ERLEBFES- TH. NACH MEINER
Karl Heinzen
Vihrarg of
Alexander Reading Gulick Menorial Fund
Digitized by Google
Digitized by Google
n "7 Sur BA z Fr » r - 7 Ehe h r 3
Bweiter Theil: Racb meiner Exilirung. E Bon u: | Br Karl Heinzen.
Be (Gefammelte Schriften vierter Band.)
„doren,
m.
„. . ., “ = # * .. ud j u . P D ! .-.. .. w R F u 4 » % , . % ® +
E&rlebtes.
Zweiter Theil: IE a ch meiner Egilirung. Bon Karl Heinzen.
(GSefammelte Schriften vierter Band.)
Ä Bofton, Selbfiverlag de8 Berfaffers®,. 1874.
Entered according to Act of Congress, in the year 1873, by Karl Heinzen, in the office of the Librarian of Congress, at Washington, D. O.
Pers -yr) f 9
Diefes Sud wibme id | meiner Frau und meinem Hohn, melde alle die VBerfolgungen und Miferen, über die e8 berichtet,
tapfer und unverbrofien mit mir burdgemadht haben.
Inhalt.
LII Aufent und Thätigfeit in Züri. ublifani b,
T Empfang in Nem-BHork. Thätigkeit dafelbfl. Die Nachricht von ber Februarrevolution. Borbereitungen zur udfehr nad Eu»
TL NRüdtehr nah Euro Der teu erifani anbte unb Herr Ramartine. Die babiiche Revolution und ibre aroßen Män- ner. Die Schufterinfel. Republitanifhe Hebiagd in Frankreich. ranfreichd brüberliber Bund mit Teutfhland. Neue republi- kanifche Hebiagd in der s “u 0 se 05 DER
VIL-
Die zweite badifche Revolution und ihre großen Männer. Ihr Un tergang durch Dummheit und Berramb. Bergeblihe Anftrenguns gen zur Abwenbung bed Berderbend. Abermalige republitantiche Hepiagd. Eine republifaniiche Regierung im Zenith der Infamie
und im Rabdir ber & Erniebrigun. areli Bertreibung vom Ston-
VIL Die großen Männer ber Pauldlirche.. „ur sm unnsnnnnn seen nenn 886
IX.
Ein Jahr in London. Struviana und Struffiana. SIrlänbifhe Hülfe in ber teumfchen North. Englifches Ehinefenthum. Der Erberoa von Braunichweig und bie „Rebren der Revolution”. Die tommuniftiide Schwefelbande. Zweite Auswanderung nad
L
Flucht ans Köln. Politifge Romantit. Fahrten in Belgien.
Ueber meinen Konflift mit der prenfiichen Juftiz und das Verfahren bderfelben, das mich in’d Ausland trieb, babe ib jhon im erften Theil diefer Schrift furz berichtet. Daffelbe ift aber fo außerordentlich und bezeichnend, daß e8 noch eine ausführlicere Darlegung und nähere Be- leudtung verdient.
Durd eine Verfügung vom 15. Auguft 1843 war bie ganze Polizei des polizeigefegneten Preufenlandes ange» mwiejen worden, ein Buch ausfindig zu machen und in Beichlag zu nehmen, welches jpäter unter vem Titel „Die preußijche Bureaufratie“ erfhien — eine jchwierige Aufs gabe für die Polizei, da zu jener Zeit nody fein Buchftabe diefer Schrift gefchrieben, jondern nur die Abficht, e8 zu fehreiben, bekannt geworden war. Die Polizei wie vie Zuftiz hatte fih mit ihrem Yang nod) länger als ein Jahr
zum gepulvden. Am 11. November 1844 langte enblid pas im Geheimen gedrudte Bud ungeahnt von Darm» ftabt in Köln an und war von den Buchhandlungen mit
u
meiner Hülfe in wenig Stunden vertheilt.. Am 12, wurde in allen Buchläden vergeblihe Hausfuhung gehal- ten und am Abend des 13. erhielt ih vom Jnftruftions- richter eine VBorladung, um am Vormittag des 14. „über Das vernommen zu werden, befjen ich befchulvigt wor» den.“
Wefjen war ich befchulpigt worden ? Das wollte mir bie preußische Delikateffe nicht jogleich verraten. Hatte ich geftohlen, gemordet, Brand geftiftet ? Würchtete man, ich werde entwijchen, wenn man mid) vorzeitig mit mei- nem Berbredyen befannt mahte? Doc dagegen war man gefichert dDurdy meine Erflärnng im der Borrede, daß ich mich dem Gericht ftellen werde, wenn man meine Freiheit vor Fäallung des Urtheil8 nicht antafte, meiner Bertheidi- gung nichts in den Weg lege und nad dem bejtehenvden Net und Gejet verfahre. Auch jah man mich unbeforgt in der Stadt umbergehen und vielleiht bloß deshalb und zur Vermeidung von Aufiehen jhob mun die Berhaftung biß zu meinem erwarteten Erjcheinen vor dem nftrufs tionsridhter auf, wo fie in aller Stille hätte erfolgen können.
Mein Entibluß, dem Gericht nicht aus dem Wege zu gehen, jo wie mein Bertrauen auf das vorausgejegte öffentliche Berfahren nad) Rheinifhem Recht blieb uner- fchüttert, bi8 mir noch in der elften Stunde meine Freunde und namentlidy ein Paar erfahrene Jurijten Har machten, dat das tüdische Preußentbum feine Hache um fo fiherer durch einen langen Unterjuhungsarrejt mit ans gemefjenen Quälereien verwegnehmen werde, je weniger ed Ausficht habe, fie jpäter Durd) ein offenes und ehrliches Gerichtöverfahren Hinlänglih zu befriedigen. Dan bes
Pe
mid daher mit den dringendften Zureben, mich
i8 zum Tage. der gerichtlichen Berhandblung jenfeit der belgifhen Grenze in. Sicherheit zu bringen, und erflärte es für eine Thorbeit, daß ich mich nicht jchon längft mit einem Paß verfehen und bei Zeiten in’8 Ausland begeben Hatte. Nachdem id mic endblid von der Weisheit des ertbeilten Rath8 überzeugt hatte, entihloß ich mid aud) fofort, am 13. Abends, ihn mit Anwendung aller nöthi- gen Borficht zu befolgen. ALS gewejener Beamter kannte id) die mißtrauifhe und vorforgliche Umfiht der preufi« jhen Griff- und Kniffologie. Mid von ihr überliften zu lafien, hätte ich für eine tödtliche Blamage gehalten. Es galt daher, joldhe Maßregeln zu treffen, daß meine Flucht nicht vereitelt werben fonnte. Daß man mid und meine Wohnung, jo wie die Stadtthore und die Eijenbahn be- wachen ließ, mußte ich ald gewiß annehmen. Ich ließ meine rau mit Hülfe eines zuverläßigen und vorfichtigen Bekannten von Allem benachrichtigen und nad befien Wohnung aus der meinigen Dasjenige fchaffen, was mir zur Reife unentbehrlich war, während ih ruhig hinter einem Ölaje Wein faß; zu einer bejtimmten Stunde aber erwartete mid an einer ficheren Stelle ein pompöfer, zwei- fpänniger Wagen, mwelder einem vor dem Staptthore wohnenden Rentier gehören fonnte und daher vor einer Unterfuhung durd die Thorwache gefihert war. Die belgijche Eifenbahn mußte nicht bloß am Kölner Bahnhof, jondern aud an den nädften Stationen bewacht fein — eine Bermuthung, die fid) jpäter ebenfalls beftätigte. Ich war daher nur fiher, wenn ich am andern Tage den erften Zug in möglichft weiter Entfernung von Köln beftieg — (Zelegraphenprähte gab e8 damals nody nicht und bie
RR
Armtelegraphen konnten in der Nacht nicht arbeiten); deshalb wies ich den Kutfhher an, mich fieben Stunden weit, nach der Stabt Düren zu bringen, die ungefähr in der Mitte zwifchen Köln und Aachen liegt. Bor der Ab- reife fchrieb ich noch einen Brief an den Inftruftionsrichter, worin ich ihn von meiner Flut wie von den Gründen benadhrichtigte, die fie veranlaßt hatten, und verjprad, mich fofort auch ihm zu ftellen, wenn mir meine perjönliche Freiheit bis zur Füllung des richterlihen Enpurtheils zugefihert werde. Die Antwort war ein zwei Tage jpäter in den Zeitungen publizirter Stedbrief, der zwar angab, „weflen ich beijchulvigt worden”, aber behauptete, ich habe mich „der gegen mid) eingeleiteten Unterjuhung durch die Flucht entzogen“. ine Aufklärung über mei» nen Schritt, die id von Belgien aus der „Kölnischen Zei« tung“ zufendete, wurde von der Senfur geftrihen. Nad preufifher Moral durfte das Publitum nicht erfahren, was idy beabfidhtigte, fondern follte glauben, ich habe mein Wort gebrodyen.
Dod die Hauptfadhe, die Flucht, gelang volltonmen und ich betrieb fie mit einem gewiffen romantifchen Gufto, Die Fahrten der politiihen Flüchtlinge bilden den Haupt» theil der modernen Romantit. Jh erzähle nad meinem Tagebud:
Die Naht war aus Duntelheit, Näffe und Kälte zu gleihen Theilen zufammengefegt. Der "Zuftand der Chaufjee bradhte al$ viertes Ingrediend noch die Langes weile hinzu, denn zur Zurüdlegung einer Strede von fieben Wegftunden brauchte ein flüdhtiger Fiterat in einem Wagen mit zwei Pferden nicht weniger als fieben Zeit- ftunden. Wer an fchlechter Verdauung leidet und LXeibed«
BE
erfhütterung bedarf, dem empfehle ih eine Chauffee mie die zwifchen Köln und Düren. Xroß diefem Zuftand ftredt Einem der Weg alle Nafen lang einen drohenden Barrierebaum entgegen, der bei Tage wie eine aufgeho- bene Zuchtruthe in die Luft ragt und bei Nacht wie ein BPolizeiftod die Paffage verbietet. Die Barriereempfän- ger fhienen gar nicht Tarauf gerichtet zu fein, daß in fol» her Naht ein Menih fie infommodiren fünne, Sie jchliefen einen Schlaf von erftaunliher Hartnädigkeit, jo dak der gebuldige Kutjcher, nachdem er fünf Minuten bie Stärke ihrer Feniterfcheiben verfucht, feinem befcheidenen Aerger jedes Mal in ven Worten Luft madte: „Donner- wetter, der Kerl jchläft wie ein Das!"
Die Barrierebäume brachten mich auf allerlei Betradh- tungen über die geiftigen und jonftigen Barrieren, die in Zeutihland und bei jedem Schritt ven Weg veriperren, und ed wurde mir jhon damals Elar, daß man die Freiheit eines Boltes jehr gut auf der Yandftraße ftudiren Fönne. Ein Barrierebaum ift ein Gedankenftrih, lang genug, um auf eine ganze Pandftraße von Betrahtungen hinzu- leiten. In Belgien tft, jo weit ich mich umjehen uno er- fumdigen konnte, fein Barrierebaum auf der Chauffee zu eben; die Barrieren, bloß durd Aufichriften bezeichnet, find alle verpadhtet; der Pächter ift verpflichtet, an jedes Tubrwerf heranzutreten, um das Geld in Empfang zu nehmen; ber Fuhrmann fann ungeftraft burdfahren, wenn auf breimaligen Ruf der Empfänger nicht erfcheint; er fann im Galopp vorbeifahren, wenn er das Geld dem Empfänger zumirft, denn Chauffeezettel gibt es dort nicht; er fann das Nämliche thun, wenn er demfelben be-
fannt ift umd ihm zuruft, daß er fpäter zurüdtommen
a
werde. Kurz, die ganze Einrihtung trägt die Rüdficht auf da® Bolt an der Stirme. Keine unnöthige Sche- rerei, fein Aufenthalt, feine Beichränfung.
Miorgens gegen 6 Uhr fab ich endlich Die dunklen Um« riffe der romantijchen Stadt Düren vor mir. _ Troß meinem, „biß oben zugelnöpften gelb bräunlihen Winter- überrod”, worin id dur den Stedbrief ven Menfcen- füngern benunzirt wurde, war ich fo erfroren, daß id) mid vierzehn Jahre zurüd unter die Brüde einer zugefro- renen Gradt zu Utrecht verjegt fühlte, wo ich damals nad) meiner Rüdkehr aus Batavia eine herrliche Winter» naht zubrahte. Es wurde mir noch romantifcher zu Muth, als ich aus den gejpenftifchen Umgebungen des Dürener Kirhhofs dur die dunkle, nafje Einfamteit des Morgens zwei fhwarzweiße Geftalten bervorfichleichen fab, die mir Anfangs einen entjegliben Scauter von polizeilihen Kirbhofsgedanfen einflößten, fidh aber jpäter unter der halberlojhenen Yaterne des Thoreinganges als zwei trauernde Weiber mit Betbücern zu erfennen gaben, Sie waren driftlid genug, mir ald® Wührerinnen zum nädften Gafthof zu dienen. m Augenblid, wo >er Kutjcher anhielt, erijholl aus der Dämmerigen Luft herab plöglich eine wunderbare Mufit. Es jhlug nämlich auf dem Kirhthurm jehs Uhr, aber nicht im ver geiftlofen, monotonen Weije der gewöhnlichen Kirhthürme, fondern e8 jchlug jehs Uhr mit Melodien und Variationen. In Düren ruft die Zeit ihre Skunden durh ein Gloden- jpiel aus. Dkeine Utrehter Jlufion wäre daburd vollftändig geworden, hätte nicht der Diürener Kichthurm Zeutjch geiprochen oder gefungen. Er fang nämlich nichts Öeringeres, ald: „Heil dir im Siegesfrang“ ıc. — jenen
ee
rührenven Nationalhymnus, den Tein getreuer Unterthan anhören kann ohne in Gedanfen Gut und Blut zur Ver- fügung zu fielen. Mir jchien übrigens der Gruß bes Kirhthurms eine gute Vorbedentung zu fein und bas „Heil dir im Siegestranz” konnte mir nichts Geringeres bedeuten, ald: du wirft ald Sieger über bie Polizei mit beiler Haut über die Gränze palfiren.
Mit diefem Bertrauen legte ich mich nieder. Nad) zwei Stunden ftand ich wieder auf, ohne ein Auge ge- Ihloffen zu haben, und zwar nicht vor Angft, wie groß biefelbe auch war, fondern vor Fälte. Die Dürener Chauffee und die gefchloffenen Schlagbäume hatten mein Blut fo lang gerinnen gemacht, daß felbft ein zweiftündi- ger Aufenthalt in den Bettfevern e8 nicht wieder in Gang zu bringen vermogte,
ALS ich aufgeftanden war und im Gaftzimmer erfchien, fah mich der Wirth mit großen, mißtrauifhen und fehr Ihlauen Augen an. In einer foldhen Nacht, auf einer folhen Chauffee eine folde Reife in einem zweifpännigen Wayen von Köln nad) Düren zu maden, während bie wohlfeile und jchnelle Eifenbahn nebenherlänft, fovann von Düren, nad) zweiltündigem Aufenthalt im Bette, den- nod auf der Eifenbahn weiter zu reifen — das hat Etwas, das hat ein Mehreres, das hat Viel, das hat alles Mög- liche zu bebeuten. Der Wirth ftrih um mic herum, wie ein Hund um ein einzufreijendes Wild, er maß mid, er firirte mi, er durdihaute mih. Enblih „ftand“ er mic, wie e8 im der Fägerfprache heißt, trat entichlofien vor mic hin und fprad:
Er. &8 ift kalt heute.
Ih. ES ift nicht warm heute,
ee NE
Er. Haben Sie gut gefchlafen ?
dh. Ich habe nicht gut gefchlafen.
Er. Nicht gut gefhlafen ? Und doch eine fo ermü- dende Reife gemacht!
Ydh. Haben Sie Kaffee beftellt ?
Er. Er wird gleid da fein. Sie fommen von
Id. Ich komme von Köln.
Er. Und Sie gehen ?
dh. Haben Sie den Homer gelefen? Die alten Griehen waren anjtändige Leute. Sie pflegten bie Irempen nicht eher nad dem „Woher und Wohin“ zu fragen, als bi8 fie fie einige Tage bewirthet batten. Die Eijenbahn ift übrigens eine höne Erfindung.
Er. Um Vergebung, wie ift Ihr Name ?
Ih. (Durch die Nafe geiproden) : Ich heiße He.nzen.
Er. Henzen? Hänzen ?
Ih. Wie Sie wollen.
Er. Afo Henzen! Oper vieleiht Heinzen ?
Ih. (Ihn groß anjehend.) Nein, ich heiße Wader nagel,
Er. Wie? Wadernagel? Sie fagten ja: Henzen!
Ih. Was ich gefagt habe, war Ihnen ja nicht genug, darum wollte ic Ihnen no einige Namen ald Zugabe in den Kauf geben.
Diep brachte ven Mann zur Ruhe. Der Sprung von dem Namen Heinzen zu dem Namen Wadernagel war fo groß, daß der verbugte Menjchentenner ganz richtig be= vechnete: ich ftehe mich dody befjer, wenn ich Die viel Heinere
a,
Differenz zwijchen Heinzen und Henzen überfehe und mid) mit dem legten Namen begnüge. Nahdem He.nzen (durdy die Nafe gefprochen) feine Zeche bezahlt, verfügte er fih zum Bahnhof. Der Zug von Köln brauf’te heran. Große Spannung. Blidt fein verbächtiger Kopf zum Wagenfenjter heraus, um ben Bahnıhof zu muftern? GSteigt fein Häfcher aus ? Kein Spion — Alles in Ordnung! Wir kamen nad Aachen. Der Zug fuhr erft nad) zwei bis drei Stunden weiter und bis dahin konnte mit dem nädjften Zug ein polizeilicher Gruß aus Köln für mid anlangen. Ueberdieß follten an der Örenze die Päfje revidirt werden und ich hatte keinen anderen Baf, als die VBorladung des Inftruftionsrichters. Ih mußte alfo al Eluger Felpherr meinen Operations» plan ändern und von der Eifenbahn wieder auf die Yand- firaße einlenten. Eine halbe Stunde von Aachen liegt der bolländijche Fleden VBaels, wohin die Aachener Bon- vivants Auftern efjen gehen, wenn fie die Beftien umver- zollt über die Grenze bringen wollen. E83 war aljo das Öerathenite, vorläufig in VBarld Auftern zu efjen und fie dann auf einem Spaziergange nady Belgien zu verbauen. Um durdy unfchulvige Begleitung allen Berdadt abzumen- ben, lud ich den Redakteur der „Aachener Zeitung“ zu einem Spaziergang vor das Thor ein. ALS ich mit ihm durch die Büdeljtrafe kam, wo zwei Buchhandlungen find, fahb ih — o Schreden! — zwei Polizeibeamten aus der einen herausfommen und in die andere hineingehen. ch fragte nach und vernahm, daß fie gefommen waren, um in Beihlag zu nehmen „die preußifhe Bureaufratie von Karl Heinzen“, daß fie aber fo wenig gefunden hatten, wie ihre Kollegen in Köln. Auf dem Wege nad) dem
Rache, | Un
Thor, das nady Holland weit, begegnete mein Blid plöß- lich dem forfchenden, ftedhenden Auge eines — Polizei» tommiffairs, eines alten giftigen Teindes, den ich einft al® Landwehrofficier auf das Empfinblichfte beleidigt hatte und der ben beften Willen zu haben: jhien, außer dem Bud aud den verhaßten Berfailer in Beihlag zu neh- men. Er müßte ein fchledhter Polizeibeamter gewejen fein, wenn er nicht durch mein Erfcheinen in Aachen auf einige geographijche Betrachtungen über das Königreich Belgien hingeleitet worden wäre. Ich fah ihm Das an, aber mit bewundernswürbiger Geiftesgegenwart gab ich feinen Gedanten eine andere Richtung indem id; mir in forglofefter Unbefangenheit ein Paar durh Mietbhzettel bezeichnete Häufer mit der Miene eines Menjhen befab, der eine Wohnung miethen will mud dabei feinen ortö- kundigen Begleiter ald Rathgeber benntt. Später hörte ich, daß eine halbe Stunde nad meiner Ankunft der. Po» lizeifommiffar den gleichzeitig mit mir angelangten Bes fehl zu meiner Verhaftung in der Hand hatte. Der arme Menjc wird fich nichtswirbig geärgert haben.
Der Weg von Aachen nad Baels ijt jchwerlih fon mit jhnelleren Schritten bereif’t worden, als ‚dur mich am 14. November. des Jahres 1844. Die Fubrleute wichen mir mit vierfpännigen Wagen aus und bie Chaufjeewärter ließen erftaunt ihre Haden fallen. Bor Angft und Anftrengung zugleich jhwigend, bampfte ich wie eine LZolomotive daher und aus den Feldern. kamen bie Zandleute herzugelaufen, um vie Eröffnung der neuen Eifenbahn von Aachen nady Baels mit anzujehen.
Faft mit verrenktem Hals, vom häufigen Untfhanen nad) der verfolgenden Polizei, ftand ich endlich. vor den
BE; ya
zwer Pfälen, die fi als Repräfentanten des Königreichs Breufen und des Königreichs Holland freundnadbarlid) anblidten. Rechts von der. Ehanffee fteht der rothe. Pfal. mit der Aufichrift: Ryks-regten (ded Reichs Rechte, oder Zölle). Der Name „Reich“ nimt fi fehr poflirlich aus in einem Land mit zwei Dusgend Einwohnern, und was die „Rechte” betrifft, jo gab man mir Davon einen Begriff, als ic in Baeld nad einem Reitpferde fragte. Im ganzen: Ort. war keins, zu finden,. denn von einem Pferd, das einen Sattel trägt, find in, Holland —.40 Gulden jährlidhe „Rechte“ zu zahlen.
Dit befonderer Aufmerkjamteit jchien mich der [hwarze- weiße Pfal zur Linken anzufehen. Es war, als fragte er mid);
„Sch bin ein Preufße, fennft Du meine Farben?“
Ich antwortete: „Wohl kenne ich fie, denn das Schwarz erinnert mid an die Nacht des Kölner oder Berliner Uns terfuhungsarreft3 und dad Weiß ver Angft fiehft du auf meinem Geficht gefchrieben.“ Worauf erreplizirte: „Du bift ein Mann.des böfen Gewifjens; greife in ‚deinen Bufen und zeige deinen Paß oder beine Konbuitenlifte! D, ic fehe jhon die Nemefis auf Deinen Ferfen! Wer aber ein reines preußifches Gewiffen hat, den fchredt fein Schwarz und kein. Weiß, ber, fieht mit unferm durde laudhtigen Monarden im Einen die Naht des Böfen und im Anderen ven hellen Tag des „Vorwärts“, das fie dur die Madt der „Wahrheit“ befiegen wird; ber fchlägt ftolzen Selbftgefühls auf feine mit Gott für König und Baterland erfüllte Bruft und fingt mit mir:
‚Ss bin ein Preuße, w ill ein Preuße fein.“
a u
As ich mid von dem Eindrud biefer angreifenden Apoftrophe wieder erholt hatte, blidte ich meinen hölzer- nen Landsmann patriotifh an und fang in der Antiftrophe:
ch bin ein Preuke, darf fein Preufe bleiben,
Weil Angft und Pflicht mich aus dem Yande treiben; Schwarz weine Pfäl’, ihr prahlt, obihon ihr wißt,
Daß „Wahrheit“ „Ihwarz auf Weiß‘ nicht preufßifch ıftl
Der Pfal jhwieg und ich fegte den Fuß auf Föniglich- niederländifche® Gebiet. Ich ahnte nicht, daß ic dem Ihwarz-weinen Baterlande den letten Fußtritt verjett hatte. In dem Augenblid, wo ich die Grenzlinie übers fhritt, zudte ed mir im Genid. Ein Winpftoß riß mir jedh8 Haare aus, die zwiihen Aachen und VBaeld grau ge= worden waren; ich glaubte darin die unfichtbare Hand der Polizei zu erkennen, die mir gleihfam per Telegraph in’s Genid griff und der ich juft im legten Augenblid nod) ent- gienge. Das Göthe’jche ‚Wer nie jein Brod mit Thrä- nen aß‘ wiirde feine ganze Wırkung einbüßen neben einem Lied über die Angit, das etwa begänne:
Ber nie mit Angft vie Straße maß, Wer nie die fummervollen Nächte Erwifht im Vorarrefte faß, Der kennt euch nicht, ihr fhwarz und weißen Mächte,
Zu Baels kehrte ich in das nächte Gafthaus ein und opferte für meine glüdliche Rettung den Göttern des Un- terleib8 eine Biertel-Helatombe frijhe Auftern mit einer Libation von zwei Glas echten bolländifhen Genevers, Über jelbft diefe heilige Handlung follte nit ohne roman tiihe Störung vorübergehen.. Wie die Raben um ein
u
gefallenes Wild, jo fammelten fic fofort die benachbarten Bbilifterhonoratioren des Orks und die amtlichen Spür- nafen um den langen Menfchen, der mit einem ‚Rohr: ftod‘’ und ‚„‚bi8 oben zugefndpften Winterrod‘‘ in fo un» günftiger Jahreszeit zu Fuß die holländifche Grenze über- Ihritten, eine geheime Unterredung mit dem fchmarz- weigen Pfal gehabt und darauf eilig im Wirthshaufe eingefebhrt war, um —, um —, um — darauf fam e8 nun eben an, das Um, das „Woher? und Wohin?‘ zu er- fahren.
Während ih die Auftern opferte, fahb ich feitwärts mehrere amtlihe Gefichter mit jchielenden Augen mein Signalement aufnehmen. . Hätten fie gewußt, daß id) der Berfafjer einer ‚Reife nah Batavia’ war, ich wäre auf bolländiihem Gebiet aus dem Regen in die Zraufe ge- fommen. In Kleve pflegt man den Lebensiberbrüffigen den Kath zu geben, nad Holland zu gehen und zu fagen, fie feien 8. Heinzen. Glüdliher Weife waren die Baelfer Nationalen keine Kenner der teutjchen Literatur. ALS fie fanden, daß id) auf den amtlichen Stedbriefen, die’fie aufihrem Bureau haben mogten, nicht verzeichnet ftand, liegen fie ihre auferamtliden VBermuthungen lo8 und betsten ihre Neugier in der Perfon ded Wirth3 auf mic ein. Wer? Woher? Wozu? Was? Warum? Womit? Wofir? Wogegen? Wonadh? «8 jhwebten mir allerlei fonderbare Antworten auf der Zunge, 3. B. id) fei Karl der Große und wolle in den Wäldern zwijchen Buels und Bervierd mid) von dem Gedeihen einer Eiche über- zeugen, die ich vor taufend Jahren in einer fiheren Ein- famfeit gepflanzt, um jegt einen Knutenftiel für den roman- tiichen Steig der fervilen teufhen Nation darand zu
2
ie AB
fhneiden. Da ich aber die Befugniffe der bollindiichen Örenzbeamten nicht kannte, jo hielt ich e8 doch für geras then, ihr Denkvermögen nicht allzufehr anzuftrengen, und begnügte mich mit der wahrheitgemäßen VBerfiherung: ich jei ein Freund der Natur, der die milde Gebirgsgegend zwijchen Bael8 und der preufifchebelgifhen Chaufjee ken- nen zu lernen wüänjde. Das war nun freilidy ven Yeuten nob unglaublider, al8 wenn ich gefagt hätte, ich fei Karl der Große; fie berubigten fich aber, als ich einen Boten beftellte, um mich in jenen Bergen zurechtzumweifen. Die Tochter aus dem Haufe, ein Mäpddyen mit einer rih- rend-interefjanten Zodesverjchreibung auf dem Geficht, die fie jelbft noch niemals gelefen hatte, nahm bejonderen Untheil an meinen naturforjherifchen Abfichten und jhärfte dem Boten ein, mid) ja über Alles auszufragen. Unter ihren Aufpizien fam ich denn glüdlih aus Baels heraus und trat die Wanderung durd ein Gebiet an, das viel- leicht noc) fein zivilifirter Fuß betreten hat und das nur einen Zummelplag für Wild, Vieh und Schmuggler bildet. &8 ift eine Eifel, in’8 Holländifche oder Belgife überfegt. Koth biß an die Knie, Sumpf bis an die Anice, Wafler bis au Die Siniee — da8 waren die Abwechjelungen des Wegs. Mein „bis oben zugefnöpfter Winterrod“, bei dem Darjh über himmelhohe Berge, forgte dafür, daf ih aud von oben nicht troden blieb, und wo er nicht binreichte, mir den Schweiß auszutreiben, da fam ihm wieder die Angft zu Hülfe, die Angft des böfen Gewif- fens, die dem revler aud) in der Einfamfeit der Wilpniffe feine Ruhe läßt. Ich mögte fagen: ich fchwigte Unter» fuhungsarreft. Zu folder Angit fehlte e8 in jener Wild- niß um fo weniger an Grund, da die Orenzverwidelungen
BEI. |. DEREN
dort fo mannidfaltig find, daß man faft bei feinem Schritt weiß, ob man auf beigifchem, oder holländischen, oder preufifchen, oder neutralem Gebiete fteht. E8 liegt dort nämlich zwifchen den drei Yändern ein fogenanntes neutras ke8 Gebiet, ein berrenlofer Yandftreifen, der zwar feinem der angrenzenden Länder gehört, in dem aber das Regi- ment derfelben wechhjelt. Diejes neutrale Gebiet, diejes preußifch-holländifchebelgifche Krakau fchien mir befonvders bevenflic) zu fein, denn nicht8 ift verdächtiger al8 Neutra- Iität. Mitunter ftand mein Fuß auf vier Gebieten zu» gleich und ich forgte dann wenigitens dafür, daß der Ab- jatz meines Stiefeld auf belgifches zu fteben fam, damit ic) im Nothfall dadurd) mein Domizil darthun fünne, Unterwegs begann es fingerdid auf meinen bis oben zugefnöpften Winterüberrod zu regnen und mein Yührer von Baels verabjchiedete fih. Er hatte ven Auftrag feiner Herrinn getreulich erfüllt und mich über Alles ansgefragt. Aus Rüdfiht auf feine treuen Dienfte und die Gefuntheit des interefjanten Mädchens zitirte ich ihm beim Abjchieb einige Paragraphen aus dem Zollgefeg vom Jahre 1838 und vertraute ihm unter dem Siegel fonftiger Berjchwie- genbeit an, daß ich der Geheimrath Helmentag aus Köln fei, der hierher gefommen, um das neutrale Gebiet zu refognosziren und eine geheime Konduitenlifte über vie Schmuggler anzulegen. Mein Führer, der fein gutes Gewiffen haben mogte, nahm auf der Stelle Reifaus. An feine Stelle trat ein ohrfpigender, wrochjenbefohlter, blaufitteliger, Inotenftodiger, autochthonijcher, jchleihmeg- bobimeg-kreuzwegtundiger Schmuggler, der mich enplich nad einem vierftündigen Mari auf die Chauffee nad Henry» Ehapelle (einem Heinen Städtchen zwijchen Aachen
EB
und Verviers) brachte, wo ich dur und dur naß umd fothbekleiftert anfam. Ich verlangte im Gafthaus eine beizbare Schlafjtube, aber im ganzen Ort war feine beizbare Schlafftube zu finden. So mußte ic) mich denn entichließen, gegen 4 Uhr Nachmittags zu Bette zu gehen, um nur aus dem Sumpf meiner Kleider herauszufommen. Als ih im Bette lag, kam die Tochter ded Haufes, die Krone aus der „Krone” zu Henrye Chapelle, zu mir und fragte mich in jenem Ton einer prüden Barjchheit Ländliche ftäptifcher Schönen, hinter dem der Stenner fofort Das zürt- lihe Herz herauszufinden weiß, ob id) etwas wünjcde? Ich wünjchte alfo zunächft, daß fie mich mit derjenigen Freundlichkeit anblide, welde dem mir zu Ohren gelonmies nen Rufibhrer Yiebenswürdigfeit entjprädhe. Sie fragte, wo diefer Ruf laut geworden ? ch verficherte, daß alle Kutfcher und Fuhrlente auf der Landftraße von ihren lie- ben&würdigen Eigenfchaften enthufiasmirt jeien. Diefe Berfiherung wirkte und die Tochter aus ber Krone war ganz für mid) gewonnen. cd beftellte ihr zunächit eine halbe Flajche Burgunder und erhielt aus bejonderer Rüd- fiht und Affektion einen undaptalifirten Yheinbleichert aus der Gegend von Bonn. Darauf fragte mich die freunplid) gewordene Schöne, was ich zu efjen winjce? ALS ich ihrem feinen Geihmad die Wahl anbeimftellte, überrajfchte fie mich mit der Nachricht, daß fie mir einige
. „Lifter“ warm machen wolle,
Ih. Wie? Gie geiftvolle, fühne Zochter aus ber „Krone“, wollten mich wirflid mit warmen Bhiliftern beglüden?
Sie Barum nit? Es ift nody Vorrath genug da.
Ih. Am Borrath zweifle ic nicht, aber wie kann ich
fremder Menfch, der ich Sie morgen wieder verlaffe, fo Iururiöfe Rüdfichten verlangen ?
Sie. Welder Lurus? Sie find ganz billig.
Ih. Wie viel Fuhren Holz gedenken Sie mir denn zu opfern? Wifjen Sie nicht, daß, um einen einzigen Philifter warm zu madhen, mehr Holz nöthig ift, ald um die Stadt Moskau in Brand zu fteden ?
Sie. Philiftern ? Was ift das? ch habe von Fi- ftern gejprodhen.
Nun fodere ich alle Spradyforfcher der Ehriftenheit auf, zu fagen, was ein Lifter it. Ein Lifter ift ein — Frames metsvogel. ALS ic) diefe Entdvedung, wofür idy den Dot- tortitel der internationalen Philologie in Anspruch nehme, gemacht hatte, aß ich ein halbes Dutend Liter, mit ent- fpredhender Malice, ald wären es Philifter gewefen, und fchlief ein ungehenres Loc in die fchwere Zeit meiner Angft. Die Krone des Haufes firid al8 ein fchütender Engel um meine Zimmerthüre und wehrte alle Anfechtun gen eines beunruhigenden Polizeigeiftes von meinen Träu- men ab, jo daß ich, als id) am andern Morgen erwachte, in häuslicher Gewohnheit ganz naiv meine Magd fragte, ob die „Kölnische Zeitung” nody nicht da fei.
Meine Magd und die „Kölnische Zeitung“ waren nit da, aber die Chaife, die ich zur Weiterreife beftellt hatte, ftand fon vor der Thüre. Die Ehaife war von antedi- Iuvianifher Bauart und wurde von einem revolutionairen Saul gezogen, der nad) der apathifcheturbulenten Weife des belgifheniederländifhen Nationaldarakters entweder Schritt ging, oder hinten ausihlug und dabei eine bejon- dere Iuklination nah den Chaufjeegräben und Abhängen
Be
hatte, wa auf den himmelhohen Wegen bei Henry: Cha- pelle eine bedenkliche Eigenfhaft war. Mit zwei mohl- gemeinten Hieben hätte der Gaul die Chaife mitfammt dem Hutjcher und dem Pafjagier in die Luft geworfen und durch einen einzigen Saß hätte er mid) in die Tiefen Der belgiihen Geographie und Mineralogie geftürzt. So war denn aud) jett wieder für die erfoderliche Quantität Angjt oder Romantik geforgt, denn die Angft ift vie Seele ber modernen Romantik,
Enplidy langte ich dod, mit heiler Haut in Verviers an. In Bervierd gedachte ip mid, nieberzulafjen und zwar aus drei Gründen: erftens, weil e8 der nächte anfehnliche Ort bei ver Grenze ift, wo ich den Tag des Gerichts abwarten wollte; zweitens, weil e8 berühmte ZLuchfabrifen bejigt, und id) eine neue Hofe braudyte; drittens, weil dort fürz- lich eine Bolksdemonftration gegen die Einfhmuggelung der jefuiten Statt gefunden hatte, Als ich aber anfing nich in Vervierd zu orientiren, konnte idy in der ganzen Stadt nicht einmal eine teutfcye Zeitung auftreiben, und Dus verdroß mein Nationalgefühl jo jehr, daß ich mich gleidy wieder auf die Eifenbahn jegte und nad Lüttich fuhr. Im Lüttich ging mein erfte8 Bemühen dahin, ein Kaffeehaus mit teutfchen Zeitungen zu finden. ch lief in eins, in zwei, in jeh8 Kaffeehäufer und gab jchweres Gelv für Kaffee aus, den ich nicht trınfen fonnte, aber eine teutjche Zeitung fam mir nicht zu Gefiht. Meine Vor- jtellung von ten berühmten, durh Männergefang und Kunftausftellungen zur wahren Berliebtheit gefteigerten teutihen Sympathieen in Belgien, über welche die preufi= jhen Spekulanten fo viel gefafelt, fanten auf Null herab und ic bejchlog, am anderen Morgen nad Brüfjel zu
gehen, um eine tentidhe Zeitung zu fuchhen. Vorher aber follten meine romantifhen Erfahrungen noch dur ein Übentener voll Angft und Schreden bereichert werben. Ih ging im Gafthof gedantenvoll an einen einfamen, hoch abgelegenen Ort, wohin man nicht öfter zu gehen pflegt, ald man muß, und den nur weiblihe Menjchen zu zweien bejudhen. ALS ich den Ort verlaffen wollte — e8 war eine grauenvolle Dämmerung und nur bumpfes Raujchen aus dem Gewihl der Stadt drang in diefe Einfamteit — verjuchte ich vergebens bie Thire zu öffnen, ih war — eingefchloffen. ch Elopfte, ich rief, ich fchrie — feine Antwort, keine Seele, die mir zu Hülfe fam. Go follte ih aljo einfam und gefangen, fern von Freunden und Bermwandten, in diefen tüdifchen Gelaß mein Leben enden ? So follte ich denn ein zweiter Ugelino werden ? So hatte mid aljo mein Schidfal tody in anderer Geftalt ereilt und die freiheit, Die ich im einen Yande zu retten fuchte, mußte fi im anderen einem jo gemeinen Sterter überliefert jehen ? Dan kann fi denken, welde Kombinationen meine ge= betste Phantafie und meine Ängftlihe Dispofition in jener Sefangenihaft jhuf. In meiner Verzweiflung, jtellte ich fogar Bifitationen nad einem unterirdiihen Durdgang an, aber aud) hier war feine Thüre der Hoffnung zu finden, In müthender Hoffnungslofigkeit warf ich endlich den Dedel auf die Deffnung und begann dann wieder meine Berfuhe an ver Thüre. Und, fiche dal die Thüre war offen. Wie ging das zu? Wer ed nod) nidyt weiß, dem: fei e8 hiermit fund gethan, daß in manchen Gafthöfen die Abtrittsthüre fi nicht eher wiever öffnen läßt, als bis man den Dedel auf die Deffnung geflappt — gewiß ein jehr finnreiches Mittel ver Erziehung, um unlultivirten
u aan
Leuten gute Lebensart beizubringen und die Zerftreuten an ihre Umgebung zu erinnern,
Shen die Freude über meine Rettung aus fo großer Gefahr hätte mir Lüttih auf einige Tage intereffant machen können, aber da8 beleidigte Nationalgefühl trieb mid am anderen Morgen nad Brüffel. Nacvent id) in DBrüffel vergebens den Kaffee und das Bier von zehn Kaffeehäufern und Eftaminets gekoftet, gelang e8 mir end- Ih, im “Cafe Suisse” die „Kölnifshe Zeitung” aufzu- treiben. Mit dem Lejen hatte e8 freilich nod) eine Stunde Beit, denn e8 war eben ein alter Vlaemifch- Belgier befhäf- tigt, in ihr das Sanskrit zu ftupiren. Nachdem er fid) biß zwifchen die Zähne vollftudirt hatte, brachte mir enplich berftellner die „Kölnische Zeitung“, die „Kölnifche Zeitung” vom 17. Nov. 1844. Und was finde ich in der Kölnifchen Zeitung vom 17. Nov. 1844? Meinen Stedbriefl
„Der der Berfpottung der Gejete, fowie des freden Zabel8 der Anordnungen im Staat und der Erregung von Mifvergnügen ver Bürger gegen die Regierung befhuldigte Literat Karl Heinzen, zulett bier wohnhaft, bat fid) der gegen ihn eingeleiteten Unterfuhung durch die Fludt entzogen. Indem id deflen Signalement bier unten mittheile, erfuche ich jämmtlidhe refp. Civil- und Militärbehörden, auf denfelben zu vigiliven, ihn zu ver- haften und mir vorführen zu lafjen.“
Verner enthält er außer der Perfonalbefchreibung das Ihmeichelhafte Zeugniß, daß ich Teutjh, Holländifc und, was einftweilen nicht wahr ift, Franzöfich fpreche.
Ih Faufte dem Kellner das Blatt mit dem Stedbrief ab und benugte e8 fortan ald Yegitimationspapier.
_
Nachdem ich in Brüffel ein Paar Tage verweilt und einen Ausflug nad) Antwerpen gemacht hatte, z0g e8 mich wieder nady der Grenze, wo id) Nachricht von den Meini- gen erwartete: Ein Brief meiner Frau meldete:
„Am Abend nad) dem Tage deiner Abreife fam ein alter Dann keuchend die Treppe heraufgelaufen und fragte mid: „find Sie Frau Heinzen?" Ja. „Ihr Mann wird, wie e8 in der Stabt mit Beftimmtheit heit, heute Abend verhaftet werden; feien Sie auf Ihrer Hut.“ inige Minuten fpäter fam ein Anderer auf Pantoffeln heimlich herauf und fagte: „Ihr Mann wird morgen früh verhafe tet; wenn er fi) nod) entfernen will, jo fagen Sie ihm, daß er fid) der Eifenbahn nicht mehr betienen kann, da morgen ganz früh jchon Gens’darmen und Bolizeidiener an ber Bahn ftehen, um ihm aufzupafien.” Den Zag darauf war mehreremale ein Polizeifommifjair hier, um dich zu Iprechen, und fonftige Polizeibeamten find ftet8 Tag und Naht um unfere Wohnung herumgegangen. Sie follen auch die Thoreingänge bewacht haben. Einer deiner Freunde bradyte mir die Nadhricht, daß der Befehl angelangt jet, dich jofort nah Berlin in die Hausvogtei zu bringen. Die Gensv’armen und einige Poltzeidiener haben ven ganzen Tag an der Eijenbahn geftanden. E8 foll ihnen jelbjt lächerlich vorgefommen fein, dort ftehen zu müfjen, da du jchon lang über alle Berge jei’jt.‘‘
„Am andern Morgen, 'ald idy eben Kaffee getrunfen und in die Schlafjtube gegangen war, um meiner Schwefter meinen Mantel zu zeigen, fommt ein Herr durd) die Küche in die Stube gelaufen. Ic führe ihn dur die Stüche auf ven Gang zurüd und fehe dort nody zwei Herrn ftehen, fodann einen Polizeitommifjair und einen Polizei«
u
diener. Ich führe fie alle in das Vorberzimmer und biete ihnen Pläge an, da begann einer die Unterrevdung mit der Frage: „Um Vergebung, Ihr Gemahl it nicht bier?” Ich: nein. Er: „Wollten Sie wol die Güte haben, ung feine Schreibftube und feinen Schreibpult zu zeigen?‘ Ich: Hier ilt feine Schreibftube und bier find feine Papiere, Er: „Sie werden erlauben, daß ih Alles nadyjehe.‘ Hierauf diktirte er einem andern Herrn das Protofoll. Der Fleine fing an zu freien und ich mußte zu ihm im bie hintere Stube gehen. Der Polizeidiener folgte mir auf einen Wink des Kommifjairs und blieb hinten auf vem Gang ftehen, von wo er jpäter fogar die Speidyertreppe binaufging, um zu fehen, was meine‘ Schweiter oben made. Uebrigeng waren die Herren ganz höflid. Als ich wieder nad) vorn gefommen war und in meine Schlaf» ftube ging, folgte mir der Kommiffair. Sie fahen alle beine Papiere nad und haben einige zufanımen in einen Bogen Papier gethban und verjiegelt mitgenommen. Hier- auf kamen aud) die Andern in die Sclafitube. Als fie bort die Päde mit deinen Gedichten liegen faben, rief der Eine (der Staatsprofurator); „Aha, das find gewiß Eremplare der Schrift über die Büreaufratie.“ Das wäre wohl möglich, fagte der Andre (der Bolizeitommillair). Der Dritte (Inftruktionsrichter) hob einen Pad auf den Stuhl und fing an Ioszufnoten. Ich hielt mich ganz ftil. „Das find ja bloß Karl Heinzend Gedichte,“ rief er ganz unmwillig und warf den Pad wieder hin. Darauf gingen fiefort. Der Unmille über jene TZäujhung bat allen Grund, denn man bat bier jhon 10 Thaler für vein Bud) geboten und dody ift fein Eremplar mehr zu haben. Ein fremder Kaufmann bat dir, freilich zu fpät, durch
N
einen deiner Freunde feinen Wagen mit Kutjcher und Pfer- den zur Verfügung ftellen lafjen, um zu entfliehen. “
Welde Anftalten, welhe Zurüftungen, welche Anftren- gungen, eine® unjhuldigen Buches wegen! Und Alles Das verrichten diefe Meenfchen, ohne fi) felbft auszula- hen. Sie thun ed mit einem wahrhaft religiöfen Ernft und Eifer und würden Den für eine verworfene, jeder fittlihen Regung unfähige Kreatur erklären, der ihnen feine Verachtung bezeugte.
In Belgien begriff man Das nicht. Ich kam mit mans hen gebildeten Dienfchen zufammen, die mir faum glau- ben wollten, wen ich ihnen fagte, ich werbe wegen eine# Buches über die Büreaukratie verfolgt; und wenn id) ihnen über die preußifchen Preßzuftinde Aufihluß gab, er Ihrafen fie, foldhe Nachbarn zu haben. Ein freifinniger Arzt in Brüffel, der mir eine Menge Fragen ftellte, wa- rum wir in Zeutjchland nicht Dieß und Das thäten, fing an vor Wuth zu zittern, als ich ihm die Zenfur erklärte, und rief in feiner verzweifelten Bemühung, Teutjh zu Iprehenn, mit einem marfpurdbringenden Pathos aus; „D das iS fürdterliig, das is unglüdiig, wenn der Mens nit jagen kann, was fie denkt!“ Allerdings ijt es fürdterlich und unglüdlih, aber e8 denkt eben nicht jeder „Mens“, namentlich unter der „Nation der Denter*.
Doh genug davon. Wenn Einer zu lang auf einen Punkt fieht, ftreiht man ihm über die Augen, um ihn abzulenfen. Aljo ein Strid) über die Augen:
Ein Dechfe und ein Schaf rühmten ihre Vorzüge vor dem Gjel, dem nod nie die Ehre und das Glüd wiederfah- ren jei, von Menjhen gejchoren oder gegeflen zu werben. Der Ejel, ver Hafjiihe Studien gemacht hatte, erhob fid)
u DE
in ftolzgem Selbftgefühl, pochte auf fein Kreuz und fein Pergament, nahm Plutach® Werke vom Brett und las: „Als Artarerres Dinemon gegen die Kabufier zu Felve z0g, entjtand eine Hungersnoth in feinem Lager, die fo groß war, daf man faum für 60 Dradmen einen Ejels- kopf kaufen konnte.“ Voilä, fagte er, wann ift jemals für euer Gehirn fo viel geboten worden? Und glaubt ihr, meine Zeit werde nicht wiederfommen? Schon fehe ic) Die Morgenröthe des Artarerres und die Kadufier find bereit8 aufgeftanden. Der Ds und das Schaf erfann- ten in Demuth die Superiorität des Ejeld an und baten ihn um feine Fürfpradhe, wenn der große Artarerres fommen follte, *
Noch ein Strihb. Das fhönfte Mädchen in BVBerviers ift Klärchen, die Tochter in dem Wirthshaufe, wo ich täg- lid) die Zeitungen lefe. Ich nenne fie die Rofe von Ber- vierd, Gie ift unfhuldig wie ein Kind und licbenswürdig wie eine Benus. Aber fie ift arm und wird nit glüd; lid) werden. Neulidy fragte fie mich, wer ich fei? Ich fagte: Der Teufel. Sie (fie fprady neben dem Franzö- fiihen ein eigenthümlidhes, Luremburgifhes ZTeutic): Wo haben Sie denn Ihre Kiefies? (Wo haben Sie denn Ihren Kubfuß?) Ih: Den hab’ ich dort unten meiner Großmutter zurüdlaffen müffen al® Unterpfand, daß ich zurüdfommen werde. Sie: Was wollen Sie denn hier oben? dh: Ich will Sie holen. Sie: Mid holen? Warum denn? Ych: Weil Sie arm und unglüdlic find. Sie: Mfo da unten wird man glüdlich gemacht? Ih: Ja. Dort unten wird gezeigt, daß nur der Uns glüdlihe bis und daf das Böfe nur ein Unglüd ift.
—..
u
Ste: Ajo gibt e8 gar kein Böfes? Ych: Nein, es gibt nur Unglüd und das Unglüd hört in der Hölle auf. Sie: In ver Hölle auf? Dann wäre ja zwilchen Him- mel und Hölle fein Unterfhievr? ch: Ganz redt. Die Hölle ift das Vorzimmer ded Himmels und der Him- mel ift die Erfenntniß, daß es Fein Böfes gibt. Sie: Dann ift ja aud) fein Unterfchied zwijcdhen vem Teufel und — Gott. Ich: Ganz reht. Der Teufel ift Gott von binten bejehen. Dreht Gott fi um, jo zeigt e8 fich, daß fie eine Perjon find. Sie: Dann wären Sie Teufel ja Sett, denn Sie jehen mid) ja mit dem Gefiht an. Ich: Ich bin Gott und Sie find e8 auh. Spiegeln Sie fid) nur in meinem Auge. Sie: Jh will Ihnen erjt einen Schoppen Wein holen. (Sie bolt einen Schoppen Wein). Weldye Strafen haben Sie denn in der Hölle? Id: Die härtefte Strafe befteht darin, daß man mit Moos» rofen auf den bloßen Rüden gejchlagen wird, wenn man glaubt, dag man bö8 fei, denn der Glaube an das Böje madt böd. Sie: Das ift die härtefte Strafe? ch gehe mit Fhnen in die Höle und Sie werden fehen, daß ich nicht 688 bin. Aber läßt es fich nicht einrichten, daß hen bier die Menjchen nicht mehr 688 find? Id: Da müfjen Sie den Minifter des Innern und des Unterrichts fragen. (AS ic) den Drt verließ, fchenkte ich in Erman- gelung von etwas Befjerem der Roje von Bervierd eine große, wohlriehende Seifenkugel mit ver Bitte, fic) jedesmal die Hand zu wujhen, wenn fie diefelbe in ihrem Gejhäft als Aufwärterinn einem Unmürbigen habe reihen miijen.) *
Nod) ein Strih. ch ging durd) einen einfamen Wald. Die Liebesbriefe, welde die Natur dem Frühling auf Mil-
ee
lionen Baumblätter geihrieben, lagen zerfnittert, zerriffen und weggemworfen am Boden. Die Berlafjene weinte Dem Treulofen die legten erfalteten Thränen von den nadten Zweigen nad, denn fie glaubte nicht an feine Wiederkehr. Kein Laut ringsum, nur der Fall der Thränen auf Die zerrifienen Liebesbriefe und dann und wann ber [hyene Pfiff einer flichenden Amfel, begleitet von dem fernen Raufhhen bes reijenden Besprefluffes. Hineingeriffen in die trau rige Stimmung der Natur, trat ich auf einen ragenden Velfenverjprung, z0g vom Leber (denn id hatte eine Flache Wein in der Tafche) und fchrie in die weite Welt hinaus, daß alle unvermutheten Holzhader ringsum er- bebten: „Sie follen ihn nicht haben" — Wen? fragte das Ehe. Mid! antwortete ich. *
Noch ein Strih: Das Verlangen, ein Weib zu füffen, ift wie das Verlangen, eine Blume zu riechen. Eine Blume ift ein Weib, das man küht mit der Nafe.
*
No ein Strih: Wir leben nicht, fofern wir das menjchliche Recht, fondern nur, fofern wir bie polizeiliche Erlaubniß dazu haben.
Noch ein Strih: Man lief't jet nur vom ungenäh- ten Rod zu Trier. Hätte Chriftus gewußt, welchen Mifbraudh man von feiner Weligion madhen würde, er hätte fich nicht dafür an’s Kreuz fchlagen laffen; wenn er aber gar gewußt, welches Skandal man mit feiner Gar: berobe machen würde, er wäre lieber nadt durd die Welt
gegangen. AR
ee
Nod ein Stridh: Auf den balearifhen Infeln war es in alten Zeiten Gebraud, daß die Kinder ihr Butters brod erjt mit dem Pfeil treffen mußten, ehe fie e8 effen durften. Jedes Bolt wird darauf erzogen, des Brodes feiner freiheit nur durch den Pfeil habhaft zu werden.
*
Noch ein Strih: Wir haben in neuerer Zeit mehrere Male von Beifpielen gelefen, wo ZJenforen fid) durd pria- peiihe Regungen zu Standalgefhidhten haben verleiten lafien. Dief erinnert an den piychologifch-phyftologijchen Erfahrungsjas, daß Wolluft und Mordluft verbunden zu fein pflegen.
*
Noch ein Strih: E83 ift fehr bezeichnend, daf das Einzige, was unfere Bolitit in dem freien Nordamerika ftubirt, das Gefängnißmwefen ift. Und wie graufam fhlägt man bei diefem Studium daneben! In einem Lande, wo der freie Menicy fi) nad Belieben ausiprechen kann, hat e8 doc) einigen Sinn, daß der gefangene Sträf- ling zur Stummbeit verurtheilt wird, wenn aud) das Fjo- lirungsjgftem nad) fo unmenjchlidy ift; aber in Teutichland, wo die Stummbeit Regel tft, hätte man fie nicht auch no zur Strafe machen follen. Das verräth zu viel Graus famfeit.
*
Noch ein Strid: Keinem wird es leichter, bei den Damen eines Landes liebenswürdig zu erfcheinen, al8 einem Ausländer, der ihre Sprache nur theilweife verfteht. Alles, was er fagt, erjcheint naiv, und die Naivetät ift die Lies benswürbigfeit in Perfon. Aber Das ift e® nicht allein, Seine Bemühungen, fi) im der fremden Sprade auszu«
PR. BEN
brüden, verdeden feinen Mangel an Geift; bat er aber Beift, jo erjcheint jede Probe davon, die er mühjam zur Welt bringt, doppelt geiftreih. 8 ift damit, wie mit den Haffiihen Schriftitellern, von denen jo mandyer nicht bei und genannt werben würde, wenn er in teutjcher Sprade geichrieben hätte, die aber Alle als etwas Außer: ordentliches erjcheinen, weil wir ihre Schäße jo mühjam berausgraben müffen. Uebrigens kommt bei der Unterhals tung mit ausländijchen Damen aud no Das hinzu, daf hon die gute Lebensart fie dazu bringt, vem Fremden bei jeinen Unterhaltungsbemühungen nadyzuhelfen und Dadurd) Interefie an ihm zu nehmen, fowie daß es ihrer Eitelfeit Ihmeicyelt, wenn fie feine Meinung erratben und inter- pretiren fönnen. Aus diefen Gründen ijt e8 aud) weit leichter, Franzöfiich oder Englifd) in der Unterhaltung mit Damen, ald mit Herren zu lernen. +
Nod ein Strih: Auch du bift hier aus dem Yande der Topten. Dein Lächeln jcheint ftill herüber zu mir, wie das Flimmern der Sterne, und aus den Gefilden bes Todes lberweht mid) das Crinnerungsleben deiner Seele, wie ein fommerliher Abenvhaudh das träumende Gebüjcd) eined moo8bewacjenen Felfend. Ju der fchimerz« liben Süßigfeit der Todesruhe lächeln deine Züge und bie unnahbare Vertraulichkeit deines Wejend zieht und bannt meine Seele in ftilem, vergeblihem Zwiefpalt. Durch das Fliüftern der Nacbt und das Klingen jüher Alforde ziehen die Träume und die Schmerzen und die Seeligkeiten einer ewigen Liebe und jhwärmen deinem verjinfenden Bilde nad; mein ermüdendes Augenlid finft nieder unter der fanften Hand der mütterlihen Natur,
und meine Seele verjchwindet in den ernenten Traum von der nächtlichen Blume, welde, gebroden von der Hand des Geliebten, das duftende Gift ihrer füßen Seelemit ver feinigen eint und flerbend ihn tödtet.
M
Noch ein Strih: Seht da unten am XTifh ben did- wanjtigen Pfaffen mit dem funkelnden, erbarmungslofen Zegelsgefiht! Diefen Menfchen kann nichts in ver Welt noch rühren, als der — Schlag.
*
No ein Strih: Erasmıs von Rotterdam litt einjt an einem hartnädigen und bösartigen Gejhwür. Zufällig [a8 er um die Zeit in den epistolis obscurorum virorum. Als er an die Stelle kam: “ego me diabolice inutilem faciam”, brady er in fo gewaltiges Lachen aus, daf fein Sefhwür aufging und Erasmus furirt war. Wenn Erasmus mit feinem Gefhwür jetst bier am ZTifch führe, jo würde id ihm den didwanftigen, vdiabolifh frefienden Ehriftusftreiter dort unten zeigen und dabei ausrufen: “ille se diabolice inutilem facit’”.
*
Noch ein Strih: Die alberne Revensart, daß derjenige Staat ver befte fei, von welhem am Wenigften gefprochen werde, glauben mande Staatsmänner ganz einfach da= durd) verwirklichen zu können, daß fie die Leute zwingen, gar nichts mehr vom Staat zu fprecden.
*
No ein Strih: Hermes (Trismegiftos) fol über 36,000 Bücher gejchrieben haben. Das wäre der Mann für ein Oberzenfurgeriht, Wenn wir folder Stribenten ein Paar Dugend bejähen, jo bliebe nichts übrig, als, den
3
ZEN. ge
Shhriftitellern Preßfreiheit, oder den Zenforen Gewerbes freiheit zu geben. *
Dod) das Streichen mütt nichts mehr und ic; gehe zu Bette.
+
In meiner Ungebuld, ftetS auf dem Sprung zu fein, wenn der Gerichtsfalender mih nah Köln rief, hielt ich Bervierd für einen zu entfernten Aufenthaltsort und etablirte mich daher der Grenze fo nah, daf ich faft das Klirren der preußifhen Douanen» und Bolizei-Säbel hören fonnte, Dolbain, fo hieß mein neuer Aufentbalts- ort, ift ein Fleiner, triiter Fleden und die erfte belgifche Donanenftation an der Eifenbahbn, Im Winter ift e8 bort fo öde, wie e8 nur in der Seele eines preußiichen Düreaufraten fein kann, tnd der Ort wird zur Winter, zeit aus dem Grunde von feinem Menfchen befucht, weil noch fein Selbftmörder den Tod aus Langeweile aufge- fuht hat; im Sommer dagegen fol e8 mitunter recht leb« haft fein, der romantifhen Umgegend wegen. Den Ihönften Punkt viefer Umgegend bildet das benachbarte Limburg, ein Heiner Fleden und ehemals eine berühmte Vefte, welhes auf einem fteil aus dem Besoreflufje her vorragenden Felfen wie auf einem Heinen QTafelberg oder einem großen Limburgerfäfe aufgetifcht liegt.
In der Dolhainer Einfamkeit fonnte id) eine gute Vor- übung anftellen auf die Dinge, die meiner etwa warteten. Außerdem aber liegt Vervierd zu weit von der Grenze, um Dort die „Marten des tentjchen Vaterlandes“ in den Derzweigungen ber niederteutfhen Mundart gehörig fefts ftellen zu Können, wogegen ich in Dolhain, weldes jhon
BEE 4 ®
burd feine erfte Sylbe den germanifchen Urfprung verräth, wertbuolle Beiträge für die „VBölferftimmen Germaniens" erwarten durfte, welches burd die Bölkerftimmen vie Bolksftinme erjegen zu wollen fcheint.*)
Die biedere alte Wirtbinn des “Hotel des Pays bas” zu Dolhain, in weldyem ich logirte, hatte eine ganz aus- gezeichnete „Stimme Germaniens," jo daß ich mich felten des LYachens enthalten konnte, wenn fie mid anrebete. Dod behandelte fie ihren germanifhen Saft mit mütters licher Sorgfalt und ließ e8 ihm an nichts fehlen, Die Unterhaltung mußte ich mir felbit verjhaffen und fie be- ftand meiftend im Schreiben, fo daß ich dort in vier Wochen ein ganzes Bud) zu Stande bradyte, das ein Paar Monate fpäter unter dem Titel „Mehr al® zwanzig Bogen” in Darmjtadt beim Berleger der „Preußifhen Büreaukratie" erichien.
Meine Frau befuchte mich nur auf kurze Zeit, da ich jeden Tag nad Köln gerufen zu werden erwartete, Außerdem aber erhielt idy mehrere Befuche von verbädti- gen Perfonen, namentlid von einem Eifenbahnbeamten und einem an der Grenze ftationirten Steuerfontroleur, die mir unter Bezeugung der größten Sympathie und Hodhadytung verficherten, ich könne ‚ganz unbeläftsgt auf preußifchem Gebiet ihren Bejud erwicvdern. Natürlich glaubte ich ihnen auf'8 Wort und blieb in Dolhain.
*) Zu jener Zeit füllten die Nationalmütheriche das Land mit ihren germanifchen „Forfhungen“ und Renom- magen, namentlih ein Dr. Firmenicdy aus Köln, der in einem gewaltigen „Werte“ alle teutjhen Dialekte, Sprad- verhunzungen und linguiftiihen Barbareien fammelte, die er die „Böllerftimmen Germaniend“ nannte.
BE * )
Der verbächtigfte Befucd, war ein junger Mann, angeblidy and Berpiers, der fi in meinem Hotel einguartirte und, fi) meine Unterhaltung fehr angelegen jein ließ. Eines Tages lud er mich ‚zu einem Spaziergang ein, um mir die Schönheiten der Umgegend zu zeigen. In einem Wälohen angelommen, ftellte er fid) plöglich vor mich, 30g ein Mefjer und fragte mich, eine drohende Miene anneh- mend, was id) thun würde, wenn er mir erklärte, aß jet meine legte Stunde gefommen fei. Jch erfuchte ihn mit ent» Iprechender Trenndlichkeit, dem dummen Spaß fofort ein Ende zu machen, wenn er fi nicht ein Paar hundert Fuß tie» fer im Besprefluß baden wolle. Dazu hatte ernatürlid) in der falten Jahreszeit keine Neigung und er jucdhte ver Sache den Anftrich eined unfchuldigen Scyerzed zu geben. Db ver Menih an Beraubung dadıte oder ein Spion war, weiß ich nicht; er verjchwand nody am nämlichen Tage. _ Die jonftige jeltene Gejellfchaft, die ich in Dolhain ten- nen lernte, beitanp aus Bewohnern ded Orts, die mits unter im Hotel des Pays bas den Abend zubradten. Eines Sonntags, während ich in der Wirtheftube mit Schreiben bejhäftigt war, kam plöglidy eine etwas ange» truntene Gejellihaft herein, jetste jih in mreiner Nähe an einen andern Tiidy, lieg Wein fommen und jtimmte einen ungeheuren „Männergefang“ an. Dabei infirumentirten fie mit Händen und Füßen, daß die Stube vröhnte. Ich merkte bald, wo man hinaus wollte. Man ennuyirte fich darüber, daß ein germanifcher Meenjcdy ji) hinter einem Berg Papiere, die ihm lieber die Polizer in Beihlag nehmen follte, ungejellig ven jhönen Sonntag verbrachte, . und dieß Mifvergnügen entiprang bloß. aus dem fran- zöfifhen Blut. Die Hauptlunft und das erjte Bepürfnig
a
ber franzöfifchen Natur befteht im leben; leben aber heißt ihnen mit Recht nur, die Lebensgeifter in Bewe- gung jegen, und das können fie am Beften im ge- jeligen Bertehr und in: der Unterhaltung. Sie wollen und künnen nicht allein mit ihrem Gemüth und ihrer Phantafie fpazieren geben, wie der Teutjche; fie müflen fi) ergänzen dur‘ Andere, fie find, man mögte fagen, mitmenjchliher.: Was ihnen aber jelbft Bebürfniß ift, das fuchen fie audy bei Andern. Ein Menjch, der jchweigt, fih nicht unterhält, nicht gefellig ift, nicht an der Gefell- Ichaft theilmimt, ift ihmen unausftehblih. So war e8 denn im Hotel des Pays-bas bie franzöfiihe Natur am einen ZTiih und die germanijcdhe am anderen, die in Kollijion geriethben. Nachdem die Gefellihaft mid nicht durd) dad Gehör hatte kuriren können, begann fie den Berjudy mit dem Gefühl. Sie ftimmten allerlei Lieder an (audy Beranger’ihe), worin von “&crire”, von “pam- phlet” u. dgl. die Rede war, kurz fie ilanirten mic) durdy Berje. Je fleißiger fie aber fangen, vejto fleifiger fuhr ich fort zu jhreiben. AUS fie endlich paufirten, pau- - firte iy audy, bloß um zeigen, pa mein Schreiben nicht von ihrem Singen abhängig war. Da ich jedoch trog den PBaufiren nod immer nicht an ihrem Bergnügen Theil nahm, verfudhten fie wieder ein anderes Mittel. Sie fangen nämlid allerlei drollige Zrinfliever, wobei der Hauptipaß darin beftand, dat Jeder in der Wunde ein Glas leeren mußte, während die Andern ihn durdy fomifche, ftet8 wiederholte Töne, 5.3. le Turlulu, le lem-lem-lem u, f. w. zum Laden reizten. Enplicd richteten fie e8 fo ein, daß fie die Reihe zu meinem Tijch herüberjpringen ließen und mid plöglid Alle zufammen anfangen :
u BR Ser
le Turluiu, le lem-iem-lem x. Statt nad den Eingebungen der germaniihen Zölpelnatur wegen ber fonderbaren und anhaltenden Störung grob zu werben, oder Die Stube zw verlafjen, ergriff ic in franzöfijcher Eınidndlichteit mein Glas, ftürzte e8 mit einer nicht aus der Hafjung zu dringenden Birtuofität hinunter und turlu- lemte, daß die ganze Turlulu: Gejellichaft darüber in freu» dDiges Stuten gerietb. Daß ih auf ihren Spaf fo un» erwartet eingegangen war, madte auf ihren gejelligen Takt jolden Eindrud, daß fie fofort meine beften Freunde wurden, ‚Einer berjelben, ver fich als Poftverwalter zu erfennen gab, erbot fi jogleih, die Briefe, die ich eben geichrieben, auf der Stelle perfönlich zur Poft zu bringen, damit fie zeitig abgingen; ein Anderer, in bem ich ben fungireuden Unterbürgermeifter fennen lernte, lud mich auf das Freundlichfte und Dringenpfte ein, bei ibm zu Abend zu jpeifen umd feinen Wein zu verjuhen. Am ans dern Morgen kam er jogar zu mır umd juchte fidy mit ver ängitlichiten Sorgfalt zu entihulvigen und zu vergewifjern, - daß ich Die Späfße des vorigen Abends nicht übel genom- men babe. Ich frage alle germanijchen Poftverwalter und Biürgermeifter, ob fie ein Gleiches gethan hätten ? dc) frage namentlich alle Philifterbürgermeijter ver Heinen germanischen Städte, ob fie nicht weit eher den jhreiben- den Dienjhen mit feinen Papieren ‚dur den Polizeidie- ner vor fidy hätten zitiren, ihm mit obrigfeitlicher JZmper: tinenz den Paß abverlangt und ihn, wenn er nicht allen Anforderungen des Philiftertbums erfter und zweiter Klafje genügte, die bürgermeijterlihe Hand hätten fühlen lafien ? *
EI
Shidfal, Schidfal, wie fpielft Du mir mit! Wird meine robufte Natur das Alles aushalten ? In weldem Abgrund von Romantif werde idy enden ? Kaum habe id ein nationales Abenteuer mit Männern beftanpen, fo erwartet mich ein® mit Weibern. in Paar Tage nad dem Turlulu-Abend fige ich wieder in der Wirthsftube und fchreibe einen Brief an den Dr. Firmenid, worin ih ihm Meittheilungen über meine völferftimmigen For- [hungen made. E8 war eben Abend geworben. Id) lege das Papier zur Seite, fee mic an’8 enfter, fchaue hinaus in die Dämmerung und lafje meine Gedanfen über den benadbarten Telfenberg umberbämmern, der feinen befhneiten und bewaldeten Rüden mie eine geftreifte und berftige Hyäne über der Eifenbahn in die Luft hinaufs hümmt. Da öffnet fi plöglih die Thüre und berein trit ein Damenpaar, zwei Damen von hoher Geftalt mit großen Hüten und langen Mänteln. Sie verbeugen fih und id auch. Sie feren fih und ih au. „Woher? Wohin?“ Dief waren die erjten Gedanken, von welchen meine Seele in Bewegung gefegt wırde. Ein Paar Worte der Wirthinn, weldhe die Damen bereinbegleitet, belehren mich, daß e8 zwei fremde Frauen fein mitffen, die ihre Männer zur Abreife erwarten. Fremde Damen in Dolbain! ch fühlte eine ganze Elektrifirmafchine in mir arbeiten. Fremde Damen ! Zeutijhe Damen ohne Zweifel! Dief waren die zweiten Gebanten, von denen meine Seele in Bewegung gejetst wurde. Nachdem meine Seele von ben zweiten Gedanken in Bewegung gefegt war, begannen die Damen zu jpreden. Sie fprechen! Was Iprehen fie? Sie lispeln, fie murmeln, endlidy fprehen fiel Weldhe Sprade? a, melde Sprache?
u A ae
Sie fprahen eine Sprache, die ich nie gehört, nie gelefen, nie gedacht, nie geahnt hatte, Sie fprahen eine Sprache, ‚ in welcher fich Alles vereinigte, was die Welt in ihrer um» endlihen Mannidfaltigkeit zu bieten vermag, eine Sprache, die wie ein Kaleivostop fur da® Ohr alle Tonarten, Ob- jefte und Formen des Univerfums durcheinander wirbelte. Deim erften Wort dadıte id natürlih an Teutjchland; beim zweiten an Auftralien; beim dritten an Belgien; beim vierten an Batavia; beim fünften an Truthühner; beim jechften an Chinefen; beim fiebenten an Spanferfel; beim achten an Matrofen; beim neunten an Rohrbommel; beim zehnten an Zumalacarregui; beim elften an den Teufel; beim zwölften an den Zaunfönig; beim breizehn- ten an Düren; beim vierzehnten an Limburger Käfe; beim fünfzehnten wieder an Truthühner; beim jechszehn- ten an Berlin; beim fiebenzehnten an den berühmten Dünger Guano; beim adhtzehnten wieder an Spanfertel; beim neunzehnten an Meerjchweine, Truthühner und Spanfertel zugleib; beim zwanzigiten an Koblenberg> werte, Leberwurft, Mleerjchweine, Chinefen, Kälber- Ihwänze, Spanfertel, Wittwentaffen, Bürgermeifter, Bup- pentbheater, die Königinn Pomare, Rühreier, Fiihmartt, Accoudheur, Truthiübhner, leere Fäfjer, Nahtwächter, die Redaktion der litarifhen Zeitung, Kaffeemühlen, Lapp- länder, Bügeleijen, Zahnichmerzen, Kraniche, den babylo- nifhen Thurm, Zurbano, Kindergefchrei, Amfterbamer Handelsblatt, Yaberdan, Begräbnißtojten, Nervenfieber. Man wird fi) von ber gejteigerten Anjtrengung meines Dentvermögens bei der weiteren Unterredung eine Bors ftellung maden fönnen, wenn ich jhon beim zwanzigiten Wort eine jolde Gedantenjagd zu beftehen hatte. Und
was id da hörte, fchien aus Teutfchland zu kommen! Ih habe eine robufte Natur, aber Alles hat feine Grenzen. Nachdem die fremden Damen in der Mitte ihres Diskurjes angelangt find, hört man plögli in ber Stube einen er- fhütternden Schlag. Was ift gefchehen? ch Liege un- vermuthet jeh8 Fuß lang am Boden, wälze mich, ziehe mich zufammen wie ein Igel und habe Krämpfe wie ein Bultan. Srämpfel Glaubt man, ich fei ohne Hülfe geblieben?
Bi Bi—, BWale— Wulle— WBa—, bi—ti—ti— H—, ty —thi—thi—, Mau— Man— Mau—, Wa— tha— huus—, Limburgü —gä—gü—ruti—quidufule— leeve— Ihnud—bille— hamme—rommel— füllebüb—ritic — janıme — th hi Hi —tü—blölmhltrghnwum — xx.
Das war meine Hülfel Das war mein Rezept! Das war die Botjchaft der Rettung! Die beiden fremden Da- men warfen fid) auf mic und hielten die vorjtehende An- rede, al® fei ihre Abficht mich vollen um’8 Leben zu brin- gen. Glüdliherweife blieben fie nicht allein, denn die Birthirn, der Wirth, die Magd, vie Nahbarichaft, die Strafe, der Drt, die Umgegend jammelte fi) um mid). E83 war eine hiftorifche Szene. Staunen, Schreden, Entjegen rings umber. Endlich kommt die Wirthimm zu fi und fragt:
Sie: Sollen wir einen Doktor lommen lafjen?
Ich: Ja.
Sie: Johann, geihwind zum Doktor!
Ih: Halt! Welder Dottor?
Sie: Zum Doktor N. Seien Sie verfidhert, wir haben einen guten Doktor. Seien Sie ganz unbeforgt.
Be.
Ih: Erkann hier nichts leiften, ich muß einen anderen Doktor haben.
Sie: Velden denn? |
dh: Den Doktor Firmenid) in Berlin!
Sie (im Stillen mit den Anwefenden);: Mein Gott, der arme Zeutiche ift wahnfinnig geworden.
Ih: Wenn er ed werden köunte, wär’ er e8 fon früher geworden. Den Doktor Firmenic, her!
Sie: Was wollen Sie denn durdaus mit dem Doktor Firmenicy?
Ih: Ich will ihn auffreffen!
Sie: Warum denn? ft diefer Doktor zugleich eine Medizin?
Ih: YJal Erift ein Brechpulver gegen die nationale Cholera. Er fol entidheiden, ob Das, was dieje beiden Damen gefprodhen haben, zu ven „Bölferftimmen Germas niens“ gehört, oder nidt. Sagt er: ja! fo freie ich ihn auf mit Haut und Haar, und dann hoffe ich Furirt zu jein für immer, 2
Sie: Was diefe Damen gefprodhen haben? Sie find eine Stunde von bier zu Haufe, fie find von — Eupen!
Die Damen: Wulle— Bi—huus—füllebib— Ib . .. Eupen! Eupen! hallte es in der ganzen Um« gegend wieder. Eupen gehört zu Germanien, gehört zu Preußen!
Meine Krämpfe legten fih, um bem teutjhen Bater- lande nicht vorzugreifen. ZQeutjches Vaterland, du fannft bich über Alles tröften, va pu folde Bölterjtinnmen haft! Ih jchlage einen Nationallonvent aller Nationalvialeft- forjcher in Eupen vor, um ed mit einem Tutti aller Bölter- flimmen Oermaniensd gegen ein Solo in der Mundart
u
jener beiven Damen zu verfuchen, und ich vermwette mein Leben für Eupen. *
Ver damit einverftanden ift, daß man in allen Dingen Maß halten müfje, der wird e8 begreiflich finden, dafz ich meine pennjylvaniichen Borübungen in der Dolhainer Einfiedelei, zumal nad) einem fo fchredlichen Abenteuer, nicht fofort im mittelalterlichiten Style tried. Nuchvem | ih zehn Tage dort ausgehalten, fühlte ich da® Bedürfuif, einen Ausflug im ein poetijcheres Gebiet zu machen, um meinen auf die Neige gegangenen Borrath an Privat- poefie einigermaßen wieder zu ergänzen. ch reif’te aljo nad dem einige Stunden von Dolhain gelegenen, be- rühmten Badeort Tpa, wo einft Peter der Große die Gnade gehabt hat, Mineralwaffer zu trinfen. Ein Ba- deort hat zwar Feineswegs das Privilegium, poetifch zu fein, aber ein Babdeort im Winter fchien mir etwas Reizendes zu haben, etwas die Phantafie Herausfodern- ve. So mie eine Burgruine mit den phantaltifchen Gedanken, die um fie herumfchweben, romantifcyer ift, ald die Burg mit dem rohen Ritterleben war, deren An- denfen fie aufbewahrt, jo wird, dadjte ich, aud) die gefell- Ihaftliche Ruine eines bunten und raufchenden Treibend poetifcher fein, al® die Treiben jelbft. Bon Spa ermwar- tete ich Das um jo mehr, da dafjelbe im Sommer der Sam- melplag vieler Berühmtheiten ift, englijcher, jpanijcher, polnijcher . ch habe aber erfahren, daß ich meiner Phantafie, die fonjt produftionsfühig genug ift, da ich mit ihrer. Hülfe fogar eine Zeitlang den König von Preufen für einen ehrlichen Narren gehalten, diegmal zu viel zu- gemuthet hatte.
