mienen zu toßen. Von Schulenburg wurde er zwar empfangen, aber unfreundlich an: gelafien. „Es iſt an Frankreich, den drohenden Krieg zu verhindern. Ich jehe nichts Beunruhigendes in dem Häuflein Emigranten, denen man nicht einmal geitattet, fih zu bemaffnen. Gebt endlich einmal den im Elſaß begüterten Reichsfürſten die jchuldige Genugthuung! Zieht endlih einmal Schranken der Bermwirrung, die alle Nationen beunruhigt, und hört auf, euch zu wundern, wenn die Könige, die Etaatsmänner und die Ebdelleute aller Länder gegen bie Ausbreitung eurer Grundfäße zu einem mächtigen Bunde ſich zuſammenſchließen!“

) Sorel, I, 339.

Franfreih und Preußen. 4099

„Doch warum weigern fi die deutichen Fürften, ſich mit uns zu verftändigen? Wollen fie verlangen, daß man die allgemeine Geltung der Gejete aufheben, das Volk zu neuen Unruhen ftaheln und ben Bürgerkrieg entzünden fol, nur weil von den Reihsfüriten oder vielmehr vom Reich (denn einige Fürften wären gern zur Verftändigung bereit) eine billige Abfindung mit Gelb zurückgewieſen wird?” „Eure Unruhen und eure Verfaflung gehen das Ausland nichts an; das Neich hatte ebenjo, wie ihr, eine Verfaffung, die das bündige Verbot einer Abtretung von Reichsgebiet enthielt, und dennoch hat man euch das Elſaß über: geben. Das Neih kann fih nicht auf eine Geldentichädigung einlajien, denn das Geld wird aufgezehrt, und dann bleibt uns das Nachjehen, und davon abgefehen, gewiſſe Nechte find mit Ehrenpflichten verbunden, von denen nichts zu entbinden vermag!” Friedrich Wilhelm molte den Franzofen gar nicht empfangen; endlich verftand er fich dazu, ſprach aber bei der Audienz nur von feiner warmen Teilnahme am Loſe der föniglichen Familie. Die gegenwärtigen Sewalthaber, äußerte er troden, trügen die Schuld, daß Frankreich wohl auf lange Zeit jeglichen Einfluß in Europa verloren habe. „Frankreich trachtet auch gar nicht danach,“ ermwiderte Segur, „es will fi gar nicht in die Angelegenheiten anderer einmifchen, doc es ijt viel zu umfangreich und bevölkert, als daß es jein Gewicht in Europa verlieren könnte. Ich hoffe, daß die Regierung Eurer Majeität immer eine glüdliche fein wird; wenn aber einmal eine ungünftigere Wendung einträte, würde der Einfluß Frankreichs fehr zu ftatten fommen, und Eure Majeftät würden die Schwächung biefes nüglihen Gegengewichts zu bedauern haben!” Die Warnung wurde vom König mit froftiger Gleidhgültigfeit aufgenommen ; dagegen beeilte er fih, dem Vertreter des Kaijers die beruhigende Verficherung zu geben, daß die Anweſenheit des Aranzojen feine Gefahr für das Bündnis der beiden Höfe bedeute. Im Theater flüfterte er dem Fürften Neuß zu: „Haben Sie ſchon etwas von den fremden gehört oder gejehen? Segur ift am Sonntag bier angefommen und feither ſchon bei mir geweſen!“ „Auch bei mir hat er fich eingefunden,” erwiderte Neuß, „er hat mir mit glatten Worten zugelegt, jo daß man faft hätte glauben fünnen, daß er als treuer Diener des föniglihen Haufes anzufehen wäre; da mir aber feine wahre Gefinnung befannt it, habe ich ihm ala deutſcher Mann geantwortet!” „So werde auch ich ihn abfertigen,” erklärte der König, „er fol mir nichts weiß madhen!” Darauf nahm Reuß die günftige Gelegenheit wahr, die Faiferlihen Vorſchläge zu empfehlen. „Alles, was vom Kaifer kommt,“ erwiderte Friedrich Wilhelm, „ift für mid von unjhägbarem Wert, und ich brenne vor Ungeduld, die neuen Vorſchläge kennen zu lernen!” !) Bilchoffswerder, Heymann und die anderen von Biron als Fäuflihe Kreaturen bezeichneten Leute in der Umgebung des Königs mußten nah den Enthüllungen de Jarrys alles aufbieten, um ben Ber: dacht einer fträflihen Hinneigung zu Franfreih von fi) abzumwälzen. Biſchoffs— werder verficherte dem Fürften Neuß, er werde den Boden unter den Füßen des Franzofen jo heiß machen, daß ihm die Luft an Umtrieben vergehen werde. So geihah es auch. Segur konnte ſich die Erfolglofigkeit feiner Bemühungen nicht

) Bivenot, I, 321.

>00 Zweite Bud. Vierter Abfchnitt.

verhehlen und bat felbit um fchleunige Abberufung. Er ſoll dem Verdruß über das klägliche Fiasfo offen Ausdrud gegeben haben; es wird erzählt, er habe in Gegenwart der Minifter zornig den Hut zu Boden geworfen und unter Ver: wünjfhungen den Saal verlaſſen.) Der preußiihe Gefandte in Paris, Graf Goltz, hatte Mühe, die peinlichen Erlebniffe Segurs in Berlin zu entfchuldigen, indem er fie aus jenen früheren Vorgängen in Petersburg zu erklären juchte. Es war aber nicht mehr zu bezweifeln: von Preußen hatte die gegenwärtige Regierung Franfreihs nichts zu hoffen. Als der junge Cuſtine von Braun: ſchweig nah Berlin ging, um den verunglüdten Verſuch Segurs nochmals auf: zunehmen, fand auch er feine günftigere Aufnahme. Anjpielend auf die Worte, womit in der Nationalverlammlung das Andenken an Friedrich den Großen angerufen worden war, jagte Schulenburg zu Euftine: „Wenn König Friedrich noh am Xeben wäre, jo wirde die Aufforderung an Ihren König vom 25. Januar unfehlbar jofort zum Krieg geführt haben, denn die Würde der Souveräne muß geſchützt und gewahrt bleiben!“ ?)

Endlih gingen die Verhandlungen wegen des preußiich-öfterreichifchen Bündniſſes in rajcheres Tempo über. Der zu Grunde gelegte Entwurf ftammt aus der Miener Staatsfanzlei. Schon Ranke hat auf die wunderliche Thatfadhe bingewiejen, daß dazu die Worte des Vertrags zwiſchen Defterreih und Frankreich vom 1. Mai 1756 benügt und nur die für ben gegenwärtigen Fall gebotenen, jahlihen Beitimmungen in die alte Form eingefügt find. Es war nur eine jogenannte Defenfivallianz, aber wie jener Vertrag von Berjailles offenbar gegen Preußen, jo war der neue Bund gegen Frankreich gerichtet. „Der Vertrag enthielt einen Umjchlag der öfterreichifchen Gefichtspunfte von Grund aus; wenn die frühere Rolitif dahin gegangen war, Schlefien mit Hülfe von Frankreich wieder zu erobern, jo wurden jett alle die Verträge, durch welche Schleſien abgetreten worden, ausbrüdlih garantiert, und wenn 1756 eine Abtretung der Niederlande an Franfreih möglich erichienen war, jo wurde jegt die Hülfe von Preußen zur Erhaltung derjelben in Ausficht genommen.” °)

Gerade daran hatten die Leiter der preußiſchen Politik bisher Anſtoß genommen. Auch jest erhoben fie Einfpruch gegen die zu weit gehende Faflung des Wiener Entwurfes, wonad die beiden Staaten im allgemeinen zu wechjel: feitigem Schuß ihrer Gebiete verpflichtet fein jollten, *) und fie festen auch durch, daß die Verpflichtung aegenfeitiger Hülfeleiftung bei Ausbruch innerer Unruhen „der großen Entfernung wegen” weder auf die belgiihen Provinzen, noch auf das preußiiche Weitfalen und Dftfriesland fich eritreden jollte.) Die Menderung

!) Ranke Urſprung und Beginn der Revolutionsfriege, 163) ift geneigt, den Berichten über das auffällige Benehmen Segurs er foll in zorniger Aufwallung fogar einen Selbft: mordverſuch gemadt haben Glauben zu fchenten. Vermutlich ift mandes auf übertreibende Erzählungen der Agenten ber franzöfiihen Prinzen zurüdzuführen.

2) A. Sorel, I, 371.

) Rante, 164.

*) Preuß. St.:Ardiv. Negociations de Bischoffwerder. Memorandum bes Minifteriums v. 19. Nänner 1792.

) Xivenot, 1, 370. Am 5. Febr. 1792 fchreibt das preuß. Minifterrum an Jacobi: „A l'egard de article concernant le secours mutuel en cas des troubles interieurs, on

Bunbdesvertrag zwifchen Defterreih und Preußen, 501

hatte aber injofern feine praftiihe Bedeutung, als die Hauptbeftimmung des Vertrags dahin lautete, daß jeder Angriff auf preußiiches oder öfterreichijches Gebiet mit gemeinjhaftlihen Kräften abgewehrt werden jollte, da nun voraus: zujehen war, dab im Falle des Bruches der erite Angriff der Franzoſen fich gegen Belgien wenden werde, jo war, gleichviel ob der Einfall dur innere Unruhen unterftügt würde oder nicht, das bewaffnete Einjchreiten Preußens unter allen Umſtänden geboten. Das war die Hauptiahe, und wenn auch Frankreich im ganzen Vertrag mit feiner Silbe erwähnt wird, jo war doch ber Kernpunkt fein anderer als: Preußen verpflichtet fih, im Kriege mit Frankreich dem Kaiſer zur Seite zu ftehen.

In Bezug auf Polen war, den vorausgegangenen Abmadhungen ent: ſprechend, feftgefett, daß die beiden Mächte gegen die Erhaltung einer freien Verfaflung (d’une libre constitution) nichts unternehmen und auch Rußland zu gemeinſchaftlichem Cinvernehmen einladen follten. .

Am 7. Februar wurde der Vertrag in Berlin unterzeichnet. ’)

Gleichzeitig wurde in Berlin über ein an die franzöfiihe Regierung zu richtendes Ultimatum Beratung gepflogen. Es joll— jo ſchlug der Entwurf der Wiener Staatslanzlei vor von Frankreich gefordert werden, daß es jeine NRüftungen aufgebe, die im Elſaß begüterten Reihsfüriten in ihre Rechte wieder einjege, Avignon dem Papſte zurüditelle, für die perjönlicdde Sicherheit der königlichen Familie Bürgichaft leifte, den Fortbeitand der monarchiſchen Regierungs: form zuſichere und die fortdauernde Geltung der von Frankreich und anderen Staaten geichlojienen Verträge anerfenne. Das preußiiche Kabinett jchlug vor, an Stelle des letzten Punktes zu fordern, dab die franzöfiihe Regierung ſich verpflichten möge, die Umtriebe der „Konftitutionsfreunde” und ähnlicher, zur Ausbreitung der revolutionären dee geftiiteter Gejellichaften zu unterbrüden?).

est convenu d'un expedient, qui concilie la prestation de l’assistence en question dans les cas necessaires et le but d'en imposer par cette promesse reciproque à ceux, qui pourroient vouloir troubler la tranquillit& dans les etats respectifs avec le desir d’ecarter les inconveniens et les difficultes d'un envoi de troupes dans des provinces trop eloignees du centre de la domination respective. On a laisse subsister pour cet effet l'article separd sur ce sujet, qui deviendra public avec le corps du traite tel que la cour Imperiale l’a propose, et dans un second article secret on a restreint cette assistance aux provinces respectives situdes en Allemagne, y compris la Boh@me, la Moravie et la Silösie, mais üä lexclusion des provinces belgiques de l’Empereur et de mes Provinces Westphaliennes.* Kaunig jehrieb an Reuß (20. Febr. 1792), nur das Verlangen, den Abſchluß der Allianz nit aufzuhalten, habe den Kaijer bewogen, auf alle Wünfche Preußens einzugehen, fonft wäre die Beitimmung, daß fich die gegenfeitige Unterftügung nicht auf die Niederlande erjtreden jollte, gewiß nicht angenommen worden, denn diefe Beichräntung könne nur als Zugeftändnis an die „wahrhaft gehäſſige“ Politik des Großbritannıfchen Hofes ausgelegt werben.

) Martens, Suppläment au recueil des prineipaux traites, II, 172; Traite d’alliance entre S.M, l’Empereur, Roi de Hongrie et de Bohöme, et S. M. le Roi de Prusse, conclu à Berlin le 7, fevrier 1792. (Ratification par le Roi de Prusse le 19. fevrier 1792; Martens, II, 177.)

) Preuß. St.: Archiv. Communifationen des Fürften Neuß 1791—1792. Memorandum des preuß. MWinifteriums für den König vom 3. Febr. 1792.

502 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt. Den Emigranten jollte eine völlig paſſive Rolle aufgenötigt, aber auch von einem bewaffneten Kongreß, wie ihn Breteuil im Namen des Königs begehrt hatte, abgejehen werden.‘) Um den Leuten, welche fich die jouveräne Gewalt anmaßen, den nötigen Ernſt zu zeigen, joll der Kaifer 6000 Mann in den Breisgau ſchicken, der König von Preußen ebenjoviel Truppen nad Cleve.

Auh die Entihädigung für die aufzumendenden Kriegsfoften Fam zur Sprade. Die erfte Anregung fheint von Preußen ausgegangen zu jein. Schon im Oktober des vorigen Jahres hatte Jacobi in Wien auf den Buſch geflopft, indem er an Spielmann die Frage richtete, ob nicht Defterreih für den Fall glüdliher Abrehnung mit Franfreih an Erwerbung von Elſaß und Lothringen denke.) Damals hatte Spielmann den „infipiden Gedanken” abgewiefen; an Erwerbungen jei jchon deshalb nicht zu denken, da am Widerſtand Englands alle derartigen Pläne fcheitern würden. Auch in den Berliner Konferenzen warf Preußen zuerst die Entjhädigungsfrage auf. Preußen trieb dabei, jagt Sybel, „eine durchaus realiftiijche Politik“; es wäre wohl ein jchärferes Wort am Plage für die ganz'und gar nicht den realen Berhältnifjen entſprechende Begehrlichkeit, die das Fell ſchon teilen wollte, ehe das Wild erlegt war. Falls der Kampf mit Frankreich glüdlihen Ausgang nähme, follte der Kaiſer einen Teil von Elja und Lothringen fich aneignen, den Reit jollte der Kurfürft von der Pfalz erhalten und dafür die Herzogtümer Jülich und Berg an Preußen abtreten. Der auch von Friedrich Wilhelm genehmigte Vorſchlag ſollte jedoch nur mündlih aufs Tapet gebracht werden; in der Zufhrift an Neuß vom 4, Februar war nur gejagt, der König halte eine Entſchädigung durch erobertes Gebiet für zuläjfig und geboten, das weitere möge fpäteren Abmachungen vor: behalten bleiben.

Wie es Kaiſer Leopold gewünſcht hatte, wurde General Biſchoffswerder bald nad Unterzeihnung des Berliner Vertrags nah Wien abgeorbnet, um mit Kaijer und Kanzler zu beraten, wie fi die nunmehr verbündeten Staaten den brennenden Fragen der europäiſchen Politit gegenüber verhalten jollten. In der Inftruftion für Biſchoffswerder vom 18. Februar dürfen wir den wirf- liden Ausbrud der Anfichten und Abfichten des Königs felbft erbliden.’) Der Geſandte joll vor allem den Kaifer zu überzeugen juchen, daß ber König fein ganzes Verhalten gegen Frankreich nad) dem Willen und Wunſche des Bundes» genofjen einrichten werde; man wolle in Berlin weder zum Kriege reizen, noch) davon zurüdhalten, nur halte man für angemeflen, darauf aufmerkffam zu machen, daß eine ſchwächliche, ſchwankende Haltung der deutichen Höfe die Um— ftürzler erft recht übermütig machen und ben Frieden untergraben würde. Falls

!) Der Einwand des Kaiſers: Wer foll ald Bevollmädtigter des Königs von Frankreich auf dem Kongrek auftreten? fei volllommen begründet, „puisque le Roi ne peut se charger du mandat des usurpateurs de l'authorit souveraine, et que, «'il s’en chargeroit, on ne pourroit rien lui demander, qui ne fut au contraste avec les engagements qu'il a pris. De plus, tout ce qui seroit demande ne pouvant l’ötre qu’en faveur du roi, ce Prince en se chargeant de traiter auroit le pour et le contre à soutenir,*

) Preuß, St.⸗Archiv. Bericht Jacobis vom 24. Dit. 1791.

) Ebenda. Acta, betreffend die Inftruftion für Biſchoffwerder et ses depäches 1792.

Bundesvertrag zwiſchen Tejterreih und Preußen. 503

zu den Waffen gegriffen werden müſſe, werde Preußen genau die nämlichen Streitkräfte aufbieten, wie der Kaijer, feinen Mann mehr oder weniger. Dem König von Frankreich ſoll das beitimmte DBeriprechen abgenommen werden, daß er, wie es ja Marquis Breteuil ſchon in Ausficht geftellt habe, die zu feinem Schuße auftretenden Mächte entichädigen wolle. Wenn es bei militärifhen Demonitra- tionen verbliebe, wäre nur Erſatz ber Kriegskoſten, eine Gelventjchädigung zu fordern; wenn es aber zum Kriege käme und Eroberungen auf franzöfiichem Gebiete gemacht würden, müßten diefe auf oben erwähnte Weife zur Entſchädigung der Sieger verwendet werden.

Da ein einheitliher Oberbefehl über die beiden Armeen den militärischen Unternehmungen mejentlic zu gute fommen würde, möge Biichoffswerder dem Kaijer nahelegen, ob nicht auch ihm angemeſſen erfcheine, den Herzog von Braun: ſchweig als Oberbefehlshaber aufzuftellen; von diefem ebenfo welt: wie kriegs— erfahrenen Manne fei nicht zu befürdten, daß er den nötigen Takt gegen den Prinzen Hohenlohe vermiflen laſſen oder gar dem Kaifer jelbft Grund zu Miß— trauen geben werde.

Der König von Preußen denft aljo an den Krieg und forgt für den Krieg, aber er hält ihn nicht unter allen Umständen für geboten, und aud er will den Franzoſen durchaus nicht eine Gegenrevolution im Sinne der Emi— granten aufnötigen.

Bon den franzöfiihen Prinzen wird in der Snftruftion nur nebenbei gejagt, es erfheine dem König angezeigt, etwas für fie zu thun; dagegen fol für den Fall, dag Rußland oder Schweden Geſichtspunkte aufitelen oder Mittel vorjchlagen würden, weldye mit den Beichlüffen der deutſchen Mächte in Wider: ſpruch ftänden, von vornherein auf gemeinfame Abwehr gejonnen werden.

Endlich follte Bifhoffswerder dem Kaifer nochmals beteuern, daß der König feineswegs eine neue Teilung Polens im Schilde führe, dagegen entidhloffen jei, die neue Regierungsform Polens nicht anzuerkennen. Preußen habe nad biejer Richtung durchaus feine Verpflichtung eingegangen; nad dem Staatsftreich vom 3. Mai fei nur in allgemeinen Ausdrüden verlihert worden, dab Preußen gegen die Erhebung des befreundeten Kurfürften von Sachſen nichts einzumenden habe; von einer Garantie der neuen Verfaflung jei nicht die Rede geweſen. Dieſen Standpunft habe Preußen auch bei den Verhandlungen mit dem Kailer immer feftgehalten, denn die Feſtſetzung einer erblihen Regierung in Polen oder vielmehr die davon zu erwartende Kräftigung der polnifhen Krone ent: ſpreche nicht dem Intereſſe Preußens und ber übrigen Nahbarmädte. Seine Majeftät jei weit entfernt, gegen die neue Verfaſſung Gemwaltmaßregeln ergreifen zu wollen, wünjche vielmehr dem fähfishen Hauje alles Gute, aber man müſſe doch willen, wie Rußland ſich zu diefer Frage ftellen werde. Es fol alſo vor allem darnach getradhtet werben, ein Einverftänbnis mit der Zarin zu erzielen; dagegen joll Biſchoffswerder das feierlihe Verjprehen geben, daß Preußen fich niemals auf einjeitige Abmadhungen mit Rußland einlaffen werde.

Mit ſolchen Weifungen langte General Biichoffswerder am 28. Februar in Wien an. Er fonnte auf freundliches Entgegenfommen rechnen, denn gerade bie leitenden Kreije in der Donauftadt erblidten zur Zeit im Bündnis mit Preußen

504 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

eine willfommene Errungenfhaft. In anderen Fragen gingen die Anfichten freilih auseinander.

Kaunig war zwar ärgerlih über den anmaßenden Ton, den bie Parijer Advofaten und Zeitungsjchreiber gegen den Kaifer anſchlugen, äußerte auch wohl einmal, es fei geboten, jenen Schreiern einen Schlag auf die Hand zu geben oder doch einen Schreibebrief zu enden, den fie nicht ans Fenſter jtedden würden; er war aber nichts weniger als geneigt, den jcharfen Worten eine ernfte That folgen zu laſſen. „Ich weiß ganz beftimmt,” jchrieb Jacobi gegen Ende Januar nad Berlin, „Fürſt Kaunig fieht einen Krieg mit Frankreich unter den gegenwärtigen Verhältniſſen für eine höchſt gefährlihe Sade an.) Auch vier Wochen ſpäter nahm Kaunig noch den nämlichen Standpunkt ein. Umſonſt forderte der Reiche: vizefanzler Fürſt Colloredo, man müſſe endlich einmal offen auf der Wieder: einfegung ber Neichsfürften in ihre Rechte im Elſaß beitehen; Kaunig erwiderte, eine ſolche Forderung bedeute für Frankreich die Gegenrevolution, für Oeſter— reih den Krieg, dürfe alſo feinesfalls geftellt werben. Wie Colloredo, jo hielt auch Cobenzl den Augenblid für gefommen, mit Frankreich abzjurechnen. Was er barüber zum preußiichen Gefandten jagte, ift bejonders merkwürdig als Aus: drud der Anſicht eines hervorragenden kaiſerlichen Beamten über das Verhältnis Deutichlands zur Revolution. Die Brandreden ber Brifjot und Guadet, jagte Cobenzl, haben die revolutionären Leidenfchaften fo heftig erregt, daß die deutihen Nachbarn am Rhein jchon heute nichts ſehnlicher wünſchen, als dem Beilpiel der Franzoſen je eher, je lieber zu folgen. „Die öfterreihiichen und preußilchen Truppen werben , jobald es zum Kriege fommt, zunächſt nicht mit Franzoſen, fondern mit deutſchen Landsleuten fich zu Ichlagen haben.” Je länger man aber dieje Mißftände duldet, um jo jchwerer wird es fallen, fie auszu— rotten. Auch in Brabant jteht alles auf dem Spiele. Erft in den legten Tagen ift wieder eine Verſchwörung aufgededt worden, in welche die angejehenjten Familien des Landes verwidelt waren; am Zufammenhang mit den Umftürzlern in Baris ift gar nicht zu zweifeln; ganze Scharen Franzofen betreten nieder: ländifches Gebiet, angeblih um Schutz zu fuchen, in Wahrheit, um ihre hoch— verräteriihen Fdeen in Stadt und Land zu tragen. Soll man warten, bis der Branditoff überall hingetragen ift, bis es den Branpftiftern belieben wird, den Bunder in Flammen zu jeßen?

Doch Kaunig verhielt fih auch gegen die Vorftellungen des Vizefanzlers ablehnend; gerade die Anftedung der Niederlande könne nur durch äußerſte Vor— fiht und Mäßigung verhütet werden. Der Kaijer felbft teilte die Auffaſſung des Kanzlers. „Er weiß fehr gut,” jchrieb Jacobi, „warum er den Krieg nicht will; die innere Lage der Erbitaaten ift nit von folder Art, daß gemwagte Erperimente am Plate wären.” Die böhmifhen Bauern verlangen Wiederher- ftellung des Joſephiniſchen Kontributionsſyſtems; die fteiriihen Bauern begehren eine Vertretung in der Ständefammer; die Ungarn erlauben fi jtolzere Sprade denn je; in den Niederlanden fann jeden Tag offene Empörung ausbreden. Schon auf das Gerüht, daß ein Eleines Armeecorps Marjchbefebl nah dem

') Preuß. St.:Ardiv. Bericht Jacobi vom 28. Yan. 1792.

Bundesvertrag zwifchen Tefterreih und Preußen. 505

Breisgau erhalten habe, esfomptieren die Wiener Bankhäufer die Wechſel nur mit 10 Prozent Verluft. „Da der franzöfiiche Gejandte in Wien viele gute Freunde hat, kann ihm gar nit unbekannt fein, daß der Kaifer von einem Kriege überhaupt nichts willen will, und vollends einem Kriege mit Frank— reich taujend Schwierigkeiten entgegenftehen!” Auch das preußifche Kabinett fand in der Antwort der Wiener Staatskanzlei auf die Erklärungen de Lejlarts mehr einen Rüdzug, als einen Angriff. „Ich kann nicht verhehlen,” jchrieb der Minifter am 23. Februar an Jacobi, „daß mir die Wendungen in der kaiſer— lichen Antwort auf die Eröffnungen des Herrn von Noailles ein wenig gar zu fanft erjcheinen und eher an eine Nedtfertigungsichrift erinnern, als an eine Kundgebung, die mit Mäßigung, aber auch mit Feſtigkeit die wahre Gefinnung des Kaifers erkennen ließe. Es lieat jedoch wenig daran, denn aud eine jo weit reihende Schonung wird ihren Zweck verfehlen, da die Köpfe der Dema- gogen fich immer ftärfer erhigen. Nur der gegen die republifaniiche Partei erhobene Vorwurf, deſſen Einflehtung in die Antwort man jchon wieder zu bereuen jcheint, lautet kräftiger und entichloffener. Bon diejen meinen Be: trachtungen foll jedoch fein Gebrauch gemacht werden.” Man muß nun’ ab: warten, ſagte Kauni zu Jacobi, welche Wirkung die frieblihen Worte des Kaijers in Paris erzielen werden; follte fie wider Erwarten ungünitig ausfallen, dann muß man in Gottes Namen ein Armeecorps marjchieren laſſen, um ben Franzojen die verdiente Lektion zu geben! Gleichzeitig aber ſprach ſich der Raijer vor dem neapolitanifhen Gejandten höchſt unzufrieden über die Zurüd: haltung der europäifhen Mächte aus: „Es fällt mir gar nicht ein, auf Oeſter— reich allein die Roten und die Verantwortung eines Krieges mit Frankreich zu bürden; nicht einen Mann will ih marichieren laſſen, ohne der Unterftügung der anderen Mächte ficher zu jein!”")

Biihoffswerder war höchlich erftaunt, in Wien nicht bloß auf Mangel an Kriegsluft, jondern geradezu auf eine entmutigte Stimmung zu ftoßen. Das öfterreichifche Kabinett, berichtete er an den König, fieht recht gut ein, daß man handeln follte, fühlt fi) aber durch den traurigen Finanzftand fo gedrüdt, da es begierig jeden Vorwand ergreift, um ein kräftiges Auftreten, wie ich es an— raten joll, zu vermeiden oder wenigitens hinauszuſchieben!“) „Die jüngften Erklärungen der Nationalverfammlung werden noch dazu beitragen, das Wiener Kabinett in einer Mäßigung zu beftärfen, die an Furt vor einem Kriege nahe heranftreift. Ich begreife noh, daß man die Erklärung Rußlands abwarten will; als aber Cobenzl mir diefen Morgen fagte, man könne in Bezug auf die Mobilifierung feinen Beſchluß faſſen, ehe fih nicht auch Spanien endgültig erklärt haben werde, was vielleicht noch zwei Monate ausftehen wird, konnte ich mid nieht enthalten, ihm zu erwidern, man jcheine die Sache wohl ganz und gar der göttlihen Vorfehung überlaffen zu wollen, denn der günftige Augenblid zu

) Preuß. St.:Arhiv. Beriht Jacobis vom 22. Febr. 1792.

2) Ebenda. Alten, betreffend die Inſtruktion für Biſchoffswerder. Bericht Biſchoffs— werberö vom 29. Febr. 1792. (...,pour ne saisir avec avidite tout pretexte à éluder ou ü differer le parti vigoureux, que jai ü proposer*.)

506 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

militäriſchen Unternehmungen werde dann wohl verpaßt ſein.“ In Bezug auf Polen fand Biſchoffswerder bei den Wiener Staatsmännern erwünſchtes Ent— gegenkommen: „Sie wollen nichts anderes, als was man in Berlin will!“ Auch die Entſchädigungsfrage ſchien keine Schwierigkeiten zu bieten, doch ſtieg in Biſchoffswerder der Argwohn auf, daß Oeſterreich ſeine Abſichten auf Baiern keineswegs aufgegeben habe. Die erſte Unterredung ſchloß mit einem Loblied des Kanzlers auf die neue Allianz und die Weisheit der gegenwärtigen preußiſchen Regierung. „Ich hoffe,“ ſchloß er ſeine Rede, „den Herren in Berlin wird es nicht völlig gleichgültig ſein, wie ein politiſcher Patriarch ſie beurteilt!“

Biſchoffswerder war vom Kaiſer noch nicht empfangen worden; Kaunitz hatte ihm erflärt, ein leichtes Unmwohlfein verhindere den Monarchen, Audienz zu erteilen. Leopold litt jeit der Nüdfehr von Prag an Kolif, die eine auf: fällige Abmagerung, jomwie eine Bejorgnis erregende Schwächung des Körpers zur Folge hatte.!) Trogdem hielt Leopold an feiner gewohnten Lebensweiſe feit und juchte dem Uebel durch draftiiche Mittel zu fteuern. Am 28. Februar be: fiel ihn ein beftiges Fieber. Die Aerzte glaubten nicht an ernfle Gefahr, doch am 1. März nachmittags 3 Uhr bradte ein Schlaganfall das jähe Ende.

Die Nahriht: Der Kaifer ift tot! rief in der Hofburg und der Kaiferftabt lebhafte Aufregung, im ganzen Reiche Auffehen hervor. Der Todesfall fam jo überrafchend und die erften Nachrichten über die Krankheit lauteten jo geheimnis- vol, daß es nur wunder nehmen fünnte, wenn die Meinung, der Kaijer jei nicht eines natürlihen Todes geftorben, nicht aufgetaucht wäre. In der Prefie wurde alsbald von Vergiftung geiproden. Bon vielen wurde die That den Jakobinern zugeſchoben, und diefer Argwohn ſchien dadurch Beftätigung zu finden, daß die Todesnahricht in radikalen Kreifen mit Genugthuung aufgenommen wurde. In einer zu Straßburg erfchienenen „Gefhichte der gegenwärtigen Zeit” von Simon und Meyer wurde aufmerffam gemaht, daß aud Zar Peter III. und Mirabeau unter ähnlichen Umftänden von jähem Tod hinmweggerafft worden jeien und daß man ſchon vor einigen Wochen babe hören fönnen: Der Bund ber Tyrannenmörder ift fein leerer Traum, bald wird jein Dajein durd eine That bemwiefen werden! Ein Fürft, der feine Söldner zur Unterbrüdung der Freiheit gegen Frankreich marſchieren laffen will, ſoll als der erſte fterben, und jeden, ber dem ruchloſen Beifpiel folgen will, fol das gleiche Schidjal ereilen. Lange genug haben bie Fürften ihrer Ehrjudt und Laune Hunberttaufende geopfert und dadurch Millionen unglüdlih gemadht, jet fommt die Reihe an fie! Es ift befler, daß einige Köpfe von den Rümpfen fliegen, als daß die Menjchheit wieder an bie Ketten der Sklaverei gejchmiedet werde! ?)

Auch Eottas Straßburgifches Journal fnüpfte an die Nachricht von Leopolds Tod den frohlodenden Ausruf: „Der Führer des Bundes der Herrſcher wider die Freien ift tot!” °)

!) Sartori, Leopoldiniſche Annalen, II, 194.

2) Ein Auszug aus der erwähnten Gefchichte der gegenwärtigen Zeit liegt bei ben zwiſchen Kaunik und Neuß gewechſelten Briefen; das Bud, ſelbſt war mir nicht erreichbar.

) Stradburgifches politifches Journal, her. von Friedrich Cotta, Bürger von Frankreich, Ihgg. 1792, I, 292, 374.

Tod Leopolds II. 907

Auch Frievrih Wilhelm II. gab den Argwohn, daß der Kaifer das Opfer eines Giftmordes geworden fei, erit auf, als Biſchoffswerder ihm verficherte, der Verlauf der Krankheit laſſe nicht daran zweifeln, daß der Kaifer eines natür: lichen Todes verblichen ſei.) Uebrigens wurde auch dem Verdacht, der allzu riedfertige fei von den Emigranten aus dem Wege geräumt worden, Ausdrud gegeben, und als wenige Wochen jpäter Guſtav II. einer Verfhwörung von Edelleuten zum Opfer fiel, ſchrieb ein Bewunderer der neufränfiihen Freiheit, Georg Forfter: „Bald das Gift, bald die Piftole! Wieder ein König mehr, den die höheren Stände mordeten! Seit Karl I. von England find jo viele Könige teils umgebracht, teils angefallen worden, und feiner vom Volt, fondern allemal entweder von ihresgleihen oder vom Adel oder von Pfaffen, und dennoch jchreien die elenden Krieher gegen das Volk!” *)

Ohne Zweifel find die Gerüchte von Leopolds Vergiftung ebenjo wie die Ueberlieferung, daß der Tod infolge übermäßigen Genufles finnliher NReizmittel (Diavolini) eingetreten ſei, unbegründet; die Ergebnifje der Sektion zeritreuten in Wien ſelbſt jeden Berdadt.?)

Im allgemeinen wurde Leopolds Tod mit aufridhtigem Bedauern aufge: nommen. Bei den Freunden des Umfturzes freilich erregte es, wie erwähnt, nur Schadenfreude, dab das legitimiftiiche Europa jein Haupt verloren habe, und in Deiterreih wurde die Kataftrophe nad Sartoris Zeugnis von vielen nicht bedauert, weil ihnen Leopold „von jeher zu phlegmatiſch erſchien, fein Sol: datenfreund war und Joſephs II. rafhe Munterfeit nicht gehabt”.*) Ben un:

1) Preuß. St.⸗Archiv. Signat Friedrih Wilhelms II. an das Kabinettäminifterium vom 3. März; 1792: „J’avoue, que cette nouvelle m'a fort frappe et qu'au premier moment jai möme eru l’Empereur empoiseonne, mais je vois par la lettre du general, que sa maladie &tait une fievre inflamatoire.“ *) Forfter an Heyne, 14. April 1792; Forſters Schriften, VIII, 186. 2) Sartori, II, 196. Am 21. März 1792 fchreibt das preußifche Minifterium an Jacobi, im Haag und aud in Dresden fei neuerbings das Gerücht aufgetaudht, man habe in ben Ein: geweiden des verftorbenen Kaifers Gift gefunden; vermutli babe man es nur mit leerem Klatſch zu thun, allein ed wäre von Äntereffe, zu erfahren, woher biefer Verdacht eigentlich ftamme. Darauf antwortete Jacobi (31. März 1792), das empörende Gerücht fei in Wien ſchon unmittelbar nad dem Trauerfall verbreitet gewefen, und zwar habe man wiſſen wollen, daß dem Kaifer während feines Aufenthalts in Prag eine Dofis Aqua tophana beigebradt worden fei. Er (Jacobi) habe jedoch von einem an ber Sektion beteiligten Arzte vernommen, es habe fih auch nicht das geringfte Anzeichen einer Vergiftung entdeden laſſen; ber Kaijer habe bie Gewohnheit gehabt, von Zeit zu Zeit ſich felbft Arzneien zu bereiten, und es fei feitgeftellt, dab er am Sonntag vor feinem Tode eine Doſis Chinin zu fic genommen habe, um fid) während der bevorftehenden Aubienz des türfiihen Gefandten gegen Durchfall zu ſchützen; höchftens könnte darin ein ziemlich feltenes Symptom gefunden werden, daß bei der Definung des Körpers mehr Blut ald gewöhnlich in der Herzlammer fi gefunden habe; der plöglihe Tod habe aber gar nichts Ueberraichendes, da ber Kaiſer beftändig an Kolif gelitten und deshalb ungewöhnlich viel Chinin zu fi genommen habe. *) Ebenba, II, 215. Vermutlich aus Emigrantenlreifen ftammt ein zuerft in der Neu: wiedener Zeitung veröffentlichtes, wigelndes Epigramm: „Leopoldus secundus restitutor! Restituit Belgradum Tureis, Pacem Europae,

508 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt.

befangenen Bolitifern wurde der Tod des friedliebenden Kaijers, dem es viel- leiht do noch gelungen wäre, die Kriegsfurien zu feileln, als Unglüd für die Erbftaaten, wie für das deutſche Neich beklagt. Natürlich fehlt es nicht an byzantinifhen Ueberihwang. Als „Mufter eines Negenten”, deſſen Ruhm ſchon allein das toskaniſche Geſetzbuch für alle Zeiten erhalten werde, feierte ihn eine „philoſophiſche Rhapſodie“ von Fiſcher.,) Die Vaterländiſche Chronik pries den Staatsmann von „deuticher Gründlichfeit und italieniicher Feinheit”, den Weiſen und Gütigen, der ins zerrifiene Reich den Geift der Eintradht und Verträglich— feit wieder eingeführt, den eiferfüchtigen Brennus verjöhnt, die Nechte der deut: ſchen Fürften, wie die Verfaffungen der fremden Bölfer unangetajtet ge: lafien habe ...

