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Untersuchungen

zur

Deutschen Staats- und Rechtsgescliiclite

herausgegeben

von

Dr. Otto Gierke,

ProfenNor der Rechte an der l’niTenltlt Berlin.

87. Heft.

Die Geschichte der Alamannen

als Gaugesehiehte

von

Julius Cramer,

Geh. Oberjustizrath.

Breslau.

Verlag von M. & H. Marcus. l$99.

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I

Die

Geschichte der Alamannen

als

Gaugeschichte

Julius Gramer,

Geh. Oberjustizrath.

Breslau.

Verlag von M. & H. Marcus. 189».

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Dem Andenken

meines Bruders Dr. Hermann Gramer

in Liebe und Hochachtung

gewidmet.

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Inhalt

Einleitung .

VII-XIV XV— XVII

Srstcs ßucfr. Die Königszeit. 1

Erstes Kapitel. Das ethnische Ohergermanlen und Kiitlen. 3 Zweites Kapitel. Das alaman ulselie Stiumnland. 8

1. Der Ursprung «ler Alamannen. 8. 2. Das dritte .Taln- hnndert und die erste Hälfte des vierten, ll. 3. Die Be- sitzergreifung. 21- !• Die zweite Hälfte des vierten Jahr-

hnnderts. 23. 5. Alamannen, juthungische Sueven, Lenzer

and Andere. 26.

Drittes Kapitel. Die 6 au Verfassung. 34

1. Die germanischen Yerfassnngsfornien. 34. 3. Die ala- mannische erste Ansicdlung. :i(i. 3. Die alamannische Gan- rerfassunR. 44. 4. Die römischen Bündnisverträge. fl5. Anlage zu 1 und 3: Tansendschaften, Hundertschaften, Zehnt-

schalten. CO.

Viertes Kapitel, Die Gnugeblete. 68

1. Die Gaukönige und die Gaue. 68. 3. Die rheinischen Gane. 69. Die binnenländischen Gaue. 74, 4. Ueber- blick 7 7 .

Fünftes Kapitel. Kriege nnd Strclfzüge (Jahre 350— 377). 80

j /Ja Gesammtbüd.

II. Der Kaiser Magnentius (Jahre 350—3X3). 85

1. Der Herzog Chnodomar. 85.

■>, ///. JJef Cäsar Julian (Jahr 356), $8

VIII

2. Die Kämpfe in Gallien. 88.

IV. Der Kaiser Coiistanlins (Jahre •)•> / 'V>S), 92

3. Die obern Alamannengaue. 92,

V. Der Cäsar Julian fJa/nr 7 ■>■'>!>). gjj

4. Die Kampfe um das Eisass (Jahr 357). 98. 5. Die Schlacht bei Strassburg; (Jahr 357). 102. 6. Der Herbst- feldzug am Main (Jahr 357). 125. 7. Die rheinischen Gaue am Main (Jahr 358), 128. 8. Der Zug durch das Main- und Neekargcbiet (Jahr 359). 130,

VI. Die Kaiser Constanthts mul ■Julian (Jahre 30) ilt!.)). 137

9. Der König Vadoniar. 137,

VII. Dir Kaiser Valentinian (Jahre ■%■’> 374). 148

10. Der Krieg in Gallien. 143, 11. Der Zug durch das Neckargebiet. Die Schlacht bei Solicomnum (Jahr 368). 149.

13. Die Burgundionen. 164. 18. Der König Makrian. 1C7,

VIII. Der Kaiser Gratian (Jahr 1177). 170

14. Die Schlacht bei Argentaria. 17(1, 15. Die Lenzer. 172,

Sechstes Kapitel. Die /.weite Aiisicdlnngspcrnide

des fünften Jahrhunderts. 175

I. Die Grundsätze der Ammllunq. 175

1. Neue Alamannische Ansiedlungen. 175. 2. Germanische Ansiedlnngen in Gallien. 170, 3. Zeit und Art der ala- mannischen Besiedlung. 178.

II. Das Oiilliru. 1S1

4. Der Einbruch des Jahres 409. 181. 5. Die Bur-

gundionen. 181. C. Die Alamannen. 183. 7. Der Zug des Hunnenkönigs Attila (vom .fahr 451) 184.— 8. Die Alamannen als Sieger. 185. 9. Die Franken 188.

III. Das Domntficbkt. 1S9

10. Die suevische und die, römisch -suevische Zone. 189.

11. Niederlagen an der Donau und dem Bodensee. 191,

12. Der König Gibuld. 192. 13. Alamannen und Ost- gothen. 194. 14. Die Alamannen in Noricum. 200.

15. Der Abzug der Römer von der Donau. 200. 10. Die Bestallungsformel lur den dux Raetiarum. 201.

IX. IJhh Uibift des l)oubs und der )'ovdcrs< litcri.?. 202

17, Die Ausdehnung der Alamannen. 202. IS. Alamannische Orte, 903. 19. Zurückweichen der Alamannen vor den

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IX

Bargundiunen. 203. 20. Die Romanen in Currätien. 205. 21. Züge nach Italien. 205. 22. Alemannische Gaue und Grenzen. 207. 23. Alamannische Ortsnamen. 207. 24. Eine snevische Wandersage. 201*.

V. Das Alamannien des -7. Jahrhundert 's. 211

33. Das Stammland. 211. 2«. Neualamannien. 213. 27. Alter und neuer Besitz. 213.-28. Alamannien ein Starnin- königthuvn? 215.

Siebentes Kapitel. Die dritte Ansiedluinrspcriode. 210

1. Zur Literatur. 21f>. 2. Die Frankenkönige Sigibert und Chlodwig. 217. 2. Der Ostgothenkönig Tlieoderich. 220. 4. Ganz Alamannien unter den Franken (Jahr 536). 224. •V Der Königszins. 226. 0. Die Alamannen in Italien. 230. 7. Kein Stammkönigthum. 238. 8. Die Lenzer und die Suevcn. 2 40. 9. Die dreifache Bedeutung des Sueven- namens. 244. 10. Die alamannischen Orte auf ingen und fränkischen auf heim. 24!*. 11. Die alamannische und schwäbische Mundart. 255. 12. Das Gesammtvolk der Sueven und ihre Einzelstämme. 259. Erste Anlat/e zu

2. 3. 4: Die fränkisch-alamannische Stammesgrenze des Jahres 496. 264. Zweite Anlage zu 11: Grenzen der Mundarten. 1 Schwäbisch -fränkische Grenze. 269. 2. Alamannisch- schwäbisclie Grenze von i, u gegen ei, ou vor h, r. 271.

3. Alamannisch - schwäbische Grenze von i, u vor folgenden Consonanten, die nicht h, r, t oder Nasal sind. 271.

Achtes Kapitel. Streitfragen. 273

1. Zum Ursprung der Alamannen. 273. 2. Ipsa oppida ut cireumdata retiis busta declinant. 377. 3. Zur Schlacht bei Strassburg. 279. 4. Zum Ausgang der Juthungen. 281.

2£u?eites ßucli. Die Grafcrtzeil. 287

Neuntes Kapitel. Die Grafschaft« Verfassung. 290

1. Der Ausbau des Landes. 2*.*0. 2. Die Verfassungsformen des alamannischen Gesetzbuchs. 296. 3. Die Karolingischen Verfassungsformen. 303. 4. Die Continuität der Gaue und Huntareu. 308.

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X

Zehntes Kapitel. Die politischen Verbünde

Alamanniens. 3 1 2

1. Die Ermittlung der Verbände. 312. 2. Die Ausdrücke für die Verbände. 317. 3. Die Eigennamen für die Ver- bände. 319. 4. Die Geschichte der Eigennamen. 323.

Elftes Kapitel. Die politischen und kirchlichen

Verbände. 32<»

1. Die kirchliche Verfassung. 327. 2. Das Bisthum Constanz.

330. 3. Huntarcn und Kapitel. 332. 4. Gaue und

Archidiakonate. 338.

Drittes ßucl). Die alamanniscH-

fränkischen Gaue. 343

Zwölftes Kapitel. Uebersieht. 345

Dreizehntes Kapitel. Der Mattiakcrgau (t). 34S

Huntarcn. 1. Engersgau. 349. 2. Einrich. 350. 3. Rheingau. 351 (Die Amtswaldungen als Zehntmarken. 352, Hinterlandswald, Kammerforst, Wälder über der Höhe als Huntarenmark. 353). 4. Kunigessundra. 305 (Mark Grefen- hühe oder Wiesbadener Hühewaldung und Meehtilhäuser Zent 366).

Vierzehntes Kapitel. Der luterlahngau. 377

Huntarcn. 1. Haigergau. 368. 2. Herborn. 308.

3. Hadamar. 308. 4. Erdehe. 308.

Fünfzehntes Kapitel. Die Wettereibn. 370

Huntarm und Zehnt schuften. 1. Niedgau. 373 (Zent oder Grafschaft zum Bornheimerberg. 374. Landgericht Hcusels. 370. Grafschaft Ursel. 376). 2. Kaichen. 377. 3. Büdingen. 377.

4. Griindau. 378. 5. Kinziggau. 379. 6. Die Wälder des Vogelsgebirges. 379.

Sechszehntes Kapitel. Das Grabfeld. 3SO

TUeUyaugrafschaflcn. 1. Das westliche Grabfeld. 3s 1 .

2. Tollifeld. 381. 3. Das östliche Grabfeld. 381.

Siebzehntes Kapitel. Der Rheingau. 383

Huntarcn und Zeh ntscha flau. 1. Mark und Zent Gerau. 384. 2. Zcntgericlit zu Oberramstadt. 384. 3. Mark und Zent

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XI

Heppenheim. 384. 4. 5. Zenten Zwingenberg und Pfung- stadt 385.

Achtzehntes Kapitel. Der Maingau. 387

Huntaren und Zehntschaften. 1. Phlumgau. 387. 2. Bach- gau. 387 (Zenten Ostheim und Umstadt. 388). 3. Rodgau. 388 (Mark von Bieber. 388. Auheimer und Röder Mark, Mark Babenhausen, Dieburger Mark. 389). 4. Das Freigericht vor dem Berg zu Alzenau und das Landgericht Krombach. 390.

Kenn zehntes Kapitel. Der Lobdengau. 391 Schriesheimer und Kirchheimer Zent. 392.

Zwanzigstes Kapitel. Der Kraichgau. 393

Huntaren. Anglach-, Alb-, Uff-, Pfinz-, Würm-, Glems-, Enz-, Schmie-, Zaber-, Murr-Gau. 394.

Grafschaften. 1. Die Thcilgaugrafschaft Yorchheim. 395.

2. Die Theilgangrafschal't Ingersheim. 395. 3. Die Huntarengrafschaft Anglackgau. 390.

Einundzwauzigstcs Kapitel. Der Unterneckargau. 397

Huntaren und Zehntscliaften. 1. Wingarteiba. 398 (Sehefflenz- gau 398. Zenten Mosbach, Eberbach, Mudau. 400; Rippcrg, Amorbach, Miltenberg, Thüren, Buchen. 401). 2. Elzenz- gau. 401 (Meckesheimer oder Neckargemünder und Reicliarts- häuser Zent. 401). 3. Gardachgan. 402. 4. Jagstgau. 402. •V Brettachgau. 402. 6. Sulmanachgau. 402. 7. Schotzach- gau. 402. 8. Kochergau. 403. 9. Mulachgau. 403.

Viertes ßuclj. Die alamannisclien Gaue des

Stammlandes. 405

Zweiundzwanzigstes Kapitel, l'ebersicht. 407 Dreiundzwanzigstes Kapitel. Der Oberneckargau. 409

Huntarm. 1. 2. Die Huntaren der Grafschaft Neckargau, Kirchheim (?) und Vildern. 410. 3. Ramestal. 413. 4. 5. Die Huntaren des Filsthals, Filsgau und Pleonungotal. 413.

6. 7. Pfullichgau und Swiggerstal. 413.

Vierundzwanzigstes Kapitel. Der Nagoldgau. 410

Hunt arm und Zehntschaften. 1. Glehnntra. 41 s. 2. Ambrachgau. 418 (Mark Gültstein. 418). 3. Bibligau. 419

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XII

(Mark Haslach. 419). 4. Sulichgau. 419 (Bildechinger und Eutinger Mark, Kirchspiel Mähringen. 420). 5. Waltgau. 421 (Mark Waldahure. 421. Marken Schopfloch, Glatten, Dornstetten oder das Waldgeding. 422). ('». Haglegau. 428 (Empfingen und Bierlinger Mark. 429). 1. Hattenhuntare. 430 (Bisinger, Thalheimer, Müssinger Mark 431).

Fün (und zwanzigstes Kapitel. Der nürdlielie Albgau. 4:J:i

Huntarm. I. Affa. 435. 2. Suerzenhnntare. 435. 4. Burichinga (Huntarenmark) 436. 4. Munigisingerhuntare (Hnntarenmark) 437. 5. Flina. 437.

Seehsmidzwanziirstes Kapitel. Der Westergau. 4?i9

Huntarm und Grafschaften. 1. Scherra. 440 (Forst uff der Scher. 442). 2. Sulz. 444. 4. Rottweil. 444. 4. Purili- dinga. 445. 5. Nidinga. 445. G. Aseheim (Huntaren-

mark) 446.

Sieben undzwanzigstes Kapitel. Die Mortenau. 44S

Hunturen. 1. 2. Kiuzigdorf und Otenheim. 448.

Achtundzwanzigstes Kapitel. Der lireisgati. 452

Neun undzwanzigstes Kapitel. Der Klettgau. 454

ThcUgaufftafschaftcn. 1. Albgau. 455. 2. Klettgau. 457. Dreissigstes Kapitel. Der llegau. 4G1

Hnnlarm. 1. Bargen. 462. 2. Eitrahunta). 462. •i. llnterseegau. 462 (Das Hori. 464).

‘fünftes ßueh. Die neualamanrtischen Gaue

des zuzeiten Rälien. 4G5

Einundreissigstes Kapitel, lebersieht. 4G7

Zweiunddreissigstes Kapitel. Der südliche Alpgau. 470

Hunturen und ZehntsehafUn. I. Linzgau. 471 (Mark Theuringen. 474). 2. Schussengau. 474 (Mark der Argen- gauer 475). 4. Argengau. 475. 4. Alpgau (Allgäu). 477 (Zehntschalten Eglofs, unterer Sturz, oberer Sturz. 478).

Drelunddrelssigstes Kapitel. Der Douaiurau ({). 470

Hunturen. 1. Goldincskuntare. 482. 2. Ratoltesbnch. 482. 3. Krekgau. 482. 4. Tiengau. 482. 5. Erit- gau. 484. 6. Muntricheshuntare (Huntarenmark). 485.

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XIII

Vierunddreissigstes Kapitel. Der Illergau. 487

Huntmen. 1. Ruadoltesliuntare 488. 2. Rammagau. 489. 3. Heistergau. 489. 4. Huntare unbekannten Namens (Dietenlieim?). 490. 5. Nibelgau. 490.

Fflnfunddreisslgstes Kapitel. Der Östliche Angstgau. 493

Huntaren. Hertishausen. 495. 1. Duria. 495.

2. Mindilriet. 496. 3. Falaha. 496. 4. Keltenstein. 496.

Sechsunddrelsslgstes Kapitel. Der Riesgau. 498

Huntaren. 1. Drachgan. 501. 2. Alba. 501.

3. Brenzgau. 501. 4. Hurnia. 502. 5. Sualafeld. 502.

Sechstes ßucl). Die ßargrafscHafien. 503 Sieben nnddrcissigstes Kapitel, l’eberslcht. 507

Aehtunddreissigstes Kapitel. Die westlichen Baren. 310

1. Bertoltsbar. 510. 2. Adalhartsbar. 511. 3. Peribtilos- bar. 511. 4. Albuinsbar. 512. 5. Bara. 512. 6. Land- ?rafschafschaft Bar. 513.

Neununddreissigstes Kapitel. Die östlichen Baren. 513

1. Folcholtsbar. 515. 2. Albuinsbar. 516.

Siebentes ßuclj. Die neualamannisclten 0aue des Slsass. 517

Vierzigstes Kapitel, l’eberslcht. 519

Mark Quningisheim 521.

Einundvierzigstes Kapitel. Der Xortgau. 522

Huntaren. 1. Hettengau. 523. 2. Ried. 523. (Mark Romanisheim 523). 3. Hagenau. 523. 4. Sorngau. 523. (Marca Aquilegensis 523). - - 5. Strassburg. 523. 6. Speries. •V24. 7. Bischofsheim. 525. 8. Horburg. 525.

9. Sasonia. 525. Theikjaugmf schaf tm. 1. Barr. 526.

2. Trouie-Kircheim. 526.

Zweiundvierzigstes Kapitel. Der Sundgau. 528

Huntaren. 1. Rnbiaca. 529. 2. Piefferau. 529.

3. Eisgau. 530. 4. Huninga. 530. 5. Sundgau. 530.

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6. Thurgau. 530. 7. Kembsgau. 530. Gau- oder Tluil- gaugrafschaft Ulchicha. 532.

Genies ßuch- Die neualamanniscl|en Gaue

Her Schweiz. 535

Dreiundvierzigstes Kapitel, lebersieht. 537

Vlcrundvicrzigstes Kapitel. Der westliche Augstgau. 538

Huntaren. 1. Sisgau. 539. 2. Buchsgau. 540. 3. Frickgau. 540.

Filii fiind vierzigstes Kapitel. Der Aargau. 541

Huntaren. 1. Lcnzburg. 541. •— 2. Rorc 541. 3. Vil- vesgau. 542. TlieHgaugnifxchaften. I. Oberer Aargau. 542. 2. Unterer Aargau. 542.

Sechsund vierzigstes Kapitel. Der Thurgau. 543

Huntaren. 1. Bischofshori. 544. 2. Arbongau (Huntaren- mark) 544. 3. Schwyz (Huntaren mark) 545. 4. Uri. (Huntarenmark) 545. 5. Unterwalden. 545 (Stanz uud Sarnen 540). 6. Oberhasli (Huntarenmark) 547. 7. Rhein- gau. 547. 8. Der Forst Arbou. 549. TheUgaugraf- schaften. 1. Thurgau. 551. 2. Zürichgau. 551.

Anhang.

Sleheimnd vierzigstes Kapitel Der Bau t'urrätien. 553

Raetia üuriensis. 554. Herzogthum. 554. Gebiet. 555. Gau. 555. Scultatiae (Schultheissereien) 550. a. In pago vallis Drusianae (Wallgau). 557. b. ln Planis. 557. c. Prättigau. 557. d. Scult. Curicnsis. 557. e. Tuverasca. 558. f. Tumiliasca. 558. g. impetinis. 558. h. Endena. 558. TlitUgaugrafecluifteii. Oberrätien (Lags)

und Unten ätien. 558.

Berichtigungen und Zusätze 560

Zur modernen Literatur 566

Abkürzungen für Urkundenbücher 571

Sachregister 572

Stämmeregister 574

Gauregister 576

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Einleitung.

Die Geschichte der Alamannen, die im 3. Jahrhundert aus dem deutschen Norden in den deutschen Südwesten einwanderten, und sich zwei Jahrhunderte darauf weit über ihre ersten Sitze ausdehnten, ist Ansiedlungsgeschichte; die Formen des Gemein- wesens, in dem die Angesicdelten lebten, ergiebt ilneVerfassungs- geschiclite, und die feindlichen wie freundlichen Berührungen, in die sie mit Körnern und germanischeil Nachbarstämmen kamen, bewahrt ihre politische Geschichte.

Die Alamannen siedelten sich in Gauen und deren Theilen, den Huutareu und Zehntschaften (Hnntarenmarken und Zehnt- schaftsmarken) an, gaben ihrer Verfassung, der Gau Verfassung, Gaue mit Königen an der Spitze, Huntaren mit Hunnen, und Zehntschaften mit Zehntem zur Grundlage, und handelnd oder leidend waren es Gaue, einzelne oder verbündete, welche ihre äussern Geschicke bestimmten. Die Geschichte der Alamannen ist somit Gaugescbichto.

Will mau sic erkunden, so muss mau nicht nur die natürliche Beschaffenheit ihres Landes, Gebirge und Flachland, Flüsse und Seen, sondern auch die Gestaltung kennen, welche die Ansiedler dem Boden gegeben haben, die Gaue und ihre Theile. Diese Kunde lehrt die Gaugeographie, sie giebt den lesten Rahmen für die Gaugeschichte.

Nachrichten über die Gaue sind aus dem 4. und dann aus dem 8. und späteren Jahrhunderten überliefert. Von den älteren Gauen sind nach den geschichtlichen Andeutungen, welche Ammiauus Marcellinus giebt, die ungefähren Umrisse herzustellen.

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XVI

Reichlichere Nachrienten sind über die jüngeren vorhanden, theils in geschichtlichen Hindeutungen auf schon untergegangene Formen, theils in der Wiedergabe des aktuellen Zustandes be- stehend. Die gaugeographischen Arbeiten aus dem Lauf des vorigen und unseres Jahrhunderts haben die jüngeren Nach- richten je für einzelne Staaten, Nassau, beide Hessen, Baiern, Württemberg, Baden, Eisass, die Schweiz, zur Darstellung der Gaue verwendet. Fasst man, was sie geschaffen, zu einem gemeinsamen Beobachtungsfeld zusammen, scheidet man die Gaue von den Huntaren, so ergeben sich die Anknüpfungspunkte für die alten Gaue des 4. Jahrhunderts und damit zugleich eine territoriale Erläuterung der Verfassung und der wirtschaft- lichen und politischen Geschichte der Alamannen aus der Zeit ihrer nationalen Selbständigkeit. Bis zu deren Ende im Jahr 536 ist die Geschichte der Gaue zugleich die des Volksthums, und ich will versuchen, sie bis etwa um diese Zeit zu erzählen. Es ist die Geschichte des einzigen Germanenstammes, der, auf römischem Boden siedelnd, trotz seinen dauernden Berührungen mit dem römischen Gallien, wo es auch war von römischen Einflüssen sich freigehalten und dadurch den Südwesten Deutsch- lands und die deutsche Schweiz dem deutschen Volksthum gesichert hat.

Die Einverleibung eines Theils von Alamannien in das fränkische Reich, die Angliederung des anderen in den Jahren 4!)6 und 336 verwandelte die Gau- in die Grafschafts- Verfassung, indem sie an Stelle der Könige Beamte, die Grafen, setzte. Aber die Elemente der Gauverfassung blieben: Gaue, Huntaren und Zehntschaften ; die ersteren lösten sich jedoch später auf. Die Grundlage der Grafschaft war erst der Gau, dann der Theilgau, dann die Huntare oder ein grösserer Complex, die Bar. Die Huntare oder in ihr die Zehntschaften bewahrten ihre wirtschaftliche Function. Auch hier ergänzen sich für die Erkundung die Verfassungslehre und das territoriale Vor- kommen gegenseitig, und es wird möglich sein, den Entwicklungs- gang der Gaue von dem 4. bis zum 10. Jahrhundert und weiter zu verfolgen.

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Die Darstellung kann bei dem Zustand unserer Quellen inhaltlich nur eine ungleichmässige sein. Kein Alamanne hat die Geschichte seines Stammes geschrieben, sie ist uns fast allein in abgerissenen Notizen römischer und griechischer, (rinkischer und gothischer Schriftsteller überliefert, in die sich hin und wieder eine mehr ausgeführte Einzelheit mischt.

Eine Ausnahme macht nur die zusammenhängende Dar- stellung des Ammian aus den Jahren 354—377, an die sich ergänzend einige andere Nachrichten anschliessen. Aus Ammian entnehmen wir die Kunde dor Gau Verfassung, der alten Gaue, die Stellung der Gaukönige, der Beziehungen der Gaue zu den Körnern und ihre kriegerischen Unternehmungen von vorüber- gehenden Erfolgen und dauernden Niederlagen. Es ist die nüchterne Darstellung eines Soldaten, aber die eingehende Kenntnis« von den Alamannen des 4. Jahrhunderts, dio sie gewährt, ist um so werthvoller, als aus der gleichen Zeit der Zustand keines anderen Germaneustammcs uns so deutlich vor die Augen tritt.

Für die Grafschaftsverfassung bietet sich das fränkische Reichsrecht, sowie der Inhalt des alamannischen Gesetzbuchs dar, und für die territorialen Verbände ein ungeheurer Trümmer- hanfe von Einzelhachrichten, aus denen sie wieder hergestellt oder herzustellen sind. Aber das Gebäude kann nur noch lückenhaft aufgerichtet werden. Hier fehlen die Gaue oder ihre Ausdehnung ist unsicher, dort die Huntaren oder ihre Zu- gehörigkeit zu den Gauen ist ungewiss; die Darstellung der Grafschaften ist keine erschöpfende. Neuere Schichten über- decken die älteren und lassen diese nicht mehr erkennen, findet sich da kein Trümmerstück zur Ergänzung, so muss, um nicht das Ergebniss gänzlich unbefriedigend zu lassen, eine sich als solche aukündigende Combination von immer zweifelhaftem Werth eintreten. Ganz unvollständig erscheint bei dem heutigen Stand der Untersuchung das System der Zehntschaften.

Erstes Buch.

Die Königszeit.

c r m * r , oe»otalo»>*e d«r AUm.narn.

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Erstes Kapitel.

Das römische Obergermanien und Rätien.

Wandernde germanische Kriegshaulen, die sich Alamannen nannten, besetzten und besiedelten im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Südwestdeutschland, im ethnographischen Sinn einen Tlieil von Germanien, im Sinne des römischen Staats- rechts römischen Provincialboden.

Germanien, sagt Tacitus, wird von den Galliern durch deu Rhein, von den Raetiern durch die Donau getrennt. Germania omnis a Gallis Raetisque Rheno et Danuvio fluminibus separatur. Gallien war seit dtn Eroberungen Cäsars in den Jahren 58—50, Rätien seit dem Siege der Brüder Drusus und Tiberius im Jahr 15 v. Chr. fester römischer Besitz.

Als Tacitus im Jahr 98 n. Chr. sein Buch über Germanien mit jenen Worten einleitete, hatten die Römer bereits von Gallien aus den mittleren und oberen Rhein, von Rätien aus die obere Donau überschritten, hier das Decumatenland, vom Rhein bis zur Rhön 80 Beugen weit, besiedelt und zum Schutz des grössten Theils den obergermanischen und rätischen Greuz- wall aufgeführt. Ein Zusatz zum Veroneser Provinzialver- zeiehniss sagt: LXXX leugas trans Rhenum Romani possederunt (Mommsen, Röm. Geschichte 5, 137) und Tacitus schildert den Hergang: „Nicht möchte ich, wie sie sich jenseits des Rheins und der Donau niedergelassen, zu den Völkern Germaniens die- jenigen zählen, welche das Decumatenland bebauen. Das loseste, aus Mangel unternehmungslustige gallische Gesindel besetzte den Boden zweifelhaften Besitzes. Dann zog man den Grenz- wall und schob die Besatzungen vor, und jetzt ist er ein Vor- land des Reichs und ein Tlieil der Provinz.“ Non numera-

4

verim inter Germaniae populos, quamquam trans Rlienum Danuviumque consedeiint, eos qui decumates agi'os exercent: Lcvissimus quisque Gallornm et inopia audax dubiae possessionis solum occupavere; mox limite acto promotisque praesidiis sinus imperii et pars provinciae habentur. Germ. 29.

Der obergermanische Grenzwall verliess bei Rheinbrohl den Rhein, schloss die untere Lahn, den Taunus, einen Theil der Wetterau in sich, lief bis Grosskrotzenburg am Main, und während dieser bis Miltenberg den natürlichen Grenzschutz bildete, von hier aus in gerader Linie bis Lorch in der Nähe des Hohenstaufen. Im Norden von Lorch schloss sich in östlicher Richtung der rätische Grenzwall an, der die Donau bei Hien- hcim, gegenüber von Eining traf.

Das Gebiet, das zwischen dem Rhein und dem obergermani- schen Grenzwall lag, wurde dem römischen Obergermanien, der Strich zwischen der Donau und dem rätischen Grenzwall dem römischen Rätien einverloibt. Die Grenze zwischen Ober- germanien und Rätien wurde so gelegt, dass sie die Schweiz und Südwestdeutschland durchschnitt. In der Schweiz lief sie vom Gotthard, Adula aus, den Wallensee Rätien zu weisend, den Züricher See Obergermanien, über Pfyn, ad Fines und Eschenz, Tasgetium zu dem Punkt, wo der Rhein den Boden- soo verlässt, theilte das gesammte Seegebiet, den Zeller und Untersee eingeschlossen, Rätien, den Rhein abwärts Ober- germanien zu, überschritt etwa bei Tuttlingen die Donau und schied die schwäbische Alb als x-ätisch von dem Flussgebiet des Neckar als obergermanisch von einander, bis die Grenzlinie in dem Kreuzungspunkt der beiden Grenzwälle bei Lorch endete.

Rätien umfasste im Osten dieser Grenzlinie die Alpen der Ostschweiz und Westösterreichs sowie das Flachland bis zur Donau und darüber hinaus bis zum rätischen Grenzwall, mithin die Thäler des oberen Rheins mit seinen Zuflüssen, den Boden- see, ferner die Gebiete der obern Etsch, des Inn, der obern Donau etwa von Tuttlingen bis Eining, während die Donau selbst von da bis Passau und der Inn selbst von Kufstein bis Passau die Grenze der Provinz Rätien bildete. Gegen das Ende des dritten Jahrhunderts wurde sie in zwei Theile zerlegt, das obere alpiue Rätien, Raetia prima, wahrscheinlich mit der Haupt-

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stadt Chur (Curia) und das untere des Flachlandes, Raetia secunda mit der Hauptstadt Augsburg (Augusta Vindelicum).

Obergermauien begriff in sich die Alpen der westlichen Schweiz, den Jura, das Gebiet des rechten Rheins vom Aus- fluss aus dem Bodensee bis Rheinbrohl abwärts mit dem Schwarz- wald, dem Odenwald, dem Quellgebiet der Donau und den Fluss- tbälern des Neckar in seiner ganzen Ausdehnung, des unteren Main und der untern Lahn.

Zur Zeit der Römer sassen in Obergermauien einige Völker- schaften, deren Namen auch später wiederkehren.

Die Mattiaker waren eingewanderte Chatten, deren Haupt- stadt Mattium, Maden, Kreis Fritzlar, später die Malstätte des Hessengaus, pagus Hassiae war. Incenso Mattio, id genti (Chattorum) caput. Ann. I 56. Das Gebiet der Mattiaker umfasste im ersten Jahrhundert nach Christus den Taunus und bildete eine römische Civitas. Mattiacorum gens, Germ. 29; In agro Mattiaco, Ann. 11, 20; Mattiaticum, Cod. Theodos. 10, 19, 6: Civitas Mattiacorum Tannensium, Inschrift. Wiesbaden war ihre Hauptstadt, deren warme Quellen schon damals be- rühmt waren. Drei Tage lang, erzählt Plinius, kochte der Brunnen und setzte an den Rändern Bimstein an. Aquae Mattiacae, Ammian 29, 4, 3; Sunt et Mattiaci in Germania fontes calidi trans Rhenum, quorum haustus triduo fervet, circa margines vero pumicem faciunt aquae, Plinius hist. nat. 11, 20. Mattiakische Kügelchen, Mattiacae pilae, verwandte man zum Färben grauer Haare, Martial 14, 27. Mau baute auf Silber ohne sonderlichen Erfolg. Curtius Rufus in agro Mattiaco recluserat specus quaerendis venis argcnto, unde tenuis fructus nec in longum fuit. Ann. 11, 20 zum Jahr 47. Neuerdings hat man an dem linken Ufer der untern Lahn bei dem Blei- und Silberbergwerk Friedrichssegen die alten Halden entdeckt.

Dem Bataverlande gegenüber hebt Tacitns die Boden- beschaffenheit und das Klima als günstig und den geweckten Sinn der Mattiaker hervor. Zum Reich standen sie im Ver- hältniss der reichsfreien Civitates. Sie zahlten keinen Tribut und keine Steuer, stellten aber Hülfstruppcn zum Heer. Er lobt ihre Römertreue. „Sie sitzen auf ihrem (Rhein-) Ufer, aber ihr Herz und Sinn ist für uns.“

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Im Jahr 69 hatten sich die Mattiaker jedoch an dem Aulstand des Civilis betheiligt, indem sie mit Chatten und Usipern das ihnen benachbarte Mainz belagerten, wie es scheint, ohne Erfolg. Als sie genug Beute gesammelt, zogen sie ab, wurden aber auf der Rückkehr von herbeieilenden römischen Truppen geschlagen. Hist. 4, 37.

Die germanische Yölkertafel des Ptolemaeus aus der Zeit des Antoninus Pius (138—161) timt der Mattiaker, die erst im 4. Jahrhundert wieder auftauchen, keine Erwähnung. Sie führt aber Völkerschaften auf, „die zwischen dem Rhein und dem Abr.obagebirge,“ nz-i-'j -z ' l’r'vvj v.i\ -.w ’AjJvojktVov ipimv sassen, worunter gewöhnlich der Schwarzwald, hier aber die Gebirge, die vom Westerwald bis zum Schwarzwald den rechten Rhein begleiten, verstanden werden. Es sind, so weit sie hier inter- essieren, die Tenkerer, Trptgpoi, die Ingrioncn, I—ouuvs;. die Intuorgen, Ivwjspfoi, die Vargionen, Oja^uovs;, die Karitner, Kapen««, die Uisper, Outatof, sowie die Oede der Helvetier, y, t<7iv FJ/ju /jtouv spspoc. Zeuss setzt die Tenkterer (Tenkerer) etwa in den Korden des Westerwaldes, sieht in den Ingrionen die Bewohner des späteren Engersgau (am Rhein zwischen Binz und der Mündung der Lahn), verweist die Karitner, Intuergen und Vargionen auf die Umgebung des Taunus und erklärt, die Uisper für die (Jsiper, die aus dem Norden in die Maingegend gezogen seien. Weiter hat er Mainaufwärts die Maruingen, M'YfyVjt'—M, und nördlich neben den Chatten die Tubanten, T'/ojtaw <n'. Die helvetische Oede ist der Landstrich zwischen der Alp und dem Rheine. Zeuss, Die Deutschen und ihre Nachbarstämme, 305, 90, 99. Mir scheinen jedoch unter den Vargionen die Vangionen (um und hier gegen- über von Worms), unter den Karitnen vielleicht die Kraich- gauer, unter den Uispern die Umwohner der Wisp, die bei Lorch in den Rhein mündet, verstanden zu sein. Dann müsste man am Rhein aufwärts schreitend so ordnen: im Norden der Lahn Tenkterer und Ingrionen (Engersgauer), zwischen Lahn und Main Wisperthäler, im Süden des Main Vangionen und Kraicligauer und zwischen Alb und Rhein die helvetische Oede. Weitere Völkerschaften des im 3. Jahrhundert von den Ala- mannen besetzten römischen Gebiets werden nicht genannt.

Es war das ganze Obergermanien des rechten Rheins, wenn

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man von dem Strich nördlich des Lahngebiets absieht, und von Rätien der Antheil nördlich der Donau bis Günzburg, Guntia abwärts, Gebiete innerhalb der beiden Grenzwälle, welche die Alamannen den Römern abnahmen. Nie mehr sollten sie von den Römern ausser Besitz gesetzt werden. Sie Hessen sich aber auch ausserhalb dieser Römergienzen in der Rhön, dem Spessart, dem Taunus und dem Westerwald, in den Flussthälem des mittleren Main und der mittleren Lahn nieder. Von hier aus machten sie zwei Jahrhunderte lang Einfälle in das Rätien der rechten Donau, das Gallien des linken Rheins, das nördliche Italien; von da aus wurden sie zurückgeschlagen und alamannische Freiheit und römische Herr- schaft schwankte hin und her, bis sie Sieger über die Römer, bis sie Besiegte der Franken wurden.

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Zweites Kapitel.

Das alamannische Slantmland.

1. Der Ursprung der Alamannen.

Welches war der Ursprung dieses Volkes, dessen Name, als es im Jahre 213 am Main auftrat, zuerst genannt wird? War es aus verschiedenen Stämmen gemischt oder ein einheit- licher Stamm? Und wie ist der Stamm entstanden? Die Meinungen sind darüber verschieden.

An die Spitze der Einen ist der Italer Asinius Quadratus zu stellen, der Verfasser einer um das Jahr 250, also kaum ein Menschenalter nach 213, in griechischer Sprache ge- schriebenen römischen Geschichte. Er wird um das Jahr 570 von Agathias, I, 6, der ihn einen genauen Schilderer germanischer Dinge nennt, citirt. Quadratus berichtet: Oi 51 ’AXajuvvoi Jov- TjX'jos» (andere Lesart da tv ivllpui-oi **l [»ifaos;, xal

tooto 5'jvavat aÜTo:; r( eiriovopw. „Die Alamannen sind zusammen- gekommene (zusammengespülte, durch Zufall zusammenge- brachte) und gemischte Menschen und dieses bedeutet ihnen die Benennung.“

Gleichzeitig mit dem Auftreten der Alamannen ver- schwinden aus der Geschichte im Nordwesten Germaniens unter Andern die Usiper und Tenkterer und im Nordosten die suevischen Semnonen, Stämme, die sich also auf der Wanderung zu dem neuen Volk der Alamannen vereinigt haben mögen. Zeuss 305 schliesst daher: „Das neue aus den verschiedenen Theilen vereinigte Gesauimtvolk wird sich den Bundesnamen Alamannida (communio) beigelegt haben, davon hiessen dann die an der \ er- einigung Theil nehmenden Völker Alamanni.“ In der gothischen Uebersetzung das Evangelium Johannis 7, 46: „Es hat nie

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kein Mensch (in omnibus hominibns) also geredet, wie dieser Mensch“ heisst es: „in allaim alamannam“ d. h. „bei den All- menschen.“ Johannes Meyer in Birlingers Alamannia VII 2til. Die Allmenschen, die sich in dem neuen Volk zusammenfanden, waren Germanen, und wenn sie sich Alamannen nannten, so drückten sie damit AUyermanen aus.

Der alten Nachricht der alamaunischen Völkermischung, wie sie Quadratus vorgetragen, steht eine neuere Theorie der Volkseinheit gegenüber. Das einheitliche Volk seien die Sneven, die nur den weiteren Namen Alamannen trügen. Diese Theorie ftndet ihren ersten Vertreter in Jacob Grimm, der Alamannen mit „ausgezeichneten Männern, Helden“, übersetzte, und ist neuerdings von Baumann mit anderer Begründung wieder aufgenommen. Ehe ich auf die letztere näher eingehe, will ich versuchen, sie durch die Darlegung der suevischen Wohnsitze im Südosten des Alamannenlandes zu widerlegen. (Siehe Abschnitt 5 und Kapitel 7, Abschnitt 4 und 5).

In der neuen Vereinigung sind einige ihrer ursprünglichen Bestandtheile zu erkennen, es treten die Namen der Sueven, Jnthungen und Lenzer hervor. Die Suebi (dann Suevi, auch Snavi) sind die Schweifenden, Nomaden, nach Cäsar Völker im Westen der Elbe. Sueben waren es, die unter der Führung des Ariovist im Jahre 58 vor Chr. in Gallien einbrachen und von dort zurückgewiesen wurden. Nach des Tacitus Bericht vom Ende des ersten Jahrhunderts nach Chr. waren die Sueben blutsverwandte Völker, die den gesammten Osten von Germanien einnahmen. Die Oder hiess der Suebenfluss,

IVjTjjjOi irOTCtJAOi.

Im 3. Jahrhundert, in dem sie als Theil der Alamannen auftrateu, sind unter ihnen Namen altsuebischer Völkerschaften nicht zu erkennen, und w’ie die Alamannen als Allgermanen, so mögen sie als Allsueven aufzufasseu sein.

Zur Zeit des Tacitus galten unter den Sueben die Sem- nonen, welche zwischen der Elbe und der Oder in hundert Gauen, centum pagis, wohnten, als die ältesten, als der Ur- sprung und die vornehmsten aller Sueben. Bei ihnen ver- sammelten sich seit uralten Zeiten die Abgesandten des Ge- sammtvolkes zur nationalen Gütterverelirung in einem heiligen Hain. Nur gefesselt durfte man ihn betreten. Wer zur Erde

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fiel, musste sich hinauswälzen, denn hier war der Ursprung des allwaltenden Gottes, hier wurden ihm Menschenopfer gebracht. Germ. 39.

Wie einst als die ältesten, so gelten die Semnonen ge- meiniglich auch als die Sueven der jüngsten Zeit, als die An- siedler in Südwestdeutschland, aber ihr Karne ist verschwunden und hier nur in dem Kamen des Königs Semnon vom Lalmgau erhalten. Zosimos I, 68. Die Sueven sind aber die Altvordern der heutigen Schwaben.

Wie die Kamen der Alamannen, so sind auch die der Jnthungen und Lenzer, Juthungi und Lentienses ohne Ge- schichte, sie mögen auf der Wanderung enstanden, Wander- namen sein. Die Juthungen und die Sueven sind, wie sich zeigen wird, ein und dasselbe Volk mit doppeltem Kamen, und der Umstand, dass der Karne der gepriesenen Semnonen ver- klungen ist, scheint besonders darauf hinzudeuten, dass diese nicht die einzigen Altsueven waren, die den Wanderzug mit- machten. So mag es zu erklären sein, dass die Wandernden sich sowohl nach dem alten Gesammtnamen Sueven, als auch nach dem unterscheidenden Wandernamen Juthungen nannten. Wie die langobardischen, oder anglischen Sueben, i’oor(poi AoqfigjjiapSoi, -vjr^v. ' AyyeiXoi, kann man sie als juthungisclie Sueven bezeichnen. Für den Ursprung der Lenzer und ihres Namens fehlt es an jedem Anhalt. Dass die Juthungen (Sueven) und Lenzer Theile der Alamannen ausmachten, be- zeugt Arnmian ausdrücklich zum Jahr 368: Juthungi Alaman- norum pars. 17, 6, 1: zum Jahr 377: Lentienses Alamannorum populus. 31, 10, 2.

Die juthungischen Sueven bildeten ein compactes Ganze im Norden der Donau, die Lenzer im Westen des Bodensees, und sie behielten auch in dem Alamannenbunde ihr Stammes- bewusstsein. Die Juthungen rühmten sich im Jahr 270 dem Kaiser Aurelian gegenüber, ihr Heer bestehe rein aus Juthungen und sei nicht durch Zumischung Anderer geschwächt ; 00 [iifcGiov, JoofhuTi'iuv xzitaöK : vW iv tootoi; Tai; zzifjwv iiajucfai;

s-wxtcU'/VTK. Dexippos de bell. Syth. 1. Bei den Ansiedlungen des f>. Jahrhunderts und später trugen sie den suevischen Namen über die Donau und den Bodensee. die Lenzer den ihrigen in die

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dentsche Umgebung und in die Schweiz, und bis auf den heutigen Tag haben die Schwaben das Stammesbewusstsein bewahrt.

Ausser den Namen der juthungischen Sueven und der Lenzer sind die der übrigen die Alamannida bildenden Völker nicht überliefert, (siehe jedoch den Schluss des Kapitels), und hieraus mag zu folgern sein, dass sie unter einander ver- schmolzen sind und damit Eigenart und Namen verloren haben.

Während diese erhaltenen Namen auf die Urzeit oder die der Wanderung hindeuten , gehören andere als Gaunamen der Periode der ersten Ansiedlung an. Es sind die der Genossen des Breisgau, Brisigavi; des Buchengau, Bucinobantes: des Lahngau, Logiones. Auch der Name der Mattiaker, Mattiaci nnd ihrer römischen Civitas ist wahrscheinlich alamannischer Gauname geworden.

2. Das dritte Jahrhundert und die erste Hälfte des vierten.

Unter welchen Umständen die Alamannen das Land be- setzt haben, die Schmach des Reiches hat kein römischer Schriftsteller berichtet. Sie sind da. Sie erscheinen am Main, sie sitzen, ob durch Eine ob durch mehrere Wogen hingetragen, an der Donau, in der Nähe des Bodensees, sie gerathen mit den Herrn des Landes in Kämpfe, überfluthen die römischen Nachbarländer oder werden von den Römern in ihren Sitzen heimgesucht. Hieraus können wir auf das Wann und Wo der Besitzergreifung schliessen. Von ihrer Geschichte lernen wir nur die äussere ihrer unaufhörlichen Kämpfe mit den Römern kennen, Erfolge und Niederlagen, und auch diese nur in ab- gerissenen Notizen, bis auf einen Theil des vierten Jahrhunderts, ans dem uns für die Jahre 354 377 die zusammenhängende Geschichte des zeitgenössischen Ammianus Marcellinus erhalten ist. Was auch er nur andeutet, wird durch andere Quellen germanischer Zustände ergänzt, nnd so können wir uns ein Bild davon machen, wie sie sich in Gauen häuslich und politisch eingerichtet, wie sie zu Herrn von Thal, Wald und Berg geworden.

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Die alamannische Geschichte beginnt im Westen und Norden des Landes.

Am 3. August des Jahres 213 feierte die Brüderschaft der Arvalen vor dem Tempel der Juno in Rom den bevorstehenden Aufbruch des Kaiser Caraialla aus Rätien zur Vernichtung des Feindes, ad hostes exstirpandos, ein Ziel, das Jahrhunderte lang aufgestellt, aber nie erreicht wurde. Er überschritt den rätischen Limes, zog durch Feindesland, barbarorum fines, und schlug die Alamannen, ein zahlreiches Reitervolk, in der Nähe des Main, oder erkaufte von ihnen, wie es scheint, den Ruhm eines Sieges. Alamannos, gentem populosam, ex equo mirifice pugnantem, propeMoenum devieit. Aurel. Victor deCaes. 21. 2. Von den Völkern, die den Alamannenbund bildeten, waren die Tenkterer berühmte Reiter. Tac. Germ. 32, und die Juthungen berühmten sich später der Stärke ihres Reiterheeres. Dexippos 1. Am t>. Oktober wurde der germanische Sieg victoria Germanica, von der Bruderschaft in Rom feierlich ver- kündet. Acta fratrum.

Der Main ist die erste Etappe der Alamannen, die wir kennen lernen. Der Name der Alamannen verschwindet vorab und taucht erst im Jahre 259 wieder auf. Aber unter den Germanen der nächsten Nachrichten sind auch Alamannen zu verstehen. Noch zur Zeit des Kaisers Probus, berichtet Vopiscus, seien die Alamannen Germanen genannt. Vita Proculi 13, 3.

Unter Alexander Severus (222 - 235) brachen die Ger- manen, eine Nation, die dem römischen Reiche im Nacken sass, ea natio imminebat rei publicae cervicibus, mit grossen Heeren über den Rhein und die Donau in Gallien und Rätien ein, zer- störten die an den Ufern gelegenen Lager und überschwemmten Städte und Dörfer. Der Kaiser eilte aus dem Orient an den linken Rhein und zog bei Mainz ein Heer zusammen, bei dem sich insbesondere Parthisehe und Maurische Bogenschützen, als zum Fernkampf mit den Germanen geeignet, befanden, da diese im Nahkampf sich den Römern gewachsen zeigten; er schlug auch eine Schiffbrücke über den Rhein. Neben diesen Kriegs- vorbereitungen leitete er aber auch Friedensverhandlungen mit den Germanen ein, versprach ihnen Alles, was sie bedürften, und vor Allem Geld. Er leitete damit das System ein, von den Germanen Frieden zu erkaufen. Herodian drückt dies so

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aus : „Die Germanen sind geldgierig uud bei dem Friedensschluss feilschen sie immer mit den Römern um Gold.“ Die Soldaten aber, empört über eine solche Art der Kriegführung, ermordeten den Kaiser in Mainz. Herodian 6, 7 ; Lampridius Sever. 59, 1 ; Zonaras 12, 15.

Sein Nachfolger Maximlnus (235 238) führte die vom Severus gesammelten Streitkräfte über den Rhoin, traf aber, da sich die Germanen in den Schutz ihres Landes, in Wälder und Sümpfe zurückgezogen, auf keinen Feind. 30, 40, 50 römische Meilen weit zerstörte er die reifenden Saaten und setzte die hölzernen Hütten der Dörfer, vici, in Brand. An einem Sumpf, in dem der voransprengende Kaiser fast versunken wäre, kam es endlich zur Schlacht, in der die Germanen unter- lagen. Zahlreiche wurden erschlagen oder zu Gefangenen ge- macht, Heerden wurden davongetrieben, Beute weggeschleppt. Die Besiegten ergaben sich ihm, er schloss mit ihnen Freund- schaft und Bundesgenossenschaft, 'ftXöxv xai auaacty/av, und liess sich zahlreiche Mannschaften, insbesondere Reiter für sein Heer stellen. Dann marschierte er weiter nach Pannonien, ein Be- weis, dass es ihrer Lage nach Alamannen waren, gegen die er gekämpft hatte. Herodian 7, 2 und 8; Capitolinus 10, 4; 13, 3.

Auch den folgenden Kaisern Gordian (238 244) nnd Drdus (249 251) werden germanische Siege zugeschrieben. Gallus ( 251 254) schloss mit den Germanen einen Friedensvertrag, nach dem er ihnen einen jährlichen Tribut zahlte, während sie sich verpflichteten, das Reich mit ihren Verheerungen zu verschonen. Auch liess er die Legionen aus Germanien abziehen. Zonaras 12, 21; Zosimos 1, 28.

Gallimus (253 —268) bewachte sorgfältig den Rhein, hielt die Germanen, soweit er konnte, vom Uebergang ab oder trieb sie zurück. Aber er versicherte sich dabei der Unterstützung des Königs eines Germanenstammes, mit dem er zu diesem Zwecke ein Bündniss abschloss, srovSdc ~yU xiva t«uv ry/oopiviav 3V/j; l'tpjj.svix'yj. Zosimos 1, 30; Eutrop. 9, 8; Aurel. Victor Caes. 33. In den Jahren 259 und 260 drang jedoch ein ge- waltiges Heer von Alamannen, so werden sie ausdrücklich ge- nannt, unter der Führung ihres Königs Chrocus als Herzog, Ckrocus Alamannorum rex; Alamannorum vis; collcctam Ala- mannorum gentem in Gallien ein. Der AVeg der Verheerung

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ist in das Gebiet der Arverner zu verfolgen. Der König, der wie Gregor berichtet, auf den Rath seiner Mutter alle altehr- würdigen Gebäude vernichten liess, zerstörte hier ein gallisches Heiligthum Vasso. Weiter wird der Memmatensis mons (Mende im Departement Loz^re) und Arles erwähnt, wo er seinen Unter- gang fand. (Nach den Einzelheiten scheint es derselbe Zug zu sein, den Fredegar 2, 40 im 5. Jahrhundert den Yandalen- könig Chrocns mit Sueven und Alanen, Chrocus Wandalorurn rex cum Snaevis et Alanis egressus de sedibus, machen lässt. Sein Weg ging über Mainz, 3*ptz, Trier und Arles.) Nach der Verheerung Galliens zog das Alamannenheer brandschatzend nach Italien, gelangte nach Ravenna und bedrohte Rom, wurde aber von Gallienus auf dem Rückwege bei Mailand (angeblich 10000 gegen 300000 Mann) geschlagen. Aurel. Victor Caes. 33; Gregor Hist. Franc. 1, 30 und 32; Eutrop. 9, 7.

Inzwischen hatte Postumus, vom Kaiser Valerian zum dux des limes transrhenanus eingesetzt, 258 eine zehnjährige selbst- ständige Herrschaft in Gallien begründet und hatte wiederum die Alamannen von dort zu vertreiben; summotis omnibus Ger- manicis gentibus. Sieben Jahre lang baute er im Barbarenland, rn solo barbarico, Kastelle, die nach seinem Tode bei einem plötzlichen Einfall der Germanen, subita inruptione Germanorum, zerstört und von seinem Nachfolger Lollianus wieder hergestellt wurden. Treb. Pollio tyr. trig. 3, 6: 5, 4. Das Decumaten- land innerhalb der beiden Limes ist gemeint, welches somit als Wohnsitz der alamannischen Germanen erscheint. Der Einfall ist auf neue Alamannenhaufen, die über den Main eindrangen, zurückzuführen. Von einer Vertreibung der Angesessenen ist keine Rede. Seitdem wird von Zügen nach Gallien vorab nichts mehr berichtet.

Dagegen tritt nunmehr der Osten und Süden des Landes in den Vordergrund, in dem die Gaue der juthungischen Sueven lagen. Kein Zweifel, dass sie in den Jahren 259 und 260 an dem grossen Zuge der vereinigten Alamannen unter dem Herzog Chrocus nach Gallien und dem nach Italien Theil genommen hatten: jetzt in den Jahren 270 und 271 hatten sie die Führung zweier selbstständiger Unternehmungen, die wiederum auf die Eroberung Italiens ausgingen. Die zersplitterten und durch ihre scheinbaren Widersprüche verwirrenden Nachrichten neunen

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sie während des ersten Zuges theils mit dem Gesammtnamen Alamannen, theils Sueven, theils Jutlmngen und gesellen ihnen bald ihre Nachbarvölker, bald sogar die Sarmaten zu, die man unbedenklich wird fallen lassen dürfen: während des zweiten Zoges werden sie als Alamannen oder als .Tuthungen, auch als .Markomannen bezeichnet, ein Name, den schon Zeuss und Holländer als Alamannen gelesen haben. Als Sieger in der entscheidenden Schlacht des Jahres 270 wird der Kaiser Claudius (268 270), aber auch sein damaliger Reitergeneral Aurelian genannt, der gegen das Ende des ersten Krieges bereits als Kaiser (270 275) erwähnt wird und als solcher dann den zweiten führte.

Der zeitgenössische Dexippos bezeichnet die „Juthungen“ irrig als Scythen, 'looDou-noo; IV.ü&ok. Ihre Heimath war die linke Donau. Aurelian, der mit ihren Gesandten auf dem rechten Ufer verhandelte, drohte ihnen, er werde sie, den Fluss überschreitend, in ihrem eigenen Gebiet aufsuchen, röv ’larpav vespflavTs; sv opots ’jjMvspo«. Dexippos de bell. Scyth. 1. Näher wohnten sie an der obern Donau, sv sä« wspl Av 'lotpov sa/astaf?, wo nach Zosimos 1, 49 am Ende des ersten Krieges die „Ala- mannen“ geschlagen wurden. Die Sitze der juthungischen Alamannen umfassten also die schwäbische Alb, und wenn sie wirklich, wie sie sich nach Dexippos rühmten, ein Heer von 120 000 Mann hatten, noch darüber hinaus das Neckarthal. Nach diesen Erläuterungen wird die folgende Erzählung verständlich werden.

Die „Juthungen“ lebten mit den Römern in Frieden und Bündniss. Sie bezogen einen Jahrestribut und stellten dafür Mannschaft zum römischen Heer. (Dexippos.) Da brachen sie (die „Alamanneu“) und ihre Nachbarvölker, ’.-Uapavvot xal -A irpö;- vm wjtou sllvr; (Zosimos), wahrscheinlich Donau abwärts wohnende Stämme, welche Vopiscus Sarmaten nennt, über die Donau, bemächtigten sich der dort gelegenen römischen Städte, zogen durch das erste Rätien, über die römische Strasse des Brenner und gelangten bis in die Nähe des Gardasees. Hier trugen die Römer einen glänzenden Sieg davon, die Hälfte der „Alamannen“ blieb auf dem Schlachtfelde. Nach Aurelius Victor war der Kaiser Claudius der Sieger, seine Münzen melden von einer victoria Germanica und Inschriften nennen ihn Germanicus.

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Nach Vopiscus war es unter der Regierung des Claudius sein Reitergeneral Aurelian, der die „Sueven“ und Sarmaten schlag, und nach Dexippos Aurelian, der die „Juthungen“ mit Heeres- macht besiegte. Alle diese Nachrichten haben denselben ent- scheidenden Kampf im Auge. Claudius adversum gentem Alamannorum haud procul a lacu Benaco dimicans, tantam multitudinem fudit, ut aegre pars dimidia superfuerit. Aurel. Victor epit. 34, 2. Eqnites sane omnes ante imperium sub Claudio Aurelianus gnbernavit. Item Aurelianus contra Suebos et Sarmatas isdem temporibns vehementissime dimicavit ac florentissimam victoriam rettulit. Flav. Vopisc. Aurel. 18, 1 und 2. AüpsXtavi; xoera xparo; vixr'a« tobe ’loo&ouyifooj. Dexippos 1. Aurelian verfolgte die Fliehenden bis zur Donau, ein Theil ge- langte über den Fluss in die Heimath, während bei dem Ueber- setzen ihrer Tausende erschlagen wurden (Dexippos, Zosimos). Ein anderer Tlieil des Heeres wurde auf dem rechten Ufer abgeschnitten. Hier setzt die Erzählung des Dexippos ein, der Aurelian bereits als Kaiser bezeichnet.

Die Juthungen schickten ihm Gesandte, die er mit dem kaiserlichen Purpur bekleidet, auf einer Empore sitzend, von dem Pomp des ganzen Heeres umgeben, empfing. „Staunend schwiegen sie lange, dann gab er ihnen die Erlaubnis zu reden.“ Und nun werden die Verhandlungen in rhetorischer Form wieder- gegeben.

Die Juthungen erinnerten an die guten Beziehungen, die bis vor Kurzem zwischen beiden Völkern geherrscht. Sie seien nicht geschlagen, sondern dem Glück unterlegen. 40 000 Reiter, berühmt durch ihre Kriegstüchtigkeit, führten sie ins Feld, nicht mit andern gemischt und keine unkräftigen, sondern reine Juthungen, 80 000 Mann Fussvolk, unbesiegt, nicht durch die Beifügung Anderer geschwächt. Kein Volk würde den Ju- thungen und den Römern gewachsen sein. Bei der Unsicherheit einer Entscheidung zögen sie dem Kriege den Frieden vor, aber nöthig sei es, dass die Römer zur Zahlung gemünzten und ungemünzten Goldes und von Silber zurückkehlten. So boten sie Bündniss mit Tribut oder den Krieg an.

Auf diese Rede, welche au die des Ariovist erinnert, warf ihnen der Kaiser den Bruch des beschworenen Bündnisses vor. lieber ihr Heer, Reiterei wie Fussvolk, sei er nicht im Unklaren.

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Dem stürmischen Angriff der Germanen stellte er die überlegene Kriegserfalirnug der Römer gegenüber und mahnte an das Schicksal der Scythen (Gothen), deren er 300000, von beiden Seiten der Donau vereinigt, geschlagen habe. Er drohte, die Juthungen in ihrer Heimath auf der linken Donau heimzusuchen.

Bestürzt durch diese Worte des Kaisers, sagt Dexippos, und an dem Abschluss des Bündnisses verzweifelnd, kehrten die Juthungen zu den Ihrigen zurück. Der Ausgang ist nicht zu ersehen, wahrscheinlich wurde der Kaiser durch die einbrechenden Vaudaleu nach Pannonien abgerufen. (In der Niebuhrschen Ausgabe des Dexippos ist neben den geschlagenen Scythen auch von „Alamannen“ die Rede, einer blossen Conjectur des Heraus- gebers.)

Die „Juthungen“ benutzten die Abwesenheit des Kaisers und fielen (als „Alamannen“ bezeichnet) noch in demselben Jahre in Italien ein, s~t ’lxaXta; StA xr(v t<7>v 'loolfoüffow jrcpowwtv. Dexippos 2. (Italiae) urbes Alamannorum vexationibus affligebantur. Aurel. Victor de Caes. 35. Aurelian eilte aus Pannonien herbei, wurde aber bei Placentia so ge- schlagen, dass es beinahe um das römische Reich geschehen gewesen wäre. Tanta apud Placentiam clades accepta est, ut Romanum paene solveretur imperium. Vopiscus 21, 1. Die Alamannen bedrohten auch Rom, wurden aber, nachdem im Januar 271 die sybillischen Bücher zu Ratlie gezogen waren, am Metaurus und bei Ticinum geschlagen. Epit. 35, 2.

Trotz dieser Niederlagen waren es wahrscheinlich die Juthungen, welche ihre Nachbarn, die Vindeliker unter ihre Herrschaft brachten. Der Kaiser befreite sie davon. Vindclicos obsidione barbarica liberavit. Vindelicis juguin barbaricao servi- tutis amovit. Vopisc. Aurel. 35, 4; 41, 8.

Auch auf den Münzen Aurelians wird eiue victoria Germanica gefeiert und die Inschriften nennen ihn Germanicus. In seinem Triumphzuge wurden unter Andern „Sueben“, Vandalen, Ger- manen, Suebi, Vandali, Germani auigeführt. Vopisc. Aurel. 35, 4.

Bis zum Tode Aurelians herrschte Ruhe auf allen Grenzen. Dann aber brachen, so hiess es in Rom, Germanen über den ober- germanischen Limes ein. Es werden Alamannen gewesen sein, die jenseits des Limes sassen. Sie bemächtigten sich des Decu- matenlandes, rückten zum Rhein und über den Rhein. Eine

Cram er, Geschichte der Alamannen. 2

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Episode dieses Zuges wird es sein, wenn von Probus ans der Zeit vor seinem Kaisertum erzählt wird, er habe Germanen und Alamannen weit vom Rhein zurückgetrieben. Sie bemächtigten sich aber dann Galliens, seiner mächtigen und reichen Städte. Hier besiegte sie zunächst Proculus, der Gegenkaiser des Probus, dann dieser selbst (276 282). Limiten! transrhenanum Ger- mani rupisse dicuntur, occupasse urbes validas, nobiles, divites et potentes. Vopisci Tacitus 33. Germani et Alamanni (a Probo) longe a Rheni summoti litoribus. Vopisci Probus 12, 3. (Pro- culus) Gallis profuit, nam Alamannos, qui tune adhuc Germani dicebantur, non sine gloriae splendore contrivit. Vopisci Proculus 13, 3. Die Zahl der Städte, die Probus ihnen in Gallien abnahm, wird auf 60 oder gar 70 angegeben, die Zahl der dort Erschlagenen auf 400 000 Mann. Dann verfolgte er ihre Reste über den Rhein und durchquerte von der Lahn bis Rätien das Gebiet der Alamannen, die auch hier noch als Ger- manen bezeichnet werden. Zunächst brach im römischen Heere eine Hungersnoth aus. Unendlicher Regen strömte vom Himmel, aber Regen mit Getreide gemischt, so dass ein Wunder die Erschreckten rettete, die sich anfangs scheuten, das himmlische Brod zu verzehren. „Die Reihe der schweren Kämpfe begann bei den Logionen, einem germanischen Volk.“ aa/a; xaptspaj i57<uviaato -pÖTSpov ulv -pöc Aiftiovaf, stlvo; l'spuavixov, d. h. bei dem germanischen Volk des Lahngaus, der später pagus Logenahe hiess. Probus besiegte das Ganvolk, nahm ihren König, töv -o’j-cov r^oupsvov Semnon mit seinem Sohne gefangen, begnadigte die Fliehenden und entliess sie nach Herausgabe der römischen Gefangenen und der Beute. Zosimos 1, 67; Zonaras 12, 29. Der Königsname Semnon erinnert an die suevische Abkunft eines Theils der Alamannen.

Probus wendete sich dann gen Süden und trieb die Ala- mannen über den Neckar und die Alb zurück, reliqnias ultra Nierum fluvitim et Albam removit. Aber nenn Könige ver- schiedener Gaue, reguli novem ex diversus gentibus; novem reges diversarum gentium (gentes = Gaue; siehe 3. Kapitel), wohl die von der Lahn, dem Main, dem Neckar und der Alb mussten sich ihm ergeben. Er schloss mit ihnen Frieden, dessen Bedingungen die Stellung von Geiseln, die Herausgabe aller Beute, die Lieferung von Getreide, Kühen und Schafen und die

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Aushebung von 16000 Mann Htilfstruppen waren, die zu 50 oder 60 unter die römischen Truppenkörper vertheilt wurden. Er verlangte auch, dass sieh die Alamannen des Waffengebrauchs enthielten und den Angriffen anderer Völker gegenüber die Hülfe der Römer in Anspruch nehmen sollten, aber dies erschien nicht durchführbar, „es sei denn, dass der römische Limes aus- gedehnt und ganz Germanien zur römischen Provinz gemacht würde.“ Gross war die Beute. Nicht nur was die Alamannen in Gallien erbeutet hatten, fiel wieder in die Hände der Römer, der Kaiser konnte vielmehr dem Senat berichten: Wir liessen ihnen nur den Boden, all' ihre Habe besitzen wir. Illis sola reliquimus sola, uos eorum omnia possidemus.

Vom Decumatenland zog Probus nach Rätien und schlug auch dort eine aufständische Bewegung nieder.

Trotz dieser Erfolge nennt Vopiscus, dem wir diese Nach- richten verdanken (Vita Probi 11 16), den linken Rhein das römische Ufer, den rechten Barbarenland, nostra ripa, solum barbaricum. Man liess es ihnen, aber Probus gründete hier von Neuem römische Städte und Lager und legte Besatzungen hin- ein, welche Landanweisungen erhielten. Das hinderte aber nicht, dass die Alamannen einmal die auf den Rheininseln auf- geführten Luxusgebäude in Brand steckten, in Rheno Roman as lusorias incendissent. Vopisci Bonosus 14. Dem Probus ver- dankt der Rhein, oder doch der linke Rhein die Reben.

Nach dem Tode des Probus wiederholte sich alles Frühere. Die römische Macht im Decumatenland wuide verstärkt und wieder über den Haufen geworfen. Verheerend gingen bald die Kaiser, bald die Alamannen über den Rhein. Das ergeben vor Allem die Lobreden auf die Kaiser.

Diodetian (285 - 305) baute innerhalb des Limes Städte und Castelle und legte Besatzungen hinein. Dann erfolgten Vorstösse der Alamannen, die nur aus ihren Folgen erkennbar sind. Maximum (285 305) überschritt den Rhein, bezwang die Aufständischen und verheerte ihre Gaue mit Feuer und Schwert. Constantia« I Chlorus (293 306) durchmass als Cäsar ganz Alamannien von der Mainzerbrücke bis zum Donau- übergang bei Giinzburg, brennend und raubend. Ein ala- mannischer Gaukönig gerieth dabei in Gefangenschaft. So oft, heisst es dann an einer späteren Stelle, Alamannien nieder-

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getreten ist, so oft ist Sarmatien vernichtet, so oft sind Juthungen, Quaden, Carpen geselllagen. A ponte Rheni usque ad Danuvii transitnm Guntiensem deusta atque exhausta penitus Alamannia-, cum toties procnlcata esset Alamannia, toties obtrita Sar- matia; Jnthungi, Quadi, Carpi toties profligati. (Die wichtigsten der besiegten Völker werden in beiden Ländern hervorgehoben, iu Alamannien sind es die Juthungen, in Sarmatien die Quaden und Carpen. Siehe Zeuss 314.) Vom Rhein bis zur Donau, von Mainz bis Giinzburg, das war also die Ausdehnung der festen Alamannensitze in der Diagonale, aber auch bis an die Quellen der Donau wurden die Provinzen Germanien und Rätien wieder vorgeschoben, porrectis usque ad Danubii caput Germaniae Raetiaeque limitibus (Paneg. Constantio V, 2, 3, 10) und noch weiter. Denn um 300 schlug der Kaiser die Alamannen bei Langres, circa Lingonas und tödtete ihrer 60000 Mann. Bei Windisch auf den campi Vindonii oder Vindonissae schnitt er ungeheure Haufen von Alamannen aus verschiedenen Gauen, immanem ex diversis Germanorum populis multitudinem, die über den gefrorenen Rhein gesetzt waren, als der Strom aufthanto, ab und zwang sie zur Ergebung. Es mögen vorwiegend die benachbarten Breisgauer und Lenzer gewesen sein.

Maximian wie Constantius werden gerühmt, dass sic beide Limes wiederhergestellt und durch Castelle und Besatzungen gesichert haben. Toto Rheni et Histri limite restituta. Eumen. p. rest. schol. 18. Wenn aber im Jahr 289 ein Redner dem Maximian zurief: Was ich über dem Rhein sehe, ist römisch, quiequid ultra Rhenum prospicio, Romanum est, so entsprach das keineswegs einem sichern und dauernden Zustand. Mamer- tinus paneg. Maximiano 5 7; Zosimos 2, 34; Paneg. Con- stantio V 2, 3, 10; Paneg. Constantino 7, 4—6.; Eutrop. 9, 23.

Unter den römischen Heerführern, welche Constantia (den Grossen 306 337) in Britanien zum Kaiser ausriefen, war vor Allen ein alamannischer Gaukönig Crocus, der an der Spitze von Hiillstruppen seiner Landsleute stand, ein erstes Beispiel der einflussreichen Stellung eines Alamannen im römischen Reiche. Quo (Constantio) mortuo, cunctis qui aderant adnitentibus, sed praecipue Crocu Alamannoruin rege, auxilii gratia Constantium comitato, (Constantinus) imperium capit. Aurel. Victor epit. 41, 3. Auch später hatte der Kaiser viel-

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fach Germanen bei sich im Heer. Aber er führte auch viel- fache Kämpfe gegen Germanen, und an zweien waren auch die Alamannen beteiligt. Constantin vernichtete alamannische und fränkische Heere und zwang deren gefangene Könige bei seinem Triumphzuge zum Kampf mit wilden Thieren im Circus. Später vereinigten sich Bructerer, Chamaven, Cherusker, Vangionen, Alamannen und Tubanten wahrscheinlich zu einem Zuge nach Gallien. Er besiegte sie in einer Schlacht und verheerte ihre Gaue. Die wilden Völker vertrieb er, die gefügigen behandelte er milde. Vor Allem aber befestigte er die Rheinlinie, errichtete Castra und Castelle, hielt eine Flotte von Kriegsschiffen auf dem Strom und baute Brücken über den Rhein bei Cöln und über die Donau zum raschen Einmarsch in das Barbarenland, Der Rhein war römisch, der Neckar und Main barbarisch, barbarus Nicer et Moenus. Zosimos 2, 15; Eutrop. 10, 3; Johannes Antiochenus 109; Nazarii Paneg. Constantino 18; Eusebius vita Constantini 1, 25; Paneg. Constantino 13, 18, 22.

(Vergleiche: A. Holländer, die Kriege der Alamannen mit den Römern im 3. Jahrhundert n. Chr., in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Bd. 26, 1874, S. 265 u. flgde. A. Riese, das rheinische Germanien in derantikenLitteratur, 1892.)

8. Die Besitzergreifung.

Fasst man diese der ersten Besitzperiode von 125 Jahren entnommenen geschichtlichen Nachrichten zusammen, so ist es ausser Zweifel, dass die Besitzergreifung Alamanniens schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts vollendet war.

Der Wanderzug der Alamannen ging von Norden nach Süden. Als sie 213 am Main angekommen waren, hatten sie wahrscheinlich bereits das Lahn- und Mainthal besetzt. Dass sie sodann im Süden in weiter Ausdehnung sich angesiedelt hatten, beweisen die starken Heere, die sie schon 256 260 über den Mittelrhein nach Gallien und Italien gegen den Kaiser

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Gallienus, 270 bis 271 über die obere Dona« nach Italien gegen die Kaiser Claudius und Aurelian sendeten. Die späteren Ein- brüche nach Gallien bezeugen ein Gleiches. Für das Jahr 296 ist die Ausdehnung des Alamannenlandes vom Rhein bei Mainz bis zur Donau bei Günzburg und dann auch weiter bis zu dem Quellgebiet der Donau bezeugt. Spezielle Nachrichten darüber, dass auch der Schwarz wald und das Gebiet zwischen dem Ur- sprung der Donau und dem oberen Rhein, bis wo er aus dem Bodensee fliesst, von den Alamannen besetzt sei, fehlen für dieses Jahrhundert. Aber es wird nicht daran zu zweifeln sein. Um 300 weisen die Siege des Constantius Chlorus bei Langres und Windisch darauf hin und in der Mitte des 4. Jahr- hunderts ist auch hier alamannischer Besitz bekundet.

Die Occupation des römischen Decnmatenlandes begann mit der Zerstörung der zwei Jahrhunderte alten, reichen römischen Kultur. Städte waren den Alamannen ein Gräuel. „Sie meiden sie wie umgitterte Grabstätten“. Ipsa oppida nt circumdata retiis busta decl.inant. Ammian 16, 2, 12. (Siehe Kapitel 8, Abschnitt 2.) Aber die Anlagen des römischen Acker- baus machten sie sich zu Nutze. Die Gaue, die sie in dem er- oberten Gebiet gründeten, bildeten selbstständige Staatsverbände, die völlig unabhängig vom römischen Reich waren. Man Hess sie vorab gewähren, zahlte ihnen sogar Tribut, um nicht durch sie be- lästigt zu werden. Maximinus war der Erste, der nach ihrer Nieder- lage versuchte, die Alamannen durch Bündniss an das Reich zu ketten; sie antworteten durch die grossen Züge nach Gallien und Italien. Postumus war der Erste, der rechts vom Rhein wieder Castelle, Probus der Erste, der wieder römische Städte gründete, aber sie wurden zerstört. Es bildete sich ein System, das zwischen Tributzahlung. Verheerung und Abhängigmachung schwankte. Die Schöpfungen der energischen Kaiser waren vorübergehend, jeder folgende musste von Neuem beginnen. Den Besitz des Landes selbst den Alamannen zu nehmen, ist nie der Versuch gemacht.

Hatte Taeitus das Decumatenland ein Vorland des römischen Reiches genannt, so war davon im dritten und nächsten Jahr- hundert selbst zur Zeit des Probus keine Rede mehr. Unter Postumus hicss der früher römische Besitz Alamannenland, solum birbaricum, und selbst Vopiseus, der Geschichtsschreiber

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des Probus, nennt deu linken Rhein Römerland, nostra ripa, Romannm solum und das Alamannische gleichfalls solnm bar- baricum. Neckar und Main waren Alainannenflüsse, und es wird gerühmt, wenn wieder einmal die Limes des Rhein und der Donau hergestellt sind. Das rechtsrheinische Gebiet zwischen dem Westerwald und dem Bodensee war alamannisches Stammland geworden.

Aber es auszudehnen, gelang den Alamannen nicht. Aus Gallien, Italien, Rätien wurden sie jedesmal unter furchtbaren Verlusten zurückgeschlagen. Dieses schreckliche Volk, sagt Ammian, obwohl von seiner ersten Kindheit an durch den Wechsel des Geschicks wiederholentlich geschwächt, wuchs eben so oft wieder zu jugendlicher Kraft heran, so dass man meinen sollte, es sei Jahrhunderte lang verschont geblieben. Immanis natio, jam inde ab incunabilis primis varietate casuum imminuta, ita saepius adulescit, ut fuisse longis saeculis aesti- matur intacta. 28, 5. 9.

4. Die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts.

Die folgende Periode der alamannischen Geschichte von 354 377 ist uns durch die Darstellung des Ammianus Marcellinus bekannt. Sie ist von besonderem Interesse, da sic eine Vorstellung der Gaue des vierten Jahrhunderts bietet, dadurch das ganze Ansiedlungsgebiet Alamanniens kennen lehrt, und da sie zeigt, wie die Gaue die Grundlagen des politischen Lebens bildeten. Indem die Wiedergabe der geschichtlichen Entwicklung einer späteren Darstellung Vorbehalten bleibt (siehe Kapitel 5), sollen hier daraus nur einzelne Daten zum Vortrag gebracht oder aus andern Schriftstellern ergänzt werden, welche die Wohnsitze der schon hervorgehobenen Be- standteile des Alamannenstammes, der Sueven oder Juthungcn und der Lenzer erkennen lassen.

Etwa in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts hatten sich, wie es scheint unter Verdrängung von Alamannen, am

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mittleren Main bis an den Limes Burgundianen niedergelassen. Die Nachbarschaft zwischen beiden Stämmen, die sich ein bemerkenswerthes Ergebuiss der Völkerwanderung später an den mittleren Rhein, an den Doubs und die Aare verpflanzte, sollte für immer eine feindliche sein. Schon vor 203 standen sie um Grundstücke im Nachbarkrieg von wechselndem Erfolg. Burgundiones Alamannorum agros occupavere, sed sua quoqnc clade quaesitos. Alamanni terras amisere, sed repetunt. Mamertin geneth. Maximiano 17. Die Kriege setzten sielt im 4. Jahr- hundert unter den Nachbarvölkern aus demselben Grunde fort, und Ammian behandelt in drei Gruppen von Nachrichten die Streitigkeiten und die Grenzen.

Im Jahre 356 wurde ein „rechtsrheinisches“ Volk (trans- rhenana spatia) vom Kaiser Constantins von ltätien aus, von den Truppen des Cäsar Julian wahrscheinlich vom Schwarzwald aus, und von „feindlichen Nachbarn“, flnitimis, quos hostes fecore discordiae, eingeschlossen. Der Kaiser gewährte ihnen Frieden, pace data, zwischen den Nachbarn wurde der Gegenstand des Streits entfernt und der Streit damit beigelegt, sedata jurgium materia vicinae gentes jam concordabaut. Im nächsten Jahre fielen „Sueven“ in Rätien ein, Suebos Raetias incursare, und im Jahre 358 wiederholten dies „Juthungen, des Friedens und Bündnisses vergessend“. Bei dieser Gelegenheit wird mit- getheilt, dass die Juthungen einen Theil der Alamannen bildeten und an Italien, dem Rätien zugerechnet wurde, grenzten; Juthungi Alamannorum pars, Italicis conterminans tractibus, obliti pacis et foederum. 16, 12, 15 und 16: 16,. 10, 20; 17, 6, l. Fasst man diese Berichte zusammen, so ergiebt sich, dass das rechtsrheinische Volk des Jahres 356 dem Stamm der Ala- mannen angehörte und dass es speziell Juthungen waren und, wie nicht zu bezweifeln, Sueven; Nachbarn einerseits der Bur- gundionen, andererseits von Rätien. Aber die Grenzen sind noch näher bestimmt.

Im Jahre 35!) zog der Cäsar Julian von Mainz aus das Mainthal aufwärts quer durch das Alamannenland bis zum Limes, wo die Grenzsteine der Römer und Burgnndionen standen, ad regionem, cui Capellatii vel Palas (Pfahl, Pfahlgraben) nomen est, ubi terminales lapides Romanorum et Burgundiorum con- finia distinguebant. 18, 2, 15. Der Limes selbst bildete die

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Grenze des römischen Decumatenlandes, die Burgnndionen sassen also draussen. Das Wort „Romanorum“, welches sich in der Handschrift des Ainmian findet, ist in den Ausgaben seit 1533 durch das Wort „Alamannorum“ ersetzt (Nissen in der West- deutschen Zeitschrift 6, 332). Allerdings führt jedes dieser Worte geographisch zu demselben Sinn, da 359 die Alamannen thatsächlich an die Stelle der Römer getreten waren. Vielleicht waren die Burgundionen erst nach dem Siege und Friedensschluss von 356 bis unmittelbar zum Limes vorgedrungen. Zum Jahr 370 wird dann wieder über einen Grenzstreit berichtet. Sie stritten seit lange um Salzquellen und Grenzen. (Bnrgnndii) salinaruin fraiumque causa Alamaunis saepe jurgebant. 28, 5, 11. Die Salzquellen können nur die von Schwäbisch-Hall odei Kissingen sein. Schwäbisch-Hall, das man gewöhnlich annimmt, würde bedeuten, dass die Alamannen über die Grenze des Limes hin- aus wieder Ansprüche erhoben, was ja nicht unmöglich ist. Ebensogut kann aber auch Kissingen gemeint sein, im Norden des Main ein nicht unwahrscheinlicher Grenzpunkt zwischen dem Gebiet der Burgundionen und den alamannischen Gauen des Königs Makrian, der Wetteran und dem Grabfeld. Die Kampflustigen könnten übrigens auch um beide Quellen ge- stritten haben.

Der Name Suevtn tritt wieder zum Jahr 368 hervor. An dem Feldzug des Kaiser Valentinian von diesem Jahre nahm auch sein neunjähriger Sohn Gratian Theil, dessen Erzieher Ausonins, der Dichter derMosella war. Es wurden zwei Schlachten, die eine bei Heilbronn am mittleren Neckar (bei Solicomnum, sonst Solicinium genannt, siehe Kapitel 5 Abschnitt 5), dio andere an der Quelle der Donau geschlagen. Ausonius besingt, wie der Gott Danubius seinen kühlen Quell mitten im „Sueven- land“ ergiesst, fontem mediis effundo Suevis, und wie er dem Kaiser Valens, der an der untern Donau stand, mittheilen will, dass die „Sucven“ durch Niederlage, Flucht und Brand zu Grunde gegangen seien, caede, fuga, flammis stratos periisse Suevos. Der Dichter empfing als seinen Antheil an der Kriegs- beute ein „suevisches“ Mädchen, die schöne Bissula, deren Heimath der Ursprung der Donau war, in Suevae gratiam vir- gunculae; conscia nascentis Bissula Danubii. Diese Mittheilungen des Ausonius sind um so werthvoller, als er aus eigener Kriegs-

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erfahrung oder aus dem Munde seines Zöglings und der Bissnla wusste, dass am mittleren und obera Neckar und der oben) Donau Sucven ihren Wohnsitz liatten. (Ausonius 4. und 5. Epigramm, Lieder der Bissula 2 praef.: Uliland Sucvisch ala- mannische Vorzeit, 8, 282 284.)

Noch zweimal erscheint der Name der Juthungen, um dann völlig zu verschwinden. Im Jahre 887. schreibt der Erzbischof Ambrosius von Mailand (Epist. 24): Die Juthungen verwüsteten Rätien und gegen sie wurden Hunnen und Alanen herbeigerufen. Juthungi populabantur Raetias et ideo adversus Juthungum Hunnus accitus est. Die Herbeigcholten verheerten dann aber die Gaue Alamanniens und bedrohten Gallien , bis sie von Valentinian II. zurückgedrängt wurden. Hunnus proterebat Alamanniam et jam urgebat Gallias. . . Yalentinianus Hnmios atque Alanos appropinquantes Galliae per Alamanniae terras reflexit. Zum letzten Mal wird der Name der Juthungen im Jahre 480 genannt. Aetius hegte den Plan, sie zu vertilgen, Aetius Jhutingorum gentem delcre intendit. Chron. Gail, anni 452 zum Jahr 430. Er schlug sie auch sammt ihren Nachbarn an der Donau, den Vindelikern und Norikern. Juthungi per eum debellantur. Hydatius zum Jahr 430. Nam post Juthungos et Notiea bella, subacto victor Vindelico etc. Sidonius Carmen VII, 233 235. (Siehe Kapitel i> Abschnitt (i und Kapitel 8 Ab- schnitt 3.)

•j. Alamannen, juthiingisehc Sucven. Lenzer und Andere.

Nunmehr lässt sich die Bedeutung der Namen Alamannen, Sueven, Juthungen und Lenzer geographisch feststellen.

Alnmunni, Ahimininln ist der allumfassende Name des Stammes und seines Gebietes. Zumal Ammian gebraucht ihn in diesem Sinn, die Ausdrücke Sueven und Juthungen hat er je nur einmal. Von der östlichen Grenze Alamanniens sind insbesondere zu fixiren: Günzburg an der Donau, der ober- germanische Limes von Lorch bis Miltenberg und entweder Schwäbisch-Hall oder Kissingcn.

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Die Sturm sind uns als der Völkertlieil überliefert, der an dem Donauursprung, an der linken Donau, an dem mittlern Neckar wohnt. Nach Ansonius entspringt die Donau mitten im Suevenland. Nach Jordancs überfüllt etwa 473 Theodemir die Sneven in ihrer Heimath an der linken Donau. Nach Ammian fallen sie 357 in Rätien ein. Nach Ausonius werden sie 368 in ihrer Heimath am mittleren Neckar und am Donauursprung geschlagen.

Die Juthungen erscheinen- als die Nachbarn Rätiens. Nach Ammian stossen sie 357 an Rätien, nach Ambrosius verwüsten sie 387 Rätien, nach Hydatius besiegt 430 Aetius sie, sowie die benachbarten Vindeliker und Noriker.

Die Sueben und die Juthungen, als dasselbe Volk unter diesen zwei Namen an den gleichen Ereignissen betheiligt, sind 270 und 271 nach Victor und Vopiscus. Dexippos und Zosimos Anwohner der oberen linken Donau und nach Ammian 357 und 358 Nachbarn der Burgundionen am Limes, 370 in Schwäbischhall oder Kissingen, sowie 356 wahrscheinlich Angrenzer vom öst- lichen Abhang des Schwarzwaldes.

Stellt man diese Nachrichten zusammen, so zeigt sich, dass das Gebiet der Sueven und das der Juthungen überhaupt dasselbe ist, sie selbst also ein und dasselbe Volk sind. So sagen auch Zeuss 315 und Müllenhof, deutsche Alterthums- kunde III 221, 315, 316.

Die Sitze der juthungischen Sueven sind umspannt im Süden von der Donau von deren Ursprung bis Giinzburg, dem äussersten Punkt des Alamannenlandes, im Osten von da bis Schwäbisch- Hall oder Kissingen, im Norden von da etwa bis um Heil- bronn, im Westen von da wahrscheinlich über den Ostabhang des Schwarzwaldes bis zum Ursprung der Donau. Das ist das Gebiet der schwäbischen Alb und des oberen und mittleren Neckar. Darüber hinaus im Norden und Westen kommt nur der Ala- mannenname vor. Möglich, dass sich der suevisehe Besitz im Norden noch weiter erstreckt hat, im Westen erhielt sich der Gegensatz von Suevien und Schwarz waldgebiet bis tief in das Mittelalter.

Die Juthungen sind nach der ausdrücklichen Bekundung Awmians ein Theil der Alamannen, mithin sind es auch die Sueven.

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Von den Lenzem berichtet nur derselbe Schriftsteller und zwar zu den Jahren 355 und 377. Sie hatten mehrere Gaue und grenzten an Rätien. Lentiensibus Alaniannicis pagis: Ala- mannicus populus, tractibus Raetiarum confinis. 15., 4, 1: 31, 10, 2. Weiter siedelten sie in der Nähe des Bodensees, 15, 4, 1 ; am Rhein 31, 10, 4; um die Bergkegel des Hegau und am an- stossenden östlichen Schwarzwald. 31, 10, Sätze 2, 4, 12 17.

Wie verhält sich zu diesen Ergebnissen der Inhalt der Peutinger’schen Tafel und die Völkerverzeichnisse, das Veroneser und das des Honorius hinsichtlich der Alamannen, Sueven und Juthungen?, denn von Lenzem ist darin keine Rede.

Die Peutmger' sehe Tafil, nach Männert aus der Zeit des Alexander Severus (222 235), nach Müllenhof aus der Zeit nach 271, aber auch nicht viel später, stellt die Strassen des römischen Reiches dar und enthält in einem langen schmalen Grenzstrich, der durch den Rhein und die Donau vom Reich getrennt ist, die Namen einiger germanischen Völker. Die beiden Flüsse sind in einer geraden, leise gewellten Linie dargestellt, die sich links als Rhein in den öcean, rechts als Donau in das schwarze Meer ergicsst. Die Quellen liegen nicht weit von einander, und neben ihnen und dem Bodensee zieht sich der Schwarzwald, silva Marciana, hin. Die germanischen Völker- namen, die hier allein interessieren, sind in die Karte theils roth, theils schwarz eingetragen. Die Tafel liegt in einfarbigem photographischen Abdruck, wie nach der Ausgabe von Dr. Conrad Miller in den Farben des Originals (Ravensburg 1888) vor.

Die schwarzen Buchstaben tragen ein durchaus anderes Gepräge wie die rothen. Diese sind meist geschweift, von weicherer, jene von schärferer Zeichnung. Wo sich auf der Karte kein Platz für weitere Namen fand, sind die Buchstaben einiger schwarz zwischen die rothen anderer eingetragen, so an der mittleren Donau schwarz Jutugi (=■ Juthungi) zwischen roth Quadi, schwarz Vanduli zwischen roth Marcomanni, am unteren Rhein schwarz Chrestini (= Cherusci) zwischen roth Chauci und Chamavi etc. Hieraus und aus dem gesammten Charakter der Schrift ergiebt sich, dass von den germanischen Völkernamen die rothen bei der Abfassung der Karte eingetragen, die schwarzen in späterer Zeit zugesetzt sind.

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Koth steht eingetragen: am rechten Rheinufer (abgesehen von Francia etc. am Niederrhein) Burctnri (= Bructuri) und Alamannia und am oberen linken Donauufer Armalausi, Marco- manni, Quadi, Bur.

Die Namen stehen deu Stationen der römischen Rhein- und der Neckar-Donau-Militairstrasso gegenüber und werden dadurch ihrer geographischen Ausdehnung nach festgestellt. Aber zwischen den Xaehbarnamen finden sich meist weite Lücken und diese sind zwischen ihnen, so weit unsere Keuntniss reicht, aufzu- Üieilen.

Der Name Alamannia steht rotli dem Schwarzwald, silva Marciana, und dem Bodensee gegenüber und erstreckt sich von Windisch (Vindonissa) aus rheinabwärts bis Artalbrunum; dann folgen von oberhalb Coblenz (Contluentes) ab die Burctnri. Die zwisehenliegende Lücke darf bis in die Gegend des Wester- waldes der Alamannia hingewiesen werden. Andererseits reicht dieser Name an der Neckar- Donaulinie von Windisch bis Rott- weil (Arae Flaviae) und es folgen Armalausi von Aalen (Aqui- leja) an. Die Lücke bis Lorch (Ad Litnaui) am Kreuzungspunkt der beiden Grenzwälle gebührt ganz der Alamannia.

Ausserhalb der beiden Limes folgen die Armalausi bis etwa Günzenhausen (Iciniacum), die Mareomanni von da bis etwa zur Mündung des Inn in die Donau bei Innstadt (castellum Bojodunum), die Quadi von da bis etwa Pressburg (Carnuntum) und von da die „Bur“ bis etwa Buda-Pesth (Aquincum). Die Bnr sind nicht auf die Burgundionen zu deuten, die hier nie gesessen haben, es ist auch nicht mit Müllenhof Dur = Hermunduri zu lesen: vielmehr scheint es, dass der Zeichner der Karte hier irrthümlich die Bnrcturi habe eintragen wollen, die er dann, ohne diese Buchstaben zu beseitigen, an den Rhein zwischen Cüln und Coblenz, wohin sie auch wohl nicht gehören, ver- setzt hat.

Sonach erstreckt sich nach der Peutinger’schen Tafel Ala- mannia vom Bodensee den Rhein abwärts bis zum Westerwald, und erreicht vom See ans über die Donau hinweg den Winkel der beiden Limes. Der obergermanische Grenzwall wird in seinem weiteren Verlauf die Grenze bilden, da ausserhalb die Arma- laasen sassen. Man sieht, die Tafel in ihrer ursprünglichen Form hat nur die Alamannia eingezeichnet ; die juthungischen

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Sueven, die nur einen Theil der Alamannen ausmachten, ein- zutragen, war kein Anlass.

Seit dem 4. und insbesondere seit dem 5. Jahrhundert, wurde aber, wie unten (im 7. Kapitel) im Zusammenhang dar- gestellt werden soll, die Bedeutung der Namen Alamanni, Alamannia und Suevi, Suevia schwankend. Während der Sprach- gebrauch den Namen der Alamannen einerseits in der umfassenden Bedeutung festhielt , setzte er ihn den Suevennamen gegenüber herab. Er unterschied die suevischen Alamannen von den nicht sueviscben, für die es bis dahin keinen gemeinsamen Namen gab, und nannte nunmehr jene Sueven, diese gegensätzlich Ala- mannen. Dann aber dehnte er den Suevennamen aus und nannte den ganzen Stamm bald Alamannen bald Sueven. Vor dem Suevennamen verklang auch der Juthungenname, und seine geographische Localisirung mag unsicher geworden sein. So kam es, dass dieser Fortbildung gemäss die Peutinger'sche Tafel später ergänzt wurde. In die Lücke zwischen den rothen Namen Burcturi und Alamannia (Mainz und Strassburg gegen- über) trug man schwarz ein : „Suevia“, (zwischen die rothen Buch- staben von Marcomanni, die schwarzen von „Vanduli“) und zwischen die rothen von Quadi die schwarzen von „Jutugi“ (Q J U L’ .1 T D U G .7 J). Suevia, Alamannia der ergänzten Tafel bedeutete nunmehr, sei es Suevieu und Alamannicu, sei es Suevien oder Alamannien und die Juthungen (Jutugi) waren, von Suevien getrennt, aus Mangel an Raum aut der Karte, an die Donau zwischen Passau (Innstadt) und Pressburg, wo sie nie gesessen hatten, verschoben.

Der spätere Sprachgebrauch lag auch zwei weiteren Ur- kunden zu Grunde. Julius Honmius, dem eine Karte aus der Zeit von 375 vorlag und der im 5. Jahrhundert schrieb, hat, soweit es hier interessirt, folgendes Völkerverzeichniss: „Francii, Alanii (= Alamanni), Snebi Langobardi, Tutuncii, Burgundioues, Arinalausiui, Marcomanni . . . Quadi.“ Suebi Langobardi sind die langobardischeu Sueven, -'sjr'fri W;-;o ßapow, denen die Tutuucii (= Juthungi) als juthungische Sueven augefügt sind. Und die Veroneser Völkcrtafd aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts führt unter den Völkern, die in der Kaiserzeit emporwuchsen, den barbarae gentes, quae pullulaverunt sub imperatoribns auf: Cati (Chatten), Burgunziones, Alamanni, Suevi, Franci, Gallo-

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vaci, Jotungi, Armilausini, Alarcomanni, Quadi. Mflllenhof ent- fenit aus dieser Folge, indem er ihnen einen anderen Platz anweist, die Franci, Gallovaci, und dann treten auch hier die Suevi Jotungi (Juthungen) als juthungische Sueven zu- sammen. Es sind die „nachmaligen Schwaben“, „dieselben mit dem Jotungi“ (Müllenhof).

Neben den Alamannen und den juthungischen Sueven er- geben diese Urkunden zugleich deren Nachbarn, soweit es nicht die Römer sind: im Osten die Armalausen und Bur- guudionen, im Norden die Chatten und Franken.

Wenn auch nach späterem Sprachgebrauch die Begriffe Alamannien und Suevien sich decken, so ist doch niemals, weder vorher noch nachher, der Ausdruck Suevien speciell auf den Schwarzwald oder gar das Eisass ausgedehnt, vielmehr halten noch Urkunden de* 12. und späterer Jahrhunderte fest, dass Suevien im Westen nur bis an den Schwarzwald reicht. Die Jlortenau, der Breisgau und das Eisass sind nach ihnen nicht suevisch. In einer Urkunde werden im Jahr 1139 Orte in Alortunagia, in Brisegangia, in Alsatia aufgeführt, und es folgen dann in „Suevia“ Rimigesdorf, Urslingen, Villingcn, Asckaha, Gruom, Steten, Witerhusen, so dass der Fuss des Schwarzwaldes die suevische Grenze bildet: links vom Neckar Römlensdorf im O.-A. Oberndorf, Stetten im O.-A. Rottweil, A iedereschbach im B. A. Villingen, die Stadt Villingen selbst; rechts vom Neckar Wittershausen im O.-A. Sulz, Irslingeu im O.-A. Kottweil und im suevischen Binnenland Gruorn im O.-A. Urach. Wirt. Urkundenbuch Nr. 310. In einer Ur- kunde von 1215 heisst es: Brischaugia vel Alsatia vel AI ortno wa not „Suevia“ provinciis. Herrgott. Gen. Austr. II, Nr. 270. Im Jahr 1280 liegen Güter in Brisgow, in Alortnowe und in .Swaben“. Zeitschrift für Gesch. des Oberrheins 9, 474. 1340 schlossen die schwäbischen Städte Villingen und Rottweil ein Bündniss mit Freiburg im Breisgau, in dem „Schwaben“ und Breisgau als zwei verschiedene Provinzen behandelt werden. Schreiber, Urkundenbuch von Freiburg I, 348. Im 14. Jahrhundert fassen die Ann. Mellicenses die rheinischen Oaugenossen als Renenses den „Schwaben“ gegenüber zu- sammen. Alon. Germ. Sc. IX. Stil. Felix Fabri setzt noch am Eude des 15. Jahrhunderts Brisgaudia und Alsatia „Schwaben“

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gegenüber. Nur einmal wird am Ende des 12. Jahrhunderts ein elsässischer Ort, Hagenau, als suevisch bezeichnet. Ejiis- eopus Argcutine et comes de Dasburg Suevo omnia sua devastant eique in tota Suevia cuncta diripiunt usque ad nrbeui imperialem, qui Hagenove dicitnr. Ann. Col. max. zum Jalir 111)8. Mon. Germ. Sc. 17, 806. (Die Citate bei ßaumann, Schwaben und Alamannen in Forschungen zur deutschen Ge- schichte 16 S. 248, 255, 258).

Während die Historiker in ihren Darstellungen nur von den Alamannen und (ihren Bestaudtheilen) den Sueven, Ju- thungen und Lenzem reden, haben sich am Rhein aus der römischen Periode einige Völkernamen (Kapitel 1) auch noch in der alamanniseken Zeit erhalten, insbesondere die der Mattiaker. Das römische Staatshandbuch, die Notitia dignitatum vom Jahr 400 führt unter den germanischen Auxiliartruppen aus alamannischem Gebiet Brcisgauer und Mattiaker auf. Es ist berichtet, dass die Ersteren, deren Gau in zwei Tlieile zer- fiel, seit dem Jahr 354 mit den Römern im Bftudniss standen, und dass ein solches die Stellung von Hülfstruppen in sich schloss (Ammian 14, 10, 10 und 15). Die Truppen etwa des obern und untern Breisgau, die Brisigavi seniores waren in Hispanien, die juniores in Italien garnisonirt. Aehnlich heisst es von den Mattiakem: die Mattiaei seniores stehen in Italien, die juniores und die Gallicani in Gallien. Dies führt auf die Vermuthung, dass die eingeborene Bevölkerung der romanisirten civitas Mattiacorum sich den eindringenden Alamannen angeschlossen, ihre Sitze bewahrt und sie in eitlen Mattiakergau umgewandelt habe, der dann in die drei Tlieile der Mattiaei seniores und juniores, etwa des oberen und unteren rechten Rheinufers, und der Gallicani des gallischen Ufers zerfielen. Diese Vermuthung wird zur Wahrscheinlichkeit, wenn man in diesem Gebiet die Namen der von Ptolemaeus Überlieferten Ingrionen und Uisper in dem alamannischen Engersgau und dem Wisperbach wieder- findet und erwägt, dass gerade hier (dem alamannischen und heutigen Rheingau) sich noch im vierten Jahrhundert nach römischer Art gebaute Wohnstätten (Ammian 17, 1, 7), also römische Kultur erhielten. Ebenso mögen die Karittier des Ptolemaeus in den Kraiclti/aueni der späteren Zeit zu suchen sein. So wird, abgesehen von den Römern selbst, die cin-

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geborene Bevölkerung nicht allenthalben von den Alamannen verdrängt sein, sie wird sich zum Tbeil neben ihnen oder mit ihnen vermischt erhalten, sich ihnen assimilirt und ihre Ver- fassung angenommen haben.

Ueberblickt man zum Schluss das gesammte alamannische Gebiet, so zeigt sich, dass am ganzen Rhein Nichtsueven sassen; vom Westerwald bis zum Kraichgau, wie es scheint, Reste alter dort eingesessener Völker, während alle anderen ein- gewandert sein mögen; am Rhein weiter aufwärts bis zum Bodensee Breisgauer und Lenzer. Im Binnenlande sassen links der Donau und um den Neckar Sueven, während es für die Völker um den Main und die Lahn an Anhaltspunkten für ihre Bestimmung fehlt.

Cr *iue r, €»«*oWcht« der Alamannen.

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Drittes Kapitel.

Die Gauperfassung.

1. Die germanischen Verfassungsformen.

Die Gliederung des germanischen Gemeinwesens stammt aus vorgeschichtlicher Zeit. Das Zahlensystem lag ihm zu Grunde, die Zahlen Tausend, Huudert, Zehn (mille, centum, deccm).

Das Heer des Stammes zerfiel in Abtheilungen von 1000, und weiter von 100 und von 10 Mann, in Tausendschaften, Hundertschaften und Zohntschaften, jede mit einem Führer an der Spitze. Diese Gliederung wurde auf das politische Gemein- wesen übertragen, dessen hauptsächlicher Ausdruck das Heer war, und galt dann für Krieg und Frieden, für die kriegerischen und die politischen persönlichen Verbände und für die räum- lichen Verbände der Wohnsitze. Nun wurde die Tausendschaft ein Verband von Familien, deren Häupter und Söhne tausend Freie: Krieger und politisch Berechtigte waren, und wurde zu- gleich das Gebiet, das sie einnahmen. Aelinlich die Hundert- schaft und die Zehntschaft. Jedenfalls mit der festen Ansiedelung ging die geschichtliche Entwickelung über die Zahlen hinaus, aber sie blieben als Kamen der Verbände und geben Zeugniss, wie sie sich abstuften: sie lassen die Hundertschaften als Theile der Tausendschaft, die Zehntschaft als Theile der Hundertschaft erkennen.

Die Tausendsclinft , mille, nahm später den Kamen Gau, pagus, an (der, als noch später die Tausendschaft aufgelöst wurde, auf die Hundertschaft übertragen wurde). Au der Spitze des Gaues stand der König, rex, als Herrscher, Richter und

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Heerführer. Der Gau war somit eine politische und taktische Einheit. Ob, wie zur Zeit des Cäsar und des Tacitus, neben dem König eine Gau Versammlung gestanden habe, mag dahin- gestellt bleiben.

Jeder Gau zerfiel in Hundertschaften, centenae, und an deren Spitze, des Hundertschaftsgebietes, wie der Hundert- schaftsgenossen, stand der Hunne, centenarius, unter dem Befehl des Königs der Verwalter und Heerführer der Hundertschaft, unter dessen Mitwirkung ihr leitender Richter, dem an der Malstätte (malialstat, mallus) der Hundertschaftsversammlung die Rechtspflege oblag. Das Gebiet war zugleich eine Hundert- schaftsmark, marca, die Genossen Markgenossen, denen iu der Gerichtsversatnmlung die Verwaltung der Mark zustand. Die Hundertschaft war somit als Theil des Gaus eine politische, tactische und wirtschaftliche Einheit.

Wie in der Tausendschatt, dem Gau die Hundertschaften, schieden sich in dieser die Zchntmhaftvn, decaniae, unter der Führung des Zehnter, decanus, jede in Dörfern oder in Einzel- .'ehüften, umgeben von der Ackerfiur, der Weide, dem Wald, die aus der Hundertschaftsmark ansgesondert waren. Dies war die Zehnschaftsmark, marca, die sammt den Zehntgenossen, ähnlich wie die Hundertschaft eine politische, tactische und wirtschaftliche Einheit bildete.

War der Stamm im Frieden, so waren die politische und wirtschaftliche Seite von Gau, Hundertschaft und Zehntsehaft iu Funktion , so war jeder Gau autonom. War der Stamm mit Weibern und Kindern auf der Wanderung, im Kriege, so trat er als Staminheer unter die Führung eines Herzogs, dux. Das Heer blieb in Heergaue, Heerhundertschaften und Heerzehnt- H-hafteu unter dem Befehl ihrer Führer getheilt, und für Jene Laudgaue mit reichlichen und fruchtbaren Hundertschaften und Zehntschaften zu gewinnen, war die Sehnsucht von Jahr- hunderten.

(Siehe die Nachweise in der Anlage am Schlüsse des Kapitels.)

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3. Die alawannlsckc erst«* Ansiedelung;.

Stieben wir uns ein Bild der ersten Besitzergreifung; des Landes zu machen, welche einem siegreichen Vordringen ala- mannischer Heerhaufen folgte.

Nach Zerstörung der römischen Städte, deren Häusermassen und enge Gassen den Alamannen ein Gräuel waren, galt es, die weiten Landstrecken, die jedesmal dem Sieger anheimfielen, für die Ansiedlung zu vertheilen. Die Flussthäler enthielten meist den fruchtbarsten Boden, hier lagen die Gehöfte der Römer, hier ihre cultivirten Feldmarken. Man wird daher, sei es gleichzeitig oder nach einander die Flussthäler eines oder beider Ufer in Abschnitte zerlegt und jedem König für seinen Heergau einen Abschnitt zugewieseu haben, ihm überlassend, das Hinterland, Wald, Sumpf und Gebirge nach Bedarf in Besitz zu nehmen. Am rechten Rhein vom Westerwald bis zum unteren Bodensee sind sieben solcher Abschnitte und ebeusoviele im Binnenlande zu erkennen; sie nahmen vielfach die Namen der zugewiesenen Flüsse an und wurden Landgaue, die, wie sich weiter ergeben wird, Jahrhunderte lang sich als solche erhielten uud theilweise als geographische Bezeichnungen auf unsere Zeit gekommen sind.

Am rechten Rhein waren es der Mattiakergau (?), Rhein- gau, Kraichgau, die Mortenau, der Breisgau, Klettgau, Hegau, im Binnenlande an beiden Seiten der Lahn der untere Lahn- gau, am rechten Main, an der rechten Kinzig und um die obere Fulda der Buchengau, am linken Main und um ihn der Main- gau, um den Neckar der Neckargau und Nagoldgau, in den t^uellgebieten des Neckar und der Donau der Westergau und an der Donau der Albgau. Später erscheinen der Breisgau und Neckargau je in einen oberen und unteren und der Buchen- gau in die Wetterau und das Grabfeld getrennt, so dass sich die Gesammtzahl auf 17 erhob.

In jedem Gaugebiet wurde weiter die Niederung getheilt und je ein Antheil einer Heerhundertschaft, nach alamannischem Ausdruck Huntare, zugewiesen. Er wurde sarnmt dem Hinter- land ihr Herrschaftsgebiet. Auf den Gau kamen durchschnittlich

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4—5 Huntaren, und diejenigen, welche wie auf der Alb und Umgebung unverändert blieben, hatten, als sie ihre Siedlungen bis zu den Naehbarhnntaren erstreckten, einen Flächeninhalt von 31/* 10 oder durchschnittlich, wie in den altnationalen Gebieten des Nordens, von 6 Quadratmeilen: andere zerfielen später durch Abzweigung.

Die Hnntare vertheilte ihr Gebiet unter die Zehntschalten, für deren Zahl und Grösse sichere Durchsehnittsziffern nicht angegeben werden können.

Das Heer, welches dem Feinde gegenüber als Ganzes wirkte-, lüste sich in seine Abtheilungen auf, um nunmehr mit dem Boden zu verwachsen. Nach dem germanischen Brauch wurden die öffentlichen Gewalten der Organisation des Heeres gemäss eingerichtet. Die Führer der Heeresabtheiluugen wurden die Obrigkeiten der Ansiedler in ihren Abstufungen, Könige, Hunnen, Zehnter; die Malstätten wurden bestimmt, an denen die Mal- genossen der Huntaren und Zehntschaften zum Dienst der Götter, zur Besorgung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten, insbesondere zur Rechtspflege zusammen zu kommen hatten.

Das politische Gerüst des Gemeinwesens stand fertig, als man zum wirtschaftlichen Aufbau überging. Er konnte nur von unten, vom Kleinern zum Grösseren erfolgen. Innerhalb der Zehntschaften richtete mau sich häuslich und wirtschaftlich ein. Denn die Besiedelung setzt nachbarliche Beziehung des Ansiedlers zu Acker, Wiese, Weide, Wald und Wasser voraus. Er muss in ihrem Bereich seinen Wohnsitz aufschlagen, der Einzelne entweder mit seiner Familie mitten in seinem und seines Viehs Bedarf, im Einzelhof, oder zusammen mit einer massigen Anzahl von Familien im Dorf mit nebeneinander gruppirten Gehöften, umgeben von gemeinschaftlicher Ackcr- und Wiesenflm-, im Einzelhof oder Dorf, weiter au gemein- schaftlicher Weide- und Waldmark beteiligt.

Der Einzelhof und das Dorf waren germanische Formen der Ansiedlung, welche die Alamannen mit sich brachten : Hof- system und Dorfsystem. Die Zehntschaften lösten sich zu kleineren Gemeinschaften oder gar zu einzelnen Familien auf, und während diese sich in ihrem Ackerbesitz isolirtcu, legten jene, jede für sich ein Dorf mit dem wirtschaftlichen Zubehör an, das charakteristische Gepräge der Massen besiedlung.

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Das germanisch e und also alamannische Dorf bestand aus einer massigen Zahl von Gehöften mit Gebäuden und umgebendem Hofraum und Garten, die unregelmässig gruppirt neben einander lagen: es war ein Haufendorf.

Für die Namen, welche die Alamannen ihren Dörfern gaben, sind nach den Forschungen von Arnold die Endungen auf ingen, weder, hofen, ach, bronn, beuren, Stetten, wang charakteristisch. Von allen ist die Endung ingen am verbreitetsten. Sie ist die speeifische Ortsnamen -Endung der Sueven und Lenzer. Dem Nachbarstamm der Franken gegenüber erklärt Lampreclit, welcher ihre spätere Verbreitung im Moselland untersucht hat, sie für wesentlich alamannisch.

Die nächste Umgebung des Dorfes bildete die Acker- und Wiesenflur, die mau aus römischer Zeit vorfand oder anlegte. Das zum Ackerbau geeignete Gelände wurde in unregelmässige Vierecke, jedes in sich von gleicher Beschaffenheit, aber meist von einander nach Lage und Bonität verschieden, in Gewanne getheilt, jedes Gewann nach der Zahl der ansiedelnden Familien in gleiche oder gleichwertig Streifen getrennt, die man während eines Morgens mit einem Paar Ochsen pflügen konnte; auf ein ausreichendes Wegesystem wurde dabei keine Rücksicht ge- nommen. Jeder Familie wurde in jedem Gewann ein Acker- streifen, Morgen, jurnalis, juger, zugewiesen. So gab, über die ganze Flur zerstreut, der Besitz jeder Familie, die Hufe, inansus, gleichen Anthcil an jeder Bodenbeschaffenheit: jede Hufe war der andern gleich. Nach der Art dieser Anlage war die Zahl der Hufen geschlossen. Sie betrug 10 30, so viel also die Zahl der Hüfner, das ist der ersten Ansiedlerfamilien; jede hatte gleichen Besitz in der Flur, der für den Bedarf einer freien Familie, für ihr Vermögen au Hörigen und Vieh zu- geschnitteu war. Vielleicht war aber dies System der Hufcn- nnd der Hüfnergleichheit von vornherein dahin unterbrochen, dass man den Königen, Hunnen, Zehntem, dem Adel mehrere Hufen überwies. Die Gleichheit des Besitzes beschränkte sich nur auf das einzelne Dorf. In den verschiedenen Dörfern waren die Hufen keineswegs gleich, wie denn auch die Morgen der Gewannen, sogar in derselben Flur, nicht dieselbe Grösse hatten. Erst im Mittelalter wurden beide feste Ackermaasse, auf die

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man Zinsen, Steuern und sonstige Abgaben legte. Gewöhnlich wurde die Hufe zu 30. Morgen gerechnet.

Die Ueberweisung der Hufe geschah durch das Loos, sie geschah zum Genuss: ob ursprünglich nur auf bestimmte Jahre, und ob nach deren Ablauf von Neuem ausgelost wurde, oder wie später auf Lebenszeit, muss dahingestellt bleiben. Der Genuss der Wiesen wurde jährlich durch das Loos bestimmt. So blieb die Flur in der Feldgemeinschaft der Dorfgenossen.

Die Zerstreuung der Hufe über die Flur und der Mangel an Wegen führte zu einschneidenden Wirkungen für die Be- wirtschaftung, zum Flurzwang. Zum Gehen, zum Fahren, zum Wenden des Pflugs musste der Hüfner die Grundstücke seiner Nachbarn benutzen, und damit dies ohne Schaden ge- schehen könne, musste die gleiche Zeit für die Bestellung, Saat und Erndte bestimmt werden. Dies war nur möglich, wenn für gewisse Schläge der Feldflur dieselbe Fruchtgattung vorge- schrieben wurde. Daraus hat sich unter dem Wechsel von drei Schlägen (Zeigen, Eschen) die Dreifelderwirtschaft entwickelt. Um die bestellten Schläge und die Wiesen wurden jährlich Zäune errichtet und ausserhalb der Zäune oder nach der Erndte stand die gesammte Flur der Heerde der Dorfgenossen offen.

Mit der Zeit konnte das Gleichmass der Hufen durch Abackern verrückt werden. Dann stand jedem Genossen die Neuvermessung durch das Seil (ßebuingsverfahren) zu. Mit der Zeit mochte auch das vertheilte Land für die Bedürfnisse der wachsenden Ansiedlerfamilien nicht mehr ausreichen. Dann konnte mau im Anschluss an das Hufenland neue Gewannen schaffen und unter jene vertheilen, ein Mittel, das jedoch auf die Dauer nicht ausreichen mochte.

Während die ersten Ansiedler der Dörfer auf getrennten Stätten Wohnsitze bauten und Feldfluren anlegten, die unter die Hüfner vertheilt wurden, nahmen sie zugleich Weide und Wald der Umgebung, so weit sie ihrer bedurften, in Besitz, Hessen sie jedoch ungetheilt. Wald und Weide und Wasser wurden zum Genuss weder den einzelnen Dorfschaften, noch den einzelnen Hüfnern zugetheilt. Sie bildeten die gemeine Mark oder Almend, an der gemeinsam die Genossen des der Zehntschaft zugewiesenen Landes Tlieil hatten. Das Mark-

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recht des einzelnen Hüfners galt als ein Tlieil seiner Hufe, deren wirtschaftliche Ergänzung es war. Dem Umfang nach reichte es soweit, als er Bedarf hatte, und nicht weiter. Ans der Mark durfte Nichts herausgeschafft, veräussert werden. In der Mark fand die gemeinschaftliche Heerde Wunne und Weide, hier beholzigte sich der Hüfner für Bau, Heerd und Geräte, hier übte er die freie Pürsch (Jagd und Fischerei), hier schöpfte er aus den Bächen, Flüssen, Seen zur Bewässerung- der Felder und Wiesen, tränkte das Vieh, betrieb Flösserei und Schiffahrt u. s. w.

Aus den Dörfern, ihren Feldfluren und der gemeinen Almend setzte sich die Zehntmark zusammen; Dörfer, Feld- fluren und Almend gab es in allen Zehntmarken. Dass aber in der That schou bei der ursprünglichen Besitznahme eine Reihe von Dörfern mit ihren Gewannfluren in jeder Zehntmark gegründet wurden, das erweist auf der einen Seite die Volks- masse der erobernd Eindringenden, auf der andern die geringe Zahl der Hüfner eines Dorfs. Es war auch beschleunigter Anbau erforderlich. „Genügende Erträge schon der nächsten Ernte, sagt Meitzen in seinem grossen Werk über die Siedlungen, waren unumgängliche Anforderung für die Ernährung dieser zahlreichen mit Weib und Kind herandrängenden Schaaren. Ueberall bedeckten sich deshalb die zuerst zugänglichen, frucht- baren, leicht anbaufähigen Länderstrecken ganz in der heimischen Weise (des Nordens) mit genossenschaftlichen Dörfern.“

Die Zehntmarken lagen nesterweise zerstreut, nur selten mögen sie in den ebenen Flächen des Flussthals an einandei gestossen sein. Etwa zwischen ihnen oder um sie im Kranz herum, oder wo sie an das Gebirge stiessen, in ihrem Hinter- gründe lag unbenutzt und frei der Urwald, das Hinterland der Huntare. Niemand achtete sein, so lange die Zehntmark liir Holz und Trift ausreichte. Als aber die Bevölkerung stieg, als die Heerden wuchsen, da schallten die Aexte der Genossen aller ihrer Zehntschaften tiefer im Wald, da weideten sie das Vieh ferner ab von den heimischen Ställen. Soweit diese Be- sitzhandlungen reichten, oecupirten sie den Urwald iur die Huntare und schufen die Huntaretmark.

Wie in Grund und Boden, so konnte die Hnntareumark auch in Nutzungen bestehen. Weideten, jagten, fischten.

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schifften die Huntarengenossen in allen Zelintmarken, so bildeten sich diese Besitzbandlungen, die Geschlossenheit der Zehnt- marken durchbrechend, zu Rechten der Huntare an Weide und Wasser, zur Hnntarenniark um. (Lamprecht, Wirt- schaftsleben 1, 1, S. 255, 28ß sieht darin nur Hundertschafts- reste.)

Es scheint jedoch, dass zumal in späterer Zeit Huntaren auch ohne Zehntschaften sich bildeten, etwa indem ihre An- siedlnng im Wald sich allmälig zu einer Huntare auswuchs: wenigstens sind Zehntschaften nicht allenthalben zu erkennen. Dann wurde eben das ganze Gebiet der Huntare Huntareninark.

Vielleicht umspannte die Ausübung der Jagd, die freie Pürsch, ein noch weiteres Gebiet, den Gau, wofür bei der Untersuchung der umfangreichen Freienpürsch - Gebiete des Mittelalters sich gewisse Anhaltspunkte ergeben mögen.

Zehntmark und Huntareninark entstanden durch Besitz- ergreifung in kleinerem oder grösserem Kreise und dehnten sich mit ihr aus. Noch Jahrhunderte lang lagen die Gebirge in ungemessener Ausdehnung öde da, vorab unberührt und werthlos, weite Grenzgebiete, der Westerwald, der Taunus, der Odenwald, die Rhön, der Spessart, die Alb, der Schwarzwald. Sie waren ein Kapital, das erst eine spätere Zukunft ver- werthen sollte.

Mehrfach gab der erste Hunne seinen Namen dem Ort, an welcheui die Malstätte lag, und der dadurch Hauptort wurde, sowie der Huntare selbst, mehrfach trugen wenigstens der Hauptort und die Huntare denselben Namen. Die Zehnt- schaft nahm immer den Namen ihres Hauptortes an.

So machte sich in neuen bequemen Sitzen der Stamm der Alamannen sesshaft, so entstand am rechten Rhein ein ala- mannisches Gemeinwesen. Das etwa ist das Bild der ersten Ansiedlung.

Zur Veranschaulichung der den Verfassungsfonnen ent- sprechenden Ansiedelungsart mögen hier einige geographische Beispiele aus verschiedenen Gegenden des alamannischen Stammlandes hervorgehoben werden, über welche allerdings erst aus der Zeit der Merovinger und des späteren Mittelalters berichtet wird. Dass sie sämmtlich der Zeit der ersten Be- siedlung angeboren, ist zwar nicht zu behaupten, man wird

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jedoch nicht fehl gehen, wenn man etwa die in den Fluss- thälern liegenden Verbände auf sie znrfickfübrt. (Siehe Kapitel 9, Abschnitt 4).

In dem seit dem Jahr 49ß alamannisch gebliebenen Süden des Stammlandes ist die von dem Neckar und der Donau um- gebene Alb mit ihrem Steilabfall gegen Nordwesten ganz be- sonders charakteristisch. Hier sind Flussthäler und zwischen ihnen ein gebirgiges Hinterland. Denkt man sich die Alb in eine westliche und eine östliche Hälfte zerlegt, so bieten sich die Quellgebiete des Neckar und der Donau sammt dem Hinter- land der westlichen Alb als das Gebiet eines Gaues, des Westergaus dar. Ein weiterer Abschnitt des Neckarthals sammt dem der anstossenden Nagold wird zum Nagoldgau, noch ein anderer mit dem Steilabfall der östlichen Alb zum Neckargau und ein der östlichen Alb entsprechender Abschnitt der Donau an ihrer linken Seite zum Albgau.

Von den 6 Huntaren des Westergaus tragen die Huntaren Nidinga und Aseheiui den Namen ihrer Malstätten Neidingen und Aschbach, die Huntare Purihdinga den ihres Hunnen Purihdo.

Die Besiedlung des Nagoldgaus begann, wie sein Name anzudeuten scheint, im Quellgebiet der Nagold, setzte sich erst dann über den Neckar fort und fand seine Grenze unter dem Abfall der Alb. Von seinen 7 Huntaren liegen 5 auf der linken, 2 auf der rechten Seite des Neckar, links die Huntare Waltgau mit den Zehntmarken Waldach, Dornstetten, Schopf- loch, Glatten, die Huntare Bibligau mit der Zehntmark Has- lach, die Huntare Sülichgau mit ihrer Malstätte Sülchen und den Zehntmarken Bildechingen, Eutingen und (über dem Neckar gelegen) Mähringen; auf der rechten Seite des Neckar die Huntare Haglegau mit der Malstätte Hagalta (Haigerloch) und den Zehntmarken Bierlingen, Empfingen und Bisingen und die Hattenhuntare, nach dem Hunnen Hatto genannt, sammt den Zehntmarken Müssingen und Thalheim.

Im Neckargau steigen dessen 7 Huntaren aus dem Fluss- thal den Abfall der Alb empor und erstrecken sich noch über deren Höhenrand hinaus. Eine ihrer Huntaren, der Pfullich- gau, nach dem Hunnen Fulbin genannt, hat die Malstätte Pfullingen, in einer anderen, deren Name nicht bekannt ist,

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(Kapitel Kirchheim) liegen die Zehntmarken Bissingen, Weil- heim nnd Zainingen, in der Huntare Filsgau die Sadelerhnser Mark (abgegangeu im Oberamt Göppingen).

Die Besiedelung des Albgaus wird von dem linken Donau- tlial ausgegangen sein. Als die Ansiedler die Höhe der Alb hinaufstiegen, fanden sie deren Hochrand von den Genossen des Xeckargaus bereits besetzt, so dass also die Besiedelung dieses Theils des Albgaus die jüngere ist. Von seinen 5 Hun- taren seien hier erwähnt die Swerzenkuntarc, die des Swerzo mit der Malstätte Schwörzkirch ; die Bnrichingas, Huntare des Buricho, die zugleich als Huntarenmark, Burichinger marca erscheint, mit der Malstätte Buringen (abgegangen); die Mnnigisingerhuntare, die des Munigis. gleichfalls wie es scheint eine Huntarenmark, Munigisingcr marca mit der gleichlautenden Malstätte Münsingen, dabei eine Zehntmark Auingen.

Ans dem Norden des seit 496 fränkisch gewordenen ala- maunischen Stammlandes ist auf verschiedenen Gauen ange- hörige einzelne Huntaren hinzu weisen, welche in Zehntmarken zerfielen. Die in dem fränkischen Neckargau liegende Huntare Wingarteiba, die ihren Namen den Rebhügeln der sie ein- schliessenden Flüsse Tauber nnd Main. Jagst und Neckar ver- dankte, umfasste nach Nachrichten des 16. und 17. Jahrhunderts 12 sie ausfüllende Zehntmarken, die Zenten Mosbach, Eber- bach, Mudau, Amorbach, Walldürn, Buchen, Osterburken, eine unbekannte etwa um Boxberg, ferner die Zenten Königshofen, Lauda, Grünsfeld und Bischofsheim. Die in den Gau Wetterau lallende Huntare Niedgan hatte die Zehntmarken (Zenten, Marken. Landgerichte, Grafschaften) Bornheimer Berg, Ursel, Kronberg, Hensels. Einem Gau, der wahrscheinlich Mattiaker- gau hiess, gehörte die Huntare (unterer) Rheingau an. Sie zerfiel im späteren Mittelalter in 4 Aemter mit Amts- waldungen, wahrscheinlich alten Zehntmarken, und hatte daneben einen der Huntare gehörigen Wald, den Hinterlandswald, als Huntarenmark.

Noch seien hier aus der neualamannischen Schweiz zwei Huntaren genannt, die zugleich Huntarenmarken sind, im Thur- gau die von Schwyz und Uri, deren Landesalpen sich bis auf unsere Tage erhalten haben.

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In den fruchtbaren Geländen musste das jugendf rische Volk an Bevölkerung rasch zunehmeu. Bald reichten sie nicht mehr für den Bedarf aus. Da regte sich von neuem die Wanderlust, und wie die Germanen des Ariovist. brachen die Alamannen des 3. und 4. Jahrhunderts in Gallien, Rätien und Italien ein, um dort reiche und reichliche Sitze zu gewinnen. Aber jedesmal misslangen die Versuche, jedesmal wurden ihre Heere mit grossen Verlusten an Menschen und Habe zurück- geschlagen, die jedoch immer bald wieder ausgeglichen waren. Schon damals wären sie gezwungen gewesen, zum innern Ausbau des eigenen Landes überzugehen, wenn nicht ein glück- licher Umstand der Entwickelung der Dinge einen neuen An- stoss gegeben hätte. Mit dem Beginn des 5. Jahrhunderts wurde die Rhein- und Donaugrenze frei und führte fort, was an überschüssiger Bevölkerung da war.

3. Die alainannische Oauverfassuug.

Die Kunde von der alamannischen Verfassung der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts (354 377) verdanken wir der römischen Geschichte des Amtnianus Marcellinus, der sich im Gefolge des mit wichtiger politischer Mission betrauten Magister equitum Ursicinns in den Jahren 355 und 356 in Gallien, ins- besondere in Cöln und am linken Rhein aufhielt und daher nach Anwesenheit und Stellung in der Lage war, eingehendere Kenntniss von den alamannischen Verhältnissen zu nehmen: denn seine Darstellung lässt nicht die Vermuthung aufkommen, dass er das alamannische Germanien selbst betreten habe. Seine Geschichte der Alamannen ist Kriegsgeschichte, und im Lauf der Erzählung bringt er gelegentlich vereinzelte ver- fassungsrechtliche Andeutungen, welche folgende Grtmdziüfe er- kennen lassen.

Alamannien zerfiel in selbständige Gaue, piigi, an deren Spitze wie anzunehmen erbliche Könige, Gaukönige,

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reges standen. Dass ihre Gewalt durch eine politische Gau- versammlung beschränkt gewesen wäre, ist nicht zu ersehen. Von den Unterabt heilungen der Gaue, den Huntaren und deren Versammlungen, den Zehntschaften ist keine Rede, aber die reguli, welche erwähnt werden, sind als Hunnen anzusehen. Der Adel, optimates, primates, erscheint als politisch bevor- rechteter Stand. Für grössere Angriffskriege schlossen sich die Gaue unter der Führung eines Herzogs zusammen. Kleinere kriegerische Unternehmungen führte jeder Gau allein, und für die Abwehr der Römer fehlte es meistens an einem einigenden Baud.

Die Germanen heissen Germani, barbari, der germanische Stamm wird mit seinem Namen Ahmanni, Franci, Burgundii, Quadi u. s. w. und generell als natio oder gens aufgeführt. Xationes ejusdem (der Alamannen) primates, Ammian 29, 4, 7; Ex variis nationibus, 12, 6, 26; Quadorum natio, 29, 6, 1; Procerum gentis der Quaden, 30, 6, 2; Quados et gentes cir- cumsitas, 29, 6, 6. Das Stammgebiet ist solum oder terra, auch barbaricum. In Alamannorum solo, 17, 1, 11. Terris

Alamannorum, 17, 10, 1. Quadorum terrae, 29, 6, 2. In barbarico, 18, 2, 14. Für seine Grenzen und Orte kommen die Ausdrücke barbaros tines, barbaricus locus vor, 28, 2, 1 und 5. Die Lenzer und Juthungen, welche als Völker von mehreren Gauen Theile der Alamannen bilden, werden als natio, popnlus, pars, ihr Gebiet als terrae bezeichnet: Ex hac natione, der Lenzer, 31, 10, 3. Gentem, der Lenzer, 31, 10, 11. Lentiensis Ala- mannicus populus, 31, 10, 2. Genitales terras der Lenzer, 31, 10, 17. Juthnngi Alamannorum pars, 17, 6, 1.

Der Ausdruck für die Gaue ist in der Regel pagus, aber auch regio, regnum, terra, territorium. Barbaricos pagos, 14, 10, 11. Leutiensibus Alamannicis pagis, 15, 4, 1. Alamannorum pagos, 18, 2, 1; 30, 3, 1. Hortarii regis pagus, 17, 10, 5.

Ejus, des Königs Suomar, pagi, 18, 2, 8. Pago Vadomarii,

21, 3, 1. Pagus des Fraomar, 29, 4, 7. Eorum regionibns,

17, 1, 3. Regione des Königs Hortar, 17, 10, 9. Hortarii

regna, 18, 2, 14. Alamanniae regna, 20, 4, 1. Terras regum,

18, 2, 15. Territoria sna, des Königs Chnodomar, 16, 12, 59. Das GauvoUc wird, ebenso wie der Stamm, mit natio oder

gens, aber auch mit populus, plebs bezeichnet und hat auch

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Eigennamen. Buciuobantibus, quae gens est Alamanna, 21), 4, 7. Alamannorum reges et populi, Gundomad und Vadomar, 14, 10, 14. Reges eorumque populi, Nachbarn des König-*; Hortar, 18, 2, 14. Onmis ejus (Gundomadi) populus; Vado- marii plebs, 16, 2, 17.

An der Spitze des Gaus und des Ganvolks stand der Gau- könig, König, rex. Alamannorum reges Chnodomarius et Vestral- pus, Urins quiu etiam et Ursicinus cum Serapione et Suomario et Hortario, 16, 12, 1. Der Ausdruck rex wird häufig gebraucht. Den König der Burgundioneu nennt Ammian hendinos, 28, 5, 1 4, wahrscheinlich eine Verwechslung mit dem Hundertschattsfiihrer. Die Könige waren von ihren Gefolgschaften umgeben. Der Herzog, König Cbnodomar, hatte nach der Schlacht bei Strass- burg 200 Gefolgen um sich, die es für Schande hielten, den König zu überleben oder nicht für ihn zu sterben, wenn das Schicksal es wollte. Sie ergaben sich mit ihm. Comites ejus ducenti numero fiagitium arbitrati, post regem vivcre, vel pro rege non mori, tradidere se vineiendos, 16, 12, 60. Julian nahm vier Gefolgen des Königs Hortar fest, auf welche dieser vermöge ihrer Dienste und Treue ein besonderes Vertrauen hatte, 17, 10, 8. Als der König Vadomar gefangen wurde, zwang man seine Ge- folgen, sich von ihm zu trennen, 21, 4, 5. Die Gaugenossen des Königs Makrian stiessen mit den Schilden zusammen, als er zu einer Staatsverhandlung mit dem Kaiser Valentinian schritt, 30, 3, 4. Die Könige werden vielfach als Führer des Gauheerbanns und als die Vertreter ihres Gaus nach aussen, den fremden Gauen, fremden Stämmen und den Römern gegen- über dargestellt. Ihrer richterlichen Thätigkeit wird nicht ge- dacht. Aber es ist kein Zweifel, dass sie wie die principes des Cäsar und Tacitus in den zwei Jahrhunderten um Christus und wie die Grafen des 6. und späterer .Jahrhunderte mit ihren Hunnen durch die Huntaren zogen und in den Versammlungen der Huntarengenossen des Rechtes walteten.

Bei Ammian findet sich nicht die mindeste Andeutung dafür, dass die KünigsgcwuU beschränkt gewesen, dass eine politische Gauversammlung neben den Königen gestanden habe. In der Erzählung erscheinen die Könige wie Selbstherrscher, aber auch ebenso bei Cäsar und Tacitus: allerdings berichtet dabei Jener von einzelnen politischen Versammlungen, und dieser schildert

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die Gewalt als durch die Zustimmung der Versammlung, con- eilium, bedingt. Germ. 12. Bei den Nachbarn der Alamannen, den Bnrgnndionen, wurden die Könige nach altem Recht ab- gesetzt, wenn den Stamm Unglück im Kriege oder Misswachs traf, während ihr Stammpriester, Sinistus genannt, lebenslänglich und dem Schicksal der Könige nicht unterworfen war. Hendinos ritu veteri potestate deposita removetur, si sub eo fortuna titn- baverit belli, vel segetum copiam negaverit terra. Kam sacerdos apud Bnrguudios omnium maximus vocatur Sinistus, et est perpetuus, obnoxius discriminibus nullis ut reges, 28, 5, 14. Bei den Alamannen ist der Charakter der selbstständigen Königsgewalt kaum zweifelhaft. Der einzige Conflict zwischen der Köuigs- und der Volksmacht, von dem berichtet wird, war augenscheinlich revolutionärer Art. Bei dem nationalen Auf- schwung vor der Schlacht bei Strassburg schloss sich das Volk des Breisgau dem Alamannenheer an, nachdem von den beiden Königen der eine rom freundliche Gundomad ums Leben gebracht, der andere zweifelhafte Vadoinar, wie er vorgab, bei Seite ge- schoben war, 16, 12, 17.

Mau wird davon ausgehen können, dass ursprünglich je ein König an der Spitze je eines Gaues stand. Makrian war der König des Buchengaus, seine Gauleute hiessen dieBucinobantes,24, 4, 7, wobei Bant gleich Gau ist. Es kommen jedoch, wie es scheint, auch abweichende Gestaltungen vor, Halbgaue mit je einem König und mehrere Gaue unter einem König. Die Genossen des Breisgan waren nach der Kotitia dignitatum von 400 in Brisigavi seniores und juniores getheilt, und schon im 4. Jahr- hundert war der Breisgau im Besitz der königlichen Brüder Gundomad und Vadomar, von denen jeder ein besonderes (Halb-) Gau volk hatte. Omnis ejus (des Gundomad) populus; Vado- marii plebs 16, 12, 17. Nachdem Gundomad 356 ermordet war, ist 861 von dem pagus Vadomarii 21, 3, 7 die Rede, wahr- scheinlich dem gesammten Breisgan, da ein zweiter König nicht mehr erwähnt wird. Die Könige Hortar und Suomar mögen jeder, wenn man die Ausdrücke des Ammian als exacto auflässt, über mehrere Gaue gesetzt sein. Im Lauf der Erzählung der Kriegsereignisse heisst es 358: pagus Hortarii, regio ejus 17, 10, 5 und 9; im nächsten Jahr regua Hortarii, 18, 2, 14. Von dem König Suomar wird in der Mehrzahl gesagt: Ejus pagi

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Rheni ripis ulterioribus adhaerebant, 18, 2, 8. Eher jedoch dürften die Worte incorrect sein. Von der Zahl der Gaue der übrigen Könige ist nicht die Rede, so dass man für sie die Regel: Ein Gan, Ein König wird an wenden dürfen. Nach Tacitus trafen bei der Berufung zum König das Erbrecht einer Königsfamilie und das Wahlrecht des Volks, letzteres ausgeübt in einer Versammlung sei es des Stammes, sei es des Gaus zusammen. König war, wen das Volk aus einer Königsfamilie wählte. So würde sich auch bei Ammian die Theilung oder die Zusammenfassung von Gauen für einzelne Könige erklären, aber auch von einer Wahlversammlung ist nichts überliefert. Dagegen sprechen für das feste Erbrecht bestimmter Königsfamilien eine Reihe von Umständen.

Fünfzehn Könige werden mit Namen genannt, von denen Fraomar, als regelwidrig von dem Kaiser Valeutiuian eingesetzt und wieder entsetzt, nicht in Betracht kommt, 28, 4, 7. Unter den vierzehn andern waren gleichzeitig ein Oheim und ein Neffe und zwei Brüderpaare Könige und ausserdem der Sohn eines der königlichen Brüder dessen Nachfolger. Bei den übrigen Königen geschieht verwandtschaftlicher Beziehungen keine Erwähnung.

Im Jahr 357 war von den Brüdern Chnodomar und .Mederieh der erste König, der zweite römische Geisel in Gallien und dessen Sohn Agenarich (Serapio) König 16, 12, 23 25. Hederich war wohl ein von den Römern entsetzter König. Im Jahr 354 herrschten die Brüder Gundomad und Vadomar als Könige, regii duo fratres, 16, 12, 17, Gundomad, 356 wegen seiner Römertreue ermordet, wurde wahrscheinlich von Vadomar beerbt, und als dieser 360 nach Spanien ver- bannt war, wurde dessen Sohn Vithikab Nachfolger, 30, 7, 7, der einzige, der als solcher genannt wird. Endlich waren 359 die vollbiirtigen Brüder Makrian und Hariobaud, germani fratres, Könige 18, 2, 15, der zweite wird später nicht mehr erwähnt, während Makrian bis 374 als einziger Herrscher, also auch wohl als Erbe des Bruders erscheint.

Bei der Hälfte der Alamannen-Könige sieht man somit das Königthum an bestimmte Familien gebunden. Der Fall des Vithikab zeigt den uns geläufigen Erbübergang vom Vater auf den Sohn, und die Seitenverwandten als gleichzeitige

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Könige erklären sich wohl theils aus einer Theilung des Gans unter die Söhne des Vaters, theils aus dem Erwerb eines weiteren Gaus durch den König, nach dessen Abgang dann jeder Gau je einem seiner Söhne zugefallen.

Den Königen, reges, werden die Vertreter der Könige, die Kiinigsboten, regales, gegenübergestellt.

Bei den Quaden war der regalis Vitrodor ein Sohn des Königs Viduar, der sich mit dem subregulus Agilimuud und anderen Adligen den Römern unterwarf; der regalis Arahar, unter dem Adel hervorragend, iuter optimates excellens, war der Führer eines quadischen Heerhaufens, 17, 12, 21 und 12. Bei den Alamannen traten in der Schlacht von Strassburg ausser sieben Königen zehn regales auf. Diese, wie die Könige zu Pferde, wurden gezwungen, abzusteigen, 16, 12, 26 und 34 und 35. Der König Hortar bowirthete alle Könige, Königsboten und Hunnen, reges omnes, et regales, et regulos, 18, 2, 13 und der regalis Rando machte mit Leichtbewaffneten einen Raubzug nach Mainz, 27, 10, 1. Die regales waren also nicht nur adligen, sondern königlichen Geschlechts, Königs- söhne, königliche Prinzen, ohne die Ehrenvorrechte des Königs. Sie vertraten den König als Herrscher und als Heerführer, bei Strassburg insbesondere die abwesenden Alamannenkönige, die auf Grund von Bündnissen Zuzug leisteten.

Als Hunnen erscheinen die ebengenaunten reguli.

Wie Cäsar die Ausdrücke für die Obrigkeiten nach dem Wort princeps abstuft, princeps pagi und princeps regionis, Gail. 6, 22, so Ammian nach dem Wort rex. Rex, regalis, regulus, der König, der Königsbote und der Hunne. Der Aus- druck subregulus wird in der alamannischen Geschichte nicht erwähnt, wohl aber in der quadischen und fränkischen.

Unter den Franken bestanden dieselben Verfassungsformen, und da ist es bemerkenswertli , wie rasch deren Kunde nach dem Wechsel der Verfassung unsicher wurde.

Gregor, der Bischof von Tours, der um 577 seine Geschichte der Franken schrieb, unterscheidet nach seinem nur durch ihn bekannten Gewährsmann Sulpicius Alexander zwei Verfassungs- periodeu. Nach der ersten (der Gauverfassung) gab es an der Spitze von Gauen Könige, reges, die von königlichen Prinzen, regales, vertreten werden konnten, an der Spitze von Zehnt-

Cramer, Geschichte der Alamannen. 4

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schäften Zehnter, subreguli, und an der Spitze des Stammes ftir den Kriegsfall Herzoge, duces; nach der zweiten (der Stamm- verfassung) an Stelle der regales und duces Einen Stammkönig-, rex, der Franken. Relictis tarn ducibns quam regalibus, aperte Francos regem habere (Sulpicius) designat. Dem gelehrten Bischof war es nun unklar, wieso Sulpicius dieselben Führer der Franken in den Jahren 388 392 Marcomerus und Sunno, die der älteren Periode angehörten, bald als duces, bald als regales, bald als subreguli bezeichnen konnte. Um die Lösung zu finden, muss man ihre bleibende zu der vorübergehenden Stellung in Gegensatz bringen. Beide waren (dauernd) könig- liche Prinzen, regales, und wie der Quade Agilimund Zehnter, subreguli. Vorübergehend waren sie in den Kriegen von 388 und 389, welche die Franken über den Rhein nach Gallien führten, Herzöge, duces: Marcomero et Sunnone ducibus; haec acta sunt, cum dnces essent. Entweder waren sie direct oder als Vertreter ihrer Gaukönige gewählt. Gregor weiss nicht, utrum reges fuerint (nein!), an in vicem tenuerunt regnuni. ? Daneben tritt nun im Lauf der Erzählung ihre Bezeichnung als regales und, als 392 die Woge des Kriegs über den Rhein zurückschlug, als subreguli. Später war Marcomerus nochmals dux von Ampsivariern und Chatten.

Die Ätlalinge der Alamannen heissen (nicht mehr wie bei Tacitus nobiles, sondern) optimates und priwates. Sie werden als militärische Führer, als Gesandte, als Väter von Geiseln, als römische üfficiere oder als Vertreter romfeindlicher Politik genannt, so dass ihre politische Stellung im Gemeinwesen deut- licher als bei dem älteren Schriftsteller hervortritt. In grosser Zahl nahmen sie an der Schlacht bei Strassburg Theil, optimatum series magna, ein Haufe von Königen, Optimaten und Gemein- freien machten einen letzten Vorstoss gegen die römischen Logionen, optimatium globus, inter quos decernebaut et reges, et seqnente vulgo ante alios agmina nostrorum inrupit, 18, 12, 26 und 49. Die Könige Gundomad und Vadomar schickten Optimaten als Gesandte mit Friedensanträgen au den Kaiser Constantius, 14, 10, 9. Bei dem Bau der römischen Veste am Berge Pirus verhandelten Optimaten, welche ihre Kinder als Geisel gegebeu hatten, optimates obsidum patres, weil sie einen Angriff der Alamanneu und damit den Verlust ihrer Kinder be-

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fürchteten, 28, 2, 5 8. Bitherid und Hortar, zwei alamannische Adalinge, nationis ejusdem primates, wurden römische Officierc, später aber Hortar zum Feuertode verurtheilt, weil er mit Optimaten, barbaros optiinates, gegen die Römer conspirirt hatte, 29, 4, 7.

Vom Kultus wird nur einmal des Einflusses der Zeichen- deuter gedacht, welche den Kampf der Gaue des Gundomad und Vadomar widerriethen. Dirimentibus auspicibns vel congredi prohibente auctoritate sacrorum, 14, 10, 9.

Von den vier Ständen des Tacitus wird der der Gemein- freien kaum hervorgehoben, z. B. sequente vulgo im Gegensatz zu optimates, 16, 12, 49, der der Adalinge charakterisiert, der der Freigelassenen nicht erwähnt und der der Hörigen in den Kriegsgefangenen vielfach gezeichnet, z. B. captivi, 17, 10, 4; auch servos, 18, 2, 13.

Hiermit ist Alles berichtet, was über die Verfassung der alamanniscken Gaue im 4. Jahrhundert von Ammian überliefert ist. Wir sehen sie aber auch zum Stamm zusammengeschlosseu.

In der Urzeit war es das Bewusstsein gemeinsamer Ab- stammung, verwandtschaftlicher Beziehung und daraus hervor- gegangener gemeinsamer Geschicke, das die Genossen zum Stamm einigte und diese Einigung fand ihren regelmässigen Ausdruck in dem gemeinsamen Kultus, den der Stamm den Göttern weihte. Im Uebrigen waren die Gaue in Friedeus- zeiten autonom, sie hatten dann, wie Cäsar sagt, keine gemein- same Obrigkeit. Wollte aber der Stamm einen Krieg beginnen, oder sah er sich durch Krieg bedroht, so wählte er eine Obrig- keit, welche den Oberbefehl im Kriege führte und Recht über Leben und Tod hatte. Es war der Herzog, dux: Cum bellum eivitas aut inlatum defendit aut infert, magistratus, qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, diliguntur. In pace nullus est communis magistratus, Gail. 6, 23. Kultus und Krieg festigte die Zusammengehörigen zum politischen Stamm- verband, zur Civitas.

Die Völkerwanderung fügte die alten Stämme zusammen und schuf daraus neue, so die Alamannen. Beim Mangel ver- wandtschaftlicher Zusammengehörigkeit wurde dem neuen Stamm gemeinsamer Krieg, gemeinsame Wanderung und Ansiedlung zum einigenden Band; beim Mangel verwandtschaftlicher Zu-

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sammengehörigkeit fehlte ihm aber das Innige und bei der grossen Ausdehnung des in Besitz genommenen Landes das Geschlossene der alten Stammverbände.

Während im 4. Jahrhundert das Stammprincip bei dem Kultus der Burgnndionen in dem lebenslänglichen Stammpriester, Sinistns (der im Gegensatz zu ihren Königen über dem Wandel aller Politik erhaben war), ihren Ausdruck fand, 28, 5, 14, lässt bei den Alamannen Nichts auf eine ähnliche Einrichtung scbliessen.

In Bezug auf ihre kriegerischen Unternehmungen, muss man, wie schon Cäsar undTacitus gethan, bellum und latrocinia, Gail, 6, 23; bella et raptus, Germ. 14, zwischen Kriegen und Raubzügen unterscheiden.

Kriege führten sämmtliche oder doch eine grössere Mehr- zahl der Gaue : an der Spitze der Gauheere standen die Könige, und über die vereinigten Gauheere wurden ein oder zwei Könige als Herzöge, duces, gestellt. Raubzüge machten die einzelnen Gaue.

Die grossen Züge, die auf die Eroberung Galliens und Italiens ausgingen, waren Angriffskriege , an denen wohl alle Gaue Theil nahmen, nationale Volkskriege. Je einem der früheren von 259 und 260 erscheint der Köuig Chrocus als Herzog. Er heisst der König der Alamannen, das Heer ist die Macht der Alamannen, das vereinigte Volk der Alamannen, Alamannorum rex, Alamannorum vis, collectam Alamannorum gentem. Ammian schildert aus seiner Zeit vier Volkskriege. Den seit etwa 351 unter dem Herzogthum des Königs Chnodo- mar; hier lässt die Zerstörung des östlichen Galliens auf die allgemeine Betheiligung der Gaue schliessen, 16, 12, 4 und 5. Dann den Feldzug des Jahres 357, der mit der Schlacht bei Strassburg einen vorläufigen Abschluss fand. Hier ist die Zusammensetzung des Heeres näher geschildert, aber doch nicht mit völliger Deutlichkeit. Es ist wahrscheinlich, dass an dem nationalen Feldzuge, wie an dem sogleich zu erwähnenden des Jahres 377, alle Gaue Theil nahmen. Neben den Ala- mannen, deren Stamm dem Heere das Gepräge gab, standen aber auch Angehörige fremder Stämme im Felde. Ein Theil, doch wohl die Alamannen, waren durch Schutz- und Tratz- bündnisse einander verpflichtet, ein Theil, also wohl die

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Fremden, geworben. Die Gesammtzahl der Bewaffneten betrug 35000 Mann. Unter den Führern werden unterschieden sieben Könige, von denen zwei Chnodomar und Serapio die Herzöge waren, zehn Königsboten und eine grosse Zahl von Adalingen. Die sieben Könige waren alamannische, und so auch, darf man annehmen, die zehn Königsboten: die Gesammtzahl 17 ent- spricht auch der Zahl der Gaue. Diese waren also nicht durch die Verfassung, sondern durch zeitliche Bündnisse geeinigt, und von den 17 Gauheerbannen standen die einen unter der Führung der Könige selbst, die andern unter der Führung der Königs- boten. Alamannisch wird auch der grösste Theil der Adalinge mit ihren Leuten gewesen sein. Ductabant omnes populos Cbnodomarius et Serapio. Hos sequebantur potestate proximi reges numero quinque regalesque decem et optimatum series magna armatorumque milia triginta et quinque, ex variis nationibus partim mercede, partim pacto vicissitudinis reddendae quaesita. 16, 12. 23 und 26. Im Jahr 367 fiel man in drei grossen Haufen, (Keilen, cuneis, cuneatim) in Gallien ein, und es mag der König Makrian einer der Herzöge gewesen sein. Ein Haufe war siegreich, zwei wurden geschlagen, und es hatte einer der letztem einen Verlust von 6000 an Todten und 4000 an Verwundeten, 27, 1 und 2; 28, 5, 8. Endlich zogen im Jahr 377 40000 Mann aus allen Gauen, pagorum omnium incolis in unum conlectis, unter dem Herzog Priari, einem Lenzer König, in das Eisass, wurden aber bei Argentaria zurück- geschlagen, 31, 10, 5 u. 8—10.

Wie die Alamannen mit grossen Heeresmassen in Gallien einbrachen, so die Römer in das alamanuische Gebiet rechts des Rheins, und dann gestaltete sich auf Seiten der Alamannen die Abwehr zu Verlheidigu ngskriegen . Der Cäsar Julian überzog noch im Herbst des Jahres 357 die bei Strassburg geschlagenen Könige Suomar und Hortar vom unteren Main und dem Taunus, und diese erhielten Unterstützung aus den benachbarten Gauen, insbesondere von drei Königen, 17, 1, 13. Als Julian nach Abschluss eines Waffenstillstandes im nächsten Jahre wieder- kehrte, fanden Suomar und Hortar aber keinen Schutz mehr bei ihren Stammgenossen, 17, 10, und auch im Jahr 359 sah Julian, nachdem die Köuige vom mittleren Main mit einer starken Schaar, viribus magnis, den Versuch gemacht hatten,

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ihn am Rheinübergang zu hindern, am Main und Neckar nur Könige, die sich ihm einzeln ergaben, Makrian und Hariobaud, während Uri, Ursicin und Westralp sich wenigstens der Für- sprache des Königs Vadomar vom Breisgau erfreuten, der seinen Frieden mit den Römern gemacht hatte, 18, 2. Im Jahr 3(18 marschirte der Kaiser Valentinian bis Solicomnum, wo er auf das alamannische Heer stiess, das augenscheinlich die Heerbanne mehrerer Gaue umfasste. 27, 10. Auch die Abwehr der Ala- mannen gegen die mit dem Kaiser verbündeten, einbrechenden Burgundionen vom Jahr 370 scheint ein gemeinsames Unter- nehmen gewesen zu sein, das sich aber bald auflöste, 29, 5. Im Jahr 374 verwüstete Valentinian einige alamannische Gaue, post vastatos aliquos Alamanniae pagos, 30, 3, 1, ohne dass von einem Widerstand die Rede wäre.

Alle diese Beispiele und zumal das des Heeres von Strass- burg lehren, dass die Kriegstührung verfassungsmässig nicht Sache des Stamms, sondern der durch freies Bündniss geeinten Gaue war, dass das Gesammtheer sich aus den Heerbannen der Gaue zusammensetzte, und dass das Herzogthum nicht etwa dauernd mit einem Gau und dessen König verbunden war, sondern mit der einzelnen Kriegsunternehmung wechselte. Wie die Germanen des Tacitus, so wählten auch die Alamannen den Herzog nach der Tapferkeit. Duces ex virtute sumunt, Germ. 7.

Die Raubziuje waren von geringerem Umfange, sie waren Sache des einzelnen Gaus oder auch wohl mehrerer. Die Gaue des Gundomad und Vadomar machten 354, der Gau des Letzteren 3(50, die Lenzer Gaue 354, Juthungen 358, ein oder mehrere Gaue 385, der Königsbote Rando 368 Streifziige in die römischen Nachbarprovinzen, um zu plündern und zu verwüsten. Im Jahr 359 wurden die Gefangenen befreit, welche die Könige Uri, Ursicin und Westralp auf ihren häufigen Streifzügen, excursus, gemacht hatten, und aus einem Gaukampf der Lenzer entwickelte sich im Jahr 377 der Krieg, in dem alle Gaue die Niederlage bei Argentaria erlitten.

Auch die Friedensschlüsse und Bündnisse, welche die Römer nach ihren Siegen eingingen, wurden nicht mit dem Stamm, sondern mit den einzelnen Gauen, die sich unterwarfen, ab- geschlossen.

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Es gab eben keinen politischen Stammverband, keine Civitas mehr, die, wie in alter Zeit einen Krieg hätten führen, einen völkerrechtlichen Vertrag eingeheu können. Von ihr war nur der Herzog als gewählter Oberbefehlshaber übriggeblieben. Die Gaue waren wie im Frieden, so nunmehr auch im Kriege autonom.

4. Die römischen Hündnlssverträge.

Diese gewohnheitsreehtlichen Verfassungsgrundzüge fanden im Wege des Vertrags ihre Ergänzung, wenn die Gaue zu den Römern dauernd in ein Verhältniss beschränkter Abhängigkeit traten. In allen Fällen mit Ausnahme eines einzigen geschah dies gezwungen. Rückte hinreichend römische Truppenmacht in den Gau ein, um Rache für Raubzüge oder für Theilnahme am Kriege zu nehmen, so blieb dem Könige nur übrig, um Verzeihung für das Vergangene und Frieden, pax, zu bitten. Demütliig, ängstlicher Miene, gekrümmten Rückens, gebeugten Knies, oder sich zu Boden werfend, erschienen nach der ständigen Erzählung Ammians der König selbst oder seine Gesandten vor dem römischen Heerführer. Die der Könige Uri, Ursicin, Westralp, in deren Gauen 359 Wohnungen und Saaten verbrannt waren, baten so demüthig, als hätten sie selbst dies gegen die Römer verschuldet. Das war die Ergebung, deditio, die an- genommen wurde. So die der Lenzer im Jahr 377: post dedi- tionem, quam impetravere supplici prece, 31, 10, 17.

Aber nicht nur Verzeihung und Friede wurde den Gauen gewährt, sondern ihnen auch ein Bündnissvertrag, foedus, be- scheert, pax et foedus, (obliti pacis et foederum 17. 6, 1), welcher, die Beziehungen zwischen dem römischen Reich und dem Gau, das Mass seiner Abhängigkeit feststellte. Er wurde durch feierlichen Eid, der seitens der Alamannen nach germa- nischer Art geschworen wurde und durch Stellung von Geiseln, Söhnen der Adalinge, oder gar der Könige, bestärkt. Icto foedcre gentium ritu perfectaque sollemnitate, 14, 10, 15. Ritu patrio, 17, 1, 13- Obsidum, quos lege foederis tenebamus, 28,

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2, 6. Foedus solemni ritu impletum, 30, 3, 7. Die föderirten Könige erhielten der Sitte oder auch Abrede gemäss beim Ab- schluss des Vertrags, oder die Gaugenossen auch dauernd römische Geschenke, geeignet ihre Botmässigkeit zu erhalten. Hortarius cum munerandus venisset ex more, 17, 10, 8. Certa et prae- stituta ex more munera praeberi, 26, 5, 7.

Das Biindniss machte den Gau oder Stamm und deren Angehörige zu römischen Bundesgenossen, socii, aber nach römischem Staatsrecht entweder reichsunterthänig oder reichsfrei.

Die reichsunterihänigen Genie oder Stämme, populi stipen- diarii, tributarii, gehörten der römischen Provinz an und verloren ihr Eigenthum am Grund und Boden, das in römisches Staats- eigenthum, ager publicus populi Romani, umgewandelt und zu Besitz und Nutzung, possessio und ususfructus, ausgegeben wurde. Sie waren der römischen Gesetzgebung, Besteuerung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung unterworfen, während die reichsfreien Gebiete nicht zur Provinz gehörten, Eigenthum am Grund und Boden behielten, ager privatus ex jure peregrino, habere possidere, nach eignem Recht lebten, suis legibus uti, d. h. beschränkt autonom und frei von römischer Besatzung und Steuer, d. h. immun blieben. Dagegen hatten sie politische Beziehungen nur zum römischen Reich , dessen Sache aus- schliesslich die auswärtige Politik war. Zum Reich standen sie in ewiger Wehrgemeinschaft und stellten ihm Hülfstruppen, eine wichtige Vermehrung des römischen Heeres, welche zugleich eine Annäherung des Stammes an Rom einleitete. (Nach Marquardt.)

Wenn die Römer die alamannischen Gaue mit Krieg über- zogen, so konnte dies nur den Zweck haben, sie für ihre Streif- züge und Kriegsunternehmungen nach Gallien, Rätien und Italien zu züchtigen und sie die Macht des Reiches fühlen zu lassen, um sie für die Zukunft von Gleichem abzuhalten. Denn die römische Macht reichte nicht mehr aus, das Land rechts vrm Rhein und links von der Donau in Besitz zu behalten und, wie an den andern Ufern dieser Ströme geschehen, sich zu assimiliren. Man konnte daher den Alamannen nicht die

strengere Form der Abhängigkeit, die Reichsunterthänigkeit, auferlegen, vielmehr musste die lockerere der Reichsfreiheit der jugendlichen Kraft des Germanenstammes gegenüber genügen,

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die sich immer nur auf Zeit, bis zum nächsten Abfall bändigen liess, dann aber wild aufbäumte.

Von alamannischen Friedens- und Biindnissledingungen werden nur erwähnt die Herausgabe von römischen Gefangenen, die Lieferung von Lebensmitteln für das Heer, von Fuhrwerk und Baumaterial für den Wiederaufbau zerstörter gallischer Städte und Stellung junger Mannschaft für den römischen Kriegs- dienst, auxiliarii milites, 18, 2, 6. Der Kaiser Probus liess sich 16 000 Mann stellen, die er zu 50 oder 60 unter die Truppen- körper verschiedener Provinzen vertheilte. Er soll nach der Erzählung des Vopiscus auch die Abgabe der Waffen verlangt haben, wogegen er den Schutz der Alamannen gegen fremde Angrifle Zusagen wollte, aber jene war nicht durchzusetzen. Eine politische Vertretung der föderirten Gaue durch Rom hätte später den Burgundionen gegenüber von Werth sein können, der Kaiser Valentinian verbündete sich jedoch gegen die Ala- mannen mit den Burgundionen, allerdings als er sich mit jenen in dauerndem Kriegszustand befand, 28, 5, 8 15.

Ammian nennt die gezwungen föderirten Alamannengaue niemals socii, sondern hat nur einmal den Ausdruck auxiliatorcs, 14, 10, 14. Die föderirten Könige waren Freunde, Klienten des römischen Reiches. Suomarium regem amicum nobis ex pactione; rex Vadomarius ab Augusto (Constantio) in clientelam rei Romanae susceptus, 18, 2, 8 und 17. Fraomar, von dem Kaiser Valentinian zum König des Buchengaus gemacht, stand später mit dem Rang eines Prätor an der Spitze einer ala- mannischen Cohorte in Britannien, die sich durch ihre Stärke auszeichnete. Der König Vadomar spielte eine politische Rolle in den Intriguen des Kaisers Constantius gegen den Cäsar Julian, wurde verbannt und dann römischer Statthalter in Phönike, belagerte Nicaea und kämpfte gegen den persischen König Sapor.

Das römische Staatshandbuch von 400 führt an alamannischen Hülfstruppen auf: im Occident Brisigavi juniores, in Hispanien garnisonirend, Brisigavi juniores in Italien, Mattiaci seniores in Italien (sie waren Palasttruppen), Mattiaci juniores und Mattiaci juniores Gallicani in Gallien, Bueinobantes in Italien (sie waren gleichfalls auxilia palatina): im Orient cohors nona Alamannorum in Thebais, ala prima und cohors quinta pacata Alamannorum

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in Phoenice. Ausserdem geschieht suevischer, in Gallien an- gesiedelter L&ten, die unter Präfecten standen. Erwähnung, praefecti laetorum gentilium Suevorum in der Lugdunensis secunda und tertia nnd der Aquitania prima.

Der Zwang bei Eingehung der Bündnisse Hess es zu keiner Sicherung der Bundestreue, fides, kommen. Der Bundes- treue war fidus, 21, 3, 4. Der König Gundomad war fidei firmioris, 16, 12, 17. Das Bündniss wurde gebrochen, foedus frangere, 18, 2, 7; rupto concordiae pacto, 21, 3, 4; violato foedere 31, 10, 2; pactis calcatis 28, 2, 7 von den Alamannen, wenn die Gunst der Verhältnisse es erlaubte, von den Römern, wenn ihre Politik es mit sich brachte. Der alamannische Bundesbrüchige war perfidus, infidus, malefidus. Si perfiduni quicquam egisset, 17, 10, 9; gentis motus infidi, 27, 10, 5: malefidam gentem, 31, 10, 11. Dass Hederich der Bruder des Königs Chnodomar, als Geisel in Gallien war und als honio perfidissimus bezeichnet wird (16, 12, 25), scheint auf ein mit seinem Gau abgeschlossenes Bündniss hinzudeuten. Im Uebrigen erzählt Ammiau von später, seit 354 eingegangeneu Bündniss- verträgen. Sie wurden von den Alamannen durch die drei allgemeinen gegen Gallien gerichteten Unternehmungen der Jahre 357, 367 und 377 (Kämpfe bei Strassburg, an der Mosel und Marne und bei Argentaria) gebrochen. Insbesondere ver- letzten die seit 354 föderirten Breisgauer den Vertrag, indem sie 357 den bundestreuen König Gundomad ermordeten und an der Schlacht bei Strassburg Theil nahmen, sowie 360 nach Rätien einbrachen, nnd indem später ihr König Vithikab offen zum Aufstand gegen die Römer schürte; die Lenzer, seit 354 verbündet, schlugen gleichfalls die Schlacht bei Strassburg mit und erregten im Jahr 377 den grossen Aufstand, der zur Schlacht bei Argentaria führte. Die Juthungen schlossen im Jahr 357 ihr Bündniss, brachen es aber, obliti pacis etfoederum, 17, 6, 1, schon im nächsten Jahr durch einen Streifzug nach Rätien. Die Könige Suomar und Hortar, seit 358 in Bündniss. blieben, soviel zu sehen, vertragstreu. Trotz des den Königen Makrian und Harioband, Uri, Ursicin und Westralp 359 ge- währten Friedens, pax, war Ersterer Jahre lang der erbittertste und erfolgreichste Feind der Römer, während von den andern nicht mehr die Rede ist. Uebrigens ist anzunehmen, dass den

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beiden Ersten kein foedus auferlegt sei, wohl aber, und zwar .unter gleichen Bedingungen“, den drei Letztem. 18, 2, 18 und 19; 30, 3, 8.

Nicht so vollständig werden von Ammian die Bündniss- brflehe der Römer mitgetheilt sein. Der Cäsar Julian Hess den seit 354 verbündeten König Vadoniar 361 aufheben und ver- bannte ihn nach Spanien. Der Kaiser Valentinian Hess, entgegen dem 368 nach der Schlacht bei Solicomnum mit Gauen des Mittel- rheins geschlossenen Vertrag, im nächsten Jahr Befestigungs- werke im Alamannenland aufführen, subradens barbaros fines; in monte Piri, qui barbaricus locus est; pactis calcatis, 28, 2, 1 und 5 und 7. Den Verträgen, wie dem Völkerrecht zuwider liess er den König Vithikab ermorden, was zu seinen Gross- thaten gezählt wird, und ging in eigener Person auf den Fang des König Makrian aus. musste jedoch mit Schimpf abziehen.

Ein f reilrilliges Bündniss wurde 374 nur einmal zwischen ermüdeten Gegnern eingegangen, zwischen demselben Kaiser und demselben König, der nicht zur Unterwerfung zu bringen war. Beide kamen zu diesem Zweck, ad excipiendum foedus, am rechten Rhein in der Gegend von Mainz zusammen. Es wurde feierlich Freundschaft, amicitia, geschlossen. Makrian allein wird Bundesgenosse, socius, genannt. Er blieb den Römern bis an sein Lebensende treu. Dedit ad usque vitae tempus extremum constantis in concordiam auimi facinornm documentum pulchrorum, 30, 3, 3—7.

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Anlage

zum dritten Kapitel, 1 und 2, Seite 34 und 3(>.

TauscnäscViaften, ,Hunderfscl|aften, 2>el\ntscViaffen.

Bei Cäsar und Tacitus finden sich die ersten Andeutungen der verfassungsmässigen Gliederung, sowie die Namen der Glieder. Sie nennen den Stamm civitas, die Tausendschaften pagus (Gau). Die vielumstrittene Bedeutung der Worte rex und princeps kann hier dahingestellt bleiben und ebenso, welcher Stufe das concilium angehörte.

Cäsar hat die räumlichen und persönlichen Tausendschaften im Auge, wenn er jedem der hundert Gaue der Sueben tausend Krieger und tausend Ackerbauer giebt, die sich jährlich ab- wechseln. Hi centum pagos habere dicuntur, ex quibus quo- tannis singula milia armatorum bellandi causa ex finibus educunt. Reliqui, qui domi manserunt, se atque illos alunt; hi rursus in vicem anno post in armis sunt, illi domi remanent, Gail. 4, 1. Die hundert Gaue der Sueben wiederholen sich als Tausendschaften des Heeres, wenn es heisst, sie ständen am Rhein. Pagos centum Sueborum ad ripam Rheni consedisse, Gail. 1, 37. Die Nachricht von hundert Gauen, die Cäsar erhielt, lässt auf ein gewaltigeres Gebiet der Sueben schliessen, als ihm bekannt war. Denn die Zahl der Alamannengaue betrug zur Zeit ihrer grössten Ausdehnung (abgesehen von den in Gallien wiederverlorenen Sitzen) und ihrer voll entwickelten Ansiedlung zwischen dem Westerwald und dem Gotthard, den Vogesen und dem Lech nur neun und zwanzig. Möglich aber auch, dass Cäsar von den Hundertschaften und Tausendschaften der Sueben gehört hatte und die Zahl hundert für die der Gaue hielt.

Die principes regionum atque pagornm, die inter suos ius dicunt, controversiasque minuunt, Gail. 6, 23, erscheinen als die Häupter des Gaus und der Hundertschaft, die wie auch zur

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iränkischen Zeit in den Hundertschaften Gerichtsversammlungen abhielten. (Hier regionum für Gaue, pagornm für Hundert- schaften?) Endlich mögen unter den Worten: magistratus ac [irincipes . . . gentibus cognationibusque hominum, qui tum nua coieruut, quantum et quo loco visum est agri adtribuunt, Gail. 6, 22, Hundertschaften (gentes) und Zehntschaften (cogna- tiones), welche zugleich wirthschaftliche Einheiten darstellten, verstanden sein.

Am Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, 150 Jahre nach Cäsar hat Tacitus dessen Nachricht von den centum j>agi auf die Semnonen bezogen, offenbar durch ein Missverständnis von Hundertschaften und Ganen verleitet, Germ. 30. Die Häupter, welche in Gauen und Dörfern des Rechts walten, principes, qui jura per pagos vicosque reddunt, sind die Häupter des Gaus, die wie bei Cäsar an den Malstätten (vicis) der Hundertschaft Gericht halten. Unverkennbar treten die Gerichtsversammlung der Hundertschaft in den Worten centeni ex plebe comites, die Hundertschaft des Heeres als Abtheilung der Tausendschaft (des Gaus) in den Worten centeni ex singulis pagis und die Hundortschaften und Zehntschaften des Heeres in den engeren und weiteren Sippen, welche den Keil bilden, familiae et propinquitates hervor. Was früher eine Zahl war, setzt Tacitus bei den Heerhundertschaften hinzu, ist jetzt ein Name, quod primo numerus fuit, jam nomen est, Germ. 12 und 6 und 7.

Bei Ämmian findet sich in der zweiten Hälfte des 4. Jahr- hunderts pagus und rex als Gau und Gaukönig häufig bei allen germanischen Stämmen, regulus als Haupt der Hundertschaft einmal bei den Alamannen, snbregulus als Führer einer Zehnt- schaft einmal bei den Quaden, 18, 2, 13; 17, 12, 21.

Zur Zeit der Vol!;srtchk kommt die Tausendschaft als persön- licher Verband oder als dessen Führer bei den Vandalen millenarii, Ostgothen millenarii, thusandifaths, Westgothen thiuphadia, Sachsen duces cum singulis milibus und bei den Alamannen milia vor. Der angelsächsische Beowulf v. 2196 und 2995 giebt in den Geschenken des Königs Hygelac an Beowulf und an Wulf und Eofar die persönliche und räumliche Tansendschal’t wieder. Simrock übersetzt 30, 52 und 40, 49: „Er schenkte dem Sieger (Beowulf noch) Siebentausend mit

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Burg und Gebieterstubl. Ihnen Beiden war das Land gemeinsam und die Leute dazu.“ „Die Tapfern (Wulf und Eofar) lohnte er mit Huuderttausenden Lands.“ Die mystischen centum pagi des Cäsar und Tacitus finden sich in den Hunderttausenden des Liedes wieder.

Im Uebrigen scheint der Zahlausdruck für den territorialen Begriff der Tausendschaft und für sein Haupt verloren gegangen zu sein. Der neuere Ausdruck ist Gau (gothisch gavi, alt- hochdeutsch gawi, gewi, gowi, altsächsisch und altfriesisch gä, gö), dem bereits der pagus der Börner entspricht. Das Tausend- haupt wird damit zum Gauhaupt, Gaukönig, kuning, reiks.

Die Hundertschaft findet sich bei den Nordgermanen, hundari, herad (Harde), den Angelsachsen hundred, den Friesen hunderi, den Alamannen huntari und centena, den Franken centena, am Niederrhein hunaria und Hondschalt. Der Hundert- schaftsführer ist bei den Ostgothen hundafaths, bei den Sachsen und vereinzelt bei Franken und Alamannen hunno, bei Franken Alamannen und Baiern centenarius, auch centurio. Hierher gehören vermuthlich auch die hendinos der Burgundionen, welche Ammian 28, 5, 14 für Könige hält.

Die Zehntschafl ist in ihrem germanischen Ausdruck fast ver- schwunden. Vorwiegend kennen wir die lateinischen nach decem gebildeten Ausdrücke: decanus, decania. Bei den Westgothen werden als Führer im Heer und Träger richterlicher Funktionen (ausser dem thiuphadus - millenarins, dem quingentenarius Fünfhundertführer und dem centenarius) der decanus, bei den Langobarden als richterlicher und polizeilicher Beamte der decanus, deganus erwähnt. Die Decane der Franken sind Auf- seher oder Verwalter auf Gütern des Königs oder der Grossen (Waitz). Die folgenden Stellen, die sich bei Sickel finden, beweisen aber mit Sicherheit, dass sie wie Führer im Heer, so auch Kichter des öffentlichen Rechts waren, und dass ihrer Zuständigkeit auch ein Gebiet, decania, entsprach.

Im Gesetzbuch der Baiern heisst es II. 5, 1, comes ponat ordinationem suam super centurios et decanos, et unusquisque provideat suos, quos regit, ut contra legem non facerent. In das Immunitätsprivileg für das Bisthum Seben-Brixen fügte Otto der II. (973—983) die Worte seu und sive decanus ein, die in dem Gesuch nicht standen, so dass es heisst: Ut nullus judex publicus,

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comes aut exactor, „seu decanus,“ seu centinarius . . . nec ullns judux publicns aut exactor. „sive decanus“ ad suum placitum coustringat. Aehnlich in einer Urkunde derselben Art von Ludwig dem Deutschen (843 876) für das sächsische Kloster Wildeshausen, ut nullus comes, neque centenarius vicarius, „neque decanus,“ neque judex nec quislibet ex judiciaria potestate potestatem babuisset, eos distringere. Hincmar von Rheims bekundet 882 von der Praxis dieser Beamten, ut comites et viearii vel etiam decani plurima placita constituant et si ibi non venerint, compositionem ejus exsolvae faciant. Nach Landau ist der germanische Ausdruck für den decanus nach alten Glossen Zebaning, in Niedersachsen Tegeder= Zehnter.

Neben dem Zehntführer im Heer und Gericht ist aber auch das seiner Zuständigkeit entsprechende Zehntgebiet nachzu- weisen. Eine Königsurkunde zeigt die decania als Unter- abtheilung einer Grafschaft und wie es scheint einer Hundert- schaftsmark: In partibus Karantaniae (wo?) in comitatu Hart- wigi comitis, qui et ipse inibi cognomiue Waltpoto (Waldbote, Obermärker) dicitur, ac in decania Wolframi decani.

Wie schon angedeutet, finden sich insbesondere auch bei den Alamannen Erinnerungen an die Zahlnamen. Die Hundert- schaften sind geblieben, die Tausendschaften und Zehntschaften durch die neueren Ausdrücke Gau und Hark ersetzt. Aus der Mitte des 4. Jahrhunderts datiren die Bezeichnungen des Ammian von pagus und rex für die räumliche Tausendschaft und ihr Haupt, sowie von regulus für den Führer der Hundert- schaft; aus dem Anfang des 7. Jahrhunderts der Ausdruck des Pactus Alamanuorum generatio für den Zehntverband im Heer (Sippe): der Lite wurde vor der Heeressippe freigelassen, si litns fuerit, in heris generationis dimissus fuerit, 2, 45; aus der Zeit von 717-71!) die Zeugnisse des alamannischen Gesetz- buchs. Es konnte nicht mehr von Tausendschaften oder Gauen und Königen reden, weil sie nicht mehr bestanden, wohl aber von Hundertschaften, centena, 36, 1, centenarius, 36, 1 und 2 und 3, oder centurio, 28, 3. Der generatio des Heeres im Pactus ent- spricht der persönliche und räumliche Verband der generalogia; zwei Sippen streiten über die Grenze ihres Gebietes, contentio inter duas genealogias de termino terrae eorum, 84. Das Wort Zehntschaft, decania, decanus kommt, soviel ich sehe, in

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Alamannien niemals vor. Seit dem 8. Jahrhundert erscheinen in den Urkunden einzelne räumliche Hundertschaften unter dem Namen huntari (Huntare), oder centena, deren Obrigkeit unter der Bezeichung hnnno, centenarius. Der Pactus und die Lex haben weiter den Ausdruck marca, marcha (Mark) im Sinn von provincia (Provinz Alamannien, Pactus 3, 12, Lex 45, 46, 37, 2), aber die späteren Urkunden verstehen unter Mark das Gebiet der Hundertschaft wie der Zehntschaft.

Noch hundert Jahre nach dem alamanuischen Gesetzbuch lässt Ermoldus Nigellus die aus Hundertschaften bestehenden Tausendschaften der Sueven (hier der Alamannen) über die hellen Fluthen des Rheins ziehn.

Alba Suevornm veniunt trans flumina Rheni Milia ceutenis accumulata viris.

(Jahr 826; III, 261; mon. Germ. auct. II, 494).

Endlich stuft Walafried Strabo, der Abt von Reichenau (gestorben 849), also eine alamannische Quelle, die Obrigkeiten des fränkischen Reichs nach den Zahlnamen ab, welche nach ihm dem Alterthum entlehnt, die Oberen nach der Zahl der ihnen Untergebenen bezeiehneten. Sunt ipsa vocabula ab auti- quitate mutuata, in qua officia praelatorum dicebantur ex numero subjeetorum, ut sunt chiliarchi Graeci, Latini millenarii (Tausendschaften), centenarii et centurioues (Hundertschaften), pentepontarchi et quinquageuarii, (Fünfzigschaften, sonst nicht bekannt), decani et centuriones (Zehntschaftcn) etc. Walter Corp. jur. Germ. 3, 526.

Somit linden sich folgende Ausdrücke:

für die Tausendschaft bei den Römern und zwar für die Genossen milia, für das Haupt rcx, für das Gebiet pagus; bei den Germanen und zwar für die Genossen milia, thiuphadia, für das Haupt millenarius, chiliarchus, thusendifaths, thiuphadus, rex, dux, kuniug, reiks, für das Gebiet gavi, gawi, gewi, gowi, gä, gö, gau;

für die Hundertschaft bei den Römern und zwar für die Genossen centeni, propinquitas, geus, für das Haupt regulus, für die Malstätte des Gebiets vicus; bei den Germanen für die Genossen centeni, lür das Haupt centenarius, eenturio, hunda- faths, kunno, für das Gebiet centena, huntari, kundari, herad, hunaria, Houdschaft, Mark, marca;

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für die Ztlnitm Jiaft bei den Römern und zwar für die Genossen cognatio, familia, für das Haupt subregulus; bei den Germanen für die Genossen generatio, genealogia, für das Haupt decanus, Zehaning, Tegeder, für das Gebiet decania.

Die alamannisehtrti Bezeichnungen sind für die Tausend- schaft bei Ammian rex, pagus, in alamaunischen Quellen milia, millenarii, chiliarchi, Gau ; für die Hundertschaft bei Ammian regulus, in alamannisehen Urkunden centeni, eentenarius, centurio, hunno; centena, huntari, marca, Mark; für die Zelrut- schaft nach Strabo decanus, nach Urkunden marca, Mark.

Hier ist vorwegzunehmen, dass die öffentlich-rechtlichen Functionen, die in älterer Zeit an den Gau der Könige geknüpft waren, in fränkischer Zeit mit der Huntare des Grafen ver- bunden wurden. Der Gau wurde damit obsolet und sein Name ging in Folge dessen auf die Hundertschaft über, die nunmehr sowohl Hundertschaft wie Gau, pagus, hiess, z. B. pagus Hatten- huntare, ceutena Eritgau. Es sind sogar die meisten Hundert- schaften, welche, wie der Eritgau die Bezeichnung gau in der Endung führen.

Ebenso wurden im Mittelalter die gerichtlichen Functionen der Hundertschaft vielfach auf die Zehntschaften übertragen. Die Hundertschaft verlor damit im Wesentlichen ihren Werth und die Bezeichnung wurde auf die Zehntschaft übernommen. Es wurden daher nach dem lateinischen centum (hundert, Hundertschaft) die Ausdrücke Cent, Zent, Zenderei, Zendcr, centumgrafio, centurio für die Zehutschaft gebildet, und es ist nur zufällig, wenn sie an den Ausdruck Zehntschaft anklingen, wie nur zufällig das lateinische centum an die deutsche zehn erinnert. (Das e in centum ist kurz, das in zehn lang.) So erklär t es sich auch, dass Strabo in der oben angeführten Stelle sowohl für den eentenarius, wie für den decanus den weiteren Ausdruck centurio hat.

Diese Uebertragung der Bezeichnungen hat auf dem Gebiet der Gaugeographie und der Ver fassung zu grossen Wirrnissen geführt, weshalb ich, wo es notli wendig erscheint, die Verbände »ach ihrer ursprünglichen Bezeichnung von Hundertschaften und Zehntschaften vorführen werde.

Soweit die technischen Ausdrücke.

Cr* m © r , Geschieht« der Alamaauen. 5

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Von der gemeinen Meinung sind Tausendsciiaften und Hundertschaften als uralte Glieder des germanischen Gemein-, wesens nach Gebieten, Genossen und Führern anerkannt, hin- sichtlich der Zehntschaften ist dies jedoch keineswegs der Fall.

Die Eigenart der Zehntschaft ist am sichersten da fest- zustellen, wo sie in lebendiger Function erscheint und geographisch geuau bestimmt werden kann. Dies ist in fränkischen Gebieten, allerdings erst in der Zeit des späteren Mittelalters möglich. Hier ist die Zehntschaft (Zent, Cent) zunächst ein räumliches Gebiet und zwar ein Theil der Hundertschaft. Ihrem Inhalt nach ist die Zent eine Mark und ein Gerichtsbezirk, und dem- entsprechend schwankt die Bezeichnung zwischen Mark und Zent oder Cent.

Aber damit ist die Bedeutung der Zehntschaft nicht erschöpft. Wie die oben angeführten Urkunden und technischen Ausdrücke ergeben, sind die decani auch Führer im Heeres- und politischen Verband und als solche, wie als Richter jedesmal von geringerer Stellung, unter dem Grafen und unter dem Hunnen der Hundert- schaft. Die Führerschaft setzt einen persönlichen Verband gleicher Ordnung voraus. Weiter ergeben die Urkunden, dass sich die Zehntschaft nicht auf Franken und das spätere Mittel- alter beschränkt, sondern eine gemeinsame germanische Ein- richtung darstellt, immer von derselben Bedeutung, auch wenn ihre Bezeichnung wechselt.

In Bezug auf Alamannien ist das Besondere hervorzuheben, dass es für die Zehntschaft nur den Ausdruck Mark hat, jedoch soweit man Strabo auch als eine für Alamannien fliessende Quelle betrachten kann, den Führer auch decanus nennt. Ist hiernach die Zehntschaft ein persönlicher und räumlicher öffent- lich-rechtlicher Verband (mit einem Zehnter an der Spitze) wie der Gau und die Hundertschaft, ist sie eine Mark wie die Hundertschaft, in der sie als Theil enthalten, so ist weiter zu prüfen, ob auch wie Jene die Zehntschaft auf die Ansiedlungs- und die Urzeit zurückzuführen ist.

Die Hundertschaft, die wir allerdings nach ihrer voll- ständigen räumlichen Entwicklung in der Durchschnitts- grösse von sechs Quadratmeilen kennen, war zu gross, um für die Ansiedlung und staatliche Organisation die letzte Einheit zu bilden. Dazu waren Verbände von nachbarlichem Umfang

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erforderlich. Man fand sie, indem man die Zehntschaften des Heeres zu Grunde legte. In ihnen machte man sich ansässig.

Ein feinerer Beweis hierfür ist die weite Verbreitung der Zehntschaft über die germanischen Stämme, die bereits Cäsar vorfand; und schliesslich darf man auf die archaistische Bezeich- nung der Verbände hinweisen, die, auf dem Decimalsystem be- ruhend, die Zahlnamen der Tausendschaft und Hundertschaft mit der kleinsten Abstufung, der Zehntschalt zum Abschluss bringt.

Wie die Tausendschaft und Hundertschaft ist die Zehnt- schaft das der Urzeit angehörige, und zwar letzte Glied des germanischen Gemeinwesens nach Gebiet, Genossen und Führern.

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Viertes Kapitel.

Die Gaugebiet«.

1. Die Gaukönlge und die Gaue.

Es ist eine glückliche Besonderheit der alamannischen Ge- schichte, dass wir den Zustand ihrer Gaue aus zwei Perioden kennen, aus dem 4., sowie dem 8. und spätem Jahrhunderten. Die erstem können nur aus den Erzählungen Ammians fest- gestellt werden, in denen er häufig die Ereignisse nach dem Gau eines Königs bestimmt, die letzteren nach den Urkunden der merovingisch- karolingischen Zeit. Die Ergebnisse beider Untersuchungen sind lückenhaft.

Hier sollen die Zahl und die Lage der ammianischen Gaue ermittelt und ergänzend die Namen der späteren Gaue daneben gestellt werden. Wegen beider ist zunächst auf die Karte, wegen der letzteren auf die Kapitel 12 23 und hinsichtlich der Frage, ob der Verlauf der alamannischen Geschichte die Annahme einer Continuität der Gauentwicklung zulässt, auf das Kapitel 9, 4 zu verweisen. Vorwegzunehmen ist hier, dass die älteren und jüngeren Gaue der Zahl und im Allgemeinen auch der Lage nach einander decken.

Gegen den Cäsar Julian kämpften 357 bei Strassburg sieben Könige und zehn Königsboten. Sie waren die Führer von ebenso vielen Gauheerbannen des Heeres und lassen auf sieben- zehn Könige und Gaue schliessen (S. 52), reges numero (septem) regalesque decem, 16, 12, 26. Die Namen der Könige waren Chnodomar und Serapio als Herzöge, Suomar, Hortar, Uri, Ursicin und Vestralp. Die Namen der Königsboten sind nicht genannt. Ausser diesen bei Strassburg kämpfenden werden an Königen

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zur Zeit des Julian noch vier andere erwähnt, 357 360 Gundomad und Vadomar, Makrian und Hariobaud und zur Zeit des Gratian 377 Priari, so dass gleichzeitig 11 12 Könige erscheinen. Die weiter genannten Fruomar und Vithikab sind Nachfolger schon bezeichnter Könige.

Zosimos bezeichnet Einen Gau nach seinem König und Gauvolk, es ist der Gau der Logionen unter dem König Semnon (der untere Lohn- oder Lahngau); Ammian die seinigen nach den Königen, pagus Hortarii, pagus Vadomarii, und andern, ist aber darin nicht vollständig. Er hat nur den Namen Eines Ganvolkes, den der Bucinobanten, des Buchengaues, Bucino- bantibus quae gens est Alamanna, und nennt einen König Ves- tralpus, der augenscheinlich der König der Westalb ist, 28, 4, 7; 18, 2, 18. Ausserdem sind aus der Notitia dignitatum zwrei Gauvölker Brisigavi und Mattiaci (Breisgauer und Mattiaker) bekannt. Huntaren und Zehntschaften sind aus der Zeit des 4. Jahrhunderts nicht überliefert.

Der Zahl von siebenzehn Gauen aus der Zeit der Schlacht bei Strassburg entspricht in demselben (altalamannischen) Gebiet die Zahl der Gaue des 8. Jahrhunderts. Es sind acht am Rhein : der Hegau, der Klcttgau, der Breisgau, (hier doppelt gerechnet, wie der alte untere und obere Breisgau), die Mortenau, der Kraichgau, der obere Rheingau und der Mattiakergau, und neun binnenländische Gaue, im Lahnthal der untere Lahngau, nördlich vom Main als Theile des alten Buchengaus die Wetterau und das Grabfeld, im Mainthal der Maingau, im Neckarthal der untere und obere Neckargau und der Nagoldgau, im Quell- gebiet des Neckar und der Donau der Westergau und weiter abwärts im Norden der Donau der Albgau.

2. Die rheinischen Gaue.

An den Rhein grenzten:

1. 2. die Gaue der Lenzer, von deren Königen Einer, Priari bekannt ist, 31, 10, 10. Die Sitze der Lenzer bestanden aus mehreren Gauen und stiessen an Rätien. Lentiensibus Ala

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mannicis pagis: Lcnticnses Alamannicus populus, tractibus Raetiarum confinis, 15, 4, 1: 31, 10, 2. Weiter lagen sie in der Nähe des Bodensees, 15, 4, 1, am Rhein, 31, 10, 4, um die Bergkegel des Hegau und den östlichen Abhang des anstossenden Schwarzwaldes, 31, 10, Sätze 2, 4, 12 17. Es waren die späteren Hegau und Klettgau. Ersterer stiess nach den späteren Urkunden im Osten unmittelbar an Rätien, dessen westliche Grenze gegen Obergermanien in der Richtung von Pfyn und Eschenz gen Norden zur Donau lief. Die Römer hatten das rechtsrheinische Obergermanien den Alamannen preisgegeben oder preisgeben müssen, hatten aber die rätische Grenze fest- gehalten, um das ganze Seegebiet, den Zeller- und Untersee eingeschlossen, in ihrer Gewalt zu behalten, und somit den Alamannen den Zugang zum See und damit zu dessen rätischen Gestaden zu versperren. Constanz. Constantia, war der be- festigte Platz, von dem aus die Lenzer bedroht wurden. Die Rheingrenze des lenzischen Gebietes, Hegau und Klettgau, reichte später von dem Ausfluss aus dem Bodensee bei Eschenz bis zum Hauenstein, Laufenburg gegenüber, der Westgrenze des Klettgaus (welcher ursprünglich den anstossenden Albgau umfasste).

3. 4. Die Gaue der Könige Oundomad und Vadomar, der obere und untere Breisgau. Ammian unterscheidet beide Gau- völker: ommis ejus (Gundomadi) populus und Yadomarii plebs, lfi, 12, 17. Sie waren Gallien benachbart. Gundomadus et Vadomarius fratres, Alamannorum reges, confines limitibus terrae Gallorum, 14, 10, 1. In der Notitia dignitatum aus dem Beginn des nächsten Jahrhunderts werden breisgauer römische Hülfs- truppen aufgeführt, Brisigavi seniores, die in Hispanien, und Brisigavi juniores, die in Italien garnisonirten. Weil damals nur das Rheinthal besiedelt war, kann die Grenze zwischen den älteren und jüngeren Breisgauern wohl nur von Osten nach Westen gelaufen sein. Sie schied so das breisgauer Oberland und Unterland und so auch die Gaue des Gundomad und Vadomar.

Nachdem Gundomad 357 ermordet war, scheint Vadomar der König des gesammten Breisgau geworden zu sein. 359 heisst es, sein Gau lag den Raurakern gegenüber, Vadomarius rex, cujus domicilium erat contra Rauracos, unweit der römischen

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Grenze, vicinus limiti, 18, 2, 16 und 17. Im Jahr 360 ver- heerten Alamannen ans dein Gau des Vadomar die an Rätien grenzenden Gebiete (in Helvetien); Alamannos a pago Vado- marii exorsos . . . vastare confines Raetiis tractus. Julian schickte Truppen gegen sie nach Säckingen, prope oppidum Sanctio, 21, 3, 1 und 3. Der Nachfolger des Vadomar war sein Sohn Vithikab, 27, 10, 3.

Der Gesammtbreisgau reichte am Rhein später von dem Hauenstein bis zur Bleiche bei Herbolzheim.

5. 6. Weder Gaue noch Gankönige werden zwischen dem Breisgau und dem an der Mainmündung zu suchenden Gau des König Suomar genannt, man wird aber für den König Chnodomar die spätere Mortenau. für den König Serajrio den Kraichgau be- stimmen dürfen.

Clmodomar war der Oheim des Serapio. Wie sie in ver- wandtschaftlichen, so mögen ihre Gaue in räumlichen Bezieh- ungen gestanden haben. Von den sieben alamannischen Königen waren sie in der Schlacht bei Strassburg die mächtigsten, potestate excelsiores ante alios reges, 16, 12, 23, was sich sowohl auf die Bedeutung ihrer Gaue in der reichen Rheinebene, als auch auf die Grösse ihrer Gauheerbanne beziehen kann, welche bei der Nähe des Eisass selbstverständlich zahlreicher vertreten waren, als die der entlegenen Gaue.

Die Nachbarschaft von Chnodomars Gau ist auch zum Ausdruck gebracht. Nach der Niederlage von Strassburg konnte er nur nach Ueberschreitung des Rheins zu ihm zurückkehren, non nisi Rheno transito ad territoria sua poterat pervenire, 16, 12, 59. Zu bemerken, dass sein Gau im Gebiete rechts vom Rhein gelegen sei, wäre überflüssig gewesen, es sollte aber gesagt werden, dass den Flüchtigen Nichts wie das Bett des Rheins von der schützenden Heimat, dem eigenen Gau trenne, und das weisst auf die Strassliurg gegenüberliegende Mortenau hin.

Im Jahr 360 ging Julian mit Truppen bei Speyer über den Rhein, i~b NejHToiv ioi; Itö töv 'Pr,vov, Exc. ex Euuapii hist., um stromaufwärts durch den Kraichgau und die Mortenau nach Basel-Augst zu marschiren. Der Kraichgau erscheint seit 357 unterworfen und darum Speyer eine sichere Uebergangsstelle.

Eine weitere Bestätigung für die Lage der Gaue von Glinodomar und Serapio wird sich weiter unten aus der geo-

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graphischen Reihenfolge ergeben, in der die sieben Könige der Strassburger Schlacht aufgeführt werden.

Die Mortenau erstreckte sich nach den späteren Nach- richten am rechten Rhein von der Bleiche abwärts bis an die Oos, der Kraichgau von da abwärts bis unterhalb Speyer.

7. Die Gaue des Königs Suomar werden als rechtsrheinische in der Mehrheit bezeichnet, ejus (Suomarii) pagi ripis ulterioribus adhaerebant, 18, 2, 8.

Ob er aber König von mehr als Einem war, erscheint zweifelhaft. Sein Besitz erstreckte sich von der Grenze des Kraichgaus abwärts bis zum Main und bestand in dem spätem oberen Iiheingau. Der Lobdengan scheint ein Theil desselben zu sein, könnte aber auch einen selbständigen Gau darstellen, so dass Ammian unter den Gauen des Suomar den Lobdengau und den oberen Rheingau verstanden hätte. (Siehe Kap. 14).

Im Jahr 358 ging der Cäsar Julian mit einer Schiff- brücke über den Rhein, um die Könige Suomar und Hortar mit Krieg zu überziehen. Die Uebergangsstelle war wohl gleich- falls Speyer. Als er rheinabwärts voranzog, kam ihm im ala- mannischeu Gebiet der König Suomar mit den Seinigen ent- gegen, um sich zu unterwerfen, in terris Alamannorum rex Snomarius cum suis, 17, 10, 3.

Als Julian 359 zu seinem Zug von Mainz nach Palas (am Pfählgraben) rüstete, stellten entlegenere Alamannen, denen der Zug galt, an Suomar das Ansinnen, ihm den Rheinübergang zu verwehren. Als er dies ablehnte, erschien ein Heerhaufen gegenüber von Mainz, prope Mogontiacum, 18, 2, 8.

Von den Gauen (?) des Suomar erstreckte der Lobdengau später sich auf der rechten Rheinseite abwärts von Speier bis gegenüber von Worms, schloss den untern Neckar in sich und begleitete den linken Neckar von Neckargemünd bis Neckar- gartach. Im Gau lagen die Ruinen des römischen Lopodunum. Ladenburg, das ihm den Namen gegeben hat, der Hauptstadt der Civitas Ulpia. Hier baute der Kaiser Valentinian am Rhein dem heutigen Altripp gegenüber die Veste Alta Ripa als Zwingburg für die Alamannen, hier versuchte er, auf dem Mons Pirus, dem Heiligeuberg bei Heidelberg eine zweite zu errichten.

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Der (obere) Rheingau lag im 8. Jahrhundert am rechten Rhein gegenüber von Worms bis Mainz, am linken Main von da bis unter Offenbach. Am linken Ufer, vielleicht bei Rüssels- heim oder Rannheim, lag die zerstörte Veste des Trajan, die Julian wieder errichtete, munimentum. quod in Alauiannorum solo conditnm Trajanus suo nomine voluit appellari, 17, 1, ll.

8. An das Gebiet des Königs Suomar stiess als ein anderer Gau der des Königs Hortar, wahrscheinlich der Mattiakergau genannt, Hortari regis alterius pagus; regione ejus, 17, 10, 5 und 9; Hortarii regna, 18, 2, 14.

Als Julian nach dem Rheinübergang von 358 die Ergebung des Suomar entgegengenommen, verheerte er den Gau des Hortar und legte ihm als Friedensbedingung die Stellung von Fuhrwerk und Material für den Wiederaufbau der römischen Rheinstädte des linken Ufers auf, zu denen insbesondere die seinem Gau gegenüberliegenden Städte Bingen und Andernach, Bingium und Antennacum, gehörten, 17, 10, 9; 18, 2, 4. Als ihm im nächsten Jahr der Rheinübergang bei Mainz durch alamannische Heerhaufen verlegt wurde, fuhr er auf vierzig Fahrzeugen stromabwärts, decurrere per Humen, schlug in nächtlicher Stille etwa bei Biebrich oder Schierstein eine Brücke, stand dann überraschend im Alamannenland, in bar- barico, und marschirte durch den Gau des Hortar, per Hortarii regna weiter in der Richtung nach Palas, 18, 2, 4 und 12 und 14.

Im Jahr 357 sind es die Höhen des Taunus, die als nicht zu entfernt vom Main liegend, geschildert werden, moutium vertices trans Moeiium, 17, l, 4 und 6.

Die römische Civitas Mattiacorum Taunensium mit der Hauptstadt Aquae Mattiacae, Wiesbaden, im Süden an den Main (Castellum Mattiacorum, Castel gegenüber von Mainz), im Norden an die Lahn (in agro Mattiaco bei Friedrichssegen, S. 5), vielleicht weiter an den Westerwald stossend, hat wohl dem Gau den Namen gegeben. Demi noch in der Notitia dignitatum von 400 finden sich unter den römischen HUlfstruppen Mattiaci seniores lind Mattiaci juniores. Man darf daher annehmen, dass der Gau selbst Mattiakergau geheissen habe. Vielleicht war er wie der Breisgau, den älteren und jüngeren Mattiakern ent- sprechend. in einen oberen und unteren Mattiakergau getheilt.

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woraus sich die mehreren Gaue des Hortar erklären würden. Der Gau lag später rechts vom Main, in der Nähe von Mainz und umfasste den Taunus und die untere Lahn bis Nassau. Am Rhein erstreckte er sich von Mainz bis Linz. So mag man nach späteren Nachrichten annehmen.

3. Die binnciilämlisclien Gaue.

AVie aus der Zahl der in der Schlacht bei Strassburg ver- tretenen Gaue deren Gesammtzahl siebenzehn sich ergab, so zeigt die Ziffer der von Probus gebändigten neun Könige die gleiche Zahl der binnenländischen Gaue an. Auf seinem Zuge von der Lahn nach Rätien unterwarfen sie sich ihm, nachdem er ihre Gauheere über den Neckar und die Alb zurückgetrieben hatte. Die weiteren Nachrichten über diese Gaue sind äusserst spärlich und knüpfen sich wesentlich an den Zug des Cäsar Julian von 359, während von dem ähnlichen Zuge des Kaiser Valentinian von 3(S8 Namen von Königen und Andeutungen ihrer Gaue gänzlich fehlen.

9. Zur Zeit des Kaiser Probus (276 282) erscheint der Gau des König Semnon und seiner Logionen. Die Logionen werden ein germanisches Volk genannt (S. 18). Jedenfalls war der spätere untere Lahngau (Logenahe), von Diez bis Giessen aufwärts und im Norden bis zu den Höhen des Westerwaldes reichend, alamanniscb, wie zahlreiche Ortsnamen mit den ala- mannischen Endungen und die geographische Lage zwischen dem Gau des Hortar und der gleichfalls alamannischen Wetterau bezeugen.

10. 11. Nördlich vom Main lag der Gau der Bucinobanten, der einzige von Ammian dem Namen des Gauvolkes nach be- nannte Gau.

Die Bucinobanten sind die Genossen des Buchengaus, wo- bei die Endung bant gleich Gau ist. Der Buchengau ist die spätere Buchonia, ein weites AValdgebiet, welches das A'ogels- gebirge, die hohe Rhön und den oberen Lauf der Fulda und AVerra, sowie die fränkische Saale umfasste. Bis zur Rhön,

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80 Lengen von Mainz entfernt, hatte sich dereinst die Herrschaft der Römer erstreckt, von welcher der obergernianische Limes den grössten Tlieil des Buchenwaldes preisgab. Dann gab dieser das Gebiet für drei jüngere Gaue ab: die Wetterau, das Grabfeld und den Saalegau, und wenn man den letzteren wegen der streitigen Salzquellen von Kissingen als burgundionisch ansehen kann, so bleiben die Wetterau und das Grabfeld als alamannische Gaue übrig; erstere im Gebiet der Wetter, von dem Limes quer durchzogen, letzteres zwischen V ogelsgebirge und Thüringer Wald, die hohe Rhön einschliessend, mit den Flussgebieten der oberen Fulda und Werra.

Die Buchengauer werden es gewesen sein, die nach dem Tode des Postumus und dann wieder zur Zeit des Probus über den Limes einbrachen, subita inruptione Germanorum; limitem transrhenannm Germani rupisse dicuntur, und bei letzterer Gelegenheit zusammen mit andern Alamannen sich des Decu- matenlandes und Galliens bemächtigten, aber zurückgeschlagen und über den Neckar und die Alb getrieben wurden (S. 16 und 18).

Zur Zeit des Julian waren Makrian und Hariobaud Könige im Buchengau, (wohl an den später Wetterau und Grabfeld genannten Theilen) und mit dem Verschwinden des Hariobaud aus der Geschichte erscheint Makrian als einziger König der Bucinobanten, wenn man von einem kurzen Regiment des von dem Kaiser Valentinian eingesetzten, aber bald verjagten König Fruomar absieht.

Man muss an die Wetterau und speziell deren südwestliche Hnntare, den Niddagau denken, wenn von der Nähe von Mainz die Rede ist. „Die Bucinobanten sind ein alamanischer Gau gegenüber von Mainz,“ Bucinobantibus, quae contra Mogontiacum gens est Alamanna, 29, 4, 7. Im Jahr 371 setzte Valentinian von Mainz aus Truppen über den Rhein, verfolgte den Weg über Wiesbaden, contra Mattiacas aquas (im Gau des Hortar) und zog weiter, nach der Lage in das Gebiet des Makrian (den Niddagau), um ihn in seine Gewalt zu bekommen. Als ihm dies nicht gelang, verwüstete er das feindliche Land, den Buchen- gau bis zum 50. Meilenstein, etwa bis zum Vogelsgebirge, ad osque quinquagesimnm lapidem tcrris hostilibus inflainmatis und wiederholte dies bald darauf, 29, 4, 3 7. Es entspricht auch der Lage seines Gebietes, wenn er 374 am rechten Rheinufer

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in der Nähe von Mainz, prope Mogontiacum ... ad ipsum niarginem Rheni, eine Unterredung mit dem Kaiser hatte, 30, 3, 4.

12. Im Süden des Makriauischcn Gebietes zwischen dem Main von Gemünden ab und der Kinzich bis Hanau, wo beide Flüsse zusammen kommen und weiter über den linken Main von Miltenberg bis Offenbach und bis zur Wasserscheide des Neckar erstreckte sich der spätere Muingau, dessen König nicht genannt ist. Im Süden bei Miltenberg stiess er an den vom Hohenstaufen herablaufenden Limes, und wenn dieser im All- gemeinen als die Grenze zwischen den aussen sitzenden Burguu- dionen und den innen wohnenden Alamannen anzusehen ist, so mag man annehmen, das weiter im Norden der Spessart die Grenze zwischen beiden Völkern gebildet habe, und dass vom Westen aus der Maingau das Gebirge erst überschritten habe, als die Burgundionen im Anfang des 5. Jahrhunderts nach dem Rhein abzogen.

Das Neckargebiet zerfiel im 8. Jahrhundert in 4 Gaue, der untere Neckar mit dem schon erwähnten rheinischen Lobdengau, der mittlere mit dem Neckargau und der obere mit dem Nagold- gau und Westergau.

13. 14. Der jüngere Neckargau, der in fränkischer Zeit vom Main bei Miltenberg bis zum Neckar bei Eberbach reichte, und von da Neckaraufwärts bis Neckartenzlingen sich erstreckte, hatte etwa die doppelte Grösse eines Gaues und mochte daher in eine obere und eine untere Hälfte, einen untern und einen obern Neckargau geschieden sein.

Julian zog 359 vom Gau des Hortar aus quer durch das Alamannenland bis an dessen Grenze bei Palas oder Capellatii am Limes, und dieser wird damals auch die östliche Grenze der beiden Neckargaue gebildet haben. Ein König des unteren Neckargaus wird nicht erwähnt, während Uri oder Ursicin als der des obern anznsprechen ist.

In dem untern wurde 368 die Schlacht bei Soliconmum (Solicinium) auf dem Schweinsberg bei Heilbronn geschlagen.

15. Der jüngere Naguhlgau umfasste das Neckargebiet von Kirchentellinsfurt bis über die Beuge des Neckar unterhalb Sulz. Die Grenze war im Süden die Alb, im Norden die Stamm- grenze von 496. Nur die obere, unbedeutendere Hälfte der Nagold fällt in den Gau, dem sie den Namen gegeben hat, und

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es mögen vor der Scheidung von 496 noch Gebiete der untern Nagold, und damit der Enz, Würm und Glems in den Nagold- gau gefallen sein, die dann wohl dem Kraichgau zugerechnet wurden. Der König des Gaus war Ursicin oder Uri, 28, 2, 18.

16. Der Gau der Qnellgebiete des Neckar und der Donau, der die westliche Hälfte der Alb umfasste, war im 8. Jahr- hundert der Westergau und sein König zur Zeit des Julian als der dritte der von ihm heimgesuchten Könige Vestralpus, 28, 2 18. Diese Bezeichnung ist kein Eigenname, sondern heisst König der Westalb oder des Westergaus und die Bezeichnungen für diesen Theil der Alb, für den auf ihr gelegenen Gau, und für dessen König geben in ihrer Uebereinstirnmuug einen Beweis für die richtige Deutung der geographischen Lage der sonst so dunkeln im Neckargebiet gelegenen Gaue, ihrer Könige und des Weges, den Julian vom Limes aus verfolgte. Die Reihen- folge Vestralpus, Urins, Ursicinus, 16, 12, 1, und Urins, Ursi- cinus, Vestralpus 18, 2, 18, bezeugt die Nachbarschaft des Uri und Ursicin mit dem Vestralp (Westeralb).

17. Die östliche Hälfte der Alb von ihrer Höhe bis zum linken Ufer der Donau bildete den jüngeren Allgäu. Die linko Flnssseite ist mehrfach als die Heimath der juthungischcn Sueven bezeichnet (siehe S. 26). Der Gau erstreckte sich um das Jahr 300 Donauabwärts bis zum Donauübergang an der Günz (Günzberg), a ponte Rheni usqne ad Danubii transitum Guntiensem devastata atque exhausta penitus Alamannia. (Des Euinenius Rede auf Constantius I.) Da war zugleich das Ende Alamanniens, und bis gegenüber von Günzburg reichte noch zur Zeit der Karolinger der Albgau. Von einem König des Alb- gans wird nichts berichtet.

Die Marke zwischen den beiden Gauen der Alb, dem Alb- gau und Westergau, sowie dem Gau der Neckarebene, dem Nagoldgau bildete der hochragende Zollerberg.

4. l'eberblick.

Von diesen Gauen sind es die der sieben Könige von Strassburg, deren geographische Lage zu bestimmen es noch einen weiteren Anhalt giebt. Als von ihnen zuerst die Rede

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ist, werden sie in folgender Anordnung vorgeführt : „Die Könige der Alamannen Chnodomar und Westralp, auch Uri und Ursicin mit Serapio und Suomar und Hortar versammelten ihre ganze Heeresmacht bei Strassburg,“ Alamannorum reges Chnodomarius et Vestralpus, Urius quin etiam et Ursicinus cum Serapione, Suomario et Hortario in unum robore virium snarum omni colleeto consedere prope nrbem Argentoratum, 16, 12, 1.

Von ihnen waren Chnodomar und Serapio die mächtigsten, potestate excelsiores ante alios reges. Sie wurden zu Herzogen gewählt, ductabant populos omnes, Chnodomar befehligte in der Schlacht den linken, Serapio den rechten Flügel des alamannischen Fnssvolks, 23 25. Uri, Ursicin und Vestralp wrerden zu- sammen noch einmal auf dem Zuge des Julian nach Palas erwähnt, pro Urio et Ursicino et Vestralpo, 18, 2, 18.

Danach ergeben sich zwei Gruppen einander benachbarter (und deshalb wahrscheinlich zusammen kämpfender) Könige, die Gruppe des Herzog Chnodomar mit Vestralp, Uri und Ursicin (wahrscheinlich der linke Flügel) oder die Gaue Mortenau, Westergau, Nagoldgau, oberer Neckargau, und die Gruppe des Herzog Serapio mit Suomar und Hortar (wahrscheinlich der rechte Flügel) oder die Gaue Kraichgau, oberer Rheingau, Mattiakergau.

Nachdem im Vorstehenden die alamannischen Gaue des 4. Jahrhunderts umschrieben sind, ist es auch möglich, mit Wahrscheinlichkeit die Sitze der juthungischen Sueven nach jüngern Gauen zu bestimmen. Es werden die Gaue der linken Donauseite, der Alb und der obere und mittlere Neckar sein, der Alpgau, Westergau, Nagoldgau und die beiden Neckargaue. In ihnen allen ist der suevische, schwäbische Name bis auf den heutigen Tag geblieben.

Es erübrigt, die buryund'um isehen Sitze nach jüngern Gauen zu bezeichnen. Dahin werden an beiden Ufern des Main etwa zu rechnen sein, am rechten der Saalegau mit dem Weringau und dem Gotzfeld, am linken Ufer, ausserhalb der beiden Limes, das Folkfeld, der Gollachgau, Badenachgau, Taubergau, Jagst- gau und Mulachgau.

Als die Burgundionen im fünften Jahrhundert über den Rhein abzogen, wurden ihre Sitze frei.

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Nach der obigen Gaudarstellung sind es fünf geographische Momente, welche deutlich auf eine Identität von ebensoviel Gauen des 4. und des 8. Jahrhunderts hindeuten: die östliche Grenze des Gebiets der Lenzer und des Hegau, die in beiden Jahrhunderten mit der westlichen des römischen Rätien zusammen* fallen; die Brisigavi seniores und juniores und der Breisgau, der Bucinobaut und die Buchonia; die Königsbezeichnung Ves- tralpus und der Westergau, sowie die Ausdehnung des Alamannen- landes au der Donau und die des Albgaues bis zur Günz. Ausserdem decken sieh die ammianischen Gaue, soweit sie sich feststellen lassen, nach Zahl und Lage leicht und ungezwungen mit den merowingischen, und wenn ich sie in dem nächsten Kapitel als Rahmen für die geschichtlichen Ereignisse verwende, so wird sich auch dort ergeben, dass die Rechnung ohne Bruch aufgeht. Ein die Frage der Identität abschliessendes Urtheil wird sich erst iin neunten Kapitel fällen lassen

Nach dem Vorhergehenden sind die Grenzen des cdamannischen Stammlande» im 4. Jahrhundert so zu bestimmen: im Süden und Westen ist der Rhein Grenzfluss von seinem Ausfluss aus dem Bodensce bei Eschenz bis abwärts zum Westerwald; im Norden und Nordosten bilden Gebirge die Grenze, der Westerwald, das Vogelsgebirge, die hohe Rhön, der Spessart; im Osten schliesst sich der obergermauische Limes (etwa von Miltenberg bis in die Gegend des Hohenstaufen) und die ganze alamannischo schwäbische Alb an und im Südosten folgt die Donau von Giinz- berg bis etwa Tuttlingen aufwärts, von wo die obergermanisch- rätischc Grenzlinie bis zum Ausfluss des Rheins aus dem Boden- see führt.

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Fünftes Kapitel.

Kriege und Streifzüge, 330 377-

I. Das Gesammtbild.

Ammian erwähnt die alamannischon Geschehnisse nur, so- weit sie in den Rahmen der römischen Geschichte seiner Zeit lallen, in die Geschichte des Kaisers Constantius II., des Cäsar und Kaiser Julian und der Kaiser Valentinian I. und Gratian. Von ihnen ist der Cäsar Julian sein Held und die Geschicke, welche unter ihm die Alamannen treffen, sind am eingehendsten gezeichnet, einmal weil sie in der Tliat die bedeutendsten sind und dann weil er an diesen Erfolgen die Grösse Julians zu zeigen bestrebt ist. Hier erkennt die Darstellung die furchtbare Gewalt der Alamannen an, hier erhebt sie sich wie bei der Schlacht bei Strassburg zu farbenreichem Gemälde, hier zeigt sie aber auch die Demüthigung der besiegten Könige, die vor dem glänzenden Sieger in Person erscheinen. Wenn in diesen Schilderungen die Tendenz zur Vorsicht mahnt, so sind die späteren Ereignisse knapper und ruhiger gezeichnet. Kaum erscheint noch ein alamannischer Name, und die Könige, die den Römern furchtbar werden, sehen wir nicht in ihren Hand- lungen, sondern nur in schattenhaften Umrissen. Bei allen Ereignissen hört das Interesse und die Darstellung Ammiaus mit dem Augenblick auf, wo ein den Römern günstiger Erfolg eingetreten ist. „Denn es geziemt sich nicht, sagt er, die Geschichte in unbedeutenden Kleinigkeiten fortzuspiuuen,“ 27, 2, 11.

Nur wenige Striche sind es, die Ammian der allgemeinen Schilderung der Alamannen gönnt. „Unerschöpflich ist ihre

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Volkskraft, nach allen Schicksalsschlägen wachsen sie wieder zu jugendlicher Kraft empor,“ 28, 5, 9. „Sie meiden die römischen Städte wie die Grabstätten,“ lti, 2, 12. Dieses Freiheitsgefiihl bewahrt sie, ungleich den Franken und Burgun- dionen vor römischer Art. Niemals, zeigt Amuiian in zahl- reichen Wiederholungen, hat eine Niederlage sie entmuthigt; sie warten ihre Zeit ab.

Nichts weiss er von ihrem Volksleben, sic sind ihm nur Krieger. „Recken an Gestalt, sind sic grösser und kraftvoller als die Römer, wild und stürmisch, von äusserster Hartnäckig- keit,“ lt>, 12, 47 und 48: „sie verschwenden ihr Leben für den Sieg,“ 50. „Nach Barbarenart sind sie im Glück ttbermüthig, im Unglück demüthig,“ 61.

Im Lager sieht man sie trinken und das Haar roth färben, 27, 2, 2; der Herzog trägt den Scheitel mit feuerfarbenem Band umschlungen, 16, 12, 24. Vor dem Beginn des Kampfes werden die heiligen Zeichen befragt, 14, 10, 9. Unter die Reiter werden Fussgänger gemischt, 16, 12, 37, die schon Julius Cäsar sah, aber der Schlachtgesang, barritus, ertönt bei Amrnian nur aus keltischen Kehlen, 43. Für den Kampf werden günstige Stellungen auf den Höhen gewählt.

Kriegsheere des ganzen Stammes, aus allen oder doch der Mehrzahl der Gaue gebildet, brecheu viermal in Gallien ein, um zu erobern und Sitze zu gewinnen. Zahlreiche Städte werden bezwungen, geplündert, zerstört, das Land verheert, dann aber werden die Eingedrungenen zurückgeschlagen.

Raubheere eines oder einzelner Gaue ziehen zahlreich über die Grenzen, um römisches Besitztlmm zu zerstören, Menschen, Vieh und Habe fortzuschleppen. Wohl ging es dann über den gefrorenen Rhein. Bald kehren sie mit Beute beladen heim, bald wird sie ihnen wieder abgenommen.

Zum Schutz gegen die Alamannen bauten dann Julian und Valentinian ein System von Befestigungen am linken Rheinufer. Der Strom selbst bildet während dieser Periode die Grenze zwischen dem römischen und alamannischcn Besitz. Links liegen die gallischen Ausfallthore der Römer: Mainz (Mogontiacum) mit dem Brückenkopf Castel (eastcllum Mattiacorum), Strassburg (Argentoratum), Basel-Angst (Augusta Rauracorum), Windisch (Vindonissa). In Rätien sind es Constauz (Constantia) und Augs-

Gramer, Geschichte der Alatnunuen. G

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bürg (Augusta Vindelicum). Die beiden Kaiser verstärkten die Rlieinlinie auch auf dem rechten Ufer, indem Julian durch Wiederherstellung der alten Veste des Trajan den unteren Main und Valentinian durch den Bau der Veste Alta Ripa die Mündung des Neckar sperrte.

Trotzdem bleibt der Rhein der beste Schutz der Alamannen, versagt jedoch, wenn der Wasserstand niedrig ist, also die Rheiuinseln zugänglich macht, wenn sich sonst Furten finden oder wenn der Uebergang römischer Heere bei Mainz oder Alta Ripa bewerkstelligt werden kann. Sonst setzen sie auf Schiffbrücken über, heimlich, wohl unter Täuschung der Feinde. Wird diesen die Absicht verrathen, dann leisten sie den ersten Widerstand. Gelingt der Stromübergang, so giebt es in Thälern und am Gebirge heftige Kämpfe von verschiedenem Ausgang, oder der Uebermacht weichend, ziehen sich die Ala- mannen mit Weib und Kind, Vieh und Habe in das Innere zurück, die Ansiedelungen und die Ernte des Feldes preisgebend. So lernt der römische Soldat und wir mit ihm ein Weniges von alamannischer Art kennen.

Tagelang sieht man nichts wie verlassene Dörfer und Ge- höfte, vici, villae, 17, 10, 7; 17, 1, 7. Die Gebäude sind hölzerne Hütten von Zäunen umgeben, habitacula, saepimenta fragilium penatium, tecta, 18, 2, 15 und 19; 27, 10, 7. Wir hören wohl von ihren Saaten und Ernten, aber nicht wie sie erzielt wurden. Ausser den Waffen besitzen sie Lebensbedürf- nisse, Fruchtvorräthe und sonstige Habe, wie sie bei Barbaren zu sein pflegt, necessitudines et fruges opesque barbaricas, 18, 11, 10. Ein unwirtliches Land, ruft Symmachus aus, ohne ehrwürdige Städte, mit Häusern von Reisern, Dächern von Kraut, qualem te, inhospita regio invenimus! ignaram vetu- statis urbium ac virgeis domibns et tectis herbidis (zweite Rede auf Valentinian, c. 14). Nur in dem unteren Rheingau und der Kunigesundra sind die Gebäude auf römische Art in Stein sorgfältig ausgeführt, domicilia curatius ritu Romano constructa, 17, 1, 7, wahrscheinlich Ueberbleibsel römischer Cultur aus der Zeit der civitas Mattiacorum (S. 82). Hier sind die Gehöfte mit Vieh und Frucht gefüllt und man bekommt den Eindruck behaglichen Wohlstandes.

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Alles wird das Opfer des durchziehenden Heeres. Was sich an Menschen findet, wird zu Gefangenen gemacht, was sich widersetzt, niedcrgestossen, das Vieh fortgeführt; die Häuser gehen iu Flammen auf, in die Saaten wird die Brandfackel geworfen, soweit die Ernte nicht dem römischen Bedttrfniss dient. In diesem Sinn heisst es von Valentinian summarisch: er verwüstete einige Gaue, post vastatos aliquos Alamanniae pagos, 30, 3, 1, und immerhin giebt es iu fruchtbareren Gegenden reichliche Beute, opimitate praedorum onusti, lti, 11, 9.

Zieht sich die Bevölkerung zurück , so verkünden auf- steigende Rauchwolken den entfernten Genossen das Herannahen der Römer. Dann werden die Wege, welche durch Wälder und über Gebirgspässe führen, durch Verhaue geschlossen. Celsarum arborum obsisteute concaede, 17, 10, 6. Concaede arborum densa undique semitis clausis, 16, 12, 15. Oft sind sie nur auf langen Umwegen zu umgehen. Hinter ihnen und anschliessenden Gräben nimmt man Stellung. Vor einem so um- giirteten, „durch seine Dunkelheit erschreckenden Walde“ kehrte Julian vorsichtig um. Eiu ander Mal führte ihn ein junger Alamanne in die Irre vor einen Verhau, der fern ab von den Ansiedelungen lag. Es scheint nicht, dass es an einem Verhau jemals zum Kampf gekommen ist. Der Rückzug der Volks- massen in entferntere Gegenden und die Ungunst des Klimas bringen Mangel und grosse Entbehrung mit sich uud schliesslich führt die Noth oder eine Niederlage, bei der die heimischen Wälder sich für die Ueberreste öffnen, zur Ergebung, zu Friede und Biindniss.

Persönlich in die Erscheinung treten nur die alamannischen Gaukönige und sie sind, so weit ich sehe, die einzigen, nach deren Geschicken wir uns ein Bild von der Stellung eines Gau- königs jener Zeit, wenigstens hinsichtlich seiner Beziehungen zu den Römern machen können. Aber Ammian der Römer sieht auf die Barbaren, auf die kleinen Gaukönige mit Verachtung und doch mit scheuer Sorge herab. Wie das Volk selbst immanis natio, 25, 5, 9, sind sie ihm immanes, immanissimi, feroces, von ungeheurer Wildheit und schrecklich, rasend gegen das römische Reich, voll aufgeblasenen Hochmuths. Vicinorum Galliis regum immanitatem, maxime omnium Marciani formidati, 30, 3, 3. Tres immanissimi reges, 17, 1, 13. Ferox saeviensque

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in damna Romana, 17, 10, 3. Reges tumentes immaniter, 17, 10, 10. Aber sobald sie einzeln bezwungen, und dann der über- wältigenden Macht der Römer gegenüberstehen, demüthigen sie selbst sich vor dem Cäsar Julian. Selbst den Herzog Chnodomar schildert Ammian in änsserster Furcht, bleich, im Bewusstsein seiner Schuld verstummend, vor Julian sich zu Boden werfend, und ihn um Gnade anflehend, 16, 12, 61 und 65. Aber hier ist Ammiau zu controlliren. Nach Libanios, dem Freund des Juliau, tritt Chnodomar iu derselben Scene im vollen Selbst- bewusstsein des Helden auf, so dass er erst die Bewunderung, dann den Zorn Julians erregt; und man wird dieser Darstellung um so mehr Glauben schenken, da sie dem Charakterbild ent- spricht, welches Ammian im Uebrigen von Chnodomar entwirft. So mögen denn auch seine Erzählungen über die Selbstdemüthig- ung anderer Könige wohl übertrieben und als eine von Ammian dem Cäsar Julian dargebrachte Huldigung anzusehen sein.

Neben der Schablonenhalten Charakterisirung der Gaukönige hat er doch die hervorragenden von iliuen in das gebührende Licht gestellt. Chnodomar ist ihm gross als Krieger wie als Feldherr, strenuus et miles et utilis praeter ceteros ductor, 16, 12, 24; Vithikab unternehmend und tapfer, audax et fortis, 27, 10, 3; Marcian furchtbar, formidatus, terribilis 30, 3, 3; 30, 7, 11; und Vadomar das politische Werkzeug des Kaiser Constan- tius gegen seinen Cäsar.

Von den Gemeinfreien ist nur die Rede, sofern sie die Masse der Heere stellen, und so sei denn hier zusammengetragen, was sich an Statistik, unzuverlässig wie jede antike eben findet. Die Juthungen rühmten sich nach Dexippos 270 dem Kaiser Aurelian gegenüber eines Heeres von 40000 Reitern und 80000 Mann Fussvolk, aber der Kaiser glaubte ihnen nicht. Probus erschlug um 280 nach Vopiscus in Gallien 400000 Mann, Constantius I. um 300 nach Hieronymus und Cassiodorus bei Langres 60 000 Mann. Alle diese Ziffern erscheinen unglaub- würdig. Als alle. Gaue im Felde standen, hatten nach Ammian die Alamannen 357 bei Strassburg 35 000 Mann, 377 bei Argen- taria 40000, Zahlen, die vermöge ihrer ungefähren Ueberein- stimmung sich gegenseitig decken. Dort war der Verlust auf dem Schlachtfeld 6 8000, im Rhein 6000, hier 35 000 Mann. Im Jahr 367 hatte in Gallien von drei Heerhaufen einer 6000

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Todte und 4000 Verwundete. Die Römer zählten bei Strass- burg mindestens 13000 Mann und 247 Todte und 377 dem besiegten Heerhaufen gegenüber 1200 Todte und 200 Verwundete. Die Zahl endlich der Burgundionen, welche im Jahr 370 gegen die Alamannen aufbrachen, wird von Hieronymus auf 80000 Mann angegeben.

n. Der Kaiser Magnentius. 350—353.

1. Der Herzog ( linodomar.

Die Berufung der Alamannen nach Gallien.

Seit einem Jahrhundert und länger sassen die Alamannen an dem rechten Rhein, seit einem Jahrhundert kämpften sie gegen die Römer, angreifend in Gallien, Rätien, Italien, sich vertheidigcnd in ihrem eigenen Land, als sie nunmehr auch be- rufen wurden, in die innere Politik des römischen Reiches ein- zugreifen.

Von den Sühnen Constantin des Grossen war Constantius II. der Kaiser des Morgenlandes. Als sein Bruder Constans 350 ermordet war, beanspruchte Constantius die Alleinherrschaft über das gesammte römische Reich für sich, während der Ger- mane Magnentius, wahrscheinlich ein Franke, sich Galliens, Italiens, Afrikas bemächtigt hatte. Vergebens bot ihm Constantius die Herrschaft über Gallien an, und so entstand ein grosser Krieg über den Purpur des Reichs.

Magnentius hatte seinen Bruder Decentius zum Cäsar (Mit- regenten) für Gallien ernannt und befand sich mit einem Heer von zuverlässigen Volksgenossen, Frauken und Sachsen, und von widerwilligen Galliern in Italien, als Constantius sich gleich- falls nach germanischen Bundesgenossen umsah und sich zu diesem Zweck an die Könige der Alamannen wendete. Er bot ihnen für ihren Beistand Lohn und erüffnete ihnen die Grenzen des römischen Reiches mit der Bewilligung, von Gallien, das er zu beherrschen hoffte, so viel für sich zu erwerben, als sie könnten. Sie griffen begierig zu und bewahrten die Briefe mit

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der Zusage des Kaisers vorsorglich als die Urkunden für ihr Recht auf Gallien. Die Abreden wurden vorläufig geheim ge- halten. (Libanios, Sokrates. Die Darstellung des Ammian über diese Zeit ist verloren gegangen.)

Die Herrschaft der Alamannen in Gallien.

Unter der Führung des Königs der Mortenau, Chnodomar, der zum Herzog gewählt wurde, stürzten sich die Heergaue der Alamannen auf das preisgegebene Gallien. Mord, Raub und Brand bezeichneten ihr Vordringen: Männer, Frauen und Kinder wurden getödtet oder als Gefangene fortgeführt, Vieh und Habe erbeutet, die Ortschaften verwüstet, Städte, Burgen und Castelle zerstört und ihrer Mauern beraubt. Denn die Städte, sagt Ammian bei diesem Anlass, meiden sie wie um- gitterte Grabstätten. Von den dem alamannischen Oberrhein gegenüberliegenden, so vernichteten Städten werden genannt: Strassburg (Argentoratum), Brumath (Brocomagus), Selz (Saliso), Elsass-Zabern (Tres Tabernae), Speyer (Nemetae), Worms (Vangiones), Mainz (Mogontiacum), Bingen (Bingium), Coblenz (Confluentes) und Andernach (Antennacum).

„Die edelsten Geschlechter,“ so schildern die römischen Schriftsteller, „dienen den Barbaren: Senatoren mit dem Rest ihrer Habe auf den Schultern, folgen den Zügen der Gefangenen. Wo die Mauern Schutz gegen die Gefangenschaft gewähren, bleibt den Einwohnern das Feld vor den Thoren entzogen und sie werden von Mangel verzehrt. Bald wird die Zahl ihrer Bewohner so gering sein, dass der Raum zwischen den Mauern für Wohnstätten und Erntefeld ausreicht. Unsere Aecker be- stellen die Barbaren mit eigenen Händen, die eigenen (über dem Rhein) mit den Händen der gefangenen Römer.“ Denn im Rücken der raublustigen Gauheere dehnten sich in der fruchtbaren Ebene des linken Rheinufers die Dörfer und Felder germanischer Siedler aus. Insonderheit war dies die erste Periode der alamannischen Ansiedlung des Eisass, der Pfalz und Rheinhessens bis Mainz abwärts. Barbari, qui domicilia fiscere eis Rhennm, Amm. 16, 11,8. Civitates (wie oben Strass- burg bis Mainz) barbaros possidentes territoria earum habitare, 16, 2, 12.

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Nach drei Jahren wurde über die Weltherrschaft entschieden. Nachdem der Centurio Silvanus, ein Franke, Feldherr von hohen Fähigkeiten mit seinen Schwerbewaffneten von Magneutius zu Constantius übergegangen war, wurde Jener bei Mursa an der Drau in entscheidender Schlacht besiegt und versuchte dann, sich nach Gallien zurückzuziehen, aber die Alamannen verlegten ihm die Alpenpässe. Beide Brüder wurden geschlagen, Magnentius in den cottischen Alpen, und sein Cäsar Decentius, Letzterer von Chnodomar bei gleichen Streitkräften; beide brachten sich ums Leben, jener in Lyon, dieser in Sens.

Silvanus und Julian.

Nun war der Kaiser Alleinherrscher und nun galt es, den von den Barbarenheeren der Alamannen, Franken und Sachsen überzogenen Osten von Gallien dem Reiche wieder zugewinnen. Der Kaiser, um den sich Silvanus nicht geringe Verdienste erworben hatte, bestellte diesen zum Oberbefehlshaber des Fuss- volkes und betraute ihn mit der schwierigen Aufgabe. Silvanus durchzog Gallien, kam den Angriffen der Germanen zuvor, und drängte sie, die bereits ihr Selbstvertrauen verloren, zurück. Dann wurde er der Gegenstand einer Hofcabale, nahm als letztes Mittel zur eigenen Kettung in Cöln die kaiserliche Würde an und wurde hier im Auftrag des Kaisers durch den Reiter- general Ursicinus beseitigt. In dessen Gefolge befand sich Ammian, der so Gelegenheit fand, alamannische Angelegenheiten in der Nähe kennen zu lernen. 355.

Nach dem Tode des Silvanus drangen Nachrichten von neuen, über den Rhein setzenden Germanenschaaren und von neuen Verwüstungen nach Rom, die befürchten Hessen, dass Gallien verloren sei. Der Kaiser ernannte nun seinen Neffen Julian zum Cäsar (Mitregenten) und übertrug ihm den Schutz und die Verwaltung Galliens, und dieser schrieb über die Zu- stände, die er bei Antritt seines Amts vorfand, später an die Athener: „Die Barbaren (Alamannen, Franken, Sachsen) hielten das ganze linke Rheinufer von den Quellen des Stroms (? vom Ausfluss aus dem Bodensee?) bis zur Mündung in den Ocean besetzt. In einem Gürtel von 300 Stadien (8 deutschen Meilen) Breite vom Rhein ab hatten sie sich angesiedelt, aber dreimal so weit war Alles verwüstet, so dass die Gallier nicht wagen

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konnten, ihr Viel) auf die Weide zu treiben. Etwa 45 Städte (alte, blühende, reiche,) dazu Burgen und kleinere Castelle waren zerstört, ihre Mauern gebrochen. Andere Stadtgebiete waren von den Bewohnern verlassen, wenngleich von den Bar- baren noch nicht berührt. So habe ich Gallien (356) über- nommen.“ Von Vienne aus bestimmte Julian Rheims als den Sammelpunkt für die römischen Truppen und der Weg, den er selbst dahin einschlug, über Autun, Saulieu, Anxerre, Troyes, mag etwa die westliche Grenze des germanischen Machtgebietes bezeichnen, welches demnach die oberen Flussgebiete der Seine, Marne, Maas und Mosel umfasste.

III. Der Cäsar Julian. 356.

2. Die Kämpfe in Gallien.

Der Cäsar.

Julian war der Einzige, den der misstrauische Kaiser von der Ermordung der eigenen Familie übrig gelassen. Vierund- zwanzig Jahre alt, wurde er den Studien der Akademie in Athen entrissen und ein Träumer, Bewunderer des Hellenismus, neuplatonischer Philosoph. Gegner des Christenthums in das verwüstete, von Germanen überschwemmte Gallien versetzt, um dem darniederliegenden empor zu hellen. Voll Geist und Feuer zeigte er sich „Sommers im Feld“ bald als genialer Feldherr, milde und ernst, „Winters im Tribunal“ als gerechter Richter, als erfolgreicher Organisator. Immerdar bis auf seinen Tod ist er vom Glück begleitet gewesen.

Als der Cäsar im Dezember 355 von Rom nach Gallien aufgebrochen war, empfing ihn in Turin (Taurinum) die Nach- richt, dass Cölu, schon damals eine ansehnliche Stadt (Colonia Agrippina, ampli nominis urbs), nach hartnäckiger Vertheidigung von den Franken eingenommen und zerstört sei. In Vienne (Vienna) dagegen erwartete ihn eine freudige Aufnahme, war er doch gekommeu, Gallien aus seiner hoffnungslosen Lage zu erretten, das Ende des allgemeinen Elends herbeizuführen.

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Hier blieb er bis zum nächsten Sommer, beschäftigte sich schon mit dem Gedanken, die Bruchstücke Galliens wieder zu sammeln, und traf mit grosser Umsicht die Vorbereitungen für den Krieg.

Die Römer und Germanen.

Die Stellung der Germanen (Alamannen und Pranken) erhellt nur aus den Zusammenstössen ihrer Heerhaufen oder deren Spitzen mit den Römern.

Julian brach mit den im Süden gesammelten Truppen im Juni 356 nach Rheims auf und zog, um die Vereinigung rasch zu vollziehen, in Eilmärschen über Autnn (Augustodunum), Saulieu (Sedelaucum), den dichten Wald von Auxerre (Auto- sidorum) nach Troyes (Tricassae), nur an den beiden letzten Orten seinen erschöpften Soldaten eine kurze Rast gönnend.

Im Winter hatten die Germanen Autun, eine alte umfang- reiche Stadt mit verfallenen Befestigungswerken zu überrumpeln versucht, ihr Angriff war aber durch ausgediente Veteranen von den Mauern aus abgeschlagen, während der übrige Theil der Besatzung (nach Libanios) an einer anderen Stelle einen Ausfall machte oder (nach Ammian) ganz unthätig blieb. In Auxerre zeigten sich schon umherstreifende Abtheilungen der Feinde. Vor Troyes warfen sie sich dem Cäsar haufenweise entgegen, und während er mit den Ganzgepanzerten und dem Zeug (cataphractarii und ballistarii) seinen Truppen voraneilte, kam es zu einer Reihe von Gefechten. Sah er den Feind in der Ueberzahl, so marschirte er mit geschlossenen Planken weiter. Fand er eine Anhöhe, so besetzte er sie, um von da aus sich auf den Feind zu stürzen und ihn über den Haufen zu werfen. Andere ergaben sich und wurden gefangen ge- nommen, noch Andere entkamen, da eine Verfolgung durch Schwerbewaffnete nicht möglich war. So stieg die Zuversicht des Cäsar, dass er auch weitern Angriffen gewachsen sein werde. Unter solchen Gefahren gelangte er nach Troyes und zwar so unerwartet, dass man ihm trotz der Furcht vor den umher- streifenden Feindesmassen erst nach langem Bedenken die Stadt öffnete.

Bei Rheims erfolgte die Vereinigung der Truppen des Cäsar mit denen des Generals des Fussvolks und der Reiterei

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Marcellus, welche für den weitern Feldzug bestimmt waren. Ursicinus, General des Fussvolks, erhielt die Weisung, bis zu dessen Ende in der Gegend von Rheims stehen zu bleiben.

Die Römer und Alamannen.

Der Cäsar erfuhr hier, dass Alamannen bei Dieuze (Deceni- pagi, südöstlich von Metz) ständen und beschloss sie anzugreifen. Auf dem Marsch dahin fielen aber bei nebeligem Wetter ihre Haufen dem Cäsar in den Rücken, griffen zwei Legionen des Nachzuges an und hätten sie fast aufgerieben, wenn nicht auf deren Geschrei die Kameraden zur Hülfe geeilt wären. Dieser Unfall zeigte dem Cäsar, dass er keinen Weg zurücklegen, keinen Fluss überschreiten könne, ohne eines alamannischen Ueberfalls gewärtig zu sein. Statt dieser Nutzanwendung des Ammian erzählt Libanios, wie der Ueberfall zurückgewiesen und die Legionen die Köpfe der Erschlagenen als Siegeszeichen davon getragen hätten. Von einem Angriff bei Dieuze ist nicht mehr die Rede.

Das Treffen bei Brumath.

Dagegen lief nunmehr die Kunde ein, dass die Germanen (hier Alamannen) im Eisass lagerten. Julian bemächtigte sich zunächst Brumaths (Brocomagus) und fand sich sofort einem aTamannischen Heerhaufen gegenüber, der ihm eine Schlacht anbot.

Der Cäsar stellte seine Schlachtreihen in Gestalt eines Halbmondes auf, der die Feinde auf beiden Flanken umfasste. Der Zusammenstoss erfolgte und die Umschliessung wurde ihnen verderblich. Das Ergebniss ist nur skizzirt: Einige wurden gefangen, Andere in der Hitze des Kampfes niedergemacht, der Rest entkam in der Schnelligkeit der Flucht.

Das linke Rheinufer.

Nach diesem Erfolg entschloss sich der Cäsar rheinabwärts zu ziehen, um das vor zehn Monaten an die Franken verlorene Cöln wiederzugewinnen. Auf dem Wege fand er nirgendwo Widerstand. Aber das ganze Rheinufer war verheert. Nirgend sah er eine Stadt oder ein Castell, mit Ausnahme von Coblenz (Confluentes), Remagen (Rigomagus) und eines einzeln stehenden

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Thurmes bei Cöln. Er rückte in das Gebiet der Stadt ein, gewann die starkbefestigte wieder, urbs munitissima, und sicherte so durch den Eindruck, den seine Erfolge auf die fränkischen Könige machten, dem Reich auf einige Zeit den Frieden.

Froh der Erstlinge seiner Siege führte er das Heer durch das Gebiet der Trevirer (Trier) nach Sens (Senones), einer in der Mitte von Gallien au der Yonne für seine weitern Zwecke günstig gelegenen Stadt, und legte es in die Winterquartiere. In der That konnte der junge Cäsar mit Genugthuung auf den ersten Feldzug blicken. Mit Kühnheit und Glück hatte er die Alamannen, wo er sie traf, verdrängt, die Franken waren vor ihm gewichen und er hatte die römischen Waffen rheinabwärts bis Cöln gezeigt. Die Aufgabe, Gallien zu befreien, war jedoch noch nicht erfüllt. Frei war es nur, soweit der Arm der Soldaten reichte, und dies sollte der Cäsar an sich selbst erfahren.

Die Belagerung von Sens.

Er vertheilte die Truppen über die Landstädte, theils um sie an die verlassenen und dadurch gefährdeten Garnisonorte zurückzuführen, theils um in dem ausgesogenen Lande auf diese Weise die Vcrproviantirung zu erleichtern. Auch die Besatzung von Sens, welches Standquartier Julians blieb, wurde vermindert, die Langschildener und Haustruppen wurden verlegt, Marcellus blieb mit andern Truppen in der Nähe stehen.

Die Germanen (Franken?) erfuhren hiervon durch Ueber- läufer und erschienen plötzlich in grossen Haufen vor der Stadt in der Hoffnung, sie zu erobern und des Cäsar sich zu be- mächtigen. Dieser Hess die Thore schliessen, die Mauern aus- bessern, und war selbst mit den Bewaffneten Tag und Nacht auf Vorwerken und Bastionen anwesend, wüthend, dass ihre geringe Anzahl einen Ausfall unmöglich machte. Marcellus unterliess, wie man glaubte, aus Missgunst, seinem belagerten Feldherrn zu Hülfe zu kommen, weshalb er später seines Postens entsetzt wurde. Die Germanen zogen aber, in der Kunst der Belagerung nicht bewandert, nach dreissig Tagen ohne Erfolg wieder ab.

Nun trat für das Heer und seinen Feldherrn Ruhe ein, aber den Staatsmann sah man Geschäfte erledigen, den Offleier

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den Lagerdienst erlernen. Er lebte wie ein gemeiner Soldat, erhob sich um die Mitternacht von hartem Lager, betete zu Mercur als dem Weltgeist, der die Seelen in Bewegung setze, und kehrte wie der grosse Alexander zu seinen Studien zurück, zu Philosophie, Geschichte, Sprache, Dicht- und Redekunst.

IV. Der Kaiser Constantius. 354 358.

3. Die obern Alamannen -Gaue.

Der Kaiser.

Schon das erste Kriegsjahr zeigte, dass der jugendliche Julian es unternahm, das erschütterte Werk des Julius Cäsar wieder aufzurichten. Der Versuch wäre eines Kaisers würdig gewesen. Aber Constantius, sei es, dass er ihn für aussichtslos hielt, oder dass er sich die Kraft dafür nicht zutraute, sei es dass er sich scheute, das von ihm den Alamannen preisgegebene Gallien zu betreten, beschränkte sich darauf, einzelne ihrer Gaue in ihren Gebieten selbst anzugreifen. In jedem der Jahre 354 356 leitete er derartige Expeditionen, die gegen die obern Gaue gerichtet waren. Für die innere Lage von Gallien waren sie von geringer Bedeutung.

Unansehnlich von Figur, verstand Constantius es doch, die kaiserliche Würde zu wahren. Er war wenig regen Geistes, aber ehrgeizig, von unerbitterlicher Härte und Grausamkeit; miss- trauisch hatte er ein aufmerksames Ohr für Verläumdungen. furchtsam war er lür Leben und Thron besorgt. Fremden Verdiensten gegenüber war er ohne Anerkennung und voll Neid, eigne erwarb er sich nicht. „Nie hat er ein fremdes Volk, das sich zum Kriege erhoben, selbst oder durch seine Feldherrn überwunden, nie ist er in der Noth der Erste oder einer der Ersten gewesen.“ Das Glück lächelte ihm nur in inneren Kriegen.

Die kaiserliche Aufmerksamkeit wendete sich nacheinander dem Breisgau in der Beuge des Rheins, den aufwärts gelegenen

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ienzischen Gauen und den juthungisch-suevischen auf der Alb and am Neckar zu, welche durch häufige Raubzüge die ihnen benachbarten Landstriche Galliens oder Rätiens verwüsteten.

Der Breisgau. 354.

Der Kaiser zog zunächst gegen den zweigeteilten Breis- <rau zu Felde, an dessen Spitze die königlichen Brüder Gnndomad and Vadomar standen. Die meisten Wege waren noch mit Schnee bedeckt. Bei Kaiseraugst (Rauracum bei Basel) an* gelangt, versuchte der Kaiser, eine Schiftbrücke über den Rhein zu schlagen, stiess aber auf eine Uebermacht des Feindes, der seine Truppen mit einem Riegen von Pfeilen überschüttete. Es 'and sich ein des Landes Kundiger, der gegen Bezahlung Nachts dne seichte Stelle im Flussbette anzeigte, durch die man waten konnte. Das Heer setzte über und während die Aufmerksamkeit der Alamannen auf einen anderen Punkt gerichtet war, hätte sr.au ihr Gebiet unerwartet verwüsten können, wenn nicht, wie Viele glaubten, römische höhere Officiere alamannischcn Ursprungs ihre Landsleute durch geheime Boten unterrichtet hätten. Ge- nannt wurde der Befehlshaber der Haustruppen, der den römi- schen Namen Latinus angenommen hatte, der Obcrstallmeister Agilo und der Tribun der Schildträger Scndilo.

Nun trugen die Breisgauer, vielleicht weil ihre Wahrsager abmahnten oder die heiligen Zeichen den Kampf untersagten, den drohenden Umständen Rechnung, beugten ihren Sinn und schickten Adalinge ab, Verzeihung für das Geschehene und Frieden unter billigen Bedingungen zu erbitten. Bei der Be- raubung im römischen Kriegsrath war man geneigt, ihn zu bewilligen und der Kaiser berief eine Versammlung des Heeres, um ihm die Umstände bekannt zu machen und es als Schieds- richter entscheiden zu lassen. Von Officieren umgeben, legte t von der Bühne herab dar: Die Gaue und Könige der Ala- mannen seien in Schrecken gesetzt, durch ihre Gesandten bäten de mit gebeugtem Nacken um Verzeihung und Frieden, deu er für nützlich erachte. Denn der Ausgang des Krieges sei zweifelhaft, die Feinde würden, wie sie versprächen, nun Bundes- genossen sein, ihr Uebermuth, der den Provinzen so oll ver- derblich geworden, werde sich ohne Blutvergiessen legen, denn

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auch ein Gegner, der sich freiwillig unter das Joch schmiege, sei besiegt.

Ohne Vertrauen zu dein Glück des Kaisers, stimmten die Soldaten zu. Der Friede wurde gewährt und ein BUndniss geschlossen und feierlich nach germanischem Brauch bekräftigt. Mehrfach von den Breisgauein gebrochen, sollte er doch längere Zeit bestehen.

Die Gaue der Lenzer. 355.

Im nächsten Jahre brach der Kaiser mit dem Heere von Mailand (Mediolanum) auf, um die Lenzer im Klettgau und Hegau, deren Könige nicht genannt sind, zu überwältigen. Man schlug die römische Strasse an dem Lago Maggiore vorbei über die caniuischen Felder, cauipi Caniui, die Ebene des untern Tessin ein und gelangte von Bellinzona aus über deu Bernhardin, den Splügen und Chur nach Bregenz (Brigautia). Von da aus sollte zunächst der General der Reiterei Arbetio mit einem Theil des Heeres die Lenzer in ihrem Gebiet angreifen, während der Kaiser mit dem Gros am Bodensee entlang marschiren würde.

Der weitere Bericht w'ird durch eine Lücke in den Hand- schriften des Anmiian unterbrochen.

Dann sieht man den Arbetio in einen Gebirgskrieg ver- wickelt. Er gerieth in einen Hinterhalt, blieb unbeweglich stehen und wurde über diesen unverinutheten Unglücksfall be- stürzt. Die Lenzer kamen hervor und machten mit Wurf- geschossen aller Art nieder, was ihnen in den Weg kam. Von Widerstand war keine Rede, und ein schleuniger Rückzug die einzige Rettung. Die Soldaten gaben sich ohne Ordnung und Deckung den alamannischen Geschossen von hinten preis oder verloren sich in den engen Schluchten, von wo sie, durch die >i acht geschützt, am andern Morgen sich bei ihrer Truppe wieder einfanden. Zehn Tribunen und eine nicht unbedeutende Anzahl Soldaten wurden vermisst.

Durch diesen Erfolg ermuthigt, umzingelten die Lenzer das römische Lager, indem Arbitio entmuthigt und unentschlossen sass. Im Morgennebel umschwärmten Jene die Verschanzungen, hohnlachten und drohten mit gezückten Schwertern zu deu Römern hinüber. Die Schildträger rückten rasch hinaus, wurden

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aber zuriickgeworfen und riefen nun laut nach ihren Kameraden. Drei Tribunen mit ihren Cohorteu folgten dem Ruf. Erst wehrten Alle den Angriff ab, dann einem reissenden Strom gleich auf die Feinde stürzend, trieben sie nicht in einer Schlacht, sondern in Einzelgefechten Alle in die Flucht. Die Alamannen warfen die Schilde weg und wurden durch dichtfallende Schwert- und Speerstösse niedergemacht. Viele, zusammt den Pferden getödtet, waren noch im Tode auf ihren Rücken wie festgewachsen. Bei diesem Anblick strömten auch die Bedenklichen aus dem Lager und unbesorgt vernichteten sie nun die feindlichen Haufen; andere Lenzer schritten über Leichenhaufen und entkamen, von dem Blut der Sterbenden bespritzt, auf der Flucht.

Der Kaiser, welcher nicht vor den Feind gekommen war, bewilligte auch den Lenzem einen Bttudnissvertrag, der nach fast einem Vierteljahrhundert als bestehend erwähnt wird, und kehrte iu freudigem Triumphe an sein Hoflager zurück.

Die Gaue der jnthungischen Sueven. 356 358.

Weitere Feldzüge galten den juthungischen Sueven. Ihre Darstellung bei Ammian ist zersplittert und dunkel und der Zusammenhang der Dinge nur mühsam zu erkennen. Das erste Jahr ist nicht im Lauf der gleichzeitigen Ereignisse erzählt, sondern episodisch bei der Schlacht von Strassburg von 357 eingeschaltet, um den Gegensatz einer günstigen und einer un- günstigen inilitairischen Lage zu demonstriren. Darum sind auch die Gaue, um die es sich handelt, nur als über- (rechts-) rheinische Gegenden, transrhenana spatia bezeichnet, 16, 12, 15 und 16. Aus einer Nachricht von 357 kann man folgern, dass es die Sitze der „Sueven“, und aus einer zweiten wird es zweifellos, dass es solche der „Juthungen“ waren, 16, 10, 20; 17, 6, 1.

Die Gaue der juthungischen Sueven erstreckten sich im Norden der obern Donau über die Alb (Westergau und Albgau) und über den obern und mittleren Neckar (Nagoldgau und die beiden Neckargaue). Begrenzt wurden sie im Süden uud Osten von Rätien, so weit es noch im Besitz der Römer war, im Nord- osten von den ausserhalb der Limes angesiedelten Burgundionen nnd im Westen vom Schwarz wald (Oben Kapitel 2 Abschnitt 4 und 5, Kapitel 4 Abschnitt 4).

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Im eisten Jahre waren die Gegner der Sueven dreifach, der Kaiser Constantius, der aus Ration kam, von dem aus an beiden Seiten der Donau ihm römische Strassen zu Gebote standen, so dass er von Osten oder über den Fluss von Süden oder in beiden Richtungen einfallen konnte, die Burgundionen, die von Nordosten her den Limes zu überschreiten hatten, und der Cäsar Julian. Dieser stand in jenem Jahr nach dem Treffen bei Brumath am linken Rhein und zog mit seinem Heer strom- abwärts vom Eisass bis Cöln. Er setzte nicht über den Rhein, was zu melden Ammian nicht unterlassen haben würde, und was aus dem Schreiben Julians au die Athener im Jahr 360 hervorgeht. Denn er theilte ihnen mit, dass er als Cäsar dreimal den Rhein überschritten habe, und das war erst in den folgenden drei Jahren 357, 358 und 359. An dem überrheinischen Unter- nehmen nahm er also persönlich keinen Theil, und doch sagt Ammian davon: Der Cäsar stand in der Nähe und liess nirgendwo Einen entwischen, Caesare proximo misquam elabi permittente. Hier ist man auf Combination angewiesen.

In diesem Feldzug war der Kaiser der Agirende, Julian secundirte ihm nur, wie diese Worte ergeben: und so wird er zur Unterstützung des Kaisers von seinen Truppen über den Rhein gesandt haben. Dazu standen ihm theils Abtheil ungen seines Heeres zu Gebote, mit dem er das siegreiche Treffen von Brumath geschlagen, theils die Besatzungen der oberen Rhein- Städte, wie Kaiseraugst, Vindonissa und auch wohl anderer, die, als zu Obergermanien und damit zu Gallien gehörig, in dem Bereich seiner Macht standen. Auch der Durchmarsch durch den Breisgau stand ihm frei, da dieser seit zwei Jahren im Bündniss mit Rom war und römische Strassen sowohl von Frei- burg, wie von Vindonissa nach Hiifingen und Donaucschingen führten. Von hier aus werden Truppen des Cäsar den Fuss des Schwarzwaldes besetzt haben, um die Flucht der Sueven in das Gebirge zu verhindern. Dies zur Erläuterung.

Der Feldzug von 356 bestand in ausgebreiteten Streifereien durch die Gaue der Juthuugen, Romanis per transrhenania spatia i'usius volitantibus. Während der Kaiser von Rätien her drängte, die Trappen des Cäsar am Schwarzwald standen und Niemanden entwischen Hessen, fassten die Burgundionen die von zwei oder drei Seiten Eingeschlossenen im Rücken. Die

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Römer sachten Rache für die Raubzüge der Juthungen, die Burgnildionen machten zuui ersten Male mit jenen gemeinsame Sache gegen ihre Nachbarn und langjährigen Feinde. Schon 293 berichtet Mamertiu: „Die Burgundionen besetzten Acker- land der Alamannen, wurden aber auch mit Niederlage heim- gesucht; die Alamannen verloren Landstriche, gewannen sie aber wieder.“ Dies ist die erste Nachricht von der dauernden Feind- schaft zwischen Burgundionen und Alamannen, jenes die erste Bekräftigung der dauernden Freundschaft von Burgundionen und Römern.

Niemand von den Juthungen Hess sich sehen, sein Eigen zu schützen oder sich zur Wehre zu setzen. Sie hatten die Strassen durch dichte Verhaue gesperrt und zogen sich in das gebirgige Innere auf die Alb zurück, wo sic bei strenger Winter- kälte ihr Leben kümmerlich fristeten, sich endlich dem Kaiser ergaben und ihn inständigst um Frieden baten. Er gewährte ihnen Frieden und Biindniss. Nachdem dann die römischen Truppen abgezogen, wurde auch der Streit mit den Burgundionen beigelegt. Vielleicht wurden damals die Grenzsteine am Limes aufgestellt, die im Jahr 359 der Cäsar sah.

Schon 357 kamen wiederholendlich zuverlässige Botschaften an den Kaiser, wonach „Sueven“ in Rätien verheerend ein- gefallen seien, und im nächsten Jahre wurde ein gleiches von .Juthungen“ gemeldet, die sich, den Vertrag von 356 brechend, sogar gegen die Gewohnheit an die Besatzungen der Städte gewagt hatten. In beiden Jahren mag es nur der Albgau gewesen sein, da 357 die Könige vom Neckar und der west- lichen Alb, wahrscheinlich mit grossen Massen der Ihrigen, bei Strassburg standen und im nächsten Jahre den Cäsar bei sich erwarten konnten.

Der Kaiser schickte den General des Fussvolks Barbatio mit starker- Mannschaft, der die Soldaten anfeuernd, in einem Treffen, pugna* zahlreiche Juthungen erschlug, während nur ein geringer Tlreil sich durch die Flucht rettete.

Cr a r »

Geschichte der Alamanoea.

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V. Der Cäsar Julian. 357 359.

4. Die Kämpfe um das Eisass. 337.

Der Kriegsplan.

Trotz der Erfolge des Cäsar vom Jahr 35ii überschwemmten starke, schreckenerregende Massen der Alamannen im nächsten Jahre Gallien zwischen Rheims und dein Raurakerlaud (dem Obereisass). Der Kaiser Constantius gewährte daher die Mittel zu einer grossen Unternehmung.' Die Alamannen sollten wie mit der Zange, forcipis specie, von beiden Seiten gepackt werden. Zu dem Zweck wurde das Heer des Cäsar aus den Winter- quartieren in Rheims vereinigt. Andererseits stand, vom Kaiser ans Italien gesendet, Barbatio, General des Fussvolks, nach Ammian mit 25000, nach Libanios mit 30 000 Mann und mit Schiffen zum Brückenschlag über den Rhein im Gebiet der Rau- raker. Er war von rohen Sitten, hochfahrenden Entwürfen, jedoch ohne Thatkraft. Ein Intriguant, erfüllte ihn insbesondere der Neid auf das junge Glück des Cäsar.

Barbatio durchzog das Obereisass und schlug ein Lager am gallischen Schutzwall (Gallicum vallum) auf, nach Schricker (Aelteste Grenzen und Gaue im Eisass in den Strassburger Studien II, 310 319) einem System von Gräben und Erdauf- würfen zwischen den Abhängen der Vogesen (der Hochkönigs- burg) und den sumpfigen Niederungen der 111 und der Blindaeh, „da wo das Land in der Quer (der Rheinebene) am aller- schmälesten ist“. Sie liefen von Kestenholz auf Schlettstadt und Schnellenbühl, von Rodern den Eckenbach entlang, wo noch ein trockener Graben von zwei Meter Breite zu sehen ist, und von Bergheim auf Gemar, schlossen das lieber-, Giesen- und Weilerthal und sicherten damit die Vogesenpässe der Senke von Markirch und der Steige im Weilerthal. Diese Verschanzungen bildeten nach Schricker die Grenze zwischen Gallia (Maxima Sequanorum) und Germania superior, und führten daher den Namen Gallicum vallum (?). Seit der umfangreichen Ansiedelung der Alamannen im Eisass, dem 5. Jahrhundert, schieden sie den Sundgau von dem Nortgau, und später das Bisthum Basel von dem Bisthum Strassburg.

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Julian marschirte mit seinem Heer von Rheims ab und be- zog ein Lager, etwa an den Westabhängen der Vogesen. Die Alamannen standen, wie anzunchmcn, zwischen beiden Lagern und dann war die Zange schon geöffnet. Es erschien nur uoth- wendig, sie zu sehlicssen. Dazu wurden die sorgfältigsten Vor- bereitungen getroffen.

Die Läter.

Da schlichen sich ein Zengniss für die zerrütteten Zustände Galliens Läter, unterworfene und in Gallien unter Andern bei den Trevirern und Nemetcm (Trier und Speyer) angesiedelte Germanenhaufeu, in Raubzügen wohl erfahren, von Norden her zwischen beiden Heeren durch, drangen bis Lyon (Lugdunnm) vor und machten überraschend einen Angriff auf die unbeschützte Stadt. Man konnte jedoch noch rechtzeitig die Thore schliesseu, und sie mussten sich auf den Raub beschränken, der ausserhalb der Stadt in ihre Hände fiel. Auf ihrem Rück- zuge liess sie der Cäsar auf drei Wegen durch Reiterei über- fallen, niedermachen und ihnen die Beute abnehmen. Andern gelang es jedoch unter Benutzung der Pässe des Leber- oder Weilerthals, vermöge einer nicht zur Ausführung gelangten Anordnung des Barbatio, durch dessen Linien zu entschlüpfen.

Hinter dieser Episode, die sich wie ein Vorspiel aulässt, hinter dem Lob der Umsicht des Cäsar und dem Tadel des Ungeschicks seines Nebenbuhlers verschwindet in der Erzählung Ammiaus, wie hinter einer Wolke, der auf die Vernichtung der Alamannen angelegte Plan der beiden Heerführer.

Der ihnen zugedachten Einschliessung entzogen sich jene rechtzeitig, indem sie, „erschreckt durch die Ankunft der römischen Heere,“ in den Nordvogesen Schutz suchten.

Der Cäsar im Untereisass.

Als der Cäsar ihnen folgte, fand er die Pässe geschickt durch Verhaue gesperrt, zu denen mächtige Stämme gelallt waren; die Hütten der Ansiedler standen leer, Weiber, Kinder, Vieh, Lebensbedürfnisse, Fruchtvorräthe und sonstige „Barbaren- habe“ waren auf zahlreiche Rheininseln geschafft, die der Strom in seinem uugebändigten Laufe am Untereisass gebildet hatte. Auch die Kähne waren hier in Sicherheit gebracht.

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1(X)

Als die Römer sich dem Ufer näherten, drang Klagegeheul von den Inseln herüber, Schmähreden gegen die Römer und den Cäsar. Um übersetzen zu können, erbat sich dieser von Barbatio sieben von den Schiffen, die letzterer für einen Rheinübergaug zusammengebracht hatte. Der aber liess, so erzählt Ammian, um sich jeder Möglichkeit einer Hülfeleistnng zu entziehen, alle in Brand stecken.

Es war schon die trockene Zeit des Sommers eingetreten, der Wasserstand des Flusses sehr niedrig und der Uebcrgang zu einer der Inseln, wie sich aus der Aussage eines gefangenen Kundschafters ergab, zu Fnsse zu bewerkstelligen. Der Cäsar beorderte dazu leichtbewaffnete Cornuten unter ihrem Tribun Bainobaudes, „um, wenn das Glück ihnen günstig, eine denk- würdige Tliat zu vollbringen“. Sie wateten durch die seichten Stellen, benutzten dabei auch ihre Schilde zum Schwimmen, gelangten so überraschend an die Insel und schlugen Alles, ohne Unterschied des Geschlechts und Alters, nieder wie das Vieh. Sie bemächtigten sich sodann der Vorgefundenen Kähne, gewannen das Fahrwasser und wiederholten die Metzelei auf andern Inseln. Endlich kehrten sie, satt des Mordens, Alle nngcschädigt, reich mit Beute beladen zurück, verloren jedoch unterwegs durch die Gewalt des Wassers einen Thcil davon. Die übrigen Inseln wurden von den Alamanuen geräumt und Weib und Kind und Habe ins Innere oder über den Rhein ge- flüchtet.

Die Wiederherstellung von Zabern.

Nach diesem von Ammian aufgebauschten Erfolg schritt Julian zur Wiederherstellung der Vertheidigungs werke von Elsass- Zabern (Tres Tabernae), einer der von den Alamannen vor einigen Jahren zerstörten festen Städte, in der Ueberzeugnng, dass die Veste sie von den gewohnten Einfällen nach Gallien abhalten würde. Durch den Eifer der Soldaten ging das Werk, seiner Vollendung schneller entgegen, als er erwartete. Zur Proviantirung von Zabern hatte der Kaiser Getreide geschickt, aber Barbatio nahm, als die Transporte seine Linien passirten, eigenmächtig einen Theil davon für sich, und liess den Rest auf einen Haufen zusammenfuhren und verbrennen. Empört über das Betragen des Barbatio, liess der Cäsar nunmehr überall

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im Lande unter dem Schutz verschanzter Wachtposten durch seine Soldaten Proviant zusammenbringen, mit bewaffneter Hand und grosser Vorsicht und nicht ohne Gefahr, da lleberraschungen der Alamannen zu erwarten waren. Aber die Krieger unter- zogen sich mit Freuden diesen Mühen, „genossen sie doch lieber, was sie mit eigener Hand sich verschafft hatten“.

Es war die Ernte von den Aockern der Alamannen, die nach dem Wort des Kaisers deren Eigenthum sein sollten. Ein ganzer Jahresbedarf ward für Zabern zusammengebracht, der die Besatzung auch gegen eine lange Belagerung im Winter, bei welcher auf einen Entsatz durch die Legionen aus dem Innern von Gallien nicht zu rechnen war, sicher stellte. Ausser- dem ein Getreidevorrath für zwanzig Tage, der zu einer Art Zwieback, buccelatum, verbacken, für Expeditionen bestimmt war, und von den Soldaten gern getragen wurde.

Barbatio im Obereisass.

Von der Vernichtung der Schiffe des Barbatio erzählt auch Libanios, aber in einer glaubhafteren Version. Denn schwerlich wird sich Jener freiwillig der Mittel beraubt haben, über den Rhein zu gehen. Nach Libanios baute er zu diesem Zweck eine Schiffbrücke. Die Alamannen warfen aber schwere Balken ins Wasser, welche durch ihren Anprall die Brücke zerstörten und die Schiffe zerstreuten, zertrümmerten oder zum Sinken brachten. Möglich, dass dann Barbatio einige gerettete Schiffe zerstörte, die ihm nicht mehr, wohl aber dem Cäsar nützen konnten.

Im Uebrigen stand Barbatio mit seiner Armee von -25 bis 30 000 Mann noch untliätig am oder in der Nähe des gallischen Schutzwalls, als er urplötzlich mit eiuer Schnelligkeit, die selbst dem Gerüchte voraneilte, von einem alamannischen Heer an- gegriffen wurde und trotz der Ueberzahl und der Kriegsgewandt- heit seiner Truppen sich schimpflich zur Flucht wandte. An den Abzeichen auf den Schilden der Flüchtigen erkannten die Alamannen zu ihrem Triumph die Soldaten, welche die. Raub- züge nach Gallien meist zum Stehen gebracht, vor denen sie sich gefürchtet, und wenn sie handgemein geworden, sich mit Verlusten hatten zurüekziehen müssen. Die Flucht ging gen Süden weit über die Grenzen der Rauraker hinaus und die

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Alamannen kehrten, begleitet von dem grössten Tlieil des Ge- päcks und der Zugtliiere, stolz auf diesen glänzenden Sieg zurück. Barbatio aber verlegte wie nach einem glücklich vollendeten Feldzuge seine Truppen in die Winterquartiere, und kehrte selbst an das Hoflager des Kaisers zurück, um hier, wie er gewohnt war, Ränke gegen den Cäsar zu schmieden.

Dieser war in Gallien nunmehr auf seine eigenen Streit- kräfte angewiesen.

5. Die Schlacht bei Strassburg. .'{'>7.

Zur Literatur.

Der Cäsar Julian selbst schrieb über den Feldzug dieses Jahres eine Darstellung, die verloren gegangen ist, und äusserte sich über ihn in einem Briefe, den er nach einigen Jahren an die Athener richtete. Jene Darstellung liegt der sehr aus- führlichen Erzählung des Arnmian, 16, 12: 17, 1 und der kürzern Schilderung des Rhetor Libanios und einiger anderer zu Grunde. Arnmian und Libanios haben als Männer das Ereigniss erlebt und haben daher als Zeitgenossen nähere Kunde von ihm er- halten: ausserdem stand der Letztere, wie die Correspondenz des Julian ergiebt, diesem nahe und wird ans dessen Munde Einzelheiten des Feldzuges erfahren haben. Seine Schilderung findet sich in der Leichenrede, die er auf den Cäsar nach dessen Tode im Jahr 363 hielt. Arnmian schrieb seine Geschichte um 390. So erklärt sich das Uebereinstimmende, wie das Abweichende in den Erzählungen Beider. Sie sind auch nicht ohne Tendenz zu Ehren des Cäsar Julian, denn dieser ist, wie schon erwähnt, der Held des Arnmian und der Todte, dessen Ruhm Libanios zu verkünden hatte.

Seitdem in neuerer Zeit Gustav Freytag in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit und den Ahnen die Aufmerk- samkeit darauf gerichtet, ist der Feldzug des Jahres 357 und insbesondere die Schlacht bei Strassburg mehrfach behandelt, von Dahn, Wiegand, Hecker, Nissen und von Bornes. Die Dar- stellungen lassen jedoch eine leidlich ausgiebige Nachlese zu.

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Die Oertlichkeit der Schlacht bildet einen Gegenstand des Streits. Dahn hat sich darüber nicht ausgesprochen, Wiegand und Hecker verlegen das Schlachtfeld in die Nähe der Stadt Strass- burg, Nissen und von Borries weiter nördlich, zwischen Brumath und Bischweiler. Ich halte die Lage durch Wiegand für fest- gestellt und folge ihm in seiner Auflassung und den wesentlichen Punkten seiner Erzählung.

Das alamannische Heer.

Die Erbitterung über die Metzelei auf den Rheininseln und die Vergewaltigung der alamannischen Ansiedler im Eisass einer- seits, der Jubel über die Vertreibung der Armee des Barbatio andererseits warben gewaltig für ein grosses Unternehmen der Alamannen im Eisass. Chnodomar war die Seele auch dieses Krieges. Auf seinen Ruf schlossen alle alamannischen Gaue ein Bündniss zu Schutz und Trutz und strömten von allen Seiten die Gauheerbanne unter Führung von Königen oder Königsboten, die Adalinge mit ihren Mannen, sowie geworbene Söldner fremder Stämme, im Ganzen nach Libanios 30000, nach Ammian 35 000 Mann zum Rhein (S. 52). Reges (numero septem) regalesque decem et optimatum series magna armatorumque milia triginta et quinque ex variis uationibus (Gauen und Stämmen), partim mercede partim pacto vicissitudinis reddendae quaesita, Amm. 16, 12, 26.

In besonderer Art ergriff der nationale Aufschwung den obern und untern Breisgau, die beide seit 354 im Bündniss mit Rom standen. Der mächtigere ihrer beiden Könige Gundomad wurde als romfreundlich ermordet und die Gaugenossen machten mit dem Stamm gemeinsame Sache; auch das Gauvolk des vor- sichtigen König Vadomar verband sich, wie er vorgab, ohne sein Zuthun, urplötzlich mit den Schaaren der Krieg beginnenden Alamannen.

Der Gaukönige waren sieben. Die weitaus mächtigsten waren Chnodomar, der König der Mortenau, und sein Neffe Serapio, der König des Kraichgaus; Chnodomar seit 350 der Urheber aller Unternehmungen gegen Gallien, der Vernichter seiner Städte, der Sieger über den Cäsar Dicentius, Serapio ein Jüngling mit sprossendem Bart, ohne Vergangenheit, aber an Thatkraft seinen Jahren voraus. Sein Vater war Chnodomars

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Bruder, Hederich, ein erbitterter Rümcrfeiod, der lange als römische Geisel in Gallien zurückbehalten war und dort, in griechische Geheimlehren eingeweiht, seinem Sohn, der ala- mannisch Agenarich hiess, den Namen Serapio gab. Die fünf anderen Könige waren die rheinischen Hortar und Suomar von der Lahn und dem Main (dem Mattiakergan und dem Rheingau), Westralp von dem Quellgebiet der Donau und des Neckar (dem Westergau) und Uri und Ursicin vom obern Neckar (dem Nagolri- nnd obern Neckargau).

Ausser diesen sieben Königen, welche eben so viele Gaue vertraten, waren zehn Königsboten als Anführer im Heer, welche an Stelle der Könige ebenso vieler, meist entfernterer Gaue im Felde standen, für die Könige von der Lahn (Lahngau), dem Main nebst Nebenflüssen (Wetterau, Grabfeld und Maingau), dem mittleren Neckar (unterer Neckargau), der Donau (Alb- gau) und des Oberrheins (beide Breisgaue, Klettgau und Hegau). Möglich übrigens, dass die Führung der Gauheerbanne der beiden erwählten Herzöge zwei Königsboten anvertraut war, und dass dagegen die beiden Breisgaue nicht unter Königsboten, sondern etwa unter Adalingen sich dem grossen Heer anschlossen, so dass noch immer zehn Königsboten blieben.

Sieben Könige und zehn Königsboten entsprechen der Ge- sammtzahl der siebenzehn Alamannengaue. Sie führten Krieger des ganzen Alamannenstammes und noch weitere waren auf- gebrochen und wurden erwartet, denn „kein Waffenfähiger blieb zu Hause“.

Den nördlichen Gauen war als Stelldichein der Kraichgau angewiesen, und hier wählten sie noch vor dem U eberschreiten des Rheins die Herzöge. Es konnte nicht zweifelhaft sein, dass Chnodomar der eine war; als zweiter wurde ihm Serapio zu- gesellt.

Der Uebergang über den Strom geschah zu Schiff und die Schiffe blieben in Bereitschaft, sei es für den Verkehr mit dem Heimathlande, für die Beförderung des Nachschubes, sei es fin- den Nothfall. navigiis paratis ad casus ancipitos. Zur Sicherung der Schiffe wurde drüben im Land der Triboker bei den früheren römischen Castellen Tribunci und Concordia ein Lager aufgeschlagen und ohne Zweifel mit einer Besatzung belegt. Castra, quae prope Tribuncos et Coneordiam munimenta Romana fixit (Chnodomarius

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rex) in Tribocis. Eine römische Strasse führte von Strassburg über Brumath und Selz nach Speyer, auf welcher nach dem Itinerar des Antoninns die Entfernung von Brocomagus (Brumath) nach Concordia 18, von da nach Noviomagus (Speyer) 20 Leugen betrug, während sie sich nacli der Peutinger 'sehen Tafel von Brocomagus nach Saletio (Selz) auf 18, von da nach Noviomagus auf 23 Leugen belief. Concordia und Selz treffen also zusammen. Tribunci mag sprachlich die nördliche Grenze der Triboci an- denten nnd die würde, unter der Annahme, dass sie sich in der Grenze des späteren alamannischcn Nortgaus erhalten habe, an den Selzbach zu verlegen sein. Der Platz der römischen Castelle wie des Alamannenlagers ist somit in der Nähe von Selz zu suchen, ungefähr 40 km von Strassburg oder dem späteren Schlachtfeld. (Siehe von Borries). Drei Tage und drei Nächte brauchte das Heer zum Uebersetzen. zog dann die Rheinebene hinauf und vereinigte mit sich die Heerhaufen der weiter oben über den Fluss gehenden südlichen Gaue. Dann nahmen die Könige in voller Stärke bei der Stadt Strassburg Stellung. Reges in unum robore virium suarum omni collecto consedere prope urbem Argentoratum, 16, 12, 1.

Die alamannischc Gesandtschaft.

Durch einen Ueberläufer aus der Armee des Barbatio erfuhr man, dass bei Julian in Zabern nur 13 000 Bewaffnete zurück- geblieben seien, eine Nachricht, die augenblicklich der Wahrheit entsprach. Wie einst Ariovist an Julius Cäsar, so schickten die Könige nun Gesandte an Julian, der noch mit der Vollendung seiner Befestigungsarbeiten von Zabern und mit der Einheimsung der Ernte der im Eisass angesiedelten Alamannen beschäftigt war. Die Gesandten erhoben Beschwerde über die Fortführung der Ernte. Der Kaiser selbst habe ihnen befohlen, gallischen Boden zu besetzen und habe ihnen das besetzte Land angewiesen. Des zum Beweise legten sie die Briefe des Kaisers vor und beschuldigten den Cäsar, dass er des Kaisers Gebote nicht achte. Was geschrieben sei, müsse befolgt werden. Somit verlangten sie die Räumung der Gebiete, die sie im Kriege gegen Magnentius durch ihre Tapferkeit und ihr Schwert er- worben. Wenn nicht, so würden sie den Krieg beginnen. Julian beschränkte sich darauf, „über die Anmassung der Barbaren

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zu lächeln,“ hielt es aber gerathen, unter Bruch des Völker- rechts, gleichfalls wie Julius Cäsar, die Gesandten als Spione gefangen zurückzubehaltcn. Später, als er, zum Kaiser aus- gerufen, zum Krieg gegen Constantius gedrängt wurde, hat er dessen Brief an die Alamannen öffentlich verlesen. (Libanios, Sokrates, Ammian.) So hatte denn das Schwert noch einmal über Besitz und Herrschaft zu entscheiden.

Ort und Zeit der Schlacht.

Die Schlacht zwischen den Alamannen und Römern wurde bei Strassburg, Argentoratum, geschlagen und danach wurde sie be- nannt. In dem Brief an die Athener erwähnt Julian, dass er Cöln und die befestigte Stadt Strassburg, tsT/o; 'Ap-jivropa, ein- genommen und eine Schlacht geschlagen habe, in der Chnodomar gefangen sei. Ammian nennt sie Argentoratensem pngnam und spricht von Argentoratus, barbaricis cladibus nota: ab Argentorato cum pugnaretur : post Argentoratum, 17,1,1; 15, 1 1, 8 ; 16, 12, 70 ; 17, 8, 1. Er bringt auch besonders die Nähe bei Strassburg zum Ausdruck. Reges consedere prope urbem : victis apud Argentoratum und nochmals prope Argentoratum Ul, 12, 11; 17, 1, 13; 20, 5, 5, und ebenso Hieronymus und Cassiodorus in ihren Chroniken apud Argentoratum oppidum. Strassburg, in dessen Nähe die Alamannen lagerten, ist der eine feste Punkt zur Festlegung der Oertlichkeit, der andere ist Eisass -Zabern, Tres Tabernae, wo Julian mit seiner Armee stand. Amm. 16, 11, 11; 16, 12, 3 und insbesondere 17, 1, 1, ad Tres Tabernas revertit. Beide Städte waren durch eine römische Strasse ver- bunden, die nach dem Itinerar des Antoninus II Beugen zählte. Dieselbe Ziffer von 14 Beugen oder 21 römischen Meilen kehrt bei Ammian wieder, aber nicht als die Entfernung von Zabern bis Strassburg, sondern als die von Zabern bis zu der Stellung der Alamannen, welche die Römer, von Zabern kommend, be- reits vor sich sahen. Diese Entfernung wurde wenigstens von ihrer Vorhut gemeldet. A loco, linde Romana promota sunt signa, ad usque vallum barbaricum, quarta leuga signabatur et decima, id est unum et viginti milia passuum, 16, 12, 8. Dieses „Bager der Barbaren“, vallum barbaricum uud die „Stellung in der Nähe von Strassburg“, consedere prope Argentoratum, ist ein und derselbe Platz.

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Die auffälligen Angaben einer gleichen Entfernung zweier Punkte von Zabern aus (Strassburg und die Nähe von Strass- burg) lenkte die Aufmerksamkeit auf die Strasse selbst und unter der selbstverständlichen Annahme, dass Julian die Strasse benutzt habe, um an den Feind, vallum barbaricum zu kommen, der prope Argentoratum stand, ermittelte Wiegand das Lager, mit anderen Worten die Oertlichkeit des Schlachtfeldes. Es liegt auf beiden Seiten der Strasse auf den Höhen von Hürtiglieim und Ittenheim, im Westen von Oberhausbergen. (Das zerstörte Strassburg selbst spielt in der Schlacht keine Rolle. Julian knüpft in seinem Brief an die Erwähnung der beiden rheinischen Städte nur die Bemerkung, dass er bei Strassburg gekämpft habe.)

Uebrigens ist keine der beiden Entfernungsangaben genau. Die Lenge hat 2,22 km, so dass 14 Lengen 31,08 km ausmachen, Die Länge der Strasse beträgt aber in Wirklichkeit von Zabern bis Strassburg 36,5 km oder 16'/, Leugen: von Zabern bis zur Musau, der entscheidenden Witte des Schlachtfeldes ungefähr 29 km = 13 Leugen, so dass für den Abstand von Strassburg, prope Argentoratum, noch 7,5 km oder 31/* Leugen übrig bleiben. Die Aufstellung der Alamannen erstreckte sich etwa von Itten- heim ab ungefähr 5 km das Musauthal entlang in der Richtung auf Oberhausbergen, das sind 25—30 km von Zabern entfernt.

Es sei auch hier noch die Lage des Schlachtfeldes zum Rhein erörtert, dessen jetziger Lauf nicht massgebend ist. In früherer Zeit hat hier sein Ufer 4 5 km mehr nach Westen gelegen, wie die noch vorhandenen Ränder der Diluvialterasse, die Wimpern des Rheins, supercilia Rheni, erweisen. Ammian spricht sich nur unsicher aus. Als der Cäsar sich dem Schlacht- feld näherte, traf er auf einen Hügel mit reifem Getreide nicht weit von den Ufern des Rheins, collem a superciliis Rheni haud longo intervallo distantem, 16, 12, 19. Nach der Ent- scheidung ging die Flucht der Geschlagenen zu dem Flusse, der hart hinter ihrem Rücken vorbeifloss, ad subsidia fluminis eorum terga verterunt jam perstringentis, 16, 12, 54. Das passt wenig zu einer Entfernung von 7—8 km, aber die Nachricht Ammians erscheint auch wenig zuverlässig, da die Alamannen, welche den Kampfplatz wählten, sich nicht den Fluss im Rücken aufgcstellt haben werden.

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Au der Römerstrasse selbst vollzogen sich die Ereignisse des Tages. Sie führt von Zabern im Nordwest nach Strassburg im Südost. „Von den Vogesen aus durchzieht sie zuerst Berg und Thal in raschem Wechsel, überschreitet sodann die Vor- berge der Vogesen, ein hochgelegenes Plateau bei Willgottheim und Winzenheim, senkt sich weiter durch eine enge Thalniulde bei Küttolsheim und betritt sodann ein vorgelagertes niedriges Hügelland, dessen äussersteu Rand gegen die Rheinebene hin der Hausberger Hölienzug bildet.“ (Wiegand.) Dieses Hügel- land bildet das Schlachtfeld. In der Nähe von Küttolsheim zerfällt es in zwei breite Höhen, die durch das flache Wiesen- th'al des von Westen nach Osten fliessenden Musaubachs geschieden werden, auf seiner linken, nördlichen Seite die Hürtigheimer Höhe, rechts im Süden die Ittenheimer Höhe, die sich mehr erhebt und an der anderen Seite zur Rheinebene allmälig abfällt. Jede der beiden Höhen ist von der anderen zu übersehen.

Die Musau, jetzt ein unbedeutendes Wässerlein, lässt sich mit dem angrenzenden Gelände beider Höhen in drei Abschnitte zerlegen. In dem oberen bezeichnet sie kaum einen Einschnitt zwischen den Höhen, die daher eine zur Musau leicht geneigte Ebene bilden. In den mittleren und unteren Abschnitt schneidet sie tiefer in das Gelände ein, die Hürtigheimer Höhe fällt zum Bach gleichmässig sauft ab, während die Ittenheimer Höhe mit Thalrändern von etwa 10 Metern im mittleren, etwa 3 Meter im unteren Abschnitt aufsteigt.

Von Küttolsheim kommend, läuft die Römerstrasse in gerader Linie nach Strassburg weiter. Sie durchschneidet im mittleren Abschnitt schräg die Hürtigheimer Höhe, das Musauthal und die Ittenheimer Höhe, letztere, indem sie die Schiessstätte der Strass- burger Garnison links liegen lässt, und steigt bei den Gehöften Musau vorbei in die Rheinebene hinab.

Auf der Höhe von Itteuheim erwarteten die Alamannen den Feind. Die Römerstrasse verfolgend, musste er sie über- schreiten, ehe er in die Rheinebene gelangte. Die Höhe selbst mit den Thalrändern der Musau im Vordergrund bot eine günstige Stellung, die weite Fläche des oberen Abschnitts liess eine Ent- wicklung der Reiterei zu. In der Rheinebene selbst wären die Chancen für beide Tlieile gleich gewesen.

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Wandert man über die beiden Höhen, so wird das land- schaftliche Bild im Westen von den Vogesen, im Osten von dem Schwarzwald geschlossen. Ihre Linien zeichnen sich vom Horizont ab, ihre Abhänge blauen in die Ferne. Die Münstcr- thiirmc von Strassburg zeigen die Fortsetzung der Römerstrassc an. Iu der Nähe, soweit im Sommer das Auge über die weiten Gelände der Höhen und des Flachlandes schweift, lachende Fluren, wogende Kornfelder, Gerste, Roggen, Weizen, grünendes Brachland, dazwischen die Wiesen des Musauthales mit einzelnen Bäumen besetzt, im Osten Rebberg an Rebberg, ein Bild elsässischen Bodenreichthums.

Heute liegt das Schlachtfeld unter den weittragenden Ge- schützen des Forts Bismarck.

Noch bleibt die Jahreszeit festzustellen. Schon während der Unternehmung gegen die Rheininselu war man im Hoch- sommer, konnte man doch bei der trockenen Zeit sie zu Fuss erreichen, doctus, aestato jam torrida tluvium vado possc transire. Die Ernte, die im Eisass Mitte Juli beginnt, war im Wesent- lichen beendet, als Julian fouragiren Hess, und später kamen die Gesandten, über den Raub der Ernte Beschwerde zu führen. An dem Schlachttage selbst stand noch auf einem Hügel reifes Getreide, collem opertum segetibus jam maturis, glühte rings der Boden vor Hitze, fehlte es an Wasser, terrae protimts aestu dagrantes nullis aquarum subsidiis fultae. Mau war also in den Hundstagen des August, der Vollmond jenes Monats fiel auf den 16. August, der Mond war bereits im Abnehmen begriffen, und es stand eiue dunkle Nacht bevor, nox senescente luna nullis sideribus adjuvanda, 16, 12, 11. Am 25. August des Jahres 357 ging die Sonne um 7 Uhr unter und der Mond erst um 11 Uhr 4 Minuten auf, so dass etwa an diesem Tage die Schlacht geschlagen ist (Niessen).

Der Anmarsch des römischen Heeres.

Schon strahlte (um 5 Uhr) die Sonne im Frühlicht, als Julian von Zabern beim Schmettern der Trompeten mit seinem Heer auf brach. Es mochten mehr als 13000 Mann, von denen der

l'eberläufer vor einigen Tagen geredet, sein, und nachdem Barbatio sich den Gefahren entzogen, war der Cäsar doch besorgt, mit wenigen, wenngleich tapfern Leuten gegen zahl-

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reiche Schaaren Stand halten zu müssen. Das Fussvolk marschirte langsamen Schrittes auf der Römerstrasse und wurde auf beiden Seiten von Reitergeschwadern gedeckt, unter denen auch Ganzgepanzerte und berittene Bogenschützen, eine furcht- bare Waffe, waren. Es folgten Ballisten und der Tross, wahr- scheinlich mit Proviant auf 20 Tage.

Die vorausgehende Vorhut kam, als die Sonne zum Mittag emporstieg, auf dem Plateau von Willgottheim und Winzenheim an und erblickte über Küttolsheim hinaus die Schaaren der Alamannen. Bis dahin waren es von Zabern aus nach Anunian 14 Leugen oder 21 römische Meilen, in Wahrheit etwa 29 km =13 Leugen. Die Sonne brannte vom Himmel und die Soldaten waren vom Marsch erschöpft, hungrig und durstig.

Der Cäsar rief daher die Vorhut zurück und verkündete den in Keilen, cuneatim ihn umgebenden Truppen seiue Absicht, ein Lager aufzuwerfen, in ihm zu nächtigen und am andoreu Morgen, wenn die Soldaten durch Schlaf, Speise und Trank gekräftigt, den Marsch auf den Feiud fortzusetzen. Die ganze Armee aber, Führer wie Geführte verlangten stürmisch, sofort vor den Feind geführt zu werden, und so gab denn Julian den Befehl zum Vorrücken.

Das Heer setzte sich in Bewegung und die Vorhut stiess zunächst auf einen sanft sich erhebenden Hügel mit reifem Getreide bedeckt, aut dem drei alamannische Reiter als Späher hielten, die von dem Nahen des römischen Heeres Kunde geben sollten. Sie zogen sich sofort zurück, ein sie begleitender Fussgänger, der ihnen nicht folgen konnte, wurde gefangen und von ihm erfuhren die Römer erst, dass die Alamannen zum Uebersetzen über den Rhein dreimal vierundzwanzig Stunden gebraucht hatten. Unter den vielen Erhebungen um Küttols- heim ist keine, die man ihrer Erscheinung nach mit Bestimmt- heit als die gemeinte bezeichnen könnte. Die Hürtigheimer Höhe, auf welche Wiegand hinweist, lässt zwar den Ausblick nach allen Seiten hin frei, aber es ist kaum möglich, hier einen Punkt zu umschleichen oder sich von einem erwarteten Feind überraschen zu lassen. Schon bei ihrem Abstieg vom Plateau mussten die Römer von dem alamannischen Heer wahr- genommen sein.

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Die Schlachtordnungen.

Als Jene nach weiteren 8 Kilometern auf der Hürtig- heimer Höhe angekommen waren, sahen sie sich bereits den dicht sich znsammeudrängendcn Keilen der Alamannen auf der drüben liegenden Höhe gegenüber. Beide machten halt und unter den Augen des Gegners vollzog sich auf jeder Seite die Aufstellung in Schlachtordnung. Ammian 16, 12. Prope densantes semet in cuneos nostrorum conspexere ductores, 20; equitatum (Romauorum) vidissent (Alamanni) oppositum, 21. Beiderseits war sie so, dass die Centren den mittleren Abschnitt des Geländes, die Flügel den obern und untern einnahmen.

Nach Ammian stellte Julian das Fussvolk in das Centrum und auf den linken Flügel, in medio, 49; aciem laevam, 27; cornu sinistrum, 37 (im mittleren und untern Abschnitt). Es bestand aus den Legionen und den Auxiliartruppen. Unter den ersteren werden die Legion der Primanen, „der feste Rückhalt, den man als prätorisches Lager zu bezeichnen pflegt“, und die kriegserfahrenen Veteranen, „die Tapfern“ hervorgehoben, bei diesen die keltischen Cornuten (unter ihren Tribunen Baino- baudes, dem Führer bei der Metzelei auf den Rheininseln, und Laipso) und Braccaten, beide durch langen Kriegsdienst abge- härtet, „schon durch ihren Anblick Schrecken erregend“, und ferner die germanischen Bataver unter ihren Königen, „Retter aus äusserster Gefahr, eine furchtbare Truppe“. Primanorum legionem, quae conflrmatio castra praetoria dictitatur, 49 ; bellandi usu diutino callantes; viri fortes, 32; socii, 30; Cornuti et Braccati, 43, 63; Batavi cum regibus, 45.

Im ersten Treftcn, primam aciem peditum, 42, standen die Truppen des Vorkampfes, die Antepilanen (antepilani, die vor den Piluinbewaffneten Triariern stehenden), die Speerträger und ordinum primi (ihre Hauptleute), „eine undurchdringliche Mauer“, velut insolubili muro l'undatis, 20; im zweiten Treffen die Triarier, liostsignanos in acie locati suprema, welche der Cäsar durch die Anrede Waffenbrüder, commilitones, auszeichnete, 31, und unter ihnen im Centrum die legio Primanorum. Wie im Uebrigen die Legionssoldaten, wie „die Uebereifrigen, welche die Anord- nungen des Feldherrn durch unruhige Bewegungen zu nichte machen konnten“, 33, vertheilt waren, ist nicht zu ersehen; die

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Stellung der Veteranen und Bundesgenossen wurde später geändert.

Die Reiterei fand Platz auf dem rechten Flügel (im oberen Abschnitt, der für ihre Entwickelung sehr geeignet war), equi- tatum onmem a dextro latere, 21; corim dcxtrum, 37. In ihr waren zu unterscheiden die Ganz- (Manu und Ross) gepanzerten, cataphractarii unter der Führung von Innoeentius. die ganz in Eisen gehüllten Kürassiere, clilianarii, und die berittenen Bogen- schützen, „eine furchtbare Waffe“, sagittarii formidabile genus armorum, 7; 8; 22.