Ey
Gleich bei meiner Ankunft hatte ich ein Abenteuer zu’ beitehen, da® den gejpannten Hahn meiner Lebensgeifter fchnell wieder in „Ruh’“ fegte. ALS ic, aus dem Omni- bu8 geftiegen war, beftürmte mid, fofort nach der gewöhn- lihen Weife ein bienftbarer Geift mit feinen Hülfsaner- bietungen, um mir ben beften Gafthof zu zeigen. Ich hatte indef mein Abfteigequartier, deffen große Aufichrift mir [chen aus der Ferne zumwinkte, bereits in’8 Auge ge- faßt, fo daß ich mich ganz einheimijch geberben konnte, und wies die Hülfe des zudringlichen Yohnbedienten durch ein ftolze® “Allez-vous en!’' zurüd, welches ich; während meiner Anwefenheit in Belgien gelernt hatte, aber mit einer jo geläufigen, eingefchulten Betonung ausipradh, daß der Zurüdgewiefene in mir joforteinen Belgier oder Fran- zofen von Geburt erfannte und mid ruhig den Weg nad) meinem „Hotel“ einfchlagen lief. Es war ein großes, pompöfes Gebäude. Zwar wird es, dachte ich, dert nicht jo wohlfeil fein, wie in dem Hotel des Pays-bas zu Dolhain, aber in den wenigen Stunden, die bu dich hier aufhältft, willjt du aud einmal etwas Falhionables ten- nen lernen. Ich trete aljo mit dem Selbftgefühl eines Lords und der Dreijtigkeit eines feinem augenblidlichen Borhaben gewachjenen Gelpdbeutels in das Hotel hinein. Im Hausflur begegnet mir ein Dann, der zwar ein etwas amtliches Ausjehen hatte, den ich aber um jo eher für den Kellner halten mußte, da er mich fragte, wa® ich wünjche? „Borläufig,“ antwortete ich, „eine warme Stube und eine Portion Beaffteal, denn Hunger und Kälte ftreiten fich) um mich.“ Der Mann fah mic groß an und fprad Einiges, das ich nicht verftand, woraus aber keinesfalls Höflichkeiten zu entnehmen waren. Sollte diefer fafhio-
u A
nable Gafthof Dich etwa nicht als ebenbürtig anfehen? dachte id. Um daher den Kellner zu bejchämen, beftellte ich auch noch eine halbe Flafche Burgımder. Der Sell. ner wurde aber nod, grober, ald zuvor, Man kann fi denfen, wie ich mich Darüber empört fühlte, daß ich nicht einmal einem dummen Lord gleichgeftellt wurde und wie ein Ausgefchloffener den Einlaß in ein öffentliches Wirthshaus förmlich erfämpfen follte, ch foverte ven Kellner im gebietenditen Zone auf, mid) zum “Maitre d’hötel” zu führen. Und was erwiberte der Menfch? Er wolle mich zum “Bourgmestre” führen, der fei hier der *‘Maitre d’hötel”. ch follte alfo zur Polizei geführt werben, und zwar durch einen Kellner! Der Gebante an meine Flüctlingsqualität war zu natürlich, ald daf er ztir nicht fofort Durd) den Kopf hätte [hießen jollen. ch juchte aljo dem Kellner begreiflich zu machen, daß ich zwar ein teutjcher Schriftfteller jet, der in Belgien feine Perfon in Sicherheit gebracht habe, aber e8 fei ein Schimpf für Belgien und feine freiheit, daß ed den Kellnern feiner Sajthöfe erlaube, die politifhen Flüchtlinge an den Bürs germeijter zu verweilen. Jebt ging dem ‘‘gargon” ein Lit auf und feine Grobheit Töf’te fi) auf in plagendes Gelächter, ALS er wieder zu fih kam, machte er dem teutjchen Sranzofen begreiflich, daß die große Aufjchrift des Hanfes “Hötel de ville’ nicht Gafthaus, fonvdern Rath- haus bedeute und daß ein Polizeidiener fein Kellner fei. Das hatte ih von meinem Dünkel, den ich mir burch den Stedbrief hatte einflößen laffen. Ich befhlof, in Zukunft lieber bloß Holländifh zu fprehen und mich für einen Holländer halten, ald mir je wieder einbilven zu lafjen, daß ich ein Wort Sranzöfijch verftehe.
u AR
In Spa fand ic nicht eine gefellfchaftlihe Ruine, fondern eine gefellfehaftliche Leiche. ZTodt wie ein Kirchhof war der ganze Ort, und ebenfo tobt die halb verfchneite Umgegend. Dabei ein italienifher Himmel (ver Prinz von Capua hielt fi) nod) dort auf), daß Einem das Mark in den Knodyen gefrieren konnte. Der Prinz von Capıra und ich, oder vielmehr ich umd der Prinz von Eapıra wa= ren bie einzigen Fremden, deren Spa fi nody rühmen fonnte. Diefer Prinz hat wenigftens das Berdienft, dafz er den Menjchen in fich höher geftellt hat, al$ ven Prin- zen, indem er feiner fhönen Penelope Smith einftweilen die Vortheile feiner Geburt und die Gnade feines fünig- lihen Bruders opferte. Er ift verhältnißmäßig arm und fein Hauptreihthum ift feine Penelope, welde ihm in der Einfamfeit von Spa feine Verbannung verfüht. Ich fragte den LYohnbedienten, der mid in den Umgebungen des Städtchens umberführte, ob die fhöne Mi fich mit» unter öffentlich zeige, ob ich fie nicht einmal zu Geficht be- kommen könne? und erhielt die naive Antwort: „das wohl, aber er ift immer dabei.“
Die Umgebungen von Spa bieten fhöne Punkte dar, bie fich jogar meine halb erfrorene Phantafie in ihren fommerlihen Reizen redyt wohl vorjtellen fonnte; aber auc dort vermißt man bie befriedigende Poefie und Anmuth der Rheingegenden. Ueberhaupt tragen die Schönheiten der belgifchen Natur, wie oft fie audy an rheinifche Gegenden erinnern, einen gewiffen projaiihen Charakter der Robheit und -Geiftlofigkeit. Nur etwas ift mir in den PBromenaden von Spa aufgefallen, wa® mir eine geiftige Ueberrafhung vernrjahte. ES fiel mir dort nämlih ein Baum mit einem Ausmud8 in die Augen, der die frappantefte Achn-
if
fichfeit mit dem Profil Mozarts hatte, jo daß man ganz bryadiich-mufifalifch dadurch geftimmt wird. Ich habe ben Baum mit der Vozartnafe länger betrachtet, als bie ganze Umgegend von Spa, jo daß mein Führer mich für einen Engländer mit den üblichen Kuriofitäten hielt. Phy- fiognomif an ten Bäumen ftudiren, das war ihm nod nicht vorgefonmen.
Den tödtendften Eindrud machte in Spa die Redoute mit ihren leeren Sälen und ihrem vereinfamten Kleinen Theater. Die grünen Tifche, auf denen das Elingende Gold fo oft getanzt, fanden da in weißen Tüchern wie ftumme Grabfteine des Glüds. E8 wird Einem ganz um» beimlic) in diefen Räumen, denn man glaubt fie nody vom Geflüfter runzliger Kofetten, vom Hüfteln alter Sünder und vom Zähnefnirfchen verzweifelnder Jnpuftrieritter wiederhallen zu hören. Eine Biüfte der Jeanne dD’Arc, die dort träumerifch in der falten Einfamfeit ftand, war die einzige Erfcyeinung, melde in jenes troftlofe Gedanfen- thema einige Variation bradıte.
Das Theater war mehr als ftumm. Seine einzigen Akteurs waren eine unverhältnigmäßig gehäufte Anzahl weißer, riefiger, mythologifher Karyatiden, welche auf ihren glogenden Häuptern vor ein Paar Monaten in den Logen die fteife Elite der reifenden Müßiggänger getra- gen hatten. Sie führten eben ein langes, ergreifendes Stüd anf, nämlih: der Tod, großes, unromantifches Gähn- und Trauerfpiel in jeh8 Monaten, — und man muß geftehen, daß fie ihre Rollen gut aufgefaßt hatten.
DObgleih erfüllt von allen diefen Eindrüden, ließ ich wich dennod) verleiten, einige Quartiere zu bejehen, weil ich mit dem Plan umgegangen war, nad) Spa auf einige
=
Zeit mein „Hoflager“ zu verlegen, wie es im Styl unfe rer jowrnaliftifchen Rantmerjunfer heißt, "Aber eine foldye Unverfhämtheit im Fodern, wie in Spa, Ift mir nod nicht vorgefommen, Die Leute zehren dort im Winter von dent Tagenfett, das fle im Sommer den Fremden ab» getrallt Haben, denn im Winter kommt feine Seele dort- bin, Und vennody fcheutchen fie Diejenigen, die aus Vers trrung ihre Langeweile theilen wollen, aud im Winter durch ihre Unverfhämtheit zurüd, Ich eilte daher mit der erften Gelegenheit nad Dolbatnt zurüd ind ließ mir en passant von dem fhhönen Munde der Rofe von Verviers hadırufen: “ä revoir, Monsieur Heisen!”
Der Anblid diefes unverdorbenen, arnten Mäocdhend, Dies fer naturwahren, iunentjtellten menfchlihen Grfheinung war mir eine wahre Erholung und Erfrifhung nad einer Wahrt voll Efel, die mir eine Art geiftigen oder mifan« tbropifchen .Erbrechens verurfahht hatte, ch war nämlich auf derjelben gar nicht aus ver GSefellichaft von Pfaffen der nicdrigften Sorte herausgefommen.
Zu den unausftehlichften Unausstehlichkeiten wie Unver- meidlichkeiten gehören in Belgien die Solvaten md die Pfaffen, Man kann faft nit Über die Straße geben, ohne entweder den Ginen oder den Andern zu begegnen, In diefem Heinen Lande foll e8 400 Klöfter geben. Ich bin während meines Aufenthaltes in Belgien vielfach auf den Eifenbahnen hin und her gerutfcht, aber ich habe feine Fahrt von nur einigen Stunden gemaht, obne baf Pfaffen zur Gefelfhaft gehörten. Beim Anhalten an den Stationen blide man zum Wagenfenjter bins aus und man wird fi wundern lernen, wenn man nicht einen „Dreithurm“, wie id von einem belgijchen
a A es
Pfaffen die geiftlihe Kopfbevedung nennen hörte, aus der Thüre des Stationshaufes hervorragen fieht. Die Herren fcheinen fortwährend auf Gefchäftsreifen zu fein und die Eifenbahn, die man ald Mittel zur Auf- Härung begrüßt hat, mit vem beften Erfolg zu entgegen- gejegten Zweden zu benugen. Auf meiner Tyahrt nad) Bervierd war ich verurtheilt, ein halbes Dukeı.d „Dreis thürme“ in meiner nächften Umgebung zu erbulden. Als fie fich hinlänglicdy hatten betrachten Laffen, zogen fie auf einmal koloffale, in ein Futteral gewidelte Betbücher aus der Tafche, fetten ihre Yippen in eine plappernde Bewe- gung und führten eine förmlihe Mefje im Dampfwagen anf. hr Benehmen war ein Mittelving zwifchen fredher Heuchelei und gedankenlofer Mafchinenmäßigkeit. Bis zu jolden frehen Komödien hat man es doch bei und nod nicht gebradht. E8 war ein jehr pafjender Wit Dr& Zus falls, daß neben jenen mefjelefenden Pfaffen ein Denjch fi mit der Lektüre des „ewigen Juden“ bejchäftigte. Mittheilungen aus Köln überzeugten mich, daß id) mir in dem övden Dolhain ganz unnüger Weife die Entbehrung einer paffenderen Umgebung und Gejellihaft auferlegte, da mein Prozeß über alle Erwartung binausgejchoben wurde, ch entichloß mid daher, meinen Aufenthalt vorläufig in Brüfjel zu nehmen, wohir fi) unterdefjen aud) Freiligrath und einige andere Gegner der preußifchen Juftiz gewandt hatten. Dort erhielt ich nad) einiger Zeit einen ungeahnten Aufihluß über die Urfache des gericht- lihen Auffjhubs. ch war, wie aud der Stedbrief jagt, angeflagt „ver VBerjpottung der Gefete, fowie des frechen Tadels ver Anordnungen im Staat und der Erregung von Mifvergnügen der Bürger gegen die Regierung.“ Nad 4
ei
den rheinischen Gefeten mußten die Verhandlungen über die „Verbrehen“ öffentlich fein. Das war e8, wo- rauf icy gerechnet hatte, Das war ed aber auch, was das Preußenthum ım jeden Preis hintertreiben mußte. Wie Das beginnen ? Der Herr Juftizminifter ließ fid) Die Akten nad) Berlin fommen. 8 handelte fid) darum, ein neues Berbrehen zu entdeden, bei bdefjen Aburtheilung bie Deffentlichkeit konnte ausgefchloffen werden. Man war überzeugt, daß ich mich jtellen werde, um vor aller Welt mich felbft zu vertheidigen und meinen „freben Tadel“ zu begründen. Das Vaterland war dadurd in Gefahr und e8 mußte gerettet werden. Der Herr Yuftizminifter fand das Mittel dazu. Konnte man mir 3. B. aud eine Mi a- jettätsbeleidigung aufbärvden, fo war der Zwed erreicht — denn ein Majeftätsbeleidiger durfte, einer be= fondern Kabinetsordre gemäß, nur bei verjchloffenen Thitz ren unfchädlich gemadyt werden, Nun aber war in meiner Schrift unglüdlidher Weife beim beften Willen feine Ma- jeftätsbeleivigung zu entveden. Nady den ausprüdlichiten, in drei verjchiedenen Paragraphen enthaltenen, überein- ftimmenden Definitionen de® Yandredhts beftand fie nur und konnte und follte fie nur beftehen in einer Beleidigung des regierenden „Oberbaupts des Staats". Und diefes Ober- haupt hatte ich ungefchoren gelaffen. Aber der Herr Dini- fter wußte Rath. Er fand, daß ich in einem Kapitel über den („in Gott ruhenden”) wortbrüdyigen Friedrih Wil beim III., diefes todte „Oberhaupt”, Diefes Allerhöchfte Stelett in Grabteller, direft und dadurch indirekt audy defjen noch mit lebendigem Fleifch verjehenen Nachfolger beleidigt hatte, (Natürlich wäre nad folder Logif und Erfindung, welche Verbrechen gegen Todte einführte, auch
a
3. B. ein Tadel bes „großen Kurfürften“ u. |. w. eine Moajeitätsbeleidigung gemefen.) Der geniale Minifter wies daher das Klölner Gericht an, mich nicht bloß wegen „Berfpottung der Gejete“ u. |. w., fondern aud wegen „indirefter Weajejtätsbeleidigung“, alfo hinter gefchloffenen Thüren abzuthun. Diefe Zumuthung, mid) wegen eines nie erhörten, allem Menjcenverftand und Redyt in’8 Ge- fiht fhlagenden, für die Gelegenheit eigens erfundenen, felbit mit Hülfe preufifher „Sejete* und Berfolgungs- einrichtungen durdy Feine Auslegungskunit qualifizirbaren Berbredens vor Gericht zu jtellen, war fo abjurd, jo uns moraliih und ungeheuerlih, das die Rathsfammer des Kölner Landgerichts fie trog dem Befehl des allmäcdhtigen Minifters entjchieden zurüdwies. Der Staatsprofurator wurde genöthigt, gegen diefe Zurüdweifung zu appelliren. Mein Apvofat, der fidh vergebens um Einficht der Akten bemühte, reichte beim Appellfenat eine Schrift ein, worin er nadımwies, daß eine mittelbare Majeftätsbeleidigung nie erijtirt habe, nicht eriftire und nicht eriltiren fünne. So= gar das „öffentlihe Minifterium“ (Bertreter des Staats) war der nämlihen Anfiht und trug auf Berwerfung der Klage an. Dennoch ließ der korrupte und ferwile Apell- fenat, gehorfam ven Befehlen aus Berlin, die Klage zu und — damit war die Deffentlichkeit der Gerichtöverhand- lungen ausgejchlofien. Als ich diefe Nachricht erhielt, konnte ich nicht lang zweifelhaft fein, was ich zu thun hatte. Meines gegebenen Wortes, das eigentlich jhon dur den Stedbrief zurüd- gewiefen worden, war id nun burd Berlegung aller Borausfegungen und geftellten Bedingungen ledig, Nad)
fo [hyändlihem Berfahren mußte ih, wenn id) mid) ftellte,
u
alles Möglichen gewärtig fein. Meine Natur kennend, mußte ic) eviwarten, daß ich in der Gewalt und unter den Miphandlungen folder Feinde mih in ohnmädhtiger Em- pörung aufreiben oder zu Widerftandserzefjen werde hin- reißen lajjen, welche die Mittel zu meiner gänzlichen Un Ihäplihmahung würden bargeboten haben.*) Zu einer Ueberlieferung an das Gericht konnte mich Daher jo wenig ein vernünftiger Zwed, wie eine Ehrenverpflichtung nod) veranlaffen. Dennodh wollte idy meinen Entihluß nicht bloß von meinem perjönlichen Urtheil abhängig maden und berief daher eine Anzahl Freunde, unter denen 5. Vreiligrath, zur Entjideidung über meine Wahl. Nad) genauer Prüfung entjchieden fie, daß ich nicht bloß meines gegebenen Berfprechens volljtändig entbunden ei, jondern auh „vurd Erfüllung vefjelben die Pflichten gegen mid) und die Meinigen, wie nicht minder gegen mein Vaters land verlegen würde, da ich mir nad) der von dem Gericht
*) Mein Aovofat jchrieb mir in diefer Beziehung: „Ihre Freunde find alle der Anficht, daß eine Arrejthausordnung oder das Reglement einer Meilitärftraffeftion (ih wur Landwehrofficier), aud) nody fo kurze Zeit auf Ihren Caraf- ter angemwendet, bren geiftigen, vielleiht auch Ihren pbyiiihen Tod zur Folge haben wird, wehalb e8 eine un= gebeure Thorheit wäre, wenn Sie fi au nur einen Au genblid unter einen preußiichen Stodmeijter ftellten. Bei der Abgabe Ihres Verjprechens icheinen Sie der irtie gen Anficht gewefen zu fein, al® würden politiihe Ver- brecyer bei uns befonder8 ebrenvoll behandelt werden. Bergefien Sie nicht, daß die einfchläglichen Gejete im vo= rigen Jahrhundert und zwar in Zeutjhland (d. i. nidyt in Frankreich) das Lebenslicht erblidt haben.“
Fr
zu Köln gegebenen Probe auf fein wirkliches Recht mehr Hoffnung zu machen habe.“
(Brüffel, den 22. Januar 1845.)
Damit war meine Erilirung entfchieden. Jett galt es, den im Inland begonnenen Kampf im Ausland mit grö- ' Berer Freiheit, Entjhiedenheit und Energie fortzujegen. Ich begann die Erfüllung diefer Aufgabe mit einer Bro- dire, worin ich) das gegen mid beobachtete Verfahren an- gemefjen bloßftellte und das ganze preußifche NRegierungs- weien in ber fhonungslofeften Weife charakterifirte. Sie bieg: „Ein Stedbrief,“ ein mit entfprehendem „Signale- ment“ ausgejtatteter Stedbrief gegen die preußifche Re- gierung, welde fidy „der gegen fie eingeleiteten Unterfu- dung durdy die Flucht hinter verfchloffiene Thüren entzo- gen hatte.“ E8 war die Antwort auf den gegen mid erlaf- jenen Einfangungsbefehl. Da es in Brüfjel keine teutjche Schriftjeigerei gab, mußte ich die Broditre in lateinifchen Budhjtaben jhreiben und von franzöfiihen Seßern, die fein Wort des Manuftripts verftanden, mit franzöfiichen Typen jegen lafien. Die Korrektur machte mir mehr zu Ihaffen, al® die Abfafjung der Schrift. Envlid war fie fertig. Mit Hülfe eines teutfhen Buchführer® der bel- giihen Berlagshandlung, in deren Offizin der „Sted- brief” war gebrudt worden, ließ ich 4000 Eremplare, zwi- fben franzöfifhen Nachdrud verpadt, der als täglicher Fradhtartifel an der Grenze nur oberflächlich unterfucht wurde, nad Leipzig fhaffen. Der Buchführer felbjt reiftte ihnen nah, um fi bie Ehre ihres Abjaes zu fihern., Er war nicht wenig ftolz, als fid) in Leipzig bie Buchhändler um feine Brodhüre riffen, und jchrieb mir triumpbirend: „ich bin der Held des Tages“. Die Folge
a
feiner prablerifhen Unvorfichtigleit war, daß man ben Helden des Tages beim Kragen nahm und, wie er mir jpäter meldete, der ganze Ertrag der 4000 Eremplare an Gerichtsfoften und Strafen darauf ging, fo da mir von meinen nicht geringen Auslagen nicht ein Pfennig erjetst wurde.
Der Lärm, den die Brodüre in Teutjchland erregte, fand bald ein Echo in Belgien, wo der preufifhe Ge=- fandte wie befeffen umbertobte und alle Behörten alar- mirte. ch hatte Das vorausgefehen und, wohl wifjend, dag man mid) trog dem Aiylrecht in Belgien nidyt mehr dulden und durd eine Ausweifung meine Niederlafjung aud) in andern Ländern erfchweren werde, mich bei Zeiten auf eine Ueberfiedelung nad) der Schweiz gerichtet, wo ich, nun einmal zum Eril verurtheit, den zufagendften Auf- enthalt zu finden hoffte. Ich trat daher mit Freiligrath, der die nämliche Wahl getroffen, im Anfang des März 1845 die Reife nad) dem Lande der Alpen an.
Ehe ic) diefe Reife befchreibe, muß ich nody erwähnen, wie das um fein Opfer betrogene Preufenthum jeine obn=- mächtige Wuth an mir auszulaffen fuhte. Da das ge- rihtlihe Urtheil über den Streiter mit der Yeder nicht vollitredt werden konnte, fuchte man wenigftens eins über den Streiter mit dem Degen zur Ausführung zu bringen. Ein Baar Jahre vorher fon, al8 ich meinen Abjdied al8 Beamter genommen und über das preußifche Regiment volftändig in’s Reine gelommen war, empfund id das Depürfnig, jedes Band zu zerreißen, weldes mid) nod) duch eine freiwillig übernommene Stellung an baflelbe feffeln konnte. ch war Landwehrofficier und wollte dieje „Ehre“ um jeden Preis [08 werden. Den Abjhieb ver-
Eee VER
langen tonnte ich nicht, da ich noch nicht da8 erforderliche Alter hatte. Ich richtete daher eine fchriftlihe Eingabe an den,mir vorgelegten Major, worin ich erllärte, daß es fi mit meinen Grundfägen nicht mehr vertrage, unter ber preußifchen Regierung eine Charge zu befleiven, bie als eine Ehren» und Vertrauensftellung angefehen werbe, und da e8 mir nod) nicht geftattet fei, von den mir bri- dend gewordenen Epauletten durd) ven Abjchied befreit zu werben, müfje ich ihn erjuchen, auf meine „Degradation zum Gemeinen“ anzutragen, wenn id) nicht auf ein gänz- lihes Ausichyeiden aus den Yandwehrdienft rechnen könne, Der erjchredte, mir übrigens fehr gemogene Major be- Ihwor mid, mein Gefud zurüdzunchmen, e8 fei etwas Unerhörtes, eine Beleidigung der Regierung und eine Beihimpfung der ganzen Armee. Da ich aber nidht da- von abjtehen wollte, fuchte er mich vurdy allerlei Vorfpies gelungen zu beijhwichtigen; er meinte, id) fei unzufrieden, weil ich nicht eine angemefjene Stellung im Staatsbienft einnehme, und bat mid), anzugeben, welche Wünfche ich hege, er werde Alles aufbieten, ihre Erfüllung zu fihern. AL ich ihm aber erklärte, felbft für einen Minifterpoften feien meine Örundfäge nicht feil, fchlug er ein Kompromiß vor, das ich zulegt annahm. E8 beitand darin, daß ich für alle Friedengzeit von jedem Dienft, aljo aud) von jeder Nothwendigfeit befreit wurde, den Solvatenrod wieder anzuziehen. Sole Bergünftigung ift fchwerlic) jchon einem andern preußifchen Dfficier zu Theil geworben. Nachdem nun aber das Bud, über die Ditreaufratie und der „Stedbrief” erjchienen waren, ftimmte man einen andern Ton an. et follten die vergoldeten Schwalben- nejter, die man mir früher trog meinem Protejt ald Ehren:
BR; ° TR:
zeichen auf die Schultern genäthigt, mir zur Beihimpfung berabgerifjen werden. Dan berief die Kölner Yanpwehr- Dfficiere zufammen und muthete ihnen zu, mid) cum in- famia aus ihrer Mitte auszufloßen, und als fie Das ver- weigeiten, wurde ich mit Eklat kaffirt, was mir begreif-
licher Weife fehr zu Herzen ging.
I. Eine Winterfahrt von Brüffel nad der Schweiz. Ufnen. .
\
Theure Freundinn.
Wie ih auf meiner Flucht aus dem fhmwarzemweißen Rußland wohlbehalten in Belgien angelangt bin, habe ich Ihnen bereitß gemeldet. Die Theilnahme, womit Jhre Freundfchaft meinem Schidjale folgt, erleichtert mir die Erfüllung Ihres Wunjches, and einen Bericht über meine fpäteren Erlebniffe zu erhalten. Für ten Flüchtling gibt e8 fein tröftendere® Bewußtjein, al$ dasjenige, von den theilnehmenden Gedanken einer befreundeten Seele durch bie oft fo unfreundlide Fremde begleitet zu werben. Was ih thue, thue ich mit einem geifigen Hinblid auf Sie, was ich erlebe, erlebe icy in Jhrer Begleitung. Begegnet mir etwas Erfreuendes, jo beeilt ‚fi meine Feder, Sie daran Theil nehmen zu laflen; begegnet mir etwas Unans genehmes, fo erleichtert mir die Pflicht, Ihnen Mittheilung davon zu machen, das Beftrebftr, möglihft Alle® von der humoriftifhen Seite aufzufafjen. Ich hoffe e8 noch dahin zu bringen, daß mir kein Pegeguiß mehr etwas anhaben
ae A
fann und daß der Ernft des Lebens, wo er mid) recht böfe anfehen will, niemals davor gefichert ift, vor meinem Blid in Lachen auszubrehen. In der That ift vie die befte Rolle, in die man fich hineinleben kann, fo lang man dem Schidfal oder der Welt gegenüber in der Defenfive fteht. Wo gibt e8 aber einen defenfiveren Menfhen, als einen heimathlojen Flüdtling? Berfolgung hinter fih, Mip- trauen vor fi, im beften Falle die Gnade der Gajtfreunds lichkeit iiber fi) — fo lebt er in der beftändigen Bemühung, bald fic) zu retten, bald fich zu legitimiren, bald fi unan- ftößig zu benehmen. Bald muß er jeine Perjon, bald feine Ehre, bald feine Selbitjtändigkeit zu falviren juchen. Er bat keinen Schuß, denn er ift fremd; er hat feinen Kredit, denn er ift Flüchtling; er hat feine Rechte, denn er ift Ausländer, Nicht beftohlen und nicht todt geichhlagen zu werden — biefe negativen Redste find faft die einzigen, die er geltend machen faun, und wer wird, um zu biejer Seltenpmahung eine Oelegenheit zu erhalten, e8 auf das Beitehlen und Topfhlagen anlommen lafjen?
Die größte Bitterkeit im Leben des Flüchtlings ift die, daß er überall von der Gnade abhängt. Werde ih ge» buldet? Das ift die ewige Trage, die er fid) wieder: holt, wo er fomımt, wo er fid) nieberläft, wo er etwas unternehmen, wo er fpredhen, wo er handeln will. Dul- den ihn die Gefege, fo ift er wenigften® von der Gefell- haft, vuldet ihn die Gefellihaft, fo ift er von der Natio- nalität abhängig. Seiner empfindet, wie ber Flüchtling, die Erklufivität der Nationalvorurtheile, befonderd wenn er Schuß bei Nationen fuht muß, die aus foldyen Vor- urtheilen eine Tugend machen und diefe Tugend felbjt auf Koften ver Ehre — wer nimt die Ehre eines Bolt mehr
a
in Anfprud, als ein Schügling? — auszuüben fi nicht, fchenen.
Dod alles Das, theure Freundinn, läht fi noch ertras gen, wenn man ein gehörig legitimirter Menjh ift; aber wer den Becher der Flüdhtlingichaft bi8 auf den Grund leeren will, ver muß fliehen — ohne Paf. Was ein Pak ift, das wilfen Sie, und Sie wifjen au, was ein Menich ift; aber was ein Menjd ohne Paf ift, das wifjen Sie niht. Sie haben fich fo oft gewünjht ein Mann zu fein, weil Sie der Meinung find, da Sie ald Mann Jhr Meenihenthum befler zum Ausdrud bringen und geltend machen könnten. WPreifen Sie fi glüdlih, daß Sie zum Ihönen Gejhleht gehören, denn das fchöne Gefchledht konn die Welt durchreifen ohne Paf. Der Dann ift das abhängigfte Gefhöpf von der Welt, denn er darf faunden Kopf zum Benjter hinausfteden ohne Paf; zudem ift er tas gefährlichite, denn er wirb zu den wilden Thieren ge- rechnet ohne Pak; auch ift er das werthlofefte, denn c8 gilt nichts ohne Pap. Obich ein Menfh bin, danad) fragt Niemand, denn id) habe keinen Pa; ob ich ein ehr- liher Dann bin, dadurd läßt fich Keiner’ bethören, denn ich babe keinen Paf; ob ich Gefühl in der Bruft, ein Herz im Leibe, Blut in den Üdern, eine Galle und Nerven habe und fo gut wie jeder andere Deenfch des Teufels werden fann, das fünmert Kleinen, denn ich habe feinen Paf. Mein eigenes ch ift mir nicht mehr fiher, denn daß ich Ich bin, kann ich nicht beweifen ohne Paf. Ya, meine Freundinn, ic habe ed an mir erfahren, was e8 beißt, keinen Pag zu haben. ch theile feitvem die Dien- Ihen im zwei Klafjen ein: in folhe, die Bälle haben und in folcye, die feine haben. So weit find wir mit unferer
a
Kultur gelommen, baß Der nicht mehr zu ben Menfchen gehört, der nicht polizeilic dazu geftempelt, der nicht mit einem gehörigen Paß verfehen if. Wer ed empfinden will, weldye feindfeelige, mißtrauenreihe und menjchheit- wibrige Sonverungen ber jegige Zuftand in der Menjch- beit unterhält, der fete fich in die Lage, mit den Natio- nalitäten und mit dem PBafwefen in Kollifion zu kommen. Im Ernft, e8 ift fchredlich, keinen Pa zu haben. Das Requifit des BPafjes ift jo wichtig zur Dokumentirung ber irbifchen Menfclichleit, daß ein Menfh ohne Pap, ber fih für einen aus den Wolfen gefallenen Monpbür- ger ausgäbe, alle Ausfiht hätte, Glauben zu finden.
Wenn das Chriftenthbum nod nicht in der Welt wäre, die hriftlich-germanifche Polizei allein würde e8 hindern, hinein "zu kommen. Man würde Chriftus mit feinen Apofteln ganz einfach nad ihrem Paß und, wenn fie nıdı Defterreich fimen, überdieß nad) ihrem Heimathicdhein fra= gen. Hätten fie feinen, fo würden fie ald Bagabunden über die Grenze gewiefen, oder ald Demagogen in Unter- juchung gezogen; hätten fie aber wohl einen, fo würden fie ihren ganzeı göttlichen Kredit verlieren, denn benfen Sie fid) den Eindrud, den e8 madhen müßte, in dem Paf des Welterlöfers zu lejen: Baterland — „niht von diefer Welt ;“ Eltern: Jofeph der Schreiner und Maria die Jungfrau; Geihäft: Religionsftif ter; Religion: Allgemeine Liebe; Bejondere Kennzei- hen: „hat nicht, wohin er fein Haupt legt“ u. f.w. Mit einem Menfchen, der fi durd einen foldhen Paf legiti- miren wollte, würde die Polizei kurzen. Prozeß maden und ihn entweder in einem Narrenhaus oder einem Zuchthaus unterbringen.
— 61 —
Der Baf ift die menfchenfeindlichfte, undriftlichite und zugleich audy die profaifchite Erfindung der Welt Den ken Sie fih einen Dpyffens, einen rafenden Roland, einen Don Duirote, oder einen fonftigen Repräfentanten der Romantik, wie er mit abgezogener Müte die Polizei- büreaur aufjuhen und den Paß vifiren laffen muß. Bor biefem bloßen Gedanken erjtarrt alle Romantik der alten und mittleren Zeit und dody find die Befehlshaber unferer Polizei jo große Freunde der Romantif. Die Undrifte lichten find die Beihüger des Chriftenthums, die Unro- mantıjchiten find die Begünftiger der Romantik geworden. Sich auf den Kopf zu ftellen, ift für gewiffe Yeute das ein- zige Mittel geworben, zu zeigen, daß fie noch einen haben.
35h made den Herrn Eugöne Sue darauf aufmerkfam, welc, ein herrliches Attribut des ewigen Juden die Paß- Iofigfeit wäre. Die Paflofigkeit allein fann einen Men- fhen zum ewigen Juden machen. Ein paßlefer Menjd ift jogar übler daran, al$ der ewige Jude, denn er fann nicht bloß nicht bleiben, fondern aud nicht forttommen, Er ijt ein wahrer Sangball für Die Polizei, fei e8 die amt- liche oder die gejelliaftlihe. Wen die Philofophie nicht zum Kosmopoliten maden fönnte, den würde die Paß- polizei dazu machen müfjen,
Sie werden fi darüber wundern, daß ich diefe Pap- jeremiaden mit Rüdfiht auf ein Yand anfjtimme, mweldes durch feine liberalen Jnjtitutionen, befondersd durd feine Yiberalität gegen die Fremden fi auszeichnet, ein Yanb, werin mir mehrere Male ein Stedbrief als polizeiliche Le- gitimation hat dienen können. Belgien bat fi) aller- dings bereitwillig zum Zufluchtsort von Hlüctlingen ge»
macht, die auf dem ganzen Kontinent kein Afyl finden
PER , DEN
fonnten, was befonders von den Polen gilt; allein Belgien iit, jollte e8 fich auch im feiner inneren Politik fpezifiich von dem teutfchen Nachbarlande unterjheiden, nicht unabhän- gig von der allgemeinen Ueberlegenheit der Deipotenlän- ber, die fih allmälig geltend madht, wenn die Gegen- elemente al8 zu vereinzelt daftehen. Die Kleinheit und Lage des Landes, die Zollvereind-VBerbindungen, der Zus ftand der Gefellihaft — alle8 Das übt einen Einfluß aus, dem Belgien fih nicht ald Ausnahme entziehen konnte. Belgien hat e8 nicht dahin bringen können, der Diplomatie die ftolze Yehre der Nordamerifaner zu geben, das fie fi auf ihre eigene Küche zu bejchränten habe. Desbalb bat fich denn aud) dort die Zuge der Fremden ungünitiger gejtellt, als früher. 8 ijt audy dort ein befonderes Frem- dengejeß entitanden, weldes den Aufenthalt der Flüchtlinge von den Yaunen de herrichennen Syitems umd von der Gnade der Minifter abhängig macht, die fchwerlich eines politfhen Flüchtlings wegen einen Orden oder eine jon- ftige Gunft verfchergen oder gar eine Handeldverbindung beeinträchtigen werden. Die freiheit hat e8 auf dem Kontinent nody nirgendwo dahin gebracht, dag man bie Fremden mit den Einheimifhen nur ftrafgejeglicdy gleid)- ftellte. Was ein Belgier druden läßt gegen das Aus- land, das verantwortet er vor Gericht, wenn die Ange: griffenen ihn belangen laffen; was ein Fremder in Vel- gien druden läßt, das fann ihm auf auswärtige Reklama- tion Yandesverweifung zuziehen. Nahvem id daher meinen Liebesbrief an die Sicerheitswäcdhter meine! engeren „Baterlandes“ vom Stapel gelafjen, war aud für mic die Zeit gefommen, die belgifche Gaftfreunpichaft mit einer andern zu vertaufcen.
Diefe kurze Auseinanderfegung der VBerhältniffe, meine Freundinn, wird e8 Ihnen Mar machen, in welde Ber: legenheit ich paflofer oder „unpäßlicher“ Menjc gerathen mußte, da mein Endziel einftweilen weder England nod) Nordamerika, fondern die Schweiz war. Wie follte ich ohne Pak ans Belgien nad) der Schweiz fommen, da auf der franzöfiihen Route die Pafkontrole fo ftreng gehand- babt wird wie in VBorderrußland? ch habe mid, in Belgien Monate lang in der Lage eines Vogels befunden, der, dur) die Abendrimmerung an die Rüdfehr in die freien Wäl- ber gemahnt, unruhig die Runde durch feinen Drathfäfig macht und für feinen Freiheitsorang umfonft einen Aus» weg jucht.
Doc) ehe ich Sie weiter führe, muß ich den Zwifihen- raum durd; einige Bemerkungen über meinen belgifchen Aufenthalt ausfüllen, damit Sie einigermaßen die Ein» briice mitempfinden können, die er auf mid gemacht hat, Ich befchränte mich dabei auf Weniges, da ein Hinüberftrei- fen in politifche Gebiete Sie zu wenig interefjiren würde, Wenn ic von den politifchen Inftitutionen und den litera- riihen Zuttänden eines Landes abjehe, jo befchräntt mein Hauptinterefje fih auf drei Punkte: auf den Charakter des Bolfs und defjen gefellichaftliches Leben, auf die natürlichen wie die geihaffenen Merkwürdigkeiten des Landes und fo= dann auf interefjante einzelne Menjchen. Indem ich aus meinem Brief die Politif ausfchliege, habe ich dDiek binficht- lic der literariihen Zuftände nicht einmal nöthig, denn eine belgifche Literatur gibt e8 nicht. Die geiltige BVer- forgung Belgiens hat die Natur der Dinge Frankreich zu- getheilt und ver Nahdrud ift pas Behikel, woburd Belgien fih an der literarifchen Wirtfamteit Frantreicys
PER ER
betheiligt. Tandht in Belgien eine geiftige Erjcheinung von einiger Bedeutung auf, jo wird fie purdh den franzö- fiihen Schwerpuntt fofort nad Paris gezogen. Die bel- gifche Literatur für fich gilt im Lande felbft fo wenig, daf belgiihe Schriften in der Regel nur gegen Erlegung ber Drudkoften einen Verleger finden können. Zwar hat fid in Belgien eine vlaemifche Literatur al8 Iofale Selbft- ftändigkeit aufzuthun beftrebt, indem deren Vertreter, Die e8 in franzöfifher Sprache zu feiner Bedeutung bringen konnten, dem allgemeinen Schidjal durch Berfchanzung binter die holländiihe Sprache zu entgehen glaubten. Allein diefe Beftrebungen, welche namentlidy von der preu- Kiichen Diplomatie ald Reaktiondmittel gegen die fran- zöfiihen Sympathien und zwar vergebens begünftigt werden, haben weder ein eigentliches Bolkselement zur Grundlage, noch Fönnen fie e8 zu irgend einem nadhalti- gen Anklang im Lande bringen. Ihr Haupteinprud ift ber einer efelhaften Koketterie mit der Romantik und dem Preußenthum, das fi auf Belgien allerlei Hoffnungen madht. Die Natur der Dinge, weldye die Gejtalt ber Bölfer aus dem Großen formt und deren Schidjal nicht nad) bejonderen lokalen Zufälligfeiten und Spekulationen modelt, hat einmal das freie Belgien in geiftiger wie po» litijchyer Beziehung dem freien Brankreih untergeordnet oder wenigftens einjtweilen beigeordnet, und daran wird fi) aud) das fpefulirende Preufenthum gewöhnen müfjen.
Tragen Sie mich, wie mir das fonftige Leben in Bel- gien behagt hat, jo fann ich kurz antworten, daß ic) dort fo wenig eriftiren mögte, wie in Holland, Was ich in Belgien vermißte, war hauptfächlic eine Verbindung mit dem geiftigen Leben in Teutjchland, Die Paar teutjchen
Ma : ER
Journale, welche dort gehalten werden, find nicht im Stande, jenen Mangel auszugleihen und literarifche Neuigkeiten gelangen aus Teutjchland nur fehr fpärlich und fpät nach dem Nachbarland. Obihon an der Thüre ZTeutichlands wohnend, find die Belgier in geiftiger Be- Ziehung faft ganz davon abgefchnitten. In Paris ift bei Weiten mehr teutjches8 Geiftesleben, al8 in Brüffel und den gefammmten Belgien. Den Grund davon fuche id) in den politifchen Zuftänden Zeutichlands und dann im bel- giichen Materialismus, Der Materialismus verichlingt in Belgien alles Interefje, er liegt dort gleihjam in der Luft. Auch Ihr Gefchleht entgeht feiner Einwirkung nicht und e8 mag wol wenig Ränder in der Welt geben, beren Frauen jo unintereffant und unliebenswürbig find, wie die beigiihen. Sie find ein unglüdliche® Gemifch von niederländiihem Materialismus und franzöfifchem Geuer. Das Feuer ift nicht ftark genug gewefen, die ma- terielle Robheit umzufhmelzen, e8 hat nur hingereicht, ihr eine [hwarze Farbe anzubrennen und fo ftehen denn die angebrannten Niederländerinnen in ihrer verfehlten Anlage ald eine charakterloje Spezied da unb können es weder nad) der einen, nod) nad der andern Seite hin zu etwas Ganzem bringen. Sie eignen fih hauptjäcdlich zu Dienerinnen der Pfaffen und die verfäumen denn aud) nicht, ihre Opfer in Sicherheit zu bringen. Wo die Grauen nicht liebenswürdig find, da find e8 Die Männer aud) nicht, da fehlt Etwas in der Entwidlung, da hat die Bildung einen Haken. Im Belgien fitt der Haken haupt- fählih im Materialismus. ch habe mic noch niemals fo materiell und geifteslahm gefühlt, wie in Belgien, na= mentlich in Brüfjel, und damit Sie nicht ig Schuld
ER
davon mir zufchieben, zitire ich Ihnen den bezeichnenden Ausorud einer Ihrer teutjchen Yanbsmänninnen, welche fidy in Belgien aufhielt und ihrer Unbehaglichkeit in den Worten Luft machte: „Hier ift fein geiftige® Klima für und.“ Solcder Unbehaglicykeit würde ich cher an jedem andern Ort entgehen zu fünnen glauben, ald grabe in der fhönen Hauptftant. Brüffel erfcheint mir wie ein Ihöner Leib ohne Seele. Niederländiicher Mlaterialis- mus mit franzöfiihem Firnig Überzogen und in einen Ihönen Rahmen gefaßt — fo präfentirt fich die belgijche Hauptitadt. Es ift nichts Ticfered und Charakterganzes in dem dortigen Xeben und man wirb ftets in der Schwebe gehalten zwifchen den Prätenfioneu der jchönen, dur ihre politiihe und gejellichaftlihe Stellung bedeutenden Stadt und zwilchen dem unbefriedigenden Inhalt ihres Lebens. Dem Treiben der hoben Welt ohnehin fern ftehend, habe ich, außer im Umgang mit einigen inter. efianten Perfonen, bisweilen Unterhaltung gejuht in dem Materialismus des eigentlihen Volkes. Die Seele des Brüfjeler Bolkslebens bilden die Bierhbäufer, wo das berühmte Farobier in ähnlihen Maffen konfumirt wird, wie in München ver Bod. In diefen Bierhäufern figen die Brüffeler Philifter jeden Vormittag und jeden Abend in dicht gebrängten Mafjen und genießen gefichter- glänzend die Freuden des Faro. Tabaldqualm und un- unterbrodenes Diskursgefumme füllen die Stube. Zwi- fhendurd machen Höderweiber die Munde, weldye getrod. nete Fijche, gekochte Seefchneden, gefhmorte Kartoffeln und kalte Eier feilbieten, die ohne weitere Umftände vom Diertifch, der den Teller bildet, gegefien werben. Wenn man in diefer Umgebung eine Zeit lang gefefjen, jo bat
man ein derbes Stüd Bollsleben verzehrt und kommt auf den Weg, vor lauter Materialismus dem Materialismns zu entgehen.
Doc jagt Ihnen die Einförmigkeit des materialiftifchen BPhiliterthums der Eftaminets nicht zu, jo begleite ih Sie in die “faille dächiree’, wo mehr für Abwechslung ge- fergt it. Was ift die “faille döchirse ?? Eine Kleine Gafle in der Nähe des Rathhausplates, auf weldhem Eg- mont entbauptet wurde. m diefer Gaffe eriftirt eine Heine Wirtbihaft mit einer zwanzig Yuß langen und fieben Fuß breiten Stube, in Form einer ZTredihuit- fajüte, in weldyer man zu geeigneten Stunden den Dandy und den Handwerker, Damen und Grifetten, Literaten und Diplomaten durch einander fiten und Beefiteats oder Auftern ejfen und Bier oder Champagner, oder was ihnen fonft beliebt, trinken fieht. Da das Wirthshans: leben num einmal ein unentbehrliche8 Element der Gefell-
Ichaft ift, fo mögte ich Allen, die nadı Brüfjel fommen und eine „gemüthliche Kneipe“ fuchen, die Kajüte in der ‘faille döchiree’”’ empfehlen. Wenn id an Brüffel zurüdvente, fo vergefle ich dabei niemald die ‘faille d’schirde”, in welder die Erinnerung an die tentihen Emigranten und ihre gefährlichen Diskurfe ihren geheimen Sig aufgejchla- gen bat.
Einmal in das Gebiet der Brüffeler Gaftronomie bin- eingerathen, erwähne ic aud noch der „fozialiftiichen“ Kartoffelwirtbichaft in ver Nähe des Rathhaufes. Dort werden nämlich zu gewiffen Stunden am offenen Fenfter geröftete Kartoffelfheiben verkauft und zwar in folder Menge, daß ver Unternehmer mitunter hundert Franten den Tag löfen fol, objhon er feine Waare in Heinen
u BR
Duantitäten, butenmweife, vertauft. Eine Fünfpfennigs- bute heit eine Bigilante; eine Örofchenpute heißt ein Omnibus. Ich habe Sie oft zu mir gewünfcht, wenn id) mit einer Bigilante über die Straße fpazierte und bie be- lifaten Rartoffeljcheiben verzehrte; wir hätten dann einen Dmnibus genommen und und zweifpännig bes Lebens gefreut. Genügt Ihnen Das aud nody niht? So werde ib Sie über bie einförmigen Boulevard führen, weldye fi rings um die Stadt ziehen, oder in ben profaifchen Park, in weldem die jchöne wie die häßliche Welt ihre Paraden abhält, oder durch die Magdalenenftraße, vor deren glänzenden Fäden die Menjchen fih zum Kauf auf- ftellen wie die Waaren, oder in die Kaffeehäufer, die fo oft ald homdopathifches Gegenmittel gegen die Langeweile der Gejellihaft dienen mäljen, oder in die Theater, wo Sie Herrn Driol in Gedanken den Hals bredhen und Stüde aufführen fehen, von denen Sie nichts verjtehn, oder in Mufeen, die fih ausnehmen wie alle Mujeen, Sind Sie mit allem Dem nody nicht zufrieden, fo führe ih Sie zu dem „älteften Bürger von Brüffel“, defien uns erihöpfliche Yaune ohne Rüdfiht Alles überfprubelt, was in feine Nähe kommt, und we Ungenügjamfeit jchon be» jdämen wird.
Es ijt nit Ihre Abfiht, meine Freundinn, von mir ein Handbuch über Belgien zu erhalten und nody weniger ijt e8 meine Abfiht, den Handbücdern in’8 Handwerk zu pfujhen. Begnügen Sie fi) daher mit den figzenhaften Bemerkungen, in denen ih Sie auf einige Zeit in mein einftweiliged Ajyl verjegt habe. Wären Sie perjönlich zu mir gefommen, jo hätte ic aucd Gelegenheit gehabt, Sie mit einigen interefjanten Perfonen belannt zu
mahen, mit denen ich in Brüffel in Berührung gekommen bin. 8 verfteht fih, daß ich zunädhft von meinen Rolle gen, von Flüchtlingen fprede. Doch unter Allen, welchen das Schiefal ein Ajyl in Brüffel angewiefen hat, würde Keiner Ihr Interefie mehr in Anfprud nehmen, als ein Mann mit grauen Haaren, weldher dort Ruhe yor dem Tlud) des ruffiihen Despotismus gefunden. Diefer Mann heißt Telewel. Für einen fihern Anhänger der Gewalt ift es ein fo leichter Triumph, einen Menfchen fi abquälen zu fehen, der in ftiller Charafterfeftigkeit fein höheres Ziel fennt und verfolgt, al8 die Heilighaltung und Verwirklihung feiner Ueberzeugungen; aud ift Das Gemwiühl tes Ervenlebens fo groß und mannidhfadh, daß ein Mann, den nicht Stellung und Ehrgeiz in den VBor- bergrund drängen, nad und nad) in der Stille verloren gehen kann, jchlüge audy fein Herz lauter und ebler, als taufend andere. Wer aber felbt nicht berzlos ift, dem thut e8 wohl, einem folhen Dann ein Wort der Anerfen- nung zurufen zu fönnen, tamit er wifle, Daß ed nody Men fchen gibt, die fih die Schätung feiner Eigenjhaften zur Ehre anrechnen. Lelewel ift nicht bloß ein vielgenannter öffentlicher, er ift au ein großer Privatdyarafter, der an Längft vergeffene Zeiten erinnert, gleich jeinem edlen Geficht, eins der fchönften Gefidhter, die ic) je gefehen habe. Lelewel ift ganz arm, weil er e8 fein will, und er mill e8 fein, um unabhängig leben zu fönnen. Seine einzige [pärliche Hülfs- quelle find literarifche Arbeiten. An feiner bejcheivenen Cha» rafterfeftigfeit find alle Unterftügungszumuthungen der Po: fenfreunde abgeprallt und mit ftiller Refignation erträgt er auf feiner einfamen Daditube alle Entbehrungen, um ber Önade der gaftfreundliden Fremde gegenüber Eins be-
= — 70 —
wahren zu können, das er höher als alle Äuferliche Stel- lung jchäst, nämlih den Stolz einer republitanifchen Seele. Yhm zu lieb geht LXelewel, der fhwache gebüdte Greis, ärmlich mit feiner alten polnifchen Kappe in blauem Kittel daher, fo daß man eher einen armen Handwerfer, als ein ehemalige® Haupt der polnifhen Regierung in ihm vermuthen follte; ihm zu lieb dauert er ohne Heizung im Winter auf feiner einfamen Kammer aus und ummis delt zum Schug gegen die Kälte feine Glieder mit Lum- pen; ihm zu lieb begnügt er fich mit fpärlicher Kot und bepenfirt mit einer Tafje jelbit gebrauten Kaffees. Ich traf ihn mit dem Stuvium der polnifhen Wappentunde befhäftigt. Der Inhalt feiner falten Stube war ein merfwürdige8 Durdyeinander von Gegenjtänden feiner Studien und Geräthichaften feiner Häuslichkeit. Hier eine alte Kaffeefaune neben einem Folianten, dort Näb- geräthichaft neben einem Manuftript, dort ein Stüd Brod neben einem Wappen. Zwifchen diefem Hansrath empfängt Lelewel feine jeltenen Bejudyer. m diefer Um- gebung hätte ih Stunden lang die edlen Züge biefes Mannes betrahhten können. Der Ausdrud des Gefichtes, in welden: eine refignirende Schwermuth nicht zu wer» fennen, ift bei der Unterhaltung die mildefte Freundlich- feit und die hingebendfte Offenheit; aber zugleidy fieht man ihm an, daß Dasjenige, mas Lelewel ald Geheimnif; be- tradhtet, hinter diefen Zügen jeden Scharfblid verjchlofjen bleibt. Der Menfcy beeinträchtigt in ihm nicht den Mann, das hat andy die ruffiihe Politit gewußt, als fie fo viel Gewicht auf ihn Tegte. Die polnischen Flüchtlinge find je nad) dem Grade ihrer Gefährlichkeit in zwölf Proftrip- tionstategorien eingetheilt. Auf der zwölften Lifte, der
.
gefährlichften, fteht ein einziger Name verzeichnet und diefer Name heift Lelewel, denn — Lelewel ift ein Repub- Iifaner. Lelewel liefert dur feinen entfagenden Frei- heitsjtolz ein hohes Beifpiel für Alle, vie fich ald Opfer ihrer Ueberzeugungen und Freiheitsbeftrebungen betradhs ten können. Diefer alte Mann, meine Freundinn, bes Ihämt uns Alle. Bielleidyt wird man ihn eines Mor- gens erfroren oder an Erjhöpfung verfchieden auf feinem ärmlichen Lager finden. Dann wird die Welt ihn rüb- men als einen Mann von antiter Charaktergröße. ett wird er vergefjen oder gemieden, denn er ift arım und ift ein „Revolutionair“. Bielleiht, meine Freundinn, fchreibe id) einmal ein Buch über die polıtifchen Flüchtlinge. Die Zahl derfelben ift jo groß, daf; e8 fich Dieferhalb fchon ver- lohnt, fie al8 eine bejondere Klafje von Menjchen zu be- handeln.
Berjegen Sie fid) nun aus der falten Stube des alten Zelewel plötlic, in den nocy fältern Wagen der Mefjagerie, wie er mich und meinen Weifegeführten Abends fpät (e8 war Anfangs März 1845, zur Zeit jenes wahrhaft fibiri- hen Nachwinters) aus dem Thor der belgijchen Hauptftabt nad) Namür der franzöfiichen Grenze zuführt. Sie fragen nady meinem Baß ?_ Diefe Frage ift graufam, denn wenn ich in Berlegenheit fomme, tragen Sie die Schuld. Gie find die Beranlaffung, daß id) nidyt Länger bleiben fann, Sie find die Beranlaffung, daß ich Frankreich pafjiren muß, Sie find die Beranlafjung, daf ich nad) der Schweiz reife, Sie, ja Gie find die Amme meiner paßlojen Unruhe, Sie verdienen, daß ich Ihnen kein Wort darüber mittheile, wie ich den kühnen Entjchluß zu meiner Abreife faffen tonnte, und daß ich Jhnen tie Enthüllung von Geheim-
—n 73 —
niffen vorenthalte, die für Sie nicht weniger Interefje haben würden, als für die Polizei.
Die Fahrt von Brüffel war jehr langweilig, obfhon der Kondulteur die halbe Nacht auf feinem Klapphorn mufizirte und mein Freund, der einige poctijhe Anlage hatte, aus ten verjchneiten Umgebungen heraus allerlei Gebilde vor- phantafirte und beitändig in einer „großen Stadt“ zu fein glaubte. Die übrige Keifegefellihaft war fehr ordinairer Natur und wir hielten fie in ihrer Robheit für fähig, „ihren eigenen Wobhlthäter zu frefien“. Wir hatten fie zum Futter für die Wölfe auserjehen, von denen damals in der Öegend der Arbennen viele Helvdenthaten erzählt wurden, im all wir eine Attaque diejer fahrenden Helden jollten zu erleiden haben.
Unter ven langweiligen Städten unterjcheide ich folche, in denen ich nicht lebeu mögte, und jolche, in denen ich nicht mögte begraben fein. Die Feftung Namür, in der wir Morgens unlangten und bis zum Nachmittag bleiben mupten, gehört zu der legtern Klafje, objhon fie in ihren Umgebungen ziemlich hübjche Partien hat. In Namür hörte man von nichtd Anderem, ald von Wölfen, deren dort aud) eine große Menge in Schafpelzen fi aufhalten fol, und vom Schnee. 8 wurde und erzählt, daß auf der Zour nad) Met in den Arbennen förmlid der Himmel eingefallen jei und ber weiße Platfond veifelben häufer- body auf ven Straßen liege. Das waren jhöne Ausficdh- ten auf einer Tour, die jelbft in der günftigiten Jahres» zeit jo wenig Unterhaltendes bietet, Wir fanden fehr bald, daß man nicht übertrieben hatte. ine jolde Fahrt, meine Freundinn, habe ich in meinem ganzen Leben nod) nicht gemacht und ich ftehe nicht dafür ein, daß jelbit Ihre
N, ve
Gegenwart fie hätte angenehm machen können. Denken Sie fidy eine fibirifhe Kälte und in diefer Kälte eine Fahrt von mehreren Tagen burd) eine zugefchneite wilde Gebirgs- gegend, in welcher bald der Wagen völlig fteden bleibt, bald ganze Lanpihaften im Schritt durchfahren werben, bald die Bafjagiere Stunden weit zu Fuß und bis an die Kiniee durd den Schnee krebien müflen, bald das Yuhrwert um- zufcdlagen oder in Abgründe zu ftürzen brohbt — und Sie haben einige Züge von dem Bild unjerer Weifefreuben. Diejelden waren wirklid mitunter jehr ernfter Natur, Der Wagen war oben auf die unvernünftigfte Art mit Koffern und Gütern beladen, fo daß der obere Theil fhon anf gebahnten Wegen eine große Neigung zum Umfjchla- gen verriethb. Yuhr nun diejer gewaltige Kaften die hohen, fteilen Berge hinab, deren Wege zum Theil mit Eis be- dedt, zum Theil durch die Glättung des Schnee® zu einer Schlittenbayn geworden waren, jo [hwankte er in beftän- digen Schlangengeleifen wie eine Scleuder hinter ven Pferden her und ehe man fidy’8 verfah, ftand er völlig queer und rutjchte auf der abjhüfjigen Seitenhauffee den Grä- ben zu, und plöglic hatten die entjegten Pafjagiere aus dem zum Umfippen jchiefgeftellten Wagen vie berrlichite Ausfiht in die romantifchen Abgrünvde. In jolden Au- genbliden flog dann fhnell die Thüre auf, Alles ftürzte hinaus, an den obern Theil des Wagens wurde ein Seil angebunden und an biefem Seil mußten die Pafjagiere dem Kondulteur den Wagen aufredht halten helfen, wenn e8 gelingen jollte, ihn aus feiner Stellung wieder heraus auf die Mitte der Chauffee zu bringen,
Zu folden Hindernifien, welche die Elemente jhufen, famen nocdy allerlei andere hinzu, weldye burdy die Nadh«
I, BORN
läßigfeit der Fuhrunternehmung entitanden. Bald war das Pferdegejhirr nit in Orbnung, bald brad ber Hemmihub, bald fand fi fonjt ein Aufenthalt. Mit welcher Lieverlichleit das Yuhrwejen der Mefjagerie ge- bandhabt wird, davon erlebten wir auf Ktoften Ihres Ges jchlecht8 ein jprechendes Beijpiel.
Auf der Fahrt zwifhen Namür und Arlon ftiegen auf dem Lande zwei junge Damen ein, bie in ber Gegend von Arville wieder ausfteigen wollten. m der Diitte der Nacht hält plöglich der Wagen in einer einfamen Wald- gegend an. Was foll gejhehen ? Dem Konvufteur ift eingefallen, daß er zwei Damen im Wagen bat, deren Abjteigeort. wir fon eine halbe Stunde vorbeigefahren find. Nun denken Sie fi, daß Diefe Damen um Dtitter- nadıt Durdy den Schnee einer Waldgegend, die überall von Bolfsphantafien bevölkert ift, eine halbe Stunde zu Fuß gehen jollen. Es blieb ihnen indef nichts Anderes übrig und wihrend der Stonpukteur fi) der nothgedrungenen Öalanterie befleifigte, fie zu begleiten, mußten wir Andern bis zur Weiterfahrt eine Stunde lang Betrachtungen über die Eitelfeit der irvifhen Dinge anjtellen.
Am andern Mittag famen wir mit erfhöpfter Gepuld in Arlon an, wo uns in einer freundlichen und warmen Wirthöftube wieder menjhlid zu Muth wurde. Auch wurde dort mit der aufgethärmten Kofferlaft des Wagens zugleidy eine fchwere Laft der Angft von den Herzen ge- nommen. Bon Arlon aus ging es im flotteften Trabe der franzöfiihen Grenze zu und mein Freund und id), die wir jest allein im Coup& fahen, geriethen in die fecligfte Stinmung. Der Gevante, anf franzöfiiches Gebiet zu fonmen, hatte in der That etwas Erhebenves für ung,
während wir in ber vorherigen Nacht die Felder von Waterloo mit nationalfter Gleihgültigkeit paffirt hatten. Mean muß die Waterloo’jchen Felder als politiicher Flücht- ling pafliren, erft dann hat man den rechten nationalen Genuf davon. Meine Freundinn, Sie haben fid) die Politif verbeten; ich wäre fonft fehr aufgelegt, Ihnen einige Waterloo’fhe Phantafiebilder mit königlich-preußie hen Farben zu zeichnen. Wenn e8 ein anderes Leben mit Himmel und Hölle gibt, jo kann ich mir in der Hölle feine größere Dual denken, ald das Bewußtjein, für den teutjhen Polizeidefpotismus fein Blut vergoffen zu haben. Dod) genug davon. Wir find alfo im Begriff, den Fuß zum erften Mal auf den freien franzöfiihen Boden zu fegen. Den freien? Wenn nur die verwünjcte Paß- polizei nicht wäre! Sie werben begierig fein, zu erfah- ren, wie ic über die Grenze gelommen.
Der Grenzort heißt Mont- Saint- Martin. Dort werden von den Douaniers nidt bloß die Effekten, fondern audy die Perjonen revidirt, d. h. die Päfle abge- fovert. Bei der Bifitation unferer Koffer richtete fich die Hauptaufmerkjamfeit der jovialen Zollbeamten auf die Bücher. „Haben Sie Bücher ?* Aufzumwarten! „Teutjche oder franzöflihe?* Bloß teutjhe und ruffishe. „Die fönnen pafliren.* (E8 war den Herren um belgijchen Naborud zu thun, der in Frankreidy fireng überwacht wird.) „Haben Sie gar keinen franzöfiichen Nahdrud ans Belgien, etwa ben juiferrant?* Mit Nahbrud geben wir uns nicht ab, aber wenn Sie vom juif errant das Driginal jehen wollen, jo fteht felbige® vor Jhnen. Diefe Worte, weldye eigentlih die Einleitung zu einem mehr als aufrichtigen Betenntnig der Paßlofigkeit bilden
TE
follten, madten auf die empfänglihen Douaniers einen fo erheiternden Eindrud, daß ich plöglih einen großen Muth fahte, ein fehr pagmäßiges, wie ein Normalfignale- ment ausfehendes Geficht auffete und in dem benadhbar- ten Wirthshaus eine Flafhe Wein kaufte, um — dod) den BPaf, Sie wollen ven Baf. Denken Sie, was Sie wol- Ien, denten Sie mid untergetaucht wie eine Ente, bis die Gefahr vorüber ift, venten Sie mid von einem Schlag: anfall heimgefucht, denken Sie, ich fei gefallen und habe von vier Dann in den Wagen gehoben werden müflen, kurz, denten Sie, was \hnen beliebt, nur verbitte ich mir ben Berdadht, als fei ich nad Belgien umgelehrt, denn bald kamen wir in die Feftung Yongmy, wo — zum zweiten Mal und zwar von Militairperfonen die Päffe abgefo- bert werden. Sie können denken, ich fei zum zweiten, fodann in Meg zum dritten, fovann in Straßburg zum vierten Mal untergetauht — genug, von Saint-Martin bis Straßburg wird vier Malder Pa abgefodert und wer keinen bat, ver fommit niht burd.
Jetst vergefien Sie diefe Pahgefhichte trog ihrer Räth- jelhaftigteit und lafjen Sie fi von einem grandiojen Abenteuer erzählen, das id; zwilchen Yongmy und Mek erlebte, oder anrichtete. Zu unjerer Reifegefellihaft ger hörten u. U. zwei franzöfifhe Damen, eine Mutter mit ihrer Tochter. Sie fpradyen ziemlid) viel, wovon id) indeß nichts verjtand, theild weil ic im ber entgegengejegten Seite ded Wagens faß, theild weil id des Franzöfiichen zu wenig fundig war; aber nicht8 deftomeniger nahm idy großen Antheil an ihrer Unterhaltung, da ihre wohlklin« gende Stimme und die zarte Betonung ihrer Sprade in mir die Vorftellung von zwei interefjanten und reigenden
a WE ui
Geihöpfen von edelfter Bildung und zartefter Weiblichkeit erregte, — ein Gefhäft der Phantafie, das burcdh die Duntelbeit ungemein begünftigt wurde, AZmifchen diejen beiden zarten Damen, welde die rechten Eden des Wa- gens einnahmen und meinem Freund und mir, welche in den linfen Eden jaßen, waren nody zwei Herren eingeprefit, die an dem Diskurs lebhaften Antheil nahmen. Mit diefer bisfurrirenden Gefellichaft beladen, hält der Wagen plöglich fill, wahrjcheinlich weil die Pferde in dem tiefen Schnee eine Baufje machen müfjen. Ich aber gerathe, idy weiß nicht wie, auf den Glauben, wir feien an einer Station, viellefcht gar in Weg angelangt. Bon meinem Freunde angejtedt, glaube ic) in den verfchneiten Erjcyeinungen um uns ber Theile einer „großen Stadt” zu ertennen, öffne die Wagen- thüre und fteige aus, Während ih— wir waren mitten auf dem Felde in einem foupirten Terrain— mit meinen halb» erfrorenen Füßen umbertrete und micdy in der Duntelheit nad einem Abjteigequartier umjehe, fährt ver Wagen ge» troft von bannen, ch höre das zwar an dem Knirfchen des gefrorenen Schnee’8, glaube indeh, e8 fomme bloß da- rauf an, in den benachbarten Boithof hineinzufahren. Die Fahrt nad) dem Boithof wird indeh fo lang, daß zu« lest Bedenten in mir aufjteigen. Ich trabe aljo hinter dem Wagen ber, hole ihn in einer Bierteljtunde ein und jehe, daß er fid) mühjam zwijchen zwei hohen, zu Ei8 ges frorenen Schneemauern dabhinwindet, an welchen Die Rä; der jo nah verbeijtreifen, pap an ein Einfteigen gar nicht zu denken iit. ch falle Gebuld und mwandere ruhig hinter dem Wagen fort, aber der Hohlweg zwijchen ven Eis- wänden nimt fein Ende und ein VBorbeifommen bleibt un möglid. Envlid bemerle ic, daß an ber Seite, wo bie
Bu,
Dann figen, der Weg fi etwas erweitert. ch nehme den Augenblid wahr und riskire, entweder in einem Sıt auf den Wagentritt zu gelangen, im nämlichen Moment die Thüre aufzureißen und mid in das Jnterieur zu ftür- zen, oder aber — unter die Räder zu kommen und an ber unmittelbar wieder einbiegenden Eiswand zerqueticht zu werden. Die Erwägung, daß der Wagen fechstanfend Pfund wog, und zugleih der Gedanke an Sie, meine Freundinn, machten e8 möglich, daß das Kunftftüd, in den Wagen hineinzufegen, gelang. Aber jest? Ich hatte zwei Ueberröde auf dem Leibe und über biejen Ueber» röden einen großen Scylafrod, jo daß ich eine ziemlich groteste und Eolofjale Figur bildete, Ju dem Augen- blid, wo dieje Figur die Thüre aufreißt, um. fih in den Wagen zu werfen, fühlt fie vier wüthende, wiürgende Hände an ber Kehle, bie fid) unter dent Gejchrei “un bri- gand! un brigand!” alle möglicdye Mühe geben, ven Ein- bringling unter die Räpder zu ftoßen und ihn einem fichern Berderben zu überliefern. Und vdiefe Hände waren die Hände der beiden Damen von edelfter Bildung und zarte- fter Weiblichkeit! Obgleih, wie Ihnen bekannt, fehr eifrig der Galanterie beflifien, vermogte ich Doc nicht, biefe Tugend fo weit zu treiben, daß ich ihr zu lieb mein junges Leben in einem Wagengeleife hätte lafjen follen; mit ungalantefter Kraftentwidlung foreirte ih daher zwi« hen den zarten Damen und ihren galanten Nahbarın binbdurd den Eingang und faß plötlicd, wohlbehalten mei- nem erjtaunten Freund gegenüber, der geglaubt hatte, ich fei in da8 Coupe geftiegen, um mir befjer die nächtlichen Schönheiten der „großen Stabt“ betrachten zu können, Das Gejhrei der Damen hatte übrigens damit fein Ende,
fie hatten plötlich ihre ganze Zartheit abgelegt und be- ihuldigten den “brigand” auf die nahbrüdlichite"Weife, baf er ihnen — einen Hut geftohlen habe. Sie können fi venten, daß diefe Bejhuldigung, verbunden mit der bundgegebenen Graufamfeit, weldhe mir nad dem Leben getrachtet hatte, bei mir, der ich in größter Aufregung über das vollbradte Wageftüd war, die übeljte Auslegung fand. Die Wuth lehrte mir plöglic Franzöfiic Ipredhen und, von diefer Wuth befeelt, jpradh ich folgende dentwür- dige Worte: Mesdames, vous m’avez voulu 'tuer, vous &tes des hyönes; vous n’etes pas mömes des femmes, vous &tes des — pugelles! Wie ih an biefe Worte kam, weiß ich nit mehr, fie machten aber die Szene nod tragifcher, als fie fhon war. Bon der einen Seite die Beihulvigung des Diebftahl®, von der andern die Bes Ihulvigung eines Morbverjuhs mit der Reminiszenz aus Stiller: „Da werben Weiber zu öyänen Und treiben mit Entjegen Scherz“
und dann die pugelle von Orleand dazwijchen und unter den Zuhörern ein banges Schweigen des Erftaunens — Sie werden fi die Situation jegt felbft vergegenwärtigen fönnen, in welche die Reifegejellihaft mit einem Schlage geratben war. Aber ver Hut? Es ergab fich jpäter, daß ich wirklich bei meinem gewaltfanmien Eindringen einen Hut mit fortgerifjen hatte, der ji in etwas veränderter Gejtalt, nämlich der eines Kuchens, zwijcyen den Reijenven wiederfand.
Kurze Zeit nahher kamen wir in einer Heinen Stadt, Namens Ucange, an. Che wir uns darüber bejonnen hat- ten, daß wir an einer Station angelangt feien, war jchon
— 80 —
die ganze Reifegefellichaft mit Kondukteur, Boftillen und Pferden verfhwunden und mein Freund und ich, die nicht mußten, daß bier eine lange Paufe gemacht wurde, denen and) fein Menjch eine Sylbe davon fagte, fanden fich mit« ten in der Nat und der Straße im Poftwagen allein, Nirgends hörte man einen Yaut und Feine Seele lieh fid bliden, Bloß eine Hundefeele, ein kälbergroßer Bullen» beißer, der mein von der überftandenen Aufregung nod) todtblafjes Geficht für den Dlond zu halten fchien, machte um den Wagen die Runde und bellte und aus Leibesträften an. Endlich wurde ung die Situation doch gar zu lang« weilig und ich ftieg aus, um auf Entdedungen auszugehen, So gelang e8 mir denn, einige Minuten vom Wagen ent» fernt ein Wirthshaus aufzufinden, in welhem ber rüd» fihtvolle Herr Kondukteur, der und ohne Weiteres im Stidy gelaffen, ganz großartig hinter einer Kaffeelanne faß. Ich erfundigte mich nad) den beiden Damen, um in ber Reue meiner wiedererwadten Oalanterie einen Vers jud) zur Berftänpigung zu machen, und erfuhr, daß fie zu Bette gegangen waren, um fich von ihrem Schred und ihrer Aufregung zu erholen. Requiescant in pacel Wer waren fie? Die Frau eines — Douanenbeamten mit ihrer Tochter. Diefe Qualität machte allerdings die Unbeventklichkeit, womit fie einen in Yebensgefahr jchwe- benden Flücdhtling jofort ald “brigand’” attafirt hatten, einiger Maßen erklärlich,
In Mes — eine jchredliche Stadt mit der jhmußig- gelben Todtenfarbe ihrer Häufer — langten wir Mor- gend als lebendige Eisflumpen an. m Hötel de l’Eu- rope, das id) Jeden empfehle, ver Geld zu viel bat, ließen wir und an einem Heinen Herdfeuer, das 20 Grojdhen
U
koftete, ein Paar Stunden aufthauen und benusten dann, da der Wagen nah Straßburg fchon befest war (Bei- wagen werden nicht gegeben), die nächfte Fahrgelegenheit nah Nunch, um nur aus dem fatalen Die berauszu«- fonumen. Unf der ganzen Tour nad) Nancy, die un übrigens’ mandye hübjche Mojelgegend zeigte, begegneten wir überall jener gelben Häuferfarbe von Met. Ich habe vergebens nachgedacht, um für dieje gelbe Yeidenjchaft eine Erklärung zu finden. Wenn fie auf ten Geijt ver Men- jhen jchliegen läßt, jo muß Lothringen ein wahrer geijtis ger Kirchhof jein. Nancy gilt für das Shönfte Monument auf diefem Kirchhof. Wir kamen bei Naht dort an und fuhren vor Tagesanbrucd, wieder ab, fo daß wir faft nichts von der Stadt zu jehen befamen. Der nädte bemerfens- werthe Drt war Yüneville. Dort zwängte ji zwiichen meinen Freund und mic ein Yamilienvater, Schwabe von Geburt, Möbelfabritant von Gejdhäft, in das Coupe, um ung bis Straßburg nicht wieder zu verlaffen. Der Dann war mitunter jehr langweilig, aber body der interefjautefte Reijelompaguon, den wir bis-dahin gehabt hatten, Er hielt und Anfangs für Engländer, um zu zeigen, daß er Welt befite, jpäter aber für Zeutjche, was wir und ges fallen ließen, um die nationalen Sympathien nicht- zu zer- ftören. Ich erwähne des Mannes weitläufiger, weil er eined der ausgejuchteiten Exemplare jener Spezies war, deren Seele heigt: Geld. &s it Unfinn, einen Dien- ihen zu verabjcheud, weil er Gelv hat, wie das bei den Kommuniften Mode geworden ift; aber ein Dienfjh, der an gar nichtö denkt, als an Geld, und zwar bloß des Gel- des wegen, follte geröjtet und pulverijirt werden, um als Brehmittel zu dienen. In jedem Wort unferes Reife» 6
a aa
gefährten, er mogte fprechen, wovon er wollte, hörte man den Klang des Geldes. Der Dann hatte ald Hanpwerfs- burfche die halbe europäifche Welt purhwandert und Mans che8 gefehen und erfahren, bi8 er fich zulett in Yüneville niederlieh und es dort zu einem hübjhen Wohlitand bradte. Bon diefem Wohlftand erzählte er biß in den Keller hinein, wo er 18 Ohm Wein babe (aber nicht zum Zrinfen, fondern nur, um fie zu befigen, oder gelegentlich einen Profit darauf zu maha); auf diefen Wohljtand bezog fi jeine Religion, auf diefen Wohljtand jeine Pos fitif. Er rühmte Ludwig Philpp als einen großen Mann, unter dem fi in Ruhe ein Wohljtand erwerben lafje, nur feien die Steuern, welde die Jnpdufirie- und Gewerbes Klaffe zu zahlen habe, etwas jehr body, während die Bau- ern ihren Wohlftant ohne Steuerbrud erwerben fünnten, Algier kofte viel Geld, die Parifer Forts ebenfalls, aber Beides fei Do nothwendig, denn Yupwig Philipp wilfe was er thue, und er fei der Vater des MWohlftandes, DO unausjpredliches Glüd, einen Wohljtand zu befigen! Uno doc) fei dieß Glüd nicht unverfälicht, denn wenn er aud) zwölf Gejellen halte und jo und fo viele taufend Franfen zurüdgelegt habe, jo gehöre er dody nicht zu den eigent- lien „Bourgeois“, die mehr befigen, als jeinen Wohl- ftand, und mit Geringihätung auf denfelben binabjeben. Über nur Geduld! Er reife jest nah Schwaben, um eine Erbihaft zu erheben, und badurd werde fein Wohljtand wieder bedeutend in den Klomparativ gebradtt. Wohlitand, Wohlitand! Er wiffe, was es heiße, einen Wohlftand zu befigen. Alles, was ihm früher Freude gemacht, fei ihm jetst gleichgültig geworden, nur die Politik fefjele ihn noch, denn davon hange audy der Wohlftand ab, : „Meine Her-
BE.
ren,“ fo fhloß er feine Vorlefung, „das Leben bringt große Aenderungen im Menfchen hervor; meine Herren, — id) babe den Wolf gefehen!* Mit diefer Nedensd- art wollte er den Ernit des Lebens, der fid; ald Noth des Lebens zu erkennen gebe, bezeichnen und zugleich erklären, daß der Menfd, Alles d’ran geben müfje, was ihn in die Gefahr des Nichtwohlftandes bringen fünne. Dief fügte der Dean, weil er fi bewußt war, urfprünglid) freifinnig gemejen zu fein. Bei den Aeuferungen diefes angehenden Geldmolfs (er wußte in der That jo gut über Politik mite zufpredhen, vaf er völlig zurehnungsfähig war) fonnte ich mic, nicht enthalten, an Yelemelzu denten. Lelewel, du haft den Wolf gejehen,-öfter als diefer Bonrgeois, und du vers Fehrit noch täglich mit ihm, aber er zeigt bir vergebens bie Zähne. Ein Wolf frift, was zum Bich gehört und es ift entjeglich, wie viel er frißt. ES gibt unendlid) viel Bolitifer und unendlich viel „Freifinnige“; wie viele gibt es, die den Wolf fehen können ? Meine Freundinn, man findet trog ber Maffe verächtlichen Gefindels hoher und niederer Art nody manchen Denjchen, ven man ehren fann; feinen auf der Welt aber ehre ich höher, ald den, ber da fagen fann: id bin, was id) war, und bleibe, was idy bin und — „babe ven Wolf gejehn.“
Unter ven Bohlftandsunterhaltungen unferes [hwäbiich- franzöfiihen Bourgeois, der den Wolf gefehen hatte, famen wir in die Himmelsregion der Bogejen. Wa® der Winter in den Ardennen möglicher Weife an und ver: fäumt haben mogte, da® holte er in den Vogefen deppelt nah. Schnee, Sturm, Eisregen, Nordpolskälte — Alles aus der erften Hand und was die Natur umterließ, das
richteten die Menjhen aus.