„Frühe, Cäſars und Friedrichs Umarmung entgegen Ging Joſephs kühner, ruheloſer Geiſt,

Und früher noch ſcheidet ſein ſanfterer Folger,

Hier Titus feinem Volk, dort Marc Aurel genannt!“?)

Aus dem „aufgeklärten” Lager ſtammt eine langatmige, langweilige Schrift von Waderbarth, eine „Parallele zwifhen Leopold II. und Albrecht II.“, die im Leben diefer beiden Fürften eine Menge ähnliher Züge nachweift. Beide wurden 45 Jahre alt, beide regierten in ihren Staaten 25 Jahre, als Träger der deutfchen Krone nur 18 Monate ıc. Andere Vergleiche find gewaltſam herangezogen, z. B. zwijchen der Pariſer Nationalverlammlung und dem Bafeler Konzil, den ton: angebenden Miniltern Kaunig und Shlid u.a. Als Hauptverdienft wird dem ver- ftorbenen Kaifer nachgerühmt, daß er den Papſt in die gebührende Stellung zurüd: gedrängt habe, jo daß „der ehemals heilige Vater” heute „nicht mehr als zweiter Gott, nicht mehr als zweiter Chriftus, auch nicht einmal mehr als Nachfolger des Herumftreihers Petrus angejehen” werde.) Die Gegenüberftellung von Titus und Leopold wird in einem Nachruf im Hamburger politiihen Journal zu Tode gehegt; auch bier wird dem deutſchen Herrſcher das höchſte Lob deshalb ge: fpendet, weil er an Billigfeit, Gerechtigkeit, MWohlthätigfeit dem „Liebling des Menſchengeſchlechts“ nicht nachſtand, an Vorurteilslofigfeit in Religionsfragen ihn überragte.!) Noch jchwulftiger preift ein erbitterter Gegner der Aufklärung, Profeſſor Hoffmann in Wien, den der Kaifer mehrfad ausgezeichnet hatte, den „Cäſar, den die Völfer mit wonnetrunfener Lippe Vater nannten”, dem umfonft der Kriegsdbämon im Dften blutigen Lorbeer verheißen, umfonft die Ariftofratie

Corpus Tumnlo, Animam Deo, Sie reddendo restituit rem, Sed eheu! Galliam non restitnit!* (Bilbafoff, Katharina II. im Urteil der Weltlitteratur, I, 588.) !) (Fiſcher) Leopold der Zweyte (Germanien, 1792), 7. 2) Baterl. Chronik, Ihgg. 1792, 160, 173. 3) Barallele zwiſchen Yeopold II. und Albrecht II., von X. v. Wackerbarth, 63. Die nämliche Parallele zieht auch Prof. Schmid im Journal v. u. f. Deutſchland, Ihgg. 1792, 590. ) Hamburger politiiches Journal, Ihgg. 1792, 225.

Tod Leopolds 11. 509

Circens Becher geboten, den auch die jüngfte der Eumeniden, die in des Pöbels Majeftät das Glück des Volfs erblide, umfonft umjchmeichelt habe, der immer zwiihen Scylla und Charybdis den rechten Weg gefahren jei, gütiger als Titus, weifer als Numa.!)

Wertvoller als diefe Ergüffe eines bezahlten Patriotismus ift das Charafter: bild, das der preußifche Geſandte v. Jacobi furz vor dem Ableben des Kaijers in feinen Berichten vom 11. und 14. Januar 1792 von der Regierungsthätig- feit Zeopolds entwarf. Dem Regenten Toskanas zollt Jacobi faft uneinge- fchränftes Lob. „Bei allen Gelegenheiten zeigten Seine Majeftät ebenfo auf: geflärten, wie feurigen Eifer für Gerechtigkeit, Hang zu Sparjamfeit, regen Sinn für Ordnung im Haushalt des Staates, entichiedene Abneigung gegen das Militär, heimlihe Neigung, die Maht und den Reichtum des Adels und Klerus herabzudrüden und die Wohlfahrt des dritten Standes zu heben, ſowohl durd gerechtere Verteilung der Abgaben, als dur Ausbreitung und ausgedehntere Freiheit des Handels. Wenn man jih das bedachtſame Vorgehen des Monarden als Großherzog von Toskana in allen diejen Berhältniffen ins Gedächtnis zurüd: ruft, wird man überzeugt jein, daß die Langſamkeit und die jcheinbare, wohl: berechnete Veränderlichkeit, welche die erjten Anordnungen nah dem Regierungs: antritt in Oeſterreich charakterifierten, viel mehr auf tiefes Nachdenken, als auf leichtfertige, ſchwankende Grundjäge zurüdzuführen find.”

Auch ein vom preußiſchen Gejandten jeinem Hofe mitgeteilter, weit fchärfer abgefaßter Bericht eines Ungenannten über Leopold I1.?) fommt zum Ergebnis, daß der Kaijer in Wien fein anderer geworden jei, als der Großherzog in Florenz. „Er hat, jeit er auf den Thron feiner Ahnen gelangt ift, ſich immer in zu beifler Lage befunden, als daß er gewagt hätte, feine wahre Gefinnung kundzuthun. Seine Regierung in Toskana fcheint indeſſen einen verläffigen Maß: ftab für feine mwirflihe Denfweile zu bieten; e& wäre doc jchwer zu glauben, daß er Grundfäge, die ihm 30 Jahre lang mit glänzendem Erfolge zur Richt: ſchnur gedient haben, auf größerem Schauplatz, wo fih zu eriprießliher Ver: wertung günftigere Gelegenheit bietet, verleugnen ſollte. Alle Berjonen, welche die Ehre haben, dem Kaifer näher zu ftehen, bezeugen einmütig, daß die Grund: züge feines Charafters und feiner Grundfäße unverändert geblieben find und bleiben werden. Verſchlagen aus Gewohnheit und natürliher Schwäde, in un- gewöhnlichem Grade mißtrauifch, hie und da ſogar unſchlüſſig, immer aber voll Angft, ſich entjcheiden zu müſſen oder überrafcht zu werden, jparfam und fried- liebend aus Grundjag und Neigung, von Natur volfsfreundlich und Teutjelig, ohne es zeigen zu wollen, aus Furdt, dem Adel und der Geiſtlichkeit anftößig zu erfcheinen, feinen Ruhm im Rufe eines Gejeßgebers erblidend, dies find und werben vorausfichtlich immer jein die Grundzüge des Charakters des gegen wärtigen Oberhauptes des Haufes Deiterreich!”

Von feiner Berftellungskunft made der Monarch insbeiondere in der Politik ausgiebigen Gebrauch; nur dadurch fei es ihm möglich geworben, jeine Lande

') Wiener Beitichrift, Ihgg. 1792, I, 277. ?) Preuß. St.Archiv. Minifteriallorrefpondenzen mit Jacobi in Wien 1792.

510 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

der gefährlichen Lage zu entreißen, in welche fie durch die ſchwankende Politik Joſephs II. geraten waren; es fei aber billig zu bezweifeln, ob er jo bebenfliche Mittel auch anwenden werde, nur um fein Reich auf Koften der Nachbarn zus vergrößern. „Er will offenbar feinen anderen Ruhm haben, als den eines ge: ſchickten Gejchäftsmannes (habile negociateur); dies zeigt feine Annäherung an Preußen und feine Haltung in der polniſchen Frage, die davon Zeugnis gibt, daß er nur ebenjoviel Einfluß wie Preußen und Rußland haben will... Bei diefen Gelegenheiten jcheint er wenig Gewicht darauf zu legen, feine Würde bloßgeitellt zu jehen, da er glaubt, die getroffenen Mafregeln, ohne feine Ehre zu gefährden, je nad) den Umftänden auch wieder ändern zu können...” „Sein großes Prinzip ſcheint darin zu beftehen: nichts zu überftürzen, immer hinaus— zufchieben und langfam, aber ficher zu feinem Ziele zu gelangen.“

Jacobi jelbit glaubt erfannt zu haben, daß fich Leopold jeit feiner Thron- befteigung ernftlih angelegen fein ließ, die inneren Verhältniſſe feiner neuen Monarchie, die Geijtesverfafjung jeiner Völker, die wejentlidhiten Mängel in allen Verwaltungszweigen und endlich die Fähigkeiten und den guten Willen der zur Mitwirkung an jeinen Plänen berufenen Minifter fennen zu lernen. Aus mehreren Anordnungen fei zu erjehen, daß ihm eine rafche und gründliche Recht- ſprechung als wichtiges Erfordernis gelte. „Man arbeitet au an einem neuen Geſetzbuch nad dem Norbild des berühmten Strafgeſetzbuches für Tosfana, über deſſen Weisheit alle Stimmen einig find.” Was den Hang zur Sparfamteit und den Sinn für Ordnung im Staatshaushalt anlange, jo fcheine das Wiener Publitum über Nebeniählihem die Hauptſache vergefjen zu haben. Es er: blide mit Unrecht in der Erhöhung von Beamtengehältern, in der Aufitellung neuer Behörden ꝛc. ein Abweichen von den Grundjägen einer weilen Sparjam: feit; der Kaifer wolle nur die Ungerechtigfeiten feines Vorgängers wieder gut maden und babe überbies erkannt, daß es gegen Ausbreitung ber revolutio: nären been fein wirfjameres Mittel gebe, als mit vollen Händen Wohlthaten zu jpenden. Für jedermann auffällig fei feine Abneigung gegen das Militär; fie erfläre jich teils aus feiner Friedensliebe, teils aus feiner Sparfamleit. Die jüngft durdgeführte Reform des Militärwejens bejwede im wejentliden mög: lichſt ausgiebige Erjparnifie im Militärwefen und ftelle fi ala Sieg der Grund: fäge des verftorbenen Laudon über das foftipielige, verfünftelte Syftem des Marſchalls Lascy dar. Als Regent von Toskana habe Leopold wiederholt An: orbnungen erlaſſen, welche darauf zielten, die Vorrechte des Adels und des Klerus einzujchränfen und dem Bürgerftand Geltung zu verfchaffen; in dieſer Be- ziehung fcheine fih in der Auffaffung des Regenten der öfterreihifchen Erblande ein Umſchwung vollzogen zu haben. In adelichen und Elerifalen Kreifen habe man ſich deshalb dem Wahne hingegeben, daß die Zeit gefommen fei, alle alten Anſprüche wieder aufleben zu maden, allein es ſei gewiß nur eine irrige Ans nahme, daß der Kaiſer ſolche Sonderftelung begünftigen wolle; er erblide jeine Pflicht vielmehr darin, die Laſten der Untertanen möglichſt gleichmäßig zu ver: teilen und die Anſprüche aller Stände auf die ihnen zufommenden politifchen Rechte zu befriedigen. Er kenne jedoch zu gut den Geift, der heute die Völker beieele, und die Ideen, welche fie beherrfchen, als daß er nicht für geraten bielte,

Tob Leopolds II. 511

die geplante Reform noch aufzuſchieben. „Aus dem Munde einer trefflich ein— geweihten Perſönlichkeit habe ich vernommen, der Kaiſer ſchwanke noch, welchen Zeitpunkt er wählen ſolle, um in dieſer Richtung vorwärts zu gehen, ob es beſſer wäre, dem Ausbruch der Unzufriedenheit in den eigenen Staaten durch Abhülfe der Beſchwerden des dritten Standes zuvorzukommen oder dafür ruhigere Zeiten abzuwarten.“ In ſeinen volkswirtſchaftlichen Anſchauungen weiche der Kaiſer unzweifelhaft in weſentlichen Punkten von den Ideen ſeines Vorgängers ab. Er ſetze nicht bloß die Prohibitivgeſetze in Bezug auf viele ausländiſche Waren außer Geltung, einen noch auffälligeren Umſchwung bedeute die Ab— ſchaffung des Stempels für alle nationalen Erzeugniſſe, eine Maßregel, die in ihrer Wirkung faſt der vollen Freiheit der Einfuhr fremder Waren gleichkomme. In der That werde ſeitdem das Publikum damit überſchwemmt, doch trotz aller Klagen der ſchwer betroffenen Fabrikanten ſei eine Zurücknahme der gefährlichen Maßregel nicht zu erreichen geweſen. Umſonſt habe man dem Kaiſer vorgeſtellt, welche Verluſte aus dem freihändleriſchen laisser aller für das Land erwachſen müßten, umfonft habe man ihn aufmerkſam gemacht, daß die heimifchen Fabrifen feinen Abjag fänden, daß viele taufend Arbeiter brotlos würden, der Raifer bleibe unerjchütterlih auf feinem Grundſatz beftehen, daß der Ruin einiger Sn: dividuen nicht in Betradht fomme, wenn unter ungenügender heimifcher Pro- duktion die ganze Monarchie zu leiden habe.

Ob die Schilderung des preußifchen Geſandten in allen Punkten zutrifft, ob insbejondere die Zugeſtändniſſe an den Zeitgeift aus aufrichtiger Neigung zur verfafjungsmäßigen Staatsform entiprangen, mag billig bezweifelt werden. Die Verfhärfung der Zenfur und die Steigerung der disfretionären Gewalt der Polizei ftehen damit nicht in Einklang.) Auch die leitenden volkswirtſchaftlichen Grundfäge des Kaiſers find nicht ganz richtig dargelegt. Zur Freihandelspolitif wollte Zeopold nicht übergehen; im allgemeinen wurde Joſephs Prohibitivfyften beibehalten; die Erlaubnis zur Einfuhr einiger, bisher verbotener Waren, aus: ländifcher Weine, Seefifche ꝛc. fiel nicht jchwer ins Gewidt. Wichtiger war die Beichränfung der Ausfuhrzöle; insbefondere der mechieljeitige Handelsverfehr jzwifchen den Provinzen wurde auf jede Weiſe begünftigt, der Getreidehandel zwifchen Ungarn, Galizien und den deutjchen Ländern gänzlich freigegeben. ?) Für Verbefferung der jchon beftehenden und Anlegung von neuen Manufafturen, für neue Induftriezweige, für Hebung der Naturfchäge des Bodens ıc. ſollten die Landesbehörden nad Kräften Sorge tragen; durch Anlegung von Hafen: plägen, Schiffbarmahung der Flüſſe, Verbeilerung des Straßenneges ꝛc. jollte dem Handel aufgeholfen werden. Wie dem preußiſchen Gejandten verfichert wurde, trug fich Leopold gerade mit wichtigen handelspolitiihen Entwürfen, die auf dem Wege völkerrechtlicher Abmachungen den Völkern Defterreihs die Mög- lichfeit des MWettbewerbes mit den Nachbarſtaaten erichliegen jollten, al& dem Leben des thätigen, bejonnenen Fürften ein jähes Ende gejegt wurde.

Bon den zehn Söhnen, welche Leopold überlebten, folgte ihm der Erft-

- ') Beidtel, Geſchichte der öſterreichiſchen Staatönerwaltung von 1740 bis 1548, 1, 444. 2) Schels, Neuefte Gefchichte der Länder des öfterreichiichen Kaiferftaates, I, 24.

512 Zweites Bud, Vierter Abſchnitt.

geborene, Franz, der joeben erjt (12. Februar) das 24. Lebensjahr erreicht hatte, auf den Thron. In der Prefje war gleichzeitig mit den Nachrichten von der Er: frankung des Vaters das Gerücht aufgetaucht, der Thronfolger fei mit jo ſchwerem Lungenleiden behaftet, daß fein Leben als gefährdet angejehen werde.‘) Die Bejorgnis war unbegründet; Franz war von jhwädlicher Leibesbeſchaffenheit, doch jeine Gejundheit Fräftigte fich infolge fireng geregelter Lebensweiſe jo glüd: (ih, daß er unter allen zeitgenöffiihen Souveränen das höchſte Lebensalter erreichte.

Joſeph II. hatte darauf beitanden, daß jein Neffe nicht in Florenz, wo „ver Körper durd Klima und Sitten geihwädht werde und die Seele ver: ſchrumpfe“, jondern am Wiener Hofe auferzogen werde. Mit 16 Jahren fam Franz nad Wien. Joſeph entwirft vom Charakter des „verzogenen Wutter: ſöhnchens“ ein unfreundliches Bild. Der Obeim nahm Anftoß an dem nüchternen, ſchwungloſen, jelbitjüchtigen Wejen des Jünglings, lernte aber allmählich auch deſſen gute Eigenfchaften Ihägen; in einem Schreiben an Kaunik rühmt er den Fleiß, die Orbnungsliebe, den unbeſtechlich feſten Sinn des Neffen.”) Nie er: lahmte jein Arbeitseifer, aber Cingeweihte wollten wiflen, daß er fih allzufehr in Heußerlichkeiten und Kleinigkeiten verliere.) Von feiner Gutmütigfeit wurden freundliche Züge erzählt; insbejondere den Bühern in Gefängniffen widmete er lebhafte Teilnahme, die fi in häufigem Bejuch der Anitalten fundgab. In der Reſtaurationszeit entwidelte ſich Defterreich bejonders auffällig zu einem Polizei: Staat; in früheren Jahren gab Franz fogar Abneigung gegen das allzuftrenge Ueberwachungsſyſtem feines Vaters zu erkennen; unmittelbar nad jeinem Ne: gierungsantritt (9. März) gab er Befehl, „daß künftig von einer bloß anonymis Ihen Anzeige fein Gebraud zu machen, fondern diejelbe nur als eine Skarteke zu betrachten ſei.“) Er war nicht bigott, aber auch nicht den aufgeflärten Ideen jeines Vaters zugethan. Auch font fehlte es nit an Gegenſätzen zwiichen Vater und Sohn. Während Leopold aus Neigung oder Berehnung ſchon vor Ausbruch der Revolution den dritten Stand begünftigt hatte, juchte Franz die patriarhaliihe Fürftengewalt aufrecht zu halten und Adel und Klerus als die fefteften Stügen des Thrones zu fräftigen. Während Leopold aus jeiner Ab: neigung gegen das Militär fein Hehl machte, legte franz dafür bejondere Vor: liebe an den Tag. In jungen Jahren war er dem Marfchall Lascy ſehr er: geben geweien, doch während des Türfenfriegs ſchloß er fih innig an Laudon an; oft rühmte fich diefer der treuen Anhänglichkeit und warmen Freundichaft des Erzherzogs, rühmte auch deilen perfönlihen Mut, während er von deſſen militäriihen Anlagen und Kenntniffen nur mit Zurüdhaltung ſprach. Auch Joſeph erkannte rühmend an, daß jein Neffe die Kaltblütigfeit, die ihn ſonſt jo oft zur Verzweiflung gebracht habe, auch auf der Walftatt nicht ablege. „Vor dem Feinde,” jchrieb Joſeph nah dem Treffen bei Semlin an jeinen Bruder

) Baterl. Chronik, Ihgg. 1792, 159. ?) Krones, Handbuch der Geichichte Defterreihs, IV, 568. 2) ... „qu'il s'arröte à l’ecorce et aux details“ (Jacobi). ) Wiener Zeitichrift, TIT, 38.

Tod Leopolds 11. 513

Zeopold, „war dein Sohn gerade, wie du ihn im Zimmer fiehbit, das Pfeifen der Kugeln ließ ihn aud feine Miene verändern.” ') Den Sinn für Häuslich— feit und Einfachheit hatte Franz mit feinem Vater gemein, doch während dieſer mehr von der Art eines Gelehrten hatte, gab fi der Sohn wie ein behäbiger Bürger, der feinen trodenen Humor am liebften in die Sprache des Wieners fleidete,; durch feine Gemütlichkeit und Leutjeligfeit, jagt Meynert, eigne er fi fo recht zum NRegenten für das öſterreichiſche Volk, deſſen Verftand einen Herrfcher, deflen Herz einen Vater begehre.”) Das Schidjal jelbit jchien den Erben des Kaiſer— thrones durch raſch aufeinander folgende ſchwere Schläge ftählen zu wollen. Binnen wenigen Jahren verlor er die liebenswürdige Gattin, Elifabeth von Württemberg (18. Februar 1790), den Oheim, ein zärtlich geliebtes Kind und den Water; der Tod des legteren berief ihn zur Regierung, deren Geſchäften er ſich anfänglich nur ſcheu und unfelbitändig, an fremden Rat fi klammernd, unterzog.

Nah Leopolds Ableben Freuzten fich einander mwiderftreitende Gerüchte. Bald bie es, die mobilifierten Regimenter jeien wieder aufgelöft worden, da Leopold nur als Kaifer gegen Frankreich aufgetreten ſei und der neue Herr Defterreichs diefe Erbichaft nicht anzutreten brauche; ’) bald wurde behauptet, die Nüftungen follten noch lebhafter betrieben und neue Negimenter nah dem Weiten geſchickt werden.) Wie gewöhnlich, war hier wie dort der Wunſch der Vater des Gerüchte. Bald darauf brachte das Straßburger Organ die Nachricht: „Hofrat Spielmann zu Wien, mit Bijhoffswerder die Seele des preußiſch-öſterreichiſchen Bundes, ift den Geſchäſten ferner gerüdt, man bemerkt ein Erfalten zwiſchen den Höfen von Wien und Berlin.) Auch in Preußen wurde von manden ein Umfhwung in der Politif des Wiener Hofes, eine Loderung des faum ge: ſchloſſenen Freundidaftsbundes befürchtet. Insbeſondere Marchefe Luccheſini war vol Mißtrauens gegen den Nachfolger Leopolds. „Höchſtens im Anfang,” ſchrieb er an Jacobi, „wird der König von Ungarn herzliche Vorliebe für die neue Allianz heucheln, um fi des Schußes unfrer Freundidhaft jo lange zu be: dienen, bis er zur Kaiferfrone gelangt und die Armee wieder auf die Stärke unter Joſeph II. gebradht haben wird, dann wird er einfah thun, was ihm für jeinen Vorteil zuträglicher fcheinen wird.” ') Auch Friedrih Wilhelm war nicht völlig überzeugt, daß Franz dem väterlichen Syftem treu bleiben werde. Nach den legten Kundgebungen des Erzherzogs, ſchrieb der König an jeine Minifter, fönnte man in ihm wohl einen Freund des Bündnifjes der deutihen Großmächte erbliden; immerhin empfehle es fich, ben Fürften Reuß vertraulid auszuforichen, ob diejen Freundihaftsbezeugungen zu trauen wäre; der Gejandte werde fich darüber freimütig ausfpreden, da ihm jelbft viel daran liege, daß zwiſchen ben beiden Höfen alles beim alten bleibe. „Der Erzherzog wird mehr für das

) Reumont, Geſchichte Tostanas, Il, 212. ?) Meynert, Franz 1., Kaifer von Defterreih, und fein Zeitalter, 13. ) Straßburger polit. Nourn., Ihgg. 1792, I, 193. *, Baterl. Chronik, Ihgg. 1792, 190. Strasburger polit. Journ., I, 390. *) Preuß. St.:Ardiv, Acta, betreffend den Briefmechjel des Marquis Luchefini mit Freiherrn vo. Jacobi-Klöſt. vol. IN. Luch. an Jacobi, 7. März 1792. Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedricht d. Or. bie zur Auflöhung des deutſchen Reichs. J. 33

514 . Zweites Bud. Bierter Abfchnitt.

Militär thun, als jein Vater, darauf kann man mit Sicherheit zählen, denn er weiß, wie notwendig es ift; was feine politifhen Anfichten betrifit, jo läßt fich darüber noch fein Urteil fällen; die nächften Briefe des General Biſchoffswerder werben wohl darüber Licht verbreiten.” ') An Bijchoffswerder jchrieb der König, er möge unverzüglich in der Frage, ob Krieg, ob Frieden, auf eine Elare, beftimmte Entiheidung dringen. Wenn der König von Ungarn Bedenken tragen jollte, jich in die Angelegenheiten Frankreichs einzumifchen, möge Biſchoffswerder fich zurüdziehen, wie er felbit es thun werde. Wenn aber Franz gegen Frank— rei einjchreiten wolle, dann fei feine Zeit zu verlieren, endlich einmal Ernft zu zeigen. „jedes Schwanfen, jeder Auffhub jcheint mir Gefahr zu bringen, Gefahr wenigftens für den König und die Königin von Frankreich.“ Natürlich fönne der neue Regent nicht wie jein Vater als Oberhaupt des deutſchen Reiches auftreten; da aber das Neich zur Zeit fein Haupt habe, ftehe fein Hindernis im Wege, daß die zwei Hauptmädhte die Sache der beeinträcdhtigten Reichsfüriten in ihre Hände nähmen und mit den ihnen zu Gebote jtehenden Kräften ver- teidigten.?)

Bald traf aus Wien beruhigende Nachricht ein. Sogleich der erfte Schritt des neuen Königs, berichtete Jacobi, habe dargethan, daß der Tob Leopolds den Freundichaftsbund zwiſchen Preußen und Defterreich nicht zerriffen oder gelodert; Spielmann, der vor allen anderen Miniftern das Vertrauen des jungen Monarchen befite, babe die bündige Verficherung erhalten: „Seine Majejtät glauben, das Allerbefte, was hr Herr Vater gemachet hätten, wäre das Freund— ihaftsbündnis mit Eurer Königlichen Majeftät, und wenn man finden jollte, daß es nötig wäre, vielleicht durch neue Verbindungen ſolches zu befräftigen, jo wären Sie ganz bereit dazu.) Auch dem General Bifchoffswerder beteuerte König Franz, er habe feinen jehnlicheren Wunſch, als Frieden und Freundichaft mit Preußen erhalten zu jehen, wenn er aud nicht verhehlen wolle, daß die jähe Befigergreifung der fränfifhen Fürftentümer ihn verlegt habe. „Er be: klagte ih wie ein zarter Liebhaber gegenüber jeiner Herzallerliebiten, daß man ihm nicht mehr Vertrauen geſchenkt habe, jondern lieber in einer Weiſe vorgebe, daß faft von Weberrumpelung zu jprechen wäre.” Der gute Kaunig, fährt Biſchoffswerder fort, arbeite an einem neuen Memorandum über die fran- zöfifche Frage, Doch er jelbft werde fich lieber an die Erklärungen König franz’ halten und davon abweichende Anfichten des Kanzlers ald „Träumereien eines reipef: tablen alten Herrn” betrachten. Sogleih nah der Totenfeier werde er den jungen König zu beftimmen juchen, daß dem Fürften von Hohenlohe Befehl zur Ausarbeitung eines Feldzugsplanes gegeben werde; auch der Vorſchlag, dem Herjog von Braunjchweig den Oberbefehl über beide Armeen zu übertragen, werde in Wien auf feine Schwierigkeiten ftoßen. In Bezug auf Polen endlid; jei jet fogar Kaunig zur Anfiht befehrt, daß etwas gejchehen müſſe; da ſich

) Preuß. St.⸗Archiv, Acta, betreffend Instruction pour Bischoffswerder et ses d&päches. 1792; Frederie Guillaume à son ministere, 3 mars 1792.

2) Ebenda. Kabinettsichreiben an Biſchoffswerder v. 6. März 1792.

°, Ebenda. Minifterialforreipondenzen mit Jacobi. Bericht Jacobis v. 1. März 1792.

Die franzöfiiche Kriegserflärung. 515

die Polen eigenmächtig eine Berfaffung gegeben hätten, die fih nicht der Zu: ftimmung der Nachbarn erfreue, jo müffe man ihnen eine andere geben, wie fie den Wünſchen und Intereſſen der nädhitbeteiligten Staaten entiprede. ')

Das Berliner Kabinett ſprach über diefe Nachrichten feine Befriedigung aus, wünjchte aber fchriftlihe Erklärungen zu erlangen, da die mündlichen gar zu leicht zurüdgenommen oder anders ausgelegt werden fönnten. Entweder oder! Man möge fih zum Handeln entſchließen oder nicht länger mit dem Säbel rafjeln; jchon die vorgerüdte Jahreszeit fordere auf zu rajcher Ent: ſcheidung.

Dieſe Auffaſſung wurde aber von Kaunitz nicht geteilt. Es bleibt, be— richtete Jacobi (10. März) an ſeinen Hof, der unabänderliche Grundſatz bes Kanzlers, daß man gegen Frankreich nichts thun joll und nichts thun fann! Wer jollte, jolange das deutſche Reich fein Oberhaupt befigt, an Franfreih den Krieg erklären? und warum foll es geichehen, nachdem die franzöftiche Regierung fich bereit erflärt bat, die im Elſaß begüterten Fürften zu entſchädigen?

Im Einklang mit diefen Worten jtand, daß Kaunig den außerordentlichen franzöfiihen Gejandten, Herrn von Marbois, mit Auszeichnung empfing. Allein Bifhoffswerder wußte feinen Landsmann Jacobi zu tröften: „Es ift heute nicht mehr Kaunig, der für die Wiener Politik das Wetter macht!” Auch das preußifche Kabinett nahm die Nachricht gelaffen auf. „Die Stimmung des Fürften Kaunitz,“ wurde dem Gejandten erwibert, „jowie die Haltung des Wiener Hofes werben fih bald ändern angefichts der neueften Wendung in Franfreih! Die franzöfiiche Antwort auf den Brief des Kaijers jchlägt jo drohenden Ton an, daß man fich in Wien nicht länger mehr der Notwendigkeit verfchliegen wird: man muß endlich Farbe befennen, es muß zum Schuge der Souveräne endlich etwas geichehen!” ?)

Franfreih hatte eine Verfaſſung, aber es hatte feine Regierung mehr! Darüber konnte Fein Zweifel mehr beftehen, als es im Februar 1792 aus Anlaß der Teuerung in ganz Franfreih zu blutigen Auftritten fam, die Verwirrung immer höher ftieg, die Leidenjchaft alle von Recht und Geſetz gezogenen Schranfen durchbrach. Nicht bloß in Paris waren Beihimpfung von Beamten, Mißhand— lung von Prieftern, Raufereien aller Art an der Tagesordnung, noch zügel: (ojer ging es in den Provinzen zu. Der feindliche Gegenjat der politifhen und religiöfen Meinungen drängte überall zum Umfturz aller Dinge. Die Verfaffung war nur ein toter Buchitabe, wenn es fih um den Schu Mißliebiger und Ber: tolgter handelte. In der Nationalverfammlung wurden die jammervollen Be: richte über die Gewaltthaten in Stadt und Land verlefen, doch geſchah nichts zur Abhilfe; die Stillung der Unruhen wurde den Organen der Regierung über: laffen, doch diefe waren außer jtande, ſich Gehorſam zu verichaffen. Die Aſſig— natenprejje arbeitete mit fieberhafter Haft, doch je mehr Millionen fie in die Staatskaſſen lieferte, deito tiefer janf der Staatsfredit, und da im Ver: hältnis zur Wertlofigfeit der Affignaten die Preiſe ftiegen, griff die Not immer weiter um fih. Der Hunger und nod mehr die Furcht vor dem Hunger, un:

) Preuß. St.Archiv, Berichte Bifhofföwerders vom 6. u. 7. März 1792. ) Ebenda, Erlaß des preuf. Minifteriums vom 15. März 1792.

516 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

bändiger, gebieteriſcher, furchtbarer als alle Leidenſchaften, erhitzten die Ein— bildungskraft der Maſſen, ſo daß ſie nicht bloß den Bankerott des Staates, ſondern den eigenen Untergang ſchaudernd vor ſich ſahen. „Frankreich bot ein lehrreiches Schauſpiel, das den Kern des Menſchen zeigte! Dieſer iſt, wie die nahrungsloſe Mannſchaft eines ſchiffbrüchigen Floſſes, in den Naturzuſtand zurück— gefallen; die dünne Hülle von vernünftigen Gewohnheiten und Gedanken, die die Ziviliſation über ihn geworfen, ift zerriſſen und umflattert ihn in Fetzen; die nadten Arme des Wilden find zum Vorſchein gekommen; er jtredt diejelben drohend aus und verwendet fie im Dienfte jeines hungrigen Magens (Taine).“ Die Untbätigfeit der Regierung, der nur die Kraft zur Beilerung der Lage mangelte, wurde als Verbrechen gebrandmarft, und der ganze Zorn der Auf: geregten richtete fih gegen die Tuilerien, wo noch immer die Tyrannei das Zepter führe. Die Minifter galten an und für fi für verbädtig; die Ge: meinden erlaubten fi gegen die Zentrale die verädhtlihite Willkür; es fam vor, daß Munizipalitäten Entſchließungen der höchiten Behörden zurückſchickten, ohne fie der Deffnung gewürdigt zu haben.!) Dazu fam die Spaltung im Minifterium jelbft. Der Kriegsminifter wollte den Krieg, der Xeiter der auswärtigen Politik ftrebte noch immer eine Verſöhnung Franfreihs mit den Mächten an, um ben Waffengang zu verhüten; der Bund der gemäßigten Parteien hatte ſich wieder gelöft, die Friegsluftigen Anhänger Lafayettes waren wieder erbitterte Gegner ber Yameth und Barnave, die das einzige Mittel zur Rettung Frankreichs in einer Reform der Verfaflung und zunächſt in Auflöfung der verwilderten Kammer erblidten. Wiederholt wurden Verſuche gemacht, das Anjehen und die Macht bes Königtums wieder zu heben. Auch die Fayettilten, die damit im wejentlichen auf die Pläne Mirabeaus zurüdgriffen, wollten dazu die Hand bieten. Narbonne ſelbſt unterbreitete darauf zielende Vorſchläge der Königin, um mit ihrer Hülfe die Leitung des Minifteriums in feine Hände zu befommen. Der Verſuch jchlug fehl; Marie Antoinette fol das Anerbieten des jelbitgefäligen Mannes mit Lachen aufgenommen haben.) Das Minijterium beharrte in der feuillantiftiichen Richtung, während biefe im Volke ſchon allen Boden verloren hatte. Die Furcht vor „Verrat“, vor Auslieferung Frankreichs an die fremden Mächte entzog der Negierung aud das Vertrauen der gemäßigteren Elemente. Um jo üppiger blühte der Weizen der „Entjchlojjenen”, der Männer der Gironde; ben ſchnei— digen Reden der Brifjot und Isnard fehlte es niemals an ftürmiihem Beifall. Trogdem fonnten auch diefe Männer, als die Unruhen täglich zunahmen, fich nicht verhehlen, daß jchließlich doch dem Pöbel die Diktatur zufallen werde, allein gerade dieje Bejorgnis fteigerte ihren Kriegseifer; vom Krieg erbofften fie ebenſo die Wiederheritellung der Ordnung, wie die Befeftigung ihrer Stellung gegen: über Jafobinern und Gemäßigten. Die Kataftrophe wurde noch beichleunigt durch die Entwidelung der auswärtigen Angelegenheiten. Die Nachrichten aus London, insbejondere die Berichte Talleyrands ftellten in Ausficht, daß die eng: liiche Regierung dem Bunde der europäifhen Mächte keinesfalls beitreten werde,

') Taine, Die Entjtehung bes modernen Frankreich, deutich von Katicher, IT, 1. Abt, 287. 2) Glogau, 153.

Die franzöfiihe Kriegserklärung. 517

ja daß Pitt auch im Falle eines franzöfiihen Angriffs auf Belgien neutral bleiben wolle. !)

Wenn dieje Zufiherung den Mut ber Kriegspartei belebte, jo ftachelte das Vorgehen des Wiener Hofes ihre Erbitterung. Es war ſchon die Rede von ber Antwort auf die brutalen Forderungen der franzöfiichen Nationalveriammlung vom 25. Januar. Die failerlihe Note vom 17. Februar klang jo wenig kriegs— luftig, daß in Berlin Verdacht geihöpft wurde, Kaunitz trage fih mit dem Ge: danken einer Annäherung an das Eonftitutionelle Frankreich. Diefe Annahme fam ja aud, wie wir jahen, der Wahrheit ziemlich nahe. Der Kanzler erblidte no immer im Kriege ein „ertremes Notmittel”, zu dem man höchitens in bem Falle greifen dürfe, daß alle europäiichen Staaten fi zum Beitritt verſtänden; er hoffte zuverfihtlih, daß in Frankreich bald die „Wohlgefinnten” die Ober: hand gewinnen würden; um den Feuillants, deren Einfluß und Kraft er über: ihägte, zum Eiege zu verhelfen, brauche man nur die Jakobiner durch ein fräjtiges kaiſerliches Wort einzufhüchtern. Deshalb las fih die Note vom 17. Februar, joweit fie an das Minifterium fich richtete, nur wie eine befcheidene Rechtfertigung der kaiſerlichen Politik; gegen die republifanifhe Faktion aber waren jchwere Vorwürfe erhoben. Sie gehe darauf aus, nicht bloß die mon arhiihe Verfaffung, fondern die gejelichaftlihe Ordnung zu unterwühlen, und juhe nur deshalb mit dem Ausland Krieg anzuzetteln, um im eigenen Lande die Gejeglofigkeit auf den Thron zu erheben. Der Beihluß vom 25. Januar jei eine ſchwere Beleidigung für einen alten Bundesgenofjen Franfreihs, dem eine fürmliche Frift geftedt werde, um für eine erdichtete Schuld Genugthuung zu leiften, als ob jelbit die Bräuche des Wölferrechtes der willfürlihen Aus— legung der fih zur Gejeggeberin aufwerfenden franzöfiihen Volksvertretung unterlägen. Trotzdem wolle der Kaijer die bisher beobachtete Mäßigung nicht aufgeben, denn das Unglüd Franfreihs flöße ihm Mitleid ein; er wolle fid) auch jeder Drohung enthalten, jondern nur freundichaftlid erinnern an ben Bund der Mächte, der den mwohlgefinnten Teil der franzöfifhen Nation gegen Zwang und Verführung jhüsen werde.