Libanios unterscheidet so: Das Fussvolk in dem Centrum. auf beiden Seiten die Reiterei. Der Kern beider Waffengattungen auf dem rechten Flügel um den Cäsar. Der Tross auf dem Rücken der (Hürtigheimer) Höhe. Reiske 540, 542. Augen- scheinlich unrichtig ist, und die weitere Erzählung widerlegt es, dass auch auf dem linken Flügel Reiterei gestanden habe.

Während Julian unter der hochragenden purpurnen Drachen- standarte, umgeben von einer Leibwache von Fussvolk und zwei- hundert Reitern, agnito Caesare per purpureum signum draconis, summitati iiastae longioris aptatum, 39; Caesar ducentis equitibus saeptus, 28, seine Aufstellung etwa im Centrum oder zwischen dem Fussvolk und der Reiterei nahm, eilte er im Lauf des Kampfes immer dahin, wo seine Anwesenheit erforderlich war. Den linken Flügel befehligte Severus, General der Reiterei, ein alter erfahrener Soldat, verständig, der Führung eines hervor- ragenden Feldherrn gehorsam folgend. Der Führer des rechten Flügels ist nicht genannt.

Insgesammt waren die Linien des aufgestellten römischen Heeres von grosser Ausdehnung, die Massen zusammengedrängt, longitndo spatiorum extenta, in unurn coactae multitudinis cre- britas, 29.

Waren die Alamannen, als die Römer auf der Hürtigheimer Höhe ankamen, bereits mit der Bildung ihrer Keile beschäftigt, densantes semet in cuueos, 20, so war die vollendete Aufstellung der Schlachtordnung diese.

Das Fussvolk stand nach Keilen geordnet, liostes stetere cuneati, 20, wahrscheinlich nach dreien.

Das erste Treffen, primae barbarorum fronti, 34, bestand wahrscheinlich aus den Heerbannen der Gemeinfreien, plebe, 34.

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Es zerfiel in zwei Keile oder in einen linken Flügel (das Centruin des ganzen Heeres) unter dem Herzog Chnodomar (im mittleren Abschnitt) und einen rechten unter dem Herzog Serapio (im unteren Abschnitt). Chnodomarius auteibat cornu sinistrum, 23; latus dextrum Serapio agebat, 25. Jeder stand an der Spitze seines Heerbannes und die Heerbanne der übrigen Könige und der Königsboten und die geworbenen Söldner fremder Stämme werden je einem der beiden Flügel zugetheilt sein, dem des Chnodomar vermuthlich die Heerbanne des Westralp, Uri und Ursicin, dem des Serapio die des Suornar und Hortar (S. 53 u. 78). Die Könige und Königsboten waren zu Pferde, die Könige, vielleicht auch die letztem, von ihren Gefolgen umgeben, Chnodo- mar in einer Zahl von zweihundert, comites ducenti numero, 60.

Das zweite Treffen, von dem keine Rede ist, bildete vcr- mnthlich der Kriegshaufen der Adalinge sammt den ihnen folgenden Kriegern als dritter Keil, optimatium globus ... et sequente vulgo 49, eine Reserve, wie die der Legion der Primanen auf römischer Seite.

Als man die Aufstellung der römischen Reiterei auf deren rechtem Flügel sah, schickten die Herzöge, was sie an erlesener Reiterei besassen, dichtgedrängt auf den linken Flügel, quicquid apud eos per equestres copias praepollebat, in laevo cornu loca- vere eonfertum 21. Ihr Führer ist nicht genannt. Unter die Reiter war nach altem germanischen Brauch, den schon Julius Cäsar sah, leichtes Fussvolk gemischt, das die Aufgabe hatte, während des Kampfes das Pferd des Gegners niederzustechen und ihn selbst herabzuziehen und zu durchbohren, 22.

Die Aufgabe des Tages, die Römerstrasse zu schliessen, übernahm vor Allen Chnodomar, der, das Musauthal und dessen steile Böschungen vor sich, auf der Ittenheimer Höhe mit dem Keil des Centrums die Strasse zu beiden Seiten besetzte. Serapio, der neben ihm stand, legte in die sumpfige, schilfbedeckte Niederung des Musauthales „unter einer hochliegenden Wasser- rinne“, ö-’ ö/st<ü iisTsiipo), Liban. 541 (des Aquäducts, der von Küttolsheim und der Suffelquelle nach Strassburg führte,) einen für den römischen linken Flügel unsichtbaren Hinterhalt von dicht gedrängten Massen, welcher den Befehl hatte, plötzlich hervorzudringen, um Alles in Verwirrung zu setzen, clandestinis

Gramer, Geachichto dar Alamannen. £j

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insidiis et obscuris 23; prope fossas armatorum refertas, unde dispositnui erat etc., 27.

Die Römer hatten unter Zurückweisung des Feindes das Musauthal zu durchschreiten, dessen Böschungen und die Höhe selbst zu ersteigen und die Strasse zu forciren.

Im oberen Abschnitt diente die beiderseitige Reiterei in Abwehr und Angriff denselben Zwecken.

In der Schilderung der Schlacht treten diese Momente nur vereinzelt hervor, aber die Gestaltung des Geländes, welche den Bericht des Ammian und Libanios erläutert, führt zu dieser Auflassung.

Die Einleitung des Kampfes.

So lagen die Würfel bereit, der Kampfpreis war Gallien. Dio Spieler waren, hier ein junger Mann von 20 Jahren, von gedrungener Gestalt, geistvollen feurigen Augen, Schüler des Plato, auf der Stufe des Throns der Welt stehend, der Regent Galliens, von einzelnen, noch nicht entscheidenden kriegerischen Erfolgen; dort ein Barbar, Sieger über ein römisch-gallisches Heer, ein Gaukönig, jetzt der Herzog des Heeres, das auf seinen Ruf aus ganz Alamannen zusammengeströmt war. Eine Reckengestalt zog er vor dem Keil der Mitte einher, wie Civilis, den Scheitel mit feuerrothem Bande umwunden, mit kühnem Vertrauen auf die Riesenstärke seiner Arme. Hoch sass er auf schäumendem Ross, aufrecht trug er den gewaltigen Wurfspeer und strahlte im Glanze der Waffen, von jeher ein unternehmender Krieger, jetzt vor den Andern ein trefflicher Herzog. Vor dem Keil der Rechten der jugendliche Serapio, glühend vor Thatkratt.

Von jeher waren die Herzoge in der Schlacht zu Pferde, so Armin bei Idistaviso, Civilis bei Vetera und Vada. Auch die Könige hatten dieses Ehrenrecht. Aber auch die Königs- boten stiegen beim Beginn der Schlacht zu Pferde. Da erhob sich ein unwilliges Geschrei unter dem Fussvolk: „Die Boten sollten von den Rossen steigen und ihren Platz unter ihnen einnehmen, damit sie nicht bei einem Unglück all zu leicht das Volk der Gemeinfreien im Stich lassen und sich selbst in Sicher- heit bringen könnten.“ Ein kritischer Moment. Aber Chnodomar brach dem Verlangen die Spitze ab, indem er selbst vom Thiere sprang. Könige und Königsboten folgten ihm.

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Nunmehr leitete der linke Flügel des Severns den Kampf ein. Unter dem Schmettern der Trompeten marschirte er in der Richtung zur Ittenheimer Höhe voran. Er stiess aber bald auf die aus dem Mnsauthal unversehens auftauchenden Massen, deu Hinterhalt des Serapio, stutzte und blieb stehen. Weitere unbekannte Gefahren fürchtend, hielt er das Zurückweichen so wenig für gerathen, wie das Voranrücken. Der Cäsar, dies sehend, sprengte mit seinem berittenen Gefolge, thunlickst ent- fernt von den alamannischen Geschossen, zu seinem linken Flügel und mahnte hier und bei anderen Truppentheilen zu Tliaten der Tapferkeit.

Zugleich hielt er es für rathsam, seine Aufstellung zu ver- stärken, indem er den Veteranen eine geeignetere Stellung anwies, aptius ordinans 32, und nunmehr einen grösseren Tlieil des Heeres dem ersten Treffen (entgegen dem ersten Treffen des Feindes) anschloss. Es waren die Auxiliartruppen der Cornuten, Braccaten und Bataver, letztere unter ihren Königen, Majorem exercitus partem primae barbarorum opposuit fronti 34; Alamanni primam aciem peditum accesserunt und hier standen Cornuti et Braccati, Batavi cum regibus, 42; 43; 45.

Wiederum auf das Zeichen der römischen Trompeten rückte man hüben und drüben mit starker Macht heran und eiu Regen von Wurfgeschossen bezeichnete den Beginn der Feindseligkeiten. Es entwickelte sich nun ein Kampf erst der beiderseitigen Flügel und dann des gesammten Fussvolks.

Die Flügel des Fussvolks.

Im unteren Abschnitt des Musauthals erfolgte jetzt der Zusammenstoss zwischen dem Fnssvolk des Severus und dem des Serapio. „Der linke Flügel der Römer,“ berichtet Ammian, „schritt immer weiter vor und trieb die auf ihn eindringeudeu Schaaren der Alamannen zurück, indem er mit lautem Ruf auf sie losstürzte.“ Ergänzend erzählt Libanios: „Als die Römer die alamannischen Truppenmassen des Hinterhalts entdeckten, warfen sie sich mit Geschrei darauf, vertrieben und verfolgten sie und setzten fast die Hälfte des Heeres in Verwirrung, 541. Die Flucht der Vorderen wurde zu der der Hinteren.“ Severus durchschritt also das Mnsauthal und folgte den Weichenden zur Ittenheimer Höhe links der Heerstrasse.

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Der ganze Keil des Serapio wurde hierdurch erschüttert, aber der Schlag war kein vernichtender. Denn der Keil desChnodomar wird die Zurückgewichenen aufgenommen haben.

Die Flügel der Reiterei.

In dem ebenen, oberen Abschnitt war es die alamannisclie Reiterei, welche den Kampf gegen die der Römer eröffnete, ein Kampf, an dem secundirend auch Abtheilungen vom beiderseitigen Fussvolk der Mitte entweder von vornherein, oder durch den Verlauf darin verwickelt, Theil nahmen. Angriff und Erfolg blieben auf der einen Seite, die Abwehr auf der andern.

Auf den Klang der Trompeten rückte man mit grosser Macht gegeneinander und der Kampf begann mit einem Regen von Geschossen.

Mit Ungestüm stürmten, vou ihren Fusskämpfern begleitet, die alamannischen Reiter, das Schwert in der Rechten schwingend, auf die römischen Geschwader ein, unter furchtbarem Geschrei, mit rasender Wutli, die Haare gesträubt, die Augen im Zorn leuchtend. Erst eilte den Bedrohten das römische Fussvolk zu Hülfe; ohne zu wanken, mit dem Schild das Haupt deckend, scheuchte es durch Schwert und Geschoss den anrüekenden Feind. Bald aber musste sich die Reiterei, hart bedrängt, eng Zusammenschlüssen, und das Fussvolk deckte, Schild an Schild heftend, ihre Flanken. Da entstand Kampfgewühl, es erhob sich dichter Staub, und vor dem germanischen Anprall hielten die Gegner bald Stand, bald wichen sie zurück. Alterfahrene Alamannenkrieger sah man sich auf die Knie werfen, bemüht, den Gegner niederzureissen; die Rechte stiess au die Rechte, Schild traf auf Schild und das Geschrei hier der Jauchzenden, dort der Getroffenen drang zum Himmel empor.

Während so das Gefecht stand, geschah es, dass beim Wiederordnen ihrer Reihen die Ganzgepanzerten ihren Führer Innocentius und einen der Genossen, die, leicht verwundet, durch das Gewicht der Rüstung niedergezogen wurden, von den stürzenden Pferden niedergleiten sahen. Da stob Alles aus- einander, wo Jeder Platz fand, die Vorderen machten Kehrt und drängten auf die Hinteren, die römischen Reiter wichen in ungeregelter Flucht zurück, ja sie würden die Legionen nieder- geritten haben, wenn die nicht in dicht au einander gedrängten

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Reihen, Einer den Andern stützend, unbeweglich da gestanden hätten.

Der Cäsar, welcher, vielleicht noch auf dem linken Flügel festgehalten, die Flucht der Reiterei erfuhr, sprengte herbei, und als man die kaiserliche Drachenstandarte sah, machte ein Tribun mit seiner Schaar halt. Julian stammte sich wie ein Riegel den Flüchtigen entgegen, und es gelang seinen, sei es drohenden (Libanios), sei es ermunternden Worten (Ammian), sie zum Stehen zu bringen. Sie fanden Schutz in dem Schoss der Legionen und der Kampf konnte wieder hergestellt werden. Aber von Neuem zurückgeschlagen, wurden sie auseinander- gesprengt.

Nach Zosimos wäre das Gefecht nicht wieder erneuert. Es sei eine Schwadron von sechshundert Mann gewesen, die sich zur Flucht gewandt. Der Cäsar habe sie dann in Weiberkleider gesteckt und aus dem Lager gewiesen, und erst iu dem nächsten Feldzug hätten sie sich durch Tapferkeit ausgezeichnet und ihre Ehre wieder hergestellt.

So waren die beiden linken Flügel, im unteren Abschnitt der der Römer, im oberen der der Alamannen siegreich.

Die ersten Treffen des Fussvolks.

Kaum waren die römischen Reiter geschlagen, so führten, mit Zuversicht erfüllt, Chnodomar und Serapio das Fussvolk des ersten Treffens, ihre Keile, soweit nicht der des letztem kampf- unfähig geworden, die Böschungen des Musauthals im mittleren und unteren Abschnitt hinab, gegen das erste Treffen der Römer, die Vortrappen der Antipilaneu und Speerträger und die Auxiliar- truppen, die keltischen Cornuten und Braccaten und die germa- nischen Bataver. Die Kelten erhoben den ihnen und den Germanen gemeinsamen Schlachtgesang, den Barritus, der mit leisem Ge- summe beginnend, allmälig anschwoll, und endlich erdröhnte, wie die Meereswogen, die an Felsen branden. Sofort erfolgte Zusammen- stoss und Handgemenge, und lange wurde mit wechselndem, auf beiden Seiten gleichem Erfolg gekämpft.

Bei dieser Schlacht des Fussvolkes stellt Ammian die Kampfesart beider Heere in Gegensatz: „Wohl waren die Gegner ebenbürtig. Die Alamannen waren kräftig und hühern Wuchses, die Römer durch langen Dienst mehr geschult. Jene wild und

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ungestüm, diese ruhig und verständig und aul ihre Einsicht ver- trauend, während Jene sich auf ihre Reekengestalt verliessen. Wurde der Börner durch das Uebergewicht aus seiner Stellung verdrängt, so fasste er wieder festen Fuss. Sank der Alamanne erschöpft zusammen, so liess er sich auf das linke Knie nieder und fiel so den Gegner an, eine äusserste Hartnäckigkeit.“

Zwei Stadien lassen sich in dem Kampf der beiden ersten Treffen unterscheiden.

In dem ersten flogen schwirrend in dichten Mengen Geschosse von Heer zu Heer; Staub wallte auf und wehrte die Aussicht, Walle stiess an Waffe, Leib an Leib. In ungestümer Wuth drängten die Alamannen voran, gcriethen in Unordnung, wurden aus der Niederung des Thaies zurückgedrängt und die Römer schickten sich, über dem Haupt die Schilde zum Schilddach (der Schildkröte, testudo,) zusammenfügend, unter dessen Schutz an. die Böschungen der Ittenheimer Höhe zu ersteigen. Da loderten die Alamannen wie Flammen auf, stürzten sich von oben auf die festgefügten Schilde und spalteten sie durch fortgesetzte Schwerthiebe auseinander. In diesem kritischen Moment eilten, Retter in der Noth, unter Trompetenschall die Bataver unter Führung ihrer Könige herbei, ihren Kriegsgefährten zu helfen, und nicht nur Römer und Gallier, sondern auch Germanen hatten nunmehr die Germanen zu bekämpfen.

Der Kampf erweiterte sich und nahm immer erbitterteren Charakter an. Unaufhörlich wurden Wurfgeschosse geschleudert, erzgespitzte Pfeile geschossen und immer wieder stürzten sich in schnaubender Hitze die Alamannen in den Nahkampf, als wollten sie in einem Anfall von Raserei alles Feindliche ver- nichten. Schwert traf gegen Schwert, Panzer wurden durch- hauen und Verwundete erhoben sich, ehe sie den letzten Bluts- tropfen vergossen, zum Kampfe. Alamannische Haufen, so ist berichtet, drangen in römische Linien ein und gegentheils wird es ebenso geschehen sein. So tobte der Streit, darf man an- nehmen, wieder zurück von der Ittenheimer Höhe, durchquerte die Niederung, stieg auf der anderen Seite hinauf und schwankte von Neuem her, von Neuem zurück, ohne eine Entscheidung zu bringen.

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Die Reserven des Fussvolks.

Plötzlich brach ein Haufe von Adalingen mit den ihnen folgenden Kriegern, unter ihnen Könige mit Gemeinfreien tiefer als andere in d*e Reihen der Römer ein, und bahnte sich einen Weg zu der Legion der Primanen; jener, sei es ein dritter Keil des Adels, der von vornherein als Reserve zurückbehalten war. und dem sich Könige mit den Ihrigen angeschlossen, sei es eine Masse, geführt von Adalingen und Königen, welche die zwingende Begeisterung des Augenblicks, das Verlangen, die siegreiche Entscheidung herbeizuführen, zusammengeballt hatte; diese als fester Rückhalt der Reserve der Römer im Centrum. Der Adel gab sein Leben für den Sieg, und war unaufhörlich bestrebt, die Linie der Legion zu lockern. Diese stand dicht- gedrängt, in zahlreichen Gliedern unerschütterlich wie ein Thurm, und nahm mit fester Zuversicht den Kampf auf. Ihrerseits wie Gladiatoren den Schwerthieben ausweichend, bohrten die Primanen jedem Feinde, der sich in gesteigerter Wuth eine Blösse gab, das Schwert in die Seite. Der Haufe der Erschlagenen, welche die Römer niederstreckten, ward immer höher, aber über die Todten stiegen die Lebenden, bis das Aechzen der Sterbenden sie entsetzte und der Schrecken ihre Glieder lähmte. Müde solcher Arbeit, wendete sich das alamannische Heer zur Flucht. Die geschulte Taktik der Legion hatte gegen den Ungestüm des Keils den Sieg davongetragen.

Die Flucht.

Wie der Kampf, so war die Verfolgung der Fliehenden mörderisch. Die wiedergeordnete römische Reiterei und die Trossknechte hefteten sich an sie, und das Fussvolk schloss sich unter der Last der Waffen ihnen an. Die Leichenhaufen hinderten am Fliehen, die in dem Blut der Gefallenen oder dem Morast des Musauthals Ansgleitenden wurden von den über sie Hinstürzenden erdrückt. Die Verfolgenden hieben von hinten auf die Fliehenden, und wenn das Schwert vom Hauen stumpf geworden, diente es zum Niederstossen. Keines Grimm, Keines Hand wurde vom Morden gesättigt. Keiner fühlte Mitleiden mit dem Flehenden, Keiner schenkte ihm Gnade.

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Das Ziel waren der Rhein und über ihm die heimischen Gaue, deren Höhen herabschauten. Die Masse der Flüchtigen theilte sich und wälzte sich „auf verschiedenen Wegen“ zu dem Rettung verheissenden Strom.

Der nächste Weg dorthin, wo „der Rhein hart in ihrem Rücken vorbeifloss“, schien der beste. Heute etwa 12 Kilometer entfernt, lag er damals um etwa 4 5 Kilometer näher, so dass die Entfernung vom Schlachtfeld 7 8 Kilometer betrug. Dahin etwa am südlichen Abhang der Hausberge über Oberhausbergen, Schiltigheim und Bischheim drängte sich ein Theil der Flüchtigen, von den Römern bis an das Ufer getrieben. Der Cäsar, die Tribunen und andere Anführer folgten der Jagd. Wen das Verderben bis dahin nicht ereilt hatte, sprang in die Wellen, um durch Schwimmen das andere Ufer zu erreichen. Noch im Wasser wollten die römischen Soldaten die Verfolgung fortsetzen, aber Julian hielt sie durch sein Wort zurück. Die Sieger schleuderten Geschosse aller Art den Schwimmenden nach und schauten von dem Hochgestade gemächlich wie im Theater den um ihr Leben Kämpfenden zu. Hier sanken Durchbohrte in die Tiefe, dort zog die Schwere des Körpers hinab, dort hingen sich Unerfahrene an die Schwimmenden und wurden, zurück- gestossen, von den Wellen verschlungen. Andern endlich gelang es schwimmend, auf den Schild gestützt, den Fluss schräg zu durchqueren und am alamannischen Ufer emporzusteigen. Leichen und Waffenstücke verkündeten den abwärts wohnenden Alamannen das Schicksal ihres Heeres.

Mit diesem Gemälde giebt Ammian seiner Schilderung der Schlacht selbst den glänzenden Abschluss und vergebens forscht man bei ihm, Wer ausser den Wenigen gerettet sei.

Andere Wege führten die Flüchtigen zu den Inseln, die von den schmälern Armen des ungebändigten Flusses zahlreich und in weiter Ausdehnung gebildet waren. Libanios berichtet, dass, Wer sich dahin flüchtete und in den Wäldern Schutz suchte, erschlagen sei. Doch wird es bei der Ausdehnung des Inselgewirrs gefahrvoll gewesen sein, die Verfolgung zu ver- zetteln und nur in vereinzelten Fällen mag es den Römern gelungen sein, den schwimmkundigen Alamannen dahin zu folgen. So mögen die Inseln zahlreichen Mengen zum Heil gewesen sein.

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Zuletzt war es das Lager, waren es die Schiffe, welche fern bei Selz, wenn einmal erreicht, die Ueberfalirt sicherten. Zum Lager am Ufer des Rheins entlang wird daher die Haupt- masse der Geschlagenen schnellfiissig und leichtbewaffnet mit beschwingter Eile sich gewendet haben.

Hier taucht auch in der Erzählung ein verfolgender Tribun mit seiner Cohorte auf. Mit der sinkenden Sonne wurde die Verfolgung auf allen Punkten abgebrochen. Der Vorsprung vor dem durch zwölfstündigen Marsch und Kampf in Hnndstagshitze ermüdetem Heer des Cäsar, welchen die Nacht und der folgende Tag gewährte, wird ausgereicht haben, ans dem befestigten Hafen die Massen zur befreundeten Erde überzuführen, ihnen Leben und Freiheit zu sichern. Belichtet aber ist die Flucht zum Lager nur von Chnodomar.

Dieser verliess, über Leichenhaufen hinwegsetzend, das Schlachtfeld und eilte zu Pferde, vermummt, um nicht erkannt zu werden, von zweihundert Gefolgen, darunter drei vertrauten Freunden umgeben, dem Lager zu. Sein Gau, die Mortenau, lag schräg gegenüber. Nahe dem Ufer hatte die Schaar ein Altwasser zu umgehen, und gerieth dabei in den zähen Morast, wobei der Herzog vom Pferde stürzte. Der schwere Körper arbeitete sich jedoch heraus und man rettete sich auf eine wahl- bedeckte Höhe. Aber schon war Chnodomar von den Ver- folgenden erkannt. Ein Tribun und seine Cohorte waren ihm eiligen Laufs gefolgt, und besetzten, einen Hinterhalt befürchtend, den Rand der Höhe. Da stieg Chnodomar allein hinab und ergab sich aus freien Stücken. Ebenso seine Gefolgschaft. Denn der Gefolge hält es für eine Schmach, seinen König zu überleben, und nicht, wenn es sein muss, für ihn zu sterben. Dem Herzog liess man die Waffen und führte ihn frei von Fesseln. Die Gefolgen wurden gebunden.

Von dem Schicksal des Serapio schweigt die Geschichte. Sein Name wird überhaupt nicht mehr genannt. Die andern fünf Alamannenkönige sieht man bald wieder in ihren Gauen. Sie retteten sich also und mit ihnen grosse Massen der Ihrigen nnd anderer Gaue, indem sie, wie anzunehmen, den Schutz des Lagers erreichten und von da aus übersetzten.

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Der Abschluss.

Von Sonnen-Aufgang bis -Untergang war das römische Heer in Thätigkeit gewesen. Julian versammelte es auf dem Hoch- gestade des Rheins um sich und wurde von den siegestrunkenen Soldaten zum Kaiser, Augustus, ausgerufen, eine Würde, die er besonnen ablehnte. Dann brachte man den gefangenen Chnodoniar ins Lager. Der glückliche Gegner Hess ihn vor sich in die Heerversammlung führen. Hier fand eine Unterredung statt, welche, so darf man annehmen, einerseits die Verheerung Galliens zum Gegenstand hatte, andererseits den Bruch des kaiserlichen Versprechens, auf das die Ansiedler im Eisass, und den Bruch des Völkerrechts, auf das die Alamannen mit ihrer Gesandtschaft vertraut hatten. Der geschlagene und gefangene Herzog äussei te sich mit edlem Freimuth, aber auch mit der rauhen Härte eines Barbaren. So wird mau die Worte des Libanios aufzufassen haben: „Als er zur Rechenschaft gezogen, Edles redete, be- wunderte ihn Julian, als er Niedriges sagte, verabscheute er ihn“. Anders freilich lautet die Erzählung des über den Eroberer und Verwüster Galliens erbitterten Ammian, eine Erzählung, die, an sich unglaubwürdig, durch die Mittheilung des Libanios widerlegt wird: „Es ist die Art der Barbaren, demüthig im Unglück, ganz anders aber im Glück zu sein. Nach der Gefangen- nahme durch den Tribun Hess er sich, ein Sclave fremden Willens, todtcnbleich, schweigend im Bewusstsein seiner Schuld dahinschleppen, wie anders, als er das niedergeworfene Gallien mit Füssen tretend, wilde Drohungen ausstiess. Dann trat er tiefgebückt vor den Cäsar, warf sich ihm zu Füssen, bat in seiner Muttersprache um Verzeihung, und es ward ihm geheissen, gutes Muthes zu sein.“

Wenige Tage darauf wurde er mit einem Vertrauten, der ihm vom Kriege abgerathen hatte, an das kaiserliche Hoflager und von da nach Rom geschickt, wo er im Fremdeulager des cälischen Hügels in Lethargie versunken starb.

Das Heer wurde mit einer mehrfachen Reihe von Wachen umstellt, und sank, gesättigt durch Speise und Trank, erschöpft in Schlaf.

Ueber die Schlacht schreibt Aurelius Victor: „Die Heer- haufen standen wie die Berge, Blut floss in Bächen, der ganze

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Adel wurde niedergestreckt, der Herzog Chnodomar gefangen.“ Der Cäsar errichtete an der Stätte der Entscheidung ein Sieges- zeichen und später schrieb er an die Athener: „Bei Argentoratum habe ich nicht unrühmlich gekämpft; ob die Kunde von der Schlacht zu Euch gekommen, weiss ich nicht“. Er widmete auch, stolz auf seinen glänzenden Erfolg, der Darstellung der Schlacht ein ganzes Buch, das leider verloren gegangen ist.

Die Verluste.

Ammian giebt den Verlust des römischen Heeres von mindestens 13000 Mann auf 243 Mann und 4 Tribunen an, darunter die Tribunen der Cornuten Bainobaudes und Laipso und der Führer der Ganzgepanzerten Innocentins, der durch seinen Sturz vom Pferde den Anlass zur Flucht der Reiter gegeben hatte; bei der Hartnäckigkeit des Kampfes eine un- glaubliche Ziffer. Von römischen Verwundeten wird Nichts berichtet.

Von den 30 35 000 Alamannen lagen nach Ammian und Zosimos ßOOO Todte auf dem Schlachtfeld (denn die Ziffer des Letztem von 60 000 enthält offenbar einen Schreibfehler), nach Libanios waren es. 8000 Mann. Die Verwundeten, welche man erschlagen haben wird, sind einzurechnen. Zosimos berechnet die im Rhein Umgekommenen ebenfalls auf 6000 Mann. Ueber die auf den Inseln Erschlagenen und über die von Ammian erwähnten Gefangenen fehlt es an einer Zahl. Julian spricht von 1000 Gefangenen, die er in zwei Schlachten und nach einer Belagerung gemacht habe, von denen man ein Drittel auf die Schlacht bei Argentoratum rechnen könnte. Hiernach ergiebt sich eine Gesammtziffer von 12 16 000 Todten und Gefangenen, ein Drittel oder die Hälfte des Heeres. Die andere Hälfte oder zwei Drittel sind gerettet. Von dem alamannischen Heer, sagt Ammian, blieb kein Mann in Gallien zurück.

Der Cäsar liess alle Gefallenen ohne Unterschied bestatten und kehrte, ohne Mittel, über den Rhein zu setzen und den Krieg sofort in Feindesland zu tragen, nach Zabern zurück, entliess nunmehr die alamannischen Gesandten, die er in Verhaft genommen, und schickte von da aus die Gefangenen und die Beute nach Metz, Mediomatrici, zur Aufbewahrung.

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Die politischen Ergebnisse.

Ueber das Schicksal der im Eisass, der Pfalz und Rhein- hessen angesiedelten Alamannen wird Nichts berichtet. Aber Ammian giebt einige allgemeine Andeutungen, wie Julian die in Gallien angesessenen Germanen behandelte. Nachdem Jener später von der Unterwerfung einiger (rechtsrheinischen) ala- mannischen Gaue gesprochen, sagt er, Julian gewann in Gallien die von den Barbaren zerstörten Städte zurück und legte ihnen selbst Steuern und Abgaben auf. Post Alamanniae quaedam regna prostrata receptaque oppida Gallicana ante direpta a barbaris et excisa, quos tributarios ipse fecit et vectigales, 20, 4, 4. Andererseits spricht er von linksrheinischen Läten, (die militairpflichtig und steuerfrei waren), insbesondere solchen, die sich den Römern freiwillig ergeben hatten. Adulescentes Laetos quosdam cis Rhenuin, editam barbarorum progeniem, vel certe ex dediticiis, qui ad nostra desciscunt, 20, 8, 13.

In eine von diesen Kategorien fallen die in Gallien wohnenden salischen Franken und Chamaven, die Julian 358 besiegte und dort liess, 17, 8, 3—5, und wohl auch die oberrheinischen Alamannen des linken Ufers. Noch später gedenkt die Notitia dignitatum von 400 auch suevischer Läten in der Lugdunensis secunda und tertia und eine Verordnung von demselben Jahr stellt Läten, Alamannen und Sarmaten als dienstpflichtig neben- einander, Laetus, Alamannus, Sarmata. Cod. Theod. 7, 20, 12. So darf man mit Nissen annehmen, dass die Oberrheiner auf dem linken Ufer geblieben und dass das nationale Gepräge des Eisass, der Pfalz und Rheinhessens aus der Zeit seit 350 stammt.

In den nächsten Jahren, berichten die Geschichtsschreiber, stellte der Cäsar Gallien wieder her. Den darniederliegendcn Städten reichte er die Hand und sie erhoben sich wieder. Oder: die niedergebrannten Städte stellte er aus ihrer Asche wieder her, und unter seiner Aufsicht mussten die Barbaren bauen. So lange Julian (bis 363) lebte, setzte kein grösserer alamannischer Heerhaufen mehr über den Rhein.

Auf dem rechten Rheinufer waren es die oberen alamann- ischen Gaue, die sich wiederum unterwarfen. Kein Schriftsteller erwähnt dies, aber es ist aus dem Schweigen Ammians, der den

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weiteren Verlauf der Ereignisse erzählt, mit Sicherheit zu folgern. Denn er redet nur von den widerspenstigen Gauen, die zu weiteren KriegszQgen führten. Die Lenzer (Hegau und Klett- gau) und die Breisgauer nahmen die Bündnissverträge, die ihnen 355 und 354 auferlegt waren, und die noch 377 und 360 als bestehend bezeichnet werden, wahrscheinlich in drückenderer Form wieder auf sich. Auch die Selbständigkeit der Gaue des Chnodomar (der Mortenau) und des Serapio (des Kraichgau) erscheint gebrochen; es ist weder von einem Nachfolger des Chnodomar, noch wie erwähnt, von Serapio die Rede.

Dagegen entzogen sich die mittleren und unteren Gaue an der Donau, dem Neckar, dem Main und seinen Nebenflüssen, sowie der Lahn den Folgen der Niederlage im Eisass.

Znr neueren Literatur.

Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit 1866, I, 95; Dahn, Die Alamannenschlacht bei Strassburg, 1880; unter gleichen oder ähnlichen Titeln : Wiegand in den Beiträgen zur Landes- und Volkskunde von Eisass- Lothringen, 3. Heft, 1887; Nissen in der westdeutschen Zeitschrift 6, 1887, S. 319; Wiegand, Eine Entgegnung, daselbst 1888, S. 63; Hecker in den Jahrbüchern für classische Philologie 35. 1889, S. 59; von Borries im Jahresbericht der neuen Realschule zu Strassburg, Herbst 1892, S. 3; Wiegand, Eine Anzeige dieser Schrift in der Zeitschrift des Oberrheins, ueue Folge 8, S. 134; von Borries, Eine Entgegnung in der Westdeutschen Zeitschrift 12, 1893, S. 242. Siehe unten, Kapitel 8, Streitfragen, Abschnitt 3 und 4.

6. Der Herbstfeldzug am Main. 357.

Der römische Misserfolg.

Im Süden Alamanniens durch die Unterwerfung der oberen Gaue gedeckt, suchte der Cäsar, auf den Eindruck des Sieges rechnend, noch im Herbst die am mittlern Rhein um den Main gelegenen Gaue sich nnterthänig zu machen, deren Könige an

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der Schlacht bei Strassburg Theil genommen hatten. Es waren der obere Rheingau des König Suomar, südlich vom Main, und der Mattiakergau des König Hortar, nördlich vom Main im Taunus gelegen.

Mainz, wohl im vorigen Jahre wiederhergestellt, wurde wieder die grosse Ausfallspforte gegen Germanien. Julian schlug hier Brücken über den Rhein, sandte Fussvolk und Reiterei hinüber und überraschte die Alamannen, die sich zu dieser Zeit völlig sicher glaubten. Zuerst schickten beide Könige Gesandte und baten um Frieden und Bündniss, als aber be- nachbarte Könige, von denen insbesondere drei schreckliche, tres immanissimi reges, erwähnt werden, (nach der Lage und den Vorgängen eines späteren Jahres die vom Maingau, der Wetterau und dem Grabfeld), Hülfsmannschaften sandten, be- drohten sic die Römer mit einem Angriff, so dass diese die Gaue wieder räumen mussten.

Die alamannischen Verhaue.

Die Alamannen errichteten nun, nach einer hinsichtlich des Localen, wie der Ereignisse sehr dunkeln Darstellung Ammiaus, au beiden Seiten des Main Verhaue, rechts im Gau des Hortar wohl auf den Vorhöhen des Taunus Hinterhalte in entlegenen Schluchten per montium vertices, 17, 1,5; insidiis, quas per artaloca et latebrosa struxeraut, (i, und einen anderen links, im Gau des Suomar, trans Moenum 6, etwa am zehnten Meilenstein (zehn römische Meilen, zehntausend Passus,) von Mainz entfernt, in einem „dichten, durch seine Dunkelheit furchtbaren Wald,“ der mit zahlreichen Gräben zur Aufnahme von Kriegern versehen, und dessen Zugänge durch Eichen-, Eschen- und Tannenstämme verbanikadirt waren. Ein Angriff war hier nur auf langen, rauhen Umwegen möglich, nonnisi per anfractus longos et asperos, 9. Alle Verhaue wurden besetzt. Aus dieser Schilderung liest man das Grauen der Römer vor dem germanischen Walde heraus, das wie Cäsar und Tacitus nun auch Ammian verräth.

Die Römischen Angriffe.

Eines Nachts Hess der Cäsar 800 Mann auf leichten Böten den Main hinauffahren, mit dem Befehl zu landen, und was zu erreichen sei, mit Feuer und Schwert zu vertilgen. Die Reiterei

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rückte zugleich an der rechten Mainseite vor, das Fussvolk landete ebenda und erklomm die Höhen, fand sie aber von den Alamannen, die sich noch vor Sonnenaufgang gezeigt hatten, verlassen. Denn sie waren durch die Signale aufsteigender Rauchwolken über den Main gerufen und hatten sich auf dem linken Ufer mit ihren Stammgenossen vereinigt. Ungeschützt fielen nun die an Frucht und Vieh reichen Landhäuser des (untern) Rheingau und der Kunigeshundra der Plünderung anheim, die Einwohner wurden zu Gefangenen gemacht, die Gebäude selbst, sorgfältig nach römischer Art in Stein gebaut, nieder- gebrannt; opulentas pecore villas et frugibus; domicilia cuncta curatius ritu Romano constructa, 7. So zerstörte Julian die Reste der römischeu Kultur, die sich in diesen fruchtbaren Land- strich erhalten hatten (S. 5 und 32).

Dieser selbst rückte (von Mainz aus?) mit Truppen auf der linken Mainseite vor, machte vor dem Waldverhau Halt, biieb lange zaudernd steheu, wagte aber keinen Angriff und kehrte wieder um.

Er stellte auch die weiteren Operationen ein. Tag- und X achtgleiche (vom 21. September) war längst vorüber, tiefer Schnee bedeckte die Höhen und das Flachland und die Strenge der Witterung machte jedes kriegerische Unternehmen für die Römer gefahrvoll.

Die Trajanische Veste.

Aber ein wichtigstes Werk gelang dem Cäsar. Er stellte schleunigst und ohne auf Widerstand zu stossen, die Veste, welche zur Zeit der römischen Herrschaft Trajau (98 117) gebaut, und welche längst von den Alamannen zerstört war, wieder her, mnnimentum, quod in Alamanuorum solo conditum Trajanus suo nomine voluit appellari, 1 1, belegte sie mit einer einstweilen hinreichenden Besatzung und versah sie mit erbeutetem Proviant. Alles deutet hinsichtlich der Lage auf die Nähe von Mainz, etwa auf die Umgebung von Rüsselsheim. Denn die Veste konnte nicht wohl über den 10000 Passus von Mainz entfernten Verhau hinaus liegen, weil sonst die Arbeit gestört sein würde und bei späteren Angriffen von Mainz aus nicht Succurs gebracht werden konnte. Von diesem grossen befestigten Lager war sie ein auf alamaunischen Boden vorgeschobenes

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Fort, das den Main sperrte und gleichmässig den obern Rhein-, den Main-, den Mattiaker-Gau und die Wetterau bedrohte. Noch fehlte ihm freilich die Ausrüstung an Wurfmaschinen und sonstigem V ertheidigungsgeräthe.

Der Waffenstillstand.

Dem geringen militairischen Erfolg dieses Herbstfeldzuges entsprach auch der politische. Von einer Unterwerfung der Alamannen war keine Rede. Aber sie verstanden sich dem Sieger von Strassburg gegenüber zu einem zehnmonatlichen Waffenstillstand, der ihm die Trajanische Veste sicherte und seine Rückkehr über den Rhein gestattete. Ammian erzählt übertreibend, die Alamannen hätten, als der Bau der Veste begonnen, durch Gesandte demüthig um Frieden gebeten und dann seien die drei schrecklichen Könige, welche dem Suomar nnd Hortar Hülfe gesendet, zitternd herbeigekommen, um den bewilligten Waffenstillstand nach alamannischer Form, ritu patrio, zu beschwören. Die Eidesformel lautete, sie würden nichts Feindseliges unternehmen, sondern den Waffenstillstand bis zu dem nach dem römischen Belieben festgesetzten Tage beobachten, die Veste unangetastet lassen und Lebensmittel herbeibringen, sobald die Besatzung ankündige, dass es daran fehle. Diese Bedingungen wurden von den Alamannen innegehalten.

Nachdem der Cäsar erreicht, was er den Umständen nach erreichen konnte, kehrte er in das Innere von Gallien, nach Paris zurück.

7. Die rheinischen Gaue am Main. 358.

Der obere Rheingau.

Das Jahr nach der Schlacht bei Strassburg brachte zunächst eine erfolgreiche Unternehmung des Cäsar gegen die salischeu Franken und die Chamaven.

Dann wendete er sich gegen die Alamannen, deren ver- einigten Angriff er nach der Niederlage des vorigen Jahres befürchtete. Er schlug etwa bei Speyer eine Schiffbrücke über den Rhein und zog am rechten Ufer von Süden nach Norden

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rheinabwärts, um nunmehr den Gau des Königs Suomar, den er etwa Worms gegenüber betrat, und den des Hortar zur Unter- werfung zu zwingen. Der Marsch ging langsam voran, da der General der Reiterei Severns, der bei Strassburg den siegenden linken Flügel des römischen Fussvolks commandirt hatte, tödlich erkrankte, als unvermuthet Suomar sammt Gefolgen vor Julian mit Miene und Aufzug eines Flehenden erschien und froh, wenn er nur das Seine behalten könne, mit gebeugtem Knie, ohne jeden Vorbehalt um Frieden bat. Julian gewährte ihn unter Verzeihung für das Vergangene und der Bedingung, dass er die Gefangenen zurückgebe und das Heer nach Bedarf mit Proviant versehe. Weise er sich darüber nicht jeder Zeit durch Empfangs- scheine aus, so habe erZwang zu gewärtigen. Suomar unter- warf sich auch einem Büudniss, dem er Treue bewahrte.

Der Matti akergau.

Der Zug ging weiter in den Gau des Hortar. Da es im Taunus an Wegweisern fehlte, so wurde ein junger Alamaune aufgegriffen, der sich als Wegweiser anbot, wenn mau ihm das Leben schenke. Er führte das Heer in einen tiefen Wald vor einen Verhau, von dem es erst nach langen Umwegen wieder zu alamaunischen Ansiedlungen kam. Empört über diese Irre- führung setzten die Soldaten die Ernte auf den Feldern in Brand, nahmen Menschen und Vieh weg und machten nieder, wer Wider- stand leistete.

Der König gerieth in die äusserste Bestürzung. Die Massen der römischen Soldaten vor sich, sah er seine Dörfer in Schutt und Asche, und auf dem Punkte, Alles zu verlieren, bat er gleichfalls um Nachsicht. Auch er wurde zum Bünduiss zu- gelassen und hatte zu beschwören, dass er sich den Befehlen des Siegers unterwerfen und, worauf man vor Allem bestand, sämmtliche Gefangenen herausgeben werde. Als er aber nur Wenige auslieferte und kam, um das herkömmliche Geschenk der Verbündeten in Empfang zu nehmen, Hess der Cäsar vier von seinen Gefolgen, ihm besonders durch Dienste und Ergeben- heit vertraut, in Haft nehmen und liess sie nicht eher frei, als bis alle Gefangenen herausgegeben waren. Dann wurde er noch zu einer Besprechung mit dem Cäsar geladen, in der er von Neuem durch den Anblick dos Siegers gedemiithigt, ihm

Criocr, Geschichte der Alamannen. y

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mit angstvollen Blicken seine Ehrfurcht bezeugte, jedoch weiter eine harte Bedingung des Inhalts auferlegt erhielt: Nach so vielen glücklichen Erfolgen sei es geboten, auch die von den Alamannen zerstörten Rheinstädte wieder aufzubauen: er habe daher zu diesem Zweck Baumaterialien und Fuhrwerke ans seinen und der Seinigen Mitteln zu liefern (was, wie es scheint auch fräukischen Königen auferlegt war) und für jede Treu- losigkeit mit dem Leben zu haften. Die Lieferung von Proviant konnte man dem Hortar nicht wie dem König Suomar zumuthen, weil sein Gebiet gänzlich verheert war.

„So mussten, ruft Amtnian aus, jene Könige, sonst aufgebläht von Hochmuth und gewohnt, mit dem Raube der Unsrigen sich zu bereichern, ihren Nacken unter das Joch römischer Macht beugen. Sie leisteten jetzt, als wären sie unter tributpflichtigen Völkern geboren und aufgewachsen, unweigerlichen Gehorsam.“

Nach diesen Erfolgen verlegte Julian die Soldaten in ihre gewöhnlichen Standquartiere.

8. Der Zug durch das Main- und Xeekargcbict. :J59.

Der Wiederaufbau der Städte.

Die rheinischen Gaue waren bezwungen, und es blieb dem Cäsar übrig, auch die im Innern des Landes am Main, dem Neckar und der oberen Donau gelegenen Gaue zu Boden zu werfen.

Zunächst besuchte er die zerstörten und wieder aufgebanten Städte. Es waren ihrer sieben, von denen hier Bingen (Bingium) und Andernach (Antennacum), als die dem Gaugebiet des Hortar benachbarten hervorgehoben werden mögen. Mit ihnen, so wie den statt der abgebrannten neu errichteten Magazinen war man fertig. Die letzteren wurden bereits mit Getreide und sonstigen Vorräthen gefüllt, so dass der Bedarf auf lange Zeit gedeckt war. Nur die Mauern der Städte waren noch zu errichten, eine Arbeit, die keinen Aufschub erlitt, da der Krieg jeden Augenblick eine Störung herbeiführen konnte. „Und dabei war deutlich zu bemerken, sagt Arnmian, wie die Alamannen aus

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Furcht, die Römer aus Verehrung gegen den Cäsar das Werk förderten. Nicht nur die Könige Hessen nach dem Vertrage des vorigen Jahres Baumaterialien mit eigenen Fuhrwerken herbeisehaffen, sondern auch die römischen Auxiliartruppen, die sonst vor derartigen Geschäften einen Widerwillen hatten, gaben sich auf Julians Zureden zu Allem her, trugen Baumstämme von 50 Schuh und mehr auf den Schultern herbei und leisteten bei den Bauarbeiten die nützlichsten Dienste.“ (Auch im nächsten Jahre nahm Julian rheinaufwärts bis in das Land der Rauraker eine Besichtigung sämmtlicher Kastelle vor, ordnete Verbesser- ungen an und setzte die von den Alamannen zerstörten Städte in Vertheidiguugszustand.)

Die Vorbereitungen.

Inzwischen hatte der Cäsar insgeheim einen ihm ergebenen Tribunen, Hariobaudes, der mit der germanischen Sprache ver- trant war, angeblich als Gesandten an den nunmehr verbündeten König Hortar geschickt, um von dessen Gau aus die benach- barten Gaue, mit denen man die Feindseligkeiten unmittelbar eröffnen wollte, zu erforschen und deren Absichten zu ermitteln. Er zog von Allem Kunde ein und erstattete seinen Bericht.

Auf den hin brach Julian mit dem von allen Seiten für den Feldzug zusammengezogenen Heer bei günstiger Jahreszeit des Juli, in der man von Gallien aus Derartiges unternehmen konnte, auf und rückte mit aller Eile nach Mainz. Seine Offleiere bestanden hartnäckig darauf, über eine dort zu schlagende Brücke zu gehen. Der Cäsar wies dies aber auf das Bestimmteste vou der Hand, indem er erklärte, die Gaue befreundeter Könige dürften nicht betreten werden, damit nicht, wie oft geschehen, die Plünderungssucht der Soldaten Anlass zu einem jähen Bruch des Bündnisses gäbe. Hier handelte es sich zunächst um den Gau des Snomar, der am anderen Rheinufer südlich vom Main lag.

Der Brückenschlag.

Schon hatten Alamannen, deren Gaue den Besuch des römischen Heeres erwarten konnten, mit Rücksicht auf die nahende Gefahr dem Suomar das drohende Ansinnen gestellt, den Römern den Uebergaug zu verwehren. Auf seine Ein- wendung, dass er allein zum Widerstand zu schwach sei, erschien

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eine starke Schaar von Alamannen gegenüber von Mainz, um jeden Versuch der Römer, über den Fluss zu setzen, mit aller Kraft zurückzuweisen.

Angesichts dieses drohenden Widerstandes unter eigenem schweren Verlust eine Brücke zu schlagen, erschien dem Cäsar nicht thunlieh. Er grill daher zu einer Kriegslist.

Er bestimmte anscheinend eineti Punkt für den Uebergang, liess hier Wall und Graben aufwerfen und die Truppen Zelte aulschlagen und Lagerfeuer anzünden. Die Alamannen, die bis dahin dem anderen Ufer entlang in Bewegung gewesen waren, machten darauf gleichfalls Halt und durchwachten die Nacht, eines trotzdem etwa versuchten Ucbergangs gewärtig.

Der Cäsar gab nun einigen Tribunen, ohne ihnen den Zweck und Ort ihrer Bestimmung bekannt zu machen, den Befehl, je 300 Leichtbewaffnete mit Pfählen bereit zu halten. Es war schon spät in der Nacht, als man sie versammelte und auf 40 leichten Fahrzeugen, die man gerade zur Hand hatte, einschiffte. Der Befehl lautete: in aller Stille, selbst mit eingezogenen Rudern, damit der Feind nicht durch das Geräusch des Wassers aufmerksam werde, Strom ab zu fahren und Alles aufzubieten, um am anderen Ufer festen Fuss zu fassen. Dies geschah.

Das Gelage.

In derselben Nacht bewirthete der König Hortar, nicht einer Verschwörung halber, sondern als Freund seiner Nachbarn in seiner Halle alle Könige, Königsboten und Hunnen des in der Nähe liegenden Alamannenheeres. Das Gelage zog sich nach germanischer Sitte über die Hälfte der Nacht hinaus hiu.

Jetzt waren sie auf dem Heimweg begriffen, als unvermuthet römische Soldaten auf sie stiessen. Da sie aber beritten im Schutz der Nacht nach allen Seiten auseinanderstobeu, so wurde keiner gefangen oder getödtet. Der Tross dagegen und die Sclaven, die zu Fuss folgten, wurden mit Ausnahme weniger entfliehenden niedergemacht.

Nachdem die Schwierigkeiten gehoben, wurde die Brücke geschlagen und das Heer hinübergeführt. Die Römer standen nun auf alamannischem Boden.

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Der Ort des Rheinübergangs.

Man wird annehmen können, dass die Stelle des anscheinend vorbereiteten Uebergangs oberhalb Mainz lag, um die Alamannen dahin zu locken, während die des wirklichen Brückenschlags unterhalb im Gau des Hortar gewählt wurde. Wenn somit das alamannische Heer während der Nacht oberhalb Mainz stand, so konnte der Cäsar für den Uebergang seines in Mainz stehenden Heeres eine möglichst nahe Stelle unterhalb im Gau des Hortar bestimmen. Man möchte an Mombach- Biebrich, eine Stunde von Mainz entfernt, oder eine halbe Stunde weiter an Schier- stein denken. Noch näher an Mainz wird man die Halle des Königs Hortar verlegen, da seine Gäste kaum wagen durften, sich weiter von dem Heere zu entfernen.

Als die Alamannen gewahrten, dass den Römern der Ueber- gang gelungen, löste sich das Heer auf, und jeder eilte in seinen Heimathgau, um Weib und Kind und Habe tiefer landeinwärts zu bergen.

Der Marsch zum Limes.

Die Römer brachen vom Rheinufer auf und marschirten zunächst durch den Gau des Hortar ohne die mindeste Gewalt- thätigkeit. Der Grund, aus dem man den Gau des Suomar mit dem Durchmarsch verschont hatte, kam also bei dem ebenfalls föderirten Hortar nicht zur Anwendung.

Sobald der Cäsar dessen Gau hinter sich hatte, betrat er die Gaue der feindlichen Könige, und damit begannen die Feind- seligkeiten dieses Feldzuges, welcher dem Main- und Neckar- gebiet galt.

Der eingeschlagene Weg ist im Allgemeinen unschwer zu bestimmen. Er ging im Mainthal aufwärts und zwar zunächst auf dem rechten Ufer, da das linke durch den zu schonenden Gau des Suomar gesperrt war. Von Wiesbaden, Aquae Mattiacae, führte eine römische Strasse nach Heddernheim bei Frankfurt, wo man bereits auf der südlichen Grenze des Buchengaus des Königs Makrian war. Immer im Mainthal weiter durchschritt das Heer quer den Maingau aufwärts, bis es etwa von Milten- berg an den unteren Neckargau betrat.

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Alle diese Gebiete überzog der Cäsar mit Raub und Brand. Die umzäunten gebrechlichen Holzhütten gingen in Flammen aut. Die Menschen wurden niedergehauen oder, uni Erbarmen flehend, zu Gefangenen gemacht. So kam man nach Palas (Pohl, Pfahl) oder Capellatium am Pfahlgraben, wo die Grenz- steine der Alamannen und Burgundionen standen (S. 24). Hier an der Grenze des einstigen römischen Besitzes, jetzt dem äussersten Alamannenlande, machte der Cäsar halt und schlug ein Lager auf, um die alamannisehen Könige, die ihr Erscheinen ungesagt hatten, mit militairischem Glanz und dem Zauber der Cäsarenwürde zu empfangeu.

Die Könige des Buchengaus.

Zunächst kamen die beiden Könige des Buchengaus, die Brüder Makrian und Hariobaud, und hier zum ersten Male taucht der Name des Makrian auf, der den Römern ein Schrecken werden und sich nie unterwerfen sollte, während der Name des Bruders wieder verschwindet. Makrian war ein Jüngling, der, wie Hariobaud, bei Strassburg nicht mitgefochten und überhaupt noch kein römisches Heer gesehen hatte. Mit Behagen erzählt Ammian, wie der junge Barbar über den Reichthum der krieger- ischen Ausstattung erstaunte.

Beide Brüder suchten unerschrocken dem Verderben zuvor- zukommen, das ihnen drohte, wenn der Cäsar in veränderter Richtung seines Zuges auch ihre Gaue in ganzer Ausdehnung durchzöge. Sie baten daher besorgt um Frieden, und der wurde ihnen nach langer Berathung und einstimmiger Entscheidung im Kriegsrath bewilligt, vielleicht weil es dem Plan des Zuges nicht entsprach und bedenklich erschien, sich noch weiter vom Rhein zu entfernen und sich dem zweifelhaften Ausgang von Kämpfen in Wald und Gebirge auszusetzen. Von Friedens- bedingungen ist keine Rede und auch später sieht man nicht, dass der Buchengau durch ein römisches Biindniss gefesselt worden (S. 58).

Die Gaue des Neckargebietes.

Den beiden Königen folgte unmittelbar der König Vadomar vom Breisgau. Er kam einmal, um dem Herrn über Alamannieu zu huldigen, dann aber auch mit Aufträgen der Könige Uri,

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Ursicin und Westralp vom Neckar-, Nagold- und Westergau versehen. Diese, welche ihre Heerbanne selbst nach Strass- burg geführt und dort gegen die Römer gekämpft hatten, mochten ganz besondere den herannahenden Cäsar fürchten und bedienten sich der Fürbitte des Vadomar, eines genehmen Unterhändlers, um Frieden. Aber so leichten Kaufs sollten sie nicht davon kommen. Denn der Cäsar fürchtete, die Barbaren, deren Treue schwankender Art sei, möchten nach dem Abzug des Heeres sich wieder aufraffen und durch einen für sie nur vermittelten Frieden sich wenig gebunden erachten. Er zog daher von Palas zum Neckar und weiter Neckaraufwärts, den nordwestlichen Abhang der schwäbischen Alb zu seiner Linken, und verheerte die drei Gaue, indem er die Wohnstätten wie das Getreide auf dem Felde in Brand steckte, und Zahlreiche erschlug oder ge- fangen nahm. Da schickten die Könige Gesandte und Hessen so demüthig bitten, als hätten sie selbst dies gegen die Römer verschuldet. Der Cäsar gewährte nun den Frieden, einem Jeden unter gleichen Bedingungen. Insbesondere wurde darauf gehalten, dass sie sämmtliche Gefangene, die sie bei ihren häufigen Streif- zügen in Gallien oder Rätien gemacht, herausgäben. Die Be- dingungen deuten auf ein Bündniss hin.

In welcher Richtung Julian weiter marschirte, ist nicht berichtet. Er mag den Weg durch den Kraichgau gewählt haben, um zum Rhein, etwa nach Speyer oder Mainz zurück- zukehren. Hier lagen die föderirten Gaue des Serapio und Snomar, die dem Ammian keinen Anlass zu Bemerkungen gaben.

Zosimos hat eine sehr dunkle Nachricht, die sich wohl nur auf die Feldzüge von 357 —359 beziehen kann. Der Cäsar habe die Feinde in grosser Schlacht besiegt und über den Rhein bis zum hercynischen Walde verfolgt. Er habe dabei des Herzogs Sohn, den er Badomar nennt, gefangen, und an den Kaiser geschickt. Frieden habe er erst gewährt, nachdem ihm sämmt- liche Gefangenen ausgeliefert worden. Zu diesem Zweck, heisst es, liess er nach den Angaben der Angehörigen Verzeichnisse aufstellen und nannte bei der Uebergabe die Namen derjenigen, welche noch fehlten, eine Kunde, welche die Barbaren auf göttliche Eingebung zurückführten.

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Die politische Lage.

Die Eroberungszüge des Cäsar in Alamannien waren damit vollendet und hier war die Lage nun diese:

Der Kaiser Constantius hatte 354 356 den Breisgau, Klettgau, Hegau und Albgau unterworfen und zum Bündniss gebracht. Der Albgau hatte sich dann 357 und 358 wieder erhoben und war von einem kaiserlichen General von Neuem unterdrückt.

Das AVeitere war das Verdienst des Cäsar Julian. Seine Kriege umfassten einen Zeitraum von vier Jahren (356 359). Dreimal ging er über den Rhein.

Alle Gaue erhoben sich zu dem Zuge nach Strassburg und unterwarfen sich nach der Niederlage oder bei der Anwesenheit des Cäsar auf dem rechten Rhein entweder ohne weitern Zwang oder nach der Verheerung ihrer Gebiete. Nur der Albgau war bereits zur Ruhe gebracht und von dem entlegenen Lahngau ist nichts berichtet. Die Uebrigen wurden durch Bündnis- verträge dem römischen Reich angegliedert oder kehrten zu ihren älteren Verträgen zurück. Nur der Buchengau blieb, wie es scheint, frei.

Wie viel an Blut die Kriege gekostet, wie viel Kriegs- gefangene der Kaiser und der Cäsar in die Sclaverei führten, ist nicht zu ersehen. Der Cäsar befreite 20000 Römer, Männer, Frauen und Kinder, die er aus der Gefangenschaft nach Gallien zurückführte.

Die Alamannen gewöhnten sich bereits an die Beziehungen zu Rom, sie stellten nicht nur die durch die Verträge ihnen auferlegteu Hülfstruppen, sondern Hessen sich auch freiwillig in Gallien anwerben.

Mit Recht konnte Julian, 360 von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen, ihnen sagen: „Noch in der ersten Jugend in eure Reihen aufgenommen, habe ich die unaufhörlichen Ein- fälle der Alamannen und Franken und deren unersättliche Raub- lust unterdrückt. Mit eurer Hülfe habe ich römischen Heeren, so oft sie wollen, einen AVeg über den Rhein gebahnt. Gallien ist nach so vielen Opfern an Menschenleben und Verlust von Eigenthum wieder hergestellt. In einer Reihe von Kriegen

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gegen die verbundenen Haufen der Völker habt ihr mich besonnen und vorsichtig erkannt.“

Dem Kaiser Julian sollte noch das Nachspiel eines unbot- mässigen Gaukönigs bevorstehen.

VI. Die Kaiser Constantius und Julian. 360—363.

0. Der König Yadoinar.

Die Stimmung des Constantius.

Der Kaiser Constantius hatte mit Erstaunen, Neid und Misstrauen die überraschende und glänzende Laulbahn des jugend- lichen Cäsar verfolgt. Bei sehr mässigen eigenen Erfolgen, die er einzelnen Gauen gegenüber davon getragen, scheute er sich nicht, in seinen öffentlichen Edikten über die Schlacht bei Strassburg vom Cäsar zu schweigen, und, während er damals im Orient 40 Tagemärsche entfernt abwesend war, zu schildern, wie Er die Schlachtordnung aufgestellt, wie Er unter den Vordersten gestanden, die Barbaren kopfüber in die Flucht ge- jagt und wie Chnodomar Ihm vorgeführt sei.

Von der Vernichtung des für Zabern bestimmten Proviants durch Barbatio sagt Anunian: „Ob er dies aus Unverstand that, oder auf einen kaiserlichen Befehl hin sich solcher Ruchlosigkeit erkühnte, liegt zur Zeit noch im Dunkeln. Doch wurde das Gerücht von Mund zu Mund getragen, Julian sei nicht Galliens halber nach Gallien geschickt, sondern um ihn in den Anstreng- ungen des Krieges verderben zu lassen. Hatte man doch geglaubt, der Neuling würde nicht einmal das Geklirr der Waffen ertragen.“

Eifersüchtige Generäle, wie Marcellus und Barbatio, frei- willige Verleumder, aufgestellte Spione trugen dem Kaiser zu, was dem Cäsar zum Schaden gereichte, was dem Kaiser gefiel, und am Hofe wurden die Erfolge des Cäsar verlacht. Während er in seinen Berichten nur Siege über die Alamannen melden konnte, nannte man ihn Victorinus (Siegerich).

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Der Kaiser erkannte aber wobl die Gefahr, die der sieg- reiche Cäsar über ihn heraufbeschwören konnte und hegte den Wunsch, ihn in Gallien zu beschäftigen und ihn dadurch inner- halb der gallischen Grenzen festzuhalten. Dazu bedurfte er eines Werkzeuges und fand es in dein König des Breisgaus.

Die Mission und Huldigung Vadomars.

Dieser, von jeher ein geschmeidiger, verschlagener und ge- waltthätiger Mann, stand, von Constantius besiegt, seit 354 im Bfindniss mit Rom, und hatte sich der persönlichen Theilnahine an dem Zuge nach Strassburg, dein sein Volk sich angeschlossen, zu entziehen gewusst. Er war, wie es scheint, nach der Er- mordung seines Bruders Gundomad König beider Theile des Breisgau geworden. Der Kaiser sah in ihm einen treuen, ver- schwiegenen und selbsttätigen Vollstrecker geheimer Befehle und beauftragte ihn daher, sogar wie es hiess schriftlich, unter scheinbarem Bruch des Bündnisvertrages von Zeit zu Zeit die ihm benachbarten Landstriche Galliens durch Einfälle zu be- unruhigen.

Aber besorgt gemacht durch die glänzenden Thaten des Cäsar, kam er 359 in dessen Lager zu Palas, w'olil weniger, um für die drei Könige vom Neckar Fürsprache einzulegen, als um seine eigene Person in Sicherheit zu bringen. Der Kaiser Constantius selbst ermöglichte ihm dies, indem er ihm einen Brief mit dringenden Empfehlungen mitgab. Da er vom Kaiser selbst in die Schutzverwandtschaft des Reiches auf- genommen war, wurde er, wie es sich gebührte, freundlich auf- genommen, und es gelang ihm, mit dem Cäsar seinen Frieden zu machen.

Der Bruch zwischen den Kaisern.

Nun war zu den Erfolgen des Cäsar noch der Abschluss des Main -Neckarfeldzuges gekommen. Die Kunde von unend- lichen Mühen, glänzenden Ruhmesthaten, von der Wiederher- stellung Galliens, der Bändigung alamannischer Gaue war weit zu den Nationen gedrungen. Das Alles brannte auf der Seele des Kaisers, und er hegte die Besorgniss, es werde immer noch schlimmer werden. Als er daher (360) zu einem Zuge nach

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Persien rüstete, forderte er vom Cäsar die schleunige Absendung von Truppen seines gallischen Heeres: es waren die Hülfstruppen der Heruler und Bataver, der Petulanten und Gelten und von den Legionen je 300 auserlesene Mannschaft.

Zwei Gründe standen dem entgegen. Die Alamannen waren wieder bis zur Wuth und zum Ausbruch eines Krieges gereizt, und die Soldaten weigerten sich der Verwendung im Orient; im Lager der gallischen Truppen fand man eine auf- reizende Schrift mit den Worten: „Unsere Weiber, die wir nach mörderischen Kämpfen aus der Gefangenschaft befreit haben, sollen den Alamannen nicht wieder dienen“, und die germanischen Söldner hielten den Inhalt ihrer Kapitulation ent- gegen. Das Verlangen des Kaiser führte zum Bruch; die im Winterquartier zu Paris vereinigten Soldaten erhoben nach germanischer Art den Cäsar auf den Schild und riefen ihn zum Kaiser, Augustus aus. Gezwungen gab er diesmal nach und liess sich von dem Heer huldigen.

Der neue Kaiser suchte sich mit Constantius zu ver- ständigen, aber dieser lehnte jedes Uebereinkommen ab; als tief unter ihm stehend, war ihm der Cäsar ein Gegenstand der Verachtung. Keine der Neuerungen, gab er ihm kund, erkenne er an. Wenn ihm sein und der Seinigen Heil lieb sei, so solle er von seinem thörichten Dünkel ablassen und in die Schranken seiner Cäsarenwürde zurückkehren. Diese Zumuthung war vergebens.

Die Doppelzüngigkeit des Königs.

In dem Streit zwischen den beiden Kaisern trat Vadomar anscheinend auf die Seite des Julian. Schrieb er ihm, so

nannte er ihn den Herrn, den Kaiser, einen Gott, dominum et Augustum et deuin. Er hatte aber das Missgeschick, dass man bei seinem Geheimschreiber einen au Constantius ge- richteten Brief fand, in dem es unter Anderem hiess: Dein Cäsar hat keine Zucht, Caesar tuus disciplinam non habet. Man sah ein, dass diese Doppelzüngigkeit für ihn verhängnis- voll sein könnte, und war zu seiner und der Provinz Sicherheit darauf bedacht, ihn unversehens festnehmen zu lassen.

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Die Aufrufung der Germanen.

Zu den Nachrichten Ammians, auf denen die bisherige Darstellung beruht, treten nunmehr auch einige Notizen anderer Schriftsteller hinzu. Abgerissen und schon darum dunkel, ohne Erläuterung der Thatsachen, ohne Anhalt für die Zeitfolge und an sich wenig glaubhaft, sind sie doch in die weitere Erzählung eingeflochten, wo es am passendsten geschehen mochte.

Wie einst dem Gegenkaiser Magnentius gegenüber, berichtet Libanios, habe Constantius nunmehr zum zweiten Male die Ger- manen durch Briefe aufgefordert und von ihnen als Gunst er- beten, die römischen Provinzen für sich zu unterjochen. Ton allen Königen habe er aber nur Einen willig gefunden, den Vadomar. Libanios weiss auch von Gebieten, die ihm zum Lohn überwiesen seien.

Constantius mag allerdings die Germanen zum Aufstand gegen Julian aufgerufen haben, aber an der von keinem Anderen bestätigten Nachricht erscheint wenig wahrscheinlich, dass Jener sich dem Schimpf zum zweiten Mal ausgesetzt habe, den er bei der früheren Preisgebung von Gallien auf sich geladen hatte. Richtig aber ist, dass Vadomar seine Politik thatsächlich unter- stützte.

Der Einfall in Rätien.

Mit Beginn des Frühjahrs (360) brachen überraschend, da sie bis dahin dem Bündnissvertrag treu geblieben waren, zahl- reiche Alamannen ans dem Gau des Vadomar, er selbst blieb wie bei dem Zuge nach Strassburg zu Hause, in die benachbarten Grenzstriche Rätiens ein und zogen verheerend und raubend weit umher. Nach Eunapius hätten sie dreitausend Gefangene gemacht. Vadomar, erzählt er weiter, ohne dass der Zusammenhang klar wird, habe dann dem Julian die Heraus- gabe der Gefangenen versprochen, und habe dafür seinen Sohn als Geisel gestellt, aber das Versprechen uicht erfüllt.

Die Niederlage der Römer.

Julian schickte von Paris aus den comes Libino mit Petu- lanten und Celten, um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, denn sie nicht beachten, hiess neuen Brennstoff für den Krieg

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herbeitragen. Dieser- gelangte nach Säckingen, Sanctio im Breisgau, während die Alamannen den Kampf erwartend, sich in die anstossenden Tliäler zurückgezogen hatten. Die Römer waren in der Minderzahl, die Soldaten verlangten aber nach dem Kampf. Libino griff unbesonnen au und fiel als der erste. Dieser Erfolg erregte die Alamannen, der Verlust ihres An- führers erbitterte die Römer, uud so kam es zu einem hart- näckigen Zusamnienstoss. Schliesslich gab die Uebermacht die Entscheidung, der Verlust der Römer an Todten und Ver- wundeten war jedoch geriug. Unter dem Eindruck dieses Sieges wird es, wie Ennapius weiter erzählt, gewesen sein, dass Vadomar seinen Sohn zurück verlangte und ihn auch erhielt, vielleicht, weil Julian, der schon einen Rachezug plante, ihn in Sicherheit wiegen und überraschen wollte. Er schickte ihm eine Gesandtschaft und schrieb dazu, wenn er ihm auch den Sohn zurückgäbe, so bleibe Vadomar doch verbunden, die Ge- fangenen auszuliefern. Weigere er sich, so möge er der Ahn- dung gewärtig sein.

Die Festnahme des Königs.

Es scheint, dass dies der Zeitpunkt war, au dem den Vado- mar sein Schicksal ereilte. Schon vorher hatte Julian seinen Geheimschreiber Philagrius, auf dessen Klugheit er vertrauen konnte, in Amtsgeschälten an die Grenze geschickt und ihm ansser andern Aufträgen ein versiegeltes Schreiben mitgegeben, das er erst öffnen sollte, wenn er einmal den Vadomar in Gallien zu Gesicht bekomme. Er traf ihn auch, wie er unbefangen, als stände er und sein Gau im tiefsten Frieden mit dem Cäsar, mit Gefolgen über den Rhein kam, nach seiner Gewohnheit bei dem Befehlshaber der dort stationirten Truppen kurz vorsprach und vor dent Weggehn zu einem Mahl zusagte, zu dem auch Philagrius geladen war. Dieser sah den Vadomar, öffnete das Schreiben, wusste nun, was er zu thun hatte und setzte sich zu den Gästen. Nach geendetem Mahl packte er den König uiit starker Faust, übergab ihn zur Aufbewahrung einem Offizier, verlas den Befehl des Julian und gebot den Gefolgen des Vadomar, von denen im Schreiben Nichts stand, in ihre Heiuiath zurückzukehren.

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Die Unterwerfung des Breisgaus und Verschickung des Königs.

Inzwischen war Julian nach Eunapius seiner Gesandschaft auf dein Fuss gefolgt. Er eilte von Speyer nach Kaiser- Augst, Kauraeuni, setzte hier in der Stille der Nacht mit leichtbewaff- neten Hülfstruppen über den Rhein und überraschte die Nichts ahnenden Breisgauer, die, erst durch Waffengetöse aufgeschreckt, nach Schwertern und Geschossen griffen. Man stürzte sich auf sie, einige fielen, andere flehten uni ihr Leben, ergaben sich und wurden gefangen genommen. Im Lager wurde der Ge- fangene Vadomar dem Kaiser vorgeführt. Als er von dem auf- gefangenen Briefe gehört hatte, wagte er nicht mehr, auf Gnade zu hoffen, Julian schickte ihn aber ohne ein Wort des Vorwurfs nach Spanien. Die Anführer der Breisgauer ver- sammelte er um sich, hielt ihnen ihren Abfall vor, drohte ihnen für die Zukunft (Libanios) und, nachdem sie die Gefangenen und die Beute herausgegeben, gewährte er gegen das Gelöbniss, Ruhe halten zu wollen, den Frieden.

Die beiden Kaiser.

Im nächsten Jahre schickte Julian sein Heer Donauabwärts dem Constautius entgegen. Er selbst folgte, den Schwarzwald, Marcianae silvae übersteigend, dem Fluss entlang bis, wo er schiffbar wurde (bei Ulm), und fuhr mit dem Heer stromab- wärts: „Er ging ohne Halt voran, wie er gewohnt war, sieh einen Weg durch Barbarenland zu bahnen, auf das Glück ver- trauend, das ihm bis dahin treu geblieben.“

Constautius wendete sich, nachdem er in Persien keinen Erfolg gehabt hatte, gegen ihn, aber ehe beide aufeinander ge- stossen waren, starb er 361 am Fieber in Cilicien. Julian empfing in Dacien die Nachricht von seinem Tode, und dass seine letzten Worte ihn zum Nachfolger der kaiserlichen Würde erklärt hätten. Bald sah er sich in Constautinopel als den Herrn der Welt. Erst jetzt erklärte er sich öffentlich für die Verehrung der alten Götter und wurde der „Abtrünnige“, Apostata, im Munde der Kirche und der Geschichte. Im Kriege mit den Persern drang er 363 über den Tigris vor, fiog wie

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bei Strassburg in einer Schlacht durch die Reihen der Kämpfen- den hin und her und fand durch einen Pfeilschuss seinen Tod.

Die weiteren Geschicke des Königs.

Die Laufbahn des Vadomar fand mit seiner Verschickung nach Spanien keineswegs ein Ende. Der alte Alamannenkönig wurde unter der Regierung des Orientkaiser Valens Statthalter der römischen Provinz Phönike, deren landschaftliche Schönheit und Städte Tyrus, Sidon, Damaskus und Andere Amniian her- vorhebt. Vadomar blieb auch hier der verschlagene Ränke- schmied. Später war er mit militärischen Aufgaben betraut. Im Jahre 365, in dem Procop sich zum Kaiser aufgeworfen und Thraciens und Bithyniens und in letzterm der Stadt Nicaea bemächtigt hatte, erhielt er und Andere, mit der Belagerungs- kunst vertraute, den Befehl, sie zu nehmen. Die Besatzung machte jedoch einen Ausfall uud erschlug einen grossen Theil der Belagerer. Dagegen besiegte er und der Comes Trajanus im Jahr 371 ein Heer des Perserkönig Sapor, der in das römische Mesopotamien eingefallen war, bei Vagabanta, worauf Valens und Sapor einen dem Krieg ein Ende machenden Waffenstillstand schlossen.

VII. Dar Kaiser Valentinian. 365 374.

10. Der Krieg in Gallien.

Der Kaiser.

Mit dem Tode des Kaiser Julian nahm das Haus des Constantius I. Chlorus ein Ende. Ihm folgte das des Valentinian. Nach der Reichstheilung von Sirmium (364) war er der Kaiser des Abendlandes mit den Hauptstädten Mailand und Trier, der, um die Nachfolge zu sichern, (367) seinen achtjährigen Sohn Gratian zum Mitregenten als Augustus ernannte. Der Orient wurde von Valens, dem Bruder des Valentinian regiert. Die beiden weströmischen Kaiser sollten mit mächtiger Hand in die Geschicke der Alamannen eingreifen, und selbst das Schicksal des Valens sollte dadurch berührt werden.

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Valentinian war hart und strenge, grausamer Gemiithsart, aufbrausenden Zorns, ein Manu gewaltsamer Mittel. Von majestätischer Würde, war er ein Staatsmann von umfassender Wirksamkeit, ein Feldherr von Umsicht und Entschlossenheit, ein kraftvoller Kaiser.

Der Anlass zum Kriege.

Nach den schweren Verlusten und Niederlagen, die sie. unter dem Cäsar Julian erlitten, waren die Alamannen, wenn auch nicht zu ihrer früheren Höhe, aber doch eiuigermassen wieder zur Kraft gelangt, und es ergab sich bald wieder Anlass zu Streit und Kampf.

Nach dem Thronwechsel fanden sich alamannische Gesandte am Hoflager des Kaisers in Mailand ein, um den Tribut in Empfang zu nehmen, der unter dem Namen von Geldspenden, munera, der Gewohnheit gemäss in festen Leistungen bestand. Was ihnen jetzt angeboten wurde, war aber so dürftig, dass sie es als ihrer unwürdig hinwarfen. Vom Oberhofmeister Ursacius, einem äusserst jähzornigen Mann, noch dazu grob angefahren, reisten sie ab, und ihre schimpfliche Behandlung brachte die Gaue in gewaltige Erregung. Sie brachen in Gallien ein, ver- wüsteten, ein Gegenstand des Schreckens, die Grenzbezirke und hatten sich, ohne einen Mann zu verlieren, bereits zurückgezogen, als der Kaiser Truppen gegen sie aussendete.

Die Vorbereitungen.

Diesem Raubzug folgte 367, zehn Jahre nach der Schlacht bei Strassburg, wieder ein grosses Kriegsunternehmen des ge- sammten Stammes nach Gallien. Wer dessen treibende Kräfte waren, ist nicht zu ersehen. Es treten jedoch während der Herrschaft des Valentinian die Namen zweier Alamannenkönige hervor, die einzigen, die überhaupt genannt werden, deren Hände man auch hier als thätig erwarten kann. Sie gleichen den Planeten, die das Auge nicht sieht, die aber an der Wirkung erkannt werden, weiche sie störend auf den Lauf anderer aus- iibeu. Beklommenen Herzens schildert Ammian, wie die Könige Ruhe und Friede nicht aufkommen Hessen. Im Norden war es der König Makrian vom Buchengau, der, nachdem er im Jahre 35b in Julians Lager am Limes naiv die römischen Watten

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bewundert hatte, erst nach länger als einem Jahrzehnt wieder auftaucht, der „furchtbare“ Makrian, der „wildeste der feindlichen Könige“, der das Reich „ohne Unterlass und Mass durch Ein- fälle iu fortgesetzter Verwirrung erhielt“, „der selbst vor dem Angriff befestigter Städte nicht zurückscheute“. Im Süden war es der Sohn des vertriebenen Vadomar, der König Vithikab vom Breisgau, „ein junger Mann, zart und siech, aber kühn und tapfer, der immerdar das Feuer des Krieges schürte“. Sie beide verfolgte später der Kaiser mit ingrimmigem Zorn. Aber was der römische Geschichtsschreiber verschweigt, sind ihre Thaten. Die sehen wdr nicht. Und doch, wer kann nach ihrer geschilderten Art zweifeln, dass sie an dem grössten Unter- nehmen ihrer Zeit mit Leidenschaft und Energie, vorbereitend und ausführend Theil genommen haben?

Denn wie zu dem Zuge nach Strassburg die Könige oder Köuigsboten aller Gaue mit 35 000 Mann sich aufmachten, so werden auch jetzt alle Gaue vertreten, und die Gesammtzahl der Krieger wird eine viel grössere gewesen sein. Betrug der Verlust bei Strassburg 6 8000 Todte, die auf dem Felde lagen, so sollte sich jetzt bei einem Drittel des Heeres der Verlust einer Schlacht auf 6000 Todte und 4000 Verwundete belaufen. Die für die Römer beschwerlichste Jahreszeit, der Winter, wurde gewählt, und zum Schutz gegen die Kälte führten die Alamannen Zelte mit sich.

In den ersten Tagen des Januar 367 bei grosser Winter- kälte fiel das alamannische Heer in Gallien ein und durchzog, in drei Keile getrennt (cnneatim, prima portio, alter globus, tertius cuneus), verschiedene Gegenden, ohne im Anfang Wider- stand zu finden.

Ihnen entgegenzutreten, war die Aufgabe des Charietto, dessen aufsteigender Lebenslauf uns von Zosimos, Eunapius und Ammian bewahrt ist. Ein Germane, Riese an Leib und Un- erschrockenheit, kam er, eho Julian Cäsar von Gallien wurde (.355), über den Rhein und fand in der Gegend von Trier einen Haufen von Chauken, die von einem Waldversteck aus die Umgebung ausplünderten. Selbst an das Leben von Räubern gewöhnt, schlich er sich Nachts zu ihnen und schnitt, so oft und so viel er konnte, ihnen die Köpfe ab. Zuerst er allein, bis sich Kerkio und Andere zu ihm gesellten. Der Cäsar Julian,

Cr Amor, Geschichte der Alamannen. 10

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den er dann anging, verstärkte sie durch salische Franken und nahm sie in seine Dienste, Räuberbande gegen Räuberbande, und ihrem nächtlichen Treiben gegenüber mussten sich die Chauken ergeben. Im Jahr 358 begleitete Charietto, ein Mann von wunderbarer Tapferkeit, viro fortitudinis mirae, den Cäsar auf seinem Zuge gegen den König Hortar, und nunmehr war er Commandeur in beiden Germanien, per utramque Germaniam comes. Zur gemeinsamen Kriegsarbeit mit seinen kampflustigen Soldaten forderte er den Comes Severian, einen altersschwachen Mann, auf, der mit zwei Legionen bei Chalons an der Saone stand. Beider Truppen wurden mit einander verschmolzen.

Der erste Keil.

Charietto griff, einen kleinen Fluss überbrückend, den ersten Keil der Alamannen an. Ein Hagel von Geschossen aller Art wurde nachdriicklichst erwidert. Als aber die Scharen im Schwertkampf handgemein wurden, da sprengten die Alamannen durch den Ungestüm ihres Angriffs die Feinde, so dass sie weder zum Widerstand noch zum Kampfe fähig waren. Sie sahen den Severian durch ein Geschoss schwer verwundet vom Pferde stürzen und wandten sich ängstlich zur Flucht. Auch Charietto, der sich kühn den Weichenden entgegenwarf und sie mit scheltenden Worten aufzuhalten suchte, um den Schimpf abzuwaschen, fand seinen Tod, durch ein Geschoss durchbohrt. Nach seinem Fall ging auch die Fahne der Heruler und Bataver, germanischer Hülfstruppen, verloren, welche die Alamannen unter Hohngeschrei und Freudensprüngen schwangen, bis sie nach hartnäckigem Kampf wieder erobert wurde.

Als Nachfolger des Charietto schickte der Kaiser von Paris aus den General der Reiterei Jovinus, der bereits unter Julian eine der gegen Constantius ziehenden Heeresabtheilungen be- fehligt hatte. Dieser traf, den weitzerstreuten Alamannen gegenüber mit kluger Vorsicht die Flügel seiner Armee zusamnien- haltend, endlich in der Nähe von Metz bei Charpeigne an der Mosel, Scarpouna, die grössere Hälfte der Feinde, majorem barbarorum plebem, überfiel sie unvermuthet und machte sie, ehe sie zu den Waffen greifen konnten, bis auf den letzten Mann nieder. Was iin Uebrigen aus dem siegreichen Keil ge- worden, ist nicht zu ersehen.

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Der zweite Keil.

Ebensowenig erfahren wir von dem Schicksal des zweiten. Dagegen erzählt Animian mit Emphase die Ueberrumpelung eines ihm angehöreuden marodirenden Haufens, vastatorius manus. Er hatte Gehöfte geplündert und Hess es sich nun an dem Ufer der Mosel wohl sein. Einige wuschen sich im Fluss, andere tarbten sich nach germanischer Sitte das Haar roth, noch andere lagen dem Trinken ob. Ucberrascht fielen sie den Geschossen und Schwertern zum Opfer oder entkamen über die waldbedeckten steilen Berghohen des Ufers.

Der dritte Keil.

Nun war allein noch, heisst es, der dritte Keil übrig. Geschickte Kundschafter voran, traf ihn Jovinus nach be- schleunigtem Marsche bei Chalons an der Marne, Catalauui, in schlagfertiger Stellung. Er schlug ein Lager auf, gönnte seinen Truppen die Ruhe der Xacht und führte sic beim Morgengrauen auf eine offene Fläche. Hier gab er der Schlachtordnung eine Ausdehnung, dass der minder zahlreichen Römer eben so viele zu sein schienen, als der Alamannen. Die Hörner bliesen zum Angriff und der Kampf wurde, als man sich näher rückte, eröffnet. Da standen die Alamannen, erzählt Ammian, erschreckt von dem Glanz der zahlreichen Feldzeichen einen Augenblick wie gelähmt da, bis sie sich wieder ermannten. Der Erfolg des Tages schien auf römischer Seite zu sein, aber der Kampf zog sich bis zum Abend hin, und da drohte mit der Flucht eines Tribunen eine Wendung einzutreten, die Reihen der Römer widerstanden jedoch mit Muth und Kraft. Erst die Xacht machte dem erbitterten Kampf ein Ende. Die Alamannen zogen sich im Schutz der Dunkelheit zurück und Hessen 6000 Todte und 4000 Verwundete auf dem Schlachtfelde zurück. Der Verlust des Jovinus belief sich nur auf 1200 Todte und 200 Verwundete.

Als er am anderen Morgen den Feind nicht mehr vor sich sah, rückte er im geschlossenen Viereck aus und folgte ihm über die offene, wellenförmige Ebene, holte ihn aber nicht mehr ein. Allenthalben stiess man auf Halbtodte oder starr gefrorene Leichen, bei denen in der heftigen Kälte die Wunden tüdtlich geworden waren. Eines andern Weges schickte Jovinus einen

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Tribun mit den Ascariern, einer Hoftruppe, um die Zelte der Alamannen zu erbeuten. Dabei fingen sie einen König sammt geringem Gefolge und erhängten ihn. Ueber diese Eigenmächtig- keit aufgebracht, wollte Jovinus den Tribun zur Strafe ziehen, aber die Aufregung des Sieges diente ihm schliesslich zur Ent- schuldigung.

Der glückliche Sieger kehrte, vom Kaiser eingeholt, nach Paris zurück.

Der Abschluss.

Hit diesem glänzenden Erfolg bricht Ammian seine Dar- stellung, ähnlich wie die der Schlacht bei Strassburg ab. Aber die Reste der drei Keile machten den Römern augenscheinlich noch viel zu schaffen. Zersprengt über Gallien, wird sich ein grosser Theil zum und über den Rhein durchgeschlagen haben. Denn Ammian hält es doch für nöthig, die Lücken seiner Er- zählung durch die kühle Bemerkung auszufüllen: „Ausser diesen Treffen gab es viele andere in verschiedenen Gegenden Galliens. Doch ist es überflüssig, sie darzustellen, denn es ziemt sich nicht, die Geschichte mit unbedeutenden Kleinigkeiten fortzuspinnen.“

11. Der Zu« durch das Neckargebiet. :i(5S.

Die Pläne des Kaisers.

Zur Sicherung des römischen Reiches mag der Kaiser schon nach der Vertreibung der Alamannen aus Gallien die forti- ficatorische Verstärkung der Rheinlinie ins Auge gefasst haben, sie kam aber erst später zur Ausführung. Vorab erschien es wirksamer, zum Angriff überzugehen. „Denn von einem Stamm, der sich immer wieder so schnell erholte, waren stets neue Kriegsunternehmungen zu erwarten, und die Soldaten hatten bei einem Feinde, der bald demüthig flehend, bald mit den heftigsten Drohungen auftrat, keine Aussicht auf Ruhe und Waffenstill- stand.“ Valentiniau beschloss daher einen Feldzng von ausser- gewöhnlichen Vorbereitungen und ernstem Nachdruck, einen grossen Zug in das Innere des Alamannenlandes, wie ihn der

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Cäsar Julian mit so dauerndem Erfolge ins Werk gesetzt hatte. Eine Voraussetzung dazu schien ihm die Schwächung des Feindes durch die Beseitigung des nationalen Führers vom oberen Rhein und die Gewinnung eines festen Uebergangs über den mittleren Rhein zu sein.

Die Ermordung des König Yithikab.

Den gefährlichen König des Breisgau aus dem Wege zu räumen, scheute Valentinian kein Mittel. Als trotz wiederholter Versuche es nicht gelang, ihm mit Gew’alt oder Verrath bei- zukommen, befahl der Kaiser seinen Mord. Der Diener des Königs wurde bestochen und durch dessen Treulosigkeit verlor er sein Leben. Der Mörder flüchtete auf römischen Boden. Ammian führt diese Handlung neben der Schlacht bei Solicomnum als kaiserliche Grossthat auf und sagt weiter: „Damit ging unerwartet für die Römer ein erfreulicher Hoffnungsstern auf“. In der That liessen auch nach Vithikabs Tode für einige Zeit die Streifzüge nach.

Noch ein anderes Beispiel römischer Staatsraison und der Auffassung unseres Berichterstatters sei hier erzählt. Nach einiger Zeit bewältigten die Römer einen raubenden Heerhaufen der Sachsen und bewilligten ihnen Frieden und ein Bündniss, nach welchem sie Mannschaft zum Kriegsdienst zu stellen hatten. Als sie sorglos nach Hause zurückkehrten, wurden sie bis auf den letzten Mann erschlagen. „Ein strenger Beurtheiler,“ sagt Ammian, „mag wrohl diese Handlung als treulos und hässlich verdammen, wenn er aber die Sache genauer überlegt, es nicht übel aufnehmen, dass eine verderbliche Bande Räuber endlich bei gebotener Gelegenheit zu Fall gebracht ist.“

Die Schriftsteller des Feldzugs.

Von der Unternehmung gegen die Alamannen erzählen drei zeitgenössische römische Schriftsteller, an deren Kunde und Zuverlässigkeit nicht zu zweifeln ist. Ausser dem Historiker Ammian sind es Symmachus, der zwei Lobreden auf den Kaiser Valentinian in dessen Gegenwart hielt, und Ausonius, der be- kannte Sänger der Mosella, welcher den jungen Mitkaiser Gratian, seinen Zögling, in den Krieg begleitet haben mag. Aus der Darstellung eines Jeden erfahren wir ein anderes Stück der

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Ereignisse und in anderer Form. Symniachus giebt, fast erstickt in höfischen rhetorischen Wendungen, die Besitzergreifung des rechten Rheinufers, die Flucht der Alamannen und den Bau der Veste Alta Ripa (ripa barbariae, cui altitudo nomen inipo- suit II 4, heute Altripp) in der Nähe von Lopodnnum (Laden- berg am Neckar) wieder und spricht im Allgemeinen von zwei Schlachten des Kaisers, von seinen Siegen am Neckar (proeliis ambolms I 1 8 : victoriis tuis exteruus fluvius Nicer publicatur II 24); Ammian erzählt, 27, 10 in geschichtlichem Vortrag den ersten Tlieil des Zuges ins Innere und das erste Zusammen- treffen mit den Alamannen in der Schlacht von Solicomnum (Solieinium) und Ausonius hat in der Mosella einige Verse zur Flucht der Alamannen über den Neckar und Lopodunum, und über die Quelle der Donau. Hostibus exactis Nicrum super et Lopodunum et fonteiu Histri, II 423, 424. Alta Ripa, Lopo- dunum. Nicer, Solicomnum, Fons Histri sind die einzigen geo- graphischen Namen, die erwähnt werden, alle mit Ausnahme von Solicomnum ihrer Lage nach sicher. Aber auch von diesem erhellt die Lage am Neckar, mag man in der Besitzergreifung des Rheinufers und in der Schlacht von Solicomnum die victoriae des Kaisers am Neckar, oder in dieser Schlacht und in der Vertreibung über die Donauquelle die arnbo proelia sehen. Nach Riese nennen die Handschriften des Ammian den Schlachtort Solicomnum, während nach den älteren Ausgaben die geläufig gewordene Form Solieinium ist. Gänzlich fehlen die Namen der von den Römern durchzogenen Gaue und die ihrer Könige, und keine Nachricht sagt, in welcher Richtung das Heer von der Donauquelle weiter gezogen ist.

Die Zeit des Feldzuges.

Nach Ammian und Symniachus fällt der Zug in das Jahr 368. Schon in der ersten Rede des Letzteren, die am 25. Februar des folgenden Jahres gehalten wurde, ist von den zwei Schlachten die Rede, während erst die zweite Rede vom 1. Januar 370 Einzelheiten bringt. Die Erbauung von Alta Ripa begann zur Zeit der Alpenschneeschmelzc, also etwa im Mai, der Zug selbst nicht vor dem Juli. Denn vor diesem Monat, sagt Ammian bei einer anderen Gelegenheit, 17, 8, 1, kann man von Gallien aus eine Unternehmung gegen Alamannien nicht beginnen. Das

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Heer ging über den Rhein, als es schon warm wurde, anni tempore jam tempente, ein Zeitpunkt, der nach der Auffassung der an italisches Klima gewöhnten Römer später eintrat, als nach der unsern. Weiter ist die Zeit der Ernte in Betracht zu ziehen, denn die Römer nahmen von den Feldern, aus den gefüllten Scheuern, was zum Unterhalt (^forderlich war, während sie den Rest der Ernte in Flammen aufgehen Hessen. Nach Verordnungen im theodosianischen Codex war der Kaiser am 4. April in Alzey, am 21. April bis 17. Juni in der Residenz Trier, am 31. Juli in Worms und später am 30. September in Cöln, so dass der Feldzug die Monate Juli, August und September ansgefüllt hat. Und nun zur Erzählung der Ereignisse.

Der Bau von Alta Ripa.

Zur Zeit der römischen Herrschaft hatte der Kaiser M. Ulpius Trajanus (98 117) zur Deckung der Main- und der Neckarlinie über der Mündung der Flüsse zwei Vesten angelegt, am Main das sog. Munimentum Trajani, am Neckar Lopodunum (Ladenburg), die Hauptstadt der nach ihm genannten Civitas Ulpia. Beide waren von den Alamannen zerstört. Die Main- veste hatte Julian 357 wieder hergestellt, den Ersatz für das in Trümmern liegende Lopodunum plante elf Jahre später Valentinian. Aber er sollte nicht nur die Neckarlinie sichern, sondern ähnlich wie Casteilum gegenüber von Mogontiacum zu- gleich als Brückenkopf für den Rheinübergang dienen. Der Kaiser wählte dafür zwischen den grossen Lagern von Mogontiacum und Argentoratum in der regio Nemetensis, der Gegend von Speyer, in dem alamannischen Lobdengau den Winkel zwischen der (damaligen) Mündung des Neckar in den Rhein, das Hochgestade des linken Neckars in der Nähe des heutigen Orts Neckarau, zwei Stunden unterhalb Speyer.

Völlig überraschend, sogar als das Schneewasser der Alpen den Rhein schwellte, setzte eine Abtheilung Soldaten Nachts schweigend über den Rhein und bemächtigte sich des Hoch- gestades des Neckar. Die Alamannen wurden über Lopodunum hinausgetrieben, der Kaiser aber unterliess die weitere Ver- folgung, da er die Absicht hatte, an dem bezeichneten Punkt dauernd festen Fuss zu fassen und die umliegenden Gaue für sich zu gewinnen. In dem Friedensvertrage, den er mit ihnen

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schloss, Hess er sich einen Streifen Landes abtreten, vielleicht so weit die Ebene reichte; die hier zu bauende Veste streifte die Grenze der Barbaren, aber schon der rnons Pirns (der Heiligenberg bei Heidelberg) blieb alamannischer Boden, proxiine adjuncta terra, Sym. II, 2; aedificiis positis subradens barbaros fines: in moute Piri, qui barbaricus locus est, Amm. 28, 2, 1 und 5. Zur Bestärkung dieses Vertrages wurden uach Ainuiian Söhne von Optimaten, nach Symmachus sogar Söhne von Königen als Geiseln gegeben, optiraates Alamanni, obsiduni patres, Amin. 28, 2, 6; reguni liberi pro foederibus otferuntur, Sym. II, 23.

Valentinian schritt sofort zur Anlage der Veste, die Böschungen beider Flüsse wurden durch einen Steiubau, moles, gefestigt, und darauf erhoben sich mit Schiessscharten versehene Mauern und Thürme, zu denen man das Material aus den Ruinen der sieben Kilometer entfernten Stadt Lopodunum zu Schiff abwärts führte. So entstand auf der Erhebung des Bodens ein Lager, eine Burg, eine hochgelegene Stadt mit stattlichen Mauern, soli tribunal, castra, castella, arx, celsa urbs, moenium dignitatem, wie Symmachus II 20, 28, 12, 22, eine hohe Veste, munimentum celsum et tutum, wie Ammian 28, 2, 2, sagt. Die Alamannen selbst musten dazu frohnen. Nach dem Hochgestade hiess sie Alta Ripa. Die Anlage fand unweit von Speyer in dem befestigten Kriegshafen für die römische Rheinflotte ihre Ergänzung.

Im nächsten Jahre zeigte sich, dass die starke Strömung des Neckar der Veste zum Schaden gereiche und sie mit der Zeit untergraben werde, so dass cs nüthig sei, sie abzuleiten. Es geschah durch Rahmen von Eichenholz, die man, mit Steinen gefüllt, an Pfählen im Wasser befestigte. Das Werk wurde, durch die Gewalt der Strömung häufig unterbrochen, aber durch die Ausdauer der Soldaten, die oft bis an das Kinn im Wasser standen, zu Stande gebracht.

Wenn es in späterer Zeit nicht schon die Alamannen waren, welche die Zwingveste zerstörten, so war es der Rhein selbst, welcher das Werk feindlicher Menschenhand vernichtete. Er riss ein Stück von etwa 400 Meter Breite vom rechten Ufer ab und damit versank das Mauerwerk in seinen Wellen. „Ueber die Stelle an der die Veste lag, fliesst gegenwärtig der Rhein“, und in ihm findet man stromabwärts in Stein gehauen Zeichen

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römischen Besitzes, die allerdings ihrer Lage nach von der

Veste selbst nicht herrühren (Ohlenschläger). „Der Name der verschwundenen Veste ist aber erhalten in dem Namen des in der Niederung des linken Ufers liegenden Dorfes Altripp“

(Maurer').

Der Aufmarsch des Heeres.

Während des Baus von Alta Ripa traf Valentinian die Vorkehrungen für den Feldzug mit langsamem Bedacht. Wie der grosse Zug des Cäsar Julian vom Jahr 359 dem Main-

und Neckargebiet galt, so dieser dem Neckarthal in seiner

ganzen Ausdehnung und dem Schwarzwald.

Für den Aufmarsch des Heeres wurde der linke Rhein bei Alta Ripa bestimmt, die Flotte zum Transport herangezogen. Trnppenmassen aller Waffengattungen trafen zusammen, für Waffen und Proviant wurde eifrig Sorge getragen. Krieggewohnte Truppen strömten herbei unter Führern, die durch Erfahrungen und glänzende Erfolge bezeichnet waren. Illyrische (pannonische, wie Ausonius bestätigt) und italische Legionen unter dem Comes Sebastianus, dem früheren Befehlshaber in Egypten, der Julian auf seinem Zuge nach Persien begleitet, Mesopotamien besetzt gehalten hatte und später in der mörderischen Gothenschlacht bei Hadrianopel fällen sollte; die Abtheilungen des Generals der Infanterie Severns, der seiner Zeit neben Valentinian als Kandidat des Kaiserthrons aufgestellt war, und die Legion des Jovinus, der im vorigen Jahre die Alamannen aus Gallien zurück- geschlagen hatte. Auch die Besatzung von Mainz wurde heran- gezogen.

In die völlig von Garnison entblösste Stadt schlich sich, ein Schimpf für die Kriegsleitung, Rando, ein alamannischer Königsbote, vielleicht von dem unternehmenden König Makrian gesendet, mit einer für einen Raubzug leicht gerüsteten Schaar ein, überraschte die Christen bei der Feier eines Festes und schleppte, ohne Widerstand zu finden, wehrlose Männer und Frauen jeden Standes und werthvolle Habe mit sich fort.

Der Marsch zum mittleren Neckar.

Der Kaiser, der Alles vorsichtig anzuordnen gemeint hatte, traf, als das Heer versammelt war, mit seinem neunjährigen

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Sohn Gratian, den er bereits zum Mitkaiser ernannt hatte, von Trier aus am Rhein ein, .als es schon warm wurde,“ führte es bei Alta Ripa über den Strom und theilte es für den Marsch in drei festgeschlossene Corps. Er selbst führte das Centruin, das Jovinns und Severus mit beiden Flügeln gegen Uebcrfällc zu decken hatte. Des Weges kundige Führer an der Spitze, übernahm die Vorhut die Aufklärung der Umgegend.

Als die Römer dereinst aus dem Lande vertrieben waren, hatten sie den Alamannen ein Danaergeschenk zurückgelassen. Ihnen wurden die Heerstrassen für den Verkehr forderlich, den Römern aber blieben sie eine verborgene Waffe, die hervor- gezogen wurde, wann die römische Hand frei war. Solche Strassen führten von Speyer tief ins Land zum Neckar, sei es über Wiesloch und Sinsheim (wo der Steinsberg die weiteste Rundschau zwischen Rhein und Neckar gewährte) nach Wimpffen, oder nördlich von Bruchsal und Bretten und dann weiter über Kürnbach nach Bückingen (Heilbronn) und andern Orten. Die Endpunkte am Neckar, Wimpffen, Bückingen und andere waren wiederum durch Heerstrassen am linken Ufer verbunden.

Auf und an beiden Seiten einer dieser Strassen zog man in breiter Ausdehnung durch das heute und auch wohl schon damals so fruchtreiche Hügelland des Kraich- und des Neckar- Gaus, aber im Lauf mehrerer Tage stiess man auf keinen Feind. Die Wohngebäude standen verlassen da und wurden wie das Getreide auf dem Felde niedergebrannt. Nur den Lebensbedarf führte man mit sich. Mit jedem Schritt wurden die Soldaten auf den Kampf erpichter und machten sich in Drohungen Luft, als wären die Alamannen schon aufgelünden. So kam der Kaiser im langsamen Vorrücken in die Nähe des Orts Solicomnum (So)icinium), erhielt die Meldung der Vorhut, dass der Feind in Sicht sei und Hess die Armee plötzlich halten.

Das Schlachtfeld des Schweinsberges.

Der Bund der alauiannischen Gaue (unum spirantibus animis) hatte das offene Land, es mit Weib und Kind und Habe ver- lassend, preisgegeben und erwartete nun den Feind auf einem hohen Berge mit geräumigem Rücken, montem praecelsuni; ad editas subliinitates, Amra. 27, 10, !i und 12., auf dem sich wiederum eine Erhebung befand, post montium terga, 15. Dei

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Berg fiel rings durch zerklüftete Hügel, an denen hier das Gestein zu Tage trat, dort Gestrüpp stand, steil ab und erschien unzugänglich, montem per confragosos colles nndique praeruptum et invium, 9; ad arduos clivos, 10; ad celsiora, 12; ad rupium objecta; per hirta dumis et aspera, 12. Zu seinen Füssen lag ein Sumpf, radices aggerum, 10; palustres uligines; labilem limum, 1 1. Nur die Nordseite des Berges lief in eine sanft geneigte Fläche aus, septemtrionali latere, unde facilem habet devexitatem et möllern, 9 ; arctoam montium partein, quam dementer diximus esse proclivem, 10.

Was Ammian so beschreibt, ist der Schweinsberg bei Heil- bronn, ein gen Westen in das Neckarthal sich hinabsenkender Ausläufer der waldigen Löwensteiner Berge. Sein Rücken ist flach und geräumig, mit Eich wähl bedeckt. Im Westen springt er halbkreisförmig vor (Schlag Kohlpfad mit der Hölle). Auf dem Rücken ist im Südosten eine weitere Erhebung gelagert, von deren Spitze ein Aussichtsthurm einen reizenden Blick über die Hügelreihen des württembergischen Unterlandes und des Neckar im Grunde gewährt, über Wald, Rebhügel, Aecker und Wiesen, Heilbronn und zahlreiche Dörfer.

Gen Norden senkt sich die Hochfläche sanft zum Thal hinab, das Wasser des Köpferbrunnens zum Trappensee führend, fallt dagegen gen Nordwesten nach Heilbronn, gen Westen nach Sontheim und Bückingen, gen Süden nach Flein und Donnbronn steil ab. Diese Berghänge (Ochsenberg, Riedenberg, Membrods) sind zu wohlgerundeten Hügeln gegliedert, deren Fuss nach der Ebene zu breit ausläuft. Das Gestrüpp hat sich in Reben verwandelt, und mit ihrer Jahrhunderte alten Kultur ist das früher zu Tage getretene Gestein, das die Abhänge zerklüftet erscheinen liess, verschwunden. Es waren die horizan- talen Schicbtenköpfe des farbigen Keupermergel (Leberkies), der abgegraben und auf der Oberfläche der Weingärten ausgebreitet, rasch verwittert und Für die Reben fruchtbaren Boden liefert. Da wo sie an den Rand der Hochfläche reichen, sind noch Keuperschichten vorhanden, aber auch ihren Fuss hat man zu Menschengedenken abgegraben und es sind jetzt unersteigliche senkrechte Wände von 8 lfi Meter zurückgeblieben. Vom Riedenberg aufwärts zwischen ihnen durch führt der Höllsteig auf die Hochfläche zum Kohlpfad und zur Hölle weiter.

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Da wo der Riedenberg und Membrods unten die Ebene berühren, finden sieh nebeneinander drei Wasserflächen etwa 100, 30, 80 Schritt lang. 40, 20, 50 Schritt breit, an den Rändern mit Weiden und Schilf bedeckt, in einer Gesammtlängenaus- dehnung von ungefähr 400 Schritten. In ihnen sammelt sich das Tagwasser der Höhen ; die nördliche grösste, die nicht ver- siegt, soll eigene Quellen und eine Tiefe von etwa 10 Fuss haben. Jetzt von Wiesen umgeben, haben sie, nach der Ge- staltung des Bodens zu schliessen, in früherer Zeit einen zu- sammenhängenden Sumpf gebildet. Die Berghänge und die Wasserflächen zu ihren Füssen werden durch den Staufenberger Weg von der Ebene geschieden, die sich in Aeckern und Wiesen bis zum Neckar erstreckt.

Verfolgt man den Schweinsberg gen Süden, so gelangt man zwischen ihm und dem Staufenberg, einem flachen mit Reben bedeckten Kegel, in eine Einsenkung, die sich an einer im Sommer wohl verschwindenden Wasserlache vorbei allmählig zum Aussichtsthunn erhebt und einen durch einen holprigen Fahrweg gebahnten, weniger steilen Aufstieg gewährt, als die geschilderten Berghänge.

Das Alles ist historischer Boden.

Die Aufstellung der Heere.

Auf der Hochfläche des Schweinsberg und zerstreut an den Abhängen standen die Heerbanne der alatnannischen Gaue. Im Süden des Sumpfes, zwischen Schweinsberg und Staufenberg, wohl durch Wald gedeckt, lag ein Haufe im Hinterhalt. Denn, sagt der römische Bericht, „sie sahen keinen anderen Ausweg zur Rettung mehr, als dem Angriff der Römer sich schnell entgegenznwerfen“. Anders ausgedrückt: sie erwarteten in starker Vertheidigungsstellung die Römer, deren Legionen sie unter sich am Neckar sahen. Mochten sie sich doch überzeugt halten, dass sie von da aus einen Angriff zurückweisen, die Römer die Abhänge hinabstürzen und in der Ebene deren Nieder- lage vollenden würden. Nur an den Sieg denkend, versäumten sie, den Aufstieg von der Nordseite zu sichern, ex incauto latere, 15, und sich so eine Rückzugslinie offen zu halten.

Solicomnum, der Ort, bei dem die römische Armee Halt gemacht, mag etwa bei Böckingen, wo verschiedene Rümer-

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Strassen am Neckar mündeten, zu suchen sein. Von Bückingen am linken, und von Ueiibronn, Sontheim und Flein am rechten Ufer sieht man in einer Entfernung von etwa 3 4 bis 1 a Stunde die steilaulsteigenden Rebhügel und über ihnen die Waldbekrönung des Schweinsberg vor und über sich. Angesichts der Berghänge uud durch den Bericht der Vorhut über den nördlichen Zugang des Berges in Kenntniss gesetzt, beschloss der römische Kriegs- ratu unter der Ungeduld der Legionen und dem Kriegsgesang der Alamannen, der in die Ebene herabschallte, in aller Schnellig- keit, den nördlichen Zugang zu sperren, den Schweinsberg von unten auf an seinen steilen Abhängen zu stürmen, so die Ala- mannen, die sich endlich dem Angriff stellten, auf der Hochfläche festzuhalten und einzuschliessen und, wenn das Schicksal es vergönnte, dort zu vernichten.

Für diese dem römischen Heer gestellte Aufgabe sind die Höhenverhältnisse von Interesse. Der Neckar hat bei Heilbronn eine Höhe von 148, bei Sontheim von 154 Meter; aus der sich anschliessenden Ebene erheben sich die Berghänge bis zum Hochrande um 264 Meter, die zu ersteigen waren, denn die Hochfläche selbst liegt 318, der Fusspuukt des Aussichtsthurms 368 Meter hoch, während der Trappensee bei einer Entfernung von 3,'4 Stunden bereits zu 183 Meter über normal Null ge- sunken ist.

Die Römer schlugen nach ihrer Gewohnheit ein Lager auf und dann rief man überall zu den Waffen. Die Armee setzte etwa bei Sontheim über den Neckar, durchschritt die Ebene uud stellte sich etwa auf dem Staufenberger Wege zu Füssen der Berghänge auf, im ersten Treffen der Kaiser und Severus, im zweiten, retro, 10, Jovinus, dem auch der Knabe Gratian bei- gegeben war. Der Sumpf blieb zur Rechten. Sebastianus marschirte, wohl im Schutz von Wäldern, unbemerkt über Heil- bronn und den Trappeusee, stieg in der Richtung zum Köpfer- brunnen empor und besetzte hinter der Höhe des Aussichts- thurms, post montium terga, 15, das Hochplateau im Norden und Osten.

Die Legionen standen des Befehls des Kaisers und seiner Generale gewärtig, und sahen sehnsüchtig der Erhebung der kaiserlichen Standarte entgegen, dem Zeichen zur Eröffnung des Kampfes.

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Der Kaiser.

Valentiuian war der Ansicht, es müsse sicli noch ein anderer Aufstieg zum Schweinsberg finden lassen, als der, welchen im Norden die Vorhut ermittelt hatte. Sonst zaudernd und vor- sichtig, ging er unbedeckten Hauptes durch die Centurien und Manipeln, und eilte dann, ohne einen der höheren Officiere ins üeheimniss zu ziehen, seine Trabanten zurücklassend, mit wenigen tüchtigen und vertrauten Begleitern um den Fuss des Berges selbst in Augenschein zu nehmen, speculatum radices aggerum, 10. Auf unbekanntem Pfade an dem Sumpf vorbeisprengend, würde er seiner Voraussicht gemäss zwischen Schweinsberg und Staufen- berg in der That den unten vielleicht versumpften Aufstieg zum heutigen Aussichtsthurm gefunden haben, aber plötzlich brach der alamannische Haufe aus dem Hinterhalt, und es wäre um den Kaiser geschehen gewesen, wenn er nicht, das äusserste Mittel versuchend, mit dem Pferd durch den Sumpf, per labilem limum, 11, gesetzt wäre und sich mitten unter die Legionen gestürzt hätte. Und damit dem kaiserlichen Abenteuer auch nicht das Märchenhafte fehlte: der Träger seines mit Gold und Diamanten besetzten Helmes verschwand, und weder Träger noch Helm sah man jemals wieder.

Der Kampf.

Nun wurde das Zeichen zum Kampfe aufgesteckt und die Truppen setzten sich in Bewegung, voran zwei junge Krieger Salvius und Lupicinus, wie erlesen, den gefahrvollen Kampf zu eröffnen. Mit fürchterlichem Geschrei die Ihr igen anfeuernd, die Speere schwingend, stürzten sie zu den Abhängen vor und suchten, vielleicht auf dem Höllsteig, uuter den Gegeustössen der Alamannen die Höhe zu erklimmen. Das Gros des Heeres, wohl das erste Treffen, folgte und kletterte mit gewaltiger Anstrengung an Felsen und Gestrüpp bis zu der Hochfläche empor.

Hier entbrannte etwa in der Hölle unter furchtbarem Kriegsgeschrei, dem Klang der Tuben und dem Gewieher der alamannischen Pferde das Handgemenge, römische Taktik auf der Einen, Ungestüm und Unbedacht der Alamannen auf der anderen Seite. Die Römer fassten festen Fuss, gewauneu

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weiteren Spielraum und umfassten mit beiden Flügeln den Feind. Dieser widerstand um so ausdauernder, und so stellte sich das Gleichgewicht wieder her. Hartnäckig setzte sich der Kampf fort, beiderseits unter schweren Verlusten.

Endlich aber siegte die Wucht der Römer, die Masse der Alamannen wurde auseinandergedrängt. In völliger Bestürzung drängten die Vorderen auf die Hinteren zurück und wurden von Lanzen und Wurfspeeren durchbohrt. Dann flohen alle erschöpft und Hessen den Verfolgern Rücken und Beine frei. Viele wurden niedergemacht. Und nun rächte sich der Unbe- dacht der Alamannen. Ein Tlieil der Flüchtigen fiel der Re- serve des Sebastianus in die Hände, die Uebrigen zerstreuton sich in dem Dunkel der Wälder.

Hiermit bricht Ammian seine Darstellung ab, wie so oft, wenn er an der für die Römer günstigen Entscheidung der Kriegszüge angekommen ist; später fügt er an einer anderen Stelle, 30, 7, 7, wohl übertreibend, noch bei: es gelang dem Kaiser, die Alamannen zu vernichten und nur wenige rettete iui Dunkel eilige Flucht.

Hat sich eine Erinnerung an den Kampf nur in der Dar- stellung der Römer erhalten? Zerstreut auf der Höhe des Schweinsberg, und insbesondere da, wo der Kampf gewüthet hat, liegen 24 Hügelgräber und 3 Reihengräber. Von den ersteren sind in früherer Zeit 8 geöffnet, ohne dass sich von ihrem Inhalt Kuude erhalten hat, in einem nennten hat sich nur Asche auf einer Steinplatte gefunden. Vielleicht geben die anderen Gräber, wenn befragt, Kunde von dem Geschehenen.

Der Schweinsberg im 17. Jahrhundert.

Nicht dies einzigemal war der Schweinsberg Zeuge krieger- ischer Ereignisse. Als die Franzosen 1693 die Pfalz zerstört, zogen sie unter dem Dauphin Ludwig des XIV. südlich von Heilbronn über den Neckar. Der Markgraf Ludwig von Baden deckte mit den Reichstruppen die Stadt, die zu einem befestigten Waffenplatz ausersehn war. Er legte auch auf der Höhe des Schweinsbergs drei Schanzen in Vierecken mit eingezogenen Seiten an, die von 50 bis 150 Schritt variirten. Zwei von ihnen lagen da, wo der Ochsenberg und der Riedenberg an den Hochrand stossen, der dritte vom Rande entfernter, nördlich

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von der Hölle. Hier schlitzte man sich auf alle Fälle gegen einen Angriff der Franzosen. Es war in der Tliat da, wo die Römer etwa die Höhe des Schweinsberges bestiegen hatten, und wo die Entscheidung fiel. Aber schwächlich war der Zusammen- stoss der beiden modernen Heere in der Neckarebene. Die Franzosen zogen sich über den Fluss zurück, und man liess sie gewähren. Die Schanzen waren umsonst aufgeworfen. Ihre niederu Erdaufwttrfe und Gräben sind noch heute zu sehen.

Die Lage von Solicomnum.

Nun aber ist zu prüfen, ob Solicomnum in der Tliat bei Bückingen gelegen ist. Es spricht dafür seine Lage einmal zwischen Alta Ripa und der Donauquelle, dem Anfang und dem Ende des Zugs, dann am Kreuzungspunkt der römischen Strassen und weiter im Angesicht des Schweinsberges. Dazu kommt der sprachliche Zusammenhang des Namens mit Sol, der Sonne; übersetzt doch Backmoister Solieinium mit Sonnen- sang. Bei Bückingen am Rande eines alten Neckarbettes befand sich ein römisches Kastell, dessen Reste neuerdings aufgefunden sind, und weiter, bis der Eisenbahnbau ihn zerstört hat, ein Sonnenbrunnen, ein alter Name, denn auch das von Grossgartach auf ihn zu führende Thal heisst das Sonnenbrunnenthal, und es könnte nicht ohne locale Bedeutung sein, dass in Bückingen Votivsteine für den unbesiegten Mithras und den pythischen Apollo, allerdings unter Widmungen für andere Gottheiten, ge- funden sind. Noch mag der Name des am Neckar gegenüber- liegenden Orts Sontheim nicht unerwähnt bleiben, der Südheim bedeutend, neben Nordheim in Schwaben viellach vorkommt. Auch in der Nähe von Sontheim am Neckar liegt, jedoch im Westen, ein Nordheim. Der Name Sontheim hat zur Sonne nur insoweit Beziehung, als Süden, „Sund“ mit „Sonne“ zu- sammengestellt werden kann. (Sanders, Wörterbuch: Sonne, Anmerkung).

Während hiernach Solicomnum jedenfalls am mittleren Neckar zu suchen ist, hat man es früher gemeiniglich an den oberen Neckar nach Sulz oder nach Sülchen, OA. Rottenburg, dem Gleichklang der Worte folgend, verlegt. Für Sulz sprechen sich Richter und von Wietersheim aus. Das Gebiet um Rotteu- bnrg bildete zur römischen Zeit die Civitas Sumloeenna, für

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deren Hauptstadt man Solicinium hielt; zur alamannischen Zeit den Sttlichgau mit der noch heute erhaltenen Malstätte, dem Ort Sülchen ; so die beiden Stalin und Uhland. Sie stellen jedoch die Hypothese mit grösserem oder geringerem Vorbehalt dar und weisen selbst die Möglichkeit nicht ab, dass ein zweites Solicinium bestanden habe. Beiden Auffassungen steht entgegen, dass ein Berg, wie der von Ammian beschriebene, sich am oberen Neckar nicht anffinden lässt, doch meint Uhland, es lasse sich über die Frage nicht entscheiden, bevor der versunkene Kaiser- helm wieder aufgefunden sei.

Der Zug zum Donauursprung.

Vom Schweinsberg, an dessen Fuss er verloren gegangen, zog das römische Heer nun aufwärts, durch die Sitze der Sneven, den Neckar-, den Nagold- und den Wester-Gau zur Quelle des Neckar und von da zur Quelle der Donau. Verfolgte es bis dahin die geschlagenen Alamannen, stellten sich ihm neue Heerbanne auderer Gaue entgegen, und kam es mit ihnen von Neuem zu einer Schlacht? Wir erfahren von Ausonius nur von der Flucht der Alamannen über die Quelle der Donau. War cs an dem Ursprung der Brigach, an dem der Brege oder bei Donaueschingen?

Mit keinem Wort hören wir, aut welchem Wege das Heer wieder zum Rhein gelangt ist. Die illyrischen und italischen Legionen des Sebastianus werden die grosse Consularstrasse eingeschlagen haben, die von Donaueschingen gen Süden durch den lenzischen Klettgau nach Vindonissa (Windisch) führte, während die übrigen Truppen quer durch den Schwarzwald, den Breisgau, das Gebiet des ermordeten Königs Vithikab ziehend, etwa bei Freiburg zum Rhein gelangt sein mögen, um auch auf diesem Wege die Schrecken der römischen Waffen zu verbreiten. Von hier kehrten sie in die Winterquartiere heim, der Kaiser mit seinem Sohne nach Trier.

Keine Ziffer bezeugt, wie gross das Heer der Römer war, wie gross die vereinigten Gauheere der Alamannen, wie stark die beiderseitigen Verluste waren. Mit all den Gauen, durch welche die Spur von Mord und Brand zog, werden er- neute Bündnisverträge mit erschwerten Bedingungen abge- schlossen sein.

Cr»m«r, Geschichte der AUmanneo. 1 ]

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Dio Folgen des Zuges.

Ammian zählt 30, 7, 7, wie die Ermordung des Vithikab, so den Sieg bei Solicomnum zu den Grossthaten des Valeutinian. In der Lobrede des Symmachus auf den Kaiser heisst es: „Wir haben den Neckar nunmehr als Geisel empfangen, damit sich der Rhein des römischen Friedens erfreue. Jetzt erst ist der Neckar durch deine Siege bekannt geworden“. Ausonius singt in seinen Epigrammen die beiden Kaiser Valeutinian und Gratian, Vater und Sohn an: „Der (dritte) Kaiser Valens, der an der unteren Donau gegen die Gothen kämpft, soll es wisseu, dass jetzt die ganze Donau römisch ist, dass die Sueven durch Nieder- lage, Flucht und Brand untergegangen, dass der Rhein nicht mehr die Grenze von Gallien ist;“ und in seinem Lied auf die Mosel fasst er die Hauptmomente des Feldzuges dahin zusammen: „Die Mosel, von der Residenz Trier herabströmend, sah den vereinten Triumphzug von Vater und Sohn, als die Feinde über den Neckar und Lopodunum und über die Quelle der Donau, bis dahin der Geschichte des römischen Reichs unbekaunt, ge- trieben waren“.

Augustae veniens quod moenibus urbis Spectavit junctos natique patrisque triumphos,

Hostibus exactis Nicrum super et Lopodunum Et fontem Latiis ignotum annalibus Histri.

In Wahrheit waren aber weder der Neckar noch die Donau- Quelle unbekannt, in Wahrheit wurde weder der Neckar noch die obere Donau römisch, und der Rhein blieb, abgesehen von dem abgetretenen Streifen Landes bei Alta Ripa, was er gewesen war, die Grenze zwischen dem römischen Reich und dem Ala- maunenland.

Der Schutz der Rheingrenze.

Nachdem der Kaiser so das Ansehen des römischen Reiches in Gallien und Alamannien wieder hergestellt hatte, brachte er nunmehr den Plan des dauernden Schutzes der Rheingrenze zur Ausführung. Von Rätien bis zur Meerenge am Ocean liess er das linke Ufer durch grosso Dämme, Castelle, Schanzen und Thürme in geringen Entfernungen befestigen. Der Fortdauer der Arbeiten geschieht noch im Jahr 370 Erwähnung und im

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Jahr 374 wurde ihre Reihe durch Anlage der Veste Robur (Basel- Angst) am Ausfluss der Ergolz in den Rhein ergänzt.

Aber auch auf dem rechten Ufer genügte ihm die Veste Alpa Ripa nicht mehr. Was am Main das Munimentum Trajani war, ein vorgeschobener Posten von Mogontiacum und Castellum, das sollte am Neckar der mons Pirus, der Heiligenberg bei Heidelberg werden. Er lag nicht innerhalb des um Alta Ripa abgetretenen Gebietes, sondern im Alamanuenlande, in monte Piri, qui barbaricus locus est. Unter offenem Bruch des Bündniss- vertrages von 368, pactis calcatis, 28, 2, 7, Hess er im nächsten Jahre überraschend die Fundamente einer Veste legen. Aber die Alamannen überfielen die Soldaten und machten sie nieder. Dem gingen jedoch vergebliche flehentliche Bitten der Väter der Geiseln an die Römer vorher, von dem Unternehmen ab- zustehen. Denn sie mussten fürchten, dass ihre Söhne den Streit zwischen beiden Völkern mit dem Leben zu zahlen haben würden, und es ist nicht zu bezweifeln, dass ihre Furcht sich bestätigt hat, wenngleich Ammian darüber schweigt.

Diese Schlappe des Kaisers beweist, wie unzuverlässig die Erfolge waren, die sich au den siegreichen Feldzug knüpften.

Bissula.

Ein für Schwaben Erfreuliches hat er gebracht: die Kunde von einem suevischen Mädchen, der ersten aller gefeierten Schwäbinnen.

Unter der Beute vom Donauquell war die schöne Bissula. Sie fiel dem Dichter Ausonius zu, der sie der Freiheit zurück- gab und (nach der Uebertragung von Stäliu) von ihr saug:

Bissula, jenseit des frostigen Rheins gezeugt und erzogen,

Bissula, welche den Quell kennt von Danubius Strom,

Einst gefangen im Krieg, dann losgelassen, ist jetzt sie

Hohe Wonne für den, welchem zur Beute sie ward.

Zur Lateinerin ist sie nun worden; doch deutsch noch von

Antlitz,

Himmelblau noch ihr Aug’, golden das röthlichte Haar.

Andre Heimath verräth die Gestalt, und andre die Sprache;

Diese ein römisches Kind, jene das Mädchen vom Rhein.

ii*

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An ihren Maler sang er:

Meine Bissula, Maler! sie alinit nicht Farbe, nicht

Wachs nach,

Reize verlieh ihr Natur, wie nimmer der Kunst sie gelingen. Mennig und Bleiweiss! geht und malet andere Mädchen! Denn dies Farbengemisch des Gesichts nicht malen es

Hände.

Mische doch, Maler, wohlan die purpurne Ros' und die Lilje, Und mit der duftigen Farbe davon dann male dies Antlitz.

Literatur.

Maurer, Valentinians Feldzug gegen die Alamannen in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Bd. 42 S. 303. Öhlenschläger, Alta Ripa in der Westdeutschen Zeitschrift Bd. 1 1 , S. 18. Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage Bd. 8 S. 282. Die Beschreibung des Oberamts Heilbronn, S. 3, 4, 7, 28. Das württembergische Franken, Zeitschrift 1869, Bd. 8 S. 336. Härle, die Kriegsereignisse des Jahres 1693 in der Umgegend von Heilbronn, Vortrag 1882.

Weitere lokale Einzelheiten verdanke ich der Güte des Herrn Professor Dr. Dürr in Heilbronn.

12. Die Burgund innen.

Das Bündniss.

Die Zurückweisung der Alamannen ans Gallien, ihre Nieder- lagen im eigenen Lande am Neckar und der Donau reichten nicht aus, auf den römischen Grenzen Ruhe zu schaffen. Die Alamannen und ihr König Makrian fuhren fort, durch unaus- gesetzte Einfälle die Nachbarprovinzen in Verwirrung zu halten. „Denn dieses schreckliche Volk, obwohl von seiner ersten Kind- heit an durch den Wechsel des Geschicks wiederholentlich ge- schwächt, wuchs eben so oft wieder zu jugendlicher Kraft heran, so dass man meinen sollte, es sei Jahrhunderte lang verschont

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geblieben.“ Valentinian sann daher auf Mittel, ihren Trotz zu brechen und kam endlich auf den Gedanken, die Burgundionen zu deren Vernichtung aufzurufen. 370.

Es war ein altes Mittel römischer Politik, zu ihrer Unter- stützung Barbaren heranzuziehen. Hatte doch Constantius II. neuerdings die Alamannen gegen den Kaiser Magnentius und den Cäsar Julian verwendet. Dann hatte er in Gemeinschaft, wahrscheinlich nach vorherigem Einvernehmen mit den Burgun- dionen gegen die Alamannen gekämpft, und der Kampfgenossen- schaft war es sicher forderlich gewesen, dass die Burgundionen sich den Römern für blutsverwandt hielten. Der Cäsar Julian wird nicht unterlassen haben, als er am Limes in der Nähe ihrer Grenze stand, in ihnen das Gefühl der Waffenbrüderschaft rege zu erhalten. In der That schickten sie auch dem Valen- tinian, als er die Veste Alta Ripa baute, eine Gesandtschaft, welche ein Freundschaftsbündniss antrug: als Verwandte in Frieden vereint, wollten sie sich dem sieggewohnten Reich an- schliessen (Symmachus). Und werth voll war eine solche Bundes- genossenschaft, denn sie waren ein streitbarer Stamm, unendlich reich an jugendlicher Mannschaft und furchtbar für alle Nachbarn.

Wie sie mit den Alamannen schon seit hundert Jahren im Grenzstreit mit wechselndem Erfolg gelebt, wie sie zusammen mit Constantius gegen sie gekämpft, ist bereits (S. 96) erwähnt. Und wenn damals auch der Limes als Grenze zwischen beiden Stämmen festgesetzt sein mochte, so lagen sie doch wieder im Grenzstreit zumal um die Salzquellen, sei es von Schwäbisch- Hall, sei es von Kissingen, und hier trafen die Burgundionen auf ihren alamannischen Nachbar, den König Makrian, ihren und der Römer gemeinsamen Feind.

Alle diese Umstände bestimmten den Kaiser, den Burgun- dionen ein gemeinsames Unternehmen gegen die Alamannen vorzuschlagen. Ihren Königen schickte er durch sichere Boten Briefe mit der dringenden Aufforderung, zu einer bestimmten Zeit über sie herzufallen. Er selbst werde mit Heeresmacht über den Rhein kommen und sich den Aufgescheuchten entgegen- werfen.

Die Könige der Burgundionen, von Ammian Hendinos ge- nannt (S. 62), an welche Valentinian sich w'endete, wurden nach alter Gewohnheit für das Geschick ihres Stammes verantwortlich

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gemacht. Einen unglücklichen Krieg, einen Misswachs büssten sie mit dem Verlust ihrer Würde, während der Priester des Stammes, Sinistus genannt, lebenslänglich und den Fährlichkeiten der Könige nicht unterworfen war.

Die kaiserlichen Briefe fanden bei den Hendinos freund- liche Aufnahme.

Der Feldzug.

Sie schickten auserlesene Truppen ins Feld, deren nach Hieronymus 80 000 Mann gewesen sein sollen, und zogen, sei es den Main, sei es den Neckar oder beide Flüsse hinab. Hier stiessen sie nur auf vereinzelte Haufen von Alamannen, die es zu einer Vereinigung nicht gebracht hatten, machten zahlreiche Gefangene und kamen noch vor der verabredeten Zeit an das Ufer des Rheins, wo ihr Erscheinen keinen geringen Schrecken erregte. Denn der Kaiser war abwesend und noch durch den Bau der Grenzbefestigungen in Anspruch genommen. Er kam auch nicht zu dem bestimmten Tage und that Nichts, um sein Versprochen einzulösen. Die Hendinos schickten daher Gesandte an das Hoflager und verlangten, um ihren Rücken zu decken, Beistand für die Heimkehr.

Aber die Arbeit, zu der die Burgundionen aufgerufon, war gethan. Sie hatten die Alamannen geschwächt, wie es nur ein Feldzug des Kaisers hätte thun können, und die Bundesgenossen heim zu geleiten, nur um eine Zusage zu erfüllen, lag ausser dem Bereich römischer Politik. Man suchte die Hendinos mit nichtigen Vorwänden hinzuhalten, bis sie empört über die kaiser- liche Treulosigkeit, die Spott mit ihnen getrieben, wieder auf- brachen. Um den Zug zu erleichtern, Hessen sie die alamannischen Gefangenen tödten und kehrten, ohne Zweifel von der Rache der Alamannen gefolgt und nach erbitterten Gefechten in die Heimath zurück.

Ob, was der Kaiser verbrochen, die Burgundionen an ihren Hendinos gerächt haben, hat Ammian nicht überliefert.

Während Valentinian, der zu seinem Leidwesen erfuhr, dass Makrian nicht in die Hände der Burgundionen gefallen sei, ruhig in Gallien blieb, benutzte Theodosius, General der Reiterei (der Vater des spätem gleichnamigen Kaisers), die günstige Gelegenheit, von Rätien aus einen Angriff auf die Alamannen,

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der Lage nach auf die Juthungen oder Lenzer zu machen. Viele wurden erschlagen, zahlreiche Gefangene schickte er auf Befehl des Kaisers nach Italien, wo sie fruchtbare Landstriche am Po erhielten und als reichsunterthänige Gaue tributpflichtig wurden.

13. Der König Makrian.

Die Jagd.

Nach einigen Jahren taucht Makrian, der König des Buchen- gaus, wieder aus seinem mystischen Dunkel auf. Bei den ver- schiedenen, gegen die Alamannen ergriffenen Massregeln war seine Bedeutung nur gestiegen, und jetzt erhob er sich wieder mit jugendlicher Kraft gegen die Römer, der furchtbare Makrian, der selbst vor Angriffen auf ummauerte Städte nicht zurück- scheute 1

Nachdem dem Kaiser die Beseitigung des Führers der ala- mannischen oberen Gaue, des Vithikab vom Breisgau, gelungen, beschloss er nun, sich auch des Haupts der untern Gaue, des mächtigen Makrian, des offenen Feindes mit List und Gewalt zu bemächtigen, wie einst Julian einem versteckten Gegner, dem Vadomar gegenüber gethan. 373.

Es wurde anskundschaftet, wo Makrian in seinem Gau sich aufhielt, und in aller Heimlichkeit ein Zug dahin vorbereitet. Der Kaiser kam dazu von Trier nach Mainz, bestimmte Reiterei unter Theodosius, Fussvolk unter Severus, und Hess den Soldaten einschärfen, des Sengens und Plünderns in Feindesland sich zu enthalten. Alles Gepäck Hess man zurück, nur einige Decken für den Kaiser wurden mitgeführt.

Er selbst führte die Truppen auf einer Schiffbrücke über den Rhein und schlug in der Stille die Strasse ein, die über Wies- baden, Mattiacae aquae, hinaus in den Osten führte. Severus, mit dem Fussvolk voran marschirend, überzeugte sich aber bald, das dieses an Zahl zu gering sei, um einem kräftigen Angriff Widerstand leisten zu können, und Hess daher weiteres von Mainz kommen. Unterdess stiess man auf einen Trupp Sclaven,

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die zum Markt geführt wurden. Sie wurden uiedergehauen, um das Geheimniss nicht verrathcn zu können.

In der Nacht machte man kurze Rast und brach gegen Morgen unter der Führung von Kundschaftern auf, Theodosius mit der Reiterei an der Spitze, Severus mit dem Fussvolk folgend. Schon kam man in die Nähe des Königs, als die Yer- heerungslust der Soldaten Meister wurde. Prasselndes Feuer und lärmende Rufe machten die Trabanten des Königs aufmerk- sam. Auf einem leichten Wagen konnte er entfliehen und durch eine Schlucht sich über Hügel in Sicherheit bringen. „So kam Valentinian durch die Zügellosigkeit der Soldaten um den Ruhm seiner Unternehmung.“ „Finster wie ein Löwe, der, wenn ihm ein Hirsch oder ein Reh entkommen, die leeren Zähne zu- sammenbeisst,“ verwüstete er den Buchengau bis zum fünfzigsten Meilenstein, etwa bis an den Fuss des Vogelsgebirges und setzte an Makrians Stelle den Fraomar als König der Bucinobanten ein. Dann kehrte er nach Trier zurück.

Die Verwüstungen.

Der König Fraomar fasste jedoch keine Wurzel in seiner Stellung. Der Buchengan empörte sich gegen ihn und wurde zum zweiten Mal von einem römischen Heere verwüstet. Dann wurde aber der neue König mit dem Rang eines Tribunen an die Spitze der alamannisehen Cohorte in Britaunien versetzt, die durch ihre Stärke ausgezeichnet war. Seitdem erscheint Makrian wieder in seiner Königswürde.

Auch die Adalinge Bitherid uud Hortar, primates, wurden zu römischen Officieren gemacht, Letzterer später jedoch wegen eines hoehverrätherischen Briefwechsels mit Makrian und Ada- lingen seines Stammes, nachdem er unter der Folter ein Ge- ständnis abgelegt, zum Feuertod verurtheilt.

Nachdem Valentinian 368 die Gaue des Neckargebiets, 373 zweimal den Buchengau verwüstet hatte, heisst es 374 wieder: er verheerte ein paar Alamannengaue, post vastatos aliquos Alamanniae pagos. Es werden die obern (der Breisgau und die Lenzer Gaue) gewesen sein, in denen wohl der Geist, des Vithikab weiter lebte, denn der Kaiser baute dann die Veste Robur in der Nähe von Basel, prope Basiliam munimentum Robur. Wenn man von den Gauen des mittleren und unteren

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Rhein absieht, welche unter dem Druck der Oberrheinischen Besatzungen standen, so waren es fast alle, welche sich gegen die römische Herrschaft empörten, fast alle, welche Yalentinian mit Feuer und Schwert durchzog.

Das Bündniss.

Was dem Sturm nicht gelungen, sollte nun dem Sonnen- schein gewährt werden. Der Kaiser wie der König Makrian waren des langen Streites müde. Valentinian stand an der Schwelle eines Kriegszuges gegen die Quaden der mittleren Donau, und so lag es im Interesse des Reiches, von den Gallien benachbarten wilden Königen vor allen nicht den gefürchteten Makrian als Feind zurückzulassen, und dieser zeigte, nachdem er vor fünfzehn Jahren in dem Lager des Julian zuerst römische Waffen gesehen und ebenso lange Sinn und Waffen gegen sie gekehrt, ohne zur Ruhe gebracht zu sein, impacatum, sich nun- mehr zur Annahme eines Bündnisses geneigt. Der Kaiser Hess ihn daher zu einer Zusammenkunft an dem alamannischen Ufer des Rheins in der Nähe von Mainz einladen, eine Aufforderung, die wie die Wahl des Ortes für ihn vou grossem Entgegen- kommen war. 374.

Der König machte sich in dem Bewusstsein, der oberste Schiedsrichter über den Frieden zu sein, auf den Weg. Das Haupt hochtragend, erschien er unter den Schildklängen seiner Gefolgen am Ufer des Rheins. Der Kaiser setzte zu Schiff über und betrat gleichfalls von einer starken kriegerischen Be- gleitung umgeben, in dem Glanze schimmernder Feldzeichen vorsichtig das Land. Bei lebhaften Worten und Geberden der Alamannen und ruhiger Haltung der Römer wurden Gründe und Gegengründe ausgetauscht, wurde lange verhandelt und endlich ein Freundschaftsvertrag geschlossen und feierlich mit Eiden bekräftigt.

Dies Bündniss war nicht wie alle frühem das Resultat der Ergebung, sondern die Frucht freier Vereinbarung zweier in ihren Beziehungen zu einander ebenbürtigen Gegner. Beschränkte sich der Vertrag auf den Buchengau oder umfasste er auch die andern Gaue, auf deren Führung die ausserordentliche Macht- stellung des Makrian beruhte? Nach dem weiteren Verlauf der alamannischen Geschichte scheint Letzteres nicht der Fall ge-

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wesen zu sein. Von den Bedingungen schweigt der Bericht- erstatter. Im Jahr 400 zählt die Notitia dignitatum unter den Palasttruppen auch Bucinobanten auf.

Der grosse Anstifter aller Unruhen kehrte gewonnen in seinen Gau zurück, discessit turbaruni rex artifex delinitus. Er blieb den Römern ein treuer Bundesgenosse, bis er später den Tod im Lande der Franken fand. Als er unter fürchterlichen Verwüstungen dort eindrang, wurde er von dem kriegerischen König Mellobaudes in einen Hinterhalt gelockt und erschlagen.

In einigen Jahren war ganz Alamannien gegen die Römer wieder geeinigt.

VIII. Der Kaiser Gratian. 377.

14. Die Sehlacht hei Argcntaria.

Die Vorgeschichte.

Nach dem Tode des Valentinian (375) hatte die grosse von den Hunnen ausgehende Bewegung die Gothen nach Thracien geführt, wo sie den oströmischen Kaiser Valens hart bedrängten. Sein Neffe Gratian, der Herr des Abendlandes, traf im Jahr 377 die Vorbereitung, ihm schleunigst durch ein Heer zu Hülfe zu kommen. Diese Kunde drang zu den Lenzem durch einen Gaugenossen, der in Rom bei den kaiserlichen Schildknappen diente, und seine Heimath besuchte. Er versicherte weiter, es sollten die Grenzvölker, die sich zum Verderben der Römer verschworen hätten, mit verdoppelter Kraft niedergeschlagen werden. Diese Mittheilung brachte die Lenzer in gewaltige Erregung. Seit fast einem Vierteljahrhundert mit den Römern zwar im Bündniss, fürchteten sie doch, dass ihnen als unsichern Greuzuachbarn ein Gleiches in Aussicht stände. Ihre Erregung machte sich zunächst daliiu Luft, dass im Februar plündernde Banden über den gefrorenen Rhein nach Gallien eindrangen, aber nach beiderseitigen Verlusten von der Ueberzahl der römischen Truppen zurückgeworfen wurden.

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Die Rüstungen.

Ans dem Raubzug entwickelte sich ein Krieg. Als es be- kannt wurde, dass ein grosser Theil des Heeres bereits auf dem Marsch nach Pannonien sei, und der Kaiser sich mit ihm vereinigen werde, riefen die Lenzer alle Alamannengaue auf, pagorum omnium incolis in unum conlectis, und auf ihren Ruf versammelte sich ein Heer von 40 000 Mann, w'ählte den Lenzer- könig Priari, einen unternehmenden und tapfern Mann, den Anstifter dieser grossen Erhebung, zum Herzog, und setzte in das Eisass über, Alles wie zur Zeit des Chnodomar, des Makrian und Yithikab.

Der Kaiser Gratian, 18 Jahre alt, „beredt, mässig, kriege- risch und milde,“ Hess, rasch entschlossen, die Cohorten wieder zurückrufen und in Gallien zurückbehaltene Truppen zusammen- ziehen. Den Oberbefehl übergab er dem Nannienus, einem alt- bewährten verdienstvollen Krieger von besonnenem Mutli und setzte ihm den Frankenkönig Mellobaudes, den Kommandanten der Haustruppen, einen tapfern, feurigen Mann, der wie erw'ähnt mit Makrian in Streit gerathen sollte, mit gleicher Gewalt zur Seite.

Die Schlacht.

Jener zauderte, dieser von hoher Kampflust fortgerissen, ertrug den Aufschub des Angriffs mit qualvoller Ungeduld, bis sich ihnen die Alamannen bei Argentaria (Horburg an der 111) in unermesslicher Menge entgegenstellten. Sie erhoben schreck- lichen Waffenlärm, auf römischer Seite erschollen die Hörner, Pfeile und Wurfspiesse eröffneten die Schlacht und streckten Zahlreiche nieder. Als dann der Zusammenstoss erfolgte, lösten sich nach heisscm Kampfe die Reiheu der Römer auf. Jeder floh, wie er konnte. Zerstreute Haufen warfen sich, das offne Gelände vermeidend, auf waldige Höhe, wo sie wieder begannen, festen Fuss zu fassen. Da brachte, schon aus der Feme durch den Glanz der Rüstungen verkündet, die Ankunft des Kaisers mit frischen Truppen die Entscheidung. Nunmehr wendeten sich die Alamannen zur Flucht, hier und dort leisteten sie noch verzweifelten Widerstand. Nicht mehr als 5000 sollen nach Ammian in den Waldnngen entkommen sein, während der Ver-

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lust gewöhnlich auf etwa 30 000 Mann angegeben wird. Unter den Gefallenen war der Herzog Priari selbst. Soweit die dürftige Darstellung dieser grossen, in ihren Entscheidungen schwankenden Schlacht.

15. Die Lenzer.

Die Ringwälle.

Der Kaiser führte das siegreiche Heer auf der grossen Heerstrasse weiter, welche um die Beuge des Rheins in den Orient führte, wendete sich aber den lenzer Gauen gegenüber links ab und ging in der Stille über den Rhein, in der Hoffnung, das bundesbrüchige aufrührerische Volk zu vernichten. Dem- gegenüber blieb den Lenzern, die erst von der grossen Nieder- lage, dann von der Ankunft des Kaisers unterrichtet wurden, und durch den Verlust der Ihrigen in der Schlacht fast auf- gerieben waren, nur übrig, auf ihren Ringwällen Schutz zu suchen.

In der weiteren Erzählung werden zwei Gruppen von Bergen unterschieden, von denen die einen tiefer (in der Ebene), die andern höher (im Gebirge) lagen. In den erstem erkennt man die Kegel des Hegau, in den anderen etwa die Höhen des Randen.

Die erstem werden als gleich Mauerriegeln emporsteigende, rauhe Hochwälle, unwegsam, ringsum mit zerrissenen Felsen bedeckt, in einen Gipfel auslaufend geschildert, das Ganze durch die Gunst der Oertlichkeit zur Abwehr wie bestimmt, aber frei- gelegen, so dass es durch Wall und Graben eingeschlossen werden konnte. Colles; montes; asperitates aggerum prominen- tium; velut murorum obicibus; abruptis per ambitum rupibns; obsessos inviis cautibus; editiora; barbaros, quia locorum iniquitate (vom Standpunkt der Römer aus) defendebantur; circum- vallari placuit barbaros; 31, 10, 12—10. Diese Kegel besetzten die Männer und brachten Frauen, Kinder und Habe dahin, entschlossen, mit Aufgebot aller Kräfte für sie zu kämpfen.

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Der Kaiser mochte sich der Schlacht bei Solicomnum er- innern, der er als neunjähriger Knabe beigewolmt hatte. Aber wenn dort die Höhen des Schweinsberges erstürmt waren, so war hier vermöge der steiler aufsteigenden Abhänge die Aufgabe eine erheblich schwierigere; nichts destoweniger suchte der Kaiser sie zu lösen. Bei einem der Kegel stiegen aus jeder Legion erlesene, erprobte Krieger, der Kaiser unter den Vordersten, die Abhänge hinan, als müsste ihnen der Sieges- preis ohne Kampf zufallen, sobald sie nur die Höhe erstiegen hätteu. Doch dauerten die Gefechte, welche um Mittag begannen, bis zum Dunkel der Nacht, beiderseits mit grossen Verlusten. Mordend wurden nicht wenige der Angreifer gemordet, die Rüstungen des kaiserlichen Gefolges, von Gold und lichten Farben strahlend, durch niedergewälzte Felsstücke zertrümmert und ihre Träger erschlagen.

Die Hartnäckigkeit, mit der diese Mauern bekämpft wurden, war verderblich und vergebens. Der Kriegsrath berieth lange und kam bei entgegenstehenden Ansichten zu dem Beschluss, die Waffen ruhen zu lassen, die Lenzer durch Wall und Graben einzuscbliessen und sie durch Aushungern zu Paaren zu treiben.

Diese kamen dem jedoch zuvor. Sie zogen höher in das Gebirge hinauf und besetzten hier steile Berghohen. Als der Kaiser mit dem Heer ihnen folgte und die Saumwege besetzte, die hinaufführten, da sahen sie bald, dass die Zeit der Ergebung gekommen. Alios montes his, qnos ante insederant, altiores; semites ducentes ad ardna, 31, 10, 16. Auf ihr flehentliches Bitten erlangten sie von dem nun zur Milde gestimmten Kaiser Frieden gegen die Verpflichtung, Hülfstruppen zu stellen. Im Uebrigen konnten sie uugelährdet in die Heimath zurückkehren.

Die Wirkung in die Ferne.

Gratian theilte seinem Oheim, dem Kaiser Valens mit, dass er die Alamannen bewältigt habe, und marschirte mit dem Heer nun dem ursprünglichen Plane gemäss über Arbon (Felix Arbor) am Bodensee und Sirmium an der Save nach Thracien. Valens, eifersüchtig auf den glänzenden Erfolg seines Neffen, beschleunigte, um ihn nicht an dem erwarteten Sieg Theil nehmen zu lassen, die Entscheidung des Kriegs. Es war die gewaltige Gothen- schlacht bei Hadrianopel, welche, eine zweite Niederlage von

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Cannae, ihm das Lebeu und dem römischen Heer über zwei Drittel seiner Krieger kostete. Die Alamannen hatten durch ihren Zug nach Gallien, die Lenzer durch ihren Widerstand den Marsch des Kaiser Gratian nach Thracien aufgehalteu. Vielleicht führte diese Verzögerung, die grosse Niederlage der Alamannen ausgleichend, den grösseren Sieg der Gothen bei Hadrianopel herbei.

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Sechstes Kapitel.

Die ztoeile ßnsiecUurtgsperiocU Hes fünften 5al|rHuriäerts.

I. Die Grundsätze der AnBiedlung.

1. Neue alainnnnische Niederlassungen.

lin Lauf des 5. Jahrhunderts folgten die Alanianueu der grossen Bewegung der osteuropäischen Völker in den Westen, drangen aus ihrem Stammland gen Westen, Osten und Süden, besetzten theils erobernd, theils friedlich colonisirend einen Theil von Gallien und Rätien und umspannten mit neuen Ansiedlungen ein Gebiet, bei Weitem grösser als ihr alter Besitz. Diese zweite Ansiedlungsperiode begann, wie es scheint, mit dem Jahr 407 und fand im Westen einen Abschluss mit den Siegen der Franken über die Alamannen seit 496, welche hier das Vorschreiten der Besiedlung hemmten, die Bevölkerung zum grossen Theil in den Süden trieben und so einen dritten Zeitraum der Ansiedlung einleiteten.

Das Neualamannien des 5. Jahrhunderts umfasste in Gallien am linken Rhein das Eisass, die Pfalz, Rheinhessen, die Rhein- provinz bis Cölu und Jülich abwärts, das niederländische Limburg, Luxemburg, Deutsch-Lothringen, das Thal des mittleren Doubs bis zum Jura; in Gallien und Rätien die deutsche Schweiz und in Rätien weiter Oberschwaben.

Darüber, wie hier die Besitzergreifung und Ansiedlung der wandernden Alamannen stattgefunden, sind nur ganz vereinzelte Nachrichten auf uns gekommen. Sie nahmen an den giessen Einbrüchen der Völker des Ostens, Germanen und anderer, in

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Gallien von 407 und 451 Theil; wir verfolgen sie in einzelnen Episoden der gallischen und rätischen Kämpfe und sehen sie dann angesiedelt, aber wir hören Nichts von ihren Beziehungen zum römischen Reich, zu den römischen Grundbesitzern und den germanischen Nachbarn, die neben ihnen Sitze erwarben. Besser unterrichtet sind wir über die Letzteren, die Burgundiouen und Franken im Osten von Gallien, deren Geschichte mit der der Alamannen sich feindlich kreuzen sollte, und der Westgothen und Alanen im gallischen Westen und Süden. Was wir über diese vier Völker erfahren, wird einen Anhalt für die Unter- suchung der Frage geben, in welcher Art die Alamanneu sich in den römischen Nachbarländern ansässig gemacht haben.

2. Germanische Ansiedlungen in Gallien.

Mit der Lage des römischen Reiches änderte sich noth- gedrungen auch die Politik gegen die eingedrungenen Völker des Ostens. Im 3. und 4. Jahrhundert waren die sich immer wieder- holenden Einbrüche in Gallien zurückgewiesen, die Franken jedoch fassten schon im 4. im Norden festen Fuss. Im 3. und 4. drangen die Römer, wie dargestellt, über den Rhein, besiegten auf dem rechten Ufer die Alamannen einzeln in ihren Gauen und schlossen Büudnisse mit ihnen ab, die ihnen ihr Land Hessen, keinen Tribut, aber römische Heeresfolge auferlegten und sie so in lockere Abhängigkeit vom römischen Reich brachten.

Im 5. Jahrhundert wurde dieses System auch auf Gallien angewendet. Erobernd drangen Franken, Burgundionen und Alanen ein, konnten aber nicht mehr über den Rhein zurück- gewiesen werden. Der Sieg gestattete den Römern deren Duldung in Gallien, die Niederlage liess den Franken den Boden, den sie mit den Waffen erworben, verschaffte den Burgundionen und den (nichtgermaniseben) Alanen angewiesene Sitze. Die Büud- nisse, welche die Römer mit den bis dahin freien Germanen schlossen, nahmen Letztere in das Reich unter dessen Oberhoheit auf und verpflichteten sie zu Kriegsdiensten. Ihr Recht, ihre

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Nationalität blieben unangetastet. So wurden aus den bis dahin freien, in Gallien eingedrungeuen Germanen abhängige Födoraten des römischen Reichs. Aehnlich, doch ohne Niederlage, ge- stalteten sich die Beziehungen der siegreich aus Hispanien nach Gallien zurückkehrenden Westgothen zum Reich. Aber nach Jahrzehnten wurden die römischen Föderaten zu Herrn Galliens und an den Bündnissen fand das römische Reich in Gallien ein Ende.

Die grossen Einbrüche der östlichen Völker hatten ein Herabsinken der römischen Bevölkerung, insbesondere der Grund- besitzer (Possessores) zur Folge. Wo .lene nach der Eroberung zur Ansiedlung übergingen, fänden sie eine geminderte Zahl von Besitzern und viel freies Land. Ob und wie weit sie ihnen dann Schonung gewährt haben, ist nicht zu ersehen. Bei dem Abschluss der Bündnissverträge, wird aber das Reich den Ansiedlern Schonung auferlegt haben. Wo hingegen das Reich einem Stamm ein neues Gebiet zum Besitz anwies, konnte es diesen die Besitzergreifung im Ganzen, etwa unter Sicherung der römischen Possessores, überlassen, oder es konnte für den einzelnen Germanen einen Antheil an dem Grundbesitz des einzelnen Römers festsetzen. Bei einer solchen Landzutheilung fiel, wie dem römischen Soldaten auf dem Marsch ein Drittel der Wohnung des Possessor als vorübergehendes Quartier ein- geräumt wurde, in der Regel ein Drittel seines gesammten Grundbesitzes dem germanischen Ansiedler zu Eigenthum, sors, zu. Dann sassen beide mit einander in Gastfreundschaft, hospi- talitas, ein Rechtsverhältniss, in dem sowohl der Römer als Wirth, wie der Germane als Gast mit hospes bezeichnet wurde. Ob die Burgundionen am Rhein in Hospitalität lebten, ist nicht zu ersehen; bei den verschiedenen Stadien ihrer spätem An- siedl uug im Südosten von Gallien bestand die Besitzquote ihres Stammgenossen am Haus des Römers in einem Drittel, am Acker in einem oder gar zwei Dritteln oder der Hälfte, au Wald und Weide ungetheilt in der Hälfte, zeitweise auch an Sclaveu in einem Drittel. Der Westgothe bezog zwei Drittel des Ackerlandes, die Hälfte von Wald und Weide ungetheilt, während vom Haus keine Rede ist. Auch die Alanen erhielten mit den Einwohnern zu theilende Grundstücke, rura partienda, terrae cum iucolis dividendae, sie trieben aber ihre wirthlichen

Cramer, Geschieht« der Alamannen. 12

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Gastfreunde mit Gewalt aus. In Italien begnügten sich Odoaker wie Theoderich mit einem Drittel des Besitzes.

lieber die Beziehungen der nachbarlich sich ansiedelnden Germanenstämme zu einander ist Nichts zu ersehen.

Zeit und Art der alemannischen Besiedlung.

Ehe ich dazu übergehe, die spärlichen Nachrichten über die Ansiedlung der Alamannen zu deuten, seien hier einige all- gemeine Bemerkungen vorangeschickt.

lieber den Beginn ihrer territorialen Ausdehnung herrschen die verschiedensten Ansichten. Genannt wird das Jahr 409 im Anschluss an den grossen Einbruch der Barbaren, das Jahr 413, zusammenfallend mit der Besitzergreifung des Mittelrheins durch lie Burgundioneu, die Mitte des Jahrhunderts, das Jahr 455, anknüpfend an den Tod des Aötius, 472 im Gefolge des Todes des Ricimer, des letzten Beschützer des Westreichs, und in Bezug auf die Besitzergreifung der rechten Donau, das Jahr 496.

Die gemeine Meinung bestimmt das Jahr 409 (oder 407) und erhebliche allgemeine Gründe sprechen für diese Annahme. Im 3. und 4. Jahrhundert waren die Alamannen, unerschöpflich an Kraft, immer und immer wieder in die römischen Nachbarprovinzen eingebrochen, um das Land zu erobern, dessen fruchtbare Ge- filde, nur durch den Rhein und die Donau getrennt, lockend vor ihren Augen lagen. Immer wieder zurückgetrieben, mussten Vergangenheit und Nachbarschaft sie auffordern, sich den Zügen des 5. Jahrhunderts nach Gallien anzuschliessen und, sobald das Hinderniss für die Occupation gefallen, sich des Landes zu be- mächtigen, das sie als ihre Domaine betrachteten. Dies geschah schon im Jahre 409, als den Zügen der östlichen Völker in den Westen gegenüber das römische Reich wehrlos da lag. Gewiss blieben die Alamannen nicht unthätig daheim, als die Franken, ihre alten Genossen, und die Burgundionen, ihre Erb- feinde, am Rhein Sitze erlangt hatten. Von alamannischen Einbrüchen nach Gallien hören wir zuerst 409, von ihrer An- wesenheit 411. Ist es ihnen schon damals gelungen, sich hier zu halten, so werden ihnen Tausende auf Tausende über den

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Strom gefolgt sein, kühn und emsig, in Siedlungen voran- znschreiteu. Wir kennen ihre Ausdehnung im Westen des Rheins von den Vogesen bis Cöln abwärts und wir wissen, wann dein weiteren Vorandringen halt geboten wurde. Es war im Jahr 49ß, als die Alamannen sieh den Franken unterwerfen mussten und später, als Massen ihrer Ansiedler über den Rhein wieder zuriickströmtcn, wenn auch starke Reste in der nun fränkisch gewordenen neuen Heiniath zurückblieben. Fragt man nun, wie lange man zurückrechnen muss, um zum Beginn dieser grossen Kolonisationsepoche zu gelangen, so wird man nicht im Jahr 472, nicht um die Mitte des Jahrhunderts anhalten, sondern in die ersten Jahrzehnte zurückgreifen müssen.

Die grossen Züge von 409 und 451 unter Attila nach Gallien, an denen die Alamannen sich betheiligten, waren mit allgemeiner Verheerung verbunden, und wo die Alamannen auch sonst noch ihre alten Grenzen mit grösseren Massen zum Zweck der Er- oberung und der Colonisation überschritten , werden sie die •Städte, die ihnen ein Gräuel waren, zerstört und die römischen Besitzer, die ihnen im Wege waren, vertrieben oder vertilgt haben. Denn wo auch das Schicksal der Alamannen zu verfolgen ist, haben sie ihren Stamm von römischer Mischung frei erhalten, und das setzt bei der überwiegenden Kultur der Römer deren Vernichtung voraus.

Abgesehen von den Berichten über die gemeinsamen Ein- brüche von 409 und 451, spricht nur eine einzige Nachricht von einem G'onflikt der Alamannen mit der römischen Reiclis- maclit in dem Ansiedlungsgebiet. 430 schlug Aetius die ■Intlmngen an der Donau, und wohl mit Rücksicht auf diesen Sieg (vou einem anderen wissen wir nichts) sagt Jordanes von Aetius, er sei für das Reich besonders dazu geboren, den Uober- muth der Sueven (und die Rohheiten der Franken) durch grosso -Niederlagen in die Unterthänigkeit des Reiches zu bringen; rei publicae Romanae singulariter natus, qui superbiam Suavorum Francorumqne barbariem immensis eaedibus Romano imperio voegisset, cp. 34. Diese Bemerkung scheint sich also auf die baue, seien es alte oder neue der juthungischen Sueven an der Donau zu beziehen, und zu bezeugen, dass die Sueven wie die Franken in die Abhängigkeit von Föderalen gekommen seien. Im l'ebrigen mögen sich bei der zweifelhaften Lage des Reichs

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in den ersten Jahrzehnten bald friedliche Beziehungen zwischen den alaniannischen Ansiedlern und den Römern herausgestellt haben. Waren doch die Alamannen im Stamniland schon seit länger als hundert Jahren, seit der Zeit der Kaiser Constantius, Julian, Valentinian und Gratian an römische Bündnisse gewöhnt, wenn sie auch gebrochen waren, so oft es anging; war doch ihr grosser König Makrian freiwillig in die Bundesgenossenschaft mit dem römischen Reich getreten und hatte sie treu gehalten; und hatte doch der Usurpator Eugeuius (392 394) die alten Bündnisse mit den alamannischen und fränkischen Königen der Sitte gemäss erneuert, cum Alamannorum et Francorum regibus vetustis foederibus ex more initis, Gregor. Hist. Franc., 2, 9, und Stilicho, der Vormund und Reichsverweser für den Kaiser Honorius 395, ihre blonden Könige, crinigero flaventes vertice reges, zur Sicherung der Grenzen zum Gehorsam d. h. wiederum zum Bündniss gebracht, Claudianus de cons. Stilichou. 21, 203 etc. War es doch Herkommen, dem Reich Hülfstruppen zu stellen, als Anführer wie als Soldaten im kaiserlichen Heer zu dienen. Ein Bündniss in Gallien sicherte den Alamannen, was sie er- strebt, so lange sie überrheinische Nachbarn gewesen, den Besitz des Landes, die Möglichkeit ruhiger Colonisation, den Römern dagegen die Oberhoheit, wie die Gewähr friedlichen Nebeneinanderlebens.

Will mau aber der Bemerkung des Jordanes eine umfassen- dere Bedeutung geben, so wäre das Schicksal der alamannischen Einwanderer eine spätere und gezwungene Unterwerfung, wie die der Franken und Burgundionen gewesen. Wie diese oder doch wie die Franken, werden sie behalten haben, was sie ge- wonnen hatten, denn der Mitbesitz Galliens konnte den Germanen nicht mehr verwehrt werden. Zu einer Landtheilung von einem Drittel, von der wir auch bei den Franken nichts erfahren, wird die Voraussetzung gefehlt haben: in ihrem Gebiet gab es wohl keine römischen Besitzer.

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II. Das westrheinische Gallien.

4. Der Einbruch von 409.

Im Jalir 400 hatte Stilicho die Besatzungen der gallischen Rheingrenze zurückgezogen, um sie in Italien gegen die Gothen zu verwenden. Die Alamannen, die wie die Franken ihm durch das 395 erneuerte Bündniss verbunden waren, blieben diesem bis 409 treu.

Die schon 406 mit Alanen und Vandalen nach Gallien einbrechenden Sueven, die 409 weiter nach Hispanien zogen, waren keine alaniannischen (Siehe Kapitel 7 am Ende). Die Alamannen schlossen sich aber dem grossen Zuge der Barbaren von 409 an, der, „Quaden, Vandalen, Sarmaten, Alanen, Gepiden, Sachsen, Burgundionen, Alamannen und Pannonier“ umfassend, ganz Gallien zwischen den Alpen und Pyrenäen, dem Ocean und dem Rhein verwüstend überschwemmte. Hieronymus epist. 123 ad Ageruchiam.

Von den Eingedrungenen waren es Alamannen und Burgun- dionen, die schon seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts am mittleren Main in nachbarlicher Feindschaft gesessen hatten und deren Geschichte in der ganzen weiteren Entwickelung von einander bedingt blieb.

5. Die Burgnildionen.

Das gesammte Volk der Burgundionen verliess seine alten Sitze, in denen dann ihr Name verschwand. Wer sie ein- genommen, erfahren wir nicht. Es finden sich jedoch jenseits des Pfahlgrabens zwischen Schwäbisch-Hall und dem Main nach Arnold vielfach Ortsnamen mit alamannischen Endungen, die allerdings aus der Zeit vor der burgundionischen Einwanderung, wie aus der des Aufbruchs im Jahr 409 herrühren können. Bedenkt man, dass in der Zwischenzeit die Grenze zwischen beiden Völkern umstritten war, so ist zu vermuthen, dass, als

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sie frei geworden, die Alamannen das burgundionische Gebiet oder doch dessen Grenzstriche, etwa das Main-, das Tauber- oder das Saalethal besetzt haben. Bezeichnet doch um die Mitte des Jahrhunderts der Cosmograph von Ravenna, IV, 27, neben Aschaffenburg auch Würzburg, Ascapha und Uburzis als eine alamannische Stadt.

Der Zug der Burgund ionen an den Rhein wird von den nördlich und südlich gelegenen Alamannen nicht unangefochten geblieben sein. Die Ersteren finden sich dann 411 in Mainz in politischer Machtstellung. Ihr König Günther und der Alanen- häuptling Goar riefen gegen den Honorius den Jovinus als römischen Kaiser aus, in dessen Heer sie in Gallien blieben. Dann sieht man später die Burgundionen im Besitz des rechten und linken Rheins um Mainz: das rechte Ufer mögen sie schon damals den Alamannen abgenommen, das linke den Römern gegenüber sich gesichert haben. Nach der Niederlage des Jovinus traten sie zu dem Kaiser Honorius in Beziehungen und zum römischen Reich in ein Föderativverhältniss, das ihnen als alten Freunden der Römer 4 1 :i den Besitz des linken Mittelrhein liess. Burgundiones partem Galiiac obtinuerunt. Prosper Aqui- tanus zu diesem Jahr. Hier gründeten sie unter dem König Gundahar (Guntiar, Gundicar) und seinen Brüdern Godomar und Gislahar das Reich Burganden des Nibelungenliedes mit der Hauptstadt Worms, das am linken Rhein die Stadtgebiete von Worms, Speyer und Mainz (die civitates Vangionum, Mogon- tiace.isium, Nemetum), am rechten Rhein das Gebiet des Oden- waldes umfassen mochte „beidentlialb der Berge“, wie es im Liede heisst, d. h. zu beiden Seiten des Rheinthals. Burgunt- hart wird 703 ein Waldrevier in der Gegend von Heppenheim genannt. Socrates erzählt zum Jahr 430 die Bekehrungsgeschichte der Burgnndionen rechts vom Rhein.

Obgleich Föderaten der Römer, suchten die Burgundioneu sich 435 der Belgien prima (Hauptstadt Trier) zu bemächtigen, wurden aber von Aetius, dem kaiserlichen Statthalter in Gallien geschlagen. Er gewährte ihnen zwar Frieden, aber im nächsten Jahr brachten im römischen Kriegsdienst stehende Hunnen unter der Führung des Aetius oder auf sein Geheiss ihnen eine zweite Niederlage in Gallien bei, die dem Könige Gundahar und 20000 Burguudionen das Leben kostete. Dreissig Jahre lang

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bestand so an beiden Seiten des Rheins das Reich der Bur- guudionen, dessen Glanz und Untergang in sagenhafter Dar- stellung das Epos uns bewahrt hat. Im Jahr 443 wurden dann ihre Ueberbleibsel vom Mittelrhein versetzt und in der Sapandia (Savoyen) unter Landzutheilung angesiedelt. Die rechts- rheinischen blieben wo sie waren, und zogen ihren Volksgenossen später vielfach in den Süden nach. (Nach Jahn).

6. Die Alamannen.

Auch die Alamannen standen in Gallien auf Seiten der beiden Gegenkaiser des Honorius. Constantinus warb 411 am rechten Rhein ein Hülfscorps von Alamannen und Franken und dieses folgte dann sammt Burgundionen und Alanen den Feld- zeichen des Jovinus. Als beide Gegenkaiser dann beseitigt waren, werden die Alamannen sich gleichfalls dem Honorius zugewrendet haben, um die Sitze zugebilligt zu erhalten, deren sie in Gallien sich bemächtigt hatten.

Denn am unteren Main und im Odenwald aus ihren Sitzen verdrängt, hatten die Alamannen um so mehr Anlass, in Gallien Entschädigung zu suchen.

Hier festen Fuss zu fassen, ward ihnen um so leichter, als seit 350 alamannische Niederlassungen bereits im Eisass, der Pfalz und Rheinhessen bestanden und auch nach der Nieder- lage bei Strassburg unter römischer Herrschaft sich erhalten hatten (S. 124), auch wohl noch, als die Verheerung von 409 auch über sie ergangen sein mochte. Werden doch Mainz, Worms, Strassburg als damals zerstörte römische Städte von Hieronymus, epist. 123, genannt.

Zunächst war es das Eisass, das 409 auch die rechts- rheinischen Alamannen, erst in der Ebene, dann bis zum Kamm der Vogesen besetzten. Alisaz, Fremdsitz war sein Name, den es entweder bereits trug oder von den ueuen Ansiedlern erhielt. Dann gründeten sie, soweit nicht die Burgundionen oder andere Stämme hindernd im Wege sassen, zwischen Maas und Mosel abwärts Niederlassungen und breiteten sich von da nach allen Seiten in Gallien aus. (Zunächst soll hier die Richtung nach

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Norden verfolgt werden.) „Denn sagt Arnold, die Grenzen des römischen Reiches standen offen, die Einwohner waren geflüchtet oder vertrieben und wer zuerst kam, nahm das Land in Besitz.“ Dies colonisirende Vordringen ist aber nur unter der Voraus- setzung denkbar, dass sie ihren Frieden mit dem römischen Reich gemacht hatten, ein Vorgang, der auf römischer Seite um so erklärlicher ist, als wie früher am mittleren Main, nun- mehr am Rhein die alten Feinde Alamannen und Burguudionen wiederum einander berührten und sich gegenseitig in Schach hielten. Von Conflikten zwischen beiden Germanenstämmen ist jedoch nichts bekannt. Als die Burgundionensitze seit 443 frei wurden, fielen sie ein zweites Mal den Alamannen zu, und wenn Aetius dies zuliess, so scheint es zu beweisen, dass sie sich als zuverlässige Bundesgenossen bewährt hatten. Es er- folgte nun die Besetzung der Pfalz und Rheinhessens.

1. Der Zug des IliiimenkOnigs Attila von 451.

Die Entwicklung germanischer Niederlassungen in Gallien erlitt eine Störung durch den Alles aufwühlenden Zug des Hunnen- königs Attila. Er kam mit einem Heer östlicher Völker, unter denen die Ostgothen, den Main abwärts zum Mittelrhein. Von rechtsrheinischen Stämmen schlossen sich ihm unter andern Ala- mannen, Burgundionen, Franken an. Er gelangte unter Ver- heerung vieler Stadtgebiete, und der Zerstörung von Tongern, Trier, Metz in das belgische Gallien, bis ihn auf den cata- launischen Feldern zwischen Chalons sur Marne und Troyes Aetius mit einem Heer von keltischen und germanischen Stämmen, unter denen Westgothen, Burgundionen und Franken genannt werden, schlug. Das Heer des Attila wird auf 500000 Mann angegeben. Der Gefallenen auf beiden Seiten sollen 180000 gewesen sein. Dass die stammverwandten West- und Ostgothen gegeneinander gekämpft haben, wird ausdrücklich erzählt. In beiden Heeren waren Burgundionen und Franken (rechts- und linksrheinische), die sich also auch einander gegen- über standen, und ebenso mag es mit den Alamannen gewesen sein. Bezeugt ist die Theilnahme zwar nur der rechts-

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rheinischen Alamannen auf hunnischer Seite. Appollinaris Sidonius nennt in seinen Gedichten als Attilas Gefolgen: „Den der schilfige Neckar bespült“, ulvosa quem Nicer alluit unda, VII, 324, und Jordanes bezeichnet unter 'den Völkern des Attila, die nach dessen Tode mit einander kämpften „die Sueven, bewundernswert!) zu sehen, wie sie zum Fusskampf sich in Schlachtordnung aufstellen“: cernere erat, Suavum pede aciem struere, cp. 31'. Aber auch die linksrheinischen Alamannen konnten sich bei ihrer Verbreitung über das westliche Gallien der Parteinahme nicht entziehen, sie werden als durch die räuberisch einfallenden Hunnen bedrohte Ansiedler, wie als Befreundete der Römer deren Partei genommen und mit ihnen gegen ihre rechtsrheinischen Stammesgenossen gekämpft haben. (Apoll. Sidon. Carmina VII, 319 328; Jordanes 35—39: Gregor 2, 7.)

8. Die Alamannen als Sieger.

Nach dem Zuge des Attila war es der Tod des Aetius 454, der eine gewaltige Gährung in Gallien hervorrief. Die Germanen stürzten sich von Neuem auf die Provinz, soweit sie römisch geblieben. Der Kaiser Maximus sah 455, dass die überzogenen Gebiete verloren seien, ernannte den Avitus, den tapferen Unterfeldherrn und Kampfgenossen des Aetius, zum Heermeister, magister militum, und diesem gelang es, in drei Monaten die Germanen zurückzuweisen. So erzählt in einem auf den späteren Kaiser Avitus am Jahresanfang von 456 gehaltenen Panegyricus sein Schwiegersohn Apollinaris Sidonius (Carm. VII, 369 396): Quin et Aremoricus piratam Saxona tractus Sperabat . . .

Francus Germanum primum, Belgamque secnndum Sternebat, Rhenumque, ferox Alamanne, bibebas Romani ripis et utroque superbus in agro Vel civis vel victor eras . . .

Legas, qui veniam poscant, Alamanne, furori;

Saxonis incursus cessat, Chattumque palustri Alligat Albis aqua; vixque hoc ter menstrua totum Luna videt.

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Diese Verse schildern zunächst, wie sächsische Seeräuber sich an der Loiremündung festgesetzt, wie ihre Nachbarschaft die Armoriker mit aufrührerischen Hoffnungen erfüllt, wie die chattischen Franken in die Germania prima und Belgica secunda eingebrochen, wie durch die Thatkraft des Avitus den Kaub- zügen der Sachsen ein Ende gemacht und die chattischen Franken aus Gallien vertrieben, über den Rhein verfolgt und (angeblich) bis zur Elbe zurückgeworfen worden, bis auf den letzten Satz Alles in trockenem Ton. Sobald Sidonius dann zu den Alamannen gelangt, geräth er in poetischen Schwung; zweimal redet er sie an, aber seine Redeweise ist dunkel. Wie er die Thaten der Sachsen und Franken im Imperfect er- zählt hat, so fahrt er in derselben Zeitform fort, die politische Lage der Alamannen zu zeichnen: „Sie tranken den Rhein auf römischen Ufern und stolz sassen sie auf beiderseitigem Boden, als Bürger oder als Sieger“, oder wie sie . . . trotzig auf römischen Ufern

Tranken den Rhein und stolz auf linkem und rechten Gefilde, Bürger hier hiessen, dort Sieger.

Wie das utroque in agro beweist, nennt der Dichter beide Seiten des Stromes „des Römers Ufer“. Romani ripae sind keineswegs, wie von Schubert annimmt, „das linke Ufer in langer Ausdehnung, in langen Uferstrecken.“ Beide Ufer römisch zu nennen, war in der Theorie in sofern nicht ohne Grund, als die Föderativverhältnisse der rechtsrheinischen Gaue eine Ober- hoheit voraussetzten, thatsäehlich aber eine leere Phrase, eine alte fortgesponuene Fiction. Die Verse bedeuten also: Stolz sassen die Alamannen an beiden Ufern, auf beiden Seiten tranken sie sein Wasser, auf beiden bauten sie den Acker; auf dem rechten Rhein, ihrem Stammland, waren sie Besitzer ver- möge verjährten Rechts, drüben vermöge Eroberung. Das be- sagt der Gegensatz von Bürger und Sieger.

Es ist klar, dass hinsichtlich des rechten Ufers ein dauern- der Zustand geschildert wird, und die Consequenz der Darstellung fordert ein Gleiches für das linke Ufer, so dass also auch hier der Besitz vermöge Eroberung als ein schon hergebrachter erscheint. Dies findet seine Bestätigung in dem Erfolg der Thätigkeit des Avitus, die darin bestand: „Du schickst Gesandte, Alamanne, die um Verzeihung für deine Wuth bitten“, und das wird als

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preis würdig von dem Dichter besungen. Wären die Alamannen erst jetzt über den Rhein gekommen (wie Jahn und von Schubert wollen), so wäre es ein Schimpf für den Kaiser gewesen, wenn er sich mit ihren Entschuldigungen begnügt hätte, um so mehr, da er die eingedrungenen chattischen Franken, w'ie mit Emphase erzählt ist, über den Fluss zurückgeworfen hatte. Man muss vielmehr annehmen, dass die Alamannen von ihrem gallischen Gebiet aus in den noch römischen Antheil der Provinz einen Vorstoss gemacht, dass sie sich vor den drohenden militärischen Massregeln des Avitus zurückgezogen und ihren Rückzug mit Entschuldigungen gedeckt haben. So erst wird die Darstellung des Sidonius deutlich: Er preist die Macht der Alamannen, die den Rhein an beiden Ufern beherrschen und die Gewalt des Kaisers, der selbst dieses stolze Volk zu seinen Füssen ge- sehen hat.

Dieser Auffassung gegenüber wird geltend gemacht, dass die Alamannen noch nicht am linken Rhein gesessen hätten. Von Schubert hebt hervor, noch 455 hätten die römischen Provinzialen vom Rhein Abgesandte zur Kaiserwahl nach Arles gesendet. Aber Sidonius erzählt dies nur Carm. VII 524 - 527 von zahlreichem Adel ans dem Gebiet der Pyrenäen, des tyr- rhenischen Meeres, der cottischen Alpen und des Rheins:

Kumerosa coisse nobilitas visu est . . .

. . . quam partibus ambit Tyrrheni Rhenique liquor u. s. w.

Jahn führt weiter die Stelle Carm. II. 378, wonach Ricimer am Rhein den Frieden hergestellt:

Gallia, quod Rheni Martern ligat iste, pavore est. und eine Bemerkung des Procop (Goth. I. 12.), nach der die Kaiser Gallien bis an den Rhein so lange besessen, als Rom (bis zur Auflösung des Westreichs durch Odoaker) in seinem alten Bestand blieb. Der Rhein ist jedoch vermöge seiner Aus- dehnung einmal eine sehr unsichere Bezeichnung, andererseits erscheint es zweifellos, dass vornehme Römer sich auch irgendwo am Rhein erhalten, dass Ricimer dort Acte der Oberhoheit vor- genommen und dass bei dem Föderativverhältniss der Alamannen der Strom noch immer als Grenze des römischen Reichs be- trachtet werden durfte. Diese Stellen stehn also der Annahme

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dauernder alamannisclier Sitze am linken Rhein keineswegs entgegen.

So lebten die Alamannen in gesicherten Zuständen in dem westrheinischen Gallien, als Füderaten der Römer, so lange deren Reich dauerte; selbstständig und frei, seitdem es ein Ende genommen. Die Burgundionen, ihre alten Feinde hatten ihnen am Mittelrhein Platz gemacht, und wo sie dann vom Eisass aus in Gallien festen Fuss gefasst, hat Arnold nach den ala- mannischen Ortsendungen auf ingen und wie er weiter annimmt, auf weiler, hofen, ach, brunn, beuren, stetten, wang ermittelt. „Alamannische Orte, sagt er, finden sich über das ganze Gebiet zwischen Mainz, Diedenhofen, Mastricht, Jülich und Köln zer- streut, in den Thitlern des Rheins, der Rahe, Saar, Mosel, Elz, Kyll, Erft und Roer bis zur Maas, selbst in die entlegenen Seitenthäler und auf die Berge hinauf um den Hundsrück, den Hoch- und Idarwald und die Eifel, ein Beweis, dass der Strom der Auswanderung längere Zeit angedauert, und das Volk wirklich festen Fuss hier gefasst hat.“ Dessen ein Zeugniss ist zumal das grosse zusammenhängende Gebiet der Orte auf ingen, das sich in breiter Ausdehnung an beiden Seiten der Mosel von Metz bis Trier, im Saar- und im Sauerthal hinzieht. Aber zerstreut sassen die Alamannen, zwischen Maas und Mosel mit ripuarischen Franken, zwischen Mosel und Rhein mit chattischen Franken gemischt.

9. Die Franken.

Fränkisch sind die Orte auf heim, auch wohl auf hach, dorf, feld, hausen und scheid. In dieses Gemeinschaftsgebiet drangen die Alamannen von Süden, die ripuarischen Franken von Norden, die chattischen Franken von Osten vor.

Denn die Letzteren waren die nördlichen Nachbarn des alamannischen Stainmlandes, und als hier die Züge und dauern- den Auswanderungen nach Gallien die Bevölkerung gelichtet hatten, drangen die Chatten siedelnd in bis dahin ausschliesslich alamannischen Gegenden vor. Orte mit chattischen Namens-

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eudungen Anden sich am Westerwald, im Lahnthal, im Taunus; dann gingen die Chatten die Thäler der Lahn, Sieg und Wied entlang über den Rhein, Hessen sich zwischen Rhein und

Mosel nieder und schoben ihre Ansiedlungeu den Rhein, die

Mosel und ihre Seitenthäler aufwärts nach Süden und Westen bis in das heutige Lothringen hinein voran. Eine Episode dieser Entwicklung war der nach Sidonius bereits erwähnte Einfall der chattischen Franken nach 455, der sich am linken Rhein über die Germania prima und Belgica secunda erstreckte und von Avitus zurückgewiesen wurde.

Für das colonisirende Vorandringen der Alamannen in

Gallien lässt sich das Ende bestimmen. Es trat ein, als sie

496 von den Franken besiegt wurden. Wie weit aber damals der ripnarische und chattische Besitz bereits reichte, ist nicht zu sagen, da deren Ansiedluugeu seitdem weiter, tief in das links- nnd rechtsrheinische Alamannenland vorgeschoben wurden.

Bei der Festsetzung der Stammgrenze von 496 blieb den Alamannen das Eisass mit dem Nordgau und Sundgau, welche durch spätere Nachrichten überliefert sind.

III. Das Donaugebiet.

10. Die suevischc und die römlsch-suevlsche Zone.

Die Grenze von Rätien zu überschreiten, also etwa von Tuttlingen abwärts über die Donau zu setzen und auch von Günzburg abwärts sich an beiden Seiten des Stromes zu ver- breiten, wird für die Alamannen ebenso lockend gewesen sein, als über den Rhein in Gallien einzudringen. Man wird daher das erobernde Vorangeheu im Donaugebiet gleichfalls an den Zug der Donauvölker und der Germanen von 409 knüpfen dürfen. Die Nachbarschaft des Suevengeliietes lässt vermuthen, dass die Einwanderer vorwiegend Sneven waren. Wie in den alten Sitzen die schwäbische Alb deren Namen trägt, so in den neuen das Gebiet von Oberschwaben (Beides erst seit neuerer Zeit), und ich begreife unter Letzterem auch den bairischen Kreis

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Schwaben, der schon in dem alten Bisthumskatalog von Augsburg provincia Suevia heisst.

Baumann hat in seiner Darstellung der „alamannischen Niederlassung in der Rätia sceunda“ zutreffend geschlossen, dass, wo sich im alamannischen Gebiet nur eine geringe Zahl von römischen Ortnamen erhalten hat, wie im Stammland und in der Schweiz, die Alamannen als Eroberer zerstörend eingedrungen seien, wo aber eine grössere Zahl derartiger Orte geblieben, die Einwanderung eine von den Römern ge- stattete, also friedliche gewesen sei. Er nimmt dies von Ober- schwaben an, wo er 37 solcher Namen bezeichnet. Es ergiebt sich jedoch, dass man hier zwei Zonen unterscheiden muss, eine südwestlich-östliche mit den Orten, welche nach den Römern oder Walchen (Wälschen) benannt sind und eine nord- westliche, welche davon frei ist, und dass man demgemäss auch zwei Einwanderungsperioden anzunehmen hat.

Die südwestlich-östliche Zone umfasst die deutsche Um- gebung des Bodensees und weiter einen Landstrich, welcher zwischen der Eisenbahnlinie Friedrichshafen— Ulm, der Donau und dem Lech liegt. Die Namen gmppiren sich hier so:

nördlich vom Zeller- und Ueberlinger-Sec Walawis (jetzt Walwies), Walleubrugge in der Nähe, Walahusen (Wall- liausen), Walsburon (abgegangen bei Salem), Wahl weder (bei Heiligen berg);

nördlich vom obern Bodensee zwischen der Bahnlinie und der Iller Welschreu ti bei Tettnang, Ad Rhenum (Auf Rhein an der württembergischen Argen), Cassiliacum (Kiss- leg, OA. Wangen), W allmusried (bei Kissleg), Castra Vemania (Gcstratz an der obern Argen), Gampodunum (Kempten), Canale 1057 (Känels bei Kempten), Wallenhaus bei Ravens- burg, Waladorf (Halidorf, Aulendorf), Wallenreute, Waldsee (im dortigen Oberamt), Viana (Weinstetten und Weinhaida, OA. Laupheim), Gewann WTallenmoos bei Thannheim im Iller- thal ;

zwischen Iller, Donau und Lech Romisperg (Rünsberg), Sollthürn und Ramsoi (bei Obergüuzburg), Castra Navoae bei Eggenthal, Coelius uions (Kellmünz an der Iller). Wallenhauseu (bei Weissenborn); weiter an der Donau castra Piniana, Phaeniana (Finningen bei Neuulm), Guntia (Günzburg), Castra

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Fabiana, Phoebiaua (Feiningen bei Lauingen), Pomone (Baum- garten bei Dillingen), und im Lechgebiet Drusomagus (Druis- lieim an der Schmutter, Augusta Vindelicum (Augsburg), Waal und Waalhaupten (bei Landsberg), Abodiacum, Abu- zacum (Epfach), Römerkessel (in der Nähe), Ramsau bei Schongan; Escone-Echt (bei Oberndorf), Ad frontes Alpium (Pfronten bei Füssen).

Die nordwestliche von Römernamen freie Zone erstreckt sich von der rätischen Grenze bei Tuttlingen donauabwärts bis Ulm und reicht südlich bis in die Nähe des Bodensees, und man wird kaum in der Annahme fehlgehen, dass die Sueven um 409 hier über die Donau eingedrungen sind, dass sie die zusammenhängenden Ortschaften zerstört und sich in neuen Wohnsitzen angesiedelt haben, soweit nicht der Wald und die römische Zone Hindernisse in den Weg legten.

Solche Hindernisse fanden sich an der Donau von Ulm bis Lauingen, wo die römischen Castra Piniana und Fabiana dem Eindringen der Sueven Widerstand geleistet haben mögen, an der Linie Ulm Friedrichshafen und am Seegestade, das in ihrem Besitz zu erhalten, so lange es möglich, für die Römer ein Gebot der Nothwendigkeit war, um die gesammten Um- gebungen des Sees nicht in jedem Augenblick den Ueberfällen der Sueven zu Wasser auszusetzen.

Erst nach dieser zerstörenden Periode wird eine andere friedliche eingetreten sein, in der sie sich mit den Römern des zweiten Rätiens ins Gleichgewicht setzten, in der sie, wie in Gallien, als Föderatcn aufgenommen wurden und so kolonisirend in das Gebiet eindrangen, das ihnen bis dahin vorenthalten war. Dies mag noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ge- schehen sein.

11. Niederlagen an der Donau und dem Bodensee.

Noch vorher wird es gewesen sein, als „Juthungen“ wohl von beiden Seiten der Donau einen grossen Einfall etwa in die römische Zone machten. Aetius bekriegte sie „mit der Ab-

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sicht, sie zu vertilgen“ und schlug sie 430, ein Sieg, von dem Hydatius erzählt, und den Sidonius, als von seinem Schwieger- vater Avitus miterfochten, feiert. Aetius Jliutungorum gentem delere intendit, Chron. Gallica anni 452 zum Jahr 430: Juthnngi per enm (Aetinm) debellantur, Hydatius zum Jahr 430.

X am post Jnthungos et Norica bella, subacto Victor Vindelico, Burgundio quem trux Presserat, absolvit (Aetius) junctus tibi (Avito).

Wo der Kriegsschauplatz war, ist nicht gesagt, doch kann es nicht wohl eiu anderer sein, als die Donaugegend, in der die besiegten Völker Juthungen, Vindeliker (Rätier) und Noriker neben einander wohnten (Siche Kapitel 8, Abschnitt 4).

Zur Zeit des hunnischen Einfalls von 451 zerstörten die Alamannen auch am Budensee gelegene römische Orte, unter denen Arbor und Brigantia genannt werden. Auch der hunnischen Bewegung folgte die Niederlage, und beide römischen Siege mögen die Alamannen von den Ufern des Sees zurückgeworfen haben.

12. Der König Gibuld.

Aber bald hört man wieder von Raubzügen eines Gaus des alamaunischen Königs Gibuld oder Gebaud, die im Osten bis Passau in Noricum, im Westen bis Troyes in Gallien sich aus- dehnten. Er war Christ und die Heiligeugeschichte, die von seinen räuberischen Einbrüchen erzählt, schildert ihn zugleich als demütbigen Verehrer des heiligen Severin, der bald nach dem Tode Attilas 452 nach Rätien und Noricum kam, wo er 482 starb und des heiligen Lupus, der bis zu seinem Tode Bischof von Troyes war.

Der heilige Severin gründete in Passau ein kleines Kloster, das er auf Bitten der Einwohner hauptsächlich wegen der fort- gesetzten Einfälle der Alamannen häufiger besuchte, maxime propter Alamannorum incursus assiduos, quorum rex Gibuldus summa eum reverentia diligebat. Als einmal der König mit seinen Alamannen auf Passau zu zog, ging ihm der Heilige entgegen, damit jener die Stadt verschone, und machte durch

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die Gewalt seiner Rede einen so starken Eindruck auf den König, dass dieser ihm versprach, sein Volk von der Zerstörung der römischen Besitzung abzuhalten, und die von den Seinen ge- machten Gefangenen ohne Lösegeld herauszugeben, ut gentem suam a Romana vastatione cohiberet et captivos, quos sui tenu- erunt, gratuiter absolveret. Ein von dem Heiligen gesandter Diakon empfing auch, nachdem er viele Tage gewartet, siebenzig und ein Presbyter eine grosse Menge, magnam copiatn, Ge- fangener zurück. Eugippii vita Severiui cap. 19.

Ein Gleiches gewährte Gibuld (Gebaud) dem Bischof Lupus von Troyes, episcopus Trecensis, dem von allen Königen der Völker grosse Verehrung bezeugt wurde, insbesondere von dem König Gebaud, ab omuibus gentium regibus ingens illi revercntiae adhiberetur aifectus, specialius tarnen a rege Ge- baudo ; Gebaudus regia dignitate sublimis. Er gab auf schriftliche Bitte des Bischofs Brionen aus dem Stadtgebiet der Champagne, die von Alamannen gefangen waren, die Freiheit wieder, Brionenses, quos Alamannorum quondam cepit immanitas. Vita S. Lupi.

Der König stand zu beiden Heiligen in persönlichen Be- ziehungen. Die Gefangenen waren auf Streifzügen gemacht, die weit über die alamannisclie Grenze hinausgingen, im Osten in der Gegend von Passau, wo Gibuld selbst zugegen war, im Westen in der Champagne, wo seine Anwesenheit nicht erhellt; Lupus schrieb ihm, die Gefangenen können also auch in den Gau des Königs verbracht sein. Die Expeditionen scheinen Streifzüge eines Gaus in die in der Auflösung begriffenen römischen Provinzen zu sein, an deren einem Gibuld als Gaukönig theilnahm. An einen nach zwei Seiten geführten grossen Krieg, bei dem er Herzog gewesen, zu denken, ist kein Anlass. Von Schubert sieht unter der weiteren Ausführung, dass die Ala- mannen inzwischen zum Stammkönigthum übergegangen seien, in ihm den ersten bekannten Stammkönig. Dass er in die Reihe -aller Könige der Völker“ gestellt wird, ist dafür nicht be- zeichnend, auch kaum, dass er „hervorragend an königlicher Würde“ genannt wird, denn der Schriftsteller will nicht technisch seine staatsrechtliche Stellung, sondern seine hervorragende Person, und damit den erfolgreichen Einfluss des Heiligen auf ihn rühmen. Jedenfalls könnte die Nachricht zu einer Deutung

Cr Am er, Gescbicbto der Alamannen. 13

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auf einen Stammkünig nur verwendet werden, wenn andere Mittheilungen sie ergänzen würden (Siehe unten Abschnitt 28 und Kapitel 7, Abschnitt 8).

Id. Alamannen und Ostgothen.

Einleitung.

Die Alamannen haben sich bis dahin in kriegerischen und politischen Beziehungen nur zu den Römern und den Germanen- stämmen der Franken und Burgundionen gezeigt, und die Ge- biete ihrer auswärtigen Thätigkeit waren Gallien, Rätien und Italien. Nunmehr traten sie zu einem weiteren Germanenstamme in Beziehungen, zunächst in feindliche an der mittleren Donau. Es waren die Ostgothen. Aber die flüssigen Verhältnisse, welche zur Zeit der Völkerwanderung geschaffen wie zerstört wurden, sollten die Feindschaft bald in Freundschaft umwandeln, bis schliesslich gemeinsame Geschicke für beide Stämme verhängnis- voll wurden.

Die Geschichte des ersten Zusammenstosses der „Sueven“ (oder vielmehr „Suaven“) mit den Ostgothen an der mittleren Donau und des Rückschlags der Bewegung zur Heimath der „verbündeten Suaven und Alamannen“ verdanken wir der Gothen- geschichte des Jordanes von der Mitte des 6. Jahrhunderts. Seine Darstellung in den Kapiteln 53 55 ist jedoch hinsicht- lich der Suavo- Alamannen schattenhaft, und theilweise schief und unrichtig. Unrichtig ist seine Unterscheidung von zwei getrennten und selbstständigen Gebieten des alten suevischen Gesammtvolkes an der mittleren und an der oberen Donau; schief seine Schilderung des Verhältnisses der Suaven zu den Alamannen, schattenhaft zumal der Zusammenhang der ersten und zweiten Hälfte der Kriegsereignisse. Unterrichtet zeigt sich Jordanes aber über die geographische Lage des Alamannen- landes an der oberen Donau.

In Wahrheit war dies das einzige „Suavien“. Die Ala- mannen und insbesondere Suaven zogen unter ihrem König- Herzog Hunimund (vielleicht war der König Alarich ein zweiter)

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wohl über den Brenner nach Dalmatien und Pannonien an der mittleren Donau, wurden von dem Ostgotlienkönig Theodemir geschlagen und kehrten in ihre Heimath zurück. Sie brachten dann einen Bund der Donauvölker gegen die Ostgothen zu Stande, und als auch dieser unterlegen war, zog Theodemir in das Gebiet der Alamannen an der oberen Donau und brachte ihnen eine letzte Niederlage bei. Hunimund erinnert an Chnodo- mar die Kämpfe und Niederlagen au der mittleren Donau ähneln denen in Gallien und der Zug des Theodemir in die Heimath der Suaven gleicht den Expeditionen des Cäsar Julian über den Rhein. Mit diesem leitenden Faden in der Hand werden sich die dunklen Pfade des Jordanes verfolgen lassen.

Um das Jahr 473, in das etwa der letzte Zug fällt, scheint die Macht der Römer in dem zweiten Rätien schon gebrochen zu sein. Sie werden gar nicht erwähnt. Die Darstellung des Jordanes beginnt erst, wo die Alamanno- Suaven in den Gesichts- kreis des Gothen treten und geht dahin:

Die mittlere Donau.

Unter dem Suavien der mittleren Donau ist seiner Lage nach augenscheinlich die römische Provinz Savia au der Save, Savus, ii hi die Stadt Siszek, Siscia verstanden, denn es stiess einerseits (südöstlich) an Dalmatien, andererseits (nordöstlich) war es nicht weit von Pannonien entfernt, zumal von dem Theil, in dem damals die Gothen wohnten, das ist um den Plattensee, lacus Pelso. Dalmatia Suaviac vicina erat, nec aPannonios fines distabat, praesertim ubi tune Gothi residebant. Pie Könige und wahrscheinlich Herzoge der Suaven waren Hunimund und Alarich; ersterer wird ausdrücklich als Herzog bezeichnet und erscheint als die treibende Kraft des Krieges, letzterer wird nur genannt. Suavorum reges, Hunimundus et Halaricus, jener auch Suavorum dux. Ueber die Gothen

herrschten als Könige Theodemir (der Vater des grossen Theoderich) und Valamir.

Von Suavien aus zogen die suavischen Herzoge mit einem Heer nach Dalmatien, raubten unterwegs (wo?) Vieh der Gothen von der Weide, wurden aber auf der Rückkehr beim Durchzug durch das Gothenland am Plattensee von Theodemir überfallen und geschlagen, ad sua revertans; in eorurn transitu ;

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ad lacuui Pelsodis. Hunimund und die Reste seines Heeres geriethen in Kriegsgefangenschaft. Aber der Gothenkönig war ein mitleidiger Mann, amator miscricordiae. Nachdem er an den Suaven Rache genommen, gewährte er ihnen Verzeihung, schloss also mit ihnen ein Bündniss, nahm den Herzog an Solinesstatt an und entliess ihn mit den Seinen nach Suavicn, remisit cum suis in Suavia.

Der Bund der Donauvölker.

Nach einiger Zeit, erzählt Jordanes weiter, verbündete sich Hunimund mit deu Sciren, die damals über der Donau sassen, Scirorum gente ineitans, qui tune super Danubium sedebant, und überfiel mit ihnen die Gothen. In dem Kampfe fiel deren König Valamir, aber die Suaven und Sciren wurden geschlagen und die letzteren „sämmtllch“ vernichtet. Es folgte ein Bündniss der Suaven, Rugier (über der Douau Noricum gegenüber); der Reste der Sciren, der Gepiden und Sarmaten (diese drei über der Donau in Dacien) und eine Schlacht am Fluss Bolia (un- bekannt) in Pannonien, ad amnem Boliani in Pannoniis. Das Schlachtfeld röthete sich von dem Blute der Gefallenen und Verwundeten, 10000 Leichen lagen zu Hügeln aufgehäuft da. Die Gothen unter Theodemir und seinen Brüdern blieben die Sieger.

Hunimund taucht noch einmal in der Vita Severini c. 22 auf, in der er weder als Alamaune, noch als König oder Herzog bezeichnet wird. Er überfiel mit geringer Truppenzahl Passau, Hunimandus paucis barbaris comitatus oppidum Batavis invasit. Während die Einwohner bei der Ernte waren , tödtete er 40 Mann, die als Besatzung zurückgeblieben waren. Woher er gekommen und wohin er weiter gezogen, ist nicht ersichtlich.

Das Kapitel 55 des Jordanes.

Post certum vero tempus instand hiemali frigore amnemque Danubii solite congelato nam istius modi fluvius ille conge- lascit, ut in silicis modum pedestrem vehat exercitum plaustraque et traculas vel quidquid vehiculi fuerit, nec cumbarum indigeat lintres sic ergo eum gelatum Thiodimir Gothorum rex cernens, pedestrem ducit exercitum, emensoque Dannbio Suavis impro- visus a tergo apparnit. Nam regio illa Suavorum ab Oriente

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Baibaros habet, ab occidente Francos, a nieridie Burgundzones, a septentrione Thuringos, quibus Suavis tune juncti aderant feliam Alamanni; ipsique Alpes erectos omnino regentes, unde nonnulla fluenta Danubium iufluunt nimio cum sonu vergentia. Hic ergo taliterque munito loco rex Tliiodimir liienris tempore Gotliorum ductavit exercitum et tarn Suavorum gente quam etiam Alamannorum, utrasque ad invicem foederatas, devicit, vastavit et pene subegit; inde quoque victor ad proprias sedes, id est Pannonias revertens etc.

Im Gegensatz zu dem Gebiet der Suavcu an der mittleren Donau, schildert das viel besprochene Capitel das Snavien an dem oberen Stromlauf. In schleppender Darstellung, unklar durch eine Reihe eingeschobener Sätze und durch den Wechsel der Tempora, schwerfällig durch Wiederholungen, skizzirt es einerseits die geographische Lage und Zustände der Alamannen (und insbesondere der Suaven) und vermischt andererseits damit den Lauf der Ereignisse.

Die obere Donau, Land und Leute.

Jordanes versteht dem schwankenden und verwirrenden Sprachgebrauch seiner Zeit (Mitte des 6. Jahrhunderts) gemäss, von dem weiter unten die Rede sein wird, einmal unter Suavien das ganze Alainannien, dann unter Suaven und Alamannen zwei conföderirte Völker und setzt richtig die Suaven in ihre historischen Wohnsitze an der linken Donau. Wenn nun die Suaven an dem linken Ufer wohnten, so lag ihm die Annahme nahe, dass die verbündeten Alamannen das rechte inne hätten, und so stellt er es dar.

Während es von dem Suavien der mittleren Donau im Fluss der Erzählung hiess: Dalmatia Suaviae vicina erat, wird hier der Gegensatz des Suaviens der oberen Donau absichtlich geographisch hervorgehoben. Regio illa Suavorum ab Oriente Baibaros habet, ab occidente Francos, a meridie Burgundzones, a septentrione Thuringos. Da hier das Präsens gewählt ist, so sah man darin zunächst das spätere Einschiebsel eines Kopisten (aber die gesummte Satzkonstruction des Capitals ist mangelhaft), und weiter einen Zusatz mit den Grenzen der Mitte des 6. Jahrhunderts; es sind aber in der Tliat die Grenzen vor 496. Zunächst ist nnter der regio Suavorum das ganze

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Alamannien zu verstehen, und während im Süden und Westen zu beiden Zeitpunkten Burgundionen und Franken sassen, trifft docli die Lage der Thüringer im Norden nur für die Zeit vor 49ß zu, während nach der Besiegung der Alamannen durch die Franken unter Chlodwig die Nordgrenze fränkisch war, Verhältnisse, auf deren Kenntniss Jordanes im Kapitel 57 anspielt. Damit ergiebt sich auch die Ansiedlung der Bajovaren über dem Lech (im Osten der Suaven) bereits für die Zeit von 473 oder doch vor 496 (nach Riezler, nach dem sie wahrscheinlich im Jahr 488 eingezogen sind, für die Zeit von 488—520).

Weiter behandelt Jordanes die Suaven und Alamannen als zwei selbstständige conföderirte Völker: tarn Suavorum gente quam etiam Alamannorum invicem foederatas. Die Suaven wohnten am linken Ufer, (von jeher bis gegenüber der Günz, jetzt vielleicht schon bis zur Wörnitz abwärts), denn Theodemir, welcher von Pannonien am rechten Ufer kam, drang zu ihnen über die ge- frorene Donau vor; die Alamannen aber rechts von dem Strom. Alamanni Alpes erectos omnio regentes, unde nonnulla fluenta Danubium influunt nimio cum sonitu vergentia. Die Alpen können die schwäbische Alb, wie die schweizer und Vorarlberger Alpen sein, in deren Gebiet, wie wir nach den älteren und späteren Nachrichten wissen, Alamannen (im ursprünglich weiteren Sinn des Wortes) angesiedelt waren. Von der schwäbischen Alb strömen keine „tosenden Nebenflüsse“ in die Donau (die bedeutendsten sind die Lauchert, Brenz und Wörnitz), während diese Bezeichnung eher auf die Flüsse der Allgäuer Alpen passt, die Oberläufe von Iller und Lech (denn die Isar und der Inn sind niemals alamannisch gewesen). Wenn also nach Jordanes Iller und Lech im Besitz der Alamannen und im Osten die Bajovaren ihre Nachbarn waren, von denen wir wissen, dass ihre Sitze bis au den Lech reichten, so folgt, dass die Alamannen (im ursprünglichen Sinn) in derThat schon zur Zeit dieses gothischen Conflikts die Iller und den linken Lech besetzt hatten, aber wohl noch nicht dicht, denn die Hauptmacht des Volkes, auf deren Vernichtung Theodomir ausging, bestand in den Suaven auf der linken Donauseite.

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Die Ostgothen an der oberen Donau.

Theodemir zog, so erzählt weiter Jordanes, einige Zeit nach der Niederlage der Donauvölker mit seinem Heer von Pannonien aus die Donau entlang, emenso Danubio, setzte über den ge- frorenen Fluss, und überraschte die Suaven im Rücken, Suavis improvisus a tergo apparuit. Aber sie erhielten Zuzug von der anderen Seite des Flusses, quibus Suavis tune juncti aderant Alamanni. Der Gothenkönig führte sein Heer daher zunächst an einen festen Platz, munito loco, und besiegte dann das ge- sammte Heer der Suaven und Alamannen, verwüstete ihr Land, nnterwarf sie „beinahe“ und kehrte als Sieger in seine Heimath Pannonien zurück, tum Suavorum gente quam etiam Ala- mannorum devicit, vastavit et pene subegit. Inde quoque Victor ad proprias sedes, id est Pannonias, revertens etc. (Die Auffassung Baumanns, Schwaben und Alamannen S. 239, der unter den Suaven die vannianischen Sueben in Ungarn versteht nnd nur einige Gefolgschaften der Alamannen aus dem Westen ihnen zuziehen lässt, ist unhaltbar. Besiegt doch Theodemir auch das Volk der Alamannen und verwüstet ihr Land, nicht nur das der Sueven).

Ueberblick.

Jordanes, welcher erst die in Pannonien angesiedelten Suaven schildert, ihre Könige Hunimund, den Herzog, und Alarich nennt und die Gründe der gothisclien Kriegsführung gegen sie und ihre Genossen klarstellt, schweigt von dem Anlass des Zuges gegen die Suavo-Alamannen und erwähnt auch ihrer Könige nicht. Dieses Schweigen sichert die An- nahme, dass der letzte Krieg die Fortsetzung des frühem, dass Hunimand der Herzog der Suevo-Alamannen war, dass er mit seinen Stammgenossen zunächst in Dalmatien, dann in Pannonien eingebrochen, mit den verbündeten Donauvölkern dahin zurück- gekehrt und besiegt war, und nun in seiner Heimath an der oberen Donau aufgesucht nnd vernichtet werden sollte. Die räumliche Vermittlung zwischen den beiden Suavien der Jordanes bildet das Auftreten des Hunimund in Passau, das zwischen beiden liegt. Mommsen (Jordanes S. 165) führt aus, die Dar- stellung ergebe zur Genüge, dass Hunimund ans Germanien

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nach Dalmatien gekommen, und dass Jordanes im Kap. 53 Suavia mit der Provinz Savia verwechselt habe. Nachdem er den Hunimund als Herzog der pannonischen Suaven habe anf- treten lassen, habe er für ihn als Herzog der alamannischen keinen Raum mehr gefunden.

14. Die Alamannen in Xoricnin.

Als die Ostgothen abgezogen, durften die Alamannen Noricum wiederum als immer gelegene Beute betrachten. In der weiteren Darstellung der Vita Severini heisst es: Ein

starker Haufen Alamannen verheerte wild Alles. Dann: die Bewohner von Quintanis (Osterhofen im zweiten Rätien), der häufigen Einfälle der Alamannen müde, wanderten nach Passau aus. Diese hofften nun, das Volk beider Städte auf Einen Zugriff ausplündern zu können, aber Severin machte die Seinen dnrch Ansprachen stark, prophezeite den Sieg und die Ala- mannen wurden geschlagen. Noch einmal wird von Plündern, Gefangennehmen und Morden der Alamannen berichtet. Cp. 25, 27, 31.

15. Der Abzug der Römer von der Donau.

Es ist schon erwähnt, dass während des Conflikts zwischen Alamannen undOstgothen, welcher Rätien, Noricum, Pannonien und Dalmatien umfasste, von den Römern, römischen Besitzern, römischen Städten und Castellen nicht die Rede ist. Soweit sie sich aber unter Alamannen und Bajovarcn an beiden Seiten des Lech und um den Bodensee erhalten hatten, so verschwanden sie spätestens im Jahre 488, als Aonnlfus auf Geheiss seines Bruders Odoaker die römischen Provinzialen von den Donau- städten, die den Beutezügen der Germanen gegenüber nicht mehr zu schützen und zu halten waren, wegführte und in ver-

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scbiedencn Gegenden Italiens ansiedelte. Universos jussit ad Italiam migrare Romanos. Provincialibus, qui oppidis super ripam Danubii relictis, per diversas Italiae regiones varias suae permigrationis sortiti sunt sedes. Vita Severini cp. 45. Das Ergebniss dieser Untersuchung ist, dass es im 5. Jahr- hundert an der Donau nur Ein snevisclies Volk gab, die ala- mannischen Sueven, dass sie sich über das zweite Rätien bis zum Bodensee und dem Lechthal ausgedehnt und hier die Römer verdrängt hatten.

16. Die Bestallungsforniel für den dux Raetiaruni.

Dieser Darstellung widerspricht völlig die Formel, die sich in der Ostgothischen Formelsammlung des Cassiodor VII, 4 ans der Zeit von 535 als Formula ducatus Raetiarum befindet. Sie schildert die beiden Rätien als ein Vorland und die dort stationirten Truppen als den Schild des römischen Reiches. Bewohner sind die Provinzialen und Soldaten, die nach jus civile leben sollen; jenseits der Grenzen wohnen die wildesten und rohesten Völker, ungebändigt und räuberischer Einfälle ver- dächtig. Der Verkehr der Römer unter ihnen soll nicht lässig gestattet, und die Germanen dürfen nicht ohne Prüfung auf- genommen werden. Die Grenze ist vielmehr sorgsam zu um- wandern, und jeder Ansturm der Germanen zurückzuweisen.

Längst vergangene Zustände sprechen aus jedem Wort der Formel, die sich in der Kanzlei erhalten haben mag, jedenfalls entspricht sie der Lage des zweiten Rätieus, zu keiner Zeit der ostgothischen Herrschaft. Die Alamannen waren bereits im Besitz von Oberschwaben, als Theoderich, der neue Herrscher von Italien und damit der beiden Rätien (nach den fränkischen Siegen seit 496) ihren gen Süden fliehenden Volksgenossen die weitere Ansiedelung unter Jenen gestattete. Das geschah ohne Beeinträchtigung des Reiches Italien an römischem Besitz. In der Lobrede des Ennodius auf den grossen König heisst es: A te Alamanniae generalitas (die fliehenden Alamannen) intra Italiae terminos sine detrimento Romanae possessionis in- elusa est.

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IV. Das Gebiet des Doubs und der Vordersehweiz.

I?. Die Ausdehnung der Alamannen.

Nicht nur über den Rhein gen Westen und über die Donau gen Süden und Südosten, sondern auch vom Eisass und Deutsch- lothringen, wie direkt vom Stammland aus über den Rhein und Bodensee drangen alamannische Krieger- und Ansiedlerschaaren weiter gen Süden vor bis Langres, Besanqon, den mittleren und oberen Doubs, ferner in die deutsche Schweiz und zwar in den Jura bis zum Neuchateler-See, die Aare aufwärts bis zum Thuner- und Brienzer-See und weiter, bis das Hochgebirge, der St. Gotthard, Tödi, Glirnisch, Sentis, Arlberg und die Allgäuer Alpen ihnen eine Grenze setzten. Wie weil bereits im Lauf des 5. Jahrhunderts die Ansiedlungen in den Voralpen vor- geschoben, ist nicht zu sagen, erst in der Zeit der Merowinger und Karolinger ist zu sehen, dass das Hochgebirge erreicht worden.

Das Voranschreiten der Alamannen aus dem Norden in den Süden fand sein Ende, als sie gegen Südwesten mit einem anderen germanischen Volk zusammenstiessen, das von Süden in den Norden vordrang; als sie gegen Osten auf eine compacte Masse von Romanen trafen, die sich nicht vertreiben Hessen. Jene waren wiederum die Burgundionen, die sich als Nachbarn einfanden. Vom Mittelrhein in das südliche Gallien versetzt, wurden sie vom römischen Reich 443 in der Sapaudia (Savoyen) im Süden vom Genfer See und im Westen der grajischen und cottisehen Alpen unter Landzutheilung angesiedclt und dehnten sich von hier aus nach Westen und Norden zu 457 in die Lugdunensis prima und seit 463 in die Viennensis und die Maxima Sequanorum, das Rhone-, Saone- und Doubsthal aus. Hier sollte wieder eins von beiden Völkern weichen.

Es waren die Alamannen, deren vor den Burgundionen zurück weichende Fusstapfen bis zur Aare im Osten zu verfolgen sind. Was darüber hinausliegt, blieb ihnen erhalten.

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18. Alainannisehe Orte.

Als die Hunnen unter Attila 451 nach Gallien zogen, waren die römischen Festungen am oberen Rhein und im Süden des Bodensees noch erhalten. Sie wurden von Hunnen und Alamannen zerstört. Genannt werden: Augusta Rauracorum (Kaiser- Augst), Vindonissa (Windisch), Vitodurum (Winterthur), Arbor (Arbon), Brigantia (Bregenz) und andere.

Später bezeichnet der Kosmograph von Ravenna IV, 26 unter Benutzung des Gothen Athanarit Bazela (Basel), Augusta (Basel-Augst), Wrzacha (Zurzach), Constantia (Constanz), Bodnngo (Bodmann), Arbore felix und Bracantia als alamannische Städte und ebenso Nantes (Nancois le grand), Ligonas (in der Lngdunensis prima, Langres), Bizantia (Besancon) und Mandroda (Mandeure), beide in der Maxima Sequanorum.

Ferner finden sich alamannische Spuren südlich von Be- sannen um Salins (Salina Sequanorum). Hier lag nach Nach- richten aus der Merowinger Zeit die Thallandschaft Scodinga, Scudingum, der pagus Scudensis oder Scotingorum, der nach den Scudigni, Scotingi genannt war. Baumann sieht nach den Namen in ihnen Nachkommen ausgewanderter Juthungen, eine zweifelhafte Annahme, da sonst die juthungischen Sueven nur die Suevennamen mit auf die Wanderungen nahmen. (Siehe weiter unten. Die weiteren Hypothesen, die Baumann hieran knöpft, sind jedenfalls abzulehnen. Siehe Kapitel 8, Abschnitt 4.) In der Nähe von Pontarlier liegt weiter ein Ort Les Allemands. Endlich ist hier an den schon berührten Ausspruch des Sidonius zu erinnern, nach dem Alamannen vor dem Jahr 456 als „Sieger“ auf dem linken Ufer des Rheins angesiedelt sassen. Die in der Nähe des Rheines gelegenen Orte sind alamanniseh geblieben und ein Gleiches ist seiner Lage nach von Nancois le grand anzunehmen, das nicht mehr erwähnt ist.

1H. Zurück« eichen der Alamannen vor den Burgund Ionen.

Aber Langres fiel in die Hände der Burgundionen. Gregor von Tours erzählt (Hist. Franc. II, 23), dass Abrunculus der Bischof von Langres den Burgundionen wegen seiner Franken-

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freundlichkeit verdächtig geworden und von ihnen verjagt sei. Da er nach dem Tode des Bischof Sidonius 480, dessen Nach- folger in Arverna (Clermont Ferrand) wurde, so ergiebt sich die Zeit dieser Nachricht. Ebenso wurden Besan^on uud Mandeure burgundionisch, denn der Ravennat IV, 27 bezeichnet nach einer späteren Quelle des Römers Castorius Busuntius und Mendroda als den Burgundionen angehörige Orte. Mit ihnen war auch wohl der Verlust des Gaus Scudinga und der Umgebung von Les Allemands verbunden, da nach einer weiteren Nach- richt, die schon auf den Beginn der zweiten Hälfte des Jahr- hunderts zu datiren ist, der Jura die Grenze zwischen beiden Völkern bildete. Die Burguudioneu sassen damals im Westen, die Alamannen im Osten des Gebirges.

Denn nach Gregors vita patruui I, 2 und 3 gründeten die Heiligen Lupicinus und Romanus in den öden Gegenden des Jura, und zwar in dem Theil des Gebirges, der, Burgundioncn uud Alamannen scheidend, an das Stadtgebiet von Avenches im Osten des Neuchateler-Sees stiess (intcr illa Jurensis deserti secreta, quae inter Burgundiam Alamanniamque sita, Aventieae adjacent civitati), drei Klöster: Contadiscone (St. Claude), Lau- conna (St. Lupicin) und wahrscheinlich Romainmotier, die beiden ersten auf der westlichen Seite des Jura südlich von Salins und Pont d'Hery, also in Burgundien, das dritte in Alamannien (infra Alamanniae terminos; ihre Insassen sind die fratres, quos in illis Alamanniae regionibus diximus congregatos esse), also auf dem Ostabhange des waadtländischen Jura. Nach der Vita St. Eugendi fürchteten sich aber die burgundionischen Mönche von Contadiscone wegen der Einfälle der benachbarten Alamannen, Salz von Pont d'Hery zu holen, wie sie gewohnt waren; lieber bezogen sie es vom tyrrhenischen Meer (dum diros metuant ac vicinos Alamannorum incursus; e limite Tyrrheni maris potius quam de vicinis Herieusium (Pont d’Hery) locis coctile decernunt petere sal. Zweifellos, dass die Räuber von Alamannien über den Jura kamen, um die guten Brüder auf ihrem Wege nach Pont d'Hery zu belästigen.

Der Jura bildete aber nicht die definitive Grenze zwischen beiden Völkern, die Alamannen wichen bis zur Aare zurück, und diese Grenzlinie muss schon vor dem Jahre 536 bestanden haben, denn innerhalb des fränkischen Reiches, dem damals die

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feindlichen Nachbarn einverleibt wurden, gab es wohl keine Grenzstreitigkeiten mehr. Ja die Burgundionen scheinen auch über die Aare vorgedrungen zu sein, denn die Verzeichnisse des Bisthnms Constanz nennen noch einen Landstrich, der im Westen an die Aare stösst (von Winau aufwärts über Solothurn, Aarberg, Bern, Münsingen und über den Thnner- und Brienzer- See), das Archidiaconat Burgund, und es ist möglich, dass diese Bezeichnung eine Erinnerung an burgundionischen Besitz ist, der sein nationales Gepräge durch spätere starke alamannische Einwanderung wieder verloren hatte; denn auch hier reichte der alamannische Aargau schon im 8. Jahrhundert bis an die Aare. Bezeugt ist die Aare als Grenzfluss in dem Prolog zur Vita St. Galli des Walafried Strabo aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts: Mixti Alamannis Suevi partem Raetiae inter Alpes et Histruin, partemque Galliae circa Ararim obsederunt.

20. Die Romanen in CurrStlen.

Wie im Westen und Siideu auf die Burgundionen, so stiessen im Osten die Alamannen auf eine compakte Masse von Romanen, die sich am Rhein in Currätien ihnen gegenüber erhielten. Sie waren und blieben römisch. Erst im Lauf des 9. Jahrhunderts rückten auch Massen von Alamannen ein.

21. Ziiire nach Italien.

In die Zeit, in welcher der Jura oder die Aare bereits die alamannische Westgrenze bildeten, fallen einige Nachrichten, welche von Einfällen der Alamannen nach Italien Kunde geben. Sie scheinen den Besitz der Schweiz vorauszusetzen.

Ende 458 besang Apollinaris Sidonius den Kaiser Majorian (437 4(51), der damals noch Heermeister war, wie die Ala- mannen durch das erste Rätien ziehend, die Alpen bis zur Oede des rätischen Joches erstiegen und plündernd sich bis nach Italien wendeten. Von den caninischen Feldern ent-

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sandten sie ein Streifcorps von 900 Mann, das auf Befehl des Heermeisters durch Burco aufgerieben wurde.

Conscenderat Alpes

Raetorumque jugo per longa silentia ductus Romano exierat populato trux Alamannns,

Perque Cani quondam dictos de nomine campos In praedam centum novies dimiserat hostes.

Jamque magister eras, Burconem dirigis illuc,

Exigua comitante manu; sed sufticit istud.

Cum pugnare jubes: certa est victoria nostris Te mandasse acies. Carm. V 373 381.

Die eaninischen Felder sind das Gebiet von Bellinzona, und damit ist der Weg gegeben, den die Alamannen durch das erste Rätieu einschlugeu. Hier führte eine Römerstrasse, via strata, von Chur über den Splügen und Bernhardin nach Bellinzona. Sie überschritt den Hinterrhein bei Rhäzüns, stieg am Heinzen- berg (bei Thusis) hinan und blieb fortwährend in der Höhe der linken Thalseite bis Sufers, die Schluchten (Via mala, Roffla) und Flussthäler des Hinterrheins tief unter sich lassend. Zwischen Sufers und Splügen existiert noch ein wohl erhaltenes Stück dieser via strata und dient für Holzfuhren. Die weitere Linie über Splügen und Hinterrhein, über den Bernhardin und durch das Thal der Moesa über Roveredo bis Bellinzona war so ziemlich dasjenige der jetzigen Strasse. Im Jahre 355 war der Kaiser Constantius von Bellinzona aus dieselbe Strasse ge- zogen, um die Alamannen zu bekriegen (S. 94). Die Strasse, die man jetzt über den Gotthard nach Bellinzona nimmt, ist erst im 14. Jahrhundert angelegt. Die schweizerischen Alpen- pässe, Bern 1892, S. 3, 81; H. Dübi, die Römerstrassen in den Alpen, in dem Jahrbuch des Schweizer Alpenclubs, Jahr- gang 21, 1885—86, S. 324.

Aehnlieh diesem Einfall, erzählt Gregor II, 19, dass die Alamannen (kurz vor 474) einen Theil von Italien durchzogen, aber, als sie zurückkehrten, von Odoaker und dem Franken- könig Childerich, mit dem er ein Biindniss cingegangen, unter- worfen wurden. Adovacrius cum Childerico foedus iniit, Ala- mannosque, qui partem Italiae privaverant, subjugerunt. Die Unterwerfung wird darin bestanden haben, dass sie besiegt und in ihrem Föderativverhältniss festgehalten wurden.

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2 3. Alamannische Gaue und Grenzen.

Das Stammland im Rücken schufen die Alamannen drei Gaue: den westlichen Augstgau zwischen der Birs, dem Rhein uud der unteren Aare, den Aargau zwischen der Aare und der Reuss und den Thurgau zwischen der Reuss, Aare, dem Rhein nnd Bodensee und um das obere Rheinthal. Die beiden letzteren dehnten sich allmälig bis zum Hochgebirge aus.

Als dann in christlicher Zeit Bisthümer entstanden, ge- hörten der Augstgau dem Bisthum Basel, der Aargau und Thurgau dem Bisthum Constanz, Burgundien dem Bisthum Lausanne an, während das romanische Currätien das Bisthum Chur ansmachte.

Mit Hülfe der Gau- und Bisthumsgrenzen sowie der Sprache sind die Grenzgebiete der drei Stämme näher festzustellen.

Das alamannische Land hatte als Grenzen im Norden den Rhein und Bodeusee, im Westen die Birs und die mittlere und obere Aare, letztere vom Ausfluss der Sigger (unterhalb Solo- thurn) ab aufwärts, im Süden des Thuner nnd Brienzersee das Haslithal, erst später das Berner Oberland, ferner das Sarner- thal, das Engelbergerthal, das Reussthal bis gegen den Gott- hard, das Lintthal bis gegen den Tödi und Glärnisch, Appen- zell bis gegen den Säntis und im Osten das Rheinthal von Montlingen bis zum Bodensee. Das ist von der Aare ab die deutsche Schweiz.

In einer lausanner Urkunde von 1180 heisst das Land rechts der Aare teutonica terra, links des Flusses dagegen romania terra. Denn hier und im Rhonethal lagen die bur- gundionischen Grenzstriche. Das Thal des Vorder- und des Hinter-Rheins, sowie des Oberrheins von Chur bis Götzis bei Oberried abwärts nnd die Umgebung des Wallensees waren currätisch.

23. Alamannische Ortsnamen.

Dem gegenüber finden sich Spuren der Alamannen, speciell der Lenzer und Sueven in der ganzen Schweiz. Bei der Ein- wanderung gaben sie den von ihnen angelegten Orten vielfach

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ihre Namen, die für uns geschichtliche Denkmale ausmachen. Die Namen blieben, auch als die Orte theilweise burgundionisch wurden. Audi innerhalb der Schweiz dauerten die Wander- ungen und Siedeluugen weit über das 5. Jahrhundert hinaus fort und auch mit ihnen verbreitete sich die nationale Namen- gebung. Wie an der Leitmuschel die geologische Formation, so erkennt man an den alamannischen, lenzer und suevischen Namen, die sie ihren Orten gaben, die colonisirende Ausdehnung dieses Stammes oder dieser Stammtbeile.

Der alamannische Name hat sich zumal bei Orten des späteren burguudionischen Gebiets erhalten. Der Name der Lenzer ist über die ganze, der der Sueven über die deutsche Schweiz zerstreut, und wenn mail jeden einzelnen nur als eine Insel in lenziseher oder suevischer Umgebung ansieht, so er- giebt sich doch aus ihrer Zerstreuung, dass der Ansiedlung, wie der bisherigen deutschen in fremden Ländern, ursprünglich jeder politische Gesichtspunkt fern lag, und dass erst aus der Mischung von Lenzem, Sueven und Andern neue politische Gebilde erwuchsen.

Von den Orten alamannischen Gepräges haben sich in später burgundionischem Gebiet der Schweiz und des anstossenden Frankreichs folgende erhalten: Der schon erwähnte Ort bei Fontarlier Les Alleinands; im Canton Freiburg Allemannia bei Piaffeyen; im Canton Waadtland Allamand und Les Allamands d'eu bas und d'en haut bei Rougemont; im Canton Genf Alle- magne; in Savoyen Les Allemauds bei Samoens. Ausserdem im Thurgau, Canton Zürich Allmann bei Zürich.

Die Namen der Lenzer gehören an

dem westlichen Augstgau im Canton Baselland Lenz bei Sissach;

dem Aargau im Canton Bern Lenzlingen bei Grosshöch- stetten; im Canton Aargau Lenzburg und dabei Lenzhardhof. Um Lenzburg sassen die Lenzer wohl dichtgedrängt, denn es war der Sitz einer Huutare, des comitatus Lenzburgensis (Episc. Const. I, 1, 91 und 254); im Canton Luzern Lenzinbach bei Menznau, Lenzcnhüsli bei Sempach;

dem Thurgau im Canton Thurgau Lenzenhaus bei Erlen, Lenzenhorben bei Hüttenweilen, Lenzwyl bei Altnau: im Canton Zürich Lenz bei Hin weil, Lenzen bei Fischenthal; im Canton

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St. Gallen Lenzle bei Ncsslau, Lenzlingen bei Mosnang, Lenzikon bei Eschenbach.

Auch in später burgundionischem Gebiet finden sich lenzer Ansiedlungen: im Canton Freiburg Lentinach oder Lentiguy bei Chenans im Gebiet der linken Aare; im Canton Wallis Lens bei Sion im Gebiet der rechten Rhone, und ebenso in dem Gau Cnrrätien, und zwar in dem Canton Graubünden Lenz, Lenzer Haide (Lenzerhorn) südlich von Chur.

Nicht so zahlreich sind die Orte, welche den Namen der Stieren tragen. Es gehören an:

dem Aargau im Canton Aargau Schwabischthal bei Entfelden; im Canton Bern Schwabenried bei Saanen, Ort- schwaben bei Beim, Schwäbis bei Thun;

dem Thurgau im Canton Aargau Schwabenberg bei Birmenstorf; im Canton Zürich Schwabshof bei Münchaltorf; im Canton St. Gallen Schwäberg bei Gossau, Schwabsrütho bei Engelburg; im Canton Appenzell a. R. Schwaberg bei Gais.

Der juthungische Name ist von den Sueven bei der Namen- gebung der Orte nicht verwendet, und darum ist es auch kaum wahrscheinlich, dass die Thallandschaft Scodinga auf sie zurück- zuführeu ist (S. 203).

Darf man der Zahl dieser Namen Gewicht beilegen, so verdankt die deutsche Schweiz ihre nationale Colonisation in erster Linie ihren nördlichen Nachbarn, den Lenzem, in zweiter den entfernteren Sueven.

24. Eine suevisehe Wandersasc.

Ueber die Ansiedlung in den Waldstätten (den Urkantonen) erzählt das weisse Buch vom Ende des 15. Jahrhunderts, das sich im Archiv zu Sarnen befindet: Uri war das erste Land, welches von den Römern gefreit wurde, dass ihnen gegönnt ward, da zu reuten und zu wohnen. Dann kamen Römer nach Unterwalden und endlich Schweden, deren zu Hause zu viele waren, nach Schwyz. Sie wurden mit denselben Rechten aus- gestattet.

Creme r, Oeechichte der Alamannen. 1*1

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Audi andere schweizer Chroniken aus dem 15. und 16. Jahr- hundert geben die Einwanderung eines Volkes aus dem hohen Norden noch zur Römerzeit wieder: Es waren Schweden, die von schwerer Landnoth getrieben, sich aut' die Wanderung be- geben hatten, endlich am Vierwaldstätter See Holz, frische Brunnen und ähnliche Verhältnisse, wie in der Heimath fanden, und sich hier als freie Leute niederliessen, die keinem Herrn als dem Kaiser dienten. Bald zeichneten sie sich aus und halfen 410 dem Ostgothenkönig Alarich und dem Papst, Rom den Heiden zu entreissen und wurden dafür mit grossen Freiheiten und Ehrenzeichen ausgestattet. Nun sind aber die Waldstätte erst im 7. und 8. Jahrhundert kolonisirt und noch im 12. und 13. Jahrhundert nur spärlich bevölkert gewesen.

In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts bildete sich die Herkunft der Schwyzer und der Schweizer von den Schweden zu einem nationalen Glaubenssatz aus; als jedoch die sorg- fältigsten Untersuchungen keinen Zusammenhang zwischen den beiden Völkern ergaben, führte man die Sage auf den Gleich- klang der Worte Schwyzer (Schwidones) und Schweden (Schwe- dones) zurück. Dandliker Geschichte der Schweiz, 1884, I, 308.

Aber die richtige Deutung der Sage gab schon am Ende des 15. Jahrhunderts der Ulmer Mönch Felix Fabri, ein ge- borener Züricher: Plurimum opinio est, quod Suiceri sive Sni- tenses, qui alias nominantur Suessii (Schwyzer), a Snevia sint exorsi .... Suevorum filii sunt (Suiceri), et ab eis originalitcr descenderunt, unde hodie inter Snevos computantnr. Und weiter: Switzeri finibus nostris intrusi ab omnibus finitimis diffemnt moribus et lingua, quam vis ob temporis longaevitatem sint Suevis Alsatisque facti satis conformes. Das heisst also: Vom Mutterland Suevien (an der Donau) vorgeschoben, ist Schwyz eine Colonie der Sucven in fremder Umgebung (ähnlich wie die andern oben genannten Schwabenorte). Die Schwyzer unter- scheiden sich von allen Nachbarn durch Sitte und Sprache, sind aber den sonstigen Schweizern und Elsässern leidlich ähnlich geworden.

Die Uebcrlieferung hat dann in sagenhaft-kühnen Ver- schiebungen die Geschichte bewahrt. Aus den Sueven wurden Schweden, aus der nördlichen Einwanderung von Suevien die Einwanderung aus dem hohen Norden, und die alamannischen

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Beziehungen zu den Ostgothen unter Theoderich bis Vitiges von 49t» 536 und die fränkisch-alanianniscbcu Züge nach dem noch gothischen Italien von 553 und 554 (siehe Kapitel 7) wandelten sich zu dem glänzendsten Ereigniss der Gothenherr- schaft, der Einnahme Roms von 410 durch Alarich um, an der die Schwyzer Theil genommen und auf dio sie ihre Freiheit znrückführten.

Die Erinnerung an die suevische Einwanderung bewahrt der Name von Schwyz, wie der Name der Schweiz.

V. Das Alamannien des 5. Jahrhunderts.

3">. Das Stammt and.

Das im 5. Jahrhundert von Alamannen neu besetzte Gebiet war umfangreicher, als ihr Stammland. Dieses muss also ge- waltige Massen ausgesendet haben, welche die Wege in das gelobte Land bahnten-, es muss aber auch ein zahlreicher Stamm der Bevölkerung zurückgeblieben sein, der, sich immer neu ergänzend, immer neue Haufen von Kriegern und Aus- wanderern in die Sitze jenseits der alten Grenzen abgab.

Gelegentliche Nachrichten aus der Mitte des Jahrhunderts zeigen die Alamannen im Besitz des mittleren Mains, wo Aschaffenburg und Würzburg als Ascapha und Uburzis von dem Ravennaten IV, 27 als ihre Städte bezeichnet werden (S. 182) und der Neckar, da Sidonius VII, 324, 325 den Ala- mannenstamm meint, den der schilfige Neckar bespült, ulvosa quem Nicer alluit unda (S. 185).

Andererseits ist im Anschluss an die Arnoldschen Er- mittelungen (Ansiedlungen 177 und ttgde., 209 und flgde.) anzu- nelimen, dass die Alamannen den Westerwald, die Lahn, den Taunus und den Buchengau freiwillig oder gezwungen geräumt und dass diese Gebiete von den chattischen Franken besetzt sind: ferner auch wohl, dass jene vom untern Main und dem

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Odenwald durch die Burgundionen vertrieben und dass nach deren Abzug die chattischen Franken gleichfalls die Besitz- nachfolger geworden sind.

Ohne Zweifel hatte dann die starke und dauernde Aus- wanderung der Alamannen ans diesen und anderen Landstrichen des Stammlandes eine grosse Verminderung der Bevölkerung zur Folge, und sucht man sich klar zu machen, welchen Einfluss dies auf die Zustände geübt, so wird man sagen müssen, dass eine rückläufige Bewegung der Ansiedlung eingetreten sein werde. Nicht mehr der ganze der Kultur unterworfene Boden blieb für das Bedtirfniss der Zurückgebliebenen erforderlich, man gab daher den überflüssigen Theil auf und liess ihn wieder Weide oder Wald werden. Dies traf insbesondere die un- günstiger und höher gelegenen jüngeren Huntaren, die wohl ganz eingingen, während die älteren in den Flussthälern sich er- hielten, aber auf die fruchtbarsten Lagen zurückzogen. Mit diesen Einschränkungen blieben, abgesehen von den gänzlich geräumten Gebieten, die Zustände constant, und es ist an einen Umsturz und Neuregelung der Verhältnisse nicht zu denken. Es blieben, soweit sie der geminderten Volkszahl entsprachen, die Huntaren mit ihren Hunnen und die Gaue mit ihren Königen, so dass das Stammland wieder auf den Punkt der Entwicklung zurückgeführt sein mag, den es eingenommen hatte, als man nach der ersten Occupation heimisch geworden war: dünne Bevölke- rung, reichlicher Acker, reiche Ernten. Und unter diesen günstigen Lebensbedingnngen mag im Laufe des Jahrhunderts auch das Stammland wieder emporgeblüht sein.

Procop erzählt, wie die in Pannonien zurückgebliebenen Vandalen ihren 409 ausgewanderten Stammgenossen den Grund- besitz aufbewahrten, und als diese 429 das grosse Vandalen- reich in Afrika gegründet hatten, baten, man möge ihnen nun- mehr das Land überlassen, deren reichlicher Ernten und hin- länglicher Nahrung sie sich erfreuten. Aber wegen der Wandel- barkeit des Geschickes schlug der König Geiserich ihr Ver- langen ab. Die Sage erläutert die Fortdauer der Dinge in dem von den Wandernden verlassenen Laude. Wie oit waren in früherer Zeit alamannische Kriegshaufen einzelner Gaue oder des gesammten Stammes über die Grenze gezogen, um sich draussen anzusiedeln. Wie oft waren sie geschlagen zurück-

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gekehrt, froh, den heimischen Boden wiederzufinden. Jetzt kehrten sie nicht wieder und fanden draussen neue Wohnsitze, aber die „Sieger“ über dem Rhein sollten sich dereinst doch noch erinnern, dass sie „Bürger“ des Stammlandes seien.

2(>. Xeualamunnlen.

Zerstreut und dünn besetzt wie hier, werden auch die Niederlassungen Neualamanniens gewesen sein und das, je weiter sie sich von den Grenzen des Mutterlandes entfernten. Im Norden von Gallien verloren sich die alamannischen Ansied- lungen unter denen der Franken; Niederlassungen der Lenzer und Sueven waren über Oberschwaben und die ganze deutsche Schweiz ausgestreut. Klaffende Entfernungen lagen zwischen den Wohnstätten (von dehiscentibus domiciliis spricht Ennodius in seiner Lobrede auf Theoderich). Mit sich in das nunmehr alamannisirte Ausland nahmen die Wanderer die heimische Verfassung der Gaue, Huntaren und Zehntschaf ten; für die Ansiedlungen wurden die Marken von Acker, Weide und Wald bestimmt; schon jetzt, so kann man annehmen, wurden über dem Rhein, ausser andern, die wir nicht kennen, weil sie wieder verloren gingen, der Nord- und Sundgau, der westliche Augstgau, der Aar- und Thurgau, um die Donau der Riesgau, der Donaugau (?), der Iller- und der östliche Augstgau, am Bodensee der südliche Alpgau (?) gegründet und Gaukönige aus dem Adel gewählt.

27. Alter und neuer Besitz.

Es war ein lockeres Gefüge von autonomen Gauen, in dem das Stamm 1 and und die neuen Besitzungen zu einander standen. Jenes war in früheren Jahrhunderten durch das nationale Ver- langen, Gallien und Rätien zu besitzen, zusammcngelialten. l’m es zu verwirklichen, bildeten sich von Zeit zu Zeit Heere des ganzen Stammes, die hinausgingen, aber regelmässig ge-

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schlagen wurden. Folgte darauf der Angriff der Römer im Lande selbst, so waren es immer nur die von der Gefahr zunächst betroffenen Gaue, die sich zur Abwehr zusammen - fanden. Noch an der durch die Hunnen hervorgerufenen Be- wegung nahm, wie es scheint, das ganze Mutterland Theil, um, als die Ebbe eingetreten, im Schutz des Rheines und des Bodensees unangefochten von den Römern und unanfeclitend still zu sitzen. Jetzt gab es Nichts mehr, was das Stammland einigte.

Es bildete daher keinen Kern, an den sich die neuen Be- sitzungen hätten anschliessen können. Im Gegentheil bildeten diese eine schützende Hülle um das alte Land. Weniger auf die Herrschaft, wie auf die Colonisation bedacht, schoben sie ihre Ansiedlungen in den Machtbereich anderer Völker vor, zersplitterten sich im Westen, Süden und Osten nach ala- mannischer Art in Gaue und wurden bei deren weitschichtigen geographischen Lage nicht einmal durch gemeinschaftliche Interessen zusammen gehalten. Die westlichen Gaue standen der römischen Macht in Gallien, so lange sie bestand, gegen- über, die östlichen den römischen Besatzungen erst in dem zweiten, dann in dem ersten Rätien. Die südlichen Gaue waren bereits mit den Burgundionen an der Grenze feindlich und unterliegend zusammengetroffen, im Osten sassen über dem Lech die Bajuwaren und im Norden die Thüringer und Franken Bei den Nachbarn war die politische Macht eoncentrirt, bei den Römern in Gallien und in Rätien, bei den Burgundionen und bei den saliscben und ripuarischen Franken, die sich zu Stammkönigreichen zusammengeschlossen hatten. Nur den chattischen Franken gegenüber, die auf beiden Seiten des Rheins noch in Gauverfassung lebten, war für das anstossende alamannische Alt- wie Neuland ein gemeinsames Interesse gegeben.

Im Lauf der Zeit bildete sich ein Gegensatz zwischen den Gauen des Mutterlands und denen des neuen Gebiets heraus. Wenn auch beide Föderaten der Römer waren, so waren doch die rechtsrheinischen ^tatsächlich frei von römischem Einfluss und politisch unabhängig, während die linksrheinischen in Gallien, wenigstens so lange Aetius (bis 454) lebte, und die Umwohner des Bodensees, so lange sich die Römer in der

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Rätia prima hielten, der Gewalt des römischen Reiches unter- worfen blieben. Der Gegensatz trat zur Zeit des Hunnenzuges zu Tage, als die rechtsrheinischen auf hunnischer Seite standen, die linksrheinischen, wie zu vermuthen, den Römern treu blieben.

*38. Aliiinannien ein Stammktfnlgthuin ?

Ist es bei diesem losen Zusammenhang und bei dem Gegen- satz der Interessen wahrscheinlich, dass sich die Gaue zu einem Ganzen zusammengeschlossen, dass sich über den Gaukönigen ein Stammkönig erhoben, dass sich aus dem lockeren Verband der Gaue ein Stammverband, ein Stammkönigthnm entwickelt habe? Es ist die allgemeine Annahme. Aber sprechen nicht die dargelegten Erscheinungen dagegen? Würde ein zum Stamm- königthum emporstrebender Gauköuig, wenn er im römischen Bann stand, von den Rechtsrheinischen anerkannt sein, würde er, wenn er aus deren Gauen hervorgegangen, von den Römern, so lange sie noch mächtig, zur Herrschaft über die Links- rheinischen zugelassen sein? Würden nicht während des Nieder- ganges der römischen Macht die Gegensätze der Sitte und Kultur zwischen den weitschichtigen alamannischen Landestlieilen zu gross geworden sein, um eine dauernde politische Einigung zu gestatten ?

Kein Ereigniss ist zu ermitteln, das sie herbeigeführt, kein König, der sie ins Werk gesetzt, keiner, der sie übernommen und fortgesetzt hätte. Von Schubert hält den König Gibuld oder Gebaud, der seine Machtsphäre von Troyes bis Passau ausgedehnt habe (S. 192), für einen solchen Stammkönig, aber mit Sicherheit kann man in ihm doch nur einen Gaukönig sehen, der plündernd bald in den Westen, bald in den Osten der in der Auflösung begriffenen römischen Provinzen eindrang. Kein Zusammenhang späterer Erscheinungen lässt rückwärts auf Einigung schliesseu, wie sich aus der weiteren Darstellung der Thatsacheu ergeben wird.

Den Alamannen war es nicht vergönnt, ihre Volkskraft zum Reich zusammenzufassen und sie verloren darob Macht und Freiheit.

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Siebentes Kapitel.

Die dritte (Ensiedlungspericde.

1. Zur Literatur.

Die Untersuchungen über die Beziehungen der Alamannen zu den Franken und Ostgothen sind durch von Scbubert's „Unterwerfung der Alamannen unter die Franken, 1884,“ im Wesentlichen zum Abschluss gebracht.

Früher nahm man eine einzige Entscheidungsschlacht ■zwischen den Alamannen und Franken an, nannte sie die Schlacht bei Zülpich und datirte sie auf das Jahr 496. An die Stelle dieser einzigen sind nun drei Schlachten getreten, eine erste bei Zülpich, deren Zeit und Folgen nicht zu bestimmen, und zwei weitere Entscheidungsschlachten, die zweite am linken Oberrhein, deren Zeit sich nach der darauf folgenden Taufe des Chlodwig von 496 ergiebt uud die dritte ohne Ortsbezeichnung, auf deren Zeit ein Brief Theoderichs schliessen lässt, den von Schubert als in die Jahre 501 507 fallend nachgewiesen hat. Die erste Schlacht ist gegen den König der ripuarisclien Franken Sigibert, die zweite und dritte gegen den Köuig der salischen Franken Chlodwig geschlagen.

Die erste Schlacht wird nur beiläufig in der (um 577 ge- schriebenen) fränkischen Geschichte des Gregor von Tours 2, 37 erwähnt; die zweite von ihm 2, 30 wie von dem fränkischen Biographen des heiligen Yedastus (aus der Zeit von 540 667) beim Anlass von Chlodwigs Taufe vorgeführt, von Beiden, wie (496) von dem burgundionischen Bischof Avitus und (später) von den Gesta regum Francorum cp. 14 und 15 in ihren all- gemeinen politischen Folgen skizzirt und in der Chronik des Fredegar 3, 21 (aus dem 7. Jahrhundert) erwähnt; die dritte

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unter Andeutung ihrer Veranlassung in dem Brief des Theoderich (in Cassiodors Variae 2, 41) und in der Lobrede des Ostgothen Ennodius auf den König (Fertig 2, 281) in seinem thatsfichlichcn Ergebniss dargelegt.

Die Erfolge der Franken führten zu einer Theilung von Alamannien, bei der ihnen der Norden zuflel; ob schon nach der zweiten oder dritten Schlacht, bleibt allerdings dunkel. Nach den angeführten Quellen ist anzunehmen, dass sich der Erwerb des Nordens an die zweite, die Vertreibung der Ala- mannen aus ihm an die dritte Schlacht anschloss.

Die Beziehungen des Südens zu dem Ostgothenkönig Theo- derich und seinen Nachfolgern sind aus dem mebrerwälinten Brief, den Cassiodor in den Variae 2, 41 nebst anderen Erlassen mittheilt und aus der Geschichte des Byzantiner Agathias 1, 6 (etwa vom Jahr 570) zu entnehmen. Letzterer hat auch 1, 6 22 und 2, 1 14 die spätere Geschichte der Alamannen und Franken geschrieben.

2. Die Fraukenkönige Sigibert und Chlodwig.

Die Schlacht bei Zülpich.

Zerstreute Niederlassungen der Alamannen, der ripuarischen und chattischen Franken lagen in der Rheinprovinz im Gemenge (S. 188). Als sie einander näher rückten, musste, wie Arnold vermnthet, der Kampf ausbrechen.

Die Alamannen drangen bis vor die Mauern von Cöln, der Hauptstadt des ripuarischen Reiches und dessen König Sigibert trat ihnen bei Zülpich, apud oppidum Tulbiacense, entgegen. Es wurde ihm das Knie durchschossen, wesshalb er der Lahme genannt wurde, und diesem Umstande verdanken wir die Nach- richt des Gregor. Wir wissen weder von der Zeit, noch von dem Ausgang der Schlacht. Sigibert lebte noch um 507 511.

Die Schlacht am linken Oberrhein. 496.

Nach dieser ersten folgte eine Entscheidungsschlacht, welche Gregor und der Biograph des Vedastus im Wesentlichen über- einstimmend schildern.

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Die Gegner waren die salischen Franken unter ihrem Stainm- köuig Chlodwig und, wie nach ihren Sitzen zu vermuthen, die chattischen Franken auf der einen, die Alamannen auf der anderen Seite. Die politischen Folgen der Schlacht machen es wahrscheinlich, dass von den letzteren die den Franken benach- barten, diesseits wie jenseits des Rheins gelegenen Gaue theil- nahmen, und zwar stromaufwärts bis au die Morteuau und den Nortgau, beide ausgeschlossen. Es waren Nichtsueven wie Sueven, auch wenn man auf die unsichere Ausdrucksweise der Gesta c. 14: bellum contra Alamannos Suevosque kein Gewicht legen will (S. unten Abschnitt 7). Sie folgten den Befehlen eines Gaukönigs, rex, der ohne Zweifel zum Herzog gewählt war, aber eben so wenig wie früher Chuodomar. Serapio und Priari so genannt wird. Nicht einmal sein Name ist überliefert.

Chlodwig brach mit seinem Heer von Soissons, seiner Haupt- stadt, auf und kehrte nach der Schlacht Uber Toul und Rheims dahin zurück, ad patriam. Er wollte über den Rhein gehn, fand aber die Alamannen schon auf dem linken Ufer, und hier kam es zu einer mörderischen Schlacht aui linken Oberrheiu.

Der Erfolg schien auf Seiten der Alamannen zu sein, das Frankenheer war der Vernichtung nahe. Da gelobte Chlodwig, falls er siegen werde, den Glauben der Christen anzunehmen. Nun sprang die Entscheidung zu Gunsten der Franken um; die Alamannen wandten sich zur Flucht. Gregor erzählt: „Als sie ihren König fallen sahen, gaben sie sich in die Gewalt des Chlodwig, Chlodouechi se ditionibus snbdunt, und sprachen : Nicht weiter verderbe das Volk, schon sind wir dein, jam tui sumus. Und jener hielt ein im Kampfe, ermahnte das Volk, gewährte ihm Frieden und kehrte heim, cum pace regressus.“ Nach dem Leben des Vedastus nahm er die Alamannen sammt ihrem König in seine Gewalt auf, Alamannis (sic!) cum rege in ditionem coepit. Im nächsten Winter nahm Chlodwig die Taufe.

Nur diese interessirt die beiden Schriftsteller, von den politischen Folgen der Schlacht erfahren wir bei ihnen nichts Weiteres. Die Gesta sagen darüber c. 15: Chlodwig nahm die Alamannen gefangen oder machte sie, ihr Land unterwerfend, tributpflichtig. Alamannos cepit vel terram eorurn sub jugo tributarios constituit. Als der Bischof A vitus den König zu der

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Taufe beglückwünschte, erwähnte er, dass dieser das neulich gefangene Volk freigelassen habe, solutus a vobis adhuc nuper populus captivns. Es ist also auf eine milde Behandlung zu schliessen. Da wir sehen, dass der Herzog oder doch das Heer der Geschlagenen sich ergiebt, in ditionem, tui sumus, und dass später der alamannische Korden unter der Herrschaft der Franken, der Süden in der Gewalt der Ostgothen stand, so wird damals der Korden den Franken als Siegesbeute unter Tributpflicht, aber im Allgemeinen milden Bedingungen zuge- fallen und der Süden ausserhalb ihres Machtbereichs geblieben sein. Den Vertrag, welcher zu diesem Ergebniss führte, wird Chlodwig mit den geschlagenen und sich unterwerfenden, auto- nomen Gauen, eben den nördlichen, geschlossen haben, wie wir von den Römern des 4. Jahrhunderts es wissen.

Die damals gezogene Grenze wurde in Folge der späteren Ereignisse die fränkisch- alamannische Stammgrenze und dem- gemäss auch die Grenze der anstossenden Bisthümer. Sie ist es auch im Ganzen für fränkische und alamannische Stammesart bis auf den heutigen Tag geblieben. Sie bestand etwa in einer westlich - östlich verlaufenden Linie, welche die Lage von Lmlwigsburg dem Süden zuwies. In die nördliche Hälfte der Franken fielen die von den Alamannen in Gallien begründeten Besitzungen mit Ausnahme des Eisass, und am rechten Rhein die nördlichen Gaue bis zum Kraichgau und dem unteren Keckar- gau, diese eingeschlossen; in die südliche der Alamannen das Eisass und über dem Rhein die Mortenau, der Kagoldgau, der obere Keckargau und der Riesgau, sowie die davon südlich gelegenen Gaue Deutschlands und der Schweiz (Siehe die genauere Grenzlinie in der ersten Anlage am Schluss des Kapitels).

Nach anderthalb Jahrhunderten, als die Schlacht am Ober- rbein schon sagenhaft geworden, schrieb Fredegar im Anschluss an die Darstellung des Gregor: „Als die Alamannen ihren König fallen sahen, zogen sie heimathlos neun Jahre umher, fanden aber keinen Stamm, der ihnen gegen die Franken Beistand leistete. Da unterwarfen sie sich dem Chlodwig.“

Die Schlacht um 501 507.

Kachdem Chlodwig inzwischen (500) auch die Burgundionen tributpflichtig gemacht hatte, ergiebt sich die weitere Entwick-

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lung zunächst aus dem berühmten Brief, den Tbeoderich, der grosse König der Ostgothen, uni 501 —507 über die Verhält- nisse der Alamannen an Chlodwig richtete. Jener war, seitdem sein Vater Theodemir die Sueven in ihrer Heimath an der Donau heimgesucht, wo sie ihre Ansiedlungen bereits zum Lech vorgeschoben hatten (S. 198), nunmehr der König von Italien ge- worden. Der Inhalt des Briefes lässt folgende ihm vorher- gehende Ereignisse erkennen.

Die alamannischen Gaue des Nordens hatten die Ver- pflichtungen gebrochen, die ihnen durch Chlodwig auferlegt waren, und dadurch seinen Zorn erregt, perfidia excessus (S. 58); motus vestros. Er führte daher das Volk der Franken zu neuen Kämpfen und „schmetterte die alamannischen Gaue durch höhere Tapferkeit zu Boden“, gentem Francorum in nova proelia con- citastis et Alamannicos populos causis fortiori bus inclinatos victrici dextra snbditistis. Wann und wo dies geschehen, ist nicht zu ersehen. Der König-Herzog, der Adel der Gaue fiel, es fiel „unzähliges“ Volk durch das Schwert oder wurde kriegs- gefangen, sufficiat innumerabilem nationem partim ferro partim servitio subjugatura. Die kampfesmüden Ueberbleibsel flohen in das zweite Rätien, das „Gebiet des Tbeoderich“, fessas reli- quias . . . qui nostris finibus caelantur exterriti, und suchten dessen Fürsprache, defensionem, nach.

Ennodius in seiner Lobrede auf den Gothenkönig ergänzt dies Bild: Die Alamannen verloren ihren König-Herzog, regem perdidisse. Sie flohen ihr Vaterland, und die Masse der (nörd- lichen) Alamannen strömte in das „Gebiet von Italien“ und fand hier seitens des Königs Aufnahme ohne Schädigung römischen Besitzes, a te Alamanniae generalitas intra Italiae terminos sine detrimento Romanae possessionis inclusa est.

8. Der Ostgothenköiiig Theuderich.

Die Vermittlung.

Dies war die politische Lage, in der Tbeoderich dem Chlodwig eine Gesandtschaft schickte und seinen Brief übergeben Hess. Schwager des Chlodwig, dessen Schwester Audefleda er zur Gemahlin hatte, sprach er als Verwandter zum Verwandten,

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erkannte den Zorn des Chlodwig als berechtigt an und trag ihm die Bitten der Alamannen vor, die ihn um das Geschenk des Lebens baten, de vitae munere supplicare. Er verstärkte sie durch die Fürsprache des Verwandten, zu der sie ihre Zu- flucht genommen, ad parentum vestrorum defensionem respicite confngisse, nnd bat um freundliche Gewährung dessen, was Verwandte sich zuzugestehen pflegen, quod sibi gentilitas com- muni remitiere consuevit exemplo. Im Uebiigen empfahl er ihm Mässigung und Bestrafung nur der Schuldigen, und verhiess ihm, wie es scheint, im Anschluss hieran mündliche Eröffnungen seiner Gesandten, damit er auf seiner Hut sein könne. Nur wie beiläufig bemerkt er, dass die Flüchtigen in seinem Gebiet Aufnahme gefunden, nostris finibus caelantur exterriti, dass Chlodwig, wenn den Bitten willfährig, von der Seite Beunruhigung nicht zu befürchten habe, die, wie er wisse, zu ihm, dem Gothen- konig, gehöre, nec sitis solliciti ex illa parte, quam ad nos eognoscitis pertinere; und selbst das Reich Italien, regnum Italiae, erwähnt er, allerdings in der verbindlichen Form, dass es an den Erfolgen des Chlodwig Theil nehme.

Es wird hiernach klar, dass Theuderich, als die aus dem Norden fliehenden Alamannen ihn um Schutz anflehten, in Besorgniss vor den Erfolgen Chlodwigs im nördlichen Gallien und gegen die Burgundionen und Alamannen, die Gelegenheit ergriff, ihm ein Halt im Siegeslauf zuzurufen, und dass er seine Vermittlung mit der durch die Alamannen erbetenen Fürsprache, keineswegs aber mit seiner Herrschaft über Rätien motivirte, in dem sich die Flüchtigen befanden. Sie hätte ihm ja ein Recht auf Schutz gegeben, das die blosse Fürbitte ausschloss. Der König von Italien mochte wohl ein Recht auf das zweite Rätien auspreehen, das zu Italien gehörte, so lange beide Ge- biete römisch waren. Aber jenes war seit Menschengedenkeu alamannisch (S. 198) und der Rechtsanspruch erhielt, wie es scheint, erst durch die Zustimmung der Alamannen einen that- sächliehen Inhalt. Theoderich berief sich also nicht auf das Schutzrecht, welches ein eignes Gebiet gab, sondern deutete nur an, dass er nunmehr gewillt sei, Rätien als sein Gebiet zu behandeln, eine leise und verständliche Drohung. Auch hoffte er augenscheinlich noch, mit seinem Schwager sich friedlich zu verständigen.

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Welche mündliche Aufträge Theoderich seinen Gesandten gab, und welches das Ergebniss der Verhandlungen war, ist nicht berichtet. Aber auch von einem jetzt ausgebrochenen Conflikt mit Chodwig ist nichts bekannt, und da dieser sich scheuen mochte, die von dem Christengott zweimal gewährten Siege über die heidnischen Alamannen durch einen Kampf mit dem grösseren Gegner auf das Spiel zu setzen, und der ala- mannische Süden sich in ostgothischem Schutz befand, so ist anzunehmen, dass er mit dem Erfolg, den er bereits erreicht hatte, sich begnügte.

Der Norden national-fränkisch.

Der ihm seit i'.Hi zugehörige Norden wurde durch die Ver- nichtung, Vertreibung und Auswanderung der Alamannen wohl im Wesentlichen frei und für die Besiedelung der Franken offen. Eine massenhafte fränkische Einwanderung ergoss sich dahin, die fränkische Verfassung wurde eingeführt und das Land nach Bevölkerung, Sitte und Sprache alliuälig frankisirt.

Für das alamannischc Volksthum ging, nachdem schon früher der Westerwald, das Lahnthal, der Taunus, der Buchen- wald, der untere Main und der Odenwald eingebüsst waren, nunmehr auch das Gebiet des mittleren Main, des untern und mittlern Neckar und am linken Rhein Alles, was ausserhalb der elsässischen Vogesen lag, verloren. Dies von der Masse der Alamannen verlassene Land scheidet damit aus der ala- mannischcn Geschichte völlig aus.

Der Süden unter den Ostgothen.

Andererseits erhellt, dass der Schutz, den Theoderich in bedrängter Zeit den Alamannen gewählte, zu einem dauernden Schutz- und Oberhoheits- Verhältnis geworden ist. Er machte sie tributpflichtig, aber sie bewahrten ihre Nationalität und ihr Recht. Agathias erzählt: Toömu; Hsoospt/o;, i,vtm tr(; Sopraisi;; '1-aXtaj sxfAre t, s'lpvj •i~'z\urlrlv xcrrrjxoov zl/t

- ö s3«.ov, und noch aus der Zeit von 530> fügt er hinzu, sie hätten bei einer Verfassungsveränderung das väterliche Recht (Privatrecht) behalten. Nvioxx ok ctuTot? st ■>» ;xsv toö /cd. zavpex, 1, (J und 7.

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Die ostgothische Oberhoheit beschränkte sich nicht auf Kätien, sondern erstreckte sich auf den ganzen alamannischen Süden. Das neue Reich Italien, regnuni Italiae, Italiae termiui, Latiare imperium umfasste die obere Donau und den oberen Rhein, konnte doch der ostgothische Herrscher Italiens aus eigenem Gebiet, wie Karpfen von der Donau, so nunmehr Salmen vom Rhein (bis aufwärts zum Rheinfall von Schaffhausen) für seinen Tisch beziehen. Destinet carpam Danubius, a Rheno veniat anchorago. Cassiodor III, 4 etwa von 534.

Soweit dieses Land bereits früher von Alamannen besetzt war (sine detrimento Romanae possessionis), hielt Theoderich es zur weiteren Ansiedlung der Volksgenossen offen, die aus dem fränkisch gewordenen Norden herbeiströmten, um neue Wohnsitze zu erwerben und ihre Nationalität zu retten, und es ist ohne Grund, dies Gebiet auf Ration, oder gar auf einen Tiieil des zweiten Rätiens zu beschränken.

So trat eine vollständige Umwälzung der Verhältnisse ein. Alamanuiens Gebiet wurde um die Hälfte geschmälert, und die ans den nördlichen Gauen vertriebenen oder geflüchteten Be- wohner wurden nun Ansiedler in den südlichen, deren weite und dünn besetzte Gebiete genügenden Raum Hessen. Wenn nicht schon die neuen Niederlassungen vom Anfang des Jahr- hunderts eine Mischung von Sueven und Nichtsueven, und Genossen verschiedener Gaue herbeigeführt hatten, so trat sie jedenfalls jetzt ein, wo in den Lücken der festen Ansiedlungen die Flüchtlinge sich festsetzten, so wie sie der Zufall herbei- führte. Die Flnthwelle, welche der fränkische Sieg über das Land ansbreitete, bedeutete ihm eine dritte Ansiedlungs- periode, welche das Land unter dem Frieden gewährenden Schutz des Gothenkönigs rasch zur Bliithe brachte. Einige Jahre später schildert, allerdings in rhetorischer Darstellung, Ennodins in der Lobrede auf den König die Entwicklung Alamanniens unter der Herrschaft Theoderichs mit den Worten: „Die Flucht aus der Heimath war nicht ohne Verlust, aber sie schlug zum Glück der Alamannen ans. Denn statt ihres Sumpflandes erhielten sie reichen Boden, gewohnt sich dem Karst zu fügen. An Stelle vereinzelter dehnen sich nunmehr (lichtere Ansiedlungen aus.“ A te (Theodorico) Alamauniae generalitas intra Italiae terminos sine detrimento Romanae

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possessionis inclusa est . . . Cui feliciter cessit, fugisse patriam suam, nam sic adepta est soli nostri opulentiam. Adquisistis, quae noverit ligonibus tellus adquiescere, quamvis non con- tigerit damna neseire . . . Ulvis liberata (generalitas) gratu- latur terram incolens, quae bactenus debiscentibus domiciliis solidioris scboeni (Messseil) emergebat beneficio. So wurden die, welche die Provinz mit steter Verwüstung beimgesucht, die, Hüter des latiseben Reichs und mit Recht nennt man den König Theoderich Alamannicus“. Facta est (generalitas) Latiaris cnstos imperii semper nostrorum populatione grassata . . . Rex meus sit jure Alamauuicus. von Schubert, 78.

4. Ganz Alaitiannien unter den Franken •'>:{<!.

Der Ostgothenkönig Vitiges und der Fraukenkönig Theudebert.

Die grossen Könige aus der Zeit der Völkerwanderung, Chlodwig und Theoderich waren todt und eine neue Generation herangewachsen, als wiederum die Geschicke der Alamannen durch Gothen und Franken bestimmt wurden.

Das von Theoderich in Italien errichtete Ostgothenreich war in dem Kampf gegen den oströmischen Kaiser Justinian erschüttert. „Die Gothen kämpften nicht mehr um Herrschaft und Ruhm; sie liefen Gefahr, Italien selbst und Alles zu ver- lieren.“ Beide Theile bewarben sich um die Bundesgenossen- schaft dnr Frauken. Von ihrem unter Chlodwigs vier Sühnen vertheilten Reich stand Austrasien, das Gebiet um den Mittelrhein und die Loire mit der Hauptstadt Rheims und später Metz, darunter auch der früher alamannische Norden, dem grössesten der Nachfolger Chlodwigs, dem kühnen und unternehmenden König Theudebert zu, und ihn gewann der König der Ostgothen Vitiges, indem er den alamannisch gebliebenen Süden, welcher unter der Oberhoheit der Ostgothen stand, preisgab, -h "AKauavixov --svo* ohpiesav. Theudebert bemächtigte sich seiner, -wj ’AJ.aixaviov i'itvoi uir b I ötIIuiv ä'fsiuivov BsoSqilspTO* 'x'j-h; e/stptuaato. So stellt Agathias den Hergang dar: Die Ostgothen übergaben nicht das

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Land, wozu die blosse Oberherrschaft sie wohl nicht berechtigt haben würde, sondern zogen sicli aus ihm zurück, so dass es der Besitzergreifung der Franken offen lag.

Aber die Alamannen wichen nur der Gewalt. Theudebert unterwarf die Alamannen, heisst es an einem anderen Orte. xcrrsjTps'iato, I, tj und 4.

So wurde, es war im Jahr 536, das frühere alamannische Stammland sammt den neuen Erwerbungen wieder vereinigt. Aber während der Norden seit einem Menschenalter nach Recht und Verfassung dem fränkischen Reich einverleibt und durch die eingeströmte Frankenbevölkerung frankisirt war , liess Theudebert dem Süden das väterliche Recht, d. h. das Privat- recht, und damit die Nationalität, und begnügte sich, die fränkische \ erfassung einzuführen. Nduiua ai-oü jfot piv iroo xsl -cftpez, rh i i -;z sv xoivii» imxpavoöv ~z xat äpyov rf, «hpcrjftx^ stox-cu ntas«.

Es scheint aber, dass er den Alamannen ihre Gaukönige liess. wenn auch mit der durch sein eigenes Künigthum be- schränkten Macht, und ebenso ihr Heer unter nationalen Herzögen. >So mag die Nachricht des Agathias zu verstehen sein, dass er die alamannischen Brüder Leuthar und Buzelin, welche (als Könige und Herzoge) an der Spitze ihres Volkes standen, in ihrer Stellung beliess, wodurch sie später (552) auch unter den Kranken von grossem Einfluss waren. Toötu» Ss t«ö avope (Aeu-

xa’t BowaXivo;) fprrtv (552) uhv äosX'fib, xxt io y$vci* ‘AXapavcö, Vjviuiv oz -apü <Vpzy;'ji; tisyttrzqv sfyet/jv, ibc xal toö acsstspoo sbvou? Vi-'-ibai, Bsooißfpvoo rpotep'jv (556) iwtp^uyövtoi.

Auch ihre Religion liess ihnen Theudebert. Dem recht- gläubigen Christenthum der Franken gegenüber schildert Agathias mn 570 den Cultus der Alamannen: „Bäume und Bäche, Hügel mul Schluchten verehren sie und opfern ihnen Pferde und Ochsen und unzählig Anderes, indem sie den Thieren die Köpfe abschneiden. Aber der Verkehr mit den Franken zieht schon die Verständigeren herüber, und ich denke, in Kurzem wird dies bei Allen der Fall sein.“

Zunächst aber rächten die Alamannen au den Gothen die Auslieferung ihres Landes, indem sie in deren Gebiet in Italien einfielen. Im Jahr 537 zogen Sueven über den Brenner nach Venetien und brandschatzten so, dass König Vitiges den

Cfhmer, Oeecbicbt« der Alamannen. 15

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Provinzialen die Jahressteuer erlassen musste. Cassiodor Variae XII, 7. Wie es scheint wird derselbe Zug weiter in XII, 28 erwähnt. „Die jüngst erfolgte Zurückweisung des alamanuischen Ueberfalls geschah so rasch, dass es zu einer Vernichtung gothiseher Unterthanen nicht gekommen ist.“

5. Der Königszins.

Es scheint, dass zur fränkischen Zeit den Hufen der Ala- mannen ein Zins für den König auferlegt wurde, census, tri- bntnm, und zwar gesondert für den Norden und den Süden, wohl im Anschluss an die Geschicke beider Landestheile, von denen der Norden 496, der Süden 536 unter fränkische Herrschaft kam. Die Nachrichten darüber entstammen der Karolinger- zeit, in welcher der Zins fortbestand.

Der Königszins des Nordens, die Osterstufe.

Zu Grunde zu legen ist die Nachricht der Gesta regum Francorum cp. 15 über die Unterwerfung des Nordens von 496: (Clodoveus) Alamannos cepit, vel terram eorurn sub jugo tribu- tarios constitnit.

Der Zins, generell als tributum oder census bezeichnet, hicss steora (Steuer) oder ostarstuopha (ostarstuapha , oster- stopha), auch stopha (stofa, stoffa, stoffen) oder modius regis. I)a aber die Osterstufc und die Stufe als Verschiedenes ange- sehen wird, so soll jede für sich behandelt werden.

Die Osterstufe wurde zu Ostern erlegt. Sie kommt vor am linken Rhein in Nersten (Nierstein) im Nahegau, in Weissen- burg im Speyergau und in Flagesstatt (wohl abgegangen, und nach der Reihenfolge der Urkunden in derselben Gegend). In Flagesstatt lag sie auf dem mansus ingenuilis und betrug einen Frischling, ein Lamm im Werth von einem solidus, zwei Hühner, zwölf Eier, fünf Karren Holz u. s. w., in Nersten vier Denare, ein Huhn, zehn Eier, zwei Karren Holz; in Weissenburg wurde sie in Geld erlegt und hiess daher Oster-

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gelt. Lorscher Urknndcnsammlung III. 3672 und 3675; Weissenburger Sammlung S. 30.3.

Am rechten Rhein erscheint sie in dem Jahre 889 und in folgenden später ostfränkischen Gauen, und zwar den alt-ala- mannischen, dem Grabfeld (mit der Huntare Tullifeld) und dem untern Neckargau (mit der Huntare Wingarteiba), den alt- burgundionischen im Norden des Main, dem Sala- und Werin- Gau und dem Gützfeld, im Süden des Main, den Waldsassi, dem Tauber-, Badanach-, Iphi-, Gollach-, Mulach-, .Jagst- und Kochergau. Hier kommen die Bezeichnungen tributum oder census, steora oder ostarstuopha vor. Sie wurde de partibus oder a pagis orientalium Franchorum (vel de Slavis) ad fiscum dominicuni erhoben. Sie bestand iu Honig oder Gewändern oder in anderen Gegenständen. Schon Pippin (König seit 7.31), ibui folgende Könige und zuletzt 923 Heinrich I. haben darüber zu Gunsten der bischöflichen Kirche zu Würzburg verfügt. Wirtembergisches Urkundenbuch ', Nr. 163; II, S. 438.

Die Stufe, auch Königsseheilel, modius regis genannt, kommt vor am linken Rhein 856 in Worms, 782 in Speyer, in Weissen- burg, 857 in Metz, unter Ludwig dem Frommen iu den Vogesen (westlichen fränkischen AntheilsP). Von Worms heisst es: modius regis, quod vulgari nomine stuofehom appellatur, auch sonst wird stuffkorn erwähnt. Die Stufe wird also auch in Scheffeln gedroschenen Getreides aus der Scheuer (nicht nach Garben vom Feld als Ertragsquote) entrichtet. In den Vogesen hatten die Förster die Stufe zu liefern, hi (forestarii, qui forestum in Yosago provident), qui stoffam persolvant, wahrscheinlich iu jagdbaren Thieren (siehe unten). Der Pflichtige der Stufe hiess nach einer alten Glosse zur Lex saliea stopharius, qui censurn regi solvit.

Am rechten Rhein wird der modius regis 912 im Lahngau nnd 914 in dessen Huntam Heiger erwähnt.

Siehe die Nachweise bei Waitz deutsche Verfassungs- geschichte II, 2, 254; IV 115; Schröder, die Franken und ihr Recht, S. 72: Lamprecl.t, deutsches Wirthschaftsleben I, 1, 105.

Es decken sich also Osterstufe und Stufe nach dem Aus- druck, nach dem Verbreitungsgebiet zumal am linken Rhein nnd nach bestimmten Beträgen des Wirthschaftsbetriebs (ge- schlagenem Holz, gedroschenem Getreide, Frischlingen, Lämmern

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und Hühnern, Eiern und Honig) oder Gewändern und Geld. Fasst man die Gebiete beider zusammen, so ergiebt sich am linken Rhein alamannischer Besitz vom 5. Jahrhundert, am rechten Rhein altalamannischcr Boden, und jenseits der beiden Limes die früher burgundionischeu Sitze, die wohl von Alamannen eingenommen waren. Das ist der Norden, der 496 den Franken zufiel.

Nach diesem ist die Meinung älterer Germanisten nicht unwahrscheinlich, dass Chlodwig den unterworfenen Alamannen (des Nordens) die Osterstufe als Köuigszins auferlegt habe, und es mag ferner geschlossen werden, dass sie sieh auf den Hufen derjenigen Alamanuen erhalten habe, die auch nach 501 im Norden sitzen blieben. Und so mag sie als eine Abgabe be- stimmter Hufen geblieben sein.

Demselben alamannisch-fränkischen Norden gehörte eine noch weitere Abgabe anderer Begründung an, der Medem, eine dem König als Obereigenthümer unbebauten Landes zustehende Er- tragsqnote des Rottlandes. Sie ist jedenfalls erst später von praktischer Bedeutung geworden und wird im Kapitel 9, Ab- schnitt 1, ihre Darstellung finden.

Der Königszins des Südens.

Theoderich, so berichtet Agathias, hielt die Alamannen zur Steuerzahlung an. (S. 222).

Census oder tributum, ohne irgend eine andere Bezeichnug, als des Königs oder des Grafen ist über den ganzen Süden, Alamannia, Wirt. 102, verbreitet. Dieser Zins ruht insbesondere in Deutschland auf Hufen des Nagold- und Westergaus, Wirt. T9 ; er kommt vor in zwei Grafschaften der Bertholdsbar, Mon. Boica 31, 1, 60; im Breisgau, Wirt. 79 und 102, Urkunden- buch von St. Gallen 312; in der Huntare Eritgau, Wirt. 102, in den östlichen Gauen Alamanniens, in finibus Alamannicis sub eoa (Iller-, Angst-, Ries-Gau?), Wirt. 102; im Illergau, Mon. Boica 31, 1, 10 und seiner Huntare Nibelgau, Gail. 49; auf Hufen des östlichen Alpgans, Wirt. 79; in der Schweiz im Aargau, Gail. 527, auf Hufen des Thurgau, Wirt. 79, Gail. 328 und in Voralberg, Gail. 662.

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Der Zins war des Königs; in einzelnen Fällen war er einem Grafen zu seinem Einkommen übertragen, und die Urkunden reden von ihm, wenn der König einen Tlieil des Zinses an eine Kirche oder ein Kloster schenkte. Schon Pippin, (König seit 751) und noch Karl der Grosse 887 haben darüber verfügt, Gail. 312 und 662. Jahr 766 in marcha Nibalgauge .... sicut debuemus regi et comite servire, .... censum quod ceteri paginsi nostri faciunt regi aut comiti, Gail. 49; Jahr 828 in pago Brisichaua .... censum, quod ad fiscum persolvi und quod annis singulis fisco inierri solebant, Gail. 312; Jahr 829 cum partibus regis tributum exigeretur, Gail. 328; Jahr 839 tributuni ex ministerio Chuonradi comitis, .... ex portione ministerii, quod Raban comes habet, .... partem tributi, quae ad nostrum exigitur opns, Wirt. 102; Jahr 867 de Argengeuve .... de tali censu, sicut illorum antecessores nostris (des Königs Ludwig) antecessoribus persolverunt, Gail. 527; Jahr 887 quodam censu, quod ad regium jus pertinebat, Gail 662.

Der Zins ruhte auf der Hufe. Jahr 817 censum de mansis XLVII in verschiedenen Gauen, Wirt. 79; Jahr 829 unam hobam . . . tributum im Thurgau, Gail. 328. Die pflichtige Person hiess tributarius, Gail. 328. Jahr 828 werden im Breis- gau sechszehn liberi homines als solche aufgeführt, Gail. 312.

Der Tribut war ein fester. Im Jahr 766 sollte er im Nibel- gau in einem Fall geleistet werden, wie von den anderen Gau- genossen, censum, quod ceteri paginsi faciunt, Gail. 49; im Jahr 867 im Argengau, so wie er den Vorgängern des Königs entrichtet war, Gail. 527. Worin aber des Königs Zins bestand, ist für Alamannien nicht überliefert. Nur in zwei Fällen, in denen der Zins dem Kloster St. Gallen übertragen war, liegt eine Abrede des Klosters mit den Pflichtigen über die Art der Leistnng vor. Im Jahr 766 sollten die vier Söhne des Marulf im Nibelgau den census in wilden Thieren, in silvaticas feras, leisten, wenn es möglich wäre, sonst aber wie die übrigen Gau- genossen, Gail. 49, und in; Jahr 328 sollte der tributarius Gisalmar von seiner einen Hule im Thurgau den ganzen Ertrag an Wein bis zu 15 Sielen sammt einem Frischling, eine tremissa werth, liefern, wenn der Wein gerathen ist, si fertilitas vini fiierit, sonst aber 7 Malter Korn und 30 Sielen Bier, Gail. 328.

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Es scheint hiernach, dass der Königszins des Südens nicht in einer Ertragsquote der Hufe, sondern wie die Osterstufe des Nordens in bestimmt fixirten Leistungen bestand. Als Ergänzung der Osterstufe mag er nach 53 6 den Alamannen des Südens auferlegt sein, falls er nicht etwa die alte Steuer des Theoderieh ist.

<>. l)ie Alamannen in Italien.

Der Herzog Bnzelin. 549.

Die Alamannen scheinen sich rasch an die fränkische Herr- schaft gewöhnt zu haben. Sie folgten unter Buzelin, ihrem Herzog, dem Heer des Königs Theudebert 549 nach Italien. Dieser kam so allerdings zunächst den bedrängten Gothen zu Hülfe, wie diese 536 gehofft hatten, eroberte jedoch einen grossen Theil von Oberitalien für sich und konnte im nächsten Jahre dem Gothenkönig Vitiges die Theilung von Italien vorschlagen. Als er dann selbst nach Gallien zurückkehrte, Hess er die Herzöge Buzelin und Haming zurück, um den Krieg fortzuführen, ad subjiciendam Italiam, wie Paulus Diaconus *2, 2 berichtet. Später plante er einen Zug nach Byzanz, um den Kaiser Jnstinian zu entthronen, der sich immer noch Fraucicus und Alamannicus nannte. Der weitere Verlauf der Ereignisse ist unklar. Nach Procop 3, 33 und 4, 24 besassen die Franken von Italien noch 550 Venetien, einen Theil von Ligurien und die cottischen Alpen uud noch im Jahr 553 scheinen sie im Besitz der letzteren gewesen zu sein (Agathias 2, 3). Aber das Geschick der Gothen war im Niedergang. Grosse Kämpfe der Feldherrn des Kaiser gegen die Gothen erfüllten Italien. Beiisar schlug ihren König Vitiges und führte ihn gefangen nach Byzanz. Es folgten Kämpfe gegen den König Totila von wechselndem Erfolg uud unter dem wechselnden Besitz von Rom, bis, von Narses geschlagen, er und der letzte König Teja fielen. Die über die nördliche Hälfte von Italien, Tuscien, Ligurien, die Ebenen dies- seits und jenseits des Po zerstreuten Gothen hoben keinen König mehr auf den Schild; ein Theil wartete die Entwicklung der

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Dinge ab. die am Po Angesiedelten dagegen planten die Fort- setzung des Krieges.

Die Herzöge Buzelin und Leuthar. 552.

Zu dem Zweck wendeten sie sich 352 an ihre früheren Kampfgenossen, die austrasischen Franken. Aber der feurige Theudebert war todt und sein Sohn und Nachfolger Theudebald ein kränkelnder junger Mann. Vor dem Könige und seinen Grossen baten die gothischeu Gesandten das befreundete Nach- barvolk um Hülfe, damit sie nicht von den Römern erdrückt würden; liege es doch im eigenen Interesse der Frauken, die Macht der Römer nicht noch anwachsen zu lassen. Denn sie würden die Waffen gegen die Franken kehren, wenn sie die Gothen vernichtet hätten. Als der König jedoch kein Verlangen verspürte, die Sorgen der Gothen auf sich zu laden, da traten gegen die Meinung des Königs Theudebald die Gaukönige und Herzoge der Alamannen, die Brüder Buzelin und Leuthar, die vermöge ihrer Stellung auch unter den Franken von grossem Einfluss waren (S. 225), auf und setzten die Annahme des Biindnissvertrages durch. Sie selbst wurden als Herzöge zur Führung des Krieges berufeu und brachten ein Heer von 72 000 Mann, Franken und Alamannen zusammen. Mit ihm rückten sie zunächst zum Po vor (553). So zogen, wenn auch unter fränkischem Namen, noch einmal alamannischc Herzoge und ein Heer von Alamannen, mit Franken gemischt, nach Italien zur Eroberung des Landes, wie im 3. und 4. Jahrhundert, wo den Vorfahren Gallien oder auch Italien der Kampfpreis gewesen war.

Die Herzoge, voll Verachtung auf den Eunuchen Narses herabsehend, waren nach der Schilderung des Byzantiners Agathias, I, 7 und 20, des Vertrauens, dass sie ganz Italien und Sicilien unterwerfen würden, und dass dann ihre eigene Stellung nicht dieselbe bleiben würde. Bald sollte es sich zeigen, dass sie als die zu Hülfe Gerufenen ein Uebergewicht über die Gothen beanspruchten und, je weiter sie vordrangen, die Leitung der gothischen Angelegenheiten in die Hand nahmen, so dass diese die Befürchtung hegen mussten, die Franken würden, Sieger über die Römer, Italien nicht den Gothen herausgeben, sondern hier ein fränkisches Reich gründen; vielleicht, darf man

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ergänzen, ein Reich alamannischen Gepräges, das sich ans Ala- mannen, Franken und Gothen zusammensetzen würde.

Die Alamannen am Po und in der Aemilia. 553.

Nach der Niederlage des Gothenkönig Teja am Mons lactarius in der Nähe des Vesuv suchte Narses sich in den Besitz der von den Gothen noch bewahrten Orte zu setzen. Der südlichste war die starke Veste Cumae in Campanien, wo auf steiler Höhe am Meer Aligern, der Bruder des Teja, den Schatz der Gothen hütete. Eine lange, hartnäckige Belagerung war ohne Erfolg, auch als von der berühmten Grotte der Sybille aus ein Theil der Befestigungswerke unterminirt und zum Sturz gebracht war. Als dann die Meldung kam, dass die Franken und Alamannen bereits am Po ständen, Hess Narses eine Ab- theilung seines Heeres, in dem sich römische Legionen, germanische Heruler und Warnen sowie Hunnen unter nationalen Herzögen befanden, vor Cumae zur Fortsetzung der Belagerung zurück, zog selbst mit einer andern nach Tuscien, nahm Florentia, Centumcella, Volaterra, Pisa und Luna, die sich ohne Weiteres ergaben, und Luca, das ihn durch eine Belagerung aufhielt, ein und schickte Legionssoldaten und Heruler, den grössten und stärkeren Theil des Heeres zur Aemilia, um dem Feind gegenüber zu treten oder ihn doch aufzuhalten. In Parma wurde jedoch eine Abtheilung Heruler unter ihrem Herzog Fulkaris von Buzelin überrumpelt und nieder gemacht und auf diesen Erfolg hin standen die Gothen der Aemilia und Liguriens, die früher zum römischen Bündniss gezwungen waren, auf und schlossen sich den Heerhaufen des Buzelin und Leuthar an, denen sie durch germanische Abkunft, Sitte und Lebensart ver- bunden waren. Gothen, Franken und Alamannen strömten nach Parma zusammen und vor ihnen zogen sich die Römer schleunigst nach Faveutia zurück.

Der Herbst ging zu Ende und die Wintersonnenwende stand bevor, als Narses, durch die Ergebung von Luca frei geworden, sich nach Ravenna begab, um das Heer aus dem Felde zurückzuziehen und in die befestigten Winterquartiere zu legen. Damit war den Germanen die Möglichkeit eines Massenaugriffs genommen und sie scheinen den für sie zu

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grösseren Unternehmungen so geeigneten Winter nicht benutzt zu haben.

Inzwischen war Aligern, der Befehlshaber von Cumae, er- bittert über das selbstsüchtige Verhalten der alamannisehen Herzöge, zu dem Entschluss gekommen, die Stadt und ihre Schätze den Römern zu übergeben und in Italien mit ihnen friedlich zu leben. Narses nahm ihn und seine Gothen mit offenen Armen auf und versprach reichen Lohn. Er schickte den Aligern nach Caesena, das von den Germanen belagert wurde, damit sie sähen, dass er aus eigenem Antrieb zu den Römern übergegangen sei. Er zeigte sich ihnen von einer

hohen Stelle der Mauer aus und höhnte, sie brauchten sich nicht zu beeilen, Cumae zu entsetzen, denn es sei mit seinen Reichthümern bereits in den Händen der Römer, sammt den Insignien der gothischen Herrschaft. Sollte noch einmal ein gotbischer König gewählt werden, so hätte er Nichts, um in königlicher Würde zu erscheinen. In Wahrheit bekundeten die Insignien den ächten König. Dagegen schalten ihn die Ger- manen den Verräther des eigenen Stammes. Narses schöpfte mit freigebiger Hand aus dem Gothenschatz, um sich die Treue seiner Bundesgenossen, der Heruler, Warnen, Hunnen und nun auch der Gothen des Aligern zu erhalten. Und die Feinde schwankten, ob sie nach dem Fall des südlichen gothischen Bollwerkes und ihrer Schatzkammer den Krieg fortsetzen sollten. Aber die Meinung siegte, dass das Unternehmen weiter zu führen sei.

Die Alamannen in Unteritalien. 554.

Bei Beginn des Frühlings 554 zog Narses seine Truppen in Rom zusammen, während die Germanen, die Hauptstadt ver- meidend, sich über die Breite der Halbinsel zerstreuten und, die Orte verheerend und entvölkernd, bis Samnium vordrangen. Hier theilten sich die Heerhaufen der beiden Herzöge. Buzelin wandte sich zum tyrrhenischen Meer und durchzog Campanien, Lucanien und Bruttium bis an die Meerenge von Rhegium, Leuthar am adriatischen Meer Apulien und Calabrien bis Hydruntum. Mordend, sengend, und plündernd, bezeugten die christlichen Franken doch den Gotteshäusern ihre Ehrfurcht, während die heidnischen Alamannen sie vom Dach bis zum Fundament zerstörten, oder mit dem Blut der Erschlagenen

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besudelten und ihre Kostbarkeiten entführten. Die Körper der getüdteten Thiere Hessen sie unverscharrt auf den Feldern liegen.

Die Rückkehr des Deutbar.

Es wurde Sommer und damit begann für die Germanen die Gefahr des italischen Klimas. Leuthar beschloss daher, mit der gesammelten Beute heimzukehren und malmte unter Hinweis auf die Wechsel fälle des Glücks den Buzelin, ein Gleiches zu tliun. Dieser hatte sich den Gothen eidlich verpflichtet, mit ihnen gegen die Römer die Entscheidungsschlacht zu schlagen, und als sie ihm Hoffnung machten, ihn zu ihrem König zu wählen, entschloss er sich, mit seinem Heerhaufen zu bleiben. Als Leuthar mit dem seinigen abzog, versprach er, ihm aus der Heimath Ersatztruppen zu schicken.

Er gelangte ohne Unfall bis Umbrien, wo er bei Fannm am adriatischen Meer ein Lager aufschlug. Seine Vorhut von 3000 Mann wurde hier das Opfer eines Hinterhalts römischer und hunnischer Truppen, die unter der Führung des Artabanes und des Hunnenherzogs Uldach in Pisaurum standen. Hier erschlagen, dort in das Meer geworfen, dort fliehend, verbreitete die Vorhut Lärm und Verwirrung. Sofort stellte Leuthai' sein gesammtes Heer in Schlachtordnung auf, ein Moment, den zahl- reiche Gefangene benutzten, zu entfliehen und von der Beute, so viel sie konnten, in die römischen Kastelle wegzuführen. Artabanes und Uldach fühlten sich jedoch zu schwach, um die Herausforderung anzunehmen. Die Germanen kehrten daher in das Lager zurück und brachen, sich nicht weiteren Verlusten aussetzend, zur Aemilia auf, um weiter zu den cottischen Alpen zu gelangen Mach beschwerlichem Marsch kamen sie über den Po nach Venctien und hoflten in ihrer Stadt Ceneta von den Strapazen ausruhen zu können. Auf dem langen Wege war von der Beute weniges übrig geblieben, und sie sagten sich mit Schmerz, dass es der schweren Mühe nicht werth sei. Dann brachen die Folgen der Strapazen und des Klimas, Pestilenz und Fieber, aus und rafften das ganze Heer dahin. So ging Leuthar mit den Seinen elend zu Grunde.

Die Schlacht bei Capua.

Bereits begann der Herbst, als Buzelin in Unteritalien die Nachricht erhielt, dass das Heer des Narses in Rom versammelt

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sei. Er beschloss mit allen Streitkräften die endliche Entscheidung herbeizuführen und marschirte zu dem Zweck in Eilmärschen nach Campanien. Die Trauben reiften, und da Narses alle Zufuhr von Lebensmitteln abschnitt, so verbreitete sich durch den Genuss von Trauben und Most im Heer die Dysenterie. Lieber kämpfen, so hiess es jetzt, sei es mit welchem Erfolge, als durch die Krankheit verzehrt werden! Von dem Untergang seines Bruders wusste Buzelin uoch nichts, aber es wunderte ihn, dass die versprochene Hülfe noch nicht da sei, und er be- fürchtete schon, dass ihm ein Unfall zugestossen. Er bezweifelte jedoch nicht, dass er bei seiner Ueberzahl an Truppen den Sieg davon tragen werde; denn es waren ihm von den 72 000 Mann, die ausgezogen, noch 30000 geblieben, während auf römischer Seite 18000 Mann standen.

In der Nähe von Capua am Casulinus, der sich in Windungen durch die Ebene ins Meer zieht, schlug Buzelin das Lager auf. Die Brücke, die über den Fluss führte, wurde durch einen hölzernen Thurm mit Besatzung gedeckt. Ein hoher Wall mit Pallisaden und einem engen Ausgang schützte die andere Seite. Im Inneren waren die Fuhrwerke, bis zur Nabe mit Sand be- deckt, zur Wagenburg zusammengefügt. So mochte der Herzog meinen, er könne die Zeit zum Angebot oder zur Annahme der Schlacht nach eigenem Ermessen bestimmen: „Wir kamen nach Italien,“ rief er den Seinen zu. „Ob wir es festhalten, ob wir rühmlos ein Ende finden, in unsere Hand ist es gelegt.“

Narses führte das ganze römische Heer aus Rom und er- richtete sein Lager in der Nähe des germanischen. Der Lärm eines jeden drang in das andere. Hoffnung und Furcht bewegte beide Theile und die Städte Italiens bangten, wem der Sieg, und wessen Partei sie selbst dann zufallen würden.