BE
In einem Heinen Städtchen ftieg eine ftarf gegliederte, pausbadige Elfafferinn auf; fie fchien von Gefhäft eine Biehmagd zu fein. Da im Wagen kein Pla mehr war, mußte fie mittelft einer Leiter in die imperialifchen Regio: nen des Kondukteurs befördert werden. Der Kondukteur, galant und weinerfüllt, nahm die neue Begleiterinn mit offenen Armen auf. Er war in mehrere jhwarze Scaf- und Bürenfelle gekleidet, in biefer Umhiüllung beinah eben jo breit wie lang und würde in der Dunfelheit überall für einen riefigen Newfoundländer oder einen Zanzbären gehalten worden fein. Diejen Newfoundländer’mit feiner ebenbürtigen Begleiterinn über uns, gelangten wir glüdlid) zur näcjten Station. Plötlic fugelt der bärenfellige Edle wie ein riefiger Jgel von der mperiale herab und fährt mit der Tate neben mir durdy die Fenfteriheibe, daß die Trümmer durd das Coup& umberfliegen. Was war gejhehen ?_ Db eine Brunhilviihe Szene aufgeführt wurde, oder der Nemwfoundländer beim Abfteigen feiner Be» ‚gleiterinn billfreihe Hand hatte leijten wollen und wegen jeiner Betrunfenheit den feiten Yuß verloren, weiß ich nicht — genug, durch die offenen Fenftericheiben jtrömte von nun an eine jolde Quantität Winter auf mich ein, daß der Ueberzug von einem halben Dutgend Bären nid) nicht ° hätte [hügen fünnen. Dod was war zu thbun? ch that das einzig VBernünftige, ich faßte mid in Geduld. Wir fommen weiter. Der Poftillon hält mitten im Yelde an, um etwas am Gefcirr in Ordnung zu bringen, und ber Kondufteur jteigt mit feiner verbundenen blutigen Hand ebenfalls ab. ALS der Poftillon wieder aufiteigt, Ihlägt er mit feinem Holzihuh — ein Schug gegen Schnee und Kälte — die vor mir befindliche Scheibe ebenfalls ein.
re
Jet ja ich vollftändig im Freien und fühlte mein Ende berannaben. Dieß Gefühl überwand meine Gebulp, ich riß die Thür’ auf und ftürzte mich wüthend auf ven New- foundländer, um ihn dahin zu bringen, daß er die Fenfter- Iheiben reparire und mich vor dem fichern Untergang be- wahre. Er wollte mich nöthigen, bis zur nächiten Sta: tion zu warten, ich erflärte ihm indeh, daß ich ihm nicht eher wieder auf den Wagen binauflafjen werde, als bis er die Senfterfcheiben reparirt habe. Der Poitillon fluchte und jhlug auf die Pferde. Ich trabte mit dem Newfound- fänder neben dem Wagen ber und vertrat ihm beftändig den Weg. AS wir in diefer Weife fluhend und jchim- pfend eine Zeit lang getrabt hatten, begriff ich endlich, daß der Mann mic mit vollem Recht fragen konnte: Bächft mir ’'ne Fenfterjheibe in der flahen Hand ?
Diefe Neminiszenz, welche mir ed in’8 Gebäcdtniß rief, baf dem armen Newfoundländer wirklich von jeinem Fall ber die Stüde einer Fenjterjcheibe in der Hand mwucjien, mahnte mic an meine Oraufamfeit und ich machte der Traberei ein Ende. Zum Lohn für diefe Menfchlichkeit kam ich verfroren bei der nädyften Station (Pfalzburg) an, wo um Mitternacht der Fenjtermacder aus dem Bette ge- bolt werden mußte.
Ich Fönnte meinen Bericht über unfere Reifeaunehmlich. feiten nod; bedeutend verlängern und Jhnen 3. B. erzäh- len, wie fogar die Pferde vor unferem Wagen einander wirklich todt jchlugen, als jei in der That der jüngfte Tag gelommen; Sie werden indeß nad) den erzählten Begeg- niffen fhon binlänglich ermefjen können, was Sie an mir zu verantworten haben, feitbem Sie mir ein Rendezvous in der Schweiz gegeben. ch übergehe alfo allen weitern
u
Zwifhenraum, felbft das. romantische Städtchen: Saverne, iwo einjt Fribolin „in der Furcht des Herrn“ (d. bh. des Herrn Grafen) gemwanvelt ift, und verfege Sie unmittelbar nad Straßburg, we wir endlid nad einer beinah “adıt- tägigen Reije mit einem ähnlichen Gefühl anlangten, wie die Kreuzritter vor Jerufalem, nur etwas kälter. Straßburg hatte ih mir als eine impofante Stadt ge- dacht, ed hat mir inde dort nicht8 imponirt, als der Kirch- thurm und der Paßlommifjair. Den Einvrud, den die äußere Stadt mit: ihren alterthbümlichen, verfrüppelten, verjhrobenen Häufern auf mid gemacht, mögte ich in Die Worte fafen: bier fcheinen viel Wanzen zu fein. In Straßburg jheint ein großartiger Philifterfinn zu herrjchen, dagegen wenig geiftiges Interejje und noch) weniger „teut> jher Sinn*, den man nad) manden Darftellungen vor- ausjegen könnte, vorhanden zu fein. Man beftrebt fich dort vielmehr, einen Gegenjag gegen das Teutfchthum zu bilden, objhbon die teutjhe Sprache im gewöhnlichen Leben nad) wie vor die Hauptiprade if. Daß die Elfafjer fich nicht nad Teutichland zurüdjehnen, fommt den nationalen Strohföpfen verwunderlid vor. Sie wären wahrlich nicht. werth, Franzojen zu jein, wenn fie unter. den jetigen Berhältnifien wieder Zeutjhe werden wollten. Dod Das gehört nicht hieher, Sie: wollen: keine Bolitif. So fteigen Sie mit mir hinauf auf die Plateform der Müniter- fire und in die berühmten Schnedenftiegen des großen Thurms, des würdigen Rivalen des Kölner Doms. Trog ber bezogenen Winterluft konnten wir nad ber, einen Seite hin die Bogefen, nad) ber andern den Schwarz- wald mit dem Rhein erbliden. Da oben an dem Plate, wo Böthe gejefjen, einen Sommerabend zuzubringen,
u
muß allerding® wohlthiender fein, al8 eine Winterreife burh die Ardennen umd VBogefen. Der Wächter zeigt ben Bejuchern eine Menge eingemanerter Steine, worauf die Namen der berühmten Männer gezeichnet ftehen, die den Thurm hinaufgeffettert find. Unter ihnen befindet fich au Voltaire. Bon feinem Namen find indeh, angeblich dur den Blis, wuhrfcheinlih aber durd die Pfaffen, fo viel Buchftaben weggelratt, daß beinah das Wort Bolte bherausfonmt, fo daß man fagen könnte, der Blig babe dort oben die Bolte geichlagen.
Wenn Sie nad Straßburg fommen, meine Freundinn, fo verfäumen Sie ja nicht, Mittags zwölf Uhr in ben Münfter zu gehen und die berühmte Uhr fchlagen zu jehen. Da wird u. U. der Tod in leibhaftiger Furchtbarteit, fo» dann Chrijtus mit feinen Apofteln und namentlich der famofe Hahn fih Ihnen produziren, welder den Petrus fo bübfch angeführt hat. Er kräht fjehr ausprudsvoll, fhlägt die Flügel mit triumphirender Malice und das Alles nad) den Eingebungen eines hriftlichen Ubrwerfs, Ich habe nie etwas Abgejhmadteres gejehen, als biejen heiligen Marionettentaften, belebt durdy die Fünftlichfte Uhr der Erde. Selbft die dummiten, gläubigften Bauern» gefichter verzogen fich zu einem höhnifchen Yachen vor Dies jem Schaufpiel, wie fehr vafjelbe audy berechnet fein mag, ven Wunperfultus zu unterftügen. Man mögte davon laufen taufend Stunden weit, wenn man das Mittelalter in feinem kirchhöflichen Aufzug jo [hwarz an fid) vorüber- fchreiten fieht, wie es noch in Straßburg konfervirt wird. Ich für meinen Theil werde immer melandoliid purdy jol- den Kultus und meine Bernumft zieht ihre Lrauerkleider
an, jo oft fie ihm begegnet.
——
Da ich Gefhäfte hatte, die mich in Straßburg act Zage lang aufbielten, mußte ich meinen poetifchen Freund nad der Schweiz voraußreifen laffen.
Bei der Fahrt von Straßburg nad Bafel verfette ich mid) in die Lage eines teutjchen Nationalen und wurde dadurd auf fremde Rechnung ganz neidifdy gegen bie Vranzojen geftimmt, denn es ift fchade um die teutjche Romantik, daß fie ein fe fhönes Land mit fo malerischen Dergen und jo romantischen Ruinen in fremden Händen lafjen muß. E8 mag dort noh mande Marburg und mander Stolzenfeld liegen, die fich trefflic zu Geburts. tagspräfenten für gefrönte Häupter eigneten. Wenn wieder ein Krieg gegen Franfreih ausbräde, jo bebürfte ed nur eine® Hinmweifes auf die Romantit des Eljaffes, um die loyalen DTeutjchen zu Helden zu maden und vie „Marten de8 Baterlandes“ wiederzuerobern. Cnplich langten wir bei dem Grenzort St. Youis an und fahen die erite Schweizerftabt vor und. So follte aljo meine langjährige Sehnfucht, einmal in meinem Leben das Land der Berge zu fehen, jeine Erfüllung finden. Wreilid hatte id) niemals gedacht, daß es auf joldye Beranlaffung geiche- ben werde. Doc jo oder fo, es gilt gleich: ich jah bie Berge vor mir und hatte nur zwei Schritte biß Bafel. Bor einer neuen Landesgrenze ftehend, feste ich mid) wieder in die erfoderliche Pofitur, um der Douanen- und PBah- revifion begegnen zu fönnen. Aber wie erjtaunte ich, als von dem franzöfiihen Grenzbahnhef der Omnibus Dien- fen und Koffer in das Schweizerland Hineinführte, ohne daf; aud) nur eine polizeiliche Seele fi um uns befüm« mert hätte! Wahrlid, wenn etwas geeignet ift, beim Eintritt in ein Land ein günftiges VBorurtheil für dafjelbe
— 89 —
zu erweden, fo ift e8 der freie Eintritt. Wir find überall fo jehr an Abfperrungen, Kontrolen, BVifitationen, Pladereien und Zeufeleien gewöhnt, daß wir in einer neuen Welt anzulangen glauben, wenn wir irgendwo den Strich, den man Örenze nennt, ohne Hülfe von Douaniers und Poliziften überjchreiten können.
In Bafel mich umzufehen, fand ich keine Zeit, denn ich benugte am nämlichen Abend, wo ih ankam, die Poft- gelegenheit, um bis zum näcten Morgen nad) Zürich zu gelangen. Zürih! Mein poetifcher Freund hatte bei meiner Ankunft jhon ein Gedicht fertig, da aljo be- gann:
„An dem See von Züri Weld) ein Leben führ’ ih“ u, |. w.
Meine Freundinn, wenn Sie erft Zürich gefehen bät- ten, jo würde Ihnen der Abfchied von Ihrem Mutterlande viel leichter werden. In Zürid haben Sie Teutjchland und Stalien zugleih. Nechts und lints von Bergen be- gleitet, tommen Sie von Bafel her durch freundliche, mit Landhänfern untermifchte Dörfer und fhöne Fluren in die freumbliche Limmatjtadt. Nachdem Sie einige Stra- fen durchfahren, gelangen fie plöglicy auf die letzte Brüde, welche über die Eryftallllare Yimmat führt, und fehen vor fi) den langhin geftredten Züriyjee. Seine Ufer find von Züri aus an beiden Seiten weithin mit Dörfern und Landhänfern in faft ununterbrochener Reihe befä’t, in des ren Rüden fi) rebenbejegte und bewalvdete Bergzüge er- heben, welche die ganze fchöne Landfchaft einfaffen. Man kann jich de8 Gevankens nicht erwehren, daß Zürich mit ben andern Uferorten fich einjt zu einer ungeheuren Welt- fiadt verbinden werde, die ven See in ihre Mitte nimt,
ie | ER
Den Zitrichfee hinauf, der fih adht Stunden weit erftredt, erheben fi im Hintergrumde die fohroffen Hänpter der Ölarner Alpen, welche biß zu einer Höhe von 11,000 Fuß ben Blid fefjeln und bei Abend ihre ewig mit Schnee bes bedten Gipfel don der untergehenden Sonne vergolven lafien. Da haben Sie einige Züge zu dem Bilde ber Gegend von Zürich, welche einzeln Hinzuzeichnen ic) unter» laffe, um Sie noch mehr.zur Selbftbefichtigung anzureizen. Die ganze Gegend ift ein Garten, ein Spaziergang, eine Schönheit und — ihre Seele ijt Freundlichkeit. Ein nur werden Sie bier vermiffen, was Ihnen in Teutichland jo viel Vergnügen machte: in der teutjchen Schweiz gibt e8 feine Nadhtigallen. Doch ijt denn die Nadıtigall eine Berfünderinn der Freude? In den Annon- cen, welhe Wohnungen ausbieten, wird hier al8 gewöhn- licher Charakter derjelben die „Srohmüthigteit“ hervorge- hoben: „ein frohmüthiges Wohngemad;” auf den Scil« bern verjchiedener Wirthshäunfer Lief’t man die Aufichrift: „zum Frobfinn,“ „zur froben Ausficht“ u. j. w. Diefe Bezeichnungen gehören fümmtlid in das Leriton ber Umgegend. Die „Brohmüthigfeit“ ift ihr Hauptcharalter. Man muß in der That vom Unglüd verfolgt werden, oder ein unbeilbarer Hypodyonder fein, wenn man am Zürich- fee nicht „frohmäthig“ gejtimmt wird. Ich bin ein ganz anderer Menjcd geworden, jeit ic nad) Züri) fam. Meine Wohnung war fo gelegen, daß id Morgens fon aus meinem Bette den See überbliden, die weißen Landbäufer fid) in feinem Spiegel vor lauter „Trohmütbhigteit“ auf den Kopf ftellen und die. jovelnden Schiffer mit ihren Ihlanten Kähnen feine glatte Fläche durdhfurden -jehen konnte. Die Abende waren nod jhöner und wie müfjen
ERROR
«fie erft im Sommer fein, wenn man in traulicher Gejell- Ichaft oder bei einem Olafe würzigen „Balteliners“ oder „Reftenbachers” mit einem jchaufelnden Kahn den hallens ben See durchrudert, oder von den umliegenden Bergen aus tie blühende Yandichaft überträumt! Meine reun- binn, idy würde in Zürich ein Romantiter geworden fein, wenn ich ihn nicht Schon Hinter mır hätte. Und doch bin ih um eine Zeit dort hingefommen, wo alle Welt in Aufe regung und Verwirrung war. Die Romantik des Bir- gerkrieges hätte die Nomantif der Natur leicht paralyfiren können. &3 wurde damals gerade die Luzerner Affaire ein- geleitet. Die Unternehmung der Freichaaren, weldye meift bei Nacht ihrem Ziele zumarjcirten, bereitete fich ganz in ber Stille vor, ohne daß man etwas Anderes von ihr ge- wahr wurde, als die Zeitungsberichte und. verworrenen Ge- rüdhte. Kaum aber zeigte fidh die Yage der Dinge in ber traurigen Niederlage der Freijchaaren und dem blutdürfti- gen Triumph ver Jejuitenpartei, jo war gleich von allen Seiten das Militair auf den Beinen. In der Nadıt hörte ich die Trommigl rühren und am andern Morgen über- rajchte mich jhon eine wie aus dem Boden aufgetauchte Truppenmadt, Infanterie, Kavallerie und Artillerie. In keinem „Militairftaat” kann fchneller das Militair bei der Hand fein, al8 in diefem Freiftaat ohne ftehendes Her. Die Schweiz kann in wenig Tagen 100,000 Dann anf die Beine bringen. Auc, habe ih mich gemwuns dert über die männlidhe Haltung der fchweizeriichen Sol» daten, welche bei aller Ungenirtheit und Zwanlofigkeit den wahren Geift freier Wehrhaftigteit an ven Tag legen, Ueberhaupt babe ich in wenig Tagen ganz andere Begriffe von der Schweiz erhalten, al® mir die entjtellenden Be-
PER ge
richte bis dahin beigebradht hatten. Namentlih bat mid* die lebendige, erregte Theilnahme, vie bi® zum Dienftbo- ten und zum Handwerker herab Alles fir die Bolitif an den Tag legte, überrafcht und erfreut. Was ift das Doc für ein anderes Teben, als bei uns, wo Jedem fein Stüd Politit von der Polizei zubereitet und zugemeffen wird! Und ein fol erregtes Yeben nennt man in Teutjchland ein unglüdlihes! Wenn man in die Schweiz fonımt, jo denkt man nur an Berwirrung, Anardie, Banditen und Tobt- hläger. Die Schuld davon trägt die beftändige Verleum- bung, namentlich der teutjchen Prefie. Ich bin in bie Schweiz gelommen zu einer Zeit, wo die Zuftände mid) in ungänftigen Vorurtheilen hätten beftärfen müflen, und dennod) behaupte ich, daß die Schweizer burdweg ver- leumdet werden. Gie find ein nüchternes, praftifches Bolt, das wahrlid nicht zum bloßen Vergnügen Anardie treiben wird, und wenn fie ihre Freiheit benugen, um ihre Theilnahme an ihren Angelegenheiten zu bethätigen, fo haben nicht fie die Schuld, daß diefe Bethätigung feine glänzende Früchte trägt. Man entferne die ausländi- Ihen Intriguen und made aus der Schweiz eine Einheit, ein die Kantonalzerftüdelung befeitigendes Staatsganzes, und man wird anders über fie urtheilen lernen. Dod — id) verirre mid) al8 gewefener Soldat in das Militair und al8 politijcher Flüchtling wieder in die Politit. Berzeihen Sie, idy werde Sie gleid) durdy eine Zugabe von Roman- tif wieder zu befänftigen juchen.
Bevor ih mich in meinem neuen Wohnort einrichtete, winjchte ih, den Züricher See bi8 in Die obere Gegend fennen zu lernen. 8 bot fih mir hierzu eine paflende Öelegenheit, ald ich in Gefellihaft meines poetijchen
rn Bi
Freundes einen Ausflug nad) Rapperswyl machen konnte, einStädtchen fe Stunden von Zürih, wohin man in zwei- Stunden mit dem Dampfjchiff gelangt und in defien Nähe fi mein Freund eine reizend gelegene Sommer» wohnung gemiethet hat. Ich ließ ihn dort in feiner ivylli- Ihen Einjamtfeit allein und fegte mit einem Sahn nad) einer andern Einfamfeit hinüber, um auf den Befuch bei einem lebenden Poeten den Befucy bei einem todten folgen zu laffen. Errathen Sie, welde Einfamfeit ich meine ? Ufnau! 8 war ein herrlicher Frühlingstag, ein beis nah heißer Aprilmittag, al8 ich zur Injel binüberjchiffte. Der See war glatt wie ein Spiegel und [hen in ziemlis der Entfernung vom Üferließ er durd) fein fryftallenes Waf- fer auf den tiefen Grund jehen. Jh zitirte alle Geifter aus der Höhe und aus der Tiefe, um in angemefjener Begleis tung den letzten Aufenthaltsort jene® Mannes zu betreten, der mehr als hundert Andere einen Anfpruh auf unjere Pietät hat, weil er nicht bloß ein Fräftiger und fühner Geift, fondern aud ein kräftiger und fühner Charakter war, einer jener feltenen Charattere, die nur leben können, wenn fie für ihre Ueberzeugung leben, und die eher Alles in die Schanze Ichlagen, ald ihr Streben nad) Wahrheit in feigen Rüdfichten untergehen lafjen. Der Kahn ftöht an’s Pand und ich betrete die Rubeftätte Ulrih8 von Hut- ten, des Koryphäen der teutjchen Flüchtlinge. Indem ich in feierliher Stimmung der alten Kirche zufchreite, weldye in der Ferne zuerjt ven Blid auf fic) zieht, begegnet mir eines jener Heinen Ereignifje, die fo oft als Pofjen des Zufalld das Leben erheitirn. ch fehe nämlidy aus einem alten Haufe einen gelben Hund von der Größe eines Slal- bes auf mid) loßjtürzen. Sein Gebell läßt er hören, aber
we
bald in wilden Sägen und bald in fchleihendem Lauf, mit unverwandtem Blid und einer unheimlichen Tigerhaftig- feit eilt er näher, immer näher. Da mid ver Zufall Schon häufig in Kollifion mit großen Hunden geführt, wobet ich immer Sieger geblieben war, fo hatte die Annäherung des Ufnaner Tigers anfänglich nichts Beunrubigendes für mid. Da er aber lautlo8 und mit jener eigenthümlichen Angriffshaltung wilder Thiere unverwandt auf mich zu= kam, hielt ich e8 Dod) für nöthig, mich einiger Mafen vor- zufehen. Ich hob daher meinen Stod body in die Luft, um ihm per Telegrapb zu beveuten, daß er fid nicht ums» geftraft an meiner feierlich geftimmten Perfon vergreifen würde. Aber wever mein Stod, nod mein feiter Gang imponiren ihm, er fchleiht immer näher mit funtelndem DBlid und fon fchict er fi) an zu einem Tigerfprung. ft benn fein Menjc in der Nähe, der dem Unthier die Rüde fehr gebietet ? Niemand läßt fi) fehen. So bin ic) alfo nady Ufnau gefommen, um dem edlen Ulrich) von Hutten meinen Defuch abzuftatten, und werde von fold einer gemeinen Hundsbeftie empfangen, muß mit diefer Beitie einen Kampf auf Leben und Tod beitehen? Inpem id mid) eben zu diefem Kampf anjdhide — fühle ich die Beitie Ihon an meinem Halfe. Mit einem plögliden Sat kommt fie meinen Mafregeln zuvor und umarmt mid) wie ein Bär. Sie werben venten, jett jei e8 um mid) gejche- ben. Was würden Sie aber fagen, wenn Sie mid), die Beitie am Halfe, plöglic in ein gewaltiges Lachen aus- brechen jähen? Meine Freundinn, ic) habe dur diefen Hund erfahren, weich ein Unglüd es ift, wenn man fi nidyt verftändlih madhen kann. Der Hunt von Ufnau, das gutmüthigfte Chier der Welt, famı nicht, um mid) an«
En
zugreifen, fondern um mich zu begrüßen, und mein aufs gehobener Stod jchredte ihn nicht zurüd, weil er in feiner infularischen Unverdorbenheit eine feinpfeelige Begegnung nicht einmal al möglich annahm. Er war die freund. lichkeit in Perjon, aber das Drgan der Freundlichkeit fehlte ibm: ver Schwanz. Dem armen Hund hatte die grau- fame Kultur den Schwanz bi8 auf die Wurzel abgehauen, und erit ald er mid) umarmte, merkte ich an der zitternden Bewegung des kurzen Stumpfes, daß der Freundliche im eifrigiten und berzlichften Wedeln begriffen war. Ein glüdlicher Zufall hatte ihn Davor bewahrt, feine freundliche Begrühung mit einem mörperifhen Stodhieb ermwiedert zu eben. Mögte dien Beifpiel eined graufamen Miß- ve ftindniffc® Dazu beitragen, daß man jedem das Seine lafle und namentlich feinen Hund der Sprache des Her» zens beraube, Bei einem drefjirten Hund ift der Schwanz das Organ der Servilität, bei einem freien ift er Da8 Organ der Herzlidhkeit, denn felbft ein Hund er- hält und verliert feinen Werth mit der Freiheit. Ich weiß nicht, ob meine Zympathie für den Freiheitshelven Ulrich von Hutten vem Wächter feines Grabes mit zu gut kam, genug, in Begleitung ded Hundes verlebte ich einen ganzen Tag auf der Injel und das unbedeutende Begebnif beim Enıpfang war für meine Stinnmung nicht wenig ent» jcheidenv.
Ih hatte in Rapperswyl fchon einen Pla auf ver .
Boft bezahlt, die ih Nahmittags in Stäfa zu treffen ges dachte; al® ich aber in Ufnau angelommen war, jchidte ich meinen Fihrmann zurüd und beftellte ihn auf den andern Tag. ES gefiel mir auf der Infel zu gut, wenn fie aud) weiter Feine Weize hat, al® die Erinnerung an ihren ein-
u
ftigen Schügling und die Rundfchau auf die Berge und ben See. Solid Jhnen erzählen, wa® ich während ber vierundzwanzig Stunden auf der Ufnau gemadt habe? Ich babe dort u. U. Vorftudien zu der Hunt des willen» ichaftlihen Reifens gemadht. So fei Ihnen 3. B. das mineralogiihe Belenntniß abgelegt, daß die Injel Ufnau mir aus Konglomerat und Schieferfelfen zu bejtehen jcheint. In botanifher Hinfiht habe id von quercus vulgaris, crocus intervinalis, stumpus haselstockius u. |. w.; in zoologifher Hinfiht, außer von obbemeldtem Thier, von anser schnatterificus, lacerta langschwanzia u. |. w. zu berichten. In anthropologiiher Beziehung ift zu fagen, daß die Infel bewohnt ift von einem Pächter nebft Fran, vier Töchtern und drei Söhnen. Wär’ ih nun jhon ein Ächter, regelrehter Mann der Wiflenichaft, fo könnte ich hnen nody einen reihen Schag von Nrüdhten meines Aufenthalts darreiben. Aber ald naturmwücjiger Sohn des Lebens mufz ich mich, außer diefen willenjchaftli» lihen Bemerkungen, auf die rohen Erlebniffe und Beob- achtungen der Perjen befhränfen. ch betrachtete alfo zuerjt die Gebäulichkeiten der Infel und berichte Fhnen darüber im Einzelnen, weil Sie fi fo jehr für das Afyl Huttens intereffiren. Unter ven Gebäuden jteht oben an die alte verfonmmene Kirche, in welcher aber doch ned) Mors gens fünf Uhr von dem Sohn des Pächters die Nrübglode geläuter wird. Unter ver Kirche befindet fich ein Beinhaus mit einer Menge weißer Schädel. ch Habe fie alle mit phrenologijcher Neugier unterfucht, in der Hoffnung, einen unter ihnen zu finden, der möglicher Weife der Scävel Hutten’s fein könnte, Allein fie fahen alle fo patig da= rein, daß ich fie nur für Schädel obscurorum virorum
u
balten durfte. Außer der Kirche find noch zwei alterthiüm- liche, zum Theil verfallene Gebäude vorhanden, die fich jehr gut zu Sommerwohnungen einrichten liegen; aber auf meine Erfundigungen erfuhr ich, daß die Eigenthümer der nel, die Mönde des Klofters Einfiedeln, außer ihrem _ Pähter keine Bewohner auf ihrem Befitsthum dulden, audy dafjelbe zu keinem Preije abtreten wollen. 3 glaube, fie fürchten, das Andenfen Hutten’8 künne auf eine anti- jejuitiiche Weife ausgebeutet werden. Die Angelegenheit mit dem Auge der neuen Zeit betrachtend, prophezeie ich Demjenigen ein fchnelles Meichwerben, der die Jnfel, viel leicht auch die benachbarte Eleinere, die ich hiermit Neuufnau taufe, an fich bringt, fie mit einem Gajthof, bübjchen An- lagen und Badeanjtalten verfieht und fie zu einem Halte: plas der Dampficiffe macht. edenfalld wird fie dann gemeinnüßiger verwendet, al3 jet, wo fie nur zur Produfs tion von einigen Ohmen Wein für die Mönche und einem Stall voll Heu für ihre Dchjen benugt wird. Der Stall für diefe Dchfen bildet das vierte und das alte Haus des Pihters, in weldyem ich auf diner alten Bovdenfammer übernacdtete, das fünfte Gebäude auf der Ynfel. Der Haupttheil derfeiben befteht in einer Grasfläche, von jpär- lihem Gebüjh und ein Paar Hügeln unterbroden. Nes ben einem der Hügel fand ich etwas, das ic) hnen zeigen zu können wünjdte: ein ganzes Thal voll Beilden, ine folde Beildyenpradt habe ich nie umd nirgends gefehen. Um fagen zu fönnen, ich habe mich in Beildhen gewälßst, würde idy Selbiges gethan haben, wenn bei dem Vergnü- gen nicht zu viel Hummeln und Erbfpinnen fonkurrirt hät» ten. AS ich mir die nel betrachtet und mid) an dem vortrefflihen „Leutihen Wein,“ einem Probuft des Klo- 7
= DE
fters Einfieveln, gelabt hatte, das der Pächter verzapft, beftieg idy mit defjen zwölfjäbrigem Sohn einen Kahn, um die Infel zu umjchiffen und zu fiihen. Wir fiengen jevod nichts, weil e8 zu hell war. Den andern Morgen aber zogen wir mit den ausgejtellten Neben zwanzig File heraus, von welden mir ein treffliches Frübftüd bereitet wurde. Was wollen Sie neben diejen wichtigen Ereig- niffen nody weiter über meine Erlebnifjfe auf der Yufel wiften? ch war „Ereuzfivel“, wie Hutten jagt, würde aber langweilig werben, wenn ich befchreiben wollte, wie ich e8 war. Genug, der Grit Ulrich, des Koryphäen der Flüchtlinge, war in mid) gefahren und ich habe ihm nicht Durd Kopfhängerei meine Huldigung dargebradt. Sch babe mit ihm und feines Gleichen über alle Teufel geiproden, ich habe mit ihm gejprodhen, als ih an dem Ufer der Jnfel umberjtrih, ich habe mit ihm gefprocden, als ich fie umjchiffte, ich habe mit ihm gefprochen, ala ich Abends die Dimmernden Alpen binaufjah und vas ferne Joreln von den Seedörfern und Schifferbooten zu mir berüberfholl, ic) habe mit ihm gefprochen, al® vor Son- nenaufgang das Pfeifen der Strandoägel durdy mein zer» brocyenes Fenfter drang, ich habe mit ihm gefprochen den ganzen Tag und mehr als eine lajche auf fein und Jhr Wohl getrunfen. Laffen Sie e8 damit genug fein.
Man weiß nicht mehr, an welder Stelle Hutten be- graben ift. Was liegt daran? Die ganze Infel ift fein Grab. Sein Grab heißt Ufnau. Heut zu Tage wär’ es ihm nicht einmal gegönnt worden; fo wechjeln die Zei- ten und Zuftände. Hätte Hutten jemals gedacht, daß in der Nähe feines Kirchhofes im Jahr 1845 der Jefuitisnus triumpbiren, ja daß fein Kirchhof Eigenthum der Jejuiten
Pe
werden würde? ch prophezeie den fchmarzen Herren, daß in nicht langer Zeit auf ver Infel Ufnau file Ulrich von Hutten ein Denkmal wirb errichtet werden. ch felbft habe ihm ein Kleines Denkmal zu errichten gefucht in einem Gedicht, das folgende Strophe enthält:
Der Wahrheit bleib’ ich treu wie du,
Wenn id;, wie du, aud) „bredhen“ werde,
Und fünd’ ich feine Raft ımd Ruh’,
Auf feiner Ufnau diefer Erde.
Nun, meine Freundinn, geht e8 wieder nad Zürich zn- rüd. Sie erwarten gewiß nody eine Darftellung des ge- jelligen Xebens, einen Bericht über die dortigen Menfchen u.j.w. Ib muß Sie darauf einftweilen warten laffen, ba jid) dergleichen nicht, wie eine Gegend, mit einem Blid überichauen läßt, fondern längere Zeit jtudirt, oder wenig- ften® beobadıtet fein will, ine Bemerkung über bie Schweiz und die Schweizer aber, die fih mir fofort auf- gebrängt hat, fan ich fchon bier nicht unterbrüden. Ich habe nämlich eine aufjallende Achnlichkeit der fchweizeri- jben Gefellfhaftszuftände und Menfchen mit den hollän- dijchen gefunden. Nicht bloß zeichnet fi die Schweiz, wie Holland, durdy ihre Viehzucht, ihren Käfe und ihren inpujtriellen Geift aus, fondern aud die Sitten und der Boltscyarakter beider Länder ftimmen in mandıen Stüden auffallend überein. Diejelbe Geldfucht, diefelbe Nüchtern» beit des Berftandes und Entfremdung vom Jpealen, die- felbe viple matiihe Ffiffigkeit bei äußerer Treuberzigkeit, diefelbe Abhängigkeit von alten Sitten, welde Gutes wie Schlechtes konfervirt, weil e8 bergebradht ift, und namentlich bei der Geldariftofratie mitunter eine patriar- halifche Biederkeit fortpflanzt, diefelbe Häusliche Reinlich-
feit, Diefelbe Stereotypie in der Redeweife der Konverfa- tion, berjelbe „nationale“ Düntel, diefelbe Abneigung gegen die Teutjhen! Sogar in körperlichen Aeuferlich- keiten, namentlid in der holzihnittartigen Mafjivität mancher Gefichter, jowie auch in den forcirten Kehllauten der Sprache findet fid) mande Aehnlichleit wieder. Man merkt e8 bald, daß den Schweizern Dafjelbe fehlt, was den Holländern, nämlih die Durdfnetung mit fremdem Sauerteig. Die Jfolirung ift ihr größtes Gebrehen und das größte Hinderniß ihrer Kultur. Uebrigens verjteht es fi) von felbit, daß ich die Schweizer nicht ven Hollän- dern gleichftelle; fie find nicht jo forrumpirt und gemein wie dieje und bei Weiten kräftiger angelegt. Dabei jtellt ihr politifjher Sinn im Allgemeinen fie jo bod über ihre Konkurrenten im Käfemadhen, wie ihre Käfe größer find ald die holländifhen. Wa$ Dagegen einen Theil von ihnen tief unter die Holländer ftellt, da® ijt die alte Gewohnheit, den auswärtigen Despotismus, ja fo- gar die Todfeinde ihrer eigenen Freiheit mit Söldlingen zu verforgen, während die Holländer (für ihre Kolonien) Sölolinge von Außen beziehen. Diefer Krebs ift für vie Schweizer, was die Sklavenzücdhterei für die Nordameri- faner if. So lang die Schweiz nit Diejenigen als Sceufale ausftößt, die in Rom und Neapel die Freiheit morden helfen, fo lang haftet auf dem Namen Schweiz ein blutige Mal der [händkihften Schande.
III.
Aufenthalt und Thätigkeit in Züri. Nepnblilani- he Heßjagd. Genf. Abihied von Europa.
Nachdem ich mich in Belgien hatte entfchließen müfjen, fortan im Auslande zu leben, fiebelte meine Familie nad) Heidelberg über, wo fie im Haufe einer Verwandten ein einftweilige® Untertommen fand. Dort war der alte Welder ihr täglicher Bejucher, der fid) beftändig in Yobeserhebun- gen meines Buch8 über die Büreaufratie erging. Kurze Zeit nachher, als ich in ZürichmeineNiederlafiung bejorgt hatte, folgten mir die Meinigen dorthin und wir bezogen eine Wohnung im „Seefeld“. . Später zogen aud Frei» ligratö und Auge in jene Gegend. Außerdem mohnte dort W. Schulz mit feiner -trefflihen Frau. Mit diefen Erpatriirten, fowie mit Jul. Tröbel, der damals feine Chamäleons- oder Bedienten-Natur noch nicht heranstehrte, ftand ich in täglichem Verkehr und es entwidelte fih zwi- {ben uns Allen und unfern Familien das freundlichjite Umgangsverhältniß, dem wir mande heitere Stunde und gegenfeitige Anregung verbankten. Sonftige Bekannt» haft nüpften wir nur mit.ein: Baar teutfchen Profefioren
101
en a
der Univerfität an. Mit Schweizern hatten wir alle jehr fpärlihen Umgang. Unter ven teutihen Schweizern gibt ed Wenige, an die fih ein ZTeutjcher anjchliegen könnte,
Die Thätigfeit, die ih in Züri begann, follte eine doppelte fein: eine entichieden revolutionaire durdy Ber- breitung von Flugfchriften, weldye in der Schweiz gebrudt wurten, umd eine, die teutichen Möglichkeiten berüdfichti- gende, welche in der Publizirung von zenfurfreien Zwan- zigbogenfchriften innerhalb Zeutjchlands beftand. Jene jollte unterhalten werden durdh Geldfammlungen, dieje jollte mir die Mittel der Eriftenz liefern.
Die erfte Zwanzigbogenfhrift, welde ih von ber Schweiz ans in Teutjchland (bei Yesfe in Darmftadt, 1846) erfcheinen ließ, war „die Oppofition“, eine Vierteljahrs- Ichrift, mit Beiträgen von KRuge, röbel, Nauwart, reis ligrath, Hermegb u. U. — ein jhönes und vielverjpre- hendes Unternehmen, an dem fihb nah und nad alle hervorragenden Kräfte der entichiedenjten Oppofition bes theiligen follten, Uber bald nad dem Erjcheinen des Buchs trat die Polizei in’ Mittel und machte durch Be- brohung de8 Verlegerd die Fortjegung unmöglih. ine zweite Zwanzigbogenfhrift war „Politifche und unpolitifche Fahrten und Abenteuer“, zwei Bände, die ih im näns lihen Jahr im Selbftverlag bei H. Hoff in Mannheim berausgab. Derjelbe ließ fich aber beinah die ganze Auf: lage in Beichlag nehmen, jo daß mir das Buch nicht einen Pfennig einbrachte. Unterdejfen thaten auch die revo- Intionairen Slugichriften eine folde Wirkung, daß Alles, was von mir ausging, fofert eine polizeiliche Hetjagd ber- ‚vorrief, welche gleichzeitig jeden Buchhändler, der ferner meine Schriften zu verlegen wagen follte, mit einem Ber:
— 103 —
lagsverbot bedrohte. D. Wigand in Leipzig, einer der fühnften, dem ich ein Baar Zmwanzigbogenjhriften antrug, ihrieb mir, „er wage nicht einmal meinen Namen zu druden, denn mein Name und Satan fei in Teutjchland identifch geworben,“
Die jhlimmfte Wirkung diefe® Berhältnifjes war, daß mir dadurd alle Ermwerbsquellen abgejchnitten wurden, benn meine Slugfchriften wurden gratis vertheilt und im Auslande gab e8 feinen Berleger, der für eine Schrift, namentlid mit ber Tendenz der meinigen, Honorar zahlte, Im erften Jahr meined Eril8 brachte mir meine Teder 1500 Thaler ein, mehr, al8 ich für mich und meine Familie brauchte, obihon ich damals für jech8 Perfonen zu forgen hatte. Diefe Einnahmequelle wurde durd die Polizei plöglich verjtopft und ih war nun auf einen Theil der gefammtelten Gelder verwiefen, die ich, obidhen fie aud) zum Zwed einer perjönlihen Unterftügnng und zur Ers haltung meiner Familie beigeftenert wurden, bloß für die Flugichriftenpropaganda bejtimmt hatte. Die lieferte zugleich willlommenen Stoff für die Berleumbung, die theil8 von- Agenten der Reaktion, theil® vom niebrigiten Neide auf der Oppofitionsfeite ausging. Man juchte ven Geltfammlungen dur Gerüchte ein Ende zu machen, wonach ich al® loderer VBerfchwender in Saus und Braus „von Auftern und Champagner“ leben felltee Damals erhielt ich den erften VBorgefhmadf der gemeinen und in- famen Berleumdungen, womit man mid) bei jeder Ge- legenheit unfbäplih zu machen juchte, VBerleumbungen, die bloß auf dem Umftande fußten, daß ich die Kriegs: fojten meines Feldzuges nicht aus eigener Tafche bejtrei- ten konnte, jonvdern dur‘ Sammlungen erhielt. Mit den
mir zugewendeten Geldern ging ich fo gewiffenhaft um, daß ich nicht einmal den nahliegenden, fehnlihen Wunfch erfüllte, mir die Hanptihönheiten ver Schweiz anzujeben, wozu eine mäßige Summe ausgereicht hätte. Selbit ven Rigi, den gewöhnlichen Ausflugsort von Zürich aus, habe ich nicht befucht und die einzige Vergnügungsreije, die ih mir erlanbte, war eine mit Freiligrath unternommene breitägige Fufreife nad) dem Wallenfee und nad) Glarus, Taft Alles, mas ich fonft von der Schweiz gefehen, habe ich nur durch die republifanifche Polizei kennen gelernt, als fie mich fpäter von Ort zu Drt jagte. Und während ic) in folder Weife ölonomifirte und während mir zu einer gewilfen Zeit, wo mir in Zürih alle Mittel ausgingen, die Sorge um meine Familie in acht Tagen den halben Scyävel bloßlegte, lebte ich den teutjben Zeitungen zu: folge von Auftern und Champagner. Doch die Mittel fanden fid) wieder ein und mit ihnen aud) die Haare auf dem Scäbel, veffen Inhalt fofort wieder in revolutios nairen Flugichriften den teutichen Berleumdern antwortete.
Unter Denjenigen, vie fih für die Geldfammlungen und meine burdy diejelben ermöglichte Thätigfeit intereffir- ten, ift vor Allen der alte Irjtein und H. Simon von Breslau zu nennen. Niemand verjtand e8 beffer, ald Jg- ftein, dvurd) Mahnungen in der Preffe, denen er ftet® den unfchuldigften Anftrich zu geben wußte, die Sammlungen immer wieder von Neuem anzuregen, umb burch feine Hände gingen die meiften Gelder, womit meine Flug- jhriften gedrudt wurden. Hauptagent für die Berbrei- tung derjelben aber war Rob. Blum, der ficy diefes Amt eigens al8 Ehrenfahhe ausgebeten und burd feine Ber; bindungen von Leizpig aus die befte Gelegenheit dazu
— 105 —
hatte. Ich forgte für die Einf hmuggelung der Schriften über Die Grenze und die Weiterbeförderung nad) Leipzig und Blum:ließ fie von dort aus nach allen Gegenden ver« fenden. (Später übrigens, al8 er Mitglied des Frank. furter Parlaments war, hatte er feine Gefinnung geän- dert. ch ließ ihm von der Schweiz aus von einer gegen jene verrätherifche VBerfammmlung gerichteten, eine republi» tanijche Bewegung befürwortenden, in 20,000 Eremplaren gedrudten Flugfhrift ein Paar taufend Eremplare zur Ber- breitung zugehen. Er fandte das Paket dem Agenten in Bafel zurüd mit der peremtorifchen Weifung, ihn mit der» gleichen fortan zu verfhonen. Mic felbft aber, dem er früher die verehrungsvolliten Briefe gefchrieben, wilrdigte er feiner Antwort mehr. Hätte er geholfen, ven Frant- furter Schwindel bei Zeiten zu befämpfen, wäre er wol nidyt auf der Brigittenau erjchofjen worben.)
Dei der Verbreitung der Taufende von Flugichriften und bei meiner Korrefponvenz in Teutjcyland ging ich fo vorjüchtig zu Werke, daß nicht eine einzige Perjon durd) meine Schuld fompromittirt worden if, Zu den burd) eigene Unvorfichtigkeit.der Polizei in die Hände Gefalle- nen gehörte der mir verwandte Th. Moras, der aber, als er von Mainz nad) Koblenz transportirt werben follte, fich durh einen kühnen Sprung vom Dampfihiff in ven Nhein reitete, worauf e8 ihm burch bereitjtehenvde Hülfe gelang, in’8 Ausland zu entkommen.
Bei meiner lorrefpondenz fuchte ich e8 fo einzurichten, ba meine Briefe nicht in der Schweiz zur Pojt gegeben und feine direkte Aorefien benugt wurden. Befonders
wichtige Briefe ließ ich fogar buch die Hand eines Ges beimmrath8 gehen, ver hohadtungsvoll im Namen einer
a OR
Dame gebeten wurbe, die Einlage feiner Fräulein Tochter zur Bejorgung an eine Freundinn zu übergeben, veren Uodrefje verloren gegangen war, Die Freundinn wußte natürlich, was fie weiter zu thun hatte,
Der Anklang, den meine Propaganda fand, ihr uner« hört revolutionairer Ton, die Kühnheit, womit fie betries ben wurde, und bie Unabläfjigfeit ihres Fortganges hielt beftändig Die ganze teutjche Polizei in Athem, Was aber die Mäcdıthaber am Mleiften zu verdrießen fchien, war Die Bergeblicykeit aller Muafregeln, melde fie dagegen er- griffen. Dazu fam nody der empörende Humor, womit ih ihre Häfcher mitunter irreführte. So ließ ih von einigen Flugjchriften, auf deren Titel faljhe Verlagsorte und recht loyale oder fromme Firmen (mit Aenderung ein= zelner Bucdyjtaben) gebrudt jtunden, ad) gejhehener Ber- breitung ein Paar Eremplare abfichtlidy der Polizei in die Hände fallen. Und was that die geniale Polizei? Sie bielt die Heine Namenänderung für einen Drudfehler, überfiel die loyalen Firmen, hielt jhredhafte Hausjuhun- gen und bradıte daburd Aufregung und Berwirrung in ihrem eigenen Lager hervor, während fie durd) den errege ten Yärm das Interefje für die verfolgten Schriften erhöhte. Den meiften Kummer aber hat den hohen Behörden, weldye die Polizei dirigirten, eine fpäter, im Jahr 1847, bei Jenni in Bern herausgegebene Sammlung meiner bis dahin erjhienenen Flugjhriften gemadt. Sie hat- ten dur ihre Spione erfahren, daß diefe Sammlung ericheinen follte, und daher fofort Mafregeln angeorbnet, fie beim Weberfchreiten der Orenze abfafjen zu lafjen. Durdy meine Verbindungen in Frankfurt wurde ich bier- von nicht bloß benachrichtigt, fondern erhielt aud Abs
wer. no
— 107 —
fchrift eine® amtlihen Dokuments aus der Bundestags- tanzlei, welches den polizeilidyen Yeldzugsplan verrieth. Kurze Zeit nachher war plöglic dur ganz Teutjchland die Flugihriftenfammlung verbreitet und hinter der Titel- feite abgebrudt folgende geheime
„Autographbirte Cirfularnote fämmtliher Bundestagsgefandten an ihre rejp. Negie« rungen. . Gehorfamfter Bericht, eine gefährlide Schrift betreffend.
Der Herr Bundespräfidialgefandte Graf Münd hat unterm 18. d. M. mittelft Cirfularnote eine joldye des königl.»preußifjben Gejandten mitgetheilt, des Juhalts, dak nah zuverlägigen Nadridhten eine Schrift des be- rüdhtigten Karl Heinzen, unter dem Xitel „Die teutjche Revolution,“ hauptfählid eine Sammlung der von ihm früher herausgelommenen Schandihriften, näditend in 5000 Eremplaren über Bajel und Karldruhe zur Berbrei- tung im übrigen Deutjchland, namentlich nach Leipzig an den Buchhändler Jurany, verjandt werben fol,
Die badifchen, jähfiihen und wiürtembergiihen Behör- den find bejonders darauf aufmerfjam gemacht worden und zu gleicher Zeit wird dem Erjudhen gemäß diefer Bericht an hocdlöbliches Polizeiamt salva remissione ab» zugeben jein.
Grankfurt, den 19. Inni 1847.
3. 3. dv. Meyer.”
Man mag fi) vorftellen, in weldye Wuth joldye empö- rende Frechheit eined ehemaligen Unterthans, der nur wenig Stunden von den zahlreichen teutjchen Feftungen
— 108 —
und Gefängniffen hanf'te, die hohen Behörden verfegte, Aber fie fonnten mit all ihrer Polizei und allen ihren Soldaten gegen den einzelnen Er-Unterthan nicht? aus» richten und mußten fi mit einer wüthenden Unterfuchung zur Entdedung des Trevlers begnügen, der mir aus bem Heiligthum der Bundestagstanzlei das Jnftrument der Berhöhnung des ganzen bundestäglihen Yangapparats mitgetheilt hatte.
Ic Habe mich niemals ftolzer gefühlt, ald damals, wo ich einzelner Menfch diefer ganzen Macht, vor welcher fiebenzig Millionen zitterten, die Hölle heiß machen und trogen konnte. Welche Unruhe und Wuth den Mächtigen bieje Thätigfeit einflößte, mag man daraus fchliegen, vaf ber König von Baiern fogar mit dem Plan umging, mid bei Naht dur; ein Detachement Kavallerie auf Schweizer Gebiet aufheben und nad) Teutjchland fchleppen zu Laffen. AZulett wurde felbft meinen ‚eigenen Gefinnungsgenofjen bang. 8 verbreitete fid) eine gewile unheimlihe Schwüle um Diejenigen, die mit mir jyınpathifirten. gitein und Andere riethen, eine Paufe zu machen oder einen gelindern Ton anzufchlagen, und Ruge, der meinte, „ich fonıme 40 Jahre zu früh“, ermahnte mid, mein Yeben nicht nutlo® wegzuwerfen, da ich unfehlbar werde ermor- det werben. Natürlid ließ ich mich: dur Freunde fo wenig wie burd Feinde irre maden und wollte um jeden Preis meine Thätigkeit in der begonnenen WVeife fortjegen. Sie einftellen hieß ihre ganze Wirkung aufheben. Ich bildete mir nicht ein, durdy bloße Flugihriften eine Revo» Iution hervorrufen zu Finnen; aud; hatte ich feine Ahnung davon, daß diefelbe jhon jo bald erfolgen werde. Über ic, rechnete darauf, Daß die teutjche Unterthänigleit Durd
We
den rüdfihtlofen Ausprud revolutionairer Gefinnung, wenn er beftändig an ihr Ohr drang, endlich rebellifch werben mäfje und mein Beifpiel nicht ohne Nahahmung bleiben fönne. Ich wollte die Kühnheit der Sprade fo weit treiben, daß fie feinen andern Uebergang mehr zu- lafien founte, als zur That. Was ein Volk venfen und empfinden lernt, das wird e8 zulegt aud) wollen und thun lernen. BZugleidy legte icy e8 darauf an, die Reaktion bis zu einem Örabe zu beunruhigen und zu blinder Wuth aufzuftacheln, daß fie felbjt durd ihre Repreffiomaßregeln ben gemwaltjamen Wiperftand hervorrufen mußte. Von revolutionairer Konfpiration oder Organijation zu einer beftimmten That fonnte bei meiner Thätigkeit nicht die Rede jein, dazu waren nody feine Elemente vorhanden. Ih wollte bloß auf geiftigem und piychologifchem Wege die Gevanfen und die Gefinnung des Bolfed reif machen, einen Anjtoß gder eine Öelegenheit, wie fie gewöhnlich von der Neaktion jelbit gegeben werden, zur Erhebung zu bes nugen. Cine jolhe ZThätigfeit, Jahre lang fortgefegt, tann nidt ohne Wirkung bleiben, und id) bin nod) jeßt überzeugt, daß eine einzige Feder, die von einem fichern Punkte aus ein unterbrüdtes Bolf erreichen könnte, im Stande wäre, enblidy jede Keaftion zu jtürzen.
Aber ver fihere Punkt, der Punkt des Archimedes — das war es, neben dem Öeldpunft, worum es fich bei mir handelte. Und mein Punkt jollte zu bald unficdyer werden,
Begreifliher Weije fonnte e8 mir nit darum zu thun fein, meine Propaganda mit Oftentation am Orte meines Aufenthaltes zu betreiben. Wo meine Flugjhriften ge» brudt waren, wußte Niemand und ich forgte aud) dafür,
— 110 —
dafr fie nicht in der Schweiz verbreitet wurden. Nur auf diefe Weife gelang ed mir, meine Thätigfeit unter ben Augen der ängftliben „Staatsmänner“ von Zürich, wo da- mul8 gerade der Vorort war, auf längere Zert ungeftört fortjegen zu können. Ym Winter des Jahres 1846 in- befien nahte mir das Schidjal in Geftalt eine® monardie fhen Premierminifters und eines republikanifchen Polizei- direftord, Um jene Zeit war in Süpteutihland eine Korniperre an der Schweizergrenze angeordnet worden, weldye den republifanifhen Magen auf die Dauer em- pfindlic) zu werben drohte. E8 wurden daher Die Herren von Gonzenbad und Neff von Zürih nah Münden ge fandt, um die Aufhebung jener Sperre gehorfamft nad). zufuhen. In der erjten Audienz drüdte ihnen der berüd- tigte Jejuitenminifter Abel — defjen Kain ich hätte wer- den mögen — feine Verwunderung darüber aus, daß fie eine Gunft ald Vertreter eines Landes nachfuchten, weldes feine freundnadhbarliche Gefinnung durd Beherbergung ven MWiühlern befunde, Die das ruhige und glüdliche teutjdhe Volk zu Aufruhr und Berbrecyen aufzureizen jucdhten. Und zum Beweis hatte er gleidy al® corpora delicti einige meiner Flngihriften zur Hand, welde den Herren Ge fandten völlig unbefannt waren und fie in nidht geringen Scyreden verjegten. Sofort berichteten fie in der geeig- netiten Weife die fhredliche Entdedung an den Borort und der Vorort gab den geeigneten Wint der Züricher Negie- rung.
Am 15. Dezember brachte die „Neue Züricher- Zeitung“ einen enthufiaftifchen Lobartifel auf den eben in ver Schweiz geftorbenen Patrioten Eonfalonieri, den Leidens- gefährten Silvio Pellico’8, und bob bei der Gelegenheit
— 111 —
mit Stolz hervor, daß „die Schweiz fo manchen politischen Flühtling ein fihberes Afyl gewährt habe.“ Als hätte man mir diefe gerühmte Sicherheit eigens interpretiren wollen, wurde id) an dem nämlichen Morgen dur einen Landjäger vor den Präfiventen des Bolizeiraths zitirt. Diefer Herr zeigte mir die aus München erhaltenen Flıtg- jhriften und wollte mich über deren Verfafler, Heraus» geber, Druder u. f. w. zu Protofoll vernehmen. Natür- lid verfagte ich dem Polizeirath die Gefälligfeit, mein eigener. Denunziant zu fein, und überließ ihm zu thun, was er mit Ehre und NRedt für vereinbar halte. Nach Schliefung des Protofols .erflärte er mir, daß er mid andy ohne mein Geftänpniß für den Berfaffer halte, und am Abend jhidte er mir einen Gemeindeammann mit einem Yandjäger in’8 Haus, um die etwa vorfindlicyen Slugihriften in befhlag zu nehmen, natürlid) ohne Er» folg.
Da id) fhon nad meiner Bernehmung erratben fonnte, was mir bevorftand, theilte ic) fofort nad) ver Rüdkehr in meine Wohnung der Regierung jhriftlih mit, daß id in ben erjten Tagen den Kanton verlafjen werde und daher auf Erneuerung der dem Ablauf nahen Aufenthalts- bewilligung verzichte. Ich wollte einer Ausweifung zus vorfommen und zugleich, wie ich ven Catonen von Zürich zu wifjen that, „einer republifanifhen Wegierung bie Berlegenheit und den Schimpf erjparen, die polizei- dienerinn von Menfcen zu fein, welde nad republifani- ben Begriffen mindeftend in’s Zuchthaus gehörten.“ Aber die Züriher Katone hatten von republifanifcher Ehre andere Begriffe, als ih. Mein Schreiben kam in der nämlichen Sigung zur Verhandlung, worin über mein
— 112 —
Schidfal beichloffen werden follte., Einen Tag fpäter und die Ausweifung hätte keinen Gegenftand mehr gefunden, hätte nur nad meiner Entfernung erfolgen fönnen. Cine Ausweifung mıufte man aber haben, um dem Mlinifter Abel den Preis für die erbetene Gunft im Voraus zu zahlen, und e8 war Öefahr im Berzuge.. Es hanvdelte fid) um das Korn und um den Magen und beide wifjen nicht8 von republifanifcher Ehre. Man hätte mid aus«- gewiejen, wenn ich auf dem Weg nad) Amerika, ja wenn ic auf dem Wiond gewejen wäre. 8 war, als hätte man einen Sterbenden oder Geftorbenen zum Tode ver- urtheilt, bloß zur Dofumentirung des gutert, erniten, auf» richtigen Willens, ihn zu küpfen. Die Thbatjache ver Ausweisung, begleitet mit möglichit viel „Abjcheu* umd Yärm in der Prefje, wird genügen, — jo falfulirte man — ‚die Aufhebung der Kornjperre jofort zu bewirken. Und man hatte richtig kalkulirt. Kurze Zeit naher wurde die Sperre aufgehoben, aber mir, dem man die Auf: bebung zu verdanken hatte, wurde fein republifanifcher Dank votirt. Vielmehr jollte jetst erft die wahre Hete beginnen. Mit ihrem perfiven Ausweilungsverfahren nicht zufrieden, erjuchte die Züricher Negierung in einem Zirkularjchreiben die fümmtlichen übrigen Santonsregies rungen, den Verbrecher, der fich nicht gejcheut hatte, von einer Republik aus mit der Feder für den Republifanis- mus zu wirken, jofort weiter zu jpediren, wenn er fid in ihrem Bereich bliden lajje. Und damit das Zirfular- ihreiben feine Wirkung nicht verfehle, wurde e8 von einer journaliftifchen Hegerei begleitet, die fi), wie ein Hunde- gebell auf eine gegebene Jntonirung, dur das ganze Land verbreitete und mit dem ganzen Aufgebot von Rob»
— 113 —
beit und Frembenhaf betrieben wurde, befien fhmeizerifche Mufterrepublitaner fähig find. Die „Neue Züricher Zei- tung”, die ein Paar Tage vorher die „Sicherheit“ des fchweizerifchen Ajyls gerühmt hatte, gab das Signal und ihr antwortete ein fich fortwährend verftärtendes Echo durch alle „freien Berge“ bis in die UrsSantone, wo u. U. die „Luzerner Staatszeitung“ der Züriher Regierung dafür dankte, daß fie „ven Muth(!) gehabt habe, einen jener teutihen Yausbuben aus dem ande zu weifen.“
Ich hatte hon vor einiger Zeit im Kanton Bafelland Einleitungen zur Erlangung de Bürgerrechts getroffen. Jener Kanton ift zwar einer der rohejten und langweilig- ften der Schweiz; aber e8 war dort zu jener Zeit am Yeich- tejten das Bürgerrecht zu erlangen. Zudem hatte ich dort die beiten Verbindungen und Gelegenheiten für meine revolutionaire Wirkfamfeit, Deshalb wandte ich mich, als ich ven Konton Zürich verließ, direkt nad Bafelland und gevadıte dort ruhig mein Avancement zum Eidgenof- fen abwarten zu können. Kaum aber war id) in ber Hanptftadt Lieftal abgeftiegen, fo überrajchte mich der Po- lizeiminifter mit der Nachricht, daß ich auf das Bürger. werben zu verzichten und in dem wegen feines „Nadikalis- mus“ verfchrieenen Bafelland fein anderes Recht in An- fprudy zu nehmen habe, als, möglichit rafch ven Meinigen Rahricht von meiner Weiterreife zu geben und dann jo- fort ven Boftwagen nad) Bern zu befteigen. Denn mid) jest nod an die Hleinern Kantone zu adreffiren, erfannte ih nah den erhaltenen Mittheilungen ald vergeblidye Mühe.
Bern, das ftolze Bern, ift der natürlihe Hort ver fhweizerifchen Yreiheit. Es bat aud ae rail im
— 114 —
Wappen und läft fih am Stabtthor von zwei Peten be- wachen, die Jeden zu erbrüden drohen, der fi an ber freien Stadt vergreifen will, Auf die Berner Bären und nod) mehr auf die berner Demokraten, die Schüler Snells, jetste ich meine Hoffnung. Herr Niggeler, ein Schwieger- john vefjelben, vertrat mich auf das Kräftigite in feiner Zeitung und Herr Stämpfli, ein zweiter Schwiegerjohn Snells, veriprah, im Regierungsfollegium fein Beftes für mid) zu thun. Er bielt e8 aber nicht für überflüffig, dafz ich vorher auch mit andern Mitgliedern der Regie: rung Spree, und auf feinen Math machte ich einen Be - fud) bei Sr. Erellenz dem General Dchfenbein, dem fieg- reiben Helden des Kriegs gegen den Jelnitismus,
Herr Dchjenbein empfieng mid auf dad Treundlichte und ic) hatte eine lange Unterredung mit ibm. Ich jprad in der fräftigiten Weife mein Vertrauen aus, daß die Bes fieger ver Jejuiten nicht einem Jefuitenminijter durch meine Verfolgung die Ehre und Rechte der Schweiz opfern wür« ben; die Schweiz, bemerkte ich, künne ihre Stellung nur behaupten durd) Stolz und Kühnheit den Despoten gegen- über, während jede Konzefiion, die fie denfelben mache, eine Ermuthignng zu neuen Anfprüchen jei, welche zulett nur dDurdy Aufopferung der ‚Freiheit und Unabhängigkeit des Yandes befriedigt werden könnten. „Ia,” ermiederte feine Erellenz, „jo ift eg. Aber man irrt fi, wenn man glaubt, der Schweiz entehrende Zumuthungen machen zu fünnen. Wir haben nichts zu fürdten und fürdten aud) nihts. Ein Volk wie wir ift ftark gegen bie ganze Welt.“ Dief feine eigenjten Worte.
Nun, dachte ich, an Diefem Helden wirft du eine eherne Stüte finden, und jchied mit der freudigften Zuverficht von
— 115 —
dem ftolzen General, der die Freundlichkeit in Perfon ge worden war. Am andern Tag kam meine Angelegenheit im Regierungsfollegium zur Entfheidungund Herr Dchfen- bein war, wie ich durch den ebrliben Stämpfli erfuhr, der Erfte, der — für meine Weiterfpedirung ftimmte! Der Bolizeiminifter, bei dem ich noch perfänlic; gegen den Ausmweifungsbeihluß proteftiren wollte, wußte feine Er- börmlichkeit durch nicht® Anderes zu retten, al® burd) die Simulation, er habe mid) für einen Spion oder agent provocateur gehalten.
In Bern war aljo ebenfall® meines Bleibens nicht, ob; Ichon ich noch zum Ueberfluß meine Angelegenheit in einer, von allen ehrliden Republitinern gebilligten Brodyüre verfocht, weldhe die ganze Unmürbigfeit des gegen mid) eingejhlagenen Berfahrens beleuchtete. Natürlich richtete fi) jetzt mein Blid nad dem Genferfee. Aber wie dorthin gelangen? Das ganze berner Oberland war himmelbod) verfchneit nnd in Freiburg, durd) welches die einzige fahr: bare Straße führte, thronten die Yefuiten und kontrolirten fehr forgfältig die Poftmwagen. Dian machte mir begreiflich, daß Neuenburg, vamals nod) preußifch, nicht weit von Frei» burg entfernt war; und daß ich den teutfchen Regierungen am Herzen lag, wie damals kein Anderer, fagte mir mein Gewiffen und meine Erfahrung. Auf meiner Fährte waren beftändig einige Spione gefhäftig und id) konnte fiber fein, daß fie ihre Schulpigfeit thaten. Meazzini, mit feiner unanfehlihen Körperlichkeit und feiner Ber- ftellungstunft, konnte überall die Polizei wie die Spione täufhen. Mir war e8 nicht möglid, das Signalement Lügen zu ftrafen.
E3 blieb mir am Ende nichts Anderes übrig, als der
— 116 —
Entfchluß, die Reife nach dem Genferfee durd) das Berner Oberland zu verjuhen. Welhe Reife! Wenn id je Luft verfpüren follte, eine Expedition nad dem Norbpol zu machen, ich würde fie turd die bloße Erinnerung an die Naturforfcherreife erfegen können, die ih von Thun aus durdh das Simmenthal nad Beray machte. Ih hatte in Thun einen Sclitten gemiethet, aber Taum waren wir einige Stunden aufwärts Durd die verjchneite Derggegend avancirt, fo fehrte fih das Verhältnig zwi- Ihen Pferd und Paffagieren derart um, daß bie letteren fi hinter ven Schlitten jpannen mußten, um mit ibm den Gaul durdy den Schnee voran zu fhieben. m diefer Weife, bald gezogen, bald fdiebend und dabei in jteter Gefahr, auf einer gänzlidh unbefahrenen Straße bohle, in die Luft binausftehende Schneeflähhen ald fejte Wege zu betreten und einige hundert Fuß tief in Dem noch inımer raufchenden Waffer des Simmenbadyes gebadet zu werben, reif'ten wir ein Baar Tage und Nächte lang. Yn Vevay feierte ich eine wahre Erlöfung, und naddem id) wieder aufgethaut war, eilte ih nad Yaujanne,
Ich wandte mich zunäcdft an Herrn Eytel, das Haupt der Radikalen des Kantons, dem ich einen Empfehlungs- brief von Herrn Stämpfli bradte. Auf meine Frage, ob Herr Druey (damald Präfident der Waabtlänver Kegierung) midy dulden und jchügen werde, antwortete Herr Eptel: „Ich glaube es nicht, er ift zu feig, er ift ein Diplomat, do fragen Sie ihn felbit."
E38 foftete dem diden Druey einige Anftrengung, bis er den Beicheid dur feine weinbeengte Bruft hervorgebrängt hatte. Er lautete: „jo lang feine Reklamationen von Augen fomımen, wirb man Sie bier nicht ‚beläftigen; kom
— 117 —
men fie aber, fo -fann ich für nichts einfichen“. Das bie mit andern Worten: Sie bleiben fo lang bier, bis Sie weiter getrieben werden. ch dankte Herrn Druey anfrichtig dafür, Daß er mir wenigftens reinen Wein ein« geichentt, und beruhigte ihn durch die - Nahricht, daß ich fofort mach Genf weiter reifen werde.
Bor der Abreife fprach ich nochmals bei Eytel vor und fragte ihn, ob er glaube, daß ich bei Fazy, dem Haupt der neuen revolutionairen Regierung von Genf, Schuß finden werde. Herr Eytel antwortete: „Tazy ift ein eben jo großer Feigling wie die Andern. Docd id) werde Ihnen einen Brief mitgeben.* Er gab mir einen Brief, nit an Fazy, jondern an einen mir damals ganz unbe- fannten Spradjlehrer, Namens Alb, Galeer, und damit reif’te ih nach Genf.
In Genf angelommen, erfundigte id mich zunächft nad der Perjönligkeit und den Berhältnifien de8 Sprad)- fehrers, bei dem mich der Eytelfche Brief einführen follte. Galeer, hieß e8, ver früher mit feinen Eltern lang in Zeutijhland gewohnt hat und bier ald Lehrer der teutjchen Sprade eriftirt, ift ein ftiller und befcheidener Dann; aber ohne ihn hätten wir wahrfcheinlich feine Genfer Res volution gehabt. Er war es hauptjählich, der fie unter den intelligenten Arbeitern vorbereitet, ver ihre Kräfte organifirt und fie im entjheidenden Augenblid, audy militairifch, geleitet hat. Eigentlih follte er an ber Spite der Regierung ftehen. Aber feine Bejcheidenheit und der Umftand, daß er nod) feine öffentliche Figur ges worden, veranlaßten, daß man nah Erkämpfung des Siegs zur Leitung einen Dann berief, der einen befann» ten Namen und zwar ebenfalls fi) große BVervienfte
— 118 —
erworben hat, aber im entiheidenden Augenblid Galeer den Vorrang ließ.
Saleer war einer von jenen Menfhen, deren Yeußeres auf ven erften Blid in keiner Weije verräth, wie viel in ihnen jtedt. Ich war überrafcht, in ihm einen Dann zu finden, den ich unter Hunderten ficher zulettt al8 ven Leis ter einer Revolution angefehen hätte. Seine, keineswegs ausgezeichnete oder hohe, etwas rüdwärt® geneigte Stirne war mit didem, wolligem Haar umwadjen; die Nafe war ftarf, aber nicht hHübjh) oder marfirt gejtaltet; der Mund war groß und durch ziemlid dide Lippen gebildet, das Kinn ziemlich ftarf und tnodig. Das Einzige, was in diefem wenig anziehenden Geficht fejjelte, war das große, freundlidye, humane, in einem eigenthümlichen Glanz, mit» unter wehmüthig, leuchtende Auge. ch fage: Das Auge, denn er befah nur eins; das andre hatte er in einem Duell verloren. Und trog Allevem konnte dieß den Umrifien nady fajt häßliche Gefiht wahrhaft jhön fein Durd den Ausprud, den ed namentlih während der Unterhaltung annahm. Dann fahb man in ihm ganz den edlen Geift und Menfhen ausgefprocden, den man in Galeer durd) nähern Umgang kennen lernte, und wenn er burd einen ernjten Gegenjtand angeregt war, fand man auch in dem Ton feiner kräftigen Stimme die groje Energie angedeutet, welche diefen jhwaden Körper raftlo8 zu gemeinnügiger Thärigkeit und in jedes, noch fo fühne Unternehmen trieb. Der Grundzug feiner gemüthlichen Natur war Ruhe, der Grundzug feines Geiftes Raft'ofigkeit. Daher ver- einigte fi) in &aleer der grüntlihe Denker mit dem immer bereiten Mann der That. Gleichzeitig war er der fröhlichjte Yebemenjh, in freien Augenbliden ftetd aufge-
— 119 —
legt zu einer genialen Ausgelafienheit hinter der Flafche oder zu einem tollen Studentenftreih gegen Phılifter, Ariftofraten und „Behörden“, Während er als Bolks- mann und Mitglied des großen Raths in Genf öffentlich die nöthige Würde behauptete, habe ich in Erholungs- ftunden mit ihm mehr al8 einen Stupdentenftreidy ausge- führt, ver uns auf ein Haar beide in die Hände der Polizei lieferte.
Die ift der Mann, der in Genf Jahre lang durd) eine raftlofe ZThätigfeit fih wahrhaft zum Scutengel der Flüchtlinge machte, während er gleichzeitig ohne Unterlaß nicht bloß den Kanton Genf und die Schweiz zum Fort- fohritt antreiben half, fondern audy für die Revolution aller Yänder thätig war. ©aleer und der verftorbene Jenni in Bern find die einzigen wahren Revolutionaire und Kosmopoliten, die id unter den Schweizern kennen gelernt Habe. Und diefer Dann mußte in den beiten Jahren der Welt verloren gehen! ch perfönlic verlor in ihm vielleicht den beiten Freund, den ich je gefunden. Er war einer von den Wenigen, die ich ald Mienicyen und Männer durd) und durch achten gelernt und nad) allen Seiten hin probehaltig befunden habe,
Nachdem ic mich bei Gualeer in feiner befcheidenen Stube mit meinem Brief eingeführt, bevurften wir nur weniger Minuten, um über Alles einig zu fein. Er be- reitete Wazy in der geeigneten Weife vor, worauf ich demfelben perjönlidy mein Anliegen mittheilte. Yazy em- pfieng mich mit ver freundlichyiten Theilnahme und auf meine beftimmte Fruge, ob ih im Kanton Genf Sicherheit und Ruhe genug finden werde, um mich mit meiner Yamilie dort niederlaffen zu fönnen, erwiederte er entjchieven: „fo
ae IE ie
lang ich hier etwa® zu jagen habe, bleiben Sie ruhig hier.“ „Uebrigens,“ fette er gleich hinzu, „ift ed nicht nöthig, daß alle Welt fofort über Ihren hiefigen Aufenthalt unter- ridhtet wird. . Könnte man fie nicht eine Zeit lang im Dun» teln laffen ?* ch verftand den Wink und erwieberte: „ich werde durd Bekannte in äffentlihen Blättern verbreiten lafjen, daß ih mich in eine Verborgenheit des Kantons Graubündten zurüdgezogen habe, um -fortan den Willen» Ihaften und der Nutur zu leben.“ „Recht fo,“ rief Fazy ladyend, „da® ift der rechte Weg, jpäter wirb fi) Alles Ihon machen." E83 fiel ihm augenjceinlid ein Stein vom Herzen, al® idy mich verabjcdhiebete, um „nad bem Kanton Graubündten“ abzureijen.