Am 27. Februar übergab der öfterreihiihe Gejchäftsträger Blumendorf in Paris die faiferlihe Note.) Tags darauf bradte aud; Graf Goltz ein Schreiben, das volle Lebereinftimmung der Grundjäge der Höfe von Wien und Berlin kundgab: ein Einbruch franzöfiiher Truppen in deutiches Gebiet wird als Kriegserflärung angefehen werben, und Preußen wird fich zur Abwehr mit Kaiferliher Majeftät verbinden. ”)

Zwiſchen de Leſſart und feinem Amtsgenofjen Narbonne war es kurz vor: her zu erniten Mihhelligkeiten gefommen. Der Kriegsminiiter hatte eine Dent: ihrift an den König gerichtet. Darin war ausgeführt, dab nur offener, rüd: haltlojer Anichluß des Königs an das monarchiſch gelinnte Bürgertum Thron’

) Snbel, T, 365.

) Explications survenues entre les cours de Vienne et de France au sujet des rassemblements arms des émigrés frangais dans l'electorat de Treves (Vienne 1792), 21.

) Ibid. 39. Vivenot, I, 398; Erläuternder Zirkularerlaß des Fürften Kaunitz vom 28. Februar 1792.

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und Staat gegen die Anzettelungen der Emigranten und der Jakobiner retten fönne. Frankreich wird nur no wenige Monate Beitand haben, wenn nicht eine volfstümliche und zugleih thatkräftige, eine weife und zugleich ftarfe, eine fluge und zugleih loyale und energijhe Regierung die ſchon geichlagenen Wunden heilt und neuem Unheil vorbeugt!!) Da die Spite dieſer Warnung gegen das „ſchwammige“ Minifterium de Leſſart gerichtet war, hatte fi Nar: bonne heftiger Angriffe feiner Kollegen zu erwehren; er fonnte nicht länger Minifter bleiben, doch zugleich mit dem Mißliebigen jolte das ganze Feuillant: minifterium und damit auch das „Syftem ber Mäßigung” jähen Sturz erfahren.

Schon im Februar begann in der Nationalverfammlung der Sturm gegen die „Zandesverräter”, die an allem Unheil Frankreihs, an der Teuerung und den dadurch hervorgerufenen Unruhen, an der olierung Frankreichs und der Kriegsgefahr Schuld trügen. Am 12. Februar hielt Manuel eine große Straf: rede gegen bie Minifter; alle ohne Ausnahme hätten den Tod verdient, aber einer wenigſtens müfje ihn erleiden, ein Erempel müfje ftatuiert werden!“) Ein paar Tage jpäter verlangte eine eingebrungene Rotte Pilenträger in der National: verfanmlung bie Köpfe der verräteriihen Tyrannen, und Fauchet beantragte, den eriten Minifter de Leffart in Anklageitand zu fegen. Dem Antrag wurde nicht ftattgegeben, doch die Gironde nahm ihn aufs neue auf, um Narbonne zu retten oder zu räden. Zur Handhabe mußten die faiferlihden Mahnworte dienen.

De Leſſart fand Kaijer Leopolds Erklärung „friedfertig und freundichaft: lich“, aber die Zumutung, daß der Nationalverfammlung auch die Zufchrift des franzöfifhen Kabinetts an den Kaifer befannt gegeben werde, berührte ihn un: angenehm; er ließ auch beim Vortrag der Depeſche eine belaftende Stelle weg und beteuerte, er werbe fi in feiner Antwort die an ben inneren Zus ftänden Franfreihs geübte Kritif ernitlich verbitten und nachdrücklich auf der Auflöjung des Vereins der europäiſchen Mächte beitehen. Das Haus nahm die Erklärung mit Beifall auf, doch es trat bald zu Tage, dab fi der Minifter nunmehr fozufagen zwiichen zwei Stühle gefegt hatte, denn einerjeits wollten die Lameths das gegen die Umitürzler aufgebotene Schredmittel, den Bund der europäifhen Mächte, nicht aufgeben, andrerjeits vermochten die Zugeſtändniſſe des Minifters den Grol der Ariegspartei nicht zu dämpfen. In den nächſten Tagen richteten Rouger und andere Girondilten neue Angriffe gegen die Amts: führung de Leſſarts. Guadet rief aus: „Wir müſſen endlich willen, ob die Minifter aus Ludwig XVI. einen König der Franzoſen oder einen König von Koblenz maden wollen, ob Ludwig ein König der Mehrheit des Volks, die unjere Ver: fafjung geichaffen bat, fein will, oder ein König der Minderheit, die gegen bie Verfaſſung feindlihe Pläne ſchmiedet!“

. Nun traten auch Narbonne und die oberjten Generäle, Zafayette, Luckner und Rochambeau, offen auf die Seite der Brifjotins gegen die gemäßigte Partei

) P. L. Roederer, ÖOeuvres, III, 252; Rapport de M. de Narbonne au roi, le 24 fevr. 1792. ) Buchez et Roux, 13. tom., 267.

Die franzöfifhe Kriegserlärung. 519

und gegen den Hof. Im einer Zufchrift der Generäle war die Bitte ausge: fproden, der bei Heer und Volk beliebte Narbonne möge auf feinem Poften ausharren, jonft werde es aud ihnen nicht mehr möglih jein, ihr Kommando zu behalten; durch nichts werde die Wiederherftellung der Ordnung fo erichwert, als dur das Miftrauen des Volkes gegen die leitenden Organe. Der König möge einmal offen ausfprehen, daß er in jener Partei des Defpotismus, die fih zur Unterdrüdung der Patrioten verjhworen habe, nicht jeine Freunde, fondern Feinde des Staates erblide, dann werde das Vaterland ſich bald wieder ungeftörter Ruhe und Ordnung erfreuen. Gemwiß nicht ohne Willen Narbonnes veröffentlihte Frau von Stasl den für den König jelbit, wie für die Minifter beleidigenden Brief der Marjchälle.‘) Narbonne ſprach fih in der National: verjammlung offen für den Krieg aus. Es wäre ruchlos, erklärte er, ein Land mutwillig in Krieg zu verwideln, aber es ſei verähtlih, einem Kriege auszu- weihen, nur um eine Schmälerung der Freiheit zu erreihen. Er müfle zwar zugeben, daß im Heerweſen mandherlei Mängel eingerifjen jeien und die Armeen nit vollzählig ins Feld rüden könnten, doch derlei dürfe nicht in Betracht fommen, wenn die Ehre des Staats den Krieg heilche.

Nun war die Geduld des Königs erihöpft. Narbonne wurde entlafjen, und um ihn die Ungnade des Monarchen nod bitterer empfinden zu lafjen, wurde ihm die Abjegung nur durch einen Bedienten befannt gegeben. Der Vorfall erregte peinliches Aufjehen. Als der joeben von London heimgefehrte Talleyrand an den Mautichranken von Paris davon hörte, äußerte er jeine Verwunderung, doch nur darüber, „dab der König noch in der Yage fei, jemand in Ungnade fallen zu laſſen“. Die nädite Folge war, dab Fayettiften und Brifjotins zur Verteidigung und zum Ausbau des Nevolutionswerfes ſich noch enger verbündeten. Im Hauje der rau von Staöl wurde der Sturm gegen das Minifterium de Leſſart beichloffen. Da traf (9. März) in Paris die Nachricht ein, Kaifer Leopold ſei nah furzer Krankheit geftorben. Diefer Todesfall ſchien die Sprengung des verhaßten europäiſchen Bundes zu bedeuten; damit wäre ber Kriegspartei aller Boden entzogen gewejen. Doc in Paris war für bejonnene Erwägung fein Raum mehr geboten. Als abends im Schaufpielhauje der Tod Cäjars von Voltaire aufgeführt wurde, kam es zu wilden Kundgebungen des Freiheitstaumels der aufgeregten Menge. Jede Anjpielung auf die erlöfende Freiheit und den Tod des Tyrannen wurde beflatfcht, während des Zwiſchen— aftes vom ganzen Publikum das Lied vom Tode Marlboroughs angeitimmt, end: (ih unter Abfingung der Marjeillaife die aus dem Foyer geholte und mit einer roten Mütze geihmüdte Statue Voltaires mit ftürmifchen Jubel begrüft.*) In anderem Sinne wurde die Nachricht von der Börje aufgenommen; da die Kriegsgefahr befeitigt oder doch in die Ferne gerüdt zu fein ſchien, fliegen die Staatspapiere um fünfzehn Prozent.

Trogdem beſchloſſen Briffot und Genofjen, den Sturm gegen das „ver:

') Blenner:daffett, Lady, Frau v. Staöl, ihre Freunde und ihre Bedeutung in Politik und Zitteratur, II, 100.

*) Minerva, Ihgg. 1792, IL, 184.

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räterifche” Minifterium zu eröffnen, auch auf die Gefahr Hin, daß die Anklage den Krieg mit Deiterreich nach fich ziehen fünnte. Am 10. März brachte Brifjot den Antrag ein, gegen de Leſſart, der den Vorteil und die Ehre des Vater: (andes geopfert habe, unverzüglih den Prozeß einzuleiten. Der Bettelbrief an den Kaifer bezeuge die tiefite Erniedrigung Frankreichs. „Der Berräter hat Franfreih vor die Füße des Kaijers gezerrt! Ich bin verjucht, auszurufen: Nein, das hat nicht ein franzöfifcher Minifter gejchrieben, der Brief ftammt aus der Feder des öjlerreichiichen Gefandten! während man verſucht ift, dem Ber: treter Frankreichs die Antwort des Kaijers zuzujchreiben!”') Als einige Nedner die Begründung des Antrags nicht für ausreichend erachteten, erhob ſich der glänzendfte Redner der Gironde, Vergniaud, um mit glühenden Farben die Ge— fahren zu ſchildern, welche eine übel angebrachte Milde heraufbeihwören könne.) Unabläffig werden tückiſche Ränke geichmiedet, die uns dem Haufe Habsburg auf Gnade und Ungnade überliefern jollen! In den Tuilerien wird eine Gegen: revolution angezettelt, der König ift ein Spielball der Nriftofraten und der damit verbündeten Deutichen! Der Schreden ift ehedem jo ojt im Namen des Deſpo— tismus aus den Palaft der Könige hervorgegangen, mag er nunmehr im Namen des Gefeges in denjelben zurüdfehren!

Die Nede Bergniauds wurde mit Beifall überjchüttet, der Antrag Brijjots mit großer Mehrheit angenommen, der Angeklagte noh am nämlichen Tage ver: haftet. Auch die übrigen Minifter mußten ihre Entlaffung nehmen; in den Tuilerien wurde man mit Schreden gewahr, daß es den Lameths an Kraft gebrad, den Anfturm der entfellelten Zeidenichaften des Volkes abzuwehren. Cs follte nicht den Anjchein gewinnen, als ob der Thron jchon jeine legte Stütze ver- (oren hätte, als ob der König mit dem geftürzten Minifter jo innig verbunden gewejen wäre, wie einft Karl I. von England mit feinem unglüdlihen Diener und Freunde Strafford. Es gab ja nod immer Leute, die ſich zur Ehre drängten, den Lilienthron zu retten, freilich nur unter der Bedingung, daß der König fih mit dem Glanz des Zepters begnüge und die Herrihaft ihnen über: laſſe. Vermutlid unter dem Einfluß der Königin nahm Ludwig nicht zu Lafayette und Narbonne feine Zuflucht, jondern zu jenen Männern, die joeben die Parole ausgegeben hatten: Der Schreden möge, nachdem er bisher im Namen des Dejpotismus jo oft aus dem Königspalaft hervorgegangen, im Namen des Geſetzes dorthin zurüdfehren! Durch Vermittlung des Erminifters Cahier wurde mit ber Gironde verhandelt, und das Ergebnis war, dab Dumouriez zum Minister des Auswärtigen ernannt und alle übrigen Mitglieder des Rabinetts aus den Neihen der Brifjotiften genommen wurden. So glitt die Krone jachte auf der jchiefen Ebene weiter herab zur Kante, wo fie von den angeblich bilfreihen Händen vollends in den Abgrund gezerrt werden konnte. „Stüd für Stüd,” ſagt die jelbit erit durch das Schredensregiment zum Royalismus befehrte Frau von Staäl, „wurde der Thron zertrümmert; heute wurde ein Minifterium geftürzt, morgen die königliche Garde abgedankt, ein andermal Soldaten, die ſich

) Buchez et Roux, 13. tom, 389. *; Aulard, L’eloquence parlementaire pendant la rev. franç, I. 282.

Die franzöfifhe Kriegserflärung. 521

gegen ihren Oberften empört hatten, eine Belohnung zugeitanden, jogar das Blutbad von Avignon fand im Scoße der Nationalverfammlung Verteidiger. Immer aber war der Nachkomme des heiligen Ludwig der an den Wipfel des Baumes gebundene Vogel, auf den jeder der Reihe nad) jeinen Schuß abgab.” ...)

Charles FFrangois Dumouriez, der Sohn eines Kriegskommiſſärs, hatte als junger Mann im Siebenjährigen Kriege gefohten, war dann vom Herzog von Choiſeul als politiicher Agent verwendet und zur Belohnung etwas zwei: deutiger Dienite zum Kommandanten von Cherbourg ernannt worden. Bei Ausbruch der Revolution hatte er fein volksfreundliches Herz entdedt. „Ge: boren zwijhen dem Volk und den Großen,” jagt Noederer, „wurde Dumouriez auch durch feinen Ehrgeiz und durch die Umftände beftändig zwiichen dem einen und den anderen hin und hergezogen.““) In feinen Augen war die Revolution nicht die Wiedergeburt der Menjchheit, aber eine Laufbahn, auf welder man jein Glüf machen konnte, ein Mittel zum Zwed, wie die Fronde für Kar: dinal Res; er ftand den Parteien wie ein fremder gegenüber und war ent: ihloffen, lich aller zu bedienen, ohne jich einer einzigen hinzugeben. Er war ein Sohn feiner Zeit; er hatte Jean Jacques und Diderot gelefen und beſaß euer und Wärme, die für echte Begeilterung gehalten werden fonnten; er machte zeitweife den Eindrud eines großen Mannes, aber, vom Erfolg verlafien, war er wieder nichts als ein Held der Gelegenheit, als ein Glüdsritter, dent von der Natur die Gabe verliehen war, ſich in alle Lagen zu ſchicken. Er hatte Freunde unter den am Ruder jtehenden Männern; mit ihrer Hilfe erhielt er im Sommer 1790 eine Miffion nah Belgien, wo er an Ort und Stelle fein fünftiges Schlachtfeld ftudieren fonnte.’) Nach der Rückkehr trat er den Girondiften näher und wurde Mitglied des Jakobinerklubs, ohne jedoch jeine Verbindung mit dem Hofe aufzugeben. Nach feiner eigenen Angabe will er ſich nur, um die Monarchie zu retten, der Revolution in die Arme geworfen haben; deshalb riet er dem Könige, ſich zu den Jakobinern zu fchlagen, um daburd) bieje Partei aus den Fugen zu bringen*), und warnte jeinen Gönner de Leſſart, die beleidigenden Ausfälle des Wiener Hofes zu dulden. In den Tagen des Sturzes de Leſſarts war er durch „heftigen Schnupfen” genötigt, das Zimmer zu hüten. Nach dem Siege der Kriegspartei mußte natürlic) der Mann, der ebenjo das Vertrauen der Gironde wie des Königs beſaß, ala der berufene Leiter der franzöliichen Politik erfcheinen. Auf die Nachricht, daß ihn der König zum Mlinifter des Auswärtigen ernannt habe, weigerte er ſich noch eine Zeit lang, indem er erflärte, er jei Soldat und wolle nur Soldat bleiben; am 15. März aber nahm er das Portefeuille an. Fortan ſprach er ala „Mann der Nation” in der Kammer, als „Diener des Thrones” mit dem König. Noch am Tage jeiner Ernennung beſuchte er, die als eine Art Livree des Volkes ange: jehene rote Müte auf dem Haupte, den Jakobinerklub. Pathetiſch verjicherte

') Frau v. Staöl, Betrahtungen über die franzöfifhe Revolution, III, 50.

:) Roederer, Oeuvres, III, 274.

) A, Sorel, II, 406.

) Memoires du general Dumouriez, ed. p. Barriere, Biblioth. des memoires, \Xl; Eclaircissements hist., 424.

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er den „Brüdern und Freunden”, daß er fih nad wie vor der Sache der rei: heit und des Volfes mweihen wolle; er mußte aber ſchon hier die Erfahrung maden, daß fein Doppelipiel auf entichlofene Gegner ftoßen werde; als ber Präfident des Klubs den zum Minifter erhobenen Genofjen feierte, wurde jofort von Gollot d’Herbois Verwahrung eingelegt, da der Grundjaß der Gleichheit ſolche Büdlinge verbiete.") Die „Vertreter des fouveränen Volkes” blidten von vornherein mit Mißtrauen auf das forgfältig gefleidvete und gepuberte, immer lächelnde, janft blidende Herrchen, das durch nichts an Erommell oder Waſhington erinnerte, bei Hofe bieß er „Minifter Rotmütz“ und fein Minifterium das „Ohnehojentabinett”.?)

In Beſitz der legitimen Gewalt gelangt, zeigten die Männer ber Gironde die freundlichiten Mienen gegen den „guten“ König. Genfonns gab in einer Denkſchrift die Verficherung, daß das Haus Bourbon, wenn es treu zum Volke halte, feine ergebeneren Freunde habe, als die Verfajlungspartei. Dieje Denk: ichrift wurde jogar der Kammer vorgelegt, welche den darin entwidelten Grund: jägen feierlich zuftimmen follte. Doch nicht bloß die Männer vom Berg er: hoben Widerftand, die große Mehrheit wollte ſich nicht förmlich zum Sprachrohr der Girondiften hergeben; Genjfonne mußte feine Adrefje zurüdziehen. Minifter „von Brifjots Gnaden“ hatten jegt die Zügel in Händen; allein nun zeigte fi erit, welche Schwierigkeiten noch zu befiegen waren. Mit der Regierung war ihnen auch die jchwere Aufgabe zugefallen, zu verhiten, daß die Revolution nod weiter ausarte und der Pöbel die Diktatur an fi reife; anderfeits hatten fie die Umtriebe der Royaliſten unfhädlih zu machen und jollten, was das ſchwerſte war, bei diefer Abwehr gegen rechts und links ihre Popularität wahren. Aus jo verworrenen Zuftänden ſchien es nur einen Ausweg zu geben: den Krieg, und Dumouriez war, wie er nod in ben viel fpäter ge ihriebenen Dentwürdigfeiten einräumt, von vornherein gejonnen, mit dieſem Allheilmittel zu operieren.

Die Kataftrophe wurde beichleunigt durch die geheimen Unterhandlungen des Hofes mit dem Ausland. Marie Antoinette erblidte in bem Zwang, daß der König jeine Minifter aus den Reihen jeiner Feinde entnehmen mußte, eine unerträg: lihe Demütigung; die Perjönlichkeiten waren ihr mehr oder minder gleihgültig. „Ob de Leſſart oder Narbonne,” ſchrieb fie (Februar) an Mercy, „der eine von beiden ift jo wenig wert wie der andere.”’) Nach dem Tode des Kaifers fahte fie Hoffnung, daß ihr Neffe Franz bereitwilliger auf ihre Wünſche eingehen und rühriger den bewaffneten Kongreß betreiben werde. Auch Graf Ferien erhoffte von dem Thronwechſel eine günftige Wendung. „Erzherzog Franz war immer wohlgeſinnt; ich weiß, daß er oft über das weiche, langjame, unbeftändige Weſen feines Vaters aufgebraht war; er ift mit ganzer Seele Soldat und hat

'’; Aulard, La société des Jacobins, II, 438.

) „On les appela les ministres sansculottes. Un courtisan vint un jour dire ä Dumouriez que c'etait le surnom qu’on leur avait donne dans l'interieur. Si nous sommes sansculottes, r&pondit-il, on s’en apercevra d’autant mieux que nous sommes des hommes* {M&m. du gen. Dumouriez, delaireissiments, 431).

”) Lettres de Marie Antoinette, II, 384.

Die franzöſiſche Kriegserflärung. 523

mehr von der Art jeines Oheims Joſeph, als von der jeines Vaters, Dies wird den Einfluß des Königs von Preußen noch jteigern; da der Wiener Hof ihn gewinnen muß, um zur Kaijerwürbe zu gelangen, und da dieſer Monard) jo gute Gefinnung für Ihre Sade an den Tag legt, kann die jüngfte Wen: dung für Sie nur vorteilhaft fein.) Marie Antoinette jandte nun heimlich nah Wien einen jungen Offizier, Baron Goguelat, der dafür wirken follte, daß endlih einmal mit dem bewaffneten Kongreß Ernſt gemacht werde. Die Boll: macht Goguelats beitand nur in einer Zeile von der Hand der Königin: „Schenken Sie, mein teurer Neffe, dem Manne, dem ich diejes Billet übergebe, vollen Glauben!“ Der König fügte hinzu: „Ich denfe genau wie Ihre Tante und jeße auf den Weberbringer das nämlihe Vertrauen!” Dagegen übergab Graf Mercy in Brüffel dem geheimen Agenten ein ausführliches Empfehlungs: ſchreiben, das den allzu forglojen Wiener Hof auf die im Weiten auffteigende MWetterwolfe aufmerkſam machen follte. „Es ift nicht mehr zu bezweifeln, daß die in Frankreich zur Herrſchaft gelangte Partei die Dreiftigfeit jo weit treiben wird, jelbft den Krieg zu erklären; fie will ohne Aufihub gleichzeitig an zwei Punkten, im Neih und auf ſardiniſchem Gebiet, den Angriff eröffnen.“ ?)

Auch in Berlin waren die ſchon erwähnten geheimen Verhandlungen im - Namen Ludwigs XVI. fortgeiponnen worden; den Verkehr zwiſchen dem an Beljunes Stelle getretenen Vicomte Garaman und dem König vermittelte Biihoffswerder. Am 4. März jchrieb der ins Geheimnis eingeweihte Ferjen an den König von Schweden: „Die neueften Nahrichten aus Berlin lauten andauernd günftig; Herr von Bilhoffswerder hat dem Vicomte Caraman aufs bündigſte verfichert, jein Herr hege für den König von Frankreich die freundfchaftlichiten Gefühle und er jelbft teile diefe Gefinnung.”’) Als die Verhandlungen trogbem zu feinem thatjädlihen Ergebnis führten, jchrieb Breteuil am 23. März an Caraman, es möge dem König noch bringlicher vor Augen gebradt werden, dab von jeinem Entichluife die Rettung des franzöfiichen Thrones abhänge. In fürzefter Zeit werde der herrſchenden Partei der Krieg erflärt, das Neid an zwei Punkten zugleich angegriffen werden, „denn die Ruchloſen glauben durch jolde Eile dem Bund der Mächte zuvorzuflommen und hoffen überall im Vorteil zu jein, da die Unterthanen aller Reiche es mit ihnen halten und ihren Truppen jeglihen Vorſchub leiften werden.” Wenn nicht raiche Hilfe komme, erwarte die föniglide Familie ein trauriges 2os; ber König werde fujpenbiert, die Königin eingeferfert werden, denn ihr werde zur Laſt gelegt, daß fie den Bund der Mächte gegen Frankreich angeftiftet habe.) Darauf lieb Friedrich Wilhelm durh Schulenburg dem Vicomte eröffnen, es werde alles gefchehen, um die föniglihe Familie zu retten.

„Dan ſieht,“ jagt Flammermont, der zuerft den Verlauf diefer geheimen Verhandlungen ans den Akten des Berliner Archivs feftgeitellt hat, „man

) Le comte de Fersen et la cour de France, publ. par Klinkowström, Il, 202; Le comte de Fersen ü la reine Marie Antoinette, 9 mars 1792.

) Lettres de Marie Antoinette, II, 359.

®) Le comte de Fersen, II, 219.

*) Lettres de Marie Antoinette, II, 389.

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fieht, daß die verbündeten deutichen Monarden jchon längft entſchloſſen waren, Franfreid mit Krieg zu überziehen, ehe in Paris der Krieg erklärt wurde. Demnach haben die Deutihen und nit die böjen Jafobiner für das Unheil der Revolutionsfriege die Verantwortung zu tragen.” ')

Flammermont geht aber in jeinen Schlüſſen zu weit. In Berlin wie in Wien war ber gute Wille vorhanden, für die bedrängte föniglihe Familie etwas zu thun; man war wohl aud überzeugt, daß nur die Waffen ausreichende Hilfe ihaffen fünnten, allein von feften Entſchlüſſen war man noch weit entfernt.

Wenn Später von der preußiichen Diplomatie betont wurde, Preußen habe nur feinem Bundesgenofjen zuliebe in den Krieg fich eingelaſſen, jo entjpricht diefe Behauptung nicht den Thatjahen. In Berlin beftand in den Tagen ber Krifis wenigftens in den leitenden Kreifen mehr Geneigtheit, den Degen zu ziehen, al& am Wiener Hofe.

Wie Friedrih Wilhelm allmählich dazu gedrängt wurde, aus feiner ge: meſſenen Haltung herauszutreten, ſchildert ein, wie es fcheint, noch nicht befanntes, interejlantes Aftenftüd fpäteren Datums, ein Memorandum des Miniiters von Alvensleben vom 1. Dftober 1793.?) Der Verfaſſer will erhärten, daß er für die Politik, die bisher nur zu demütigenden Niederlagen führte, feine Verant— wortung zu tragen habe. Das Departement der auswärtigen Angelegenheiten, behauptet er, jei überhaupt über das Für und Wider einer Allianz mit Oeſter— reich niemals zu Rate gezogen, der ganze Handel ſei ausfhließlich in Potsdam durch jouveräne Entſchließung des Monarchen nah den Vorſchlägen Biſchoffs— werders in Ecene gejegt worden; an die Minifter ſei höchftens einmal eine An— frage in Bezug auf Art und Form der Verhandlungen gefommen. Er, Alvens- leben, habe alles gethan, um jchon die erfte Reife Bifchoffswerders zu Kaijer Leopold zu hintertreiben; es jei ihm nicht gelungen, und er genieße jetzt die traurige Genugthuung, daß alle von ihm vorausgefagten jchlimmen Folgen ein- getroffen jeien. Zu allem Unglück habe fih Bijchoffswerder nicht einmal an feine Jnftruftion gehalten; die Beſtimmung, daß beide Mächte fich gegenfeitig Schug und Unterftügung gewähren jollten, jei von Bijchoffswerder eigenmädhtig in den Vertrag aufgenommen und damit Preußen in Not und Gefahren eines Krieges hineingezerrt worden. „Dann kamen dieje Bouille, Nol, Lambert, Heymann, Naſſau, Caraman und fo viele andere franzöfiihe Sendlinge nad): einander nad Berlin und Potsdam, um den König dur falihe Vorſpiege— lungen zur Echilderhebung zu drängen. Eie wurden unterftüßt durch die Un— bejonnenheit eines Fürjten Hohenlohe, eines Baron Stein und anderer Fremdlinge, denen an der Wohlfahrt und dem wahren Jntereffe Preußens nichts gelegen war.“ Den franzöfifchen Prinzen feien ohne Wiffen des Gejamtminifteriums namhafte Summen zugeitedt worden; nur Echulenburg habe darum gewußt und auf geheimnisvollen Wegen das nötige Geld aufgebraht. Ohne jegliche Mitwirfung des Minifteriums jei die Konvention von Pillnig zu ftande ge:

', Flammermont, 28. ) Preuß. St.:Arhiv, Acta, betreffend Negociations de Bischoffswerder, seconde et troisieme mission pres de l'empereur, 1791, 179%.

Die franzöfiiche Kriegserflärung. 525

fommen, jener unjelige Vertrag, der die Aufrührer in Frankreich zu den radi- faliten Neuerungen gedrängt und zum Bruch mit Defterreih den Vorwand ge: boten babe. Er, Alvensleben, fei in einem Beriht an den König vom 7. Juni 1791 offen als Gegner der Politik Biihoffswerders aufgetreten, doch Schulenburg habe die darin niedergelegten Warnungen ſo abgeſchwächt, daß fie den beabfichtigten Eindrud nicht erzielen fonnten.') So jei der Weg in die Irre immer weiter verfolgt worden, bis eines Tages Schulenburg den verblüfften Kollegen eröffnete: Der König will den Krieg, will den Krieg um jeben Preis! Dieſe Erklärung habe trog aller darauf vorbereitenden Anordnungen wie ein Bligftrahl eingeſchlagen! Bergebens habe er feine Kollegen ermahnt, es möge dem König nochmals vorgeitellt werben, welches Unheil der Krieg für Preußen mit fich bringen werde, wie man damit nur der Kaiferin von Ruß— land diene, die ihre eigenen Truppen niemals zur Bekämpfung der Revolution, wohl aber zu Eroberungen in Polen verwenden werde. Leider habe er tauben Obren gepredigt; Schulenburg allein habe das Vertrauen des Königs genoflen, mithin jei nur nah Wunſch und Willen der jchneidigen Kriegsfreunde verfahren worden, zum Unbeil Preußens, wie man jfeither leider am eigenen Leibe er: fahren mußte!

Seit dem Ableben Leopolds hatten fich die Beziehungen zwischen Wien und Paris weſentlich verjchlimmert. Fürft Kaunig zwar war nod immer der be: dächtige Freund des Friedens, doch er war, wie Bilhoffswerber richtig beob: achtet hatte, am Wiener Hofe nicht mehr der MWettermader. „Was wollen Eie?” jagte Kaunig zum preußifhen Gejandten, der zu entichloffenerem Auf: treten gegen Frankreich drängte, „mein Herr ift noch nicht Oberhaupt des Neiche, und jogar, wenn er es ſchon wäre, ließe fi, da die franzöfiiche Regierung nun auch den im Elſaß begüterten Fürften ausreichende Entſchädigung bieten will, fein Grund ausfindig machen, fi in die Angelegenheiten Frankreichs zu miſchen!““) Dagegen erblidte das Berliner Kabinett auch Herr v. Alvens: leben verweigerte niemals feine Unterfchrift zu diejen Weifungen! in dem Kaunigihen Grundjag der Nichteinmiſchung einen politiichen Fehler. Die ange: botene Entihädigung könne als wirkliche Genugthuung feineswegs angejehen werden; auch die Gefahr der Meiterverbreitung der Revolution dürfe nicht unterihägt werben; jedenfalls aber müſſe einmal dem Schwanfen und Zaubern ein Ende gejeßt werden. „Die Hauptſache ift: man muß einmal wiſſen, wie man daran ift, damit nicht länger Gefahr beftehe, durch unftete, zweideutige Schritte oder durh Erklärungen ohne feiten Nüdhalt ſich bloßzuftellen.” ’) Biihoffswerder konnte jedoch bald aus Wien die tröftliche Nachricht jenden, daß ih, wenn auch nur langſam, ein Gegenfag zwiichen dem jungen Monarchen und dem Kanzler als Vertreter der Leopoldiniſchen Politik herausbilde. Am 17. März wurde die Note der franzöfiihen Regierung, auf deren mannhaften Ton fich

) Unter anderem jei der Sak, die neuerdings eingefchlagene Politik „Epuiseroit ses tresors et detruiroit son armee,* von Schulenburg abgeändert worden in: „ne feroit que diminuer nos tresors et fatiguer notre armde*,

) Preuß. St.:Ardiv. Bericht Jacobis vom 10, März 1792.

) Ebenda. Erlaß des preuß. Miniftertums an \acobi vom 17. März 1792.

526 Zweite Buch. Vierter Abichnitt.

de Leſſart in der Nationalverjammlung berufen hatte, in Wien befannt.') König Franz und Spielmann fanden das Schriftftüd hochmütig und verlegend, auch dem Kanzler war insbejondere eine Stelle anftößig; de Leſſart hatte es als Vertrauensbrucd bezeichnet, daß in Wien ein eigenhändiges Schreiben König Ludwigs an den Kaifer dem franzöfiihen Gejandten gezeigt worden mar; damit war aljo dem Kanzler, dem tonangebenden Neftor der europäiſchen Diplo: matie, zum Vorwurf gemacht, daß er gegen den guten Ton der biplomatifchen Welt einen Verftoß begangen habe! Die Antwort auf jo ungefchliffene Redens— arten werde an Deutlichkeit nichts zu wünſchen übrig laſſen, fagte Spielmann zu Jacobi, doch der Weg der goldenen Mitte dürfe trotzdem nicht verlafjen werben, eine Herausforderung dürfe man fi nicht erlauben; jei ja doch dem Wiener Hofe durch die Uebermadht und den Uebermut Englands weit mehr Grund gegeben, fi beunruhigt und beleidigt zu fühlen! Ein Bündnis gegen diefe Seemacht werde bald von nöten fein, wozu aljo den Bruch mit Frank: reih ohne Not beichleunigen?

Kaunig war ganz betroffen, als ihn Biſchoffswerder zur Entſcheidung drängte, endlich einmal Ernit zu zeigen oder Frankreich völlig feinem Schickſal zu überlaffen. „Einer jo großen, vornehmen Politif, der einzigen, die ſich für Höfe erſten Ranges ziemt, it man bier bisher ängftlih aus dem Wege gegangen; immer hat man vorgezogen, zu temporifieren und zu vigilieren, ob fih nicht doch noch günftigere Umstände abwarten ließen. Erſt jetzt dürfte viel leicht das Zufanımentreffen mehrerer Vorkommniſſe den biefigen Hof bewegen, einer ben feiten Grunbjäten bes Kabinetts Eurer Königliden Majeftät beſſer angepaßten Politik fih anzuſchließen.“ Ermutigend wirfe der Minifterwechjel in Spanien, der ein entichlojjenes Auftreten gegen Franfreid in Ausficht ftelle, doch noch fräftiger wirfe die Furcht vor einer intimeren Verbindung Preußens mit Rußland zum Zwed einer Aufteilung Polens. ?)

Seit dem Eintreffen der legten franzöſiſchen Note, berichtete Biſchoffswerder am 13. März nah Berlin, wird in Wien von der Freundichaft mit Preußen nur in gehobenem Tone geſprochen. Kaunig äußerte, er müſſe fich jelbit be— glückwünſchen, daß er das Band geichlungen habe, das jekt die beiden Mon: archien glücklich made. Spielmann nannte den Bund, der durch das jchamlofe Vorgehen der „Ganaille” de Lefjart an Feſtigkeit noch gewinnen werde, das Aldeilmittel (la medecine universelle) für Europa. Kaunig bradte auch wieder die Entjhädigungsfrage aufs Tapet. „Es iſt wahr, man joll die Haut eines Bären nicht teilen wollen, ehe man ihn erlegt bat, aber es fann nur vorteilhaft fein, ſich wenigjtens über die allgemeinen Grundfäte jchon jegt freundichaftlich zu einigen; was mich betrifft, jo werde ich bei der Teilung immer unbedingte Sleihheit im Auge behalten und mic) immer an Ihre Stelle denken, um unjer Intereſſe zu beurteilen!”’) Biſchoffswerder nahm jedoch die feurigen Verſiche—

') Explications ete., 40; Note de Mr. l'ambassadeur de France ü Mr. le chancelier Kaunitz, 11 mars 1792.

’) Preuß. St.:Ardiv. Berichte Jacobis vom 21., 24., 31. März 1792,

) Ebenda. Instruction pour Bischoflswerder et ses depäches, 1792; Bericht vom 13. März 1792.

Die franzöfiihe Kriegserllärung. 5927

rungen nicht für vollen Ernft. „Sch bezweifle, ob nicht der Zorn des Fürften Kaunit über die Franzojen ſchon heute wieder verflogen it, doch bin ich über: zeugt, dab der junge Monarch einen feiteren Charakter hat, als fein Vater.” Biſchoffswerder fand denn auch die Antwort auf die legten Forderungen de Leſ— ſarts „offen und fett”. Doch auch hier war alles ängjtlih vermieden, was ben Franzoſen als Herausforderung hätte erſcheinen können. An Kriegsrüftungen habe bisher niemand in Deiterreich gedacht, nur die allernötigften Maßnahmen zur Abwehr eines Angriffes jeien getroffen worden; ebenjowenig fünne ſich Frankreich bedroht fühlen durch den europäifhen Bund, der gewiß feine feind- jelige Bedeutung habe, der aber aud von Defterreih ohne Zuftimmung der übrigen Mächte nicht einfach aufgelöft werben fönne.')

Die Bejorgnis Bilchoffswerders erwies ſich als begründet. Hier ift alles, ſchreibt er am 1. April, in die alte Unentſchloſſenheit und Lauheit zurüdgefallen ; die Nachrichten aus Paris mögen nod jo alarmierend lauten, fie maden bier nur geringen Eindrud! Wenn nicht die Franzojen geradezu angreifen, rührt man hier feinen Finger!