Die Germanen fouragirten unter den Augen der Römer und Narses liess durch seine Reiter die Fuhrleute niederhauen und ihre Gespanne aufheben. Ein mit Heu beladener Wagen wurde brennend an den Brückenthurm geschoben, setzte diesen selbst in Brand und zwang dessen Besatzung, ihn zu verlassen, so dass die Römer sich der Brücke bemächtigten. Vor Wuth rasend, verlangen die Germanen, sofort in den Kampf geführt zu werden, und vergebens weissagen die alamannischen Seher, der Tag

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werde dem ganzen Heer verderblich sein. Schon greifen sie zn den Waffen.

Narses war bereits zu Pferde gestiegen, uni sein Heer anf- znstellen, als ihm ein vornehmer Heruler vorgeführt wurde, der einen seiner Sklaven zur Strafe für ein Vergehen getödtet hatte. Nach heiliger Satzung musste die Schuld gesühnt sein, ehe die Schlacht beginnen konnte. Als der Heruler es für sein heimisches Recht erklärte, den Sklaven nach seinem Gefallen zum ab- schreckenden Beispiel zu tödten, und sich hartnäckig seiner That rühmte, überwies Narses ihn dem Lictor, der ihn durch einen Schwertstoss in die Weichen tödtete. Das erfüllte nun die Heruler „als Barbaren“ mit Unwillen und sie beschlossen, sich von dem Kampf fern zu halten. Narses aber rief, unbekümmert um die Heruler, Wer des Sieges theilhaftig sein wolle, solle ihm folgen. Da versprach Sindual, der Herzog der Heruler, in der Einsicht, dass die Seinen im Moment der Kampferöftnung nicht zurücktreten dürften, ohne sich dem Vorwürfe des Abfalls auszusetzen, er werde sie beruhigen und sie baldigst herführen ; worauf Narses erklärte, er könne die Aufstellung des Heeres nicht verzögern, w’erde ihnen aber ihren Platz offen halten.

Dann ordnete er die Hauptmasse seines Heeres, das Fuss- volk, Legionen und Bundesgenossen, als Phalanx und behielt in der Mitte einen Raum für die Heruler vor: in das Vorder- treffen vor die Feldzeichen (antesignani) stellte er bis zu den Füssen Gepanzerte, mit starken Helmen Bewaffnete, sie alle in geschlossenen Gliedern. Hinter der Hauptmasse fanden die Leichtbewaffneten: Bogenschützen, Schleuderer, zum Plänkler- dienst bestimmt, ihren Platz.

Beide Flügel deckte er durch die Reiterei, mit Schild und Wurfspeer, umgehängtem Bogen und Schwert, sowie mit langer macedonischer Lanze bewaffnet. Narses selbst, von einer Leib- wache umgeben, nahm seine Stellung auf dem rechten Flügel. Weiter an beiden Seiten, hinter Wald versteckt, stellte er römische Truppen unter Valerius und Artabanes, die sich un- versehens auf den heranstürmenden Feind werfen sollten.

Zw'ei herulische Ueberläufer meldeten diesem, die Heruler seien abgerückt und dadurch Alles in Verwirrung gerathen. Auf das hin führte Buzeliu sein Heer aus dem Lager direkt gegen die Römer. Ohne Ordnung, sich überstürzend stürmen

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die Germanen herbei, als wollten sie im ersten Anlauf die Feinde älter den Haufen rennen. Sie werfen sich im Keil, einem Eberkopf vergleichbar, unter Geheul auf den Feind, durchbrechen das Vordertreffen, ergiessen sich in die herulische Lücke und die Vordersten bahnen sich den Weg durch die geschlossenen Reihen bis an die hinterste. Einige drängen noch weiter vor, als wollten sie das römische Lager überrumpeln. Dabei war das Blutvergiessen nur gering.

Da Hess Narses die berittenen Bogenschützen auf beiden Flügeln eine Schwenkung machen und die breite Masse des Keils mit Pfeilen überschütten; von rechts und von links kreuzten sich die Geschosse und die Eingeschlossenen konnten ihnen weder aasweichen, noch überhaupt sehen, woher sie kamen. Denn zugleich gingen die Schwerbewaffneten zum Angriff über.

Jetzt rückten auch, von ihrem Herzog beschwichtigt, die Heruler unter Sindual heran und stiessen zunächst auf die Germanen, welche die römischen Reihen durchbrochen hatten. Es kam hier zum Nahgefecht. Jene, überrascht, hielten sich von den beiden Ueberläufern für betrogen, fürchteten weiteren Hinterhalt und wandten sich zur Flucht, auf der sie verfolgt and zum Theil niedergemacht wurden. Die Masse der Heruler tückte in den ihnen vorbehaltenen Platz der Schlachtordnung ein, und die Phalanx war damit geschlossen.

So stand der germanische Keil, nunmehr selbst eingekeilt, seiner Stosskraft beraubt, und jetzt von allen eingreifenden Truppen bedrängt, da. Schwerter drangen ein, Geschosse «urden geworfen, Pfeile entsendet. Von allen Seiten wurde gemordet. Die Germanen wurden erschüttert und vernichtet, «n Sieg der Phalanx gegen den Keil. Was den Waffen ent- ging, wurde in den Casulinus gejagt und kam in ihm um.

So fand Buzelin und sein ganzes Heer den Untergang, »nr fünf Mann sahen die Heimath wieder. Die Römer gaben ihren Verlust auf 80 Mann an, die bei den) Ansturm des Keils gefallen waren. Es zeichneten sich auf römischer Seite fast alle Legionen aus, und von den Bundesgenossen die unter Sindual und Aligern, dem „Verräther“. Es kämpften Gothen gegen Gothen, Germanen gegen Germanen, hier Alamannen, Frauken, Gothen, dort Heruler, Warnen und Gothen, sowie Hunnen.

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Nach der Niederlage zogen sich siebentausend gothische Krieger, die au verschiedenen Orten lagen, den Angriff der Römer furchtend, nach Campsac, einem wohl versorgten Berg- kastell (wohl Conza in Samnium) zurück. Sie erlitten unter der Führung eines Hunnen Regnaris die Belagerung des Narses. Als sie im nächsten Frühjahr 555 sich ergaben, schickte er sie nach Byzauz zum Kaiser Justiuiau.

Für die Gothen bedeutete der Ausgang des Krieges das Ende ihrer Herrschaft und ihres Volksthums.

Für die Alamannen (in der Vereinigung mit den Franken) war der Krieg in Italien das letzte grosse Unternehmen unter selbstständiger Führung alamannischer Herzöge, rühmlos lur die eine Hälfte des Heeres, tragisch für die andere, der Ab- schluss der heroischen Zeit der Alamannen. Die weitere ge- hörte im Wesentlichen der Kolonisation an.

7. Kein Stainiukönisrthuin.

Die lockeren Beziehungen, welche verfassungsmässig zwischen den einzelnen Gauen herrschten, das weitschichtige Gebiet und die mangelnde Interessengemeinschaft, welche sich während der zweiten Ansiedlungsperiode bis zur Katastrophe von 496 zwischen dem Stammland und den einzelnen Gebieten Neualamanniens herausstellten, hatten mich den Uebergang der Alamannen zum Stammkünigthum bereits bezweifeln lassen. (S. 213—215).

Auch die Unsicherheit über die Stellung des König Gibuld, der als erster bekannter Stammkönig in Anspruch genommen wird, (S. 192) fördert die Entscheidung nicht.

Die Erörterung kann erst hier wieder aufgenommen werden.

Der nächste, der als Stammkönig in Betracht kommen könnte, ist der Gegner Chlodwigs von 496. Gregor und der Biograph des Vedastus nennen ihn rex, der erstere lässt ihn fallen, der zweite sich ergeben. Aus dem Erfolg der Schlacht, der Unterwerfung der nördlichen Gaue habe ich geschlossen, dass der König nur diese unter seiner Führung vereinigt habe, dass er mithin deren Herzog, dux gewesen sei, im Uebrigen

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ein Gaukönig, der ebenso wie die Herzöge Chnodoniar, Serapio und Priari nur rex genannt werde.

Ebenso nennen Theoderieh und Enuodius den Gegner von 501 507, der nach beiden gefallen ist, rex. Er war der Führer im zweiten Kampf gegen Chlodwig. Einen Stammkönig konnte dieser im Norden nicht dulden. Sollte sich seit 496 der Süden zum Stammkönigtum vereinigt haben? Es wäre uicht unmöglich, denn seit dieser Zeit lag dazu ein dringender Anlass und bei dem verkleinerten Gebiet die Möglichkeit vor, aber es fehlt dafür an jedem Anhalt. Jedenfalls wäre dies Stamm- königthum von kurzem Bestand gewesen. Denn auch im Süden konnte Theoderieh keinen alamannischen Stammkönig dulden. In der That hatte der gefallene König keinen alamannischen Nachfolger, wie sich aus Ennodius ergiebt, der es für ein glück- liches Geschick der Alamannen erklärt, einen König (Theoderieh) zu besitzen, nachdem sie verdient, ihn (den gefallenen Ala- mannenkönig) verloren zu haben; Theoderieh sei in Wahrheit Alamannicus, wenn auch ein anderer (der Kaiser in Byzanz) sich so nenne. Cui (Alamanniae generalitati) evenit habere regem, postquam mernit perdidisse .... Rex mens sit jure Alamannicus, dicatur alienus. Hier ist Theoderieh als Nach- folger des gefallenen letzten Alamannenkönigs gedacht. Es würde dem Gedankengang des Enuodius am Besten entsprechen, wenn man in diesem einen Stammkönig sehen könnte. Aber die Stelle ist durchaus rhetorisch und daher nicht zu ver- werthen.

Der nächsten Häupter, die unter der fränkischen Herrschatt erwähnt werden, sind schon zwei, Buzelin und Leuthar, ala- mannische Gaukönige und Herzöge, als solche von dem Franken- könig Theudebert bestätigt und von seinem Nachfolger Theudebald überkommen. Sie scheinen sog. Amtsherzöge zu sein (Kapitel 9, Abschnitt 2).

Nach dem früher Entwickelten darf man es daher für innerlich unwahrscheinlich erklären, dass die Alamannen vielleicht abgesehen von den letzten Jahren zum Stamm- königthnm iibergegangeu seien, jedenfalls fehlt es dafür an einem Anhalt. Vielleicht war es die Selbstständigkeit und der Mangel an Zusammenhalt ihrer autonomen Gaue, denen sie gegenüber der gefestigten Gewalt des fränkischen Stammkönigs Chlodwig

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ihre Niederlage verdankten. Dem spätem fränkisck-alamannischen Stammherzogthum ist kein alamannisehcs Stammkönigthum vor- hergegangen, aus dem es sich, wie man wohl angenommen hat, hätte entwickeln können.

8. Die Lenzer und die Sueven.

Die Orte, welche in der Schweiz den Namen der Lenzer und Sueven tragen, sind bereits verzeichnet (S. 208 und 209). Aber sie umspannen nicht nur dort ein weites Colonisationsgebiet, sondern finden sich auch zahlreich in Süddeutschland, werden dort wie hier aus dem 5. und nach den verhängnisvollen alamannischen Niederlagen aus dem 6. Jahrhundert stammen und sich auch später noch von den neuen Sitzen aus weiter verbreitet haben. Man wird diese Ortsnamen nicht in der alamannischen Heimath suchen, aber sie begleiteten die Wandernden in die Fremde und wurden hier Nichtlenzern und Nichtsueven gegenüber zum unter- scheidenden Merkmal. So wurden sie Urkunden der voran- schreitenden Colonisation beider Theilvölker und sind es bis auf den heutigen Tag geblieben. Wir finden beide Namen von der Heimath aus im Westen und Osten (in Süddeutschland), sowie im Süden (in der Schweiz). Gegenseitig einander kreuzend, ist in der Schweiz der Lenzername, in Süddeutschland der Sueven- name überwiegend. Die Lenzer gründeten in beiden Ländern neue Huntaren, von den Sueven tragen ganze Landstriche in Süddeutschland den Namen und wo man weiter auf Gruppen lenzischer oder suevischer Namen stösst, wird man auf massen- hafte Einwanderung jedes dieser alamannischen Theilvölker schlicssen dürfen.

Von den sonstigen Alamannen sind, abgesehen von einigen schweizerischen Orten des Alamannennamens selbst, ähnliche Ansiedlungsspuren nicht zu entdecken, und es ist hervorzuhebeu, dass auch alamannische Gau- oder Huntarennamen in dem neuen Gebiet nicht verwendet sind. Ob das vielfache Vorkommen derselben Ortsnamen im Alt- wie Neu-Alamanuien auf eine Ver- wandtschaft ihrer Bewohner zu deuten sei, könnte nur eine sehr eingehende Untersuchung ergeben.

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Die Orte lenziscben Namens.

Von dem gezwungenen Auszug aus der Heimath, welcher auf die Niederlagen vom Ende des 5. und dem Anfang des 6. Jahrhunderts folgte, wurden die Lenzer nicht betroffen.

Ihr latinisirter Name Lentienses, den sie bei Ammian führen, hat sich in ihren Ansiedlungen in der Form von Lenz oder Linz erhalten.

Es scheint, dass sie, wie in der Schweiz die Huntare Lenz- burg, so im östlichen Anschluss an den Hegau zwei neue Huntaren gegründet haben, die sich am Bodensee bis zum Schlissen er- streckten, den Unterseegau und den Linzgau, von denen der Letztere sammt der Malstätte Liuz, BA. Pfullendorf ihren Namen trägt (Siehe Kapitel 28).

Weiter heissen Orte nach den Lenzern in

Lothringen, K. Forbach, Lenzweilerhof;

Obereisass, K. Gebweiler, Linzersmatt;

Baden, BA. Neustadt, Lenzkirch; BA. Lahr, Lenzis- hurg; und (schon genannt) BA. Pfullendorf, Liuz;

Württemberg, OA. Waldsee, Lenzers; OA. Wangen,

Lenzers:

Baiern,

K. Schwaben, BA. Kempten, Lenzfried; BA. Sont- hofen, Lenzen: BA. Oberdorf, Lenzer;

K. Oberbaiern, BA. Mühldorf, Lenz und Lenz- feichten; BA. Altötting, Lenzen; BA. Rosenheim, Lenzmühle;

K. Niederbaiern, BA. Bogen, Lenzing: BA. Pfarr- kirchen, Lenzloh und Lenzhub; BA. Vilshofen, Linzing; BA. Passau, Lcnzingerberg; BA. Wolfstein, Lenzmühle;

K. Mittelfranken, BA. Neustadt a. A., Lenzen- liaus; BA. Ansbach, Lenzersdorf;

K. Unterfranken, BA. Ochsenfurt, Lenzenbronn;

K. Oberfranken, BA. Hochstedt a. A., Lenzen-

niühle.

Die Orte suevischen Namens.

Die Sueven wurden nur theihveise von den verhängniss- vollen Ereignissen berührt. Sie büssten zwar den unteren Neckar ein, hatten aber schon vorher in compacten Massen

Cr» m er* Geschiohte der Alemannen. 16

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das ihnen benachbarte Land abwärts der Donau und über dem Strom, sowie Gebiete der Schweiz besetzt, und während die übrigen flüchtenden Alamannen sich ansiedelnd in den neuen Gauen verloren, musste ihre Bedeutung immer mehr hervor- treten. Anderswo dagegen mischten sie sich mit Frauken und Bajuvaren und Missten dabei ihr Volksthum ein.

Die lateinische Form des Namens Suave: Suebus, Suevus, Suaevus war dem althochdeutschen Suapa entlehnt. Nach dem mittelhochdeutschen Swabe hat sich die heutige Form Schwabe gebildet, die sich auch in den Ortsnamen findet.

In der alten Suevenheimath ist nur einziger Name ihres Gepräges zu verzeichnen, Schwabach im württembergischen Oberamt Weinsberg.

Im Uebrigen finden sich ihre Namen zunächst im Osten und Süden an beiden Ufern der Donau.

An der linken Seite der Donau

in Württemberg, im Riessgau, OA. Ellwangen, Schwabsberg; es blieb mit dem Riessgau sueviseh. Die Ge- biete der weiteren Orte wurden fränkisch oder bajuvarisch; in Baiern und zwar im

K. Oberfranken, BA. Staffelstein, Schwabthal;

K. Mittel franken, BA. Rothenburg an der Tauber, Schwabcnmiihle und Schwabsroth; BA. Gunzenhausen, Schwabeu- mühle; BA. Weissenburg, Schwabenmühle; BA. Schwabach, Schwabach.

K. Oberpfalz, BA. Beiingries, Schwabstetten, BA. Amberg, Schwabenhof; BA. Kemnath, Schwabeneggaten : BA. Neunburg v. W,, Sclnvabach; BA. Roding, Schwabenhof; BA. Stadtamhof, Schwabelweis.

K. Niederbaiern , BA. Viechtach, Schwabwies.

An der rechten Seite der Donau muss man das obere Ge- biet, das bis zum Lechthal (dieses eingeschlossen bis zum Ammersee) reicht, und das untere unterscheiden.

Im oberen < lebe t heisst das wlirttembergische und bairische Land bis zum Lech noch heut zu Tage Oberschwaben oder Schwaben, das bairische Land bis zum Lech ist der administrative

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Kreis Schwaben. An Olten sind bis zum Animersee zu ver- zeichnen:

iu Württemberg, im südlichen Alpgau BA. Wangen, Schwabenbauer, Schwabenhof.

in Baiern, im Augstgau und zwar im

K. Schwabeu, BA. Augsburg, Sehwabegg, Sckwab- münchcu, Schwabmühlhausen, Schwabaich; BA. Kaufbeuren, Schwabisbofeu ; BA. Kempten, Schwabelsberg;

K. Oberbaiern , BA. Schongau , Sckwabmflhle, Schwabuiederhofen, Schwabsoien, Schwabbruck; BA. Landsberg, Schwabhausen; BA. Friedberg, Schwabhof, Schwabstadt.

Der durch diese Orte bezeiehnete Landstrich blieb mit 'lern Augstgau suevisch, aber im Osten trat eine Mischung mit Bajuvaren ein. „Eine grössere Menge Alamannen, sagtRiezler in der Geschichte Baierns I, 61, haben sich mit den Baiern vermischt. Im Südosteu von Oberbaiern und im Westen von deutsch Tyrol tragen Sprache und Art der Bewohner ein stark alamannisches Gepräge. Eine Linie von Augsburg nach dem Ammersee, weiter über den Kochelsee, die Leutasch, Lermoos, Teils, das Otzthal, Finstermünz bis zur Malserheide, ja vielleicht bis .Merau bezeichnet die Ostgreuze eines Landstrichs, wo Ala- mannen mit Baiern streckenweise besonders im Süden, vielleicht das germanische Element ausschliesslich vertraten.“

Die Orte des unteren Gebieten fielen der Herrschaft der Bajuvaren anheim; in

K. Oberbaiern, BA. Dachau, Schwabhausen; BA. München I, Schwabing; BA. München II, Schwabbruck; BA. Erding, Schwabelsöd, Schwabersberg, Schwabstetten, Schwäbl; BA. Ebersberg, Schwaben, Schwaberswegen; BA. Miesbach, Schwabenham; BA. Rosenheim, Schwabering;

K. Niederbaiern, BA. Kelheim, Schwabbruck. Auch gen Westen, donauaufwärts, den Schwarzwald und die Vogesen wendeten sich die Sueven.

Im Grossherzogthum Baden liegen im erweiterten Hegau, BA. Pfullendorf, Schwablishausen ; im Klettgau die Halbinsel Schwaben (Suabona im 9. Jahrh.) bei Rheinau, beide im Land der Lenzer; im Westergau, BA. Neustadt, Schwabenhof; im Breisgau, BA. Wolfach, Schwabach; BA. Freiburg, Schwaben- Iwf: im Lobdengau, BA. Heidelberg, Schwabenheim; im Tauber-

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gau, BA. Tauberbischofsheim, Schwabhausen ; Alles mit Aus- nahme des letzten Ortes altalamannischer Besitz.

Im nenalamanuischen Gebiet, dem elsässischen Nordgau sind K. Zabern , zwei Schwabenliof und K. Weissenburg, Schwabweiler zu verzeichnen. (Auch weit über alamannische Grenzen hinaus liegen Orte des suevischen Namens über ganz Deutschland zerstreut, einer in Coburg-Gotha, zwei in Weimar- Eisenach, drei im Grossherzogthum Hessen, zwei im Königreich Sachsen, elf in Preussen und einer in Mecklenburg-Schwerin.

ft. Die dreifache Bedeutung des Siievcnnamens.

Die geschichtliche Stellung der Sueven.

Die Herkunft der Sueven, das Gemeingefühl, welches sie sich auch innerhalb des alamannischen Stammes bewahrt hatten, die Kraft, die sie in ihren früheren Zügen nach Italien, in der Theilnahine an den grossen gallischen Unternehmungen, in der fortgesetzten Beunruhigung Rätiens, sogar der mittleren Donau gezeigt hatten, und nunmehr ihre Ausdehnung nach Süden und Osten und die Stetigkeit ihrer politischen Zustände, während der alamannische, grösstentheils nichtsuevische Norden, zu- sammenbrach, — alle diese Umstände mögen es erklären, dass auch die Namengebung für den Stamm der Alamannen eine wesentlich andere, als die alte wurde, und dass die Bedeutung des Namens der Sueven sich erweiterte.

Wie wir gesehen haben, war die Bezeichnung für den Stamm, der aus der Wanderung hervorgegangen, Alamannen, und für den südöstlichen Theil Sueven oder Juthungen; der Name Sueven war der historische Yölkername, uns aus der Zeit des Cäsar und Tacitus bekannt; die Namen Alamannen und Juthungen waren Wandernamen (S. 8 10, 26, 27). Der Völker- name blieb und seine Bedeutung wuchs, die Wandernamen ver- schwanden oder erlitten doch ihre Bedeutung mindernde Aende- rungen. Die Bezeichnung Juthungen lindet man seit ihrer Niederlage von 4.'10 nicht mehr, es sei denn, dass die Huntare Scndinga im Jura ihren Namen das Mittelalter hindurch be- wahrt hat (S. 203, 200).

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Hinsichtlich der Namen Alamannen und Sueven ist zeitlich und räumlich ein dreifacher Sprachgebrauch zu unterscheiden.

Sueven, ein Theil der Alamannen.

Der Name Alamannen behielt die alte den Stamm umfassende Bedeutung, wie zur Zeit der Römer, so zu der der gothischen and fränkischen Herrschaft, durch das ganze Mittelalter in der amtlichen und kirchlichen Sprache und zu allen Zeiten in der Feder der Geschichtsschreiber. Daneben drückt der Name Sueven die alte Beschränkung auf den Südosten des Landes ans. Die erste Form des Sprachgebrauchs war mithin : Sueven ein Theil der Alamannen, oder wie Ammiau sagt: Jutlningi pars Alamannorum, 17, 6, 1. Zn den älteren Nachrichten des zweiten Kapitels treten folgende hinzu: Von den Kämpfen des Jahres 496 heisst es bei Gregor bellum contra Alamannos: Alamanni terga verteiltes: in der vita Vedasti (7. Jahrhundert) Alamannus, gentem ferocem; cum Alamanni ad caedem inhiarent: Alamannis cum rege u. s. w., von den Kriegern des Jahres um 501—50 7 bei Cassiodor Alamannicos populos, Alamannum acerri- mnni, -bei Ennodins Alamanniae generalitas. Cassiodor lässt 537 Sueven über den Brenner nach Italien einbrechen und be- zeichnet sie später als Alamannen. Incursio Suavorum; Ala- mannorum nuper fugata subreptio, XII, 7 und 28.

Alamannien schloss noch immer die östlichen Gaue (der Sueven) in sich, grenzte an den Lech und an die Noriker oder Bojoaren z. B. im 8. Jahrhundert: Rex Carlus venit in fines Alamannorum et Beiweriorum ad flunien, quod appelatur Lech (Mon. Germ. SS. I, 33, 34, vergl. 64). Im 9. Jahrhundert schied der Lech Bajoarios ab Alamannia, (SS. II, 449), im 13. Jahrhundert die Noriker von den Alamannen. In confinio -N'oricorum et Alamannorum, quae Lycus fluvius determiuat (Vita Gregor. VII). Die Stadt Augsburg lag im 10. Jahrhundert nach der Vita Udalrici in proviucia Alamannorum, in der auch die Iller floss.

Daneben war der Suevenname im 3. und 4. Jahrhundert an Stammland auf den mittleren und oberen Nekar und auf die schwäbische Alb beschränkt (S. 27) und dehnte während der zweiten und dritten Ansiedlungsperiode sein Namensgebiet auf das Land südlich der Donau, auf „Oberschwaben“, tota regio

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Suevorum (Mon. Germ. SS. IV, :i 8 7 , 399, 400) aus. Das Bis- thuni Augsburg hatte zwischen der Iller und dem Lech die Provinz Suevia. So reichte das Suevenland vom mittleren Neckar bis zum Lech und hier ist es und nirgendwo anders, wo die Sueven sich heute mit Stolz Schwaben nennen.

Sueven und Alamannen.

Mit der grossen Umwälzung der Geschicke des Stammes verdunkelte sich aber diese ursprüngliche Bedeutung der Namen. Der Sprachgebrauch schmälerte den Namen Alamannen, so dass dem Stamm in zweiter Form nun zwei Bestandtheile gegeben wurden: Sueven und Alamannen. Sie wurden von einander unterschieden, wohnten neben einander, waren verbündet oder überhaupt vermischt. Procop sagt: -z ö*4p xat

"A/.apawoi, iT/'jpz sbvr,. Jordanes sagt von dem Kampf der Ost- gothen unter Theodemir: Suavis tune juncti aderant etiam Ala- manni; (Theodemir) tarn Suavorum gentem, quam etiam Ala- mannorum, utrasque ad invicem foederatas, devicit. Cp. 55. Nach Jordanes wohnten, wie oben dargelegt, die Sueven nördlich, die Alamannen südlich von der Donau bis an den Lech. In der Gesta regum Francorum c. 11 heisst es: Bellum contra Ala- mannos Suevosque. Der Fortsetzer Fredegers, schreibt im 8. Jahrhundert: Carlus Martell Rhenum fluvium transiit, Ala- mannosque et Suavos lustrat, usque Danubium perarcessit, illique transmeato flnes Bavarienses oeenpavit (Bouquet II, 454): Wala- fried Strabo im 9. Jahrhundert: Mixti Alamannis Suavi (das Weitere unten. Mon. Germ. SS. II, 2 3) und der Romane Hugo von Flavigny im 11. Jahrhundert: Snavia et Alamannia, Waitz, V, 165, Anm. 3.

Sueven oder Alamannen.

Daneben bildete sich ein dritter Sprachgebrauch, welcher dem Namen Sueven einen erweiterten Sinn beilegte. Man nannte den Stamm Sueven oder Alamannen, das Ganze mit dem einen oder anderen Namen bezeichnend, und dieser Sprach- gebrauch wurde der herrschende. Schon im Jahr 400 ge- brauchen die Notitia dignitatum und der Dichter Claudianus die Worte abwechselnd und in gleichem Sinn, Letzterer in Cons. Stilichonis. Im 6. Jahrhundert sagt Gregor von den

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Sueven in Gallaecien: Snebi id est Alamanni, I, 2; im 7. der Ravennat: Patria Snevornm, quae et Alamannorum patria.

IV, 26, im 8. Paulus Diaconus: Suavia hoc est Alamannorum patria undSuavorum boc est Alamannorum patria: über dasselbe Ereigniss vom Jahr 709 erzählen die Ann. 8. Amandi: Pippinus pervexit in Suavis contra Vilario, die Ann. breves S. Galli: Pippinus Alamanniam ingreditur, und die Ann. 8. Col. Sen.: Pippinus pervexit in Alamanniam contra Witbarinm ducem. (Mon. Germ. SS. I, 6, 8, 11, 22, 23, 64, 102). Endlich der Fortsetzer des Fredegar: Suavia, quae nunc Alamannia dicitur (Bouquet II, 458).

Im 9. Jahrhundert war die Kaiserin Hildegard nach Ein- hart de gente Suavorum, nach Thegan nobilissiini generis Suavorum puella, nomine Hildegarda, quae erat de cognatione Gotefreiii, ducis Alamannorum. (Mon. Germ. SS. 453, 590) : Ludwig der Deutsche gab nach der Cont, prima Adonis seinem Sohn Carl III. Alamanniam et Curwalam. der gleich darauf rex Suavorum ge- nannt wird. Im 10. Jahrhundert nennt Hartniann in der vita Wiboradae die Alamannen zugleich Suaven, Alamanni, qui et Suevi (M. G. SS. IV, 452), und nach Balther brachte der heilige Fridolin die Reliquen des Hilarius nach Säckingen in Alamannien und in Alamanniae quandam insnlam (im Rhein) ibique Suevorum fidei se commendans (Mon., Badische Quellen I, 5, 11).

Dieses Material, das sich bei Baumann „Schwaben und Alamannen“, aber ohne Unterscheidung der verschiedenen sprachgebräuchlichen Bedeutungen der Worte befindet, könnte nach ihm noch bis ins 11. und 13. Jahrhundert fortgesetzt werden. Es -seien daraus weiter Zeugnisse dafür erbracht, dass auch im amtlichen Leben Alamannisch und Suevisch ein und dasselbe bedeutete. Im 11. Jahrhundert hiess der Gegenkönig Rudolfs bei Ekkehard von Würzburg indigena Suaviae und dux Alamannorum, bei Lambert von Hersfeld dux Suevorum (M. G. SS. VI, 202, 203; IX, 199, 226). Vom 1 1. Jahrhundert an wurden die alamannnisclien Herzöge vorwiegend duces Suevorum oder Sueviae genannt. Die lex Alamannorum vom 8. Jahrhundert wurde auch als lex Suevorum bezeichnet; Güter wurden 1003, 1077, 1083, 1094 secundum legem (leges) Alamannicorum oder Alamannicam (Wirt I, 238, Neug. II, 825,

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Zeitschrift des Oberrheins IX, 215), 1080, 1 142, 1228 secundmn legem, jus Suevorum (M. G. SS. XX, 65Ö, Wirt, II, 18, Mon. Boica VI, 519, X, 22) behandelt. 1144 wurde ein Grenzstreit zwischen dem Kloster Einsiedeln und den Leuten von Schwyz entschieden : Alamannorum, quibus ejusdem terrae jurisdictio pertinet, judicio und Suevorum, qui et Alamanni dicuntur, lege ac judicio (Herr- gott Gen. Austr. II, 196, Nro. 246). Im 13. und 14. Jahr- hundert war aus der lex Alamannorum Swäbe e, Swäbe reht, schwäbisches Landrecht geworden; das Weisthum der Stadt Winterthur von 1297 berief sich auf Swabenreht, 1311 wurde es in Schwyz und Einsiedelu, 1357 im Breisgau angewendet (Waitz V, 150 151; Bluntschli, Rechtsgeschichte von Zürich I, 233, Schröder in Haupts Zeitschrift XIII, 167, 168). Auch das schwäbische Recht des Vorstreits war nach Lambert ein peculiare Suevorum privilegium, nach Bernold durch eine lex Alamannorum gegeben. (M. G. SS. V, 226, 278).

Schon im 9. Jahrhundert gab Walafried Strabo eine Er- klärung für den Doppelnamen des Stammes. Er nahm eine Mischung von Alamannen und Sueven, deren Namen uralt seien, zu Einem Stamm an, und führte von beiden Nameu den der Alamannen auf den Gebrauch der römisch redenden, den der Sueven auf die Gewöhnung der germanisch redenden Nachbarn zurück. Terra, quam nos Alamanni vel Suevi incolimus. . . . Quia mixti Alamannis Suevi partem Germaniae ultra Danubium, partem Raetiae inter Alpes et Histrum, partemque Galliae circa Ararim obsederunt, antiquorum vocabulorum veritate servata, ab incolis nomen patriae derivemus et Alamanniam vel Sueviam nominemus. Nam eorum sint duo vocabula, unarn gentem signi- ficantia; priori nomine nos appellant circumpositae gentes, quae latinuin habent sermonem, sequenti usus nos nuncupat barba- rorum (Prolog zur vita S. Galli, M. G. SS. II, 2—3).

Der Rückgang der Namensgebiete.

Seit der Steigerung des suevischen oder schwäbischen Namens in der eben gezeichneten zweiten und dritten Periode kehrte derselbe allmälig zu seiner ursprünglichen Bedeutung zurück und auch für den alamannischen Namen trat der Niedergang ein.

Von dem Herzogthum Alamannien oder Suevien wurde schon im 7. Jahrhundert das Herzogthum im Eisass abgezweigt,

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und jedenfalls seitdem verschwanden hier beide Namen. Vom 12. Jahrhundert ist urkundlich nachgewiesen, dass der Sueven- name nur im Osten des Schwarzwaldes verbreitet war (S. 31). Im Jahr 1488 schlossen Fürsten, Ritter und Städte Südwest- deutschlands unter kaiserlichem Schutz zu Esslingen den „schwä- bischen Buud“ zur Aufrechterhaltung des Landfriedens. Die Schweizer verweigerten den Beitritt, und es ging aus den Streitig- keiten beider Theile der „Schwabenkrieg“ hervor, dessen für die Schweizer günstiger Ausgang in dem Frieden zu Basel 1499 thatsächlich die Unabhängigkeit der Schweiz vom Reich herbei- führte. Damit schied aus ihr auch der Name Schwaben.

Um dieselbe Zeit, 1495 und 1512 erfolgte zur Aufrecht- erhaltung der Rechtsordnung die Einteilung des Reiches in 4, dann in 10 Kreise. Unter ihnen war der „schwäbische Kreis“, der abgesehen von Enclavtn Alamannien bis an den rechten Rhein umfasste, dann bis zu seiner Auflösung (1802 bis 1806) den Namen Schwaben an ihn knüpfte und ihn somit auch staats- rechtlich und dauernd der Schweiz entzog. Im Verlauf dieser Zeit war auch der Name der Alamannen im Volksbewusstsein, wie Baumann sagt, „im Grossen und Ganzen verschollen“.

Wie dann im 13. 15. Jahrhundert die Entwicklung der Sprache zur „schwäbischen“ Mundart wiederum das Gebiet des alten Sueviens zu Tage treten Hess, wie sich der Ausdruck Schwaben auf dasselbe zurückzog. und wie im Anfang unseres Jahrhunderts der fast verklungene Name der Alamannen neben dem der Schwaben wieder zum Leben gerufen wurde, soll im Abschnitt 11 dargestellt werden.

10. Die alainatniisehen Orte auf Ingen und fränkischen

auf heim.

Ortsnamenendungen.

Auf die Wanderungen und Ausiedlungen der Alamannen und Franken werfen die Ortsnamenendungen bemerkenswertke Schlaglichter.

Arnold erklärt für alamannisch die Endungen ingen, weiler, hofen, ach, brunn, beuren, Stätten, wang, für fränkisch heim, bacli,

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dorf, hausen, scheid, von denen als alamannische ingen und als fränkische heim bis auf Schiber und Witte allgemeine Anerkennung gefunden haben. Sie finden sich in Massen an beiden Seiten des Rheins, ingen auch insbesondere in der deutschen Schweiz, während heim hier nur ganz vereinzelt vorkommt, wohl ein Beweis, dass die Franken nicht in die letztere vorgedrungen sind. Die hier ver- breiteten anderen Endungen dürften daher auch alamannische sein, eine Feststellung, die auch für die gleichen Endungen in Deutsch- land von Erheblichkeit sein würde. Eine bezügliche Unter- suchung steht aber noch aus.

Die Endungen ingen und heim sind, abgesehen von Arnold, von Lamprecht für die Moselgegenden, von Bohnenberger für das schwäbische Albgebiet, und von Riese für ihre gesanunte Ausdehnung (von der Schweiz jedoch nur für die Umgebung des Rheins und des Bodensees) untersucht. Letzterer stellt darüber eine Karte her, die einzusehen mir vergönnt war und welche in verkleinertem Massstab, aber noch nicht abgeschlossenem Zustand sich in den nassauischen Annalen Bd. 29 für 1897, S. 48 befindet. An sie knüpft das Weitere an.

Die alamannischen Orte auf ingen.

Patronymisclien Ursprungs erscheinen die Ortsnamen auf ingen in grossen compakten Massen im Stammland und bei den über die bisherigen Grenzen sich ausdehnenden Alamannen ver- breitet.

Im Stammland zeigt sich zunächst, dass abgesehen vom Breisgau, (mit ganz geringer Ausnahme) die Rheinebene, der Schwarzwald und der Odenwald von Namen auf ingen frei sind. Aber Eine dichte Masse füllt das Gebiet der Lenzer und Sueven aus, den Rhein vom Ausfluss aus dem Bodensee bis zum Alb- bach im Süden, den östlichen Fuss des Schwarzwalds im Westen, die Donau im Südosten, die Alb und den obergermanischen Limes im Osten als Grenze, während sie im Norden mit der alamannisch-fränkischen Grenze von 490 abschneidet. Es sind an 400 Namen, im Allgemeinen gleichmässig vertheilt und nur auf der Höhe der Alb gehäufter (die Zahlen sind überall Minimalziffern).

Von den Grenzen ist die des Schwarzwaldes näher ins Auge zu fassen. Die Natur machte ihn zur Grenze von Suevien,

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als dessen äusserste Orte nach S. 31 Villingen, Niedereschach, Stetteu, Rünilinsdorf ermittelt sind, und ebenso zur Grenze des Ansiedlungsgebiets der Orte auf ingen. Im Süden dringt am meisten Löffingen. Bräunlingen, Wolterdingen in den Wald vor. Im Uebrigen wird die Brigach und Esclmch, der Heimbach, die Steinach und der Glattbach nicht überschritten. Die äussersten Ort« sind, mit den Suevenorten sich deckend, Villingen, Flötz- lingen, Dunningen, Waldmössingeu und dann weiter Ober-, Vnter-Ifflingen, Böffingen, Dettlingen, Schietingen, Gundringen, Effringen (nur Göttelfingen weiter westlich). Auch sie wird man als suevische Grenzorte ansprechen dürfen.

Dem Massencharakter gegenüber tragen die Namen der Rheinebene im Breisgau den des Landstrichs oder der Gruppe. Zusammenhängend mit der grossen Masse zieht sich am Rhein vom Albbach ab bis zur untern rechten Wiese ein Strich von 11 Namen und es folgen dann, mehr oder weniger zusammen- gedrängt, Gruppen von 18 Namen in der Beuge des Rheins, Hasel gegenüber, von 5 Orten um Müllheim und von 24 Orten, wo die Rheinebene sich bei Freiburg verbreitert. Und damit ist das nördliche Ende des Breisgaus erreicht. Alles wohl ein Beweis, dass die Ebene des Breisgau von den Gauen der Lenzer aus in verschiedenen Zeitfolgen besiedelt worden.

Im Norden, wo die suevischen Sitze an die Grenze Ton 496 stossen, schliesst sich, nur durch eine schmale Zunge ver- bunden, auf fränkischer Seite links vom Neckar, den Stromberg und Heuchelberg im Süden, Westen und Norden umkreisend, eine Gruppe von 42 Orten an.

Dann aber tritt eine grosse Lücke ein, die abgesehn von durchaus vereinzelten Beispielen in dem gesammten Main-, Eulda- und Werragebiet, einem zahlreichen Vorkommen der Eudung ingen erst wieder an der Lahn Platz macht.

Im Lahnthal bis Wetzlar aufwärts und an der Dill befinden sich 12 Orte, dichter gedrängt an der mittleren Stufe des 'Vesterwaldes 25, und schon über alamannisches Herrschafts- gebiet hinaus an der unteren Nister und Sieg 17 Orte.

Die Orte auf ingen in A ’eualamannien deuten auf ala- tnannische Wanderungen und Siedlungen des 5. und 6. Jahr- hunderts, sowie auf Namensfortpflanzuugen in späterer Zeit.

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Die Lenzer, die schon die Rheinebene des Breisgau occupirt hatten, wandelten sammt anderen Alamannen gen Süden in die Schweiz, wo zahlreiche Orte auf ingen, igen, ikon, iken von ihnen Zeugniss ablegen. Lenzer waren es vor Allen, welche, den Hegau im Osten überschreitend, die Gelände des Zeller-, Ueberlinger- und Obersees bis zum Schüssen mit 40 Orten auf ingen übersäeten, in der Schweiz wie hier am Bodensee in neuen Huntaren oder vielfachen Orten zugleich ihre Lenzer- namen der Nachwelt übermachend. Dieses Volk, von dem die Geschichtsschreibung nur einige Raubzüge und Kämpfe gegen die Kaiser Constantius und Gratian, unter denen allerdings die Führung eines grossen alamannischen Krieges, aufbewahrt hat (S. 92—95, 170 173), trug sich selbst in die Bücher der Siedlungsgeschichte ein, und Lenzer vor Allen waren die Coloni- satoren der deutschen Schweiz und der südlichen Hälfte von Baden.

Ein weiteres Gebiet der Besiedlung ist ein Strich von etwa 10 Kilometer Breite der sich südlich der Donau von der Grenze der lenzer Gaue etwa bei Leibertingen bis Donauwörth hinzieht, und sich Iller- und Lech- aufwärts bis Memmingen und Sehwabmünchen fortsetzt, 74 Namen, ein Gebiet, das vor- wiegend auf die über die Donau kommenden Sueven zurück- zuführen sein wird. Während der Suevennamc sich noch weiter östlich findet (S. 242, 243), scheint hier die Endung ingen unter der herrschenden bairischen Endung ing sich verloren zu haben.

Im Osten finden sich, voraussichtlich vorwiegend suevischer Einwanderung, der Riesgau mit 80, und die Mittelläufe des Kocher und der Jagst mit 20 Namen.

Grösser als das neualamannisclie Namensgebiet in Deutsch- land rechts des Rheins ist das überrheinische. Hier zieht sich ein grosser und dichter Namenseomplex an beiden Seiten der Mosel von Metz bis Trier hin, der im Norden das Sauerthal, im Süden das ganze Saarthal umfasst, und an der sich im Westen zahlreiche vereinzelte Namen schliessen. Frei von ingen sind dagegen die Rheinlande im Osten des Complexes, Rhein- hessen, die bairische Pfalz und das Eisass.

Die fränkischen Orte auf heim.

Die Orte auf heim an beiden Seiten des Rheins kommen nicht in so grossen zusammenhängenden Massen vor, wie die

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auf ingen, sondern gehn in grösseren oder kleineren Gruppen von der unteren Maas und dem unteren linken Rhein aus, dringen bis an die Mosel heran und schliesscn sich an der oberen Saar in zwei kleineren Haufen der grossen Masse von ingen an. Daun folgt eine grosse Gruppe, die sich von Bingen aus die untere Nahe aufwärts zieht, Rheinhessen erfüllt, sich in kleinere Gnippen durch die Pfalz nach dem Eisass hinzieht, und hier in schmäleren und breiteren zusammenhängenden Strichen im Wesentlichen die Rheinebene einnimmt.

An der rechten Rheinseite sind es grössere oder kleinere Gruppen oder Striche, welche sich, ohne irgendwo zu einem umfangreicheren Complex zusammenzutreteu, über ganz Ala- mannien ohne die Schweiz ausdehnen. Insbesondere finden sich im Anschluss an den rheinhessischen Complex oder in zu- satnmenhaugslosen Gruppen Orte auf heim in der ganzen Aus- dehnung der Rheinebene.

Ergehn isse.

Wie sind nun einerseits die alemannischen massenhaften Orte auf ingen und die Lücken, die sich in den beiderseitigen Rheinebenen und im Maingebiet u. s. w. befinden, zu erklären, andererseits das mehr gruppenartige Vorkommen der fränkischen Orte auf heim und welche Folgerungen sind für die Siedlungen daraus zu ziehn?

Die Massen der ingen im Stammland um Donau und Neckar und um den Westerwald lassen die Endung als die eigenthiim- liehe der Alamannen erkennen und sie auf die Zeit der ersten Ansiedlungsperiode zurückführen. Die zweite und dritte Periode führten die Namensendung im Westen, Süden und Osten weit über die alten Grenzen hinaus. Selbstverständlich pflanzten sich von den ursprünglichen Ansiedlungscentren aus die Namen auch noch in späterer Zeit fort. Wenn auch die Hauptmasse auf die Gebiete der Lenzer und Sueven fällt, so zeigt doch der Westerwald und in der zweiten Periode die Moselgegend, dass es die volkstümliche Ortsendung nicht dieser Volkstheile, sondern der Alamannen überhaupt war. Es muss durch gemeinsames Geschick auf der Wanderung schon eine Annäherung oder gar ein Zusammenschluss der verschiedenen Volkstheile zu „Ala-

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mannen“ stattgefunden haben, als mit der ersten Ansiedlung den Orten das Gepräge der gemeinsamen Nameusendung aul- gedrückt wurde.

Bemerkenswerth ist zunächst, dass im Stammland der ge- sammten rechten Rheiuebene mit Ausnahme des Breisgau die Endung ingen fehlt, und man könnte dies im Gegensatz zu dem gleichfalls ingen-freien Maingebiet auf die Annahme zurückführeu, dass dort die schon in römischer Zeit angesiedelten Völker- schaften geblieben seien, und dass eine Aneignung der ala- maunischen Endung nicht erfolgt wäre. Zu den S. 5 und 32 genannten könnten hier noch die Neckarsueven gezählt werden. Nach den Worten einer Inschrift „Sueba Nicreti“ hat Zange- meister die Namen der „civitas Ulpia S. N.“ zur civitas Ulpia Sueborum Nicretum ergänzt, der von Trajan geschaffenen civitas um Lopodunum, dem späteren Loblengau (S. 72. 127, 151). Wahrscheinlich sind diese Sueven Ueberbleibscl der Sueven vom Heer des Ariovist oder des Nachschubs der hundert Suevengaue vom Jahr 58 v. Chr. Caesar Gail. I, 37 und 51. Haben sie sich, wie anzunehmen, bis zur Alamauuenzeit er- halten, so werden sie sich am Neckar mit den Sueven des 3. Jahrhunderts nachbarlich berührt haben, und wie das badische Oberland vorwiegend den Lenzem, so wäre die Neckarumgebung des badischen Unterlandes zumal den Sueven zuznschreiben.

Wie dem auch sei, so wrerden die Orte auf ingen in der rechten Rheinebene, wenn sie hier überhaupt verbreitet waren, und in dem Main-, Fulda- und Werragebiet mit dem Eindringen der Franken verschwunden sein.

Es ist schon hervorgehoben, dass die grosse Masse aut ingen um die Donau und den Neckar im Norden (abgeselm von der grossen Gruppe um den Heuchel- und Stromberg) mit der Grenze von 49ti abschneidet. In die nördliche Hälfte des Alamannenlandes drangen die Franken, sowfeit es nicht schon geschehen war, ein und vor ihnen verschwanden die ala- mannischen Ansiedlungen oder doch ihre Namen, w'elche fränkischen Platz machten. Aber die Franken verschmähten den weniger ergiebigen Boden und nahmen für sich das Beste. So sind die gebliebenen Alamanuennamen am Westerwald, so die verschwundenen am Rhein und Main und weiter zu erklären.

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Am Huken Rhein blieben die alamannischen Ansiedlungen und Ortsnamen um die Mosel bestehen; vielleicht, weil hier bereits vor 496 eine Mischung mit Franken stattgefunden hatte, und die Ansiedlungen und deren geläufige Namen durch die nunmehr herrschenden Franken und deren neue Genossen aufrecht erhalten wurden. Ob neben ihren Dörfern und Namen auch die Alamannen selbst geblieben sind, muss dahingestellt werden. Dagegen drang das fränkische heim bis an die Grenze von 496 vor und nahm weiter im alamannischen Süden das Eisass eiu, während die alamannischc Sprache sich erhielt, so dass also auch die Alamannen selbst geblieben sind; eine Erscheinung, die nach meinem Dafürhalten noch der ge- nügenden Erklärung harrt. (Siehe über die neuere Theorie, nach der die Endungen iugen und heim nicht den Stämmen der Alamannen und Franken, sondern den verschiedenen Zeiten der Ortsgründungen angehören; Schiber, Die fränkischen und ala- maunischen Siedlungen in Gallien, insbesondere in Eisass und Lothringen, 1894, und Witte, Ueber das deutsche Sprachgebiet in Lothringen, in Kirchhoffs Forschungen zur deutschen Landes- und Völkerkunde, Band X, Heft 4, 1894).

11. Die alamannischc und schwäbische Mundart.

Ueber die Entwicklung der Sprache der zur Alamannida vereinigten Völkerbestandtheile können nur Vermuthungen aus- gesprochen werden. Mit der Bildung des Stammes wird sich ans den Sprachen der einzelnen Theile eine gemeinsame, die alamannische Sprache gebildet haben, uicht ohne provinzielle Eigenarten, die sich bei der Ansiedlung nach Gauen Vorbehalten oder gebildet haben werden. Insbesondere werden auch Sueven und Lenzer, deren geschichtliche Individualität so vielfach in den Vordergrund der alamannischen Geschichte tritt, und die auch seit den Ereignissen von 496, jedes Volk für sich, der feste Kern blieben, an den sich die Flüchtlinge des Nordens anschlossen und mit denen sie weiter wunderten, innerhalb des grossen alamannischen Sprachgebiets sprachlich gegliedert geblieben sein. Und ebenso die an beiden Seiten des Rheins gelegenen

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Gaue, die schon durch die Gebirge des rechten Ufers, den Schwarzwald u. s. w. von den übrigen isolirt waren.

Unterrichtet sind wir aber über eine sprachliche Beweguug des 13. 15. Jahrhunderts, welche Baiern, Franken und Thüringer ergriff und sich auf einen Theil von Alamaunien übertrug. Das Charakteristische dieser Bewegung, soweit sie hier interessirt, besteht darin, dass sie die Laute i, u, iu zu ei und ou entwickelte. Es entstand neben der alten Mundart eine neue und man nannte die neue die suevische oder schwäbische, die alte seit 1803 die alauiannische Mundart, nachdem damals Hebel seine „alamannischen Gedichte“ in letzterer geschrieben hatte. Die Ausdrucksweise erinnert an die ältere Namensform, welche Alamannen und Sueven in Gegensatz brachte (S. 246).

Man suchte nun zunächst die geographische Grenze der neuen Mundart festzustellen, und sie wurde von Birlinger, dann von Baumann, Bremer und Piper umschrieben. Alle stimmten hinsichtlich des Nordostens wesentlich überein, während im Südwesten Birlinger ein engeres Gebiet und jeder der drei andern ein weiteres, aber von den übrigen abweichendes Ge- biet fand.

Fischer wies dann 1895 nach, dass beide Mundarten durch eine ganze Reihe von sprachlichen Merkmalen unterschieden seien und dass jedes sein besonderes Verbreitungsgebiet habe. Er bezeichnete die Baumaunsche Grenze als „nur eine von mehreren mögliche,“ kam zu dem Schluss, „dass von einer Ein- heit des schwäbischen Sprachgebiets nimmermehr die Rede sein könne“ und sprach generell aus, „dass ein Causalzusammeuhang zwischen Abstammung und Sprache aus der Betrachtung der Sprachgeschichte und Sprachgeographie nicht nachzuweisen sei.“

Bohnenberger nahm die Untersuchung 1897 wieder auf, indem er das sporadische Vorkommen derselben Sprach- erscheinung ausschloss, den „geschlossenen Lautbestand“ zu Grunde legte und die Grenze, von ei und ou gegen i und u nachwies, „die schon deshalb besonderes Interesse beanspruchen dürfe, weil sie die beiden Haupttheile der (schwäbisch-ala- mannischen) Gesammtmundart von einander trenne.“ Er fand zwei Grenzlinien, eine nordöstliche von i, u gegen ei, ou vor h, r und eine südwestliche i, u vor folgenden Consonanten, die

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nicht h, r, t oder Nasal sind, Grenzlinien, die weiter im Süden der Donau Zusammentreffen. Beide sind in die Karte einge- tragen. (Siehe die genaueren Linien in der zweiten Anlage am Schluss des Kapitels). Die erstere trifft im Wesentlichen mit der Baumannschen Linie überein.

Es möge einem Laien gestattet sein, neben diese sprach- wissenschaftlichen Ergebnisse einige geographische und geschicht- liche Thatsachen zu stellen, welche im Lauf dieser Unter- suchungen zu Tage getreten sind.

Abgesehen von Baumann, welcher Schwaben und Ala- mannen für ein und dasselbe erklärt, geht keiner der genannten Forscher von einem geschichtlichen, geographischen Begriff Sueven oder Schwaben aus. Bilden aber, wie ich nachzuweisen gesucht habe, die Schwaben nur einen Theil der Alamannen, so entsteht sofort die Frage, wie verhält sich die sprachliche Neuerung, welche sich an den Namen der Schwaben knüpft, nach Gebiet und Trägern zu den Sueven der alten Zeit?

Im Anschluss an die sprachliche Bewegung der Nachbar- slämme, hat sie zunächst neualamannisches Gebiet im Osten (Augsburg), und dann die suevischen Gaue des Stammlandes ergriffen, im Norden der Donau die Alb mit dem Alb- und AVestergau und die Neckarebene weiter mit dem Nagold- und obern Neckargau bis an die Stammesgrenze von 496 und noch darüber hinaus.

Was insbesondere den AVestergau betrifft, so fand auf der Höhe der westlichen Alb, wo sie sich zum oberen Neckarthal hinabsenkt, der Lautwandel ei, ou vor h, r sein Ende, während der vor den übrigen Cousonanten bis zur alten Suevengreuze, dem östlichen Fuss des Schwarzwaldes (S. 31 und 251) vor- drang.

Weiter umfasste die Bewegung alle die Gebiete, die in Neualamannien als suevisch zu betrachten sind, an der linken Donau den Riesgau, an der rechten von Tuttlingen oder Frie- dingen ab nicht nur den Strich der Orte auf ingen von 10 Kilo- meter Breite, sondern darüber hinaus in dem Flachland das Gelände (das allerdings nicht als suevisch nachzuweisen) bis an den südlichen Alpgau, also etwa den Donau-, Iller- und Augstgau. Die Grenze bildet das zum Bodeusee herabsinkende Terrain: der Altdorfer AVald, das Gebiet des Schüssen von der AVolfegger

Gramer, Oeecbicht« der Alamannen. 1

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Ach ab, und die Wasserscheide zwischen der Aitrach und der unteren Argen, so wie weiter das Gebiet der Allgäuer Alpen.

Sucht man im Sinn von Fischer und Bohnenberger nach „Hindernissen des Sprachverkehrs“, welche den Fortgang der sprachlichen Bewegung hemmten, so waren es dort das obere Neckarthal, hier die Umgebung des Bodensees, welche eine selbstständige Cultur- und Interessensphäre darstellten, an deren Grenzen wie weiter an dem Schwarzwald und den Allgäuer Alpen benachbarte sprachliche Einflüsse ein natürliches Ende fanden. Damit sind wir an den Grenzen des Sueventhums angekommen.

Denn alle Gebiete, welche in Alamannien früher nicht suevisch waren, machten die Bewegung nicht mit, sondern be- hielten die alten Mundart bei, das Eisass, die Rheinebene, die Schweiz und die unmittelbar an die Sueven stossenden Lenzer. Die Lenzer insbesondere blieben ihr treu in der Heimath, dem Klettgau und Hegau, und in ihren jüngeren Ansiedlungen am nördlichen Bodensee, dem Gebiet der früheren Huntaren Unter- seegau und Linzgau, und das gesammte weiter zum Bodensee gravitirende oder in den Allgäuer Alpen isolirte Gebiet des Alp- gau, für den man daher gleichfalls westliche Einwanderung in Anspruch nehmen mag, gesellte sich zu ihnen im Haften an dem Alten.

Wenn hiernach das Gebiet der Spraehneuerung thatsächlich mit dem der Sueven zusammenfftllt, so kann dies doch nach tausend Jahren nicht ein Spiel des Zufalls sein. Nein, denn in demselben Bereich haben auch die Sueven sich tausend Jahre und länger in den Schwaben erhalten; der Begriff des Sueventhums ist bei den Schwaben lebendig geblieben, wie der des alten Baiern- und Frankenthums bei den heutigen Baiern und Franken. Das geschichtliche Bewusstsein des Schwaben- thums hat sich stark, innig und spröde erhalten, während das des Lenzerthums verschwunden ist; lebhafter und stolzer er- halten, als bei den Baiern und Franken. Das schwäbische Stammesbewusstsein hat sich nicht nur im Gegensatz zu diesen, sondern auch zu der alamannischen Nachbarbevölkerung der Lenzer und Anderer unterscheidend geltend gemacht und hier den alten Gegensatz, wie zwischen Sueven und Nichtsueven, so

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zwischen Schwaben und Nichtschwaben aufrecht erhalten, wie dies vielfach noch zu erkennen ist.

Wir kennen das Gebiet des alten Sueviens und die Gebiete der die beiden Mundarten trennenden Sprachmerkmale. Fällt mit dem suevisch- schwäbischen in der That der Bereich des herrschenden schwäbischen Stammesbewusstseins zusammen? Am mittleren Neckar, auf der Alb, im nördlichen Oberschwaben nennt sich Jeder mit Stolz einen Schwaben, und noch wäre es Zeit, die genaueren Grenzen, bis an welche schwäbisches Be- wusstsein reicht, festznstellen, ehe in dem steigenden Völker- verkehr das Erbe der Vorfahren verschwindet. Gehört doch das Gebiet des Stammesbewusstseins zur Geschichte von Schwaben.

Aber schon heute, so will mich bedunken, darf man sagen, dass neben Baiern und Franken die Suevo- Schwaben die Träger der Sprachneuerung im suevisch-schwäbischen Gebiet geworden sind, und dass die Bewegung speciell am Schwarzwald, in der Bodenseenähe und an den Allgäuer Alpen in Wahrheit ein Ende desshalb gefunden, weil hier das Schwabenthum aufhörte, und ihm nichtschwäbische Stammtheile sich entgegenstellten. Hic Suebiae finis.

12. Bas Gesa m int volk der Sueven und ihre Einzelstimme.

Nachdem die Geschichte der alamanniseken Sueven dar- gestellt, sei auch der verwandten Stämme gedacht, welche den Suevennamen auf ihren Wanderungen bewahrt haben.

Die Sueben, später Sueven, auch Suaven sind die Völker der schweifenden Lebensart (swiban - schweifen); althochdeutsch heissen sie Suapa, mittelhochdeutsch Swabe, nach der Wesso- brunner Handschrift auch Ziuuari (Ziuvari), die Verehrer des Ziu, des Gottes des Kriegs.

Tacitus sagt am Schluss des 1. Jahrhunderts nach Chr.: Die Sueben sind nicht Ein Stamm wie die Chatten oder Tenkterer. Sie haben den grössten Theil von Germanien inne, zerfallen in besondere Stämme mit eignen Namen, obgleich sie insgesammt Sueben genannt werden. (Sueborum) non una ut Chattoruin

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Tenctorumve geus; majorem cuim Germaniae partem obtinent, propriis adliuc nationibus nominibnsque discreti, quamquam in commune Suebi vocentur. Germ. 38. Cäsar (im 1. Jahrhundert vor Chr.) kannte die Sueben, die westlich der Elbe bis au den Wald Bacenis (den Harz) wohnten (später Chatten und Hermun- duren), das Volk der „hundert Gaue“ (S. 60); hier waren die Sitze der Sueben des Ariovist, von denen die Suebi Nicretes wahrscheinlich abgezweigt sind (S. 254). Ptolemäus (im 2. Jahr- hundert nach Chr.) unterschied i’ouijjtot Aa^Jkpoot, !oof,ßoi WftsiXoi und -wr'ju l’siivovej, von denen nach seiner Völker- stellung die ersten zwischen Rhein und Elbe, die zweiten am Mittellauf der Elbe, die letzten von der Elbe bis an den Sueben- fluss, die Oder, pi/pi t«jü Äuijßoo wohnten.

Nach Tacitus hatten die Sueben Skandinavien und den ganzen Osten von Deutschland inne. Im Westen ihres Gebiets nennt er die bekannteren Stämme, an der linken Elbe die Lango- barden, Hermunduren, Markomannen, zwischen der Elbe und Oder in der Havelgegend das grosse Volk der Senmonen, das jis^a süv<>; des Strabo, das Land der „hundert Gaue“ des Tacitus (S. 61). Sie waren der Mittelpunkt der Sueben (S. 9) und in „ihrem heiligen Hain, sagt Zeuss erneuerten die Suebenstämme zu bestimmten Zeiten in grauser Feier ihre Verbindung“.

Die Markomannen zogen im Jahr 9 vor Chr. vom Main nach Böhmen, von wo aus ihr König Marobod im Norden der Donau, um Elbe und Oder ein Suebenreich bildete, das unter Anderen Semnonen, Langobarden, Lugier umfasste. Im Jahr 17 nach Chr. von Armin geschlagen, zog er sich zu den Marko- mannen zurück, wurde hier von dem Gotonen Catualda vertrieben, und dann wurden die Gefolgleute Beider (barbari utrumque comitati; Suebi) im Jahr 21 von den Römern zwischen der March und Waag angesiedelt und unter die Herrschaft des Quaden Vannius als König gestellt, die sogenannten vanni- ani sehen Sueben. Zeus identifleirt sie mit den Quaden. Dies Suebenreich erhielt sich unter den Schwestersöhnen des Vannius, dem Vangio und Sido, als der Oheim nach dreissig Jahren ver- trieben und mit seinem Anhang, secuti elientes, in Pannonien angesiedelt wurde. Tac. Ann. II 45, 63; XII 29, 30.

Der Name der Semnonen, zur Zeit des Markomannenkrieges (166—180) zuletzt genannt, verschwindet seitdem aus der Ge-

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schichte nnd es liegt nahe, sie in den Sueven unbekannter Herkunft, welche später in grossen Massen auftraten, zu vermnthen.

Solche waren zunächst die Sueven, welche mit den Alamanntn 213 am Main erschienen. Unter ihnen ist auch im 3. Jahr- hundert der Semnonenname in dem König Semnon des Unter- lahngans erhalten, allerdings in dem nichtsuevischen Alamannen- gebiet (S. 18 und 7 4). Baumann hält sogar sämmtliche Alamannen für Sueven (Siehe Kapitel 8, Abschnitt 1).

Massenhafte Sueven, wie ihre Geschichte erweist, waren weiter die Sueven, welche 406 in Gemeinschaft mit den Alanen und Vandalen nach Gallien, von da 409 nach Hispanien zogen (S. 181), mit den Vandalen Galläcien einnahmen, und im Stamm- königthum nach deren nnd der Alanen Abzug unter erbitterten Kämpfen von wechselndem Erfolg mit den Eingesessenen und mit den AVestgothen einen grossen Theil von Hispanien eroberten, bis sie 585 von diesen unterworfen wurden. Gregor von Toure ist der einzige, der über ihre Herkunft redet; er hält sie für Alamannen: Vandalos secuti Suevi, id est Alaraanni, Galliciam adprehendunt, 2, 2, und bezeichnet sie auch in der weitern Erzählung als solche. Aber er ist hierin sehr wenig zuverlässig, denn es ist kaum glaubhaft, dass die Alamannen, die sich über Gallien und Rätien ausbreiteten, zu gleicher Zeit starke Heeres- körper nach Hispanien hätten entsenden können. Zeuss hebt auch hervor, dass die galläcischen Sueven niemals Jnthungen genannt würden, und dass die Endungen ihrer Königsnamen Rechila, Maidras, Audica bewiesen, dass das Volk nicht zum oberdeutschen Zweige der (alamannischen und vannianischen) Sueven gehöre. Er selbst hält sie für die Semnonen.

Es wird immerhin zweifelhaft bleiben, ob die alamannischen oder galläcischen Sueven auf die Semnonen zurückzuführen seien; können sie doch auch von noch andern Sueven Ostdeutschlands abstammen.

Ein weiteres suevisches Volk sind, seit Plinius bekannt, die Warnen (A'arini, Verini, AVarni, Aöapvoi, Guerni), die auch unter dem Namen Suari, Nordsuavi auftraten. Ursprünglich im Norden der Semnonen, woher wohl ihr Name Nordsuaven, an der rechten Elbe angesessen, wurden sie später an die linke verpflanzt. Ihre Geschicke sind die typischen der Zeit der A'ölkerwanderung. Zunächst treten ihre auswärtigen Beziehungen hervor. Der

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Westgothenkönig Theoderich II (453 466), der mit seinem Feldherrn, cliens, dem Warnen Aiulf oder Agrivulf in Hispanien einen Tlieil der galläcisclien Sueven unterworfen hatte, setzte diesen über sie. Aiulf als suevischer Warne ein Stamui- ver vandter verständigte sich mit ihnen, animnm ex Suevonim suasionibus commutans, und fiel von Theoderich ab. Die übrigen im änssersten Galläcien unabhängig gebliebenen Sueven hatten aber den Maidras zum König gewählt und Aiulf starb, ehe er zum Königthum gelangte, dum regnum Suevorum sperat. Jordanes c. 44; Hydatius 180, 187. Um die Wende des Jahrhunderts forderte der grosse Ostgothenkünig Theoderich neben den Königen der Heruler und Thüringer auch den der Warnen (rex Gnar- norum) zur Absendung einer gemeinschaftlichen Gesandtschaft an den kriegslustigen Frankenkönig Chlodwig auf. Cassiodor Variae 3, 3. Dann aber fielen die Warnen dessen austrasischen Nachfolgern anheim. Theodebert unterwarf sie, die „Nordsuaven“, Norsavorum (Norsuavorum, Nordsuavorum) gentis, nach den Thüringern 431, aber noch 453 kämpfte ein „Warne“ an der Spitze von warnischen Hülfstruppen unter Narses in Italien gegen das fränkisch-alamannische Heer(S. 232). Es war Yakkar, äusserst hervorragend und kriegsliebend, und nach seinem Tode sein Sohn Theodebald. Agathias I, 21.

Als später die Sachsen aufbrachen, um sich mit den Lango- barden unter Albuin in Italien 568 zu vereinigen, wies der Frankenkönig Sigibert (561 575; auch sein Vorgänger Chlotar wird genannt) den Warnen die Sitze der Sachsen an, Suavos et alias gentes in locis (Saxonum) posuerunt, sprach sie aber diesen wieder zu, als sie aus Italien zurückkehrten. Die Warnen wollten nur einen Theil herausgeben, und es entstanden nun erbitterte Kämpfe, die nach zwei mörderischen Schlachten den Ueberlebenden zur Genüge Raum zum friedlichen Zusammen- leben Hessen (um 575). Gregor 5, 15; Paul. Diacon 2, 6. Als die „Warnen“ 595 gegen den Frankenkünig Childebert rebellirten, schlug er sie der Art, dass nur wenige übrig blieben, ut parunt ex eis remausisset. Fredegar 15.

Die nachbarlichen Beziehungen zu den Sachsen zeigen sich in der Nachricht über einen Zug des Pippin von 748. Er führte sein Heer durch Thüringen nach Sachsen zu den Grenznachbarn, den Nordsueven, fines Saxonum, rpios Nordosquavos vocant.

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Anna], Mettens. Sie, die Suavi Transbadani (jenseits der Bode) hatten jedoch ein anderes Recht als die Sachsen. Wituk. 1,14. Andererseits gehen ihre Beziehnngen zu den Thüringern, deren nordöstliche Landestheile sie sammt den Angeln bewohnten, aus ihrem Volksrecht von 802 hervor, welches die Bezeichnung Lex Angliorum et Werinorum, hoc est Thuringorum führt.

Das Gebiet der Warnen war das Werenofcld. Zur Zeit Karls des Grossen wird die Werinesvilla erwähnt, das heutige Wernsdorf zwischen Weissenfels und Teuchtern. Aber wahr- scheinlich wurde dieser Theil ihres Gebietes zwischen Saale und Elster im 9. Jahrhundert von Wenden eingenommen, denn schon im nächsten war der Name der Warnen verklungen. Dagegen ist der Name eines ihrer Gaue überliefert, der des Nordschwaben- gaus, auch Suevon genannt. Er scheint im 10. und 11. Jahr- hundert in zwei Grafschaften zerfallen zu sein, bildete aber im 12. die Grafschaft Aschersleben mit vier Goschaften und Ge- richten Eilwardesdorf (südlich Groningen), Vrevelo (zwischen Halberstadt und Wegeleben), Weddersleben und Aschersleben. Es werden sich also die Sitze der Warnen über das Gebiet der Saale von der Elster bis zur Bode erstreckt haben. Schröder Zeitschrift der Savigy Stiftung VII, 20 ; V, 23 ; Rechtsgeschichte 244.

Endlich ist noch von Sueven in Flandern die Rede, über deren Herkunft nichts zu sagen ist. Vita S. Eligii: Annal. Vedast. ad a. 880.

(Das weitere Material bei Zeuss.)

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Erste Anlage

zum siebenten Kapitel, 2, 3 und 4, Seite 219, 222, 224.

Die fränl*isdi*alatnannisclieStammesgrenze t>on496.

lieber die Anordnung: der Grenze ist nur zu sagen, dass der Sieger sie zog. Wir kennen auch den damaligen Zustand der von ihr getroffenen Gegenden nicht. Waren sie schon be- siedelt oder nicht? Mit Bestimmtheit wird man dies nur von der fruchtbaren Neckarebene annehmen können.

Wir können die Grenze erst aus Nachrichten des 8. oder 9. Jahrhunderts hersteilen. War sie damals noch dieselbe, wie 496, oder war sie mittler Weile durch Einwanderung und Be- siedlung von hüben und drüben verändert? Denn da seit ö36 dev Süden wie der Norden dem fränkischen Reich angehörte, so wird die Grenze einer gegenseitigen Ansiedlung nicht mehr im Wege gestanden haben.

Verfolgt man sie nach den Nachrichten des 8. und 9. Jahr- hunderts, so scheint sie sich an Gebirge und Flüsse im Westen (an die Vogesen und die Gebiete der Moder, der unteren Zinsei, der oberen Sauer und der Selz im Eisass, an Schwarzwald- gebiete, die untere Murg und die Oos in der Mortenau) und im Osten (an den Welzheimer Wald, die Frankenhofer Höhe, den Hesselberg, die Sulzach und Wörnitz im Riesgau) anzuschliessen, aber in der Mitte durchschneidet sie, wie willkürlich gezogen, die Enz, Nagold, Würm, Glems, den Neckar, dann den Kocher, die theils unbesiedelteu Limpurger und Ellwanger Berge und die Jagst, und ihr Zug geht im Allgemeinen von Westsüdwest gegen Ostnordost, als wäre es darauf angekommen, eine compacte Masse des Alamannenlandes von ihm loszutrennen. Der scheinbare Gegensatz löst sich, wenn man in den einzelnen Theilen des Grenzgebiets oder der Grenzlinie das Ergebniss vorangeschrittener Ansiedlung, mit anderen Worten schon bestehende Gaugrenzen sieht. Aber auch bei ihnen mögen seit 496 Verschiebungen

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vorgekommen sein, z. B. bei dem Nagoldgau (S. 7fi), dessen ursprüngliche Nordhälfte im unteren Nagoldthal erst durch spätere fränkische Einwanderung fränkisch geworden sein mag, wodurch sich auch die hier tief nach Süden ausladende Grenz- linie erklären würde.

So kennen wir also nicht die Grenze, wie sie 496 lief, sondern wie sie sich durch massenhaften Abzug der Alamannen und massenhaften Einzug der Franken, und durch spätere Besitz- veränderungen bis in das 8. und 9. Jahrhundert gestaltet hatte, und wie aus den Gaugrenzen zugleich die Stammesgrenze und damit die Sprachgrenze geworden war. Die Gaugrenzen und die Stammesgrenze lernen wir aber aus urkundlichen Nach- richten kennen, und jene sind uns specieller überliefert durch die kirchlichen Verzeichnisse über die Bisthümer, welche sich seit der Durchführung des Christenthums den Gaugrenzen an- geschlossen hatten.

Auf fränkischer Seite stiessen an die Stammesgrenze von Deutsch-Lothringen aus der Saar-, Blies-, Speyer-, Kraicli-, untere Neckar- und Kochergau und die Bisthümer Speyer, Würzburg und Eichstätt, auf alamaunischer der Nortgau, die Mortenau, der Nagold-, obere Neckar- und Riesgau und die Bisthümer Strassburg, Constanz und Augsburg.

Schon vor der Niederlage von 496 hatten die chattischen Franken den Mattiaker-, den Lahn-, den Buchengau, und auch vielleicht ganz den obern Rhein- und den Maingau in Besitz genommen. Dann 496 verloren die Alamannen auf dem rechten Rhein den Lobden-, Kraich-, unteren Neckar- und Kochergau und auf dem linken alle Gaue, die sie seit fast einem Jahrhundert gegründet (mit Ausnahme des Eisass) und sie alle, Nachbarn der Franken, mögen an den Schlachten und ihren Folgen Theil gehabt haben, während es scheint, dass die südlichen Gaue es nicht für ein Stammesinteresse gehalten haben, sich ihnen gegen die entfernt wohnenden Franken anzuschliossen.

Im Einzelnen verlief die Grenze längs folgender alamannischcr Grenzorte :

Eisass.

Bisthum Strassburg.

Es war in Archipresbyterate (gleich Landkapiteln) getheilt, deren Grenzpfarreien von den Vogesen an aufgeführt sind. Die

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Archibresbyterate, Pfarreien und deren die Grenze nocli specieller zum Ausdruck bringende Filialen befinden sich in den Bisthumsverzeichnissen bei Würdt wein Nova subsidia VIII, 105, 148, 128, 287.

Nortgau.

Archipresbyterat Zabern: Dagsburg, Garburg, Lützelburg, Pfalzburg, Weschheim, Graufthal (Vogesen).

Archipresbyterat Oberhagenau: Diefenbach, Lützelsteiu

(Gebiet des Moder): Wingen, Lichtenberg, Oberbronn (Gebiet der unteren Zinsei): Obersteinbach, Lembach (Gebiet der

oberen Sauer).

Archipresbyterat Niederhagenau: Görsdorf, Dieffenbach, Niederkatzenhauseu, Sulz, Hatten, Selz, Winzenbach (Gebiet der Selz).

Baden.

Marienau.

Archipresbyterat Ottersweier: Ottersdorf, Iffezheim, Sand- weier (in der Rheinebene): Sinzheim, Steinbach, Bühl, Bühler- tlial, Kappel (bei Windeck), Ottersweier, Sasbach, Achern, Oberacliern, Kappel bei Rodeck (am Fass des Schwarzwald mit Ausnahme vom Bühlerthal, Sasbach, Kappel bei Rodeck. welche im Gebirge liegen). Die Grenze bildet die untere Murg bis Rastatt aufwärts, die Oos bis zu ihrer Quelle, und verläuft von da über die Höhen bis zur Hornisgrinde, von da die badisch- württembergische Landesgrenze entlang bis Enzklüstcrle, im Jahr 496 ohne Zweifel ödes Gebiet.

Württemberg.

Bisthum Constanz.

Siehe die Diöcesanurkunden unten Kapitel 11, Abschnitt 2, und über die Grenzorte P. F. Stalin Geschichte Württem- bergs I, 65.

Xwjübhjttii.

Landkapitel Herrenberg. OA. Calw.: Enzklüstcrle, (die Enz) Hiilmerberg, Meistern, Agenbach, Oberkollwangen, Breiten-

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berg-, Liebeisberg, Altbulach, Kohlersthal, (die Nagold) Holz- bronn, Deckenpfronn, Dachtel; OA. Nagold: GAltlingen.

Landkapitel Böblingen. OA. Böblingen: Deufringen, Aid- lingen, (die Würm) Döttingen, Darmsheim, Dagersheim, Sindel- frngen.

Keckaryau.

Landkapitel Cannstatt. OA. Leonberg: Gerlingen, (die Glems) Ditzingen rechts der Glems (siehe unten), Münchingen: OA. Ludwigsburg: Möglingen, Pflugfelden, Geisnang (das

heutige Ludwigsburg), Harteneck, Ossweil . (der Neckar) Poppenweiler; OA. Marbach: Siegelhausen, Weiler zum Stein; OA. Welzheim: Nellmersbach, Hertmannsweiler, Oeschelbrunn.

Bisthum Augsburg.

Siehe Steichele, das Bisthum Augsburg.

Riesgau.

OA. Backnang: Kallenberg, Lutzenberg, Schöllhütte: OA. Welzheim: Klaffenbach, Kaisersbach; OA. Gaildorf: Altersberg, Frickenhofen, Untergröningen, (der Kocher) Wegstetten: OA. Aalen: Adelmannsfelden; OA. Ellwangen: Bühlerzell, Klapper- schenkel, Matzengehren, Borsthof, (die Jagst) Treppelm ülile. Ellenberg; OA. Crailsheim : Matzenbach, Gunzach, Wüldershub. Neostädtlein.

Italern.

BA. Feuchtwangen: Ober-, Unter-Ampfrach, Zumhaus, (die Wörnitz) Breitenau, Dorfgütingen, (um die Sulzach) Feucht- vcangen, Dentlein; BA. Dinkelsbühl: Dürrwangen, Amelbruch, Dorfkemmenathen, Michelbach, Mittelhofen, Gerolfingen, (um die Wörnitz) Reichenbach, Fürnheim: BA. Nördlingen: Seglohe, Schopflohe, Beizheim, Munningen, Laub, Wechingen, Holz- kirchen, Fessenheim, Rudelstetten, Bühl, Schrattenhofen, Heroldingen; BA. Donauwörth: Harburg, Ebermergen, Wörnitz- stein, Berg, (und an der Donau) Zirgesstein, Donauwörth, Altisheim.

Znm Riesgau gehörte der Welzheimer AVald und die Franken- böfer Höhe, während die Limpurger und Ellwanger Berge sammt dem Kocher und der Jagst von der Grenze durchschnitten wurden. Das Gebiet der Sulzach und Wörnitz blieb alamannisch.

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Vom Rhein an bis zum obergermanischen Limes war es altalamannisches Gebiet, das nunmehr nördlich der Stammgrenze fränkisch wurde. Ausserhalb der beiden Limes hatten im Norden die Burgundionen gesessen, deren Gebiet wohl theil weise von den Alamannen eingenommen war (S. 78, 181), im Süden in der Ausdehnung etwa von Lorch bis Gunzenhausen (S. 29—31) die Armalausen. Sie haben nur ihren Namen der Geschichte gelassen und was aus ihnen geworden, wissen wir nicht. Die altburgundionischen Sitze fielen, so mag man annehmen, auf die fränkische, die armalausischen auf die alamannische Seite.

Die Stammesgrenze als solche ist weiter urkundlich bezeichnet.

Das Bisthum Constanz reichte (den Bisthümem Speyer und Würzburg gegenüber) im Norden bis an die Grenze der Ala- mannen und Franken, versus aquilonem usqne ad marcam Francorum et Alamannorum. Diplom. Friedrich I. von 1155, Wirt. 352.

Die Huntaren Würm- und Glemsgau waren fränkisch. In ersterer lag das Kloster Hirsau an der Nagold. 1057. Mona- sterium in provincia Theutonica Francia in pago Wiringowe. quod Hirsaugia (Hirschau, OA. Calw) nuncupatum est. Wirt. 233. Ferner Heimsheim, OA. Leonberg. 965. In confinio Franciae et Alamanniae in villa Heiuibogesheim. Saxo.

Im fränkischen Glemsgau lagen Gerringen und Tizingen (Gerlingen, Dizingen um die Würm, OA. Leonberg) nach den Lorscher Urkunden 5354—5356, 5363, 5364 aus den Jahren 856 871, während nach dem Hirsauer Codex Gerringen in Suevia lag, und nach den Diöcesantabelien Dizingen rechts der Glems als constanzisch, links der Glems als speyerisch bezeichnet wird.

Cannstatt am Neckar fiel in das alamannische Gebiet. 746. Karlomannus, cum vidisset Alamannorum infidelitatem, cum exer- citu fines eorum irrupit et placitum instituit in loco, qui dicitur Condistat. Annal. Mettens.

Weiter zog sich die Grenze von der Quelle der Wieslauf (auf der Ebni nordwestlich von Welzheim über Kaisersbach und Altersberg) zum Steigersbach, einem Zufluss des Kocher. 1027. usque Cochinaha et per ascensum ejus Steigirisbach et sic per continia Francorum et Suevorum usque ad fontem Wisilaffa. Wirt. 219.

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Zweite Anlage zum siebenten Capitel, 11, Seite 255.

Grenzen der Jltundarlen,

1. Schwäblsch-friiliklsehc Grenze.

Die nach den Nachrichten des 8. und 9. Jahrhunderts uns bekannte Stammesgrenze wird auch die alamannische (suevische) und fränkische Mundart geschieden haben. Heute steht das schwäbische ei (oi, oa) dem fränkischen ai und a gegenüber. Nach Bohnenbergers Ermittlungen für Württemberg fallen jedoch die Stammes- und Sprachgrenzen nicht mehr allenthalben zu- sammen. Während die Strecken, auf denen beide identisch sind, einen neuen Beweis für die Richtigkeit der erstem bilden, zeugen die abweichenden von einer Verschiebung der letztem.

In Württemberg decken sich beide Grenzlinien von der Hornisgrinde bis zur Würm, während von der Würm bis zur Jagst die Sprachgrenze nach Norden, von der Jagst bis gegen die Würnitz nach Süden verschoben ist.

Dass von der Hornisgrinde über die Nagold bis zur Würm, die Sprachgrenze die alte geblieben ist, erklärt sich wohl aus der Stabilität der Lebens- und Verkehrsverhältnisse im Schwarz- wald.

Dass dagegen das schwäbische Sprachgebiet von der Würm über den Neckar bis etwa Murrhardt weit nach Norden ver- schoben ist, am linken Neckar das Strohgäu in sich sehliesst und bis gegen die Enz reicht, nnd am rechten Ufer den grössten Tlieil der Oberämter Marbach und Backnang umfasst, dafür ist, wie Bohnenberger sagt, „kaum je eine genügende Ursache aufzu- zeigen'1: denn es ist nicht daran zu denken, dass die Alamanneu etwa durch Einwanderungen den herrschenden Franken diese Landstriche der Neckarebene, die Kornkammern des Landes, entzogen hätten. Dem gegenüber mag ein colonisirendes Vor-

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dringen im Waldgebirge (dem Welzhcimer Wald, der Franken- liofer Höhe, den Limpurger und Ellwanger Bergen) den Grund für die Grenzverschiebungen zwischen Murrhardt und der Wörnitz gegeben liaben, wofür die Ellwanger Berge ein Beleg sind. Denn in ihnen sind drei Grenzlinien zu unterscheiden: zunächst die Stammesgrenze, die über Bühlerzell, Klapperschenkel, Matzen- gehren, Borsthof, (die Jagst) Treppelmühle, Matzenbach, Gunz- ach, Wäldershub, Neustädtlein lief, und die nördliche Grenze von einem Theil des Bannforstes Yirngrnnd, welchen der Kaiser Heinrich II. 1024 dem Kloster Ellwangen schenkte. Sie ver- lief zwischen Kocher und Jagst im Norden der Stammesgrenze (Bühlerzell, Kottspiel, den Nestel- oder Aisenbacli aufwärts, Hoch- tünn, über den Bergrücken nach Gauchhausen, nördlich von Hegenberg, den Sulzbach abwärts bis zur Jagst), im Süden der Stammesgrenze von der Jagst aus (Stimpfach, Matzenbach, Ellen- berg u. s. w.). Wirt. 217. Der P’orst wird vom Kloster Ell- wangen bis an diese Orte besiedelt worden sein und so wird es sich erklären, dass die dritte, die schwäbische Sprachgrenze von Kottspiel bis Stimpfach mit geringen Abweichungen (siehe unten Nr. 2 und 3) sich der Forstgrenze anschloss. Diese wurde so massgebend, dass Uber die Stammgrenze hinaus an der linken Jagst die Schwaben, an der rechten die Franken bis zur Forst- grenze vordrangen.

Die heutige schwäbisch-fränkische Sprachgrenze verläuft innerhalb Württembergs auf schwäbischer Seite, wie folgt,

1. Die Stammesgrenze ist auch Sprachgrenze: von der Hornisgrinde bis zur Nagold über Gompel-

scheuer, Aichelberg, Meistern, Agenbach, Oberkollwangen, Breitenberg, Liebeisberg, Altbulach;

von der Nagold bis zur Würm über Stammheim, Gedungen, Ostelsheim, Simmozheim.

2. Die Sprachgrenze ist nach Norden verschoben: von der Würm bis zur Glems über Schafhausen,

Benningen, Malmsheim, Eutesheim, Weissach, Eberdingen, Rieth;

von der Glems bis zum Neckar über Markgröningen, Thamm, Geisingen ;

vom Neckar bis zum Limes über Pleidelsheim, Höpfig- heim, Mundelsheim, Gemrichheim (Mundelsheim), Winzerhausen,

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Lembach, Hof, Klein-A spach, Rietenau, Reichenberg, Ellen- weiler, Siebenknie, Fautsbach;

vom Limes bis zum Kocher über Mettelberg, Neustetten, Houkliug:

vom Kocher bis zur Jagst über Laufen, Kohlwald, Kottspiel , BUhlerthann, Frohnroth, Rosenberg, Geiselroth, Grimberg ;

3. Die Sprachgrenze ist nach Süden vcrschobeu: von der Jagst bis gegen die Wömitz über Sperrhof, Stimpfach, Dankoltsweiler, Eichenrain, Deutstetten.

2. Alaninniiisch-schwäblsche Grenze von I, u gegen el, ou vor h, r.

Alamannisch Schiltach (?) gegen schwäbisch Schenkenzell— Fluorn gegen Röthenberg, Peterzell Hochmöfflngen gegen Dornhan, Weiden Altoberndorf, Böchingen gegen Aistaig, Boll, Brittheim— Harthausen, Böhringen, Gösslingen gegen Trichtingen, Leidringen, Tübingen Schömberg, Ratshausen gegen Daut- ffiergen, Dotternhausen, Thieringen - Reichenbach, Egesheim, Kiinigsheim , Renquishausen , Kölbingen, Friedingen gegen Bärenthal. Irrendorf Buchheim, Worndorf gegen Thalheim Boll, Mindersdorf, Aach, Linz, Denkingen gegen Krumbacb, Rast, Wald Pfrungen, Esenhansen, Frohnhofen, Wolpert- schwende gegen Burgweiler, Fleischwangen, Ebenweiler, Es- bach Baindt, Einthürnenberg, Immenried, Kisslegg gegen Berga- treote (?), Zicgelbach, Diepoldshofen , Engerazhofen— Missen, Beuren, Menelzhofen, Rohrdorf gegen Urlau, Friesenhofen.

Alamaniiisch-schwitbische Grenze von i, u vor folgenden l'onsonatiten, die iiidit li, r, t oder Nasal sind.

Alamannisch Schiltach (?) gegen schwäbisch Schenken- zell— Aichhaldeu gegen Röthenberg, Fluorn, Winzeln Schön-

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bronn, Locherhof gegen Sulgau, Sulgen, Dunningen— Mariazell, Fischbach mit Sinkingen, Weilersbach , Dauchingen gegen Flözlingen, Niederescbach, Deisslingcn Weigheim, Thalheim, Esslingen gegen Trossingen, Schura, Seitingen mit Oberdacht, Tuttlingen dann jenseits der badischen Grenze wieder Pfrungen, Esenhausen, Frohnhofen, Wolpertschwende gegen Riedhausen, Fleischwangen, Ebenweiler, Esbach, Schindelbach weiterhin in Baindt, Wolfegg, Kisslegg jedenfalls alamannisclier Laut, vielleicht auch in Einthürneu, Immenried sicher wieder Beuren, Menelzhofen, Rohrdorf gegen schwäbischen Laut in Urlau, Friesenhofen.

(Nach Bohnenberger: lieber Sprachgrenzen und deren Ur- sachen, insbesondere in Württemberg. Württ. Vierteljahreshefte für Landesgeschichte VI, 1897, S. 161 u. flgd).

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Achtes Kapitel.

Streitfragen.

Die nachstehend behandelten Fragen sind so grundlegend für die alamannische Geschichte oder einzelne ihrer Theile, dass es unumgänglich erscheint, auch die entgegenstehenden An- sichten einer eingehenden Besprechung zu unterziehen.

I. Zum Ursprung der Alamannen.

Der S. 8 und 9 vorgetragenen Meinung, dass die Ala- mannen ein Mischvolk seien, steht die Ansicht gegenüber, sic hätten von jeher Einen Stamm gebildet. Sie findet ihren Haupt- vertreter in Jakob Grimm, welcher in den Alamannen die Nachkommen der alten Sueven, zu- denen schon Ariovist ge- hörte, und sprachlich die Leute und Nachkommen des Mannus als „Deutsche“ sieht. Der in dem Namen liegende Begriff: Männer, Menschen werde durch das Vorgesetzte ala- verstärkt und bedeute „rechte, tüchtige Männer“. Neuerdings hat F. L. Baumann (Schwaben und Alamannen, ihre Herkunft und Identität, in den Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 16, S. 216 277) dieser Theorie eine andere Grundlage gegeben. Ihm sind die Alamannen die alten suevischen Semnonen. Seine Ausführungen, die vielfach Anklaug gefunden haben, sind folgende.

Die Sueven nahmen gegen das Ende des ersten Jahrhunderts nach Chr. ganz Ostdeutschland in verschiedenen Völkerschaften ein; die älteste, vetustissima, waren die Semnonen, ein Volk von hundert Gauen, in deren Land sich ein dem Gott des Krieges Zin seit alteu Zeiten geweihter heiliger Hain befand. In ihm

Cr am er, Geschichte der Alemannen. ly

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brachten die sämmtlichen Snevenstämme dem Gott jährlich Opfer dar, den Hain aber durfte Niemand ungefesselt betreten. Die Semnonen hielten sich demgemäss für das Haupt der Sueven, caput Sueborum. Soweit Tacitus in Kap. 39 der Germania.

Es gab also, schliesst Baumann, ursprünglich nur Einen Suebenstamm, eben die Semnonen. Sie hiessen somit damals einfach Sueben. Als dann jüngere Aeste sich abzweigteu (Hermuuduren, Markomannen, Langobarden u. s. w.), bekamen diese unterscheidende Beinamen und legten dem Mutterstamm den Semnonennamen bei. Dieser ist ein hieratischer und heisst von der lithurgischen Anwendung der Fessel im Ziuhain „Fessler“. Sie selbst haben aber desshalb schwerlich aufgehört, sich schlicht und einfach Sueben zu nennen. Als sie nun im letzten Viertel des 2. Jahrhunderts aus ihren Wohnsitzen an der Spree gen Süd westen wandel ten, Hessen sie den Semnonen- namen fallen, tauchten den Hermunduren gegenüber, durch die sie von Osten her bedrängt wurden, auf und nahmen dann Sitze am Main, wo sie mit Garacalla zusammenstiessen. Als sie das Land des Ziuhains verliessen und die Anwendung der Fessel damit unmöglich wurde, ward der Namen Fessler (Sem- nonen) hinfällig und die Hermunduren nannten sie daher „Leute des Alah, „Alahmannen“ d. h. Leute des Götterhains des Ziu. Der Name wurde den Römern bekannt und auch diese nannten die semnonischen Sueben, auf die sie am Main stiessen, Ala- manni, während diese selbst den Suebennamen beibehielten. Daraus folgert dann Baumann die Identität der Sueben oder, wie sie seit dem 4. Jahrhundert genannt wurden, der Sueven mit den Alamannen, die Einheit des Stammes und die Einheit ihrer Sprache.

Diese Hypothese leidet an Unwahrscheinlichkeit und ist in sich widersprechend: Der Satz, dass die Nachbarn den Völkernamen geben, ist zweimal augewendet. Die Ursueben werden zunächst von den Jnngsucben Semnonen, dann von den Hermunduren Alahmannen genannt. Warum sollten sie den hieratischen Namen der Fessler (Semnonen) fallen lassen, der sie als die Hüter des allgemeinen suebischen Ziuhaiues aus- zeichnete, als caput Sueborum charakterisirte? Unrichtig aber ist, dass mit der Fessel der Name Fessler hinfällig wurde, denn es ist gerade eine Eigenschaft der Namen, dass sie ihre

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Veranlassung überdauern. Der Breisgau führt seinen Namen fort, auch wenn er seit tausend Jahren aufgehört hat, ein Gau zu sein. Wenn aber in dem Anfhören der Fesselung ein Anlass vorlag, den Seinnonen einen anderen Namen zu geben, so war es doch unmöglich, dafür die uralte Alah zu Grande zu legen. Denn die Beziehung zur Alah war ebenso, wie die zur Fesselung, gelöst. Und wie endlich sollten die Römer, die, wie wir wissen, länger als ein Jahrhundert die Semnonen Semuonen nannten, dazu kommen, der Namengebung durch die Hermunduren sich anzuschliessen ?

Alamannen und Suoven sind nicht dasselbe Volk und zur Zeit der Wanderung oder Ansiedlung fallen auch ihre Namen keineswegs zusammen, wie das später allerdings geschah.

Lässt man die innere Glaubwürdigkeit der Banmannschen Idee dahingestellt, so muss man doch sagen, dass sie sich jedem Beweise entzieht. Eins aber muss bewiesen werden, dass der Suevennamen vom 3 und 4. Jahrhundert ab das ganze Stamm- land. und vom 5. ab das ganze Nenalamannien umfasst habe. Der Verfasser hat diesen Beweis angetreten, aber nichtgeführt.

Er lässt die Geschichte der Namen Alamannen und Sueven ausser Acht.

Er berücksichtigt nicht, dass nach der ersten Namensstufe „Sueven ein Theil der Alamannen“ (S. 245) der Suevenname im Stammland nur vom Neckar bis zur Alb reicht, in Neualamannien nur Oberschwaben umfasst und dass er, abgesehen von ver- einzeltem Vorkommen, weder am östlichen Ufer des Rheins (insbesondere am Schwarzwald), noch dominirend in der Schweiz, wo der Lenzername als der herrschende anznnehmen ist, noch im Eisass vertreten ist (S. 27, 31, 208, 209, 243 und 244).

Banmann erkennt auch die zweite Namensstufe: „Sueven und Alamannen“ nicht an, indem er die meisten Nachrichten (S. 246). als bedeutungslos hinstellt, ln der Nachricht des Prokop seien nicht die alamannischen Sueven, sondern die Almen der Bojoaren gemeint: Sueven und Alamannen seien hier zwei selbstständige, nicht verbundene Ganze, sl)vr(, also keines-

wegs Eidgenossen. Dass jedoch die alamannischen Sueven ge- meint sind, geht aus ihrer bereits nachgewiesenen Nachbarschaft zu den Thüringern hervor (S. 197, 198). In der Nachricht des Jordanes versteht Baumann unter den Sueven die vanni-

is’

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aniseben an der Waag, denen die Alamannen (vom Rheiu und der oberen Donau) zugezogen seien: es seien lediglich einzelne Gefolgschaften gewesen, denn für den gesammten Stamm erscheine der Weg dahin doch zu weit. Es ist auch hier schon gezeigt, dass es Sneven und Alamannen von und an der obern Donau waren (S. 199). Von der Stelle des Hugo von Flavigny nimmt Baumann an, es sei nicht sicher, ob er unter „Suavia et Ala- mannia“ nicht Deutschland verstände; aber wie sollte gleich- wertig Snevien neben Deutschland aufgeführt werden ? Ferner, es sei der Angabe des fern wohnenden Romanen kein Gewicht beizulegen. Man wird dies doch thun müssen, da er zweifellos eine verbreitete Meinung wiedergiebt. Das Zeugniss des Fort- setzers des Fredegar ist nicht angefochten.

Nachdem Baumann so von der ersten Namensstufe abgesehen hat, und der zweiten, wie mir scheint, nicht gerecht geworden, schildert er mit vollen Zügen die dritte (S. 246), indem er Zeugnisse vom 6. bis 12. Jahrhundert häuft. Jetzt ist auch die Schweiz in den Bereich des Sueven- oder Schwabennamens einbezogen, es fehlen jedoch nach wie vor das östliche Ufer des Rheins (insbesondere der Schwarzwald) und das Eisass. Aber was nützen diese an sich so interessanten Beweismittel der Baumann'schen Hypothese? Die Identität von Sueven und Alamannen ist nicht mit Zeugnissen aus dem 6. bis 12. Jahr- hundert zu erweisen, wenn die des 3. bis 5. das Gegen theil ergeben.

Die Abbröckelung der Namensbedeutung von Suevien oder Schwaben (S. 248) schildert dann Baumann so: Das Eisass wurde eine besondere Provinz und stellte sich Alamannien gegen- über. Die Rheinalamannen des rechten Ufers „vergassen ihr Schwabenthum“, die Schweizer „bekannten“ es noch im 14. Jahr- hundert, und waren sich seines bis ins 15. „bewusst“, aber am Ende dieses Jahrhunderts „nahm unseliger Weise das Wort Schwaben einen falschen Begriff an“. Der Gründung des „schwäbischen Bundes“ gegenüber „verleugneten die Schweizer ihre ethnographische Zugehörigkeit zum Schwabenstamm“. Aber bei beiden Theilen „rührte sich das historische Gewissen gegen die Verfälschung des Schwabennamens“, denn der Schwank von den sieben Schwaben, der im 16. Jahrhundert in die jetzige Form gegossen sei, zähle zu den Sieben auch die der „ala-

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manuischen Mundart“ angehörigen, den Allgäuer, den Seehasen und den schweizerischen Nestelschwab.

Wer sind denn nun, wenn man sich auf den geschichtlichen Standpunkt Baumanns stellt, heute die Schwaben? Ich meine diejenigen, die „ihr Schwabenthum nicht vergessen haben“, die sich seines „bewusst“ sind und die es „bekennen“. Ohne das würde der Begrifl des heutigen Schwabenthums völlig in der Luft schweben, da Baumann ihn an das wahrhafte Suevengebiet, das er nicht anerkennt, nicht knüpfen kann.

2. Ipsa oppida, ut cimmidata retiis busta dcclinant.

Es ist von Interesse, festzustellen, ob diese Bemerkung Ammians sich an einen speciellen Anlass knüpft oder derartig allgemeinen Inhalts ist, dass sie einen Charakterzug der Ala- mannen wiedergiebt, und auch für spätere Besitznahmen von Land verwendet werden kann. Nissen ist der ersten Ansicht, während ich der letzten gefolgt bin.

Als der Cäsar Julian im Jahr 356 in Rheims anwesend wrar. wurde ihm berichtet, dass die Alamannen die Stadtgebiete des Eisass, der Pfalz und Rheinhessens, Strassburg, Brumath, filsass-Zabern, Selz, Speyer, Worms und Mainz besetzt und auf dem Lande sich angesiedelt hätten. Audiens. . . . civitates barbaras possidentes territoria eorum habitare. Warum sie nicht auch die Städte bewohnten, sucht er durch ein Bild zu er- läutern : nam ipsa oppida ut circumdata retiis busta declinant, 16, 2, 12, (S. 86). Weiter erzählt Ammian von den Hunnen, sie kennten kein festes Haus, aedificiis nullis uuquam tecti, und fügt zur Erläuterung ähnlich hinzu, sed haec velut ab usu communi discreta sepnlcra declinant, 31, 2, 4. In beiden Fällen ist das Bild dasselbe, um aber zu erklären, bedarf es vorab selbst der Erklärung: Die Gräber sind umgittert, oder was dasselbe sagt, vom gemeinen Gebrauch geschieden. Man mag sie nicht (in der Umgebung des Lebens, kann man hinzufiigen). So mag der Hunne kein festes Haus, der Alamanne keine Stadt. Sie sind ihnen widrig. Damit sind Sitten der Alamannen und Hunnen berichtet und aus ihrem Empfinden heraus erklärt.

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Wenn der Hunne kein Gebäude errichtet und der Alauiaune keine Stadt bewohnt, so entspricht es ihrer wirtschaftlichen Stufe als Nomade oder Ackerbauer, und aus dieser Stufe ent- springt ihr Widerwillen gegen häusliches und städtisches Leben, ihr Unabhängigkeitsgefühl oder „der Freiheitsdrang unserer alamannischen Vorfahren“, eine Auffassung, die Nissen jedoch als moderne Anschauung zurück weist.

Er trägt dagegen in das Bild noch ein fremdes Moment hinein, das nur auf den Fall der Alamannen passt, indem er an den Verkauf eines römischen Landguts erinnert. Das darauf befindliche Grab wird als res extra commercium von dem Be- sitzwechsel nicht berührt und ist, unverletzlich : es wird „ge- schont“. Die Schonung ist für Nissen in dem Bilde das tertium comparationis und er kommt im Anschluss an gewisse geschicht- liche Voraussetzungen zu folgenden Ergebnissen: Die Besitz- nahme des Landes sei unter Zustimmung des Kaisers Constantius vergleichsweise friedlich erfolgt. Das linke Rheinufer sei von den Römern an die Deutschen übergegangen, bis auf die Städte. Die des Eisass, der Pfalz und Rheinhessens seien durchweg, wie es scheine, der Zerstörung entgangen. Sie seien eben wie Gräber geschont und diese Zurückhaltung erkläre sich aus der wirthschaftlichen Entwicklung u. s. w.

Dieser Auffassung sind aber folgende Thatsachen entgegen zu halten. Im Jahr 350 war Gallien im Besitz von Magnentius. Für Constantius war es also Feindesland. Er wollte es als Kaiser erwerben und benutzte dazu die Alamannen, denen er Land versprach. Ihre Besitznahme erfolgte aber nicht „ver- gleichsweise friedlich“, sondern sie mussten das Land und ins- besondere die befestigten Städte erobern, C'aesari mandaverunt, ut terris abscederet virtute sibi quaesitos et ferro, 16, 12, 3. Für eroberte Städte kannten die Alamannen keine Schonung, und der Kaiser wird sie von ihnen auch nicht erwartet haben. Dass sie Zabern durch hartnäckige Angriffe zerstörten, ist ins- besondere bezeugt. Tres Tabernas munimentum obstinatione Subversion hostili, 16, 11, 11.

Die Alamannen hassten die Städte; sie eroberten und plünderten sie und, statt sich in ihnen niederzulassen, zerstörten sie die eroberten. Das war ihre Eigenart.

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8. Zur Schlucht bei Strass bu re.

Zur Literatur.

Entgegen meiner Auffassung über die Quellen, ans denen Ammian und Libanios geschöpft (S. 102), geht Herker davon aus, dass beide nur die schriftliche Darstellung des Julian be- nutzt haben, und er folgt bei Abweichungen der „Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit- des Ammian und verwirft dagegen die „Verlogenheit“ des Libanios.

Es ergiebt sich aber, dass die Widersprüche, die Hecker findet, zum Theil gar keine sind. Die alamannischen Gesandten beriefen sich nach Libanios (Reiske 540) auf die Briefe des Kaisers Constantins, der ihnen Gallien zusprach, nach Ammian 16. 12, 3 auf das Schwert, durch das sie Gallien erobert. Tn der Tliat ist beides richtig, wie eben dargelegt. Der eine Schriftsteller wählt für seine Darstellung das eine, der zweite das andere Moment, und die des Libanios entspricht dem Briefe Julians an die Athener und wird also auch wohl in dessen Werk Uber die Schlacht gestanden haben. Hier müsste mithin Ammian und nicht Libanios der unzuverlässige sein. Aehnlicli ist es mit dem Ende der Verfolgung. Ammian lässt es am Hochgestade des Rheins, 56, Libanios auf den Inseln. 542, cin- treten. Man floh auf verschiedenen Wegen, per diversos tramites, 51, hier zum Hochgestade, dort zu den Inseln. So mag sich auch der Hinterhalt hinter der Wasserleitung ö“’ i/rr«j> usTimp.ii) des Libanios, 541, und an den Gräben, fossae des Ammian, 27, erklären.

In anderen Fällen ist der eine Schriftsteller vollständiger als der andere. Ammian schildert in zwei Absätzen erst das Halten des Severus und dann seinen Erfolg, 27 und 37, Libanios nur den letzteren, 541. Dieser spricht von dem Gepäck und dem Eingreifen der Trossbuben, 542, Ammian schweigt darüber. Ammian malt die Flucht der römischen Reiterei, 37, Libanios die des alamannischen Fussvolks aus. 541; Ammian gebraucht bei der Reiterei die Phrase: „Die ersten hinderten die letzteren ini Fliehen“, primi fugientium postremos impcdiunt.37, und Libanios bei dem Fussvolk: „Die vordersten rissen die weiter hinten

stehenden in die Flucht hinein“, 7->-pr(c 7->YV «xouoj;» cr,c t<öv

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-ptlrzu uv t r(v -mv oeuTspa», 541. Julian wird die Wendung nur einmal gebraucht haben und Wer hat sie nun an den unrichtigen Platz gebracht? Oder war dies eine bei Schlachtenschilderungen geläufige Form? Ammiau wendet# sie bei der Schlacht von Solicomnum noch einmal an: „Die vordersten mischten sich

unter die hintersten“, miscentur ultimis primi, 27, 10, 15.

Wirkliche Widersprüche liegen endlich in zwei Fällen vor. Nach Libanios wartete Julian mit dem Aufbruch von Zabern, bis ihm berichtet, dass 30 000 Alamannen über den Rhein ge- setzt seien, 541, eine ganz unhaltbare Nachricht, während er nach Ammian erst auf dem Schlachtfclde erfuhr, dass sie drei Tage und drei Nächte zum Uebersetzen gebraucht hätten, 10. Der gefangene Chnodomar benahm sich nach Ammian demüthig, nach Libanios stolz. Ich habe schon S. 122 nachzu weisen ge- sucht, dass die letzte Nachricht die innerlich wahrscheinliche sei, und darf wohl folgern, dass die Verurtheilung des Libanios durch Hecker nicht begründet ist.

Zum Schlachtfeld.

Der (S. 106) auch von mir vertretenen Ansicht gegenüber, Julian habe von Zabern aus die römische Strasse nach Strass- burg verfolgt und die Alamannen nicht weit von dieser Stadt geschlagen, ist von Borries der Meinung, der Cäsar habe von Zabern aus die römische Strasse, die über Brumath nach Selz führte, bis Weitbruch benutzt und das Schlachtfeld sei zwischen Brumath und Bischweiler, näher zwischen Weiersheim und Gries gelegen. Diese Ansicht hat vermöge einer Reihe von topographischen Einzelheiten sehr viel Ansprechendes, scheitert aber an zwei Umständen, einmal an dem Ried, das die Ala- mannen hier im Rücken gehabt hätten und in dessen (für die damalige Zeit nach Wiegand anzunehmendem) Sumpf stecken geblieben sein würden, statt flüchtig an den Rhein zu ge- langen, und sodann an der weiten Entfernung von Strass- burg. Zwar sagt Nissen, der gleichfalls das Schlachtfeld etwa nach Bischweiler verlegt, unter prope oder apud Argento- ratum könne ebenso gut eine deutsche Meile wie das drei- und vierfache verstanden werden. Aber entscheidende Schlachten werden in allen Zeiten nach Orten der Nachbarschaft benannt, und wenn deren Namen noch nicht weltbekannt sind, so werden

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sie es eben. Wenn Nissen sagt, dem Ammian wie seinen Lesern seien äusserst wenige Namen aus barbarischen Gegenden bekannt gewesen, und er habe daher die Ortsbestimmungen prope und apud im weiteren Sinne verwendet, so ist zu bemerken, dass Ammian und seine Leser ja schon die Namen Brocomagus, Brnmath, kannten, wo der Cäsar bereits vor einem Jahr den Alamannen eine siegreiche Schlacht geliefert hatte, 16, 2, 12, und Brocomagus wäre der passende Name auch für die zweite Schlacht gewesen, wenn sie in seiner Nähe geschlagen worden. Ammian hat ihr jedoch nicht erst nach 30 Jahren künstlich den Namen gegeben, sondern, als sie vor den Thoren der Stadt Strassburg geschlagen, wird ihr von selbst der Strassburger Name zugefallen sein, pugna prope urbem Argentoratum.

Aber bedeutet denn urbs nur die Stadt? Kann unter dem Wort nicht auch das Stadtgebiet, die civitas von Strassburg verstanden werden? Von Borries zeigt, dass sie nach der Notitia Galliarum und der Notitia dignitatis civitas Argentora- tensium oder tractus Argentoratensis hiess, und bestimmt deren Gebiet von der Grenze der Maxima Sequanorum bis zum Selz- bach. So wunderlich nun auch in der Provinz, die seit 400 Jahre römisch war, die Bezeichnung einer grossen Schlacht nach einem geräumigen Gebiete, nein nicht nach dem Gebiete, sondern nach seiner Nachbarschaft ist, enthält doch der Ge- danke von Borries’, die Schlacht sei in der Nähe, prope oder apud civitatem Argentoratensium geschlagen, eine Unmöglichkeit, denn Bruinath oder Bischweiler liegen nicht in deren Nähe, sondern mitten darin. Auch haben für die Nähe der Stadt Strassburg selbst Hieronymus und Cassiodorus das unzweideutige Wort apud Argentoratum oppidum.

4. Zum Ausgang der Juthungen.

Baumann, der die Juthungen nicht für identisch mit den Sueven , sondern für einen Tlieil des Suevo - alamannischen Stammes hält, „wie die Lentienser und Bucinobanten“, erzählt von dem Niedergang dieses Theils fern von der Heimath, und

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giebt damit der alemannischen Geschichte des 5. Jahrhunderts eine umfassende Grundlage, neben welcher, wenn sie begründet wäre, meine Darstellung über die Ansiedlung im Donaugebiet (S. 189 201) nicht aufrecht erhalten werden könnte.

Was wir wissen, ist aus folgenden Notizen zu entnehmen :

Tiro Prosper erzählt zum Jahre 429: Aetius Juthingorum gentem delere intendit.

Apollinaris Sidonius, dessen Grossvater und Vater praefecti praetorio Galliarum waren, wurde der Schwiegersohn des Avitus, eines Kriegsgenossen des Aetius, und als Jener, 455 zum Kaiser gewählt, bei Beginn des nächsten Jahres das Consulat erworben hatte, schilderte sein Schwiegersohn die Grossthaten des Avitus und damit die des Aetius, an denen er betheiligt war, in einem Lobgedicht. Sidonius wurde später praefectus der Stadt Rom und dann Bischof bei den Arvernern, so dass Gregor 2,21 von ihm sagen kann: Er war ein Mann von dem vornehmsten Adel nach seiner Stellung in der Welt und von einer der ersten Familien Galliens abstammend. so dass er die Tochter des Kaisers Avitus sich zur Gattin erwählen konnte. Vir secunduni saeculi dignitatem nobilissimus et de primis Galliarum senatoribus, ita ut flliam sibi Aviti imperatoris in matrimonium sociaret.

Die feiernden Worte des Sidonius auf Aetius und Avitus in seinem Carmen VII, panegyricus dictus Avito Augusto, 238—235 lauten dahin:

Nam post Juthnngos et Norica bella, subacto Victor Vindelico, Belgam, Burgundio quem trux Presserat, absolvit (Aetius) jnnctus tibi.

Sidonius ist vermöge seiner Stellung und durch seine ver- wandtschaftlichen Beziehungen zu Avitus ein Kundiger ersten Ranges und um so mehr von untadlicher Zuverlässigkeit, als er in diesen drei Versen die Thateu seines Schwiegervaters nicht wie ein Poet schildert, sondern wie der nüchternste Chronist aufzählt, und es erscheint daher die Kritik, welche Baumann an den von Sidonius erwähnten Thatsachen übt, von vornherein verfehlt. Aber auch seine einzelnen Einwendungen seien gehört.

Zwischen dem vindelikischcn und burgundiouischen Feldzug fehle der Krieg gegen die ripuarischen Franken; aber Avitus wird an ihm nicht theilgenouimen haben. Keine andere Quelle nenne die Burgundionen als die Bedrücker Belgiens; Sidonius

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ergänzt mithin die übrigen Mittheilnngen. Vindeliker hätten als solche seit Jahrhunderten nicht mehr existirt: aber Vindeliker ist der geschichtliche Name für die Bewohner des zweiten Rätiens. Vindeliker und Noriker, seit zwei Jahrhunderten Patrioten des Rönierreichs, sollten sich gegen dieses erhoben haben?; so lässt sich eine positive Nachricht nicht beseitigen und man kann an Steuerdruck, Mangel an Schutz oder dergl. denken. Sie sollten sich mit ihren Feinden, den Juthungen ver- bündet haben? Das ist nicht gesagt. Dann heisst es wider- sprechend, Sidonius habe wohl einen nicht gerade bedeutenden Feldzug zn einem grossen Krieg aufgebauscht und vielleicht, verführt durch die Namen Juthungen und Noren (siehe unten), in gutem Glauben an die ferne Donau versetzt: aber keins von beiden ist geschehen. Der Kriegsschauplatz wird allerdings für den unbefangenen Leser in der Donaugegend sein, wo die be- siegten Völker Juthungen, Vindeliker (Rätier) und Noriker nebeneinander wohnten, wie es S. 192 dargestellt ist. Unan- getastet geht aus der Kritik Baumanns nur die Nachricht hervor, dass Aetius und Avitus die Juthungen irgendwo ge- schlagen habe.

Bauniann wendet sich dann zu den Mittheilungen des Hydatius, des Bischofs von Gallaecion, dem wir zuverlässige Notizen zur Geschichte seiner Zeit verdanken. Seine Nachrichten lauten zum Jahr:

430. Per Aetium coinitem haud procul de Arelati quaedam Gothorum mauus extinguitur. Juthungi per eum similiter debel- lantur et Nori.

431. Aetius dux utriusque uiilitiae Noros edomat rebel- lantes. (Hydatius episcopus) ad Aetium duceni. qui expeditionein agebat in Gallis, suscepit legationem.

432. Susperatis per Aetium in certamine Francis et in pace susceptis, Censorinus mittitur ad Suevos in Hispaniam.

Aus Hydatius ist also zu entnehmen, dass Aetius siegreiche Expeditionen unternahm: 430 gegen die Gothen in Arles und gegen die Juthungen und Noren, 431 eine zweite gegen die Noren und eine weitere in Gallien, 432 gegen die Franken, während von den Videlikern nicht die Rede ist. Sie verschwinden auch gänzlich aus der Beweisführung Baumanns.

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Er sieht nun in den Noren des Hydatius nicht Noriker der Donau, denn die hiessen ausnahmslos Norici, niemals Nori, und von dem Römer Hydatius dürfe nicht vermuthet werden, dass er die Namen abendländischer Provinzen nicht recht gewusst habe. Sidonius spricht von Norica bella, und dem im äussersten Spanien wohnenden Hydatius wird man schon eine Incorrektheit zu Gute halten können.

Wenn aber auch die Nori Noriker seien, so sei doch der Krieg an der Donau zeitlich unmöglich. Nach Hydatius fällt in das Jahr 430 der Krieg des Aetius gegen die Gothen bei Arles und gegen die Juthungen und Noren (Noriker), in das Jahr 431 der zweite Kampf gegen die Noren und die Rückkehr des Aetius nach Gallien. Baumann meint nun, Aetius habe Hin- und Rückweg nicht durch Helvetien nehmen (da es schon alamannisch gewesen), oder den Weg nur um den Preis eines Krieges erzwingen können, den Hydatius kaum verschwiegen haben würde. Für den Umweg über Italien nach dem Juthungen- land, Rätien und Noricum und zurück reiche aber die nach Hydatius zu berechnende Zeit nicht aus. Die Voraussetzung, dass das helvetische Alamannien den Römern feindlich gewesen, erscheint jedoch als eine ebenso willkürliche, wie die Annahme, dass Hydatius, dem wir keine Geschichte, sondern nur Notizen zur Geschichte verdanken, über einen Krieg hätte berichten müssen.

Nach diesen negativen Ausführungen drängt sich dem nun- mehr zu den positiven übergehenden Baumann der Schluss auf, dass Aetius die Noren und Juthungen nicht an der Donau, sondern in Gallien, und zwar auf dem Wege von Arles in das Gebiet der Ripuarier besiegt habe.

In der angegebenen Richtung findet er einen pagus Wares- corum und südlich davon den schon erwähnten pagus Scutingorum. Im ersteren sassen die germanischen Warasci, Warasti, früher am oberpfälzischen Regen, Regnurn, genannt Naristi, Narisci, nach Baumanu, wie er glauben möchte, die Nori des Hydatius, eine kürzere Form für Naristi. Wären die Besiegten des Avitus Naristen, so würden, dünkt mich, die Kriege bei Sidonius wohl Narista bella heissen, nicht Norica; die Form Nori und Norici ist für sie nicht nachzuweisen.

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In dem zweiten pagus dagegen, der Thallandschaft Scodinga, Scudingum, dem pagus Scudensis oder Scodingorum, der nach den Scudigni, Scotigni genannt ist, sieht Banmann, wie der Name zeige, Juthungen, nicht eiue Colonie derselben, sondern die Reste des ausgewanderten Volkes selbst (Siehe dagegen oben S. 203 und 209 und vergleiche über beide Huntaren Zeuss 584 586). Wenn er weiter ausführt, diese Scudigni seien die Alamannen, welche die Mönche von St. Contadisco belästigt haben (S. 204), so ist das wohl nicht anzunehmen, denn ganz von Burgundionen umgeben (wenn sie nicht bereits vertrieben waren), konnten doch die Scudigner nicht wagen, ein burgundionisches Kloster zum Gegenstand ihrer Raubzüge zu machen.

Sind diese Fäden, so fein ausgesponnen, nicht haltbar, so darf ich mich darauf beschränken, darzustellen, zu welchem Gewebe sie verknüpft sind.

Die Juthungen, sagt Baumann, wanderten 407 oder 413 nach Gallien in das Land der Sequaner aus; die Naristen schlossen sich ihnen an. Sie besetzten unter andern Langres, Besan^ou, Nancois le grand und Maudeure (S. 203). Aber Aetius, der Wiederhersteller der alten Reichsgrenzen, schlug sie, bereitete den Juthungen schon bei dem ersten Angriff das Loos der Burgunder, er rottete sie, wie es scheint, grösstentheils aus; die Xaristi-Noren machten einen zweiten Feldzug nöthig. In Folge der totalen Niederlage der Juthungen fielen die genannten Orte wieder an das Reich (in Wahrheit fielen sie an die Burgun- dionen), die Reste der Besiegten wurden in die öden Juraberge von Salins verpflanzt. Rings umgeben von Romanen, konnten sie ihre Nationalität nicht retten und gingen frühzeitig unter den Romanen auf. Durch den Auszug der Juthungen war das Ge- biet an der Donau mindestens halb entvölkert, sie wurden durch keine Einwanderer ersetzt. So kam es, dass das Land rechts der Donan, trotz seiner Offenheit und Schutzlosigkeit von den Alamannen bis nach der Schlacht von 496 nicht besetzt, sondern nur wiederholt mit Raubzügen heimgesucht wurde.

Soweit die Baumannsche Juthungenhypothese. Sie soll mit der Auswanderung des Juthungenvolkes einerseits die Ent- völkerung ihrer Heimath und deren Besiedlung erst nach 496, andererseits die Besitzergreifung und Niederlage der Juthungen in Gallien, sowie die Ansiedlung des Restes der Scudigni und

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im Uebrigen das Verschwinden der Jnthungeu ans der Geschichte erklären. Banmanu last das kräftigste der Alamanncuvölkcr im Jura verkümmern, während es als Suevenvolk kolonisirend weit um sich griff und den Suevennameu über den hinsterbenden Namen der Alamannen erhöhte.

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Zweites Buch.

Die Grafenzeit.

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Neuntes Kapitel.

Die Grafschaftsuerfassung.

1. Der Ausbau des Landes.

Wie im 3. und 4. Jahrhundert im Stammland, so erfolgte im 5. und 6. die Besiedelung in Neualamannien. Es wurden Gaue, Huntaren, Zehntsehaften gegründet. Die zehn neuen Gaue, welche alamaunisch blieben, grenzten an Flüsse oder schlossen sie ein. Es waren in Deutschland im Norden der Donau der Biesgau, im Süden des Flusses der Donaugau (?), der Illergau, der östliche Augstgau, am Bodensee und in Voral- berg der südliche Alpgau, speziell im Eisass der Nortgau und Sundgan, in der Schweiz der westliche Augstgau, der Aargau und Thurgau. Schon im 8. Jahrhundert zerflei der Aargau in den obern und untern, und der Thurgau in den Thurgau und Zürichgau. In den Zehntsehaften und Huntaren entwickelten sich die Marken. Es ist (S. 223) bereits erwähnt, dass im Anfang des ti. Jahrhunderts Ennodius es pries, wie, von zahlreichen einwandernden Stammesgeuossen befruchtet, das Alamaunenland unter der friedenschützenden Herrschaft des König Theoderich von dichten Ansiedlungen bedeckt war. Mag in diesen Worten auch rhetorische Uebertreibung enthalten sein, so ist doch an- zunehmen, dass das Land in seinen besten Lagen, den Ebeneu, bald mit Dörfern ilbersäet war. Es waren Gewannfluren, die sich um sie ausdehnten. In dieser Richtung hebt Meitzcn von den ueualamannischen Landstrichen die Flächen zwischen der Donau, der Iller und dem Lech, die Bezirke von Kempten, Immenstadt, Bregenz, die Umgebungen des Bodensees, die Rhein- ebene des Eisass und die Vorderschweiz bis an die Hänge der Hochalpen hervor.

Cr » liier, Ueschiohte (1er Alamannen. ly

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Dann kam eine Zeit, in der das besiedelte Flachland zur Herberge und Unterhaltung der wachsenden Bevölkerung nicht mehr ausreichte. Die alte Gewöhnung, über die Grenzen zu gehen, war nunmehr ausgeschlossen ; die kriegerische Kraft der fränkisch gewordenen Alamannen war gebrochen, und Franken, Burgundionen und Baiern hatten unter der Oberhoheit des fränkischen Reichs friedliche Nachbarschaft zu halten. Man musste also zu dem inneren Ausbau des Landes übergehen; der Wald, das grosse bis dahin unfruchtbare Kapital des Landes wurde durch Rodung der Kultur zinsbar gemacht, im Anfang wohl im Wege freier Besitznahme, dann unter Zustimmung der Berechtigten, der Markgenossen oder des fränkischen Königs, eine Entwickelung, die in verschiedenen neben einander her- laufenden Formen sich bis tief in das Mittelalter erstreckte.

Die Siedlung im Wald geschah einmal in der alten genossen- schaftlichen Form des Dorfsystems. Wo es dem jungen Nach- wuchs zu enge wurde, da lichtete er mit Feuer und Axt den benachbarten Markwald der Zehntschaft oder Huntare, gewann neues Saatland und baute zu dem Mutterdorf ein Tochterdorf, dem im Lauf der Zeit sich wohl weitere anschlossen. Ihnen wurde das neue Feld überwiesen, während Weide und Wald der Zehntschaft oder der Huntare gemeine Mark blieb. Oder mau überliess fremden Einwanderern, sich in ihr den Wohnort und den Acker zu schaffen. Während so der Wald und mit ihm sein Begleiter, der Sumpf sich zurückzog, schoben sich die Wohnstätten und Saatfelder voran, verliessen die Ebene, wo diese nicht mehr Raum bot, und stiegen die Hügel empor, wo sie zum Ausbau lockten.

Neben den Gewanndörfern entwickelte sich das Hofsystem weiter. Der Einzelhof hatte zwar das Ackerland ausserhalb des Hufenlandes, aber daneben Theil an der gemeinen Mark. Nun wurden Höfe von grossem Umfang geschaffen, von Acker- land, Wiese, Wald und Weide umgeben, und diese durch Ein- zäunung von der Mark erst thatsächlich, dann rechtlich aus- geschlossen, Rodungen mit Bifang. Es waren die Grossen und Reichen, die derartige Bilange anlegten; sie bauten darin einen Herrenhof (Frohnhof) und gaben an ihre Hörige und an Freie Land zur Bewirthschaftung in eigenen Höfen gegen Zins aus. Daraus entsprang die Grundherrlichkeit, ein System, dass im

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Anschluss an das Beeilt der fränkischen Könige, das unbebaute Land in Besitz zu nehmen, eine grosse Ausdehnung gewann.

Die Ausübung dieses Rechts, des Bodenregals, erwies sich wirkungsvoll sowohl für genossenschaftlichen Besitz, wie für die Anlage von Höfen. Die Könige übertrugen es an Gemeinden (Nachbarn), und zwar im fränkischem Norden unter Auferlegung des Medern, der Abgabe einer Ertragsquote von wenigstens einem Siebentel. Nachweisbar ist der Medern am linken Rhein in der Moselgegend, südlich im Saar-, Trier-, Nahegau, Worms- feld, Hundsrück, Trechhere, nördlich im Bietgau und Mainfeld; am rechten Rhein um die Lahn, den Main und den untern Neckar im Engersgau, Lahngau (mit Haiger), Wetterau, Lobden- gau, (Schröder die Franken und ihr Recht). Die Könige legten aber auf unbebautem Boden auch eigne Höfe an, oder übertrugen ihn zu demselben Zweck in grossen Massen durch Schenkungen, Rodungsprivilegien an den Herzog, die Grafen und sonstige Grosse, an die Kirche und insbesondere an die Klöster, und bis zum 10. Jahrhundert erstanden königliche und sonstige welt- liche, wie kirchliche Frohnhüfe sammt den abhängigen Höfen der Zinsleute.

Das Recht der Krone ging mit der erstarkenden Landes- herrlichkeit an die Landesherrn über und 1291 verbot ein Reichs- gesetz als ihnen gehörig die Occupation noch unbesetzten Grenzlandes Freie Markgenossen trugen ihnen und andern Grundherrn ihre Hufen auf, um deren Schutzes sicher zu sein und erwarben ihren Besitz gegen Zins zurück. Als Obermärker gewannen die Laudesherrn auch über das Markland eine ein- flussreiche oder gebietende Stellung. Markland und Hofesland ging in einander über, Freiheit und Hörigkeit schmolzen zur Untertänigkeit zusammen.

Neben Gewanndörfern und Höfen gab es noch ein drittes System, das der Weiler. Während die Dörfer ursprünglich 10 30 Wohnstätten, Hufen und Hüfner zählten, bestand der Weiler aus 3 ß Höfen. Wie dort die äusserste Regelmässig- keit in Gewannen und Ackerstreifen und Gleichheit des Besitzes herrschte, so hier Willkür nach Lage und Maas, auch nach der Form der einzelnen Ackerstücke; sie war eine streifen- oder auch blockartige. Nur die Gemenglage war dieselbe. Während die Dörfer das Flachland aufgesucht hatten, fanden sich die

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Weiler „meist in den durch geringere Fruchtbarkeit oder Un- ebenheit ungünstigen Oertlichkeiten“. Mit dem Hofsystem theilten die Weiler die verhältnissmässige Nähe des Acker- besitzes, allerdings im Gemenge durchbrochen durch den der Nachbarn an Wiesen, Weiden und Wald.

Die Weiler liegen insbesondere auf Hochebenen und an oder in den Gebirgen, und durchbrechen auch die Anlage der Gewanndörfer, man darf also im Allgemeinen annehmen, dass sie erst nach der Occupation der freien Ebenen und des günstig gelegenen Waldes entstanden sind.

Meitzen sehliesst wesentlich aus der Regellosigkeit und Willkür ihrer Anlage, dass sie der Anordnung eines Machthabers (Vaters, Grundherrn) entsprungen seien und stellt einen genossen- schaftlichen Ursprung in Abrede, aber die Gemenglage der Grundstücke lässt doch auch die Annahme genossenschaftlichen Ausbaus Zu, bei dem die geringere Beschaffenheit der Grund- stücke dem Belieben des einzelnen Anbauers einen weiten Spiel- raum liess.

Grössere Höfe wurden durch Theilung vielfach zu Weilern, Weiler wuchsen vielfach zu Dörfern heran.

Die Weiler waren eine charakteristische Ansiedlungsform der Alamannen und Baiern und der Ausdruck Weiler, villa, vilare war zumal bei Jenen eine weitverbreitete Endung der Ortsnamen.

Nach Meitzen finden sich von Ge wannfluren scharf abgegrenzte Weilergebiete im Stammlande, und zwar dem Odenwald und Schwarzwald, wie in Neualamannien, hier wesentlich ausserhalb der beiden Limes, ein Beweis, welche fruchtbareren Landstriche die Römer des Schutzes, und welche geringeren die Alamannen im 3. Jahrhundert der Ansiedlung werth hielten. Die aussen gelegenen Landstriche waren schon im 3. Jahrhundert die Sitze der Burguudioncn und der Armalausen und erscheinen im 5. Jahr- hundert von den Alamannen bis zur Wörnitz, und darüber hinaus von den Baiern eingenommen. Die fruchtbaren Thäler des Main und der Tauber gehören dem Gebiet der Gewannfluren an, mit Weilern dagegen sind von Alamannen bedeckt (ohne übrigens Gewanndörfer völlig auszusehliessen): zwischen dein Main und der Donau das grosse Plateau, das sich von Miltenberg aus zur Tauber erstreckt, der mittlere und obere Lauf der Jagst und des Kocher, die hohenloher Ebene, das Härdtl'eld und nur

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auf einer kleinen Strecke über die Limes eindringend der Welzheimer Wald und das Aalbuch bis Ulm ; ferner im Süden der Donau in Oberschwaben, in Vorarlberg und der Schweiz. Hier finden sich nach der Riese’sehen Karte (S. 250) zusammen- hängende Mengen von Orten mit der Endung weiler, und zwar an den Abhängen des Schwarzwaldes, im Norden der Donau jenseits der Limes und an beiden Seiten des oberen Bodensees, sowohl in Oberschwaben (abgesehen von dem die Donau be- gleitenden Strich der Namen auf ingen, S. 252) wie in der Schweiz.

Die Gewöhnung der Siedlung in Dörfern, Weilern und Einzelhöfen ist geblieben. Nach der württembergischen Statistik von 1881, bei der ich „Städte, Pfarrdörfer und Dörfer“ zu Dörfern, „Pfarrweiler und Weiler“ zu Weilern zusamnienreclme, gab es

in den Kreisen

Dörfer,

Weiler,

Einzelhöfe

Neckar

396

269

138,

Schwarzwald

51 1

342

277,

Jagst

409

1082

528,

Donau

524

1552

1644.

Die Weilerzone der Baiern erstreckt sich im Norden der Donau über die Altmühl, Rezat, Naab, den Regen, den bairischen Wald und den zwischen Regensburg und Passau zur Donau abfallenden Plateaurand, und an der anderen Seite des Flusses über den Südosten von Nieder- und Oberbaiern. Von hier dringen die Weiler südlich und östlich in die offenen Thäler, hier lagern sie auf vortrefflichem, selbst für Gewannfluren ge- eignetem Boden.

Zu den Rodungen im Wald und zu den Weileranlagen, die bis auf das 6. Jahrhundert zurückzuführen sein werden, gesellte sich die innere Umgestaltung der Zehntmark und die Auflösung derHufenverfassung. welche schon aus den Urkunden des 8. Jahr- hunderts zu entnehmen sind.

In den Zehntmarken waren die Gehöfte der Dörfer und deren Gewannfluren von jeher in dem ausschliesslichen Besitz der Gemeinschaft der Dorfgenossen und die Nachbarschaft brachte

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es mit sich, dass sie die Tlieile der Mark, welche sich anschlossen, vor den anderen Zehntgenossen, dann gleichfalls ausschliesslich zur Benutzung zogen. Es lag im gegenseitigen Interesse der Dörfer, sich hier gewähren zu lassen. So musste sich für den einzelnen Ort das Bewusstsein ausschliesslichen Besitzes, aus- schliesslichen Rechts entwickeln, und damit trennte sich Dorf, Flur und nahe Mark als Dorfmark von der Zehntmark los und ergab sich die politische Organisation des Dorfs: Versammlung der Dorfgenossen, Vorsteher (Heimbürgen) und Dorfmark- zuständigkeit.

Eine ähnliche Erscheinung musste sich hinsichtlich des Besitzes des einzelnen Hüfners herausstellen. Das Gehöft wurde wohl immer als sein Eigen betrachtet. Mit der Zeit schied auch seine Hufe aus dem genossenschaftlichen Besitz aus und wurde sein Eigen, vorbehaltlich der Beschränkungen, die sich ans dem Flurzwang und aus dem Weiderecht der Genossen ergaben.

Damit hörte innerhalb der Dorfmarken die mit der Hufen- verfassung verbundene Gleichheit des Besitzes auf. Die Hufe wurde theilbar. Die Eltern vertheilten sie gleicbinässig unter ihre Kinder und es gab dann halbe, viertel, sechstel, achtel Hufen. Dabei wurde jeder einzelne Gewannstreifen getlieilt, erst der Länge(Splisstheile), dann auch derBreite nach(Trummer). „Erst gesplisst und dann getrumpft.“ Bisher Zubehör der Land- hufe wurde das Markrecht von ihr losgelöst. Hufe und Hufen- theile einerseits, das Markrecht andererseits wurde vcräusserlich. Dieser Neigung zur Zertheilung, der das später recipirte römische Erbrecht entgegenkam, hat unsere Zeit die unendliche Zer- splitterung des Grund und Bodens im Alamannen- wie im Franken- lande zu verdanken. Die Beweglichkeit des Besitzes führte weiter hier zur Minderung, dort zur Häufung desselben und erweiterte den Gegensatz von Klein- und Grossgrundbesitzern. Hatte innerhalb der Dorftlur der Adel bereits einen grösseren Landbesitz, so konnte einen solchen auch der Reiche, der ver- möge seiner Hörigen und seines Viehs die Mittel zum wirth- schaftlichen Grossbetrieb hatte, erwerben und ihn durch Rodung steigern. Die alamannischen Gesetze des 7. und 8. Jahrhunderts unterscheiden den Adel, primi, die sonstigen Grossgrundbesitzer, mediani und die Kleingrundbesitzer, minoflidi.

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Je dichter die Bevölkerung der Zehntsehaften und Huntare, je ausgedehnter ihre Besitznahme wurde, umsomehr mussten die Genossen einander entfremdet, um so weiter der Weg zu der einigenden Malstätte werden. Dann schied man den Verband in zwei Huntarm und es gab dann statt der Einen zwei Huntaren- marken mit zwei Malstätten, und statt des Einen zwei Hunnen. Oder es zogen die Genossen oder die Grossen aus bewohnter Umgebung in die Wildniss von Wald und Gebirge hinaus, siedelten sich hier rodend an und bildeten erstarkt aus den neuen Zehnt- marken mit ihren Dörfern eine neue Huntare. Die Zahl der Huntaren eines Gaues vermehrte sich und während die altern in den Flussthälern und Ebenen zu suchen sind, finden sich die jüngern in hohem, weniger fruchtbaren Lagen. Auch in fremden Gauen sind Ansiedlungen benachbarter Gaugenossen zu finden (Wirtemb. Urkundenbuch Nro. 132). Die Zehntsehaften, Huntaren und Gaue, die ursprünglich isolirt gelegen hatten, von herrnloseu Waldgebieten umgeben, hatten sich einander genähert, aus den Grenzgebieten wurden Grenzlinien, und der Besitz erstarrte nun in festen Grenzen.

Meitzen findet, dass Oberdeutschland zwar Dorfmarken von Weide und Wald sowohl genossenschaftlicher wie grundherr- licher Art kennt, dass sich dort aber „im Wesentlichen nur in einem wenig ausgedehnten nordwestlichen Landstrich marken- ähnliche Organisationen, d. h. Wald und Weideländereien, an welchen die Einwohner verschiedener Ortschaften Nutzungs- rechte ausüben und für welche eine besondere genossenschaft- liche Verfassung und Verwaltung besteht“, befinden. Gemeint sind die Marken, die ich Zehnt- und Huntarenmarken benenne. Die Grimm'schen Weisthümer, welche Meitzen als Quelle benutzt, weisen jedoch solche für den grössten Theil des alamannischen Stammlandes nach, für den Westerwald, den Taunus und auch nach Meitzen selbst für die Wetterau, sowie die Gebiete zwischen Main, Neckar und Rhein und für den Schwarzwald. Es kann sich also nur um das suevische Gebiet vom Neckar und der Alb und um das deutsche Neualamannien handeln, und da will ich für Oberschwaben an die marcha Argungaunensium, Wirt. 132, und die grosse Mark Theuringen am Bodensee, marcha Duringas, Gail. 219 erinnern. Es dürfte jedenfalls bei diesem sonst noch nicht behandelten Gegenstand ausser dem Schweigen der Grimm'-

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sehen Sammlung noch nähere Untersuchung abzu warten sein. Vielleicht auch, dass hier früher als anderswo eine Aufteilung der grossem Marken zu Dorfmarken stattgefuuden hat. Jeden- falls sind jene in der Schweiz noch jetzt zu finden.

2. Die Verfassungsformen des alauiannisehen Gesetzbuchs.

Seitdem im Jahr 536 der Süden des Landes, welcher allein den Namen Alamannien bewahrte, dem fränkischen Reich an- gegliedert w'ar, blieb ihm das Stammesrecht, soweit es nicht durch Reichsrecht abgeändert wurde (S. 225).

Die politischen Formen, welche der Zeit der Ansiedlung und Freiheit entsprochen hatten, gingen in fränkischer Zeit der Zersetzung entgegen, und neue entstanden, dem Bedürfnis der Macht, der gesteigerten Bevölkerung, der intensiveren Cultur entsprechend. Der Gau, der Träger des Königthums, wurde zur Grafschaft eines fränkischen Beamten, welcher nunmehr die politischen Functionen übertragen wurden.

Was sich diesen Entwicklungen gegenüber als Stammes- recht erhielt oder bildete, trug den Namen Fhaat, wie wir aus einer Urkunde des König Ludwig von 867 erfahren, welcher einigen Bewohnern des Argengaus auf ihr Ansuchen das volle Recht der Alamannen verlieh, ut eis liceret, habere plenam legem, quae vulgo dicitur Phaat, sicutceteri Alamanni. Wirt. 142.

Als erste amtliche Sammlung alamannischen Rechts ist der Pactus Alamannorum aus dem Ende des 6. oder dem Anfang des 7. Jahrhunderts in 5 Fragmenten auf uns gelangt. Eine umfangreichere ist die Lex Alamannorum, die in einer Versamm- lung des Alamannenstammes unter dem Vorsitz ihres Herzogs zu Stande gekommen ist. Es heisst in ihr: Sic convenit duci et omni populo in publico concilio, Lex 41. Post conventum nostrum, quod conplacuit cunctis Alamannis, Lex 37. Ausserdem hat in einer St. Galler Handschrift aus dem Jahr 793 die Lex die Einleitung: Convenit enim majoribus nato populo Allamannorum una cum duci eorum Laufrido vel citerorum populo adunato, Lex 1. In zwei Handschriften trägt sie die Uebersclirift: Lex

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Alamannorum, qui temporibus Lanfrido filio (Gotofrido) renovata est. Lantl'ried war der letzte Herzog der ersten Epoche des Herzogthums, welcher 7.10 starb. Die Mehrzahl der Hand- schriften hat noch einen späteren Prolog: Incipit lex Ala-

mannorum, quae temporibus Hlodharii regis una cum prineipibus suis, id sunt 33 episcopis et 34 ducibus et 72 comitibus vel tetero populo constituta est. Sie wäre also in einer Reichs- versammlung von dem fränkischen König Ohiothar bestätigt; dieser könnte nur Chlothar IV. sein, welcher 717 719 regierte. Da der Herzog Lantfrid im Kampf mit der Reichsgewalt erlegen war, so mochte man Bedenken tragen, seinen Namen an der Spitze der Lex zu lassen und ersetzte daher Lantfrids Namen durch die Wendung temporibus Hlodharii. So Brunner. Chlothar kann aber auch nicht als Zeitgenosse des Lantfrid angesehen werden, da zwischen Beiden der Herzog Nebi 724 erwähnt wird, so dass als Abfassungszeit nur die Regierung des 730 gestorbenen Herzog Lantfrid bleibt.

Nach dem Stammesrecht zerfielen die freien, also politisch berechtigten Alamannen in drei Klassen, in die Minoflidi (die auf ihrer Fleet Sitzenden) oder Liberi, Gemeinfreie, Kleinbesitzer mit einem Wergeid von 160 solidi, in die Mediani, oder Medii, den niederen Adel, Mittelfreie mit einem Wergeid von 200 solidi und in die Primi, den hohen Adel mit einem Wergeid von 240 solidi. Während die zwei ersten Klassen in beiden Rechts- qnellen erwähnt werden, wird der Primi nur in dem Pactus gedacht, so dass sie zur Zeit der Lex bereits verschwunden waren. Pactus II 36 40; Lex 60.

Das Land wurde eine Provinz des fränkischen Reiches, infra, extra provinciam, Lex 7, 24; es kommen in demselben Sinn die Ausdrücke marcha, termini vor, foris marcha, Pactus •J, 15; extra marcha, Lex 46; extra termiuos, 45; foris ter- minum, 38; später auch provincia Alamannia und pagus Ala- mannia oder Alamannorum.

Die Provinz bildete ein Herzogthum, dueatus Alamanniae, dueatus Alamannicus, später auch dueatus Sueviae, das der Einheit des Reichs gegenüber die Selbstständigkeit des Stammes vertrat und daher von starken Königen unterdrückt wurde, später wieder erstand und nochmals verschwand. Buzelin und Deutbar um 550 mag man als Beamte und Heerführer der

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Könige (S. 225), als Amtslierzüge anseben, die späteren waren Stammberzüge. In einer ersten Periode der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts bis zu Karl Marteil um 730 sind neun Herzoge sicher nachzuweisen und nach den vereinzelten Jahres- zahlen ihres Lebens ist anzunehmcn, dass je ein Einziger regiert hat, dass er also Herrscher über ganz Alamannien war. Von Lantfrid, dem letzten Herzog, ist dies ausdrücklich bezeugt: er ist der dux, der cum omni populo, cunctis Alamannis die Lex erliess. Siehe P. F. Stalin I, 78 82.

Der fränkische König bestätigte den Herzog und war nach der Lex sein Herr, dessen Interesse jener zu wahren hatte. Regi domini suo; utilitatem regis implere, 35, aber andererseits hatte der Herzog den Charakter eines nationalen Landesherrn. Seine Stellung wird als eine Herrschaft, regnum 35 bezeichnet. Den Unterthanen gegenüber war Er der Herr, sein Eigenthum das des Herrn, res dominicae, 32. Seine Person, sein Bote, sein Hof, sein Eigenthum waren besonders geschützt, 28—35. Er konnte im Interesse der Landesvertheidigung und des Land- friedens das Heer entbieten, si dux exercitum ordinaverit, 26; er bestellte unter Mitwirkung der Huntarenversammlung die Hunnen, judex a duce per conventionem populi constitutus, 41, hatte wie der König ausserordentliche Gerichtsbarkeit, 17, 23, 42, 43, und gebot und verbot bei einer Strafe von 12 solidi, dem Herzogsbann, 27. So hatte das Herzogthum eine Art bundesstaatliche Stellung innerhalb des Reichsverbandes und wurde als die Reichseinheit verletzend von Carl Martell um 730 beseitigt.

Erst mit dem Erlöschen der Karolinger fand das Herzog- thum 917 seine Wiederherstellung, verlor aber in den Händen der Hohenstaufen seine selbständige Bedeutung, als bei ihnen Königthum und Herzogthum zusammenfiel. Mit Conradin nahm es 1268 sein Ende. In der Zwischenzeit von 730 917 und seit 1268 war Alamannien reichsunmittelbar, und gingen die Functionen des Herzogs auf den König über.

Zu dem Herzogthum Alamannien, später auch Schwaben genannt, gehörte ursprünglich sowohl das Eisass, als auch Currätien. Sie wurden aber im Lauf der Zeit davon getrennt und bildeten eigne. Ducate, um dann wieder dazu geschlagen zu werden. Getrennt scheinen sie schou im 7. Jahrhundert zu

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sein. Erst nach dem Ende der ersten Periode des alamannischen Herzogthums von 730 sind darüber Nachrichten vorhanden, ein Beweis, dass die Bezeichnung ducatus den Ländern blieb.

Zunächst kommen die Reichstheilungen der Könige in Betracht. Bei der Theilung Carl Martells, gestorben 741, er- hielt Karhnann Auster, Suavia, que nunc Alemannia dicitur, atqae Thoringia, Pippin der Kleine Burgundia, Neuster et Provincia. Hier ist unter Suevia noch das Eisass und Cur- rätien mitverstanden. In der Theilung Karls des Grossen von 806 ist dagegen vom Ducatus Curia die Rede. Die Theilung Lndwigs des Frommen von 829 bestimmte Karl den Kahlen zum dux super Alisatiam, Alamanniam, Riciam oder theilte ihm terra Alamannia et Redica, oder das regnum Alisacinsae et Coriae zu (nach den Aunal. Weiss. und Nant. und Thegan. Bicia, Redica, Coria ist Currätien). Nach dem Vertrag von Verduu von 843 erhielt Ludwig der Deutsche Alamanniam, oder totam Germaniam, id est . . . Alamanniam sive Rhaetiam, ultra Rhenuin (am rechten Rhein) omnia, citra Rhenum vero Xemetum, Vangium et Moguntiam civitatem pagosque sortitos {also nicht das Eisass); er herrschte in Alamannia et Coria (Historia regum Franc., Cont. Erceubr., Annal. Bert, und Nant.). In den Ann. Bert, wird 833 Alamannia neben Helisatia, 839 Ducatus Elisatiae und Ducatus Alamanniae neben Curia, in den Ann. Xant. 869 Coria neben Alamannia genannt, in dem Galler Irkundenbuch No. 675 im Jahr 890 Alamannia vel (copulativ) Alisatia.

Diesen die drei Länder unterscheidenden Sprachgebrauch fand die zweite Periode des Herzogtums, beginnend mit dem •Dihr 917 vor. Sie wurden wohl unterschieden, aber nicht von einander getrennt. Alamannien und Eisass hatten Einen Herzog. So heisst es 1002 Dux Alamanniae et Alsatie, 1126 Dux Sueviae ?el Alsatiae, 1138 im Wirt. Urkundenbuch III S. 466 Friderici, ducis Sucvie porro et Alsatie, während die gleichzeitige Nach- richt der Annal. Colon. Rec. 2, S. 758 Conradus dux Alemanniae, irater Friderici ducis Alsatie (nach Weitz) auf einem falschen Ausdruck beruht: der damalige Herzog war Friedrich II.; sein Bruder Conrad, der auch den Herzogstitel der Hohenstaufen lührte, war der spätere Kaiser Konrad III. Für Currätien finden sich wohl die Ausdrücke provincia Raetia, provincia

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Raetiae Curiensis, provincia Curevala, ducatus Curiensis, aber es blieb bis zum Erlöschen des Königshauses der Hohenstaufen mit dem Herzogthum Schwaben verbunden, allerdings vermöge der seit dem 10. Jahrhundert entstehenden Herrschaften immer lockerer. Planta Geschichte von Graubünden S. 39, 40. Ein- mal wird der Herzog als Raeticarum vel Jurensium partium dux bezeichnet, Folcuin c. 12, S. «0.

So war Alamannien, in früheren Zeiten ein Conglomerat autonomer Gaue, die sich nur vorübergeheud zu Kriegszwecken verbanden, in fränkischer Zeit und im Mittelalter eine politische Einheit auf nationaler Grundlage geworden und schon erschien es den Nachbarvölkern, zumal den Italienern, Burgundern und Franzosen als die Verkörperung Deutschlands: Alamanni, Ala- mannia wurde der Name für die Deutschen, für Deutschland, Alamannia stellte mau Gallia und Italia gegenüber, die Regna Alamanniae wurden das römische Reich deutscher Nation, und Reges Alamannorum, Alamannici, Alamanniae die deutschen Könige. Auch die Suevi, die Schwaben nahmen an dieser Namenserweiterung Theil, bis beide Namen sich gleichwertig neben die alten der Germani und Teutoniei stellten und wie im Ausland so auch in Deutschland selbst Verbreitung fanden. Noch heute werden wir in Frankreich Allenmnds, Allemagne genannt.

(Siehe die Citate bei Waitz III, 32 und 354; IV, 678, V, 7, 10, 129, 156, 165—167; VII, 104 flgde.).

Ausser der provincia und dem rex und dux erwähnt die Lex an Verbänden und deren Beamten die Grafschaft, locus 39 (später comitatus und ministerium), den Grafen, comes (häufig) und dessen Boten, missus comitis, 36 Absatz 1 und 3; die Huntare, centena, 36, und deren Hunnen, centenarius 36, Ab- satz 1, 2, 3, centurio, 27, judex, 22, 36, 39, 41, 42; die Zehnt- schaft des Heeres, heris generatio, Paetus II, 45, und die an- gesessene Zehntschaft, genealogia, Lex 81.

Jede Huntare hatte Einen Hunnen. Da aber eine Mehrheit von Hunnen in der Grafschaft vorkommt, a judicibus loci, 39, ab aliis judicibus, 41, so ergiebt sich, dass die Grafschaft der Lex aus mehreren Huntaren bestand. Nicht die Grafschaft, sondern jede Huntare hatte ihre Versammlung, conventio populi. 41, conventus, 36, Absatz 1, placitum (placitus), 36, Absatz l

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uud 3, mallus, 36, Absatz 2. Sie trat an der Malstätte, Ding- slätte, mallus publicus 17, der Huntare zusammen.

Der Graf, dessen Stellung der Verfassung das charakte- ristische Gepräge gab, war ein über die Grafschaft gesetzter Beamter, der von dem Herzog (König) ernannt und entsetzt wurde. Er entbot auf Befehl des Königs oder Herzogs oder selbständig den Heerbann der Grafschaft zur Wahrung des Landfriedens, und war der Führer des Aufgebots. Er verwaltete die Grafschaft, übte die Polizei, erhob Steuern, Zölle und Strafgelder (fredus, bannns) und übte die ordentliche Gerichts- barkeit als Vorsitzender des Gerichts nnd als Vollstrecker des Urtheils. Er gebot und verbot bei einer Strafe von 6 solidi, Grafenbann, Lex 27 und epitome 8. Die Lex erwähnt im Uebrigen nur seiner gerichtlichen Funktionen, 36, Absatz 1, 2, 3; 38. Er wurde durch seinen Boten, missus, vertreten, 36.

Der Hunne war der Beamte der Huntare. Er wurde vom Herzog unter Zustimmung der Huntarenversammlung ernannt, a dnee per conventionem populi judex constitutus, 41, nach Auf- hebung des Herzogthums vom Grafen. Er war der ausführende Beamte des Grafen. Als solcher verkündete er das Aufgebot zum Heerbann, zog die öffentlichen Einkünfte ein und vollstreckte die gerichtlichen Urtheile in Straf- nnd Civilsachen. Er bannte hei einer Strafe von 3 solidi, Hunnenbann, epitome legis 9. Im Uebrigen war er bei der Leitung des Gerichts und hervorragend hei der Rechtssprechung betheiligt.

Das Geruht wurde nach altem Brauch in jeder Huntare an der hergebrachten Malstätte, seenndum consuetudinem antiquam in omni centena, 36, in publico mallo 17 abgehalten. Es be- fand in der Huntarenversammlnng, in der zu erscheinen jeder Huntarengenosse bei einer Strafe von 12 solidi verpflichtet war. Gerichtssitzung, placitum, eonventus war alle 8 oder 14 Tage, nachdem der Friede in der Provinz geringer oder besser war. Her Tag war der Sabbath oder welcher andere Tag dazu be- stimmt wurde. Diese durch die Lex 36 bestimmten Gerichts- sitzungen waren die echten oder ungebotenen Dinge. War es erforderlich, so konnten noch weitere, die gebotenen Dinge un- besetzt werden. Vorher angesagt wurde aber jedes Ding.

Zur Haltung der Gerichte bereiste der Graf die verschiedenen Huntaren sejner Grafschaft. Das Gericht war daher das Grafen-

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gericht, das Gericht, coram comite, ante comitem, 36, Absatz 2 und 3; 38. Seine Anwesenheit, so wie die des Hunnen der bestimmten Huntare war erforderlich. Der Graf hatte den Vorsitz, der Hunne den Mitvorsitz. Coram comite et coram centenario, 36, Absatz 1. Ante judice sno. Illo centenario, qni praeest, Absatz 2. Der Graf konnte durch seinen Boten ver- treten werden. Coram comite aut suo misso; misso comitis; missus comitis, 36, Absatz 1, 2, 3. Der Hunne lud den Be- klagten, ut ille judex illum distringat, 36, Absatz 2.

Er war zugleich der Gesetzsprecher, esago, welcher in der Lex nur den allgemeinen Beamten-Namen judex führt. Als solcher machte er der Huntarenversammlung den Urtheilsvor- schlag, judicium. Er war der judex constitutus, ut causas judicet.

Si just.e judicaverit, si contra legem judicavit

injuste judicaverit, 41, Absatz 1: (Die Partei, welche) illius, qni

ad judicandum constitutus est, judicium contemnit: Just um

judicium, Absatz 2; Cognoscat judex, 42. Dieser Vorschlag konnte durch die Worte: Non recte judicas gescholten werden, wodureh die Sache anderen Hunnen der Grafschaft, aliis judicibus, 41, Absatz 2, zum Urtheilsvorschlag überwiesen wurde. Sie bildeten dann ein Collegium, das z. B. auch eine unerlaubte Ehe trennte, a loci judicibus, 3‘J. Die anfechtende Partei oder der angefoehtene Hunne, welcher bei deren Vorschlag unterlag, zahlte dem Anderen 10 solidi. Der Vorschlag wurde durch die Zustimmung, Vollbort der Versammlung zum Urtheil erhoben und durch den Grafen oder den Hunnen vollstreckt. Es ist die gemeine Meinung, dass der Hunne und der judex ein und die- selbe Person sei, und dass Jener vermöge seiner gerichtlichen Thätigkeit zugleich die Bezeichnung judex führe.

Die Zehnt schuft wird in zwei Formen vorgeführt. Vor der Zehntschaft des Heeres wurde der Lite freigelasseu, litus in heris geuerationis dimissus, Pactus II, 45, und zwei angesessene Zehntschaften stritten mit einander über die Grenze ihres Besitz- thums, contentio inter duas genealogias de termine terrae eorum, Lex 81.

(Siehe die fränkische .Reichs- und Gerichtsverfassung von Solim und die deutsche Rechtsgeschichte von Schröder und von Brunner.)

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3. Die karolingischen Verfassungsformen.

Während in der Königszeit zumal der Gau und die Huntareu die festen geographischen Grundlagen der Verfassung bildeten, fiel in der Grafenzeit zunächst die Grafschaft mit dem Gau zusammen, man darf sie daher bei Einem Grafen, mehreren Huntaren und Hunnen, die Oauffrafsduift nennen.

Als solche haben sich in der Erinnerung erhalten die Gau- grafschaft des nördlichen Albgaus, Jahr 1127 comitatus Alpium, Wirt. 290, und die des Breisgaus, Jahr 870 und 1095 comitatus Brisigauge oder Brisiguensis, Gail. Nr. 555 und Bad V, Nr. 15. Die Gaugrafschaft wurde der Beginn einer langdauernden geographischen Entwicklung der Grafschaft, die sich in zwie- facher Richtung bewegte.

Die Eine vollzog sich innerhalb des Gaubezirks ans sach- lichen, administrativen Gründen und daher durchaus systematisch. Als die Bevölkerung zunahm und die Ansiedlungen sich aus- delmten, erschien die Verwaltung einer Gaugrafschaft durch Einen Grafen nicht mehr ausreichend. Man zerlegte sie daher in zwei oder drei Grafschaften mit je Einem Grafen, mehreren Hnntareu und Hunnen, in TfieUgattgrafiehaften z. B. den Klett- gau in den engern Klettgau und westlichen Albgau, den Aargau in den obern und untern, den Thurgau in den engern Thurgau und Zürichgau, und als dann auch diese zu umfangreich er- schienen, löste mau sie auf und machte die Huntaren mit Einem Grafen und Einem Hunnen zur Huntan-nyraf schaft, z. B. die Hattenhuntare, comitatus et centena Alfa. Man kam daher von dem Satz: Ein Gau, Eine Grafschaft, zu dem: Ein Theil- gau, Eine Grafschaft und dann zu dem: Eine Huntare, Eine Grafschaft. Auch wurde die zweite und dritte Form combinirt, von den zwei Theilgaugrafschaften blieb Eine bestehen, während die andere sich in Huntarengral'schaften auseinanderlegte. So wurde der obere Neckargau augenscheinlich in Theilgaugraf- schaften getheilt, von denen wir den Namen der Einen, gleich- falls Neckargau kennen, während an Stelle der anderen, nicht überlieferten nur die Huntaren genannt werden. Wurde die Huntare selbst getheilt, so war die Theilung der Grafschaft die Folge.

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Die andere Richtung der Entwicklung lief neben der ersten her. Sie ging über die Grenze des Gaus hinaus und ist auf politische Gründe zurückzuführen, auf den Wunsch, in einzelnen Grafenfamilien eine grosse Macht zu vereinigen. Die Gestaltung der neuen Grafschaften war daher eine unterschiedliche; man schuf wiederum grosse Grafschaften, indem mau zu diesem Zweck einem Gau mehrere Huntaren hinzufügte, oder mehrere Huntaren verschiedener Gaue zusammen zu einem Ganzen ver- band. Da ihnen die geschichtliche landschaftliche Bezeichnung fehlte, so wählte man dafür den Namen ihres Grafen in der Zusammensetzung mit Bara, z. B. die Bertholtsbar, Jahr 11 OS Para, comitatus Bertholdi, Schweizer Quellen 3, 74; Jahr 880 comitatus Peretoldespara, Gail. 653; Jahr 880, 961, 999 comi- tatus Bara, Gail. 614, Wirt. 185, Bad. 37. Dies waren die in Deutschland um Neckar und Donau gelegenen Bargrafschaften, die, wie sie entstanden, dann wiederum in Huntarengrafschatteu zerfielen. Vielfach vereinigte man auch mehrere der letzteren in der Hand Eines Grafen, ohne dass sie als Eine Grafschaft bezeichnet wären, z. B. Albertus comcs duos comitatus habuit antiquos valde Haigerloch et Hohenberg (die alteu Huntaren Haglegau und Scherra. Glossator des Mathias von Neuenburg).

So verdrängten die Theilgau- oder die Bargrafschalten die Gaugrafschaften, und wurden wieder von den Huntarengraf- schaften abgelöst. Von den geographischen Grundlagen der Königszeit blieb also nur die Huntare. Gab es in der Graf- schaft nur Eine Huntare, so fiel das Collegium der Hunnen (S. 302) hinweg und es musste an diesem Punkte eine Ver- fassungsänderung eintreten. Die einzelnen Phasen der Ent- wicklung lassen sich zeitlich nicht feststellen. Zur Zeit der Karolinger gab cs keine Gaugrafschaften mehr, der Begrift' des Gaus war damals schon obsolet geworden, und in buntem Neben- einander bestanden Theilgau-, Bar- und Huntareugrafsehaften.

Es ergiebt sich sonach, dass die Grafschaft geographisch ein Begriff von mannigfaltiger Gestaltung war. Wollte man versuchen, ein Bild der alamannischen Grafschaften zu zeichnen, das allerdings nur ein lückenhaftes sein könnte, so würde es von Generation zu Generation ein anderes werden.

Karl der Grosse wird gelobt, dass er jedem Grafen nur Eine Grafschaft bewilligt habe. Gesta Caroli 1, 13, Mon.

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Germ. 2, 736, was wohl nur heissen kann, dass er den Umfang der bestehenden Grafschaften gewahrt und keine durch Zufügung anderer vergrößert habe.

Soweit auf der Grundlage der Grafschaften und ihrer Ab- theilungen, der Huntaren, Zehntschaften und Dorfschafteu die karolingische Gerichtsverfassung sich auf baute, mögen ihre Grundzüge hier dargestellt werden. Zunächst gestaltete Karl der Grosse sie für das gesammte Reich reformirend in den Jahren 770 775.

Es wurde hohe und niedere Gerichtsbarkeit unterschieden, die erstere über Blut, Freiheit und Eigen, die letztere au Haut und Haar, über Geld und fahrendes Gut. Karl liess jene dem Grafengericht der Huntarenversammlung und übertrug diese einem Hunnengericht. Weiter ordnete er lebenslängliche Schöffen in jeder Huntare an, die in der Zahl von sieben als festes Kollegium fungirten.

Für das Grafengericht, als echtes, ungebotenes Ding, blieb die allgemeine Dingpflicht der Huntarengenossen; es blieb das Vollgericht, dessen Gerichtsversammlungen auf drei placita jährlich festgesetzt wurden. Die Schöffen hatten den Urtheils- vorschlag und die Vollbort (Zustimmung) der Versammlung blieb erforderlich.

Das Hunnengericht, als gebotenes Ding, bestand aus dem Hunnen und den Schöffen, wurde das Schöffengericht, neben dem sich die Anwesenheit der Huntaren erübrigte. Die Sitzungen waren minus placita.

In Alamannien fand das Schüffeneolleg einen Anknüpfungs- punkt an dem Colleg der Hunnen (S. 302), das nach der Lex bei Berufungen gegen den Urtheilsvorschlag und bei der Trennung ungültiger Ehen fungirte, ab aliis judicibus 41, a loci judicibus 39, aber trotzdem behauptete sich der Gesetzsprecher, esago, hier in seiner Stellung noch im 8. und 9. Jahrhundert, allerdings mit Unterordnung unter den Grafen.

Für die weitere Entwicklung der Gerichtsverfassung ist zwischen Grafschaften mit mehreren Huntaren (Theilgaugraf- schaften, Bargrafschaften) und mit einer (Huntarengrafschaften) zu unterscheiden.

In ersteren durchzog der Graf die Huntaren, um mit den Genossen an der Malstätte einer jeden das hohe oder Land- er a m e r , Geschichte der Alamium?u, 20

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gericht abzuhalten, während der Hunne mit den Schöffen das Niedergericht jeder Huntare bildete. Dieses übte auch als Nothgericht bei handhafter That die Blutgerichtsbarkeit aus.

In den Hnntarengrafschaften hielt auf der Einen Malstätte der Graf oder ein von ihm eingesetzter Landrichter, der oft ein Hunne war, das hohe Gericht ab, wogegen die niedere Gerichts- barkeit auf die Zehntschaften, auch wohl auf die Dorfschaften, deren Vorsteher und Schöffen überging. An diese Niedergerichte der Zehntschaften wurde auch wohl der Blutbann und die Ge- richtsbarkeit über Eigen übertragen, so dass dem Hochgericht nur die Verkündigung des Weisthums verblieb, wegen deren man sich alle paar Jahre versammelte, bis auch dies in Ver- gessenheit gerieth.

In den Huntaren-, Zehnt- und Dorfmarken versammelten sich jährlich die Markgenossen zu Märkerdingen in Angelegen- heiten der gemeinen Mark. Ihre Gerichtsbarkeit wurde uuter dem obersten Märker durch die Gesammtheit der Genossen oder durch Markschöffen ausgeübt.

Eine systematische Darstellung der Obrigkeiten des fränk- ischen Reiches giebt Walafried Strabo, der Bischof von Reichenau (gestorben 849) in einer Stelle, deren hinsichtlich der Zahlnamen bereits S. fi4 und 65 gedacht ist. Um die Stellung der Obrig- keiten zu charakterisiren, setzte er sie in Parallele mit den kirchlichen Behörden, und zwar den Grafen mit dem Bischof (?), dessen Boten mit dem Chorbischof, den Hunnen mit dem Erz- priester der Taufkirche, den Zehnter mit dem Presbyter, die Unterbeamten mit den Diakonen, Subdiakonen u. s. w. „Die Grafen, comites, sagt er, setzen ihre Boten, inissi, über das Volk der Grafschaft, und diese entscheiden geringere Sachen, während jene die bedeutenderen (nach ihrem Ermessen) sich Vorbehalten. (Es sind Sachen der höheren Gerichtsbarkeit ge- meint.) Die Hunnen, centenarii, centuriones, vicarii werden für den pagus (hier die Huntare) bestellt (Fünfzigschaften und deren Vorsteher, quinquenarii, von denen weiter die Rede ist, kommen in Alamannien nicht vor). Unter den Hunnen stehen die Zehnter, decani, centuriones, welche die niedere Gerichtsbarkeit ausüben.“ Die weiter genannten Unterbeamten sind jedenfalls zum Theil alamannisch. Es sind „die collectarii, quaterniones, duumviri, Untergebene der Hunnen, welche durch ihren Zahlnameu be-

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künden, dass sie auch geringer sind als die Zehnter“. Nur die Funktionen der collectarii sind bezeichnet. „Sie berufen die Genossen zur Versammlung,“ sind also Büttel. Comites missos 'Uos praeponunt popularibus, qui minores eausus determinent, ipsis majora reservent. Centenarii, qui et centuriones et vicarii, qui per pagos statuti sunt. . . Decani et centuriones, qui sub ipsis vicariis qnaedam minora exercent. . . Sub ipsis ministris centenariorum sunt adhuc minores, qui collectarii, qnaterniones et duumviri possnnt appellari, quia colligunt populnm et ipso numero osteudunt, se decanis esse minores.

Die Urkunden der Karolinger Zeit gaben für die Verbände und Obrigkeiten Alamanniens noch andere Bezeichnungen wieder. Für den Grafen, comes, scheint der Ausdruck grafio nicht vor- zukommen. Die Grafschaft, gewöhnlich comitatus, hiess auch ministerinm z. B. Jahr 817, Gail. 226, und im 13. Jahrhundert im Eisass comitia, comecia. Als. dipl. 480 und 786. Der Hunne, centenarius, trug noch wie früher die Namen centurio, Jahr 830, 877, 80, 885 sub comite et ceuturione, Gail. 332, 693, und judex 64t; ferner wie bei Strabo auch die Bezeichnung vicarius, in Deutschland Jahr 807, 837, 838, 860, 874, 887, Gail. No. 195, 369, 377, 470, 581, 657, in der Schweiz Jahr s47, Gail. No. 402: ferner tribunus, in Deutschland Jahr 764, Gail. 42, speziell dem Eisass Jahr 728, Pardessns II. No. 543, in der Schweiz Jahr 779, 789 (ein tribunus und ein judex), 863 (sub comite et tribuuo), Gail. 85, 120, 494: tribunus Arbonensis, \ Jahrhundert, Vita S. Galli; endlich Schultheiss in der deutschen •Schweiz Jahr 772 sculdatio, Jahr 789 scultaiczns, Gail. No. 62, 121, in Currätien Jahr 817 escultaizo, Jahr 800 -820 scultaizus, Gail. 224, 354; hier kam auch 960 die Schnltheisserei als Huntare vor, centena et scultatia Curiensis, von Mohr Cod. dipl. Haet. In dem deutschen Alamannien scheint die Bezeichnung Schultheiss nicht aufzutreten.

Die über das ganze Gebiet von Alamannien (und Franken) ausgedehnte Grafschaftsverfassung erhielt sich bis zum 12. Jahr- hundert. Dann wurde sie zunächst in ihrer territorialen Grund- lage durch ausgedehnte Immunitätsherrschaften durchbrochen, welche mit der Erwerbung der hohen Gerichtsbarkeit aus den Grafschaften ausschieden. Diese wurden auch ihrem Charakter nach verändert, indem das Lehens wesen aus dem gräflichen

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Beamten einen erblichen Vasallen machte, der sieh dann zum selbständigen Landesherrn umgestaltete. Die Grafschaftsgebiete, so weit sie noch neben den Immunitätsgebieten bestanden, lösten sich entweder in ihre mit der hohen Gerichtsbarkeit ausgestatte teu Zehntschaften auf, oder verschwanden durch vielfache Verände- rungen in neuen Territorien unter Landesherrn, auf welche die gräfliche Gerichtsbarkeit überging, oder sie blieben mit der hohen Jurisdiction im Besitz der gräflichen Landesherrn. So haben sich zumal in Oberschwaben landesherrliche Grafschaften bis zur Auflösung des Reichs im Jahr 1806 erhalten.

Auch Marken jeder Art sind trotz aller Aufteilungen bis auf unsere Tage bestehen geblieben (Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte und Zeitschrift der Savignystiftung für RG. XI, 244).

4. Die fontinuität der Gaue und Iluntaren.

Erst jetzt kann die Frage der Continuität der Gaue und Huntaren sammt ihren Zehntschaften zum Abschluss gebracht werden.

Für die Königszeit ist bereits geschildert, wie die Ala- mannen seit der Mitte des ,3. Jahrhunderts in dem neuen Land sesshaft waren und von den Römern des Besitzes nicht mehr entsetzt wurden; wie die Gaue eine politische Einheit bildeten, und die Huntaren mit ihren Zehntschaften eiu fest umschriebenes Ganze, eine wirthschaftliehe und administrative Einheit dar- stellten. Dann konnten die Gaue der alten und die der neuern Zeit (des 4. und 8. Jahrhunderts) vergleichend neben einander gesetzt, die alamannische Geschichte im Rahmen dieser Gaue erzählt, und die Zustände des Stammlandes während der Aus- wanderung des 5. Jahrhunderts dargestellt werden. Bis dahin war für die freien Alamannen kein Anlass an dem territorialen System ihrer alten Gaue und Huntaren Veränderungen vor- zunehmen, wenn auch der Rückgang der letzteren nicht zu ver- kennen war.

Dann trat der grosse Umschwung um die Wende des 5. und 6. Jahrhunderts ein. Der alamannische Xorden und ins-

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besondere der des Stammlandes wurde von grossen Massen von Alamannen geräumt und feindlich von Franken, der Süden friedlich von flüchtigen Stammgenossen überschwemmt und be- siedelt, und weiter ging 536 auch der Süden in das fränkische Reich auf.

Wenn nun 496 im Norden die Franken das aiamannische Königthum in das Beamtenthnm von Grafen umwandelten, und die Hunnen beibehielten, deren Amtsbezirke gleichfalls Gaue und Huntaren waren, werden sie da neue Gaue und Huntaren sammt Zehntschaften geschaffen haben? Neue Huntaren, welche an die Stelle der noch bestehenden traten? Im Gegentheil muss man annehmen, dass sie die Vortheile eines bestehenden wirthschaftlichen Systems, das dem Bedürfnis und dem Ge- deihen von Menschen und Vieh diente, nicht anfgaben und das Erbe alamannischen Besitzes, wo sie ihn vorfanden, antraten. Blieben aber die Huntaren in ihrem Bestand, so konnten neue Gaue nur gebildet werden, wenn die Huntaren zu neuen Gau- einheiten grupjiirt wurden. Die Franzosen warfen während der Revolution alle historischen Bezirke über den Haufen und setzten eine Neuschöpfung an deren Stelle, ein systematischer Radika- lismus, für den sich im 5. Jahrhundert kein Platz findet. Die Franken werden es somit um 500 im Norden bei dem bestehenden territorialen System gelassen haben. Die Gaue blieben dieselben, wie die Huntaren. Aber das Gebiet der Gaue war, da die schlechter gelegenen, jüngeren Huntaren verschwanden , an seinen Grenzen vielfach ins Freie gefallen und wenn die massen- haft eindringenden neuen Ansiedler sie wieder in Besitz nahmen, werden die Gaue an ihren Rändern vielfach verschoben sein.

Der Süden blieb um 500 von feindlicher Einwirkung frei und alamannisch. Die flüchtigen Einwanderer vom Norden waren befreundete Stammgenossen, denen in den weiten Gebieten des Eisass, Süddeutschlands und der Schweiz Raum zur Be- siedlung gewährt wurde, sei es unter Aufnahme in den Mitbesitz an geräumigen Huntaren. sei es unter Ueberweisung unbebauter Waldstrecken. Aber man räumte vor den Flüchtlingen weder den Besitz, noch richtete man neue Gaukönigreiche ein. Im südlichen Stammlande traten dieselben Verhältnisse ein wie im Norden, und die neualainannischen Gaue mögen erst jetzt zum Gebirge sich fortgesetzt und dann ihre definitiven Grenzen ge-

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fanden haben. Diese Entwicklungen fallen in die kurze ost- gothische Zeit (496 536) und als auch der Süden dann an das fränkische Reich kam, blieb ihnen „ihr väterliches Recht“. Zu einem Umsturz der Gaue war kein Anlass.

Seitdem war innerhalb des fränkischen Reiches in dem südlichen Alamannien die Entwicklung der Dinge eine wesentlich friedliche. Die Colonisation des Landes vollzog sich im inneren Ausbau, und dessen Geschichte gehört auch die Theilung der Gaue und Huntaren an, welche nur innerhalb derselben neue Grenzen schuf. Kein störendes Ereigniss trat mehr ein.

Hiernach lässt sich der Gang der Entwicklung der Gaue, Huntaren und Zehntscbaften so fassen: Die Schilderung der Gaue von der Mitte des 4. Jahrhunderts, die sich aus Ammian gewinnen lässt, darf auf die Zeit der ersten, festen Besiedlung, die Mitte des 3. Jahrhunderts zurückbezogen und bis zum Ende des 4. Jahrhunderts erstreckt werden. Denn in diese Zeit fällt, abgesehen von den schweren, aber immer wieder ausgeglichenen Verlusten an Menschenleben, welche die unglück- lichen grossen Kriege mit sich brachten, kein Geschehniss, welches auf die naturgemässe Gaubildung von Einfluss hätte sein können. Die Huntaren erweiterten sich allmälig an Umfang und die Gaue mit ihnen.

Die Entwicklung wurde aber mit dem Beginn des 5. Jahr- hunderts, der Zeit der grossen Wanderung, rückläufig. Die Zurückbleibenden zogen sich auf die ihrem Bedürfniss genügenden, älteren, fruchtbaren Huntaren zurück und damit schmälerte sich der Umfang der Gaue, welche die überflüssigen Grenzstriche der Wildhiss Zurückgaben. Die über dem Rhein und der Donau neu gegründeten Verbände mögen von ähnlicher Dichte der Bevölkerung und ähnlicher Ausdehnung gewesen sein. Die rapide Einwanderung um 500 liess dann im Norden wie im Süden Gaue und Huntaren in ihrem Bestände unberührt, schuf aber neue Huntaren hinzu und dehnte so die Gaue aus, bis ohne trennende Waldöden Gau an Gau stiess. Die Neubildungen an den Grenzen werden vielfach zu Verschiebungen der alten verwischten Grenzen geführt haben. Seitdem gab es keine Grenzverrückungen mehr, sondern nur noch Theilungen der Verbände.

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Gaue, Hilmaren und Zehntschaften erhielten sich also constant, so weit nicht die Auswanderung des 5. Jahrhunderts sie räumlich einschränkte und das Einströmen neuer Ansiedler um den Anfang des 6. Jahrhunderts sie etwa zu neuen Grenzen ausdehnte.

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Zehntes Kapitel.

Die politischen "©erbäncle Ollamanniens.

1. Die Knnlttluiu; der Verbünde.

Ans alamannischem Gebiet von dem fränkisch gewordenen Norden sehe ich in diesem und dem nächsten Kapitel ab sind zahllose Urkunden über Veräusserung von unbeweglichem Eigen aus dem 8. und späteren Jahrhunderten auf uns gekommen, von den Königen ausgestellte Urkunden, vor dem Grafen und Hunnen auf der Malstätte aufgenommene und Privaturkunden mit 6 oder 7 Zeugen, wie letztere in dem ersten Kapitel des alamannischen Gesetzbuchs für Vergabungen an Kirchen vor- geschrieben waren. Massen dieser Urkunden sind veröffentlicht, und es seien hier von den Sammlungen des vorigen Jahrhunderts die Urkundenbücher Neugarts über Alamannien, Schöpflins über das Eisass, sowie der Codex des Kloster Lorsch, aus diesem Jahrhundert die Urkundenbücher Dümges über Baden, Kauslei-s über Württemberg, der bairischen Academie über Baiern und Wartmanns über das Kloster St. Gallen erwähnt.

In diesen Urkunden sind die Grundstücke nach Orten und diese in den meisten Fällen nach Gauen, Huntaren, Marken in den verschiedensten Formen (Baumann, Gaugrafschaften S. 8 17) bezeichnet und auf diesem Material beruht unsere Kenntniss der Letzteren, die Gaugeographie.

Um Gaue, Huntaren, Marken und Grafschaften festzustellen, dürfte man nur alle die Orte zusammenlesen, welche als in demselben Verband liegend verzeichnet sind, wenn die Gattung der Bezirke in allen Fällen zu erkennen und das Verzeichniss der Verbände und Orte im Wesentlichen vollständig wäre. Aber keines von beiden ist der Fall.

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Das Material der Urkunden ist ein lückenhaftes, bei dem der Zufall eine grosse Rolle gespielt hat. Er hat es gewollt, dass eines Orts nnd des Verbandes, dem er angehörte, Erwähnung geschieht, da in ihm eine Vergabung vorgekommen; er hat es herbeigeführt, dass gerade diese Urkunde erhalten, und dass von den vielen in den zahlreichen Archiven verborgenen gerade diese veröffentlicht ist. Andere Orte, selbst andere Bezirke sind uns dagegen nicht überliefert, oder ihre Urkunden harren noch der Veröffentlichung.

Hinsichtlich der Erforschung von Gauen und Huntarm aus dem Inhalt der Urkunden sind drei Stadien zu unterscheiden.

Zunächst ist festzustellen, welchem Ortsnamen der Urkunden der Name der Jetztzeit entspricht, eine in den Urkundensumm- lungen übernommene Arbeit, die öfter ohue Ergebniss ist, da der Ort abgegangen oder nicht zu ermitteln oder zweifelhaft zu bestimmen ist.

Dann sind die Orte zusammenzustellen, welche demselben Bezirk angehören. Es kommt aber vor, dass derselbe Ort, durch Eine Urkunde diesem, durch eine andere jenem Verband zngewiesen wird, so z. B. Aichstetten OA. Leutkirch, das 980 als Ort des Illergaus, 1043 als Ort des Nibelgaus aufgeführt ist; ein Widerspruch, den man wohl durch Unterstellung eines Irrthums oder einer Grenzverrückung zu lösen versucht hat. Aber der Fall ist durchaus normal. Jeder Ort gehört zwei Verbänden an, einem höheren, dem Gau und einem niedrigeren, der Huntare; so Aichstetten dem Illergau als dem Gau, dem Nibelgau als der Huntare. Derartige Doppelbezeichnungen sind die besten Wegweiser für die Feststellung von Gauen und Hnntaren.

Ein anderer Fall ist der, in welchem derselbe Ort zwei Verbänden gleichen Ranges angehört, als Grenzort zur Hälfte dem einen, zur Hälfte dem andern, so z. B. Dusslingen OA. Tübingen, das durch die Steinlach in zwei Theile zerlegt wurde; Jahr 888. In pago Hattenhunta et Sulichgeiuua in comitatibus Peringarii et Eperhardi villa, que dicitur Tuzzilinga, Wirt. 162. Ebenso ist Schaffhansen und die Enge dem Klettgan und Hegau, Trossingen OA. Tuttlingen den Huntaren Scherra und Nidinga, Hayingen OA. Münsingen den Huntaren Affa und Swerzenhuntare

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und, wie es scheint, Kempten den Huutaren Allgäu und Nibel- gau gemeinsam.

Andere Specialitäten sind zwei Namen für denselben Bezirk : Arbongau heisst auch, wie anzunehmen, Waldrammireshuntare und derselbe Name für drei Verbände: Der nördliche Albgau (rauhe Alb), die westliche Theilgaugrafschaft Albgau (Schwarz- wald) und der östliche Alpgau, (jetzt das Allgäu).

Ist der Verband des Orts nicht angegeben, wohl aber dessen Grafenname und ist dessen Grafschaft aus andern Urkunden bekannt, so kann auf diese Weise auch die Lage des Orts in der Grafschaft festgestellt werden.

Hier einige typische Beispiele der Bezeichnung der Lage von Orten in verschiedenen Verbänden, und zwar in Herzogthümern :

764. In ducato Alamannorum in pago Brisigaviensi (Breisgau) in fines vel in marcas Binubheime, Neug. 41.

815. In pago Alsacense ct in pago Algagense (Eisass, Huntare Eisgau) in Bethoniscnrte, Stricker 376; in Gauen:

790. In pago Prisigauia (Breisgau) in loco Witraha, Gail. 126:

829. In pago Turgauve (Thurgau) in locis Seheim et Turbatun snb comite Erchanbaldo, Gail. 326; in Huntaren:

789. In pago, que dicitur Hattenthuntari in villa que dicitur Hacliinga, Gail. 123;

860—61. In pago Linzigouve in loco Keranberg. Actum snb Oadalricho comite, Gail. 475.

873. In pago Linzgowe in comitatu Odalrici in villa, quae vocatur Eilingo, Gail. 57 3.

Diejenigen Orte, welche nach dem Gau bezeichnet sind, werde ich Gauorte, die nach der Huntare bezeichneten Huntaren- orte, nennen, und ähnlich von Theilgauorten und Barorten reden.

Zum dritten sind die Gaue von den Huntaren zu scheiden.

Der Gau war räumlich gleich dem Inbegriff seiner Huntaren, deren Zahl durchschnittlich sechs betrug. Begreift nach den Urkunden ein Bezirk räumlich den Umfang mehrerer anderen in sich, so ist ersterer der Gau, und sind letztere die Huntaren.

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Diese einfache Form reicht aber bei unseren lückenhaften Quellen nur in einigen Fällen zur Bestimmung aus. Denn folgende sind zu unterscheiden:

Gau und Huntaren sind bekannt und decken sich urkundlich, der normale Fall, der anscheinend im Nort- und Sundgau des Eisass vorliegt.

Gau und einzelne Huntaren sind bekannt, aber es erscheint geographisch nicht abzuweisen, dass der Gau sich weiter er- streckte, als beurkundet ist, und dass er noch benachbarte Huntaren umfasst habe, deren Gauzngehörigkeit nicht urkundlich belegt werden kann, so die Gaue Nagold-, Alb-, Illergau und andere. Von dieser Erweiterung eines Gaus um weitere Huntaren ist die Theilung einer Huntare in zwei oder mehrere zu unter- scheiden. So die Theilung des Filsgaus und der Goldineshuntare.

Der Gau ist seinem Umfang nach bekannt, aber nur ein Theil seiner Huntaren. So die Gaue Hegau, Thurgau, Aargau.

Der Gau ist seinen Grenzen nach bekannt, aber keine der Huntaren ist überliefert. So die des Breisgau und des Klett- gau. Es ist anzunehmen, dass sie sich lange Zeit als Gau- grafschaften (und bis auf den heutigen Tag als Landschaften) erhalten haben, so dass ihre Namen und nicht die der Huntaren in die Urkunden aufgenommen.

Der Gau ist unbekannt, und es kommen in einer Gegend nur neben einander liegende Bezirke vor, also Huntaren ohne Gau. So die Huntaren zwischen Bodensee und Donau, als deren Gau der südliche Alpgau, und der von mir so genannte Donau- gau anzusehen sind.

Die Marken sind vielfach aus der Lorscher Sammlung be- kannt. Es sei angeführt zu den Huntarenmarken:

772. In pago Alamannorum in Burichinger rnarca et in Megingen etc., 3275;

Zehntmarken ;

769. In pago Alamannorum in Bildachinger marca, 3238.

Aebnliches, wie von den Gauen und Huntaren, ist von den Grafschaften, comitatus zu berichten. Die Ortsbezeichnungen nach Grafschaften kommen in dieser Art vor: in Gailgrafschaften:

1127. In comitatu Alpium Schälkalingin, Wirt. 297;

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870. In Agaringun in comitatu Prisigauge, Gail. 553; in Theilgaugrafscliaften:

1004. In villa Scaffhnsa in (dem engeren) pago Clec- gouva, Schaff h. 17;

801. In snperiori pago Aragauginse in villa Peroltes- vilare, Gail. 486:

in Bargrafschaften ;

838. In pago Perctoltcspara in villa quod dicilur Pacheim, Gail. 370;

838. In pago Albunespara in centena Ruadolteshuntra in villa Patinhova, Gail. 373;

881. In Alamannia in comitatu Nidinga in pago Bereh- toltesbara in villa G'heninga, Gail. 015;

in Huntarengrafschaften :

1002. In villa Beroa in comitatu montium, qui vocatnr Serrae (Scherra), Oberrhein. Zeitschrift, IX, 212, 218:

961. In comitatu Muntricheshuntara in vico Rutelinga. Wirt. 185;

873. In ducatu Alamannico in pago Linzgoue in comitatu Odelrici comitis in villa Eilinga, Gail. 573;

817. In villa Filisininga Ingoltiswis sub Karamanno comite, Gail. 320.

Um Grafschaften und Huntaren zu untersclieiden, ist wie bei Gauen und Huntaren zu verfahren und es ergiebt sich als Resultat:

Gaugrafschaften und deren Huntaren decken sich, anscheinend wie in dem Nort- und Sundgau des Eisass.

806. In Elisatio eomitatus duo.

Die Gaugrafschaft ist bezeugt, aber nur ein Tlieil ihrer Huntaren, wie in den Gauen nördlicher Albgau und Illergau.

Ebenso die Theilgaugrafscliaften, wie (die engern) Neckargau, Klettgau, obere und untere Aargau, ZUrichgau, Thurgau.

Die Theilgaugral'schaft ist bekannt, aber keine ihrer Huntaren, so der westliche Albgau und der (engere) Klettgau.

Bei den Bargrafschaften scheinen die Huntaren Berehtolds, vielleicht auch die der Perithilosbar sämmtlich, die der übrigen nur theilweise bekannt zu sein.

Die Huntarengrafschaften lallen mit den Huntaren zu- sammen.

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*2. Die Ausdrücke für die Verbände.

Der Ausdrücke für Gaue und Huntaren, sowie für Graf- schaften sind gar viele; in den meisten Fällen sind es dieselben, so dass in der Regel nicht zu sehen ist, um welche Art von Bezirken es sich handelt.

Technisch waren ursprünglich die Ausdrücke Gau oder pagus für den grösseren Bezirk, Huntare oder centena für dessen Theil, Gau und Huntare nur in der Zusammensetzung mit dem Eigen- namen z. B. Brisigovia, Hattenhuntare. In dieser Eigenschaft wird das Wort pagus durch Ammian, Huntare und centena durch die Wortbedeutung, centena auch durch die lex Alam. 36 erwiesen. Huntare und centena haben ihre technische Bedeutung bewahrt, Gau und pagus dagegen verloren.

Dazu trat später der technische Ausdruck für die Graf- schaften aller Art comilatus, (comicia), ministerinm, und ins- besondere für die geschilderte grosse Grafschaft bara, z. B. comitatus Linzgouve; ministerinm Frumoldi comitis; Perihtilin- para.

Dann verschwanden die Gaue mit ihren Grafen an der Spitze, und die Bezeichnungen Gau, pagus wurden frei. All- mälig wurde die Verfassung der Huntaren ihnen in sofern ähnlich, als nunmehr sie den Grafen an ihrer Spitze (Huntaren- grafschaften) hatten. So wurde innerhalb der Huntare das Bild des Gaus in einem hervorragenden Zuge wieder hcrgestellt, die Huntare wurde gleichsam Gau, und so nahm sie neben der eignen auch dessen Bezeichnung Gau oder pagus an, z. B. pagus Hattenhuntare, pagus Alfa, pagus Linzgau. Nunmehr hiessen alle Huntaren „pagi“, und soweit sie nicht im Namen die Huntarenbezeichnung behielten, auch „Gaue“. Die Theorie unter- schied daher pagi majores (Breisgau) und pagi minores (Linz- gau).

Damit ist aber die Verallgemeinerung der Bezeichnungen Gau und pagus noch nicht erschöpft. Die Herzogthümer Ala- maunien, Eisass und Currätien, die Bar- und die Theilgaugraf- schaften wurden pagus (pagus Alamannorum, pagus Alamanniae, pagus Alsacense, pagus Raetiae, pagus Bertoldespara, pagus

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Zuricligowa) genannt. Gau und pagus bedeuteten also schliesslich jede Art von Bezirk bis zur Huntare herab.

Von ähnlichen Zweideutigkeiten sind andere Ausdrücke, welche seltner zur Bezeichnung für Gaue, Huntaren und Graf- schaften Vorkommen.

Das Wort pageHus hat die Entwicklung des pagus mit- gemacht. Pagclli sind sowohl Gaue, so 754 der Breisgau, 787 der Hegau, 849 die Mortenau, wie Huntaren, so 836 die Alfa, 854 die Goldineshuntare, 853 die Uronia, 1155 die Bischof shöri, wie auch Halbgau- und Bargrafschafteu, so 861 Aargau, 854 und 874 die Bertoldsbar.

Prorimia ist sowohl ganz Alamannien, wie der Gau: 976 Mortenau und Breisgau, wie die Halbgaugrafschaft: 884 Thur- gau, 1050 Zürichgau und wie die Huntare: 610 Eisgau.

h’ci/io Alamanniae Bara 1030 ist die Bargrafschaft.

Finit ist der Ausdruck für den Gau: 752 Anis Prisegau- giensis und ebenso für die Huntare: 791 Finis Arbonensis. .

Tal (Thal) bedeutet die Huntare: 853 1258 Vallis Urania (Uri), 770—826 Eitrahuntal, 861 Pleonungertal, 1275 Swiggers- tal. 1080 Ramestal.

Hitna bezeichnet die Halbgaugrafschaft: 779 Thurgau, 744 Zürichgau: die Bargrafschaft: pagus et situs Perahtoltespara, die Huntare: 783 Linzgau, 788 Arbongan, 855 Waldrammis- huntare. Es wechselt auch 745 situs Thurgau, situs Zürichgau als Halbgaugral'schaftcn und pagus Arbongau als Huntare. Situs hat ferner die allgemeine Bedeutung von Gegend: 759/760 pagus Bertoltesbara et situs Vildira und 828 pagus Durgauve et situs Waninetale (falls letzteres nicht eine Huntare sein sollte).

Locun bezeichnet die Huntare: 806 Ratoltesbuch, 949 Nidinga; sonst unbestimmt den Ort.

Mnrai ist der Ausdruck sowohl für die Huntare (Hnntaren- mai’k): 769—804 Munigisingerhuntare, 766 Nibelgau, 772, 774 Burichinga, 792 Muutricheshuntare, 805 Arbnna, als auch für die Zehntschaft (Zehntschaftsmark) 767—788 Bildachingen, 752—844 Theuringen, 861 marca Argengaunensium. Sie heissen sämmtlich marca.

.Man sieht, einen festen Anhalt für die Cliarakterisirung der Verbände geben die technischen Ausdrücke huntare oder

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eentena (auch das gleichbedeutende Thal) und bara. Alle andern sind vieldeutig und es sollen daher zur sichern Unterscheidung, wo sie nothwendig ist, die Gaue im alten Sinn nunmehr Gross- gaue geuannt werden.

3. Die Kltreiniameu der Verbände.

Die Namen der Gaue, Huntaren und Grafschaften tragen im Stammland (3. und 4. Jahrhundert) und in Neualamannien (5. und 6. Jahrhundert) dasselbe Gepräge, wesshalb nicht zwischen beiden Gebieten unterschieden zu werden braucht. Eine Reihe davon ist bis auf unsere Tage geblieben.

Der seit 496 Alamanuien bildenden Grossgaue (Currätien eingeschlossen) waren achtzehn. Die Namen schlossen sich au römische Benennungen, an Weltgegenden, Berge und Flüsse au.

Mimische Xd men : Breisgan (mons Brisiacus), Riesgau (Rhätia secunda), der östliche Augstgau (Augusta Vindclicum), der west- liche Augstgau (Augusta Rauracorum), Currätien (Raetia Curi- ensis).

Weltgegendm: Westergau, Sundgau, Nortgau.

Berge : Breisgau (mons Brisiacus), Hegau (Höhengau), Alb- gau (rauhe Alb), Alpgau (Allgäu).

Flüsse: Neckargau, Nagoldgau, Illcbica (Ul), Lahngau, Illergau, Thurgau, Aargau. Nicht überliefert ist der Name eines Gaus, den ich Donaugau genannt habe.

Nicht erklärt sind Mortenau und Klettgau. Der westliche Augstgau und Baselgau, der Suntgau und Illchica sind Doppel- namen für die zwei Gaue.

Geblieben sind 7 Namen: Ortenau (Mortenau), Breisgau, Klettgau, Hegau, Riesgau, Thurgau, Aargau, Currätien.

Der Huntaren, die nur theilweise bekannt sind, mögen über hundert gewesen sein. Sie trugen ihre Namen nach Flüsseu und Thälern, nach Bergen, nach Wald und Feld, nach den Namen von Orten, also wohl ihrer Malstätten, und nach den Namen ihrer Gründer, also wohl ihrer ersten Hunnen.

Flüsse: Filsgau, Ramestal (Rems), Ambrachgau (Ammer), Eitrahuntal (Eitrach), Brenzgau, Schussengau, Argengau, Nibel-

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gau, Miudelriet (Mindel), im Eisass Zorngau, in der Schweiz Rheingau. Dahin gehören auch in Deutschland Alfagau (Wasser- gau), Flina (nach Buck Alluvium?), Unterseegau (am Bodensee), im Eisass Ried (Niederung).

Thal: Ramestal (Rems), Pleonungertal, Swiggerstal, Eitra- huutal (Eitrach), Urania vallis (Thal von Uri).

Berge: Scherra oder Serrae. 1092 In comitatu montium, qui vocatur Serrae, Oberrhein. Zeitschrift 9, S. 215, 218; 1095 In rupibus, quae propter asperitatem videntur Serrae vocari; ebenda S. 219 (Nach Birlinger Skiir, Serrae, gleich Säge, Fels- zacken am Wasser. Es sind die Kalkl'clsen des oberen Donau- tlials bis Sigmaringen gemeint, dio wie ungefüge Säulen auf- steigen): Alpgau (östlicher Allgäu).

Wald: Waltgau, Ratoldesbuch (Buchenwald); Drachgau (nach Buck keltisch Schlehengau), Haistergau (nach Buck junger Buchenwald).

Fehl: Vildira (Fildern).

Malst cilttn: Pfullichgau (Pfullingen), Sulichgau (von dem römischen Sumloeenne, Sülchen), Haglegau (Haag, Haigerloch), Burichinga (Bnrichingen abgegangen), Munigisingerhuntaro (Münsingen), Swerzenhuntare (Schwörzkirch), Muutriches- huntare (Munderkingen), Nidinga (Neidingen), Aseheim (Ober-, Unter-Eschach), Bargen (Bargen), Eritgau (Ertingen), Tiengau (Hohentengen), Heistergau (Heisterkirch), Linzgau (Linz), Hurnia (HUrben); speciell im Eisass Huningengau (Hüningen); Plefferau (Perouse), Rubiaca (Rufach), Barga (Barr), Tronie (Traenheim) oder Kircheim (Kirchheim), Bischofls- lieim (Bischolfsheim), Strassburg? (Strassburg), Hagenau (Hagen- au), Hettengau (Hatten); in der Schweiz Arbongau (nach dem römischen Arbor felix), Vilvesgau (Willisau), Sissgau (Sissach), Frickgau (Frick). Von diesen hier genannten Orten und H unt&ren- narnen sind zurückzuführen auf

IWsanmnamm: Buriehingen und Burichinca (Buricho), Münsingen und Munigisingerhuntare (Munigis), Schwörzkirch und Swerzenhuntare (Swerco), Munderkingen und Muntriches- huntare (Muntrich), im Eisass; Hatten, Hettingau (Hatto). Ferner sind Huntaren, nicht aber deren Malstätten, nach Personen genannt:* Purihdinga (Purihdo), Glehuntra (Hleo), Hatten- huntare (Hatto); Ruadolteshuntare (Ruadolt), Goldineshuntare

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(„Goldwin“), Ratoltesbuch (Ratolt); in der Schweiz Wald- rainmishuntare (Waldram). Im Ganzen also 8 Personennamen mit der Huntaren-Endung. Ausserdem sind nur noch 4 Huntaren gelegentlich als centena bezeichnet; 839 Oentena Krecgow, 838 Centena Ruadolteshuntra. 839 Centena Eritgauua und 990 Centena Erigeuue et Apphon. Ihnen schliesst sich in der Schweiz Bischoffishori (Heri nach Buck Kirchspiel, Gerichts- sprengel) an.

Es bleiben von Huntarennamen zu erklären; Bibligau, Krek- gau, Ramrna, Falaha, Duria, Keltenstein, Eisgau, in der Schweiz Rore, Buchsgau und andere.

Doppelnamen für dieselbe Huntare sind Flina und (aller- dings nur umschreibend) pagus prope Ulmam; Tronie und Kirch- heini; in der Schweiz Arbongau und Waldrammeshuntare.

Erhalten haben sich bis auf unsere Zeit, soweit ich sehe, nur Scherra („auf der Scher“), Vildira (Fildern), der östliche Alpgau (Allgäu), in der Schweiz Frickgau. Ausserdem zeugen die zahlreichen Ortsnamen von ihnen, die oben als Malstätten aufgeführt sind.

Nicht überliefert sind die Namen für die Huntaren, denen folgende Landkapitel entsprechen: Kirchheim (im Gross- Neckargau), Rottweil (die Grafschaften Rottweil und Sulz, iui Gross- Westergau), Dietenheim (mit der späteren Grafschaft Marsstetten im Gross-Illergau), die Huntare des elsässer Gross- Nortgau, als deren Malstätte Strassburg erscheint, Huntaren der Grossgaue Mortenau und Breisgau, und in der Schweiz zahlreiche der Grossgaue Thurgau und Aargau.

Jede Grafschaft hatte einen Namen und wurde auch wohl, sei es allein, sei es daneben mit dein Namen des jeweiligen Grafen bezeichnet.

Die Namen der Grafschaften waren ihrer Art nach ver- schieden. Die Gauyrafschaften trugen den des Grossgaus; als diese obsolet geworden, blieb der Name des Gaus als land- schaftliche Bezeichnung, und die Landschaften wurden, eine geschichtliche Reminiscenz, auch noch weiter wie Gau- grafschaften benannt, z. B. 87o und 1095 comitatus Breisgau, 1049 comitatus Suntgau, 1127 comitatus Alpium (der rauhen Alb). Bei Bildung der TheilyaiiyrufscJuiftcn behielt die eine den Namen des Grossgaus, während die andere einen neuen

C r ft m r , Go»chicbte der Alamannen. 21

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Namen annahm, oder sie wurden nach anderen Merkmalen unterschieden. So zerfiel der Klettgau in die Theilgaugraf- schaften Klettgau und Albgau, der Thurgau in die Theil* gaugrafschaften Thurgau und Zürichgau, die seit 867 als comitatus Thurgau, oder seit 965 als comitatus Zürichgau erwähnt werden, und der Aargau theilte sich in die obere und untere Grafschaft, von denen 816 und 894 der superior pagus et comitatus Aragouve überliefert ist. Vom oberen Neckar- gau ist die Eine gleichnamige Theilgaugrafschaft bekannt, 960 und 976 comitatus Neckargau, während an Stelle der zweiten sich nur Namen von Huntarengrafschaften bieten. Die Huntaren- grafschaften wurden allgemein nach den Huntaren genannt. So heissen comitatus die Huntaren schon 799 Hiirben, 861 Linz- gau, 887 Nidinga, 961 Alfa und Muntricheshuntare, 1040 Bargen 1084 Aseheim, 1282 Graveschaft in Tiengowe, speciell im Eisass schon 662 Illnach, 801 Strassburg, 866 Eisgau, im 12. Jahr- hundert Throne-Kircliheim, 1266 Hettengau, wann? Barr, in der Schweiz 1027 Rore.

Di % Bargraf schäften, 886 comitatus Peretoldespara, Gail. 653; 880, 961, 999 comitatus Bara, Gail. 614, Wirt. 185, Bad. 37, aus einer grösseren Anzahl von Huntaren auch aus verschiedenen Grossgauen willkürlich zusammgesetzt, entbehrten, wie schon er- wähnt, in Folge dessen einer landschaftlichen Bezeichnung und wählten daher den Namen ihres Grafen in der Zusammensetzung mit Bara. Um Neckar und Donau gaben die Grafen Bertolt, Perithilo, Adalhart, Albuin im Westen, Folcholt und Albuin im Osten der Bertoltsbar, Perithilosbar, Adalhartsbar, der westlichen Albuinsbar, der Folcholtsbar und der östlichen Albuinsbar die Namen.

Die Bertoltsbar, welche als Amtsgebiet spätestens in der Mitte des 8. Jahrhunderts verschwand, ist als geographische Be- zeichnung ihres früheren Bezirks in den Urkunden noch bis 890 zu verfolgen-, ein Theil, die Landgrafschaft Bar, das fruchtbare Gelände im Quellgebiet der Donau und des Neckar, hat den Namen der Bar bis auf den heutigen Tag übertragen. Viel- leicht führten anch noch andere Grafschaften, die mehr als eine Huntare umfassten, die Bezeichnung Bar mit dem Namen ihres Grafen, aber es ist nicht überliefert. Die Grösse des Gross-

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Neckargaues (des oberen uud unteren) legt die Vermuthung nahe, dass er gleichfalls eine Bargrafschaft gewesen sei.

Schliesslich ist noch ein Name zu erwähnen, der in allen Arten von Verbänden vertreten ist, Albgau oder Alpgau. Aib oder Alp ist der Name von Gebirgen und von Flüssen. Als Gebirgsname bezeichnet er zwei Grossgaue, auf der schwäbischen Alb den nördlichen Albgau, auf den Höhen, die den Bodensee ini Norden und Osten begleiten, den südlichen Alpgau, dessen Name in der Huntare Alpgau (Allgäu) erhalten ist. Als Fluss- narne gehört er im Schwarzwald der Alb an, welche der Theil- gaugrafschalt Albgau den Namen gegeben hat, und weiter giebt es bei Karlsruhe eine Alb und eine fränkische Huntare Albgau.

4. Die Geschieht« der Eigennamen.

Als mit der Entwicklung der Verfassung die Huntare allmälig an die Stelle der Grossgaue, der Theilgaue und der Baren trat, verloren deren Namen den amtlichen Charakter. Sie lebten aber als geschichtliche und landschaftliche weiter fort, und zumal die der Grossgaue, als Zeugnisse von der Zeit der Ansiedlung und der Selbständigkeit des Stammes; sind doch die Hälfte von ihnen im Munde des Volkes geblieben. Die Erinnerung blieb so lebendig, dass die Urkundenschreiber bei der Ortsbestimmung nicht immer den Namen des actuellen Verbandes eintrugen, sondern den des alten Grossgaues vor- zogen. Diesem Umstand haben wir (abgesehen von Ammiati) überhaupt die Kenntniss der Gaue zu verdanken, müssen dabei aber in den Kauf nehmen, dass uns öfter die Namen der Theil- gaue, in einigen Fällen selbst die der Huntaren fehlen, vielfach andererseits aber auch wohl das ganze Gebiet eines Grossgaues und die zugehürenden Huntaren nicht zu erkennen sind. So wissen wir von dem Gross-Breisgau, aber nicht von seinen Huntaren, von dem Gross-Klettgau, aber nur von seinen Theilgauen, von dem Gross-Thurgau und dem Gross-Aargau, ihren Theilgauen, aber uur von einem Theil ihrer Huntaren, von dem Hegau und gleich- falls nur von einigen, der Mortenau und Einer seiner Huntaren. Wir erfahren von dem Nagoldgau, aber nicht, ob die neben

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seinem urkundlich bezeugten Gebiet liegenden Hattenhuntare und Glehuntare ihm angehörten. Und so in vielen anderen Fällen.

# Aber einen Verband gab es doch, der in der Erinnerung der nachfolgenden Generationen Namen und Gebiet von Gross- gauen auslöschte.

Es war eine jüngere Schicht, die Bargrafschaften. In dem Gebiet der Bertoltsbar ist das des Gross -Westergaus, in dem der Folcholts- und östlichen Albuinsbar das des öst- lichen Gross -Alpgaus nur schwer zu erkennen, der von mir so genannte Donaugau gar nicht. Da zwischen Donau und dem Bodensee, abgesehen vom Gross -Illergau, Gau- und Theilgau- namen nicht erhalten und die Namen der Barorte nur spärlich gesäet sind, so reden die Urkunden hier nur von H untaren. Hier, bei meist zahlreichen Huntarenorten sind die Gebiete der Huutaren unschwer festzustellen, während da, wo der Gross - Westergau und seine der Zugehörigkeit nach zweifel- haften Huntaren von der vielbekundeten Bertoltsbar überdeckt sind, die Schwierigkeiten am grössesten erscheinen.

Mit der durch die Zunahme der Bevölkerung gebotenen Thoilung der Verbände ergab sich auch in Berg und Thal die Erweiterung der Ansiedlungen, und mit ihr die Ausdehnung der Namensgebiete. Man denke an die Grossgaue, deren Ebenen die Alb, den Schwarzwald, den Altdorfer Wald um- gaben, welche die Berge der Schweiz, die Vogesen im Rücken hatten. Besonders characteristisch tritt dies an den Gauen hervor, deren Namen an Flüsse sich anlehnten. Der Gross- Neckargau stieg aus dem Thal den Steilabfall der östlichen Alb empor und nahm auch dahin seinen Namen mit. Der Gross- Nagoldgau überschritt den Neckar, und sein Name fand sich auch jenseits des Letzteren. Der Gross-Thurgau dehnte sich von der Ebene der Thur bis zum Hochgebirge aus, der Gross-Aargau folgte dem Lauf des Flusses aufwärts, und die Gaunamen folgten dahin. So giebt die Bezeichnung nach Flüssen eiuen bedeutsamen Anhalt für die Richtung, welche die Besiedelung des Landes genommen. Andererseits zog sich der Name des Gross -Klettgau auf den Osten, die Theilgau- grafschaft Klettgau, der Name des Gross -Thurgau auf den Osten, die Theilgaugralschaft Thurgau zurück und heutzutage

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mögen die Cautone Thurgau und Aargau sich etwa auf die- selben Gebiete an den unteren Läufen der Flüsse zurückgezogen haben, welche die Grossgaue im 5. Jahrhundert ursprünglich eingenommen haben. Vom Namen des südlichen Gross -Alpgau ist nur der der Huntare Alpgau (Allgäu) übrig geblieben.

Von den Huntaren haben noch im Mittelalter zwei ihr Namensgebiet erweitert Scherra, wenn der Forst uff der Schär, der im Süden und Westen weit über den Umfang der Scherra hinausging, eine Wahrheit ist, (siehe *26. Kapitel) und die öst- liche Huntare Albgau, die als Allgäu im Norden statt bis Kempten nunmehr bis Memmingen hinabreicht. Dagegen sind bis auf vier (S. 3*21) alle Huntarennamen verschwunden, während zahlreiche Ortsnamen, die oben als Malstätten auf- geführt sind, von ihnen zeugen.

Schon vor dem 13. Jahrhundert, iu welchem die Grafen die Landeshoheit ihrer Grafschaften erwarben, hatte sich der Brauch eingeführt, diese nach dem Sitz der Grafen zu be- nennen. Damit verschwanden die alten Namen, aber ihre

Gebiete blieben vielfach als neu benannte Grafschaften. Als Beispiele aus dem Herzen Alamanniens seien hier die sechs Grafschaften genannt, aus deren Bestandteilen sich die heutigen Hohenzollerschen Lande zusammensetzen.

Es sind die Huntare Haglegau, dann Grafschaft Haiger- loch, die Hattenhuntare, dann Grafschaft Zollern, die Huntare Burichinga, dann Grafschaft Gammertingen, die Huntare Affa, dann Grafschaften Veringen und Grüningen, die Huntare Ra- toltesbuch, dann Grafschaft Sigmaringen, die Huntare Scherra, dann Grafschaft Hohenberg.

Abgesehen vou Stücken der Grafschaft Hohenberg, lässt die Gestalt der Hohenzollernschen Lande noch heute verwischt die Umrisse der Huntaren erkennen. Noch heute geben die könig- lichen und fürstlichen Titel der Hoheuzollern die alten Graf- schaften ihres Hauses w’ieder: Graf zu Hohenzollern (Fürst von Hohenzollern, für die Grafschaft Zollern), Graf zu Sigmaringen und Veringen, Herr zu Haigerloch und Werstein (für die Graf- schaft Haigerloch).

Aus der bisherigen Darstellung geht zur Genüge hervor, dass eine Wiederherstellung der Gaue, Theilgaue, Huntaren und Marken sowie deren Orte nach dem lückenhaften Material

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der Rechtsurkunden allein nicht möglich ist. Da bieten aber ein ergänzendes Hilfsmittel jüngere Grenzbeschriebe von Marken, Gerichtsbezirken, Grafschaften u. s. w., aus welchen auf die Zu- stände der Grafenzeit zurückgeschlossen werden mag, ferner die kirchlichen Verbände, Archidiakonate und Kapitel sowie deren Orte, diese ein Hilfsmittel, mit dem allerdings viel Missbrauch getrieben, und das daher in Misscredit gerathen ist. Die Theorie der Uebereinstimmung von politischen und kirchlichen Verbänden ist vielfach aufgegeben und Baumann, selbst ein Anhänger hin- sichtlich des Bisthums Constanz, nennt sie „anrüchig“, von Thudichum „ein altes Märchen“. Wie Baumann will ich ver- suchen, für Constanz die Theorie mit den erforderlichen Ein- schränkungen wieder zu Ehren zu bringen, indem ich den Entwicklungsprocess von Gauen und Archidiakonaten, von Huutaren und Kapiteln neben einander verfolge.

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Elftes Kapitel.

Die politischen und kirchlichen Verbände.

1. Die kirchliche Verfassung.

In Alamannien verbreitete sich das Christenthum im Laufe des siebenten Jahrhunderts. Aus der Zeit seiner ersten Ein- führung wird die Doppelbedeutung des Wortes pagus her- rühren, das die Gaugenossen zugleich als Heiden bezeichnet. In der ersten Hälfte des 8. Jahrhundert, zur Zeit des Erlasses des alamannischen Gesetzbuchs nahm die Kirche im Gemein- wesen bereits eine bevorzugte Stellung ein; der Gottesdienst, ihre Diener und ihr Eigenthum waren durch hohe Bussen und AVergelder geschützt. Die Tödtung eines Bischofs wurde wie die des Herzogs mit dem Tode bestraft. Wer einen Pfarrer tödtete, zahlte ein Wergeid von 600 Schillingen, einen Diacon oder Mönch 400, während das Wergeid eines Adeligen, primus 240, eines Mittelfreien, medius 200, eines Gemeinfreien, mino- flidus IfiO Schillinge, bei Frauen das Doppelte, das Wergeid eines Freigelassenen 80 Schillinge betrug. Es scheint keine Heiden mehr gegeben zu haben; das Gesetzbuch 37 unter- scheidet Christen und Heiden nur, wo es vom Auslande spricht.

In das siebente Jahrhundert fallen also auch die Anfänge der kirchlichen Organisation, in eine Zeit, in welcher Gaue und auch wohl die Gaugrafschaften bereits verschwunden waren.

Im Mittelalter zerfiel Alamannien in Bisthümer, Archi- diakonate und Landkapitel, von denen die mittleren die jüngsten sind. Man wird annehmen dürfen, dass sich die kirchlichen Verhältnisse hier nicht anders entwickelt haben als in Franken nach Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts.

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Abgesehen von den Kathedralkirchen in den Bischofs- städten fanden sich auf dein Lande Taufkirchen (tit.uli majores : ecclesiae baptismales, plebes, baptisteria) und um sie zerstreut auf den Gütern der Grundherrn, in Klöstern u. s. w. kleinere Kirchen (tituli minores: oratoriae, capellae, basilicae, ecclesiae). In letzteren wurde Gottesdienst gehalten und auch, abgesehen von den hohen Festtagen, Messe gelesen; in den Taufkirchen wurden weiter die Taute und die übrigen Sacramente gespendet und an hohen Festtagen ausschliesslich hier Messe gelesen. Somit war die Taufkirche der Mittelpunkt des Gottesdienstes, woraus sich der Pfarrzwaug aller Eingesessenen der Taufkirehe gegenüber entwickelte.

Leiter der Taufkirche war der Erzpriester, Archipresbyter, welchem die Aufsicht über seine Gehülfen und die Vorsteher der kleineren Kirchen, sowie die geistliche Leitung der Ein- gesessenen zufiel.

Jenes Aufsichtsrecht blieb auch, als mit dem fortschreitenden Bedürfnis die kleineren Kirchen die Stellung der Taufkirchen (Vollkirchen) erhielten, als sich ihre Bezirke gegen die der historischen Taufkirche abschlossen und Parochien bildeten und als in Folge dessen ihre Vorsteher die Bezeichnung presbyter parochianus, rector ecclesiae, plebanus Plärrer erhielten; die historische Gruppe der Kirchen und ihrer Parochien liiess christianitas, decania, decanatus, capitulum rurale Land- kapitel, und sein Vorsteher, den sich der Bischof aus den Pfarrern wählte, decanus ruralis, archipresbyter Erzpriester. Er hielt monatlich mit den ihm untergebenen Geistlichen Ver- sammlungen ah, in denen diese Rechenschaft über ihre Amts- führung, über den kirchlichen Zustand ihrer Gemeinden ab- statteten und in denen Bussen für kirchliche Vergehungen dem Bischof vorgeschlagen wurden und ihr Vollzug überwacht ward. Die sonst gäng und gäbe Theorie ging nun dahin, dass das Landkapitel mit der Huntare Zusammenfalle.

Die Regierungsgewalt, jurisdictio, über die Landkapitel stand dem Bischof zu, der sich dabei der Hülfe des Archdiakons bediente. Wie es scheint, gab es ursprünglich in jeder Diöcese nur einen Archidiakon, den ersten Diakon der Kathedralkirche. Abgesehen von gewissen Functionen an dieser, hatte er als Gehülfe des Bischofs das Aufsichts- und Disciplinarstrafrecht,

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:129

insbesondere über die niederen Kleriker, und vertheilte den Unterhalt au die Geistlichen. Er ert heilte Censuren und hatte das Recht der Excommunikation. Die geistliche Gerichtsbarkeit hatte er gegen Eingriffe der weltlichen Richter zu schützen, und das kirchliche Vermögen unterstand seiner Obhut u. s. w. Einer Mehrheit von Archidiakonen in dem Bisthum, mithin einer geographischen Eintheilung in mehrere Archidiakonate geschieht erst im 9. Jahrhundert Erwähnung, zugleich wird aber auch den Archidiakonen Missbrauch ihrer Stellung und Habsucht bei der Verwaltung der ihnen anvertrauten Parochien vorgeworfen und es wurden die Bischöfe zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit auf sie gemahnt, ein Beweis dass die Ein- theilung in mehrere Bezirke schon eine ältere war. Man nimmt aber au, dass sie erst im 11. Jahrhundert vollendet sei.

Seit dem 13. Jahrhundert wurden die Archidiakonate wieder eingezogen und Aufsicht und Visitation, welche sich zu einem selbständigen Recht der Arehidiakone entwickelt hatte, ging wieder an die Bischöfe über. Im alamannischen Gesetz- buch ist von Archidiakonen keine Rede. Die Vorstellung, dass wie die Kapitel den Huntaren, so die Archidiakonate den Gauen entsprächen, war früher gleichfalls eine verbreitete.

(Nach Richter -Dove, Lehrbuch des katholischen und pro- testantischen Kirchenrechts §§ 137, 138, 141; Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts II §§ 8H und HO).

Es waren vier Bisthümer, welche sich über das alamannisch gebliebene Gebiet des Südens erstreckten, Constanz, Strassburg, Basel und Augsburg, deren Sitze sämmtlich (Vindonissa, Windisch für das spätere Constanz) schon zu römischer Zeit bestanden. Die räumliche Eintheilung des Landes zu Bis- thümern kam erst mit dem 7. Jahrhundert, als dem der Christianisirung, und wird damals erfolgt sein, als noch Gaue oder Gaugrafschaften bestanden, was im nächsten Jahrhundert nicht mehr der Fall war. Denn die 4 Bisthümer fallen allenthalben mit Gauen (Grossgauen) und die Bisthumsgrenzen mit Gaugrenzen zusammen. Die Diöcese Strassburg besteht aus den Gauen Mortenau und Xortgau, Basel ans dem Sund- gau und westlichen Augstgau, Augsburg aus dem östlichen Augstgau und Riesgau; Constanz aus den übrigen alamannischen Gauen bis an deren Grenzen. An die alamannischen Bisthümer

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stiessen im Norden die fränkischen Speyer, Würzburg und Eichstätt, im Südwesten das burgundionische Lausanne, im Südosten das romanische Chur.

2. Das Bisthuni Constanz.

Mit den weiteren Untersuchungen werde ich mich auf das grosse in der Mitte der andern liegende alamannische Bis- thum Constanz beschränken und zwar, soweit es die Ver- gleichung von Huntaren und Ruralkapiteln angeht, auf den deutschen Antheil, da für eine Inbetrachtnahme der schweizer- ischen Huntaren ein geeignetes Material nicht vorliegt.

Der Sitz des Bisthums soll um 600 von Yindonissa (Win- disch) nach Constanz verlegt sein. Eine Urkunde Friedrichs I. von 1155 bezeichnet als die Grenzen des Bisthums Constanz: im Osten gegen das Bisthum Augsburg die Iller bis zur Donau und diese bis zur Stadt Ulm, im Norden gegen die Bisthümer Würzburg und Speyer die fränkisch- alamannische Stammesgrenze, usque ad marcam Francoruin et Alamannorum (S. 264), im Westen gegen das Bisthuni Strassburg den Schwarzwald und die Bleiche (bis zum Rhein,) als Grenzbach zwischen der Strassburger Mortenau und dem Constanzer Breisgau, gegen das Bisthum Basel von der Mündung der Bleiche den Rhein aufwärts bis zur Mündung der Aare, gegen das Bisthum Lausanne die Aare bis zum Thuner-See und dann (im Süden und Südosten) die Alpen, gegen das Bis- thum Chur rheinaufwärts die Grenzen des Gau Cnrrätien bis zur Stadt Montigels (Montlingen, Canton Appenzell). Neug. 866: Wirt. 352. Die Bemerkung der Urkunde, dass die Bisthums- grenzen von dem König Dagobert festgesetzt seien, wird für sagenhaft erklärt (Rettberg, Kircheugeschichte Deutschlands II 100 u. flgde.) und mit Recht, da von einem constitutiven Act des Königs keine Rede sein kann; diese Grenzen sind keine willkürlich gezogenen, sondern sie entsprachen durch- aus den äusseren Grenzen der Grossgane. Die Regierung Dagoberts I. fiel in die Jahre 623 639, in das 7. Jahr- hundert, das als die Zeit der Bisthumseintheilungen gefunden wurde. (Siehe weiter Kapitel 46 Abschnitt 7.)

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L'eber die Gliederung des Bisthums in Archidiakonate und Kapitel und über die Orte, die den einzelnen Bezirken an- gehören, sind wir durch kirchliche Steuerregister des 13. und 14. Jahrhunderts, welche in dem Freiburger Diöeesanarchiv seit 1861 von dem Decan Haid veröffentlicht sind, genau unterrichtet. Die Register, von der grössten Bedeutung für die (langeographie, sind folgende:

1. Der Liber decimationis cleri Constantiensis pro Papa de anno 1274 (Archiv I). Unter Pabst Gregor X. wurde im Jahr 1274 auf der zweiten Synode zu Lyon ein Kreuzzug und für dessen Kosten eine Besteuerung des Klerus beschlossen. Jeder Inhaber einer kirchlichen Pfründe sollte 6 Jahre lang von 1274 80 den zehnten Theil seines Einkommens opfern, halbjährlich nach eigner eidlichen Angabe. Den Einzug der Steuer im Bisthum Constanz, welche ausser im Jahre 1275 auch noch 1276 und 77 erhoben wurde, beurkundet der über decimationis. Der Kreuzzug kam „leider“, sagt der Heraus- geber, nicht zu Stande.

2. Der Liber quartarum in dioecesi Constantiensi de anno 1324 (Archiv IV 3—41), ein Verzeichniss des kirchlichen Zebenden, von dem der Bischof den 4. Theil bezog, entweder jährlich zu */4, oder alle 4 Jahre zu liefern.

3. Der Liber bannalium in dioecesi Constantiensi de anno 1324 (IV 42 62), ein Register über die Bannalpflicht, welche dem Archidiakon zu entrichten war.

4. Der Liber taxationis ecclesiarum et beneficiorum in dioecesi Constantiensi de anno 1353 (V 1—65); ein nicht voll- ständiger Pfarrbeschreib, enthaltend Einkommen und Lasten der Pfründen.

5. Der Liber marcarum von 1360-70 (V 66 118), in welchem Kapitel und Klöster nur im Allgemeinen genannt sind.

Alle diese Register ordnen ihren Inhalt nach Archidia- konaten, Kapiteln, Pfarreien und Orten, und erst in einem Katalog von 1519 finden sich keine Archidiakonate mehr, da sie inzwischen aufgehoben und durch das gemeinsame bischöfliche Generalvikariat ersetzt waren.

Das Constanzer Archidiakonats-, Landkapitel- und Orts- Register ist von Jakob Manlius, eineu Bregenzer Canonicus, Rath Maximilians II. und Historikus (lebte zwischen 1540 bis

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90) nach dem Stande seiner Zeit zusammengestellt und findet sich bei Pistorins Rer. Germ. T. TU. bei Clin. F. Sattler Abhandlung von den Ruralkapiteln und bei Neugart Epis- copatus Constantiensis T. I. S. XOY abgedruckt.

3. Ilimtaren und Kapitel.

Ziehen wir nun auf Grund dieses Materials erst die älteren Landkapitel mit den Huntaren, dann die jüngeren Archi- diakonate mit den Gauen in Vergleichung. Es ist dabei der älteste über deeimationis von 1274 zu Grunde zu legen.

Im Bisthum Constanz gab es, abgesehen von dem Kapitel der Bischofsstadt, 65 Kapitel (Ruralkapitel, Landkapital, De- kanate), von denen 4G auf Deutschland, 19 auf die Schweiz fielen. Ihre Bezeichnung war nach dem jedesmaligen Wohn- sitz des Decans eine wechselnde, und erst seit dem lt>. Jahr- hundert wurden ihre Namen nach einem grossen Ort stehend. Für die Vergleichung mit Huntaren fallen von den deutschen Kapiteln weg 5 des Breisgau, .'i des Klettgau und die Kapitel Kirchheim und Dietenheim, deren entsprechende Huntaren nicht bekannt sind, so dass also :tfi Kapitel und auf der anderen Seite 41 bekannte Huntaren für unsern Zweck übrig bleiben. Nach zahlreichen Orten sind die Grenzen der Kapitel zu be- stimmen, während die Zahl der Huntarenorte von 41 (Argen- gau) bis herab zu 1 schwanken ; sie sollen daher bei jeder Huntare angegeben werden. Fallen die Orte Einer Huntare ausschliesslich in den Bereich der Orte Eines Kapitels, so ist es zunächst möglich, dass sich die beiden Verbände decken. Sind der Huntarenorte nur wenige, oder ist es gar nur ein einziger, und wiederholt sich dieselbe Erscheinung an einer Reihe von Huntaren und Kapiteln, so dürfen wir aunehmen, dass Huntare und Kapitel zusammenfallen. Ohne Weiteres ist dies klar, wenn zahlreiche Orte Einer Huntare vorliegen.

Bei der Vergleichung von Huntaren und Kapiteln stellen sich nun folgende Formen des Verhaltens heraus:

1. Die Orte Einer Huntare liegen im Bereich Eines Kapitels in 11 Fällen;

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Hnntaren:

Pleonmigotal 3 Orte, Filsgau 2,

Glchuutra l .

Haglegau 2.

Waltgau 2.

Aselieira 2,

Burichinga a,

Munigisingerlmntare 7, Flina 4,

Eritgau lü,

Heistergau «.

Kapitel : Geislingen;

Göppingen ;

Böblingen ;

Haigerlocb; Dornstetten ; Villingen; Troclitelfingen ; Münsingen ; Blaubeureu; Saulgau ; Waldsee.

2. Die Orte zweier Hnntaren liegen im Bereich Eines Kapitels in 3 Fällen:

Huntaren : Kottwoil 14, |

Sulz 3, j

Goldineshuntare 2, | Ratoltesbueh 4, |

Krekgau 1, | Tiengau 1, j

Kapitel:

Rottweil;

Mösskirch;

Mengen.

Es ist anzunehmen, dass die Eine dem Kapitel entsprechende Hnntare sich in zwei gespalten habe.

3. Die Orte dreier Huntaren liegen im Bereich von zwei

Kapitel :

| Egebrechtshofen,

| lsny.

Ursprünglich wird der Argengan dem Kapitel Egebrechts- liofen, der Nibelgau dem Kapitel lsny entsprochen haben. Der Alpgau (Allgäu) wird aber bei seiner späteren Gründung im Gebirge sich über einen Theil beider Kapitel ausgedehnt haben. Der Argengau reichte auch durch Tettnaug in das Kapitel Ravensburg.

4. Die Orte von vier Huntaren liegen im Bereich von zwei Kapiteln in einem Fall:

Kapiteln in einem Fall: Huntaren : Argengau 41, Oestlicher Alpgau 8. Nibelgau 29,

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Huntaren : Kapitel :

Scherra 19,1

Purihdinga 2, 1 Ebingen,

Nidinga 4, ( Geisingen.

Eitrahuntal 2, J

Scherra hat das Kapitel Ebingen für sich und theilt sich mit den 3 übrigen Huntaren in das Kapitel Geisingen, das grösste von Allen. Es ist anzunehmen, dass letzteres ursprüng- lich Einer Huutare entsprach, die sich in drei zerlegte. Ausser- dem wird Scherra rodend in das Gebiet von Geisingen ein- gedruugen sein.

5. Die Orte Einer Huntare liegen im Bereich von zwei Kapiteln in 2 Fällen:

Huntaren : Kapitel :

| Reichenau,

Untererseegau 12; - |Stockach.

| Engen.

Bargen 2; - jStein.

Die Kapitel werden ursprünglich der Huntare entsprochen haben und dann zerlegt sein. Reichenau war exempt, was seine Trennung von Stockach herbeigeführt haben w'ird.

6. Die Orte zweier Huntaren liegen im Bereich von zwei

Kapiteln in einem Fall:

Huntaren: Kapitel:

Fildern 7, | _ | Esslingen,

Ramestal 3, | ( Cannstatt.

Je ein Kapitel wird ursprünglich sich mit einer Huntare

gedeckt haben und dann werden die Kapitel unter sich anders abgegrenzt worden sein. In Folge dessen hatte der Südeu von Fildern das Kapitel Esslingen für sich und theilte sich mit Ramestal in das Kapitel Cannstatt.

7. Die Orte zweier Huntaren liegen im Bereich von drei

Kapiteln in einem Fall:

Huntaren; Kapitel:

Linzgau 40, |

Schussengau 4. 1

| Ueberlingen, J Theuringen,

( Ravensburg.

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Bei zunehmender Bevölkerung der 2 Huntaren werden die 2 entsprechenden Kapitel in 3 zerlegt worden sein. In das Kapitel Ravensburg drang auch der Argengau ein. (Siehe Baumann 29, 51, 55).

8. Die Orte von fünf Huntaren liegen im Bereich von fünf Kapiteln in einem Fall:

Huntaren : Kapitel :

Affa 9, Riedlingen,

Suerzenhuntare 1 1 , Ehingen,

ilunterishuntare 7, Munderkingeu,

Ruadolteshuntare 3, Biberach,

Ramma 5, Laupheim.

Hier hat, wie auch in dem nächsten Fall, eine völlige Ver- werfung der Schichten von Huntaren und Kapiteln stattgefunden. Die beiden ersten Huntaren liegen links, die drei letzten rechts der Donau. Wenn im Anfang auf jede ein Kapitel gekommen ist, so hat augenscheinlich später eine planmässige Neuaufteilung der letzteren stattgefunden, bei welcher die Huntaren Affa, Suerzenhuntare, Munterishuntare, Ruadolteshuntare, als Complex gedacht, einerseits, mit den Kapiteln Riedlingen links der Donau, Ehingen und Munderkingen an beiden Ufern der Donau als Complex andererseits sich decken. Es bleibt aber noch ein

nordöstliches Stück der Ruadolteshuntare übrig, welches nun in das Kapitel Biberach fällt, dessen Rest sammt dem Kapitel Laupheim dem Rammagau entspricht.

9. Die Orte von sechs Huntaren liegen in dem Bereich von vier Kapiteln in einem Fall:

Huntaren: Kapitel:

BibliSau Herrenberg,

Ambrachgau 1,

Sulichgau 4, _ Rottenburg,

Hattenhuntare 5, Hechingen,

Pfullichgau 2, Reutlingen-Urach.

Swiggerstal 3.

Hier mögen sich die Verhältnisse so entwickelt haben. Der Bibligau, der lang am Neckar sich hin erstreckende Sulichgau und die Hattenhuntare werden ursprünglich entsprechende Kapitel gehabt haben. Ebenso ein später in die Huntaren Pfullichgau und Swiggerstal getrennter Bezirk, der im Wesent-

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liehen Ein Kapitel hatte, das erst nach 1324 in die 2 Kapitel Reutlingen und Urach getheilt wurde. Zwischen den Bibligau und obern Sulichgau (richtiger oberen Theil des Sülichgau's) schob sich eine neue Huntare, der Ambrachgau ein und es er- folgte dann eine kirchliche Neueintheilung dieses Huntaren- complexes dahin, dass der Bibligau und obere Ambrachgau das Kapitel Herrenberg, der untere Ambrachgau und der obere Sulichgau das Kapitel Rottenburg, der mittlere Sulichgau und die Hattenhuntare das Kapitel Hechingen, der untere Sulich- gau, der Pfullichgau und das Swiggerstal das Kapitel Reut- lingen-Urach bildeten. Bei dessen Theilung nach 1324 umfasste dann das Kapitel Reutlingen den unteren Sulichgau und den Pfullichgau, das Kapitel Urach das Swiggerstal.

Damit sind, abgesehen von ganz localen Abweichungen, welche nicht ins Gewicht fallen (z. B. Karbaeh und Weiler bei Baumann 29), die Beziehungen sämmtlichcr 41 Huntaren und 36 Kapitel nach dem Zustand von 1274 dargestellt, ln 14 Fällen (zu Nr. 1 und 2) findet man die Orte einer oder zweier Huntaren (und es sind dabei solche mit 14, lü, 9, 8 Orten) innerhalb der Grenzen eines Kapitels, so dass man hier folgern kann, es decken sich bei Einer Huntare die Grenzen, oder bei zwei Huntaren deren äussere Grenzen mit Einem Kapitel. In ähnlicher Weise fallen in 8 weiteren Fällen (zu Nr. 3—9) die äussern Grenzen eines Complexes von Hun- taren mit einem Complex von Kapiteln zusammen. Diese Identität der engern Grenzen zu 1 oder der weitern zu 2 9 ist also in allen Fällen zutreffend, so dass sich der weitere Schluss rechtfertigt, ursprünglich seien Huntare und Kapitel eins gewesen und eine theil weise Disharmonie sei erst das Er- gebnis* einer geschichtlichen Entwickelung.

Damit werden wir zunächst in das 7. Jahrhundert, die Zeit der Christiauisirung Alamanniens, zurückersetzt. Die Kapiteleintheilung ist keine gemachte, sondern eine gewordene. Die Trägerin einer neuen Religion, die christliche Kirche, welche die Herzen der Germanen gewinnen wollte und sich ihren Vorstellungen und Gebräuchen pfleglich anschmiegte, baute die Taufkirche an die Malstätte, wo die Huntare sich zu versammeln gewohnt war (Scbwörzkirch, Hoisterkirch); zu den gottesdienstlichen Akten der Taulkirche berief sie die

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Huntarengenosscn, nicht die Leute aus fremden Huutaren, die durch Wald und Gebirge getrennt waren und andere ihnen liebe und bequeme Versammlungsorte hatten. Der Erzpriester vereinigte die Geistliehen desselben Bezirks um sich und übte mit ihnen die geistliche Aufsicht über die Huntarengenossen, mit denen sie in weltlichem Verbände und in Verkehr standen. Mit anderen Worten: Die auf die Missionsthätigkeit liinge- wiescue Kirche schonte die Interessen, die der Hnntaren verband geschaffen hatte. Wie selbstverständlich wurde das Kapitel eins mit der Huntare und blieb es auch, wenn diese rodend sich ausdehnte. Beispiele sind die 1 1 Fälle zu Nr. 1. In Friesland hiess die Taufkirche Gaukirche, in Alamannien lautete die Adresse an den Erzpriester: Archipresbytero pagi illius salutem (Sohin, Fränkische Verfassung I 203), und Walafried Strabo, welcher 84!» als Abt des alemannischen Klosters St. Gallen starb, konnte bei Vergleichung der weltlichen und kirchlichen Aemter noch damals den Centenar in dieselbe Linie mit dem Erzpriester stellen: centenarii, qui per pagos statuti sunt, presbyteris plebeji, qui baptismales ecclesias tenent et minoribns praesunt presbyteris, conferri queuut. Walter, Corp. jur. Germ. 3, 527. Gau und pagus ist hier immer in dem Sinn von Huntare zu nehmen.

Dieser ersten Periode der Einheit von Huntare und Kapitel folgte, dann eine weitere, in der die Entwickelung entweder der politischen oder der kirchlichen Verbände durch Anpassung an die Steigerung der Bevölkerung und des Verkehrs fortschritt, während der geographisch entsprechende andere Theil in seinen Grenzen erstarrt blieb. Die Huntaren entwickelten sich durch Theilnng (oben S. 295), wozu die Nr. 2 4, 9 Beispiele liefern, die Kapitel durch Theilung einzelner oder Neuaufteilung mehrerer, so zu Nr. 5—9. Dieser Prozess ist aus dem (späteren) über decimationis von 1275 zu entnehmen.

Die Kapitelentwicklung hatte damit aber ihren Abschluss noch nicht gefunden. Der über quartarum von 1324 hatte noch Ein Kapitel, wo der über marcarum von 1360—70 schon die beiden Kapitel Reutlingen und Urach aufführte. 1324 gab es noch Ein Kapitel, damals Egebrechtshofen genannt, dem Argen- gau und etwa Alpgau (Allgäu) entsprechend, an dessen Stelle im über taxationis von 1353 zwei erschienen: decanatus Sig-

Cr «wer, Geschichte der Alemannen. 2*

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marscell, locus in Lindaugia und decanatus Grunenbach, locus in Stoffen. Im 16. Jahrhundert wurde dann ersteres in die Kapitel Lindau und Bregenz, letzteres in die Kapitel Stiefen- hofen und Weiler zerlegt. Endlich wurde im Jahr 1788 das Kapitel St. Blasien neugegründet.

Wo die ursprüngliche Einheit des einzelnen Kapitels mit der einzelnen Huntare geblieben, oder wo aus einer Huntare durch Theilung ein Complex mehrerer gebildet ist, können die dunklen Grenzen der Huntare oder des Huntarencomplexes nach denen des Kapitels ergänzt werden: Nr. 1, 2 4, 9. Aehnlich dienen, wenn ein Kapitel getheilt oder mehrere neu aufgetheilt werden, deren Complexgrenzen zur Feststellung der Grenzen der Huntaren; Nr. 5 9. Besonders bemerkenswert!) ist Nr. 8. Nr. 9 enthält eine Combination von Fällen der Theilung von Huntaren und Kapiteln.

Was von Huntaren und Kapiteln, das gilt nach verbreiteter Annahme auch von Zehntschaften und Kirchspielen.

4. Gaue und Archidiakonate.

Die constanzer Archidiakonatseintheilung ist gleichfalls aus dem über decimationis von 1275 bekannt. Es gab 10 Archi- diakonate, davon 6 in Deutschland, 4 in der Schweiz (die ich hier mit einbeziehe) und es kommen auf sie 11 oder 12 Gaue, davon 9 oder 10 in Deutschland, 2 in der Schweiz. Gau (Grossgau) und Archidiakonat decken sich, oder der Archi- diakonat umfasst mehrere Gaue oder ein Gau mehrere Archi- diakonate. Diese Regeln haben aber auch ihre Ausnahmen.

1. Dem Gross-Breisgau wie dem Gross-Klettgau entspricht völlig je ein gleichnamiger Archidiakonat.

2. Die Grossgaue Hegau, Westergau und Nagoldgau sind zu Einem Archidiakonat zusammengefasst, dem man den Nemen Vor’m Wald, Ante Nemus (vor dem Schwarzwald, von Con stanz aus gesehen), gegeben hat. Ob die Huntaren Goldineshuntare und Ratoltesbuch (gleich dem in den Archidiakonat fallenden Kapitel Mösskirch) dem Hegau in Wahrheit angehören, oder

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etwa einem Donaugau (?), ist jedoch unsicher. Im Norden ist auch jedenfalls ohne geographischen Anlass der nördliche Antheil der Huntare Filderen und die Hnntare Ramestal, (gleich dem Kapitel Cannstatt), welche schon zum Gross- Neckargau gehören, dem Archidiakonat zugelegt. Er war der grösste in Deutschland und wurde 1275 von dem Domprobst zu Constanz als Archidiakon verwaltet. Wahrscheinlich schon damals, jeden- falls aber schon 1324 nach den Registern dieses Jahres schied sich der Archidiakonat nach Gebirge und Ebene in den obern, also gleich den Grossgauen Hegau und Westergau, und in den untern Archidiakonat, also gleich dem Gross-Nagoldgau.

3. Der Archidiakonat Albgau, Circa Alpes oder Alpensis, der Osten der schwäbischen Alb, umfasste den Gross-Neckar- gau, mit Ausnahme der beiden genannten Hnntaren und den nördlichen Gross-Albgau. Letzterer ist im Süden urkundlich nnr bis zur Donau nachzuweisen. Der Archidiakonat erstreckte sich aber nach dem Süden der Donau auf die Huntaren Krekgau, Tiengan, Eritgau, Munterishnntare und Rnadolteshuntare, deren Grossgau dem Namen nach nicht überliefert ist (Donaugau?) Es waren die Kapitel Mengen, Saulgau und die Antheile von Mnnderkingen nnd Ehingen rechts der Donau.

4. Der Archidiakonat Illergau wird im Allgemeinen dem Gross-lllergau entsprochen haben, von dem jedoch nur die in der Nähe der Iller gelegene Striche bekannt sind. Der Archidiakonat besteht aus den Kapiteln Dietenheim , Laupheim, Biberach, Waldsee, ob aber die den drei letzteren entsprechenden Hun- taren Rammagau und Heistergau dem Illergau oder welchem andern Grossgau (Donaugau?) angehörten, ist nicht bekannt. Die Huntare Nibelgau (Kapitel Isny) dagegen bildete urkundlich einen Bestaudtheil des Illergaus, ist aber dem Archidiakonat zu Gunsten des nächsten entzogen.

5. Der Archidiakonat Allgäu. Allgovia umfasste ausser der Huntare Nibelgau einen Bezirk, dessen Grossgauname nicht überliefert ist und zwar die Hnntaren Alpgau (Allgäu), Argen- gau. Schussengan, Linzgau, und es ist die Frage aufzuwerfen, ob nicht der Archidiakonat den Gaunamen Alpgau erhalten hat?

t». In der Schweiz zerfielen deren zwei Grossgaue Thurgau und Aargau je in zwei Theilgaugrafschaften ; der Thurgau schon im 8. Jahrhundert in die Grafschaften Thurgau und Zürichgau

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und der Aargau in die Grafschaften des untern und des obern Aargan. An diese Theilgaugrafschaften knüpfte die Bildung der Archidiakonate an. Es wurden Archidiakonate Thurgau, Zürichgau, Aargau (gleicli dem untern) und Burgund (gleich dem obern Aargau) geschaffen, die Grenzen aber theilweise ver- schoben. Die Kapitel Mellingen und Bremgarten links der Reuss gehörten zur Grafschaft Zürichgau, sind aber zum Archidiaconat Aargau gelegt. Die Huntaren Luzern (?), Schwyz, Uri, Stanz, Sarnen, Theile der Grafschaft Ziirich- gau, sind dem Archidiakonat Aargau zugewiesen. Hier umfasste das grosse Kapitel Luzern, das von dem Vier- waldstätter See bis zum Gotthard reichte, die Sechstel, sexturiatus, Luzern, Uri, Schwyz, den unfern pagus Stanz und den obern pagus Sarnen (das sechste Sechstel ist nicht er- sichtlich). Die beiden letztem bilden heute denCanton Unterwalden mit den Hälften Nidwalden (Stanz) und Obwalden (Sarnen).

Uebersieht man diesen Stoff, so zeigt sich, dass der Archidiakonatseiutheilung die Gaueintheilung zu Grunde gelegt ist, dass jene sich aber, abgesehen von Breisgau und Kiettgau mit dieser nicht völlig deckt, sondern im Einzelnen sich Ab- weichungen gestattet hat. Ohne die Grossgaugrundlage ist im Uebrigen keiner der Archidiakonate und man darf daher auch für den Archidiakonat Allgäu einen gleichnamigen Grossgau annehmen. Es scheint, dass Ein Grossgau zwei Archidiakonaten, dem Vor’m Wald und dem der schwäbischen Alb zugetheilt ist und ich werde jenen, da auch sein Name fehlt, den Donaugau nennen. (Es ist der zweifelhafte zwölfte Grossgau). Aus den Abweichungen ist zu folgern, dass die Zeit der Grossgaue und Gaugrafschaften bereits zu Ende war, als man an die Archi- diakonatseintheilung herantrat. Vielleicht schuf man im Anfang grössere Bezirke, von denen sich die zwei Antenemus und Circa Alpes erhalten haben, und verwandelte dann die andere in die Gebiete einzelner Grossgaue oder gar Theilgaugrafschaften, wie wir sie kennen. Jedenfalls ist die Archidiakonatseiutheilung im Gegensatz zu der gewordenen Kapiteleintheiluug eine plan- massige, die ich dem 8. oder 9. Jahrhundert zuschreiben möchte.

Für das lückenhafte Material, das zum Aufbau von Gauen und Huntaren zu Gebote steht, bilden hiernach die bekannten Grenzen der Archidiakonate und Landkapitel eine äusserst

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wichtige Ergänzung und es erscheint gerechtfertigt, zur Aus- füllung der Lücken an der kirchlichen Eintheilung so lange fest- zuhalten, als nicht entgegenstehende urkundliche Nachrichten oder sonstige Umstünde es verbieten.

Ob dieses Ergebniss auch für andere Bisthümer als das von Constanz zu trifft, habe ich nicht untersucht und muss es, auf Eiuzeiforschung verweisend, dahingestellt sein lassen. In allen Fällen wird man die ursprüngliche Identität von Huntaren und Kapiteln annehmen und die Kapitel als Zeugnisse vom ältesten Zustand der Huntaren zu Grunde legen können. Im Uebrigen wird es darauf ankommen, wie weit die spätere Disharmonie beider Arten von Verbänden vorangeschritten ist. Zeigt sie sich geringer, wie in den Fällen des Abschnitts 3, Nr. 1—7 oder auch 8, so wird die Vergleichung sich fruchtbar erweisen, zeigt sie sich grösser, wie in dem Fall Nr. 9, so ist ein Resultat nicht zu erwarten. Aehnlich werden die Beziehungen zwischen Gauen und Archidiakonaten sein, nur dass die Archi- diakonate künstlich geschaffen sind.

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Die alamanniseh- frankisehen Gaue.

Zwölftes Kapitel, öebersiclil.

Nach den Schilderungen Ammians vom 4. Jahrhundert konnten die alamannischen Gaugebiete jener, der ersten Periode in ihren allgemeinen Umrissen dargestellt werden (Kapitel 4, S. 69 79.) Es folgte dann fast ein halbes Jahrtausend, erst nach dessen Ablauf auf Grund der Urkunden der Merowinger- und Karolinger- Zeit, des 8. und späterer Jahrhunderte wieder ein Bild der geographischen Gestaltung gegeben werden kann, welche in Anknüpfung an die alten Gaue (S. 308 311) er- folgt war.

Diese zweite Periode der territorialen Gestaltung war in allen Theilen Alamanniens dieselbe, im Stammland wie in Neualainanuien, in den seit 496 fränkisch gewordenen, wie in den alamannisch gebliebenen Gauen, und es kann aus allen Gegenden des Landes übereinstimmend nachgewiesen werden, wie die Entwicklung der Gaue, Huntaren und Zehntsehaften vor sich gegangen, und welche Formen das Verhältniss zwischen ihnen und den Grafschaften angenommen hat. Rei der Lücken- haftigkeit des Materials, bei dem verschiedenen Charakter der bisherigen gaugeographischen Arbeiten und bei dem Umfang des Gebiets kann die Bearbeitung aber nur eine unvollständige und ungleichmässige sein. Ich habe mich zwar bemüht, die Grossgaue, wo die Nachrichten von ihnen fehlen oder spärlich sind, zu ermitteln, die Zugehörigkeit der Huntaren zu den Gauen und die Beziehungen dieser Verbände zu den Graf- schaften zu erhellen, bin mir aber bewusst, dass selbst ein ge- neigter Leser meiner Führung nicht immer folgen wird. Von den Zehntsehaften kann ich nur einige Beispiele geben. Eine

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niß

erschöpfende und gleichmässige Darstellung des Entwicklungs- ganges innerhalb der Gaue wird erst möglich sein, wenn zahl- reiche geschichts- und lokalkundige Kräfte nach gemeinsamem Plan Zusammenwirken.

Zu befürworten ist auch hier, dass im 8. Jahrhundert die Grossgaue, vielleicht mit wenigen Ausnahmen, längst ver- schwunden waren, und dass die jüngern, etwa in Wald und Gebirge angelegten Huntaren wohl in keinem Gauverband ge- standen haben: sie werden aber doch dem landschaftlichen Gebiet eines Gaus oder seinem Hinterland zuzurechnen sein.

Den Gegenstand der folgenden Darstellung wird das alamannische Gebiet bilden, sowohl das seit 496 fränkisch ge- wordene (abgesehen von den linksrheinischen vorübergehenden Erwerbungen der Alamannen j, wie das alamannisch gebliebene. Für dieses gesammte Gebiet ergeben sich folgende Grenzen: Im Westen der Rhein von Linz bis aufwärts Selz, das Gebiet der Vogesen, Basel, die Birsig, die Aare von (gegenüber) Solothurn bis zum Thunersee, im Süden die Furka, der Gott- hard, der Tödi, der Säntis, das Rheinthal bei Montlingen, der Bregenzer Wald, im Osten die Gebiete des Lech, der Wörnitz und der mittlern Altmühl, der oberen Jagst, der Erfa, des Main von Lohr abwärts, des Spessart, der Hassberge und Gleichberge, der obern Werra bis Schmalkalden und der Ab- dachung des Thüringer Waldes zu ihr, im Norden die Rhön, das Vogelsgebirge, der Taunus, der hohe Westerwald bis an die Sieg um Kirchen und bis an den Rhein bei Linz.

Unter Gauorten, Theilgauorten, Huntarenorten, Barorten verstehe ich im Folgenden nur diejenigen Ortschaften, deren Lage in den Urkunden ausdrücklich nach der Zugehörigkeit zum Grossgau, Theilgau, zur Huntare, Bar bezeichnet ist.

In diesem dritten Buch sollen zunächst die alamannisch- fränkischen Gaue behandelt werden, die ich so nenne, weil ihre Grundlage alamannisch blieb, als sie seit 496 fränkisch wurden. Sie reichten am rechten Rhein von dem Westerwald bis zur fränkisch -alamannischen Stammesgrenze jenes Jahres (S. 264—268). Der Westerwald, Taunus, Odenwald, das

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Yogelsgebirgc, die Kliüii, der Spessart und die südmaiuischen Hochflächen, der Rhein, die Lahn, die obere Fulda und Werra, der untere und mittlere Neckar sind die Gebirge und Flüsse, welche die Gaue in ihrer Individualität geschaffen haben. Es sind ihrer vier nordmainische Grossgaue, der Mattiakergau, der Unterlahngau, die Wettereiba und das Grabfeld und fünf südlich vom Main, der Rheingau, der Lobdengau, der Maingau, der Kraichgau, der untere Neckargau. Der Name Mattiaker- gau hat ergänzt werden müssen. Die Gaue, welche östlich von der Wettereiba lagen (Saalegau, Weringau), von dem Maingau (Waldsassi, Gotzfeld, Folkfeld) und von dem unteren Neckargau (Tauber-, Badanach-, Iphi-, Gollachgau), schliesse ich von der Darstellung aus. Sie waren wohl ursprünglich burgundionische Sitze, die im 5. Jahrhundert von den Alamannen theilweise eingenommen und dünn bevölkert sein mochten, aber im nächsten Jahrhundert von den Franken be- setzt wurden (S. 78, 181, 268), so dass es zweifelhaft er- scheint, ob die Gestaltung, welche jene etwa dem Lande gegeben haben, in fränkischer Zeit geblieben ist.

Quellen für die alemannisch-fränkischen Gaue sind Krower, Geschichte des Rheinischen Franzicns; C. F. Stälin, Wirtembergiscbe Geschichte, Theil I, S. 312 u. flgde: Büttger, Iliücesan- und Gaugrenzen Norddeutsch- lands. Theil I, welcher die nordmainischen Gaue, und Schultze, welcher die südmaimschen Gaue behandelt (die fränkischen Gaue Badens, die fränkischen (iaugrafsehaften Starkeuburgs und Württembergs)

Dreizehntes Kapitel.

Der JltaHiakergau (?).

Der im Norden des alamannisclien Stammlandes an den Rhein stossende Grossgau mag diesen Namen getragen und der Ausdehnung der civitas Mattiacornm entsprechend, am rechten Rhein das Gebiet vom Westerwald und Taunus bis zum Main eingenommen haben; das sind die Huntaren Engers- gau. Einrich, Rheingau und Kunigessundra. Des Ptolomäns Ingriouen scheinen die Engersgauer, die Uisper die Umwohner der Wisp, mithin die Bewohner des Einrich und des Rheingau zu sein. Zur Zeit des Ammian war Hortar der König des Mattiakergaus (S. 5, C, 73).

Der Engersgau und Einrich gehörten im Bisthum Trier dem Archidiakonat des heiligen Lubentius in Dietkirchen an, ersterer dem Dekanat Cunolstein-Engers, letzterer dem Dekanat Marvels: der Rheingau und die Kunigessundra im Bisthum Mainz den Mainzer Collegialstiften, ersterer des heiligen Moritz, letztere des heiligen Petrus ausserhalb der Mauern.

Zum Bisthum Trier gehörte auch der dem Engersgau und Einrich im Osten anstossende Gross- Unterlahngau. und zum Bisthum Mainz die dem Rheingau und der Kunigessundra im Osten anstossende Gross- Wett ereiba. Dagegen erscheint der nördlich vom Engersgau gelegene Avalgau. welcher bereits dem Bisthum Cöln angehörte, danach von der Zuhammen- gehörigkeit mit den vier alamanischen Huntaren ausgeschlossen.

Landschaftlich haben diese und die anstossende, der Gross- Wettereiba augehörige Huntare Niedgau das Gemeinsame, dass sie aus den Ebenen des Rhein und Main und den zum Wester- wald oder Taunus aufsteigenden Geländen bestehen.

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Für den letzteren ist mons Taunus der römische Name (Tacitus Ann. I 5(1; XII 58), der erst im vorigen Jahrhundert wieder aasgegraben ist und seitdem den deutschen fast völlig verdrängt hat. Der deutsche Name ist die „Höhe“, der für die Strecke vom Niederwald bis zur Nidda und Wetter ur- kundlich nachweisbar ist und sich hier erhalten hat. Hier ist die Wasserscheide zwischen der Lahn einerseits und dem Rhein und Main (Nidda, Wetter) andererseits und da, wo die Wasser zum Rhein und Main herunterfliessen, ist man „vor der Höhe“. Die Stromebenen und dies Gelände vor der Höhe sind das gesegnete Culturland des Rheingau, der Kunigessundra und des Niedgau.

Hier einige Nachweise. Im Kheingau heisst es 1191 rilva Hobe juxt« villam Eherbach; 1211 Happen in Hohen situ; 1327 jnger vinee an der Hobeu situui I bei Eltville'; 1347 unser Walt, das die Hohe heisst von der Wallaf bis Lorch; 1416 stiess ein zwischen Hattenheim und Hallgarten streitiger Wald an die Hohe. Noch heute heisst Hausen vor der Höhe. In der Kunigessundra lag Frauenstein in der »Herrn Uoe von Nassauwe" und 1360 bezeichneten die Oralen von Nassau ihre »Oraveschaft diesyt der Höhe“; hier lag die Mark Orefenhöhe oder Wiesbadener Höhewaldung, hier der Bezirk um Schlosshorn an oder auf der Hohe (Orimin IV MiS, I 356, ä67). In dem Niedgau war es die Höhemark oder die hohe Mark und die ■Stadt Hoenberg 1192, (Homburg), welche deu Namen trugen und noch jetzt lühreu Homburg. Holzhausen. Kodheim. Fauerbach den Zusatz »vor der Höhe.*

Im Rheingau setzte man dem Namen der Höhe (im Sinn von Vorhöhe) den Namen U eberhöhe entgegen, eine Gebirgs- partie, die den Flussgebieten tlieils der Wisper (zum Rhein), theils der Aar (zur Lahn) angehört. Die Leute der Ueberhöhe iiiesseu 135t> „die Lude zwischen der Hüe und Arde“ (Aar) and ihre Ansiedlungen waren die „15 ftberhöhischon Dörfer“.

Hunt» reu.

l. Engei sgau.

Die Gau oder pagus genannte Huntare hatte einen sehr variirenden Namen: Engeris, Engiris, Engris. Engeres, Angris, Anger, Angeres, Angeris, Ingens, seit 1371 Engers, immer mit der Endung gau.

815 wird der Gau auch comitatns Sconenberg genannt. In der Urkunde Konrads I. heisst es: curtem nostraui Nassowa (Nassau) cum Omnibus rebus ... in utroque latere fluminis Logene in duobus illis comitatibus Sconenberg et Marvels. Diese Grafschaften sind der Engersgau und der Einrich. Den ersten Namen Engersgau hat die Huntare von dem Ort Engers, der also wohl ihre ursprüngliche Malstätte war. Die Lage von Sconenberg ist nicht ermittelt (Schöneberg?).

Der Engersgau fiel mit dem Dekanat Cunolst ein- Engers zusammen, umfasste also

iin Westen den Rhein von Linz bis zur Lahn, im Norden die Grenz- orte Linz, Ohlenberg, Neustadt. Peterslahr. Horrhausen, Puderbaeh, Schöne- berg, Niederwambach, Allmersbach, Höchstenbach, Dreifelden, Hartenfels, welche zugleich die alauiannischc Nordgrenze andeuten, im Osten Harten- fels, Dreifelden, Kiickerod, Maxsain, Helferskirchen, Wirges, Montabaur, Uciligenroth, Kirchähr, Holzappel, Dörnberg und im Süden von da über Nassau und Kms zur Mündung der Lahn.

Huntarenorte sind

Kreis Linz: Hünningen, Leutesdorf;

Kr. Neuwied: Rodenbach, Meinborn, Niederbieber, Heddersdorf;

Kr. Koblenz; Irrlich, Heimbach;

Kr. Unterwesf erwähl: Nassau, Wirges, Krümmel.

2. Einrich.

Die ältesten Namensformen waren 7 DO, 882, 880 Heinrichi. Henrike, Enrichi, sonst Einriche, auch vereinzelt Einrichi und Einrieha. Die Huntare wurde pagus, einmal 1160 provincia genannt. Als Grafschaft führte sie aucli nach ihrer Malstätte Marvels (Marien fei», dem Hauptort des gleichnamigen Dekanats) die Bezeichnung 815, 1031, 1030 comitatus Marvels, auch mit dem Zusatz in pago Einrieha. Die Rechtsurkunden ergeben folgende

Huntarenorte:

Kr. St. Goarshausen: Oberlabnstein, Rraubach, Camp, Gemmericli. Marienlels, Obertiefenbach, Dettendorf, Wellmich, Dahlheim;

Kr. L'nterlahn: Nassau (S. oben), Arnstein, Katzenelnbogen.

Nach dem Weisthum von 1361 (Grimm VI, 745) war das Landgericht auf dem Einrich lehnrührig von dem PfaJzgrafen bei Rhein und im Lehnsbesitz zweier Grafen von Nassau und zweier Grafen von Katzenelnbogen. Es liiess daher „das laut- gericht der vier liern uf dem Einriche“, das abgehalten wurde „an der stat, die man nenuit zum Thorne“ (wohl in Marienfels).

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In Lehnsreversen des 15. Jahrhunderts hiess es: Ein

Viertheil an der Vierherrn Gericht off dem Einrich; ein Zweitheil an der Granesschaft zu Eynrich, die man nennet das Vierherrn Gericht uff dem Eynrich. Der Bezirk dieses Vierherrngerichts war eben der Einrich, als dessen Grenzen nach dein Weisthum erscheinen die linke Lahn von Oberlahnstein bis aufwärts Langenau und Anistein, dann der Dörsbach bis zu seinem l’rsprung bei Huppert, der Westengiebel der Kirche von Kemel, die Wisper bis in den Rhein (Markung C’aub): der Rhein abwärts bis Oberlahnstein.

3. Rheingau.

Die Huntare Rheingau (im Gegensatz zu dem Gross- Rheingau der untere Rheingau, im Volksmund das Rheingau genannt), wurde im Süden vom Rhein begrenzt und zwar vom Ausfluss der Waldaff (Walluf) bei Niederwalluf bis zu dem der Wisper bei Lorch (genauer bis Lorchhausen). Von da ab schloss sie im Nordwesten das Wisperthal in sich, stieg bis Kemel empor, erreichte im Westen das linke Ufer der Aar (Langenschwalbach) und von da die rechte Seite der Waldaff, welche sie zu ihrem Ausfluss begleitete.

Die so ungefähr umschriebene Landschaft zerfiel in drei Stufen, die Ebene am Rhein, die ans ihr ansteigende „Höhe“ und weiter im Norden die „Ueberhöhe“ und aus dieser Boden- gestaltung wird sich ein in den Hauptziigen leidlich gesichertes Bild der Gauentwicklung des Rheingaus ergeben.

Die Besiedlung wird in der Rheinebene, am Strom auf dem fruchtbaren Ackerland, für Gewannfluren geeignet, be- gonnen haben, hier werden die ältesten Dörfer gebaut sein, heute die grossen Orte des Rheingaus. Die Höhe und Ueber- höhe wird mit Wald bedeckt sein. Noch 1578 unterscheidet eine Urkunde die Vorderwaldte und die Hinterwaldte der erstem. Dann stiegen allmählig die Ansiedlungen die Höhe empor. In der Ebene wie an der Höhe waren es die durch ihren Weinbau berühmten Orte und die Höhe wie die Ebene hat Goethe im Auge, wenn er ruft

Za des Rheins gestreckten Hügeln.

Hochgesegneten (jebreiten,

Auen, die den Fluss bespiegeln,

Weingeschmückten Landeswciteu !

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Hier haben sieh Spuren genossenschaftlichen Verbandes lange erhalten, die man auf Zehntmarken deuten mag. Denn aus dem 12. Jahrhundert haben wir Nachrichten über die administrative Eintheilung des Landes in Aemter, welche aus Marken hervorgegangen waren, die theilweise als Waldinarken (Amtswaldungen) noch bestanden, während die Feldmarken bereits unter die Dörfer oder Komplexe von Dörfern als Dorf- marken ausgeschieden waren. Solcher Aeinter oder Zenten, welche auch die Träger der Zentgcrichtsbarkeit waren, gab es vier, deren Hauptorte als Stadt oder als Flecken, deren andere Orte als Dörfer bezeichnet werden. (Siehe unten.)

1. Das Oberamt (obere Amt) Eltville. Dazu gehörte

ausser Eltville am Rhein Niederwalluf, das seit dem Rhein- austritt von 1625 abgegangeue Steinheim, Erbach und Hatten- heim, an der aufsteigenden Höhe Oberwalluf, Neudorf, Rauen- thal, Kiedrich. Die Amtswaldung wurde in vier Marken zerlegt: Erbach, Hattenheim, Kiedrich erhielten je eine, Eltville und seine kirchlichen Filialen Niederwalluf, Steinheim, Oberwalluf, Neuhof, Rauenthal die vierte. Eltville gerieth mit Rauenthal in lange Streitigkeiten, die 1518 dahin entschieden wurden, dass sie hinsichtlich der Beede, des Gerichtszwangs und des Schützens geschieden wurden, hinsichtlich der Mark aber sollten sie nngeschieden sein, und die Trift, Wasser, Wald und Weyd bei ihrem alteu Herkommen verbleiben. Nieder- walluf soll erst 1713 von Eltville geschieden sein.

2. Das Mittelamt Winkel. Dazu gehörten ausser Winkel am Rhein Oestrich, Mittelheim und aut den Anhöhen Hall- garten. Johannisberg und Stephanshausen. Später wurde der Sitz des Mittelamts nach Oestrich verlegt. Die Amtswaldung blieb bestehen. Ausserdem besassen Oestrich und Mittelheim bis 1386 eine gemeinschaftliche Feld- und Waldmark, die damals geschieden wurde, die Feldmark, „als igliehs dorf daz bizher behüt und beschützet hait“, die Waldmark sammt den landesherrlichen Lasten und Diensten aber dergestalt, dass auf Mittelheim ein Fünftel, auf Oestrich vier Fünftel fielen.

3. Das Unteramt Geisenheim. Dazu gehörte ausser Geisen- heim am Rhein Riidesheim und Assmannshausen und auf den Anhöhen Eibingen und Anihausen. Der Sitz des Amts wurde später nach Riidesheim verlegt. Die Amtswaldung blieb be-

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stehen. Im Uebrigen stand Rüdesheini als Mntterort mit Eibingen und Aulhausen noch 1384 in besonderer Mark- gemeinschaft.

4. Das halbe Amt Lorch, dessen Hauptort mit seinem Tochterort Lorchhausen, beide am Rhein, in gemeinsamem Besitz ihrer Amts Waldung war.

Die Aiutsw'aldungen sind erst in unserem Jahrhundert zur Theilung gekommen.

Die vier Zehntmarken, auf die aus ihren Resten, den späteren Aemtern, zurückzusch Hessen ist, bildeten sammt ihrem Hinterland zur alamannischen Zeit die Huutare Rheingau und es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass in dieser Zeit zum Schutz des damals besiedelten Landes, insbesondere der Höhe, das Gebück angelegt ist, eine germanische Befestigungsart, die schon Cäsar (Gail, li, 17) beschreibt. Das Rheingauer Gebück zog von Niederwalluf, die Waldaff aufwärts (Oberwalluf, Neu- dorf) zwischen dem Kloster Tiefenthal und Schlangenbad hin- durch, vor Hausen vorbei, durch den Mapper Hof, über Weissen- thurm zur Wisper, und die Wisper abwärts bis Lorch.

Die Malstätte des Rheingau war auf der Lützelau, einer Rheininsel bei Winkel, die für alle Dinggenossen vermöge des Rheins zugänglich und also günstig gelegen war. 178U liess der Fluss von ihr nur geringe Ueberblcibsel bestehn, die seither auub verschwunden sind.

Das Hinterland des Gaus jenseit des Gebücks wird lange Zeit in unberührtem Wald dagelegen haben, bis die Genossen der Zehntmarken antingen, ihn nach Bedarf zur Weide und zur Beholzung zu benutzen, zunächst die Wälder links der Wisper auf der Höhe, die man später den Hinterlandswald und den Kammerforst nannte, und dann die Wälder über der Höhe. Keine der Zehntschaften ergrifl ausschliesslichen Besitz und der gemeinsame Besitz Aller führte dahin, die Wälder als Mark der Huntare des Landes anzusehen. Bei dem entlegenen Kammerforst kam es wohl nicht über die Benutzung durch die Anlieger hinaus, und als er in fränkischer Zeit dem Boden- regal des Königs und dann des Landesherrn anheimfiel, wurde er Bannforst, vorbehaltlich der durch die Besitzhandlungen der anliegenden Ortschaften entstandenen Rechte an Holz und Weide, welche fixirt und in Urkunden des lt>. Jahrhunderts

C/luter, Geschichte der Alamannen. 23

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anerkannt wurden. Der Kammerforst schied damit aus der Markgenossenschaft aus.

Im Hinterlandswald dagegen und über der Höhe trat zur Benutzung von Wald und Weide der allmälige Ausbau; die Besiedlungen erfolgten wohl im Hofsystem, denn später hatte fast jede der zu Dörfern erstarkten Anlagen einen andern Grundherrn. Sie erstreckten sich bis zur Schneeschmelze bei Kemel, bis zum Pfahlgraben. So weit dehnte sich der Rbein- gau aus.

Zur fränkischen Zeit wurde er eine Grafschaft, sein Graf war der Rheingaugraf oder Rheingraf, comes de Rinegowe, comes Reui oder de Reno, und die Lützelau wurde der mallus, das placitum, die insula comitis.

Die Entfernung der Ueberhöhe von der einzigen Malstätte im Rhein, und die mit deren Besuch verbundene Belästigung mochte die Schaffung einer zweiten Malstätte wünschenswerth erscheinen lassen. Sie wurde in Bärstadt errichtet und damit der Rheingau in den vorderen und den hinteren getheilt. Der vordere umfasste nunmehr die Ebene und die Höhe: die vier Zehntschaften (vier Aemter) und den bis auf den heutigen Tag sogenannten Hinterlaudswald links der untern Wisper, also die Zehntmarken und die Huntarenmark mit der Grafeninsel, der hintere die Ueberhöhe zwischen der obern Wisper, der Aar und der oberen Waldaff mit den „fünfzehn überhöhischen Dörfern“. Es waren Niedergladbach, Obergladbach, Langenseifen, Fisch- bach, Hausen, Bärstadt (die Malstatt), Wambach, Hettenhain, Ramschied, Langensehwalbaoh, Lindschied, Heimbach. Hier im Norden reichte die Grenze bis gen Kemel an den Westen- giebel. Drei weitere Dörfer Selhan, Förtelbach, Niederamstadt sind abgegangen.

Mit dieser Theilung schieden sich im Wesentlichen die Geschicke beider Theile, und den bevorzugten Bewohnern des gesegneten vorderen Rheiugaus waren die andern (im Anfang) des 14. Jahrhunderts) „die Lude über Hüe“, oder nach einem Weisthum; „die do sind und kommen von der Höe und von der Aide“ (Aar), die „U eberhöher“.

War mit dieser Scheidung auch die Theilung in zwei Grafschaften verbunden? Bodmann behauptet es auf Grund einer Urkunde von 1025, nach welcher der Kaiser Konrad II.

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comit&tum Nederne in pago Reinicgoune an das Kloster Fulda übertrag. Nass. 113; das sei die Grafschaft Nehren im hintern Rheingau mit der Dingstätte Nehren, an deren Stelle später Bärstadt getreten sei. Zunächst wurde bestritten, dass es einen Ort Nehren im Rheingau gegeben habe: Saner hat aber ur- kundlich nachgewiesen, dass der Erlen hof auf der Ueberhohe im 16. Jahrhundert auch den Namen Hof Nehren getragen habe. Es sind jedoch nicht die mindesten Beziehungen des Klosters Fulda zur Ueberhohe, nicht besondere Grafen dieses Gautheils bekannt, während z. B. nach einer Urkunde von 1489 das Erzstift Mainz hier die Gerichtshoheit ausübte. Es ist daher wahrscheinlicher, dass nach der Ansicht Landaus und von Schenk« unter Nederne nicht Nehren, sondern Netra, und unter dem pagus Reinicgouue nicht der Rheingau, sondern der Ringgau in Thüringen zu verstehen sei, so dass mithin Bärstadt der ursprüngliche Mallus des hinteren Rheingau und nicht erst ein späterer wäre.

Im Jahre 1498 besass das Erzstift Mainz wohl seit einem halben Jahrtausend die Landeshoheit Uber den gesamniten Rheingau und die Rheingaugrafschaft war vom 8. bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts im Lehnsbesitz ansehnlicher Geschlechter. Die „Rheingrafen“ hatten ihre Burg Rheinberg, castrum Rinberg im hintern Gau. Der Erzbischof belieb den Rheingrafen mit der Gerichtshoheit und der Burg nud der König gab ihm Bestallung, die Bannleihe, das Recht der Rechtsver- waltung. Aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts heisst es in einem Urbar: Ab imperio habet in benefieio bannum in Rinchouue super cometiam ... Ab archiepiscopo Mogontino habet in bene- ficio cometiam in Rinchowe et castrum Rinberg. Orig. Nass. 125. Aber der Rheingraf trat mit Ausbildung der Landeshoheit dem Vertreter des Erzbischofs im Rheingau, dem Vicedom (Vitz- thum) gegenüber in den Hintergrund.

Nur in dem vordem Rheingau wissen wir von Markver- bänden. Hier war es der Wohnsitz, der persönliche Freiheit und Antheil an der Markgenossenschaft gewährte. Hier machte die Luft frei, hier herrschte die Freiheit des Zugs und hier wurde 1279 auf eine Klage der Abtei Eberbach, welche für ihre Angehörigen, omnes in confinio residentes, gleiches Mark- recht mit den Burgern verlangte, gegen diese, die universitates

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villarnm, erkannt, dass der Abt und Convent, qui similiter sunt incole Rinichowie, vom Markreeht nicht auszuschliessen sein, a nemoribus. pascnis et aquis seu aliis communibus juribus, que Marke dicuntur, non essent excludendi. Urkundenbuch von Eberbacli 471.

Einige von den hier geschilderten Rechtsverhältnissen sind in dem Rheingauer Weisthum, nach Bodmann und Grimm aus dem Jahr 1324. nach Sauer aus dem 14., wenn nicht aus dem 13. Jahrhundert, und in dem sogenannten Rheingauer Landrecht beurkundet. Letzteres ist nach Brunner eine Uebersetzung niederländischer Rechtsquellen, insbesondere des Drenter Land- rechts von 1412, in welche Rheingauer Oertlichkeiten und Obrigkeiten eiugesetzt sind. Nach Brunner ist füglich nicht zu glauben, dass dies Landrecht im Rheingau jemals praktisch angewendet worden sei, doch wird sein Inhalt immerhin als ein kundiges Zeugniss des Uebersetzers über Rheingauer Zustände anzusehen sein.

Das Weisthuin sagt: Unser herre von Mentze und syn

stifft ist der oberste her und faut (Vogt) zu Rinkauwe und der termenyen ... (es folgen die Grenzen des vorderen und hinteren Rheingaus). Eine gleiche Erklärung liess der Erzbischof sich 1489 auf einem „dinglichen Tag* der „Hubeuer und Lantman der fünlzehen Dorf“ abgeben, „der in dem Dorf Berstadt Mcntzer Bisthumbs uf eyme fryhen platz vor der Kirchen daselbst“ abgehalten wurde.

Unsere herre (heisst es im Weisthum weiter) sin abge- scheiden walt hait mit namen der forst (der Kammerforst), dass

nyman darin hawen sal und mag yderman in dem

Rinckauwe swyn, die sie in iren husern zu irer noitturll slahen und essen wollen, in den forst triben und nit mer.

„Auch hain wir (die Leute des Rheingaus) den andern wald zu Ryngawe und waz darzu gehört, herbracht manne, burgmanne, dienstmanne, hovismanne, und die weyde in allen weiden (eine der Handschriften hat „leiden“) zuschen der Wisper und der Waldaffe von gots gnaden und des guten sant Martins. . . . Und sal nyman das holz uss dem Ringawe furen.“ Der andere Wald ist nicht etwa der Hinterlandswald, sondern im Gegensatz zu dem erzbischöflichen Kammerforst der gesammte „andere Wald zu Rheingau und was dazugehört“,

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also' im gesummten Rheingau. Das ist dann noch einmal bei dem Weiderecht gesagt, das an „allen Wälden“ .zwischen der Wisper und Waldaff, also wiederum im gesammten Rheingau zusteht. Wald und speciell die Waldweide sind als Mark charakterisirt und die Markweide auf Gott und den Heiligen, der Markwald auf das Herkommen zurückgerührt.

Während zwischen Wisper und Waldaff den Gaugenossen die Wald weide zustand, gebührte daselbst dem Herrn die Jagd und Fischerei : „Auch bekennen wir, dass der wiltbann und die fischereie yn dem Rinckauwe unsers obgenannten herrn ist“. Oberste Lehnsförster waren erst die Grafen von Nassau, dann 1347 über „unsere (? des Erzbischofs) Walt, der die Hohe heisset, von der Waldaff bis Lorch“ die Herren von Walluf (Das war Wald, der in Wahrheit dem Land Rheingau gehörte.)

„Und yglich statt und dorf ir abegesclieiden mark hait, die mogent sie bestellen zu allem ihrem netze; so wann sio die weide offent, so sin sie inen allen offen.“ Also wiederum Markwald, aber nicht von der Mark des Landes, dem Hinter- landswald ist die Rede, sondern von den Sondermarken und es wird ausgedrückt, dass ihren Märkern gleiche Nutzungen zustehen. Unter „yglich statt und dorf“ und „ir abegesclieiden mark“ wird man also die Amtsorte sammt den Amts Waldungen, oder Mutter und Tüchterorte sammt den ihnen gemeinsamen Marken, oder die Einzelorte mit Dorfmarken verstehen müssen.

Was hier statt und dorf, heisst im Rheingauer Landrecht flecken und dorf. Sein Artikel 1 spricht zunächst von der gemeinen Landschaft des Rheingaus, die über „Sachen, das Land berührend“, auf der Lützelau zur Hagensprache zusammeu- kommt, und sagt dann: „Desgleichen mag jeder flecken

und dorf Zusammenkommen und ihre Marke berichten, alls im wald und waid, holz und trifft, weg und Steg und anders zu thun, als dick des noth ist im Lande (Rheingau) und in ihren marken (der Flecken und Dörfer), aber gegen die Herrlichkeit des guten S. Martins und des Ertzbischof zu Menz sollen sie keinen Verbund machen.“

Es gab also im vordem Rheingau als älteste Marken die vier Zehntmarkeu, als jüngere die Huntarenmark, den Hinter- landswald, als jüngste die Dorfmarken (mehrerer oder einzelner Dörfer). Erhalten blieben der Hiuterlandswald und drei von

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den Amtswaldungen bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts und im Uebrigeu die Dorfmarken, in welche sich alle andern Marken aufgelöst haben.

Dagegen ist Bodmann 450 der Meinung, dass noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts alle zwischen der Waldaff und Wisper zum Rheingau gehörigen Waldungen der ganzen Landschaft gemein (Huntarenmark) gewesen, und dass erst in der Zeit von 1131 1158 eine Theilung des ganzen Wald- bezirks vor der Höhe unter jede selbständige Gemeinde (zu Dorfnark) erfolgt wäre. Von den Amtswaldungen spricht er nicht. Er fuhrt als Beweis der bisherigen Zusammenbörigkeit an, dass die „gemeine Landschaft im Rheingau“, incolae ipsius provinciae, die comproviuciales nach einer Urkunde von 1131, Nass. 184, für die Anlage der Abtei Eberbach Grund und Boden geschenkt habe. Aber abgesehen davon, dass die incolae nur im Gegensatz zu den gleichfalls schenkenden Ministerialen so genannt sind, also nicht nothwendig als die auf derLiitzelau vertretene Landschaft anfzufassen sind, so ist vom Wald über- haupt keine Rede. Die incolae gaben für die Anlage des Klosters die Baustätte, ipsum tündum monasterii, und das Thal her, das zwischen den beiden Strassen lag, von denen die eine gegen Kiedrich aufwärts, die andere nach Hattenheim abwärts führte, der Erzbischof gab eine halbe Hufe und zwei seiner Ministerialen noch eine halbe Hufe Wiesen mit einer Mühle und Weiuberg. Schenkungen, die dann in der Urkunde mit den Worten quiequid utilitatis in agris, vineis, pratis et ortis in eadein valle, zusammengefasst sind, also Kulturland, das nicht mehr im Markverband stand. Während hier Schenkungen, sei es der Landschaft, sei es Einzelner vorliegen, sind von 1158 und 1173 Nachrichten über Schenkungen von Gemeinden vor- handen, (Bodmann 455), also von Stücken ihrer Dorfmark. Hattenheim übergab 1158 dem Kloster einen „Wald“, der an das 1131 geschenkte Thal anstiess (die Urkunde liegt nicht vor); Erbach beurkundete 1137, dass die ville (Everbach), iuhabitatores universi, divites pauperes et mediocres ein Stück Wald, silva contigua monasterio übertrügen, et in hac silva nullus nostrum privatum habebat aliquid, sed communiter perti- nebat ad omues ville nostre incolas. Wenn 1131 keine ge- meine Waldmark sich über das Land Rheingau erstreckt hat,

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so folgt also auch nicht, dass seitdem eine Theilung statt* gefunden hat.

Soweit die Mark des vordem Rheingaus.

Als die Hubener und Landleut des hintern 1489 die Landeshoheit von Mainz anerkannten, war von Marken keine Rede. Sie behielten sich aber „alle Rechte vor, welche der Landbrief, der zu Eltvill liegt, nieer oder mynner inhalt“. Das war wahrscheinlich das Weisthum. Sie erkannten weiter die peinliche Gerichtsbarkeit des Erzstifts an. Eine weitere Ur- kunde von 1491 nennt das Gericht der fünfzehn Dörfer „das Lantgericht, das wie von Alters her zu Berstatt bleiben soll“, und bestimmt, dass sie den Galgen zu errichten und dass iglich Hussgesess ein Huhn, drei Kumpf Haber oder statt des Huhns 9 Binger Heller zu leisten habe. Bodmann 697.

1489 war die Landeshoheit über den hinteren Rheingau bereits streitig. Der Landgraf von Hessen hatte sie in An- spruch geuommen und den dinglichen Tag zu verhindern ge- sucht. Mau sieht ihn dann auch im Besitz, abgesehen von Ober- und Niedergladbach, die mainzisch blieben und dann zum Unteramt geschlagen wurden. Der Blutbann blieb gleich- falls dem Erzstift und dies fand seinen Ausdruck darin, dass die Verbrecher an das Gericht zu Eltville abgeliefert werden mussten.

Die Verfassung des vorderen KJieingaus (denn von dem hinteren ist nichts Weiteres bekannt) hatte sich im Lauf des Mittelalters so gebildet: An der Spitze der Gemeinde standen Schultheiss und Schöffen, welche niedere Gerichtsbarkeit hatten und mit oder ohne Zuziehung der Gemeinde auf öffentlicher Strasse, vor der Kirche oder sonst auf der gewöhnlichen Dingstätte handelten. Urkunden über Auflassung von Grund und Boden in dieser Form liegen aus dem 13. Jahrhundert zahlreiche vor, z. B. 1262 und 1286 in Büdesheim coram sculteto et scabinis, in strato publico de Hattenheim ante ecclesiam, oder coram scbulteto, scabinis et universitate villarum de Hattenheim auf- genommen.

In Bezug auf die Aemter spricht das Weisthum von dem amptmann (des Herrn von Mentz) und den scheffen des gerichts und von der (mit Fuhrwerk zu erreichenden) malestad des Begriffs (der hier nur die Malstatt des Amts sein kann, da

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man die Malstatt auf der Insel Lützelau nicht mit Pferd und Wagen erreichen konnte). Das Amt umfasste 1463 seine Ge- meinden und wurde von deren Bürgermeistern und Räthen ver- treten. (Siehe unten).

Die Landschaft des Rheingaus bestand 1225 aus villanis in pago Reni, 1226 aus Adel und Burgern des Gaus und den Orten vor der Höhe, milites et conprovinciales de Rinecouwe et de villis circa montes sitas, 1279 ans der Gesammtlieit der Rheingauorte, universitates villarum Rinichouie. Eberbacher Urkundenbuch 138, 245, 472.

„Der Landtag zu Lützelauwe“, wie das Weisthum, „die gemeine Landschaft des Ringaws“, wie das Landrecht sie nennt, hatte inzwischen nicht nur durch die Abtrennung des hintern Gaus an Bedeutung verloren. Der Landtag war aus einem Grafengericht, das alle Einwohner, die „Lantrecht“ hatten, zu den Versammlungen vereinigte, zu einem Bischofsgericht ge- worden, das nach einem späteren Zusatz zum Weisthum aus dem „Vitzthum und allen schnltheissen und Schöffen in dem Rinckauwe“ bestand. Es wurde ihm auch der Blutbann abge- nommen und auf die Zenten, Aemter, (Amtmann und Schöffen) übertragen, so dass sich seine Thätigkeit auf allgemeine Landes- angelegenheiten und die Civilgerichtsbarkeit beschränkte, bis man etwa im 14. Jahrhundert den Landtag nach Eltville ver- legte. Nach einer Urkunde von 1463 waren Vertreter und Bestandtheile des Landes „Bürgermeister, Rethe und Gcmeynd der vier Ampt Eltuil. Oesterrieh, Geysenheim und Lorch.“ Bodmann 514.

Neben diesen Obrigkeiten bestanden weiter Haivgeräthe (Haingerichte) als Gerichte über die Mark, die aus alten Märkerversammlungen hervorgegangen waren, und adlige und bürgerliche Mitglieder unter erzbischöflicher Obmannschaft ver- einigten, eine Zusammensetzung, die fortwährend zu Irrungen und zu Aenderungen ihrer Art führte. Als erste Urkunde darüber liegt eine erzbischöfliche Verordnung von 1494 (Köhler 88) vor, welche zur Beseitigung dieser Irrungen vor- schrieb: es sollten aus den Aemtern zween vom Adel, drei von der Bürgerschaft (nach Gelegenheit der Sachen aber auch mehr) dazu gegeben werden, also doch wohl Amtsbaingeräthe. Konnte man sich nicht zu einem einmülhigeu Schluss vereinigen, so

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sollten die Aemter ein Gutachten abgeben, eventuell der Erz- bischof selbst entscheiden.

Der Bauernkrieg führte auch im Rheingau zu einem allge- meinen Aufstand. Die Bauern versammelten sich als „gemeine Landschaft“ auf dem Wachholder vor dem Kloster Eberbach, stellten ihre Forderungen in 28 Punkten auf. unter denen die Freiheit von Wald und Wildbann und die Selbstständigkeit der Haingeräthe war und setzten sie auch durch, mussten sich aber bald dem Heer des schwäbischen Bundes unterwerfen und unter Anderm anerkennen, „dass sie sich alles Jagens und Weydwerks, auch Fischerei in Bächen gänzlich enthalten wollten.“ Nachdem sie „durch den Bund von Schwaben aller ihrer Freyheiten, Be- gnadigung auch Amts, Gerichts und Raths entsetzt, auch dieselbe zu nnsern (des Kurfürsten von Mainz) Händen und Gewalt gestellt, uns dann über dies alles eine öffentliche, schriftliche Bekanntniss zugestellt“, erliess der Kurfürst Albrecht „die Neue Ordnung und Regiment der Landschaft des Rheingaus“ von 1527 (Sclmnks Beiträge zur Mainzer Geschichte I, 4, S. 385), deren Charakter aus dessen Art 1 hervorgeht: Hin- füliro sollen alle hohe und niedere Aemter, Gericht und Rath von uns jeder Zeit, besetzt und entsetzt und alle Geboth, Ver- botli, Bescheid und Befehl nicht anders ausgehn, dann von unsertwegen und in unserm Nahmen.“

Sechszehn Gemeinden (Stadt und Flecken) wurden vertreten durch Schultheiss und Rath (von 4 7 Personen). Eine gemeine Versammlung konnte bei Grösse der Sachen der Vizedom an- ordnen. Zwölf Dinggerichte mit niederer Gerichtsbarkeit wurden „in Zeit und Mahlstatt rein Herkommens“ abgehalten. Die alte Dingpflicht wurde für die Dingtage beibehalten, jeder Unterthan musste bei Strafe erscheinen. Richter waren der Schultheiss und sieben (in der Stadt Eltville 14) Schöffen. Dinggerichtc hatten im Oberamt Eltville, Erbach, Hattenheim, Kiedrich. Rauenthal; im Mittelamt Oestrich mit Mittelheim, Winkel mit Johannisberg, Hallgarten: im Unteramt Rüdesheim mit Eibingen, Geisenheim, Assmannshausen, und im halben Amt Lorch dieses. Johannisberg und Eibingen hatten als Anführer des Aufstandes ihre Gerichte verwirkt und waren jenes zu Winkel, dieses zu Rüdesheim gelegt, denen sie je einen Schöffen gaben. Schultheiss und Rath hatten ausserdem je Walluf und Neudorf; Oestrich

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und Mittelheim; Johannisberg. Der Zug der Gerichte ging au die Oberhöfe Eltville, Rüdeslieim und Lorch. Hier erholten sich die Dinggerichte auch Raths.

An der Spitze des Amts stand der Oberschultheis, der in treulichen (erheblichen) Sachen zu Zeiten und mit Genehmigung des Vicedoms das Auitsgebot machte. Wurde in Stadt oder Flecken Rath oder Gericht gehalten, so sollte der Oberschultkeiss dabei sein.

lieber das gesammte Land war die hohe Gerichtsbarkeit dem Gericht der Stadt Eltville übertragen. Erzbischöfliche Oberbeamte waren der Vizedom, der Untervizedom, der Land- schreiber und der Waldpote (Fiscal). Bei Grösse der Sachen konnte der Vizedom eine gemeine Versammlung berufen, ihre Rathschläge hören, und ihr dann seine eigenen Entschliessungen eröffnen.

Neben den ordentlichen Gerichten blieben die Haingerätbe über die Wald- und Feldmark bestehn, „Feld- und Hengeräthe, nämlich Wald, Weyd, Wasser, Wege, Stege und dergleichen, samuit allen demjenigen, was daran hängt.“ Die waren ver- schieden nach der Art der Mark, der Gemeinde- (dorf-) mark, Amtsmark, Landesmark. Der Urtypus war das Haingeräth für die Gemeindemark, das Particularhaingeräth. „Wir ordnen, dass nun hinführo aus und von dem Adel zween oder einer, wo man die oder derer in selben Flecken haben mag, von Vater und Mutter rittermässig gcbohren, zween aus dem Rath, sammt dem Schultheissen daselbst dazu verordnet werden.“ Sie hegen das „Gericht in Unserm Namen im Beisein des Vize- doms, Untervizedoms oder Landschreibers“ und sie erkennen „bis auf Unser Wiederänderung, Meinung und Bescheid“. Der Zug ging an ein benachbartes Haingericht gleicher Ordnung oder an das Generalhaingericht.

Anderer Art war „des Raths Unterhengeräth“, das wo es in Gebrauch gewesen, bestehen bleiben sollte. Es hatte Maass und Gewicht und „alles was man an Essensspeise zu feilem Kaut trägt“, zu beaufsichtigen u. s. w.