Wenn id) berichte, daß Yazy Pfiffe der VBorficht bei mei- ner Aufnahme in Genf für nöthig hielt, jo joll damit keineswegs gejagt fein, daß er fi mir gegenüber unchren» haft oder perfid benommen habe, wie andere jchmeizerifche „Staatsmänner“. m Gegentheil mug ich ihm dankbar bezeugen, daß er mic) durdaus honnet behandelt und, wie fi, fpäter zeigen wird, mich gehalten hat, jo lang e8 irgend möglih war. Cine Minijterfrage hätte er freilich aus der Beihütung eines Ylüchtlings nicht gemadt. Yazy war ein Dann von leichtem franzöfiihem Geift, Harem Berftand innerhalb feiner Sphäre, praftiicher Klugheit ohne allen Enthufiagmus für Jveen, energijhem Willen, dabei ehrgeizig, etwas autofratiich disponirt und nicht zu ffrupulös in feiner Politik, aber doc konfequent fefthaltend an den Hauptprinzipien, denen er aud) vor Erlangung der Macht feine unermüdliche Thätigkeit geweiht hatte. Je dem Fortjchritt indeh Über diefen Prinzipienkreis hinaus war er entihieden verjhlofien und diefer Umjtand. begrün«
— 121 —
dete von vorn herein zwijchen ihm und dem ideenerfüllten, fozialiftifch gefinnten Galeer eine Differenz, die, wenn der Lesste am Leben blieb, unfehlbar einen ernften Konflikt her» beiführen mußte. Sie haften fi zulett fo bitter wie möglih. aleer, der über die intelligente Genfer Arbei- terbevölferumg verfügen konnte, hatte -e8 in feiner Hand, Vazy zu ftürzen, und er würde e8 gethan haben, wenn ihn der Tod nicht zu früh weggerafft hätte,
Bei diejer Gelegenheit fchalte ih das Kuriofum ein, daß jogar mir, dem fremden Flüdtling, die Miffion, Bazy zu flürzen, zugebadyt oder angeboten wurde, in alter vermögender Schweizer, Jetzler mit Namen, der bei der Revolution troß feinen grauen Haaren bie Musfete ergriffen und tapfer gegen die Ariftofraten gefochten hatte, bafte Fazy mit der ganzen zähen Wuth einer langgenähr- tern vorgefaßten Meinung, weil er ihm ven Plan zujchrieb, Genf an Frankreid) zu verrathen. Er hatte durd Galeer ein Paar meiner Schriften erhalten, die ihn fo eins nahmen, daß er mih bejudte und mir folgende Propo- fition madte:
„3% bin ein alter Patriot und wenn ich Gelegenheit hätte, mögte id; jterben wie Winkelriev. Ich haffe den Mann, der mein Vaterland verrathen will, biß in ben Tod, und will thun, was. ih kann, ihn zu ftürzgen. ch perfönlich kann es. nicht, aber Sie wären der Mann dazız, wenn Sie Öenfer Bürger wären: Ich habe Mittel und biete Ihnen an, Ihre Schriften in’s Yranzöfifche über- fegen zu lafjen, um Sie bei meinen Mitbürgern befannt zu madhıen. Dann-ftelle ic Ihnen die weiteren Mittel zur Berfügung, Bürger zu werden und find Sie das, fo haben Sie e8 jelbit in der Hand, fi einen Wirkungstreis
— 12 —
zu fchaffen und mein Baterland von feinem gefährlichiten Berräther zu befreien.“
Anfangs amüfirten wir und an biefer Phantafie, aber ber alte Patriot wurde zulegt jo zubringlid damit, Daß ich die Beleidigung, weldye in diefer Zumuthung lag, durch eine Gegenbeleidigung zurüdweifen mußte, worauf id) ihn zwar lo8 wurde, aber von nun an in feinen Augen eben falls ein VBerräther war. Uebrigens-bemerfe ic), daß der alte Jetzler nicht der Einzige war, ber Fazy franzöfiiche Hinneigungen zufchrieb, jpäter zogen ihn aud Andere in Berdadt. ch Tenne Feine befonpre Thatjache, die den Berdacht begründen könnte, aber wenn id nad meinen Beobahtungen auch nidyt abgeneigt bin, ihn zu tbeilen, fo glaube ic do, Fazy würde einen Aufchluß Genfs an Vranfreih nur dann begünftigt haben, wenn bdiejes eine Kepublid gemwejen wäre. Und folden Anjcyluß wird jeder aufgeflärte Politiker ald Rejultat fpäterer Entwidlung vorausjehben. Wenn einmal Europa frei ift und die Ab- fperrung fünftliher Nationalitäten, die ja nur burd die monardijchen Intereflen unterhalten wird, keinen Zwed mehr bat, wird die franzöfiihe Schweiz eben fo ficher mit Tranfreih verfchmolzen werden, wie die tentjche mit ZTeuticland,
Nahdem ich de Aufenthaltd in Genf verfichert war, gab ih mich natürlic fofort an die Arbeit, um mein Werk nicht einfchlafen und Niemanden zu der Einbil- bung gelangen zu lafjen, die Verfolgung habe mir die Yuft Dazu vervorben. ch miethete mir der Stadt gegenüber zu Paquis eine ifolirte Wohnung amı See, wo idy unge- ftört arbeiten konnte und mir zugleich jede Erholung zu Wafler und Land fi von felbjt tarbot. Der Sommer,
— 123 —
ben ich dort verlebt habe, gehört zu der fhönften Heit mei- nes Lebens. Auc, lernte ich dort mehrere adıtbare und liebenswürdige teutjhe Familien kennen, mit denen id) und die Meinigen freunpjhaftlihen Verkehr unterhiel- ten, fo daß uns Gefellihaft wie Natur Alles darbot, was da8 Leben erbeitern und verjchönern fann. Wenn es in meiner Diadht läge, einen legten Lieblingewunfdh zu er- füllen, jo wäre ed der, an dem Hlafjischen Oenferjee meine Zage beichließen zu können.
Kaum war ic in meiner Seewohnung warm geworden und das Halloh der gegen mid veranftalteten Hetjagd verflungen, als in Teutihland aud wieder neue und zwar verjhärfte Proben jener verbaften und gefürchteten „Brandicriften” auftaudten, weldhe troß allen VBorkeh- rungen ihren Weg über die Grenze fanden, die ganze Polizei und Zollwädhterei auf den Beinen hielten und bis nad Polen und Ungarn hin die größte Senfation erregten. (Auh Herr Kofiuth las und lobte fie — wie ich durch meine Korrefpondenz aus feiner Nähe erfuhr —, nur gefiel ihm ihr Republitanismus nicht und die darin ausgejpro- hene, jetst von mir verworfene Anfiht, Ungarn müfje ein Theil einer teutihen Föderativrepublifkwerden.) Man ließ e8 au in Genf an feiner Bemühung fehlen, hinter va® Geheimnig zu kommen, wo ich die Schriften druden ließ und wie ich ihre Verbreitung möglich machte, und zu dem Behufe trieben fih auch dort immer Spione umber, die indeß einen doppelt jchweren Stand hatten, da fie meine ifolirte Wohnung nicht überwachen konnten, ohne jelbft überwacht zu werben, Eined Tages benutte einer derjelben, der in einer nah gelegenen Kneipe auf der Lauer gejefien und mid mit den Meinigen über ven See
— 1214 —
fahren gefehen, die günftige Gelegenheit, um fein Glüd durd einen kühnen Streich zu verfuhen. Er hatte fidh vom Kopf bi8 zum Fuß genau gekleidet wie ich, offenbar um von etwaigen Mitbemohnern des Haufed für mid An gefehen zu werben und in meine Stube einbreden zu fönnen. Der Streid gelang ihm nur fo weit, daf er meine unvermutbhet zu Haufe gefuntene Schmwägerinn, nachdem er fie vergebens. ausgeforfcht, durch eine Lift für einen Augenblid aus der Stube entfernte und einige friich gebrudte Brodüren ftahl. Der Menfch hatte fich mir äußerlih fo ähnlich, gemadt, daß mein Heiner Sohn, ber auf der Strafe fpielte, ihm fchreiend eine weite Strede nadlief, um feinen „Papa“ einzuholen. Meine Bemü- hungen, dem Doppelgänger auf die Spur zu kommen, blieben frudtlos.
Dieß Spienenwefen gab zu amäüfanten Vorgängen Beranlafjung. Nachdem alle Bemühungen der unterges orbnneten Spürhunde frudtlos geblieben, hieß ed eines Tages in den Zeitungen, der Chef derfelben, der berüdy- tigte Dunfer, fei felbft auf dem Weg nad) der Schweiz, um den revolutionairen Umtrieben auf die Spur zu fom- men. Sogleidy kündigte ich in einem Schweizer Blatte feine bevorftehende Ankunft an und fette einen Preis von 50 Gulden für feine gründliche Durdprügelung aus. Es dauerte nicht lang, jo erhielt ich einen Brief aus Bern, worin mir gemeldet wurde, Dunfer jet angelommen, logire in dem und dem Hotel und es feien fon ein Dusent teutihe Mucii verfhmworen, meinen Preis zu verdienen. Zwei age fpäter erhielt ich von ber näm- lihen Hand die Mittheilung, der bemufte Reifende fei nit Dunfer, fondern nur ein Aufje, er werde aber wo
— 125 —
möglich body. Prügel befommen, weil er Dunler hätte fein können.
Kurze Zeit nachher taudyte das Dunfergefpenft in Genf jelbft auf. Zwei teutjche Arbeiter jeten mich in Kennt» niß, Dunter fei im “Hotel des Bergues” abgeftiegen und fie feien entjchloffen, ihn nicht bloß durdzuprügeln, jon- dern aus der Welt zu jchaffen, den Inhalt feines Koffers mir zu überbringen und fih dann über bie favoyijche Örenze zu retten. Sie hatten fid ganz fpeziell ausge» dacht, wie fie den Verbrecher auf feinem Zimmer unter dem Borwand, daß fie wichtige Mittheilungen zu mas hen bätten, befuchen, ihn überfalleu und ohne Geräufch firanguliren wollten. Natürlich fuchte ich ihnen den Plan auszureden, da das Kefultat, welches fie fehr hoch anjchlu- gen und auf weldes fie fih im Voraus nicht wenig freus ten, in feinem Verhältnig zu der Gefahr ftehe, der fie fich ausjegten; allein fie blieben fejt bei ihrem Entjchluß. Zum Glüd war Dunfer jo wenig nad Genf, wie nad) Bern gefommen. Der eine jener wadern Arbeiter, ein fanatijcher Heiner Burfce, ift fpäter in Baden gefallen...
Dei dDiefer Gelegenheit bemerfe ich, daß ich zu jener Zeit eine große Popularität bei den Arbeitern befaß. Sie waren Damald noch nicht verborben und verwirrt durd) fommuniftifhe Jpeen und VBerrüdtheiten, begeifterten fich nody für die Republik, haften nody die Despoten und tha= ten, was fie fonnten, für die Sache der Revolution, Meine Popularität war den Kommuniften, denen natürlid) da8 Mo- nopol der Arbeiterjympathieen zufam und die jedes An- Hang findenve Freiheitsjtreben mit gemeinfter Schyeelfucht anfeindeten, ein Dorn im Auge. Ich war ihnen fchon früher in Köln und fpäter in Belgien entgegengetreten
— 126 —
und fie hatten fi) vergebens bemüht, mich zu befchren. In der Schweiz ließen fie die niedrigften Jntriguen gegen mic) fpielen, 3. B. dur einen gewonnenen Arbeiter, der mich al8 beuchlerifcher Freund befuhen mußte, meine häuslihe Einrihtung — die, Alles in Allem, 300 Fran- fen gefoftet hatte — ausfpioniren und dann in Blättern befannt machen, ich fei eingerichtet wie ein Bourgeois oder Banquier. Herr Marr ließ fogar eine,offenbar theil- weife von ihm felbit gefchriebene, gegen mid gerichtete Brobiüre dur einen Arbeiter, Namend Born, unter einem faljcben Namen publiziren, damit e8 nur heiße, die Arbeiter feien mir - feindlich gefinnt und träten gegen mid auf. So trafen aud bier, wie anderwärts, bie fommuniftiiben Beftrebungen mit den monardifchepolizei- lihen zujammen. |
Bon Genf aus veranftaltete ich auch Die fhon ermähnte Herausgabe einer Sammlung meiner Flugfchriften, die bei Jenni in Bern erfhien. Dieß mahnt mich daran, jenem wadern Dann ein Paar Worte der Erinnerung zu widmen. Jenni würde, wenn er eine wifjenfchaftliche Ausbildung erhalten hätte, eine hervorragende Stellung eingenommen haben, denn er befaß ungewöhnlichen Ber- ftand, Geift und Wig. Er bradıte es indeh nur zu einem bejhyeidenen Buchhändler und Redakteur des „Gudkaften“, in weldem er die Berner Ariftofraten auf’8 Unbarm- berzigfte geißelte. Bon Charakter war er nobel, von Ges finnung radikal und revolutionair, feine Anfihten mwa- ren umfafjend und human, Dabei war er tapfer im Krieg, im Leben und im Sterben, fich treu bi® zum legten Augenblid. AS die Schwindfuht ihn dem Grabe zu- führte, ließ er fi, zum Zroft für feine Yeinde, nament-
— 127 —
lich die Ariftofraten, im „Gudfaften“ abbilden, von Wode zu Woche fhhmächtiger, bi8 er zuletst als blofes Stelett erihien. Nicht lang vor feinem Tode fchrieb er mir, auf meine vorausgefehene Reife nad Amerika anfpielend: „Rad Allem, wie ich die Sache anfehe, werde ic) diefen Herbft ebenfalld auswandern, zwar nicht nad) Amerika, aber in das unbekannte Land, deffen Eingang das Grab ft. Ich bin krank, unrettbar frant. Gib mir feine Aufträge mehr zu beforgen, denn id) fchreibe diefe Zeilen mit der größten Anftrengung. 8 ift Dies wol der letzte Brief, den ich dir fchreiben fann. Lebe mohl und fei ge- grüßt vom Dann des „Sudkaften,“ der feine Artikel mit Unterbrechungen diktiren muß.“
Dit einer der beten Brodüren, die ich von Genf aus publizirte (fie hieß „das Patent“ und beiprad das Opus gleiches Namens, herausgegeben von Friedrih Wilhelm 1V.), hatte ich doppeltes Unglüd, indem nämlich faft Die ganze Auflage verloren ging und gleicdyzeitig dadurd ein neues Skandal erregt wurde, Das viel dazu beitrug, meine Stellung in der Schweiz unhaltbar zn machen. Mein Beauftragter hatte die Dummheit oder Leichtfertig« keit begangen, den Hauptballen, ftatt ihn erjt auf dem angegebenen Weg jenjeit der Zolllinie auf teutihem Bo» den in Sicherheit zu bringen und von da aus an feine zweite Aprefje weiter zu fenden, bireft aus der Schweiz nah Mannheim fpediren zu laffen. Dort wurde cr, der Borjchrift gemäß, deponirt, damit der Aprefjat ihn abbole und verzolle. Da aber, durd eine zweite Leichtfertigkeit, die indeß hier zum glüdlichen- Zufall wurde, Die Aorefie verfehrt gejchrieben und deshalb der Empfänger nicht zu ermitteln war, fandte man den plombirten Ballen unge-
— 128 —
Bffnet nach Bafel zurüd, Die „republilanifhe” Polizei, noch eifriger im Spüren und Denunziren, ald die royali- ftifche, riß das Paket auf und fand darin eine der fchred- lihen „Brandfchriften“, welde die Sicherheit der Schweiz gefährdeten und die fittlihe Welt aller Zöpfe aus den Angeln zu werfen drohten. Die entfegten Häupter ber Bajeler Regierung fchritten mit aller Madt und allem Eklat des Gejeged und der Gefeglofigteit ein und vers dammten die Brodhüre zur feierliben Bernidbtung dburh Feuer! ch ließ ihnen einen Entihädigungs- prozeß machen, doch wurden fie [hlieglih nur zur Bezah- lung des verbrannten Papiers verurtbeilt,
Diefer Berbrennungsprozei fachte aud) die Slamme der Wuth wieder an, womit in Zeutichlaud drei Dutend Tyrannen troß allen ihren Scyergen und Soldaten einen einzelnen Menjchen fortwährend die gefährlihiten Dof- trinen in einer Weife mußten verbreiten fehen, die bis dahin völlig unerhört und darauf beredinet war, alle Demuth und Loyalität des teutihen Charakters auszu- rotten. &8 begann daher eine neue Heßerei, auf dem Weg der Diplomatie, wie auf dent Weg der Prefje. Bei diefer Hegerei zeichnete fih am Meiften die „Augsburger Allg. Zeitung” aus, das einzige teutjche Blatt, das in der Schweiz allgemein gelefen wurde, Sie verbreitete fort- während die perfideften Yıigen über mid und die Genfer Regierung, immer berechnet, die Schweiz zu fompromit» tiren, die Schweizer zu Ängjtigen und meine endliche Ber- treibung herbeizuführen. Alles, was ich dagegen publi- zirte, wurde ignorirt. Um: jenes jhändlihe Blatt umb feinen Hanptredafteur Kolb wirtfam zu blamiren, fchrieb ic, ihm endlich felbft eine orrefpondenz über mid), die von
— 129 —
vorn 6i8 hinten aus den abfurbeften Lügen beftand, welde gleichzeitig jo zufammengeftellt waren, daß immer bie eine die andere wieder aufbob. Yn einem Begleitjchreiben, das durch feines Papier und ein adliches Siegel (Galger hatte e8 von dem penfionirten rufjischen General Djter- man geliehen) feinen Urfprung beglaubigte, ftellte ich mid) al® ven Dr. Berger vor, „Hauslehrer bei ver gräflich Dona’ihen Familie aus Schlefien,“ die fi) eine Zeit lang in der Schweiz aufhalte, und erbot mich, im Fall der erfte Probeartifel aufgenommen werde, zu weiteren Slorrespon- benzen. Kein Menfjc wollte glauben, daß der Dr Kolb den Artikel publiziven werde, ch aber verließ mich auf feine Dummheit und feinen Polizeieifer. Che adht Tage vergingen, langte die „Augsb. Allg. 3." mit meinem Yü- genartifel in Genf an. Darauf dedte id) in der Mann» beimer „Abendzeitung“ das ganze Spiel auf, zeigte dem tentihen Publifum, wie fi) der Dr. Kolb von dem Dr. Berger hatte hinter das Licht führen laffen, und gab ihm dadurh einen Mafftab zur Beurtheilung der Berichte jenes Lügenblattes in die Hand. Was that darauf Die „Augsb. Allg. 3.”? Schwieg fie etwa oder jagte fie ihren ftupiden Lügenredaktenr fort? Im Oegentbeil, jegt begann fie erft recht zu lügen. Da id) fein anderes Deittel mehr wußte, mic) vor diefen Hebereien zu fügen, die meine Stellung und Wirkjamfeit von Tag zu Tag mehr gefährdeten, fandte ih dem Dr. Kolb eine Her- ausfoderung zu, ein Nothmittel, zu dem ich mid nur in einer fo bebvrängten Lage entjchliegen konnte. Aber was war bie Folge? Er beantwortete die‘ Herausfode- rung mit dem Hohn eined durd die Polizei geficherten Feiglings und log weiter, r
— 146 —.
fiher überzeugt, mich belehrt zu haben, obfhon er herand« brachte, daß ich ein Dann der Feder fei, Den 27.
Ih made fhon bedeutende Fertihritte im Englischen. Einer der Paflagiere, ein Engländer, fagte mir neulih bei Tiih: “Knowledge is power, Sir” (Kenntniß ift Macıt, mein Herr). Heute begann der Mann auf dem Berded plöglid) zu würgen und zu mufiziren, weil er zu viel gegefien hatte. Ich ftellte mich theilnebmend an feine Seite und fprady mit Ernft uud Würde: “Knowledge is power, Sir.”
Uebrigens ift das Wetter jet Shön, aber der Wind fon- trair.
Heute Mittag find wir 300 Stunden in gerader Ric: tung von Havre, Die See hat zwei Göttinnen gejchaffen, die Schlecht zufammen paflen: die Göttinn der Liebe und die Söttinn der Yangeweile, Und doc pafjen fie iniofern zufammen, als die erfte die zweite vertreibt und Diefe der antern Anhänger verihafft. Kann man aber auf der See lieben ?_ Ich weiß es nicht, da ich feine Gelegenbeit dazu gehabt habe. Wenn idy mich in ein Weib verwan- deln könnte, würde ich herauszubringen verjuchen, was Die Jefuiten von der Liebe denfen, Die verdammte Sees krankheit! Sie mifcht fich in alle Gedanken und jett frage ich mich, wie ein Seekranter eine Tiebeserflärung aufnch- men würde, „Mein Freund, ich liebe Siel“ — Braatih — antwortet ver Jefuit und fpielt den umgekehrten Yetna. Berihlude dich die Hölle, fühllofer Krater!
Uebrigens ift trog diefen armen Jeluiten der Tifch vor: züglih. Was mid, aber auf'8 Höchite ennüyirt und mir den Appetit verbirbt, ijt die Sklaverei, weldher man durdy die
— 1417 —
forgfältige Bedienung unterworfen wird. Die Aufwärter laufen bejtindig binter Einem ber, greifen Einem ben Teller weg, fchneiden Einem vor, fchenten Einem ein, rufen Einem zu, daß man faum zur Befinnung kommt. E8 fehlt bloß, daß fie Einem die Speifen in den Mumd fteden und vorfauen. Und dabei erhält man doch nicht, was man wünjht. Will man ein Bein, fo bringen fie Einem einen Flügel, fordert man ein grojie® Stüd, fo er- hält man ein feines und umgekehrt, wünfdht man weißen Wein, fo fchenken fie Einen rothen ein und man läft es geidhehen, um nur nicht nocdy mehr Umitände zu haben. Ich will lieber ein bejcyeidenes Efjen — ohne Berienung. Au am Tiiche ift die Freiheit zu Haufe, man muß felbit wählen und zugreifen können und der Magen will jo wenig bevormundet fein wie der Slopf.
Den 30.
Beinah zwei Tage und zwei Nächte haben wir fort- während Sturm gehabt und zwar mitunter ganz ausges zeichneten. ch konnte der Bewegung wegen feine Zeile ihreiben. E8 gab Wellen beinah wie der Heine Saleve bei Genf. Sie fpielten mit dem großen Schiff wie die Kate mit der Maus und gaben ihm mitunter Schläge, daß e8 Halbe Minuten lang nahbröhnte und nachbebte, als wolle e8 fich über das Auseinanderbredhen bejinnen. Das Schlimmite ift, daß der Sturm fortwährend fontrair fommt und uns niht nur aufhält, fonvern zurüdtreibt. Das Schiff hat vier Herde in der Majdinerie und von diefen durfte nur ein einziger gebraudyt werben, damit das Schiff nidyt dur die Kollifion mit den beranftürmenden Bellen Schaden leide.
BE,
Das find fchredlihe Zeiten für die Seetranten. Unun- terbrochene® VBokaltonzert, mit Blasinftrumenten unter- mijcht, daf man glaubt, in einer Teufelstirche zu fein, bes fonder8 wenn „Jan Windjes*, wie die Holländer ihn nennen, die Orgel dazu fpielt. Mebrigens haben die Ge- funven faft ebenfoviel zu leiden, wie die Kranken, denn, ab- gefehen von der Mufik der lettern, e8 Fracht da® Holzwerk jo gewaltig und find die Bewegungen fo fturf, daß an Schla- fen gar nicht zu denken ift.
Mein jefuitifher Schlaftollege ift mehr todt als Teben- dig. Außer feinen Eruptionen gibt er nur dann ein Ye- benszeichen von fih, wenn ih ihm mit fchlehten Witen zufege. Ich mwundre mich, daß ein Seefranfer fo ladyen fann, Mitunter hwate ic ihm Zeug vor, daß er denfen muß, ic) fei toll geworden. Webrigen® habe id heraus- gefunden, daß unter der Jefnitengeielichaft aud) ein Ame- rifaner ift, der die Heerde wie ein Entrepreneur hinüber: zuführen fcheint. Er ift eine tonnenartige Figur und ein freuzfideler Kauz, reißt fortwährend Wige, madht durd allerlei Töne die Kagen nad, lief’t Romane u. f. w., jo daß ihm fein Menih, der nicht gleich mir die verwachjene Zonfur entvedt hat, ven Pfaffen anmerken kann.
Heute ift das Wetter etwas befjer, aber der Wind nod innmer fontrair. Zum Englifchlernen fomme ich gar nicht mehr, Schlafen und Eifjen ift der einzige Zeitvertreib. Der Tifch, zum zehnten Mal fei e8 gejagt, ift ausgezeich- net. Man jcheint damit Renomme für die Havre-Linie machen zu wollen. Die beiten Speifen, die man jonft in Jahr und Tag nicht zu fehen bekommt, find bier etwas ganz Alltägliches und alle Tage gibt e8 etwas Neues und nad jeder Mahlzeit zum MDefjert Champagner, Beim
— 149 —
Defiert wünfche ich mir immer unfern Kleinen “Charcutier” bierber. : Den 3. Januar.
Das nenne ich ein Neujahr! Bis heute wieder fort- während Sturm und was für Sturm! Jh babe nie ein fo anhaltendes, furdtbare8 und, man könnte fagen, erbit» tertes Sturmmetter erlebt. Dagegen war die legte Genfer „Bife* ein bloßer Seufzer. E8 ift mir in der That un- begreiflih, daß wir Das überftehen konnten, objdhon ich auf offener See für ein gute® und gut geleitete Schiff die Gefahr nie ho angeidhlagen habe. Ein foldhes Wel: lengetümmel habe ich felbft am Kap der guten Hoffnung faum gejehen. Simmtliche Pafjagiere, von denen mande beftändig zwifhen Europa und Amerifa hin» und berreijen, erflärten, fie hätten jamais si grosses vagues gejehen, und fie ftritten fid darum, ob man fie Montagnes over Alpes nennen müfje. Das Schiff mußte die meifte Zeit beilegen und die Majchine ganz ftill ftellen.
Am Meijten haben mic wieder die Jefuiten intereflirt. Sie werden immer zutraulidyer und gemüthlider und jo oft fie mit Ängjtlihen Gefihtern hervorfroden, arbeiteten fie fi) mit Händen und Füßen zu mir, wünjdten meine Meinung zu hören und fagten mir Schmeidyeleien. Gie meinen, ich jei der Unerfchrodenfte auf tem ganzen Schiff, was eigentlid) jo viel heit, al® daß fie die Erfchrodeniten find. Ich nehme ed ihnen nicht übel, Wäre ich zum eriten Mal auf ver See, idy würde die Getümmel aud) nicht jo ruhig angejehen, doc jedenfalld auch nicht fo wenig Contenance gehabt haben, wie diefe Männer Got- te, Am Wenigften greift da® Wetter moralijh meinen Schlaftollegen an. Er weiß vor lauter Seelrankheit nicht
— 10 —
was Sturm und Gefahr heißt und wenn er lichte Augen- blide hat, fo benuge ich die ganz chriftlich, ihn Durch irgend eine Bofje aufzubeitern. Gejtern früh, al8 er mit offenen Augen aus feiner Ede hervorgudte, rief ic ihm aus mei- nem Bette „guten Morgen“ zu und es entjpann fi) folgen- des Gejpräd:
Ih. Fühlen Sie fi ftart genug, mir ein Frage zu beantworten ? |
Er. Bollfommen.
Ich. Aber die Frage ift wichtig und fönnte Sie an- firengen.
Er. Thut nichts, ich fühle mich ganz wohl.
3h. Gehen Sie wohl mit fi zu Rathe, denn wenn die Frage Ihre Kräfte überfteigt, übernehme icy nicht die Berantwortlichkeit.
Er. Seien Sie unbeforgt. Aber Sie mahen mid) neugierig. Wie heißt Ihre Frage ?
3b. Meine Frage ift folgende: Wie heißt derjenige Theil des menjhliden Körpers, der mit einem A ans» fängt ?
Er. Das fann id) Ihnen nicht jagen.
Ich. Aber ich fann ed. Er heigt: Ai Stiefellnedht.
Darauf fing er ver Maßen an zu lachen, daß ich fürdhtete, er werde erjtiden. Das ift die Art, wie ic meinen frome men Patienten aufbeitere.
Wenn man nur befjer fchlafen könnte! eve Kajüte fradıt ihre befondre Dlelovie und fo krachen ihrer etwa 50 durch einander, Mean denke fih einige Dutend Donner- wetter, jedes von verjhiedener Zonart, affompagnirt von 3000 Raten, 300 Fıjchweibern, 50 Hageljhauern, 100 Verfeln und 175 Gänfen, jo hat man einen ungeführen
— 151 —
Begriff von dem Unwetterfonzert, dem wir hier Tag und Naht zuhören müffen. Wenn einer Das auf Noten brin- gen wollte, müßte er die Noten mit Maftbäumen jchreiben.
Aendert fih das Wetter nody nicht bald, fo berufe ıch eine Mafjenverfammlung, halte eine Rede an die Mann- ichaft, verrathe die Jeluiten und ihre verftedte Xonjur, bürde ihnen die Schuld auf und trage daraufan, fiein cor- pore über Bord zu werfen. Da fie, durd) befondere Be- günftigung des franzöfiihen Gouvernements, für ven hal- ben Preis reifen — wie mir Einer verrathen hat —, fo verlieren fie beim Berfaufen nur halb fo viel wie die übri- gen Pafjagiere.
Wir find jegt 11 Tage unterwegs uud haben erft die Hälfte zurüdgelegt. Nod 11 Tage und ich vergreife mid) an meinen Ditmenjcen. :
Den 7.
Um feinen Jefuiten einige Erholung zu gewähren, hat der liebe Herrgott einen halben Tag befjered Wetter ge- fandt, dann aber wieder Sturm und zwar nod; wüthen- deren, al8 zuvor. Manden ift dabei das Herz jo tief in die Hofe gefunfen, daß fie glaubten, e8 werde nicht wieder berauftommen. Unjer Schiff ift alt, aber folid, das hat eö bei diefen fürchterlichen Proben gezeigt. Zrog allen Stürmen und Wellen bleibe ih von der Seetrankheit ver- ihent. Wenn nur die Yangeweile nicht wäre! Der Sturm gewährt feine Unterhaltung mehr und zu jeder Beihäftigung ift man bei diefem Yärm und diefen heftigen Bewegungen aus phyjiihen Gründen total unfähig, da man nur darauf bevdadıt fein muß, fi auf den Beinen, oder auf dem Sig, ja felbft im Bette feitzuhalten. Auf
— 152 —
die Dauer könnte man dabei vor lauter Nichtsthun toll werden und die apathiihen Seckranten fommen Einem mandmal wahrhaft beneidenswerth vor. Mich efelt dieß GSeeleben no an, wenn es jchon lang überftanden ift. Gefahren überftanden zu haben, ift angenehm. Weber- ftandene Langeweile aber erwedt aud) in der Erinnerung nur Yangeweile.
Bon Seethieren haben wir bisher nur Sturmmöven, Meerjhweine und Jefuiten gefehen. Bielleicht befommen wir Wallfiiche zu fehen, wenn wir die Gegend von Neu- fundland erreichen.
Den 9.
Das Wetter hat fid, endlich geändert. . Heute ift wah- res Frühlingswetter und ver befte Wind. Wir können jegt in 4—6 Tagen in New-Port fein.
Uebrigens ift der Ziich, unfer Hauptunterhaltungs- mittel, beveutend fchlechter geworden, 8 fcheint, vurd die lange Dauer der Reife find die Delikatefjen erichöpft. Jh laborire an Halsentzündung und Katar) — aud) eine Unterhaltung und einiger Maßen Erfag für die Seckrant- beit.
Den 13.
Die Ausfihten haben fi abermals verfchlechtert. Wie- der fortwährend fontrame Stürme mit Regen und Schnee. Da vorausfichtlic der Kohlenvorrath nicht mehr bis New-Port ausreihen wird, fteuern wir jett nad) Halifar. Das gibt wieder einige Tage Aufenthalt und Ummeg, jo daß wir jhwerlid vor dem 20. in Nemw-Port eintreffen werden. Mir kommt dicje Reife vor ald vauere fie vrei Monate,
BE. DER
Halifar, den 14.
Endlich Habe ih den amerikanischen Boden unter den Füßen. Halifar ift eine faft nur aus Holz gebaute Stabt mit etwa 20,000 Einwohnern. Der Schiffsverkehr ijt jegt wegen des Winters wie tobt. Auf den Straßen babe ich außer einigen hübfchen Englänverinnen fajt nichts gefehen, al8 eine Menge jcheußliher Negerinnen, vor deren Fippen man ummillfürli ausweicht, weil fie aus- fehen, als wollten fie fid) öffnen zum Berjchlingen ihres Betradhterd. Eine, die an der Thüre ftand, jah mich an, als feien ihre Lippen amı Ueberlegen, ob ich wol hindurch fönne, und jpräche ich genug Englijch, jo würde ich flehent- lich ausgerufen haben: verjhonen Sie mid, ih bin Fus milienvater und Menjchheitsbeglüder!
Ans Freuve Über die einjtweilige Erlöfung, oder aus Yangeweile faßte heute das ganze Pafjagierfollegium nebit dem Sciffskapitain den Beihluß, in eimem Hotel der Stadt zu Mittag zu fpeifen. Ich Eonnte mic nicht füglich entziehen und das fojtete mir beinah meine legten Tha- ler, denn die Menjhen tranten nad der Mablzeit Cham- pagner (jdhledhiten dazu) und dann wurden die Kojten ver- theilt.
Hier gibt e8 Auftern beinah jo groß wie die Fläche ver Hand. Man nimt fie aus den Schalen, quatjcht ein Dugend mit ihrer Driginal-Flüffigfeit in einen Zeller zufammen, thut Pfeffer, Ejjig und allerlei Schmiere da= rüber und dann harpunirt man fie mit der Gabel aus der Brühe heraus. So ojt Einer jold ein Ungethüm ver- Ihlingt, wobei die Anftrengung allerlei furiofe Zöne verurjacht, ungefähr wie wenn Wafler in eine Sent. röhre hinabgurgelt, vente ih an den „Kampf mit dem
ir FE
Draden.“ Auch werden bier Seefrebfe und Trut- hähne aufgetiiht, vor denen man fi einiger Mapen ermannen muß, ehe man zugreift. Wären nad) Diefem Mapitab die amerikanischen Menfhen Eonftruirt, jo würbe ich unter ihnen ausfehen wie ein Halbwacjjener.
Bor dem Efjen hatte ich eine lächerlihe Szene. Das Erjte, woran ich dachte, als ich an’8 Land kam, war, mir den Kohlenftaub und fonftigen Schmug der Reife gründ- lid) abzuwafchen. Ich lief Daher in die Stadt und fragte (natürli auf Englifh) nad einem Bad. Ein Junge führte mich zehn Minuten weit durd) allerlei Gafjen und brachte mic endlich zu einem Fijcher, ver Boote ver- miethete und überrajcht zu fein jchien, daß ich in diefem Wintermetter eine Spazierfahrt machen wollte. Ich hatte nämlid) das Wort Bath zu o-mäßig ausgejprodhen in der Meinung, mich ganz gewählt und ädt engliih auszu- drüden. Endlich gelang e® mir, burdy die fürchterlichften linguiftiichen Anjtrengungen, den Menjchen begreiflicy zu machen, daß ich meine Perfönlichkeit bis an das Kinn in Wafjer tauchen und abwafchen wolle. ch wurde in eine Barrade geführt, wo nad) einer halben Stunde das Waf: jer jo weit erwärmt war, daß ich in den hölzernen Bades trog hineingeben fonute ohne feitzufrieren, Jet ging es mit Hülfe der mitgebrachten Süßwafferfeife an ein Wa- jhen und Reiben, al® hätte e8 gegolten, einen Sechund abzuhäuten. Merkwürbiger Weife wollte die Seife nicht „abgeben“ und mit dem groben Handtuch mußte id) die Haut förmlich abfeilen. Ein Spiegel war nicht da, tod jegte ich voraus, daß Alles in Ordnung fei. Enplid war das Werk gethan, und id ftellte mich in dem Gajthof ein mit dem ftolzen Bewußtfein, daß ich der Neinjte der
— 155 —
ganzen Gefellihaft je. Man fah mic verwundert an und lächelte verdächtig. Die Urfache zeigte mir ein Spies gel: das halbe Gefiht war [hwarz und ftreifig von einer Varbenmifhung, die durd Kohlenftaub, Seife und — Seewajjer gebildet war. Das Wafjer nämlih, worin ich mich gebadet, war, ohne daß ich ed ahnte, Salzwafjler.
Halb [hwarz, oder „Ihwarz-weiß“ — jo war aljo mein erjte8 Auftreten in Umerifa. „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben ?“
Den 15.
Heute Nachmittag geht’ weiter nad) New-Yort. Bis dahin wird’8 wel nicht8 mehr. zu notiren geben. Deshalb jest no ein Paar Merkwürdigkeiten. Sie betreffen meine jefuitijchden Freunde,
E8 ijt mir langweilig geworden und hat feinen Zwed mehr, mich länger zu veritellen, und ich benutste daher heute einen Disfurs mit dem beleibten Herrn aus Rom, meine Maste volljtändig abzunehmen. E38 kam die Rede auf Religion und ic) erklärte ganz troden, daß id) davon nichts verjtehe, da ich Atheift je. „Das ift nicht möglich,“ rief der Mann aus. Warum niht? „Weil Sie ein Mann von Berftand und Bildung find.“ Jetst wurde unterfucht, was Berftann und Bildung if. Er bewies mir, daß beide auf einen Gott binausfommen müfjen. ch lief ihn ruhig den „gejtirnten Himmel“, die „Schönheit der Welt“, kurz alle die trivialen Beweisftüde für das Dafein eined Urhebers, Schöpfers u. |. w. ausframen und fette ihm dann mit Gegenargumenten zu. 8 dauerte nicht lang, fo entdedte er, wovon ih nicht das Minpdejte be- merfte —, daß ed anfange zu regnen, und retirirte eilig unter das Berded. Ald ih ihm nahging, um ihn defi-
en
nitiv zu „erledigen“, fand ich ihn im einer ganz bunfelen Ede figen, wo er plöglih — „böfe Augen“ hatte,
Bon dem. Augenblid ab hat er mich in Ruhe ge- lajjen.*)
Das Heiterfte erlebte ich mit meinem jungen Sclaf- fameraben. Er wußte von meinem Atheismus no nichts und hatte nody das alte Zutrauen zu mir, weldes jo groß war, daß er mir zum Schluß ber Reife eine Beichte ab- legte. Denkt Euch den großen Augenblid, wo ein Jejuit mir, dem Gottlofen, beichtet! Aber was beichtete er ? War es eine Sünde ? ch weih nicht, wie ih es Hafji- fiziren foll; jevenfall® mögte ich dergleichen weder auf nody unter dem Gewifjen haben. Es ijt wörtlid wahr, daf der Menich mir mit der Miene eines befümmerten Delin- quenten oder armen Sünders beidhtete, er habe — Schö- pfer der periftaltiichen Bewegungen, vergib ihm! — er habe — Männer der Wifjenfhaft, wie it Das möglid) ? — er habe — Gott des Ahabarbers, fomm’ ihm zu Hülfe! — erbabe — wie lang läßt fid dergleichen eigentlich burdführen ? — er habe, ja, er habe, er habe, er habe — in 20, fage zwanzig Tagen feinen Stuhlgang gehabt! Und Das jagte er mit einer leidenden, befümmerten Diene, al martere ihn der Zweifel, ob er wol jemals wieder Vic) eines dhriftlihen Stuhlganges erfreuen werde.
Ih erjtaunte ob dieje® zwanzigtägigen Weltwunders, das fein Menjh ohne übernatürliche Hillfe zu Stande bringen kann, bi8 in die Xiefen meine® Herzens und
*) Der Mann war, mie ich fpäter erfuhr, ver Provin- zial der Jejuiten von Baltimore,
— 157 —
fimmtlicher Eingeweide. Doch, mid) auf meinen Veicht- vaterberuf befinnend, erhob ich feierlich Die Hand, legte alle® Gottvertrauen in meine Miene und gab dem gepeinigten Sünder Abfolution mit den tröftenden Worten: „Beruhige dib, Mann Gottes; du haft unter feinem allmächtigen Beiftand den Gang der Natur während diefer Reife voll- fändig umgefehrt und fortan wirft dur fein wie die Kirche: wo man hineingeht, da geht man aud; wieder hinaus! Amen!“
Sp weit mein Tagebuh. Am Tag der Abreife von Halifar gab ich noch einen Brief nad New- York an Eidh- thal zur Poft, da ich der Poft zutraute, daß fie eher anlanz gen werde, al8 der jefuitenbeladene „Miffiffippi“, dem fi die See jo wenig günftig gezeigt hatte. Envlid er- teichten wir, durch ichledhtes Wetter abermals aufgehalten, nad) einigen Tagen die Bai von New-York, aljo nad einer Reife von beinah vier Wochen.
V.
Empfang in New-Norkt. Thätigkeit dafelbit. Die
Nachricht von der Februarrevolution. Vorbereitungen
zur Nüdfehr nad) Europa. Der teutihjeamerikanijche Gejandte,
——
ALS ih in New-Mork landete, date ih natürlich zu« nädft daran, Eichthal aufzufuchen. Jch hatte keine nähere Anweifung über die Yokalität erhalten und mußte feine Horefje. Ein ebenfalld auf dem „Meiffilfippi“ berüber- gefommener teutjher Kaufmann wurde am Schiff von einem Bekannten abgeholt und ich beftieg mit ihnen ben- felben Wagen. Da ih aus ihrem Geipräh entnahm, daß fie in New-Morf näher Beicheid wußten, fragte ich ben Einen, der aus der Stadt gelommen war, ob er mir fagen könne, wo Herr Eidthal, der Redakteur der „Schnellpoft“, wohne, „Der wohnt gegenwärtig auf dem Kirchhof,“ war die Antwort. Er war am 15. Dez. 1847, am Tage meiner Abreife von Genf, geftorben.
Eine traurigere, niederfchlagendere Nachricht Fonnte mid nicht bewilllommmen. Eicythal hatte ich nad Allem, was id) von ihm wußte, nicht bloß al8 einen intelligenten
158
— 159 —
Ehrenmann anzıterfennen, fondern aud al® den eifrig- ften Borlfämpfer der Zwede, die id in diefem Lande zu verfolgen gedadhte. Freiligrath, der die Nachricht von feinem Tode ungefähr um diefelbe Zeit in London erhielt, wie ich in New-Mort, fchrieb mir am 14. Jan. 1848 über ihn: „Du bift jet hoffentlich feit mehreren Tagen in Nemw-Nort angefommen, wirft jedoch bei Deiner Ankunft Ihmerzlich überrafcht gewefen fein, den trefflihen Eichthal nicht mehr unter den Lebenden zu finden. ch felbit er- fuhr die Trauerbotfhaft erjt vor wenig Tagen durch die Wejerzeitung und muß fagen, daß mic, feit lange nichts fo erihütt:rt hat wie diefer jähe Tod.“
„Eichthal war gewiß dein wärmfter, eifrigfier, uner- müdlichiter Freund in Amerifa, Er bat das bemwiefen: ohne feine Anregung, ohne fein unabläffiges Arbeiten in der Schnellpoft wärft du, wa® deine amerikanischen Pro- jefte anbetrifft, ficher nicht fo weit, wie du hoffentlic, jett fein wirft. hm zumeift verdanfjt vu den glüdlichen Er- folg der bisherigen Subferiptionen, ihm den gebahnten Weg, der did drüben empfängt.“
„Suzwilchen bleibt e8 jchlimm, daß gerade Diejer Ehrenmann dir nicht zuerft die Hand bieten, dich nicht zu» erft bei den Landsleuten einführen konnte,"
Zu diejem ehrenden Zeugniß über den Verftorbenen will ich glei aud nod) folgende Stelle aus Freiligrath’8 Brief mittheilen, ta fie auf eine eigenthündiche Weife mit Dem fontraftirt, was ich bald naher in New-Mort erfuhr:
„Auf der andren Seite ift aber vielleicht eben fein Tod Urfadye, daß dir bald fchon (und eher, als e8 jonft geichehen fein würde) ein congenialer Wirkungsfreiß und mit Dies
ne IR a
fem die dir und den Deinigen nothwendige Eriftenzbafis zumege gebradht wird. Ih denfe an die ver» waif’te Schnellpoft! Bis jett, glaube ich, war das Blatt ein Privatınternehmen Eichtbald. Könnte e8 nun nicht eine, aus wohlhabenden dortigen Deutichen zur fammengefetste Aktiengejellibaft an fi bringen und did) — gegen ein anftändiges Gehalt oder (resp. un d) mit einem Antheil am Nuten — zum Redakteur machen ?“
Eichthal alfo tot! An wen follte ih mich nun wenden ? Nachvdem ich vergebens an zwei teutfchen Logirbäufern ans gefragt, wo man feinen Raum mehr hatte, fand id end» Ih ein Unterfommen bei Herrn Lievre, der damals no in der Franffort-Str, wohnte, ch batte meinen Namen noch Keinem genannt und wiünfchte mich zunädjt durch Nachfragen im Lokal ver „Schnellpeft“ zu orientiren. ALS ih mich dort einfand, um mid) nad) dem derzeitigen Redakteur zu erfundigen, ftürzte mir, fobald ich meinen Namen nannte, der ehemalige „dentjchefatholiiche* Agitater Domwiatan den Hals, ein Dann, den ich perfönlich nie gejehen, dejjen Vergangenheit mir aber befler befannt “ war, al8 den Leuten in New-PMort. ch ließ ihn Das fo- fort merfen, aber er nahm keine Notiz davon.
E8 währte jegt nicht lang, jo wunfte man in New-Port, der große Dann fei angelangt und e8 wurde in einer, von einem Göttinger Flüchtling oder Juftizmärtyrer gehalte- nen Weinmwirtbichaft jofort eine Vor-Befichtigung felbigen großen Mannes duch eine ausgewählte Gejellichaft vers anftaltet. Da ih dort Gelegenheit erhalten jellte, die bhervorragendften der Männer kennen zu lernen, auf deren Mitwirkung ich mich zu flügen hatte, machte ich Feine Schwierigkeiten, objhon ic mehr Neigung empfand, mid)
— 161 —
zu Bette zu legen, ald, mich in einer Gefelihaft empfans gen zu laflen.
An einem langen Tifh fammelten fih in kurzer Zeit zwei bi® drei Dutend Gäjte, die Rheinweinflafchen vor fib. Naddem man einige Minuten konverfirt, erhob fidh) als felbftgemählter Präfivent der Gejelihaft Herr — Domwiat, um mid vorzuitellen und zu bewillftommnen. Eihtbal tort und Domwiat Bewilllommnungspräjident! „suamerbin bleibt e8 jhlimm,* beißt e8 in fFreiligraths Brief, „daß gerade diefer Ehrenmann dir nicht zuerjt die Hand bieten, dich nicht zuerjt bei deinen Yandsleuten ein« führen konnte”. Herr Domwiat Einführungspräfident ! ch befah mir die Gejellihaft genauer und doch fah fie an- ftändig aus, Die Lobrede begann. Sie galt dem Mann, dem Mann, dem großen Mann. Xiefe, feierlihe Stille. Fa, fo ift es; fchön ausgedrüdt; der NReoner Löf't feine Aufgabe fähig und würdig. Enmblidy ift die Mede fer: tig und e8 wird auf den Mann, den Dann, den großen Mann angeftoßen, daß die Gläfer zu zeripringen drohen. Darauf mieder feierlibe Stille, denn jett wird der Deoment eintreten, wo der große Mann auf den Toaft erwiedern muß. Gejpannte Erwartung. Was wird er jagen? Seht, wie er nachdenfend auf den Tiih glott. Augenfheinlich bereitet er eine lange Rede vor. Sind feine Reporter da? Nocd immer kein Wort! Hit er viel- feicht zu bewegt? Hat die Rede des Präfidenten etwa einen zutiefen Eindrud auf ihn gemaht ? Sonderbar — er fchweigt ne immer, Dod nein, er blidt auf, er maht Anftalten, er öffnet den Mund und fragt feinen Nachbar, ven Dr. Brininghaufen, einen rheinifchen Lands;
mann, im alltäglichften Ton: 11
— 162 —
„Sind in NewsPork die Häufermiethen hoch ?“
Wie? Das ift die Antwort auf einen folhen ZToaft ? Was ftedt vabinter? Als man fpäter erfahren, wer und was der Bewillfommnungspräfident war, wußte man das Nätbiel zu löfen; für ven Moment aber hat man e8 mir fehr übel ausgelegt, daß ich fo wenig Diplomat war, fo wenig Rejpekt ver Komplimenten zeigte und mid) balv nad) erlittenem Zoaft empfahl, weil icy in mebreren Wocden nicht menfhlich gefchlafen habe und der Ruhe bepürfe,
In einer Stellung, wie die meinige damals war, konnte bei der Verfolgung meiner Zwede möglider Weife viel Davon abbangen, an wen ich mich zuerjt adrefjirte, Durch wen id mid introduziren ließ, wer mich umgab, wo id) fogirte u.f.w. Ich hatte für alle diefe Nüdjichten keine Anleitung. Menjcdyen und VBerbältniffe waren mir volig fremd ‚und zu meiner Orientirung mußte ih nah allen Seiten erft Beobachtungen und Erfahrungen maden. Wäre ih Übrigens aud im Voraus über Alles genau unterrichtet gewefen, am Ende würde ich Dod) venjelben Weg eingeichlagen haben, den ic) ging, da id) meine Um: gebung erjt meinem Zwed entiprebend zu geftalten hatte, Diefen Zwed kannte man und follte man bald noch näher fennen lernen. Wer, date ich, fih dafür interefjut und dafür mitwirken will, der wird fi melden und wer fi nicht dafür intereffirt, der ift mir gleihgiltig, der eriftirt nicht für mich,
Wie nöthig und probat diefe Nichtfchnur war, zeigte fid) bald, da man von den verjchiedenften Seiten mich in Deihlag zu nehmen fucte. Politiihe Parteiagenten, Lofalgrößen, Klaffenführer, Popularitätsipekulanten, kurz allerlei große und Heine Männer machten dem vielbefpro-
— 163 —
henen Antömmling ihre Aufwartung, um ihn kennen zu lernen und zu fondiren, was fi mit ihm beginnen lafle. sch aber richtete meine Rädjichten auf fie, mogten fie eine Stellung haben, welche fie wollten, bloß nad) ihrer Ehren- baftigfeit, foweit ich fie beurtheilen fonnte, und nad) dem ‚ntereffe ein, das fie für die Sade der Revolution bes wiegen. Solieh 3. B. Herr Bermett, Der Herausgeber des „Herald“, mid) wiederholt einladen, ihn zu befuchen, und al8 mir ein Feiteffen gegeben wurde, fandte er einen „ befondern Berichterftatter, der mich nicht wenig heraus, pufite. Als ic) mich aber erfundigt hatte, ner Herr Ben- net fet, ließ ich ihm auf erneuerte Einladung fagen, ich wolle mit einem Menjchen feiner Art nichts zu fchaffen haben, und feit jener Zeit wurde mein Name nicht wieder im „Derald“ genannt, der für die Revolution fo viel Jn- terefie hatte wie ver Mann im Mond. Unter den Tent- ihen bemühte fih fehr angelegentli der verftorbene Advokat Dr. Ludewig, mir einen hohen Begriff von feiner Perjönlichkeit, Begabung und Bedentung beizubringen. As er aber bei einem Feftefien der „Deutichen Gefellihaft“ gegen die Revolution auftrat, wobei er die Phrafe ges brauchte, „nicht Gewitter und Sturm, fondern Sonnen: Ihein“ fei der Entwidelnug der Völfer förderlich, Fanzelte ich ihn in der „Schnellpoft“ al® „Doktor Sonnenfdein” herunter — ein Spitname, den er biß zu feinem Xobe behalten hat. Mit Herrn Ludewig griff ich zugleich bie teutihen Ariftofrätler der Konfular- und Jmporter- Regionen an, denen ich bald angemerkt, daß fie nichts Anderes im Kopf hatten, als den etelhaften Düntel „ihres Haufes“ und ihres Geldfads. Ich Hatte die befte Ge- legenheit, in biefe Kreife freundlich eingeführt zu werben,
— 164 —
aber ein richtige8 Gefühl fagte mir, daß ich baburdh nur umfonft meinem Charakter etwa® vergeben würde, ohne meiner Sade zu nügen, denn bie teutihen Kaufmanns- Ariftorätler in New-Mort — id nannte jie „halb Jun: ter, halb Lavenjhwengel“ — waren damals, was fie jetzt noch find: bie geijtlojeften, engherzigiten, ordinairften, reaftionairften und dabei hodhmütbigften Gelpjhhacdherer und Geldprahler, die fid) venten lafjen. Ich habe damals, wie jpäter, auch unter den begüterten teutjchen Kaufleuten einzelne refpeftable Perfonen gefunden; aber Diejenigen, die den Ton angaben, waren die Konfuln und die Bremer Autoriäten der „Deutjchen Gejellfchaft“ und diefe griff ich jojort auf das Entjchiedenfte an, wodurd) idy mir von vorn herein alle Ausficht abjhnitt, von ihnen — zu Tijch gela- den zu werben,
Eine amüjante Probe der Ausfichten, welde mir nad) einer entgegengejegten Seite hin eröffnet wurden, liefert folgendes Schreiben eines Kommuniftendhefs, der damals unter den Arbeitern eine große Kolle fpielte. Was die vertrauliche Anrede betrifft, jo bemerfe ich, daß ich den Berfafjer nie gejchen und nie mit ihm in Verbindung ge- ftanden hatte. Er wird gedadt haben, alle „großen Männer“ feien, wie alle Herren von Gotted Gnaden, von vorn herein „Brüber*,
„Rew-Drleans ven 5. Yebruar 1848. Lieber Heinzen!
Sie werden die Richtung Yhres Wirkungsfreiied und die Tendenz diefer Richtung bier in Amerifa wohl fchon bejtinmt haben, obwohl aus Jhrer erften Rede darüber nod) nicht® Beftimmtes zu erfehen ift. Bergefien Sie aber nicht, lieber Heinzen, daß jett alle deutfchen Herzen in
— 165 —
den Ber. Staaten hnen entgegenfhlagen. Sie Fönuen zum Heile der Menjchheit Großes wirken, wenn Sie die günjtige Srimmung benußen, die Jhre Freunde für Sie unter da8 Publikum verbreitet haben. Aber a! (verzeihen Sie diefe Bemerkung), Sie kennen das Publitum nicht, Sie kennen das Dolf in Amerifa noh nicht. ch denfe Sie umgeben von weohlwollenden Geldmännern, wohl« mwollend gegen Sie, aber nit einen hohen erhabenen praftijch wirfenden, allgemeinen Zwed ver Humanität er- fafjend. Sie könnten dem ganzen Humbug einen Strid dur die Rechnung mahen, wenn Sie — auf unfere, wenn Sie auf meine Seite träten, wenn Sie mit mir, wenn id) für Sie wirken fünnten. Sie vergaßen in Ihrem „NRechenerempel“ die Gelpjäde, ven Mammonspienft, Sie berührten bloß die Fürften. Ad, denen haben wir neben vielem Bofen aud) manches Gute zu verdanfen. Drd- nungsliebe, die ung einft in der Freiheit trefflich zu Stat- ten fommen wird. Die amerikanische Form werden wir in einem Jahr nad) der Revolution begriffen haben. Che fih aber Amerifa an Ordnung gewöhnt, wird ed mehr als ein Jahrzehend brauden. Können Sie, wollen Sie nicht mit uns wirfen ?_ Sie werden einen großen Theil der intelligenten Geldmänner mit berüberziehen. Sie werben eine ungeheure Bewegung begründen und befefti- gen, die nur noh auf den Huf von Männern, mie Sie, wartet. D, lafjen Sie fi durd) mic beftimmen. Reifen Sie fih) lo8 aus den Armen der politifchen, äfthetijchen Spiegelfehter. Werfen Sie fih in unfere Bewegung. E3 wird Ihnen ohnehin unmöglich, fie zu hindern. Sie würden e8 audy nie wollen: denn Jhre Abfichten Fönnen in den Hauptfachen feine andern fein als die unjern. Sie
— 166 —
finden in New-Morf Gelegenheit fi mit unferm Plan in Bekanntihaft zu fegen. Prüfen Sie und jehreiben Sie mir nad Cincinnati, wohin id in einigen Tagen gehe. Ihr aufrichtiger " B, Weitling.“
Ich war unhöflich genug, Folgendes zu antworten:
„Werther Herr!
Ihren Brief vom 5. d. M. babe ich erhalten. Sie fodern mich auf, mid) mit Jhnen zu vereinigen. Daraus gebt hervor, daß Sie entweder mid nicht Tennen, over glauben, ic fenne Sie nidt. hr Syitem fteht fejt, wie id weiß. Ich refpektire an Jhnen, dag Sie nady Jhrer Ueberzeugung handeln und fi) bemühen, Jhre Ueberzen- gung Fleifh und Bein werden zu lafjen, während andre, namentlid) die gelehrten Kommunijten, fih mit Nebens- arten begnügen und Reigaus nehmen, wenn man ein Ein« geben auf die Praris von ihnen verlangt. Aber mit mei« ner Anerkennung Ihrer Ueberzeugungstreue und Beharr- lichfeit ijt feineswegs eine Anerfennung Jhrer Anfichten verbunden. Ein Kommunift fteht mir ebenjo fern wie der Kaijer von Rußland. Der Konımunismus ijt in meinen Augen ebenjo freiheitsfeindlid, fulturwidrig, ja barbarijch wie der Dejpotismus der gefrönten Unmenfchen, deren Partei Sie au „Drbnungsliebe“ ergreifen. Daß id darum aber nicht auf der Seite Derer ftehe, weldye mit dem Geld die Menjchen unterjochen wie Die Andern mit der Gewalt, brauche ich nicht erft zu verfihern. Mein Auf- treten hat es längjt bewiejen und wird es aud) ferner be- weilen. cd halte jedoch die Grundlagen feit, weldye nad meiner Ueberzeugung die richtigen find, und diefe Grund:
— 167 —
lagen bietet der wahre Republifanismus, nicht aber ver wahre Kommunismus,
Hätte ih Übrigens kfommuniftifche Ueberzeugungen, ich würde dennody jehr vorfühtig beim Berfehr mit Kommus niften zu Werte gehen,” da ich jchon mehrere diejer Herren fennen gelernt habe, die hinter einem freundlichen, jefuiti- Ihen Entgegenfommen die lächerlihe und hinter meinem Rüden ausgefprochene Abficht verbargen, mic zu benugen. Ih mögte in diefer Beziehung Niemanden den Sc;merz einer lang hinausgefhobenen Enttäufhung bereiten. ch fliege mid) ohne perjönlihe KRüdfichten jeder Bewegung an, die meinen Ueberzengungen entjpricht, aber ich befige die Schwäde, nur aufridhtige Freunde oder aufrichtige Feinde haben zu wollen. Mit Ergebenbeit
u. |. w,
New-Vork, ven 16. Februar 1848.“
So fhnitt ih mir denn von vorn herein nad) der Äußers ften Rechten, wie nady der äußerjten Linken alle Sympa= thie und Mitwirkung ab. Das viplomatiihe Freundlid- tbun mit Menjhen, von denen man dur Charakter wie dur Prinzipien einmal grüntlic geichieden ijt, habe ich ftets nicht bloß für eine perjönliche Herabwürdigung, jon« dern aud) für weggeworfene Mühe gehalten. Heute oder morgen fommt man mit folden Menjchen ohnehin zum Brucd und deshalb erjpart man lieber von vorn herein fi. wie feiner Sade tie Blamayge einer fompromitti- renden Berührung und den Vorwurf einer verjudten Un- ehrlichkeit.
Über wo waren denn Diejenigen zu finden, am bie ich mich halten jolte? Ein Dann in St. Louis, der fic
— 168 —
für meine Beftrebungen intereffirte, warnte mid; etwas jpäter vor falfhen Freunden und irrigen Auffaflungen. „SH habe Bermuthungen, jchrieb er, die im Wejentlichen auf meiner Shäßung Ihres Charakter8 beruhen. Es ift möglich, daß Ihnen Erfahrungen” bevorftehen, weldhe Sie dur die zeitige Hülfe aufrichtiger und vorurtheilsfreier reunde, wie der verftorbene Eihthal war, mohlfeiler ge= habt hätten. Der in mannigfadhen Widerwärtigfeiten geftählte Muth Ihres Charakters wird fid) auch bewähren, wenn neue Täufhungen gehegter Erwartungen ihn auf die Probe ftellen follten. Bielleiht find Sie nit arg- wöhnifch genug u. f. w. Sollten Sie jemald Grund haben, zu vermuthen, daß Sie von Ihren bisherigen Freun- den dort jhhledht berathen worden, jo wenden Sie fid) an andre, und ich empfehle Ihnen Dr. Ludewig, Dr. Hen- ihel, 9. Kriege, Dr. Gejdeidt und folde Männer, mit denen Sie durd) dieje befannt werben.“
Wer New-Pork kennt, wird über diefen Rath eines, im Uebrigen ganz gejcheibten und erfahrenen Mannes lächeln müfjen. Bon dem Dr. Ludewig habe ih jhen gejprochen. Was H. Kriege betrifft, jo kannte ich ihn von Brüfjel ber als Marrihen Kommuniften. E8 war mir daher (objchon ich perjönlidy nicht8 gegen ihn hatte) feine Annäherung an ihn zuzumuthen, jo lang er nidyt mit Aufgebung feiner falfhen Richtung fih an mid anzujchließen fudhte. Ob aber die Herren Henjchel, Gejcheidt u. j. w. mit mir für die evolution wirkten wollten, ijt eine Yrage, die ihr Freund, der, Dr. Sonnenfdein“, jhon für fie beantwortet hatte.
Die Verhältniffe waren eben ber Art, daß ich, mogte ih mic anjchliegen am welde Seite ich wollte, dadurd
— 169 —
nicdht8 gewann und gleichzeitig nady andren Seiten verlor. Ih konnte mich daher an feinen andern Rath binden, als ben meiner Ueberzeugung und mußte e8 darauf anfommen lafjen, wer von fih aus etwas für meinen Zwed zu thun fid) bereit zeigen werde. ch mußte von biefer Präten- fion ausgehen, da ich für eine allgemeine Sade wirken wollte und nicht für eine perjönlihe Spekulation. Und um biefe Wirkfamfeit zu fihern, mußte id mir aus den verjhiedenen Elementen eine befondere Partei zu bilden fuen, indem ich die entjchieven ungeeigueten fofert be- fümpfte und die geeigneten zu vereinigen fuchte. Das war freilich feine leichte Aufgabe, namentlih da, wo durd öffentliche Auszeichnungen jeder daran Betheiligte An- jprubh auf perjönlide NRüdfichten erwerben zu haben glaubte.
Es ijt mir ftet8 unbegreiflich gewejen, wie ein verjtän- diger Menjdh von männlihem Gefjhmad Vergnügen fine den fann an jenen öffentlihen Winpbeuteleien und Be- räucherungen, womit namentlidy die Teutjchen ftetS Jeden zu beehren bereit find, defjen Name einige Mal in ver Zeitung geftanden hat oder irgend eine öffentliche Leiftung repräjentirt, Einem Menden, der etwas Rechtes erftrebt und leiftet, muß e8 wohlthun, zu jehen, daß es anerkannt wird und Anklang findet, denn er muß eben darin eine Oarantie für den Erfolg und eine Ermutbhigung für fer- nere8 Etreben erbliden; aber wenn diefe Anerkennung fi nur in leeren Demonjtrationen und perfönlichen Hule digungen erjhöpft ohne entipredhende Unterftügung” ber Sade, fo ift dieß der befte Beweis, daß man Demjeni- gen, dem die Hulvigung gilt, mehr Ehrgeiz zutraut, als uneigennügiged Streben, und daß Diejenigen, von welchen
— 170 —
die Huldigung ‚ausgeht, ihn nur benugen wollen als Wiittelpunft für ihre eigene Schauftellung. Man vente fi einen Revolutionair, dem man mit einem Sojtenauf- wand von einigen hundert Dollar einen Fadelzug und ein Ständchen bringt, vor dem aber, wenn er dieje Koften für jeine Sade in Anjpruh nähme, alle jeine Bewunderer und Beräucerer davonlaufen würden. Welche Satisfal- tion fönnte er darin finden, von folhen Menjchen mit Vadelzügen und Ständen beehrt zu werben ?
Mir war der bloße Gedanke an joldhe Thorbeiten jchon zuwider und wo ich Denen, welche mir öffentliche Auszeich nungen bereiteten, anzumterten glaubte, daß ihr ganzes Interefie fih auf Phrajenmacherei und Windbeutelei ber jchräntte, habe ich ftet8 Die Gelegenheit benust, ihnen ums zweideutig zu verjtehen zu geben, daß, wer nicht meine Sakhe unterjtügen wolle, mir mit perjönlien Hulbdi- gungen vom Yeibe bleiben möge.
Die erjte Gelegenheit, mit meinen Freunven in New: Hort näher befannt zu werben, lieferte ein, mir zu Ehren gegebenes Feltefien. 8 widerjtritt meinem Gefühl, aud nur ein Feiteffen anzunehmen ohne den Borjag, dafjelbe für meine revolutionairen Zwede direkt nugbar zu machen. Dian hat Das getadelt, weil eine foldye Gelegenheit nur zu den Zweden der Feitgeber benutt werden dürfe und überbieg die Theilnahme aller Derer ausgeichlojjen geme- jen fei, die nicht bei dem KEffen zugegen fein tonuten; allein ich habe mir Recht darin geben müfjen, daß ic das Eifen jhmiedete, wo ed warn war, und konnte immerbin anneb- men, daß die eifrigften Freunde der revolutionairen Sade dem Efjen beimohnten, Den auf mic ausgebradhten Zoajt
— 11 —
erwiederte: ich mit folgender Anfprache, die fi in ver „Schnellpojt“ vom 26. Januar 1848 abgedrudt findet:
„Meine Herren! Meine freunde!
Nehmen Sie zunäcft meine herzliche Erwiederung Ihrer Begrüßung an. Sie haben als Freunde mid, aufgenom: men, lajjien Sie mid ald Freund in Ihre Mitte treten. Id würde dabei jehr zaghajt werden müjjen, wollte ich die Anerkennung, die Sie mir zu Theil werben lafjen und beren Organ ber vorhergehende Redner war, mit meinem geringen Berdien ft zufammenjtellen; aber ich rechne fie meinem guten Willen zu, auf ven Sie ftets fich ver« lafjen können, und ver Sache, welcder er geweiht war. Zugleidy "glaube ic) in diefer Anerkennung die Abjicht einer aufmunternden Betheiligung finden zu müfjen, und Dieß erfüllt mic mit Muth und Vertrauen. Findet die Sadye, welcher ich gedient, Diefjeit des Ozeand nur zum zehnten Theil fo viel Sreunde, wie fie jenfeit® Feinde ge: funden, jo kann der Erfolg eines fortgejegten Strebens nicht ausbleiben.
Sie fennen das alte Spridywort: „Je mehr Feinde, je mehr Eyr’*. Soll id dieß Sprihwort auf mid anwen- ben, jo darf ich ohne Unbefcheidenheit erklären, da in neues rer Zeit wenig Menjchen eine größere Ehre zu Theil ge« worden ijt, ald mir. Ich babe diefe Ehre nicht gejucht, fie aber auch nicht gefürchtet. und Die ift das einfache Mittel, dazu zu gelangen. Despoten und Büreaufraten, Dbjturanten und Philifter, unterjtütt nod Durd) ein gan- je8 Heer jonjtiger Helden der Gemeinheit und VBornirtheit, denen ich die Wahrheit ohne verfühende Beimifhung ein- geihentt,. haben mic unter ihrem Anathema zu erftiden
— 172 —
gefudht; ihr wibriges Geheul Hingt mir noch jest in ben Ohren, und obichon auf ver Reife hieher mir eine gebö- ‚ rige Quantität Norbweit um das Gefidht geftrichen, ift e8 mir, al® fpüre ich noch jett den Duft der faulen Aepfel in der Nafe, welde die ehrenwerthe Sippfchaft meiner Feinde mir nachgeworfen hat.
Ölauben Sie nun aber nicht, daß id nur Feinde zu- rüdgelafien, al® ih Europa den Rüden kehren mußte. Nein, jo weit ift e8 mit Teutichland nody nicht gelommen, daß die Sache, welcher idy gedient, und die Art, wie ic ihr gedient, nur Haß und Verfolgung hervorgerufen hätte. Ih darf Sie und mid mit der Verfiherung beruhigen, daß zahlreihe Freunde, unter ihnen die ehrenhafteften und intelligenteften Männer, mein Streben gut geheifen und mir ihre Sympathie bewahrt haben.
Hiermit, meine Herren, hätte ich ald Berfon mid beru- bigen können, aber ald ftrebender Mann durfte id «8 nicht. E8 hannelte fid) nicht um die Rechtfertigung eines perjönlidyen Strebens, e8 handelte fih um die Erreihung allgemeiner Zwede. In diefer Beziehung aber hatten meine Freunde einftweilen ihre Bedeutung für mid vers loren. Denn ihre Hand war gelähmt, ihre Sympatbie war ein Verbrechen geworden und ihre Hülfe fcheiterte an den Nidhtswürbdigkeiten einer geängftigten Polizei. Nad- dem ich, und zwar mit dem beiten Erfolg, längere Zeit dem Wort Zandesgrenze, weldes jdhon jo mande Beitrebungen bintertrieben, in Bezug auf die meınigen feine Bedeutung zu nehmen gejucht, hat endlich die Keaf- tion alle Mittelaufgeboten, um das Wort wieder zur Wahrs heit zu machen. Und die Reaktion, ih muß es geftehen, hat einftweilen gefiegt: die reihe Reaktion hat mid ban-
—— un
— 13 —
ferott gemadt. Meine freunde find theil® in Unterfu- chung gezogen, theild® durd Drohungen gelähmt, theils haben fie fich in’8 Ausland retten müffen; und wenn man fogar jo weit ging, dem allverehrten I fteim die öffent- liche Empfangsanzeige über Gelder zu verwehren, die er zur Unterftägung meiner $ amilie erhalten hatte, wenn man in Breslau das für mich gefammelte Reifegelp polis zeilich in Bejchlag legte und gegen die Sammler eine Unter: jubung einleitete, wenn, wie ein freund mir fchrieb, die bloße Thatjahe einer Korrespondenzverbindung mit mir in den Gerudy des „Hocdverrath8“ zu bringen im Stande war, jo mögen Sie fi vorjtellen, mit welden Schwierig» feiten und Gefahren Diejenigen zu Küimpfen hatten, die fih in Zeutjchland für mich und mein Streben interef- firten.
Nachdem ich unter folhen Umftänden meinen Poften bis zur letten Grenze der Möglichkeit behauptet, habe ich ihn endlich verlaffen müffen und bin zu Ihnen gefom- men. ch bin gelommen, um bier newe Freunde fennen zu lernen, und zwar freie Freunde, Männer, deren Mund nicht gelnebelt, deren Arm nicht gefefielt, deren Brust nicht verjchloffen ift durd die Gewalt oder die Furdt,
Ih habe Sie Freunde genannt, objchon feine längere perjönlie Belanntihaft den Grund eine® Bündnifjes unter uns gelegt hat. Aber, meine Herren, es gibt nod) ein anderes Band der Freundfchaft, ald Das des perjünli- hen Berkehrs: ic; meine das Band des gemeinjamen Streben für iveelle Zwede, Die Band verbindet bie Männer, felbft wo die Berfonen fi nicht zufame menfinden, und wenn die eine Freundfchaft ein Berhält-
— 174 —
niß unter Zmweien ift, jo Ffann die andere ein Verhält- niß unter Taufenden fein,
Soll id num die Frage beantworten, welches das Stre ben fei, in dem ich mit Ihnen und unfern übrigen Lande leuten in Nordamerika midy vereinigen zu können hoffe? Ih kann mid namentlich an diefem Ort mit der Hin- weifung auf Das begnügen, wegen vefjen Sie mir bie Ehre diefes Abends fhenfen. ch werde mid) mit Freude in die große Gemeinihaft einreihen lafjen, deren Wir- fungsfreis ver freie Boden Nordamerika’s ift; aber indem ih den Faden einer neuen Wirkfamkeit anfnüpfe, kann und darf ich nicht den der alten zerreißen. Ich halte es weder für eine Unmöglichfeit nody für ein Unredt, Teuts- her zu bleiben, wenn man Amerikaner geworben; aber ich halt» e& für eine Pflicht, Befreier zu werben, wenn man ein Freier geworden, und biefe Pflicht wer« den aud Sie nit von ver Hand weijen.
Ein vielgenannter Mann in Europa hat. das jchöne Wort geiproden: „das Talent verpflidtet!“ E8 liegt jebr nah, meine Herren, diefem Wort eine wei- tere Auspehnung zu geben und e8 auf jede Fähigkeit zur Erreihung enler Zwede anzuwenden. Nidyt bloß das Talent, jeder Befig von Mitteln zu edler Wirkfamkeit legt die Pflicht zu folder Wirtfamkeit auf. Wo aber, meine Herren, finden Sie einen größeren Borrath folder Mittel, al® in der Freiheit ? Sprechen wir e8 aljo ans: die Freiheit verpflichtet! Sie verpflichtet, Denen vor anzugehen und zu helfen, die nod) feine Freiheit haben erringen können, und wird mit doppeltem Nadhdrud diefe Berpflihtung geltend machen, wo ein gefnebelte® Bolt feine eigenen Söhne an ihre Hülfe und ihre Freiheit mahnt.
— 175 —
Meine Herren! Was die meiften unferer Yandsleute, weldye Teutichland mit Nordamerika vertaufcht haben, hier fuchten und viele fanden, ift Reihthum. Wögen fie fich glüdlih jchägen, wenn fie hierdurd fich über die Miferen des Yebens erheben und neben der politiichen aud eine gelelichaftlihe Unabhängigkeit erringen fonnten. Aber ed gibt neben biefem Reichthum nod) einen andern, den nur verachten kann, wer fic felbjt verächtlicdh machen will, und diejer Reichthum ift ver Reihthbum an jhönen Zweden. Der Reidthum an Zweden wäd’t mit der Breibeit, fie zu erreidhen, und deshalb nochmals: Die Freiheit verpflidtet!
Jh darf nicht daran zweifeln, meine Herren, daß Sie diefes Wort mit mir unterfchreiben werden, aber lafjen Sie und nod ein anderes hinzufügen, ohne weldes bie Erfenntniß ohne Hand und die Sympathie ohne Werth ift. Diejes Andere zu nennen, findet fid fein pajjen- derer Drt, als in dem Lande, weldhes das Wort Un» möglichkeit aus dem Wörterbucd, gejtrichen und das Wort Wille an die Stelle gefegt hat. Jun einem Lante, defjen Volk in wenig Jahren aus Wildniffen Städte und aus Wäldern Staaten jhafft, in einem Yande, das mit einer Handsoll Leute einen halben Welttbeil ers obert und Brüden baut über den Fall des Niagara, in einem folhen Lande darf man den kühnen Dännerwillen als eine Madıt, ald die erfte Macht der Welt profla- miren. Wu viefen Willen appellire ih. Der Wille, der keine phofifhe Hindernifje mehr kennt, wirb aud) die politifchen niederreißen helfen, und derjelbe Wille, der in Amerika über ven Niagara reiht, wird in Europa an de Kronen der Despoten zu reichen wifjen.
— 1716 —
Meine Herren, ver Wille, der vollendet, was er be- gonnen, der feite, unerjchütterliche, unermüdliche, der th as tenfhaffende Wille fol leben!“
(Donnernder Applaus ermunterte den Repner fortzu- fahren.)
„Meine Herren! E8 wird geftattet fein, politiihen Toa- ften einen politifhen VBorfhhlag beizumifchen. Ich habe Ihnen einen zu machen, ber zwar mit Zoaften einige Berwandt- Ichaft hat, dem Sie aber hoffentlich eine weitere Beden- tung zuerfennen werden, Was ih hnen vorzujchlagen
babe, ist — erjchreden Sie niht — eine Adrefjel “ Wir wijien Alle, bi zu welchem Grade der Lächerlichkeit viele unferer Landsleute in Europa das Aorefjenweien ges trieben haben, und Sie könnten fürdten, id wollte Jhnen ebenfalls eine jolhe Läherlichteit zumutben. Aber beven» fen Sie, daß eine Adreffe, welde der Meinungsaustrud freier Diäuner ift, [yon ihrer Entftehung nad) fich himmel» weit unterjcheidet von einer, ion in den Köpfen ver Aodrefjanten zenfirten Aorefje gefmebelter Untertbanen, welde jih durch Worte für Thaten zu entichäpigen fuhen. Dann aber entjdeidet ver Jwed und Inhalt, und auf diefe laffen Sie mid mit einigen Worten ein- gehen.