Jacobi teilte diefe Auffaſſung. Der Einfluß des Kanzlers jei in den legten Tagen wieder geitiegen; Colloredo jei von vornherein und unter jeder Bedingung für den Frieden; Marſchall Lascy, ein jtrammer Gegner bes preußiſch— öfterreihifhen Bundes, fomme im Minifterrat immer wieder auf geheime Pläne Preußens zu ſprechen; unter diefen Umftänden ſei ein Ermannen bes Wiener Hofes nicht zu erwarten, es fei denn, daß von franzöfiicher Seite an— gegriffen würde.

An folhem Angriff jei aber auch faum nod zu zweifeln, erwiberte das preußiihe Minifterium; vor kurzem fei von den Parifer Demagogen ber förm— lihe Beſchluß gefaßt worden, an drei Punkten zugleich, in Savoyen, Trier und Lüttich den Krieg zu eröffnen; freilih falle es jchwer, jo rafende Verwegen— heit der Umſtürzler für mögli zu halten, aber nad den jüngiten geheimen Nachrichten fei daran nicht mehr zu zweifeln.?)

Die Mitteilung bezog fih offenbar auf die Enthülungen Caramans; damit ftimmte überein, was Goguelat im Auftrag der Königin Marie Antoinette in Wien eröffnet hatte. Spielmann erzählte dem preußiihen Geſandten im ſtrengſten Vertrauen, was er von diefem Sendling erfahren hatte. Das königliche Paar denfe gar nicht an die Möglichkeit, die Verfaſſung zu ſtürzen; nur gewilje Nende: rungen jeien geboten, und dafür werde ſich auch die große Mehrheit des fran- zöſiſchen Volkes gewinnen lafjen. Deshalb empfehle es fi, die unentwegt am alten Syſtem feithaltenden Prinzen vorerft gänzlich aus dem Spiel zu lafien; jedenfalls jei es nicht rätlih, die Truppen der Emigranten zuerft in Frankreich einrüden zu laſſen; höchitens dürfe man fie im Nüden der deutjhen Heere zur Beſetzung der eingenommenen Pläge verwenden. Ernjter Widerftand ſei nicht zu bejorgen. Die Feltungen würden den Nettern des beliebten Königs wohl ihon auf die erjte Aufforderung übergeben werden; bie ganze Kavallerie jei

) Explications ete., 42; Note de Kaunitz à l’ambassadeur de France, 18 mars 1792. 2) Preuß. St.Archiv. Erlaß des preuß, Ministeriums an Jacobi vom 12. April 1792.

„28 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

königlich gelinnt, was allerdings von der Infanterie, jowohl von den Linien— truppen als der Nationalgarde, nicht behauptet werden könne. Mit der Die: ziplin jei es ebenso jchlecht beitellt, wie mit der Ausrüftung; insbejondere das Geſchützweſen laſſe alles zu wünſchen übrig. Den Armeen der Verbündeten werde es aljo nicht jchwer fallen, fich zu Herren bes Landes zu machen, doch es jei auch die hödhite Zeit, daß die Monarden einmal Ernit zeigten, fonft werde ihnen das jakobiniſche Minifterium zuvorfommen; ſchon jei Befehl gegeben, daß mit drei Armeen in Sardinien, in Lüttih und am Rhein der Kampf eröffnet werden joll.!)

Kaunig warnte davor, die glänzenden Zuſicherungen bes Franzojen für bare Münze zu nehmen; es fei weit wahrjcheinliher, dab beim Einmarſch deuticher Truppen jofort alle Parteien in Frankreih zur Abwehr der Fremden fih vereinigen würden. Hauptjächlich aus dieſem Grunde erblidte er im Krieg ein gefährliches Unternehmen, das jo lange wie möglich bintangehalten werden müjle. Weniger ablehnend verhielt fih Spielmann, doch auch von ihm wurde betont, man müſſe den Angriff der Franzofen abwarten und fie dadurch ins Unrecht ſetzen. Die große Mehrheit des Volkes endlich wollte vom Kriege erit recht nichts willen, weil die Auferlegung neuer Steuern befürdtet wurde. „Die früheren Kriege Oeſterreichs,“ bemerkt dazu Jacobi, „wurden eben immer mit dem Geld der Niederlande geführt; daran ift jetzt nicht zu denken.“

Am Wiener Hofe beftand auch gar Feine Neigung, mit den Emigranten ge: meinfame Sache zu maden, während in Berlin auf die Teilnahme der Prinzen Gewicht gelegt wurde. „Sollten ih thatſächlich die feindfeligen Pläne der Fran: zojen beftätigen,” ſchrieb das preußiihe Minifterium am 12. April an Jacobi, „ſo wird ſich im Lande jelbit ein wichtiger Umſchwung vollziehen, wobei die franzöfiihen Prinzen und ihre Anhänger uns nüßliche Dienite leilten könnten. Es dürfte fih alfo in diefem Falle empfehlen, fie aftionsfähig zu machen und ihre Truppen vorwärts zu fchieben, insbejondere die alte Legion Mirabeaus in das Kurfürftentum Trier, damit dort einem Angriffe der Feinde mit einiger: maßen ebenbürtigen Streitkräften begegnet werden fann.” Dagegen jtimmte Spielmann unbedingt der Anficht der Königin von Frankreich bei, es fei, wenn es wirflid zum Krieg käme, von Mitwirkung der Emigranten gänzlih Umgang zu nehmen, da dieſe Herren ein Ziel verfolgten, das mit der Politif der Ber: bündeten nichts gemein habe. Ganz recht, erwiderte Jacobi, aber wird es wohl möglich fein, zwanzigtaufend franzöfiiche Patrioten, die fich ihr Vaterland mit den Waffen zurüderobern wollen, an der Grenze zurüdzubhalten ?

Wie weit der Wiener Hof gehen wollte, welche Vorkehrungen er zur Be: fämpfung des Jakobinertums für ausreihend anſah, erhellt aus dem Rund— ſchreiben der Staatsfanzlei an alle öfterreidhiichen Gejandten vom 6. April 1792.?) Das Ziel unjerer Bemühungen, heißt es darin, ift und bleibt das europäijche Konzert. Von allen europäiihen Mächten follen gemeinfam Mittel und Wege ausfindig gemacht werden, um 1. den verlegten Nechten der deutichen Reichs:

', Preuß. Et:Nrhiv. Bericht Jacobis vom 10. April 1792. 2) Ebenda. Beilage des Berichts Biichoffswerders vom 6. April 1792.

Die franzöfifche Hriegserklärung. 529

tände und des päpftlichen Stubles Genugtbuung zu jchaffen, 2. die Ausbreitung der revolutionären Seuche abzuwehren und 3. die monardifche Staatsform in Frankreich aufrecht zu halten. Bon Wiederherftellung des alten Regiments darf nicht die Rede fein, da der völlig freie Monarch Frankreichs jelbit die Ein: ichränfung der monardiihen Gewalt anerfannt hat; auch wäre zu befürchten, daß eine Kundgebung zu Gunſten der abjolutiftiichen Staatsform alle Parteien in Frankreich zu geichloffenem Wideritand reizen würde. Deshalb dürfen bie Brüder des Königs mit ihrem Anhang nicht in den Vordergrund treten, ge: ichmweige denn die Hauptrolle übernehmen. Dagegen ift nicht bloß erwünscht, jondern notwendig, daß nicht bloß einzelne, jondern fämtlihe Höfe die Be— fämpfung der gemeinfamen Gefahr auf fich nehmen; das Quale und Quantum der zu leiftenden Hülfe joll durch eigene Verhandlungen feitgefegt werden. Erft wenn die Streitkräfte aller teilnehmenden Nationen an Ort und Stelle ver: jammelt find, jol ein gemeinjchaftliher Aufruf an die frangöfiiche Negierung gerichtet werden, um ben oben erörterten Fragen zmwedentiprehende Löſung zu fihern. Dazu wird fi die Berufung eines Kongrefies empfehlen, wozu jedoh nicht Wien, ſondern eine näher an Frankreich gelegene Stadt in Vorſchlag gebracht werden foll.

Man fieht: auch dieſes Schriftftüd ift nicht von Zorneseifer und Kriegs: luſt eingegeben; es jtellt fich jo ziemlich auf den nämlihen Standpunft, den der Wiener Hof ſchon ein Fahr vorher eingenommen hatte. Noch am 28. April beklagte das Berliner Kabinett die läffige Haltung des Wiener Hofes; nur dem feiteren Auftreten des Bundesgenoſſen jei es zuzufchreiben, daß den Pariſer Zungendrefhern etwas Fräftiger heimgegeben wurde; auch die Zuftimmung zur llebertragung des Oberbefehls der vereinigten Armeen an den Herzog von Braunschweig !) zeuge wenigitens von gutem Willen des Königs von Ungarn, wenn auch zur That nod ein weiter Weg zurüdzulegen.

Was in Berlin von Garaman, in Wien von Goguelat enthüllt worden war, entiprah den Thatfahen. Das nah dem Sturze de Leſſarts berufene demofratiihe Miniiterium plante troß aller fönigstreuen Verſicherungen Ent: bebung des Königs, Verhaftung der Königin und Angriff auf Defterreih. Bei einem Abendefien im Haufe Condorcet®s war von Anhängern Lafayettes und Briffots ein förmlicher Feldzugsplan gegen die Krone entworfen worden; ber König erhielt davon Kunde durch den ehemaligen Abgeordneten Dupont de Ne: mours.?) Am rübrigiten betrieb die Heße der neue Minifter des Auswärtigen, Dumouriez, unbejtreitbar der bebeutendite Mann und der charafterlojeite Menich im Miniftertum, „meld glänzender Schuft ift diefer Dumouriez!“ ruft ein: mal Lord Audland aus, nachdem die Minenarbeit der Franzoſen in Brabant glüdlihiten Erfolg erzielt hatte.) Auch im radikalen Lager war der Krieg populärer geworden, feit jene Note Kaiſer Leopolds alle Schuld an der unglüd:

) Bivenot, I, 434. ) &ybel, I, 369. ) Journal of W. Ld. Auckland, 505; Lord Auckland to lord Henry Spencer, 6. Apr. 1798. Heigel, Deutiche Geſchichte vom Tode Friedricht d Gr. bit zur Hufldiung des deutſchen Reidıs. 1, 34

330 Zweites Bud. Bierter Abichnitt.

lihen Xage Frankreichs auf die vaterlandslojen, kulturfeindlichen Jakobiner ge: ihoben hatte. In der Nationalveriammlung erklärte Dumouriez, die Bezeich— nung „wohlgefinnte Franzojen” könne fi nur auf die ausgewanderten Ariftofraten beziehen, denn wie wäre es denkbar, daß ein anderer Franzoſe bewußt auf die Seite der Feinde jeines VBaterlandes ſich ſtellte!) Unverzüglih wies Dumouriez den franzöfifhen Botjchafter in Wien an, eine in fnappem, militärifchem Ton gehaltene Erklärung abzugeben: Wenn der König von Ungarn nicht bis zum 15. April auf Teilnahme am Verein der europäiihen Mächte Verzicht leiſtet, fieht Sich der König von Frankreich genötigt, den Krieg zu eröffnen! Obwohl aber immer nur vom König von Ungarn die Nede war, wurde auch der An griff auf Lüttich, ſowie auf die rheinischen Kurfürftentümer in Ausficht ge nommen. Schon am 25. März wurde der Beſchluß gefaßt, von Namur und Straßburg aus vorzudringen und gleichzeitig gegen das mit der jardinijchen Herrſchaft unzufrievdene Savoyen einen Vorjtoß zu unternehmen. Schon daraus erhellt, daß es von vornherein auf Eroberung von Nachbargebiet abgejehen war, wie denn auch Dumouriez zuerit des verhängnisvollen Wortes „Natürliche Grenzen” ſich bediente. Am glüdlihen Erfolg der Schilderhebung jei nicht zu zweifeln, doch empfehle es fich, Defterreich von Bundesgenoiien zu entblößen und namentlich den König von Preußen zur Neutralität zu bewegen. Dies werde nicht Schwer zu erreichen fein, da Friedrich Wilhelm nur aus perjönlidem Groll über die beleidigende Sprache der Jakobiner das „unnatürlihe” Bündnis ein: gegangen habe, Demgemäß wurden neuerdings geheime Unterhandlungen in Berlin angefnüpft, wobei fih Dumouriez zu Anerbietungen berbeiließ, die auf die Doppelzüngigfeit des „Jakobiners“, der im Kreiſe der Genofjen den ſchärfſten Angriffen auf das KHönigtum zuſtimmte und in der Kammer unabläffig auf friegerifche Enticheidung drang, grelles Licht werfen.

Am 28. April wurde Jacobi von dem ganzen Hergang unterrichtet, damit er zum Beweiſe der Bundestreue Preußens dem Fürſten Kaunig Mitteilung made.”) Dumouriez jchrieb an den in preußiſche Dienite getretenen General Heymann, einen Emigranten liberaler Richtung ,’) er wolle demnädit einen Herrn Benoit nah Berlin fenden, mit dem Heymann vertrauensvoll die gegen: wärtige Lage beiprechen fünne. Als die Minifter fich weigerten, den jafobinijchen Sendling zu empfangen, teilte Benoit jchriftlich feine Aufträge mit. Zwiſchen Preußen und Frankreich, hieß es in der Denkſchrift, beftehe fein Gegenjag, denn bier wie dort wünſche man die MWiederherftellung der monarchiſchen Ordnung und den Frieden; um dazu zu gelangen, wolle die gegenwärtige Regierung Frankreichs mit Freuden jedes Opfer bringen. Im Streit mit den im Elſaß begüterten Fürſten fei der König von Preußen der natürliche Vermittler; er möge nur fordern, dann werde die Regierung jede billige Entihädigung bemilligen. Auch die „Für Frankreich ebenfo notwendige wie erwünjchte” Zurüdberufung der Emigranten werde der König von Preußen am leichteften ins Werk jegen, umd

') Ölagau, 262. ) Preuß. St.:Arhiv. Erlaß des preuß. Miniſteriums an Nacobi vom 28. April 1792. ) Subel, I, 375.

Die franzöfifhe Kriegserflärung. 5331

ebenſo werde jeder Vorſchlag des verehrten Monarchen in Bezug auf verfaſſungs— mäßige Erweiterung der königlichen Befugniſſe gebührende Beachtung finden.

Die weitreichenden Anerbietungen des Girondiſten-Miniſteriums, denen ſogar Marie Antoinette ihre Billigung nicht hätte verſagen können, mußten in Berlin Mißtrauen wachrufen. Es ſei daraus zu erſehen, erklärte Schulenburg dem Könige, daß Dumouriez gern das gefürchtete Preußen von Oeſterreich trennen möchte, aber Jakobinern könne man doch nimmermehr die Hand reichen; viel— leicht ſei es überhaupt nur darauf abgeſehen, zum Abſchluß der Rüſtungen Zeit zu gewinnen. Immerhin ſei die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, auf dem vor— geſchlagenen Wege ins rechte Geleiſe zu kommen; Benoit möge alſo aufmerkſam gemacht werden, daß Preußen erſt dann in Unterhandlungen eintreten könne, wenn Frankreich fich wieder einer Regierung mit geficherter Autorität erfreuen werde. Mit dieſem Bejcheid gab fi Benoit auch zufrieden; er jehe wohl ein, erwiderte er, daß ſich zur Zeit nichts anderes erreiche laſſe, aber das legte Wort jei noch nicht geiprochen, und er werde wiederfommen, warn und wohin ihn die preußiiche Regierung rufen werde.

Es iſt wohl mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß Dumouriez’ Anträge nicht aufrichtig gemeint waren. Immerhin hatte er, obwohl erjt jeit einigen Wochen im Amte, jhon die Erfahrung machen müfjen, daß er mit den aufgeregten Par: teien und insbejondere mit den Leuten jeiner Farbe fchweren Stand haben werde; er jpottete jelbit darüber, daß an Stelle der Deiterreicherin wieder eine Frau, die geichäftige Gattin jeines Kollegen Roland, den Staat dirigiere, und äußerte wohl einmal, von allen, mit denen er zu thun habe, jei noch immer der bejte der König. Zur Befeitigung jeiner Stellung juchte er LZafayette für fi zu gewinnen, indem er dem Ehrgeizigen in Ausficht ftellte, daß die von ihm befehligte Nordarmee den Hauptihlag gegen Belgien ausführen folte, allein der General antwortete nur mit Klagen über das unbejonnene Drängen zum Kriege, auf den fi die Armee feineswegs genügend vorbereitet habe. Da es aud ſonſt trog alles Heßens in Klubs und Bolfsverjammlungen an Gegnern des Krieges nicht fehlte, ſahen die Minifter nicht ohne Sorge der Enticheidung der Volksvertreter entgegen. Wenn fi die Kammer für den Frieden erklärt, ſchrieb Dumouriez noh am 18. April an General Biron, jo bleibt uns allen nichts anderes übrig, als nad Amerifa auszuwandern. Kurz vorher war Vicomte de Noailles, der Geſandte am faijerlichen Hofe, der in Wien als heimlicher Jakobiner, in Paris als verdächtiger Nriftofrat mit jcheelen Augen betrachtet wurde, um jeine Entlafjung eingefommen. Auch diefen Schritt des bedauernswerten Diplomaten wußte Dumouriez in der Kammer als Verrat am Baterlande darzuftellen ; Dumouriez riet, den feigen Gejandten durch de Maulde zu erjegen und zugleich dem König von Ungarn folgende legte Erklärung zugeben zu laſſen: „Die Fran: zofen haben geſchworen, als freie Männer zu leben oder zu fterben; ich, ihr König, habe den nämliden Schwur geleitet; Herr von Maulde wird mitteilen, welche Mittel einzig und allein das Unheil eines allgemeinen Krieges noch ab: wenden können!” König Ludwig unterzeichnete dieſes Schriftitüd, doc es wurde dur die fich überftürzenden Ereigniffe beifeite geihoben. In der Naht vom 18. April machte Dumouriez in der Kammer die Mitteilung, foeben jei aus

532 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

Wien eine Antwort auf die legten franzöſiſchen Vorſchläge eingetroffen, ein Schrift: ftüf von jehr ernfter Natur, worüber der Kronrat unverzüglich Beratung pflegen werde. Es handelte fih um eine Note Noailles’ vom 7. April über den Inhalt einer kurzen Unterredung mit dem Vizekanzler Graf Cobenzl. Noailles hatte, jeinem Auftrag entiprechend, bündige Aufklärung verlangt, ob die öfterreichifche Regierung vom europäiſchen Kongert zurüdtreten und die an ber Grenze zu: fammengezogenen Truppen zurüdziehen wolle oder nicht, darauf erwiderte Cobenzl, daß die Antwort auf diefe Anfragen ſchon in der letzten Note gegeben jei und er „felbiger um jo weniger etwas zuzujegen oder abzunehmen habe, dba joldhe zugleich als die Darftellung der völlig gleichförmigen Gefinnungen des königlich preußiichen Hofes zu betrachten jei.” ')

Am 20. April erihien König Ludwig in der Nationalverfammlung. Kein Laut des Beifalls begrüßte ihn, obwohl den Anweſenden klar fein mußte, weld ſchmerzliches Opfer diejer Bejuh dem Monarchen auferlegt. Dumouriez gab eine Ueberſicht über die auswärtige Politik Frankreichs, die mit einer leidenſchaft— lihen Anklage gegen Deiterreih ſchloß. Die beleidigenden Worte in der Note des öfterreihiihen Kanzlers jeien nicht, wie es den Anichein habe, nur gegen die Jakobiner, jondern gegen die ganze Nation gerichtet, denn nicht von einem einzelnen Klub, jondern von der gejamten Bolfsvertretung jei die Forderung ausgegangen, das Erzhaus möge endlid aufhören, den zürnenden Patron des Oberhauptes der franzöliihen Nation zu jpielen; offenbar habe der Neftor der legitimiſtiſchen Diplomatie nichts anderes bezwedt, als die Fackel des Bürger: frieges in die Mitte eines nur Frieden und Freiheit heiſchenden Volkes zu ſchleudern; auf jo ſchnöden Angriff gebe es aljo feine andere Antwort als: den Krieg!

Darauf ergriff der König das Wort. Mit müder Stimme gab er jeine Zuftimmung zum Antrag jeines Minifteriums: es jei dem König von Ungarn und Böhmen wegen Beleidigung der franzöfiihen Nation der Krieg zu erklären. Frau von Staäl, die felbit der Sigung beimohnte, erzählt, weder das Antlig, nod die Spradhe des Monarchen habe erkennen laſſen, weldhe Empfindungen in ihm fi regten. „Nicht als ob er feine Gefühle hätte verbergen wollen! nein, eine Mifhung von Ergebung und Würde lieb bdiefelben nicht zum Ausdrud fommen.”?) Während der König darauf den Saal verließ, brachen die Abge: ordneten in ftürmiichen, „Jubel aus, die Tribünen klatſchten Beifall, „nur in jehr wenigen erregte der Beginn eines blutigen Krieges, der ganz Europa zwanzig Jahre lang zerfleijchen jollte, Unbehagen und Beſorgnis.“ Auch in der am Abend folgenden Debatte ſprachen ſich faft alle Redner im Sinne Dumouriez' aus, der Friedensfreunde gab es nur ein ſchwaches Häuflein.

Als Bequey die Volksvertreter warnte: „Wenn Sie Defterreih angreifen, io kann es fommen, daß Sie mit ganz Europa den Kampf aufnehmen müſſen; welches Reich wäre aber im ftande, jo vieler Feinde fich fiegreih zu erwehren ?“ rief eine Stimme: Frankreich! und die lakoniſche Antwort wurde mit hellem

i) Bivenot, I, 434. 2) Staöl, Betrachtungen, II, 48.

Der Krieg und das Deutiche Neid. 533

Jubel aufgenommen. Bei der Abſtimmung wagten nur ſieben Abgeordnete gegen den Antrag des Kabinetts ſich auszuſprechen.

„Damit,“ ſo erklärt Talleyrand in ſeinen Memoiren, „war über das Königtum ſchon das Todesurteil geſprochen.) Im Jahre 1790 hätte der Krieg es gerettet, im Jahre 1792 mußte der Krieg es ſtürzen, und deshalb gerade wollten die Revolutionäre den Krieg. Ihre Berechnung ging dahin: Wenn ein Krieg aus— bricht, ſo verfügt der König nur über diejenigen Mittel, die wir ihm geben wollen, iſt alſo völlig in unſere Gewalt geliefert; es wird uns immer ein Leichtes jein, die befiglofe Menge gegen ihn aufzumwiegeln, indem wir ihn für unver: meidliche Niederlagen verantwortlihd mahen! Es war eine entjegliche, allein, wie die Ereigniffe bewieſen, mit jeltenem Weitblick aufgeftellte Berechnung. . . .“

Gewiß, die Feinde des Königtums haben, von folder Abficht geleitet, den Krieg geihürt, doch das Ergebnis der Abftimmung beweift, daß nicht die Gironde allein für den Krieg verantwortlih gemacht werden kann. Auch ge: mäßigtere Kreife waren von ber Unvermeiblichfeit des Krieges überzeugt. Die Grundfäge von 1789 drängten unabwendbar zur Waffenentiheidung. Oeſter— reih mußte, wie ungern es fih auch dazu verftand, um der Tradition willen das legitime Europa um ih Iharen; Franfreih mußte den aufs Banner ge: fchriebenen Grundfag der Selbftherrlichkeit des Volkes verteidigen! Zwiſchen den großen weltgejchichtlihen Gegenjägen mußten die Waffen entjcheiden; vom Aus- gang des Kampfes hing ab, welches Gepräge das fommende Jahrhundert tragen werde.

Die Kriegserflärung vom 20. April wirkte in Wien als diplomatiſche und militärifche Ueberrafhung ohnegleichen. Kaunitz hatte bis zum legten Augen: bli geglaubt, die Entiheidung: ob Krieg, ob Frieden, in den Falten jeiner Toga zu tragen; nun fah er alle Fäden zerriffen, ſah ſich genötigt, an der Seite eines mit Mißtrauen betrachteten Bundesgenofjen mit Frankreich, dem troß alle- dem geliebten, verehrten Frankreich, den gefährlihen Kampf aufzunehnten.

Am 21. April, als die Entiheidung in Paris jchon gefallen war, erliek Kaunig ein Rundſchreiben an die Gejandten, das noch ganz und gar der bisher feftgehaltenen Auffhubspolitif Rehnung trug. Die Gejandten werden zwar an: gewielen, angelichts der drohenden Dffenfive der Revolution den thatjädhlichen Zuſammenſchluß der europäifhen Mächte zu betreiben, doch ſoll „erft nad an Ort und Stelle verfammelten alljeitigen Armeen, nad der erft jodann an Frank: reich erlallenen gemeinfamen Deklaration zur gütlihen Vermittelung” zu den Waffen gegriffen werben. ?)

Als die Vorgänge vom 20. April in Wien befannt wurden und Vicomte de Noailles jeine Bälle verlangte, fonnte auch bier nicht länger bezweifelt werden, daß der Krieg bevorftehe, doch wurde der Ernſt der Lage von den leitenden Kreifen noch immer unterfhägt. Man glaubte, es nur mit den Jakobinern zu thun zu haben; die Mehrheit der Generäle, jo wähnte man, würde jofort zu den im Namen des Königs von Frankreich ericheinenden Deutſchen übertreten,

') Memoires du Prince de Talleyrand, |, 219. *) Bivenot, IT, 5.

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die feiten Plätze würden unverzüglich übergeben werden, an erfolgreichen Widerftand der zuchtlofen, jchledht bewaffneten Armeen ſei nicht zu denken. Daß wir fiegen, liegt auf der Hand, ſagte Kaunig zu Jacobi, wir brauchen nur eine Zeit lang unjere Kräfte wirklich anzuftrengen! Dies muß aber auch gefhehen! Wir dürfen den Feind gar nicht mehr zur Belinnung gelangen laſſen, nicht zu mehreren Feldzügen fol es fommen, mit einemmal, mit wuchtigen, entjcheidenden Schlägen muß der Krieg fogleih zu Ende geführt werden. Eiferfucht und Mibtrauen feien aus unferem Kreife verbannt, jeder freue fich des glüdliheren Erfolges des anderen, dann wird der gemeinfame Sieg nicht ausbleiben! Daß wir dann darnad) tradhten werden, uns ſchadlos zu halten, ift eine felbitverjtändlihe Sade, niemand wird daran Anfto nehmen! Entweder fönnen wir uns vom König von Franfreic volle Zurüderjtattung der Kriegs: foften zufichern lajien, oder wir fünnen bis dahin eine Anzahl von franzöfiichen Pläpen bejegen, oder wir fönnen gewiſſe Gebiete als erobertes Gut anjehen und die Verteilung uns vorbehalten. Welchen von diefen Wegen Preußen ein: ihlagen will, wir werden ihm folgen; wenn aber Seine Majeltät auf jede Ent: ihädigung verzichten und das Opfer im Intereſſe Europas auf ſich nehmen will, jo wird auch dieſes Beiſpiel heroiſcher Uneigennüßigfeit uns zur Richtſchnur dienen!)

Vom preußiihen Kabinett wurde der Umſchwung der Kaunigichen Politik mit Wärme begrüßt. Der König willigte unbevenflih ein, Hand in Hand mit dem Bundesgenofien den Kampf aufzunehmen, auch wenn die übrigen Mächte und insbefondere Rußland wider Erwarten ihre Hilfe verſagen follten. „Wahrlich, in dem Zuitand, den die Dinge jegt einmal angenommen haben, iſt diefer Beihluß der einzige, der unjerem wahren Vorteil entipricht.” Es fei nicht mehr als billia, dah für das jchwere Opfer im Intereſſe der Ruhe Europas eine Entihädigung geboten werde, ja, Preußen müſſe aufs entichiedenfte er: flären, daß es ohne Ausſicht auf Erfak unmöglich die ungeheuren Kriegsfoften ſich aufbürden könne; das Nähere möge jpäterer Vereinbarung vorbehalten bleiben. ?)

Es fehlte bei den zwei verbündeten Mächten von vornherein nicht an Wider: ſprüchen in der Auffafjung der Lage, der dadurd auferlegten Pflichten und der erhofften Vorteile, aber im allgemeinen zeigten die beiden Kabinette auten Willen, die gemeinfame Sache nad Kräften zu fördern. Als an Stelle des zum außer: ordentlihen Botichafter am enaliihen Hofe ernannten Baron Jacobi-Klöſt gegen Ende Mai Graf Haugmig in Wien eintraf, wurde ihm ein ehrenvoller Empfang zu teil, und insbejondere Kaunig wurde nicht müde, zu verfichern, daß er im Bund der zwei mächtigiten Staaten im Herzen Curopas eine Bürgichaft des Sieges im bevorstehenden Kriege und der allgemeinen Wohlfahrt für alle Zeiten erblide. „Ihr König fteigt von Tag zu Tag in meiner Wertihägung; ih kann jagen: er ift ein Mann secundum cor meum, und“ fügte er lächelnd hinzu „wenn ein Mann wie ich, ein Mann von meiner Erfahrung und meiner Welt: fenntnis fich jo ausſpricht, darf jeder fich geichmeichelt fühlen!” ®)

!) Preuß. St.:Arhiv. Bericht Jacobi vom 2. Mai 1792. ?) Ebenda. Erlaß des preuf. Minifteriums an Jacobi vom 9. Mai 1792. *, Ebenda. Minifteriallorreipondenz mit Haugwitz in Wien 1792. Bericht vom 28. Mai 1792.

Der Krieg und das Deutiche Neid). 535

Die Stimmung in den leitenden Berliner Kreijen wurde jhon gejchildert. sriedrih Wilhelm brannte vor Ungebuld, den Kampf mit dem Sakobinertum aufzunehmen. Die Leiden der föniglihen Familie hatten auf ihn tiefen Ein: drud gemadt, jo daß es ihm als Ehrenſache erjchien, fih an ihrer Nettung zu beteiligen; die Furcht vor Anftedung der eigenen Staaten durch den Freiheits— taumel der Nachbarn wirkte mit, und wohl nicht in letter Neihe der Wunjch, durch ein, wie es jchien, nicht allzu gewagtes Unternehmen Kriegsruhm zu er: werben. in diejen Gedanfen wurde er insbejondere durch General Bilchoffe- werder beitärkt,; es läßt ſich unjchwer erfennen, daß die Propaganda zur Be: fämpfung der Revolution von „Bruder Farferus“ geleitet war. Begreiflicherweife war dieje Auffalfung auch in Armeefreifen vorherrihend. Oberſt Maſſenbachs Memoiren zur Geichichte des preußiichen Staats find zwar im allgemeinen nicht als lautere Duelle anzufehen; ſicher aber hat er recht, wenn er jeine damaligen Kameraden einer allzu leihtfertigen Siegesgewißheit bezichtigt. Schon im Februar, erzählt er, aus Anlaß des eriten Bejuches des Herzogs von Braunfhweig in Potsdam war das „Am Rhein, am Rhein, da wachſen unjre Zorbeern! Auf nad Paris!” aus allen Geſprächen herauszuhören, und auf das felige Ende der Herren des Nationalfonvents wurde manches Glas geleert. Als mehrere Monate vergingen, ohne daß es zu einer Aktion fam, war man ſehr mißvergnügt; mit um fo lauterem Jubel wurde die Enticheidung begrüßt. „Der Herzog von Braun: jhweig an der Spige der Armeen Preußens und Deiterreihs und die Advokaten in Paris: wie wollen die uns widerſtehen?“ Bilchoffswerder jelbit fol zu Mafienbah gejagt haben: „Kaufen Sie nicht zu viel Pierde! Die Komöpdie dauert nicht lange, wir find im SHerbite wieder zu Haufe!” )

In den diplomatiihen Kreifen war man des günitigen Erfolges nicht fo fiher. „Wenn die Franzoſen,“ berichtete der bairiſche Geichäftsträger in Berlin, Herr v. Poſch, am 7. April an jeinen Hof, „ihren Gegnern zuvorfämen, wie fie es thun müßten und was für fie im gegenwärtigen Augenblid ein Leichtes wäre, jo würde man es bald empfinden, wie verfehrt es war, Rajende, Leute, von denen alles zu befürchten ift, gereizt zu haben. Später fünnte ſich das Glüd vielleiht wenden, aber dadurch wäre das angerichtete Unheil nicht mehr gut zu mahen. Von diefem Gefichtspunft beurteilen fait alle angejeheneren Perſönlichkeiten des hiefigen Hofes die fommenden Ereignifje; zu ſpät hat ſich die Erkenntnis Bahn gebroden, wie gedanken: und ziellos das bisher verfolgte Syſtem jei, ohne welches man nie auf fo falfhe Pfade geraten, Pfade, die man jest, auch wenn man wollte, gar nicht mehr verlailen kann.““) Auch in den jpäteren Berichten klagt Poſch über die Sorglofigfeit, womit man dem Kriege zufteure, ohne ſich dafür entiprechend vorzubereiten, und über die Lieblofigfeit, womit man die wehrloien Reihsitände an der Weſtgrenze den Angriff des furdht: baren Feindes preisgebe. Als endlich der Krieg erklärt und der erſte Anjchlag der Franzoſen auf belgijches Gebiet abgeihlagen war, gaben fich die einen, wie Poſch darlegt, der Hoffnung bin, den zuchtlojen Rotten des Feindes im Handum—

) Maſſenbach, Memoiren zur Geſchichte des preußiſchen Staates, 1, 26. °) Bair. St.:Arhiv. Politiſche Korreſpondenz zwiſchen Minifter Graf Lieregg und v. Poſch 1792. Bericht v. Poſchs vom 7. April 1792.

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drehen das Handwerk zu legen; von anderen aber wurde beflagt, daß der aufgeflärte Staat Friedrihs des Großen zu Schergendienft, zur Unterdrüdung einer freien Nation fich herabwürdige. Sogar die Schweiter des Königs, die Prinzeffin von Oranien, joll das Auftreten ihres Bruders, der nur für Defterreich die Kaftanien aus dem Feuer holen werde, bedauert und ihm bei einer Zufammenfunft im Mai von perfönliher Teilnahme am Feldzuge abgeraten haben.!) An der Spite der Bewegung, die darauf abzielte, das herrjchende Syftem zu ſtürzen und wo möglich die Teilnahme Preußens am Kriege zu hintertreiben, jtand der ehemalige Erzieher des Kronprinzen, der Eljäfler Franz Yeuchjenring, ein rühriges Mit- glied des Illuminatenordens, der jchon früher gegen den Aryptofatholizismus der Nojenkreuzer eine heftige Fehde geführt hatte; jet war er als Verehrer der Isnard und Vergniaud eifrig bemüht, die Afolyten der Revolution in Berlin um ſich zu jammeln, um den reaftionären Einfluß der Biichoffswerder und Buch— holz zu ſchwächen. Kurz vor der Abreife des Königs zur Zuſammenkunft mit dem Kaiſer fam es zu einer Kataftrophe; die Berichte des Herrn v. Poſch bieten darüber zuverläjfige Aufklärung. Am 25. Mai wurde Leuchjenring plöglich verhaftet; bei der Hausdurchſuchung fand ſich eine Korreipondenz mit Garran de Coulon und anderen Mitgliedern des Jakobinerklubs. Zugleich taudte das Gerücht auf, daß eine größere Anzahl Herren und insbejondere Damen aus den höchſten Ständen in den bedenfltchen Handel verflochten jeien; anfänglid) war die Meinung verbreitet, es jei beabiichtigt gewejen, in Berlin eine Revolution hervorzurufen; die Unterfuhung ließ jedoch erkennen, daß die Ver: jhwörung nicht gegen den Monarden, jondern nur gegen deſſen Günftlinge und Ratgeber gerichtet war. Gleichzeitig mit Leuchjenring war Fräulein v. Biele: feld, Gouvernante der Prinzeflin Augufte, verhaftet worden; beide wurden über die Grenze gebradt und reichten fich bald darauf in Paris „vor dem Altar der Sjreiheit” die Hände. Noch größeres Aufjehen erregte es, daß eine von den Gunftdamen des Königs, die junge Gräfin Dönhoff, der jogar von ihrer Rivalin, Madame Niet, „der Geiſt einer Britin oder Römerin” nachgerühmt wird,?’) nad einem leidenſchaftlichen Auftritt in Potsdam plöglih nah der Schweiz abreifte, wie e& bei Hofe hieß, „für immer”.’) Sie hatte vom König die Begnadigung Leuchſenrings erbeten, da derjelbe nichts anderes geplant habe, als den Mon: arhen „mit gefünderen Grundjäßen jowohl in der Politif, als in der Moral zu befreunden“; der König erblidte aber in diefer Bevormundbung eine Anmaßung und in der geheimen Verbindung mit Paris eine Gefahr und blieb unter dem Einfluß der Freundin Biichoffswerders, Madame Riek, unerbittlih.‘) Im Streit der beiden Gunfidamen trat der ganz Europa in zwei feindliche Lager trennende Gegenjag zu Tage. Immerhin ließ fih, wie Poſch an jeinen Hof berichtete, erkennen, daß die Vorftelungen der Dönhoff auf den König nicht ohne Einflup

) Bair. St.:Ardiv. Berichte v. Poſchs vom 8. und 26. Mai 1792.

| Apologie der Gräfin Lichtenau, ], 29.

) „Die Dönhoff ift plötzlich abgereift und man jagt, für immer.“ (Neunundjechzig Jahre am preußiſchen Hofe. Aus den Erinnerungen ber Oberhofmeifterin Sophie Marie Gräfin v. Voß, 188.)