Von den Amtswaldungen und dem Hinterlandswalde, also von Amts- und Landeshaingeräthen ist in der Verordnung keine Rede. Sie werden somit bei ihrem frühem Bestand belassen sein.

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Die Amtsüaingeräthe des Mittel- und Unteramts bestanden nach Köhler aus den Haingeräthen der zum Amt gehörigen Gemeinden und dem Oberschultkeissen des Amts als Obmann ; das allgemeine Haingerfith aus den Haingeräthen des Landes unter der Obmannschaft des Vizedoms und des weitern landes- herrlichen Beamten. Es wurde jährlich und ausserdem in besonderen Fällen gehegt und hatte die Aufsicht über sämmtliche Waldungen und Haingeräthe, traf allgemeine Anordnungen und legte Streitigkeiten bei.

Die Vernachlässigung der Wälder und lang dauernde Streitigkeiten zwischen den adligen und bürgerlichen „Hain- geräthen“ (Mitgliedern) führten zu einer Haingerichtsordnung von 1732, welche zwischen dem Partikular- und General-Hain- gericht unterscheidet.

Die Partikular- (Gemeinde-) Haingerichte waren wie früher zusammengesetzt, nur kamen jetzt Ober- und Unterschultheiss jeden Orts. Die Adligen hatten die Direktion, nur mussten sie in Person erscheinen, wenn nicht, so konnten die bürgerlichen Haingeräthe in eiligen Geschäften das Gericht allein hegen. Die Stimme eines Adligen sollte soviel gelten als zwei Stimmen eines Bürgerlichen, aber nicht eher majora gemacht werden, als in dem Fall, dass entweder ein Adliger zu vier Bürger- lichen (den zwei Schulteissen und zwei Käthen) oder zwei Bürgerliche zu den zwei Adligen übertreten würden“, sonst, also bei itio in partes, hatte die Obmannschaft, Vizedom, Ge- waltsbot und Landschreiber, oder das Generalhaingericht zu entscheiden. Der Zug ging bei nicht appellabler Summe an dieses, sonst an die bischöflichen Gerichte.

Das Generalhaingericht konnte nur von dem Vizedom be- rufen werden. Es bestand aus dem gesummten Adel des

Landes, so weit er mit freiadligen Gütern angesessen war und aus den Oberschul theissen joden Orts. Hier war das Stimm- recht ein gleiches, aber bei itio in partes sollte die Obmann- schaft, eventuell die Landesregierung entscheiden.

1737 folgte eine Verordnung Philipp Karls und in den

70er Jahren unter Joseph Emmerich eine Vereinfachung der Verfassung. Es blieb der Vizedom, das Land wurde in zwei

Aemter Eltville und Riidesheim getheilt, und ihnen für die

Verwaltung je ein Amtskeller und für die Justizpflege je ein

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Amtsvogt vorgesetzt. Die Mark- und .Privatwaldungen wurden forstmässig abgeschätzt und in Schläge eingetheilt und im Jahr 1773 eine neue Haingerichtsordnung erlassen, die sich auf beide Arten von Waldungen erstreckte und vorab die vom Jahr 1732 bestätigte.

Die Partikularhaingerichte sollten nun aus zween (oder einem) von Adel der Gemeinde, dem Schultheiss und drei von der Gemeinde zu wählenden lebenslänglichen bürgerlichen Bei- sitzern (die wegen Fehltritts vom General haingericht entsetzt werden konnten,) bestehen. Der Aelteste vom Adel hatte den Vorsitz, in dessen Abwesenheit der Schultheiss. Das Gericht wurde jeden ersten Montag des Monats auf dem Rathhaus ge- hegt. Ein Waldschütz wurde bestellt, die Frevel nach der Bussordnung gerügt. Der älteste adlige und bürgerliche „Hain- geräth“ führte die Kasse.

Im Generalhaingericht war Beisitzer Jeder von Adel (im Besitz von sitz- und stimmberechtigtem Gut) und jeder Schultheiss des Landes. Die Obmannschaft bildeten der Vizedom und die beiden Amtskeller, von denen der Erstere, eventuell ein besonders Ernannter den Vorsitz hatte. Das Gericht versammelte sich jährlich am 1. Oktober auf dem Rathhaus zu Eltville. Es erkannte in erster Instanz (mit besondern Modi- ti cationen), wenn ein Partikularhaingericht belangt wurde; die Appellation ging an die erzbischöflichen Gerichte. Das Generalhaingericht selbst konnte nur vor einer Regierungs- commission belangt werden. Es bestimmte jährlich ein Partikularhaingericht, das die Frevel im Hinterlandswald nach einer Rügetaxe zu thätigen hatte. Die Einnahme der von einem adligen und bürgerlichen Haingeräth verwalteten Kasse bestand in den »Straf- und Holzgeldern des Hinterlandswaldes und der Mittel- und Unteramtswaldungen. Vor allen hatte das Gericht die Waldordnung aufrecht zu erhalten, wozu ein Forstmeister und ihm untergeordnete Förster bestellt waren.

In unserem Jahrhundert fand jedoch die nassauisch ge- wordene Regierung, dass die Haingerichtsordnung von 1772 ihren Erwartungen nicht entsprochen habe. Die Wälder seien verlallen, Forst und Waldfrevel ganz übermässig. Aber weder das Verbot der Ausfuhr von Holz in das Ausland noch eine neue Forstorduung waren von Einfluss. Man hob daher 1808

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die Haingerichtsverfassung als fehlerhaft und verwickelt auf, unterstellte die Wälder der Regierung und dem Forstamt and theilte schlieslich den Hinterlandswald und die Amts- waldungen unter die Gemeinden auf.

Literatur.

Grimms Weisthümer I 534, IV 572, das Rheingauer Land- weisthum von 1324, Brunner, die Quellen des sog. Rheingauer Landrechts, Zeitschrift der Savignystiftung III 87; Köhler, Alte Waldmark und Heingerathe im Rheingaue, 1792: Bod- ®»nu, Rheingauische Alterthümer, 2 Bnde. 1819; Bär, Ge- schichte der Abtei Eberbach, 2 Bnde. 1855,58: Rossel, Lrknndenbuch der Abtei Eberbach, 2 Bnde. 1862/70.

4. Kunigcssundra.

Diese als pagus und 909 einmal als comitatus bezeichnete Hnntare Kunigessundra. Kunigessuntere oder Kunigeshundera, Knnigeshuntra stiess im Westen an den Rheingau und erstreckte sich von dem Ausfluss der Waldaff am rechten Rhein bis zur Mündung der Kriftel am rechten Main. Sie nahm den ent- sprechenden Theil der Höhe ein, so dass das Weisthum von Frauenstein (Grimm IV 568) mit Recht sagen kann : „dass sie genannt wird der Herren Hoe von Kassauwe“, d. h. der Grälen mn Nassau Höhe, oder 1360 die Grafschaft „diesyt der Höhe“, wenngleich einige ihrer Urte über die Höhe hinaus lagen. Die Lrafen Adolf und .Johann von Nassau bestimmten 1353 die Grenze: »Zum ersten geet unsere Graveschaft, Herrschaft und Gerichte ail: (im Osten), da die Crufftel springet (die Kriftel bei Wald- kriftel) und die Crufftel (in dem untern Lauf jetzt Schwarze- hach) inne biz in den Hayn, und (im Sttdeu) den Mayu ab biz iu den Rine und den Rin inne biz mitten in die Waldaffa und (im Westen) die Waldalfa uf bis gen Wambach an den hangenden Stein“; ande rs wo (Grimm I 555) heisst es: (im Worden) „von der Waldoff bis an Polgrabeu, den Polgraben

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uss bis gen Selbach, zu Selbach usshene bis an den Westen- giebel, da gehet ein wasser, heisst die Dusch (Daisbach), die Dusch inhene bis gen Eppenstein an dene hangenden stein, da verluset die Dusch ihren namen, von dem hangenden steine an bis an die Crüftel.“

Die Malstätte der Kunigessundra war der noch heute be- stehende Hof Mechtilhausen ; hie wurde die hohe Gerichtsbarkeit geübt. 1306 In campo dicto Wizerfelt, in quo curia dicta Mech- tildistnla stat; Lagerbucb von Altenmünster. 1360 Die hoisten gerichte über hals und heubt zuschen der Crüffte) und der Waldoffen horent zu Mechtelnhausen in den hoff. Die Grafen von Nassau trugen die Grafschaft vom Reich zu Lehn und von ihnen die Herrn von Eppstein die hohe Gerichtsbarkeit als Afterlehn. Heinrich VI. Godofrido de Eppinstein bannum con- cessit super comeciam Mechtiidehusen. Die Huntare zerfiel in zwei

Zentschaften,

an welche dann die Zentgerichtsbarkeit gebunden wurde, und zwar im Westen die Mark Grefenhölie oder Wiesbadener Höhe- tvaldung. die im Besitz der Grafen von Nassau, „als der herren hoe von Nassauwe“ (Frauensteiner Weisthum) blieb.

Es waren vor der Hübe die Orte Georgenborn, Frauengtein, Dotzheim, Niederwalluf, Schierstem, Biebrich, Mosbach, Erbenheim, Wiesbaden, Bier- stadt, Kloppenheim, Sonnenberg, Rainbach, Hessloch, Auringen, Naurod, Niedernhausen, Königshofen, Niederseelbach, Engenhahn; über der Höbe Wehen, Neuhof, Orlen, Idstein.

Im Osten die Me.chtilhämer Zerit oder Lantyericht , deren oberster herr und fauth ein herr zu Eppstein war“ (Mechtil- häuser Centweisthum von 1479) mit den in dem Weisthum angegebenen Orten

Kostheim, Hochheini, Massenheim, Delkenheim, Wallau, Breckenheim, Nordenstadt, Igstadt, Madenbach, Langenhain und Diedenbergen. Als altere Huntarenorte sind Wicker, Weilbach und Lorsbach zu verzeichnen. Flörsheim wurde beim Verkauf an Mainz 1270 vom Lanlgericht ab- gesondert. (Grimm, Woisthümer 1 554; IV 568. Bodmann, Rbeingauische Alterthümer 48,602).

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Vierzehntes Kapitel.

Der H n I e rl afyn g a u.

Nach der Lahn, Logana sind zwei Grossgaue genannt, der obere Lahngau, der ausserhalb des Gebiets des alten alamannischen Stammlandes im Bisthum Mainz lag, und der untere Lahngau im Bisthum Trier.

Letzterer zur Zeit des Probus der Gau der Logionen und ihres Königs Semnon (S. 18, 74), später gewöhnlich pagus Logenahe oder Logenehe, einmal 821 inferior Lognahi und in einer älteren päpstlichen Urkunde von 738 provincia Lognais genannt, umfasste das Lahnthal von Diez bis aufwärts Giessen (Rödgen), stieg rechts bis zur Höhe des Westerwaldes empor and erstreckte sich links tief in den Taunus.

Grossgauort« sind folgende:

An der rechten Lahn

Unterlahnkreis: Diez, Hambach;

Kr. Limburg: Ablbach, Dorndorf, Hadamar. Lahr;

Kr. Westerburg: Niederbach, Herschbach. Sek. Westernohe:

Oherlabnkreis: Steeten. Arfurt, Aumenau, Seelbach;

Kr. Wetzlar: Niedergirmes. Asslar, Werdorf, Holzhausen, Breitenbach, Niederlemp, Erda, Blasbacb, Kinzenbach.

An der linken Lahn

Unterlahnkreis: Lohrheim, Oberneisen, Hahnstetten, Kaltenholzhausen, Burgschwalbach, Dörsdorf;

Kr. Goarshausen : Ketteubach ;

Kr. Ijmburg: Limburg, Heringen, Dauborn, Nieder-, Oberbrechen, Niederaelters, Würges;

Cntertaunnskreis: Walsdorf, Bermbach;

Oberlahnkreis: Ennerich, Villmar, Traisfurt, Gladbach, Weilburg,

Ahausen, Selters, Möttau, Altenkirchen;

Kr. Wetzlar: Burgsolms, Bonbaden, Neukirchen, Oberwetz, Scliwalbach, Reiskirchen, Nauborn, Steindorf. Niederkleen, Dornholzhausen, Kleinrechten- bacb, Münchholzhausen, Wetzlar, Garbeuheim.

Kr. Giessen: Grossenlinden, Leihgestern, Hansen, Rödgen.

II mit amt.

I. Haigergau.

781. In pago Logenahe et in Heigrelie (Haiger, Dillkreis).

M13. Cura curtc nosfra (Konrads I). que Haigera noininatur in pago Heigera etiam uuncupato.

313. Kine Urkunde des Krzbisekofs Kberhard zu Trier, erneuert 1048, unisehreibt die terininatio eccleaie ad Ueigeriu, die dann mit dem eomitatus in Heigero marca zusammen zu fallen scheint. Die Umschreibung ist äusserst detaillirt. Der Haigergau oder die Grafschaft Haiger umfasste danach die obere Dill. Stücke vom oberen Gebiet der Mister (der grossen, kleinen und Hor-Mister). und einen Landstrich der mittleren Sieg mit dem llellerbach; in den Gau tiel auch das predium liherorum viroruin (der Freie und der Hinken- Grund) und die Höhe des „Westerwaldes“, der hier zum ersten Mal genannt wird. Eher werden die späteren Kirchspiele orientiren, welche der Taufkireho Haiger entsprechen. Es sind Ebersbach, Haiger, Dresseindorf, Bürbach, Neunkircheu, Kirburg, Daaden. Gebhards- hain zum Theil, Kirchen, Freusburg, vielleicht auch Niedertischbach. Ur- kunden bei Böttger I.

Der Verband Haiger war also Huntare, Huutarenmark und Grafschaft, was man auch von den drei folgenden wird anuehnien können.

2. Herborn.

In derselben Urkunde wird auch die an die Grafschaft Haiger anstossende Herbore marca, sonst auch Herber Mark (Herborn Dillkreis) erwähnt. Zum Sprengel der Kirche Herbom gehörten die späteren Kirchspiele Driedorf, Emmerichen hain, Veukirch, Marienherg.

3. Hadamar.

1221 wird die comecia de Hadamara (Hadamar Kr. Lim- burg) oder die Vogtei von Rotzenhalm genannt.

4. Kr de he.

Der pagus Erdehe, auch pagus Hardehe, oder Erdeher marca, Ardeher marca, charakterisirt sich durch diese Bezeich- nungen als Huntare und Huntarenmark. Kr nimmt den Süd- osten des Grossgau ein.

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"90. In Erdeher marca et in Wertorph (Werdorf, Kr. Wetzlar).

Ohne Datum. In Ardclter marca Oberendnrph (Oberndorf im Dillkreis'.

Ohne Datum. Pagua Erdebe in L'rnftorph (Krofdorf, Kr. Wetzlar), in Waldgermice (Waldgirmes. Dillkreis), in Breitenbach (Kr. Wetzlar), in Kiwarn (Nauborn das ), iu Albodesbusen (Albshausen das.), in Holzhuseti (Uolzhausen das.), iu Bannmadrn fllonbaden das.). Urkunden lei Büttger I.

Huntarenorte : an der rechten Labil

Kr. Wetzlar: Werdorf, Holzbausen, Breitenbacb, Krofdorf;

Dillkreis: Oberndorf;

Kr. Biedenkopf: Waldgirmes; an der linken latlin:

Kr. Wetzlar: Honbaden, Albsbausen, Nanhorn. Münchholzhausen.

Davon sind Urossgau- und zugleich Huntarenorte Werdorf. Holx- haisen. Kreitenhaeb, Nauborn. Münchholzhausen.

Die Krdehe lag sonach an beiden Seiten der Lahn. An der linken reichte sie wohl so weit wie der Grossgau selbst, und umfasste damit an beiden Seiten den Kreis Wetzlar und an- liegende Stücke des Dillkreises (Oberndorf) und des Kreises Biedenkopf (Waldgirmes).

Siche zu 1, 2, 3 Heyn der Westerwald 8. 1», 34, 07 und dessen schriftliche Mittheilungcu.)

Gramer, Geschichte der AUiaanocti.

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Fünfzehntes Kapitel.

Die !ö)ett<?r<?iba.

Die Bucinobantes Ammians 21», 4, 7 waren die Genossen des Bacinobant, des Buchengaus, der spätem Buchonia. welche im Norden des Main das Vogelsgebirge, die Rhön, die Hass- berge und den Spessart, die Thäler der Kinzig, Nidda und Wetter oder die Gross- Wettereiba, die oberen Thäler der Werra und Fulda oder das Gross-Grabfeld, und das 'Thal der fränkischen Saale oder den Gross-Saalegau umfasste, lieber die Zuge- hörigkeit dieser Grossgaue zur Buchonia einige Urkunden:

Ohne Datum ln pngo Weiltereiba iu Buchonia juxt« Fulinesbach Sleraffa (Altenschlirf Kr. I.autnrbach), Büttgor I, 213.

750 Vulta (Fulila) in silva Buchonia . . . mnnasterium in pago ürap- fehl super Huviuin Fulda, Biittger 1 237.

S37 In pago Grapfeld in silva Buchonia villa, quae dicitur Motten (Motten Lg. Brückenau), nötiger f, 23».)

»37 In pago Salagevve unam capturam in Buochnnia infra torminos duorum fluminum Fliedena (linker Nebenfluss der Fulda) et Dulha (rechter Nebenfluss der Saale) in Chizziher» marca et silva llurdorph, Schannat Vetus Buchonia ld«.

Wetterau und Grabfeld waren im 4. Jahrhundert die Gaue des Makrian und Hariobaud, während der Saalegau burgundionisch gewesen zu sein scheint (S. 74).

Der erste der genannten Grossgaue hat seinen Namen von dem Fluss Wetter, von dem aus die Ansiedlungen sich ausgebreitet haben werden. Meist Wettereiba oder Wetder- eiba geschrieben, heisst er heute die Wetterau. Sie wird als pagus bezeichnet, 73s und 1071» als provincia, ‘.'09 als regio.

Sie hat auch als Grafschatt wohl den Namen Malstatt getragen.

1043 schenkte der Kaiser Heinrich III. dem Kloster Fühl« comitatuin Maelstut in Wetereib«, quam comes Uertoldus habere visu« est.

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1046 Prnedium dictum Wirenn f Wehrlicim Kr. Usingen) -situm in ;jgo Weterciba in comitatu Malstat.

1007 Mausos in loco Wulncstat ( ( (berwiillctadt Kr. Kriedbcrg) et in pago Wethereibe at<|ue in comitatu Malstat.

1007 Güter in dem Dorf, genannt Kebeie (.Marköbel Kr. Kriedborgl mul deme. dar. do beizat liintbacb (Himbach Kr. Hödingen) und in deine, dar do heizet Herebeim ( I. Angenbergheim dag.). gelegen in der Wedrebe in der Grafschaft Uertboldes; die Grafschaft heizet .Malstadt.

lotU Predinm in villis Atueue (zweifelhaft ob Ober-, Niederohmen Kr. Grünberg, das auch zum Lahngau gerechnet wird), Fischbruunen ■Fischbom bei Orb), Strathcim (Stratheimcr Hof Kr. Friedberg) in .»mitatu Malstat sitnm.

Malstat ist eine Oertlirhkeit bei Kauernheim Kr. Friedberg, das Mahlstetter Feld ein Gemarkungstbeil von Weckesheim und die Mahlstctter Strasse eine von Melbach kommende zwischen Bauernheim und Dormasseu- beim durchziehende alte Strasse. Itöttger I. ü 7 ; Thudichnm. Kaichen, 16.

Die Grafschaft Malstat ist also jedenfalls fiir den Süden der Wettereiba, und auch fiir den Norden nachgewiesen, wenn man Amene für Ober-, Niederobmen ansieht (und letzteres ist nach dem weiter Folgenden anzunehnten). Als ihr räumlicher Mittelpunkt erscheint Malstat bei Baueinheim und der Name zeigt an, dass es eine Gerichtsstätte war. Die Grafschaft Malstat ist somit ein jüngerer Name für den Grossgau oderTheilgau Wetter- eiba, und es drängt sich die Verniuthung auf. dass in Malstat bei Rauemheim ein oberstes Gericht für die Hnntaren- oder Zentgerichte des Gatts oder Theiigaus bestanden habe, ähnlich wie für den benachbarten Hessengan ein solches in Maden am Fuss des Gudensbergs (Wotansberg, Kt. Fritzlar) angenommen wird.

Sind diese Verniuthungen richtig, so ist doch zu bemerken, dass Maden und Malstat als Gaumittelpunkte wohl die einzigen Fälle in Franken wären. In Alamannien kommen derartige gar nicht vor.

Dazu kommt, dass die Wettereiba (sammt ihrer Huntare Niedgau) bis tief in das Mittelalter eine Gaugrafschaft ge- blieben ist, wiederum ein einziger Fall. Lehnsherr über die Grafschaft des Gaus war der Pfalzgraf, Lehnsträger waren 104.3 bis 1 17t) die Grafen von N bringen, (insbesondere auch über den Niedgau nach Sauer, Nassau Urkundenbuch S. 128) deren Sitz in Niirings, heute Falkcustein im Niedgau war; später waren es die Grafen von Münzenberg. Dann

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1256, 1272 und 1274 verlieh der Pfalzgraf einzelnen ihrer Erben die coniecia Wedrebiae, eoniecia in Wederabia sita oder bestätigte eine donatio propter nuptias in coniecia de Surnigis (soll heissen Xuringes). Die Grafschaft wurde nunmehr also nach der Wettereiba oder nach ihren früheren Grafen von Nüringen bezeichnet, wozu dann als dritter Name Malstat kommt.

Die Abhänge des Taunus im Westen, das Gebiet des Vogelsgebirges im Xorden und sainmt der Fulda im Osten, das Kinzigthal und den Main im Süden, füllte der Gau Wetter- eiba die schöne und fruchtbare Ebene aus, welche die Wetter, Nidda und Nidder durchfliessen.

Gauorte waren

K r. Usingen: Fachbuch, Usingen Wehrb&ch;

Landkr. Frankfurt: Niederurael, Heddernheim. Praunheim, Jluusen;

Kr. Friedberg: Gamlnich, Trais Miinzenberg, Butzbach, Griedel.

Oppershofen, Steinfurth. Södel, Heyenheini, Hochweisel. Obenuörleu Wisselsheim, Ockstadt, Hauernhcim, Fauerbach. Ossenheim, Strassheim. Oberrusbach, Oberwüllstndt, Assenheim, NiedenrBllstadt, Itodheim. Petter- weil, Heldenber-.-en, Hendel, Büdesheim, Altenstädt. Kouimelhausen. Vilbel;

Kr. Nidda: Birklar, Muschenheim. Langsdorf, Hungen, Bellersheim, Trais-Harloff, l'tphe, Obbornhofen, Echzell, Bingenheim, Daueruheim, Kallstadt, Effolderbach, Selters, Burgheiiu;

Kr. Schotten: l.ardenhach, Laubach, Ulfa;

Kr. Giessen: Lieh, Dorfgüll, Grüningen. Holzheim, Eberstadt;

Kr. Griinherg: l^ueckborn. Oberohmen;

Kr. Alsfeld: Udenhausen;

Kr. Lauterbarh: IJellershausen, Altenschlirf, Salz;

Kr. Fulda: Urossenlüder, Ober- und Unter Bimbach;

Kr. Schlüchtern; Salmünster;

Kr. Geinhausin: Orb;

K. Büdingen: Niedermockstadt, Hodenbach. Enzheim, Leustadt, Lind- heim, Düdelsheim;

Kr. Hanau. Oberdorfelden, Kossdorf, Ostheim, Marköbel, Wachen- buchen, Hochstadt.

(Für das ganze Kapitel sind die Schriften Thudicliums verwendet: Die Geschichte des freien Gerichts Kaichen 18ä8; die Gau- und .Mark- verfassung in Deutschland 186(1 nnd die unvollendet gebliebene Keclitt- geschichte der Wetterau, - Theile (1867 8£>).

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Huntaren und Zehn (schäften.

l. Niedgau.

Dass der Niedgau eine Huntare der Gross -Wettereiba war, geht aus den Urkunden über Orte hervor, die bald dem einen, bald dem anderen Bezirk zugeschrieben werden.

1132 ln pago, qui in Wettereiba dicitur, in Prumheim (Praunheim), in l'rselo (Nioderursel). in Hetdernheiin (Heddernheim), in Husun (Hausen), alle im Landkreis Frankfurt). Büttger 1 2 in.

115» Inne der Wederauwe in Petterwil (Petterweil), Büdesheim (Büdesheim) und Vilbel (Vilbel, alle im Kreis Friedberg). Büttger das. Andererseits

Ttn; In pago Nitachgowe in villa Uraella (Oberursel) et in Steorstat iStierstadt. beide im Obertaunuskreis). Nass. 32.

it)7 In pagn Nitachgowe in (Irsella et Caldenbach (Kablbach das.) Nass. 33.

»4» In pago Nitachgowe in Ursellare marca in Bommersheim i Boramersheim das.' et in Caltenbach. Nass. Ol.

»02 In pago Nitachgowe in villa Phetterenheim (Heddernheim Landkr Frankfurt;. Nass. 41.

»25 In pago Nitahgewe in villa l’etrina (Petterweil Kr. Friedberg'. Büttger I 227.

»04 In pago Nitachgau et in Filwila (Vilbel). Nass. Oft.

Der Niedgau, nach der Nidda genannt., die ihn im Osten berührt und in der südlichen Ballte durchfliesst, gewöhnlich Nitachgowe geschrieben, als Gau oder pagus bezeichnet, um- fasste die Abdachung der Höhe zum Main zwischen der Kriftel im Westen, der Wasserscheide von Main und Lahn (Feldberg) im Norden, dem Erlenbach, der mittleren Nidda, Vilbel, Fechen- heim und Oftenbach im Osten und dem rechten Main von da bis zur Mündung der Kriftel im Süden:

Huntarcnorte waren

Kr. Höchst: Sindlingen, Zeilsheim, Lnterliederbneh. Höchst. Schwan- heim, (iriesheim, Eschborn;

Stadtkreis Frankfurt: Bockenkeim;

Landkr. Frankfurt: Ködelheim. Hausen. Praunheim, Heddernheim,

Xiederursel ;

Kr. Obertaunus: Hornau, Schwaibach, Nieder-, Oherhochstadt, Stier- »tadt, Oberursel. Obersteden, Bommersboiin. Kablbach, Kirdorf. Seulberg;

Kr. Kriedberg: Petterweil, (Iber-Niedererlenhaeb. Ober-Niedereschbaeh, Floppet, heim, Dortelweil, Vilbel. Haarhehn.

Es scheint, dass der Niedgau drei alte Zehntschaften hatte, da wir im Mittelalter eben soviel Verbände sehen, welche

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;!74

zusammen den Niedgau ausiüllten : es waren in der Mainebene und im Gebiet der unteren Nidda die Zent oder Grafschaft zum Bornlieimerberg, und zur Höbe emporsteigend zwischen der Kriftel und dem Liederbach die Mark Eichelberg und das Land- gericht Heuseis, sowie zwischen dem Liederbach und der mittleren Nidda die marca Ursellare oder der pagus Ursella, vielleicht zusanunenfallend mit der Höhenmark, deren Name wohl später in Folge von Thcilungen eine räumlich beschränktere Bedeutung als „hohe Mark“ angenommen hat. Als die östliche und südliche Grenze der letzteren hat sich bis in unser Jahr- hundert die Nidda erhalten, so dass ursprünglich wahrscheinlich ihr unterer Lauf die Grafschaft zum Bornheimerberg einerseits und das Landgericht Heuseis und die Grafschaft Ursel anderer- seits geschieden hat.

Die Zent oiler ( irnfttchiifi zum llornheimerberi /.

Die Zent, über welche seit dem l-l. Jahrhundert Nach- richten vorliegen, umfasste nicht die freie Reichsstadt Frankfurt , sie und „ihre Burger, zu Frankfurt und Bonames gesessen“, standen ausserhalb der Zent, aber die iStadt hatte zu ihr ver- fassungsmässige Beziehungen.

Die Zent oder Grafschaft hatte „eine Terminei, welche m Dorfe des heiligen römischen Reiches umfasste,“

cs waren die Orte in oder an der rechten Mailichen e liornheini Griesheim, Kockenhrim, Ginnheim. Kekenheim, Preungesheim, .Seckbach, Bergen (mit Knklieim), Bisclmfsheim, Fechenheim, die Orte über dem Main: Oherrad und Ottenbach, und die Orte de» unteren Nidiiageliicts Nied. Hannen. Eschersheim. Hassenheim. Vilbel und Gronau. Alle gehörten dem Niedgau an mit Ausnahme der beiden linksmninischeu Oherr.id und Offenbach. von denen das erste in den Gross- Rheingatt, das zweite in den Oross-Maingau fiel. Sie werden, ebenso wie die Orte der rechten Nidda, erst später zur Zent gezogen sein.

„Die Grafschaft zum Bornheimerberge und die Dorfe darin waren des Königs", sagt das Weisthum von 1803: „Wasser und Weide waren des Königs, Niemandes sonst: dem Könige solle man dafür dienen, Niemanden weiter“; „man dienet dem König auf seinen Reisen und Kriegen“ und hatte, wenn der König oder die Königin in Frankfurt lagen, „aus den Reichs- wäldern dem Reiche Holz in die Küche“ zu führen. Das Reich hatte dagegen die Dorfe zu schirmen. Die Zent war also wie Frankfurt reichsfrei.

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Jedes Dorf Latte seine abgetlieilte Mark, „seine Ter- terminei“, Wasser. Wälder, Weide: gemeinsam sollen sie einen Hirten haben in jeglichem Dorf, keinen gesonderten (d. h. Niemand soll ohne den Dorfhirten weiden). Wo es ohne Schaden geschehen könne, möge des Dorfes gemeiner Hirt auf das andere Dorf fahren, nicht aber in die Holzmark“ (ein Beweis, dass die Zent eine Weidegemeinschaft gewesen war).

Jedes Dorf hatte (wohl ausser einem höfischen Gericht) ein Heimgericht, bestehend aus dem Zentgrafen uud den Schöffen. Es verwaltete das Dorf, bestellte die Heimbürgen als Vermögensverwalter, gab Holz aus, hegte die Weide, setzte Hirten, Schützen, Wächter, zog Gräben um das Dorf u. s. w. Es hatte die niedere Gerichtsbarkeit, entschied auch über eigen Gut; der Heimbürge vollstreckte die Urtlieile. Der Zug ging an .des heiligen Reiches zu Bornheimerberg Lantgericht“ als Oberhof. Wem dann das Urtheil gefallen, der solle den Zent- grafen (den Richtern des Lautgerichts) geben ein Viertel Weins nächst dem besten, als man zu Frankfurt feil findet, und solle der, dem das Urtheil entfallen ist. dann wiedergeben.“

Malstätte des Lantgerichts war der Berg bei Bornheim, ein Hügel, der zum Mainthal abtiel. Hier „möge der König alle richten von Recht Uber Hals und Haupt“, es war mithin ein kaiserliches Landgericht mit hoher Gerichtsbarkeit. Um das Jahr 1200 war es noch ganz „frei und erblos“. Es sass ihm vor von Reichswegen der Landvoigt der Wetterau und der kaiserliche Schultheiss zu Frankfurt.

Die alte Zugehörigkeit zur Wettereiba und deren Huntare Niedgau klingt auch in einer Formel nach, die sich noch 1 4 1 f* erhalten hatte. Der Verurtheilte welcher Urphede schwur, hatte zu geloben, dass er sein Lebtag bei 20 Meilen nahe Frankfurt und der Wetterau nicht kommen, gehn, wandern oder stehen solle noch wolle. Aber schon vorher war die in der Hand des Reichs vereinigte Richtergewalt theilweise an den Herrn von Hanau übergegangen, woraus langdauernde Kämpfe hervorgingen. Hier sei nur noch hervorgehoben, dass Urtheiler die Vorsteher der 19 Dorfe waren, die „Zentgrafen am Soss“, ein Beweis, wie das Landgericht aus der Zent hervorgegangen.

(Siehe zur Geschichte des Gerichts Euler in den Mit- theilungen des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde in

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Frankfurt a. M. I, 281; Schärft', die Grafschaft Bornheimer Berg in dem Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst V, 282—360).

bau Ltniilfferirht Hrusr'ls,

Zwischen dem Daisbach und der Kriftel lag die Mark des Eichelbergs, umfassend

den Hof zu Heute)«, und die Orte Nieder-Ober joabach, Oberseelbach Fritzi«< Mühl, Ehlhalden, Leuzetihain.

Das Landgericht Heuseis schloss die Mark in sich und erstreckte ihr Gebiet im Osten bis an den Liederbach. Die Malstätte war auf freiem Felde beim Hof zu Heuseis nächst Vockenhausen (zwischen Eppstein und Nieder josbaeh).

Das lamdgericlit umfasste Eppstein Schloss und Stadt, Hof Heuael» Hausen an der Sonn. Bremthal, Vockenhausen, Nieder-, Ober-, Josbaeh, Ehlhalten, Wald-Kriftel, Ruppertshain, Fischbacli am Reiss, Riidershof, Hornau, Kolkheim Hof Oimbach. Oberliederbach, Lorsbach.

Di? ( iraf schaff Ursel.

Im Jahre 792 als pagus Ursella, 848 Ursellare marca (Oberursel) bezeichnet, war sie 1271 die grafschaft, genannt ursele, Nassau Urkbuch 25, 61; Hessen Archiv 8, 240. Viel- leicht fiel die Grafschaft mit der Höhemark in ihrer ursprüng- lichen Ausdehnung zusammen. Denn Höhemark heisst die Mark vor der Höhe, die sich in ihrer ganzen Ausdehnung vom Rheingau bis zur Nidda erstreckte, und da im Westen das Landgericht Heuseis austiess, so mag von dem Liederbach bis zur Nidda die Höhemark sich erstreckt und mit der Mark oder dem Gau Ursel, dessen Malstätte Ursel etwa in der Mitte lag, zusammengefallen sein. Von dieser ausgedehnten Höhenmark wäre dann die heut zu Tage sogenannte „hohe Mark“, das mittlere sehr beträchtliche Stück.

Zwischen dem Liederbach und der Nidda lagen vor der Höhe fünf Marken, die durch Theilung aus einer einzigen entstanden sein werden. Es sind von Westen nach Osten die Cronberger (mit 10 Orten), die hohe Mark (mit 33 37), die Haard (mit 3), die Seulberg - Erlenbacher (mit 7) und die Rodheimer Mark (mit 2 Orten). Sie reichten von dem „Fluss oder Wasserstrom der Nidda“ bis zum Feldberg und seiner nördlichen Abdachuug und füllten sammt den beiden andern

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Zentschaften die Huntare Niedgau aus. Sie bestanden bis in dieses Jahrhundert.

(Thudichum Rechtsgeschiehte der Wetterau I l «2 :ii4).

2. Kaichen.

Die Grafschaft Kaichen, 12U3 coniecie in Kucliene ge- nannt. war wolil eine Mark und Zehntschaft des Grossgaus. Sie bestand aus 18, Kaiser und Reieli unmittelbar unterworfenen Dörfern. In jedem der bedeutenderen wählten die freien Nach- geburen (Nachbarn) auf ein Jahr einen Dorfgrefen. der mit der ganzen Gemeinde oder in einzelnen Orten mit Schöffen die niedere Gerichtsbarkeit ausübte. Der Zug ging an das freie Gericht zu Kaichen, das sich als ein kaiserliches unabhängig bis zum 15. Jahrhundert erhielt, wo es unter die Gewalt der Burggrafen von Friedberg kam. Dingpflichlich waren die Besitzer einer Hufe Landes, die durch sieben Wahlmänner einen obersten Grefen wählten, der mit zwölf Urtheilstindern, den Dorfgrefen viermal im Jahre tagte. Das Gericht hatte den Blutbann und war zuständig über freies Eigen. Gegen seine Entscheidungen gab es keine Berufung.

(Thudichum Geschichte der freien Grafschaft Kaichen.)

3. Büdingen.

Der Büdinger Mark- und Gerichtswald stand, sei es Huntaren-, sei es Zehntmark, in der Gemeinschaft von 17 Ortschaften im Gebiet des Seemenbachs und seiner Zuflüsse, deren jede ausserdem gesonderte Dorfmarken an Acker. Wiese, Weide und Wald hatte. Zwischen einzelnen bestand Koppel- weide.

Das Gebiet der Mark zerfiel, seit wann ist nicht ersicht- lich, in zwei Gerichtsbezirke, in den des Gerichts Büdingen mit 13 und den des Gerichts Wolfenborn mit 4 Ortschaften. Ersteres bestand im Mittelalter (bei Dingpflicht aller voll- jährigen Männer) aus zwölf den Dörfern entnommenen lebens- länglichen Schöffen unter dem Vorsitz des herrschaftlichen (meist Isenburgischen) Amtmanns und hatte die hohe Gerichts- barkeit. Oberhof war das Stadtgericht Frankfurt, dann das Reichskammergericht. Jm 16. Jahrhundert trat an die Stelle

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das isenburgische Kanzlei- und Holgericht und den Schöffen blieb nur die Verkündigung in Strafsachen.

Das Gericht Wolfenborn, noch im 13. Jahrhundert im Besitz von Kaiser und Reich und gleichfalls wohl mit der hohen Gerichtsbarkeit ausgestattet, wurde ebenso isenburgisch und war im vorigen Jahrhundert nur mit geringen Strafsachen befasst.

Thudichuin Rechtsgeschichte der Wetterau I, 1 161).

4. Gründa.

An der Gründauer Mark, auch Gerichtswald genannt, waren s Orte betheiligt, denen auch die Fischerei in. der an- stossenden Kinzig zustand. Die Aufsicht über die Mark führten zwei Märker. Zwischen einzelnen der Orte bestand Koppel- weide.

Die Markgemeinden bildeten das Gericht Grfindan, judieium de Grindaba, seit dem 13. Jahrhundert- erwähnt. Es bestand uuter dem damals kaiserlichen, später landesherrlichen Amt- mann oder Schultheiss aus dem Zehntgrafen (centurio, Zent- grave. Czingrefe) und 1 1 aus den Orten gewählten Schöffen (Schöpfen). Der Name des Zentgraven lässt die Mark auch als eine Zehntmark erkennen. Der Galgen bei Xiedergrinda deutet auf die hohe Gerichtsbarkeit.

In einem Privileg von 14!I5 nennt Kaiser Maximilian die isenburgischen Gerichte von Büdingen, Wolfenborn. Grindau (und jenseits der Kinzig Selboldt) die „hohen Gerichte“ und gestattet, dass die „missthetige, schedliche oder verdachten leuth im beywesen zweier schelten des gericht zu Büdingen befragt und durch die schellen zu Büdingen in ihrer gewöhn- lichen ratstuben abgeurthcilt würden.“

Damit fiel der Blut bann der vier alten isenburgischen Gerichte weg und wurde dem neuen isenburgischen Hof- und Kanzleigericht in Büdingen übertragen, das statt auf der Mal- stätte nunmehr in der Rathstube verhandelte, von den büdinger Schöffen zwei zur Untersuchung zuzog und ihrer Gesammtzahl wohl nur die Verkündung des hofgerichtlichen Unheils iiberliess.

Ob die jenseit der Kinzig gelegenen Gerichte Sclbold (mit Merholz), Altenhasla und Somborn zur Wettereiba gehört, und ob sie, wie Thudichum annimmt, mit dem Gericht Gründau

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vor dem 13. oder 12. Jahrhundert ein Ganzes gebildet haben, erscheint zweifelhaft.

5. Kinziggau.

Die Wettereiba überschritt mit ihrer Huntare Kinziggau die Kinzig. Auf dem linken Ufer lag der Grossgauort Orb.

1004 Praediiim situm in pajjo i|>nxlam Wettereiba Orbacha 'Orb Kr. Gelnhausen. In dessen Nahe der Kinziggau.

»76 (juasdam propiietatis loca. videlicet Wertbeim (Wirtheim, Kr. Gelnhausen), Cassele (Kassel das.). Hosti (Höchst das.) in pago Kinzecbewes. nötiger 1. 216, 217.

Heber die weitere Ausdehnung der Huntare ist Nichts zu ersehen.

6. Die Wälder des Vogelsgebirges.

An ihnen beanspruchten, nachdem die Ritter von Riedesel sie im ltt. und 17. Jahrhundert als ihr Eigenthum in Besitz genommen hatten, die umliegenden Ortschaften, wie von Alters her, umfangreiche Holzberechtigungen gegen ein geringes Forstgeld und die Schweinemast. Sie waren zu Zenten oder Gerichten gruppirt: Moos (mit 10 Orten), Schlechtenwegen (mit s). Engelrod (mit 10), Lauterbach (mit 8), Oberohmen i mit 7 Orten) und kleineren: Stockhausen, Landenhausen und Freiensteinau. Die Rechte wurden geschmälert und bestritten, bis 1843 ein Vergleich geschlossen wurde, wonach der Bezug des Jahresholzes als „ein auf dem hus ruhendes dingliches Recht“ anerkannt wurde. Das Bauernhaus bezog nun 2 Klafter, das Hintersiedlerhaus l\4 Klafter Brennholz, das Forstgeld wurde für das Klafter Buchenholz auf 2 FI. Kr. festgesetzt.

(Zu No. 4 G Thudichum Rechtsgeschichte der Wetterau II).

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Sechzehntes Kapitel.

Das Grabfeld.

Das Grabfeld ist der zweite Grossgau, welcher in dem alten Gau der Bucinobanten, der spätem Buclionia lag. Es ist uns dreigetheilt überliefert: das westliche Grabfeld, das östliche Grabfeld und das Tollifeld haben theils nach dem Namen, theils nach ihrer geographischen Lage ursprünglich ein Ganzes, einen Grossgau gebildet, der dann in die drei Theile, in drei Theilgaugrafschaften zerfallen ist. Das west- liche und östliche Grabfeld heissen pagus Grapfeld oder Grap- felda, Grabfelde oder Graffelde.

Das Grabfeld dehnte sich um die Wasserscheide zwischen der Weser und dem Main aus. Die Rhön, die Hassberge, die Gleichberge, die westliche und südliche Abdachung des Thüringer Waldes waren seine Gebirge, die obere Fulda von der Quelle bei Gersfeld bis Hersfeld abwärts, die obere Werra von dem Ursprung bei Eisfeld über Hildburghausen, gegen Schleusingen. Meiningen, Wasungen bis gegen Schmalkalden einerseits, die obere Kinzig bis Steinau abwärts, die obere Saale bis Kissingen (eingeschlossen) abwärts, die Baunach, Rodacli (mit Kreck), Itz, Steinach, alle mit Aus- nahme der Kreck in ihren Oberläufen, andererseits waren seine Flüsse. Der Name Grabfeld hat sich in der Umgebung von Mellrichstadt und Römhild bis auf den heutigen Tag erhalten.

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3«1

Tlicllgauirrafschaftoii.

1. Das westliche Grabfeld.

Es umfasste die obere Kinzig, die Fulda (im t^uellgebiet an beiden Ufern, weiter abwärts das rechte Ufer) mit der Fliede und der linken Ulster und reichte im Osten bis zur Rhön.

Theilgauorte waren Uuterfranken: Muttau;

Kr. Schlüchtern: Uttrichhausen, Oberkallbaeh. Steinau;

Kr. Gersfeld: Wirkers;

Kr. Kulda : Fulda. Dittershausen. Friesenbauseu ;

Kr. Htinfeld: Hiinfeld, Kusdorf, Grosseutaft, Eiterfeld. Soisdorf,

Giesenhain;

Kr. Hersfehl. Herfa.

•2. Tollifeld.

Der pagus Tollifeld (Tollifeldum), auch Tullifeld, schloss sicli im Nordosten an das westliche Grabfeld an. Er umfasste die Wasserläufe der oberen Fulda und oberen Rosa.

Theilgauorte :

Unterfrankeu : Simmershausen, Wendershausen;

Weimar: Kaltensundheim, Kaltennordheim, Fischbach, Wieseuthal;

Meiningen: Kaltenlengsfeld, Rossdorf.

3. Das östliche Grabfeld.

Es wird ausdrücklich als Grabfeld orientalis und neben pagus auch als provincia bezeichnet. Es schloss im Westen an Tollifeld und das westliche Grabfeld an und umfasste, was (ab- gesehn von der Kinzig) dem Main und der Werra tributär ist.

Theilgauorte :

Weimar: Stetten. Ostheim vor der Rhön;

Unterfranken: Deubach, Fladungen, Xordheitn. Stockholm, Mellrichstadt. Oberwaldliehrungen, Sondbeim, Oberstreu. Heuduugen, Hahra, Oberellbach, Wegfurt, Hohenroth, Salz, MUnrierstadt , Grossweukheiin, Kissiugeu, Waldaschach, Kothhausen, Irmelshausen, Waltershauseu, Wülfershausen. Saal, Ottelmannshausen, Grosseibstadt. Königshofen, Alslcben, Melkers- hausen, Urossbardorf, Hirkenfeld ;

Kr. Schmalkalden: Hessles;

Weimar: U eimershausen;

Meiningen: Helmers, (irumbach, .Schwallungen. Wasungen, Oberkatz, Solz, Walldorf, llerpf, Meiningen, Sulzfeld, Bauerbach. Untermassfeld, Ein-

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hausen, Behlried, Marisfeld, T.engsfcld. Themar, Jüchsen. Bibra, Troststadt, Dingsleben, Behrungen. Westhausen, Hcldburg, Brünn, Neubrnnn, Effelder. Mupperg;

('«bürg: Steinach;

Kr. Scbleusingeu: Vessr«, Ahlstädt, Altendambach. E Wichhausen, Kohr, Kühnhansen;

Coburg: Zella. Mehlis.

Eine Huntair des östliclien Grabfeldes ist Parhii/i-v. wohl mit der Malstadt Baringe.

7 SU In pngo Paringen et in villis istis Sundheim et in No Fladungen ;

Ohne Datum In ürapfelde et in villa Baringe.

HuDt&renorte:

Meiningen: Behningen;

Unterfranken: Fladungen, Nordheim;

Weimar: Sondheim vor der Rhön.

Der dritte Grösst/«/» des alten Badnobant und dei war der Suutei/uit. der unterhalb Kissingen das Saa Umgebungen ausftillte. Er war burgundionisch, wen Grenzort Kissingen als die Salzquellen ansehn kann, die Alamannen und Burgundionen stritten. (S. *2ö.

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Siebenzehntes Kapitel.

Der Kleingern.

Der Gross-Rheingau, zur Unterscheidung von der Huutare Rlieingau (dem Niederrheingau) auch der obere genannt, 1013 superior Rijiicgowe, in alter Zeit der Gau des Königs Suomar (S. 72), lag in dem Winkel des rechten Rhein und des linken Main. Ihm entsprach der Mainzer Archidiakouat St. Victor. Die südlichsten Gauorte am Rhein waren Bürstadt und Hemsbach, der östlichste am Main Schwanheim, die Grenze reicht aber dort bis an Lampertheim, liier bis an Ottenbach heran. Bis zu diesen Endpunkten nahm der Rheingau die Rhein- und die Mainebene ein und drang von Westen und Norden in den Odenwald ein, ihn soweit besiedelnd, als seine Bäche dem Rhein zufliessen. Der Melibocus und Felsberg und ihre Abdachung zum Rhein sind rheingauisch und es sei von den Flüssen hier nur die Weschnitz genannt, die bei Weinheim in die Rheinebene tritt. Das Gebiet der in den Main sich er- giessenden, der Gersprenz, der Mümling, der Bieber, ist main- gauisch.

Im Kheingau sind Gauorte :

Kr. Grossgerau: ßischofsheim, Geinsheim . Dornheim. Leeheim. Er-

felden, Goddelau. Gernsheim ;

Kr. Offenbach: bangen, BUrgel;

Kr. Darmstadt: Eberstadt, Pfungstadt;

Kr. Bensheim: Seeheim. Bickenbach, Bensheim, Schwall heim, Hausen, Rohrheim (Gross- Klein-;, Bobstadt, Hofheim, Wattenheiin, Bürstadt;

Kr. Heppenheim: Heppenheim. Fürth, Liebersbach;

B. A. Weinheim: Hemsbach.

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lliintaren und Zelintschaftrii.

1. Die Mark und Zent Gerau.

Die .Mark umfasste nach dem Markweisthum sechszehn Orte (zwischen Grossgerau und Arheiligei der Ebene angehörten. Das gemeine Märkergoding gewonlicher Zeit abgehalten. Der Märker, der nicl zahlte Strafe und sollte sein Markrecht verlieren, e dass er „Ehehaften und nottringlich Ursachen“ dem St vorher angezeigt hatte. Der Graf von Katzenelle Obermärker bestellte die Mark.

Die Mark und die Zent Gerau werden in alte räumlich gedeckt haben. Nach dem Zentweisthum G das Landgericht, dessen oberster Herr und Vogt de von Hessen war, und dessen Beisitzer nach rheiuga Bergschäden hiessen, die hohe Gerichtsbarkeit (Grin 4H4, V, 7 17).

•2. Das Zcntgericht zu Oberramstadi

„So weyt dies landtgericht gehet, über halss aber wasser und weydt, von Newkirclien (Neunkii biss gehn Stoxstatt (Stockstadt) ein messcrode (eine in lthein, also weyt der ring dieser zenth gehet.“ ( Malstätte war der Landberg bei Oberramstadt, der o und Herr der Gral zu Katzenellcnbogcn, die Schöf Bergscheffeil (Grimm 1, 4S4).

3. Die Mark und Zent Heppenheim

Die Mark Heppenheim wurde als von Alters hei bezeichnet, als sie 773 der Abtei Lorsch geschei descriptio uiarchae sive terminns sylvae, quae ] Hephenheim, sicut semper ex tempore antiquo snb regibus ad eandem villaui tenebatur. Sie mag urspri Zwingenberg ab in der Kheiuebene und dem Od« gesammten Süden des Kheingaus eingenommen habei Huntare und Huntarenmark gewesen sein. Die \ >rte grnppirten sich um die Lauter, den Stadtbach, die

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die an der Bergstrasse bei Bensheim, Heppenheim, Weinheim ans dem Gebirge in die Ebene treten. (Weinheim gehörte bereits dem Lobdengau an).

Das Weisthum von 1430 zeigt die Mark als Zent. Zent- volk und Zent- oder Bergschöfl'en versammelten sich auf der Malstätte des Landberges bei Heppenheim, um als Landtag die hohe Gerichtsbarkeit zu üben. Den Vorsitz führte ein herrschaftlicher Amtmann. Seit dem 16. Jahrhundert scheinen 7 Schöffen aus dem Rath zu Heppenheim, 7 aus dem zu Bensheim genommen zu sein, auch pflegte der Schultheiss und Stadtschreiber von Heppenheim Zentgraf und Zentschreiber zu sein. Die niedere Gerichtsbarkeit stand den einzelnen Laudes- herrschaften zu, die an der Mark betheiligt waren. Thudichum führt 33 Orte unter vier Herrschaften auf (Grimm I 469). Auch Zwingenberg war, wie dessen Weisthum ergiebt zu früherer Zeit „gen Heppenheim centhbar gewesen“.

4. 5. Die Zenten Zwingenberg und Pfungstadt.

Später aber lagen zwischen den Marken Heppenheim und Oberramstadt die Zenten Zwingenberg und Pfungstadt, beide, wie es scheint, Dorfmarken, die mit hoher Gerichtsbarkeit ausgestattet waren. In beiden war der Landgraf zu Hessen der Gerichtsherr. Er hatte in der Zwingenberger „centh oberste herrschaft und gebott über hals und über liaupt, über leib und leben, über ehr und glimpff und über alle centhbaren sacheu, auch gebot und verbot zu machen, hoch und nieder, über wasser und weyd“ u. s. w. Auch der centhgraf und die centh- und laudschöpffen werden erwähnt. Aehnlich in der „cent und landgericht Pfungstadt“. Hier gab es einen centhgrafen, berg- schöffen und centhbüttel (Grimm I, 477, 483; Thudichum Rechtsgeschichte der Wetterau I, 322).

Gramer, Ocachichto der Alamannen.

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Achtzehntes Kapitel.

Der Htaingcm.

Der Gross- Maingau umfasste das Gebiet des Offenbach bis Lohr, auf der einen Seite den üstlicl wald, auf der auderen den Spessart; genauer den < soweit dessen Bäche (Biber, Gersprenz, Mümling) z den Spessart, soweit dessen Gewässer nach Westen fliessen. Hier waren Mespelbrunn, Wintersbach, Kr maingauisch; auch Dorf- und Stadt-Prozelten. Die A des Spessart gegen die südöstlichen Alainecke (Wert Rothenfels) mit den Orten Hasslach, Breitenbruni bäum, Bischbrunn, Lindenfurt gehörten dagegen de sassengau an. Im Korden bildete die Kinzig di« soweit nicht der Kinziggau der Gross -Wettereiba deren linkem Ufer erstreckte (S. 379).

Dem Maingau entsprach der Mainzer Archidia Peter und Alexander zu Aschaffenburg, und nach d zirk ist der Gauumfang näher festzustellen, da die nicht sehr zahlreich sind.

Uftuortü :

Kr. Offenbach: Dörnigheim. Kleinnuheiin, Seligenstadt, Ma

Kr. Dartiistadt: Messel;

Kr. Dieburg: Roden (Ober-, Nieder-). Umstadt, Grossbiebe

Kr. Bensbeim: Schlierbach;

Kr Ate baffe u bürg: Aschaffenburg.

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Huntaren und Zehnt schäften.

1. Pliluuigau.

Die Hnntare, welche ihren Namen von dem Pflaumbach er- hielt, der gegenüber von Aschaftenburg in den Main sieh er- giesst, lag am linken Ufer, der Odenwaldseite des Main. Der Phlumgau erstreckte sich aber auch zur Mümling, ein Beweis, wie die Ansiedlung von der Mainebene in das Gebirge vordrang.

S. Jahrhundert. In pago I’hlumgowe in Villa Roden (in der Zent Ostheim) ;

795. In villa Bibincbeim (Biebigheim in der Gemarkung Wcnigen- umjladt) in pago Phlumgowe;

819. Miehlenstadt .Michelstadt) in pago I'lumgowe;

H20. Qninticha (König) in pago I’lumgowe ;

Die beiden ersten Orte im Gebiet des l’Haunibach, die beiden letzteren in dem der Mümling.

Als eine Zehntschaft im Südwesten des Phlumgaus ist die Bodauteiner Mark zu betrachten, die unter dem Herrn zu Rodenstein als Obermärker das Gebiet zwischen der linken Gersprenz von Krumbach bis Wersau abwärts und dem Fels- berg (bei Beedenkirchen) in sechs Flecken und den Neben- orten ausmachte. Nach dem Weisthum von 1457 stand dem Märker am Wald Bauholz, vier Wagenpferd Brennholz („und wann er das verbrennt, mag er mehr holen“) und Windfall u. s. w. zu, die Weide war zwischen den Gemeinden gethcilt. Das Märkergeding und Gericht wurde unter dem Vorsitz des Zentgrafen zu Kodenstein uff der Ebberbach abgehalten. (Grimm IV, 537).

Im 9. —11. Jahrhundert erfolgte eine Theilung des Phlum- gaus, der südliche Theil behielt den Namen Phlumgau, der nördliche nahm den Namen

2. Bachgau

an und wurde die Grafschaft Bachgau.

11. Jahrhundert. Unam hobam in pago Baggetve in comitatu Sigfridi in Osthemero marca (Ostheimer Mark);

11. Jahrhundert. In pago Pachgowen in Bibiukeiin (Biebigheim);

1381. Hot zu Hausen bei Rödern (wo?) im liachgau;

1267. In Bachgowe in villia Plumheim (I’Haumheim), Rode (beide in der Zent Ostheim), Slirbach (Schlierbach) et in Langestat (Laugenstadt; beide im 15. Jahrhundert in der Zent Umstadt).

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Der Baehgau setzte sich hiernach aus den Zen heim und Umstadt zusammen, welche ursprünglich Zehnt gewesen sein mögen.

Zu der Zent und Grafschaft Ostheim gehörten la thurn von 1623 sechszehn Orte, über welche das La (Zentgraf und wahrscheinlich 12 Landscheffen) mit der 1 „under dem spielhuse zu Ostheim“ die hohe Gericl: ausübto. In den einzelnen Orten gab es auch Dorff- u gericht (wie im Niederrheingau S. 362), in denen dt graff von Ostheim, gewicht, eitlen und maas“ besichtigt

Die Zent Umstadt umfasste im 15. Jahrhundert si zwanzig Orte: über das Zcntvolk war das Landgt Umstadt auch für höhere Gerichtsbarkeit zuständig-

3. Rodgau.

Die Huntare ist zwar nicht urkundlich überliefert, ihren Namen auf ein Landkapitel Rodgau übertragen, linken Hain sich von Bürgel bis Aschaffenburg ei Der Name hat sich in der volkstümlichen Form Ru die Mark von Roden erhalten, welche sammt den Ma Bieber und Auluim, der Obermark, der Mark von Bai das Landkapitel Rodgau ausfüllten. Diese Marken u wohl die Mark von Dieburg wird man als Zehntma Huntare Rodgau ansehen können.

Die Mark von Bieber, uuch Bibraner Mark, Byg umfasste um die Büche Bieber ( Bybra) und Rodau (1 Orte Heusenstamm, Bieber, Offen baclt, Bürgel, Run Mühlheim, Rembrücken, Obersthausen, Hausen, Län Dietesheim. Nach dem Weisthum von 1385 war „wai uud weide den merkern zu rechtlichem eigen, und hat nymaud zu leiten, weder von konige odir von keysc von bürgern oder von steden, dann sie ihr recht t Auch die Bybra die baclt als fry ist, das ein iglic drin mag geen tischen u. s. w.“

„Eyn igliclter gewertet- man, der gewert wil sin, han 32 morgen wesen und eckir, eine hobestad nn hobstad mag er bauwen ltush und schüren, bachuslt, g einen wenschopp, obe er iz bedarff, und mag sinen freden (einfriedigen) uss der marg.“ „In siute hole

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han 32 schafe“ und sal die tryben vor sinen rechten jares- hirten“ (Gemeindehirten). „Kein man sal keine sunderunge han mit keime liirte.“

Das Märkerding wurde am Dienstag nach dem 18. Tage (von der Ladung an) abgehalten „und ist als fry, da* nymande dar geboden ist“ (Niemand verpflichtet ist, zu erscheinen). Zur Beschlussfassung reichte die Anwesenheit von drei Märkern aus. „Auf den tag sal man meister und foyd kysen“ (Märker- meister und der Vogt, Obermärker). „Wir wysen myn herren von Falkenstein vur einen rechten gekaren (gekorenen) foyd, nit vor einen geboren foyd; die wile das er den merkern recht und ebin tut, so han sie in lieb und wert; dede er abir den merkern nit recht und ebin, sie mochten einen andern setzen.“

„Der merker-sclieffin sollen sin zwölf off diss stule zu Bebra (der Schöffenstuhl zu Bieber bestand aus 12 Markschöffen). Zwene sollen sin von Ofenbach und us ydem dorffe einre, ane uss Kymprucken, die sollen der merket- recht wysen“. Sie hatten auch über die Rügen zu entscheiden (Weisthum von 1385. Grimm I, 512).

Die Aulieimtr Mark hatte fünf Markdörfer, die Obtrmark drei (Zellhausen, Mainflingen und Klein -Welzheim).

Die Bäder Mark und Zent (der „Ruggau“) bestand aus acht Dörfern. Obermärker waren der Erzbischof von Mainz und der Herr von Hanau. Das Märkerding wurde in Oberroden abgehalten; acht Märkerschöffen setzten viermal im Jahre die Bussen an. Das Landgericht, dessen Gerichtsherr der Erzbischof von Mainz war, dingte auf der Malstätte zu Niederroden. Hier erkannten Zentgraf und 14 „Landschöffen und Rechtwyser“ auch Uber Haupt und Hals. In beiden Gerichten waren die Schöffen nach bestimmten Ziffern aus den einzelnen Dörfern gezogen. (Weisthümer von 1430 und aus dem 16. Jahrhundert, Grimm IV, 542—547).

Die 8 Dörfer der Mark Babenhamen und die 8 der Röder Mark standen in gegenseitiger Weidegemeinschaft, ein Beweis für ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Marken. (Weisthum von 1355, Grimm IV 547).

An der Didmrger Mark hatten 14 Dörfer Theil. Oberster Märker war der Erzbischof von Mainz. Das Märkerding tagte „vor der mulen zu Stockauwe an der Zymmern Strassen vor

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der stad zn Dicppui g, da ytzunt die inerkerstulle (Mär stent“, und es wurde das Recht gewiesen, und „umb nutzbarkeit willen der marcken, die zu bestellen, ii halten, als ir dann wole noit were.“ (Weisthum Grimm IV, 533).

4. Vom rechten Ufer des Main sind Huntaren n liefert. Hier sind aber nördlich vor Aschaffenburg z gerichte mit Zentgrafen und Schelfen zu bemerken.

Das Freigericht vor dem fierg zu Alzenau, auch gericht Welmitzheim oder das Gericht Sonneborn gei vierzehn Orten und das

Landgericht Krumhach (Weisthum von 14U6, Gri

(Siehe Thudichuni, Rechtsgeschichte der Wc S. 324 330).

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Neunzehntes Kapitel.

Der Cobdengau.

Der Lobdengau umfasste die Rheinebene um den unteren Neckar und anstossende Theile des Odenwalds, im Norden bis Lampertheim und Weinheim, im Süden bis zum Leimbach. Nach der Hauptstadt Lopodunum (Ladenburg) der civitas Ulpia Sueborum Nicretum genannt, ist er als Sitz der Neckarsueben anzusehen: im 4. Jahrhundert war Suomar der König des Gaus (S. 254, 72).

Gauorte:

BA. Weinlieim: Weinheim. Gromachsen. Heddesheim;

BA. Heidelberg: Dossenheim, Schwabenbeiiuer Hof, Haudschuchsheim, Wieblingen, Eppelheim. Heidelberg. Bergheim, Gretizliol'. Iiohrhach;

BA. Mannheim: Fendenheim, Wallstadt. Schaarhof, Ilvesheim. laiden- borg. Schriesheim. Mannheim, Seckenheim, N'eckarhausen;

BA. Schwetzingen: Elingen. I’lankstadt, Schwetzingen, Oftersheim;

BA. Wiesloch: Xassloch, Walddorf. Wiesloch. Dielheim, Baicrthal, Hohenharter Hof.

Der Lobdengau zerfiel in zwei Zehntschaften. Am rechten Neckar lag die Schriesheimer Zent von 20 Orten mit grossem Zentwald im Odenwald. Das Zentgcricht wurde in Gross- sachsen, später in Schriesheim abgehalten. Mannheim und Edingen wurden durch den veränderten Lauf des Rhein und Neckar von der Zent losgerissen. Weinheim, Schönau, Laden- bürg standen im Mittelalter ausserhalb der Zentgemeinschaft. Am linken Neckar lag die Kirchheimer Zent von ist Orten mit der Malstätte Kirchkeim, später Leimen. Heidelberg, Mann- heim, Wiesloch waren ansgeschieden. Beide Zentgeriehte hatten Zentschultheiss und aus den einzelnen Orten genommene Zent- schöffen.

(Siehe Schultze, Fränkische Gaue. Badens, S. 7tt— 84).

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Ob der Lobdengau jemals mit dem Gross-Rheingau oder dem Gross-Kraichgau eins gewesen, ist nicht ersichtlich. Es scheint aber, dass er zur Zeit der Bisthumsgriindungen in dem politischen Zusammenhang etwa einer umfassenden Grafschaft mit den benachbarten H untaren Elsenzgau und Gardachgau gestanden habe, welche ursprünglich, wie die Urkunden er- weisen, zum Gross-Neckargau gehörten. Denn die drei Verbände waren die einzigen auf dem rechten Rheinnfer, welche dem Bisthum Worms einverleibt wurden. (Siehe über den Elsenz- und den Gardachgau Kapitel 21). Man mag die drei Gaue daher einem der alten Grossgaue gleichstellen.

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Zwanzigstes Kapitel.

Der KraicVigau.

Das Bisthum Speyer hatte am rechten Rhein drei Archi- diaknnate des heiligen German, des heiligen Guido und der heiligen Dreieinigkeit. Sie wurden begrenzt: im Westen vom Rhein (südlich von Schwetzingen his zur Stammesgrenze von 496), im Süden von dieser bis zum Neckar (S. 266, z 6 7 ), im Osten vom linken Neckar (gegen Ludwigsburg bis zum Einfluss des Leinbach bei Neckargartach), im Norden etwa von dem Leinbach und dem Gebiet des Kraichbachs. Nur ein Land- kapitel, das von Backnang überschritt den Neckar, den Murr- fluss aufwärts zum Murrhardter Wald verfolgend.

Dieser speyerische Besitz entsprach etwa dein Umfang eines Grossgaus, es befanden sich aber in ihm nicht weniger als elf politische Verbände, welche den Namen Gau führten, unter denen der Name des Grossgaus nicht ohne Weiteres zu erkennen ist. Es ist jedoch der Name Kraichgau. wie sich als wahrscheinlich ergeben wird. Dieser setzte vielleicht den Namen der Karitner des Ptolemäus (S. s) fort, er war der grösste der 10 Gaue und sein Name lebt im Munde des Volkes weiter, während sich im Uebrigen nur der Name des kleineren Zabergau erhalten hat. Der Grossgau war zur Zeit der Römer- Kämpfe gegen den Cäsar Julian dem König Serapio unter- than (S. 71).

Uaaorte des Kraichgau waren:

BA. Sinsheim: Eschelbronn, Weiler, llirkeimuerliof :

BA. Eppingcn: Adelshofen, Kppingcn. Landshansen, Tiefctibach;

BA. Bruchsal: Bruchsal, Forst, < liier-, Untergrombach, Heidelsheim, Jäklingen, Mingolshoim. MUnzesheitu. Oberöwisheim, Odeiiliviiu. < lestnugeri, tbstadt. Zeutcrn;

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ISA . Breiten : Bahnbrücken, Bauerbach, Flehingen, Gochsheiia, Gondel«- heim, Kirnbach, Menzingen, Neibsheim, Rettigheim, Rinklingen, Sickingen, Wössingen ;

OA. Maulbronn: Eckertsweiler Hof, Oetisheiin. Schiitzingen.

Yon diesen Orten werden folgende zugleich in den An- glachgau, Uffgau und Enzgau gesetzt, und zwar in den An- glachgau Heidelsheim und Mingolsheim (BA. Bruchsal), in den Uffgau Oberöwisheim (BA. Bruchsal), in den Enzgau Oetisheim (OA. Maulbronn), Helmsheim und Ubstadt (BA. Bruchsal). Diese weite Ausdehnung der Kraichgaunamen über drei andere Gaue gestattet, den Kraichgau als den Grossgau, die drei anderen und weitere Verbände als dessen Huntaren anzusehen.

II u n t are n.

Diese sind der Anglach-, Alb-, Uff-, Pfinz-, Würm-, Glems-, Enz-, Schmie- und Zaber-Gau zwischen Rhein und Neckar und der Murrgau an beiden Seiten des Neckar.

Ihre Lage wird im Allgemeinen durch die Flüsse be- zeichnet, nach denen sie genannt sind. Eine Ausnahme macht nur der Uffgau, der um Baden-Baden und Rastatt, und der Anglachgau, der um den Kraichbach und Saalbach lag.

Abgesehen von dem Anglach-, Uff-, und Enz-Gau, haben auch die übrigen Huntaren durch gemeinsame Orte iu Ver- bindung gestanden, so dass man wohl Theilungen der Huntaren annehmen kann, dergestalt, dass derselbe Ort einmal nach der ungeteilten Huntare, das andere Mal nach dem Theil der neuen Huntare bezeichnet wurde. So wird z. B. Gemmiugen (BA. Eppingen) einmal zum Anglachgau, ein andermal zum Enzgau gerechnet, Lienzingen (OA. Maulbronn) zum Enzgau wie zum Schmiegau; Berghausen (BA. Durlacb) zum Albgau wie zum Pfinzgau, Knielingen und das Kloster Gottesau (BA. Carlsruhe) zum Albgau wie zum Uffgau, Bünniglieim (OA. Besigheim) zum Murrgau wie zum Zabergau. Alle diese Abzweigungen lassen auf eino intensive, immer steigende Be- siedlung des von der Natur gesegneten Grossgaus schliessen,

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ebenso wie die Uebersclireitung des Neckar auf die Erschliessung der Murr und des Murrhardter Waldes.

Der Murrgau, der hier im Süden an die Stammesgrenze stiess, hatte im Norden folgende Grenzorte: Bönnigheim,

Gemrichheim, Oberstenfeld, Sulzbach und Murrhardt, welche mit der nach Norden (vom Neckar bis zum Limes S. 270) vorge- schobenen alamannisch-fränkischen Sprachgrenze übereinstimmen. Dieser Umstand mag, entgegen dem S. 26!» Ausgesprochenen, doch darauf hindeuten, dass die Besiedlung des Murrgau von alamannischer Seite erfolgt sei, und dass die Einwanderer ihre Mundart mit sich gebracht haben.

Man wird etwa annehmen können, dass der Uffgau, Enzgau, Murrgau, die grösseren Verbände, getheilt, und dass die anderen, kleineren von ihnen abgezweigt sind.

Grafschaften.

Im 10. und 11. Jahrhundert erscheint der Gross-Kraichgau in drei Grafschatten getheilt, in

1. Die Theilgaugrafschaft Vorchheim, deren Sitz im Uffgau am Rhein lag.

1080 Comitatum pertinentem ml locurn Voreehheini;

1102 In pago Uffgowe in comitatn Vorecbheim Herimanni comitis;

Das Kloster Gottesau, das bereits als in dem Uffgau und Albgau liegend verzeichnet ist, lag zugleich in comitatu Vorech- heim. Dieser mag auch die weitere Abzweigung des Uffgau, den Albgau und den räumlich anschliessenden Pfinzgau umfasst haben.

2. Die Theilgaugrafschaft Ingersheim,

deren Sitz Gross-, Kleiu-Ingersheim (OA. Besigheim) im Murr- gau war.

978. In comitatu Ingerisheim;

1037. Eberhardus comes de Ingerisheirn;

1075. Monasteiium in pago Wiringowe (VVürmgan) dicto, in comitatu Ingirisheim, quod Hirsaugia (Hirschau OA Calw) nuncupatum est ;

Ohne Datum. Invilla Nussdorf (OA. Vaichingen) in Entagowe in comitatu Iugersheim.

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Die Grafschaft umfasste also urkundlich den Mu gau, 'Würmgau, und man wird die anstossendeu 2 Abzweigung des Murrgau), Glemsgau und Schu: rechnen können.

3. Die Huntarengrafschaft Anglachg

Während die Grafschaften Vorchheim den Süd Grafschaft lngersheim den Südosten des Grossgaus bleibt für den Norden die Huntaren-Grafschaft Ang Das etwa scheint die Entwicklung des Gross-K sein, dessen Urkunden hinsichtlich der Zugehörigkt zu den einzelnen Verbänden mehrfach, theils sclieii wirklich sich widersprechen.

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Der &ntern<?cltargau.

Der Neckargau, ein Name, der sich um den Neckar von •Vckargemünd aufwärts bis Nürtingen findet, mag ursprünglich ein einheitliches Gebiet gebildet haben, er wurde aber durch die Stammesgrenze von 496 in zwei Theile zerlegt, dergestalt, dass die untere Hälfte fränkisch wurde, die obere alamannisch blieb. Ein unterscheidender Ausdruck für beide Theile, zwischen die sich dann der dem Gross- Kraichgau ungehörige Murrgau »diob (S. 395), ist nicht überliefert.

Der Unterneckargau umfasste urkundlich die Huntaren Win- earteiba, Elsenzgau, Gardachgau, Sulmanachgan und Schotzach- gau, von denen die erstere nach ihren Rcbhügeln („euphemistisch aufzufassen“, sagt Schultze), die anderen nach Nebenflüssen des Neckar (Gardach ist der alte Name für den Leinbach) ge- nannt sind.

Die nach dem Neckargnu bczeichnctcn Orte gruppiren sich auf die Huntaren vortheilt, wie folgt:

1. Wingarteiba.

BA. TaubcrbUcliofäheim: Berolzhcim;

BA. Eberbach: Neckargeraeh;

BA. Mosbach rechts vom Neckar : I, obrbach, Bituiu. Neckarziimnerti ; links: Ohrigheim, Haasmcrslieim;

OA. Neckarsulm: Böttingen, Uundelslicim. Duttenherg, Offenau, Tiefenbach.

2. Elseuzgau.

BA. Heidelberg: Mockoshoim ;

BA. Sinsheim: Bargen, Kirclmtt.

3. Gardacligau.

OA. Ueilhronn: Ober-, UnteKisesheim.

4. Sulmanachgau.

OA. Heilbronn: Heilbronn;

OA. Weinstcrg: Sulzlmch.

3! »8

5. Schotzachgau.

OA. Besigheim: Laufen.

Ausser den genannten fünf wird man nach ü phischen Lage auch den Jagstgau und den Bret Huntarcn des Grossgaus anznseheu haben, so dass < das Neckargebiet von Neckargemünd aufwärts bis und Ottmarsheim an beiden Seiten des Flusses, im Neckar das Gebiet der Elsenz und des Leinbachs, ii Neckar den Landstrich bis zum Limes (von Mi Murrhardt) und nördlich darüber hinaus bis zum Erfa, zur mittleren Tauber und zur mittleren Jag

lluntareii und Zehntscbafteii.

1. Wingarteiba.

Diese, der nordöstliche Theil des Neckargaus, Norden den linken Main um Miltenberg und Burgstadt, Abdachung des Odenwaldes zum Neckar, das Gebie und gen Osten das Gebiet der Erfa, rückte im S Nähe der Jagst vor, und überschritt im Westen in einem unten ersichtlichen schmalen Landstrich.

Huntarenorte:

BA. Tauberbischofsheira links der Tauber: Schweigern, S Witteladt;

BA. Adelsheim: Unterkessacb, Seckuch, Eichholzheim:

BA Buchen: Altheim, Rinschheitn, Buchen, Hctting Wttlldilrn, llardheira;

OA. Neckarsulm: Guudelsheim;

BA. Mosbach rechts vom Neckar: Scheffleuz, Aue

Neckarburken, Mosbach, Butzbach, Ncckarzimmeru. Neck Lohrbach, Robern; links vom Neckar: Hassmersheim, Asba< Mörtelstein, Breitenbronn.

Mehrere von diesen Orten werden auch als im Gau \ Wertheim am Main) liegend in den Urkunden aufgefiihrt, Irrtlium beruhen kann, wenn nicht etwa der Name Waldsass weitere landschaftliche Bedeutung hat Asbach wird auch bezeichnet.

Als eine Abzweigung von der Wingarteiba e Schefl'leitfyau mit den Orten:

BA. Mosbach: Ober-, Mittel-, Uuterschcfflenz, Dali Mosbach ,

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liA. Adelshi'jm : Eiclioliheim der Zent Buchen; ausserdem mit dem nicht zu ermittelnden, wold abgegangenen Lubosbach. De« Schefflenzgau wird die Zenten Mosbach und Buchen umfasst haben.

Iin 16. und 17. Jahrhundert zerfiel die Weingarteiba in acht Zimten, die wahrscheinlich auf alte Zehntmarken und Zehntschaften Zurückzufuhren sind. Es sind Zenten mit einer Mehrzahl von Orten, die zwischen 9 30 variiren. Die Ur- kunden geben folgendes Bild ihrer Gerichtsverfassung.

Für die niedere Gerichtsbarkeit gab es in den einzelnen Ge- meinden Untergerichte (Ruggerichte), die aus dem Schultheissen und sieben, oder an den grösseren Orten vierzehn Schöffen be- standen. Hinsichtlich ihrer Zuständigkeit heisst es z. B. „es wurde in peinlichen und bürgerlichen Sachen gerügt.“ „Was alsdann zenttällig, wird am Zentgericht abgehandelt und aus- getragen,“ Daher auch der Karne Vorgerichte.

Wohl für die Gemeinden jeder Zent gab es ein Ober- gericht (Oberhof), bei denen die Untergerichte sich Raths er- holten und an welche von diesen der Zug ging.

Ein gemeinsames Obergericht hatten die Gemeinden der Zenten Mosbach, Eberbach und Mudau zu Lohrbach. Es be- stand aus 1 2 Richtern, von den die Zenten Mosbach 6, Eberbach 4, Mudau 2 stellten. Viermal im Jahr an einem Montag nach bestimmten Heiligentagen hielt man ungeboten Ding, daher der Käme „Selbstbottengericht zu Horbach“. „Solche Zwölf haben sonst alle Sachen auszuweisen, ohne allein ausgenommen die vier Zentartikel.“ „Wa die. üntergericht der Sache nit genug verständig, wird die für die Zwölf gewiesen gen Lorbach, und müssen ihr zween Gerichtsmänner (des Üntergericht«) Klag und Antwort für die gewelten Zwölf tragen. Darfiir ist der- jenig, so der Sachen verlustig wird, ihnen beeden einen Schilling zu geben schuldig.“ „Wa daun die Zwölf das IJrtheil auch nit aussprechen, so weisen sie wieder hinter sich (an das Unter- gericht) und folgend« von dannen gen Eberbach“ „für

ihren Oberrichter.“ Dieser war das Landgericht zu Eberbach, das unter dem Vorsitz des dortigen Schultheissen aus 33 Land- oder Zentschöffen bestand.

Mit der hohen Gerichtsbarkeit waren Zentgerichte des Zentgebiets ausgestattet, deren jedes einen landesherrlichen Gerichtsherrn hatte. Die Zenten wurdet! nach ihrem Hauptort

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genannt, zugleich dem Sitz des Gerichts, dessen Schultheiss der Vorsitzende war. Die Zahl der Zentschüffen wird mehrfach auf 12 angegeben, in zwei Fällen auf 33 und 38. Einzelne der Orte wählten dazu Richter, in der Regel einen oder zwei und „gaben sie in den Ring“, so dass unterschieden wurden „Dorffe, die Richter in Ring geben und die keine Richter geben“: jene werden die Mutterdörfer sein. Ein Zentschreiber vervollständigte das Gericht.

Viermal im Jahr, Dinstags oder Mittwochen nach gewissen Heiligentagen wurden „Ordinari- oder Selbstbotten - Zentrug- gerichte“ oder „Frygericbte“ abgehalten, in einzelnen Fällen hatte sich die Dingpflicht aller Zentangehörigen erhalten. Sollte ein Termin ausfallen, so wurde abgekündet. Von gebotenen Dingen ist keine Rede.

Zuständig waren die Zentgerichte für „die vier Zentartikel“, die „vier hoho Fälle für Zentbar- und Malefizsachen“. Es waren z. B. Diebstahl, Mordt, bindbar Wunden, Prantgeschrei ; oder Steinwurff, Brennen, Diebstall und Mortgeschrei; oder Mordt, Mordtgeschrei, fliessende Wunden, Todtschlag, Diebstall, Schmach- und Scheltwort; oder auch Kriminalsachen und was Ehr und Glimpf belangt.

Die zweite Instanz bildete für einen Complex von Zenten das Zentobergericht (der Zentoberhof).

Die drei Zenten vom Südwesten der Wingarteiba Mosbach, Eberbach und Mudau waren der Zahl ihrer Ortschaften oder der Zahl ihrer Zentschöfien nach die bedeutendsten. Mosbach hatte 30 Orte, Eberbach 18 Orte an beiden Seiten des Neckar, Mudau 29 Orte. Wie ein Gericht II. Instanz für Sachen der niedern Gerichtsbarkeit in Lorbach, so hatten sio ein solches für Zentartikel in Mosbach. Es war der „Zentoberhof“ oder „das Landgericht“, bestehend aus dem Schultheiss der Stadt Mosbach als Zentgraf und 38 Schöffen, von denen die Stadt, 12 ihrer Rathsglieder und 13 Flecken der Zent je zwei Richter in den Ring gaben; nach der Zusammensetzung des Gerichts Zentgericbt erster Instanz und nach seinen Namen zugleich das Zentobergericht. Aehnlich hatte die Zent Eberbach ein „Landgericht“ von 33 Land- oder Zentschüffen unter dem Vor- sitz des Schultheissen von Ebersbach, das zugleich Zent- und

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wie schon erwähnt, Obergericht über das Selbsbottengericlit zu Lorbach war.

Im Nordwesten lagen die Zenten Ki/i/iny mit 10 Orten und einem Zentgericlit von Zentgrafen und Zentscliöffen, Amorbach, auch die untere Zent genannt, mit 24 Orten und J/t7 tenbery mit 13 Orten. Die Stadt Miltenberg selbst war .zne dem Zentgericlit befreyet“, hatte aber zwei Zentscliöffen, einen aus dem Kath, einen au> der Bürgerschaft zu stellen, «■in Ueberbleibsel alter Zentzugehcirigkcit, aus der die selbst- ständige Gerichtsverfassung der Stadt hervorgegangen war.

Im Osten lagen die Zenten Thiir n ( Walldürn) mit 22 und Ituclun mit 20 Orten (die S. 43 noch genannten Zenten Burken [Osterburken], um Boxberg geholten dem Jagstgau, die Zenten Königshofen, Lauda, Grünsfeld und Bischofsheim, alle an der Tauber, mit dieser dem Taubergau an).

|Siehe die Urkunden bei Schultz: Fränkische Gaue Bndetig, S. UO lo.r> lifi— 140; Fränkische Gaugrafschaften s 2U5— lloii

2. Elseiizgiiu. k

Er umfasste das Gebiet der Elsenz vom Quell bis zur Mündung sammt der Umgebung ihrer Nebenflüsse, des Birken- bachs, Schwarzbachs und Lobbachs.

Muntarenorte :

BA. Heidelberg: Xerkargemüml, Gaiberg. Ilammenthal. Müncbzell. '•auangelocb, Reilsheim, Meckeshoim;

BA. Kberbacb: Schwarzach, Neunkinhen;

BA Mosbach: Breitenbroim, Aglasterhanscn. 1 luudenxell. Asbach;

BA. Sinsheim: Reicbartshausen, Ilelmo. ult. Waibsladt, Zuzenhausen, Daisbach. Sinsheim, Immelbäuser Hol. Sleiusberg. Steinsfart, Birkenauer Uof. Reihen;

BA. Eppingen: Elsenz, Iltliugcn. Beiwangen. Gcmmiageu. Schlüchtern.

Daudenzell und Asbach werden auch in der Weingat teiba at.fgcführi

Im Elsenzgau sind zwei Zenten zu vermerken. Die ilcekculinmer o<h r Xerkuiycm iin > I r /.< nt mit 2t) Orten uni die untere Elsenz. Das Zentgericlit wurde erst in Meckcshcim, später in Neckargemünd abgehalten. Ferner die Ji'icliarts- liaiucr Zcut, die mit 18 Dorfscli.il ten den Nordosten des Elsenz- gaus ausfüllte. Sie liiess der Meckesheimer gegenüber auch die obere Zent und, da das Zentgericlit in der oberen Stube des

Cr unter, Ueaohicbte .1er Alamannen

s

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Rathhauses in Reichartshauseu abgehalten wurde, die Stüber Zent.

(Siehe Schulze, die fränkischen Gaue Badens, S. 85—90).

3. Gardachgau.

Er lag aui linken Neckar im Gebiet des Leinbachs, früher der Gardach.

Huntarenorte:

BA. Sinsheim: Richen (auch Helmstadt wird genannt, das jedoch mitten im Elsenzgau lag);

BA. Eppingen: Schlüchtern;

OA. Brackenheim: Massenbachhausen, Schweigern, Klingenberg,

Nordheim ;

OA. Heilbronu: Ober-, Unterensishcim, Böllinger Hof, Neckargartach, Frankenbach, Grossgartach, Bückingen.

Dass der Elsenz- und Gardachgau zur Zeit der Bisthums- gründungen mit dem Lobdongau wahrscheinlich iu politischem Zusammenhang gestanden, ist S. 392 ausgeführt.

4. Jagstgau.

Die Huntare ging von der mittleren Tauber aus und be- gleitete die mittlere und untere Jagst in schmaler Ausdehnung auf beiden Ufern.

Huntarenorto:

OA. Mergentheim: Adolzhausen, Markelsheim, Rengershausen;

OA. Ktinzelsau: Bieringon, Berlichingen;

BA. Adelsheim: Buchsen;

OA. Ncckarsulm: Widdern, MöckmUhl, Jagstfeld;

BA. Sloshach: Herbolzheim, Allfeld.

5. Brettachgau.

Die Huntare ist an dem unteren Kocher, der Brettach und der Sulni zu verfolgen.

Huntarenorte:

OA. Oehringen: Möglingen;

OA. Neckarstilm: Langenbeutingen, Erleubach.

6. Sulmanachgau

am rechten Neckar im Sulmthal hat den einzigen Ort Neckarsulm.

7. Schotzachgau

an dem gleichen Ufer mit dem Ort

OA. Besigheim: Ilsfeld.

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Im 4. Jahrhundert schied der Limes die Sitze der Alamannen und Burgundionen. Es war dies jedenfalls da. wo Julian im Jahre 338 ihre Grenzmarken sali, also von Miltenberg in süd- licher Richtung. L’eber den Limes hinaus war dann (wenn nicht Kissingen) Schwäbisch -Hall ein streitiger Grenzpunkt. Nach dem Abzug der Burgundionen überschritten die Huntaren des Unterneckargau (die Wiugarteiba und der .Tagstgau) den Limes, während andere (der Brettach , Sulmanach- und Schotzachgau) im Osten ihn berührten. Aber hier befinden sich über den Limes hinaus um die Mittelläufe des Kocher und der Jagst, oder in der Umgebung von Hall Orte mit der alamannischen Endung in gen. und es seien daher der Koclier- gau und der Mulacligau, der sich von ihm abzweigte, als alamannische hier dargestellt, und zwar im Anschluss an den Unterneckargau, dessen Genossen vorwiegend die Ansiedler ge- weseu sein mögen (S. 9G, 143, 1G5, 181, 252).

8. Kochergau.

Die Huntare umfasste die Mittelläufe beider schon ge- nannten Flüsse und erstreckte sich im Süden bis zur Stanimes- grenze von 496, mit folgendenden Huntarenorten :

OA. Oehringcn : Lang'ibeutingen (auch im Brettacligau liegend ge- nannt). Ueliringen. 1‘falilbach ;

OA. Hall: Kupfer, Buch lei Sulzdorf. Weitheim ;

OA. Uerabronn: Lobenhausen (bei Ouggatadt .

OA. Uaildorf: Oberrolb.

Vermöge des gemeinsamen <*rts l.angcnbeutingen konnte man den Brettacligau auch für einen Theil des Kochergaus halten.

9. Mulacligau.

Die Huntare lullte den Südosten des Kochergau aus. Hier lagen die Orte beider im Gemenge. Gemeinschaftlich war beiden der Ort Westheim, so dass der Mulacligau als Abzweigung vom Kochergau erscheint.

Huntarenorto:

OA. Hall: Westheim, Srilkcnbnrg, Altdorf (Gross-, Klein-);

OA. Gerabronn : BegODbar.h Ober-, Unter- 1, Schmal leiden;

OA. Crailaheim: Gauchhausen (bei L'nternspiu-li), Gerbertshofen (bei

Wtipertsliofen), Matzenbach.

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Viertes Buch.

Die

alamannischen Gaue des Stammlandes.

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

^Übersicht*

Das Gebiet der hier zusammengefassten altalamannischen Gane dehnt sich am rechten Rhein von der Stammesgrenze von 49 6 bis an den Bodensee aus. Es wird von der schwäbischen Alb, dem Schwarzwald und dem Randen be- herrscht. Der Rhein, der mittlere und obere Neckar, die obere Donau sind seine Flüsse. Die Besiedlung ging von

deren Thälern aus und folgte den Läufen der Nebenflüsse in die Gebirge aufwärts.

Die schwäbische Alb wird durch eins ihrer Doppelthäler, das von der Schlicht aus (zwischen Hansen und Burladingen) die Starzei gen Norden über Hechingen in den Neckar, die Fehla und Lauchert gen Süden bei Scheer, unterhalb Sigmaringen, in die Donau fuhrt, in zwei Hälften getheilt, die Westalb und die Ostalb. Als Grenzmarke jenes tiefen Ein- schnitts erhebt sich der Zollerberg.

Die Westalb trug den Westergau, dessen Gaukönig Wester- alb (Yestralpus S. 77) war. Der entsprechende Gauname für die Ostalb würde Ostergau gewesen sein; er ist aber nicht vor- handen oder mag verloren gegangen sein, der Gau hiess Alb- gau. Zu Füssen der Alb im Norden lagen, dem Albgau benachbart, der Neckargau, und, an den Westergau stossend, der Nagoldgau. Diese vier Gaue bildeten das Gebiet der Sueven, das sich nach Norden zu am Neckar über die Stammesgrenze fortsetzte.

Um den Schwarz wähl gruppirten sich durch die Bleiche getrennt, die Mortenau und der Breisgau ; um den Schwarzwald (von der Murg ab) und den Randen der Klettgau und Hegau, die beiden letzten die Gaue der Lenzer.

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Die Mortenau gehörte dem Bisthum Strassburg, die übrigen Gaue dem Bisthum Constanz an. Mit dem Breisgau uuAKlett- gau fielen die gleichnamigen Archidiakonate zusammen. Die übrigen Gaue fanden in den grossen Archidiakonateu Vormwald und Albgau Platz.

Die Mundart ist im Neckar- und Nagoldgau. sowie dem östlichen Tlieil des Westergau und im Albgau schwäbisch, im Uebrigen alam&nnisch.

Bearbeitungen sind C. F. Stälin, Wirtembergische Ge- schichte I, 279 u. flgde.; Baumann die Gaugrafschaften im Wirtembergischen Schwaben. Mit dem Ausdruck Gaugraf- schaften habe ich eiuen anderen Begriff' verbunden (S. 303), als Baumanu gethan hatte. Fr versteht S. 7, 8 unter Gau- grafschaften überhaupt die selbständigen Grafschaften der fränkischen und späteren Zeit und zwar die im alamannischen Württemberg. Walther Schnitze hat im Sinn von Baumann die Untersuchungen iu den Gaugrafschaften des alamannischen Badens fortgesetzt und sie dann auf die fränkischen Gaue bis an den Main ausgedehnt (S. 347).

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Obernecl^orgau.

In dem Grossgau, der am Neckar von der Stammesgrenze von 496 bis aufwärts Nürtingen urkundlich zu verfolgen ist, decken sich die Gauorte mit denen von zwei Huntaren, des Filderngaus, pagus uf Vilderen (oder des Gebiets des Kapitel Esslingen und des Westens vom Kapitel Cannstatt) und einer Huntare, deren Namen nicht bekannt ist. (welche mit dem Kapitel Kirchheim zusammenfiel).

Es ist aber anzunehmen, dass der Grossgau eine weitere Ausdehnung hatte oder im Lauf der Zeit erhielt. Denn die Grenzen der benachbarten Grossgaue waren im Westen neckar- aufwärts der Gross-Nagöldgau, irn Süden der Gross-Albgau, im Osten der Gross-Kiesgau (Siehe die Kapitel 24, 25, 36). Den Raum zwischen ihnen musste also der Gross-Neckargau ausfüllen. Es war dies der Nordosten des Bisthums Constanz und insbesondere der nördliche Theil des Archidiakonats Alp- gau, dem jedoch das zum Archidiakonat Vormwald gezogene Kapitel Cannstatt als zweifellos grossneckargauisch hinzu- zufügen ist, und es ergiebt sich demnach als Gaugebiet der Neckarabschnitt von der fränkisch - alamanuisehen Grenze, Poppenweiler und Ossw’eil (S. 207) abw'ärts bis etwa Neckar- tenzlingen aufwärts, das Thal der unteren Rems, das Thal der Fils und der Steilabfall der Alb bis auf die Höhe selbst hinauf.

Bemerkenswerth ist dabei einmal, dass erst in diesem Gebiet die Reihe der Ortschaften beginnt, deren Namen den Zusatz Neckar trägt (wobei allerdings von Neckarhauseu bei Sulz im Nagoldgau abzusehen ist): Neckar - Tenzlingen, Neckar - Thailfingcn, Neckar -Hausen, Neckar - Groningen, und sodann, dass die südliche Grenze nicht da ist, wo die Alb nach Nordwesten abfallt, sondern auf der Hochebene selbst, so dass

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deren Rand zum Neckargau gehörte, während im Uebrigen die Hochebene grossalbgauisch war.

Aus diesem so umgrenzten Gebiet folgt auch die Besiedlungs- geschichte des Gaus. Man ergriff zuerst von den fruchtbaren Flussthälern des Neckar, der Rems und der Fils Besitz und jede an die Alb stossende Huntare arbeitete sich dann in den Thälern der Nebenflüsse zur Höhe empor, den Rand der Alb meilenweit besetzend. Als dann der Gross- Albgau von der Donau aus das Hochplateau der Alb besiedelte, fand er von dem Rand, der geographisch zum Albgau gehören würde, sich ausgeschlossen. Die Genossen des Neckargaus waren ihm zuvor- gekommen.

Dem Neckargau gehörten ausser den genannten zwei noch weitere fünf H untaren zu: zunächst an Neckar und Rems Ramestal (Osten des Kapitels Cannstatt), an der Fils der Filsgau und Pleonungotal. Der Name Filsgau deutet den Weg der Besiedlung des Thals an. Die Huntare wird ursprünglich den gesammten Lauf des Flusses umfasst haben, bis man den oberen Theil als Huntare Pleonungotal, Kapitel Geislingen abzweigte und dadurch die Huntare Filsgau auf den unteren Lauf, Kapitel Göppingen einschränkte. Weiter am Neckar die Huntare Swiggerstal, Kapitel Urach und die Huntare Pfullichgan, Kapitel Reutlingen, soweit in dieses nicht die Huntare Sulichgau hineinragte.

In der Grafen znt zerfiel dann der Grossgau in Theilgau- grafschaften, von denen eino den Namen Neckargau behielt. Er ist in Urkunden von 900 und 976 in comitatn Neckergeuue, Wirt. 184 und 189 erhalten; 1046 und 1059 waren Wernher, dann Eberhard seine Grafen. Die Namen der übrigen Theil- gaugrafschaften sind verloren. Huntarengrafschaften, comitatns waren bereits 861 Pleonungotal, 938 Pfullichgan, 1080 Ramestal, im Anfang des 12. Jahrhunderts Swiggerstal.

Huntare n.

1. 2. Die Huntaren der Grafschaft Neckargau, Kirchheim (?) und Vildern.

Die Theilgaugrafschaft Neckargau, aus den Kapiteln Kirch- heim, Esslingen, West-Cannstatt bestehend, umfasste urkundlich

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das Neckargebiet von Nürtingen bis Neckargröningen. Sie liiess Gau, pagns und 3 mal 960, 976, 1046 comitatns.

Etwa 894 Pagns Necbarionsis, quae lingna Diutisca Neckargowe ab incolis nuncupatur. In den Jiiraculis S. Walpurgis nach Stftlin I 304.

960 nnd 976 In comitatu Neckergemie. Wirt. 184 und 189.

Der Name der Hnntare, welcher das Kap. Kirclilieim ent- spricht, ist nicht bekannt. Die Huntare der Kap. Esslingen nnd West-Cannstatt ist der pagns uf Vilderen, der Filderngau.

Das Kapitel Kirclilieim lag an beiden Ufern des Neckar von Neckarhausen bis Plochingen und erreichte mit dem Lauter- thal die Alb.

Die Urkunden, die vom Theil-Neckargau im Kapitel Kirclilieim handeln, sind folgende:

"69 In pago Alemannorum et Nechorgowc in Wilheim (Woilheim OA. Kirchheiin) et in Bissiiigen (Bissingen das.) et in Osingen (Iesingen das). I,aur. 8228.

781 In pago Xeckergowe in Bissinger marca. I,anr. 2455.,

792 In pago Ntckergowe in Adininger marca (Oethlingen OA. Kirch- beim). Laur. 2414.

SOS In pago Alemannornm in Xeckergowe in Wilbeimer marca (Wil- beim) in loco Skeninbol (unbekannt). Laur. 3227.

sfi t In pago Xekkerganne in locis Xabcra (Nabern OA. Kirclilieim), Bissingen (Bissingen das.), Uilheim (Weilheim das.) Nidliuga (Xeidlingen das ). Wirt. 126.

960 Chirilieim (Kirclilieim) in ducatu Alamnnniae in comitatu Nccker- geuue. Wirt. 18 t.

976 Ebenso, Bestätigung der vorigen Urkunden. Wirt. 189.

1046 Curtem Xivritingen (Nürtingen) situm in pago Nechergouue in comitatu Werinliarii comitis. Wirt. 227.

1059 Villa Kiricheim (Kirclilieim) in pngo Nechergowe in comitatu F.berhardi comitis. Wirt. 232.

1158 Pridium Niordinge (Nürtingen) in pago Nikkerga. Wirt. 314.

Theilgau- und zugleich Huntarenorte rechts vom Neckar waren somit:

OA. Nürtingen: Nürtingen;

OA. Kirchheim: Oethlingen, Kirclilieim, Iesingen, Bissingen, Nabern, Weilheim. Xeidlingen.

Der Huntare Vihbrn in den Kapiteln Esslingen und West- Cannstatt entsprach das Gebiet des linken Neckar etwa von Neuenhaus bis über Ossweil. Die Kapitel Esslingen und Cannstatt dehnten sich auch noch am rechten Ufer aus, Ess- lingen Filsanfwärts etwa bis Reichenbach, Cannstatt, soweit es hier in Betracht kommt, vielleicht Remsaufwärts bis Waiblingen, denn hier lag noch der Neckargauort Oetfingen. Der Huntaren-

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nanie ist in der jetzigen Landschaft der Fildern er Bezeichnung, die sich jedoch auf den linken Neckar Stuttgart zurückgezogen hat.

Die hierher bezüglich™ Urkunden des Neckargau« sind für das Kapitel Esslingen:

StCtl In Alamaimia IlcUilinga (Esslingen) in pago Nech fluvium Xechra. Wirt. 141.

Etwa 1132 I’redium in pago Nekkergaugiao Chunit OA. Esslingen). Rotulus S. Petrinus bei Leichtlen Zähri Stalin I 3o4.

für den Westen des Kapitel Cannstatt:

789 ln pago Neckergowe in villa Zazenhusen (Zazenhat statt). Laur. 2418.

780 In pago Neckergowe in villa Ussingen (Oeffingen das SOG In pago Neckergowe in Gruonicheim (Ncckargrönit wigsburg). Laur. 2401.

Tlieil gauorte jinks vom Neckar:

OA Esslingen: Köngen, Esslingen;

OA. Cannstatt: Zuzenhusen;

OA. Ludwigsburg: Neckargröningen;

rechts vom Neckar:

OA. Cannstadt: Oeffingen.

Ucber den Fildemgau, pagus uf Vilderen, das terri reden folgende Urkunden:

1279 In Oswile (Ossweil OA. Ludwigsburg) et in Ro Stuttgart) sito iu Vilderen. Oberrheinische Zeitschrift III 33 1291 Villam Moeringen (Möhringen das.) super Vilder XIV, 1 15 und 120.

1291 lilieuingen ( Plieningen das.) et Aehtertingen (Echt super Vildern. Das. XIV, 119.

1292 Uf den Vildern ano Aehtordingen. Das. XIV 206

1292 Territorium dictum Vilderen, deeimas apud

in Blieningen Das. XIV. 2Ü8.

Ebenso wiril zum pagus uf Vilderen Stetten OA. Stutt hausen OA. Esslingen verzeichnet. Cart. Salem. I 321; Ban Huntarenorte im Kapitel Esslingen:

OA. Esslingen: Neuhausen;

OA. Stuttgart: Stetten, Echterdingen, Plieningen, im Kapitel Cannstatt:

OA. Cannstatt: Ossweil.

Mithin lagen auch Esslingen, Stuttgart, Cannstatt, Lud\ Huntarc Vildern, welche zusammen mit der Huutare Ramestt spater den Kern der Gratschaft Wirtemberg ausmachte.

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3. Ramestal.

Die Huntare, der Thalgau der Kerns, deckte sich mit dem Osten des Kapitel Cannstatt, das Remsaufwärts bis über Schorndorf reichte.

Die Bezeichnung der Huntare ist pagus, 1080 comitatus.

loso Praedia in pago Kamesdal sita videlicet Winterbaoh (Winterbach OA. Schorndorf) et Weibilingen (Waiblingen das.) in comitatu Popponis. Wirt. 283.

Huntarenorte:

OA. Schorndorf; Waiblingen, Winterbach.

4. 5. Die Huntaren des Filsthals, Filsgau und Pleonungotal.

Der Huntare Filsyau im Gebiet der unteren Fils bis Gross-Eislingen aufwärts entsprach das Kapitel Göppingen.

Sie heisst Gau und pagus.

861 In pago qui dicitur Feliwisgawe iu villa nuncupata Isininga (Gross-Eislingen OA. Göppingen). Wirt 136.

1112 In loco qui dicitur Schopflooh (Sckopfloch abgegangen ; Schopf- locher Acker“ bei Betzgenried OA. Göppingen) in pago Philiskove. Wirt. 315.

Huntarenorte :

OA. Göppingen: Betzgenried, Gross-Eislingen.

Die Huntare Plemunyotal, der Thalgau des Pleon, im Gebiet der oberen Fils entsprach dem Kapitel Geislingen.

Der Gau wird auch als pagus und 86 1 comitatus be- zeichnet.

861 Talem locura qnalem visu« sum habere in pago nomine Pleonun- gotal, ipaum locum, qui vulgo dicitur Wisontessteiga (Wiesensteig OA. Geislingen) juita tluuien, quod vocatur Filisa ^Fils); quodque est si'um in (»riubingaro marca (Gruibingen OA. Göppingen) in comitatu Wariuharii omitia. Nec non locum in ipsa marca trado in loco qui dicitur Tiofeutal. (Dieser Ort ist abgegangen, aber nacii Hausier giebt es jetzt °och ein Tiefenthal auf Jliiblhauser Markung OA. Geislingen). Wirt. 136.

Huntarenorte :

OA. Göppingen: Gruibingen;

OA. Geislingen: Mühlhausen, Wiesensteig.

Die Huntare ist die spätere Grafschaft Helfenstein

6. 7. Pfullichgau und Swiggerstal.

Vielleicht bildeten beide uns bekannte Huntaren summt entsprechenden Kapitel ursprünglich ein Ganzes. Das Kapitel wird im über quartarum von 1360 70 jedoch schon

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in zweie zerlegt aufgeführt, die später die Kapitel Reutlingen und Uraeli liiessen. Möglich, dass dieser Theilung eine gleiche der H untere vorausgegangen war, so dass nunmehr der Hnntarc Pfullichgau das Kapitel Reutlingen, der Huntare Swiggerstal- gau das Kapitel Urach entspricht. Man muss jedoch von dem Kapitel Reutlingen, was rechts und links vom Neckar liegt, insbesondere Kirchentellingsfurt, das zum Sulichgau gehörte, wegnehmen.

Der Pfullichgau, des Fnlhin Gau, dessen Name in dem der Stadt Pfullingen erhalten ist, lag an beiden Seiten des Neckar von Kirchentellinsfurt bis Mittelstadt und füllte am rechten Ufer das Thal der Echatz aus. Die Huntare heisst Gau, pagus und einmal 938 comitatus.

938 Der König Otto verschenkte in Alemannia in comitatu comitis Herimanni in pago Pfullichgouue in loco Hoheuouua (Houau DA. Reut- lingen) qnandaiu piscationein, hactenus ad regiam potestntem pertinentem, a natatorio tiuminis Aclieza (Echatz) nuucupati, quem circummanentes abusive nomine lacum (Gewann Entensee hei Pfullingen) appellant cum fundo et alveo ipsins fluminis etc. Wirt. 180.

Huntarenorte:

OA. Reutlingen: Pfullingen, Honau.

Die Huntare ist die spätere Grafschaft Achalm.

Das Swiggerstal, der Thalgau des Swigger, lag gleichfalls an beiden Seiten des Neckar von Neckartenzlingen bis unter Neckarthailfingen und gehörte im Uebrigen dem Gebiet der Erms an.

Die Huntare heisst pagus und einmal im 12. Jahrhundert comitatus.

1276 Tettingen (Dettingen OA. Urach) situtn in Swigerstal. Liber deciinationis im Freiburger Diöcesanarchiv I, 78.

Anfang des 12. Jahrhunderts: ltuderchingeu (ltiederich OA. Urach), quod situm est iu pago Swiggerstal in comitatu Eginonis comitis. C'od. Hirsau. RI. 34 b.

Aus derselben Zeit: Metzingen (Metzingen OA. Urach) iu Swiggerstal Ebenda Bl. 44.

134t Hasslach, Schlaitdorf (OA. Tübingen), Hart hausen (OA. Stuttgart), Aich, Orötziugcn, Neckartenzlingen, Neckarthailfingen, Altdorf (OA. Nür- tingen), Bempflingen, Mittelstadt (OA. Urach). Nürtinger Oberamtsbeschreibung 102 nach Raumann 117.

Zu dem Kapitel Urach gehörte auch Bleichstetten OA. Urach, aut der Alb gelegen.

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1102 Quicquid supra Alpes habere videor in loco, qui Bleichstetin dicitur. Wirt 263.

Die Beziehung supra Alpes ist rein geographisch, ohne Beziehung auf den ürossalbgau.

Huntarenorte links vom Neckar:

OA. Tübingen: Hasslach, Schlaitdorf;

OA. Stuttgart: Harthausen;

OA. Nürtingen: Aich, Grötzingen; am Neckar:

OA. Nürtingen: Neckartenzlingen, Neckarthailtingen;

rechts vom Neckar:

OA. Nürtingen: Altdorf;

OA. Urach: Bempflingen, Mittelstadt, Riedericb, Metzingen, Dettingen.

Später ist Swiggerstal die Grafschaft Urach.

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Der Nagoldgau.

Innerhalb des Gross- Nagoldgau lagen, urkundlich nach- zuweisen, fünf H untaren, der Bibligau, Ambrachgau, Sulichgau, Waltgau, Haglegau.

Ihrer geographischen Lage nach schlossen sich dem Gross- gau ferner die Hattenhuntare und die Glehuntare an; sie mögen ihm also auch angehört haben, falls man nicht an- nehmen sollte, dass beide Huntaren als solche erst nach Auf- lösung des Grossgauverbandes gegründet seien.

Wie der Name bezeugt, sind die ersten Ansiedlungen im Gebiet der Nagold zu suchen. Vielleicht umfasste der Grossgau ursprünglich den ganzen Flusslauf, aber die fränkisch- alamannische Grenze des Jahres 496 war es wohl, die ihn auf den oberen Lauf einschränkte, bis dahin, wo die Nagold die Tainach aufnimmt. Die Grossgaugenossen werden sich zu-

nächst in den reichen Fluren der Umgegend, dem Bibligau, Ambrachgau, dem nördlichen Sulichgau, dem südlichen Waltgau links des Neckar angesiedelt haben (S. 76, 265). Hier unter- scheidet man noch heut zu Tage das kornreiche „obere Gäu“, das sich in weiter Ausdehnung von Herrenberg bis Horb er- streckt, von dem westlich anstossenden „Schlehen-“ oder „Heckengäu“, das im Norden von Dornstetten bis znr Stammesgrenze reicht. Nachdem dann zunächt der Sulichgau den Neckar überschritten, werden am rechten Ufer die Huntaren Haglegau und Hattenhuntare gegründet sein. Die Glehuntare, die erst im Jahre 1007 erwähnt wird, ist als eine dem Schöubuch abgewonnene Koduug anzusehen.

Der Gross-Nagoldgau umfasste von der Stammgrenze im Norden bis zum Schwarzwald im Westen und zur schwäbischen

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Alb im Süden den Abschnitt des Neckar, der, die grosse Biegung von Norden nach Osten umfassend, sich von unterwärts Sulz bis unterhalb Kirchentellinsfurt erstreckte.

Den Huntaren entsprachen in folgender Art die Gebiete von Kapiteln:

der Glehnntare das Kapitel Böblingen,

dem Bibligau und nördlichen Ambrachgau das Kapitel Herren- berg,

dem südlichen Ambrachgau und dem Sulichgau das Kapitel Rottenburg,

dem Sulichgau weiter Theile des Kapitel Hechingen und Reutlingen,

dem Waltgau das Kapitel Dornstetten, dem Haglegau das Kapitel Haigerlocb,

der Hattenhuntare und einem Theil des Sulichgaus das Kapitel Hechingen.

In der fränkischen Zeit wurde der Gau aufgelöst. Denn nicht er, sondern fünf seiner Huntaren werden als Grafschaften bezeichnet: Glehuntare, Bibligau, Waltgau, Haglegau und Hattenhuntare.

Die Bezeichnungen für den Grossgau sind Gau und pagus. Die über ihn sprechenden Urkunden sind, nach den Huntaren geordnet, folgende:

Im bibligau

961 In pago Xagelekeuue in vico Chuppinga (Kuppingen OA. Herrenberg) Wirt. 1S5.

Im Ambrachgau

s«l In pago Xaglachgowe in villia Mulenhusen et Keistodingen Mühlhausen und Kaistingen, jetzt Gewanne der Gemarkung Herrenberg). Laur. 8632.

883 In pago Xaglacbgowe in villis Mulenbausen et Keistodinga. Laur. 3638.

871 In pago Xaglachgowe Keistodinga et Mulenhusa. Laur. 3534. 868 In pago Xaglachgowe in villa Giselstede (Giiltstein (JA. ilerren- berg). Laur. 3535.

868 In pago Xageldacgowe in Giselstedir mann. Laur. 2575.

Im Sulichgau

780, 791 In pago Xaglagowe in villa Bildacbingen (Bildechingen OA. Horb). Laur. 2012, 2013, 3528.

Im Waltgau

770 In pago Xaglachgowe in villa Toruestat (Dorustetten OA. Freuden- *tadt). Laur. 3531.

Cmair, Geschichte der Alamannen. 27

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770 Iu pago Naglachgowe in Glndeheimer marca (Glatten OA. Freuden- stadt'. Laur. 3530.

779 In pago Naglachgowe in villa Gundirichinga (Güudringen OA. Horb). Laur. 1529.

Im Haglegau

889 Duas curtes Pirninga (Gierlingen OA. ilorb' (et Erichingat dictas

in pagis (Turgaue et) Nagoltguue. Wirt. 163.

Hiernach sind Grossgauorte:

OA. Herrenberg: Kuppingen, Herrenberg, Giiltstein;

OA. Horb: Giindringen, Bildechingcn, Bierlingen;

OA. Freudeustadt : Dornstetten, Glatten.

Huntaren und Zehntschaften.

1. Glehuntra.

Der Glehuntra, Huntare des Gleo, entsprach das Kapitel Böblingen, das den Schönbuch von der Stammesgrenze, Sindel- fingen im Norden, Steinenbronn im Osten, Weil im Schön- buch im Süden, Gärtringen im Westen, in sich schloss: Vai- hingen auf den Fildern, das dem Kapitel Böblingen angehörte, wird man nach seinem Zunamen zu dem Filderngau zu rechnen haben.

Die Glehnntare trug die Bezeichnungen der Huntare, des pagus und des comitatus.

1007 IiOcura Holzgerningn (Holzgerlingen OA. Hüblingen) in pago Glehuntra et in comitatu Hugouis comitis. Wirt. 206.

2. Ambrachgau.

Der Ambrachgau, im Süden des Kapitel Herrenberg, im Norden des Kapitel Rottenburg gelegen, umfasste das Gebiet der Ammer. Die Huntare führte nur die Gaubezeichnnng.

779 In Awbrachgowe in Mulenbusen et in Waldowe, in Heistodingen. Laur. 3638 (Mühlhausen und Kaistingen sind Gewannen der Markung Herren- berg, wo wahrscheinlich auch Waldowe zu suchen ist).

Also Huntarenort: das jetzige Herrenberg.

Reusten OA. Herrenberg war die Malst&tte des Ambraehgau:

Vor 1138 Haec traditio facta est in campo Husten praesente comite Hugone et filio ejus Hcnrico. Schenkungsbuch von Reichenbach Wirt. II, 409.

Die Zeh ul mark (tii Unfein (OA. Herrenberg) fiel in die Huntare.

868 In pago Nageldacgowe in Giselstedir marca. Laur. 2575.

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8. Bibligau.

Dem Bibligau entsprach das Kapitel Herrenberg, wenn man das Ammerthal davon ausnimmt. Die Huntare sties im Norden an die Stammesgrenze, umfasste den oberen Lauf der Nagold, reichte im Westen bis zum Schwarzwald, schloss im Osten Gedungen, Dachtel, Deckenplronn und im Süden Haiterbach und Hochdorf in sich, während Herrenberg schon im Ambrach- zau lag.

Die Huntare wird als Gau, pagus, comitatus bezeichnet.

966 ln pago Bibligowe in villa Chuppinga {Kuppingun OA. Herren- berg) in comitatu Anseltni. Wirt. 187.

Hnntarenort :

OA. Herrenberg: Kuppingun.

Die Zfhnltnark Haslach wird erwähnt:

775 In Haselacher marca (Haslach. OA. Herrenberg). Laur. 3616.

4. Sulichgau.

Dem Sulichgau entsprachen zunächst das Kapitel Rotten- barg. abgesehen von dem Gebiet der untereu Ammer; dann dem Neckar nahe gelegene Theile des Kapitel Hechingen (der Bezirk auf deu Härdten) und des Kapitel Reutlingen (Kirchen- tellinsfurt). Die Huntare lag an beiden Seiten des Neckar-

thals, links von Bildechingen bis unter Tübingen, rechts von Bieringen bis unter Kirchentellinsfurt.

Die Huntare wird als Gau, pagus, comitatus bezeichnet.

Jahr? Villa Argossingen iu Sultigowe (?). Hirschauer Traditionsbuch Bl. <10. Stalin I 310 liest mit Kecht in Sulichgowe, du Argossingen das heutige Ergenzingen OA. Rottenburg ist.

Andere Namensformen des 12. Jahrhunderts sind Argozingen, Argo- zingon, Argozzingen, Ergozingin nach <lem Schenkuugsbuch von Keichenbacb Wirt. II S. 306, 405, 407, 416, 417.

888 ln pago Uattinhunta et Sulihgeiuua in comitatibus Peringarii et Eperhardi villa, quae dicitnr Tuzzilinga (Dusslingen OA. Tübingen). Wirt. 162. Dusslingen, von der durchtiiussemlen Steinlach in zwei Hälften und demnach zwischen den beiden Naehbarhnntaren getheilt, gehörte kirchlich dem Kapitel Hechingen an.

1007 Locum Kirihbeim (Kirchentellinsfurt OA. Tübingen) dictum in pago Sulichgowe et in coiuitatu Hessini comitis. Wirt. 208. Die Orte Kirchheim nud Tbälinsfurt sind zu dem Einen Ort Kirchentellinsfurt zu- sammengewaebsen.

11. Jahrhundert. In Alamannia in pago, quem ex villa Sulichi (Sülchen OA. Rottenburg) Sulichgeuwe vocant antiquitus. Leben des heiligen Menrad,

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gestorben 861, in den späteren Interpolationen bei Hormannus Contractus genannt: comes de Snlgen, filius comitis de Sulgen. Stalin I 310.

1057 Predium Sulicba (Sülchen), norainatutn in pago Sulicligowe in comitatu Hessonis comitis situm. Wirt. 230.

Huntarenorte

OA. Rottenburg: Ergenzingen. Siilchen;

OA. Tübingen: Dusslingen halb, Kirchentellinsfurt.

Drei Zehntmarh-n sind in der Hnntare nachzuweisen, die Bildechinger, die Eutinger und die Mähringer Stark, die beiden ersten links, die letzte rechts vom Neckar.

Die Bihlnliingcr Mark wird 10 mal erwähnt, davon einmal als in dem Gross -Nagoldgau liegend; die villa Bildachingeu oder der Ort ohne Zusatz, aber gleichfalls im Gross- Nagoldgau liegend, zweimal.

Die Eutinger Mark wird einmal neben der Bildechinger genannt (beide im OA. Horb).

780 In pago Alamannorum in Bildaehinger marca et in Udinger (Eutinger) marca (OA. Horb). Laur 3230.

Weiter 767—783. In pago Alamannorum in Bildaehinger marca. Laur. 3231—3238.

791 In pago Naglachgowe in Bildechinger marca. Laur. 2013.

' 780 In pago Naglachgowe in Bildichiugen. Laur. 2012.

791 In pago Naglagowe in villa Bildachingen. Laur. 3528.

Eine weitere Zehntschaft der Huntare war das Kirchspiel Mähringen auf den Härdten (OA. Tübingen), von dessen Mark aller- dings Nachrichten nicht vorhanden zu sein scheinen. Aber lange erhieltsich das darauf hindeutende „Kirspel- und zulanfende Gericht“ Mähringen, das 1762 ein uraltes, in Vergessenheit gerathenes genannt wird. Das Gericht war für die Orte des Kirchspiels zuständig, für Mähringen, Immenhausen, Ohmeuhausen, Wank- heim, Jettenburg. Die Richter wurden aus den Kirchgängern, den Kirchspielleuten gewählt. Der Schultheiss von Mähringen war der Stabhalter des Gerichts, das weiter aus 24 Richtern bestand und an Sonn- und Feiertagen nach der Messe dingte. Nach dem Verlassen der Kirche wählte der Schultheiss die Richter, indem er sie innerhalb der Kirchhofsmauer ergriff und ihnen gebot, stille zu stehen. Wer aber zwei Schritte vom Kirchhof entfernt war, dem konnte der Schultheiss nicht mehr gebieten. „Es geschah dick, dass die Richter von der Kirche gingen, vor und ehe die Mess’ bis zu End’ beschehen, und dass man Gewalt anlegen musste, ein Gericht zusammen zu bringen.

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Mancher wäre das Urtheil und Rechtsprechung gern vertragen gewesen.“ Man gab den Richtern daher 2, später 5 Schilling Heller (4 10 Kreuzer).

Das Gericht wurde auch von den dem Kirchspiel benach- barten Orten in Anspruch genommen, wenn die Parteien sich verglichen hatten, ihr Recht in Mähringen zu suchen. Der Beklagte, der dann nicht erschien, musste Strafe zahlen. „Es war ein gross Ding um dasselbe Gericht, das man von wydem gesucht, und etliche Dörfer ir urteil da gesucht.“ Da werden Kusterdingen, Wannweil und Kirchentellinsfurt; Nehren, Duss- lingen, Derendingen, Windelsheim (wo?) und Bühl genannt. Daher auch der Name; „Zulaufendes Gericht“, ein Gastgericht für Fremde, Manche gaben ihm auch den Namen eines Land- gerichts. (Georg David Beger: Von dem gantz in Ver- gessenheit gerathen gewesenen uralten Kirspel- und zu- laufenden Gericht zu Mähringen, Reutlingen 1762. Auszüge bei Gayler 1840 S. 117; Oberamtsbeschreibung Tübingen S. 438: Baumann Gaugral'schaften S. 121, 128, 135; Thudich- um Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 2. Mai 1883).

5. Waltgau.

Der Huntare Waltgau entsprach das Kapitel Dornstetten (oder Horb). Sie füllte den Raum zwischen dem Schwarzwald (Reichenbach bis Losburgj und dem Neckar (unterhalb Sulz bis unterhalb Horb) aus. In der einzigen Urkunde, die von ihr spricht, heisst sie Gau und comitatus.

781 In Waltgowe in comitatu Geroldi comitis in villa Gladeheim (Glatten OA. Freudenstadt) et in Tornigestat (Dornstetten, daselbst). Chron. Gottwicense S. 099, 842 und Auszug in Laur. 3637.

H unteren orte

OA. Freudenstadt: Dornstetten und Glatten.

Der Waltgau zerfiel mindestens in vier Zehntmarken: Waldahure, Schopf loch. Glatten und Dornstetten oder Wald- geding.

Die Mark Waldahure, wohl mit dem Hanptort (Ober-, Unter-) Waldach im Waldachthal (OA. Freudenstadt).

782 In pago Alemanuie in Waldahure marca et (und zwar) in villa Tungelingen (Thumlingen OA. Freudeustadt) et in Daleheim (Ober-, Unter- thalheim OA. Nagold) et in llezestetten (Grünmetstetten OA. Horb). Laur. 3305.

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Die Marl: Schopfloch (OA. Freudenstadt).

772, 779 Iu pago Aleinannorum in Scopfolder marca in Bertoldesbare Laur. 3270.

807 In pago Alemanio in Sebopflochheimer marca. I.aur. 3297.

Beide Schopfloch OA. Freudenstadt.

Die Mark Glattm (OA. Freudenstadt).

766, 783. 791 In pago Alemannoruin in Glatheimer marca. Laur. 3281-84.

770 In pago Naglacbgowe in üladeheimer marca. Laur. 3530.

Die Mark Domstettm oder das Wahh/edhig.

Sie führte den ersten Namen nach der Stadt Dornstetten OA. Freudenstadt. In der Lorscher Sammlung der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ist bald von der Stadt, bald von der (Zehnt-) Mark die Rede. Die Stadt heisst Tornestat, villa Tornigestat, Tornegestat, villa Stedden. Ihre Lage ist be- zeichnet nach folgenden Grossgauen, in pago Alemanie oder Alamannorum, in pago Naglacbgowe (Laur. 3531), in pago Westergowe (wahrscheinlich irrig, 3803), nach der Bar- grafschaft in Bertoldesbaren (3271), und nach der Huntare in Waltgowe (3637). Nach der Stadt heisst die Mark Torni- gesteter marca (8 mal), Tornigestater marca (2 mal), Torniges- steter marca (2 mal), Tornigavisteter marca (lmal), und man wird nicht zweifeln, dass sie eine Zehntmark war, wenn man bedenkt, dass aus ihr 13 Vergabungen an das Kloster Lorsch vorkamen.

Es scheint, dass die Stadt schon damals auch eine aus der Zehntmark ausgeschiedene Stadtmark hatte. Denn es heisst: In Dornstetten (das ist wohl in seiner Stadtmark) besitzt das Kloster Lorsch 5 Höfe, einen Herreuhof uud 4 Hörigenhöfe, von denen jeder einen Frischling im Werth von 3 Denaren, 15 Maas Bier uud 1 Huhn zu liefern hat. In Tornegestat sunt hübe 5, una in dominico, 4 serviles, quarum unaquaque solvit 1 friscinc, tres denarios valentem, 15 sitnlas de cervisa, pullum 1. Laur. 3656.

Die übrigen Urkunden enthalten nur Vergabungen aus der Zehntmark an das Kloster, bei denen folgende auch sonst ge- bräuchliche Formeln verwendet wurden :

.Ich schenke dem Kloster, was ich in der Dorustetter Mark etwa besitze, auch mit dem Zusatz: .an Hufen, Wiesen, Wald. Wasser und Gebäuden“ ; oder .an bebautem oder unbebautem Land, boweglichera oder

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nnbeweglichein Vermögen besitze“ ; oder .50 Morgen Ackerland, ein Gehöft mit Gebäuden und eine Hufe“. Ego dono in Tornigesteter mar ca quidquid ibidem habere visus sinn, wol mit dem Zusatz in mansis, pratis, silvis, aqnis. domibns, edificiis. oder in terris cultis et in incultis, rebus mobilibus et immobilibtis, oder jnrnales 50 de terra aratoria, curium et mansum cum edificiis, immer stipulatione snbnixa.

Im 15. Jahrhundert wurde die Zehntmark nach ihrem Gericht „Waltgeding“ genannt und ihre damaligen Rechts- zustände sind in einem Weisthum, der „Verkündigung des Waldgedings“, vermuthlich von 1456, und einigen anderen Urkunden verzeichnet, die sich in Grimms Weisthümern I 380—388 befinden.

In der Ahe (beim Dorf Aach) nimmt der Glattbach zwei andere Bäche auf, den Stockerbach und Ettenbach. Hier, wo die drei Flnssthäler zusammenstossen, lag die Malstätte der Zehntmark. In den Thälern selbst oder ihrer Umgebung lagen die Markdörfer: Halhvangen am Glattbach (hier auch Kübel- bach genannt), Untermusbach und Gründel (Grünthal) am Slockerbach, Wittlensweiler am Ettenbach, Aach an der Ver- einigung der Bäche, und weiter Dietersweiler nnd Benzingen; sie bildeten das Kirchspiel Grünthal und besetzten das Gericht, sind also wol die ältesten Dörfer in der Mark. Ausserdem gehörte Dornstetten zur Mark, das ihr ja schon im 8. Jahr- hundert den Namen gab. „Dieses, heisst es in dem Weisthum, sind die dörfflin und weyler, die gehörent zusammen inn das gericht, lenger und ellter denn Dornstetten die statt.“

Das Gebiet der Mark, „die wyttraichi und gewaltsami, die jnn das gericht gehört“, ging aber noch weiter. „Sie hebt an (im Osten) by dem se (See) under Bittelbrunn (OA. Horb) nnd gät (im Westen) bis uff den waldt (Schwarzwald) by dem steinin Crütz und fallet dann an (im Süden) in dem Dierstein under Glatthaim (Burg Thürstein unter Glatten) und gat (im Norden) biss an den Dürrenbach zwischen den zweien Mues- pachen“ (zwischen Ober- und Unter-Musbach).

Diese 4 Grenzpunkte des Waldgedings fielen in die noch näher bezeichneten Grenzlinien eines Wildbannes des Markgrafen von Baden, welcher das Waldgeding umfasste, aber die Glatter und Schopflocher Mark einschloss. Die Grenzlinie des Wildbannes berührte (im Osten) im OA. Horb Bittelbronn, Salzstetten nnd Lützenhard, (im Norden) im OA. Freudenstadt den Glattbrunnen

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zwischen Unter- und Ober-Musbach, (im Westen) die Mündung des Thonbach in die Murg bis Baiersbronn (dieses ausge- schlossen), den Forbach aufwärts bis (im Süden) Lossburg. die Glatt bis zur Burg Thierstein unter Glatten, Schopfloch und Bittelbronn. Ein Theil dieses Wildbannes, wohl vom Mark- grafen erworben, war dann im Besitz des Grafen von Württemberg.

Nach einem Grenzbeschrieb von 1(101 standen Waldting- steine von Waldach aufwärts am Beutenbach, bei Lossburg, und es sollte sich ein dritter an der Schopflocher Ziegelhütte befinden.

Soweit das Gebiet der Zehntmarken, insbesondere des Waldgedings.

Die „verkhündigung des waldgedings“ führt in die ältesten Zeiten zurück. Die sieben genannten Dörfer waren die Ur- dörfer der Mark. Nur aus ihnen wurden die Richter des Ge- dings gezogen. Das Weisthum giebt einerseits das genossen- schaftliche Recht der autonomen Mark wieder und zwar in ganzem Umfang das „der armen lütt uss den vorgenannten (7) dörtfern und wylern“, und daneben gewisse Markrechte, an denen auch „die burger von Dornstetten“, der jüngeren Stadt, betheiligt waren, das Weide- und das Jagdrecht und das aus der Markgemeinschaft entspringende, gegenseitige Schutzrecht.. Von den andern später gegründeten Orten ist überhaupt nicht die Rede. Im Uebrigen werden die Rechtsverhältnisse der Stadt nicht dargestellt. Sie waren jedoch dieselben, wie die der älteren Markgenossen und haben sich bis in unser Jahr- hundert erhalten (das Königreich Württemberg .'5, 288).

Neben dem Recht der Mark wird auch das Recht der frv aignen Güter dargestellt. Andererseits weisen die Urkunden das Recht des Landesherra und Obermärkers, wie es, das der Unterthanen beschränkend, sich im Lauf der Zeiten entwickelt hatte. „Die wittraichi und gewalltsami, die in das gericht gehört, die sol ein her hon, der Dornstetten innhät“. Das waren in raschem Wechsel die Markgrafen von Baden seit 1218 die Grafen von Urach-Fürstenberg, seit 1308 die Grafen von Hohenberg und seit 1320 die von Württemberg. Sie wurden durch den Amtmann von Dornstetteu vertreten, der in dem Schloss der ummauerten Stadt seinen Sitz hatte.

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Nach dem Weisthum sollen die armen Leute der tlrdörfer (es waren Freie und Unfreie), und die 12 Richter, die aus ihnen gezogen würden, „jars zwürent“ zum Maitag und St. Gallen- tag oder 8 Tage vorher oder nachher zu ungebotenem Ding in das Waldgericht kommen, das unter dem Vorsitz des Amt- manns von Dornstetten in der Ahe abgehalten wurde. Hier sollte man zu Gericht sitzen, „ob Beigensteinn hus an dem lioflin und anders niendert, es were denn Unwetter, so mags ein amptmann ziehen linder ein obtach.“ Beigensteins Haus ist heute das Wirthshaus zur Sonne. Vor ihm auf der Land- strasse, die an den Glattbach stösst, wurde das Märkerding abgehalten, und bei Unwetter zog man sich in eine Art Veranda zurück, die in der Front der Sonne angebracht ist. Noch andere Umstände deuten auf eine alte Dingstätte hin. Hier war eine Freistätte für Uebelthäter. Bis in die 20 er Jahre unseres Jahrhunderts war im oberen Stock der Sonne das Rathszimmer und noch wird dort ein Kästchen an der Wand gezeigt, das, wie man hört, gegen die Verfolgung schützte, sobald es mit der Hand ergriffen wrar. Im unteren Stock war das Wirthszimmer, in dem bis zur gleichen Zeit alle Hochzeiten des Kirchspiels Grünthal, dem die 7 Markorte angehörten, ge- feiert werden mussten.

In den zwei Jahresgerichten hatten die Richter das Weis- thtim zu „verkhünden, unnsserm gnädigen Herrn (von Dorn- stetten) sin herrlikheit, denn bürgern von Dornstetten und denn armen lütten, die in das gericht gehörent, recht und fryheiten.“ Ein solches Weisthum ist das vermuthlich im Jahre 1456 niedergeschriebene.

Die armen Leute hatten „alda zu rügen uff den aid, wass ruegbar ist vor denn elltern, es sye an holltz, an veld, an wasser, an waiden, oder an freuein. allss ferr denn die wyttraichi und gewallttsammi gäth.“ Die Richter hatten die Rügung der Frevel vorzunehmen und „recht zu sprechent um erb und umb aigen unnd umb die güeter, die da gehörent“ zu den Mark- dörfern.

„Wer es, das den lütten uff die gericht inn der Ahe nit gericht mücht werden“, so hat der Amtmann ein „affterting auf den 9ten Tag genn Dornstetten an denn kreben“ zu gebieten. „Were öch sach, das man vor unfrid oder Unwetter inn dem

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kreben nit bliben möcht, so ist das gericht so starckh au im selbs, ehe das underwegen belibe, so soll man das gericht ziehen under die glockschnur, und soll da richten, uns (bis) das jeder- mann gnueg gericht wurt.“ Der Kläger konnte aber in das Afterding nur dann gebieten, wenn er in das Waldgericht für- geboten hatte.

Des armen Mannes „Recht und Freiheit“ war ein anderes, wenn es sich um „fry aigene Gueter“ und ein anderes, wenn es sich um sein Recht an der Mark handelte.

„Weres, ob einem armmann notli angieng, so mag er fry aigene güeter versetzen oder verkhoffen, unnd die niessen, wie inn gelüst unnd gelangt, unnd ob im eben were, er möcht die niessen über Rin, dass soll im nieman weren, doch soferr das er daruss die gesetzten stüren geb, denen sy dann daruss ge- liörent.“

Das Märkerrecht dagegen hatte das Innehaben eines Hauses zur Voraussetzung, für das jährlich zwei Viertel Haber, genannt Waldhaber, an den Herrn von Dornstetten geliefert werden musste. „Gelüst den arm mann, er mags abbrechen und in ein anders (dorff) füehren, und ers in sie alle gebringt: gelangt in, er mags füehren inn die statt, da soll es denn inne beliben.“

Der arme Mann hatte gegen Lieferung des Waldhabers das Recht, „zu nüessen wun, weiden, holtz, veldt unnd wasser und sich daruss zu ernehren, wie er mag.“ Er konnte auch „holtz für denn waldt gebringen: der mags dem geben, wem er will, darumb soll im nienmn nichts thun.“

Er hatte weiter das Recht, „Haiden zu rneigen“ (auf dem wildbewachsenen Land zu mähen).

Zwei Sägmühlen waren in der Mark. Es w-ar gestattet, „auf einer darzu gueten hofstatt“ eine weitere zu bauen. Einige Wasser waren gebannt, im Uebrigen hatte der arme Mann das Recht „visch zu fallen, dass er in seinem hus isset.“ Kur mit des Amtmanns Willen durfte er sie verkaufen.

Nach der Darstellung der „Verkhündigung“ waren den Burgern der Stadt und den armen Leuten die Weide und die Jagd gemein.

„Den bürgern von Dornstetten unnd allen den. die in das waldgericht gehürent, ein gemein ferdt vihcwaid ist, unnd die statt unnd jegkliche dürfflin zusammen fahren mögent,“

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Wie auch sonst im Nagoldgau (siehe meine Grafschaft Hohenzollern 171), so sind auch in der Mark des Waldgedings Reste der freien Pürsch nachzuweisen.

Geber das Jagdrecht der Burger von Dornstetten und der Markgenossen in den Wildbannen des Markgrafen von Baden und des Grafen von Wiirtemberg verhalten sich ausser der Verkhündigung ein „urthel von der Obermunspach wegen, an- betreffend das waldgeding“ ohne Jahreszahl, so wie eine ..Kundschaft des Gerichts in der Ahe“ von 1400.

Von dem Wildbann des Markgrafen von Baden heisst es: „die von Dornstetten und welche inn das waltding gehörent, mügent wohl hetzen über land schwiun und beren und sust hasen, hunr, füchs, aichhern fähen, oder wass sie wollent, ussgenommen rotbwild, doch dass sie kliein wild schwein noch rechhag machen sollen“: und von dem Wildbann des Grafen von Wirtemberg: „Sie hand recht, zu jagen und zu fiihen allerhandt wildtprechtz, es syen vogel, aichhürn, schwin, beren, fuchs oder wölff, wie es genannt ist, ohn allein rothwild, dass sind hßrsch, binden und reher, dass solient sie nit vähen, denn mit eins amptmanns von Dornstetten willen. Welcher aber ouch über jär einen hund hett, der mag wohl einen hasen fähen oder wie viel er gefähen mag, die er in sinem hus isset, doch soll er kheinen verkhoffen.“

Das Recht der Jagdfolge, so lange die Verfolgung dauerte, ist anerkannt; das Recht des Jagdherrn gebührte dem, auf dessen Gebiet das Wild fiel, im Bezirk des Markgrafen: „Sie solient von eim beren das höpt und von einem hawenden schwin und einer lienen (Bache) öeh das höpt geben und von einem frischling nuntz (nichts), unnd soll man dem schwin die obren hinder sich biegen unnd hinder denn obren das höpt abschniden“; im Gebiet des Grafen von Wirtemberg: „von eim beren das haupt und ein hand, item von eim hawenden schwin die Schulter mit zwain rippen, dass das wildprett fürschlacb, item von einer lienen das höpt, item von einem frischling nichtz.“

Soweit „von des jagens wegen.“

Die Genossenschaft der Mark äusserte sich auch in der Hülfsbereitschaft für Noth und Gefahr.

Wollten die Burger ihr Schloss in Dornstetten „bessern mit zunen (einzäunen), so sollten sie ein oder zwei Tage zunen,

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und dann die armen Leute ihnen helfen. Auf Mahnung sollte man zu Hülfe eilen, „weres, dass die burger vou Dornstetten vintschafft hetten, und ihnen oder den dörfflin einem wurt ihr vicli genommen oder burger oder arm me lütt gefangen, oder sust geröpt wurden.“

Die Auflösung der Mark erfolgte erst in unserm Jahr- hundert. Die Stadt Dornstetten, heisst es in dem „Königreich Württemberg“ 3. 288, genoss mit Aach, Benzingen, Böffingen. Glatten, Hallwangen, Stockerhof, Untermusbach, Wittlensweiler grosse Holzgerechtigkeit, das sog. Waldgeding mit Gericht in der Ach, bis es 1834 vom Staat abgelöst wurde.“ Von den sieben Urdörfern fehlen Grünthal und Dietersweiler, dazu ge- kommen sind Böffingen und Glatten.

fi. Haglegau.

Mit dem Haglegau fiel das Kapitel Haigerloch zusammen. Die Grenzen bildeten im Westen und Norden der Neckar, im Süden der Abhang der Alb. Die Grenzlinien zwischen Neckar und Alb wurden gegen Südwesten durch die Orte Vöhringen und Isingen, im Osten durch die untere Starzei und die obere Eyach angezeigt.

Die Bezeichnungen für die Huntare sind Gau, pagns, comitatus.

Man bat in dem Wort Haglegau und in dem Namen seiner Malstätte Hagalta bis dahin Schreibfehler für Naglegau und Nagalta gesehn, diese Bezeichnungen mit dem Nagoldgau und der Stadt Nagold identificirt und dadurch den Haglegau und Hagalta um seine Anerkennung gebracht. Stäliu der Aeltere I, 302; Wirt. 228; Baumann, Gaugrafschaften 138.

Die Urkunden sind:

104« In pago Haglegowe dirtu in villa Dahan (abgegangcn. wohl in der Herrschaft Werstein und in der Nähe von Empfingen, OA. Haigerloch) in comitatu Auselmi comitis. Wirt. 228. Der Ort Dahun scheint mit Taha identisch zu sein, welche beide weiter erwähnt werden.

1240 Hugo nobilis de Werstein (Heirschaft Werstein OA Haigerloch) curtem nostram in Dahun. Schiuid Hohenberg 32.

772, 77U, 799. In pago Alaiuunnorum in Amphinger niarca (Em- pfingen) — in Taha, in loco Taha in villa Taha. Laur. 3203,

3268, 3301.

860 l'erahtiant schenkt au St. Gallen in villa Tatinse (Dettensee,

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OA. Haigerloch). Actum in Tatinse publice - sub Thiotiricho comite. Gail. 22«.

S«1 Actum est in villa Hagnlta (Haigerloch). Laur. 3532.

Malstätten waren somit Hagalta und Tatinse. Ein Stadt- viertel von Haigerloch heisst heute noch der Haag.

Die Namen Haglegau und Hagalta verschwinden später und es tritt für die Hnutare (als Grafschaft) und die Stadt der Name Haigerloch an die Stelle; ob er sprachlich von den alten Formen abzuleiten oder ein neuer Name für ..die beiden Städte“ Haigerloch ist, die sich in und neben dem Haag bildeten, lasse ich dahingestellt.

13. und 14. Jahrhundert Heigirlo. Haigerloch, llaygerloch. Schmid Hohenberg 26, 29 u. s. w.

Der Zollergraf Albert der Minnesänger, gestorben 129«, wird im 11. Jahrhundert erwähnt. Albertus coines de Hohenberg et de Haigerloch duoa comitatus habuit antiquos valde, scilicet Haigerloch et Hohenberg. Matthiae Neoburgensis chronica ed. Studer bei Baumann 129; Schmid Graf Albert von Hohenberg I, 3S5.

Auch die Malstätte hiess nun Haigerloch.

1095 Haec traditio facta est in Castro Heigerlocli in pracsentia militum Arnoldi de Owingen (Owingen OA. Haigerloch) et Arnoldi de Kilchberg (Kirchberg, OA. Sulz) et Adalberti de Wildorf (Weildorf OA. Haigerloch) et Mauegoldi de Ahusin (Anhauser Mühle OA. Sulz, Alles Orte der Graf- schaft Haigerloch). Notit fund. St. Georg. Oberrhein. Zeitschrift 9, 219.

Der einzige Ort, der ausdrücklich als dem Haglegau an- gehörig genannt wird, ist somit das abgegangene Dahun oder Taha, OA. Haigerloch.

Zwei Zehntmarken, die von Empfingen und die von Bier- lingen lagen im Haglegau.

Die Empfimjer Mark wird in den Lorscher Urkunden von ~T2 7G9 11 mal bezeichnet. In pago Alemannorum oder in pago Alemanniae Amphinger oder Emphinger marca. Laur. 3261 3269, 3301, 3656. Der Ausdruck pagus der Urkunde von 792; In pago Amphinga in Amphinger marca. Laur. 3802 ist inkorrekt. Emptinger Feld ist eine von der Mark übrig ge- bliebene Gewann-Bezeichnung auf der Markung Dettensee. Als zur Mark gehörig werden 772 ausser Amphinga, Emphinga noch AVila (Weildorf), Taha und Fiscina (Fischingen, alle im OA. Haigerloch) und Muleheim (Mühlheim am Bach OA. Sulz) aulgeführt.

Zur Bierlinger Mark rechnet Baumaim S. 141 die ganze

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Pfarrei Bierlingen, nämlich die Orte des Oberamt Horb: Möhringen, Felldorf, Börstingen, Weitenburg, Sulzau und wahr- scheinlich Bieringen und Wachendorf und des OA. Haigerloch: Imnau, Kremensee, Hüfendorf.

Das Kapitel Haigerloch und damit der Haglegau gehörten auch dem System der Baren an (Kapitel 37).

In die Bertoltebar fielen:

772 In pago Alamannoruin in Bcrtoldesbaren Wisunstetten (Wiesen- stetten OA. Horb) item et Huliheim (Mühlheim OA. Sulz). Laur. 3278.

782 In pago Alamaunorum iu Bertoldesbare in Muliheim. Laur. 3273.

In die Perithilosbar fielen:

785 In paco Pirihteloni in villia Altheim (abgegangen, Altheimer Thal bei Bergfelden OA. Sulz) et Hoolzaim in loco qui dicitur Lahha (Holtz- haim, abgegangener Hof dea Kloatera Kirchberg, Gcwanu Lachenhalden und Lachenbrunnen zwischen Bergfelden und Kirchberg). Gail. 102.

780 In pago Pcrihtilinpara in Petarale (aonat Betberane im Reichen- bacher Schenkuugsbuch Wirt. II, S. 409; Bctra OA. Haigerloch), in Purrom (wahrscheinlich im Beurenthal bei Wittershausen OA. Sulz), in Usingum (Isingen OA. Sulz), in Wildorof (Weildorf, OA. Haigerloch), in Mereingum (Mühringen OA. Horb) etc. Galt. 108.

Heute ist der Norden uud der Süden des Haglegaus oder der Grafschaft Haigerloch württembergisch (die Herrschaft Balingen seit 1403), die Mitte, die Hohenzollernschen Herrschaften Haigerloch und Werstein, bildet den Bezirk des preussischen Oberamts Haigerloch.

7. Hattenhuntare.

Mit der Hattenhuntare (Huntare des Hatto) deckt sich das Kapitel Hechingen, wenn man dessen nördlichen Theil, den Bezirk auf den Härdten, davon ausschliesst. Es bleibt für die Huntare ein Abschnitt der Thalebene zwischen dem Abfall der Alb und dem Neckarthal, der Neckar selbst wird von ihr nicht errreicht. Es fallen also in sie der Zollerberg mit seiner Umgebung, die mittlere Starzei nach dem über decimationis von 1275 Cella (Mariazell) und Slate (Schlatt, OA. Hechingen) einge- rechnet— bis Rangendingen das. abwärts, und das obere Stein- lachthal bis Dusslingen OA. Tübingen.

Die Hattenhuntare ist jünger als der Sulichgau. Dieser hatte schon den Neckar überschritten, blieb aber in dessen Nähe: das weitere Stück der Ebene um die obere Steinlach

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bis zur Alb wurde dann von den Ansiedlern der Hattenhuntare in Besitz genommen.

Diese wird als Huntare, pagus und comitatus aufgeführt. Mössingen und Ofterdingen waren ihre Slalstätten.

77 'i In pago Alemannorum in Dalaheimer rnarca (Tlialheim OA. Kcttcnburg) in Hattenhuntare, quiquid habere videor. Laur. 3243.

78U In pago, que dicitur liattenhuntari in villa, que dicitnr Hachinga ( Ueehingen). Actum in villa publice Masginga (Mössingen OA. Rottenburg). Galt 123.

S17 gehörten zum Diensteinkommen eines Grafen Cunthard (eines Hattenhuntaregrafen (?) Güter in Biesingen OA. Hechingen), in ministerio Cunthardi comitis ad Pisingas (Biesingen in OA. Hechingen). Gail. 226 Wirt. 79.

S73 In pago Alemannorum in Daleheimer rnarca portionem meam in ecclesia illa, quae ibidem constructa est in Hattenhundre. Laur 3240.

888 In pago Hattinhunta (et Suligeiuua) in Peringarii (et Eperbardi) villa quae dicitur Tuzzilinga (Dusslingen, OA. Tübingen, das also zwischen den beiden Naehbarhuntaren getheilt war, übrigens dem Kapitel Hechingen angehürte). Wirt. 162.

Nach 1085 erscheint der erste beglaubigte Zollerynt/', comes Friedericus, de Zolra, Friedrich I. genannt Haute als Beklagter in placido, quod erat Oftirdingen (Ofterdingen OA. Kottenburg). Wirt. II S. 398.

Huutareuorte sind hiernach

OA. Hechingen: Biesingen;

OA. Rottenbnrg: Mössingen, Thalheim, Ofterdingen;

OA. Tübingen: Dusslingen halb.

Als zugehörig zur Perithilosbar werden im Gebiete der Huntare weiter aulgeführt :

786 In pago Perihtilinpara in his locis: in Pisingura, in Hah- bingum, in Wassingum (Bisingen, Hechingen, Wessingen, OA. Hechingen). Gail. 108.

Für die Huntare sind drei Zehnt marken vermerkt, die

Bmtu/er, ThaUu-imer und Möxshtger Mark.

789 In Bisinger rnarca. Laur. 3287.

Die Daleheimer rnarca wird ausser in den 2 schon genannten Lorscher Urkunden noch l3mal in den Jahren 765 873 aufgefiihrt. 3239, 3141, 3242, 3244—3253.

774, 777 In Messinger rnarca (Mössingen OA. Kottenburg). Laur. 3285, 3286.

Näheres ist von diesen Zehntmarkeu nicht zu sehen.

Die Hattenhuntare, die spätere Grafschaft Zollern oder Hohenzollern ist die Wiege des Hohenzollerngeschlechtes, wie der Käme bezeugt, welcher dem in ihr gelegenen Zollerberg entlehnt ist. Das Steinlachthal ging im 14. und am Anfang

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des 15. Jahrhunderts an Württemberg verloren. Der Rest war mit einem Theil der Huntare Burichinca, der späteren Graf- schaft Gammertingen verschmolzen und bildete seit dein Jahr 1623 die fürstliche Grafschaft Hohenzollern, dann das Fürsten- thum Hohenzollern - Hechingen , dann das hohenzollernsche Oberamt Hechingen (Siche meine Grafschaft Hohenzollern).

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Der nördliche (Jlbgau.

In dem auf der Ostalb urkundlich nachgewiesenen Albgau lagen an der linken Donau zwei ausdrücklich als Huntaren bezeichnten Bezirke, an der linken Lauchert die centena Alfa und östlich an sie anstossend die Suerzenhuntare. Der Albgau war daher ein Grossgau und man darf ihm nach seiner geogra- phischen Lage zwischen Donau und dem Steilabfall der Alb die weiteren Huntaren Burichinga, Munisigingerhuntare, Flina zurechnen.

Der Gross -Albgau fiel in den constanzer Archidiakonat Circa Alpes, (Rauhe Alb) der sich allerdings nach Norden und Süden zu weiter erstreckte, und in ihm deckten sich die Huntaren und Kapitel in folgender Art: Huntare Burichinga und Kapitel Trochteliingen, Munigisingerhuntare und Kapitel Münsingen, die Huntaren Affa und Suerzenhuntare und die Kapitel Riedlingeu, Munderkingen und Ehingen, soweit sie an der linken Donau lagen (S. 355), die Huntare Flina und das Kapitel Blaubeuren. Die westliche Grenze bildete der Ein- schnitt in der Alb, die nördliche, soweit die Burichinga l eichte, der Steilabfall der Alb selbst, während sich bei der Gründung der Munigisingerhuntare und der Flina auf der Höhe der Alb bereits ein dem Neckargau ungehöriger Rand der Hochebene vorgeschoben fand (S. 410).

Die linke Donau bildete die südliche Grenze des Gross- gaus und seiner Huntaren Affa, Swerzenhuntare und Büna, somit die Grenze des Stammlandes gegen Rätieu (S. 79). Die Huntare Büna überschritt jedoch von der Illermündung bis Laib den Fluss in geringer Ausdehnung, die erst eingetreten sein mag, als Rätien im 5. Jahrhundert alamannisch geworden

Crinir, Ueeohichte der Alamannen. 28

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war. Auch im Osten ist Laib als alemannischer Grenzort anzusehen, während um das Jahr 300 das weiter abwärts gelegene Günz- berg als das Ende Alamanniens bezeichnet war. (S. 19).

Die Besiedelung des Albgau wird von zwei Seiten erfolgt sein. Einmal von der Neckarebene aus Uber die Hattenhuntare weg, dann von der Donau aus; von beiden Seiten wird man zur Höhe der Alb emporgestiegen sein.

Was die Grafschaften angeht, so lebte der Albgau als Gaugrafschaft in der Erinnerung noch 1127 fort; als comitatus wurden bereits bezeichnet 778 Burichinga, 854 und 966 Swerzenhuntare, 904 Munigisingerhuntare und 961 Affa.

In den Urkunden wird die Alb auch als geographischer Bezirk zur Bezeichnung der Orte verwendet und ich rechne dahin folgende;

1102 Quicquid supra Alpes habere vidcor in loco, qui Blcichstetin (Bleichstetten, OA. Urach) dicitur. Wirt. 262. Der Ort liegt auf der Höhe der rauhen Alb, gehört aber der neckargauischen lluntare Swiggerstal an.

1068 Fraedium iu Villa et in Alpibus in loco Weichstetten (»b-

gegangen, Flurgegend von Laichingen OA. Münsingen) et Tennesheim (nicht zu ermitteln). Not. fund St. Georg. Oberrheinische Zeitschrift 9, 20t. Laichingen liegt in der Flina.

Soll dagegen der Grossgau bezeichnet werden, so heisst er Gau, pagus, 1127 comitatus.

Die Urkunden des Gross -Albgau sind nach Huntaren und Kapiteln getheilt diese:

1. Affa, Kapitel Eiedlingen.

1093 Villa Touwondorf (Daugendorf OA. Riedlingen) in pago nomine Uuf un Albun. Wirt,. 243, bei Neugart 829, wo dieselbe Urkunde gelesen wird Vnhnalbun.

2. Suerzenhnntare, Kapitel Ehingen:

1127 In comitatu Alpiuin est locus sylvaticus, aquis irrigens, de quarum profluvio nomen accipit Urspring (Urspring OA. Blaubeuren). Ad-

jacet Castro et villae Sch&lkalingin (Schelklingen OA. Blaubeuren).

ilansos apud Wagenweng (Musehonwang, OA. Blaubeuren) et apud Schel- kaliug. Facta est traditio apud villam Ehingin (Ebingen). Wirt. 290.

1309 und 1329 Algew. Die Urkunde handelt von Leibeignen de» Grafen Conrad von Schelklingen. Baumann 71.

1261 Fagus ufen Albe mit Vrankenhouen (Frankenhofen OA. Ehingen1 Pressei IJlmer Urkundenbuch I 114 bei Baumann 71.

Grossgauorte sind

OA. Riedlingen: Daugendorf;

OA. Blaubeurcn: Urspring, Schelklingen, Muschenwang;

OA. Ehingen: Ehingen.

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Hnntaren.

1. Affa.

Die Huntare Affa, der „Wassergau“, deckte sich mit dem Kapitel Riedlingen und dem Westen des Kapitels Munderkingen. An natürlichen Grenzen hatte sie im Westen die Lauchert, im Südosten die Donau etwa von Sigmaringendorf bis oberhalb Zell.

Sie heisst pagus, pagellus, 854, 961 comitatus, 990 centena.

836 In pago qui dicitur Appba in villi» nuncupatis Altheim (Altheim OA. Kiedliugen), Hruodininga (Riedlingen), Waldhusir (Wald hausen das.) et Ostheim (abgegangen bei Grüningen das ). Wirt. 109.

851 In comitatu Ruadolti comitis palatii, in pagello Affa in villa Antolvinga (Andelfingen das.). Wirt. 131.

004 In pago Appha in villa Merigisinga (Miirsingen das ), in Fridingon (Friedingen das ), in Zuiualtnn (Zwiefalten OA. Müusingen), in Uonoigon (Ganingen das.), in Heingon dimidium (Hayingen das.) Wirt. 175.

961 In comitatu Affa in loco Alzheim (Altheim OA. Kiedlingen). Wirt 216.

900 Centena (Erigeuue et) Apphon. Bad. 93.

1016 (Ergoja et) Aphou Wirt. 259.

Hnntarenorte: im Kapitel Riedlingen:

OA. Kiedlingen: Waldhausen, Altheim, Andelfingen, Riedlingen, Friedingen ;

im Kapitel Munderkingen:

OA. Riedlingen: Miirsingen;

OA. Miinsingen : Zwiefalten, Ganingen, Hayingen.

Da Hayingen auch zur Swerzenhuntare gerechnet wird, so werden die beiden Hnntaren den Ort halbirt haben, wie die Hattenhuntare und der Sulichgau Dusslingen.

Später zerfiel die Affa in eine westliche Grafschaft Veringen und eine östliche Grüningen.

2. Suerzenhuntare.

Die Huntare des Swerzo bestand aus Theilen der Kapitel Munderkingen und Ehingen und erstreckte sich an der linken Donau von Zell bis unterhalb Oepfingen.

Sie erscheint als Huntare, pagus, 854 pagellus und 854, 966 comitatus.

854. In comitatu Charonis comitis in pagello Suercenhnntare in villa Muotinga (Mundingcn OA. Ehingen), Stetiheim ; Stetten das.), Stiutzinga

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Altsteusslingen das.) et iu Heiginga (Hayingen OA. Miinsingen zur Hälfte hier, zur HSlfte in Affa) et Uuiltzinga (Ober-, Unterwilsingen das.). AVirt. 191.

960. Iu pago Suerzza in comitatn Gotefredi iu villa Alemuntinga (Allmendingen OA. Ehingen). AVirt. 197.

Die Malstättc der Huntare war nach ihrem Namen Sehwörzkirch (OA. Ehingen).

Huntarenorte sind somit

OA. Mttnsingen: Hayingen halb, Ober-, Unterwilsingen;

OA. Ehingen: Mnndingen. Stetten, Altsteusslingen, Allmendingen, Sehwörzkirch.

Im Bereich der Hnntare auch die S. 434 genannten Orte.

3. Buriehinga.

Der Huntare des Buricho entsprach das Kapitel Trochtel- fingen, das tlieils im Killer-, Felda- und oberen Lauchart-Thal, theils auf der Höhe der Alb lag.

Die Huntare wird als pagus, 772 und 774 als marea nnd 778 als comitatus bezeichnet. Sie war Huntarenmark.

772 In pago Alemaunorum in Burichinger marca et in Burdlaidingen (Burladingen OA Hechingcn) et in Alegingen (Mayingea, Haigingcn, ein abgegangener Weiler bei Bnrladingen) et in Merioldingen (abgegangen, jetzt Gewann Mertiugen zwischen Stetten unter Hollstein und Meldungen) et in Mulichingen (Meldungen OA. Sigmaringen) et AVillimundingen (AA'illmandiui'en OA Reutlingen) et Gencgingeu (Genkingen das.) et Gauzolfingen (Gausel- fingen, OA Hechingen). Gaur. 3275.

772 In pago Burchincas in Villa Willamundincas. AVirt. 14.

773 ln pace, qui dicitur Burichyngas. Gail. 70.

773 In paco, qui dicitur Burichingas. Actuum in villa publici, qui dicitur AVillimundingas. AVirt. 15.

774 In pago Alemannorum in Burichinger marca. Laur. 3276.

776 In pago Buriehinga in villa Gcnchingen. Laur. 3623.

77» In comitatu Erkenberti in Buringen (Burladingen) et Erphinga (Erpfingen OA. Reutlingen), Alerioldinga (abgegangen I et Mutilistat (Meidel- stetten OA. Münsingen). Laur. 3640.

8»5 In villa Untinga (Undingen OA. Reutlingen) vel in villa Genchinga. Actum in pago I’urihinga in villa quae vocatur Untinga publici. Signum- Ercanperti comitis. Gail. 185 und II S. 382.

Nach dem über dccimationis von 1275 gehörten zum Kapitel Trochtcl- fingen auch Jungentlml (Jungingen). Kilchwiler (Killer), Husen (Hausen ). also das Killerthal im OA. Hechingen.

Huntarenorte im Fehlatluil :

OA. Hechingen: Burladingen, Gauselfingen;

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aut der llülie der Alb:

OA. Hämmerlingen : Meldungen ;

OA. Reutlingen: Erpfingen. Willmandingen, Undingen, Genkingen ;

OA. Münsingen: Meideisstetten.

Später war die Burichinga die Grafschaft Gammertingen.

4. Munigisingerhuutare.

Der Huntare des Munigis entsprach das Kapitel Mönsingen. Sie wird als Hnntare, pagus, 904 als comitatus, 769—804 als marca bezeichnet; sie war Huutarenniark.

768—804 Munigesinger marca (15 mal) oder Munigisinger marca (4 mal). Villa Munigesinga. In Munigesinger marca in Villa Dragolvingen (Trail- fingen OA. Urach) et in Seburc (Seeburg OA. Urach). In Munigesinger marca et in Bernoldesbach oder Bertoldesbach (nicht zu ermitteln). Laur. 3206, 3207, 3209—12, 3214 25.

904 In pago Munigisingeshuntare in comitatu Arnold in locis nuu- cupatis Taffa (Dapfen OA. Miinsingen) et Ecchenhusa (abgegangener Ort bei Urafeneck OA. Münsingen) et in Egilinga (Egliogen OA. Miinsingen) Wirt. 174.

961 In Munigiseshuntare in Villa Potinga (Büttingen OA. Münsingen). Wirt 185.

Huntarenorte

OA. Urach: Seeburg, Trai! fingen;

OA. Münsingen: BUttingen, Münsingen, Eckenhausen bei Grafeneck Dapfen. Eglingen.

In Taffa. Ecchenhusa und Egilinga war königlicher Grundbesitz, quid- quid regiae potestatis, quidquid hactenus ad regiain ditiouem pertine-

bat, der daun zum Genuss des Grafen bestimmt war. posthanc ad comitatum Uium cedebat und im Jahr 904 von Ludwig dem Kind an das Kloster St. Gallen geschenkt wurde. Er bestand in ccclesia ot ccteris rebus omnibus, tarn domibus, quam aliis aedificiis, maucipiis, terris, agris, pratis, paseuis, silvis, aquis, aquarum decursibus, viis et iuviis. tributis omnibus etc. Wirt. 174.

5. Flina.

Die Flina umfasste das constanzer Kapitel Blaubeuren. Sie lag an der linkeu Donau von Oberdischingen bis gegen- über von Laib, überschritt jedoch bei Ulm vom Einfluss der Iller bis Laib den Strom; daher auch der umschreibende Xame pagus prope Ulmarn. Die Huntare wird nur als pagus bezeichnet.

Von der Flina redet die Urkunde über die Gründung des Klosters Wiesensteig vom Jahr 861. tpiartum locum in altero pago, qui dicitur

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Flina, hoc est villam lllam, qui dicitur Hohonatat (Hohenstadt OA. Geis- lingen) quicquid infra marcam ipsius villae est abBqne loco qui dicitur Uneisteti (abgegangen zwischen Westerheim und Laichingen OA. Münsingen).

Um 1106 Eggingin (Eggingen OA. Blaubeuren) in pago prope UJmam. Wirt. 307.

Hnntarcnorte

OA. Geislingen: Hohenstadt;

OA. Münsingen: zwischen Westerheim und Laichingen;

OA. Blaubeuren: Eggingen;

OA. Ulm: Ulm.

Nicht mehr zum Flinagau, sondern zum Brenzgau gehörte Fleinheim 1356 Flyn) OA. Heidenheim.

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der {fijestergau.

Zwischen den Grossgaucn Nagoldgau, Mortenau, Breisgau, Klettgau, Hegau und Albgau lagen das Gebiet der westlichen schwäbischen Alb und die anstossenden Flussthäler des oberen Neckar und der oberen Donau, Berg und Thäler, von denen man ohne Weiteres annehmen kann, dass sie einen Grossgau bildeten. Es entsprach ihm die nördliche Hälfte des oberen Archi- diakonats Vormwald (S. 339). Seine natürlichen Grenzen waren im Westen der Sehwarzwald, im Nord westen der Steilabfall der schwäbischen Alb, im Osten der Einschnitt, der sie in eine westliche und östliche Hälfte scheidet, im Süden die Gelände, welche die Donau umgeben.

Dieser Grossgau war der Westergau, der Gau der west- lichen Alb, der Gau des Königs der westlichen Alb, des Königs Vestralpus. (S. 42, 77).

Die spärlichen Urkunden Uber diesen Gau gehören sätntntlich der Lorscher Sammlung an.

767 In pago Westergowe in Tornegasteter marca (Dornstetten). Laur. 3803.

770 In pago Westergowe in Rosdorpher marca (unbekannt; man hat daher statt Rosdorph willkürlich Rohrdorf OA. Horb gelesen). Laur. 3293.

782 In pago Alemanniae in Westergouue in Corgozsinga (Gössliugen OA. Rottweil). Laur. 3306. Der Ort heisst 793 Cozninga, Gail. 135. Man hat statt Corgozsinga auch Eorgozsinga oder Argozsiuga (Ergenzingen OA. Rottenburg) conjekturirt.

Für die Bestimmung des Gaus scheiden die beiden ersten Urkunden aus. Denn Dornstetten gehört nach Urkunden von 770 und 783 dem Gross- Nagoldgau und seiner Huntare Waltgau (siebe dieselbe) an. und Kosdorf ist nicht zu ermitteln. Die Conjekturen zu den Urkunden von 770 und 782 sind ebenso zu verwerfen, da die gemuthmassten Orte gleichfalls im Gross- Nagoldgau liegen. Es bleibt also nur Gösslingen OA. Rottweil zur ur- kundlichen Feststellung des Bezirks.

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440

Nach dem Aufhüren der Gaugrafschaft Westergau trat an deren Stelle die Bertoltsbar, die auch die Huntaren Waltgau und Haglegau umfasste. Es ist daher erklärlich, dass der viel- genannte Name der Bar den des Westergans fast verdrängte, und es mag auch der Schreiber der Lorscher Urkunden von 767 die Grenze der Bar mit der des Grossgaus verwechselt und daher Dornstetten in den Westergau verlegt haben.

Wenn die Grenzen des Grossgaus sich nach denen seiner schon genannten Nachbargaue bestimmen, so sind seine Huntaren auf der Westeralb und im Donauthal Scherra, im Donauthal weiter aufwärts Purihdinga und Nidinga, im Neckarthal die Huntare des Kapitel Rottweil (mit Gösslingen), deren Name nicht bekannt ist (mit den späteren Grafschaften Sulz und Rottweil), und die dem Schwarzwald abgewonnene, erst im 11. Jahrhundert erwähnte Huntare Aseheim.

Die Huntare Scherra schliesst das Kapitel Ebingen in sich und theilt sich mit Purihdinga und Nidinga in das Kapitel Geisingeu, während Nidinga weiter und Aseheim im Kapitel Villingen liegen.

Huntarengrafschaften waren bereits Scherra 875, 889,

1092, Nidinga 881, Aseheim 1084, 1095. Ob letztere als Huntare noch dem Grossgauverband angehört hat oder erst nach dessen Auflösung gegründet ist, erscheint nach ihrer Lage im Gebirge zweifelhaft.

Huntaren und Grafschaften.

1. Scherra.

Die Huntare Scherra (niemals heisst es Scherragau) um- fasste das Kapitel Ebingen und den Osten des Kapitels Geisingen oder das Donauthal etwa von Tuttlingen an bis oberhalb Sig- maringeu und die Westalb mit dem für Nordwesten und Nord- osten schon angegebenen Grenzen des Grossgaus. Im Westen sind als äussersto Orte Trossingen, Schürzingen, Frommem angegeben.

Eine Urkunde von 10U5 leitet die Namen Scherra von serrne ab, nach Birliuger skär, Säge, FeUzackeu atu Wasser, im Donautbal und .Bärenthal

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losgewaschene und isolirt sich erhebende ungefüge Felsblöeke. Hier hat man die ersten Ansiediungeu zti suchen, die dann auf die Hübe der Alb emporgestiegen sind.

Die l'rkunden sind:

843 Ad ecclesiam, que instructa est in honore sancte Verenae in loco qui vocatur Bure (Strassberg OA. Gammertingen) in pago qui vocatur

Seerra quiequid proprietatis in Alamannia v'sus sum habore in

Scberzinga (SchBrzingen OA. Spaiehingen), in Richinbah (Reichenbach OA. Spaiehingen). in Trossinga (Trossingen OA. Tuttlingen), in Muleheim Mühlheim OA. Tuttlingen), in Hesstete (Messtetten OA. Balingen), in Storzinga (Storzingen OA. Gammertingen), in Hebinga (Ebingen OA. Balingen). Actum in Bure. Wirt. 109.

8G1 In Scherrun in locis Purron (Beuron OA. Sigmaringen), Puach- beim (Buchheim BA. Hügskirch) et in Fridingum (Friedingen OA. Tuttlingen) Gail. 485.

875 Adelbertus comes in suo comitatu, qui dicitur Schtrra, in loco qui vocatur Filisininga. (Vilsingen OA. Sigmaringen). Gail. 587.

889 Arnolfus rex. quasdam res jnris nostri in pago Perich- toltesbara in villa Esginga, quae ad comitatuin Adalperti. qui Seerra dicitur, usque buc pertinebant. Bud. 15. Der Künig Arnulf versclieukte oin Gut in Esginga, welches bis dabin zn dem Einkommen des Grafen von Scherra gebürte. Esginga braucht daher nicht in der Grafschaft zu liegen, und liegt nicht darin, mag es Douaueschingen oder Riodöschingen (BA. Hütingen) sein (Waitz, deutsche Verfassungsgeschichte IV, 141, 142).

889 Arnolfus rex quandum capellam in pago, qui vocatur Seerra, in comitatu Adelberti in locoNusbilinga (Nusplingen, OA Spaiehingen). Seng. 810.

1092 In villa Beroa (Beuron OA. Sigmaringen' sita in comitatu montium, qui vocatur Serrae.

1095 Cella apud Parmam (verschrieben für Beroa) in rupibus, quae Propter asperitatem videutur Serrae vocari.

1095 In pago Serrarum apud villulam Eusigesheim in loco qui dicitur Oberenholz.

Die 3 letzten Urkunden in der Notitia fund. des Klosters St. Georgen Oberrhein. Zeitschrift IX. S. 212, 218, 219.

Um 1200 In Scherrum Husen (Hausen BA. Stetten am kalten Harkt), Truckolvingen (Truchtelfingen OA. Balingen). Emmern ^ Frommem OA. Balingen), Vilsilingen (Vilsingen OA. Sigiuaringon). Arx Geschichte von St. Gallen I, 404 nach Stalin I 309.

1283 Redditus molendini de Werbenwag (Werenwag BA. Stetten) et redditus in oppido nostro Stetten (Stetten am kalten Harkt BA. Stetten). Scbmid Hon. Hohenberg 93.

Huntarenorte sind im 1. Kapitel Ebingen:

OA. Balingen: Frommer«, Truchtelfingen, Ebingen, Hesstetten;

OA. Spaiehingen, Nusplingen, Reichenbacb, SchBrzingen;

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BA. Stetten am kalten Markt: Werenwag, Hausen, Nusplingen,

Stetten:

OA. Sigmaringen: Vilsingeu, Benron;

OA. Gammertingen : Storzingen;

2. Kapitel Geisingen:

BA. Mösskirch : Buchheim;

OA. Tottlingen: Friedingen, Mühlheim. Trossingen (Trossingen ist ans zwei selbständigen Dörfern, Ober- und Unter-Trossingen zusammen - gewachsen. Das eine gehört hierher, das andere zur Hnntare Nidinga).

Huntaren Grafschaft, comitatus montium war die Scherra bereits 875, 889, 1092. Später war sie die Grafschaft

Hohenberg.

136t Comitatus et totnni dominium de Hohenberg war Gegenstand einer Verfügung des Grafen Rudolf III von Hohenberg. Mon. Hohen- berg 770.

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erzählt Mathias von Neuenburg: Albertus comes de Hohenburg et de Haigerloch duos comitatus habuit valde antiquos, scilicet Haigerloch et Hohenberg.

Neben dem neueren Namen Hohenberg hat sich aber auch der alte als Landschaft „uff der Schär“ erhalten.

1393 sprach der Herzog Leopold von seinem Nutzen uff der Schär,

1409 von seiner vest Hohenberg, die da gelegen ist an der Sclieer. Mon. Hohenberg 770.

1491 1500 bezeugte Gallus Oheim in der Chronik von Reicbenan S. 19 die Lage zweier Orte uff der Schär, allerdings unrichtig. Es waren Burchingeu oder Burladingeu und Ringingen OA. Hechingen. die nicht der Scherra. sondern der Huntare Burichinga im Gross-Albgau angehörten.

Noch heut zu Tage wird der Ort Harthausen (OA. Gammertingen) „Harthausen an der Scher“ im Gegensatz zu „Harthanseu bei Feldhausen (OA. Gammertingen) genannt, von denen das erste im Gebiet der Scherra, das andere im Bezirk der Burichinga lag, ein Beweis, wie die alte Scherragrenze im Volksbewusstseiu sich erhalten hat.

Dagegen steht die Stadt Scheer OA. Saulgau in keiner geographischen Beziehung zu der Scherra. Back, Oberdeutsches Flumamenbuch 236 erklärt den Namen als „an Klippen klebend“, aber die Klippen von Scheer gleichen nicht den Felszacken des oberen Donauthals. Möglich, dass in der Stadt Scheer eine Ansiedlung von ausgewanderteu Genossen der Scherra zu finden ist, welche sich in der benachbarten Huntare Ratoltesbucb niederliessen.

Von besonderem Interesse ist schliesslich der hohenbergische „For.it uff drr Mur", dessen Grenzbeschreibung vom Ende des 14. oder dem Anfang des 15. Jahrhunderts vorliegt. Schinid, Mon. Hohenbergica No. »90 und dazu die Karte in seiner Geschichte der Grafen Zollern- Hohenberg.

Nach dieser Grenzbeschreibuug umfasste der Forst zunächst die ganze Scherra, deren Grenzen gegen Nordosten (Steilabfall der Alb, Gross-Nagold- gau), gegen Osten (Einschnitt in die Alb, Gross-Albgau) und Südosten (Gross-Douaugau) genau die seinen waren. Gegen Westen begriff er aber

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auch einen Theil der Huntaren Pnrihdinga, Nidinga und das Kapitel Rott- weil bis an den Neckar in sich, umfasste also bis zum Neckar im Westen noch einen grossen Theil des Westergans.

Innerhalb dieser Landschaft nahmen die Grafen von Hohenberg .Forst“ in Anspruch d. h. den Wildbann, das ausschliessliche Jagdreckt im Gegen- satz zur „freien Pürsch“, dem freien Jagdrecbt. Es lagen aber grosse Bezirke der freien Pürsch in dieser Landschaft, sowohl in als ausserhalb der alten Scherra. die freie Pürsch der Städte Ebingen, Balingen und Hottweil rechts des Neckar (Meine Grafschaft Hohenzolleru 266, 273), so dass der „Forst uff der Scher“, was Raum und Recht angeht, theilweise eine blosse Prätension war. Wenn aber das angesprochene Gebiet über das der alten Scherra hinausging, so mag darin ein Nachklang an die Zusammengehörigkeit der Westergaugebiete enthalten sein.

Die Beschreibung des Forstes umfasst das Kapitel Ebingen und den Osten der Kapitel Geisingen und Rottweil. Von den unten zu nennenden Grenzorten gehörte aber eine Reihe benachbarten Kapiteln, Gauen und Huntaren an, so Emmiugen dem Kapitel Engen (Gross-Hegau), Erzingen und Engstlatt dem Kapitel Haigerloch (Gross -Nagoldgau und Huntare Haglegau), Burladingen und die Orte des Killer- und Fehlathals dem Kapitel Trochtelfingen (nördlicher Gross-Albgau und Huntare Burichinga) Vehringenstadt und Vehringendorf dem Kapitel Riedlingen (nördlicher Gross-Albgau und der Huntare Ada) und Rohrdorf dem Kapitel Mösskirch (Gross-Donaugau und Goldineshuntare). Nicht mehr auf der Höhe der Alb, wie die Nachbarorte, sondern in der Ebene liegt Engstlatt, Alles ein Be- weis, dass die angegebenen Grenzorte ausserhalb der Grenzlinie liegen (Vergl. Baumann 24). Mit diesem Vorbehalt ist die Grenzbeschreibung auch für die Grenzen der Scherra im Nordwesten. Nordosten und Südwesten Ton Wichtigkeit.

Als Grenzorte des Forstes auf der Scher sind von Süden aus angegeben

Emmingen, Bussendorf, Immendingen. Esslingen (alle BA. Möhringen), Lupfen (OA. Tuttlingen), Schaltenburg, der Stecbbach ab bis zur Necker- furt (zwischen Trossingen OA. Tuttlingen und Dauchingen BA. Villingen), Neckar ab bis in die Schlichen (Schlichem, die gegenüber von Epfendorf OA. Oberndorf mündet), diese hinauf bis in die Schwarzacli (südlich von Böhringen : Zimmern unter der Burg bis in die Nähe von Schömberg OA. Rottweil), Degwingen, (Dautmergen? von hier aus die alte Scherragrenze) Dütt- maringen (Dormettingen, alle OA. Rottweil), Ertzingen (Erzingen), Engs- latt (Engstlatt) in die alte Zollerstaig (bei Zollersteighof, alle OA. Balingen), in das Killerthal (die obere Starzei mit Jungingen, Killer, Starzein, Hausen, alle OA. Hechingen) untz gen Burlawdingen (Burladingen das.) und in die velg (Fehla über Gauselfingen das.), ab gen Nuffran (Neufra) bis in die Lauchert, Lauchert ab (Hermcntingen) bis Feringen (Vehringenstadt und Vebringendorf, alle OA. Gammertingen), weiter Lauchert ab, Yssykofen (abgegangene Burg zwischen Jungnau und Hornstein), Gorhen (Gorheim, alle OA. Sigmaringen), Uber Donau, Rohrdorf (Rohrdorf), Bucho (Buchheim), TUningen (Denningen, alle OA. Mösskirch), Emmingen (BA. Möhringen; bis hierher die alte Scherragrenze).

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2. Sulz.

Die Grafschaft Sulz mit der Stadt Sulz gehörte nach dem über decimationis von 1275 dem Norden des Kapitel Rottweil an. Die Grenzen waren im Norden der Waltgau, im Osten der Haglegau, im Süden die Grafschaft Rottweil, im Westen der Schwarzwald.

Der Name der Huntare ist urkundlich nicht überliefert. Denn in der einzigen Urkunde ohne Jahr: Villa Argossingen in Sultzgowe Hirschauer Traditionsbuch Bl. 99 muss, da Argossingen Ergeuzingen OA. Rottenburg ist und im Sulich- gau liegt, statt Sultzgowe Sulichgowe gelesen werden. (Siehe Sulichgau S. 419).

Die MalstÄtte ist Sulz.

7‘JO Actum in villa Sulza pnblici sub Geralde comife. Wirt. 37.

Grafen von Sulz werden wiederholt erwähnt.

1099 ist der cornes Alvicus de Sulzo unter den Stiftern des Klosters zu Alpirslmch. Wirt. 254.

1125 wird er regionis illius (des Alpinbacher Stiftungsbezirks'i cornes genannt. Wirt. 362.

114« wird ein nnderer Graf Alewig von Sulz bei der Vergabung von Gütern in Hausack und .Eiubach im Kiuzigthal an der Spitze der Zeugen aufgeführt; Oberrlieiu. Zeitschrift IX 224 und

um 1200 stand den Grafen Hermann von Sulz und seinem Sohn Alwig die causa judicialis villae Dornban (Dorntian OA. Sulz) zu. Besold, doc. rediviva 253 (Baumann 160).

Uundertenorte sind :

OA. Sulz: Sulz. Dornhan.

OA. Oberndorf: Alpirsbach.

3. Rottweil.

Den Süden des Kapitel Rottweil füllte die Grafschaft Rott- weil aus, deren ursprünglicher Huntarenname nicht bekannt ist. Ihr Gebiet wird mit dem der Rottweiler freien Pürsch zusammenfallen, deren rechts vom Neckar gelegener Tlieil von den Grenzen des Forstes auf der Scher umspannt wird.

Die Pürsch war das Gebiet der Stadt Kottweil; Grenzpunkto rechts vom Neckar waren Zeplenkan, Böhringen, Harthausen, Trieblingen, Bocbingeu, links vom Fluss Oberndorf. Hochmüssingen, Fluoru, Aickhalden. Sulgau, Sulgcn, Tischneck, Niedereschach, Deissliugeu -- im Norden lag die Grafschaft Sulz, im Westen die Morteuau, im Süden Aseheim, im Osten Sclierra.

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Grafen der Grafschaft Rottweil waren die Zähringer, Herzog Bertold II. 1099, Conrad 1140 und später Glieder des Hauses Teck, von dem der König Rudolph von Habsburg zwischen 1273 1291 das Geleite und die Gerichtsbarkeit in der Stadt Rottw'eil und in deren Gebiet, genannt freie Piirsch, sammt Zubehör kaufte, theoloneum et jurisdictionem apud Rotwil ac bona sive possessiones dictas Biirsse (cum) eorum pertinentiis, Rechte die später an seine Bürgin, die Stadt Rottweil übergingen. Die freie Pürsch, in Wahrheit ein freier Jagdbezirk, war das Gebiet der Malefizgerichtsbarkeit des Grafen, das Pürschgericht hatte seine Malstätte „unter der Linden auf der mittlern Stadt“ im nördlichen Theil des Dorfes Altstadt „an der freien offenen kaiserlichen Strasse.“ Baumann 163. Meine Grafschaft Hohenzollern 265.

4. Purihdinga.

Die pagus genannte Huntare lag innerhalb des Kapitels Geisingen und innerhalb des Forstes auf der Scher. Eine einzige Urkunde erwähnt zwei ihrer Orte, so dass die Grenzen nicht näher festzustellen sind.

791 In pago qui dicitur Purihdinga in villa Dirboheim (Diirbheim OA. Spaichingen) et in silla Speichingas (Spaichingen).

Huntarenorte

OA. Spaichingen: Spaichingen, Diirbheim.

5. Nidinga.

Die Huntare lag um Donaueschingen , ein Theil im Kapitel Villingen, ein andrer im Kapitel Geisingen. Nur Trossingen wurde von dem Forst auf der Scher berührt. Die Grenzen sind nur nach den Orten der Nidinga ungefähr zu bestimmen.

Die Bezeichnungen sind 881 comitatus, und 949 locus.

870 Actum in Nidinga (Neidingeu HA. Donaueschingen) publice, tiall. 551.

881 In Alamannia in comitatu Nidinga in pago Herechtoldesbara in villa Chenoinga (Klengen HA. Villingen). tiall. Gl 5.

949 l’redium quäle iu villa Drossinga (Trossingen OA. Tuttlingen) habuimua, jam ad locum Nidinga pertinens. Wirt. 182.

1296 Ich Hainrich der Nidinger von Fiirstenberg habe ver- kauft mein gut, das ze Haiudingen (Hondingen HA. Donaueschingen)

lit. Fürstenberg I. 642

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Huntarenorte

BA. Donauesehingen: Hondiugen, Xeidiogen;

BA. Villingen: Klengen;

OA. Tuttlingen: Trossingen (Trossingon ist aus zwei selbständigen Dörfern, Ober- und Untertrossingen zusammengewachsen, Baumanu 15-'. Das eine gehört hierher, das andere zur Scberra).

6. Aseheim.

Die Huntare machte den westlichen Theil des Kapitel Villingen ans, ihre Orte lagen in den Gebieten der Eschach und der Brigach, von denen die erstere einen Zufluss zum Neckar, die letztere zur Donau bildet. Ihre Grenzen werden mit denen des Kapitels übereinstimmen, soweit nicht im Osten die durch die untere Brigach getrennte Nidinga hineinreichte; im Norden stiess die Grafschaft Rottweil, im Süden die Tbeil- gaugrafschaft Alpgau, im Westen ohne Grenzen der Schwarz- wald an.

Der Name wird von Asch (Ober-Eschach BA. Villingen) abgeleitet. Die Bezeichnung ist nur comitatus.

10» 4 In pagum Bara, in comitatu Aseheim in quendam monticulum nigre Silvae, qui locus propter situtu terrae dici potest et est ipse vertex Aiemanniao (gemeint ist der ltossberg, nahezu 3200 Fass Uber der Sleeres- fiäche.) Notitia fundationis des Klosters St. Georgen, Oberrhn. Zeitschrift IX 198.

1094 Liberi de Aschaha (Eschach BA. Villingen). Daselbst IX 213.

1095 In pago nomine Bara in comitatu Aseheim, in silra, quam dicunt nigrum. juxta Humen Briganam (Brigach), in honore St. Georgii (St. Georgen BA. Villingen) inonasterium aedificaveruut. Bulle Papst Urban II, Scböpflin Als. dipl. 228.

1108 König Heinrich V. ebenso: Cella in pago nomine Bara in comitatu Aseheim, in Sylva quae dicitur Nigra juxta Humen Brigaham in honore Dei omnipotentis et St. Georgii martyris. Bad 28.

1139 und 1179 nennen lnnocenz fl und Alexander III unter den praedia des Klosters auch Aseheim. Oberrhein. Zeitschrift IX, 213.

Huntarenorte

BA. Villingen: Eschach. St. Georgen.

Die Huntare war zugleich Huntarenmark. „In der Baar, sagt Gothein in seiner Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwalds, I, 85, gehörte der Schwarzwald und der Riedstreifen an seinem Rand als gemeinsame Allmende dem ganzen Gau, der insofern eine einzige Markgenossenschaft bildete. Der Mittelpunkt der- selben war Aasen.“ (Da Aasen im Gebiet der Nidinga lag, so scheint Aseheim eine Abzweigung von ihr zu sein).

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„Die Bauern von Aasen waren desshalb auch die geschworenen Feinde der Klöster, die doch fern von ihrem Dorfe Rodungen und Besiedlungen Vornahmen, von St. Georgen und Tennenbach. So lebhaft sie ihre Ansprüche bald auf dem Wege der Gewalt, bald auf dem des Rechts geltend machten, mussten sie jedoch stets den Besitztiteln der Dynasten weichen, von denen auch die Klöster gegründet oder ausgestattet waren. Die Gemeinde Dürrenbach traf über eine meilenweit von ihr entlegene Wald- allmende im Kirnachthal eine Grenzentscheidung mit dem Tennenbacher Gut in Roggenbach. Sie hat offenbar diese Waldstriche aus der Landesallmende als ihren Antheil erhalten.“

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Die Mtorlenau.

Die Mortenau, jetzt Ortenau, im 4. Jahrhundert der Gau des König Chnodoinar (S. 71), war ein Grossgau, der das rechte Rbeinthal und den nördlichen Schwarzwald einnahin, und zwar von dem Oosbach, der alamanniscb-fränkischen Grenze im Norden, bis zur Bleiche, dem Grenzfluss gegen den Gross-, Breisgan im Süden. Das Rheinthal und die hier einmündenden Flussthäler des Gebirges, des Sandbach, der Acher, Rench, Kinzig, Schütter und anderer bis zur unteren Elz und der Bleiche waren die Etappen der Ansiedlung, von denen aus der Schwarzwald bezwungen wurde. Gen Osten reichte der Gau bis dahin, wo er mit den Rodungen der am oberen Neckar liegenden Huntaren Waltgau, Sulz, Rottweil zusammenstiess. Hier bildete die Hornisgrinde, der Kniebis und die Wasser- scheide zwischen der Rench und dem Harmersbach gegen die Wolfach die Grenze.

Die Mortenau, als pagus, 861 als pagellus, 926 als provincia bezeichnet, scheint sich lange als Gaugrafschaft erhalten zu haben. 961 heisst sie in geschichtlicher Erinnerung noch comitatns Mortenouua, und so mag es gekommen sein, dass die Urkunden die Bezirke übertragener Grundstücke nach dem Grossgau, nicht nach seinen Huntaren bezeichneten, jedoch mit einer Ausnahme in den unten angeführten Urkunden von 926 und 1070.

II u ii t a r e n.

1. 2. Kinzigdorf und Otenheim.

Nach der Urkunde von 1070 lag in comitatu Chinzidorö (Kinzigdorf, später die Stadt Offenberg) und zwar in Otenheim

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(OteDheim BA. Lahr) das praedium und castrum Ulmena (das also nicht etwa Ulm BA. Oberkirch sein kann). Die Ueber- tragung wurde vor dem Grafen Luitfrid auf der Malstätte Otenheim, comitiis ejus Otenheim habitis, verlautbart. 926 er- scheint auch Kinzigdorf als publicus mallus, (der unter der Linde war). Somit gab es eine Grafschaft Kinzigdorf, die aus zwei Huntaren : Kinzigdorf und Otenheim mit den gleichnamigen Malstätten bestehen mochte. Bemerkenswerth ist noch, dass 926 an dem Rechtsact auf der Malstätte Kinzigdorf nach dem Ausdruck der Urkunde nicht die Genossen der Huntare, sondern die des Grossgaus, und nicht nur die der Mortenau, sondern auch die des benachbarten Gross-Breisgau Theil nahmen. Kinzig- dorf und der benachbarte Weiler Uffhofen waren der Mittel- punkt einer Mark, die sich später in zwei sonderte, in die alte Mark mit Kinzigdorf, Uffhofen, Ort'euberg und den Reborten Zell, Weilersbach und Vessenbach und in die Griesheimer Mark mit Griesheim, Bühl, Weier und Waltersweier; die Ge- nossen der letztem Mark standen nur untereinander in Flur- gemeinschaft. Seit dem 16. Jahrhundert wurde Kinzigdorf mit der Burg der Zähringer Herzoge, dem castrum Offenburg, zur Stadt Offenburg verschmolzen. Gothein Wirthschaftsgeschichte des Schwarzwalds, I, 208.

In kirchlicher Beziehung gehörte die Mortenau zum Bisthum Strassburg und theilte sich in die Archipresbyterate Otters- weyer, Offenburg und Lahr. Im Norden grenzte das Bisthum Speyer, im Osten und Süden das Bisthum Constanz an. Im Gegensatz zu diesem specifiscli-alamannischen Bisthum mag dann die dem elsässischen Bisthum Strassburg angehörige Mortenau auch im Gegensatz zu Alamannien gedacht sein, z. B. Alsacinse, Mortenavia, Alamannia. Test, breve Fulradi bei Schricker Eisass S. 320. Siehe auch die Urkunde von 736.

Die Bleiche als Grenze zwischen der Mortenau und Breis- gau wie zwischen den beiden Bisthümern wird in der Urkunde von 1155 geschildert.

Leber die Mortenau reden folgende Urkunden:

763 Monasteriolura in Nigra Silva in marca Ettinheim (Euenheim'! in loco nuneupato mouachorum Cella super fluvio Undussa (Unditz) Ouidquid Ernust in Alamannia vel in Mordunouva visus est habere. In Mordunova in villa, quae dicitur Clupinheim (Kippenheim BA. Ettenheim). Xcug. 39.

Crimtr, Geschieht« «1er Alamannen. ‘jy

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777 Re* per loca diversa, tarn in Alisacius quamqnae in Mordinnauia. Quantum cumque in Alieacios at Mordenauia et Brisegauia. Wirt. 18.

777 (In Alsacis seu) in Morthenauia Frosenheim (Friesenheim BA. Lahr) Scofheim (Schopfheim das.) oinnia in Alsacinse, Mortenauia, Alamannia. Wirt. 19.

845 Othenhen (Ottenheim das.), Nunnenwilre (Nonnenweier das.), Gundeneswilre (nicht bekannt) in pago Martinhauga. Schöpflin Alsatia diplomatica 101.

861 Situm in pagellia (Prisigaugense, Aragaugense) Mortinausinse (Sasonia) in saltu Ska (nicht bekannt). Gail. 487 und Nr. 7 S. 386 Thl. II.

866 In Mortenogowa, Wirt. 141.

888 In pago Mortunouua vocato in comitatu Eberhardi in loci» Ouuanheim (Auenheim BA. Kork) et Baldanheim (nicht bekannt) Als. 120.

902 In Mortnowa in Hichenheim (Ichenheim BA. Lahr) et in Witti- limbach (Wittelbach das.) et in Uaminisburst (Gamshurst BA. Achem). Bad. 5 und mit dem Jahr 903 Als. 128.

926 Acta est chartula in publico tnallo in oppido quod dicitur Chincih- dorf (Kinzigdorf, später die Stadt Offenburg) corara frequentiam populi utriusque provinciae tarn Mortinangiae quam Brisigoviae, qui praesentes fuerunt. Neng. 714.

961 In comitatu Morteuouna in Villa Tuntelingo (unbekannt). Wirt. 185.

974 In villa Badelesbach (unbekannt) in Mortauova. Als. 153 und unter dem Jahr 997 Als. 175.

979 Situm in Mortenhouue. Neug. 773; Als. 161.

1009 Monasterium quod vocatur Offoniswilare (Scbuttem, BA. Lahri et est constitutum in pago Mortngaugensc super fluvium Scbuttem. Bad. 15.

1057 In Mortenowa. Bad. 19.

1070 Vir militaris Sigifridus praedium l’lmena (unbekannt) dietntn ejusdemque nominis castellum in comitatu Chinziluiorff (Kinzigdorf, später Offenburg) et Otenheim (Ottenheim BA. Lahr) situm Argentinensis (Strass- burg) ecclesiae procuratrici tradidit. Huic actioni pio assensu cum legali- judicum suorum laudatione Luitfridus comes affuit. Acta sunt sub Lnitfrido predicto comite, comitiis ejus Otenheim habitis. Als. 221.

1139 Monasterium Genbacbcensis (Gengenbach), quod in pago Mortuna- gensi juxta fluvium Kinzicha situm est. In Mortunagia Gengenbacb. Cella (Zell BA. Gengenbach), Steinach (BA. Haslach), Hademarsbach (Harmersbach BA. Gengenbach), Richenbach (Reichenbach das.) et quartam partem Gerolteshecke (Geroldseck BA. Lahr), Norderaha (Nordrach BA. Gengeubach1, Ichenheim (Ichenheim BA. Lahr), Scopfheim (Schopfheim das.). Kinsdorf (Kinzigdorf, später Offenburg), Lincgisen (Lim BA. Bischofsheim). decimas otiam curtis Tutsuelt (Tutschfelden BA. Kenzingen). ln Brise- gaugia Nuwershusen (Neuershauscu St. und BA. Freiburg), Wirt. 310. Tutschfelden ist hier ausdrücklich und im Gegensatz zum Breisgau als Ort der blortenau aufgeftihrt. Da es rechts von der Bleiche liegt, so erscheint eiue Urkunde von 973, Tuttersvelda in pago Brisikeuue, Wirt. 188, irrig

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1155 Grenzzug des Bisthums Constanz: Ad Üccidentem per Silvam

Nigra m Swarzwalt in pago Brisgowe inter Argentinensem episcopatum (Bistbum Strassburg) usque ad tiuvium Bleichaha, qui dirimit Mortenawe et Brisgowe, iode per decursnm cjnsdem aquae usque ad Khenuin fluvium. Neug. 866; Wirt. 852.

Gauorte sind hiernach :

BA. Achern: Sasbachried, (lamshurst,

BA. Bischofsheim: Linz;

BA. Kork : Auenhcim ;

BA. Offenburg : Kinzigdorf;

BA. Gengenbach: Keichenbach, Gengenbach, Nordrach, Zell, Har-

mersbach ;

BA. Haslach; Steinach;

BA. Wolfach: Kinkenbach;

BA. Lahr: Ichenheim, Ottenheim, Nonnenweier, Schlittern, Nieder-, Oberschopfheim, Friesenheim, Geroldseck, Wittelbach;

BA. Euenheim: Kippenheim, Ettenheim;

BA. Kenzingen: Tutschfelden.

(Schultze, Gaugrafschaften des alamannischen Badens, 8. 8—36.)

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Der ßreisgau.

Der Breisgau, nach dem mons Brisiacus der Römer (Alt- breisach) genannt, ein Gauname, der sich erhalten hat, hatte im 4. Jahrhundert den Gundomad und Vadomar, dann den Vadomar, dann den Vithikab zu Königen (S. 70). Er nahm das Rhein- thal und den anstossenden südlichen Schwarzwald ein. Mit ihm deckte sich der constanzer Archidiakonat Breisgau. Von dem Grossgau ist, soweit ich sehe, nicht eine einzige seiner Huntaren bekannt, während der Archidiakonat aus den Kapiteln Freiburg, Endingen, Breisach, Neuenburgund Wiesenthal bestand. Die Gau- orte lagen dicht gedrängt im Rheinthal, an der westlichen und süd- lichen Abdachung des Schwarzwaldes, und in den Thälern der in den Rhein mündenden Flüsse und deren Nebenflüsse: der Bleiche, Elz (mit der Dreisam), der Neumagen, dem Snlzbach, Klem- bach, der Kander, Wiese, Wehra und Murg und fehlten völlig im Osten, so dass hier die Grenze nicht nach den Orten her- gestellt werden kann. Der Grenzbestimmung dient aber der Umfang des Arcliidiakonats Breisgau und der angrenzenden Archidiakonate Klettgau und Vormwald, wie des Theilgan Alb und der Huntaren Aseheim und Rottweil. Während im Westen und Süden der Rhein von der Bleiche und ihrer Mündung in die Elz bis aufwärts über die Murgmündung Grenzfluss war. trat im Norden die Grenze gegen die Mortenau (die Bleiche mit Tutschfeldeu, Wirt. 188 und 310) und die Biegung der Elz (bei Oberprechthal) ein, im Osten die sich anschliessende obere Elz und weiter die Wasserscheide zwischen der Dreisam und der Brege, der Feldberg und die Wasserscheide zwischen der Murg und der Alb. Hier ist der äusserste „Gauort“ des Breisgau Nollingen BA. Säekingen. Gail. 15.

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Im Uebrigen die Gauorte einzeln aufzurühren, liegt hiernach kein gaugeographisches Interesse vor. Schnitze, welcher nicht unterscheidet, ob die Orte ausdrücklich nach dem Gau bezeichnet sind oder nicht, hat weiter im Südosten Säckingen selbst und iin Bezirksamt Schönau Hepschingen und Schönau und sonst über den ganzen Breisgau zerstreut eine grosse Anzahl von Orten. S. 52—113.

Der Breisgau, immer pagus und nur einmal pagellus und provincia genannt, wird sich nach Beseitigung des Gaukönig- thums lange als Gaugrafschaft erhalten haben. Noch 870, 1004, 1095 wird er als comitatus bezeichnet: in comitatu Prisegauge, Gail. 553; in comitatu Brisichgowe, Herrgott Gen. Habsb. II. 97; in comitatu Brisaguensi, Neugart episc. Constanc., S. 46, und so mag es sich erklären, dass die Orte nach dem Grossgau und nicht nach seinen Huntaren genannt sind. Die Bezeichnungen comitatus Breisgau mögen jedoch nur eine geschichtliche Er- innerung enthalten, denn schon im 9. Jahrhundert und später werden comitatus einzelner Grafen mit Ortschaften genannt, welche auf eine Mehrzahl von Grafschaften und also Huntaren schliessen lassen, z. B. 888 und 898 die Grafschaft des Wulfun, Gail. 666 und 716; die Grafschaft des Birthilo in den Jahren 962 und 993, Bad. 26 b und 12, in den Jahren 990, 994, 995, Neug. 785, 792, 796; die Grafschaft des Diethelm gleichzeitig im Jahr 771, Neug. 771 u. s. w., so dass es wahrscheinlich möglich sein würde, bei Zusammenstellung des gesanmiteu weitschichtigen Urkundenmaterials (S. 314) und des Umfangs der kirchlichen Kapitel Grafschaften und Huntaren zu ermitteln.

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Der Klettgau.

Klettgau und Hegau waren die Gaue des Lenzer; Priari war zur Zeit des Ammian König über einen derselben. (S. 69.) Der Albgau und der Klettgau, beides grössere Gebiete, liegen neben einander im Schwarzwald. Der Bezirk eines jeden wird durch zahlreiche Orte bezeichnet, aber drei Urkunden reden von vier Orten des Klettgaus, die mitten im Albgau lagen. Daraus geht hervor, dass jener der Grossgau war und dass er in zwei Theile zerfiel, den Klettgau im engeren Sinn und den Albgau.

Diese Auffassung wird durch die kirchliche Eintheilung be- stätigt. Mit dem Gross Klettgau stimmte der Archidiakocat Klettgau überein, und es entsprachen die Kapitel Waldshut (von dem 1788 das Kapitel St. Blasien abgezweigt wurde) und Stühlingen dem Albgau, das Kapitel Neunkirch dem Klettgau im engeren Sinne.

Huntaren des Grossgaus sind nicht bekannt, denn die beiden Gaue, die erst allmälig dem Schwarzwald abgerungen sind und in die Wildniss hinein sich erweitert haben, sind doch in dem uns überlieferten Umfang zu ausgedehnt, um als solche an- gesehen zu werden.

Seit dem 11. Jahrhundert erscheint der Albgau, durch die Schwarzach - Schlucht getrennt, in den oberen, die Land- grafschaft Stühlingen, und in den unteren Albgau, die Herrschaft Haueustein getheilt, wohl die alten Huntaren des Albgau.

Wenn der Klettgau und Albgau keine Huntaren waren, so ist es glaubhaft, dass sie je aus mehreren Huntaren bestehende Theilgaugrafsehaften waren, von denen (ähnlich wie der Tbur-

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gau und Zürichgau) bei der Auflösung des Gross-Klettgau der eine dessen Namen Grafschaft (Landgrafschaft) Klettgau be- wahrte, der andere den zusammenfassenden Namen des Albgaues annahm. In der That werden beide auch als comitatus be- zeichnet.

Die Grenze des Gross-Klettgaues bildeten im Westen die Wasserscheide zwischen der Murg und der Alb, im Süden der Rhein von da bis Schaffhausen aufwärts, im Osten der Randen, im Norden etwa der obere Lauf der Wutach.

Die Grenze der Grafschaft Klettgau giebt das Vidimus eines kaiserlichen Lehnsbriefes von 1490 (Meyer, Geschichte des schweizerischen Bnndesrechts, I 193) dahin an: Die

Grenze fängt im Osten an „in dem Urwerf vor Schaffhausen, geht von da den Rhein ab bis zur Mündung der Wuthach, ver- folgt diese aufwärts bis zum Schleitheimer Bach, diesen bis zum Randenburgor Egg und läuft von da, „so vil dan mit wasser und schnee gegen der grafschaft in Cleggow vlüsset“ zur Enge und von dieser „bis vornen in die gassen, die gen Schafliusen hinin gehet und den graben (die jetzige Katzensteige) hinab biz wider in das Urwerf.“

Die Wutach und der Schleitheimer Bach bildeten zugleich die Grenze zwischen den Grafschaften Klettgau und Albgau.

Theilgaugrafsehaften.

1. Albgau.

Der Name rührt entweder von dem Flusse Alb, der bei Albbruck in den Rhein fällt, oder von der Alp, einem hohen Gebirgsrücken westlich von Stühlingen her, und wird Albgau geschrieben. Die Bezeichnungen sind Gau und pagus, 1071 und 1112 comitatus und 1150 provincia.

Die Zugehörigkeit zum Gross-KletUjuu weisen folgende Urkunden nach:

912 ln loco Municbinga (Münchingen ÜA. Bonndorf) dicto in pago Clethgeuve. Neug. 680; Gail. 765.

976 Lutwanga in pago Cleggou, in der Handschrift in Albegon corrigirt. Casus Mon. Petrishus. I, 14 in den Mon. Germ, script 20, 631. „Lutwanga scheint abgegangen zu sein, wenn es nicht etwa in Ober- oder Unterwangen bei Bonndorf fortbcstehen sollte“; Baumann der Albgau in der Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg II, 14.

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1087 Zeugen de pago Cletgouwe de llodelingin, de Lienheim (Rüd- lingen UA. Schaffhausen und Lienheim BA. Iestetten, beide in der Graf- schaft Klettgau), de Witelsperk (abgegaugon Witlisberg bei Höchenschwand BA. Blasien), de Berouva (Berau BA. Bonndorf); de pago Brisgaugiensi U. s. w. Schaffh. 7, 2.

Die Urkunde fährt also Zeugen aus dem Klettgau und aus dem Breisgau auf und man ist berechtigt, ihr hinsichtlich der Heimath der Zeugen Glauben zu schenken, mithin anzunehmen, dass Witlisberg und Berau im Gross-Kletgau lagen. Baumann (das Kloster Allerheiligen in den Quellen zur Schweizer Geschichte III) ergänzt, da beide Orte auch in dem Albgau liegen „de pago Albigouwe“ und vor späteren Namen „de pago Eregouve“ und „de pago Undersce*, willkürliche Interpolationen.

Sonach sind Orte des Grossklettgau in der Grafschaft Albgau :

BA. Bonndorf: Münchingeu, Ober-, Unterwangen, Berau;

BA. Blasien : Witlisberg bei Höchenschwand.

Nach der Grafschaft Albgau selbst sind Orte bezeichnet wie folgt:

777 In pago Alpengowe in villa Lutinga (Luttingen BA. Waldshut). Laur. 3627.

781 In Alpagauia in villa Wizia. Actum in villa Wizia (Weitzen BA. Stühlingen).

814 In pago Alpagauia in villa qui dicitur Birchinga (Birkingen BA. Waldshut). Actum in villa Biridorf (Birndorf das.) Gail. 213.

844 In pago Alpegouve in villa quao dicitur Tezzilnheim (Detzeln BA. Waldshut). Neug. 308.

855 In pago Alpagouwe in villa nuncupata Luzheim (Lausheim BA. Bonndorf). Gail. 442.

858 Actum apud Tuoingen (Thiengen BA. Waldshut) coram populo Alpegonense. Rheinau.

858 Cellam quae dicitur Alba (Cella Alba, an deren Stelle das Kloster St. Blasien getreten), quae sita cst in pago Alpigowe Neug. 382.

861 In Alpegowe in villa Alaftin lAlpfen BA. Waldshut) Neug. 402.

866 In Alpegouuo cella quae dicitur Alba, Alapfa, Waldcbilcha (Waldkirch BA. Waldshut). Neug. 437.

873 In pago Alpigove in villa nuncupata Gurtwila (Gurtweil das.). Neug. 474.

874 In Pirithorf (Birndorf BA. Waldsbut) in pago Alpicauge ab istis villis id est ab ipsa Pirithorf et Pirihchinga (Birkingen BA. Walds- but et Chuchilipach (Kuchelbach das.) nec non et Puah (Buch das.), Ezili- wilare (Etzwiel das.) et Haidwilare (Hechviel das ). Gail. 585.

885 In pago Alpegoue et in Chuchelebacharo marcho (Kuchelbach BA. Waldshut.) quod in Alolfun est (Alpfen das ) in Chucbile-

bach in Piridorf (Birndorf das.), in Churtwila (Gurtweil BA.

Waldshut) et Araberge (Hügel zwischeu Gurtweil und Waldshut). Actum in Curtwila. Gail. 643.

890 In Alpagouvo Egipetingum (Ewatingen BA. Bonnderf). Gail. 674.

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894 Proprietatem in Alpigauge in loco qui dicitur Curtwila. in Tuotelingun (Dietlingen BA. Waldshut), in Ballenholz (Bannholz das.', in Tiufherreshusun (Tiefenbäuaern BA. Blasien). Gail. 691.

912 In Alpegeave locum Sreininga (Schwaningen BA. StUhlingen). Gail. 767.

917 Wilheim situm in Alpegeave in Alouplia (Alpfen BA. Waldshut). Actum in Alpegerve in Villa Eperolfuigga (Ehertingen BA. Stthlingen). Neug. 719.

948 Cnrtem Sueninga (Schwaningen BA. StUhlingen) in pago Alpe- gouue. Wirt. 181.

1071 In villa Ekkingon f Obereggingen BA. StUhlingen) in pago Alpe- gouue et in comitatu Uerhardi comitis. Bad. 21.

1106 In pago Alpegouve in comitatn Ottonis in loco Amelgerisfelth Amertsfeld bei Grafenhausen BA Bonndorf). Schaffh. 44.

1112 Quicquid proprietatis habere videor in loco Wilare (Weiler BA. Bonndorf). Ipsnm vero predium in pago Albigouwe in comitatu Bertoldi situm est.

Um 1123 Burzilun (BUrgleu BA. Waldshut) wird der Alpegowia zuge- theilt. Zapf. Monum. anec. I, 466 nach Neugart Üonst. XXV.

1150 Zwischen den Klöstern St. Blasien und Schaffhausen ist ein Streit entstanden de monte quodam Stouplien (Hochstaufen, südlich von Schluchsee BA. Blasien). Anwesend ist bei Schlichtung des Streits auch comes illius provincie Rudolfus de Lenzoburch (Lenzburg Ct. Aargau). Schaffh. 71.

Grafschaftsorte des Albgaus sind hiernach

BA. W'aldshut: Luttingen, Buch, Hechwiehl, Etzwiehl, Birkingen,

Bimdorf, Kuchelbach, Ober-, Unteralpfen. Waldkirch, Bannholz, der Hoch- ’taufen, Gurtweil, Burgien, Thiengen, Weilheim, Dietlingeu, Detzeln;

BA. Stühlingen: Obereggingen, Eberfingen, Weitzen. Schwaningen;

BA. Bonndorf: Weiler, Amertsfeld bei Grafenhausen, Lausheim,

Ewatingen ;

BA. Blasien: St Blasien, Tiefenhäusern.

(Siehe Tumbült. Die Grafschaft des Albgaus, Zeitschrift für die Ge- schichte des Oberrheins 46, 152.)

2. Klettgau.

Die Theilgaugrafsckaft, auch Kletgau, Chletgau, Cleggau und ähnlich geschrieben, wird als Gau und pagus, 844, 1023, 1067 als comitatus bezeichnet.

806 Csque ad Kenum fiuviuin in confinio Cletgowe et Hegowe in locum qui dicitur Enge (Schlucht oberhalb Schaffhausen) Neug. 158.

844 In pago Cleggouve in villa Louchiringa (Lauchringen BA. Walds- but). Actum in pago Chlegouve in comitatu Adelberti coram Gozberto »mite, Neug. 308; Rheinau 6.

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871 In pago Oblegowe in villa, qui (lieitur Altenburcb (Altenburg BA. Waldshut) et in silva Lotstetin (Lotstetten das.). Actum in villa Jesteten (Jestettcn das.) Neug. 442; Rheinau 11.

87G In pago Chlegowe in villa, quae vocatur Lozestetin et in Raffo (Rafz A Bülacli Ct. Zürich) et in pago Chleggowe in villa quae dicitur Arcingen (Erzingen BA. Waldshut) et in villa Balba (Balm das.) et in Jestetin et in Houestetin (Hofstetten Ct. Schaffhausen) et partem, quem habuit in Suabona (Halbinsel Schwaben bei Rheinau). Rheinau 14.

876 In pago Cleggouve in locis Wizwiia (Weissweil BA. Waldshut) et Arcingen (Erzingen das.). Rheinau 19.

878 Aehnlich wie die Urkunde von 876 Rheinau 14. Dazu noch als Orte des Klctgau Trasmundingen (Trasadingen Ct. Schaffliausenl et Reh- pergin (Rechbcig, BA. Waldshut). Rheinau 26.

892 Actum in pago Chleggouwe in villa Altenburch coram Gozperto comite. Rheinau 22.

912 In villa quae dicitur Hasala (Haslach bei Wilcbingen Ct. Schaff- hausen; in pago Chleggowe et in villa Ostrolvingen (Osterfingen das',. Actum in villa Hasala. Rheinau 25.

1023 Wizzinburc (Weissenburg. zerstört« Burg bei Weissweil BA. Waldshut) situin in pago Chegeuve. Rheinau 30.

1045 In villa Schafhusen (Schaffhausen) et in eomitatu Odalrici comitis atque in pago Cbletgouvi. Schaffh. 2.

1049 In pago Clechgovo Getlieliuga (GScblingen Ct. Schaffhausen), Sibilinga (Siblingen das.), Hovestat (Hofstetten das.), Heidestat (wo'-*). Aldenburg (Alteuburg BA. Waldshut), Balba (Balm das.), Swabouva (Halb- insel Schwaben), Rafla (Rafz Zürcher Bezirk Bülacli), Wolfenesriuti ( abge- gangen), Wilechinga (Wilchingen Ct. Schaffhausen), Haselaha (Haslach Schloss das.), Arzinga (Erzingen BA. Waldshut), Wizwiia (Weissweil das ), Locbringa (Lauchringen das.). Rheinau 31.

1056 Pertoldus eowes rnansum in villa Wicssa in Cleccouve. Schaffh. 4. Die Deutung von Wiessa auf Wiechs BA. Engen ist unmöglich, da Wiechs, im Kapitel Engen zweifellos im Gebiet des Gross-Hegau und der Huntare Bargen liegt. Im Ucbrigen ist Wiessa nicht zu ennittclp.

1067 Praedium suum in pago Cletgouve et Hegowe in romitatibus Gerungi et Ludowici coinitum siti. Schaffh. 6.

1087 Zeugen de pago Cletgouwe Geruugus coines de Rodelingin (Rüdlingen Ct. Schaffhausen), de Lienheim (Lienheim BA. Waldshut u. s. » Schaffh. 7, 2 (Siehe Albgau).

1092 Coines Burchardus de castello Xellenburk erklürt das monastcrium S. Salvatoris in pago Cletgouvc in villa Scafhusa (Schaffhausen) super litu“ Reni a progenitoribus meis constructum, videlicet Eberhardo ei religiöse comite in eodem monasterio monacho Dei gratia facto. Schaffh. 7.

1094 In villa Scaffhusa in pago Clecgouva. Schaffh 17.

1095 Praedia in Clectgouve in villis llallaugia superiori et inferiori (Ober- und Unterballau Ct. Schaff hausen). Schaffh. 26.

1120—24 item Sclmffb. 56.

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1125 Griezhein et in Riuti, (Uriessen und wahrscheinlich die Reute- höfe dabei BA. Waldshut), que arabe site snnt in pago Cleggouve. Rheinau 3t und 47.

Ohne I)atnm: In pago Chleggonve in Arzingin, Wizinburg, Wiswilo (wie oben). Rudelingin (RUdlingen Ct. Schaffhausen), Buchperch (Buchberg das ). Rheinan 44.

Orte der Grafschaft Klettgau sind hiernach:

Ct. Zürich. Amt BUlach: Rafz;

Ct. Schaffhausen: Buchberg. RUdlingen, Hofstetten, Enge, Schaff- hausen. Wilchingen, Trasadingen, Ober-, Unterhaliau, Gächlingen, Siblingen, Haslach;

BA. Waldshut: Lienheim, Lauchringen, Rechberg, Griesson, Erzingen, Lotstetten, Balm, Iestetten, Halbinsel bei Rheinau, Altcnburg.

Die Enge bildete die Grenze zwischen dem Klettgau und dein Hegau.

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Dreissigstes Kapitel.

Der Kegau.

Mit dem Hegau der Lenzer (jetzt auch Höhgau) deckten sich die Kapitel Engen und Stein und der rechts der Donau gelegene Antheil des Kapitel Geisingen. Für den Gau und den Complex dieser Kapitel bildete die Grenze im Süden der Rhein, wo die äussersten Gauorte die Enge bei Schaffhausen und Oehningeu BA. Radolfzell waren, im Osten eine süd- nördliche Linie, welche die Hegauorte Oehningen und Frie- dingen (BA. Radolfzell), Reuthe (BA. Stockach) und Hon- stetten (BA. Engen) einschloss, im Norden die Nähe der Donan oder der Fluss selbst, im Westen der Randen in seiner östlichen Abdachung. Die siidnürdliche Linie schloss sich augenscheinlich an die römische Grenzlinie Ad lines-Tasgetium (Pfyn-Ober- Unter- Eschenz) an. welche Obergermanien von Rätien trennte, denn Tasgetium, an dem Punkt gelegen, wo der Rhein ans dem Bodensee tritt, lag auch Oehningen gegenüber, so dass die angedeutete östliche Hegaugrenze zugleich die westliche von Rätien war. (S. 3, 70).

Nicht nur seine Grösse und die Zahl der ihm entsprechenden Kapitel charakterisiren den Hegau als Grossgau, es sind anch zwei seiner Huntaren durch ihre Lage im Gebiet des Hegaus und eiue davon auch durch urkundliche Ueberlieferung bezeichnet. Eitrahuntal und Bargen. Andere sind nicht bekannt. Eine spätere Erweiterung des Hegau war der Unterseegau.

Der Grossgau wird als Gau und pagus, 806 einmal als pagellus bezeichnet: auch die (Huntaren?) -Grafschaften der einzelnen Grafen werden als comitatus 1067, 1090, 1094 er- wähnt, und ebenso 1040 der comitatus Bargen.

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Ueber den Grossgau sprechen folgende Urkunden:

787 In pago Egauinsse in Villa que dicitur Slat (Schlatt BA. Engen) et in Jlulinusa (Mühlhausen das ), vel in Hegingas (Ehingen BA. Engen), nec non et in Walasingas (Welschingen das.), vel in Gundihhinova (Utten- hofen BA. Blumenfeld), eciam et in Usa (Hausen BA. Radolfzell). Actum Sisinga villa (Singen das.). Gail. 111.

788 In pago Hegaugense in locis Witartingas (Weiterdingen BA. Blumenfeld) seu et in Oningas (Oehningen BA. Radolfszell). Gail. 115.

806 Usque ad Renum ffuvium in confinio Chletgowe et Hegowe in locrnn qni dicitur Enge (Ct. Schaffhausen). Neug. 158.

806 In tertio loco qui dicitur Chirihheim (Kirchen BA. Möhringen) ’nper fluvium, qui dicitur Eitarhaha (Eitrach) vel in situ pagellis Heganvi. Gail. 190.

846 In pago Hegouve in locis Morinishusun (Merishausen Ct. Schaff- bausen) et in Bersiningum (Berslingen Thal das.) Actum in villa Rammes- heim (Ramsen das.) Gail. 400.

866 In Hadalongcella (Buch das.) in pago Heegewa. Wirt. 141.

892 In pago Hegowe in villa Buetiugen (Bietingen das.). Neug. 600. Rheinau 23.

997 In villa Toginga (Thaingen das.) in pago Hegou. Wirt. 198.

1067 Praedium in pago (Cletgouve et) Hegowe in comitatibus (Gerungi et) Lodowici comitum. Allerh. Schaffh. 6.

1071 In villa (Ensinshain, Ensisheim Kreis Gebweiler, Ober-Elsass ct) in Persiniugin (oben) in comitatu Lndewici. Rheinau 33.

1083 Biberacha (Bibern Ct. Schaffhausen) in pago Hegowe. Cbronicon Scbaafh. S. 240 nach Neug.

1087 Testes de pago Hegouvensi de Grizpach (Griesbach Ct. Schaff- bausen), de Singin (Singen OA. Radolfzell), de Houerhusen (nicht zu er- mitteln), de Slato (Schlatt BA. Engen), de Gielingen (Gailingen Ct. Gonstanz), de Engin (Engen). Schaffh. 7, 2.

1090 In villa Fridinga (Friedingen BA. Radolfzell) in Hegowe in comitatu Ludowici. Schaffh. 7, 3.

1092 Uodewicus comes de Stofiln (Hohenstoffeln BA. Blumenfeld) Schaffh. 15.

1093 ln pago Hegouwa in loco Biberacha (Bibern Ct. Schaffhausen) Schaffh. 16.

1094 In pago Hegouva in comitatu Ludowici in loco Wieseholza Wiesholz Ct. Schaffhausen). Schaffh. 24.

1101 In pago Hegowa in comitatu Lodewici in locis ze Ruti (Rcuthe BA. Stockach), ze Hohensteti (Honstetten BA. Eugen). Wirt. 261.

Um 1106 Actum apud Kammisheim (Ramsen Ct. Schaffhausen) in pago Hegowo in comitatu Udalrici comitis de Ramersperch. Wirt. 248; Rheinau 44; Baumann 83, Anm. 2.

Ohne Datum: In pago Hegouve in villa Morinshusin (Merishausen das.)

Ganorto sind hiernach:

Ct Schaffhausen : Enge Griesbach. Merishausen, Berslinger Thal,

Bibern, Thaingen, Buch, Ramsen, Wiesholz;

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BA. Constanz: Gailingen, Bietingen, Oehningcn, Singen, Friedinge^ Hausen;

BA. Stockach: Reuthe;

BA. Engen: Honstetten, Engen, Ehingen, Welschingen. .Mühlhausen. Schlatt.

BA. Blumenfeld: Uttenhofen, Weiterdingen, Hohenstoffeln;

BA. Möhringen: Kirchen.

II u ii t a r e n.

1. Bargen.

Die Huntare, etwa im Westen der Kapitel Engen ond Stein gelegen, wird als comitatus bezeichnet.

1040 In comitatu Bargen (Bargen BA. Engen) in Villa Lanha (Lohn Ot. Schaffkausen J. P. Uartmann Annales Hcremi S. 130. Siehe Neugart Hioec Const. S. XXXVIII.

Hnntarenorte:

BA. Engen: Bargen;

Ct. Scliaffhausen: Lohn.

2. Eitraliuntal.

Die Huntare, etwa im Kapitel Geisingen rechts der Donau gelegen, wird als pagus und Thal bezeichnet.

T70 In |iago, qui dicitur Eitraliuntal (nach dem Nebenfluss der Donau, der Eitrach) in vilia, qui dicitur Auwolvinca (Aulfingeu BA. Möhringen). Gail. 57.

«06 In tertio loco, qui dicitur Chiriliheim (Kirchen das.) super fluvium, qui dicitur Eitarhalia vel in situ pagcllis (sic), qui dicitur Hegauvi. Gail. 190.

Iluntarenorte:

BA. Möhringen: Aulfingen, Kirchen.

3. L’nterseegau.

Die alamannisch-römische Grenze zwischen dem Hegau und Kätien wird mit den Bewegungen des 5. Jahrhunderts in Weg- fall gekommen sein. An ihnen nahmen insbesonder die Lenzer den lebhaftesten Theil. Das beweisen die Orte Lenzer Namens im Westen und Süden ihrer Heimath, aber auch im Osten, dauu im Anschluss an das Lenzer Gebiet der Orte auf ingen die 40 Orte derselben Enduug. die sich im Norden der Bodensee- gebiete bis zum Schüssen finden, und endlich die Gemeinschaft

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der „alamannischen“ Sprache, die sich bei den Lenzem und ihren südlichen wie östlichen Nachbarn erhalten hat (S. 208, 241, 252, 257). Aber noch direktere Spuren der Zusammen- gehörigkeit der Lenzer und insbesondere des Hegaus mit dem Osten sind zu erkennen. Nach der Tradition des Mittelalters erstreckte sich das Gebiet des Hegau bis aufwärts nach Constanz, denn der Hegau hat nach dem Schaft hauser Chronisten Rüger I 14‘J „by der Costanzer Rhynbruggen, nach lüt der alton Grafen von Nellenburg marckbrieffen, angefangen und sich dem Rin nach durchnider erstreckt biz an das Urwerl', da der Land- grafschaft Kleckgöw hohe Oberkeit anfacht“. Von den Neueren erklärt Baumann in dem Vorwort der Quellen zur schweizer Geschichte III, dass der Unterseegau (bis aufwärts gegenüber von Constanz) stets ein Bestandteil der Hegaugrafschaft ge- bildet habe, und ebenso Schultze, Gaugrafschaften des alamannischen Badens 220. Für diese Gemeinschaft ist auch der Bannforst Hori zu verwerten, der teils dem alten Hegau, theils dem im Osten anstossenden Unterseegau angehörte. Und nicht nur der Unterseegau, sondern auch dessen östlicher Nachbar, der Linzgau, mit seiner Malstätte Linz weist vermöge des Namens auf die Lenzer hin.

Es erscheint daher nicht unwahrscheinlich, dass der Unter- seegau eine Erweiterung des Gross-Hegau aus der Zeit des 5. Jahrhunderts darstellte und dass er als neugeschaffene Huntare dem Gaukönigthuni , spater der Gaugrafschaft des Hegau augeschlossen wurde, während der Linzgau zu dem benachbarten Grossgau, dem südlichen Albgau, zu rechnen ist.

Der Unterseegau umfasste den Ueberlingcr See (im Westen von Ueberlingen ab), den Untersee bis zum Ausfluss des Rheins und die zwischen beiden Seen liegende hohe Landzunge, sowie die Insel Reichenau, endlich das Hügelland um Stockach, die Kapitel Reichenau und Stockach.

Die Bezeichnungen sind Gau in der Endung und pagus, jede sechs Mal in ebenso viel Urkunden, und so wechselnd auch die Bedeutung von Gau und pagus ist, so ist es doch immer ein politischer Verband, den diese Worte andeuten. Es ist daher nicht ersichtlich, wesshalb Baumann und Schultze den l'nterseegau nur für einen topographischen Begriff erklären.

4fi4

816 Monasterii Sintleozesavia (Kloster Reichenau BA. Constanz, dessen Gründer Sintlioz) quod est situm in dncatn Alamanniae in pago videlicet (Undresine. Neug. 188.

839 Quandam villnin constitntam sab jnre fisci vocabulo Potamicus Bodmann BA. Stockach), quae est sita in pago Huntarseue et appellatnr

Tetingas (Dettingen BA. Constanz) et hobas sitas in villa, quae

appellatnr Alaholuesbah (Allensbach das.) Terras quae in Luzzilonsteti

(Ijtzelstetten das ), Uualahuuis (Wahlwies BA. Stockach), Nanzingas (Nen- zingen das.) esse noscantur nostra. Bad. 3.

860 Villulam nomine Mechinga (Möggingen BA. Constanz), quae est sita in pago Untarsee et mansum in villa, quae dicitur Chutininga (Güttingen das.). Gail. 477.

886 (Siehe Urkunde von 839). Quandam villam constitntam suh jure fisci vocabulo Potamicus, quae est sita in pago Unterseue et appellatnr

Tettingas et hobas in villa, quae appellatnr Alolvesbach, et tributum

quod Kadpold ad supradictum fiscum persolvebat ab his locis, quae Uualavuis, Lutternninga (Liggeringen BA. Constanz) et Roehrnang (Röhrnang das.) nominantur. Terras, quae in villis Lucilonstete, Uualavuis et Nancingas esse noscuntur. Bad. 13.

892 Augiensis monasterii (Kloster Reichenau) in pago Untarsee, Bad. 19.

1094 In pago l’ndersee in comitatu Ludowiei in loco Orsinga (Or- singen BA. Stockach). Schaffb. 23.

Huntarenorte:

BA. Constanz: Reichenau, Allensbach, Litzelstetten, Dettingen. Möggingen, Güttingen, Liggeringen, Röhrnang;

BA. Stockach : Bodmann, Wahlwies, Orsingen, Nenzingen.

Sehr bemerkenswerth für die Geschichte dieser Gebiete ist das llort, heute das Höri, ein Bannforst, dessen Besitz der bischöflichen Kirche zu Constanz durch eine Urkunde des Kaiser Friedrich I. von 1155 bestätigt wurde. Wirt. 362. Das Hori gehörte, wie schon bemerkt, theils dem alten Hegau, theils dein Unterseegau an Seine Grenzen waren im Hegau Eigel- tingen, Aach, Fluss und Stadt, bis Kicsalingen, Ramsen, Flüsschen Biber bis zum Eintluss in den Rhein bei Bibern, der Rhein bei Oehningen (bis dahin im Gebiet der Kapitel Engon und Stein und des Hegau). Dann tritt die Grenze in die Kapitel Reichenau und Stockach und den Unterseegau ein. Sie umkreist den Schienenberg und berührt den Zeller See bis Radolf- zell, Staringen, Wahlwies bis wieder Eigeltingen.

Der pagellus Biskoffeshori, der in derselben Urkunde erwähnt wird, lag im Thurgau.

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eualamannisehe

Gaue

des zweiten Rätiens.

C r .1 m e r , Ue»cluoht« der Aiam^nnen.

30

Einunddreissigstes Kapitel, fclebersicht.

Von dem Theil des zweiten Rätiens, den die Alamannen im 5. Jahrhundert besetzten, dem Neualamannien rechts des Rheins, sind die Grossgauverhältnisse durch die Urkunden nur lückenhaft überliefert. Im äussersteu Osten sind an beiden l'fern der Donau der Riesgau und der östliche Augstgau (beide dem Bisthum Augsburg angehörig) nachzuweisen und weiter in dem Strich an beiden Seiten der unteren Iller der Illergau, von dessen Huntaren nur Eine, der Nibelgau, feststeht. Wie weit sich der Gross- Illergau gen Westen erstreckte, welche die anderen Grossgaue Oberschwabens waren, ist unbekannt. Man sieht nur eine Anzahl von Huntaren, die anscheinend ohne den Zusammenhang höherer Verbände gewesen sind; verdunkelt oder verlöscht ist die Erinnerung an die Grossgaue durch die jüngere Schicht der Bargrafschaften. Hier tritt an die Stelle der Urkunden die Combination, allerdings nur mit unsicherer Gewährleistung ihrer Ergebnisse.

Die Gestaltung Oberschwabens, die Sprache und die kirch- liche Eintheilung geben Anhaltspunkte. Oberschwaben dacht sich theils in wellenförmigen Erhebungen nach Süden zum Rodensee, theils in flacher Ebene nach Norden zur Donau ab, aber das Relief ist nicht prägnant, und man kann daher nicht, wie bei der Alb, ohne Weiteres sagen, dass die Grenzen des Grossgau der Wasserscheide folgen werden.

Mit dieser fallt jedoch ungefähr die Sprachgrenze des O.— 15. Jahrhunderts zusammen, so dass an der südlichen Ab- dachung die alamannische, an der nördlichen die schwäbische (suevische) Mundart herrscht, eine Unterscheidung, die auf den

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Gegensatz von Xichtsueven und Sueven zurückzuführen ist (S. 255 u. flgde., 271), und ein Anhalt dafür, dass die Abdachung zum Bodensee von den gleichsprachigen Gauen des lenzischen Hegau und Klettgau, sowie des Breisgau, der Mortenau, viel- leicht auch von den schweizer Gauen, die Abdachung zur Donau von den gleichsprachigen Gauen, dem Albgau, der östlichen Hälfte des Westergaues, dem Nagoldgau, dem Xeckargau und anderen nördlich gelegenen, besiedelt ist.

Auf der Abdachung zum Bodensee stiess im Westen an den Hegau (alamannischer Mundart), dessen neualamannische Erweiterung, die Huntare Unterseegau mit den Kapiteln Reichenau und Stockach des Archidiakonats Vormwald, von der bereits S. 462 die Rede war.

Der im Osten anstossende Archidiakonat Alpgau (Algovia, Allgäu) erstreckte sich weiter über die Abdachung zum Boden- see in dessen Xorden und Osten, und da alle Archidiakonate (mit Ausnahme des Vormwald) Xamen von Grossgauen tragen, so kann man für den entsprechenden Grossgau den gleichen Xamen Alpgau annehmen (S. 339, 340); den südlichen im Gegensatz zu dem nördlichen der schwäbischen Alb.

Die Urkunden kennen nur den Xamen einer Huntare Alpgau (Allgäu) in den nach ihr benannten Allgäuer Alpen. Als Ansiedlung im Gebirge mag sie jüngerer Zeit angehöreu, und von der Xachbarhuntare des Gaus (dem Argengau) erst ab- gezweigt sein, als der Gau und der Gaugrafschaftsverband schon aufgelöst war, die Huntaren nicht mehr nach dem Gau, sondern nach dem eigenen Xamen bezeichnet wurden, und der Gross- gauname zur Bezeichnung der neugeschaffenen Huntare aus- reichte.

Legt man auch für die Abdachung zur Donau die Archi- diakonatseintheilung zu Grunde, so zeigt sich, dass die Donau- ebene südlich von Friedingen bis Ulm in zwei Abschnitte, in zwei Gaue, zerfiel, deren unterer, der Illergau, im Umfang des gleich- namigen Archidiakonats sammt der in den Xaehbarareliidiakonat Allgäu verlegten Huntare Xibelgau, deren oberer ein dem Namen nach unbekannter Gau, den ich in Analogie von Rhein- und Neckargau den Donaugau nennen will, war. Letzterer ist theils mit dem Alb- und dem Neckargau in den Archidiakonat Circa Alpes (Rauhe Alb), theils mit dem Hegau, Westergau

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m

und Xagoldgau iu den Archidiakouat Ante Nemus (Vormwald) aufgegangen.

So ergeben sich als neualamannische Grossgaue im zweiten Rätien am Bodensee der südliche Alpgau (Allgäu) alamannischer Mundart und an der Donau der Donaugau (?), Illergau, östliche Augstgau und Riesgan, alle (mit einer Abweichung im Illergau) schwäbischer Mundart.

Die Namen des Angstgau und des Riesgau geben römische Namen wieder: jener den von Augusta Videlicum (Augsburg), dieser von Raetia.

Das Bisthnm Augsburg unterschied in seinen Einteilungen an der rechten Donau Suevia, welches dem Augstgau, an der linken Donau Raetia, welches dem Riesgau entsprach. Aber im Mittelalter erhielt sich der Name Ries auch iu Suevia. Nach Aventins Chronik sagte man: Augsburg im Riess, nach einer Augsburger Chronik von 1483: Die statt Augspurgk im obern Riess.

Von Bearbeitungen sind für Baden ■Schnitzes, für Württemberg Baumanns Gaugrafsehaften. für Baiern von Pallhausens Nachtrag zur Urgeschichte Baierns, vou Längs Baierus Gaue und Steichelcs Bisthum Augsburg zu nennen.

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Zweiunddreissigstes Kapitel.

Der südliche (Jlpgctu.

Um den Grossgau im Norden und Osten des Bodensees zu finden, muss man von dem Archidiakonat Alpgau (Allgäu) aus- gehen (S. 468), von dessen Namen auf den gleichen des Gross- gans zurückzusehliessen ist.

Der Archidiakonat umfasste die Kapitel Ueberlingen. Theuringen, Ravensburg, Lindau, Bregenz, Weiler, Stiefenhofen und Isnv.

Davon scheidet hier das Kapitel Isny mit der Huntare Nibelgau aus, welche urkundlich dem Gross- Illergau angehörte (S. 468). Es bleiben für den Gross-Alpgau die Kapitel Ueber- lingen und Theuringen (von letzterem die südlichen zwei Drittel) mit. der Huntare Linzgau, die Kapitel Theuringen (nördliche Drittel) und Ravensburg mit der Huntare Schussengau, das Kapitel Lindau mit der Huntare Argengau, die Kapitel Bregenz. Weiler und Stiefenhofen mit der Huntare Alpgau. An den Grenzen drang aber die Hnntare Argengau in die Kapitel Bregenz (mit der Stadt Bregenz), Weiler (mit Niederstaufen und Opfenbach) und Ravensburg (mit Tettnang) ein. Die politischen wie die kirchlichen Bezirke lagen auf der südlichen Abdachung zum Bodensee im „alamannischen“ Sprachgebiet (S. 257, 271). Der Gross-Alpgau mit den Huntaren Linzgau. Schussengau, Argengau, Alpgau hatte als Grenzen: im Süden den Bodensee, im Westen die Schüssen, im Norden die Bomser Höhe, den Altdorfer Wald und die obere Argen und umfasste weiter im Norden und Osten die Allgäuer Alpen mit dem Quell- gebiet der Iller und dem Bregenzer Wald. Die umgebenden Grossgaue waren der erweiterte Hegau, Donau- und Illergau, der östliche Augstgau, Currätieu und der Thurgau.

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Die letzte Besiedelung ist den Allgäuer Alpen zu Tlieil ge- worden. Sie erfolgte von Westen aus, wie die gleichen Grafen und die Entwickelung der kirchlichen Verbände ergeben und die Ge- meinsamkeit der alamannischen Mundart zurfickschliessen lässt. Denn im 9. Jahrhundert hatten der Linzgau, der Argengau und der Alpgau dieselben Grafen. Noch 1324 gab es ein Kapitel Egebrechtshofen, das sich über die H untaren Argengau und Alpgau erstreckte; 1353 war es schon in zwei; Lindau (für den Argengau) und Grünenbach (für den Alpgau) getheilt und bei zunehmender Bevölkerung wurde dann im 16. Jahrhundert das Kapitel Lindau wiederum in zwei : Lindau und Bregenz, und ebenso das Kapitel Grünenbach in zwei: Weiler und Stiefen- hofen, zerlegt. Weiter schliesst sich die „alamaunische Mund- art“ an den Hegau an und nimmt, wie sich weiter zeigen wird, im Norden und Osten der Huntare Alpgau ein Ende, damit zugleich die Grenze der westlichen Einwanderung und Besiedlung andeutend.

Wenn diese äusserste im Gebirge gelegene Huntare den- selben Namen trägt, wie der Grossgau, so mag sich das damit erklären, dass der Gaugrafschaftsverband wohl schon aufgelöst war und die einzelnen Bezirke bereits Huntarengrafschaften waien, als die dichtere Besiedelung der Allgäuer Alpen in Angriff genommen und hier die neue Huntare geschaffen wurde. Da reichte der Name des Grossgaues, der im Uebrigen bereits vacant geworden war, zur Bezeichnung der neuen Huntare aus.

Huntarcn und Zehntscliatten.

1. Linzgau.

Der Linzgau ist der Gau der Lenzer, Lentienses. Linz war die Malstätte und das Flüsschen, an dem sie lag. Bis zum Schüssen trugen die lenzischen Ansiedler die Ortsendung ingen (S. 252), und sie mögen der Huntare ihren Stammnamen gegeben haben, indem sie einem neu gegründeten, fremden Grossgau sich anschlossen. Die Huntare stiess im Süden an den Bodensee von Ueberlingen (eingeschlossen) bis zum Schussen-

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ausfluss, im Osten an die untere Schüssen bis aufwärts etwa Amtszell OA. Ravensburg, im Nordosten von da bis Riedhausen OA. Saulgau, im Nordwesten von da bis Ueberlingen.

Der Huntare entsprachen das Kapitel Ueberlingen und die südlichen zwei Drittel des Kapitels Theuringen.

Die Bezeichnungen sind Gau, pagus, neunmal comitatus, 783 zweimal situs. Später bildete die Huntare die Grafschaft Heiligenberg.

771 In pago Linzgauvia in villa Ailingas (Ober-, Unter-Ailingen OA. Tettnang) et in alio loco, qui dicitur Scuzna (Ort an der Schüssen). Actum Helingas villa (Ailingen). Gail. 59.

778 In pago Linzcauvia in villa, que dicitur Fisbabc. Actum in Fiscbbnhc villa publici <,Fischbach OA. Tettnang). Gail. 84.

779 In pago Linzgauginse in villa qui dicitur Perinadingas (Berma- tingen BA. Salem). Gail. 87.

783 In situ vel in pago Lincaugiensi in villa, que dicitur Aldonpurias (Altenbeuren BA. Salem). Neug. 84.

783 In pago vel in situ Linzgauwa in villa qui dicitur Duringas (Ober-, Unter-Theuringen OA. Tettnang). sub Ruadbetto comite. Gail. 100.

786 In pago Dinzguugiensi in villa qui dicitur Chnuzesvilare (Gunzen- haus? OA. Tettnang). Actum in villa Duringas (Theuringen) publici. Gail. 106.

788 In Linggauia situm Gaerrinberg (Giihrenberg BA. Heiligeuberg' in loco nuueupante Houusteti (wo?). Actum in villa Perahtmoiingas (Ber- matingen BA. Salem) publice sub Kuadberto comite. Gail. 119.

816 ln pago Linzgeuve et in loco qui voeatur Werinpertivilare (Wermetsweiler bei Markdorf BA. Meersburg), qui dicitur esse iu marclia Duringas. Actum in Cella Majunia (Mannzell OA. Tettnang) sub Odalricho comite. Gail. 219.

816 In pago Linzgaue in territorio pertinente ad villam Duringa (Theuringen). Wirt. 74.

826 In pago Liuzgauge et in locis nuneupatis, videlicet in Stetiu (Stötten BA. Meersburg) et in Scugginuothorf (Schiggendorf BA. Heiligeu- berg.) Gail. 314.

844 In Liutzgauge et in loco qui uominatur Wickinhusa (Wiggen- hausen OA. Tettnang) in Turingaro marca (Thouringen). Gail. 390.

849 In Linzgauve in ville Wildorf (Weildorf BA. Salem), in Lindol- veswilare (wo?) et in Wintarsulaga (Wintersulgen BA. Heiligenberg). Gail. 408.

860 61 In pago Linzigouvo in loco qui dicitur Keranberg (G8hren- berg BA. Heiligenberg). Actum in Roekanburra (Roggenbeuren BA. Meers- burg), sub Oadalrieho comite. Gail. 475.

861 In comitatu Linzigauge in loco Eigileswilare (Eggenweiler OA Tettnang). Gail 479.

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864 In pago Linzgauge in vilia, que dicitur Adaldrudowilare (ab- gegangen). Gail. 605.

766 In pago Linzgauie in vilia qne ilicitnr Sikkinga (Ober-, l’nter- Siggingen BA Heiligenberg) publice sub Oadalricho coinite. Gail. 517.

873 In dncatu Alamannico in pago I.inzgoue in coinilatu Odalrici comitis in vilia. qua vocatur Eilinga (Über-. Unter- Ailingen OA. Tettnang), in vilia quae dicitur Throoanteswilare (Trutzenweiler OA. Kavensburg) et ad Haboneswilare (Happenweiler das.'. Gail. 573.

879 In pago , qui dicitur Linzgauge et in locis nuncupatia Pruantesunilare et Eilingum et Habenuuilare (wie oben) Wirt. 155.

890 Udalrico cuidam coroiti de Lintzgouwe Omne» principes de

tribua comitatibns. id est de Turgeuve. de Lintzgonve et de Rnaetia Curiensi cum reliqun popnlorum multitudine comitatus divisernnt terminuin inter Durgeove et Rhingeuve. Gail 860.

892 In pago Linzgowe in vilia Heichenstege (Aicbstegen, jetzt Löwen - tbal OA. Tettnang). Laur. 2470.

913 De Linzgenve. Gail. 774.

973 In eomitatu Linzihkeuue Tvzindorf (Daisendorf BA. Meersburg), Turinga (Theuringen OA. Tettnang'. lliutin (Reute das.'. Wirt. 188.

1018, 1027, 1040 ebenso. Wirt 214, 220, 223.

1058 In vilia quae vocatur Ouueltingcn (Uhldingen BA. Salem) in nago Linzgowe in eomitatu Ottonis couiitis. Casus Peterbus. Mon. Germ, script. 20, 042.

1094 In pago Linzigouva in eomitatu Ottonis in loec Urenonva (Uruau BA. Ueberlingen). Sckaffh. 20.

11’ 7 Pagns Linzgo mit Pfruwanga (Pfraugen OA. Saulgau). Mon. Germ script. 20, 661.

1121 In pago Linzgouwe in eomitatu Hartmanni comitis partem villae, que dicitur Pfruwanga cum prediolo Tauerna (Täfern BA. Heiligenberg) vocitato. Wirt. 274.

1135 Villa Frichingen (Frickingen BA Heiligenberg) in pago Linzgowe in eomitatu Heinrici comitis. Casus Peterhus. Mon. Germ, script. 20, 667.

1143 Pagus Linzon das. 20, 673.

1151 Horinguncella (Horgenzell BA. Ravensburg) et caetera in pago Linhgowe. Wirt. II, S. 440.

1158 In pago Lienzegowe in vilia Lctistetin (Leustetten BA. Heiligen- berg). in Liupretisruti (Lippertsreute BA. Ueberlingen), in vilia Odiltiugcn (Uhldingen BA Salem), in Menzilshusin (Mendlishausen BA. Salem). Wirt. 366.

1272 Pagus Linlzegoe mit Tepfenhart (Tepfenhart BA. Salem), Adilristi (Adelsreute BA. Meersburg). Curt. Salem III, 102.

1282 Der Landrichter der Grafschaft Heiligenberg nennt sich: in pago Lienzego sive per totum coinitatnm comitis Sancti Muntis judex provincialis, oder anch: per totum Sancti Montis coinitatura judex provincialis in pago qui dicitur Linzigoe constitutus. Das. 111 92, 150; Baumann 51.

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Huntarenorte:

BA. Ueberlingen: Lippertsreute;

BA. Heiligenberg: Wintersulgen. Frickingen, Leustetten, Scbiggendori. Ober-, Unter-Siggingen, Gührenberg, Taferu ;

BA. Salem: Weildorf, Altenbenren, Jlcndlishausen, Uhldingen, Ber- matingen, Tepfenhart-,

BA. Meersburg: Daisendorf, Stetten, Wermetsweiler, Roggenbeuren. Urnau, Adelsreute;

OA. Tettuang: Mannzell, Fisckbach;

OA. Saulgau: Pfrungen;

OA, Ravensburg: Uorgenzell, Trutzenweiler, Happenweiler, Reutte; OA. Tettnang: Ober-, Unter- Theuringen, Eggonweiler, Ober-, Unter- Ailingen, Gunzeuhaus (?) bei Kehlen, Wiggenhausen, Schnetzenhausen. Aichstegen, jetzt Löwenthal.

Den Südosten des Linzgau nahm

die Mark Theuringen

mit der gleichnamigen Malstätte ein.

752 Ego Mothari dono de curtis raeis portionem, hoc sunt quod vocatura

est curtis meus Duringas (Ober-, Unter-Theuringen OA. Tettnang.

Actum locum publice in ipse Dnringas. Gail. 10.

783 ln pago vel in sito Linzgauwa in villa qui dicitur Duringas. Gail. 100.

783 Actum in villa Duringas puplici sub Crodberto comite. Gail. 100

»16 Propriolum per loca determinata, idest: A üuviola Mulibach

usqne in Chrumbenbach et de illo usque in Fisbach quod ipse situs est in fisco nostro, qui cadit in Huvium Scuzna et ex utraque parte ripae ejusdem tiuminis Prodiclum propiolum, quod est situm in pago Liuzgaue in territorio ad villatn Duringa. Wirt. 74. Die Bäche sind nach Bauuiann 53 nicht zu bestimmen.

»10 In pago Linzgeuve et in loco qui vocatur Werinpertivilare (Wermetsweiler bei Markdorf BA. Meersburg), qui videtur esse in raaroha Duringas. Actum in Cella, quae nuncupatur Majonis cella (Mannzell OA. Tettnang) publici sub Odalricho comite. Gail. 219.

Um 817 Quicquid in loco Thuringarimarcho visus sum habere, excepto hobam in loco qui dicitur Kelinga (Kehlen OA. Tettnang). Gail. 231.

844 Quod trado est situm in pago Lintzgaugc et in loco qui nominatur Wickinhusa (Wiggenhausen OA. Tettnang) in Turingarro marcho. Gail. 390. 844 Quicquid in Turingaro marcha visi sumus habere. Gail. 392. Markorte sind:

BA. Meersburg: Wermetsweiler bei Markdorf;

OA. Tettnang : Theuringen, Mannzell, Wiggenhausen, Kehlen.

2. Sciiussengau.

An den Liiizgau stiess im Osten der Sciiussengau, der den Altdorfer Wald in sich einschloss. Er umfasste das Kapitel

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Ravensburg (aber ohne die Umgebung von Tettnang, die dem Argengau angehörte) und das nördliche Drittel des Kapitel Theuringen. Er heisst Gau und pagus, einmal 8 1 *> fiscus.

»16 Iu tisco, qui dicitnr Szuznigauue. Wirt. 74 und I S. 413. Der Rest der Urkunde bezieht sich auf den Liuzgau.

ll>»7 In pago Suacengonve Kodolfus de Waltbusin (Ober-, Unter- Waldhausen OA. Saulgau). Sckaffh. 7, 2.

1152 Heriwigeruti (Kahlen OA. Ravensburg), Kiuwinsperc (Rimmers- berg das.). Itunoldisperc (wahrscheinlich in Weissenau das. aufgegangen) in pago Scuzengow. Wirt. 337. lluntarenortc :

OA. Saulgau: Ober-, Unter-Waldbausen;

OA. Ravensburg: Ritnmcrsburg, Rahlen, Weissenau ('?).

Die Mark dry Argengauer.

»61 Dedit eoniis Chuonratug in coiuitatu Liuzigauge in loco Eigilesnuiiare ^Eggcnweiler OA. Tettnang) nnam basilicam et casam cum curte ceterisque edificiis ac de terra culta 60 jugera in Foroste (Forst OA. Ravensburg) et novale in niareba Argungauueusium inter Kigilcsuuillare et Forastum et Kotinbahc (Rothenbach OA. Waldsee) situm etc. Wirt. 132.

Courad scheint der Graf des Argengaues gewesen zu sein (»56, Wirt. 125). Nachdem er eine Kirche in Eggenweiler und einen Hof in Forst übertragen bat, folgt ein Neubruchacker in der Mark der Argengauer Er bezeichnet sie als zwischen dem entfernten Eggenweiler im Einzgau, Forst and Röthenbach (beide im Altdorfer Wald) gelcgeu Die Bezeichnung nach Eggenweiler ist alierdiugs sehr vage, aber der Schreiber der Urkunde kulipft an die schon genannten Orte Eggenwciler und Forst an und lügt Röthenbach hinzu. Die Urkunde scheint zu erweisen, dass Genossen des Argengaues in den Schussengau eingt wandert sind und sich iu dem zugehörigen Alt- dorfer Wald eine Mark gerodet haken, welche den Namen der Gründer bewahrt hat.

3. Argengau.

Der Argengau erstreckte sich am Bodensee von Bregenz bis Langenargen und umfasste die Gebiete der oberen und der unteren Argen, der letzteren bis aufwärts etwa daliin, wo sie württembergisclies Territorium berührt. Im L’ebrigen dem Kapitel Lindau entsprechend, trat der Argengau mit der Um- gebung von Tettnang bis zum Schüssen in das Gebiet des Kapitel Ravensburg, mit der Stadt Bregenz in das Kapitel Bregenz, mit dem Ort Opfenbach iu das Kapitel Weiler ein. Die Bezeichnung der Iluiitare ist Gau, pagus, 802 ministerium, 1112 comitatus.

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Jil In bago Argunensi. Wirt 13.

773 In pago Argoninse in vilari, quod dicitur Haddinvilare (Hatzen- weiler OA. Wangen) et in villa, qui dicitur Argona (Langenargen OA. Tettnang). Actum Arguna villa publice. Neug. 5t.

794 In pago Argunensis in insula vel loco qui dicitur Wazzerpnruc (Wasserburg BA. Lindau), in Mittenbnch (Mitten das.). Actum in villa Arguna puplice in praesente Buadperto comite. Gail. 152.

799 In pago Arconessa in villa, que dicitur Katineshova (Batten- weiler OA. Tettnang). Actum in loco qui dicitur Wazzerburuc sub Roadberto comite. Gail. 15(1. '

802 In ministerio Adalribco comitis in Liubililnnaba (Leiblacb; Voralberg), quod situm est inter Hregantia castrum (Bregenz) et inter flnvium qui voeatur Ascaba (Flüsschen Eschach, bei Lindau mundend) et in alio loco Oawicca (Gwiggeu. Voralberg) et in tertio loco, qui voeatur Hohinwilari (Uobenweiler das.) Actum in I’regancia Castro publici. Gail. 1 04.

805 Rcttenauwia (Ober-, Unter Reitenau BA Lindau. Gail. 171.

809 In pago Argunense in villa nuncupata Crimoltcsbora (abgegangen). Actum in Wazzerpurc sub Odalricbo comite. Wirt. 04.

815 In pago Argunense et in locis inseitis subditis, id est in Uuazzarpurc et in Arguna (Langenargen OA. Tettnang) in Haddinuuilare (Hatzenweiler OA, Wangon) et in Ziegalpach (Ziegelbach, Vorarlberg), in Suuarzinbach (Schwarzenbach OA Wangen) et ruanguu (Wangen) sub Odalricbo comite. Wirt. 72.

834 In Argungaue in loco qui dicitur Engelbertisriuti (Englisreute OA. Ravensburg). Actum ad Rirscacliin (nicht zu bestimmen) publice sub Huadchario comite. Wirt. 92.

839 In loco Patahinuuilare (Bettensweiler OA. Wangen). In pago Argungoge in villa Apl’ulhouua (Apflau OA. Tettnang) et ad

Leimouuo (Lcimnau das.) et in Oberindorf (Oberdorf das.) ad

Argunam. Actum in ipso Patecbinuuilare (Bettensweiler OA. Wangen)' publice sub Cboanrate comite. Wirt. 104.

856 In Argungoue in loco que dicitur Nidironuuangun (Niederwangen OA. Wangen). Actum in Suuarzunpac (Schwarzenbach das.) sub Chuonrato comite. Wirt. 125.

860 De Aragungeuue in Sigehartesuuilare (Siggenweiler OA Tettnang). Actum in Uuazzarbureh publice sub Uadalricho comite. Wirt. 130.

861 Dedit comis Chuonratus novale in marclia Argungaunensium ctc. Wirt. 132. Siehe die Urkunde unter der Huutare Scbussengau.

861 In pago Argengauue in loco qui dicitur Arguna. Actum in Uuassarburc publice sub Uudalricho comite. Wirt. 135.

Nicht nach 861. In pago Argauge et in loco qui dicitur Arguna. Actum in Uuazzarbureh publice. Wirt. 134.

667 De Argengeuuve. Wirt. 142.

882 In Argangauge videlicet in Tetinauc (Tettnang) et in Hasalacha (Haslach OA. Tettnang) ad Liutouam (Liudau). Actum in Wazzarburc public. Notavi Uodalricum comitem. Wirt. 157.

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905 In Uuolramtnesuuilare (Ober-, Unter- Wolfertsweiler OA. Tettnang) in pngo Argungeuue. Actum in Pacenhouan (Neuravensburg ? OA. Wangen). Wirt. 177.

909 In Tagebretesuuilare (Dabensweiler OA. Wangen). Actum ' in Pacenhouan publice. Notavi comitem Odalricum. Wirt. 1 78.

Um 1100 Loci qui dicuntnr Baldericheswilare ( Baldensweiler OA, Tettnang), Wisericheswilare (Wiesertsweiler das.), Dietmundeswilare (Diet- mannsweiler das.) et sunt in pago Aringoensi. Stalin Cod. trad. Weingart major 34.

1112 In comitatu ad Pacinhoven in rilla Rodinwilare (Rudenweiler OA. Tettnang) et Tentinwilare (Dentenweiler das ). Schweiler Quellen III, 84.

1122 Hilteneswilare (Hiltensweiler OA. Tettnang . Escericheswilare (unbe- kannt , Bleichun (Bleichnau das. , Langenouva inferior et superior (Unter- und Uber Langensee das.), llaprehteswilare (Rappertsweiler das.}, Wielandes- wilare (Wielandsweiler das.), Erchenarteswilare (Echetweiler das.), Steini- bach (Steinenbacb das/, Rodolfesriet (Ober-, Unter-Russenried das.}, Roden- wilare Rudenweiler das.). Schweizer Quellen III. 98.

Danach sind Huntarenortc:

OA. Wangen: Wangen, Niederwangen, Hatzenweiler. Schwarzenbach, Neuravensburg (?}, Bettensweiler, Dabensweiler;

OA. Tettnang: Haslach, Ober , l'nter-Russenried, Siggenwciler, Baldens- weiler, Dietmannsweiler, Tettnang, Wiesertsweiler, Rappertsweiler, Stcinenbach, Laimnau, Oberdorf, Langenargen, Apflau, Rattenweiler, Ober-, Unter-Lnngen- see, Hiltensweiler, Wolfertsweiler, Wielandsweiler, Bleichnau, Rudenweiler, Dentenweiler;

BA. Lindau: Opfenbach, Eggatsweiler, Ober-, Unter-Ruitnau, Ricken- bach, Flüsschen Aeschach, Lindau, Mitten, Wasserburg;

Vorarlberg: Hohenweiler, Gwiggen, Laiblach, Bregenz.

4. Alpgau (Allgäu).

Die urkundlich nachzuweisenden Orte des Alpgaucs fallen sämmtlich in das Kapitel Stiefenhofen.

Die Anbauer zogen über die Argen, drangen zur oberen Iller bis zu ihrem Quellgebiet vor und dehnten sich vom Boden- see im Westen bis etwa zum Grünten im Osten aus. Im Süden ging es grenzenlos ins Gebirge; wie weit der Alpgau hier im Kapitel Bregenz reichte, ist urkundlich nicht zu sehen.

Die Bezeichnungen sind Gau, pagus und 1243 comitatus.

817 Ego Wisirih trado ad coeuobium Sti tiulli unaiu cellam in pago Albigaugeuse sitani, que vocatur Wisirihis cella (vielleicht Zell bei Staufen BA. Sonthofen; . Gail. 229.

839 Trado ud monasterium Sli Gnlli in villa, que dicitur Xordbovun Nordhofen, Currelat zu Southofeu. iu dieses aufgegaugen). Gail. 320.

868 Quicquid quidam homo Chn lolt nomine de pago Albekeuve habere visus est iu loco, qui dicitur Stoufen .Staufen BA. Sonthofeu). Gull. 542.

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839 Cellulam appellatam Aldrici cella (nicht zu bestimmen), quae in ducatu Alamanniae sita est in pago Albigoi. Neug. 292.

905 (906) ln pago Albcgeuwe in loco Fiscinu (Fischen das.;, Gail. 744.

995 Lutwanga (nach Neugart Langenwangen bei Fischen) in pago Albegou. Neug. 797.

Fm 1150 Alhegouwa in Nortwang (Ortwang HA. Sonthofen, und zu Routy > Heute das.). Schaffh. (Quellen zur Schweizer Geschichte III, 135.

1243 Comitatus in Alpigowo. HouiUard-Hreholles VI 86.

Huntorenorte sind sonach:

HA. Sonthofen: Staufen, Zell (? .Ortwang, Reute beide bei ßteichach . Nordhofen abgegangen bei Sonthofen . Fischen, Langenwangen bei Fischen.

Die weiteren Nachrichten beginnen erst wieder im 13. Jahr- hundert, wo in dem Alpgau drei staatliche Verbände zu unter- scheiden sind. Sie stellen sich als Zdmtschaftm dar, deren Bewohner als Freie sich erhielten. Die westliche ohne Namen hiess in späterer Zeit, wo ihr ein Stück des Nibelgaues zu- gelegt wurde, Eglofs oderMeglofs, d. h. zum Eglofs, OA. Wangen, und soll hier schon so bezeichnet werden, die mittlere und die östliche waren die Bezirke des unteren und des oberen Sturzes. Es crgiebt sich, dass die Orte der beiden Stürze mit dem Kapitel Stiefenhofen zusammen fallen, so dass die im Kapitel Weiler liegenden als die des Eglofs anzusehen sind.

Hiernach waren die Sitze der Freien, über welche wir aus der Zeit vom 14. bis zum Beginn unseres Jahrhunderts unter- richtet siud,

in Eglofs: Gestraz, Heimkirch, Röthenbach, Ebratzbofen, Scbeidegg, Kopf ob Ruggstcig und Mügger»;

im inilirtu Stur:: Rentershofen bei Stiefenhofen, Knechtenhofen, Keiti und Hinterreute, alle drei bei Staufen, Wcissnch, Kirchdorf, Wiederhofen, Aigis, Missen, llörlas halb;

im oberen Sturz, dem Illerthal: Börlas halb, im Hof, Rieggis,

Gopprechts, Freundpolz, Wohlmuths, diese fünf um Niedersonthofen, Lampprechts bei Immenstadt, Blaichach, Gnnzctried, Rieden, Sonthofen. Schweineberg, Ofterschwang, Muderpolz, Tiefenbach, Sigiswang, Kirwang. Holsterlang, Fischen. Hinnang, Schöllang, Oberstdorf;

iu den drei Gebieten mehrfach auch Orte in der Fmgebung der ge- nannten.

Es ist schon erwähnt, dass der Alpgau innerhalb des ala- mannisehen Sprachgebiets liegt und es ist hier zuzufügen, dass der obere Sturz noch in seiner ganzen Ausdehnung ihm ange- hört. Die Sprachgrenze umfasst auf alamannischer Seite von der Adelegg aus Bolsternang, Oberwengen, Weitnau, Eckarts. Diepholz und jenseits der Iller Maiseistein, Kauheuzell, Burg-

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berg, Hindelang (Banmann Forschungen 571), eine Grenze, die da läuft, wo die Sitze des oberen Sturzes ihr nordöstliches Ende finden. Hier machte die suebisch- schwäbische Sprachneuerung an der Grenze eines Gaues halt, den man nach seinem ge- schichtlichen Zusammenhang mit dem Westen (S. 4fi8) für nicht- schwäbischen Ursprungs halten muss.

Die innere Organisation der Freien von Eglofs und den beiden Stürzen war es, vermöge deren die Freiheit der Ge- nossen den Anfechtungen der erstarkenden Landesherrn gegen- über im Mittelalter wenigstens theilweise blieb. Hier sei nur noch mitgetheilt, dass der Graf Hartmann von Grüningen 1243 die Grafschaft im Alpgau mit der Burg Eglofs oder Meglofs und allem Zubehör zu Capua an den Kaiser Friedrich II. und das Reich verkaufte, comitatus in Albegowe cum Castro Mege- lolves, hominibus, possessionibus et omnibus pertinentiis. Dieser Bezirk Eglofs gehörte nach seinen Huntarenorten Willatz, Siggen, Eisenharz dem Nibelgau und dem damit überein- stimmenden Kapitel Isny an; dann mit dem Alpgau verbunden, gab er, wie es scheint, einmal deren westlicher Zehntschaft, dann aber der Huntare Alpgau selbst den Namen Eglofs. Der Alpgau wurde damit die Grafschaft Eglofs, der gegenüber der Name Alpgau in seiner amtlichen Bedeutung zurücktrat.

Je mehr letzteres geschah, um so mehr erweiterte sich schon im Mittelalter das landschaftliche Namensgebiet des Alp- gau. Er war nach den Alpen benannt, wurde zum Algäu oder Allgäu. Aus den Alpen wurden dann die Allgäuer Alpen und mit dem Gebirge schritt der Name über die Grenzen der Huntare Alpgau hinaus links der Iller in das vorliegende Berg- und Hügelland bis Kempten, Wangen, Kisslegg, rechts der Iller in die Ebene bis Memmingen, Kaufbeuren und zum Lech. „Dem Allgäu gemeinsam, sagt Baumann, der Erforscher und Geschichtsschreiber des Allgäu, ist den Bedingungen des Bodens entsprechend das Einödwesen (das Hofsystem), bei dem jeder Bauer Haus, Acker, Weide und Wald als geschlossenes Ganzes besitzt, Viehzucht und das schindelbedeckte Landeru- haus, während in dem benachbarten Oberschwaben an deren Stelle Dorf, Ackerbau und Strohdach tritt.“

Nach Uaumann: Der Alpgau, seine Grafen und freien bauern und die Geschichte des Allgäu.

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Dreiunddreisigstes Kapitel.

Der Donaugau. (?)

Der auf Grund der orographischen Gestaltung Ober- schwabens, des schwäbischen Sprachgebiets und der kirchlichen Eintheilung von mir angenommene Gross- Donaugau mag aus dem Archidiakonat Vormwald das Kapitel Mösskirch mit den Huntaren Goldineshuntare und Ratoltesbuch , nnd aus dem Archidiakonat Albgau das Kapitel Mengen mit der Huntare Krekgau und Tiengau, das Kapitel Saulgau mit der Huntare Eritgau und den Antheil des Kapitel Munderkingen rechts der Donau mit der Muntricheshuntare umfasst haben. Diese politischen Verbände charakterisiren sieb sämmtlick als Hun- taren, die Goldineshuntare, Muntricheshuntare und Ratoltesbuch nach den zu Grunde liegenden Personennamen Goldwin, Muntrich und Ratolt, die beiden ersten auch nach ihrer Endung, der Krekgau und Eritgau nach ihrer urkundlichen Bezeichnung als centenae und der Tiengau nach seinem mit der Malstätte Hohen- tengen übereinstimmenden Namen, und es erscheint daher aus- geschlossen. in einem dieser Verbände den verlorenen Namen des Grossgaues zu finden.

Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die Goldines- huntare und den Eritgau. Allerdings erstreckte jene, wenn man den Urkunden und deren zunächst sich bieten- der Auslegung Glauben schenken soll, sich fast über das gesammte Gebiet. Worndorf BA. Stockach und Krumbach BA. Mösskirch gehörten nach einer Urkunde von 'J93 und Herbertiugen OA. Saulgau, wenn Heripretinga in einer Urkunde von 854 dahin zu deuten ist, der Huntare des Goldwin an, aber man wird diese Deutung von Heripretinga aufgeben oder

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einen Irrthum annehmen müssen, da die Huntareneigenschaft nach dem Namen nicht zweifelhaft ist und es im Uebrigen keine Huntare von solcher Grösse giebt. Der Eritgau trägt neben der vieldeutigen Bezeichnung Gau und pagus in Urkunden von 839 und 990 die einer centena und in einer späteren von 1209 die einer provincia Erigaugie. Aber abgesehn von weiter unten hervorzuhebenden Bedenken gegen die letzte Urkunde, ist centena die technische Bezeichnung, da- gegen das seltnere Wort provincia von derselben Vieldeutigkeit wie Gau und pagus (S. 318). Es bleibt daher nur übrig, dem Grossgau für den unbekannten einen erdichteten Namen zu geben.

Der Donaugau hat nach den ihm zügerechneten Huntaren und Kapiteln als Grenzen: im Norden den nördlichen Albgau, die Donau von oberhalb Sigmaringen bis unterhalb Munder- kingen, im Osten die angenommene Grenze des Illergaus, etwa das Gebiet des Sulzbachs, den Federsee und den Altdorfer Wald, im Süden die des südlichen Albgaus und des erweiterten Hegaus, nahezu die Sprachgrenze (vom Altdorfer Wald über Pfullendorf, das ausserhalb liegen bleibt, bis Sentenhart und Krumbach), im Nordwesten den Westergau mit der Scherra, Worndorf zum Donaugau ziehend.

Vielleicht weist die Kapiteleintheilung den Weg zur Ent- stehung der westlichen Huntaren. In dem Kapitel Müsskirch scheiden sich die Huntaren Goldineshuntare und Ratoltesbuch, in dem Kapitel Mengen die Huntaren Krekgau und Tiengau; sie mögen ursprünglich je eine Huntare gebildet haben. In dem Kapitel Saulgau ist die Huntare Eritgau uugetheilt geblieben und auch für die Muntricheshuntare in dem Kapitel Munder- kingen rechts von der Donau ist eine Abzweigung nicht zu erkennen.

Huntarengrafschaften waren bereits die Muntricheshuntare 961, Eritgau 961, 1016, 1282, der Tiengau 1282. Später lassen sich mit dem Grenzfluss der Ostrach unterscheiden die Graf- schaften Sigmaringen (mit Theilen von Goldineshuntare, Ratoltes- buch, Krekgau links der Ostrach) und die Grafschaft Friedberg (mit Theilen von Krekgau rechts der Ostrach, Tiengau, Eritgau, Muntricheshuntare). Vergleiche Baumann 74 79).

Crioiir, Geschichte der Alamannen. 31

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H u n t a r e n.

1. 2. Goldineshuntare und Ratoltesbuch.

Beide dem Kapitel Mösskireh entsprechend, mögen ur- sprünglich ein Ganzes gebildet haben.

Die GoMineshuntare lag im Westen von Mösskireh um! nahm den Westen des Kapitel Mösskireh ein.

Die Bezeichnungen sind pagus, pagellus und Huntare.

854 In comitatu Udalrici comitis in pagelio Goldineshuntare in vill.i Heripretinga (Herhertingen, OA. Saulgau liegt durch andere Hnntaren von der Goldineshuntare getrennt, deren Erwähnung liier wahrscheinlich irrig ist). Wirt. 121.

993 ln villis Worndorff (Worndorf) et Crumaclm (Krumhach, beide BA. Mösskireh) dictus in pago Goldineshunderc vocato ac coinitatu Mar- quardi comitis. Neug. 788.

Iluntarenorte

BA. Mösskireh: Worndorf; Krumhach.

Der Gau liatolttxbuch lag etwa zwischen Mösskireh, Sig- maringen, Mengen, Pfullendorf und umfasste den Osten des Kapitel Mösskireh.

Die Bezeichnungen sind Gau, pagus.

806 In loco qui dicitur Katolvespuah. Gail. 190.

1056 Villam Santanhart .Sentenhart BA. Mösskireh;, in Rasta ,Kast das.) in pago Katoltespuoch. Schaffh. 4.

1087 Zeuge Bertholdus de Bietelschiess (Bittelschiess OA. Sigmaringcn ex Radoltsbachergovia. C'hronicon Schaffh. Oder de pago Ratoldesboch Bertoldus de Bittelscheiss. Schweizer Quellen III, 17; Schaffh. 7, 2.

1094 In pago Ratolveshuch in villa Maingen .Mengen OA. Suulgau unam aream. Oberrhein. Zeitschrift IX, 217.

Huutarenorte

BA. MiisBkirch: Sentenhart, Rast;

OA. Sigmaringen: Bittelschiess;

OA. Saulgau: Mengen (Siehe jedoch den folgenden Abschnitt .

3. 4. Krekgau und Tiengau.

Zwischen dem Kapitel Mösskireh mit der Goldineshuntare und dem Ratoltesbuch im Westen und dem Kapitel Saulgan mit dem Eritgau im Osten lag das Kapitel Mengen mit den Huntaren Krekgau und Tiengau mitten inne. Der Krekgau ist nach 2 Urkunden gesichert:

819 König Ludwig schenkt dem Kloster Buchau quandam vill.ua proprietatis uostrue sitam in centena Krecgow votier Kretgow nuncup.it*

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quae vocatur Maginga Mengen OA. Saulgan) et ecelesiam in villa Sulogau (Saulgan). Wirt. 82.

995 In Rapirgahnsa (Repperweiler OA. Saulgau) in pago Creggow. Casus Mon. Petrish I, 14, in Mon. germ. script. 30, 681.

Während Mengen 819 im Krckgau lag, sollte es 1094 im Ratoltesbucli und 1209 im Eritgau liegen.

1094 In pago Ratolvesbueli in villa Maingen unam aream. Oberrhein. Zeitschrift IX, 217.

1209 wurde die Ueberrtragung von 819 vom König Otto in folgender Form bestätigt :

(Juundam villam, in provincia Erigaugie (Eritgau’ sitam, quae appellatur Maingen et ecelesiam, quae dicitur Suligen. Wirt. 544.

Den Urkunden von 819 und 995 gegenüber kann auf die in den Urkunden von 1094 und 1209 abweichend dargestellte Lage von Mengen kein Gewicht gelegt werden. Jene, die altern, sind von einander unabhängig, und bezeugen durch ihre Uebereinstimmung den Krekgau; diese sind 3 und 4 Jahrhunderte jünger und widersprechen einander. Der Rechtsakt von 1209, welcher den von 819 corrigiren will, war vermöge seiner Zeit und als Urkunde der entfernten kaiserlichen Kanzlei um so leichter einem Irrthum ausgesetzt, als der miterwähnte Ort Saulgau zweifellos im Eritgau lag.

Dagegen erklärt Baumann 75—78 (nach dem Vorgang von Stalin I 293 und der Württembergischen Urkundensammlung) das Wort „Krekgau“ der beiden älteren Urkunden für Schreib- fehler, überträgt „Mengen im Eritgau“ aus der von 1209 in die von 819, lässt also 819 den Eritgau Mengen in sich ein- schliessen, 1094 aber, bei Unterstellung einer Gauverschiebung, den Ratoltesbuch den Ort umfassen. Der Annahme desselben Schreibfehlers in beiden Urkunden von 819 und 995 widerspricht jedoch ihre Selbstständigkeit, da sie weder sachlich noch zeitlich in irgend einem Zusammenhang stehn, und weiter steht der Zugehörigkeit von Mengen zum Eritgau die Existenz des Tiengaues im Wege. Denn zwischen dem Krekgau (Mengen und Repperweiler) einerseits und dem Eritgau andererseits lag der Tiengau.

1282 Urauesehaft in Tiengau und Ergowe (Eritgau). Wirt. Jahr- bücher 1827, 160.

Der Name Tiengau ist von der Malstätte Dieugen, jetzt Hohentengen, abzuleiten, und während der Tiengau noch 1477 erwähnt wird, hat die Gaubezeichnung sich als „Göge“ oder

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„Gege“ bis heute erhalten. Wenn Baumann auch dem Tiengau das Dasein als Gau vorenthält und in ihm nur einen geographischen Begriff sieht, der sich aus der Mark Hohen- tengen entwickelt habe, so ist zu entgegnen, dass die Endung gau charakteristisch für den Grossgau wie für die Huntare ist, dass der Tiengau eine (Huntaren-) Grafschaft war und dass erst von ihr der Name Göge als geographischer Begriff übrig ge- blieben ist.

Die Huntaren Krekgau und Tiengau werden aus einer einzigen hervorgegangen sein, welcher das Kapitel Mengen entsprach. (S. 333.)

5. Eritgau.

Dem Eritgau entsprach das Kapitel Saulgau. Ertingen, OA. Kiedlingen, ist als seine Malstättc zu betrachten.

Die Bezeichnungen sind Gau, pagus, 830, 900, 916, 1101, 1016, comitatus, 1209 provincia.

839 Ex centena Eritgaouue et ex ministerio Chuonradi comitis. Wirt. 102.

892 In pago Eritgeuue in loco qui dicitur Pusso (der Hussen OA. Kiedlingen). Wirt. 158; Gail. 684.

902 Pagus Erichgewe. Herimanni Augiensis chronicon in Mon. Germ, script. V 111. Buochaugiense coenohium .Buchau OA. Kiedlingen .

961 In comitatu üerekeuue in viilia Tatunhusa .Dutthausen OA Ehingen (?), Meringa (Möhringen OA. Kiedlingen). Tiermuntingn Dtirr- mentingen OA Riedlingen), Cella (Zell das.), Nunnnnuuilare 'Nonnenweiler OA. Saulgau', Moseheim (Moosheim das.), Wirt, 186.

990 Ex ccntena Eriggeuue (et Apphon). Bad. 32.

995 In Rapirgahusa ( Kepperweiler OA. Saulgau in pago Eregou, richtiger Creggou. Casus Mon. Petrish. I 14 in Mon. Germ, script. 20, 631 ; Siehe oben Krekgau. Wirt. 198.

1016 Pro comitatu in Erigauue. Bad. S. 15.

1016 Ex Ergoja. Wirt. 213.

Vor 1054 In pago Alamannicae Erichgewe. Herrn. Contr surn Jahr 902.

1096 Pagus Heriggou mit den Orten Tussin, Watte, Waldu, Steuowe. Chron. Isuense bei Hess. Mon Guelphica 276, Bautnanu 76.

1101 In pago Ileregowa sub comitatu Manegoldi in Villa que dicitur Pulsier (Bolstern OA. Saulgau). Wirt. 261.

1209 Villam in provincia Erigaugie que appellatur Maingen .Mengen OA. Saulgau) et ecclesiam in villa que dicitur Sulegeu (Saulgau). Wirt. 541. (Siehe Wirt. 82 und oben Krekgau'

1282 Graveschuft in .Tieiigowe und) Ergowe. Baumann 76.

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lluntaren sind hiernach

OA. Saulgau: Boistern, Moosbeim, Nonnenweiler, Repperweiler;

OA. Riedlingen : Buchau, Dürrmentingen. der Bussen, Möhringen, Zell; man wird auch nach dem Qleichklang hierher rechnen können: Ertingeu und Erisdorf;

OA. Ehingen: Dattbausen ist der Lage nach unmöglich.

Buck, Erichgnu und Erringen. Wirt Vierteljuhrsschrift 1878, S. 100.)

6. Muntericheshuntare.

Der Huntare Muntrichs mit der gleichlautenden Malstätte (Munderkingen OA. Ehingen) entsprach das Kapitel Munder- kingen, soweit es rechts der Donau lag.

Sie wird als Huntare, pagus, 792 Mark, 961, 980 comitatus bezeichnet.

792 Infra mnrcha illa qui voeatur Muntharibeshuntari constructa Villa nnncupante qni dicitur Pillinthor (nicht zu ermitteln). Gail. 134; Wirt. 40.

841 72 Baratt in comitatu Caldarici. Gail 503 Barahdorf, Parg- dorf iu Sauggart aufgegangen nach Raumann

892 Acta in pago Munteriheshuntere in Villa Dietereskirihn ^Dieters- kirch OA. Riedlingen . Gail. 684; Wirt. Iü8.

961 In comitatu Muntricheshuntera in vicis Rutelinga .Reutlingen- dorf OA. Ri<dlingeu!, Adalharteshona Aderzhofen OA. Riedlingen). Parch- durf. Wirt. 185.

980 In pago Mundricheshundera in comitatu Hartmanni in villis Thietereschiricha et Pargdorf. Gail. 816; Wirt. 193.

Hnntarenorte:

OA. Ehingen: Munderkingen;

OA. Riedlingen: Reutlingendorf, Aderzhofen, Dieterskirch, Sauggart.

Vierunddreissigstes Kapitel.

Der Sllergau.

Zwei Orte des Oberamts Leutkircli, Rieden und Aichstetten, werden in den Urkunden bald als dem Illergau, bald als dem Nibelgau zugehörig bezeichnet:

Um 980 In pago Ilrcgowe hoc est apud Eichstatt et Kieilin. Mon. Germ, script. 20. 636.

797 In villa qui dicitur Eichsteti. Actum in villa uf Hora Leut- kirch) in Nibelcoge ante Steinharto comite dem Grafen des Xibelgaus'. Wirt. 49; Gail. 144.

86t In pago Xibilkeuue et loco qui dicitur Ottrammesriohd nach Neugart Rieden). Wirt. 133.

1043 In pago Nibelgowe in loco Eichstat. Wirt. 225.

Einer dieser Bezirke ist also der Grossgau, der andere eine Huntare. Grossgau ist der Illergau, eine Auffassung, welche seine grosse Ausdehnung am Fluss von Kempten bis zur Mündung erweist und welche durch die Bezeichnung eines Archidiakonats gleichen Namens nachdrücklich unterstüzt wird.

Illergauorte linden sich an beiden Ufern des Flusses; an dem rechten Ufer kann der Gau aber nur bis zur Roth reichen, an der bereits Orte des benachbarten Gross-Augstgaues lagen, im Norden wurde er durch die Flina des Gross-Albgaus von der Donau getrennt: am linken Ufer begleiteten eine grössere Zahl von Illergauorten die Iller, erstreckten sich aber nicht weit gen Westen. Sie bezeichnen mit Sicherheit zwei fluntaren als dem Illergau angehörig. Die eine, deren Name nicht bekannt ist, nahm das Kapitel Dietenheim an der linken Iller ein, hatte aber auch Orte an der rechten: die andere war der Nibelgau an dem linken Flussufer. Man wird aber ihrer Lage auf der nördlichen Abdachung Oberschwabens und in dem schwäbischen Sprach- gebiet nach auch die Huntaren Rammagau und Ruadoltes-

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huntare, beide an der Donau, und Heistergau im Binnenlande dem Illergau zureclinen.

Das rechte Ufer der Iller gehörte dem Bisthum Augsburg an, das linke mit den genannten Hnntaren dem Archidiakonat lllergan des Bisthums Constanz, jedoch mit Ausnahme der Huntare Nibelgau, die zum Nachbararchidiakonat Allgäu gezogen ist. Von den Huntaren entsprachen die namenlose dem Kapitel Dietenheim, die Kamma den Kapiteln Laupheim und Biberach (deren letztere auch die östliche Hälfte der Ruadoltes- lmntare an der Donau umfasste), der Heistergau dem Kapitel Waldsee, der Nibelgau dem Kapitel Isuy. Die westliche Hälfte der Ruadolteshuntare gehörte theils dem Kapitel Ehingen rechts der Donau und damit dem Archidiakonat Albgau, theils dem Kapitel Mundei kingen an (Siehe über die Neuaufteilung der benachbarten Kapitel S. 33.')).

Der Gross-Illergau umfasste hiernach im Osten das Iller- gebiet von Kempten abwärts bis zur Mündung in die Donau, im Norden den Strom aufwärts bis etwa Rottenacker. Von da lief im Westen die Grenze über den Federsee zum Altdorfer Wald. Im Süden sind die obere Argen, die Adelegg und Kempten zu nennen. Der Grossgau gehörte der nördlichen Abdachung Oberschwabens zur Donau an, überstieg aber auch die Wasserscheide zum Bodensee (die Adelegg, die beiden Argen). Sie ist zugleich die schwäbisch-alamannische Sprach- grenze, die quer durch die Huntare Nibelgau läuft. (S. 257, 258, 271, 272.) Bei der Besiedelung werden von Norden die Sneven, von Westen und Süden die Lenzer oder andere nicht suevische Alamannen eingedrungen sein.

Von der Grafschaftsentwickelung ist zu bemerken, dass die Gaugrafschaft Illergau, comitatus Ilregau, noch 1040 in der Er- innerung geblieben, und dass als Huntarengratschaft der Ramma- gau 894, 1100, 1127, 1 137 und der Nibelgau 1094 bezeichnet ist.

l'rkundeu Uber den Oross-Hlergau:

83i In pago Hilargowe. Neng. 805.

833 Monaaterium in pago Hilargaoe Canipidona ^Kempten) Neng. 806.

833 In Ueimortingo marcu .Ueimertingon, HA. Illertisson) in pagn gui dicitur llargouve. Wirt. läo.

Pa gas Hilargoweusis mit Chyrclitorf .Kirchdorf UA. Leutkirch)

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und Mosebrunge Feldflur Moosbrugg bei Moosbausen OA. Leutkirch Mon. ßoica 81, Nr. 100: Mon. Germ, script. 23, 615.

Um 980 In pago Ilregowe, hoc est apud Eichstatt (Aichstetten OA. Leutkirch) et Breitinbacli (Breitenbuck das.), Kiedin Rieden das.) et Husin (Hausen das.) atquc Steiubacb .Steinbuch BA. Memmingen) Mon. Germ script. 20, 636.

1040 In comitatu Ilregouue Erolfesheim Erolzheim OA. Biberacli . Wirt. 223

1087 Zeugen de pago Hilargouve: Otto de Cbircliberk ;Kirehberg OA. Laupheim), Honricus de Baldesheim ^Ober-, Uuter-Balzbeim, das Schalt 1). 7, 2.

1090 Pagus Ilirgowe mit Adelgiseshouen (Auttagersliofen OA. Laup- heim), Oberrhein. Zeitschrift IX. 210.

Ohne Jahr Castrum Campidouense ^Kempten) puganos Hilargau- genses. Goldast Rer. Alam. script. I, 198 Stalin I, 297).

Gauorte

in der Huntare des Kapitel Dietenheiin, links in der Iller in Württemberg:

OA. Laupheim, Auttaggershofen, Ober-, Unter- Balzheim, Kirchberg:

OA. Bibernch: Erolzheim ;

OA. Leutkirch: Kirchdorf. Moosbrugg bei Mooshausen; rechts des Iller in Baiern:

BA. Illertissen: Tllertissen. Heimertingen;

im Nibelgau

links der Iller in Württemberg:

OA. Leutkirch: Aitrach, Breitenbach. Rieden, Aichstetten, Hausen: rechts der Iller in Baiern :

BA. Memmingen: Steinbach: links der Iller in Baiern :

BA. Kempten: Kempten.

II u n t a r e n.

1. Ruadoltesh untare.

An der rechten Donau etwa von Rottenacker bis abwärts zur Westernach sich hinziehend, lag die Huntare des Ruadolt in Gebieten der Kapitel Munderkingen, Ehingen, Biberacli.

Die Bezeichnungen sind Huntare und centena.

838 In pago Albunespara in centena Ruadolteshuntra in villa Patinhova (Bettighofen OA. Ehingen) et in villa Tussa (Ristissen OA. Ehingen.). Acta traditio in Patinhova publice in Patihovun et in eonfinio alterius villae Pilaringa Kirchbierliugen OA. Ebingen). Gail. 372.

480

838 In villa Patinliova in pago Albunespara in centena Ruadoltes- bnntre. Acta in villa Patinhova pnblice. Gail. 373.

Huntarenorte:

OA. Ehingen: Betiighofen, Kirchbierliugeti, Ristissen.

2. Raininagau.

Die Huntare scheint das Gebiet der mittleren und unteren Riss, der Dümach, Rottum, Westernach, der mittleren und unteren Roth und den Winkel zwischen Donau und Iller (bis gegen Illerrieden) oder die Kapitel Biberach und Laupheim eingenommen zu haben, soweit nicht die Ruadolteshuntare sie von der Donau verdrängt hat. Die Bezeichnungen sind Gau und pagus und viermal comitatus.

778 In pago qui dicitur Rammackeuui. Actum in villa qui dicitur Loupbeim .Laupheim) publici suli Stcnhartu cornitc. Gull. 22.

894 in pago Ratnmakeuve in comitatu ArnulA in loco et villa norai- tiata Sconenpirch Sehönebilrg OA. Laupheim . Gail. 694.

1060 1090 In pago .Ueisterechgowe et! Rammichgowe. Zenas Trad. Wizenburg. 303.

1087 Zeuge de pago Ratnesgowe: liertoldu« de Sunemotingin Ober-

oder Unter-Sulmetingen OA. lliberachl. Schnffh. 7, 2.

1093 In pago Rammescouue in villa Dallmaaaingen Dellmensingen OA. Laupheim). Not. fund St. Georgii, Oberrhein. Zeitschrift IX, 212.

1100 Ochsenhusen .Ochsenbausen OA. Iliberach), qui locus situs est in pago Ramechgowe in comitatu Hartmanni Rozze. Hatto de Ochsen- busen. Wirt. 256.

1127 Prediitm Hatcnpnrc, Hatinpurch in monasterio Hossen- buaen Acta in cella Hossehusen in comitatu Diepoldi .Ochsenhausen mit der dabei gelegenen Parcelle Hattenburg OA. Biberach). Wirt. 292.

1137 Ohsenhusen .dasselbe) in pago Ramechgowe in comitatu Bozze. Wirt. 307.

Huntarenorte:

OA. Laupheim: Dellmensingen, Laupheim, SckiiuebUrg;

OA. Biberach : Ober- oder -Unter-Sulmetingen , Üchsenhauseu mit Hattenburg.

3. Heistergau.

Die Huntare, welcher das Kapitel Waldsee entsprach, um- fasste das Hochgelände und den Aulendorfer Tann, und reichte im Süd westen an den Altdorfer Wald, im Nord westen au die obere Schüssen. Das Gebiet der oberen Riss, der obereu Um- lach, das Wnrzacher Ried füllten sie aus. Der Name wird Ton der Haister, der jungen Buche, abgeleitet. Die Bezeich- nungen waren Gau und pagus.

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805 In Heistilingauue et in Wangas (Wengen OA. Waldsec) et in Holtdorf Hochdorf das.) et ad Villare (Weiler das . Gail. 186.

925 Walalise Waldsee), Liutbrahtesriute Lippertsweiler OA. Wald- seel, Heistinikircben (Heisterkircb das.). Zeuss Trad, Wizeuburg 297. 298.

1060 90 In pago Heistereehgowe et Kammieligowe). Zeuss da« 303, 353.

Vor 1126 Haistirgouwe mit Ruggozeswilare Rugetsvveilcr OA. Wald- see) Mon. Germ, script, 10, 114.

1159 Heistirgow. Mon. Germ. ae.ript. 20, 628, 629.

1358 Haisterkilch (Heisterkirch OA. Waldsee et Rutibeistergo Reute das). Liber tax. in Frcibnrger Diöeesauarcliiv 5, 10.

Huntarenorte :

OA. Waldsee : Hocbdorf, Weiler, Lippertsweiler, Rugetsweiler. Reute. Waldsee, Heisterkircb, Wengen.

4. Die Huntare unbekannten Namens.

Das Kapitel Dietenheim umfasste die Haslach und die (württembergische) obere Roth und reichte an der Iller von Mooshausen bis abwärts gegenüber Vöhringen. Die hier ge- legene Huntare besass aber auch an der rechten Iller einen entsprechenden Strich bis zur (bairischen) Roth, der abwärts wohl bis an die Donau stiess, soweit nicht die Flina um Ulm das Terrain besetzt hatte (S. 437).

Ortsnamen der Huntaren sind nicht überliefert. Es finden sich hier nur Namen des Grossgaus, die S. 4ss aulgerührt sind.

fi. Nibelgau.

Mit dem Nibelgau, nach der Niebel (Eschach) genannt, deckte sich das Kapitel Isny. Seine Flüsse waren die linke Iller von Kempten bis unterhalb des Orts Aitrach, die Aitracli mit der Eschach (Niebel) und der Wurzaeher Ach sanimt der Gebrazhofer Roth, die obere Wolfegger Ach, der Oberlauf der unteren Argen mit dem Karbach und der Mittellauf der linken oberen Aigen. Die Grenzen waren im Osten die Iller, im Norden und Nordwesten Aitrach, Baierz, Arnach, im Westen Karsee, der Karbach, im Süden von dessen Mündung die untere Argen bis Prassberg und von da zur oberen Argen (Deuclielried gehörte schon zum Argengau), diese bis Malaichen und von da eine westöstliche Linie über Bolsterlang, Wengen, Rechtis bis Kempten an der Iller. Die Bezeichnungen des Nibelgau waren Gau und pagus. Das Kemptener Gebiet und die

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Umgebung; von Eglofs wurden von der Huntare abgezweigt und der Rest hiess im 14. Jahrhundert comitatus in Cil oder die Grafschaft Leutkirch.

766 Confessi summ ante Cozperto praeside ot ante paganos nostroa.

quicqnid in pago Nibalgaugensi habuimus, omnia qnicquid in

ipsa marchu (der Villa) Nibalgaugo tradimus. Actum in Nihalgauia villa publica (Leutkirch'. (lall. 49.

788 In Nibulgania. Actum in ipsa ecclesia Nibulgauia Leutkirch) sub ■Stainhardo comite. Gail. 117.

797 In villa qui dicitur Eibsteti Aichatetten OA. leutkirch) et in alio loco, qui vocatur Asinwanga , (Ausnang das.) Actum in villa qui dicitur uf Hova (Leutkirch) in Nibalcoge ante Stainharto comite et postea ante Hiranharto judice. Wirt. 19; Gail. 141.