E8 gibt wenig fohwierigere Stellungen, als tiejenige von Männern, welche vereinzelt auf einem vorgerüdten Standpunkt nit bloß gegen die Reaktion, fonvern aud gegen die Oppofition felbft Oppofition maden müflen. Solden Männern entgegenzuarbeiten, hat die Realtion, von Gewaltmitteln ganz abgejehen, mitunter jehr leichtes Spiel. Sie geftattet nicht bloß feinen Ausorud der Sym- pathie für ihre Bejtrebungen, jondern fie hat aud) in den
— 17 —
von ihr beherrfchten Organen der öffentlichen Meinung hundert Mittel, jolhe Dpponenten nebit ihren Zmeden berabzujegen, zu verbäcdhtigen oder fonft in einem abjchre« denden Licht erfcheinen zu laffen. Das Schlimmfte aber ift, daß fie dabei gar zu oft unterftügt wird von Solcen, welche ihre Gegner zu fein vorgeben, nämlid; von ber großen Zahl der Halben, der Unklaren, der Bhilifter, weldye nichts Eiligeres zu thun haben, als fi die Stid)- worte der Reaktion anzueignen, fie auf ihre Fahne zu fchrei- ben und fi der reaftionairen Hete anzufchließen. Da braudt die Reaktion bloß zu rufen: „Der und Der ift ein verwirrter Phantaft,“ und fofort fchreien die Philifter: „Der und Der ift ein verwirrter Phantaft, man verhöhne ihn!“ Ruft die Reaktion: „Der und Der hat nichts zu verlieren, deshalb macht er Wevolution,“ jo greifen die Philijter in ihre Zafche, halten ihre Thaler feft und fhreien: „Der und Der hat nicht® zu verlieren, deshalb macht er Revolution; man fperre ihn ein!“ Will aber die Reaktion ihr Marimum aufbieten, fo ruft fie: „Der und Der ift ein hirnverbrannter Kopf“. Sofort gerathen alle Köpfe, in denen kein Hirn zu verbrennen ift, in Auf: rubr und aus allen Philifterfehlen ertönt das Alarmge- ichrei über den birnverbrannten Schwärmer. eve Phi- lifterpbantafie — zweifeln Sie nicht daran, daß die Phi- lifter Bhantafie haben — fteht in Ylammen und der hirn- verbrannte Anftifter diejes Unbeild kann fid) freuen, wenn ed bloß beim Berbrennen feines Gehirns bleibt. Mag man die Philifter nody jo*oft überzeugen, daß e8 gegen die Brandfhäden des Gehirns jehr folive Berfiherungsan- ftalten gibt; die Reaktion hat erklärt, man jei ein hirnver- brannter Kopf und die heilige und unfehlbare en bat 1
. — 178 —
Reht. Will aber einer jener Philifter, weldhe die eifrig« ften Freunde der von ihnen verfluchten Reaktion find, ein Aeuferites von Liberalismus aufbieten, fo fagt er: „Der und Der hat Redt; der Mann fprict die Wahrheit, wahrbaftig die Wahrheit, man fann dem Manne gar nicht widerfprechen, aber —" und hinter diejem Aber fol; gen tann lange, lange Gedantenftrihe, von Berlin bis nadı Wien, von Hannover bi8 nab Münden, von Dres» den bis nach Karlsruhe, Gedantenftrihe von fo unenplid) tiefer Bedeutung, daß die ganze Philifterwelt Europa’s fie nicht durch Gedanken oder Grunde zu erfegen vermögte. In Bezug auf diefe Leute der Gedankenftriche oder geftris denen Gedanken ließe fi der Göthe’sche Vers
„Denn eben wg Gedanken fehlen,
Da Stellt zur rechten Zeit ein Wort fih ein“ füglicy alfo umänvern:
Denn eben wo Gedanten fehlen,
Da ftellt zur rechten Zeit ein Strich fidh ein.
E8 gibt nun, meine Herren, ein einfaches Mittel, fos wohl diefe Gedantenftriche wie die Branpfpefulationen der Neaktionaire mit einem Mal zu ftreihen. Die Mittel befteht bloß darin, daß ftatt eines hirmverbrannten Kopfes Taufende aufitehen und mit ruhigen und feitem Ton Daffelbe erklären, was ver Eine erklärt hatte, Begreiflier Weife kann das in Teutijhland nicht gefchehen, aber e8 kann in Amerika gejhehen. Nichts ift unfern Landsleuten drüben nothwendiger, ald Zerjtö- rung ihres politifchen Aberglaubens, VBernidhtung ihrer loyalen VBorurtheile und Ermuthigung in ihren politifcyen Orundfägen. Um hierauf aber hinzumirken, wüßte ich kein befjeres Mittel, als eine mafjenhaft unterftügte Er»
— 179 —
Mirumg von Männern, welde die Schwäden der Andern binter fih haben. Eine mit Taufenden von Unterfchriften verfehene Träftige Aoreffe an das teutfche Volk, in welcher die nordamerifanifchen Teutjchen aller Stände und jedes Alters (vielleicht die Frauen nicht ausgejchloffen) den euro- päifhen ihre Rechte und Pflichten auseinanderjegen, wird nad) meiner Ueberzeugung mehr wirken, ald® hundert Schriften eine® Einzelnen.
Ich Ichlage Ihnen eine foldhe Apreffe vor. Ich fchlage Ihnen ferner vor, fid) al8 hanvdelnde Berfammlung zu geriren und ein Komite zu ernennen, mweldes füänmtlichen Teutichen New-Morks, die fih von derartigen Beftrebun- gen nicht ausfchließen wollen, nad) möglichft kurzer Zeit in einer zu berufenden BVBolköverfammlung die Adrefie zur Genehmigung und Unterfchrift vorzulegen hat. it Diek geihehen, jo wäre ein Aborud der Adrefje an alle teutiche Bereine Nordamerifa’8 und an alle Männer zu fenden, denen man bejonderes Interefje für joldhe Zwede zutraut, mit ver Einladung, fidh derfelben anzufchliegen und fie mit möglichft zahlreichen Unterfchriften bevedt bi8 zu einem be= ftimmten Termin wieder hierher zu jhiden. Die mit den Unterfchriften verfehenen Eremplare würden in einem Bereinsarhiv aufzubewahren fein. Sodann Tiefe man die Aorefje, unter Angabe ber Unterjchriftenzahl jedes Drts, in einigen bunderttaufend Eremplaren abdruden und in Teutjchland verbreiten.
Stlanben Sie mir, hierdurch würde ein Saamte ausge ftreut, veffen Früchte nit ausbleiben Fönnten. Solvaten- armeen haben wir nicht, aber wir können geiftige Armeen nad Zentihland fernen, melde die Borläufer,. die n d« thigen Borläufer der anderen find. Bevor die Arme
a IE
in Funktion treten, müfjen erft die Köpfe funktioniren ler- nen. Geben wir uns alje an’8 Kekrutiren. Die Armee, um tie e8 fi handelt, madt überdieg wenig Koiten. Sie koftet nichts, als eine Unterfhrift und einen Kleinen Beitrag zu den Drudtoften.“
Diefe Anrede wurde, objhon Niemand auf meinen Bor» fchlag vorbereitet war und Mandye ihm gern opponirt hätten, von der Mehrzahl auf das Belte aufgenommen, die Tifchgefelichaft organifirte fih fofort zu einer beichlie- Benden Berfammlung und erwählte ein Komite von fünf Perjonen, die mir bei Abfaffung der Aorefje und den übri« gen Einleitungen behülflich fein jolten. So war aljo der Anfang glüdlicd gemadyt.
Mit der vorgefhlagenen Wprefje hoffte ic mehrere Zwede zugleid zu erreihen. Zunädjt handelte es fidh darum, den Despoten wie ihren Unterthbanen zu zeigen, daß meine Verbannung über da8 Meer meine Wirkfame feit nicht beendet habe, und unter dem teutjchen Volke jofort eine ermutbigende Wirkung hervorzubringen; dann aber gab mir eine foldhe Adrefje die befte Gelegenheit, die Theil- uahme zu überbliden, auf die ich bei meiner Progaganda in Amerika zu rechnen hatte. Sie machte jedem Einzel: nen möglih, fih an emer wirffamen Demonftration zu betheiligen, und lieferte mir in den einlaufenten Unter- Ichriften eine Ueberficht meiner Gehülfen. Wohlmeislid hatte ib von vorn herein erflärt, daß die Unterjchriften nicht mit veröffentlicht werden follten, fonvern bloß ihre Zahl, beicheinigt für jeden Drt, jo wie für das Ganze von befannteren Namen, die fi nicht fheuten hervorzutreten.
Scllte man glauben, daß eine fo einfahe Demonftra- tion al® ein Verbrechen hätte können angefehen werden ?
— 181 —
Und dennod fand man alles Mögliche darin, fogar Lan- desverrathb. Unter den importirenden Ariftofrätlern News Norte entftand eine fo giftige Erbitterung über den „krafien Ravifalisıaus“, der das gejegnete, gelodmachende Amerika in eine revolutionaire Bewegung zu ziehen juchte, wie fie unter den Bedienten der teutfchen Fürften nur gefunden werden konnte, Allein diefe Opposition, die nur felten berworzutreten wagte (3. ®. dur den Dr. Ludewig), wurde bald zum Schweigen gebracht und die Aorefjenbe- wegung ging ihren Gang.
Unterdejjen machte ich audy einen Abftecher nah PBhila- delphia, wo Herr Seyvenftider in ähnlicher Weije wirkte wie Eichthal in New-Yorf. Man empfing mich dort auf die glänzendjte Weije. Zwei große, einander feindliche Diufilparteien, in welche damıal® die dortige gebildetere Bevölkerung getheilt war, verföhnten fih mir zu Ehren, um gemeinfam für mid einen großartigen Feitzug nebit Serenade zu veranftalten. Ich benugte die Gelegenheit, für den guten Willen und die mir erwiejenenn Ehre zu danfen, aber gleichzeitig den Berfanmelten zu verftehen zu geben, dap alle Ehrenbezeugungen in meinen Augen nur Werth hätten, wenn fie von wirklidiem Jnterefje für die gefeierte Sade und von dem Entjchluß zeugten, etwas für fie zu tbun. Sider war diefer Wink nirgenpwo befjer am Plas, al8 in Philadephia, deshalb wurde er mir dort aud am Meiften verdaht. Weit Komplimenten, Feitefjen, Ständ- hen, Fadelzügen u. |. w. beehrt zu werben und dann dod) nicht zufrieden zu fein, das zeugt jeden Falld von einer riefigen Ungenügjamleit und Arroganz.
Die Adreffe, in einer Mafjenverfammlung in New-Port verlejen und angenommen, ließ ich nad meiner bald va-
— 12 —
rauf erfolgten Rüdkehr nad Europa in 6000 Eremplaren drucden und in Teutjchland verbreiten, wo alle radikalen Blätter fie nahorudten.
E8 gibt feine peinlihere Lage, als die eines revolutio.- nairen Agitatord oder fonjtigen Vertreters öffentlicher Intereffen, der durd) feinen Standpunkt und fein Wirken auf die vemofratiiche Betheiligung der Maffen verwiefen wird und dem dann die bemofratijche Urtheillofigfeit oder Lieverlichkeit unfühige oder unwürdige Gehülfen auf: nöthigt. Allein handeln darf er nicht, aber. mit jolchen Gehülfen handeln faun er niht. Was fol er tbun ? Er muß fie, will er feinen Zwed nicht ganz aufgeben, [o8 zu werben fuchen, oder mit ihnen in Kollifion kommen. Dadurd) aber madıt er fie fi) zu Yeinden und fie arbeiten nun gegen ihn bei Denen, durd) weldye fie an jeine Seite gejtellt waren. Die weitere Folge davon ijt danı Un- einigfeit, Verwirrung, Streit in immex größerer Auspeh. nung und zulegt ein Bernichtungsfampf nicht bloß unter einzelnen Perfonen, jondern unter Fraktionen und Bartei- ungen.
In eine foldhe fatale Stellung — die aud in der Revo. Iution das größte Uebel it und die allein jchon nöthig macht, daß.der Führer einer Revolution unbeihräntte Ge- walt bei der Wahl und der Verwendung feiner Gehülfen babe — fann man nirgendwo leichter fommen, als in New-Pork, wo von je her in öffentlichen Berjummlungen die heillofeften Schwäßer, die liederlihiten Kneipenhelven und die gemeinften Demagogen als Hauptrepräjentanten des Teutichthums fich geltend machten und zu Ehrenpojten gewählt wurden.
Unter Denen, welde in New-Port meine Projekte
|.
unterftüßten, waren Viele, die den beften Willen hatten und von reinem Jnterefie für die Sacdje geleitet wurden. Aber das Unglüf will, daß derartige Menjchen in ber Kegel zu bejcdeiden. find oder nidyt die Fähigkeit haben, fich fo weit geltend zu madyen, dafj fie zur Repräjentation der Mafje auserkoren werden. So kam ed denn aud), daß bei ‚meiner. Agitation Menjchen das Wort führten und in den Vordergrund traten, deren ich mic) [hen damals gründlich Ihämte, die ich aber nicht befeitigen konnte, da fie durdy den demofratiihen Willen hervorgezogen wurden. Um nur Eins zu erwähnen: in der Berfammlung, welcher ich die „Adrefje an das teutiche Volk“ vorzulefen und zur Annahme vorzulegen hatte, trat ald Hauptredner einer der verborbenften Wahlvdemagogen auf und ald® Präfident fungirte ein Bierbrauer, der jo betrunfen war, daß er feinen zujammenbangenden Sag herausbringen konnte.
Trog Alledem war die Adrefjenangelegenheit in Gang gebracht und ed wurde dafür überall agitirt.
Ehe ich über den Yortgang meiner- revolutionairen Ge- fhäfte weiter berichte, muß ic) die Gejchichte meiner jour- nalijtifchen Anfänge nachholen.
Im Sinne der Andeutungen, welde der früher mitge-. theilte Brief Freiligraths enthielt, hatte fi jhon vor mei- ner Ankunft die allgemeine Stimme dafür ausgeiprochen, daß ich die „Schnellpoft“ fortjegen müfje und zwar follte fie mir ald Eigenthbum übergeben werben. Zu meinem Theilhaber aber hatten Viele Harn Dowiat auserjehen, der das Blatt feit Eichthald Tod redigirte und der einer» feits al® Prediger einer für ihn gebildeten Gemeinde und anbrerfeits ald Kommunift einen damals nicht unbedeu- tenden Anhang hatte,
Anfangs wurde, nad) New-PMorker Manier, mit ver- fhwenderifcher Generofität über die Summen jhwadronirt, die man für die „Schnellpoft“ zur Verfügung ftellen wellte; al8 diefelbe aber (vor meiner Ankunft) zum Verkauf fan, hatten die Schwadronenre nicht einen Dollar für das Blatt bereit und e8 wäre dem Herrn Dr. Yudewig und feiner Klique in bie Hände gefallen, wenn nicht ein red» liher Öerber, Herr Wagenit, e8 gefauft hätte, um es für mich zu retten und e8 mir fpäter gegen Erfag der Kauf- funme zu überlafjen.
AS nun nad meiner Ankunft diefe Transaktion vor fi) gehen follte, ftanden zwei Schwierigfeiten im Wege: 1. hatte ich fein Geld und 2. wollte ich mit Herrn Dowiat nichts zu fchaffen Haben. Die legte Schwierigkeit war die peinlichte, da ih meine Gründe nicht angeben durfte: Denn entweder hätte ich ihn dadurd) ruinirt, wozu ich mid) weber genöthigt jah, noch berufen fühlte, oder man hätte meinem Auftreten gegen ihn gemeine Motive untergelegt. Envlid, ald ich ihm gelegentlid meine Kenntnig feiner Vergangenheit verrieth, jah er jelbt das Mifliche feines Berhältnifies ein und trat freiwillig zurüd.
„Un feine Stelle wählte ic ald Gejhäftstheilhaber und Mitrevakteur ven Er-Diktator von Krakau, Tyfjomsti, den ich jofort al® einen zuverläßigen und talentvellen Diann beurtheilte, wenn er audy fein Dann der Entihie- denbeit und Kraft war. Er mußte fid) damals mit Fedht- unterricht burchhelfen und jehnte fic) nach einer angemeije- neren Stellung. Durd einen Ameritaner wurden ibm einige hundert Thaler zur Berfügung geflellt, für meinen Antheil wurde das Blatt verpfändet und wir fonnten endli das Gejchäft beginnen, Für mid war dieß ein
= IE Sn
fhwerer Anfang, denn id war fo mittellos, daß ich, zur Erjparung der Koften für ein Logis in meinem Erpedi- tionszimmer, einem alten Bretterverjhlag, über einer Dampforuderei, einguartirt, oft Tage lang nit af als Schivarzbrod, während die Herren Yandsleute mich dran- ben ald grogen Mann feierten. Und um unfere Berle- genheit nody mehr zu fteigern, verweigerte der Menich, der fir Eidhthal das Gejchäft geführt hatte, uns die Abon- nentenlifte. Er behauptete, fie bloß im Kopf zu haben. Natürlich hatte er Alles, was er an Abonnementögeldern erlangen konnte, im DBoraus eingezogen, jo daß unfer Betriebsfapital bloß in der Hoffnung auf künftige Erfolge beftand. Und in diefer Lage erhielt ich zugleich die er- heiternoften Briefe von den Meinigen, weldye, wegen meiner langen Ueberfahrt vergebens auf Nachrichten war- tend, in der quälendften Unruhe waren und zugleich wegen Mittellofigkeit nicht wußten, wie fie von einer Woche in die andere kommen follten. Zrog Alledem mufte die „Echnellpoft“ redigirt, mußte auf Herbeifhaffung des Reiiegeldes für die Jurüdgebliebenen gejonnen, mußte für die Revolution agitirt werben u, j. w. Beneidenswerther „großer Mann“!
Aller Schwierigkeiten und Miferen ungeachtet machte die „Schnellpoft“ jo gute Fortichritte, wie unter den da- maligen Umftänden nur erwartet werben fkonnte. Gie verlor eine Anzahl reaktionairer Abonnenten, gewann aber eine doppelte und breifahe Zahl befjerer an vie Stelle. Dffene oder öffentlihe Feinde hatte fie noch niht. Die Kommuniften, die neben den reaftionairen Importeurs und fonftigen BPhiliftern ihre Hauptgegner waren, begnügten fi damit, meine Herausfoderungen
BE
zu Disfuffionen zu benugen, umdb id ließ mich willig Das rauf ein, um nad) diefer. Seite hin wo möglic reine Bahn zu machen. ‚Unter den dem Fortichritt und der Revolu- tion ‚Geneigten fpielte damals der Kommunismus eine Hauptrolle und es war daher der Mühe wertb, Klarheit über ihn zu verbreiten und feine kurablen Anhänger zır vernünftigen Anfichten zurüdzuführen. Die übrige Prefie trat freundlich auf oder jhwieg mwenigftiend. Se aud) die „R.Y. Staat$zeitung“, objhen ich deren Editor, einem ganz gemeinen umd rohen Parteifnedht, der aber für den eriten teutjhen „Publiziften“. in Amerifa galt, jo wenig meine Anfwartung machte wie meinem Gönner Bennett, was mir von verjchiedenen großen Geiftern jdyief ausge» legt wurde, m Orunde hatte die Prefje die meifte Ur- jache, mir gram zu fein. ch griff fie zwar ned nicht an, auch trat ich ihr. im Parteimejen nod nicht in. den Weg; wodurd) id) ihr indeß jofort widerwärtig zu werden drohte, das war mein Beftreben, ihr dur mein Beijpiel einen friihen, lebendigen, jelbftitänpigen Geift einzuflögen und fie dur eigene Thätigfeit aus dem alten Sclenvrian berauszutreiben. Damals bejtand das Xedigiren im lieverlichjten Ueberjegen aus engliihen, im. kritiklojeften Abdruden aus teutjchen Blättern und in gelegentlicher Bearbeitung der teutichen „Zitifens" für das „Tidet“ und dieß Alles in einer Sprache, die mitunter wahrhaft barbariih war, Die Aufitellung eines Beijpiels, welches ben Sclendrian bisfrebitiren, zu eigner geijtiger Thätig- keit anjpornen und die Weißhandler. der teutihyen Sprade beihämen mußte, war: daher der fonkurcirennen Prefie unbequem genug .audh ohne Kritif und Polemit. Zwar hatten damals jchon andre Flüchtlinge, 5. B. ein, Kriege
— 17 —
n.. w., einen mohlthuenden Gegenjat gegen die rohe Unfähigfeit der alten Preftnechte zu bilden begonnen; aber eines Theild traten fie nicht jcharf, fjelbititändig und ausdauernd genug auf und andren Theils hatten fie ben Bortheil eines“populairen Namens nicht in dem Maße wie ich,
Auf die Dauer würde man mic natürlich nicht in Auhe gelajjen haben. ch merkte bald genug, daß mein unab» hängiges Auftreten al8 Jonrnalift wie mein zurüdgezo- zogenes Wejen als Perfon mir im Geheimen nicht wenig Gegner jchuf; aber dieß befhränfte fih nur auf New-Norf und felbjt dort hätte fi Niemand eine offene Gemeinheit gegen mich erlaubt.
In dein KRedaktionsprogramm, das die erfte von mir redigirte Nummer der „Schnellpoft“ (vom 2, Yebr. 1848) enthielt, ftellte ich mich jofort auf den unabhängigen Bo- den der radikalen Prinzipien, während damals fein Menid) für möglidy hielt, ein Blatt zu jchreiben, das nicht ein Dr- gan der jhon beftehenden Parteien war. Ein teutjches Blatt aber konnte und durfte nur ein „demofratijches“ fein. Objdon vollftändiger Neuling in der hiefigen Politik, fonnte ich mich Do dur die f. g. „Demofratie” nicht täufchen lafjen. Ich griff fie nicht fofort an, da ich mid) zuerjt zu orientiren hatte, aber id gab zu verjtehen, daß ich mir das Angreifen vorbehalte und mein Auftreten nur nad Prinzipien, nicht nad Namen und Parteirüdjichten rihten werde. „sn Nordamerika,“ fo hieß ed in dem Programm, „hat das Prinzip nod viel Arbeit zu verrichten. Wir werden und zu feinem Diener machen, und zwar ohne dabei in jugendliche Ucbereilungen und unzeitige Goderungen an bie wirkliche Welt zu verfallen,
EI
Wir faffen den Beruf der Publiziftit höher auf, als daf wir fie für beftimmt hielten, irgend einer Partei als folder, wie fie fi durch zufällige Berührungen oder Gegenjäge oder Interefjen bildet, zum befonderen ober ftehenden Organ zu dienen, Unfere Partei ift die des richtigften Prinzips. ALS Ddiefes Prinzip erkennen wir dasjenige tes vollftändig erfüllten Republifanismus auf den Örundlagen und in den Formen verebelter Menfhlichkeit.. Mit dem Mafitab diefe® im Einzelnen näher zu erörternden Prinzips werden wir die Thatjachen mefjen und in dem Getriebe des praftifhen Staatslebend für Diejenigen Partei ergreifen, welche jenem Prinzip am nädjten ftchen, ohne und durd Namen irre machen zu lafjen. Wir werben uns hüten, über gegebene Verhältniffe weiter zu urtheilen, al® unfre nod jehr mangelhaften, vurd) feine längere Beobadhtung unter: ftügten Kenntniffe reihen; aber wir find verfichert, den Mapitab des allgemeinen Redhts md der allge meinen Wahrheit in Nordamerika fo gut anwenden zu fönnen, wie in irgend einem Lande der Welt.
Jndem wir oben die fozialen Fragen für Amerika vor: anjtellten, wollten wir damit natürlich die politifchen keineswegs ausjchliefen. Eben jo wenig wollten wir vie erftern bejchränfen auf die Eigenthbums- und national öfonomiihen Berhältniffe. Wir hoffen vielmehr, in unjer Blatt Alles bereinziehen zu können, was das öffentliche Yeben und die Entwidelung ver freien Menjd; lichkeit hindern und fördern kann, Dabei werden .wir in zweifelhaften oder untergeordneten Fragen gern ber Kontroverje Spielraum gönnen. Yn Bezug auf die feft- ftehenven Lebensbedingungen der Freiheit und des Ges
— 189 —
meinwohl® jedody werben wir jede Inkonfequenz ober Konzejfion ald ein Verbrechen vermeiden.“
Ic kann mir nicht verfagen, von den Artiteln, weldye die Schnellpojt damals (Februar 1848) veröffentlichte, den folgenden abbruden zu lafien. Dean bat daburd Gelegenheit, das damalige Teutjhthum mit dem jegigen zu vergleichen und wird buch manche Uebereinjtimmung überrafcht fein. Zugleid) erfieht man aus diefem Artikel, wie ich bei dem Unternehmen, eine radikale Partei zu bilden, trog aller Schonungslofigkeit nad der einen Seite, auf der andern bemüht war, an meinen Yande- leuten die guten Seiten herauszufinden, bloß entjhlofjen, unverföhnliche Gegenfäge und unverbefferlie Stumpfheit feindlich zu befümpfen und entjchieven zu verwerfen.
„Die Teutfchen in Amerika.
Man fnüpfe mit einem beliebigen Zeutjchen viejes Yandes ein Gefpräd über feine Landsleute an und er wird fich fofort als Ächten Zeutjchen dadurch zu zeigen fudhen, daß er die Untugenven der andern mit grundfags fefter Verachtung tadelt und verwirft. „Mit diefen Leu- ten, wird er jagen, ift nie und nimmer etwas anzufangen. Da trüben auf dem Kontinent tragen fie ihre Bevien- tennatur zur Schau nnd bier will jeder den Herrn jpielen. Er jetzt jih gleih in Pofitur gegen feinen Landsmann u.d will gegen even den Schulmeifter machen, ohne etwas von ihm anzunehmen, will Jeren ausbeuten, ohne ihm etwas zu göunen, will mit Jedem rivalifiren, ohne ibn als Rivalen anzuerkennen, will Großes wirken, ohne Diejenigen zu würdigen, welde mit ibm wirken jollen. Wenn das Teutjhthum nichts leijtet, jo bedauern
ni TE
fie unendlih, daß Niemand vorangeht; geht aber Einer voran, fo fegen fie ihn herab, Jeder will nur feine Ber: fon eine Rolle jpielen Laffen, will perfönlich glänzen, will perfönlih feine Weisheit zur Anerkennung bringen, will perfönlih der Hauptkerl fein. Und wo hätte ein Einziger Da8 Zeug dazu ? Befieht man fie bei Fichte, je bat fein Einziger Muth, kein Einziger Konfequenz, fein Einziger Ausdauer, Kurzum, fie bringen ihre euro päifchen Untugenden mit und [chaffen fi moch neue dazu an. 8 jcheint, ald ob ihnen felbft das Gewifien dieh fühlbar madıte, denn Viele bemühen fi fogar, ihre Ab: ftammung zu verleugnen, vwielleiht um unter fremder Firma ihre eigenen Untugenden prablerifch verachten zu fönnen. Was ift nun mit diefen Leuten zu erlangen ? Am Wenigften das Haupterforderniß zu allem Wirken, nämlih Bereinigung. Will man fie vereinigen, fo muß man irgend eine Berfon oder ein Ereignif benugen, die ihrer Eitelkeit oder Neugier Gelegenheit geben, fih ein Fejt zu bereiten. Sie werben dan fofort bei ber Hand fein, aber eben fo jhnell wieder auseinander ftieben wie fie gefommen find. Sie werben hinter der Tlafche einen ganzen Abend lang Helden, Patrioten u. |. w. fein; fommt e8 aber auf’d Handeln an, fo find fie nicht mehr zu finden. Einer Sadhe, eined Zwedes wegen wer- den fie niemal® auf die Dauer zu vereinigen fein, e8 jei denn, daß Die Sadye eine Nebenfache oder der Zwed eine Dummheit wäre.“
In diefer Weife fann man alle Tage von Teutjchen über Teutfhe urtheilen hören. Man ift verfucht, aus diefer Erfcheinung folgende Schlüffe zu ziehen: entweder find Diejenigen, weldhe fo urtheilen, von den Fehlern der
— 191 —
mit fo großer Emphafe und fo viel Gefinnungstüchtigeit Berurtheilten frei, und dann ift e8 erfreulich, eine fo große Anzahl Feblerlofer, Tücstiger, Zuverläßiger kennen zu fernen; oder aber fie find von jenen Fehlern nicht frei und dann zeigen fie wenigftens, daß fie diefelben erkennen, in: dem fie fie tadeln, und da die Erfenntniß der Weg zur Beilerung ift, fo darf man die Hoffnung nicht aufgeben. Wir für unfere Perfon erfennen zwar einen Theil des oben ausgejprocdyenen Tavdels, was die Thatfachen betrifft, als richtig an; aber wir begnügen uns nicht mit dem Tas del und juchen die Gründe der Erjheinung aufzufinden. Wir find niemals, wie fo viele Andere, dazu gelangt, an unjern Landsleuten zu verzweifeln, weber jenjeit nod) dieffeit des Meeres; unfre Neigung zu günftigerer Beurs theilung findet aber um fo mehr Halt, wenn wir auf bie Verhältnifje eingeben, unter deren Einwirkung unfere Landsleute geftanden haben und nody ftehen.
Daß Viele unter Denen, welde fih nad den Ver. Staaten wenden, nicht eben ausgewählt find, um ala Vertreter teutjcher Intelligenz und Ehrenhaftigfeit gelten zu können, wollen wir übergeben, da der Zuftand ver Dinge in Europa auch fo Manchen hierher verfchlagen hat, der mit der erfoderlichen Bildung die entjprechende Ehren» baftigkeit vereinigt und vielleicht eben hierin das Motiv feiner Auswanderung aus feinem alten VBaterlanvde findet, Der Gefihtspunft aber, von dem wir auszugehen haben, it eben in diefem alten Baterlande aufzuftellen. Wer von und muß nicht eingeitehen, daß er, ehe er Zeutich- land verließ, ein Sklave war? Daß er, dur bie Schranten der despotiihen Gewalt zufammengepreft, die Hauptkräfte feiner Natur außer Funktion fegen mußte ?
r
— 192 —
Daß er, ald Mann und Bürger aller Geltung entbehrend, nur im engen Privatfreife oder in der Umgebung von Philiftern zu Worte fam? Nun vente man fi einen Menfhen, der bi® jegt in der politifhen Zwangsjade ftedte und hiernady auch feine gefeljchaftliche Haltung an= zunehmen genöthigt war, plöglih in die freie Luft der nordamerifaniihen Nepublit verfett, plöglich berechtigt zur Geltendmahung aller Anfprüde, die er bis dahin hatte unterbrüden müfjen! Wird er nicht ald Neuling in der freiheit fie benugen wollen, um fidy für die früs beren Beengungen zu entjchädigen? Wird nicht fein zu= rüdgehaltener Egoismus, feine verfümmerte Jnvidualität plöglih bervorbreden und fid überftürzen? Wird er nicht, nachdem er früher gar feine Anfprüde hatte machen dürfen, jetst plöglich zu viel Anjprüde machen ? Wird er, durch feine frühere Schule der Freiheit erzogen und Des- halb unfähig, gleib dem an Freiheit gewöhnten Republi= faner das Gefühl feiner Entfeffelung unter einer würdigen Haltung zu dämpfen, nicht naturgemäß einen gewiljer baltungslofen Uebermuth und eine unfügjame Selbft- überfbägung zur Schau tragen ? Und da er fofort her» ausfühlt, daß er dieh dem Amerikaner gegenüber nicht fann, was ift natürlicher, al® daß er Front gegen feine eigenen Yandsleute madt, die er als frühere Diitjllaven weniger rejpeftirt ?
Hierzu trit aber no ein anderer wichtiger Umftand, Die teutjhen Auswandererlommen näm. lih alle als einzelne Berfonen, niht als Ölieder einer Gemeinfhaft hierher. So lang fie in Teutfchland waren, vereinigte fie doh das Band der Knehtichaft und des Bepürfnifjes, fie abzufchüt
— 193 —
teln; diefer Knechtichaft aber als Auswanderer entronnen, ift Jeder nur auf feine eigene Perfon bedacht, hat Jever nur einen perjönlichen Zwed, der zunäcdjt in ver Grün. bung einer Erijtenz befteht, und mit feinen Landsleuten hat er niht8 mehr gemein, ald das neue, unbefannte Bater- land, in weldem man fic erft eingelebt, von Neuem Bers bindungen gegründet und Zwede herausgefunden haben muß, um von dem Band einer Bereinigung umfaßt zu werben.
Unter folden Unftänden ift nicht® natürlicher, als Die Beranlafjung zu den Klagen, die wir oben in Worte ge bracht haben, und e8 wird allerdings jchwer fein, ihnen abzubelfen. Aber die Hoffnung dazu darf man nicht auf- geben. Wir gründen fie, außer auf Gemeinjamtfeit der Sprade, auf die ideale Dispofition der teutichen Natur, das Bepürfnig derjelben, die iveale Seite der Dinge her- auszufinden und prinzipielle Zwede zu verfolgen. Dieß Bebärfnig hat fein anderes Bolf in gleihem Grade. Wir finden in den meijten Yändern mehr freiheit, als in Teutfhland, aber wir finden fie häufig wie aus dem Zu- fall entftanden, ohne prinzipielle Unterlage und ohne den Zufammenhang einer logijhen Durhoringung. Diefe Turdodringung, diefe Wirkiamfeit, welde an Alles den Mafftab der Bernunftberehtigung legt, ift namentlich eine Aufgabe der ZTeutjhen. Die ZTeutichen haben es noch nicht verftanden, das Brod der freiheit zu formen, aber fie bilden mit ihren Gedanken den Sauerteig, der e8 überall hwängern muß. Diefe Aufgabe wird fie hoffent- licdy zufammenführen, fobald fie fich derjelben bemuft ge- worden, und mit diefem Bewußtjein Die Erfenntniß be- ftimmter Zwede vereinigen.
Eine natürliche Jdeenaffoziation führt ie Aa diefen
— 194 —
Betrachtungen zıt der „Deutihen Schnellpoft”. Die Blatt will fih zu einem Organ der Beftrebungen maden, welden die Teuttfchen nach zwei Ridytungen, nadı amerifas nifcher und nach teuticher Seite bin, fih zu widmen hätten. Sie hat fidy fhyon hinlänglich darüber ausgefprocden, mas fie nady beiden Seiten zu fördern ftrebt. Sie wird ven Muth nicht verlieren, die Mifverftändnifje und Queer- treibereien zu überwinden, melde ihr jchon jetst begegnen und nod mehr begegnen werden. Ein richtige® Prin- zip, mit Konfequenz durchgeführt, wird ftetS Sieger blei- ben und kann fih damit tröften, nur Einen Fernd nicht überwunden zu haben, ber felbft nad der Eıtfernung der bösmwilligften fi umbefteglic auf dem Schlachtfelve behauptet, nämlih den Pbilifter, Wenn felbft ver gefcheidtefte Mann eine Acillesferfe bat, an welcher vie Bernunft ihm beifemmen kann, der Bhilifter bat feine, und unter allen Schüten der Welt ift fein Paris der Ber: nunft aufzufinden, der einen Philifter erlegen Fönnte, Das Wefen des Philifters befteht eben darin, daf er der Dernunft völlig unzugänglich ift, daß er lobt chne Gründe und tadelt ohne Grünve, daß er jogar, dur Gründe über- zeugt, fie dennodh nicht anerkennt und al® eingerammter Pfal der Bornirtheit jedem Andrang fid entgegenitemmt, der ihn nicht geradezu über den Haufen wirft“ u. |. mw. Wenden wir und jet wieder zur Revolution. Wüb- rend id) in New-Morf mit einem Aufruf zu Gunften der Revolution und Kepublif befhäftigt war, bereiteten vich in Pari® Dinge vor, die aub ohne Aufruf auf ein foldhes Refultat binansführten. Natürlihb dachte in Amerika kein Deenih an eine nah bevorftehende Revolution. Ya, man ladyte mic aus wie einen Narren, als ich in ber
— 1% —
„Sänellpoft“ anfündigte, nächften® werde die Nachricht lommen, daß man den Ordonnanzen 2. Philippe's mit Pflafterfteinen geantwortet habe. Namentlich die teutiche Weisheit in der Wallftreet amüfirte fi iiber den „Eraffen Radikalismus*, der an feinen „Sonnenichein“ glauben, fondern jo himärishe Dinge, wie Revolution, im 19. Jahrhundert in Ausficht ftellen wollte,
Dia bringt plöglihb am 18. März die „Bambria“ bie Nahricht von der Flucht 2. Bhilippe’8 und der Einfegung einer proviferifhen Regierung. Setst hätte man die Ge- fihter der weifen Ungläubigen fehen follen! Wie früher als Narr, galt idy jetst bei ihnen al8 Prophet.
Vreiligrath überjandte mir fein fchönes Gediht „m Hochland fiel der erfte Schuß“, das ich nebjt den erhalte nen Nachrichten und Korrespondenzen in der „Schnellpoft* aboruden lief. E8 entjtand damals eine Aufregung in New-Nort wie ich fie nie gefehen. Der widermärtige Eindrud, den politifhe oder fonftige Anfregungen unter den Zeutjchen in Amerika zu macen pflegen, entjteht da- buch, daß man ihnen die Beimifhung gemeiner Tendens zen zu fehr anmerkt. Sie haben gewöhnlich zu offenbar den Charakter eines Strohfeuers, da® bald verfliegt und dann al einzige Realität ven Bierdurft, die Oftentations. fuht und die Spekulationen von Demagogen zurüdläßt. Die Aufregung aber, welde im März 1848 burd) die europäiihen Nachrichten hervorgerufen wurde, hatte nicht diefen Charakter, fie war eine wirkliche Begeifterung. „In den öffentlihen Lolalen,* jo berichtete die „Schnellpoft”, „Hört man von nichts Anderem reden, al8 von der Parifer Webruarrevolution. In dem Saale des Herrn fievre hatten fi) ohne Verabredung ein Paar Hundert Teutjche
ze A
eingefunden, Die Unterhaltung fteigerte fih allmälig zum Ausorud eine® wahrhaft fieberifhen Enthufiagmus, ber namentlich dur die mehrmald verlangte Vorlefung des Freiligrath’fchen Gedichte8 entflammt wurde. XZoafte und Reden, aud zwei von Amerikanern gehaltene, machten der Erregung Luft. Zulett tauchte der BVorfchlag auf, daß die Verfammlung, welde fih zu einem fürmlidyen Meeting organifirt hatte, zu einer allgemeinen, alle euro» päijhen Nationen vertretenden, von Nemw:Port ausgeben» ben Demonftration mitwirken folle, zu dem Amwed, ven Franzojen die Sympathie der biefigen Bevölkerung zu er fennen zu geben. 8 wurde ein Komite von 12 Perfonen ernannt“ u. f. w.
Ih rechne jene Tage zu den jchönften, welde ich in Umerifa verlebt habe. Welde Erregungen, welche Hoff- nungen, welde Befriedigung für den Glauben an eine große Jree! Dean braudht Das Keinem zu fagen, der etwas Aehnliches erlebt hat.
Ih war feit einiger Zeit thätig gemwejen, Reifegelv für meine in Genf zurüdgelafjene Familie zufammenzubringen. Degreifliher Weife kam ich jett fofort zu einem ganz andren Eutichluß. Jede Fiber in mir zudte vor Berlan- gen, mit dem erften Schiff nad) Europa zurüdfehren, denn id) war gewiß, daß die Revolution aud in ZTeutjchland freie Bahn machen werde,
Rad Europa znrüdtehren! Weldh frevelbafter Ge banfe für einen großen Dann, der allerlei „große Rofi- nen“, aber nit 10 Dollar in der Tafdye hatte! Sollte ih auf die Nüdkehr verzichten, weil ich fein Geld hatte ? Sollte idy wirklid der Revolution, für die ich fo lang ge= Ihwärmt und gearbeitet hatte, beim Ausbruch ven Rüden
— 17 —
zuwenden, weil — Millionen Schufte und Philifter das Geld in der Tajhe hatten, womit ich mir zutraute bie Welt auf den Kopf ftellen zu können ? Over follte ih — unerhörte Kühnheit! — das Wagnif begehen, Andere um das Reifegeld anzufpredyen, das ich beim bejten Willen viel- leicht in Jahr und Tag nit im Stande war felbft zu er- übrigen? ch beging das Wagnif und veröffentlichte in der „Schnellpoft“ vom 21. März einen „Aufruf au meine Randölente‘‘,
ber aljo begann:
„Wenn aud nicht unerwartet, fo body überrafchend fommt die Kunde, weldhe das Zufammenftürzen eines Hauptpfeilerd des europäifhen Despotenbaues meldet. Der Anfang zum Ende ift gemadt. Die übrigen Throne haben jhon lang gebebt und fie werben ftürzen gleich) dem franzöfiihen. mn Franfreid gab es nur Einen zu für zen. In Zeutjhland wird fih das Erperiment vier- und dreißig Mal wiederholen. Wer dazu mitwirken kann, wird fih nit an feine Pfliht mahnen Lafjen, wenn er ein Menfh, wenn er ein Mann, wenn er ein Republikaner ift.
ch war nicht darauf gerichtet, den freien und fichern Boden Nordamerita’8 fhon fo bald wieder zu verlaffen. Aber von Paris aus erjhallt ein Auf, den ich nicht über. bören darf. Er mahnt mid an fofortige Rüdtehr nad) Europa.
Mein Leben und mein Thun habe ich der Freiheit ge= weiht. ch darf nicht zurüdbleiben, wo ich durd) die That meine Worte zur Wahrheit machen kann. Mit vem Dampfihiff „Cambria” wervde ich in diefer Woche nad Liverpool abgehen.
— 18 —
Das Weitere werden meine Landsleute dur die „Schnellpoft“ erfahren, deren Mitredafteur ich aud in Europa bleiben werde,
Ih bin mittellos, ihr wißt e8, Ich fodere nichts für meine Perjon, aber ich fodere Unterjtügung für unfre Sadye. Beeilt eu, Mittel zufammenzujhießen, um mid vor meiner Abreije jo weit in Stand zu jegen, daß ich in Europa fofort wieder Fuß faffen und auf kräftige Beife wievder wirfjam jein kann.
Dann aber werdet ihr es für Pflicht halten, euer In» terefie fort und fort zu bethätigen für die Befreiung Teutjchlands. Jept ift Die Zeit gelommen, wo der Augen hein euch überzeugt, daß ihr eure Hülfe nit vers gebens darbringt, daß fie Saamen ift für einen fichern Tag der Ernte. Durch die ganze Union müjjen id Vereine bilden, um diejenigen teutjhen Republifaner zu unterjtügen, für Die jest die Tage des Handelns heran rüden werden.“ U. j. mw.
Diefer Aufruf hatte den Erfolg, daß id am 25. März mit $400 in der Zajche nad Liverpool abreijen konnte, Bon diejer Summe waren etwa $200 geliehenes Gelp, das urjprüngli für die Neife meiner Yamilie bejtimmt war und durd Anzeigen in der „Schnellpoft“ abbezahlt wurde. Später wurden mir nod) ein Paarhundert Dol- lar nadgejandt, Alles mit der ausprüdlichen Bejtim- mung, daß ich das Geld nad) freiem Ermefjen verwenden fole. Welche Folge dieje Geldunterjtügung für mid) ge- habt, davon jpäter.
Ehe ih abreife, muß ich noch eine Vorftellung von der Bewegung geben, welhe tamals unter den Teutjchen wie unter den übrigen Europäern diejes Landes herrichte. Zu-
I
nädft folge der Anfang eines Berichts der „N.Y. Staats- zeitung“ über eine teutihe Maffenverfammlung, mwelder zugleicy eine erheiternde Erinnerung an gewilje Berjön- lidyfeiten enthält, die Damals in Nemw-Pork die Gipfel des ZTeutichthums bildeten:
„Wie von einem Geifte bewegt verfammelten fi) jchon am Abend des 18. März die Jrländer im Shafespeare Hotel und die Deutjhen in St. Johns Hall. Sie hat- ten nidyt8 mit einander verabredet, aber derfelbe Geift rief fie zufammen, derfelbe Geift leitete die Berathungen, und derjelbe Geift beftimmte fie zu denjelben Beihlüfjen.
Ein enger Zufammenfchlußg zur Revolutionirung Jr- lands war das Felogejchrei der Jrländer, ein enger Zu- fanmenfhlußg zum Umjturz des europäifchen Despotis- mus der Schladytruf der Deutihen, eine große Demon- ftration aller Bölfer zu Gunften der franzöfifden Wevo- Iution auf dem Hauptplag der Stadt New-Pork wurde zu gleicher Zeit einmüthig von beiden bejchlofjen. Die De- mofratifirung Europa’s und die Berbrübderung aller Bölfer auf Erden galten hier wie dort ald Das Ziel der in Yrank- reich begonnenen Bewegung. Bei den Jrländern jdürte D’Eonner das Feuer zu lichterlohen Flammen an, und bei den Deutjchen fprachen Sriege, Förih, Dowiat, Simon Schmidt und Andere. St. Johns Hall war von oben bis unten auf das Brillantefte illuminirt, und auf einem Transparent leuchteten die Worte:
Hurrah for the revolution of Europe! Vive la revolution! &8 lebe die Revolution!
Aber Yrländer und Deutjhe waren entichloffen, e8
nicht mit bloßen Ausbrücden ver Freude bewenden zu
— 200 —
lafien. 8 lag ihnen zunädhft daran, alle Nationen in die Bewegung bineinzuziehen. Den Deutihen gelang es, einige franzöfifche Arbeiter zu gewinnen, bie Herren Bourgeois machten lange Gefichter und fchienen gar nicht aufgelegt zum Feiern. egt aber ift die Sade im Schwung, die Franzofen hatten bereit8 zwei große Ber: fammlungen, und heute ijt die dritte; die Polen jhlojjen fih an die Franzofen und wirkten tapfer mit und die Jr- länder verjammelten fid am 21. März in ungeheuren Schaaren.
Die Bolldverfanmlung der Deutjchen New-Morks zur Feier der franzöfiichen Revslution und zur Vorbereitung der großen Demonftratien, die hier son faämmtlichen Adop- tiobürgern aus Europa gehalten werben foll, war am Übend des 23. März in Mechanicd Hal. Die großen ihönen Räume konnten die hinftrömende Menge nicht faffen. Herr Ahrens eröffnete das Meeting, Herr Yakob Uhl wurde mit lautem Beifall zum Präfidenten ermwählt, die Herrn Winpmüller, Ph. W. Schmidt, Giefjen, Ric» ter, Koblhepp, Gafiert, Kleinlein, Lievre, Trefler, Eide, Dr. Wilhelm und Dr. Brüninghaufen wurden zu Bice-Präfidenten und die Herren Srüer, Kriege, Förich, Dr. Veerkle, Püls und Ahrens zu Secretären ernannt.“
E8 folgt nun ein langes Referat über die gehaltenen Reben und die gefahten, endlofen „Beihlüffe* über alles Mögliche, über Bildung von Vereinen, über Beranftal- tung von Bolfsverfammlungen, über Unterftügung ver Revolution, über Republikanifirung der Welt, über Ber- brüderung der Nationen u. |. w. Der lette Beichluß lautet babin;
„daß Herr Heinzen beauftragt werde, die Befchlüffe des
— 201 —
heutigen Abends ver proviforifchen Regierung in Paris mitzutheilen und allen braven Republilanern in Frank: reih unfere Glüdwünjche für das begonnene Werk darzu- bringen.“
Wo möglich noch lebhafter, ald in New-Pork, ging es unter den fonft fo apathifchen, im Biertaumel jo [hmäh- lich befangenen Teutfhen Philavelphias zu. Sie hielten eine 6000. Dann zählende Berfammlung ab, welche ähn- liche „Beichlüffe”, wie die New-Porker, faßte und mir die- _felben durch eine befondere Deputation von fünf Perjonen mit dem Auftrag zufandte, fie der provijorishen Negie- rung in Paris zu überreichen,
So war id) aljo von ven zwei Hauptftäbten der Repu- blit zum aufßerorbentlihen teutjch»amerifanisch-franzöfis Ihen Gefandten ernannt. In meiner Unfhuld ahnte ich nicht, wie jchwer ich für Diefe Ehre werde zu büßen haben, denn — der Gefandte hatte ein Paarhundert teutjch- umeritanifche Dollar in der Zafjche, die ihm zwar zur bes liebigen Verwendung übergeben wurden, ihn aber ver- pflichteten, jpäter über zwanzigtaujend, die nur in der Phantafie von Berleumdern eriftirten, Rechenfhaft abzus legen. ‘
v1
Nüdtehr nah Europa. Der tentjchameritanifdhe Gejandte und Herr Yamartine. Die erfte badijcdhe Revolution umd ihre großen Männer. Die Scyuiter: infel. Nepublilaniihe Hesjagd in Frankreid). Franf- reihd ‚‚brüderlidher Buud mit Teutfchland.‘ Neue republifanfhe Hebjagd in der Sdweiz.
Eine Dienge begeifterter Yantsleute begleitete mid) nach Jerfey City auf das Dampfihifl. Sie erwarteten oroie Dinge von der Revolution wie von mir. ch felbft trat Die Reife mit beventenlojer Zuverfiht an. Daß die Republikanifirung Europa’8 gelingen werde, objdhen bis dahin in New-Pork no nichts Anderes befannt war, als die Verjagung Louis Philippe’8,- Darüber berrichte bei mir fein Zweifel, jo wenig wie der dide Prinz Murat, ein gut« müthiges Maftihwein, das mir auf dem Schiff ald Mit- reijender vorgeftellt wurde, daran zweifelte, daß nach dem Sturz de tiden Bourgeoid-Königs die Zeit für das napoleonijche Kaiferreich — fei._ Das napoleoni=-
ER U
fhe Maftfchwein hatte richtiger Talkulirt, al8 der teutfche Kepublitaner. UWebrigens war ich in meinem Enthufias- mus nicht blind genug, um an einen unmittelbaren Sieg der Republik in Tentjchland zu glauben. Was ihm vorz aufzugeben hatte, da® kündigte ich fchon in einem Briefe an, den ih am 30. März beim Anlegen in Halifar fchrieb, wo wir durd die neneften europäiihen Nachrich- ten über die revolutionairen Borgänge in Kajjel, Miün- ben, Saarbrüden u. j. w. überrajht wurben. (Bon den Borgängen in Berlin war nody nichts befamnt.) Ju jenem Briefe hieß e8:
„Richt die Fürften, nicht die Soldaten werden künftig die Hauptfeinde ver teutichen Treiheit fein, jondern die weijen, juffifanten Anhänger ver konjtitutionelen Monar- hie, Diefe Feuillantd werden jett ihre Zeit für gefom- men halten und die Fürften werden ihnen alles Mögliche bewilligen, um fih ihnen in die Arme werfen zu Fönnen, Dis jet ftand diefer Allianz namentlich die Büreaufratie im Wege, welhe ald alleinige Stüge der Fürften gelten und Alles gleihmäßig unter ihrer Klaue halten wollte, Die Bireanfratie wird jet weichen müffen, und wenn man in Baden fein Heil in der Ernennung Welders zum Minifteriairath fucht, jo wird man in Preußen fich vielleicht an Männer von der Art der Hanjemann, Kamphaufen, Bederath wenden. Diefe Art Liberaler, die fid für alle Ewigkeit in den Kreis des Sonjtitutionalismus bornirt haben, ift eben fo blind wie die Fürften. E8 wird fie aucy das gleiche Schidjal treffen.
Jet erft wird die radikale Propaganda eine Hauptauf- gabe zu löjen haben, Sie wird fid) mit aller Entjchieden- heit gegen diefe Berräther, gegen dieje Fürftenretter wen»
— 24 —
den müffen, bie unter dem Namen der Vermittler den befinitiven Bruch verhindern zu können glauben und bie Entwidelung auf halbem Wege aufzuhalten fuchen. Die: fen Halbmenjhen in die Parade zu fahren und fie jcho- nungslo® zu verfelgen, wird wahrjcheinlic das erjte Wert des „trafen Rapdikalismus“ fein. Kein Hanfemann und fein Welder, kein Bafjermann und kein Bederath mehr! Wir bedürfen ganze Leute, wie ganze Zuftänve, denn wir haben e8 mit der Rettung aus einer ganzen Ber- berbtheit zu thun.“
ALS ic, in England Iandete, fand ich meine Borausfiht betätigt, daß die Hanfemänner, Bafjermänner und andere zufammengefette und dennoh halbe „Männer“ die Ge walt in der Hand haben würden, die Revolution zu vers rathen. Meine Ungeduld , nah ZTeutihland zu kommen und gegen die VBerräther wühlen zu helfen, wud8 baber um jo mehr. ch rechnete darauf, daß man mic nad) Frankfurt wählen werbe*), und hoffte dort der republifa- nifchsrevolutionairen Partei nody von Nugen fein zu fün- nen. Zuvor aber mußte ich nad Paris, um den in New- Hort übernommenen Auftrag zu erfüllen. Ich bemühte mich zwei Tage lang vergebens, Herrn Zamartine als Minifter des Auswärtigen zu fprechen, um ihm die ameri-
*), Yn Hamburg, wo mid fpäter bie bemofratijde Bartei ald Kandidaten aufftellte, erhielt ich über 12,000 Stimmen und meine Freunde verficherten mir, daß id wirklich gewählt, aber durch faliches Spiel der Kandidat der Arijtofraten durchgebrungen fei. Später wollte man mid) noch an verfchiedenen Orten wählen, aber idy lehnte bie Kandidatur ab, weil jdon feine Hoffnung mehr vor» handen war, in Srankfurt nody irgendwie zu wirken,
|
tanifhen „Beichlüffe“ überreichen zu Fönnen. Die Herren von der proviforifchen Regierung waren ftet8 entweder auf den Beinen oder dur andere Deputationen in Anfprud genommen. Da ich nicht nody mehr Zeit verlieren wollte, übergab id) endlicy vor der Abreife nad Genf meine Bot- Ihyaften nebft einem Begleitihreiben Yamartine’8 Privat- fetretair und erfuchte ihn, mir deffen Antwort unter meiner Genfer Aorefje zukommen zu lafjen. In meinem Schrei» ben bob ich hervor, daß alle Differenzen und Kriege zwis chen Frankreicd, und Teutjchland nicht durch einen natürs lihen Antagonismus der beiden Nationen, fondern nur durch die fsürftenpolitit herbeigeführt worden, und brüdte die Hoffunng aus, daß beide VBölter, fobald aud) Teutjch- land die Republif errungen, dur gleichzeitige Entwaff- nung fic) den Beweis und die Bürgjchaft künftiger Freund» fchaft und Friedfertigkeit liefern würden. Da ic auf die Antwort des Herrn Minifterd von Woche zu Woche ver» gebens zu warten hatte, ließ ich mich durd) einen in Paris wohnenden Freund nad der Urjacye erkundigen, und er- bielt ven Bejcheid, „man babe meine Genfer Aorefje ver- loren“.
Die Zeiten änderten fih bald und Herr Yamartine mwurbe aus dem Herren Europa’s, der er in feiner Stel: [ung werden konnte, wieder ein bloßer jchuldenbelaiteter Poet, der Subjkritionen auf feine Schriften zujammens bettelte. Ih war unterbefien nad allerlei Hegjagden wieder nad Genf zurüdgelehrt und erhalte dort eines Zags, unter der früher in Paris aufgege- benen, angeblid verloren gegangenen Adrejje, nebit einem Subfkriptionsprojpeftus, folgen ven Bettelbrief:
u Be
Paris 1. Fövrier 1849. Monsieur!
Les rapports de bienveillance intellectuelle et quelquefois cordiale qui s’etablissent naturellement entre l’&crivain et le lecteur, m’autorisent peut-&tre & vous adresser et ä vous recommender le prospec- tus ci-joint de mes oeuvres choisies retouchees, aug- ment£tes, comment£es et edit&es par moi-möme.
Si je n’'ai pas trop presume, Monsieur, de votre indulgence pour ces faibles &crits, j'ose vous prier de lire ce prospectus, de le repandre autour de vous, de voutoir bien recueillır les noms des souscripteurs qui r&pondront ä cette pensee et de me les trans- mettre.
Je n’'ai pas besoin, Monsieur, de vous dire que votre nom inscrit sur les pages de ce travail lite. raire, le sera surtout dans mon souvenir.
A. d. Lamartine.
P.S. Je vous prie d’adresser les lettres et liste de souscription, franc de post, ä& Mr. de Lamartine No 82 rue de l’universite, ä Paris.
Alfo über feine “oeuvres choisies” fonnte mir Herr Lamartine fhreiben, aber über da® Verhältnig Frankreichs und Teutjchlands hatte er für gut befunden zu jhweigen. Das war der nämlihe Mann, der früher Franfreichd Schwert in die Wagfchale der Völferfreiheit legen und einen brüderliben Bund mit ZTeutjchland gründen wollte, mir aber viefen Vorfat fpäter dur eine brutale Weg- weilung aus Straßburg interpretiren ließ. Welde Groß. muth muß er mir zugetraut haben, indem er trog Alledem
BEE "| DEE
an meine “indulgence” appellirtel Der wahre Humor babei war aber, daß er meiner “bienveillance intel- lectuelle et cordiale” zumutbete, ihm nicht bloß Sub» ffriptionen zu beforgen, fondern audy felbft auf feine “14 volumes, ä 6 francs le volume” zu fubjtribiren zu einer Zeit, wo id faum im Stande war, feine Lifte “france de post” zurüdzujhıden. Er wird gepadht haben, jold ein teutich.amerifanifcher Gefandter müfje mehr Geld bes figen, als ein abgejetster franzöfischer Minifter,
Um ohne Aufihub in Zeutjchland ein vorläufiges Lebenszeichen von mir zu geben, meine Stellung zu befis niren und Andern einen Winf zu ertheilen, ließ ich von Paris aus in teutfchen Blättern eine Erklärung veräffent» lichen, worin id darzuthun fuchte, daß trog der Franf- furter Berfammlung die Entjheidung über die Gejchide des Yandes nah wie vor unmittelbar Sade des Bolfes fei, da dafjelbe in der Paulskirhe nicht feine richtige Res präfentation finde. 8 jei darıım betrogen worden indem die vorparlamentarifhen „Notablen“ trog ihrer revolutios nairen Stellung, weldye derjenigen einer provijorijchen Regierung gleihgejtanden, den alten Regierungen, an deren Stelle fie getreten, die Anordnung der Wahlen zu einer fonftituirenden Berfammlung überlaffen, welde möglicher Weije jene Regierungen zu befeitigen habe. Dieß babe z. B. in Preußen fogar die Folge, daß nad) alter Weije unfrei gewählte Bertreter von Stän den die rewolutionairen Bolkövelegirten mählen, aljo Nepräjentanten von Ständerepräfen- tanten nad Frankfurt fenden, um den angeblic jou- zerainen Willen des preußifchen Volkes in feiner wichtig- ften Angelegenheit zu vertreten“. Jm Allgemeinen müfje
== YO
die Folge fein, daß von der konftituirenden VBerfammlung grabe derjenige Theil des preußischen Bolkes ausgefchlofien werde, welcher bei einer Aenderung ver beftehenten Zu- fände am Meiften intereffirt fei. Durd viejes ganze Verfahren fei die republifaniiche Partei, die allein auf dem bemofratifhen Boden ftehe, an die Seite gedrängt; fie fönne daher durdy die faljche Vertretung in Frankfurt nicht gebunden fein und müfje fi die freiheit des Hans delns nad) Umftänden vorbehalten.
Bon Paris eilte id nad) Genf. ALS ich dort vor dem Heinen Häuschen anlangte, in weldhem ich meine Samilie zurüdgelafien, fand ic dafjelbe ganz unbewohnt und Thüren und enfter verfchloffen, Alfo audh das nody! Yetst yuaben Die Aermften Mittel zur Auswanderung ge: funden und find dir nady Amerika nadhgereif't! Wie wird ihnen zu Muthe jein, wenn fie dort anfommen und dic) nicht finden! Was werben fie dort beginnen? Woher wirft du die Mittel nehmen, ihnen die Rüdreife möglich zu machen? Geld, Geld, dreimal verfluchtes Gelo ! Nahidem ich eine Zeit lang, mit joldyen Gedanken beihäf- tigt, wie verfteinert vor dem verlafjenen Häuschen ges ftanden, eilte icy zu Belannten und erfuhr, daf die Mei- nigen in einem nah gelegenen Zanphanfe wohnten, das im Winter leer ftand und ihnen von einer befreundeten Familie war zur Verfügung gejtellt worden. Trog Dem fonnte ich meinen lud über das Geld nidht zurüdneh- nehmen, nämlid dasjenige, das ich nicht bejaß.
Nadyvem ich zwei Tage bei den Meinigen zugebradht, trieb e8 mid) nad) der teutfchen Grenze, Meine Abficht war gemwefen, direkt nah Frankfurt zu gehen. Als ich aber in Genf vernahm, in Baden ftehe Herr Heder an ber
— 209 —
Spike einer Revolutions-Armee, um die Republik zu ers Kimpfen, e8 fei aljo Das fchon in’8 Werk gerichtet, ma® ich in meiner PBarifer Erklärung in Ausfiht genommen, hielt ih e8 fir meine Pflicht, mich dem Unternehmen fofort, anzujchließen. ch hatte jo lang das revolutionaire Han- bein empfohlen, und jett, wo fich eine Gelegenheit dazu bot, follte ic) mit den Zungendrefhern des Parlaments fonfurriren? Daß ich, indem ich mich aus unüberlegtem Ehr- und Pflidhtgefühl durch Betheiligung an der Heder’- Ihen Butfcherei kompromittirte, einen der dummiten Streidhhe meines Lebens beging, habe ih mir natürlich fpäter nicht verhehlt; unter den damaligen Umjtänven aber, wo ih mid in vollitäindiger Unfenntniß in Betreff ber eigentlihen Sadhlage befand, konnte ih nic wohl anders handeln. Mit mir reij'ten no) ein Paar Dugend tentihe Arbeiter von Genf ab, denen id mit Reijegeld aushalf, und wir langten mit den bejten Hoffnungen an ber badifchen Grenze an.
Doc die Erfahrungen, welche ich jest zu machen hatte, mögen ihre Darftellung finden in einer Gejdichte von der „Scyufterinfel“, welche der Schauplat unferer revolutio- nairen Thaten war. Was ich erzähle, ift buchjtäblich wahr, wie unglaublicy e8 ‚auch Klingen mag. Wenn bie Dualifitation für das Tollhaus den erften Anfprudy auf die Führerjchaft in Nevolutionsfämpfen ertheilt, jo muß man fagen, daß Teutichland die ausgezeichnetjten Hevo- Iutionsführer der Welt aufzumeijen hat. Durd) den Ber- fehr mit diefen Herren hat fi) meiner Menjchenkenntnif ein neues, ungeahntes Feld der Ausbeute eröffnet, und wie tragifh auch mitunter die Folgen der DBerrüdtheiten waren, Durd) welche fidh diefe Menjhen einen Namen ges
14
— 210 —
macht, fo waren biefelben auf der andern Seite zum Theil fo überaus lächerlich, daß wenigitend in der Erinnerung bei nıir die fomische Seite meijten® überwiegt.
Die -erfte Erfahrung follte ich alfo mit dem großen Heder machen,
ch hatte diefen Mann früher einmal flüchtig in Hei- delberg gefehen, wo ich zu einem Effen eingeladen wurve, das die Piberalen, Itftein an der Spite, zu Ehren ihrer Berfafjung veranftalteten. Er machte auf mic) ven Ein- druf eines rohen Korpsburihen, der fi durch Frafie Nevensarten hervorzuthun fuchte und al® Genie zu Tegiti- miren glaubte, Später, als id) meine Flugfhriften»Pro- paganda in der Schweiz betrieb, äußerte er, daß er einen folden Plan ebenfalls geheyt habe, er that aber nicht das Mindeite, ihn zu unterjtügen. Zrog Allevem bildete ic mir das günftigfte Borurtheil für ihn, umd eilte zu ibm mit der beften, ehrlichiten und uneigennägigiten Abficht, ihm nad) Kräften beizuftehen,
Wie er zu feinem Putid gefommen und mie er fid) da- bei verhalten — alle Das war mir völlig unbefannt, als ich mit ihm zufammentraf. Hätte ich davon gewußt, fo würde idy ihn wie einen Tollhänsler gemieden haben. Der Initiator der republilaniihen Erhebung in Baden war eigentlih . Fidler, der die Republit jhon auf ver Dffenburger Berfjammlung proflamiren wollte. Wäre Die gejhehen, jo würpe fi mwahrjcheinlib das ganze badifche Volt, vielleicht auch das übrige Süpteutihland fofort dafür erhoben haben und dann war der Kampf ein ganz anderer, Heder aber, der verwöhnte und aufge- blähte Göte urtheillofer Diafjen, der fih zum badijchen Diktator und nody etwas mehr gejchaffen glaubte, war auf
— 211 —
Fidler eiferfüchtig und drohte ihn zu erfchießen — natür- lih bloße Renommage —, wenn er feine Abficht ausführe. „Das ift ein Bubenftreich,“ entgegnete Fidler; er ftand aber von feinem Borhaben ab, weil Heder verficherte, „er babe vie Republit in der Tafche und werde fie im Franf- furt fertig machen“. Durdy diefe Frankfurter Schwindelei erhielten die Reaktionaire unter Mattby’icher Anleitung Zeit für ihre Intriguen und Vorbereitungen. ALs es fich endlich zeigte, Daß die Heder’iche „Zafche“ Ieer war, fahte unjer Held den Plan, das Thier beim Schwanz, ftatt beim Kopf, anzugreifen und feine Operation in dem entlegenen Seefreiß zu beginnen, da e8 weiter unten nicht mehr ge- heuer war. Meatthp, von dem er jich bei feinen Renom- magen hatte in die Karten fehen lafjen und ver wußte, daß im Seekreis Fidler der Haupt-Mann war, ließ da- rauf diefen verhaften. „Sert geht e8 aud an ung,“ fpradh Waihingten und eilte nah Konftanz. Auch wurde in öffentlichen Blättern behauptet, er jet dur diefe Erpedi- tion einem Duell aus dem Wege gegangen, das er in Frankfurt mit einem Herrn Rodyau, einem Mitarbeiter der „Deutichen Zeitung“ und Wiitgked des VBorparlaments, tontrabirt hatte, Auf dieje Weije fam alfo der berühmte Befreiungszug zu Stande, dem der große Heder feinen Namen gab und verdankt. Er verlor auf demjelben eben fo fchnell den Kopf wie den Muth, nur nicht die Arroganz des Nenommiften und die Eitelteit des Komddianten. Einmal, als ihm ein lichter Augenblid feine Tollheit Har machte, lief er mit dem Piftol im Walde umber und drohte fi) zu erjchießen. „ettift mein großes Leben zu Ende“. Er befann fi) aber, ließ e8 nod) etwas größer wachen und rettete fih dann zeitig auf das linte Aheinufer, während
— 212 —
faft Alle, die ihm gefolgt waren, ihr eben fo großes Leben no) auf das Spiel jegten. Nad) Freiburg jhrieb er dann vom Auslande aus einen jammervollen Brief an feinen Bruder, einen reaftionairen Profeffor, der damit die Be- völferung abwiegelte und deshalb von ben Turnern als Berräther fo lang in Haft gehalten wurde, bis man dur) Dergleihung eines ac Simile unter einem Hederjchen Portrait mit der Unterfhrift des Briefes fih überzeugt hatte, daß diefe wirklih ädht war. Xrog allen diefen Yämmerlichkeiten gab der Held fpäter eine Schrift über fein Unternehmen hinaus, deren renommiftifcher Inhalt der vor dem Xitelblatt prangenden, waffenbeladenen Abällino: Ge» ftalt des Berfafjers entjpracdy und deren Styl zugleich eine wahrhaft nervenerjhütternde Probe von der Begabung des „Publiziften* Heder ablegte. („Angelangt in Hüningen, wurde die Schufterinfel bejegt“ u. |. m.)
Dod) da fommen wir wieder auf die Schufterinfel. Alfo zur Sadıe.
Die Schufterinfel, An Fräulein ©.
US ich, in don größten Spannung von Genf nad der teutjhen Orenze eilend, an das Ufer des Aheines kam, fah ih mich natürlih zumädhft nad dem revolutionairen Hauptquartier um. Kein Menjh mwuhte e8 anzugeben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ed nidyt mehr eriftirte. Herr Heder war nämlidy jchon. flüchtig auf frems dem Gebiet, objhon Struve und Sigel no auf dem badiihen an der Spige ihrer Scaar ftanden. Aber wo fie eigentlich waren, das wußte man jo wenig anzugeben, wie dad Hauptquartier ded.Obergenerald. Eben von der
— 213 —
See gelommen umd ohne alle-Renntwiß von dem eigentli« ben Zufammenhang der Dinge in Teutjchland, wollte ich vor Allem Heder fprehen, um mid, über Betheiligung an feinem Kampf entjcheiven zu können, Bald hieß. es, er fei im Kanton Thurgau, bald in Bafelland, bald in Bafel, bald in Straßburg. Er war-überall. und nirgends, jeden Falls aber auf dem linten Rheinufer, wo ibm fein Feind entgegenftand. Endlich traf ich einen feiner Begleiter, den Dr. Lommel, und erfuhr von Diefem, er fei in Hünin« gen, einem franzöfifhen Städtchen unterhalb Bafel.
Ih fand ihn dort im Wirthöhaufe, umgeben von einer Schaar Arjutanten oder dienftbarer -Geifter, denen er.Be- fehle ertheilte und Depefchen diktirte, al8 ob er no auf badifchem Gebiet wäre. Wo Struve und Sigel eigent- lih waren, dad wußte er jo wenig wie bie Andern. Seine Flucht jchien aljo ein ganz ifolirter Akt zu jein. Trog dem günftigen. Borurtheil, das ich mir über ihn zu bilden gejucht, weil er die Jnitiative des Handelns ergriffen, war ed mir räthjelhaft, daß der Führer des Aufftands vor dej- fen Beendigung auf fremdem Gebiet fungirte «und von dem Aufenthalt der zurüdgebliebenen Unterführer. nichts wußte. Nachdem er mit den Depefchen fertig war, [ud ich ihm zu einem Spaziergang auf das Feld ein, un mid unter vier Augen über den Stand der Dinge in -Teutic- land zu unterrichten. it denn, fragte ich ihn zumächit, diefer babifche Aufftand ganz. ohne Zufammenhang mit anderen Beweguugen in Tentihland unternommen wor: den? „Es ift nicht meine Sculd,“- erwiederte Herr Heder, „daß er ifolirt geblieben... Ich habe an -Neichen- badı geichrieben,. er jolle-in Schlefien losfcylagen ; ich. habe an Zi gejchrieben, ‚er jolle in Mainz die Revolutionsfahne
— 214 —
erheben; ich habe an Titus gefchrieben, er folle mit 80,000 Baiern in Böhnen einrüden. Aber fie haben mic Alle im Stich gelaffen.*
Diefe merkwürdige Art, Revolution zu jchreiben und 80,000 Mann zu viktiren, machte mich jo jtugig, daß ic) faum glauben konnte, e8 fei Fr. Heder, der mir diefe Er- Öffnungen madte., Dennoch fjuchte ic mein günitiges Borurtheil feitzubalten und da ich wenigftens die Diög- lichkeit weiterer Bolkderhebungen im übrigen Teutihland annahm, leitete mich nod immer fein anderer Gedanke, als, in Verbindung mit Heder und feinen Genoijen Die Erhebung in Baden wo nıöglicy zu erneuern, Zu dıiejem Zwed. wollten wir den, Hüningen gegenüberliegenden, vom Rhein, einem Graben und dem fchweizerijchen Gebiet ums fchlofjenen badischen Yandftreifen, den man die Schujter- injel nemt, al® Sammel» und Organifationsplag be- nugen, dort alle Zuzügler aus der Schweiz und aus Trankreih mit den verjprengten Gefährten Hederö vers einigen und wo möglich eine Verbindung mit Sigel und Struve berjtellen. 8 handelte fih nur darum, vorher Waffen aufzutreiben und die Stellung der Korps im Jn- nern zu erfahren.
Heder blieb in Hüningen und überließ die Leute auf der Schufterinjel, wo vdiefelben ein Zollyaus und ein Paar Sceunen inne hatten, volljtändig fich jelbit. Ich fuihlte mid) daher gebrungen, vie Organıfation derjelben zu über- nehmen, wobei ic natürlih mit Heder ftet8 in Berbin- dung blieb. Vorher aber ließ ich mir die militairijchen Bührer vorftellen, melde meine Anordnungen ausführen follten. E8 wurde mir alfo zunädjft vorgeftellt der
„DO brift Rankto von der Wefterburg“
25 — %
als militairifher Chef. Der Herr Obrift (aud) aus ber zweiten bapifhen Erhebung ald weggejagter Negiments« fommandeur befannt) war ein hagerer, gutmüthig und verfommen ausjehenvder Mann mit grauen Haaren, ver- ziert mit einem gewaltigen Hut, auf dem ein furdibarer Bujh von Hahnenfevern wimmelte, einem fußbreiten, queer über die Bruft gelegten dreifarbigen Band und einem ungeheuren preußifchen eifernen Kreuz. (Ich Fonnte mich nicht enthalten zu bemerken, der Herr Obrift jehe aus, als ob er betrunfen auf einen Slirchhof gefallen und ihm ein Grabfreuz an der Bruft Heben geblieben fei.) UWebertief trug er ein Schwert von folder Länge, daß ich ihn warnte, er werde in Baden fchwerlich damit fechten können, ohne in ranfreid) oder der Schweiz eine Gebietöverlegung zu begeben.
Dieß war der Oberfommandeur, eine Figur, die Shakespeare oder Cervantes fiber würden verewigt haben, wenn fie ihnen in den Wurf gelommen wäre. ALS zweite Militairautorität wurde mir vorgeftellt
„Kapitain Xenz".
Kapitain Lenz war von Haufe aus Mann des Fidel- bogens, nicht ded Degens, ausgeftattet mit röthlihem Haar, fugelrundem, rothglühenpdem Geficht, einem tonnenartigen Band) und auseinanderftehenden, dünnen Beinen. Man jah vem Diann aud ohne ale Menjcdentenntnig auf den erften Blid an, daß er ein feltened Sneipgenie fein mußte; wo aber feine militairifshe Dualififation ftedte, fonnte mein Scharfblid nicht errathen. Dennod) ließ ich meinen Berjtand beihwichtigen, ald mir miitgetheilt wurde, er ei hauptfächlic” mit der Sorge für Lebensmittel, Waffen und Munition betraut.
Pr un
Die feltfame Erfheinung diefer Militairchefs brachte mic) auf eigenthümliche Betrachtungen über die Memjchenz tenntniß und die Führerfähigfeiten Defien, der fie ernannt hatte. Aber ich fuchte nich lieber gegen mein eigne® Ur- theil mißtrauifch, al8 meinem günftigen Boruriheil ab- wendig zu maden. Was thut man nidyt „ver Sade wegen!“
E8 war Nadıt geworben und ich benachrichtigte die beiven Ehef3, daß am andern Morgen in aller Frühe die Orga- nifation und Bewaffnung der Mannjhaften beginnen werde,
ALS ich kurze Zeit nachher in mein Schlafzimmer tr, das mir der Wirth eigens zugefichert hatte, fand ich — den Kapitain Lenz in meinem Bette liegen, Er entichulvigte fi damit, daß er, ermübdet dur die Anftrengungen des Dienftes, fein andres Lager habe juchen können. Da ich die Natur jeiner Anftrengungen fofort erkannte und fein Freund von Thierquälerei bin, ließ ich mir einen Strob« jad auf ven Boden legen und ermahnte ven Kapitain an zeitiges Aufftehen. Sobald der Tag graute, trieb ic) ihn aus dem Bette und gab ihm meine Aufträge. Mit aufs fallender Scnelligfeit fuhr er mit den Säulen jeiner hellenifchen Geftalt in die Kleider, jo daß ich mit den beften Hoffnungen ebenfalls aufitand. Ich ging nad der Schufter- infel, um die Erfolge feiner Thätigkeit zu erwarten. Aber den Kapitain Lenz fah Niemand wieder, die Mannichaft jo wenig wie id und wie der Wirth, dem er al Andenken eine unbezahlte Rechnung hinterließ.