+ Ebenba, 139.

Der Krieg und das Deutſche Neid. 537

geblieben waren. „Da man fi jedoch in den franzöfiichen Handel fchon zu tief eingelafjien hat und alle Perjonen in der nächiten Umgebung bes Königs ein Intereſſe daran haben, feine anderen Gedanken bei ihm auffommen zu laſſen, jo wird es weder im politiichen Syſtem, noch im Privatleben, no in der Um: gebung des Königs eine Aenderung geben.”!) „Obwohl gerade der König von Preußen von allen Fürſten die triftigiten Gründe hätte, die Einmiſchung in die jranzöfiihen Angelegenheiten als eine ihm fremde Angelegenheit zu betrachten, als Regent eines wohlgeorbneten Staates, in dem ganz gewiß feine Revolu: tion ausbrechen wird, obwohl gerade er aus der Revolution in frankreich den größten Vorteil ziehen könnte, ftellt er fich jogar gewiflermaßen an bie Spike eines Unternehmens, zu dem ihm jeine augenblidliche Verbindung mit dem Haufe Deiterreih eine Art Verpflichtung auferlegen mag, von dem ihn aber die heiligjten Intereſſen des eigenen Staates zurüdhalten ſollten.“,) Sicherlich hoffe er, einer fetten Beute teilhaftig zu werden; der Kaiſer werde wohl das Elſaß oder die franzöfiichen Niederlande zum Erſatz der Kriegsfoften für ſich behalten und dafür einige Balatinate von Galizien an Polen abgeben, damit dieſes Neid die Städte Thorn und Danzig an Preußen überlafle. Es komme aljo auf eine Wieder: aufwärmung des Hergbergichen Planes heraus, wobei es jehr zweifelhaft jei, ob der Gewinn dem hohen Einſatz entiprehe, und ob nicht aus dem überflüffigen Maffengang der deutihen Mächte den einzigen wirklichen orteil die Kaiferin an der Newa ziehen werde.

Schon dieje Beurteilung der Lage durch den bairiihen Diplomaten läßt un: gefähr darauf jchliegen, wie darüber am Münchener Hofe gedacht wurde. Bon den ehemaligen Genoſſen des aufgehobenen Illuminatenbundes waren viele, wie jpäter zu Tage trat, Freunde der Revolution und der Franzoſen, aber fie durften nicht wagen, ihr Wohlwollen öffentlich zu befunden; die furfürftlihe Negierung war jogar bejonders ängitlich bemüht, die Unterthanen vor Anſteckung durch jafobinifche Ideen zu bewahren; nirgends wurde die Zenjur jo unerbittli gehandhabt, die Abfchliefung gegen Franfreih jo ftreng durdzuführen gejucht, als in Pfalz: Baiern. In Münchener Regierungskreifen wurde die Entwidelung der Dinge in Paris weit entjchiedener verurteilt, als in Wien. Am 26. Februar 1702 fchrieb der furfürftliche Minifter Graf Vieregg an den bairiihen Gejandten in London, Grafen v. Haslang, es jei ganz unglaublih, daß Frankreich jelbft den Krieg erklären werde, denn es habe genug damit zu thun, jeine Verfajlung auch nur einigermaßen zu befeftigen und feine Finanzen zu ordnen. „Diejes Chaos wird die Nationalverfammlung freilich noch lange nicht entwirren können, wenn fie fortfährt, fih mit Dingen zu bejchäftigen, die nur als Albernheiten oder Schweinereien zu bezeichnen find und die Herren Abgeordneten nur lächerlich machen.” ’) Als jedoch ernitere Kriegsgefahr auftauchte, regte fich die Furt vor einem jähen Ueber— fall der rheinifhen Pfalz dur plünderungsluftige Sansculotten; nah dem

!, Bair. St.Archiv. Bericht v. Poſchs vom 23. Juni 1792.

2) Ebenda. Bericht v. Poſchs vom 10. Juli 1792.

’) Bair. St.:Archiv. Politiſche Korreſpondenz des furbair. Gefandten Sigmund Grafen v. Hadlang mit dem Konferenzminifter Grafen v. Vieregg 1790—1795. Erlaß Viereggs vom 26. Febr. 1792.

538 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

Sprihwort: „Mit den Wölfen muß man heulen!“ juchte die kurfürſtliche Re: gierung freundichaftlice Annäherung an den furdtbaren Nachbarn. Aus den bandichriftlihen Denfwürdigfeiten des Hoffriegsrats Felix Lipowsky wiſſen wir, auf welch merkwürdige Weife Kurfürft Karl Theodor das nah dem Ableben Zeopolds II. übernommene Reichsvifariat inaugurierte. Am 14. März 1792 wurde Lipowsky in aller Stille nah Landau abgeorbnnet, um dem franzöfiichen Kommandanten Kellermann die Berfiherung zu überbringen, daß der Stellvertreter des Kaijers fi ein Vergnügen daraus machen werde, mit Frankreich „freund: nachbarliches“ Einverftändnis zu beobachten, dafür aber aud des Wohlwollens der franzöfifhen Regierung fich verfehe.‘) Die mißliche Lage zwiichen den frieg- führenden großen Mächten ließ der pfalzbairischen Regierung geraten erjcheinen, neutral zu bleiben, allein weder die Nachbarn zur Linken noch zur Rechten wollten jolhe Unthätigfeit dulden. Während Delterreih und Preußen auf jchleunige Aſſoziation aller vorderen Neichskreije drangen, verlangte Dumouriez in drohendem Tone eine beitimmte Erklärung, ob ber Kurfürft dem Bunde der Feinde Frank: reichs beizutreten gedenfe oder nit. Karl Theodor juchte nad beiden Seiten die ungeftümen Bewerber zu bejchwichtigen. Er wille ſich gegenüber Frankreich frei von feindjeligen Gedanken, ließ er Dumouriez erwidern, nur ein Angriff auf Neichsgebiet würde ihn zwingen, feinen reichsſtändiſchen Verpflichtungen nad): zufommen.?) In Regensburg aber legte er (6. Mai) in einer von patriotifchen Verfiherungen überfließenden Erklärung gegen die Rüftungen der weitlichen Reichskreiſe Verwahrung ein; da fie ihrer Lage wegen in jedem Augenblide der Verheerung durch zügelloje Feinde preisgegeben wären, könne ihnen thätige Teil: nahme am Krieg nicht zugemutet werben. Melden Unmut dieſe ſchwächliche Politik Pfalzbaierns in Wien und Berlin wachrief, bemweilt der jchroffe Ton der am .12. Mai abgegebenen Erklärung. Die beiden Mächte jeien zum Schuß der Reihsftände aller Kreife gern bereit, dagegen werde auch auf Bereitwillig- feit der Stände zur Unterftügung der friegeriihen Maßnahmen gerechnet: auf welche Weife, da& könne den einzelnen nad ihren Kräften und befjerer Kon: venienz überlafjen bleiben; falls jedoch die feindjelige Meinung ſich feitiegen jollte, daß der bevorjtehende Krieg nicht das Reich, jondern lediglich das Haus Defterreih angehe, würden es die Reichsſtände fich ſelbſt zuguichreiben haben, wenn die zwei Mächte nur auf Berteidigung der eigenen Provinzen ſich be: ſchränkten.“)

Der Werberuf fand in Regensburg nur laue Aufnahme Manche Reichs: ftände blidten ohnehin mit Mißtrauen auf das „herzliche Einvernehmen” ber beiden Großmädte. Die furfürftlihen Gejandten waren verftimmt über eine

) Hanbichriftliche Autobiographie Felix Lipowskys im Befik des hiftorifhen Vereins von Oberbaiern. (Ein Auszug, der die Epifode von 1792 enthält, im oberbair. Archiv, XII, 84.)

) Däuffer, 1, 316.

’) Sind die Stände des Deutſchen Neichd verbunden, an dem gegenwärtigen Kriege Aranfreihs gegen den König von Ungarn und Böhmen teilzunehmen? Erörtert aus Gelegen: heit der mündlichen Erklärung der Tönigl. preub. und königl. ungar. und böhm. Herrn Minifter am Reihstag vom 12. Mai 1792, von F. J. v. Yinden, kurfürftl. mainz. wirkl. Sof: und Regierungsrat, 7, 9.

Der Krieg und das Deutſche Neid). 539

Aeußerung des faiferlihen Geſandten, fein Gebieter werde fich eine drückende Wahlkapitulation nicht aufdrängen laſſen, jondern lieber von jeder Bewerbung abjehen. „Heißt das nicht, uns die Piftole auf die Bruſt ſetzen? Iſt das mit der gejeglihen Wahlfreiheit vereinbar?” Von mehreren im Elſaß begüterten Fürſten wurde beflagt, daß das Neich gerade in dem Augenblid in Krieg ver: widelt werde, da Frankreich zur Entihädigung ihrer Nechte fidh veritehen wolle. Als Jacobi von diefen und ähnlichen Aeußerungen aus Neichstagsfreifen Mit: teilung machte, erwiderte Spielmann: „Was liegt daran? Wenn Preußen auf unferer Seite jteht, brauchen wir uns um die anderen nicht zu kümmern!” Allein aucd der Faijerliche Miniiter geriet in hellen Zorn, als die pfalzbairische Regierung Miene madte, die Erlaubnis zum Durchmarſch öfterreihiicher Truppen zu verjagen. „So unpatriotiihes Gebaren,” rief Spielmann, „darf nicht ge: duldet werden! Mit den verftedten Bundesgenofien Frankreichs werden wir wenig Federleſens machen!” In Berlin wurde dieſe Auffaffung geteilt. „Mit Redt ift der Wiener Hof über das Verhalten Baierns entrüftet,” jchrieb das preußiiche Minifterium am 14. Mai an Jacobi, „man braucht zwar nicht jo: gleih an ſchlechten Willen des Kurfüriten zu glauben, aber jevenfalls liegt der Verdacht nahe, daß der Kurfürit von der Pfalz die nämliche Politik einjchlagen will, wie der Herzog von Württemberg. Wenn alfo dieſe Fürften nicht dur Mäßigung und Ueberredung zu patriotiicher Haltung zu bewegen find, jo fann ich nichts Befremdendes darin erbliden, daß der von Baron Spielmann gezeigte Weg eingeichlagen werde, natürlich nicht ohne Beachtung der Rüdfichten, welche die Natur der Umſtände gebieten wird.”

Jedoch in Defterreih jelbit war der Krieg nichts weniger als populär. Das Wiener Publiftum war, wie Jakobi am 2. Mai berichtete, höchſt unzu— frieden mit der friegeriiden Wendung; man fonnte die merkwürbdigiten Aeuße— rungen hören; insbejondere wurde eine hohe Kriegsfteuer befürdtet. Zwar ließ König Franz eine Erklärung veröffentlihen, durch die Ruſtungen werde feine neue Auflage notwendig werben, da die Koften ausichließlih auf Rechnung ber faijerlichen Domänen und des Familienjhages übernommen werden jollten; doch es gelang nicht, alle Bejorgnifie zu zeritreuen. „Der Schag wird höchſtens acht Millionen Gulden enthalten; wenn diefe Summe ausgegeben it, muß doch das Volk zu neuen Laſten herangezogen werden.” Es mußte einen entmutigenden Eindrud machen, daß die böchiten militäriihen Würdenträger, Feldmarihall Lascy und Hoffriegsratspräfident Wallis, noh immer für Vermeidung oder doch Auffhub des Krieges fi ausipraden, daß in den Niederlanden die Dejertionen fih häuften, daß insbefondere die ungariihen Truppen ſich als unzuverläffig ermiefen.

Veberaus bezeihnend für die Stimmung in den Hauptitädten der verbün: deten Reiche find eine von Jacobi berichtete Aeußerung Cobenzls und die Er: widerung des preußiichen Minifteriums. Die Wiener, jagte der Vizekanzler, fönnen ſich mit dem Krieg nicht befreunden, weil fie glauben, daß unfere Re: gierung bei alledem nur von euch Preußen genarrt und geprellt wird! „Darauf gibt es eine recht einfache Antwort,” entgegnete das preußiiche Minifterium, „Sie brauden nur zu jagen: nicht anders denkt und ſpricht das Berliner Publikum !

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Ueberall fann man hören: ‚Defterreih will uns Preußen nur für jeine Haus: interefjen ausnugen!‘ Sicherlid legt aber Seine Apoſtoliſche Majeftät auf jolche politiihe Kannegießerei ebenfowenig Gewicht, wie ih, und läßt meiner aufrich— tigen Gefinnung ebenjo Gerechtigkeit widerfahren, wie ih an Seiner Loyalität nicht einen Augenblid gezweifelt habe!“ ')

Nicht lebhafter war die Kriegsluft in den übrigen deutihen Staaten. jedenfalls die große Mehrheit des deutjchen Volkes verhielt fih gegenüber dem Kampfe zwiſchen Legitimität und Revolution völlig teilnahmslos. „Es ift ein Ereignis,” jchrieb der Herausgeber der Wiener Zeitichrift, Profeffor Hoffmann, im Frühjahr 1792, „das unferen Nachkommen noch fehr reihen Stoff zu den be: denklichiten Urteilen und Bemerkungen geben wird, daß bei der bermaligen politiſchen Krifis, da die zwei mädtigften Neichsfürften zunächſt zur Beſchützung des deutſchen Baterlands gegen eine mächtige Räuberrotte zu Felde ziehen und aljo das Änterefje nicht nur des Deutfchen Reichs, fondern aller Monarchen und aller dermalen bejtehenden Staatsverfaflungen in Europa zu verteidigen bemüht find, daß, jag’ ich, bei diefer vor jedermanns Augen daliegenden, offenbaren und jchredlihen Lage der Dinge überall und ganz vorzüglid in einem großen Teile Deutjchlands eine ſolche politifche Kälte herrſcht, als wenn nur eben davon die Rede wäre, einige franzöfiiche Städte zu erobern und einige Millionen Pfund unnüges Pulver zu verſchießen!“?)

Das preußifche Kabinett war geneigt, die laue und lahme Stimmung im Neihe auf Rechnung der revolutionären Propaganda zu jegen. „Teils find es Spießgejellen und Freunde der jranzöfiihen Demokraten, die dur ihre Auf: hetzung Dies erreicht haben, teils find es Leute, die nah den Wünjchen des britifchen Hofes und der polniſchen Verfaſſungspartei den Ausbruch eines Krieges im füdlihen Europa um jeden Preis verhindern wollen.” °)

Am allgemeinen waren ja die Sympathien für die Revolution in den deutichen Volkskreiſen gejunfen. Die Ajlignatenfabrifation Claviers, die Poſſen Anacharſis Cloots', die Strafenräuberei Henriots, die ſyſtematiſche Hetze gegen Thron und Altar hatten mandhem Bemwunderer der Grundfäge von 1789 Be: denfen eingeflößt. „Wo der Silberton: Freiheit! erflang,” jagt Gent, „horchte jedes menfchlihe Ohr auf, und jedes Herz ward rege.” „Das einzige Wort: Freiheit,” jagt Wieland, „verrichtete gleich dem Kraute Moly, womit Minerva bei Homer den Ulyſſes gegen die Zaubereien der Eirce bewaffnet, die einft all mächtige Wirkung aller Zaubermwörter, die ihre Kraft bloß vom Glauben an fie erhalten hatten!” Auch jetzt nod hatte die Lofung: Freiheit! diefe magijche Gewalt nicht verloren, freilich nur deshalb, weil ihre Unbeftimmtheit der Vor: ftellungsfraft den weiteſten Spielraum ließ. Wie anders äußerte ſich die Freude an der Revolution bei der deutjchen „Lichtpartei”, wie Forfter fie nannte, als im Klub in der Straße Sainte-Honore! Johannes Müler kann als Urbild jener in Deutjchland zahlreihen THeoretifer gelten, die eine Umgeftaltung von

) Preuß. St.:Arhiv. Erlaf des preuß. Minifteriums an Jacobi vom 18. Juni 1792. ) Wiener Zeitjchrift, IV, 146. 2) Preuß. St.: Archiv. Grlaß an Jacobi vom 7. Mai 1792.

Der Krieg und das Deutihe Neid. 541

Staat und Kirche für notwendig anjaben, aber feineswegs jelbitthätig dafür eintreten wollten. Während Müller den Anfängen der Revolution begeifterten Beifall gezollt hatte, jchrieb er in den Tagen der Kriegserflärung an jeinen Bruder, es jei ihm in der legten Zeit ar geworden, daß die Demofratie die unvolllommenite aller Staatsformen jei, wie die Defpotie die gefährlichite. „Mutatis mutandis halte ich die britifche Verfaſſung für die befte, werde aber gewiß nie einen Finger rühren zur Umkehrung irgend einer.” (2. April 1792)') So dadte auch Schlözer; die Auswüchſe der Revolution widerten ihn an, und die zu Grunde liegenden edlen Gedanken hoffte er in Deutichland ohne Gewalt: thaten zum Siege gelangen zu fehen. „Mir fümmt fein Volk in der Welt reifer zur ruhigen Wiedereroberung verlorener Menſchenrechte vor, als das deutliche, und zwar gerade wegen feiner von Unmwifjenden oft verläfterten Staateverfajjung. Langſam wird die Revolution hier freilich geſchehen, aber fie geichieht! Die Auf: flärung fteigt, wie in Franfreih, von unten herauf, aber ftöht auch oben wieder an Aufklärung: wo gibt es mehr kultivierte Souveräne, als in Deutſchland? Diejes Auffteigen läßt fih nicht durch Fünfkreuzermänner und Zwölfpfünder in die Länge hindern!““) Man fieht, Schlözer wünſchte nicht die Ausbreitung der franzöfiihen Revolution auf deutſche Staaten, hielt aber die Bekämpfung mit den Waffen für unnötig und ausfichtslos. Natürlich wurde dieſe Lehre vom geiltigen Nährvater des lluminatenordens, Freiherrn v. Knigge, noch eindring- liher gepredigt. Inter dem Pjeudonym Joſeph v. Wurmbrand veröffentlichte er bei Ausbruch des Kriegs ein „Politifches Glaubensbefenntnis” zur Recht: fertigung der Gegner der preußifch:öfterreihiihen Negierungspolitit und zur Warnung vor einem leichtfertigen Waffengang. Warum jollte denn Deutſchland mit Franfreich Krieg anfangen? „Um einer Nation die Befugnis ftreitig zu machen, ihre Regierungsform mit unbezweifelter Einjtimmung des Königs zu verändern? um eine Konftitution über den Haufen zu werfen, die Vernunft, Recht, Treue und Glauben und Frieden mit den Nachbarn zu Grundpfeilern hat?” Bon den Auswüchſen der freiheitlihen Bewegung in Frankreich werde zu viel Aufhebens gemadt. Es jei ohne Zweifel eine völlig gleihgültige Sache, ob Gibraltar den Spaniern oder den Engländern gehöre, und doch habe der Kampf um diejen Felſen im Dcean mehr Menſchen das Leben gefoftet, als der ganze Streit um Freiheit und Gefet in Franfreid. Wenn ein braver Landesvater Taufende jeiner Kinder, d. h. feiner Unterthanen, ftüdweije.verhandle, um fie irgendwo fern vom Baterland totſchießen zu laſſen, da erhebe fich fein Yaut der Ent: rüjtung, da fordere feine Stimme zur Abwehr auf, aber wenn einmal bei politifhen Unruhen der Pöbel unter zehn Scelmen ausnahmsmeije ein paar ehrliche Leute hänge, da werde ein Lärm gemadt, als ob niemand mehr jeines Lebens ficher wäre. Auch jei der Krieg mit dem Nachbarjtaat nicht bloß unge: recht, jondern aud; gefährlich. Frankreich jei weit bejjer gerüftet, als von den Ariftofraten vorgeipiegelt werde, und wenn zur Zeit noch innerer Zwiſt die ‚Fran: ofen jpalte, ein Angriff von außen werde fie alle einig und unüberwindlich

1) Joh. Müller, Geſ. Werke, 31. Bb., 36. *) Schlöger, Staatsanzeigen, 16. Bb., 96.

343 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt.

maden!!) Auc der kurmainziſche Bibliothefar Georg Foriter brandmarkte den Krieg als abjurd, da er weder für Frankreich noch für Deutichland Heil ſchaffen werde, und als gefährlich, da fich die großen Mächte nunmehr gewöhnen würden, gegen die ſchwächeren Fürſten die allmächtigen Gebieter zu jpielen, und Wind und Wetter nah ihrem Belieben zu mahen. Die Wirkung auf Aranfreih wird aud von Forfter richtig vorausgejehen. „In Frankreich,“ jchreibt er am 26. Mai 1702 an Heyne, „wird jest erit die Revolution, aber freilich eine blutige, angeben. Für das Yeben der fönigliden Familie gebe ich feinen Groichen. Die Wut der Jakobiner it zu allem fähig, und fie trogen auf ihre Macht; wenn die Krifis aufs höchſte gefommen it, werden fie gewiß hervortreten; Konjtitution und fonftituierte Mächte find ihnen dann nichts mehr!” „Der Krieg kann viele Jahre dauern und ſich zulegt in einen Krieg zwiichen Preußen und Defterreih auflöſen!““) Mit jolden Anfichten ſtand Forjter in den Rheinlanden nicht allein. Graf Klemens Metternich, der 1792 an der furfürftlihen Hochſchule zu Mainz ſtudierte, erzählt in jeiner Autobiographie, Forſter habe jhon damals eine zahlreiche revolutionäre Gemeinde um ſich gefammelt; ebenjo jei von Hofmann und anderen Mainzer Profejloren ſogar in den Hörjälen die frohe Lehre der Emanzipation der Menfchheit verfündigt worden.”) Das Straßburger politifche journal war ein Hauptorgan der Anhänger des „neuen fränkiſchen Rechts” in Deutihland. In dieſer Zeitſchrift, die fich jelbft als Antipoven des byzantinischen Hamburger Journals bezeichnete, wurde heitige Klage geführt über die Rüdwärtsbewegung der beutichen Höfe, über den Afterhof in Koblenz, der neben des Kaijers Majejtät als zweiter Ge: bieter in Deutſchland ſich aufipielen wollte, über den Brud der Verträge mit dem jchuldlofen Frankreich und die Verlegung des Völferrehts, das jede Ein— miſchung eines Staates in die inneren Angelegenheiten eines anderen verwerfe.*i Zahlreiche aufrühreriihe lugichriften wurden in Deutichland gewiß nicht ohne Mitwirkung der franzöfiichen Machthaber verbreitet. Dahin gehört 3. B. die von Bublicola Chaufjard verfaßte Schmähſchrift „De l’Allemagne et de la maison d’Autriche*, ein Mahnruf an die Deutichen, fih endlich der habsburgi— jhen Tyrannei zu entziehen. „Sollten nicht die Intereſſen von zwanzig Mil: lionen Menſchen teurer fein, als die von acht Individuen?” ’) Nur um die eigene Macht zu ftügen, werde von den Habsburgern der „gotiſche Blödfinn ver goldenen Bulle” als unantaftbares Heiligtum aufrecht erhalten, nur deshalb der Dejpotismus von jo und jo viel hundert Fürften und Fürftlein geduldet und aefördert. Pflicht aller Tugendhaften jei es, mit diefem Bann endlich einmal zu breden. „Jene Fürften und Fürftenfnecdhte haben für fih die Grundjäge der Nero, Caligula, Heliogabal und aller Vertreter und Anwälte der Tyrannei, wir haben für uns die Grundjäge der Marc Aurel, Sofrates, Cicero, Mably,

Joſeph v. Wurmbrand, Politifhes Glaubenäbelenntnis, 70, SL, 85.

G. Forſters Schriften, 8. Bo., 190, 192.

’) Aus Metternichs nachgelaflenen Papieren, herausg. v. Rich. Fürften Metternich, I, 14.

+ Straßb. polit. Journ, ‚bag. 1792, I, 407.

>) De l’Allemagne et de la maison d’Autriche par Publicola-Chaussard, citoyen Francais, 140.

Der Krieg und das Deutiche Neid). 543

Roufjeau, St. Pierre und aller derjenigen, deren Namen die Menjchheit mit Entzüden ausſpricht!“ Kine in Berlin gedrudte Schrift „Vertraute Briefe über Franfreih” ſucht den bisherigen Verlauf der franzöfiihen Revolution zu erflären und zu rechtfertigen. Nur von „falten, flach räjfonnierenden Köpfen in ihren engen Stubierzimmern” könne die Forderung aufgeftellt werden, daß Revolu: tionen fih in Ruhe und Ordnung vollziehen follten. Immerhin jei erftaunlich, wie wenig Blut die Ummälzung in Frankreich bisher gefoitet Habe, wenn man in Anjchlag bringe, wie von den Königen das quite Volt an Blutvergießen ge: wöhnt worden jei.!) Ein anderer Xibelliit verjpottet angeblich vom patriotifchen Standpunkte das Reichsheer, das fih im fommenden Kriege nur Schläge holen werde; mit Fug und Recht habe ja jchon Mofer gefordert, man möge Reichs: friege auf ewige Zeiten verbieten, „da noch alle mit Verluft von Neichslanden, niemals aber mit einigem Vorteil des Reichs geendigt haben.”*) Ein Aufruf „an das teutiche Militär” warnt die Soldaten, auf ihre freien Mitbürger und deren Freunde, die Söhne Franfreihs, zu ſchießen. Weshalb ſoll den Fürften blindlings gehorcht werben, die wie die Schwarzen Könige in Afrika ihre Unter: thanen als Sklaven verfaufen, ihre Länder abjchliegen, damit nicht auch andere Deutjche dort Handel treiben können, oder die Ausfuhr des Leberfluffes ihrer Länder verbieten, damit die Nachbarn verhungern oder doch unter Teuerung ſchwer zu leiden haben, die fich nicht ſchämen, Kaffeeſchnüffler aufzuitellen, Pfaffen zu Miniftern maden und ganze Schwärme von Müßiggängern an ihren Höfen in Futter nehmen?“) Verſchämter wendet ſich Gotthold Stäubdlin, ſeit Schubarts Tod Herausgeber der „Vaterländijchen Chronik”, gegen die „Unterdrüder des neuen Heils.” Noch in legter Stunde will er vor dem Krieg mit Franfreid) warnen. „Die Deutſchen hätten gegen eine Nation zu fämpfen, welde die Feſſeln des Deipotismus mit zürnendem Ungeftüm gebrochen hat, welche nichts mehr zu verlieren hat, und deren Loſung ilt: Yaßt uns die Freiheit unferer Enfel mit unjerem Leben erkaufen!“) Ein vermutlih von Stäudlin verfahtes Gediht „Fragment an Gallien” ermahnt Gallia, die Mutter der Freiheit, mutig auszuharren im Kampfe mit Auftraciens friegbemwährten Söhnen und den von Friedrichs Geift bejeelten, blauen Scharen Boruffiens:

. . Der Mut mit der Kriegskunſt im Bunde, Er beginnt mit den funitlofen Söhnen der heiligen Freiheit Den herkulifhen Streit vorm Auge der ftaunenden Völker! Zag', o Gallia, nicht und gürte die Lenden! Es wachſe Mit den Gefahren den Mut und hebe dich über dich felber! Zeige die Wunder der Welt, die im Schlachtaefilde des Himmels Sohn, der Enthufiasmus, gebiert! Mit ehrender Kühnheit Kämpf' auch da, wo für dic des Sieges Lorbeern nicht blühen!” *) ') Bertraute Briefe über Frankreich, I, 434. Ueber Reichskriegsheer und Neihäfriege, Seufzer und Wünſche, der hohen Reichs— generalität gewibmet, 7. *) Keferat im Strabb. polit, Journal, Ihgg. 1792, 1, 339. ) Baterl. Chronit, Ihgg. 1792, 267. 5, Ebenda, 405.

544 Zweites Bud. Bierter Abichnitt.

Zornig wandte fih auch Klopftod gegen die „Wilden“, die „+. das gepeinigte Volt, das, Selbiterretter, der Freiheit Gipfel eritieg, von der furchtbaren Höh', Feuer und Schwert in der Hand, herunter jtürzen, es zwingen, Wilden von neuem dienjtbar zu feyn“ .. .')

Ya, der Barde jandte diefe Dde jogar an den Herzog von Braunſchweig mit dringliger Warnung, der edle Fürft möge Tich doch nicht verleiten laffen, in einem „ungerechten und zu kühnen Kriege” den Oberbefehl zu übernehmen. -Als bald darauf die Nationalverfammlung dem deutichen Dichter, der das Vernunft: recht über das Schwertredht hebe, das franzöfiiche Bürgerrecht verlieh, dankte er dem Minifter Roland - mit ſchwungvollen Worten für eine Auszeichnung, die er nicht hoch genug anſchlagen fönne.

Solche Kundgebungen des „Weltbürgertums” und „Freiheitsſinnes“ riefen aber aud andere Stimmen wach, weldhe den revolutionslüfternen Yandsleuten das Wort „Baterland” entgegenhielten. „Die Anhänger der Revolution” jo fennzeichnet Wieland diefen Gegenfag „führen die Menfchheit, die Gegner das Vaterland im Munde.) Wenn auch vor Ueberſchätzung der Thatjadhe ge: warnt werden muß, bleibt immerhin beachtenswert, daß ein deuticher Patrio— tismus angerufen wurde. Die Entrüftung über die „undeutſchen“ Marktſchreier der franzöfifhen Propaganda bemog den Gothailhen Schriftiteller Heinrich Reihard zur Abfafjung des „Aufrufs eines Deutichen an jeine Landsleute am Rhein.” „Warum folten wir nicht deutjchvaterländiih und deutſchpatriotiſch handeln? Warum follten wir uns nicht dem wilden Strome entgegenftemmen, der die Berfafjung unferes Baterlands und mit ihr unſer häusliches und öffent: liches Wohl zu unterwühlen droht?““) Mit deutiher Gründlichfeit unterſucht ein Juriſt die Behauptung der Girondilten, den fremden Staaten jtehe fein Recht zur Belämpfung der Nevolution zu; er fommt zum Schluffe, den Deutſchen jtehe ein Recht der Notwehr zur Seite, denn die revolutionäre Propaganda be: abfichtige zweifellos rechtswidrigen Angriff auf die Verfaſſungen des Neichs, wie der einzelnen Staaten; deshalb ſei dankbar zu preijen die denfwürdige Erſchei— nung, daß die gemeinfame Gefahr die feindlichen deutſchen Brüder geeinigt habe.*) Auch in der Wiener Zeitfehrift wird Verwahrung eingelegt gegen den in manden fleinlauten Betrachtungen der gegenwärtigen Lage zu Tage tretenden Mangel an vaterländifchem Gemeinfinn; der deutihe Mut jei noch nicht ausgeitorben, der Deutjche werde auch heute noch leiften, was er unter den Fahnen des Prinzen Eugen bei Höchftädt, Turin, Malplaquet geleiftet habe.) Ja, der Wiener Schrift: jteller gebt noch weiter. In einem Wort der „Beherzigung, ſonderlich an die Fürſten“ fchmält er auf die „Jogenannten Schöngeifter und Flugblätterſchreiber“, die

Klopſtocks Werke (1854), IV, 328.

) Der neue teutiche Merkur, Ihgg. 1793, I, 7.

2) 9.4. O. Reichard, Aufruf eined Deutichen an feine Landsleute am Rhein, ſonderlich an den Nähr: und MWehrftand (1792).

4 Die Nechte fremder Nazionen bey der neuen franzöfiihen Staatöveränderung (1792).

») Wiener Beitichr., Ihgg. 1792, I, 79.

Der Wahltag in Frankfurt. 545

einen künſtlichen Unterſchied zwiſchen Franken und Franzoſen fonitruieren wollen, und führt fort: „Wollen fie durch die neumodiihe Benennung Franken und Franfreiher abgewöhnen, an Roßbach und Nationalveradtung zu denken?“ ') Der einfeitigite Vertreter eines ſpezifiſchen Deiterreichertums erinnert an den Tag von Roßbach, an eine Ruhmesthat preußiicher Warten, an die ſchimpflichſte Nieder: lage der mit Defterreih verbündeten Franzoſen!

Ein eigentümlihes, auf den eriten Blick erfreuliches Gepräge trägt auch die Kaiſerwahl im Sommer 1702, die legte vor dem Zuſammenſturz der alten Reihsverfaffung. Auch bier treten Züge einer Eintradt und Einmütigfeit zu Tage, deren die deutiche Verfaſſungsgeſchichte ſeit Erlaß der goldenen Bulle nur wenige aufzumweiien bat. Die Seltenheit der Ericheinung wurde ſchon von Zeit: genofien bervorgehoben. „Das Merfwürdigite bey diefem ganzen Wahlfonvente,“ heißt es in einer ftaatsrechtlihen Erörterung der Wahl von 1792, „it die Har: monie jämtliher Kurböfe, die Wiederbejegung des kaiſerlichen Tbrones auf alle mögliche Weife zu beichleunigen.“ ?)

Durh das Ableben Leopolds II. am 1. März 1792 hatte das Neich fein Oberhaupt verloren. Nah dem Eintreffen der Todesnahricht in Regensburg traten die Kurfürften von Pfalz Baiern und Sachſen das Vikariat an; von Kurmainz wurden die herkömmlichen Anordnungen für die neue Wahl erlafjen.

Da jedoch die politiihe Lage ſchon jo getrübt war, daß jeder Tag eine Kriegserflärung von franzöſiſcher oder öfterreichifcher Seite bringen konnte, tauchte in Reichstagsfreifen der Gedanfe auf, ob ſich nicht im Intereſſe möglichiter Be: ichleunigung der Wiederbejetung des Thrones empfehlen möchte, ausnahmsweife Wahl und Krönung in Regensburg, wo ohnehin ſchon jeder Kurfürft einen Ge: fandten habe, vorzunehmen.

Der Kurfürft von Mainz teilte den Vorſchlag dem König von Preußen mit (15. März), erklärte jedoch, er könne mit Nüdficht auf die Beltimmungen der goldenen Bulle nicht feine Zuftimmung geben; dagegen ſei auch feine Mei: nung, dab Wahl und Krönung, wenn aud an vorgejchriebener Stätte, möglichft raſch und einfah in Scene geſetzt werden jollten, die Wahlfapitulation Leo: polds II. brauche nicht ſchon wieder abgeändert und bie Krönung könne viel: leicht auf eine ruhigere Zeit verfhoben werden.’) In Berlin wurde der Plan, die Wahl in Regensburg vorzunehmen, anfänglid mit Beifall aufgenommen, bald aber wieder aufgegeben, da befürdtet wurde, daß die Erörterung über die Zuläfjigfeit einer Nbweihung von den Beftimmungen der goldenen Bulle mehr Zeit koſten fönnte, als die Beobachtung aller herfömmlichen Förmlichkeiten.) Cs wurde aljo dem Erzfanzler erwidert, der König jei mit allen Vorſchlägen ein: verſtanden, außer mit dem Aufſchub der Krönung, da eine zeitlihe Trennung von Wahl und Krönung die Verdoppelung der Koften bedingen würde. Auch

) Wiener Zeitſchr., I, 311. ?) Brotofoll des Furfürftlichen Wahllonvents zu Frankfurt 1702, Einleitung, ©. VII. 2) Preuß. St.Archiv. Acta de 1792, betreffend die Wahl Franz II. Schreiben bes Kurfürjten von Mainz an den König von Preufen vom 15. Mürz 1792. * Bair. St.Archiv. Politiſche Korreſpondenz zwifchen Minifter Graf Bieregg und dem Gefandten in Berlin, v. Poſch. Berichte v. Poſchs vom 10. und 24. März 1792. Deigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Br. bis zur Auflöjung des deutſchen Reis. L. 35

546 Zweites Bud. Vierter Abichnitt.

den Höfen von Dresden und Hannover wurde hiervon Kenntnis gegeben; das war aber auch die einzige Erinnerung an den Fürftenbund, von der Aufitellung eines eigenen Kandidaten war gar nicht die Rede.