809 In Nioulgauva. Actum in villa Nibulgauva tLentkircb publice »ub Rifoino comite. Wirt. 55; Gail. 168.

805 In Nibalgauia. Actum ad ecclesiam in Nibulgania Leutkirch' publice sub Waningo comite. Gail. 183.

812 In pago qtiod dicitur Nibulgauia. Actum in villa. quae dicitur uf Hova sub Waningo comite. Gail. 210.

820 In Xibalgauge in loco qui uf Hora Leutkirch). Actum in loco qui dicitur uf Hova. Actum in Laubia Lanben ÜA. Leutkirch sub Koachario comite. Gail. 252.

824 In pago Nibalgauge in loco qui dicitur Hasalpuruc (Haselburg OA. Leutkirch). Actum in villa l'fbova publice sub comite Uunningo. Wirt. 88 und 89.

824 In pago qaod dicitur Nibntgogi in loco Katbotizella (Kisslegg OA. Wangen). Actum iu villa uf Hova sub Waningo comite. Gail 279.

824 In pago Xibalgauve in loco Kntpotescella. Actum in villa uf Howa sub Waningo comite. Gail. 280.

827 In Nibalgauue ad Chirichun (Leutkirch). Actum in Xibalgauue publice I'naningo comite. Wirt 91.

834 Iu pago Nibalgauue et in loco Wintirstete juxta aqua Ascbaa (Winterstetten an der Eschach OA. Leutkirch) et in t'roninperc .abgegangen). Actum in I'rallon (Urlau OA. Leutkirch . Gail. 852.

849 In pago Nibulgauge snb Pabonc comite et Hunoldo centenario. Gail. 406.

853 In pago Xibalgaugiensi in loco t'barabacli (Karbncb OA. Wangen). Wirt. 119.

860 In Xibalgauve in loco qui vocatur Cruottinberc (abgegangen). Actum uf Hovon ad publicam ecclesiam sub comite Gozberto. Gail. 47o.

860 In pago Nibilgouve in loco nuueupato Hupoldcscella (Frauenzdl OA. Memmingen; sub Cozberto comite. Gail. 474.

861 In pago Nibilkeuuc et loco, qui dicitur Ottrammesriohd (nicht zu ermitteln'. Actum in Koto (llerruth OA. Wangen) publice sub Cozberto «juiite. Wirt. 133.

»65 Iu Nibalgaugensi pago iu loco qui vocatur Hettinesriobt .Uettis-

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ricd BA. Memmingen). Actum in Liutoltesperg (Luttolsberg OA. Leutkirch) publice. Gail. 515.

872 In Nibilgange. Actum in Roten (Herroth OA. Waugen) publice sub ( 'ozperto coinite. Gail. 558.

980 In pago Nibilgouve in vico Suarceusee Schwarzeusee BA. Lindau) in comitatu Adelberti. Wirt. 193.

1043 In pago Nibelgewe in locis Ritilines Riedlings OA. Ijeutkircli et Wegesaza latgcgangen) in Bilva Arinanc (Amach OA. Waldsee), in loco Eicbstat (Aichstetten OA. Leutkirch). Wirt 226.

1094 In pago Niebilgouua in comitatu Heinrici ze demo Willeberis (Willatz OA. Wangen), Isinhartis (Eisenltarz das.). Siggun (Siggen das.), Egilsvendi (Alleschwende das.). Schaffh. 25.

1111 1110 Insula in pago Xibilgouwe, que vocatur Rotse (Röthsee OA. Wangen). Wirt. 268.

1311 Comitatum in Oil, videlicet castrum Cil cum attinentiis. Grafschaft Leutkirch. Historischer Verein für Schwaben und Neuburg 1835, S. 72.

1313 Castrum in Oil cum comitatu et oppido dicto Leutkirch auf der Haide. Banmanu S. 33, 42.

Für Leutkirch und Kisslegg kommen wechselnde Ausdrücke vor Für ersteres l'fhova, Villa Nibulgauia, Nibalgauwe ad chirichun und Lintchirichun. für letzteres Ratbotizella, Lutteraun. Oella, Zell im Amt, Zell bei Kisslegg. Kisslegg. Baumannn S. 33-42.

Als Huntarenorte sind hiernach zu verzeichnen:

OA. Leutkirch: Rieden, Aichstetten, Lauben, Riedlings, Willeratshofen Leutkirch, Ausnang, Almishofen, Luttolsberg, Haselburg, l'rlau, Winterstetten an der Eschach;

OA. Waldsee: Amach;

OA. Wangen: Rötbsee. Herroth, Kisslegg. Zaisenhofcn. Lauterseebacb. Karbach, Alleschwende. Willatz, Siggen, Eisenharz ;

BA Memmingen: Hettisried, Krauenzell;

BA. Kempten: Wangen au der unteren Argen;

BA. Lindau: Schwarzensee.

Fünfunddreissigstes Kapitel.

Der östliche Qugsigau.

Zwischen der Donau und den Allgäuer Alpen, der Iller und den beiden Ufern des Lech weisen die Urkunden eine Reihe von Verbänden auf, die vorwiegend sich entlang den Gebieten der parallel laufenden, in die Donau mündenden Flüsse zu er- strecken scheinen, deren Lage jedoch nur unsicher durch die Namen weniger Orte bezeichnet ist. Von ihnen liegen die Orte des Augstgaus und des Ogesgaus im Gemenge. Der Name August- gau (so 832, 839, 887 und ohne Jahr, Aogustgau ohne Jahr, pagns Augustaginsis oder Augustensis 825, 1123) ist auf die römische Hauptstadt des zweiten Rätiens Augusta Vindelicum (Augsburg) zurückzuführen. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass die Alamannen diesen Namen der lateinischen Urkunden, Augnstgau, gebraucht, sondern zu vermuthen, dass sie ihn ihrer Sprache assimilirt und ihn ügesgau oder ähnlich genannt haben; denn die Urkunden reden 888 von dem Ogas-, 897 von dem

Ouges-, 930 von dem Ongis-, 1111 von dem Ogesgau

und letztere Form ist in die Gauliteratur übergegangen.

Die Orte sowohl des Augustgaus, wie die des Ogesgaus liegen an beiden Ufern des Lech, von Kaufbeuren bis Donauwörth an dem linken, von Augsburg bis zum Ammersce an dem rechten, und dabei findet sich der Ogesgau auch in der Nähe von Aichach und fasst eine Grafschaft Herteliusa in sich. Die

Ausdehnung beider und der ältere Gebrauch der historischen Form Augustgau, der jüngere der volkstümlichen Form Oges- gau führen zu der Annahme, dass Augustgau und Ogesgau ein und derselbe Verband ist. Lang und v. Pallhausen halten da- gegen jeden dieser Gaue für einen besonderen. Sie und andere

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nennen jenen den Angstgau, ein Wort einer von mir nicht nach- zuweisenden Form, das zwischen Augustgau und Augsburg die Mitte hält. Hier sei Augstgau als gemeinsamer Name für die angeblich beiden Gaue gewählt und zwar mit dem Zusatz des „östlichen“, da es in der Schweiz (Kapitel 44) einen anderen „westlichen“ Augstgau gab, der nach Augusta Rauracorun), später Kaiseraugst, den Namen trug.

Der östliche Augstgau erscheint vermöge der Herleitung seines Namens und seiner Grösse als der Grossgau, der ins- besondere im Osten das Machtgebiet der Alamannen bis um die obere Paar und an den Ammersee ausgedehnt erscheinen lässt, wohl schon gemischter alamannischer und bairischer Bevölkerung (siehe S. 243). Seine Huntaren waren zwischen Iller und Lech: Duria, Mindilriet, Falaha und Keltenstein, die sich als Huntarengrafschaften von ihm schieden, neben denen der Augst- gan mit seiner rechts vom Lech liegenden Huntare Herteshausen als Theilgaugrafschaft zuriickbiieb. Insbesondere wird der Keltenstein !>30 als comitatus bezeichnet und in einer allerdings verdächtigen Urkunde neben dem Augstgau, in pago Augustgowe et Gildinstein, aufgeführt. Ebenso löste sich Hertishausen im 11. Jahrhundert als comitatus Herteshusa von der Theilgau- grafsehaft ab.

Von der Theilgaugrafschaft Augstgau : August- und Ogesgau reden folgende Urkunden:

Ohne Jahr Iu pago Aogustgoue. Juvavia S. S5.

Ohne Jahr lu Augustkow ad Durigfeld Diirgcteld, TUrkeulVld ' UA. Bruck) unweit des Ammersees. Juvavia S.- 39.

825 lu pago Augastagiuse villae Kirinisvilla (Würishofen BA. Mindel- heim) et Munciacum (Schwabmüucheu BA. Augsburg). Goldast K. Al. 11 S. 42.

s32 Cella Stetiwnng (Stütlwang 11A. Kaufbeuren), quae est sita in ducatu ,Vlemanniae iu pago Augustkowe. Reg. 1 7, nicht unverdächtig

839 lu pago Augustgoi cellula llerilescella (Uirschzell BA. Kaul- beureu . Xeug. 292.

ss 7 In pago Augustgowe et Gildinstein. Verdächtige Keuiptener Urkunde nach Lang 74.

sss Urosesbusa .Grosshausen BA. Aichach) iu pago Ogasgouuae in comitatu Kuudolti comitis. Jion. Boica 28\ »3.

897 Iu loeo Forzhcim (Pforzen BA. Kaufheureu), Zugcilinga (Schlingen das.) et llugehus (Hensen? das.) in pago Ougesgowe, comitatu Arboui- quos l’erthold coines prius in beneficium teuebat. Reg. I 25.

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03() Io Villa Husa (Hausen? BA. Mindelheiui) io pago Uugiskcuue in comitatu Ruodperti comitis. Xeug. 310, nacli Lang venlkclitige Urkuude.

1073 Moringen (Möring BA. Friedberg) in pago Owesgowo in comitatu Arnoldi. Mon. Boica 20*, 203.

1111 In loco qui dicitur Mardingen (Märtingen BA. Donauwörtli) in prorincia Suevia in pago Ogesgouve. Hund. Metrop. 1, 303.

1123 Louctorf l Lanchdorf I ! A Kaufbeuren) in pago Augustensi. Xeug. hist, silvae nigrae.

Ausserdem ist der Ort Ochesgau (Oxesgau) auf der Strasse von Hain nach Donauwürth zu beachten. I-ang 7t.

Danach sind Theilgauorte links des Lechs:

BA. Kaufbeuren: Hirschfeld, Stüttwang, Heusen (?), Pforzen, Schlingen Lauchdorf ;

BA. Mindelheim: AVürisliofen, Hausen (?);

BA. Augsburg: Schwabmlincheu;

BA. Donauwürth: MSrtingen, Ochesgau; rechts des Lechs :

BA. Aichach: Grosshausen bei Haslangkreit;

BA. Friedberg: Möring;

BA Bruck: Dilrgefeld (Türkenfeld ? .

Innerhalb des durch die Orte rechts des Lechs «»gezeigten Gebietes lag um die obere Paar die

Huntare Herteshauseu.

Anfang des 11. Jahrhunderts: Quidam comes oflicio nomine Adalbero

a loco Cbiuback Kühbach BA. Aicbacb) in comitatu Herteshusa Hcretshausen das. . Mon. Boica II, 520; 31*. 2*7.

Huntarenoite:

BA Aicbacb: Heretshausen. Kühbach.

Hiintarcn link* des Lech*.

1. Duria.

Im Gebiet der Roth und Gönz, der oberen Jlindel.

80* In loco ad Koto (Uber oder l'nterrotb BA. lilertisseiij in pago qui rulgo Duri» nuntupatur. Mul Boica 2»*. 116. Bautnann siei-t der ge- meinen Meinu-.g zuwider in Botj OU-r- oder l nierrctn lei IatngeiiLeufcacb B-A Aug-burg. da* aber geographisch eher dem Gebiet d- r H ut.tare Mii.del- riet oder Falaha znzuweuen sein wird.

lö"3 C urt.« :t AletL.:.Lia pago Duria et in comitatu Manegoldi vomitis aita. nostme Mas :e Xa-.h Beumann die tümissh-'n castra Xavoae.

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1007 Locus Suntheim (Southeim BA. Memmingen) dictna in pago Durihin. Mon. Boica 28*, 387.

1046 Curtis Mindclhoiin (BA. Miudelheim: in pago Duria. Kernling 1'rkunilenbuch zur Geschichte der Bischöfe von Speier 34.

Huutarenorte:

BA, Illertissen: Ober-, Unterrath.

BA. Memmingen: Sontheim;

BA. Kaufbeuren: Eggentlial;

BA. Mindclheim: Mindelheim.

(Baumann. Alam. Niederlassung in der Kaetia secunda, Ztschrft Schwaben und Neuburg II 174; Kornbeck, Geschichte de» Duriagaus Wilrtt. Vierteljabrsschrift 1881, 197.

2. Mindilriet.

Nachweisbar im unteren und mittleren Gebiet der Mindel ( M indel hei m ausgeschlossen ).

1095 In episcopatu Augustensi in pago Mindilriet praediam apud villam Choringen (Knöringen BA. Günzburg), in vicis Mathesowa (Mattiiea BA. Mindclheim) et Weinga nicht zu ermitteln). Oberrhein. Zeitschr. 9, 218.

Huntarenorte :

BA. Giinzburg: Knöringen;

BA. Mindelheim: Mattsies.

3. Falaha.

Um die Zusam.

890 In pago, qui dicitur Falaha in comitatuu Otgozi in Villa, quae rocatur Logena (Laugna BA. Wertingen). Cod. dipl. Fuld. S. 291.

Uuntarenort :

BA. Wertingcn: Laugna.

4. Keltenstein.

Die Huntare Keltenstein umfasste oberhalb Kaufbeuren urkundlich den Bezirk zwischen der Keltnach und Wonach und den Orten Biesenhofen und Rudertshofen; nach von Pallhauseu

S. 73 weiter nicht nur die Strecke bis Füssen und Steinach, sondern von da noch die des kahlen oder kalten Gebirges hin- durch bis zum Ursprung des Lechs und der Iller und bis zum Curischen Ries (Raetia Curiensis).

837 In pago Augustgowe et Gildinatein. Verdächtige Kemptem-r Urkunde bei von Lang 74.

839 In pago Keltenstein in loco qui dicitur Hrnodoldishova (Rndolts- holen BA. Oberdorf). Neug. 292.

930 ln Villa Buo*cnhova (Biesenhofen BA Oberdorf) in pago Keltin- »tein in comitatu Kuodperti comitia. Neug. 812.

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Ohne Jahr. Invenit rex Pippinus in ipso loco Ticino (d. h. in der Xihe ron Ourrätien oder von St. (lallen) pagum, qui vocatur Keltinatein: inter coetera ergo mnnificentiae dom» dedit ei (beato Magno) totum ipsnm saltuni cum marcha Dieser Wald mit seiner Mark heisst noch heute der Holzgau (zwischen dem l'raprung des Lech und der Iller. Uoldast R. Alam. I 198, 250.

Huntarenorte:

BA. Oberdorf: Bissenhofen. Rudoltshofen.

(Die Urkundeu nach Lang, von Pallhausen, Steichele).

Crtntr, üetohicht« dar Alamannen.

32

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Sechsunddreissigstes Kapitel.

Der Riesgau.

Schon nach seiner Ausdehnung ist der pagus Rezia (Rexia, Rezi, Rehtsa, Retiensis, einmal territorium Retiense, auch ohne nähere Bezeichnung Retia, Rhecia, Rieze, niemals mit der Gauendung) ein Grossgau. Urkundlich gehörten ihm Gauorte in folgenden Grenzen an : im Westen Aalen am Kocher und Schnaitheim an der Brenz, im Süden Donauwörth an der Donau, im Osten Solnhofen an der Altmühl, im Norden Wassertrüdingen an der Wörnitz.

In dem Grossgau sind als Huntaren nachzuweisen: im Westen der Brenzgau, links der oberen Brenz auf dem Härdt- feld, in welchen der Grossgauort Schnaidtheim fiel, und die Huntare Hurnia, rechts der oberen Brenz, denn Herbrechtingen lag nach einer Urkunde von 866 in dem Riesgau und nach einer anderen von 779 in dem comitatus Hurnia; im Osten die Huntare Sualafeld, die nach Urkunden von 876 und 898 dem pagus Retiensis angehörte. Da im Uebrigen der Riesgau im Bisthum Augsburg lag, so wird man auch den Drachgau (Augs- burger Kapitel Gmünd), und den Albagau (Augsburger Kapitel Guffenstadt) ihm zurechnen können.

Die Grenzen des Riesgau lassen sich hiernach so be- stimmen: im Norden die Stammesgrenze von 496 von Kallen- berg (Kocher und Jagst durchschneidend) bis zur Sulzach (S. 267); im Nordosten die Altmühl abwärts bis Solnhofen (hier^ einzig bekannter Ort); im Osten von da zur Donau (an einem Punkte zwischen Neuburg und Donauwörth): im Süden von da die Donau aufwärts bis Leib, (wo der Gross- Albgau aufhörte); im Westen über die Alb weg (Aalbuch) zum W clzheimer W ald.

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Die Gründung des Gaus ist auf das 5. Jahrhundert zurück- zuführen. Er war alamannisch. Dann aber wurde 496 die Stammesgrenze durch den Gau gelegt. Das Gebiet westlich der Wörnitz blieb alamannisch; das Gebiet östlich mit Suala- feld wurde als fränkischer Antheil abgezweigt und demnächst national fränkisch. Urkunden von 868 und 1053, welche den Riesgau im Gegensatz zum Sualafeld zeigen, setzen dies voraus.

Der westliche Rest des Riesgau wurde damit Theilgau- grafschaft. Nichts destowenigcr umfasste das Bisthum Augs- burg beide Theile, deren alte Zusammengehörigkeit sich noch 836 zeigte. Damals brachte der Abt Rabban von Fulda die Gebeine des Märtyrer Venantius aus Italien nach Deutschland, wo sie allenthalben mit Kreuz und Fahnen begleitet wurden. Die Baiern gingen mit bis Solnhofen in regione Sualafeldoni, und hier nahmen die Alamannen sie in Empfang; um sie bis Hassarod (Herrieden) zur Brücke der Altmühl zu begleiten, wo eine Procession von Ostfranken ihrer wartete (Leben des Abts Rabban bei Kremer 195).

Nach einer Nachricht des 10. Jahrhunderts wurde dann die kirchliche Consequenz der politischen Trennung gezogen, Sualafeld von Augsburg getrennt und zum Bisthum Eichstedt geschlagen: v. Pallhausen Nachträge zur Urgeschichte Baierns; Steichele Bisthum Augsburg II 567; Rettberg Kirchengeschichte II 348).

Der Grossgau wird iu folgenden Urkunden erwähnt (die dem Riesgau und Sualafeld gemeinschaftlichen fiuden sich unten ! unter Huntare 5 Sualafeld);

Ohne Jahr. Ketiense territorium. Uermanni Aug. Chron. 9, 104.

Ohne Jalir. l’raedia in his villis Lobezingcu ij.iibsingen BA. Nürd- lingen', Vuabingin (Wechingen das.), Uzmaniugen (Utzmemmingcn OA. Neresheira), Bromestat (Brachstadt BA. Dillingen), Kutenstat (Rudelstetlen HA. Xürdlingen), quod est in pago Reziae. Fuld. 22.

Ohne Jahr. Iu pago Rexiae in villn nunenpata Schneiten juxta ftuvium Brenze (Schnaitheim). Fuld. 49.

Ohne Jahr. In Riezha in Villa Rumeringa(Reimlingen BA. Nördlingeu). L.iur. 3066.

762 Villam quae dicitnr Thininga (Deiningen BA. OJürdlingen) sitara in pago Rezi super tluvio qui vocatur Agira (Eger). Fuld. 19.

777 Cella infra Alamannia quae dicitur Aribertingas, ubi sanctus Veranus requiescit. Wirt. l».

777 Cella qui dicitur Haribostiug, ubi sanctus Verauus requiescit. Wirt. 19.

3S*

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500

779 Carolus rex Villa noetra llagrebertingas, «bi sanctns Carann« marfbur corpore reqniescit; in loco Hngrobortiugas; infra ipst lim- llagrebertingas super fiuvium Hranzia in docato Alainannorum in comitato Hurnia. hoc est in fisco nostro llagrebertingas. Wirt. 23.

866 ln Alamannia llarbrittinga in pago Kebtsa, ubi sanctns Veranus requiescit. Wirt. 141.

Nach allen Urkunden von 777 bis 800 liegt der heilige Veranus au dem Ort begraben, der nach der Urkunde von 779 an der Brenz liegt K* ist also Herbreehtingen au der Brenz OA. Heidenheitn gemeint, und die Grafschaft Hurnia ist nach detn benachbarten Uiirben das. benannt.

Zum Jahr »41 Comites in Ketiense occuruut cum exereitu. Anna). Fuld. Fertz M. G. Scr. I, 392.

Zum Jahr »711 Carlmnnnus et Hludovicus atque Karolus. Hludowici regis filii, in pagu Retiense convenientis pateruum inter se regnum diviserunt. Das. I 391.

898 Curtis, que dicitur Nordilinga (Nördlingen) in pago Rctiensi coustituta. Steichele 3, 556.

910 Apud Altheim (Hohen-, Niedcr-Altlieim BA. Nördlingen) in pago Ketia. Synodus Altheimensis bei Fertz Mon. IV 555.

1007 Locus Teegingen dictus (Deggingen BA. Nördlingen) in pago Rieze et in comitatu Sigehardi comitis situs, Mon. Boica 28, 239.

1016 Abbatia in Rhecia in comitatn Sigehardi comitis Teggingen dicia (Deggingen 11A. Nördlingen). Mon. Boica 28, 288.

Um 1016 Regalis curia in Retia sita Nordelingen (Nördlingen) dicta. Fertz Mon. 9, 261.

1030 Locus Vueride (Donauwörth) dictus situs in pago Rieze ia comitatu Friderici. Mon. Boica 31, 103.

1268 Inter üanubium et terminos, qui Rieszhalde dienntur. Mon. Boica 33*, nach Steichele III 558 wohl die Absenkung der den Kiesgau begrenzenden Höhen um Höchstädt und Dillingen gegen das Donauthal.

1263 Castrum quod Lapis vocatur (Schenkenstein) in terminis Retie juxta Bophingen (Bopfingen OA. Neresheim) situm. Mon. Boica 33*. 102.

V Reichsstadt Aalen in Riess. Wegelin Landvogtei in Schwaben, Urkunden 161.

Im 12. Jahrhundert liiess die Alb Alpes Retianae, 1429 «Ries Kenia- provincia Sueviae“. Bacmeister Alamannische Wanderungen 67.

Grossgauorte

OA. Aalen: Aalen, Bopfingen;

OA. Heidenheim: Schnaitheim, Herbreehtingen;

OA. Neresheim: I’tzmemmingen;

BA. Dinkelsbühl: Karlsbrunn, Frankenhofen, Irsingen, Wörnitzturt zwischen Irsingen und Wassertrfidingen;

BA. Nördlingen: Wechingen, Lüpsiugen, Deiningen, Nördlingen, Rudels- Stetten, Reimlingen, Hohen-, Niederaltheim, Deggingen;

BA. Diliingen: Brachstndt;

BA. Donauwörth: Donauwörth.

(Siehe weiter unten S. 602).

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501

Huntareu.

1. Drachgau.

Dem Drachgau (Gau und pagus) entsprach das Kapitel Gmünd und später die Waibelhube (Baumann 93). Die Hnntare, welche im Norden an die Stammesgrenze stiess, umfasste den Welzheimer Wald und die Frickenhofer Höhe, das Leinthal und das Thal der oberen Rems.

<83 In pago Drachgowe in villa Muniolvinga (Mulfingen OA. Gmünd). Laar. 3622.

805 In pago Drachgowe in Manolfingen. Laur. 3621.

847 In pago Trachgowe in Villa Ucchinga (Iggingen das.) I<anr. 3618.

Unntarenorte

AO. Gmünd: Jlulfingen, Iggingen.

2. Alba.

Ueber den pagus Alba spricht nur eine einzige Urkunde.

1125 In Augustensi episcoptu in pago Albae praedium, quod Hanbisin dicitur (Anbausen OA. Ueidenlieim). Wirt. 286.

Es liegt in dem Augsburger Kapitel Guft'enstadt. Pallhansen 115 liest: .in pago Albec" und bildet auf Grund eiuer weiteren Urkunde bei lioldast 1143 „Stoufun in pago Albeketve“, einen Albekgau. Diese Urkunde vom Jahr 868 findet sich jetzt auch Gail. 342, bezieht sich aber auf Staufen im südlichen Alpgau (Allgäu).

3. Brenzgau.

Der Brenzgau lag auf dem Härdtfeld links der oberen Brenz und wohl auch rechts des oberen Kocher.

Ohne Jahr. In pago Rexiae in villa nuncupata Schneiten juxta fluvium Brenze (Schnaitheim OA. Heidenheim) Fuld. 49.

Ohne Jahr. In Brenzegewe in villa Cbuochheiin (Gross- oder Klein kuchen OA. Neresheim) et Norderenhusen (unbekannt). Fuld. 55.

Ohne Jahr. Reichsstadt Aalen im Ries Wegelin Urk. 161 (im Brenz- gau (?). *

Huntarenorte:

OA. Aalen: vielleicht Aalen;

OA. Neresheim: Gross-*oder Klein-Kuchen;

OA. Heidenheim: Schnaitheim,

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502

4. Hurnia.

Die Huntare Hurnia, nur comitatus, ist rechts der mittleren Brenz nacbzuweiseu.

779 Carolus rex: Villa nostra Hagrebertingas super fluviuw Brauzia (Uerbrechtingen OA. Heidenheim) in docato Alamannomui in coinitato Hurnia (Hürben das.). Wirt. 23.

866 In Alemannia Harbrittinga (Uerbrechtingen) in pago Rehtsa. Wirt. 141.

Huntarenorte:

OA. Heidenheim: Herbrechtingen, Hürben.

5. Sualafeld.

Das Sualafeld lag links der Wernitz und erstreckte sich bis in das Thal der Altmühl.

Die Urkunden zeigen:

1. Das Sualafeld als Huntare, und zwar des Riesgaus

793 Wemdinga (Wemding I1A. Donauwürtb) in pago Sualafeld. Urkunde Karl des Grossen. Wemding in Riess.

Zum Jahr 876 Sualifeld (Solnhofen RA. Weissenburg) in pago Retiensi. Anna). Fuld.

898 Sualafeld in pago Retiensi. Urkunde des Kaisers Arnulf.

898 Wemding und Nördlingeu in pago Retiensi. Hund. Metrop. I 248, 249.

Diese Urkunden bei v. Pallhausen 114, 131.

2. Andere lassen den Riesgau als alamnnnischen Theilgau, das Suala- feld als fränkische Grafschaft erkennen.

868 De rebus St. Nazarii martyris inter Itetiam et Swaleveldon in loeis (des Riesgau) Buila (Bühl BA. Nürdlingeu ) et Humilinga (Reimlingen daselbst; des Sualafeld) et Gunzenlieim (Gunzenheim) et Mundilinga (MUndling) et Ranheim (Ranhoim, alle drei im BA. Donauwürtb Steichele III 656.

1053 Kaiser Heinrich III. schenkt dem Bisthum Eichstatt einen Forst und Wildbann. forestum sitnm in comitatn Friederici comitis in pago Recia, et in cotnitatn Ohnnonis comitis in pago Swaiaveldortini. Steichele III 550. Danach fallen

in den Riesgau (Diilcese Augsburg) Wachingen (Wechingen), Beiles - beim (Belsheim), Husen (Hausen). Segelowu (Seglolie, alle in BA. Nürd- lingen), Vranchenhof (Frankenhofen), Urningen Irsingen) Wunebaldi (jetzt Karlsbrunn), Rintgazza (Rindsgasse, ehemalige Furt der Wiiruitz von Wassertriidingen nach Irsingen), liinc ad fontetn. tibi sluo provinciae divi- duntur, Swovia quidem et Franconia (am Vilsbrunn oder am Rockinger Bach);

in den Gau Sualafeld (Diöcese Eichstätt) Rodungen (Rückingen am Hesselberg, Uanteresheim (Lentcrshcim), Sweiningen (Ober-, Unter* Schwaningen), Trahemotingeu (Alten-Triidingen), Magerichesheim (Ober-

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Megersheim), Gnozeaheim (Gnozheim), Kirsenloch (Kirscheniobe, Thal zwischen Heidenheim und Spielberg, alle im BA. Dinkelsbühl).

Xach beiden T'rkunden waren Theilgauorte des Riesgau:

BA. Nördlingeu : Seglohe, Hausen, Belsheim. Wechingen, Bühl. Keim- lingen,

während in die Huntare oder den Gau Sualafeld zwischen Wörnitz und Altmühl fielen :

BA. DinkelsbUhl: Lentersheim, Altentrüdingen, Röckingeu, Obennegers- heim, Kirschenlohe, Gnotzheim, Ober-, Unterschwaningen ;

BA. Donauwiirtb: Wemding, Ranheim, HUndling, Gunzenheim;

BA. Weissenburg: Solnhofen.

Sechstes Buch.

Die Bargrafsehaften.

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Siebenunddreissigstes Kapitel.

fclöbersicht.

Die Grundzüge der Bargrafscliaften sind bereits geschildert (S. 304, 31«, 317, 322). Die Namen Bara, Para darf man nicht, wie Birlinger thut, mit den Bezeichnungen Gau, Bant, Feld, Eiba, Huntaro zusammenstellen, denn diese gehören der Zeit der Gauverfassung, Bara der Zeit der Grafschaftsverfassung an. Bar wird von Grimm auf eine Einöde, unbebautes Land, von Förstemann auf einen baumentblössten, zum Gottesdienst be- stimmten Waldraum, von Wackernagel auf ein eingehegtes Land, Grenze gedeutet, Erklärungsversuche, aus denen man den allgemeinen Begriff: Bezirk, Gebiet, abziehen mag. Specieller nennt Birlinger die Bara einen Gerichtsbezirk, Baumann eine Dingstätte (Schranne), im weiteren Sinn ein Landgericht, einen Grafenamtsbezirk; aber der Gerichtsbezirk oder die Dingstätte ist doch nur eine Huntare, die Bar dagegen ein Grafschafts- bezirk, der sich aus einer Mehrzahl benachbarter aber will- kürlich verbundener Huntaren zusammensetzt. Die Baren werden mehrfach mit comitatus und dem vieldeutigen pagus oder pagellus, aber niemals mit dem Ausdruck Gau näher bezeichnet.

Ueber die Baren reden Urkunden (die sich in den Sammlungen von Neugart, Württemberg, Lorsch, St. Gallen und im Wesentlichen zusammengestellt bei dem älteren Stalin und Baumann, und zwar über die Bertoltsbar sehr zahlreich, be- finden) aus dem 8. und 1). und vereinzelt bis zum 12. Jahr- hundert, also aus der Zeit, aus der überhaupt die Gauurkunden stammen. Sie zeigen die Baren um den Neckar und die Donau (vereinzelt auch um die Wutach) sowohl im Stammland, wie in Neualamannien und weisen als neualamannische und als Graf-

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50«

schaftsgebiete auf eine Entstehungszeit erst nach Einführung der fränkischen Verfassung, also nach 536, hin. Weiter sind von den Grafen, deren Namen die uns bekannten sechs Baren tragen, vier nachzuweisen. Sie stammen aus dem 8. und 9. Jahrhundert, und da sie voraussichtlich die ersten Grafen ihrer Baren waren, so darf man die Entstehung dieser Baren in die Zeit dieser beiden Jahrhunderte verlegen. Sie sind mithin die neueste Schöpfung auf dem Gebiet der politischen Verbände, und wo sie bestanden, haben sie die Erinnerung an die geschichtlichen Grossgaue verdunkelt oder gar ansgelöscht, so dass der Umfang des Westergau und Illergau unklar und der Name des Gaus, den ich Donaugau genannt habe, ver- schwunden ist.

Es gab ursprünglich zwei Baren. Die Bertoltsbar, die sich über die Thalgebiete der an die Westalb anschliessenden Flüsse, des oberen Neckar und der oberen Donau, erstreckte und in ähnlichem Umfang weiter donauabwärts an beiden Ufern die Folcholtsbar. Die erstere wird in der Zeit von 741 890, die letztere 805 erwähnt. Diese Baren stellten neben anderem Grafenbesitz die Hausmaclit des alamannischen Herzoggeschlechts dar. Bertolt, der Graf der Bertoltsbar, der 724 erwähnt wird, war der Enkel, Bruder und Neffe von drei Herzogen, des Gotefried, Nebi und Lantfried; dagegen ist Folcholt, der Graf der Folcholtsbar, nicht zu ermitteln. Das Herzoghaus wurde um 730, vielleicht erst 748, gestürzt, und dann sieht mau die beiden Baren zersplittert. An die Stelle der Bertoltsbar sind drei Baren getreten, die Bar des Adalhart (Graf 763 775, die Bar 769 erwähnt), des Perihtilo (Graf 770 786, Bar 785 und 786) und des Albuin (Graf 842, Bar 851), und von der Folcholts- bar ist schon 788—838 eine zweite Albuinsbar abgezweigt.

Von den Theilbargrafen der Bertoltsbar war Perithilo ein Sohn des Bertolt, während in der Folcholtsbar ein Abkömmling desselben, ein zweiter Bertolt, und dann dessen Söhne, die Grafen Chadaloh und Wago, und ein Enkel, ein dritter Bertolt, gegen das Ende des Jahrhunderts und gegen den Anlang des nächsten stark begütert waren. Dagegen ist eine Verwandschaft des Adalhart und der beiden Albuin nicht zu erkennen. Es ist daher ersichtlich, dass, wie schon Baumann als wahrscheinlich angenommen hat, der grosse Besitz des Herzogliauses mit dessen

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Sturz zersplittert worden, und es scheint ferner, dass nur Theile davon den Familienmitgliedern gelassen, andere an Fremde übertragen sind. Trotzdem aber, sagt Stalin, „blühte das ge- stürzte Herzogsgeschlecht in grossen Grundbesitzern, welche oft die Grafenwürde bekleideten, noch lange fort, besonders auf dem Schwarzwald und in Oberschwaben und gelangte durch die Gattin Hildegard, welche Karl der Grosse aus ihm wählte, bald aufs Neue zu Glanz und Macht.“

Die Bezeichnung Bertoltsbar und Bar hat sich in den Urkunden bis in das 12. Jahrhundert, und für die Quellgebiete von Donau und Neckar als „Baar“ bis heute erhalten; die anderen Baren erscheinen dann wieder in die alten H unteren als H unteren- grafschaftcn umgewandelt und ihre Namen sind vergessen. Die Meinung Baumanns, dass mit der Auflösung der Baren diese „kleineren Gaue“ erst entstanden, widerlegt sich mit der Geschichte der Gauentwickelung im ganzen Alamannenland. H unteren bestanden seit der Ansiedelnngszeit, sie wurden nur um Donau und Neckar eine Zeit lang zu Baren zusammen- gefasst.

(Birlinger, Alamannischc Sprache 14; Baumami, Gangrafschaften 4 8, 121; Stalin der Aeltere I, 242. die Stammtafel 243.)

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Achtunddreissigstes Kapitel.

Die westlichen ßaren.

1. Bertoltsbar.

Bertolt, welcher der Bar den N amen gegeben hat, war der Bruder des Herzogs Nebi, beide werden zum Jahr 724 vou Hermannus Contractus erwähnt, der von ihnen als a Bertlioldo et Nebi principibus redet. Sie bringen den heiligen Pirmin zu Karl Marteil. der ihm die Insel Reichenau zur Anlage eines Klosters überweist. Die Vita Meginhardi dagegen führt die Errichtung des Klosters auf den Befehl Bertolts zurück, verlegt sie aber in die Zeit des Pippin, jussu Perhatoldi nobilissimi Alemannorum temporibus Pippini, regis Franchorum. In keiner dieser Urkunden wird er dux genannt.

Die Bertoltsbar, Bertoldespara, Perahtoltispara, Perachtoltes* bara und ähnlich wird zuerst 741/47 in der Vita S. Galli in den Mon. Germ, script. II 21 als Peratholtespara, dann in Urkunden von 750/60 bis S'.io erwähnt, also erst in der Zeit ihrer Auflösung, als landschaftliches Gebiet, und wird gemeiniglich als pagus, 763 pagus et situs, 886 als comitatus bezeichnet. Sie umfasste, wie schon erwähnt, an die Westalb stossende Gebiete der oberen Donau und des oberen Neckars, fünf H untaren des Gross -Westergaus, welche die Scherra im Halb- kreise umschlossen, nämlich Purihdinga, Nidiuga, Aseheim. Rottweil, Sulz und zwei Huntaren des Gross-Nagoldgaus, nämlich Waltgau und Haglegau.

lu ilmeu werden folgende Baiorte genannt:

1. Purilidingu

OA. Spaichingeu : Spaichingeu, Aldingen;

OA. Tuttlingen: Sehura, Weigheim, Gunniugeu, Seitingeu, das Kied- thal, Wurmlingen.

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öl 1

2. Nidinga

BA. Donaueschingen: Mundelfingen, Belila, Hausen vor Wald, Pfohren, Donaueschingen, Wolterdingen, Heidenhofen, Ober-, Unterbaidingen;

BA, Villingen: Klengen, Biesingen.

3. Aseheim

BA. Donaueschingen: Baehheim;

BA. Neustadt: Göschweiler, Löffingen.

1. Kottweil

OA. Rottweil: Deislingen, Flötzlingon, Kottweil, Dietingen;

OA. Oberndorf: Oberndorf.

6. Sulz

OA. Sulz: Bickelsberg, Brittheim, Sulz.

6. Haglegan

OA. Sulz: Mühlheim;

OA. Horb: Wiesenstetteu.

7. Waltgau

OA. Haigerloch: Priorsberg;

OA. Freudenstadt : Schopfloch.

2. Adalliartsbar.

Diese, ein Tlieil der Bertoltsbar im Süden der Westalb, findet sich in einer Urkunde von 769 (Adalhartespara), der Graf Adalhart selbst in Urkunden von 763 bis 77ö, so dass man die in letzteren anl'geführten Orte seines Amtsbezirks der nach ihm genannten Bar zurechnen darf. Die Barorte lagen in zwei Huntaren des Westergaus und einer des Klettgaus (westlichen Albgaus), so dass hier das Gebiet der Bar in das Wutachthal reichte.

1. Puribdinga

OA. Tuttlingen: Weigheim;

BA. Villingen: Baldingen.

2. Nidinga

BA. Donaueschingen: Wolterdingeu.

3. Albgau

BA. Bonndorf: Achdorf.

3. Perihtilosbar.

Sie findet sich, ein Tlieil der Bertoltsbar, 785 als pagus l’irihteloni, 786 als pagus Piritiloni und pagus Perihtiliupara, der Graf Pirihtilo in Urkuuden 770—78 bis 786. Die in der Bar und seiner Grafschaft liegenden Orte gehörten theils der früheren Bertoltsbar in den Huntaren Purihdinga, Kottweil, Haglegau, theils auch der früheren Adalliartsbar in der Huntare

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Purihdinga an, theils sind ihnen die Huntaren Scherra, Hatten- lmntare zugefügt. Pie Perihtilosbar war mithin die Westalb mit ihrer Umgebung im Süden, Westen und Norden, aus drei Huntaren des Westergaus und zweien des Nagoldgaues bestehend.

Barorte :

1. Scherra

OA. Kottweil: Dormettingen,

OA. Spaichingen: Daiiingen, Schorzingen, Egesheim, Steinweiler bei Spaichingen.

2. Purihdinga

OA. Spaichingen: Diirbheiin;

OA. Tuttlingen: Riethcim, Seitingcn.

3. Rottweil

OA. Kottweil: Dunningen, der Eberbach bei Dunningen;

OA. Oberndorf: Thalhausen, Seedorf.

4. Jlaglegau

OA. Sulz: das Keurenthal, Isingen, Bcrgfeldeu, Kirchberg;

OA. liaigerloch : Betra, Weildorf;

OA. Horb: Mübringen.

ö. Hattenhuntare

OA. llechingen: Biesingen, Wessingen, Hechingen.

4. Albuinsbar.

Erst im Jahr 851 wird wieder eine Bar erwähnt, die Albunespara, welcher ein Gral Albuin, der 842 die Scherra inne hatte, den Namen gegeben haben kann.

Barorte .

1. Aseheim in der Albunespara

BA. Neustadt: Röthenbach 851. Gail. 414.

2. Scherra in der Grafschaft des Alboin, sub Alboino comite M2. Wirt 10«.

OA. Spaichingen: Nusplingen;

OA. Balingen: Winterlingen ;

OA. Sigmaringen: Erohnstetten.

Haben die von einander entfernten Huntaren Aseheim und Scherra zur Albuinsbar gehört, so wird mau auch die dazwischen liegende Nidinga und Purihdinga dazu rechnen müssen, so dass die Bar die Wcstalb und deren Süd westen, Theile des Wester- gaues, umfasst hätte.

5. Bara.

Die Gebiete der genannten vier Baren werden von 843 an landschaftlich als die Bar, Bara, Para bezeichnet und daneben nur noch der Name der Bertoltsbar bis 890 weiter geführt.

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Die gewöhnliche Bezeichnung ist pagus Bara, pagus Para, auch 880, 961, 999 comitatns Bara, eine Reminiscenz an die Einzelbaren, ferner blos Bara, Para, Bare, Bar; S43 ist von tota Para, 1030 von der regio Alamanniae Bara und 1237 von der provinciola illa, que Bare vulgo dieitur, die Rede (die Urkunde von 843 Wirt. 108 gilt zwar als gefälscht, wird aber ihrem topographischen Inhalt nach richtig sein).

Barorte:

1. Scherra

OA. Spaichingeu: Wehingeu;

OA. Tuttlingen: Tuttlingen (oder zur Purihdiuga?).

2. Purihdinga

OA. Tuttlingen: Tuttlingen?; '

HA. Engen: MiShringen;

BA Douaueschingeu: Ippingeu (oder zur Nidinga ?).

3. Nidinga

BA. Donaueschingen: Ippingen?, Woliren, Heidenhofen;

IJA. Villingen: Dttrrheim, Villingen (oder zu Aseheim?).

4. Aseheim

BA. Neustadt: Lilffingeu;

BA. Villingen: Villingen?, St. Ueorgen.

5. Kottweil

DA. Kottweil: Deisslingen, Bösingeu, Feckenhausen, Kottweil, Irsliugeu und ein Zimmern;

OA. Oberndorf: Seedorf, Wald- oder Hoeliniilssiiigen, Epfendorf, Obern- dorf, Steighof, Harthausen, Böchingen.

C. Haglegau

OA. Sulz: Binsdorf;

OA. Haigerloch: Empfingen;

OA. Horb: Bierlingen.

Die Landschaft Bara umfasste also die Huutaren der früheren Einzelbaren mit Ausnahme von Albgau, Waltgau, Sulz, Hattenhuntare, und von der Scherra ist nur Ein hoher gelegener Ort Wehingen (776 Meter) zu verzeichnen. Streicht man aber die Orte der zweifelhaften Urkunde von 843 (es sind Wehiugen, Tuttlingen, Möhringen, Deisslingen, Binsdorf, Empfingen, Bierlingen) so bleibt die Landschaft der Quell- gebiete von Donau und Neckar übrig, die man auch heute die Haar nennt.

6. Die Landgrafschaft Bar.

Aus dem Süden der Landschaft Bar wurde zwischen 1007 und 1083 wiederum eine Grafschaft gebildet, comitatus de Bare,

Cratae r, Geschichte der Alamannen. 33

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r»l 4

die Landgrafschaft Bar, deren Inhaber 1094 und lios wiederum ein Berchtold, ein schwäbischer Herzog der zweiten Periode aus dem Geschlecht der Zähringer, war. 1108 In pago Para in comitatu Bertoldi dncis. Im Jahr 1283 ging der comitatus de Bare von dem Grafen Hermann von Sulz an den Grafen Heinrich von Fürstenberg über. Die Landgrafschaft erhielt sich bis 1 SOG.

Der jüngere Stälin I 252; l'rk. von Schaffhansen 19; liamnann 160; Fürstenberg I 5»2, 586).

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Neununddreissigstes Kapitel.

Die östlichen ßarett.

1. Folcholtsbar.

Die Folcholtsbar wird in einer einzigen Urkunde, Wirt. 60, und zwar erst 805, also nach Auflösung der Bar, wo ihr Name als Landschaft weiter lebte, erwähnt. Die Grafen Chadaloh und Wago übertrugen quiequid in pago Folcholtes- para visi sumus habere, excepto in Heidgauwe (Heidgau OA. Waldsee) et in Antarmarhingas (Emerkingen OA. Ehingen). Vorher hatten sie in derselben Urkunde Besitz an einer Reihe von Orten ohne Barbezeichnung veräussert und man wird mit Baumann 68 annehmen dürfen, dass die Vergabung von Gütern an einzelnen Orten und der generell in der Bar gelegenen als zwei Wendungen für dieselbe Sache aufzufassen sind. Ausser dieser Schenkung von 805 haben Bertolt II. (Perathold und seine Gattin Gersinda), dann seine genannten Söhne Chadaloh und -Wago und später der Sohn des Chadaloh, der Graf Bertolt III. (Pertold), sämmtlich Abkömmlinge des alten Herzoggeschlechts, weiter Güter von grösserem Umfang, in derselben Gegend gelegen, in den Jahren 790, 817, 824, 842 (Wirt. 38, 80, 90, 105) an das Kloster St. Gallen geschenkt, so dass man auch sie als der Folcholtsbar angehörig wird betrachten können.

Danach waren Barorte (die ansichern der Urkunde von 805 sind mit * bezeichnet)

links der Donau in den Huntaren

1. Affa

OA. Riedlingcu: ‘Grüningon, ‘Daugendorf.

2. Swerzeuhuntare

OA. lliiusingen: ‘Erbstetten, ‘Ober-, ‘Unterwilziugen;

33*

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516

OA. Ebingen: Uuterraarchthal (wenn nicht Obermarchthal). Mühlheim. Urötzingen.

rechte der Donau

3. Eritgau

OA. Riedlingen: Henauhof hei Ituchnu, ‘Seckirch, ‘der Bussen. L'n- lingen, ‘Möhringen, ‘Zell.

4. Muntricheshuntare

OA. Riedlingen: Reutlingendorf, Dieterskirch, ‘Ober-, ‘Untenvachingen. Obermarchthal (wenn nicht Untormarchthal).

5. Ruadoltesbuntare

OA. Ehingen: Emerkingen.

6. Heistergau

OA. Waldsee: ‘Hochdorf, ‘Weiler, Ober-, Uutercssendorf. ‘Wangen, Uaidgau.

Die Folcholtsbar gelierte somit links der Donau zwei Huntaren des nördlichen Albgaus, rechts der Donau vier Huntarcn des Donaugaus an.

2. Albuinsbar.

So wenig wie Folcholt ist Albuin bekannt. Die Urkundeu der Albuinsbar datiren von 788—838, also aus derselben Zeit, wie die der Folcholtsbar. Diese und die Orte beider Baren liegen iui Gemenge, so dass man annehmen kann, die Folcholts- bar sei damals schon aufgelöst, und die Albuinsbar von ibr abgezweigt.

Iu letzterer (auch Albuincsbar, Albuinipara, Albinespara) siud folgende Barorto zu verzeichueu :

1. Swerzeiihuntarc, liuks der Donau

OA. Miinaingeu: llayiugeu (zur Hälfte auch iu Afl'a, in der sonst

keine Orte der Albuiusbar verzeichnet siud), Escheubach (abgegaugeu). Bergach.

2. Ruadoltesbuntare, rechts der Douau

OA. Ebingen: Bettighofeu, Alt- oder Kirchbiorlingeu, Ristisseu.

Somit an jeder Seite der Donau eine Huntare, hier des Albgaus, dort des Dunaugaus, die aus dem Gebiet der Folcbolts- bar herausgenommen sind.

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Siebentes Buch.

Die

neualamannisehen Gaue des Eisass.

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Vierzigstes Kapitel.

Hebcrsicfy.

Etwa 30 50 Jahre nach der Zeit, die wir durch die Schilderungen Ammians kennen, nach dem Beginn des 5. Jahr- hunderts, drangen die Alamannen über den Rhein und siedelten sich in Gallien an. Im Lauf des Jahrhunderts durch die Franken zurückgedrängt, blieb ihnen das Eisass in der ungefähren Ausdehnung der Jetztzeit: im Osten der Rhein, im Norden die Selz, im Westen die Höhe der Vogesen, im Süden „das obere Becken der TU, die Landskron und der Lauf der Birsig“.

Der Anfangsvoeal des Namens Eisass wechselte von A zu E, auch I. Die älteste Form ist Alsatius. Alesaciones (bei Fredpgar 580— ß 10), eine spätere Alisaeinse und ähnlich (ß93 8ßO), eine jüngere Elisaeinse, Elisaze und ähnlich fvon 797 an), anrh kommt 817 Illisacia vor. Der letzteren Form entsprechend wurde der Name bis auf Schöpflin von dem Illfluss hergeleitet, während man jetzt annimmt, die Alisacen seien, im Gegensatz zu den rechtsrheinischen Alemannen, die in der Fremde (al) Sitzenden, eine Bezeichnung, die nach Ermoldus Nigellus von den Franken herrühren soll (cui nomen Ilelisaz Francus habere dedit), aber mit demselben Recht den in die Fremde Einwandernden selbst zugeschrieben werden kann. (Vergl. S. 124.)

Als Verband wurde das Eisass mit ducatus, pagus oder provincia bezeichnet, z. B. 728 und 83t» ducatus Alsacensis oder Elisatiae; 898, 12. Jahrhundert und 1 199 pagus Helisacensis,

Heilisacensis, Alsatieusis, Elisazen-, 999 und 1153 provincia Alsacia, Alsatia.

Aus der Gestaltung des Landes ergiebt sich, dass die Bcsiedeluug im Rheinthal begann und erst allmählich zu den

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Höhen der Vogesen emporstieg. Zwei Gaue wurden gegründet, der Nortgau und der Sundgau, den rechts rheinischen Gauen Mortenau und Breisgau gegenüber, alle von ähnlicher Aus- dehnung. Eine ursprünglich, wie es scheint, römische Yer- theidigungslinie am Kegel der Hohkönigsburg, der Eckenbach. der ihn begleitende Landgraben und die Blindachquelle, beides Zuflüsse der lll, bildeten die Grenze zwischen dem Nort- und Sundgau. Dieselbe Linie schied und scheidet noch heute die Bisthümer Strassburg und Basel. Jenes bestand aus dem links- rheinischen Nortgau und der gegenüberliegenden Mortenau, dieses aus den linksrheinischen Gauen Sundgau und Augstgau, und die gleiche Grenze scheidet bis zum heutigen Tag das Ober- und Unter-Elsass, jedoch mit der Ausnahme, dass die Blindach- quelle zum Ober-Elsass gezogen ist. „Man sol wissen“, heisst es in Pfyffers Habsburg-österreichischem Urbarbuch, „das die lant- grafschaft von oberen Elsaze an der birse (Birs) fallet an unde gabt nach der lengi unz uffen den eckenbach, nach der breite aber von dem Rin unz litten den virsten des gebirges, das da heisset der Wesechen.“ Noch ein dritter kirchlicher Verband reichte in den Südwesten des alten Eisass hinein, das Erz- bisthum Bisanz (Besancon).

Wie über dem Rhein, zerfielen die Gaue in H untaren, eine Bezeichnung, die uns jedoch aus dem Eisass nicht aufbewahrt ist, und Marken. Nach Schlicker entsprechen im Nortgau der Huntare Hagenau im Allgemeinen die Archipresbyterate (Land- kapitel) Hagenovia superior und inferior des Bisthum Strassburg, im Sundgau der gleichnamigen Huntare das Baseler Dekanat Sunt- gaudiae und der Huntare Eisgau das Baseler Dekanat Elsgaudiae und das Besanconer Landkapitel Besancon. Ob im Uebrigen die Untereintheilungen der drei Bisthümer für die Feststellung der Huntarengrenzen zu verwerthen sind, lasse ich dahin- gestellt sein.

Wie seit der fränkischen Zeit das Eisass erst dem ala- mannischen Herzogthum angehörte und dann ein eignes dar- stellte, ist bereits geschildert (S. 2ÜS). Die Entwicklung der Grafschaften war dieselbe, wie am rechten Rhein. Unter den Grafschaften, welche Ludwig der Deutsche s7ü bei der Theilung von Mersen erwarb: in Elisatio comitatos duos sind wahr- scheinlich der Nortgau und der Sundgau verstanden, wenngleich

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in seinem Antheil unter den Städten noch „Strastburg“, unter den comitatus noch Elischowe (der Eisgau, siehe Kapitel 42, Hnntaren 3) erwähnt wird. Mon. Germ. Leges 1, 517.

Gedacht sei hier, weil sie sich in den Nort- wie in den Sundgau erstreckte, der Mark Qiiuiwiinluim (Königsheim), eines königlichen Fiskus den Karl der Grosse dem Kloster Leberau Ubergab.

774 In pago Alaacen.se cx nmrca fisco nostro (Jnningishaiin.

843 Kunigesheim.

834 Kx mnrckn fisci Pomni Karnli, <jui (jnuningisliaim dicitnr in pago Alsacensi.

Grandidier Kglise Strash. e>7, 117. 1S5.

Die Mark lagerte sich um den Stophanberch (774, im romanischen Patois der Nachbarschaft Estuphin d. i. Stauffen- berg), dessen Kegel seit Jahrhunderten mit der Hohkönigsburg gekrönt ist, welche den Namen der Mark Quningisheim bewahrt hat. Weit hinaus in die Rheinebenen weist der Berg mit seiner Burg die alte Grenze des Sund- und Nortgans auf. Hier dehnte sich die Mark an beiden Seiten der Leber aus von Kinzheim im Osten bis Markirch im Westen, und es werden als ihre Orte genannt Kinzheim, Wanzell, Leberau, La Hingrie, die drei Kombach, Markirch und St. Blasien oder Heiligkreutz.

Die hier niedergelegte Auffassung der Ganentwicklung, welche deren in dem alamannisehen Deutschland und der Schweiz gefundene Regeln auch auf das Eisass anwendet, weicht von der Darstellung Schrickers in dem Aufsatz „Ael teste Grenzen und Gaue im Eisass“ (Zeitschrift Strassburger Studien 1884 II, S. 305—402), dessen gaugeographisches Material hier benutzt ist, in wesentlichen Punkten ab.

Einundvierzigstes Kapitel.

Der Hortgau.

Der Nortg&u umfasste das heutige Untereisass bis au die Selz und vom Obereisass noch die Blindachquelle.

OOS In Nortgowa niiam ciirtim qtti dicitnr Chunnengeshova (Königs- hofen bei Strassburg). Als. d. 12H.

SI2U lu pago ljcilizacensi in cnmitatu Nordgouva et villa Senebreddi- (unbekannt). Als. d. 130.

999 Allodiutn, qttod vocabulnin sortitum est Tluitelenheim (DBttlen heim Ct, Mölsheim) in prnvincia Alsacia in pago qnoque Xortgewi pro)«' cenobium, quad dicitnr Altorff Altdorf das.). Als d. 170.

1065 Duas villas Horhfeld (Hoehfeldcn) et. Schweichusen .Schweig hausen Ct. Hagenau) dictus cinu foresto Heiligenforst nominato in cotnitatn Gerhard i comitis in pago Nortcowe situs. Als. d. 21S.

1074 Ad Scerlenheim (Scherlenheim Ct. Hocbfelden). ad Mellesheiin (Melaheim das.), ad Wluenesheim (Wilwisheim das. . ad Lnpenstein l.np- stein Ct. Zabern), ad Mnmncnheiin (Mommenheim Ct. llrumnth), ad Ibtr- destede (Berstett Ct. Trucbtersbeim). ad Uotdenesheim (Gottcsheim. Ct Zabern'. ad Ostcrnuilare (unbekannt), ad Wiccbersbeim .Wichersheim CI Hocbfelden), ad Willingishusen (Wilshausen das.), atl Bossendorf ( llossendorf Ct. Horhfelden). ad Ricbeneahoven lieichsbofen Ct. Niederbronn), ad Muten- linsen in pago Nortgoae in cotnitatn Gerlmrdi eomitis. Als. d. 223.

10«5 Tres partes eeclesiae Hochfelden (Hocbfelden) sitae in paff0 Nortgmve dicto. Als. d. 264.

1153 In allodio, qnod dicitnr Altorpb (Altdorf Ct. Mölsheim) in quo Hugo abbatiain constnmf. in ptovincin Alsatia, in pago qnoque Nortliffast’ in coinitatu Kberliardi. nunc auteni baeredis sui Hugoni? silo. Al« d. 2s’.'.

Gattorte des Nortgau sind hiernach

Ct. Niederbronn: Reichshofen;

Ct. Hagenau: Schweiglinusen;

Ct. Ilrtiinath: Mommenheim;

Ct. Hocbfelden: Wilwisheim. Melsbeim, Wilshausen, Wiebelsheim.

Scherlenheim. Dossenheim, Hocbfelden, Mtitzenlinusen;

Ct. Zabern: l.upstein, Gottcsheim;

Ct. Trucbtersbeim: Berstett;

bei Strassburg: Königshofen;

Ct Molsheim: Düttlenheim, Altdorf.

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523

II ii n t a r c n.

1. Hettengau.

Im Norden der unteren Sauer.

1266 üraveschaft irnmo Hettenkouue. Ala. d. I 639.

Huntarenorte im Hettengau sind

Ct. Sulz u. Wald: Hatten, Oberbetschdorf, Niederbetscbdorf, Ritters- hofen, Schwabweiler, Reimersweiler, Kiihlendorf, Lentersweilcr. Als. ill. II 126, 240.

2. Ried.

Zwischen Hagenau und dem Rhein.

1266 Cirnvcschaft imme Ried. Als. d. I 639.

Huntarenorte im Ried sind

Ct. Seht: Reinheim;

Ct. Bischweiler: Röschwong, Roggenheitn, Forstfeld. Kauclienbcim, Ciiesenbeim. Sesenheim. Rtinzenbeim, Altenheim, Stattmatten, Dalhtinden, Dengelsheim. Als. ill. II 243.

Sesenheim mit Drusenlteim u. s. w. lag 758 auch in der .1 Inh lioiiunnnheim, die somit einen Theil der Huntare Ried bildete. Als. d. 2h.

3. Hagenau.

Die Umgebung von Hagenau.

1035 Iii dueatu Conraili in pago Ha gen owe (Hagenau) in abbatia Surburg ( Surburg) in comitatu Hugonis prineipis Alsatiae. Königshofen Chronik.

Huntarenorte

Hagenan, Surburg.

4. Sorngau.

Die Umgebung von Zabcrn.

690—724 Terra mea in Ioe.o eognoininante monte cottnne (Monsweiler an der Zorn Ct. Zabern) in pago Sornagnuginse. Trad. Wizenb. 39.

Huntarenorte

Ct. Zabern: Monsweiler.

In der Huntare lag 827 die w mriv Aquih tmsis mit Schwein- heim, Hattmatt, Dossenheim, Ottersthal, Maursmünster, Pertz Diplom. I 204.

5. Strassburg.

Die urkundlich nachzuweisenden Orte der Huntare Strass- bnrg liegen zwischen dieser Stadt und Zabern.

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524

7:19 Acta in civitate Argentoratinse (Argentoratum, Strassburg/ publice Luitfrido citice. Trad. Wizenb. 10, 11.

1S01 Infra nova civitate Argentoratinse. Cod. d. Fuld. 171.

082 Infra Argcntinaiu civitatein, quae rnstice Strazbnrg vocatur alio nomine, vel in suburbio ipsins civitatis (Strassb. lirk. 45).

Civitas ist dio Stadt, suburbium deren Gebiet, beides zusammen die Huntare. Später wird sie als comitia, comitatns, comicia oder Grafschaft jedoch ohne Namen bezeichnet.

1236 Proventns villarntn comitiae aeqnaliter dividentnr. Als. d. 480.

1275 Bonis in comitatn et extra. Als. d. 702.

1293 Bonis ad cotniciara spectantibus. Als. d. 786.

Etwa 1348 Kedditus villao Kutzclsheim et villarntn comitatns, qnae vulgariter grafschaft. Lehnsbuch des Bischof Bertold von Bucheck. Be- zirksarchiv Strassburg G. 377.

Die in dieser Urkunde aufgezeichneten Orte, also Huntarenorte, sind ausser Strassburg:

Ct. Truchtersheim: Dilgensheim (Dingsheim), Criegesheim (Griesheim). Fnlcriegesheim (Pfulgriesheim), Pfetteusheim (Pfettishoiin), Berstette (Ber- stett), Druchtershcim (Truchtersheim), Boiheim (Behlenheim), Dossenheim (Dossenheim), llimmelolzheim (eingegangen) prope Wessenheiin (Fessenheim Kutzelsheim (Küttolsheim). Dttelnheim (ItteluheimX Niigiirte (Neugart- heim), Avenheim (.Avenheim), Franchenheim (Klcinfrankenheim), Offenlii'im (Offenheim);

Ct. Maursmünstcr: ('rafftele (Krasstntt). Knörsheiin (Knörsheitn). Zeinheim (Zeinheim);

Ct. Zubern: Meinolzheitn (Hiinnnlzhcim). Luitenbeim (Littenheim)

Lupfenatein (Lupstein), Waltohlwisheim (Waldolwisheim ;

Ct. Hnchfelden: Fridesheim (Friedolsheim), Wnilermiitzheim Mutzen- hausen ?).

Ferner nicht zu ermittelnde Orte BBtenheim, Uettingen.

6. Sjteries

wird auf die Umgebung von Börscli Ct. Rosheim gedeutet.

Nach einer unächten von 662 tlatirten Urkunde aus dem 12. Jahr- hundert verlieh der König Dagobert einer Strassburger Kirche drei Höfe, darunter einen in pago, qui nuncupatur Spcries (oder Species) et in comitatn Bargense (Barr). Strassburger Urk. 1.

Im Chroniken Ebersheim des 12. Jahrhunderts, S. 13, in dem diese Urkunde verwerthet ist, heisst cs: Tercia (curtis vero uilra Ararim in comitatn Barga (Barr) sita est, qne Spcries dicitur. Auf der anderen Seite wird S|iccies ultra Ararim auf Spiez jenseits dnr Aare am Thuncr See gedeutet (Fritz, das Territorium des üistlmms Strassbnrg).

Huntarenorte Ct. Kosheim: Börsch.

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r>25

7. Bischofsheim.

Die Gegend von Biscliofsheim Ct. Rosheini.

Dieselben Urkunden wie unter G. Sperics haben In pago, qui dicitur Bischofisheiiu et in comitatu Chücheim (Kircliheim Ct. Wasselnlicim) und Biscovesheim in comitatu Tronic.

Huntarenorte

Ct. Rosheim ; Biscliofsheim.

Ct. Wasselenheim : Kircliheim.

8. Horburg

an der oberen Blindach.

Jahr? Grusenheim (Grussenheim Ct. Amlolsheim) in comitatus Hor- hurgensis (Horburg das.) ct praefoeturae Markolshemianae (Markolsheim Ct. Markolsheim) finibus. Als. ill. II 72.

Huntarenorte

Ct Andolsheim: Grussenheim, Horburg;

Ct. Jlarkolsheim: Markolsheim.

9. Sasonia.

Eine Urkunde von 861 (Gail. 487, correeter Bd. II S. 386) meldet von pagellis Prisigaugense, Aragaugense, Morinauginse, Sasonia und verschiedene darin gelegenen Orten, von denen der letzte, der also wohl in der Sasonia lag, Anheim heisst. Nach Neugart, welchem Wartmann beitritt, ist der pagellus zwischen Breisach und Schlettstadt zu suchen : Oberhalb Breisach liegt Obersaasheini, in der Nähe von Schlettstadt) Sassenheim, zwischen beiden auf badischem Ufer Sasbach. Anheim ist nach Neugart Ohnenheim Ct. Markolsheim, und ich habe danach die auch ihrer Lage im Nort- oder Sundgau nach unsichere Huntare in den erste,™ und in die Umgebung von Markolsheim gelegt.

Grafschaft en.

Als frühere GamjraJschajt ist der Xortyati nach der Urkunde von *J29 in comitatu Nortgouve beglaubigt.

Als Tlmlgawjrafsdutfhn erscheinen die Grafschaften Barr- und 'Ironie- Kircheim.

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52ß

Barr.

Von dem comitatus Bargense, dem comitatus Bara (Barr) ist nur eine ihrer Huntaren bekannt: Speries (Börsch). Sieiie die Urkunden von 662 und aus dem 12. Jahrhundert, bei der Huntare Speries).

Tronie- Kirclieini.

Diese Tlieilgaugrafschaft umfasste die Rheinebene von Wassclnheim (Marlenheim -Kirchheim) bis Schlettstadt (Onsch- weilcr) aufwärts. Uir Doppelname erklärt sieh damit, dass sie bald nach Tronie (heute Tränheim), bald nach dem Nachbarort Kircheim (heute Marlenheim -Kirchheim) bezeichnet wurde. Von der Huntare Bischofsheim heisst es einmal, sie liege in der Grafschaft Tronie, ein andermal, sie liege in der Grafschaft Kircheim, sie war also eine Huntare der Tlieilgaugrafschaft Tronie-Kircheim. Deren weitere Huntaren sind nicht bekannt.

Jahr? Hex Dagobertus apud municipium tune Troniam quasi Trojatu novam Kircheim dictum sibi domicilium fixe rat. Vita St. Florentii. Grantii- dicr Hist, de l'Egl. de Strassb. No. 22.

662 Iu pago, qui dicitur llischotislieim \ Ct. Koskeim) et in comitatn Chilcheim. Strassb. (’rk. l.

817 Actum Thronie seu Kilikheim in comitatn Wurardi. Als. d. 82

728 In pago Troningorum. Siehe unten.

12. Jahrhundert Iliscovesheini in comitatu Tronie. Chrou. Ebersheim 13. Ebenso lageu die Orte Orschweiler, Ebersmünster, Huttenheim nach der folgenden Urkunde von 728 in der Grafschaft Tronie, nach der von 817 in der Grafschaft Kircheim. Als. d. 9, 82.

Nach der Urkunde von 728 bestanden 22 Orte iu ducatu Alsacensi, seu in pago Troningorum et in pago Alsegauginse, also entweder in der Grafschaft Tronie-Kircheim oder in der Sundgauor Huntare Eisgau. I)»- yoii fallen ihrer Lage nach in den pagus Troningorum folgeude Orte, die zugleich mit Orten der Grafschaft Kirchheim nach der unten folgenden Urkunde von 817 im Gemenge lagen.

Ct. Schiltighcim: Wiclierebint (Ilreuschwickersheim);

Ct. Erst ein: Hyppenesheim (Hipsheim);

Ct. Benfeld: Hittenheim (HUtteuheim);

Ct. Schlettstadt: Otalesviler (Orschweiler), Selastat (Schlettstadt).

Fern von diesen Orten wird im Norden weiter aufgeführt: Diosesbeiui (Dossenheim Ct. Trucbtcrsheim nicht weit von Jlarlenhcim - Kirchheim, Dossenheim gehörte übrigens nach der Urkunde von 1848 der Huntare Strassburg an). Die übrigen 728 genannten Orte fielen in den Sundgau.

12. Jahrhundert. Est praefatus locus (Abbatia Novieutensis, Ebers- beim, Eüersmüuster Ct. Schlettstadt) iu Gcrmaniae fiuibus, inter Reiium et

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Vogasutu in pago Alsaciense in comitatu videlicet Tlironie. Chron. Ebcrsli; (irandidier II No. 425, S. 10.

Hl 7 Im comitatus Kircbcim liegend werden im gefälschten Privileg Ludwig des Frommen für das Kloster Ebershoim aufgefülirt: usque ad alveum Eggenbach et alveum Ille 4 III) Hnrium:

Ct. Öberehnheim: Valva (Walf);

Ct. Erstein: l'tenheim (Uttenheim), Northus ^Korthausen), Lumerslieim (Limersbeim), Hnndenesheim iHindisbeinC ;

Ct. Iienfeld: Chagenheiin (Kogenheim), Sarmeresheim (Sermersheim), iliddcnhcin; (Hüttenheim);

Ct. Scblettstadt: Oleswilre (ürsebweiler), Scerewilre (Scherweiler), Xovientem sive Ebersheim (Ebersmiinster);

Ct. Markolsheim: Niveratesbeim (Kiffern eingegangen, Kapelle in der It'arrei Schwobsheim . Bablenbeim illaldesheim . Muoteresbolz (Uiittersbolz), Witenesbeim tWittisheim), Hiltesbeim (Hilsenbeim).

Orte der Tbeilgaugrafsehaft Tbrouie-Kirchheim sind also:

Ct. Wasselnheim: Marlcnheim-Kirchbeim;

Ct. Schiltigbeim: Breusehwickersheitn ;

Ct Koslieim: Bischofsheim;

Ct. öberehnheim: Walf;

Ct. Erstein: Uttenheim, Nortbauseu, Limersbeim, Hiudisbeim. Hipsbeim;

Ct. Beut'eld: Kogenheim, Sermcrsheira, Hiittenbeim;

Ct. Scblettstadt: Orschweiler, Scblettstadt, Scberweiler, Ebersmünster;

Ct. Slarkolsbcim: Nifl'ern bei Scbwobsheim, llaidesheim, Miittersholz, Wittisheim, Hilsenheim;

Ist Tronie im 5. Jahrhundert burgundionisehes Herrschalls- gebiet gewesen? von Tronje Hagen! Der Hecke des Nibelungenliedes ist der Sage nach in Marlenheim geboren.

Als Himtarenyraf'sthal'ti >1 sind nach der Bezeichnung comitia, comitatus, Graveschaft die Huntarcn: seit 1236 Strasslmrg, seit U26ü Ried und Hettengan, ohne Jalir Horburg beurkundet.

Zweiundvierzigstes Kapitel.

Der SunHgau.

Der Gross-Sundgau hatte die Ausdehnung des heutigen Obereisass ohne die Blindachquelle und umfasste ausserdem vermöge seiner Huntareu Eisgau und Pfefferau die Umgebung von Mömpelgart und Beifort.

898 Ad monasterium Saudi (jregorii, uuod est constructum in pago lleliaacensi in parto ipsius pagi. que vocatur Sundgeuui partem proprietatia inee in pago quod vocatur Helisaceusi in Villa, quo nominatur Egisheim (Egisheim Ct. Winzenheim) et Duringheim (Türkheim das.). AU. d. 124.

903 Lutfredus in Sunckouue Souuenisheim ;Sebwobon Ct. Altkirch), Hugo in Eigenesheim (Egisheim Ct. Winzenheim). AU. d. 128.

1024 In loco Steinebrunno (Ober-, Nieder-Steinbrunn Ct. Landser) in pago Suntgowe in comitatu Ottonis. AU. d. 194.

1199 Predium Hostheim dictum (wo?) in pago Elesazen, in comitatu Suutgowe situm. Als. d. 206.

Uauorte sind also:

Ct. Winzenheim: Egisheim, Tiirkbeim;

Ct. Landser: Schwoben;

Ct. Altkirch : Ober-, Nieder-Steinbrunn.

Es hat auch in dem Gross-Sundgau eine Huntare desselben Namens gegeben. Siehe unten.

Im 12. Jahrhundert zog sich der Name Sundgau, in räum- licher U ebereinst immung mit einem Dekanat Suntgaudiae des Bisthums Basel auf das Gebiet südlich der Thur und nördlich von der Huntare Eisgau (Plirt, lTuutrut, Delle; siehe unten) zurück, und diente zur Bezeichnung der hier gelegenen vorder- österreichischen Besitzungen im Eisass: Sundgau Eusisheim oder auch Suudgau Eisass, oder bloss Sundgau.

1298 In castris iu .Saugovia. AU. d. 810.

1333 Der leudern, die in (dem Johauuos vou Hahvilro pflegen i“ auntgowe) zu hürent und die nah geschribeu staut suntgüwe Enscsheii» Cart. llulh. 177.

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529

1338 Sunggow Elsaz und Brisgow (Bezeichnung für die vorder- österreichischen Länder an beiden Seiten de« Rheins). Cart. Mulh. 194.

1347 Altkirchae (Altkireh) in Sundgovia. Als. d. 1017.

1358 Jura et statuta oppidi Dolenais in Sundgovia. So in der Ueber- schrift der Urkunde, während die Stadt im Context Dela vUelle Ct. Solo- thurn Schweiz) genannt ist. Als. d. 1081. Delle heisst in einer Urkunde von 728 Datira. Als. d. 9.

1361 Alsatia specintiui et Sundgovia. Als. d. 1109.

1387 ln Elisas und in der Suntgaw. Als. d. 1210.

1402 Bartenhemium (Hattenheim Ct. Ensisheiiu vicum Suinlgoviae Als. d. 1245.

1411 In Eisass und in Suntgow. Als. d. 1260.

1458 Im Eisass und Sundgaw. Als. d.

1510 Wir Maximilian, von Gates Gnaden ervelter Römischer keyser bekennen, dass wir Wilhelm Herrn zu Uappoltstein zu uuserm obristen hauptmann und landvogt in unsere vordem Lunden Ellsass, Sunkcw, Breysgew, der vier stet an dem Rein, an dem Schwartzwald und vas darzu gehört, zusamt unser statt Villingen aufgenommen haben Als. d. 1442.

Der Name Suudgau in dieser engern Bedeutung hat sicli noch bis heute erhalten.

H ii n t a r e n.

Als solche sind die folgenden zu 1 4 beurkundet, die weiteren zu 5-7 zu erschliessen.

1. Rubiaca.

Dem Namen nach dio Umgebung von Rufacli Kreis Gebweiler inmitten des Oberelsasses.

Angeblich 662. In pago, <jui vocatur Rubiacii .Rufacli) ot in coiuitatu Ilchicha (siehe uuten). Strassb. Urk. 1.

i. Pfefferau.

Die östliche Umgebung von Beifort. Dass die Pfefferau dem Sundgau augehörte, ist nicht ausgedrilckt.

792 In pago Pfefferauga in marca Roabach ' Happach Dcp. llaute- Saflue). Als. d. 67.

1394 Ze Perrusen (französisch Perouse). Stoffel Topograph. Wörter- buch des Ubereisass.

Huutarenorte:

Dep. Haute-Saöne: Perouse, Roppach.

Cr* ui er, Geschichte der Alamannen. 34

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r>30

3. Eisgau.

Die Huntare umfasste den Südwesten des Obereisass (und deckte sich liier mit dem baseier Dekanat Elsgaudiae) und weiter die Umgebung von Pruntrut, Delle, Mömpelgart uud fiel liier mit dem Bisanzer Landkapitel Besaufen zusammen.

Etwa 610 Ymerius ex provincia Alsegnudiae oriundus. Tronillat I 35.

7.’ 8 In dneatu Alsacensi in pago Alsegaugensi mit dem Ort Datira in fine Datirenai. (Delle Ct. Solotlmrn Schweiz). Als. d. 9.

815 In pago Alaacense et in pago Algagense in loco, qui dicitur Betlionis curte (Bethoncourt, Ct. d'Audinconrt, Doubs). Gefälschtes Privileg Karls des Grossen; Tenlet Inventaires et documeuts, Paria 18G3.

866 und 884 In Algaugensi comitatu mit curtis Jlitia (Courtemaiche hei Pruntrut). Trouillat I No. 61, 67.

870 wird in dem Vertrage von Mersen unter den comitatus Eliscliowe erwähnt. Mon. Germ. Lege« I 517.

1040 In pago Algogiensi altare S. Ypoliti (St. Hippolyte Ct. de Doubg) et altare de Domno Potro (Dampierre sur le Doubs) illudque de S. Mauricio (St. Maurice sur le Doubs). Trouillat I No. 111, S. 171.

1781 Vogtie ze Elscowe, Oberrhein. Zeitschrift IV 357.

1283 Advocatia de Ayogia. A. n. 0. lluntareuorte :

Courtemaiche, Delle, Bethoncourt, St. Hippolyte, Dampierre, St. Maurice

4. Huninga.

Die Umgebung von Hüningen, welches die Maistätte war.

828 Actum Huuiligu villa publice. Gail. 313.

1131 Hemiannus praediuin suum in pago lluniiigen situm in comitatu Adelherti. Schiiplliu Cod. dipl. hist. Zariugo-Bad. V S. 79. Huntareuort:

Hüningen.

5. ti. 7. Sundgau. Thurgau. Kembsgau.

In das noch freie Gebiet zwischen den Huntaren Rubiaca. Ffefferau, Eisgau und Huninga mögen nach zwei viel be- sprochenen urkundlichen Stellen (siehe Schricker S. 392—400) weitere drei Huntaren zu verlegen sein, die man Simdgau, Thurgau, Kembsgau nennen darf.

Nach der Erzählung des Fredegar theilten 596 bei dein Tode des Königs Childebert II. seine Söhne das fränkische Reich. Theudebert erhielt Austrasicn mit der Hauptstadt Metz, Theuderich das Reich des Guntram in Burgund mit der Haupt- stadt Orleans, dazu auch nach dem besonderen Willen seines

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r>Hi

Vaters das Eisass, in dem er aufgewachsen war: cum Teudericus Alcsaciones, ubi fuerat enutritus, preceptum patris seu Childe- berti tenebat. Im Jahr 610 wurde er aber von Theudebert mit Krieg überzogen und von dessen Heer umzingelt, und trat so gezwungen und von Schreck erfüllt das Eisass durch Ver- trag an Theudebert ab. Quactus atque conpulsus Theudericus timore perterritus per pactionis vinculum Alesatius ad parte Theudeberti firmavit, auch die Suggentenser, Turenser und Campanenser, die er öfter zurückverlangte, verlor er, etiam et Suggentensis et Turensis et Campanensis, quos saepius repetibat, idemque amisisse visus est. Fred. 37. Theuderich besass also das Eisass und musste es abtreten; seine Versuche die Sugge- tenser u. s. w. zurück zu erwerben (repetibat) waren ver- geblich. Die Suggetenser, Turenser und Campanenser bildeten somit einen Theil des Eisass.

Um das Jahr 1000 nahm Aimonius, ein Mönch von Fleury, diese Nachricht in seine Darstellung de gestis Francorum auf, aber in einer Form, welche zu Missverständnissen führte: „Der Vertrag der Brüder ging dahin, dass Theuderich die Grafschaft des Eisass und die der Sugitenser, Turonenser und Camponenser abtrat und Theudebert alle Rechte an ihnen erwarb. Conventus fratrum hujusmodi fuit, ut Alesatio d Sugetensi, Turonensi quoque ac Campanensi eomitatu Thcodericus cederet et ad Theo- debertum jus omnium hoi um transiret. Aim. III, 96. Da hiernach die drei letztgenannten Grafschaften ausserhalb des Eisass zu liegen scheinen, so hat man sie auch dort gesucht und den comitatus Sugetensis mit dem lothringischen Gau Sointensis (Saintois), den comitatus Turonensis mit dem Thurgau der Schweiz und den comitatus Campanensis mit der Campania, dem Weichbild etwa der Städte Troyes oder Augusta Rauracorum identiticirt, so dass Theuderich, was nicht sehr wahrscheinlich, den Rückerwerb von drei von einander getrennt liegenden Graf- schaften ins Auge gefasst hätte.

Vorwiegend hat man jedoch die drei Grafschaften der Nachricht des Fredegar gemäss im Eisass selbst gesucht, und da ergiebt sich dann mit Wahrscheinlichkeit Folgendes:

Die Suggentenses oder der comitatus Sugitensis sind die Genossen des Sundgau. Darunter ist eine Huntare dieses Namens zu verstehn, welche südlich von der Thur mit dem

34*

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Dekanat Suntgaudiae zusammeniällt (S. 520) und den Namen Sundgau bis heute bewahrt hat. W ie nach Auflösung des süd- lichen Gross-Alpgaus und nachdem seine liuntaren selbständige Grafschaften geworden, der Name Alpgau für die. jüngst in den Allgäuer Alpen eingerichtete Huntare blieb (S. 471), so wird man das Verhältniss der Huntare Sundgau zum gleichnamigen Grossgau zu denken haben. Man siedelte sich erst spät in den Hochvogesen an, und da die umgebenden Huntarengrafschaften ihre eigenen Namen führten, so genügte es, den neuen gleich- artigen Verband nach dem historischen Grossgau zu bezeichnen.

Die Turenses oder der comitatus Turonensis erklären sich als die Huntare Thurgau (Thur ein linker Nebenfluss der 111) und die Campanenses oder Campanensis comitatus als die Huntare Kembsgau (Kembs Ct. Landser, nördlich von Hüningen), wobei zu bemerken ist, dass im Uebrigen von einem elsässischen Thur- und Kembsgau Nachrichten nicht vorliegen.

Wir sehen nicht, dass zwischen den drei Huntaren andere lagen, und es ist daher begreiflich, dass Theuderich gerade den Complex der drei Verbände zurückzuerwerben versuchte.

r a f s e h a f t e n.

Dass der Sundgau eine Gtingrafschaft war, ergiebt (wenn nicht die Huntare Sundgau gemeint sein sollte) die Reminiscenz in der Urkunde von

101« In pago Elisazen in comitatu Suntgowe situm. Ala. <L SOS.

In dieser Gaugrafschaft wird auch ein nach der oberu 111 genannter comitutun Illchkhn oder lllvchik erwähnt, dessen Hauptort das heutige Illzach Ct. Habsheim (Azich oder Hilziacum) zu seiu scheint.

Urkundlich lag in der Grafschaft Illchicha die Huntare Rubiaca.

Angeblich 062. ln pago, qui vocatnr Rubiaca et in comitatu llchich*. Strassburg. l'rk. 1.

SIT ljuae marclia (Sulza) cst sita in comitatu Illechik. Im ge- fälschten Privileg Ludwig des Frommen für Ebcrsmiinstcr. Nach dieser

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Urkunde umspannte die marco Sulza in jugo moutis, qui Peleus dicitur (dem Sulzer Belchen) Metzeral, Stossweier, Sigolsheim und Rädersdorf.

1040 In Alsntio juxta Rhenum in coiuitatu qui pertinet ad locum Azich (Illzach) situm. AU. d. 198; bei Trouillat I 167 lautet der Text ad locum Ilzicha situm.

835 llilciaoo (Illzach) palatio regio. Als. d. 97. Illzach eine könig- liche Pfalz, die von Ililla, der 111, den Namen erhalten und auf die Graf- schaft Illchicha übertragen haben mag.

Pie Crkunde von 1040 hat weiter die Orte Rnodinsheim (Riedisheim Ct. Habsheim), Habkensheim (Habsheim), Blatzheim (Blotzheim Ct. Hüningen). Binningen (Binningen an der Birsig bei Basel).

Die Orte der Grafschaft Illchicha umfassen hiernach den Gross-Suudgau, im Norden in der Umgehung von Sigolsheim, im Westen in der von Metzeral nnd Stossweier, im Süden in der von Rüdersdorf nud Basel, und zwar

Ct. Kaisersberg: Sigolsheim;

Ct. Münster: Stossweier. Metzeral;

Ct. Sulz: Sulz;

Ct. Ptirt: Rädersdorf;

Ct. Hiiningen: Binningen, Blotzheim;

Ct. Habsheim: Hahsheim. Riedisheim, Illzach.

Diese Orte schliessen urkundlich die Huntare Rubiara (Rufach) und räumlich die Huntare Huninga in sich, und man wird bei dieser Ausdehnung annehinen können, dass die Graf- schaft Illchicha nur ein anderer landschaftlicher Name für die Gaugrafschaft Sundgau ist. Sollte dies nicht der Fall sein, so wäre sie als Theilgaugrafschaft aufzufassen.

Als Huulttmigraftrlnift ist 866, 877 und 884 der Eisgau, comitatus Algogiensis, comitatus Elischowe genannt, nachdem er etwa 610 die Bezeichnung pro vincia Alsegandiae getragen hatte; und ferner nach der dunklen Nachricht etwa vom Jahr 1000 der Sundgan, Thurgau und Kembsgau als Sugetensis, Turonensis und Campanensis comitatus bezeichnet.

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Achtes Buch.

Die

neualamannisehen Gaue der Schweiz.

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Achtes Buch.

Die

neualamannischen Gaue der Schweiz.

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Dreiundvierzigstes Kapitel.

^Übersicht.

Vom Beginn des ft. Jahrhunderts ab drangen die Alamannen von Norden her über den Rhein und den Bodensee und siedelten sich in der Vorderschweiz an, gen Süden voranschreitend, bis sie nach Jahrhunderten das Hochgebirge erreichten. Das Gebiet, soweit sie es den Burgundionen gegenüber behaupteten, lässt sich durch folgende Grenzen umschreiben: im Westen Basel, die Birsig, die Aare, im Süden der Thuner See, die Furka, der Gotthard, Tödi, Säntis, im Osten das untere Rheinthal, im Grossen die deutsche Schweiz. Hier gründeten sie drei Gross- gane, den Augstgau, Aargau und Thurgau, von denen der erstere sammt dem elsässischen Sundgau das Bisthum Basel bildete, während die beiden letzteren den Archidiakonaten Burgund. Aargau, Zürichgau und Thurgau des Bisthum Constanz angehörten. Die ( 'onstanzer Bisthumsgrenzen, denen von Basel nnd Lausanne gegenüber, schildert das Diplom Kaiser Friedrichs I. von 11 oft so:

Inter Basiliensem episcopatnm. tilii tfurius Rjeichaha (Bleiche zwischen Morfenau nnd üreisgan) cadit in Rrlinuni et sic per ripani Rheni inter silvant 8warzwalt usque ad Humen Are (Aare) ac deinde inter Lausanensem episcopatum per ripam Aree usi|iie ad lncuin Tnnse (Tliuner See), inde ad Alpes et per Alpes nd fine» Uetie Cnriensis ad rillam Montigels (Montlingen (’t. St Gallen). Wirt. 3&2. Montigels am linken Rhein war hier die Siid- grenze des Bisthums Constanz. mithin Alamanniens gegen das Bisthum und den Gau Cnrrätien.

Eine Bearbeitung der schweizer Gaue findet sich in Johannes Meyer Geschichte des schweizerischen Bundesrechts l 102.

Vierundvierzigstes Kapitel.

Der westliche Qugstgau.

Der Angstgau hat seinen Namen von der Römerstadt Angnsta Rauraracofum , heute Kaiserangst und Baselaugst am Rhein. Im Süden und Osten durch die untere Aare, im Norden durch den Rhein von der Aaretniindnng bis Basel abwärts, im Westen durch die Birs und „nach einer auf eine Urkunde Heinrichs II. von 1004 zu stützenden Ansicht durch die Birsig begrenzt, derart, dass die Grenze durch die jetzige Stadt Gross- Basel hindurch ging“ (Quellen der Schweizer Geschichte III. S. IV), wurde er von den Grossgauen Sundgau, Breisgau. Klettgau, Aargau umschlossen. 870 wird ein Baselgau er- wähnt, nach Bnrckhardt der nach seiner grössten Ortschaft benannte Augstgau. Die Bezeichnung ist nur Gau und pagus.

762 In fine Angustinse in viila Angboma ^unbekannt). Actum in Augusta (Angst) publici. Gail. 15.

704 In pago Augustannginse et in fine Methimise et in fine Streme (beiilc unbekannt). Actum in atrio Sti Gerinani ail villn.ni Helme pnblice (Möhlin bei Rheinfelden). Trouillat I s:t.

82» In pago Augnscauginse et in villis Firinisvilla (Fiillinsdorf bei Liestal) et in Munciaco (Munzach das.). Actmn in Angnsta civitate (Augst) puhlici. Gail. 271 (In den Jahren 891 und 894 wird ancli eine viila Angusta in pago Aragowe erwähnt, Gail. 284, 295).

843 erhielt bei der Theilung von Vordun Lothar I das Eisass mit Hasel und dem Augstgau, 870 hei der Theilung von Mersen Ludwig der Deutsche ausser anderen Bisthümern Basula und anderen Gatten Basalchowa.

1041 Heinrich III. schenkte der Kirche zu Basel queudam nostrae proprietatis comitatum Augusta vocatum (Augst) in pago Ongestowe et Sisgowe ait um, Trouillat 1 174. Der comitatus Augusta wareine königliche Domaine (uostr&e proprictatis), deren Besitz früher einem Grafen zum Einkommen, comitatus, überwiesen war. Waitz, Deutsche Verfassung«- gesebiebto IV ic».

Gauorte sind hiernach:

Basel, Augst, Möhlin, Füllinsdorf, Munzach.

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II ii n t a r e n.

Der Augstgau zerfiel in drei Huntaren, den Sisgau im Westen nnd in der Mitte des Augstgans, den Buclisgau im Süden und den Friekgau im Osten. Die Zugehörigkeit der Huntare Sisgau steht urkundlich fest. Augst lag nach der Urkunde von 1041 im Augstgau und in dem Sisgau, Möhlin nach der von 704 im Augstgau und nach der unten folgenden von 1048 im Sisgau.

Die Namen der drei Huntaren finden sich in den deeanatus Sisgandiae, Buchsgaudiae, Frickgaudiae wieder.

1. Sisgau.

835 Honolteswilaro (Onetzwile, heute Oberdorf an der Ilanenstein- strasse) in pago Sisigaugensi. Trouillat I 100.

1041 Coinitatum Augusta (Augst) in Ougestowc et Sisgowe. Trouillat I 174.

1048 In pago Sysgowe in villis Meliu (Möhlin) et Qurbelin (Görbel, Hof bei Rbeinfelden) in coinitatu Hodolti comitis. Trouillat I 17SI.

Huntarenorte :

Augst, Möhlin uud. Görbel bei Rbeinfelden, Oberdorf bei Waldenburg. Audi den Namen von Sissach wird man hierher stellen können.

Zum deeanatus Sisgaudiae gehörte insbesondere die Hingebung von Rbeinfelden (Möhlin, Olsberg, Mägden).

Das durch die Huntarenorte bezeichnete Gebiet des Sisgau wurde später durch die gleichnamige Landgrafschaft umfasst.

Nach einer Urkunde von 1303 hatte die Lantgrafeschaft im Siagewe diese Grenzen: im Westen die Birs bis zur Mündung iu den Rhein, im Norden den Rhein bis aufwärts zum Einfluss der Ergolz. Die Grenze reichte soweit »in den Rin, als ein man uf eim rosse mit ein) speer gelangen mag.“ Im Osten worden Buus, Wcgenstetteu, Rathenfluh als Grenzorte bezeichnet, im Süden (gegen die Huntare Buchsgau) Oltingeu, Waldenburg, Nünningen, Beinwyl bis zur Birs. Boos Urkundenbuch I 300, 307. Auch von der benachbarten lantgrafschaft von ober» Elsaze (Obereisass) heisst es, sie fahet an derBirse an. Pfyffer Habsburg-Oestorreiehisches Urkunden- buch 26.

1418 verpfändete der Landgraf Otto vou Thierstein der Stadt Basel seine landgräflichen Rechte in den Ämtern Homburg, Waldenburg und

Liestal, alle meine rechtuuge, die ich meiue ze habende an der lant-

LTaffscbaft im Sisgöw. Liestaler Archiv,

1439 Die Grafschaft im Sissgöw. Liestaler Archiv.

1468 Die lantgrafeschaft im Sissgöw, darinne Bratteleu (Pratteln) gelegen. Liestaler Archiv.

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540

Als Landgerichte der Landgrafschaft werden in der Urkunde von 1363 aufgeführt, zunächst am Rhein das niderste uf Birserein und Mnttentze ander der eichen bei Muttenz (und nach einer Urkunde von 1453 die Ding- statte zu Augst „enet dem Steg, so über die Ergentz, Ergolz geht*), das ohreste uf Erfenmatto (das für die Landgrafschaften Sissgau und Frickgau, sowie für die von der erstem abgezweigte Herrschaft Rheinfelden zuständig war); ferner in den höher gelegenen Thoileu der Laudgrafschaft die Land- gerichte .uf Glünggisbühel bi Sissach, bi Rinapurg uf der matten tRiinep- burg) und ze Nünningen uffe dor Huben.“ Sie werden wenigstens tlieil- weise als alte Malstätten der Huntare Sisgau anzusehen sein.

2. Buchsgau.

Die Südgrenze des Buchsgau war die des Grossgaus, die Aare, die Nordgrenze der Kamm des Jura. Mit welchen Orten hier der Sisgau au den Buchsgau stiess. ist nach der Urkunde der Landgrafschaft Sisgau von 13(13 bereits dargestellt.

lOSO (Juendam romitatuui Itarichingen (wo?) in pago Buchsgowe situm. Trouillat I 208. Wahrscheinlich ein als Grafeneinkommen dienender Hof.

1428 werden in einer Buchsgauer rrkuude als nördliche Grenzorte aufgeführt: der niedere Hauensteiu bei I.äufelfingen, Eptingen, Dingenbruck. Beinwyl. Solothurner Wochenblatt 1820, 330.

3. Frickgau.

Die Grenzen des Grossgaus im Norden, Osten und Süden. Rhein und Aare waren auch die der Huntare. Gegen Westen stiess sie an den Sisgau.

Zu 926 In pago. quem Friccouve dicunt. Kkkehardi Casus Sti. Galli 64.

Später wurde der Frickgau eine Landgrafschaft desselben Namens, der auch noch heute im Friekthal und dem Ort Frick erhalten ist.

Grafschaft e n.

Aus der Grafschaftsentwicklung sind nur die beiden Land- grafschaften Sisgau und Frickgau anzuführen.

(Hettsler, Verfassungsgeschichte der Stadt Basel im Mittel- alter S. 16—29; Burckhardt die Gauverhältnisse im alten Bisthum Basel und die Landgrafschaft im Sissgau, in den Beiträgen zur vaterländischen Geschichte des historischen Vereins zu Basel XI.

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Fünfundvierzigstes Kapitel.

Der dargau.

Die Aare schloss von der Reussmündung im Norden, dann im Westen und Süden, durch den Thuner- und Brienzer See hindurch bis zu ihrem Ursprung im Berner Oberland den Gross- Aargau ein und hat ihm den Namen gegeben. Die östliche Grenze gegen den anstossenden Gross-Thurgau bildete die Reuss (Siehe Näheres iin nächsten Kapitel.)

Der Gross-Aargau heisst Gau und pagus, zweimal pagellus, einmal regio, z. B.:

703 In Argouwe regione. Neug. 3».

778 In pagello Aragaugenae. Neug. 69.

831 In pago Argauginse. Gail. 338.

861 In pagellis Aragaugenae. Gail. 487.

886 In pago Aragenve. Gail. 650.

Im 8. Jahrhundert waren die südlichsten Orte Schcrzlingen und Spiez au Thuner See. Sie bestanden schon 763. Neug. 39.

li ii ii t a r e n.

Nur drei linde ich verzeichnet.

1. Lenzburg.

Comitatus Lenzburgensis. Episcopatua Couat. I, I, 91 und 354.

•2. Rore.

Die Huutare war 1027 eine Grafschaft, in der damals das Kloster Muri gegründet wurde.

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10'J7 Monasteriuui iu loco qui Mure dicitur iu pago Argoia. in comitatu Koro. (Quellen zur Schweizer Geschichte Muri III, 1.

1114 Mouasterium in pago Argouve, qnod Mure uuncupatuiu esi Muri 14.

I>oide Huntarcu lageu im Kapitel Mellingen.

3. Vilvesgau.

Uüh Tn viila liilueshusa (Wolhausen) in comitatu Walteri couiitis. iu pago (juo4|uo Vilvesgeuuo (Willisau) sitos. Ncug. 799.

Die Orte liegen in dem Kapitel Willisau.

Grafschaf tc n.

Bereits im 9. Jalirliuudert sind im Grossgau zwei Tlieil- gaugrafscliafteii zu unterscheiden, eine obere mit dem Arcln- diakonat Burgund, und eine (nicht genannte untere) Grafschaft, die mit dem Archidiakonat Aargau zusammenfiel, so weit im Osten der Gross- Aargau reichte (S. 339). Der oberen Graf- schaft und dem Archidiakonat Burgund entsprechen die Kapitel Winau, Aarberg, Münsingen, der unteren Grafschaft und dem Archidiakonat Aargau (soweit letzteres im Gross-Aargau lag) die Kapitel Burgdorf, Willisau, Itusswil, Aarau, Mellingen, sowie die Huutaren Lenzburg, Rore, Vilvesgau und andere nicht bekannte.

816 ln superiori pago Aragaugins«. Gail. 4s6.

8‘J4 Iu superiori Aragouvc in comitatu Heparhardi. ln superiori pago et comitatu. Gali. 695.

Nach diesen Erkunden lageu in der oberen Grafschaft Langenthal. Kcrreuried, Küren, Lyssaeh, Käriswil, l'etiugen, Kigel, Alberswil, Uonur- kingeii, Radetfingen, Eichi.

Die untere Grafschaft umfasste somit das Gebiet der Sempaclier, Boldegger und Hallwiler Seen bis zur Reuss.

Neben den comitatus Lenzburg und Rore wird auch ein Couiitat des Grafen Cliadaloh mit einer villa Augusta erwähnt.

891 In pago Aragouve in comitatu Chadalohi in Villa Ausjusta Gail. 694.

Meyer I, 195, 196).

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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Der Thurgau.

Der Gross-Thurgau hat seinen Namen von der Thur (Dura), deren Gebiet die von Norden eiudringcnden Alamannen also zunächst besiedelt haben. Der Bodensee (Ober- und Untersee), der Rhein bis zur Einmündung der Aare bildeten die Grenze im Norden; die Reuss vom Ursprung ab, Wangen im Cantou Schwyz waren thurgauiseh, Sebänis zwischen dem Züricher und dem Wallensee, dieser und Gützis am Rhein waren currätisch. Im Osten reichte der Thurgau, wenn der Rheingau ihm zu- zuzählen ist (siehe unten), soweit das Rheinthal am rechten Ufer sich ausdehnte.

Im Westen stiessen der Thurgau und der Gross-Aargau an einander. Engelberg wird in Urkunden von 1122 und 1124 zum Thurgau gerechnet, eine Bestimmung, der wohl der Vorzug vor der Nachricht von Tschudi, Schweizer Chronik von 1534, zu geben ist: „Zwüscheu Gersow (Gersau) und Wättgis

(AVäggis), also dass Gersow zum Thurgöw und Wätgis zum Ergöw gehöret, und von demselben ort durch den Waldstättcrsee hinüber bis an die Treib und damit dem Hochgebirg (Uriroth- stock) nach, so Uri und Underwalden ouch Engelberg (also zum Aargau?) von einanderen scheidet.“ Von Luzern bildete weiter die Reuss bis zu ihrem Einfluss in die Aare die Grenze zwischen dem Thur- und Aargau und von da weiter schied die Aare, bis sie im Rhein mündet, den Thurgau von dem Augstgau.

Im Süden und Südosten lagen die Furka, der Gotthard, Tödi und Säntis, sowie das Rheinthal bis Mömlingen abwärts.

Der Grossgau trägt die Bezeichnung pagus und auch im Gegensatz zu seinen Huntaren und Grafschaften situs, z. B. 744

In pago Durgaugensc, Gail. 10; 75l> In pago Durgaui, Gail. -24: 7!»!> In pago Arbonensi vel in sito Durgogensi, Gail. 85; einmal provincia: 884 Durgaugiensis provincia, Gail. 038.

li II II t a I* 0 II.

Als solche sind Bischofsliori, Arbongau, Schwyz, Uri, Unter- walden und wahrscheinlich Oberhasli und Rheiugau zu erseheu.

1. Bischofsliori.

Die Huntare wird in einer Urkunde von 1155 dreimal pagellus Biskoffesliori genannt, ihre Grenzen werden beschrieben. Wirt. 352, siehe auch Jahr 854 : Quicquid habuerunt in Biscoffes hori. Wirt. 121. Die Huntare nahm die Umgebung von Constanz und den Osten des Kapitel Steckborn ein, mit den Orten Münsterlingen, Tägerwilen, Triboldingen und anderen.

Die Bischofsliori war 1155 eine dem Bisthum zinspflichtige Markgenossenschaft, in der Fremde nur mit Erlaubniss des Bischofs Grundbesitz erwerben konnten (Gothein, Wirtschafts- geschichte des Schwarz waldes I, 71).

2. Arbongau.

Der Arbongau wurde nach dem Römerort Arbor am Boden- sec genannt. Die Huntare fiel mit dem Kapitel St. Galleu zusammen, soweit dieses nicht im Osten dem Rheingau entsprach. In den Galler Urkunden des 8.— 10. Jahrhunderts werdeu aber nur Orte in der Kühe des Bodeusees bis St. Gallen auf- gefuhrt. Appenzell war noch nicht besiedelt.

Die Huntare trägt die Bezeichnungen Gau, pagus, marca, situs, Anis, und ihre Zugehörigkeit zum Gross-Thurgau wird öfter hervorgehoben: der gewöhnliche Ausdruck ist pagus Arbonensis.

SU In pago Arbnncauwe, Gail. 204; 837 In pago Arbungaue, Gail. 301; 805 In marca Arbuna, Gail. 134; 775 In pago Thurguugia in Arboneusi pago, Gail. 73; ähnlich 797, Gail. 144; 779 In pago Arbonensi vel in sito Durgogensi, Gail. 85; 788 In pago Durgaugensi et in sito Arbonensi. Gail 117, 119; 791 ln pago Turgaugense et in fine Arbonense, Gail. 130.

Als Huntareuurte werdeu aul'geluhrt: Eguach, Buch, Arbou, Steinach, Rorschacli, alle am Ufer des Sees; Goldach, Berg, Mürswil, Gommers« il und St. Gallen.

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In St. Gallen errichtete in der ersten Hälfte des 7. Jahr- hunderts Gallus eine Anzahl Zellen um eine Peterskirche, in denen er mit seinen Schülern nach den Lehren des Columban asketisch lebte. Aus diesen Zellen entwickelte sich nach seinem Tode das Kloster, von dem aus die Umgebung bekehrt wurde. Der heilige Gallus und das nach ihm benannte Kloster nahm bald einen national-alamannischen Charakter an.

Der Grafenfamilie des Arbongaus, welche der Niederlassung Schutz gewährte und ihre politische Stellung förderte, gehörte in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts der Graf Waidram au (Rettberg, Kirchengeschichte II, 41, 45, 111—114). Es scheint, dass dieser Graf Waidram es war, nach welchem der pagus Arbonensis zugleich den Namen Waldrammislnintare annahm, denn um die gleiche Zeit werden die Orte Rorschach und Goldach als in der einen, wie in der anderen Huntare liegend aufgeführt, und Hefenhofen und wahrscheinlich auch Kesswil, die im Bezirk des Arbongau liegen, als der Waldrams- huntare angehörig bezeichnet. Den Forst Arbon siehe unten.

850 In pago Arbouensi inter Coldahun (Goldach) et Roracachun ( Korschach) situm. Actum in monasteriu Sti dalli sub Uodalricho comite. Gail. 40«.

852 In pago Turgaugeusi, <iuod tarnen specialitor dicitur Wald- rammisliuutari in villa Hebinhova tllefenhofcn). Actum in monnsterio Sti Galli sub Odnlrieo comite. Gail. 41«, 420.

855 In pago Durgaugensi et in situ Waldrammishuudnri in loco Cotinuowilare (nicht zu bestimmen) villa Uorscaho seu Coldahun. Actum in Coldahun sub Odalricho comite. Gail. 444.

880 In Chez- (zinwilare ergänzt von Wartmaun, Kesswil) in Wald- rammeshnndare. Actum in tnonasterio St. Galli publice sub Adalberto comite. Gail. 478.

3. 4. 5. Schwyz. Uri. Unterwalden.

Die drei Waldstätte waren Huntaren und führten deren Bezeichnung Thal, vallis. Mit ihnen deckten sich Landkapitel. Sie haben als „Urcantone“ ihr Gebiet bewahrt.

Schwyz hiess nniversitas vallis de Switz, sein Kapitel Schwyz.

973 erscheinen die dem Canton Schwyz ungehörigen Orte des Zürich- gaus (siehe unten), im Süden des Züricher Sees: Bach, Freyenbach, Alt- Rapperswyl, Siebneu, Knti, Wangen (diese 3 in der March) und im Norden des Vierwaldstätter Sees: Schwyz. Wirt. 188.

Im Mittelalter zerfiel die Huntare in vier Viertel.

Cr*m er, Ueacbichte der Alamannen. 35

Uri liiess pagellus, vallis, Universitas vallis Uraniae, seine Malstätte war unter der Linde in Altdorf, sein Kapitel liiess Uri oder Altdorf.

853 Cnrtim nostram Turegum in ducatu Alamauniae in pago Dur- gaugense, id est pagellnm Uroniae. Neug. 349.

857 In valle lTrania. Neug. 349.

972 Uronia, Urania. Neug. 817.

1258 war der Graf Rudolph von Habshurg während des Interregnnins von Schwyz, Uri und Unterwalden zum capitaneus seu protector erwählt und überwies die Güter zweier Verurtheilter per sententiam difnnitivam cum consensu et conniventia universitatis vallis Uranie der Abtei in Zürich. Acta snnt haec sub tilia in Altorf. Neug. 96 6.

Als Uuntarenorte sind Altorf, Bürglen, Attinghausen, Erstfeld, Silenen genannt.

Im Mittelalter zerfiel es in zehn Genossame.

Auch Unterwalden bildete noch nach Urkunden des 13. Jahr- hunderts eine Einheit, Universitas vallis Unterwalden, war aber schon damals getheilt in Unterwalden mit dem (Kern-) Wald, zusammenfallend mit dem pagus Stanz, dem Kapitel Stanz und dessen zwei Kirchspielen Stanz und Buochs, und in Unterwalden ob dem Wald, zusammenfallcnd mit dem pagus Samen, dem Kapitel Sarnen und dessen zwei Kirchspielen Kerns und Sarnen. Unterwalden war also eine Huntare, die in zwei zerlegt wurde und gewisse Angelegenheiten als gemeinsame beibehalten haben wird.

Die Bevölkerung bestand in den drei Waldstätten aus Freien und Hörigen, aus weltlichen und geistlichen Grundherren und bildete in Schwyz und Uri, und ohne Zweifel auch in Unter- walden, Markgenossenschaften.

Es gab Dorfmarken (in Schwyz unter der Leitung von Dorfzweiern oder Dorfvierern), ob auch Zehntmarken, die etwa den angegebenen Huntarentheilen entsprachen, muss dahingestellt bleiben; aber in Schwyz und Uri, und auch wohl in Unter- walden Hunturmmarken, Gemeingut der Landschaft an Wiesen, Waldungen, Alpen.

Markgenossen waren durch Geburt oder Aufnahme in das Landrecht Freie wie Unfreie, in Schwyz die „gemein Laundlüt“, „gemein Nachpuren“; sie waren „an velt, wasser, holz, wnnn und weide des Landes“ berechtigt, trugen die Lasten des Landes und bildeten die Landsgemeinde, welche über die Mark verfügte

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und die öffentliche Gewalt inne hatte. Unter ihr standen zwei oder später vier Amtmänner, von denen Einer (nach der Be- seitigung der Reichsvögte) als Landammann, vallis judex, die Geschäfte des Landes führte. Nicht vollberechtigt waren die „sunder Personen“, die Hintersassen und Ausleut. Aehnlich wie diese aus der Mark hervorgegangene Verfassung war die von Uri und wohl auch die der beiden Theile von Unterwalden.

In Uri zerfällt die Landsmark räumlich in zwei Thäler, welche durch die Schlucht der Schöllenen geschieden sind. Im unteren Thal von Uri ist ein grosser Theil des ebenen Landes in Privateigenthum übergegangeu, während Wald, Alpen und einige Allmenden in der Nähe der Dörfer Gemeingut geblieben sind, dessen Nutzung vielfach einzelnen Kirchgängen (Kirchen- gemeinden) überlassen ist; die Weiden des oberen, des Urseren- thales, sind der Korporation der Nutzniesser von Urseren überwiesen.

(Maurer, Einleitung 292, 302 322; La veleye - Bücher, Ureigenthum 126.)

6. Oberliasli.

Auch die Landschaft Oberliasli wird als Huntare anzusehen sein. Sie besteht aus sechs Gemeinden: Meiringen, Hasliberg, Schattenhalb, Innertkirchen, Gadmen und Guttannen, welche als allgemeines Landschaftsgut die Aaralp, Grimsel, Handeck (und das Grimselspital) besitzt.

(Schatzmann, Die Alpeuwirtschaft der Landschaft Oberliasli.)

7. Rheingau.

Das untere Rheinthal von Currätien (Götzis) an bis zu den Mündungen des Flusses bildete die Huntare Rheingau. Sie lag an seinen beiden Ufern, am linken, wo Montlingen nach der Ur- kunde von 1155 bereits (S. 330, 534) als Grenzpuukt des Bisthums Constanz gegen Currätien genannt ist, am rechten, soweit die Ebene reicht, zum grössten Theil dem Kapitel St. Gallen des Archidiakonats Thurgau, zum geringeren dem Kapitel Bregenz des Archidiakonats Allgäu zugehörig, so dass der Rheingau als Huntare wahrscheinlich mit dem Gross-Thurgau und nicht mit dem Gross-Alpgau verbunden war.

Der Rheingau wird Gau, pagus und 980 comitatus genannt.

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890 In pago Kingouve curtem Lnstenouvam (Lustnau). Gail. 680.

904 In Riugovve in loco Farniwang (Bernegg). Gail. 788.

967 In pago Ringuovve in villa, cujus vocabnlum est Thornbiura. Actum in loco Tborrenbiurra (Dornbirn). Xeug. 740.

980 In pago Ringovvo in comitatu Adalberti in vicis utriusque ripae (der Dornbirner Ach) Hohstedi (Höchst, links) et Torromburra (Dornbirn rechts vom Fluss). Wirt. 193.

Nimmt man dazu Montigels (Montlingen) als die Südgrenze Ala- manniens, hier des Rheingans, so ergeben sich als dessen Huntarenorte

links vom Rhein Montlingen uud Bernegg;

rechts vom Rhein Lustnau, Höchst, Dornbirn, sodass der Rheingau das Rheinthal an beiden Ufern bis an die Appenzeller und Vorarlberger Alpen auszufüllen scheint.

Als die Trennung des Rheingaus vom Thurgau längst statt- gefunden, wurde im Jahr 890 die Grenze zwischen beiden Verbänden, welche, da der Rheingau beide Ufer des Rheins umfasste, auf dessen linker Seite liegen muss, bei Gelegenheit eines Eigenthumsstreits um Güter des Klosters St. Gallen nach Vernehmung zahlreicher Zeugen festgestellt. Gail. 680. Was in der Urkunde Thurgau genannt wird, ist speciell dessen Huntare Arbongau, so dass man den einen Namen auch für den andern setzen kann.

Die Grenze lief de Schwarzunegka, ubi aquao adbuc ad nos (St. Gallon) vergunt, et inde usque ad Manen in medium gurgitem Rheni, et inde usque ad lacum Podamicum.

Von diesen Orten sind Sehwarzeneck und Manen streitig. Ein Schwarzenegg oberhalb des Kirchdorfs Haiden auf der Berghöhe Kaien kann nicht das gemeinte sein, da es ausser jeder geographischen Be Ziehung zum Rheintbal steht, wohl aber Ober- und Unter-Schwarzenegg ein Alpen- und Weidestrich am westlichen Abhang der Berghohen Fähnern und Kamor, von wo die Wasser nach St. Gallen iliessen. Der Name Manen wird auf den Plural von Mond, auf Man zurückgeführt und als die darunter zu verstehenden Orte kommen Maningeu (jetzt Meiningen), Mon- tigels (jetzt Montlingen) und Monsteiu in Betracht. Meiningen ist nicht zu berücksichtigen, da es am rechten Rhein liegt und schon zu Cürrätien gehörte, welches bis Götzis hinabreichte; Montliugen nicht, weil eine von da zum Bodensee reichende Rheingrenze Bernegg, das nach der Urkunde von 904 zum Rheingau gehörte, nusscblicssen würde, so dass nur Monstein bleibt. In seiner Nabe tritt ein Ausläufer der Appenzeller Berge, ein senkrecht abfallender Felsen von 30 60 Fuss Höhe bis hart an den Rhein heran und bildet einen natürlichen Abschluss des ganzen linksrheinischen Thaies.

Die aus den Zeugenaussagen sich ergebende Grenze des Thurgau und Rheingau lief also von Ober- und Unter-Schwarzen-

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egg am westlichen Abhang der Wasserscheide gegen St. Gallen zu dem bei Monstein vorspringenden Felsen, um den sich der Rhein windet, „bis zur Mitte des Rheins“, und diese blieb Grenze, „bis wo er in den Bodensee fliesst“, von dem Felsen bei Monstein bis zum See noch heute die Grenze zwischen dem Canton Appenzell und Vorarlberg.

Innerhalb des Gebiets des Rheingaus, dessen westliche Grenze so bezeichnet ist. lagen, so wurde durch die Zeugen bekundet, auch die Guter, welche dem Kloster St. Gallen gehörten, oder an denen es Weiderechte hatte: a rivo Eichibach (nach Neugart und von Ars Eichberg in der Pfarrei An) usque ad Scrienespnch (nncb Neugart Umgegend von Eichberg, nach von Arx und Mooser Schweinsberg neben Oberried und Hontlingen) excepto liermentines, qui specialis terminus est (unbekannt), exceptisque nemoribus (an denen jedoch Weiderechte zustanden) Uobolo (Kobelwald), Thiot- poldesouva (I)iepoldsau), Iberinesouva (Nengart vennuthet Widnau, von Arx Au) et Palgaa (Balgach), so dass das Kloster am linken Rhein von Oberried bis Balgach berechtigt war.

Die gesammteu Huntareuorto umfassten aber die Rheinebene beider Ufer

links vom Rhein Oberried, Kobelwald. Hontlingen, Diepoldsau, Widnau, Balgach, Bernegg, Monsteiu;

rechts vom Rhein Lustnau, Höchst, Dornbirn. Das letztere gehörte dem Kapitel Bregenz, alle andern dem Kapitel St. Gallen an.

Der Ford Arbon.

Nicht nur die vorwiegend kirchliche Zugehörigkeit würde für die politische des Rheingau zum Thurgau sprechen, sondern auch der Umfang des Forst Arbon, wenn er, wie wohl behauptet wird, sich über beide Verbände erstreckt hätte.

Die schon erwähnte Urkundo Friedrichs I. von 1155, welche die Grenzen des Bisthums Uonstanz verzeiebnete, umschrieb auch die des Arboner Forstes.

Sunt termini foresti Arbonensis ad Humen Salmasa (die Saluisach), inde per decursum ejus aqune ad Humen Steinaha (die Steinach, beide münden zwischen Romaushorn und Rorschach in den See ; statt der Steinach scheint jedoch der Ort Steinbrunn gemeint zu sein), inde ad locum Mola (Mühlen), inde ad Humen Sydronam (Sitter), inde ad albam Sydronam (den Weissbach, Nebenfluss der Sitter), inde per decursum ipsius Huminis ad montem liimelberg (in der Pfarrei Gonten), inde ad Alpem Sambatinam (Säntiser Alp am Säntiser See und dem Hohenkasten), inde per flrstum (den First des Hohenkasten, Kantor, Fähnern) usque ad Rheuum, ubi in vertice rupis similitudo lunae jussu Dagoberti regis, ipso praesente, sculpta cernitur ad discernendos tenninos Burgundie et Curiensis Rhetie, inde per medium Khenum usque in lacum (den Bodensee), inde ad gemundas (zur Mündung) ad praedictum fluvium Salmasa. Neug. 800, Wirt. 352.

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Der Forst umfasste somit die Umgebung von St. Gallen und Appenzell zwischen dem See und dem Rhein. Wo aber stiess er auf den Rhein? und da erhebt sich der Streit zum zweiten Mal um Montigels (Hontlingen) und Manen (Monstein).

Die Urkunde von 1155 spricht an zwei Stellen von dem fränkischen König Dagobert aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts, und wider- sprechend von den Bewohnern des Rheinthals zu seiner Zeit. Nach der zweiten, eben citirten Stelle sind es ad Rhenum die benachbarten Bur- gundionen und Currätier, denen er selbst anwesend mondförmige Grenz- zeichen auf die Höhe von Felsen einhauen lässt, nach der ersten, welche die Grenze des Bisthums Coustanz 'S. 330, 534) im Süden und Südosteu ad Alpes et per Alpes ad fines Retie Curiensis ad villara Montigels (Möm- lingen) laufen lässt, sind es hier die Alamannen, deren conatanzer Bis- thumsgrenzen er den anstossenden Currätiern gegenüber testsetzt. Die letztere Nachricht ist die richtige, da möge die alte Bisthumseinrichtung von Dagobert herrühren oder nicht diese bis 1155 und länger fortdauerte Dass dagegen die Burgundionen jemals im schweizerischen Rheinthal gesessen, widerspricht aller Wahrscheinlichkeit und allen Nachrichten. Sie hätten dann von den Currätiern vertrieben werden müssen, denn diese sassen zur Zeit der Karolinger im oberen Rheinthai und tun den Vorder- und Hinterrhein, die Burgundioneu dagegen um die Rhone. Die späte Nachricht über die Burgundionen ist daher ungetchichtlicb und Dagobert selbst als die Verkörperung ehrwürdigen Alterthums aus uuserer Urkunde zu beseitigen; und ebenso fällt die Setzung der Grenzzeichen durch den König als durchaus sagenhaft weg.

Aber die Nachricht Uber das Bestehen von mondförtnigen Grenzzeichen ist doch ohne Weiteres nicht mit zu verwerfen. Setzten doch die Alamannen und Burgundionen schon 4 Jahrhundert, um ihre Gebiete zu begrenzen, am obergermanischen Limes Grenzsteine. Amminn 18, 2, 15. Die Mond- zeichen weisen auf Montlingen und Monstein beide ad Rhenum hiu, deren Namen von der Form der Zeichen, similitudo lunae, herrühren könnten.

Dass Montlingen der gemeinte Grenzoit des Forstes sei, ist wenig wahrscheinlich, denn bereits die Urkunde von 890 lässt eine umfangreiche Besiedlung des Rheinthals erkennen. Dagegen glaubt Pupihofer am Fuas der Fähnern zwar nicht ad Rhenum, aber per firstum die Mond- zeichen zu finden. Hier erhebt sich eine knieförmig hervortretende Felsen - terrasse, die als steile Felswand abfällt und als Bildsteinfels bezeichnet ist; den Namen Bildstciu tragen auch die bei und unter dieser Felswand liegenden Alpenweiden, bei denen von einem Bildstock, von welchem der Name sonst etwa herrühren könnte, nichts bekannt ist. Ob damit da» Problem gelöst ist, mag dahin gestellt bleiben. Aber es sei darauf aufmerksam gemacht, dass von hier aus die Grenz - Beschreibung des Forstes (wenn man die

Dagobertscheu Mondzeichen weglässt): per firstum usque ad Rhenum.

inde per medium Rhenum usque in lacum mit der der Thurgau- Rheiugaucr Grenze von 890 übereinstimmt: „de Schwarzuuogka usque ad Mauen (Monstein) in medium gurgitem Rheni et inde ad lacum Podumicum*.

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So darf inan denn den Kuss der Appenzeller Alpen bis wo sie bei Honstein vorspringen, für die östliche Grenze des Arboncr Forstes halten, welche mit der Thurgau-(Arbon) Rheinganer iibereinstimmte und den Namen des Arboner Forstes rechtfertigt. Sein Umfang ist mitliiu ohne Bedeutung für die Zu- gehörigkeit des Rheingau zum Gross - Thurgau.

(Siehe in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und »einer Umgebung. Heft 6 und Ö, die Aufsätze von Pupihofer, Meyer von Knonau und Mooser über die Grenze zwischen dem Rheingau, Currätien und Thurgau).

Grafschaften.

Schon bei Beginn unserer Urkundennachrichten (744) be- stand im Gross -Thurgau eiu nach Zürich (Turicum) genannter situs Zurichgauvia, ursprünglich wohl eine blosse Huntare. Int 9. Jahrhundert erscheint dann der Gross-Thurgau von Nord- westen nach Südosten in zwei Tlttilgaugraßchafhn zerlegt, eine Grafschaft Thurgau im Gebiet der Thur, und eine Grafschaft Zürichgau im Gebiet des Züricher und Vierwaldstetter Sees. (Siehe oben 3. Schwyz.) Als geschichtliche Erinnerung blieb aber der Name Thurgau dem ganzen Umfang des alten Gross- gaus, wie zahlreiche nach dem Tlmrgau benannte Orte erweisen.

Die Grenze, welche etwa von der Töss gebildet wurde, wies der Grafschaft Thurgau die den Kapiteln St. Gallen, Steckborn, Winterthur, Frauenfeld, Wil entsprechenden Huntaren (also den Arbongau, die Bischofshori und andere nicht bekannte) zu, der Grafschaft Zürichgau die den Kapiteln Regensburg, Bremgarteu, Zürich, Wetzikon, und bei ihrer späteren Besiedelung Schwyz, Uri, Stanz, Sarnen entsprechenden gleichnamigen Huntaren. In beiden Grafschaften waren demgemäss regelmässig verschiedene Grafen.

744 In pago Durgaugeuso in sito Zurichgauvia. Gail. 10, 11; 775 ebenso Gail. 77, Sö.

S70 In pago Durgeuve vel ut nunc dicitur Zurichgcnvve. Gail. 54S

»93 In pago Durgouve et in Zuriehgouve. Gail. 689.

873 Sub Adalherto comite Durgaugensi. Gail. 572.

»75 Adalbertus comes in suo comitatu. ijui dicitur Durgauge. Gail. 588

876 Adalberto comite in Durgouve. Gail. 595.

878, »79 In comitatu Turgeuwo. Gail. 608, 613.

8»7 Adalberto comite in Durgouwc. Gail. 617, 618.

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898 In pago Turgoue, comitatu Adelperti. Gail. 716.

912 In pago Tuhrkoueusi, comitatu t'odalrici. Gail. 709.

875 Zurigaugensis comitatus. Gail. 586.

898 In pago Thurico, comitatu Adalgozzi. Gail. 716.

903 Purchart, marchio Thnringionuin. Gail. 726.

905 In comitatu Zurihgouue. Meng. 760.

973 In comitatu Zurihkevve. Wirt. 188.

1040 In comitatu t'iurihogouue. Wirt. 223.

1050 Eberliardus cornes Turegic provincie. Schaffli. 3.

1127 In pago Zurichgowa. Schaffli. 04.

1282 Zurichgaudia. Neug. 1028.

Bia zum .lahr 1000 linde ich in der Galler Sammlung ala südlichste Ürtc verzeichnet:

in der Grafschaft Thurgau:

St. Gallen, Goasau, Obcrglatt. Wattwil, Oberhelfenscliwil;

in der Grafschaft Zürichgau im Gebiet des Züricher Sees: Kalten- bruum-u, Utztiach, Wangen, Lachen, Altendurf, PfSfhkon, Freyenbach, Bach. Hausen, Affoltern.

Neben diesen beiden Theilgaugrafsclmften ist weiter der 980 als Hinilareiitjrtifsclutff genannte Rlieingau zu erwähnen.

(Meyer I, 194, 195).

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Anhang.

Siebenundvierzigstes Kapitel.

Der Gau Gurräliert.

Wie sich in der Nachbarschaft der Alamannen die Gau- verhältnisse bei den Romanen (Walchen, Wälschen) entwickelt haben, möge hier einer vergleichenden Betrachtung unterworfen werden. Manche Analogien stellen sich dabei heraus, und die alamannischen Einrichtungen sind geeignet, an einigen Stellen Licht auf die dunkeln romanischen zu werfen.

Nachdem Drnsus im Jahr 15 vor Chr. Rätien und Vindelicien erobert, wurde aus beiden die römische Provinz Raetia gebildet, die etwa um das Jahr 300 nach Chr. in zwei getheilt wurde, in die südliche, alpine Raetia prima und in die nördliche Raetia secunda der Ebene, zwischen denen der Bodensee und der Saum der Alpen bis zum Inn die Grenze bildete.

Nachdem die Alamannen im 5. Jahrhundert die Raetia seennda bis zur Iller und zum Lech, die Raetia prima, soweit der Gross-Thurgau (sammt dem Rheingau) reichte, besetzt hatten, kamen beide Rätien 493 unter die Herrschaft des Ost- gothenkönigs Theodericli, der ihnen die weitere Besiedlung ge- stattete, einen dux Raetiarum an die Spitze der beiden Provinzen stellte, und im Uebrigen die römischen Einrichtungen und das römische Recht bestehen liess. So kamen die Rätien 536 an die Franken.

In der Raetia prima war die Stadt Cur, Curia Raetorum, ein römischer Stadtbezirk, civitas, als solche der Sitz des

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römischen praeses provinciae und auch wohl der gothiselien Herrschaft und wurde nach der Ausbreitung des Christenthums seit dem 4. Jahrhundert der Sitz eines Bischofs, dessen Spreugel südlich von dem alamannischen Bisthum Constanz die romanische Bevölkerung im Westen und Südwesten der Rätia prima bis zum Arlberg und Meran umfasste. Die weltliche und geistliche Macht dieses Sprengels, der Raetia Curicnsis, eines Gaus und eines Bisthnms, vereinigte sich in der Hand des Bischofs, der als weltlicher Herr wie der römische Statthalter präses, später rector, als geistlicher episcopus hiess. Er war vom fränkischen König bestätigter Würdenträger des Reichs. Abgesehn hiervon wurde die Doppelwürde Jahrhunderte lang in dem Haus der Victoriden, bedingt von der Bischofswahl, erblich und erinnert durch ihre Erblichkeit an die Stellung der alamannischen Gaukönige.

Wie der alamannische Gau in Huntaren mit Hunnen an der Spitze, so zerfiel die Raetia Curiensis in Schultheissereien (scultatia) mit Schultheissen als Vorstehern (scultatius, scultaizus).

An den Malstätten dieser Bezirke versammelten sich die freien Grundbesitzer (boni homines) zur Gerichtsversanmilnng (placitum), in der auch unter ihrer Zustimmung der Schultheis» von dem Präses ernannt wurde. Hier hielt in grösseren Sachen der Präses oder sein Stellvertreter (judex publicus) unter Zu- ziehung des Schultheissen, in kleineren dieser selbst Gericht ab. und nach dem System der persönlichen Rechte wurde den Romanen römisches Recht, dem Alamannen alamannische» gewährt. Hier treten allenthalben die Analogien alamannischer Rechtszustände zu Tage.

Wie die Merowinger dem alamannischen Königthuui, so machte um die Jahre 805 oder 806 Karl der Grosse dem Rektorat der Bischöfe ein Ende, erklärte Currätien zum Herzog- thum (ducatus) eines Herzogs (dux) und führte die fränkische Grafschaftsverfassung ein. Er zerlegte es in zwei Grafschaften (comitatus) mit je einem Grafen (comes) an der Spitze: ge- wöhnlich war der Herzog zugleich einer dieser Grafen, oder vereinigte wohl auch beide Grafschaften in seiner Hand. Zugleich führte der Kaiser das Schöffengericht, bestehend ans dem Grafe» und sechs Schöffen, ein. Als Conrad I. 917 das Herzogtum Alamannien wiederherstellte, vereinigte er mit ihm das von

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Currätien, so dass seitdem currätische Herzöge nicht mehr Vor- kommen. (Siehe im Uebrigen S. 299).

Die Urkunden dieser und der späteren Zeit geben ein deutliches Bild von den Gau Verhältnissen Currätiens.

Das Gebiet hiess Raetia, Retia, Raecia Curiensis oder Curwalhen, Curowala und trug die letztere Bezeichnung nach der romanischen oder wälschen Sprache seiner Bewohner, der Curwalchen. Sie war in Unterscheidung von den benachbarten Alamannen zumal im Norden bis in das 14. und 15. Jahr- hundert und länger im Gebrauch. Aber schon im 9. Jahr- hundert drangen die Alamannen zahlreich in das Land ein: das Gaster Land (die Umgebung des rätischen Wallensee) war schon damals ganz germanisch. Sonst finde ich folgende Mit- theilungen über die Zahl von Romanen und Alamannen, die in einzelnen Urkunden auftreten. In Vorarlberg kamen 800 bis 807 1 Alamannen auf */# Romanen, um 817 ungefähr */4 zu 3jt ; von 820—850 nahezu •/, zu 2 870 890 ungefähr die Hälfte.

Im Oberrheiuthal und im Sarganser Land scheint die Ger- manisirung langsamer vor sich gegangen zu sein. Nach Grabser Urkunden kamen 847 nur 4—5 Alamannen auf 17 bis 18 Romanen, 858 3 bis 4 auf 13 bis 14 und in Oberrätien er- scheint um diese Zeit die Bevölkerung noch nahezu uuver- mischt romanisch.

Das Land bildete einen Gnu: Pagus Raetiae, pagus Raetiae Curiensis, pagus Curiorum (die Mehrzahl mit Rücksicht auf die beiden Grafschaften), pagus Curwallense, pagus Recia, quod alio nomine Curwala appellatur, eine Provinz: Provinzia Raetia, provincia Raetiae Curiensis, provincia Curevala; ein Herzog- thum: Ducatus Curiensis; es wird auch missbräuchlich Graf- schaft genannt: Comitatus Retia, comitatus Curiensis.

Der Herzog hiess dux super Raetiam, wird auch als Mark- graf marchio bezeichnet, und, wenn Inhaber beider Grafschaften, als comes Retiarum.

Nachdem schon im 8. Jahrhundert der Yinstgau (Vallis Venosta, das Unterengadin und das obere Etschthal bis Meran) unter den Grafen von Tirol gestellt und dadurch von Currätien in politischer Beziehung getrennt war (aber kirchlich im Bisthum Cur vereinigt blieb), umfasste Currätien das Vorder, Hinter- und Oberrheinthal (dieses abwärts bis Götzis bei Oberried),

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im Nord westen Scliänis, den Wallensee, das Seezthal; die Thäler der rechten Nebenflüsse Albula, Landquart, 111 und das Thal des oberen Inn (Oberengadin), im Osten und Süden bis zu den Alpenpässen des Arlberg, der Bernina, Maloja, des Septimer, Splügen, Bernhardin, Lukmanier, also allenthalben bis zur Wasserscheide.

Bemerkenswerth ist, dass das Gericht zu Rankwyl, ur- sprünglich das Gericht des Schultheissenbezirks Vallis Drusiana (Wallgau, Vorarlberg, siehe unten) als kaiserliches Landgericht eine räumliche Zuständigkeit hatte, welche nicht nur ganz Currätien, sondern auch das nördlich davon gelegene Gebiet umfasste, welches der Raetia prima durch die Einwanderung der Alamannen entzogen war. Denn in dem Diplom des Kaiser Friedrich III. von 1465, dessen Inhalt auch in der Rankwyler Landgerichtsordnung von 1579 wiedergegeben ist, heisst es in lapidaren Zügen: „Das fry landtgericht zu Rankwyl in Müsinen (einem Hügel an der Frutz, der ursprünglichen Malstatt), das über sich durch Churwalhen bis an den Settinann (Septimer), gegen dem Etschland bis auf den Arienberg, und auf der andern seyten bis an den Walensee und das Reyntal abe bis an den Bodin- see mit sambt dem hindern Bregenzer Wald, dem Tannberg (dem obersten Lechgebiet) und was in denselben Starken ge- legen ist, geet, zu richten hat.“

Die Schultheissereim, scultatiae des Gaus, führten weiter, gleichfalls wie in Alamannien, die Bezeichnungen Gau, pagus, centena: Centena et scultatia Curiensis, Prättigau, Wallgau, pagus vallis Drusianae.

Dass in dem Gau, in welchem Staat und Kirche sich in derselben Spitze vereinigten, ursprünglich auch die staatlichen und kirchlichen Bezirke, scultatiae und decauatus, zusammen- fielen, erscheint wie selbstverständlich. Es waren ursprünglich ihrer sechs. Während aber jeder der Dekanate in seinem Umfange blieb, theilten sich zwei Scultatien in vier, so dass die Gesammtzahl acht geworden ist. Alles ähnlich wie in Alamannien.

Die ohne Zweifel aus ältester Zeit des Bisthums stammendeu Dekanate ergeben sich aus einer Einnahmerodel des Bisthums Cur aus dein 13. Jahrhundert und ihr Umfang aus dem Yer- zeiclmiss der zugehörigen Pfarrkirchen aus den Jahren 1320,

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1330 und 1525; die Schultheissereien, zusammenfallend mit den jüngeren bischöflichen Ministerien zur Verwaltung der Einkünfte (ministro autem id est sculthaeio), aus einer Einkünfterodel des 11. Jahrhuuderts. Der Decanate bezw. der bischöflichen Ministerien, welche zugleich die staatlichen Schultheissereien waren, werden folgende aufgeführt:

1. Decanatus vallis Drusianae (Drususthal).

Damit zusammenfallend

a) Ministerium in pago vallis Drusianae, oder des Widich- goire, des Wallgau, umfassend Vorarlberg, soweit es cuirätisch ist, und Lichtenstein: es lag also am rechten Rhein. Die Mal- stätte des Bezirks war Vinomna, Rankwyl. Schultheissen, die einzigen, deren Namen überhaupt überliefert werden, waren 817 Folcoin und in demselben Jahrhundert Aurelianus (Gail. 224, 354). Aus dem Schultheissengericht Rankwyl hat sich, wie erwähnt, das grosse kaiserliche Landgericht gleichen Namens entwickelt.

Es folgen zwei Dekanate, welche als durch den Langarns (Landquart) „Unter“ und „Ueber der Landquart“ geschieden bezeichnet werden. Es ist aber nur der Ausfluss der Landquart in den Rhein gemeint, nicht deren Lauf durch das Prättigau, welches dem oberen Bezirk angehört.

2. Decanatus sub Langaro, oder infra Langarum (Unter- halb der Landquart).

Damit zusammenfallend

b) Ministerium ln Planis, Im Boden, umfassend den Kreis Meyenfeld, Oberrheinthal, Sarganscr- und Gaster-Land bis Schänis. Es lag also am linken Rhein.

il. Decanatus Curiensis, supra Langarum (Oberhalb der Landquart).

Er wurde staatlich getheilt und enthielt

c) ein Ministerium, dessen Name nicht überliefert ist, dessen entsprechende Schultheisserei aber, wie ihr Name aus- weist, der Prättigau (Bretenkowe 1222, Brettigew 1344, Brettengöw 1348) war. Auch Davos mag dazu gehören;

d) Ministerium Curisinum, dessen entsprechende Schult- heisserei besonders als centena et scultatia Curiensis bezeichnet

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ist, umfassend die heutigen Kreise: Fünf Dörfer, Schantigg, Chur, Rhäziins und einen Theil der Kreise Churwaiden und Trins.

4. Decanatus sitpra Stimm oder Ob dem (Flimser) Wald, oder in Montanis, Oberland.

Damit zusammenfallend

e) Ministerium Tuvcrasca, umfassend Grub, Lugnetz und Dissen tis (Vorderrhein).

5. Decanatus super Curtralde, oder Ultra Curtraldiam. oder Ob CJturtralden, oder supra sa.rum vel lapidem, ob dem Stein. eine von Motta Palousa hinabziehende dolomitische Felswand, die, nachdem bei Tiefenkasten der Oberhalbsteiner Rhein (die Julia) sieh mit der Albula vereinigt, die Eingangspforte zu Oberhalbstein bildet. Der Dekanat wurde staatlich getheilt und zerfiel in das

f) Ministerium Tumiliasca, umfassend Domleschg, das den Namen bewahrt hat, Heinzenberg, Schams und Hinterrhein, und

tj) Ministerium Impetinis, umfassend das Albulathal nnd Oberhalbstein.

6. Decanatus Vallis Engadinae oder Thal Engadin.

Damit zusammenfallend

h) Ministerium Endena, umfassend das Oberengadiu.

Die von Karl dem Grossen geschaffenen zwei Grafschaft cn wurden wieder von der alten, inneren Grenzlinie des Gaues, der Mündung der Landquart, geschieden. Es geht dies hervor aus zwei Urkunden des Kaiser Heiurich III. vom 12. Juli 1050, nach denen die südliche Grafschaft des Grafen Otto sich bis zur Landquart und zu der durch Ragaz messenden Tamina (usque ad fluvium Langarum, usque ad Tuminga, quae fluit per Regaciem) erstreckte, während die nördliche de> Grafen Eberhard den Berg Ugo und den Argafluss zwischen Buchs und Grabs in sich schloss (a monte Ugo, wo? usque ad fluvium Arga, qui fluit inter Bugu et Quaravede). Namen haben die Grafschaften nicht gehabt oder sie sind doch aus den Urkunden nicht zu ersehen, sie werden nach dem Namen des Grafen bezeichnet, hier z. B. comitatus Ottonis comitis, comitatus Eberhardi comitis. Neuerdings nennt man sie Ober- und Unter

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rätien. Zu letzterem gehörten die Schultheissereien Vallis Drusiana (Wallgau), In Planis, Prättigau, zu ersterem Scultatia Curiensis, Tuverasca, Tumiliasca (Domlesehg), Impetinis, Endena (Engadin). Diese Grafschaft Oberrätien wurde, abgesehen vom Obereugadin, im Mittelalter in der Grafschaft Lags erhalten, deren Begrenzung 1309 wie folgt angegeben ist: „von dem wasser, das heisset Laugwar unz uf dem Sepmen (Septimer) ze St. Peter (Hospiz), von dannen unz ze Fürkel (Bernhardin?), von dannen nnz uf Agren (Graina-Pass), von dannen uns zuo dem kruize uf Luggenmein (Lukmanier), von dannen unz uf Crispalt, von dannen unz uf Wespeh (Panixer-Pass), von dannen unz uffen Furkel (Furkla auf der Sagenser Alp), von dannen nnz an Wartenstein (Burg bei Pfävers), von dannen unz hin wider in die Langwar, da sie in den Bin gat.“

(Nach P. C. Plauta, Das alte Rätien, Berlin 1872 und Die currätischen Herrschaften. Bern 1881 (mit einigen Abweichungen). Ferner A. Niischler, Die Gotteshäuser der Schweiz. Erstes lieft, Bisthum Chur, Zürich 1864.)

Berichtigungen und %usäize.

Zu Seite 5 und 32. Zu den in der Zeit der Römer am Rhein und untern Neckar sitzenden Völkern, welche sich noch in der alamaunischen Zeit dort erhalten haben mögen, gehören auch die Suebi Nicretes, über welche S. 254 berichtet ist.

Zu S. 10. Der Name der juthuugischen Sueven wird als Suebi Tutuncii in dem Völker verzeichniss des Honorius, als Suebi Jotungi in der Veroneser Völkertafel aufgeführt (S. 30, 31). Much und Banmann ziehn weiter eine in Köln gefundene Weihinschrift heran: „Matribus Suebis euthungabus“, aber dem letzten Wort fehlt der Anfangsbuchstabe. „Wie das Wort zu vervollständigen, ob zu (L)euthungabus, (T)euthungabus oder anders muss leider dahingestellt bleiben.“ Ihm im Rheinischen Museum für Philologie, Neue Folge 45 S. 649. Die Bemerkung über die Bedeutung der Bur ist dahin zu berichtigen, dass darunter die Buri, Nachbarn der Quaden zu verstehn sind.

Zu S. 32. Unter den alamannischcn Auxiliartruppen des römischen Staatshandbuches sind auch die Bucinobantes geuannt-

Zu S. 43. Die Wingarteiba hatte nur 8 Zenten. Siehe S. 401.

Zu S. 60. Der alamannischen Gaue waren nicht 29, sondern 27.

Zu S. 63. Die Karenthanische Mark wurde 976, definitiv 995 oder 1002 als eignes Herzogthum Kärnthcn von dem Herzogthum Baiern abgezweigt. Schröder, Deutsche Rechts- geschichte S. 382.

Zn S. 63 unten. Statt generalogia ist zu lesen: genealogia.

Zu S. 70. Die alte Westgrenze des Klcttgau war nicht Hauenstein, sondern die Wasserscheide zwischen Alb und Murg, etwa Laufenburg gegenüber. Siehe S. 455.

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501

Zu S. 77. Der Albgau erstreckte sich zur Zeit der Karolinger donauabwärts nicht bis gegenüber von Günzbnrg, sondern bis gegenüber von dem höher gelegenen Leib. Siehe S. 434.

Zu S. 78. Zu den burgnndionischen Sitzen des linken Main werden auch die Gebiete der späteren Gaue Waldsassi, Iphigau, Kochergan gehören.

Zu S. 144. Im Jahr 385 brachen die Alamannen in

Gallien und gleichzeitig in Rätien ein. Ammian 26, 4, 5.

Zu S. 157. Die Höhendifferenz zwischen dem Neckar und dem Hochrand des Schweinsbergs, die von den Römern zu er- steigen war, betrug nicht 264, sondern 164 Meter.

Zu S. 192. In dem zweiten Vers des Sidonius fehlt das Wort Belgani. Er heisst: Victor Vindelico, Belgain, Burgundio <iuem trux.

Zu S. 219. In die nördliche Hällte der Franken fiel auch der Kochergan.

Zu S. 225. Die Brüder Buzelin und Lothar wurden durch die Unterordnung unter das fränkische Königthum, wie S. 297 gesagt ist, Beamte und Heerführer der fränkischen Könige, sind mithin als Amtsherzöge anzusehen.

Zu S. 250—255. Nach dem Aufsatz von Ehrenbergs: die Ortsnamen auf ingen in Schwaben und insbesondere Hohen- zollem, sowie nach dessen giitigst zur Verfügung gestellten weiteren thatsächlichen Mittheilungen, ergiebt sich Folgendes:

Ein Strom von Ortsnamen auf ingen ergiesst sich durch Deutschland und die deutsche Schweiz, bis er in dem Stamm- gebiet der Alamannen und Baicrn seine grösste Stärke erreicht. I)a sie von Norden nach Süden eingewandert, so ist anzu- nehmen, dass der Strom die Richtung von Norden nach Süden genommen. Er umfasst etwa 2350 Namen, zu welchen auch die verwandten auf ing und ungen eingerechnet sind, und welche sich so gruppiren:

l. Norddeutschland, mit Ausnahme von Holstein und dem Königreich Sachsen links der Elbe, etwa 245 (davon in Holstein etwa 3 auf ing und in der Provinz Sachsen 18 auf ungen); und zwar Holstein 9, Reg.-Bez. Stade 11 (davon Kr. Roten- burg 5), RB. Lüneburg 58 (davon Kr. Fallingbostel 22), RB. Magdeburg 31 (davon Kr. Salzwedel 3, Osterburg 3, Stendal 5, Gardelegen 9, Neulialdensleben 4), Braunschweig 18

Cr»m«r, Geschichte der Alamannen. 36

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(davon Kr. Helmstedt 7), RB. Hildeslieiut 12, RB. Hannover 15 (davon Kr. Hannover 6), RB. Merseburg 18 (meist bei Sanger- liausen, Querfurt, Eckartsberga), RB. Erfurt 18 (meist bei Langensalza, Worbis, besondere Nord hausen), Königreich Sachsen 3, Kurhessen und Waldeck 21 (alle hierher oder auch zu 2 ?), RB. Osnabrück 1 1 (davon Kr. Hingen 5, Osnabrück 4), RB. Arnsberg 20 (davon Kr. Soest 8). Im Uebrigeu in Ost- elbien etwa 40, davon in Anhalt 4, in den RB. Potsdam 5. Frankfurt a. 0. 1, Stettin 4, Köslin 2, Königsberg 6, Gum- binnen 3.

2. Alamannisches Franken (im Norden der Stammesgrenze von 496) rechts des Rheins etwa 231, und zwar Thüringen 2s (alle hierher oder auch zu 1 ?), davon Meiningen 9, Weimar 7 (darunter 7 auf ungen eingeschlossen), Rheinlande 12, RB. Wies- baden 22 (davon im Ober- und Unterwesterwaldkreis 13), Ober- hessen 9, Starkenburg 3, Unterfranken 28 (darunter 9 auf ungen eingesehlossen), Mittelfranken 23 (davon um Dinkels- bühl 10), Württemberg 64, Baden 42. Ferner links des Rheins (ohne Eisass) etwa 496 (davon in Lothringen und Luxem- burg 422).

3. Alamannien (im Süden der Stamm esgrenze von 496) etwa 1082, und zwar Württemberg 408, Baden 217, Hohenzollern 3s. Baicrn (Schwaben -Neuburg) etwa 140, Eisass 29, deutsche Schweiz etwa 250.

4. Bairisches Stammgebiet (Oberpfalz, Nieder-, Oberbaiern) 250 und mehr auf ing.

Von den 2350 Orten auf ingen sind diese 250 zu 4 als eigenthümlich dem bairischen Stamm zuzuschreiben und scheiden daher aus. Es bleiben 2100 auf ihren Ursprung zu untersuchen.

Daboi kommen in Bezug auf mehr als 1800 Namen Alamannen und chattische Franken in Betracht, Auf die Heimath der Alamannen, welche sie ausschliesslich besiedelten und auch seit dem Jahr 496 abgesehen von sporadischen Einsprengungen der Franken inne behielten, also auf das Gebiet südlich der Stannnesgrenze, fallen davon 1082, auf die Heimath der clmttischen Franken (Kurhessen und Waldeck) nur 21. Legt man das Vcrhältniss dieser Ziffern als charakteristisch für jeden der beiden Stämme zu Grunde, so wird man die 231 und 496 Namen auf ingen in den ihnen gemeinsamen Gebietet,

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sowohl den alamannischen rechts vom Rhein, in welche die Franken massenhaft eindrangen, als auch den Gebieten links vom Rhein, welche beide Stämme im Gemenge besiedelten (S. 222, 188), zum weitaus überwiegenden Antheil den Ala- mauneu, und nur zu einem geringfügigen den chattischen Franken zuschreiben dürfen. Zu Gunsten der letzteren ändert sich aber einigermaassen das Verhältniss, so bald man berücksichtigt, dass die Mattiaker eingewanderte Chatten waren (S. 5, 73), so dass die 21 ingen des R. B. Wiesbaden, oder gar die 34 der Sieg, Nister, Dill, Lahn (S. 251) ihrer Herkunft nach auf die Chatten zurückzuführen sein werden, zugleich eine überraschende Bestätigung der Nachricht des Tacitus.

Dafür, dass die Orte aus der Ansiedlungszeit herrühren, geben Beispiele aus dem alamannischen und fränkischen Württem- berg und dem alamannischen Hohenzolleru weitere Anhalts- punkte. In beiden Ländern sind die ingen in jeder Art grösserer Wohuplätze hervorragend. Auf 1807 Dörfer fallen 382 auf ingen; auf 149 Städte 37; auf 2035 selbstständige Gemeinden 428; auf 1628 Pfarrcrte 380; die auf ingen haben viellach ausnehineud grosse Sprengel mit 4 oder noch mehr Filialen. Von den 18 ältesten Kirchen der Jahre 741-794 trägt die Hälfte die Endung ingen. Von den 300 sogen, alamaunischen Friedhöfen liegt etwa die Hälfte bei Orten auf ingen. Die meisten Orte auf ingen findet man in weiten Thälern, Ebenen, Hochflächen und bequemem Hügelland. Wie die kirchlichen Sprengel, so scheinen auch die Markungen von grösserem Umfang zu sein, wenigstens kommen in Hohenzolleru auf Städte und Dörfer durchschnittlich 881 ha; auf die auf ingen dagegen 1270 ha; von den absolut grössesten 12 Markungen von 1827 bis 3013 ha fallen 9 auf ingen, und von den grössesten je 5 der 4 Oberämter 16 auf ingen. „Auf Grund dieser Thatsaehen, der Häufigkeit der ingen an sich, ihrer unverhältnissmässig grossen Zahl unter den Dörfern, Städten und überhaupt unter den selbst- ständigen Gemeinden, ihrer grossen Markungen und ihrer vortheil- haften örtlichen Lage findet von Ehreuberg, dass sie die wichtigsten unserer Ansiedlungen, insbesondere unserer Dorfansicdlungen, sind“. Die ingen finden sich, wo Land gut und reichlich, zu Gewannflnren geeignet war; man konnte sie nur gründen, als mau die Wahl hatte, das ist zur Zeit der Einwanderung, und

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diese bevorzugten Orte haben ihre Lebensfähigkeit bewahrt; unter den abgegangenen Orten sind die auf ingen die weuigst zahlreichen. Andererseits findet unter Weilern, Höfen, Einzel- häusern, die einer späteren Zeit angehören werden (S. 292), sich die geringste Zahl von ingen, es kommen in Württemberg und Hohenzollern auf 8142 Wohnplätze dieser Art nur 92 auf ingen.

Wie die 250 Orte auf ing für die Baiern, so sind die 1800 auf ingen in den Gebieten zu 3 und 2 vorwiegend charakteristisch für die Alamannen.

AVie sind aber die 245 Orte auf ingen in Norddeutschland links der Elbe aufzufassen, die räumlich mit den alamannischen im Zusammenhang stehen? Orte auf ingen, die weniger in compacten Massen, als in aufgelösten Gruppen bestehen? Da möchte ich nur ein Problem hinstellen. Ist hier, mag man fragen, das Gebiet zn suchen, von dem die Alamannen oder doch ein Theil von ihnen, wie die Mattiaker von den Chatten, ausgegangeu? Sind hier die AVohnsitze ihnen verwandter Stämme zu vermuthen?

Dagegen sind die weiteren 40 Orte auf ingen, die zerstreut rechts von der Elbe liegen, „wohl alle Entlehnungen aus dem AVesten, in Folge von Colouisationen, die von dort ausgegangen sind, und neuere Schöpfungen.“

Zu S. 273. Der Aufsatz Baumanns Schwaben und Ala- mannen liegt in zwei Fassungen vor, die ältere in den Forschungen zur deutschen Geschichte, die neuere in den Forschungen zur schwäbischen Geschichte. Bei Besprechung der Doppelnamen Sueben und Alamannen heisst es nicht, die Seumomen hätten auf der Wanderung diesen ihren Namen fallen lassen (wie ich S. 274 irrig dargestellt habe), sondern sie selbst hätten sich ausschliesslich Sueben genannt, sowohl im Mutterlande, wie später am Rhein und an der Donau. Auf die Deutung des Namens der Semuonen als „Fessler“ ist Baumaun später nicht mehr zurückgekommen. Hiernach modificiren sich somit meine Bemerkungen S. 274. Dagegen bleibt Baumann bei der Erklärung des Namens der Alamannen als Leute des Götterhains, der alah. „So,“ heisst es, „nannten die Her- munduren ihre von Osten herandrängenden Feinde. Ihnen als langjährigen, unmittelbaren Nachbarn der Semnonen, von denen

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sie ja nur die Elbe geschieden hatte, ihnen als Sueben Wal' aber der Hain des suebischen Nationalgottes Ziu im Semnonen- lande der Götterhain xit 4$o yj(», sie konnten darum den nobilissimi et vetustissimi Sueborum, als deren Name durch ihren Auszug aus dem alten Ziulande hinfällig geworden, keinen be- zeichnenderen Namen schöpfen, als den der Alamanna, der Leute von Zins alah, wenn sie im neuen Namen auch die Herkunft ihrer Feinde ausdrücken wollten.“ Es war jedoch kein Name, weder der Semnonen, noch der Sueben, hinfällig geworden, und es war somit kein Anlass, weder für die Her- munduren, ihnen einen neuen Namen zu schöpfen, noch für die Römer, den neuen Namen zu adoptiren. In den Forschungen zur schwäbischen Geschichte 515 citirt Baumann eine Stelle bei Suidas (Küster : 1 , 294), nach der die Rheinfranken das Land der Alamannen eingenommen haben: tr(v -jr(v t<üv “AXfkvröv, oG; xott ir(wova; xai.vjT.v. Zeuss 317 und Baumann halten die Letzteren für die Semnonen, Much dagegen für Senonen. Wären es die Semnonen, so würde die Nachricht, die doch jünger ist, als das Jahr 496, der Baumann'schen Theorie von dem Ver- schwinden des Semnonennamens widersprechen.

Zu S. 285. In den Forschungen zur schwäbischen Ge- schichte S. 535 erklärt Baumann die Scotingi allerdings für Alamannen, giebt aber im Uebrigen die Ableitung ihres Namens von dem der Juthungi auf. Aus dem Wortlaut der Stelle ist nicht zu ersehen, ob damit auch die Hypothese von der Aus- wanderung der Juthnngen nach Gallien und ihrer dortigen, fast völligen Vernichtung durch Aetius in Wegfall kommen soll.

Zu S. 298. Erst nachdem das alamannische Herzogthum um 730 aufgehoben, wurde das Herzogtlmm Currätien 806 oder vorher von Karl dem Grossen geschallen und von Konrad I. bei Wiederherstellung des alamannisclien Herzogthums im Jahr 917 mit diesem vereinigt, so dass seitdem besondere currfttische Herzoge nicht mehr Vorkommen. Siehe S. 554.

Zu S. 331. Der über decimationis datirt nicht von 1274, sondern von 1275.

Zu S. 340. Das Kapitel Bremgarten liegt nicht links, sondern rechts der Reuss. Das Kapitel Mellingen fällt hier weg.

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Von den während des Drucks erschienenen Arbeiten Wellet»

(Alaiuanucnland), Baumanns ^Forschungen), von Ehrenbergs , .Ortsname»

haben die beiden letzten iu den Zusätzen noch verwendet werden können

I

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Abkürzungen für Arkundenbücher.

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Dimge, Hegest» Badensia 1336. Had

Kutmlrr, Wirtembergisebes l'rkundenbuch 1649 89. Wirt.

Monument. i Boica. Mon. Hniru.

Xcuijiirl, Codex diplomaticns Alemauniae et Burgiindiae Transjuranne inter tines dioeeesis Constanciensis 2 Ilde. 1791 95. Xeug.

Smier, Xassauixchex l'rkundenbuch 3 Bde. 18«5 87. Xass.

SeliuHnal, Corpus tradit'onum Fuldenaium 1724. Kuld.

Sehöjifliti, Alsatia diploniatica 2 Bde. 1872—75. Als. dipl.

Urkunden zur Gesebichte des Klosters Allerbeiligen in SchafThausan, in den (Quellen zur Schweizer Geschichte III. Schaffh.

HVirtmuim, l'rkundenbuch der Abtei St. Gallen 3 Bde. 1863 82. Gail, und Andere.

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Sachregister.

Ansiedlung Erst« Periode (3. und 4. Jahrhundert) im Stammlnnd : Lahn- und Hainthal 21, Rhoin- und olieros Donauthal 22; Bild der Besitz- ergreifung 36 43; Eisass, die Pfalz, Hhoinhessen 36, 277— 278 ; am Po 167; Keine Städte 86, 277 278. Zweite Periodo (6. Jahrhundert) in Neu-

alamanuieu: Grundsätze der Ansiedlung 175 180; Westrheinisches Gallien 181 189; Donangebiet 189 201; Doubsgebiet und Vorderschweiz 203 811; ganz Alainannicn des 5. Jahrhunderts 211 215; Königszins 220 230. Hedem 291. Dritte Periode seit 496 südlich der Stammesgrenze: Der Ausbau des Landes 289 296.

Gaue des 4. Jahrhunderts 68 79; des 5. und 0. Jahrhunderts 213; Gaue, Huntaren und Zehntschaften des 8. und späterer Jahrhunderte 343 552; Gaue und Archidiakonate 338 341; Huntaren und Kapitel 332 338; Continuität der Gaue und Huntaren 308—311; Gangeographisches 312—326.

Heer, Germanisches: 34. 35; lleergane 30, 60 67. Alamatmisehes : 44 60; Kriege, Raubzilge 52 54; römischo Hiilfstrnppen 32, 560; Keil- ordnung bei Strassburg 112, 113, in Gallien 145 148, bei Capua 237; Schlachten: in Gallien bei Argentaria Horburg an derlll) 17», Argentoratum (Strassburg' 102 125, 279 2S1, Brocomagus (Brumath) 90, Catalauni (Catalaunische Felder) 181, circa Lingonas (Langres) 20, am Oberrhein (Jahr 490) 217—218, wo? (Jahr 601—606) 219. Scarponna (Cbarpeigne an der Mosel) 146, Tnlbiacnm (Zülpich) 217; atn rechten Rhein bei Solicoinnum (Solicininm, auf dem Schweinsberg bei Heilbronu) 154 161; in Italien am lacus Benacns (Gardasee) 16, bei Placentia, am Metaurus, bei Ticiuum 17; in Pannonien am lacus Pelsodis (Plattonsee) 195, 196, am Fluss Bolia 196.

Kirche, christliche. Verfassung 327 330; Bisthum Oonstanz 330 341.

Mundarten, alamannische und schwäbische 256 259, 395, 467 469; Grenzen: schwäbisch - fränkische 269 271, alemannisch - schwäbische

271—272. 487.

Ortsenduugen, alamannische ingen 249 255, 561 561, fränkische heim 249, 252 256.

Religion, alamannische 51, 93, 225, 235.

Römische Orte und Werke. Am linken Rhein; vernichtete und wieder aufgebaute Städte 86, 130, Mediomatrici Metz), 123, Trcs Tabernac (Elsass- Zaberu) 100 101, 105, 106, 109, 123, Brocomagus (Brumath 90, Argentaria

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(Horburg an der 111) 170, Uallicum valluro 98, Lugdunum (Lyon) 99; Aus- fallsthore gegen die Alamannen Mogontiacum (Mainz) mit dem Brückenkopf Casteilum Mattiacorum (Castel), Argentoratum (Strassburg), Augusta Rau- racorum (Basel-Augst), Viudonissa (Windisch), Constantia (Constanz) 81; Castelle, ThUrme, Dämme, Schanzen an der Rheinlinie 21, 131, 162, Tribunci, Concordia 104, Robnr 163; am rechteu Rhein Munimentum Trajanum (Riissels- heim ?) 127, 128, Mons Pirus (Heiligenberg bei Heidelberg) 162, Alta ltipa Altripp) 150 152, Civitas Ulpia Sueborum Nieretum 254, Lopodunum Ladenburg) 150, 151, 162, Sanctio (Säckingen) 141; Castelle. Städte im Decumatenlaud 14, 19, 21, Solicommmi (Soliciniuin bei Heilbronn) 154, 156, 160, 161, Limes obergermanischer und rätischer 4, deren Wiederherstellung 19, 20, Palas oder Capellatium 24, 134; in Rätien Transitus Guntiensis (Giinzburg) 19, Augsburg 5, 81, andere Orte im Donangebiet und der Schweiz 190, 191, 203, Curia (Chur) 553; Grenzorte Ad fincs (Pfyn), Tas- getium (Eschenz) 4, 460 u. s. w.

Politische Geschichte des 3. Jahrhnuderts und der ersten Hälfte des vierten 11 22, der zweiten Hälfte des vierten 23—26, 80 174, dos 5. Jahrhunderts 181 206, 217 219, des 6. Jahrhunderts 219 226, 230 238 ; die frünkisch-alamannische Staminesgreuze (des Jahres 496) 222, 204—268.

Stände. Adalinge, Gemeinfreie, Hörige 50, 51.

Statistik 84.

Verfassung. Germanische Gauverfassuug 31, 35, 60—67, Heergaue> Laudgaue 35. Alamannischc Gauverfassung im Stammland 44—55, in Neu- alamannicn 213; Römische Bündnissverträge 65—59; kein Stammkönigthum 215, 230 240; Grafscliaftsvorfassung des alamanuisehcn Gesetzbuchs (Phnat) 296 302, der Karolinger 303 308.

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Stämmeregister.

Alamannen. Ursprung uml Name 8-11, 273—277, 504, 505. Orts- namen 203, 208, 211.

Alamauuischo Könige : Agenarieb (Serapio) 104. Alarich 195.

Buzelin (fränkiselier Amtslierzog) 225, 230—237, 239, 561. Chnodomar (Herzog) 71, 85, 80, 103, 114, 121, 122. Chrocus (Herzog) 13. Crocus 20. Fraomar 108. Gibuld 192 194. Guudomad 70, 93, 103. Hortar 73. 104, 129, 132, 133. Hariobnud 75. 134. Hunimund 195— 200. Lothar (l'ränkisclier Amtsherzog) 225, 231 234, 561. Makriau (Herzog) 75, 133, 134, 144. 145. 107 170. I’riari (Herzog' 09, 171, 172. Semnou 18, 74. Serapio (Agenarieb, Herzog' 71, 103, 104, 144. Suoinar 72, 73, 104, 129. Uri 76. 101, 135. Ursiein 70, 104. 135. Vadomar 70, 93, 103, 134, 135, 137 143. Vestralpus 77, 104, 135. Vitliiknb 70, 145, 149. Regales: Hederich 104. R ndo 153. Alamaunische Adalinge. Githerid 108. Hortar 108.

Alamanniscbe ältere Gauvölker. Breisgauer 70. üueinobanten 74—76. Ingrionen 6. Karituer 6, 71. Logiouen 74. Mattiaker 5, 73. Suebi Nicretes 254. Vargionen 0. Uisper 6.

Alanen 181. Häuptling Goar 182.

Armalausen 29 31, 208.

Burgundionen. Am Limes 24, 30, 31, 78. 164 167, 268. Schwäbisch- 11 all oder Kissingen 25. Saalegau und andere Gaue 75, 78, 501. Im west- rheinischen Gallien 181, 282. In der Sapaudia 183, 202. Zuriickwcicbcn der Alamannen 203 205. Heudiuos 40, 62, 165. Sinistus 100. König Günther 182.

Huri 29?, 560.

Franken. Chattische, ripuarische. salische, 30, 31, 179, 188, 211, 212, 218,502, 663 Fränkisch der alanianuische Norden 222, ganz Alamaunien 224. Könige: Childerich 200. Chlodwig 218 222. Mellob&udes 170. Sigibert 217. Theudebald 231. Theudebert 224, 239. Amtslierzöge Buzeliu 225. 230—237, 239, 5G1 und Lothar 225,231—234, 501. Fränkisch-alamanniscbe Kämpfe 217—220, 224, 225, 230 238. Königszins 226 230.

Heruler 233 237. Herzöge: Fulearis 232. Sindual 236.

Hunnen 184. 185, 233. Köllig Attila 184, 185. HerzOge: Uldach 234. Regnaris 238.

Läten 99, 124.

Lenzer (Lentienses) 10, 28, 09, 70, 240. Ortsnamen 208, 209, 240, 241. König (Herzog) l'riari 69, 171, 172. Kämpfe 94, 95, 170—174.

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n < : >

Markomannen 28, 30, 31.

Noriker 200. 282, 283.

Ostgothen. An der mittleren Donau 104, 196. Könige Theodemir 195—200, Vaiamir 195. In Italien Könige: Alarieh 210, 211. Teja 232. Theuderich 220—224. 230. Vitiges 224, 230. Herzog Aligern 232, 233. Der alemannische Süden ostgothisch 222—225.

Quaden 28, 30, 45, 181.

Räter 3 5, Grenze gegen den Hegau 400, Curwnlckcn 554, Currätien 205, 553 559.

Römische Kaiser. Aureliauus 15 17. Aritus 185, 282. Caracaila 12. Claudius 15, 16. Constautinus der Grosse 20. Constantinus (Gegenkaisor des Honorius; 183. Constantius I. Chlorus 19. Constantius II. 24. 92—97, 137 142. Decius 13. (Decentius Cäsar 85). Diocletiauua 19. Eugenius

180. Gallienus 13. Gallus 13. Gordianus 13. Gratianus 154, 157, 170 174. Honorius 182, 183. Joviuus 182, 183. Julianus Cäsar 88 92, 98—137, Kaiser 139 143. Magneiitius 85 87. Majorianus 205. Maximi- nianus 19. Maxiininus 13. Maximus 185. Postumus 14. Probus 17 19. Proeulns 18. Severus 12. Valens 173. Valentiuianus 143 170. Va- lerianus 14.

Römische Staatsmänner und militairische Führer. Aetius 179, 184, 185, 191, 282, 283. Aonulfus 200. Apollinaris Sidonius 282. Arbetio 94. Avitus (später Kaiser) 185, 282. Aurelianus (später Kaiser) 15 17, Ifainohaudes 100, 111. Rarbatio 97—102, 137. Rnreo 206. Charietto 145, 146. Hariobaudes 131. Innocentius 112, 116. Jovinus 146 148, 154, 157. I.ibino 140, 141. Lollianus 14. Marcellus 90, 91. Odoakcr 200, 206. Postnmus (später Kaiser) 14. Severianus 146. Sebastianus 153, 157, 159. Severus (Fussvolk' 153. Severus (Reiterei) 112. 129. Siivanus 87. Stilicho

181. Theodosius 166. L'rsicinus magister equitum 44. I rsicinus (Fuss- volk) 90.

Sueven (Suebi, Sttevi, Suavi; Sucvia, Suavia) Gesanun tvolk : Ziuuari 259. Einzelstämme: Alamannisehe Sueven (siche unten). Flandrische 263.

Gailäcische 261. Jutbaugische (siehe unten). Suebi Nicretes 254. Sein- nmien 9, 260, 274. Vsnnianische Sueben 260. Warnen, Nordsuavi 261. Alamannisehe oder Jutbungiscbe Sueven (Schwaben), 9, 261, Alahmannen? 274. Suebi Tutuncii, Suebi Jotungi, Suebi Euthungi? 10, 15 17, 26, 27, 30, 560. Gebiet 15 17, 24—27, 30, 31, 95—97, 179—185, 189—192, 198, 201. Ausdehnung 209, 240 241. Ortsnamen 209 211, 211 244. Die drei suevischen Namensstufeu 215—248. Feldzüge 15 17, 95 97,

153—164, 194—200, 281—286. Rissula 25, 163, 164.

Scudingcr 203. 204, 284, 285.

Teukerer, Tenkterer 6, 8,

Usiper 8.

Vandalen 181. König Cbrocus 14.

Vargionen 6.

Vindeliker 282. 283.

Warasker (Naristeu) 284.

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Gauregisfer.

1. Gaue (Grossgaue).

Aargau

541

llaingau

70, 387

Albgau. nördlicher

77, 433

Mattiakergan (?)

73. 346

Alpgau, siiiiliclicr

470

Mortenau

71, 448

Augstgau. östlicher

493

Nagoldgau

76, 416

Augstgau, westlicher

53S

Neckargau, oberer

70, m

Uroisgau

70, 452

Neckargau, unterer

76. 397

Itucinobant (siehe Grabfeld

Nortgau

und Wettereiba)

74

Rheingau (oberer)

72, 383

Donaugau (?)

479

Riesgau

49s

Grabfeld (siehe Bucinobant)

75, 380

Suudgau (siehe lllchicha)

528

Hegau

70, 461

Thurgau

543

lllchicha ? (siche Sundgau)

632

Unterlahngau

74, 377

Illergau

486

Westergan

77, 439

Klettgau

70, 454

Wettereiba (siche Buci-

Kruiehgau 66,

71, 393

nobant)

75, 370

Lobdeugau

72, 391

2. Huntaren.

Affa

435

Dieteuheiu) ? (Kapitel)

490

Alba

501

Dracbgau

501

Albgau (Kraichguu)

394

Duria

495

Alpgau t.Allgäu)

477

Einrich

350

Aiubracbgau

418 ,

Eitra lmii tu]

462

Anglachgau

394

Elscnzgau

401

Arliongau

544

Eisgau

530

Argcngau

475

Engcrsgau

6, 349

Aseheim

446

Euzgau

394

Bachgau

387

Erdehe

368

Bargen

462

Eritgau

484

Bibligau

419

Ealaba

496

Bischofslieim

525

Eilsgau

413

Bischofsbori

544

Elina

347

Brenzgau

501

Frickgau

540

Brettnebgau

402

Gardacligau

402

Buchsgau

540

Glehuutra

418

BurickingA

436

Gleuisgau

394

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577

Goldineshuntare

482

Hatoltesbucb

482

Hadamar

368

Kheingau (schweizerischer)

547

Hagenau

623

Kheingau (unterer)

351

Haglegau

428

Ried

523

Haigergau

368

Rore

541

Hattenkuntare

430

Rodgau

388

Heistergau

489

Rottweil

444

Herborn

368

Ruadolteshuntare

488

Hertcshausen

495

Rubiaca

529

Hettengau

523

Sarnen

546

Horburg

525

Sasonia

525

Huniriga

530

Schefflenzgau

398

Humia

502

Scberra

440

Jagatgau

402

Schmiegau

394

Keltenstein

496

Schotzachgau

402

Kembsgau

530

Schuasengau

474

Kinzigdorf

448

Schwyz

545

Kinziggau

379

Sisgau

539

Kirchheim ? (Kapitel)

410

Sorngan

523

Kocliergau

304

Speries

624

Krekgau

482 '

Stanz

546

Kunigessundra

365

Strasaburg

523

Lenzburg

541 |

Sualafeld

503

Linzgau

471

Suerzeuhuntare

435

Mindilriet

496

Sulichgau

419

Hulachgau

403

Sulmanachgau

402

Uuuigiaingerhuntaro

437

Sulz

444

Muntricheshuntarc

485

Sundgau

530

Murrgau

394

Swiggeratal

413

Nibelgau

490

Thurgau

530

Nidinga

445

Tiengau

482

Niedgau

373

l'ffgau

394

Oberhaali

547

Unterseegau

462

Otenheim

448

Unterwalden (siehe Sarnen und

Pfefferau

529

Stanz)

545

Ptinzgau

394

Uri (Urania)

545

Pfullichgau

413

Vildern (Fildern)

410

Phlumgau

387

Vilvesgau

542

Pleouungotal

413

\V altgau

421

Purikdinga

445

Wingarteiba

398

Kameatai

413

WUrmgau

394

Kammagau

489

Zabergau

394

3.

Huntarenmarken.

Arbongau

543

Erdehe

368

Aaeheim

443

Haigcr

368

Buricbinga

436

Herborn

368

Cr am er, Geschichte der

' Aiamanoen.

37

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578

3lunigisiugcrhuntare

437

Kheiugau (unterer)

353

3Iuntricheshnntarc

485

Schwyz

545

Oberhasli

547

Uri

545

4. Zehntscliaften.

(Zenten = Z,

Zehutmarkeu,

Starken = 31, Gericht = G.)

Alpenau vor dem Berg

G 390

31cchtilhausen ZG

366

Amorhach Z

401

3Ieckeshciin (siehe Neckar-

Arbon Forst

549

geiniind) Z

401

Aqnileiensis inarca

623

3Iiltenberg Z

401

Argengauer, Mark der

475

Mosbach Z

400

Anlieim M

389

3Iössingen 31

431

Babenliausen 31

389

3tudau Z

400

Bieber 3t

388

Xeckargemiind (siehe Heckes*

Bierlingeu 31

429

heim) Z

401

Hildeebingen 31

420

Oberramstadt ZG

384

Bisingen 31

431

Ostheim Z

38«

Bornbeimer Berg ZG

374

Pfungstadt Z

385

Buchen Z

401

Quningisheim 31

521

Büdingen 3IG

377

Keichartshauseu Z

401

Dieburg 31

389

Rheinganer Amtswaldungen 3IZ

352

Dornstetten (siehe Wald-

Ripperg Z

401

geding) 31

422

Roden 31Z

389

Eberbach Z

400

Romauisheim 31

523

Eglofs Zehntschaft

478

Schopfloch 31

422

Empfingen 31

429

Schriesheim ZM

392

Eutingen 31

420

Sturz, oberer, Zehntschaft

478

Gerau 31Z

384

Sturz, unterer, Zehntschaft

478

Glatten 31

422

Thalheim 31

431

Grcfenliühe (siebe Wiesbadener

Theuringen 31

474

Höhewaldung) 31

360

Thüren (Walldürn) Z

401

Grüudau 31G

378

Umstadt Z

388

Gülsteiu 31

418

Ursel 31

376

llaslacb 31

411)

Vogelsgebirge, 33'älder des, 31

379

Heppenheim 3IZ

384

Wnldahure 31

421

Heuseis G

376

Waldgeding (siehe Dorn-

Hori Forst

464

stetten) 31

422

Kaichen G

377

Wiesbadener Höhewalduiig

Kirchheim Z

392

(siebe Grefeuhöhe; 31

366

Krombach G

390

Zwingeuberg Z

385

31ähringen G

420

5

. Theilgaugrafscliafteu.

Aargau, oberer

542

Barr

526

Aargau, unterer

542

Grabfeld, östliches

381

Albgau, westlicher

455

Grabfeld, westliches

381

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Ingershoim

395

Thurgau

551

Illchicha ?

532

Tollifeld

381

Klettgau

457

Tronie-Kirchboim

526

Neckargau

410

Vorchheim

395

Riesgau

499

Zürichgau

551

6. Bargrafschaften.

Ailulharts lur

511

Bar Landgrafschaft

513

Albuinsbar, westliche

512

Bertoltsbar

510

Albuinsbar, östliche

516

Folcholtsbar

515

liara

512

Peribtilosbar

511

7. Raetia

Curiensis.

Gau Currätien

555

Prettigau

557

Scullatiae (Schulthoissereiou).

Tumiliasca

558

Im Boden (siehe Iu Planis)

557

Tuverasca

558

Cnriensis

557

Wallgau (siche Drusiana vallis)

Endena

558

Theiltjaugra/schaften.

Drusiana rallis (siehe Wallgau)

557

Oberrätien (Lags)

558

Impctiuis

558

Unterrätien

558

In Planis (siehe Im Boden)

557

37"

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Druck von

Otto Hi Niger in AltvMicr.

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Uutersuchu ngen

zur

Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte

herausgegeben

von

Dr. Otto Gierke,

Professor der liechte an der tlnlTcrsitiU Berlin

58. Heft

Das

deutsche Grunderbreeht

in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

von

Dr. Eugen v. Dultzig,

(■erlehtsaftseiisor, Hllfnarbeiter am Kgl. Disclpllnarhofe zu Berlin

Breslau

Verlag von M. & H. Marcus 1899

m- : ,v w k

Das

deutsche Grunderbrecht

in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Dr. Eugen v. Dultzig,

Cerlehtnaüsessor, Hilfsarbeiter am Kgl. Diseipllnarhofe tu Berlin

Breslau

Verlag von M. & H. Marcus tsi«)

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Vorwort.

Oftgebrauchte Citate abermals anzuführen, ist keine ange- nehme Aufgabe. Und so hätte ich denn meinen Lesern die Wiederholung des alten Worts „habent sua fata libelli“ gern erspart, wenn es nicht auf dies Buch so zuträfe, dass sich schlechterdings nichts Besseres sagen lässt. Ja, das Buch hat seine Schicksale gehabt! Schon zur Referendararbeit erhielt der Verfasser das Anerbenrecht als Thema gestellt. Die unge- wöhnlich glänzende Beurtheilung, die der Arbeit zu Theil wurde, ermuthigte ihn dazu, das Schriftchen au einer Dissertation aus- zuarbeiten und zu vertiefen. Krankheit und starke ander- weitige Beschäftigung stellten sich aber diesem Vornehmen hindernd in den Weg, und es dauerte fast drei Jahre bis die inzwischen zu einem Buche angewachsene Abhandlung der Berliner Falkultät abgeschlossen vorgelegt werden konnte. Abermals wurde ihr das Prädikat „sehr gut“ zu Theil. Aber auch jetzt war es dem Werke noch nicht beschieden, sofort unter die Druckerpresse zu gehen; es fand sich nicht sofort ein Verleger und, als er sich fand, waren inzwischen so viele neue Erscheinungen auf dem behandelten Gebiete zu ver- zeichnen, dass eine abermalige Umarbeitung nöthigwar. Durch dieselben Gründe, welche bei der ersten Umarbeitung hindernd wirkten, durch starke anderweitige Beschäftigung trat auch diesmal eine Verzögerung ein, und auch als das Manuskript fertig war, wollte es das nicht endende Missgeschick, dass über der Geburt dieses Buches waltete, dass der Druck geraume Zeit liegen bleiben musste. Und so wird denn jetzt, wo das Buch endlich in die Welt hinausgeht, ein zweites, klassisches Wort an ihm fast zur Wahrheit, das horazische: „Nonum pre- matur in annum“.

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VI

Es wäre mir eine Freude, wenn die Abklärung, die Horaz als Folge solcher Liegezeit rühmt, der Arbeit anzumerken wäre. Andererseits aber bitte ich um Nachsicht, wenn einige Erscheinungen der allerletzten Zeit nicht berücksichtigt sein sollten. Es ist mir wohl nicht zu verargen, wenn ich danach strebte, endlich vor die Oeffentlichkeit zu treten. Eine Um- arbeitung hätte sich ausserdem, abgesehen davon, dass die sonstige Arbeitslast des Verfassers dazu keine Zeit liess, nur auf neue Polemik gegen andere Ansichten beschränken können. In diesem Punkte aber bekenne ich mich zu dem Grundsätze, dass es die beste Polemik ist, seine eigenen Ansichten eingehend historisch zu begründen. Und dies zu thun, habe ich mich redlich bemüht.

Berlin, im August 1899.

Der Verfasser.

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Inhalt.

Einleitung.

A) Geschichtlicher Thell.

I. Die bisherige Ableitung des Anerbenrechts aus der hof- rechtlicben Unteilbarkeit der Güter und die Gedenken gegen diesen Erklärungsversuch.

1) Anerbenrecht findet sich auch auf freien Gütern und

in Ländern, die kein Hofrocht kennen. § t. . . . 4 16

3) Die Unteilbarkeit selbst wurzelt nicht im Hof- recht. § 2 16—25

3) Die Unteilbarkeit reicht nicht aus, um die Eigen- tümlichkeiten des Anerbenrechts zu erklären; namentlich erklärt sie nicht die bauerrechtlichen Bemessungsgrundsätze bei den Abfindungen. § 3. . 25—34

II. Neuo Ableitung des Anerbenrechts aus dem Hauseigenthum.

1) Geschichtlicher Nachweis des Gedankens des Haus- eigenthums

a) bei den anderen arischen Völkern § 4 . . . 34 47

b) bei den Deutschen § 5 47—56

insbesondere aus der gesammten Ent- wicklung des deutschen Erbrechts

und zwar

i) bei der Reihenfolge der Berufenen

(Parentelenordnung) § 6 . . . . 56 80

p) in der Behandlung der Weiber § 7 80 87

7) in der Behandlung der ansgesteuerten

Söhne § 8 87—88

2) Der Gedanke des Hauseigenthums noch heute fort- lebend. § 9 88 95

3) Dor Einfluss dieses Prinzips auf Höhe, Fälligkeit,

Vererblichkeit u. s. w. der Abfindungen. § 10 . . 95 107

4) Die Art der Entwiklung des heutigen Anerbenrechts

aus dem Hauseigenthum. § 11 108 123

5) Die Schicksale des so gebildeten Anerbenrechts seit

der Reception bis zur Neubelebnng der geschicht- lichen Rechtswissenschaft. § 12 123 134

6) Die Schicksale des Anerbonrechts in unserem Jahr- hundert. Die Höfegesetze: § 13 134 143

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VIII

III. Spezielle Widerlegung der abweichenden Ansichten von Brentano und Fick Uber die Entwicklung des Erbrechts und Anerbenrechts: § 14 143—159

lt> Dogmatischer Thcil.

Das heutige gemeine Anerbeorecht und die Höfegesetze.

I. Rechtliche Natur des Auerbenrechts

a) des objektiven (Sachliches oder persönliches

Sonderrecht?) § 15 160 163

b) des subjektiven cL b. des Anspruches, Anerbe

zu sein § 16 163 166

II. Geltungsgrund des Anerbenrechts § 17 166 170

III. Geltungsumfang des Anerbenrechts. (Sachliche, zeitliche

uud örtliche Grenzen) § 18 170 178

IV. Geltungskraft des Anerbenrechts (Jus cogens oder dis- positivum?) § 19 178 182

V. Vererbung nach Anerbenrecht im einzelnen:

1) Universal- oder Singularsuccession § 20 ... 182 185

2) Der Kreis der Berufenen. Berücksichtigung der

unehelichen Kinder, der Kinder ciues Interims- wirthes und Leibziicbters. (Entstehung der Interimswirthschaft). § 21 185 197

3) Auswahl aus diesem Kreise. Wer wird Anerbe und

Abfindling ? § 22 197—202

4) Rechtliche Natur der Abfindung. (Kein Civilerbthcil, auch nicht vom Allod, sondern ein Ersatz des Erb-

theils). Ihre Berechnung. § 23 202 210

5) Erwerb, Fälligkeit und Vererbung der Abfindungen.

Das Recht dos Beisitzes d. h. der Verpflegung auf

dem Hofe. § 24 . . 210 216

6) Wirkung der Abfindung, hinsichtlich der Schulden

und hinsichtlich des Erbrechts. § 26 217 220

VI. Collision des Anerbenrechts und Pflichttheilsrechts. § 26 . 220 223

VII. Die Rechtsmittel des Anerben und der Abündlinge. (.Klagen

und Pfandrechte). § 27 223 226

VIII. Die Erlöschungsgründe des Auerbenrechts:

(Klageveijährung, Ausheirath, Unfähigkeit zur Landwirth-

schaft). § 28 227—230

IX. Collision des Anerhenrocbts und des ehelichen GUterrechts.

(Die Ent wickl uug des ehelichen Güterrechts). § 29 230 239

U) KechtKpolitischer Theil. l>e lege ferenda.

I. Uebersicht über die Bewegung für Schaffung eines neuen Grunderbrechts. Die agitatorischen Angriffe dagegen uud

ihre Haltlosigkeit. § 30 240—216

II. Allgemeine Gründe gegen ein besonderes Grunderbrecht :

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IX

1) .Gleiches Recht für alle*. Historische und rechts- politische Beleuchtung dieses Postulats. § 31. . .

2) Das Prinzip der wirtschaftlichen Freiheit. § 32. .

III. Wirtschaftliche Gründe gegen das Auerbenrecht. Es soll

wirthschaftliche Erschlaffung verbreiten, die Unsittlichkeit fördern und die Agrarverfassung versteinern. § 33. . . .

IV. Massgebender Grund für das Anerbenrecht: seine Ueber-

einstimmuug mit der Volksilberzeugung. § 34

V. Die angebliche Ungerechtigkeit des Anerbenrechts. § 35.

VL Wirthschaftliche Gründe für eine Aenderung des Erbrechts:

1) Die allgemeine Ueberschuldung der Landwirtschaft, hervorgerufen durch das geltende unzweckmässige Erbrecht, namentlich die Civiltheilung. § 36. . . .

2) Die Schäden der Kealtheilung (Besitzzersplitterung,

Zwergwirthschaft und Uoberschuldung, Zerreibung des Mittelbesitzes, Beschränkung der Kinderzahl, Zerstörung des Familienlebens). § 37

VII. Dio Vorschläge, eine Aenderung des Erbrechts zu umgehen:

1) Begünstigung der Uebergabsverträge. § 3tt. ...

2) Ausdehnung der Testirfreiheit. § 39

VIII. Die Gestaltung des künftigen Anerbenrechts

a) im Allgemeinen:

1) Reichsrecht oder Landesrecht? § 40

2) Intestaterbrecht oder Höferolle?

a) Fakultative Höforolle. § 41

b) Höferolle mit Einschreibung vou Amts- wegen. § 42

3) Für alle Güter oder nur für Bauerngüter? § 43. .

b) im Ein zelnen:

1) Rechtliche Coustrnktion des Anspruches des An- erben. § 44 .... ,

2) Begrenzung des Kreises der Berufenen. § 45 . . .

3) Majorat oder Minorat? § 46

4) Bemessung der Abfindungen:

a) Berechnung desllofwerthes (Ertragswerth oder

Verkaufswerth?) § 47

b) Gewährung eines Voraus? § . . . .

5) Auszahlungsmodus der Abfindung: (Rentenschuld

oder Hypothek?). Verzinsung und Vererbung der- selben. Sicherungsmittel der Abfindungen. Ver- bältniss von Anerbenrecht und Pttichttheilsrecht. § 49.

6) Anerbenrecht und eheliches Güterrecht in Zu- kunft. § 50

IX. Verknüpfung des Anerbenrochts mit Verschuldungs- und mit Veräusserungsboschränkungen. Surplusresorvat und Vorkaufsrecht. § 51

246—251

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Die ländliche Erbfolge ist schon seit Jahren ein Gegen- stand allgemeinsten Interesses. Theoretiker und Praktiker, Juristen und Nationalökonomen, Gelehrte und Laien, Regierungs- 1 eilte und Volksmänner haben sich mit ihren Fragen beschäftigt; selbst die Tagespresse hat sich der Sache bemächtigt. Und in der That giebt es kaum etwas Wichtigeres heutzutage. An der richtigen Gestaltung des bäuerlichen Erbrechts hängt Ge- deih und Verderb des ganzen bäuerlichen Standes, hängt die Entscheidung darüber, ob wir nach einigen Menschenaltern noch ein gesundes, kaufkräftiges Landvolk neben der Industrie der Städte haben werden, oder ob die Bauern im Kampfe mit der Geldwirtschaft der Städte erliegen, und wir zu einem Industrio- und Handelsstaate werden nach dem Muster Englands und des späteren römischen Reichs. Die Wichtigkeit des Bauernstandes nachzuweisen ist überflüssig; er bildet nicht nur das feste Boll- werk gegeu alle politische und wirtschaftliche Revolution, wie niemand klarer erkennt und ansspricht als die heutige Social- demokratie; er bildet auch das Blut im Staatskörper. Staaten ohne Bauernstand sind vom Marke enthöhlte Bäume, die über Nacht zusammenbrechen können. Die Geschichte des römischen Reiches lehrt dies mit einer erschreckenden Deutlichkeit. Nicht von den Germanen ist am letzten Ende das römische Reich vernichtet worden, sondern durch seinen eigenen Männermangol, durch das Fehlen einer körperlich kräftigen, in gesunder Arbeit nach jeder Richtung gestählten Bevölkerung, wie sie einmal mir eine selbständige Bauernschaft bietet. Nun zeigt sich zwar heute diese Gefahr der reinen Beschäftigung mit Industrie und Handel erst selten in beängstigender Weise. Aber einmal ist dabei zu berücksichtigen, dass noch das Land genügend be- völkert ist, um fortwährend neuen Zuzug zu liefern und die

v. Dult zig, GrunderbrecbL 1

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Lücken, welche das markverzehrende Leben der Städte reisst, wieder auszufüllen Und ausserdem rückt dafür eine zweite Gefahr des reinen Industrie- und Handelsstaates schon heute in bedrohliche Nähe. Solche Staaten sind auf den Export an- gewiesen. Die cnltivierten Völker schliessen sich aber mehr und mehr ab, und um die gar nicht oder halb Cultivierten, ist infolgedessen der Wettbewerb schon ein so starker ge- worden. dass er vielfach recht wenig erfreuliche Formen an- genommen hat und mit rücksichtsloser Gewalt und Ein- schüchterung arbeitet. Mit mathematischer Sicherheit muss darum der Zeitpunkt eintreten, wo einerseits keine neuen Ab- satzgebiete mehr vorhanden sind, während andererseits die vor- handenen sich mehr und mehr auf eigene Fttsse stellen, sodass ein Export immer weniger möglich wird. Daun aber ist die heutige Industrie zum grössten Teil dem allmählichen Hunger- tode ausgeliefert; die Landwirtschaft wird aber inzwischen soweit vernichtet sein oder ihre Produktion so sehr auf die Industrie eingerichtet haben, dass auf sie allein sich die Volks- wirtschaft nicht wieder wird stützen lassen. Wirtschaftlich bestandfähige Staaten sind darum nur diejenigen, in denen soviel Landwirtschaft vorhanden ist, dass der grössere Teil der heimischen Industrie-Erzeugnisse im Lande selbst verbraucht wird. Und gerade hierin liegt die für alle Zeiten, selbst für die einer etwaigen sozialistischen Weltordnung dauernde Wichtig- keit des Bauernstandes.

Ebenso wichtig aber, wie die Frage des bäuerlichen Erb- rechts ist, ebenso schwierig erweist sie sich. Der jahrelang über sie schon währende Streit der sachkundigsten Männer ist ein redendes Zeugnis dafür. Und zwar betrifft diese Schwierig- keit nicht nur die zukünftige Regelung der Grundfolge, worüber man ja am ehesten verschiedener Ansicht sein kann; sie findet sich auch bei der Erforschung ihres gegenwärtigen Zustandes.

Der alte Nachteil des deutschen Rechts, seine locale Zer- splitterung tritt hier in einer AVeise zu Tage, dass man auf den ersten Blick verzweifeln möchte, grosse Prinzipien, die allein in die Darstellung Licht und Ruhe bringen können, herauszuflnden.

Dieser AVirrsal zu entrinnen, giebt es nur ein Mittel, das fast nie bei der Behandlung schwieriger rechtlicher Fragen ver-

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sagt: man muss sich der Geschichte als Leiterin an vertrauen. Was die Grundlage des ganzen Institutes nach historischer Erkenntnis gewesen ist, das eignet sich auch als oberstes Princip und als Grundlage für die dogmatische Behandlung der heutigen Zustände. Ja noch mehr. Was Jahrtausende hindurch bestauden hat, das ist auch ein fester Boden für die Zukunft, und so gewinnt auch der Gesetzgeber den Halt, nach dem man bisher vergeblich gesucht hat.

Lassen wir deshalb die Geschichte ihr Führeramt antreten.

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Geschichtlicher Theil.

§ i.

Wenn man nach den Wurzeln sucht, aus denen das An- erbenrecht entsprossen ist, so pflegt man in erster Reihe die Unthcilbarkeit der Bauerngüter zu nennen.

Und da diese, wenigstens zu der Zeit, wo sie das An- erbenrecht hervorgetrieben haben soll, sich nur im Holrechte noch fand, so gilt bis jetzt allen Autoren ausnahmslos das An- erbenrecht als ein Produkt des Hofrechts.

Der Gedankengaug, wie er sieh übereinstimmend bei Miaskowski, Stobbe, Frommhold u. a. findet, ist dabei folgender:

In den hofrechtlichen Verhältnissen, um die es sieh hier handelt, wurde, wie überhaupt jedes Recht am Gute, so auch das Erbrecht lediglich durch den Leihecontrakt begründet und geregelt.

Ueber die Bedingungen des Leihecontraktes hatte aber der Gutsherr als der Verleihende freie Hand.

Sein Interesse diktierte deshalb die Vertragsbedingungen. Das Interesse der Grundherrschaft ging aber lediglich darauf, „den bäuerlichen Grundbesitz, sowie den Bauernstand prästations- fähig zu erhalten;“1) da nun diese Prästationsfälligkeit nur durch möglichstes Zusammenhalten der Bauerngüter gewähr- leistet werden konnte, so drängte „die Erwägung, dass eine Theilung des dienenden Gutes eine Minderung der Leistungs- fähigkeit desselben bewirken prasste, zur Anerkennung der

') Miaskowski, Bd. 2, S. 135.

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Einerbfolge“2) und es kam in die Leihecontrakte die Be- stimmung, dass die Güter nur an einen Nachkommen und zwar an einen Sohn zu vererben seien.3) Uebereinstimmend wird deshalb auch von dem so entstandenen Anerbrechte gesagt, dass es nicht im Interesse der Bauernfamilie, sondern des Bauerngutes geschaffen sei.4)

Diese Ansicht ist, abgesehen von ihrer geschichtlichen Be- deutsamkeit, schon aus dem Grunde wichtig, weil aus ihr die zahlreichen Gegner einer Wiederbelebung des Anerbenrechts

a) Frommhold, Beiträge S. 28. Ebenso Hiaskowski a. a. O.

3) Stobbe. Privatrecht, Bd. V, S. 375ff. Frominhold, Anerbenrecht S. 11; Hiaskowski a. a. O. Die älteren Schriftsteller stellen den Entwickelungsgang etwas anders dar, doch so, dass er im Resultat auf dasselbe hinauskomnit. Nach ihnen hatten ursprünglich die Bauern, die auf Anerbengütern sassen. überhaupt kein Erbrecht, da sie Leibeigene oder Lassbaneru waren Auf der ^tatsächlichen Rechtsübung fussend, hätten dann die Gerichte ihnen ein Erbrecht zugesprochen, und die Landesherren diesen Gerichtsgebrauch gebilligt, oder direkt ein Erbrecht neu verliehen. Doch hätten sio weder vergessen machen können, noch wollen, dass die Güter an sich den Bauern nicht gehörten, sondern ihnen nur geliehen seien, als geliehene aber weder frei veräusserlich, noch theilbar seien. Auch die älteren Autoren leiten also die Eigenthümlichkeiten des Bauernrechts aus dem Umstande ab, dass cs sich um geliehene Güter handelte, also aus dem Hofrecht. Vgl. Frank, S. 3 ff., Koken S. 1 ff.

4) Mit besonderer Schärfe ist der erwähnte Gedankengang auch in den Motiven zum ersten Entwürfe des Eiuführungsgesetzes des bürgerlichen Ge- setzbuchs auBgedrückt. „Das Auerbeurecht“, heisst es dort, „ist aus den Hof- und Territorialrechten des Mittelalters hervorgegangen und hat seine Grundlage in dein Interesse der Grund- und Landesherren an der Erhaltung eines hinsichtlich der Zinsen und Frohneu leistungsfähigen Bauern- standes .... Später trat wohl auch der Gesichtspunkt hinzu, dass eine singuläre Vererbung im Interesse der bäuerlichen Familien liege. Zunächst, aber und für lange Zeit stand dieser Gedanke in zweiter Linie; die fis- kalischen und grundherrlicben Interessen überwogen.“ (Zu Art. 83 d. E. G.) Aehnliches meint auch Stobbe mit dom „Zweckgedanken“, den er dem Anerbenrechte unterschiebt. Vgl. auch Frommhold, Anerbenrecht S, 9, 10, Miaskowski a. a. O. Neuerdings haben Brentano und Fick diesen Ge- sichtspunkt besonders in den Vordergrund gerückt. (Brentano, Vorwort, S. XX ff.. Fick S. 25 ff., weuiger scharf ). Sic behaupten sogar, dass die Gutsherren, die Einzelerbfolge auch da durchgesetzt hätten, wo sie nicht von vornherein in den Leiheverträgen stand.

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eines ihrer vornehmsten Kampfmittel schmieden, Ist, sagen sie, das Anerbenrecht aus bäuerlichen Verhältnissen erwachsen, denen die wirthschaftliche und rechtliche Abhängigkeit von einem Herrengut eigentümlich war, so dient es vorzugsweise den Interessen dieser Gutsherrschaft, so findet es seine Stütze auch lediglich in dem Dasein jener wirtschaftlichen Ver- hältnisse, in dem Sitzen der Bauern auf geliehenem Boden, kurz in der Hofhörigkeit. Mit deren Fortfall in unserem Jahr- hundert, mit der Verwandlung aller Bauern in Eigentümer ihres Bodens, ist es, losgelöst vom mütterlichen Grunde, zu einem geschichtlichen Ueberbleibsel ohne innere Daseins- berechtigung geworden, das einer gerechten Vernichtung an- heimfällt.5)

Allein der Anschauung, welche das Anerbenrecht lediglich aus dem Hofrechte ableiten will, kann nicht beigetreten werden. Es muss bei dieser Ansicht zunächst befremden, dass es viele Güter giebt, die dem Anerbenrechte unterstehen und nach- weislich niemals einem Hofverbande angehört haben. Paulsen in seinem Schleswig-Holsteinischen Privatrecht berichtet von den Bondenstellen auf der Geest, dass auf sie ein strenges Anerbenrecht Anwendung findet. Bonden sind aber altfreie Bauern. Ebenso unterstehen die „Freyengüter“ zu Sickte dem Erbrechte der männlichen Stammerben.6)

s) Vgl. Brentano, Vorwort S. XXXVII ff. In besonders vollendeter Form findet sich die Schlussfolgerung in den eben erwähnten Motiven wieder- gegeben.

°) Vgl. Noltcnii, Diatribe, S. K-C. Weitere Freigüter, die dem An- erbenrechte unterstehen sind die Hagengilter zu Wiembeck. Diese sind uacb Führer S. 156 erbfrei und stehen iure dominii pleni zu. lieber ihre Vererbung wird nnu im Hagenweisthum gesagt: dass hinfürter die Huefe und Hagengüter nicht zerteilet, sondern es sollen dieseGüter bei dem Besitzer des Hofes und Gutes, dabey die Hufe befunden, verbleiben und die Brüder und Schwestern daraus kauffen. Führer S. 177 unterstellt alle freien Güter dem Anerbeurecht. Ebenso bezog sich in Lüneburg, Hoya und Diepholz das Anerbenrecht auf alle, auch die freien Bauerngüter 2 und 3 der Lüneburger Polizeiordnung vou 161s bei Oppermann S. 12 und 13). Es wurde dies sogar 1728 durch ein be- sonderes Reskript noch ausdrücklich bestätigt: .Die auf die Grafschaft

HnyR extendirte Constitution, dass der älteste Sohn . . in denen. .Gütern

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Bei den Verhandlungen des 23. Juristentags (Bd. 2, S. 77) hat ferner schon Eneccerus auf Tirol verwiesen, (U) wo allgemein noch heute ein sehr strenges Anerbenrecht besteht, ohne dass je irgendwo eine nennenswerthe Gutsunterthänigkeit gegolten hätte. Auch aus den neuen Untersuchungen über Bayern geht hervor, dass das Anerbenrecht oder, besser gesagt, eine dem Anerbenrecht entsprechende Uebung sich gleichermassen wie auf den ehemals hofhörigen Gütern auch auf solchen findet, die von altersher frei waren. So gilt in Ober- und Niederbayern allgemein der ungetheilte Uebergang auf einen Erben und doch gab es hier nach einer Statistik im vorigen Jahrhundert 7361 nicht grundnnterthänige Familien, ja zu Anfang dieses Jahr- hunderts sollen die freien Höfe nach einer anderen Statistik, sogar 15 °/#, d. h. zwischen */, und */? aller Höfe betragen haben. (Fick, S. 19). Das Gleiche lässt sich auch für einzelne Gegen- den Nieder- und Oberbayerns feststellen. So ist z. B. eine der reichsten Gegenden Niederbayerns und zugleich ein der Hoch- burgen des Anerbenrechts das Rotthal. Hier hat aber die Grundherrschaft nie besondere Macht gehabt. Abgaben und Scharwerke waren im vorigen Jahrhundert zwar vorhanden; dies scheinen jedoch keine aus der Grundunterthänigkeit fliessen- den Leistungen gewesen zu sein, sondern Reallasten. Denn die Dienste waren sehr gering. Ausserdem aber werden die dortigen Bauern von einem damaligen Schriftsteller, Hazzi, ausdrücklich als ein kräftiges, freies Geschlecht geschildert, und das darf man dem Gewährsmanne um so eher glauben, als er sonst nicht geneigt ist, die Lage der Landwirthe zu günstig anzusehen. (Fick, S. 72). Nicht anders liegen die Dinge in anderen Theilen Bayerns. AVas zunächst die Oberpfalz an- betrifft, so herrscht hier der ungetheilte Erbgang bei allen landwirtschaftlichen Anwesen im Gebiete der Kemptener Rechte (Fick, S. 119). Es mangelte aber hier keineswegs an freien Gütern, ganz freien oder lediglich zinspflichtigen (Fick,

succedieren Holle, ist auch von denen Bauernhöfen, welche keinen Gutsherrn haben, zu verstehen, welches auf euie . . . getbane Anfrage hiermit nachrichtiich ohnverhalten wird.“

*• ) Vgl. auch Grünberg bei Schtnoiler, Jahrbuch, Jahrgang XX,

S 79 ff.

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S. 117) demgemäss ist denn das Anerbenreclit aucli im Land- rechte bereits vorgeschrieben, galt also auch für die freien Güter und zwar nach „alter Gewohnheit.“ (Pick, S. 110). Ebenso ist das Anerbrecht im Amtsbezirke Nördlingen schlecht- hin üblich; auch hier aber gab es von alters her freieigene oder nur zins pflichtige Güter. Besonders schlagend ist aber das Beispiel des Amtsgerichtsbezirks Wemding. lieber diesen sagt der oben erwähnte Hazzi: „Ferner sind da keine Laudemien (obwohl die Beamten seit einiger Zeit Laudemien aufbringen wollen, so wissen die Saalbücher doch von keiner Grund- barkeit), keine grundherrlichen Consense ad alienandum oder bypothecandum , kein Hoffuss oder Gebundenheit der

Güter; jedes Grundstück ist eigen und frei.“ Und doch gilt hier die ungetheilte Vererbung. Sie hat auch im vorigen Jahr- hundert gegolten. Was Hazzi von Ausstattung der Kinder mit Grundstücken berichtet, bezieht sich, wie schon der Ausdruck „Heirathsgut“ zeigt, nicht auf wahre Realtheilung, sondern auf Ausstattung der Kinder mit sogenannten „walzenden“ Grund- stücken. Ganz undenkbar ist es jedenfalls, dass noch in diesem Jahrhundert, wie Pick vermuthet, die Grundherrschaft so er- starkt sei, um ungetheilte Vererbung durchzusetzen. Das Ab- kommen des „walzenden“ Gutes ist dagegen eine ganz gewöhn- liche Erscheinung. Indessen, selbst wenn die ungetheilte Vererbung erst in diesem Jahrhundert sich eingebürgert hätte, so wäre das ein besonders starker Beweis dafür, dass sie nicht aus dem Hofrecht und der Gebundenheit erwachsen sein kann, (Fick. S. 94). Für Mittel-, Ober- und Unterfranken kann auf die Gebiete von Bayreuth, Ansbach, Bamberg und Würzburg verwiesen werden. Sie alle kennen, ganz oder strichweise, die ungetheilte Vererbung. Sie alle kennen aber auch freie Güter. Bamberg regelt die für ungetheilte Vererbung typische Gnts- übergabe sogar in seinem Landrecht, erkennt sie also aus- drücklich auch bei vollfreien Gütern an. Und für Würzburg hebt Fick selbst die grosse Zahl der freien Grundstücke hervor und betont, dass hier selbst auf grundunterthänigen Gütern die Grundhörigkeit nicht sehr streng war. (Fick, S. 161. 179, 188, 209, (210).

Ausser aus Holstein, Mitteldeutschland, Tirol und Bayern mangelt es auch aus den östlich der Elbe gelegenen Gegenden

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nicht an Beispielen von freien Gütern die mit Anerbenrecht behaftet sind. In Niederschlesien z. B. besassen die Bauern ihr Gut zu Eigentum; der Gutsherrschaft standen daran keine dingliche, sondern nur obrigkeitliche Rechte zu: namentlich hatte sie bei der Auswahl des Gutsnachfolgers keine Mitwirkung. Dennoch war auch hier ungetheilter Uebergang unter Ueber- nahme des Gutes zu niedrigerer Taxe üblich. (Vgl. Knapp und Kern, S. 69 ff.)

Sonach hat sich das Anerbenrecht in der That auch für eine grosse Zahl freier Güter herausgebildet. Aber ausser diesen giebt es noch eine grosse Zahl von halbfreien, die unbe- zweifelt nach Anerbenrecht vererbt werden und von denen es doch sehr wahrscheinlich ist, dass sie ursprünglich ganz frei waren.7)

') Z. B. die Hägergiiter zu Stadtoldendorf!. Schon der Name „Häger- güter“ spricht für ihre einstige Freiheit. Mit diesem Namen werden Güter bezeichnet, welche lediglich in einem Mark verbände für Holzung oder Weide, keinem Hofverbando stehen. Vgl. die „Hagengiiter“ der vorigen Anmerkung. AJIerdiugs pflegte sich der Obermärker später oft eine Guts- lierrlichkeit anzumassen, jedenfalls aber handelte es sich nie um ge- liehenen Besitz. Dass cs auch liier so gegangen und der Obermärker der Hägergüter, nämlich der Abt des Klosters Amelunxboro, sich erst all- mählich seine späteren Hechte angemasst hat, geht aus den bei Nolten uns aufbehaltenen Hägergerichtsprotokollen hervor. Der Weg, auf dem diese Entwicklung sich vollzog, war danach derselbe, den alle Ober- märker wie die Gerichts- und Voigteiherru gegangen sind, um die Grundherrlichkeit zu erwerben: Die MarkgenosBen pflegten vorm Märker- ding die Geschäfte über ihre Güter, wie Verkauf, Verpfändung u. a. in. zu verlautbarcu. Das Hecht des Zuschaueus, was den Obermärkern dadurch erwuchs, verkehrten diese in ein Consensrecht, aus dem sie dann eine Grund- herrlichkeit ableiteten. In den genannten Hägergerichtsprotokollcn (vgl. Nolten S. 121 bis 131) liegt jener allmähliche, folgenschwere Uebergang von Znschaue- in Zustimmuugsrecht noch deutlich zu Tage, und es ist namentlich erkennbar, wie sich die Hägerleute gegen jene Vermischung wehren. Sie behaupten: „Alle Veränderungen sollen dem Kloster, doch ohne Entgelt, durch den Hägervoigt augemeldet werden; welcher solches nicht thun würde, der solle vom Hägervoigt zur Wroge gesetzet werden.“ (Also Strafe, nicht Nichtigkeit). Der Abt dagegen behauptet die Nichtig- keit jedes ohne seine Genehmigung geschlossenen Contraktes. Er sagt: „Die CouUriuation aller Contrakte behielten sie ihnen vor. . . etc.“ Dieser Zwiespalt zwischen der Auffassung der Häger, die sich auf alten Gebranch

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Die coDsequenten Vertheidiger der Ansicht, welche den Ursprung des Anerbenrechts ini Hofrecht sucht, haben aller- dings gegen diese befremdende Thatsache gleich einen Einwand bereit. Das Anerbenrecht ist eben auf solchen freien Gütern nicht ursprünglich, vielmehr auf sie erst nach dem Beispiele hofhöriger Güter übertragen, weil sie „mitten unter den Gütern lagen, die nach Anerbenrecht vererben und der praktische Nutzen desselben doch bald einleuchten musste.“ (Frommhold, Anerbenrecht S. 11).

Dieser Entwickelungsgang erscheint dort glaublich, wo das Anerbenrecht durch Gesetz eingeführt wurde.

Allein es wird sich weiter unten zeigen, dass das Anerben- recht nirgends auf Gesetz beruht, sondern älter ist als die ge- setzgebende Thätigkeit der deutschen Staaten.

stützte uml sicher die ursprüngliche war. und zwischen der neuen Auf- fassung, die der Abt. durchdriicken wollte, führte zum Prozesse. Der Abt gewann mit folgender Begründung, die in charakteristischer Weise ersehen lässt, wie aus dem Zuschauereclit namentlich vor gelehrten Richtern das Consensrecht wird : Es seien „die Handlungen über solche Hägergiiter, oder dieselben betreffend, vor dem Kloster jedesmal zur Perfektion ge- bracht, von selbigem auch zu allen Zeiten ein Häger-Voigt in Stadtolden- dorff gehalten und an denselbigen entweder, oder immediate an das Kloster die Hägergüter betreffende Handlungen von denen Einwohnern der Stadt Oldendorff gebracht und folglich von dem Kloster die Confirm ation darüber ertheilet etc. etc.“ So wie es sich hier einmal besonders nnch- weisen lässt, ist es bekanntlich bei sehr vielen Gütern gegangen. Vgl. unter andern auch Fick, S. 20 ff. Viole, die später hofliürig sind, waren ursprünglich frei, und haben aus jenen Zeiten meist ein freieres Besitzrecht gerettet. So geht es zum Beispiel alle deu zahlreichen Gütern, von denen Nolten noch ausser deu Oldendorffer Hägergütern Protokolle mittheilt. Ihre Inhaber erfreuen sich sämmtlich einer so grossen Bewegungsfreiheit, dass es einem schwerfällt, zu glauben, es handle sich hier wirklich um geliehene Güter. Selbst von den am wenigsten freien, den „Lactgütern“ des Amts Wintzenburg (Nolten, S. 136), wird gesagt, dass sie, „wenn nur die Auf- tragt oder Verfassung für öffentlichen Laetengerichten geschieht, alicniert oder veräussert werden können.“ Es bestand also nicht der Brauch, irgend welchen Conscns einzuholen, sondern nur den Contrakt gerichtlich zu ver- lautbareu, wie das ja auch bei zweifellos freien Gütern meist geschehen musste. Ja auch dieser Brauch war zweifelhaft. Denn es wird gesagt. „Und obwohl vorher im Brauch oder vielmehr Missbrauch“ (vom Standpunkt des Aufzeichners! D. V.) „gewest, dass die Laetgüter ohne Vorbewusst des Laetengerichtes versetzet oder verpfändet werden können . . . etc.“

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Jedenfalls ist es ganz sicher bei vielen freien Anerbgütern, nicht durch Gesetz eingeführt, sondern beruht auf Gewohnheit. (Vgl. Anin. 8). Soll deshalb die gegnerische Erklärung von der Entstehung des Anerbenrechts auf freien Gütern bei allen zutreffen, so müssen die Gegner auch der gewohnheitsrechtlichen Entwicklung die bewusste Nachahmung hofrechtlicher Ver- erbungsgrundsätze aus praktischen Rücksichten zu Grunde legen. Das wird aber sofort unwahrscheinlich, wenn man sich ver- gegenwärtigt, wie dann im Einzelnen die gewohnheitsrechtliche Entwicklung, so wie die Gegner sie behaupten, sich vollzogen haben müsste. Hier und da müsste dann eines schönen Tages der Freibauer sich gesagt haben: „Mein Gut, das nach altem

Brauch eigentlich unter meine Söhne getheilt werden sollte, das will ich, wie es mein Nachbar praktischer thut, nur einem Sohne hinterlassen.“ Nun wissen wir aber, dass die Bauern kaum heute von der herkömmlichen Vererbungsart abweichen und das jedenfalls nicht gethan haben zu den Zeiten, wo das Anerbenrecht auch für die von uns genannten freien Güter entstanden sein muss ; dort stammt es nämlich spätestens aus dem 17. Jahrhundert,

8) Bei den Bondenstellen auf der Geost ist im IS Jahrhundert das Anerbenrecht althergebrachtes System, das nur in seinen Modalitäten festgestellt ist durch eine Verordnung von 1777. In Lüneburg fand die oben (Anm. 6) citierte Polizeiverordnung von 1618 das Anerbenrecht schon vor (Vgl. unten Anm. 21). Die bei Noltcn citierten Roddein stammen aus dem 17, spätestens 18. Jahrhundert und erwähnen das Anerbenrecht als uralten Brauch. Das Anerbenrecbt für die freien Güter des Hocb- stifts Kempten beruht ebenfalls auf altem Brauch; Art. 92 der Landes- ordnung des Fürsten Johann Erhard aus dem Ende des 16, Jahrhunderts sagt nämlich:

Wir wüllen nach altem Herkommen und Gebrauch, damit die gelegenen Güter unzortrennt den Mannspersonen oder Stämmen verbleiben, dass die Frauenbilder oder Tüchter mit fahrender Hab oder Geld sich hintenanweisen zu lassen, schuldig sein sollen (Fick S. 119.)

Daraus ergiebt sich trotz Ficks gegenteiliger Meinung einmal, dass damals ein wahres Anerbenrecht bestand. Dafür ist entscheidend der Aus- druck „unzertrennt“. Es ergiebt sich aber ferner die gewohnheitsrechtliche Entstehung des Anerbeurechts. Warum die Worte „nach altem Herkommen“ auf Unwahrheit beruhen sollen, ist nämlich nicht ersichtlich. Fick behauptet

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d. li. aus einer Periode, wo es mehr noch als heute allgemeine Anschauung war, dass

„wer selig will sterben, sein Gut muss lassen den rechten Erben“,

wo mithin der Bauer vor jeder Aenderung der für sein Gut althergebrachten Erbfolge zurück schrak. Aber selbst wenn die Bauern den Eingriff gewagt hätten, so wäre wegen der bei Anerbenrecht unumgänglichen Verletzung der Pflichttheile das Testament oder der Uebergabevertrag der Vernichtung anheim- gefallen. Nie und nimmer hätten die romanisierenden Gerichte die Hand geboten, das Anerbenrecht, dass sie oft ausrotteten, wo es bodenständig war, anszudehnen auf Güter, wo es bisher nicht gegolten hatte. Und dass die Sache auch bis an die Gerichte kam, dafür hätten schon die Miterben gesorgt. Denn es ist notorisch, dass Bauern und Bauernkinder auf dem, was sie für Recht halten, auch gegen die nächsten Verwandten un- nachsichtig bestehen : und das hätten sie umsomehr im Erbrecht gethan, wo alte Gewohnheiten sich am zähesten und mit den grössten lokalen Verschiedenheiten, ohne Rücksicht darauf, was beim Nachbarn gilt, erhalten haben.

Mehr schon kann mau sich vorstellen, dass ein ganzes Dorf bei Eesstellung seines Rechts von dem Theilungssystem überging zum Anerbenrecht, das sich bei Nachbarn als praktisch erprobt hatte. Denn im solchen Falle war es ja nicht nur der einzelne, der sich dem Brauche entgegenstemmte und sein Gut

zwar, solche Phrasen seien in der damaligen Gesetzessprache typisch ge wesen, wenn es galt eine Neuerung eiuzuftibreu. Allein er hat für diese befremdliche Behauptung den Beweis vergessen. Im Gegenteil seine eigenen sonstigen Mitteilungen iiocr damalige Gesetze zeigen, dass man der Zeit gar nicht ängstlich war, beim Eingriff in alten Brauch dies öffentlich nus- znsprecheu (Vgl.z. B. S. st und 289). Der Verf. kämm das auch aus seinen eigenen Erfahrungen bestätigen. Die Gesetzgeber verschweigen nicht allein die Neuerung nicht, sie weisen vielmehr ausdrücklich darauf hin und be- tonen die Weisheit des gesetzgeberischen Eingreifens. Ja. es kommt sogar umgekehrt vor, dass selbst bei Anlehnung an alten Brauch dies gar nicht erwähnt wird und man erst anderweit erfährt, es habe früher schon dasselbe gegolten. (Vgl. Anm. 21 und und § 12 a. E.) Jedenfalls muss einem positiven Zeugnisse gegenüber der strikte Beweis der Unwahrheit verlangt werden, und der ist nicht erbracht.

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dem rechten Erben entzog. Es soll auch ähnliches vorgekommen sein, namentlich im Schwarzwald. (Vgl. Gothein, Wirthschafts- geschichte des Schwarzwalds S. 298 ff.) Aber dann handelte es sich eben nicht mehr um gewohnheitsrechtliche Bildung, sondern um Gesetzgebung; die Aufnahme des Satzes ins Weisthum war dann nicht wie sonst Beurkundung des Gewohn- heitsrechts, sondern die Ausübung der Satzungsgewalt. Bei solcher Thätigkeit ist nun die Prüfung des Für und Wider einer Vorschrift nicht nur das Wahrscheinliche, sondern sogar das Regelmässige.

Aber bei rein gewohnheitlicher Entwicklung entspricht das bewusste Wählen zwischen zwei Rechtssystemen nach praktischen Gesichtspunkten , welches die Gegner hier jener Entwicklung unterschieben müssen, ihrem Wesen kaum in den heutigen Verhältnissen, wo doch auch nur der Gebildete dazu erzogen wird, bewusst und leitend die Entwicklung der Dinge zu beeinflussen; für die Perioden, um die es sich hier handelt, ist jenes Wählen ganz unglaublich, um so unglaublicher als die praktischen Gesichtspunkte, welche die bewusste Aenderung im Gewohnheitsrecht herbeigeführt haben sollen, wirtlischaftlicho waren und es erst eine Eigenheit der neuesteu Zeit ist, alle Dinge und vor allem Rechtssysteme nach ihrer wirthschaftlicheu Wirkung zu beurthcilen.8)

9j Wir treten iliunit in bewussten, noch öfter zu betonenden Gegensatz sowohl zu dem Jheringschen „Zweck im Recht*, wie auch, namentlich auf dem vorliegenden Gebiete, zu Brentano (Zukuuft de 1895, Nr. 50), der das ganze Eigentums- und Erbrecht aus dem wirtschaftlicheu Zweckge- daukeu der „pfleglicheren“ Behandlung der vererblichen Gegenstände ableitet. Difflcilc est satiram non scribere; es ist schwer sich heissender Be- merkungen zu enthalten, über die weitschauende wirtschaftliche Vorbedacht- samkeit, welche nach Brentano die eben zur Viehzucht Ubergegangenen Nomaden gehabt haben müssen. Es genügt vielleicht zu fragen, ob der Erbgang in Waffen und Gerade, welcher nach Brentano (A A. 0. S. 495) der erste gewesen sein soll, vielleicht auch auf dem Gedanken der pfleg- licheren Behandlung beruht und ob das Eigentum an der Ehefrau uud au Bklavcu, das nach Brentano dem Vieheigen noch vorangegangen ist, dem gleichen Gedanken seine Entstehung verdankt. Gegen dts reine „Eigentum“ an der Ehefrau Hesse sich auch wohl manches sagen. Indessen eine allge- meine Widerlegung Brentanos soll wenigstens vorläufig nicht gegeben werden. Im Verlaufe der gegenwärtigen Abhandlung wird sich die Wider- legung daraus ergeben, dass sich das gemeiue Erbrecht und das Grund-

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Auch trifft auf die von uns genannten freien Anerbengüter die Voraussetzung nicht zu, welche die Gegner naturgemäss für die von ihnen behauptete Entwicklung machen müssen, dass nämlich die Güter mitten zwischen hofhörigen Gütern gelegen haben. Die Bondenstelleu auf der Geest z. B. bilden eine durchaus compakte Masse, von der Paulsen die zusammen- hängenden Gebiete der Plünischen Aemter, der Aemter Sege- berg, Travendahl und der Propstei Preetz hervorhebt. Wo aber diese Bondenländereien von hof hörigen Gütern, den königlichen Festestellen, unterbrochen werden, konnten sie ihr Erbrecht auch nicht nach deren Muster ausbilden, da auf diesen überhaupt eine Vererbung nachweislich nach ihrem Muster (vergl. Paulsen a. a. O.) erst im 18. Jahrhundert ein- geführt ist, als für die Freibauern das Anerbenrecht längst fcststand.

Gauz unerklärt lässt aber die gegnerische Darstellung, wie sich das Anerbenrecht auf freieu Gütern hat bilden können, die nicht nur nicht zwischen geschlossenen Hofgütern liegen, sondern sogar von Realtheilungsgegendeu umgeben werden. Und auch das kommt vor. Im Würzburgischen z. B., wo nach unseren obigen Ausführungen die meisten Güter ganz frei oder nur zins- pflichtig waren (Fick S. 210/211), und wo im allgemeinen real getheilt wird, finden sich mitten in diese Gebiete eingesprengt Gegcuden mit ungetheilter Vererbung. Hier kann doch wahrlich nicht von der Nachahmung des dem Anerbenrecht huldigenden Hofrechtes gesprochen werden.

Ist sonach die Ansicht, w'elche das Anerbenrecht immer und überall aus Hof hörigkeitsverhältnissen ableitet, schon recht zweifelhaft, wenn man den Blick lediglich auf die deutschen Verhältnisse richtet, so erscheint sie völlig unglaublich, wenn man erfährt, dass das Anerbenrecht in Ländern gilt und ent- standen ist, wo es hot hörige Verhältnisse wie die deutschen nicht gibt. Bei den Völkern des Pendschab z. B. (vgl. Köhler, Ztschr. f. vgl. Rechtsw. Bd. 7, S. 206) findet sich das An-

erbrecht weit besser und mit weit geringeren bedenken aus anderen und grösseren Prinzipien erklären lassen, denn aus der wirtschaftlichen Zweck- mässigkeit.

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erbenrecht weit verbreitet, und zwar bei Gütern, die auch nicht nach einem der dort bekannten Leiherechte, sondern zu freien Eigen besessen werden, mit höchstens öffentlich-rechtlicher Belastung. So ist „in einigen Gegenden des Kangrabezirkes ein weitgehendes Erstgeburtsrecht in Uebung, so dass die jüngeren Brüder fast gauz zurückgesetzt werden.“ „In Spiti übergiebt der Vater dem erwachsenen Sohne das Grossgut und zieht sich selbst auf das Kleingut zurück.“ In Rajputana sind „die jüngeren Söhne auf blosse Unterhaltungsansprüche redu- ciert.“ In anderen Bezirken des Kangradistrikts giebt es Güter, „die als untheilbar gelten und auf den jüngsten Sohn erben“. (Köhler a. a. O.)

Ebenso ist das Anerbenrecht bekannt im altindischen dharma-Recht, das hof hörige Verhältnisse nicht anerkennt und seine Vorschriften an Bauern richtet, die Herren auf ihrem Grund und Boden sind.

Als Regel wie Güter zu vererben sind, wird es hier zwar hingestellt, wenn „Mann theilte sein Gut unter seine Söhne.“ Allein wie wenig diese Regel stets durchgeführt wurde, dafür ist Beweis, dass jener Satz zu den umstrittensten des altindischen Rechts gehört. Man liess dem ältesten oder jüngsten einen Additionaltheil zukommen, oder gab dem ältesten zwei Theile, während die übrigen Söhne je einen Theil erhielten, oder man gestattete nach der Seniorität die Auswahl gewisser Gegenstände.10) Alles das weist, wenn nicht direct auf ein Anerbenrecht, so doch auf eine dem An- erbenrecht sehr ähnliche Rechtsübung hin, welche im alten Indien weit verbreitet gewesen sein muss.

Ist sonach das Anerbenrecht auch in Ländern entstanden, welche eine ganz andere wirthschaftliche und namentlich agrarische Organisation hatten und haben, als Deutschland zur Zeit der Hofverfassnng, so ist es wahrscheinlicher, dass jenes nicht in dieser wurzelt, sondern dass es einer Quelle entstammt, die älter und Deutschland mit jenen Landen gemeinsam ist. Gemeinsam ist aber nur der Grundstock des Rechts.

So wird man unabweislich zu der Annahme gedrängt, dass das Anerbenrecht aus jenem Grundstöcke des Rechts hervor-

’°) Vgl. Leist, Jusgeutium S. 416.

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gewachsen ist und seine Entstehung den ältesten Rechtsgedanken verdankt die allen arischen Völkern gemeinsam sind.

Und in der Tliat lässt sich auch positiv naehweiscn, dass die Ansicht, welche das Auerbenrecht lediglich ans dem Hof- recht ableitet, falsch ist. Sie entspringt dem doppelten Irrthum, dass das Auerbenrecht allein aus der Uutheilbarkeit entsprossen sei, und dass diese Uutheilbarkeit lediglich ein Institut des Hofrechts sei.

Beides ist nicht richtig.

§ 2-

Beginnen wir zunächst mit der Behauptung, dass die Un- teilbarkeit der Güter ein Institut des Hofrechts sei.

Gierke hat in seinem Genossenschaftsrecht überzeugend nachgewiesen, dass der Gedanke der Unteilbarkeit des Grund- besitzes ein uralter ist. Zunächst wurde jene thatsächlich ein- geführt, denn in den Zeiten der alten Agrarverfassung, wo noch strenge Feldgemeinschaft herrschte und einem jeden sein Land für bestimmte Jahre zugewiesen wurde, nach deren Ab- lauf die Feldmark neu verteilt wurde, zu diesen Zeiten konnte natürlich von einer Teilung der Hufe wie überhaupt von einer privaten Verfügung darüber keine Rede sein.

Es war aber auch zu solcher Teilung gar kein Bedürfnis vorhanden, weil genug Land da war, es den leer ausgehenden unter mehreren Söhnen zuzumessen11), und cs hätte sich selbst bei rechtlicher Erlaubthcit eine solche Teilung thatsächlich ver- boten, weil die Hule das Mindestmass dessen war, wovon eine

") Ein positives Zeugnis solcher Uebung fimlet sich in Irlanil. Der Tod eines Clangenosseti bildete einen Keehtsgrund eine Neuverteilung des gesummten Clanlandes vorzunehmen, das den einzelnen Clangenossen nur auf kurze Zeit zur Nutzung ausgegeben war. Hei der Neuverteilung durfte jeder der nun zu vollberechtigten Clansmauucn gewordenen Sühne des Ver- storbenen ein Landloos verlangen und erhielt auch eins. Die historischen Eigentümlichkeiten des nationalirischen Erbrechts, des eustouie of gnvelkind. wie die gleiche Berücksichtigung aller Sühne unter gänzlichem Ausschluss der Witwe und der weiblichen Descendenz von der Erbschaft, erklären sich aus diesem alten Brauche. iVgl. Moritz Jaft'e, Bodenrocht und Bodenver- teilung iu Irland.)

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Familie sich ernähren konnte. Alle diese Momente blieben noch lange Zeit wirksam als die Agrarverfassung zu ver- steinern begann und durch das allmähliche Abkommen der periodischen Neuverteilung des Ackerlandes sich ans der Sonder- nutzung ein Sondereigentum entwickelte. ia) Allein diese Nach- wirkungen des alten Eigentums der Gemeinde, welche Gierke

'-) Die hier zu Grande gelegte Auffassung von der Entwickelung des Privateigentums an Grund und Boden ist heute wohl die herrschende. Fast von allen wird als das Ursprüngliche das Eigentum des Markvorbandes au- genommen, das von strenger Feldgemeinschaft getragen wurde, und aus dem sich erst allmählich, fassend auf der Sondernutzung, ein Sondereigen heraus- gebildet hat. Die Vermutung, die Jnama-Sternegg in seinem „Hofsystoin* hier nud da durchblieken lässt, es sei der Markverband erst ein Erzeugnis späterer Zeiten, diese Vermutung hat er später selbst fallen lassen. Die herrschende Ansicht stützt sieh für deutsche Verhältnisse auf die bekannten, Stellen Caesars und Tacitus über deutsche Ackerverfassung. Es muss zu gestanden werden, dass zu dieser Ansicht die unbefangene Uebersetzung jener Autoren nach dem Texte, den ihre neuesten kritischen Ausgaben bieten, am besten stimmt. Die abweichende Deutung, die Jnama-Sternegg a. a. 0. der Tacitusstelle zu geben versucht, kann nur durch eine überaus gezwungene, teilweis, wie bei spatium, direkt falsche Uebersetzung erreicht, werden, die Jnama-Sternegg heute wohl selbst nicht mehr vertritt. Indessen immerhin ist die Uebersetzung der Tacitusstelle namentlich bei ihren un- sicherem Texte etwas zweifelhaft, und die herrschende Ansicht stände des- halb auf ziemlich schwachen Füssen, wenn nicht die vergleichende Rechts- geschichte ihr in neuester Zeit kräftige Stützen nntergefügt hätte.

Fast bei allen arischen Völkern nämlich finden sich Reste, welche auf einen Zustand hinweisen, wo der Stamm das in Besitz genommene Iiand an die Geschlechter als Eigentümer verteilt hatte, und diese es an die einzelnen Haushaltungen nur zur Nutzung austhaten. Man muss dabei bedenken, dass die arischen Völker in alle Sitze, in denen sie heute wohnen, als Eroberer eingerückt sind. Die eiuzigo Organisation aber, die ein wanderndes Eroberervolk haben kann, ist die nach der Blutsgemeinschaft, nach Geschlechtern, da für eine dingliche und räumliche Organisation die Unterlagen fehlen. Diese einzigen fertigen Organisationen, der Stamm, das Oeschlechtergeschlecht (vgl. Leist, ins glutium S. 38« etc.) und die Einzel- geschlechter nahmen deshalb das Land in Besitz, den Stamm als Obereigen- tümer und die Geschlechter als die wirklichen Eigentümer. Andere Rechts- subjekte waren gar nicht da; der einzelne war und bedeutete nur etwas als Ge- schlechtsaugehöriger; das dorfweise angesiedelte Geschlecht war deshalb das wahreRechtsubject des ihm zugewiesenenDorflandes.

Diese Zustände werden bewiesen durch Verhältnisse, wie sie heute noch im Pandschab sich finden, wo noch immer das Dorf aus Geschlecbta- genossen besteht und alle Dorfeinwohner untereinander verwandt sind.

v, Dultzii*, Gründer brecht. 2

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treffend unter dem Namen Gesamtrecht zusammenfasst, waren es nicht allein welche eine Unteilbarkeit des Grundeigentums herbeiführten ; sondern andere Einflüsse halfen dazu mit.

Während der Umwandlung der Agrarverfassung nämlich hatte sich eine weitgehende Verdinglichung aller Rechtsverhältnisse herausgebildet. Wer Gemeindegenosse war, hatte früher Land fordern können, so dass Gemeindeangehörigkeit und Landbesitz als

Es wird dort noch vielfach der gilt, der Verwandtscliaftskreis. in dem mau nicht heiraten darf, mit dem Dorfe identifiziert (vgl. Köhler S. 233). Bei anderen arischen Völkern besteht jener Zustand allerdings nicht mehr, aber er wird für frühere Zeiten durch unwiderlegliche Zeugnisse belegt. Namentlich sind es die Iren, die, solange sie eine nationale Rechtsordnung gehabt haben, d. h. bis ins 17. Jahrhundert, auf jenem ursprünglichen Standpunkte verblieben sind, wo der Stamm das Landgebiet an die Geschlechter, die Clans, als Eigentümer verteilte, die es nur zur Nutzung Weitergaben an die einzelnen Clangecossen. welche schon wegen der stets wieder vorgenommenen Neuverteilungen nur in leichten Hütten darauf umherwolmten (Moritz Jaffe a. a. O. S. 10:11 fl') Auch in den slavischeu Rechtsgebieten haben sich ähnliche Verhältnisse noch lango erhalten. Die durch Blutsverwandtschaft verknüpfte Sippe wohnte zu- sammen in einem Dorfe und hatte alle Dinge gemeinsam. (Vgl. Leist Inscivile S. 408 nach Schiemann, neuerdings namentlich Lutschitzky bei Sehmollcr de 1806 S. 174 175 ff.) In Indien endlich finden sich gleichfalls zahlreiche Spuren jener Urzustände. Noch spät fallen dort Dorfgeuosseu- scliaft und Geschlechtsgenossenschaft zusammen (Leist, Insgentium S. 37, 30, 300, 388) deshalb heisst auch das Gemeindehaus „sabha“, was sprachlich dentisch mit Sippe ist.

Diese Wahrnehmungen bei den meisten arischeu Völkern sprechen dafür, dass es sich hier um ein allgemeinarisehes Recht handelt. Und hält man mit diesem Ergebnis die bestimmten Nachrichten Caesars zusammen, so wird man nicht mehr zweifeln, dass auch bei unseren Vorfahren einst das Eigentum an Grund und Boden lediglich den zumeist dorfweise angesiedelten Geschlechtern zugestanden hat.

DieWeiterentwickelung richtete sich zunächst darauf, dass die wenigstens meistens dorfweise sitzenden Geschlechtsgenossenschaften sich in Markgenossen- schaften verwandelten. Die Verhältnisse wurden eben stabiler, die Geschlechter siedelten sich in festen Häusern an und blieben für die Dauer auf dem ihnen zugefallenen Lande. So gewann der örtliche und dingliche Zusammen- hang ein Vorgewicht vor dem persönlichen, und schliesslich wurde der letztere ganz vergessen oder durch die Zeit zerstört, nnd es blieb nur der erstere, der Markverband. Dieser rlieilto nun ebenso wie die alte Ge- scblechtsgenossenschaft seiue Landmark an die einzelnen Hausväter aus zur Nutzung, zunächst mit periodischer Neuvortheilnng. Als aber diese abkam. musste sich die Sonderuutzung vou selbst in Soudereigen verwandeln.

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identisch, als Zubehör voneinander erscheinen mussten. Jetzt wurde aus dem Begriffe des Zubehörs die umgekehrte Con- sequenz gezogen, dass der Landbesitz die Gemeindeangehörigkeit gab. Anf ihm hafteten Rechte, auf ihm lasteten Pflichten ; und namentlich letzterer Umstand war es, der bei der mangelnden Scheidung von Privat- und öffentlichem Recht für die Er- haltung der Unteilbarkeit der Hufen wesentlich mitwirken musste.

Immer aber blieb ein Tlicil des Gemeindelandes nnvertheilt. An ihm lebte das alte Gesamte igelt thum als ein redendes Zeugnis von dem früheren Rechtszustamle fort. Xio konnte deshalb in Vergessenheit gerntheu und ist cs auch nicht, dass ursprünglich alles Land eigentlich der Markgenossenschaft znstand.

Gerade dieser wichtigste Abschnitt in der Entwickelung des Privat- eigeuthums ist es nun, der nicht in deutschen Zeugnissen uns belegt ist. Dafür ist er für das slaviscbe Itechtsgebiet genau beglaubigt. Ja, iu einem anderen arischen Rechtsgebiete vollzieht er sich sozusagen vor Unseren Augen. Tn l’eudschab rinden sich noch heute alle Entwickelungs- stufen neben einander: 1) Zamindari, Gesanimtreeht der Gemeinde mit Ge- summt wir titsch aft, 4) Pattidari, Vertheilung des Dorflaudes unter Vorbehalt periodischer Neuvertheilung an die Geschlechter im Dorf zur Nutzung. Darunter vielleicht noch wieder Vertheilung des taraf einer ganzen Familietigenosseusehaft als pattis an die einzelnen Familien. 3) Bhayachara. Hier ist der I’rivatbositzstand definitiv. Ueberall aber bleibt unausgesehieden eine gemeine Mark, eine Almende. (Vgl. Köhler a. a. 0. 8. löüff.

So hat sieh der Besitz an Grund und Boden von der grösseren Einheit auf immer kleinere herunter bis zum Hause gezogen (vgl Kollier a. a. 0.) Der Gang ist dabei nicht bei allen arischen Völkern genan der gleiche gewesen. Es findet sich Ueberspringen eines Mittel- gliedes. Aber überall hat man das Gefühl gehabt, dass das Eigenthnin eigentlich nicht dein Einzelnen zustund. Die Griechen haben sich stets daran erinnert, dass tler zeitige Besitzstand auf einer Vertheilung durch den Stamm ruhe, und haben es deshalb nicht für rechtswidrig gehalten zur Behebung von inzwischen eingetretenen Uobelständen eine „Nenvertheilung*, einen ivHziu.'i; auzuordnen. (Vgl. Leist, Jnsgentium, S. 00 und anderswo). Seihst die Römer, bei denen die Grundeigenthumsordnung von Anfang an erbeblich fester scheint (vgl. Leist, Juscivile S. 321 ), haben doch noch später nicht vergessen, dass alles Grundeigenthum auf staatlicher Zuweisung beruht, eine Theorie, die noch in den Pandekten erscheint. Bei den Deutschen vollends, wo bis in die jüngste Zeit Zeugen des Gesamintrechts in tlcn bei Griechen und Römern unbekannten Almenden fortlebten, wo ferner bis in die jüngste Zeit das Gesanimtreeht durch Verordnungen der Markgenossenschaft über Bewirthscliaftung der Gcmeiudefelder sich be- thiitigte, iu Deutschland bestand noch mehr Anlass, die Erinnerung daran, wem eigentlich das Eigenthum der Felder gebührte, wach zu erhalteu.

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Die öffentlichen Lasten, selbst die Dingpflicht, von der Wehrpflicht gar nicht zu reden erforderten nämlich einen vermögenden Mann. Noch unter Karl dem Grossen sind Ge- setze erlassen, um die Gemeinfreien nicht zu oft zu der Ding- pflicht heranzuziehen, weil diese in der That eine Last wer. Nicht anders kann es in älteren, kapitalärmeren Zeiten ge- wesen sein.

Der Gemeinde lag es deshalb daran, dass ihre Mitglieder ansehnliche Leute waren, und sie musste es zu verhindern suchen, dass durch Zertheilung von Grund und Boden auf einem Gute, das bisher nur einen, aber stattlichen Manu er- nährte, nunmehr zwar mehrere, aber proletarische Existenzen sassen, die ihr weder im Gericht noch im Krieg die schuldigen Dienste leisten konnten.

So nimmt den auch Heusler in seinen Institutionen an, dass auch im Landrechte, gerade um den Bestand der gerichts- fähigen Leute zu erhalten, die Gemeinde über den Güterstand eine weitgehende Kontrolle ausübte; er bezieht sich auf Ssp. I, 34, welcher als Grenze der Zerstücklung ansetzt: dass einer bei Verkauf seines Gutes doch wenigstens eine halbe Hufe und Hofstatt behalte, wovon er dem Richter seines Rechts pflegen könne.13) Deutlicher kann es nicht ausgesprochen

ls) So sehr wir hier wie anderwärts mit den Heusler'schen Auslassungen einverstanden sind, und so sehr man ihm recht geben muss, wenn er be- hauptet, dass beschränkte Theilbarkeit auch im Landrechte hergebracht ge- wesen sei, namentlich mit Rücksicht auf die Dingpflicht, so kann man ihm doch nicht soweit folgen anzunehmen, dass die gerichtliche Auflassung ent standon sei aus einem dem Gerichtsherren znstehenden Conseusrecbt. Wir schliessen uns deshalb bis auf Weiteres der Brunnerschen Ansicht an, dass die gerichtliche Fertigung der Geschäfte über Grundbesitz zuriiekgeht auf das Bestreben, das unanfechtbare Gerichtszeugnis zu gewinnen, wonach also die Thätigkeit des Gerichts eine wesentlich zuschauende ist. ( Vgl. oben Anm. 7). War allerdings einmal eine solche gerichtliche Fertigung eingeführt, so musste das Widerspruchsrecht auch des Gerichtsherrn und nur ein solches, nicht ein positives Conscnsrecht machen die Heusler'schen Anführungen wahrscheinlich , so musste das Widerspruchs- recht des Gerichtsherrn ebenfalls in der gerichtlichen Verhandlung geltend gemacht werden, weil sonst eine Verschweigung am Recht eintrat Auch diese Wirkung, die Heusler hervorhebt und die zeigt, dass cs sich um keinen Consens handelt, denn dieser kann durch Verschweigen nicht ver-

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werden, dass die Untheilbarkeit oder beschränkte Theilbarkeit eines Gutes w urzelt in der gerade auf freien Gütern bestehenden, nicht dem Hofrecht, sondern dem Landrecht ent- wachsenen Dingpflicht.

Auch heute sind es denn die öffentlichen Lasten die, z. B. in Indien, für freie Güter Untheilbarkeit und Einerbfolge zeitigen.14)

Ist sonach die Untheilbarkeit ein auch im Landrechte seit alters bekanntes Institut, so kann es anderseits nicht ge- leugnet werden, dass sie in manchen Gegenden früh verschwunden ist und sich nur in hofrechtlichen Verhältnissen erhalten hat.

Daraus aber, dass sie dort vorzugsweise noch angetroffen wird, folgt noch gar nicht, dass sie auch aus eigentlich hof-

loren gehen, da ohne ihn überhaupt nichts zustande kommt, auch diese Wirkung mochte die geiichtliche Auflassung empfehlenswert!) erscheinen lassen, aber entstanden ist sie daraus ebensowenig wie daraus, dass das gleichartige Widerspruchsrecht der Erben durch sie gehoben werden konnte. Ob ein Widerspruchsrecht der Gcrichtsgemeinde oder des Gerichtsherrn be- stand, hat eben mit der Frage nach dem Ursprünge der gerichtlichen Auf- lassung nichts zu thun. Es kann bestehen, wo es jene nicht giebt, und es kann fehlen, trotzdem jene gebräuchlich ist. Gerade wie das Widcrspruchs- recht der Erben auch an Orten bekannt ist, wo jene hei Veräussemngen nicht mitwirken (v. Amira. Erbenfolge S. 105) und wo diese nicht gerichtlich geschehen. Es soll übrigens nicht verschwiegen werden, dass die Heusler- sche Auffassung, die Auflassung aus des Richters Hand sei die fnrmge- rechteste gewesen, unterstützt wird durch zwei Weistümer, die wir aus ihrer Vergessenheit hei Nolten eutreisseu wollen. Die Freidings Artikeln zu Bettmar (Nolten S. 15T/158) besagen: Nach vorausgegangenen gehörigen Urtheilen „tritt der Verkäufer oder der das Land versetzet, herfür und greiffet mit der Hand in des Richters Huth, welches dem uralten Gebrauch nach der Verlass ist.“ Hierauf fährt der Versprecher fort: „Das Gut ist verlassen und hat koinen Herrn als den Richter, so frage ich weiter, ob Kauffcr nicht soll hervortreten und solches aus des Richters Hand wieder empfangen?“ Der Richter, nach ge- höriger Umfrage, „affirmat“. „Dor Kauffer tritt darauf hervor und greifft mit der Hand in des Richters Huth, wodurch er die Possession des Guthes ergreiffet.“ Ebenso findet os sich in den Frei- dingsartikeln von Giesen und Emmerko boi Nolten S. 181.

M) Vgl. Köhler a. a. O. S. 206/207 : „Ansätze der Primogenitur sind nicht selten, insbesondere so, dass der älteste in die erbliche publi- zistische Stellung einrückt. So erbt in Rohtak der älteste Sohn eines lambardari sein Lambardarrecht.“ Vgl. über den Gebrauch in Spiti : ebenda.

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rechtlichen Ideen entstanden ist. Denn es ist bekannt, dass im Hofrecbte auch landrechtliche Rechtsgedanken eine grundlegende Rolle spielen. Es kann deshalb sehr wohl etwas, das im Hofrechte gilt aus einem in dieses aufgenommenen landrecht- lichen Grundsatz entsprungen sein.

Und so werden wir denn auch bei unserer Frage in der That sehen, dass die Untheilba rkeit im Hofrechte aus eigentlich landrechtlichen Prinzipien vielleicht nicht entstanden, aber mindestens durch deren Eindringen in das Hofrecht erhalten worden ist. Namentlich die aus dem Land- rechte herübergenommene Dingpflicht, die in jenem massgebende Rücksicht auf deren ungeschmälerte Erfüllung war es auch hier, die eine der Gütertbeilung feindliche Strömung hervorrief oder unterstützte.

Zunächst freilich war es der, immerhin auch dem landrecht- lichen Gedanken von dem Gesammteigenthume des Markver- bandes analoge, stets fortlebende Gedanke von dem ursprüng- lichen Eigenthum des Herrn an den gesammten Hofgütern, der die Gebundenheit herbeiführte. Es traf mit diesem Gedanken sofort aber auch hier zusammen die Rücksicht auf die Erhaltung der Lasten und Dienste, welche auf dem Grundeigenthnni ruhten, wenn es sich zunächst auch nur um die von unseren Gegnern betonten hofrechtlichen Dienste handelte.

Besonders deutlich tritt diese Tendenz des Theilungsver- botes hervor in dem Weisthum bei Grimm IV, 5 IG.

Es handelt sich hier um die Rechte, welche dem Kloster Herrenalb im Schwarzwald an den Höfen zu Ottersweiler im Büchlerthal zustehen.

Diese Höfe hatte das Kloster au 4 Bauern ausgethan und dabei in der loeatio, dem Leihebriefe, festsetzen lassen: quod quatuor praedictae personae bona ipsaheredibus suis pl uri bus dividere non deberent. Allein man liess von der Strenge nach, denn das Weistlmm bemerkt dazu: quod nec hodie fieri- debet, nisi de claustri super hoc requisitä et obtentä processerit voluntatc. Quod si factum fuerit et obtentum. ut. predicta bona pluribus dividautur, quatuor tarnen inter eos principaliores tenebuntur ad pensionein annuam persol vendam.

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Konnte man also das Prinzip der Unteilbarkeit auch nicht ganz starr durchrühren, so war der Gedanke, dass das Grund- stück den Lasten und Diensten als Unterlage diene und des- halb möglichst in unversehrtem Bestände erhalten werden müsse, dieser Gedanke war noch stark genug, wenigstens in An- sehung der Dienste, eine künstliche Ungetheiltheit neben der faktischen Theilbarkeit zu erzeugen. Dieser Ausweg der Be- stellung eines Zinsträgers für die geteilten Güter musste denn auch oft beschritten werden.15)

Seine mächtigste Stütze aber, ohne welche es der theilungs- freundliehen Zeitströmung noch schneller erlegen wäre, erhielt das Theilungsverbot im Hofrechte gerade dadurch, dass auf hofhörige Güter in weitem Umfange landrechtliche Grundsätze übertragen wurden.

Es hing dieser Vorgang zusammen mit der Ausbildung von Hofgemeinden, welche als jüngere Nachbildung der älteren land- rechtlichen Gemeinden und durch dieselben Rechtsgedanken hervorgetrieben, sich hinter dem Grundherren einschoben und einen Tlieil der Functionen des Gesamtrechts, welche ursprünglich jener allein ausgeübt hatte, an sich nahmen.

Insbesondere waren es gerade die Aufgaben der öffentlichen Gewalt, welche so zum grössten Tlieil vom Grundherrn auf die Gemeinde übergingen, Polizei und Gerichtswesen.

15) Z. B. Grimm IV, 720, § 16 (Hottenbach zwischen Bemcastel und Harstein). Auch weiset der Schöffen, dass auf eim jeglichen gut ein haupt- mann sein soll, des des lehtnherren kneeht sein zins ausrichten soll auf

St. Martinstag undt hat ein hauptmann mitgemeiner, die zu

den giitern geerbt sein .... II, 181 (Bavengirsburg im Huusriiek) ein icglich empfenglich gut, das von ein gestockt und gestaint und ver- theilt ist, in vier fiinf oder mehr .... soll doch bei einem bodenzinss bleiben und sollen dieselbigen ein hauptmann stellen, den boden- zins ausrichten. Strassburger Verordnung bei Schiltor-Gambs, Dissertatio de Bonis Iauderaialibus S. 20: „Wer sin eigen oder sin erbe, es sy men oder wib zu erbe lihet, von der Hofherrn wandluugc soll man keinen Erschatz geben; wo aber an suslichen Erb zwen oder me zu erbe kmnent, w öl len die ir erbe teilen, das mögen sie wol tliun one den Hofherrn, also das sy dem Hofherrn einen hofesesser usser in gebent, der es emphahe von ihr aller wegen und imo Erschatz gebe, ob er Erschatz geben soll, und einen zins.

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Seitdem lasteten die öffentlichen Pflichten, vor allem die Dingpflicht auf dem Grundstück. Und dass auch hier gerade sie es am ersten war, die sich als ein Damm gegen die Zer- splitterung erwies, dafür sind ein lebendiges Zeugniss die viel- fältigen Mittel, mit denen man wenigstens für das Gerichtswesen noch eine künstliche Einheit der Güter herbeizurühren suchte, als man ihre thatsächliche Trennung dem Zuge der Zeit ent- gegen nicht mehr hindern konnte. Die uns in zahlreichen Hof- roddeln aufbehaltenen Gebote, einen „Träger“ oder „Haupt- mann“ aufzustellen, der die Güter „zu Ring und Ding“ trage, sie lehren uns, mit welcher Kraft selbst zu den ungünstigsten Zeiten gerade die nicht dem Hofrechte entsprossene Dingpflicht auf die Untheilbarkeit der Güter hinwirkte.

Mit Recht konnte deshalb Gierke sagen, dass die Untheil- barkeit nicht allein im Interesse des Grundherrn, sondern ebenso und vielleicht noch mehr in dem der Hofgemeinde festgchalten wurde, und mit Recht legt er hierbei auf den landrecht- lichen Gesichtspunkt der öffentlichen Lasten das Hauptgewicht, wenn er schreibt: Es war „ebenso sehr die Gemeinde, wie die Grundherrschaft an der Erhaltung des Gutes in der Familie an seiner Besetzung mit einem wehrhaften und gerichtsfähigen Manne, und an seiner fortdauernden Tragfähigkeit für die öffentlichen Lasten interessiert.“

Fassen wir nun die Ergebnisse dieses Abschnittes zu- sammen, so ist die Untheilbarkeit zwar im Hofrechte besonders ausgebildet, allein der Gedanke der Untheilbarkeit selbst ist nicht aus ihm entsprungen.

Dass uns positive Zeugnisse seines Daseins nur in hof- rechtlichen Quellen erhalten sind, rührt daher, weil wir über die Gestaltung der Hofgemeinden fast von der ersten Zeit ihres Bestehens an unterrichtet sind, über das Landrecht aber uns Zeugnisse aus einer gleich jugendlichen Periode desselben mangeln.

Gleichwohl haben die alten Rechtsgedanken, wie sie einst bei der Bildung der landrechtlichen Gemeinden thätig waren, auch am Aufbau der Hofgemeinden gearbeitet und uus so in diesen ein verjüngtes Abbild jener hinterlassen, an denen wir die alte Gestaltung jener ermessen können; aber etwas durch -

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gängig neues sind sie nicht. Dass dem so ist, lässt sich für viele Einzelheiten der Hofgemeindeordnung urkundlich belegen, z. B. für die Schöffenverfassung, lür die Gestaltung der Al- mende u. a. m.: für die Untheilbarkeit ist es wenigstens wahr- scheinlich, wie oben gezeigt, und muss deshalb bis zum Gegen- beweis als richtig angenommen werden.

§ 3.

Wie auf dieser Grundlage der Untheilbarkeit die Einerb- folge entstanden ist. lässt sich unschwer ausmalen.

Und gerade weil dies so leicht ist, deshalb sind so viele in den oben erwähnten Irrthum verfallen, aus der Untheilbarkeit und der Untheilbarkeit allein das Anerbenrecht mit allen seinen Eigenthümlichkeiten, insbesondere auch den Umstand erklären wollen, dass die Miterben nicht Erbtheile, sondern Abfindungen erhalten.

Allein wie es überhaupt nicht wahrscheinlich ist, dass ein so bedeutender Theil des Rechts wie das bäuerliche Erbrecht mit allen seinen Eigenheiten nur aus einer Wurzel entstanden ist, wie es sich vielmehr auf den verschiedensten Gebieten er- weist, dass erst viele Kanäle zusammen fliessen mussten, um einen Strom zu bilden, so ist auch für das bäuerliche Anerben- recht die Meinung, welche alle seine Besonderheiten aus der Gebundenheit der bäuerlichen Hufen herleitet, in mehrfacher Hinsicht anfechtbar.

Zunächst müsste man nämlich bei dieser Ansicht annehmen, dass die Einerbfolge ein nothwendiges Correlat der Untheilbarkeit sei. Dann muss es aber sofort auffallen, wenn sich Anerben- recht findet ohne Untheilbarkeit oder vor ihrer Einführung, und doch haben wir das zu verzeichnen.

In Bayern nämlich wurde die Untheilbarkeit erst 1616 eingeführt und auch da noch nicht für den Fall der Erbtheilung. Trotzdem war schon damals die stets auf Einerbfolge hin- weisende Gutsübergabe alter Brauch.15.) Ebenso findet sich in

15*) Fick S. 26 und 27. S. 28. Die diesbezügliche Stolle des Kom- mentars der Polizeiverordnnng lautet: Commune enim est in plebe

rustica, ut seniores coloni ... uni ex liberis vel haeredibus bonum suum

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Oesterreich, namentlich in den deutschen Gegenden Böhmens und .Schlesiens hergebrachtermasscn die ungeteilte Vererbung mit Bevorzugung des Uebernehmers, trotzdem die Theilung zu- lässig war und sogar von den Gutsherrn begünstigt wurde.1’*) Ferner aber müsste man bei der behaupteten Wechsel- beziehung zwischen Einzelerbfolge und Unteilbarkeit erwarten, dass dort, wo diese sich noch erhalten hat, auch jene sich findet. Aber auch das trifft keineswegs zu. Wenn wir auch abseheu von solchen Stellen, welche gerade der Erben halber eine Theilung der sonst untrennbaren Güter gestatten, wie es z. B. der Hubspruch von Hessigheim am Neckar aus dem Jahre 1424 thut1B) wenn wir von solchen Aeusserungen auch abseheu und sie eben als allmählich eingeschliehene Aus- nahmen von dem Prinzip der Gebundenheit betrachten, so fällt schon mehr ins Gewicht folgende Stelle: „Dar Kinder ader

Erven van einem Havesgude unvertegen weren, de mögen dat Gut nich splettern oder erffdeilen und in ander Hände bringen, sondern mögen dat versetten und Pennynge up nemmen. und ehren Erffdeyl affwilligen, vorbehaltlich dem Hoffherren alle Gerechtigkeit daran.“ Doch auch von diesen Worten mag zugegeben werden, dass der darin angegebene Rechtssatz nicht gerade darnach aussieht, als ob er aus einfachen Zeiten stammt und auf hohes Alter Anspruch hätte. Gleichwohl giebt der Ausspruch zu denken und zeigt wenigstens soviel, dass der be- hauptete Zusammenhang zwischen Unteilbarkeit und Anerben- recht so eng nicht ist, als man ihn oft hat hinstellen wollen.17) Es kommt aber ein Zweites hinzu.

empbyteuticum cedant, sed pro se et uxore sua nnimam quandam pensionem . . . silii reservent, quae reservatio dicitur .ein Austrag."

Vgl. Grünberg bei Scbinollor, Jahrbuch XX. S. 23 ff., natucutlich S. 29 und 31, S. 30 und sä. lc) Grimm VI, 31L § 21.

'~) Vgl darüber, dass Unthcilhnrkeit und Auerlienrecht nicht notb- wendig zusnmmengebüren. auch Frommhold, Anerbenrecht S 9. Vgl. auch das Soimscr Lnndreeht von 1612. hat für Landgüter dicGchotc der l n t heil barkeit und rnvcraiisserlichkeit. Gleichwohl hat es nicht F.incrbfolge, sondern bestimmt in § 30 .Wenn der Landsiedel und Mit- erben viel werden, so sollen sie auf Begehren des Lehnsherrn einen Stamm

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Wenn wirklich das Ai.erbenreclit allein durch die Unteil- barkeit hervorgetrieben wäre, so müsste man es zunächst für wenigstens ziemlich so alt halten als diese und ferner an- nehmen, dass mit dem zunehmenden Verschwinden der Ge- bundenheit auch das Anerbenrecht mehr und mehr Boden ver- loren habe. Beides trifft nicht zu. Es finden sich nirgends sehr alte Zeugnisse für das Anerbenrecht im heutigen Sinne, vielmehr hat es den Anschein, als ob dieses erst jüngeren Datums wäre. Aber auch die Ansicht, dass die Einerbfolge bei der fort und fort zunehmenden Theilbarkeit der Güter in gleichem Masse abgekommen wäre, ist ein Irrthum.

Allerdings finden sich in den Weisthümcrn erstaunlich wenig Stellen, welche auf ein wahres Anerbenrecht hinweisen.18)

unter ilinen ausmachen, also das» durch denselben aus einer Hand die Zinsse oder Pacht jedes Jr.br eiimuitlich und nicht zerlhcilet mögen gereichet werden.“ Vgl. auch die in Amu. lfi citier'en Quellen, welche die Frage ebenso wie das .Solmser Laudreclit lösen.

ts) Solche sind Grimm IV, 591, § 5 Bingen a Rh. 1425: Item oh sich begehe, dass ein mannwercker oder mehe ahgingen von toidts wegen und erben Hessen, iss sy man.« oder frauwen persone, so sal solieh mnnwerke gefallen sein ttf den ältesten und nelisten erben unvertheylt und der ader die »ollent mannwercker seyn. Ebenso Landrecht von Loen in Westfalen v. 1303 und 1Ö47 ((irimm III, 151 §§ 50 und 53). II, 763 (Willlch bei Krefeld 1490). Item anno 1499 up der tinsshank in Willik haint sie ge- sprochen und gewist: so wanneer ein hafsmann stirft, zo der neistcr tins- bank, soll der elsto soen koemen und untfungen dat guet weder an die band und stacn in dem eid sins vaders. Ein Anerbenrecht des Jüngsten, aber nur an Haus und Hof. gehen I, 233 und V, 00, $ 20. Hierzu kommen noch aus Sommer. Rheinland-Westfalen, Bd. II, die unten citierten Hofsreclite von Kyner, Drechen und Berge (S. io daselbst) und die Kssen- schen Hofsrechte (S. 220), welche alle zwar erst in späteren Texten (1717) aufbehalteu sind, aber einer früheren Zeit entstammen. Ferner die in Amu. 7 citierten, bei Nolten ahgedruckteu WeistUmer, sowie das in Aum. 0 mitgetheilte Haegenweisthum zu Wieinbock. Endlich sind hierher zu setzen die bei Frommhold, AnerheureeUt S. 12 stehenden beiden Urkunden von 1297 und 1314. Es sind allerdings lediglich Vertragsurkunden, können aber als Zeugnisse einer gleichzeitigen Rechtsübung gelten. Der Wortlaut ist: Urkunde vou 1297: Quod post mortem ipsorum in perpetuum senior beres ipsorum eadem bona possideat indivisa qui etiam heres suis coberedibus aliis recompeusam talem lauere teuebitur. ut eadem bona sine eornm praojudieio possideat indivisa. Urkunde von 1314: hec

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Allein in späterer Zeit ist dieses Institut über weit« Flächen verbreitet und hat noch heute einen nicht unbeträchtlichen Geltungsunifang. Die conscquenten Vertheidiger der Ansicht, dass das Anerbenrecht allein der Untheilbarkeit entsprossen sei, sehen sich deshalb zu der Behauptung gedrängt, dass neue Einflüsse nach der Zeit der Weisthümer die Untheilbarkeit wieder befestigt und so auch dem Anerbenrecht zu neuem Leben verholfen hätten. Dies ist die Meinung von Miaskowskil!<) und auch Gierke scheint20) dieser Anschauung zu huldigen, wenn er schreibt: (Bd. 2, S. 83, Text und Anm. 12). „Und auf allen Stufen erhielten sich trotz der im Allgemeinen stetig vordringenden freien Theilbarkeit einzelne Reste der alten aus dinglicher Zusammengehörigkeit folgenden Theilungs- erschwerungen, welche demnächst als äussere Anknüpfungs- punkte für eine neue theilungsfeindliche Gegenströmung dienen konnten, deren treibender innerer Grundgedanke freilich

ein ganz anderer war, der Gedanke eines

öffentlichen Interesses.“

Allein diese Annahme kann die weite Verbreitung des Anerbenrechts nach der Zeit der Weisthümer doch nicht er- klären. Denn dies öffentliche Interesse, d. h. die Anschauung, dass der Bauernstand als Steuer und Rekrutenquelle erhalten werden müsse, ist zwar lange sehr mächtig gewesen und hat viel für die Conservirung des Anerbenrechts gethan, aber sic hat nicht, wie es nach der obigen Darstellung scheint, an noch bestehende Reste des alten Anerbenrechts angeknüpft und es verallgemeinert, so dass ihm so sein nachmaliger weiter Bestand verliehen wurde, sondern sie hat diesen weiten Bestand überall vorgefunden. Für Bayern ist eben dargethan, dass die unge- teilte Vererbung dort älter ist, als die ersten Gesetze, welche

bona post uiortcm predicti W. S. senior filius eins pessidebit et illius filii senioris senior filius et sic in infinituin, ita ut semper maueaut indivisa npud nimm.

K) Bd. 1, S. 172; Bd. 2. S. 135.

leb sage .scheint“. Denn iibor das Ancrbenrccht fallen bei Gierke nur gelegentliche Bemerkungen ab, wie das dem Plane seines Werkes ja durchaus entspricht. Kine ähnliche Stelle wie die citierte findet sich Bd. 2 S. 202, 203.

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die Untheilbarkeit wieder anffrischten. Für Oesterreich ist das einzige, was sich aus den Grüuberg' sehen Studien mit Sicher- heit ergiebt, dass ungetheilter Uebergang uuter Bevorzugung des Uebernehmers dort üblich war, bovor Theilungsverbote und Gesetze über die bäuerliche Erbfolge erlassen wurden. Und was den Nordwesten und seine Landesordnungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert anbetrifft, so setzen diese alle das Anerbenrecht voraus, bestätigen und befestigen es, aber sie schaffen es nicht neu21) und führen es nirgends eiu, wo es nicht

S1) Schon die Lippesehe Polizeiverordnung von 1620 fand Anerbenrecht vor. Denn sic setzt fest, wie hoch der Betrag der Abfindung sein soll, geht also davon aus, dass Abfindung und fiinzelerbfolge au sich bestehen und regelt nur deren Modalitäten. So lantet denn auch ihre Bestimmung: .dass ein gemeiner Meyer, der mehr als ein Kind nuszustatten hat, an barem Uelde nicht über 100 Rthlr. . . . zum Brautschatze mitgeben soll.“ Die Begriffe „ausstatteu“ und .Brautschatz“ und der Fall des Ausstattens und damit das ganze bäuerliche Erbrecht sind souach älter als die Polizei- verordnung und werden von dieser als gegebene benutzt. Fast denselben Wortlaut hat die Landesor Inung des .Divus Augustns“ (bei Nolten) d. h. des Braunschweiger Herzogs August von 1633 bis 1666: „Wer seine Kinder aus seinen Gütern aussteneru will.“ Auch hier ist also der Begriff „Aussteuer“ schon vor der Landesordnung gegeben. In gleicher Weise be- schränken sich alle Polizeiordnungen und Landesordnungen darauf, au einzelnen Bestimmungen des Anerhenrechts herumzuändern, z B. hinsichtlich der Person des Anerben wie die Lippesche Verordnung von 1782, die Lüneburger Edikte von 1690 und 1702, oder hinsichtlich der Höhe der Abfindung, wie die citierte Lippesche Polizeiordnung, die Lüneburger Verordnung von 1618, den Grundstock des Anerhenrechts aber setzen sie immer als bestehend voraus. Einzelne Landesordnungen beziehen sich noch ausdrücklich auf bestehenden Brauch : so Wolffenbüttler Statut, art. 16; „Es soll dem jüngsten Sohn, oder, wenn der nicht will, dem nächsten vor ihm her. nach Landes-sittlichen Gebrauch seine Miterben ablegen und ihm, das Haus zu behalten, vergönnet werden.“ Oder sie lassen wenigstens durch ihren Wortlaut erkennen, dass sie alte Gewohnheit vor- finden; so Polizeiordnung f ir Lüneburg, Diepholz und Hoya, von 1618; „Xacudem .... Zerreissung der Höfe und Koten allbereit vorlängst verboten werden.“ (Ein älteres gesetzliches Verbot als 1618 ist aber nicht bekannt und war früher auch nicht bekannt) Ferner Redintegraledikt für Lüneburg von 1699: „Ob zwar auch in unsenn Fürstenthum Lüneburg und denen Grafschaften Hoya von denen Inhabern der Meyer-, Erben-, Zins- und Schillings-Güter prätendieret und für eiu Recht gehalten werden wollen, dass bey Absterben eines, mehrere Söhne hinterlassenden

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schon galt. Es bleibt also nur zweierlei übrig: entweder die Weisthilmer erwähnen nur zufällig das Anerbenrecht nicht, obwohl sic gerade das Sueeessionsrccht sonst sehr sorgfältig ordnen; das ist nicht gerade wahrscheinlich, oder cs hatte thatsäcldich in den Tagen der Weisthümer nur eine beschränkte Ausdehnung, war aber damals schon im Zuge, sich die weiten Gebiete zu erobern, die es kurz nach der Zeit der Weisthümer lange vor Beginn der Periode der Landesordnungen beherrscht. Dann aber entstammt es einer Zeit, wo die Untheilbarkeit der Güter im Absterben und von eng umgrenzter Geltung war und ein so allgemein verbreitetes Institut nicht mehr hervorbringen konnte. Der Gedanke ist mithin unabweislich, dass noch andere Bausteine, als die weit später erst wiedergefundene Untheil- barkeit zum Bau des Auerbenrechts verwendet sein müssen.

Endlich aber und das ist der wichtigste Grund, warum die Theorie von der Untheilbarkeit nicht zureicht vermag diese Theorie das Institut der Abfindung gar nicht zu erklären, im Gegentheil, sie ist geeignet, ein ganz falsches Licht darüber zu verbreiten. Denn wenn die Untheilbarkeit feststeht, so kann allerdings nur einer in das Gut suceedieren: aber die Miterben bekommen dann auch aus dem Gute Nichts. Das ist zunächst daun selbstverständlich, wenn die Untheilbarkeit, wie die Gegner wollen, getragen wurde durch das Fortleben des Gedankens, dass eigentlich das Gut dem Bauern gar nicht ge- höre. Denn dann fiel es weder in natura noch dem Werthe nach in die Erbschaft. Aber auch wenn jener Gedanke nicht der Grund der Untheilbarkeit war, so brachte diese allein das gleiche Ergebnis zuwege. Sic Hess zwar Civiltheilung übrig:

Coloni, das durch solchen Todesfall erledigte Meier- Recht und mit selbigeu der Hof oder Kote nach Unterschied der Oerter entweder dem ältesten oder jüngsten solcher Söhne uothwendig anfallen müssen“ etc. (soll künftig die Wahl des liutsherrn entscheiden). Oder endlich, es lässt sich anderweit nachweisen, dass vor der betreffenden Landesordnung schon das Anerbenrecht hergebracht war. So hei der Lippe- sehen Verordnung von 1782, welche in ganz Lippe das Krstgcburtsreeht einführte, obschon bereits 1<0."> ein Unheil «les flot'gerichts dahin ergangen war: „Als nach der gräflich Lippeschen Gewohnheit der älteste Sohn seinen Eltern iu bonis suceedieren, seine Miterben aber absteuern muss.“ Vgl. auch unten Anm. 23 und oben Aum. 8.

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allein die Civiltheilung ist ein erst sehr allmählich und viel später eingedrungener, künstlicher Rechtsbehelf. Er passt wohl in Zeiten der Geldwirthschaft, aber nicht in die hier in Betracht kommende Periode der Natural wirtlischaft.-1*) Nirgends, wo die Untheilbarkeit festgehalten wurde, finden wir deshalb in jenen Tagen Civiltheilung, weder im Landrechte bei den noch lange geschlossenen Grafschaftsgauen , noch im Lehurechte. Und auch bei den Bauerngütern sehen wir überall, wo die Untheilbarkeit streng besteht, die Folgerung aus ihr ge- zogen, dass die Miterben nur aus anderen theilbaren Gütern „mit gereitem, fahrenden Gut“ ausgestattet und abgefundeu werden dürfen, nicht aber aus dem Hauptgut.'--)

Allein dies ist keineswegs der Character, den die Abfindung immer hat: in den weitaus meisten Fällen wird sie vielmehr auch vom Hauptgute geleistet, ohne dass doch dabei ein gleiches Erbrecht aller Miterben nach unseren heutigen Begriffen be- stände, vielmehr trotz bestehenden strengen Anerbenrechts. Vor allem aber ist jenes spätere Anerbenrecht, welches die Lundesordnungen vorfanden, stets mit dieser Art der Abfindung verknüpft. Zunächst muss für diese Behauptung der Beweis angetreten werden.

Schon die meisten der oben citierten Wcisthiimer, welche überhaupt ein Anerbenrecht gewähren, schreiben die eben ge- kennzeichnete Art der Abfindung vor:

Pns höchste, wozu man. aber auch erst später, kam, war eine Konto. So z. lj. das gotlfindische Landrecht I, -s, § s (hoi Ficker, ltd. II, S. 354): „Dann weun er (d. h. der Sohn) (heilen will (nämlich mit dem

Vater), dann nehme er seinen Kopftheil von den Fahrnissen nach Rechnung. Atier der Vater behalte seinen Hof ungetheilt und gehe diesem Sohne I’achtzinse davon und seinen Kopftheil und der Sohn bestimme selbst iilier «ich zu fahren, wohin er will.“

a) Cirimtn III. 550, § 7 : Item wann vatter und mutter ein kiud bey «ich bestatten und insetzen, es sey sühn oder dochter, so soll das die andern geachwester aus und abbestatten mit gcrciten gittern und das schaffgut nicht zerrcissen. Ebenso I, 30 i l Wyler): es darf nur mit „fahrendem“ (Jute beraten werden. Ebenso 1. Min, j io (Lege« familiär S. Petri). Der Sohn bekommt das Land, welches uutheilbar ist, allein. Die Tochter wird au« «lern anderen Vermögen ausgestaltet. Vgl. auch Maurer, Fronhöfe B'l. IV, § 73«. So war es auch nach dem rügenschen Landgelirauch, worüber vgl. GSde, S. 35 ff.

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„I, 283 (Thannegg und Fischingen i. südlichen Thur- gau) .... hat der jüngst son das recht, dass er sines vaters herberg, hus und hof besitzen soll, ob er will, und den anderen geschwüsterikhen dafür zugeben für iren ta.il nach erkenntnuss bider-liitheu.“

„V, 61, (Moelinbach i. Aargau) was darnach die hauser und wilstein belangen tuot, soll das geschwisterte, welches dieselben besitzt, den anderen geschwisterten, es sien buoben oder meitlin, nach bidcruiaun lüt er- kannt nusz hinausgeben, was si den erkennen mögen.“ Doch auch sonst findet sie sich zahlreich, wo etwas modi- fiziertes Anerbrecht herrscht.

„111, 273, § 23, (Lauenstein zwischen Hameln und

Elze) Der so die anderen abfiuden wollte, soll

ihuie für jeden morgen 3 fi. oder wann er sich mit gehle nicht wollte abfiuden lassen, von jedem morgen 2 hl zn zinse geben, oder wie sich freunde mit einander ver- gleichen.“

„V, 75 (Bttnzen i. Aargau) .... soll der bruoder die besitung zuo den gütern vorus haben und dieselbig sine sch wüster und iren emann .... umb iren ge- bürenden teil nach billigkeit und biderbeu litten erkenntniss davon erkoufen.“

Vor allen aber, wie gesagt, sind es die Quellen aus späteren Geltungstagen des Anerbenrechts, welche die Abfindung in dieser Gestalt immer aufweisen, so z. B. schon die Hofrechte von Ohr und Chor (bei Sommer II, S. 194):

. . . . welche Ihr andere Schwester und Bruder, die dem Gut gleich sein, ihre Gerechtigkeit und rtlialquot abgelden und eine billiche Erstattung thuen sollen nach Gelegenheit des Guts und Erkenntniis des Hol'f- gerichts.“

Ebenso die Essener Hobsrechte (ebenda S. 220):

„. . . affguiden na Gelegenheit des Guides und dat nach Werdierung des liavesschulteu und Haves.* Ebenso das oft citierte Hagenweisthum zu Wiembeck:

„Wird gefragt ob die Söhne und Töchter nach dein tödlichen Hintritte ihrer Eltern die Hagengiiter gleich erben, oder ob der Besitzer der Huefe seine anderen

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Brüder und Schwestern aus den Hagengütern aus- steuern und ihnen dieselben mitgeben möge. Hierüber ist erkannt, dass hinfürter die Hnefe und Haegen- güter weiters nicht zertheilet, sondern es sollen diese Güter bei dem Besitzer des Hofes und Gutes, dabey die Hufe befunden verbleiben und die Brüder und Schwestern daraus kaufen.“

Noch besser aber lassen, wie betont, die Landesordnungen erkennen, dass bei Beginn ihrer Zeit in die Abfindung überall der Gutswerth eingerechnet wurde, ja öfter sogar kleine Theile des Guts selbst mit zur Abfindung gegeben wurden. Denn theils übernahmen die Landesordnungen selbst den alten Brauch,-3) die Abfindung nach dem Gutswerthc zu bestimmen, theils be-

*>) Vgl. die oben citierto Lüneburger Polizeiordnung von 1618, die, wie oben bemerkt, an alten Brauch aukuiipfte, im § 2: .Sondern wofern

solche Aecker und Wiesen alte Erbgüter sein, so sollen diejenigen, so auf den Höfen und Koten bleiben, die anderen, unangesehen sie gleich ihnen darzu berechtigt sein, mit einem ziemlichen Heide, wie sie sich dessen unter sich oder durch ihre Gutsherren, Nachbarn und Freunde vereinbaren können und mögen, ablegen, oder, da sie dergestalt nicht zu vergleichen, unsere Beamte, wie hoch die anderen nach Gelegenheit dos Hofes und der Koten, auch deren Besitzer Vermögens, mit Gelde abzufinden, normieren und setzen.“ Man beachte, wie stark der Ausdruck au die eben im Text wiedergegebenen Hofsrechte und Hagen- weisthiimer anklingt. Es lehrt dies wiederum, dass hier die Gesetzgebung an altes, bis zu ihren Zeiten fertgetragenes Recht anknüpfte und die Ge- wohnheit nur mit der sichernden Autorität des Gesetzes umkleidete.

Pass übrigens die Polizeiordnung auch den Gutswert in das „ziemliche Geld“ einrechnet, woran ja der Wortlaut noch Zweifel übrig lassen könnte, ergiebt sich hier mit Deutlichkeit daraus, dass die Polizeiordnnng bei den Schillingshavergütern als Gegensatz zu den in § 2 behandelten freien Gütern hervorhebt, es dürfe dort der Anerbe .seinen Miterben wegen Aecker und Wiesen nichts geben, donn sie nicht ihm, sondern dem Gutsherrn zuständig sind.“ Auch die bei Wiegand mitgetheilten Landesordnungen beziehen bei Berechnung der Abfindung das Gut mit ein. Auch in Bayern war nach Fick die Einrechnung hergebracht. Ebenso in Schlesien nach den citierteu Darlegungen von Knapp und Kern, und, nach dem ebenfalls bereits angezogenen Aufsatze von Grünberg, allgemein auch in Tirol, dagegen in den böhmischen Kronländem nur bei den überhaupt von rochtswegen ver- erblichen Gütern. Ueberall erfolgt jedoch die Einwerfung des Gutes nur zu einer Freundscbaftstaxe. Civiltheilung liegt also nicht vor.

t. Dultslg, Gründer brecht. 3

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ganze übrige Gebäude des Rechts sich aufthttrmt. Es gilt des- halb lediglich, sie zu erklären.

Es ist von jeher der Gedanke des deutschen Rechts ge- wesen, dass die Familie eine Genossenschaft unter der, aller- dings ziemlich unbeschränkten, Leitung des Vaters bildet, und dass das Hansvermögen dieser Genossenschaft und nicht dem Vater gehört.

Es soll gleich hier einer falschen Auffassung vorgebengt werden. Man hat der Lehre vom Familieneigenthum entgegen- gehalten, der Begriff der Familie sei unbestimmt; es sei schwankend, welche Verwandten noch zur Familie gezählt werden könnten. Das ist richtig, sofern man sein Augenmerk lediglich auf den persönlichen Familienverband richtet. Allein dann vergisst man, dass in Deutschland und überhaupt im alten Recht alle Verbände dinglich radiziert waren oder wurden. Den äusseren greifbaren Mantel für den Familienverband gab nun das Haus ab. Ja, der dingliche Verband, den das Zusammen wohnen im Hause hervorbrachte, wurde die Haupt- sache. Und in der That konnten ja bei ihm nie Zweifel über seine Begrenzung entstehen, die bei Berücksichtigung des ledig- lich persönlichen Zusammenhanges der Familie unausbleiblich waren. Lediglich die Thatsache des Zusammenlebens im Hause war deshalb entscheidend für das Mitrecht aui Familienvermögen; der aus dem Hause Ausgeschiedene darbte dieses Rechts, er verlor seine Stellung als Gesammthäuder und besass nicht ein- mal ein Erbrecht, wie sich weiter unten 7) noch näher zeigen wird. Das Rechtssubjekt, dem das Hausvermögen zustand, war deshalb nicht so sehr das, was wir heute mit Familie bezeichnen, als vielmehr die Haushaltung, d. h. die unter dem deutschen Kunstausdruck „Wcre“ begriffene Gesaumitheit der im Hause zusammenwohnenden Verwandten, mögen dies nun Eltern und Kinder, oder Brüder untereinander, oder Brüder mit ihren Kindern und Keffen sein. Es ist deshalb richtiger statt von Familieneigenthum von „Haushaltungs-“ oder „Hauseigenthum“ zu reden.28)

Das ist genau dasselbe, was auch Heusler in seinen Institutionen Bd. I, S. 227 sagt:

„Von Anfang der deutschen Geschichte au, sehen wir die in einem

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eigener Haushaltungen von einander theilen, kommt der Grund und Boden an neue Rechtssubjekte, nämlich an neue Haushaltungen, und dann wird auch tür jede ein eigenes Feuer entzündet. So lange aber auch nur einige der Brüder in ungetheilten Gütern sitzen bleiben, brennt das alte Feuer fort, weil das alte Rechtssubjekt, nämlich der alte Haushalt, und die in ihm sitzende und verkörperte Genossenschaft fort- dauert, nur die Ausscheidenden entzünden neue Feuer.10)

Aus alledem erweist sich die eingangs aufgestellte Be- hauptung, dass nach altarischer Auffassung das eigentliche Rechtssubjekt für Landbesitz die in einer Haushaltung geeinte Familie ist. Ob man deshalb sagen kann, das sie Eigenthümerin des Landes gewesen sei, erscheint zweifelhaft. Denn wie Leist in seinen trefflichen Werken stets betont, ist es immer gefährlich, mit heutigen fertigen Rechtsbegriften an jene Zeiten heran- zutreten, wo in einem Rechtsinstitute vieles vereint war, was heute streng geschiedeu wird, wo namentlich die Keime von Privat und öffentlichem Recht noch ungetrennt bei einander lagen. Man wird nur sagen können: Die Felder und Aecker „gehörten“ der Familie, der Vater hatte sie zu verwalten.

Dass in späteren Zeiten hieraus sowohl ein Privateigen- thum der Familie, wie ein solches des Vaters entstehen konnte, ist leicht ersichtlich; es richtete sich eben danach, ob man da- rauf Werth legte, wer den Grundbesitz nach aussen vertrat, oder wem er nach innen eigentlich zustand. Das deutsche Recht hat dem letzteren Punkte das entscheidende Gewicht beigemessen, andere Rechte, wie das römische und griechische, dem ersteren. Sie haben deshalb ein Privateigenthum des Hausvaters aus- gebildet, aber auch bei ihnen finden sich zahlreiche Recht- sätze, welche sich daraus am ungezwungensten erklären lassen, dass ehemals die Ländereien nicht dem Vater, sondern der in der Hausgenossenschaft lebenden Familie zustanden.

So haben für das römische Recht schon die römischen Juristen selbst das Erbrecht der sui aus einem ehemaligen

Vgl. Leist, Jusgentium S. 415 ff.

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Familieneigenthum abgeleitet.30) Und in der That lässt sieb der Umstand, dass der Sohn ohne Antretung Erbe und Herr der Erbschaft ist, am besten dann verstehen, wenn er schon bei Lebzeiten des Vaters Mitherr des Vermögens ist. Doch auch im griechischen Rechte wird man die Behandlung der nicht streitigen und streitigen Erbschaft, die Thatsache, dass der Sohn und ebenso der Enkel ohne Anrufung der Gerichte mit xsost; in das Seinige einschreitet,31) während die übrigen Erben der gerichtlichen Einweisung bedürfen, alles dies wird man am besten daraus begreifen, dass dem Sohne eben die Erbschaft nicht überwiesen zu werden braucht, weil er sie schon bei Leb- zeiten des Vaters hat.

Aber auch der römische Satz, dass der Sohn nur dem V ater erwirbt, fusst, ebenso wie die Behandlung des emancipatus im Erbrechte, auf einem anfänglichen Gesammteigenthum der Familie oder der Hausgenossenschaft. Denn nach den Regeln des Gesammteigenthums fällt dasjenige, was die Gesammthäuder in ihrer der Gesammtheit gewidmeten Thätigkeit erwerben, an diese Gesammtheit, hier an die Familie. So ist es noch heute in Armenien und Russland, wo das Familieneigeuthum und die Familiengenossenschaften in höchster Blüthe stehen.32) So war es nicht anders ursprünglich in Latium. Auch hier fiel alles von den Söhnen Erworbene an die Familie. Als dann später die Römer an die Stelle der Familie als Rechtssubjekt den Hausvater setzten,33) da veränderte der alte Rechtssatz sich

*') Paulus, libro 2 ad Sabinum. (Es. 11 de libet post. 2S,2):

In suis hcredibus evidentius apparet continuationem doininii eo rem pcrduccre, nt nulla videatur hereditas fuisse, quasi olim hi dotnini cssent. qui etiarn vivo patre quodammodo dotnini existimantur . . . iiaque post mortem patris nou hereditatem suscipere videntur, sed magi* liberam bonorum admiuistrationem cousequuntur.

(Vgl. Leist, Jus civile ä. 130.)

31) Vgl. Leist, Jus civile S. 191 und anderswo; auch Jus gentiuiu, variis locis.

Vgl. über die Armenier Leist, Jus civile S. 198 ff , namentlich S. 500 Annt. 3. Ueber die Russen vgl. ebenfalls Jus civile, S. 502 Anm. 5 (nach Mackenzie Wallace, Russland), neuerdings auch den Aufsatz von Lutscbitzky bei Scbmollor, Jahrbuch de 1890 S. 105 ff.

*>; Vgl. über diesen Hergang Leist, Jus civile.

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von selbst in den heute geltenden: Der Sohn erwirbt alles dem V ater.

Vornehmlich jedoch ist es die im späteren römischen Erb- recht so fremdartig anmuthende Behandlung des emancipatus, die sich nur dann verstehen lässt, wenn man ein ursprüngliches Gesammteigenthum der im Hause geeinten Familie annimmt. Der emancipatus ist eben nichts anders als der deutsche ab- getheilte Sohn,34) der seinen Antheil am Familienvermögen herausnimmt und damit wirtschaftlich und rechtlich aus dem Verbände des Hauses ausscheidet. Er kann deshalb wenn der Vater stirbt, am verlassenen Haus vermögen keinen Antheil er-

st) Man könnte liier einwenden, die Behandlung des emancipatus könne schon deshalb nicht zu Rückschlüssen auf ursprüngliche Rechtsätze ver- wendet werden, weil das ganze Institut der Emancipation eine relativ späte, künstliche Bildung sei. Allein daun verwechselt man die Form mit der Sache. Die Form der Emancipation ist eine spezifisch römische Erfindung, die Sache, das Abteilen oder Aussteuern der Söhne ist eine alte, bei allen arischen Völkern auffindbare Sitte. Ursprünglich schieden auch iu Latium die Söhne einfach durch Herausnahme ihres Hausanteils aus dem Zusammen- leben im dinglichen Ilausverbande aus. Das persönliche Gewaltverbaltnis zum Vater und dessen Lösung war dabei ganz Nebensache. Dass die Söhne später das persönliche Verhältnis zum Vater in erster Reihe lösen mussten, kam daher, dass die Römer überall an die Stelle des alten ding- lichen Hausverbandes das persönliche Verhältnis zum pater familias in den Vordergrund rückten und dio dingliche Genossenschaft durch die persönliche ersetzten. Dadurch kam ja, wie im Texte gezeigt, der Satz auf : Der Sohn in väterlicher Gewalt erwirbt alles dem Vater. Hatte früher das einfache Ausscheiden aus dem dinglichen Gesamteigentum genügt, um den aus- geschiedenen Gesamthänder nicht mehr für das Gesamtvermögen, die Familie, erwerben zu lassen und ihn wirtschaftlich selhständlich zu stellen, so konnte jetzt der gleiche Zweck uur dadurch erreicht werden, dass auch das persön- liche Gewaltverhältuis gelöst wurde, du der Mohn erst danach für Bich erwarb. Diese persönliche Loslosuug ist also eine neue spezifisch römische Schöpfung, die damit verknüpfte dingliche Vermögeusabteilung aber eine alte Sitte, und gerade aus dieser folgt, wie sich gleich zeigen wird, die erbrechtliche Sonderstellung des emancipatus, die wir zu Rückschlüssen verwerten. Dass die ursprünglich zusammengehörige persönliche Eman- cipation und dingliche Vermögensausscheidung, nachdem sie einmal bestanden, auch einzeln, das eine ohne das andere, Vorkommen konnten und, besonders später, oft vorgekommen sind, ist uns wohl bekannt.

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halten, da dies in der Hand derjenigen consolidiert, die zu Lebzeiten des Vaters den Mitbesitz daran hatten, der emau- cipatus aber aus dem Mitbesitze ja ausgeschiedeu ist. Fasst man dagegen den Uebergang des Vermögens beim Tode des Vaters nicht als eine auf Miteigenthum der Söhne beruhende Ccnsolidation, sondern als einen wahren, nach verwandtschaft- lichen Beziehungen erfolgenden Erbgang auf, so ist es schlechter- dings nicht ersichtlich, warum der emancipatus nicht auch erbt, da er doch auch verwandt ist. Die später versuchte Erklärung, er sei im Rechtssinne nicht mehr verwandt, da die vom Rechte allein anerkannte, künstliche agnatische Verwandtschaft auf der väterlichen Gewalt beruhe und aus dieser ja der emancipatus ausscheide, diese Erklärung übersieht, dass es offenbar das Herausnehmen des Vermögens und nicht das Ausscheiden aus der väterlichen Gewalt und Agnation ist, welches den eman- cipatus des Erbrechts beraubt ; denn sonst könnte er nicht durch einfaches Einwerfen des herausgenommenen Vermögens wieder zur Erbschaft gelangen, sondern nur durch Wiedereintritt in die Agnation.1')

Wenn die römischen Juristen sagen, dies Einwerfen sei deshalb nothwendig, weil der emancipatus für sich erwerbe, die nicht emancipierten Kinder aber lediglich für den Vater er- worben hätten, au der von ihnen miterarbeiteten Verlassenschaft deshalb der emancipatus nicht ohne Gegenleistung theilnelimen dürfe: so ist es offenbar, dass dies die bei den römischen Juristen so oft vorkommende Art ist, mit allgemeinen Zweckmässigkeits-

®) Es entgeht uns nicht, dass diese Zulassung des emancipatus gegen Einwerfung seines Vermögens nur als prätorisches Recht beglaubigt ist. Wenn wir sie gleichwohl aus uralten Rechtsprinzipien erklären, so geschieht dies deshalb, weil es ziemlich sicher ist (vgl. Leist, Jus civile), dass der Prätor bei seiner Reform des Erbrechts lediglich uraltem, allen arischen Völkern gemeinsamem Rechtsbrauche, der vom particuläreu, römischen Civil- recht eine Zeit laug offiziell nicht anerkannt war, aber thatsäcblich überall noch eine grosse Macht entfaltet und durch Testameuto oder pro heredc usucapio sich verwirklicht hatte, auch wieder zu gesetzlicher Geltung ver- halt. Auch heute zeigt sich ja besonders in der uns beschäftigenden Materie des Anerbeurechts, wie lange sich vom offiziellen tiesetzesrecht abweichende Gewohnheiten erhalten können, um schliesslich wieder Gesetzeskraft zn erlangen. Dass es in Rom ebenso gegangen sei, hat doch gewiss nichts Unwahrscheinliches.