Pünktlicyer, als er, ftellte fi) der Herr Obrift ein. Ich ließ ihn die Mannjhaft abtheilen und einüben, Alles ging ganz leidlih,. Am andern Tag eröffnete mir der
— 217 —
Dbrift, e8 ftänden ihm in Mühlbhaufen, vo er gewohnt, mehrere Hundert Arbeiter und eine Menge Waffen zu Gebot. Er fei entjchloffen, fie zu holen, nur fehle ihm das Keifegeld. In 1—2 Tagen wolle er mit 300 bewaff- neten Arbeitern, wahren Teufelöferlen, auf die Schufter- infel rüden. ch gab ihm Reifegeld, um ven Berfud; zu machen. Aber den Obrift von ber Wefterburg jah Nie- mand wieder, weder die Mannfcaft, nody ich, noch ver Wirth, dem er mit der unbezahlten Rechnung fein unge: heures Schwert hinterließ, mit welchem jpäter der Literat Abt fi bewaffnete,
©p waren wir denn plöglih ohne Felpheren. Diefe Herren liefen es fih in Hüningen gefallen, fo lang fie Dort umter dem nachfidhtigen Regiment ihres großen Scutsherrn gemüthlih auf Rechnung der Revolution bummeln und fneipen konnten; jo bald aber Ernft gemacht, einige ZThätigfeit und Energie entwidelt werden follte, verjhwanden fie in ber Unendlichkeit de8 VBagabunden- thums,
Zum Erfat Half ich mir mit jungen Revolutionairen, unter denen fi) namentlich der jpäter in Baben gefallene, eben jo charakterfefte wie talentvolle Alfred Michel aus zeichnete. Auch wurde jogar ein gefangener Spion, der Unterofficter gewefen, al® Ererciermeifter verwendet.
Bir hatten einige Dugend fchlechte Flinten. Das war, einige Büchfen und Sübel hinzugerechnet, die ganze Be- wafjnung. Ein Kahn mit Gemehren und einer Heinen Kanone, die aus der Schweiz gelommen, war imt Rhein umgeichlagen und -verjumten.
Tie Zuzügler vermehrten fi) und mit En bie Ber» legenheit, fie zu verpflegen und zu bewaffnen, Unter bie
— 218 —
fen Umftänden kam Herr Willich mit einem Trupp Berfprengter von der Hederihen Armee, denen der Haupt» führer längft vorausgeeilt war, den Ahein herab, Gie waren alle bewaffnet und Herr Willi übernahm jegt das militairifche Oberfommanre. Die Ankunft diefer Zu- zügler, die da badifche Gebiet nicht verlafien hatten, bradıte mich auf neue Betrachtungen über die frage: „Warum muß denn allein der Chef ver Infurrektion als Blüdtling auf fremden Gebiet herumfahren, während alle feine Mitlämpfer auf heimijhem zurüdgeblieben find ?* Diefe Sorgfalt für die theure Perjon des „teutjchen Wafhington* rührte mi; dedy war jett nicht die Zeit, jentimental zu werben.
- Die Schufterinfel wurde, jo gut e8 ging, durd Verhaue und Erdaufwürfe verjchanzt, da die Heine Armee nody nicht jtarf genug war und nod nicht Waffen genug hatte, um vorrüden zu können. Die wenigen Mittel, die ich mifjen konnte, gab ich zur Verpflegung der Leute ber. Zur Auyhaffung von Waffen reichten fie nicht aus,
E8 fanı vor Allem darauf an, die Schuiterinfel jo lang zu bulten, bi ein Borrüden möglich wurde, oder aber, im Tall das Sigel-Struve’fhe Korps jhon zeriprengt war, den Fliehenden wenigftend die Rettung dur einen ge- fiherten Nüdzugspunft möglih zu maden. Nun mwurbe aber jeden Augenblid die Annäherung von Truppen ge= meldet, weldhe unfere jhwadhe Stellung angreifen follten. E8 mußte daher jeved Mittel verfucht werden, den Feind fo lang wie möglid fern zu halten. Zu diefem Zmed wollte ih u. A. die Kriegslift anwenden, dur die Bafeler „Rationalzeitung“ die Stellung auf der Schufterinfel als jehr bevenklich für Angreifer darftellen zu lafjen, indem
— 219 —
biejelben, abgejehen von der zu erwartenden Gegenwehr, würden genöthigt werden, das franzöfijche oder jchweizeri- jhe Gebiet durd- ihre Schüfje zu verlegen und dadurd) friegerijche Kollifionen herbeizuführen. Durd eine joldye Bekanntmachung hoffte ich zugleih eine jchnellere Anjams» mlung von Zuzüglern zu bewirten. Da ich eben int Bes griff war, auf Das andere Ufer hinüberzugehen und eınige Anordnungen zu treffen, erfuchte ich den anmelenven ft, Blind, unterdejjen den nad Bajel zu jendenden Artikel abzufafjen. Im meiner Abmwefienheit fam der Artitel Heder zu Gefiht, der, wie gejagt, fi gar nicht um die Mannjhaft befümmerte und fib auf dem badifchen Ufer gar nicht mehr bliden ließ. Und was las Herr Heder aus jenem Artikel heraus? „XYandesverrath !* Doc überlafje ih Ihnen, meine Freundinn, aus dem Folgenden zu errathen, ob der Yandesverrath der Grund oder der Borwand zu dem Benehmen war, wopurd der feiernde Heder meiner Thätigfeit plöglic ein Halt gebieten wollte. Als ic nämlid von der Schufterinfel zurüdtam, nahm er mid in großer Aufregung an die Seite und «8 entipann fidy folgentes Zwiegejpräd:
Heder. Hör einmal, Heinzen, ic muß dir ein für allemal erklären, daß ich mid) bei feinen Unternehmungen betbeiligen werde, die und zu Landesverräthern machen
müßten,
“ — Heinzen. Jh denke ebenfo und meine, das verftehe fi von jelbft. Aber wie fommft du zu diejer Erklärung und zwar in diefem Ton ?
Heder. (Im gleicher Aufregung.) Nie und nimmer- mehr werde ich mich bei Unternehmungen betheiligen, wos dur wir zu Zandesverräthern werden müßten.
Heinzen. Dashaft Du fhon einmal gefagt. Aber id, frage dic, wa® diefe Erklärungen heigen follen ?--
Heder. (In immer größerer Aufregung burd) das Zimmer fchreitend.) - Nie und nimmer, fag’ ich Dir, werbe id) fo etwas thun. Was du thuft,- geht midy nichts an, ic) werde mid) dagegen erflären und will-den lud; meines Bolkes nicht auf mich laden, --
Heinzen. Wenn id; meine Geduld länger behaup- ten fol, wirft du mie jagen, melden Grund ‚und: welchen Awed diefe Redensarten haben. Ä
Heder Das find Redensarten? ch Tenne fein größeres Verbrechen, al8 Landesverrath, -und- das ift bir Nedensart? Ä
Heinzen. Reven ohne Berftand find Redensarten. Du haft, wie e8 fheint, den. VBerftand verloren, fonft wür- beit bu dich verftändiger benehmen oder mir Rede ftehen. Da id nit mehr mit deinem Berftand zuredhtlomnten fann, appellire id) an dein Gefhäft, an die Jurisprudenz. ALS Jurift wirft du wiffen, daß man fein Urtheil- fällen fol, bevor der Thatbeftand- feftgeftellt ift. Ich frage jest ben Juriften Heder, welches ver Thatbeftand fei, iiber: wel» chen der Revolutionair Heder ein jo leidenfchaftliches Ur- theil fällt.
Heder. Der Thatbeftand ift feftgeftellt in dem Ar- tifel, den du Blind diktirt haft. i Heinzen, Diktirt habe ich ihn nicht, denm ich war abwejend und babe ihn nody ‚nicht. gelefen. Gehen wir
un® Da® corpus delicti an.
Beide kamen darauf in die Nebenftube, worin, außer Blind, Lommel und Heders Arjutanten Schöninger, nody mehrere andere Berfonen fi befanden, Die. da® eben- be=
— 221 —
richtete Zwiegefpräcd angehört hatten. Die Einficht des Driefes ergab, daß Blind zwar, ganz unabfihtlih, Wen- dungen gebraucht hatte, welhe von Denunzianten gewaltjam zur Erregung des DVerbachtes hätten benutzt werden fönnen, daß bie Flüchtlinge auf der Schufter« injel wifjentlih Anlaß zu einem Sriege zu geben im Stande wären; body felbft jene Wendungen, weldye gegen meine Anorbnung benugt waren, konnten nichts verjchlas gen, wenn man den Urtifel zu Ende las, da befien Elar ausgejprochener Zwed eine Warnung vor Sriegsans läffen war. Nachdem der Artikel vorgelefen worden, er» Härte Heinzen fi über den Zwed vejjelben und fragte die Anmweienden, ob e8 irgend einem vernünftigen Menjcen einfallen könne, hinter diefer unfchuldigen Kriegslijt einen Landesverrath zu wittern.
Heker. Diefe friegstift ift nicht nöthig. Ich brauche fie niht. Ich erkläre dir, dag ih den Aufftand am gefangen habe.
Heinzen. Aljo Das war des Pudels Kern? ett kenne ich dich! Du gibft zu erkennen, daß du ein Monopol beim Revolutioniren zu haben glaubft. Dbgleih flüäd > tig auf fremdem Boden, beruft du did, darauf, daß du den Aufitand angefangen! Gut, magjt du fort« führen, was du angefangen und zwar fchledht genug ans gefangen. ch bin nicht aus Amerika hierher geeilt, um der Konkurrent Fr. Heder’8 zu fein. Bon jegt ab betheis lige id mich an Unternehmungen, welde bu zu leiten baft, entweder gar nicht mehr, oder ich jtelle mic) ald ge=, meiner Soldat unter beine Befehle.
Heder. Das ift eine Spröpigfeit, die eben jo wuns- derlidy wie überflüffig jein würde,
— 12 —
Heinzen. ch werde diefer Spröpigkeit treu bleiben. Das Wort, da® du vorhin gefprocden, läßt mich einen Blid in deine Seele thun, der mir genügt zu der lleber- zeugung, daß wir beide nicht miteinander handeln fünnen. Ydy werde auf eigene Fauft zu handeln wiflen, magjt du Dafielbe thun.
Heder. Herr, ih werde handeln, wie ich will. Um übrigens auf den „Suriften“ zurüdzulommen, fo erfläre id dir, daß ih nicht bloß Jurift bin, fondern aud Publizift, und du bift keins von bei- den.
Heinzen. Ob man Das, was ich geweien bin, Publi- zift nennt oder nicht, Da8 ift mir einerlei. Ic babe die teutiche Sprache gebraucht, um, fo gut ich konnte, das Volt zu revolutioniren,. it meine Schreiberei für diefen Zmwed nicht unwirffam gewefen, fo bin ich zufrieden, ohne auf ben Titel des Publiziften den mindeften Werth zu legen. Ueber die Art übrigens, wie mir diefer Titel abgefprochen wird, babe ich jedenfalls ein Redht mid zu wundern einem Manne gegenüber, von deffem publiziftiichem Ber- bienft mir nicht8 befannt geworden. Doc wie kommen wir bier auf den PBubliziften ?
Heder. Der Artikel, ven Blind gefchrieben hat, fol und darf nicht in die Zeitung. Ich will nichts damit zu Ichaffen haben.
Heinzen. Jh aber wohl. Jh werde ihn von Neuem fchreiben und gebe dir mein Wort darauf: er fol ‚hinein. Ich laffe mir auf viefe Weife nicht wehren, ob- Ihon du Jurift und Publizift zugleich bift.
Heder Uno id laffe mir nody weniger von bir etwas aufpringen. Unfere Sache foll rein bleiben und
— 223 —
ich erkläre nochmals, Herr, daß ich fie behandeln werde, wie ich will.
Heinzen. Nur zu, Herr! ch aber werbe beine Handlungsweije beurtheilen, wie ih will. Du haft die Sahe angefangen, wenn bu aber die Sadye, die bu „angefangen“, nicht fortführft und würdig zu Ende bringit, dann, Herr, wirft du in mir ftatt eined Mitfämpfers einen Feind kennen lernen und dann werde ich dir zeigen, ob id) ein Publizift bin. ,
Damit ging ich hinaus. Nach einiger Zeit rief Heder mid, in ein befonvdered® Zimmer, worin außer ihm nod) Dr. Yommel zugegen war,
Heder, Heinzen, nachgeben ift mir eine [were Suche, aber ich reiche dir die Hand und gebe nad. Du mußt bei uns bleiben,
Heinzen. Ich habe keinen perfönlichen Grund, deine Hand nidyt anzunehmen, aber meinen Entjhluß nehme ic) nicht zurüd.,
Heder Wie? Du wollteft?
Heinzen. Ich will, weilih muß. Laß uns als ver- ftändige Männer handeln. Wozu jet VBerjühnungsizenen aufführen und und wieder vereinigen, während wir über» zeugt fein müffen, daß wir in den nädjten Tagen bod wieder uneinig find ? Wir beide pafjen nicht zujammen in jolhen Stellungen.
Zommel. hr feid beide harte Köpfe, aber ver Sade wegen müßt ihr Selbftverleugnung üben.
Heinzen. Der Sade wegen wollen wir uns jelbft treu bleiben. ch gebe.
Heder. Nun, wenn ou deinen Entfhluß nicht zurüds- nimft, jo gehe ic noch heute auf badifches Gebiet, über-
— 22141 —
liefere mid der badifhen Regierung und lajjfe mir den Kopfabidhlagen.
Heinzen. Daburd würbeft du ja nur zeigen, bafı bein Kopf nicht8 Befjeres werth ift.
Dieß it wörtlich das (zuerft in der „Evolution“ von 3. Ph. Beder (Biel 1849) mitgetheilte) Gejpräd, welches den Grund zu einer Feindfhaft legte, die mir von allen Seiten fo übel gedeutet worden. Urtbeilen Sie nun unparteiifh, meine freundinn, ob babei mir over Dem „Waihington Teutjhlands" die Schuld zur Laft zu legen ift und ob ich Diefen Hohmuth jelbft von einem jo über- aus großen Mann ertragen purfte, ven Sie einft verehrt haben. Ich kann mit dem beiten Gewifjen betheuern, daß ic) eben fo wenig für jene® Zerwürfniß verantwortlich bin, wie ich die Schuld trage, daß Herr Heder nicht Wort ge- halten, fondern feinen Kopf auf dem Humpf bewahrt bat.
Uebrigend hatte diefer Zwiejpalt auf die beabjichtigte Unternehmung keinen Einfluß, da aus derjelben ohnehin nicht8 werden konnte, Struve nämlich langte unterdefjen an und brachte ven Bericht, daf in Baden Alles zu Ende fei. Gleichzeitig kam von Paris der Befehl an vie Be börden von Hüningen, dem Treiben der Flüchtlinge dort ein Ende zu mahen, 3 wurde uns daher gradezu ver- kündigt, daß, wenn bie Freifchärler niht augenblidlich anf franzöjifhe® Gebiet herüberfämen, man die Schiffe brüde einziehen und ihnen ven Rüdzug abjchneiden werde, follten fie au im Angefiht der Stadt zufammengehauen werben.
Kein vernünftiger Menjdh konnte no an eine Unter- nehmung mit etwa 200 jchledht bewaffneten Freifhärlern von der Schuiterinfel aus gegen die 50,000 Diann ftarfe
—_ 225 —
Armee der fiegreihen Reaktion denken. E8 kam alio nur darauf an, ihnen das Leben zu retten. E8 wäre Heders Aufgabe gemwefen, diefen aus allen Gegenden zufammen- geftrömten Männern, meiftend Arbeitern, die ihre Eris ftenz im Vertrauen auf ihn geopfert hatten und fic jegt als Flüchtlinge in die Welt hinausgeftoßen fahen, die Mit- theilung zu maden, daß Alles zu Ende und nur ver Rüd- zug in ein ficheres Ajyl, mit ver Hoffnung auf befjere Ge- legenheiten, zu wählen fe. &8 wäre feine Aufgabe gewejen, fie anzureben, zu tröften, zu unterftügen. Aber Heder war niht über den Fluß zu bringen und erklärte einfach in meiner Gegenwart: „ich habe fie nicht gerufen.“
Wer denn, meine Freundinn ? Jh am Wenigiten, Dennod hielt ich e8 für meine Pflicht, zu ihmen zu gehen und ihnen die nöthigen Mittheilungen zu mahen. Als meine Anjprache zwiichen der von ihrem Führer Willich unter da® Gewehr gerufenen, rings um mid) verjammelten Schaar zu Ende war, bemächtigte fi ihrer eine pumpfe Verzweiflung, die fih plöglic in dem Rufe Luft machte: „wir mäfjen pie Führer erihießgen!“
Wäre Heder damals auf der Schufterinjel gewejen, ich glaube nit, daß er fpäter den Urwald geflärt hätte, Bon dem großen Mann, ver mic fpäter verleumdete und ver: leumden ließ, wäre nidht3 von der Scufterinfel zurüdges fommen, als ein — erjchofjener Renommijt und Shwäd- ling. Man wollte förmliches Kriegsgericht Halten.
Die Führer eridiegen — vortreffliher Gedantel Hätte in Teutjchland das Volk überall bei Zeiten daran gedacht, Diejenigen zu erjchießen, die fih aus Dummheit, aug Eitelkeit und aus Spekulation als Führer auftgaten over
15 -
— 226 —
aufthınt ließen, e8 ftäinde jetst ander® um das tetıtfche Votf, Ic kenne nicht fech® jener großen „Führer,” die nicht vers dienten erichofjen zu werben,
ch befhwichtigte die Stimmung dur eine Anrede, worin ich das Ungerechte und Unfinnige eines VBorbabend darftellte, da® nicht einmal ausgeführt werben könne, da die Führer nicht zugegen feiern. Ich vertheidigte Diefelben gegen meine Meberzeugung, von Heder bis zu Germwegh, erklärte aber, wenn man mic, der eben aus Amerika ges fommen ei, in Ermangelung der Anvern für einen Füh- rer anjeben wolle, fo jolle man nur brauffchießen. Gie wollten e8 aber nicht thun, jondern riefen: „KR. Heinzen foll leben!“
Ih jah, daß meine Worte gewirkt hatten, und glaubte meines Zwedd, vie Schaar auf das franzöfiiche Ufer zu führen, jchon jicher gu fein. Doc, eine verzweifelte Stim- mung bemächtigte fi auf’6 Meue der bitter Getäufchten; fie dachten jogar an Berrath und riefen; „wir wollen bier fterben.“
Ih bemerkte ihnen darauf, mit ven bloßen Sterben, mie heroifch das auc Klinge, fei gar nichts gethan; ein vernünf- tiger Dienjdy fafle ven Entiahluß zum Sterben nur eines angemefjenen Zwedes wegen und wer fein Xeben nicht für eine Yumperei halte, bewahre e# für paflende Gelegenbeis ten De8 Handelnd, Komme es ihnen auf das Sterben an fih an, jo brauchten fie nicht erft auf Artillerie und Kavallerie zu warten: ber Whein fließe zwei Schritte neben ihnen und*fie brauchten bloß hineinzufpringen.
Diefe Art der Beweisführung wirkte unverzüglich. Ich übergab dem Führer Willich noch einige® Geld für bie nädften Bebürfnifje und die Scaar ging ein Baar
— 127 —
Stunden mnterhalb Hüningend an dem von den Bes börden angewiejenen Play auf das franzöfiiche Gebiet hinüber,
Später haben mir gelegentlich Mitglieder der Schaar ihre Anerkennung ausgeiprocyen, daß ich fie nicht fich felbit überlaffen und fie zu dem in ihrer Yage einzig vernünftis gen Entichluß gebracht habe. Sie fahen ein, die rechte Gelegenheit zum „Sterben” fei noch nicht gefommen. Meine Satisfaktion beftand alfo darin, daß, während die „großen Männer” die Revolutionaire für unfinnige Un» ternehmungen in den Tod führten, ich- ihnen für vernünf- tige das Yeben zu erhalten fuchte.
AB es jomit auf der berühmten Schufterinjel nichts mebr zu tbun gab, wurde in Hlningen von den dort an« wefenden Flüchtlingen ein Komite zur weiteren Betreis bung der Revolution gewählt, zu welhem außer Struve und mir auch Heder gehörte, Diefer aber erflärte, von franzdfifhdem Boven aus nicht für die tentiche Ne- volution thätig fein zu wollen, Herrn Heder mar ver franzöfifhe Boden nur gut gemug zur Sicherung feiner flüchtigen Berjon; fobald er ald Dperationsbafis für neue Unternehmungen dienen follte und zwar für folche, in benen er, der die Sache angefangen, nicht den Herrn fpielen konnte, bekam er Anfälle von patriotiicher Aver- fion. And) war er jo demoralifirt, daß ich eine Zeit lang wirflid) Mitleid mit ihm hatte. Struve, den ih in Hüningen zum erften Mal fah und defjer Narrheiten und Eitelfeiten id damals nod nicht kannte, Jugte mir beffer zu, al8 Heder, den er in Gegenwart feiner ganzen Um- gebung wegen feiner Thorheiten uud feines eiligen Rüd- zuges auf das Waderfte ablanzelte. Er hatte mehr Muth
— 223 —
und Energie und verlor troß allen Niederlagen das Ber- trauen nicht.
Yı Straßburg mwurbe unfer, übrigens von Niemanden in Teutfchland unterftüttes Komite, nahdem es ein Paar revolutionaire Proflamationen erlaffen, durh einen bes fonderen Kommifjair Yamartine’8 gemwaltfam aufgelöf't. Das einzige Rejultat feiner Eriftenz für mid) war jene unerhörte, in der Gefchichte der Mienjchenliebe ganz bei- jpiellofe, mir Jahre lang gefolgte, von Straßburger Spio- nen und Marodeurs ausgegangene und jpäter von Heder und allen meinen einden gegen ihr eigenes Willen aus- gebeutete Berleumdung, daß id 10 bis 20,000 Dollar amerikanische Tlüchtlingsgelver, von denen nie ein Gent erijtirt hat, unterihlagen und in Berlin und andermärts, wo idy nie gewejen, verpraßt habe. Das war der Yohn für die Gutmüthigfeit, womit ih mich) aus revolutionais rem nterefje einer banferotten Sadhe angenommen, und für die Theilnahme, womit icdy meine wenigen Dollar mit den Flüchtlingen und Freifhärlern getheilt hatte. Die Schuld von Allem aber trug — die verfluhte Schuiter- infel! Sie haben wahrlid Recht, wenn Zie fagen, „das Kevolutioniren jei ein undankbare8® Gefhäft”,. Aber nirgends auf der Welt fann es undankbarer jein, als auf der — Scuiterinjel,
Dod eine Entfhädigung, liebe Freundinn, ift mir dafür gefihert: nicht Heder, nicht Willich, niht Ranto von der Weiterburg, nicht der Kapitain Lenz ijt der „Held ver Schufterinjel“ geworten, fondern ich bin ed. Ich hoffe, ed wird mir einjt auf der Scuiterinjel ein Monument errichtet werden, wobei man das Kreuz Ranko’8 verwen- den kann. Wenn man fi Berbrehen muß antichten
lafien, die man nie begangen, ergibt man fich aud in die Ehre, mit Tugenden gejhmüdt zu werben, die man nie geübt hat.
Jetst, meine Freundinn, kennen Sie die Gefchidhte von der Schufterinfel. Do Sie kennen fie no nicht ganz. Hätte ich diefe Infel der Unglüdlichen feitwärts liegen lafjen, wäre ich, ftatt nach Hüningen, von Genf direkt nad) Frankfurt gereif’t, wer kann bezweifeln, daß dann in Zeutichlannd Alles auf den Kopf gejtellt, vaf feine Dumme beit in Frankfurt begangen, daß die Revolution fiegreid) gemefen, daß fein Reich8verwejer am Leben geblieben, kurz dap das Schidjal ZTeutihlands ein anderes gemorben wäre und wir jet nicht in Amerika bei 100 Grad Hite Cholera zu athmen brauchten! Sie werben jo wenig, wie ib, daran zweifeln, daß die Welt feit 1848 nur deshalb einen jo verfehrten Yauf genommen, weil id) auf der Scyufterinjel und nicht in Frankfurt gelandet bin. Durd die Schuiterinfel und die Straßburger Proflamationen wurde ih auf8 Neue fompromitirt, mußte vor der teut- ihen Grenze thatlo8 Liegen bleiben und die Welt fah jich um ihre ganze Erlöfung betrogen. Ya, noch mehr. Als die fetste badifdhe Revolution ausbrad, melde Alles wieder gut machen konnte und fo geniale Leiter hatte, Xeiter, die noch um 1000 Prozent Dummheit genialer waren, ald der Ermeder von 80,000 Baiern, welde in Böhmen einfallen jollten — da erflärte mir einer diefer genialen Leiter, ich Unglüdlicyer könne in Babden keine Stellung erhalten, fo lang idy mit (dem im Urwald lebenden) Heder verfeindet fei, und während der Obrift Don Duirote Nanfo von der BWefterburg, fogar ohne jein Schwert, Regimentstomman * deur wurde, geftatteten mir die hohen Herren nicht ein«
mal, eine teutfch-jchweizerifche Legion zu errichten. Alles wegen der verfluchten Scuiterinjel!
Aber noh mehr. Ohne die Schufterinfel wäre ich ganz fiher Minifter des Striegd bei der Kintelfhen National- anleihe geworden, und alle die trefflihen Männer, die mir in Amerita jo böfe find, weil ih den größten von ihnen beleidigt habe und lieber diefe ganze teutjhe Yügner- Sippihaft in den Staub werfe, ald uf Geredhtig- feit und Wahrheit verzichte, würden meine beiten Treunde fein, wenn idy nicht auf ver Schufterinjel gemejen wäre. Die verfludhte Schufterinjel!
Sp, meine Freundinn, wurde ic um mein ganzes revos Iutionaires Leben betrogen. Man fügt, ver Menjch [ebe nur ein Wal, und dem läßt fich fchwer widerjprehen. Auch jagt man, der Menjh Liebe nur ein Mal, was, wie Sie wijjen, nicht richtig ift. Mit mehr Grund läßt jich viel- leicht aber jagen, der Dienfh revolutionirenur ein Mal, unt ic hrbe mein Revolutioniren abgemadht auf der — GSchufterinjel, der verfluhten Schufterinjel! Die Scufterinjel hat meine ganze revolutionaire Pafjion und Thatkraft erihöpft, fie hat mich entnerot und meralifc todt gemadt. Was man fonft in einer Gejdhichte den „rothen Faden“ nennt, das ift in meinem Leben der Pedy- draht geworden, den man mir auf der Schufterinjel dur die Seele gezogen. Eigentlich bin ich alfo nicht ver Help, jondern der Märtyrer der Schuiterinfel. Alle anvern teutihen Wevolutionaire wurden große Männer, weldye an der Spige der Völker die Welt mit dem Ruhm ihrer unerhörten Thaten erfüllten und die Menjchheit befreiten, und meine ganze ftile Wirkfamkeit blieb befhränft auf einige bejcheidene Ader Landes, auf weldhen man zum
— 231 —
Schluk — „die Führer erfchiegen“ wollte! „Mein Gott!* wenn audy Das nod paffirt wäre! Die Schufterinfel das Grab unferer größten Männer, die fo verftändige Plane entworfen, Niemanden in’s Malheur geführt und Teutjch- land frei gemacht haben — fchredlicher Gedante!
Seit Dem ift, meine Freundinn, fhon mandes Jahr verübergegangen. Unterdejjen wird man immer älter, trübfeeliger, Tenfervativer, gefühlveller und unfchulviger, und kommt endlich die Revolution wieder, die man fo lang vergebens im Herzen getragen, fo wird, fie unjer Einen gar nicht mehr kennen, wie eine anderwärt® verheirathete Geliebte, oder man hat das Teuer, die Energie und die Frifche verloren, die fie an ihren Freunden liebt. Man war dann „geborener Revolutienair” ohne evolution, Kämpfer ohne Kampffeld, Yiebender ohne Geliebte, Unter- nehmer ohne Unternehmen, fur; man lebte ein verfehltes Leben und ftirbt, nicht einmal auf der Guillotine, au nicht gemachter Resolution. ch will mir daher alle Re- volutionsgedanfen aus dem Sinn jchlagen und endlic be- ginnen, mic, des Lebens zu freuen, ehe e8 zu fpät ift, und Klavier fpielen lernen, weldyes ein geiftreiches Jnjtrument fein fol. Dod für Eins fann ich Dabei nidyt garantiren. Sie find zwar ficher, meine freundinn, daß ich Jhrer noch) im letsten Augenblid geventen werde, aber Sie dürfen mir nicht zürnen, wenn mein lettes Wort fein wird: „Die ver- fluchte Schufterinfel!*
Jetzt fennen Sie die Ihnen und der Welt fo lang vor- enthaltene Gefdiihte von der Schuiterinfel. Woher die Injel oder Halbinfel ihren Namen bat, das weiß id) nicht zu fagen; doch vermmthe ich, fie it von der Bor: fehung mit Bezug auf mein Unglüd im Voraus jo getauft
— 232 —
worben, und Schufterinfel ift nur ein Euphemismus für Bedhbinfel, New-PDork, im Jahr des Unheild 1858. Der Jhrige u. f. w. *
Nachdem die Schufterinfel geräumt und das Haupt- quartier in Hiningen aufgehoben war, ging Herr Heder nad) Muttenz im Kanton Bafelland, wo er fih über das erlittene Tinsfo und die erfahrene Demüthigung durd eine Hofbaltung inmitten feiner Schmaroger und Speidhel- leder tröftete, die ihn überall umgaben. Der Mann hatte eine umerfättlihe Leidenjchaft, fi für etwas halten zu lafjen, was er nit war, und fi für Dinge rühmen zu bören, die er nicht gethban. Kine folde Leidenihaft aber finder ihre Befriedigung nur unter kopflofen Schmeichlern und harakterlofen Strolhen. Und diefe Gejellihaft war dem Herrn Heder erites Bedürfnif. Bon ihr lich er fich bejtimmen und ihr galt feine erjte Sorge. Seine rechte Hand war ein hirnlofer Commis, Namend Doll, ver, wie ich ihm dur Zeugen bewies, in Paris Fälihungen und andere gemeine Streihe begangen hatte. Und diefen Menjchen empfahl er feinen gläubigen Badenjern fogar für eine Parlamentswahl! Später ift ibm ver Strolhd nah Amerika gefolgt und bat, nadhdem er ihm eine Zeit lang auf der Zajche gelegen, ihn von feiner Ges felihaft endlich dur eine Selbftmörver-Slugel befreit, Wäre Herr Heder zu emmer leitenden Stellung gelangt, aus folhem Material wiirde er feine Minijter und Würs denträger gewählt haben.
Herrn Heder feinem Hof überlaffend, gingen wir Anderen nad Straßburg, um von dort aus die revolutionaire Thä-
— 233 —
tigfeit von Neuem zu beginnen. Zur Einleitung ließ ich eine, mit Struve’8 und meinem Namen verjehene Bro» hüre druden, welche einen revolutionairen compte rendu lieferte zu dem Zwed, die durch das badifhe Fiasfo und den Sieg der Reaktion verwirrte und demoralifirte öffent- lihe Meinung auf die Ausgangspunkte der Revolution zurüdzuführen, über den wahren Stand der Dinge auf- zuflären, zu neuen Anftrengungen zu ermuthigen und für unfer beabfichtigtes Wirken zu intereffiren. Natürlich fam e8 bierbei hauptfählih darauf an, die Schuld der BVolfsretter, namentlich jener konftitutionellen Verräther, die fich früher ald Republitaner ausgegeben, an’d Licht zu ftellen und alle Hoffnungen auf das Unternehmen von Menjchen zu zerftören, welche die Revolution „auf loyalem Weg abmahen wollten“. „Das Borparlament,“ hieß es in der Brocdüre, „war revolutionair und wollte loyal fein; e8 jtellte fich über die Fürften und befchügte fie; es übte die Bolksjouverainetät aus und benugte fie, um die Feinde der Bolfsjouverainetät zu retten; ed bewies, va es für fih das Fürftenthbum entbehren fünne, und dod) wollte e3 dafjelbe erhalten für das Volk, defien Vertreter e8 war; e8 nannte den Bundestag, diejes Komplott von Fürften, eine Leihe und dod ließ es dieje Xeiche in Aktivität und ver» fehrte mit ihr; ed demüthigte die Fürften durd) Befehle und dod) ließ e8 den Gevemüthigten Mittel, fic) zu rächen; ed nabhmı die Stelle der Bundesbehörde ein und dody lief e3 das Bundesheer unter dem Kommando der Fürften; e8 ftedte ein Ziel nad dem andern auf und doch verficherte e8 fi nicht der Mittel, ein einziges zu erreichen; e8 machte Revolution gegen die Fürften und dod) reagirte ed mit ihnen gegen bie Republifaner“ u. j. w. leichzeitig ließ
— 234 —
ed die Brodhüre nicht an Prophezeiungen für die Berräther fehlen, die bald in Erfüllung gehen folten. „Naddem die Reaktion un 8 vom Kampfplag vertrieben, wird fie fi gegen euc) kehren und eud) zeigen, was es heißt, fie zu demütbigen und zu bedrohen, ohne fie zu vernichten. Sie wirb euch nöthigen, entweder völlig zu ihr überzugehen, oder einen Kanıpf auf Xeben und Tod mit ihr zu begin» nen.” An einer andern Stelle heißt e8: „Bon Baden wird die Lawine der Revolution fi in Slurzem weiter wälzen und was fie zumäcjt begraben wird, das ijt jene Frankfurter VBerfanmlung von Blinden und Berrätbern, die zu fpät erfennen werben, daß politijche Halbheit das bejte Dlittel ift, zu verlieren, was man befigt und nicht zu erlangen, was man erjtrebt. Den Strid der Reaktion um den Hal8 und das Brandmal der Schande auf ben Geficht werdet ihr dann zu uns herüberjhauen, die wir unentehrt und fampfbereit eueren Ruin abwarten, um über euere Leiber in die Burg der Freiheit einzudringen.“
Diejer Brodüre folgten andere Agitationsichriften, u. A. ein „Plan zur Revolutionirung“ Zeutichlande. Doc durd) unjern Plan wurde plöglich ein Stridy gemadt von einer Seite her, von der wir ed am Wenigiten erwartet hatten,
Herr Lamartine fandte von Paris einen befondern lom- mifjair nad Straßburg mit dem Auftrag, unjer Zentral» fomite aufzulöjen und uns in’s Innere Frankreichs zu ver- weifen, Ald wir auf das Nathhaus bejchieven wurden, um den Befehl zu vernehmen, legten wir natürlich kräfti- gen Protejt ein und fragten den Herrn Kommifjair, ob er im Weigerungsfalle beauftragt fei, Gewalt zu gebrau. hen. Er bejaete diefe Frage nicht bloß, fondern bejtimmte
— 2135 —
auc) ven Äußerften Termin, bis zu weldyem die Mitglieder bes Zentralfomite’8 nad) Chalons würden gebracht werden, Um die beflimmte Zeit fuhr richtig ein Omnibus vor unfere Wohnung und nahm Struve nebjt Gemalin (der überall „der Gewalt wich“) und einige Andere zur Weije nad Chalons auf. Ich für meine Perfon ging nicht bloß nicht mit, fondern erklärte in den Straßburger Blättern, daß ich dem franzöfiichen Volk nicht den Schimpf anthun fönne, einem fo unrepublifanifchen Befehl feiner Kegie- rung Folge zu leiften, und daß ich in Straßburg bleiben werde, bi8 man mid) von dort wegjchleppe. Dieh hatte die Folge, daf man mic in Kube lieh.
Das Verfahren in Straßburg Härte mich vollitändig darüber auf, warum man in Paris „meine Genfer Aoreije verloren“ hatte und welcher Geijt in Wirklichkeit die aus» wärtige Politit Frankreichs leitete,
Welche Enttäujhungen und Kontrafte hatte ih in wenig Wochen durdzumahen! Don New-PMork nah Europa geeilt, um in Teutjchland die Republik erfämpfen zu helfen, jaß ich von Neuem als Erilirter machtlos an der teutjchen Örenze; auf den Ruf der franzöfiihen Republik ver- trauend, hatte ich fie al8 die Beichiüterinn des europäiichen Republifanismus angejeben und fand in ihr nur eine Polizeivienerinn fremder Despoten; an den teutjchen Res publifanern aber, die ih mir als ehrenhafte, uneigen» nügige, ergebene, treue und intelligente Kampfgenofjen vorgeftellt, lernte ih Seiten kennen, die mich entweder mit Ekel erfüllten, oder mid an das Srrenhaus er- innerten.
Dffenbar hatte Herr Yamartine auf auswärtige Nella- mation gehandelt, Wie ohnmädhtig wir aud in Straß-
— 236 —
burg waren, da wir feine Mittel hatten und höhftens ein Baar hundert Mann aufbieten fonnten, jeden Falls hatten die teutfhen Regierungen, vielleiht auch die leitenden „Staatsmänner“ in Frankfurt, Furt vor und und nad dem Herr Yamartine feine Schulvigkeit gethan, begannen die teutfchen Agenten ihre Madinationen.
Diefe Mahinationen richteten fih hauptjählih gegen mid. Man wollte auch mich aus Straßburg entfernen und um bieß große Werk zu vollbringen, vereinigten jich Spione, Revolutionaire und Marodeurd mit den Satel- liten des Herrn Heder. Was aber war die Handhabe des Triebwerk, da8 man gegen mid in Bewegung jegte ? Die unglüdlihen amerikanifchen — Gelder! Die Haupt- perjonen, die gegen mich agitirten, waren ein gemwiller Homburg, ein ausgemachter teutjcher Spion; ein gewilfer Krüger, ein ausgemachter franzöfiiher Spion; ald Bufen- freund Homburgsd der Abenteurer Corvin; ald® Bujen: freund Strägers der früher genannte Doll, Vertrauter und Taftotum des Herrn Heder.
Kurz nad) meiner Ankunft in Straßburg bradte die „Augsburger Allg. Zeitung“, die, wie wir gejehen, fchon früher bei den gegen mid gerichteten Hebjagven als Hauptorgan gedient hatte, eine angebliche Korrespondenz aus Philadelphia, worin gemeldet wurde, daß mir in Amerika Taufende von Dollar zum Ankauf von Waffen und zur Unterjtügung von Revolutionairen zur Verfügung geftellt worden jeien. Dieje angebliche Korrespondenz wurde von dem Spion Kräger benugt zur Ausftreuung bes Gerüchts, e8 feien mir von Amerika aus 10—20,000 Dollar zur Unterftügung der Flüchtlinge (natürlich zu« nädjt derjenigen in Straßburg) mitgegeben und über»
— 237 —
fandt worden. (ch hatte, nachvem ich jo weit gereij’t war und in Genf, in Birsfelden, in Hüningen u. f. w. ben Arbeitern und Flüdtlingen nah Kräften ausgeholfen, vielleicht noch über $150 zu verfügen.) In Straßburg trieben fid) damald neben einzelnen ehrenhaften Ylücht- lingen eine Menge Marodeurs und Tagdiebe umher, die von dem Herwegh’ihen und Heder’ihen Korps dorthin verfchlagen waren. Man kann fid denken, mit welcder Gier dieje burftige Horde die Kunde verjchlang, daß ich der Bangquier für ihre Auslagen fei. Anfangs wurde bei mir nachgefragt, dann wurde ich erjucht, dann foderte man; Anfangs war man bejheiden, dann zudringlid, dann injo- lent. Ih jelbft mußte Anfangs laden, dann war ich ver- wundert und endlich wurde ich grob. Je mehr ich mid aber gegen die mir gemachten Zumuthungen wehrte, dejto , leivenfhaftlicher wurde gegen mich agitirt und dejto frecyer wurde ich bedroht. Man meldete meine „Unterjchlagun- gen“ in der Preife, man verlangte Einficht meiner Papiere, man hete die Straßburger Bevölkerung gegen mid auf, ja, man ging fo weit, bei der Polizei auf Einhaltung meines Pafjes zu dringen, da id) $20,000 im Befig habe, die den Flüchtlingen gehörten, und Ddiejen rechtmäßigen Eigenthiimern nicht ausliefern wolle!
Bei diefer Gelegenheit halte ic) es nicht für überflüffig zu bemerken, daß jämmtliche Gelver, die jemals für mid) in Zeutjhland und Amerifa gejammelt worden find, zu- fammen faum 4000 Thaler erreiht haben. Und mit Hülfe dDiefer geringen Summe habe ich Jahre lang Tau- fende von Flugjhriften verbreitet, meine Familie erhalten, die Kojten meiner Flüchtlingsreifen beftritten und eine Vienge Flüchtlinge unterftügt. Nie hat Einer mit fo
” — 138 —
Heringen Mitteln mehr geleiftet. Und dafiir haben mid bie eigenen Parteigenoffien in einen Ruf gebracht, der nicht Schlimmer fein Könnte, wenn ich Millionen wirklich unterfchlagen hätte, Die Zeutfben find gründlih in manden Dingen, am grünvlichften aber in der Dummheit und in der Gemeinbeit.
Natürlich war ich bei diefem fhändlichen Treiben eben» falls nicht müßig. Ich branpmarfte das verleumdende Lumpengefindel in ber Straßburger Prefie ; ich riß den Hauptanftiftern in einer VBerfammlung die Matte vom Geficht und ftellte fie angemefjen an den Pranger; endlich wurden auf meine Bemühung einige ber freuten Herumt- treiber von der Polizei aus der Stadt gejagt. Aber alles Das half nit. E8 blieb die Bejchuldigung beftehen und wurde fortwährend benugt, daß id) der Unterfchlager von 10 — 20,000 Dollar fei, welche die edlen Yandslente in Umerita für die enlen, nothleidenden, hodyverdienten und tiefgebeugten reiheitshelden in ben Straßburger Bier» und Hurenhäufern überjandt hatten,
Und dieje nihtswürdige Berleumdung wurde von ben UÜgenten des Herrn Heder genährtl Und diefe nichtswür. dige Berleumbung wurde von Herrn Heder in einem gegen mich gerichteten Manifeft wiederholt und bis auf ben heutigen ag, trog allen Auffoderungen, nicht zurüde genommen! Und diefe nichtswürbige Verleumpung wurde in Amerika felbft von Denjenigen, die mir $400 zur freien Berfügung mitgegeben, nicht bloß ohne Einfprud gebul- bet, jondern fortwährend ald Waffe gegen mich benutst!
ALS fpäter Struve u. A. von ihrer Jrrfahrt nad) Cha» long, Paris u. f. w. nad Straßburg zurüdtehrten, war die Agitation gegen mid) nod) fortwährend im Gange, fo
um 239 —
dap endlich die ehrenhafteren Flüchtlinge (unter ihnen außer Struve F. Blind, Scaible u. f. w.) fi zufan«- mentbaten, eine Berfammlung beriefen und eine, von 50 Perjonen unterzeichnete Publikation erliegen, worin die gegen mich ausgejprengten Beihuldigungen ald „nieder- trähtige Berleumdungen“ bezeichnet wurden.
Glaubt mar, dilefe Erklärung (die Übrigens von der „Augsb, Allg. Zeitung“ zurüdgewiefen wurde) habe dem ‚ stelhaften Stanval ein Ende gemadyt ? Bewahrel Sogar Herr Struve jelbft, der Hauptunterzeichner berjelben fhämte fid) jpäter in New-York nicht, fi für eine erlit- tene gerechte Zurechtweifung zu rächen dur Hindeutung auf Dasjenige, was er felbt in jener Erflärung als „nies derträchtige Berleumdung“ gebrandımarft hatte}
Haft dur beleidigt die Gemeinheit.
Ss hilft dir keine Engelreinheit,
Du muft dafür verleumdet werden,
Denn — „alle Schuld rädıt fih auf Erden“,
Doc; jest genug von diefer [hmugigen Affaire. Sie tufte eben berichtet werben, da ich nicht bloß ein getreues Bild meiner perfönliden Erfahrungen, fondern auch des Kampfs der niedrigen Leidenjchaften zu liefern habe, welche die Revolution eben fo wohl um ihre Fahne fammelt, wie die Reaktion, Dieje fteht fi) aber beffer dabei, da fie diejelben befjer benuten kann.
Nad) der gewaltjanten Sprengung unfere® Zerttral-Aus» fhufjes lich ih in Straßburg folgende Brodüre druden, deren Gefichtöpunfte auch für das künftige Verhältnif zwiihen Frantseih und Teutjchland ihre Geltung be- halten,
Bu vn
Franfreichs „„Brüderlicher Bund mit Zeutfchland“.
Die franzöfifche Nationalverfammlung hat im Namen des franzöfishen Volkes ein Programm für die auswär- tige Politik aufgeftellt, weld;es ven Willen ausfpricdht, einen
„Brüderliden Bund mit Teutfälanp“ zu fchließen.
Teutihe Franzofenfreffer werden diefe Worte für eine Maske anfehen, hinter welcher fi) eine perfide Spekulas tion verberge. Sie werden nit glauben oder nicht glauben wollen, daß die Franzofjen ihre alte Eroberungs- fucht aufgegeben und ihren Charakter durch ein Progranım ber Nationalverfammlung mit einem Mal haben ändern lafien Wenn fie dennoch fhweigen, jo gefchieht e8 nur, weil fie jehen, daß Frankreicy augenblidlih ein Alli- irter berteutfhen Reaktion ift, zu welder jene Sranzojenfrefjer bewußt oder unbewußt alle gehören. Nur um diefen Preis erfauft Frankreich fi) das Schwei- gen von Leuten, auf deren Sympathie ed niemals zu rechnen hat.
Wir gehören nicht zu den ranzofenfrefiern; wir glau- ben daher an vie Aufrichtigfeit der Abficht, mit Teutjch- land einen „brüderlichen Bund“ zu fchließen. Wir find aber der Meinung, daß die Nationalverfammlung in Gefahr jchwebt, durd Yamartine infpirirt, an die Spige ihres Programms eine bloße jentimentale Phrafe gejtellt zu haben, da fie ohne nähere Kenntnig der teutjchen Zu- jtände gehandelt und die Bedingungen nicht erwogen hat, ohne welche eine Berwirklihung des Programms eine Unmöglichkeit bleibt,
— 2141 —
Unerfäglihe Bedingungen eines Bündniffes, namentlicd) eines „brüderlihen“ Bündnifjes, find unter Nationen vsie unter Berfonen gleihe Prinzipien und gleide Intereffen.
Dapesim Intereffe zweier benachbarter Nationen liegt, in gutem VBernehmen, auf freundihaftlihem, ja „Brüderlihem“ Fuße mit einander zu ftehen, bedarf feiner weitern Erörterung. Aucd) ijt fhon genug darüber geichrieben worden, daß grade Frankreich und Teutichland dazu beftimmt feien, durd) die Kombination ihrer Eigen- thümlichkeiten wie ihrer Beftrebungen die Zivilifation Europa’s, vielleiht der ganzen Welt auf die hödite Höhe zu bringen.
Daß ein „brüderliher Bund“ den Inter. fen beider Bölker entipricht, wollen wir aljo nicht weiter ausführen. Aber die nterejjen ftehen im genauejten. Zufammenhang mit den Prinzipien, ja die legtern bilden die unumgänglihe Brüde zur Befriedigung der erjtern.
Wir müfjen aljo die Frage beantworten, welches vie Prinzipien der franzöjifchen, welches diejenigen der teut- fhen Bolitit feien. Beantwortet man diefe Frage bloß theoretiich, Jo kommt man natürlich auf Diejenigen Prin- jipten hinaus, welche allein, in Teutichland fo gut wie in Tranfreih, die Bafis eines vernünftigen Staatslebens bilden können, nämlich die republifanifchen; beantwortet man fie aber mit Rüdfidht auf die Thatfadhen, fo ergibt fi) eine Berfchiedenheit, melde unwiverjpredlid bemei't, daß die franzöfiihe Politif entweder eine Unmöglichkeit will, oder daß fie zu einer Deöglichkeit den verkehrten Weg einichlägt.
16
— 242 —
Bei der Anknüpfung des Bündniffes mit Teutfhland fann Branfreich vernünftiger Weije mır breierlei Kontra benten im Ange haben, nämlic)
entweder die beftehbenden Wegierun- gen, oder dic Frankfurter BVerfamm lung, oder die revublifanifhbe Bartei.
Nur an diefe drei fanın c8 fich halten, denn Das Volt im Allgemeinen oder Zeutfhland im Allges meinen bildet feine Handhabe für einen pelitifcen Akt.
Hat Frankreich bei dem projektirten Bindnif die beit benden Negierungen im Auge, fo will -c8 von vorn berein eine Unmöglichkeit, eine contradietio in adjerto. Die beftehbenden Regierungen Teutjclands bafien Sranfreih von Haufe aus, müjfengs hafien, weil e8 ter Hem ber europäifchen Revolution ift und jest fogar die Mutter der europäifchen Wepublifen zu werden dreht, Die Fürften Tentfchlands müßten fünmtlic Selbftmörder zu werden beabfichtigen, wenn fie aufrichtige Freunde Frank reih8 fein mwollten. Louis Philippe war der einzige Mann, der zwilchen Frankreich und den teutfchen Fürften noch einen Anknüpfungspunft für eine gemeinfchaftliche Politif abgeben konnte. Wil Srankreic mit den beites benden Degierungen ZTeutidhlandd einen „brüderlichen Bund“ fließen, jo muß Louis Philippe und Metterni, dich par nobile fratrum, mit Allem, was fi an ihre Erijtenz fnüpfte, rehabilitirt werden. WUugenblidiih if an ein Bündnig nur unter der Borausfegung zu denken, ba die Leiter der franzöfischen Regierung die Fürften, oder daß die Fürften die franzöfifche Negierung büpiren,
Das Hödite, was Franfreicy von den teutihen Härten erlangen wird, find heucplerifche Phrafen, berechnet anf
u WER a
da8 edle Bertranen einer dichteriihen Phantafie. Aber die Phantafie gehört nicht in die BPolitif, ene heud)- lerifchen Phrafen fcheinen namentli and Berlin, ber wohlbefannten Pflanzfchule des Machiavellismus und der Perfidie, nad) Paris gewirkt zu haben. Wan verficherte Franfreidy, daß man Pojen regeneriren wolle, und gewann dadurch Zeit zur einer neuen Theilung Polens und zu einer Reorganifation mit Shrapnells und Kartätjchen.
Wer da glaubt, daß zwifhhen Nepublitanern und Fürs ftenregierungen ein aufrichtiges Bündnif beftehen Fönne, der ift fein Republilaner. Kürten müffen Republikaner, Republitaner müfjen Fürften zu vernichten fuhhen — das ift ein unumftößliches Gefeß, und das ift die einzige Aufrichtigkeit unter Beiden, Diejed Gefet und diefe Anfrichtigkeit müfjen im Bölkerredyt jo gut zur Geltung kommen wie im Staatsrehht, wenn nicht eine Meesalliance entftehen fol, die fich ftetd auf Kojten de# befiern Theils, nämlicd) der Republikaner, rächen wird.
Herr Lamartine hat in der Nationalverfammlung bie Anficht ausgefprochen, feit dem neuen Umfhwung ber Dinge fei die Verberblichleit des Fürftenregiments in Zeutfchland neutralifirt. Wir wagen zu behaupten, daf diefe Anfiht auf unklaren Begriffen vom Würftenthum überhaupt, oder auf mangelhafter Kenntniß der teutjchen Zuitände, oder auf beiden zugleich beruht.
Das Würftenthum muß jterd Fonfpiriren gegen bie Demokratie. Dieß liegt in der Natur der Dinge, und je niehr die Fürften gedemüthigt worden find, vejto mehr wird ihre Tüde auf Rache finnen. (Man vente an Neapel.) Ein Fürft kann jo wenig demofratifc gefinnt "ein wie ein Wolf Leithammel der Schafheeroe werben
fann. E8 wäre daher eine große Thorbeit, zu glauben, die Demüthigungen, welche die teutjchen Fürften in neues rer Zeit erfahren, hätten fie zu Bolköfreunden und mittel- bar zu Freunden Frankreici8 machen können. Bielmehr werden fie, wir wiederholen es, gegen Tranfreih im Geheimen eben fo erbittert fein, wie gegen die teutichen Radikalen, weil fie den Anftog, welcher ihre Demüthigung zur Folge hatte, auf franzöfifhe Rechnung jchreiben müfjen. Sie find und bleiben geheime Alliirte Louis Philippe’8 oder des Herzogs von Borbeaur, nicht der franzöfiihen Republit. Daß es no nöthig ift, fran- zöfiiche KRepublifaner an die Natur der Fürften zu erin- nern, muß allerdings Vermwunderung erregen.
Was nun das Benehmen der teutjchen Fürften gegen das teutfche Volk betrifft, fo kann Niemand zweifelhaft fein, daß fie jümmtlih nur auf eine gute ©elegenheit lauern, die ihnen abgezwungenen Konzeffionen nicht bloß zurüdzunchmen, jondern fid) auch Durch die bitterfte Reat- tion dafür zu rächen. Die meilten von ihnen haben Männer der früheren Oppofition zu Miniftern nehmen müffen. Hierdurch Täßt fi aber fein Kunbiger bie Ueberzeugung nehmen, daß diefe Minifter entweber in das reaftionaire Komplott der Kabinete herübergezogen werben, oder daß hinter ihrem Rüden eine gejonderte Kabinetskonjpiration befteht, welche, im Inlande auf die Tührer des Militairs, auf den Mel, die Bureaufraten und Diplomaten, im Ausland auf Petersburg geftügt, mit ber Kontrerevolution auf das Thätigfte befchäftigt if. Die Fürften benugen jeden Vorwand, ihre Militair- macht zu vergrößern, welche der Berrath oder die Schwäche ber Oppofition ebenjo, wie bie diplomatifhen Unterhand-
— 245 —
lungen, in ihren Händen gelafien bat, und ift der rechte Augenblid gefommen, werden fie nicht jaumen, Gebraud) von ihrem Hentersjchwert zu maden.
Dian könnte verfucht fein, Rechnung auf die geheimen Eiferjüchteleien der Fürjten unter einander zu machen und hieran Zweifel an dem Plan einer radikalen Kontrerevolu- tion zu knüpfen, deren Gelingen nothwendig den Großen auf Koften der Kleinen zu gut kommen würde. Man fönnte jogar au eiie zweite veränderte Auflage bes Üheinbunds denfen. Aber man täufche ji nicht über die gegenwärtige Gejinnung und vie jegige Lage der Dinge, In der Feindichaft gegen die Demofratie find alle teutichen Fürften einig und ihr opfern fie nöthigenfals fogar ihre Eriftenz. „Bir wollen lieber von den Löwen (der heiligen Allianz), ald von den Schweinen (dem Bolf) gefrefien fein.“ Durd diefe Worte hat Einer von ihnen die gemeinfame Oejinnung Aller ausgejproden. Die meijten, namentlid die von Hannover, Münden, Stutt- gart und Wien, hajien den König von Preußen, weil fie von früher wijjen, daß die Berliner Dynaftie auf vie teut- ihe Kaiferkrone jpekulirt. (In der bekannten Dentichrift bes preußiichen Bumbestagsgefandten vom Jahr 1822 ift ber betreffende Plan vollftändig entwidelt.) Aber Diejer Ha würde fid) augenblidlid legen, wenn ihnen keine andere Wahl bliebe, al8, entweder fi von Preußen mıe- biatifiren, oder durd die Demokratie reduziren zu laffen. Ja, jeder teutjche Republitaner hat die Ueberzeugung, daß fie Zeuticyland den Rufjen zur Blünderung überliefern würden, wie der König von Neapel jeine Hauptitabt den Lazzaroni, wenn fie darin ein fihyered Mittel zur Rettung ihrer Stronen erblidten,
—_ 2146 —
BDerubt aljo die Hoffnung, dan zwifhben Frankreich und Zeutichland ein „brübderlicher Bund“ zu Stande fommen werde, auf einer günftigen Benrtheilung der teutichen Fürs ften oder auf der Anficht, daß fie unfchädlich gemacht jeien, fo müfjen wir jene Hoffnung für durdhans nidig erflä- ven. An die Unwürpdigfeit einer Wesalliance der republifanifchen Politik mit der Kabinetspolitif zu erinnern, hätten wir gern den Franzojen überlafjien; ba von fran- zöfiiher Seite fein Proteft eingelegt worden, muß ein teutjcher Republifaner ihn in Anregung bringen.
Die Hoffnung, die an den Fürften fcheitert, wird viel- leicht appelliren an die fogenannte Fonjtituirende Berfammlung in Frankfurt Wir behaupten aber, daß in ihr der „brüderliche Bund“ eben jo wenig an zufmüpfen ift, wie in den Kabineten.
Die Majorität der Frankfurter Berfanmndlung ift reattio> nair gegen den Geift der Zeit, ift furitendieneriih nnd will böcitens fo viel Beichränfung der Furften, taf die bevorrechteten Klafjen die Herridhaft mit ihnen theiten fön- nen. Xon Demofratie ıjt in jener Majorität, welde durdy undemofratifhe Wahlen, zum Theil unter der Herrs jdraft des Süvels, zujammengebraht worden, nicht ein Gran aufzufnden, objchon fie mit genauer Koth den jou- veraimen Charakter der fonjtitwirenden Berjammlung tbeil- weije gewahrt hat.
Solite jene Viajorität dazu gelangen, Teutjchland eine neue Berfaflung zu geben, jo wird tiefe Berfafiung ent: weder den Furjten, oder dem Bolf, oder beiden zugleich nicht entjprehen. Den Furjten wird fie nicht entjprechen, weil diche ihre Souverainetät nicht opfern wollen und weil einzelne von ihnen längjt eine Separatrolle gejpielt over
— 247 —
zit jpielen Luft hatten. Der König von Preußen wird, fo lang er no Soldaten auf die Beine bringen fann, bie Spekulationen feiner Dynaftie niemal® dur Unterord» hung unter eine teutiche Sentralgewalt auf das Cpiel jeten. Daffelbe läht fih von den Fürften in Wien, tu Minden, in Stuttgart und Hannover fagen. Sie alle wer- den fi eben jo wenig einem teutfchen SKtaifer, defjen Kolle zu jpielen fi Jeder von ihnen fir berufen halten wird, tote einem nicht fürjtlihen Direktorium unteroronen wols ten. &8 ijt aljo vorauszujehen, daß, wenn die Bejchlüfie der Frunffurter Berfammlung den Fürften zu viel Be- Ichränfungen drohen; Durch irgend einen Hanpjtreidy ihre Situngen gefblofien werden, abgejehen davceı, daf ein- zelne Yürften fih von Teutjdjland zu trennen, oder Sepa- ratvereinigungen gegen bie atıdern Bundesftaaten einzu= geben juchen könnten. Nicht umfonjt hat man in Wlainz die Bürger jo weit herausgefodert, Daß man einen Bor- wand hatte; fie zu entwaffnen; nit umfonjt wird Köln frieggmäßig armirt; nicht umfonjt zieht man an allen Or» ten Truppen zujfammen; die, angeblidy gegen das Ausland bejtimmt, Front nad Frankfurt gemacht haben. Daß der Blöpfinn der Herren in Frankfurt fi auf diefe Weife rubig, ohne alle Einfprache und Fürforge, das Mefler an die Stelle jegen lät — mwahrjceinlich ift auch Berrath einzelner Mitglieder im Spiel —, Ändert nicht3 an ber Drpre; weldie die Chefs ver Fürftentruppen im der Zajche haben werden,
Es ift aljo vorauszujehen, daf die Frankfurter Ber: fammitung iri ihrer gegenwärtigen Zujammenjegung gar nit zu definitiven Bejhlüjjen gelangen wird Wird fie aber nicht durd die WFürften geftört,
— 248 —
fallen alfo ihre Beichlüffe fürftlih genug aus, um die In- tervention der Bajonnete unnöthig zu machen, jo wird, fo muß, friiher oder fpäter, da8 VBoLf interveniren, denn eine Befriedigung der Fürften und des Boltes ift in Zeutihland nicht mehr möglid.
Zwijchen diefen beiden Klıppen bindurd fteuernd, be- findet fib die Majorität der Berfammlung in der rath- Iojejten Begriffsverwirrung und Verftandesbeprängniß. Kleines ihrer Projefte wird der bewegliden Wirklichkeit, feines der vernünftigen Staatstheorie entiprehen. Die Ereignifje wachen ihr während ber Berathung über ven Kopf und naddem fie durdy die momentane Ervrüdung der Kepublit in Baden freie Hand für ihre Halbheiten und die Gagernihen Projekte gemonnen zu haben glaubt, werfen bie Ereignifle in Wien oder Berlin oder jonjt wo alle ihre weilen Berechnungen über den Haufen. Da fie fi) der Zeit und ihren Foderungen nicht hingegeben, weiß fie au) aus ven Elementen der Zeit nichts zu machen, und gleidy jehr in der jhwanfenvden Furt vor den Mäch- ten der Zufumft wie vor denen der Vergangenheit, wird fie nur die Brüde bilden, über weldye beive Mächte fi) bes fünpfen.
Diefe Mächte find der Despotismns und der Repubita- nismus. Weldem von ‚beiden wird die Zukunft Teutjch- lands gehören ?
Die Beantwortung diefer Frage ift e8 allein, weldye zu dem Anfnüpfungspunft für das „brüberlide Bündpn if“ zwijchen Srankreih und Xeutjchland führt. Jft man ver Anfiht — und fein entjchiedener Politiker wird zweifelhaft fein, — daß die Zukunft Teutjhlands republitanifch fein werde, [jo mug man aud anerfennen,vaßf
— 2149 —
nur mit den teutfhen Republilanern eine Berbrüderung vorbereitet werden fünne,
Die franzöfiihe Regierung fcheint no nicht an einen teutjhen Republifanismus zu glauben, da ihr genauere Kenntniß der teutjchen Literatur, der Perfonen und der Zuftände fehlt. Sie jcheint Teutjchland noch immer nad) der „Kölnıschen“ oder „Augsburger Zeitung“ zu beurthei- len, oder unfundige, wenn nicht gar betrügerijche Bericht- erftatter zu haben. Glaubt fie nit an einen teutichen Republitanismus, jo muß fie zugeben, daß fie einen „brüs berlihen Bund“ mit den teutfhen Fürften fliehen, oder daß fie einen Bund will, zu welhem der zweite Kontrahent gänzlihd fehlt Im erjten Falle ent- ehrt fie fi und zwar fruchtloß; im zweiten ift ihr „brüber- liher Bund“ eine leere Phrafe, die entweder zur Pod- fpeife dient oder einer unklaren politiihen Sentimentalität entjprang.
Weldhe Borausjegung will Herr Lamartine gelten lafien ?
Halbheiten rähen fi immer.
Aus der Revelution hervorgegangen, will Herr Yamar- fine die Revolution nur anerkennen, wo fie gefiegt bat, &o ift er denn in die Lage gerathen, fi das Berdienft eines Guizot zu erwerben, al® er die teutichen Republifa- ner im Intereffe der temtjhen Fürften in das Innere Frankreichs verwies. Sie wären nicht auf franzöjifchen Boden getommen, wenn Herr Yamartine nicht gewollt hätte; aber e8 fehlte Herrn Yamartine an Entjciedenheit und Konfequenz. Er wagte in feinem Manifeft eine neue auswärtige Politik zu proflamiren, eine Politik, welche auf
sicht? Anderes hinausgeht, al8 aufeine Revolution im Böltertedt; bei der erjten Probe aber, melde biefe Politik zu beftehen hatte, z0g fie fih [hüchtern zurüd,
Herr Famartitie Kat gefagt: „Srantreidh will alle Re; gierungen tindngetaftet laffen, went fie nidyt von ihren Böltern angegriffen werden. Wenn ber Kampf ziwiicden Freiheit iind Despotismus beginnt, fo fell Frankreichs Degen in der Waagicyaale der Freiheit liegen.“
8 ift nicht Sache jedes Volks, fid) zu der großen Mifs fion zu befennen, welde in biefen Worten ausgefprechen ift; befennt man fidy aber dazu, fo foll man fie nicht zur a. Phrafe werden laffen.
ALS ih Baden „die Regierung von ihrem Volt ange- griffen wurde“, ald in Bavden „ver Kampf zwifchen Frei- heit und Despotisnius begann“, brauchte ranfreih nur ein Wort zu fpredgen, um den Sieg des Bolls und ber Freiheit zu fihern. ranfreicd mußte wiffen, daß in Ba- den die Mehrheit des Bolfes die Nepublit will, und als man Anftalten machte, fie durd) 50,000 auswärtige Sölp- linge zu unterbrüden, mußte Sranfreih, wollte e8 bie Worte des Manifeftes zur Wahrheit machen, an feinen Degen fhlagen. E8 mußte fagen: „Sch betrete den tent- fchen Boden nicht, wenn ihr das badische Volk feinen Kampf allein ausfehhten laßt; wollt ihr e8 aber unterbrüden, jo ihide ih ihm fo viel Mann zu Hülfe, wie ihr zu feiner Unterdrüdung jhidt“.
Marti hätte folher Sprache die Verträge von 1815 ent- gegenfeten künnen, Aber Frankreich Hatte durdy Herrn Laniartine erflätt, vaß e8 bie Berträge von 1815 nibt mehr anertennt. 8 celennt alje
— 251 —
atıh den (in Teutfchland felbft in Frage geftellteti) teut- Ihen Bund nicht miehr an, alfo auch nicht die teutjche Bundesafte vom 8. Januar 1815, alfo au nidjt den Art. 26 der Wiener Schlufakte, worin ji die teutjchen Für- ften gegenjeitig verpflichten, bei Aufftänden einander ihre Söldner zu leihen. Franfreih gegenüber war alje Ba- den ein jelbftitindiger Staat und die Heffen, Bailern und MWiürtemberger mußten bei ihren Eitifall in Baden Frant- reich gegenüber [8 fremd fein, wie Rufjen, Bafdhkiren und Kejaden:
Herr Lantartine hat fich jpäter. bei ver Auslegung feittes Meanifejled einen Ausweg zu fiber gejucht, indem er er- Härt, Frankreich föntie den Völtern nur zu Hülfe fommen, wenn fie diefe Hülfe anrufen.
Betrachtet man diefe Erklärung genatter, fo 1öft fie fid), wie der „brüderliche Bund“, in der Praris Mmieder in ichts anf. Wer foll denn die Hülfe Prantreihs an« rufen ? Sollen e8 die unterbrädenden Regierungen ? Sie erden fich hüten, Sollen e8 die uiiterbridten Völter ? Ebenfalls nicht, denn welches Volt Tantı und darf es wa- gen, unfer beim Fuß oder dem Schwert des Huterdrüders auswärtige Hilfe anzirmifen ?_ Der Hülferuf Kinn alfo Kur von Einzeliien ausgehen, von feldjen, die fich aüis den Klauen der Unterdrüder gerettet haben, alfo von den Yoli- tiihen Emigranten.
Die polnifhe Emigration Tfanıt Franitreihd Hülfe an- fuer; die neapolitanifhen Flüchtlinge können Frankreichs Hülfe antufen; die tentfchen Flüchtlinge fönnen Frantreichs Hülfe anrnfen. Kann man aber vernünftiger Weife einen folhen Hiütferuf aus Warfhan, aus Neapel, aus Kari. enbe erwarten ?
— 252 —
Lamartine ift alfo, die Sahe praltifh genommen, mit feiner Hülfeleiftung zunähft auf die politifhen Emigran= ten beichräntt, Wie hat er fi aber gegen biefe benomz- men? Diepolnifhen haben Frankreihs Hülfe an« gerufen, haben es fogar wiederholt an feine Pflicht ge- mahnt und Frankreih hat neuerdings erflärt, daf es fid) in der polnijhen Frage neutral verbalten werde. Die teutihen Republitaner haben Herrn Yamartine ausein«- andergefegt, da; er die auswärtigen Truppen in Baden nicht dulden dürfe ohne deren Gegnern freien Spielraum in Franfreich zu laflen, und Herr Yamartine hat die teut- fhen Republitaner zur Beruhigung der Fürften in’s In» nere Frankreichs verbannt, Weniger Mühe und Muth, als diefe Verbannung, hätte ihm die Wegweifung ber fremden Truppen aus Baden gekoftet, denn ein ernitliches Wort würde genügt haben, fie zu verjcheucdyen,
Herr Lamartine hat nicht gewollt, wa® er gejagt, oder er hat nicht gefagt, was er gewollt. Die teutfchen Res publifaner aber haben nicht® von ihm zu hoffen. Er ift ihr Gegner, nicht ihr Alliirter, und al8 Einleitung zu dem „brüderlichen Bund“, den Frankreih, wie wir gejeben, nur mit den teutfchen Republitanern anknüpfen kann, bat Herr Yamartine die Unfhäplihmadhung der teutihen Res publitaner gewählt,
Entweder ift man Republitaner, oder man ift es nicht, ft man es, fo muß man vor allen Dingen erftens Ber- trauen auf die republifanifshe Sadhe haben und zweitens fid hüten, die Despoten gegen die Republitaner zu unter« ftügen. Herr Lamartine hatte kein Vertrauen auf die res publifanifhe Sadye und er hat die Despoten gegen bie Republitaner unterftügt. Oper war der Mangel an Ber-
in GE
trauen et bloßer Vorwand für diefe Unterftütung ? Dann um fo fhlimmer!
Wollten die teutihen KRepublitaner no auf Yrantreich rechnen, jo müßten fie fi an das Boltmenven. Sie müßten ibn jagen: „Jollteft dur zur Erfüllung deiner profla» mirten Mifjion unmittelbar gegen den tentjcen Despotismug auftreten, jo würde man dir eigennütige, eroberungsjüchtige Plane unterjchieben, wenn du aud) von ben reiniten Abfichten ausgingeit, und bu gäbeft der teut» Ihen Reaktion den mächtigen Hebel des Nationalgeiftes in die Hand; willft du aljo deine republitanishe Miijion gegen den teutichen Despotismus erfüllen, fo darfit vu nur mittelbar, nämlid durh die teutfhen Repu- blifaner wirken. Räume ihnen dein Terrain ein, damit jie fidh frei organifiren, mache ihnen VBorjhüfje, Da= mit fie ihre Bepürfnifje bejtreiten können, und leihe ihnen Baffen, damit fie yre Sade durhfechten Fönnen. Thue Das offen und ehrlich, venn c8 it Hecht und Pflicht unter Bölkern, wie unter Perjonen, feinen Freunden offen beis zujtehen in allen rechten Dingen. Solde Hülfe dürfen fie annehmen, ohne ficy zu entehren, und bu darfit, jie ge= währen, ohne deine Abjichten zu fompromittiren. Dieje Hülfe wird das bejte Einleitungsmittel zu einem „brüder- lihen Bund“ mit dem ganzen teutjchen Volke jein, denn fie liegt im beiberfeitigen Interefje und entipricht den beiverfeitigen Brinzipien. Du willit Polen befreien; wir wollen e8 audh. Zeutjchland ift für Dich Die noth- wendige Brüde nad Polen; aber fie fteht dir nur offen, wenn teutjche NRepublifaner fie bejegen. Die jegt im Zeutfchland noch das Heft in der Hand haben, find Allüirte Auflands gegen Polen. Wir wollen ung mit dir gegen
BEE. 2 DONE
Rufland für Polen alliiren. Du willft feinen Frieg, aber du wirft ihn fo wenig vermeiden, wie wir, m Teutfchland fiegt entweder der Despotismus, oder der Re- publitanismus, Siegt ber erfte, fo wirft du einen Kampf zu beftehen haben gegen Rußland und Teutjchland; fiegt ver letste, fo it der Krieg zwifchen Tentfchland und Ruf land unvermeiblih und bu wirft der Aliirte Teutfchlanps fein. Alfo auch in Bezug auf die Kriegsfrage liegt es in deinem höcdyiten Interefje, den Republilanismus in Tentichland zu unterftügen. Sein Sieg ift dein Sieg, nad ber einen wie nad der andern Seite hin. Man unterftütt aber Niemanven, indem man ihn befämpft“.
So könnte man zu dem franzöflihen Volke fprechen, wenn man fih noch Hoffnungen auf Frankreich machte, Aber diefe Hoffnungen find verfhmwunden. Nur von Mer volutionairen können Wevolutionaire nod etwas hoffen. Frantreih8 Belitit, wie fie dur die Nationalverfammts lung und durch Die Bollziehungstommilfion repräfentirt ift, hat aufgehört, eine revolutionaire zu fein; fie ift eine fons fervative, jogar reaktionaire geworden. Sie will, wie Louis Philippe, den Frieden um jeden Preis, fogar um den Preis, daß Herr Yamartine von den Blättern ber tentichen Reaktionaire gelobt wird. Die Yurdt der Bes figenden ift bie Politit Frankreihd. Diefe Politik könnte im Krieg ein Ableitungsmittel für bie Proletarierfrage finden; aber e# ift fehr ungewiß, ob fie nicht von auswärtis gen Republiten gerade eine erweiterte umd tiefere Anregung diefer Frage fürchtet. Jedenfalls fürchtet fie Kriegstoften und vor denen wird fie um jo mehr Furcht haben, nachdem die Blanqui’she Milliarde ihr finanzielles Gefpenft gewors ben ift.
— 25 —
ECheder teutfhbe Republitanismug von Srantreih etwad zu hoffen hätte, müßte Sranfreih erft eine neue Revolution ma hen. Bis dahin gedenken bie teutjchen Republikaner jo weit zu fein, daß fie an das Lamartine'fhe Manifeft nicht mebr zu erinnern brauchen.
Das Fazit unjerer Rechnung ift alfo Dieß:
Tranfreic) will der Freiheit überall helfen, Die Bebinguns« gen feiner Hilfeleiftungen können aber niemals eintreffen.
Ferner: Frankreich befleißigt fi) einer „bewaffneten Di- pfomatie“ ; aber fie verwandelt fich unter der Hand in eine diplematifche Bewaffnung.
Verner: Frankreich will einen „brüderlihhen Bund“ mit Teutihland. Es that aber freundlich mit Denen, mit welden der Bund nicht möglich ift, und ftößt Diejenigen vor den Kopf, welche allein die Hand dazu bieten können.
Ferner: Die künftigen Berbändeten Frankreichs, bie teutihen Republikaner, werden nicht vom jegigen Franka reich unterjtügt, und die Hilfe des künftigen Franfreichs haben fie nicht nöthig.
Ferner: Die Hülfe Frantreichs in alfo aus der Nechnung ganz zu flreichen und der „brüderlihe Bund“, aus wie edlem Herzen er fommen mag, liegt in ungewifjer Zukunft, ift alfo für die Gegenwart blauer Dunft.
Endlicd) ; Herr von Lamartine, wenn er auch nicht polis tifcher Boet war, ift Doch menigftens ein poetifcher Politiker, Weniger kann man nicht von ihm jagen, wenn man ihn ala Greumd beurtbeilt.
Nachfchrift. Wir a. ” Borftehenden unfere Anficht ausgejprogen. Es ift nicht überflüfftg, auch bie
Anficht der böfen Welt anzufügen. Die böfe Welt fagt: bie Teindfeeligkeit der franzöflichen Politif gegen die teut- [hen Republitaner rühre von Dbhrenbläjereien der Diplo- maten ber, welche ver franzöfiichen Regierung in den Kopf gefett, daß, wenn der teutiche Ahein ein Republikaner ges worden, das Elfaß fih ihm mit neuerwacdter Zärtlichkeit ih Die Arme werfen werde.
Ein anderer Theil der böfen Welt jagt: wenn am Rhein eine teutibe Republik erfteht, jo entgeht ven Franzofen jeder Vorwand, ihn mit ihrer Freiheit zu beglüden, d. bh. das linte Rheinufer zu acquiriren. Und da diefer Traum burdaus nicht ausgeträumt ift, vielmehr in der Partei des Herrn Marraft, melcdyer vielleicht bald au die Spite fom- men wird, lebhafter umberfpuft, al® je, jo wäre es ein großer politifcher Fehler, mit den teutjchen KRepublitanern bes Rheins einen „brüderlihen Bund“ zu jchließen.
So jpricht die böfe Welt. Wir natürlich gehören nicht zu ihr. — Straßburg den 1. Juni 1848.”