Auch König Franz hielt möglichite Abkürzung des Zwiſchenreiches für ge boten, weil die vielfach beitrittene Autorität der Reichsvikare „bei den jegigen fritifchen Umpftänden” der einreißenden Unordnung nicht kräftig genug zu fteuern vermöge. Wenn ihn die Kurfürften ihres Vertrauens würdigen wollten, ftelle er gerührten Herzens jeine ſchwache Kraft zur Berfünung. Freilich wäre es wünfchenswert, daß dem Kaiſer mehr Freiheit eingeräumt werden mödte, Gutes zu wirken, allein da er einfehe, daß Abänderungen der Kapitulation nur mit erheblihem Zeitverluft durchzuführen feien, ja jogar die „jo höchſt nötige enge Vereinigung der Gemüter” dadurch geitört werden fönnte, wolle er ohne weiteres die Kapitulation jeines Vaters anerkennen. Auch andere, für die Be: ichleunigung und Bereinfahung der Wahl dienfame Modalitäten wolle er ſich gern gefallen laſſen, bloß das Wejentlihe möge beibehalten, alles überflüffige Gepränge vermieden werden. Was den Wahlort betreife, jo habe man fih am Neihstage ohne Anregung von feiten des Wiener Hofes mit dem Plane be: Ichäftigt, den Wahlfonvent nah Regensburg zu berufen; eine ſolche Neuerung habe aber viele Bedenken gegen fih; eher könnte, um dem hochbetagten Kurfürften von Mainz eine Erleihterung zu ſchaffen, die Refidenz diejes Fürſten zum Wahl: ort auserjehen werden; in einer von einem Landesherrn abhängigen Stadt laſſe fih leichter für gute Polizei forgen, die Lebensmittel ſeien wohlfeiler, als in Frankfurt, auch mangle es nicht an anjehnlichen Gebäuden. jedenfalls empfehle fih möglichite Vereinfahung des Wahlapparats, jhon aus Gründen der Spar: jamfeit, denn der Wiener Hof, dur die legten ſchweren Kriege, die Unruben im Innern des Landes und mancherlei Unglüdsfälle in feinem Haushalt ſchwer geichädigt, ſei nicht im ftande, die für die geiftlihen Herren Kurfürften aus den Frankfurter Feiten erwachſenden Kojten, wie es früher wohl hie und da geidhehen fei, auf fi zu nehmen. „Die Laſten der Wahl und Krönung find ohnehin, wie niemand mißfennet, für den Neuerwählten über alles Verhältnis... Die Vorteile der Kayierfrone nehmen ab und die Laſten zu Unterftügung und bei Empfang diejer Würde find immer die nemlichen.” Trotzdem werde den Aurfürjten von Mainz und Trier wenigitens ein nambafter Beitrag nicht verſagt werden; der Kurfürft von Köln als Oheim Seiner Apoftoliihen Majeftät habe darauf verzichtet.

Auch diefes Memorandum des Wiener Hofes wurde von Friedrih Wilhelm in zuftimmender Weile beantwortet; nur die Verlegung des Mahlfonvents nad Mainz, der Nefidenz eines Kurfürjften, wurde von ihm, jowie aud von den Höfen von Dresden und Hannover beanitandet. Die Aufftelung des Königs von Ungarn als „vorzüglichſten, würdigiten und einzigen Kandidaten” war allen Höfen genehm; Friedrich Wilhelm hatte feinem Bundesgenofien Thon längit feine Stimme zugefihert, da es ihm „hohe Genugthuung gewähre, auf dem Kaiſer— throne den würdigen Erben der Denfart und der Tugenden feines Vaters zu jehen“.') Auch mit Abkürzung des Zwiſchenreichs waren die Wähler einver:

'; Preuß. St.Archiv. Acta, betreffend das Schreiben des Königs von Ungarn, Franz, worin er um die Stimme zur Kaiſerwahl erfuht, 1792. Brief Ariedrid Wilhelms an Franz

Der Wahltag in Frankfurt. 547

itanden, doch wurde von Dresden betont, daß die durch außergewöhnliche Um: ftände veranlafte Bejchleunigung feinen Rechtsnachteil für die Reichsvikare nad fich ziehen dürfe. Für den Fall, daß Kurbaiern die Abkürzung der Mahlzeit ablehnen jollte, wurde in Ausfiht genommen, einen Appel an ben Patrio- tismus Karl Theodors zu richten, er möge nur für diesmal die Beſchränkung des ohnehin mit foviel Unannehmlichkeiten und Koften verbundenen Vikariats zulafien. Doch nicht von Baiern, jondern von Hannover wurden nachträglich Bedenken erhoben, ob es „dienfam“ wäre, die von der goldenen Bulle vorge: fchriebene Dauer des Wahltags einzuſchränken; darauf wurde von brandenburgi: iher Seite erwidert, die goldene Bulle bejtimme nur die Frift, binnen welcher die Wahl unter allen Umständen vorgenommen werden müfje, verwehre aber nicht, fie früher vorzunehmen.!) Nach einigem Hin und Wider gab Hannover jeine Bedenken auf. Dagegen wollte jih Brandenburg nicht verpflichten, ein für allemal von jeder Abänderung der legten Wahlfapitulation abzufehen. Seine Apoftoliiche Majeftät, ſagte Spielmann zu Jacobi, ſei zwar tief gerührt durch das einmütige Vertrauen der Herren Kurfürften, hoffe aber, daß in die Mahl: fapitulation nicht noch mehr gehäjlige Einichränfungen aufgenommen würden, „indem Seine Majeftät fih in ſolchem Fall lieber entjchliegen würden, dieje Ehre zu verbitten”.?) Das Berliner Kabinett fand diefe Zumutung anmaßend; ge

vom 7. April 1792. Die preußiiche Regierung benütte auc die günftige Gelegenheit, um einige alte forderungen zu betreiben. Schon am 8. März erbat Jacobi als Beweis der Dant: barkeit des neuen Neidisoberhaupts: 1. die Erteilung des privilegii de non appellando illimi- tati für das Burggraftum Nürnberg und die Fürftentümer Ansbach und Baireuth, 2. die Be: ftätigung des ſchon im Drespener Traltat von 1745 zugeitandenen, von Karl VII. durch Konvention vom 4. Nov. 1741 eingeräumten Rechts, daß alle vom preußiichen Hofe vor: genommenen Standeserhöhungen von den faiferlihen und Neichsbehörden ald gültig anerkannt werden follten, 3. die gänzliche Aufhebung des Yehensverbandes des Marftiledens Eſchenau mit der Krone Böhmen. Spielmann erflärte darauf, König franz werde gewiß alles thun, um feine danfbare Gefinnung an den Tag zu legen, nur förmliche Verpflichtungen als Entgelt für die brandenburgifche Stimme dürfe er fih nicht auferlegen laſſen. Mit diefer Erflärung be: ruhigten fi) zwar Bifchoffswerder und Jacobi, aber nicht die preußifchen Minifter. „Wir können in dem Hartgefühl des Herrn von Spielmann nur eine übel angebrachte Affektiertheit erbliden. Die Fürften des Haufes Habsburg haben niemals Bedenken getragen, um die Stimmen ber Kurhöfe zu feilihen und bafür förmliche Nerbindlichleiten einzugehen.“ Auf erneute Vor: ftellungen ließ König Franz erwidern, er wolle fid den Wünſchen des Berliner Hofes fügen, fünne aber ald ehrlicher Mann nicht eine fürmliche Zuficherung geben, da er ja noch nicht wiffe, ob und inmwieweit dadurch den Rechten eines Dritten zu nahe getreten wiirde Am 6. Juli wurden die brandenburgifchen Wahlbotichafter angemwieien, nad der Ankunft Sr. Apoftol. Majeftät in Frankfurt die Sache neuerdings zur Sprache zu bringen. Nun wurde von Spielmann die Erklärung abgegeben, das privilegium de non appellando für die hohenzollernfden Lande in Franken werde gern bewilligt; aud bezüglich der Standeserhöhungen in Vreußen werde ber taiferliche Hof feine Schwierigfeiten machen, nur werde fi Preußen zur Bezahlung der Taren an Churmainz verjtehen müſſen; der dritte Punft werde gelegentlich der Krönungsfeier in Brag geregelt werben. (Preuß. St.:Ardhiv. Acta, betreffend die vom König von Ungarn und Böhmen zu bewilligenden drei Punkte zur Erprobung jeiner Erfenntlichleit, 1792.)

’) Bair. St.:Ardiv. Tagebud) der volljogenen Wahl und Krönung Sailer Franz II. Braunſchweigiſches Nundfchreiben vom 13. April 1792. Brandenburgifches Nundfchreiben vom 20. April 1792.

) Ebenda, Bericht Jacobis vom 21. März 1792.

48 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

häſſige Einſchränkungen habe man auch auf dem legten Wahltag nicht auferlegt, fondern ausjchlieflih Bedürfniffen des Reichs oder früheren Erfahrungen Red: nung getragen.

Auch der Vorfhlag Kurböhmens, es möge von jebem Kurhof nur ein Botjchafter mit kleinem Gefolge entjendet und von allen Eoftipieligen Feierlich— feiten Umgang genommen werden, ftieß in Berlin auf Widerftand; man mwollte bier an der von der goldenen Bulle ausbrüdlih geforderten Aufitellung von ntindeitens zwei Wahlgejandten feitgehalten willen. Dagegen wurde den übrigen Anträgen zugeftimmt, und diefer Auffaſſung ſchloſſen fih ſämtliche Kurhöfe an. Kurfahien forderte, es jollten auch feine Damen zum Wahltage mitgebracht werden, dadurch würde die Rückkehr zur erwünfchten Einfachheit weſentlich er: leichtert werden. Brandenburg fand aber den ſächſiſchen Antrag ſchon mit Rücdjiht auf die Königin von Ungarn unannehmbar, und auch die übrigen Höfe ichlofjen fih der Anfiht an, es müſſe den Botichaftern überlaflen bleiben, ob fie ihre Gemahlinnen und weiblihes Gefolge mitnehmen wollten oder nicht.

Ernftere Mißhelligkeiten erhoben fih in Mainz zwiſchen dem furfürftlichen Minifterium und den Vertretern der verbündeten Höfe. Der preußiſche Gejandte Harnier beklagte fih bei feinem Hofe, daß ſeit der Ernennung des Freiherrn von Albini zum Hoffanzler „und befonders feit deffen enger Verbindung mit dem geheimen Staatsrat (Johannes) v. Miller das vorhin beftehende, wirklich ver: trauensvolle Benehmen der Miffionen der hoben Unirten Churhöfe mit den Mainziſchen Miniiterial- und Cabinettöperfonen allmälig gänzlih aufgehoben“ jei. Der hannöverfhe Gefandte in Mainz, v. Steinberg, babe ich diefer un: behaglihen Verhältniſſe halber jogar abberufen laſſen. Darauf erwiderte das preußiiche Kabinett, das Zerwürfnis mit Albini jei zwar in hohem Maße zu bedauern, allein Harnier und feine Kollegen möchten wenigftens forgfältig ver: meiden, dem einflußreichen Ratgeber des Kurfürften „einige ihre Unzufriedenheit merfen zu lajjen, jondern ihm alle Aufmerffamfeit, Vertrauen und Achtung bezeigen.“

Man Sieht, völlig glatt und ungeftört verliefen die Vorbereitungen zur Kaiſerwahl auch diesmal nicht; auch über das Verhältnis der Reichsverweſer zum Reichstage erhob ſich Streit; immerhin waren die Beteiligten im allgemeinen erlichtlich beftrebt, die Titel: und Formfragen und andere Nichtigkeiten, die ähn: lid dem Span zwiſchen Homoufianern und Hompoioufianern in den Konzils: tagen jeden erſprießlichen Fortſchritt von Verhandlungen deutiher Reichsſtände allzeit gehemmt hatten, nad Möglichkeit einzufchränfen. Schliegli wurde von den Kurhöfen beſchloſſen, daß ihre Bevollmädtigten ſchon in den eriten Tagen des Juni zufammentreten follten, um in vier bis ſechs Wochen das ganze Wahl: geichäft zu erledigen.

Nur über die Frage, ob die Wahlfapitulation Leopolds 11. unverändert übernommen oder mit Abänderungen und Zuſätzen verjehen werden jollte, wurde noch geftritten. Böhmen, Baiern und die geiftlihen Kurhöfe wünſchten auch in diefem Punkte möglichſte Vereinfahung des Wahlgeihäfts; Hannover und weniger entichieden Sachſen und Brandenburg wollten fi ihr Jus capitulandi nicht verfünmern laſſen, das Berliner Kabinett mur auf dringenden Wunſch

Der Wahltag in Frankfurt. 549

Hannovers, damit „das ungetrennte vertrauliche Konzert bethätigt werde, in welhem bei der Wahlangelegenheit durchaus zu Werk zu gehen, beide Höfe fih einander in dem erften geheimen Separatartifel des Afjociationstraftats zu: gejagt haben.“

Zuerst erihienen am 5. Juni die furbrandenburgiihen Wahlbotichafter, Fürſt Often:Saden und Graf Goerk, die ſchon dem vorigen Wahltag bei: gewohnt hatten, in Frankfurt;') in den nächſten Tagen folgten die übrigen Botihafter, jo daß zu allgemeinem Erjtaunen die erfte Präliminarfonferenz ſchon auf den 15. Juni anberaumt werden fonnte.?) Der bevoritehende Krieg warf ihon feinen Schatten auf den Wahltag. Die Zufammenziehung von 10000 Helfen in einem Lager bei Bergen zum Schute der Wahlverfammlung machte diesmal nicht wie ſonſt den Eindrud einer leeren Schauftellung. Auch preußiiche und öfterreihiiche Heeresabteilungen durchzogen häufig die Stadt. Infolge ber erniten Lage fanden fih nur wenige Gäfte von Hang ein; es hatte Mühe ge: foftet, die zur Begleitung der Botjchafter erforderlihen Edelleute aufzubringen, in Preußen 3. B. hatten ſich auf den eriten Aufruf nur zwei jchlefische Edelleute angemeldet. Die Frankfurter Bürgerihaft war, wie ein ungenannter Frank: furter in einer jelbftverfaßten Lebensbeſchreibung „Bierzig Jahre aus dem Leben eines Toten” erzählt, in zwei feindliche Yager geipalten. °) Viele nahmen offen für Franfreih und die Revolution Partei, da ihnen die Zeit aefommen ihien, „endlich einmal den Plunder veralteter Schnurpfeifereien und Vorurteile auf die Seite zu Schaffen”; die Mehrheit aber fürchtete, daß die Anerkennung ber Menjchenrechte Unordnung und Gewalttbat nad fich ziehen werde; zwiſchen beiden Parteien fam es häufig zu Streitigfeiten, die jogar zu Thätlichkeiten führten und fih auf die Straße fortpflanzten ein trüber Hintergrund des feftlihen Treibens! Der junge Klemens Metternich, der als Zeremonienmeiiter der fatholiich-weitfäliihen Reichsgrafenbank 1790 und 1792 in Frankfurt weilte, verfichert in jeinen Denkwürdigfeiten, die beiden Wahltage feien jo grundver: ſchieden geweſen, wie Scherz und Ernit.*) Auch der preußiiche Botichafter Diten-Saden hebt diefen Gegenjat hervor. „Die eigentümlidhe Stimmung der Gemüter im Reiche,” ſchrieb er an feinen Hof, „die Gefinnungen der deutichen Fürften, die da und dort im Volk herrichende Gährung, die zwischen dem Reiche: adel und dem gelehrten Stande glimmende Eiferfucht, der allgemein eingeichlichene Partheygeiſt, dieß Alles find Gegenftände, welde Eurer Königliden Majeftät im Einzelnen mögen vorgelegt werden.” ’) Graf Goerg, der zweite brandenburgiiche

') Der erfte Wahlbotichafter erhielt ald Abfindungsfumme für Reiſekoſten, Equipagen: geld ꝛc. 6000 Thaler in Gold, der zweite 4000 Thaler, die Legationsfetretäre durften nur ihre Koften liquidieren. Außerdem bezog der erfte Botſchafter ein Monatsgehalt von 2200 Thalern, der zweite 1500 Thaler, die Selretäre erhielten ein für allemal 600 Thaler. Für Miete und Einrihtung der Gefandtenquartiere, \lumination sc waren 35000 Thaler ausgefegt (Preuß. StArchiv. Frankfurter Wahlakten von 1792).

) Preuß. St.-Archiv. Frankfurter Wahlakten 1792. Bericht des Grafen Goerk vom 12. Juni 1702.

Vierzig Jahre aus dem Leben eines Todten, 1790-1830, !, 20. ) Aus Metternichs nachgelaffenen Tapieren, I, 15. ’) Preuß, StArchiv. Frankfurter Wahlatten 1742. Bericht Dften-Sadens vom 31. Juli 1792,

550 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

MWahlbotichafter, beurteilte die Yage insbejondere in den Rhein: und Mainlanden noch ungünftiger. Von den Miniftern der drei geiftlihen Kurfürften wurde fein Hehl gemacht aus der Bejorgnis, daß jeder Tag den Zuſammenbruch des fürſt— lihen Regiments bringen könne; gerade in den geiftlihen Gebieten ſei, wenigitens in den niederen Volkskreiſen, weder katholiſche noch loyale Gefinnung mehr an: zutreffen, und in der Pfalz jehe es nicht beiler aus. „Es jcheint feſtzuſtehen, daß die mangelhafte Verwaltung in allen Zweigen des Staatslebens in diefem Lande die wahre und wichtigſte Urſache der Unzufriedenheit ift, die überallhin dringt und in allem und durch alles fich kundgibt!“ )

Inzwiſchen waren die „fürtrefflichen Herren Wahlbotichafter” zu den vor: bereitenden Situngen im furmainziihen Quartier zujammengetreten. Raſcher ala jonjt wurde über Zeremoniell, Herbeiſchaffung der Neihsinfignien und ähn— lihe Kragen Beſchluß gefaßt. Die ausgegebene Loſung, fih mit Förmlichkeiten und untergeordneten Streitfragen nicht aufzuhalten, wurde wirflih beachtet. Nah einer Mitteilung Diten-Sadens hätte auch die Belorgnis, der Bund der deutichen Großmächte möchte zu gewaltiamen Aenderungen ber Neichsverfafjung ausgenüßt werden, zur Beichleunigung der Wahl bewogen. Hinwieder erreaten „die alzu frühe Beftimmung des Wahltermins vor Berichtigung der Wahl: fapitulation, die Verſuche, die Verlefung der Leopoldinifhen Kapitulation zu umgeben, die Zumutung, dab alle Monita zur Kapitulation auf einmal jollten übergeben werden, die Niederfchlagung der Einholungszeremonien u. a.” am hannöverſchen Hofe die Furcht, es fei „die jegige, von dem gewöhnlichen Gang abweichende Wahl auf einer der Erblidhfeit des Throns ähnlihen Seite zu betrachten.” Aus diefem Grunde beharrte aucd Hannover auf feinem Wider: fand gegen unveränderte Uebernahme der Wahlfapitulation Yeopolds II. Baron Beulwitz erklärte, fein Gebieter werde fi das Recht, Wünſche und Bejchwerden vorzubringen, niemals verfümmern [alien und nur einem ausdrüdlichen Beichluf der Mehrheit fich fügen. Auch der Vertreter Sachfens führte in diefen Sinne eine „patriotiſch behutſame“ Sprade. Es wurde endlich beichlofien, es follten in den Konferenzen nur jene Stellen der Leopoldiniſchen Kapitulation verlejen werden, bei welchen eine kurfürſtliche Botjchaft etwas zu erinnern hätte. Etwas erregteren Meinungsaustauſch veranlafte der von Hannover geitellte und von Brandenburg unterftügte Antrag, es möchte im Vorwort der Wahlfapitulation den Föniglichen Mitgliedern des Wahlfollegiums der Titel Majeltät beigelegt werden. Der furmainziiche Hoffanzler von Albini erhob allerlei nah Often:Sadens An: fiht „Sophiftiiche” Cinwände, die „man von einem befreundeten Hofe nicht hätte erwarten follen.” Bartenftein, der Vertreter Böhmens, wäre nicht abge: neigt gemwejen, dem Wunjche der hannöverfchen Negierung zu willfahren, mußte aber mit Nüdiiht auf den Miderftand der vereinigten geiftlihen Höfe und Pfalz-Baierns gegen den Antrag fih erklären. Scließlih waren alle Abjtim: menden dankbar, als Kurmainz den glimpflichen Ausweg zeigte, es jollten in der Kapitulation ale Bezeihnungen „Ew. Liebden“ weggelaljen werden, dann fönne auch der Titel „Majeität” wegfallen. An den übrigen Fragen unter:

', Preuß. St.:Archiv. Bericht Goertz's vom 18. Juni 1792.

Der Wahltag in Frankfurt. 551

ſtützten die preußiſchen Geſandten ihrer Inſtruktion gemäß den Vertreter Böh— mens, ſuchten aber zugleich „den Anſchein zu vermeiden, als ſollten der engeren Verbindung Königlicher Majeſtät mit dem Wiener Hof der Ihrer höchſteigenen Denkungsart fo angemefjene und bei jo vielen Vorfällen bethätiate reichsſtändiſche Patriotismus aufgeopfert werden.“

Am 15. Juni wurden die eigentlihen Wahlfonferenzen eröffnet.) Nur von hannöverſcher Seite wurden nod Einwendungen erhoben und Anträge ge: ftellt; in einzelnen Fällen liehen die übrigen proteftantifhen Höfe ihre Unter: ftügung, allein jchließlih wurden jämtliche Anträge abgelehnt. Noch niemals, feit über die Wahl eines deutichen Reichsoberhaupts ein Protokoll geführt wurde, waren die Gejchäfte jo wenig verjchleppt, die Beſchlüſſe jo einmütig gefaßt worden, als bei der legten Zuſammenkunft kurfürftlicher Vertreter im Römer: faal zu Frankfurt. Am 16. Juni gingen die Sigungen mit Erneuerung und Beihmwörung der Kurvereine zu Ende; dann wurde unter Trompetenjchall ver: kündigt, daß am 5. Juli die feierlihe Wahl ftattfinden jollte; zur Ueberbringung der Wahlbotihaft an den fünftigen Kaifer wurde einftimmig der von Branden- burg begünftigte Prinz Friedrih Wilhelm von Württemberg erforen; dem Mit: bewerber Prinzen Friedrih von Heilen fiel feine einzige Stimme zu. In ver: traulien Briefen an die Kurhöfe war aud die Erridtung einer neunten Kur jowohl von Württemberg als von Heflen wieder angeregt worden; auf dem Wahltag felbit war davon nur „unter der Hand” die Rede. Dem Landgrafen von Heſſen-Kaſſel war der Schuß Preußens zugelagt; da jedoch die geiftlichen Kurfürften widerftrebten und aud Hannover feine Geneigtheit zeigte, wurde auf offene Bewerbung verzichtet. ?)

Auch die zur Landesverteidigung notwendige engere Verbindung der Reichskreiſe wurde in Frankfurt beiproden, ohne jedoch in den Kreis öffentlicher Beratung gezogen zu werden. Doch jchon im Verkehr der Diplomaten trat zu Tage, wie wenig Xuft die fleineren deutjchen Staaten hatten, am Streit der Großen teilzunehmen. „Die Neihsfürften und ihre Minifter, die wir hier zu jeben Gelegenheit haben,” berichtet Graf Goertz, „Icheinen fih jamt und fonders auf die Seite frankreich zu neigen; die Siege öfterreihiicher Armeen fcheinen ihnen gar nicht am Herzen zu liegen. Sie geben fih zwar Mühe, ihre Gedanken und Wünfche zu verbergen, aber ihre üble Gefinnung drinyt troß: dem aus allen Aeußerungen hervor. Sie fürchten die Vorherrſchaft des öfter: reihiihen Haujes im Reiche und ſuchen fih auf indireftem Wege durch Be: reitung von Schwierigkeiten im Reiche bei Franfreih in Gunft zu ſetzen und ih im voraus diejer mächtigen Stüße zu verfihern, da ja Frankreich früher oder ſpäter doch wieder die gebührende Stellung unter den großen Nationen Europas einnehmen wird. Nur der Landgraf von Heſſen-Kaſſel und der Herzog von HZweibrüden zeichnen fih rühmlih aus durch ihre loyale Gefinnung gegen

') Häberlin, Anhang zur pragmatiſchen Gefchichte der Wahlcapitulation Kayſer Leopolds II., weldyer die Verhandlungen über die Capitulation Kayfer Franz 11. enthält, 373.

) Bair. St.:Arhiv, Tagebuch der volljogenen Wahl x. Schreiben des Yandgrafen v. Heſſen-Kaſſel an Kurfürft Karl Theodor vom 17. April 1792 x.

552 Zweites Bud. Vierter Abichnitt.

Preußen, wenn fie auch gegen Defterreih nicht von den gleihen Gefühlen bejeelt zu fein ſcheinen.“ Auf ſolche befremdende Eröffnungen hin wies das Berliner Kabinett die Gejandten an, vom Grundjag aus: „Wer nicht für uns ift, it wider uns!” gegen das unpatriotiihe erhalten der Reichsſtände entſchieden Front zu machen. „Wenn nad Ihrer Schilderung die meilten Staaten und Fürften des Reichs gegen den Krieg mit Frankreich geftimmt find, jo bewegen fie fih in einer eigentümlichen Berfennung ihrer Intereſſen. Wie können fie die Augen verjchließen gegen den Vorteil, der gerade ihnen aus der Unter: drüdung der unheilvollen Erregung des franzöfiichen Volkes erwächſt? Das An— wachſen der revolutionären Leidenſchaft jollte fie doch belehren, wie notwendig es ift, endlih einmal Halt zu gebieten! Am wenigiten find jo verfehrte An: ihauungen bei den in Eljaß und Zothringen begüterten Fürften zu entjchuldigen, da ja hauptfählih um ihrer Klagen willen der Bruch mit Frankreich herbei: geführt wurde und ihren Forderungen jest von den friegführenden Mächten Erfüllung gefihert werden ſoll. Dieſe Fürften mit ihrem zweideutigen Ränke— ipiel bedenken nicht, welchen Pladereien und Berfolgungen fie ausgejegt fein würden, wenn Frankreich glüdlide Erfolge davon trüge.” ')

Bejonderer Aufmerkjamfeit von Seiten der preußiihen und öfterreihiichen Diplomaten erfreute ſich der furbairifche Wahlbotihafter Graf Oberndorff, wobei die Hoffnung maßgebend war, den einflußreihen Minifter doch noch einer entjchloffeneren Teilnahme am Kriege mit Franfreid geneigt zu machen. Der Erfolg der Bemühungen blieb jedoch zweifelhaft. „Ob Seiner Churfürftlichen Durdlaudt zu Pfalzbayern Hang zur Ruhe“, berichtete der preußiiche Geſandte nad einer Unterredung mit Oberndorff, „ob die diefem Fürften eigene Begierde, Schätze zu ſammeln, oder eine gewilje Verzagtheit die Abneigung, in das Syitem der vorderen Neichskreije einzugehen (i. e. den Krieg mit Frankreich zu betreiben) veranlaßt oder ob die Lage der rheiniihen Pfalz und die in dem Lande berrichenden Bolfsgährungen den dirigirenden Minifter der Pfalz, Graf Obern: dorff, veranlaßt haben, ein feiges Neutralitätsiyiten der Theilnahme an der Ber: theidigung des deutſchen Reichs vorzuziehen, ift jchwer zu entjcheiden.”

Wenn Häuffer und Sybel dieſe pfalzbairishe Neutralitätspolitif ftreng verurteilen, jo it ihr Tadel nicht ungerecht; wie müßten fie aber erft das Ber: halten der großen Mächte brandmarken, die öffentlich der pfalzbairischen Regie: rung Mangel an PBatriotismus vorwarfen, insgeheim aber jchon, wie zu zeigen fein wird, über das Land eines unabhängigen deutichen Reichsſtandes die Würfel ichüttelten!

Bon den fremden Gäften erregte das lebhaftejte Aufjehen der außer: ordentliche Gejandte des Papftes, Abbe Maury, der früher der franzöfifchen Nationalverfammlung angehört und als der glänzendfte Nedner der Nechten die modernen Staatstheorien befämpft hatte. Die Weigerung, den Eid auf bie Verfaffung zu leilten, hatte ihn zur Flucht nad) Rom genötigt; jegt war er im Auftrag des Rapites nad Aranffurt gefommen, um bei den Ffriegführenden

) Preuß. St.:Arhiv. Ambassade de Franefort 1792. Bericht der Wahlbotichafter vom 10. Juli 1792, Erlaß des preuß. Minifteriums vom 19. Juli 1792.

Der Wahltag in Aranffurt. 553

Mächten die Zurüdgabe der Grafihaft Avignon an den römischen Stuhl zu betreiben. !) Die Vertreter der proteltantiihen Höfe blidten auf ihn mit Miß— trauen; nad Dften-Sadens Auffaſſung hätte er ſich „ebenjo durch Dreiftigfeit und Ueberjpanntheit der Forderungen, wie durch Klugheit und auffallende Kennt: nis ber deutichen Staatsverfafjung” ausgezeichnet. Maury war nämlich aud beauftragt, den auf die Emſer Punktation zurüdreihenden und either nur dur eine Waffenruhe vertagten Streit zwiſchen der Kirde und den deutſchen Erz- biſchöfen endgültig beizulegen, allein durch fein gebieteriiches Auftreten goß er nur Del ins euer, bis er endlich erfannte, daß er auf diefem Wege nicht zum Ziel gelangen werde. „Endlich fcheint der Erzbiſchof von Nicäa“, berichten bie brandenburgiichen Botjchafter am 26. Juni, „der Abgott und das Drafel der Emigranten, die alle jeine Rundgebungen wie geheiligte Ausſprüche entgegen- nehmen, gelindere Saiten aufzuziehen. Er mußte doch einmal einjehen, daß er durch feinen berriichen, drohenden Ton die Gefandten der geiltlihen Höfe nicht einfhüdtern, fondern nur verbitiern und gegen die Anſprüche des römischen Hofes veritodter maden werde; jett ſpricht er denn, auch in verföhnlicherem Tone von den Mitteln, um den alten Streit zwifchen dem heiligen Stuhl und den deutſchen Erzbifchöfen zu ſchlichten.“ Anknüpfend an die früheren freund: Ichaftlihen Beziehungen erbat der Nuntius den Beiltand des Königs von Preußen, doch wurde dem Wunſche nur eine bedingte Gewähr in Ausſicht geitellt. „Ich erwarte, daß der Nuntius feine Sprache noch beveftend mäßigen wird; er ſoll fih daran erinnern, daß die von ihm geltend gemachten Anſprüche der Kurie heute nicht mehr zeitgemäß find und dab ein apoftolifher Legat heute nicht mehr eine Sprache führen darf, wie ehedem.” Graf Diten-Saden hegte über: dies Argwohn, der amtlihe Auftrag jei nur der Deckmantel einer geheimen Miſſion: für die Wiedereinführung des Jeſuitenordens in den fatholifchen Staaten Stimmung zu maden; ber innige Verkehr des Vertrauensmannes des heiligen Vaters und der Emigranten mit Bartenitein, dem Vertreter Deiterreihe, führe eine beredte Sprade!?) Man fieht: durch die neue Freundſchaft war der alte Gegenſatz nicht bejeitigt, und faum war dem alten Hader feierlich abgeſchworen, erwuchfen ſchon die Keime zu neuen Streitigkeiten.

Am 5. Juli verfündeten dreihundert Kanonenſchüſſe, dab Franz, König von Ungarn und Böhmen, zum Schirmer und Mehrer des römiſch-deutſchen Neihes gewählt worden war. Das Wahlergebnis wurde in Frankfurt günſtig aufgenommen. „Wenn bey Wahlreichen” , jchrieb Diten-Saden (6. Juli) nad Berlin, „die Stimme des Volfs einigermahen in Betrachtung fommt, jo dürfen

) Bair, St.:Arhiv. Tagebuch der vollzogenen Wahl ıc. Schreiben Vapſt Pius VI. an Karl Theodor vom 17. Mai 1702.

) Preuß. St.:Achiv. Bericht Sadend vom 31. Juli 1792. Abe Maury galt all: gemein als eifriger Anwalt des Planes, zur Belämpfung der Revolution den Jeſuitenorden wieder einzuführen. Hoffmann sollte ihm deshalb Yob und Anerfennung: „Vielleicht iſt's im Nat der Bor: fehung beſchloſſen, daß dieſe Partei {der geheimen Klubs) Durch den wieder auflebenden Jeſuiten— orden vernichtet werben fol. ... Es gehört doch zu den ausgemadteften Wahrbeiten, daß nur erit jeit Erlöfhung bes Jeſuitenordens der Lartei: und Seftengeift eine fo außerordentliche Herrichaft in der Welt erlangt bat.“ (Wiener Zeitjchrift, Jahrg. 1792, 361, 365.)

554 Zweites Bud. Vierter Abfchnitt.

wir nicht unangezeigt laffen, daß der Beyfall über die gefallene Wahl allgemein und die Erwartung des Publikums groß ift.”

Bon feierlihem Einzug des Gemwählten wurde Umgang genommen; in aller Stille traf Franz am 11. Juli in Frankfurt ein; ?) tags darauf beſchwor er die Kapitulation, am 14. wohl nit ohne Berehnung war der Jahrestag der Erftürmung der Baftille dazu auserjehen worden fand unter ben ge: wöhnlichen Feierlichkeiten die Krönung ftatt. Die Zujchauer wurden erfreulich überrajcht durch die blühende Erjcheinung des jungen Kaifers; auch durch Die Lebhaftigfeit und das Feuer jeines Geiſtes jol er, wie Oſten-Sacken berichtete, in Staunen verjegt haben. „Ob übrigens die öffentlihe Vermutung, als wenn Franz II. den Fojephinifhen emporftrebenden Geift fi eigen gemacht habe und in jeine Plane Leopoldiniſche Kaltblütigkeit zu miſchen wife, gegründet jeye?, muß erit die Zeit lehren.” *) Das Krönungsfeft war nicht vom Wetter begünftigt; während des Zuges zum Münfter ging ein gewaltiger Plagregen nieder, ein ſchlimmes Zeichen! murmelte das Boll. Da fih in den legten Tagen viele franzöfiihe Emigranten eingefunden hatten, fehlte es nicht mehr an Puß und Prunk. Die Krönung jelbit machte auf empfängliche Geilter, 3.8. auf den jungen Metternich, überwältigenden Eindruck.) Auch der Gothaer Schriftiteller Neihard erzählt, er habe nit ohne Bewegung den blonden, jugendlichen Kaijer mit jo viel Anftand und Würde über den Nömerplat reiten gejehen, über ben: jelben Pla, auf welchem wenige Monate jpäter für den Sanskulottengeneral Euftine ein eigener Thron aufgeichlagen war und die Bürgerfchaft mit ängſt— lihem Schweigen die Befehle des übermütigen Siegers entgegennehmen mußte. *) Sogar der Nepublifaner Forſter jchreibt: „Die Jugend des Kaiſers hatte etwas Nührendes, das auf den erften Blid bei jedermann für ihn ſprach. Wir ſahen ihn, wie er unter der drüdenden Laſt des Hermelinmantels und ber Krone jeine großen, blauen Augen auf der Menge der Zuſchauer umberirren ließ, und ich weiß nicht, welches menschliche Gefühl die Unjerigen unwillfürlich fühlten.“ °) Während des Krönungsmahles entipann fid) vor dem Römer das berfömmliche Geräufe, das „Kannibalenballett“, wie es MWedherlin nannte, ®) heftiger und widerwärtiger denn je. „Das Ganze”, jagt Reihard, „war ein treues Abbild des alten Deutſchen Reiches, das durch Hader, Zwietracht und Mißgunſt feiner Glieder endlih in Trümmer fanf: magni nominis umbra!”

Weit mehr als die verblafte Pracht der Frankfurter Feſte zog die un: mittelbar auf die Krönung folgende Zuſammenkunft des Kaifers mit Friedrich Wilhelm in Mainz die Aufmerkiamfeit der politiichen Welt auf fi.) Das

') Preuß. St.⸗Archiv. Erlaß des preuf. Minifteriums vom 2. Juli 1792.

2) Diarium, 163.

2) Aus Metternich nachgelaſſenen Papieren, I, 15. Metternich eröffnete damals den Ball bei Fürſt Eſterhazy mit der jungen Brinzeffin Luife von Medlenburg, jpäter Königin von Preußen.

+), 9.2. O. Neihard, Selbftbiographie, herausgegeben v. Uhde, 274.

G. Forfter, S. Werfe, VIII, 363.

“JWeckherlin, Baragraphe, I, 250.

J Urfprünglich follte die Begegnung in Koblenz ftattfinden, doc da König franz im Beſuch der Reſidenz des „auswärtigen Frankreichs“ ein zu auffällige Zugeftändnis an bie franzöfiihen

Der Fürftenfongrei zu Mainz. 555

wichtige Ereignis zog eine Menge Gäſte in die Mainſtadt; in den umliegenden Dörfern wimmelte es von preußiſchen Musketieren und franzöſiſchen Gardiſten; der Gaſthof, in welchem Reichard einkehrte, war völlig in Beſchlag genommen von den helmbuſchumflatterten Gardes du Corps des Prinzen von Artois. Als die Ankunft des Königs von Preußen bevoritand, zogen alle Heeresabteilungen an den Ufern auf. Nach Mitternaht ſchwamm die von vielen Fahrzeugen um: gebene Nacht des Königs heran; „der Feuerſchein ihrer Erleuchtung verbunfelte den Sternenhimmel.” Fanfaren jchmetterten auf den Schiffen, wie auf beiden Ufern; dazwiſchen fnatterten Musfetenjalven und donnerten die Kanonen von den Wällen und Türmen der Feitung.!) Der König bezog das Luftichlof Favorite, der Kaijer wohnte in der furfürftlichen Refidenz. ?)