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und Billigkeitserwägungcn ein Institut rechtfertigen zu wollen, dessen historische Entstehung man nicht mehr verstand. Viel- mehr zeigt jener Einkauf in die Erbschaft deutlich, dass es die dingliche Mitgliedschaft am Hausvermögen, nicht die persön- liche Zugehörigkeit zum väterlichen Gewaltkreis ist, welche Theilnahme an der Verlassenschaft mit sich bringt, und dass sie deshalb vom emancipatus wieder erworben werden muss. Ohne diese Annahme, dass die Erben deshalb Erben sind, weil sie in dinglicher Mitgliedschaft zum Haus vermögen, im Gesammteigenthume daran stehen, lässt sich eben die Behandlung des emancipatus nicht befriedigend erklären.'**)

Zur Zeit der römischen Juristen, wo der Gedanke des Familieneigenthums, wenn auch nicht ganz verloren, im geltenden Rechte doch im allgemeinen nicht mehr anerkannt war, jeden- falls nicht mehr lebendig fortwirkte, zu dieser Zeit erschien deshalb begreiflicherweise die erbrechtliche Stellung des eman- cipatus immer als ein fremdartiges Institut. Losgelöst vom mütterlichen Boden, ja im Widerspruche mit den Grundlagen des neuen Rechts ist es denn auch einem langsamen Absterben anheimgefallen.

Ausser diesen in den späteren Rechtszustand fremdartig und zum Theil unverstanden hineinragenden Ueberbleibseln des früheren Gesammteigenthums giebt es aber für das römische und griechische Gebiet noch ausserhalb des eigentlichen Rechts liegende Erscheinungen, die beweisen, dass auch diese Völker von dem Gedanken beherrscht sind, das Hausvermögen stehe im Gesammteigenthum der im Hause vereinten Familienmit- glieder.

Wenn nämlich auch die Partikularrechte der einzelnen arischen Stämme einen alten Rechtssatz nicht mehr anerkannten, vergessen konnte er darum nicht werden. War er doch schon dadurch geheiligt, dass er von den Vätern aus der Vorzeit über- kommen war; umkleidete ihn doch ferner die hohe Autorität des alten vorstaatlichen Rechts, das man sich als auf dem Willen der Gottheit selbst beruhend dachte.36) So galt es zu-

36*) Für die ursprüngliche Gleichheit von Emancipation und Vermögens- abteilung auch Fick S. 280 und 282.

“) Vgl. Leist, Jusgentium S. 313 ff. und anderswo.

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nächst für fromm, solchen alten Sätzen auch ferner nachzuleben ; später, als die Religion nicht mehr solche Macht ausübte, ver- wandelten sich solche Forderungen der Frömmigkeit in einfache Gewohnheiten der Sitte. Ja, die alten Rechtsgedanken steckten den Völkern so tief in Fleisch und Blut, dass sie selbst ihren erleuchtetsten Geistern sich unbewusst in die philosophischen Systeme mischten, wenn sie über die vernünftige Regelung der menschlichen Verhältnisse nachdachten, weil ihnen eben eine Regelung als die naturgemässeste und selbstverständliche er- scheinen musste, welche jene ererbten Anschauungen und Rechts- gedanken verwirklichte. Sehr vieles, was deshalb in späteren Zeiten trotz abweichender positiver Rechtsnormen als sacrale oder als Anstandspflicht erscheint, oder was von den Philosophen gefordert wird, ist ursprünglich ein Rechtsgrundsatz gewesen.

Zahlreich finden wir aber bei Griechen und Römern das Postulat, das Vermögen im Interesse der Familie zu verwenden, der es eigentlich gehöre.

Bei den Griechen tritt es ihrer Anlage entsprechend vor- nehmlich als philosophisches Ideal auf: und zwar ist es kein Geringerer als Aristoteles, der uns als Ergebniss weiser Welt- betrachtung eine Stellung des Familienvaters ausmalt,37) die genau dem entspricht, was in den indischen Sntras Rechtens ist, und was wir als den ursprünglichen Zustand bei allen Ariern voraussetzen dürfen. Der Hausvater hat die Verfügung über das Vermögen. Aber wie er Vermögen erwirbt nicht um seiner selbst willen, sondern um die ihm anvertraute Familie daraus zu ernähren, so soll er es auch lediglich zu diesem Zwecke verwenden. (Vergl. Leist, Jusgentium 524. vgl. auch S. 521/522.) Das Vermögen ist deshalb um des Hauses willen da, es soll ihm nicht entfremdet werden, weder unter Lebenden noch von Todeswegen. Das Vermögen gehört sonach eigentlich der im Hause geeinten Familie. Was der Vater daran hat. beschränkt sich im Grunde genommen auf seine pflichtmässige V erwaltung.

®) Ueber die Lehre des Aristoteles handelt eingehend Leist, Jus gentinm S. 517 ff.

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Und die Quintessenz der aristotelischen Betrachtungen ist denn auch der Ausspruch:

iV uiv oov rr, xoivtovta (xoüto 5‘sotiv oixi<fJ ot

ixsv -;ip Ttüv t«>» sxotvaivouv r xvtujv (hatten alle Dinge gemeinsam).

Bei den Römern hat sich der alte Gedanke vom Gesammt- eigenthume des Hauses weniger in das Gewand einer philo- sophischen Forderung, als in das einer sacralen und sittlichen Pflicht gekleidet. Der aus jenem Gesauimteigenthum fliessende Satz, dass der Vater zwischen seinen Söhnen das Gut kraft seiner Verwaltungsmacht zwar theilen, aber es ihnen, als am Gute neben ihm selbstständig berechtigten Personen nicht ganz entziehen kann, dieser Satz wurde vom Gesetzesrecht mit seiner libera testamenti factio nicht anerkannt. Aber trotzdem blieb es stets zunächst eine sacrale, dann eine sittliche Pflicht, das Vermögen seinen Kindern nicht zu entfremden. Und wie frucht- bar dieser Gedanke auch im Rechte blieb, lehrt die Geschichte des Notherbenreehts: war er doch noch viele Jahrhunderte, nachdem die zwölf Tafeln die Verwerfung des alten Rechts- Begriffes vom Familieneigenthum besiegelt hatten, mächtig genug, dass auf ihn gestützt der Centumviralgerichtshof die Testamente derer cassieren konnte, welche das officium ihren nächsten Verwandten gegenüber nicht beobachtet hatten. Denn immer noch galten dem Volksbewnsstsein die Familienmitglieder so sehr als die Mitherren des Gutes, hatten so sehr ein eigenes Recht auf dessen Besitz, dass nur ein Wahnsinniger, der für Sitte und Recht kein Gefühl mehr hatte, ihnen das Gut ent- ziehen konnte, und dass darum ein solches Testament den color insaniae an der Stirn trug.

So wie wir nun hier für die Römer und Griechen aus den späten Ucberbleibseln aufgedeckt haben, dass auch ihre Rechts- systeme einst von dem Gedanken des Familienvermögens aus- gegangen sind und erst in jüngerer Zeit mit dem Individual- vermögen zu rechnen beginnen, so lässt sich die ursprüngliche Bekanntschaft mit dem Familieneigenthum für alle arischen Stämme nach weisen. Ja bei einigen besteht das Hauseigen- thum noch bis auf den heutigen Tag.

Es wurde oben schou (bei Anm. 32) auf die armenischen und russischen Verhältnisse hingewiesen.

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In Armenien bildet noch heute das Haus eiuen fest- geschlossenen Verband, dem alles Vermögen gehört. Alles was deshalb die Hausangehörigen erwerben, erwerben sie der Ge- meinschaft. Das Hausvermögen steht unter der ziemlich unbe- schränkten Verfügung des Hausvaters; dennoch hat er nicht das Eigenthum daran; denn er kann es schon unter Lebendeu nicht im Ganzen veräussern, von Todeswegen hat er darüber aber überhaupt keinerlei Verfügung. Vielmehr tritt in die ihm zustehende Verwaltung kraft eigenen uncntziehbaren Rechts sein ältester Sohn ein. Und dass auch dieser nicht etwa Allein- erbe und -eigenthümer ist, geht daraus hervor, dass er auf Verlangen mit seinen Geschwistern und eventuell Neffen ab- theilen muss; es sind also alle im Hause vereint lebenden Familiengenossen am Vermögen Gesanimtliänder. (Vgl. Leist Jus civile S. 497 n. 498.)

Ueber die russischen Verhältnisse sagt Mackenzie Wallace in seinem Bucho über Russland (Uebersetzung von ltüttger 2. Aufl. 1880) Seite 105 u. 109

„Die Familien, die zu einem grossen Gemeinwesen gehören, leben nicht nur zusammen, sondern haben fast alle Dinge gemeinsam. Jedes Mitglied arbeitet nicht für sich, sondern lur den Haushalt, und sein ganzer Verdienst fällt dem Familien- schatz zu . . . das Haus mit allem, was darin ist, gehört nicht dem Chasjäin (Wirtli, Hausvater), sondern der kleinen Hausgenossenschaft; und folglich erben dieselben nicht wenn der Chasjäin stirbt und das Hauswesen aufgelöst wird, sondern sie kommen in den persönlichen Besitz dessen, was ihnen bisher gemeinsam gehört hatte.“

Aehnliches berichtet Lutschizky aus Südrussland.

So dauert also noch heute in Armenien und Russland das alteGesammteigenthum der Hausgenossenschaft fort. Das wunder- barste Zengniss aber für die unverwüstliche Lebenskraft jenes Rechtsprinzipes ist es, wrenn dasselbe noch heute in lebendiger Anwendung ist in demjenigen Lande, das sich am frühesten und entschiedensten unter allen arischen Gebieten vom Familieu- eigenthum abgewendet hat, und dessen Recht in seiner klassischen Zeit sich der consequentesten Durchführung des Individual- eigenthums rühmen durfte: auch in Italien, von wo aus doch

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der Begriff des Invidnaleigens den Siegeszug durch die Welt angetreten hat, giebt es noch heute Hauseigenthum.

Sombart S. 29 2 sagt nämlich über die Familienorganisation im Aternerlande:

„Fast durchgehends steht hier die gesammte Hausgemein- schaft — familia in diesem Sinne unter einem Pater familias, den sogenannten Capoccia, der mit beinahe unumschränkter Gewalt ausgestattet ist ; das Vermögen gehört allen Familien- mitgliedern gemeinsam, und wird ausschliesslich vom Haus- herrn verwaltet . . . Die Verrichtungen der verschiedenen Arbeiten in der Wirthschafl sind nach Jahrhunderte alten Tradi- tionen streng unter die einzelnen Familienmitglieder getheilt.“

Ebenso ist es in allen Gegenden Italiens, wo die alte her- gebrachte Form des bäuerlichen Grundbesitzes, die Mezzadria,1*) in ungeschwächter Kraft besteht.

§ 5.

In dieser Erkenntnis, dass alle arischen Stämme ursprünglich von einem Gesammteigenthum der Hausgenossen am Hausgute ausgegangen sind, liegt schon ein starker Beweis dafür, dass es auch bei den Germanen nicht anders gewesen sei. Allein es lässt sich auch direkt für das deutsche Recht nachweisen, dass in ihm jenes Rechtsprinzip lebt.

Vornehmlich sind es auch hier die Vererbungsgrundsätze, welche wir zu jenem Nachweis verwerthen müssen.

Schou von jeher ist darauf hingedeutet worden, dass das unentziehbare Erbrecht der Kinder in einem Gesammteigenthume wurzeln müsse. Besonders aber v. Amira gebührt das Verdienst, diesen Zusammenhang aufgedeckt und auch bei denjenigen

**) Denn Sombart S. 2'Jl sagt über die Vererbung der Mczzadria: .Stirbt das Haupt, der Familie, so gehen die Verpflichtungen und Rechte auf die Erben über, sofern sie mit dem Verstorbenen eine Haus- gemeinschaft bildeten.“

Also noch in ganz alter Weise folgt hier das Erbrecht aus der ding- lichen Hausgemeinschaft, d. h. aus dem Mitbesitz und Miteigentum ati Grund und Boden, und ist eigentlich gar kein Erbrecht, sondern (Konsolidation Durchaus altertümlich wird der Kreis der erbberechtigten Familienmitglieder durch das Zusammenleben im Hause begrenzt.

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deutschen Stämmen quellenmässig belegt zu haben, wo mau bisher an der Unentziehbarkeit des Erbrechts zweifelte. ®) Seine Aus- führungen sind so vortrefflich, dass wir uns lediglich darauf beschränken können, das Wesentlichste daraus mitzutheilen und im Uebrigen auf sein Werk verweisen dürfen.

Am wichtigsten ist das Gebiet des salfränkischen Hechts, weil einerseits für dieses das unentziehbare Erbrecht der Kinder am längsten geleugnet ist, und weil es andererseits sehr gegen die frühere Geltung des Hauseigenthums spräche, wenn dies in dem alterthüinlichen Rechte der Salier nicht aufzufiuden wäre.

Nun wird allerdings allgemein zugegeben, dass später in den fränkischen Gebieten ein auf Hauseigenthum deutendes, unentziehbares Erbrecht der Kinder gilt. Allein dies soll aus der Verfangenschaft entstanden sein, und die Verfangenschaft selbst soll nicht in einem ehemaligen Gesammteigenthum der Kinder wurzeln, sondern ein gewohnheitsrechtlicher Niederschlag von fränkischen Eheverträgen sein. Wir halten diese Auf- fassung für äusscrlich; schon Huber (S. 45) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass mit der Bezugnahme auf die Eheverträge eigentlich gar nichts gesagt ist; es ist damit nur der Weg an- gegeben, den die gewohnheitsrechtliclie Entwicklung genommen hat. Als eigentliche Aufgabe des Rechtshistorikers aber ver- bleibt es dann immer noch, die Gründe aufzndecken, warum die Rechtsbildung jenen AVeg gegangen ist. Und da sind wir, wie Huber es schon mit Beschränkung auf burgundisehes und alamannisches Recht ausgesprochen hat (S. 45 ft.), mit Heusler

®) In jenem bekannten Werke über .Erbenfolge und Verwandtschntts- gliederung“, da* mit der enormen Quellenkeuntnis Amiras und seiner ge- wohnten Beherrschung auch des philologisch-sprachlichen Matciials ge- schrieben ist. Auch Huber bat den Begriff des Hausverinögens und die Rcchtsgemeinschaft zwischen Vater und Sühnen betont. Er meint zwar trotz aller Anrechte der Sühne halte das Familiengut nur im Eigenthume des Vaters gestanden. Jene hätten nur ein liecht auf Mitgenuss gehabt. Allein derartig beschränkte Einzelrechte lassen sich sehr wohl, wie sich weiter unten zeigen winl. mit dom Gesammteigenthum vereinen. Ganz als .Gütergemeinschaft“ oder .Miteigenthum* bezeichnet das Verhältnis von Vater und Kindern Ficker bei deu Burgundern 43s ff. S. 123 ff), bei dcu Langobarden 637), im gothländischcn Hecht öll) und sonst 4U1 und öfsj.

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in seinen Institutionen allgemein der Ansicht, dass die Ver- fangenschaft sicli mit innerer Nothwendigkeit ans dem Fauiilien- eigenthum entwickelt hat und dass sie, ebenso wie das Erben- wartrecht in Sachsen, das Anerbenrecht, das Stammgütersystem und manches andere Gebilde des deutschen Erbrechts, in dem einen fruchtbaren Gedanken der Hausgenossenschaft mit Haus- eigenthum wurzelt. Es ist aber auch vor allem gar nicht richtig, dass unentziehbares Erbrecht der Kinder in fränkischen Gebieten erst zur Zeit der Verfangenschaft gilt.

Schon verschiedene bei Gregor von Tours und anderswo mitgetheilte alte Entscheidungen von Prozessen, in denen Erben Vergabungen ihrer Eltern aufechten, lassen auf ein unentzieh- bares Erbrecht zu damaliger Zeit schliessen.4") Besonders jedoch die Formeln und die fränkischen Urkunden vom ti. bis 0. Jahrhundert zeigen, dass die Erben, um eine Vergabung von Todes wegen oder Veräusserung unter Lebenden rechtskräftig zu machen, mindestens zustimmen mussten, weil ihnen sonst ihr Erbrecht nicht entzogen werden konnte.41) Für diejenigen Thcile fränkischen Rechtsgebietes, welche unter der Herrschaft der lex Ribuaria standen, ist es sogar gesetzlich bezeugt, dass eine Vergabung auf den Todesfall, eine Affatomie, überhaupt nur zulässig war, siquis procreationem tiliorum vel filinrum non lmbuerit. (lex Rib. tit. Ls cit.) (Vgl. Amira S. 53 54).

Dass aber das Erforderniss der Zustimmung der Kinder zur Veräusserung des Hausgutes im fränkischen Rechte auf wahrer gesummter Hand daran beruhte, ergiebt sich daraus, dass diese Zustimmung regelrecht nicht nur durch Worte, sondern durch Mithand ein4'-) erklärt werden musste, indem die Kinder die Traditionsurkunde selbst schrieben oder wenigstens mit unterschrieben und ev. auch untersiegelten. Es ergiebt sich ferner auch aus der Ausdrucksweise der Urkunden. So bemerkt Kr. 1K4 der älteren Urkunden aus Fulda, der Vater und der mit Unterzeichnete Sohn hätten die Vergabung mit gesummter Hand vorgenommen, (qui communibus manibus

*q Vgl. v. A mim S. öS uml 55.

41) Vgl. v. Amira S. 55 f. a) Nachweisungtm bei Amira S. 55.

v. Dultilg, Uruntlvrbrecht. 4

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hanc traditionem fecerunt.)43) So redet n. 86 der Formeln bei Roziere von einem „eonsorcium“ in welchem der Erblasser und seine Kinder miteinander in Bezug auf die alodis stehen, und aus der ein Theilhaber per praecessionem mit seinem Vermögeus- antheile heraustreteu kann, während die übrigen in der Gemein- schaft sitzen bleiben. Weitere Beispiele von einer auf Gesammt- eigenthum weisenden Ausdrucks weise der Urkunden bietet v. Amira S. 58.

In gleicher Weise lässt sich für das angelsächsische Rechtsgebiet ein unentziehbares Erbrecht der Kinder und nächsten Verwandten belegen. Dass dies auch hier in einem Gesammt- eigenthume wurzelte, ist an sich wahrscheinlich, es sprechen dafür aber auch manche positive Anzeichen. Hierhin ist zunächst wieder das Mithandeln der Einspruchberechtigten bei der Ver- gabung zu zählen.44) Ferner aber wird in c. 23 der hist. Rames. erzählt, wie in einem Prozesse jemand eine Veräusserung seines verstorbenen Bruders mit Erfolg anficht. Das Merkwürdige dabei ist, dass er dies nur auf die Hälfte thut. Hätte er kraft Erbrechts angefochten, so hätte er die ganze Vergabung auf- heben dürfen, da er aufs Ganze Erbe ist. Wenn er nur zur Hälfte die Aufhebung durchsetzt, so ergiebt sich daraus, dass er kraft Miteigenthums anficht, welches ihm ja nur zur Hälfte zusteht. Dass dies Miteigenthum nach festgeschiedenen Quoten eine spätere Aenderung des ursprünglichen Gesammteigenthums ist, hat Amira mit Recht vermuthet. Denn auch bei den Sal- franken, bei denen ja ursprünglich auf Grund Gesammteigen- thums ohne feste Quotentheilung die ganze Vergabung angefochten werden konnte, finden sich später Strömungen, welche die An- fechtung nur auf eine, dem geschiedenenMiteigenthum entsprechende Quote zulasseu wollen.4'’)

Für ursprüngliches Gesammtcigenthum der Hausgenosseu- schaft bei den Angelsachsen bietet jedoch einen weiteren Anhalts-

4 3) Der Aussteller der Urkunde ist allein der Vater, ein Zeichen dafür, dass dies an sich noch kein Beweis dessen ist, dass der Sohn nicht mitgehandelt hahe.

44) Vgl. v. Amira !S. 106 ff.

*■’’) Vgl. die verschiedenen Entscheidungen der Prozesse bei (iregor v. Tours und bei BrGquigny-Pardessus, welche Amira 8. öS und 65 mittbeilt.

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punkt die altnationale Benennung der Blutsverwandtschaft und ihre Scheidung in „Herren“ und „Nichtherren“.4*) Denn die Benennung der Herren ist auf diejenigen Blutsverwandten be- schränkt, welche nach v. Amira den näheren Erbenkreis bilden, d. h. Kinder, Eltern und Geschwister. Das sind aber alles Verwandte, die wir noch später häufig in einer Hausgenossenschaft vereint finden.47) Von diesem Gesichtspunkte aus gewinnt ihre Benennung als Herren eine ungeahnte Bedeutung: denn sie kann sich dann nur auf ihre Herrschaft am Erbe und Hausgut, ihr Gesammteigenthum daran beziehen. Alle anderen Verwandten die zum Erbe gelangen, greifen darauf als Nichtherren: sie haben es nicht schon, sondern müssen es erwerben.

Dass im sächsischen Recht das Beisprnchsrecht der nächsten Erben allgemein galt, ist unbestritten. Ueber die Bewerthung dieser Thatsache aber sagt v. Amira treffend: „Ein Recht der Magen, welches die Verfügungsgewalt des Erblassers bei dessen Lebzeiten von Anfang an in dem Masse band, dass er ohne ihren Beirath keine gültige Veräusserung vornehmen konnte, drängte das Mehr, was er vor den Erbwarten voraus hatte, auf ein blosses Vertretungsrecht zusammen. Er veitritt die Gesammtheit der einspruchsberechtigten Magen mit Ein- schluss seiner selbst in der Ausübung der Herrschaft, welche ihnen allen gemeinschaftlich zusteht, nach aussen.“

Wenn wir deshalb auch bei den Friesen ein unentzieh- bares Erbrecht der nächsten Verwandten finden, so dürfen wir annehmeu, dass es hier ebenfalls auf dem Grunde einer Ver- niügensgemeinsehaft zwischen diesen Verwandten ruhte. Und dass diese Vermögensgemeinschaft ein Gesammteigenthum war, dafür liegen gerade im friesischen Rechte besonders starke

**) VgL v. Amira S. 77 ff. Die Etymologie ist allerdings unsicher. Sie hat aber innere Wahrscheinlichkeit für sich

47) Daran ändert es auch nichts, wenn mau, was sehr zweifelhaft ist, auch die Eiterugeschwister unter die „Herren“ rechnet. Denn auch diese können mit ihren Neffen, denen gegenüber sie als Erben in Betracht kommen, in einer Hauagenossenschal't sitzen. Es kommt dies vor, wenn verlieirathete Brüder unabgetbeilt beieinander bleiben. ln deutschen Kechtsgehieten war dies, anders als in Armenien und Südrusslaud. nicht gewöhnlich und daher mag es uueh kommun, dass es zweifelhaft ist, ob die Elterngeschwister ihren Neffen gegenüber Herren oder Nichtherreu sind.

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Zeugnisse vor. Abgesehen von der auch hier sich findenden Scheidung des Verwandtenkreises durch seine Namen in Herren und Nichtherren, wird gerade das Verhältniss zwischen Eltern und Kindern, nicht nur das zwischen Geschwistern als gesammte Hand aufgefasst. Denn wie bei Geschwistern, die in ungetheiiten Gütern sitzen, für den Fall, dass einer von ihnen ein Verbrechen begeht, ihr Haus zum Schaden aller nach dem Brokmerbriefe zerstört wird, so gilt das nämliche, wenn Eltern und Kinder das Haus in ungetheilter Gemeinschaft besitzen. Diese Zerstöruug des ganzen Hauses anstatt des auf den Ver- brecher entfallenden Theils ist aber ein Zeichen des Gesammt- eigenthums, welches den Grundsatz hat, dass Schulden, auch Delictssehulden, eines Gesammthänders das ganze Gesammtgut ergreifen und nicht nur auf einem etwaigen Theilc des Ver- brechers hängen bleiben. Auf Gesammteigenthum gehende An- deutungen enthalten auch die Bflstrigoer Küren. Die Eltern des Todtschlägers müssen für dessen T hat Busse zahlen. Was ihnen entzogen wird, wird aber nicht als ihr Vermögen, sondern als das des Todtschlägers aufgelässt. Deshalb sollen die öffent- lichen Beamten die Abtheilung vornehmen und dann den Antheil des Todtschlägers an sich nehmen. (Vergl. Amira S. 184.) Noch weiter geht das Westerwolder Landrecht. Hier stehen nämlich den Kindern sogar schon vor der Abschichtung und noch während der Lebenszeit ihrer Eltern gewisse Verfügungs- rechte an dem im Besitze ihrer Eltern befindlichen Gute zu: sie sollen das halbe Gut und den „vorderen“ oder „äusseren“ Herd versetzen können. Das dürften sie doch gewiss nicht, wenn ihnen nicht schon bei Lebzeiten der Eltern ein Miteigen- thum ain Gute gebührte. Ausserdem machen auch Regeln der Deichpflicht und noch manche andere Andeutungen die Annahme nothwendig, dass zwischen Eltern und Kindern, und zwischen Geschwistern, „den gesipptesten ii. Händen“, ein Gesammteigen- thum am Hausgutc bestanden habe.

Das Resultat, welches wir bei der Durcheil ung der nieder- deutschen Rechtsgebiete an der Hand Amiras gewonnen haben, wird nun durch eine Musterung der oberdeutschen Rechtsquellen bestätigt.

Namentlich ist es die lex Baiuvariorum, welche das Ver- hältniss zwischen Vater und Söhnen scharf als Gesammteigenthum

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auffasst In ihr ist der Fall behandelt, wo ein Vater, der Söhne hat, zu seinem Seelenheil sein Gut an die Kirche ver- gaben will. Nach den Regeln des Gesainmteigenthums darf dies der Vater nicht ohne Zustimmung und Mitwirkung der Söhne, da zu Verfügungen über die Substanz des Gesammtgutes alle Gesammthänder zugezogen werden müssen. Will er aber diese Zuziehung der Söhne umgehen, so kann er dies nicht andere erreichen, als indem er die Gesammthand mit ihnen löst und die Grundtheilnng vornimmt. Dann vermag er zwar sein Gut ohne jene zu vergaben, aber nur den auf ihn entfallenden Tlieil. Genau so finden wir es in tit. I cap. I lex Baiuvariorum: „Ut siquis über persona voluerit et dederit res suas ad ecclesiam pro redemptione animae suae, licentiam habeat de portione sua, postquam cum filiis suis partivit.“

Dass die hier in Anwendung auf den einzelnen Fall ver- anschaulichte Regel im bairischen Recht allgemein gegolten hat, und dass nicht etwra durch Vergabungen zu anderen Zwecken den Kindern ihr Erbrecht ohne Grundtheilnng entzogen werden konnte, ergiebt sich ohne weiteres aus der Erwägung, dass in allen germanischen Rechtsgebieten die Verfügungsfreiheit zu Gunsten der Kirche am grössten war. Wenn also nicht einmal für diesen Fall das bairische Recht die starren Consequenzen des Familien- und Gesammteigenthums aufgiebt, so ist es von ihnen bei anderen Veräussernngen erst recht nicht abgewichen.47*)

Gleich die lex Burgundionum lässt denn auch erkennen, dass schlechthin für jeden Fall unentgeltlicher Veräusserung dieselben Satze gegolten haben.

Tit. I cap. I lex Burg, lautet nämlich: „. . . decrevimus, ut patri, etiam antequam dividat, de comniuni facultate et de labore suo cuilibet donare liceat, absque terra sortis titulo acquisita, de qua prioris legis ordo servabitur“.

Aus der Stelle ergiebt sich, dass nach altem Recht („prioris legis ordo“) für das ganze Hausgut, nicht nur für das Loosland, die Regel galt: der Vater dürfe allein nichts vergaben, antequam

47*) Vgl. hierüber: Sigmund Adler, „Ueber das Erbeuwartrecht nach den ältesten bayrischen Rccbtaquellen* und die Besprechung dieses Werkes von Hübner in der Zsclir. f. Hgescb. Germ. Abt. Bd. 14 S. 157.

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dividat (bevor er die Grundtkeilung vomiuunt). Dieser Rechts- satz ist aber, wie oben beim bairischen Rechte ausgeführt, eine Folge der gesammten Hand zwischen Vater und Kindern; mit- hin muss auch für das burgundische Gebiet das ursprüngliche Bestehen dieser Gesammthand angenommen werden.47b) Uebrigens ist noch später der Gedanke des Miteigenthums der Kinder in den burgundischen Tochterrechten lebendig gewesen. Es zeigt dies die merkwürdige Bildung der legitime avite und paternelle. Die legitime avite ist nicht etwa ein „grossväterliches“ Erbtheil. sie ist vielmehr ein Gut, über das der Vater überhaupt nicht verfügen kann. Die Hälfte des Vermögens betragend, steht sie nämlich schon bei Lebzeiten des Vaters im Eigent hum der Kinder. Die Confiseation des Vermögens der Kinder trifft deshalb schon bei Lebzeiten des Vaters ihren Antheil an der avite, und umgekehrt ergreift die gegen den Vater verhängte Vermögenseinziehung die avite gar nicht, ähnlich wie es oben bei den Rüstrigoer Küren vermerkt wurde. Die legitime pater- nelle dagegen ist ein wahrer Pflichttheil. Sie beträgt abermals die Hälfte des dem Vater allein gehörigen halben Vermögens, also ein Viertel des Ganzen. Kur in sie findet wahrer Erb- gang statt. Der Anfall der avite wird dagegen im Rechte von Nyon (3, 5, 2 § (!) gar nicht als Succession anerkannt. ( Vgl. Ficker Bd. 2 S. 361/362.)

Was endlich den Geltungsbereich der lex Alamannorum anbetrifft, so ist uns ein Zeugniss für das Gesainmteigenthum der Hausgenossen in ihr selbst nur für den Fall aufbewahrt, dass die Hausgenossenschaft aus Brüdern besteht. Für diesen Fall wird nämlich berichtet, dass die Brüder vor der Abtheilung nicht über ihren Antheil verfügen dürfen, die oft erwähnte Consequenz des Gesammteigenthuius, welches ideelle Quoten nicht kennt. Die bezügliche Stelle findet sich in tit. 91 und lautet: „Si quis lratres post mortem patris eorum aliquanti fuerint, dividant portionein patris eorum. Dum hoc non fuerit factum, nullus rem suam dissipare faciat usque, dum aequaliter partiant“.

o'') Uleicher Ansicht für «las burgundiacho Recht (wenigstens hin- sichtlich des Vorliegens eines Hnusvermügens) Huber S. 15 ff. und namentlich Ficker S. f.'lS und 5t:l ff.

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Aus Urkunden lässt sieh dagegen auch zwischen Vater und Söhnen eine gleichartige Theilung für das alamannische Rechts- gebiet belegen. So erwähnt eine Urkunde von 827 (bei Huber S. 1 fi), dass ein Vater vergabt „quiequid me eonstat contra filios nieos in portionem suscepisse, tarn domibus et edificiis quam mancipiis.“ Ganz ähnlich lautet eine Urkunde von 837 (bei Huber S. 16): Auch hier vererbt der Vater „quiequid in Turbatun . . . contra filios meos in portionem et in meam swascaram (Freit heil) accepi.“ Dass dieser Theilung die Idee der Sprengung eines Gesammthandverhältnisses zu Grunde lag, geht einmal daraus hervor, dass vor der Theilung der Einzelne, und darum auch der Vater, überhaupt nicht verfügen konnte, nicht einmal über seinen Kopftheil, da es eben dann noch keine wahren Kopftheile gab. (Huber S. 16.) Die Gesammthand wird ferner dadurch erwiesen, dass die regelmässige Veräusserungsform vor der Theilung das Mithandeln der Kinder ist (vgl. Wartmanns Sankt-gallisches Urkundenbuch, und Huber S. 19). Endlich ist der Gedanke an bestehendes Mitrecht der Kinder bei Lebzeiten der Eltern in alamannischen Gegenden auch noch später zu finden. Er war sogar so stark, dass stellenweise als eigentliche Eigentümer überhaupt nur die Kinder betrachtet wurden, wo- durch die Eltern zu Verwaltern oder Leibzüchtern herabsanken. Gerade das spricht nämlich Art. III, 18 der Handfeste von Winterthur aus mit den Worten:

„Wir hain och ze rehte: . . . zwaz de kainer ünser burger bi sinein elichen wibe Cinsaigens oder ledigs aigens gekofs, habent mit anderen kint, der aigen ist es und iro beder ligtinge“ (bei Huber S. 48).

Sonach hat sich das Hauseigenthum ausser in den nieder- deutschen auch in den oberdeutschen Rechtsgebieten aufdecken lassen. Dass es sich auch bei anderen germanischen Völkern findet, ist schon öfters betont worden. Neuerdings hat es für das langobardische Recht und für das gotländische Ficker 536 ff., 541 ff.) wahrscheinlich gemacht. Auch im lango- bardischen Rechte kann nämlich der Vater, was ja für die Gesammthand charakteristisch ist, nicht eher über das Ver- mögen verfügen, als bis er abgetheilt hat, und auch dann nur über seinen Theil. Das ergiebt sich aus zahlreichen Urkunden. (Vgl. Ficker a a O.) Ja selbst diejenigen Urkunden, welche

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Ficker lur eine Möglichkeit der Verfügung wenigstens über den Freitheil vor der Grundthcilung anfülirt, widersprechen dem nicht: denn sie beweisen jene Möglichkeit gar nicht. Sie besagen nämlich überhaupt nichts darüber, ob Grundthcilung vorangegangen war oder nicht. Es ist deshalb sehr wohl denkbar und bei der sonstigen zweifellosen Rcchtsübnng sogar wahrscheinlich, dass auch in diesen Fällen eine Theilung vorhergegangen war, die nur zufällig in den Urkunden nicht erwähnt ist.

In dem gotländischen Rechte belegt die oben (Amu. 21) mitgetheilte Stelle sowohl die charakteristische Grundtheilung, wie die erst damit anhebende Bewegungsfreiheit des Einzelnen.

In beiden Rechten findet sich übrigens auch der merkwürdige Ausdruck des Sitzens „im Schosse“ oder „in sinn“ des Vaters oder Grossvaters, was immer, wie wir noch sehen werden, auf H ausgemeinschaft hin weist.

Nach alledem kann man wohl sagen, dass sich die Lehre vom Hauseigenthum auch in deutschen (Quellen und als ger- manisches Rechtsprinzip nachweiseu lässt. Es sprechen aber auch innere Gründe dafür, und diese sind es vornehmlich, die uns zu der Behauptung veranlasst haben, dass der Germane sich den Grundbesitz als dem Hause und nicht dem Einzelnen gehörig vorgestellt habe. Die zahlreichen und zum Theil unauf- gehellten Eigenthümlichkeiten des altdeutschen Erbrechts nämlich erklären sich in einfachster Weise, sobald man von dem Be- stehen eines Hauseigenthums ausgeht.

Wie das Erbrecht an Fahrniss entstanden ist, ob es älter ist als dasjenige am Grundbesitz, und ob der berühmte Titel der lex Salica „de alodis“4*) dies alte Fahrnisserbrecht regelt,

Man wird nicht, um die alte Vermuthung herumkominen. dass der Titel keine vollständige Erbentafel aufstelle. Man hat die Erbentafel als eine vollständige zu halten gesucht, indem mau sie als eine mutterrechtliche hinstellte (vgl. besonders Heusler, Institutionen \ Diese Darstellung scheitert an der Auslassung des Mutterbruders. der im Mutterrechte nach Ansicht aller seiuer Anhänger eine so wichtige Rolle spielt, (vgl. L. Dargun, Studien zum ältesten Familienrecht, Leipzig 1892 >, also in einer mutterrecbtlicben Erbentafel sicher einen Platz finden musste. Dass aber bei einer vater-

Öl

interessiert uns nicht und mag deshalb dahingestellt bleiben. Grossen Umfang kann es nie gehabt haben, da der Haupttheil der Fahrniss, der Viehstand und das Gutsinventar, als Zubehör dem Schicksale des Grundbesitzes folgte'"') und die übrige be- wegliche Habe sich bei dem fast gänzlichen Mangel des Geldes in den Zeiten, auf die es hier ankommt, im wesentlichen auf Schmuck und Kriegsgeräth beschränkte. Das weitaus über- wiegende Erbrecht an Grund und Boden hat deshalb bei den Germanen wie bei allen anderen arischen Stämmen dem ge- summten Erbrechte seinen Stempel aufgedrückt. 4H“)

rechtlichen Verwandtschaft die Tafel nicht vollständig sein kann, ist klar. Din Ansicht gewinnt deshalb hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Titel nur die Aendernngeu der bisherigen Erbfolge oder doch diese nur. soweit sie zweifelhaft war. festlegen wollte. Solche Zweifel bestanden nun besonders bei der Erbfolge der Frauen, weil sie. wie unten erhellen wird, ursprünglich erbnnfähig waren. Der Titel will deshalb vornehmlich das Erbrecht der Frau regeln, wie sich auch aus den .Schlussworten .de terra vero nnlla in muliere hereditas“ ebenfalls ergiebt. Aus diesem Gründe nennt der Titel vorzugsweise weibliche Verwandte, nicht aber, weil er ein altes, auf mutter- rechtlichem Grunde ruhendes Fahrnisserbrecht darstellen will. Das Mutter- recht, dessen Bedeutung wir für andere Völker nicht verkennen, lehnen wir für die Arier ab und schliessen uns hier den Ausführungen von Leist i.Jus civile 8. 400 und Jus gentium, namentlich S. öl ff, 587 ff.) und von l'lrich Stutz in seiner Besprechung von L. Darguns citirten Werk (in der Zschr. f. ßgesch. Germ. Abt. Bd. XV S 175) an.

4SI) Als Beweis hierfür, wenn er nothig scheinen sollte, mag cap. 42 der lex Francorum Chamavorum angeführt werden, wo die mancipia und das peculinm, was nach barbarischem Latein .Viehstand“ bedeuten soll, das Schicksal der .terra* und der „sylva“ teilen.

41*) Es bedarf bei dieser Betonung des Liegenschaftserbrechts kaum einer Auseinandersetzung mit den Theorion, welche Ficker in seinem neuesten Buche autgestellt hat und die, wie er selbst eingangs sagt, dasGegentheil sind von fast allem, was man bisher als sicher angenommen hat. Denn wenn er auch davon ausgeht, es sei das Uber den Kreis der Hausfamilie hinausreichende unbeschränkte Erbrecht aller Verwandten das Ursprüngliche gewesen, und es habe dies Erbrecht weder eine Pareutelenordnung noch einen Ausschluss der Weiber gekannt, vielmehr sei es nach reiner üradesnähe geregelt ge- wesen, so meint er doch, das eigentümliche Erbrecht des engeren Kreises sei dort, wo es sich herausgebildet habe, erwachsen aus einer Hausgemein- schaft, die er sogar als Miteigenthum zwischen Vater und Kindern be- zeichnet (vgl. insbesondere S. 544 ff. und S. 380 381, Bd. 2), und durch die Uebertragung dieses Hanserbrechts auf immer weitere Kreise habe sich naturgemäss die Pareutelenordnung lierausgebildet (S «14 ff. Bd. 2), ganz

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Das Erbrecht am Grundbesitz ist aber ursprünglich lediglich eine Consolidation des Gesammteigenthums im Kreise des Hauses.

*o, wie wir es alsbald schildern werden. Er ist aber ferner der Ansicht, dass das besondere Erbrecht des Hauses tnic seiner Zurücksetzung1 der Weiber gerade entwickelt sei durch das Entstehen eines Erbgangs in Liegenschaften. Kr sagt hierüber wörtlich (Bd. 1 S, 42): .Es liegt auf der Hand, wie gerade der l'ebergang zum .Sondereigenthum an Grund und Boden die weitgreifendsten Aenderungen veranlassen musste. . . . Wir werden es versuchen, nachzuweison. wie die wichtigsten der von uns vermutheten Aenderungen der urgermanischen Erbenfolge gerade in diesem Uebergange ihre nächstliegonde Erklärung finden können.“ (Vgl. auch § 4 "3 S. 253 Bd. 2). Auch Ficker glaubt demnach, dass das Liegenschaftserbrecht sich nach den von uns betonten Prinzipien geformt habe. Er meint nur. dass es nicht überall zum Siege gelangt sei und dass die Inconsei[uenz mancher Erbfolgeordnungen sich aus dem Durcheinandergeben von neuem Liegen- schafts- und alten Fahrnisserbreeht erkläre.

Es ist das ein durchaus möglicher Gedanke und er widerspricht, wie gesagt, gar nicht unseren Theorieeu. welche sich nur mit den ältesten Prinzipien des liegenscb aftlicheu Erbgangs befasset!. Allein es soll doch betont werden, dass sich gegen die Ficker schen Ergebnisse fast durch- weg schwere Bedenken geltend machen.

Schon seine Untersuchungsmethode ist nicht, einwandfrei. Er sagt zu ihrer Begründung zwar manches beberzigenswerthe Wort. Man wird ihm z. B. vielfach beitreten können, wenn er gegen die Ueberschiitzung der sprocbgeschicb Hielten Forschung eifert 171 fl ), da Sprachgleichhfcit in der That nicht immer auch Stammesgleichbeit und Rechtszusammeuhang bedingt. Man wird auch seine Ausführungen Uber .Recht und Sitte“ meist mit Zustimmung lesen und es richtig finden, weDn er darauf hinweist, dass die Sitte nicht nur eine Vorstufe des Rechts, sondern oft auch einen Gegensatz zum formellen Recht bildet 183 ff.). Es ist auch unbe- streitbar, dass zur Feststellung des Inhalts alter verlorener Schriftwerke aus jüngeren Abschriften ein ähnliches Verfahren befolgt wird 63). Allein damit ist nicht gesagt, dass die Methode sich auch für die rechts- gcschichtlichc Forschung eignet. Sie kann hier nicht angängig sein wegen der unvergleichlich viel grösseren Schwierigkeiten. Und sie ist es. Auch bei der Beurtheilnng von Untersuchungsmethoden heisst es doch: .Alt ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Und die Ergebnisse der Methode sind höchst befremdlich. Sie führt, wie Ficker sagen würde, zu .gehäuften Unwahrscheinlichkeiten“, namentlich auf dem Gebiete der Rechts- uud Stammesverwaudtschaft ; Ficker hätte deshalb nach seinen sonstigen An- schauungen sie selber verwerfen müssen. Es ist ja, wie schon bemerkt, im Einzelfalle nicht bedenklich, wenn einmal Recbtsgeschichte und Sprach- geschichte auf verschiedene Ziele weisen ; aber es ist bedenklich, wenn dies fort ttnd fort geschieht, und es wird das um so bedenklicher, wenn zugleich

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Wenn aus der Hausgenossenscliaft keiner mehr lebt, so tritt der Rückfall des Gutes an die Markgenossenschaft ein, die es ja

ein Widerspruch besteht mit der allgemeinen Geschichte, mit. allem, was wir sonst Uber die Berührungen. Wanderungen und Vermischungen der Stämme wissen. Muss man nicht gegen eine Methode aufs höchste misstrauisch werden, die dazu führt, zwischen dem Rechte der beisammeiiwohttenden und nach allen sonstigen Anhaltspunkten stammgleichen Küsten- und Binnenfriesen zwar jede Verwandtschaft zu leugnen, dafür aber eine Ver- wandtschaft des kilsteufriesischen Rechts zu construiren nicht nur mit dem normannischen Volksrecht in der Normandie und Bretagne und in Sicilien. sondern sogar mit dem Rechte von Rhätien und dem fränkischen Rechte vom Rennegau und der Champagne, trotzdem diese Gegenden tief im Binnenlande gelegen sind, getrennt durch weite Raume von den Küsten- friesen. die überdies, soweit unsere sonstige Kenntniss reicht, sich niemals auch nur stammweise an den Wanderungen betheiligt haben! (Bd. 2 Anfang, § 495 ff.. S. 270 ff.). Was soll man ferner dazu sagen, wenn Ficker im weiteren Verlauf seiner Untersuchung dazu gedrängt, wird, aus dem fränkischen Recht eine angeblich ost germanische Gruppe herauszuheben, nämlich eine .lothringische“ (Bd. 2 S. 409 410). und wenn er ferner auch im sächsischen Rechte Üstgermanisches finden will lööff.)! Und wie wirkt es dann am Ende, wenn diese Resultate so sicher sind, dass Ficker seine Ansicht von der Zugehörigkeit des binnenfriesischen Aasdomsrechts zur gothisch-norwegischen Gruppe aufgeben und jenes zu den däuischen Rechten stellen muss, nur wegen der Behandlung der Halbgeschwisterschaft (S. 589 Bd. 2). Neben diesen Unwahrscheinlichkeiten gewinnt auch der an sich nicht bedenkliche Widerspruch zwischen der sprachlichen Forschung und den Fickor'schen Theorien überdie Langobarden an Bedeutung. Weiter tritt hinzu die allen bisherigen Annahmen zuwiderlaufende Lehre von der be- sonderen Ursprünglichkeit, des westgothischen Rechts, zumal da sie weniger auf die lex Wisigothorum, als auf das spätere spanische Gewohnheitsrecht und dessen Aehulichkeit mit dem fränkischen Rechte gestützt wird, obwohl doch eine, von Ficker allerdings abgelehnte, Beeinflussung gerade des späteren spanischen Rechts durch fränkisches (und zwar auch durch rein fränkisches Recht, wie es in Nordfrankreich aufbewahrt worden ist) nach den geschichtlichen Ereignissen sehr nahe liegt, und obwohl auch das zu berücksichtigen gewesen wäre, dass sowohl auf das nordspauische wie auf das nordfranzösische Recht durch das römische eine ausgleichende, den Schein von Verwandtschaft erzeugende Wirkung ausgeiibt sein kann.

Ueberhaupt unterschätzt Ficker die von ihm selbst betonten 115 ff.) Schwierigkeiten, welche seiner Untersuchungsmethode durch die Möglichkeit der Vermischung und Entlehnung, der unvollständigen Ausgleichung und nachbarlichen Beeinflussung der Rechte erwachsen. Er begeht auch dabei eine Inkonsequenz, wenn er diu Entlehnung zwar ausschliesst, weil es sich um weitauseinanderwohnemle Völker handle, die nachbarliche Beeinflussung

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der Haushaltung ursprünglich verliehen hatte. Das Erbrecht der nicht im Hause lebenden Verwandten ist erst weit später dem Erbrechte im Hause nachgebildet. Und selbst hier war es

aber bei denselben Völkern zulässt, weil sie ja dureb vorzeitliche, unbekannte Wanderungen miteinander hätten in Berührung kommen können (J 11« ff. und § 155 ff.). Diese Schwierigkeiten sind es auch, welche in jedem Einzelfalle die Berücksichtigung so vieler Möglichkeiten erheischen, dass dadurcli die theoretisch denkbare Methode praktisch unbrauchbar wird.

Die Methode, wie sie Ficker anwendet, krankt aber auch an einem prinzipiellen Fehler. Grundlegend ist für sie die Annahme, dass die Ver- zweigung der Rechte sich im Wege der Zweitheilung vollzogen halte. Als allgemeine Voraussetzung ist das aber unzulässig ; es kann so, es kann aber auch anders gegangen sein. Gerade wie ein Mann mehr als zwei Kinder haben kann, so kann auch ein Recht mehr als zwei Tocliterrechtc erzeugen. Es ge- schieht das namentlich dann, wenn sich durch Wanderungen ein Volk gleich- zeitig in mehrere Stämme zersplittert.

Speziell bei der Anwendung auf die Erbenfolge tritt aber noch ein zweiter grundlegender Mangel der Methode hervor. Ficker bestimmt liier die Ursprünglichkeit nach sogenannten „Vermittlungsreihen“, besser könnte man vielleicht sagen „Entwicklungsreihen*. Diese Reihen ergehen aber, wie Ficker selbst gesteht, nichts darüber, bei welchem Punkte der Reihe die Entwicklung angesetzt hat, ob bei dem einen oder bei dem anderen Endgliede; ja sie kann sogar von einem Mittelglied« differenzirend zu den beiden Endgliedern auseinandergelnufen sein. Ficker sieht sich deshalb ge- nötigt, noch anderweit aus sogenannten „inneren Gründen“ zu bestimmen, inwieweit eiu Punkt der Reihe als ursprünglich angesehen werden kann. Diese inneren Gründe liegen nun hei Ficker fast ausschliesslich auf dem Gebiete der vergleichenden Völkerkunde, insbesondere meint er. dass alle Rechtssätze, welche die Ehe voraussetzen, nicht so ursprünglich sein könnten (§§ 92 u. 93. § 102 ff., namentlich auch 8. 163). Diese Ausgangs- punkte sind nun aber nicht allein, wie Ficker selbst zugiebt, in hohem Masse subjektiv, sie sind auch sehr bedenklich ; es ist. wie schon bemerkt (Ainu. 4«), keineswegs sicher, dass die Germanen je eine rechtliche Organi- sation ohne Ehe und ein Mutterrecht gekannt haben. Wenn aber gerade die grundlegenden Sätze, nach denen daun weiter die Riuhtuug der Ver- mittlungsreihen erst festgelegt wird, in ihrer Ursprünglichkeit mir nach so ungewissen Momenten bestimmt werden können, so sind damit alle Er- gebnisse in Frago gestellt, denn das logische Gebäude ist dann schon in den Fundamenten ohne festen Halt.

So ist z. B. sehr subjektiv alles, was Ficker gegen die Ursprünglichkeit eines auf den engeren Kreis beschränkten Erbrechts angeführt hat. Man kann cs nämlich trotz Ficker sehr wohl für denkbar halten, dass trotz der sonstigen hohen Bedeutung des Sippeverhaudes das Erbrecht ihm ursprünglich gemangelt hat, wenn man eben atmimmt, eg habe da» Erbrecht sich erst gebildet, als die

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das Miteigentum, welches den Erbgang schuf, und zwar mittels folgender Gedankenreihe :

Der Erblasser hatte in den Besitz des von ihm verlassenen Hausgutes nur kommen können durch Abtheilungen, die er selbst

Wichtigkeit jenes Verbandes abnahm. Ueberhaupt übersieht Ficker bei seiner vielfachen Verwertbnng ältester Zustände und namentlich der frühesten Gestaltung des Sippeverbandes (vgl. S. 379 ff. Bd. 2), dass jene Gestaltung in Zeiten vorhanden war, wo es überhaupt noch kein Sondereigeu und dem- gemäss auch kein Erbrecht gab. Dass das damals schon denkbare Sonder - cigcntnm an Waffen und Schmuck hingereicht habe, um eine feste und detaillirte Erbordnung zu bilden, ist nicht sehr glaublich: man wird es auch entgegen Ficker kaum für niithig halten, dass sich eine Regel darüber bildete, wem solche Gegenstände beim Heimfall an die Sippe zuzutheilen seien (S. 379 380 Bd. 2); denn bei dem ungleich wichtigeren Landbesitze hat diese Regel gemangelt, solange es den Heimfall an die Sippe oder au die Markge- nossenschaft gab; und doch ist Landbesitz für den einzelnen mindestens ebenso brauchbar und begehrenswortn, wie Waffen und Schmuck. Es ist auch gar kein Widerspruch, dass nach der herrschenden Meinung sich das Sippeerbrecht erst zu einer Zeit entwickelt haben muss, wo die Sippe an- fing. ihre Kraft zu verlieren. Der Hinweis Fickers hierauf (S. 384 Bd. 2) ist nur ein Fechterstreich, er ist ein Spielen mit dem Wort Sippe. Nicht das Sippeerbrecht hat sich gebildet, sondern ein Erbrecht der Verwandt- schaft; und die besondere Organisation der Sippe verlor zwar ihre Kraft, aber nicht allgemein die Blutsfreundschaft; im Gegontheil, noch heute ist der Gedanke lebendig, dass die Blutsverbindung auch Rechtsbeziehungen er- zeugt. Richtig ist dagegen, dass es gegen die allmähliche Ausdehnung des ira engeren Kreiso erwachsenen Erbrechts auf den weiteren sprechen künnte, wenn dieser auf ganz anderen Prinzipien beruhte als jener (S. 385 Bd. 2). Was aber Ficker über das Abweichen in Grundsätzen anführt, ist sehr zweifelhaft. Er verweist einmal darauf, dass im engeren Kreise die Weiber oft zurückgesetzt seien, im weiteren dagegen nicht. Dass das gar kein Widerspruch zu sein braucht, selbst wenn es richtig wäre, werden wir noch sehen (Anm. 85). Ficker fragt ferner: »Wie sollte man bei allmäh- licher Ausdehnung des Erbrechts dazu gekommen sein, im engeren Kreise die Eltern noch durch Kinder der Geschwister, also durch ihre Enkel aus- schliessen zu lassen, umgekehrt aber bei der weiteren Ausdehnung die Grosseltern ihrer gesummten sonstigen Descemlenz vorauzustellen?“ (S 385 Bd. 2). Das ist aber gerade aus den im engeren Kreiso waltenden Prinzipien der Hausgemeinschaft sehr wohl zu begreifen, ja es ist eigentlich, wie unten (bei Anm. 01) dargetliau werden wird, eigentlich nur aus ihueu verständlich. Und wenn Ficker auch liier gegen die Heranziehung der Hausfamilie dasselbe einwenden wollte, was er gegen die aus ihr entnommene Erklärung des Vorzuges der Geschwister vor den Eltern vorbringt

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oder sein Vater oder seiu Vorvater vorgenommen. Diese Ab theiluugen batten zwar das Gesammteigenthum der damaligen Hausgenossenschaft aufgehoben. Allein soviel Kraft hatte oder erhielt jenes doch noch, das Gut wieder an sich zu ziehen, wenn kein anderer da war der darauf greifen konnte.'") So

iS. 380, 8 1 B<1 2), nämlich dass die Hausfamilie erst einer späteren Zeit angehöre, so nimmt er einmal zum Ausgangspunkt seiner Beweisführung einen Satz, der selbst erst des Beweises bedurfte, und dann übersieht er. dass es auch nach der vergleichenden Völkerkunde vor der Bildung der Hausstände kein Sonderuigen in irgendwie nennenswerthetu Umfange gegeben haben kann, dass vielmehr dessen Ausbildung mit der wachsenden Bedeutung iles Hausstandes gleichen Beitritt gehalten hat. (Vgl. oben Anm, 12.)

Endlich ist es wohl nicht ganz richtig, dass es an Zeugnissen über eine anfängliche Beschränkung des Erbrechts auf den engeren Kreis mangelt . (S. 278 Bd. 2). Amira z B. (S. 167/168) glaubt sie im friesischen Rechte gefunden zu habeu. Aber selbst wenn die einschränkenden Zeugnisse nur das Schenkgut oder des Ereigelassenenerbe beträfen, so wäre das keineswegs bedeutungslos. Denn es ist schon oben darauf aufmerksam gemacht worden dass die spätere Rechtsbildung bei gebundenen Gütern oft mit denselben Grundsätzen arbeitet, die für das Werden des Landrechts in früheren Zeiten massgebend gewesen waren Es ist deshalb sehr wohl denkbar, dass die allmähliche Ausdehnung des Erbrechts au , 'Schenkgut und Freigelasseneu- besitz ein verjüngtes Abbild der Umwandlungen ist, die vordem das Land- recht durchgemacht hat.

Mit diesen allgemeinen Ausstellungen an dem Fickcrscbeu Buche mag es vur der Hand genug sein. Es ist ja nicht unsere Aufgabe, eine Kritik desselben zu schreiben. Die beste Kritik ist es zudem immer, wenn man seine eigene Ansicht eingehend begründet; gelingt es, den Leser von ihr zu überzeugen, so ist damit die Verwerfung der entgegensteheuilen Theorie von selbst gegeben. Es sind ja auch, wie oben bemerkt, die Fickerscheu Ergebnisse an sich keineswegs unmöglich und auch den uusrigen keineswegs feindlich; denn dass das Gr un der brecht, welches sich ja erst in einer späteren Zeit gebildet hat, von vornherein durch das Hervortreten der Hausfamilie bedingt wird, und dass im Grunderbrecht sich der Ausschluss der Weiber festgestellt hat, erkennt Ficker, wie ebenfalls schon bemerkt, wiederholt an. (Vgl. ausser den obigen Giraten noch Bd. 2 S. 383). Wir werden deshalb die diesbezüglichen Ausführungen Kickers öfters sogar für uns citiren können, wie dies auch schon stelleuweis geschehen ist.

äu) Dass dem Gesammteigenthum wirklich später die Kraft innewohnte, das wieder au sich zu ziehen, was es aus seinem Kreise herausgelassen, dafür ist Beweis der noch bis ins prenssische Landrecht fortgetragene retractus ex eapite commnnionis, indem hier, wie so oft, das Einstandsrecht den Rest eines früheren umfassenderen Rechtes bildet. Eineu direkten

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gab man das Gut zurück an die Hausgenossenschaft, der es einst gehört hatte, oder, da diese nicht mehr existirte, an die ehemalige Hausgenosseuschaft, d. h. an diejenigen, die ihr an- geboren würden, falls sie noch bestände, und ihr ja zum Theil auch wirklich ehemals als Mitglieder angehört und das Gut im Mit- eigenthum besessen hatten. Kurz man gelangte dazu, die Gesammthandvcrbände, aus denen sich die Haushaltung losgelöst hatte, rückwärts wieder aufzusuchen und das Gut denen zn geben, die, wenn keine Abtheilungen geschehen wären, mit dem verstorbenen Haushalter noch in einer Gesammthand und Ge- sammthaushaltung sitzen würden.’'1) Der Verstorbene hat sich nun zunächst ans der Haushaltung seines Vaters abgelöst. Folg- lich fällt sein Gut zunächst an diesen und die einstigen Mitglieder von dessen Hausgenossenschaft, die Brüder des Verstorbenen. War von diesen keiner da, so erinnerte man sich, dass auch der Vater ja das Gut nicht ursprünglich erworben, dass er es vielmehr dem Gcsammteigenthume des Grossvaters und seiner Hausgenossen entzogen hatte, dass diese mithin ein Eigenthums- recht daran gehabt und als Residuum dessen immer noch ein gewisses Anrecht daran hatten. Ihnen wurde deshalb das herren-

Beweis auch auf dem Gebiete des Erbrechts liefert ferner das Weisthum von Thannegg und Fiscliingen bei Grimm I, 27S: „Wann ehelich ge-

schwüsterigk .... von aiu anderen taillent, wo dann aiu meusch abgatli au lyberbeu, dass den ein herr vareut gut nimmt, und die freundt das gelegen gut; wann aber otlieherlay ungetailt plypt, es <ye lützel oder vill .... so soll das ungetailt das getailt ziehen, und das ist alt harkommen.“

51) Der Römer, der ja an die Stelle des dinglichen Hegriffs der in einem Haushalte znsammenlebenden Genossenschaft, überall den persönlichen Verband der unter der väterlichen Gewalt Zusammengeh&ltenen gesetzt hatte, musste, auch wenn er an sich von den gleichen Grundprinzipien des Erbrechts ausging, nunmehr weniger die dinglichen Gesammthandvcrbände rückwärts wiederherstellen, als die persönlichen Verknüpfungen durch die Gewalt des pater familias. So gab er das Erbe nicht an die, welche mit dem Verstorbenen noch in einer Gesammthand süssen, als vielmehr au die jenigen, welche mit ihm noch unter der gleichen väterlichen Gewalt stünden, falls die Zeiten unverändert geblieben wären, d. h. an die Agnaten. Auch das römische Erbrecht lässt sich deshalb ungezwungen aus dem von uns der germanischen Entwicklung untcrgelegten Gedanken ableiten, eine kräftige Stütze für unsere Ansicht

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lose Gut jetzt zugesprochen. Ebenso schritt die Berufung dann zum Urgrossvater und dessen Descendenz, u. s. w.

Man sieht, dass sich die Parentelenordnung aus diesem erbrechtlichen Gedanken von selbst ergiebt. Es erklärt sich auch daraus, warum noch später sich der Grundsatz so ver- breitet findet, dass alles Gut dorthin zurüekfalle, woher es gekommen.51*) Es ergiebt sich allerdings auch daraus, dass ursprünglich im Erbrecht ein Vorzug der Vaterseite vor der Mutterseite bestanden haben muss, da wegen der Unfähigkeit der Weiber zu Grundbesitz von der Mutter her kein Hausgut an den Erblasser hatte gelangen können, und dieser mit den Mutter- magen, auch, wenn alles unverändert geblieben wäre, nie iu einer Gesammthand und Gesammthaushaltung zusammen leben würde. Aber es sprechen ja auch starke Gründe für jene anfängliche Bevorzugung der Vatermagen vor der Spindelseite. '-i

Gleicher Ansicht Huber S. SO.

w) In süddeutschen Hechten findet sielt iu jüngerer Zeit der Voraus der väterlichen Verwandtschaft. (Vgl. Hausier, Institutionen Bd. II j 17t und Hnher S. 3u und 31). Bei dem stetig fortschreitenden Umfange, in welchem die Erbfähigkeit der Weiber anerkannt wurde, ist es wahrschein- licher, dass dies eiu Rest alten Rechtszustandes, als dass es eine jungen Bildung ist, die ja dann trotz der jeder Henachtbeilignug der Weiher teiud- liehen Zeitströmung sich durchgerungen haben müsste. Es finden sieb denn auch sehr alte Zeugnisse für den Vorzug der Vaterseite mindestens im Erbrechte am Grundbesitz. Die gerade im Erbrechte stark alterthüm- liehe lex Thuringorum spricht den Grundbesitz stets dem proxiiuu: paternae generationis zu, und auch über die Fahrniss sagt sie. „quoisi nec filiuiu nee filiatn nee sororem aut matrein dimisit superstites, proxi nius qui fnerit paternac generationis heres ex toto succedat. tarn in pecunia atque mancipiis quam in terra“. Ebenso ist im ältesten angel- sächsischen Recht ein Vorzug der faedering-magas, der Speerhälfte bezeugt. (Vgl. v. Arnira S. hl und U-f,t»6). Endlich ist auch für das sal- fränkischc Recht nicht zu vergessen, dass auch der berühmte dunkle Titel ö'.i der lex Salica einigermasseu für einen anfänglichen Vorzug der Vaterseite spricht. Viele behaupten ja, dass er geradezu deu einzigen Zweck verfolge, das bis dahin mangelnde Erbrecht der Weiher und des Weihsstammes zu uoruiren, und erklären daher seinen eigenthümlichen Inhalt. Wie dem auch sei, nicht zu überscheu ist, dass in zweien der ältesten Texte der lex Salica steht: „Et si patris soror non l'uerit, sic de illis genorationibiis, qui prnximiores sunt, illi in hereditnte succedaut, qui ex pater no geilere veniunt“. Dass späier nach saliscbeiu Recht noch

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Indess wie mail auch über die vorgetragene Theorie von der Entstehung des deutschen Erbrechtes denken mag, sicher ist, dass das Erbrecht des weiteren Verwandtenkreises im Grundbesitz eine relativ späte Bildung ist, und dass dort das Erbrecht ursprünglich auf den Kreis des Hauses beschränkt war.

Noch bis zum edictus Chilperici war in Salfranken das Grunderbrecht auf die Söhne beschränkt, dahinter kam der Anfall an die vicini, die Dorfgenossenschaft. ‘O Im friesischen Rechte ferner, das überhaupt für die Erkenntniss altgermanischer Zustände sehr werthvoll ist, da es sich überaus langsam ent- wickelt und deshalb vieles Ursprüngliche bis in geschichtlich helle Zeiten hinein gerettet hat, im friesischen Rechte ist das Erbrecht des über die Hausgenossenschaft hinausgehenden Erben- kreises frühestens im !t. Jahrhundert entstanden. (Vgl. v. Arnira S. 167/168).

Ueberhanpt ist der Gegensatz der zwei Erbenkreise, nämlich der näheren Verwandten, die im Bezirke eines Hauses zu leben pflegen, einerseits und der entfernteren andererseits nicht nur bei den Germanen, sondern auch bei anderen arischen Stämmen nachweisbar. Der Unterschied der sui, die ohne Antretung Erben sind, von den entfernteren Erben im römischen Recht, die abweichende Behandlung der Hauskinder, die der Mithilfe der Magistrate zur Besitznahme ihres Erbes nicht bedürfen, und der weiteren Verwandten, die der Einweisung der Gerichte benöthigen, im griechischen und indischen Rechte, sie schaffen auch für jene Rechtsgebiete zwei Erbenkreise, von denen der zweite offenbar eine jüngere Bildung ist, da er kein so festes und unzweifelhaftes Erbrecht hat wie der erste. Namentlich die

der Vorzug der Speerhälfte im allgemeinen galt, ist unwiderleglich be- wiesen durch das Zeugnis eines alten langnbardischen Juristen (Mon. Herrn. L. L. Tomus IV p. 590): „Successio lege Salica: Si liomo decesserit et reli- tjuerit tilium et tiliani .... succedat. (piodsi nullus de istis personis fuerit, tune quicunque propinquus t'uit, masculus de paterna genera- cione, ipse succedat“. Auch v. Amira S. 217 tritt allgemein für den ursprünglichen Vorzug der Speer- vor der Spindelseite ein. Vgl. auch Anm. 65.

w) Verf. schliesat sich der von (Jierke „tienossenschaftsrecht" Bd. 1, S. 77 und gegebenen, im 12. Bande der Zschrft. I. Rgesch. verteidigten, heute wohl ziemlich allgemein angenommen Auslegung dieses Edikts an.

v. Dult zig, urunderhrcclit. 5

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griechische Einweisung erinnert in merkwürdiger Weise daran, dass ja auch nach friesischem Rechte die entfernteren Erben sich erst vorm asega legitimiren und eine Abgabe an ihn ent- richten müssen, weil ihr Recht später entstanden und nicht so selbständig ist als das der Hausgenossen.54) Gerade an der Begrenzung des näheren Erbenkreises aber zeigt es sich, dass er auf der Hausgenossenschaft und dem Hauseigenthume beruhte.

Es hat nämlich die Forscher, welche an das späte römische und jetzige deutsche Recht gewöhnt waren, immer Wunder genommen, dass zwar die Kinder im Erbrecht stets an der ersten Stelle stehen, während es nur sehr spärlich und erst in neueren Rechts- quellen erwähnt wird, auch die Kindeskinder hätten an diesem Vorzüge Theil. Fast überall erscheinen hinter den Kindern an zweiter Stelle die Eltern und dann die Geschwister. Es mangelte also den Kindeskindern sowohl ein Vorfolge-, wie ein Eintritts- recht.'4*) Man hat sich dieser Erkenntnis allerdings mit der Annahme verschliessen wollen, es sei in den Rechtsaufzeichnnngen entweder unter „filius“ und „filia“ überall die weitere Descendenz mitverstanden, oder es hätten deren Verfasser sich den Fall, wo neben Kindern noch weitere Descendenz vorhanden war, gar nicht vergegenwärtigt. Für das sächsische Recht scheitert diese Erklärung mindestens hinsichtlich des Eintrittsrechtes an der bekannten Thatsache, dass erst durch ein Kampfgericht unter Kaiser Otto dem Grossen im Jahre 042 für die Kindeskiuder der Rechtssatz festgestellt wurde, „ut aequaliter cum patruis liereditatem dividerent pacto sempitcrno“. Doch auch für die

**) Vgl. v. Auiira S. 168.

**•) So unterscheidet theoretisch richtig Kicker § 433 ff. .Vorfolgerecht“ nennt er da« allgemeine Vorzugsrecht der Descendenz vor der Seiteu- nnd der auf steigenden Linie; „Eintrittsrecht“ nennt er das Recht, mit Klasseu- genossen des vorverstorbenen Parens zu erben. Daneben spricht er noch von „Stammrecht“, d. h. von derTheilung in Stämme und nicht nach Hüpfen. Mit Recht warnt Ficker davor, diese drei Dinge , verführt durch das justinianische Recht, ziisammenzuwerfen. Sie sind in der Timt theoretisch geschieden. Gleichwohl werden wir Eintritts- und Repräsentatiousrecht gleichbedeutend gebrauchen, letzteres also nicht im streng römischen Sinne nehmen. Auch praktisch fallen Vorfolge- und Eintrittsrecht meist zu- sammen, indem sie entweder beide vorhanden sind, oder beide fehlen.

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anderen Rechte wird jene Erklärung nach den neueren Forschungen namentlich Amiras nicht gehalten werden können.:,4b)

Diese, dem heutigen Rechtsgefühle so fremdartige Behandlung der weiteren Descendenz verliert ihre Eigenart, sobald man sich erinnert, dass alles Erbrecht der näheren Verwandten aus der Consolidation des Hauseigenthums entstanden ist. Betrachten wir dabei zunächst die Hintenansetzung der Kindeskinder neben Kindern des Erblassers.

Mb) Ficker, der vor alliieren die spätere Einführung des Rcpräsentations- rechts laut liervorgehobeu und gründlich nncbgewiesen hat. ist trotzdem der Ansicht, dass das Vorfolgerecht der gesummten Descendenz ursprünglich sei. Der Beweis hierfür 621 ff.) ist allerdings sehr mangelhaft. Ficker leugnet nämlich seihst nicht, dass das Vorfolgerecht nicht überall anerkannt ist und sich nicht aus den ältesten Quellen belegen lässt. Das ist entscheidend. Kicker versucht die t^uellenzeuguisse zwar zum Theil durch die im Texte erwähnten Auswege zu umgehen. Allein diese Hilfsmittel versagen gerade für dus so alterthümliche und wichtige salische Hecht und zwar wegen der unten besprochenen Nachricht eines alten langobardischen Juristen über die Successio lege Salica. Denn dieser Jurist berücksichtigt ganz unbe- streitbar die Urenkel und schliesst sie doch aus Ficker, der dies zugesteht, meint nun allerdings, das sei Angleichnng an das langobardische Hecht ( § 525). Indessen, da eine solche nach der Nachricht des Juristen sonst nirgends wahrnehmbar ist, so ist das nicht sehr wahrscheinlich. Der Grund vollends, mit dem Ficker diese Vermuthung rechtfertigen will, ist ganz verwuudersam. Kr verweist nämlich darauf, dass nach späterem fränkischem und fran- zösischen Rechte das Kiutrittsrecht entweder allen Descendenten gegeben werde oder überhaupt nicht. Wie diese Alternative und namentlich ihr letzter Theil der langobardischen Nachricht widersprechen soll, ist nicht erfindlich.

Allein auch wenn das salische Hecht und noch einige andere durch die alten lnterpretationsaushilfen ans der Reihe der Belege für den Aus- schluss der weiteren Descendenz vom Krbe gestrichen werden könnten, so bliebe noch eine ganze Anzahl von Rechten zurück, in der jener Ausschluss positiv bezeugt ist. Ficker nennt selbst das Hamburger Hecht und das Magdeburgiscbe Recht 528), die ganze Gruppe des gotischen Rechts 52a ff.), die norwegische Gruppe und das langobardische Recht (J 535 ff.) Wenn aber überhaupt in einem Rechte sich der Ausschluss findet, so muss er das Ursprüngliche sein. Denn welche Entwicklung sollte von dem einmal anerkannten Vorrecht der Descendenz zu deren regelmässiger Zurücksetzung geführt haben! Dass hierzu die von Ficker herangezogene Kampfunfähig - keit der Enkel in Verbindung mit der Wergeldordnmig ebensowenig ans- gereicht hätte wie ihre Arbeitsunfähigkeit, ist wohl ohne weiteres klar. Ficker nimmt denn auch selbst diese Gründe nicht für alle Rechte in

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In alten Zeiten scheint in Deutschland die Hausgenossen- scliaft nicht über Vater und Kinder liinausgegangen zu sein. Das später so verbreitete Sitzenbleiben der Brüder in ungetheilten Gütern war nicht üblich. Es besteht zu solchem Sitzenbleiben ja auch nur Anlass, wenn die alten Zuweisungen des Acker- landes an jeden Volksgenossen aufgehört haben, und wenn darum

Anspruch 532 534). Aus dem von ihm zu zweit herangezogeuen Hauseigeu- tbum lässt sich dagegen die Benachtheiligung der Descendeuz allerdings erklären 548 ff.), wie wir gleich sehen werden. Damit ist jedoch auch ihre Ursprünglichkeit ausgesprochen, mindestens für das Liegcnschat'tserbrecbt. Denn das Hauseigenthnm hat sich, wie wir sahen, zugleich mit dem Sondereigen an Liegenschaften entwickelt und damit auch zugleich mit dem Erbgang iu diese, ja mit einem umfassenden Erbgange überhaupt. Wenn nun aber eine Eigenschaft des Erbrechts, wie es die Zurücksetzung der weitereu Descendenz ist, in demselben Gründe, wie das Erbrecht selbst wurzelt, so ist nur denkbar, dass sie zugleich mit ihm entstanden ist, und dass der mütterliche Hoden dem Erbrecht jene Eigenschaft von vornherein mitgegeben hat.

Ist sonach dasjenige, was Ficker für seine Meinung anführt, nicht sehr beweiskräftig, so sind auch nicht sehr stark die Argumente, die er gegen unsere Meinung von dem ursprünglichen Mangel des Vorfolgerechts der Descendenz vorbriugt. Es spricht einmal nicht gegen jene die Nicht- beseitiguug eines Rechts der Geschwister iu den das Eintrittsrecht ein- führenden Gesetzen. Denn wenn man dann auch annehmen müsste, dass Enkel zwar neben ihren Oheimen erbten, aber nicht neben ihren Gross- obeiinen, den Geschwistern des Erblassers, so ist dies keineswegs so undenk- bar, wie Ficker meint, vielmehr aus dem Hauseigenthume sehr wohl erklärlich. (Vgl. Anm. 61 und Text dazu). Aber auch das Vorkommen des Vorfolge- rechts in nicht näher verwandten Rechten ergiebt nichts gegen die herrschende Meinung und für die Ursprünglichkeit jenes Rechts. Denn solches Vor- kommen eines Institutes in nicht näher verwandten Rechten erweist nach Fickers eigenen Darlegungen nur daun dessen Entstammen aus dem Unrechte, wenn es sich nicht auch ohne Verwandtschaft in mehreren Rechten unabhängig hat bilden können. Das ist nun aber gerade beim Vorrocht der Descendenz sehr möglich.

Im Gegentheil der untrennbare Zusammenhang des Vorfolgerechts und Eintrittsrechtes ergiebt sich gerade aus den Ausführungen Fickers über die Abhängigkeit des Vorfolgerechts vom Dasein eines Klassenhalters beim Erbfall. 448 und namentlich $ 452 u. 453). larbt nämlich ein Klassen- balter, so ist Eintrittsrecht gegeben und demgemäss auch Vorfolgerecht. Lebt dagegen keiner, so ist ein Eintrittsrecht gar nicht möglich. Denu dieses ist ja der Eintritt zu einem Klasscnmitgliede des vorverstorbenen parens, also nicht angängig, wenn solch' Mitglied nicht mehr da ist. Fehlt aber das Eintrittsrecht, so fehlt auch das Vorfolgerecht.

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die hinterbliebenen Sohne zusammen auf das eine väterliche Loos an- gewiesen sind, welches nicht wohl natural getheilt werden kann, da es nur auf eine Haushaltung berechnet ist und nur zu deren Ernährung ausreicht. Das Sitzenbleiben in ungetheilten Gütern ist deshalb ein Aushilfsmittel, zu dem man Völker erst dann greifen sieht, wenn es gilt, auf dem alten Bestände urbaren Landes eine gesteigerte Menschenzahl zu erhalten. In älteren Zeiten, wo noch unbenutztes Ackerland daliegt, ist solche Massregel nnnöthig und so ist sie denn noch bis zu den Tagen von Chilperichs Edikt nicht gewöhnlich gewesen. Denn vor dem Edikte bestand kein Erbrecht der Brüder am Grundbesitze ihres verstorbenen Bruders, sondern im Fall von dessen Kinder- losigkeit erbten die Vicini. Wäre aber die Geineinderschaft unter den Brüdern sehr häufig gewesen, so hätten diese als Miteigner des Guts den Anfall an die Vicini gewöhnlich aus- geschlossen, und eine Beerbung durch Brüder würde nicht als etwas so Ungewöhnliches und Neueingefübrtes hingestellt sein.'4')

Wenn aber die Hausgenossenschaft nur zwischen Vater und Kindern bestand, so konnten Kindeskinder neben Kindern nie zum Erbe gelangen.'") Denn damit Kindeskinder da waren, musste doch ein Kind heirathen. Mit der Heirath war aber gemeinhin die Abschichtung oder Aussonderung des ausheirathenden Sohnes (B) verknüpft, wodurch dieser vom bisherigen Hausgute für sich und seine Kinder (F) gänzlich ausgeschlossen wurde. Das Hausgut blieb zurück in der Gcsaminthand der uuverheiratheten Söhne (C. D. E.) mit dem Vater (A). Starb deshalb der

•*■) Gleicher Ansicht, dass die Hausgemeinschaft ursprünglich auf Vater und Söhne beschränkt war, Picker Bd. 2 S. 124, 120 und S. 347 (.Es fehlt jeder Halt für die Annahme, dass die Kinder vorverstorbener Söhne in die Stelle desselben in die Gemeinschaft eingetreten seien“.)

“) Ais Illustration möge die folgende Verwandtschaftstafel dienen:

(Ausgcschir Jener' u.ver- heirateterSohnJ O

/ 1 Y\

bq 6 O o

- T r dk

Sohne

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Kindeskind

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Vater, so consolidirte sein Hausgut in der Hand dieser Söhne; das Kindeskind aber, das ja nicht mit in der Gesammthand daran stand, konnte nicht zum Gute gelangen.

Aber auch wenn der heirathende Sohn nicht ansschied, so gestaltete sich die Lage für das Kindeskind nicht günstiger. Ja sie konnte sogar noch ungünstiger werden und, wenn z. B. der Erblasser B und nicht A war, sogar Ausschluss des Sohnes vom Vatererbe herbeiführen. Denn das Haus ist ja eine Gesammthand. Den Regeln der Gesammthand widerstrebt es aber, wie Gierke in seinem Genossenschaftsrecht Bd. II. S. li 49/050 treffend aus- geführt hat, dass an die Stelle eines aus dem Kreise seiner Genossen ausscheidenden Gesammthänders ein Nachfolger tritt. Vielmehr tritt Consolidation im Kreise der Genossen ein. So ist es auch im Hause; hineingeboren kann man wohl in seine Gesammthand werden, aber nicht hineinerben. Hineingeboren wird aber das Kindeskind nicht, da es durch seinen Vater von der Gesammthand ausgeschlossen wird.®*) Stirbt nun sein Vater, so steht es in der Gesammthand nicht drin und könnte in dieselbe auch nur eintreten durch einen wahren Erbgang, da solch Eintreten ihm Rechte geben würde, die es bisher noch nicht hatte. Ein derartiger wahrer Erbgang ist aber in alten Zeiten, die nur Consolidation auf Grund der Gesammthand kennen, nicht möglich. Die Kindeskinder bleiben darum ausser- halb der Gesammthand. Der Antheil ihres Vaters lallt dem- gemäss ausschliesslich an dessen Bruder und an den Grossvater ;r,5b) und wenn nun auch der Grossvater stirbt, bleibt das Gut aus- schliesslich in der Hand ihrer Oheime zurück.

*•) Gleicher Ansicht Ficker S. 124 : »Stirbt ein Sohn in der Gemein- schaft, so setzt sich diese einfach unter den überlebenden fort; es ist so, wie das filr verwandte Verhältnisse in den dänischen Hechten, vgl. Kolde- rup Hosonvinge Hü. wohl ausgedrückt wird, als ob er überhaupt nicht dagewesen wäre; sein Anteil an der Hälfte wächst den anderen Söhnen zu. Und zwar sichtlich auch dann, wenn Enkel von ihm vor- handen waren.“

**) Dies eigenthiitnliche, nur aus der Hausgemeinschaft, erklärliche Vorrecht des Vaters sogar vor dem Sohne des Erblassers wird belogt durch Grimoald 66*. Zugleich wird aber auch seine Herkunft aus deniGesammt- eigeuthume der Hausgenossen erwiesen durch die Angabe, es rühre die Erb- losigkeit der Söhne davon her, dass ihr Vater im »Busen“ des Grossvaters

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Nur langsam und sehr allmählich hat sich dieser Rechtslage gegenüber ein Repräsentation- und Vorfolgerecht der Kindes- kinder durchgerungen. In den Weisthümern ist es zwar schon gemeinen Rechtens, aber es wird stets so ausdrücklich hervor- gehoben, dass man sieht, es handelt sich hier um neues Recht, das noch steter Wiedereinschärfung bedurfte.58) Wie langsam die Kindeskinder zum Erbe zugelassen wurden, zeigt sich einmal darin, dass es dazu in vielen Rechten erst der Einführung einer Vorstufe bedurfte, die in dem eigenartigen Vorberufungsrechte zu finden ist, kraft dessen der Grossvater das Enkelkind auf dem Grabe oder vor dem Richter in die Gemeinschaft zu den Kindern aufnehmen konnte (Vgl. § 436 bei Ficker). Ein Bei- spiel liefert für Deutschland der Hofbrief des Grafen Albrecht von Werdenberg für Montafn von 1382 (bei Ficker Bd. 2 S. 116):

„So hond och die hofjünger und die freygen das recht li erbracht, ob ainer zwai kindt oder me hat, gatt der ains ab von todes wegen und latli dasselbig kliindt liberben, das soll erben mit den anderen khindern und an gleichen tlieil stehn, ob es nf dem grab oder vor dem richter auf- genommen ist zu einem kind.“

gestorben soi, („. . . impiuin nobis videtur. ut pro tali causa exhereditentur filii ab hereditata patris sui pro co. quod pater eorum in ginu avi mortnus est“). „Busen“, „sinus“ oder „Schooss“ sind aber bildliche Aus- drücke für die Hausgemeinschaft (vgl. Aimi. 57). (Vgl. auch Ficker § 538).

M) (trimm I, 277:

„Item es ist onch in der herrscliaft Thannegg und Vischingen recht, wen ainem kindt sin vater und mutter sturb, dass sie von ihrem vater und mneter nicht ussgericht werent für die väterlich und müeterlich erb, dann so mag dasselbig kindt an sins vaters oder mueter stat ston und einen änin oder anen erben in wyss und mass, als ob sin vater und mueter in lyb und in leben were.

Ebenso Grimm V, 203 (Wildenhaus): „und ob aber bescheche, dass derselben kinden eins oder mer abgiengend, ohe dacz inen ir väterlich nnd müeterlich erbe wurde, und aber dieselbigen abgestorben kiud eheliche kinder hinder inen verlassen hetend, so sollend dieselben kind an ir vater oder muoter statt ston, iren eni oder ani zuo erben, vortbeil und nachtheil, soviel alsdann ir vater und muoter ererbt hetend, ob sie den erbfall hetend erlebt, ungefährlich“.

Aehnlichc Stellen finden sich zahlreich.

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Das überaus langsame Werden des Repräsentations- und Vorfolgerechts lässt sich jedoch auch direkt im friesischen und namentlich im sächsischen Rechte verfolgen, in welchem, wie oben angeführt, erst unter Otto dem Grossen das Repräsen- tationsrecht der Enkel definitiv anerkannt wurde.57) Ueber die Enkel ist das Repräsentations- und Vorfolgerecht aber zunächst nicht hinausgegangen, da alle Gründe, welche gegen die Zulassung der Enkel in die Gesammthand wirkten, in noch stärkerem Masse bei den Urenkeln hervortraten. Noch in den Zeiten der alten langobardischen Juristen wird deshalb von diesen bei der successio lege sali ca das Repräsentations- und Vorfolgerecht auf die Enkel beschränkt, obwohl jenen Juristen der Gedanke einer Zulassung auch der ferneren Descendenz zum Erbe an sich keineswegs fremd war und von ihnen beim römischen Rechte geübt wurde. '1)

w) Und auch da noch nicht allgemein, wie die Geschichte des Be- griffes des „busem“ zeigt, „busem“, welches auch sonst seine Bedeutung sein mag, bezeichnet in der Rechtssprache die Hausgeuossenschaft, Ganz über- einstimmend mit dem Ergebniss unserer Untersuchungen, wonach die Haus- genosseuschaft anfänglich auf Vater und Kinder beschränkt war, umfasst deshalb „busem“ ursprünglich nicht die Kindeskinder. Noch spater wurde in Magdeburg mit seinem berühmten Schöffenstuhl versucht, an diesem alten Begriffe festzuhalten, und es sind Schöffenspriiche dahin ergangen (vgl. v. Amira S. 126 nach Wasserschieben, Prinzip der Succession). Diese Praxis konnte aber gegenüber jener Rechtsatzung Ottos des Grossen und auch gegenüber dem Sachsenspiegel nicht gehalten werden. Es wurden aber auch nach diesem nur Kinder unabgesonderter Söhne zum .busem“ ge- rechnet, diejenigen abgesonderter ausgeschlossen (vgl. Amira S. 127 f.)( was auch, wie sich gleich zeigen wird, dem Wesen des deutschen Re- präsentationsrechts entspricht Als endlich die römischen Begriffe des Repräseutationsrechts und Erbrechts den Begriff der Hausgenosseuschatt verdrängten, wurden auch Kinder abgesonderter Kinder zum .busem“ ge- rechnet, ja schliesslich begriff „busem“ die ganze Descendenz. So war er aus einer Bezeichnung des alten näheren Erbenkreises zu einem Namen für die erste Erbenklasse des neuen Rechts geworden. Der Streit, welcher von den verschiedenen Begriffen des .busem“ der richtige ist, findet deshalb darin seinen Abschluss, dass alle richtig sind und nur verschiedenen Entwicklungs- stufen entsprechen.

Dass der mit „busem“ gleichbedeutende Ausdruck .sinus“ und der ähnliche „Schoosa“ mit Hausgenossenschaft identisch sind, hat auch Ficker § 541 u. 542 dargethan.

Vgl. den oben citierten langobardischen Juristen in Mou. Germ. L. L. Tom. IV. p. 590.

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Dass es übrigens nicht ein Repräsentationsrecht im spät- römischen Sinne war, welches hier den Kindeskindem eröffnet wurde, sondern lediglich die Möglichkeit des Eintritts in die Gesammthand ihres Vaters, ergiebt sich daraus, dass das Recht, wie die citierten Weisthümer (vgl. Anm. 56, vgl. auch Anm. 57) und auch der Ssp. erkennen lassen, den Kindern abgesonderter Kinder nicht zustand. Denn eine Snccession ins Erbrecht, welches die spät-römische Repräsentation ist, kann auch solchen Nachkommen nicht verwehrt werden, ein Eintritt in die Gesammthand dagegen sehr wohl, da die sie vermittelnden Kinder ja selbst aus der Gesammthand durch die Absonderung ausgeschieden sind, und die Enkel deshalb, auch wenn sie ihre Stelle einnehmen dürften, doch nicht in die Gesammthand gelangen würden.'1**) Wie sehr die ganze Erbuahme auf dem Gedanken des Miteigen th ums beruht, so dass auch die Repräsentation nur eine Zulassung in dasselbe ist, das erhellt aber ferner auch aus dem Theilungsmodus. Die römischen Repräsentanten treten ein in das Erbrecht dessen, den sie vertreten, und erhalten deshalb folgerichtig alle zusammen nur seinen Theil. Die deutschen Kindeskinder treten ein in die Gesammthand als vollberechtigte Genossen, und zwar nicht erst beim Erbfall ihres Grossvaters, sondern sogleich, wenn ihr Vater stirbt. In einen bestimmten Theil ihres Vaters können sie nun dabei nicht eintreten, da dieser selbst keinen festen Antheil hatte, weil in währender Gesammt- hand die feste Theilung nach ideellen Quoten fehlt. Zur Quoten- theilung und zu wirklicher Sprengung der Gesammthand kommt es erst beim Tode ihres Grossvaters. Alle bei Sprengung einer Gesammthand vorhandenen Genossen bekommen aber gleiche Theile, und da dann die Kindeskinder ebenso Genossen sind

**•) Auch Ficker ist der Ansicht, das deutsche Eintrittsrecht habe nicht Eintritt an die Stelle des Erblassers, soudem nur in dessen Klasse bezweckt. (Bd. 2 S. 170 u. 187.) Es ist das im Grunde genommen derselbe Gedanke, nur etwas anders gewandt, wie wenn wir sagen: der Eintritt beabsichtigte Aufnahme in den Gesamthandverband, dein der Erblasser angehürt hatte. Denn dessen Gesammthandvorband wird eben durch seine Klasse gebildet. Ficker betont übrigens selbst allenthalben den Zusammenhang der eigen- tümlichen Gestaltung des Eintrittsrechts mit dem Hauscigenthum, wie schon ans den bisherigen Citaten hervorgeht.

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wie ihre Oheime, so bekommen sie mit diesen Kopftheile. So schreibt es der oben wiedergegebene, unter Otto dem Grossen für Sachsen vereinbarte Rechtssatz vor, so weiss es nicht anders der oft erwähnte longobardische Jurist für das salische Recht, ") so reden auch die von geschulten Juristen redigierten Weis- thümer von einer Theilung „in capita und nicht in stirpes“.

Diese Gonsequenz des Gesammteigenthums, (vgl. das unten- stehende"1) Beispiel), dass Quoten erst im Augenblick seiner Sprengung hervortreten, weshalb alle daun vorhandenen Gesammt- händer gleiche Theile erhalten, ist besonders auffällig für den Fall, wo in Folge hinausgeschobener Theilungen Enkel und Urenkel in gesammter Hand sitzen. Gleichwohl ist jenes Prinzip auch für diesen Fall schon durch den Herold’schen Text der lex salica beglaubigt. Es heisst dort Tit. 5ü: „Sed ubi inter nepotes aut pronepotes post longum tempus de alode terrae contentio suscitatur, non per Stirpes, sed per capita divi- dantur“. Eine Mittelstellung nehmen diejenigen Rechte ein,**1*)

M) „Si liomo decesserit et reliquerit tiliuni et filiam. cqualiter succe- dant; et si reliquerit fiiitim et filiam et nepoteiu . . . eqnaliter succeilant*.

“) Beispiel :

Gl Erblasser

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l \ Q strichelten , sind vorver

a A -- s,orbm >

o o u

A fl/A\

öoob

C U E F

Nach lümischem Recht wird Erbe: A mit Vt, B mit C D Ef mit je Nach deutschem Recht erhalten A B C D E F jeder

Vgl. namentlich Erbrecht von Tannheim (bei Ficker S. 152):

„Zn dem anderen, so erben cnckhle anstatt iren vater und mutter, wann sie gestorben sind, ierc ene und ona neben anderen iren kinden, wann aber die kindt alle gestorben sind und das gut oder erbschaflt gar an lütter enckhlin vallt . . ., alsdann so erbt ain enckblin allsvil als das ander, cs seyen vil oder wenig kind an ainem stamb".

Ebenso Appenzell (Ficker ebenda), Erbordnung der Herrschaft Blumen- egge (Ficker It, 155), rhätische „Satzung des oberen Bandes“ von 1521 (Ficker II, 15«) und Landhuch von Fürstenau § 27 (Ficker, ebenda).

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welche im allgemeinen zwar nach Köpfen theileu, dagegen nach Stämmen, sobald ein Klassenhalter, d. h. ein Klassengenosse und Mitgeiueiner des vorverstorbenen parens, zur Zeit der Erb- theilung vorhanden ist. Diese Theilnngsart geht vielleicht zurück auf Beeinflussung durch römisches Recht. Sie Hesse sich aber auch aus dem deutschen Rechte erklären, nämlich ans einer etwaigen Anschauung, dass das Recht des Klassenhalters im Guten wie im Bösen massgebend sei für das Recht der ein- tretenden Descendenten. (Vgl. Ficker § 4S5). Dieser Gedanke wäre aber wiederum weiter nichts als eine etwas übertriebene Consequenz aus dem eben berührten Prinzipe des Eintritts- rechtes. Weil dieses lediglich die Aufnahme in die Gesammt- liand des Vorverstorbenen darstellt, deshalb soll das Recht des Letzten, der zur Zeit der Theilung und Sprengung der Gesammt- hand jene noch verkörperte, auch für die eintretenden Des- cendenten massgebend sein. U ebertrieben ist die Consequenz deshalb, weil der Eintritt ja eigentlich nicht erst im Augenblicke der Sprengung, sondern schon vorher beim Vorabsterben des parens erfolgt, sodass das Recht des letzten alten Mitgliedes der Gesammthand nicht so wichtig sein sollte; überdies hatte dieser ja, wie eben gezeigt, eigentlich selber kein Anrecht auf eine bestimmte Quote. Der ursprünglich schlechthin nach Köpfen teilende Modus ist deshalb jedenfalls dem Prinzipe der Gesammt- hand gemässer.

Alte Rechtsgedanken leben in der Seele des Volkes fort und schreiben später seinen Gesetzgebern, diesen selber unbewusst, ihre Rechtsaussprüche vor. Auf dem Reichstage zu Speyer 1529 war die Frage zu lösen, wie nach gemeinem Rechte die Enkel die ihnen werdende Erbschaft zu theilen haben. Der Reichstag verordnete gleiche Theilung, gleichviel von wie viel Söhnen jene Enkel abstammten. Es ist nun unzweifelhaft, dass dem Geiste des gemeinen, auf den spät-römischen Satzungen fussenden, Erbrechtes jene Entscheidung nicht im geringsten entspricht. Sie legt aber Zeugnis dafür ab, wie tief bei den Deutschen noch die Anschauung eingewurzelt war, dass der Erbgang nichts anderes ist als ein Eintritt in die Gesammthand der Hausgenossen, und dass die Erbtheilung deshalb lediglich Sprengung jener Gesammthand bedeutet, wobei allen Genossen gleiche Theile gebühren.

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Wenn wir uns nun der zweiten Frage zuwenden, warum auch neben Brüdern oder Eltern des Erblassers der weiteren Descendeuz ein Erbrecht ursprünglich mangelt, sodass die Kindeskinder durch jene Verwandten ausgeschlossen werden (vergl. v. Anlira, variis locis), so müssen wir zunächst beachten, dass diese Frage nur bei wahren Erbfällen brennend werden kann.61) Doch auch für diese dürfen die aus dem Gedanken des Gesammteigenthuuis entnommenen Erklärungen herangezogen werden. Denn die im Kreise der Hausgenossenschaft für Ver- lassenschart.cn gewonnenen Uebergangsregeln fanden auch An- wendung, wenn es sich um einen wahren Erbgang handelte, d. h. wenn das Hauseigenthum durch Abschichtungen oder Grundtheilungen aufgehoben war, da jeder Erbgang ja, wie wir sahen, darauf beruhte, dass auch das aufgelöste Miteigentlmm wieder an sich zieht, was es einst aus seinem Kreise herans- gelassen.

Dass aber die Regeln des Hauseigenthums wirklich aus- reichen, um das mangelnde Vorfolgerecht der Enkel neben Brüdern oder Eltern verständlich zu machen, ergiebt sich ohne weiteres, wenn man sich den Erbfall im Einzelnen vergegen- wärtigt.6-’)

“') Denn ist, wie in dem liier bildlich veranschaulichten Kalle, A der

u

Ä

aU O O

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B 0

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Erblasser und das Hauseigenthum ist nicht aufgehoben, so hat A überhaupt nichts zu vererben, falls sein Vater am Lehen ist. Ist aber sein Vater nicht atn Lehen und die Hausgenossenschaft nicht gelüst, so hat A gleich- wohl wieder nichts selbständig zu vererben, sondern das Hauseigenthum conaolidirt in der Hand von E und F. wobei ursprünglich, wie oben aus- gelührt, nicht einmal der Sohn Li an des A Stelle tritt, jedenfalls aber C durch E und F ausgeschlossen wird.

Vgl. die Figur der Anm. Gl.

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A ist der Erblasser. Wenn A stirbt, so geht sein Erbe zunächst auf seinen Sohn B über, der schon bei Lebzeiten des A mit diesem Gesammthand daran hatte. Ist aber auch B vorher gestorben, so steht, wie oben ausgeführt, C nicht in Gesammthand mit A, weil er in dieselbe nicht hineingeboren ist. Mangels eines Mitgemeiners des Verstorbenen tritt deshalb nunmehr wahrer Erbgang ein. Dessen Gedanke ist aber ja lediglich, die früheren Gesammthänder aufzusuchen. Das waren aber nur D. E und F, nicht C; auf sie fällt deshalb das Erbe.

Es ergiebt sich aber der Vorzug der Brüder vor den Enkeln des Erblassers bei wahren Erbfällen auch noch aus einer anderen auf dem Hanseigenthume fussenden Erwägung:

Der Erbgang ist, wie gesagt, auch bei wahren Erbfällen die Nachbildung des Handwechsels, wie er sich auf Grund des Ge- samrateigenthums regelmässig vollzieht. Auf Grund Gesammt- eigeuthunis konnte aber, wenn Brüder lebten, niemals Erbe an Enkel gelangen : denn in währender Gesammthand konnte praktisch gar nicht der Fall Vorkommen, dass C mit E und F concurrierte. Zn solcher Concurrenz innerhalb der Gcsammt- haud wäre nämlich zweierlei nöthig gewesen: erstens, dass sowohl A wie B heiratheten, und zweitens, dass sie trotz jener Heirath im Gesammteigenthum verblieben. Das ist aber un- möglich. Denn die Heirath ist regelmässig mit dem Austritt aus der Hausgenossenschaft verknüpft. Später wurde sic zwar auch ohne Austritt zulässig, aber eine weitere Heirath des Sohnes eines Unansgeschiedenen war, so lange nicht die Haus- genossenschaft gelöst wurde, auch später niemals gestattet. Wenn es aber praktisch nie weitere Descendenz geben konnte, welche das Eintrittsrecht zu beanspruchen in der Lage war, so konnte sich jenes Recht auch nicht ausbilden. Dass für den Fall, wo die Hausgenossenschaft gelöst war, weitere Descendenz Vorkommen konnte und vorkam, änderte daran nichts. Denn alle Erbrechts- regeln erwuchsen im Kreise der ungelösten Hausgenossenschaft und wurden auf den Fall der gelösten nur übertragen. Auf das, was bei letzterem möglich war, kommt es deshalb nicht an. Dass sich übrigens gerade für den Fall der Concurrenz von Enkeln mit Brüdern des Erblassers im wahren Erbgange das Vorfolgerecht zuerst entwickeln musste, erhellt ohne weiteres;

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und zwar erwuchs es daraus, dass A beim Tode seines Sohnes in seine Hausgenossenschaft, in der er nunmehr allein stand, naturgemäss den Enkel aufnahm, der dadurch Gesaminthänder wurde und durch sein Miteigenthum beim Tode des A den Anfall an I) oder E und F ansschloss.

So lässt sich die immer noch streitige Behandlung der weiteren Descendenz im altdeutschen Recht leicht und un- gezwungen verstehen, wenn man davon ausgeht, dass alles Grunderbrecht in einem ursprünglichen Hauseigenthume wurzelt. Doch auch noch ein zweiter Streitpunkt des altdeutschen Erb- rechts findet in diesem Gedanken seine Erledigung: es ist die Behandlung der Elterngeschwister. Bei dieser ist nämlich ein Schwanken der (Quellen deutlich erkennbar. Einige Quellen rechnen sie zum näheren Erbenkreise, andere nicht. Wenn man nun bedenkt, dass der nähere Erbenkreis alle diejenigen umfasst, welche mit dem Erblasser in einer Hausgenossenschaft gelebt haben, so ist dies Schwanken leicht erklärlich. Es war eben nicht gewöhnlich, dass Elterngeschwister mit ihren Neffen und Gross- neften in einer Hausgenossenschaft sassen, weil dazu verheirathete Söhne in der Hausgenossenschaft verblieben sein mussteu, die Ver- heirathung aber gewöhnlich mit dem Ausscheiden aus der Haus- genossenschaft verknüpft war.K;) Deshalb zählen frühere Quellen die Elterngeschwister nicht zum näheren Erbenkreis. Später, als nicht mehr jeder neuen Haushaltung ihr Landloos zugemessen werden konnte, schieden die heirathenden Söhne nicht mehr aus der alten Hausgenossenschaft aus; der Fall, dassElterugeschwister mit ihren Netten in gesummter Hand sassen, kam deshalb öfter

'"'J Dell Erlil'itU veraiiM liauliilit folgende Figur:

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Erblasser

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Neffen des Erb-

lassers

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vor, und man versteht, warum spätere Quellen nunmehr die Elterugeschwister dem engeren Erbenkreise zuweisen.*4)

Warum aber die so in den näheren Erbenkreis eingereihten Elterngeschwister den Neffen des Erblassers, trotzdem sie ihm auch nicht näher verwandt waren als jene,'4*) vorgezogen wurden, erklärt sieh einfach bei Anwendung der soeben für die Kindes- kinder entwickelten Grundsätze.

Bei Consolidation auf Grund der Gesammthand konnten Neffen mit Elterngeschwistern nie konknriren, weil zweifache Heirathen in währender Hausgenossenschaft nicht statthaft waren. Möglich war also solche Concurrenz nur bei gelöster Hausgenossenschaft und beim Vorliegen eines wahren Erbfalles. Dieser wurde aber einfach nach den Regeln behandelt, die sich für den Uebergang verlassenen Gutes im Kreise der häuslichen Gasammthand gebildet hatten. Hier hatte es sich aber aus dem angeführten Grunde wegen einfachen Mangels weiterer De- scendenz festgestellt, dass hinter den Eltern und Brüdern des Erblassers die Eltern-Goschwister kommen.

So ergiebt sich, was schon Amira bei seinen Ausfüh- rungen über den Begriff „der sechs Hände“ im friesischen Recht in ähnlicher Weise behauptet hat, dass der nähere Erben- kreis identisch ist mit der Hausgenossenschaft, in welcher der Erblasser selbst steht, und dass alle Aenderungen dieses Erben- kreises auf Wandlungen der Anschauungen über die Zugehörig- keit zu jener Hausgenossenschaft beruhen. Ist der engere Erbenkreis aber die Hausgenossenschaft des Erblassers, so ver- steht man auch, warum in ihr die Gradesnähe nicht entscheidet. Denn diese kann nur massgebend sein, wenn der Erbgang erfolgt auf Grund der Verwandtschaft, nicht aber dann, wenn das be- stehende oder ehemalige Miteigentlmm seine Grundlage bildet, das sich nicht nach der Gradesnähe richtet.

Den zweiten Erbenkreis bildet dann folgerichtig die Haus- genossenschaft des Vaters, den dritten die des Grossvaters u. s. w. So entsteht, wie schon gesagt, naturgemäss am letzten Ende

Vgl. oben Anro. 47.

Vgl. die Figur der Aum. 03.

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die Parentelenordnung. Man begreift aber, warum diese nicht sofort in reiner Ausbildung auftreten konnte, warum sich viel- mehr erst eine Art Vorfolgerecht der aulsteigenden Linie, ein „Vorfahrenrecht“ bildete. Denu es mangelte ja ursprünglich jegliches llepräsentatiousrecht, weil es ein unstatthaftes Hinein- erben in eine Gesammthand erfordert hätte: die Hausgenossen- schaften waren deshalb beschränkt auf den Vater und seine Kinder, den Grossvater und seine Kinder u. s. w. So entstand von selbst, wie wir sehen, ein Vorfolgerecht des Vaters und der Brüder vor den Enkeln, mitunter sogar von den Söhnen des Erblassers, ein Vorfolgerecht des Grossvaters und der Oheime des Erblassers vor dessen weiterer Descendenz u. s. w. Ja. es konnte daraus ein reines Vorfahrenrecht werden, wenn man das Gut nicht mehr an die Hausgeuossenschaft, sondern au deren Leiter, also an den Vater, den Grossvater u. s. w. gab.'i4b) Als nun ein Repräsentationsrecht wenigstens der Kiudeskinder anerkannt wurde vermehrte sich jede Hausgenossenschaft um ein absteigendes Glied. Doch erst, nachdem schlechthin das Repräsentationsrecht zur Annahme gelangte, war die reine Parentelenordnung fertig.

§ <•

So zeigt die Reihenfolge der Berufenen noch auf Schritt und Tritt, dass die altdeutsche Erbfolgeordnung aus dem Ge- sammteigenthum der Hausgenossenschaft hervorgewachsen ist Doch noch eine andere Eigentliümlichkeit der Elbordnung weist auf jenen Ursprung hin. Es ist die anfängliche Unfähig- keit der Weiber zur Erbfolge.

•*b) Zur Erklärung des Vorfahrensrechts bedarf es sonach keineswegs des Zuriiekgreifens auf ein altes Fahrnisserbrecht, von dem die Parente- leuordnung durchkreuzt wird, wie Ficker annimmt. Im Gegentheile, an- fänglich ausschliessliches Erbrecht des engeren Kreises, Vorlähreurecht, Linealgradualfolge und Parentelenordnung lassen sich sämmtlich aus dem llauseigeutkum ableiten. Sie bilden Vorstufen von einander oder einseitige Ausbildungen einer Stufe. Ursprünglich alleiniges Erbrecht des engeren Kreises und nachträgliche Ausbildung des Vorfahrenrechts sind demnach gar keine Widersprüche, wie Ficker meint (S. 381/382). Das folgerichtige Ende der ganzen Entwicklung ist aber die Parentelenordnung. Sie ist deshalb in der Thal die wahre Erbordnuug des deutschen Rechts.

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Hl

Dass sie ursprünglich bestanden hat, ist sicher. In unseren deutschen Quellen findet sich vollständige Ausschliessung der Weiber von jeder Verlassenschaft oder wenigstens vom Grund- besitz zwar nicht mehr überall anerkannt: überall aber findet sich eine theihveise Benachtheiligung derselben. Dass dies nun nicht etwa spätere Aendcrnngen ursprünglicher vollständiger Erbfähigkeit, sondern Ueberbleibsel alten Rechtszustandes sind, erhellt scliou aus den deutschen Quellen selbst. Denn gerade die ältesten Quellen, wie die lex Salica. oder doch solche, welche trotz späterer Entstehnngszeit auch sonst einen alterthttmlichen Charakter zeigen, wie die lex Thuringorum und die friesischen Rechte, sind es vornehmlich, welche gänzliche Erbunfähigkeit wenigstens bei Liegenschaften entweder geradezu vorschreiben oder mindestens sehr starke Spuren davon aufweisen.' “■’) Zur Gewissheit

,j6) Ob sich gänzliche Unfähigkeit der Weiber zu jedem Erbgange bei allen deutschen Stämmen quellenmässig nach weizen lässt, erscheint nach Opets Schrift (in Gierkes Untersuchungen zur Staats- und Rechts- gesehichte lieft 25) zweifelhaft. Kür die Langobarden hat sie sicher be- standen. Auch für das salische Hecht ist sie aber wahrscheinlich. Von vielen wird ja in dem Titel 59 der lex Salica die Absicht gefunden. jener alten Unfähigkeit den neuen, durch Eintritt der Weiber moditizirten, Erb- gang entgegenzustellen (vgl. oben Aura. 4S und 52\ Zu beachten ist auch, dass noch im späteren salisehen liechte die Erbfähigkeit der Krauen sehr beschränkt ist. Der oft erwähnte ulte laugubardische Jurist sagt hierüber: „Sed alias fenünas non vocant ad successionem homines Salici nisi illas, quas supra dixi“. Jedenfalls hat Unfähigkeit, den Grundbesitz zu erben, den Weibern bei allen deutschen Stämmen ursprünglich augohaftet. Für das salische Recht geht dies unwiderleglich aus den Schlussworten des Til. 50 der lex Salica hervor, die im ältesten Text einfach lauten: „de terra vero nulla in tituliere hereditas non pertinebit, sed ad virilem sexuni, qui lratres fuerint, tota terra perteneat*. Bei den ltibnariern ist die anfängliche Unfähigkeit, wie auch später bei den Saliern, schon auf das ererbte Hausgut beschränkt: „Sed cum virilis sexus extiterit, femina in hereditatem aviaticatn non succedat* (L. Rib. tit. 50 § 4). Bei den chamavischen Kranken dagegen ist die alte Unfähigkeit noch festgehalten: „Si quis Francus horno habuerit tilios duos, hereditatem suam de sylva et de terra eis dimittat et de peculio; de materna hereditate similiter in filiain venif (L. Krane. Cham. eap. 42). Dass ferner nach thüringischem Rechte Weibspersonen Grundbesitz nicht nehmen konnten, ist schon oben ausgeführt und allgemein anerkannt (vgl. Anm. 52). Im angelsächsischen Rechte ist beim eiuzigeu echten Eigen, dem edel, Unfähigkeit der Weiber anerkannt. Bei anderem Eigen ist zur Zeit unserer (Quellen noch die Tochter neben

v. Üttlisig, Grundcrbreehr. Q

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wird dieser Schluss aber, wenn man seinen Blick über die deutschen Quellen hinaus auf das richtet, was bei anderen arischen Stämmen Rechtens ist.

dem Sohne unbedingt erbunfäbig. Das« dies der Rest einer ehemaligen weitgehenderen Zurücksetzung der Weiber war, hat schon Amirn mit Recht' vermuthet (vgl. v. Atnira a. a. O. S. 90 u. 95). Im ältesten sächsischen Rechte finden sich ähnliche Reste anfänglicher gänzlicher Erbunfähigkeit. Es schliesst der Sohn die Tochter aus („Pater aut mater defuncti filio non filiae hereditatem relinquent“ [L. Sax. c. 41]), und überhaupt sind Weiber neben Männern gleichen Grades unfähig. Ebenso findet sich überhaupt in allen Rechten eine theilweise Benachtheiligung der Frauen im Erbgang, die sehr wohl als das Ueberbleibsol einer ehemaligen umfassenderen Erb- unfähigkeit aufgetässt werden kann. Besonders deutlich ist dies wieder im friesischeu Rechte erkennbar, von dem Amira behauptet, dass in ihm die Frauen ursprünglich auf Anssteuer beschränkt waren und eines wahren Erbrechts darbten (vgl. v. Amira a. a. O. S. 164, 171, 172. 190, 191, 202).

Ficker ist allerdings der Ansicht, dass ursprünglich die Weiber volles Erb- recht gehabt hätten 483 ff., 491 ff.). Allein seine diesbezüglichen Aus- führungen sind nicht sehr überzeugend. Er fühlt dies auch selbst an ver- schiedenen Stellen heraus und vertröstet auf besseren Beweis in der Zukunft. Namentlich begegnet ihm dies gegenüber der Erbordnung de-s thüringischen Rechts (S. 246), in die ein Erbrecht der Frauen sich auch kaum hinein- interpretiren lässt. Ebensowenig glücklich ist die Widerlegung der auf- fälligen Nachricht, dass in dänischen Rechten das Erbrecht der Töchter und Schwestern erst durch ein Gesetz Birger Jarls eingeführt worden sei 499). Es findet sich denn auch hier das Geständniss, es werde das zu Beweisende einstweilen als bewiesen vorausgesetzt werden müssen. Der wahre, letzte und immer wiederkehrende Grund, der Ficker zu seiner Be- hauptung veranlasst hat, ist auch nur die eine Erwägung, es sei unglaublich. dasB bei nachträglicher Einführung des Fraueuerbrechts den näher ver- wandten Töchtern und Schwestern ein beschränktes, den weiter verwandten Weibern aber sofort volles Erbrecht verliehen sei. Allein diese Erwägung würde, selbst wenn sie unbestreitbar wäre, doch nur für den Fall zutreffen, wenn man annimmt, dass das Weibererbrecht mit einem Schlage eingeführt sei. Es ist aber sehr wohl denkbar und sogar naturgemäss, wenn jenes Erbrecht sich nur allmählich entwickelt hat. Nehmen wir nun mit Ficker an, es hätteu zuerst Töchter und Schwestern das Erbrecht empfangen, so geschah dies zu einer Zeit, wo der Gedanke der Zurücksetzung der Weiber jedenfalls noch nicht ganz geschwunden, sondern erst abgeschwächt war; es ist darum sehr verständlich, wenn sie nur eine Art Ansatz zum Erbrecht erreichten, nämlich noch kein volles, sondern nur ein eventuelles. Den entfernter verwandten Frauen dagegen wurde dann das Erbrecht natur- gemäss später beigelegt, d. h. zu einer Zeit, wo jede Zurücksetzung der Frauen den Anschauungen widersprach. Die Zubilligung vollen Erbrechts

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In den indischen Sntras lässt sich die ursprüngliche Ver- mögenslosigkeit' und Erblosigkeit der Frau noch deutlich er- kennen.6'*) Die Frau hat zwar schon einiges Vermögen, aber das ist ihr Sondervermögen, das ihr zur persönlichen Nutzung gegeben ist, nämlich Frauensehmuck, weiter ihr Kaufpreis, der ihr von ihren Eltern zur Nutzung belassen ist, ferner die Ent- schädigung, die ihr wird, wenn ihr Mann neben ihr noch eine Frau aus höherer Kaste nimmt. Immer noch ist also das Frauen vermögen auf einige Sonderlalle beschränkt ; im allgemeinen ist die Frau vermögenslos, und vor allen Dingen hat sie nie Antheil am Hansvermögen. Bei der Grundtheilung fällt ihr kein Theil zu.

Die gleiche Erblosigkeit der Frauen findet sich noch heute vielfach im Pendseliab.67) Die Wittwe hat regelmässig nur das

an sie ist darum nicht auffällig. Jene Zubilligung zog auch nicht etwa notbwemlig eine Aufbesserung der Frauenrechte im engeren Kreise uach sieh. Das beschränktere Erbrecht blieb liier vielmehr als historisches Re- siduum stehen. FicKer selbst hat ja dargethan, um wieviel schwerer es ist, ein einmal eingefiibrtes Recht nach der Sitte zu ändern, als eine bisher rechtlich uoch ungeregelte und nur von der Sitte beherrschte Gestaltung dieser entsprechend zu ordnen, l’eherdics aber ist es auch bei gleichzeitiger Einführung des Erbrechts für alle Weiber keineswegs unbegreiflich, wenn trotz sonstiger allgemeiner Anerkennung jenes Rechts die Stellung gerade der nächstverwandten Weiber beschränkt blieb Ja. es ist nicht einmal sicher, ob nicht das Weihererbrecht sich überhaupt zuerst in der ent- fernteren Verwandtschaft entwickelt hat. Denn es darf doch nicht übersehen werden, dass seine Einführung eine Verkürzung der Rechte der gleich nahen Männer bedeutete. Im näheren Verwandtenkreise waren nun jene Rechte natürlich stärker als im entfernteren. Es ist deshalb sehr wohl zu ver- stehen, dass umgekehrt ihre Zarückdrängtmg in entfernteren Frenndschafts- graden eher und vollständiger gelang, als in den nahen. I’nserc Ansicht, dass die überall wahrnehmbare, wenigstens theilweisc Uenachtheilignng der Kranen ein Ueherbleibsel vorgängiger weiterer Hintenansetzung sei, ist demnach, wie man auch die. .Sache betrachtet, die wahrscheinlichere. Uebrigens ist Ficker auch hier der Meinung, dass der Ausschluss der Weiber, wo er sich findet, auf liegeuschaftliches Erbrecht zurückgeht. In dem für uns wichtigsten Punkte, nämlich über die Prinzipien des Liegen- schaftserbrechts, besteht also kein Streit.

"*) Vgl. Leist, Jus gentium S. 49!) ff. Text und Anin. 7. Ferner Jus civile 8. 279.

a) Vgl. Köhler, Die Gewohnheitsrechte des Pendschab S. 182, 210 ff.

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Hecht auf nöthigen Unterhalt und nicht das Recht, Theilung zu fordern. Sind Descendenten vorhanden, so hat sie auch nicht die Verwaltung des Gutes; fehlt es an solchen, so erhält sie zwar das Gut in ihre Verwaltung, aber nicht als Eigen- thttmerin, sondern nur, damit sie den gebührenden Unterhalt daraus ziehe. Sie darf deshalb nur beschränkt veräussern im Fall echter Noth ; viele Rechte verneinen das Veräusserungsrecht auch ganz.

AVas das Erbrecht der Tochter anbelangt, so wird es regelmässig geleugnet, und dieselbe auf blossen Unterhalt bis zur Verheirathung angewiesen. Noch mehr als die Tochter wird die Schwester und ihre Descendenz zurückgedrängt. „Ueber- baupt“, sagt Köhler, „haben die Hindurechte eine starke Ab- neigung gegen den Erwerb von Grund und Boden durch die Frauen und gegen den Durchgang des Vermögens durch die Frauenlinie.“

Ganz ungebrochen gilt die Vermögens- und Erblosigkeit der Frauen noch heute in Armenien,®) wie sie schon zu Justinians Zeiten gegolten hat.®)

Auch für das irische Rechtsgebiet bestand bis in die Zeit Jacobs I. von England hinein gänzliche Vernachlässigung der AVittwe und der weiblichen Descendenz im Erbrecht. Erst ein Urtheil der Kings Bench, des höchsten Gerichtshofes für Irland, bereitete dem auf uralten arischen Anschauungen über das Haus- eigentlaim beruhenden Brauche damals ein gewaltsames Ende.70)

Ebenso lässt sich, soweit unsere Kenntniss der slavischen Rechtsordnung reicht, nur erkennen, dass die Frauen in der Hausgenossenschaft zwar ein Recht auf den Unterhalt, aber kein Theilrecht haben; ein festes Recht besitzen sie nur an dem zu ihrem persönlichen Gebrauche bestimmten Frauenschmuck.

*) Vgl. Leist. Jus civile S. 407.

*) Justiniani edictum 3:

„Ktquoniain uuper cognovimus barbarieam quandam insolentemque esse apud cos legem sc. apud Armenios) .... ut nempo mascnli in parentmn hereditatem succedsnt, feininae vero non . . . .*

Ferner Nov. 21: „corrigendum esse putavimus. ne barbarorum more viri quidem parentibus fratribusque reliquisquc cognatis succedaut, feininae vero non item, neve illao sine dofe nubant.“

'•") Vgl. Moritz Jaffc u. a. O. S. 1054.

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Es darf deshalb wohl behauptet werden, dass wir es bei der Erbunfähigkeit der Weiber mit eiuem allgemeinen arischen Rechtsbrauche zu thun haben. Es wird deshalb von vornherein anzunehmen sein, dass dieser auch bei den Germanen in Hebung gewesen ist; und wenn wir nun bemerken, dass sich bei allen deutschen Stämmen eine vollständige oder theilweise Benach- theiliguug der Weiber beim Erbgange findet, so werden wir dies als eine Forttragung jenes alten Brauches betrachten müssen.

Dass dieser sich aber nur aus dem Gedanken des Haus- eigenthums zureichend erklären lässt, ist klar. Man hat zwar versucht, ihm eine andere Grundlage zu geben, und die Aus- schliessung der Frauen auf die hervorragende Bedeutung des Grundbesitzes zurückzuführen. Frommhold"1) sagt hierüber:

„Wenn der Besitz von Grund und Boden in jener Zeit nicht allein die Bedingungen für die Existenz des Einzelnen, der Familie, des Geschlechts und schliesslich des ganzen Volkes gewährte, sondern auch in politischer Beziehung Macht und Ansehen verlieh ... so musste nothwendig das Bestreben der herrschenden Grundeigentümer .... darauf gerichtet sein, sich diese Vortheile auch rechtlich durch Erhaltung des sic gewährenden Faktors zu schützen. Zu diesem Zwecke wurde einmal die Verfügungsgewalt über den Grundbesitz eingeschränkt, aus diesem Grunde gab es im altdeutschen Rechte keine Testamente . . . . aus diesem Grunde wurde der Vorzug des männlichen Geschlechts vor dem weiblichen festgesetzt.“

Diese Darstellung scheitert schon daran, dass sie davon ausgeht, es sei die Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts erst später eingeführt,7'2) während sie doch, wie eben nachgewiesen, ursprünglich ist. Wir haben es zudem schon früher betont, 1 a E.) dass wir eine solche bewusste Aeuderung des anfänglichen Rechtszustandes nach Zweckmässigkeitsrücksichten, im Wege gewohnheitsmässiger Entwicklung wenigstens in alten Zeiten für unmöglich halten. Der Ihering'sche „Zweck im Recht“ hat entschieden letzthin eine zu weite Anwendung gefunden. Es ist doch nicht allein der Utilitätsgedanke die Grundlage der

7l) Frommliold, Einaelerlifolge S 0 7.

n) Vgl. die geaperrtgcdrnekon Worte .wurde“.

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Rechtsbildung! Je entwickelter die Zeiten, je zielbewusster die Menschen werden, desto mehr Macht gewinnt er allerdings. Er mag auch in alten Zeiten für Neuschaffung einiger Rechts- institute die Grundlage gebildet haben. Allein die Umänderung bestehenden Rechtes nach Zweckmässigkeitsrücksichten setzt eine so bewusste Einwirkung auf die Rechtsbildung voraus, welche frühen Zeiten durchaus fremd ist. Man denke, wie un- glaublich es ist, die alten Germanen hätten, wie Frommbold anzunehmen scheint, aus Berechnung die ursprünglich zulässigen Testamente mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Grundbesitzes ausgeschlossen !

In einem Punkte jedoch hat Frommbold Recht, nämlich darin, dass er die beschränkte Verfügungsgewalt des Hausvaters, die Un- zulässigkeit der Testamente und die Unfähigkeit des weiblichen Geschlechtes zur Erbfolge als zusammengehörig ansieht. Sie beruhen in der That alle auf einem und demselben Rechts- gedanken, nur ist dieser ein anderer, als Frommbold vermuthet nämlich der Gedanke des Hauseigenthums.

Das springt auch bei der Behandlung der Weiber in die Augen. Denn wenn das Grundeigenthum dem Hause und nicht dem derzeitigen Hausvorstande gehört, so führt der Erbgang keine Veränderung in dem berechtigten Subjekte, sondern nur in der Verwaltung des Hausvermögens herbei. Der Erbgang beruft nur an die Stelle des bisherigen Vertreters der Haus- genossenschaft einen anderen. Zu solcher Vertreterschaft sind aber Frauen, die ja in alten Zeiten selbst der Vertretung be- dürfen, nicht fähig. Die Verwaltung des freigewordenen Haus- gutes muss deshalb allein den Männern zufallen, d. h. sie allein rücken in die Stelle des Vaters ein, der ja auch nicht mehr als die Verwaltung gehabt hatte; sie allein sind das. was man später „seine Erben“ nennt.

Die Frauen waren darum nicht allen Rechtes an dem Hausgute bar. Sie waren ja auch Mitglieder der Hausgenossen- schaft, der das Gut zustand; folglich „gehörte“ es auch ihnen. Aber ihre Unfähigkeit zu jeglicher Verwaltung und Vertretung drängte dies „Gehören“ auf dasjenige zurück, was es für alle die bedeutete, welche nicht an der derzeitigen Verwaltung tlieil- nahmen, d. h. auf das unentziehbare Recht, das Vermögen mit-

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zunutzen und den Unterhalt daraus zu entnehmen.73) Als es später auf kam, den ursprünglich undotirten7*) Frauen eine Aus- steuer zu geben, umfasste das „Gehören“ des Hausgutes auch die Bcfugniss, eine Aussteuer zu verlangen. Bei der Theilung des Hausgutes konnten aber Frauen nie einen Theil erhalten. Denn noch aus der Zeit her, wo der Grund und Boden periodisch den Haushaltungen neu zugewiesen wurde, galt ja der Satz, dass Liegenschaften nur im Besitz von Haushaltungen und Haus- lialtungsvorständen sich befinden dürfen.7’’) Frauen konnten aber nie Haushaltungsvorstände sein, konnten deshalb auch nie in den Besitz von Naturaltheilen der Familienländereien kommen. Nun ist aber die Idee von Civiltheilen eine sehr späte, künstliche Bildung und alten Zeiten ganz fremd. Wer nicht Naturaltheile erhält, kann deshalb möglicherweise andere Rechte am Haus- gut haben, wie Beisitz oder Recht auf Aussteuer, aber das, was den späteren Erben ausmacht, das Recht auf die Substanz des Hausgutes hat er nicht, als Erbe kann er nicht angesehen werden.7")

§ 8.

So hat sich zu den Eigentümlichkeiten in der Reihenfolge der Erben die Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts zur Erb- nahme als zweites Moment gesellt, welches in seinen Anfängen

n) Vgl. Leist, Jus gentium S. 48S (namentlich unter c.). Vgl. auch unten § 10. Auch Huber ist der Ansicht, dass die Töchter ursprünglich nur ein Recht auf „Mitgenuss“ hatten. (S. 21 u. 28, 40 ff.)

’4) Ursprünglich wurden die Frauen geraubt odor gekauft. Sie brachten deshalb nichts in die Ehe. im Gegentheil, es musste für sie etwas gezahlt werden. Infolgedessen waren die Frauen anfänglich überall undotirt, wie noch heute in Armenien. Dass sie mit der Verheirathung alles Recht an ihrem alten Familicugute verloren, ergiebt sich einfach daraus, dass sie aus der Haushaltung ausschieden, während doch alles Recht am Hausgute an das Leben in der Haushaltung geknüpft war. Dafür traten sie in die neue Haushaltung des Mannes ein, in welcher sie folgeweise nunmehr das- selbe Recht auf Nutzung und Unterhalt besassen, wie sie es in ihrer alten Familie gehabt hatten. Man sieht, auf wie alten Grundlagen das deutsche Recht des .Beisitzes“, das Recht der Witwe auf Unterhalt, ruht. n) Vgl. Leist, Jus gentium S. 417 unter b, und S. 418.

76) Vgl. auch Leist, Jus gentium S. 417. Gleicher Ansicht (dass Töchter höchstens Recht auf Aussteuer, aber kein „Theilrecht“ haben) Huber a. a. 0.

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bis in graues Alterthum zurückreicheud auf das einstige Be- stehen eines Hauseigenthums hinweist. Noch eine dritte Be- sonderheit des Erbganges Hiesst aber aus der gleichen Quelle. Wir haben oben schon 4 bei Anm. 34) beim römischen Recht darauf hingewiesen, dass die Ausschliessung des ausgesteuerten Sohnes von der väterlichen Erbschaft aus den Grundsätzen des gewöhnlichen Erbrechts sich nicht erklären lässt, sondern nur dann verständlich wird, wenn man von der Idee des Familien- eigenthums ausgeht und den Erbgang als eine Consolidation des Miteigenthums betrachtet. Das gilt für das deutsche Recht um so mehr, als die Schwierigkeiten, welche dort die römische Form der Emancipation durch ihre ungeschichtliche Betonung der persönlichen Gewaltlösung bereitete, bei den Germanen nicht vorhanden sind, da bei ihnen stets der dingliche Austritt aus dem Hausvermögen bei der Abschichtung als die Hauptsache erscheint. Dass aber die Deutschen jene aus einstigem Haus- eigenthum fiiessende Ausschliessung des Abgeschichteten vom väterlichen Erbe noch in späteren Zeiten durchgeführt haben, wird weiter unten eingehend dargelegt werden.

Zum Schluss sei noch eins nachgeholt. Zum Beweise für das behauptete Hauseigenthum ist bereits auf die beschränkte Verfügungsgewalt des Hausvaters hingewiesen, es ist aber immer nur die Beschränkung durch das Beispruchsrecht der Magen hervorgehoben worden. Noch viel mehr lässt aber auf eine lediglich verwaltende Stellung des Familienvaters der Umstand schlicssen, wenn ihm eine Verfügungsbefugniss nur zusteht, so lange er rüstig ist. Nun finden sich in der That in allen deutschen Rechten dahin zielende Bestimmungen, ln den Rechts- büchern wird die Rüstigkeit so lange angenommen, als der Haus- vater noch gewaffnet ein Pferd besteigen kann. Die Weisthümer drücken den gleichen Gedanken dadurch aus. dass sie verlangen, der Vergällende müsse sich noch selbst anziehen und fünf Schritt vor die Hausthür gehen können. Alle diese Rechtsordnungen gehen deshalb davon aus, dass der Vater als echter Verwalter des llausgtites nur Macht hat, so lange er tüchtig ist.

§

Wir glauben nunmehr alles zusammengetragen zu haben, was sich für die einstige Geltung des Hauseigenthums im deutschen

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Recht sagen lässt. Ein mathematischer Beweis lässt sich dafür ja nicht erbringen, wie bei allen geschichtlichen und vorzugs- weise rechtsgeschichtlichen Fragen. Allein wenn man noch einmal den zuriickgelegten Weg überschaut, wenn man die zahlreichen Spuren gewahrt, welche auf Gesammteigenthum im deutschen Rechte weisen, wenn man vor allem bedenkt, wie viele alte Streitfragen auf einmal in ein neues Licht gerückt werden, in- dem die verschiedenartigsten und scheinbar mit einander un- verträglichsten Rechtsbildungen sich bei Annahme eines Haus- eigenthnms leicht und einfach erklären und sich sogar als Glieder eines und desselben, wunderbar in einander fugenden Baues erweisen, wenn man endlich seinen Blick über die deutschen Verhältnisse hinauslenkt und erkennt, dass alle anderen arischen Stämme die Idee des Hauseigenthums entweder heute noch fest- halten oder früher gehabt haben müssen, so wird man sagen dürfen : der Nachweis für ein Eigenthum des Hauses mit lediglich verwaltender Stellung des derzeitigen Familienhaupts ist soweit geführt, als er sich überhaupt führen lässt.

Es wird deshalb nicht Wunder nehmen, wenn es nie, seit man sich mit der Durchdenkung des deutschen Rechtes zu be- schäftigen anfing, an Leuten gefehlt hat, welche das Prinzip des Hauseigenthums in ihm zu finden glaubten.

Dass zwischen Brüdern das Verhältnis am Familiengute als gesamte Hand aufgefasst wurde, gleichviel wer zeitig die Vertretung nach aussen hatte, ist von dem Institute der Lehns- trägerschaften her bekannt. In diesem Falle lag der Gedanke des Familieneigenthums so auf der Hand, dass selbst römisch geschulte, jenem Gedanken an sich sehr abholde Juristen wie Carpzov sich ihm nicht verschliessen können.77)

77 ) Carpzov, Juriaprudentia foretisis Pars II const. :!« def. 5 :

„Plane de conauctudine (iermnniae liodie introductum est. quod Nobiles et Domini omnes beredes Emphyteutae praoraortui ad investituram accipiendam non adinittant, nisi C'uratorem (einen Lehenträger) constituorint, vel ununi ex se elegerint, qui reliquorum coheredtim nomine investiturafn accipiat“.

Noch deutlicher ist folgende Stelle, welche gerade im Anschluss au hauerrechtliche Verhältnisse den Hedankeu des Familieneigenthums ziemlich allgemein ausspriebt:

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Aber auch das Verhältniss zwischen Vater und Kindern ist oft für Gesammt- oder Miteigenthum erklärt worden.

An der Spitze steht hier der berühmte Jurist Matthaeus v. Normann, bekannt durch seine ausgezeichnete Darstellung des alten Rügenschen Landgebrauchs. Er hatte allerdings die noch sehr altert hümlichen Verhältnisse Rügens vor Augen, welche schon durch das. bei Ausradung der Kinder zu zahlende, „Tbeil- geld“ deutlich darauf hinwiesen, dass den Kindern vor der Aus- radung ein Antheil am Hausgute zustand. Normann spricht es deshalb bei Gelegenheit des „Inkamelgeldes“ deutlich aus, dass dieses zu zahlen sei, bei allen Erbfällen ausserhalb „der in Gütergemeinschaft lebenden Familienmitglieder“."*)

An Normann schliesst sich der grosse holländische Staats- und Völkerrecht. sichrer Cornelius de Bynkershoeck an. Auch er nimmt, wenn auch etwas zurückhaltend, Miteigenthum zwischen Vater und Kind an, wenn er sagt.

„Etenim“ (sc. nach deutschem Recht) „liberi, putantur fuisse aovos9ir<S?ctt et iure suo succedere ex proximo, quod habebant. domin io et possessione nunc plane nacti“.

Wohl angeregt durch seine Autorität führte hieraul ein anderer holländischer Jurist Matthias v. Wicht in einer 1724 in Groeningen erschienenen Abhandlung aus, dass die „sanguine proximi“ dadurch „compossessores et ex possessione condoroini fortnnarum“ wären, „ita ut non ex voluntate parentum, setl proprio vel adcrescendi vel occupationis inre succederent sieque dominium oportuna occupatione consolidatum cum possessione consolidarent“.

Diese immer noch etwas verclausulirt7'') ausgesprochene Ansicht hatte in Deutschland viele rückhaltlose Auhänger. Und zwar waren es, bezeichnend genug, vornehmlich die Schüler de*-

Carpzov, Kespousa iuris Lib. I. Tit. 9 resp. 9S8: „Dcfuncto parente Emphytcutä, liberi snccedentes hnud solrunt laudemium, non solum quia in

priori parentis investitura sunt comprehenai sed et quia vivo

adhuc patente Domini bonorum patcruorum quasi liabentur. inque iis, defuncto postea pareute, dominium continuatur*. w) Vgl. Gaede S. 36.

■*) Die Verclausuliruug ist bei Holländern nicht wunderbar, da diese in jem n Tagen noch eine Nncliblütbe der sogenannten „eleganten Jurisprudenz*

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jenigen Mannes, der zuerst eine moderne, quelleumässige Be- handlung des deutschen Rechts und seiner Geschichte anbahnte, die Schüler Hermann Conrings. Einer derselben, der Braun- schweiger August Nolten an der Braunschweigischen Uni- versität Helmstedt hatte ja Conriug gewirkt trat in seiner oft citierten Abhandlung „de Juribus et consuetudinibus circa villicos“ besonders lebhaft für das germanische Hauseigen- thuni ein.

Seitdem hat der Gedanke immer mehr Boden gewonnen; bei den Naturrechtslehrern war er feststehend; sie leiteten aus ihm das Notherbrecht ab. Und auch heute neigt sie die Mehr- zahl der Germanisten dein Hauseigenthum zn.8")

Wer kann sagen, ob nicht diese Uebereinstimuiung der Ansichten hervortritt, weil noch heute der Gedanke des Familien- eigenthums unausrottbar in der Seele des deutschen Volkes fortlebt, und sich so seinen Denkern gleichsam von selbst dar- bietet? Denn auf solches Fortleben deuten noch andere Er- scheinungen hin. Wir haben bei den Griechen auf die ungebrochene Kraft der Idee vom Hauseigenthum daraus geschlossen, dass es den hellenischen Philosophen als ein erstrebenswerthes Ziel vorschwebte. In gleicher Weise hat es auch bei den Deutschen nicht an Lehrern der Weltweisheit gefehlt, die als ein Ideal der Vermögensordnung das Familieneigenthum hingestellt haben. So wie einst Aristoteles, so hat in unseren Tagen Hegel es

im Stile des Cuiacius und Donellus hatten. Es legt vielmehr für die Offen- sichtlichkeit des Oedankens vom Hauseigenthum ein hervorragendes Zeugnis ah, dass trotz der Befangenheit, im Pandektensyatem gerade die Holländer auf jenen Gedanken kamen.

n) Es seien hier Namen wie v. Amira, Gierke (anfangs schwankend, jetzt unbedingt z. B. in seinem Aufsatz Uber „die Stellung des künftigen bürgerlichen Gesetzbuches zum Erbrecht im ländlichen Grundbesitz* S. 27/28), Heusler, Huber, Hübner herausgegriffen. Von Nichtgermanisten, die aber das Uauseigcntum für eine anfängliche Institution wenigstens bei allen arischen Völkern halten, seien genannt freist und Köhler. Noch weiter geht Brentano, welcher das Hauseigenthum als eine ursprüngliche Einrichtung aller Völker ansieht (Zukunft S. 492 Nr. 50). Da3s das Vermögen an sich der Familie .gehöre“, nehmen auch noch viele andere Schriftsteller au, nur wehren sie sich gegen den Ausdruck Gesammteigenthum, z. B. Fürster- Eccius Bd. IV, S. 27t>. Vgl. auch die dort in Anm. 27 und 28 Citirten.

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ausgesprochen, dass das Vermögen der Familie gehöre und ge- hören müsse, dass der Erbgang nichts anderes sein dürfe, als „das Eintreten in den eigenthümlichen Besitz des an sich ge- meinsamen Familienvermögens“.81)

Doch noch ein anderes merkwürdiges Zeugnis giebt es für das verborgene Fortleben des deutschen Gedankens vom Familien- gesammteigenthum. Es ist die Art, wie die Redactoren des preussischen Landrechts das Rechtsverhältnis der Miterben ge- regelt haben.

Sie führen für ihre Regelung zwar nur Vernunftgründe an. Ein anderes sei „gegen die ersten Grundsätze des Rechts und selbst gegen die natürliche Billigkeit“ gewesen.8*) Allein hier wie so oft waren die Redactoren des Landrechts gleich den Naturrechtslehrern, denen sie folgten, sich selbst nicht bewusst, dass die von ihnen vorgeschlagenen Rechtssätze ihnen nur deshalb natürlich und billig erschienen, weil sie ihren ererbten, deutschen Anschauungen entsprachen. Männern fremden Stammes mit anderem Rechtsgefühl wären jene Sätze durchaus nicht selbst- verständlich gewesen. Dass das Verhältnis der Miterben aber nach A. L. R. wirklich das alte deutsche Gesammteigenthum der erbenden Hausgenossen ist, ergiebt deutlich der Plenarbeschluss des Obertribunals von 1857. Er sagt: „Jedem Einzelnen von mehreren Miterben steht während der Fortdauer ihrer Gemein- schaft ein bestimmter verhältnismässiger Antheil an jedem einzelnen Nachlassstücke als sein besonderes Eigenthum nicht zu. Erst durch die Erbtheilung kann unter mehreren Mit- erben der Einzelne ein freies Dispositionsrecht über einzelne Nachlassgegenstände oder Tlieile derselben erlangen; während der bestehenden Gemeinschaft aber steht, bezüglich auf einzelne Erbschaftsstücke überhaupt und die Nachlassgrundstücke ins- besondere, ihm daran noch kein nach Verhältnis seiner Erbquote bestimmter Antheil als sein besonderes Eigeuthum zu.“ Genau das deutschrechtliche Gesammteigenthum, dessen wesentliche Eigenthümlichkeit es ist, dass vor der Theilung festgeschiedene Quoten fehlen !

el) Vgl. Brune, Testierfreihiit und Pfliclittlieil. ®) Vgl. Körsrer-Eccius Bd. IV, S. 559 uud 560.

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Diese Auslegung der landrechtlichen Sätze über das Rechts-' Verhältnis der Miterben war bestritten, und in der That zwingt der Wortlaut des Landrechts keineswegs zu jener Deutung. Dennoch wurde sie von der Gesammtheit der höchsten Richter im preussischen Staate beliebt. Sie wurde gewählt, weil jene Richter fühlten, nur so und nicht anders könne es Recht sein, weil der Geist des deutschen Rechtes über jener Versammlung deutscher Männer waltete und sie zwang, dasjenige zu wählen, was der altüberlieferten, germanischen Rechtsanschauung entsprach.

Diese Erkenntnis, dass noch heute in der Seele des Volkes und in seinen hervorragendsten Köpfen die Erinnerung daran nicht erloschen ist, das Vermögen gehöre dem Vater nicht zu seiner egoistischen Verfügung, sondern zum Nutzen und zum Unterhalt des von ihm geleiteten Hausstandes, diese Er- kenntnis enthält eine ernste Mahnung an unsere Gesetzgeber. Denn jede Regelung des Erbrechts, welche auf diese Thatsache keine Rücksicht nimmt, wird sich als eine verfehlte heraus- steilen, weil sie mit der Rechtsüberzeugung des Volkes in Widerspruch steht. Es ist ja heute üblich, und die Art der heutigen Rechtsbildung durch Gesetze, die in den Parlamenten berathen werden, bringt es gewissermassen von selbst mit sich, dass neue Satzungen vornehmlich auf ihre Zweckmässigkeit hin geprüft werden. Allein das Schicksal vieler Gesetzentwürfe in den letzten Jahren hat gezeigt, dass das einseitig ist. Man hat Gesetze gemacht, die, soweit menschlicher Scharfsinn reichte, zweckmässig waren, und sich wer weiss welche Wunder von ihrer Einführung versprochen. Das Volk aber ist seitab geblieben und hat sich der unverstandenen Satzung nicht bedient*)

ü) Ich erinnnerc an das traurige Schicksal der letzten Höfegesetzo welche zwar einen alten deutschen Rechtsgedanken verwirklichten, aber in einer gänzlich ungeschichtlichen, künstlich ausgeklügelten, wenn auch au sich vielleicht nicht nuzweckmässigen Form. Ich verweise auf die Frucht- losigkeit des bayrischen Erbgütergesetzes von 1K55, welches die Dispositions- freiheit des Besitzers in einer mit damaligen Kechtsanschauungen unver- einbaren Weise beschränkte und ebenfalls au dem ungeschichtlichen Ein- tragungssystem krankte. Ich gebe zu bedenken, wie cs manchen wohl- gemeinten, älteren Gesetzgebungsversuchen in Westfalen ergangen ist

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Was aus der Rechtsüberzeugung des Volkes liervor- wächst, das ist sein Recht, mag diese Ueberzengung nun durch die Uebung oder durch den Spruch der Gesetzgebungsmacht zu Tage gefordert werden. In erster Linie muss sich deshalb der Gesetzgeber fragen: „Was verlangt die gemeine Rechtsüberzeugung in diesem Falle?“ In zweiter Reihe mag er für die Ausgestaltung von Einzelheiten und die Füllung der Lücken Zweckmässigkeits- rücksichten walten lassen. So lange das unsere Gesetzgeber nicht beherzigen, werden sie Lehrgeld zahlen müssen. Es ist ja auch manchmal nicht leicht für sie, die Rechtsüberzeugung zu ermitteln; aus den Spalten der Tagesblätter hallt sie gewiss nicht rein wieder, und im Uebrigen fehlt die lebendige Ver- bindung mit dem Denken des Volkes; es bedarf eingehender Studien über die geschichtliche Wandlung der Anschauungen und die heutige Rechtsübung. Das alles aber kann an der Richtigkeit des Satzes nichts ändern, dass ein Rechtsgebot ohne Rückhalt in der gemeinen Rechtsüberzeugung wie ein Baum ohne Nährboden in kurzer Zeit verdorrt und verschwindet. Die vielbewunderte und unerreichte Grösse der römischen Rechts- bildung beruht gerade darauf, dass sie von dieser Erkenntniss ausging und in dem Institute des prätorischen Edikts ein Mittel fand, das Recht in steter Uebercinstimmung mit den zeitigen

(vgl. H. Meyer, die Landgiiterorduung für Westfalen. Einleitung.) Die ganze ablehnende Aufnahme der modernen römisch rechtlichen Erhordnuugen auf dem Lande ist endlich ein sprechender Beweis für unsere Behauptung. Auch aus früherer Zeit mangelt es nicht an Zeugnisseu. Kaiser Joseph 11.. überhaupt ein warnendes Beispiel gegen Gesetzgebung lediglich nach Ver- nunftgründen, versuchte die alte Gewohnheit bei den Bauern aufzuheben, nach welcher der zweite Mann der überlebenden Witwe alsWirth auf den Hof zog und schliesslich das Gut dem jüngsten Sohne iiberliess. Das erschien dem Kaiser unvernünftig und ungerecht. Allein sein Abänderungsdekret war

unvernünftig und ungerecht, weil es mit einer lebendigen Recbtsiiberzeugung in Widerspruch trat. Es wurde deshalb nach kurzer Zeit wegen .viel- fältiger und dringender Beschwerden“ aufgehoben (vgl Marchet S. 1314/1315). Auch im römischen Hechte war es nicht anders. Die Ehegesetze des Augustus waren an sich sehr angemessen nnd zweckmässig, strebten auch ihr Ziel in keiner unpraktischen Weise an ; aber sie waren stets unpopulär, weil sie der Rechtsüberzeugung des Volkes, das einen Zwang zur Ehe nicht wollte, widersprachen. Nennenswerte Wirkungen haben sie deshalb nicht gehabt und mussten schliesslich aufgehoben werden.

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Anschauungen fortzuentwickeln. Denn wenn ein Prätor einen Rechtssatz angenommen hatte, der sich als unhaltbar erwies, so konnte sofort Abhilfe geschaffen werden, indem der nächst- jährige Prfttor ihn einfach aus dem Edikte fortliess.

Ausgehend von diesen Wahrheiten werden wir die hohe legislatorische Wichtigkeit des Hauseigenthums auch für unsere Zeiten verstehen. Denn wenn auch das Hauseigenthum als Gesammthand der Familienmitglieder im Gesetze nicht mehr gilt und auch wohl nie mehr gelten wird, so beherrscht es doch immer noch das Denken des Volkes, und dies würde zum Beispiel es unverständlich finden, wenn dem Vater gestattet wäre, sein Vermögen seiner Familie grundlos ganz zu entziehen. Das Hauseigenthum lebt deshalb zwar nicht als Rechtssatz, wohl aber als Rechtsprinzip fort, mit seiner gesetzlichen Geltung, verschwinden deshalb nicht die einzelnen ihm ent- fliessenden Consequenzen aus dem Rechte. Wir sind auch nicht so blind zu verkennen, dass durch die Zeitläufte auch manche Milderung in jenem Prinzipe eingetreten ist. Namentlich das vom Hausvater selbst erarbeitete Vermögen gilt mehr als sein egoistisches Privateigenthum, denn als dem Hause gehörig. Eine freiere Verfügung ist hierüber gerechtfertigt. Das hat auch schon das alte deutsche Recht mit feinem Takte herausgefühlt, indem es zwischen erarbeitetem und solchem Gute schied, „über welches der Erbfall gegangen.“ Dass aber das letztere, das ererbte Gut dem Vater nur zum Wohle seiner Familie gehört, ist auch heute noch stehende Anschauung, und sie ist namentlich für den Besitz an Grund und Boden wichtig, da es sich hier im weitesten Umfange um altererbtes, wirkliches Familiengut handelt. Das mächtige Prinzip des Hauseigeuthums wird des- halb der Ordner der bäuerlichen Verhältnisse am wenigsten aus den Augen lassen dürfen.

§ io.

Wir haben weit ausholen müssen, damit wir der Lösung unserer Aufgabe, die Eigenheiten der deutschen „Abfindung“ und des Anerbenrechts zu erklären, näher kamen. Dafür haben wir aber eine feste Grundlage gewonnen in dem Begriffe des

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Hauseigenthums. Keiner der wie wir die Einzelrechte M) der Familienmitglieder darstellen will, darf, wenn er nicht von falschen Voraussetzungen ausgehen soll, jemals ausser Acht lassen, dass nach deutscher Anschauung das Vermögen im Ge- sammteigenthum der Hausgenossenschaft, der „AVere“ steht. Und zwar muss man diese Rechtsanschauung sowohl heranziehen, wenn man auf die Rechte bei Lebzeiten des Vaters sein Augen- merk richtet, wie wenn man sich mit dem Verhältniss zwischen Brüdern beschäftigt, welche nach einem zur Zeit der AVeis- thümer überaus gewöhnlichem Brauche*’) in ungetheilten Gütern, d. h. in der Were sitzen bleiben. Allerdings hat Gierke*’) mit Recht darauf hingewiesen, dass zwischen der AVere, in welcher die Brüder untereinander sitzen, und derjenigen unter Eltern und Kindern ein grosser Unterschied ist. Allein das ist lediglicli ein Unterschied in der Verwaltung, nicht im Begriffe: denn beidemal ist der Gedanke derselbe, dass das Hausvermögen der Gesammtheit gehört, nicht aber dem Einzelnen, auch nicht demjenigen, der zeitweilig die „gewaltige Hand“ darüber hat. Die juristische Construktion des Familien-Gesammteigenthums ist nämlich auch für das Haus unter Leitung des Vaters durchaus möglich. Denn eine Organisation der Verwaltung widerspricht selbst dann dem AVesen des deutschen Gesammteigenthums nicht, wenn durch sie in die Hand des Verwaltenden die uneinge- schränkte A'ertretung der übrigen Gesammthänder gelegt wird.*)

M) Es mag Wunder nehmen, dass liier von Rechten Einzelner gesprochen wird, wo wir doch so entschieden für das Bestehen nur eines Gesummt rechts am Familienvermögen eingetreten sind. Indessen das Dasein von Einzel- rechten widerspricht dem germanischen Gesammteigenthum nicht; ja es macht gerade seine Eigentümlichkeit ans, dass das Gesumm trecht zugleich ein Recht aller Einzelnen ist.

Er begegnet in den Weisthiunern auf Schritt und Tritt. Es ist nicht zuviel gesagt, dass die ungeteilte Gemeinschaft unter Brüdern das in den Weisthümern am häufigsten erwähnte Institut ist. Auch noch heute ist diese sogenannte Kommunhausung nicht verschwunden. In Bayern zum Beispiel findet sie sich noch vielfach, sowohl in Ober- und Niederbayern, wie vor allem in Schwaben. Vgl. Fick S. 50, 04/65, 80, 05. 103, 106, 113 u. s. w.

Mj In dem Artikel „Erbrecht und Vicinenrecht im Edikt Chilpericbs*.

So ist es z. B. bei der westfälischen Gütergemeinschaft und bei der heutigen offenen Handelsgesellschaft.

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‘*7

Der Vater hat aber nicht einmal die uneingeschränkte Ver- tretung; er ist vielmehr, wie oben ausgefiihrt, mannigfach be- schränkt. Es steht sonach selbst von seiten der hergebrachten Theorie nichts im Wege,*1) auch ihn als Vertreter der als Ge- sammthand gedachten „Were“ hinzustellen. Treten wir deshalb ruhig mit dem Prinzipe des Hauseigenthums an die Erklärung der Abfindung heran.

Dieselbe stellte sich sehr einfach, wenn Abfinden mit Grundtheilen identisch wäre. Dann wäre die Abfindung nichts als die bei Sprengung der Familiengesammthand auf jedes Mit- glied entfallende Quote des Familienvermögens. Allein Abfinden ist nicht Grundtheilen. Denn bei der Gruudtheilung müssen sämmtliche Gesaminthänder von einander scheiden: das Wesen der Abfindung besteht aber gerade darin, dass nur der Abfindling die Gesammthand verlässt, im Uebrigen aber keine Sprengung derselben eintritt, vielmehr alle anderen „in Theil und gemein“ verbleiben. Die Weisthümer scheiden deshalb sehr scharf zwischen „Theilen“ und „Abfinden“, schon in der Ausdrucks- weise,“9) aber auch sachlich. Beim Theilen werden nämlich nach der Kopfzahl der Theilenden Naturaltheile gemacht, und dem Gutsherrn gebührt ein „Theuersthaupt“.9") Beim Ab-

’*) Wenn aber auch etwas im Wege stünde, so könnnte das nichts andern an der oben festgestelltcn. nackten Thatsuc.be, dass auch das Ver- hältnis» zwischen Vater und Kindern von den (Quellen als Gesammthand auf« «fasst ist. Die Theorie musst« dann einfach selber nach den That suchen umgeändert werdeu.

*) Grimm 11, 650 § s

„Wann ein vatter und mutter ein erffgut kauften . . im fall nicht, sollen die anderen kinder samende hand theilen oder das ein die andere aberiebten mit gereiten gutem“.

’") Grimm III, 577 (Urspringen a. Rhön). „Zum ein und zwanzigsten so es sich nun begebe, das die giiter kinder halben gcteilet würden im feld und in dort, es werc acker oder wiesen, haus oder hof. an zweiteil, an vierteil, an sechsteil, an achtteil etc. .... so soll jeder mann ein teuerst haulit geben-.

o. Dnltzlg, Unaftdrrbrcciit 7

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schichten wird für die Ansscheidenden eine Summe nach billigem Ermessen bestimmt91) und es entfällt kein Theuersthaupt.92)

Das Recht der Abfindung ist vielmehr selbständig neben dem Theilrecht aus dem Hauseigenthum entstanden.

Es ist schon oben bei der Besprechung über die erbrecht- liche Stellung der Frauen darauf hingewiesen, dass die nicht verwaltenden Hausgenossen ein Recht auf Nutzung des Haus- gutes haben. Dass es sich wirklich um ein Recht handelt, lässt sich bei den Jndern, welche auch hier die alten arischen An- schauungen treu bewahrt haben, deutlich erkennen. Wittwen, Töchter, Wahnsinnige und Eunuchen müssen aus dem Haus- vermögen ernährt werden, obwohl sie einen Naturaltheil desselben nicht fordern dürfen. (Vgl. Leist Jus gentium S. 418.) Es folgt aber auch für das deutsche Recht aus verschiedenen Stellen der Weisthümer, vor allen daraus, dass diese den Kindern einen uuentziehbaren Anspruch darauf geben, im Hause wenigstens bis zur Grossjährigkeit,93) bisweilen auch länger94) unterhalten

M) Vgl. die § 3 a. E. citirten Weisthümer und die dortigen Toxl- ausfnhrungen. Vgl. auch noch das Recht von Payerne (bei Huber S. 42), welches über die gleichartige TBchterabtindung sagt:

. . . ipsi fratres unus vel plures parati fuerint dotern sufficientem aecundum facultatem dicti patris et secundum qualitatem peraonarum ad arbitrium quatuor propiuquorum et parentum suoruin dare*.

w) „Item begebe cs sich nun, das ein man seinen kindern gebe des fuldischen gutes, es were viel oder wenig, so soll man es ihnen leihen ohne silber und ohne gold (III 677 Urspringen a. Rhön“).

®>) Grimm V, 201 § 16 (Wattwyl,: [St. Gallen]) „Item wo auch eelichi geschwiistergit bi ainander unvertailt sind und weder Vater noch muoter haben, und under denselben geschwüstergiten noch unerzogene kind wärent, und dann die erzogene kind von den unerzogenen kinden wöltint tailen, danne so sülliut si den unerzogenen kinden so vil vorusz- geben und lassen, das sie ouch erzogen mügent werden, oder aber bi ainander, pliben untz das sie eli zuo iren tagen komeut un- gevarlich".

*•) Grimm I, 99 § 16 (Ossingeu im Züricher Land):

„Item so ein vatter und muter sön und töchtern hinder inen verliesse, so ist unser brach, das man den sönen einen vorteil nach gciegenheit des guott giebt an hüsern oder gütern, uund so die dBchtern, es weren vil oder wenig, sych nüt verheuratet, sollend sön der muoter und tochteren kalt und warm zu geben schuldig sin“ (andere Lesart: „herberig und platz im hus zu geben schuldig sin*).

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zu werden; es ergiebt sich ferner daraus, dass noch heute die Angehörigen einer bäuerlichen Familie den Beisitz in Fällen der Noth und Krankheit stets, nnd auch im Falle ihrer Rüstig- keit meist so lange fordern dürfen, als sie sich nicht selbst vom Hofe abschichten lassen wollen; und es wird endlich schon dadurch bewiesen, dass bei dem Vorbilde aller deutschen Ge- meinderschaften, bei der Markgenossenschaft, die Markangehörigen auch an dem Theile des Markgutes, dessen Vertretung sie nicht haben, nämlich an der Allmende, gleichwohl ein festes und unentziehbares Nutzungsrecht besitzen.10)

Wenn nun ein Familienmitglied aus der Hausgenossenschaft austrat, so konnte es die ihm zustehende Nutzung des Familien- vermögens nicht mehr in natura ausüben. Es musste ihm deshalb dafür eine Entschädigung werden. Wenn Grundtheilung eiu-

*9 Heuslcr leugnet die» und meint es habe den Mitgliedern keinerlei Privatrecht am Gemeindeland!', sei es an den Ackern, sei es an den Waldungen und Wiesen, zugestanden Denn sie hinten keinerlei Klage gehabt, wenu ihnen die Gemeinde die Acker wieder weggenommen hätte. Denn alle ihre Rechte hätten auf Gemeindestatut beruht und hätten des- halb auch durch Gemeindestatut wieder aufgehoben werden können. Mil Recht ist schon laust in seinen oft citirteu Werken gegen diese Auffassung und für die herrschende Gierke'sche Lehre eingetreten. Allerdings ist richtig, dass es dagegen kein Tribunal gah, wenn die Gemeinde beschloss, die Acker den Eignern wegzunehmen. Aber das hindert durchaus nicht: dass gleichwohl Privateigentlmm an jenen besteht. Auch heute kann der Staat alle Äcker und allen Besitz durch Gesetz einziehen, und es hilft dagegen kein Tribunal. Darum besteht aber doch zweifellos Privat- eigenthum an jeneu Gegenständen. Dass der Entziehung des Ackerlandes durch Beschluss des Gemeindedings nicht mit Klage begegnet, werden konnte, rührt eben einfach daher, dass diese Klage bei eben jener Diug- versammlnng angebracht werden musste, die den Eutziehuiigsbeschlnss aus- gesprochen batte, und die sich nicht gut selbst rektifiziren konnte. Die Klage war sonach versagt, nicht, weil kein Recht da war, das ihr zur Grundlage hätte dienen können, sondern weil niemand da war, der die Beachtung des Rechts hätte erzwingeu können. Es liegt genau so, wie wenn der Staat, oder der König heute ein Unrecht begehen und Privatrechte verletzen. In Deutsch- land hat man ja dagegen das Verwaltungsstreitverfahreu. aber viele lsioder haben es nicht, und frühere Jahrhunderte, so der hochentwickelte Rechts- staat der Römer, haben es nicht gekannt; und streng genommen ist es auch widersinnig, dass der Staat sich seihst zwingt. Gleichwohl wird niemand behaupten, dass deshalb die zertretenen Rechte keine Privat rechte seien.

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trat, so lag diese Entschädigung schon darin, dass der Aus- scheidende den ihm überwiesenen Theil nunmehr allein nutzte, während er vorher zwar die Nutzung des ganzen Hausvermögens gehabt hatte, aber mit den anderen zusammen. Nun soll aber bei der uns beschäftigenden Sachlage ja Grundtheilung gerade nicht eintreten. Dann musste offenbar dem Ausscheidenden eine besondere Entschädigung für die ihm fernerhin unmögliche Nutzung gewährt werden.

Diese Entschädigung ist die Abfindung.

Dass es in der That die Nutzung ist, welche die Grund- lage der Abfindung bildet, lässt sich zunächst deutlich aus dem citirten 3 a. E.) Weisthum von Lauenstein (ILL. 273 § 23) erkennen. Hier wird nämlich als Abfindung die Nutzung ge- wissermassen noch fortgewährt. Der Abschichtende soll dem Ausziehenden 3 fl. von jedem Morgen zahlen. Ja dieser braucht sich nicht einmal gefallen zu lassen, dass ihm Geld gegeben wird, er hat Anspruch auf Naturalnutzung, und darf einen Naturalzins von jedem Morgen verlangen. Und dieser Naturalzins ist es denn auch, der als Abfindung derart ein- geschätzt werden soll, „wie sich Freunde . . . vergleichen,“ so dass also in der Geldabfindung geradezu die Nutzung ver- körpert und durch sie ersetzt wird.

Ein fernerer Beweis für unsere Ansicht ist aber auch der Massstab, nach welchem die Höhe der Abfindung bemessen wird. Ursprünglich ist wohl hierfür das Bediirfniss des einzelnen Falles massgebend gewesen, wie dieses zweifellos für die Er- ziehung der Kinder massgebend war, (vgl. das in der Anm. 93 citirte Weisthum von Wattwyl), und wie es auch sonst für die Einzelnutzungsrechte am Gesammteigen die Richtschnur bildete. (Vgl. in Gierkes Genossenschaftsrecht die Ausführungen über die Allmende.) Allein bei dem Hang aller älteren Rechtsbildung und ebenso der Deutschen zum „Typischen“, wie es Brunner in seiner Rechtsgeschichte bezeichnet, bei ihrer Neigung, das gewöhnlich Zutreffende schlechthin zum Allgemeingültigeu zu erheben, wurde der Betrag der Abfindung sehr bald fixirt. Bei ihrem Haupt-, und Anfangs wohl einzigen Anweudungs- falle, bei der Aussteuer der Söhne oder Töchter zur Verheirathung, bildeten sich feste gewohnheitsrechtliche Normen, was bei diesem oder jenem Staude des Auszusteuerndeu zu einem anständigen

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Brautschatze gehört. Diese Taxen waren oft sehr speziell.96) Aber in ,'allen anderen Fällen blieb der Gedanke des Bedürf- nisses^ massgebend, der Gedanke, dass das Hausgut dem Aus- scheidenden, wie es ihn bisher ernährt, ihm nun, wo er sich von dem mütterlichen Boden des Hauses loslöst, auch fernerhin eine Beihülfe gewähren soll, auf die gestützt er auch ohne den bisherigen Rückhalt sich im Leben aufrecht erhalten uud unter Zuhilfenahme der eigenen Kraft sich und die Seinigen ernähren und vorwärts bringen kann. Deshalb pflegte man dem Ab- findling, wenn es ein Weib war, eine Hauseinrichtung mitzngeben: war es ein Mann, so erhielt er das, was man heute Betriebs- kapital nennt, nämlich die Anssaat, Pferde zum Bewirthschaften seines Gutes und ein Paar Kühe zum Einricliten eines Vieh- standes, auch neben dem Saatkorn noch einiges Getreide, wovon der junge Hausstand bis zur ersten Erndte zu leben vermochte.97) Auf diesem Grunde konnte und musste sich dann der Aus- geschiedene weiter helfen. Immer aber ist eins zu beachten. Das Haus sorgt weiter auch lür den scheidenden Sohn, es ge- währt ihm aus seiner Fülle' noch eine Mitgift. Aber dazu ist Voraussetzung, dass jene Fülle vorhanden ist. Nie kann das Interesse des Abfindlings so weit gehen, dass der Bestand des

*•) Eine solche Taxe hat uns Wigand (Paderborn Bd. 3, S. 65) über- liefert. Sie bezieht sich auf das Amt Boke. Der Brantschatz muss enthalten :

1) vier Kühe zwei Kinder,

2) ein Pferd ein Stuppcn,

3) ein völliger Brautwagen worauf uebst einem vollständigem Bette, Kisten und hölzern Geschirr, 36 Scheffel Roggen gehören,

4) ein Ehrenkleid.

6) die Führung frei von und zu dem Herrn.

Noch genauer ist das Delbrücker Landrecht (auch bei Wigand a. a. 0.) Cap. 5, § 7.

Wie allgemein bekannt früher solche Taxeu waren, zeigt nach Führers Schrift von 1804. Er sagt zwar „ausserdem erhalten aber die abzusteucmden Kinder noch den hergebrachten Brautwagen“, er hält aber nicht für nöthig zu sagen, woraus dieser besteht, eben weil dies so allgemein bekannt und „hergebracht1- war.

m) Vgl. die Taxe in der vorigen Anmerkung.

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<üten Hauses selbst gefährdet wird.97*) Ist es nicht möglich, dem, der sich aus dem Hausverbamle lösen will, eine hinreichende Beihülfe zu gewähren, so muss er entweder auch ferner im Hause sein Brod essen, oder er muss auch mit der nicht ganz hinlänglichen Ausstattung im Vertrauen auf seine sonstigen Fähigkeiten den Kampf ums Dasein wagen.

Es ergiebt sieh das auch schon dann, wenn man erwägt, wer die Abfindungen leistete. Sie wurden ja vom Vater oder einem im Hause bleibenden Bruder gezahlt. Diese aber wollten doch auch bestehen. Es ist deshalb ganz unglaublich, dass bei der gütlichen Einigung, auf welche die Weistliümer für die Höhe der Abfindung ausdrücklich verweisen,118) diese jemals einen Betrag hätte annehmen können, bei welchem es unmöglich ge- wesen wäre, das alte Hausgut fernerhin zu halten.

In dem Vorstehenden liegt aber noch ein Weiteres. Wenn das Bedürfnis entscheidet, so ist es nicht ausgeschlossen, dass der eine auszusteuernde Sohn weniger erhält als der andere; denn es soll ihm ja nur eine Unterstützung mit auf den Lebens- weg gegeben werden. Wer aber zum Beispiel in Kriegsdienste tritt, braucht weniger, um sich selbst weiter zu helfen, als wer die Landwirtschaft erwählt. Ebenso werden noch heute die Söhne aus guten, wohlhabenden Bauernfamilien Lehrer, oder nehmen Stellungen ein, die wrenig mobiles Capital erfordern. Deshalb bekommen sie auch weniger, als die Söhne, welche sich der Landwirtschaft widmen und namentlich Derjenige, welcher das Gut selbst übernimmt,118*)

Auf diese Weise gelangte das alte Recht dazu, die Gegen- sätze in der Familie zu versöhnen. Jeder erhält so viel mit, dass er in dem erw ählten Berufe aufrecht bleiben kann. Ueber

w*j Vgl. bezüglich der Abfindung der Töchter: Scbwabenspiegel cLaas- berg) c. 14«:

„und ist nicht anders da, wan daz ansidel, so stet es an der bruder gnaden waz sie der swester geben."

und die Wendung „secundum facuhatein dicli patris" in dem Recht von Payern e (Anm. 01 j.

®) Vgl. die § 3 a. E. citirten Weisthüiner.

***) Vgl. das einen ähnlichen Gedanken bergende Wort „aecnndum qualitatem personarum" im Rechte von Payerne.

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allem aber stellt das Interesse des Hausgutes; das muss zuerst erhalten werden. Insoweit geht also das Wohl des Gutes dem Wohle der Einzelnen vor. Aber, wie ganz anders liegt die Sache doch, als wenn man den gleichen Satz aus den guts-* herrlichen Verhältnissen ableitet. Wenn dort die Erhaltung des Guts zunächst ins Ange gefasst wird, so ist das hart fiir die Bauernfamilie; denn die Erhaltung geschieht dort nnr im Interesse eines Dritten. Hier jedoch schwindet jede Härte; denn da das Familiengut lediglich zum Nutzen der Familie da ist, so dient seine. Erhaltung doch wieder nur der Familie selber. Es kann ja auch jedes krank und schwach gewordene Familien- mitglied wieder im Vaterhause eine Zuflucht suchen. Noch heute müssen solche Schiffbrüchigen gegen Mitarbeit, soweit ihre Kräfte reichen, wieder auf dem Hofe aufgenemmen und verpflegt werden.99) Im Grunde genommen liegt deshalb die scheinbar auf das Wohl der Einzelnen keine Rücksicht nehmende Wahrung des Hausgntes gerade im rechtverstandeuen Interesse der einzelnen Familienmitglieder.

Diese Grundsätze, welche wir eben, gestützt auf alte Beispiele und auf noch heute fortwirkenden Rechtsbrauch, entwickelt haben, finden sich auch in ihrem Ergebnisse in den Weisthümern ausgedrückt. Das Ergebniss ist ja doch, dass für die Bemessung der Abfindung ein verständiges Ermessen walten muss unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Kräfte des Gutes und des Bedürfnisses des Abfindlings; und genau solches Ermessen schreiben die Weisthümer 3 a. E. citirt) vor in den oft gebrauchten Wendungen „nach billigkeit“, „nach erkenntnusz biderlüten“, „nach werdierungh der havessebulten“, „wie freunde sich ver- gleichen“. Ganz ausdrücklich betont ausserdem die doppelte Rücksicht auf die Kraft des Hofes und das Bediirfniss des Ab- findlings das ofterwähnte Recht von Payerne.

w| Vgl. das oben Gesagte. Auch iu Armenien ist es heute noch so. Vielleicht mit Rücksicht darauf nehmen einige Weisthümer in auf- fälliger Ahweichitng von den sonst geltenden Grundsätzen an, dass die Gemeinschaft unter den Kindern durch „beraten“ auch gegenüber dem aus- gesteuerten nicht aufgehoben wird, vielmehr dieser auch dann in der Ge meinschaft verbleibt, wenn er ins „elend“ d h. in die Fremde zieht (Weis- thum v Weitnau bei Schopfheim im südlichen .Schwarzwald. J

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Es sei noch darauf liingewiesen, dass noch Maria Theresia, hier wie anders in verständnisvoller Schonung des Herkommens handelnd, für das Anerbenrecht und die Aussteuer ganz'gleiche Grundsätze aufgestellt hat.“*1) Ja genau betrachtet ist der jetzt allgemein erschallende Ruf: nach der heutigen Volkswirt h- schaftlichcn Erkenntnis dürfe zur Grundlage für die Berechnung der Abfindungen nur der Ertragswerth des Gutes gemacht werden, dieser Ruf ist nichts anderes, als die Mahnung zur Umkehr zu jenen alten, vom Gewohnheitsrechte entwickelten Sätzen. Denn wenn die Abfindung, wie wir sahen, das Aequivalent für die Nutzung des Hausgutes bildet, so kann eben nur der Ertragswerth zu ihrer Berechnung herangezogen werden, wenn sie in Gelde angeschlagen werden soll. Hier, wie oft noch im Bauernrechte, erweist es sich deshalb, dass das alte Gewohnheitsrecht auch das Zweck mässigste ist : ist es doch auch der Niederschlag von Rechtsanschauungen, die selbst den gegebenen bäuerlichen Verhältnissen entwachsen sind und darum auch ihrerseits dasjenige liervortreiben, was dem innersten Wesen jener Verhältnisse am besten entspricht.

Ueber den Zeitpunkt, in dem man die Abfindung fordern kann, sind eben schon einige Bemerkungen mit untergelaufen. Auch hier herrscht der Gedanke, dass das Eigenthum der Familie zusteht, und dem Einzelnen nur ein wirthschaftlicher Nutzen daraus gebührt. Solange der Sohn deshalb im Hause bleibt, hat er zwar Anspruch auf Unterhalt, aber für eine weitere Leistung liegt kein Bedürfniss vor; daran kann auch der Tod des Vaters nichts ändern, denn erzwingt den Einzelnen

uw) Vg| Horchet S. 1313. Noch der Theresiauiachen Verordnung gilt Folgendes:

Den Hof erhält ein Anerbe .zu einem Wert dass er .hierauf hausen könne“, wobei das Betriebsinventar nicht selbständig geschätzt wird.“ (S. 1313). Überhaupt sollen die Umstände gehörig erwogen und der einzelne Fall .nach dem Ermessen der Gerichtsverpflichteten“ geregelt werden. Ja beweist der Übernehmer nachträglich, dass er nicht bestehen kann, so .soll die Obrigkeit schuldig sein, ihm nach obiger Vorschrift eine Iteduktion zukommen zu lassen (S. 1313.)

Dass in allen deutschen Kronländeru Österreichs vorher ein ähnlicher Brauch vorhanden war, wird in den Urünbcrg'schen Studien an verschiedenen Stellen bezeugt. (Vgl. oben Anm. 15b.)

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nicht aus dem Hause zu scheiden. Erst wenn dieser Austritt sich vollzieht, dann tritt die Frage ein, wie nun dem Einzelnen der jetzt doch nicht mehr den Nutzen des Gutes direkt im Hause geniessen kann, eine fernere Beihülfe aus dem Familien- vermögen zu gewähren sei. Wie diese Frage durch das Institut der Abfindung gelüst wurde, haben wir oben gesehen. Hier kommt es nur darauf an, zu constatiren, dass erst beim Austritt aus der Familie die Abfindung verlangt werden konnte. Der Zeitpunkt des Austritts selbst stand nicht allgemein fest. Ur- sprünglich richtete er sich wohl nach der Gelegenheit, die sich dem Sohne bot, eine selbstständige Wirthschaft zu errichten, deckte sich also wohl mit der Verheirathung. Auch später war dies noch der weitaus häufigste Fall, weshalb die Abfindung auch schlechthin „Brautschatz“ genannt wurde.101) Doch kamen zu den Gründen, aus denen man den Austritt verlangen konnte, später vor allem der Tod des Vaters und die Grossjährigkeit. Soviel über den Zeitpunkt der Abfindung. Belege dazu aus den Weisthümern anzuführen, dieser Mühe überhebt uns wohl die unzweifelhafte Thatsaehe, dass noch heute über diesen Punkt gleiche Grundsätze gelten.

Was endlich die Wirkung der Abfindung anbelangt, so muss sie die gleiche sein, wie die der Grundtheilung. Beides sind ja zwar verschiedene, aber gleichwerthige Arten sich aus dem Hausverbande zu lösen. Da nun das V ermögen unter dem Gesammtrecht des Hausverbandes steht und dem Einzelnen kein Eigenthum daran zukommt, da ferner auch kein wahres Erb- recht vorhanden ist, so muss man erwarten, dass der Einzelne, wenn er sich aus dem Hause, dem Subjekte des Vermögens, loslöst, jegliches Recht an diesem verloren hat So steht es denn auch für die Theiluug schon in der lex Burgundionum Tit. 1 cap. 2: „aut si (sc. pater) cum filiis diviserit et portionem suam tulerit, et postea de alia uxore filios habuerit aut unum aut plures, illi filii, qui de secunda uxore sunt, in illam quam pater aecepit portionem succedant, et illi qui cum patre dividentes portiones suam fueruut consecuti, ab eis penitus nihil requirant“. Und für die Ab- schichtung spricht es mit dürren Worten das bei Führer S. 157

,01) Dieser Ausdruck ist namentlich in den J.andesordnungeu üblich.

mitgetheilte Hageuweisthum von Wiembeck aus: „Hierüber ist er- kannt .... Weraberaus dem Hofe bestattet, der mag folgende nichts mehr erben.“ Doch auch die bei Grimm gesammelten Weisthümer weisen auf nichts anderes hin. Auch nach ihnen bringt der Austritt aus der Hausgenossenschalt durch Theilong oder Abschichtung für den Einzelnen ein eigenes Hausvermögen hervor, aus dem alten aber ist er ausgeschieden. Deshalb beerbt er nicht seine früheren Gemeinder, und wird auch von ihuen nicht beerbt."'-) In hofiechtlichen Verhältnissen tritt demgemäß das eventuelle Heimfallsrecht des Hofherrn ein. wenn der Aus- geschiedene keine Kinder hat. So z. B. Grimm IV, 519 (Wein- garten nördlich von Durlach): „Si quis censualis facta legitim» divisione rerum nondum uxoratus absque filiis legitimis migraverit, nec a fratre nec a sorore vel aliquo propin- quorum hereditabitnr, sed omnia tarn mobilia quam im- mobilia, quae reliquerit, in usum cedent ecclesie“.

Noch schärfer tritt der Charakter der Lösung aus der Were hervor, wenn der Vater schon bei Lebzeiten seine Kinder ausberaden oder abgetheilt hat. Hier wird er nicht einmal von seinen eigenen Kindern beerbt, sondern auch hier tritt da- gutsherrliche Heimfallsrecht ein. Z. B. Grimm IV, 435, § io Eugelberg in Unterwalden) „. . . .wen ein man abgienge one kindt. so theilten die herren mit der froutven durch den bank, und wurde iren der halbe theil. Hetten sy ouch eeliche kind und von denen nit getheilt betten, so erbten die kind: hetten aber sy mit ineu getheilt, so erbten die herren den vatter. ob er abgienge, Me‘) und theilten mit der mutter“. Ebenso V. 97 u. V, 99. Nach dem Hofrechte von Westrnm in Westfalen (III, 197) und in anderen westfälischen Rechten beerben au- dem gleichen Grunde die Gutsherren den Auszügler.

Als nun ein wahres Erbrecht aufkam, mussten natürlich diese starren Grundsätze eine Abschwächung erleiden. Zunächst behielten sie noch die Oberhand, doch fand man es für nöthig

lia) Eine überraschende Analogie bietet der römische Emancipa:n> Vgl. oben § 4 und § S.

*•*•) Das „migraverit“ im vorigen Weisthum ist die lateinische Cebt-r setzung dieses „abgienge“

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sie durch ausdrücklichen Verzicht der Miterben zu sichern, (vgl. VI. 553 § 16 [Ulflingen im nördlichen Luxemburg], ebenso die oft citirteu Essenschen Hobsreehte bei Sommer). Schliesslich aber mussten sie weichen, doch nur zum Theil. Die Ausge- schiedenen hatten regelmässig noch immer kein Erbrecht am noch ungetheilten Familiengut und ebensowenig an dem Gute der gleich ihnen Ausgeschiedenen. Aber in subsidiuni gewannen sie eins. Wenn nämlich der „ledige Anfall“ eintrat, d. h. wenn keine unausgeschiedenen oder dem Grade nach näheren Erben für die eben genannten Gütermassen da waren, so trat nicht mehr Heimfall ein, sondern die Ausgeschiedenen wurden zum Erbe zugelassen. So ist es in den Weisthümern gemeinen Rechtens,1'0) so wird es auch ausserhalb der Weisthümer sowohl für Hof- wie für Stadtrecht namentlich aus burgundischen Gegenden gemeldet,"0*) so ist es in das lübische Stadtrecht übergegangen.1'14) Und auch heute noch gilt dieser Rechtssatz: dass die Annahme der Abfindung Verzicht bedeutet bis auf den erblosen Tod derjenigen, welche den alten Unausgeschiedenen heute entsprechen, nämlich der Leute, zu deren Gunsten der Verzicht geschehen ist.

,<B) Grimm I, 16 § 69 ( Münchaltorf im Züricher Land). „Item wo ein vatter sin kind usstürt, des sol sich das kinl lassen henuegen, nu und hienach untz an einen rechten anfal“. Ebenso V, 200 § 12 (Wattwyl a. d. Thur) und viele andere Stellen.

ll0*) Über das bnrgundische Rechtsgebiet vgl. Huber S. -12. Den ledigen Antall haben z. B. Nyon : „Item quod si aliquis burgensis filiam aut sororem suam nuptnm tradiderit, assignata ei dote sua in hereditate patris et matris aliquid reclamare non debeat, quamdin alii heredes existunt, sed dote sua debet esse conteuta“. Ebenso Murten Art. 17: „Praeterea cum aliquis burgensium filiam suam tradit nuptui assignata dote sua, in here- ditate patris vel matris aliquid reclamare non debet, quamdiu alii heredes existunt.“ Dass dasjenige, was hier von der Abfindung der burgundischen Töchter gesagt ist, ebenso von der Abfindung der Söhne und nicht nur für Burgund gilt, belegt Huber 8. 43 mit Citaten, wovon namentlich Schwaben- spiegel (Lassbergj c. 148 hervorzuheben ist.

104) Vergl. darüber: Paulsen, Schleswig-Holsteinisches Privatreeht..

S. »26 ff.

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§ 11.

Dieses Institut der Abfindung und der Were, wie es eben geschildert ist, hat eine über das Gebiet des bäuerlichen Erb- rechts und auch des Anerbenrechts weit hinausragende Be deutung. Es wurde gezeigt, dass es aus den ältesten deutschen Rechtsanschanungen heraus entwickelt ist. Es wurde erwähnt, dass es auch in Stadtrechte Eingang gefunden hat; es mag noch darauf hingewiesen werden, dass es auch bei den Gan- erbschaften des Lehnrechts und bei den Stammgütern des Adels eine Rolle gespielt hat. Gleichwohl hat es sich im Gebiete de> Bauernrechts vorzugsweise entfaltet, ist uns heute in ihm allein aufbehalten, und endlich ist seine Berücksichtigung in der Ge- schichte des Anerbenrechts geeignet, die Lücken ausznfüllen. welche nach unseren obigen Ausführungen (im § 3) dessen alleinige Gründung auf die Untheilbarkeit in dem historischen Zusammenhänge lassen muss. Das Anerbenrecht im technischen Sinne, d. h. die Erbfolge in ein Bauerngut unter Abfindung der Milerben nach den gekennzeichneten, eigenartigen Grundsätzen, die- Anerbenrecht, wie es seit den letzten Zeiten der Weisthümer bis zu der Zeit der Landesordnungen im 18. Jahrhundert seiner räumlichen Ausdehnung nach als gemeines Recht bestanden hat. dessen Entwicklung ist nämlich nach des Verfassers Ansicht etwa folgende gewesen.1"4*)

Solange die strenge Untheilbarkeit bestand, d. h. solange die Vorstellung von dem Eigenthum des Herrn oder der Ge- meinde noch wach war, solange konnte natürlich nur einer in das Gut succediren. Allein es ist mir sehr zweifelhaft, ob das überhaupt eine wahre Erbfolge war, ob die scheinbar

I#u) Und zwar glcichmäsaig bei freien und hofhörigen Gütern, t- wird aber im Folgenden vornehmlich auf letztere Kiicksicht genomtn-- werdon, einmal weil sie wegen ihres räumlichen Uoerwiegens praktisch am meisten in betracht kommen; vornehmlich aber deshalb, weil man ihnen gerade so ganz andere Entwickelungsprinzipiell untergelect hat und be- hauptet hat. dass sich hei ihnen das Anerbenrecbt von der Untbeil- harkeit herzchreihe Es wird gezeigt werden, dass sich auch hei ihnen dJ-

Anerhenrecht dennoch am besten aus den landrechtliclien Prinzipien der „Were“ erklären lässt.

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10!»

Succession nicht vielmehr nur auf thatsächlicher Erblichkeit beruhte, indem der Herr oder die Gemeinde einem Sohne das Gut nur usuell wieder austhat, geradeso, wie es bei der Erbfolge in Lehen Jahrhunderte lang geschehen ist und wie es sich auch bei den bäuerlichen Lassgütern bis in unsere Tage erhalten hat. Wie dem auch sei. solange jedenfalls das Eigen- tburn des Herrn oder der Gemeinde in der Idee fortlebte und der Bauer nur ein dingliches Nutzungsrecht hatte, solange konnte das Bauerngut selbst nicht Gegenstand des Hausvermögens sein. Denn die Stelle, die dann dem Ge- sammtrechte der Familie gebührt hätte, (indem dieser das Eigen- thum, dem Bauer aber die Verwaltung als dem zeitigen Familien- haupte zugestanden hätte), diese Stelle war durch das Recht des Herrn oder der Gemeinde eingenommen. Das Bauerngut konnte deshalb nicht in die Were fallen, sondern nur das mit ihm Erworbene, die „operata pecunia“10") oder das „gereite, fahrende Gut“. Es war deshalb nur folgerichtig, dass auch bei der Abfindung das Gut ganz ausser Ansatz blieb und die Abfindung nur aus den „gereiten“ Gütern erfolgte. Indessen diese Ordnung des bäuerlichen Erbrechts war nach unseren Ausführungen in § 3 keineswegs die normale. Ja, wie sich vermuthen lässt, dass dieser ganze Zustand nur auf einem prekären Erbrecht ruhte, so ist es wahrscheinlich, dass sofort mit dem Eindringen einer wahren Succession der Descendenten die Untheilbarkeit der Höfe gesprengt wurde. Denn dieses Erbrecht an den Höfen kam zu einer Zeit in Geltung, als die alte Gleichberechtigung aller Erben in der Idee immer noch feststand; als blutige Kiiege dadurch veranlasst waren, dass den Deutschen der Begriff der Einerbfolge fremd war; als durch diesen Mangel der Einerbfolge die Zersplitterung des fränkischen Reiches bewirkt war. Es wird deshalb auch in diesem Falle bei den Bauerngütern so gegangen sein, wie bei den Lehen, dass seit dem Augenblicke, wo eine wirkliche Erb- folge eingeführt wurde, nach ganz kurzer Zeit die alte Untheil- barkeit vergessen wurde und das Splittern und Trennen seinen

m) Lege« familiae St. Petri (Grimm 1, 805 § 10).

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Anfang nahm.“16) So kann es dann auch nicht Wunder nehmen, dass in den Weisthümern, wo das Erbrecht unbestritten durch- gedrungen war. und wo auch die Gleichberechtigung der Ge- schwister noch feststand, sicli so erstaunlich wenig Beispiele eines wahren Anerbenrechts linden, sondern die freie Theil- barkeit als Regel erscheint. Und auch die paar Beispiele, welche sich finden, gehören überwiegend dem jüngeren An- erbenrecht an.,,IÄ*)

Die Wiedergeburt des Anerbenrechts erfolgte nämlich heraus aus dem Institnte der Were. Denn dieses, entstanden zwar mit Hülfe des Gedankens der Untheilbarkeit, aber zugleich auch ohne ihn auf selbständiger Grundlage, konnte sich behaupten, auch als die Untheilbarkeit mehr und mehr zurückwich, und hat sich behauptet. Dieselben Weisthümer, welche hinsichtlich der Erbfolge auf dem Boden des freiesten Individualrechts stehen, sie sind wie schon bemerkt, voll von Beispielen der Haus- genossenschaft. ja es findet sich die Abfindung nach dem Systeme der Were und die Theilung nach dem Systeme des Individuai-

,0“) Die Analogie, welche zwischen den Geschicken der Bauer- und Lehugüter obwaltet, hat sich schon seit Carpzorrs Zeiten den Blicken der Schriftsteller nicht entzogen Uleichwohl ist die mit jener Theorie operircndc I^ehre, welche lange die allein herrschende war, heute sehr in Misskredit gerathen. Allein die unzweifelhaften Irrthüuicr, welche die alte Theorie beging, lagen nicht in der Aufstellung dieser Analogie, sondern in den Folgerungen, die man daraus zog. Wenn nämlich auch die Ä hnlichkeit besteht, so braucht sich diese doch nicht auf alle einzelnen Punkte zu er- strecken, sodass mau tlir die dunklen Fragen des Bauemrechts, die Knt - Scheidung einfach aus dem Lebnreeht outnehmen konnte. Und noch weniger durfte man sie aus dem langobardischen Lehnrecht entnehmen, denn die ganze Analogie bezieht sich natürlich nur auf die Geschicke der Lehen in Deutschland. Wie sehr aber sonst die Analogie auch unbefangenen Be- obachtern sich aufdrängt, zeigt Stobbc Bd. V, der in seiner Schilderung des bäuerlichen Erbrechts fortwährend Seitenblicke auf das Lehnrecht wirft Vgl. neuerdings auch Frommhohl, Eiuzeierbfolge.

"**) Es ist demnach eine ziemlich überflüssige Mühe wenn Brentano und Fick sich mit dem Nachweis abgeben, dass das deutsche Recht bereits im frühen Mittelalter zur Idee der Gleichberechtigung aller Kinder über- gegangen sei. Das ist niemals bestritten worden. Die Idee ist sogar niemals aufgegoben. Aber gleiche Berechtigung und formell gleiche TtteUung sind nicht identisch. Das gleiche Anrecht kann, wie wir sahen, auch durch Abschichtuug verwirklicht werden.

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rechts in ein und demselben Hofreehte.1"7) Es ist nun leicht auszumalen, wie auf dieser Grundlage in einer Gegend, wo das Weresvstem herrschte, ein Anerbenreeht im späteren Sinne sich ausbilden musste. Pflegten nämlich die Väter ihre Kinder zu „beraden“, so schieden ja diese damit aus der VVere, aus dem Hausvermögen, aus, und hatten an ihm keine weiteren Rechte mehr, wie oben gezeigt. Es musste deshalb dem einzigen, der unausgeschieden übrig blieb, zufallen, ein Resultat, wie es durch die strengste Untheilbarkeit nicht besser erreicht werden konnte. Welches Kind unausgeschieden bleiben und durch sogenannte „Beibestattnng“ zum Erben designirt werden sollte, war theils dem Belieben der Eltern überlassen,1"8) theils waren sie oder wurden sie hier an die natürliche Folge der Ab- findungen gebunden, so dass der Jüngste, der allein Ueberbleibende und damit der Alleinerbe war. Das ist die Erklärung des in Deutschland so üblichen Minorates. "‘‘j Man könnte dem ent-

lw) V. B. l'rspringen n. Kliiin (111,677): «Zuin rin und zwanzigsten, sn es sich nun begehe, das die giiter kinder halben getheilt würden in feld und in dorf, cs were acker oder wirsen, haus oder hof an zweitteil, an vierteil, an sechsteil, an achtteil etc. . . .“ (also fre ieste Individualtheilang, und doch folgt gleich darauf eine Regel über den Fall, wo ein Vater uach dem Weresystem sein Kind aussteuert und abfindet.): „Zum zwey und zwanzigsten : Item hogehe cs sich nun, das ein man seinen hindern gehe ries fuldischcn gutes, es were viel oder wenig, so soll man es ihnen leihen ohne Silber und ohne gold“.

Ebenso Theilung und Abschichtung zusammen II. 550 1. c.: «samende band theilen oder das ein die andere aberichten ". Vgl. I, 27b (Thannegg und Fischingen) ,. . . . wenn aber etliclierlay ungeteilt plypt, ... so soll das ungetailt das getailt ziehen".

,0K) Grimm VI, 552, :> 42 Ulflingon im nördlichen Luxemburg): . . . . . wann vatter und mutter ein kind bei sich setzen, des haben sie macht mit freundsrat und mit heuratsleuten, zu erben, wie recht im hof, hauszen (d. h. «ohne“) scheffen und gericht ... und haben vatter und mutter die macht under den hindern eins auszuhnlen, welches in geliebt".

™) Beispiele des Minorats in den Weisthümern: V, GO § 80; I, 283 und 361. Vgl. im I hrigen Schröders Register zu den Weisthümern unter Minorat. Noch heute vollzieht sich vor unseren Augen im Pendsehab die Entwicklung des Minorates auf gleiche Weise, ln den Bergländern des Kangrabezirks sind die Güter zu klein, um mehrere Söhne zu ernähren. Einer muss deshalb hinaus. Gewöhnli-h lässt sich nun der Aelteste zuerst

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gegnen, der Vater werde oft nicht so alt geworden sein, die vollständige Abfindung aller übrigen bis auf den Jüngsten durch- zuführen. Allein einmal werden die Bauern sehr häufig alt. Und selbst wenn der Vater gestorben wäre, so hätten in einer Gegend, wo einmal die Sitte durchgedrungen war, die Kinder bis auf den Jüngsten auszuscheiden, die Vormünder des Vaters das Werk fortgesetzt. Denn diese traten in der Verwaltung voll- kommen und in ganz anderer Weise als heute in die Stelle des Vaters. (Vgl. I, 100.) Der letzte wichtige Grund aber für unsere Erklärung des Minorats ist der, dass sich eine andere schlechterdings nicht finden lässt, am wenigsten dann, wenn man allein von der Untheilbarkeit ausgeht. Denn die Einerbfolge gründet sich doch dann darauf, dass die Verleihung nur an Einen erfolgen konnte; und dass zu diesem Einen usuell der Jüngste erwählt wäre, ist ein unglaublicher Gedanke. l(is,a) Stets wurde, wo es auf Verleihung ankam, und sich dabei eine feste Gewohn- heit ausbildete, in Deutschland der Aelteste gewählt; schwerlich lässt sich auch nur ein Gegenbeispiel anführen. uo)

abschichten und geht vom Hofe in Kriegsdienste oder sucht einen andern Erwerb. Der Jüngste bleibt sonacli allein, und in seiner Hand consolidirt das Gesammteigenthnm der Hausgenossenschaft. Er wird sonach Alleinerbe. Wie in gleicher Weise der Aelteste Alleinerbe wird, wenn er in der Were zurückbleibt und die jüngeren Kinder abschichtet, werden wir gleich sehen. (Vgl. Köhler S. 208.)

,09*) Fick, der das Anerbrecht überall aus der vom Gutsherrn be- günstigten Untheilbarkeit erklären will, geräth denn auch bei dem Minorat mit seinen eigenen sonstigen Theorieen in argen Widerspruch. Er erkennt 8. 293 au, dass das Minorat, aus der landrochtlichen Sitte fortschreitender Ahschichtungeu erwachsen sei. Wie sich diese Behauptung mit seinen sonstigen verträgt, verrät h er nicht,

no) Diese Sätze sind unverändert aus des Verfassers Referendar- arbeit, aus der die gegenwärtige Abhandlung entstanden ist, übernommen Er glaubte damals etwas Neues zu sagen. Aber er hat wieder die Wahrheit des alten Wortes erfahren müssen: „Nichts Neues unter der Sonne'“ Bei nochmaliger Durchsicht der (Quellen hat Verfasser erkannt dsss zwar von den neueren Schriftstellern noch keiner die gleiche Lehre aufgestellt hat. so nahe auch manche dem Richtigen gekommen sind, dass aber schon im J«. Jahrhundert jene Lehren durch Matthias von Wicht und den oft ge- nannten tüchtigen Schüler H. Conrings, den Braunschweiger August N ölten, ziemlich in derselben Weise ausgesprochen und verlhcidigt sind.

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Das Majorat dagegen ist zwar auch auf dem Boden der Were erwachsen: allein es scheint nicht so sehr ans denjenigen Ausradungen hervorgegangen zu sein, welche der Vater vornahm, als aus denen, welche die Kinder untereinander vollzogen. Es konnte sich zwar auch aus den vom Vater bewirkten Ausradungen entwickeln, nämlich durch die oben (bei Anm. 108) erwähnte Sitte der Beibestattung. Wenn die Eltern nicht nach der natürlichen Reihenfolge abschichtefen, sondern von vornherein ein Kind als überbleibenden Hofeserben bezeichneten, so werden sie hierzu wohl meist den A eitesten erwählt haben. Schliesslich kann daraus ein fester Brauch entstanden sein. Allein die Bei- bestattung tritt nicht als weitverbreitete Sitte auf; sie kann deshalb das so weithin herrschende Majorat nicht allein erklären. Hierzu müssen die Ausradungen, welche die Kinder unter sich Vornahmen, herangezogeu werden. Dass diese einander ab- schichten durften, ist oben gezeigt, und entspricht auch durchaus der Natur der Sache, ln den Gemeinderschaften, welche die Kinder untereinander hatten, nahm non bald der Aelteste aus doppeltem Grunde eine herrschende Stellung ein. Einmal be- durfte doch die Gemeinderschaft nach aussen der Vertretung eines Mannes, der sie vor dem Grundherrn oder vor Gericht repräsentirte ; dies war naturgemäss der Aelteste. Ihm wurde

Ich glaube einer Ehrenpflicht zn genügen, wenn ich flies flem Dunkel der Vergessenheit entreisse.

Nach jenen Autoren beruht nämlich, wie schon erwähnt, das Erbrecht auf Mitbesitz am Gute. Wer aus dem Besitze austrat, verlor deshalb nach ihnen sein Erbrecht. Nun traten die älteren Söhne vor den jüngeren aus, 1) weil sic Kriegsdienste nahmen, während jene zu Hause blieben, 2) „alteram retentae a minoribus paterni foci possessionis causam, matrimouium a maioribus natu quam minoribus prius initum statuimus", da durch die Heirat „maiores natu filii capita et principes propriae tiebant familiae* und deshalb aus der alten Familie gänzlich aus- schieden; „itaque minimus ... in possessione fundi remanebnf. So blieben die jüngsten Söhne im Alleinbesitz des väterlichen Gutes zurück und wurden so von selbst Alleinerben und Alleineigenthümer, wenn ihr Vater nebeu ihnen fortfiel: „Ex quibus iatn satis liquere puto minimum tratrem tantum non fd. h. „beinahe“) semper in proxima fundi paterni possessione atque ex ea successorem fuisse“ (Nolten S. 25 ff, i

In der That eine merkwürdige Übereinstimmung mit unseren Aus führungen '

Dultzig, Gründer brecht. $

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allein das Gut verliehen;'11) er kam allein nach aussen in Betracht, nur bei seinem Tode wurde deshalb Sterbefall ent- richtet.112) Ebenso bedurfte aber die Hausgenossenschaft nach innen der Organisation. Waren noch unmündige Geschwister da, so war der Aelteste als nächster Schwertmage schon von vornherein deren Vormund. Diese Thatsache mochte ihm dazu verhelfen, dass ihm auch die grossjährigen Geschwister die Vertreterschaft der Gesammtliand übertrugen. So gewann er eine überragende Stellung. Und wenn er nun zur Ausberadunc seiner Mitgemeiner113) schritt, so blieb er schliesslich als Einziger

ul) Die Stellen hierüber sind sehr zahlreich. Wir führen einige an: IV, 3G9 ^Luzern) „und mit dem val und mit dem erbschatze hat das eitest kind das erb empfangen ze der kinder aller henden“.

IV, 372 § 10 (Emmen) „. . . so soll ein probst bi dem eisten kind die andern kinden ir erbe senden, und hant damit du kinde allu ir erbe enphangen“.

Dieselbe Formel findet sich IV. 37» § 21 und Öfter. IV, 4SI § 14 (Egringeu nördlich von Lörrach) „Und mogent die liuber iren kinden geben die güter, die in den hoff gehörent, also doch, das der ältest traget sye der güter ze hoff und den zins gebe von denselben giitern und die güter habe in rechtem buwe“. Fast wörtlich so I, 321.

Für die gerichtliche Vertreterschaft spricht sich aus I. 152 (Einsiedeln i „wer aber, daz vil briider in einem hus und in einer cost ungeteilt werint, so mag wol der eltist bruder zu den gerichten gan und dio anderen brüder, so daheim beliben, versprechen“. Etc. etc.

m) Auch dies findet sieh sehr oft; z. B. I, 190: „Item wa ouch un- getailti geschwustergit sind, das knaben waerint, gat da der eltst ab. voc dem nimpt der abt ainen val; sturb aber der ains ab. daz nit daz eltst waeri, von dem nimpt er mit“ (Appenzeller Land). So oft, zumal im Ge- biete von Zürich und von St. Blasien im Schwarzwald. So auch schon die Rechte der Wachszinsigen des heiligen Patroclus zu Soest von im und 1150 (bei Sommer 1. c. Bd. 2 S. 123): „Sunt quippe in eadem familia (d. h. Hofgenossen Schaft) plurimae cognatioues, iuquibns singnlis, qui senior fuit. duos numtnoa vel duos eiusdem pretii cerae fundos anuuatim ad altare I’atroni nostri deferre debebit, ceteris omuibus a condition« debiti huius liberis permauentibus. Cum vero senior illo obierit, primus aetate et consan- guinitate ad persolveudum Üensuin locum eius obtinebit; pro defuncto autem melius indumentum, quod habuit, ad altare del'eratur. se.i nullus juniorum hac lege teuebitur“.

113) Im heutigen Rechte des I’eudschab sind die Geschwister gesetzlich dazu verpflichtet, solche Abfindung anznnehmen. Im Kangbrabezirk müssen die jüngeren Geschwister ausserhalb Unterhalt suchen, wenn da» Gut nicht

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übrig, so dass in seiner Hand das Gesammteigenthum con- solidirte, und er als wahrer Anerbe dastand. Der einzige Schritt, den die Rechtsentwicklung zu thun hatte, war der, das Resultat vorauszunehmen und nicht erst abzuwarten, bis die Mit- erben dem Aeltesten die Vertretung der Gesammthand über- trugen, sondern ihn gleich an des Vaters Stelle zu setzen. Dieser Schritt war auch formell nicht gross; man brauchte nur aus den Rechtsweisungen, z. B. aus den eben citirten Weis- thümern den Passus „ze der kinder aller bänden“ fortzulassen; und diesen Wortlaut hat in derThat das Weisthum von Willich bei Krefeld (1499), welches das Majorat statuirt. Es lautet (II, 76.3): . . . so wann eer ein hafsmann stirbt zo der

neister tinsbank. soll der eiste soen koemen und untfaugen dat guet weder an die hand und staen in dem eid sins vaders“.

Doch nicht allein die Weisthümer lassen erkennen, wie leicht die hervorragende Stellung, die der Aelteste in der Ver- waltung des Familiengutes einnahm, in ein wirkliches Majorat übergeht. U eberall, wo arische Rechtsanschauungen über das Familienleben gelten, finden sich dafür Beispiele.

Wir haben oben 4 bei Anm. 28) auf das indische Recht hingewiesen, wo der älteste Sohn an Vaters statt die Haus- haltung fortführt und dessen altes Hausfeuer wieder anfacht. Wir haben auch betont, dass der Aelteste darum noch nicht

für alle ausreicht (vgl. Kühler S. 207). In Deutschland ist eino gleiche Verpflichtung für alte Zeiten allgemein nicht nachweisbar. Nur für Töchter findet sie sich im Recht von l’ayerne (bei Huber S. 42). Doch auch ohne gesetzliche Verpflichtung Hessen sich Söhne und Töchter jene Abfindung gern gefallen, Denn wenn auch die Ausberadnng geringer sein konute als der Civilerbtheil, so lag bei der richtigen Theiluug die grosse Unbequemlichkeit vor, dass die Lasten, welche vorher auf dem Ganzen lagen, nun auf jedem Th eil, aber ungetheilt lasteten. So z. B. giebt. nach dem Rechte von Weidelbach im Hnndsrück, jeder Theil ein Besthaupt, so lange mau noch „ein dreistemplichen stulil druf stellen könnt.“ (II, 172). (Vgl. über die auch nach der Theilung bestehende Solidarhaftung: v. Schwind S. 65 ft'., und für Bayern: Fick S. 27). Diese und andere Unannehmlichkeiten, im Verein mit den socialwirtbschaftlichen Verhältnissen, bewirkten es, dass das An- erben- und Wererecht sich so ausbreitete. Doch wirkten namentlich die wirtbschaftlichen Verhältnisse stärker im Norden und Nordwesten als im Süden und Südwesten (vgl v. Miaskoswki Bd. 1 S. 72 f.)

8*

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Alleinerbe ist, da später bei der Erbtheilung seine Geschwister ein gleiches Tlieil mit ihm nehmen. Es lag aber nahe, ihn als alleinigen Erben anzusehen, da er ja alles das erhielt, was der Vater gehabt hatte, nämlich die Verwaltung des Hausgutes. Es wird deshalb nicht Wunder nehmen, dass ihn einige indische Quellen geradezu als alleinigen Erben bezeichnen. Die Aeusserung Gautamas: „Das ganze Vermögen mag an den Erstgeborenen kommen und er soll die Uebrigen wie ein Vater halten“, braucht man noch nicht nothwendig dahin zu verstehen. Aber mit dürren Worten spricht Apastamba aus: „Einige erklären, dass der älteste Sohn allein erbt“, wozu der Commentator Haradatta anmerkt: „Die andern leben unter seiner Protektion“. (Vgl. Leist, jus gentium S. 417).

Doch auch im deutschen Rechte selbst fehlt es auch ausserhalb114) der Weisthümer nicht an Zeugnissen, welche aus der vertretenden Stellung des Aeltesten in der Hausgemeinschaft ein alleiniges Erbrecht desselben ab- leiten. Wenigstens die volle Verwaltung und Vertretung nach aussen und innen gewährt dem Aeltesten das Rechtsbuch Kaiser Ludwigs, wenn es sagt (c. 117 bei v. Freiberg, Sammlung histor. Schriften IV, 432): „swo chint sint, geschwistergeit, die ungetailt sint von einander, und daz eitest under den chinden recht suocht, daz si allew antrifft, umb swelcherlay sache daz ist, ze gewin und ze Verlust, dieweil si ungetailt sint, und swaz daz behabt, dez stillen sie auch geniezzen, und swaz ez daran verlust liet, dez stillen sie auch entgelten“. Geradezu als alleinigen Erben betrachten aber den Aeltesten die friesischen Quellen. Das 21. Landrecht bestjmmt, dass im Rechtsstreite über das Eigenthum derjenige der Klage zu beantworten habe, „der im Hause der älteste sei,“ und zwar so, wie es nur der Alleinerbe sonst thun darf: „. . . thet lefde m i min aldefeder . . . demth hit m i thi asega“. Nach dem Schulzenrechte ist die Stellung des ältesten Bruders der des Vaters sogar derart angeglichen, dass die jüngeren Brüder nicht einmal ohne seine Erlaubnis auf den Hof heirathen dürfen. (Vgl. v. Amira S. 201 und 200). Und auch in Burgund findet sich

IM) Auch das ist ein Beweis neben den vielen anderen, dass das Anerbenrecht keineswegs ein ausschliesslich hofrechtliches Institut ist.

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eine Stellung des Aeltesten in der Hausgemeinschaft, die einem vollen Anerbenrecht entweder sehr nahe kommt oder ein solches ist, und zwar vornehmlich bei den freien Gütern.114*)

llu) Vgl. Huber S. 17, Anm. 8. Auch in Frankreich war daa Majorat unter dem Namen droit d'ainesse sehr verbreitet. Selbst Brentano (Zukunft S. 444) und Fick (S. 288) erkennen dies an. Fick ist sogar der Ansicht, dass jenes Recht aus der deutschrechtlichen Vorsteherschaft des Aeltesten in der Hausgenossenschaft abzuleiten sei, und dass sich auf dem gleichen Wege auch in Deutschland ein Anerbenrecht oft entwickelt habe. Er meint jedoch, dass sich für Bayern ein Gleiches nicht werde nachweisen lassen (S. 288). Indessen wenn in anderen germanischen Kechtsgebieten ein Institut aus einem bestimmten Gedanken entsprossen ist, so spricht doch eine starke Vermuthung dafür, dass auch in Bayern derselbe Gedanke der treibende war. Dieser Vermuthung gegenüber, die hier noch durch die oben citirte Stelle aus dem Rechtsbuche Kaiser Ludwigs wesentlich ver- stärkt wird, muss umgekehrt der Nachweis verlangt werden, dass in Bayern jener Gedanke nicht massgebend gewesen sein kann Solcher Nachweis ist aber nicht einmal versucht. Die Ursachen vollends, die Fick anstelle der von uns herangezogenen für Bayern in Anspruch nehmen zu dürfen glaubt, sind gekünstelt und haltlos, wie sich noch zeigen wird. Brentano führt das droit d'ainesse auf Einflüsse des römischen Rechts und der Bibel zurück (Zukunft S. 444, 445). Allein was die Bibel anbetrifft, so hat sie sonst nirgends in Deutschland und Frankreich auf die Rechtsbildung eingewirkt; dass ab und zu das droit d'ainesse mit dem biblischen Erstgeburtsrecht motivirt wird, beweist noch nicht, dass es aus ihm entstanden ist ; es kann dieser Hinweis auch nur eine Unterstützung oder Beschönigung des ander- weit entstandenen Institutes bezwecken. Was ferner die Beeinflussung durch römisches Recht anbelaugt, so ist diese Erklärung sehr wenig wahr- scheinlich für die nordfranzüsischeu und für die zuBurgund gehörigen Gebiete, wo das römische Recht selbst später nie einen nennenswerthen Einfluss gehabt und sich in den coutumes bekanntermaseeu ein starker Bestand sehr germanischen Rechts erhalten hat. Immerhin wäre die von Brentano ver* muthete Einwirkung denkbar. Wenn wir sie gleichwohl ablehnen, so ge- schieht es, weil auch eine denkbare Erklärung neben einer besseren von selbst hinfällig wird. Und besser ist jedenfalls die Erklärung, welche ein allgemeines Institut auch aus einer allgemeinen, gleicbmässig bei Deutschen, Franzosen, Indern etc., kurz bei allen Ariern wirkenden Ursache ableitet. Uebrigens ist auch nach der Brentanoschen Lehre der letzte Grund des Anerbenrechts doch die deutschrechtliche Hausgemeinschaft und die Vor- steherschaft des Aeltesten in ihr. Nur die Uuwerthung dieser Vorsteher- schaft in ein reines Erbrecht schreibt er auf Rechnung des römischen Rechts. Diese Uuwerthung wrird aber, wie wir sehen, durch die Sitte der Ausradungen so vou selbst berbeigeführt, dass es dazu garnicht des römischen Rechtes bedarf.

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Erhellt schon aus alledem, dass auch in Deutschland sich das Anerbenrecht ganz unabhängig vom Hofrecht aus der Haus- gemeinschaft entwickelt hat, so liegt der stärkste und unwider- leglichste Beweis dafür doch darin, dass noch heute die Haus- gemeinschaft oder, wie sie jetzt heisst, die „Kommunhausung' in derselben Weise, wie wir es schilderten, die ungetheilte Vererbung herbeiführt.

Bei der Kommunion der Geschwister untereinander lässt sich allerdings der alte Abschichtuugsmodus heute nicht mehr überall rein verfolgen. Ungetheilte Uebernahme entsteht zwar auch heute noch überall aus solcher Gemeinschaft (Fick S. 58 öl», 64/65, 80, 95 u. s. w.). Allein es findet sich nicht überall Uebernahme durch den Aeltesten. Das kommt wohl einmal daher, dass die Mundwaltschaft des Aeltesten in solchen Ge- meinschaften heute fast nicht mehr besteht, vor allem aber daher, dass die Gemeinschaft nur noch selten durch fort- schreitende Ausradungen ihrem natürlichen Ende entgegen- geführt wird. Vielmehr wird sie heute nur als ein Interims- zustand betrachtet (Fick S. 65).

Aber bei der Hausgemeinschaft der Eltern mit Kindern finden sich noch heute Zustände, deren Schilderung aus unseren obigen Darlegungen abgeschrieben sein könnte.1141*) So heisst es aus der Gegend von Sonthofen und Kempten (Fick S. 106): „Es wird meist gemeinschaftlich zwischen dem überlebenden Ehetheile und den Kindern oder selbst nach Ableben beider Eltern dennoch zwischen den Kindern fortgehaust und, wenn einzelne Genossen wegheirathen oder sonst austreten und dann abgefunden „ausgelöst“ worden, das gleiche Verhältnis unter den übrigen fortgesetzt“. Diese Vorgänge führen so naturgemäss zu der dort hergebrachten ungeteilten Hofesübernahme, dass es dazu nicht einmal der sonst so üblichen Uebergabs Verträge bedarf, welche in jener Gegend nicht häufig sind (Fick S. 106). Und da nach der angeführten Stelle die Communhausung zwischen Eltern und Kindern derart das Regelmässige ist, dass die Communhausung zwischen den Kindern allein nur als deren Fortsetzung und Nachbildung erscheint, die von den gleichen Principien beherrscht

»“>) Beispiele aus dem vorigen Jahrbuudert vgl. § 13.

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wird, so hat sich hier auch das Minorat herausgebildet, das ja meist die Folge der Hausgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern und der Abschichtungen durch erstere ist. Wenn es nämlich auch heute nicht mehr streng beachtet wird, und wohl von jeher nur das Gewöhnliche, aber nicht das Ausschliessliche gewesen ist, so giebt doch schon die alte Rettenberger Landes- ordnung dem jüngsten Sohne wenigstens ein Vorkaufsrecht auf „Behausung und Hofraytien“ gegen einen „ziemlichen Landt- leufigen Kaufschilling“ und die heutige Praxis hat das sogar auf alle Liegenschaften ausgedehnt. Aehnliche Verhältnisse herrschen noch fast überall im Allgäu, (z. B. Fick S. 103), sodass ein Berichterstatter die Communhausungen geradezu als eine Spezialität des Allgäus bezeichnet (Fick S. 112). Das Minorat findet sich demgemäss auch sonst dort verbreitet, z. B. gilt es nach dem Rothenfelser Landesbrauch (Fick S. 1 1 1), wenngleich auch dieser heute nicht mehr streng beachtet wird; ja ich bin überzeugt, dass es einer eingehenden Forschung ge- lingen würde, das Minorat als einstige Regel für das ganze Allgäu zu erweisen.

In einem Theile Bayerns endlich, im Bezirke Marktheiden- feld, ist sogar das Zusammenhausen des Vaters und Grossvaters mit verheiratheten Söhnen und Enkeln üblich. Und wie sehr derartige Hausgemeinschaften ganz abgesehen von Hofrecht und Gebundenheit der Güter sogar noch heute, wo doch jene Besonderheiten längst verschwunden sind, zur ungetheilten Uebergabe drängen, dafür ist es ein schlagender Beweis, dass heute der Bezirk Marktheidenfeld zur ungetheilten Uebergabe greift, trotzdem er im Gebiete des Mainzer Landrechts liegt, also in einem klassischen Lande der Realtheilung. (Vgl. Fick, S. 260/261).

Ueberhaupt sind Theilung und Einzelübernahme zwar Gegensätze, aber keine unüberbrückbaren; beide wurzeln ja auch im Hauseigenthume als verschiedene Arten seiner Lösung. Die Uebergänge zwischen beiden sind denn auch heute noch fliessende, örtlich sowohl wie sachlich. Namentlich dann, wenn die Theilung successive 1I5) vor sich geht, kann sie mit der

,15) Das soll, wie wir sahen 10), nach den Regeln der Theilung eigentlich nicht stattfiuden. Das successive Vorgehen ist denn auch nur

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ursprünglich ja immer schrittweise erfolgenden Abscliichtung grosse Aehnlichkeit haben, namentlich mit der Abschichtung, die zum Theil in Grundstücken geleistet wird. Eine solch' successive Theilung, wie wir sie heute vielfach noch in Unter- franken sehen (Fick S. 225 226), lässt nämlich überall wenigstens Haus und Hofrieth (Scheuer und Garten) mit einigen Aeckern in der Hand des letztverbliebenen Kindes, meist des Jüngsten, zurück. Damit ist die Entstehung eines Vorrechts des .Jüngsten für das Haus mit Umgriff sehr nahe gelegt. Solches Vorrecht, das sich vielfach findet, bildet nun aber, wie wir bei der Rettenberger Landesordnung bemerken konnten, eine Vorstufe des Minorates und der ungeteilten Vererbung. Ja im Gebiete dieser Landesorduung ist sogar das Mittelglied zwischen dem blossen Anrechte auf das Haus und dem Ansprüche auf da? gesammte Land noch vorhanden. Eine Mittelbildung ist es nämlich, wenn ausser der Hofrieth noch ein Theil der Aecker als Zubehör des Hauses betrachtet und nur die übrigen Grund- stücke in natura getheilt werden, wie wir es über die Ge- meinde Oberstdorf lesen. (.Fick S. 107). Es bildet sich damit die früher in Deutschland so bekannte Unterscheidung zwischen Stammland und „walzendem“ oder „fliegendem“ Lande heraus. Nun ist es aber eine bekannte Thatsache, dass der Unterschied des walzenden Landes und des festen fast allgemein verschwunden ist; aber es ist nicht etwa das Stammland zu walzendem ge- worden, sondern es ist umgekehrt auch das walzende Land zum Stammgut gezogen. Auch dieser Vorgang lässt sich noch be- legen. So ist in Monheim noch im vorigen Jahrhundert walzendes Land vorhanden gewesen, mit dem Kinder ausgesteuert wurden:

ein scheinbares. Die Theilung ist immer prinzipiell eino Grundtheilum:. (vgl. auch Ficker S 125, Bd. 2). Wenn niimlich der Vater erst dem einen Sohn einen vollen Vermögenstheil mitgiebt, mit dem andern aber uoeh zusammenhleibt, so wild iu der Idee auch dessen Anthcil ausgeschieden, er wird nur sofort wieder mit dem des Vaters zusainmengeworfen und deshalb nicht auch in natura hergostellt. Eigentlich wird also zwischen dem ver- bleibenden Sohne und dein Vater nach der Theilung eine neue Hausgemein- schaft geschlossen. Die Quellen reden deshalb auch folgerichtig vou „Remettre* oder „Reponere iu hcicditatetn*. (Ficker Bd. 2, S. 125. Vgl. auch Würzburger Landgerichtsordnung bei Fick S. 20s). Ob heute u. r gleiche Ideengang noch lebendig ist, wage ich nicht zu entscheiden.

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heute bleibt der gesamtste Grund und Boden stets zusammen. (Fick S. 94 und oben § ].) Vor allem aber für das ganze Gebiet des Bayreuther Landrechts lässt sich das Aufgehen des walzenden Landes im Stammgut constatiren. Das dort übliche Vorsitzrecht des Jüngsten bezog sich nämlich nach den Rechts- quellen nicht auch auf das walzende Land. Heute weiss man nun von diesem Unterschiede nichts mehr und giebt dem Jüngsten ein Recht auf alle Liegenschaften (Fick S. 183). Damit ist aber die Entwicklung bis zur völlig ungetheilten l'ebergabe vollendet.11'’*)

Allerdings ist dann noch nicht gesagt, dass sich ein wahres auerbenrechtliches Minorat oder Majorat herausgebildet hat. Denn auch das ungetheilt vererbte Gut könnte ja civiliter ge- theilt werden. Anerbenrecht liegt aber nur dann vor, wenn jene eigentümliche, billigmässige Bewertung des Hofes statt- flndet, wie wir sie ölten kennzeichneten. Indessen auch hier tritt, sobald ein Tlieil der Hausgemeinschaft nicht mehr reell geteilt wird, sofort der Gedanke hervor, dass davon den leer Ausgehenden nur die entzogene Nutzung nach vernünftigem Er- messen zu vergüten ist unter Berücksichtigung aller Umstände, wie der Kräfte des Hofs, der Unterschlupfrechte und dgl. Es wird deshalb nie eine Schätzung nach dem Verkaufswerthe, sondern eine billige Bewertung vorgenommen.

Was das, noch auf Haus und Hofrieth beschränkte, Minorat anbetrifft, so ist hier für die frühere Zeit allerdings jeue billige Bewertung nicht ganz zweifellos. Die landrechtlichen Quellen wenigstens reden, wie wir hörten, von einem „ziemlichen landt- leuflgen Kaufschilling1-. Allein wenn hiermit wirklich der Ver- kaufswerth gemeint sein sollte, so würde noch zu erwägen sein,

115*j Und zwar gewöhnlich, wie in Bayreuth, zum Minorat; denn die erste Stufe der ungetheilten Vererbung, die ungetheilte Uebergaüe von Haus- und Hofrieth zeitigt, wie bemerkt, meist eine Uebcrgabe an den Jüngsten. Doch nicht immer. Da, wo die Eltern, wie in Unter-Franken hierbei ihre alte Freiheit in der Beibestattung, ihre alte Befngniss unter den Kindern das „auezuhcdeu. welches ihnen geliebet", bewahrt haben (vgl. Fick S. *22), entwickelt sich entsprechend unserer obigen Darlegung die ungetheilte Vererbung als Majorat, weil die Wahl meist auf den Aeltesten fallt. (Vgl. Fick, S. 230J.

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inwieweit diese Bestimmung auf Rechnung der des Bauern- rechts unkundigen Verfasser gesetzt werden müsste. Ferner aber ist es sehr wohl möglich, dass jene Worte doch auf eine billige Schätzung zielen. Der Ausdruck „Kauf '‘-Schilling steht dem nicht entgegen. Denn auch bei ausdrücklich angeordnetcr billiger Schätzung reden doch oft die Quellen von „kaufen“ .u5b) Die Ausdrücke „ziemlich“ und „landtleuffig“ sprechen dagegen dafür. Mit „landtleuffig“ wird auf den allgemeinen Brauch verwiesen, und mit „ziemlich“ soll wohl dasselbe gesagt sein, wie mit dem Worte „leidentlich“ im bayrischen Landrechte. Der Sinn der Bestimmung würde demnach sein: es soll billiger geschätzt werden in der Art, wie es im Lande allgemein Brauch ist. Wie dem aber auch sei, jedenfalls erweisen die im § 3 citirten Weisthümer die eigenthümliche Schätzung auf für das Minorat in Haus und Hof. Und was die heutige Gestaltung anbetrifft, so wird hier noch immer über den Uebernalunspreis von Haus und Hofrieth berichtet, ihr Werth werde „häufig: bedeutend unter dem Verkaufs werthe angeschlagen“ und die Uebernahme geschehe „meistens um einen etwas niedrigeren Preis als der wahre Werth sich beläuft“ (Fick S. 223, 247).

Sobald jedoch die ungetheilte Vererbung über Haus und Hof hinausgreift auf einen Theil der Feldflur oder gar auf das ganze Ackerland, so ist die billige Schätzung über allen Zweifel erhaben. Denn sie besteht dort noch heute.1150)

So haben wir denn gesehen, wie die unzweifelhaft land- rechtliche Hausgemeinschaft noch heute zur ungetheilten Ueber- nahme führt, und wir haben ferner beobachtet, wie die Ueber- gänge von der ebenfalls zweifellos landrechtlichen Grundtheilung zum Anerbenrecht sich noch heute verfolgen lassen. Wir waren

mi*) Vgl. das oben 3J eitirte Weistlium von Biiuzen.

1W*J Unzweifelhaft beim Minorat. In der Regel auch beim Majorat Xur in Unterfranken wird sic für letzteres von einigen Berichterstattern geleugnet, aber wohl mit Unrecht. Denn der sonstige Iubalt ihrer Berichte ergieht gerade jene billige Abwägung aller Umstände, sodass die Bericht- erstatter „eine allgemeine Norm" der Preisbemessung „nicht angeben" können. Ausserdem wird die Rücksicht auf die „Familien- und Vermögens- Verhältnisse der Eltern“, also offenbar auf die Kräfte der Erbschaft aus- drücklich hervorgehoben. Fick sagt denn auch selbst nur, eine „beab- sichtigte“ Bevorzugung des Uebernebmers sei selten. (Fick S. 232, 233 j.

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deshalb wohl berechtigt, zu behaupten, es lasse sich das An- erbenrecht auch aus dem Landrechte herleiten. Dass diese Her- leitung aber besser ist, wie die aus dem Hofrechte, ergiebt sich daraus, dass sie mehr erklärt als die andere. Man braucht sich nun nicht mehr zu wundern, wenn man auch auf freien Gütern ein Anerbenrecht antrifft. Man braucht ferner bei der flüssigen Grenze zwischen getheilter und uugetheilter Vererbung nicht erstaunt zu sein, wenn in Franken beides bunt durcheinander geht. Und es begreift sich nunmehr vor allem, warum für die Berechnung der Abfindungen von Anfang an auch der Hofes- werth herangezogen wurde, und warum sogar Theile des Gutes als walzendes Land zur Anrechnung auf die Abfindung mit- gegeben werden konnte.11’“1)

§ 12.

In dieser Weise hat sich das bäuerliche Anerbenrecht in den letzten Zeiten der Weisthümer entwickelt und bis zu den Tagen der Landesordnungen ziemlich unverändert bestanden. In dieser Weise war es auch in Geltung, als das römische Recht eindrang und die wichtige Frage auftauchte, wie sich dieses, und wie sich die gelehrten Juristen zu dem Bauernrechte stellen würden. Im Ganzen genommen muss man hier der romanisierenden Jurisprudenz zugeben, dass sie diesem Theile des deutschen Rechts ein grösseres Verständniss entgegen- gebracht hat als den meisten andern. Im Einzelnen wurden der Abfindung selbstständige theoretische Studien kaum ge- widmet. Vielmehr sind es die allgemeinen Ansichten über die Art des bäuerlichen Besitzrechts überhaupt, welche natur- gemäss auch auf die rechtlichen Eigenschaften der Abfindung wie auf das ganze bäuerliche Erbrecht eine tiefgreifende Ein- wirkung ausgeübt haben. Die geschichtliche Darstellung von

UM) Pen oben 3 a. E.) citirteu Weisthiiinern sei hier noch eines biuzugefugt:

I, IliO (Andelfingen im Züricher Land J : .Alle lüt, die miner herrsclinft guter band und och lib und gut sin eigen ist. die mogent weil ieru kinder beraten mit den giitern, (also trotz der Leibeigenschaft !) und sol in nieman des vor sin*.

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den Schicksalen des Anerbenrechts seit derReceptionszeit muss deshalb auf diese allgemeinen Theorien fast allein Rücksicht nehmen.

In den Tagen der Reception, welche mit einer so hohen wirthschaftlichen und culturellen Blüthe Deutschlands zn- sammcnfiel, dass vieles in den damaligen Zuständen Deutschlands unserer Zeit ähnlicher ist, als dem 17. und 18. Jahrhundert, in diesen Tagen der Reception also, erfreuten sich die weitaus meisten Bauern eines Erbrechts.118) Als deshalb die Juristen nach einem Analogon zu dem bäuerlichen Besitzrechte in den gemeinen Rechtsquellen suchten, bot sich ihnen nur das Lehen und die Emphyteuse. Denn eine Erbpacht als wahre locatio conductio, d. h. mit nur persönlicher Berechtigung der Besitzer und mit nur persönlicher Verpflichtung des Herrn und seiner Erben, das Gut den Erben des Pächters wieder auszuthun. eine solche an sich ja denkbare Erbpacht kannten die Juristen jener Zeiten nicht. Deutlich zeigt dies Schneidewein. Er hat nur folgenden Unterschied:117) „quidam enim in perpetunm. non ad modicum tcmpus conducunt et Emphyteutae dicuntur“; denen stehen gegenüber: „quidam vero conducunt ad inodicum tempus, quorum tres sunt species etc. etc.“ Da es also keinen weiteren Gegensatz giebt, so ist jede locatio perpetua damit zur Emphyteuse gestempelt. Schneidewein sagt dies auch noch ausdrücklich im folgenden §: „Imperator in hoc § emphy- teuticum contractum, qui alio nomine locatio perpetua dic.i potest (Erbzinsgüter), declarat“. Uuter den beiden Instituten aber, welche somit zur engeren Wahl standen, als es sich darum handelte die bauerrechtlichen Besitzverhältnisse zu clas>i- ficiren, zwischen Lehn und Emphyteuse, entschied man sich

,!li) Die Hauern haben grundsätzlich ihre Guter zu freiem Eigen iunc Wenn sie einen Zins zu zahlen haben, so wird prasumirt, dass er wahrt Reallast ist. So ist es noch bei Carpzov, Jurisprudentia forensis, Pars II const. 39, def. 34: „quia quaelibet res libera praesnmitur nisi servitas

probetnr (.1. altius § s Cod. de servitj.“

117J (Joumientarius in Institutiones (Strassburg 1626} Spalte lass. Ei: sehr angegebenes Werk, das nach des Verfassers Tod oft, sogar in Venedig edirt und sogar mit Anmerkungen versehen wurde von drei namhaften Juristen: Wesenbek, Brederode und Gotliofred.

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für die letztere. Allein diese Entscheidung ist nicht von solcher Bedeutung als man nach heutigen Anschauungen glauben sollte, da man es nicht nur für erlaubt, sondern sogar für geboten hielt, die Lücken bei der Emphyteuse aus dem Lehnrechte aus- zufüllen.llK)

Infolge dieser Theorie entstand ein Zustand des bäuerlichen Erbrechts, welcher mit demjenigen unserer Tage eine über- raschende Aehnlichheit hat. Das anschaulichste Bild von ihm geben uns Carpzovs Schriften. Nach ihnen wurde de iure communi die Existenz eines besonderen bäuerlichen Erbrechts geleugnet. Woher hätte dies auch bei einer Emphyteuse kommen sollen? Und so trat man den Splitterungen und Erbtheilungen nicht in den Weg.llfl) Doch bestand dabei ein unleugbarer Hang, die Untheilbarkeit der Güter zu erhalten. Deshalb begünstigte man die vertraglichen Auseinandersetzungen der Miterben unter sich, von denen sich 1. c. Pars II c. 39 def. 25 ein Beispiel findet: (Urtheil v. Leipzig 1621) „. . Und es haben sich die Kinder in die väterlichen Güter dergestalt vertheilt, dass das Gut einer Erbin und Tochter allein ver- blieben, wogegen sie die Miterben mit anderen Gütern ab finden soll etc. . Aus dem gleichen Grunde liess man auch die

118) Gegen diese Vermengung polemisirt Carpzov, um sie sogleich wieder bedingt zuzugeben: Jurispr. for. (herausgegeben v. Andr. Jlylius, Leipzig 1721) Pars II c. 37 def. 20: »Verum lic©: argumentum a feudo ad Emphyteusim quandoque procedat, ut docet Jason .... Attamen illud in poenalibus ceu odiosis, quo et privatio rei Emphyteuticae referenda est, neutiquam locum habet*.

Vgl. def. 9 ebenda und Resp. iuris (Leipzig 1042) Lib. 0 resp. 108.

119) Vgl. Responsa iuris lib. I Tit. Ö resp. 88 „. . . . postmodo illi bona patema Tel Emphyteusim inter se dividant*. Noch deutlicher das an- gehängte Urtheil der Leipziger Schöffen von 1627, welches auch klar zeigt, dass es sich hier um hofbürige Güter handelt : „Wenn gleich des Orts durch beständige Gewohnheit eingefuhrt worden, dass nach Absterben des Erb- zinsmannes, dessen Rinder die gesummte Lebnwabr geben .... So seyn sie doch datiere, wenn sie sich hernach untereinander in die väterlichen G'ithcr teilen .... etc.“ Vgl. Jnrisprudeutia for. Pars II c. 39 def. 23 vUrtlieil v. Leipzig aus dem Jahre 1515): „Dass ihr von denen güteru, so ihr von euren Eltern etwa ererbet, und so euch neuiicher Zeit nach der Hutter tätlichem Abgang in der gehaltenen divisione und Erbtheilung zukommen, dem Lehnherrn des Ortes etc. etc“

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Altentheilsverträge zu; und deren juristische Natur hatte man schon so richtig erkannt, dass gegenüber der Ansicht des Andreas Tiraquellus, welcher den Auszug als einen Verkauf auffasst, Carpzov bemerkt: . Ergo vel ex mente contra-

hentiuui nihil aliud actum apparet . . . Aliud vero dicendum, si pater liberis Emphyteusin donet (= ohne besonderen Kauf- preis hingiebt): Quae donatio, si aliud ex contractis haud

constet, non tarn acquisitio ex parte donatarii, quam debitae successionis praeoccupata quaedam perceptio est“.13-1) Aber wenn dies alles nicht ausreichte, wenn es gleichwohl zur Theilung und zwar zur gerichtlichen kam, so fand man doch im gemeinen Recht eine Handhabe, seine Neigung zur Ge- bundenheit in Thaten zu übersetzen. Man knüpfte an die römischen Vorschriften an, dass res, quae com mode divisionem non recipiunt, nngetheilt bleiben sollen. Und da nun in der That das römische Recht dem Theilungsrichter ziemlich freie Hand lässt, so erklärte man durch weitherzige Auslegung dieses „comrnode“, alle Güter, insbesondere Stammgüter, d. h. solche, die schon von Vater und Grossvater in der Familie waren, diese alle erklärte man kurzer Hand für untheilbar.121)

,20j Die gleiche Auffassung hat sich noch lange namentlich in Süd- deutschlaml erhalten und zeigt, dass auch dort trotz des gerade in jenen Gegenden herrschend gewordenen römischen Hechts die alten Hriiuche noch bei den Bauern l’ortlebten. So erwähnt J. J. Beck, obgleich er sonst von einer besonderen bäuerlichen Erbfolge nichts weiss, doch die Gutsnbergabe- vertrage und sagt ganz ähnlich wieCarpzov. „Ein anderes ist es, wenn der Vater bei soineu Lebzeiten, denen Kindern ein Erbziuslehen geschenkt; denn eine solche Donation ist auf Seiten des Donatarii, wann aus der Ab- rede ein anderes nicht erhellet, nicht sowohl eine Acquisitum, als vielmehr eine Anticipation der gebührenden Erbschaft“ (S. 244) uud ebenso S. 245: „quippe quod Patri licet cedere liberis ex donatione vel refutatione fendurn vel Emphyteusim in autecipationem vel accelerationem successionis“. m) C&rpzov, Jurisprud. P. II. c. 15 def. 9:

„Unica autem res hereditaria si existat, veluti . . praedinm quoddam, non erunt nudiendi heredes, si quilibet partem habere volint, qaia dividenda bona alia non sunt, quam quae commode dividi possunt*.

Auch diese Auffassung findet sich noch später. Frantzkius (172*) sagt: . . hoc casu coheredes adhuc censeantur persistere in terminis nudae

divisiouis, cuius ea natura est, ut non existentibus mobilibus vel aliis rebus unus horedum totum fnndum indivisura retineat et ceteris de pecunia satisläciat. § pen. instit. de oft'ic. jud.”

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Die wichtigste Folge dieser ganzen Anschauungsweise war nun, dass man damit für das System der Gebundenheit bäuerlicher Güter eine bequeme Theorie fand, indem man die bäuerliche Einerbtolge einfach als Moditication der römischen Theilungs- vorschriften auffasste. Wo man das Majorat und Minorat in seiner gewohnheitsrechtlichen Geltung nicht leugnen konnte, da erklärte man sie einfach als gesetzliche Analoga der divisio parentum inter liberos. Die unausbleibliche Wirkung auf die Abfindung, worauf es uns hier ankommt, war dann, dass solche fortan nicht mehr nach dem Weresystem, sondern als reiner voller Civilerbtheil am gesammten Verkaufs werthe des Gutes entrichtet werden musste.122)

Diese Theorie blieb eine lange Zeit die herrschende.123) Sie hatte die Geister so gefangen genommen, dass selbst

m) Dies alles ergiebt sieh zur Evidenz aus Carpzov, Jurisprud. P. III c. 15 def. 26 ff., woselbst Carpzov das Minorat behandelt. Zum wörtlichen Anfuhren sind die Stellen zn umfangreich. Doch seien folgende Haupt- steilen citirt: Dass die Abschichtung auch für den Fall, wo das Out nach der „Kührgerechtigkeit“ d. h. nach Anerbenrecht einem zugesprochen wird, als rümischrechtliche Auseinandersetzung nach civilcn Theilen mit Kauf der Erbtheile der anderen gedacht wurde, beweist das Urtheil von 1619: .Habt ihr eures Vätern Gut von euren Geschwistern und der Unmündigen Vormunden nm ein gewiss Kaufgeld käuflichen an euch bracht.“ Und dass thatsächlich der volle Werth eingeschlossen werdeu musste, geht aus dem l'rtheilo von 1607 hervor: „Ist eure Mutter Todes verfahren und hat ihr Haus und Hof auf euch, als ihren Sohn erster Ehe, eure vollbiirtige Schwester und ihrer verstorbenen Tochter Kind gebracht und verfallet . . . So wird euch berührtes Haus, beueben dem Viertel Landes, weil solche Stücke nicht wohl getheilt werden, können, vor eurer Schwester und der Schwester Kind, dem rechten Werth nach, allein billig gelassen . . .“

Schon Schneidewein hatte das Minorat als Anhang der Theilungs- vorschriften behandelt. Vgl. 1. c. Spalte 1H77 : „Observandum tarnen isto

casu, quando sunt plures fratres dividentes hereditatem paternam, fratrem juniorem posse ad se recipere res, quae cnmmodam divisionem non recipiunt, et ceteris coheredibus dare pecuniam, et ita in dies observatur et practicatur“.

Diese Privilegiruug des Anerben durch einfache Thoilungsvorschriften oder die Erreichung des Zwecks des Anerbenrechts durch Begünstigung aussergerichtlicher Uebergabsverträge weist eine merkwürdige Aehnlichkeit mit heutigen Zuständen auf.

I23) Wir haben gezeigt, dass sie bei Frantzkius noch 1728 und bei dem Süddeutschen Beck noch 1739 vertreten ist.

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Schilter, der sonst etwas in stiller Gegnerschaft mit Carpzov stand, trotz seiner beachtenswerten germanistischen Kenntnisse gar nicht auf den Gedanken kam, diese Lehre anzugreifen. Denn die einzige Stelle, wo er das Minorat flüchtig erwähnt, findet sich bezeichnend genug bei der Erläuterung des Titels „familiae herciscundae“.124)

Allein in den nahezu gleichzeitigen Werken zweier liallischer Rechtslehrer findet sich der Umschwung vollzogen. Das eine ist die Schrift des preussischen Geheimraths und Professors Ludewig, betitelt „de Jure clientelari Gennanorum in feudis et coloniis (Halle 1738“); das andere ist Samuel Stryks lange Zeit hochberühmter „Usus modernus Pandectarum“ (Halle 1739).

Hier taucht zum ersten Male die Theorie von der locatio conductio auf, der der Bauer sein Gut verdanke; hier findet sich auch zum ersten Male die Ansicht von der früheren durch- gängigen Unfreiheit des Bauernstandes, beides Gedanken, welche mehrere Menschenalter hindurch unangefochten blieben und grosses Unheil unter dem deutschen Bauernstände an- gerichtet haben. Aber hören wir zunächst Stryk. Er unter- scheidet125) unter den erblichen Gütern im Wesentlichen dreierlei156) Arten. 1) Zinsgüter. Das sind solche, welche in vollen Eigenthum des Bauern stehen und worauf der Zins als wahre Reellast haftet (ad. tit. VI, 3 § 5). 2) Erbzinsgüter, d. h. solche, an denen „utile dominium“ des Inhabers besteht. Der Zins ist unechte Reellast (ad. tit. VI, 3 § 8). 3) Erb- pachtgüter. Dieses sind Güter, an denen wahre locatio

conductio besteht, dem Inhaber also nur ein persönliches Recht

li4) Praxis juris Romani etc. (Jena 1098) exercit. 2u § 83.

Das» die sächsischen Schriftsteller immer nur das Minorat er- wähnen, liegt daran, dass im Ssp. III. 29, 1} 2 die bekannte Stelle steht; „Svar so tvene mau en erve uemen solen, die eldere sal delen, unde die jüngere sal kiesen". Nur im Anschluss hieran kommen sie auf das Minorat, dessen wesentliche Unterschiede davon ihnen aber nicht entgingen, wie t'arpzov a. a. 0. def. 25 erweist.

u'’) Sedes matcriae sind bei ihm die Commentaro zu den Titeln VI, a (si ager vectigalis) und XIX, 2 (locati conducti) der Pandekten.

laü) Dieselbe Dreitheilung hat auch Ludewig S. 161 bis 105 und Schottel S. 49 ff.

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12.)

gegeben ist; doch ist das Verhältnis gleichwohl beiderseits erblich, (ad. tit. VI, 3 § 9; ad. tit. XIX, 2 § 26 ff. § 43 ff.

Als Richtschnur für die Frage, welche Güterart im einzelnen Fall anzunehmen sei, giebt er folgende Regel (1. 1. § 9); „Etenim si canon fructibus proportionatus sit, locatio erit. si louge minor, Emphyteusis, modo si ex re aliena canon promittatur; .... alias censuale erit negotium“.

Zu dieser so merkwürdigen Theorie der locatio condnctio perpetua, die ein persönliches Band und doch beiderseits und zwar iure cogente erblich sein sollte, wurde man veranlasst durch mehrere Erwägungen. Erstens fand man, dass die römische Emphyteusis nicht für alle deutschen Erbleihen passende Bestimmungen enthielt, und geriet, h so auf den an sich richtigen Gedanken, dass es wohl noch eine andere Art Reihe denn allein Zinsgut und Emphyteuse geben müsse.1'28) Diese dritte Art aber gerade in der oben angegebenen Weise zu classificiren, wurde man durch einen historischen Irrthum veranlasst. Bei Nithard Lib. IV steht nämlich folgende, in jenen Tagen sehr oft citirte Stelle: „Gens Saxonum omnis tribus ordinibns divisa consistit. Sunt enim inter illos Edeliugi, sunt

,27) Der Schüler Stryks Schottel giebt in seiner, unter dem Präsidium Stryks verfassten und von jenem ausdrücklich gebilligten, Dissertation eine ziemlich genaue Definition dieser sonderbaren locatio conductio perpetua. Sie lautet (S. 29): „ex quo apparet concessionem llajoratus in perpctuum factam (d. h. ewige llaierpacbt) hunc effectum tautum habere posse, quod ncc dominus, qui ius suum in colonuni transtulit, nec eius heredes revocare possint locationem et quidem ex pacto adjecto de nunquam revo- cando, sed ex illo tertius successor singularis obligari nequit".

Diese Theorie hielt man auch für eine im römischen Recht begründete. Darüber, wo man in den (Quellen die charakterisirte locatio conductio perpetua zu finden glaubte, giebt luidewig Aufschluss. Gr sagt (S. 191, Anm. k): „Ulpianus clare scribit: non solet locatio dominium mutare. Quae lex, si de temporaria locatione intelligeretur, superflua esset atque otiosa et tantum non (= beinahe) Domitiana: ut adeo certum sit Jurisconsultum hoc dubii genus respondisse, quod factum fuerat de iuro perpetuarii c onductoris“.

**) Stryk 1, c : „(juae sententia si vera est, nihil amplius foret

colonia perpetua quam Kmphyteusis per praescriptionem quaesita. Atque ita non opns fuisset uovum quoddam ius Coloniae excogitare“.

v. Dultxif, Grunderbrecht 9

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qui Frilingi, sunt qui Lazzi illomm lingua dicuntur“. Da? schien mit der damaligen Ständegliederung wunderbar zu stimmen. Den „Lazzi“ mussteu dann natürlich die Bauern entsprechen. Dass diese damit zu „serviles“ gestempelt wurden denn so übersetzt Nithard das Wort schadete nichts; denn auch bei Tacitus finden sich ja ackerbauende Sklaven. Und so war die Theorie von der einstigen durchgängigen Unfreiheit der Bauern fertig.129) Von dieser Voraussetzung gelangte man dann zur Annahme der locatio conductio auf folgendem Wege: War der Colon Sklave, so konnte er ursprünglich überhaupt kein Recht am Gute haben. Dazu musste er erst freigelassen werden. Dabei wurde ihm allerdings das Gut belassen.11’) Aber da es nach der Ansicht Stryks und Lndewigs un- glaublich gewesen wäre, dass der Herr Sklave und Gut anf einmal verlieren wollte, so durfte der Herr dem Sklaven daran nur ein möglichst geringes Besitzrecht gewähren. Dies glaubte

129) Deutlich zeigt diesen Gedankengang schon Stryk ad Tit. 19, 2. § 26: „Quodsi prioris generis colonos (damit meint er die „Meiergüter*, welche er von der oben gekennzeichneten locatio conductio perpetua scheiden will, welche aber nach seinen eigenen Ausführungen bis auf einige unwesentliche Punkte, die übrigens auch nicht die uus allein interessirende Vererbung betreffen, sich gleichen, wie ein Ei dem andern) attinet, constat ex doenmenti- fide diguis jus hoc coloniarinm antiquissimum in Germania esse, uude si iE originem herum coloniarnm inquiramus, iliae videntur firnisse ab antiqua cos ditione rusticorum Oermaniae, qui 9ervilis conditionis eraut, ut ait Tacitus*

Wörtlich so bei Schottel (S. 24 bis 26). Aehnlich sagt Ludeei. S. 186 Anm. d: „unde adprobo conjecturam rusticos principio servos fuis<e post wanumis8ionem factam perpetuarios conductores*. Ebenso S. 2-'>-'. Anm. o: „Ad extremum si originem ac discrimen“ der gemeinen oder frei- bauern „expeudamus ad medii aevi rationes, primi corte lassorum nonüc veniuut, extincta quamvis eins nominis memoria“, („lassen" sind aber nau Ludewig „serviles“, Halbfreie, Freigelassene, welche ihre Güter auf Herren- gunst hatten).

'*') Wegen des Mangels an anderen Arbeitskräften zu dessen BewirtL sebaftung. Wenigstens legte man sich das damals so znrecht. Vgl Ludewig S. 149 äO : ..... tempora .... dissolutarum in Gennam* servitutum (d. h. Sclaverei) . . Tum enim agricolae deesse coepenint dominis praediorum vel facti sunt adeo sumptuosi (d. h. „sie kamen so theue.- zu stehen“) ut reditus ferc omnes abirent in eorundem mercedem. Inde eres factum est, ut doraini latifundioruin partem agrorum tradero mallent ahis. canone, censu, servitiisque sibi reservatis, quam ex proprio eorundem o>» damna experiri*.

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man nun in der locatio-conductio gefunden zu haben. So treffen wir die Argumentation bei Stryk an (ad tit. 19, 2, § 26), wie bei Schottel (S. 24 bis 26), so hören wir sie nicht minder bei Ludewig,131) so finden wir sie am ausführlichsten bei Struben a. a. O. Cap. 2, § 1 : „Qui, quaeso igitur“, ruft er aus, „domini ad prodigalitatem usque in tantum liberales praesnmi queunt, ut non solum libcrtate donarint servos, sed praedio etiam, quod eorum nomine tenuerant hactenus? .... Nullus itaque dubito, .... originitus pleraque rusticorum bona conductitia fuisse“.

Dass diese Anschauung trotz ihrer handgreiflichen Un- genauigkeiten, gleichwohl so rasch durchdraug, lag an den ver- änderten Zeitumständen. Wie die Ansicht zu Carpzovs Zeit nicht geherrscht hatte, so wäre sie damals auch thatsächlich unmöglich gewesen. Inzwischen aber waren die Folgen des dreissigjährigen Krieges hervorgetreten, und der Bauernstand dem schon lange wirkenden Druck der Guts- und Voigteiherren erlegen und zu einer Stellung herabgedrückt, dass eine Theorie, welche ihm ehemalige völlige Unfreiheit zuwies, nichts Unwahr- scheinliches mehr hatte. Es kam hinzu, dass die Lehre von der locatio-conductio den Ständen vorzüglich zu Passe kam. Sie griffen sie deshalb mit Begeisterung auf; gab sie ihnen doch die Gelegenheit, die Bauern zu „legen“, sobald sie zu eigenem Gebrauche das Gut „benöthigten“, d. h. nach ihrer Inter- pretation, wenn sie es unter eigene Bewirthschaituug nehmen wollten.132)

,sl) „Pracsumendum (sc. für den vergebenden Herrn) quod minim um eat“ (S. 191 Anm. k). Auch bei der Jleicrleibe ist Ludewig gleich wie bei der Landsiedelleihe und sonst der Ansicht, dass das Besitzrecht des Colonen im Anfang allgemein höchst preeär war. Er sagt Spalte 402 Anm. n: ». . . fieri . . . non potuit. ut integritas, quae olim meieriis fuit, in omnibus Germaniae principum ditionihus. oblitcraretur. Hodieque enim in Bojoaria maieriae temporariae sunt . . . Imo mcieria hoc loco tantum non (=beinahe) precaria esse videtur“.

isi) Diese Begeisterung der Stände für die Stryksche Theorie nebst ihren Gründen, lässt sich klar erkennen ans einem monitum der Braun- schweigischen Stände, abgedruckt bei Pufendorf, Observationcs (Hannover 1780 ff.) Bd. H obs. 70. Auch Schottel lässt S. 33 folgerichtig das Legen unbedingt zu: »ne quideni urgens quaedam neeessitas rcqniritur, sed sufficit: si ipse (sc. Dominus) colcre, non vero clocare velit“. Genau wie die Stände es wollen.

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Die Wirkungen, welche diese Theorie auf das bäuerliche Erbrecht und insbesondere auf die Abfindungen ausübte, waren einschneidend genug. Die Einzelerbfolge in das Bauerngut war allerdings nicht bedroht. Im Gegentheil; die Proclamirung der Lehre von der locatio-conductio bedeutete die Zurückführung des Principes der strengsten Untheilbarkeit. Denn wenn der Besitzer nur noch ein persönliches Nutzungsrecht hatte,1-43) so konnte er natürlich an eine Zertheilung des Gutes gar nicht denken. War sonach zwar die Einerbfolge in das Bauerngut in ihrem Bestände nicht gefährdet, so war es desto mehr die Abfindung in der Art, wie sie sich aus dem Weresystem herausgebildet hatte. Denn wenn dem Bauern das Gut nicht gehörte, so konnte er es auch nicht vererben. Nur die Nutzungen standen ihm zu; deshalb konnte auch allein der Anspruch auf diese in die Erbmasse geworfen werden, d. h. es durfte nur der Ertragswerth des Gutes, nicht der Verkaufs- werth bei der Auseinandersetzung der Miterben zu Grunde gelegt werden. Dies ist denn auch in der That der Standpunkt, den Struben in seinem oft citirten Werk Cap. III, § 20, folge- richtig einnimmt, wenn er schreibt: „Equidem boni publici ergo divisio curiae villicalis plerisque in locis interdicta. Sed inde haud sequitur lucruin, quo successor fruitur, coheredibus pensandum non esse. Per se autem patet haud pretium agroruin sed coloniarii iuris, etcommodum, quod illud villico af fer t, in divisione attendendum esse.“

So grosse Erfolge indessen Struben's Schrift sonst unleugbar hatte und so lange ihre Ansichten sich erhalten haben, gerade dieser Punkt der Strubenschen Theorie wurde bald aufgegeben. Weil nämlich wegen der wieder streng durchgeführten Untheil- barkeit nur einer das Leiherecht ausüben konnte, so vergass man den Unterschied, der zwischen dem Ausübenden und dem Eigenthümer eines Rechts bestehen kann, und meinte, nicht nur

m) Dass er nur dies liatte, ergiebt sich aus der Theorie der locatio- conductio von seiht. Es wird aber auch stets ausdrücklich betont. Ludewig S. 170 sagt, dio Erbpächter hätten den .Usus“ des Guts und merkt dazu an: .Usus Verbum . . . solito hic laxius adhibetur, ita tarnen ne ullam attiugat speciem dominii“. Ebenso äussert sich Schottel; er spricht den Erbpächtern .ns um reruiu conductarum perpetuum“ zu.

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die Ausübung, sondern auch die Zuständigkeit des Baurechts am Colonate könne nur bei dem einen Anerben liegen. So kam man dazu, das erbliche Nutzungsrecht überhaupt nicht mehr, auch nicht nach seinem Ertragswerthe, als Gegenstand der gemeinen Erbfolge aufzufassen, und konnte deshalb ein Recht der Miterben auf Abfindung nur noch für das sonstige Vermögen, das Allod, gestatten. Das ist die Sachlage in Lennep's Ab- handlung über die Leihe zum Landsiedelrecht, die sich, wie über- haupt durch scharfe Darstellung, so auch durch energische Durchführung der einmal angenommenen Theorie der locatio- conductio auszeichnet. Es heisst daselbst S. 678: „Die Ab- findung geschieht nicht in Ansehung des Gutes selbst, als welches dem Meier oder Landsiedel nicht gehöret, sondern in Ansehung seiner darin steckenden Besserung, und was er sonst an Schiff und Geschirr auf dem Hole hat, welches mehrentheils des Hofmanns erbliches Eigenthum ausmaeht.“ (Ebenso S. 654, Anm. 10).

Diese Ergebnisse der Theorie wurden durch die Landes- gesetzgebung nicht beseitigt, sondern im Gegentheil befestigt. Zur Theorie selbst stellte sich die Landesgesetzgebung zwar nicht günstig. Denn, geleitet durch den polizeilichen Geist jener Tage, ging sie von dem Grundsätze aus, dass der Landmann eine vorzügliche Quelle abgebe für Steuern und Rekruten. Deshalb musste der Bauernstand erhalten und vor allem das „Legen“ der Bauern inhibirt werden. Diesem Legen aber war die Lehre von der locatio-conductio nur zu günstig. 1:H) Allein, da dieselbe Lehre die Erblichkeit der Bauerstellen gleichwohl vertrat, und da ihr gewandtester Vertheidiger135) Struben zu- gleich auch der gewandteste der Erblichkeit war, so verwarf man sie nicht ausdrücklich. In den einzelnen Consequenzen vollends traf die Gesetzgebung mit der Theorie vollständig zusammen. Die rücksichtslose Durchführung der Einerbfolge

1M) Vgl. die Anmerkung 132 und den Text dazu.

**) Es kennzeichnet den Umschwung der sich in der Lage des Bauern- standes seit Carpzow vollzogen hatte, dass die Erblichkeit der Baucrnstellen erst der Vertheidiguug bedurfte. Zwar war sie in der Theorie nur von <len Leihegiitem bestritten; aber da zu den Leihegütern alle zählten, auf ileuen eine Last lag. so waren damit fast alle Bauernstellen gefährdet

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durch Beschränkung der Abfindung der Miterben auf das Allod entsprach ganz den Tendenzen der Gesetzgebung, die Höfe ja leistungsfähig zu erhalten, sie ja nicht mit Schulden zu sehr zu beschweren. Die ewigen Klagen in den Landesordnungen, „dass die Höfe durch zu hohe Brautschätze in Abgang gekommen“, dass sie „durch zu hohe Abfindungen in einigen Ruin ge- bracht“ etc. etc., spiegeln diesen Geist wider. Ja, man ging noch weiter. Selbst bei der Auseinandersetzung, welche aus dem Allod erfolgte, gab man dem Anerben einen Voraus. So wollte es schon Lennep (a. a. 0. S. 654 und 10). So führte es ganz streng durch die Calenberger Meierordnung, überhaupt ein klassisches Denkmal des bevormundenden Geistes jener Zeiten. Nach ihr konnte es bei einer mittelmässig starken Kinderzahl selbst bei leidlichen Vermögensverhältnissen dahin kommen, dass die Erbschaft jedes Miterben 80 Pfennige betrug,111'“) wie in den späteren Berathungen Uber Abänderung dieses Gesetzes bemerkt wurde. Wie sehr trotzdem solche Anordnungen dem Geiste jener Zeit entsprachen, geht daraus hervor, dass Struben, dem erst der Entwurf der Meierordnung vorlag, ein Mal über das andere wünscht, dass doch dieses vortreffliche Werk Gesetz werden möchte.

§ 13.

Diese Gestaltung des Bauernrechts hat, was die Abfindungen anlangt, bis in unser Jahrhundert hinein im Wesentlichen un- verändert bestanden. Namentlich die gefährliche Lehre von der

>®*) Vgl. hierüber und über die ganzen Landesordnnngen: Pfeiffer. Deutsches Meierrecht S. 261 ff. Die Landesordnungeu sind nicht ge- sammelt. Eine erhebliche Anzahl findet sich eingestreut in den Text bei Struben und Lennep. Auch Pufendorf tlieilt einige mit. Die Lüneburger Verordnungen sind 1854 von Dr. H A. Oppermann in Nienburg lierans- gegeben, und jetzt 1884 mit allen auf Hannover bezüglichen Verordnungen von Otto Rudorff in dem Werke „Das hannoversche Privatrecht" (Hannover: wieder abgedruckt. Hier findet sich auch die Calenberger Meierordnung. Dieselbe drucken auch ah Lennep 1. c. S. 670 und Struben 1. c. S. lll. Vgl. auch die den Wigandschen, Kundescheu und Sommerscheu Werken beigegebenen Belege. Die Landesordnnngen aus dem Gebiete des heutigen Bayern sind berücksichtigt in dem Fickschen Buche. Leber die Höhe der Abfindungen wird dort nicht geklagt.

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einstigen durchgängigen Unfreiheit des Laudmannes blieb die herrschende; nach wie vor musste deshalb die Präsumption für ein möglichst precäres Besitzrecht der Bauern streiten. Die merkwürdige Zähigkeit, mit der sich diese Anschauungen be- haupteten, erhellt wohl am besten aus der Thatsache, dass noch Steinacker in seinem braunschweigischen Privatrecht, das er 1843 schrieb, und ebenso M. Busch, welcher sein Hildesheimer Meierrecht 1855 erscheinen liess, in jenem Gedankenkreise befangen sind. Zwar hatte inzwischen die Theorie Schwankungen durchgemacht. So hatte eine Zeit lang besonders die Be- hauptung Anklang gefunden, dass die Bauerngüter Lehen seien, und zwar Feuda ignobilia.138) Allein wenn auch diese Theorie, welche gegenüber der Lehre von der locatio-eonductio auf der

,3ü) Angeregt wurde dieso Ansicht, wie oben gezeigt, bereits zu t'arpzovs Zeiten. Aufgegriffen wurde sie zuerst wieder von Buri, der in seinem Lehnrechte zugleich aneh das Bauernrecht sehr eingehend behandelte. Noch behauptete er allerdings mehr die Aehnlichkeit als die vollständige Gleichheit beider Institute. Auf diesem Standpunkte steht theoretisch auch noch Bufeudorff in seinen Observationes. Z. B. folgende Stelle Bd. IV, obs. 14A: „Kt putat . . . St ruhen in Jure Villicorum . . . eoinmodum vel hierum iuris villicalis commuuicandum esse . . . Sed nobis videtur verius non communicari: Frincipio quidem argumentum quoddam a feudo ducimus, quorum certe nuturam bona nostra coloniaria multura imitantur.“ Ebenso Bd. IV, obs. I7Ö und Bd. II obs. 70: „Nam etsi bona coloniaria pruesertim nostra aetate hereditaria sunt, tarnen similitudinem feudorum et beneficiorum habent. quae ad descendentes tantum ac- quirentis, non item ad ceteros heredes transmittuntur.“ Wenn er also auch theoretisen nur Aehnlichkeit behauptet, so argumentirt er praktisch doch immer mit der Gleichheit der feuda und Bauerngüter und zieht die Folgerungen daraus. Auch theoretisch hielt beide Institute für gleich Bommel, Kaphsodia, obs. 578: „t^uod autem nunc est pristiua rerum täcies mutata, nec amplius rustica bona feodis aduumerantur. ex misera iuris Romani et Germanici inixtura coortum est . . . Natura autem sua rusticorum agri beneficia crant, quia totum septeritrionem feodalis quidam Spiritus ita infecerat, ut clientelare esset, quodcuutque adspiceres, et rara, immo rarissima aliodia.“ Von Obergerichten vertrat diese Anschauung das Tribuual in Celle, welches in Bauersachen eine grosse Praxis und demgemäss eine grosse Autorität hatte. Auch von Leipzig theilt Bommel 1. c. ein Crtheil mit. Auch die Friedericianiscbe Gesetzgebung behandelte die Bofgüter als Lehngiiter. Wenigstens setzt das Jurisdiktionsreglement von 177S) für die Bofgüter in Cleve. Meurs uud Mark dies voraus. Es lautet: .... wird verordnet, dass bei vorkoiumendeu Erbschaftsgefällen und Theilungen . . .

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Wahrnehmung ruhte, dass unmöglich der Bauer ein bloss persönliches Nutzungsrecht haben könne wenn auch diese Theorie sonst im Anerbenrecht Umgestaltungen hervorgerufen hat:137) an dem, was uns hier vorzüglich interessirt, an dem Charakter der Abfindung hat sie nichts geändert. Denn gerade im Lehnrecht war ja die Einerbfolge und der Begriff des Allods am schärfsten ausgebildet. Auch nach dieser Theorie musste also den Miterben nur eine Abfindung aus dem Aliod gebühren.138) Ganz begreiflich ist es darum, wenn Runde der, an der Wende des 18. Jahrhunderts stehend, in seinen classisehen Schriften gleichsam das Ergebniss jener ganzen Entwicklungszeit zieht mit Energie dafür eintritt, den Kindern dürfe eine Abfindung nur aus dem Allode bewilligt werden. Als deshalb

die Lathen oder Hofes- Geri chte sich davon ganz und gar nicht, mehren, sondern die Direktion in allen Erbschaftssachen den Land- nud anderen Gerichten . . . ferner überlassen sollen, in dem die Lehusquaütät eines Gutes darunter kein besonderes Forum constituiren kanu. . . .*

,S7j Namentlich in dem Kreiso der zur Abfindung und zum Antritte des Gutes berufenen Erben hat diese Theorie Veränderungen hervorgerufen. Die Theoretiker und die Gerichte Hessen in lehenrechtlicher Weise zum Erbe nur Descendenten des primus acquirens zu. Vgl. die oben citirte Stelle aus Pufendorff Bd. II obs. 70. Vgl. auch Bd. IV obs. 179: .Neque vero inconcinne dici potest, eo (sc. .auf die Bauerngüter") accouiodatam quoque esse successionem feudalem, ut non succedant nisi a primo acquirente desceudentes.“ Schon Ludewig hatte übrigens gesagt: .Praeterea in Lassitica jura sanguiue proximi succedunt, ordine fere eodem, quem detiniunt instituta feudorum“. Von den Gerichten entschied in diesem Sinne namentlich das Oberappellationsgericht in Celle z. B. 1745 (vgl. Pufendorff Bd. II, obs. 701 ebenso 174s : (. . . . Johann Dietrich Prechtens Wittwe, jetzo Meiers Ehefrau und deren älteste Tochter als Seiten verwandte. . . sich ein Recht der Erbfolge in dem Meierhofe nicht aumassen können . . und ebenso in einem Gutachten von 17ti7: .l'ud dieses sind die Gründe, warum wir noch jetzo bey derjenigen Meynung verharren, dass bloss die vom ersten Erwerber Abstammende ein Erbrecht an dem Mever-Gute haben.“

iss) vgl. die jn Anm. 13G citirte Stelle ans Pufeudorff Bd. IV obs. 145. Vgl. auch Bd. II obs. 33: .In determinanda autem dote (-Abfindung) illa . .. ratio allodii inennda est cavendumque, ne possessor praedii. quippc quem aes alienum quoque omne sequitur, nimis gravetur“. Ebenso Urtheil von Cello bei Pufendorff Bd. 4 S. 145: .Et ita deinde summum tribunal respondit in haec verba: .dabey auch das commodum iuris coloniarii in keinen Betracht zu ziehen*.

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für die Rechtswissenschaft eine neue Zeit heraufzog, da war die Abfindung nach dem alten Weresystem aus der Theorie und dem officiellen Rechtsleben bis auf geringe Reste verschwunden.

Aber unter der Decke des officiellen Rechtes, wie es in den Gerichtssprüchen und den Lehrbüchern vorliegt, hatten sich in weitem Umfange die alten Sitten und Gewohnheiten mit unverwüstlicher Lebenskraft erhalten.

Schon das officielle Recht war, wie sich das von selbst versteht, nie unbestritten. Noch zu Struben's und Stryk's Zeit, wo die Lehre von dem lediglich persönlichen Besitzrecht der Bauern in ihrer Blüthe stand, hatte sogar die Hallenser Juristen- facultät, obwohl ihr Stryk und sein Gesinnungsgenosse Ludewig angehörten, in einem Urtheile aus dem Jahre 1704 jede Locatio perpetua als emphysteusis mit ius quoddam in re erklärt. Ebenso war im Jahre 1708 in Preussen eine Erbpachtordnung erlassen worden, welche den Erbpächtern gestattete, ihre Güter zu verkaufen, und sie befugte, dieselben von Jedem vor Gericht „anzusprechen“. Das wies deutlich auf ein dingliches Besitz- recht der Bauern hin, und diejenigen Rechtslehrer, welche, wie Schottel, das dingliche Recht der Bauern um jeden Preis zu verneinen suchten, konnten diese Stellung des preussischen Erb- pächters nur auf die künstliche Weise erklären, dass sie be- haupteten, er habe die dinglichen Klagen nur auf Grund einer gesetzlichen Cession.139) Später war das Schwanken der Theorie noch erheblicher. Die Lehre von der Lehnsqualität der Bauern- güter ist nie auch nur annähernd allgemein anerkannt worden.

Was die Gesetzgebung und die Praxis anbelangt, so waren nicht alle Landesordnungen 14l)) den Weg der Calenberger Meierordnung gewandelt, namentlich die schon um den Anfang des 18. Jahrhunderts aufgezeichneten. Nicht minder waren viele der Untergerichte bei den alten Grundsätzen der Were ver-

139) Vgl. Schottel S. 69 ff. und über das vorstehend citirte Hallenser Urtheil denselben S. 40.

'«*) Z. B. Das Delbriicker Landrecht bei Wigand, Paderborn Bd. III, S. ff. Auch die süddeutschen Gesetze sind bezüglich der Abfindungen weniger streng.

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blieben;141) kannten sie doch auch die Gewohnheiten des Landes besser, als die gelehrten Herren der Obergerichte.

So konnten denn die vorgetragenen Theorien ihre ver- nichtende Wirkung auf das alte Bauernrecht nicht überall ungestört ausüben. Aber auch wo sie anerkannt waren, fand die Rechtsansehauung des Landvolkes ein Mittel, sich der herrschenden Lehre zum Trotz durchzusetzen. Es war dies die auch heute noch bewährte Anwendung der Gutsüberlassungs- verträge. Schon zu Carpzov's Zeiten haben wir ihr häutiges Vorkommen beobachtet. Ebenso finden sich bei Beck und Frantzkius die Uebergabs Verträge erwähnt.142) Dass sie in jenen Zeiten nicht ungewöhnlich waren, zeigen auch mehrere Reclits- fälle, welche in der seinerzeit berühmten, sehr inhaltsreichen Sammlung von Entscheidungen des Kaiserlichen Hofraths Christoph von Lynckcr sich finden. Ganz besonders ist die S. 968 da- selbst mitgetheilte Entscheidung lehrreich dafür, wie die Bauern trotz der ungünstigen Lage der Gesetzgebung das Anerbenrecht ganz in der von uns behaupteten W eise durch eine fort- schreitende Reihe von Ausl adungen und Abfindungen ver- wirklichten und mit ihrem schliesslichen Rückzüge auf das Altentheil bekräftigten. Man höre nur den Fall, wie ihn Lyncker mittheilt:

„Hanns Niedergail, Innwohner in der Seebach, hat ein ansehnliches Gut daselbst besessen, darauf jährlich ein merkliches an Früchten, Gehölz und anderem zu er- bauen. Nachdem er aber vier Kinder gehabt und beide seine verheirathete Töchter ausgesetzt, der eine Bruder aber in den Krieg kommen, hat er den anderen Sohn, Sigmunden, bei sich behalten. Dieser hat weil der Vater über 70 Jahre alt gewesen. . . Die ganze Haushaltung über 7 Jahre geführet, .... masseu der Sohn sich auch ver- heirathet und noch vor des Vaters Absterben . . . also noch im wehrender solcher Haushaltung Hochzeit und Kind- taufe gehalten. . . . Hierauf hat er dem Vater wenige

141) Vgl. unter anderem das Unheil des Amts Bilstein v. 178G bei Sommer, Westfalen S. 35 bis 30, vor allein aber die Delbrücker Landunheile bei Wigand, Paderborn Bd. III.

Vgl. die in Amn. 120 citirte Stelle von Beck.

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Zeit vor seinem Absterben zu einem Kauf beredet, ver- mag dessen der Vater ihm das Gut vor 500 fl. verkauft, 100 Gulden in Jahr und Tag zur Angabe zu bezahlen und nach seinem Tode die Tagzeiten jährlich 40 fl. zu entrichten“ u. s. w.

Vor allem aber in Süddeutschland müssen die Gutsübergaben häufig gewesen sein. Sie werden schon von den Commentatoren der bayrischen Polizeiordnung von 1616 als eine allgemeine Sitte erwähnt (vgl. oben Anm. 15*), und sie sind hier sogar von einigen Landrechtsbüchern z. B. vom Bamberger Landrecht (Fick S. 188) geregelt worden.

Dass auch später noch die Auszngsverträge nicht selten w'aren, beweist ihre oftmalige Erwähnung bei Pufendorff, sowie der Umstand, dass Hommel sie nicht nur observatio 204 seiner „Raphsodie“ für häufig erklärt, sondern auch in obs. 110 ein Beispiel davon mittheilt. Ui) Vollends seit Runde ihnen 1805 seine berühmte Abhandlung gewidmet hatte, waren sie ein auch von den Rechtslehrern allgemein anerkanntes Institut. So hatten die Bauern zur Verwirklichung ihrer ererbten Rechtsanschauungen ein Mittel gefunden, welches auch von den staatlichen Hütern des Rechts anerkannt wurde. Allein darauf kam es nicht ein- mal so sehr an. Wenn diese Hüter gar zu wenig Verständniss für die Bedürfnisse des Landvolks zeigten, so zogen die Bauern sich auf sich selbst zurück und kümmerten sich gar nicht um den ganzen officiellen Apparat der Rechtsbewahrung, sondern ordneten ihre Verhältnisse auf ihre Weise und erfuhren nur ab und zu zu ihrem Staunen, dass die Gerichte auf Grund neuer fremder Lehren das für Unrecht erklärten, was sie seit der Urväter Zeiten als Norm und Richtschnur aller Verhältnisse

14S) Hommel obs. 204: „Saepius enim accidit, ut rustici iu ven- ditionibus praediorum in casum, si liberi sine prole moriantur, praedium huic aut alteri delegent“. obs. HO: „llat der nunmehr ver- storbene Mävius an den Sohn Hans Carlu sein Gut für 508 Tbaler der- gestalt verkaufet, dass der Abekäufer biervou 368 Tbaler als ein väterliches Erbtheil an sich behalten und abziehen, das übrige aber, an 200 Th., der Sempronin und Justinen, als des Verkäufers verstorbenen Tochter Kindern, und zwar nicht eher, als bis jedes sich verheirathen würde, alsdann aber einer jeden 100 Tbaler, jedoch ohne Zinsen auszahlen solle. . .“

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anzusehen gewohnt waren. Dennoch lebten sie ruhig in dem alten Brauche weiter. Denn noch war die Sitte stark genug, auch den Widerstrebenden zu ihrer Anerkennung zu zwingen, so dass höchst selten die bäuerlichen Rechtsgeschäfte vor die Gerichte gelangten, und trotz deren Ungunst die Gewohnheiten der Landbevölkerung sich erhalten konnten.

Besonders deutlich tritt diese Unbekümmertheit der Land- bevölkerung uni das, was öffentlich als Recht und Gesetz galt, in der Schrift Noltens und den ihr angehängten Hofrechten zu Tage. Ueberall ist dort von dem „abusus“, von den „Missbrauchen“ die Rede, welchen die Landbevölkerung ungeachtet aller Rechts- sprüche nachhänge; und die Verfasser der angehängten Hof- rechte, meist ortskundige Amtsmänner, müssen oft bekennen, dass in ihrem Sprengel etwas anderes „Brauch oder vielmehr Missbrauch“ sei, als was sie nach ihrer gelehrten Rechts- schulung für richtig halten müssen. Vollends das eingangs (Anm. 7) besprochene Protokoll des Hägergerichts zu Stadt- oldendorff ist ein denkwürdiges Beispiel für den zähen Bauern- trotz, mit dem die Landleute, selbst wenn sie in deu höchsten Instanzen keinen Erfolg gehabt hatten, sich gegen die Auf- zwingung eines unverstandenen und fremden Rechtes wehrten.

Speziell auf dem Gebiet des Anerbenrechts ist diese Nicht- beachtung von Gesetz und Verordnung neuerdings für Oesterreich dargethan worden. Unbekümmert um theilungsfeindliche oder theilungsfreundliche Gesetze haben die Bauern unter Lebenden getheilt und für den Todesfall ungetheilt verfügt; unbekümmert darum, w'as das Gesetz über die Bewerthung des Hofes vor- schrieb, haben sie ihn zu allen Zeiten nach einer billigeren Taxe übergeben. Keiner der Miterben rief die Gerichte an „im Banne der alten Gewöhn heiten.“148*)

Solchem Bauerntrotze ist es vornehmlich zu danken, wenn sich bis auf den heutigen Tag das Bauernrecht im Grossen und Ganzen, so wie es zur Zeit der Weisthümer entstanden war, erhalten und manchmal sogar überraschende, anderswo längst

Grimberg S. so. Vgl. auch S. Sä, 30, 02.

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vergessene Einzelheiten aus fernen Tagen treu bewahrt hat.144) Und dass dieser sorgfältig gehütete Schatz aus der Väter Zeiten auch wieder von der oificiellen Rechtslehre uud Rechtsprechung verwerthet und anerkannt wurde, ist das unvergängliche Ver- dienst der geschichtlichen Rechtsschule.

Unbekümmert um das, was die Theorie als gemeines Recht aufgestellt hatte, begann man wieder, die localen Gewohnheiten zu sammeln, aus Freude an der bunten Mannig- faltigkeit des hier zu Tage tretenden Rechts. Dieses so gewonnene Material suchte man nun historisch zu erklären. Und da man dabei viel weiter zurückging und die alten Denkmäler weit besser ausnutzte, als es je vorher ge- schehen, so konnte ein Erfolg nicht fehlen. Es gebührt hier Wigand in seinen oft citirten Schriften das Lob, dass er zuerst die richtigen Grundsätze über die Abfindung in der Wissenschaft wieder zu Ehren gebracht hat. Zwar stützte er sich auf falsche Voraussetzungen und auch seine geschichtlichen Ausführungen sind heute veraltet; aber er war ein genauer Kenner der positiven Bestimmungen des Provinzialrechts und besass dazu einen hervorragenden praktischen Takt; dabei musste er das Richtige treffen. Und so lautet denn auch sein Grundsatz, den er über die Grösse der Abfindungen aufstellt, derart, dass er recht gut den Abschluss unserer obigen Dar- legungen über die „Were“ 3 und 10) hätte bilden können, Wigand führt nämlich ans; „dass der Brautschatz aus den Gütern selbst, aber nach ihrer Grösse und Qualität, und so wie sie es ertragen können, soll geleistet werden, in der Weise, wie nach altem Herkommen ein fleissiger sparsamer Familienvater seine Kinder versorgte und ausstattete, ohne das Hauptvermögen zu versplittern und zu ruiniren.“

144J Das merkwürdigste Zengniss für den conservativen Sinn der Bauern wenn es auch auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung liegt ist wohl, dass noch bis 1576 in den Laetengerichtcn des Herzogthums Cleve in ganz altgermanischer Weise der Umstand und nicht die Schöffen das Urtheil fanden. (Vgl. Ludewig S. 242 Anm. o). Wie merkwürdig lange noch an vielen Urten die alten Härkerdinge oder Jlaigerichte abgehalten wurden, ist allgemein bekannt.

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Seitdem ist in der Theorie des Anerbenrechts keine Aenderung mehr eingetreten,14-'’) praktisch aber ist es in der

letzten Zeit wenigstens im Gesetzesrecht mehr und mehr zurückgewichen. Die gleichmacherischen Tendenzen, welche

dem politischen Leben entsprungen auch in der Gesetzgebung mächtig wurden, waren den Standesrechten ungünstig; und dazu gehörte wenigstens nach der herrschenden Ansicht doch auch das Bauernrecht. Allein diesen Tendenzen entstand in allerletzter Zeit eine Gegenströmung und es ist ihr gelungen, das Anerbenrecht zu erhalten; allerdings war der Sieg an-

fänglich vielfach nur ein halber; an vielen Stellen, wo es glückte, einen gesetzlichen Damm gegen das Verschwinden des Anerbenrechts zu errichten, da musste dies in seiner alten Form über Bord geworfen werden. Es entstand dafür ein

neues Institut, bedingt durch die Coneessionen, welche den Vertretern des freien Tnvidualismus von den Anhängern der Gebundenheit des bäuerlichen Grundbesitzes gemacht werden mussten. Das alte Anerbenrecht hatte als Intestaterbrecht gegolten; das schien Vielen schon ein zu grosser Eingriff in die persönliche Freiheit, deshalb sollte das Neue nur auf Wunsch des betheiligter. Vaters gelten, wenn er sein Gut in die Höfe- rolle eintragen liess. Eine Inconsequenz war es dann allerdings, dass das einmal eingetragene Gut auch beim Singularsucessor mit dem Anerbrecht behaftet bleiben sollte. Allein solche Inconsequenzen sind bei Compromissgesetzen gewöhnlich; es war dies ein Zugeständnis, welches die Anhänger der Gebundenheit erraugen. Vor Allem wirkte aber der Streit der Anschauungen, den es bei diesen Gesetzen zu versöhnen galt, umgestaltend ein auf die uns besonders interessirenden Abfindungen. Diese in der alten Weise dnrebzusetzen, dass der Anerbe Alleinerbe war und die Miterben keine Civilcrbtheile, sondern etwas Anderes, nämlich eben die „Abfindung“, empfingen, dies durchzusetzen erwies sich für die Anhänger des Anerbrechts als rein unmöglich. Auf der anderen Seite war man nur bereit, verhindern zu lassen, dass das Gut in natura getheilt würde. Dies liess sich nun

14;,J Insbesondere haben Stobbe Bd. V und ßesoler Bd. II im Wesent- lichen die Weretheorie, wenn sie auch nicht in allen Einzelheiten mit uns übereinst immen.

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durch eine einfache Anweisung an den Theilnngsrichter erreichen. Und so kam man dazu, durch Theilungsvorschriften, also durch indirecte Mittel, dem Anerben einen Vortheil zu gewähren, da man seine offene Privilegirung nicht hatte durchsetzen können.

Pas sind in grossen Zügen 1'w) die Vorgänge, welche dem modernsten Anerbenrecht seinen eigentümlichen Charakter auf- geprägt haben gegenüber dem Anerbenrechte, wie es auf Grund der historischen Entwicklung noch in verschiedenen Theilen Deutschlands gilt. Neuerdings ist jedoch die dem Anerbenrecht freundliche Strömung so erstarkt, dass man beginnt, es in alter Weise als Intestaterbrecht einzuführen, freilich nur in den Landesgesetzen, denn das bürgerliche Gesetzbuch ist am ganzen Bauernrechte kühl vorübergeschritten.

§ 14.

So hätten wir denn die Entwicklung des Anerbenrechts von der Urzeit bis heute an uns vorüberziehen lassen. Ist es uns dabei gelungen, ein folgerichtiges und überzeugungstreues Bild zu entwerfen, so ist damit die Widerlegung abweichender Meinungen von selbst gegeben, besser, als es durch lange Polemiken hätte geschehen könneu. Dennoch werden wir nicht umhin können, wenigstens zweien von unseren Gegnern noch die Ehre einer besonderen Widerlegung zu erweisen, nämlich Brentano und seinem von ihm inspirirten Schüler Fick. Sie sind die lautesten Küfer im Streit gegen unsere Anschauungen, und sie haben auch am meisten deu Anspruch erhoben, ihre Ansichten durch Beweise gestützt zu haben.

Brentano und, etwas weniger prononcirt, auch Fick sind der Ansicht, dass Erbrecht, Hofrecht und Anerbenrecht gleicher- massen nur das Product wirthschaftlicher Verhältnisse sind.

ue) Die Geschichte der neueren Höfegesetze im Einzelnen zu geben, hat Verfasser nicht für niithig gehalten. Gegenüber der vorzüglichen Dar- stellung, die Miaskowski davon a. a. 0. Bd. II S. 203 ff. giebt, könnte eine erneute Schilderung sich auch nur darauf beschränken von jenem schon Gesagtes zu wiederholen. Das Gleiche würde gelten gegenüber dem Aufsatze, den Graf Chorinsky in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik (Bd. 61 S. 71 ff.) über die Strömungen und Gesetzgebungsversuche in Oesterreich geliefert hat.

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Das Erbrecht soll als nothwendiges Complement des Eigentliums gleich diesem getragen werden von dem „Bedürfnis nach einer intensiveren Widmung der Productionsmittel, der Sach- güter und der Arbeitskraft an dem Productionszweck“ (Zukunft, S. f)06), von dem Gedanken einer „pfleglicheren“ Behandlung der zu Eigenthum und Erbgang überwiesenen Gegenstände. Hofrecht und Anerbenrecht dagegen sollen beherrscht werden von den öeonomischen Interessen des Grundherrn.

Diese Art, alle Rechtsentwicklung aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten und Zweckgedanken erklären zu wollen, ist ja nicht neu. Wir hatten schon öfter Gelegenheit, auf sie hin- zuweisen. Wir hatten aber auch schon Gelegenheit, zu bemerken, dass sie kurzsichtig und mindestens einseitig ist. Sie kehrt das Verhältniss von Ursache und Wirkung um: nicht weil die wirtschaftlichen Verhältnisse eine bestimmte Lage schufen, bildete sich das Recht dementsprechend, sondern weil die An- schauungen des Volkes bestimmte Rechtssätze geschaffen. hatten, formte sich danach die wirtschaftliche Lage. Wir sind im Stande, für diese Anschauung das Zeugniss einer schwer- wiegenden Autorität anznrufen, das Zeugniss eines Mannes, der mit der genauen Kenntniss der wirtschaftlichen Zustände fast aller Zeiten einen umfassenden historischen Blick verbindet. Kein geringerer als Schmoller stellt als Ergebniss der Lamprecht'schen Wirtschaftsgeschichte die Lehre hin,14*'*) dass am letzten Ende auch der Gang der wirtschaftlichen Dinge vom menschlichen Willen bestimmt wird, dass die „äusseren, quantitativen Bedingungen des Wirthschaftslebens teils selbst Prodncte menschlicher Ueberlegung, politischer, sittlicher, recht- licher und socialer Einrichtungen sind, und dass sie, soweit sie es nicht sind, als Stösse, als Kräfte wirken, welche dem Wider- stand menschlichen Handelns begegnen und durch die Handlungen der Einzelnen und der Gesammtheit corrigirt werden können.“

Die Autorität Schmollers würde aber nicht allein ent- scheiden, wenn sie nicht durch andere Erwägungen unterstützt würde. Einmal sehen wir, dass noch heute Gesetze und Ge- wohnheiten, namentlich Erbgewohnheiten auf wirtschaftliche

>“*) In seinen Jahrbüchern Bd. 12 S. 218.

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Diuge einen hervorragenden Einfluss ausüben, während das Umgekehrte nicht der Fall ist. (Vgl. unten § 31 f., 3(i f.). Und ferner ist es überhaupt nicht möglich, eine Rechtsordnung nur aus wirthschal'tlichen Gründen zu erklären. Gerade Brentanos Aufsatz über die Entwicklung des Erbrechts ist dafür ein sprechender Beweis. Schon bei den ersten Anfängen versagen ihm die wirthschaftlichen Erklärungen. So war das erste Eigenthum nach ihm das des Mannes an der Frau. Und wie erklärt er das? Er schreibt: „Die Frau ist die Hauptarbeits- kraft in der Wirthschaft. Auf dieser Entwicklungsstufe ent- steht das erste Eigenthum : es ist das des Mannes an der Frau.“ Diese Beweisführung enthält, wie Brentano einmal Gierke vorwirft, einen Salto mortale. Dass die Frau die Hauptarbeits- kraft gewesen sei, ist allerdings eine wirthschaftliche Erwägung. Aber wie sich daraus die Entstehung des Privateigenthums erklärt, verräth Brentano nicht. Dass sich an einem Gegen- stände, der Hauptarbeitskraft oder Hauptarbeitsmittel ist, ohne weiteres Privateigenthum entwickelt, nimmt Brentano wohl nicht an. Es widerspräche das auch der geschichtlichen Entwicklung. Brentano selbst führt ja aus, dass später die wichtigsten Pro- duktionsmittel Vieh und Grundbesitz waren. Und doch hat es auch nach ihm ‘sehr lange gedauert, ehe sich ein Eigenthum des Privatmannes hieran ausgebildet hat. Dort führt er übrigens für diese Ausbildung wirthschaftliche Erwägungen au, nämlich das er- wähnte Streben nach „pfleglicherer“ Behandlung. Dass dies nicht wohl der Grund des Eigeuthums an der Frau gewesen seiu kann, springt in die Augen. Es bleibt sonach, wenn man nicht eine etwas idealere Auffassuung auch des ältesten Verhältnisses zwischen Mann und Frau annehmen will, als Grund des Privat- eigenthums nur die Begehrlichkeit nach dem wichtigen Produktionsmittel übrig, der nakte und bare Egoismus. Der Egoismus ist nun aber ein Moment, dass zwar wirthschaftliche Wirkungen haben kann, aber nicht dem ökonomischen Gebiete angehört, sondern dem ethischen und psychischen.

Aber greifen wir weiter: Eine der wichtigsten Aenderungen der ursprünglichen Rechtsordnung ist es nach Brentano, wenn die Frauen Grundbesitz zu Eigenthum erlangen und erben können. Die Aenderung soll eintreten, sobald „als das Heim- fallsrecht an die Markgenossenschaft aufhört, und das Land,

▼. Dultzic, Gründer brecht, 10

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wo Söhne fehlen, auf die Töchter übergeht.“ Und der Grund dafür? Brentano nennt als Gründe „einerseits, dass die Ver- edelung durch Arbeit gegenüber den bloss natürlichen Eigen- schaften des Bodens eine solche Bedeutung erlangt hat, dass es nicht mehr erträglich ist, die durch individuelle Arbeit herbeigeführte Vermehrung desBodeuwerthes den kommunistischen Ansprüchen der Markgenossenschaft zu opfern, andererseits, dass das Weib zu einer freieren und selbstständigen Stellung gelangt ist.“ Schon der erste Theil dieser Schlussfolgerung ist nicht rein wirtschaftlicher Natur; er bietet eine allgemeine Billig- keitserwägung dar, die an die wirtschaftlichen Wandlungen zwar anknüpft, aber doch nur äusserlich. Vor allem jedoch erklärt diese Erwägung die Vererbung an Frauen nicht, sie kann nur erklären, warum das Gut nicht mehr an die Markgenossenschaft fällt, sondern an die Verwandten; warum es aber unter den Verwandten nicht wie sonst nur an die männlichen gegeben wird, sondern auch an die Frauen, bleibt im Dunkel. Brentano fühlt das denn auch selbst und führt als zweiten Grund an die allgemein verbesserte Stellung der Weiber. Damit hat er aber selbst den wirtschaftlichen Boden verlassen. Denn die bessere Stellung der Frau ist keine wirtschaftliche, sondern eine ethische und rechtliche Erscheinung. Sie ruht auch nicht einmal auf wirtschaftlichen Gründen. Brentano will uns zwar darüber hinwegtäuschen, indem er meint, die Frau sei, sobald sie nicht mehr vornehmste Arbeitskraft war, zu einer Lebensgefährtin geworden. Allein das Schwinden ihrer Bedeutung als Arbeits- kraft zeitigt noch nicht ihre Stellung als Lebensgefährtin. Auch die Bedeutung des Sklaven als Arbeitskraft ist nach Brentano gesunken, und doch ist dadurch nicht die Sklaverei in Abgang gekommen, sie ist vielmehr erst sehr allmählich aus ethischen Gründen aufgehoben wordeu. Ueberhaupt ist bei einem Gegenstände, der aus irgend einem Grunde Privateigeu- thum geworden ist, das rechtliche Beharrungsvermögen stark genug, ihn auch nach Fortfall jenes Grundes in Privateigenthum festzuhalten, wenn nicht andere Momente ihm eine neue Ent- wicklung vorzeichnen. Und so wäre auch die Frau, wenn sie einmal aus wirtschaftlichen Gründen ins Eigenthum des Mannes geraten wäre, darin auch nach dem Verschwinden

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jener verblieben. Nur die sittlichen und rechtlichen An- schauungen reichen ans, ihr eine andere Stelle anzuweisen.

Auch sonst noch lässt die rein wirtschaftliche Erklärungs- methode Brentano im Stich. Ist es zum Beispiel ein wirth- schaftlicher Grund, wenn Brentano das Erbrecht am Lehn daraus lierleitet, erst sei die Ernennung des Sohnes üblich gewesen, daun sei das Recht geworden? Ist es ferner eine wirtschaft- liche Erwägung, wenn Brentano darauf verweist, erst sei das Land Pertinenz des Amtes gewesen, später sei das Amt Pertinenz des Landes geworden? Aehnliche Beispiele Hessen sich noch mehr anfiihren.

Was Brentano aber wirklich an wirthschaftlichen Er- wägungen vorbringt, ist auch etwas gebrechlich. Die Ent- stehung des Privateigentums am Laude leitet er, wie andere, aus dem durch mehrere Generationen ungestört ausgeübten Besitze her. Dass dieser längere Besitz aber zum Eigenthum führte, leuchtet ihm nur aus folgender Erwägung ein: „Wollte man die Umwandlung der rohen Naturkraft in ein verbessertes Produktionsinstrument nicht verhindern, so war die Voraus- setzung, dass die Früchte der Arbeit denen zu gute kamen, welche die Arbeit geleistet hatten.“ Also wieder der Gedanke der „pfleglicheren“ Behandlung in neuer Wendung. Dass aber das Bedürfniss nach pfleglicherer Behandlung keineswegs zum Privateigenthum führen muss, hätte Brentano aus den von ihm sonst so betonten irischen Zuständen lernen können. Die dortigen Agrarverhältnisse waren schlecht genug und schrieen förmlich nach pfleglicherer Behandlung und nach Privateigen- thum, wie es bei Brentano selbst (Zukunft S. 497) zu lesen steht. Dennoch hat sich das Privateigen an Land bei den Iren niemals herausgebildet, sondern es ist erst durch die englische Eroberung eingeführt. Und doch hätten die Iren mehr als andere Arier Anlass gehabt, jenen Uebergang aus wirthschaftlichen Erwägungen zu vollziehen. Denn sie hätten dies erst zu thun brauchen in Zeiten, denen man wirthschaft- liche Vorbedaehtsamkeit schou eher zumuthen konnte, und sie hatten überdies ringsum das Privateigen bereits vor Augen.