*
Wenden wir-und jest von einer franzöfiihen Revoln- tionsgröße wieder zu den teutjhen, Neben Fr. Heder Guftav Struve zu übergehen, biefe jo viel, wie neben Söthe Schiller, neben Boltaire Roufjenu, neben Mos zart Beethoven vergefien. Machen wir baber vie nähere Belanntihaft von ©. Struve, mit dem mic das Schidjal wie auf Verabredung immer wieder zufammen- führte, nachdem ich ein Mal mit ihm in Verbindung getreten war. ch werde von diefem Dann Yächerlich- keiten unglaublich fheinender Art zu berichten und ihn and anzuflagen haben. Man möge aber nicht venten, baß ich dur irgend ein Borurtheil gegen ihn geleitet
— 2657 —
werbe, oder daß ich e8 nicht verftanden habe, im nterefje ber Sade, die ih mit ihm vertrat, Selbftverleugnung gegen ihn zu Üben. Weil die Revolutionaire, auf die man vertrauen konnte, nicht zu did gefä’t waren, habe ich an Struve troß feinen Shwähen und Fächerlichleiten feft-
gehalten, fo lang ich tonnte, und ip habe ihm zur Seite . .
geftanden, wo Alles ihn verurtheilte. Als ihn jein wahn- wigiger Lörracher Putjh, von dem ich ihn vergebens zu- rüdzuhalten mid) bemüht, in’8 Gefängniß gebracht hatte und man ihn in allen Zeitungen moralifch zu morben fuchte, war id; der Einzige, der ihn öffentlich vertheidigte, und id that e8 in der wärnften YWeife, weil alle Welt auf den gefangenen und wehrlojen Dann ohne Erbarmen [o8- badte. Einen Theil des ihm gezollten Lobes erkenne ich ihm auch heute noch zu; aber daß bei feinen Handlungen die maßlofeite Eitelkeit und Selbftüberfhätung eine Rolle ipielte, daß ihm in Bezug auf Vienfben und Dinge alles gefunde Urtheil abging, ja daß er in feiner Verblendung zu wahren Berrüdtheiten fähig war — abgefehen von den tolhäuslerifchen Capricen feiner Lebensarc —, alled Das wußte ich jchon Damals jo gut, wie heute, und ich habe e8 ihm nicht verhehlt. Die „Zujhauer“.Berühmtheit, die er dur feine Zähigfeit im Kampf mit dem Mannheimer Zenjor errungen, hatte ihn zu der Einbildung gebracht, er müfje überall an der Spite fein, er müfje überall den „Macher“ varftellen, er wife Alles am Beften und allen Anderen mangele die wahre Einfiht. Er mogte in diefer Einbildung aud beftärkt worden fein durd die Dumme beiten des Herrn Heder, dem er zu Hüningen die began- genen Sünden auf eine wahrhaft vernichtende Weife vor-
balten konnte. ‘ 17
— 258 —
Zu welhen Tollheiten der Menfchentenner und der Res volutionair Struve fähig war, lernte ich zuerft fennen, als er fib von Straßburg nah Chalons transportiren ieh. Einige Tage nad) feiner Abreife werde ich in aller Frühe burd) einen von ihm gefandten Boten gemwedt, „ver in dem Ihwigenden Eifer des Bewuftfeins, der Träger meltges fchichtliher Depefchen zu fein, mir einen Brief Struve’s und 200 Franken überbradite. Der Brief m.Ivete mir in müiteriöfer Weife, „unjere Stellung babe fi plöglid vortheilhaft geändert, unjere Sadye habe wieder die beiten Hoffnungen, deshalb möge ich Alles vorbereiten für einen großen Sclag“ und zu dem Zwed fende er mir einftmwei- len 200 Sranten. Gleichzeitig meldete er mir, der Träger fei „nicht im Vertrauen“, und erjucdhte mid, ihn mit den angeichlofjenen Depejhyen an Willi in Befancon und an Beder in Biel zu jhiden.
Beim Lefen diefes Briefes ftritten fi in mir Yacluft und Jndignation. Hoffnungen auf die franzöfiiche Re- gierung, die und eben erjt wie Verbrecher behanvdelt hatte; gegen 50,000 Dann Truppen einen „großen Schlag“ vorbereiten mit 200 Franfen und vielleiht 200 Flüdht- lingen; al® Träger revolutionairer Depejhen einen wild» fremden, nie gefehenen DMenjhen fenden, der „nicht im Bertrauen“ if, und mir dann zumutben, ihn nod zu weiteren Dienften zu benugen! Jh traute faum meinen Augen, als idy diefe Tollhäuslereien in dem Struve’fchen Briefe las. Ich forfchte ven Boten, der in dem Brief als „Martin“ bezeichnet war, aus und fand, daß er ein un« ihuldiger DMeenjh war, den Struve in ber „Ölode* zu Chalons kennen gelernt hatte. Das war Alles, was er jelbft wußte, Um nicht „etwaige Vlöglichkeiten zu verei-
— 259 —
teln, gleichzeitig aber weitere Dummbheiten zn verhüten, änderte ich rafch die Depefchen fo ab, daß fie nit fchaden tonnten, und fandte fie dann durch den vermeintlichen Martin nad Befancon und nad) Biel. In der Depeiche an Beder war diefer „Martin“ als Dfficier bezeichnet, welcher Beder affiftiren folle. Nachdem diefer ihn ein Paar Tage bewirthet hatte, wünfhte er feine Generals- fühigfeiten Fennen zu lernen, da er nicht das Mindefte von einem Dfficier an fi hatte, und brachte Das Gefpräd auf militairifhe Gegenftände. „Martin“ wußte davon fo viel wie ein neugeborenes Kind. „Aber heißen Sie nicht Kapitain Martin?* „„Nein ich beige Youis.““ „Und find Sie nicht DOfficier?” „„Nein, ic bin Wein- reifender,"*
Worauf aber gründeten fih die neuerwachten Struve’- ihen Hoffnungen? Ein Agent der franzöfifhen Regies rung, ein Sapitain Martin, hatte ihm unterwegs 600 Franken übergeben, fei ed nun, um mit diefer Spottjumme den Herrn Lamartine von aller weiteren Sorge für die Internirten loszufaufen, oder um diefe zur Auswanderung nad Algier*) zu verloden. Und Guftav, der Scarf- blidende, hätte darin einen verftohlenen Winf der Regies rung gejeben, dap man ihn zur Revolutionirung Teutjd)-
*) Auch mic fuchte in Straßburg ein Kapitain zur Aus» wanderung nad Algier zu bereden, wo er mir Yändereien und alle möglidye Bortheile verjprab, im al ich eine teutfhe Kolonie gründen wolle. Jh nahm den Mann mehrere Male fehr freundlich auf, um die Natur der Theil» nahme und Verehrung für mid kennen zu lernen, von welder er erfüllt war, und dann erjparte ich ihm das Wie: derfommen. ar
— 230 —
lands in Stand feßen wolle, worauf er mid) dann auf» foderte, für den „großen Schlag“ zu forgen, ALS Ueber bringer der froben Kunde hatte er auf der Stelle ven Schugengel Martin auserfehen, obfchon derfelbe „nicht im Vertrauen” war; da aber Martin fi der Ehre entzog, engagirte er am feiner Statt den erften beiten Andern, der ibm in den Wurf fam, und das war der blühende Wein- reifende Louis, den er jett unbedenklih als den Dfficier Martin in die Welt fchidte,
Man wird diefe Gefchichte, wenn man fie lie’t, blog für lächerlic) halten. Aber ift e8 nicht zugleich empörend, daß Menjhen, melde zu foldhen Tolhäuslereien fühig find, fi al8 Revolutionsführer aufwerfen und die Gejchide von 50 Millionen lenten wollen? Bol Jndignation fchrieb ich dem NRevolutionsführer nad) Chalons, wenn er Vaftnachtjtreihe machen wolle, jo möge er nah Köln gehen, dann möge er aber mid) damit verfchonen und fie nicht im Namen der Revolution machen. Natürlich blieb er doc) im Net und meinte, ich jet ein grober Menjd, ver gleich herausfahre, wenn nicht Alles nad feinem Kopfe gehe. Aud war e8 mir nicht möglich, ihn zu überzeugen, daß Yamartine unfer Feind fei und eher gehängt zu wer« den, al® fernered Vertrauen verdiene. Als man ihn im dem üven Chalons einige Zeit hatte fiteen laffen, ohne fich im Mindeften um ihn und feine Gefährten zu kümmern oder fie mit Subfiftenzmitteln zu verjehen, madte Gujtav nebjt Gemalinn und fonjtiger Begleitung fih zu Fuß auf den Weg nad Paris, um, wie er mir fchrieb, den — „Dölkerbund zu gründen“. So blind und eitel war die jer Dann, daß er glaubte, wenn er nad) Paris Fomıme, werde er eine revolutionaire Berbündung des verlamar»
— 261 —
tinten Frankreih8 mit Teutfchland zu Stande bringen. Nachdem er fo lang Völterbund gegründet, daß er nichts mebr zu beißen und faum nody Sohlen unter den Schuhen hatte, fam er nah Straßburg zurüd und verfluchte Paris ald das8 Brutneft aller Verderbnif und die Quelle der allgemeinen Heffnungslofigkeit. Ic aber war unterbefien mit dem „großen Schlag“ fo weit gefommen wie er mit dem „Völferbund“.
In Straßburg gab es nicht bloß nichts mehr zu thum, fondern e8 war au) nady der Rüdtehr Struve’8 eine neue Lamartinade zu erwarten, Wir befchloffen daher, uns nach dem Kanton Bafelland zu wenden, wo wir wenigjtens bejjere Mittel fanden, durd) die Prefje zu wirken.
In Lieftal fand Struve einen gutmüthigen Menjchen, der fein Geld bergab, um in Bafel eine neue Auflage des „Deutjchen Zufhauer“ erfcheinen zu laffen. Guftav glaubte wieder den Hebel zur Umkehrung der Welt in der Hand zu haben und er war von feiner Superiorität, feiner Aleinfähigkeit und dem Gewicht feines Namens fo über- zeugt, daß er mich nicht einmal zur Mitarbeiterjchaft ein- Ind, wonad mid natürlihd auch nicht gelüftete. Gr rehnete auf Taufende von Abonnenten im Eljaß, in Baden und in der Schweiz. Aber man nahm von feinem Gehwät fo wenig Notiz, daß in kurzer Zeit die Zu- jhauerei von felbft zu Ende war wie das Geld feines Lieftaler Freundes. Struve hielt fi wirklid feit ver Mannheimer Zenfortampagne für einen der furdtbarften Schriftfteller, während ihm alle Schärfe wie alle Drigina- fität, alle Pointe wie alles Salz, alle Gedantentraft wie alle Phantafie abging. Kurz, was er publizirte, war Alles gejchriebene Gemäjekoft.
— 262 —
In der Schweiz war es natürlich zunächft wieder die Polizei, Die Macht der Landjäger, mit der ih in Kollifion gerieth. Wie lächerlich fich diefe Macht mitunter geber- bete, möge folgender Vorfall darthun. Ich pflegte von Birsfelden täglih nah Bafel zu gehen, um im dortigen Kafino, wo ich eingeführt war, die Zeitungen zu lefen, Eines Tags hielt mich die Thorwahe in Bafel auf und eraminirte mic über meine Perfon und meine Abjichten. Nachdem id) auf die glaubwürdigfte Weife dargethan, daß id) weder die Stadt Bafel in die’ Luft jprengen, nod) ihre Obrigkeit auffrefien, no ihre Banquierd ausplündern, fondern bloß im Kafino die Zeitungen lefen wolle, blieb man zulegt bei der Brage ftehen:
„Hent er Schriften“ ?
Ih verficherte, daß ich jebr gute „Schriften“ (Paf u. j. w.) in Birsfelden, aber nicht in der Tajche habe, und verjpradp fie den näcjiten Tag vorzuzeigen. Aber man bejtand darauf, man müjje die „Schriften“ jofort feben, - fonft könnte ich „nit inne“. Zrog allen Borftellungen blieb mir nichts Anderes übrig, als, die „Schriften“ zu holen, wenn ich nicht auf das Lejen der Zeitungen verzich- ten wollte. ch ging daher nad) Birsfelden zurüd und erichien nad einer halben Stunde wieder am Bajeler Thor, ausgerüftet mit meinen „Schriften“, einem Genfer und einem franzöfiihen Paf. Die Thorwadhe, die unter- befjen wieder neue Jnjtruftionen über diefen wichtigen, bevdenklihen, weltgeihichtlihen Fall eingeholt hatte, erami- nirte meine „Schriften“ mit der aufmerfjamften Gewifjen- baftigkeit und nahdem das Rindvieh eine BVierteljtunde lang budftabirt und Gefichter gejhnitten hatte wie ein
u
wiederfäuender Bullochfe, gab e8 mir die „Schriften“ zurüd und jprad) die erniten, beveutungsvollen Worte: „Ru hönnet er body nit inne.“
Und weshalb ? Erft durd; die derbften Borwürfe erfuhr ich, e8 fei jo ebem fpezieller Befehl von der Polizeibehörbe gelommen, mid) unter feinen Umjtänden wieder in bie Stadt Bajel zu lafjen.
Aber der „radikale“ Kanton Bafelland fänmte nicht lang, feiner konfervativen Nahbarinn zu folgen, ja fie zu übertreffen. Ich erhielt kurz darauf die Weifung, ben Kanton jofort zu verlaffen und ihn nicht mehr zu betreten, widrigen Falls man mid Über die Örenze transportiren werde.
Soldye Beweife „republitanifcher" Sympathie erfuhr ih ein Paar Monate nad) der ebruarrevolution. Che ich über die Fortjegung derjelben in anderen Theilen der Scmeiz berichte, will id ver Kuriofität halber aud) eines BDeweijes fürftliher Aufmerkjamkeit gedenken, der mir von Baden aus zufam. ch hatte in Bafelland eine, fhon früher erwähnte, gegen das Frankfurter Parlament gerich- tete, mit meinem und Struve’8 Namen verjehene Flug- fchrift druden lafjen, die den Titel führte „An die Män- ner de3 gefunden Menjchenverjtandes in Zeutjchland.“ In Holge diefer Publikation enthielten die badischen Regie- rungsblätter vom Juni 1848 folgende Auffoderung:
„S. Struve und 8, Heinzen ftehen babier we- gen Hocdverraths, verübt Durd) die Preffe, in Unterfuhung;; fie find nämlich angejchulvigt, die Berfaffer der Drud- fchrift „An die Männer des gefunden Menfchenverjtanpes in Deutjdland“ zu fein.
Da uns deren gegenwärtiger Aufenthaltsort unbelannt ift, fo werben fie hiermit aufgefordert, fic)
Samflag den 8 Juli vo,
Morgens 8 Uhr,
babier zu ftellen und zu verantworten, widrigenfall® weiter verfügt werben foll, was Rechtens ift.
Konftanz, den 16. Juni 1848.
Grob. badifches Bezirksamt. Dielide.,
Diefe Auffoderung beantworteten wir mit folgendem Schreiben: „An das großb. bapdifdhe Bezirksamt in
Konftan;.
Erklärung von ©, Struve nd 8. Heinzen, betreffend die Drudihrift: „An die Männer des gefunden Menfchenverftandes in Zeutjch- land.“
Wir haben uns fehr gewundert, aus der Karlsruher . Zeitung vom 26. Juni zu entnehmen, daß das grofh. badijche Bezirksamt Konftanz Notiz genommen bat von unferer Drudihrift: „An die Männer des gefunden Menjhenverftandes in Teutjchland.* Wie kann fidy Diefe Behörde der Gefahr ausjegen, über fo fremdartige Dinge urtheilen zu müfjen, für die e8 im ganzen lieben Teutjc- land kein amtliches Forum gibt? Gefunden Menfchen- verftand oder Sinn für denfelben haben wir von teutjchen Bezirtsämtern nie erwartet, und daß wir darin Ned hatten, beweij’t die erwähnte Aufjoverung vom 16. Juni von Neuem. Wir werben des Hodverraths, verübt durd bie Prefje, angellagt, weil wir und an den gefunden Dienjhenverftand gewandt haben, der leider in Leutjch-
— 265 —
fand zur Zeit noch nicht zur Herrfchaft gelangt ift. Hätten wir im Sinne des Unverftandes gejchrieben, welcher, wie auf den Thronen, jo auch bei den Gerichten und nament- lid bei den Bezirksämtern, zu Hanfe ift, jo wären wir nit des Hocwerraths befhuldigt worden. Wenn uns das großh. bad. Bezirksamt die Berfiherung ertheilen lönnte, daß der gefunde Menichenverftand an dem Tage, auf weldhen wir vorgeladen worden, nämlidy am 8. Juli d.%., Morgens 8 Uhr, bei diefer bepauerlichen Bebörbe einfehren werde, jo würden wir fein Bevenken tragen, der an und gerichteten Auffoderung Folge zu leiften.
Bevor uns jedod) diefe fchwer zu jchaffende Bürgihaft gewerven, würden wir unverantwortlid gegen den gefun- den Menjhenverftand fündigen, wenn wir ihn bei dem groß. badischen Bezirksamte zu Konftanz perfönlicd auf- juhen wollten.
Uebrigens benfen wir mit den Appellationen an ben gejunten Menjchenverftand des teutichen Volkes jo lang fortzufahren, bis er nicht bloß das großh. badifche Bezirks- amt, jondern auch alle andere Bedienten des Grofherzogs, ja, wa® unglaublidy erfcheint, fogar den Großherzog jelbft, zu Berftand bringt.
Binnen Kurzem werden wir dem Bezirkdamte eine neue Probe unferer hochverrätherifhen Gefinnung vorzulegen die Ehre haben, um darüber, wie e8 in der Karlsruher Zeitung heißt, „zu verfügen, was Rechten ift.“
Aus Bafelland vertrieben, wandte id mich mit meiner Familie, die [hon in Straßburg mit mir zufammengetrof- fen war, nadı Bern, wo ich, nachdem unterbefjen meine amerifanifche Reife und die Revolution einen Strid) durd) bie Bergangenheit gemadt hatte, jeden Falls eine Aufent-
— 266 —
baltöbewilligung zu erhalten hoffte. Aber die Berner Regie- rung war nod) feiger, ftupiver und brutaler, ald die von Bajel und Bafelland. Meine Begrüßung war eine fo- fortige Wegweifung. Ich hatte Das Unglüd, Abends auf der Straße mit einem Bein in ein fchlecht überbedtes Baulcdy zu ftürzen, fo daß die Bänder am Knie zerrifien und id, um kein Srüppel zu werten, unter den gıöf- ten Schmerzen vierzehn Tage lang regungslos auf dem Bette liegen mußte. Und fajt an jedem diefer vierzehn Tage ließ die Polizei mid dur einen Abgefandten zur Ubreife drängen. Ich glaube, das Pad hätte mich zur Abreife gehest, wenn ich den Hals gebrochen hätte,
ALS ich einiger Maßen bergeftellt war, ging ich in mein altes Ajyl nad Genf zurüd.
Struve hatte fi) nah dem Kanton Thurgau gewandt und begann wieder einen „großen Schlag“ vorzubereiten. Er drang wiederholt in mid, wieder an bie Örenze zu fommen und den Schlag ausführen zu helfen, das Bolt fei reif Dazu und verlange nad Führern und nadı Thaten, Ale meine BVorftellungen über die Zollheit von Unter» nehmungen unter den damaligen Umftänden waren ver: geben. Heders Yorbeeren liegen Guftav nicht jchlafen und er wollte ebenfalls feinen Putjch haben. Alle früheren Erfahrungen waren wieder vergefjen und wenn ihn ein Paar Frauen und Bauern (vielleiht aud Regierungs- agenten) befuchten und über vie Regierung fchimpften, jo genügte ihm Das ald Beweis, daß das ganze Baden, ja Zeutichland fich erheben werde, wenn Guftav über vie Örenze fomme. Er war. feiner Sade fo gewiß, va er feine Ankunft Wochen lang vorher 'ankündigte und ich bin überzeugt, die babifhe Regierung hat Alles gethan, ihn
binüberzuloden, wovon er mit feinem fharfen Blid natürs lih nichyt8 merkte. Endlid rüdte er wirklid mit Frau Amalia und jeh8 Dann in Lörrad) ein, wo Alles Wochen lang offen vorbereitet war, und trat, nebt dem kontra- fignirenden FR. Blind, den er, jo viel ich mic, erinnere, zum Staatsfefretair ernannt hatte, in feiner Broflamation ald proviforifhe Regierung ”ver teutjhen Kepublit auf, Das Refultat war, daß von den gutmüthigen Menfcen, bie der proviforifchen Regierung folgten, bei Staufen eine Anzahl dur die bereit gehaltenen Truppen definitiv niedergejchoflen wurden und die Slontreresolution rüdficht« lo8 ihren Fuß auf das ganze Land feste. Struve jelbjt ließ fi, obihon er fih mit feinen Gefährten ganz gut burdichlagen konnte, von einigen Bauern gefangen nehmen, denn er hatte die Paffion, „ver Gewalt zu weidyen“, und tröftete fi über feinen wahnwigigen Streid, für den er eine Kugel verdient hätte, jpäter mit der großen weltbe- wegenden Wirfung feines Prozefjes — diejes unbeilvollen Prozefjes, welher dem Schwäger Brentano tie Popula- rität und Macht verjchaffte, mitteljt welcher er jpäter die ganze teutjche Revolution ruiniren konnte.
Uebrigens fam id bald nachher in Berjudhung, beinah eine gleiche Thorheit wie Struve zu begehen, freilid nur auf meine Sojten. m Herbit 1848 (den 9. Nov. — ich erinnere mich de8 Datums, weil e8 an dem Tag: war, an welhem Rob. Blum erjhofjen wurde) reij’te ich mit einem Paß, ven ih mir früher in Straßburg hatte geben lafjen, von. Genf ab, um in aller Stille durd Frankreich und Belgien nad) Berlin zu gehen, wo damals vie Zu- ftände wieder ein drohendes, revolutionaired Anjeben ges wonnen hatten. ch bildete mir ein, dort inmitten des
— 268 —
aufgeregten Bolfes ficher zu fein und mirfen zu können, wenn e8 mir einmal gelungen fei, die Hauptftabt zu errei- hen. ALS ich aber in Brüffel angelangt war, wurde ich aus dem Bette auf die Polizei zitirt und mein Pah ver- langt. Ih flo daraus, daß ich von preufifcher Seite in’ Auge gefaßt worben, und richtete Danadı meine Ant» worten auf die geftellten Fragen ein. „Wohin wollen Sie?" Nah Preußen. „Gut, fo werben wir Yhnen einen Paß dorthin ausftellen.“ Jh hube ja einen Ba der franzöfifchen Republik, der ift mir gut genug. „Den erhalten Sie nicht zurüd, wir geben Ihnen einen neuen,“ " Meinetwegen, ih nehme aud den, wenn der preußifche Sefandte ihn vifirt. „Er wird ihn nit vijiren.“ So? Das willen Sie fon im Boraus? Dann ziehe ich vor, mit meinem franzöfiihen Paß nad Franfreih zurüdzu- reifen.
E8 war offenbar, daß ich verrathen war und den Preußen in die Fänge geliefert werden follte. Jch beftand daber, unter der Drohung, mic an den franzöfifchen Gefandten wenden zu wollen, auf der Rüdgabe meines PBafjes und reif'te Damit nad Paris, Dort befuchte ih Pebru Kolin, der einer der Kandidaten für Die bevorftehende Präfiventen- wahl war, und legte ihm einen Plan im Sinne der in Straf: burg publizirten Brodüre über das Zufammenwirken der franzöfifchen und teutjchen Revolutionaire vor. Der Plan gefiel ihm fehr und er erfuchte mich, bi8 zur Wahlent- fheidung in Paris zu bleiben. Zwar made er fich feine Ausficht, feinen Gegentandidaten L. Napoleon zu befiegen, aber die Möglichkeit fei immer vorhanden und follte er ge= wählt werden, fo fei er bereit, Alles fir mein Projekt zu thbun. Wer einen folhen Plan entwerfe, fei and immer
— 269 —
ber geeignetfie Mann, bejjen Ausführung zu fichern, ich möge daher ein Paar Wochen Geduld haben.
Wäre Yedru Rolin Präfident, oder früher an Lamartine’s Stelle Weinifter des Weußern geworben, dann hätte bie ganze neuere Gefhichte einen anderen Verlauf genommen.
Als ih mid ein Paar Tage in Paris umgefehen, machte ih auf feine Erwählung feine Rechnung mehr. Ueber» dieß aber mahnte mich meine Kaffe an baldige Weiterreife. Sie reichte nody grade aus, mid nad Genf zurüdzubrin- . gen, ungefangen und ungehangen. Aber wenn id) aud) von der Königl. Preufifhen Polizei nichts zu beforgen hatte, die helvetifch-republifanifche beeilte fich wieder, fie zu erfegen.
Obgleich durch meine Mittellofigkeit vollftändig ohn- mächtig, follte ih audy in Genf nicht lang Ruhe haben. Da ich vor der dortigen Santonalregierung ficher war, legte fi) der Bundesrath in’d Mittel und fudhte nad einem Borwand, mid mit einem Mal durch einen Bun desbefchlug aus der ganzen Schweiz binanszutreiben, Diefen Vorwand lieferte ihm die Bildung einer teutjchen Legion für Sizilien. Mazzini fandte mir einen gewiljen Colonel Gilardi mit der Bitte zu, ihm mit Rath an die Hand zu gehen bei der Anwerbung einer Legion, die in Sizilien die republifanifhe Partei unterjtügen jollte. ch madte ven Kolonel mit 3. Ph. Beder bekannt und über- ließ dann diefem das Weitere. Beder wollte die Legion bloß aus Flüchtlingen bilden, fo daß von fchweizerijchen Anwerbungen— die Damals jpeziell verboten waren — über» baupt gar feine Rede fein konnte. Ich felbft blieb unbe- theiligt und Äußerte bloß meine Bereitwilligfeit, mit nad) Sizilien zu gehen, im Fall ver Legion ein politifher Chef
— 270 —
oder Kommiffair bewilligt werde, der das Recht und den Beruf babe, ihre Verwendung zu dem angegebenen Zmed zu überwaden. (Die Sadye ftand nämlich fo, daß bie ariftofratifche Regierung von Sizilien die Legion bloß zur Behauptung ihrer Stellung, vie eigentlih revo[u- tionaire Partei aber fie zur Erfämpfung der Republit verwenden wollte.) E8 jchyeint, die Ariftofraten rochen bei Zeiten Punte und ließen das Projekt wieder fallen, nad)- dem Beder die Vorbereitungen zur Bildung der Legion be- gonnen hatte. Darauf machte ih mid im Einverftänd- niß mit Beder und Galeer durd Frankreich auf den Weg nad) Kom, um mit Dlazzint über die Verwendung einer teutichen Yegion in Jtalien zu unterhandeln und überhaupt dort der republifanifhen Sade nütlich zu fein. Als ich aber in Marfeille anfam, begegnete ich dort fhen den flüchtigen Mitgliedern der revolutionairen Regierung Senua’8 und es wurde feın Schiff mehr aus dem Hafen nad alien gelaffen. Der Grund diefer Sperre wurde kurze Zeit nachher dur die franzöfifche Erpedition nad Rom aufgeklärt. Nad) meiner Rüdkehr nad) Genf reif'te Beder ebenfall® nad Marfeille, um einen neuen Verjud zum Durdpringen nah Rom zu madhen; aber auch er mußte unverrichteter Sade umtehren und da® Projekt einer teutfcheitalienifchen Legion wurde definitiv fallen ge lafien.
Untervefien hatte der befannte Dr. Yonımel, der fid gern wichtig machte, im „Srankfurter Journal” Andeutun: gen über eine teutjche Erpepition nah Sizilien fallen Iaf- jen und dabei erwähnt, „wie e8 heiße“, würden die Herren Heinzen und Lommel jene Expedition ald „höhere Difi- ciere“ mitmachen.
—_ 71—
Diefe unbeftimmte Erwähnung eines erbichteten Ges rüchts in einem teutfchen Blatt genügte dem Bundesratb, namentlich dem elenden Furrer zum Vorwand, ald pofis- tive Thatfahbe hbinzuftellen, daß ic nicht bloß „als böberer Dfficier“ eine revolutionaire Erpedis tion nad) Sizilien mitmachen wolle, fondern auh mic ungefeglider Werbungen in der Schweiz Ihuldig gemadt babe. Und auf diefe erlogene Anklage bin, die man nod durdy einige andere Yügen verftärkte, wurde, ohnealle Unterfuhung, ver des fhluß gefaht, mih aus vem ganzen Gebiet ver Schweiz anszuveijen!
Die beuchlerifche Ungerechtigkeit und free Schledhtigs keit, welche diefen Beichluß diktirte, war fo empörend, daß die Genfer Regierung, welde die völlige Grundiofigkeit der Anklage genau kannte, fi gradezu und wiederholt entjbieven weigerte, ihm zu gebordhen. ch felbit aber weigerte mid) in den Zeitungen offen, vie Schweiz zu ver- lafien, und befchuldigte den Bundesrath der „Yeigheit“, der „Sufamie“ u. f. w,
E8 ijt der Mühe wertb, die Rehtslogik kennen zu lernen, mitteljt welder diefe republitanische Behörve ihren Auss weifungsbejhluß motivirte, In feinem Sreisichreiben ging der Bundesrath von dem Frankfurter Zeitungsflatich in folgender Weife aus: „Heinzen und Lommel werben öffentlih bezeihnet, al® dazu beftimmt, bei der fizilifchen Expedition höhere Offizierftellen zu befleiven“. Dann fnüpft er in Beziehung auf mich an dieje „öffent- liche Bezeihnung“ nadhitehende Folgerung:
„E8 würde berfelbe fih demnach zur Abfchliefung einer Durd Art. 11 der fehmeizerifchen Bundesverfaffung
— m —
unterfagten Kapitulation und zu einer burd Art. 4 des Zagfagungsbeihlufies vom 13. Mai 1848 verbotenen Werbung behülflid erweifen.“ Und was folgt aus biejer willtürlihen Borausfegung einermöglis- hen Shub? Van höre: „Eine foldhe Verlegung der Verfafjung und Gefege des Landes durd) einen Frem- den darf inder Schweiznidht länger gebuldet werden“ Und was folgt aus diefer Haffiiben, an eine Möglichkeit gefnüpften pofitiven Ableitung? Dan böre; „Der Bundesrathb verorpnet daher, e8 fei der deutjche Flüchtling Karl Heinzen aus dem Ges biet %,_ Z'pgenofienihaft auszumeifen"! Unpnad- bem u, Bundesrath dieß Werk der „Gerechtigkeit“ voll bradt, „empfiehlt er fih“ zum Schluß „in den Schuß des AUlmächtigen”, als fage ihm fein Gewiffen, er verdiene vom Teufel geholt zu werden.
Die Enkel Tell’8 fungiren jett
Als Büttel der Tyrannen,
Und wer zu ihnen wird gehett,
Den beten fie wieder von dannen,
Landvögte jagten einftens bier,
Zandjäger thun es heute,
Und Republik heift das Revier
Und Bundesrath die Meute.
„Aylredyt* ift das Schöne Recht
Des Freien, gehett zu werben,
Doc jeder Schuft und jeder Knecht
Sit fiher vor Bejchwerden.
Schoß darum Tell den Gefler tobt, Zu zeugen foldhe Kanaillen ?
, ,;
Dazu habt ihr den Boden roth Gefärbt in Freiheitsbataillen ?*) U. f.w.
Troß allen meinen Proteften und trog allen Remonftra- tionen der Genfer Regierung gegen die beifpiellofe Schlech- tigkeit, durch die man mich fortzufchaffen fuchte, blieb der Bundedrath bei jeinem Beihluf. Dean wollte mich um jeden Preis zum zweiten Mal aus Europa vertreiben; man beftand darauf um fo hartnädiger, je weniger das Derfahren gegen mid) rechtlich zu begründen war, und daß ich demfelben nicht durdy die mindejte Fügfamkeit oder De. muth audy nur den [hwächften Schein der & +) ‘gung zugejtehen wollte, fondern ihm ald freier, gemighundelter DVeenjh, nicht al8 gevuldeter, rechtlofer Blüchtling öffentlich ZTrog bot, empörte nicht bloß die Oberlandjäger zu Bern, jondern jedes biedere Schweizerherz, jo weit die „deutjche Zunge Elingt“. Damals lernte ich erjt recht ven Unter- jhied zwilchen den humanen Bewohnern der franzöfiichen und den brutalen der teutfchen Schweiz kennen, In Genf war außer den reaftionairen Zöpfen fein Menid zu fin- den, der gegen mid) Partei ergriffen hätte; in der teutjchen Schweiz aber hätte man den „bütiche Chaib“ hängen mögen, weil er gegen eine republifanifhe Infamie als freier Mann auftrat, der fein Recht gegen offizielle Schur- fen zu ertrogen juchte, ftatt von einem empörenden Un- recht vergeblidy an eine verädhtlihe Gnade zu appelliren.
‚Die Verhandlungen zwijhen dem YBundesrath und der Genfer Regierung wurden immer bigiger und wenn ich
*) „Ein Erilirter an die Nachlommen Tel’s*. 8. Heinzen’s Gedichte, 18
— 2174 —
fie nicht abgefchnitten hätte, wäre e8' zufeßt ganz ficher zu einer Bundeserefution gefommen. Die Rüdfiht auf Tazy bewog mid, den Streit nicht auf das Aeuferfte fom- men zu laflen umb bie Genfer Regierung von’ der über- nommenen Aufgabe zu befreien. Zu bem Zmed lieh ich Fazy melden, daß ich den Santon Genf verlaffen habe, Nachdem ich ihm durdy meine Entfernung die Verantwort- lichkeit für meinen Aufenthalt abgenommen, kehrte ich ohne fein Wiffen heimlich zurüd und hielt mid) in der Woh- nung Oaleerd vor der Stabt verborgen. Ich gebacte bort den Sturm vorübergehen zu Tafjen und kann allmälig wieder hervorzutreten. Doc meine freiwillige Gefangen- ihaft währte nicht lang. Diein der Pfalz und in Baden neu ausgebrochene Revolution machte mir plöglih Luft und fobald die erfte Nachricht Genf erreichte, borgte ich mir Reijegeld und eilte über Straßburg nach Baden.
VII.
Die zweite badifche Revolution und ihre. großen Män-
ner. hr Untergang durdy Dummheit uud :Berrath.
Bergeblidie Anftreugungen zur Abwendung. des .Ber-
derbend. Abermalige republifaniide Hebjagd. . Eine
republifaniidhe Regierung im, Zenith. der-Infamie uud
im Nadir der Ermiedrigung. Zweite Bertreibung vom Kontinent.
Enplicy alfo betrat ich wieder ungehindert den teutfchen Boden. - Alle Kränkungen, alle Leiven waren mit einem Mal wieder vergefien und neue Hoffnungen und Ausfich- ten traten an die Stelle. Der Großherzog geflohen, die Truppen in Rebellion, Struve- gewaltfam befreit, bie Teftung Raftatt in den Händen des Volkes, in Karlsruhe eine proviforifche Regierung — das waren bie ermuthigen« den Nachrichten, die ich eine-nach der andern bejtätigen börte, als ich von Fehl auf der Eifenbahn- durch das ;be- wegte Ländbchen nady Karldruhe ‘flog. Aber diefes Mal fellten meine Hoffnungen und Ausfichten noch) weit-bittes rer betrogen werben, ald nad meiner - Rüdtehr ans
Amerita, 275
—_— 16 —
Mer, die damaligen Berhältniffe fennend, die mir [bon öfter nachgeworfene Frage wiederholt, warum id) in Ba«- den nicht® ausgerichtet habe, der muß mir erlauben, an feinem Berftande zu zweifeln, wenn ich nicht die Menjch- lichteit feines Herzens bezweifeln fol. Ich habe Alles und Jedes verfucht, was die Ehre mir zu verfuchen erlaubte, um mic) in Baden der Revolution nüglıd) zu machen, aber die größte That, zu der ich ed mit allen meinen Bemüs bungen bringen konnte, beftand darin, daß ich weder mein Mittagefien, noch mein Schlafgeld in dem Keinen Hand« werferhäuschen jchuldig blieb, in dem ich zu Karlörube, alle Teufel der Empörung im Herzen, eine qualvolle Wartezeit verbradte, während teutihe Denunzianten- blätter, ven alten Berleumbderton wieder anftimmend, mit graufamfter Jronie verkündeten, in Baden jchwelge der rothe Heinzen nebft anderen Blutmenjhen (!) „vom Miarke des Volts,“
Ih habe nie in meinem Yeben eine härtere Zeit vers lebt, ald während ver letten badischen Revolution. ch hatte die Ueberzeugung und habe fie noch heute, daf da= mals durd) eine wirklich revolutionaire Leitung von Baden aus mit den fi darbietenden Mitteln und Kräften bie teutijhe Republif erfämpft werden Lonnte; Zmwed und Mittel lagen Mar vor meinen Augen; über Das, was ge- Ihehen mußte, war ich eben jo jehr im Keinen, wie über Das, was unterlafjen wurde, und id) zeigte e8 Jedem, der 8 anhören wollte, und ließ e8 zum Ueberfluß pruden ; was auf dem Spiel ftand durdy Verzögerung, überjah ich eben jo deutlich, wie Dasjenige, das dur kühnen Entihluß gewonnen werden konnte; dabei hatte ich Da8 Bewußtfein aller Hingebung, die ic der Revolution bewiejen, und
- — 277 —
eines Willens, der, wenn ihm Einfluß und Mittel geftat tet wurden, Alle 8 zu thun und vurdhzufesen entichlofjen war. Und bei allem Dem ohnmädhtig zu bleiben wie ein Kind; bei allem Dem die Dummheit und den Berrath all» mächtig und triumphirend an der Spige zu fehen; bei allem Dem zurüdgefegt und unfchäplich gemacht zu werden durd) jeden Schurken oder Schwachkopf und von jedem Philifter, befien Schädel nie durd) einen revolutionairen Funken er- leuchtet worden, wie ein Verworfener über die Sculter traftert zn werden; in folder Umgebung die Revolution von Tag zu Tag dem Abgrund auf die handgreiflichite Weile zuführen zu jehen und grade da jedes Auge blind und jedes Ohr taub, wo man mit taufend Augen hätte fehen und mit taufend Ohren hätte hören follen — Das war eine Probe, die allein genügen fann, einen Menjchen, der nicht mit einem unverfiehlichen Borrath von Humor verfehen ift, mit Haß und Verbitterung für eine ganze Ye- benszeit zu verforgen.
Nah einer verunglüdten Revolution pflegt jeder 8. theiligte die Schuld auf Andere zu fchieben; Jever weiß, wie es hätte gemacht werden müfjen, wenn er aud zur Zeit nichts davon hat merfen lafjen. Zudem bitteren Ur- theil, da8 ich über die Vorgänge in Bapen und über die Leiter der Erhebung zu fällen babe, bin ich vollftändig berechtigt, denn ich habe zur rechten Zeit gezeigt, welche Tehler begangen wurden und welder Weg einzufchlagen war.
Ehe id in Baden eine Gelegenheit fuchte, mich an ber mir völlig neuen Bewegung zu betheiligen, wollte ich erft Land und Leute, Stimmung und Reffourcen Tennen lernen. Da ih feine Schäge mitbrachte, wünfchte ich
— 278 —
einen Freifhein zur. Benugung der. Eifenbahn. Zu Dies fem Zmed befucdhte ih in Karlöruhe den, mir bis .da- bin perfönlih unbelannten, an der Spige der provijori« Ihen Regierung ftehenden, Brentano in feinem Amtslckal, wo id) ihn in Gefellichaft von R Blind, feinem „Kanzlei« bireftor“, antraf.
Nachdem ich ihm meinen Namen genannt, fah er mid erjtaunt an und begrüßte mich mit ben Worten: „ich habe Sie mir ganz anders vorgeftellt, ih habe mir immer gedaht, Sie müßten ein Heiner Mann mit einem ma- litiöfen Gefichte fein.”
Was denken Sie von mir ? erwiederte ich, ich bin ja bie Sutmüthigkeit in Perfon.
Dhne Zweifel glaubte er mir die auf’8 Wort, als ich weiter fprad. Ich hatte vernonımen, daß der Abgeord- nete Chrift und ned eine andere Größe von Frankfurt in Karlsruhe angelommen jeien, um mit. der provijorijchen Regierung von Baden Verhandlungen zu pflegen. Von ber Gemwißheit ausgehend, daß von Frankfurt nichts Gn- te8 fonımen könne, hatte ich diefe Nahricht noch frifch im Kopf und ed vrängte mid) daher, den Herrn Brentano jofort ganz undiplomatifch darüber auszufragen.
Was wollen, fragte id) ihn, diefe Kerle aus Frankfurt bier ?
Kaum hatte ic, Das Wort aus dem Munde, jo fubr Herr Brentano, ohne eine Sylbe zu erwiedern, an ben Tifch, nahm ein Papier von demfelben und begann ganz tief- finnig darin zu lejen.
Dieß Benehmen war mir ganz unerflärlih. Hatte er in dem Papier nadyzufehen, was die Slerle aus Frankfurt woliten, oder handelte er aus amtlicher Zerjtrenung ? ch
— 279 —
wählte bie letttere Auslegung und wartete, um nicht un» artig zu fein, ruhig ab, bis er mit dem Lejen zu Ende war. Kaum aber hatte er da® Papier wieder mweggelegt, wobei er vorausfegen mogte, daß ich jest Das frühere Thema ver- gejien habe, fo erneuerte ich mit accentuirtem QTon die Frage: fagen Sie einmal, was wollen die Kerle aus Sranffurt hier?
Wie von einem Schlag getroffen, fuhr jett der Ange- redete an einen andern Zifch, fette fi nieder und begann zu fchreiben. Der Mann, dachte ich, hat den Kopf fo voll Geihäfte, daß du ihn jett nicht weiter ftören darfft. Ich ließ ihn daher in Ruhe, erfuhte K. Blind um den Frei- fabrfchein und empfahl mid.
Ich Hatte damals gegen Herrn Brentano, den Mann des Volfövertrauens, nicht da8 mindefte VBorurtheil und war noch nicht zu der Anficht gefommen, daß man Die: jenigen, welche vom Volk zuerft an die Spige gerufen wer: ben, bi8 auf Weitere® für unfähig oder für (aftive oder paffive) Berräther halten müfje. Audy flößte mir fein Aeuferes, aus dem neben einer offenbaren Blafirtheit und ber Zurüdhaltung einer Falten Berehnung eine gemille Intelligenz und Feftigfeit fprad, kein befonderes Mip- tranen ein. Später aber wurde es mir Far, daß er jchon an jenem Tage, wo ich ihn fennen lernte, bie eriten Schritte auf der Verrätherbahn gethan hatte, auf welder er Baden und ganz Teutichland in’8 Unglüd führte. Die Frage: „was wollen die Kerle aus Frankfurt hier ?” war nämlich) fo verfänglid, daß er fie feinem Republikaner, mogte er ein malitidje8 oder gutmüthiges Gefidht haben, beantworten konnte, ohne fi vom erftien Moment ab auf das Ernftlichfte zu fompromittiren, Später ift es befannt
er
Li geworden, daß die Gagernlente, deren Abgefandter Herr Chrift war, mit der proviforifhen Regierung einen Plan einleiteten, defjert Hauptpuntte folgende wareı:
1. Baden trit auf ber Bahn der Gefetlichkeit in das teutjche „Reich“ zurüd; zu dem Ende wird ausbe- dungen und bewerfitelligt:
2. Zurüdberufung des Großherzog$;
3. Amneitie;
4. KRonftituirende Berfammlung;
5. Minifterium Brentano- Peter.
Diefer Plan liefert die Antwort auf die Frage an den KRepublifaner Brentano: „wa® wollen die Kerle aus Frankfurt hier ?*
Diefer Plan erklärt auch von vorn bi8 hinten das Ver: fahren eines Dienjcen, der ehrgeizig genug war, bvemfel- ben bie ganze Volfderhebung zu opfern, umd dumm genug, feine Ausführung für möglic zu halten. NRüdberufung des Grofherzogd und Minifterium Brentano- Peter flo natürlidy jede republifaniihe Bewegung, jede Vereinigung Badens mit der Pfalz, jede revolutiongire Mafregel, kurz jede Handlung aus, welche den status quo Ändern konnte, erfoderte dagegen Alles, was nöthig war, „damit ber Grofherzeg, wenn er zurüdtam, wußte, wer ihm Alles jo fhön in Ordnung gehalten.“ (So äußerte fih der Bren- tano’jche Kriegsminifter, ein unfähiger, großberzoglicher Dfficier, Namens Meyerhofer, an offener Wirthstafel.)
Dom eriten Tag ab war alfo Brentano fon Das, wofür die blinde „Eonftituirende VBerfanturlung“ erjt am 29. Juli von Freiburg aus den Flüdhtigen erklärte: „ein feiger Berräther am Baterlande.“
In der That war ed auch trog allen fprecdyenden That-
—_ 181 —
fadyen eine Unmöglichkeit, die Badenfer früher zur über: jeugen, weldhen Führer fie gewählt hatten. Ich reif'te von Karlsruhe nah Mannheim und Heidelberg, mo ic) mic durch die getroffenen Mapregeln und die Wahl der Beamten jehr bald überzeugte, daß es feine Revolution und Kepublif war, was man in Karlsruhe wollte, m einer Gejelfchaft beim Profefjor Kapp zu Beidelberg, der mid zu Tifcy geladen hatte, fragte mic derjelbe: „Hert Heinzen, wa® halten Sie denn von unferm Brentano?“ Ich antwortete unbedenklich: „Ihr Brentano ift ein Vers räther“. Bor Erftaunen ließen die Säfte beinah die Gabeln aus der Hand fallen und fie juchten mich troß allen ihnen entyegengehaltenen Thatjachen halb entrüftet zu überzeugen, wie großes Unreht ich ihrem Häuptling an» thue. Und jo fand id e8 überall, Der Einzige, der von vorn herein Brentano richtig beurtheilte und ebenfalls einen Berräther nannte, war 8. Blind, der als Kanzlei» Direktor die bejte Gelegenheit hatte, ihm in bie Karten zu fehen, und daher auch fo bald wie möglich von feinem Boften entfernt wurde. Er mar eitel und deshalb „blind“ genug, fidy al8 „Sejandten* nad Paris Ichiden zu lafjen, wo man ihn fofort verhaftete,
Erjt ald es purdy den Anmarfch der Preußen u, f. w. aud) den Blindeften Kar wurde, daß ber Großherzog von ben Prenfen zurüfgebracdt, ftatt von Herrn Brentano zurüdgerufen werden wollte, und ald das Minijterium Brentano: Peter jtatt des abinets die Kajematten vor fi fah, erjt dann lenkte der Berräther in die revolutionaire Bahn ein, jo weit er e8 zur Gegenwehr gegen die Pren- Ben, d. i. zum eigenen Schuß für nöthig hielt, aber dann war ed natürlich zu fpät. Ich fah ihn zulegt in Karls.
— 282 —
rube zu Pferde, wo er einigen Dutend Dragonern eine Rede hielt und ihnen verficherte, da® Baterland fei in Gefahr, der Feind fei vor den Thoren u. f. w. Ja, das Baterland war vom erjten Augenblid ab in Gefahr und ber wahre Feind war innerhalb der Thore, aus denen er bald darauf bei Nacht und Nebel entwifchte, um dem vers meintlihen Verbündeten Play zu madhen. Durd) feine Haranguen gegen bie Preußen täufchte er aber jeine ver- blendeten Yandsleute bi8 zum legten Augenblid, wo e# einen wahrhaft Häglihen Eintrud machte, daß die „fon- ftituirende Berfammlung“ ihm „feigen Verrath am Baters lande“ vormarf, weil er für fie in der Schweiz Duar- tier beftellte. Zur rechten Zeit waren die Herren alle mit einander taub und als ihr Kapellmeijter ihnen ven Zaktjtod an die Ohren warf, um fie beim Finale allein fonzertiren zu lafjen, erklärten fie ihn plöglicy für einen jhledten Wufitanten.*)
*) Die „Proflamation”, in welcher die „Lonftituirende Landesverjammlung“ ven Ehrentitel betätigte, den ich dem Berräther jhon gleich im Anfang ertheilte, berichtet, wie derjelbe in ihrem nad dem a der Preußen ge faßten Beichluß, „jeden Berfudh einer Unterhandlung mit dem Feind als Berrath am Vaterlande zu betradhten und zu beitrafen,“ mit aller Gewalt ein Miptrauensvotum gegen lich gefucht, objcyon die VBerfammlung das Gegen- theil verjicyerte, wie er unter diefem Vorwand jchriftlich jeine Nefignation eingereiht und „im Dunfel ver Nacht den Sıg der Regierung und der Landesverfammlung vere lafien, ohne vorher die gejeglih gebotene Nechenichaft von jeiner Amtsführung abgelegt zu haben und ohne eine Nachricht über den Ort zurädzulafjen, wohin er fich zu bes geben gedenfe,“
Der Schluß des Dokuments lautet:
— 183 —
Nachdem ich mich im untern Theile Badens hinfänglich umgefehen und erfundigt hatte, fam. ich nach Karlsruhe zu- rüd, um wo möglid das, Refultat meiner Beobadhtungen zu verwerthen und meine Anfichten an den Mann zu brin- gen. Zum Antehambriren nit gemadt und im Bewuft- fein, mehr für die Revolution gethban zu haben, al® alle diefe neu anfgetaucdhten Größen, bie der bloße Zufall an die Spige geftellt hatte, erwartete ich, daß man mid) in irgend einer Weile zu angemefjener Mitwirkung einladen werte. Auch aus dem Grunde hielt ich mich perfönlicdy zurüd, weil mir dad Bewuftfein meiner Armuth eine * Annäherung an die verforgenden Machthaber verbot. Da mir von diefen Machthabern feine Gelegenheit gegeben wurde, meinen Rath mindlih in ihrer Mitte geltend zu machen, faßte ich ihn zunächft in die Yorm einer Brocüre,
„Die konftituirende Landesverfammlung muf.diefe Flucht des Bürgers Brentano ald einen feigen Berrath am Ba- terland betradhten und fann in dem Borgeben vefjelben, er ziehe fich zurüd, weil er ein Deigtrauensvotum erhalten babe, nur den Berjudy erkennen, jein.Berbrechen zu bejchö« nigen. Sie fette daher fofort eine Unterfuhungstommij- fion nieder, welde den Auftrag bat, gegen den Bürger Brentano und feine Begleiter einzufchreiten, um fie zur mwoblverdienten Strafe zu ziehen. Ueber die Kefultate Dies fer Unterfuchung werden wir dem Bolfe Badens jo bald als möglidy ausführligde Meittheilung machen,
Sreiburg, den 29. Juli 1849.
Die konftituirende Lanvesverfammlung für Baden und in deren Namen Das Präfidium: Damm. Die Sektetaire: Dänzer, Rotted, Steinmeg.“
zu deren Publikation mid I. Ph. Beder mit Hülfe fei« ner Kriegsfaffe in Stand feste. Sie führte den Titel: „Was ift zu thbun ?* „Ein jchledhter Titel“, meinte Herr Hoff, Mitglied der proviforiihen Regierung, ald ich ihm gelegentlih ein Eremplar einhändigte. Der pafjendfte Titel grade für Sie Herren von der Regierung, denn Sie Alle wiffen nicht, wa8 zu thun ift. Ein Yäceln unaus- fprelicher Ucberlegenheit wie® mid) in meine Schranten zurüd.
Und was war zu tbun? Kein Menfd von gefunden Berjtande hätte darüber im Zweifel fein follen. Zunädjit mußte die ganze Bewegung zu einer teutjchy"nationalen, ftatt zu einer bloß babifchen gemacht werden, zumal da fidh alle revolutionairen Kräfte aus andern Staaten in Baden zur Berfügung ftellten. Man mußte daher von vorn ber» ein audy Nichtbadenjer an die Spige rufen und eine Art Staatsrath, wenn nicht einen Konvent, jchaffen, in weldyem nad und nad alle Gebiete, welche fidy der Kevolution an- Icdhlofjen, zunädhft die Pfalz, ihre Vertreter fanden. Der engberzige, bornirte badijhe Partikularismus aber, und nody mehr die geheimen Spekulationen des Berräthers Brentano, in defjen Rechnung eine Erweiterung des Kevo» Iutionsplans und eine Mitwirkung nicht bapdıjdher Ber- treter natürlidy nicht paffen fonnte, forgten dafür, taß die ganze Leitung in den Hänpen der blindejten Partikulariften blieb,
Ein zweites Haupterfodernig war eine entjchieden re velutionair-republilanijche BPolitil. Die Frank« furter Reichspolitif, auf deren Boden man fich geftellt hatte, war total bankerott, nachdem die preußiihen Parlaments» mitglieder zurüdberufen waren und ber König von Preus
— 135 —
Ben die Kaiferfrone mit einem Fußtritt von fich gewiefen hatte. ert noch für eine Neichöverfaffung kämpfen zu wollen, war jhon aus den Grunde der Harfte Unfinn, weil fie auf ein Kaiferthum- beredynet war und fid) fein Kandidat für daffelbe finven lief. 8 hätte ein Kaijer förmlich eingefangen und mit Gewalt auf den Thron ge- fest werden müffen. „Man kann Stlaven maden mit Gewalt, wollt ihr einen Herrn machen mit Ges walt? Man kann Jemanden eine Schande anthun mit Gewalt, wollt ihr eine Ehre anthun mit Gewalt?“ So fragte ich die Weifen, die ein Kaiferreid) ohne Staifer mit revolutionairen Waffen erfämpfen wollten. Sie ver» ftanden dieje Frage ebenjo wenig, wie die Mahnungen an eine nationale Leitung. „Das Feithalten an der Frank: furter Berfaffung fann jene Berfaffung nidt mehr retten und da jelbft vieß Halbe nicht mehr durch den Frieden gerettet werden kann, fo bleibt nur üb» rig, durch den Krieg das Ganze zu erringen. Die Repus blif ift fomit nicht bloß Sacdye des Prinzips, fondern aud) Sade ver Rotbwenpigkeit geworden.“ „Es bleibt Baden nur übrig, die Nepublif zu errichten, ober ben Großherzog zurüdtehren zu lajien, um einen preußis hen Despotißmug zu gründen, wie dieß Land nodh feinen fennen gelernt hat. Wer in Baden noh an die NRüdtehr des Grofherzogs dentt, ohne ein Partifan des preußiihen Despotismus zu fein, der geht bewußtlo8 feinem eignen Verderben entgegen. Die Badenfer find Rebellen und werden ald Rebellen behandelt werden. So jeien fie denn audh ganze Re- bellen!” „Eine Revolution, die nicht vorwärts jchreitet, ijt verloren, fo gut wie eine Reaktion, die nicht vorwärts
— 286 —
fhreitet.* „Die beften fräfte des teutfchen Volkes ftelfen fi eucdy zu Gebot. Aber fie thim e8 nicht, weil fie euch für Konftitutionelle, fondern weil fie euch für Republikaner halten; aud) jehen fie in eudy nicht Badenfer, fondern ZTeutihe. So handelt denn auch al® Republifaner und al® Zeutihe. Stoft allen Heinlihen PBartikularismus von euch, beruft al8 Leiter der allgemeinen Sade pie ent- hiedenften Bollsmänner des ganzen Teutfhlands an euere Spige, [ft die Frankfurter Berfammlung durd) einen Konvent ab, den ihr Über alle enere Staatögewalten ftellt, fovest das ganze vemokratifche Teutfchland zur Unter- ftügung durd) Geld ımd Waffen auf, madjt euer Land zum Herd der ganzen teutfhen Revolution, fammelt alle gei- ftigen Kräfte auf euerem Boden, um das Feuer der Pro- paganda in das morjche Gebäude des teutfchen Despotis- mus zu werfen, und verbindet euch mit allen Völkern, welche den Alp der Heiligen Allianz abfchätteln und die Trage entfcheiven wollen, ob Europa vepublifanifch oder kojadifch zu werden Beftimmt fei.“ |
„Euer Zand ift Hein, aber ihr dürft nur von großen Auf- faffungen ausgehen‘, Baden und die Pfalz haben fi zu entjcheiden, ob fie das Größte erftreben, oder felbit das Kleinfte verlieren wollen. Führt diefer Kampf nicht zur teutihen Republik, fo war er eine beflagenswerthe Thor- beit; und endigt diefer Kampf nicht in Berlin, fo ° war e8 nicht der Mühe werth, ihn zu beginnen.”
„Wenn aud) diefes Mal die Demokratie in Baden unter- Liegt, fo wird Flud und Schande ald geredhter Fohrr ihr fol- gen. Aber fiegen katın fie nur, wenn fie bei Zeiten einig ift über ihren Zwed, wenn fie bei Zeiten fi) aller verrätheri« jhen Elemente eritledigt, wenn fie bei Zeiten Die Mittel der
— 287 —
Revolution zu ergreifen den Muth hat’und went fie e8 verftebt, fi bei Zeiten al8® bie Bertreterinn der allgemei- nen Freiheit Teutjchlands geltend zu maden. Eine bloß badifche Revolution würde fhon deshalb Feine Begeifte- rung ermeden,: weil fie von vorn: herein verloren wäre.“ Dieß find einige der Mahnungen und (bucyftäblic ein- getroffenen) Prophezeiungen, wodurch ich in der erwähnte ten Brochüre die meifen Leiter der Revolution voranzu- treiben fuchte. Bergeblih. Eben fo vergeblich waren meine Bemühungen in Bezug auf andere Punkte. Das Land wimmelte von Berräthern und einflußreidhen Die- nern des geflohenen Großberzogs, die man in wichtigen Stellungen ließ. E83 war verlorene Mühe, die Nothwen- bigfeit ihrer Entferuung oder Verhaftung, jowie ver Or» ganifation einer revolutionairen Polizei Darzuthun. Eben fo wenig wurde die Nothwendigfeit begriffen, im übrigen Teutjchland durd) die Preffe und durd Emifjaire Propas ganda für die Revolution zu machen und im Auslande, namentlich in der Schweiz, die geeigneten Mittel operiren zu lajien. Natürlich foderte die Durhführung der Re- volution vor allen Dingen außerordentliche Gekomittel. Man fuchte fie möglich zu machen mit Hülfe des laufenden . Budget8 und erfühnte fi höchftens, die bald erichöpfte Amortifationskafe anzugreifen. E8 ftanden der-Revolu- tion ein Paar Hundert Millionen an Kirhengütern und das Dermögen einer reihen Reaktion’ zu Gebot. Man wagte nicht bloß nicht, ed. anzugreifen oder gegen Staatsbonde fi) anzueignen, fondern’liei die Neaktion das baare Geld karrenweije aus dem Lande fchaffen, jo daß Diefelben in der Schweiz ven Banken -fogar Prozente für: die Anfbewah- rung zu zahlen hatten. An Abwefenheitöftenern ‘dachte
u BR
man fo wenig, wie an Zwangsfteuern. Man ging im Blödfinn fo weit, dag man von den Feinden freiwil lige Steuern erbettelte und fi von benfjelben durd, bie Kleinheit ihrer Gaben gradezu verhöhnen lief. Während das unbemittelte Bolt an Naturalien und Geld Alles her» gab, was e8 hatte, zahlte z.B. eine auf der ujel Mainau lebende Maitrefje eines veritorbenen Großherzogs, bie zehn Millionen geftohlened Bolfseigenthum befaß, eine „freiwillige* Steuer von 30 Gulden und die Revolutions- genie® in Karlsruhe nahmen fie an! Die Schäge bes Großherzogs, der allein für 100,000 Gulden Wein im Seller hatte, welcher fofort für baar Geld verkauft werden fonnte, wurden wie SHeiligthümer gehütet unter dem Vorwand: „Das Eigenthum (d. i. der Haub ver Real» tion) ijt heilig“. Später interpretirte der Großherzog diefen Sat turd Konfistation des Vermögens der Revo» Iutionaire, objhon man demfelben — und das ijt da® non plus ulıra — nad) jeiner Flut 50,000 Gulden aus der Zandeskafje nachgefandt hatte, damit er ja nichts zu ent- behren habe!
Eben jo blind, wie hinfichtlich der Revolution, war man in Bezug auf die Kriegführung. Der Ausgangspunkt ber militairiihen Unternehmungen mußte die Eroberung der Feltung Landau jei, aus weldyer der größte Theil ver Sarnijon jhon davon gegangen war, die fat nur noch von Dfficieren bejegt und auf die leichtefte Art zur Uebergabe zu zwingen war. hr Belig ficherte nicht bloß binrei- chende Waffen, woran ed der ganzen Bevölkerung ver Pfalz fehlte, fondern vedte audy diejenige Seite, von wel- her die größte Gefahr drohte. Ueberdieß würde ihre Er- oberung wahrjheinlih die Uebergabe von Germersheim
— 189 —
zur Folge gehabt haben und dann lieferte Baden-Pfalz mit brei vom Volk befegten Feftungen eine mächtige, fihere Ope- tationsbafis für den Kevolutiondkrieg nah Würtemberg und den Rhein hinab, während e8 ohne die pfälzifchen Fe- ftungen feine Flanfe vollftändig preisgab. Man jollte mei- nen, Das müßte jedem Kinde eingeleuchtet haben, nament- lid da die Preußen ihren Einmarjc) in die Pfalz offen vor» bereiteten. E83 war aber am Wenigiten möglich, von der Nothwendigfeit einer Eroberung Yandau’8 Diejenigen zu überzeugen, weldhe die Macht und die Aufgabe hatten, fie in’8 Werk zufegen. Ich habe mic Stunden lang bemüht, fie dem General Sigel verftändlich zu machen, mit dem ich damals auf freundichaftlihenm Fuße ftand, weil ich ihn für zuverläßig und aufrichtig hielt, aber er war mit unbeil- barer Blindheit gefchlagen wie die Antern. Statt purd die Einnahme Landau’d die Pfalz zu fihern und dann mit doppelter Macht ven Rhein hinab zu operiren, mußte er den Krieg durch eine Niederlage in Heflen inauguriren und daburd) von vorn herein Alles auf das Spiel jegen. Nahpdem er einige Wochen fpäter als Ylüctling in der Schweiz angelangt war, fchrieb er mir nad Genf, ich allein habe ein Recht, fie alle zu tadeln, denn ich habe zur redhten Zeit das Richtige gewollt und angerathen. Herr: licher Zroft, man fei fein Blinder gewefen, nahdem man fich vergebens bemüht, die Blinden vom Ruin zurüdzubalten! Meine Zeit fei noch nicht gekommen, meinte Herr Sigel, jo oft ich meinen Unmuth über meine gezmungene Unthätig- feit Außerte. Das hieß mit andern Worten: die Zeit für den gefunden Menfchenverftand ift noch nicht gelommen, denn id wollte und rieth nidhts Anderes, al was jedem gefunden Menjhenverjtand hätte einleuchten ri 1
_ 290 —
Es war im Gafthof zum „rothen Ochfen“ zu Karlsrube, wo id; jo erfolgloje Anftrengungen machte, den Yeloherens blid des Herrn Sigel zu fhärfen. Faft könnte ich glaus ben, die Lolalität habe dabei einen Einfluß geübt, denn «8 war in dem nämlichen „rothben Dchfen“, worin ein Haupt« mitglied der proviforifhen Regierung Proben einer nod größeren Genialität vor mir ablegte. E38 war dieh der Negent Beter. Nachdem” er mir allerlei Komplimente über meine revolutionaire Wirkfamteit gemacht, nachdem er hervorgehoben, welden Antheil meine Ylugicriften an der Erhebung der badiichen Armee gehabt, und mir fogar verfichert, erjt durch mich fei er, ber Furift, fi darüber klar geworden, was Gejeg und Revolution fei, verrieth er mir das Geheimnif, weshalb man mich in Baden zur Un» thätigfeit verurtheilen müfle. Der Grund war — mein Zerwürfnig mit dem großen Heder! „Entweder Sie müf- fen weichen oder Heder!“ „Wir dürfen Heder nicht be leidigen, indem wır Sie zulafien.“ Dbjchon ich diefen ans geblihen Grund ald bloßen Borwand betrachtete, juchte ich body dem genialen Peter Klar zu machen, weldyer Servilis- mus und zugleich weldye Unvernunft fi darin ausjpredye, daß man einen Revolutionair deshalb in Teutichland von der Mitwirkung für die Revolution ausjchliefe, weil er früher einem bodhmüthigen VBollsgögen angemefjen entgegengetreten fei, der augenblidlih in einer amerifanis hen Prairie feine Odhfen treibe. Dean habe ibn zwar zurüdberufen, aber ehe er Europa erreiche, jei entweder bie Revolution in Baden niedergefhlagen oder auf Gebiete vorgebrungen, in denen man auf den Dchfentreiber Heder feine Rüdfiht nehme. Weine Borftellungen trafen nur taube Dohfenohren. Herr Peter blieb dabei, man dürfe
— 291 —
Heder nicht beleidigen. Wie ich ihm vorhergefagt, jo fam ed. Als Herr Heder in Havre landete, um das Vater- land zu retten, war dasjelbe in den Klauen der Preußen und er kehrte jofort nad Amerika zurüd unter Berwün- Ihungen feiner Berehrer, weil fie die Preußen nicht fern gehalten bi8 er anlangte. „Sie müfjen weichen oder Heder!" Das malitiöfe Schidfal, das wahrfcheinlich ebenfalls im „rothen Dchlen“ zu Mittag fpeif’te, wollte, daß wir beide wichen, ich in mein pauveres Eril zu Genf mit ungefhwächten Humor und der VBollsmann Heder in feine ochjenreihe arm zurüd unter den Häglichiten Berwünfhungen gegen das teutiche Volk, weil die ver: dammten Preußen nicht gewartet hatten, bis der Retter Heder aus dem ameritanifhen Urwald fam. Ya, dieje Preußen find jhändlihe Menjhen! Jc kenne fie wie mic) felbft und ich hätte ihmen fo gern die Hälfe brechen helfen; Das aber muß ich ihnen nadhyjagen, daß fein preu- Kifher Thorfchreiber oder Korporal dumm genug gewejen wäre, fi) feinem Feind in die lauen zu liefern in ber Weife und aus den Gründen, wodurd die leitenden Genie’8 in Karlsruhe ihre höchite Weisheit befundeten. Stein preu- Kiiher Ochfe hätte defretirt, man müfle dem anrüdenden Feind gegenüber mit den Fortihritten der Revolution warten, bi® ein Dchjentreiber aus dem amerikanifhen Ur- wald anlangte, und unterdefjen dürfe man feine verjtän- dige Hülfe annehmen, weil man nicht wiffe, ob man Dda=- dur nicht den amerifanifchen Ochfentreiber „beleidige*. Man bole ven eriten beften Deohfen von der Prairie und ftelle ihn an die Spite einer Revolution und er kann feine ochfigere Ochfigkeit entwideln, al8 die badifchen Re- genten, melde eine teutjhe Revolution machen wollten
— 292 —
mit einem Ochjentreiber in einem amerikanischen Urmald an der Spite. Wäre e8 mir möglich gewefen, mich zu metamorphofiren, ich hätte mich damals in einen Stier Apis verwandelt, um in Karlsruhe Gehör zu finden.
In Karlsruhe wurde damald außer diefer beifpiellofen Genialität au eine ungeheure Thätigfeit für da® Vater. land entwidelt. ch meine damit nicht die Thätigfeit in ben Büreaur, in die ich nicht fam, jondern auf der Straße, wo, außer in den Wirthshäufern, allein ich Gelegenheit hatte, fie zu beobadhten. Das war ein Hin- und Herrennen mit Scleppjäbeln und Nationalbändern, daß man glau« ben konnte, das’ ganze Bolt habe fi plögli in Generäle und Würbenträger verwandelt. Leute, die fonft ganz menjchlich darein faben, hatten jet ein Gefiht von ab» jchredenver Wichtigkeit aufgefett und über die Bruft ein fußs breites, [hwarz-roth-gelbes Band gezogen, das jedem Zu- jhauer einen patriotiihen Refpekt einflößen mußte. Das ES chönfte aber war, daß die Mleiften, die jo emfig die Zei- den ihrer Würde und Wehrbaftigkeit umbertrugen, in der Regel feine andere Funktion hatten, ald Dierk Umbertragen. Könnte man alle fhwarzsroth-gelbe Bänder zufammen- nähen, die 1848 und 1849 ın Germanien über den patrie- tiihen Herzen der Gut- und Blutmänner prangten, e® ließe fi ein Band für die ganze Menfchheit paraus ma- chen, die Bewohner der angrenzenden Planeten mitgerch- net. Der Kosmos bantumfchlungen und der liebe Herr- gott mir dem fchwarzsroth-goldenen Banner voran — wel ein erhebender Gedanke!
Wie mir zu Muth wur, als ic) inmitten diefes finnlofen Treibens ebenfalls unthätig bleiben und den müfigen Be obadıter abgeben mußte, läßt fich denten. Endlich bot
ne
—_ 293 —
mir Herr Hoff Beihäftigung in einem unter feiner Reis tung errichteten „literarifhen Büreau” an, defien Beftim- mung war, Artikel in die verfchiedenen demofratijchen Blätter zu liefern. Da ic hierdurd Gelegenheit erhielt, in revolutionairem Sinn auf die öffentlihe Wleinung zu wirken, nahm ic das Anerbieten mit der Erklärung an, daß ich mir feinerlei Zenfur werde gefallen lafjen, worauf man aud) einging. Ich fchrieb Artikel für die „Karls: ruher Zeitung“, das Regierungsblatt. Zunäcft beantragte ich darin, daß das Rumpf- Parlament von Stuttgart feinen Sig nad Karlsruhe oder Mannheim verlege. Ich dachte mir, wenn dDieß gelinge, werde menigftens der engherzige Partikularismus aus der Leitung verdrängt und e8 werde fih dann im republifanifhen Sinn auf die Parlaments» mitglieder wirken lafien. Meinem Plan gemäß follte die Reichsregentichaft die Reichspolitif für abgethan erklä- ren, die Kepublif proflamiren und ald provijorifche Re- gierung derjelben an der Spige einer Armee von 20 — 30,000 Mann, die in Baden zur Verfügung ftand, nad Tranffurt vorrüden. Ich bin noch jett überzeugt, daß aud) diefer Plan Erfolg gehabt hätte. Die’ erfte gewon- nene Schladht würde ganz Teutichland auf die Beine ges bradht haben. Aber meine Artikel waren in ven Wind ge. jchrieben und fanden in Stuttgart fo wenig ein Echo wie in Karlörube,
Sleicyzeitig hoffte ich, durdy meine Mitwirkung an dem offiziellen Blatt die Regierung fo weit zu fompromittiren, daß fie Shen durd das Bewußtfein diefer Stellung vorwärts getrieben würde. Darauf war namentlid, eine „Solvaten- predigt“ berechnet, deren Publikation allein jhon jeden Gedanken an fürftlihde Gnade für Diejenigen ausjhloß,
— 219 —
welche fie erlaubt hatten. Allein meine Betheiligung an der „Karlsruher Zeitung“ währte nicht lang. Der lette Artikel, den ich fchrieb, war ein rüdjichtlofes Verzeichnif ber Sünden der Regierung und wurde von der unterdeß geänderten Redaktion zurüdgemiefen. Auch wäre es, nad. dem der Verrätbher Brentano am 6. Juni die Maste voll» ftändig abgeworfen, die finnlofefte Thorheit gewejen, nody an die Möglichkeit einer Einwirkung auf ihn und feine Gehiülfen durd fein offizielled Organ Länger zu glauben. An jenem 6. Juni nämlich lieg Brentano Struve und Anvere verhaften und mit Hülfe der wüthenden reaktio- nairen Karlsruher Bürgerwehr die Freifchärler, denen er nicht traute, aus der Stadt treiben. Die gefcbah in einer Weile, daß nur der Zufall eine allgemeine Schläd. terei verhütete. Struve war gegen meine Rathichläge eben fo taub gewejen .wie Die Mebrigen und gebervete fid im Gefühl feiner badiihen Größe fo partifulariftifh wie ber bornirtefte Badenfer. Dod ftand er in Oppofition zu Brentano. ch hatte den Plan entworfen, einen Klub aus den entjchiedeniten Oefinnungsgenofjen zu bilden, der fi durd das Yand und die Armee verzweigen jollte, um auf diefe Weife eine Organifation zu Stande zu brin- gen, weldye auf die Regierung einwirken konnte. Natüre lic) jollte dieg Alles ohne Aufjehen eingeleitet werden, bis man ftarf genug war, um Gehör zu erzwingen. Zu der verabrebeten Beiprehung, woran aud der alte Schlöffel Theil nehmen wollte, fand fi) indeg Niemand ein; Struve aber hatte die Jdee aufgegriffen und fuchte fie nun in feiner Weije ald Hauptmader zu verwirklidyen, indem er marft- fhreieriih einen „Klub des entidiedenen Fortidritts“ gründete, Kaum aber hatte er begonnen, „entjdyieben
fortzufchreiten“, fo Tieß ihn Brentano einfteden und das Fortichreiten hatte ein Ende,
Als ich alle Hoffnung aufgeben mußte, in einer politi- hen Stellung ander Leitung der Revolution mich bethei- ligen zu können, entwarf ich einen Plan für eine militais rich e Betheiligung, objhon id; vom Mititairweien nichts Anderes verftand, ald was ih in der nothgedrungen eine Zeit lang ertragenen Stellung eines preußifden Yand- wehrlieutenants gelernt hatte. ch legte meinen Plan $. Ph. Beder, dem damaligen Obertommandanten der Bolts- wehr, und Fr. Sigel, dem damaligen Kriegsminifter, zur Dirhfiht und Billigung vor und beide waren nicht bloß vollflommen damit einverfianden, jondern der Kriegd- minifier gab auch feine offizielle Genehmigung zur Aus- führung. Dennod wurde er von Herrn Brentano zurüds gewiefen. Eine Wiederholung meines Borjchlags hatte den nämlihen Erfolg, objhon ich nit darauf beftand, felbft an Die Spige geftellt zu werden. Mein Plan be- traf die Bildung einer teutfch-fchweizerifchen Legion, eines halb aus Schweizern unb halb aus Teutjchen bejtehenden Elitetorps, das jelbitftändig operiren und zu bejonderen Unternehmungen dienen follte. cd war dabei ver Mit- wirkung Oaleer’8 und anderer Schweizer Demokraten ver- fihert. Die Legion follte 12—1500 Dann zählen und aus 4 Kompagnien gewöhnlicher Infanterie, 1 Kompagnie Scharfihügen, 1 Schwadron leichter Kavallerie, 1 Batterie Artillerie und 50 Sappeurs beftehen. Was ich damit bes zwedte, war zunädjt die Eroberung von Landau und ein Einfall dvurdy die Pfalz in das preufifche Gebiet um dort wo möglich die Rüftungen zu ftören und Aufftände zu er regen. Sodann aber hoffte ich an der Spige eines fol-
— 2% —
hen Korps eine andere Bolitit in Baden erzwingen zu tönnen. Eitle Hoffnung! Ich hatte „Heder beleidigt“ und war fein Berwandter des rothen Dchfen und nody weniger ein Mann für ein „Minifterium Brentano; Peter“.
Nachdem in Baden jede Ausficht gefhwunden mar, wandte ich mid) nad) der Pfalz. Beim Abjhied von Starld» ruhe prophezeite ich mehreren der Weifejten, die icy zufällig traf, in ein Paar Wochen würden fie Plag für die Preußen zu machen haben. WMitleiviges Lächeln einer olympijcdhen Ueberlegenheit war die Antwort. E8 mährte aber kaum eine Woche, fo begannen die Weifen ihre Koffer zu paden.,
Das Faktotum der pfälzischen proviforifchen Regierung war damals der befannte Dr. D’Eiter. Ic kannte D’Eiter von Köln her perfönlic al8 rührigen Wühler und ob. ihon id) von feinem jpäter entwidelten Talent zur Ins trigue gehört hatte, hielt ih ihn doch noch für einen ent- jchiedenen, mir wohlwollenren Gefinnungsgenofien. ch jah ihn flüchtig wieder in Karlsruhe, wo er mir im Gaftbof plöglih um den Hals fiel und die größte Freude fund gab, wieder mit mir zufammenzutreffen. Ein Paar Wochen fpäter, al® ich mid) von ber verderblicdyen Art, wie man vie Revolution verpfufhte, hinlänglich überzeugt hatte, jchidte ih ihm eine Anzahl Eremplare meiner Brodüre und jchrieb ihm einen Brief, worin id ihn ftimulirte, ven Ba- denfern mit energifcher Thätigteit woranzugehen, zugleich auf die Thatlofigkeit der pfälzishen Regierung vermeifend. „Man revolutionire dert nicht, fondern mache e8 wie in Baden, man verwalte bloß, was die Royaliften hinter» laffen“ u. f. w.