Mehr als fünfzig fürftliche Perfonen und hundert hohe Würdenträger ver: jammelten fi um die beiden Monarchen, die als die Hauptvertreter der zentri— petalen und zentrifugalen Kräfte des Neichs anzufehen waren; aud die franzö— fiihen Prinzen fanden ſich mit glänzgendem Gefolge in Mainz ein. Stlemens Metternich jchildert artiger als fein Kollege Spielmann die Perfönlichkeit des Königs von Preußen. „Friedrib Wilhelm bot das Bild eines Königs dar; an Wuchs näherte er fich der Größe eines Niefen und mit demjelben jtand jeine Beleibtheit im Berhältniffe; in allen Verfammlungen ragte er um Kopfeslänge über die ihn umgebende Menge hinaus. Die Emigrierten verfiherten, es würde genügen, daß er allein an der Grenze erichiene, damit die Sansfulotten die Waffen ftredten.” ’) Neben diefem Hünen verichwand fait die unanjehnliche Geſtalt des Kaiſers, der aber durch feine ſüdliche Lebhaftigfeit die Aufmerkſamkeit auf ſich zog und durch ungezwungenes, Teutjeliges MWejen die Gunft der Menge gewann. Kurfürit Karl Frievrih von Erthal, der nah Metternichs Verſicherung von jämtlihen deutichen Fürften die reichite Hofhaltung hatte, entfaltete zur Ehrung feiner Gäſte den üppigiten Luxus. „Es fchmeichelt uns,” jchrieb der furfüritlihe Bibliothekar Forſter an Heyne, „ein ganzes Pantheon von Kleinen Erdengöttern auf einem Haufen in unferem Mainz verfammelt zu jehen.“ *) Eine Feſtlichkeit reihte fih an die andere, Bankette, Konzerte, Bälle, Feuerwerke, alles verherrliht durh den Zauber der Landichaft und die Majeftät des Rheinftromes. „Die alte monarchiſche und feudale Welt Mitteleuropas, welder die Demofraten in Paris den Tod geihworen, jchien fi wie zum Troße bier nod einmal in aller Pracht entfalten zu wollen, bevor fie ihren Schlag mit dem Schwerte gegen die Revolution führte und den legitimen Thron der Bourbons wieder aufrichtete.” °)

Nebenher beichäftigte fih die hohe Gefellihaft mit den Vorbereitungen zum Feldzug. Metternich verfihert und andere Neußerungen ftimmen bamit

Prinzen erblidte, wurde der Einladung des Hurfürften von Mainz Folge geleiftet. (Bericht Haugwitz's vom 12. Juli 1792.) ) H. A. ©. Reichard, Selbjtbiographie, 276. ) Preuß. St.:Ardiv. Frankfurter Wahlakten 1792. Bericht Hochſtetters vom 20. Juli 1792. 1) G. Forſter, VIII, 365. ) Aus Metternichs nachgelaſſenen Papieren, l, 17. ) Häuſſer, I, 320.

550 Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.

überein —, daß ein günftiger, ja glängender Erfolg von niemand bezweifelt wurde. Namentlih die Emigranten betrachteten das Unternehmen als gefichert, und ihre einzige Klage bezog fich auf die mit dem Aufmarſch deuticher Armeen verbundene Verzögerung. „Nach ihrer Meinung genügte die Abjendung einiger Bataillone, damit die weiße Fahne auf allen Türmen Frankreichs aufgezogen würde; ohne Zweifel trug diefe hochgradige Täufhung zu der Niederlage bei, melde die preußiiche Armee bald darauf erlitt!” Wie naiv unverfchämt von den Emigranten die deutſche Hülfe aufgefaßt wurde, erhellt aus einem Briefe des Prinzen von Ligne an die Zarin Katharina. Nachdem über den „geiftesarmen” Friedrich II. und die „Potsdamites“ gejpottet und der Kaiferin überſchwengliches Lob ge: fpendet worden, wird fortgefahren: „Ich wünjche jehr, daß das deutiche Reich feine Pflicht thue, und bin jehr betrübt über die Jurüdhaltung eines weit beſſer ausgeftatteten Kaiſerreiches. . . . Doc ich vergeſſe mid vor dem eriten der Könige, dem König der Könige, vor Ihnen, Madame, die allein im jtande ift, zugleih Bewunderung und Zutrauen einzuflößen.“ ')

Freilich hätte der troß aller FFeite und Fanfaren zu Tage tretende Mangel an Eintradht im Lager der Verbündeten einfihtige Rolitifer und Militärs in ihrer vertrauensjeligen Stimmung ftören müſſen.

Ein europäiſches Konzert, wovon noch immer in den Schriftitüden der faiferlihen Kanzlei die Rede war, gab es ja in Wirklichkeit nit. Das preußifch: öfterreichiiche Bündnis war dem enalifhen Kabinett ein Dorn im Auge; ?) Talleyrand hatte aus London, obwohl mit feinen Anerbietungen abgewieſen, die Gewißheit zurückgebracht, daß England ſich nicht einmal durch einen franzöfiichen Angriff auf Belgien zur Teilnahme am Kriege werde drängen lafien. Auch Kaijerin Katharina jah auf das Bündnis mit fcheelen Augen; es fonnte ihr nicht entgehen, daß damit die Abhängigkeit der Wiener Politif vom Zarenhofe ein Ende gefunden babe. „Davon rührt zweifelsohne,” fchreibt Naunig an Stadion, „der außerordentliche Eifer ber, den die Kaiſerin für eine Kontre- revolution in Frankreich, und zwar nicht für eine gemäßigte, wie wir fie wün— ſchen, ſondern für eine ganz vollftändige bezeugt hat.” Im Mai veriprad Katharina, 18000 Dann gegen Frankreich zu ſchicken, aber ſchon damals glaubte die diplomatifche Welt nicht an den Ernit der Zulage; das ruffiihe Corps, jpottete man, werde wohl faum über Polen hinaustommen.?) Bon Spanien batte Frankreich ſeit dem Eintritt Arandas in das Minifterium nichts mehr zu befürchten. In Sardinien war es zu Jo bedenklihen Unruhen gefommen, daß an Beitritt zur Beteiligung an einem auswärtigen Striege nicht zu denken war. Das nänıliche galt von Schweden, wo es der nach Guftavs II. Ermordung eingefegten Negent: ichaft ſchwer genug fiel, den inneren Frieden zu behaupten.)

Doh auch zwilchen den Höfen von Wien und Berlin gab es unerledigte Streitpunfte. Vor allem im der Frage der Entichädigung.

i) Mémoires et melanges historiques par le prince de Ligne, I, 261. Bivenot, I, 464; Kaunitz an Stadion, 18. April 1792,

'; Arenberg, Briefwechfel, III, 340,

', Bair, St.Archiv. Bericht v. Vofhs an Vieregg vom 26. Mai 1792.

Der Krieg und das Deutfhe Neid. 557

Da Kaunig, wie wir ſahen, Erörterungen über eine Entihädigung für die Opfer zu Gunften der legitimen Sade zwar nicht völlig von der Hand wies, doch die mit Gebietsabtretungen verbundenen Schwierigkeiten ſehr hoch anjchlug und insbejondere von Erwerbungen in Polen nichts hören wollte,') willigte Franz ein, dab über diefe Dinge binter dem Rüden des alten, „hinter den Anforderungen der Gegenwart zurüdgebliebenen” Kanzlers verhandelt und ge handelt werde. Nachdem einmal von Berlin die Loſung: BZugreifen! gegeben war, wollte man aud in Wien nicht blöde zurüdbleiben.

Noh vor dem Zufammentritt des Wahltags in Frankfurt ließ Schulen: burg dur den Fürften Reuß unmittelbar an Spielmann einen Antrag über: mitteln, es möge „das Dedommagement wegen der Unkoſten des franzöfiichen Krieges” dahin getroffen werden, daß Preußen fih in Polen arrondiere, Oeſter— reih aber am Rhein eine Erwerbung ſuche; Polen werde ja doch nicht von jeglihem Berluft verjchont bleiben fünnen, da an den Abfichten Nußlands auf die Ukraine nicht zu zweifeln jei.’) Die Antwort Spielmanns ließ erfennen, daß in der Wiener Hofburg grundſätzlicher Widerftand gegen, die Hereinziehung Polens in die Entihädigungsfrage nicht mehr erhoben werde; nur die Frage: was foll Deiterreih erhalten? bot Schwierigkeiten. Schulenburg hatte auf Er: werbungen auf Koften Frankreichs hingewieſen; in der That hätte, wie Spiel: mann anerfannte, die Vereinigung von Franzöfiichizlandern und Hennegau ber öfterreihifhen Monarchie „wohl angeftanden”“. Allein die Eroberung ftand doch noch in weiten Felde; aud hätte zur Erreihung diejes Zieles, was Spielmann als Grund der Ablehnung anführte, der Hauptitoß gegen die Niederlande ge: richtet, mithin der ganze Feldzugsplan abgeändert werden müſſen. Dagegen lag ein anderer Gedanke näher: vielleicht war jetzt die Möglichkeit geboten, den ſchon jeit nahezu hundert Jahren verfolgten Plan eines Eintaufhes Baierns gegen die Niederlande erfolgreich durchzuführen. Spielmann fäumte nicht, das Senf: blei auszumwerfen. „Jh weiß gar wohl,” jchrieb er an Neuß am 29. Mai, „welches Anathema auf dieje Idee unter dem Minifterium des Grafen von Herz: berg in Berlin gelegt worden ift; id) bin überzeugt, daß dieſe Idee eine Chimäre bleiben wird und muß, wenn fie, wider alle bejiere Vermutung, von dem gegen: wärtigen Fönigliden Minifterio mit der Herzbergiihen Brille geſehen und be- trachtet werden ſollte; ich bin aber auch feſt überzeugt, daß Die dermaligen Umftände gegen die vorigen und die dermaligen Verhältnijie gegen die ehe: maligen fih jo wejentlih abgeändert haben, daß nah meinem Vertrauen auf die Einficht, Billigfeit und NRechtichaffenheit des Herrn Grafen von Schulenburg vielleicht nur ein halber Tag erforderlich fein dürfte, um in einer mündlichen Unterredung volle beiderjeitige Ueberzeugung zu erwirken, daß diefer Austaufch zum überwiegenden Vortheil des Haufes Pialz:Baiern, zu feinem wejentlichen Nachtheil des königlich preußiſchen Hofes gereichet, daß wir bei ſelbem in aller Rüdficht verlieren und nur das einzige ‚bendtice d’arrondissement‘ gewinnen.” ®)

!) Rivenot, II, 23; Haunig an Reuß, 4. Mai 1732,

?) Bivenot, II, 55; Reuß an Spielmann, 22. Mai 1792.

) Nach Sybel (l, 480) wäre die erfte Anreguna zur Rückkehr zum Tauſchplan von ruffiiher Seite gegeben worden; allein bie fritifche Unterredung 'gwifchen Gobenzl und Dem

558 Zweites Buch. Vierter Abichnitt.

Nur aus dem Kriegseifer des preußiichen Kabinetts läßt fich erflären, daß der gegen eine der wichtigsten Ueberlieferungen Friedrichs des Großen veritoßende Antrag in Berlin nicht nur feine Ablehnung erfuhr, ſondern das preußiiche Miniiterium fogar feine guten Dienfte zur Durhführung anbot; Schulenburg joll geäußert haben, er jei von allem Anfange jelbit des Glaubens geweſen, daß jener Austausch die einzige angemeflene und würdige Entihädigung für das Erzhaus bieten fönne.‘) Ein Hinterpförthen wurde allerdings offen gelaſſen, indem als jelbftverftändlich bezeichnet war, daß gegen einen Widerfprud des nächſten Agnaten, des Herzogs von Zweibrüden, nicht mit Zwang eingeichritten werden bürfe.

Nun jchien es an der Zeit, die Angelegenheit des vertraulichen Charakters zu entkleiden und auf amtlihem Wege zum Nustrag zu bringen. König Franz gab aljo von Ofen aus Befehl, den Kanzler über den bisherigen Berlauf der Unterhandlungen zu unterrichten; zugleich erflärte er ihm jelbft, daß er im Ge: lingen des jhon vom Oheim galühend gewünſchten Unternehmens das „größte Glück des Etaateg” erblide, und daß es ihn freuen würde, wenn auch dieſes große Werk noch von Deiterreich& berühmteltem Staatsmann durchgeführt werden fünnte. Das war deutlich geiprodhen; das hieß nichts anderes, als daß der junge Fürft auf die Dienite des alten Lotſen, der das Staatsſchiff durch fo viele Stürme und Gefahren gelenft hatte, verzichten und ſich jelbit auf die Kommandobrüce begeben wolle. Die Enthüllung wirkte auf den Kanzler wie ein Bli aus beiterem Himmel. Faſt fünfzig Jahre lang hatte er, das un: beichränfte Vertrauen der Beherricher Deiterreichs genießend, über beifpiellofen Einfluß verfügt, nie war für einen Nebenbuhler Naum geweien, daraus erflärt ih, das er die Monarchie, fo wie fie war, als feiner Hände Werf betradjtete und jeine Berjon mit dem Staat unter einen Begriff brachte. Zum Schmerz über die erlittene Zurüdjegung fam die Ueberzeugung, daß der von dem jungen, unerfahrenen Herrſcher eingefhlagene Weg nur ins Unheil führen werde, ?) Selbitverftändlich müſſe alles, jchrieb er am 25. Juni an König Franz, der eigenen Klugheit und Entiheidung des Monarchen überlaijen bleiben, er für feine Perſon müſſe aber bitten, der Teilnahme an dem ganzen Geſchäft enthoben zu werben.) Das Memorandum „Unvorgreiflide Betradhtungen über den Vorſchlag des Grafen Schulenburg“ verrät dur die Schärfe der Ausdrucksweiſe die Erregt: heit und Entrüftung des Verfaflers. Der Vorſchlag des preußifchen Miniiters ruffiichen Gefandten fand nad Sybels eigener Angabe erft im September ftatt, das Schreiben Spielmanns an Reuß (Bivenot 11, 63) ftammt vom 29. Mai 1792.

J Bivenot, 11, 80, 110; Reuß an Spielmann, 4. Juni 1792; ESpielmann an Neuß, 22, Juni 1702.

*) Die Worte, womit der Moniteur (1702, 221) die Nachricht vom Sturze des öfter: reichiichen Kanzlers begleitete, bemeifen, welch falſche Vorftellung über die Politif dieſes Staats: mannes in Franlreich fich eingebürgert hatte. Während des Kanzlers Syitem immer darin beftand, den Bund zwifchen den Däufern Bourbon und Habsburg aufrecht zu erhalten, während auch in den legten Jahren fein ganzes Trachten dahin ging, den Krieg zwiſchen Franfreih und Deiterreich zu verhindern, wird er vom Moniteur für die Verhetzung der Böller und alles daraus entfpringende Unheil verantwortlich gemacht.

*), Bivenot, Il, 114, Kaunitz an König Franz, 25. Juni 1792.

Der firieg und das Deutiche Reid. 550

jei geradezu eine Beleidigung des Wiener Hofes, der „jo viele Beweiſe feiner Einfiht und Nectichaffenheit gegeben habe, daß man ſich nicht hätte erlauben follen, demjelben einen ſolchen Vorſchlag zu machen.” Desgleichen jei eine offene Nectsverlegung damit verbunden, denn wie fünnte Polen, einem freien unabhängigen Staate, zugemutet werden, nicht nur feiner Konftitution zu ent: jagen, ſondern jogar verjchiedene Provinzen der puren Konvenienz fremder Staaten aufjuopfern? Endlich jei der Vorſchlag überhaupt nichts als eine Chimäre, da zwar Preußen im Bunde mit Rußland jederzeit die gewünſchten polnischen Erwerbungen ſich aneignen könne, Tefterreih aber unüberwindliche Hindernifje zu bewältigen haben würde, um in den Beſitz Baierns zu fommen. „sch erjehe daher bei diefem ganzen Betragen nichts als Habjucht und politijche Grundfäge, welde für zufünftige Zeiten jehr wenig Vertrauen einflößen fönnen und damit wenig Gutes veripreden; eine dergleihen Moralität ift nicht nad meinen Grundjägen und jollte daher von einer großen Macht, welche ſich jelbit zu Schägen weiß und den Wert ihres guten Namens anerkennet, nimmermehr angenommen werden.“ König Franz juchte den Kanzler zu beſchwichtigen; er ſei weit entfernt, ermwiderte er, in jo wichtiger Angelegenheit voreilig zu Werfe zu gehen, denfe auch nicht daran, fich in etwas einzulafien, was feiner Ehre nadteilig oder von üblen Folgen jein fünnte. Da jedoch dieje Beteuerungen den Monarchen nicht abhielten, auf Spielmanns Standpunkt zu bebarren, nahm Kaunig, da er „am Ende feiner Yaufbahn Anjeben und Reputation wahren“ wolle, feine Entlaſſung von allen Aemtern (19. Auguft).‘) Im Drang der Kriegsereigniſſe wirkte der Sturz des bisher allmächtigen Staatsmannes, der fich jest jelbit an das Verhältnis zwiſchen Heinrih VII. und Kardinal Woljey er: innert fühlte, nicht als eine jo überwältigende „Senfation”, wie e& ſonſt wohl der Fall gewejen wäre. Es ehrt den jungen Kailer, daß er die Entlaffung in möglichit jchonender Weile vollzog; Franz behielt ſich ausdrüdlih vor, auch ferner die Ratſchläge des erfahrenen, treuen Dieners einzuholen, und Kaunitz war auch keineswegs geionnen, fich ichweigend ins Privatleben zurüdzuziehen. Philipp Cobenzl, der jest jelbftändig die Führung der Geſchäfte übernahm, glaubte häufig zu verjpüren, daß der „alte Herr” ihm entgegenarbeite, und die kommenden Ereigniffe waren ja ganz dazu angethan, die Einficht des Geftürzten in hellſtes Licht zu jehen. Mit vollem Recht hatte Kaunis der prahleriſchen Zuverficht der Verbündeten, binnen furzem in Paris fiegreichen Einzug zu halten, geipottet, und vom Eintauſch Baierns gegen die Niederlande konnte ſehr bald ſchon deshalb nicht mehr geſprochen werden, weil die Niederlande ſelbſt verloren waren.

Vorerit aber war der neue Kanzler voll froher Hoffnungen. Aus den an Vetter Ludwig Cobenzl am 16. Juli gerichteten Worten ift zu entnehmen, weld) ftolzes Vertrauen auf Beherrfhung der europäiihen Lage ihm das Bündnis mit Preußen einflößte. Worüber ift die Zeit, froblodt er, da wir immer auf fran- zöſiſche Uebermacht Rüdficht nehmen und vor jeder Annäherung Preußens an Rußland Angit haben mußten! Wir haben den Gedanken an Wiedererwerbung Schleſiens aufgegeben, dafür werden wir aber eine Menge anderer Vorteile

') Krones, Geſchichte Tefterreichs, IV, 567.

560 Zweites Bud. Bierter Abſchnitt.

ernten, an welche bisher bei dem geipannten Verhältnis zwiichen Defterreich und Preußen nicht zu denfen war!!) Die jelbjtgefälligen Worte erinnern an eine aus dieſen Tagen ftammende Denkſchrift (vom Fürften von Ligne?), die neben „den brei geiftreihen Diplomaten Deiterreihs”, Mercy, Thugut und Ludwig Cobenzl, für den Nachfolger des Fürften Kaunig nur ein Lob bat, das die Schatten hell und die Lichter dunkel zeigt: „Er ift von einer fo vollendeten Mittelmäßigkeit, von einem fo glücklichen Selbftvertrauen, daß er ftets über den Ereignifien fteht, denn wie fie auch fallen mögen, er manipuliert unerfchütterlich immer in derjelben Weiſe, immer ſich jelbit gleich.” *) Cobenzl und Spielmann hatten nur die eine Eorge, daß der Gewinn Baierns, wenn dafür die Nieder: lande abgetreten werden müßten, als Geichäft nicht einträgli genug fei, und glaubten deshalb noch weiteren Erſatz fordern zu dürfen. Die joeben erft mit Preußen vereinigten fränkiſchen Markgrafſchaften, meinte Spielmann, fönnten wohl noch hinzugelegt werden, um jo mehr, da fie ohnehin in den Rahmen des nordiſchen Königreiches nicht paßten. Allein Haugwig, der Nachfolger Jacobis, erklärte fofort, von Ansbah und Baireuth könne gar nicht die Rede fein.®) Das preußifche Kabinett, dem Neuß den nämlichen Wunſch vorgetragen hatte, wies voll Entrüftung den Gejandten an, dem Wiener Hofe auch nicht die leifefte Hoffnung auf die fränkifhen Provinzen zu laſſen. Welches Anfinnen an den Bundesgenofjen, der doch nur im Intereſſe Oeſterreichs das Schwert gezogen babe! Das ganze Verhalten der Wiener Herren in der Entihädigungsfrage gebe gerechten Anlaß zu Argwohn und Klage; Preußen fünne deshalb nichts Beſſeres thun, als fich aufs engfte an Rußland anzuſchließen. Damit waren die beiderjeitigen Forderungen vorläufig zu den Akten gelegt, die Vorgänge auf dem Kriegsihauplag ermutigten ja nicht mehr zu folden Erörterungen.

Auch über die Mitwirkung der Emigranten am Feldzug beitand Meinungs: verjchiedenheit; in Berlin erblidte man darin einen hervorragenden Faktor bei der Abrechnung mit dem revolutionären Frankreich, in Wien tracdhtete man, die Prinzen nad Möglichkeit fernzuhalten. Die kurböhmiſchen Wahlbotihafter waren durch ihre Inſtruktion angewieſen worden, den Voritellungen der Prinzen „jo lange als möglich auszumweichen”, wo es aber mit Anftand nicht gefchehen könne, kurz zu äußern: „wenn die Prinzen auf Unterftügung der friegführenden Mächte fih Rechnung machen follten, jo müßten fie ſich auch ihren Bedingniffen und ihren Plänen zu folgen gefallen lajjen.“) In Mainz bejhlofien die Ver: treter der friegführenden Mächte der Herzog von Braunſchweig, Feldmarſchall Lacy, Cobenzl, Schulenburg und Spielmann —, den Prinzen nur noch eine einmalige Unterftügung von 200000 Gulden zu gewähren, die von ihnen ge: fammelten Truppen unter die preußiichen und öfterreihifchen Armeen zu ver: teilen und die Ausgaben aus erbeuteten franzöfiichen Kaſſen zu deden oder auf gemeinfame Rechnung zu fegen. Für die bejegten franzöfifchen Provinzen follte

’) Vivenot, II, 129; Ph. Cobenzl an 2. Cobenzl, 16. Juli 1792.

*; Hüffer in der Allgem. d. Biographie über Ph. Cobenzl, 4. Bb., 365.

’) Preuß. St:Ardiv. Bericht Haugwitz' vom Iy. Aug. 1792. Erla des preuß. Mini: fteriums vom 20. Auguft 1792. ;

*) Bivenot, II, 63; Punktation für die tgl. böhm. Wahlbotfchafter nah Frankfurt.

Der Krieg und das Deutfche Reid). 561

nicht einer der Prinzen, ſondern bis zur endgültigen Regelung durch den König der Herzog von Braunfchweig die Statthalter und Vermwaltungsbeamten auf: ſtellen. „Sollte fi der ganz unverhoffte Fall ereignen, daß fi die franzöfi: ihen Prinzen die feftgejegten Bedingungen nicht gefallen laſſen und nad ihrem eigenen Dünfel jeparatim agieren wollten, jo bliebe nichts weiter übrig, als daß des Herrn Herzogs Durdlaudt eine Proflamation ergehen ließe und bar: innen die Prinzen ihrem eigenen Schidjal aufgebe.” })

Die Vertreter Preußens hätten jo jchroffen Maßnahmen gegen die Prinzen gewiß nicht zugeftimmt, wenn nit König Ludwig ſelbſt dur einen eigenen Gejandten um Schuß ebenſo gegen feine nächſten Verwandten wie gegen bie Uebergriffe der Nationalverfammlung nachgeſucht hätte.

Seit der Kriegserflärung ſchwankte Ludwig zwiſchen der Belorgnis, durch feine Einwilligung zu dieſer Löſung des Anotens das Verhängnis auf fi ge: laden zu haben, und der Hoffnung, die Verbündeten, die er vor der Welt als feine Feinde bezeichnen mußte, in kurzem als Befreier in Paris zu begrüßen. Der Argwohn, daß der König in heimlicher Verbindung mit den Landesfeinden jtehe, trieb alle, die Furcht vor dem Kriege hegten, in die Reihen der Gegner. Die Menge juchte fih in Begeifterung für den Krieg bineinzujchreien, doch jeder wußte, welch gefährliche Folgen der Zujammenftoß mit der feindlichen Ueber: macht haben fünne, und machte dafür den vermeintlihen Anftifter verantwortlich. Im girondiftiichen Kabinett jelbit war zwiichen den „Entichievenen” und „Ge: mäßigten” Streit ausgebroden; jest galt Dumouriez, weil er den gegenwärtigen Zuftand, „die Nepublif mit einem König an der Spike” erhalten wollte, als „Abtrünniger”. Der Gatte der Madame Noland, der „Stoiker“ Servan und andere Kollegen, bie eine Republif ohne König wollten und zum Umſturz des Thrones entichloflen waren, befamen die Oberhand. Roland wurde durch könig— lihe Verfügung entlaffen, doch auch Dumouriez konnte ſich nicht mehr halten; er ging zur Armee, um, wie er in der Nationalverjanımlung beteuerte, als Soldat zu fterben, denn an Sieg jei bei den durch die früheren Kriegsminiiter verſchuldeten Mißſtänden im Heerwejen nicht zu denken. Auch Lafayette jchrieb an die Ver: jammlung, er müfje an günftigem Erfolg der franzöfiihen Waffen verzweifeln, nicht bloß, weil es an Yebensmitteln, Kleidung und Geld fehle, jondern weil der Soldat bei dem nimmer endenden Streit der Parteien, bei dem Anwachſen des ruchlofen Jakobinertums, nicht mehr wifle, für wen er fein Leben zu opfern babe.?) Die „Entjchiedenen”, die bei folhen Anklagen den Boden unter ihren Füßen wanken fühlten, bezichtigten die „goldbetreßten Fürftenfnechte” laut des Verrats. „Gibt es denn feine rechtichaffenen Bürger mehr?” rief Merlin im Jakobinerklub, „will feiner die Ehre beanipruchen, einem niedrigen Verräter den Dold ins Herz zu ſtoßen?“ In jenen Tagen gab fih „Antinous Barbarour“ mit Roland ein Stelldihein in des Erminifters Haus in der Rue Saint Jac: ques, „dem ftillen Aſyl eines mweltvergeilenen Philoſophen“.“) Beide hegten die

) Bivenot, II, 145. Mainzer Konferenzprotofoll vom 20. Juli 1792.

) Bouchez et Roux, XV, 69,

) M&moires de Madame Roland, publ. par Berville et Barriere, II, 187. Heigel, Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs d. Gr. bit zur Auflöjung des deutſchen Reichs. 1. 36

502 Zweites Buch. Vierter Abfchnitt.

Ueberzeugung, daß Franfreih verloren jei. Lafayettes Nordarmee werbe mit fliegenden Fahnen zum Feinde übergehen, das mitten im Lande ftehende, zucht- lofe Heer werde den Durchbruch des Feindes nicht aufhalten, in drei Wochen jei der Einzug der Defterreiher in Paris zu erwarten. „Haben wir darum“, rief Roland, „drei Jahre an der allerihöniten Revolution gearbeitet, um fie an einem Tage zu Grunde gehen zu jehen? Verhindern wir diefes Unglüd! Be: waffnen wir Paris!” !) Immer häufiger war das Wort zu hören: Aufftand ift die heiligfte Pflicht des wahren Patrioten! Den Ausschlag gab die Weigerung des Königs, einem Defret, wonad die eidweigernden Geiftlichen verfolgt werben jollten, jeine Zuftimmung zu geben. Darauf muß das Volk eine deutliche Ant: wort geben, riefen Briffot und feine Leute, die gefinnungstüdhtigen Minifter müſſen zurücdgefordert, dem Hof muß beilfamer Schreden eingeflößt werden. Am 20. Juni, dem Jahrestage des Schwures im Ballhaufe, follte eine groß: artige Kundgebung den Verrätern in den Tuilerien die Macht des Volkes vor Augen bringen. Die Bewegung ging von den Girondiſten aus, aber die Leitung ging ihnen bald verloren, der roheite Pöbel feierte Orgien in den Tuilerien, die Mitglieder der föniglihen Familie wurden in ihren eigenen Gemädern ſchmählich beihimpft und mißhandelt. Daß der von rafenden Raufbolden bedrängte König, um jein Leben zu retten, die rote Mütze aufjegen und auf freiheit und Gleichheit trinken mußte, wurde nicht bloß an den legitimiftiicden Höfen, jondern aud von vielen Franzofen ala Herabwürdigung der Krone und derNation empfunden. Des: halb ftaute auch nach den ſchamloſen Auftritten des 20. Juni die Bewegung zurüd. Die Girondiften hatten durch die Entfeffelung der Volksleidenſchaft nit einmal erreicht, was fie angeftrebt hatten; der König hatte fi) troß dem Gebrüll des ‚leifhers Legendre und der gegen ihn erhobenen Spieße und Stangen ftandhaft geweigert, Roland zurüdzurufen und die Nechtung der Priejter zu genehmigen. „am 20. Juni”, jagt die Staöl, „zeigte König Ludwig alle Eigenjhaften eines Heiligen, da es zu jpät war, ſich als Held zu retten!” ?) Nachdem fih die erite Aufregung und Angft gelegt hatte, empfand der ehrenhafte Teil der Bürger: Ichaft die Mißhandlung eines Monarchen, einer fremden Frau, eines wehrlojen Mädchens, als eine Schmach für ihre Stadt. Auch an vielen anderen Orten waren ähnliche Greuel verübt worden, die Entrüftung über diefe Erniedrigung von Staat und Gejellichaft öffnete vielen die Augen, Faſt jämtlihe Departe: mentsräte, ſowie zahlreihe Städte ſprachen der föniglihen Familie ihre Teil: nahme aus; Lafayette ging felbit nad) Paris, um dem König gegen die Piden- träger und ihre Aushälter und, falls fih die Nationalverfammlung nicht zur nachdrücklichen Beitrafung der Nädelsführer entichließen jollte, auch gegen die „Faktiöſen“ feine Dienfte zur Verfügung zu ftellen. °)

Doch dieſe Leute hatten das föniglihe Paar jo oft gedemütigt und ver: raten, daß ihre Schwenfung nur mit Mihtrauen aufgenommen wurde. „Der Königin”, fo verfihert ihr Milhbruder Weber, „dünkte es beffer, zu Grunde zu

! Charles Barbaroux, Memoires, publ. par Berville et Barriere I, 37. ) Staöl, Betradhtungen, III, 55. ) Glaaau, General Lafayette und der Sturz der Monarchie; Hift. Zeitichr., Bd. 82, 279.

Der Krieg und das Deutſche Neid. 563

gehen, als ſich Verbindlichleiten aufzulegen gegen Schurken, welde die Masfe treuer Anhänglichfeit nur annahmen, um ihre Angft zu verbergen.“ !) Als bie Prinzeſſin Elifabeth ihre Schwägerin mahnte, das Vergangene zu vergeflen und ih an den Mann anzujchließen, der allein Rettung bringen fünne, rief die Königin: „Lieber fterben, als fi von Lafayette und den Konftitutionellen retten lafjen!” ?) Lafayette ſchlug dem König vor, nad Compiegne zu fliehen und fih dem Schuge der königstreuen Truppen anzuvertrauen; Ludwig weigerte fich aber, Paris zu verlaffen, da er im Süden in eine Sadgafje zu geraten fürdhtete und dur Flucht nach dem Norden nicht den Anfchein weden wollte, als trachte er den Deiterreichern entgegenzugehen. Lafayette möge feine Stellung als Heer: führer gut ausfüllen, ermiderte Ludwig auf ale Vorftelungen, dadurch werde der General das Vertrauen der Armee gewinnen und fi in ftand ſetzen, bie: jelbe im rechten Augenblide für die gute Sache aufzurufen.) Offenbar jegte Ludwig feine einzige Hoffnung auf die Ankunft der deutichen Heere. Um für die Anjhauungen und Wünſche des Monardhen Stimmung zu maden, wurde der Genfer Mallet du Pan mit einer Empfehlung des Königs nad Deutjchland gelandt. Er fand überall ehrenvolle Aufnahme, nur nit in Koblenz am Hofe des Grafen von Provence, der fich jeit der Gefangennehmung des Königs ſchon als Ludwig XVII. fühlte. Der Schweizer wurde nicht einmal vorgelaffen und mußte fih begnügen, einen Brief an die Prinzen zu übergeben. Das Leben der föniglihen Familie ſei ernftlih bedroht, war darin dargelegt, wenn ſich bourbonifhe Prinzen an die Spike deutſcher Truppen jtellen wollten; ganz Frankreich würde dann der jafobiniihen Behauptung, daß das Land auf An: ftiften der Emigranten den Schreden des Krieges preisgegeben werde, Glauben ihenfen, und vielleiht um einer einzigen unbedachten Handlung willen würde die Rache der Nation das ganze Königshaus treffen.*)

Wie der Vertrauensmann Ludwig XVI. die Lage auffaßte, jchilderte er freimütig in feinen jpäter niedergeichriebenen Betradhtungen über die franzöfiiche Revolution. So lange es in Franfreih einen König und eine monarchiſche Kon— ftitution gegeben habe, fei unter „Gegenrevolution” nichts anderes zu verftehen gemejen, als MWiederherftellung der alten Verfaſſung mit ihren traurigen Mängeln und Fehlern; um die Mitte des Jahres 1792 habe alfo noch fein rechtſchaffener und aufgellärter Mann nad) einer Gegenrevolution Verlangen tragen fönnen. „Auf Verbeiferung, Umarbeitung, ja gänzlihe Umgeftaltung der von der National: verjammlung aufgebauten, abenteuerlihen Konftitution mußte gejonnen werben, aber nad) jo vielen unrubigen, angftvolen Tagen einfach den Zuitand, ber die Nevolution gezeugt hatte, wieder aufleben machen, das fonnte unmöglich in den Wünſchen einee wahren Patrioten und Menjchenfreundes gelegen jein!”®)

’, Jos. Weber, M&moires concernant Marie Antoinette, reine de France, li, 198.

2) Sybel, I, 409.

’, Buchez et Roux, 15. tom, 249.

*, Mallet du Pan, Memoires et Correspondance pour servir à lhistoire de la revolution frangaise, reeueillis et mis en ordre par Sayous, I, 296.

°) Mallet du Yan, Ueber die franzöi, Revolution und die Urfachen ihrer Dauer, über: jegt von Friedr. Gentz, 175.

564 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

Sn diefem Sinne ſprach Mallet du Ban aud vor den Bertretern der deutihen Mächte in Mainz, wo er vom 15. bis 18. Juli verweilte.!) Nament: lid) auf Betreiben diefes ebenſo aufgeflärten, wie fünigstreuen Politikers wurden für die Beteiligung der Emigranten am Feldzug jo enge Schranken gezogen. Mit diefen Grundfägen ftimmt auch das preußiſche Manifeſt vom 23. Juni überein, das in rubhigem, würdigem Tone die Gründe der Teilnahme Preußens am Kriege Defterreichs darlegt.”) Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß nichts anderes beabfichtigt werde, als der Anardie in Frankreich zu fteuern, den im Eljaß begüterten deutichen Fürften zu ihrem Nechte zu verhelfen und den eigenen Staat gegen die Nufwiegelung der Jakobiner ſicher zu ftellen.

Leider erhielt eine andere Kundgebung der verbündeten Mächte, das viel: genannte Manifeft des Herzogs von Braunfchmweig, durch Einwirkuug des „aus: wärtigen Frankreichs“ leidenjchaftlihere Züge.

Am 25. Juli erließ Karl Wilhelm von Braunfchweig als Führer der vereinigten preußifhen und öfterreihiihen Truppen einen Aufruf an die Fran: zoſen, der einerjeits die Verfiherung enthielt, daß von den deutſchen Mächten nichts anderes als die Wiederaufrihtung des legitimen Thrones und der gejeß: lihen Macht beabfichtigt werde, andererjeits die Aufforderung, daß alle Bejon- nenen und Gutgelinnten an die Befreier ih anſchließen ſollten.“) Wer fih aber weigert, zur Wiederheritellung der Ordnung die Hand zu bieten, fol als Rebell zur Strafe gezogen werden. Die Mitglieder der Nationalverfammlung, der Munizipalitäten, der Nationalgarde find mit Leib und Leben für jedes un: ziemlihe Vorgehen gegen die föniglihe Familie verantwortlid. „Die Stadt Paris mit allen Einwohnern ohne Unterſchied joll ſich fogleih und ohne Zögern dem Könige unterwerfen und ihn in volle Freiheit jegen; für jede neue Be: leidigung der föniglihen Familie ſollen alle Mitglieder der Nationalverfammlung, jowie der Staats: und Gemeindebehörden mit ihrem Leben verantwortlich ge: macht, die Stadt Paris ſoll einem militäriſchen Strafgericht und gänzlicher Zer: ftörung, die wiberjpenftige Einwohnerſchaft der furdtbariten Rache ausgeliefert werben.”

Magifter Laukhard, der bei Beginn des Feldzuges als preußiſcher Soldat im Luremburgiihen ftand, verfichert, alle Welt habe von diefem Manifeft er: wartet, daß es die deutſchen Armeen der Mühe überheben werde, in Frankreich einzubringen; er jelbft habe freilich der Nürnberger gedenken müfjen, die feinen hängen, fie hätten ihn denn. ‘)

Unwilltürlih drängt fih die Frage auf: Wie fonnte Karl Wilhelm von

!; Mallet du Pan, M&moires, I, 306.

2) Kurze Darftellung der Gründe, welche Se. Majeftät den König von Preußen bewogen haben, gegen Frankreich die Waffen zu ergreifen; Polit. Journal, Ihgg. 1792, 802.