Der Gedanke allerdings, dass die Frucht der Arbeit von Generationen deren Sprösslingen und nicht der Gesammtheit gebühre, ist im Rechte mächtig gewesen, ebenso wie das andere

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von Brentano für die weitere Entwicklung des Erbrechts heran- gezogene Prinzip, dass über das erworbene Gut eine freiere Verfügung gerechtfertigt sei als über das ererbte. Wir hatten ja selbst schon Gelegenheit, auf diese Grundsätze hinzuweisen. Allein beide Regeln fussen in der allgemeinen Billigkeit und Gerechtigkeit; es bedarf zu ihrer Erklärung keiner wirtschaft- lichen Gründe. Im Gegenteil solche erklären zu viel oder zu wenig. Wenn nämlich der Gedanke, den Begünstigten einen Ansporn zu gewähren, der treibende für jene Rechssätze gewesen wäre, so hätten diese allgemein lauten müssen. Denn wenn überhaupt das Eigenthum einen Antrieb zur besseren Behandlung des Bodens bildet, so bildet es ihn schlechthin, bei dem neuen nicht minder wie bei dem seit Generationen besessenen Lande: wenn deshalb das Eigentum zum Zwecke des Ansporns verliehen worden wäre, so hätte es nicht auf das Erbland beschränkt werden dürfen. Desgleichen wirkt die Aussicht auf freie Verfügung ebenso aufmunternd beim ererbten wie beim erworbenen Gute. Es ist darum nicht ersichtlich, warum sie als Preis für gute Wirtschaft nur beim erworbenen Gute ausgesetzt worden sein soll. Die einfache Gründung der Sätze auf Gerechtigkeit und Billigkeit lässt ihre Beschränkung dagegen sehr wohl begreifeu ; denn diese Momente wirken eben nicht allgemein, sondern nur entsprechend beschränkt. Die Beispiele vollends, die Brentano für seine Lehre von der Entstehungsursache der Freiheit des erworbenen Gutes beibringt, sind historisch unrichtig. Die Selbstständigkeit des Haus- sohnes hinsichtlich seines castrense und quasicastrense peculium im römischen Recht ist nicht eingeführt, um den Sohn zu besseren Leistungen anzuspornen. Wie hätte auch die Tüchtigkeit auf militärischem und politischen Gebiete durch eine solche abge- legene Begünstigung in ganz anderer Sphäre angefeuert werden sollen! Bevorzugung im Avancement, Titel und Ehrenzeichen hätten dazu weit bessere Mittel geliefert. Nein, die Sätze über das castrense und quasicastrense peculium fliessen allerdings aus dem Staatsinteresse, aber nur aus dem Interesse daran, dass der Beamte von niemand abhängig ist, als vom Staate, und dass der Vater das Beamtengehalt nicht seiner Zweck- bestimmung entfremden und im eigenen Nutzen verwenden kann. Die schliessliche Stellung auch des nichtbeamteten Haussohnes ist der des beamteten daun nur angeglichen. Nachdem nämlich

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überhaupt durch die Beamten ein Beispiel dafür gegeben war, dass es auch selbsterwerbende Haussöhne geben küune, war die überlebte Stellung derselben nicht mehr zu halten, so uner- schütterlich sie auch vordem trotz ihrer Herkunft aus längst- vergangenen Rechtszuständen geschienen haben mochte.

Wird man demnach der Art, wie Brentano die von ihm behauptete Entwicklung des Erbrechts zu erklären sucht, kaum beistimmen können, so ist es wohl auch erlaubt, überhaupt an der Richtigkeit des Bildes zu zweifeln, das er uns von jener Entwicklung entwirft. Brentano hat einem die Kritik hier ja einigermassen schwer gemacht durch seine Erklärung, dass er noch nicht die volle Begründung seiner Ansicht geben könne. Nun wir warten ihrer, einstweilen wird es uns jedenfalls nicht verargt werden können, wenn wir bei unserer Ansicht ver- harren. Das aber kann schon jetzt verrathen werden: wenn Brentano nicht bessere Beweise vorbringt als die Berufung auf die australischen Menschenfresser, als die Verweisung auf die wesentlich mongolischen und durch den ewigen Kampf mit einer kargen Natur ebenso wie durch politische Schicksale herab- gekommen Ladaks in Kaschmir, oder als die stetige Bezug- nahme auf die in jeder Weise entarteten irischen Zustände, so wird ihm schwerlich Beifall ertönen. Es muss überhaupt ge- sagt werden: Die vergleichende Rechtswissenschaft ist an sich etwas durchaus Berechtigtes, sie erweitert unbestreitbar unsern Gesichtskreis; aber gegen die heutige kritiklose Art, ihre Er- gebnisse zu verwerthen, gegen die Mode, znsammengelesene Rechtsanschauungen der Australneger und anderer, auf gleicher Höhe stehender Wilden auf arische Institutionen übertragen zu wollen, dagegen muss der schärfste Einspruch erhoben werden. Die wirtschaftlichen Zustände mögen vielleicht auch einmal bei den Ariern ähnliche gewesen sein. Aber ihre recht- liche Gestaltung ist als ein Produkt der Gedankenwelt abhängig von der Art, wie sich jene Zustände in dem Kopfe der Be- theiligten malen, abhängig von der ethischen und juristischen Seele, die ihnen eingehaucht wird. Und dass hier die jetzigen Herren der Welt die wirtschaftlichen Dinge je in dem gleichen Lichte gesehen hätten, wie es heute die verkommensten Wilden oder Halbwilden tliun, ist doch sehr unwahrscheinlich. Wir wissen ja nicht einmal, ob auch nur jene Wilden immer die

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heutigen Ansichten gehegt haben; sie können, wie sonst, auch in dieser Beziehung entartet sein: wenn sie aber wirklich ihren Anschauungen von je angehangen haben, so ist es umgekehlt sehr wahrscheinlich, dass sie gerade darum von den Ariern über- holt sind, weil diese von Anfang an eben einen anderen, besseren und höheren sittlichen und rechtlichen Massstab an die Dinge und folgeweise auch an sich selbst zu legen verstanden haben. Man verschone uns darum mit den Rechtsordnungen stammfremder Barbaren, und ziehe zur Erläuterung des Rechts eines arischen Volkes, w'ie wir es oben gcthan haben, im allgemeinen nnr Satzungen anderer Arier heran ! Aber auch hier darf man nicht kritiklos Vorgehen. Auch die einzelnen arischen Stämme haben über Recht und Sitte verschiedene Ansichten gehabt : wir sahen dies bei der Auffassung des Eigenthums. Jedenfalls ist es ein schwerer Fehler, wenn Brentano die in jeder Be- ziehung eigenartigen Zustände der Iren als allgemein giltig betrachtet. Schon Leist hat in seinen Werken auf den gleichen Fehler Maine’s treffend hingewiesen. In der Tliat findet sich bei keinem anderen arischen Stamme eine gleiche Be- tonung der Viehzucht und demgemäss eine gleich lange Dauer des halbnomadischen Zustandes; bei keinem anderen arischen Stamme findet sich zwischen das Stammeigenthum und das Hauseigenthum ein Sondereigenthum des Stammeshauptes, sei es auch nur an Vieh, eingeschoben; es ist dieses sogar so regelwidrig, dass mir seine Existenz auch für die Iren zweifel- haft ist; überall sonst nämlich ist der Stamm organisirt wie ein erweitertes Haus; wenn es also an einem Sondereigenthum des Hausvorstandes mangelt, und das nimmt Brentano auch bei den Iren in der fraglichen Zeit nicht an, so fehlt es auch an einem Sondereigenthuni des Stammleiters.

Wendet man diese kritischen Grundsätze auf die Entwicklung des Erbrechts an, so wird man schwerlich bei den Ariern und am wenigsten bei den Germanen ein anfängliches Privateigenthum an der Frau behaupten. Was die Australneger darüber denken, ist dann ganz gleichgiltig. Wenn aber schon die Wilden entscheiden sollen, so hätte Brentano doch auch die bei uncultivirten Völkern so verbreitete Sitte des Mutterrechts berücksichtigen müssen, die allerdings vom Eigenthum des Mannes an der Frau das ungefähre Gegentheil bedeutet. Er

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hätte aber vor Allem Anlass gehabt, seinen Blick auf die Weddas in Ceylon zu richten: denn diese bilden wenigstens die Stammform auch der arischen Rasse. t4,!b) Hier findet sich nun zwar Monogamie und hausherrliche Gewalt, aber diese stellt sich nicht als reines Privateigenthum dar, und sie ruht auch nicht auf dem Grunde der Ausnutzung der Frau als Haupt- productionsmittel denn von Production ist in dem streifenden Waldleben, welches die Weddas unter dem glücklichen Himmel von Ceylon führen, überhaupt nicht die Rede sondern sie wird verursacht und beherrscht von dem schon in der Thierwelt viel- fach wirksamen, mächtigen ethischen Momente der Zuneigung zu Gattin und Nachkommenschaft ; vielleicht könnte man es auch Eifersucht nennen. Jedenlalls ist es der, auch von den wirklichen Ariern zu allen Zeiten betonte, Grundsatz, man solle sein Weib vor jedem Andern behüten, weil man doch nur eigene Kinder haben wolle.

Es finden sich denn auch bei den reinen Ariern nirgends Spuren, welche auf eine völlig gleiche Behandlung der Rechte an der Ehefrau mit dem Eigenthum an Vieh und am Sclaven deuten, so dass z. B. auch bei der Frau eine Vererbung zulässig gewesen wäre. Das Gegentheil, das von den halb- mongolischen, degenerirten Ladaks aus heutiger Zeit berichtet wird, ist für allgemein-arische Anfangszustände nicht beweisend. Ebenso fallt die gleiche Bewerthung einer Frau und dreier Kühe bei den Iren nicht ins Gewicht. Auch der Mann hat ja überall seinen Preis, später in Geld, früher wahrscheinlich auch in Vieh, und doch hat er sicher in Niemands Eigenthum gestanden. Besser als hierauf hätte deshalb Brentano auf die Römer ver- weisen können: denn wenn auch diese nicht bis zur Vererbung der Frau gehen, so behandeln sie doch die Rechte an der Frau in ziemlich weitgehendem Grade nach den Regeln des Privat- eigenthums. Allein dies ist, wie schon Leist dargethan hat, eine spätere particular römische Missbildung, der gegenüber sich die alten Vorschriften als sacrales Recht behauptet haben. Jedenfalls haben die Germanen eine ähnliche Entwicklung nicht durch-

Hct') Vgl. Ulrich Stotz in Ztschr. f. Kgesch. Germ. Abt. Band XV’, S. 175 ff.

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gemacht. Brentano glaubt zwar in der Nachricht des Taeitus, es seien bei den Deutschen die Aecker meist von weiblicher Hand bestellt worden, einen Beweis dafür gefunden zu haben, dass die Frauen dort die Hauptarbeitskraft waren, und dieser Umstand ist ihm weiter dafür entscheidend, dass sie auch im Privateigenthum standen. Indessen, auch wenn sie damals den Acker bestellten, so stellten sie darum noch nicht die einzige wesentliche Arbeitskraft vor-, denn Jagd und Fischerei, die naturgemäss den Mann beschäftigten, waren zu jener /eit noch ebenso wichtige Unterhaltsquellen. Ausserdem berichtet der- selbe Taeitus, dass die freien Männer meist auch noch unfreie Knechte und Mägde hatten, welche den Acker bestellten, so dass sich die Ackerarbeit der Hausfrau vielfach auf eine Art Oberleitung beschränkt zu haben scheint. Selbst wenn aber die Frau wirklich die Hauptarbeitskraft gewesen wäre, so hätte sie darum doch noch nicht im Eigenthum des Mannes gestanden: denn dem widersprechen die zahlreichen anderen, allgemein bekannten Stellen des Taeitus über das hohe Ansehen der Frau bei den Germanen und über ihre Stellung als Genossin des Mannes.

Nach alledem wird man den Ausführungen Brentano's über die Entstehung des Erbrechts der Freien weder im Ausgangs- punkte vom Eigenthume an der Ehefrau noch im weiteren Ver- laufe bei der Verallgemeinerung irischer Verhältnisse beitreten. Nicht minder anfechtbar sind aber seine und Fick's Darlegungen über das Hofrecht.

Schon die allgemeine Geschichte des Hofrechts, wie sie Brentano giebt, ist irrig und veraltet. Brentano sieht den Ursprung des Hofrechts allein in der Sclaverei und Unfreiheit. Um nämlich den Sclaven zu besserer Bodenbehandlung zu ver- anlassen, soll der Herr genüthigt gewesen sein, ihm successive immer grössere Rechte zu gewähren. Diese Entwicklung soll sich schon im römischen Recht verfolgen lassen und sich im deutschen nur fortgesetzt haben. Nach Brentano ist deshalb die Geschichte des Hofrechts nur die Geschichte des allmählichen Vordringens des römischen Latifundiums, und weil das Hofrecht vom Sclavenrechte ausgeht, deshalb ist es nur der Ausdruck „de> den Abhängigen auferlegten Willens eines Herrn“. (Zukunft. S. 504 uud 505, S. 447.)

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Wenn man diese Sätze über das Wurzeln des Hofrechts im Sclavenrechte liest, so fühlt man sich unwillkürlich in die oben gekennzeichneten Zeiten zurückversetzt, wo Ludwig, Stryck und Struben lehrten. Die Schilderung über das allmähliche Aufsteigen des Sclaven zum Bauern könnte recht wohl aus den Darlegungen jener über die Besserstellung der „serviles“ entnommen sein. Es ist überhaupt, als ob die Untersuchungen der letzten 30 Jahre über das Hofrecht nicht existirten, als ob namentlich Lamprecht und Brunner niemals ge- schrieben hätten. Wenn man die Brunner'schen Aufsätze über „mithio und sperantes“, wenn man seine Rechtsgeschichte liest, wenn man hört, wie viele vollfreie Männer ihr Gut einem Mächtigen auftrugen, um es mit sauimt seinem Schutz zurück- zuempfangen und wie dies erst allmählich eine Verminderung ihrer Freiheit herbeiführte, so geht es doch nicht an, zu sagen, das Hofrecht sei allein von Sclaven ausgegangen, denen ihr Herr ein Gütchen überlassen habe. Es haben ebensoviel, ja es haben vielleicht mehr Freie den Stamm der hofhörigen Leute geliefert. Und wenn man dann weiter die Fülle von deutsch - rechtlichen Leihe und Abhängigkeits -Verhältnissen überschaut, die Brunner als die Ausgangspunkte hofrechtlicher Gebundenheit hinstellt, so wird man die Herleitung des Hofrechts aus dem römischen Colonatrechte nur als phantasievolle Uebcrtreibung betrachten können, ganz abgesehen davon, dass namhafte Kenner des römischen Rechts auch das dort vorhandene, übrigens nicht eben „ausgebildete“ Colonatrecht auf die spätere Durchsetzung des römischen Reiches mit Barbaren und namentlich mit Germanen zurückführen wollen. Das deutsche Hofrecht ist demnach weder ein römischer Eindringling, noch ist es lediglich das Product des Herrenwillens , der rechtlose Sclaven mit berechnender Gnade bedachte. Es ist mindestens in demselben Grade geschaffen und gewandelt durch den Willen der Männer, die ihm unterstanden und die zum grossen Theil einst ganz frei gewesen waren, und es ist, wie wir wiederholt bemerken konnten, gerade darum oft in wunderbarer Weise mit den Gedanken des Landrechts befruchtet worden. Mit Recht legt deshalb Schmoller auch hier nicht auf die wirthschaftlichen Verhältnisse das Hauptgewicht, und mit Recht schreibt er dem

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sonst so betonten Interesse des Grundherrn148*) nur eine massige Wirkung zu, wenn er aus den einschlägigen Untersuchungen Lamprecht's mit den Worten das Ergebniss zieht: „Das Auf-

steigen der Bauern und der Tagelöhner bis ins 14. Jahrhundert wäre nicht möglich gewesen, trotz Bodenüberfluss und Preisver- hältnissen, wenn nicht eine sociale und sittliche Geschichte, die nach Jahrtausenden zählt, der Macht der Aristokratie feste Schranken gesetzt hätte, wenn nicht dem Rechts- bewustsein der germanischen Völker der Gedanke entsprungen wäre, dass die Pflichten der Hörigen im genossen- schaftlichen Hofding durch Weisthümer festzustellen seien.“

AVas nun im Besonderen die Entwicklung der Einzelerbfolge im Hofrecht anlangl, so befinden ja wir uns hier im vollen Gegensatz zu Brentano und seinem Schüler; aber auch ganz unbefangene Beobachter werden bei der Brentano'schen Theorie auf zahlreiche Bedenken stossen. Zunächst hat Brentano sich wiederholt darauf etwas zu Gute gethan, dass er und sein Schüler Fick den Nachweis geliefert hätten, es sei „auch unter dem Hofrecht, das den ungethcilten Uebergang der Banergiiter auf einen Erben einführte, das gleiche Erbrecht aller Kinder des Bauern in Bayern unentwegt festgehalten worden“. (Zukunft. S. 448.)

1,0r) Dass dies Interesse auch in älterer Zeit übrigens je in der Weise be- tätigt worden wäre, dass die Herrn dem Hauer Erleichterungen gewährt hätten, um ihn zu „pfleglicherer“ Boden-Behandlung zu veranlassen, (Zukunft S. 505) darf billig bezweifelt werden. Die eigenen Mittheilungen Brentanos und Fieks über das Verhalten der Gutsherrn im 18. Jahrhundert, über ihr alleiniges Bestreben die Mortuarien und Landenden, die Spanndienste und dgl. stets zu vergrössern, zeigen, dass dio Gutsherrn für woitschauende Wirtschaftspolitik gar kein Verständniss hatten und immer nur den nächsten Erfolg sahen. Das von Brentano angezogene Gutachten der Kammer - rathe Albrechts V. von Bayern beweist hiergegen nichts. Denn es stammt aus dem Reformationsjahrbundert, dessen wirthschaftliche Verhältnisse, wie wir bereits bemerkten, schon sehr modern waren und demnach zur Erklärung anderer Zeiten nicht wohl herangezogen werden können; ja es stammt überdies noch von wirtschaftlich besonders geschulten Köpfen jenes Jahrhunderts beweist also nicht einmal für die damaligen allgemeinen Anschauungen etwas. Ebensowenig beweisend ist es natürlich, wenn in unserem Jahrhuudert den Bauern die volle Freiheit ans wirtschaftlichen Grüuden gewährt ist.

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Wenn Brentano liier unter „gleichem Erbrecht“ nur ver- steht, dass an sich alle Kinder ein Anrecht auf die gesammte Erbschaft haben, welches aber nicht durch formell gleiche Theilung des Civilwertlies verwirklicht wird, sondern durch Abfindung der nicht aut retenden Geschwister nach einem niedrigeren Schätzungspreise, so hat er diese Praxis allerdings belegt. Er hat jedoch damit gar nichts Neues gesagt. Schon längst wusste man, dass nach gemeinem Rechte alle Bauern- kinder auch auf das Grundvermögen ein Anrecht haben uud dass die Abfindung demgemäss nicht nur aus dem Allod erfolgt. Auch wir haben dies oben besonders hervorgehoben. Wenn aber Brentano mit dem „gleichen Erbrecht“ die gleiche Theilung in natura oder civiliter meint, so steht es mit ihrem Nachweis sehr schwach. Der Verfasser dieserSchrift kann wohl sagen, dass er mit Eifer und heissem Bemühen nach jenem Beweise bei Brentano und Fick gesucht hat. Er hat jedoch über die nie bestrittene, anfängliche gleiche Theilung im Landrechte zwar viele überflüssige Aus- führungen gelesen, über die gleiche Theilung im Hofrechte aber hat er nur eine einzige Stelle auffinden können. Sie steht bei Fick, S. 23 und besagt, dass auch bei dem bayrischen „Leibrechter“, dem das Gut überhaupt nicht zu Erbrecht gehörte, „das Streben nach Gleichstellung aller Kinder so mächtig“ gewesen sei, „dass der neue Leibrechter seinen Geschwistern Abfindungen zu ge- währen pflegte, die, wie aus einer Stelle bei Rottmanner hervor- geht, sich auf die volle Höhe ihres Kopftheiles beliefen“. Also eine einzige verlorene Aeusserung Rottmanner's soll entscheidend sein gegenüber alle den anderen zahlreichen, von Brentano und Fick selbst nicht geleugneten Nachrichten, welche von der Theilung eines billigeren Werthes sprechen, und gegenüber der noch heute nur jenen Werth vertheilenden Praxis! Und noch dazu eine Aeusserung Rottmanner's! Wir berühren damit einen der wundesten Punkte der Brentano -Fick'schen Beweisführung. Fast ihre ganze Darstellung der früheren gruudherrlicheu Praxis l'usst auf Schriften eben jenes Rottmanner und vornehmlich auf dessen „Unterricht eines alten Beamten an junge Beamte“. Das Alles aber sind Streitschriften, welche die Verhältnisse einseitig, verzerrt und übertrieben darstellen, eine „beissende Satire“, wie sie Fick selbst nennt. Schroff widerspricht es aber allen Grund- sätzen der historischen Kritik, derartige Streitschriften als

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zuverlässige Erkenntnissquelleu für frühere Zustände zu benutzen. Was würde wohl Brentano dazu sagen, wenn man die heutige bäuerliche Lage nur nach den Heden einiger agrarischer Agitatoren ermessen oder wenn man die Verhältnisse der Fabrik- arbeiter nur nach den Brandschriften einiger Socialdemokraten beurtheilen wollte !

Und wie schwächlich ist nun die Constrnction, welche Brentano und Fick von der Entstehung des Anerbenrechts auf Grund jener Quellen geben! Die ungeteilte Vererbnng soll nach ihnen erwachsen sein sowohl aus dem Interesse des Staates an der Geschlossenheit der Höfe zwecks Vermeidung von Veränderungen des Steuereatasters, wie ans dem Interesse der Grundherren, welches einmal dahin ging, die Höfe für die Frohnuienste leistungsfähig und darum möglichst gross zu er- halten, und welches zweitens nach recht viel Landemien strebte, deren sich bei uugetheilter Uebergabe mehr berechnen Hessen als bei Theiluug. Wir haben schon Eingangs dargethan, dass diese ja nicht neue Ansicht, welche die ungeteilte Vererbung aus der rechtlichen Geschlossenheit des Gutes herleitet, auch für Bayern nicht zureicht, indem auch in Bayern die ungeteilte Uebergabe älter ist, als die ersten Theilungsverbote; wir haben ferner bereits betont, dass insbesondere die gutsherrlichen Interessen zur Erklärung des Anerbenrechts schon darum nicht genügen, weil das Anerbenrecht auch auf freien Gütern gilt, und umgekehrt sich nicht auf allen herrschaftlichen findet. (Vgl. auch Sering bei Schmoller, Jahrbuch de 1896, S. 222.) Wir wollen aber hinsichtlich des Interesses der Grundherren an den Frohndieusten noch bemerken, dass diese auch für die Theilung sprechen konnten; denn auch nach bayrischem Rechte leistete jeder Naturaltheil des Gutes selbstständig die ganzen Scharwerke, die vordem auf einem Gute gelastet hatten: der Gutsherr bekam also durch die Theilung mehr FrohnpHichtige. als vorher. In Oesterreich haben denn auch diese Erwägungen nicht zu einer theilungsfeindlichen, sondern zu einer theilungs- freundlichen Politik der Gutsherren geführt. (Vgl. Grünberg S. 31).

Die niedrige Schätzung des Gutes ferner und die niedrige Bemessung der Abfindungen soll fliessen einmal aus dem Be- streben der Bauern, durch mässige Bewerthungen Landemien

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zu sparen, und dann aus dem Wunsche der Herren, das Gut möglichst schuldenfrei zn erhalten.

Auch diese Erklärung verfängt nicht für die niedrigere Bewerthung im Landrechte. Brentano und Fick leugnen sie zwar dort, aber ihr Nachweis, dass Theil III, Cap. 1, § II des bayrischen Landrechts jene niedrigere Bewerthung nicht ausspreche (Brentano, Vorwort S. XVIII), ist gänzlich verfehlt. Die Stelle bestimmt ausdrücklich, dass der Gutsübernehmer nur einen „leidentiiehen“ Anschlag zu zahlen habe, und an diesem Worte „leidentlich“ scheitern alle entgegenstehenden Be- hauptungen; Brentano beweist das selbst am Besten dadurch, dass er das Wort „leidentlich“ einfach ignorirt.14'id) Die Er- klärung Brentano’s enthält aber ferner insofern einen Wider- spruch mit seinen sonstigen Annahmen, als es doch, worauf schon Sering (a. a. 0.) hingewiesen hat, merkwürdig scheinen muss, dass sonst überall das Interesse der Grundherren an der Erhöhung der Laudemien sich durchgesetzt haben soll, hier aber das Bestreben der Bauern, solcho zu sparen. Das Interesse der Grundherren an den Besitzwechselabgaben durchkreuzt aber noch in einer anderen Weise Brentano’s Ausführungen; es musste doch bei dem Wachsen der Abgaben mit der Höhe des Preises die Herrschaften zu einer möglichst hohen Ein- schätzung des Gutes drängen, und hat sie auch, wie Brentano selbst ausführt und wie Grünberg aus Oesterreich berichtet, dazu angetrieben. Andererseits sollen aber die Grundherren auch nach Brentano wiederum niedrige Abfindungen begünstigt haben. Diese Tendenz konnten sie aber nicht anders denn durch niedrige Gutsschätzung in Thaten umsetzen, da nach Brentauo selber die Abfindung in Bayern einen Theil des angenommenen Gutswerthes bildete, niedrige Abfindungen also nur bei niedrigem Guts werth möglich waren. Sonach liefen die Bestrebungen der

ns.') i)ass es „ich bei dieser Verordnung des Codex nicht etwa um ein nagelneues Gesetz, sondern um Uebernakmo alten Brauches bandelte, ist nach den Wahrnehmungen aus anderen Tkeilcn Bayerns und Deutschlands schon an sich wahrscheinlich, wird aber auch erwiesen dadurch, dass schon zu den Zeiten der Polizeiordnung von 1610 die mit solcher Schätzung immer verknüpfte Gutsübergabe allgemeiner Brauch war. (Vgl. oben Anm. läa.j

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Gutsherren sich selbst entgegen: es ist deshalb nicht wohl glaublich, dass so schwankende Tendenzen ein so folgerechtes und weitverbreitetes Institut wie das Anerbenrecht geschaften haben.

Nach alledem war es wohl berechtigt, wenn wir Eingangs behaupteten, die Untheilbarkeit und das gntsherrliche Interesse hätten zur Erhaltung des Anerbenrechts zwar manches gethan, es wohl auch stellenweis neu hervorgetrieben, aber es aus ihnen allein und überall ableiten zu wollen, sei nicht nur einseitig, sondern unmöglich. Bis nns deshalb etwas Besseres geboten wird, dürfen wir getrost an unserer Deutung festhalten, welche für ein einheitliches und grosses Institut im Hauseigenthume und in der Art seiner Lösung eine grosse und einheitliche Grundlage findet, welche die Einzelerbfolge im Hofrechte wie im Landrechte, bei freien und bei unfreien Gütern erklärt, welche das friedliche Beieinander von Theilung und ungetheilter Vererbung durch Vorführung der vermittelnden Glieder begreifen lässt, welche selbst von unseren Gegnern bei der Ableitung des Minorates herangezogen werden muss, welche endlich die Rechte der antretenden und der weichenden Geschwister in einer ver- söhnenden Weise abmisst.

Entspringt das Anerbenrecht aber dein Hauseigenthume, so hat man auch mit Recht es als ein germanisches Institut bezeichnet und es in einen Gegensatz zum römischen Erbrechte gebracht. Allerdings könnte mau dem entgegeuhalteu, auch das römische Recht habe einst nach unseren eigenen Ausführungen das Hauseigeuthum gekannt. Allein dann müsste man folge- richtig auch dazu gelangen, überhaupt alle nationalen Rechts- principien unter den Ariern zu leugnen. Denn fast alle grossen Rechtsgedanken sind nicht in den Stammrechten neu erzeugt worden, sondern wurzeln bereits im arischen Urrechte. Für die Nationalität eines Satzes ist deshalb nicht sein erster Ursprung massgebend deun dann gäbe es überhaupt keine germanischen, römischen oder slavischen Rechtsgrundsätze, sondern um- arme he , sondern es entscheidet die Aufnahme, die ein Satz in einem Rechte gefunden hat, die Art, in der er bewahrt worden ist, der Eifer, den man seiner Pflege und Ausgestaltung gewidmet hat. Das römische Recht, w’enigsteus das ofticielle, von dem hier gesprochen wird, hat nun das Hauseigcnthum

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schon früh als Rechtssatz und als Rcchtsprincip verworfen. Das deutsche Recht hat es lange als Rechtssatz behalten, es aber vor Allein als Rechtsprincip gehegt und aus ihm die ver- schiedensten Einrichtungen entwickelt, ja, es hat es als solches, wie wir sahen, noch heute. Wenn überhaupt je, so kann man darum hier sagen, das von den Vätern Ererbte sei zu eigenem Besitze erworben, man darf behaupten, das Hauseigen- thum sei ein germanischer Rechtsgedanke geworden. Was aus ihm fliesst, ist darum germanisch und ruht auf einem Grunde, dem das römische Recht sogar feindlich ist.

Dogmatischer Theil.

§ 15.

Unter Anerbenrecht verstellt man zweierlei:

Zunächst objectiv den Inbegriff aller der Normen, die von der Einzelerbfolge in ein Bauerngut handeln. Alsdanu subjektiv den Anspruch des Anerben auf das Hofgut. Diese beiden Be- griffe werden wir immer auseinander halten müssen, z. B. schon bei der Prüfung der rechtlichen Natur des Anerbenrechts.

Was zunächst die Frage anlangt, als was das objektive Anerbenrecht rechtlich zu characterisiren ist, so kann nicht zweifelhaft sein, dass ihm beim Privatrecht unter den Erbrechts- normen sein Platz angewiesen werden muss ; Schwanken jedoch kann man darüber, ob man es als Sonderrecht bezeichnen soll.

Aus unserer obigen historischen Darlegung erhellt, dass ursprünglich die noch heute über die Bauern erbfolge be- stimmenden Grundsätze keineswegs ein Sonderrecht bildeten, sondern als die Gedanken des Hauseigenthums und der Ab- schichtung aus der Were zu den Grund- und Ecksteinen des gesammten Rechtsbaues zählten. Sie machten einen Theil der Erbrechtsregeln überhaupt aus, denen nicht nur die Vererbung der Bauerngüter, sondern jeder Erbfall unterlag. Ein Zwiespalt mit dem gewöhnlichen Erbgange trat erst ein, als dieser nach den römischen Prinzipien und nicht mehr auf Grund der alt- deutschen Auffassung erfolgte, dass das Vermögen schon bei Lebzeiten des Erblassers den Erben mitgehöre. Mit der Er- hebung des römischen Rechts zum herrschenden, namentlich aul dem Gebiete des Erbrechts, wurde die bäuerliche Vererbung nun immer mehr zur Singularität. Gleichwohl kann man sie kaum als ein Sonderrecht bezeichnen, wenn man au dessen

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strengem gemeinrechtlichen Begriffe festhält, nach welchem ein solches contra rationem iuris eingeführt sein muss. Denn der bäuerliche Erbgang ist zwar seinem Umlänge nach nur ein kleiner Theil des Rechts geworden, das er früher fast ganz beherrscht hatte, aber er widerspricht nicht dessen Prinzipien. Denn wenn er auch mit den römischen Prinzipien des Erbrechts sich nicht in Einklang bringen lässt, so ist er doch durchaus gemäss den obersten Sätzen des deutschen Rechts, wie sie noch heute fortleben, unvernichtbar trotz aller Wandlungen der Jahr- hunderte; und das deutsche Recht gilt doch noch immer mit dem römischen als gleichen Ranges; was sich ihm einfügt, kann also nicht contra rationem iuris sein.

Wenn man aber davon ausgeht, dass das bäuerliche Erb- recht doch den sonstigen Erbrechtsgrundsätzen, welche ja nun einmal römische sind, zweifellos nicht eingepasst zu werden vermag, so kann man es wohl zu den Sonderrechtsgebieten weisen. Dann aber bleibt immer noch unentschieden, ob es eiu sachliches oder ein persönliches Sonderrecht ist.

Frommhold a. a. O. will hier zwischen dem Anerbenrecht in den früheren und den jetzigen Zeiten unterscheiden. Das jetzige hält er für sachliches Sonderrecht, das ältere aber für ein persönliches, nämlich für eiu Sonderrecht des Bauernstandes. Zwar habe es auch schon die alte Theorie als eiu Recht der Bauerngüter behandelt; aber da Bauerngüter nur von Bauern hätten besessen werden können, „so“, meint Frommhold „war in praxi damit dasselbe Resultat erreicht, und wir greifen gewiss nicht fehl, wenn wir das ältere Anerbenrecht überhaupt bis zuui Ende des 18. Jahrhunderts als das besondere Recht eines bestimmten Standes bezeichnen.“

Dieser Beweisführung kann nicht beigepflichtet werden. Die Grundsätze, welche die Bauernerblolge beherrschen, fänden ursprünglich, wie wir sahen, allgemeine Anwendung; als dies nicht mehr der Fall war, wurde ihr Geltungsgebiet von Anfang an durch bestimmte Güter, nie durch bestimmte Personen be- grenzt. Man beachte nur die Ausdrucks weise der Weisthümer. Es heisst dort stets; „Dies Gut wird nach altem Herkommen so und so vererbt“; oder: „Die Güter unserer Dorfmark unterliegen folgendem Brauche“; oder: „es ist in unserer Herrschaft Recht“ (d. h. für die Güter die darin liegen), „dass

t. Üultzig, U runderbrecht. 11

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der oder jener Erbe wird,“ etc. Ein anderes widerspräche auch der gerade im mittelalterlichen Bauernrechte so stark hervortretenden Tendenz, alle Rechtsverhältnisse dinglich zu verfestigen. Das ging ja doch soweit, dass nicht der Stand des Besitzers über das Bauerngut, sondern umgekehrt das Bauerngut über den Stand des Besitzers entschied nach der weitverbreiteten Regel: „Luft macht unfrei“: In späterer Zeit und gerade im 18. Jahrhundert war das Anerbrecht noch mehr das Recht bestimmter Bauerngüter.147) Dann wäre es ein Recht des Bauernstandes gewesen, so hätte es doch für alle von Bauern besessenen Güter gelten müssen. Das war aber, wie wir sahen, nicht der Fall; es hat zu allen Zeiten Bauerngüter gegeben, die, obwohl in den Händen von Bauern befindlich, in natura getheilt und später nach gemeinem Rechte vererbt wurden. Ein Recht des Bauernstandes war sonach das Anerbrecht höchstens partikular in denjenigen Territorien, welche es durch Landes- ordnungen tatsächlich für alle von Bauern bewirtschafteten Güter zur zwingenden Regel erhoben hatten. Auch der Um- stand, dass ein Bauerngut selbst dann nach Anerbenrecht über- ging, wenn gar kein Bauer sein Besitzer war,14*) widerlegt die Auffassung des Anerbenrechts als eines persönlichen Sonder- rechtes und kennzeichnet es deutlich als sachliches.

Dem gegenüber greift nicht durch die von Frommhold an- gestellte Erwägung, der Unterschied zwischen sachlichem und persönlichem Sonderrechte sei früher verwischt gewesen, da Bauerngüter eben nur von Bauern besessen werden konnten. Letzteres ist, wie wir eben sahen, gar nicht einmal unbedingt richtig. Aber selbst, wenn es richtig wäre, so übersieht die Argumentation, dass dann zwar alle nach Anerbrecht vererbten Güter von Bauern bewirtschaftet werden mussten, aber nicht umgekehrt alle von Bauern bewirtschafteten Güter nach Anerbrecht vererbt wurden. Und gerade darauf kommt es an, wenn man von einem persönlichen Sonderrechte

I47) Vgl. auch unten § 1«.

*•) Dies war zwar nicht überall zulässig, aber gemeinrechtlich grund- sätzlich nicht verboten. War der Besitzer des Bauerngutes kein Bauer, so konnte er es zwar nicht selbst bewirthschaften, wohl aber durch eiren nach Analogie des Lelmsträgers behandelten Vertreter bewirthschaften lassen.

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sprechen will. Es bleibt deshalb nichts übrig, als auch in früheren Zeiten in Uebereinstinmiung mit den damaligen Theoretikern das Anerbenrecht als sachliches Sonderrecht zu classificiren.

Dass das Anerbenrecht heute, wenn es überhaupt als Sonderrecht aufgefasst werden kann, nur ein sachliches genannt werden darf, ist unbestritten und an sich klar. Es gilt nicht für die Bauern, auch nicht einmal für jedes Bauerngut, sondern nur für bestimmte Güter, auf denen es sich gewohnheitsrechtlich noch erhalten hat. Die neuen Höfegesetze vollends begrenzen das Anerbenrecht durchaus nur nach sachlichen Gesichtspunkten, indem sie es nur auf landwirtschaftlich betriebene Güter von einer gewissen Grösse anwenden.

§ lß.

Was den Character des Anerbenrechts im subjeetiven Sinne anlangt, d. h. des Anspruches, Anerbe zu sein, so ist er früher kein abweichender von dem allgemeinen Erbanspruche gewesen. Es ergab sich ja ursprünglich erst durch die aufeinanderfolgenden Ausladungen, wer von den Miterben der Anerbe wurde. Als dann der Anerbe von vornherein ein festes Recht erhielt, war es das Recht, der alleinige wahre Erbe des Vaters zu w erden. Die Geschichte des Anerbeurechts, wie wir sie haben an uns vorüberziehen lassen, lehrt mit Deutlichkeit, dass eben nur der Anerbe wirklich Erbe ist, indem seine Geschwister keine Erbtheile, sondern etwas anderes, nämlich Abfindungen erhalten. Der Gedanke, dass die Abfindungen Civilerbthcile seien, und dass demnach in den civileu Werth der Erbschaft alle Erben succedirten und der Anerbe das Gut nur bei der Theilung vorausnehmen dürfe, dieser Gedanke ist erst ganz spät als Folge der Einführung des römischen Rechtes aufgetaucht. Wenn aber Fronimhold meint, das in ihm liegende System sei „später fast allgemein anerkannt“ gewesen, so hat er vergessen, dieser Behauptung den Beweis liinzuzufügen. Aus der Ge- schichte des Anerbenrechts ergiebt sich das Gegentheil. Die Lehre von den Civilerbtheilen hat nur zeitweise geherrscht. Sie ist von den wechselndsten Theorien über das Anerbenrecht und die Abfindung abgelöst worden. Keine der Theorien aber hat

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lange genug bestanden, um die alten Grundsätze über die Ab- findung, welche aus der „Wcre“ folgen, zu vernichten und sich selbst zu unbestrittener und dauernder Geltung emporzuringen. Ja, dass trotz aller theoretischen Schwankungen in Wirklichkeit der Anerbe stets der Alleinerbe blieb, wird dadurch bewiesen, dass bis in die neueste Zeit die massgebendsten Schriftsteller wie die Gerichto den Anerben allein für die Schulden haften lassen.145')

Ist der Anerbe aber Alleinerbe, so ist sein Anspruch, An- erbe zu sein, mit dem gewöhnlichen Erbanspruche identisch, und hat dieselbe rechtliche Natur wie dieser.150)

Welcher Art der Anspruch des Anerben nach den neueren Hüfegesetzen ist, kann dagegen recht zweifelhaft sein. Er muss auch hier wieder danach beurtheilt werden, wie bei ihnen der Erbgang überhaupt sich vollzieht. Sämmtliche Hüfegesetzc lassen den Anerben nicht zum alleinigen Erben werden. Er hat nur den Anspruch, aus der Erbmasse das Gut in natura gegen Ersatz seines Werthes zu erhalten.151) Und zwar geben die einzelnen Höfegesetze diesem Ansprüche eine verschiedene Kraft. Entweder es gelangt das Gut sofort ins Eigeuthum des Anerben, so dass die Miterben gar nicht Miteigner darau werden und überhaupt nur der Werth des Gutes in die Erb- masse fällt; oder es werden auch die Miterben Miteigner am Gute und der Anerbe kann nur von ihnen verlangen, dass sie ihm bei der Theilung ihre Antheile daran überlassen. Den ersten

1,,J) Dies wird unten bei der Erörterung über die Wirkung, welche der Abfindung beizumessen ist, mit Citaten belegt werden.

I!i®) Daraus ergicbt sich, dass er dinglichen Charakter bat und gegen jeden Dritten, gutgläubig oder sehlechtgläubig, wirkt. Damit fallt ohne weiteres die von Struckmnnn lebhaft, aber vereinzelt vertretene Lehre, dass der Anspruch des Aneiben nur ein persönlicher gegen den Gutsherrn auf Bemeierung sei, und dass erst die Einfestignng ein dingliches Recht gewähre. Diese Lehre ist heute übrigens schon wegen der Aufhebung der guis- herrlichen Verfassung, die sie zur Voraussetzung hat, unhaltbar. Vgl

Struckmann, Beitrag VII, S. 2, Beitrag XIV, Nr. t, Beitrag XV, S. 15 ff.

1M) Motive. Vorbemerkung zu Art. 83 ff.: „Die Befugniss, von den Miterben die Ucberlassnng des Gutes zu dem nach dem Gesetze zu er- mittelnden Preise aus der Kibscbaftsmasse zu verlangen.*

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Weg schlägt das hannoversche Gesetz ein, den zweiten Weg sind alle übrigen Gesetze gegangen.1*2)

Die Construktion des in Hannover beliebten Modus ist schwierig. Uebereinstiminend bei ihm und den übrigen An- erbengesetzen handelt es sich jedoch darum, dass ein Miterbe aus der Erbschaft etwas vorausbekomint, und man wird das nicht anders denn als ein Prälegat bezeichnen können; dahin geht auch die herrschende Ansicht. Der Einwand Fromm- holds, dass ein Prälegat auf testamentarischem, der An- erbenanspruch auf gesetzlichem Erbrechte ruhe, dieser Ein- wurf. dem Frommhold übrigens selbst nicht viel Gewicht beilegt,1'21) greift nicht durch. Zunächst wird sich weiter unten 1 7) zeigen, dass der Anerbenausprueh im Gebiete der Höfe- rollen gar nicht auf Gesetz, sondern in der That auf einer letzt willigen Verfügung beruht, deren Inhalt das Gesetz nur supplirt. Aber angenommen, er gründe sich thatsächlich nur auf Gesetz. Was hindert das? Wie so oft ein Recht sowohl auf Privatwillkür als auf Gesetz beruhen kann und wie davon selbst Rechte, die gewöhnlich durch Privatwillkür entstehen, wie z. B. das Pfandrecht, keine Ausnahme machen, so ist nicht ersichtlich, warum es nicht auch gesetzliche Legate und Prä- legate geben kann. Wenn es deren bisher nicht gegeben haben sollte, so wäre das kein Grund gegen ihre begriffliche Möglichkeit. Mit der Einführung des höferechtlichen Anerbenauspruchs hätte vielmehr das in der Idee bisher schon immer mögliche und vorhandene Institut des gesetzlichen Prälegates nur einen An- wendungsfall auch in der Wirklichkeit erhalten. Es hat aber

“*) Vgl. auch Motive, Vorbemerkung zu Art. «3 ff. und Begründung des Art. 83.

1M) Er sagt, Anerbenrecbt S. 33: .Die meiste Achnlicbkeit hat, wenn wir davon absebeu, dass das Anerbenrecbt gesetzliches und nicht testamen- tarisches Erbrecht ist. die Stellung des Anerbeu mit der eines Präle- gatares.“ — Die Annahme des Priilegates hot auch Förster Eccius (er behandelt das Anerbenrecbt als gesetzliche Analogie der elterlichen Thcilungsanordnung, die nach ihm [lld. IV’, S. 304 Text und Aum. 116] ein Prälegat ist), sowie die Motive, welche augenscheinlich Eccius folgen. Demburg sagt dagegen: .Der Anerbe ist nicht Venuächtniss- nehmer.“ Im Übrigen betrachtet er das moderne Anerbrecht aber auch als eino gesetzliche Theilongsanordnung.

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auch bisher schon gesetzliche Prälegate gegeben. Schiffner hat ihnen sogar eine besondere Schrift gewidmet. Und in lieber- einstimmung mit uns reiht er dort 51) zu ihnen auch den Anspruch des Anerben nach den modernen Höfegesetzen ein.

Bei der Annahme des Prälegates gestaltet sich nun die hannoversche Art eines Anerbenrechts insofern schwierig, als das Prälegat immer nur einen persönlichen Anspruch auf Ueberlassung einer Sache giebt, während dort der Anerbe einen dinglichen hat, da er von Anfang an Alleineigenthümer des Gutes ist. Die Motive vergleichen dies treffend mit dem Vindicationslegat. Wir müssten hier also ein Prälegat be- haupten, das den Charakter eines Yindicationslegates hat. Das gemeine Recht kennt nun das Prälegat nur als Forderungs- legat. Es gilt aber auch hier das Yorherbemerkte. Jene Unzulänglichkeit der positiven Normen schliesst die begriffliche Möglichkeit eines als Vindicatiouslegat gedachten Prälegates nicht aus.,ss*) Wenn also der hannoversche Anerbenanspruch sich treffend als ein derartiges Prälegat bezeichnen lässt, so steht nichts im Wege, ihm diesen Charakter bcizulegen.

Wass nun den Geltungsgrnnd des Anerbenrechts anbelangt, so kann nicht zweifelhaft sein, dass dieser für das ältere An- erbenrecht in jedem Falle das blosse oder gesetzlich codificirte Gewohnheitsrecht ist.

Für das moderne Anerben- oder Höferecht ist der Grund, dass es überhaupt gilt, ebenfalls das objektive Recht, nämlich das Gesetz. Welches aber der Grund ist, dass es auch im einzelnen Falle gilt, für diese Frage muss man bei dem heutigen Anerbenrechte zwischen den verschiedenen Höfe- gesetzen unterscheiden.

Einige, wie z. B. das braunschweigische Gesetz, gestalten das Anerbrecht als Instetaterbrecht. Dann ist der Geltungs- grund des Anerbeurechts auch im einzelneu Falle das Gesetz.

IM*) Auch Schiffner S. -Js hält eiue dem Vindicationslegato gleiche Wirkung hei den gesetzlichen Prälegnteu fiir möglich.

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Für alle Gesetze aber, welche das System der Höferollen haben, ist der Geltnngsgrund des Anerbenrechts am letzten Ende die Anmeldung zu jener Rolle.

Deren juristische Natur ist nun streitig. Autoritäten wie Eccius ,54) erklären sie für eine letztwillige Verfügung. Gegen ihn steht Gierke, der Frommholds Ausführungen in dessen „Anerbenrecht“ beistimmt und behauptet „. . . auch das An- erbenrecht der Höfegesetze ist ein Instetaterbrecht, das nur der Anwendbarkeit nach auf einen Kreis von Sachen beschränkt ist, die durch einen Privatwillensakt ihm eingefügt sind und jederzeit wieder entzogen werdeu können.“1'*5) Demgemäss soll die Anmeldung nur eine eigentliümliche Willenserklärung sein, durch welche das Gut einer besonderen gesetzlichen Erb- folge unterworfen wird.

Allein wir können hier einmal Gierke nicht folgen. Gierke selbst verkennt auch keineswegs, dass die Anmeldung zur Höferolle von Nichtjuristen für eine letztwillige Verfügung ge- halten werden muss, und dass ihr nächster Erfolg aut den einer solchen Verfügung hinauskommt. Demgegenüber scheint uns die Frommholdsche Beweisführung, der Gierke sich anscliliesst, nicht stichhaltig.

Der erste Grund, welchen Frommhold hat, ist der, dass durch die Eintragung ein früheres Testament des Anmeldenden nicht ungiltig werde, was doch geschehen müsse, wenn jene eine letztwillige Verfügung wäre.

Diese Argumentation ist nur dann richtig, wenn eine letzt- willige Verfügung nothwendig ein früheres Testament aufheben muss und ohne diese Eigenschaft nicht gedacht werden kann. Nun ist es aber nicht ersichtlich, w'arum jenes eine notli- weudige Eigenschaft einer letztwilligen Verfügung sein soll. Im preussischen Landrecht wohnt der letzt willigen Verfügung z. B. diese Kraft keineswegs unbedingt inne.156) Im römischen Recht hat die letztwillige Verfügung allerdings regelmässig jene Wirkung. Sie ruht aber dort nur auf dem Satze „nemo pro

1M) Förster- Eccius Bd. IV, S. 3i>5 ff.

lv‘) Gierke, Erbrecht in ländlichen Grundbesitz S. 20.

imj Vg| Förster Eccius Bil. S. 459.

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parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ und dem daraus abgeleiteten weiteren Satze „nemo cum pluribus testa- mentis decedere potest“. Es ist nun sehr zweifelhaft, ob jener erste Satz auch noch im heutigen gemeinen Rechte zu dessen obersten Prinzipien zählt. Es giebt viele, die ihn nach modernen Rechtsanschauungen für überlebt erklären, und ihn selbst im römischen Rechte nur als eine historische Ruine ansehen. Wie dem auch sei, jedenfalls ergiebt sich aus alledem, dass die ver- nichtende Wirkung auf ältere Testamente keine begriffliche Eigenschaft einer letztwilligen Verfügung ist, dass letztere mithin auch im gemeinen Rechte selbst dann angenommen werden kann, wenn jene sonst durch positive Normen ihr beigelegte Wirkung durch ebenfalls positive Normen ihr einmal ab- gesprochen ist.

Der zweite Grund Frommhold's ist, dass die Anmeldung das Gut dem Anerbenrechte nicht nur für die Beerbung des An- meldenden, sondern auch für alle anderen Erbfälle unterwirft.

Es muss zugegeben werden, dass diese Wirkungen einer Verfügung über die Beerbung des Verfügenden hinaus dem Charakter einer letztwilligen Anordnung im Allgemeinen wider- sprechen, obgleich es doch nicht so unerhört ist, dass jemand die Beerbung auch eines Dritten regelt; man denke nur an die Pupillar- und Quasipupillarsubstitutionen. Auch könnte man sagen: Da die Nachfolger des Anmeldenden ja die Anmeldung jederzeit löschen können, so nehmen sie, wenn sie jene bestehen lassen, die Anmeldung in ihren eigenen Willen auf und machen sie zu ihrer eigenen letztwilligen Verfügung. Indessen, es soll, wie gesagt, nicht geleugnet werden, dass jene weitreichende Kraft der Anmeldung zu ihrem Charakter als letztwillige An- ordnung wenig stimmt. Allein das ändert nichts daran, dass die Höfegesetze jene doch als letztwillige.Verfiigung aufgefasst haben. Wir haben ja schon oben darauf hingewiesen, dass diese zu weit gehende Wirkung eine lnconsequenz ist, veranlasst durch das Zustandekommen der Gesetze aus Compromissen zwischen zwei sich bekämpfenden Richtungen. Eine einzelne inconseqnente Bestimmung kann aber die sonst angenommene Natur eines Instituts nicht verändern. Dass aber die Höfegesetze selbst die Anmeldung als letztwillige Verfügung auffassen, ergiebt sich einmal au> ihrer Vorgeschichte. Es ist dort stets davon die Rede gewesen,

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dass es sich darum handle, die Freiheit des Bauern bei letzt- willigen Anordnungen über die vom Pflichttheilsrechte gesteckten Grenzen hinaus auszudehnen. Es ergiebt sich ferner aus dem Inhalt der Gesetze selbst. Nach dem hannoverschen Gesetz nämlich, das für die anderen Höfegesetze vorbildlich gewesen ist und deshalb stets zu ihrer Ergänzung herangezogen werden muss, ist die Fähigkeit zur Anmeldung bei der Rolle vom Besitze der testamenti factio aetiva abhängig gemacht. Das stellt sie unverkennbar mit einer letztwilligen Anordnung, ja sogar mit dem Testamente auf eine Stufe.

Es ist wunderbar, dass man, um die Anmeldung zur Hüfe- rolle juristisch zu beurtheilen, noch nicht das Mittel ergriffen hat, was doch so nahe liegt, nämlich, mit ihr dasjenige zu vergleichen, was ihr sonst im Rechtsgebiete am ähnlichsten ist. Diese Aehnlichkeit findet sich nun sofort in den Sätzen über die Wahl des ehelichen Güterrechts. Wie es kraft dieser den Heirathenden freisteht, die gleich im Gesetze subsidiär neben dem officiellen Rechte geregelten abweichenden Güter- rechtsarten durch einfache answählende Willenserklärung zum Inhalte ihres Ehevertrages zu machen, so dass sie nicht erst einen langen Contract zu entwerfen brauchen, so kann hier, wer seine Erbfolge regeln will, durch einfache wählende Willens- erklärung das ein für allemal neben dem officiellen Rechte be- sonders normirte ländliche Erbrecht zum Inhalte seiner Ver- fügung erheben und hat nicht erst nöthig. ein langes Testament aufzusetzen. Der einzige Unterschied liegt in der Form der beide Mal erforderlichen Willenserklärungen, und auch dieser würde fort- fallen, wenn z. B. die vom Bürgerlichen Gesetzbuch bereits ein- geführten Güterrechtsregister für die Erleichterung der Wahl eines ehelichen Güterstandes in der Art dienstbar gemacht würden, dass einfach eine Anmeldung zur Güterrechtsrolle erforderlich wäre.

Es ist nun klar, dass die Wahl des den Vertrag ersetzenden Güterrechts keine andere juristische Natur hat, als der Vertrag selbst; sie ist eben dieser. Noch Niemandem ist es eingefallen, hier wie bei der höferechtlichen Anmeldung zu sagen, jene Wahl schaffe lediglich ein Anwendungsgebiet für das gesetzlich codificirte Güterrecht und sei mithin ein eigenartiger Rechtsact. Dann ist es aber ebenso falsch der eine letztwillige Verfügung ersetzenden Wahl des Anerbenrechts einen eigenartigen Charakter

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beileget) zu wollen. Wenn der Bauer durch die Anmeldung zu erkennen giebt, sein Gut solle dem Anerbenrecht unterstehen, so ist das vielmehr ebenso gut, wie wenn er ein Testament machte und alle einzelnen Paragraphen des Höfegesetzes hineinschriebe. Die Anmeldung hat deshalb keinen anderen Charakter, wie jenes Testament, d. h. sie ist eine letzt w’illige Verfügung, deren Inhalt das Gesetz supplirt.

Wesentlich anders liegt die Sache, wenn die Eintragung in die Höferolle von Amtswegen erfolgt, ein Modus, der bisher allerdings noch nirgends eingeführt, aber vielfach angeregt worden ist. Dann ist die Eintragung allerdings nur ein Act, der be- zeichnet, welches Gut unter die besondere gesetzliche Erbfolge fallt. Man könnte allerdings hier an eine Art letztwilliger Verfügung denken, iudern der Beamte etwa Kraft gesetzlicher Ermächtigung für den Bauern jene Verfügung träfe. Allein dann würde man in einen ähnlichen Fehler verfallen, wie man ihn früher bei der Intestaterbfolge gemacht hat, als man sie wie einen für den Erblasser vom Gesetze abgegebenen letzten Willen auffasste. Es muss demnach in der That bei der Eintragung von Amts- wegen der Theorie Gierke's und Frommhold's zugestimmt werden. Nun könnte man fragen: Empfiehlt es sich nicht, diejenige Lehre, welche bei der Eintragung von Amtswegen zutrifft, auch für die Eintragung durch den Bauer zu bevor- zugen? Indessen, das empfiehlt sich doch nicht. Denn beide Eintragungen sind eben nicht gleichartig, sondern grund- verschieden. Die eine ist ein Privatwillensact, die andere eine der äussersten Ausflüsse der Gesetzgebungs- oder Verordnnngs- gewalt. Der Charakter der Letzteren ist deshalb für den Charakter der Ersteren ebensowenig entscheidend oder be- einflussend, wie es der Vertragsnatur der vorgedachten Wahl des ehelichen Güterstandes einen Eintrag thun würde, wenn den Beamten durch das Gesetz bei gewissen Bevülkerungsclassen die Macht gegeben würde, die Wahl für jene auszuüben.

§ 18.

Wir kommen nun zu den Grenzen, welchen die Geltung der Anerbenrechtsnormen in sachlicher, zeitlicher und örtlicher Beziehung unterworfen ist.

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Sachlich ist, wie oben 15) ausgeführt, das Anerben- recht auf Bauergüter beschränkt worden.

Was nun ein Bauerngut ist, kann nicht leicht gesagt werden. Es giebt dafür keine Definition, die sich in der Praxis festgestellt hätte. Eine Definition war nämlich früher gar nicht nöthig, da das Anerbenrecht nicht für alle Bauerngüter galt, sondern nur für bestimmte, von denen man wusste, dass sie stets nach Anerbenrecht übergegangen waren.157) Zweifel, ob ein Gut dem Anerbenrecht unterstehe, konnten deshalb gar nicht auftauchen; der Kreis der Anerbengüter war durch das Her- kommen fixirt.

In dieses System wurde eine Lücke gerissen dadurch, dass man anfing, die Frage zu erörtern, ob ein Gut, das bisher dem Anerbenrecht nicht unterworfen war, unter dessen Geltung fällt, wenn es von einem Bauern erworben wird, der auf einem Anerbengut sitzt.158) Nach der alten Regel, dass ein An- erbengut nur dasjenige ist, welches vom Herkommen als solches behandelt wird, musste diese Frage mit „Nein“ beantwortet werden. Dies war denn auch z. B. die Praxis der Juristen- facultät Helmstädt. Sie führte aus, dass

„alle aquisita, sie mögen nun in barem Gelde oder einzelnen Grundstücken oder ganzen Höfen bestehen, so lange noch kein Sterbefüll darüber gegangen und sie also dadurch aufgehürt haben, erworbenes Gut zu sein und dagegen durch die Vererbung Stammgut geworden sind, unter die vorhandenen Kinder zu gleichen The i len getheilt werden müssen.“

Allein damals bestand bei den Gerichten und Theoretikern noch die Tendenz, das Anerbeureeht auf alle Bauerngüter aus-

1W) Vgl. oben § 15.

r*) Dass diese Frage Überhaupt aufgeworfen und eriirtert werden musste, ist ein Beweis mehr für unsere oben vertretene Ansicht, dass das Anerbenrecht kein persönliches Sonderrecht oder Standesrecht war. Ware es dies gewesen, so wäro ein Zweifel darüber gar nicht möglich gewesen, dass auch neu von Bauern erworbene Güter dem Anerbenrechte unterlagen. Ja der sachliche Charakter des Anerbenrechts war so stark, dass auch diese Zweifel nur in dem Falle auftauchten, wo der erwerbende Bauer auf einem Auerbcngute sass.

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zudehnen, weil man es für ein den Bauern nützliches Institut hielt. Man vermittelte deshalb zwischen den beiden Meinungen derart, dass man auf die neuerworbenen Güter nur einen Theil des Anerbenrechts anwandte. Den Grundsatz nämlich, dass die Miterben lediglich Abfindungen erhalten, schloss man aus und gab den Miterben Civilerbtheile. War dagegen das neu er- worbene Gut erst einmal in der Familie vererbt, so wendete man alle Grundsätze des Anerbenrechts an.

So war die Praxis des lippeschcn Hofgerichts in Lemgo, 1!*) so lehrten es Theoretiker wie Führer, Wigand, Meyer"0) und Andere; so wurde es schliesslich die herrschende Ansicht. Auch an gesetzlichem Anhalt dafür fehlte es nicht ganz. Die Polizei- ordnung von ltil8 für Lüneburg, Hoya und Diepholz nämlich hatte im § 3 das Anerbenrecht an sich im vollem Umfange auch auf neuerworbene Güter für anwendbar erklärt, sich jedoch Vorbehalten, „in solchem Fall, nach Gelegenheit gebührlich billigmässiges Einsehen zu thun“.

Mit dieser Wandlung der Theorie war jedoch das Anerben- recht aus einem Recht für bestimmte Güter zu einer Norm tur alle Bauerngüter geworden. Es ward nunmehr nütliig fest- zustellen, was ein Bauerngut sei.

Da erkannte man nun bald, was auch noch heute gilt, dass sich bestimmte äassere Kennzeichen dafür nicht finden. Vor Allem bildet die äussere Grösse kein entscheidendes Merkmal.

,c*) Vgl. Führer S. 253 ff. Das Uofgericht führte aus:

„Dass zwischen alten bereits in einer Familie vererbten und neu erworbenen llauerhiifen in Absicht der naturellen Untlieilbarkeit derselben kein Unterschied obwalte, daran lässt Bich bei der, den Bauerngütern in ganz Deutschland eigenen Verfassung nicht zweifeln.“ Diese Erwägung künne indessen, so heisst es weiter, die civile Tbeiluug der neu erworbeuen Bauerngüter nicht hindern, und diese linde deshalb statt. Indessen sei zu bedenken, „dass, so wie bei den zu den cigenbehörigen Colonaten erworbenen Gütern der Sierbefall solche zu Stnnimgütern macht, auch dafür, dass bei freien Gütern eine bereits geschehene Vererbung derselben gleiche Wirkung erzeuge, die Analogie spricht, und dasjenige nur für neu erworbenes Gut anzusehen ist, worin sich die nächsten Erben des Acquirenten noch nicht getheilt oder solches geerbt haben.“

IUI) Führer 8. 43, S, 24 1 ff. und sonst. Ueber Wigand und Meter vgl. Frommhold. Auerbeureeht S. 23.

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Diese ist nach den einzelnen Gegenden sehr verschieden. In der einen Gegend ist ein Gut noch ein Bauerngut, was in der anderen eine Taglöhnerstelle sein würde, und auch die Grenze nach oben ist nach der Oertlichkeit wandelbar.

Vielmehr war und ist es richtig, darauf Gewicht zu legen, ob der Besitzer des fraglichen Gutes den Gewohnheiten des Bauernstandes folgt oder nicht."51) Pflegt er selbst bei Be- wirthschaftung des Gutes noch mit Hand anzulegen, so ist er ein Bauer, beschränkt er sich dagegen lediglich auf die Ober- aufsicht und hält sich sonst einen Inspector, so ist er schon ein Grossgrundbesitzer. Andererseits muss er seine einzige oder doch wesentlichste Nahrungsquelle in seinem Gute linden. Ist er zu seiner Unterhaltung nothwendig oder hauptsächlich noch auf anderen Erwerb angewiesen, so ist er kein Bauer mehr, sondern nur ein Häusler."’-'2)

Particular sind allerdings in weitem Umfange auch diese Häusler dem Anerbenrechte unterstellt. Grundsätzlich steht auch nichts im Wege, das Anerbenrecht auch auf sie anzuwenden, da, wie oben gezeigt, es geschichtlich keineswegs aus lediglich bäuerlichen Verhältnissen erwachsen ist, vielmehr, auf allgemeinen deutschen Rechtsauschauungen fassend, ein Erbrecht für den Grund und Boden überhaupt darstellt. Wir habeu deshalb nichts dagegen, wenn Scholz in seiner Abhandlung über die Abfindungen sagt:

„Dieses aber vorausgesetzt (nämlich dass Grund- besitz da ist), binden wir das Bauernrecht nicht blos an die Eigenschaften oder Beschränkungen des dinglichen Besitztums, sondern an das Leben und Treiben dieser Standesclasse, an deren Sitten und Gebräuche in Be- ziehung auf den Grundbesitz und dessen Erhaltung und Vererbung, als Gegensatz von adelichem oder städtischem Güterbesitz oder was dem ähnlich ist ... . Daher nehmen

161) Vgl. Scholz III iu der unten citirten Stelle.

16ä) Dieser Begriff des Bauerngutes ist nicht, wie Frommhold S. 22 meint, mit der Aufhebung des Bauernstandes als solchen unwichtig ge- worden. Doun die Qualität eines Gutes als Bauerngut ist eine wirth- schaftliche Eigenschaft desselben, die vom Stande seines Besitzers unab- hängig ist.

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wir unbedenklich die Brincksitzer und Anbauer und die sich ähnlich ansiedelnden Müller, selbst . . wenn sie keinen Ackerbau als Hauptbeschäftigung treiben, ,6:t) ... in den bauerrechtlichen Verband auf.“

Doch ist immer festznhaltcn, dass nach gemeinem Rechte sich das Anerbenrecht auf die Bauerngüter in der oben ge- gebenen Bedeutung allmählich beschränkt hat und jedenfalls für die reinen landwirtschaftlichen Tagelöhner auch vom praktischen Standpunkte aus heute nicht passt.

Was die Höfegesetze anbetrifft, so stellte sich für sie die sachliche Begrenzung des Anerbenrechts wesentlich einfacher. Auch sie wollen nur Bauerngüter in ihren Wirkungskreis ziehen. Aber sie können für den Begriff eines Bauerngutes den äusseren Massstab der Grösse verwenden, da sie stets nur für eine beschränkte Gegend Geltung haben, sodass bei ihnen die Schwierigkeiten nicht vorhanden sind, welche die lokalen Ver- schiedenheiten der Benutzung der Grösse für die Begriffs- bestimmung eines Bauerngutes bereiten. Sie definiren deshalb das Bauerngut als ein land- oder forstwirtschaftlich benutztes Anwesen von einer bestimmten Grösse.164) Die Grösse berechnen sic theils nach dem Flächeninhalt, theils nach dem Katastral- reinertrage.

Was die zeitlichen Grenzen des Anerbenrechts anlangt, so kann diese Frage überhaupt nur brennend werden für die Höfe- gesetze. Denn nur diese datiren erst von einem bestimmten Tage; das gewohuheitsrechtliche Anerbenrecht dagegen gilt seit alten Zeiten.

Die Höfegesetze regeln alle Vererbungsfälle, welche unter ihrer Herrschaft sich ereignen, wofern das Gut vorher einge- tragen ist, was wieder nur unter ihrer Heri'sehaft möglich ist. Die Anwendung der Höfegesetze ist also in doppelter Hinsicht zeitlich beschränkt.

,B3) Etwas Ackerbau muss also immer getrieben worden. Deshalb scheiden die reinen landwirthschaftlichen Tagelöhner, welche nur ein Wohn- haus mit etwas Gartenland haben, aus.

,B4) So auch das Einfuhrungsgcsetz zum Entwurf in Art. 83 und die Motive dazu.

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Es fragt sich nun, ob auch diejenigen Güter den Höfe- gesetzen unterfallen, welche an ihrem ersten Geltungstage noch nicht Landgüter waren, sondern dies erst später geworden sind. Die Frage beantwortet sich unbedenklich mit „Ja“. Denn die Höfegesetze erklären als eintragungsfähig und folgeweise als An- erbengut schlechthin jedes Landgut, ohne einen Unterschied zu machen, wie lange es diese Eigenschaft schon besitzt. Es kommt deshalb lediglich darauf an, ob das Gut im Augenblick der Ein- tragung ein landwirtschaftliches ist. Es unterliegen dem An- erbenrechte der Höfegesetze also auch Güter, welche erst nach deren Geltungsanfang zu landwirtschaftlichen geworden sind. Das braunschweigische Gesetz hat dies ausdrücklich noch be- tont; die anderen neuen Gesetze haben diese Frage, wohl wegen der Selbstverständlichkeit ihrer Lösung, gar nicht berührt.185)

Was endlich die räumlichen Grenzen des Anerbenrechts anbetrifft, so findet es natürlich nur auf diejenigen Güter An- wendung, die in seinem Bezirke liegen. Es besteht aber ein grosser Streit darüber, ob es auch dann die Vererbung dieser Güter regelt, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes ausser- halb des Geltungsgebietes des Höfegesetzes gewohnt hat."*1)

Früher war die Frage nicht zweifelhaft. Nach der Statuten- theorie der Postglossatoren entschied die lex rei sitae über alle Rechtsschicksale der Immobilien, namentlich auch über deren Vererbung. So wird es noch heute in England und Amerika gehalten, und der gleiche Brauch hat bis zu Savignys Zeiten auch bei uns geherrscht. Neuerdings lässt man jedoch das Recht des letzten Wohnsitzes des Erblassers über die gesammte Ver- erbung auch der Immobilien entscheiden, weil man gemäss dem Prinzipe der Universalsuccession nicht eine verschiedene Ver- erbung der Mobilien und Immobilien zulassen zu können glaubt, einen einheitlichen Massstab aber nur das Personalstatut des Erb- lassers gewährt. Ist aber das Princip der Universalsuccession der Grund für die allgemeine Anwendung des Personalstatuts bei Erbfällen, so wird das Personalstatut nicht mehr erfordert,

'*) Vgl. Frommhold, Anerbenrecht S. 23.

>*) Dafür Scliultzenstein S. 30. Gierke und Brunner (in der unten citirten Stelle). Dagegen Eccins S. 367 ; Frommhold, Anerbenrecht S. 26.

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wenn sieh die Erbfolge nicht als Univcrsalsuccession, sondern durch Singularsuccessionen in einzelne Theile des Nachlasses voll- zieht. Es ist nun sehr zweifelhaft, ob die Erbfolge nach Anerben- recht, wenigstens nach dem älterem, nicht eine Singularsuccession ist. Die Praxis hat sie unentwegt als solche behandelt, und auch Theoretiker wie Stobbe"*7) und Brunner hegen die gleiche An- sicht, denn sie lassen eine getrennte Vererbung in das Gut und den sonstigen Nachlass zu. Aber auch wenn man die Vererbung eines Hofgutes als Universalsuccession betrachtet,1*1) so folgt aus der Erwägung, dass dann die Erbfolge in Liegen- schaften und Mobilien keine verschiedene sein kann, durchaus nicht, warum dann der einheitliche Massstab nicht auch von den Liegenschaften genommen werden und deren Schicksal einmal auch über das der Mobilien entscheiden kann. Es wird dies sogar angemessen sein, wenn das Gut so sehr im Nachlass vorwiegt, ja geradezu derart den Nachlass fast allein ausmacht, wie dies bei Bauerngütern der Fall zu sein pflegt. So ist es auch bei den Lehen, die den Bauerngütern doch so ähnlich sind, stets gehalten worden. Man hat hier immer die lex rei sitae, das Lehnrecht entscheiden lassen. Und obwohl beim Lehen auch Universalsuccession Vorkommen kann, wenn die Lehnsnachfolger nämlich die Kinder des letzten Besitzers sind (vgl. II feud. 45) , so ist es doch noch keinem eingefallen, dann die Lehnserbfolge nicht auwenden zu wollen, wenn zu- fällig der Lehnsbesitzer bei seinem Tode ausserhalb des Be- zirkes des Lehnrechts domizilirt hat. Auch für Bauerngüter hat sich die Praxis nie von dem gleichen Prinzip abbringen lassen. Mit Hecht sagt deshalb Brunner in seiner Vorlesung über deutsches Privatrecht:

„Wo . . Universalseccession gilt .... muss man die lex domicilii des Erblassers zur Zeit des Todes ... in Ansehung bringen .... Eine selbstverständliche Aus- nahme bilden Güter, die Gegenstand einer besonderen Erbfolge sind, also Fideicommisse, Lehen, Bauerngüter; für diese gilt die lex rei sitae.“

"•') Privat recht Bd. 5 S. Oiä ff.

lu>) Diese Frage wird unten im § 'JO noch näher erörtert werden.

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Die gleiche Ansicht wild auch von Gierke in seinem Deutschen Privatrecht, Bd. I, S. 244, vcrtheidigt.

Für die modernen Höfegesetze haben die Anhänger der gegentheiligen Ansicht, wie Eccius und Frommhold, aber noch einen anderen Grund in Bereitschaft. Eccius (S. 367, Anm. 126) führt nämlich aus, es handle sich nach den Höfegesetzen nicht um eine gesetzliche Erbfolge, sondern darum, „welche Rechte einer von mehreren nach der lex domicilii zu bestimmenden Miterben bei der ebenso nach der lex domicilii zu regelnden Theilung des Gesammtnachlasses und zur Ausschliessung des nur nach derselben lex zu bestimmenden Pflichttheilsrechts haben soll“. Dieser Argumentation wäre ein gewisses Gewicht nicht abzusprechen, wenn es sich um eine Theilungsordnung handelte, deren Geltungsgrund das Gesetz ist. Der Geltangs- grund ist aber, wie oben eingehend dargethan, eine letztwillige Verfügung, deren Inhalt das Gesetz nur supplirt. Es handelt sich also um eine wahre elterliche Theilungsordnung. Diese gilt aber wie ein Testament schlechthin, unter welchem Recht auch der Erblasser verstorben ist, wofern sie in rechtsgiltiger F'orm zu Stande gekommen. Für die Form reicht aber nach dem Satze „locus regit formam actus“ die Form des Ortes aus, an welchem die letztwillige Verfügung bewirkt ist. Diese wird hier durch die Eintragung bewirkt. Die Form des Ein- tragungsortes entscheidet also, und diese verlangt zu der Theilungsanordnung und zur Beschränkung des Pflichttheils eben nur die Eintragung. Der Kreis der Miterben kann dann ruhig nach der lex domicilii bestimmt werden; denn die Theilungs- ordnung, welche die Höfegesetze an die Hand geben, fügt sich in jeden Erbenkreis ein und enthält über dessen Begrenzung gar keine eigenen Normen.

Allein, auch wenn man dieser Folgerung aus irgend einem Grunde nicht beitreten könnte, so ergiebt sich die unbedingte Geltung der Höfegesetze noch aus einer anderen Erwägung. Nach der von Wächter und Thoel zuerst vertretenen, heute herrschenden Ansicht ist es lediglich eine Frage der Auslegung des heimischen Rechts, ob dieses in einem Zweifelsfalle aus- ländische Rechtssätze zur Geltung gelangen lassen will. Das ist auch selbstverständlich; denn das einheimische Recht braucht solche Geltung nicht zuzulassen, weil an sich jedes Recht über

v. Dultxig, Gruodcrbrecbt. 12

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die in seinem Gebiete befindlichen Personen, Sachen und Er- eignisse herrscht. Wenn man deshalb auch zur Anwendung fremden Rechts nicht so viel verlangen wird, dass es vom ein- heimischen ausdrücklich zugelasseu werde, so wird man es doch nie anwenden können, wenn sich aus dem einheimischen die Absicht ergiebt, das fremde auszuschliessen und unter allen Umständen selbst zu gelten.

Letzteres ist nun bei den Höfegesetzen der Fall. Die Höfegesetze gehen von der Annahme aus, dass das gewöhnliche Erbrecht für die Bauern ungeeignet sei; das geeignete Erbrecht, was sie an seine Stelle setzen, sehen sie darum schlechthin als das richtige für die in ihrem Bezirk liegenden Bauerngüter an. Jedenfalls rechnen sie nicht damit, dass es dadurch unpassend werde, wenn der Besitzer zufällig von dem Gute verzieht. Nach der Absicht der Höfegesetze soll deshalb das besondere Erbrecht, eben weil es nach ihnen das allein angemessene ist, unter allen Umständen zur Geltung kommen. Die Anwendung einer abweichenden Erbfolge auf ein Hofgut ist sonach unbedingt ausgeschlossen.

§ 19.

Es bleibt endlich von den allgemeinen Fragen des Anerben- rechts noch dessen Geltungskraft zu prüfen, mit einem technischen Ausdrucke, ob es ius cogens oder dispositivum ist.

Da kann es nun keinem Zweifel unterliegen, dass das moderne Anerbenrecht nur dispositives Recht ist. Dies folgt schon daraus, dass sein Geltungsgrund lediglich eine letztwillige Verfügung ist, die der freien Abänderung durch den Testator und der Rücknahme unterworfen bleibt. In den Höfegesetzen ist die Befugniss des Testators zu Abweichungen aber auch stets noch ausdrücklich Vorbehalten worden.

Das ältere Anerbenrecht konnte dagegen durch Testament im Ganzen nicht aufgehoben werden, aus dem einfachen Grunde, weil es zu seiner Eutstehungszeit keine Testamente gab. Aeuderungen seines Inhalts dagegen hinsichtlich der Person des Anerben oder der Höhe der Abfindungen waren statthaft. Dies ergiebt sich aus der Entstehungsgeschichte des Anerbenrechts. Denn wenn es daraus erwachsen ist, dass der Vater alle anderen Kinder bis auf eines auszuraden pflegte, so lag natürlich die

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Wahl, welches der Kinder er bei sich behalten wollte,

ursprünglich durchaus in der Hand des Vaters.1®1) Für die Höhe der Abfindungen vollends war von jeher das pflichtniässige Ermessen des Abfindenden zunächst entscheidend, da ja, wie oben gezeigt, stets auf das Bedürfniss des einzelnen Falles Rücksicht genommen werden sollte.170)

Allmählich trat aber hierin eine Aenderung ein durch die Gewalt, welche alter Brauch im deutschen Rechte ausübte.

Die Hausväter einer bestimmten Gegend behielten über-

einstimmend stets denselben Sohn bei sich. Auch die Bemessung der Abfindungen erfolgte ziemlich gleichmässig, da das für sie massgebende Bedürfniss bei den gleichartigen Verhältnissen fast überall gleich gross war. So bildete sich unmerklich ein festes Herkommen aus, und nach altdeutschen Rechtsanschauungen musste sich dann der Einzelne diesem beugen und verlor so die Bestimmung über die Person des Anerben und die Höhe der Abfindungen. (Vgl. oben § 10.)

In späterer Zeit wurde die Machtlosigkeit des Vaters viel- fach womöglich noch stärker betont. Denn es entsprach

durchaus der bevormundenden Regierungsweise, die zur Zeit der Landesordnungen gang und gebe war, die Verfügungsfreiheit des Einzelnen möglichst einzuschränken.

Ein Mittelweg zwischen beiden Systemen war es, wenn der Vater zwar einen anderen Sohn zum Anerben wählen konnte, als den vom Herkommen dazu designirten, aber diesem dann ein Abstandsgeld als Zulage zu seiner Abfindung geben musste. Dieser Ausweg war schon zu Carpzov's Zeiten üblich171) und

**) Vgl oben § 11 bei Anm. 108 und das in dieser Anm. citirte Weisthum von UlAingen.

17°) Vgl. oben § 10. Weisthum von llüuchaltorf im Züricher Land § 50: „Item womit ein vatter sin kind usstürt, des soll sich das kind lassen benügen“. § 58: „Si Sprechern och das eiu vatter einem kiud wol mug geben me denn dem anderen, nachdem als ein kind ver- dienet umb sin Vater“ {.Grimm I. 16). Aehnlich I, 47 § 25 und IV, 273 § 10 (Stiifa und Binzikon in derselben Gegend).

17>) Carpzov, Jurispr. P. III def. 26:

„Ex sola igitur cousuetudine ius illud optionis minori natu tilio competens in bonis paternis, „die Kühr oder Kührgerechtigkeit“, locum habet, praesertim iuter rusticos, qui saepius in venditione bonorum paternorum ita

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wird noch in unserem Jahrhundert, z. B. in Süddeutschland,172) viel beschritten.

Von den beiden Hauptsystemen ist aber keins zu aus- schliesslicher und unbestrittener Geltung gelangt, weder das der theilweisen noch das der gänzlichen Gebundenheit des Vaters, vielmehr haben sich beide nebeneinander bis iu die neueste Zeit erhalten. Dies zeigt das Schwanken der Schriftsteller.173)

conveniunt, quod liberum sit lilio adhuc minorenni vel impuberi, si ad legitimem aetatem pervenerit, ut vel venditionem bonorum paternorum cum fratre maiore aut vitrico vel alio quopiam coutractaui ratam habeat, accepta pecuuia, quam ultra portionem pretii lilio iuniori debitam, hisce in casibus ei promittere solent, „das Kiirgeld*. vel ea ropudiata bona paterna ipsemet eodem pretio empta sibi habeat'. Dazu ein Beleg aus der Praxis: Leipziger Urtheil v. 1632: „. . . Ob nun wohl an beiden Orten da die Güter gelegen, durch eine Gewohnheit her- bracht, dass nach Absterben des Vaters dem jüngsten Sohne das Gut über- lassen oder ein Kührgeld davon gegeben werden muss.“

17S) Vgl. das bei Puchtn S. SO befindliche Exemplar eines Gutsüber lassungsvertrages aus Franken: Es heisst darin:

.500 fl. Heirathsgut und l&O fl. Gutsabstand hat er (sc. der Uebernehmcr) an seinen Bruder Andreas Schwarz zu zahlen.“

Puchta bemerkt hierzu S. 81 : „Der Bruder Andreas wird mit der Summe von 150 11. für seinen entweder wirklichen oder vermeintlichen An- spruch an die vorzugsweise Ueberlassung des Hofs zufrieden gestellt; er tritt zurück, steht ab, und es wird auf diese Weise wenigstens der Friede in der Familie erhalten, wenn auch kein rechtlich verpflichtender Grund zu dieser Begünstigung vorhanden sein sollte, daher auch der Käufer um so viel gegen seine Geschwister in dem sogenannten Heirathsgut zuriicksteht. Denn er ist es eigentlich, der diese Abfindung zu leisten hat.“ Auch Fick gedenkt in seinem Buche des Abstandsgeldes au vielen Stellen z. B. S. 66, 89, 100, 85, 89, 182, 183. Vgl. unten Anm. 190.

173) Wigand in seinem Paderbomer und Corveyer Heierreeht erklärt das Anerbenrecht an sich für unentziehbar, gestattet jedoch dem Vater, unter den Sühnen den Anerben zu wählen. Anders entscheidet das von ihm selbst citirte Delbrücker Landurtheil von 1734: „Hausgenossen -Richter referirte vom Lande erkannt zu sein: wann der jüngste Sohn capahel wäre dem Hofe vorzusteheu, konnte ihm dessen Anerbe nicht entzogen werden.“ Ebenso auch das Landurtheil von 1750: „Dass dem jüngsten Sohn aus erster Ehe die Güter zukämen und behalten müsste.“ Besonders deutlich ist das Schwanken bei Grefe zu erkennen. Ira Erbrechte der leibeigenen konnte das Anerbenrecht selbst mit Genehmigung des Gutsherrn dem An- erben nicht entzogen werden (Bd. 1, 8. 352 ff.) Im Erbrechte der Bauern ist es örtlich verschieden 1) In Calenberg ist eine Aenderuug der lntestat-

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Es fragt sich nun, welchem Systeme wir den Vorzug geben wollen. Einig sind beide Systeme darin, dass der Bauer nicht das Anerbenrecht überhaupt ausschliessen darf.174) Denn auch das erste System gestattet ihm nur, dessen Modalitäten zu ändern. Diese Freiheit aber werden wir ihm heute grundsätzlich zu- billigen müssen, wenn wir erwägen, dass die Rechtsentwickelung jetzt überall zu einer fortschreitenden Bewegungsfreiheit der Grundeigenthümer geführt hat. Dem Zuge der Zeit gegenüber darf man nur hoffen, diejenigen Schranken einer allzugrossen Verfügungsgewalt aufrecht zu erhalten, welche durch das all- gemeine Beste des Grundeigenthums selbst gefordert werden. Dies verlangt aber nur danach, dass überhaupt ein Einziger unter günstigen Bedingungen Erbe werde. Gleichgiltig ist die Person dieses Erben. In der Auswahl dieser Person den Erb- lasser beschränken zu wollen, wäre deshalb ein thörichtes und aussichtsloses Beginnen. Ja, es ist sogar zweckmässig, diese Wahl dem Bauer zu lassen, da er dadurch neben der Möglichkeit des Missbrauchs doch auch die Gelegenheit hat, denjenigen Sohn herauszugreifen, der zum Landmann die meiste Begabung besitzt und den die todte Regel des Intestaterbrechts gewiss oft nicht berufen würde.

Wir erklären deshalb das Anerbenrecht insoweit, als ein ius cogens, als Niemand hindern kann, dass es überhaupt ein- tritt, insoweit aber als ein ius dispositivum, als in seinem Kreise der Erblasser die Person des Anerben und die Höhe der Ab- findungen festsetzen kann.

erbfolge durch Testament den Kindern gegenüber unstatthaft. Auch den wegen jugendlichen Alters unfähigen darf ihr Erbrecht nicht entzogen werden. 2) In Urubenhagen soll «richtiger Meinung" nach der Meier die I’erson des Anerben bestimmen dürfen. 3} Im Amte Uslar besteht Minorat ; doch darf der Meier, wenn der zukünftige Anerbe allzu jung ist, einen andern Anerben wählen. In Holstein hat der Vater auch nur die Mög- lichkeit, die Person des Anerben zu ändern (Paulseu S. 346). Ebenso will es Steinackor (S. 51G ff.) für Kraunschweig. Ebenso Busch S. 109 für das FUrstenthum liildesheim. Auch Scholz (S. 44 f.) Bchliesst sich dieser Ansicht an. Ebenso überlässt auch Pfeiffer dem Vater die Aus- wahl des Anerben (S. 236 ff.) und führt auch zahlreiche Beispiele aus Gesetz und Praxis für diese Ansicht au.

17‘) Daraufhin zielt Beseler, Privatrecht Bd. II, S. 869 und Frommhold, Auerbeurecht S. 16 ff., der »ich an Beseler auschliesst.

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Dass diese Ansicht, wie aus unserer Anmerkung ersichtlich, auch von der erdrückenden Majorität der Schriftsteller getheilt wird, mag uns eine Beruhigung über ihre Richtigkeit gewähren.

§ 20.

Nach diesen allgemeinen Untersuchungen über Natur, Geltungsgrund, Geltungsumfang und -kraft des Anerbenrechts kommen wir nun zu der Prüfung, wie sich denn die Vererbung nach den Regeln des Anerbenrechts im Grossen und Ganzen, wie im Einzelnen vollzieht. Von allgemeinen Fragen kann sich hier nur diejenige erheben, ob die Vererbung nach Anerbenrecht eine Universal- oder Singularsuccession ist.

Man wird sich erinnern, dass wir oben erwähnt haben, namhafte Theoretiker sprächen sich für die Annahme einer Singularsuccession aus, und auch die Gerichte folgten dieser Ansicht. Die Ansicht fusst auf der Wahrnehmung, dass oft noch heute, wie es durch die Stryck-Struben'sche Theorie auf- gebracht ist, eine getrennte Vererbung in das Hofgut und das sonstige Vermögen stattfindet. Gleichwie man deshalb die im deutschen Rechte so oft auseinanderfallende Mobiliar- und Immobiliarfolge für successio singularis erklärt hat, so glaubte man auch hier wegen der verschiedenartigen Vererbungen ein Gleiches annehmen zu müssen.

Heusler hat nun in seinen Institutionen in überzeugender Weise ausgeführt, dass das nicht richtig ist, dass es nicht darauf ankommt, ob der gesammte Nachlass in den Besitz des Erben gelangt, sondern nur darauf, dass dieser einen ganzen Co mp lex des Nachlasses unter einem, alle einzelnen Sachen desselben umfassenden Universaltitel erhält und nicht einzelne Sachen auf Grund eines bloss nur auf jede einzelne bezüglichen, Singulartitels.

Schiffuer (S. 55) hat zwar versucht, auch bei solcher umfassenderen Vererbung die Singularfolge aufrecht zu erhalten, indem er ein gesetzliches Legat auf eine Universitas von Sachen, auf eine Gesammtsache, annimmt. Allein zunächst ist es zweifelhaft, ob das dabei in den Vordergrund gerückte römische Recht überhaupt Gesamuitsachen kenut. Alles, was sich in den römischen Quellen über einen Sachcomplex findet, bezieht sich

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nur auf die Heerde. Bei dieser aber liegt weit näher als die Annahme einer Gesammtsache die Vermuthung, dass damit nur die Bezeichnung mehrerer einzelner Sachen unter einem Sammel- namen aus Bequemlichkeits- und Zweckmässigkeitsriicksichten zugelassen und dann die zugelassene Bezeichnung deui wahr- scheinlichen Parteiwillen entsprechend weitherzig und praktisch ausgelegt wird. Als solche Bezeichnung mit einem Sammel- namen wird man auch die deutschrechtlichen Vorschriften über Vererbung von „Weissgeräthe“ und „Leibgeräthe“, „Haus- gerätlie“, „Heergeräthe“, „Gerade“ und „Musstheil“ bezeichnen müssen, auf welche Schiffner verweist. Selbst, wenn man aber hieraus und aus der römischen grex eine Gesammtsache machen wollte, könnte diese doch nur auf eine Mehrheit einzelner gleich- artiger Sachen beschränkt bleiben, wie in den genannten Fällen. Wollte man aber auch bei der aus sehr verschiedenen Sachen bestehenden Fahrhabe oder bei dem Hofe mit Feldflur eine Ge- sammtsache annehmen, so würde man jeden Unterschied zwischen einzelnen Sachen und Vielheit verwischen. Fahrhabe und Hof bilden zwar namentlich nach deutschem Rechte eine recht- liche Einheit, sie bilden dies aber nicht mehr als nach römischem Rechte die ganze Erbschaft, Man könnte darum mit demselben Rechte die Erbschaft zu einer Gesammtsache stempeln. Hier muss deshalb der Begriff der Gesammtsache jedenfalls abgelehnt werden. Am Besten lässt man jedoch diesen verwaschenen Begriff ganz aus dem Spiele. Soweit man nicht Bezeichnung einzelner Sachen unter einem Sammelnamen annehmen kann was namentlich dann geboten ist, wenn sich das Vorliegen einer Singularsuccession daraus ergiebt, dass der Bedachte durch Empfang der Zuwendung noch nicht für Schulden haftbar wird , wird man zwar den Nachlass in mehrere Massen zerlegen, aber die Folge in eine jede als Universalsuccession hinstellen, woraus sich dann ergiebt, dass der Antretende die Schulden jeder Masse zu zahlen hat; lässt sich die Vertheilung einer Schuld auf eine Masse nicht feststellen, so ist sie von beiden zu zahlen, es sei denn, dass etwa die eine Masse, wie im Lehnrechte und zeit- weise auch in einigen Bauernrechten, nur Schulden anerkennt, die ausdrücklich auf sie durch Gesetz oder Vertrag gelegt sind; dann nämlich verbleiben alle übrigen Schulden der anderen Masse. Eine beschränkte Schuldenhaftuug verbleibt aber immer auch dem

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Erwerber der ersten Masse. Und gerade daran scheitert die Theorie von dem Vermächtniss auf eine Universitas, denn der Vermächtnissnehmer zahlt nie Schulden.

Es soll indessen nicht verkannt werden, dass die Heusler’sche Theorie den römischen Begriff der Universalsuccession etwas verändert. Im römischen Rechte ist allerdings überall, wo sich Vergebung von Sachen unter einem alle umfassenden Universal- titel findet, damit die Forderung verknüpft, dass sich jene Vergebung auf das ganze Vermögen erstrecken solle. Allein, diese Verknüpfung ist doch nur eine äusserliche, veranlasst durch die besondere römische Gestaltung. Im Uebrigen ist die römische Regel, dass sich Vererbung und Universalübergang nur mit ganzen Vermögen belassen sollen, schon im römischen Rechte in einigen Consequenzen nicht mehr festgehalten. Der daraus abgeleitete Satz „nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest“ ist durch die Gestaltung des Notherbrechts stark durchlöchert. Der weitere Folgesatz „nemo cum pluribns testamentis decedere potest“ wird, wie wir sahen, heute auch nicht mehr überall streng festgehalten. Und wenn nun die Gestaltung des deutschen Rechts zeigt, dass dieses mit einer Uuiversalvergabung die Forderung der Regelung des ganzen Vermögens nicht verbindet, so kann man diesen Satz als be- griffliches Merkmal der Universalsuccession nicht mehr festhalten. Die Erstreckung auf das ganze Vermögen stellt sich vielmehr nur noch als eine, durch positive Sätze des römischen und gemeinen Rechts regelmässig geforderte Eigenschaft der Universal- succession dar; deren aus den nothwendigen Eigenschaften zu entnehmender Begriff beschränkt sich aber in der That auf den Uebergang einer Vielheit von Sachen und Rechten unter einem und demselben Titel.

Gehen wir von dieser Ansicht aus, so werden wir die Nachfolge in das Bauerngut, auch wenn das Mobiliar zum Theil einem anderen Schicksale unterworfen ist, als eine Universal- succession auffassen. Denn das gesammte Gut mit lebenden und todtem Inventar, mit eisernen Beilassstücken und dergl. braucht der Anerbe nicht einzeln sich anzueignen, sondern alles gewinnt er zusammen auf Grund des einen Titels, dass er Erbe im Grundbesitze ist.

Aber auch aus anderen Gründen wird man die Erbfolge

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nach Anerbenrecht als Universalsuccession bezeichnen müssen. Es ist nämlich aus unserer geschichtlichen Darstellung ersichtlich, dass es keineswegs die Regel ist, wenn in der eben bezeichneten Weise die Erbfolge in das Gut und die in das Mobiliar auseinander- fällt, sondern dass dies nur durch eine zeitweilige, heute über- wundene Verirrung von Theorie und Praxis hervorgerufen wurde. Der Anerbe war vielmehr Derjenige, der allein in den väter- lichen Gütern sitzen blieb, und zwar in allen, in Liegenschaften nnd Fahrhabe. Der Anerbe war und ist somit im eminentesten Sinne der Alleinerbe, der Universalsuccessor.1“’)

§ 21.

Der Anerbe ist Derjenige, der aus einem Kreise von Erben den Vorzug geniesst, zum Naturalbesitze des hinterlassenen Gutes zu gelangen. Um sagen zu können, wer im gegebenen Falle Anerbe wird, muss man deshalb sowohl jenen Kreis kennen als wissen, nach welchen Grundsätzen die Auswahl aus ihm vor sich geht.

Wenn wir die geschichtliche Entwicklung des Anerben- rechts überdenken, so werden wir finden, dass jener Erbenkreis im Allgemeinen von dem sonst im bürgerlichen Rechte geltenden nicht verschieden war. Selbst die ursprünglich im weiten Um- fange bestandene Beschränkung des Grunderbrechts auf De- scendenten haben wir ja auch im gewönlichen Erbrechte an- getroffen. Wir brauchen uns nur daran zu erinnern, dass noch bis zum edictnin Chilperici auch im Landrechte beim Mangel von De-

lre) Aush Beseler S, 8G9 erklärt ihn für einen „Gesainmtnacbfolger“. Ebenso tritt Frommbold für l^niversalsuccession ein (Anerbenrecht S. 25) wenn auch aus andern Gründen, denen wir, soweit sie sich auf die Ge- schichte stützen, allerdings nicht durchweg beistimmen künuen. Scholz ist nicht conseijuent : Er sagt in § 12, die Anerbenfolge sei auch nach Ein-

führung des römischen Rechts successio singnlaris geblieben. Auf S. 101 sagt er dann: „Im allgemeinen ist die t’olonatsfolge eine successio univer-

salis.“ Er scheint, wenn die Abfindungen aus dem allodium non coniunctum erfolgen, Singular-, andernfalls Unircrsalsnccession anzunehmeu. (Vgl. S. 102 oben.). Unserer Ansicht ist flir die heutige Zeit hier auch Schiffner S. 166 Anm. 6: „Seit dem Eindringen der römischen Universal-

guccession aber ist der Anerbe meist Alleinerbe des ganzen Nachlasses und sind die übrigen Erbsinteressenteu nur Abfindlinge.“

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Scendenten der Heimfall des Grundbesitzes an die Dorfgenossen- schaft eintrat. Die Ausschliessung der Collateralen beruhte ja auch auf dem Gedanken, dass die Annahme der Abfindung in Folge des da- mit verknüpften Austritts aus der Hausgenossenschaft den Verlust jeglichen Erbrechts nach sich ziehe,176) ein Gedanke, der aus den Grundsätzen der Were sich ergebend, (vgl. § 10) ebenso wenig wie das Weresystem selbst lediglich dem Bauernrecht angehörto.

Wie wir es nun öfter nachweisen können, dass Prinzipien, die im Landrechte längst abgestorben waren, im Bauernrechte mit neuer Kraft wieder auftauchen, um dann auch in ihm aus gleichen Gründen wie im Landrechte von der fortschreitenden Entwicklung abgestreift zu werden,177) so wurde zunächst zwar im

,M) Ein Beispiel wird das verdeutlichen:

Wenn E stirbt, so können seine Collateralen A und B nicht zum Erbe gelangen, denn sie sind abgefunden, als E das (lut übernahm Aber auch C D F G können das Gut nicht erhalten, du sie entweder vorverstorben sein müssen, oder abgefunden sind, als F Gutsbesitzer wurde. Aber auch wenn F noch lebte, könnte er doch nicht E's Gut nehmen, da die noth- wendig voraugegangene Absonderung des E nicht nur diesem das Erbrecht gegen F, sondern auch dem F gegen den E genommen hat, da die Ab- sonderung schlechthin und gegen beide die Hausgenossenschaft löst (vgl. § 10 a E.).

177) Es ist, als ob die Völker, gleichwie der einzelne Mensch sich meistens nicht die Erfahrungen seiner Vorgänger zu Nutze machen kann, sondern selbst Lehrgeld zahlen, selbst erleben und selbst den von anderen schon durchmessenen Weg zur Vollkommenheit von Anfang au durch- wandern muss, so auch die Völker den Entwicklungsgang des Grund- besitzes, den sie im Landrechte hinter sich hatten, im Hofrechte noch einmal hätten durchkämpfeu müssen. Dass er beidemal so überraschend gleichartig ausüel, ist ein Beweis mehr für unsere Ansicht, dass es die in der Tiefe der Volksseele lebende ltechtsiiberzeugung war. die ihn bestimmte, und nicht etwa auf wirthschafllicbe Verhältnisse achtende Zweckmässig-

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Hofrechte die Beschränkung des Erbganges auf die Descendenten durchgeführt zu einer Zeit, wo sie im Landrechte längst von Ver- gessenheit bedeckt worden war; als man aber auch im Hof- rechte anfing, die Vererbung nicht bloss auf Grund von Consolidation im Kreise des Hauses, sondern auch als wahren Erbgang an Glieder, die aus dem Hause geschieden waren, zuzulassen, da fiel mit dem Satze, dass der Abfindling nie mehr Erbe nehmen kann, auch die diesem Satze entsprechende Be- schränkung des Erbenkreises auf Descendenten, und es wurden auch Ascendenten und Collateralen berufen, womit der Unterschied zwischen Landrecht und Bauernrecht wieder verwischt war.

Die gemeinrechtlichen Juristen hatten natürlich gar keinen Anlass, an diesem Kesultat auch nur im geringsten zu rütteln. Sie, die bestrebt waren, alle Sonderrechte möglichst ein- zuschränken oder so auszulegen, ut quam minime distent a jure communi. sie mussten es natürlich mit Freuden begrüssen, wenn auch im Bauernrechte der Kreis, aus welchem der Anerbe hervorging, grundsätzlich sich vom gewöhnlichen Erben- kreise nicht unterschied.178)

keitsrücksichten. Denn diese Verhältnisse waren von Grund aus verschieden geworden, hätten also nie und nimmer eine gleiche Entwicklung hervor- rufen köunen.

17B) Dass der Kreis der Erben, von denen einer Anerbe wird, durch die allgemeinen Erbrechtsregeln bestimmt wird, dafür treten ein : Grefe § 63 (S. 215 ff. Bd. II); Steinacker S. 540 ff.; Scholz S. 95 f. Ein Erb- rechtgeben insbesondere 1) Den Collateralen: Stobbe Bd. V. S. 375 ff. Pfeiffer Bd. 1 S. 209 ff. (doch will er das Collateralenerbrecbt nur als eiue particulare, wenn auch sehr verbreitete Reehtsbildung aufgefasst wissen; für Schanmbnrg leugnet er es Bd. 11 8. 4W0); Gicfe a. a. 0. (nur für die freien Bauern gesteht er es zu. nicht bei Eigenleuten Bd. I S. 352 ff.), Frank (8. 4 n. 5) Struckmann (doch nur solchen Collateralen, die auf der .Stätte geboren sind) Beitrag IX; Führer S. 65 (doch nur den Geschwistern, den übrigen Collateralen nicht). 2) den Ascendenten: Stobbe a. a. O.

Grefe a. a. 0.; Frank S. 4 u. 5: Runde, I<eibzucht S. 467; Führer S. 55.

Durch diese Durchführung der gemeinrechtlichen Erbfolge geschieht es, dass Eltern und Geschwister des verstorbenen Hofbesitzers gemein- schaftlich in den Kreis treten, aus dem der Anerbe hervorgehen muss, denn nach gemeinem Rechte sind beide gleich nahe Erben. Es ist aber klar, dass nur entweder einer der Eltern oder einer der Geschwister Anerbe sein kann, mithin zwischen dieseu Kreisen ein Vorrang bestehen muss.

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Die Gefahr, welcher dieser Lehre dadurch drohte, dass man auf das Bauernrecht lehnrechtliche Grundsätze anzuwenden begann und nur noch Nachkommen des primus acquirens zur Erbfolge zulassen wollte, diese Gefahr ist, wie oben gezeigt 13 bei Anm. 136 und 137), ja bald überwunden worden.

Ist sonach für die Begrenzung des Erbenkreises, dem der Anerbe entnommen wird, das jeweilige bürgerliche Recht entscheidend für die Gebiete gemeinen Rechts also die römische Erbordnung , so bringen doch einige deutsch- rechtliche, von den Bauern treu bewahrte Grundsätze einige kleine Aendernngen hervor.

Zunächst ist der Makel, der im alten, deutschen Rechte der unehelichen Geburt anhaftete, im Bauernrechte noch in weitem Umfange aufrecht erhalten. Wie bekannt, waren uneheliche

Dieser Vorrang fiel nun den Geschwistern zu. aus veischiedener, Grüudeu.

Schon im alten Laudrcchte, z. B. in Friesland, findet sich ein Vorrang der Geschwister vor den Eltern und weiteren Ascendenten (vgl. v. Amin a. a. O.). Im Anerbenrechte musste er noch mehr hervortreten. Wenn der Sohn ein Gut hinterliess, dessen Beerbung durch Eltern und Geschwister überhaupt in Frage kommen konnte, so musste er sich von ersteren durch Altentheilsvertrag vorher wirtschaftlich abgesondert haben, denn sonst war er nicht der Besitzer des Gutes. Nun zog sich der Bauer aufs Alten- teil aber erst zurück, wenn er das Gut nicht mehr ordentlich bewirtschaften konnte; wenigstens wurde dies vom Rechte, da cs gcwiilmlich zutraf oder zntreffen sollte, präsupponirt. Tüchtigkeit war aber eine nothwendigo Eigen- schaft des Anerben (vgl. § 28). Wegen der durch den Zug aufs Altenteil von ihm selbst constatirten Unfähigkeit schloss man deshalb den Vater vom Erbe des Sohnes wenn nicht schlechthin, so doch in Concurrenz mit den Geschwistern aus. Aus dem gleichen Grunde mussten Geschwister auch weiteren Ascendenten Vorgehen. Ob auch andere Oollateralen als Geschwister den gleichen Vorzug geniessen, darüber schwanken die Quellen. Ein Grund, die sonst angenommene Erbfolge auch noch in dieser weiteren Weise zu durchbrechen, Hegt nicht vor. Es bleibt deshalb richtig, wenu wir sagten, es gelte gemeine Erbfolge. Nur haben in der zweiten Klasse Geschwister vor Asceudenten gewohnheitsrechtlich den Vorrang zum Besitze des Gutes, auf dem sie geboren sind. So auch Stobbe a. a. O.; Runde S. 468 ff. (mit eigenartiger, geistreicher Begründung), Frnuk a. a. O.; Scholz S. 95 und 96. Anderer Meinung Grefe a. a. 0. Von den Höfegosetzen folgen unserer Ansicht das schlesische uud die Gesetze für Oldenburg und für Lübeck. (Frommhold S. 44).

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Kinder ehemals als rechtlos gänzlich erbunfähig. Dieser Maugel konnte auch in keiner Weise gehoben werden, da die römischen Legitimationen bei uns unbekannt waren. Sie drangen auch in's Bauernrecht nur sehr schwer ein, so dass noch in unserem Jahrhunderte es an Rechtslehrern nicht gefehlt hat, welche uneheliche Kinder als Anerben überhaupt nicht zulassen wollen. Indess, für eine Art der unehelichen Kinder entspricht dies sicher nicht mehr den heutigen Zuständen. Die legitimatio per subsequens matrimonium ist so tief in das Rechtsgefühl unseres Volkes eingedrungen, dass wir nicht anstehen, auch im Bauern- rechte diese Kinder den ehelichen gleichzustellen und auch sie in den Kreis, aus dem der Anerbe hervorgeht, einzureihen.

Von den anderen römischen und modernen Legitimations- arten kaun man ein Gleiches nicht behaupten; sie sind dem Volke und namentlich dem Bauernvolke stets innerlich fremd geblieben. In richtiger Weise theilen denn auch die Höfe- gesetze unseren Standpunkt.1'4')

Ob den unehelichen Kindern, wenn andere Erben mangeln, ein subsidiäres Erbrecht zusteht, ist streitig. Nach heutigen Anschauungen dürfte es ihnen wohl, wie auch die Höfegesetze annehmen, zu gewähren sein.181)

m) So auch Stobbe liil. V. S. 375 ff., Führer (S. 56 und 60). Weiter gehen und gebeu schlechthin gemeinrechtliche Erbfähigkeit den unehelichen Kindern: Scholz S. OS, ferner das neue österreichische Gesetz, welches alle Legitimirten den ehelichen Kindern gleichstellt (vgl. Harchet, Kap. VII). Auf dem engeren altdeutschen, alle Unehelichen ausschliessenden Stand- punkte verharren Grefe § 63, Busch S. 125; Frommhold S. 38. Vgl. auch die Stelle von Frantzkius (S. 125), welche unseie Behauptung, die legitimati per subsequens matrimonium seien gewohnbeitsrechtlich mit der ehelichen Geburt gleichgestellt, belegt und zeigt, dass die von uns als modern ver- tretenen Anschauungen schon im 18. Jahrhuudert dem Bechtsgeftihl ent- sprachen. Frantzkius lehrt genau wie wir:

„De legitimatis per subsequens matrimonium maximo dubitatur. . . . Idem tarnen esse quod iu legitiinis usus judiciorum et observautia obtinuit“

„Legitimati per rcscriptum principis a feudali successione plane arcentur, ab emphyteuseos et censuali nou aliter quam si alii legitime uati extent“.

ai) Vgl. Frommhold S. 39 und die Stelle von Frantzkius in der vorigen Anmerkung.

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Das eigentbümliche bauemreclitliche Institut der Interims- wirtbscb&ft legt ferner die Frage nahe, inwieweit die Kinder eines solchen Interimswirths Anerben werden können. Dazu muss man zunächst wissen, welches Recht der Interimswirth selbst an dem Gute hat.

Natur und Entstehung der Interimswirthscliaft sind überaus dunkel. Der Streit wird sich aber auch hier ähnlich schlichten lassen, wie der über die Entstehung des Anerbenrechts. Es gilt auch hier zu bedenken, dass selten ein grosses Rechts- institut aus einer Wurzel entstanden ist.

So beruht denn auch die Interimswirthschaft zunächst auf der Stellung des altdeutschen Vormundes, der das Mündelgut in seine eigene Gewere nahm, im eigenen Namen darüber ver- fügte, und Früchte und Nutzungen sich selbst erwarb.182) Aber auch aus den Rechtsverhältnissen des ehelichen Güterrechts entwickelte sich eine andere Art Interimswirthschaft.

Die überlebende Wittwe hatte zunächst neben ihren mit dem verstorbenen Manne erzeugten Kindern den Beisitz auf dem Gute, bis zu ihrer Wiederverlieirathung, und zwar unter allen Güterreehtssystemen.1Si) Verheirathete sie sich aber wieder, so musste sie sich mit ihren Kindern auseinandersetzen. In den Gebieten der Gütergemeinschaft hatte sie dann die Hälfte oder einen bedeutenden Tlieil des Gutes zu beanspruchen. Sie hätte deshalb bei der naturalen Untheibarkeit an sich das Gut ganz übernehmen und den Kindern ihren Autheil in Geldc auszahlen können. Allein dem widersprach das mit der Gütergemeinschaft so überaus gewöhnlich verknüpfte Ver-

133J Darauf hat zuerst und mit ausgezeichneter quelleumässiger Be- gründung Pufendorf hingewiesen in seinen Observationes Bd. I S. 138 obs. XLVII. lieber die Stellung des altdeutschen Vormundes vgl. auch lieusler, Institutionen Bd. II. Eine der ältesten Stellen über diese vor- mundschaftliche Interimswirthschaft stobt bei Grimm I, 100. „It och. das der man, der uf dem hof ist, kiud lät, die dem bof und dem gut nüt ge raten rnugent, hent die kint ein friind, der mag wol uf den hof sitzen umi> die zins und umb dienst, die von dem hof gänd, untz uf die stund dass die kind dem gut geräteu rnugent (Andelfingen im Züricher Land). Vgl. auch Grimm III, 52 (Hattnegge in Westfalen).

iej) Vgl. lieusler Institutionen Bd. II und unsere Ausführungen weiter unten. Ueberaus zahlreich sind hierüber auch die Stellen der Weisthüwer.

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fangenschaftsrecht; und wo dies nicht dazwischen trat, war der Mangel an Geld in jenen kapitalarmen Zeiten ein gebieterisches Hinderniss. So wurde man mit Noth Wendigkeit dazu geführt, da das Gut selbst weder in natura noch civiliter getheilt werden konnte, die Nutzungszeit zu theilen und das Gut erst dem Einen, dann dem Anderen zu Eigenthum zuzusprechen. Als Zeitgrenze ergab sich von selbst der Grossjährigkeitstermin des Auerben aus erster Ehe. Lag er zu nahe, so setzte man die Nutzungs- zeit anderweit fest und verwilligte der Wittwe „Mahljahre“. Während dieser nahm sie, wie gesagt, das ganze Gut in volles Eigenthum, uud damit wurde auch ihr aufheirathender Mann zum wahren Eigenthümer des Bauernhofes, denn es handelt sich um Gebiete der Gütergemeinschaft.1'44)

Das ist die Entstehungsart der Interimswirthschaft dort, wo die Wittwe das Recht hat, ihren zweiten Gatten zum Interimswirth zu machen.

Diese beiden Arten der Interimswirthschaft wuchsen all- mählich zusammen. Es mag das System der Mahljahre bei der Auseinandersetzung beliebt worden sein, auch in Gegenden, wo keine Gütergemeinschaft galt. Damit löste sich dieses vom Boden der Gütergemeinschaft los und stellte sich auf eigene Füsse. Es hat ferner stets eine grosse Verwandschaft zwischen dem Vormundschafts- und dem ehelichen Güterrechte bestanden, wie dies ja im Ssp. mit seiner ehemännlichen „Gewere zu rechter Vormundschaft“ so deutlich hervortritt. m>) Beide Systeme der Interimswirthschaft stimmten ja auch in dem Cardinalpunkte überein, dass der aufziehende Wirth, wenn auch nur auf Zeit, vollständiger Eigenthümer des Grundstücks wird, der nur dadurch beschränkt ist, dass er nicht ohne Noth das Gut dem wartenden Anerben entziehen darf.

Alles dies vernichtete die Grenzlinie zwischen beiden Instituten und förderte ihre Verwachsung. Diese Verwachsung nun konnte nur in der Richtung erfolgen, dass die vormund-

“•) Diese Art der Interimswirthschaft hat Wigand allein im Auge. Kr begeht aber den Fehler zu übersehen, dass diese Art nicht überall passt, namentlich nicht da, wo gar keine Wittwe da ist und wo doch eine In- terimswirthschaft eingesetzt wird.

issj Vgl. auch Heusler Bd. II (über eheliches Güterrecht).

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schaftliche Interiniswirthscliaft Eigenschaften des Institutes der Mahljahre übernahm. Denn erstens überwog letzteres Institut schon räumlich bei weitem, da das Anerbenrecht überhaupt sich vorzugsweise in Gegenden der Gütergemeinschaft findet. Dann aber konnte letzteres Institut von der vormundschaftlichen Interimswirthschaft schon deshalb nichts annehmen, weil es bereits alle ihre Eigenheiten besass.

So wurde denn von der Gütergemeinschaft herübergenommen der Satz, dass der Interimswirth, wie jeder andere Eigenthiimer, das, was er in den Hof verwendet hat, nicht wieder zurück- verlangen darf. Es wurde aber besonders, was hier interessirt, festgestcllt, dass seine Kinder erben. Das konnte bei einem vormundschaftlichen Interimswirth nicht der Fall sein; bei einem gütergemeinschaftlichen lag kein Grund vor, die Kinder auszuschliessen, wenn nur vorher der Verpflichtung genügt war, dass das Gut den Kindern, mit denen der Interimswirth und seine Frau sich auseinandergesetzt hatten, nicht entzogen werden darf. Deshalb können Kinder eines Interimswirths zwar nie zum Gute gelangen, so lange ersteheliche Kinder und deren Descendenz da ist; diese sind näher zum Gute. Fehlen diese aber, so sind die Kinder des Interimswirth näher, als die ferneren Verwandten, denn der Eigcnthumstitel, den ihr Vater am und zum Gute hatte, kommt ihnen zu Statten.186)

**•) So Stobbe Bd. II S. 531 (allerdings nur für Particularrechte. Das ganze Institut ist aber eigentlich nur pnrticularreclitlieh). So auch Puchta S. 40 und 41, uud Wigand Paderborn § 81. Anders Hunde, der auf Grund seiner Erklärung der Interimswirthschaft als einer lediglich vormundschaft- lichen Verwaltung den Kindern gemeinhin ein Erbrecht abspricht.

Eine eigenthUinliche geschichtliche Erklärung der Interimswirthschaft giebt Struckmann. Er behandelt die Osnabrückischen Verhältnisse der Leibeigenen. Diese mussten vom Gutsherrn mit dem Gute bei jedem Erb- fall wieder beineiert werden. Struekmann erblickt nun in dieser Bemeierung den einzigen Besitztitel der Bauern; das Anerbenrecht giebt bei ihm nur einen persönlichen Anspruch auf diese Bemeierung. Nun wurde in Osnabrück beiden Eheleuten der Ilof auf 105 Jahre eingethan. Folglich, dedneirt Struekmann, hatten beide das Recht, ihn solange zu besitzen, der Bauer sowohl, wie die ihn überlebende Wittwe. Kraft positiver Bestimmung der Eigenthumsordnung ist nun der Wittwe die Verpflichtung auferlegt, bei ihrer Wiederverehelichung auf das Hecht zu verzichten, wofür ihr

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Nächst den Kindern des Interimswirth bietet die bauern- rechtliche Behandlung der Kinder des Leibzüchters Schwierig- keiten. Wir haben gesehen, dass sie im alten Rechte von der Erbschaft des Gutes, dem ihr Vater einst vorgestandeu hatte, ausgeschlossen waren. Denn das Ziehen auf das Altentheil bedeutete den Bruch der Were und des Gesammteigenthums, weshalb der ohne weitere Kinder versterbende Leibzüchter nicht von seinen abgeschichteten Söhnen, sondern vom Gutsherrn beerbt wurde. Umgekehrt hatten aber auch er und seine spätere Descendenz an dem verlassenen Familiengute keinen Tlieil mehr, das cousolidirte vielmehr in der Hand seiner früheren Kinder, mit denen er abgetheilt war. Das ist die Grundlage des alten Satzes: „Der Leibzüchter darf nicht

züchten.“

Als nun später der Erbgang nicht mehr so vollständig von dem Gedanken des Miteigenthums beherrscht wurde, sondern sich zu einem selbstständigen Institut auswuchs, verlor jene Regel ihre innere Berechtigung, gleichwie jetzt der Leibzüchter auch umgekehrt von seinen bereits ausgeschiedenen Kindern beerbt wurde. (Vgl. oben § 10 a. E. über das System des ledigen Anfalls.)

Man hat versucht, der Regel einen neuen, gemeinrechtlichen Halt zu geben, indem man sagte : Der Bauer hat beim Be-

geben auf die Leibzucht einen Gutsübergabevertrag geschlossen. Damit hat er sich des Gutes entäussert. Folglich gehört es bei seinem Tode gar nicht mehr zu seinem Vermögen; die

und ihrem Ehemanue der Hof dann auf Maljahre eingethan wird. Heide sind aber dann solange volle Herren des Hofes, denn er ist ihnen ja geliehen. Sie unterscheiden sich von gewöhnlichen Colonen nur durch die Begrenzung ihrer Besitzzeit. Ihre Kinder stehen deshalb abgesehen davon, dass nach Massgabe des Maljahrevertrages den erst- ehelichen Kindern der Wittwe der Vortritt gebührt genau wie alle Bauernkinder.

Diese Theorie mag für die Osnabrückischen bäuerlichen Verhältnisse die auf Leibeigenschaft, beruhten, gewisse Berechtigung gehabt haben. Für das gemeine Recht trifft sie nicht zu. Denn in ihm ist der Besitztitel stets das Anerbenrecht, dem gegenüber die Bemeierung, auch wenn sie immer wieder nachgesucht werden muss, gerade wie die Lehusemeuerung nur eine Form bildet.

Dultsig, Grunderbrecht. 13

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Kinder des Leibzüchters können deshalb nie hineinerben. (Vgl. Busch S. 125.)

Diese Auffassung übersieht den rechtlichen Charakter des Uebergabsveitrages, der nichts anders denn eine voraus- genommene Regelung der Erbfolge ist.187) Der Abziehende will

im) So Stobbe u. a. Der Widerlegung dieser Ansicht ist das Buch von Puclita gewidmet. Der Verfasser desselben war Amtsrichter in der Gegend von Bayreuth und hatte eine grosso Praxis in Gutsabtretungs- verträgen, die er als Richter aufzunehmen hatte und die er jährlich auf wenigstens 100 beziffert. Er meint, die successio autecipata sei ein unklarer Begriff und widerspreche den Grundlehren des Erbrechts; es sei überhaupt nicht angebracht, .über einfache Verhältnisse den Dämmerschatten alt- gennanischer Wälder auszubreiten“ ; die Gutsabtretung sei einfach ein Kauf, wie sie auch meist sowohl in den Gesetzen, wie von den Parteien genannt werde. Dem kann man entgegenhalteu, was Puchta zur Widerlegung der Gegner anführt. dass es auf den gebrauchten Namen nicht ankommt, sondern dass die Sache entscheidet, dass „als Recht unter den Vertragschliessenden gilt, was gehandelt, nicht, was unangemessen mit Worten ausgedrückt ist.“ (Puchta S. 23). Im Uebrigen beweist Verfasser, der in theoretischen Er- ürterungen nicht eben stark ist, weiter nichts, als dass die Gutsübergabe- verträge von den aufnehmenden Beamten als Kauf behandelt und registrirt wurden. Es soll nun garnicht abgestritten werden, dass die Gutsabtretung sich sehr wohl iu der Form des Kaufes verwirklichen lässt und oft ver- wirklicht wird. Aber ihr regelmässiger Charakter ist das nicht. Wie wenig aber an der angeblichen Unvereinbarkeit einer successio antecipata mit den Gruudlehreu des Erbrechts ist, ergiebt sich aus folgender Erwägung: Der scheinbar widersprechende Satz ist lediglich: „viventis nulla hereditas“. Diesem wird jedoch hier gar nicht widersprochen. Denn eine Erbschaft ist auch hier erst vorhanden, wenn der Altsitzer stirbt. Das schliesst aber nicht aus, dass er sich schon vorher selbst freiwillig als tot behandeln lässt und die künftigen Folgeu seines Todes durch ihre sofortige Verwirklichung am sichersten regelt. Dass das iu wohlgeordneten Rechtssystemen möglich ist, beweist das früher bekannte Institut des bürgerlichen Todes, wo ja anch ein Lebender als tot behandelt wurde und zwar endgiltig. Hier wird er doch nur soweit als tot behandelt, als es der nächste Zweck, die Sicherung der Gutsnachfolge, unbedingt erfordert, Uebrigens ist die ganze Regel „viventis nulla hereditas“ nur ein begrifflicher und kein Rechtssatz. Gegen- über der Gestaltung des positiven Rechts, welches bei der Gutsabgabe eine Beerbung bei Lebzeiten herbeiführt, kauu er deshalb nicht ins Gewicht fallen. Vielmehr müssen dann die Begriffe nach der positiven Rechtslage umgestaltet werden, was aber, wie oben gezeigt, gar nicht einmal uüthig ist, da der Satz nur die unfreiwillige Beerbung bei lebendigem Leibe im Auge hat.

Leber den Vergleich des Auszugsvertrages mit dem bürgerlichen Tode Bielie auch Busch S. 105 ff.

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die Folgen seines künftigen Todesfalles bestimmen, und damit dieser auch ja ganz nach seinen Wünschen behandelt werde und sich Alles allmählich in den neuen Zustand einlebe, verwirklicht er schon jetzt seine Weisungen und giebt schon jetzt dem künftigen Erben die Zügel in die Hand. Bei dieser Absicht kann es nun nie in seinem Sinne liegen, Kinder, die ihm noch geboren werden, auf die. Strasse zu setzen. Dass er sie in dem Uebergabs vertrage nicht erwähnt, ist für solches anväterliches Vornehmen kein Zeichen, rührt vielmehr einfach daher, dass sie noch nicht vorhanden sind. Nur das Eine will der Auszügler, dass der von ihm designirte Gutsübernehmer auf alle Fälle das Gut erhalte, während seine Geschwister, und zwar sänuntliche, auf Abfindungen angewiesen werden. Mindestens eine solche wird man deshalb auch den Altsitzerkindern zubilligen müssen. Sollte aber der Gutsübernehmer noch vor dem Leibzüchter sterben und dann nach Bauernrecht (vgl. Anm. 179) seine Geschwister zum Hofe gelangen, so ist kein Grund, aus deren Kreise die Altsitzerkinder auszuschliessen, da nicht an- genommen werden kann, dass der Auszügler sie durch den Uebergabs vertrag für diesen Fall ausschliessen wollte. Die Leibzüchterkinder haben deshalb, ausser der ihnen stets ge- bührenden Abfindung, gleichwie die bereits Abgefundenen hin- sichtlich des Natural besitzes des Gutes ein Erbrecht auf den ledigen Anfall.

Verwickelter wird die Sachlage, wenn die Leibzüchterkiuder erst aus einer auf der Leibzucht geschlossenen Ehe stammen. Das ist praktisch nur schwer möglich, wenn der abtretende Bauer auf dem Gute geboren war und es selbst durch Erbgang gewonnen hatte. Wenn es hier Vorkommen sollte, so würde der Fall keine Besonderheiten aufweisen. Gewöhnlich dagegen dürften Ehen auf der Leibzucht nur dann geschlossen werden, wenn der Leibzüchter lediglich als Interimswirth den Hof besessen hatte, weil er ihn dann in noch jungen, kräftigen Jahren abgegeben haben kann, in denen eine zweite Ver- ehelichung weniger ausgeschlossen scheint. Die Frage fliesst also praktisch mit derjenigen zusammen, was geschieht, wenn die Altsitzerkiuder zugleich Kinder eines Interimswirths sind.

Ist dann die Ehe, der sie entstammen, nicht erst auf der Leibzucht geschlossen, so können wir nach unseren vorstehenden

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Ausführungen ihnen eine Abfindung und ein Erbrecht auf den ledigen Anfall nicht verweigern; denn sie sind dann Kinder der Mutter bezw, des Vaters, die selbst einen Eigenthumsanspruch am Gute hatten, der auch den Kindern zu Gute kommen muss. Ent- stammen sie aber einer erst auf der Leibzucht geschlossenen Ehe, so erhalten sie nichts, denn ihnen fehlt jegliche Beziehung zu dem Gute. Ihr einer parens hat £s nie besessen, der andere eine Zeit lang, aber nur auf Grund des gütergemeinschaftliehen Mit- eigenthums am Gute seines ersten Ehegemahls, dem es eigentlich gehörte; mit dem Abtritt auf die Leibzncht, spätestens aber mit dem Tode jenes Gemahls, ist jedoch auch dieses Baud gelöst. Es kommt hinzu, dass hier die Erwägungen nicht zutreft'en, welche wir oben über den vermuthlichen Willen beim Abgänge auf das Altcntheil angestellt haben; denn hier handelt es sich nicht, wie dort, um einen freiwilligen, in Vorausnahme der Erbschaft erfolgten Rücktritt. Vielmehr ist es hier durchaus richtig, zu sagen: Das Gut ist gar nicht mehr in der Erbmasse des Leibzüchters, folglich gelangen seine nachgeborenen Kinder auch niemals dazu.1*18)

Wie sich nach den Höferechten der Kreis abgrenzt, aus dem der Auerbc entnommen wird, ist theilweise schon berührt worden. Es entscheidet anch hier die gemeinrechtliche Erb- folge, jedoch mit der Abweichung in einigen Höfgesetzen, dass die Geschwister näher zum Gute sind als die Ascendenten. Auch die uneheliche Geburt wird, wie wir sahen, durchweg noch zurückgesetzt. Eine Zurücksetzung der Leibzüchter- kinder, die nach uns ja schon im gemeinen Rechte überwunden ist, wird nicht erwähnt. Ebenso schweigen die Höfegesetze über die Stellung der Kinder eines Interimswirtes. Sie be-

•**) Ganz unserer Ansicht im praktischen Ergebnisse, nicht in der Begründung ist Wigand Paderborn § 82 und 83. Kunde, Leibzurbt S. 473 giebt den Altsitzerkindem keinen Anspruch auf Abfindung, dagegen merkwürdiger Weise den weilergehenden auf das Gut selbst, falls beide Eltern „beweinkauft“, d. h. mit dem Gute bemeiert sind, also in dessen Besitze waren. Letzteres stimmt mit unserer Ausicht über das Kecht zum Xaturalbesitze. l’eber Büschs Ansicht vgl. oben im Text. l'nserer Ansicht neigt sich zu, bezeichnet sie wenigstens als die sicherst«, Struck- mann S. 31* f.

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trachten die Interimswirthschaft in ihrem Gebiete wohl als aufgehoben.

§ 22.

Damit ist der Kreis derer festgestellt, von denen einer Anerbe werden muss. Die Auswahl erfolgt zunächst nach dem Geschlechte. Gleich nahe Männer gehen den Weibern vor. Es ist dies ein Rest der ehemaligen völligen Zurücksetzung des weiblichen Geschlechts im Besitze von Liegenschaften, der im Bauernrechte dadurch erhalten worden ist, dass er der Natur der Sache und den Interessen der Familie, des Gutsherrn und des Staates in gleicher Weise entsprach.

Unter den gleich nahen Männern entscheidet in einigen Gegenden Deutschlands, z. B. in Hessen, die Auswahl eines Familienraths.1*) In den meisten Gebieten aber giebt das Lebensalter den Ausschlag.

Wir haben gesehen, dass hier Minorat und Majorat an sich gleich berechtigt sind. Dennoch muss gefragt werden, welches im Zweifel als das gemeinrechtliche zu gelten habe, obwohl die Frage selten praktisch werden wird, da hierüber wohl überall gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Special- bestimmungen bestehen werden;190) allein auftauchen kann die Frage doch.

**) Vgl. Enuecceras, Ein Höferecht für Hessen.

Früher bestand in weitem Umfange ein Wahlrecht der Herrschaft ; vgl. z. 11. Pufendorf, der es nur in Ermangelung einer Einigung der Familien- glieder giebt, Ud. IU obs. 182: „. . . unus eligendus ost, qui possessor villicationis exsistat . . . Qua in re si inter se convenire liberi nequeunt, rnerito penes dominum electio erit eiusque arbitrio unus villicationi praeficitur“. Ebenso Busch S. 109, Nolteu S. 35 u. a. ; über frühere österreichische und bayrische Verhältnisse vgl. Grünberg und Fick. Dieses Wahlrecht der Gutsherrschaft ist, als in den Eigenheiten der Gutsherrlichkeit wurzelnd, mit dieser gefallen.

m) Nach dem Gesetze und nach dem Gewohnheitsrechte ist die Rechts- lage folgende: Das Minorat gilt gesetzlich:

als Vorwahlrecht des Jüngsten in den Gebieten Bamberger und Bayreuther Landrechts (Gagern S. 23 Cf.) ; ferner in Mittelfranken und Oberfranken (Gagern S. 34 ff.) in Osnabrück (Struckmann S. 90 ff.) für die ehemaligen leibeigenen in Hannover (Grefe I S. 352 ff.), in grossen Theilen von Brauuschweig (Nolten S. 20 ff.) im alten Lande Delbrück und den

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Sie ist von den einzelnen Rechtslehrern überaus verschieden beantwortet worden. Die einen treten mit Emphase für das Minorat ein, als das sich von selbst ergebende, naturgemässe

Aemtern Neuhans in Westfalen (Wigand, Paderborn § 58) nach den Neu- miinster8chen Kirchspiels- und Bordesholraer Amtsgebräuchen (Paulseu § 198), sowie in folgenden weniger zusammenhängenden Gebieten : ln den Aemtern Seegeberg und Travendahl (Panlsen S. 544 ff.), auf Sylt für die Festestellen (Panlsen § 196), in den Hannoverschen Aemtern Herzberg und Uslar (Grefe II, 207 ff.) bei den Scbwert-Harlingser Hofleuteu im Rheinlande (Sommer. Rheinland Bd. 1 S. 307), in den Hofsrechten von Drechen und von Chor (Sommer, Rheinland Bd. II S. 70 und 194).

Dem stehen als zum Majorat gehörig gegenüber die weiten Gebiete des bayrischen I.andrechts (Gageru S. 12/14) von Schwaben und Neuburg, des Schwarzwaldes (vgl. Motive), von Holstein und zwar sowohl die Bonden- ais die Festestellen (Paulsen S. 344 f. und § 196), dos gesammten ehemaligen Fürstenthnms Liinoburg mit den Grafschaften Hoya und Diepholz (vgl. die citirten Lundesordnungen bei Oppermann), der sümmtlichcn noch nicht ge- nannten Tbeile Westfalens (z. B. das Amt Boke [Wigand, Paderborn § 58] und die Hofsrechte von Berge nnd Ohr [Sommer, Rheinland Bd. II S. 70 und 194]), der übrigen Tbeile von Braunschweig (Nolten S. 20 ff.) und die Lippeschen Lande (Führer S. 41 ff.).

So die Rechtsregeln. Praktisch binden sich die Bauern heute vielfach nicht mehr daran und greifen den geeignetsten Erben heraus, wie dies Fick wenigstens für Bayern wahrscheinlich gemacht hat. Ueblich ist aber auch hier noch vielfach eine Bevorzugung eines bestimmten Sohnes bei der Guts- übernahme, mitunter sogar dergestalt, dass ihm, wenn er das Gut nicht erhült, ein Abstandsgeld bewilligt wird. Die Grenzen dieses üblichen Minorates oder Majorates decken sich nicht mit den oben angeführten Rechtsregeln. So gilt gesetzlich das Majorat des bayrischen Landrechts in Schwaben und Neuburg, und doch findet sich vielfach üblicherweise dort das Minorat, ebenso in Niederbayern im Rotthale. Nach der Ueblichkeit stellt sich das Geltungsgebiet des Majorates und Minorates für Bayern, für das allein erst die nöthigeu Feststellungen vorliegen, wie folgt:

Das Majorat ist üblich: 1) Wohl im allgemeinen im Gebiete des bayrischen Landrechts sicherlich aus diesem Gebiete in den Bezirken des alten Berchtesgadener Rechts, in dem oberen Tbeile der oberbayrischen Hoch- ebene (theilweis mit Abstandsgeld) ebenso wie in dem unteren (auch hier vielfach mit Abstandsgeld), in Regensburg, Nabburg. Amberg, Stadtamhof, Furth und Waldmünchen in der Obcrpfulz (in Nabburg mit Gutsabstand).

2) Im Gebiete des Salzburger Provinzialrechts, hier mit Gutsabstand.

3) Im Bezirke Burgau. 4) Regelmässig auch im Gebiete des Ansbacher Provinzialrcchts. 6) Im Gebiete des Nürnberger Studtrechts. 6) Aus dem Gebiete des Bamborger Provinzialrcchts, das Minorat vorschreibt, in Herzogenauraucb, Lichtenfels und Weissmain. 7) In ganz Unterfrauken

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und zweckmässigere ; die anderen behaupten mit derselben Be- stimmtheit das gleiche vom Majorat.191) Und mit diesen Gründen lässt sich in der That ebenso gut für das eine wie für das andere Institut streiten. Die Geschichte lehrt unwiderleglich, dass beide gleich naturgemäss sind, dass beide sich von selbst ergeben. Die Zweckmässigkeit endlich kann nur entscheiden, was Recht sein soll, nicht was Recht ist. Der einzige Stand- punkt, von dem aus sich die Frage richtig beurtheilen lässt, ist vielmehr derjenige, den wir überhaupt für die Ergründung des geltenden Rechts empfehlen, nämlich, zu untersuchen, welches von den zur Wahl stehenden Instituten am meisten in der Rechtsüberzeugung des Volkes gegründet ist.

Da wird man nun doch nicht leugnen können, dass dieser Vorzug dem Majorate zugesprochen werden muss. Das Recht der Erstgeburt, den Germanen ursprünglich fremd, hat sich vermittelst der Sätze des öffentlichen Rechts über die Thronfolge, seit der Reformation auch im Anklange an die in frühester Jugend dem Denken jedes Einzelnen eingeimpften Lehren der Bibel tief in dem Rechtsgefühle des Volkes festgesetzt. Es sind deshalb auch schon im vorigen Jahrhundert Landesordnungen nachweislich vom Minorate zum Majorate übergegangen. Doch auch gewohnheitsrechtlich kommt der Uebergang noch heute vor. So z. B. im Gebiete von Regensburg und in dem Bezirke Selb in Oberfranken (Fick S. 89 und 182). Mit Recht haben

und 8) iin Gebiete der ehemaligen Abtei Fulda, soweit in diesen beiden Gebieten überhaupt ungeteilte Uebergabc üblich ist.

(Fick 8. 69, 65, 66, 69, 85, 89, 100, 143, 174, 199, 230, 242, 243). Das Minorat ist üblich: 1) Aus dem Gebiete des bayrischen Land- rechts im Rotthale, in Thuilen der Oberpfalz, nämlich in Cham, Neustadt, Waldsassen, Tirschenreuth, Eschenbach, Parsberg, Sulzbach und Woiden (überall mit Abstandsgeld). 2) Im Allgäu (doch nicht mehr sehr fest). 3) In Mittel- und Oberfranken im Gebiete des Bayreuther Rechts (vielfach mit Abstandsgeld). 4) Im Allgemeinen auch im Bezirke des Bamberger Landrechts (theilweis mit Abstandsgeld).

(Fick S. 74, 85, 89, 106, 112, 182, 199). m) Für das Minorat treten namentlich ein Nolten, Pacht», Gagern. Für das Majorat Frommhold, Gierke und die Motive zum ersten Ein- führungsgesetze des b. Ges. B.

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deshalb auch die neuen Höfegesetze überall das Majorat, zun Theil sogar die Primogenitur auf den Schild erhoben.1*-')

Inwieweit die Auswahl auch durch die Abstammung ans verschiedenen Ehen, von einem Interimswirth oder Leibzüchter bedingt wird, haben wir schon gesehen. Wir haben festgestellt, dass die Kinder des Bauern näher zum Hole sind, als die Kinder des Interimswirthes und Leibzüchters. Diese Tliat- sache 193) bildet die Grundlage zu dem Satze: „Der, so auf dem erbe geboren, erbet das erbe.1*1) Der Satz greift aber weiter. Er bezieht sich zunächst auch auf die zugebrachten Kinder, wenn ein Elterntheil, der auf den Hof heirathet, schon aus einer früheren Ehe Kinder hat. Dass diese Kinder nicht zum Gute gelangen können, ist klar; denn dieses gehört zum Ver- mögen des Stiefvaters bezw. der Stiefmutter, gegen die sie mangels jeglicher Bluts-Ver wandschaft keinerlei Erbrecht haben. Allein das angezogeue Weisthum dehnt die Regel auch auf den Fall aus, wo die Eheleute oder einer derselben in währender Ehe ein Gut erwerben. Hier fallt das Gut in das Vermögen eines parens, gegen welchen den vor Erwerb des Gutes ge- borenen Kindern ein Erbrecht zweifellos gleicherweise wie den später geborenen zusteht. Jene Kinder haben deshalb eben- falls ein Recht au dem Gute, und wenigstens Abfindung wird man ihnen zubilligen müssen; diese verbietet auch das Weisthum gar nicht. ly:') Aber auch das Recht zum Natural besitze des

,92) Auch räumlich iiborwiegt schon jetzt, sowohl im Gesetz wie in der Hebung weitaus das Majorat, wie aus unserer obigen Zusammenstellung ersichtlich. Vgl. auch Motive zu Art. Sii des ersten E. G.

1!ö) In diesem Sinne sagen auch viele Schriftsteller (Steinacker. Frommhold, Führer, Wigand) ersteheliche Kinder haben vor zweiteheliches deu Vorzug. Das bezieht sich nur auf die Kinder des Iuterimswirths und Leibzüchters, nicht darauf, wenn der Hauer selbst eine zweite Ehe scbliesst (Vgl. auch Struckmann S. tto ff. und Pfeiffer Dd. l S. 210 ft'.).

,,J<) Weisthum von Rietberg (.zwischen Paderborn, Münster und Lippe an der Ems):

§ 28. „Wann zwei eheleute, die kiuder haben, auf ein erbe kommen und von demselben noch mehr kiuder auf dem erbe geboren werdet, ob in solchem falle das erb die kiuder so vorhero, oder aber die, so auf dem erbe geboren, erben sollen? Der so auf dem erbe geboren erbet das erbe “.

'*) Denn es handelt uur von dem Rechte auf den Xaturalbesitz dos Gutes, nicht von dem Rechte auf Abiiudung.

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Hofes wird ihnen ebenso wie den auf dem Hofe geborenen Kindern zu gewähren sein. In früheren Jahrhunderten war es allerdings eine weitverbreitete Rechtsanschauung, dass Güter und Aemter des Vaters demjenigen Sohne, der das Licht er- blickte, als der Vater jene schon besass, eher gebührten denn dem zuvor entsprossenen. Lediglich auf diesen Rechtsbrauch stützte sich ja Otto's des Grossen Bruder Heinrich bei seinen Emitürungen; er glaubte der des Königsamtes Würdigere zu sein, da seines Bruders Wiege nicht wie die seinige schon unter einem königlichen Dache gestanden hatte. Allein diese Rechtsanschauung, die ja schon damals nicht allgemein durch- drang, ist uns heute völlig fremd geworden. Wir erblicken in der früheren oder späteren Geburt lediglich einen Zufall, der keinerlei Verdienst oder Nachtheil für den einen oder anderen begründen kanu. Wenn wir deshalb auch sonst den Satz, „Der so auf dem erbe geboren, erbet das erbe“ aufrecht erhalten, so nehmen wir doch von seiner Geltung gerade deu im Weisthum gedachten Fall aus.

Die Reihenfolge, in welcher alle diese Auswahlregeln in Anwendung kommen, ist, wie sich aus dem bisher Gesagten von selbst ergiebt, folgende: Zunächst wird nach der Verwand- schaft und ihrer Nähe gefragt; alsdann erfolgt die Begrenzung eines bevorzugten Kreises nach der Abstammung aus ver- schiedenen Ehen und der Regel von der Geburt „auf dem Erbe“ ; dann wird in diesem Kreise weiter gesiebt nach dem Geschlechte, und endlich wird aus den nun Verbleibenden der Anerbe nach dem Lebensalter herausgegriffen. 1WJ

Alle diese Auswahlregeln können nun bei einem Erbfalle mehrfach in Anwendung kommen. Es hat sich nämlich fest- gestellt, dass einem Bauern, der mehrere Güter besitzt, mehrere Anerben folgen. Der älteste Sohn ist Anerbe im ersten Hof, der zweite im zweiten, der dritte im dritten u. s. w. Jeder der mehrfachen Anerben ist zugleich Abfindling für diejenigen Höfe, die er nicht erhält. Die Abfindungen, die er danach zu zahlen und zu erhalten hat, werden soweit möglich gegen

'“°j So Strui'kmaun S. 90 ff. Scholz S. 13 u. a.

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einander aufgerechnet. Dies praktische System ist auch von den Höfegesetzen aufgenommen. IW)

§ 23.

Von der Person des Anerben wenden wir uns nun zu der Stellung der anderen Miterben, die ihm als Abfindlinge gegen- überstehen.

Der Kreis der Abfindlinge bestimmt sich im wesentlichen negativ. Es sind alle zur Erbschaft berufenen, die nicht Anerbe werden. Sonach deckt sich der Kreis der Abfindlinge mit dem derjenigen Personen, aus deren Mitte der Anerbe hervorgeht, wie wir ihn in den vorherigen Paragraphen zur Darstellung gebracht haben ; es sind die ehelichen Verwandten nach der Folgeordnung des jeweiligen bürgerlichen Rechts, hier mit unbedingten Einschluss der Kinder eines Interimswirthes oder Leibzüchters, soweit nicht die Kinder des Interimswirthes einer erst auf der Leibzucht geschlossenen Ehe entstammen.

Diese Abfindlinge erhalten die Abfindung.

Was Abfindung ist, d. h. über ihre rechtliche Natur herrscht Streit, seit man angefangen hat, das Bauernrecht wissen- schaftlich zu bearbeiten. Und zwar theilen sich die Rechts- kundigen, wie mannigfaltig auch ihre Ansichten in Einzelheiten variiren,lflH) im wesentlichen in zwei Lager. Die einen halten die Abfindung für einen gewöhnlichen Civilerbtheil, sei es vom Hofe, oder nur vom übrigen Vermögen; die anderen dagegeu halten sie für keinen Erbtheil, sondern für einen Ersatz des- selben, für eine Vergütung dafür, dass von allen zur Erbschaft Berufenen nur ein Einziger wirklich Erbe wird, kurz, mit einem vielfach gebrauchten Ausdrucke, für ein Surrogat der Erbschaft.

Vjl ) Frommhold. Anerbenrecht S. 30. Auch das österreichische An- erbengesetz hat »ich dem angeschlossen (llarchet S. 1333). Auch in Bayern ist diese l'ebung vorhnuden. Nur jedes einzelne Haus bildet eine Kinheit. Mehrere Häuser fallen deshalb nicht in das Eigenthum eines Kindes, sondern werden unter mehrere aufgetheilt. (Vgl. Fick S. 120, 127 u. s. w. S. 271).

'*) Eine ausgezeichnete Zusammenstellung der möglichen Ansichten bei Stobbe Bd. V S. 401 ff.

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Nach unseren geschichtlichen Ausführungen, welche ja vor- nehmlich mit der rechtlichen Natur der Abfindung sich be- schäftigten, kann es nicht zweifelhaft sein, dass wir uns zu der letzteren Meinung zu bekennen haben. Der Anerbe ist der- jenige, der allein im Besitze des Familiengutes verbleibt, er ist der alleinige wahre Nachfolger und Erbe seines Vaters. Seine Geschwister erhalten nur eine Unterstützung mit auf den Lebensweg, eine Entschädigung dafür, dass sie aus Genuss and Besitz des Familienvermögens ausschciden und auf ihre Erbtheile verzichten. Bis in unsere Zeit hinein hat man denn auch die Annahme der Abfindung ausdrücklich als einen Ver- zicht auf Erbschaft bezeichnet. 1!W) Und noch heute erklären sich die berühmtesten Autoritäten, wie Stobbe, Beseler, Wigand, ja überhaupt die grosse Mehrheit aller Rechtslehrer für die Auffassung der Abfindung als eines Erbtheilsurrogates.‘J") Von

wo) Vgl. das unten bei der Erörterung über die Wirkung der Ab- findung im § 25 Gesagte. Vgl. ferner Grimm IV, 553 § 16 (Ulflingen im nördlichen Luxemburg): .Item erkennt der scbeffen, wanne ein kind von

seinen vatterlichen gütern sich nbbestadt und auszeugt, dem in dem hausz bleibenden zu verzeighcn (d. h. verzichten) ... in beiseins eines oder zweien oder dreien gerichtsman“. Ferner Essensclie Hobsrecbte bei Sommer Rheinland Bd. II S. 216: .. . . und wert saecke, dat diese vorgcschrieven Havesmann off Haveswiff gekomen weren up dat gut mit vertichniiss der erben vor dem hofe geschehen . . .“

wo) Vgl. Stobbe a. a. O. Wigand, Paderborn § 09, Beseler, Bd. II S. 870 ff., Grefe Bd. I S. 352 ff. (ebenso grundsätzlich Bd. II S. 220 ff.), Steinacker S. 561 ff.. Frank S. 49 ff. Eine Klasse von Rechtsgelehrten, unter denen namentlich Paulsen, Scholz und Frommhold hervorragen, er- klären die Abfindung für eineu Civilerbtheil am geschwisterlichen Werthe des Bauernguts. Wir werden aber bald sehen, dass die Abfindung nach dem geschwisterlichen Werthe nur eine praktische Umgestaltung des Were- systems ist. Ganz unvereinbar mit unserer Auffassung ist aber die Lehre, welche die Abfindung als Civil- oder Naturalerbtheil am Allod hinstellt, wie sie im vorigen Jahrhundert herrschend war, und deren Hauptvertreter Runde ist. Eigenartig ist die Ansicht Kokens. Er betrachtet die Ab- findung als Aequivalent eines bauerrechtlichen Alimentationsunspruches. Da aber dieser von Koken angeführte, bauerrechtliche Alimentationsanspruch nichts anderes ist, als der uns wohlbekannte Beisitz der Miterben oder als das aus der Hausgenossensthaft folgende Recht auf den Mitgenuss der Hausgüter, und da die Abfindung thutsächlich den Entgelt für den durch Ausscheiden bedingten Verlust dieses Mitgenussos darstellt, so deckt sich

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hohen Gerichtshöfen hat gerade das mit Bauernsachen viel be- schäftigte und hoch angesehene frühere hannoversche Tribunal in Celle diese Ansicht vertreten, bis das hannoversche Recht durch preussische Gesetze verdrängt wurde. (Vgl. die Urtheile vom 26. Febr. 1857 und 7. Juni 1861 [Franck S. 54 u. 57]). Den vollendetsten Ausdruck hat diese Meinung aber bei Franck gefunden. Seine AVorte seien deshalb hierher gesetzt:

„Der Anspruch der Abzufindenden auf Theilnahme am Nachlasse, auf Abfindung gründet sich darauf, dass sie Miterben sind; sie müssen Miterben geworden sein, um eine Abfindung fordern zu können.“

„Aber sie können dieses Miterbrecht nur dadurch reali- siren, dass sie für dasselbe eine Zuwendung annehmen, welche an die Stelle ihres Erbrechts tritt. Sie können ihr Erbrecht gewissermassen nur durch Areräusserung desselben verwerthen. Das Miterbrecht ist der Grund und die Voraussetzung des Rechtes auf eine Abfindung; das Recht auf Abfindung aber tritt als ein besonderes neues Recht an die Stelle des dafür hinwegfallenden Miterbenrechts und zwar als ein Forderungs- recht des Abfindlings gegen den Hofannehmer.“ (S. 50).

„Die Abzufindenden sind dann, sobald ihr Recht auf Ab- findung existent geworden ist, nicht mehr Universal- successoren des Erblassers und gelten als solche dann weder dem Hofannehmer noch auch dritten gegenüber.“ (S. 51.)

Nach den neuen Höfegesetzen ist die Natur der Abfindung eine wesentlich andere. Es ist darauf schon wiederholt hinge- wiesen worden. Die Höfegesetze sind lediglich als Theilungs- vorschriften gedacht und durchgeführt; ihre Verschiedenheit vom sonst geltenden Erbrecht bestellt deshalb nur darin, dass sie für die Erbtheilung dem Richter nicht wie sonst freie Hand lassen, sondern ihm Civiltheilung vorschreiben, und dabei deu

die Kokensche Lehre im Grunde mit der nnsrigen. Schwankend ist Pfeiffer. Er reforirt in «einem Werke an der einschlägigen Stelle (,S. •.’;>•> ff.) wesentlich fremde Meinungen, ohne recht eine eigene zu geben, doch blickt durch, dass er hier, wie öfter, der Ansicht Wigands folgt, der bei ihm ungefähr dieselbe Holle spielt, wie der ainpliasimut vir Papininnus bei den spätrömischen Juristen.

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Werth der Erbschaft nicht nach den allgemeinen, sondern nach besonderen, den Anerben begünstigenden Kegeln berechnen. Hier hat also die erste der obeugedachten sich bekämpfenden Meinungen Recht.21'1)

Mit der eben erörterten Frage nach dem Charakter der Abfindung hängt die zweite nach ihrer Berechnung eng zu- sammen. Sie ist denn auch in Verbindung mit jener oben schon eingehend abgehandelt worden. Es wurde dort betont, dass für die Grösse das Bedürfuiss des konkreten Falles mass- gebend ist; einerseits soll der Abfindling soviel erhalten, dass er dadurch befähigt wird, mit Zuhilfenahme seiner eigenen Kräfte im Leben eine wenn auch bescheidene Stellung zu er- ringen; andererseits darf die Abfindung nie so hoch sein, dass sie die Hofkräfte übersteigt.21'-) So war es und ist es noch bei der Abfindung, wenn sie in alter Weise erst beim Eintritt des Bedürfnissfalles gezahlt wird, d. h. erst dann, wenn Sohn und Tochter sich selbstständig machen und sich verheirathen. Anders musste es werden, als man anfiug, die Abfindung all- gemein beim Tode des Vaters zu bestimmen. l)enn daun lag kein eigentlicher Bediirfuissfall vor, sondern ein lediglich zu- fälliger Anlass. Neben dem Bedürfuiss, dass es hier ja gar nicht gab, musste mau deshalb sich noch nach einem anderen Recli- nungsmassstabe umsehen; man fand ihn, indem mau gewisser- massen ein abstraktes Bedürfnis annahm, iudem man feststellte : ein Bauernkind von dem oder jenem Stande braucht so und so viel. Auf diese Weise kam man zu dem System der festen Brautschätze, wo, wie Wigand sagt, jeder Landmann genau wusste, was unter gegebenen Verhältnissen zu einem ordent- lichen Brautschatz gehört. Das wussten aber die Beamten, in deren Händen später meist die Brautschatzbestimnmug lag, nicht so genau; sie mussten deshalb einen andern Anhalt habeu. Diesen fänden die Beamten in dem, ihnen von nichtbäuerlichen

*") Darüber sind alle Commentatoreu der IliSfegcsetze und alle Schrift- steller wie Frommhold, Dernburg, Eccius u. a. einig.

,J#i) Dieser Vorbehalt wird von sämmtliehen Schriftstellern gemacht, auch von denen, welche der Abfindung eine andere rechtliche Natur beilegen als wir. Vielfach ist er auch durch Landesordnungen gesetzliches Recht geworden.

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Erbschichtungen her geläufigen Werthe des Nachlasses. Da ihnen aber anderseits wohlbekannt war, dass die Abfindung den Hof nie über Vermögen angreifen dürfe, so sonderten sie von diesem Werthe zunächst soviel aus, als zur gedeihlichen Weiter- führung der Wirthschaft nöthig war. Der Rest des Guts- werthes wurde dann aber meist gleich getheilt. So wurde die Abschichtung nach dem Weresystem zu der Theilung mit Bruder- und Schwestertaxe, die in Deutschland so überaus verbreitet ist21”) und im Endergebnis mit den heute eingeführteu Theilungs- vorschrifteu der Höfegesetze zusammentrifft. Nie darf man aber vergessen, dass die Theilung nach Bruder- und Schwester- taxe nur eine durch praktische Schwierigkeiten hervorgerufenc Modification des wererechtlichen Abfindungssystems ist; dass dieses deshalb immer wieder zur Anwendung kommt, sobald es möglich wird, d. h. wenn es sich wirklich um eine Abfindung nach eingetretenem Bedürfnis handelt; dass es sonach auch keineswegs ausgeschlossen ist, dass der eine, mehr benöthigende Abfindling auch wirklich etwas mehr als der andere erhält; schlummert doch überhaupt bei jeder Abfindung die Idee wenigstens des abstrakten Bedürfnisses im Hintergründe. Noch heute gilt also für die Theilung grundsätzlich die schöne Wigand' sehe Regel, die auch in Oesterreich bis in die sechsziger Jahre Gesetz wara)4): Der Brautschatz soll „ans den Gütern selbst, aber nach ihrer Grösse und Qualität, und so, wie sie es ertragen können, . . . geleistet werden, in der Weise wie nach altem Herkommen ein fleissiger sparsamer Familienvater seine Kinder versorgte und ausstattete, ohne das untheilbare Haupt- vermögen zu zersplittern und zu ruiniren.“ (Wigand, Pader- born S. 133).

Dass aber auch bei der sofortigen Abschichtung aller Familienmitglieder sich eine Rückkehr von den festen Braut-

203) Die Abfindung nach Bruder- und Schwestertaic oder „geschwister- lichem Werte“ gilt namentlich: in Schleswig-Holstein (PaulsenS. 346), im Ge- biete des bayrischen Landrechts (Gagern S. 12, Sorge! S. 15 ff.), im Gebiete des Bamberger Landrechts (Gagern S. ltt ff.), im Schwarzwald, (Motive Vor- bemerkuug zu Art. 83 ff.), in den Itheinlanden (uach den bei Sommer, Itheinland Bd. II mitgetheilten Urkunden ; vgl. auch Urtheil des Amts Bilstein bei Sommer, Westfalen S. 35 ff.).

*•) Vgl. Marchet S. 1313 ff.

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schätzen zu der billigen Bemessung nach Lage des einzelnen Falles vielfach vollzogen hat, geht z. B. für Bayern aus den Fickschen Untersuchungen mit vollster Deutlichkeit hervor. Ueberall wird dort die doppelte Rücksicht auf die Kräfte des Hofes und auf die Bedürfnisse der Abfindlinge betont. Ganz in alter Weise wird gesagt, dass zuerst daran gedacht wird, dein Uebernehmer das Forthausen zu ermöglichen; zu zweit kommt das Bedürfnis der Abfindlinge in Betracht, allerdings nur deren Gesammtbedürfuiss, nicht wie früher das des Einzelnen, da meist der Einzelne nicht mehr gesondert abgeschichtet wird. Immerhin wird so sehr die Lage des einzelnen Falles berück- sichtigt, dass sämmtliche Berichterstatter vermerken, allgemeine Taxgrundsätze aufzustellen, sei fast unmöglich.3*’) Die Be- rechnungsgrundsätze sind also heute in Bayern fast genau die alten wererechtlichen. Ob sonst die Grundsätze des Wererechts so lebendig sind, dass der Hoferbe immer noch als der einzige Erbe gilt, oder ob die Miterben wirklich Civilerben eines eigenartigen Werthes sind, Hesse sich erst entscheiden nach einer noch viel eingehenderen Untersuchung der thatsächlichen Erbgewohnheiten, als sie vorliegt. Vielfach wird die alte Anschauung noch be- stehen.2113*)

Was die Berechnung der Abfindung nach den Höfegesetzen anlangt, so erfolgt sie durch einfache Theilung des Verkaufs- werthes des Gutes. Der Verkaufswerth wird gewonnen durch Capitalisirung des Ertrages, wie er in der Grundsteuer- mutterrolle angegeben ist. Dabei wählt man aber absichtlich einen zu niedrigen Multiplikator, so dass der zur Theilung ge- langende Verkaufs werth hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, und der Anerbe so bevorthciligt wird. Bevor übrigens der er- mittelte Verkaufswerth ausgesehüttet wird, werden die ding- lichen Schulden von ihm in voller Höhe abgezogen.21"5) Soviel

'■**) Die Belege werden weiter unten gegeben werden.

*“■•) Wenigstens übernimmt der Uutsübernehmer auch beute noch alle Schulden, selbst die Currentschulden (Fick S. 272/273 Text und Anm. 1). (Schrift. (L V. f. S. Bd. B8 S. 177 und 313 [Aus Oesterreich]).

**) Gesetz für Hannover und Lauenburg § 15 ff., filr Westfalen § 17 ff., für Brandenburg § 13 ff., für Schlesien § 14, für Schleswig-Holstein § 14 ff.

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über die Bereehnungsart der Höfegesetze; Eiuzelheiten darüber zu bringen muss um so mehr den monographischen Behand- lungen dieser Gesetze überlassen bleiben, als jene Einzelheiten bei den verschiedenen Gesetzen sehr von einander abweicheu.

Ausser nach dem Massstabe ist aber bei Erörterung der Berechnung von Brautschätzen auch danach zu forschen, welcher Zeitpunkt ihrer Bemessung zu Grunde zu legeu ist. Wenn nämlich der Vater gestorben ist und der Sohn verlangt noch nicht gleich seine Abfindung, sondern bleibt noch vorerst im Hofe und tritt erst nach Jahren mit seiner Forderung hervor, so hat man die Frage aufgeworfen, ob dann der Zeitpunkt des Todes oder der des gestellten Zahlungsbegehrens massgebend ist. Nach altem Recht kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Hier ging ja die Abschichtung nicht schon beim Tode des Vaters vor sich, sondern die Kinder blieben trotz desselben ruhig in dem gemeinschaftlichen B'amiliengute sitzen und sonderten sich erst ans, wenn sich Gelegenheit zur Selbstständigmachung bot. Erfolgte die Abfindung aber erst im Bedürfuissfalle, so handelte es sich bei ihr gar nicht um die Frage „was ist der Hof zu dieser oder jener Zeit werth?“, sondern darum „wieviel ist dem Abfindling nöthig, und zwar jetzt zur Zeit der Festsetzung des Geldes?“ A'7)

Diese Regel gilt heute noch da, wo man noch nicht ver- gessen hat, dass zum Verlangen nach Ablage eigentlich nur das Bediirfniss befuge und der Tod des Vaters erst in zweiter Linie komme, wo man deshalb zwar diesen Tod unter die Gründe jenes Verlangen zu stellen aufnimmt, aber die Fällig- keit der Abfindung nicht ohne Weiteres von ihm ab datirt, vielmehr erst von da an berechnet, wenn sie wirklich begehrt wird, sei es wegen des Erbfalles, sei es wegen der Vcrheirathung etc. Wo man dagegen die Festsetzung der Ab- findungen gleich beim Todesfälle obligatorisch macht und das Stehenlassen derselben unter Verbleiben des Abfindlings im Hofe als Stundung ansieht, muss man den Augenblick des Erb- anlälls zum massgebenden Zeitpunkte machen.

tm) So Koken S. 49.

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Es kann nicht geleugnet werden, dass die erste Weise zwar dem Geiste und Sinne des Bauernrechts gemässer, gleichwohl aber die zweite in Wirklichkeit die häufigere ist. Dies kommt daher, weil die Regierungen ihren Beamten zur Pflicht machten, die Erbtheilungen gleich beim Todesfall abzu- wickeln, wie denn auch heute noch die Auseinandersetzungen sofort nach dem Tode des Erblassers vorgenommen zu werden pflegen. Wo dies aber nicht geschehen ist, wo vielmehr die Ge- schwister in alter Weise zunächst miteinander weiter leben, und erst später einzeln, ein jeder bei seiner Selbstständigmachung, ihre Ablage begehren, da hindert nichts den alten Satz anzu- wenden. Im Uebrigen ergiebt sich, dass überall der Zeitpunkt der Festsetzung und nicht der Zahlung entscheidend ist; erfolgt die Festsetzung, wie jetzt üblich, beim Erbanfall, so gilt dieser Moment; erfolgt sie später, so hat die Berechnung auf die spätere Zeit Rücksicht zu nehmen.®*)

Es kann aber auch Vorkommen, dass die Abfindung vor dem Tode des Bauern bestimmt wird, nämlich bei einer Guts- Überlassung. Auch hier entscheidet zunächst der Augenblick der Festsetzung. Denn der Bauer bestimmt, wie mau auch über den Charakter dieser Gutsüberlassung denken mag, doch in rechtsgültiger Weise, dass seine Kinder in einer ge- wissen, auch für die Zukuuft gütigen Weise, sich in das Gut zu theileu liabeu, und er geht dabei natürlich von dem augen- blicklichen Werthe aus. Allein wenn die Sache vor den Richter kommt, so wird sie ganz anders. Sie kanu an ihn nur ge- langen, wenn die väterliche Theilung auf ihre Richtigkeit zu prüfen ist wegen Nachgeburt von darin übergegangeuen Kindern oder wegen angeblicher Verletzung des Pflichttheils. Dabei ist dann zu bedenken, dass der Vater lediglich die Absicht hatte, seine künftige Beerbung zu regeln, wenn auch durch ein schon jetzt realisirtes Gebot. Er hat also selbst den Zeitpunkt seines künftigen Todes im Auge, seine Bestimmungen beziehen

**) Den Zeitpunkt der Auseinandersetzung lässt entscheiden liuach (S. 129 130); den Zeitpunkt der Erbschaft halten nicht nur regelmässig, sondern grundsätzlich für massgebend: Krauk S. 0(5 uud Scholz S. 85.

▼. Dultsig, GrunderbrcohL 14

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sich auf diesen, und es ist deshalb durchaus angemessen, wenn ihre Nachprüfung auch auf diesen Zeitpunkt Rücksicht nimmt.-'*!

Bei der Nachprüfung auf Grund des Pflichttheilsrechts ist ferner noch zu erwägen, dass hier der Augenblick des Tode? um so mehr entscheiden muss, als da erst von Pflichttheils- rechten und deren Verletzung die Rede sein kann. Der Richter hat also in diesen Fällen jedenfalls den Zeitpunkt der Erbeserledigung zu Grunde zu legen.

Nach den Höfegesetzen ist die Frage nach dem Zeitpunkte, welcher der Berechnung der Abfindung zu Grunde gelegt werden muss, sehr einfach erledigt. Da nach ihnen die Feststellung der Abfindung nichts ist als eine gewöhnliche Erbtheilung, so gelten die allgemeinen civilrechtlichen Regeln über die Zeit, welche für solche Theilung massgebend ist, auch für die Ab- schichtung der Hofkinder.

§ 24.

Bei der Frage nach Erwerb und Fälligkeit der Abfindung haben die früheren Schriftsteller viel mit den römischrechtlichen Begriffen des dies cedens und dies veniens gearbeitet. Als die? eedens nahm man den Todestag des Vaters au, als dies venien? den Zeitpunkt, wo die Auszahlung der Ablage verlangt werden konnte, 3W‘) den man vielfach, um die Hofeskräfte zu schonen, erst spät nach dem Todesfall ansetzte. Vom heutigen Stand- punkte aus, wo die Abfindungen regelmässig schon beim Tode des Bauern festgesetzt zu werden pflegen, lässt sich gegen jene Lehre nicht viel einwenden; vom Standpunkte des strengen Weresystems aus aber ist sie nicht richtig. Die Abfindung ist die Nitgabe beim Austritt aus der Hausgenossenschaft. Fällig wird sie deshalb unter allen Umständen erst bei diesem Au?-

*®) So Kokon a. a. O. Die Festsetzung der Abfindungen durch de; abtretenden Bauern habe nur „oxemplificativen“ Werth. Schlechthin Je:. Zeitpunkt der Uebernalnne lassen entscheiden Stobbe Bd. V S. tot, Wigand, auch Pfeiffer S. 207 ff. (doch mit dem Zugeständnis, dass die Praxis oft ,1 abweichende Ansicht vertreten habe), endlich Scholz S. 121 fl

***) So besonders Scholz § 15 in sehr scharfsinniger Ausführung

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tritt;21") der Tod de» Vaters, eigne Verheirathuug oder sonstige Selbstständigmachung des Abfindlings, sie alle bilden wohl einen Grund, die den Abfindling zu jenem Austritt berechtigen, aber da sie ihn nicht zu dem Austritte zwingen, da er vielmehr ruhig in der Were weiter verbleiben kann, so tritt die Fälligkeit der Abfindung doch erst mit jenem Austritte ein.211) Vorher haben die Abfindlinge zwar auch ein Recht, aber nur das Recht, eine Abfindung zu erhalten, nicht die Befugniss auf eine be- stimmte Summe. Ihr Recht ist deshalb ähnlich, ja gleichartig dem Erbrechte vor dem Erbanfalle.

Wenn man dies festhält, so lösen sich spielend viele Fragen. Es herrscht unter den altern Bauern rechtslehrern leb- hafter Streit darüber, ob die beim Abscheiden des Hof besitzers zwar festgestellte, vom Abfindling jedoch noch im Hofe stehengelasseue Abfindung zu verzinsen sei. Gewöhnlich schliessen die Rechts- lehrer jede Verzinsung aus. Sie setzen dabei gewöhnlich voraus, dass der Abfindliug noch im Hofe wohnen bleibt, und com- pensiren dann gegen den Unterhalt, den er geniesst, seineu Zinsanspruch. Und man wird ihnen hier zustimmen müssen; denn wenn auch die Annahme, es werde compensirt,

nicht zutrifft, da der im Hofe verbleibende Abfindling auch Dienste leisten muss, und man hiergegen den gewährten Unterhalt aufzurechnen hat , so ist eben die Nichtverzinsung der Abfindungen bis zum wirklichen Aus- tritte des Abfindlings einfach eine noch gütige Consequenz des AVererechts, nach welchem vorher eine eigentliche Stundung gar nicht vorliegt und erst jener Austritt die Abfindung fällig, und damit verzinslich macht.

Ist dagegen der Austritt in Wahrheit schon beim Tode des Hofbesitzers erfolgt, hat damals schon der Auszuradcnde das väterliche Haus verlassen und seinen Theil nur aus anderen

21°) So Baseler Bil. II S. S72; Wigand, Paderborn § 74 ff.; Peiffer 8. 267; Frank S. 54 ff.; Frommliold, Anerben echt S. 49; Attest derLippe- schen Regierungskanzlei von 1743 bei Führer S. 79/80.

al) Die Zahlung der Abfindung schiebt denn auch die überwiegende Mehrzahl der Schriftsteller bis zur wirklichen Ausgutung hinaus: Stobbo Bd. V S. 404, Grefe § 64; Bunde S. 206, Puchta 8.37 u. a. m. Anderer Meinung natürlich (vgl. Amn. 209*) Scholz 8. 118 f. und £ 58.

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Gründen noch nicht ausgezahlt erhalten, so ist auch nach dem Wererecht die Abfindung fällig geworden, es handelt sich um wahre Stundung, und es müssen demgemäss Zinsen bezahlt werden.212) Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass einzelne Landesordnungen in Verkennung der die Un Verzins- lichkeit bewirkenden Rechtsgedauken und in beschränkter Rücksicht auf die möglichste Entlastung des Anerben diesen Pall mit dem vorigen über einen Kamm geschoren uud die Ablagen schlehthin für zinslos erklärt haben.

Mit der Fälligkeit der Brautschätze hängt auch die viel * erörterte Frage ihrer Vererbung zusammen.

Wenn man sich an die Lehre vom dies cedens und dies veniens hält, so wird man nach dem Tode des Bauern, als dem dies cedens, die Ausradungen schlechthin vererben lassen, gleich- viel ob sie schon ausgezahlt oder noch nicht einmal begehrt worden sind.213) Mit dieser wirklich aufgestellten Behauptung der Theorie tritt nun die thatsäehlieho Uebung der Bauern- kreise in lebhaften Widerspruch, die nach dem Satze „Was in der Were stirbt, erbt in die Were“ 2U) die Abfindung eines Kindes, das im Hofe verstorben ist, an den Hof zurück- fallen lässt.

Die meisten Schriftsteller erkennen nun diesen Satz als in der Gewohnheit begründet au, mit seiner Rechtfertigung aber hapert es sehr; man beruft sich wieder auf die erforder-

as) Ebenso lassen die Verzinsung erst mit dem wirklichen Austritt beginnen: Stobbe Bd. V S. 404, Steiuaeker S. 553 f., Scholz S. 126, Führer S. 85.

213) So natürlich Scholz S. 40 f.

a4) Dieser Grundsatz ist alt. Er wird noch heute von Beseler und Paulsen citirt. Er findet sich aber z. B. schon in einer Ehepakte von 1581 : „Stirbt ein Kind, ehe es zur Bestade klimmt, das Geld soll daun dem Hause heimfallen und nicht auf die anderen gestorben sein.“ Ebenso Auseinander- setzung von 1652: „Uff Fall aber dieser Kinder eiuer mit dem zeitlichen Tode abginge ohne Leibsserben, sollen die anderen, damit diese Güter nicht allerdings in Abgangh gerathen, zum Erbe nicht zugelasscn werden.“ Del- ta rücker Laudurtho.il von 1688: „Dass der Kinder, so für ihrer Bestattnus

verstorben, Brautschatz der Dorfstette wieder unheimb fallen thete.“ Ebenso Delbrücker Laudurtheil von 1734 (bei Wigand, Paderborn, Bd. 1, S. 112, Nr. 24).

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liehe Begünstigung des Anerben oder spricht auch hier von einer Aufrechnung der Abfindung gegen die vom Hofe geleistete 2s atural Verpflegung.215) Der wahre Grund aber ist ein anderer; er liegt im Werecht, darin, dass die Abfindung, wenn der Ab- findling im Hofe stirbt, gar nicht fällig geworden ist. Dieser hat sich nämlich dann gar nicht vom Familienvermögen abgesondert, er ist im Gesammteigenthume mit seinem Bruder verblieben ; dies consolidirt demnach in dessen Hand, denn ein Antheil, den der Verstorbene vererben könnte, ist ja gar nicht gebildet worden.217)

Dieser Satz ist trotz aller Theorie von der Praxis und der Gesetzgebung treu bewahrt worden. Namentlich letzterer kam er durchaus gelegen bei ihrer Tendenz, den Anerben von jeg- lichen Auszahlungen, welche die Hofskräfte hätten schwächen können, zu befreien. Es konnte eine materielle Ungerechtigkeit bei ihm auch nicht unterlaufen.

Nur ferneren Erben nämlich, nicht etwa den Kindern oder der Ehefrau des Verstorbenen, konnte die Abfindung durch jenen Satz entzogen werden. Denn wie man sieb erinnern wird, schied nach uralter germanischer Sitte der heirathende Haus- genosse, — und nur dieser konnte doch Frau und Kind haben aus dem Hause aus. Mit diesem Austritt aber wurde ja die Abfindung fällig und entweder gezahlt, oder, wenn sie stehen ge- lassen wurde, so handelte es sich um die wahre Stundung einer fest- gestellten Schuld, die natürlich den Erben ebenso gezahlt werden musste wie dem Abfindling selber. Dieser Fall des Hinaus- sebiebens der Brautschatzzahlung trotz Austritts muss eben hier wie überall von demjenigen, wo ein Austritt des Miterben gar nicht erfolgt, scharf geschieden werden. Das tbun denn auch schon die Weisthümer. Denn während sie sonst die obenerwähnte Regel befolgen, führen sie für ersteren Fall aus: (Grimm III 105. § 24). „Wenn einem sein Brautschatz oder Kindesthcii gelobet und nicht bezahlt und er ohne

21 6) Dieses Compenaationarccht kennt selbst Scholz a. a. O. S. 106, obwohl er sonst unbeschränkte Vererbung der Abfindungen zulässt.

41‘) ln Folge des Satzes, dass es beim Oesamuiteigenthum ideelle Quoten uicht gielit (vgl. oben § C bei Amu. 56 ff.).

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Kinder verstirbt, ob nichts desto weniger dem iiberbliebenen ehegatten der versprochene Brautschatz auszufolgen? Was gelobet ist, muss bezahlt werden“. Ist aber ein Aus- tritt gar nicht erfolgt, so ist auch kein Brautschatz „gelobet“ worden.

Es darf nun nicht übersehen werden, dass heutzutage die Abfindung immer schon bei der Hofserledigung „gelobet“ wird. Ihr Stehenlassen würde deshalb heute immer eine Stundung bedeuten. Gleichwohl sind die alten wererechtlichen Sätze über die Unverzinslichkeit und Unvererblichkeit der Ablagen von im Hofe verbleibenden, unverheiratheten Kindern durch die Praxis festgehalten, da sie, der alten Rechtsübung und -Ueberzeugung entsprechend, überdies auch die zweckmässigsten waren ; und auch die Theoretiker haben sie, anknüpfend an die Lehre von der Kompensation gegen die Natural Verpflegung, nicht ver- worfen.218)

Mit der Fälligkeit und der Stundung der Abfindungen häugt endlich auch der Streit um den „Beisitz“ zusammen.

Es herrscht nämlich eine grosse Uneinigkeit darüber, ob der Anerbe befugt ist, einen Miterben, auch wenn dieser nicht will, anszuzahlen. Viele bejahen es, viele verneinen es, und letztere berufen sich auf das Recht des „Beisitzes“.

Darunter versteht man die Befügniss, auf dem väterlichen Hofe gegen angemessene Arbeitsleistungen so lange zu ver-

Me) Im Resultat Übereinstimmend Stobbc S. 404 ff.; Wigand § 77; Delbriieker Landrocht hei Wigand, Paderborn III S. 82 ff.; Delbrücker Laudurtheil von 1746; Pfeiffer S. 275 und die dort Citirten; Steinacker S. 655, Rusch S. 151 ff.; Calenberger Meierordnung Cap. VI § 7; Hildes- heimer Meierordnung § 24. l'eber das Lippesche Recht vgl. Führer S. 79/80. Anderer Meinung sind und lassen schlechthin Vererbung der Abfindungen zu: Scholz a a. <).. Frank S. 5<> und für das moderne Recht auch Frommhold S. 47 48. - Eigenthiimlich ist das Osnabriicker Meierrecht ; Stirbt dort ein Kind vor Auslobung seines kindlichen Tiieils, so fallt sein Theil nicht dem Anerben allein zu. sondern neben ihm auch den Ge- schwistern. welche noch nicht nusgelobt sind oder die Auslobung noch nicht angenommen haben. Es ist dies eine durchaus folgerichtige Oonsequenz des Gesammteigenthums zwischen den Erben und zeigt, wie lange sich dieses lebendig erhalten hat.

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weilen und unterhalten zu werden, als man will.219) Es ist nun nach unseren früheren Darlegungen klar, dass jenes Recht einst in vollem Umfange bestanden hat; denn der Austritt aus der Hausgenossenschaft, die jene Unterhaltsberechtigung ge- währt, war gänzlich frei. Nach dem Tode des Vaters konnte zwar jeder Hausgenosse die Grund theilung verlangen, aber keiner konnte gezwungen werden, die von jener Grundtlieilung so ganz verschiedene Abfindung anzunehmen. Wir haben aber gesehen, dass schon in den Weisthümern ein Zwang die Beladung anzunehmen, auftaucht. Später ist er, getragen von der Tendenz, den Anerben möglichst frei zu stellen, allgemein durchgeführt. Es liegt auch wohl in der Natur der Sache, dass der Anerbe nicht gehalten ist, Arbeitskräfte, die er auf seinem Hofe nicht beschäftigen kann, zu seinem und ihrem wirthschaftlichen Ruin auf dem Gute weiter zu ernähren.22") Aber wenn auch im allgemeinen dem Anerben das Recht der Abfindung gegeben ist, so ist doch nie gestattet worden, dass der Anerbe auch Unmündige mit einer Geld- summe — denn ohne haare Zahlung braucht kein Miterbe das Gut zu verlassen221) fortschicken kann; vielmehr ist stets für sie der Vorbehalt gemacht worden, dass sie „ouch erzogen mugint werden, bis dasz sie alle zu iren jaren koment ungevahrlich“. (Vgl. oben Anm. 93). Nie ist auch die uralte schöne Pflicht des Hofes vergessen worden, dass er als das Familienvermögen die Zuflucht bildet für alle Schwachen und Kranken, ja auch für die Gesunden, wenn sie draussen Schiff- bruch gelitten haben und alt und gebrechlich auf die Scholle der Väter zurückkehren. Und dies darf auch nicht vergessen werden. Denn hierin allein liegt die Rechtfertigung jener

21”) Wir haben Uber die» Recht schon früher berichtet. 10 Anw. 94 und Text dazu und bei Amn. 99). Gesetzlich findet es sich z. B. Calen- berger Meicrordnung Cap. VI § 8, Hildesheimer Meierordnung § 22 und 23. m) Zustiinmend Stobbe S. 404.

m) Wäre er dazu gezwungen, so wäre er verpflichtet, dem Anerben eine eigentliche Stundung zu gewähren. Das hat aber niemand nöthig. denn solche Stundung ist, wie eben gezeigt, dem Bauemrechtc fremd. Vor der Zahlung ist vielmehr der Austritt des Abfindlings noch nicht bewirkt, dieser darf deshalb im Hofe Weiterarbeiten und weiterleben.

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ausserordentlichen Bevorzugung des Anerben. Was soll sie, wozu dient die um jeden Preis geforderte Erhaltung des Gutes, wenn nicht eben diese Erhaltung geschieht im eigensten Interesse aller Familienmitglieder, weil ihnen das Hausgut in des Lebens Fährden und Nöthen den letzten Rückhalt bietet ! In dieser Richtung gilt also noch heute das Recht des Beisitzes.222)

In alle den vorstehend erörterten Fragen nach Fälligkeit, Erwerb, Verzinsung und Vererbung der Abfindungen stehen die Höfegesetze auf einem ganz anderen Boden. Nach ihnen ist ja die Absteuer lediglich ein Erbtheil. Sie wird deshalb erworben schon mit dem Tode des Hofsitzers, ist von diesem Augenblicke an vererblich und spätestens vom Zeitpunkt derErbes- anseinandersetzung an auch verzinslich. Beisitz gewäliren die Höfegesetze natürlich auch nicht. Gleichwohl wirkt der alte Rechtszustand noch mächtig nach. Und wenn sich auch dieGesetze ans Rücksichtnahme auf die conseqnente Durchführung der von ihnen angenommenen Prinzipien nicht dazu haben entschliessen können, den alten Rechtszustand als den regulären aufrecht zu erhalten, so gestatten sie doch dem Vater, ihn durch letztwillige Verfügung wieder einzuführen. Die Gesetze ordnen nämlich ziemlich übereinstimmend an (Hannover § 19 Nr. 2. Branden- burg § 16 Nr. 2. Schlesien § 17 Nr. I. 2. Schleswig-Holstein § 23 Nr. 2): „Wegen Verletzung des Pflichttheils können nicht angefochten werden: Verfügungen des Erblassers, durch welche die Fälligkeit der Erbtheile der Miterben bis zu deren Gross- jährigkeit unter der Verpflichtung des Anerben, die Miterben bis zu diesem Zeitpunkte angemessen zu erziehen und für den Nothfall auf dem Landgute zu unterhalten, hinausgesetzt wird.“ Ja die Landgüterordnung für Westfalen § 19 und namentlich diejenige für Cassel im § 22 haben sogar das alte Wererecht hinsichtlich des Beisitzes auch als gesetzliche Regel behalten.

za) Hiermit stimmen im Wesentlichen alle Schriftsteller überein. Be- sonders schön giebt unsere Auffassung wieder I’nchta S 30 f. Vgl. auch Wigand, Paderborn § 74 bis 76, Steinacker S. 553 ff., Scholz S. 105 bis 108, Führer S. 272 u. a. m. Derartige .Uuterschlupfsrechte* sind noch heute in Bayern üblich, wie in den Fick'schen Schriften verschiedenartig zu lesen ist.

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§ 25.

Nachdem wir uns so über Natur und Berechnung, Fällig- keit und Vererbung der Abfindung, und was damit zusammen- hängt, unterrichtet haben, bleibt uns noch die Wirkung des Brautschatzempfanges zu prüfen.

Zunächst hinsichtlich der Schulden.

Die Schulden haften nach allen kultivirten Rechtsordnungen am Vermögen, sei es am ganzen, sei es, wie einst in Deutsch- land, am beweglichen. Nun haben wir gesehen, dass der An- erbe derjenige ist, der allein im Besitze des hinterlassenen Vermögens verbleibt; die anderen scheiden nach und nach aus ihm aus und erhalten darum auch nicht einmal Thcile von ihm mit; denn was sie mitbekommen, ist ja nur Entgelt fin- den Verzicht auf dies Vermögen. Sonach kann auf die Mit- erben, da sie nichts von dem Vermögen empfangen, auch nichts von den mit ihm verknüpften Schulden übergehen: vielmehr hat diese der Anerbe als der einzige wahre Erbe zu zahlen."')

*°) So schon Urthcil zu Sandwell (namhaftes Gaugericht unweit Münster) hei Grimm III 138, § 23: „Es will ein hausmaun seiner doch t er das erbe Uberlasszen. und dieselbe darauf bestatten; nun ist das erb etlicher müssen in beschwer, wird also nach landrechte gefraget: ob die tochter samt ihrem verheirateten manne dieselben bewegliche schulde nnzunehmen und zu bezahlen schuldig? Darauf erkandt: Da der erlnnann oder welir- vestcr seiner tochter das erb übergelassen, und nicht mohr dann leibes notdurft von dem erbe geniesset, als sey die tochter mit ihrem manne als itzigen wehrfester die uusstehenden glaubwürdigen schulde ohne beschwehr und heylage des vaters zu bezahlen schuldig“. So auch die Vorberathungen zur l’aderborncr Meicrordnung bei Wigand, Paderborn i? 92): „Wie es mit den elterlichen Schulden zu halten, ob sie dem Successor allein zur Last bleiben, die creditores paterni sich an ihn allein halten könnten und müssten? Die Negative stimme nicht mit der Observanz und der Successor habe gewöhnlich auch den grössten Vortheil der ganzen Erbschaft, da die übrigen Kinder nur mit ciuem Geringen in unzinsbaren Terminen ausge- gutet würden.“ So auch schon Pufendorf, Ohserv. Hd. II obs. 33: „In

determinanda autern dote illa . . . ratio allodii ineunda est, cavendumquc, ne possessor praedii, quippe quem aes alienum quoque omne sequi tur, nimis gravetur“. Auch die meisten der modernen Schriftsteller schliessen sich dem an: Husch S. 144 ff. („So wurde im Widerspruche mit

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So ist es bis zu den Höfegesetzen geblieben. Nach diesen, laut deren die Abfindung ja lediglich ein Civilerbtheil ist, lieg- die Sache natürlich ganz anders. Hier sind auch die Abfind- linge wahre Erben und nehmen deshalb auch an den Schulden des Erblassers Theil, nach gemeinem Rechte pro rata, nach preussischem als Solidarschuldner.

Was die Wirkung der Abfindung auf das Erbrecht d> - Abgefundenen anlangt, so ist oben 10 a. E.) bereits gezeigt, wie ihre Annahme anfangs den Verlust jeglichen Erbrecht? herbeiführte, und wie sich dies allmählich zu einem Verluste des Erbrechts „bis auf den ledigen Anfall“ abschwächte. Die Juristen der Receptionszeit haben daran nichts geändert. Im Gegentheil. Da ihnen nämlich der wahre Grund zu diesem Ver- luste des Erbrechtes entgehen musste, so knüpften sie bei ihren Deutungsversuchen an die Wahrnehmung an, dass jener Ver- lust seitens der Abgefundenen öfters durch ausdrücklichen Verzicht constatirt wurde 23 bei Anm. 199). In Ver- kennung des Zusammenhangs sahen sie nun den Verzicht nicht als Folge, sondern umgekehrt als Ursache des Erbrechtsver- lustes an und erklärten diesen aus dem Ständigwerden de? Verzichtes. Aus diesem Grunde wendeten sie die Grundsätze über Verzichtleistungen an, „welche stricti iuris seyen und ultra expressa, und in dessen faveur sie geschehen, ja sogar ultra exeogitata nicht zu extendiren“.-4) Infolgedessen Hessen sie den Verzicht nur so lange eintreten, als diejenigen, zu dessen Gunsten er geschehen, d. h. der Anerbe oder Erben von ihm noch da waren. Damit war auf anderem Wege das System des „ledigen Anfalls“ wieder erreicht, und dies ist heute geltendes Recht. Dies System aber bringt es in dem Falle, wo die Abfindung schon vor dem Tode des Vaters z. B. als An?

deu Prinzipiell des römischen Rechts seihst dritten Personen gegenüber nur der Anerbe, der den Hof mit Schuld und Unsehuld übernahm, als der Repräsentant des gan zen Nachlasses behandelt“); Frank S. öl oben im § 23 citirte Stelle) und S. 62; Puclita S. 102; Stnickmann Beitr.ii 19 S. SS. Anderer Meinung Scholz, obwohl sehr schwankend S. 25, loi 123 und Wigand § 92.

**•) Urtheil des O. A. G. zu Celle vom 0. Fehr. 1728 bei Run l Iuterimswirthschaft.

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Steuer gezahlt ist, mit sich, dass der Ausgegutete bei dem wirklich erfolgten Tode des Bauern nichts mehr fordern kann.225) Daher die grosse Aehnlichkeit der Abfindung mit dem Erbtheil, obgleich sie ein solcher streng genommen nicht ist; daher auch die alte Verwechslung dieses Surrogates des Erbthciles mit diesem selbst.

Nach den Höfegesetzen kann natürlich von einer solchen Wirkung der Abfindung keine Rede sein. Als wahrer Erbtheil äussert sie dort nur diejenige Wirkung, welche die Annahme jedes anderen Erbtheils hat. Die hannoversche Landgüter*

**) Und gerade hierin liegt die eigentliche Bedeutung des Satzes. Denn dass die Abfindlinge von der Erbschaft ihres Vaters zugunsten des Anerben ausgeschlossen werden, wenn die ßeradung nach dem Tode des Vaters erfolgte, ist ohne weiteres klar. Zu den im § 10 citirten Belegen sei hier noch beigefügt ein Zeugniss über die im Jahre 1708 in der Graf- schaft Hoya bestehende Praxis; „Auf Anfrage, ob in hiesigem Amte her- gebracht, wann Eltern ihre Höfe mit Consens des Gutsherrn übergehen, und die übrigen Kinder mit einem Erbtheil abgefunden werden, die Eltern aber ohne Testament oder audere letzte Willensdisposition versterben, da- gegen an Barschaft und Mobilien, so im Hofe erworben, etwas nachlassen, dass die abgefundenen Kinder an solchem Nachlass pro quota participiren, oder ob solcher an den Hof wieder zurückfalle: Gebe ich hiermit zu wissen, dass sowohl im Amte Syke als auch im hiesigen Amte es also bisher ge- halten worden, dass dergleichen Nachlass . . . dem Besitzer derColonie allein verbleibe nud die abgefundenen Kinder davon nichts bekommen, wie ich denn auch nicht, ermangelt, mich solcher wegen bei den benachbarten Aemtern zu Westen und Bnichhuuseu zu erkundigen, welche in solchen Fällen gleiche Observanz mit dem Amte Syke und Hoya haben, zweifle auch nicht es werde dergleichen in deu beiden Grafschaften Hoya durch- gehende hergebracht sein“ (vgl. Pufendorf, observationes . Bd. II obs. 33). Vgl. auch Weisthum von Bökendorf bei Wigand, Paderborn Bd. 1, Del- brücker Landrecht Cap. 2 § 9. ebenda. Das System des ledigen Anfalls haben von neuern Schriftstellern Stobbe 8. 405 ff., Grefe Bd. II S. 207 ff., Steinacker S. 551, Frank S. 54 und Uti ff.. Frommhold S. 45, Struckmann Beitrag 9, Führer S. 59 ff. (mit Belegen aus der Praxis), im Wesentlichen auch Scholz S. 120 ff. Vgl. Uber die ganze Frage die eingehenden Er- örterungen bei Pfeiffer S. 270, wo auch die Meierorduungeu citirt werden, von denen einige das starre Prinzip des gänzlichen Erbverlustes erhalten, die meisten aber das Prinzip des ledigen Anfalls angenommen haben (z. B. die Calenberger Meierordnung Cap. VI § 4). lieber die ältere Praxis, die mit unserer Ansicht übereinstimmte, vgl. die Urtheile des O. A. G. in Celle bei Pufendorf, Observ. Bd. I obs. 83 und Bd. IV obs. 87).

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Ordnung jedocli hat noch eine Erinnerung an die alte Wirkung der Ausradnng hinsichtlich der Schulden, wenn sie im § 16 bestimmt: „Die Erbschaftsschulden sind zunächst auf das ausser dem Hol' nebst Zubehör vorhandene Vermögen anzurechnen. Insoweit sie durch dieses Vermögen nicht gedeckt werden, sind sie von dem Anerben als Schuldner allein zu übernehmen.“ Weiter noch geht das Lippesche Höfegesetz, nach dem der Anerbe principaliter allein alle Schulden zu tragen hat und die Miterben für dieselben nur aushilfsweise pro portione hereditaria und nur bis zum Belaufe des Empfangenen haften.

§ 26.

Es springt in die Augen, dass die bäuerliche Art das Erbe zu theilen, wie wir sie an uns haben vorüberziehen lassen, mit den Grundsätzen des römischen und modernen Pflichttheilsrechts in lebhaften Widerspruch treten muss.

Dass hier das Bauernrecht stärker ist als die fremde, dem deutschen Wesen aufgepfropfte Satzung, ist schon durch den geschichtlichen Verlauf ohne weiteres klar. Denn das Anerben- recht hat sich entwickelt in Zeiten, wo vom heutigen Pflicht- theilsrechte noch nichts bekannt war. Als dieses dann mit dem römischen Rechte nach Deutschland gebracht wurde, stand das Anerbenrecht schon als ein gewaltiger, in der Tiefe des deutschen Rechts- und Wirthschaftslebens wurzelnder Baum da, der schon einem Sturme trotzen konnte. Allerdings war dieser über das nationale Wesen hereinbrechende Sturmwind so furchtbar, dass er noch kräftigere Bäume geknickt hat: aber das Pflichttheils- recht gerade konnte dem deutschen Rechtsgedanken nicht ge- fährlich werden. Denn trotz seines römischen Ursprungs ist es nicht im Widerspruche mit deutschen Anschauungen recipirt worden: im Gegentheil, wie Gierke treffend ausgeführt hat,'^) ist es gerade nur darum aufgenommen, weil es der Erhaltung deutschen Rechtes diente, indem manche „Reste der familien- rechtlichen Gebundenheit des Eigenthums sich in den Rahmen des römischen Pflichttheilsrecht geflüchtet“ haben.

Ät'’; Gierke, Erbrecht im liiii<lliclieii Grundbesitz S. 27.

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Gleichwohl machten die Gerichte in der Zeit ihres stärksten Romanisirens, im lfi. und 17. Jahrhundert, bei Bestätigung bauerrechtlicher Erbtheilungen oft den Vorbehalt, „dass die Legitima gewahrt bleibe“;-'7) aber später, als die germanistische Strömung stärker wurde, ging man allgemein von dem Principe aus, dass das Anerbenrecht als particularc Satzung das gemeine Pflichttheilsrecht breche. Diese Lehre musste durch den oft- erwähnten Hang der Gesetzgebung jener Zeit nach möglichster Begünstigung des Anerben nur noch befördert werden. Die Landesorduungen haben deshalb die Abfindungen oft bis zur völligen Vernichtung des Pflichttheilsrechtes herabgedrückt.

Im Anfänge dieses Jahrhunderts aber, als man daran ging, das Anerbeurecht wissenschaftlich zu bearbeiten, es mit dem übrigen Rechte zu verbinden und iu dessen System eiuzufügen, suchte man auch nach einer Möglichkeit, Anerbenrecht und Pflichttheilsrecht zu vereinen. Pud man fand sie auch. Das gewöhnliche Pflichttheilsrecht ist der unentziehbare Anspruch auf eine Quote des Nachlasses. Ganz ebenso gestaltete man das bäuerliche Pflichttheilsrecht, nur dass man diese Quote nach den besonderen bauerrechtlichen Grundsätzen berechnete, wonach stets die Fortführung der Hofwirthschaft gesichert bleiben muss. Und zwar gab man die Pflichttheilsklage sowohl dem Anerben, wie den Abfindlingen. Diese konnten damit zu niedrige Brautschätze anfechten, jeuer zu hohe. Wie deshalb das gewöhnliche Notherbrecht den Anspruch auf den gemein- rechtlichen Erbanspruch wahrte, so schützte dies neue bäuerliche den Anspruch auf den nach bäuerlichen Grundsätzen jedem Miterben gebührenden Antheil; der Unterschied lag also nur in der Berechnung des Pflichttheils, nicht im Begriffe.2*)

■•07) Vgi jje oben citirte Entscheidung von Lyucker und die zahlreichen Entscheidungen bei Carpzov a. a. O.

**) So Steinacker S. 252 Anin. 0. Kusch S. 130 ft., Scholz S. 50, S. 135 ff. ln der Praxis hatten namentlich die braunschweigischen Ge- richte Gelegenheit sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Sie haben den von uns vertretenen Standpunkt gebilligt. Vgl. Scholz S. 50 Anin. 2 und Oberlandesgericht Braunschweig am 29. April 18t 1 bei Steinacker a. a. O. In der abweichenden Berechnungsart des Pflichttheils liegt ein Doppeltes. Die Miterben können nur anfechteu, wenn ihr Ausgesetztes kleiner ist, als

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Damit hatte schon das alte Recht den Standpunkt erreicht, den die Höfegesetze heute einnehmen, wenn es gilt, sich mit dem Pflichttheilsrechte auseinanderzusetzen. Sie greifen in dasselbe ein, ja es war sogar ihre ausgesprochene Absicht, es zu beschränken: aber sie beschränken es auch nur hinsichtlich der Berechnung des Pflichttheils. Es soll seiner Bemessung nicht der gemeine Werth der Erbschaft zu Grunde gelegt werden, sondern derjenige, welcher nach den besonderen höte- rechtlichen Bestimmungen bei einer Erbtheilung massgebend sein würde, d. h. der in der von uus gekennzeichneten Weise kapitalisirte Ertragswerth.-’9)

Es sei bemerkt, dass auch die Gutsüberlassungsverträge diesem bäuerlichen Pflichttheilsrechte unterworfen siud. Das ist klar, wenn man sie, wie wir, als vorausgenommene Erbes- regulirung ansieht. Jedoch auch wenn man sie anders erklärt, z. B. als Kauf, so ist die Anfechtung doch als inofficiosa donatio möglich, da der Kauf, soweit er erheblich hinter dem wahren Werthe des Gutes zurückbleibt, eine Schenkung darstellen würde. Dass der Anerbe vollends auch zu hohe Abfindungen anfechten kann, ist noch weniger zweifelhaft. Es bietet sich ihm hierzu die römische querela iuofficiosae dotis ja sozusagen von selbst dar. Nur die Begr enzung der Inoffiziosität einer dos ist auch hier das Abweichende vom gemeinen Rechte. Gerade für den Fall der Festsetzung der Abfindungen durch Alten- theilsvertrag haben denn auch die Schriftsteller vornehmlich die Anwendbarkeit des Notherbrechts erörtert.210) Denn für den

ihre, möglicherweise erheblich unter dein gewöhnlichen Pflichttheile zurück- bleibende, Aussteuer. Der Anerbe dagegen kaun anfechten, auch wenn ihm sein gemeiner Pflichttheil unbeschwert geblieben ist. Denn da er nach Hauernrccht mehr zu verlangen hat als diesen, so ist sein bauer- rechtlicher Pflichttheil verletzt. So auch dio angeführten Schriftsteller.

**) Hannover § 18; Westfalen §22, Brandenburg § 15, Schlesien § 16. Schleswig-Holstein § 22, Cassel § 29.

330 ) So namentlich Busch a. a. O. Selbstverständlich ist, dass diese sogenannte querela inoffleiosae douationis seu dotis nicht gleich beim Abtritt des Vaters auf das Altentheil, sondern erst bei seinem Tode angestrengt werden kann, wie Busch treffend ausfiihrt, Vgl. Steiuaker a. a. O., Scholz a. a. 0.

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gewöhnlichen Fall, wo die Brautschätze nach dem Tode des Vaters unter Mitwirkung eines Beamten bestimmt werden, nahm man gerade wegen der Mitwirkung dieses Rechtskundigen an, dass grobe Verletzungen des Pflichttheils nicht mit unter- laufen würden.231)

§ 27.

Die zur Sicherung des Anerbenrechts gegebenen Rechts- mittel sind die allgemeinen erbschaftlicheu.

Der Anerbe fordert sein Gut mit der Erbschaftsklage, ebenso die Miterben ihre Abtindungen. Auch die gemeinrecht- lichen vorläufigen Sicherungsmittel des Erbschaftsbesitzes, das remedium ex lege ultima C. VI, 33 und das intcrdictum quorum bonorum, sind durchaus zulässig.'-'2) Wollte man dagegen das Anerbenrecht als gesetzliches Legat auf eiue Universitas von Sachen auffasseu, so wären für den Anerben natürlich nur die Rechtsmittel der Legatare gegeben. Für das Höferecht trifft dieso Theorie zu, da doit der Anspruch des Auerben nur ein gesetzliches Legat ist, wie oben dargetliau wurde. Da es sich um ein Prälegat handelt, würde gegen die Miterben auch das iudicium fainiliae herciscundae zustehen. Natürlich kann der Anerbe wie jeder Erbe auch die einzelnen Sachen mit der Siugularklage verfolgen und die rei vindicatio erheben, nach den Höfegesetzeu jedoch nur daun, wenn ihm, wie nach dem hannoverschen Gesetz, das Gut sofort aufällt.

231 ) Manche schlossen iu diesem Falle sogar die Anfechtung ganz aus (so Scholz S. 64 ff.), weil durch das Handeln des Beamten die Auseinander- setzung obrigkeitlich contirmirt werde. Das ist nicht richtig. Denn be- kanntlich kann auch eiu von einem Beamten aufgenommeues Testament an- gefochten werden. Keinen anderen Charakter hat die Aufnahme oder Protocollirung der Erbauseinandersetzung. Haben allerdings die Abfindlinge die Auseinandersetzung genehmigt, so kann wegen dieser Genehmigung zunächst nicht die Pflichttheilsklage erhoben werden. Ist die Genehmigung aber in der schuldlos irrtbiimlichen Meinung erfolgt, die Auseinandersetzung sei so, wie sie der Beamte vorgenommen, die gesetzliche, so kann die Ge- nehmigung selbst wegen Irrthums und dann folgeweise auch die Abfindung angefochten werden.

***) Busch S. 151 (er lässt das Recht auf Abfindung durch Verjährung der Erbschaftsklage erlöschen). Scholz S. 100, 104.

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Inwieweit die Plliehttheilsklage gegeben ist, haben wir schon erörtert.

Lebhafter Streit herrscht aber in dem Falle, wo die Ab- findungen durch Altentheilsvertrag festgesetzt siud, darüber ob die Miterben dann ein Klagerecht auf diese Abfindung haben, und welches sie haben.

Die strengen Vertreter der Ansicht, welche die Gutsüber- lassung als Kauf ansieht, sprechen den Abfindlingen hier jegliche Klage ab, da der Kauf als einfacher Vertrag nur Rechte zwischen den unmittelbar Contrahirenden, dem Vater und dem Anerben, erzeuge und für die anderen Kinder res inter alios acta sei.2*') Aber wenn irgendwo, so ist es hier mit den Händen zu greifen, dass die Gutsüberlassung ein Kauf nicht ist und nach dem eigenen Willen der Contrahenten nicht sein kann. Denn wie kann der abtreteude Vater, der sein Hans möglichst genau zu bestellen wünscht, beabsichtigen, seinen jüngeren Kindern jegliches feste Recht gegen ihren Bruder zu ent- ziehen! Nein, er will auch diese durchaus sicher gestellt wissen; er will, dass nicht nur er auf Zahlung des Geldes dringen könne, sondern dass jene gleichfalls dazu im Stande sind, auch wenn er selbst nicht mehr über die Ausführung des Vertrages zu wachen vermag. Deshalb muss er darauf aus- gehen, ihnen eiu selbstständiges und eigenes Klagerecht zu ge- währen; und der Anerbe muss, um den Vortheil der Gutsüber- gabe einzuheimsen, sich dieser Absicht fügen, so dass also in der Tliat der beiderseitige Vcrtragswille auf jenes selbstständige Klagerecht der Miterben abzielt.

Die Praxis hat es denn auch mit geringen Schwankungen stets zugestanden. Sie hat sich dabei zum Theil auf

die Auffassung des Leibzuchtvertrages als eines Vertrages zu Gunsten Dritter gestützt. Aber diese Stütze war schwach, da es ja bis zum bürgerlichen Gesetzbuche be- kanntlich selbst sehr ungewiss war, ob Verträge zu Gunsten dritter diesen ein eigenes Recht gewähren. Am besten ver- einbar mit allen praktischen Consequeuzen zeigt sich deshalb auch hier wieder die Lehre von der suecossio antecipata. Denn

a3) So iiameuilich l'udita t>. 110 ff.

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wenn die Gutsabgabe lediglich eine vorausgenommene Erb- regelung ist, so ist der Anspruch der Miterben mit dem Erb- ansprnche identisch. Sie fordern deshalb ihre Abfindungen mit den erbrechtlichen Rechtsmitteln. Dass der Anspruch inhaltlich auf die im Auszugsver trage normirte Summe beschränkt ist, rührt daher, weil der Vater ja das Recht hat, den Erbtheil durch Testament oder divisio parentum auf eine bestimmte Summe zu begrenzen, und dies Recht unter Bauern schon beim Zuge auf die Leibzucht durch den Altentheilsvertrag wie durch ein Testament ausüben darf. Wem eine erbrechtliche Klage bei Lebzeiten des Erblassers ungeheuerlich erscheint, wer sich mit dem Gedanken nicht befreunden kann, dass der Auszügler durch seinen Abtritt gewissermassen sich selbst zum bürgerlichen Tode verurtheilt (vgl. oben bei Anm. 187), der mag den Alt- sitzer, so lange er lebt, allein über die Ausführung seines Ver- trages wachen lassen, aber nach dessen Tode kann auch er den Miterben die selbstständige Klage nicht weigern.

Ob neben diesen Klagen zur Sicherung der bauerrecht- lichen Ansprüche noch besondere Mittel gegeben sind, nament- lich ob die Miterben einen dinglichen Anspruch an das Gut wegen ihrer Abfindung haben, d. h. ob diese eiuc Reallast ist, darüber besteht unter den Sachkundigen grosse Uneinigkeit.314)

'2M) Als Rcallast behandeln die Ablagen: Wigand, Paderborn § 72; Runde S. 206 ff.; Rusch S. 147. Eigentümlich ist die Ansicht Steinackers. Er sagt Anm.2 aut S. Mil): »Den Abzufindenden kömmt bis zu ihrer Befriedigung ein aus dem Miteigeuthumu hervorgehendes dingliches Recht am Uute zu, welches sich unter andern auch durch den Vorzug der Erbgelder im Con- curse oder eigentlich durch das ihnen darin gebührende Separationsrecht äussert.“ Danach würde also auch der nach dem Tode des Vaters aut' dem Hofe seines Bruders fortlebeude Abfindling bis zu seinem wirklichen Austritt und bis zur Zahlung der Abfindung Miteigenthiimer des Hofes bleiben. Das stimmt ausgezeichnet zur alten Stellung des Abfindlings als Uesaimuthäuders am Eainiliengute, aus dem ihn erst der Austritt entfernt. Aber wir haben oben festgestellt, dass allmählich der Anerbe von vornherein zum Alleiu- erben und alleinigen EigenthUtner gestempelt wurde Die Ansicht trifft also nicht mehr zu, sie ist aber ein Zeuguiss dafür, wie lebendig noch die An- schauungen vom Miteigenthum der Hausgenossen fortwirken. Eür die Höfegesetze, wo mit Ausnahme des hannöverschen Gesetzes die Mit- erben wieder zunächst auch das Gut erben und ihr Miteigenthum daran dann erst bei der Auseinandersetzung au den Anerben autreten, trifft aller- dings die Steinackcrschc Ansicht bis zur Auseinandersetzung zu.

v. Uultzig, Urumlerbreoht. 15

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Wir können die Abfindung nicht für eine Reallast halten.235) Sie ist, wenn auch kein Erbtheil, so doch ein Ersatz dafür. So wenig nun der Erbtheil Reallast wäre, so wenig ist es auch die Abfindung; sie stellt vielmehr lediglich eine persönliche Schuld des Anerben und nur des Anerben dar. Dass sie noch durch Hypothek besonders versichert und so dinglich werden kann, ist ja klar. Aber das Concursprivileg, das sie früher unabhängig davon in einigen Theilen Deutschlands hatte, ist durch die Concursordnung aufgehoben.

Die Gefahr, welche diese Ablehnung des dinglichen Characters der Ablagen für die Miterben heraufbeschwört, die Gefahr, dass der Anerbe durch Verkauf des Gutes sie um ihre Abfindungen bringe, wurde in früheren Zeiten dadurch gehoben, dass der Anerbe dasGut überhaupt nicht verkaufen oder per successionem singulärem ver- äussern durfte. Seine Universalsuccessoren mussten aber als Erben seiner Schulden auch die Brautschätze auszahlen. So war praktisch doch jeder Gutsinhaber Schuldner der Abfindung, wie er es bei einer Reallast gewesen wäre, und durch diesen Umstand haben sich selbst Männer wie Wigand dazu verführen lassen,23*1) für die Brautschätze Reallastcharakter in Anspruch zu nehmen.'-17) Und auch heute siud praktisch die Abfindungen meist ding- liche Schulden, da sie fast stets hypothekarisch versichert zn werden pflegen.2*)

Einige Höfegesetze haben denn auch in sehr zu billigender Weise diese praktische Regel zur gesetzlichen erhoben und die Ablagen wenigstens insoweit für dingliche Schulden erklärt, dass sie einen Pfandrechtstitel dafür gewähren. (Westfalen § 20, Schleswig-Holstein § 20, Cassel § 23, Braunschweig § ll).

Ebenso Stubbe Bd. V S. 407.

**) Denn nichts anderes als die Verpflichtung des Sohnes und Universal- successors zur Zahlung der Abfindungen erweisen die Stellen der Meier- ordnung und das Delbrücker Landurthcil. auf welche sich Wigand a. a. 0. beruft. Auf die in deu Besitz des Hofes gelangenden Universalsuccessoren beschränkt die Zahlungsverpflichtung auch Frommhold 8. 47.

‘J3’) Stellenweis auch die Praxis. Vgl. darüber Stobbo Bd. V S. 407.

“"J Der Naehlassrichter nimmt stets den Antrag auf, die Erbgelder hypothekarisch cintragen zu lassen und übersendet sogar von Amtsweget die betreffenden Verhandlungen mit dem Ersuchen um Eintragung.

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§ 28.

Die Gründe, aus welchen das Recht des Anerben und das auf Abfindung erlöschen, sind dieselben, welche die Vernichtung jedes anderen Erbrechts herbeiführen: Enterbung, Verzicht, Klageverjährung, für das gemeine Recht auch Unwürdigkeit.2®)

Sowohl für die Abfindungen wie für das subjektive An- erbenrecht haben aber die Eigentümlichkeiten des Bauernrechts noch besondere Erlöschungsgründe geschaffen. Für die Abfindung ist dies nur der in seinen Folgen schon erörterte Tod in der Were; das subjektive Anerbenrecht geht noch in zwei be- sonderen Fällen verloren : durch Ausheirathen auf einen anderen Hof und durch Unfähigwerden zur Landwirtschaft.

Die Ausheirat brachte, wie wir schon wiederholt betont haben, ja ursprünglich den Austritt aus der Hausgenossenschaft und damit den Verlust jeglichen Rechtes am väterlichen Hofe mit sich. Dies verlor sich später im allgemeinen; allein für den gedachten Fall der Ausheirat auf einen anderen Hof blieb die alte Sitte in beschränktem Umfange lebendig. Regierungen, Gerichte und Rechtslehrer nämlich setzten zwar die übrigen Erben gegen den Anerben rücksichtslos hintenan; allein sie, welche die uralten Grundlagen dieser Be- nachteiligung nicht kannten, hatten dabei doch gewissermassen stets ein schlechtes Gewissen, das nur durch die Rücksicht auf das Staatswohl übertäubt werden konnte. Dieses konnte nun nie dafür sprechen, einem Sohne, der durch Ausheirath einen anderen Hof bereits gewonnen hatte, noch den väterlichen zu billigen Bedingungen hinzuzugeben; vielmehr schien es fürder- samer, auch diesen mit einem tüchtigen Bauern zu besetzen. So wurde die alte Sitte, welche solche Söhne vom Hofe aus-

'2a0) Vgl. Busch S. 151 ff., Scholz S. 129 (Die Verjährung ist immer nur die dreissigjährige der Erbschaftsklage. Von einer zehnjährigen, deren Anwendbarkeit Scholz erörtert, kann gar keine Rede sein. Die von Scholz dafür citirte 1. 1 Cod. si adversus creilitorem passt gar nicht hierher), Struckmann S. 90 ff. und Beitrag VH, wo die Folgen des Verzichts in einer im Wesentlichen auch noch heute zutreffenden Weise behandelt werden, worauf verwiesen werden kann.

15*

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schloss, mit Freuden begrüsst und der Anerbe lediglich aus dem Kreise der im Hofe verbliebenen Kinder entnommen, der Ausgeheirathete aber übergangen, auch wenn er sonst der An- erbe gewesen wäre. Die Abfindung dagegen verlor er nicht mehr.2*’) Hatte er sie allerdings schon vorher und das geschah ja regelmässig bei der Verheirathung erhalten, so war er auch aus diesem Grunde vom Hofe ausgeschlossen, da er dadurch ja auf alle Ansprüche an denselben „bis auf den ledigen Anfall“ verzichtet hatte.

Was die Unfähigkeit zur Landwirtschaft anlangt, so wird sie von allen Schriftstellern als ein Verlustgrund des subjektiven Anerbenrechts aufgeführt; die Gründung dieser Lehre auf das Hofrecht und das Interesse der Gutsherrschaft an der tüchtigen Besetzung des Hofes ist aber, wenn auch nicht ganz verfehlt, so doch nicht tiefgreifend genug. Die Regel stammt vielmehr noch aus den Zeiten, wo der Grund und Boden von der Gemeinde verliehen wurde. An Unfähige erfolgte diese Verleihung nämlich niemals; solche waren deshalb von selbst ausgeschlossen. Denn es ist ein durchaus 1 and rechtlicher, damals entstandener und noch bis heute verfolgbarer Gedanke, dass der Besitz von Grund und Boden nur Tüchtigen gewährt werdeu soll, da er nicht nur Rechte verleiht, sondern auch schwere Pflichten auferlegt gegenüber der Gesammtheit, welcher aller Boden eigentlich gebührt. Zudem ist die Stellung des Grundbesitzers eine obrigkeitliche. Koch heute ist auf seinem Besitzthum jeder selbst die Polizei; auf grösseren Ländereien wird der Grundbesitzer sogar staatlich als Obrigkeit anerkannt; welche Fülle von öffentlichen Be- fugnissen vollends er früher hatte, hat Gierko in seinem Ge- nossenschaftsrecht eingehend dargelegt. Aus allen diesen Gründen hatte der Grundbesitzer eine halbe Beamtenstellung und darum durfte keiner ein körperlich oder geistig siecher oder unehrlicher Mann sein, ebensowenig wie irgend ein Beamter dies sein konnte.

M0) So Scholz S. 123, Struckmann, Beitrag 9, Steinacker S. 550. Vgl. auch Calenberger Meierordnung Cap. V, § 3: .Die mit einem Hofe nicht

versehenen Kinder oder Anverwandten haben jedoch vor denen, die am andere Hofe gekeirathet, ein Vorzugsrecht.“

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Das Interesse der Grundherrschaften hat dann später zur Erhaltung dieser Sätze allerdings viel beigetragen. Allein die Grnndherrschaften haben hier wie sonst nicht anderes gethan, als dass sie sich an die Stelle der alten Markgenossenschaften setzten, und die öffentlichen Interessen, deren Wahrung bisher jenen obgelegen hatte, zu ihrem eigenen Vortheil verfolgten, um schliesslich selbst wieder diese Wächterschaft an das ge- meine Beste des modernen Staates abzngeben.241)

Nach den Höfegesetzen gelten die vorerwähnten allgemeinen Erlöschungsgründe: von den besonderen bauernrechtlichen haben sie in beschränkter Weise den Tod in der Were (vgl. oben § 24) und die Unfähigkeit aufgenommen. Wenigstens zielt es auf letztere ab, wenn z. B. § 11 des Brandenburgischen Ge- setzes bestimmt:

„Kinder, welche zur Zeit der Erbtheilung wegen Geisteskrankheit oder Verschwendung entmündigt sind, sowie Kinder, welche eine Verurtheilung zur Zuchthaus- strafe und zugleich zum Verlust der bürgerlichen Ehren- rechte erlitten haben, stehen den übrigen Miterben nach.“ (Aehnlich Westfalen § 13, gleichlautend Schlesien § 11.)

Neben diesen Erlöschungsgründen haben aber gerade die Höfegesetze für ihren Geltungsbereich einige neue geschaffen. Es sind dies eigentlich nur mittelbare Verlustgründe der hier betrachteten subjektiven Befugnisse; denn sie betreffen in erster Reihe das Ruhen des objektiven Anerbenrechts. Wenn aber der ganze Complex der höferechtlichen Rechtsnormen nicht in Anwendung kommen kann, so fallen damit auch die daraus fliessenden und darauf fussenden subjektiven Befugnisse fort.

M1) Die wirtschaftliche Tüchtigkeit des Anerben fordern sSmmtliche Meierordnungen : Dolbrücker Landrecht von 1757 Cap. 2 § 4: „Da aber der Anerbe presshaft, ... so fällt das Erbrecht auf den unmittelbar vorhergehenden Sohn“. Dolbrücker Landurtheil von 1734: . . . wenn der jüngste Sohn capabel wäre, dem Hofe vorzustehen . . .“ Calenberger Meierordnung § 8 „Alle Erbfolge in Meiergiitcr setzt voraus, dass der neue Wirth der Stelle gehörig vorzustehen, mithin die davon abzutragende Ge- fälle und zu leistende Prästanda abzuführen im Stande sei“ u. a. ra. Von neueren Schriftstellern vgl. besonders Stobbe Bd. V, S. 375 ff., Pfeiffer S. 218 ff., Hunde S. IG, Frank S. 9, Frommhold S. 39.

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Solches Ruhen des objektiven Anerbenrechts mit allen seinen gekennzeichneten Folgen tritt nun ein:

1) wenn das Landgut kein Landgut mehr ist, d. h. „wenn seine Gebäude zur Zeit des Todes des Erblassers mit einem den Grundsteuerreinertrag übersteigenden Nutzungswerthe zur Gebäudesteuer angesetzt sind“, oder wenn es zur Zeit des Todes wegen Veränderungen im Umfange nicht mehr ein- tragungsfähig wäre;

2) wenn der Erblasser bei seinem Tode nicht mehr allein Eigonthümer ist.242)

§ 29.

Im letzten Paragraphen des dogmatischen Theiles kommen wir endlich dazu zu prüfen, wie die ehelichen Güterverhältnisse auf das Anerbenrecht einwirken.

Es ist dies eine hervorragend wichtige, im Leben überaus häufig vorkommende Frage, zugleich aber auch eine der schwierigsten. Und sie lässt sich nicht anders von einem richtigen Standpunkte ans betrachten, als wenn man auf die gesammte historische Entwicklung des ehelichen Güterrechts zurückblickt.

Die Geschichte des ehelichen Güterrechts ist überaus streitig. Der Verfasser aber ist durch eingehende Studien, deren Wiedergabe er sich leider mit Rücksicht auf den schon zu sehr angeschwollenen Umfang der Arbeit versagen muss, zu der Ueberzeugung gelangt, dass allein Huber in seiner bereits vielfach angezogenen Schrift und Heusler mit der ausgezeichneten Darstellung des ehelichen .Güterrechts, die er in seinen Insti- tutionen (Bd. II S. 292 ff.) giebt, das Richtige getroffen haben. Es ist Staunens werth, wie diese beiden Männer, offenbar ohne sich mit den anderen arischen Rechtsordnungen näher beschäftigt zu haben, lediglich ans ihrem genialen Verständnisse für den Geist des deutschen Rechtes heraus diejenigen obersten Prinzipien aufgefunden haben, deren Richtigkeit ein Blick auf die sonstigen ältesten arischen Zustände ausser allem Zweifel stellt.242*)

***) Hannover § 21. Westplialcn § 25, Brandenburg § 18, Schlesien § 18, Schleswig-Holstein § 24, Cassel § 81.

sw*) Heusler nimmt nie auf Huber Bezug, citirt seine Schrift auch nicht. Ks muss deshalb angenommen werden, dass er sie nicht gekannt

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Wir haben oben 7) schon einiges über die ursprüngliche Stellung der Frauen mitgetheilt; es verdient aber wieder und wieder hervorgehoben zu werden, dass auch die Ehefrau in die Hausgenossenschaft des Mannes eintritt, aus ihrer alten aber ausscheidet. '•M2b) Da alles Recht ursprünglich nur aus der Zu- gehörigkeit zu einer Hausgenossenschaft folgte, so liegt die juristische Bedeutsamkeit jenes Satzes auf der Hand.343) Es ist der Ruhm Hubers und Heuslers, ihn zuerst ausgesprochen und damit den Schlüssel für die gesummte rechtliche Behand- lung der Ehefrau in alter Zeit gefunden zu haben.

Das Wenige, was die Ehefrau in die Ehe mitbrachte, fiel deshalb, da sie als Hausgenossin kein eigenes Vermögen haben konnte, in das Familienvermögen, also in die Verwaltung und später in das Eigenthum des Mannes.343*) Sie erwarb dagegen wie alle Frauen das Recht auf Unterhalt, auf den Beisitz in dem Hausgute der neuen Familie. Ein Theilrecht hatte sie nicht, wie es ja Weiber ursprünglich überhaupt nicht hatten. Für die ältesten Zeiten ist deshalb durchaus richtig jene uralte römische Regel, welche gewiss noch in arische Zeiten hinauf- reicht, dass eine richtige Ehefrau filiae loco stehe.

An dieser Stellung der Ehefrau rüttelten zwei Momente. Zunächst war es die Preisgabe des alten Verbots der Wieder- verheirathnng der Wittwen.344) So lange dies bestand, war zu einer Ausdehnung der Frauenrechte kein Anlass; der Beisitz in den Gütern bis zum Tode genügte völlig allen Ansprüchen. Als aber die Wittwen wieder heirathen durften, musste die

hat und selbstständig auf seine Theorie gekommen ist. Wenn aber zwei bedeutende Männer selbstständig auf den gleichen ticdanken kommen, so ist das ein starker Beweis dafür, wie sehr eine tiefgehende Forschung auf ihn hindrängt.

Huber S. 29.

*•*) Die römische capitis deminutio minima der Haustochter bei Eintritt in eine manus-Elie ist auch so eine Conseqneuz davon, ln einem Augen- blick ist die Tochter in keiner Hausgenossenschaft, also rechtlos.

2<3»j Huber S. 22 ff.

214J Ueber das einstige Bestehen dieses Verbotes vgl. Heusler a. a. O. Ueber die gleichartige Rechtslage bei den Indern vgl. Leists citirte Werke. Das Besteben gleicher Gewohnheit hei den Römern beweist die noch später bestehende sacrale Benachtbeiligung der wiederhei rathenden Wittwe.

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Frage auftauchen, ob nicht auch ihnen, die doch filiae loco standen, bei ihrem dann erfolgenden Wiederaustritte aus dem Hausvermögen eine Mitgabe aus demselben oder ein Theilrecht gebühre, wie es den Töchtern allmählig gewährt war.345) Man sieht, wohin diese Rcchtsentwicklung trieb; sie musste wie bei der Tochter zur Theilung des gesammten245*) Hansgntes, gleichviel ob es von Mann oder Frau herrührte, zwischen letzterer und den Kindern führen und der Frau, die ja filiae loco stand, sogar ein unbedingtes Vorrecht vor den ferneren Verwandten geben.

Diese naturgemässe, aus den alten Rechtsprinzipien folgende Entwicklung des ehelichen Güterrechts, die, soweit sie das Theilrecht betrifft, erst dadurch möglich war, dass Weiber grunderwerbsfähig wurden, diese Entwicklung wurde merk- würdigerweise gerade wieder durch die neue Grunder- werbsfähigkeit der Weiber gekreuzt. Die Voraussetzung zu jener Entwicklung war ja, dass die Frau ihr gesammtes Ein- gebrachtes dem neuen Hausvermögen zu Eigen hingab. Sie hätte demgemäss auch die Liegenschaften, die sie jetzt ein- bringen konnte, hingeben müssen. Dem arbeitete jedoch der von der ehemaligen Unfähigkeit der Frauen zu Grundbesitz noch festgehaltene Gedanke des Stammgutes entgegen, demzufolge die den Frauen mitgegebenen Güter hinterfällig blieben.'-’4:,b)

War aber infolgedessen die Frau nicht fähig, ihr ge- sammtes Vermögen dem neuen Hause zu widmen, so wurde sie auch nicht Hausgenossin. Gerade wie bei den Römern trat also mit der fortschreitenden Rechtsfähigkeit der Frauen eine Lockerung des ehelichen Bandes durch Erschütterung der Haus- genossinnenstellung der Frauen ein ; und das Resultat war auch hier wie da der Ausweg, dass die frühere gänzliche Vereinigung des Mannes- und Frauenvermögens in eine auf Zeit für die Dauer der Ehe verwandelt wurde.-48)

®*8) Vgl. Uber die» allmähliche Aufkommen eines Theilrecht* nament- lich Köhler .Die Gewohnheitsrechte de* Pendschab“ und: Derselbe .Indisches Ehe- und Familienrecht“ in Ztschr. f. vgl. Rechtswissenschaft ßd. 3. s*'’*) Huber S. -J 1 und 33.

*ab) Huber S. 62.

mo) Penn trotz der rechtlichen Verschiedenheiten hat doch sach- lich das römische Dotalsystem mit der deutschen Verwaltuugsgemeinschaft

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Diese beiden Entwicklungstendenzen, Gütereinheit und Gütertrennung, ringen nun miteinander, und es entstehen in- folgedessen die wunderlichsten Mischformen. Welcher der Sieg beschieden war, wurde, wie Heusler treffend ausgeführt hat, im Einzelnen wohl vielfach durch wirthschaftliche Um- stände bestimmt. Im Grossen ist aber auch hier die Rechts- bildung nicht von der Zweckmässigkeit, sondern von den in der Volksseele treibenden uralten Rechtsgedanken bestimmt worden, denn es ist ein stetes, langsames, aber unaufhaltsames Vor- dringen der Gütergemeinschaft zu beobachten. Und dies ist, gerade wie die Vorliebe vieler heutiger Rechtslehrer für die Gütergemeinschaft, welche der Innigkeit des ehelichen Lebens am gemässcsten sei, einfach darauf zurückzufOhren, dass die Gütergemeinschaft nichts ist als die auch der Frau gegenüber vollständig bewirkte Durchführung des Gedankens der Haus- genossenschaft, der von jeher und noch heute tief im Rechts- bewusstsein der Deutschen wurzelt.

In der Gütergemeinschaft tritt die Frau in das Hausver- mögen des Mannes ein; sie verliert deshalb das Sondereigen an ihrem Eingebrachten; dafür erhält sie Gesammthand- berechtigung an dem ganzen neuen Familiengute. Bei kinderlosem Tode eines Elterntheils schliesst deshalb der Ueber- lebende kraft der Gesamrathand alle anderen Erben aus, wie es der Spruch besagt: „Längst Leib, längst Gut“.247) Bei be- kindeter Ehe stehen Eltern und Kinder als Hausgenossen in

Überaus viel Aehnlichkeit, wie eich denn aueb in der heutigen Behandlung die Unterschiede zwischen beiden Gütcrnrten oft nahezu verwischen.

t,~) Dieser Satz ist also keineswegs der Grund des Erbrechts des Ueberlebendeu bei unbehinderter Ehe, indem dies sich etwa aus dem Ständig- werden jenes Satzes als gewohnheitsrechtlicher Niederschlag gebildet hätte, sondern umgekehrt ist die ständige Wiederkehr des Satzes eine Folge jenes feststehenden Erbrechts. Gegen die Schrödersche Methode, viele Rechts- bildungen als gewohnkeitsrechtlichen Niederschlag vou Verträgen hinznstellen, ist überhaupt zu hedeuken, dass die Verträge vielfach das Gewohnheitsrecht nicht schufen, sondern ihrerseits durch das Gewohnheitsrecht in ihrem Inhalt bestimmt wurden. Vgl. z. B. den Leihebrief von 1620 bei Struben, Be- festigtes Erbrecht u. s. w., Anlagen: „. . . soll sonsten der llof nach dieser alten Gewohnheit und Landg e brauch hei den männlichen Erben bleibeu.“

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I

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einer Gesammthand; beim Tode eines Elterntheils erfolgt des- halb Consolidation im Kreise der Hinterbliebenen, welche zunächst meist noch ungetheilt fortleben oder aus den gesetzlich«! Gründen zur Theilung schreiten. Der Massstab der Theilusr ist begrifflich gleichgültig, überdies auch örtlich verschieden.-4 Es ist sonach kein Zufall, wenn das Anerbenrecht zürnest mit der Geltung der Gütergemeinschaft zusammentriffl. Da? Anerbenrecht ist ein Spross der Hausgenossenschaft; und wo diese besonders lebendig geblieben war, musste, wie wir sähet auch die Gütergemeinschaft zum Durchbruch kommen.

Wir werden deshalb bei unserer Betrachtung des Ver- haltens von Anerbenrecht und ehelichem Güterrecht gegen- einander zunächst die Gütergemeinschaft betrachten.

Dabei ist zu scheiden:

1) Es stirbt der Mann. Dann hat die hinterbliebene Frco gleichviel ob das Gut von ihr oder ihrem Manne herrührt. - bei unbekindeter Ehe, wie schon erwähnt, das Recht, den H zu behalten.*4-'4*) Bei bekindeter Ehe hat sie zunächst der Beisitz in den Familiengütern, d. h. sie lebt mit ihren Kindm ohne Schichtung weiter als Leiterin des Hauswesens in soge- nannter fortgesetzter Gütergemeinschaft. Falls sie sich nicht verheirathete, währte nach altem Recht dieser Zustand bis zns

Den grössten Unterschied bilden die Theilung nach Kopitbei! : und die nach Hälften, wo die eine dem parens superstes, die andere J-t Kindern gebührt. Der Unterschied lässt sich aber auch aus den Sitt't der Gesammthand erklären. Die Kopftheilung ist das Ursprüngliche (tri oben Text zu Aura. 09 f.). Die Halbtheiluug kam auf. als man verg»-> dass die Kinder schon hei Lebzeiten des parens mortuus mit in der 0* sammthand stehen. Man liess sie vielmehr jetzt erst hei dessen Tode einrijclt naturgemäss dann in dessen Theil. Dieser betrug die Hälfte, da er c: : der parens superstes bislang als alleinige Gesammthäuder angesehen warr Ein Beleg dafür ist es, wenn Heusler für das Gebiet der westfälischen Halb theilung sagt: „Die Kinder wurden als ein Theil abgeschichtet, befasi- sich also unter sich fernerhin in Gemeinderschaft.“ Die Ansichten, weit e Heusler über die Entstehung der westfälischen Gütergemeinschaft iz Einzelnen aufiihrt, kann ich deshalb nicht tbeilen. Heusler erklärt )-■ auch im Widerspruch mit seinen eigenen sonstigen Prinzipien zu sehr < .* äusseren Zufälligkeiten und zu wenig aus dem Wirken grosser Recht? gedanken.

**•) Vgl. auch unten Aum. 253.

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Tode der Fran. So setzt es schon die lex Thuringorum voraus, welche davon spricht, wie eine Mutter bei ihrem Abscheiden ihren Söhnen „terram dimittit“.248) So halten es auch die Weis- thfimer, welche bestimmen: „Wär aber sach, das si liberben bi enander gewunnint, weder» denn under inen abgät, so ist den kinden ligend und varent guot halb» gevallen, doch s öl lind die kind weder vater noch muoter weders lebet zum teil nit nöten, all dieweil es sich nit verändert (d. h. yerheirathet) es wär denn sach, dass sie wüstlich hus hettint“ (Grimm V, 197, ähnlich V, 198 und oft.)250) Es wird also hier der Eintritt des Anerbenrechts durch das eheliche Gttterrecht bis zum Tode auch des zweiten Ehegatten hinausgeschoben. Später Hess man das Anerbenrecht schon bei Grossjährigkeit des Anerben eintreten und verwies die Wittwe an Stelle des Beisitzes auf das Altentheil. Weiter aber wurde das Miteigen- thum der Wittwe gar nicht berücksichtigt. Es wurde gerade wie das Miteigenthum der neben dem Anerben stehenden Kinder durch besondere Vortheile ersetzt: Dort durch die Abfindung, hier durch das Altentheil.

Mehr hatte die Wittwe von ihrem Eigenthume, wenn sie zur Wiederverheirathung schritt. Dann kam es zu einer wirk- lichen Auseinandersetzung. Sie wurde in der Regel dadurch bewirkt, dass die Wittwe und ihr auffahrender Mann Mahljahre erhielten, Interimswirthe wurden, wie dies oben ausgeführt.

Allein wenn der Anerbe schon zu alt war, so ging diese Art der Auseinandersetzung nicht mehr an. In welcher Art aber sie dann bewirkt wurde, darüber sind die Quellen merk- würdig schweigsam. Es wird dies einfach daher rühren, weil in Praxi jener Fall selten vorkam. Als Grenze für die Mahl- jahre galt das 25., ja das 30. Lebensjahr des Anerben. War er aber so alt, so stand seine Mutter gewiss schon in den Jahren,

249) Das kann nur auf den Beisilz gehen. Denn es sind nach der lei Thuringorum zu wahrem Eigenthum an Liegenschaften die Weiher noch unfähig. Vgl. Heusler Bd. II 8. 288 ff.

*°) Vgl. auch Weisthuui von Kcmichan an der Mosel im Luxem- burgischen (Orimm II, 248): . . doch lieheltnys dem lebenden man oder wybe, das er syne kinder myt dereui gude uuverdeilt zu im belielt bis an syn ende“.

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wo sie keine Lust mehr nach einer zweiten Heirath verspürte, und, wenn sie es getlian hätte, schwerlich den dazu gehörigen andern Theil noch gefunden haben würde. Gewiss wurden auch solche Heirathen durch die Volkssitte missbilligt, und deren Zwang war früher stark genug, auch die Widerstrebenden von derartigen Schritten abzuhalten.2-’1) Später aber sind solche Heirathen sicher allmählig häufiger .geworden, wie sie ja auch heute sich ereignen.

Die dann nüthige Auseinandersetzung konnte nun bei der Untlieilbarkeit desGutes nicht anders erfolgen, als dadurch, dass der Anerbe die Mutter oder diese ihn auszahlte; und zwar war das eine Grundtheilung und nicht eine dieselbe ersetzende Abfindung, da es sich ja nicht uni die Entschädigung von einzelnen, nach- einander aus der Were ausscheidenden Hausgenossen, sondern um die sofortige völlige Auflösung der Were handelte. Dennoch war die Kraft der anerbenrechtlichen Grundsätze so stark, dass sie, wenn irgend möglich, nach Geltung rangen. Der Wittwe als Auszuscheidenden gegenüber waren sie nun schlechthin aus- geschlossen. Aber wenn umgekehrt die Wittwe den Hof über- nahm, so ging es wohl an, dass die Kinder lediglich Ab- findungen erhielten und die Wittwe gewissermassen selbst Anerbin wurde. So ist es namentlich in Westfalen, wo noch das heutige Höfegesetz Aehnliches im Auge hat, gewesen, sowie in manchen Gebieten der Provinz Hannover z. B. der Niedergrafschaft Lingcn.2-’2) Auch die Bestimmungen des § 10 und 17 des Brandcnburgischen Gesetzes zielen trotz ihrer Un- klarheit auf einen gleichen Zweck ab.

x>,j Z. 11. nach dem Osnabrücker Eigenthnmsrecht kann die Ausein- andersetzung lediglich durch Vereinbarung von Mahljahren bewirkt werden. (Vgl. Stnicbmann Heft 1 S. 33 ff.). Ist diese nicht mehr möglich, so kann eben die Auseinandersetzung nicht erfolgen, die Wittwe bekommt keinen Heirathsschein, kann sich also nicht wiederverheirat heu oder muss auf die Leibzucht abtreten (Struckmann. Beitrag XIX S. 105).

'**) Vgl. die Verordnung über dio bäuerlichen Verhältnisse in der niederen Grafschaft l.ingen vom 0. Mai 1823 §41 bei Rudorff, Hannoversches Privatrecht S. 162 ff., wo das Erbrecht de» überlebenden Ehegatten sehr eingehend behandelt wird. 1'eber Westfalen vgl. die dortige Landgüter- ordnimg § 10 ff. Ebenso da» neue österreichische Anerbengosetx hei Mnrchet S. 1333.

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2) Die Frau stirbt.

a) Dann hat bei kinderloser Ehe der Mann wieder das alleinige Erbrecht.231)

b) Bei kindergesegneter Ehe hat der Vater für den Fall der Nichtverheirathuug den Beisitz bis zum Tode, und zwar hier schlechthin ohne Beschränkung durch die inzwischen eintretende Grossjährigkeit des Anerben.

Für den Fall der Wiederverheiratliung wollen einige Schrift- steller dem Vater die Fortsetzung des Beisitzes oder der ver- längerten Gütergemeinschaft nicht mehr gestatten, sondern ihn zu einer Auseinandersetzung gleich der Wittwe zwingen, indem er sich Mahljahre verwilligen lässt oder das Gut ganz über- nimmt.234) Nun ist es allerdings ein Grundsatz des deutschen Rechts, dass bei der Wiederverheiratliung, weil dadurch eine neue Hausgenossenschaft gegründet wird, mit der alten reine Bahn gemacht, sie gelöst und eine Auseinandersetzung erfolgt sein muss. Aber wo der Zweck dieser Auseinandersetzung, die Rechte der erstehelichen Kinder am erstehelichen Familien-

•“J Im Grunde genommen ist os ja allerdings kein Erbrecht, sondern ein Uebernalimerecht auf Grund des Gesammteigenthums. Wenn wir es gleichwohl nicht als Uebernalimerecht bezeichnen, so geschieht das deshalb, weil man dann glauben kilnute, es existiere daneben noch ein Erbrecht der .Blutsverwandten, welches sich in Abfindungen oder dgl. realisire. Solches giebt es nicht. Denn erstens ist ja gar nichts zu vererben da, weil dor verstorbene Ehetheil kein eigenes Vermögen hatte, vielmehr nur einen Antheil an einer Gesammtiiaml, welcher aber auch nicht einmal dem Erbgang erüffnot wird, da er nicht herrenlos wird, vielmehr dem Ueberlebendeu accressirt bezw. consolidirt. Ferner haben ja aber die Erben des verstorbenen Ehe- gatten, wenn das Gut von ihm herrührt, ihr Erbrecht meist auch aus dem Grunde verloren , weil sie früher von dem Gute abge- funden worden sind. Das Uebernalimerecht ist aber auch praktisch mit einem Erbrecht ganz identisch , da der Uebernebmcr durch Annahme des Gesammthandantheils in die ganze Rechtsstellung des Ver- storbenen einschliesslich der Schulden eintritt. Allerdings giebt es Kochte, in denen die Uinterfdlligkeit der Liegenschaften noch so stark ist, dass diese der überlebenden Wittwe nur zur Leibzucht zufallen. Dies ist ein Zwischen- standpunkt auf dem von uns geschilderten Eutwickelungsgauge zur voll- ständigen Aufnahme der Frau in die Gesammthand des Hauses. Auf ihm sind die Rechte des l’undschab stehen geblieben. (Vergl. Köhler a. a. O.) Aehnlicb die ofterwähuten Essenscheu Hnbsrcchte.

**) Bo namentlich Struckmanu a. a. 0.

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vermögen sicher zu steilen, auch bei Fortsetzung des elterlichen Beisitzes erreicht werden kann, da bildet die Verheiratlmng des Vaters keinen Grund, ihm die Leitung des Hauswesens zu ent- ziehen. Dies ist der Fall in allen Gebieten des Verfangen- schaftsrechts; denn durch dieses ist für Wahrung der Kindes- rechte auch ohne Auseinandersetzung hinreichend gesorgt. Hier bleiben deshalb die Kinder mit dem Vater auch fernerhin ruhig sitzen und erst nach seinem Tode erfolgt die Sonderung der Vermögensmassen und die demnäehstige Vertheilung nach An- erbenrecht, wobei das aus erster Ehe stammende Gut immer die erstehelichen Kinder erhalten.255) Wo dagegen das Ver- fangenschaftsrecht nicht bekannt ist, wie in Westfalen, da muss in der That eine Schichtung vor sich gehen. Ge- wöhnlich erhält auch hier der Vater Mahljahre verwilligt,258) oder er übernimmt, wie oben bei der Mutter ausgeführt , das Gut definitiv.

Soweit die Gütergemeinschaft. Was die Einwirkung der anderen Güterrechte anlangt, so kennen, wie schon betont, alle den Beisitz des überlebenden Elterntheiles und die Iuterims- wirthschafit. Im Uebrigen gehen sie dem Anerbenrechte vor, so dass es nur eintritt, wenn nach den Güterrechten die Kinder zur Uebernahme des Gutes berechtigt sind.

Bei der Gütergemeinschaft dagegen kann man sagen, dass ihr das Anerbenrecht vorgeht oder doch so wenig mit ihr in Conflikt geräth, dass sein Eintritt durch sie nur zeitlich auf- geschoben wird. Nur für den einzigen Fall, dass eine Aus- einandersetzung nach Mahljahren unzulässig ist, wird es auf- gehoben; und auch da wird häufig der übernehmende Elterntheil gewissermassen zum Anerben erklärt.257)

*“) Dies Zusammenleben der erstehelichen Kinder mit dem wieder- verheirathoten parens zeigen violeWeisthümer aus der Gegend des Verfangen- scbaftsrechts: z. B. Grimm II, 248; IV, 504; V, 197.

So in Osnabrück ;stets nach Struckmann a. a. O.) Vgl. Anm. 251.

**) Von Schriftstellern vgl. über die Einwirkungen des ehelichen Güter- rechts: Wigand, Paderborn §65 (zustimmend), Grefe § 65 (dgl.), Scholz S. 90 (dgl.) lieber den alten, österreichischen Rechtszustand, der mit dem von uns geschilderten zusammentrifft, vgl. Marchet S. 1314/1315. Sehr eingehend und treffend behandelt das einschlägige Thema die Lippe'sche Verordnung über die Gütergemeinschaft, wolche Führer S. 333 ff. mitthuilt.

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Nach den Höfegesetzen geht überall das Güterrecht dem Anerbenrechte vor. Dies tritt nur ein für den, der nach dem jeweiligen Güterrechte, zur Uebernahme des ganzen Vermögens berechtigt ist, seien dies die Kinder, sei es der überlebende Gatte. Wer im einzelnen Falle dieser Berechtigte ist, darüber schweigen die Höfegesetze; auch wir müssen deshalb auf die allgemeinen Regeln der ehelichen Güterrechte über diesen Puukt verweisen.**)

Letztere sind beim Höferechte auch noch insoweit wichtig, als sie die Fähigkeit, ein Gut zur Landgütenolle anzumelden, alteriren können. Hierüber haben Frommhold (Anerbenrecht S. 49 ff.), sowie die Commentare der Landgüterordnungen aber so eingehende Ausführungen gemacht, dass wir uns doch nur auf eine Wiederholung derselben beschränken könnten und des- halb auf jene Darstellungen Bezug nehmen.

**) Doch sei bemerkt: Vollständig auf den von uns geschilderten Stand- punkt stellt sich das Cassel'sehe Höfegesetz. Es giebt dem überlebenden Elterntheil unter allen Umständen den Beisitz 24), auch bei Verwaltungs- gemeinschaft (§ 25), eventuell gestattet es ihm auch, den Hof als Anerbe zn übernehmen. An den Beisitz haben auch die übrigen Hilfegesetze einen Anklang, indem sie ziemlich übereinstimmend anordnen: .Wegen Ver- letzung des Pflichttheils können nicht angefochten werden: 1) Verfügungen des Erblassers, durch welche dem leiblichen Vater das Anerben lebenslänglich, der leiblichen Mutter bis zur (irossjährigkeit des Anerben das Recht bei- gelegt wird, den Hof nebst Zubehör nach dem Tode des Erblassers in eigno Nutzung und Verwaltung zu nehmen, unter der Verpflichtung, den Anerben und dessen Miterben, letztere bis zur Auszahlung ihres Erbtheiles angemessen zu erziehen und für den Nothfall auf dem Uute zu unterhalten (Hannover § ly, Brandenburg § 16, Schlesien § 17, Schleswig-Holstein § 23). Leber die westfälische Landgüterordnung ist oben schon gehandelt.

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Dritter Theil.

De lege ferenda.

§ 29.

So haben wir denn das Anerbenrecht, wie es geschichtlich geworden, und wie es heute noch lebt, an uns vorüberziehen lassen; es drängt sich uns deshalb die Betrachtung auf; „Was soll aus ihm in Zukunft werden?“

Es gab eine Zeit, wo man diese Frage erledigt glaubte. In den grössten deutschen Staaten hatte die Gesetzgebung mit jeglichen, auch dem ländlichen Sonderrechte aufgeräumt, und dem war auch das Anerbenrecht zum Opfer gefallen. Man hielt es für unmöglich, dass dies „überlebte Produkt mittelalter- lichen Ständewesens“ je wieder auferstehe; es sollte lur immer friedlich begraben bleiben.

Aber siehe da, die bäuerliche Bevölkerung wusste das grosse Geschenk, das man ihr mit dem „gleichen Recht für alle“ gemacht hatte, nicht recht zu würdigen. Zwar erschollen die Klagen noch nicht gleich; die Bewegungsfreiheit, welche derselbe Satz den Bauern gebracht hatte, war so werthvoll, dass daneben die Verschlechterung des Erbrechts in den Hinter- grund trat, um so mehr als die Bevölkerung nach dem neuen Erbrecht doch nicht lebte, sondern ohne Rücksicht darauf ihre Schichtungen unter Lebenden und von Todeswegen nach der altbewährten Sitte vollzog. Allein allmählich kam der Zwie- spalt zwischen Gesetz und Sitte doch zum Bewusstsein; mehr und mehr brachten missgünstige Familiengenossen die Erb- theiluugsangelegenheiten an die Gerichte, und bei diesen erfuhr daun die staunende Bevölkerung, dass etwas ganz anderes

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Recht sei, als was sie dafür hielten; mehr und mehr wuchs darum die Unzufriedenheit.

Der erste Schlag erfolgte in Hannover. Bis 1866 hatte liier Anerbenrecht zum Theil in sehr strenger Form gegolten. Nach der Annexion sollte auch dort nach preussischem Muster das bäuerliche Sonderrecht beseitigt werden. Dagegen erhob sich heftiger und nachhaltiger Widerstand. Gleichwohl waren die alten Anschauungen im preussischen Landtage noch so stark, dass immer noch au erster Stelle im Gesetz von 1874 ausge- sprochen wurde:

„Auf die Beerbung der Eigentümer von Bauernhöfen findet das sonst gütige Erbrecht Anwendung.“

Dennoch eröffnete das Gesetz in dem Institute der Höfe- rolle einen Weg, die altgewohnte Vererbuugsart aufrecht zu erhalten. Und wie gross die Anhänglichkeit an diese wTar, beweist die Thatsache, dass trotz der Unzweckmässigkeit des Rollensystems zwei Drittel"®) aller Hofbesitzer die Eintragung erwirkten.

Noch bezeichnender als dieses Vorgehen in Hannover, war es aber, wenn auch in den altländischen Provinzen Preussens sich die Bevölkerung gegen das geltende Erbrecht erhob. Denn die Hannoveraner hatten bis dahin das Anerbenrecht als ge- setzliches Recht gehabt und wehrten sich nur gegen dessen Aufhebung. In den alten Provinzen aber hatte schon lange gewöhnliches Erbrecht gegolten, der Landmann hatte sich daran gewöhnen können und bisher auch nicht darüber geklagt. Deshalb war es ein vernichtender Schlag für die Anhänger der Gleich- heit, sehen zu müssen, wie auch hier trotz alledem und alledem die Bauern ihren alten Rechtsvorstellungen treu geblieben waren und nun machtvoll deren Verwirklichung begehrten.

Es ist kein Wunder, dass der Ruf danach zuerst unter allen altpreussischen Provinzen aus Westfalen erscholl, aus der alten Hochburg bäuerlichen Rechts und Wesens. Der west- fälische Bauernverein beantragte durch seinen Sprecher, den verstorbenen Abgeordneten v. Schorlemer-Alst ein bäuerliches Intestaterbrecht beim Landtage. Der Provinziallandtag stimmte

^ Vgl. H. Mayer, die Landgüterordnung für Westfalen, Einleitung.

▼. Dult zig, Urunderbrecbt* lt>

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dem mit grosser Majorität zu. Allein auch andere Provinzen folgten dem westfälischen Beispiel, namentlich die vormals Hessen-Casselschen Gegenden, ebenfalls langjährige Sitze des Anerbenrechts. Die Bewegung wuchs und wuchs, die Wissen- schaft bemächtigte sich ihrer, die Regierungen veranstalteten Enqueten und erliessen Gesetze; die Collegien der landwirt- schaftlichen Sachverständigen wie der Landwirthschaftsrath und die Agrarconferenz empfehlen das Anerbenrecht; selbst die Juristen stimmten ihm auf dem Juristentage von 1895 zu.

Seitdem ist die Frage nicht wieder zur Ruhe gekommen.'-*'5) Es ist aber zu bedauern, dass sie ausserhalb der gelehrten Welt von so gänzlich falschen Gesichtspunkten aus beurteilt wird.

Man sollte es heute, wo die wirtschaftlichen Interessen so überwiegend sich geltend machen, für überjährt halten, wirtschaftliche und Rechtsfragen vom politischen Partei- staudpunkte aus zu betrachten. Und doch ist dies gerade bei der Beurteilung des Anerbenrechts immer nach Brauch. Namentlich sind es die links-liberalen Parteien, welche es mit ihrem „Programm“ unvereinbar glauben ein Anerbenrecht, sei es sonst noch so schön und gut, zu befürworten. Selbst liberale Zeitungen, an denen man sonst einen etwas wissenschaftlicheren

®°) Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch hat allerdings, wie schon be- merkt, von dem Anerbenrecht keine Notiz gonommen. Das Einfiihrungs- gesetz aber hat »eine Annahme der Landesgesetzgebung Vorbehalten, und wenn aus ihm auch die Normutivbestimmuugeu gestrichen sind, welche das frühere Einfiihrungsgesetz treffen wollte, so ist dies, wie aus den Erläuter- ungen des 2. Entwurfes hervorgeht, nicht etwa deshalb geschehen, weil man das Auerbenrecht geringer eingeschätzt hätte als bei dem ersten Entwürfe, sondern gerade umgekehrt darum, weil man sein Wesen mehr erkannt hatte, weil man einsah, dass die Schablone des Einführungs- gesetzes in den meisten Gegenden der geschichtlichen Gestaltung zuwider sein würde, und dass das Anerbenrecht wichtig und stark genug sei, um so, wie es ist, aufrecht erhalten zu werden, ohne in das System des Gesetzes hineingepresst werden zn müssen. Ueber die Geschichte der deutschen Agrarbewegung vgl. namentlich Miaskowski und Gierke, Erbrecht in ländlichen Grundbesitz; auch die meisten Commentarc zu den Landgüter- ordnuugen, so die von Schultzenstein und von H. Meyer, haben darauf be- zügliche Einleitungen. Ueber Oesterreich vgl. daH Referat von Chorinsky in lid. 61 der Schriften des Vereins für Socialpolitik und auch ilarchet.

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Ton gewöhnt ist, wie z. B. die Vossische, vergessen, wenn es das Anerbenrecht gilt, alle höheren Gesichtspunkte und haben nur die eine Sorge, wie sie dem gläubigen Leserkreise die Verwerflichkeit dieses programm widrigen Institutes möglichst drastisch vor Augen führen können.

Zu den erprobtesten Mitteln dieser Art gehört es, das Bild des Bauern heraufzubeschwören, der ein Dutzend Kinder hat, und dessen einer Anerbe darum in Wohlleben schwelgt, während die übrigen elf Kinder hungernd und frierend ins Elend ziehen. Glaubt man wirklich mit solchen lächerlichen Uebertreibungen eine so wichtige Frage wie die des bäuerlichen Grunderbrechts abthun zu können? Es sollte doch bekannt sein, dass man jede Sache ad absurdum führen kann, wenn man sie auf die Spitze treibt. Und die berühmte Geschichte von dem Bauersmann mit den zwölf Kindern ist doch eine recht starke Uebertreibung. Es mag ja hin und wieder Bauern gebeu, die soviel Nachkommen haben; aber mit solchen Ausnahmen kann der Gesetzgeber doch nicht rechnen. Die Statistik lehrt, dass der Landmann gewöhnlich nur vier Kinder hat.'-*1) Daruuter sind im Durch- schnitt doch mindestens zwei Mädchen. Diese verheirathen sich oder finden sonst leicht Unterkunft, jedenfalls können sie in der Regel die Bewirtschaftung doch nicht übernehmen. Hierfür kommen gemeinhin nur zwei in Betracht; und da ist es doch nicht so schrecklich, wenn der eine gezwungen wird, abseits vom Hofe einen nährenden Lebensberuf einzuschlagen , wie dies übrigens in allen guten Bauernfamilien bisher schon längst üblich ist.

Ausserdem aber entspricht das uns vorgemalte Schreckbild noch in anderen Punkten nicht der Wirklichkeit. Wer die bäuerlichen Verhältnisse näher untersucht, dem erscheint es als bitterer Hohn, von dem schwelgenden Anerben und den hungernden Miterben zu reden. Selbst in den klassischen An- erbenländern, wo die Miterben nur eine geringe Abfindung er- halten, haben diese meist doch das bessere Theil erwählt. Bei den Berathungen des neuen Anerbengesetzes für Westfalen ist

VgL z. B. über dio Verhältnisse in Lippe, einem echten und rechten Bauernlande: Meyer, Theiluugs verbot S. 54.

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z. B. mit Recht darauf hingewiesen worden, wie oft die jüngeren Söhne besserer Bauernfamiiien sogar in den Gelehrtenstand eintreten. In der Sitzung des pr. Abgeordnetenhauses vom 23. Februar 1898 führte der Regierungscommissar sogar einen Fall au, wo ein massiger Hof zwei Aerzte, zwei Bergbau- beflissene, einen Studenten und einen Musikprofessor ausgestattet hatte, während der Hofbesitzer keineswegs auf Rosen gebettet war. Mir selbst ist aus meiner Verwandtschaft und Bekannt- schaft die Gepflogenheit vieler Bauern vertraut, ihre nicht auf- fahrenden Kinder Lehrer werden zu lassen, die zum Theil als Rektoren ein recht behagliches Dasein führen. Man sieht also, dass die „Enterbten“ keineswegs immer die Reihen der Proletarier vermehren, wie behauptet wird. Selbst wenn sie aber Arbeiter werden, sind sie noch nicht so zu bedauern. Cm z. B. die Lippeschen Verhältnisse zum Vergleich heran- zuziehen, so werden die dortigen jüngeren Söhne oft Ziegel- arbeiter. Schon vor hundert Jahren konnten diese sich manchen Luxus gestatten, den selbst der Grossbauer, wenn er neben Zinsen und Lebensunterhalt noch etwas zurücklegen wollte, nicht mitmachen durfte. Die früheren, dortigen Mandate gegen das Tragen feiner Tuche etc. sind zunächst gegen diese „Tagelöhner“ gerichtet. Und auch heute ist es nicht anders;2®) vielfach lebt der „glückliche“ Hofserbe für seine Arbeit auf dem Felde vom Morgengrauen bis zur sinkenden Nacht, für seinen Kampf mit der Ungunst des Wetters und des Marktes schlechter als die Miterben, die von solchen Zufälligkeiten nicht betroffen werden.2®*) Ja in Bayern, wo die Miterben durch das An- erbenrecht angeblich so furchtbar benachteiligt werden, können sie sich nur Glück dazu wünschen, wenu sie nach der Schilderung unserer Politiker vom Hof „ins Elend ziehen“ und Fabrik- arbeiter werden müssen. Denn der Bauer hat es viel schlechter als sie. Die Berichte der jüngsten Agrarenquete in Bayern263)

*°) Vgl. Meyer, Theilungsverbot S. 92, 86 f. etc. aefc) Vgl. über die gleichen Verhältnisse in Mähren: Schriften des V. f. S. Bd. 75, S. 183.

30 ) Eine sehr gute, kurze Uebersicht über die Ergebnisse dieser Enquete giebt die .Tägliche Rundschau“ in einer ihrer, auch sonst bedeut- samen, wirthscbaftlichen Beilagen in No. 302 N. vom 25. Dec. 1895. Die

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sind voll von Klagen über die jämmerliche Lebenshaltung der Bauern. Wenn, so heisst es dort, „ein einziger Fabrik- arbeiter sich mit der Kost begnügen müsste, wie Dutzende von Bauern sie sich nicht anders gestatten können, so würden darüber alle Zeitungen voller Klage sein.“ Die Ernährung des Bauern wird sogar als eine solche bezeichnet, „die man in den meisten Gegenden für einen Hund niedrigster Sorte für zu schlecht halten würde.“

So kann man keineswegs sagen, dass der Hoferbe unbillig bevorzugt wird. Trotz aller scheinbaren Bevorzugung zieht er unter heutigen Verhältnissen immer noch das schlechtere Loos ; und wenn die schöne Anhänglichkeit der Deutschen an den er- erbten Grund und Boden, an das Familienheim nicht wäre, so könnte es bald geschehen, dass jeder lieber Abfindung als An- erbe sein möchte. Aber auch wenn die Verhältnisse sich bessern sollten, bleibt die Erzählung von den darbenden Miterben ein Märchen. Denn es darf nie vergessen werden, was wir schon wiederholt betont haben, dass die Miterben an dem Blühen und Gedeihen des Hausgutes, an der gesicherten Stellung des Hof- annehmers selbst das lebhafteste Interesse haben, da sie eben nicht in die Fremde zu gehen brauchen, sondern Unterhalt auf dem Hofe fordern können und in Krankheit und Xoth auf ihm eine Zuflucht fiuden.

Sonach wird es besser sein, wenn bei künftigen Be- sprechungen des Anerbenrechts das Gespenst des Bauern mit der grossen Nachkommenschaft unbehelligt bleibt Aber selbst wenn die ganze rührende Geschichte nicht so in allen Punkten mit der Wirklichkeit in Zwiespalt träte, wenn sie dennoch Wahrheit wäre, so sind wir hart genug, elf Kinder zu Proletariern zu machen, damit wenigstens eines ein tüchtiger Mann bleibe; wir können nicht einsehen, wie es besser sein

folgenden Citate sind aus dieser Nummer. Die Enquete liegt noch in zwei weiteren, mehr wissenschaftlichen Bearbeitungen vor. Die eine, für unsere Zwecke vielfach zu gedrängte, findet sich in Schmollers Jahrbüchern de 1896 S. 89 ff. Die andere steht in Band 73 der Schriften des Vereins für Socialpolitik S. 90 ff.

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sollte, wenn alle zwölf Proletarier werden, was sonst unver- meidlich wäre.263*;

§ 31.

Noch eine zweite doktrinäre Erwägung wird aber gegen das Anerbenrecht ins Feld geführt. Es ist das „gleiche Recht für alle“, dem das „Produkt des mittelalterlichen Ständerechts“ soll weichen müssen.

Was es mit „dem Produkt des mittelalterlichen Stände- rechts“ auf sich hat, glauben wir im geschichtlichen Theil genugsam ausgeführt zu haben. Der Wahn ist gründlich zer- stört worden; es ist gezeigt, wie das Anerbenrecht aus dem Bau der ältesten Familie, der die feste Grundlage auch für unser ganzes übriges Recht abgegeben hat, sich mit innerer Nothwendigkeit entwickelt hat. Allein auch das gleiche Recht für alle ist doch w’ohl nicht ein unbedingt erstrebenswertes Ideal.

Das Recht soll die Lebensverhältnisse regeln. Es kann aber nicht schaffen; es kann nur sozusagen alle Hindernisse hinwegräumen. Es ist nun klar, dass die in den Lebensver- hältnissen treibenden Kräfte sehr verschiedene Bedingungen ihrer Entfaltung haben. Es ist deshalb ebenfalls klar, dass der diese Entfaltung lediglich fördernde Gesetzgeber sie nicht alle überein behandeln kann. Eine Rechtsordnung, die lediglich auf die Bedingungen städtischen Lebens gestützt ist, wird dem Lande nicht förderlich sein, und umgekehrt. Man kann auch das Beispiel noch spezieller wählen. Gesetze, welche den be- sonderen Bedürfnissen der Industrie, des Handelsstandes, des Handwerks etc. genügen wollen, können nicht allgemein eingeführt werden. Es ergiebt sich also als das oberste Gesetzgebungs-Prinzip gerade nicht die Gleichheit, sondern das Suuui cuique. Es gilt eben von den menschlichen Verhältnissen dasselbe, was auf die Menschen selbst zutrifft: „Wer die Gleichheit will unter den von Natur Ungleichen, der will den Widersinn.“ Allerdings

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sind die Menschen von Natur auch bis zu einem gewissen Grade gleich; so auch die menschlichen Verhältnisse; ein Grundstock gemeinsamer Rechtssätze wird deshalb auch auf alle passen, und namentlich werden dies diejenigen sein, welche ein Rechtsleben überhaupt erst ermöglichen. Darüber hinaus aber bleibt es bestehen: Wer durch das Gesetz den Lebens- verhältnissen freie Bahn schaffen und sie nicht vernichten will, der muss ihre verschiedenen Daseinsbedingungen berücksichtigen. Es bleibt das Suum cuique.

So alt diese Regel ist, so wenig bat man sie beachtet; und doch liegt in ihr das A und das 0 aller Gesetzgebungskunst; viele der heutigen Schwierigkeiten finden in ihr eine Lösung.

Die Römer haben das römische Stadtrecht, das vorzugs- weise Handelsrecht war, auf ganz Italien und zuletzt auf das Reich ausgedehnt. Und selten hat sich die Richtigkeit einer Theorie so gezeigt, wie hier. Das aus den Bedürfnissen des Handelsstandes und der Stadtbovölkerung allein entwachsene Recht musste allen anderen Lebensverhältnissen die Luft nehmen, zu einer einseitigen Entwicklung jener Stände führen, den Bauernstand und die Landbevölkerung aber zer- malmen. Mit furchtbarer Folgerichtigkeit haben die Ereignisse diesen Gang genommen. Grossfinanz, Handel und Gewerbe blühten und haben geblüht, so lange das Reich bestand, Ord- nung halten und seinen Gesetzen Achtung verschaffen konnte. Der Bauernstand lag schon zur republikanischen Zeit in den letzten Zügen; später wurde er derartig unwichtig, dass alles, was wir von der Gesellschaft der Kaiserzeit wissen, uns nur das Leben eines Bankier- und Handelsstandes wiederspiegelt. Schliesslich verschwand der Bauernstand fast ganz und das Reich, dem das Bauernmark ausgesogen war, starb an der Schwindsucht. Es hatte kein Blut mehr, seinen Körper zu ernähren, keine Männer für seine Heere und seine Ver- waltung*4)

“•) Das» das römische Hecht, wie es uns vorliegt, nur auf städtische Verhältnisse zugeschnitten ist, wurde hei den verschiedenen Üonferenzen über Anerbenrecht wiederholt hervorgehoben, namentlich von dem Kegierungs- rath I)r. Hermes in der jtr. Agrarconferenz (S. 220/221).

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Den Germanen war es Vorbehalten, wie sie zuerst gegen- über den reinen Stadtstaaten des Altertliums die Idee des Flächen- staates aus Stadt und Land erfasst haben, so auch, das Suum cuique wieder zu Ehren zu bringen. In den mittelalterlichen Sonderrechten ist das unverlierbare Rechtsprinzip niedergelegt, dass jedes Lebensverhältniss gemäss den ihm innewohnenden Existenzbedingungen geregelt werden muss. Die übertriebene Durchführung dieses Prinzips, die auch zu Sonderrechten für sachlich gleiche und nur örtlich verschiedene Rechtsverhältnisse führte, und die damit heraufbeschworene allzugrosse Zersplitterung des Rechts riefen eine Gegenströmung hervor, welche dem gleichen Rechte des Altertliums ungetheilte Bewunderung zollte. Es war bedeutsam, dass mit dieser Strömuug das ungeahnte Aufblühen der Städte zusammenfiel. Ihre complicirten Ver- hältnisse zn ordnen, reichte das bisherige deutsche Recht nicht aus; und wenn es auch ausgereicht hätte, so hatte es sich nicht die Jurisprudenz erzogen, die fähig gewesen wäre, die ihm innewohnenden Rechtsgedanken zu neuen Sätzen zu ent- falten und so die Lücken des bisherigen Rechts auszufüllen. Auch bot sich ein für städtische Verhältnisse mit Handelsver- kehr ausgezeichnetes Recht in dem römischen bereits fertig dar. Die Städte griffen deshalb zuerst danach, und es ist kein Zufall, dass sie bei derReception überall voranstanden. Die geschulten Juristen aber, welche doch vorzugsweise Söhne der Städte waren und deshalb städtische Verhältnisse vor Augen hatten, erstarben in Staunen vor diesem Recht, dass die Entwicklung ihrer Zeit in so wunderbarer Weise vorausgeahnt und -geordnet hatte. Und da sie jetzt auch die ländliche Richtergewalt in Händen hatten, so wendeten sie dies Recht theils aus Be- wunderung, theils aus Unkenntniss anderer Satzungen, theils aus doctrinärem Streben nach „gleichem“ Recht auch auf dem Lande an. So galt das römische Stadtrecht zum zweiten Male als gleiches Recht für weite Theile Europas.

Allein sofort zeigte es sich auch hier, dass es ein gleiches Recht nicht geben kann. Das Stadt- und Handelsrecht übte seine vernichtende Wirkung auf die ländliche Bevölkerung. Mit grimmen Hass erhob sich deshalb diese gegen das fremde Wesen. Und mit vollem Fug. Wir haben oben über die schädlichen Einflüsse der Theorie von der locatio-conductio

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auf das Bcsitzrcclit der Bauern gesprochen. Wer die Nach- weise daiiir sucht, der lese Gaede’s treffliches Werk über die Verhältnisse in Neuvorpommern und Rügen. Es ist darin ein- gehend ausgeführt, wie durch die Unterstellung der deutsch- rechtlichen Leiheverhältnisse unter die römischen Regeln der Zeitpacht die Bauern allmählich von Haus und Hof getrieben wurden, sodass anstatt des einst überaus kräftigen Bauern- lebens die heutige Latifundienwirtschaft erwuchs. Viel Aelin- liches ist noch vorgekommen. Es war nicht der Fehler des römischen Rechts. Das ist an sich sehr gut. Es war die

thörichte, aus Gleichheitsschwärmerei *■'’) geborene Anwendung dieses Rechts auf Verhältnisse, für die es nicht berechnet ist.

Es folgten bessere Zeiten. Nach dem übermässigen Ro- manisiren wendete sich die Rechtswissenschaft uaturgemäss wieder mehr dem deutschen Recht zu. Die Sonderrechte wurden wieder liebevoll gepflegt. Nur zu sehr. Denn namentlich die Auswüchse des gewerklichen Sonderrechts im Innungswesen riefen im Anfang dieses Jahrhunderts einen Rückschlag hervor. Dieser Rückschlag war aber auch noch tiefer begründet und zwar in dem Aufsteigen des sogenannten dritten Standes.

Der war ein Kind der Städte und bestand in seinen geistig und materiell hervorragenden Theilen vornehmlich aus Gross- und Kleinkaufleuten. Gerade wie nun im 15. Jahrhundert es die Städte und die Handelswelt gewesen waren, welche mit dem römischen Rechte das gleiche Recht hervorgezogen hatten, so wurde dieses auch jetzt von dem städtischen dritten Stande auf den Schild erhoben, der ja auch thatsächlich von der Rechtseinheit den grössten Vortheil hat. Das erste „gleiche Recht“ für einen nationalen Staat, der französische Code, war deshalb ein Ge- setzbuch der Städte, der Geldwirthschaft und des Handelsstandes. Denn selbst in Frankreich wendet sich die Landwirthschaft jetzt von dem vielgerühmten Code ab. In Deutschland war das „gleiche Recht“ stellen weis schon von dem aufgeklärten Ab- solutismus eingeführt, der sich durch Vermittelung der von ihm vertretenen, merkantilistischen Wirthschaftsschule auch mit den

Diese gipfelte in dem Satze, dass alle Statuten so auszulegen seien, ut quam minime distent a iure communi.

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Wünschen der Städte und der Handelswelt besonders vertraut gemacht hatte. Im übrigen brachte auch hier der Sieg des dritten Standes das „gleiche Recht“ zu Wege.266)

Aber auch jetzt offenbarte sich bald die Thorheit jener Regel. In England ist es der gleichen Gesetzgebung, die, obwohl lediglich nach städtischen Verhältnissen zugeschnitten, ohne Rücksicht überall, auch gegen die Landwirtschaft durch- geführt wurde, gelungen, das Land halb zu veröden; in Frank- reich ist der unterschiedslosen Anwendung namentlich des städtischen Erbrechts die masslose Bodenzersplitternng zuzu- schreiben; in Deutschland hat sich, wie schon geschildert, die Landbevölkerung wenigstens im Erbrecht dagegen erklärt, mit allen übrigen Berufen überein behandelt zu werden. Ueber- haupt ertönt gerade in neuerer Zeit der Ruf nach dem Suum cuique, nach dem Sonderrechte wieder vernehmlicher. Man hat eingesehen, dass man mit der an sich berechtigten Reaktion gegen die Rechtszersplitterung zu weit gegangen ist, dass es nicht angeht, Verhältnisse, die ganz verschiedene Lebens- bedingungen haben, über einen Kamm zu scheeren. Und diese Erkenntniss ist nicht nur durchgedrungen, sie hat sich auch in Thaten übersetzt.

Und merkwürdiger Weise war es der Handelsstand, der sonst so für das gleiche Recht schwärmt, der hiermit den An- fang gemacht hat. Er hat sich eben immer durch ein besonders feines Gefühl für das ihm Dienliche ausgezeichnet Er wusste recht wohl, wie sehr er durch ein nicht nach seinen Bedürf- nissen geformtes Recht geschädigt werden könnte, und er hat sich deshalb sein altes Handelssonderrecht gewahrt, obwohl man hier weit füglicher als bei der bäuerlichen Erbfolge von einem „Produkte mittelalterlichen Ständewesens“ hätte reden können. Auch die neueste Arbeitergesetzgebnng ferner ist doch lediglich ein Zeugniss dafür, dass eben nicht das gleiche Recht für alle passt. Ueberhaupt schwillt die Menge der Sonderrechte immer mehr an, je mehr sich die modernen Ver-

*•) Gleicher Ansicht, dass der Sieg des modernen gleichen Hechts der des städtischen Hechts war, ist auch Dr. Grünberg in d. Sehr. d. V. f. Soe. lid. Gl Seile -7 3.

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hältnisse differenziren, je mehr sie deshalb verschiedenartige Regelung erheischen. Das Andrängen der zahlreichen wirth- schaftlichen Interessengruppen, unter denen jetzt namentlich die Handwerker hervorragen, ihr Heischen nach besonderer Berücksichtigung durch die Gesetzgebung hat, so übertrieben es manchmal sein mag, seinen tiefen innern Grund in jenem „Suum cuique“.

So bestätigt die Geschichte, was die Theorie lehrt, dass es ein gleiches Recht für alle nie gegeben hat, nie geben wird noch geben kann. Und in dieser Erkenntniss findet auch der Jahrhunderte alte Streit um das römische und deutsche Recht seinen Abschluss. Er ist im Grunde genommen der Kampf gegen das gleiche Recht; denn er tobt dann besonders lebhaft, w’enn das moderne, auf römischer Grundlage ruhende und städtische Verhältnisse berücksichtigende Recht ohne verständige Ausnahmen auch auf dem Lande beobachtet werden soll. Dem gegenüber zieht sich dann die Landbevölkerung auf das deutsche Recht zurück, welches, dem deutschen Wirthschaftsleben gemäss, einen vorwiegend ländlichen Charakter trägt und die Interessen des Bauern wahrt. Es wäre aber thöricht, nun das deutsche Recht zum allgemeinen und gleichen erheben zu wollen, es würde für die Städte und die Industrie nicht passen. Nein, jedem das Seine. Den städtischen Verhältnissen das römische Recht oder eines, das auf seinen, für jene immerdar muster- giltigeu Prinzipien aufgebaut ist; dem platten Lande aber sein deutsches Recht, das sich in einer vieltausendjährigen Ge- schichte von den ältesten arischen Zeiten an nicht minder passend für die ländlichen Verhältnisse mit innerer Nothwendig- keit aus ihnen selbst heraus entwickelt hat.287)

4JS7) Auch dieser Gedanke, dass wieder Sonderrechte entsprechend den verschiedenen Verhältnissen geschaffen werden müssten, ist bei den Be- rathungen über Anerbenrecht wiederholt gestreift worden. Namentlich Gierke hat ihn hervorgehoben (Sehr. d. V. f. S. Bd. 58 S. 170/171). Er hat auch ausdrücklich den Mahnruf „Jedem das Seinu“ erhoben. (Ebenda, vgl. auch Agrarconferenz S. 27/28.) Der Verf. bemerkt übrigens, dass er Giorkes und die anderen einschlägigen Ausführungen erst gelesen hat, nachdem er den vorliegenden Paragraphen im Wesentlichen bereits so wie jetat niedergeschrieben hatte, ein Beweis, wie sehr sien diese Gedanken- reihe der rechtsgescbichtlicheu und rechtspolitischeu Betrachtung aufdrängt.

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§ 32.

Nächst, dem Ideale des gleichen Rechts wird endlich nodi ein Drittes gegen das Anerbenrecht ins Feld geführt, das Prinzip der wirtschaftlichen Freiheit. Zunächst verlangt man in dessen Namen im Allgemeinen, der Staat solle auf wirrt- schaftliche Dinge überhaupt nicht einzuwirken suchen; er so!!' sich vielmehr, so viel wie möglich, jeder Einmischung ent- halten.3*)

Aber wenn man diese Forderung streng durchdenkt, so führt sie zur Aufhebung jeder Gesetzgebung. Denn jede Ge- setzgebung, namentlich aber die erbrechtliche, greift in die wirtschaftlichen Verhältnisse ein und hat oft überaus bedeut- same wirtschaftliche Wirkungen.2®) Wenn deshalb der Staat nicht auf jegliche Erbregelung verzichtet, und das hat noch niema: ! von ihm verlangt so mischt er sich doch in wirtschaftliche Dinge ein. Dann ist es aber nicht die wirtschaftliche Freiheit, welche d> Gegner vorschützen, sondern die wirthschaftliche Unfreiheit, unter dies Recht alle zu zwingen, auch diejenigen, deren Ökonomist* Lebensbedingungen es von Grund aus verschlechtert. Es ist deshalb völlig richtig, wenn Sering den Vorwurf, dass dem Bauernstände ein neues Recht aufgenöthigt werden solle, uni- kehrt und den Gleichheitsschwännem zuruft: „Sie wollen nn.-

2ai) Unter anderen sogar auch auf der Agrarconferenz (S. 79) von J-t Generallandschaftsdirektor lton.

az>) Vgl. die treflliclien Worte Tocquevilles, De la democratie -r Ameriqne: „Die Erbgesetze sollten an der Spitze aller staatlichen Ei: richungen genannt werden ; denn sie beeinflussen in ausserordentlicher W- die wirthschaftliche Lage der Vülker, die sich in ihren politischen Gcseit« dann nur wiederspiegelt Sie wirken sicher und gleicliuihssig auf £- menschliche Gesellschaft ein und bestimmen das Loos der künftige' Geschlechter schon vor deren Geburt.“ (Ucbersetzung nach Sehne. ! : und Felber, Anerbenrecht und Lebensversicherung). Die hervorrage-. '. Einwirkung der Erbgesetze gerade auf wirthschaftliche Dinge wird ur.'-c noch eingehend behandelt werden. Vgl. auch Uicrke an verschieden- t Stellen namentlich: Schrift, d. V. f. S. Kd. 56 S. 163 164, .Erbrecht it ländl. Grundbesitz“ und .der Entwurf und das deutsche Recht.

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nicht nur Ihr Erbrecht aufdrängen, sondern sie haben das schon gethan und wir wollen es wieder los sein. So steht die Sache.“ Es ist jedoch nicht blos jene allgemeine Warnung vor Ein- mischung des Staates in wirtschaftliche Dinge, welche aus dem Prinzipe der ökonomischen Freiheit abgeleitet wird ; dieses Prinzip hält man vielmehr auch noch in anderer Weise gerade durch das Anerbenrecht für bedroht : durch ein solches soll nämlich die Dis- positionsgewalt der Hofbesitzer geschmälert werden. Diese Befürchtung ist nicht allein von den gelehrten Gegnern des Anerbenrechts z. B. von den Professoren Brentano und Bücher ausgesprochen worden,'*“' •) sie kehrt nicht nur immer in den Parlamenten wieder,'*®’1’) sie wird vielmehr auch im Bauernstände selbst geteilt, namentlich in Süddeutschland. Wenigstens be- haupten verschiedene der in dem Fick’schen Buche bearbeiteten Be- richte eiue solche Schmälerung. So heisst es in dem einen (S.76): „Das Mittel der gesetzlichen Einführung des Anerbenrechts mit weit- gehender Beschränkung der Dispositionsbefugniss ist ge- rade eine Bestimmung, welche den Bauern erst recht in Harnisch bringen würde.“ Und ein anderer Bericht (S. 77) sagt noch schärfer: „Einen Eingriff in seine Eigenthumsrechte, eine Beschränkung seines freien Willens bei Gutsübergaben in Ueber- einstimmung mit seinen Kindern, eine von seinem Willen unab- hängige allenfallsige Feststellung des Werth es seines Anwesens, dies alles wird der Rotthaler Bauer, so wie er bis jetzt ge- wachsen ist, nur schwer hinnehmen.“ Auch sonst ist es sowohl auf der Agrarconferenz wie auf dem Juristentage von 1895 von sachkundigen Männern bezeugt worden, dass vor allem in Süddeutschland, in Württemberg, Baden und den Hohenzollern- schen Landen eine Abneigung gegen das gesetzliche Anerben- recht auch in den Gegenden mit ungetheilter Vererbung besteht, weil man eine Bindung der Bewegungsfreiheit darin erblickt.280')

2l®*) Bei den Wiener Verhandlungen des Vereins fiir Socialpolitik im Jahre 1894 (Schrift d. V. f. S. Bd. 61 S. 340/341 u. S. 374/376.)

anoiA Vgl. Verhandlung des pr. Abgeordnetenh. vom 33. Febr. 1898. “*•) Vgl. Juristentag de 1895 Bd. 1 S. 28. Vgl. auch die Kode des Abgeordneten Wisser auf der Generalvers. des Ver. f. S. von 1893 (Bd. 58. S. 194 ff.)

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Es Hesse sich demgegenüber zunächst überhaupt bezweifeln, ob die völlige Dispositionsfreiheit wirklich ein so unantastbares Gut ist. Viele Vertreter der Landwirthschaft insbesondere aus den Grossland wirthen legen, das hat sich auf der Agrarconferenz gezeigt, wenig Werth darauf. In meister- hafter Weise ist es dort von den verschiedensten Rednern ans- geführt worden, dass die jetzige Freiheit vielfach nur die unbe- schränkte Möglichkeit bedeutet, sich zu Grunde zu richten, und dass sie zur Zinssklaverei und zur Abhängigkeit von den Lieferanten führt (S. 132 u. 135). Ja von zwei Rednern ist ausdrücklich gesagt worden, dass der rechtlich so gebundene Fideicommissbesitzer in Wahrheit noch der einzige freie Mann auf freier Scholle sei.‘-M9d) Von Theoretikern ferner ist namentlich im Verein für Sozialpolitik mit Recht die Wandlung der An- sichten über die Freiheit des Arbeitsvertrages als Beispiel an- gerufen worden. Auch bei diesem ist man ja zu der Einsicht ge- kommen, dass die völlige Freiheit vom Uebel ist. Es ist darum keineswegs unmöglich, dass einmal zur Wahrheit wird, was Gierke voraussagt : '■**"') „Die Zeit wird kommen, da der Schutz des Grundbesitzes gegen das ihm aus der Verschulduugsfreiheit erwachsende V erderben ebenso als sociales Rechtsgebot empfundeu werden wird, wie heute schon der Schutz der arbeitenden Per- sönlichkeit gegen die Selbstvernichtung kraft eigener Vertrags- freiheit.“

Vorläufig jedoch scheint allerdings die gewaltige Ueberzahl des eigentlichen Bauernstandes ängstlich über der Unverletzlich- keit ihrer wirthschaftlicheu Freiheit zu w,achen.aft,f) Aber wenn dem auch so ist, so giebt es doch gar keinen Grund ab gegen das Anerbenrecht. Denn das Anerbenrecht, wie wir es befürworten, will gar keine Beeinträchtigung der Verfügungsfreiheit. Im Gegentheil. Es ist ja schon seinerzeit bei den Verhand-

aw'1; Nämlich von Gamp u. von v. Hustedt (Agrarconferenz S. 103 u. 163). IJeber die Verwerfung der formalen Freibeit aU eines unbedingten Ideals, vgl. auch Agrarconferenz S. 56. u. öl). Derselbe Gedanke ist auch voc Gierke und Sering in den citirteu Schriften und Verhandlungen wiederholt vertreten worden.

,ete) Allgemeine Ztg., Beilage-Nummer 1S6 S. 3 Sp. 2.

Gleicher Ansicht auch Fick S. 20».

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lungen über die Höfegesetze betont worden und namentlich der Minister Dr. v. Miquel bat es jetzt wiederholt,270) dass durch das Anerbenrecht, solange es nicht als zwingende Erbfolge gestaltet wird, nur eine Erweiterung der elterlichen Verwaltungsmacht eintritt. Der Bauer wird von den Schranken des römischen Ptlichttheilsrechts befreit, während er andererseits an das An- erbenrecht nicht gebunden ist, sondern es durch Testament, Uebergabsvertrag oder dgl. ansschliessen kanu. Wie kann man da über Beschränkung der Verfügungsfreiheit klagen! Brentano will sie allerdings auch bei einem Intestatanerbenrecht in den dabei nothwendigen Schätzungsvorschriften finden. Er verweist darauf, dass durch diese Vorschriften die Miterben daran ver- hindert werden könnten, dem Anerben den Hof so hoch zu be- werthen, als sie wünschen, und fragt dann: „Bedeutet das keine Beschränkung der Dispositionsfreiheit F“270*) Man darf darauf

wohl mit der Gegenfrage antworten: „Bedeutet es keine Be- schränkung der Dispositionsfreiheit, wenn durch die jetzige Gesetzgebung der Anerbe daran verhindert wird, den Hof so niedrig anzunehmen, wie er möchte?“ Mit der Logik Breutanos lässt sich eben nur beweisen, dass Schätzungsvorschriften über- haupt eine Beschränkung für den einen oder den anderen Theil sind, die gegenwärtigen ebenso gut wie die künftigen; da man sie aber nun einmal nicht entbehren kann, wofern man über- haupt die Erbverhältnisse regeln will, so ist die Frage, welche von beiden Schätzungsmethoden angenommmen werden soll, nur eine Frage der Zweckmässigkeit, aber nicht der persönlichen Freiheit. Diese wird von dem Anerbenrecht als Intestaterbrecht, dessen Einführung allein beabsichtigt wird, überhaupt nicht berührt.2701’)

J7n) Agrareonferenz S. «2 '83 u. S. 80 um! in der Sitzung des pr. Ab- geordnetenhauses vom 23. Febr. 1898.

27,*‘) Sehr. d. V7. f. S. Bd. 61 S. 375/876.

*70b} Vgl. auch Sering Sehr. d. V. f. S. Bd. 01 S. 389 u. bei Schmoller, Jahrbuch de 1890 S. 219), Oierke, Allgemeine Zeitung. Beilagenutniner 184 S. 2 Sp, 2. Brunner (Juristentag de 1895 Bd. 2 S. 105), v. Inama-Steruegg (Sehr. d. V. f. S. Bd. Ol S. loo) u. a. m. Die Grosslandwirthe wissen übrigens bereits, dass das Anerbenrecht nur ihre Dispositionsfreiheit erweitert. We- nigstens hat Graf Zedlitz-Trützschler auf der Agrarconferenz (S. 220) be- merkt, dass das Anerbenrecht als Gesetz schon darum werthvoll sei, weil es eine moralische Stütze für ihm entsprechende Testamente abgebe.

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§ 33.

Weder die angeblichen rigorosen Consequenzen des Anerben- rcchts, noch die Idee des gleichen Rechts oder der wirthschaft- lichen Freiheit sind deshalb in der Frage des Anerbenrechts ausschlaggebend. Dass dagegen die Erörterung der wirtschaft- lichen und sozialen Wirkung des Anerbenrechts für seine Zweck- mässigkeit Bedeutung hat, muss zugegeben werden. Anderseits hat man vielfach diesen Punkt zu sehr betont Allerdings wird man nicht das Anerbenrecht einführen, wenn man sich überzeugt hat, dass es schädlich ist. Aber nur, dass dies nicht der Fall, braucht eigentlich nachgewiesen zu werden. Darüber hinaus nämlich erscheint uns als das Massgebende in dem Streite um das Anerbenrecht die Rechtsüberzeugung des Volkes. Denn wenn nur das Anerbenrecht nicht geradezu unheilvoll wirkt, so müsste es vorgezogen werden, sobald das Volk danach begehrt, selbst wenn es sonst nicht besser sein sollte als das gewöhnliche Erbrecht. Bildet doch der Rechtswille des Volkes die einzige feste Grundlage der Rechtsbildung; muss doch auf ihn der Ge- setzgeber bauen, was irgend Bestand haben soll; denn ohne diesen Rückhalt lallt, wie oben ausgeführt, selbst das Schönste und wirtschaftlich Zweckmässigste in sich zusammen.*70’’)

Es ist mit Freuden zu begrüssen, dass sich diese Erkenntniss mehr und mehr Bahn bricht, und dass sie gerade in der vor- liegenden Frage jetzt von allen Seiten in den Vordergrund gerückt wird. Nicht nur auf der Agrarconferenz herrschte Uebereinstimmung darüber, dass die Gesetzgebung an die Volks- überzeugung anknüpfen müsse und das historisch Gewordene nur fort bilden dürfe; nicht nur dort wurde auf die warnenden Bei- spiele des bayrischen Erbgutsgesetzes und des westfälischen Gesetzes von 1836 hingewiesen, klassiche Denkmäler von der Machtlosigkeit gewohnheitswidriger Gesetze;2711*) eine noch auf-

270bj Vgi 0|jen Anm. 83 und Text dazu.

Z7°«) Vgl. die Ausführungen von Glatzel und Winkelmaun (über die Gefahr der Abweichung vom hergebrachten Güterrecht) Agrarconferenz 8. 204 u. 243/244. Vgl. auch 8. 28.

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fallendere Uebereinstiimnung über die höbe Wichtigkeit der VolksBberzcngnng trat auf der Wiener Generalversammlung des Vereins für Soeialpolitik zu Tage, auffallender darum, weil sie auch von den Gegnern des Anerbenrechts getheilt wurde. Es gaben dort nicht allein Gierke, Hermes und Sering die Parole aus „die liechtsregel soll der Rechtsüberzeugung entsprechen“, sondern auch Brentano und Bücher beriefen sich auf die Rechts- überzeugung, um das Anerbenrecht zu widerrathen .270d) Und in der That ist jene das einzig Eutscheidende, und Gierke hat völlig Recht, wenn er sagt:27"') „Für mich giebt es nnr einen triftigen Einwand, .... das Anerbenreeht entspreche nicht dem Rechtsbewusstsein der Nation“, vorausgesetzt, wie gesagt, dass das Anerbenrecht nicht geradezu schädlich wirkt, und das wollen wir vorweg prüfen.

In dieser Richtung ist zunächst behauptet worden, dass es den Anerben zu sicher mache und deshalb Sorglosigkeit und wirtbschaftliche Erschlaffung unter den Bauern verbreite. Es wurde bereits in der Agrarconferenz (S. 244,245) hiergegen treffend geltend gemacht, dass auch dieses Argument wie so viele andere der Widersacher des Anerbenrechts zu viel be- weist, da man damit die Schädlichkeit jedes Erbrechts und jeder Sicherung eines Besitzes begründen könnte.270') Was es ferner mit der Sorglosigkeit und dem guten Leben des Hofannehmers für eine Bewandniss hat, das zu beleuchten hatten wir ja schon Gelegenheit. Es ist aber vor allem auch gar nicht wahr, dass der Bauer in den Anerbengegenden die wirthschalllichcn Fort- schritte nicht mitmache. Es soll nicht einmal grosses Gewicht darauf gelegt werden, dass auf der Agrarconferenz gegen diese Unterstellung einmüthiger Widerspruch sich erhoben hat;271) denn

Vgl. Sehr. <1. V. f. S. Bd. (41 S. 50, 85, 267, 26S, »29, 341, 34S, »67, 377, 3S3 ff. Vgl. auch Sehr. d. V. f. S. Bd. 5S S. 163,164 und S. 202 203 und Brentano Vorwort S. XL.

170') Sch. V. f. S. Bd. 61 S. 329.

mr) Ebenso Thiel in Sehr. d. V. f. S. Bd. 61, S. 246.

■ui) Vg] 105 (Freiherr v. Huene: „Ich möchte für die Bauern in der Gegeud, wo ich lebe, den Anspruch erheben, dass sie grossentheils gut wirthschaften“); S. 16» (lamdesdirektor Höppner: „Daneben leben die Bauern einfach; sie setzen ihre Produkte in der Stadt ab, aber ohne den ganzen

T. Daltiig, ‘irumlerbrecht. 17

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man könnte das Zeugniss jener Herren als belangen anfechten. Wir sind aber in der Lage, den Gegnern des Anerbenrechts eine weit gewichtigere Autorität entgegenzuhalten, nämlich den Inhalt ihrer eigenen Schriften. Fick z. B. erkennt selbst (S. 276) ausdrücklich an, dass sich die Gegenden mit unge- teilter Vererbung in der Betriebsart und in den Erträgnissen von den Gegenden der Freitheilung kaum unterscheiden. Es ergiebt sich das übrigens auch aus dem, was die von ihm citirten Berichterstatter mittheilen. So wird der prächtige Zustand des Roththales (S. 72) gerühmt, eines klassischen An- erbenlandes. Ja in Unterfranken, wo ungetheilte Vererbung und Freitheilung bunt durch einander gehen, gelten die Bezirke des Anerbenrechts sogar allgemein für die reichsten (S. 219). Und was Fick, um dies Urtheil abznscliwächen, über die Relativität des Begriffes des Reichthums vorbringt, das betrifft jedenfalls nicht die Fülle der dortigen Bodenerträguisse; bei diesen muss Fick denn auch selbst (S. 220) den Anerbenstrichen gleichen Preis zubilligen wie den Parzellengebieten.