®) Declaration de Son Altesse le duc rögnant de Brunswick-Lunebourg, commandant les armées combinces de SS. M. M. l'’empereur et le roi de Prusse, adressée aux habitans de la France; Buchez et Roux, 16. tom., 276. Heigel, Das Manifeft des Herzogs von Braunfchmweig vom 25. Juli 1792; Situngsberichte der Hiftor. Klaſſe der Münchner Akademie, Ihgg. 1896, 633.

4, F. €. Laufbards Leben und Schidfale, III, 99.

Der Krieg und das Deutſche Neid. 565

Braunſchweig, der aufrihtige Freund der Aufflärung und der franzöfifchen Litteratur, ein Fürft, deffen „Fineſſe“ von Mirabeau gerühmt wird, dem noch furz vorher von der franzöfiihen Nationalverfammlung ehrenvolle Anerbietungen zjugegangen waren, für ein Schriftftüd von jo gewaltthätigem, prahleriſchem Charakter feinen Namen hergeben? Dieje Frage it jchwer zu beantworten. Zur Löſung des Rätſels ift behauptet worden, dem Herzog babe ein Konzept ohne die berüdtigte Stelle von der Bedrohung der Stadt Paris zur Unterzeihnung vorgelegen; als ihm ſpäter das gefälfchte Dokument in die Hand gefommen, habe er es zornig zerriffen, ohne jedoch den Mut zu finden, es öffentlich zurück— zumeifen.!) Auch der freilich als Gewährsmann nicht unverbädtige preußifche Oberſt Mafjenbah erwähnt eine Neußerung des Herzogs: „Sch würbe gern mein Leben hingeben, wenn ich die Unterzeihnung des Manifeſts ungejchehen machen könnte!“?) Vieleicht hat der Herzog wirklich die Veröffentlihung des widerwärtigen Schriftftüds in vertrautem Kreife beflagt; ganz gewiß ift aber die Fälſchungs— gefhichte erfunden; der Herzog hat, daran it nicht zu zweifeln, das Manifeft, fo wie e& gedrudt vorliegt, unterzeichnet. Abgefehen von der jchuldigen Rück— ficht auf Kaifer und König, Karl Wilhelm war zu ſehr Soldat, als daß er fi im Augenblid des Einmarſches in Franfreih von philanthropiihen Erwägungen oder perjönlichen Neigungen hätte leiten laſſen.

Der Erlaß einer auf Einfhüchterung der Oppofitionsparteien berechneten Erklärung der friegführenden Mächte ift auf unmittelbaren Wunfch des fönig: lichen Paares zurüdzuführen. Marie Antoinette ſchickte ſchon bald nad ber Kriegserlärung dem Grafen Mercy „Ideen, welche die Grundlage des Wiener Manifeits bilden folen”, in welchen aber feine Drohung enthalten ift.?) Da: gegen wurde, als der König den Schweizer Mallet du Pan mit dem Entwurf zu einem Manifeft der Mächte beauftragte, in der Inſtruktion ausdrüdlich ge: fordert, es jollten die Mitglieder der Nationalverjammlung und der Behörden perfönlihd mit Gut und Blut für alle gegen ben König und die fönigliche Familie, ſowie gegen Leben und Eigentum der Bürger gerichteten Angriffe ver: antwortlih gemacht werben.‘) Einen nad diefen Richtpunften bearbeiteten Ent: wurf legte denn aud Mallet du Pan den deutſchen Staatsmännern in Mainz vor. Sybel vermißt in diefem Schriftitüd eine entjchiedene Gemwährleiftung, daß die verbündeten Mächte nicht bloß feine Eroberung, fondern auch nicht die Wieder: aufrichtung des Feudalitaates in Frankreich beabfichtigten.’) Eine Andeutung war

) &o die Memoires tirds des papiers d’un homme d'etat sur les causes secrötes, qui ont determine la politique des cabinets dans la guerre de revolution depuis 1792 Jasqu’en 1815 (Paris 18283—1838), I, 404, ein Werf, das früher in hohem Anfehen ftand und fogar bem preuß. Stantäfanzler Fürften Hardenberg zugefchrieben wurde, von Ranfe und Sorel aber als eine von den Publiziften Schubart und Beauhamp zurecht gemachte Kompilation nachgewieſen worden ift. Der unkritiſche Michiels (L'invasion Prussienne en 1792 et ses consdquences, 1880, 235) läßt trogbem die M&moires tirds des papiers d’un homme d'état ald Werk Hardenbergs figurieren.

?) Maffenbah, Memoiren zur Geſchichte des preußiſchen Staates, I, 236.

2) Feuillet de Conches, VI, 4.

) Mallet du Pan, M&moires, I, 284.

) Sybel, I, 491.

566 Zweites Bud. Vierter Abichnitt.

aber wenigitens gegeben in der Verfiherung, daß zwiſchen der geſetzloſen Partei und ben freunden einer gemäßigten Freiheit unter einem Monarchen mit gejeglich beihräntter Machtvolllommenheit unterihieden werden follte. Allerdings hätte noch Elarer und beftinnmter ausgeiprochen werden fünnen, daß die Bundesgenoſſen des Königs ebenjowenig, wie diejer jelbit daran dädten, die wichtigſten Er: rungenihaften des Jahres 1789: die Zugänglichkeit aller Aemter und Ehren für alle Stände, die Aufhebung der gutsherrlichen Rechte und die Abſchaffung der Kirhenzehnten, rüdgängig zu machen. Doc nicht einmal die abgeſchwächte Be: tonung des Konftitutionalismus, wie fie Mallet du Pan fi erlaubt hatte, fand den Beifall der deutichen Staatsmänner; aus Dlallets Entwurf wurde wohl der eine und andere Gedanke bei Abfaſſung des Manifefts berüdfichtigt, aber in jo vergröberter form, wie fie der kluge Schweizer nie gebilligt hätte.

Dagegen wurde ein anderer, mehr der Auffafjung und den Wiünfchen der Emigranten entiprechender und auch aus ihrem Lager gefommener Entwurf zur Grundlage der „Deklaration“ beftimmt. Im Auftrag des Grafen Ferien hatte denjelben Herr von Limon, früher Finanzdireftor des Herzogs von Orleans, jeit furzem aber ein feuriger Anhänger der legitimen Grundfäge, ausgearbeitet und in Frankfurt den faiferlihen Miniſtern übergeben.) In Main; wurde das Schriftſtück auch dem Grafen Schulenburg mitgeteilt, und nach Vornahme einiger Menderungen fam dasjelbe in den Drud. Die wichtigſte Menderung war der Abftrih der ganzen Einleitung des Entwurfes. Später itellte Limon die Be: bauptuna auf, nur diejer Abjtrih habe den üblen Eindrud des Manifefts in Frankreich verjchuldet, denn ohne die vorbereitenden, erflärenden Worte habe die Drohung mit der Einäſcherung von Paris nur als brutale Prahlerei wirken fönnen?). Zugleich beklagte Limon die verfrühte Veröffentlihung des Manifeits; man habe ihm in Mainz verſprochen, dasjelbe erit, wenn die Armeen der Ver: bündeten vor den Thoren von Paris jtänden, befannt zu machen; ftatt deflen jei die Kundgebung ſchon bei dem erften Einmarfch ver Preußen auf franzöfiiches Gebiet erfolgt, aljo zu einer Zeit, da die Pariſer nod gar feinen Anlaß hatten, fih beunruhigt zu fühlen.

Die eine Beſchwerde ijt jedoch jo wenig begründet wie die andere. Der geftrihene Teil des Entwurfes Limon hat denjelben geiondert al& Maniteste de tous les peuples ?) erſcheinen laffen iſt im Tone nicht minder heraus: fordernd und beleidigend, als der beibehaltene, und in Bezug auf die Veröffent: lihung ergibt fih aus den Briefen Limons an Schulenburg gerade das Gegen: teil des ſpäter Behaupteten. Der Verfaſſer verlangte Verteilung von großen

', Mäheres bei Heigel a. a. D., 648, mit Zugrundelegung der im Berliner Staatsardiv verwahrten Horreipondenz in Betreff der Entihäbigung Limons für die Auslagen bei Aus: arbeitung des Manifefts. Yimon erhielt 1793 vom Wiener Hofe 200 Friedrichsdor, während er in Berlin mit feiner fyorderung abgemwielen wurde. „Hoffen wir nunmehr,” jchrieben die Minifter Haugwis und Alvensleben am 13. Februar 1795 an den ehemaligen Kollegen Schulenburg, „diefen läftigen Querulanten auf immer abgeftreift zu haben“.

2) Schreiben Limons an den König von Preußen vom 16. Dftober 1796.

’) Auch eine Meberfegung erihien: Manifeit aller Völler genen die franzöſiſche Revolution, von einem auägewanderten Franzoſen (Wien 1792).

Der Krieg und das Deutiche Reid. 567

Maſſen von Eremplaren an die Mitglieder der Generalverfammlung, die Befehle: baber der franzöfiihen Feitungen und die Bürgermeifter der franzöfiichen Städte; Schulenburg beichränfte fih auf Verſendung an Zeitungen und die fremden Höfe.

Die Wirkung war jedod eine ganz andere, als die deutfchen Monarchen und ihre Ratgeber erwartet hatten.

Den ins Pulverfaß fallenden Funken nennt Michelet das Manifeft. Der Verfaſſer der Geſchichte der Schredensherrichaft, Mortimer-Ternaur, beflagt, daß mit diefem Scriftitüd den Gegnern des Thrones ein furdtbares Beweisftüd in die Hände gejpielt wurde. Sorel nennt das Manifeft „berühmt in der Gejhichte der diplomatiſchen Unverſchämtheiten“. Sogar der in feinem Urteil immer ge: mäßigte Chuquet verliert, daß an unermeßlich verderbliher Wirkung der un: bejonnenen Herausforderung des franzöfiichen Volkes nicht zu zweifeln fei.

Es braucht nicht erft nachgewieſen zu werben, daß die Meuterei vom 10. Auguit 1792, die den Sturz des Königtums nad ſich 309, von langer Hand vorbereitet war. Die Klubs und die Kommune fonnten nicht bei dem halben Erfolg des 20. Juni ftehen bleiben; der 10. Auguft war die logiiche Folge des vorausgegangenen Angriffes auf den Königsthron. Man darf alfo wohl jagen: Das Manifeft des Braunichweigers hat die Schreden des 10. Auguft ebenjo wenig heraufbeſchworen, wie ein freundlicheres fie verhindert hätte.

Doh beſchleunigt hat es vielleiht die Abjegung des Könige, und vor allem gab es den Vorwand zur Beihönigung der rohen Gemwaltthat, denn nun fonnte den Drohungen des angeblih mit den Tuilerien verbündeten Auslands patriotijcher Stolz der beleidigten Nation entgegengejegt werben.

„Welche Unwiſſenheit oder welche Kedheit fpricht fih in diefem Schriftſtück aus!” ruft der ‚Moniteur‘ gelegentlicd der eriten Bekanntmachung am 3. Auguit aus,!) „wenn ein Franzoſe jo etwas mit ruhigem Blute lejen kann, dann möge er fih zu der Hand voll Leute jchlagen, denen unjre alten Minifter und nad ihrem Beijpiel der Fremdling den jauberen Namen „gejunder Teil der Nation“ gegeben haben; er ift unwürdig, feine Eide zu halten und für des Volles Frei: beit zu fechten!... Das franzöfiiche Bolt muß fih nun jener Wüteriche er: wehren, jener Elenden, bie jchon jeit drei Jahren darnad) lechzen, die Bruft des eigenen Vaterlandes zu zerfleiihen, muß ſich zugleich erwehren der Tyrannen, die es im eigenen Intereſſe auf den Untergang einer freien Monardie ab: gejehen haben!”

König Ludwig ſuchte den üblen Eindrud des Manifeits dadurch abzu: ihwähen und von fich abzulenken, daß er der königlichen Botſchaft, die der Nationalverfammlung das Manifeit zur Kenntnis brachte, die Verficherung bin: zufügte, er werde an Ernft und Eifer in Verteidigung des WVaterlandes von niemand fich übertreffen laſſen. „Man wird niemals erleben, daß ich mich über Ruhm oder Vorteil der Nation hinwegſetze, daß ich mir von den Fremden oder von einer Partei Gejege vorjchreiben laſſe; bis zum legten Atemzuge will ich die nationale Umabhängigfeit verteidigen!” ?) Allein die Verlefung der fönig-

Moniteur, 1792, Nr. 298. ) Buchez et Ronx, 16. tom., 311.

568 Zweites Bud. Vierter Abjchnitt.

fihen Worte wurde öfter durch Murren unterbroden und auch der volltünende Schluß nur mit finfterem Schweigen aufgenommen. An jhönen Worten, rief Ducos, habe es dem Könige nie gefehlt, doch die Thaten jeien nur ein fort: geiegter Verrat am Vaterlande. Isnard behauptete, das Manifeft entipredhe durchaus den Anfichten und Wünfchen der Tuilerien, ja, Maire Pethion begehrte im Namen der Pariſer Sektionen jofortige Abjegung des Königs und Berufung eines Nationaltonvents. „Feindlihe Armeen bedrohen unfer Gebiet, zwei Deipoten veröffentlihen gegen die franzöfiihe Nation ein ebenfo unverjchämtes wie albernes Manifeftl. Schon ftellt der Feind an den Grenzen unferen Soldaten jeine Henker entgegen. Um den König zu rädhen, haben Tyrannen den Wunſch Galigulas erneuert, daß fie mit einem Schlag allen Bürgern Frankreichs den Untergang bereiten wollen.”

Zwar zeigte jih, daf die Nationalverfammlung für die Pläne der radi— falen Gruppe des Stabthaufes noch nicht reif war; die Mehrheit verwies ben Antrag an einen Ausfhuß, was von den Jakobinern als Niederlage empfunden wurde. Um fo leidenjchaftliher wurden die Schmähungen Isnards und die Forderungen Pethions in den nächſten Tagen in Klubs und Volksverfammlungen wiederholt, bis der entjcheidende Angriff auf den Thron gewagt werden fonnte. Der 10. Auguft, im wejentlihen das Werk Dantons, brachte Aufftand der Vor: ftädte, Sturm auf die Tuilerien, Flucht des Königs in die Nationalverjamm- lung, Abjegung des Oberhaupts der vollziehenden Gewalt „zur Sicheritellung der Oberhoheit des Volks und der Herrihaft unbefchränfter Freiheit und Gleich: beit”.!) Die abgefegten Gironbiften Roland, Servan und Claviere gelangten wieder auf ihre Minifterftühle, doch zu ihrem Kollegen wurde von einer ftarfen Mehrheit der Nationalverfammlung Danton ernannt, ein ſchlagender Beweis, daß eine neue Wandlung der Revolution fi vollzogen, das Regiment der „rüd: fihtslofen“ Umſtürzler begonnen hat.

Dieje Entwidelung der Dinge in Frankreich wäre zweifellos dazu angethan gemwejen, den Kriegseifer der Verbündeten zu beleben; die Monardie konnte ja nur gerettet werden, wenn ihren Verteidigern rajcher Sieg zufiel, ehe Frankreich zur Aufbietung feiner unermeßlichen Hülfsmittel Zeit gewann. Trotzdem bildete für die maßgebenden politifhen Kreife nicht der Krieg mit Frankreich den Mittel: punft der Intereſſen; während die Heere langjam gegen Frankreichs Grenze rüdten, war die hohe Diplomatie vorwiegend mit der Frage beihäftigt: wird es zu einer neuen Teilung Polens fommen, und welche Ausdehnung wird fie annehmen?

Gegen Ende des Yahres 1793 erſchien eine vom polniihen Unterfanzler Rallontaj verfaßte Schrift „Wom Entitehen und Untergang der polnifchen Kon: ftitution vom 3. Mai 1791”, fie follte den Beweis liefern, daß Polen nur der Vergewaltigung dur die Nahbarmächte erlegen jei; unzweifelhaft wäre es dem tugendhaften Reichstag gelungen, den Staat aus den jeit Jahrhunderten feft: gewurzelten anarchiſchen Zuftänden emporzubeben, wenn nicht, die Raubluft des Zarenreiches, die Tüde Preußens und der Verrat des Königs Stanislaus den

!} Buchez et Roux, 17. tom., 18.

Preußen und Polen. 5059

hoffnungsvollen Anfängen ein jähes Ende gejegt hätten. Diefe dem ftarf ent: widelten nationalen Stolz Rechnung tragende Darftellung wurde für die Nation zum gejhichtlihen Dogma; erft in neuerer Zeit hat Kalinfa den Nachweis ge: liefert, daß Kallontajs Schrift ein einfeitiges Parteiinterefje vertritt, daß Die Schuldigen im eigenen Haufe, die Urſachen des jchmerzlichen Ereigniffes von 1793 in den inneren Verhältnifien des Reiches zu juchen find. !)

Damit find auch zum Zeil die Vorwürfe entfräftet, die von den be: rühmten, in ihrer Wirkung an die Yuniusbriefe erinnernden „14 Briefen über das Fürftenbündnis und die Teilung Polens und Frankreichs“ ins: beiondere gegen Preußen gerichtet wurden.?) Eine Teilung Frankreichs, To iſt hier ausgeführt, würde die fiegreihen Mächte noch weit gefährlicher machen, als es FFranfreih unter Ludwig XIV. war; um dieſe Gefahr abzuwenden, müffen alle anderen Nationen fi die Hände reihen. Dob nur Deflerreich würde dauernden Vorteil haben. Wenn Preußen fi mit Defterreih ver- bündet, jo gleicht es jenem ſchwachen Tiere in der Fabel, das fi eine Ehre daraus madht, mit dem Beherrſcher des Waldes jagen zu bürfen, bas aber bei der Teilung des Wildbrets mit Schreden gewahr wird, was ber Löwe als feinen Anteil beanſprucht. Auch eine Teilung Polens fann für Preußen nur jhädlih werden. „Der Berluft der Barriere, welche Polen bisher für Preußen gegen dieje furdtbaren Mächte (Rußland und Defterreich) gebildet hat, kann durd feinen vergängliden Gewinn erjegt werben, benn ein Drittel der Spolien von Polen in den Händen Preußens kann unmöglich zwei Dritteilen in den Händen diefer Nebenbubler, wenn fie gemeinjchaftlich zu Werke gehen, die Wage halten.” Oeſterreich wird immer danach traten, Schlefien wieder zu gewinnen, will auch Lothringen und Eljaß wieder haben und bie Rechte, auf welche ihm der Kaifertitel Anſpruch gibt, in vollem Umfange fich aneignen; es ift der natürlihde Bundesgenoſſe Rußlands, das fih, um das griechiſche Kaiſertum zu gewinnen, am liebiten mit dem ftärfiten und nächſten Nahbar verbinden wird. Es läßt ſich ſchlechterdings nicht begreifen, wie Preußen um zeitlichen, kleinen Borteild willen den freibeitsfeindlihen Plänen der großen Mächte Vorſchub leiftet. Und die preußiiche Politik ift nicht bloß unzwedmäßig, fie ift auch ungerecht! Denn wie läßt jich damit die im Bundes: vertrag vom 29. März 1790 gegebene Zulage des Schußes der polnischen Ne: publik vereinigen? Wenn in Polen inzwiichen infolge einer Revolution geſetz— [oje Zuitände eingerifjen wären, jo könnte einem Anjchlag gegen die Unabhängigkeit diefes Reichs menigftens ein bifchen Farbe verliehen werden; ‚wenn ſich aber ein Neih, deſſen Zerrüttung Iprichwörtlich geworden war, eine neue, von ganz

) Kalinka, Der vierjährige polnifche Reichstag, über], von Marie Dohrn, II, 469.

°) Die „Letters on the subject of the concert of princes and the dismemberment of Poland and France*, nur mit ber Unterihrift „A calm observer* verfehen, erichienen zuerft vom 20. Juli 1792 bis zum 25. Juni 1793 in dem engliihen Dppofitionsblatt The Morning Chroniele; aud in Buchform wurden fie herausgegeben, 1794 erſchien eine deutiche Ueberjetung. Der Berfafler ift nicht befannt; in England dachte man an den Earl of Chelburne (Bilbafoff, I, 654).

570 Zweite Bud). Vierter Abſchnitt.

Tugenden vom Bertreter Preußens hohes Lob gezollt wird, einen Thronfolger wählt, den Preußens Monarch ebenfalls laut und öffentlih als tugendhaften Fürften preift, der „dazu beitimmt ſei, Polen glüdlic zu machen”, und wenn dann Preußen trogdem einem Bündnis gegen Polen beitritt, jo handelt es gegen Bernunft und Vorteil, Recht und Gerechtigkeit! !)

Auch in des polniihen Schagmeifters Oginsfi Denkwürdigfeiten wird auf den Wideripruch hingewiejen, daß der preußijche Gejandte Graf Golg am 16. Mai 1791 im Namen jeines Königs der Befriedigung über die Umwandlung Polens in eine Erbmonardie Ausdrud gab, während nad zwei Jahren um diejer Ver: fafjungsänderung willen gegen Polen eingejchritten wurde.)

Der Vorwurf Oginskis ift auch nicht gänzlich unberedtigt. Obwohl das preußiiche Kabinett durch die Warjchauer Vorgänge am 3. Mai 1791 überrafcht und peinlich berührt war, trug es damals Scheu, den Staatsſtreich öffentlich zu verwerfen, fonnte doch jeder Tag den Krieg mit Rußland bringen, die Hülfe Polens aljo von großem Nugen werden! Als aber die Kriegsgefahr geihwunden war, gab das preußiiche Kabinett freilich jein Mihvergnügen über die Um: geftaltung Polens verftändlich genug zu erkennen. Auch der Pole Kalinfa weift deshalb den von polnijcher Seite erhobenen Vorwurf, das Auftreten des Ber: liner Hofes im Jahre 1792 fei für die Polen eine jähe Ueberrafhung geweſen und deshalb als Hinterlift empfunden worden, als unbegründet zurüd; Graf Golg habe ja dem Könige und dem Konftitutionsfreunden durchaus nicht ver- behlt, daß Preußen jeit der Auflöjung der alten Verfaſſung auch jeine Ver: pflihtungen gegen Polen als aufgehoben eradte.’) „Es fonnte fein Zweifel darüber beitehen, daß der Bund mit Preußen einen Riß befommen habe.” Auch die Thatfahe, daß der Kurfürſt von Sachſen jelbft nicht gejonnen war, um den polnifchen Thron ſich zu bemwerben,*) fonnte vom preußijchen Kabinett zur Entjehuldigung angeführt werden, wenn es der früheren Zuftimmung zum Programm vom 3. Dai 1791 feine Bedeutung mehr beimaß. Won entjchei- dendem Einfluß aber war das Vorgehen Rußlands, das die Anerkennung der neuen Verfaflung Polens grundjäglic verweigerte und den Schuß des durch die „Revolution von oben” beeinträchtigten Teiles der polniſchen Bevölkerung für fih in Anjprudh nahm. Die Zarin fonnte ja, wenn fie mit den Waffen gegen die polnische Regierung auftrat, in der Republik ſelbſt auf gefügige Diener und Gehülfen zählen.

Die Räder der Maſchine griffen trefflih ineinander. Felix Potodi, der für fi jelbit die Krone zu erlangen hoffte, Severin Rzewusfi, der nad fünfjähriger Haft in Sibirien demütig ins Lager feiner Verfolger über: ging, und Xaver Branidi, der infolge jeiner Verwandtſchaft mit Potemfin ein Parteigänger Ruplands geworden war, riefen die Hülfe der Zarin an. Ein nambajter Teil des polniichen Adels hielt fih für berechtigt und verpflichtet,

') Briefe über das Fürftenbündnis, 116, 121, 123 x.

*) Oginsfi, Denfwürdigfeiten über Polen; Pipik und inf, Bibliothef ausgewählter Memoiren, III, 1, 118.

’; Kalinta, II, 571.

+, Oginstt, III, 1, 123.

Preußen und Polen. 571

jein liberum veto und ſein Wahlrecht zu verteidigen, da nur durch Schwäche des Königtums und Unterbrüdung der Städte und des Bauernftandes die Auf: rechthaltung eines freien Gemeinmwejens verbürgt werde.!) Katharina ließ fich gern erbitten und jchritt unmittelbar nach Beendigung bes Krieges mit ben Türken dur den Frieden von Jaſſy (9. Januar 1792) zur „Ordnung“ Polens. Am 17. Februar 1792 eröffnete der Vizefanzler Graf Oftermann dem Grafen Gold, Rußland wolle die Bildung einer Macht erften Ranges an feiner Weit: arenze unter feinen Umjtänden bulden und erbiete fich deshalb zu freundbichaft: lihem Zufammengehen mit den deutſchen Großmädhten, die das nämliche Intereſſe hätten, unangemeflenes Wachstum und innere Feltigung Polens zu verhindern. Noch hielt fih Frievrih Wilhelm an den Vertrag von 1790 gebunden, doch war ihm auch Klar: die Ummandlung von ganz Polen in eine ruffiihe Provinz darf nicht zugelaffen werden. „Rußland ift nidht weit vom Gedanken einer neuen Teilung Polens entfernt,” erklärte er am 12. März feinen Miniftern, „das wäre freilih das wirkſamſte Mittel, die Macht eines polnischen Königs zu beihränfen, ſei er nun erblic ober wählbar. Indes zmeifle ich, ob fich dabei eine angemefjene Entihädigung für Defterreih finden ließe und ob nad einer ſolchen Beſchneidung der polniihen Macht der Kurfürft von Sachſen noch bie Krone annehmen würde. Immer aber wäre, wenn es gelänge, Oeſterreich zu entihädigen, der rufiiihe Plan der günftigite für Preußen, wohl bemerft, daß Preußen dabei das ganze linke Weichjelufer empfinge und dieſe weite, jetzt ſchwer zu dedende Grenze fih dann wohl abgerundet fände. Das ift mein Ur: teil über die polniihe Sache.““) Diejer Auffalfung gemäß wurde dem rufii- ſchen Gejandten in Berlin, Alopäus, volles Einveritändnis mit dem Plane der Zarin ausgeiproden und in Wien zu gemeinfamem Vorgehen der drei Mächte gegen Polen eingeladen. Insbeſondere das Ableben Leopolds war verhängnis- voll für Polen, mwenigitens war die Annahme weit verbreitet, daß der fried— liebende Kaifer ebenfowenig die Kataftrophe in Polen, wie den Zuſammenſtoß mit Frankreich zugelaſſen hätte. Erſt nad Xeopolds Tod gelang es der Zarin, den Einfluß der Gegner ihrer Politif an den Höfen von Wien und Berlin völlig zu brechen. ”)

Obwohl die Lage täglich düſterer wurde, glaubte man in Polen noch nicht an ernite Gefahr. Die erfte Wiederkehr des 3. Mai wurde in Warjchau mit braufender Begeifterung gefeiert. Ueberall ertönte Gejang mit dem Kehrreim: Der König mit der Nation! Die Nation mit dem König! Bei dem feftlichen Zuge nad der heiligen Kreuzkirche jubelten jung und alt, rei und arm dem Könige zu. Es war der lette, glänzende Freudentag des freien Polen!

Am 14. Mai 1792 erließen die in Targowitich verjammelten Nuffenfreunde im Namen des gejamten polnifchen Adels einen Proteft gegen die neue Ver:

) F. v. Raumer, Polens Untergang, 93. N. Bain, The second partition of Poland; The English Historical Rewiew, 1891, VI, 33 (mit Zugrundelegung der Berichte des ſchwediſchen Geſandten Engeftröm in Warfchau).

2 Sybel, 1, 465.

3, Oginsti, IIT, I, 142.

372 Zweites Bud. Vierter Abſchnitt.

fafjung. Vier Tage fpäter ließ Zarin Katharina in Warjhau eine an die Targomwiticher Alte fich anfchließende Erklärung überreichen; fie fönne den Staats: ftreih nur als Beleidigung aufſaſſen, da fie die alte Verfaſſung gewährleiſtet habe; auch Bedrüdung von Rufen und Rufjenfreunden habe fih der fogenannte Konftitutiong-Reihstag zu Schulden fommen laſſen, jo daß die Kaiferin zu ihrem Bedauern fih gezwungen ſehe, Truppen in Polen einrüden zu laſſen.) Da die Rüftungen noch in den Anfängen ftedten, beichloß der Reichstag, die im Vertrag von 1790 verbürgte Hülfe Preußens anzurufen. Allein Luchefini er: flärte, der König von Preußen habe feinen Anteil an den Neuerungen des ver: floffenen Jahres, halte fi alſo auch nicht für verpflichtet, zum Schuße der neuen Verfaſſung die Waffen zu ergreifen. Als Graf Ignaz Potodi nad Berlin eilte, um im Namen der Republik den König jelbit um Beiltand anzugehen, waren ihm nur üble Erfahrungen befchieden. Wo immer er anpodte, fand er nur froftige Aufnahme; der König Stanislaus und der Reihstag, jo wurde ihm erwidert, haben durch ihr voreiliges, gewaltthätiges Vorgehen die Zarin gereizt und beleidigt, müſſen alfo auch die Folgen fich jelbft zufchreiben; die erbetene Bundeshülfe wurde flipp und klar verweigert.) Am Einverftändnis zwiſchen Preußen und Rußland ift nit mehr zu zmweifeln, jchreibt der bairiſche Ge: ſandte am 16. Juni an feinen Hof, und was dies für Polen zu bedeuten hat, wird ſchon die nächſte Zukunft enthülen!

Nah einigen Scharmügeln zwiſchen ruffiihen und polnischen Truppen kam es am 17. Juli bei Dubienfa zur Schladht. Die Polen durften fich des Sieges rühmen, mußten fi aber, da ihnen eine ruffifhe Abteilung aus Galizien in den Rüden fiel, eilig zurüdziehen. König Stanislaus, der noch am 3. Mai feierlich verfidert hatte, an die Aufrehthaltung der Verfaflung fein Leben zu jegen, bot zuerft der Zarin feinen Verzicht auf die Krone an; als ihm aber bedeutet wurde, er habe nichts anderes zu thun, als jih an die Konföderierten anzufchließen, erklärte er fich auch dazu bereit. Die Unterzeihnung der Targo: witſcher Akte dur den König (22. Juli 1792) bedeutete den Sieg der ruffiichen Partei. Poniatowsky und fein Unterfeldherr Kosziusfo, der Sieger von Dubienfa, und die meilten Offiziere legten ihre Stellen nieder, Ignaz Potodi, Malachowski und andere Batrioten flohen ins Ausland, die neue Verfaffung von 1791 wurde aufgehoben und es war nicht mehr zweifelhaft, daß die drei Oftmächte oder doch Rußland und Preußen zur Forderung einer Abtretung beträchtlicher Gebiete fich vereinigen würden.

Nicht die Beuteluft der Nachbarn allein war, wie jchon dargelegt wurde, am alle Polens jchuld; die Urſache lag tiefer, lag jozufagen im polnijchen Blute. Nitterlihe Eigenihaften und romantifher Schwung genügen nicht, um einen Staat lebensfähig zu erhalten. Volk und Regierung müfjen ebenjo ftarf im Entjagen wie im Wollen fein und feite Grundjäge haben. Der allzu be: wegliche, neuerungsjüdhtige, bei allem Stolze doch des flarfen Gemeinfinnes ent: behrende Volfscharafter war das ftaatsfeindliche Element; das haben unbefangene

j Vom Entftehen und Untergang ꝛc. 11, 73. ?) Bair. St.⸗Archiv. Bericht v. Poſchs vom 16. Juni 1792.

Preußen und Bolen. 573

Polen auch eingefehen. „Die Unredlichkeit,” jagt Kalinka, „das war das zum Sturze führende alte Erbübel der Polen!“ ')

Daß fih Preußen einen Anteil an der polniſchen Beute fiherte, kann ihm vom politiihen Standpunft nicht zum Vorwurf gereihen. Es war eine Macht— frage. Das Ganze durfte nit dem Zarenreich zum Opfer fallen.

Auch für die Zivilifation war die Teilung Polens fein Unglüd. Dumouriez iſt ficherlih ein unbefangener Zeuge. Er hatte die Verlotterung des polnijchen Heeres und Volkes jo gründlich fennen gelernt, daß er offen befundete, „bie Aftaten von Europa” würden nur gewinnen, wenn fie unter fremde Herren fämen.?)

Dod wenn auch nicht in diefem bejonderen Fall, im allgemeinen war die preußiihe Staatsführung tadelnswert. ine veraltete, felbftfüchtige, ränkevolle Kabinettspolitit entſchied ſowohl in Berlin wie in Wien das Ya und Nein. Kalinka hat nicht unrecht, wenn er jagt: „Es hat jo mande Sntriganten in der Weltgeichichte gegeben, aber eine fo häßlich betrügerifche Politit, wie die: jenige, welche um dieje Zeit auf dem europäifchen Kontinent herrjchte, findet man nicht leicht wieder.” ) Auch Schlözer jchrieb damals an Herkberg, wer die Vorgänge in Polen billige, fünne den Franzofen nicht verdenfen, wenn fie nach den Rheinufern die Hände ausftreden. „Führen die Kabinette jelbft das droit de convenance ein, jo ift alles recht, was die convention nationale thut!” *)

Krieg, der furdtbarfte Gewaltaft, wurde ohne Rüdjiht auf den Willen und bie Opfer der Unterthanen nur um Xanderwerb und zur Bereicherung der Dynaſtie bejchloffen. Das rächte fih, als den Söldnertruppen ein bewaffnetes Volk gegenübertrat. Siegesgewiß jandten die Fürften ihre Soldaten in das aufftändifche Frankreich, doch mit jugendlihem Ungeftüm wehrte fi die willens- einige Nation gegen fremde Gewalt, jchritt von der Verteidigung zum Sturm und bereitete in zwanzigjährigen Kämpfen den legitimiftiihen Waffen ſchmähliche Niederlagen. Nicht Paris, fondern Berlin und Wien, Nom und Moskau mußten fi) unterwerfen. Anſtatt der Wiedererwerbung von Elſaß und Lothringen für das Deutiche Reich folgte die Bejegung der blühenden Rheinufer, der Berluft ganzer Provinzen, die Verftümmelung und endlich der völlige Zuſammenbruch des Reiches.

„Ein Erdbeben,” jagt Görres, „läßt ſich nicht ftillen, und wenn man Ströme Waflers in einen Krater leitet, er wirb nur um jo mwütender freißen und ftärfere Lavabäche aus der Tiefe würgen.“

Der elementaren Gewalt der Sanskulottenheere waren bei allem Drill die Linientruppen der Höfe nicht gewachſen. Jene wähnten wenigftens für ideale Güter zu kämpfen, diefe jchlugen ſich für wenig danfbare Herren und um fargen Sold. Erjt als im deutichen Volk die altgermanifche Königstreue wieder lebendig wurde und in den Fürſten das Fridericianiſche Gewiſſen erwachte, ſchlug " man die Brüde über den Rhein!

') Kalinla, Il, 322.

La vie du general Dumouriez, I, 273, 276. *, Kalinta, II, 462,

4 Schlöger, Biographie, II, 22.

574 Zweites Bud. Bierter Abfchnitt.

Gewiß, Taine und Tocquevile haben aufgeräumt mit der Legende ber „großen“, der „glorreichen” Revolution. Marat und fein blutgieriger Pöbel waren immer der Abfcheu aller menschlich Fühlenden, aber auch die donnernden Desmoulins und Danton, die pathetiichen Girondiften und der überlegen lächelnde Robespierre, jogar die „ewigen Menfchenrechte” find im Wert gefunfen. Dennod bleibt die weltgefchichtlihde Bedeutung der franzöfiihen Volkserhebung unge: ihmälert. Ihre Frucht war föftlih: eine neue Staatsordbnung mit ge re&terer Verteilung der Rechte und Laften. Das Gejpenft des Mittel: alters, die Ueberlieferung vom Fluch und Segen der Geburt, fpufte noch immer. Von diefem Alp wurde Europa in der Naht vom 4. Auguft 1789 befreit! Auf den Beſchlüſſen, die damals in der franzöfiihen Nationalverfammlung ge: faßt wurden, beruht unfere heutige Gejelihaftsordnung. Ya, jene heißblütigen Parlamentarier haben das hiſtoriſche Recht mit Füßen getreten, fih am Eigen: tum vergriffen und Heiligtümer des Gemütes entweiht. Nichtsdeitoweniger waren fie e8, die dem Menſchen und der Arbeit für alle Zeiten eine höhere Be: deutung gaben.

Die kritiſche Forſchung hat in den Romanen der Mignet und Thiers die Uebertreibung und Berlogenheit gezeigt, doch ebenjowenig ift das Gezeter be: rechtigt, als ob alle That der franzöfiihen Revolution nur Vergeudung un: ihuldigen Blutes gewejen wäre. Die Dellamationen jener Kammer: und Klub: tyrannen mögen uns heute ebenjo anwidern wie das Geheul des Pöhbels, wir mögen uns über die Blutopfer der Guillotine und der Schlachtfelder entjegen, doch welcher Fortſchritt im Schidjal der Völker iſt ohne Jrrtümer und ſchwere Opfer errungen worden? jene Bewegung, die Gans mit Recht eine Bewegung des germanischen Geiltes in Frankreich genannt bat, war doch Frühlingsflut. Sie rig eine Welt in Trümmer, doch aus den Nuinen blühte neues Leben.

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