Diese schon aus dem Fick'schen Buche erhellenden Resul- tate aus Bayern sind nicht nur durch die jüngste bayrische Agrarenquete'-’71*) überall bestätigt worden, sondern sie sind auch auf das ganze deutsche Reich und Oesterreich ausgedehnt durch die Umfrage, welche der Verein für Socialpolitik über die Credit- verhältnisse auf dem Lande veranstaltet hat, und wobei auch die Erkundung der allgemeinen dortigen Zustände nicht ver- gessen worden ist. Wo hier überhaupt Uber die wirthschaftliche Gewandtheit der Bauern Aeusserungen gemacht sind, da wird dieser uneingeschränktes Lob zu Theil. Der Bauer wird überall als ein moderner Mensch gekennzeichnet, der sich aus der Naturalwirthschaft in die Geldwirthschaft gefunden hat, zu rechnen versteht, die laudwirthschaftlichen Fortschritte benutzt,

Tag in der Kneipe zu sitzen. Sie legen selbst Hand an den Pdug und bearbeiten ihre Aoeker, was ich im Gegensatz zu einem der Herr Vorredner ausdrücklich hervorkeben muss, gut, ja oft besser als der Grossgrundbesitz*), S. l>0, 02, 151, 245. Anderer Ansicht nur Paasche S. 225.

K1*) Vgl. Sehr. d. V. f. S. Bd. 73, S. 103, 105, 107, 113, 117, 120, 124 u. s. w. lauter Anorbengebiete. Ueberall hier wird constatirt, dass von einer „Lnwirthschattlichkeit“ der Besitzer nichts zu merkeu“ ist.

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sich dem Klima und dem Markte anpasst. Und zwar wird dieses Lob nicht etwa nur dem rheinländischen, dem badischcu und dem lothringischen Parzellen-Bauern gespendet; es kann sich seiner ebenso auch der Landmann aus den Anerbenländern rühmen. Ja es wird sogar niemandem ein solches Preislied gesungen, wie dem hannoverschen Hofbesitzer. Welch ein er- freuliches Bild, wenn es von ihm heisst: „Je nach den klima-

tischen und Bodenverhältnissen herrscht bald der Getreidebau, bald die Viehproduktion vor, oder der Anbau der Zuckerrübe drückt der Wirthschaft seinen Stempel auf. Einerlei aber, welche Wirthschaftsrichtung vertreten ist; die althergebrachte Weise der fast ausschliesslichen Natural wirthschaft . . . hat einer anderen, der Geld wirthschaft, weichen müssen. Die An- wendung von Kunstdüngermitteln ist nicht nur in den Zucker- rübendistrikten selbstverständlich, sondern sie erfolgt auch auf magerem Boden und in extensiver Wirthschaft; käufliche Futter- mittel werden vielfach verwandt; Flachsbau und Wollschafhaltung sind eingeschränkt, und an Stelle der selbstgefertigten Stotfe treten käufliche.- Man lese ferner, wie wenig es die Oldenburger Anerbbauern versäumt haben, ihre Getreideproduktion den ver- änderten Absatzbedingungen zu opfern, und wie sie auch dem Klima sich auzuschmiegen wissen; man überzeuge weiter sich davon, wie zweckmässig und mit welcher Ausnutzung aller Konjunk- turen in dem der ungeteilten Vererbung huldigeuden Branden- burg die Landwirthschaft betrieben wird.

Auch in Oesterreich scheinen die Verhältnisse nicht anders zu liegen. Hier hat über die Betriebsart zwar nur ein Bericht- erstatter das Wort ergriffen. Aber er stammt gerade aus einem Anerbenlande, aus Mähren; und er fasst gleichwohl sein überaus beifälliges Urtheil dahin zusammen, dass „die Agrikultur auf sehr hoher Stufe stehe“, die Bebauung „intensiv“ sei und in den „modernen Betriebslormen“ erfolgte.*71 b) Man höre also endlich auf zu erzählen, dass das Auerbenrecht die Bauern träge und untüchtig macht. Nein, wenn wirklich der Bauer dou Fort- schritten der Gegenwart in der Agricultur irgendwo nicht folgt,

wu.) Vgl. auch über alles Vorhergehende Sehr. d. V f. S. Bd. 73 S. 323, 312; Bd. 71, S. 87, 170, 183/184, 313/311; Bd. 75 S. 169/160.

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so röhrt das daher, dass er bei seiner harten Arbeit entweder keine Zeit findet, Neues zu lernen, oder dass er, und das scheint namentlich in Bayern zuzutreffen kein Capital hat, das für richtig Erkanute durchznführeu. Es wäre auch be- fremdlich, wenn das Anerbenrecht daran schuld sein sollte; denn obwohl es, wie wir sahen, in irgend einer Form fast stets ge- golten hat, so hat es bis jetzt den Fortschritt der Landwirth- schaft von den einfachsten Anfängen bis zu der heutigen durchschnittlichen Bewirthsehaftungsweise nicht gehindert, und es ist nicht abzusehen, warum es dies nun auf einmal thun sollte.

Es ist ferner letzthin behauptet worden, das Anerbenrecbt wirke unsittlich, weil es die Zahl der Landlosen vermehre und dadurch das Selbstständigmachen und folgeweise das Heiratlien erschwere. Insbesondere Dr. Verkauf in Wien, Brentano und Fick haben diesen Punkt neuerdings wiederholt betont.-*'1-) Sie beziehen sich auf Kärnten und auf Bayern. Nun ist es richtig, dass Kärnten ein Land der geschlossenen Vererbung ist, und es ist auch richtig, dass dort die unehelichen einen erschreckend hohen Prozentsatz aller Geburten ausmachen, nämlich 42,5 #/» im Landesdurchschnitt, in einzelnen Bezirken sogar 60 und 70 °/0.‘JT2‘) Allein ob beide Thatsaehen in einer ursächlichen Verbindung stehen, darüber kann man doch wohl im Zweifel sein. Cosmas Schütz wenigstens, aus dessen Bericht für den Verein für Socialpolitik die vorstehenden Ziffern entnommen sind, ist anderer Ansicht. Er setzt die hohe Zahl der unehe- lichen Geburten auf das Conto der Landarbeiterfrage, unter der ja fast ganz Deutschland und Oesterreich leiden. Auch in Kärnten nämlich ist die alte ländliche Arbeitsverfassung zer- sprengt worden; die Landarbeitorstellen, dort „Keuschen“ genannt, sind verschwunden, ihre Gründe sind im benachbarten grösseren Besitz aufgegangen, und der Bauer ist auf Haltung einer grossen Zahl wandernder Knechte und Mägde angewiesen, wodurch natürlich einem aussereheliclien Geschlechtsverkehr die beste

m) Vgl. Schriften d. V. f. S. Bd. 61 S. 365 u. 37-t. Fick S. ei 5 und 303 ff. Brentano, Vorwort S. XL.

**) Sehr. il. V. f. S. Bd. 75 S. 55,56.

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Gelegenheit bereitet wird. Dass aber zu diesem Aufsaugungs- prozess das Anerbenrecht irgend etwas beigetragen habe, ist nicht ersichtlich. Es sind vielmehr wohl einmal dieselben Gründe wirksam gewesen, die auch in Deutschland die alte Arbeitsverfassnng untergraben, und welche in den veränderten socialen Verhältnissen und in der grösseren Beweglichkeit der Bevölkerung zu suchen sind. Daneben aber muss vor allem die ungünstige Lage der österreichischen Landwirthschaft überhaupt angeklagt werden, der natürlich der Schwächere eher erliegt als der Stärkere, sodass zunächst ein Aufgehen des kleineren Besitzes im grösseren zu beobachten ist, bis auch dieser den Kampf aufgeben muss.

Ebenso wenig beweisend für die Schädlichkeit des Anerben- rechts sind die bayrischen Verhältnisse. Bayern ist im allge- meinen kein Land mit einer beängstigend hohen Zahl von un- ehelichen Geburten, immerhin steht es erheblich über dem Reichsdurchschnitt und wenigstens Oberbayern giebt auch zu Besorgnissen Anlass.272*’) Aber dass hier an den lockeren Sitten das Anerbenrecht schuld ist, muss geleugnet werden. Fick be- hauptet zwar das Gegentheil und glaubt das sogar statistisch belegen zu können. Hieran hätte ihn eigentlich schon die von ihm selbst (S. 306) betonte Unzulänglichkeit der Statistik hindern sollen. Denn wenn man nicht einmal weiss, wieviele der un- ehelichen Kinder der landwirtschaftlichen Bevölkerung ent- stammen, so kann man natürlich auch den Einfluss der ländlichen Verfassung auf die Zahl der unehelichen Geburten nicht er- gründen. Vor allem aber ein Umstand hätte Fick in seinen Folgerungen stutzig macheu müssen, die Thatsache, dass der Prozentsatz der unehelichen Goburten in den Städten erheblich grösser ist als auf dem Lande, in Oberbayern beinahe das Doppelte, in Unterfranken nahezu das Dreifache (S. 305). Damit ist allein schon dargethan, dass die ländliche Verfassung an der Häufigkeit ausserehelichen Geschlechtsverkehrs unschuldig sein muss. Es Hesse sich denn auch gegen die Methode, mit der Fick das Gegentheil zu erweisen glaubt, mancherlei

27ib) Vgl. die Angaben bei Fick S. 304 305. Danach hat Oberbayern 19 uneheliche Kinder, in den Städten sogar 27,7 "

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sagen.'-’72*1) Indessen eine eingehende Kritik darüber zu gelten, ist hier nicht der Ort. Aber selbst wenn inan die Ficksehen Tabellen als richtig hinnimmt, so ergeben sie gar nichts für einen Einfluss des Anerbenrechts. Sie ergeben höchstens, dass die unehelichen Geburten durch die Vertheilung des Grund- besitzes beeinflusst werden, indem sie um so mehr abnehmen, je mehr Personen sich des Grundbesitzes erfreuen. Dann bliebe jedoch immer noch zu erörtern, inwieweit nun auf diese Ver- theilung des Grundbesitzes das Anerbenrecht einwirkt. Und hier hat Fick kaum den Versuch eines Nachweises gemacht, vielmehr meint er S. 311, es sei eine Thatsache, die „keines Beweises bedürfe“, dass das Anerbenrecht die Entstehung eines besitzlosen Proletariates begünstige. Allein, uns scheint dies sehr des Beweises zu bedürfen. Die Erfahrungen in West- falen, Hannover, Oldenburg, Holstein, Brandenburg u. s. w. zeigen, dass das Anerbenrecht keineswegs nur besitzlose Proletarier neben sich duldet, sondern dass es auch kleinbäuer- liche und Landarbeiterstellen wohl verträgt, ja sogar bis zu einem gewissen Grade fordert und schafft. Dem gegenüber kann auch weder die Bezugnahme auf die Ansicht eines Dr. Mayr noch die Anführung dessen, was Hazzi über die Zu- stände vor 100 Jahren mittheilt, ins Gewicht fallen. Ansichten beweisen gegenüber anderer Erfahrung gar nichts; und die Hazzi'schen Schilderungen sind einerseits heute veraltet, anderer- seits sind sie kaum für ihre Zeit richtig gewesen, sondern über- trieben, wie dies Fick an anderer Stelle selbst eingestellt.

Ja, es lässt sich sogar aus Ficks eigenen Zusammen- stellungen (S. 307/308) erweisen, dass das Anerbenrecht auf die Zahl der unehelichen Geburten keinen hervorragenden Ein- fluss haben kann. In den von Fick nach deren steigender Höhe aufgestellten sechs Klassen erscheinen allerdings in den un-

So siml * B. die Tabelleu S. SI3 und 314 recht unzuverlässig und «war deshalb, weil die Zahl der Bezirksämter, welche die Durchschnittszahlen der Colnmnen geliefert haben, sehr ungleich sind. Es erschwert natürlich den Vergleich erheblich, wenn die eine Durc.hschnittsr.ahl, wie es Öfter ver- kommt, von einem einzigen Bezirksamt geliefert wird und die der nächsten Spalte von nicht weniger als 1 1 Aemteru. Fick selbst geräth denn auch mit der Tabelle etwas ins Gedränge (S. 313).

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günstigsten Gruppen V und VI nur Bezirke des Anerben* rechts, in der günstigsten Gruppe I dagegen nur Bezirke mit Realtheilung. Aus diesen Gruppen müssen wir aber die Rheinpfalz ausscheiden, weil ihre Verhältnisse vom eigentlichen Bayern in jeder Beziehung so abweichen, dass sie nicht wohl zur Vergleichung mit herangezogen werden kann. Ebenso müssen wir aber auch die suburbanen Bezirke München I und Nürnberg ausser Betracht lassen, weil hier die oben be- rührten städtischen Verhältnisse ungünstig ein wirken können. Dann verbleiben in Gruppe I nur zwei Bezirke und in Gruppe V und VI zusammen nur sieben. Diese 9 Bezirke können nun zu Schlussfolgerungen unmöglich verwerthet werden gegen- über der gewaltigen Ueberzahl der anderen Bezirke, welche säinmtlich in die mittleren Gruppen II bis IV fallen. In diesen Gruppen zeigt sich aber ein buntes Durcheinandergehen von Ge- genden mit Anerbenrecht und von denen mit Realtheilung. Nahezu ganz Unterfrauken z. B.f in dem sich getheilte und ungetheilte Vererbung die Waage halten, steht nur in Gruppe II. In Gruppe III finden sich zwar von Unterfranken noch die An- erbenbczirke Brückenau und Ebern; daneben steht aber auch die Realtheilungsgegend Königshofen, und andererseits reihen sich gepriesene Hochburgen des Anerbenrechts, wie namentlich der Ochsenfurter Gau, die Bezirke Hammelburg, Hassfurt, Scliweinfurt, Würzburg u. s. w. und in die günstige Gruppe II ein. Ebenso fällt das von altersher ganz der ungetheilten Vererbung huldigende Schwaben auch nur unter Gruppe II und III. Die ebenfalls zum Anerbenrecht haltende Oberpfalz hat in der weniger günstigen GruppelV nur einen einzigen Bezirk. Ja selbst das sonst sehr ungünstig stehende Oberbayern hat in Gruppe III eine ganze Anzahl von Anerbenbezirken, während der einzige oberbayrische Realtheilungsbezirk, Garmisch, zu Gruppe IV zählt Schon daraus ergiebt sich, dass das Anerbenrecht im eigentlichen Bayern in Rücksicht auf die Häufigkeit der unehelichen Geburten mit der Realtheilung genau gleichsteht, und es liege die Vermuthung nahe, dass in den Landestheilen mit mehr unehelichen Geburten nicht das Anerbenrecht, sondern der Volkscharakter mit wirkt. Dass jedenfalls in Ober- und Mittelfranken nicht ersteres ungüustige Wirkungen hervorbringt, geht daraus hervor, dass die rein ländlichen Bezirke am besten stehen. Diese zählen überwiegend

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zu Gruppe III. Zu Gruppe IV dagegen Bayreuth, Hof, Kulm- bacli, Ansbach, Erlangen. Fürth, Rothenburg a. T., also alles Bezirke in der Nähe grösserer Städte, auf deren oft gekenn- zeichneten Einfluss wohl auch der ungünstigere Prozentual;' zurückzuführen ist. Neben dem Volkscharakter, den wir namentlich für Nieder- und Oberbayern in den Vordergrund gerückt wissen wollen und neben dem Einfluss naher Städte wirkt dann wohl auch noch die von Fick (S. 310) betonte länd- liche Arbeiterfrage mit, gleichwie wir dereu Bedeutsamkeit in Kärnten constatiren konnten. Es mögen auch noch lokale Ein- flüsse hinzukommen, wie sie Fick selbst (S. 302) z B. für da? in Gruppe V stehende Miesbach in Anspruch nimmt. Aber da>> das Anerbenrecht an der Häufigkeit unehelicher Geburten schuld ist, lässt sich mindestens nicht erweisen.272"1)

Dass das Anerbenrecht ^tatsächlich mit Unrecht angeklagt wird, das muss übrigens dem noch wahrscheinlicher werden, der seinen Blick über die im Grossen dtJch sehr vereinzelten Er- scheinungen in Kärnten und Bayern hinaus auf die gesammt- deutschen Verhältnisse richtet. In dem weitaus überwiegenden Theile von Deutschland und Oesterreich, wird das haben die jüngsten Umfragen des Vereins für Socialpolitik aufs neue be- stätigt — noch heute die ungetheilte Vererbung geübt, und doch zeigen sich hier nirgends ungünstige Folgen. Ja in West- falen, dem klassischen Lande des Anerbenrechts, steht die Ziffer der unehelichen Geburten unter dem Reichsdurchschnitt.27-'' Nicht anders ist es in Lippe, ebenfalls einem bekannten Sitze des altdeutschen Erbgangs.272') Ja das Beispiel von Lippe ist noch schlagender als selbst das von Westfalen. Denn es er- giebt, dass auch die Zahl der Grundbesitzer nicht wie Fick meint, von erheblichem Einfluss ist. In Westfalen nämlich werden die weichenden Geschwister meist kleine Grundbesitzer, in Lippe werden sie aber wirklich Arbeiter, sogar Wander- arbeiter und zwar im Ziegeleigewerbe. Dennoch zeigen sich

!?-M) Gleicher Ansicht auch Gierke. Allg. Zeitung, Beilage No l"? S. 3 Sp. 1.

a:-"J Vgl. Sering in Sehr. <1. V. f. S. Bd. 01, S. »91. vT.'f) Vyi f j Meyer, Theilungsverbot S. &3 ff.

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keine ungünstigen Folgen, weil die Ziegelstreicher schon früh genug verdienen, um eine Familie zu erhalten. Daraus ergiebt sich, dass eine ausreichende und selbstständige Arbeitsgelegenheit weit wichtiger für gute Sitten ist als Anerbenrecht oder Frei- theilung. Und wenn auch auf dem Lande die Ehelust abnimmt, Ehe- losigkeit und regelloser Geschlechtsverkehr dagegen immer häu- figer werden, so ist das nur die allgemeine Krankheit unserer Zeit, eine Krankheit, die wir in allen Ständen und Berufen wahr- nehmen können, die Folge des zu grossen Angebotes von Arbeitskräften, welches erst spät einen hinreichenden Verdienst zu erarbeiten gestattet. Bei gesunden Zuständen, wo jeder Arbcitslustige auch Gelegenheit findet, sich eine feste heirats- fähige Stellung zu gründen, hemmt das Anerbenrecht dies nicht: im Gegenteil es zwingt die Kinder, sich frühzeitig nach einem eigenen Erwerb umzusehen, weil der Abfindling weiss, dass er das Gut doch nicht erhalten wird; ja es erleichtert geradezu die Selbst- ständigmachung und Verheiratung durch seinen Grundsatz, dass den nicht erbenden Kindern das Kapitel zu einer ersten Einrichtung gegeben werden soll und zwar, sobald sich ihnen Gelegenheit dazu bietet, gegeben werden muss. Auf jeden Fall aber bringen die anderen Erbordnungen noch weit schwerere sittliche Gefahren mit sich, von denen noch genug zu reden sein wird.

Endlich hat man dem Anerbenrecht den Vorwurf gemacht, es versteinere die Agrarverfassung, indem es die Geschlossen- heit der Höfe fördere und vor allem hindere, dass ein unwirt- schaftlich grosser Hof zerkleinert werde.2715) Das ist nicht richtig. Das Anerbenrecht verhindert wirklich wirthschaft- liche Theilungen nie. Denn cs ist von der Unteilbarkeit ganz unabhängig und nur eine Zeitlang von dieser rein äusser- licli begleitet gewesen. Es kann bestehen und besteht heute durchgängig neben freier Theilbarkeit. Es verhütet nur die un wirtschaftlichen Theilungen: nicht diejenigen, welche, durch den Zwang der Umstände oder die Gunst des Augen- blicks geboten, von dem vorausschauenden Bauer unter liebenden

27S) So namentlich Brentano (Sohr. <1. V. f. S. Bd. ßl S. 204). Aehnlich auch Bücher (ebenda S. 337/338).

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Vorgenotnmen werden, sondern lediglich die, welche durch die todte Regel des Intestaterbrechts unabhängig vom Willen der Betheiligten eintreten.2*3*)

Das allerdings ist richtig, dass das Anerbenrecht nicht zur Parzellirung zwingt, wie die Naturaltheilung. Aber solches Unterlassen jeder positiven Wirksamkeit ist mindestens keine schädigende Einwirkung, ganz abgesehen davon, ob der Zwang zur Zersplitterung wirklich etwas Gutes ist, worauf wir noch zurückkommen werden.

§ 34.

Eine ökonomische Schädlichkeit des Anerbenrechts lässt sich somit nicht nachweisen, und nach unserer Annahme müsste es deshalb wieder zu Ehren gebracht werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Rechtswille des Volkes nach ihm verlangt. Das wird nun in neuerer Zeit lebhaft bestritten und es wird nicht nur bestritten für die Gebiete der hergebrachten Naturaltheilung, sondern auch für diejenigen der ungethcilten Vererbung, die mau bisher als geeigneten Boden für Einführung des Anerbenrechts ansah. Namentlich für Bayern haben Brentano und Fick auf Grund ihrer Untersuchungen neuerdings behauptet, dass dort das Anerbenrecht der Rechtsüberzeugung zuwider sein würde. (Brentano Vorwort S. XL u. Sch. d. V. f. S. Bd. 61, S. 28S u. ff., Fick S. 265). Sie berufen sich zunächst auf die gutachtlichen Aeusserungen der bei ihrer Enquete befragten Amtsrichter und Notare. Brentano sagt hierüber: „Und was ist das Ergebnisse Von den ca. 600 Befragten haben sich alle, die sich über die Frage änsserten, mit der äussersten Energie gegen die Ein- führung eines Anerbenrechts ausgesprochen.“

Man muss diesem Satze das Lob ertheilen, dass er mit einer ungewöhnlichen Geschicklichkeit abgefasst ist, aber doch mit einer Geschicklichkeit, die mehr dem Journalisten als dem Gelehrten anstellt. Der Satz sagt nichts Unrich- tiges, und doch führt er den Leser irre. Es wird nämlich klugerweise verschwiegen, wieviel Berichterstatter

Aebulich Seriug (Sehr. ü. V. f. S. 14«1. CI S. 389).

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sich über das Anerbenrecht geäussert haben; aber durch die Em- phase, mit welcher derSatz hinausgeschleudert wird, erzeugt er von selbst in jedem Leser den Eindruck, es müsse eine sehr hohe Zahl, mindestens jedoch die Mehrzahl von jenen 600 gewesen sein. Selbst Gierke hat sich hierdurch täuschen lassen und gemeint, „fast alle“ Berichterstatter hätten sich gegen die Ein- führung eines Anerbenrechts ausgesprochen.2731’) Aber wie steht es damit in Wirklichkeit? Von den 600 Berichterstattern, Sering giebt ihre Zahl nach Freyberg sogar auf 800 an , haben sich nur etwa 40 überhaupt geäussert, und auch von denen sind noch nicht alle gegen das Anerbenrecht. Wie kann inan daraus Schlüsse auf die allgemeine Stimmung ziehen! Wenn man sich aber vollends die ablehnenden Urtbeile im Ein- zelnen ansieht, so wird man ihnen jedes Gewicht absprechen. Bei einer ganzen Reihe von ihnen ist die logische Begründung nicht eben stark;273') ein bedeutender Bruchtheil ferner geht von der falschen Voraussetzung aus, dass ein Eingriff in die Verfügungsfreiheit, ein obligatorisches Anerbenrecht mit Hüfe- schluss beabsichtigt sei;2734) einige geben ihre subjektive Ansicht zum Besten, dass das Anerbenrecht, wie es auch gestaltet werde, „kein Lebenselixier“ werden würde (S. 71), oder dass jetzt wohl keine Zeit für „Schaffung eines privilegirten Bauernstandes“ sei (S. 168) oder dgl.; der Rest verneint lediglich das Bedürfniss nach einer gesetzlichen Regelung, weil die Sitte schon dasselbe wirke, ohne jedoch eine Codifizirung der Sitte für schädlich zu halten'-’73*;, ja einer dieser Gutachter bemerkt ausdrücklich, dass dann, wenn die Sitte kodifizirt werde, auch sein Bezirk diesem Gesetze zu unterwerfen sei (S. 202). Sonach sind die ernst zu nehmenden Gutachter entweder deshalb nicht massgebend,

*!M) Gierke, Allgein. Zeit. Beilage Nr. IH4 S. 1 Sp. 2.

J73‘j Man vgl. z. B. das bei Kiek S loo niitgetheiltc Urtbeil, welches das Anerbenrecht deshalb widerriitli. weil der Bauer das als Zwang empfinden werde, was er bisher freiwillig getlian habe. liier wird also dein Bauern der Kinderstandpunkt zugemnthet [eh thue etwas bisher gern Uethanes nun nieht mehr, weil ich es jetzt soll. Vgl. auch das Gutachten 8. 70 71.

271,1 J Fick S. 70, 7t>, 77. 78, 136, 1 68, 201.

***•) Fick S. 07, 82, 8(1, 14t, lfig. IBS, 202. Nicht berücksichtigt sind die paar Aeusscrungen aus dem Gebiete der Healtbeilung, da hier das An- erbenrecht auch von uns nicht in Aussicht genommen wird.

weil sie auf irriger Grundlage fussen, oder sie differiren von uns nur in der Opportunitätsfrage, über die sich ja streiten lässt. Vor allem aber ergiebt sich, dass sie nur ihre eigener. Schlussfolgerungen und Ansichten Vorbringen, aber nicht die Anschauungen des Volkes. lieber dessen Rechtsüberzeugun:: giebt nur die Rerhtsübnng Auskunft.

Nun behauptet freilich Brentano auch die Rechtsübunc des Volkes habe sich in allen Punkten gegen das Anerbenrectit entschieden. Dass allerdings die ungetheilte Vererbung in fast allen Landestheilen hergebracht ist, kann er nicht bestreiten Aber die wichtigste Eigentliiimlichkeit des Anerbenrechts, die alte Vorstellung, dass das Gut Familiengut sei und deshalb dem Anerben unter gewissen Erleichterungen gebühre, soll völlte verblasst sein: nur krasser Egoismus soll alle Verhältnisse re- gieren. Das Ficksche Buch ist zu dem ausgesprochenen Zweck geschrieben, dies zu erweisen. Man darf es aber wohl au?- sprechen, dass selten ein Buch durch die Macht der Thatsacber so von seiner ursprünglichen Richtung abgedrängt ist. Die ver- arbeiteten Berichte ergeben mit einer ganz beispiellosen Ein- stimmigkeit das Gegentheil. Ohne Abweichung wird bezeug dass es, soweit überhaupt die ungetheilte Vererbung reicht, die A bsicht der ElternundderSchätzmä n n e r ist, den U ebernehnw zu begünstigen.'-’7;,,) Mit einer einzigen Ausnahme wird be- richtet, es werde überall auch von den Miterben dem Guts- annehmer ein solcher Voraus bewilligt, „dass er bestehen kann“:'-’7:ls) ja selbst die eine Ausnahme ist sehr zweifelhaft denn was sonst in dem betreffenden Berichte (S. 232) über die Bemessung der Abfindungen gesagt wird, deutet durchaus au:

*™) Firk S. 48. 47, 74. 81, 90. 96, 108. 129, 135. 156, 160. 244.

*■*) Ein ausdrücklicher Voraus wird bewilligt bei Fick S. 49. ■■ („Uebergabsvortheil“), 69 („manchmal“), 85 („selten“). 12b („hie und de 134, 165 (bis zu 50 0 „). Sonst findet sich überall verhiil lte r Voraus Vt Fick S. 5o, uo (bis zu 1 des Tausch werthes), 65, 75, Kl, 85, so. 96, i1" 108, 113, 120, 122, 125, 129, 134, 138, 143. 151, 156, 166, 170, 175 ,b» r ’/„ und mehr des Tausch wert lies), 186 (20", unter dem Tauschwerth), 2"1 244. 252. Freiherr v. Freyberg, der die von Fick bearbeiteten Berich- ebenfalls überarbeitet bat, schützt nach ihnen den indirekten Vortbeil im Pur.l schnitt auf , bis 1 des Verkanfswerthes (Vgl. Sering bei Sclunvller. Jahr buch von 1896 S. 211/212.)

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eiue billige Abwägung aller Umstände bin, und überdies sagt ein anderer Berichterstatter (S. 234) von demselben Bezirke: „Häufig werden die Gutsfibernehmer gegenüber ihren Ge- schwistern bevorzugt.“ Fick selber nimmt denn auch (S. 273) für ganz Bayern an, es werde „das Gut womöglich so über- geben . . . , dass der Uebernehmer auch in weniger guten Jahren bestehen kann.“

Das freilich zeigen die Berichte ebenfalls, dass die Mit- erben sich gegen diesen Brauch jetzt mehr und mehr zu wehren beginnen, und auf deren Anschauungen stützt sich denn auch Brentano besonders. Indessen schon Sering (bei Schmoller, Jahrbuch XX S. 218) hat mit Recht hervorgehoben, dass bei einem Widerstreite zwischen den Ansichten der Eltern und der Miterben, es doch kaum zweifelhaft sein kann, auf welcher Seite die wahre und massgebende Volksüberzeugung zu suchen ist. Und in der That sind die Meinungen der Miterben in diesem Punkte die am wenigsten geeignete Erkenutnissquelle : denn die Miterben sind am meisten Partei, weil sie von Rechten nach- lassen sollen, die ihnen das heutige Gesetz gewährt. Es soll aber auch nicht einmal auf die Ansicht der Eltern allein das entscheidende Gewicht gelegt werden; auch diesen könnte mau ja in dieser oder jener Richtung Befangenheit vorwerfen. Ganz unparteiische Zeugen der im Bauernstände lebenden Ueber- zeugungen sind aber gewiss die Schätzmänner; und von ihnen wird ohne Ausnahme bemerkt, dass sie die Hofe möglichst niedrig zu bewerthen pflegen, sodass der Anerbe bestehen kann.273*) Uebrigens haben auch unter den Miterben die städtischen Ideen noch keineswegs die Vorherrschaft gewonnen. In der Fick'schen Bearbeitung gelaugt allerdings dieser Theil der Berichte nicht zu besonderer Hervorhebung; dafür hat ihn umsomehr Freiherr v. Freiberg in seiner Bearbeitung derselben Enquete betont. Er schreibt: „Besonders wichtig und von

grosser Bedeutung für die abschliessende ßeurtheilung ist die häufige Constatirung, dass die im massigen Anschläge und sonstiger Begünstigung des Uebernehmers nothgedrungen liegende Beeinträchtigung der Miterbon von diesen „als etwas Selbstver-

flihj Vgl. Fick S. 274 und die von ihm selbst dort citirten Berichte.

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stündliches“, „anstandslos“, „ohne Widerrede“ u. s. w. hinge* nommen, und nicht als Verkürzung, sondern als ein Gebot der Noth wendigkeit empfunden wird.“274)

Sonach ist erwiesen, dass in der grossen Mehrheit auch des bayrischen Bauernstandes und vor allem in seinen mass- gebenden Kreisen, die Anschauung lebendig ist, der Anerbe müsse bevorzugt und so gestellt werden, dass er den Hof ge- deihlich bewirtschaften kann. Wir sehen den rechtlichen und ethischen Grund dieser Anschauung in der altdeutschen Auf- fassung des Hofes als eines Familienbesitzes, der zu aller Nutzen erhalten werden muss. Brentano dagegen giebt, soweit er jene Anschauung anerkennt, nur den Egoismus als ihren Grund an. Wo noch die ungeteilte Vererbung in der alten Weise geübt wird, da soll dies nach ihm nur durch die Rücksicht auf den „wirthschaftlich-technischen Charakter des Objektes“ verursacht werden, welcher formell gleiche, naturale oder civile Theilung auch den Miterben nicht als räthlich erscheinen lässt.

Allein auch hier ist durch Brentanos eigene Enquete das Gegenteil dargethan. Ob eine Gegend der ungeteilten Ver- erbung anhängt, oder nicht, bestimmt sich lediglich nach dem Herkommen. Denn das Anerbenrecht findet sich gleichermasseu auf einem ihm günstigen, auf indifferentem und auf ungünstigem Boden. Es wird nicht nur angetroffen in Gegenden ohne In- dustrie und mit extensiver Kultur, sondern auch in solchen mit intensiver Bebauung, in reichen Korn- und Viehgegenden wie im Rotthal und iu Bezirken, in denen sich wie in Unterfranken mit der intensiven Kultur noch eine weitgehende Parzellirung des Bodens verschwistcrt. Das Ueberwiegen des Gemüsebaues, der doch sonst die Realtheilung so begünstigt, schadet dem Anerbenrechte stellenweise ebenfalls nichts, selbst da nicht, wo er, wie z. B. in der Bamberger Gegend mit einer regen, vielfach sogar im Hause betriebene Industrie vereint ist: auch der ott- erwähnte zersplitternde Einfluss der Handelsgewächszucht versagt gegenüber der Sitte der Zusanimenhaltung in den Hopfengegenden und in den Rheingcgeuden der Oberpfalz; nicht minder erweist sich die Industrie im Allgemeinen als machtlos; die reiche lu-

•'•*) Freiberg bei Sering in Schmollers Jahrbuch ile. 1890 S. 214. 215

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dustrie der westlichen Oberpfalz, der Augsburger Gegend, der mittelfränkischen Striche um Fürth, Roth und Nürnberg hat der Einzelerbfolge noch keinen Abbruch gethan; ja diese herrscht sogar unter der hausindustriellen Weberbevölkerung des Fichtel- gebirges, also an dem denkbar ungeeignetsten Orte, in einem Gebiete, auf das in jedem Punkte die Schilderung gepasst hätte, die Brentano auf den Wiener Verhandlungen von den haus- industriellen Realtheilungsgemeiudeu entworfen hat, wo Jede andere Art der Vererbung unmöglich“ sein soll.'-74»)

Andererseits findet sich auch die Realtheilung nicht blos in Gegenden, von denen Fick selbst zugiebt, dass ein Grund für die Bevorzugung der Realtheilung bei ihnen nicht erkennbar sei; sie tritt vielmehr sogar in direkt ungeeigneten auf, wie in den Gebirgsdörfern des Spessart und Frankenwaldes, wo es an jedem intensiven Betrieb und an jeder grösseren Industrie mangelt.'-’741’)

Damit ist dargethan, dass es nicht die wirthschaftlichen Gründe sein können, welche die Wahl zwischen Anerbenrecht und Theilung entscheiden, sondern nur die Ueberzeuguug des Volkes von dem, was sein muss und sich gehört. Jede andere Er- klärung reicht so wenig zu, dass selbst Fick vielfach sich nur auf das „Herkommen“ berufen kann.'-’740) Ja auch Brentano selber hat schliesslich seine ursprüngliche Behauptung von dem alleinigen Gewicht des „wirthschaftlich-technisehen Charakters des Objekts“ erheblich einschränken und eingestehen müssen, dass sich der Bauer doch weit mehr noch durch das Herkommen leiten lasse, als er früher angenommen habe.*74,1) Brentano hätte

K1*) Sehr. d. V. f. S. lid. 61 S. '."Jo. lieber die vorher behaupteten Zustände der Gegenden mit uugctheilter Vererbung vgl Kick S. 102, 106, 112, 118 (intensive Viehwirthschaft); S. 72, 122, 127 (reiche Korn- und Vieh- gegend}; S. 68, 217(intcnsiv bewirthsohaftete und mehr oder minder stark parzellirte Gegend); S. ISO (Gemüsebau mit llausiudustrie); S. 6:5, 87, 154, 173, 180 (Uandelsgewäehsbau); Sä. 87, 132. 163, 180 (reiche Industrie); S. 180 (Hausindustrie der Weber im Fichtelgebirge). Vgl. übrigens auch Bering bei Schmoller, Jahrbuch XX S. 202.

■mi>) Vgl. Fick S. 107, 270, 106, 256 und Sering a. a. O. m *) Fick S. 107, 200 („Druck der Dorfmeinung“). Vgl. auch S. 217 (Fiek kann „keinen“ Grund angeben.)

27<'1) Brentano, Vorwort S. XXXVIII.

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wie wir sahen, weiter gehen und eingestehen sollen, dass der letzte Grund der thatsächliehen Uebung liberal 1 die Reehtsüber- zeugung ist. Es soll damit nicht gesagt sein, dass dabei mciit in den meisten Fällen auch das Zweckmässige getroffen wird Im Gegentheil; wenn sich das Anerbenrecht, wde wir behaupten von den ältesten Zeiten bis heute aus dem Geiste der ländlicher Verhältnisse heraus selbstthätig entwickelt hat, so wäre e> wunderbar, wenn es zu diesen Verhältnissen nicht passte, wem es sich ihnen nicht anfügte wie die Rinde dem Baum.

Hat sich sonach in Bayern noch die alte Auffassung de' Hofes als eines Familiengutes erhalten, so wird das Gleiche auch aus den übrigen Landestlieilen Deutschlands und Oester- reichs berichtet, wo immer die ungetheilto Vererbung sich nod behauptet hat. So wird aus Hessen gemeldet: „Durch alle

diese Verträge geht überhaupt ein Zug patriarchalischer Familiec- fürsorge, der sich besonders in der Rücksicht auf die nnmündigta oder gebrechlichen Angehörigen ausprägt, und die alte An- schauung, dass die Hofesstelle die zum Theil noch hier in mitteldeutschen Bezirke einen eigenen Namen führt e Sammelpunkt der Familie sei und bleibe.“-75) Von Westfaln heisst es, dass die niedrigen Abfindungen dort „auf deui Recbt>- bewusstscin basiren, dass der Hof der Famlie erhalten bleii» soll.“-75*) Von Pommern wird gesagt, „das Anerbenrecht ent- spreche dort dem Bewusstsein der Bevölkerung.“'-'75k) X->? Uuteriuuthale und vom Wipptbale in Nordtirol lesen wir, da» dort „sich die echt deutschrechtliche Auffassung von der Be- deutung des Familienbesitzes noch lebendig bewahrt hat.“ Y

Mittlioiluug bei SclunoUer, Jahrbuch de 1895 S. *2tU. [s- Bericht setzt sich allerdings im ferneren Verlaufe mit sich selbst in Wtl t sprach, indem er als tlrund der Erbsitte dort das wirthschaftUehe Bedurfci unfiihrt. Aber das ist ein Irrthum, wie sich daraus ergiebt, dass $<■: r darauf gesagt wird, die Kealtbeilung linde sieb in gänzlich ungeeignet tiegenden. Auch ist der Irrthum nur eine Schlussfolgerung des gelehr- Verf. der Mittheilung, während die obige Stolle im Wesentlichen die Wie:- - gäbe der Ansichten von ortskundigen Berichterstattern enthält, welche i Bestreben nach Erhaltung des Eainiliougutes „ohne Bedenken . zweifellos bezeugen“.

a; . ) Vgl. Winkeliuaiin auf der Agrarconfereuz S. 137.

-' ■' J Laudesdir. -Llüppnor auf der Agrarcouferenz S. 170.

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Deutsch-Südtirol bekommen wir Aehnliches zu hören. Auch von Mähren wird angegeben, dass dort die ungetheilte Vererbung ausser iu den weinbauenden Gegenden „dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung Rechnung trägt“. Ebenso wird von Ober- Oesterreich behauptet, „dass die gesetzlichen Bestimmungen über die Freitheilbarkeit grossentheils unbekannt oder doch unbcnützt geblieben, und die herkömmlichen Rechtsanschauungen, sowie die viele Hunderte von Jahren alten Gewohnheiten in der Land- bevölkerung fast dnrehgehends noch lebendig sind.“ Auch in Nieder-Oesterreich wird als Grund der ungeteilten Vererbung die „herrschende Anschauung“ angesprochen.2750) Ja selbst in dent sonst der Naturaltheilung huldigenden Rheinland soll nach der Erfahrung des Landgerichtsdirektors Schmitz aus Erkelenz die Bevölkerung der Lehre von der Eigenschaft des Hofes als eines Familienbesitzes nicht unzugänglich sein.'-’™) Und von den meisten übrigen Gegenden Deutschlands und Oesterreichs wird zwar nicht die Rechtsanschauung selbst, wohl aber deren Re- sultat, die Rechtsübung der Einzelerbfolge bezeugt, nämlich von den Gebirgsgegenden des Schwarzwaldes und Odenwaldes und von den Kreisen Konstanz und Moosbach in Baden, von Neu- württemberg, von Oldenburg, Schleswig - Holstein, Hannover, Brandenburg, Mecklenburg, Posen, Pommern und Preussen, sowie von Steiermark.275*)

Ueberblickt man alles dies, so wird man sagen müssen: Soweit überhaupt Ansichten und Anschauungen nachweisbar sind, soweit ist dargethan, dass die ausdrücklich oder durch Uebung dokumentirte Rechtsüberzeugung des - Volkes dem An- erbenrecht, wie wir es Vorschlägen, entspricht. Mit Recht durfte deshalb Gierke sagen, das Anerbenrecht sei ein „volkstüm- liches“ Recht das sich in der grossen Mehrheit der Nation er- halten habe.27'’')

27S') Ueber Oesterreich vgl. Sehr. d. V. f. S. Bd. 75 S. 101, 121, 176, 253, 313.

1 Agrarconfereuz S. 153.

SB5») \Tgl. hierüber die Berichte in Band 73 bis 75 der Sehr. d. V. f. S. 'nir) Agrarconfereuz S. 228.

v. DuDslff, üruaderbrfrchl.

18

274

§ 35.

Mit dieser Feststellung, dass noch heute die Ueberzeugung weiter Volkskreise sich für das Auerbenrecht ausspricht, ist eigentlich auch der Streit um seine angebliche Ungerechtigkeit entschieden. Denn ungerecht ist doch nur dasjenige, was mit der Rechtsanschauung in Widerspruch steht. Ungerech- tigkeit ist deshalb stets ein relativer Begriff der sich mit dem Wechsel der Rechtsanschauungen verschiebt. Denjenigen nämlich, welche heute über Ungerechtigkeit des Anerbenrechts klagen, mag es wirklich ungerecht erscheinen ; denn sie sind Politiker, Kinder der Städte und mit den dort herrschenden Ansichten erfüllt; so haben sie auch von früh an die Lehre von der gleichen Be- handlung der Nachkommenschaft eingesogen. Sie mögen des- halb in der That das Anevbenrecht als Ungerechtigkeit empfinden. Umgekehrt das Landvolk. Dies ist von früh auf mit der un- gleichen Behandlung der Miterben vertraut; ihm ist die gleiche fremd; gerade diese, welche den Städten das Ideal der Gerech- tigkeit ist, würde deshalb ihm gewohnheitswidrig, und ungerecht bedünken. Eine wahre Ungerechtigkeit beginge man sonach erst, wenn man der einen oder anderen Partei etwas ihr Wi- driges aufzwingen wollte; nein, so wenig man den Städtern ihre gleiche Erbtheilung nehmen wird, so wenig darf man auch den Bauern ihr Anerbonrecht verkümmern.1’76)

Allein mit der öngerechtigkeitsfrage hat man, wohl ver- führt durch den sprachlichen Doppelsinn von „Ungerecht“, die Untersuchung nach der Unbilligkeit des Anerbenrechts ver- mengt. Denn nicht auf die Ungerechtigkeit, sondern auf die Unbilligkeit bezieht es sich, wrenn mau davon spricht, dass einem Vater alle Kinder gleich lieb sein müssten, und dass deshalb auch nach seinem Tode sein Vermögen in seinem Sinne gleich gctheilt werden müsse.

Es geht diesem Satze, wie so vielen anderen Schlagworten des öffentlichen Lebens. Er ist halb wahr, und deshalb findet

r,!) Vgl. auch Gierkc, Erbrecht in ländlichen Grundbesitz S. 11 und 12. Scring in Sehr. d. V. f. S. Bd. Bl S. 313.

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er so viele Nachbeter; denn es leuchtet jedem sofort ein, dass etwas Richtiges an ihm ist, der Fehler aber versteckt sich; er liegt im Ausdruck. Wie der Satz gewöhnlich formulirt wird, besagt er ganz etwas anderes, als er sagen will. Der ihm zu Grunde liegende Gedanke ist doch lediglich der, dass alle Familienmitglieder vom Hausvermögen einen möglichst gleichen Genuss haben. Dies erfordert allerdings die Billigkeit, aber nichts weiter; sie erfordert vor allen Dingen nicht die formal gleiche Theilung des Vermögens. Denn diese ist nur das Mittel, jene Forderung zu verwirklichen, und zwar gewöhnlich das richtige, aber keineswegs immer. Und gerade darin, dass das Mittel mit der Forderung selbst verwechselt und zum allge- mein gütigen erhoben wird, gerade darin liegt der Fehler des Satzes von der gleichen Theilung.

Es zeigt sich dies besonders stark in ländlichen Ver- hältnissen. Gerade wenn man dort gemäss der Billigkeit einen möglichst gleichen Genuss des Erbgutes herbeifuhren will, darf man es nicht gleich theilen, wenigstens nicht immer. So lange es noch naturaliter getheilt werden kann, zieht allerdings hier die gleiche Theilung einen gleichen Genuss nach sich. Wo aber die Naturaltheilung, wie fast überall in Deutschland, nicht mehr möglich ist, wofern man nicht allen den gleichen Nichtgenuss verschaffen will, wo man deshalb zur Civil- theilung schreiten muss, da gewährt die gleiche Theilung des Civil werthes keinen gleichen Genuss für alle, sondern den Mit- erben einen erheblich grösseren als dem Hofannehmer.-7,i*)

Schon rein äusserlich in der Verzinsung des ihnen zu fallenden Capitalantheils zeigt sich dies. Der Hofannehmer wirtbschaftet unter heutigen Verhältnissen selbst in guten Jahren aus dem Gute kaum mehr als zwei Prozent seines Werthes heraus. Die Miterben erhalten ihre Antheile nun in Hypotheken auf dem Gute eingetragen, die doch mindestens 3 °/0 abwerfen. Der Anerbe muss deshalb oft die 2 °/0 seines eigenen Antheiles daran geben, um dies Mehr an Verzinsung einzubringeu. Es kommt aber noch ein Zweites hinzu. Die

2T6*) Vgl. Helferich, bäuerliche Erbfolge, Hiindien 1883, S. 8 und 9. Soergel S. 44 u. 45, Marehct, Abschnitt IX.

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Miterben erhalten ihren Zinsgenuss ohne Mühe und Arbeit, ohne Rücksicht auf gute und schlechte Zeiten. Alle Mühe, alle Gefahr liegt auf dem Hofbesitzer. Wenn die Ernte missräth, wenn die Lage des Weltmarktes ihm einen Gewinn seiner Arbeit nicht in Aussicht stellt, Zinsen muss er doch zahlen. Die einfachsten Regeln der Wirthschaftsknnst würden erfordern, dass für solche stets eintretenden Verluste aus dem Hausver- tnögen, welches doch am letzten Ende den Miterben ebensowohl wie dem Hofbesitzer ihre Bezüge gewährt, ein Reservefonds ausgesondert werde. Dieser bleibt natürlich in der Hand dessen, der das gemeinsame Vermögen hat. Eine Unbilligkeit würde deshalb in der Gewährung eines Vorzuges weit weniger liegen, als in seiner Nichtgewährung.

Die geschilderten Uebelstände treten noch weit stärker hervor, wenn die Miterben sich ihre Antheile nicht als Hypothek eintragen, sondern sofort baar auszalilcn lassen. Denn wegen des regelmässigen Mangels bereiter Mittel muss der Hoferbe dann von Fremden Darlehen aufnehmen, die zumeist höher als drei Prozent verzinslich sind, und deren Gläubiger in Tagen landwirthschaftlicher Noth nicht so leicht Nachsicht üben wie Verwandte.

Es ist denn auch schon längst von allen Einsichtigen er- kannt worden, dass bei der Civiltheilung die Gleichheit nicht der Billigkeit entspricht, vielmehr eine hervorragende Unbillig- keit gegen den Anerben enthält. Schon 1841 wurde in einer an den Brandenburgischen Provinziallandtag gerichteten Denk- schrift2T,ib) mit Recht hervorgehoben und von ihm demnächst anerkannt, was auch wir ausgeführt haben, dass „eine gleiche Erbtheilung da, wo das Object in Grundbesitz bestehe, stets nur eine nominell gleiche sei, in Wirklichkeit aber eine sehr ungleiche, indem der Erbe, der sein, nach einer möglicherweise trügerischen Taxe ermitteltes Erbtheil im Grundbesitz und mit der Verpflichtung, die Erbtheile den Miterben auszuzahlcn, an- nehnie, auch bei richtiger Werthermittelung immer geschädigt sei, da alle Lasten und Gefahren auf seinem Erbtheil allein haften blieben, er allein durch seinen Fleiss und seine Arbeit

!'eb) Vgl. hierüber „Tägliche Rundschau" Nr. 27 N vom I.Febr. 1896.

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den Ertrag des Ganzen erringen müsse.“ Aehnliehes ist auch heute vielfach gesagt worden.276”)

K6e) Vgl. z. B. Thiel (Sehr. d. V. f. S. Bd. 61 S. 246); Sering (ebenda S. 382); Andrö (Jnristentag de 1895 Bd. 1, S. 39 f.V .Dazu kommt, dass der Landwirth geneigt ist, seine eigene Arbeit bei Berechnung des Kauf- preises nicht anzuschlagen. Die abgehendeu Kinder haben aber durchaus keinen Auspruch darauf, dass der Gutsübernehmer seine eigene Arbeits- tbätigkeit capitalisire und ihnen davon einen, der Zahl der Geschwister ent- sprechenden Antheil auszahle. Das inuthet auch der Fabrikant demjenigen seiner Kinder, welches die Fabrik und das Geschäft übernimmt, nicht zu. Das hiesse dem Uebernehmer zumnthen, das, was er im späteren Leben durch eigene Intelligenz und Thatkraft verdienen will, im Voraus aus- zuzahlen.“ Enneccerus (ebenda Bd. 2 S. 77): .... ist die gleiche

Theilnng ... die schwerste Ungerechtigkeit gegen den Uebernehmer. Er zieht aus dem Gute nur den Ertragswerth und soll die Erbtheile der Ge- schwister nach dem hiSheren Verkaufswerthe verzinsen. Er hat also meist mehr an Zinsen zu zahlen, als er einnimmt, und d zu trägt er noch das Risico schlechter Jahre v. Buch (Agrarconferenz S. 181). Gierke (ebenda S. 230). v. Uiqnel (ebenda S. 252): „Wenn man erwägt, dass der Anerbe das gesummte Risiko übernimmt, welches in der heutigen Zeit in der Landwirthschaft noch ganz etwas anderes bedeutet als vor 30 Jahren, wenn man ferner erwägt, dass der Anerbe die ganze Arbeit zu leisten hat, währeud er sonst doch sonstigem Verdienst hätte nachgehen können, dass die Miterben mit festen Beträgen von dannen gehen, nicht zu arbeiten haben, sondern nur ihre Rente beziehen, so löst sich der sogenannte Vorzug in Null auf ..... Wenn er ein angemessenes Voraus bekommt, so kann man noch nicht sagen, dass das wirthschaftlich und materiell ein unberechtigter Vorzug ist.“ Schmitz (ebenda S. 153 [besonders beweisend, weil auf thatsächlicher Grundlage fassend] : „Der Grundsatz gleicher Erb- thcilung, auf die Spitze getrieben, wird zu einer ungerechneten Ungleichheit; an einer Reihe von Beispielen habe ich das bestätigt gefunden. Eines sei mir mitzntheilen erlaubt. Ein kleiner Landwirth . . hat vier Kinder. Ein Sohn wird Landwirth, der zweite Postbeamter, der dritte Lehrer, die Tochter heirathet einen Kleinkaufmann. Der Tod der Eltern führt zur Theilung .... Er (der Landwirth und Hofannehmer) sieht sich .... ge- zwungen, den Preis zu geben, der im Einzelverkaufsfalle erzielt werden würde. Was ist die Folge '? Er geht langsam zu Grunde, weil die vom Uebernahmepreis zu entrichtendeu Zinsen die Boden- und Ertragsrente über- steigen; seine Geschwister sieht er in vollständig gesicherter Lebensstellung wirthschaftlich erstarken. Jedes Anlagekapital verzinst sich in jedem anderen Erwerbsstand ganz ungleich höher als im Ackerbau.“ Selbst Fick muss übrigens die Ungerechtigkeit der gleichen Theilung des Verkaufs- werthes zugeben auf S. 52 und S. 300 („Unter solchen Umständen erscheint es nicht gerecht, wenn mau den Ueberuahmspreis nach dem Verkaufs- werth bemisst.*! Allerdings sucht er dies 8. 301 wieder abzuschwächen, jedoch mit stark sophistischen Gründen. Vgl. hierüber § 43 unten.

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Will uian deshalb wirklich die Forderung der Billigkeit nach möglichst gleichem Genuss des Gutes durch alle Mit- erben durchsetzen, so hätte man vom alten deutschen Rechte lernen sollen. Denn auch dies hat von jeher das Prinzip des gleichen Genusses der Familienglieder am Familienvermögen gehabt; es hat diesen anfangs auch in gleich kindlicher und kurzsichtiger Weise wie heute durch formell gleiche Theilung zu erreichen gesucht; aber es hat dann allmählich erkannt, dass die wahre Gleichheit und die wahre Versöhnung der wider- streitenden Interessen auf anderem Wege erreicht werden muss, nämlich dadurch, dass zwar einer das Gut erhält, aber nur zur Verwaltung für die anderen, welche den Mitgenuss daran haben, so lange sie auf dem Gute verbleiben, und die Zuflucht dahin, wenn sie es verlassen, überdies aber eine Mitgabe erhalten, mit deren Hilfe sie ein auskömmliches Dasein durch ihrer Hände Arbeit sich schaffen können. So entspricht es in der That der Billigkeit. Denn selbst dort, wo streng nach diesen Grundsätzen verfahren wird, wo also der Anerbe formell bedeutend bevorzugt wird, zieht er selten eiu besseres Loos als seine Geschwister. So war es von jeher, so ist es vollends heute bei den oben genugsam beleuchteten bäuerlichen Zuständen.27rtd)

§ 36.

Sonach stände denn fest, dass das Anerbenrecht durch die Rechtsüberzeugung weiter Volkskreise gefordert wird, ohne dass erhebliche allgemeine, wirthsehaftliche oder Billigkeits- gründe dagegen sprächen. Damit ist für uns die Frage nach Einführung des Anerbonrechts mit „Ja“ beantwortet. Wir könnten uns deshalb der Prüfung der weiteren, wirthschaftlichen und sozialen Nothwendigkeit des Anerbenrechts überhebeu. Aber da auf sic sonst überall so grosses Gewicht gelegt wird, da auch ihre Erforschung ein dem Anerbenrecht sehr günstiges

**■*) Selbst in der ßreutanoschen Enquete wird wiederholt anerkannt, dass der Hofannehmer schlechter gestellt sei, als seine Miterben. Vgl. Fick S. 47, 67, 90, 147, 244.

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Ergebniss hat, so wollen wir auch in diese Untersuchung noch eintreten.

Allenthalben erschallen heute die Klagen über die land- wirtschaftliche Noth. Sie ertönen laut und übereinstimmend aus den meisten Theileu Deutschlands und Oesterreichs. Dennoch fehlt es auch heute noch nicht an Stimmen, welche diese Klagen als unbegründet oder übertrieben hinstellen wollen; ja manche Zeitungen und Parlamentarier reden mit Vorliebe von den „Agrariern“, welche öffentlich klagten, um einen grossen „Beutezug gegen das consumirende Volk“ zu organisiren, heimlich aber in „Sekt und Austern“ schwelgten. Niemand hat darauf eine bessere Antwort ertheilt als der Angehörige einer Partei, der man gewiss nicht die Vorliebe für die Agrarier vorwerfen kann, nämlich der socialdemokratische Abgeordnete Kautsky. Er fühlte auf dem Stuttgarter Parteitage von 18U8 unter lautem Beifall des Auditoriums aus: „Wir können es doch nicht ableugnen, dass eine Nothlage der Landwirtschaft besteht. Wenn liberale Freihändler von Champagnergelagen der Junker sprechen, so ist das ähnlich der Geschichte von den Champagnerweissen der Maurergesellen. Die Nothlage hat eine tiefgehende Ursache“.'277)

In der That wäre es auch ganz verfehlt, von der Lebens- haltung der Landwirthe auf die Abwesenheit eines Notstandes zu schliessen. Einmal haben wir gesehen, dass diese Lebens- haltung wirklich vielfach eine sehr, vielleicht, zu sehr einge- schränkte geworden ist.277*) Aber auch dort, wo sich der Bauer, wie z. B. in den niedersächsischen Gegenden noch ab und zn einen guten Bissen gönnt, liegen darum die Verhältnisse noch nicht rosig. Der dortige Bauer rechnet nicht so genau, es wächst ihm nach einem dortigen Ausdrucke ja alles in die Hand; darum isst er, solange er auf dem Hofe sitzt. Vielfach

S7T) Aus einem Zeitungsbericht wiedergegeben.

S7T*) Vgl. ausser den oben wiedergegebenen Berichten über Bayern namentlich Bon (Agrareonferenz S. SO) über Ostprenssen: .Ich muss aus meiner Erfahrung im Gegentheil bestätigen, dass kein zweiter Stand eine so scharte Einschränkung in seiner Lebenshaltung zu Wege gebracht hat, wie gerade der der Grundbesitzer.“ Ebenso Höppner über l’ommeru (ebenda 8. 1ÖU).

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hört man die Rede: „Ja wenn wir nicht einmal mehr essen

sollen, so ist es überhaupt mit uns aus.“ Was aber die Lebens- haltung nicht verräth, das bezeugen dort die Schuld- und Sub- hastationsziffern desto deutlicher.

Es wäre nun aber ein zweiter Irrthum, auf diese allein Gewicht legen zu wollen, und da, wo sie nicht bedenklich scheinen, einen Nothstand zu leugnen, wie es z. B. Marchet in seiner gehaltvollen Schrift für Oesterreich gethan hat.. Denn nirgends weder in Deutschland noch in Oesterreich ist die Statistik hierzu ausreichend. Ans der österreichischen Statistik z. B. haben unparteiische Männer durchaus Verschiedenes herausgelesen. Die öster- reichische Regierung schliesst daraus auf einen traurigen Nieder- gang gerade des mittleren Besitzerstandes;277») Marchet dagegen findet, wie schon bemerkt, dass die Ziffern der Statistik keine beängstigende Sprache reden. Zwei Fehle]- namentlich sind es. an denen unsere Statistik krankt. Bei der Verschuldungs- Statistik gebricht es an einer genauen Kenntniss der Ertrags- werthe, und diese müsste man haben, um zu wissen, ob Uebcr- schuldung vorliegt; denn die Frage nach der Ueberschuldung ist doch die, ob der Ertrag des Gutes zureicht, um die Schuld- zinsen zu decken. Bei der Vergantungsstatistik ferner, dem ' zweiten Gradmesser des landwirtschaftlichen Tiefstandes, ist eine andere Fehlerquelle kaum zu verstopfen. Es ist nämlich völlig zutreffend, wenn Hainisch in seiner Besprechung der österreichischen Statistik hervorhebt, dass die Subhast ations Ziffern deshalb kein richtiges Bild von der Nothlage geben, weil hohe Verschuldung keineswegs immer und sofort zur exekutiven Feilbietung führt. „Denn uicht nur der Besitzer“, sagt Hainisch, „vermag ihr durch rechtzeitigen Verkauf zu entrinnen, es kann auch im Interesse des Gläubigers liegen, sie soweit als möglich hinauszuschieben, sei es, weil er furchtet, bei der Feilbietung seine Forderung zu verlieren, sei cs, weil der um seine Existenz ringende Schuldner ihm höhere Zinsen zahlt, als er sonst erzielen könnte.“ ,277b)

277.) Vgl. darüber Chorinsky in Sehr. d. V. f. S. lid. 61 S. 84 u. 85; daselbst auch die Statistik.

277b) Hainisch i. Sehr. d. V. f. S. Bd. 61 S. 256. Ebenso v. Buch auf der Agrarconferenz (S. 179): „Bei denjenigen, die noch Kapitalien hinter

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Es wird denn auch fast allgemein die Unzulänglichkeit der Agrarstatistik anerkannt.'277*) Man wird darum wohl thun, den Ansichten der Betheiligten selbst die entscheidende Stimme einzuräumen. Das Bild, das diese nun auf der Agrarconferenz für Preussen entrollt haben, ist kein sehr erfreuliches. Nur Westfalen und Hannover sind danach noch nicht besonders ver- schuldet. Aber schon in der sonst so gerühmten Provinz Sachsen liegen nach dem Zeugnisse des Landschaftsdirektors v. Gustedt gerade beim Mittelbesitze recht bedenkliche Ver- hältnisse vor. Von Brandenburg hat der Landesdirektor v. Levetzow behauptet, dass dort der Grundbesitz durchweg überschuldet sei, und der Regierungsrath v. Buch hat cs be- stätigt. Noch schlimmer liegen die Verhältnisse in Hinterpommern ; in den hinterpommerschon Kreisen verschlingen allein die Schuld- zinsen stellenweis bis zu 7 5 °/0 des gesammten Einkommens, im Durchschnitt über üü °/„. Auch für Schlesien, West- und Ost- preussen ist eiu weitgehender Nothstand behauptet worden. Ueberhanpt kann man für den ganzen Osten eonstatiren, dass nur die Magnaten und ganz grossen Besitzer mit weit über 500 ha an Grund und Boden noch in gesicherter Lage sind. Von den Bauern ist nur ein Theil nicht gefährdet, soweit sie ganz einfach leben und am Anerbenrecht festhalten. Fast verloren erscheint dagegen der Mittelbesitz von etwa 150 bis 400 ha, die eigent- lichen gebildeten Stände.'277,r)

Es ist nun zwar schon damals den Theilnehmern an der Agrarconferenz vorgeworfen worden, sie hätten zu sehr grau in grau gemalt, und es mag auch seiu, dass die Landwirthe die

der landschaftlichen Schuld eingetragen haben, sind wir der l'eberzengung, dass sie zum grossen Theil nur von ihren Gläubigern gehalten werden, weil diese den Ausfall ihrer Hypotheken fürchten, und weil sie einen billigeren Verwalter als den Eigentümer nicht bekommen können.“

a7‘c) Z. B. auf der Agrarcoufcreuz, im besouderen hervorgehoben von v. Miquel und Conrad. Vgl. auch Thiel uud Hainiscb i. Sehr. d. V. f. S. lld. 01 S. 241 u. 263.

i71i) Vgl. Agrarconferenz S 103 bis 166 (.Sachsen), S. 80 (Ostpreusson), S. 47 und 179 (Brandenburg), S. 168, 169 (Vorpommern), S. 84 und 133 (Hinterpommern), S. 111 (Westpreussen), S. 156 (Schlesien). Vgl. auch die Ue' ersieht, welche Sering über die diesbezüglichen Ergebnisse der Agrarconferenz giebt in Scbiuollers Jahrbuch de 1895 S. 949/950.

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damalige, in der That sehr ungünstige Lage zu sehr als eine dauernde hingestellt haben. Allein im Wesentlichen sind ihre Angaben doch bestätigt worden durch die mehrfach erwähnten sorgfältigen Erhebungen, welche der Verein für Socialpolitik über den Credit und die Lage des Kleingrundbesitzes in Deutsch- land und Oesterreich gemacht hat. Ja, es sind dadurch die un- günstigen Verhältnisse der Landwirtschaft auch über die Grenzen des preussischen Staates hinaus für Oesterreich und Süddeutschland bestätigt worden.

Besonders über Bayern liegen genaue Angaben vor, gestützt auf die jüngste bayrische Agrarenquete. Danach ist in den dort behandelten typischen 24 Gemeinden der Schuldenstaud ein recht bedeutender.-'77*) Nur in einer Gemeinde beträgt der Hypothekar- schuldenstand unter 10% des Grundwertes, nämlich 5,21" ,. Sechs halten sich zwischen 10 und 15%. Zwei stehen zwischen 15 und 20%. Vier haben eine Verschuldung von 20 bis 25%. Ebenfalls vier rangiren zwischen 25 und 30 %. Die restlichen sieben haben sämmtlich über 33%%, bis auf eine sogar über 35%, ja eine steigt, auf 76,04% des Grundwertes.

Bei fast einem Drittel der Gemeinden besteht also eine Verschuldung von über einem Drittel des Grundwertes. An sich könnte nun dies sowie die übrigen Verschuldungsziffern noch nicht so bedenklich erscheinen. Allein es ist zweierlei zu erwägen.

Erstens muss im Auge behalten werden, dass die wieder- gegebenen Ziffern nur die hypothekarisch eingetragenen Schulden berücksichtigen. Die ohne hypothekarische Sicherung nur aut Handschein gegebenen Darlehen sind aber gerade in Bayern recht hoch. So belaufen sie sich in der oben erwähnten, güns- tigsten Gemeinde Harteishofen beinahe auf das Doppelte der eingetragenen Schulden. In der ebenfalls noch nicht stark, nämlich zu 1 1,60% ihres Grundwertes, verschuldeten Gemeinde Wollomoos sind sie immer noch höher als die Hypotheken, wo- durch die Prozentziffer auf fast 25 % hinaufschnellt. In der ungünstig stehenden Gemeinde Lobengrün, werden sie von orts- kundigen Männern auf die Hälfte der eingetragenen Schulden

*"') Vg| über die folgende Statistik Sehr. <1. V. f. S. Bd 73 S. 194

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geschätzt, sodass sich die Prozentzifler auf 55° erhöht. In der ähnlich situirten Gemeinde Zell betragen sie sogar fast */, der Hypotheken; anstatt 35,82 */„ kommt deshalb eine Verschul- dung von etwa 58ft/# heraus. Selbst in dem am stärksten ver- schuldeten Sollbach sind immer noch 24557 Mk. Currentschulden ermittelt, d. h. zwischen */, und '/. der eingetragenen. Die ohnehin schon beängstigende hohe Procentziffer von 76,04% wird dadurch noch auf über 87°/0 gesteigert. Das sind die ermit- telten Currentschulden. Die Berichte betonen aber, dass vielfach die Summen nicht genau ermittelt werden konnten; in einem Falle wird die nicht ermittelte Summe beinahe auf das Doppelte der angegebenen geschätzt. Nach alledem wird man annehmen dürfen, dass die wirkliche Verschuldung auf Hand- schein und Hypothek bei der Hälfte der typischen Gemeinden 50% erreicht und bei einer grossen Zahl davon auf 60" und mehr steigt, womit das Gleiche auch für das Königreich selbst erwiesen ist.2™)

Das zweite, was bei der Verwerthung dieser Ziffern berück- sichtigt werden muss, ist jedoch der Umstand, dass auch in Bayern der Verkehrswerth und der Ertragswerth erheblich differiren. Der Werth, nach dem die obigen Verhältnissziffern berechnet sind, ist nun der Verkchrswerth. Für die Ueber- schuldung ist aber, wie bemerkt, nur der Ertragswerth mass- gebend. Dieser steht nun, wie überall in Deutschland und Oesterreich, so auch in Bayern tief unter dem Vorkehrswerthe. Leider fehlt es uns an einer genauen Untersuchung hierüber. Aber wenn wir auch nicht so weit gehen werden, das Ver- hältnis beider zu einander auf 3,45:1 anzunehmen, wie es Inama-Sternegg und Marchet für das benachbarte Oesterreich tliun, so werden wir doch nicht fehl greifen, wenn wir die Relation anf mindestens 2 : 1 setzen. Danach würde eine Ver- schuldung von 50 °/0 des Verkehrswerthes nach dem Ertrags- werthe schon eine Ueberschuldung sein. Jedenfalls verschlingen die obigen Ziffern eine so hohe Quote des Ertrages, dass der angemessene Unterhalt der bäuerlichen Familie nicht mehr frei

■i7Tr) Vgl. über ilie C'urrenlachulden Sehr. <1. V. f. 8. Bd. 78 S. 96 ff. Vgl. auch v. Haag bei Sehmoller, Jahrbuch de 1S96 S. 104 ff.

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bleibt, und es begreift sich nun, warum aus so vielen Gegenden Bayerns Klagen über eine arg gedrückte Lebenshaltung der Bauern laut werden.

Auch in den Realtheilungsgegenden ist übrigens eine hohe Verschuldung ermittelt worden. Schon auf der Wiener General- versammlung des Vereins für Socialpolitik277*) hat Sering davor gewarnt, deren Schuldverhältnisse als „ideal“ zu bezeichnen: er hat auf die Rebbezirke des Kaiserstuhles, den südlichen Schwarzwald, den Odenwald sowie auf die rheinpreussischeu Gebirgsdistrikte verwiesen, in denen eine starke Verschuldung vorhanden sei. Ihm ist Schmitz auf der Agrarconferenz ge- folgt.27711) Die späteren Enqueten haben diese Warnungen leider als berechtigt erscheinen lassen.

Aus Baden nämlich wird zwar nur allgemein berichtet, die Frage, ob der produktiv wirkende Credit unter einer starken Besitzverschuldung zu leiden habe, sei zu bejahen. Genaueres wird uns dagegen über Eisass - Lothringen mit- getheilt. Es wird hier von einer „leichtsinnigen Borgwirthschaft“ und von einem „Landhunger“ gesprochen, „der ohne Rücksicht auf das mobile Betriebskapital oder den wirklichen Werth der zu erwerbenden Parzelle nur nach grösserem Grundbesitz strebt.“ Ein Bericht aus dem Unter-Elsass sagt: „Die Verschuldung

nimmt zu, wenngleich von einer allgemeinen Verschuldung oder Kreditlosigkeit keine Rede sein kann.“ Der laudwirthschaftliche Centralverein äussert sich über Lothringen wie folgt: „Nach

annähernder Schätzung beträgt die Verschuldung des Grund- besitzes des Bezirkes im Durchschnitt etwa 12 Prozent des Werthes, wechselt aber in den einzelnen Kantonen von 7 bis 8 #/# bis auf mehr als 20% und beträgt natürlich in einzelnen

Fällen mehr als 100% Das geliehene Geld muss in

einem zu der Rentabilität des Besitzes in keinem Verhältniss stehenden Zinsfusse verzinst werden, eine Schuld häuft sich auf die andere, und bald sieht sich der kleine Besitzer und Pächter am Ende seines Könnens.“ Ein Bericht aus dem östlichen

a"») Schriften d. V. f. S. 1hl. Gl S. 390. ■nTh) Agrarconferenz S. I4&.

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Lothringen hebt noch einmal den „Krebsschaden“ des „Borg- systems“ hervor.

Was wir aus Theilen der Rheinprovinz hören, ist auch nicht übermässig erfreulich. Auch dort lesen wir, dass namentlich beim Kleinbesitz die Schuldenlast stark ist, bis zur Ueber- schuldung; jae^ wird davon gesprochen, dass es dem Kleinbesitz „schwer fällt,“ sich von den schlechten Jahren 1893 und 1894 „zu erholen.“ Allgemein wird jedenfalls constatirt, dass die Verschuldung in den letzten Jahren stark zugenommen hat, und dass vielfach schon Ziusen und Kapitalsraten nicht mehr recht- zeitig bezahlt werden konnten.2771)

Nicht minder begründet waren die Warnungen über die anderen preussischeu Realtheilungsgebiete. So heisst es z. B. von dem Regierungsbezirke Wiesbaden, dass der „gesammte Kleinbesitz“ dort unter einer „überaus starken Verschuldung“ seufzt, dass er „von der Hand in den Mund lebt,“ dass er nicht im stände ist, seine Schulden aus den laufenden Einkünften zu decken, sondern auf ausserordentliche Einnahmen rechnen muss, ja dass er vielfach wegen Mangels an Mitteln nicht einmal sein Gut und seine Ernte versichern lassen kaun, trotzdem er dies gern möchte. Noch schlimmer lagen wenigstens bis vor Kurzem die Verhältnisse im preussischeu Saargebiete; jetzt sind sie dort durch genossenschaftliche Selbsthilfe etwas gebessert.277 k)

Wenn wir nun unsere Blicke über Deutschland hinaus auf Oesterreich lenken, so können wir auch hier überall die gleichen Wahrnehmungen machen. Schon Hainisch hat seinerzeit (in Schmollers Jahrbuch Bd. XVII S. 311 ff) von der Lage des österreichischen Bauernstandes eine Zeichnung geliefert, so düster, dass er an einer Besserung verzweifelt und nur den Todeskampf gemildert wissen will. Die neueren Untersuchungen haben darin manches gemildert, aber doch auch vieles bestätigt. Es würde zu weit führen, alles einzeln hier zu wiederholen; es

*n*) Vgl. über Baden, Elsass-Lothringen und Rheinpfalz Sehr. d. V. f. S. Bd. 73 S. 323, S. 341/342. S. 258 ff.

K7k) Vgl. die sehr lehrreichen Ausführungen hiorüber iu Sehr. d. V. f. S. Bd. 73 S. 48/49 und S. 111 bis 113. Ueber Wiesbaden vgl. ebenda S. 14.

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sei nur bemerkt, dass die Verhältnisse am schlimmsten in Tirol und Niederösterreich liegen. In Deutschsüd tirol z. B betragen die Versteigerungen über die Hälfte der Erbfälle.-7")

Angesichts aller dieser Ergebnisse aus Deutschland und Oesterreich ist es nun wohl verständlich, warum selbst wenig agrarfreundliche Parteien wie die socialdemokratische den all- gemeinen Nothstand anerkennen, und warum wir ihn als eine unbestreitbare Thatsache bezeiehneten.

Wenn wir nun nach den Gründen dieser allgemeinen, be- klagenswert heil Erscheinung forschen, so sind deren viele ange- geben worden. Graf Choriusky wenigstens bietet in seiner ausgezeichneten U ebersicht der österreichischen Agrar-Bewegung ein ganzes Bündel davon dar.87"*) Immerhin lassen sich aus der Fülle der Ansichten drei Gruppen herausheben. Die eine sieht den Grund der Noth in dem Steuerdruck namentlich der ver- schiedenen Communalabgaben. Die zweite sieht ihn in den stetig sinkenden Getreidepreisen und in der Concurrenz des Weltmarktes. Die dritte erblickt ihn in der herrschenden Grundcigeuthumsordnung mit ihrer grundsätzlichen Bewerthung der Liegenschaften nach dem Kaufpreise.

Die erste Richtung zählt nur wenig Anhänger. Auf der pr. Agrarconferenz wurde, sie allein von Gamp vertreten. Und in der Tliat ist die Belastung der Landwirtschaft durch Steuern und Abgaben zwar vielfach ziemlich hoch, aber eine so tiefgehende und allgemeine Bedränguiss konnte sie namentlich in Deutschland doch nicht erzeugen.

Die grösste Anhängerzahl hatte früher die dritte Meinung. Jetzt sind die meisten praktischen Landwirthe in das Lager der Bekenner der zweiten übergegangen. Namentlich auf der pr. Agrarconiereuz trat dieser Zwiespalt deutlich zu Tage. Die Theoretiker sahen den Urgrund des Uebels vor allem in den Erbrechtsgesetzen; die Männer der Praxis stellten deren unheil- volle Wirkung nicht in Abrede, warnten aber davor, in ihrer Aenderung die Hauptsache zu sehen; die Hauptsache sei viel- mehr, dem andauernden Preisstürze Einhalt zu thuu.

87!l) Vgl. Sohr, iles V. 1'. S. Bit. 75 S. 12« bis 131 (Tirol). Sehr. J. V. 1'. S. Bei. 01 S. 100 If.

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Es will uus bedünkeu, als wenn die Betheiligten früher vor den Zeiten der Erregung klarer gesehen hätten. Denn auch wir erblicken die Hauptursache der Ueberschuldung in der Be- werthung der Liegenschaften nach dem Tauschwerthe und in den bestehenden Erbordnungen. Früher wurde hierfür nament- lich geltend gemacht, dass der Preissturz eine so allgemeine und namentlich bei den kleinen Landwirtheu aultretende Cala- mität um deswillen nicht habe erzeugen können, weil die meisten Landleute und vorzugsweise die kleinen gar kein Getreide ver- kauften, so dass ihnen dessen Preis gleichgiltig sein könne. Gewiss liegt hierin viel Richtiges. Indessen die jüngsten Um- fragen haben doch gezeigt, dass auch die kleinen Bauern Getreide verkaufen, und dass darum fast alle an den Getreide- preisen weit mehr interessirt sind, als man früher aunahm.'-’78b) Weniger anfechtbar ist darum der vielfach beliebte Hinweis darauf, dass es auch früher lange Zeiten gegeben hat, in denen der Getreidepreis ausserordentlich niedrig gestanden hat, und in denen die Ausgaben die Einnahmen erheblich überstiegen,278*) ohne dass doch ein solcher Nothstand wahrnehmbar geworden wäre wie jetzt. Hieraus ergiebt sich in der That, dass der Preisdruck nicht die Ursache, zum mindesten nicht die alleinige Ursache der misslichen Lage der Landwirtschaft sein kann’ denn sonst hätte diese damals in gleichem Maasse eintreten müssen. Auf den gleichen Schluss führt endlich noch eine dritte Erwägung: Die üble Lage des platten Landes ist eine

dauernde und leider noch bis heut nicht geschwunden. Der auf der Agrarconferenz so hervorgehobene Tiefstand der Produkten- preise des Jahres 1894 war aber nur eine vorübergehende Er- scheinung. Die Preise sind zwar noch immer nicht so hoch wie in den siebziger Jahren, aber doch annähernd normal, den Durchschnittspreisen früherer Dezennien entsprechend. Dass

m8*’) Vgl. v. Haag bei Schmoller, Jahrbuch de 1896 8. 94: „Da bei den Gemeinden mit normalen Besitz Verhältnissen entweder sämuitlicho oder nahezu alle vorhandenen Wirtschaften mit weniger Ausnahmen Getreide verkaufen, so darf immerhin angenommen werdeu, dass die Gesammtheit an einem angemessenen Stande der Getreidefrucht interessirt ist.“

mt) Vgl. Agrarconferenz 8. 66,67 und 8. 268/269 (Conrad und Sombart).

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trotzdem noch nicht ein Durchschuittszustand wieder eingetreteu ist, muss darauf hinleiten, noch einen anderen und dauernden Grund des Uebels ausser dem Preisstürze zu suchen, und als solcher bietet sich nur noch die Bewerthung des Grundes und Bodens nach dem Tauschwerthe im geltenden Erbrecht dar.

In der That lässt es sich auch mit leichter Mühe aus- rechnen und ist oftmals, auch oben von uns, ausgerechnet worden, dass die gleiche Theilung des civilen Werthes zur Ueberschuldung führen muss.2™) Sie thut es selbst dann, wenu nur der Ertragswerth getheilt wird, weil dann dem Ueber- nehmer meistens weder der nüthige Risikofonds noch der an- gemessene Arbeitslohn freibleibt. Lehrreich ist hierfür ein von Thiel gegebenes Beispiel. Er schreibt (Sehr. d. V. f. S. Bd. 61 S. 394/395): . . . ein Gut, welches im langjährigen Durch- schnitt jährlich 1000 Mk. Reinertrag geliefert hat, hat zu

3 '/» °/o berechnet einen Kapitalwerth von ca. 28 500 Mk. Wenn

ein solcher Werth unter 5 Kindern zu gleichen Antheilen ge- theilt wird, so erhält der Anerbe nur 5700 Mk Wollen

wir annehmen, er heirathe in seinem Stande und erhalte, da dasselbe Theilungsverfahren überall gelten soll, als Mitgift noch einmal . . . 5700 Mk. Dann blieben ihm immer noch 3 Portionen mit im ganzen 17100 Mk. zu verzinsen und in 30 Jahren zu auiortisiren. Bei einer Verzinsung von 31/« °/0 braucht er zur Verzinsung 598,50 Mk. und zur Amortisation (2 °/0 für 30 Jahre) 342 Mk., macht jährlich 940,50 Mk. Es stehen ihm aber nur 1000 Mk. jährlich zu Gebote. Er muss also schon selbst mit- arbeiten und die Schulden aus seinem Arbeitsverdienst decken: kann er dies nicht, so kann er den Hof nicht schuldenfrei machen. Bei 6 Kindern . . . bleiben Erbschulden 19 000 Mk. gleich einer jährlichen Amortisation und Verzinsung von 1045 Mk., also schon mehr als der ganze Reinertrag. Bei

4 Kindern .... bleiben 14250 Mk. Erbschulden, welche an Zinsen und Amortisation 783,75 Mk. erfordern.“ Schou beim Ausgehen vom Ertragswerthe ist es also nur unter Hin-

Z!M) Vgl. Vorhdlg. des Juristentages de 1895 Bd. 1 8. 39/40 (Andre) und Bd. 2 8. 75 76 (Kneecerus); Agrarconfercnz S. 67 (v. Miquel). Vgl. such Aum. 276«),

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gäbe eines Tlieiles des Arbeitslohnes und durch dementsprechende Einschränkung der Lebenshaltung möglich, einen schulden- freien Hof im Laufe eines Menschenalters wieder schuldenfrei zu machen. Hat der Besitzer nicht die Selbstüberwindung dazu, so wälzen sich die Schulden von Generation zu Generation fort, in mathematisch-unerbittlicher Weise wachsend. Lasteu aber gar schon von vornherein Schulden auf dem Hof, so ist sofort die Ueberscbuldung gegeben. Dies alles tritt, wie noch- mals betont wird, schon ein, wenn der Ertragswerth zu Grunde gelegt wird. Es bedarf keiner Ausführung, dass sich alle diese Schäden und Gefahren bei Anwendung des Verkehrswerthcs noch viel schärfer zeigen; denn der Verkehrswerth beträgt, wie schon bemerkt, in Deutschland und Oesterreich fast überall ein Mehrfaches des Ertragswerthes. Es ist darum nicht wunderbar, wenn gerade in der Brcntano'schen Enquete ohne Ausnahme anerkannt wird, dass dort, wo die Gerichte die gleiche Theilung des Kanfwerthes erzwungen haben, der Besitzer den Hof nicht halten kann.-'™*)

Die herrschende Grundeigenthumsordnung mit ihrer Be- werthung der Liegenschaften nach dem Tauschwerte namentlich auch im Erbgauge äussert ihre verderbliche Wirkung sogar noch dann, wenn sie von der Bevölkerung durch Altentlieils- verträge umgangen wird. Es wird zwar allgemein berichtet, dass dabei nicht der Kaufpreis zu Grunde gelegt wird, sondern ein ungefährer Schätzungswerth dessen, was der Hof wohl trageu könne. Allein die sonst überall erzwungene Beachtung des viel zu hohen Kanfwerthes hat eine derartige, allgemeine Ueber- schätzung der Grundwerte zur Folge, dass sie auch bei den Uebergabsverträgen nicht einflusslos sein kann. Das ist be- sonders bei der jüngsten bayrischen Enquete hervorgetreten; es ergiebt sich auch aus einer einfachen Rechnung. Wenn wie in Deutschland und Oesterreich Ertrags- und Verkaufswerth wie 1:2, ja wie 1:3 steheu, so müsste dem Anerben schon im Voraus von der vollen Hälfte, ja von zwei Dritteln des Verkaufs- werthes gegeben werden, wenn beim Ertragswerthe nur gleiche Theilung eintreten sollte. Ein solcher Voraus ist aber nirgends

»*■) Fick S. 49, 05, 70, 95, 195, 167, 1S3, 184.

▼. Dultsig, Gruuderbrecbu jtj

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üblich.278') Vielmehr schleicht auch bei der Gutsübergabe das von der herrschenden Eigenthums- und Erbordnung heraiigeziiclitete Uebel der Bodenüberwerthung im Finstern fort, und es ist darum völlig richtig, wenn in dem erwähnten Artikel der Täglichen Rund- schau das Ergebniss der bayrischen Enquete mit den Worten ge- zogen wird: „Auch nach den Durchschnittspreisen der siebziger und achtziger Jahre war und ist die Bewerthung des Grund und Bodens bei Verkauf und Uebernahme . . . eine im Verhältniss zum Ertragswerth ungesund hohe, auf arger Selbsttäuschung be- ruhende .... Wo, wie dies ja die Regel bildet, die Güter durch Uebergabe unter Lebenden in der Familie bleiben, hält man erst recht an dem eingebildeten Gutswerth fest und glaubt dem Uebernehmer einen ganz bedeutenden Voraus eiuzuräumen, während man ihm im Verhältniss zum Er- tragswerth vielleicht gar nichts im Voraus bewilligt.“

Mit ähnlichen Urtheilen auch aus anderen Gegenden Deutsch- lands und aus Oesterreich könnte mau bis zur Ermüdung auf- warteu. Es sollen darum nur einige herausgegriffen werden. So sagtz. B. Seriug über ganz Preussen: „Die lange, von 1880

bis etwa 1878 anhaltende, günstige Conjuuktur hat immer wieder dazu verführt, wie im Erbgang, so auch im freihändigen Erwerb die Zukunft im Bodenwerthe zu eskomtireu. Noch vor Kurzem konnte man beobachten, dass eine einzige gute Ernte die Grund- stückspreise in die Höhe trieb.“278») Was Oesterreich anbetrifft, so sagt der Ploncr'sche Bericht über Steiermark: . . . Die

geschlossene Uebertragung ist . . die Regel; sie ist aber zu- gleich in zahllosen Fällen der Keim des Verfalles vvirth- schaftlicher Wohlfahrt.“ Aehnlielies vernehmen wir über die anderen Alpenländer. Die eingehendsten Ausführungen über diesen Punkt hat jedoch der Berichterstatter für Mähren ge- macht. Sein Gesammturtheil über die Gutsüberlassungen sei darum hierher gesetzt: „Während, wie aus älteren Verträgen ersichtlich ist, bis zu den sechziger Jahren diese Heraus- zahlungen niedriger gehalten waren, um dem Anerben zu er- möglichen auf seinem Gute sich auskömmlich zu erhalten, sind

27M) Vgl. Anm. 273s (Höchstens '/, des Tauschwerthea). *'**) Seriug bei Sekundier, Jahrbuch de 1894, 8. 945.

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die betreffenden Beträge angesichts der günstigen Preisverhält- uisse in den siebziger Jahren und des dadurch bedingten Steigens des Bodeuwerthes wesentlich erhöht worden. Seit den achtziger Jahren ist aber trotz des Preissturzes eine Verminderung der Höhe der Herauszahlungen nicht eiugetreten. Von Notaren wird constatirt, dass eine häufig wiederkehrende Entgegnung auf Vorhaltung wegen der Ueberspannung der Herauszahlungen die ist, dass der Abtreter von seinem Vater auch derartige Lasten übernommen habe. An die Aenderung der Zeitverhältnisse wird von dem Abtreter und andererseits auch von dem Uebernehmcr, der . . . nur zu leicht übertriebenen Erwartungen sich hingiebt, nicht gedacht.“ an wird nicht sagen können, dass das ge- sunde Zustände sind, und doch sind sie nach den Beispielen, die der Verfasser weiterhin mittheilt, noch nicht einmal schwarz genug gemalt.'-™)

Damit ist wohl hinreichend dargethau, welche Gefahr für den Volkswohlstand die herrschende Grund- und Erbordimng mit ihrer Bewerthung der Liegenschaften nach dem Verkehrs- wertlie bedeutet, und wie sie ihre unheilvolle Einwirkung selbst da noch äussert, wo sie zu umgehen versucht wird. Man giebt denn auch die Gefährlichkeit der Civiltheilung und die Mög- lichkeit eines Schadens last allgemein zu, man behauptet aber, dass die Möglichkeit selten zur Wirklichkeit werde; wie nämlich die Statistik lehre, sei nur bei einem sehr geringen Prozentsatz der Vergantungen der Erbgang die Ursache des Verfalls; die theoretisch vorhandene Gefahr könne darum eine Aenderung des Erbrechts nicht rechtfertigen, weil sie iu der Praxis durch andere Einflüsse paralysirt werde.

Zunächst sei bemerkt, dass man aus der Statistik auch das Gegentheil herauslesen kann. Eheberg z. B. sagt über die im Jahre 1880 in Bayern aufgestellte Vergantungsstatistik: „Auch die Vergantungsstatistik von 1880, so irrig sie ist, hat darin entschieden recht, wenn sie relativ die meisten Ver- gantungen der zu hohen Gutsübernahme und den Hinaus-

279 f Die Nachrichten aus Steiermark und Mähren stehen in Sehr. d. V. f. S. Üd. 75 S. 3 und 17».

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Zahlungen von Heirathsgut und Kindesgeldern zuschreibt.“278*) Es ist aber überhaupt nicht möglich, bei der Statistik die Ur- sache der Verschuldung mit Sicherheit zu ermitteln. Es er- fordert dies ein derartig tiefes Eindringen in die einzelnen Ver- hältnisse, wie es für die grossen, von der Statistik erfassten Gebiete ganz unmöglich ist; selbst im Einzelfalle ist es ja oft überaus schwer zu sagen, welcher von mehreren zusanimeu- wirkenden Gründen der hauptsächliche war. Gerade diejenigen Männer, deren Lebensberuf die Statistik ist, haben darum an- erkannt, dass diese hier unlösbaren Hemmnissen begegnet, und haben im preussischen statistischen Bureau und im Landes- ökonomiekollegium beschlossen, bei der Zwangsversteigerung deren Ursache nicht mehr mit zu erheben.279*’)

Wir wollen uns darum auch nicht auf die Verschuldungs- statistik in Hessen berufen, welche in Starkenburg bei 74,9 °/# und in Oberhessen sogar bei 84 % aller Schuldaufnahmen als Grund die Einschreibung von Kauf- und Anschlagsgeldern, sowie von Herausgaben aufweist. Denn diese Gebiete ermöglichen wegen ihres geringeren Umfanges zwar schon eher einen Ueber- blick, aber einen genauen geben sie doch noch nicht. Hier können nur Untersuchungen massgebend sein, die mit grösster Sorgfalt sich der Erforschung einzelner Orte zuwenden. Solche Untersuchungen haben wir nun zwei. Die eine betrifft Baden. Es sind dort 37 Gemeinden als Beispiel herausgegriffeu worden. Von den in diesen Gemeinden ermittelten Schulden waren nun 18,5 °/0 durch direkte Erbtheilung veranlasst und 60 °/„ durch „Liegenschaftserwerbung“, worunter die Gutsabtretung mit ein-

Eheberg Bd. 3 S. 132. Die Vergautungsstatistik hatte fest- gestellt: .Von 441 Vergantungen des Jahres 1H80 in Oberfranken waren

380 die Folge von ungünstiger Gutsübcrnahme und iin ganzen Königreiche von 3988 Vergantungon 2684.“

-’78b) Vgl. Blenck, den Direktor des statistischen Bureaus, auf der Agrarconferenz (S. 177). Ein praktisches Beispiel dafür, wie sehr die einfache Hypothekenstatistik irreführen kann, bietet der Bericht über den Ort Missen in der bayrischen Agrareuquete. Es heisst dort: .Nach den

HypothekenauszUgen sind nur 17,5 °/# der Gesammthypothekschulden in der Gemeinde .Familienschulden“, dieses Verhältuiss ist so gering, . . . dass man mit Sicherheit schliessen kann, viele Autheile am Elternvermögen sind durch Aufnahme von Darlehen hinausbezahlt worden.“

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begriffen ist. Noch beweisender ist jedoch die jüngste bayrische Enquete, weil sie durch die geringere Zahl der typischen Ge- meinden — nur 24 noch eine weit grössere Vertiefung in die lokalen Verhältnisse herbeigeführt hat. Hier ist nun in fast allen Gemeinden, welche der ungetheilten Vererbung huldigen, von den Betheiligten selbst als erster und hauptsächlichster Schuldgrund die zu hohe Gntsübernahme angegeben worden.2™) Der Berichterstatter für Leiblffng geht sogar so weit, den Einfluss des Preissturzes ganz zu leugnen und zu behaupten: „Die viel beschrieene, schlechte Lage der Landwirtschaft hat noch keinen Landwirth in der Gemeinde zum Schuldenmachen veranlasst.“ Aehnlich lautet der Bericht für Schalldorf, und in gleicher Weise wird in dem Berichte über Missen nur die Möglichkeit ortengelassen, dass die Nothjabre „wohl auch mit“ Ursache gewesen sein möchten, in erster Reihe wird aber wieder und wieder auf die Gutsabtretungen hingewiesen.

Diese Ergebnisse über die auch praktisch hervorragende Bedeutung der Erbordnungen sind durch die oft citirten Um- fragen des Vereins für Socialpolitik nur gefestigt worden. Auch

***) Vgl. Sehr. il. V. f. S. B<1. 73 S. 97 (Eberfing): .Weiter nehmen aber die Schulden fast regelmässig bei jeder Uutsübernahme zu, weil ziemlich jedesmal höher übernommen wird.* S. 98 (Polling): .Der hauptsäch- lichste Grund der nicht unbedeutenden Schulden besteht in der zu hohen Ueberonhme*. S. 99 (Leibifing): .Hoho Ueberuahmen sind die vor- herrschen d st c t'rsache der Schuldaufnahme“. S. 100 und 101 (Schalldorf). S. 103 (Kondrau): .Ala ITrsachen der Schuldaufnahmen sind namentlich zu bezeichnen: 1) Die Gutsiibernahmen, weil trotz der

billigsten Veranschlagung des Hofes doch immer dem Ucberneliiner eine er- hebliche Schuldenlast .... aufgebiirdet werden muss * S. 105

(Paulusbofen) : .Die Verschuldung lässt sich auf folgende Ursachen zurilck- führen: Die zu hohen Gutsiibernahmen. beronders in den siebziger und achtziger Jahren, wo Grund und Boden hoch im Preise stand. . . . Hier- mit hat die Verschuldung ihren Anfang genommen.“ S. 107 (Sollbach): „Der bedeutende Schulde ns tan d in Sollbach stammt zum Tbeil schon aus einer Zeit vor 50 00 Jahren zurück. Er hatte seine Anfänge in den Abfindungen bei Gutsübernahmen . . . Als Ursachen der Schuldaufnahmcn erscheinen wie vorhin betont, hauptsächlich die Gutsübergaben*. S. 109 (Gesees [ganz ebenso wie Sollbach]). S. 111 (Bobengriin) u. s. w. u. s. w. Vgl. auch das Resumfe der Enquete bei v. Haag a. a. O.

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diese Umfrage nämlich darf man benutzen. Die in ihr ent- haltenen Berichte der Vorstände von den Raiffeisen vereinen, beschränken sich ja auf ein eng umgrenztes Gebiet, wo die Gutachter zu treffenden Urtheilen um so mehr befähigt waren, als sie gerade durch ihre Thätigkeit den intimsten Einblick in alle Verschuldungsverhältnisse erhalten mussten. Wo sie nun über Höhe der Verschuldung klagen und auf deren Grund cingclien, da nennen sie in erster Reihe den Erbgang oder dessen Surrogate. Selbst in Westfalen wirkt er stellenweise schon bedenklich. So hat die Stadtkasse in Rietberg 210 000 Mk. an Darlehen gegeben, darunter allein 65000 Mk., also beinahe 1 , derGcsammtsumme zur Erbabfindung; überdies darf man annehmen, dass auch von den zur „Schuldentilgung“ gewährten fiOOOO Mk. ein grosser Theil zur Convertirung alter Darlehen verwendet ist, die ursprünglich für Erbabfindnngen nüthig geworden waren. Aehnlich hat die Warsteiner Kasse aus einer den Landwirthen zugeflossenen Summe von 151155 Mk. immer noch 37 000 Mk. zu Erbabfindungen verwenden sehen. Auch von dem noch recht günstig stehenden Oldenburg wird in besonders charakteristischer Weise hervorgehoben, dass die ehemalige grössere oder geringere Bevorzugung des Anerben „in dem Masse der gegenwärtigen Verschuldung noch sehr deutlich zum Ausdruck“ komme. Greifen wir von den besser gestellten auf die mehr leidenden Gebiete hinüber, so lauten natürlich hier die Urtheile noch weniger rosig. So heisst es z. B. über den grössten Theil von Posen: „Die in manchen Gegenden recht beträchtlichen Renten und sonstigen Lasten . . ., die ausserdem oft unverhältniss- mässigen Hypothekenschulden, Kindergelder und dgl. und nicht zum mindesten die auf bäuerlichen Grundstücken ein- getragenen Leibgedinge, von welchen oft zwei, auch drei in beträchtlicher Höhe auf den Grundstücken ruhen, erreichen in ihrem Gesammtwerthc in sehr vielen B’ällen den Werth des Besitzthums, wenn sie ihn nicht gar übersteigen. Nimmt mau dazu die landwirtschaftlichen Misserfolge der letzten Jahre, so kann man wohl sagen, dass der grössere Theil der ländlichen Grundbesitzer seit Jahren wirtschaftlich nur noch ein Schein- leben führt.“ Von denselben Gegenden sagt derselbe Gewährs- mann an anderer Stelle, dass das Ausgedinge dort sehr traurige Erscheinungen zu Tage fördere, die Besitzer ruinire, das

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Familienleben zerstöre und dem Wucher Thür und Thor öffne.279*) Aehnliche Stimmen aus Oesterreich und zwar über Steiermark und Mähren haben wir schon oben verzeichnet.

Erwägt mau alles dies, so wird man verstehen, warum auf der Agrarconferenz nur denjenigen Bauern leidliche Vermögens- verhältnisse nachgerühmt wurden, die noch an den älteren Erbgewohnheiten mit ihrem sehr massigen Anschläge des Guts- werthes festgehalten haben,2**) und warum umgekehrt die hoff- nungslose Lage der mittleren Besitzer gerade darauf zurück- geführt wurde, dass hier besonders das römische Erbrecht seinen vernichtenden Einfluss ausgeübt habe.2**“) Denn in der That erweist sich das geltende Erbrecht mit seiner Theilung des Verkehrswerthes nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch als eine hervorragende Quelle der Verschuldung; es erweist sich als eine Macht, die selbst dann noch wirkt, wenn die Be- völkerung durch Ausnutzung der Vertragsfreiheit ihr zu ent- rinnen sucht. Es ist darum nicht wunderbar, wenn selbst in den Gegenden, wo die mechanisch gleiche Theilung unter alle Erben und die Behandlung der Grundstücke als Ware am tiefsten in das Volksbewusstsein eingedrungen ist, nämlich in den Gegenden des französischen Rechts, sich allmählich die Er- kenntnis Bahn bricht, dass derartige Gewohnheiten den Unter- gang briugen müssen. Nicht allein der Landgerichtsdirektor Schmitz hat auf der Agrarconferenz (S. 153) aus seiner lang- jährigen Erfahrung als Verlassenschaftsrichter dargelegt, dass auch am Rhein die gleiche Theilung des Kaufpreises den Ruin des Hofannehmers zeitigt, und dass man die Bevölkerung darüber sehr wohl belehren könne; auch über das lange Zeit französische Elsass-Lothringen wird dem Verein für Social- politik auf Grund der Nachfragen bei ortskundigen Männern

j)jö Nachrichten aus Westfalen siehe in Sehr. <1. V. f. S. IW. 74 S. 156, aus Oldenburg: ebenda S. 197, aus Posen: ebenda S. 409 u. 3S6.

**) Vgl. Agrarconferenz S. lt>4 (ans Sachsen: .... wenig ver-

schuldet. nur soweit der Hauer . . . eine einfache Lebensführung beibe- halten hat, . . . soweit er sich an eine althergebrachte Erbtoriu gehalten hat.u)

'■«>»; Vgl Agrarconferenz S. 133.

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berichtet, dass dort eine Aenderung des gleichen Erbrechtes im Prinzipe zwar nicht angängig sei, dass es aber sehr wohl möglich und angezeigt wäre, cs in dem wichtigsten Punkte zu ändern und bei Theilungen statt des Verkaufs- nur den Ertragswerth zu setzen. Wenn aber selbst unter den treuesten Anhängern des gleichen Erbrechts sich die Ueberzeugung von der ökonomischen Schädlichkeit des Verkehrswerthes Bahn bricht, so ist das der stärkste Beweis dafür, dass jene Ueberzeugung auf zwingenden Gründen ruht.

§ 37.

Das zweite der modernen Erbordnungen, die Realtheilnng, nöthigt nicht so unmittelbar zur Verschuldung. Gleichwohl ist auch in ihren Herrschaftsgebieten der Schuldenstand, wie wir schon sahen, ein hoher. Mittelbar muss also auch sie boden- belastend wirken. Sie bringt jedoch noch eine Reihe von mehr in die Augen fallenden Schäden mit sich.

Die Naturaltheilung, nach gemeinem und preussischen Rechte möglich, aber für Grundstücke dort niemals beliebt, ist ein Geschenk des französischen Rechts. Aber selbst hier will man nichts mehr von ihr wissen. Früher als selbst in Deutsch- land hat man dort den Grund- und Cardinalfehler dieses Rechts- systems erkannt, seiue Eigenschaft, die Bodenzersplitterung bis zur Zwergwirthschaft hervorzurufen; früher als bei uns hat man für diese Erkenntniss das geflügelte Wort gefunden: la France tombera en poussiere.2*1)

Die zersetzende Eigenschaft der Naturaltheilung wird heute nur noch sporadisch bestritten. Wer vollends die Vorgänge bei Einführung des französischen partage force erwägt, 2SU) wird schwerlich den Muth haben, jene Wirkung zu leugnen. Unter

»»>) Vgl. Sehr. d. V. f. S. Md 7:t S. 340.

281 ) Vgl. über diese Bewegung die ausgezeichnete l'ehersieht von Maroussem auf der Wiener Generalversammlung des Vereins für Social- politik (Schrift dess. Bd. öl S. 315 ff. [Mobilisation, pu lveri sa tion. tel est le resum6 de ce poiut de vue, 6tabli par le Code civil]).

au«) Vgl. hierüber namentlich Fuld, „Erbrecht des code civil“ in Schmollers Jahrbüchern Bd. XI1S. luit ff., und die dort eitirlcn Aussprüche v. Sybel's.

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all' dem auf die Oeffentlichkeit berechneten Gerede im Convent über den bisherigen Missbrauch der schrankenlosen alt- französischen Testirfreiheit schimmert deutlich hindurch, dass der wahre Grnnd zur Annahme der Naturaltheilung die sichere Erkenntniss war, wie sehr sie die damals erstrebte Gleichheit, Nivellirung und Atomisirnng der Gesellschaft förderte. Das Erbrecht nach Naturaltheilen zerstäubt mit Sicherheit in wenig Generationen ein jedes Vermögen, und so wird alles gleich. Niemand hat dies offener, ja cynischer ausgesprochen als der grosse Napoleon iu seinem bekannten, jetzt so oft angeführten Briefe an seinen Bruder Joseph: „Etablissez“, schreibt er, „le Code civil ä Naples, tout ce qui ne Vous sera pas attache va se detruire en peu d'annees, et ce qne Vous voudrez conserver se consolidcra. Voila le grand avautage du code civil. II consolide votre puissance, puisque par lui, tout ce qui n’est pas fideicommis, tombe et qu’il ne reste plus de graudes maisons que celles que vous erigez en fiefs. C’est ce qui m'a fait precher un code civil et m'a porte ä l’ötablir“.282)

Neben der Entstehungsgeschichte des partage force belegen aber auch die Zahlen der Statistik die zersplitternde Wirkung der Naturaltheilung mit einer erschreckenden Deutlichkeit. Die Klagen hierüber werden nicht nur in Deutschland vernehmbar. In allen Ländern, wo das gleiche Erbrecht nach Naturaltheilen üblich ist, haben die Statistiker ein trübes Bild von der Zer- fällung des Landes in Zwergwirthschaften entrollen müssen. In Frankreich sind die Schriften des grossen Nationalökonomen Leplay und seiner Schüler voll davon,282*) und auch in Italien

**) Correspondance de Napoleon I. Paris 1803 t. XI t. p. 432. So klar erkannte der grosse Napoleon die sozialen Wirkungen des Erbrechts. Und ein solches Erbrecht, dass gerade um wirthschaftlicbe Wirkungen aus- zuüben, eiugeführt ist. will man mit der Losung von der Nichteinmischung des Staates in wirthschaftlicbe Dinge aufrecht erhalten ! Schärfer als von jenem Manne mit dem durchdringenden Blick ist es nie ausgesprochen, dass jegliches Erbrecht eine wirtschaftliche Einmischung bedeutet.

**") Das schlagendste Beispiel dafiir, wie sehr die zersplitternde Wirkung der Naturaltheilung in die Augen fällt, ist wohl das von Maronssem a. a. 0. S. 317/318 nütgetheilte : Ein Maire einer kleinen französischen

Couimnne hatte »ich hei dem Anschwollen der von Leplay angeregten Be- wegung daran gemacht, durcli eingehende l'ntcrsuchung seiner Gemeinde

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Lat die grosse, von Sombart a. a. O. besprochene, landwirth- schaftlicho Enquete ein Gleielies zu Tage gefördert. Sombav fasst ihr Ergebniss in die Worte zusammen: „Aus den Klagen über die unaufhaltsam fortschreitende Atomisirnng de- bäuerlichen Besitzes in Italien, wie sie in jedem der betreffenden Enquetebände wiederkehren, wollen wir nur einige wenige heransheben; bemerkt sei gleich an dieser Stell' sie alle finden die Ursache dieses Ucbelstandes in deci nach französischem Muster geregelten Erbrecht nacli Re alt hei len. So sagt Jacini von der Lombardei . . . Dir Professor Morpurgo weist es für das Yenetianische nach . . Mit ganz ähnlichen Berichten über andere Gebiets- theile Italiens Hessen sich Seiten über Seiten füllen.“

Ein gleiches hört man über die Gebiete mit Kealtheilung aus Oesterreich,'-*1) namentlich aus Galizien und der Bukowina und ebenso hat es sich in Deutschland erwiesen. In d-r bayrischen Rheinpfalz, z. B. wo Naturaltheilung gilt, betrac-: die Zwcrgwirthschaften unter 1 ha Grundfläche 42.'» Pro/'-r aller landwirtschaftlichen Betriebe, und auch darüber hinan- sind noch 52,2 °/0 Kleinwirthscliaften unter 10 ha. Die-

jene Bewegung als verfehlt zu erweisen und das Erbrecht der Kev.dut : zu retten. Allein die Untersuchung ergab das Gegentheil dessen, was sollte. Maronssem sagt darüber: . Leuqucteur fut converti gar 1'enqtMc ce qui est plus rare qu’on ne le suppose. II toucha le vif des plaies agr- coles, quand il s'ngit de In petite culture in dependante: eparpilleinent i' parcelle», pertes de temps, impossibilite de la culture rationelle, sur mobilite, instabilite.“

-k;j Vgl. Ilainisch in Schmollen Jahrbuch Bd. XVII S 311 f Danach herrschen in drn südlichen Kronländem und in Galizien äbnli Verhältnisse wie in Italien: I’arzellenwirthschaft und Latifundien. Es »; andauernd gctheilt und /.war in natura. Ebenso in (ializien und Bukowit. .Sowohl in den südlichen, wie in den nordöstlichen Kronlftndem*. -i- Hainisch, .kommen daher gesetzliche Massregeln den Bauernstaud zu rettr- zu spat." Vgl. auch Marchet S. 1311 und Sehr. d. V. f. S. Bd. * S. 2N9 über Südtirol: _Im Gebirge wird fast regelmässig nncli dem T

des Hausvaters dessen Besitz in soviel Tlieile zerstückelt, als Söhne banden sind. So hat die Gemeinde Vallarsa im Bezirk Roveredo z. B. " 7ts Q km nicht weniger als 14 000 Parzellen* talso durchschnittlich j nur etwas über 0,5 ha), .Cuvadine 1I.3DQ] km 12000, Canal S. B 132 km 19000.*

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94,7% aller Wirtschaften, zusammen, 101407 an der Zahl, nehmen 20.7 Of.ii ha, oder «0,7 %, der bebauten Fläche ein, sodass die ungeheure Majorität aller Haushaltungen nur 2,022 ha ihr Eigen nennt. Rechnet man noch die etwa 5700 mittleren und Grossbetriebe dazu, so stellt sich die Durchschnittsgrösse einer landwirtschaftlichen Besitzung auf 2,87 ha, also immerhin noch auf weniger als früher, wo sie in dem Jahrzehnt von 1853 bis 1 803 noch 2,89 ha betrug.21*4)

Etwas weniger trüb liegen die Besitz Verhältnisse in dem zweiten bayrischen Rcaltheilungslande, in Unterfranken. Immer- hin betragen hier die Betriebe unter 1 ha noch 27,0 % von allen und die von 1 bis 10 ha nicht weniger als 60,8 %. Sie nehmen zusammen 54,8% der landwirtschaftlich benutzten Fläche ein. Die Dnrclisclmittsgrösse eines Landgutes aber berechnet sich, selbst wenn die mittleren und grossen mit ein- bezogen werden, auf nur 4,7 ha. Diese Zahl erhält ihre richtige Beleuchtung erst dann, wenn man erwägt, dass die obere Grenze des Zwergbesitzes, der eine Familie weder ganz be- schäftigt noch ernährt, in Bayern nie unter 3 ha hinabsteigt, meist sich aber auf 4 oder 5 ha hält.2’0) Eine schwere Gefahr liegt also auch hier vor und wenn sie noch nicht so drohend scheint, wie in der Pfalz, so wird man nicht fehlgehen, wenn man dies darauf zuriiekführt, dass eben in Unterfranken noch vielfach geschlossene Vererbung vorkommt. Ganz ähnliche Zahlen ergeben sich nämlich für Würtemberg, wo fast in der- selben Weise Theilung und ungeteilte Vererbung durchein- andergehen; ja weil hier die Geschlossenheit noch einen etwas

*•) Vgl. Sehr. il V'. f. 8. Bd 7:! S. 204. v. Ungern S. 04 ff .Soorgel S. 40 ff. Daraus ergiebt sieb schon, dass es nicht allgemein richtig ist, wenn behauptet wird, die Naturaltlieilung führe nicht zu einer Zersplitterung in inlfnitiun, sie mache vielmehr bei der Grenze Halt, wo noch eine Familie auf dem besitz leben könne. Verschiebe diese Grenze sich nach oben, so sei sogar trotz der Naturaltheilung eine Vergrüsserong der durchschnittlichen BetriebsHiiche zu constatiren. (Vgl. hierüber Brentano, Bücher und Schulze Gacrcrnitz i. Sehr, d V. f. S. Bd. Gl, S. 283, 336, 352). Das kann Vorkommen und ist vorgokommen; es ist aber keineswegs eine allgemeine Kegel. Anderswo zeigt sieh ein unaufhaltsames Sinken.

Vgl. v. Haag a. a. 0. S. 07 08. Die vorhergehenden Dateu siehe in Sehr. d. V. f. S. Bd. 73 S. 204.

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breiteren Raun) einnimmt, so sind die Ziffern nocli etwas günstiger. Wo aber die Realtheilung ungestört waltet, wie in Elsass-Lotliringen oder im grössten Theile von Baden, da zeigt sich wieder die Parzellirung. In Baden, das ebenfalls wegen des strichweisen Vorkommens des Anerbenrechts noch nicht am schlechtesten steht, betragen gleichwohl die Zweigwirtschaften von 0 bis 3,6 ha 72,0% aller Haushaltungen, die kleinsten bäuerlichen Betriebe bis zu 7,20 ha aber 17,5%, sodass für diese eigentlichen Bauern nur noch 10,5% übrig bleiben. Wenn man bedenkt, dass unter diesen sich alle Anerbendistrikte finden, so wird man ermessen, wie allgemein die Zersplitterung in den natural teilenden Gegenden ist! Noch auffallender liegt diese in Elsass-Lotliringen am Tage. Hier besassen 37,71 % aller Besitzer noch nicht 1 ha; 17,93% noch nicht 2 ha. Zwischen 2 und 5 ha bielteu sich 24,93 %. Volle zwei Drittel könueu also als Zwerggütler betrachtet werden. lieber 10 ha hatten überhaupt nur 7,45 % der Landleute. Die Durchschnitts- grösse einer ländlichen Besitzung betrug ganze 1,90 ha, und diese lagen noch nicht einmal zusammen, sondern zerfielen in viele Parzellen von durchschnittlich 0,19 ar d. h. in Fetzen von der Grundfläche einer massigen Stube!388)

Aehnliche Zahlen könnten wir auch aus den preussisehen Iiealtheilungsgegenden, namentlich aus der Rheinprovinz bei- bringen : man wird uus dies aber wohl erlassen und schon jetzt zugeben, dass solchen Zuständen gegenüber das Wort von der Zersplitterung des Bodens zu Staub nicht übertrieben ist.

Solche Zersplitterung hat man nun lange Zeit allseitig für ein Uebel erklärt. In letzter Zeit sind ihr aber namentlich in Brentano und Bücher beredte Anwälte entstanden : ja sie haben gewissermassen diese Parzellirung als Ideal und als dieGrund- ordnung der Zukunft angepriesen. Es ist nun auch gewiss nicht zu verwerfen, wenn möglichst viele an der landwirt- schaftlich benutzbaren Fläche Theil haben, und wenn diese deshalb in viele Parzellen zerfällt; allein überall giebt es doch eine untere Grenze, unterhalb deren das Landstück auch zum

**) Vgl. über Wiirtemberg, Kaden und Elsass-Lotliringen Sehr. d. V f. S. Kd 73 S. 271/272, S. 294, S. 371.

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bescheidensten Unterhalt einer Familie nicht mehr ansreicht.*87) Nun braucht auch dies nicht unter allen Umständen ein Uebel zu sein. Wenn sich sonst noch Gelegenheit zum Erwerb bietet, wenn eine rege Industrie in der Nähe ist, mit deren Hilfe der Hausvater die Erträgnisse seines Feldes durch Arbeitsverdienst ergänzen kann, so kann sogar eine recht befriedigende Lage der Bevölkerung entstehen. Für diese Bezirke gelten die Lob- sprüche von Brentano und Bücher; für diese Bezirke gilt auch das, was das Oberlandesgericht zu Hamm in einem Gutachten vom 2. April 1880 bemerkte288): „Allerdings hat in einigen Theilen der Provinz und zwar in den grossen Industriebezirken derselben ein mehr parzellirter Grundbesitz sich Bahn gebrochen. Indess ist dies nicht die Folge destruktiver Elemente; der Grund liegt vielmehr im geraden Gegentheil, nämlich in dem Bestreben nach eigener Sesshattmaehung, das eine grosse Anzahl neuer Ansiedlungen hervorgerufen hat, welche, wie sie schon in ihrer äusseren Erscheinung der Gegend ein lebendiges Bild verleihen, auch ein frisch pulsirendes Leben in sich bergen und, anstatt die Leistungsfähigkeit und Wehrhaftigkeit der Be- völkerung zu beeinträchtigen, solche geradezu befördern.“

Indessen so günstig liegen die Verhältnisse doch nur in ganz weuigeu Theilen Deutschlands. In allen von der Industrie nicht bevorzugten Gegenden kann wohl bei Pflanzung von Handelsgewächsen vor allem beim Weinbau die Besitzgrösse, auf der eine Familie noch zu leben vermag, sehr klein werden, aber bestehen thut eine solche Grenze, wie wir sahen, überall. Es ist nun nicht richtig, dass die Zersplitterung an dieser Grenze Halt macht, wie es die Vertheidiger der Realtheilung behaupten. Aus den oben angeführten Zahlen ergiebt sich, dass vielfach unter jene Grenze heruntergegangen ist. Die Leiden solcher Zwergbauern brauchen wir nicht erst zu schildern; es ist dies oft genug geschehen; oft genug ist auch darauf hingewiesen, dass diese Elemente, die nicht leben und nicht sterben können, die

aw) Vgl. die vorhergehenden Angaben, wonach in Ilayern einschliesslich der Pfalz diese Grenze bei 3 ha liegt, in linden hei 3,6 ha. In Wiirtem- berg und iin Eisass ist cs nicht anders.

**} Abgedrnckt bei G. Meyer, Landgilterordunng für Westfalen S. 10 ff.

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grösste Gefahr für den Staat sind, die jegliche Umwälzung freudig begrüssen müssen, da sie vieles zu hoffen, aber nichts zu verlieren haben.2*®)

Aber auch dort, wo die durchschnittliche Besitzgrösse noch nicht zu Zwergwirthschaften herabgesunken ist, auch da hat die Naturaltheilung viele Missstände im Gefolge. Da bei dem Tode des Hausvaters die mühsam geschaffene Wirthschafts- einheit immer wieder zertrümmert wird, so muss jeder Land- wirth von Neuem eine schaffen und seinen ererbten Theil durch Zukauf von Fremden oder von den Miterben auf einen aus- kömmlichen Umfang vergrössern. In den Realtheilungsgegenden stehen nun aber die Grundstückspreise bekanntermassen am allerhöchsten, um ein Vielfaches über dem Ertragswerthe. Wenn also nicht sehr reichlich baares Geld vorhanden ist, so muss der junge Wirth von vornherein sich mit hohen Schulden belasten, die er aus dem Ertrage niemals decken kann. Was aus solchen Anfängen werden kann, wenn Verdienst und Absatzverhältnisse nicht sehr günstig liegeu, kann man sich unschwer ausmalen. Schon allein die verschiedenen rechtlichen Manipulationen, welche nöthig und üblich sind, um wieder eiue Wirthschaftseinheit her- zustellen, erfordern an Gebühren der Notare und Gerichte für das Versteigern der Parzellen und die Einschreibung der Resultate ins Grundbuch, an Provisionen für die Darleihung der Kaul- gelder und au Auslagen für deren Sicherstellung Beträge, von deren Höhe man sich nur schwer einen Begriff macht. Fin- den Saarkreis liegen einige Ermittelungen hierüber vor. Danach hat der Umsatz der dortigen öffentlichen Kassen an derartigen Kaufgelderdarlehen zusammen in einem Jahrzehnt rum! llöOüüüü Mk. betragen; die Banken nehmen davon l1 4" Pro- vision, macht 172 500 Mk. Diese Summe ist ohne jeden wirth- schaftliehen Zweck und Nutzen in einem einzigen Kreise verbraucht lediglich unter dem Zwange des ungeeigneten Erb- rechts! Wo nun nicht die Kassen die Sache an der Hand haben,

s*9) Vgl. noch zuletzt Maroussem a. a. 0. S. 323: .de l’autre cöte, dass les petites cxploitations eparses et meessamment mobiles, e'est le mauqiK d'enteute, l'oligauthropie, les empruuts a 5°,„ surajoutes, et corniue consequeuor. sauf d’evideuteä exceptions, l'esprit revolutioiiuaire*.

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sondern private Geldverleiher, da ist die Sache noch viel schlimmer. Nach den Angaben für das Saargebiet nehmen solche Kapitalisten mindestens 1 0°/0 Provision; die eine Kasse von Merzig berechnet, dass sie durch Verdrängung dieser Pri- vaten. der Bevölkerung in 10 Jahren nicht weniger als 183 41 1 II k. gespart hat. Bedenkt man, dass das nur die Provisionen des Geldmannes sind, und dass dazu noch die Notariats- und Gerichtsgebühren kommen, so kann man sich vorstellen, um welche Beträge das Landvolk jährlich geschädigt wird und zwar, wie wir nochmals betonen, völlig ohne wirth- schaftlichen Grund, nur wegen des ungeeigneten Erbrechts.290)

Unter solchen Umständen begreift es sich wohl, warum wir oben auch aus den Realtheilungsgegenden von einer starken Ueberschuldung berichten konnten. Zu der Schilderung, die wir aus Baden und Eisass- Lothringen, aus der Rheinprovinz und dem Regierungsbezirk Wiesbaden gegeben haben, soll noch eine Einzel-Darstellung aus Bayern hinzugefügt werden. Sie betrifft die Gemeinde Rothenbuch in Unterfranken; da es sich aber um eine typische Gemeinde handelt, so dürfen wir getrost davon ansgehen, dass gleiche Zustände häufiger Vorkommen. Es heisst: „Zwei Drittel der hiesigen Bevölkerung ist eben in das

höchste Stadium der Creditunfähigkeit schon längst ein- getreten, d. h. sie borgt, so viel geborgt wird. Nur besserer Verdienst durch Nebenbeschäftigung beeinflusst die Lage vor- übergehend in günstiger Weise, während im allgemeinen die

Verschuldung die gleiche bleibt Aulfallend sind bei

der Betrachtung der Lage die vielen Currentschuldcn und die Art und Weise der Entstehung derselben. Es giebt letztere so

das richtige Bild einer hilflosen Armutli Nur Waaren,

stets mindestens 50% teurer als der wirkliche Werth, bilden die Ursache der Kurrentschulden, wobei vom Gläubiger in der Regel schon gesorgt wird, dass der einmal hängende Schuldner nicht so leicht loskommt .... In Haus, Scheuer, Acker und Stall, Wiese und Flurweg tritt überall in schroffer Weise grosser Mangel an Betriebskapital zu Tage.“

®°) Die Angaben über das Saargebict siehe in Sohr. 4. V. f. S. 154. 74 S. 63 und ltl.

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Aehnliches, namentlich über die vollständige Abhängigkeit von der Gunst der Witterung und des Marktes hören wir aus Oberessfeld in Unterfranken. Und der Urgrund dieser traurigen Lage? In Rothenbuch wird er nicht angegeben; wir werden aber nicht fehlgehen, wenn wir ihn dort gleichwie in Oberessfeld und dem benachbarten Mainbernheim in der „Erwerbung von Grundstücken“ und in den „Hinauszahlungsantheilen der Ge- schwister bezüglich des Wohnhauses“ erblicken, also am letzten Ende doch in dem ungeeigneten Erbrechte.'-'1) Wenn wir nun hinzunehmen, dass auch in dem soviel reicheren Frankreich aus den Parzellengegenden die schwersten Klagen laut werden (vgl. Anm. 289), so werden wir nicht anstehen zu sagen: Wo nicht

sehr günstige Verhältnisse vorliegen, da ist die Realtheilung geradezu das Grab der wirthschaftlichcn Wohlfahrt.

Selbst dort aber, wo die Realtheilung ökonomisch nicht schädlich wirkt, hat sie schwere soziale Nachtheile. Wir können es nicht für einen erstrebenswerthen Zustand halten, wenn an die Stelle der gesunden sozialen Abstufung unseres Landvolkes eine Ordnung gesetzt wird, die nur kleine Leute, halb Acker- bauer und halb Industriearbeiter, halb Städter und halb Landmann kennt. Wir müssen hier den geschichtlichen Werthurtheilen von Gierke und Thiel beistimmen. Wir halten es mit Thiel 2#u) nicht für wünschenswerth , dass auch

bei uns die ländliche Bevölkerung sich so wenig Eigenart und Gewicht gegenüber den Städten bewahrt wie in Frankreich, und wir sind mit Gierke-s’Ib) der Ansicht, dass nur ein ländlicher Mittelstand, wie er unseren Staat geschaffen hat, so ihn auch erhalten kann, und dass dieser Jungbrunnen der Nation nicht verschüttet werden darf.

Neben dieser unvermeidlichen Zerreibung des Mittelbesitzes zum Kleingütlerthum und zu einer Vielheit von Nullen giebt es jedoch noch weitere soziale Schäden, mit denen die Natural- theilung droht. Zunächst die in Frankreich schon so verbreitete

m) D<o Nachrichten über die utiterfräukisehen Gemeinden sind aas Sehr. d. V. f. S. JJd. 73 S. 117 ff.

*’*) in Sehr. d. V. f. S. Bd. 01 S. 344/245.

in dem glänzenden Artikel in der Münchener Allg. Ztg. Beilage Nr. ISO S. 1.

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künstliche Beschränkung der Kinderzahl mit allen ihren unna- türlichen, die Unsittlichkeit in jeder Form züchtenden Wirkungen. Denn nur das Gespenst der Naturaltheilung ist es, was den französischen Bauernstand zu jenem selbstmörderischen Beginnen verleitet hat.2910) Vor hundert Jahren waren die Ehen dort ebenso fruchtbar wie bei uns. Aber mit dem der französischen Kasse eigeneu Scharfblick in wirtksclmftlichen Dingen erkannte der Bauer bald die Schädlichkeit der Realtheiluug; jener warnende Ruf „la France tombera en poussiere“ erscholl. Seitdem macht sich die künstliche Zurückdrängung der Volks- zuuahme bcmerklich. „Es ist“, sagt Fuld, „eine eigenthümlicho Illustrirung der erbrechtlichen Vorschriften des Gode, und ihrer Wirkungen, dass nach den Ergebnissen der Volkszählung vom Mai 1886 in 29 Departements Frankreichs .... eine Ver- minderung der Populationszifl’er zu beobachten ist, und dass diese Departements sammt und sonders einen landwirtschaftlichen Charakter haben, „agricole“ sagt die französische Statistik“.

In Deutschland, wie in Italien hat der gesunde Volksgeist sich mit diesen unnatürlichen Hilfsmitteln nocli nicht recht be- freunden können.28'11) Immerhin ist in den deutsch-österreichischen Alpenläudern auch eine grosse Enthaltsamkeit in der Kiuder- erzeuguug bemerkbar, wodurch iu den westlichen Kronländern das Zahlenverhältniss zwischen der deutschen Rasse und den fremden Nationen sich fortdauernd zu unseren Ungunsten verschiebt. Sonst aber macht sich ausserhalb Frankreichs das zweite schwere soziale Unheil der Realtlieilung besonders bemerkbar: Die Lösung des Zusammenhalts der Familie.

Dieser Nachtheil kann gar nicht genug betont werden. Im Zusammenhalte der Familie, in ihrer uralten genossenschaft- lichen Organisation liegt ja, wie wir oben sahen, der Grund- pfeiler für die meisten Institute unseres Rechts, liegt, wie uns die modernen Verhältnisse lehren, das Rückgrat des Staates,

■•sic) Vgl. Fuld S. 1008 (nach Rümelin, Bcvülkerungsfrage, und nach Leplay). Vgl. Gierke, Erbrecht in Grundbesitz S. 14.

asld) AU Prof. Wagner auf der Agrarconferenz nur eine beschränkte Enthaltsamkeit in der Kinderzeugung empfehlen wollte, begegnete ihm eiu- müthigor, zum Theil scharfer Widerspruch von Theoretikern und Praktikern. Vgl. Agrarconferenz S. 127, 1Ö5, 164, 167, 208, 229.

v. Dultzig, Grunderbrecht. 20

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die Gewähr für die Aufrechterhaitang der Ordnung und der Sittlichkeit. Nun macht sich dio Zerstreuung der Familie durch die Naturaltheilung auch in Deutschland schon recht unliebsam bemerkbar. Wie soll ein Familienleben möglich sein, wenn die Männer, wie wir aus dem Regierungsbezirke Wiesbaden hören, im Frühjahr in entlegene Industriegegenden bis nach dem Niederrhein und Eisass- Lothringen wandern, um erst im Spätherbst nach Hause zurückzukehren, wenn ganze Gemeinden sich dem Hausirhandel zuwenden müssen, sodass jährlich aus fast jeder Familie mehrere Mitglieder ausziehen und ganz Norddeutschland, Holland und Russland bis nach Sibirien als Hausirer bereisen und nur zur Winterszeit in die Heimath zurückkehren! Dennoch hat man in anderen Ländern mehr auf die hier in Betracht kommende zersetzende Eigonschaft der Naturaltheilung geachtet als bislang bei uns. In Italien war gerade dies Familienproblem der Anlass292) zu der erwähnten Agrarenquete, und dort bilden gerade die mit Bezug hierauf gemachten Beobachtungen den vornehmsten Grund, dass allgemein eine Aufhebung des Erb- rechts nach Realtheilen verlangt wird. Aber wras Sombart über Italien sagt, hat auch für uns Geltung: . . . bei einer der- artigen Gestaltung der Eigenthums Verhältnisse muss sich die centrifugale Tendenz der Familienmitglieder in rücksichtsloser Weise geltend machen. Wenn eine Stelle schon zu klein ist, um einen Einzelnen ausreichend zu ernähren und zu beschäftigen, so werden die Kinder, sobald sie nur irgend vermögen, auf eigenen Erwerb ausgehen müssen, die Familie wird sich nach allen Winden zerstreuen.“2**')

Wie unvermeidlich diese Gefahr ist, zeigt sich darin, dass man sie selbst in Frankreich beobachtet hat, wo doch, wie wir sahen, sonst den Wirkungen des partage force auf andere Weise die Spitze abgebrochen wird. Nach dem Zeugnisse Leplay's sieht sich auch dort der Bauer im Alter oft allein, weil sich die Erben nicht darauf einrichten, die Bewirthschaftung des Erbes zu übernehmen; der Absenteismus mit allen seinen Nach- theilen wird befördert; die Familie wird desorganisirt, weil der

Vgl. Sombart .das Familienproblem iz Italien“.

*M) Sombart S. 293. Vgl. auch dio ganz ähnliche Stelle S. 292.

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natürliche Schwerpunkt für ihre Zusammengehörigkeit geschwächt und genommen wird.*94)

Ueberdenkt man deshalb noch einmal, welche üblen wirt- schaftlichen und sozialen Folgen die modernen Erbrechte haben, so wird man nicht sagen können, dass das Urtheil, welches Tocquerille schon 1833 über sie gefällt hat, zu hart war:

„Wo“, sagt er, „das Erbgesetz gleiche Theilung des Nach- lasses anordnet, da zerstört es den innigen Zusammenhang, welcher zwischen der Familie und dem Grund und Boden be- stand ; dieser hört auf Familienbesitz zu sein, denn er muss sich durch die nach ein oder zwei Geschlechtern eintretende Theilung fortdauernd vermindern, und wird schliesslich ganz verschwinden .... Und solches Erbgesetz macht es nicht allein den Familien schwierig, ihren Besitz zn erhalten, sondern nimmt ihnen auch die Lust dazu und zwingt sie gewisser- masseu, mit ihm an dem eigenen Untergange zu arbeiten. So gelingt es, den Grundbesitz zu vernichten und mit ihm die Familien in rasender Eile verschwinden zu lassen“.*''’)

§ 38.

Die überwältigende Mehrzahl der Wirthschaftskundigen verhehlt denn auch nicht, dass die Wirkungen der geltenden Erbrechte tief beklagenswerth sind. Aber viele von ihnen halten ihre ausdrückliche Aenderuug theils für über-

flüssig, weil das Landvolk mit Hilfe der Gutsüberlassungs- verträge das Gesetz doch umgehe, theils suchen sie die Abhilfe auf anderem Wege nämlich in der Erweiterung der Testir- freihoit. Es bleibt deshalb jetzt zu erwägen, ob diese Ersatz- mittel die Einführung des Auerbenrechts überflüssig machen können.

Was zunächst die Gutsüborlassuugsverträgo anlangt, so wird namentlich von Brentano und seiner Anhängerschaft in ihnen das Allheilmittel erblickt. Indessen wenn man jeneTiraden über die Vorzüglichkeit und wirthschaftliche Zweckmässigkeit der Gutsab-

294) Vgl. auch hierüber Fuld S. 1018/1019.

**) Uebersetzung nach Schneider-Felber, Auerbenrecbt und Lebens- versicherung.

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tretung liest, so fallen einem stets die Worte des Schriftstellers ein, der zuerst den vielgerühmten Altentheilsverträgen überhaupt die öffentliche und allgemeine Anerkennung vor den Gerichten und bei den Theoretikern verschafft hat. Runde in seinem heute noch in vielen Punkten unübertroffenen Werke von der „Leibzucht“ bringt zur Einleitung eine Würdigung der wirth- schaftlichen und sozialen Wirkungen des Ausgedinges, worin er so viele Schäden dieses modernen Ideals aufzählt, namentlich die Streitereien, die es regelmässig in den Schoss der Familie hinein- trägt, — dass er schliesslich ausruft, man müsse sich eigentlich wundern, wie man auf die Bearbeitung eines so verderblichen Institutes noch Zeit und Mühe verwenden könne.

Und in der That werden die wirthschaftlichen Wirkungen der Gutsübergabe von Kennern der bäuerlichen Verhältnisse gar nicht so rosig angesehen. Wir hatten schon Gelegenheit (im § 36) auf einen C'ardinalfehler hinzuweisen, an dem der Altentheilsvertrag in ganz Deutschland krankt, auf die zu hohen, dabei festgesetzten Annahmepreise. Es ist wohl richtig, wenn Brentano und Fick in ihren Schriften angeben, dass dieser Preis regelmässig hinter dem Verkaufswerthe zurückbleibe, es ist aber nach ihren eigenen Angaben295*) und nach den Er- gebnissen der letzten Agrarenquete auch für Bayern nicht mehr richtig, dass der Uebernehmer bei diesem Preise bestehen kann. Die allgemeine Ueberschätzung des Werthes von Grund und Boden macht sich auch hier geltend; man glaubt den Uebernehmer sehr zu begünstigen, indem man erheblich unter den Verkaufswerth heruntergeht und man hält sich doch immer noch bedeutend über dem wahren Ertragswerth.

Die Gutsübernahme hat aber neben den zu hohen An- nahmepreisen noch einen zweiten Uebelstand, und das ist der beängstigend angeschwollene Betrag der als Altentheil aus- bedungeneu Leistungen.296) Aus allen Strichen Deutschlands

s*6*) Fick S. 67, 121», 135 u. s. w. namentlich S. 70 (<lcr l’ebernehmer wird .zu tief hiucingesetzt*).

296) Hierüber wurde schon in alten Zeiten geklagt. Vgl. schon die Hildesheimer I’olizeivcrordnung von 1665: .Nachdem auch bishero die Acker- und Vollspännerliüle dahero ganz oder guten Theils ruiniret worden . . .. weil die alten Ackerleute .... wenn dieselben die unterhabenden Höfe in

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kommen Klagen über deren unerschwingliche Höhe, aus Bayern so gut wie aus Posen und Preussen. Es ist dies auch ganz begreiflich. Die Ansprüche an das Leben sind allgemein ge- stiegen; die Bauern sehen nicht ein, warum ihnen gerade Ent- haltsamkeit gepredigt wird; ja in den Gegenden, wo der Bauer sonst nach dem oben gebrauchten Ausdrucke „wie ein Hund“ lebt, will er wenigstens ein leidliches Alter haben. Es ist aber ebenso klar, dass dies nicht möglich ist, dass die Stätte nun nicht ihn und seines Sohnes Familie leidlich ernähren kannj nachdem sie vorher kaum für einen Haushalt ausgereicht hatte. Ja, auch wo die Verhältnisse nicht so schlimm liegen, erhellt doch, dass die nicht gestiegenen Bodenerträge zur Erfüllung gesteigerter Anforderungen nicht hinlänglich sind. Und wie die Anforderungen jetzt gestiegen sind, dafür dient schon die äussere Länge der jetzigen Altentheilsverträge zum Beweise, die so gross ist, dass wir ein Beispiel dafür nicht im Texte, sondern lediglich in der Fussnote anführen können.297)

grosse unabträgliche Schulden gesctzet, alsdann dieselbe den Kindern ohne des Amts- und Gerichts- auch der Gutsherrn Vorwissen und Bewilligung abtreten, ihnen selbst einträgliche Leibzüchten Vorbehalten, den Kindern grosse lirautschätzc versprechen, an dessen Statt bis zur Bezahlung etliche Morgen Landes für die Zinsen zu gebrauchen mitgeben, und also Diejenigen, denen sie die Güter abgeben, gleich allsofort in eine solche Schuldenlast stürzen, woraus sie nimmer sich retten können, Wir aber denselben ferners zuzusehen gar nicht ge- meynet etc. etc.“

Aehnlichc Klagen kehren in allen Landesordnungen wieder.

ig!) Ein bayrischer Uebergabsvortrag, wie er den Durchschnittsver- hältnissen entspricht, nämlich für ein Anwesen von 50,04 Tagwerken oder 17,25 ha, enthält Folgendes:

„Der Uebergebcr bedingt sich aus ein Umstandsgcld von 1714 M. 29 Pf., wovon H42,86 M. am Hochzeitstage des Ijcbernehmers, die weiteren 1371,40 M. aber in unverzinslichen und nnmittelbar anfeinanderfolgenden Martini Jahresfristen zu je 50 M. vom Ucbernehmer an die Ueborgobenden heraus- bezahlt werden sollen.“

„Uebemehmer hat ferner seinen übergebendou Eltern auf deren Lebens- zeit folgenden Naturalaustrag zn geben: Jährlich 8 hl Korn, 1,00 hl Weizen, 4 hl Erdäpfel, 50 Pfd. .Schmalz, 30 Pfd. Salz, 2 Secher voll kurzes Kraut, 25 Pfd. Winterfleisch, auf die Kirchweih 9 Pfd. Fleisch beliebiger Gattung nnd 8 Liter Bier, täglich 2 Eier, solange die Hühner legen, von Georgi bis Michaeli täglich ein Liter gute süsse Milch, die übrige Zeit täglich */« Liter gute süsse Milch, alle Samstag 4 Nudeln, so oft geschlachtet wird

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Ein weiterer Nachtheil bei der Gutsüberlassung ist ferner die oft beobachtete Unsitte, den Hof in noch jungen und

10 Pfd. Fleisch, so oft gebacken wird ein Laib Weissbrot. Jedem Auszügler sind jährlich 20 Liter Lein auszubauen und der geerntete Flachs bis zur Hechel herzurichten. Zur Beheizung sind jährlich C Ster weiches Scheit holz und 2 Hürden Spähno und 1000 Stilck Torf zu geben, welche den Leber- geberu vom Lebemehmer herbeigefahren werden müssen, sodann zur Be- leuchtung jährlich 3 Pfd. Leinöl. Im Kiichenstübehen, welches den Ueber- gebern in wohn- und heizbarem Zustande herzustellen und also auch zu unterhalten ist, haben dieselben lebenslängliches Wohnungsrecht auszuübeu . wollen oder können die Lebergeber von diesem Wohnungsrecht keinen Ge- brauch machen, so ist denselben ein jährliches Herbergegcld mit 24 M. zu bezahlen und der Naturalanstrag, insofern thunlich, eine Stunde weit uach- zufahren. Den Uebergebern gebührt der 3. Theil des jährlich beim Anwesen wachsenden Obstes. In Erkrankungsfäl'.cu ist den Uebergebern die nöthige Wart nnd Pflege auf die Dauer der jedesmaligen Krankheit zu ge- währen, ebenso unentgeltliche ärztliche Hilfe und Medizin. Die Beerdigungs- kosten sind vom Anwesen aus zu bestreiten nnd für jeden sind 3 Gottes- dienste und zwar je ein Amt und 2 Beimessen zu halten.“

(Aus „Denkschrift, über die Lage der Landwirthsclmft in Bayern“ München 1890, abgedrnckt bei Soergel S. 37 J.

Ebenso schlimm, ja theilweis noch schlimmer steht es in Mähren; auch hier ist der als typisch mitgetheilte Altentheilsvertrag ein uud eine halbe Druckseite lang. Vom Bezirke Walklobonk heisst es, dass dort das Aus- gedinge in Geld capitalisirt oft „einen viel höheren Werth habe als der ganze von ihm belastete Besitz“. Auch über die durch die Altentbeile ver- anlassteu Streitereien wird hier sehr geklagt, „Die Ausgedingsstreitig- keiten“, so heisst es, „beschäftigen die Bezirksgerichte am flachen Lande ausserordentlich. Die Ausgedinger ziehen häufig von dem Gute weg, bean- spruchen einen Geldzins für ihre Wohnung und drängen auf pünktliche Leistung ihrer Nutzgiebigkeitcn, ohne auch irgendwie noch in der Wirt- schaft sich nützlich zu machen.“ (Vgl. Sehr. d. V. f. S. Bd. 75 S. 184/185, 180.

Ueber Posen vgl. die oben 36) ungezogenen Stellen.

Nirgends aber werden die Schattenseiten der Altonthcilsverträge so lebhaft hervorgehoben, wie gerade in den von Fick und Brentano ver- arbeiteten Berichten aus Bayern. Fast üborall wird über deren Höhe ge- klagt, die dadurch noch vervielfacht wird, dass sich immer mehr und mehr die Gewohnheit bei den Auszüglern einbürgert, in die Städte überzusiedeln und sich den Anstrag in Geld reichen zu lassen, ohne auf dem Gute mit- zuarbeiten. Auch von den zerrüttenden Zwistigkeiten werden sehr düstere Schilderungen entworfen. Ein Berichterstatter zieht das Ergebniss dahin, dass die Schattenseiten der Gntsabtretungcn deren Lichtseiten bei Weitem überwiegen. (Vgl. Fick S. 46, GO, 66, 70, 75 76. 90, 152, 184, 223, 243).

Vgl. auch Brunner auf der Agrarconferenz S. 209.

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kräftigen Jahren abzugeben. Schon seit jeher ist dies als Uebelstand empfunden worden. So sagt das Lüneburger Re- dintegraledikt von 1099 : „Als man auch wahrgenommen, dass ein oder andere Coloni . . . wann selbige etwas zu Jahren kommen, ja wohl gar zu Zeiten, um sich Ruhe und faule Tage zu machen, die Hofe ihren Kindern . . . abtreten und übergeben, in selbigen aber als Alt -Väter und deren Frauen als Alt-Mütter mit sitzen bleiben, und daraus sich jährlich grosse Abgifften .... stipuliren u. s. w\“ Ganz ähnlich drückt sich die Hildesheimer Verordnung von 1781 aus: „Nach- dem“, heisst es da, „auch bisher vielfältig vorgekommen, dass die vorbehaltene Leibzucht der abgehenden Meyer den Meyer- höfen zu sehr grossem Bedruck gereichet und mancher faule und schlechte Meyer sich vor der Zeit auf die Leib- zucht begebe und den Hof in den kläglichsten Umständen zurücklasse, damit er nur der ferneren Mühe und Last ausweichen und desto gemächlichere Tage, obwohlen mit dem Untergange seines Nachfolgers geniessen möge, so etc.“ dieselben Schilderungen finden sich in jeder Verordnung über die Leibzucht.

So war es früher. Dass es jetzt nicht anders ist, geht daraus hervor, dass auch jetzt von überall her sich die Klagen über die zn frühe Gntsabgabe vernehmen lassen.297*)

Wie schädlich aber eine zu frühe Gutsabgabe wirkt, braucht wohl kaum anseinandergesetzt zu werden. Abgesehen davon, dass durch sie eine noch nutzbare Arbeitskraft zu träger Müsse verurtheilt wird, sind ihre Folgen hinsichtlich der Schulden sehr bedenklich. Denn die Schulden, welche der abgehende Colon regelmässig bei seinem Antritte behufs Abfindung seiner Ge- schwister hat machen müssen, könnten bei längerer Besitzzeit getilgt sein: so aber sind sie noch nicht beglichen, und schon

297*) Fiir Bayern haben hier wieder einmal Brentano und Fick sich selbst widerlegen müssen. Ihre in der vorigen Anmerkung citirten Berichte betonen an verschiedenen Stellen, dass die Gutsübergabe jetzt in noch jungen uud kräftigen Jahren zu erfolgen pflegt. Besonders hervorgehoben wird die zu frühe Uutsabgabe auch iu Mähren, dessen Berichterstatter Überhaupt der Erörterung der Altentheilsverträge den breitesten Raum ge- widmet hat.

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muss der Gutsübernehmer neue aufnelinien, um seine Miterben auszuzahlen. Bei der nächsten Gutsübergabe geht es ebenso. So werden die Schulden von Generation zu Generation fortge- schleppt und vergrüssert; zu welchem Ende das fuhrt, kann man sich leicht' ausrechnen.297b)

So hat denn die viel gerühmte Sitte der Guts-Uebergabe bedeutsame Schattenseiten. Aber selbst wenn sie nur Vorzüge hätte, könnte sie eine Aenderung der bestehenden Erbrechte nicht überflüssig machen. Denn dass diese auch mit der Guts- übergabe in unlösbarem Widerspruch stehen, dass es sich mit- hin bei dieser um eine consuetudo contra legem handelt, kann niemand leugnen. Nun ist es zwar keineswegs schlechthin richtig, dass eine gesetzwidrige Gewohnheit von dem Gesetze erdrückt wird; es geräth sehr oft umgekehrt. Für heutige Ver- hältnisse ist aber die überwiegende Stärke des Gesetzes zweifellos. Denn die Gerichte und diese haben doch einmal darüber die entscheidende Stimme, was als Recht anerkannt wird die Gerichte zeigen mehr und mehr die Neigung, nur das geschriebene Recht zu beachten, um so mehr als die meisten grossen Codificationen entgegenstehendes Gewohnheitsrecht noch besonders verbieten. Deshalb ist es vollständig richtig, wenn Gierke meint, die Sitte der Ansatzverträge möge noch so zäh

’ir‘b) Eine besondere (Komplikation wird nocli aus Mahren gemeldet. Der Bericht darüber (a. a. 0.1 sagt: „Eine besonders drückende Bestimmung ist auch . . . dass der überlebende Ehegatte für den Fall seiner Wieder- Verehelichung einen Theil seines Ansgedinges wieder dem zweiten Ehe- gatten durch ehelichen Vertrag znweudon darf. . . . Infolge dieser Art von Ansgodingsbestimmung kommt es nicht selten vor, dass von einem Besitzer gleichzeitig mehrere Ausgedinge geleistet werden müssen. Der zweite Ehe- gatte, mit dem der überlebende Ausgedinger die Ehe geschlossen hat. ist zumeist jüngeren Alters, und so dauert die Leistung des Ausgedinges oft so lange, dass die seinerzeitigen Uebernehmcr bereits selbst ins Ausgedinge gegangen sind und die letzten Besitzer eine gehäufte Last zu tragen haben.“

S9S) Gierke, Erbrecht in Grundbesitz S. 10. Ebenso Enneccerns S. 27: Es .droht die Sitte der Anschlagsverträge, wenn sie nicht eine gesetzliche Stütze erhält, langsam und unmerklich an Kraft zu verlieren.“ Wolle man aber erst warten bis etwa der Gedanke, die Einheit des Gutes zu erhalten, bereits dem Volke zu entschwinden beginne, so werde man Gefahr laufen, auch mit dem Gesetz nicht mehr viel auszurichten. (Aehnlich auch S. 231.

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sein, der starren Macht des geschriebenen Rechts vermöge sie auf die Dauer nicht zu widerstehen und werde langsam zer- bröckeln; die heutigen bäuerlichen Zustände Hessen sich deshalb nicht ohne den vielsagenden Zusatz eines „noch“ rühmen.

Die praktische Untersuchung lmt diese theoretischen Be- fürchtungen nur zu sehr bestätigt. Ueberall steigt die Begehrlichkeit der Geschwister; überall erhöhen sich die Annahmepreise und die Altentheile: der krasse Individualismus der Städte beginnt auch auf dein Lande mehr und mehr sich auszubreiten, so stark, dass Brentano auf Grund dieser Wahrnehmungen den uralten Familien- sinn der Bauern in das Märchenland verweisen wollte. Gottlob, so weit ist es, wie wir sahen, noch nicht. Aber wenn auch in den alten Bauern die gesunden Anschauungen noch fortleben, vielfach können sie gegen die heran wachsenden Miterben gar nicht mehr durchgesetzt werden. „Der patriarchalische Bauer“, so meldet aus Bayern eine Stimme von vielen, „hat aufgehürt; Der jetzige Bauer ist nicht mehr im Stande, seinen eigenen Willen durch- zusetzen; der jetzige Einfluss der Kinder bei der Regelung der Vermögensverhältnisse in der Familie ist so stark, dass der Bauer sich diesem Einfluss nicht entziehen kann.“'-2*') Mit gleichen Aeusserungen aus Deutschland und Oesterreich Hessen sich mancher Bogen bedecken. *") Forderte doch auf der Agrar- conferenz (S. 227) ein grosser Gutsbesitzer, der Graf Zedlitz, das Anerbenrecht namentlich auch deshalb, damit er seinen Kindern und seinem eigenen Gewissen gegenüber gerechtfertigt sei, wenn er nicht gleich theile. Wahrlich es ist die höchste Zeit einzugreifen und die wankende Sitte zu stützen, che es unwieder- bringlich zu spät wird!“"*) Mit Recht sagt deshalb Marchet (S. 1312): „Trotzdem halten wir ein Erbtheilungsgesetz für noth- wendig. Denn uns liegt die Begründung eines solchen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft .... Nachdem

2Ba) Fick S. 146 U7. lieber die GefäUrdimg der Sitte vgl. auch noch ebenda S. 61, 67, 70, 74, 81, 129, 186, 156, 175.

30°) lieber l’ommern vgl. z. B. A grarconferenz S. 133, über Westfalen ebenda S. 180. Heber Oesterreich siehe den 75. Band der Sehr. d. V. f. S.

S"“*) Gleicher Ansicht Brunner, Conrad, Gierke, Hermes, Inaiua-Stemogg, Miguel, Schmoller, Sering, Steinwender, Thiel u. a. m. anf der A grarconfereuz und auf der Wiener Versammlung des V. f. S.

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nämlich Gesetz und Sitte einander nicht dauernd wiederstreiten können und dürfen, und nachdem das Anerbenrecht an geeigneter Stelle unserer Meinung nach grnnderhaltend wirkt, so erscheint uns ein Präventivgesetz berechtigt und werth voll.“

Wir geben endlich den Anhängern der Gutsübergabe noch zu erwägen, dass die von uus beabsichtigte Gestaltung des Anerbenrechts ja eigentlich nichts ist als die gesetzliche Codi- fizirung der Ueberlassungsverträge unter möglichster Verhütung ihrer wirtschaftlich schädlichen Folgen. Das Anerbenrecht, wie wir es haben wollen, ist ja entstanden aus dem Brauche, seine Kinder auszusteuern und sein Gut dem Uberbleibenden Sohne zu übergeben. Genau wie es heute gemacht wird. Diese Sitte nun, wenn der Bauer ihre Wahrung versäumt hat, nach seinem Tode für ihn zu erfüllen, nicht eine fremde Erbordnung zur Geltung zu bringen, sondern an seiner Stelle einen Gutsüberlassungs- vertrag in seinem Sinne abzuschliessen, dass müsste gerade den Anhängern der Gutsübergabe erstrebenswert erscheinen. Und weiter wird nichts beabsichtigt. Jedenfalls soll ja die Sitte gar nicht aufgehoben werden, denn Gutsabgabe steht auch nach Einführung unseres Erbrechts dem Bauern durchaus frei.

Die Codifizirung der Ueberlassungsverträge würde aber auch noch zwei grosse Vortheile haben. Einmal würde dadurch die Lücke ausgefüllt, welche das alleinige Walten der Vertrags- freiheit notwendig lässt; es würde nämlich auch dann, wenn der Bauer eine Verfügung nicht getroffen hat oder nicht hat treffen können, bei dem gar nicht so seltenen, :w,b) gewöhnlichen Intestaterbfalle eine angemessene Regelung verbürgt sein. So wird diese zwar vielfach durch freie Auseinandersetzung der Miterben erreicht; vielfach treten jedoch ebenfalls auch die üblen Wirkungen der gesteigerten Begehrlichkeit der Geschwister besonders grell hervor, da sie nicht mehr vom Vater gezügelt werden. Vollends wenn Minderjährige beim Erbfalle vorhanden sind, ist gesetzliche Regelung geboten; denn aus allen Gegenden

“"“"I Bei Fick S. GO, 65, Ci» wird die Anzahl der ohne vorgängige Gatsabtretung vorkoinmeuden Todesfälle auf 1 .... bis 1 ,, aller angegeben. Steinwender (Sehr. d. V. f. S. Bd. Gl S. 36-J) behauptet, dass in Obersteier- mark, Salzburg, Ober- und Niederüsterreich, Böhmen. Mähren und Kärnten der Erbfall ohne Vertilgung des Vaters «sehr häufig“ sei.

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wird gleichmäßig darüber geklagt und am heftigsten in der Brentano'schen Enquete, dass dann die Einmischung der städtisch geschulten Richter eine so hohe Schätzung des Gutes und eine so mechanisch gleiche Vertheilung seines Werthes zu Stande bringt, dass der Untergang des Uebernehmers von Anfang au besiegelt ist.311"“)

Der zweite Vortheil einer ein- für allemal vorgenonimenen Festlegung des Inhaltes der Gutsabtretungen wäre eine gar nicht zu berechnende Gebührenersparniss. Fick, der so eifrig die Ueberflüssigkeit eines gesetzgeberischen Eingreifens neben den Leibzuchtverträgen vertheidigt, hätte eigentlich selbst auf diesen Gedanken kommen müssen. Denn in der verwandten Frage des Eherechts redet er (S. 268) dessen Aenderung darum ausdrücklich das Wort, weil es dann die Bauern nicht mehr regelmässig auszuschliessen brauchten und dadurch Mühe und Kosten sparen könnten. Mühe und Kosten bei Ausschliessung des Erbrechts sind aber wahrlich nicht geringer. Im Gegentheil; Licht theilt aus Mähren a. a. 0. S. 186/187 als typisch einen Fall mit, wo allein die Gerichtskosten der Ab- tretung rund 5 °/0 des Werthes der ganzen Liegenschaft be- tragen. Daß in Deutschland diese Gebühren ebenfalls eine recht unnütze Last sind, ist schon an sich klar: es erhellt aber auch aus dem gerade von Brentano und Fick überall betonten Bestreben der Betheiligten, womöglich durch falsche Werth- angaben und Verschleierungen an den Kosten zu sparen.

§ 39.

Wir wenden uns nun zur Betrachtung des zweiten für das Anerbenrecht angepriesenen Ersatzmittels, zu der Testir- freiheit. Dieser ist die Strömung jetzt überaus günstig. In Frankreich ist sie im Wesentlichen noch heute das einzige Heilmittel, welches man gegen die offenbaren Schäden der

*»') Vgl. Fiele 8. 49, 65, 76, 95, 125, 167, 183, 184. lieber die österreichischen Richter vgl. Chorinaky in Sehr. d. V. f. S. Bd. 61 8. 119/120. lieber das Verhalten der preussischon Richter wurde auf der Agrarconferenz ebenfalls geklagt. Vgl. darüber auch (lamp und Schönstedt in der Sitzung des pr. Abgeordnetenhauses vom 29. II. 1898.

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BIß

geltenden Erbrechte empfiehlt. Und auch in Deutschland ist die manchesterliche Begeisterung für die möglichst schranken- lose Freiheit des Individuums noch stark genug, um für die Erweiterung der Testirbefugniss alle geneigt zu machen. So haben die Notabein der Rheinprovinz das Auerbenrecht zwar abgelehnt, aber sich für die Testirfreiheit ausgesprochen; und ebenso wurde von dem Provinziallandtag für Hessen-Nassau die Ausdehnung der Rechte des Testators einstimmig befür- wortet, die des Anerbenrechts dagegen nicht, wenn sich auch eine grosse Majorität dafür land.301)

Man hat der schrankenlosen Testirfreiheit deshalb das Wort reden wollen, da der alleinige Grund des Erbrechts das Testament sei. Die Geschichte lehrt die Unrichtigkeit dieser Behauptung mit zweifelloser Deutlichkeit: und wenn man sich zum Gegenbeweise auf die Philosophie beruft, so müssen wir erwidern, dass wir im Rechte ausserhalb der auf die tieferen Zusammenhänge seiner Geschichte gerichteten Philosophie keine andere anerkennen können, wenigstens so weit es sich um Grundlagen für positive Rechtssätze handelt. Nach der allein massgebenden historischen Erkenntniss ist aber das Erbrecht aus dem Familieneigenthnm hervorgegangen und deshalb jeg- liche Verfügung über die Erbmasse stets familienrechtlich ge- bunden geblieben.'11-) Auch heute würde es niemand verstehen, wenn es dem Vater frei stände, nach Belieben seine Kinder zu enterben und einen Fremden zu berufen. Eine solche Regelung ist deshalb unmöglich.3"3) Im Grunde will sie auch keiner. Die Testirfreiheit wird nämlich zwar von ihren Anhängern ziemlich unbedingt empfohlen, aber trotz dieser wenig vorsichtigen Formulirung beziehen sich alle Forderungen, doch nur auf die von Bruns so genannte, „relative“ Testirfreiheit. Danach soll der Testator zwar die Macht haben, sein Vermögen unter seine Kinder, seine Ehefrau und seine sonstigen nahen Verwandten nach ganz freiem Belieben zu vertheilen, aber er darf sein Gut

*") Vgl. hierüber die Schrift von Enneecerus und über das Vorhalten der Rheinprovinz die Schrift von Fnld S. 1025.

**) Vgl. Gicrke, Erbrecht in Grundbesitz S. 12, und unsere gesummten früheren Ausführungen.

Dieser Ansicht ist auch Uruns, Testirfreiheit und I’flichttbeil.

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nicht an Fremde bringen.304) Auf diese relative Testirfreiheit allein trifft auch all das zu, was man zu deren wirtschaft- licher Rechtfertigung angeführt hat,'*0) über .die Schwierigkeit und Verwickeltheit der heutigen Verhältnisse, die einer ordnen- den Hand bedürften, und deren Entwirrung man dem Testator vertrauensvoll überlassen müsse.

Gegen diese relative Testirfreiheit haben wir nicht viel eiuzuwenden. Wir fürchten zwar, dass auch sie der Erb- schleicherei in der Familie, dem Intrigiren und Minireu der Familienmitglieder gegen einander Thür und Thor öffnet. Denn bei aller Hochachtung vor dem Bauernstände wissen wir doch, wie scharf und hart hier jeder auf seinem Rechte zu be- stehen und seinen Vortheil zu suchen pflegt. Die Tragödien, welche die dem Bauernstände entprosseuen Schriftsteller hierüber zu entrollen pflegen, entsprechen oft der Wirklichkeit und maleu jene Interossenkämpfe nicht mit zu grellen Farben. Aber selbst wenn man über all dies hinwegsieht, kann die Testirfreiheit den Erlass eines Erbgesetzes nicht überflüssig machen. Denn dies ist ja gerade für den Fall bestimmt, wo selbst die schönste Testirfreiheit versagt, wenn nändich der Landmann eben kein Testament gemacht hat. *0)

Die absolute Testirfreiheit aber lehuen wir unbedingt ab. Die Gefahr des Missbrauchs ist zu gross. Sie hat sich überall geltend gemacht, wo jene Testirfreiheit gegolten hat oder gilt, mit Ausnahme von England und Amerika. Aber jene Länder

*•) Vgl. Bruus a. a. O. S. 20t:

„Die Testirfreiheit ist nicht absolut, sondern nur relativ begründet, d. h. sofern sie zu Dunsten einzelner Kinder oder des Ehegatten ausgeübt wird. Dagegen liegt kein allgemeiner und realer Grund vor, den Eltern zu gestatteu, das Vermögen .... andern Verwandten oder ganz fremden . . . zuzuwenden . . . NVobl können einzelne Verhältnisse Vor- kommen . . . allein für solche einzelnen Fälle kann kein allgemeines Prinzip aufgestellt werden.“

**) Vgl. llarchot S. 1322 und die von ihm dort citirte Aeusseruug Schmollen.

3wi) Gegen diese relative Testierfreiheit spricht auch Marousscm sich deswegen aus, weil sie doch unbenutzt bleiben und nichts helfen würde; die Bevölkerung würde alles beim Alten lassen. (Sehr. d. V. f. S. Bd. 61 S- 322, 323, 324.

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sind mit uns insofern nicht zu vergleichen, als dort die Sitte und das Herkommen eine Macht haben, die bei uns unbekannt ist. Die Sitte kennt aber dort nur die relative Testirfreiheit. So wird durch ihren Zwang ein grösserer Missbrauch der ge* setzlich absoluten Befugniss verhütet. Bei uns aber würde es gehen, wie es in Rom bekanntermassen und in Frankreich vor der Revolution gegangen ist ; die Enterbungen würden zu einem derartigen öffentlichen Aergerniss:!"7) werden, dass es in natür- licher Reaction zu einer übermässigen Unterbindung der Tcstir- befugniss käme. Alles in Allem kann man deshalb nur in den Mahnruf Gierkes einstimmen: „Am Pfliclittheilsrecht darf nicht gerüttelt werden!“

Ueberbliekt man nun noch einmal alle die Erwägungen, die wir über die Einführung des Anerbenrechts angestellt haben, so wird man die Gewissheit empfangen, dass ihr Ergebniss, von welcher Seite man auch die Frage betrachten mag, ein dem Anerbenrecht überaus günstiges ist. Es ist deshalb nur natürlich, dass in allen sachverständigen Kreisen sich mehr nud mehr die Ueberzeugung von der Nothwendigheit des Anerbenrechts Bahn bricht. Der deutsche Landwirthschaftsrath und die Agrar- conferenz von 1894 sprachen sich dafür aus, und der deutsche Juristeutag, der bisher gezögert und geschwankt hatte und noch in den achtziger Jahren von einer individualistischen Erweiterung der Testirfreiheit die Rettung des Landvolkes erhofft hatte, auch er hat auf seiner 23. Zusammenkunft in Bremen fast ein- stimmig den Antrag dessen Justizraths Makower angenommen: „Ein Intestatauerbenrecht lür solche Landgüter, welche einer Familie vollauf Beschäftigung und A’ahrung zu geben vermögen, empfiehlt sich für diejenigen Gegenden, in denen der Uebergaug des Gutes auf einen Erben der Sitte entspricht.“

Dieser wahren öffentlichen Meinung gegenüber fällt die Stimmungmacherei der Parteipresse nicht ins Gewicht. Man ist es ja ausserdem in Deutschland gewöhnt, dass wir unsere eigenen Einrichtungen möglichst schlecht machen, bis wir schliesslich vom Auslande selbst über ihre Yortrefllichkeit

Vgl. über die altlrnuzüsiseken Zustiiudo namentlich Fuld S. HW3.

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staunend belehrt werden. Und das Ausland hat die Vorzüge unserer althergebrachten Grundfolge schon längst anerkannt. Sogar in Frankreich, das doch gewiss nur widerwillig Beifall zollt, weis» man genau, dass unser Erbrecht besser ist als das französische, und in Italien11") betrachtet man es geradezu als das erstrebenswerthe Ideal. Hüten wir also den Schatz, um den man uns dranssen beneidet und geben wir ihn nicht hin um fremde Importartikel, wie es die Lehre von dem allein- seligmachenden Individualismus ist !

§ 40.

Sonach stände denn fest: Das Anerbenrecht soll eingeführt werden. Es bleibt noch zu erörtern: Wie soll es eingeführt

worden, als Reichsrecht oder als Landesrecht, als lutestat- erbrecht oder nach dem Systeme der Höferolle? Und wie ist es im Einzelnen zu gestalten?

Die Frage „Reichsrecht oder Landesrecht“ hat nicht mehr die Wichtigkeit wie noch vor wenigen Jahren. Sie ist dadurch zu einem gewissen Abschlüsse gelangt, dass das bürgerliche Gesetz- buch für das deutsche Reich trotz vielfacher Bemühungen das Anerbenrecht nicht aufgenommen, sondern nur den Landes- gesetzen gestattet hat, es ihrerseits einzuführen. Indessen diese Entscheidung ist doch nur eine vorläulige. Denn nichts hindert, dass eine spätere Zeit den Fehler gut macht und ein neues Reichserbgesetz für die Bauern neben dem bürgerlichen Gesetz- buche und in Abänderung und Ergänzung desselben erlässt. Die Frage „Reichsrecht oder Landesrecht“ muss darum immer noch erwogen werden.

Hier treten wir nun rückhaltlos auf die Seite Gierkes*18) und erheben mit ihm die Forderung, dass das Anerbenrecht als Reichsrecht anerkannt werde.

Alles, was man dagegen angeführt hat, greift nicht durch. Vor allem müssen wir betonen, dass wir die Schwierigkeit, welche sich einer reichsrechtlicheu Regelung des Auerbeurechts

**) Vgl. Sombart S. 294.

-100) Erbrecht im Grundbesitz, Abschnitt IV.

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entgegenstellt, trotzdem sie zweifellos gross ist, als eineu Hinderungsgrnnd nicht anerkennen können.310) Denn wenn etwas an sich gut und richtig ist, so muss es ausgeführt werden, mag es auch noch so schwer sein.

Nun ist die Schwierigkeit aber gar nicht so unüber- windlich. Die Motive zum ersten Entwürfe des Einführungs- gesetzes betonen zwar die Zerrissenheit des bisherigen Grund- erbrechts, welche ein neues einheitliches Recht fast unmöglich mache. Jene Zerrissenheit ist nun nicht wegzuleugnen; allein sie hindert das Einigungswerk doch nicht so sehr; denn sie betrifft meist Nebeudinge. Die grossen Grundprinzipien und nur mit diesen und nicht mit der Casuistik soll und will sich doch der Gesetzgeber befassen die grossen Grundprinzipien des Anerbenrechts sind fast überall dieselben. Wenn die Motive das Gegentheil behaupten, so irren sie. Wir haben absichtlich die Belege für die oben von uns gegebene Darstellung des Anerbenrechts aus Schriftstellern der verschiedensten Gegenden entnommen, und im Wesentlichen hat sich doch eine Ueberein- stiminung gezeigt. Was die Motive speziell an Verschiedenheiten anführen, sind übrigens theils keine Abweichungen in den Prinzipien, theils gründen sie sich nicht auf einen wirklichen Zwiespalt der bisherigen Rechtsübung, sondern berücksichtigen nur legislatorische Experimeute, wie die Frage „Höferollo oder Intcstaterbrccht“, welche in der Praxis nicht existirt, da die Höferolle nirgends Boden im Volke hat; theils endlich heben sich die Schwierigkeiten durch die von uns zu befürwortende Regeluugsart wie z. B. der Streit um dio Höhe des Voraus', welcher reichsrechtlich gar nicht bestimmt zu werden braucht, da man seiue Festsetzung durch Schiedsrichter anordnen kann.

Eine wirkliche Schwierigkeit für die Einführung eines Reichsanerbenrechts liegt jedoch in der unbestreitbaren That- sache, dass es lur manche Gegenden Deutschlands, z. B. In- dustriebezirke, nicht passt.311) Nun sind jene Gegenden allerdings nicht so ausgebreitet, wie uns die Motive glauben machen

3I") Dennoch Iclmeu die Motive des ersten Entwurfs aus diesem Uitindc die reichsrechtliche Regelung ah.

**') Vgl. oben bei Anm. 2»8.

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wollen. Wir scheu nicht ein, warum das Anerbenrecht, wie wir es verfechten, d. h. der aus der Sitte der Ausradung und Gutsübergabe entstandene Erbbrauch, für die Gebiete der Guts- übergabeverträge unpassend sein und seine Einführung dort, „dem Rechtsbewusstsein und einer vielhundertjährigen Stammcs- gewohnlieit zuwider laufen“ soll. (Motive zu Art. 83 ff.)

Allein wenn auch jene Länder mit einer dem Anerbenrecht ungünstigen Bodenverfassung nicht so überaus ausgedehnt sind, vorhanden sind sie doch. Das Auerbenreoht kann deshalb nicht als zwingendes Reiclisreeht für ganz Deutschland eingeführt werden.

Dies ist in zweifacher Weise zu umgehen, entweder man führt das Auerbenrecht für ganz Deutschland ein, aber nicht als absolutes, sondern als subsidiäres Recht; oder man führt es zwar als zwingendes ein, aber nicht für ganz Deutschland.

Wir geben dem zweiten Vorschläge den Vorzug. Es muss allerdings Gierke zugestimmt werden, wenn er nicht zu ver- stehen vermag, warum es dem Ansehen dos Reichsrechts schädlich sein soll, wenn es einmal als subsidiäres auftritt. Hat es viel- leicht dem Ansehen des Handelsgesetzbuches geschadet, dass es in vielen Fällen nur ein Minimalrecht geschaffen hat? Allein wenn das Anerbenrecht als subsidiäres Reichsrecht gestaltet wird, so wird es voraussichtlich auch in Gegenden, wo es nicht günstig wirkt, zur Anwendung kommen, indem die Landes- gesetzgebung aus Nachlässigkeit oder irgend einem anderen Grunde versäumt hat, es auszuschlicssen. i12) Dies kann bei Annahme des zweiten Vorschlages nicht begegnen.

Nach ihm wird das Anerbenrecht als absolutes Reichsrecht, aber nur gegendweiso eingeführt; also das von Gierke21-') für das eheliche Güterrecht so lebhaft befürwortete Regionalsystem. Die Feststellung der Gegenden, für welche das Anerbenrecht gelten soll, kann entweder von der Reichsgesetzgebung selbst bewirkt oder von dieser der Landesgesetzgebung delegirt werden. Letzterer Weg empfiehlt sich mehr; denn es ist schwerlich an- zuuehmen, das die Reichsgewalt aus der Ferne besser beurtheilen

***) Auf diese Gefahr weisen namentlich dio Motive hin.

313} In der Schrift: Der Entwurf und das deutsche Hecht.

▼. Dult* ig, U runderbrecht. 21

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kann, ob ein Land für das Anerbenrecht geeignet ist, wie die verfassungsmässigen Organe dieses Landes selbst. Es könnte allerdings die Befürchtung auftauchen, dass die Landesgesetz- gebung ihre Pflicht versäumt; in Oesterreich, welches bei seinem Anerbengesetz das Regionalsystem befolgt hat, ist diese Be- fürchtung sogar leider eingetroffen.314) Allein iu Deutschland wird dies nicht geschehen. Es wird verhindert durch Artikel 17 der Reichsverfassung. Wenn ein Reichsgesetz dahin ergeht „die Landesgesetzgebung hat zu bestimmen, in welchen Theilen ihres Gebietes das bäuerliche Erbrecht oder das allgemeine Erbrecht für Bauerngüter Anwendung findet“, so hat die Reichsgewalt die Ausführung dieses Reichsgesetzes zu über- wachen. Verfallen die Landesgesetze bei ihrer Feststellung in ein zu langsames Tempo, so kann, wie Berner es einmal geist- voll ausdrückt „die Reichsgewalt zu einem Allegro aufspielen.“ Es wird dies aber nicht nötliig zu sein. Zu jedem grösseren Reichsgesetze, müssen ja Landeseinführungsgesetze erlassen werden und werden erlassen. Dabei ergiebt es sich ohne weiteren Zwang von selbst, dass auch über die örtlichen Grenzeu des Reichsanerbenrechts die Festsetzung getroffen wird.

Wird das Auerbenrecht so als Reichsrecht eiugeführt, so wird jede Schwierigkeit vermieden und es kann sich kein Land und keine Gegend beklagen, dass sie iu ihren Gewohnheiten vergewaltigt worden ist. Dem Anerbenrechte aber wird die hohe Autorität des Reichsrechts gerettet. Es wird vor dem unvermeidlichen Schicksale bewahrt, als Recht zweiter Klasse neben dem Reichsrechte zu verkümmern und der Missgunst namentlich des praktischen, nur mit seiuem Codex recht ver- trauten Juristen zu erliegen.315) Es wird aber auch die Reichs-

■"'*) Das dortige Anerbengesetz ist noch nicht in Kraft, weil die Landes- gesetzgebungen es unterlassen haben, die nöthigeu Ausfiibruugsbestinimungen zn treffen.

315) Auf diese Gefahr weist treffend namentlich Gierke, Erbrecht in Grundbesitz S. 19 hin. Die Motive erwidern: Das Anerbenrecht werde sachlich doch immer ein Sonderrecht bleiben. Es ist dies, wie wir in i 13 dargelegt haben, sehr zweifelhaft. Es ist aber sicherlich nicht richtig, wenn die Motive dann weiter darauf verweiseu, dass es trotz dieses .Sonder- rechtscharakters immer vou den Juristen liebevoll behandelt worden sei

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Gesetzgebung den hohen Ruhm erndten, zuerst von allen modernen Gesetzgebungen wieder in gesunde Bahnen eingelenkt zu sein, mit dem jahrhundertealten Irrthum von der Geeignetheit eines und desselben städtischen Rechts für alle Unterthanen ge- brochen und das Suntn cuique wieder zu Ehren gebracht zu haben.316)

§ 41.

Als Reichsrecht also soll das Anerbenrecht eingeführt werden. Wie soll man es aber gestalten? Als Intestaterbrecht oder nach dem Systeme der Höferolle?

Für uns ist auch hier wieder entscheidend, welche von beiden Arten sich von selbst aus den alten Institutionen heraus entwickelt hat und deshalb auf fester Grundlage in der Rechts- Überzeugung des Volkes ruht. Dass hier die Wage stark zu Ungunsten der Höferolle emporschnellt, kann nicht zweifelhaft

Jene liebevolle Behandlung ist ihm nur zu Tlieil geworden, wo es durch das Gesetz ausdrücklich anerkannt und zum grossen Theil geregelt war. wie in Hannover und Westfalen. Wo keine schriftlichen Aufzeichnungen, sondern nur ungeschriebene Gewohnheiten vorhanden waren, wie in deu meisten Gebieten des preussischen Landrechts, ist es stets mit gänzlicher Nicht- achtung behandelt. Dasselbe Geschick würde ihm nur noch schlimmer neben dem bürgerlichen Gesetzbuche winken, falls es nicht schnell schriftlich von Reichswegen codifieirt, und so die ganze Juristenwelt gezwungen wird, sich mit ihm zu beschäftigen. Die oben von uns dargelegte Abgunst der Richter gegen andere als ihre städtischen Erbgewohnheiten beweist, dass die Entwicklung diese Richtung nehmen wird.

316:> Auch auf der Agrarconferenz wurde verschiedentlich die Frage angeschnitten, in welchem Umfange das Anerbenrecht einzuführen sei. Am weitesten gingen Küster (8. 214) und Gierte (8. 231), welche es für ganz Deutschland hezw. Preussen befürworteten, auch für die Realtheilungs- gegenden. Einen sehr beachtenswerthen Vermittlungsvorschlag machte v. Miquel. Er sagte (8. 255): .Es wird wohl nothwendig sein, allgemeine Grundsätze aufzustellen, sin in einem Gesetz zu formuliren und in allen einzelnen Provinzen zum Ausdruck zu bringen, dagegen die einzelnen Be- stimmungen der Durchführung, ob z. B. Minorat oder Majorat, der einzelnen Provinz zu überlassen.“ Die übrigen Redner wie Conrad (8. 211). Meitzen (8. 242), Winkelmann (8. 243) u. s. w. waren mehr für die provinzweise Einführung des Anerbenrechts durch Spezialgesetze. Das Gutachten von Hermes (Sehr. d. V. f. 8. Bd. 61 S. 68/69) spricht sich ebenfalls für reichsrechtliche Regelung wenigstens der Grundzüge aus.

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sein, wenn man erwägt, dass diese erst ein Ergebnis» aller- neuester Gesetzgebungskunst ist. Sie hat deshalb auch gar keinen Boden im Volke ; sie war, wo sie eingeführt wurde, von vornherein ein todtgeborenes Kind. Eine Erfahrung von mehr als zehn Jahren hat gelehrt, dass sie ausserhalb von Hannover, Lauenburg, Oldenburg, Bremen und einem Theil von West- falen31fia) kaum benutzt worden ist. In Hannover ist ihr Er- folg zudem nur mit künstlichen Mitteln bewirkt. In einer bei Carl Meyer 1881 erschienenen Schrift über das Höfegesetz in Hannover berichtet ein Amtsrichter, wie er und seine Amts- genossen auf den Dörfern herumgezogen sind und die Bauern zur Eintragung in die Rollo veranlasst haben. Wenn man er- wägt, dass die Amtsrichter in Hannover grosses Ansehen haben, so wird man sich über den Erfolg der Höferolle dort nicht mehr wundern.317) Auch in Westfalen ist der theilweise Erfolg nur der Agitation des Bauernvereins zu danken.

Ueberall sonst aber hat, wie gesagt, die Höferolle Fiasko gemacht; die früher lautesten Rufer für die Höferolle sind des- halb schon ziemlich still geworden, und der Juristentag, der ihr früher sehr geneigt war, hat sie fallen lassen.

Inder Thatsind auch abgesehen von ihrer Ungeschichtlichkeit die allgemeinen Gründe, welche man zu ihrer Rechtfertigung ange- führt hat, nicht stichhaltig. In dieser Richtung hat namentlich Marchet an der Hand von Schmollet' darauf hingewiesen, dass die Höferolle deshalb den Vorzug vor dem Intestaterbrccht verdiene, weil dieses unseren heutigen verwickelten Verhältnissen nicht mehr gerecht werden könne und deshalb der Erblasser selbst mit distributiver Gerechtigkeit eingreifen und das Erbrecht ent- gegen der todten Regel dor Intestatfolge „individualisiren* müsse.318) Diese Würdigung unserer heutigen Verhältnisse mag ganz richtig sein; es mag in der That besser sein, wenn des Erblassers Hand die Mängel des Iutestaterbrechts ausgleicht. Allein wir können Marchet nicht weiter folgen, wenn er zu dieser Prämisse hinzusetzt: „Da nun die Höferolle einen brauch-

316*) Vgl. das Referat von Hermes in Sehr. d. V. f. S. Bd. 62. 317) Vgl. 11. Meyer, Westfalen S. 27.

3W_) Vgl. oben Auw. 305.

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baren Anhaltspunkt zur Erreichung dieses Zweckes bietet, darf sie in einem umfassenden, modernen Gesetze nicht umgangen werden.“ Es ist nämlich nicht richtig, dass die Höferolle einen brauchbareren Anhaltspunkt als das Intestaterbrecht bietet. Denn sie führt ja selbst nur ein Intestaterbrecht herbei. Alles, was gegen dies gesagt wird, trifft deshalb auch sie. Sie berücksichtigt ebenso wenig die Schwierigkeiten des einzelnen Falles und die Verschiedenheiten der Familienmitglieder etc., namentlich wenn schon ein Vorbesitzer das Gut hat eintragen lassen.

Wollte man aber etwa darauf hinzielen, dass bei der Höfe- rolle der Bauer doch wenigstens etwas letztwillig verfügen muss, indem er die Eintragung beantragt, so wäre es zunächst doch für die „lnvidualisirung des Erbrechts“ besser, er verfügte ganz. Dann aber könnte diese letzt willige Verfügung dem Zwecke der Handhabung von distributiver Gerechtigkeit durch den Erblasser doch nur dienen, wenn der Erblasser den Iuhalt des Höferechts genau kännte und diesen im Augenblicke der letztwilligen Verfügung in seinen Willen aufnähme. Das lässt sich aber doch kaum annehmen. Die Höferolle ist deshalb auch vom Standpunkte der Erwünschtheit einer letztwilligen Verfügung durch den Bauern um keinen Deut besser als das Intestatanerbenrecht.

Wir lehnen sie deshalb ab mit Rücksicht auf die uralte Scheu der Bauern vor der Berührung mit dem Gerichte und vor jeder letztwilligen Verfügung. Diese Scheu hat sich bei jedem modernen Gesetze bethätigt, welches seine Anwendung von einem Willensakte der Bauern abhängig machte; solche Ge- setze waren ein Schlag ins Wasser.319) Zumal bei der Höfe- rolle hat dies, wie gesagt, eine mehr als zehnjährige trübe Er- fahrung erwiesen. Verwerfe man deshalb jenes haltlose und

sit') Vgl. Gierkc. Erbrecht in Grundbesitz S. 19/20. Soergel S. 10 11. «Bekannt ist cs ja, dass unsere richtigen Bauern. und das sind keine Querköpfe, eine Ehre darein setzen, nie vor Gnaden Herrn Landrichter oder jetzt vorm gestrengen Herrn Amtsrichter erschienen zu seiu.“ Dasselbe bestätigt Fühl (Juristentag de 1895 Bd. 2 S. 98) für das Rheinland.

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künstliche Institut®9) und scliliesse sich dem Votum des letzten Juristentages an: „Ein In testatanerbenrecht . . .

empfiehlt sich.“ Erst dann wird man den festen Boden aller Gesetzgebung in der Volksüberzeugung wieder erlangt haben.

§ 42.

Etwas günstiger muss das IJrtheil über die Vermittelungs- versuche ausfallen, die man zwischen den beiden Systemen der fakultativen Höferolle und des Intestatanerbenrechts gemacht hat. Es sind dies die Vorschläge, von Amtswegen die dein Anerbenrecht zu unterstellenden Güter in eine Höferolle einzu- tragen oder ihre Eigenschaft im Grundbuche zu vermerken.

Hier würde das Bedenken fort fallen, welches gegen die Höferolle entscheidet, dass das Gesetz keine Benutzung finden würde. Denn die Eintragung bleibt ja nicht dem Besitzer über- lassen. Andererseits wird dieser Regelung ein wichtiger Vorzug nachgerühmt; es soll nämlich bei ihr immer gewiss sein, ob im gegebenen Erbfalle ein Gut als Auerbengut anzusprechen ist. und um dieses Vorzuges willen haben sich nicht nur zahlreiche Redner auf der Agrarconferenz, vor allem Meitzen, für diese Methode ausgesprochen, sie ist vielmehr auch von dem jüngsten Anerbengesetz von 1898 für Westfalen adoptirt worden.

Damit von dem angedeuteten Vorzug überhaupt gesprochen werden kann, ist Voraussetzung, dass es überhaupt einer Fest- stellung bedarf, was ein Anerbengut ist, dass also das Anerben- recht nicht auf alle landwirtschaftlich benutzten Güter An- wendung findet. Es wird noch zu erörtern sein, ob solche Begrenzung der Einzelerbfolge sich überhaupt empfiehlt. Aber nehmen wir dies einmal an, bietet dann die Eintragung von

3au) Wir lehnen die liöferolle selbst fiir die Gebiete ab, wo, wie eben ausgefiihrt, das sonst zuzulassende Intestatanerbenrcclit als für die dortige Industriebevölkerung ungeeignet nicht eiugeführt werden kann, und wo nach dem Vorschläge des Landwirthschaftsraths, Gierke's und auch des Juristeutages die Liöferolle angenommen werden soll, da sie niemals Schaden, möglicherweise aber Nutzen stiften könne. Wir halten sie auch dort für gänzlich überflüssig, da sich doch uiemand ihrer bedienen würde.

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Amtswegen wirklich Vortheile gegenüber dem einfachen Intestat- anerbenrechte?

Die Frage wird verneint werden müssen. Wenn man das Anerbenrecht nur auf gewissen Landgütern eintreten lässt, so kann die Feststellung, ob ein Landgut zu diesen gehört, aller- dings erhebliche Schwierigkeiten bieten, und es wäre sehr wünschenswerth wenn diese umgangen werden könnten. Allein das geschieht bei der Eintragung von Amtswegen gar nicht; diese löst nicht die Schwierigkeit, sondern verschiebt sie nur. Sons: haben die Nachlassbehörden und ev. die ordentlichen Gerichte bei Eintritt des Erbtalles zu prüfen, ob das Gut unter die Einzelerbfolge fällt: hier muss es diejenige Behörde thun, welche die Eintragung von Amtswegen zu veranlassen hat; bestehen thut die Schwierigkeit also auch hier.

Nun könnte man sagen, die Gerichte sind nicht sachver- ständig genug. Das mag sein, obgleich es nicht gerade für diese Ansicht spricht, wenn das erwähnte Anerbenrechtsgesetz für Westfalen das letzte Wort über die Qualität als Anerbengut doch den Gerichten zuweist.32"*) Indessen wenn man dies an- nimmt, so hindert nichts, auch bei reiner Intestaterbfolge die im Streitfälle notlnvendige Entscheidung über den Charakter des Erbgutes einer besonderen Behörde zu übertragen. Diese Ent- scheidung aber ein für allemal auch ohne Streitfall zu treffen ist vielfach überflüssig und gefährlich.

Gefährlich ist sie deshalb, weil es unmöglich ist, auf die Dauer von vornherein festzulegen, ob ein Gut dem Anerbenrecht unterstehen soll. Denn die Verhältnisse, nach denen dies zu ermessen ist, die Grösse und Benutzungsart des Gutes, die Ab- satz- und Arbeitsverhältnisse der Umgegend, alle diese Dinge sind einer beständigen Veränderung unterworfen. Die heute vollkommen zutreffende Entscheidung kann deshalb schon nach rvenigen Jahren unrichtig und ungerecht sein. Das citirte westfälische Gesetz hat dies auch selbst herausgefühlt. Es hat deshalb nach je 10 Jahren eine Revision der gefassten

'B0") Vgl. § 43 des Gesetzes in der Fassung, wie er aus der letzten Berat hung im Abgeordnetcnhause herrorgegangen ist. Diese findet sich in Drucksachen des Abgeordnetenhauses de ISilS, Bd 3 der Anlagen S. 2145 ff.

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Beschlüsse angeordnet 10 des Gesetzes). Allein auch das reicht nicht aus; denn der Erbfall kann gerade eintreten, wenn die erste Feststellung erst fl Jahre alt ist, sodass die Ver- hältnisse zwar ganz andere geworden sind, eine neue Festsetzmg aber noch nicht getroffen ist. Das Gesetz musste darum den Miterben das Recht geben, der Behandlung einer Liegenschaft als Anerbengut im Wege der Klage zu widersprechen 4.'i a. a. O.) Damit ist aber der Bankerott des ganzen Systems erklärt, denn es wird ja schliesslich doch dazu gedrängt, die Qualität des Gutes endgiltig erst beim Erbfall festzustellen, was es gerade vermeiden will.

Man wird nunmehr auch verstehen, warum wir die Prüfung der Qualität des Gutes ohne Erbfall überflüssig nannten. Es erscheint in der That nicht sehr zweckmässig, durch ein um- ständliches Verfahren einen Ausspruch herbeizuführen und dies Verfahren nach 10 Jahren zu wiederholen, wenn die ganze Mühe jederzeit durch Klage nutzlos gemacht werden kann. Die Anstrengung ist aber auch noch aus einem anderen Grunde überflüssig. Die Fälle, in denen es zweifelhaft sein kaim, ob ein Gut dem Anerbenrechte untersteht oder nicht, sind, wie alle Grenzfälle, gar nicht so häufig. In den meisten Fällen ist das Gut auch bisher schon seit Menschengedenkeu ungetheilt vererbt worden; denn das Anerbenrecht soll ja nur da einge- führt werden, wo es schon Brauch ist. Die Miterben werden darum meist nicht den geringsten Widerspruch erheben, wenn ihnen der Theilungsrichter vorschlägt, das Gut nach dem Höfegesetze zu bewerthen; es wird sonach zu einer streitigen Feststellung gar nicht kommen. Die wenigen Fälle, in denen eine Ent- scheidung nöthig sein wird, kann man getrost den Gerichten überlassen. Will man dafür besondere Behörden eiuluhren, so haben wir auch dagegen nichts.

Auf diese Weise wird den Bauern und den Beamten viele unnütze Arbeit und Scheererei erspart. Man bedenke, wie alle Verhältnisse aufgerührt werden müssen, wenn bei jedem Hofe das für Westfalen vorgeschlagene, umständliche Ermittelungs- verfahren eingeleitet und wenn es nach 10 Jahren wiederholt wird! Die Umständlichkeit kann die Bauern leicht stutzig machen uud ihnen das ganze Gesetz verleiden. Und dabei werden in den wirklich zweifelhaften Fällen Prozesse doch nicht

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vermieden werden. So aber wird die Sitte in der grossen Mehrzahl der Fülle einfach wciterfunktioniren. Ihr Uebcrgang zum Gesetz wird sich ruhiger, sicherer und schneller vollziehen. Namentlich auch schneller. Denn bei dem anderen Verfahren muss es nothwendig geraume Zeit dauern, ehe alle Höfe einge- tragen sind: inzwischen aber werden sich viele Erbfälle auf noch nicht eingetragenen Höfen ereignen, die von der Wolilthat des Gesetzes dann ausgeschlossen sind: bei der von uns befürworteten Gestaltung jedoch ergreift das Anerbenrecht sofort alle ge- eigneten Höfe.

Diese schweren Nachtheile, welche die von Amtswegen zu bewirkende Eintragung der Anerbengutseigenschaft mit sich bringt, können durch den einzigen Vortheil nicht aufgewogen werden, der ihr nicht bestritten werden kann, dass nämlich der Dauer bei dieser Methode immer genau weiss, welcher Erbfolge sein Hof unterworfen werden soll, und ob er danach Anlass hat, ändernd einzugreifen. Der Vortheil ist zudem ein problemathischer. Wenn der Dauer sich überhaupt die Zeit nimmt, an seine Nachfolge zu denken, den Inhalt des Gesetzes zu erwägen und sieh zu fragen, ob es für seine Verhältnisse passt, so wäre es schon besser, wenn er diese Zeit dazu ver- wendete, überhaupt eine vollständige Erbregelung zu entwerfen. Ja, wenn er zu jenen Erwägungen das Pflichtgefühl hat, so wird er dies sogar thun; denn es ist für ihn sicherlich ebenso beipiein und näher liegeud. Das Ergebniss unserer Ausführungen wird souach nicht erschüttert: Das Anerbenrecht als Intestat- erbrecht ist nicht nur historisch das einzig berechtigte, es ist auch zweckmässiger als alle anderen Systeme.1-'"')

Auf der Agrarconfercnsi waren für ein reines Int es tat erb recht: Nclimollur (8. 531, Conrad (S. 72 . v. tluene (S. 10S\ Wagner (S. 122), Glatze) 8. 203, Küster (8. 213), Zedlitz (8 220 227), (iierke (S. 230). Kür die Hüferollc mit Eintragung von Aintswegen sprachen sieh aus : Winkeiin. mu (S. 142 . v. Stnseh (S. l .'»«»>, llüppner ,8. 171 , Hermes (S. 217), Pansche (8. 222 u. 22+ . Meitzen 8. 240. Eine Mittelstellung nahm Sering ,8. !•) ein. Kr forderte im Allgemeinen ein Intestaterbrecht, nur für <lie Provinzen, in denen Anerbenreeht und Tlieilung gegendweise durchein- andergellt, selilug er Matriltiilirung der ilofgüter vor. Durch die Aus- führungen, die wir alsbald über die llegrcnzung des Auerbenrechts machen

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§ 43.

Von den allgemeinen Fragen des Anerbenreclits ist endlich noch die zu erledigen, auf welche Güter das Anerbenrecht Anwendung linden soll. Diese Frage, praktisch eine der wichtigsten, ist oben im § 18 des dogmatischen Theiles schon gestreift worden.

Die Antwort, welche als ziemlich schwierig gilt, ist für uns, die wir nur die Sitte des Anerbenrechts codifiziren wollen, bald gefunden. Das Anerbenrecht hat auf denjenigen Gütern zu gelten, die bisher der Sitte gemäss unge- theilt vererbt oder übergeben worden sind. Diese Regelung hat auch praktisch nicht die geringsten Bedenken, da cs bei keinem Gute zweifelhaft sein wird, welche Erbsitte bisher auf ihm geherrscht hat. Will man allerdings weiter gehen, und das Anerbenrecht auf allen Gütern einführen, für die es wirtschaftlich zweckmässig wäre, auch wenn es dort nicht hergebracht ist, so muss man sich darüber einigen, wie weit jene Zweckmässigkeit reicht.

Was nun zunächst eine etwaige Begrenzung nach oben anbetrifft, so dürfte sie nicht notwendig sein. Nicht nur auf der Agrarconferenz®1") wurde allseitig und zwar zumeist von den Grosslandwirthen selbst betont, dass im Punkte des Erb- rechts die Interessen des Gross- und Kleinbesitzes genau parallel laufen. Auch unsere obigen Ausführungen ergeben das- selbe. Die Naturaltheilung wirkt ebenso zersplitternd beim grossen wie beim kleinen Besitz. Es dauert beim Grossbesitz natürlich entsprechend länger, ehe er zum Zwergbesitz wird. Indessen bei ihm ist die unwirtschaftliche Grenze der Zer- splitterung ja nicht erst beim Zwergbesitz erreicht. Denn bei

werden, wird auch dieser Vorschlag sich als überflüssig erledigen. Im I'ebrigen sind die gekennzeichneten Gefahren der Immatrikulirung überhaupt auch hei ihm vorhanden. Wir halten es deshalb für praktischer, in diesem Fall die Gegenden des Höferechts im Gesetz örtlich zu bezeichnen.

**“°) Vgl. Agrarconferenz 8. 181. 212, 227, 238, 24t). Uebcr die sonstige L'ebereiiistimmuug der beiderseitigen Interessen vgl. auch ebenda S. 106, 139, 190, 196, 239.

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sehr vielen unserer grösseren Güter würde schon bei der ersten Realtheilung das halbe Gut den Sühnen nicht die gleiche geistige, materielle und gesellschaftliche Lebenshaltung gewähr- leisten wie dem Vater. Wer den Grossbesitz für überflüssig hält, mag dem gleichgiltig und ruhig zuschauen, wer aber, wie wir, glaubt, dass für den Staat und für die Volkswirthschaft das Vorhandensein von Elementen wichtig ist, die durch Bildung und Besitz hervorragen, der wird diesen Erfolg schon fiir un- zweckmässig und unwirthschaftlich halten. Sonach ist auch für den Grossbesitz die Realtheilung ungeeignet. Bei der Civil- theilung vollends stehen Gross- und Kleinbesitz ganz gleicli- mässig; ja wir konnten oben constatiren, dass bei den grösseren Gütern die Gefahren der Bewerthung nach dem Verkehrswerthe sich nur noch deutlicher bemerkbar gemacht haben. *a'd)

Wenn wir uns nun der Prüfung zuwenden, ob eine Be- grenzung nach unten angezeigt ist, so wird hierbei die alleinige Verwerthung der Grösse bezw. Kleinheit unzweckmässig sein. Denn an sich ist auch für Zwerggüter das Anerbenrecht das Angemessene. Wenn nämlich der Vater auf solchem Zwerg- gute kaum bestehen kann, so wird dessen Sohn es nicht etwa darum besser halten können, wenn es im Wege der Realtheilung noch verkleinert oder durch Civiltheilung mit Schulden belastet wird, die sich aus dem Ertrage nicht decken lassen. Dagegen wird sehr wohl entscheidend sein dürfen, der Zweck, den das Gut erfüllt und folgeweise auch die Gegend in der es liegt. Wenn nämlich das Gut nur einen Nebenverdienst abwerfen soll und wenn darum das Hauptgewicht der Einnahmen auf der Lohnarbeit im Felde oder in der Industrie liegt, so kann das Gut real getheilt werden. Denn jedes Kind kann dann auch ohne das Gut von seinem Arbeitsverdienst leben, und das Stückchen Land, das es erhält, ist für ihn eigentlich nur w erth- voll als Heimstätte und als Gelegenheit auch in müssigen Stunden sich nutzbringend zu beschäftigen. Solche Güter können sogar Civiltheilung vertragen; denn obwohl es nicht gerecht ist,

3aM) Eine Begrenzung nach oben lehnen auch ab Gierke nnd v. Miquel (Agrarconferenz S. 231, 254;. Dafür sprach sich ans Meitzen (Agrar- confereuz S. 241). Vgl. auch die Citate aus der vorigen Anmerkung.

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wenn der Besitzer die zu hohe Bewerthung dann aus seinem Arbeitsverdienst decken muss, so ist das doch hier nicht gerade ökonomisch verderblich. Es ist nach alledem durchaus zu billigen, wenn das Abgeordnetenhaus in dem ofterwähnten An-

erbengesetze für Westfalen bei der unteren Begrenzung des Anwendungsgebietes den im Entwürfe enthaltenen formalen Massstab der Grösse aufgegeben hat, und anstatt dessen den Zweck des Gutes entscheiden lassen will. Anerbengut soll nämlich sein, jede mit einem Wohnhause versehene Xahrungs- stelle, die „ihrem Hauptzwecke nach“ zum Betriebe der Land- und Forstwirtschaft bestimmt ist. 2 a. a. O.)1-“') Es ist nicht zu leugnen, dass die Feststellung, ob dies der Fall ist, im einzelnen Falle nicht gerade leicht sein kann. Allein das ist nicht zu vermeiden, ebenso wenig wie es sich oben ver- meiden Hess, dass die Begriffsbestimmung des Bauerngutes eine schwankende blieb. Ebenso nämlich wie die Grenze zwischen Bauerngut und Kleingut eine fliessende ist, so ist die hier mass- gebende Scheidung zwischen dem rein ackerbauenden, dem Anerbenrechte zu unterstellenden Besitze und der Arbeitei- ansiedelung keine feste. Immerhin mag die Unsicherheit der Definition ein Grund mehr dafür sein, nicht den Boden der Sitte und des Gewohnheitsrechts zu verlassen, und das Anerbenreclit nur auf den Gütern einzuführen, auf denen ungetkeilte Vererbung bisher geübt ist. Will inan sich aber durch Zweckmässigkeit.-- erwägungen leiten lassen, so cotnbinire man sie wenigstens mit der Festigung der Sitte und bestimme: „Anerbenrecht gilt

1) auf den Gütern die bisher ungetheilt vererbt oder übergeben worden sind. (Als ungetheilte Vererbung gilt es auch, wenn die Miterben das früher ungetheilt vererbte Gut bei der Erb- theilung wieder einem überlassen haben). 2) „auf denjenigen Gütern, aus deren Bewirtschaftung der Besitzer den wesent-

3S°1') Es muss Übrigens zugegeben werden, dass die Fassung des Oe- dankeus niebt besonders glücklich ist. Besser hätte es geheissen .Jeder landwirthschaftlich benutzte Liegenschaft scomplex, der den Zweck hat. d- i Besitzer den hauptsächlichsten Theil seines Einkommens zu liefern.- Immer hin sagt der gewählte Ansdruck. dass die I.andwirthschaft den „Haupt- zweck“ der „Xalirnngsutelle“, also den Hanpttheil der Nahrung selbst bilj-: müsse, dasselbe.

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liehen Theil seines Unterhalts zieht.“ Dann wird die etwas unsichere Regel der Nr. 2 nur selten in Anwendung gebracht werden müssen; denn die ungeheure Mehrzahl der Fälle wird unter Nr. 1 treffen.1-’"')

§ 44.

Wenden wir uns nun zu der Ausgestaltung des Anerben- rechts im Einzelnen.

Die Prinzipien, die uns dabei leiten werden, hatten wir schon Gelegenheit darzulegen. Der jetzt so sehr betonten, wirtschaftlichen Zweckmässigkeit können wir ein entscheidendes Gewicht nicht beilegen. Ihre häufige Berücksichtigung führt leicht dazu, den festen Boden des geschichtlich Gewordenen zu verlassen und Experimente zu wagen, die von der Rechtsüber- zeugung des Volkes nicht getragen werden. Ausserdem gehen die Ansichten über das wirtschaftlich Zweckmässige sehr aus- einander. Wie dagegen historisch das Recht sich gestaltet hat, kann weniger zweifelhaft sein. Uebrigens ergiebt die wirt- schaftliche Forschung mehr und mehr, dass das, was die historische Entwickelung geschaffen hat, auch ökonomisch das Dienlichste ist. Auch in der Frage nach dem „Wie“ des An- erbenrechts räumen wir deshalb der Geschichte und der Rechts- überzeugung die ausschlaggebende Stellung ein. Wovon die Geschichte lehrt, dass es auf alten Grundlagen entstanden noch heute vom Volke' gewollt und geübt wird, das muss Recht werden oder bleiben. Und in diesem Sinne sind unsere Aus- führungen im ersten und zweiten Theile auch für die Zukunft und de lege ferenda von Bedeutung. Denn dort ist auseinander gelegt, welches das Ergebniss der allmählichen Rechtsbildung ist.

Was die Begrenzung naeli unten anbetrifft, so waltete auf der Agrareonferenz die Ansicht vor, dass die Stellen, welche zum Unterhalt einer Familie nicht ausreichten, nicht unter das Besetz fallen sollten. (Vgl. Agrareonferenz S. 231 (Gierke), S. 221 (Paaschei. Da offenbar gemeint ist. dass es sich nur utn die .Stellen handelt, welche zum Unterhalt gar nicht ausreichen sollun, und nicht etwa um Diejenigen, welche nur thatsfichlich nicht ausreichen, so läuft die Ansicht auf die unsrigo hinaus. liegen jede Begrenzung sprach sich aus politischen Gründen aus Grünberg (Sehr, d. V. f. S. Bd. 61 S. 277).

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Was danach als noch geltendes Recht erfunden ist, hat auch allein Lebenskraft für die Zukunft.321)

Tritt man mit diesen Grundsätzen an die erste Schwierigkeit heran, welche das „Wie“ des Anerbenrechts bietet, an die Frage, ob man es als einfachen Erbtheilungsanspruch oder mit ding- licher Berechtigung des Anerben, ja mit Behandlung desselben als Alleinerben construiren soll, so wird mau sich unbedenklich für das letztere entscheiden. Der Erbtheilungsanspruch ist, wie wir sahen, ein ganz neues Gebilde, zusammen mit der Höferolle erkünstelt. Wo er früher angewendet wurde, beruhte er auf einer falschen juristischen Construktion des bestehenden Rechtes durch die gelehrten Gerichte. Die breiten Massen der Bauern haben ihn nie verstanden; für sie galt stets das jetzt wieder zu Ehren gebrachte Weresystem, wo der Anerbe Alleinerbe im ganzen Vermögen ist und seine Geschwister nicht Erbtheile sondern Abfindungen als Ersatz dafür erhalten.

Es ist dies System aber auch das praktischste.

Wenn das Anerbenrecht als einfacher Erbtheilungsanspruch gestaltet wird, wie es der erste Entwurf des neuen bürgerlichen Gesetzbuches wollte, so liegt es in der Hand jedes Miterben, seinen Eintritt zu vereiteln. Er braucht es einfach nicht zur Erbtheilung kommen zu lassen ; dann kann der an diese geknüpfte Anspruch auch nicht wirksam werden. Die Vereitelung der Erbtheilung kann aber durch einen einfachen Antrag auf Zwangs- versteigerung des Nachlassgrundstückes, wreil der Nachlass für die Schulden nicht zureiche, herbeigeführt werden.322)

Auf diese Gefahr wurde schon bei der Berathung der preussischen Höfegesetze, die ja den Erbtheilungsanspruch haben, in der Abgeordnetenkommission hingewiesen und die Gefahr vom Regierungskommissar zugestanden. Dieser meinte aber, der

sa) Deshalb können wir uns auch gestatten, im Folgenden nur die allerwichtigsten Einzelheiten des künftigen Anerbengesetzes herauszugreifen. Die übrigen Einzelfragen können ruhig auch fernerhin in der Weise ge- regelt werden, wie sie es jetzt sind, und wie dies im zweiten Theile dar- gelegt ist. Wo die jetzige Gestaltung dem heutigen Rechtsgefühle nicht mehr entspricht oder sonst unpraktisch ist, ist dies im zweiten Theile auch schon kurz vermerkt worden.

:töJ Dornburg, Tr. Privatrecht üd. III S. 724 Text und Aum. 31.

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Anerbe könne mit Klage oder einstweiliger Verfügung sich gegen Miterben schützen, welche den Versteigerungsantrag dolos, d. h. ohne dass Ueberschuldung vorliege, stellten. Dernburg hat jedoch völlig Recht, wenn er an dieser Art, die Gefahr zu beseitigen, starke Zweifel hegt. Denn nach allen Rechts- systemen gilt der Satz: „qui iure suo utitur, neminem laedit“, „wer von einer ihm zustehenden Befugniss Gebrauch macht, hat zunächst immer Recht“. Es muss ihm der strikteste Nach- weis erbracht werden, dass er Chikane übt. Wie soll das aber geschehen? Es muss doch nachgewiesen werden, dass der Nachlass doch für die Schulden zureicht, dass das Grundstück mehr werth ist, als der Antragsteller behauptet. Dieser Nach- weis kann aber zwingend eigentlich nur durch den Akt geführt werden, der gerade vermieden werden soll, d. h. durch den Verkauf des Grundstücks. Damit erst steht fest, wieviel es einbringt. Eine einfache höhere Schätzung durch den Anerben kann doch nicht mehr Glauben beanspruchen als die niederere des die Subhastation begehrenden Miterben. Abgesehen aber davon wird von vielen Rechtslehrern der Nachweis der Chikane über- haupt nicht zugelassen. Und so wird denn jedenfalls das An- erbenrecht bei einer Behandlung als Theilungsanspruch immer nur auf sehr schwachen Füssen stehen.

Dieser Nachtheil wird vermieden, wenn man dem Anerben sofort das Eigenthum an dem Hofe zufallen lässt, seinen An- spruch also als sogenanntes gesetzliches Vindicationslegat con- struirt (Vgl. oben § lö), wie es das Gesetz für Westfalen tliun will 13 und 17 a. a. O). Aber ein anderer Nachtheil ist auch dieser Regelung mit der vorerwähnten Behandlung gemeinsam. Er betrifft die Schulden. Da bei beiden Methoden die Miterben nämlich Universalsuccessoren werden, so haften sie auch für die Schulden nach Verhältniss ihrer Erbtheile. Ist man demnach zum Beispiel zu x/a Miterbe, so muss man 1/3 der Schulden bezahlen, obwohl man infolge der eigenthümlichen Schätzungsgrundsätze an Activen keineswegs ’/8 empfängt.323) Das westfälische Gesetz sucht im Anschluss an einen Vorschlag im ersten Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch einen

***) Vgl. Motive zu Art. 80 des ersten EiuführungsgeseUes.

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Ausweg darin, dass es den Anerben verpflichtet, die Miterben soweit zu entlasten, als sie noch über den Belauf ihres Em- pfangenen hinaus Schulden zu tragen hätten, 2G a. a. O., letzter Absatz). Allein eine wie schwächliche Aushilfe das ist, ergeben die Ausführungen der Motive zu dem vorbildlichen ersten Einführungsgesetz. Sic heben ganz richtig hervor, dass jene Verpflichtung des Anerben die Gläubiger gar nichts angeht ; diese können sich nach wie vor zu dem höheren Betrage an die Miterben halten. Und wenn dann der Anerbe seiner Ent- lastungs- und Entschädigungsverpflichtung nicht nachkommt oder nicht nachkommen kann, so bleibt den Miterben der Nachtheil, dass sie mehr gezahlt als genossen haben.

Der westfalische Entwurf sucht allerdings auch hiergegen zu helfen, indem er dem Anerben bis zur Erbtheilung ein Ver- äusserungs- und Belastungsverbot auferlegt. Aber besser als diese verwickelten Umwege ist es doch wohl auf jeden Fall, das Anerbenrecht uach dem altbewährten Weresystem einzu- führen. Dann ist der Anerbe- Alleinerbe und trägt allein alle Schulden: auch kann kein Miterbe durch Versteigerungsantrag das Anerbenrecht hintertreiben. Sollte man meinen, dass dabei die Gläubiger zu kurz kämen, so mag man dem Beispiele des Lippc'schen Anerbeurechts folgen und die Miterben iu subsidium pro portione hereditaria znr Schuldentilgung heranziehen. Solche subsidiäre Haftung wäre mit dem Prinzipe des Alleinerbe- Seins des Anerben durchaus vereinbar und würde sich aus dem Gesichtspunkte der Bereicherung rechtfertigen. Bei dieser Grundlage könnte sie sich natürlich nur bis zum Belaufe des Empfangenen erstrecken, wie es auch das vorbildliche Lippesche Anerbengesetz vorschreibt.

§ F>.

Nach diesen Erörterungen über die rechtliche Natur des Anerbenanspruchs muss zunächst erforscht werden, wem jener Anspruch zustehen, d. h. wer Anerbe und wer Abfindling sein soll.

Der Anerbe wird, wie wir sahen, aus einem bestimmten Kreise von Erbberechtigten entnommen, der jetzt mit dem ge- wöhnlichen Erbenkreise im wesentlichen identisch ist. Man hat dies nun ändern und das Auerbenrecht auf die Kinder bezw.

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Descendeuten dos Erblassers beschränken wollen,'124) so dass bei Ascendenten- und Collateralenerbfolge das gewöhnliche Erbrecht Anwendung zu finden hätte.

Es ist kein rechter Grund hierfür einzusehen. Auf die Ge- schichte wenigstens kann man sich nicht berufen. Bei freien Gütern hat die Einzelerbfolge schon in sehr früher Zeit auch zwischen Ascendenten und Collateralcu stattgehabt. Bei ge- liehenem Besitz ist sie allerdings erst später entstanden. Aber es ist dann an ihrer Stelle zwischen den entfernteren Ver- wandten nicht etwa gleich getheilt worden-, es fand vielmehr wegen des Heinifalls an den Gutsherrn gar keine Erbfolge statt. Sobald eine solche überhaupt zulässig wurde, hat auch sie sich der für Descendenteu längst bestehenden Form des Anerben- rechts gefügt. Will man deshalb dort das Anerbenrecht nicht anwenden, so darf man jedenfalls nicht das gemeine Erbrecht an seine Stelle setzen. Aber auch die blosse Nichtanwendung des Anerbenrechts wäre haltlos. Denn heute wird die anerb- rechtliche Theilung auch zwischen Ascendenten und Collatcralen angewendet und zwar bei allen Bauerngütern, ohne Rücksicht auf deu längst verwischten Unterschied zwischen freiem uud geliehenem Besitz.

Auch Zweckmässigkeitser wägnngeu lassen sich für die engere Begrenzung des bäuerlichen Erbenkreises nicht an- führen. Im Gegenthcil; das geltende Erbrecht äussert seine schädlichen Wirkungen bei jedem Erbfall, gleichviel ob er Kinder oder noch so entfernte Verwandte betrifft. Das gemeine Erbrecht ist als städtisches Recht eben schlechthin ungeeignet für den gesummten Bauernstand; es darf deshalb kein Bauer unter seine Erbtheilungsregeln gezwungcu werden. Denn deren unheilvolle Folgen werden für ihn dadurch nicht geändert, ob er durch nähere oder fernere Blutsbande mit dem Erblasser verknüpft war.*25)

Ist sonach der Kreis der Anerben uud Abfindlinge nicht auf die Descendenteu des Erblassers zu beschränken, so fragt

**•) Diese Beschränkung ist z. B. bei den neueren ilöfegesetzen vielfach beliebt worden.

Gleichwohl erwähnt auch der westfälische Entwurf nur Descendenten.

T. D ul tilg, Gr unterbrecht.

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es sich, ob seine bauerrechtlichen Abweichungen vom gemeinen Erbenkreise, mit dem er sonst identisch ist, aufrecht erhalten werden sollen. Es wird sich dies empfehlen. Denn selten ist das Erdachte besser als das allmählich Gewordene. Dies zeigt sich schon bei der ersten bäuerlichen Besonderheit der Erbfolge, bei der Bevorzugung der Geschwister vor den Eltern. Sie ent- spricht nicht nur dem auf der Geschichte ruhenden Rechts- bewusstsein des Volkes, sondern auch der Zweckmässigkeit. Denn wenn die Eltern den Hof nehmen dürften, so würde er meist in alte und schwache Hände gerathen, die ihn entweder gar nicht oder nur schlecht bewirtschaften könnten: bei dem Fall an Geschwister dagegen kommt er an Leute, die mindestens ebenso leistungsfähig sind wie der, welchem der Tod die Zügel aus den Händen genommen hat.

Die Schwierigkeiten, welche die Behandlung der Interims- wirths- und Altsitzerkinder uns oben bereitete, werden sich für die Zukunft dadurch zum Theil heben, dass das Institut der rein vormundschaftlichen Interimswirthschaft wohl zur Aufhebung reif ist. Dagegen wird man die gütergemeinschaftlichc Interims- wirthschaft, das Institut der Mahljahre nicht beseitigen können; denn diese ist ein Ausfluss des ehelichen Güterrechts; ihr Ver- schwinden würde deshalb eine Aenderung desselben bedeuten, und erfahrungsgemäss sträuben sich gegen solche Aendernngen die Bauern am meisten.328) Man könnte die Aenderung indess vielleicht so bewirken, dass man dem auffahrenden Ehemanne gestattet, das Gut definitiv, nicht nur auf Zeit, zu behalten gegen Abfindung der Kinder. Es ist dies schon in einigen Gegenden Rechtens. Das neue Gesetz für Westfalen 20) hat in anerkennenswerther Weise diesen Schritt vollzogen. Will man dies aber nicht, so wird man die heutige Stellung der mahljährigen Kinder, wie wir sie oben geschildert haben, einfach beibehalten müssen.

Dagegen wird man mit der Benaehtheiligung der Leib- züchterkinder unbedenklich reine Bahn machen können. Sie ist auch in bäuerlichen Verhältnissen nur noch ein historisches Ueberbleibsel, das von dem Wechsel der Rechtsanschauungen überholt ist.

Vgl. unten § 50.

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§ 46.

Das ist also der Kreis, aus dem der Anerbe hervorgehen muss. Die Grundsätze aber, nach denen diese Auswahl in Zukunft erfolgen soll, sind überaus streitig. Soll der Aelteste, soll der Jüngste Anerbe werden, soll blosses Majorat oder strenge Primogenitur, Minorat oder Ultimogenitur gelten.

Im allgemeinen ist heute nur noch der Kampf zwischen Minorat und Majorat auszufechten. Für jedes sprechen starke Gründe.®*) Für das Minorat hat man angeführt (Soergel 1. c.), dass die älteren Kinder leichter den Hof entbehren könnten, weil sie sich eher und schneller eine Lebensstellung ausserhalb verschaffen könnten wie die jüngeren. Ebenso erfolgten beim Minorat die Gutsübergaben in grösseren Pausen als beim Majorat; die Ucbergangsschulden könnten deshalb inzwischen besser getilgt werden. Für das Majorat spricht umgekehrt die sehr wichtige Erwägung, dass bei ihm der Anerbe von vorn- herein bestimmt ist und dass er deshalb sich auf seinen künftigen Beruf vorbereiten kann,327*) wie auch die anderen Familien- mitglieder wissen, dass sie ausserhalb ihren Erwerb suchen

sn) Vgl. die widersprechenden Darlegungen von Frommbold, Anerben- recht S. 41 und 42, der dem Majorate, und von Soergel S. 29 ff., der dem Minorate günstig ist. Gierke, Erbrecht in Grundbesitz, Abschnitt V ent- scheidet sich für Majorat.

*''•) Wie oben erwähnt, leiten allerdings andere gerade aus dem Um- stande, dass der Anerbe von vornherein fest bestimmt ist, die Befürchtung ab, dass er sich zu sicher fühlen und nichts lernen würde. Wir haben aber schon dargethan, dass diese Befürchtung selten zutrifft. Vgl. auch Thiel auf der Agrarconferenz S. 245/246: „Ich habo mir angelegen sein lassen, in Gegenden, wo bäuerliches Anerbenrecht herrscht ... bei den landwirt- schaftlichen Schulen . . . mir die Anerben bezeichnen zu lassen und die Direktoren der Schulen zu fragen, ob sich irgendwie schädliche Folgen be- merkbar gemacht haben, dass die Betreffenden sich bewusst seien, Anerben zu sein, und ob das an ihrem Fleiss und an ihrem Betragen zu konstatiren wäre. Es ist mir wiederholt versichert worden von den Direktoren, dass das nicht der Fall ist, dass im Gegenteil vielfach die Anerben sich als besonders fleissig und tüchtig auszcichnen, weil sie schon das Gefühl hätten, dass sie später eino gehobene und verantwortliche Stellung im Leben ein- nehmen würden.

22*

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müssen, und sich demgemäss einrichten weiden. Beim Minorat ist die Person des Anerberben dagegen nie gewiss; jede Nach- geburt bringt möglicherweise einen anderen Anerbeu. Es ist deshalb kein fester Grund vorhanden, auf dem die Kinder und ihre Eltern die Pläne für die Zukunft bauen können. Zudem kann doch nicht in Abrede gestellt werden, dass das Majorat bei weitem das verbreitetere ist, wie denn überhaupt die moderne Rechtseutwicklung und Rechtsüberzeugung immer mehr auf das Majorat zutreibt. Die Gründe hierfür haben wir schon oben

22) angeführt. Als Beweis für die Stärke jener Strömung sei hier noch nachgetragen, dass selbst in den Gegenden, wo das Majorat nicht gesetzlich ist, sondern wo, wie z. B. im Casselschen, der Anerbe durch einen Familienrath gewählt wird, gewohnheitsmässig doch stets der Aelteste erlesen wird.**)

Der Rechtsüberzeugung muss aber hier die unbedingt ent- scheidende Stellung gegenüber den Zweckmässigkeitserwägungen eingeräumt werden. Denn gerade hinsichtlich der Persou des Anerben ist sie am empfindlichsten. Hier würde man am ersten eine Aenderung als Vergewaltigung empfinden. „Gott macht den Erben“, so heisst es noch heute im Bauernstände. Wenn nun diese uralte, gottgewollte Erbfolge, die man seit undenk- lichen Zeiten als etwas Naturgemässes, Selbstverständliches, als ein nothwendiges Stück in der Ordnung der menschlichen Dinge betrachtet hat, in ihrem sichtbarsten Punkte geändert wird, darin, wen sie zum Erben macht, so wird das Volk an seinem Rechte irre und die Rechtsüberzeugung wendet sich von der neuen Erbfolge ab, die sie nicht mehr versteht; dieser wird damit ihre einzige feste und dauernde Grundlagen entzogen.

An sich geben wir deshalb dem Majorate deu Vorzug. Da wir aber anerkennen, dass auch für das Minorat die praktischen Erwägungen sehr laut reden, und da wir auch die Anschauungen derjenigen Gegenden, wo es bislang gegolten hat, schonen möchten, so empfiehlt es sich einen Mittelweg einzuschlagen, auf dem sowohl das Minorat wie das Majorat erhalten wird.

3'£l) Enneccertis § 7. Auch Wagner empfahl auf der Agrarconferenz (S. iöl) das Majorat namentlich darum, weil es .nach verbreiteter Ausicht natürlich sei“.

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Man hat dies dadurch zu erreichen gesucht, dass man das Majorat zwar einführte, aber für die Gegenden, in den Minorat hergebracht war, dieses nachliess.''*') Noch besser ist es aber über die Person des Anerben gar keine Bestimmungen zu treffen, sondern ihre Bestimmung einem Familienrathe oder Schieds- gerichte zu überlassen. Auf diese Weise können nie die über- lieferten Rechtsanschauungeu verletzt werden, denn die Bauern haben es ja in der Hand, den zu wählen, den das Herkommen zum Anerben bestimmt. Andererseits werden aber auch die wirthschaftlichen Interessen gewahrt: denn wenn sie ein Ab- weichen vom Hergebrachten wirklich gebieterisch fordern, so wird der Familienrath sich dagegen nicht sträuben. Zudem ist in vielen Gegenden der Familienrath oder was dem gleich- kommt — eine gütliche Einigung der Familienmitglieder schon üblich, und endlich wird auch, wie wir bald sehen werden, der Familienrath bezw. das Schiedsgericht auch für andere Punkte des künftigen Anerbenrechts nöthig werden. Will man das für Majorat oder Minorat redende Herkommen noch be- sonders schützen, so kann man dies dadurch tliun, dass man eine Abweichung nur aus Gründen gestattet, indem man etwa folgenden Paragraphen einführt: „Ist in einer Gegend das

Majorat oder Minorat hergebracht, so hat der Familienrath eine Abweichung von dieser Regel ausführlich und schriftlich zu begründen.“

§ 47.

Wir kommen nun zu dem praktisch wichtigsten Punkte in der zukünftigen Gestaltung des Anerbenrechts, zu der Be- messung der Abfindungen und zu der ihre Grundlage bildenden Berechnung des Hofwerthes. Mit Recht erblicken alle Schrift- steller hierin den Angelpunkt des ganzen Bauern rechts; denn an der richtigen Höhe der Abfindungen hängt die Möglichkeit des Fortbestandes der Bauern.

**•) So auch der westfalische Entwurf.

SSb) Erstcres in Hesseu-Kassel, letzteres in SUddentschland, namentlich in Bayern. Vielfach besteht zwar dort noch die gewohnheitsmässige Bevor- zugung eines Sohnes, sie ist aber nicht mehr so fest, dass nicht davon im einzelnen Falle abgewichen würde. (Vgl. oben § 22).

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Wir haben oben schon des Weiteren ausgefUhrt, dass die Berechnung nach dem Ertragswerthe volkswirthschaftlich die einzig haltbare ist, da jede andere Berechnungsweise den Hof- annehmer mit mathematischer Sicherheit unter Schulden erdrückt. Brentano und Fick haben nun zwar auch anerkannt, dass prinzipiell bei Grundstücken die Kapital isirnng des Ertrags die richtige Bewerthungsart bildet.:1'2rtb) Aber in ihrem Bestreben, die herrschenden Erbordnungen zu vertheidigen, suchen sie gleichwohl auch die Anwendung des höheren Tauschwertes durch allgemeine Erwägungen zn rechtfertigen. Nun können allerdings solche allgemeinen theoretischen Betrachtungen kaum ins Gewicht fallen, wenn die praktische Erfahrung lehrt, dass der Tauschwerth verderblich wirkt. Sie treffen indessen über- haupt nicht zn. Brentano (Zukunft S. 557) will die Abweichung von Tausch- und Ertragswerth nämlich dadurch begründen, dass er behauptet, ein Gut werde nur dort über seinen Ertrags- werth bezahlt, „wo mit seinem Besitz politische Vorzüge, Ehren- rechte oder ein grösseres gesellschaftliches Ansehen verknüpft sind“, oder wo „kleine Leute Grundstücke über ihren Ertrags- werth bezahlen, weil sio von ihrem Besitz die Sicherung einer stetigen und unabhängigen Arbeitsgelegenheit erwarten“. Den- selben Grund für die höhere Bewerbung führt auch Fick (S. 300/301) an; auch er spricht von der Verschaffung einer „selbstständigen Arbeitsgelegenheit“ und einer „bevorzugten sozialen Stellung“, und er findet es gerecht, wenn der An- nehmer hierfür mehr als den Ertragswerth bezahlt, denn, so folgert er, wenn die anderen Kinder „ihrerseits wieder ein Gut erwerben wollen und dadurch in die Lage zu kommen suchen, die der ihnen rechtlich gleichstehende Uebernehmer hat, so müssen sie dies Gut auch über den Ertragswerth hinaus bezahlen“.

Allein diese Deduktion, der etwas Bestechendes nicht ab- gesprochen werden kann, ist schon in ihrem Ausgangspunkte unsicher. Es ist nämlich nicht richtig, dass die angegebenen Fälle die einzigen sind, in denen eine Ueberwerthung des Bodens eintritt. Im Gegentheil, es gehört der ganze Optimismus

3:Mb) Brentano. Zukunft S. 656. Fick S. 300.

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Brentanos, seine Ueberzeugung von der wirtlischaftlichen V or- trefflichkeit unserer Eigenthumsordnung dazu, uni überall nur diese haltbaren Gründe der Ueberwerthnng anznnehmen. Deren wahre und fast überall zutreffende Ursachen sind vielmehr zwei: erstens der aus der echt deutschen Vorliebe für Grund- besitz geborene Landhunger: und zweitens die irrige Annahme, dass die enorme Steigerung der Reinerträge in den siebziger Jahren eine bleibende sein werde. Es soll dabei aus Letzterem nicht einmal den Landwirthen ein Vorwurf gemacht werden. Die lange Dauer der Hausse rechtfertigte wohl die Annahme, dass es sich hier um eine bleibende Erscheinung handle; sie entschuldigte sogar den Optimismus, der durch eine einzige gute Ernto die Bodenpreise in die Höhe trieb. Es ist ferner auch nicht wunderbar, wenn die heutigen Landwirthe, die jene Periode noch erlebt haben, sich noch immer nicht entschlossen können, ihre Illusion aufzugeben; man gesteht sich ja dann, wenn man sich für vermögend gehalten hat, nicht gern ein, dass man wenig oder nichts besitzt. Aber diese psychologische Rechtfertigung der Ueberschätzung der Bodenwerthe kann über ihre wirtschaftliche Grundlosigkeit nicht täuschen. Nicht nur auf der Agrarconferenz wurde diese hervorgehoben, sondern auch die ofterwähnte jüngste bayrische Enquete und die Um- frage des Vereins für Sozialpolitik haben ergeben, dass die Liegenschaftspreise ohne jeden ökonomischen Grund nur durch die Erinnerungen früherer Zeiten hochgehalten werden.

Dass die von Brentano und Fick angeführten Ursachen nicht die hauptsächlichsten sein können, ergiebt sich übrigens auch von selbst. Die Bodenüberwerthung ist eine allgemeine Erscheinung. Wo aber gewährt denn noch der Grundbesitz „politische Vorzüge“ und „Ehrenrechte?“ Doch immer nur in ganz wenigen Gegenden! Und wo dies der Fall ist, da trifft es nur beim Grossbesitze zu. Gerade beim Gross- besitze, ist aber, wie Gamp auf der Agrarconferenz durch Zahlen bewiesen hat, die Ueberwerthnng nicht so vorhanden als beim Kleinbesitz. Freilich bei diesem hat man als Er- klärungsmittel ja die „gesicherte Arbeitsgelegenheit“ bei der Hand, die „Versicherungsprämie gegen Arbeitslosigkeit“, wie man sich mit einem Schlagwort ausgedrückt hat. Es ist dies allerdings in der That nur ein Schlagwort, im ersten Augen-

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blick einleuchtend, bei näherer Betrachtung aber zerrinnend. Denn Prämie nennt inan einen kleinen Wcrthznschlag; wie aber kann man das eine Prämie nennen, womit man das Doppelte, ja das Dreifache vom gcsammten Werthe des zu sichernden Gegenstandes bezahlt: und das geschieht doch, wenn der Verkaufswerth sich wie bei uns aut ein Vielfaches des Er- tragswerthes beläuft! Ucbcrdies zahlt man Prämie doch nur für die Sicherung von etwas Begehrenswerthem. Arbeit an sich ist aber niemals begehrenswert!:, sondern nur diejenige Arbeit, die etwas einbringt. Bei der in Deutschland üblichen Ueber- schätzung der Liegenschaften wirft aber die Arbeit, wie wir sahen, vielfach kaum des Lebens Nothdurft ab, sic dient nur dazu, für andere Zinsen herauszuschlagen. Für die Sicherung solcher Arbeitsgelegenheit zahlt man keine Prämie. Wenn auch hier noch von Prämie gesprochen werden sollte, so käme das hinaus auf eine Prämie für die Freiheit, sich zu Grunde richten zu dürfen. Es soll darum nicht gesagt sein, dass die Betonung der gesicherten Arbeitsmöglichkeit ein ganz verfehlter Gedanke wäre. Eine kleine, wirklich prämienartige Erhöhung der Grundwerte Hesse sich vielleicht damit begründen; aber die Erhöhung, die bei uns vorhanden ist, wird damit nicht er- klärt: dazu ist nur genügend die Heranziehung psychologischer Momente, einmal der Vorliebe der Deutschen für Land, ein Affektionsinteresse , und zweitens der Verkennung des Nieder- ganges in den Reinerträgen, eine Illusion. Aftektions- und Illusionswerthe berücksichtigt aber selbst das römische Recht bei der Erbtheilung nicht.

Brentano und Fick haben aber gegen den Ertragswerth noch einen Vorwurf erhoben, der für uns weit schwerer wiegt: sie behaupten er sei unvolksthümlich. Die Bauern könnten, so meinen sie, den Ertragswerth schon deshalb nicht anwenden, weil sie ihn gar nicht zu berechnen verständen; sie wüssten nur, dass die Geschwister so und soviel erhalten sollten, dass das Altentheil in der und der Weise gegeben werden solle u. s. w. : aus diesen einzelnen Posten müssten dann Notar oder Gericht sich selbst den Grundwerth zusammensetzen.

Allein wie wir oben gegenüber der ähnlichen Behauptung, die Bevorzugung des Anerben entspreche nicht mehr der Rechts- überzeugung, feststellen konnten, dass sie durch nichts besser

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34r.

widerlegt wird als durch die von Brentano selbst veranlasste und von ihm benutzte Enquete, so ist es auch hier.

Es giebt nur zwei Arten, den Bodenpreis zu berechnen; entweder hält man sich an den Ertrugswerth oder an den Ver- kaufswerth. Einen dritten Werth giebt es nicht. Nun bestätigen alle Berichte der Brentano'schen Enquete ohne Ausnahme das Eine: Ueberall wo die Bauern freie Hand haben und nicht durch bedeutende Schulden gezwungen werden, den Hof zu hoch anznschlagen, damit doch noch ein kleiner Abtretungs- werth herauskommt, da nehmen sie nicht den Verkaufswerth, weil dieser allgemein für ungeeignet gilt. fi<c) Soll es aber nicht der Verkaufswerth sein, so bleibt eben nur der Ertragswerth übrig. Dass den Bauern vielfach die Fähigkeit abgeht, den Ertragswerth ökonomisch genau zu berechnen und dass sie darum meist dem Notar nur angeben, was an Abfindungen und Altentheilen dem Uebernehmer auferlegt werden soll, ohne einen Ansatzpreis zu nennen, mag richt ig sein. Dass sie aber darum dem Ertragswerthe feindlich gegenüberständen, ist ein Fehlschluss. Im Gegentheil, ihren Angaben liegt stets eine, wenn auch unbestimmte Vorstellung vom Ertragswerthe zu Grunde. Denn es wird immer betont, die Lasten würden so bemessen, dass der Hof sic „tragen“ könne das heisst doch: man will nicht mehr als den Er- trag des Hofes vertheilen. Es fehlt denn auch in der Brentano- schen Enquete nicht an Berichterstattern, welche diesen unbe- stimmten und unbewussten Bestrebungen den richtigen Namen geben und gerade hcraussagen, es werde nach dem „Ertrags- werthe“ abgefunden. :w*) Allerdings haben wir oben constatiren müssen, dass die allgemeine Ueberschätzung der Grundwerthe sich auch hier geltend macht, und dass der Uebernahmepreis darum oft den richtigen Ertragswerth übersteigt Das bedeutet aber nur eine fälschliche Berechnung des letzteren, nicht aber ein Streben nach dem Verkaufewerthe; denn es wird ja allgemein

3*«) Vgl. Fick S. 43, 60 61, 67, 69. 90, 101, 112/113, 120, 122, 124. 138, 141, 143, 140, 161, 150, 165. 170, 174, 183/184, 186, 199. 200, 243, 252. Diese stattliche Zahlenreihe allein zeigt die seltene Vebereinstiramung in der Verwerfung des Verkaufswerthes.

.tcpi'j Vg| oben $ 34 86.

■“"■J Vgl. namentlich Fick 8. 186, 200, 243.

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34C

berichtet, dass man den nicht haben will. Irrthümer in der einmal angenommenen Berechnungsart abzsuchneiden, darf sich aber auch eine volkstümliche Gesetzgebung nicht versagen, ja schliesslich wird sie dadurch bei der wachsenden Einsicht sich auch den Dank der Betheiligten verdienen.

Steht somit die Zulässigkeit und wirtschaftliche Notwendig- keit der Schätzung nach dem Ertragswerte fest, so ist doch unge- wiss, auf welchem Wege sic herbeigeführt werden soll. Es sind hierfür bis jetzt als Handhaben vornehmlich der Grnndsteuerrein- ertrag und die Bodengrösse benutzt worden. Gegen beide hat man Bedenken geltend gemacht.--***) Und in der That, wenn man sich überlegt, in welcher Weise die Schätzung auf der einen oder anderen Grundlage zu erfolgen hat, so wird man sich jenen Bedenken nicht, verschliessen können. Bei Zugrundelegung des Boden- areals z. B. müsste man doch sagen: Für so und so viel Landfläche wird ein Reinertrag von so und so viel Mark ange- nommen. Das wird sich aber kaum für bestimmte Gegenden Deutschlands, geschweige denn für das ganze Reich allgemein festsetzen lassen. Denn schon nach dem Kulturgegenstande ist das Verhältniss zwischen Grundfläche und Reinertrag verschieden: bei Korn ist er ein anderer als bei Rüben, dort ein anderer als bei Wein, wieder anders bei Tabak, Hopfen etc. etc. Diese Schwierigkeit Hesse sich vielleicht noch heben indem man sagte : auf dieselbe Grundfläche ist bei Weizenbau dieser Ertrag anzu- nelunen, bei Roggenbau jener, bei Rübenbau ein dritter u. s. f. Allein das würde einmal eine fast endlose Liste werden müssen. Ausserdem ist dann aber der zweite Punkt nicht berücksichtigt, dass auch bei derselben Pflanze der Ertrag der gleichen Boden- fläche nach der Bodengüte verschieden ist. Ferner wäre zu berücksichtigen: Die verschiedene Intensität der Bewirth-

schaftung, die Nähe oder Ferne des zu schätzenden Landstücks von Absatzgebieten, die Höhenlage, die Bewässerung und der- gleichen. Kurz eine allgemeine Feststellung des Reinertrags einer gegebenen Fläche Hesse sich nur für ganz kleine Bezirke ausführen und würde auch hier als durchschnittliche im einzelnen Falle stets eine Ungerechtigkeit enthalten.

^0 Gegen den Grundstcuerreiuertrag namentlich Marcliet S. 1320.

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Viele dieser Schwierigkeiten vermeidet man, wenn man vom Grundsteuerreinertrage ausgeht. Hier liegt schon eine Schätzung des einzelnen Landstriches vor, welche auf dessen Eigenthüm- lichkeiten, wie Lage, Bewirthschaftungsart etc. Rücksicht nimmt. Allein erstens sind diese Schätzungen in Deutschland vielfach schon vor längerer Zeit vorgenommen und in ihren Ergebnissen deshalb heute veraltet. Dann aber muss doch der Ertragswerth dadurch ermittelt werden, dass man den Grundsteuerreineitrag vervielfacht. Dieser Multiplicator ist nun nach den einzelnen Gegenden Deutschlands überaus verschieden. So hat das Höfe- gesetz für Hannover den ‘20 fachen Betrag, das tlir Brandenburg den 30 fachen und das für Schlesien gar den 40 fachen Betrag angenommen. Eine einheitliche Regelung für Deutschland wäre deshalb schwer möglich.“1)

Es wird deshalb nichts übrig bleiben, als zur Schätzung im einzelnen Falle zu greifen, wie sie das österreichische An- erbengesetz, das preussische Höfegesetz für Kassel und neuerdings das westfälische Gesetz beliebt haben. Tliut inan aber dies, so kommt man mit Nothwendigkeit zu dem Schiedsgericht bezw. dem Familienrath. iW) Denn der Richter, welcher sonst die Schätzung vornehmen müsste, ist doch nicht sachverständig genug. Es ist aber besser, wenn er sich die sachliche Be- lehrung im lebendigen mündlichen Verkehr als Vorsitzender eines Schiedsgerichts oder Familienraths von Verwandten der Abfindlinge ertheilen lässt, als wenn er, wie es sonst geschehen müsste, ein schriftliches Gutachten von einem gerichtlichen Sachverständigen erfordert.“1*)

§ 48.

Auf die Einführung des Schiedsgerichts drängt aber noch ein zweiter Punkt in der Bemessung der Brautschätze hin:

■12*) Auf der Agrarconferenz wurde der Kiltastralreinertrag, weil ver- altet, als Massstab allgemein vetworfen, nur in Westfalen wurde er als geeignet anerkannt. Vgl. Agrarconferenz S. 250 und 143, 256. Auch das Gutachten von Andre (Verhdlgti. des Juristentages de 1895 ild. 1 S. 48) spricht sich gegen den Katastralreinertrag aus.

So auch Gierke, Erbrecht in Grundbesitz S. 24/25.

3aum) Das neue westfälische Gesetz 40) hat nur das Schiedsgericht.

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der dem Anerben zu gewährende Voraus. Wenn man ihu in verhüllter Form giebt, d. h. durch eine absichtlich zu niedrige Schätzung des Hofwerthes, so bietet er allerdings neben der Schätzung keinen selbständigen Grund, ein Schiedsgericht zu empfehlen. Was überhaupt auf die Schätzung zutrifft, gilt dann auch für ihn, da er dann einfach in dieser Schätzung ver- schwindet. Allein es ist Gierke und Marchet vollständig Recht zu geben, wenn sie den verhüllten Voraus verwerfen und einen offenen verlangen.“1) Denn mit Fug kann man den Gesetzen, welche den verhüllten Voraus haben, Unredlichkeit vorwerfen. Offiziell kennen sie den Voraus nicht; heimlich bringen sie ihn durch absichtlich zu niedrige Gutsschätzung wieder in das Gesetz hinein. Warum soll das Gesetz nicht den Muth haben wenn es den Voraus für angebracht hält, dies offen zu bekennen? Und in der Tliat gibt es kaum etw as Gerechtfertigteres als den Voraus. Er wird .auch durch Einschätzung des Gutes nach dem Ertrage keineswegs überflüssig. Denn wie wir schon des Weiteren ausgeführt haben, 34) gebührt dem Anerben auch dann ein Voraus als Risiko- oder Reservefonds.

Muss aber ein Voraus gewährt werden, so wird man auch seine Bemessung in die Hände eines Schiedsgerichtes oderFamilienrathes legen müssen.™) Denn seine Höhe lässt sich nicht allgemein, sondern nur nach Lage des einzelnen Falles bestimmen. Er muss so hoch sein, dass der Anerbe bestehen kann: und diese Höhe ist begreiflicherweise bei den verschiedenen Gütern verschieden. Allgemein kann man höchstens die Grenzen angeben, in denen der Voraus sich halten muss. Denn ein durchschnittliches Maximum und Minimum lässt sich vielleicht durch gauz Deutsch- land hin für ihn feststellen. “5*)

m) Gierke a. a. O. 8. 23; Marchet S. 1329.

832) In Schmollers Jahrbuch llil. 18 S. 383.

®°) So auch Gierke (a. a. O. S. 24 25 und Junstentag de 1895. Bd 2 8. 102 103.)

ias*) Das neue westfälische Gesetz betritt nicht diesen Weg, sondern billigt den Anerben 1 des Ertragswertheg zu. Wie wenig aber solche Bemessung auch nur tiir eine Provinz allgemein zutrifft, ergiebt sich daraus, dass das Abgeordnetenhaus den Voraus für einzelne Gegenden Westfalens auf 1 herabgesetzt bat 20 des Entwurfs).

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Es ist nun wohl an der Zeit nach der vielfachen Erwähnung des Schiedsgerichts auf seine künftige Gestaltung näher einzu- gehen. Hier erwächst zunächst die Prinzipienfrage: reines Schiedsgericht, reiner Eamilieurath oder beides zusammen. Der Familienrath hat den Volksbrauch für sich: in Hessen-Kassel ist er althergebracht, und die namentlich in bayrischen Gegenden übliche, gütliche Einigung der Miterben untereinander ist ihm praktisch sehr ähnlich. Ein Gleiches kann man dem Schieds- gerichte nicht nachrühmeu; es ist zwar von den Höfegesetzen vielfach beliebt worden, es ist aber ebenso wie diese ein modernes künstliches Produkt. Gleichwohl sind in letzter Zeit gegen den reinen Famlienrath Bedenken entstanden, die früher, als er in Uebnng kam, keine Berechtigung hatten. Der Familienrath, welcher die Person des Anerben zu wählen und die Höhe der Abfindungen zu bestimmen hat, muss, wenn anders sein Wirken zum Segen des Hofes gereichen soll, von land- wirtschaftlichen Dingen etwas verstehen. Früher war dies Verständniss ziemlich allgemein verbreitet. Auch diejenigen Sprösslinge des Bauernstandes, welche ausserhalb des väterlichen Hofes ein Unterkommen suchen mussten, blieben meist auf dem Lande wohnen und bewahrten so die lebendige Berührung mit der Landwirthschaft. Wenn sie aber wirklich in die Städte zogen, so waren das nicht jene dem platten Lande gänzlich entfremdeten Industriestädte von heute, sondern kleine Land- städtchen, in denen meist die Ackcrwirthschaft eine Hauptrolle spielte, jedenfalls aber die Kenntniss dessen, was draussen bei den Bauern vorging, von Wichtigkeit und Interesse war. Das ist heute ganz anders. Wenn der Bauernsohn in die Stadt zieht, so kommt er in einen ganz anderen Lebenskreis, wird so mit durchaus neuen Anschauungen erfüllt, dass er als Familienrath in landwirtschaftlichen Dingen später nicht mehr gedeihlich wirken kann.

Ein Schiedsgericht dagegen lässt sich so gestalten, dass es hinreichend sachverständig ist. Gleichwohl ist es allein auch nicht zu empfehlen. Zunächst wie gesagt, entbehrt seine Ein- führung des historischen Rückhalts; die Bauern, nur an das Eingreifen von Verwandten gewöhnt, würden durch ein aus Fremden bestehendes Gericht sich wahrscheinlich vergewaltigt fühlen. Ferner besteht die Gefahr, dass ein fremdes Sehieds-

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gericht zu sehr das Interesse der Allgemeinheit an der Er- haltung der Bauernhöfe ins Auge fasste und zu wenig wanne Fürsorge für das Wohl der einzelnen Familienmitglieder be- zeigte.

Es empfiehlt sich demnach eine Combination von Familien- rath und Schiedsgericht. Sie ergiebt sich gewissermassen naturgemäss. Zunächst müssen die Interessen der Familien- mitglieder gewahrt werden. Sie werden durch Berufung zweier Verwandten geschützt. Alsdann kommen die Interessen der Allgemeinheit an der leistungsfähigen Erhaltung der Höfe. Sie werden berücksichtigt durch Zuziehung des Gemeindevorstandes. Alsdann würde noch ein Sachverständiger aus dem Bauernstände hinzutreten müssen für die nüthig werdenden Abschätzungen. Endlich wäre der Vorsitz in dem Schiedsgericht dem Amtsrichter zu übertragen; denn dessen Betheiligung ist nicht zu umgehen. Wenn man es überhaupt für zweckmässig hält, Auseinander- setzungen vom Richter vornehmen zu lassen, und das thut man doch , so muss man diese Gepflogenheit gauz besonders bei bäuerlichen Auseinandersetzungen beobachten: denn die dabei mitwirkenden Bauern sind doch gewiss noch mehr in Gefahr, sich in den Irrgängen des Rechts nicht zurecht zu Süden, wie es bei städtischen Auseinandersetzungen der Fall ist.

Das Familienschiedsgericht bestände sonach aus zwei festen Mitgliedern, dem Amtsrichter und dem Gemeindevorstand, und aus drei zu wählenden. Für alle Mitglieder ist als oberste Forder- ung diejenige nach möglichster Sachkuude aufzustellen und des- halb ihre Zugehörigkeit znm Bauernstände zu verlangen. Auch für den Gemeinvorstand muss diese Forderung, soweit irgend angängig, durchgesetzt werden. Es würde deshalb etwa anzu- ordnen sein: „In dem Familien-Schiedsgericht hat der Gemeinde- vorsteher Sitz und Stimme, sofern er dem Bauernstände ange- hört. Ist dies nicht der Fall, so hat der Amtsrichter nach vorgängiger Anhörung des Gemeindevorstehers, von dessen Vorschlag er aus besonderen, namhaft zu machenden Gründen abweichen darf, ein anderes bäuerliches Mitglied des Gemeinde- vorstandes (Gemeindeschöppe) auszuwählen. Findet sich ein solches nicht, so verbleibt cs bei der Berufung des Gemeinde- vorstehers.“

Für die Wahl der drei weiteren Mitglieder kann mau, un-

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besehadet des Grundsatzes ihrer Zugehörigkeit zum Bauern- stände, zunächst den auf gütlicher Einigung beruhenden Vorschlag der Erben entscheiden lassen. Doch wird man für die beiden Verwandten fordern müssen, dass die Wahl zuvörderst die nächsten Verwandten berücksichtige und deshalb ein Hinans- greifeu über den dritten Grad der Seitenverwandschaft und den zweiten der Seitenschwägerschaft an eine besondere Genehmigung des Amtsrichters knüpfen. Kommt eine gütliche Einigung der Erben binnen einer vom Amtsrichter zu stellenden Frist nicht zu stände, so erfolgt die Berufung der beiden Verwandten nach sachlichen Grundsätzen. Zunächst giebt die Zugehörigkeit zum Bauernstände den Vorrang; alsdann die Gradesnähe. Die so Berufenen können aber leicht allzu weite, wenig mit den Ab- findlingen, deren Wohl und Wehe ihnen anvertraut ist, zu- sammenhängende Verwandte sein. Dieser Nachtheil wird nun durch ihre Sachkunde zwar etwras aufgewogen, jedoch nicht völlig ausgeglichen. Wenigstens einer der Verwandten muss deshalb, wenn irgend angängig, ein möglichst naher sein. Es empfiehlt sich sonach folgende Bestimmung: „Finden sich aus

den bäuerlichen Verwandten keine, die mit den Abfindlingen noch in persönlichem, näheren Verkehr stehen, so erfolgt die Berufung auch eines nichtbäuerlichen Verwandten nach der Gradesnähe.“

Was endlich das sachverständige Mitglied anlangt, so wird man auch hier dem vereinten Vorschläge der Erben billig den Vorrang lassen. Auch hier lmt der Amtsrichter die Erben zur Ausübung ihres Vorschlagsrechtes aufzufordern und ihnen eine Frist zu setzen, welche auf Antrag falls eine Einigung noch zu hoffen ist mehrefemal verlängert werden kann. Nach fruchtlosem Ablauf der Fristen ernennt der Amtsrichter den Sachverständigen nach Anhörung der Erben.

Das Verfahren des so gebildeten Familien-Schiedsgerichts ist mit wenigen Worten geregelt. Den Vorsitz in den Sitzungen führt der Amtsrichter. Zur Beschlussfassung gehört die An- wesenheit aller Mitglieder. Der Amtssichter hat diese deshalb zum Besuche der Sitzungen durch Ordnungsstrafen anzuhalten. Es entscheidet einfache Stimmenmehrheit. Die Stimme muss stets in der Richtung abgegeben werden, dass durch die Ent- scheidung dem Hofesannehmer der Fortbestand auf dem Gute

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ermöglicht wird, im Uebrigen erfolgt die Stimmabgabe nach freier Ueberzeugung, jedoch muss die Schätzung des Gutes stets nach dem Ertragswerthe erfolgen. Die Gesammt-Entseheidung des Schiedsgerichts ist schriftlich zu begründen, namentlich hin- sichtlich der Gutssehätzung: sie muss zutreffenden Falls ersehen lassen, warum zum Anerben nicht der älteste bezw. jüngste Sohn gewählt ist. Eine Anfechtung der Entscheidung findet nur wegen Verletzung absoluter Rechtsvorschriften statt.““’)

§ 49.

Den Anszahlnngsmodus der so vom Schiedsgericht festge- stelltcn Abfindungen wird man auch dem Schiedsgerichte an- heimstellen können. Der Gedanke, die Auszahlung in Kenten zwingend vorzuschreiben, :CM) hat viel für sich, weil der Grund und Boden, wie schon öfter betont, nur Renten hervorbringt; der Gedanke ist deshalb auch von dem prcussischen Anerben- gesetz für Rentengüter und von dem Entwürfe für Westfalen adoptirt worden. Allein unter heutigen Verhältnissen führt seine Durchführung dazu, dass die Miterben nicht das erhalten, was ihnen auch nach den Grundsätzen des Anerbenrechts ge- bührt. Denn danach haben auch die Miterben ein kleines Be- triebskapitel zu verlangen, welches ihnen mit Hilfe eigener Arbeit möglich macht, in dem von ihnen gewählten Berufe sich eine Lebensstellung zu gründen. Die Rentenschuld kann ihnen ein solches Kapital niemals gewähren. Denn aus einer Rente ist nur Kapital zu schlagen durch ihren Verkauf. Dieser kann

-TOI') In welcher Weise dies zu geschehen hat, oh durch Beschwerde oder Klage, ob dann hei Aufhebung der Kutscheidung das Verfahren wiederholt werden muss oder ob die aufhehende Behörde selbst schätzen darf, dass alles sind Details, die wir nicht erörtern können. Bemerkt sei noch, das das neue westfälische Besetz die Thätigkeit des Amtsrichters nur als eine ver- mittelnde auffasst, und dass darum die von ihm veranlasste Schätzung, wenn die Miterben sie nicht im Erbrezesse anerkennen, nur exemplifikatorische und moralische Autorität hat. Dem Verf. erscheint diese Regelung höchst un- praktisch. Sio entspricht auch nicht dem üodaukon des Schiods ge rieh t s.

s**) Er ist zuerst namentlich von Gicrke a. a. O. tS. 25 f. vertreten, und hat viele Anhänger gefunden, vor allem auf der Agrarconferenz. Auch der Juristentag von 18U5 nahm einen dahingehenden Antrag mit grosser Mehrheit an.

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ja nun gesetzlich gestattet werden und ist vom B. G. B. gestattet; aber diese gesetzliche Möglichkeit ist praktisch werthlos. Denn so lange die Rentenschuld in unserem Volke nicht wieder lebendig ge- worden ist, wird der Verkehr mit Renten, ihr Kauf und Verkauf grosse Schwierigkeiten darbieten. Vollends gar, wenn die Rente, wie vielfach beabsichtigt wurde, als Tilgungsrente gestaltet wird, erhält der Miterbe nichts von dem ihm gebührenden kleinen Kapitale. Er empfängt jährlich kleine Beträge, die in seinem Haushalte, ohne wesentlichen Beihilfe zu leisten, verbraucht werden, und auf einmal ist sein ganzes Recht zu Ende, ohne dass er besonderen Nutzen davon gehabt hätte :a*) Will man deshalb die Rentenabfindung zulassen, so muss man sie als ver- käufliche und auf beiden Seiten jederzeit zur Ablösung in Kapital kündbare Renten gestalten. Zur Erleichterung des Anerben kann man ja dann für den Ablösungsfall nach dem Muster des neuen preussischen Anerbengesetzes für Reutengütcr staatliche Rentenbanken umgreifen lassen.3**)

Was die Verzinsung und Vererbung der Abfindungen, und die damit zusammenhängende Frage des Beisitzes anlangt, so darf an dem alten Wererecht hierüber nicht gerüttelt werden. Der Beisitz namentlich ist, wie schon oben betont, einer der Grundpfeiler des Anerbenrechts. Die von diesem beliebte Be- vorzugung des Anerben findet eben ihre moralische Stütze darin, dass das Gut als Familiengut den Familiengliedern in Un- mündigkeit, Krankheit und Xoth eine Zuflucht bietet.337) Das

wj Diese Bedenken hat namentlich der Oberbürgermeister Struckmaun in der Herrenhaussitzung vom •-’>). Januar IK'Jti bei der Berathung des Anerbengesetzes für Kentengüter treffend dargelegt. Vgl. Tägliche Knud- schau Nr. 35, J v. 11. Febr. 1896.

*“) Staatlichen Amortisationskassen redet auch Soergel § 19 das Wort. Auch das westfälische Gesetz hat jetzt die beiderseits künd- bare Kente und sieht Ablösung durch die Landschaften vor 29, 30, 31 a. a. O.)

s*7) Man sage nicht, dass diese Verhältnisse nicht mehr existiren. Noch leben im Bauernstände die alten Sitten und Anschauungen; nur, wie lauge sie noch leben werden, wenn sich ihnen die Gesetzgebung andauernd feindlich gegonüherstellt. das ist zweifelhaft. Vorläufig aber bürt man noch von überall herzerfreuende Schilderungen von Bewahrung des Familien- lebens in alter Art. Namentlich aus den deutschen Alpeuländern, den Hochburgen altbäuerlichen Wesens, kommen solche Berichte.

v. Daltsig, ü runderbrecht. 23

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alte Recht ist deshalb in dem neuen Gesetze einfach abzu- schreiben. Nach wie vor empfängt der im Hofe verbleibende Abfindling zwar keine Zinsen, aber Unterhalt, dafür muss er denn auch mitarbeiten und bei seinem Tode verbleibt seine Abfindung dem Hofe.**7“)

Ebenso wird es hinsichtlich der Sicherungsmittel für die Abfindungen am zweckmässigsten beim bestehenden Rechte be- lassen. Mau wird auch künftig die Abfindung nicht schlechthin für eine Reallast erklären dürfen; einen Pfandrechtstitel soll sie aber weiter bilden. Nahezu das praktische Ergebniss der Reallast wird übrigens erreicht, wenn man dem im Schieds- gerichte präsidireuden Amtsrichter es zur Pflicht macht, für die grundbuchliche Eintragung der Abfindungen Sorge zu tragen. Und zwar wäre es dann angemessen, dem von einer Aus- fertigung des Recesses begleiteten Ersuchen dieses Amtsrichters die Kraft beizulegen, dass daraufhin die Eintragung zu er- folgen hat.Si7b)

Auch hinsichtlich des Verhältnisses des Auerbenrechts zum Pflichttheilsrecht ist das bisherige Recht beizubchalten. Denu das Pflichttheilsrecht selbst muss zwar wie wir schon erklärten, gewahrt bleiben. Wenn aber der Zweck des Anerbenrechts nicht vereitelt werden soll, so müssen die, für bäuerliche Güter überhaupt allein richtigen, anerbenrechtlichen Schätzungsgrund- sätze auch gegenüber dem Pflichttheilsrecht Anwendung finden. Der Pflichttheil ist eben begrifflich weiter nichts als eine Quote des Erbtheils; bei bäuerlichen Vermögen also selbstverständlich

s*7*) In dieser Richtung war die Gestalt, welche das westfälische Ge- setz vom pr. Herrenhause erhalten hatte, weitaus besser als die Fassung, welche ihm zuletzt das Abgeordnetenhaus gegebeu hat. Dieses hat den Beisitz auf die Zeit bis zum 25. Lebensjahr beschränkt und deu wichtigen Satz weggelassen, dass die Abfindung der im Hofe verstorbenen Abfindlinge an den Hof zurückfiillt. 35 a. a. 0.)

SJ71>) Das westfälische Gesetz belässt es beim Pfandreehtstitel, es giebt ihn sogar nicht blos für die Abfindungen, sondern auch für alle aus dem Anerbenrecht fliessenden Ansprüche. Das dürfte in einzelnen Fällen zuweit gehen, das Grundbuch überlasten und den Verkehr mit Laudgütern beein- trächtigen. (Vgl. § 37 a. a. O.)

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eine Quote des nach bäuerlicher, d. h. anerbenrechtlicher Weise ermittelten Erbtheils.5*7®)

§ 50.

Neben dem Verhältnisse von Anerbenrecht und Pflicht- theilsrecht bleiben noch die Beziehungen zu erörtern, welche künftig zwischen Anerbenrecht und ehelichem Güterrecht be- stehen sollen.

Diese Beziehungen sind von hervorragender Wichtigkeit. Gerade an der ungeschickten Gestaltung des ehelichen Güter- rechts sind von jeher die für den Bauernstand bestimmten Ge- setze gescheitert. Schou Joseph' s II. österreichisches Anerben- gesetz wurde wegen seiner Eingriffe in das Güterrecht mit „vielfältigen und dringenden Beschwerden“ begleitet und musste aufgehoben werden. Ebenso scheiterte allein am Güterrecht das erste preussische Gesetz für Westfalen aus den vierziger Jahren, und gleicher Weise war das Güterrecht einer der Hauptgründe dafür, dass das bayrische Stammgutsgesetz von 1855 ein todtgeborenes Kind geblieben ist. Deshalb sollte man sich auf dem Gebiete des ehelichen Gttterrechts und seiner Berührungsgebiete gänzlich von allem Herumtasten und Ex- perimentiren freihalten. Wirtschaftliche Zweckmässigkeits- erwägungen werden hier allerdings kaum den Anlass zu solchen Versuchen geben; desto mehr aber die sogenannten Forderungen der „Gerechtigkeit.“ Und vor diesen muss man sich hier besonders hüten. Denn wenn es überhaupt die vou den städtischen Gesetzgebern ausgehende moderne „Gerechtigkeit“ ist, welche vom Landvolk nicht verstanden wird, seine Rechts- anschauungen verletzt und es zu einem schroffabweisenden Ver- halten gegen das neue Recht verleitet, so weichen gerade bei der Auffassung des ehelichen Verhältnisses und seiner Folgen die Anschauungen der massgebenden städtischen und ländlichen Kreise besonders weit von einander ab. Es ist doch nach den Reichstagsverhandlungen über das bürgerliche Gesetzbuch nicht mehr zu verkennen, dass die ersteren von Strömungen beherrscht

337 c) So auch das westfalische Gesetz § 3«.

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uder wenigstens beeinflusst werden, die auf möglichst mechanische Gleichstellung beider Geschlechter abzielen, und die abgesehen von ihrer sonstigen Berechtigung auf dem Lande jedenfalls nicht begründet sind und vor allein nicht verstanden werden. Für die Bestrebungen der modernen Frauen hat weder der Bauersmann ein Herz, noch die Bauersfrau, trotzdem sie die wahrhaft nutzbringende Gleichberechtigung, die herrschende Stellung im Innern des Hauses, das Zusammenhalten, Vertheilen und Verwalten des vom Manne Erworbenen, das ihr von jeher bei den Ariern gebührte, mehr zur Geltung zu bringen und auch besser zu vertreten versteht als die heutigen Emancipations- schwärmerinnen. Man kann deshalb nichts Besseres thun, als das geschichtlich gewordene Recht auch fernerhin beibehalten. Damit vermeidet man alle unsicheren Experimente und man hat anderseits die Gewähr, dass man etwas Praktisches, d. h. den Verhältnissen, aus denen es selbstthätig herausgewachsen ist. Entsprechendes erwählt hat und zugleich auch etwas wahrhaft Gerechtes, d. h. etwas, das den überlieferten Rechtsanschanungen der Betheiligten genügt.55711)

Was wir deshalb oben über die jetzigen Einwirkungen des bäuerlichen Güterrechts auf das Erbrecht ausgeführt haben, soll auch für die Zukunft Geltung haben. Namentlich der Beisitz des längstlebenden Elterntheils darf nicht angetastet werden; er ist für den Bestand des Anerbenrechts ebenso wichtig, wie der oben betonte Beisitz der Geschwister des Anerben.337*) Nur in einer Weise kann man, wie wir schon ausführten, über das bestehende Recht hinausgehen, aber in einer Richtung, welche durch die bisherige Entwicklung bereits vorgezeichnet ist. Das Uebernahmerecht des überlebenden Ehegatten bei seiner Wiederverheirathung, seine Befugniss. dann wie ein An-

S37'1) Auch Fick S. 267 führt aus, dass das eheliche Güterrecht des bürgerlichen Gesetzbuches den Anschauungen der Hauern nicht entspreche; ihnen sage die Gütergemeinschaft am meisten zu. Die Wichtigkeit des ehelichen Gütenrechts wird übrigens in allen einschlägigen Schriften aner- kannt. Vgl. auch Winkeltuann auf der Agrarconferenz S. 243.

3.-Ü0) j,;9 jj( deshalb durchaus zu billigen, wenn das westfälische Ge- setz (§ 36) auch dem nicht in Gütergemeinschaft stehenden Ehegatten den Beisitz gewährt.

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erbe seine erstehelichen Kinder abzufinden, diese Befugniss, die lieute schon gegendweise besteht, kann man verallgemeinern, mindestens für den Fall, dass der Hof von dem Ueberlebenden berrührt. Weitere Aenderungcn des bestehenden Rechts sind aber gefährlich.

§ 51.

Znm Schluss müssen wir noch die für die gesetzgeberische Behandlung des Anerbenrechts wichtige Frage berühren, in- wiefern dasselbe mit Verschuldungsbeschrankungen verbunden werden soll.

Wir sehen hier zunächst ab von den grossartigen Vor- schlägen, die Lorenz von Stein in seinem Buche „Bauerngut und Hufenrecht“ macht. Diese Vorschläge haben zwar sehr viel für sich; sie knüpfen auch in genialer W eise an alte deutsche Einrichtungen an; aber sie würden eine zu vollständige Umwälzung der heutigen Verhältnisse bedingen, als dass sich jetzt Aussicht auf ihre Verwirklichung böte. Gleichwohl, wenn die jetzigen Zustände noch weiter fortfahren sich zu ver- schlimmern, so wird man sich doch noch entschlossen müssen, durch Ausführung jener Pläne zwar tief in alles Bestehende einzuschncidcn, dafür aber auch das Uebel an seiner Wurzel zu treffen. Zunächst indessen stehen die von Stein befür- worteten Massnahmen noch nicht im Vordergrund des Interesses, es ist vielmehr ein anderes Auskunftsmittel; das vornehmlich erörtert wird, nämlich die Schaffung eines Existenzminimums. Hierbei handelt es sich nun eigentlich weniger um eine Ver- schuldungs- als um eine Executionsbeschränkung. Es soll, auch wenn der Hof schuldenhalber verkauft wird, dem Besitzer immer ein Theil belassen werden, von dem er notluliirftig eine Familie ernähren kann.

Es ist diese Massregel keineswegs ohne Anknüpfungspunkte in unserem bisherigen Rechte. In Oesterreich wenigstens giebt es ein direkt auf Landgüter bezügliche Versteigerungsvor- schrift welche einen Anklang an das Existenzminimum

Vgl. Marohet S. 1337.

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bildet. Wenn dort der für ein Immobile gebotene Preis nicht ein Drittel des Schätzungswerthes oder Ausrufpreises erreicht und die Durchführung dieser Veräusserung das wirtschaftliche Verderben des Schuldners herbeizuführen geeignet ist, so kann das Gericht auf Ansuchen des Schuldners die Execution unter- brechen und für unwirksam erklären. Vor Ablauf eines Jahres kann dann dieses Immobile nicht wieder zur Execution gezogen werden. In Deutschland haben wir für Immobilien eine ähn- liche Bestimmung nicht. Dagegen findet sich bei Mobilien der auch dem Existenzminimum zu Grunde liegende Gedanke, dass dem Schuldner einige weuige Arbeitsmittel belassen werden müssen, verwirklicht durch § 715 C. P. 0., welcher dem Hand- werker das notdürftige Handwerkszeug, dem Landmann die Aussaat, dem Beamten die Amtstracht u. s. w. belässt.

Die Ausdehnung dieses Grundsatzes auf Liegenschaften würde es bedingen, dass dem Landmann auch immer einiges Land belassen werden muss, genau wie es die Lehre vom Existenzminimmn fordert. Allein diese Ausdehnung hat doch ihre schweren Bedenken.

Mobilien sind beliebig theilbar. Es schadet deshalb nichts, wenn ein Theil von ihnen der Execution entzogen wird. Dadurch wird der exequierbare Theil nicht schlechter verkäuflich. Anders bei Immobilien. Diese sind nicht beliebig theilbar. Durch eine Abtrennung unveräusserlicher Theile wird deshalb der zur Versteigerung freigelassene Best entwerthet. Er wird um so mehr entwerthet, als der ausgesonderte unangreifbare Bestand stets das Wohnhaus und die Wirtschaftsgebäude um- fassen wird. Die l'reigelassenen Stücke sind deshalb stets von ihrem Betriebsmittelpunkte abgerissene Fetzen. Eine andere Betriebsstätte wird man aber kaum auf ihnen errichten können, da sie entweder zu klein sind oder örtlich nicht genug bei ein- ander liegen, um von einem Punkte aus bewirtschaftet werden zu können/*9*“)

**•) Man stelle sich z. B. vor, dass die zur Versteigerung kommenden Ländereien um den Hof herumliegen. Dann wird als Existenzminimum natürlich der Hof mit seiner nächsten Umgebung ausgeschieden. Als ver- gautuugsfähig bleibt daun also ein Hing um das Centrum herum. Es bedarf

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Landstiicke ohne Betriebsmittelpunkt haben nun höchstens für einen Nachbar Werth, der damit seine Feldmark abrunden will; im Uebrigen werden sie oft unverkäuflich sein. So wird es kommen, dass durch die Schaffung des Existenzminimums nicht nur das festgelegte Bodenquantum, sondern das ganze Gut der Execution entzogen wird. Damit bricht aber der Real- credit zusammen.'5*)

Nun halten wir dies allerdings nicht für ein so sehr grosses Unglück. Es hat Zeitläufte gegeben, die, wie das ganze Altertbum, fast ohne Realcredit ausgekommen sind, wenigstens den Personal- credit sehr bevorzugt haben. Es ist sogar ein Vorzug, wenn der Personalcredit wieder mehr in den Vordergrund gerückt wird, da es dadurch der persönlichen Tüchtigkeit leichter wird, sich geltend zu machen. Dem Wesen des Credits entspricht es auch am meisten, wenn man giebt, weil man persönliches Ver- trauen zu dem Empfänger hat. Es ist auch nicht richtig, wenn man für den Realcredit anfuhrt, dass er der billigere sei. Der Realcredit ist zwar bei uns billiger als der Personalcredit, aber nur deshalb, weil der Personalcredit bei uns eine ganz unberechtigte Zurücksetzung findet. Wo Personal- und Real- credit beide gleich üblich sind, werden beide auch unter gleichen Bedingungen gewährt. Dies zeigt sich schon jetzt in denjenigen Gegenden, wo der genossenschaftliche Personalcredit mehr aus- gebaut ist. Wo vollends das jetzige Verhältniss der beiden Creditarten sich umkehrt, wie es in Folge der Einführung des Existenzminimums geschehen würde, wo der Personalcredit der häufigere wäre, da würde er sogar unter billigeren Bedingungen zu haben sein als realer. Im Alterthum war jedenfalls die grössere Billigkeit des Realcredites nicht vorhanden. Gleich- wohl ist die fast gänzliche Vereitelung des Realcredites durch das Existenzminimum eine so grosse Veränderung unserer heutigen Verhältnisse, dass man dabei doch etwas zaudern sollte.

keiner Ausführung, dass sich kaum eine Stätte finden lässt, von wo ans dieser King zweckmässig bewirtschaftet werden kann, nachdem sein natür- licher Wirthschaftsort, sein Centrnm. nicht mitrerkauft ist.

Die gleiche Befürchtung hegt Mnrchet S. 133S.

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Gegen das Existenzminiui uni erhebt sich aber noch ein zweites Bedenken. Es ist dabei unmöglich einen schlechten Wirth vom Hofe zu bringen. Denn ein Minimum muss dem, der einmal Hofbesitzer ist, ja immer gelassen werden. Früher, in den Zeiten des Hofrechts, als nicht nur das Existenzminimum, sondern überhaupt Unverschuldbarkeit des Hofes bestand, war gegen diese Gefahr dadurch Vorsorge getroffen, dass der Guts- herr einen schlechten Wirth abmeiern konnte. Heute, wo es keine Gutsherren mehr giebt, müsste man gegen einen schlechten Wirth schon ein behördliches Abmeierungsverfahren einführeu. Dem wird aber niemand das Wort reden wollen. Und doch ist die Ersetzung eines schlechten Wirthes volkswirtschaftlich von hoher Wichtigkeit. Zunächst offenbar vom Produktionsstand- punkte aus. Indessen dieser ist ja nicht der allein massgebende. Ebenso wichtig, ja vielleicht heute noch wichtiger, ist der Vertheilungsstandpunkt, die Rücksicht darauf, dass möglichst viele in möglichst zweckmässiger Weise an den vorhandenen und entstehenden Betriebsmitteln und Gütern theilnehmen. Auch von diesem Standpunkte aus ist es aber besser, wenn ein tüchtiger Wirth auf dem Gute sitzt und es geniesst.

Jedenfalls ist die Frage des Existcnzminimums trotz der Befürwortung durch den deutschen Landwirt hschaftsrath und grosse volkswirtschaftliche und juristische Autoritäten noch nicht definitiv bejahend entschieden. Aber dies „non liquet“ schadet dem Auerbenrechte nichts. Denn wenn auch das An- erbenrecht zeitweise, ja sogar lange Zeit mit Belastung»-, Verkaufs- und Versteigerungsbeschränkungen verknüpft gewesen ist, so war diese Verknüpfung doch nur eine zufällige. Das Anerbenrecht ruht auf selbständigen Grundlagen, auf dem Reclitsgedanken der Hausgeuossenschaft; es kann deshalb trotz freier Verschuldbarkeit bestehen, hat trotzdem bestanden und besteht noch.339*) Der Zweck der Verschuldungsbeschränkungen wird, wie Marchet (S. 1339) treffend sagt, auch besser durch Schäftung der richtigen Gläubiger erreicht, durch Errichtung von landwirthschaltlichen Creditgenossenschaften, wie die be-

33B*) Gleicher Ansicht, dass Anerbonrecht und Verschnldungsgrenze nicht zusammengchiSren, auch Brunner, Agrarconferenz S. 20H.

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kannten Kaiffeysenschcn Darlohnskasscn es sind, durcli ver- mehrte Benutzung der Lebensversicherung durch den Bauern, damit bei seinem Tode genügendes Abfindung«- und Betriebs- kapital da ist,:t*') endlich durch Gründung staatlicher Renten- banken und Darlehnskassen, wozu man ja bei den Rentengütern schon einen Anfang gemacht hat.

Ebenso wenig wird man Veräusserungsbeschränkungen mit dem Anerbenrechte einführen. :MI) Derartige Verbote waren schon früher wirkungslos: sie würden es auch jetzt sein; sie würden sogar den Bauern, die auf ihr neugewonnenes volles Eigenthum stolz sind, das ganze Anerbengesetz verleiden. Nur eine Ver- äusserungsbeschränkung ist geboten.

Die Bevorzugung des Anerben nämlich rechtfertigt sich, wie wir schon öfter betont haben, aus Familieninteresse; sie erfolgt, weil jener lediglich für die Familie den Hof verwaltet, der für alle Familienmitglieder eine Zuflucht bilden soll. Dieser Bestimmung darf der Hof nicht durch Verkauf entzogen werden. Wenn er aller- dings infolge ungünstiger Umstände nicht mehr gehalten werden kann, so können sich die Abfindlinge über seinen Verkauf nicht beschweren. Geschieht der Verkauf aber lediglich des Gewinnes halber, so tritt dadurch eine ungerechtfertigte Bereicherung des Anerben ein, da er nunmehr wirklich allein und dauernd die Bevorzugung für sich erhält, die er vorher nur nominell hatte, weil er sie in Wahrheit durch Gewährung von Unterhalt und Zuflucht mit den anderen theilen musste. Man wird darum zwar nicht einen derartigen Verkauf verbieten; jedenfalls aber ist es billig, dass der Anerbe den Miterben die Opfer ersetze, welche sie seiner Zeit im Familieninteresse gebracht haben, da das Gut diesem ja nun doch nicht erhalten wird.:M-) Die Voraus- setzungen des Anerbenrechts, das ja gerade den Nichtverkauf der Höfe bezweckt, sind hinweggefallen. Das Anerbenrecht muss deshalb wieder rückgängig gemacht werden. Es wird darum die gleiche Erbtheilung nachgeholt, indem der erzielte

*“) DerVerbreitung dieses Hilfsmittels unter den Bauern ist namentlich die Schrift von Schneider— Felber, „Auerbenrecht und Lebensversicherung“ gewidmet.

3") So auch Gierke a. a. O. S. 27. Itarchet S. 1334 ff.

34,2 ) Derselben Ansicht Marcbet S. 1330.

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Verkaufspreis getheilt wird, und alle Miterben einen Antheil davon verlangen können; natürlich aber müssen sie auf diesen Antheil sich das bereits ans der Erbschaft Erhaltene anrechnen. Da auch ferner der jetzige Verkanfswerth höher sein kann als derjenige zur Zeit des Todes bezw. der Erbesauseinandersetzung, so kann der Anerbe, soweit der etwaige Mehrwerth wegen ge- schehener Meliorationen sein Verdienst ist, diesen abrechnen. Endlich ist es wohl passend das Nachforderungsrecht der Mit- erben an eine Frist zu binden, wofür wir eine zehnjährige Vorschlägen möchten.343) Die Vorschrift wäre deshalb vielleicht so zu fassen:

„Wird innerhalb der nächsten zehn Jahre nach der Auseinandersetzung der Hof vom Anerben Gewinnes halber verkauft, so steht den Miterben nach Verhältniss ihrer Erbportionen ein Antheil vom Kaufpreise zn. Von dem Kaufpreise wird die durch etwaige Meliorationen des Anerben erzielte Werth vergrüsserung vorher abgesetzt. Die Miterben müssen sich auf den Antheil alles, was sic bereits aus der Erbschaft empfangen haben, anrechnen lassen.“

***) Das österreichische Anerbengesetz hat. in einem ähnlichen Falle eine Frist von 3 Jahren. Diese ist offenbar zu kurz, zumal wenn inan nicht jeden Verkauf, wie das österreichische Gesetz, sondern wie wir mir den Gewinnes halber erfolgten iin Auge hat (Vgl. Marehet a. a. O.) Das west- falische Gesetz, (tj 32) das auch jeden Verkauf an Fremde trifft, erstreckt die Frist dagegen auf 15 Jahre. Das dürfte etwas lang sein, auch dürfte die Ausdehnung auf Nothverkäufe nicht ganz gerecht sein, obwohl umgekehrt anerkannt werden muss, dass die Feststellung, oh Noth- oder Gewinnverkauf vorliegt. Schwierigkeiten bereiten kann. Dagegen verdienen die Vor- schriften. welche den Verkauf von Parzellen erleichtern, uneingeschränkte Billigung, da der Hofbesitzer hierin Bewegungsfreiheit haben muss. Ebenso ist es nicht unpraktisch, wenn das Gesetz den Miterben ein Vorkaufsrecht gewährt 32). Dass beide Mittel, die nachträgliche Theilnng des Ge- winnes und das Vorkaufsrecht, auch nicht unrolkgthümlich sind, ergiebt sich daraus, dass sie schon vielfach von der Bevölkerung vertraglich stipulirt werden. Vgl. hierüber Fick S. 48, (11, 108, 170, 184.

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3G3

So standen wir dann am Ende unseres langen und nicht mühelosen Weges. Wir haben den ersten Anfängen des An- erbenreclits in grauer Vorzeit nachgespürt. Wir haben dann gesehen, wie es auf dem Unterbaue des gemeinen Landrechts, mit dem es ursprünglich eins war, sich selbständig entwickelt hat, um schliesslich durch das Eindringen des römischen Rechts in einen gewissen Gegensatz mit der gemeinen Erbfolgeordnung zu gerathen. Wir haben die Veränderungen verfolgt, welche Theorie und Gesetzgebung ihm aufgezwungen haben, die es aber schliesslich siegreich abgeschüttelt hat. Wir haben uns dann ein Bild von seinem gegenwärtigen Zustande gemacht, haben schliesslich geprüft, was von diesem Bestände für die Zukunft noch lebensfähig ist, und sind zu dem Resultat gelangt, dass auch fernerhin in den meisten Fällen es das Beste ist, die bestehenden Normen, erprobt und gebildet durch eine viel- hundertjährige Geschichte, beizubehalten.

Vergleicht man nun mit diesem Resultate den Stand der heutigen Gesetzgebung, so wird man ihn nicht befriedigend nennen können. Ueberall die auf Ueberschätzang eigener Weisheit beruhende Abkehr von dem historisch Gewordenen, ein Suchen und Tasten, ein Experimentiren mit neuen Projekten. Eine einzige rühmliche Ausnahme macht das Casscl'schc Höfegesetz. Es hat das Versprechen seiner Verfasser, lediglich den be- stehenden Landesbrauch zu codifiziren, in musterhafter Weise eingelöst. Bei seiner Regelung hat man deshalb stets das Gefühl Das ist kein schwächliches Knnstprodukt, sondern ein wirkliches Erzeugniss des bäuerlichen Bodens, in dem es fest wurzelt, und aus dem es Lebenskraft für alle Zeiten empfangen kann. Aber auch dies Gesetz krankt an dem Fehler, dass es seine guten, mit unseren Vorschlägen meist zusaminentreifendcn Bestimmungen seihst zu praktischer Bedeutungslosigkeit verur- theilt hat, indem es ebenfalls das System der Höferolle auge- nommen und damit seine Geltung von einem Privatwillensakt der Bauern abhängig gemacht hat, der erfahrungsmässig nie erfolgt.

Das neue westfälische Gesetz vermeidet diesen Fehler, dafür aber bietet sein sonstiger Inhalt manchen Angriffspunkt.

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Von der Reichsgesetzgebung vollends ist nur das eine zu be- richten, dass sie für das bäuerliche Erbrecht nichts gethan hat.

Aus dieser traurigen Lage der Gesetzgebung wird sich deshalb erst der Ausweg zeigen, wenn man wieder den Lehren der Geschichte Gehör leiht und sich darauf besinnt, dass alles Gegenwärtige und Zukünftige auf historische Zusammenhänge sich stützen muss und nicht von seinem natürlichen Boden los- gerissen werden darf. Noch heute muss sich deshalb der Ver- fasser zu den Worten bekennen, mit denen er vor Jahren über die modernen Höfe- und Anerbengesetze urtheilte:

Wie es sicherlich ein staatsmännischer Gedanke war, die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes zu fördern, so hätte man diesen Gedanken auch auf staatsmännische Weise ver- wirklichen müssen. Und da hat man zunächst übersehen, was kein Geringerer als der Freiherr von Stein stets betont hat, dass das Neue aus dem Alten entwickelt werden muss, wenn anders es von Bestand sein soll. Aber noch eine zweite Wahr- heit hat man vergessen. Man hat nicht beachtet, dass gerade im Bauernrecht die ältesten deutschen Rechtsgedanken mit be- sonderer Treue bewahrt sind und dass darum nur, was ihnen ent- spricht, auf die Dauer sich halten kann. So bestätigt sich auch hier die Behauptung, nicht nur im politischen, sondern auch im Rechtsleben müsse die Mahnung beherzigt werden:

„Ans Vaterland ans theure, schliess Dich an . . .

Das sind die starken Wurzeln Deiner Kraft.“

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Nachwort.

Die Hauptergebnisse der landwirtschaftlichen Betriebszählung des Jahres 1895.

Unter diesem Titel veröffentlicht das Kaiserliche statistische Amt im Jahrgange 1897 seiner Vierteljahreshefte (in der Bei- lage zu Heft 2) einige Hauptangaben aus der 1895 abgehalteneu landwirtschaftlichen Betriebszählung. Es ist interessant, an der Hand dieser Daten unsere Behauptungen zu prüfen, die wir S. 298 ff. über die zersplitternde Wirkung der Healtheilung anfstellten und die noch auf der Statistik von 1882 fussen, da aus der 1895er gleiche Einzelheiten noch nicht bekannt sind.

Das statistische Amt stellt nun a. a. 0. S. 55 die Be- hauptung auf, es habe sich durchweg der mittlere Grundbesitz auf Kosten der Parzellen- und Grossbetriebe verstärkt. Das würde mit unseren Wahrnehmungen nicht stimmen. Indessen abgesehen davon, ob die Behauptung richtig ist, was wenigstens dadurch zweifelhaft wird, dass die Parzellenbetriebe der Zahl nach jedenfalls gegen früher auf Kosten des mittleren Besitzes zugenommen haben (vgl. a. a. O. S. 55), so trifft die Behauptung auf alle Fälle nur für den Reichsdurchschnitt zu. Denn ein Blick in die Einzeltabelleu (S. 73 u. 75) lehrt, dass das günstige Resultat nur durch die Miteinrechnung der Anerbengebiete erzielt wird. In den Parzellengebieten dagegen zeigt sich der unaufhaltsame Zug nach unten und andererseits als Gegenstück dazu das charakteristische Anwachsen der Latifundien. In Bayern links des Rheines tritt dies merk- würdigerweise noch nicht so sehr hervor. Hier sind die Par- zellen nämlich nach Zahl und Fläche zurückgegangen. Wer dies aber als günstiges Zeugniss auffassen wollte, würde irren. Denn zwar ist die nächste Grössenklasse, die der Kleinbauern von 2 5 ha gewachsen; trotzdem aber haben nicht vornehmlich

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diese die Parzellen aufgesogen, sondern ihre Vergrösserung ist auf Kosten des Hittelbesitzes erfolgt, dessen Fläche entsprechend dem ständigen Zuge nach unten herabgegangen ist. Die Ursache der Parzellenaufsaugung ist demnach hauptsächlich in der enormen Steigerung der Grossbetriebe zu suchen. Diese sind im linksrheinischen Bayern der Zahl nach herabgegaugen und betragen überhaupt nur noch 37. Dennoch ist ihre Fläche um 1356 ha gewachsen. Dasselbe Bild ergeben Baden, Hessen- Kassau und das Rheinland. Auch hier zeigt sich zwar überall das scheinbar günstige, wenn auch nur sehr geringe Zurück- gehen der Parzellenflächen ; aber auch hier ist es hauptsächlich auf Rechnung der, stets die Parzellenwirthscliaft als Kehrseite begleitenden, Vergrösserung der Latifundien zu setzen. In Hessen-Nassau und im Rheinland ist diese um so auffallender, als in Preussen sonst der Grossbesitz zurückgegangen ist. In Hessen-Nassau ist er dagegen an Fläche von 6,69 °/0 auf 7,34 °/0 des Gesammtareals gestiegen, im Rheinland sogar von 2,67 °/# auf 3,51 °/0, was bei der sehr geringen Zahl der Gross- betriebe einen enormen absoluten Flächenzuwachs bedeutet. Am gewaltigsten ist aber die Zunahme der Latifundien in Baden, wo sie an Fläche von 1,80 °/# auf 3,06 ”/0 und absolut von 13 302 ha auf 22 792 ha gewachsen sind, sich also bald verdoppelt haben werden. In Hessen-Nassau und Baden zeigt sich ausserdem sonst der charakteristische Zug nach unten, am stärksten in Baden, wo ausser den Latifundien nur noch die, dort schon vielfach als Zwergbesitz anzusprechende Grössen- klasse von 2 5 ha eine Vermehrung aufweist, während der eigentlich bäuerliche Besitz zurückgegangen ist. Im Rheinland dagegen scheint ähnlich wie in Sachsen-Altenburg der Besitz der Grösseuklasse 20 100 ha sich an der Parzellenaufsaugung gleich dem Grossbesitze zu betheiligen, wie denn auch in jenen Gegenden ein Besitz aus ersterer Klasso vielfach schon wirklich Grossbesitz ist.

Die etwas günstigeren Ziffern in Württemberg dürfen wohl auf Rechnung des dort noch stark vertretenen Anerbenrechts gesetzt worden. In allen übrigen reinen Realtheilungsländern aber, so in allen thüringischen Fürstenthümern, ausschliesslich des schon besprochenen Sachsen -Altenburg, zeigt sich die zersplitternde Wirkung der Realtheiluug in der Zunahme der

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Parzellen nach Zahl und Fläche unverhüllt, zugleich zeigt sich der charakteristische Zug nach unten, am stärksten in Coburg- Gotha, wo ausser den Latifundien überhaupt nur die Parzellen einen Zuwachs verzeichnen, am schwächsten in den beiden Schwarzburg, weil dort ähnlich wie es oben für Alteuburg constatirt wurde, der Besitz der Grössenklasse unter 100 ha gleich dem darüber hinausgreifenden Grossbesitze bezw. an dessen Stelle anschwillt.

So ergiebt denn der Durchschnitt der Realtheilungsländer in der That das oben von uns entworfene Bild: Zerreibung des Mittelbesitzes, Anschwellen der kleinen und kleinsten Betriebe und deren endliche Aufsaugung durch den grossen Besitz. Aber noch in einem anderen Puukte bestätigt die Statistik unsere Behauptungen. Auch wo die Vererbung ungetheilt, aber nach gemeinem Erbrechte bewirkt wird, wie vielfach in der Provinz Sachsen, mussten wir die Befürchtung unheilvoller Folgen aussprechen. Die Statistik bestätigt das. Denn auch in Sachsen zeigt sich eine Zunahme der Parzellenflächen, daneben allerdings auch eine geringe Steigerung des Mittelbesitzes von 5 20 ha, die aber durch die Abnahme der anderen bäuerlichen Betriebe und eine enorme Steigerung der Latifundien wett gemacht wird. Dasselbe Bild gewährt das wirthschafllich zu Sachsen zählende Anhalt; auch hier zwar eine geringe Zunahme des Mittelbesitzes, dagegen Abnahme aller übrigen bäuerlichen Nahrungen, correspondirend begleitet durch eine prozentuale Zunahme der Parzellen und der Latifundien. Die Zunahme der letzteren ist um so bedenklicher, als sonst in Anhalt im Gegensatz zum Reiche die landwirtschaftlich benutzte Fläche abgenommen hat. Wenn dennoch die Latifundien prozentual und absolut sich vergrössert haben, so bedeutet das, dass in dem reichen und gesegneten Anhalt wegen der Belastung mit Erb- schulden auf vielen bäuerlichen Wirtschaften der Betrieb sich nicht mehr lohnt, dass sie deshalb an die Latifundienbesitzer veräussert und von diesen zu unproduktiver Benutzungsart zu Jagdgründen und dgl. bestimmt werden. Solchen Erfahrungen gegenüber wird man uns schwerlich der Uebertreibung zeihen, wenn wir oben mahnten, es sei die höchste Zeit zu einem ge- setzgeberischen Eingreifen.

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Jahrgang XVIII, S. 943 ff.)

86 bis 90) Schriften des Vereins für Socialpolitik Bd. 58, Bd. 61, 73, 74, 75 (Citirart: Sehr. d. V. f. S.)

91) Th. Soeryel: Das bäuerliche Erbrecht in Bayern. Ansbach 1892.

92) Sumbart: Das Familienproblem in Italien. (Schmollen Jahrbücher,

Jahrgang XII. S. 290.)

93) Summer: Die Bauerngüter in Westfalen. Hamm und Münster 1823

(Citirart: Sommer, Westfalen).

94) Derselbe: Die bäuerlichen Rechtsverhältnisse in Rheinland- Westfalen.

Hamm 1830 (Citirart: Sommer, Rheiulaud -Westfalen).

95) Lorenz v. Stein: Bauerngut und Hufenrecht. Stuttgart 1882.

96) Steinacker: Privatrecht des Herzogthums Branuschweig. Wolfen-

büttel 1843.

97) Stubbe: Deutsches Privatrecht.

98) G A. Struben: Commontatio de jure villicorum. 3. Ausgabe.

Hannover 1770.

99) J. M. Struben: Befestigtes Erbrecht der Stift-lFildesheimischen Meyer.

Hannover 1752.

100) Struckmann: Praktische Beiträge zur Kenntniss des Osnabrückischeu

Eigeuthumsrechts. Lüneburg 1826.

101) Stryk: Usus modernus Pandectarum. Halle 1739.

102) WeUthümer, hernusgegeben von Grimm. 6 Bde. (Citirart: Grimm I,

108 oder I, 108 = Weisthümer Bd. l S. 108).

103) Landgüterordnung für die Provinz Westfalen, herausgegebeu vom Vor-

stände des westfälischen Bauernvereins. Münster 1882.

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104) Wigand, Provinzialrecht von Paderborn und Corvey. Leipzig 18X2. (Citirart: Wigand, Paderborn.)

100) Wigand: Provinzialrecht des Fiirstenthutns Minden, der Grafschaften .Ravensberg und Rietborg etc. Leipzig 1834. (Citirart: Wigand, Minden-Ravensberg).

Die Citate sind, wo nichts anderes vermerkt steht, immer nur mit den Namen des Schriftstellers und der Seite angcgebou. Einige, ansser den vorstehenden noch benutzte Werke sind in der Abhandlung genau citirt.

l>ruck von

Otto inniger in Altwasser

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UNIV. OF MICH.

BINDERY

UNIV. OF JUCH.

BINDIiRY

JAN 25 1939