Unter folden Umftänden hoffte ic menigften® von D’Ejier ald willlommener Gehülfe empfangen zu werben,
Wie ic) mich aber geirrt hatte, Davon überzeugte mid) ein einziger Blid, ald ich zu KRaiferslantern in das Negie- rungsgebäude trat, wo Herr D’Efter in blauem Kittel hin- ter dem Schreibtifh jaß. Er, der mir in Karlsruhe um den Hals gefallen war und mid fogar gefüßt hatte wie eine alte Liebjte, empfing mich jett jo kalt, al8 habe er midy nie gejehen und zugleich mit einem Blid abwenpvender Schen, als habe er in mir einen Feind vor fid.
Im Safthof fagte mir ein Bekannter: „Sie werden hier jhwerlih willtommen fein, Man meint, Sie wollten hier Diktator fpielen*,
D diefe Genies! Bielleiht wärt ihr niemals Flücht- linge geworben, wenn ihr mid hättet Diktator fpielen lafjen, und Dieß ift feine Prahlerei, denn was noththat und was id wollte und au in Saiferslautern erklärte, war fo einfad, daß, um es zu begreifen wie auszuführen, weiter nichts nöthig war, ald das bejdeidenite Maß von gefundem Menjhenverftand und Entjchlofjenheit. Aber dieß bejcheivene Maß wurde damals bei den Weifen und Almächtigen vergebens gejuht und deshalb erihien man bei ihnen al8 feindliher Diktator-Kandidat, wenn man mehr in’8 Werk fegen wollte al8 fie und wenn man fein altes Weib mar wie fie,
Das Hauptlafter, welches damals alles Auffonımen und Wirken Harer Köpfe und entihloffener Charaktere un» möglid madte und weldyes überhaupt dem teutjchen Chas rafter mehr eigen zu fein fcheint, al® jevem anderen, war die egoiftiihe Sudt Heiner Größen, in ihrer plöglidy er langten Stellung und lofalen Bedeutung fidy als in einem perfönlichen Gefhäft zu etabliven und dafjelbe zur Auss beutung für die Eitelfeit, für die zu jpielende Rolle ober
— 2% —
für fonftige Spekulationen zu benugen, jo daß fie in jedem Anderen, dem fie einige Fähigkeit zutrauten, nicht einen willlommenen Gehülfen, fondern einen feindlichen Konkurrenten erblidten. Dieje Heinlihe Konfur- renzfucht und gemeine Neivhammelei muß jede Revolution ruiniren und alle Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit unter Men- chen zerftören, die nur durd) gegenfeitige® Vertrauen eine gemeinjame Thätigfeit möglid machen können. Heute begegnet dir ein alter Belannter ald warmer Freund; morgen wird er plöglih in eine Stelle verjegt ufd ftatt dich zur Mithülfe für da8 gemeinjame Werk in Stand zn fegen, wendet er dir fremd den Rüden, weil ibm fein Ihledytes Gewifjen die Furt eingibt, du fönnteft ihn ver- drängen oder feinen Spekulationen in den Weg treten. E38 ift gradezu efelhaft.
Genug, Herr D’Ejter kannte mi in Kaiferslautern faum nody dem Namen nad) und e8 verjteht ficd) von jelbit, ba ih ihm dafür meine Verachtung zu erkennen gab. Dabei bot idy mid) der Regierung nicht an und follizitirie nicht, jondern hielt mid abwartend zurüd. Und Das fhhien zu befremden. War den Herren meine Bergangen- beit feine hinreichende Aufforderung, mich für die Revo- Iution nugbar zu madyen, jo war ihnen wenigjten® meine Gegenwart ein ftummer Borwurf. Wie e8 mir jchien, wurde ed den Mitgliedern der Kegierung, unter denen ih den Dr. Hepp von früherher perjönlicy kannte, drüdenp, mich als bloßen Beobachter ohne alle beftimmte Thä- tigkeit in Kaiferslautern umberwandeln zu jehen. Es wurde daher eine ganz bejondere Gelegenheit ergrif- fen, mid in Aktivität zur Rettung des Vaterlandes zu jegen.
— 299 —
Diefe Gelegenheit war folgende. Die Preußen fum- melten fih an der Pfälzer Grenze immer zahlreicher und machten eine fo drohende Miene, daß fogar in den Köpfen ber Herren zu Kaijerslauten die Möglichkeit aufpämmerte, fie fönnten e8 fich eine® Tags einfallen Laffen, über die Grenze zu marjbiren, den Pfälzer Wein umbringen - zu helfen und die Gemüthlichkeit der „guten Yeute* zu jtören, wie Herr D’Efter feine Kollegen und Gönner in Slarls- rube genannt hatte. E& wurde daher zur Zurüdichredung der Preußen folgender geniale Plan entworfen. An einem bejtimmten DQage, Morgens Schlag 6 Uhr, follte mit jämmtlichen Gloden der Pfalz Sturm geläutet und ba- durd) die jänmtlihe Pfälzer Bürgerwehr in dem nämlichen Moment auf die Beine gerufen werden, Wahrjcyeinlicd dadıte fih Herr D’Eiter, ver Schall aller diefer Gloden werde fid) in dem Ohr der Preußen zu einem Donner» ton des jüngjten Gerichtd konzentriven und das plößlicye Aufmarfciren aller der zerjtreuten Bürgerwehrfompagnien ohne Waffen und Organifation werde auf den Feind den Eindrud eined aus dem Boden gewachjenen formidablen Korps der Rade mahen. Damit nun aber die revolu- tionaire Stimme der zahlreihhen Kirhthumsgejchüge im rehten Zaft und in guter Harmonie fid hören lafle, mußten die Zivillommiffaire, die dabei als Kapellmeifter fungirten, gehörig inftruirt und mit den KRegierungspros Elamationen, welde die Wichtigkeit des Kreignifjes aud- einander jegten, zeitig verfehen werden, Und unter ben BDertrauensmännern, die man zu Diefen wichtigen Miffio- nen an die Zivillommiffaire auserjah, war aud) ich.
Ih, der ich Jahre lang in erfter Reihe für die Revo» Iution gearbeitet, al8 alle diefe Philifter nody die getreue»
— 300 —
ften Untertbanen waren, follte jett mitten in der Revelu- tion zu einem Botendienft benugt werten, den jeder Bau- ernjunge verrichten Fonnte, Aber ich fah, was man wollte, und deshalb nahm ich Die Miffion fofert an. Ich erblidte darin einen Streid D’Ejters, zu dem ic) jegt alles Bertrauen verloren hatte. Er erwartete ohne Zweifel, daß ic) die angebotene Miffton ausjchlagen werde, um ba- rauf hin den „guten Zeuten“ begreiflih zu machen, ich wolle zu bo hinaus und fei zu feinen Hülfeleiftungen bes reit. Dieje Abficht vereitelte ich indem ich jofert einjhlug und nady) meinem Beftimmungsort Kufel, einem Städt- hen an der preußiichen Örenze, abreif'te.
Die Erfüllung meines Auftrages hatte Folgen, die ich nicht vorausgefehen. E8 waren nämlich faum die Sturm- gloden geläutet, fo marfdirte von allen Seiten die Land» bevölferung in die Stadt herein und als fie dort von dem friich angelommenen Regierungsgefandten hörte, wollte fie von demfelben au aufgeklärt und inftruirt fein. Die Komil der Situation wurde nody erhöht durdy die Erjdei- nungen, welche dort auftaudhten. Man vente fih 3.8. auf einer alten Mähre einen langen hagern Ritter, ver wie eine Kopie Don Duirote’8 ausfieht und ftatt der Lanze einen mächtigen zerrijjienen Yamilien-Regenjchirm über fein feierlihes Haupt hält — denn e8 regnete Damals grade armdid —, und diefer Ritter ift der Anführer einer verregneten Kompagnie Bürgerwehr, bie im Oanzen nicht je Flinten befittt, aber mit Stöden, Regenjdir- men und einzelnen Käjemefjern bewaffnet if. Und jolde Krieger ftürmten von allen Seiten in die Stabt herein und trommelten und marfhirten umber und fragten dann: what’s the matter? Der Zivillommifjair wußte nicht,
ER
was the matter war, und erwartete von mir, daß ich bie eingebrodte Suppe ausefjen werde. Ic hatte „die Geis fter bejhworen“, jegt follte ic auch fehen, wie ich fie wies ber [08 wurde, Die Yeute wollten wifjfen, wozu man fie aus den Betten geholt, von ihren Gejhäften abberufen und in biefem fürdterlihen Regen nad Kufel gejturms- läutet hatte,
Um mid) fo gut wie mögli aus der Affaire zu ziehen, trat ich wie ein bevollmächtigter Befehlshaber auf und lief die jämmtlihe, in Kufel verfammelte Bürgerwehr zufams« mentrommeln und auf dem Markt einen $treiß bilden. Darauf trat ih unter fie und hielt eine Rebe, in welcher ich fie auf fommende Ereignifje vorbereitete und ihnen ems pfabl, fi zu organifiren, foweit e8 ohne militairijche Hülfsmittel möglich fei. Die „guten Leute“ gingen be» friedigt wieder nad) Haufe und ich eilte nad) Kaiferslautern jurüd, um eine weitere Thätigfeit einzuleiten, wozu ic) ben übernommenen Auftrag benutte. ch berichtete näm« lid der Wahrheit gemäß, daß ich unter ber Benölferung den beiten Geift und die größte Bereitwilligkeit gefunden, und bemerkte dazu, daß e8 eben deshalb um fo unverant- wortlidyer fei, fie ohne Waffen zu Laffen, ohne die fie völs lig preisgegeben fein. Damit fam ich auf den Haupts punkt, um den e8 fi damals handelte, nämlich auf bie Eroberung Yandau’s, zu welder der Verräther Brentano nicht mitwirken wollte. &8 entjpann fi darüber zwijchen mir und dem Regierungspräfidenten Hepp folgendes Ge- Ipräd:
3b. Es ift eine Schande, daß die Bevölkerung wehr- [08 und das Land der preußifchen Invafion offen bleiben muß, während die Waffenvorräthe vor Jhnen aufgefpeis
Bu... ne
hert liegen. Wenn Landau erobert ift, wird Germerd heim nachfolgen und Sie erhalten Waffen genug, um die ganze Bevölferung zu bewaffnen, Sfanonen genug, um alle Päffe zu vertheidigen, und 100,000 Preußen werden nicht wagen, in die Pfalz einzurüden, während jett 10,000 Mann ia wenig Tagen direkt nad Karlsruhe marjgiren können.
Hepp. Das ift wahr, aber was follen wir maden? Brentano will uns feine Truppen und feine Artillerie fenden, um Landau zu nehmen.
Ih. Warum gehen Sie ihm nicht energifch zu Leibe?
Hepp. Wir haben einen Öefandten in Karlörube, der die Sache betreibt. (N. B. Diefer „Gefandte“ war ein ' unfchuldiger jähfifsher Kandidat der Theologie, der in Karlsruhe durdy Yächeln und Spazierengehen das Vater: land rettete.)
%ch. Diefen Verräther Brentano wollen Sie durd Ihren Gejandten beftimmen? ch weiß einen befleren Sefandten, der ihn firre machen würde.
Hepp. Wer denn? Wie fo?
Ich. Rufen Sie jo bald wie möglich das badifche md das pfälzifche Volk zu einer Riefenverfammlung nad Jud» wigshafen zufammen; laffen Sie ihm dort durch geeignete Redner die Yage der Dinge, die drohenden Gefahren und die entgegenftehenden Hindernifje auseinander feten und lafjen Sie dann ein Komite von mindeften® 100 Delegaten erwählen, welche fofort nad Karlsruhe reifen, im Namen des badijchen und pfälziichen Volkes die fofortige Erobe rung Landau’ fovern und nicht eher außer Funktion tre ten, als bis das Werk gethan ift. ch bürge mit meinem Kopf dafür, daf dann in vier Tagen Landau genommen if,
,
Hepp. Um Gotted willen, dann wirben wir und mit Brentano verfeinden, Uneinigkeit ftiften und das Voll aufregen!
Dier Beifpiel zeigt, wie damald Schwahldpfe und alte Weiber im Bunde mit Verräthern die Revolution zu Grunde richteten.
AS ich den Dr. Hepp nicht zur Annahme meines Vor: Ichlags bewegen konnte, kündigte ich ihm an, ich werde auf eigene Faujt die Einnahme Landau’ an einem andern Drte betreiben. Man war froh, mid) wieder [08 zu fein.
ch) eilte nad) Heidelberg, wo unterdeffen der General Mieroslawsti das Oberlommando der Revolutionsarmee
Übernommen hatte, Er betrachtete mich als einen Abge-
fandten ver pfälziihen Regierung und ich ließ ihn dabei, um meinen Zwed um jo fiserer zu erreihen. As ich ibm die Wichtigkeit, ja die abjolute Nothwendigfeit der fo- fortigen Eroberung Landau’8 vorjtellte, hatte er allerlei Gegengründe geltend zu madhen. Er war offenbar faljch unterrichtet und infpirirt worden. Ich hatte mir aber vorgenommen, ihn nicht eher zur verlafien, als bi8 er den nöthigen Befehl vor meinen Augen unterzeichnet hätte, und er that e8 endlich auf meine energiichen Bor- ftelungen. Später hat er in feiner Schrift über den ba= diichen Feldzug erklärt, ich habe Recht gehabt indem ich die Eroberung Yandau’s al8 die erjte, nöthigite und wid» tigfte Unternehmung des Revolutionskriegs daritellte.
Auf feinen Befehl gingen von Karlsruhe fofort Truppen und Mörjer zur Einahme Landau’s ab. Aber fie kamen zu jpät. AS ich von Heidelberg nad) Kaijerslautern eilte, um dort die „guten Leute” mit der Nucdricht von mei- nem Erfolg zu überrajhen und das weiter Nöthige bes
u
treiben zu helfen, begegneten mir in Mannheim fon flüchtige Mitgliever der Pfälzer Regierung mit ber Bots Ichaft, die Preußen jeien eingerüdt.
Ich eilte num nad Karldrube. Unterwegs traf ich am Bahnhof zu Bruchfal den dortigen Zivillommifjair. Ih empfahl ihm, beim Näherrüden der Preußen die Gefange- nen aus dem Zellengefängniß zu bringen und den ganzen Dau in die Luft fprengen zu laffen, da er leicht die Wohs nung von Revolutionairen werden fönnte. Dem Herr leuchtete Das ein, doc) e8 jcheint, da8 Pulver ift ibm zu kojtbar gewefen und dafür haben fpäter feine Yanpsleute büßen müflen.
AUS ih nad) Karlsruhe kam, fah ich dort die Sträfen von Gensdarmen mwimmeln. ch erfuhr, dak es vie 4—500, von der previforiihen Regierung entlafjenen Öensdarmen ded Grofherzogd waren, die ihr Chef zu irgend einem, natürlih ganz unfchuldigen Zwed hatte nad) Karlsruhe kommen lafjen. Keine Seele hatte darin etwas Verdächtiges gefehen, venn in Karlsruhe regieite, der Reaktion gegenüber, die perfonifizirte Unfcbuld. Der waren vielleicht jene Gensdarmen im Einverftändnig mit Herrn Brentano zufammengefommen? Als ich im Parifer Hof die Herren Gögg, Hoff u. |. w. antraf, denen ich drins gend die Zeritörung der Germersheimer Brüde empfahl, fragte ic) fie, ob fie glaubten, daß die Zufammenberufung der Gensrarmen etwas Zufälliges fei, ob fie nicht erfenn- ten, daf »iefelbe im Zufammenhang ftehe mit dem Ein marjch ver Preußen indie Pfalz; ? Wollen Sic, fragte ich die beftürzten Herren, nicht von Jhren eigenen Yandsleuten aufgehoben und den Preußen überliefert werden, jo lafjen fie wenigjtens fofort diefe Gensdarmen auseinander jagen.
— 505 — .
Dief leuchtete ihnen wirklih ein. E38 war der einzige meiner Rathfhläge, den ih in der Revolution babe befolgen feben. Und doc) fol ich mich nicht für einen Efel und die Andern für Genie’8 halten ?
Unterdefjen kamen die Ereigniffe in Paris. E8 hieh Anfangs, das ganze Volk fei dort aufgeftanden und habe gefiegt, ma8 überall neue Hoffnung verbreitete. Doc) die Wahrheit ließ nicht lang auf fich warten. Dagegen hieß c8 auf der anderen Seite, im Elfaß fei Alles auf den Bei- nen und es ftänden 100,000 Dann unter den Waffen, um nah Paris zu marjhiren. Vom Eljaß aus in Paris Revolution machen wollen, war offenbarer Unfinn. Wa- ren indeh Die Elfaßer wirklid aufgeftanden, fo hatten fie ed nad meiner Anficht in ihrer Gewalt, eine innere Revo Iution zu erzwingen dur Betheiligung an einer äußern. Schidten fie Baden oder der Pfalz eine Hilfsarmee, fo fonnte die teutihe Revolution fiegen und keine franzefiiche, Armee wäre für eine entgegengejette Bewegung aufzu= bieten gewejen. Um wo möglidy in diefem Sinn auf die Elfaßer zu wirken, unter deren Führern ich Belannte hatte, eilte ih im Einverftändnig mit %. Sigel und den polnifchen Officteren von Heidelberg, wohin id) mid) unterdefjen wieder gewandt hatte, den Rhein hinauf. Auf alle Fälle hoffte ich einen VBorrath von Waffen zu erlangen,
In Straßburg fand id) die Dinge nicht fo, wie fie ges meldet wurden. Die Bürger und die Nationalgarde hatten beabfichtigt, die unbejette Zitadelle zu nehmen, wo» durdy fie Herren der Feftung und des ganzen Elfaß ge- worden wären. Allein das Unternehmen jcheiterte an der Baghaftigkeit eines Führers, eines Profefjors, der mir
20
u BO
felbft diefe Unterlaffungsfünde eingeftand. Weber meine Reife in’s Eljaf berichtet folgendes Schreiben an %. Sigel, welches zugleich meine Anfichten und Ratbichläge im Be- zug auf die damalige LYage der Dinge enthält. Ich fuchte Darin namentlich alle leere Hoffnungen auf ans wärtige Hülfe der Wahrheit gemäß abzufchneiden und drang um fo mehr auf Entfaltung der eigenen Mittel, namentlich auf die Dffenfive gegen Würtemberg und auf Revolutionirung des Scefreif:®. „Karlsrube, ven 17. Juni 1849, An den Bürger Sigel in Heidelberg.
In meinem vorigen Schreiben meldete id) den Sieg ber Reaktion in Paris und ließ bloß nod die Hoffnung auf die Provinzen, namentlidy auf das Elfah, offen. ch ver: traute namentlih auf die von demofratiihen Fübrern in Straßburg mir mitgetheilte Nachricht, dak in Kolmar ein Korps von 10,000 Bewaffneten zum Abmarjch bereit stehe, und eilte fofort hinauf. In Kolmar fand ich indeR Alles ruhig. Man batte zwar die Nationalgarden ver Umgegend zufammengetrommelt, fie aber wieder entlaffen, weil man feinen beftimmten Zmed hatte und fein Yeind Anlag zum Handeln gab. Bon Mühlbaufen wurde Aehnliches berichtet. Kurz, bei allem guten Willen, den namentlib Einzelne an den Tag legten, war meder für Frankreich, no für Teutjhland eine enticheidende Wirk. fanıfeit zu erwarten, und mein Plan, die innere Bolitit Sranfreih® durd die auswärtige zu revolutioniren mit- telft einer Unterftügung der Pfalz, würde jchon an ver Surdt vor dem Vorwurf des Töperalidsmus fcheitern, wenn er nicht dich die Reaktion bereits vereitelt wäre, Heute Vormittag nad Straßburg zurüdgelehrt, traf ich
u
dort die Abgefandten der Elfaher Demokraten, melde mit ben Abgefandten von Rothringen und anderen Gegenden Beratbungen gepflogen hatten über Das, was zu thun fi. Man war indeh zu feinem andern Entihluß gefom«- men, als, die Nachrichten von Pyon abzuwarten. Die Elemente in Lyon find zwar, wie ich aus eigener Anfchaus ung weiß, der Art, daß jene Stadt die Rolle des augen« bliclich gelähmten Paris übernehmen könnte, Ob indeh bort ein Ausbruc wirklich erfolgen und welhe Wir« fung derfelbe auf die übrigen Provinzen, namentlich das Eljaf, äußern werde, dieß muß dahin gejtellt bleiben.
Die Ueberzeugung habe ic) gewonnen, daß, wenn wes der in Paris, nod) in Lyon ein Umfhmwung erfolgt, da 8 Eljaß allein nihts zu unfern Gunften tbun fönne und werde. m Fall einer Revo- Iution würve und von den 400,000 Gewehren und mehr al8 1000 Kanonen, welche in den Straßburger Arfenalen liegen, eine beliebige Anzahl zu Gebote ftehen, ganz abge- fehen von der Unterftügung an Mannjchaften; im Fall die Reaktion aber ihren Sieg eine Zeit lang behaupten follte, haben wir von Franfreih nur Feindeeligkeit ftatt Unter- flügung zu erwarten.
Da es in fritifchen Zeiten rathjam ift, feine Hülfsmittel nicht durch Jlufionen zu vermehren, nehme id) einftweilen an, daß Die Reaktion ihren Sieg behaupten und fi erft fpäter naturgemäß bi zum Ueberfturz fteigern werve. Bor meiner Abreife erhielten die oben erwähnten Deputirten die geheime Nachricht, daß man fie fon ftedbrieflic ver« folge. As ich in meinen Gafthof zurüdtam, theilte der Wirth mir mit, daß der Kommandant der Gensparmerie nad) mir geforjcht habe, jo daß ich gerathen fand, fofort
u
wieder über den Rhein. zu jegen. Jh mußte alfo, ftatt, wie ich gedacht hatte, mit 10,000 Mann in vie Pfalz ein» zurüden, froh fein, nur als einzelne Perfon zurüdtehren zu können.
Solde Anzeihen find deutlih genug und laffen auf Weiteres jchließen, denn die Reaktion ift fonfequent und bleibt nicht bei den Anfängen ftehen. Louis Napoleon wird wahrjcheinlich die Öelegenheit benugen, fi der „Ge- fahr des VBaterlandes“ wegen mit unverantwortlicher Ge- walt befleiven oder zum lebenslänglihen Präjidenten er» nennen zu lafien.und hierduch den Weg zu dem Saijer- thum zu bahnen, weldyes ihm die heilige Allianz zum Lohn für feine verrätheriihe auswärtige Politit zugefichert haben wird. Die Cholera, oder ein „Attentat“, oder eine Militairrevolution könnte zwar diefe Rechnung durd- kreuzen; da e8 aber in unferer fhwierigen Lage Darauf an- fommt, zunächft die Jjihern Hülfsquellen tariren zu fönnen, jo dürfen wir und in nädyjfter Zukunft in feiner Weije auf ffranktreih verlajfjen. Und die weiß die teutfche Reaktion und fie wird danadı handeln.
Id komme auf das Eljaß zurüd. Man beginnt nah der pfälziihen Grenze zu militairiihe Vorkehrungen zu treffen, aber nur zu dem Zwed, fi gegen das Einprin- gen von „Marodeurs“ und anderen Flüchtlingen zu jchü« gen, die man nicht al8 Freund aufzunehmen gejonnen ift. Dieje Vorkehrungen werden fich jhärfen und ausdehnen, je nachdem fi der Kampf in der Pfalz und in Baben fteigert und höher hinaufzieht, E8 kann alfo von vorn herein die franzöfifche Grenze als eine halb feind- lie betrachtet werden, welde den Sufturs eben fo jehr abjhneidet wie die Hlucht.der. Befiegten.
—309 —
"Wir tommen hinauf’in die Schweiz. Der Bundesrath bat Ihon Anftalten getroffen, im Bafel ein Brigadefom- mando unter dem Obriften Kurz zw errichten, welches .die eventuelle Befeung ver Grenze übernehmen fol. Man rüftet fidy alfo auch dort auf-die Abwehr ftatt auf die Un- terftügung, da nan fein Vertrauen auf den Sieg der died- feitigen Sadhe hatund niht8 gefhehen ift, für dbiefelbe inder Shwei; Sympathie zuer regen; worauf ich fo-oft vergebens gebrungen habe.
Nahdem diefe Thatfachen' im’ Bezug auf das Ausland feitgeftellt find, fragt e8 fi, wa® zu thun fei
1, im Bezug auf Frankreich, |
2, in Bezug auf die Schweiz,
3, in Bezug auf Teutichland ?
Meine Anfichten darüber find kurz folgende:
Ad. 1, wird für jet nichts zu hoffen und zu thun fein, außer der Berbindung mit der Partei des Bergs durch Gefandtihaft und durch Privatverkehr.
Ad. 2,e8 wäre fojort eine Gejandtichaft mit gehörigen Bollmadhten nad Bern abzuorbnen, um das nterefje ver teutfchen Revolution durch Verbindungen im Allge- meinen, durdy Sicherung des Grenzvertehrd und burd) Herbeifhaffung fehweizerifcher Zruppen, namentlich Scharfjhügen, wahrzunehmen. - ch -tomme dabei auf
frühere Propofitionen in Betreff eines fchweizeriichen
Hülfskorps zurüd, mit deffen Organifation idy Übrigens mid) nad) den gemachten Erfahrungen nicht mehr würbe befaffen können. Bielleiht ift e8 zur Aufftellung des- felben noch) immer nidyt zw fpät, wenn rajch gehandelt wird,
Ad. 3, &8 ift wol andgemact, vaßdie Pfalz, zu des
— 310 —
ren Unterftügung e8 jet zu fpät ift, vollftändig muß
aufgegeben werden. Db ed dagegen möglicd) fein werde,
auf dem rechten Rheinufer mit den vorhandenen Kräften den Nedar hinauf auf die Dauer zu operiren und bie
Revolution nah Hefien, Franten, Würtemberg u. j. w.
bineinzutragen, fann ich nicht beurtbeilen.. Sp viel
iheint mir gewiß zu fein, daß Baden durch nichts An- bered mehr gerettet werden kann, al® durd, Kühnbeit und Energie, welde die Dffenfive ergreifen müfjen.
Deichränkt fi Bavden auf die Defenfive, jo läßt e8 ver
Reaktion, die ihre Plane nicht aufgibt, Zeit zur voll
ftändigen Einigung und Umzingelung. Das linke
Rheinufer jcheint vollftändig verloren, felbjt wenn die
Mainlinie gewonnen würde, 8 ift aber aud) voraus.
zujehen, daß auf dem redyten Ufer fich harte Kämpfe
entjpinnen werden, zumal da Baiern judhen wird jo bald wie möglic, die Pfalz zu gewinnen, um die Preu- gen fih nicht zu lang feftjegen zu lajien. 8 fcheint mirdaher rathjam, jo bald wie möglich mit Nachprud den Nedar hinauf nad Würtemberg zu operiren, wels es zur Dffenfive den beiten Vorwand und das befte
Terrain liefert. Gelänge es, die erjten würtembergi»
ihen Truppen zu jchlagen oder zum Uebergehen zu brin«
gen, jo würde das jo lang jhwebende Käthfel, ob Wür- temberg fid) ver Revolution anjhliegen wolle over nicht,
Sald gelöf't fein.
Sodann aber jheint e8 mir, daß die Zeit gelommen jei, das bis jegt vernadhläßigte Operationsfelo am Boden- fee zu betreten. Bon der Pfalz aus, deren beide Fejtun- gen dem Feind jo mächtige Stügpunfte bieten, in ver Flanfe bebroht, wird Baden fih darauf vorbereiten
— 3ll —
mäüjfen, feine Streitlräfte aufwärts zu ziehen. E83 muß fih dann um jo mehr am Bodenfee Luft zu machen fuchen, da e8 nicht fehlen fan, daß dort, wenn man nicht zuvor« fommt, Deftreih, Baiern und Wiürtemberg die Revolu- tion gemeinihaftlid abzufchneiden oder zu erftiden juchen werden. Ueberbieß foll dort oben die Stimmung jehr günftig fein, und Sigmaringen, da8 3000 Bewaffnete ftelen kann, wäre vielleicht fofort zum Anflug zu bewegen.
Was Baden und die Pfalz am Rhein verloren, müs fen fie an der Donau wieder zu gewim nen fuhen. Die fträfte dazu werden nicht fehlen, wenn wirklid vevolutionaire Hebel angefegt werden. Ohne diefe wird der begonnene Kampf ein vergeblicher fein, wenn nicht in Frankreich fi) etwas Großes ereignet. Hierauf aber zu rehnen, wäre, wie oben dargethan worden, ein fehler, der Alles verderben fünnte.“
Bon diefem Schreiben, dem man zugeitehen wird, daß e8 keine unrichtige Darjtellung der damaligen verworrenen Lage der Dinge enthält und die einzig noch möglichen Mittel der Rettung angab, theilte ich eine Abichrift dem unterbefjen zum Kriegsminifter gemachten Advotaten Wer: ner mit. Wahrjcheinlich hat dDiefes Genie e8 nicht einmal gelefen. Wenigjtend habe ich weder dur eine Antwort, nod) durd) irgend eine Anordnung Kunde erhalten, daf es der mindejten Beachtung gewürdigt worden. Da® ganze obere Baden, namentlich der wichtige Seefreis, wurde nad wie vor fich felbit überlafjfen, als hätten vie Herren in Karlörube eine Garantie des Schidjals für die Zukunft der Revolution in der TZaiche gehabt, während die Gefahr des Untergangs an ihre Thüre podhte,
— 312 —
Da fih um ben Geefreid Niemand befümmerte und derjelbe doc; nebjt den angrenzenden Landestheilen. die einzige Referve bei einer Nieverlage im untern Lande darbot, bejhloß ic; dort oben. den legten Verjuh zu madyen, ob idy der fo fhändlich verrathenen und ver- pfufhten Revolution nod) von Nuten fein könne.
In Freiburg, wo ich einen Tag anhielt, wurbe ich ale Spion angefehen und machte davurd) auf eine fomiice MWeife die Belanntichaft eines alten Haudegens, des Obri- ften Rucquillet. Ad ich von der Eifenbahn in den Gafthof fam, drängten fi die Leute um mi, um Neuigkeiten zu bören. ch theilte ihnen keine erfrenlihe mit und ließ mid bitter über die Sünden der Regierung aus (melde „aufreizenden Zabel” ftreng verpönt hatte). Plöglicd trit ein Ältliher, militairifh ausiehender Mann mit grauem Schnurrbart auf mid zu und ac „Bert, Sie find arretirt!“
Wifien Sie es fiher? fragte id) ihn.
„sch arretire Sie! Kellner, lafjien Sie fofort den is villommifjair holen!“
Wir wollen ihm den Gang fparen, fagte ih. Zuvor aber will id mich ein wenig reinigen, benn es ift nicht anftändig, fi jo von Staub bededt arretiren zu lafjen.
Kaum war idy auf meinem Zimmer, ald mir ver alte Krieger nadhjjtürzte und taufend Mal um Entjihuldigung bat. Er habe nicht gewußt, wer ich fei, und mid für einen fremden Agenten angefjehen.
Jest aber finger feinerjeit8 an nody weit jhlimmer über die Regierung loszuziehen, als id, Bei diefer Gelegenheit erfuhr ich auch, wie man dur ihn ohne Artillerie den Brüdentopf bei Germersheim hatte wollen nehmen laffen.
— 313 —
* Jett war er nach Freiburg gefandt worden um zu „organi- firen“ — ohne Dfficiere und ohne Waffen. Wahricein- li. hatte man ihn lo® fein wollen, weil er ein energijcher Mann war, um feinen Poften mit einem Berräther oder verbummelten Günftling des Herrn Heder zu bejegen. (Den Kammerdiener beffelben, den verfommenen Commis Boyageur Doll, hatte man zum Oberfommandanten der Boltswehr gemadt!)
Ih kam alfe in den Seefreid. Aber aud) dort fand ih mic volftändig getäufht. Die Regierung hatte biefen Lanvestheil total vernadhläßigt. Auch nicht das Mindefte war vorgefehen. Sogar der Oberlommifjair fehlte, fo daß die revolutionairen Kolalbehörden nicht ein» mal eine Jnjtanz zwifchen fi) und der Negierung hatten. Der ernannte Oberfommandant war völlig im Stid) ge- lafjen worden. Man gab ihm weber Officiere zur Or- ganifation eined Heeres, nody Inftruftionen, nod Waffen, nob Geld. Er bezahlte zulegt, wie er mir fagte, den Sold aus eigener Tafche. Bei diefer VBernadläßigung durfte es nicht Wunder nehmen, daß der wichtige See- kreis politiih ganz tobt war und feine Ausficht darbot, auf die Nachbarländer einwirken zu können. Ich fuchte durh Proflamationen, Schreiben, Rathertheilen w. f. w. einigermaßen nachzuhelfen, aber da ich weder Mittel no) Stellung hatte, konnten diefe vereinzelten Bemühungen nicht weiter getragen und nicht gehörig geltend gemacht werben.
As ich nah Konftanz kam, glaubte man dort, ich fei von der Regierung ald Revolutionstommifjair für den Seetreiß gefanpt worden, Man fieht, welde gute Mei- nung bie Zeute dort no von den Herrn in Sarlörube
— 314 —
hatten. Auf alle Fälle wollte ver Gemeinverath oder‘ Zofalausihuß meine Meinung hören und [ud mid zu einer Sigung ein. ch konnte den Herren, die fi auf das Bitterjte beflagten, daß fie auf alle Schreiben von Karlsruhe niht einmal eine Antwort erbiel ten, nidts Anderes ratben, als, eine Deputation dort- bin zu jenden und, im Fall fie nicht gehört würden, auf eigne Yauft zu handeln. Dazu hatte man aber audy feine Luft oder feine Energie und fo blieb Alles beim Alten.
Ih ging nah Stodad in’s „Hauptquartier“, wo der Heder’jche Freifhärler Kaifer von Konjtanz als General figurirte. Sein Gejhäft beftand ebenfalls im „Drgani- firen“, ohne Zwed und Entihluß, und in frieplichiter Nahbarichaft neben den fhwärzeften Reaktionairen. Er gedachte bloß die „Defterreiher“ abzuhalten, da er durd milttairifbe Studien herausgebradyt hatte, daß über Stodad die „Militairftraße" führe. Wie naiv diefe Herrn Revolutionaire fein können, zeigte Herr Kaifer mir durch die Frage, ob id mid) fähig fühle, unter ihm ein Kommando zu übernehmen. Jch lehnte die Ehre bejcheiven ab und erjparte dem Herrn Oberfommandanten die Ber- legenheit, mir „Sold aus eigener Tafche“ zahlen zu müfjen. Bielleiht dachte Herr Kaifer dadurd) in meinen Augen ald General zu erjceinen, daß er mid zum Offi- cier madhen wollte. Um ihm indeß meinen militairifchen Beitrag zu liefern und zugleid) feiner organifivenden Un- thätigfeit behülflich zu fein, theilte ih ihm einen jpeziellen Plan mit, bei Nacht mittelft ver Seedampfidiffe Bregenz zu überrumpeln und von da aus Borarlberg, jhwäbiid Baiern u. f. w. zu revolutioniren. Der Plan ift ficher reiflic überdacht worden,
— 315 —
E3 wurde nun Zeit, an meine Rüdtehr nad Genf zu denken. Nachdem ich mir den GSeekreiß angefehen, war ed mir Har, daß ich bort feinen andern Ziwed erreichen fonnte, ald hödftens auf Kredit freie Koft zu erlangen. Die finanziche Möglichkeit hatte bei mir den unterfien Grab erreicht, während meine Familie ohne alle Mittel in Genf war. Zum Glüd hatte ich in Konftanz nod) eine Heine Summe für Brodüren einzuziehen, fonft würde id) nicht einmal Keijegeld gehabt haben und hätte auf bie Gefahr hin in Konftanz bleiben müfjen, von der Korbon- polizei der Schweiz, aus welcher ich jhon ausgemwiefen war, jpäter nicht einmal über die Grenze gelafien oder irgendwo bis zur Austreibung in Berwahr genommen zu werben. ’
In welher Stimmung id) war, der ich den tentjchen Boden mit jo viel Hoffnung wieder betreten und ihn nad) jolhen Erfahrungen in folder Lage wieder verlafjen mußte, verlafjen durch die Schuld hohymüthiger Schwad- köpfe und ehrgeiziger Berräther, wird man fid) leicht vor« ftellen können. Die perjünlide Behandlung, die id) ge- funden, konnte id) vergefien, denn unbevdeutenden Denjchen fann man nur jo lang Beleidigungen nadtragen, als fie burd) die Berhältnifie Madht und Bebeutung erhalten; aber daß diefe Menichen e8 in der Gewalt gehabt hatten, die fhönften Mittel, die je einer teutichen Revolution ge- boten worben find, auf eine fo beifpiellofe Weife zu ver- jchleudern und eine jo große Sade jo nichtswürdig zu verderben, ohne daß ed mir oder irgend jemanden möglid) gewejen wäre, da® Unheil abzuwenden — das war ein Gedanke, der in das Heid der Berzweiflung führen tonnte, Das Leben des Einzelnen ijt bald dahin und
— 816 —
Revolntionen bebürfen, um ihre Gelegenheiten zu reifen, ganze Wenjchenalter.. Mit der Revolution geiftig ganz verwachfen, fühlte ich mit ihr mich felbft zu Boden ftürzen und wann follte ein Wieberaufftehen -folgen?: Wie ein Bewohner einer Welt, die. unter mir in Trümmer ge gangen, fühlte ih mich in der Luft fehweben und melde Welt folte mid wieder aufnehmen? Ich geftehe, daf ich mid niemals in einer boffnungsloferen Xage befunden habe, ald damals, wo ic für da8® Verbrechen, mein Alles an die Befreiung Teutjchlands zu Inüipfen, fo nihtswiürdig Heinfich, gemein und blöpfinnig beftraft wurbe.
Dody welder Berftand liegt darin, fi durch frembe Dummbeiten das Leben verderben zu lafeen? War Teutjchland und waren die Teutfchen ‘in ihrer Dummbeit befier daran, als ih, der ich mit darunter zu leiden, aber wenigftend keinen Theil daran hatte? Es währte nicht lang, fe fand fid) der gute Humor wieder ein, der es für fehr lächerlich Hielt, daß ich mich fo lang und ernft mit einem Heinen Wintelhen des Univerfums befchäftigte, weldes Baden oder Teutichland hieß und zufällig eine un» verhältnigmäßige Duantität Dummheit zu Stande brachte: Ic wollte von Teutfhland wenigftens einen humoriftifchen Abfchied nehmen.
Mit dem männlihen Gefchleht auf dem Sriegsfuf lebend, fand ich aud) in Konftanz Troft durdy Da8 weibliche. Die Tochter und die Stubenmagd meines Gafthofs hatten mir beide ihr befonderes Vertrauen zugewendet und tröfte- ten mid in meiner Einfamkeit abwechfelnd durch ihre Sympathie. Wenn die Eine das Zimmer verlaffen, bes fuchte mich die Andere und Jede war gleichfehr . beitrebt, mid) zu unterhalten und mich von allen - welthiftorifchen
— 317
Ereignifjen zu unterrichten. Der Gegenftand aber, dem beide ihre Hauptaufmerkjamfeit gejhenkt hatten und der in ber Unterhaltung beider tie Hauptrolle jpielte, war ein jhmeizerifher Baron, ein Berner Stodarijtofrat, der, jo viel ich. mich erinnere, von Stoder hieß. Diefer Herr logirte im nämlichen Gafthof und galt für einen öfterrei- hifchen Spion, der aber fein Gejhäft nicht für Geld, fon- dern aus bloßer Tiebhaberei tried. Er war ein großer Ihwerer Mann mit einem abftogenden Aeufern. Meine beiden Freundinnen wuhten nicht genug von feiner Grob- beit, feinen unleidlihen Manieren und namentlidh von jeiner Feindjeeligfeit gegen mich zu erzählen. Bald hatte er über mid gejhimpft, bald hatte er mir auf bevenkliche Weije gedroht, bald hatte er fi, was nod jchredlicher war, über mid erkundigt. Alles wurde mir brühwarm überbradyt. ch hatte biaher bloß darüber gelacht und dem Baron fein Vergnügen gegönnt, zumal da id) hörte, er fei Scriftjteller, und ihn für einen Narren hielt, Zum Ab- Ihied konnte id) mid) nicht länger enthalten, Notiz von ihm zu nehmen. E83 war mir ein unerträglicer Gedanke, daß ih dem Boden der teutjchen Revolution ald hoffnungs- Iojer Erilirter verlaffen und auf dem nämlihen Fled ein öjterreihiiher Spion ihn triumphirend behaupten jollte, Jh befchloß daher, diefem Herrn einige Motion zu machen.
Werthejte Helene, redete ich Die betrübte Stubenmagd an, bei meinem Sceiden will ich Ihre Güte und Theil- nahme dur einen Kleinen Dienjt erwiedern, indem id) Ihnen einen Gaft vom Leibe jchaffe, der Ihre jonft jo treff- lihe Laune ftört. Sind Sie zufrieden, wenn ic Ihnen den öjterreihifchen Spion aus dem Haufe treibe ?
Je eher, je lieber! Aber wie wollen Sie das machen ?
— B18 —
Diefer Brief enthält ein einfaches Rezept. Es wird ihn vertreiben wie Nattenpulver. Sobald er das Schreis ben gelejen, wird er fi) davon maden. Haben Sie nur bie Gefälligfeit, den Brief zu Kreuzlingen (in der Schweiz, 10 Minuten von Konftanz) auf die Poft zu geben und danın beobadyten Sie, was der Baron beginnt.
Der Brief lautete fo:
Hocyzuverehrenver Baron!
Ein Freund Ihrer Perfon und treuer Sohn unferes gemeinfchaftlihen Schweizervaterlandes beeilt ih, Sie vor einer großen Oefahr zu warnen, in der hr LXeben fchwebt, und in welche Jhr Eifer für die gute Sadye Sie gebradit bat. Dean hat in Erfahrung gebracht, daß Sie in gebei- mem Briefwechjel mit den djterreichiichen Behörden ftehen, und will fi dafür an Ihnen rähen. Ein gewifjer Heins zen ift in Konftanz, um den fchändlichen Plan zur Aus: führung zu bringen. Man will Sie noch heute verhaften und nad KRaftatt fchleppen, wo Sie vor ein Kriegsgerict geftellt und erjchoffen werden follen. hr Leben fteht auf dem Spiel. Retten Sie e8, und zwar zu Wafler, Jhrem Baterland und der Menfhheit, jobald Sie diefe Zeilen ges lefen. Ich würde jelbft lommen, wenn man mid) nicht aud im Berdadht hätte und das Thor bewachte,
hr Freund N.
Nachdem diefer Brief etwa eine Stunde fort war und ich die Sache jhon wieder vergefjen hatte, kam die Magd athemlos in mein Zimmer geftürzt und fchrie: „Der Ba; ron tft fort, die Polizei ift ifpm nah”! Kaum hatte fie die Worte aus dem Munde, jo kam die Tochter des Haufes nachgeftürzt: „ver Baron ift aufdem See, er hat fich durd» gemacht, die Polizei will ihn fangen“.
— 319 —
Und wirflih wurde er gefangen. Er hatte nad Ems pfang meines Briefes vol Todesangft mit folder Haft und folhem Lärm fi in einen Kahn geftürzt, daß die gute Bürgerjchaft aufmerffjam wurde und ihm Polizei nad» fchidte, weldye ihn bei der Mainau einholte. Xeiver aber hatte cr Befinnung genug gehabt, feinen Sefretair mit allen feinen Bapieren auf einem andern Wege fortzuichiden, fonft würde der Spaß vielleiht noch zu intereffanten Aufichlüffen geführt haben. Da man nichts Berdächtiges bei ihm fand, ließ man den biß zum Tode Geängitigten wieder frei, Er hütete fid) aber, nad Konjtanz zurüd- zufommen.
Als ich wieder in Genf war, befhloß ich, mich auf die Romanfchriftitellerei zur verlegen und mid nie wies der mit teutjcher Nevolution zu befafien. Nach drei Tagen aber war ic fhon wieder mit einem „Pamphlet“ beihäftigt.. Das ift eine Leidenfchaft, die man nur [o8 wird, wenn man dreißig Jahre in Amerika gelebt bat.
Dod) die nächte, hödhft pilante Fortjegung meiner Er» fahrungen war die, daß mid der fchweizeriiche Bundes» rath al8 einen Hauptthbeilnehbmer der badi- ben Revolution, die mid wie einen Feind aus- geftopen hatte, auf’8 Neue aus Europa vertrieb. Er hätte mic) als foldyen vertrieben, wenn ich audy während dies fer badischen Revolution in Sibirien mit dem Zobelfang wäre beijdhäftigt gewefen.
Dody audy damit hatte die Jronie des Schidjals ihr Aen- Kerftes nody nicht geleiftet. Das Aenferfte bejteht darin, dar jeder Flidjchneider der Revolution, der in Baden irgendwo hinter der Front herumgemedert hat, mir hier in Amerika vorhält, id habe an der badifchen Revolution
— 590 —
nicht Theil genommen, ich fei nicht „bei der Armee“ gewes fen, ih habe nit im „Kugelregen"geftanden, ja, ich habe mic, nicht einmal für die badifhen Dummtköpfe und Ber räıher todtichießen, gefhweige aufhängen lafien. Um das Unmögliche zu erleben, muß nıan teutfcher Revolutionair fein.
Das Refultat aller meiner Bemühungen für die Hevo- Iution, aller ausgeftandenen Mifhandlungen und aller Pilgerfahrten zu Waffer und zu Yande, war aljo, daß ich von den teutjhen Herrn Revolutionairen, die mich vor 1848 als einen ihrer erften Pioniere priejen, mit einem Botendienft nah Kujel beehrt wurde und dann mid) hoffe nungslo8 und pauver wie ein heimathlofer Zigeuner in ein unficyeres Ajyl wieder zurüdziehen konnte!
Ich übergehe, wie ich mich in Genf purdjclagen mufte. Um aber großen Männern Unterricht in der National öfonomie zu geben, will ich die Kuriofität nicht unerwähnt laffen, daß ich mit einer Familie, die noch immer fünf Perjonen zählte, von monatlid AO Franken ($8) erijtirt und dabei noch Wein getrunfen habe, der freilid in der Schweiz fpottwohlfeil it. (In Guleerd Haufe hatte ich ein Paar Dadjtübchen frei, jo daß mir bie Wohnung nichts fojtete. Die Haushaltung war eine gemeinihaftlihe und am Enpde des Monat wurden die Koften fopfweije beredynet.)
Dody was liegt an allen Mijeren? and ich doc in Genf meinen Guftav wieder, Nachdem fein ehemaliger Ber: theidiger und demnädhftiger Büttel Brentano ihn in Karls ruhe wieder freigelafjen, „wich er der Gewalt,“ wandte feinem geliebten „badifhen Volte“, dem er fo jehr an’8 Herz gewachjen zu fein glaubte, unvermißt mitten im der Revolution ven Rüden umd fuchte Zuflucht in der Pfalz,
— 321 —
wo er, als jeder hulbblinde Menfh auf den Einmarfch ber Preußen gefaßt fein mußte, mit der rührenditen Un- Ihuld einer kindlichen Zuverficht abermals den „Deutjchen Zufhauer“ (Zte Auflage) herauszugeben begann. Dod wurde ihm da8 AZufchauen nur wenig Tage gegönnt, denn faum hatte er in Neuftadt a. d. Hardt die erjte Nummer an’s Licht befördert, jo erjchien trog allem D’Efterfchen Sturmläuten und troß der Bürgerwehr von $ufel der preußiihe General Hirfchfeld und jagte den Struvefchen - „BZujchauer“ nebft allen fonjtigen Zujchauern und „guten Leuten“ aus dem Lande, Und jo war denn Guftav, den unterbrüdten „Zuihauer“ im Herzen, ebenfall® an den Ihönen Yeman gelommen und miethete fi in meiner Nahbaricaft ein, jo daf wir uns täglich tröften konnten. Natürlih fannen wir auf eine erneuerte Thätigfeit und dazu follte eine revolutionaire periodische Schrift Gelegen- beit geben, zu deren Gründern Mazzini, Galeer, Struve und ich gehörten. Wer die Redaktion übernehmen folle, danady brauchte gar nicht gefragt zu werben, denn e8 ver- fteht fi, daß dazu Niemand mehr Beruf hatte, als Sujtav. Und ald man den Titel beiprad, jchlug Guftav abermals einen — „Zufhauer“ vor (4te Auflage. Die 5te erfchien fpäter in New Mork und vor der 6ten ift die Welt nicht fiher gewefen jo lang er lebte.) Aber er fiel mit feiner Redaktion durdy wie mit feinem Titel und die Schrift erfcien, von dem, durd feine Bürgerqualität poli- zeilich gededten Galeer redigirt, unter dem von mir vor= ' geihlagenen Titel „Der Bölterbund“, Leider fonnte wegen ber polizeilihen Berfolgungen, ver erhöhten Schwierigfeit ver Verbreitung und des Geldmangels nur
das erfte Heft publizirt werden. 21
— 322 —
Die Sündfluth von Flüchtlingen, melde nad Unter drüdung der Revolution die Schweiz überfchwenmte, er füllte die edlen Republifaner und namtentlid den Bundes» rath mit newer Betrübnig und Angft, pekuniairer jomohl wie politijcher, und e8 währte nicht lang, jo begann auf's Neue das Werk der Iandesüblihen republitaniichen Het: jagd. Man mählte zumädft eine Anzahl Berfonen aus, Die man für die anftörigiten bielt, nannte fie „Yıbrer“ und verordnete, daß Diefe „Führer“ die Schweiz in einer bejtimmten Trift verlaffen müßten aud dem triftigen Grunde, weil fie in ihr ein Afypl gefucht hatten. Um aber in der Jroni: das Marimum zu leilten, rechnete man aud) mid) zu den „Hührern“. ch, der ich in Bapen nicht bie Befugnig erhielt, einen Meinen Firtger zu dirigiren; id, der ich in der Pfalz die Miffion erhielt, einen Pad vers rüdter Proflamationen nad Kufel zu tragen und dort den Klöppel der Kirhenglode in Bewegung zu fegen, wurde vom Bundesrath zu Bern zu einem „Führer“ der badijch- pfälzischen Revolution befördert, damit er fid) einen neuen Borwand Ichaffe, mid aus Europa zu vertreiben! Der alte Vorwand war nicht aufgegeben, aber er mußte wegen feiner Faulheit durd einen neuen aufgefrifcht werden, ver eben fo faul war. Der Bundesrath verordnete demnad, vap ich
1, auf Grund des früheren Ausweifungsbefchlufjes wes gen der erlogenen „Werbungen“ und 2, wegen der, zu biefem Verbrechen hinzugelogenen „Sührerjdaft“ die Schweiz verlaffen müffe. So wie zwei Berneinungen eine Bejaung machen, fo fuchte der Bundesrat durch zwei Lügen eine Wahrheit zu jchaffen.
/
— 323 —
So handelten Republitaner gegen einen Republikaner, ber ihnen nicht® Anderes zu Yeide getban, al® daß er ihre Preßfreiheit zur Belimpfung ihrer Feinde benugt hatte. Ich follte und mufte fort — das machte allen Berjtand, alles Recht, alle Moral und alle Humanität ftumm und todt. Und hätte man erlügen müfjen, ic hätte vem Bun- desrath Gift in die Suppe gemifht und die Eidgenojfen- haft an den Kaifer von Maroffo verhandelt — ich mußte fort. ort müffen, weil ich ein infurabler Republifaner und Despotenhaifer war — jo hieß im Grunde mein Urs theil und da man fi jchämte, e8 in diefer form auszu- Iprehen, mußte ich zum „Werber“ und „Führer“ gejtem- pelt werden. Wenn ich feinen andern Grund hätte, Da« rüber empört zu fein, daß die Herren „Revolutionaire“ mir jede Wirkfamfeit grade da verjagten, wo ih am Mtei- ften hätte nügen können, fo fände ich einen hinreichenden in dem Gewicht, das die Despoten und ihre Bedienten auf meine Fortfhaffung aus Europa legten.
Dian wird nun denken, das bisher berichtete Verfahren repräfentire da® Marimum von Schledtigfeit und Ges wifjenlofigteit, deren eine republifanische Behöide gegen einen Republituner fähig fei. Aber erft die Art der wei- tern Ausführung und die begleitenden Nebenumjtänte werden den Bundesrath auf der Stufe der hödjten In- famie und zugleich der tiefften Erniedrigung zeigen, der Erniedrigung vor mir, dem wehrlofen Berjolgten.
Nahdem mir der doppelte Ausweifungsbeichtuß ald defis nitived Urtheil befannt gemadt war, änderte ich vollftän- big meine bisherige Tattit. Man hatte erwartet, daß ich mid) abermald weigern und. den hohen Behörben aber- mals trogen werde. Über ich fah ein, daß dieß eine er-
— 3214 —
folglofe und falfche Politit geworden war. Ich erfannte die Unmöglichkeit, mid) länger zu behaupten; auch fonnte ic, damit feinen revolutionairen Zwed mehr verbinden, da die Freiheitspartei überall niedergemworfen, nirgends mehr ein beftimmter Anhalt geboten und alle Hoffnung auf eine neue revolutionaire Erlöfung einftweilen volljtändig ver- nichtet war, Yinanziell aber war ich fo volljtändig ent- blößt, Daß ich bei längerem Berweilen grabezu hätte auf die Straße gehen müfjen, wollte ich nicht dem eben jo armen wie braven Galeer auf der Tafche liegen. E8 galt jest, endlicd „der Gewalt zu weichen“, aber die Art Diejes Weihend zu einer Niederlage und Cxniebrigung für Diejenigen zu benugen, welde die Gewalt in Händen batten.
ALS mir im Auftrag des Bundesraths die Genfer Be- börde anzeigte, daß ich Die Schweiz in einer gewiffen Zeit zu verlajjen habe, erklärte id mich auf der Stelle voll- jtändig bereit, Folge zu leijten. Man war jehr überraicht und erfreut Darüber — aud) Fazt zeigte wenig Luft, wegen meiner nod) länger in Unannehmlichkeiten verwidelt zu werben — und berichtete meine Bereitwilligfeit nach Bern. Kurze Zeit darauf fragte man freumdlid an, auf welchen Tag id meine Abreije feftgefegt habe. Ih antwortete eben fo freundlich, ih fei jeden Tag bereit und erwarte nur, daß der Bundesrath mic, fortichaffen Laffe.
Aber, hieß es, jo jei ed nicht gemeint. Man wolle nicht gewaltfam oder inhuman gegen mid) verfahren, da ich frei» willig gehe; man wünjche nur zu wifjen, wann id mich zu entfernen gevente.
Ich hielt mich dabei, Das fomıme bloß auf den Bundes. rath an. Wenn ich reife, fo reife ich nicht im eigenen In-
— 325 —
terefie und auf eignen Antrieb, jondern im ntereffe und Auftrag der fchweizeriihen Behörde. Diefe Behörbe möge daher kurzweg über mid) verfügen und die Art mei- ner Entfernung aus der Schweiz beliebig beichließen. Biel Umftände werde man nicht mit mir haben; meine Bamilie fei durdy die vielen Heßjagven nad) allen Rich- tungen verftreut*) und es feien nur nody zwei Erwachjene mit einem finde übrig, die auf zwei Schubfarren Plaß hätten. ch erwarte jeden Tag die Schubkarren vorfah- ren zu jehen und fei volljtändig refignirt, wie und wohin mid) der Bunpesrath jchieben lafje.
Man war betroffen über diefe fonderbare Art von Be- reitwilligfeit. Aber was war dageyen zu fagen? Neue Anfrage in Bern. Nein, hieß es darauf, ich jolle nicht auf diefe Weife entfernt werden, man überlafje die Art und das Ziel der Reife gänzlich mir und wolle nur wifjen, wann id die Schweiz verlafle.
Ich fam immer wieder auf meine alte Bereitwilligfeit zurüd, erflärte aber, daß weder Zeit, no Art, nody Ziel meiner Reife in meiner Macht liege, indem ich von Mit- teln vollftändig entblößt fei. Deshalb wifje ich keine ge- eignetere und wohlfeilere Transportweife, ald durd den Schub über eine beliebige Grenze.
Das war e8 eben, was die ehrenwerthen Herren ver- meiden wollten. Einen Flücdtling, der auf rein erlogene Klagegründe in Die weite Welt gejagt wird, nahdem man
*) Drei Gejchwifter meiner Frau, für bie ich jeit fünf- zehn Jahren gejorgt, hatten unterdeilen zu Verwandten vertheilt werben müfjen, da e® mir abjolut unmöglidy war, fie länger zu erhalten, |
— 326 —
ihn früher fhon fo liebreich und ebrenhaft behandelt, einen Maun, dem nichts, auch rein gar nicht® zur Yaft zu legen ift, ald daß er die Prefje einer Republit für die Proja- ganda republitanifher Grundfäge benubt hat, einen jol« den Mann au noch wie einen gemeinen Bagabunden und Verbrecher nebft Bamilie auf den Schub zu bringen — diejes Standal war do zu groß jelbit für den fchwei- zeriihen Bundesrath, zumal da er wußte, er habe es mit einem Berfolgten zu thun, der ihm nichts jchenfen werde.
‚Jest war guter Rath theuer. E8 gab feinen andern Ausweg, ald den finanziellen. Kurzum, der Bundesrath hatte nur die Wahl, mich entweder ganz einfach auf deı Schub zu bringen, oder aber mich zu einer anjtändigen Keije pekuniair in Stand zu fegen, und das Yegte mußte ihm eben jo empfindlich fein, wie ihm das Erfte bevenflid) war. Er mußte aber in den fauren Apfel beißen und faßte endlich den bereifhen Entichluß, auf meine Entfer- nung aus der Schweiz 1200 Franfen zu verwenden! Der Preis war für folhen Zwed allerdings billig genug, aber er war enorm für die finanzielle Zähigfeit einer „hoben Behörde“ der Schweiz, welde fü) damit von einer Konje- quenz ihrer eigenen Schuld losfaufen mußte.
Dod aud mit diefer Demüthigung war ich noch nicht zufrieden. ALS mir angezeigt wurde, daß das Geld für meine Reife bereit liege, hatte ich ein neues Bedenten. Ich erklärte, meine alte Bereitwilligkeit jet unverändert, aber vor der Abreife müfje ich eine Garantie für meine Sicherheit auf der Durchreife bi8 zur See verlangen, und ba bejtimmt worden, daß ich durdy Frankreich reife, ver: lange id) eine [chriftlihe Bürgigaft, vap Frantreid,
— 37 —
welhescebenfalls meine Ausweifung ver langt hatte, mih niht nah Teutjhland ansliefern werde.
Man wird denken, die Beleidigung, die in folder Zu- mutbhung liegt, müffe entichieden zurüdgemwiefen worden fein. Was wird euch ein ehrlicher Menih antworten, wenu ihr von ihm eine Berbürgung verlangt, daß er eud beim Baifiren feines Haufes nicht berauben oder todtjchla« gen werde? Er wird euch fragen, woher ihr das Recht nehmt, ihn für einen Räuber oder Mörder zu halten und ihm fogar zuzumuthen, vaß er fich felbft ald des Raubes. und Mordes fühig anerkennen folle? Genug, was fein ehrlicher Meenjc gethan hätte oder thun würde, das that bie jchweizerifhe und franzöftiche Behörde. Weine Ent- fernung, und zwar ohne Standal, war ihnen fo viel werth, baf fie fie durd) jede Erniedrigung zu erfaufen bereit wa- ren. Sie gingen in ihrer Zuvorfommenbheit jo weit, daß an dem franzöfiihen Grenzort Bellegarde, wo das Gepäd ber Reijenden jorgfältig unterfucht wurde, die Zollbeam- ten angewiejen waren, meime Koffer unberührt und un geöffnet paffiren zu laffen. Dieje Artigfeit habe ich übri- gens3 durch den Berluft: aller meiner Schriften und Ma- nujtripte erfauft, die ich nicht in die Hände der Polizei wollte fallen laffen. Auf eine Durdjuhung meiner Koffer in Frankreic, gefaßt, hatte ich jene Schriften Mlaz- zint übergeben, der fie auf bejonderem Wege mit feinen Drudfaben nad Yondon befördern wollte, Seine Agen- ten aber gingen ungefchidt zu Werk und der Ballen wurde nebjt meinen Schriften an der teutchen Grenze konfiszirt. Bo fie geblieben find, habe icy nie erfahren.
Doh hier ift die fhimpflihe Oarantieerflärung der
chweizerifch-franzäftihen Behörbe, ein Dokument, das fiher einzig in feiner Art ift:
Berne, le 15. Septembre 1849. Le Departement de Justice et Police de la Confede-
ratıon Suisse
declare
que Monsieur Charles Heinzen, refugi£ alle- mand, renvoy& de la Suisse par arröt& du conseil federal, en date du 16 Juillet 1849, peut, au moyen du passeport que je lui ai delivre aujourd’hui et de ‚celui qu’il recevra de Mons. le Prefet da Departe- ment de L’Ain, traverser la France en toute secu- rite, ainsi que sa famille, pourvu, bien entendu, qu’il suive l’itin&raire qui lui sera prescrit par l’autorit& frangaise.
Mr. Heinzen peut, entre outre,ötre certain que le gouvernement de la Röpublique ni au- cuneautre autorit& frangaise neleliv- rera ouextradera äaucun gouverne ment ou fonctionaire allemand que ce soit.
Je garantis la presente declaration comme vraie et certaine, sous ma responsibilit& oflicielle, parce- quelle mı'a &t6 faiteä reiter6e fois par le Mi- nistre de la Republique frangaise pres la confede-
ration Suisse. . Le Conseiller fed£ral,
Chef du Departement H. Druey. Int Das nicht groß, daß im Jahre 1849 die franzäfifche Republit fich verpflichtete, einen durdpreifenden teutichen
— 8329 —
Republikaner und Flüchtling nicht den Despoten auszus liefern, den bie fchweizerifche wegen erlogener Vergehen aus dem Lande trieb?
Ehe id von Genf Abjchied nehme — fein leichter Ab- fhied —, muß ich zuvor berichten, wie e8 meinem Nadybar und Schidjaldgenofien Struve erging, der ebenfalld als „Bührer“ aus der Schweiz mußte,
Auf Befehl aus Bern waren wir beide von der Genfer Polizeibehörde aufgefodert worden, zum Behuf der Aus- fertigung unferer Päjle unfer Signalement bis zu einer bejtimmten Zeit aufwchmen zu lafjen oder einzufenden. An dem Tage, wo diefe Zeit verftrich, erfchien vor meiner Wohnung ein Gefähr, aus dem zwei Herren ftiegen, die nad) mir fragten. Als fie heraufgelommen waren, gaben fie ih ald Polizeibeamten zu ertennen, die fidh nach mei- nem Signalement ertundigten. Ich erjuchte fie mit der größten Freundlichkeit, Bla zu nehmen, bot ihnen ein Glas Wein an, begann eine Unterredung mit ihnen und bat fie höflich um Entjchulpigung, daß ich ihnen unnöthige Mühe verurfaht habe, da ich eben im Begriff gewefen fei, mein Signalement felbft auf das Polizeiamt zu bringen. In der That hatte ich e8 jchon auf dem Zifche liegen umd zeigte e8 ihnen. Denn ich jah feinen Zwed darin, einer Behörde, die fi) mir gegenüber ftet8 ehrenhaft benommen, auf anftändige Auffoverung ein Gignalement zu ver- fagen, das fie ohnehin, wenn ich e# ihr nicht gab, täglıd) von meiner leibhaftigen Perfon abnehmen konnte. Die beiden Beamten waren fehr angenehm überrafcht, mich fo bereitwillig zu finden, und verließen mid) in der höflichften Beife.
Ein Paarhundert Schritte von mir entfernt wohnte
— 30 —
Guftav Struve und das Gefähr mit den beiden Beamten bielt jett vor feiner Thire. US die Herren fidh zu ers fennen gegeben und fid) über ihren Zwed erklärt hatten, richtete Guftad die Mähne der fittlihen Entrüftung em- por und ließ feine Löwenftinme-in donnernden Aftorben vernehmen. Die Boliziften wollten die Angelegenheit “amicalement”, wie mit mir, in Oronung bringen, aber Guftav wurde Durch die Zumuthung einer polizeilichen Freundfchaft nur um fo mehr empört, Hielt den Beamten eine vernichtende Strafprebigt und erklärte fchließlic, er „weiche nur der Gewalt“.
Die Beamten wihen vor ihm und banden ihr Gefähr ganz ruhig an einer benachbarten Weinfneipe an, worin fie fih auf die Lauer festen. Kurze Zeit nachher fam Struve nebft Gemalinn ganz gemüthlich herabgeftiegen, um die Yamilie Heinzen zu bejucyen und ihr zu erzählen, was ihm begegnet war. Kaum aber hatte er die Wein- fneipe erreicht, fo ftürzten Die Polizeibeamten heraus, er griffen ihn “amicalement” bei den obern Ertremitäten und fetten den der Gewalt Weichenden in ihr Gefähr. Objbon feine Gemalinn im leichten Anzug und nur mit einem Gartenhut bevedt war, wollte fie, wie fi von felbft verfteht, ihren Gatten nicht allein feinem Schidjal überlafien und ftieg ebenfalld ein. Dann ging’s im fchnellften Zrabe davon dem Kanton Waadt zu, mo beide folten abgejegt werden. Dort langte man gegen Abend an; allein die Grenzpolizei weigerte fih, die fremden Säfte, die keine Päfje hatten, hereitizulaffen und fie wur: ben nad) Genf zurüd auf die Polizei gebracht. Guftav Struve und James Fazy fanden jet einander gegenüber, ber ver Gewalt Gewicyene dem die Gewalt Dirigirenden.
ii
E3 entitand ein heftiger Wortwechfel, indem James Guitav befchuldigte, er fei ein rufffcher Spion. „Sagen Sie Das ald Magiftrat, oder ald PBrivatperfon?“ fragte Guftav beveutungsvoll, ALS Beides zugleich, antwortete James. Und damit befahl Fazy abermals, vorzufahren und Struve nebjt Gemalinn abermals nad) dem Kanton Waadt zu bringen, wo fie in jpäter Nacht ankamen und in der kalten Morgenluft ftundenlang obvadhlo8 auf der Chaufjee umberwandeln und den fchönen See bewundern mußten,
Kein Menjb wird dieß brutale Benehmen ver Polizei entfchuloigen, aber e8 wird aud) kein Menjch bezweifeln, daß Guftav e8 vermieden hätte, wenn er nicht fo jehr darauf verfefjen gewejen wäre, „der Gewalt zu weichen“ und am unpafjenden Ort Gejinnungstüchtigkeit und fitt- lihe Entrüftung zu leiften.
Am Tag meiner Abreife (gegen Ende Septembers) über- gab mir Fazy 600 Franken mit dem Vedeuten, baf ic) die übrigen 600 von dem fchweizeriihen Konful in Havre er- halten werde. Mein Pap dirigirte mid) nad) Bourgh im Departement de l’Ain, wo mir der Präfeli einen frans zöfifben Pap geben follte. Der Dann jchien ein Pfiffikus zu fein und juchte mid über allerlei Dinge auszuforfchen. E8 verjteht fi, daß ich ihm bereitwillig zu Dienft ftand und zwar mit der unbefangenften Xreuberzigfeit. Ueber- haupt gibt e8 kein ficyerered Mittel, pfiffige Zente hinter das Licht zu führen, ald Die Kunft, fih dumm zu ftellen. Genug, der Herr Präfelt war mit mir zufrieden und ftellte meine Reiferoute feit. Dabei galt ald Hauptregel, daß ich alle große Städte vermeiden mufte und vor allen Dingen nicht nad) Paris kommen durfte. So führte mich
3
denn die Reife in einem großen Bogen burdy Frankreich nad) Havre und dauerte 8 Tage, während ich fie fonft,in 3 Tagen hätte abmaden können. 8 verfteht fic, dafz fie fehr Eoftipielig war, denn, von dem Ummeg ganz ab» gefehen, da ich num Heine Orte. berühren durfte, wohin feine regelmäßige Verbindung führte, war ich oft ge- nöthigt, befonderes Gefähr zu nehmen, oder Tage lang auf Reifegelegenheit zu warten. Uebrigens lief ih mid burdh die erhaltene Verwarnung nicht abhalten, die vorge- fchriebene Route theilmeife zu verlaffen und über Orleans nad Berfaille® zu geben, um meiner Frau body einiges Intereffante von PBrankreic, zeigen zu Können. Nad Paris durfte id mid) nicht wagen, da ich dort befannt war und der Polizei fofort aufgefallen wäre,
AS id in Havre anlangte, war burdh die achttägige Keife mein Geld bis auf wenige Franken aufgezehrt. Ich würde fonft ver Schweiz ihre übrigen 600 Franken gern gelafjen haben. Da ich aber nicht weiter konnte, verfügte ih mid zum jchmeizeriihen Konful und nahm die ange: wiejene Hilfe für vie Weiterreife in Anfprud. „Ich bin,“ fprah der Konful, „vom Bundesrath beauftragt, Ihre Ueberfahrt zu bezahlen und hnen dann den etwaigen Reft des Gelves einzuhändigen, wenn Sie im Schiff find. *
Sehr gütig, erwiderte ich, aber der Bundesrath braudt nit zu fürchten, daß ich wieder umfehre, wenn er mid nicht in das Schiff geleiten läßt. Ueberbieß könnte ic) ja aud von London aus jo gut umkehren wie von Havre and.
„Bon London? Ich bin angemwiefen, Ihre Baffage nad) Amerika zu bezahlen!“
Nah Amerika? fragte id empört. Der Bundesrath
ge
erfrecht fi, mid nad Amerika deportiren zu wollen? War es nicht [händlich genug, daß er mid) ohne allen ges rechten Grund aus dem Lande trieb und mic wie einen Berbreder auf einer vorgefchriebenen Route dur Franl» reich transportiren ließ? Ex maßt fi alfe aud an, über meine Perfon und mein Schidfal no da zu verfügen, wo feine Polizei ein Ende hat? Wer gibt dem Bunvesrath ein Recht und wer gibt ihm die Macht, mir in Havre vorzujchreiben, wohin ich mid) vor feiner Infamie zurüd- ziehen jell?
Der Konful war überrafcht und betroffen, berief fich aber auf die erhaltene Drdre und behauptete nicht anders hanveln zu können.
Nun, erwiderte. ih, meine Lage ijt fehr Har und was ich zu thun habe fehr einfah. Der Bundesrath hat mid) mit Gewalt entfernt und gendthigt, in feinem nterefje eine Reife nah Havre zu machen. Ich habe mich ohne Wipderjtreben gefügt, jo weit feine Gewalt und das ihm von Frankreid zugeitandene Recht reiht. Hier hat fein Redt ein Ende, aber nicht feine VBerantwortlicykeit, Er ift verantwortlih und verpflichtet, mid von bier aus zur Keife nad) einem Beitimmungsort in Stand zu jeten, den ich wähle, da verfelbe durdy feine Vereinbarung mit mir fejtgejegt worden it, Mein Beitimmungsort ift London, nit New York, und jo lang der Bundesrath mich nicht in Stand fegt, nad) Yondon zu gehen, logire ich auf feine Rechnung bier im Gafthof und werde, um mic) nad) jeder Seite zu wahren, die Behörden wie das Publi- fum von meiner Lage in Kenntniß jegen.
Der Konful erjuchte mich, wieder vorzufprechen, er wolle fid) die Sadye überlegen.
BE,
Als ih wieder kam und alle feine Gegengründe feine Wirkung thaten, erflärte er endlich, er wolle auf feine per- fünlihe Verantwortlichkeit mir einen Theil des Geldes auszahlen, nämlich 200 Franken. ch fagte ihm, daß ih in Genf, zu übereilter Abreife gedrängt, meine Effekten, Bücher u. |. w., die immerhin einige hundert Franken werth waren, für ein Paar Franken geradezu habe wegwerfen müfjen, aljo jhon als billige Entihädigung das für mid ausgefetste Geld zu fodern ein Necht habe. Doc) wolle ih vom Bundesrath lieber beraubt fein, al® von ibm etwas gejchentt haben, und deshalb beguüge ich mich mit dem bloßen Weifegeld nad London. Co erhielt id) denn 200 Franken ($40), womit ic) meine Rechnung im Gaft- bof zu bezahlen, die Pafjage für drei Perfonen zu beitreiten und dann meine Eriftenz in der fchredlichen Stadt Youden zu begründen hatte.
Hat man je von einem fhändlicheren Verfahren gehört, al8 das vom fchmeizeriichen Bundesrath gegen mid) einge fhlagene war? Mitkeiner Sylbe war mir in der Schwei; gefagt worden, daß man mid nad) Amerika fchaffen wolle. Die perfiden Oberlandjäger, den „radikalen“ Druch an der Spige, hatten fi ausgedacht, wenn fie mic) erft in Havre hätten und ich von allen Mitteln entblößt fei, würde mir nichts Andres übrig bleiben, als, mic nad Amerika Ihaffen zu lafien. Deshalb erhielt ich in Genf nur bie Hälfte de8 Reifegeldes. Und welde Generofität, für meine Deportation nach Amerifa 600 Franten auszufegen! Sie reichten gerade ans für drei Pläge im unteren Ded, worin man Bettler und Jrländer hinüberfhafft. „Und ben Reft“, hatte ver Konful gefagt, „Toll ich Ihnen aud zahlen, wenn Sie im Schiff find“. E38 gibt doch übernl
— 585
noch) edle Menfchen in der Welt! Und ich fühlte das Bes bürfniß, mich vor dem Verdacht zu fehlen, bafı ich dief nicht anzuerkennen wilfe, Deshalb erfuchte ich den Kon- ful, mid) die Quittung zu Haufe Ihreiben zu laffen und da® Geld dann abholen zu dürfen, Ih ging in ven Gafthof und fehrieb dem Bundesrath eine Quittung, bie einen ganzen Bogen füllte, über alle die Wohlthaten und Ounftbezeugungen, für die ich ihm zu danken hatte. Ich bedaure, feine Abihrift Davon gemacht zu haben, denn ich weiß, ber fhmweizerifche dinanzminifter hat nie eine pifan- tere Quittung zu Geficht bekommen.
VIII. Die großen Männer der Panlstirde.
Des Baters Ejel fuchte Saul Und fand dafür eın großes Weich, Das ihn zum Oberherrn gemadt; Doc in der Kirche von St. Paul Da judhte man fofort das „Reich“ Und bat nur Ejel aufgebradt.
Indem ich mit den Erlebnifjen des Jahres 1849 ab» Ichließe, würde ich mid) einer unverzeihlichen Unterlafjungs- fünde fhuldig maden, wollte ich die größten Männer dies je8 Zeitabjchnittes mit Stillihweigen übergehen.
Die Pauldkirhe zu Frankfurt fol früher ein Haupt- quartier ber Barfüßler oder Bettelmönde gewejen jein. Wie e8 jcheint, haben ihr Diefen Charakter audy Die poli- tifhen Bertelmönde zu bewahren gefucht, weldye beru- fen waren, dort im Jahr 1848 und 49 die freiheit ded teutfhen Volkes gegen die Fürften zu fichern, und diefe Aufgabe dadurd zu Löfen fuchten, daß fie, unter fürftlicher Proteftion mit den Almojen einer zeitweiligen Schwaß- freiheit beglüdt, zulegt an einem Thron um Annahme ihrer papierenen Saiferfrone bettelten und dafür mit einem Allerhödhften Ban hin die Wanderjhaft gejchidt
—_ 337 —
wurden. Sie wanderten zuerft ald Torfo-Männer nad Stuttgart und nachdem fie dort eine Zeit lang, ftatt vor- ber Trumpf zu fpielen, Rumpf gefpielt, famen fie als Flüchtlinge mit den Opfern des Verräther8 Brentano, den „die Kerle ans Frankfurt” hatten zum Deinifter machen wollen, nad) der Schweiz. Später wurden fie aud aus biejer vertrieben, nachdem fie früher gegen Amneftirung ber flüchtigen Republikaner geftimmt hatten. ch lernte einige derjelben in Genf kennen, wo fie die fonit fo hoch getragene Nafe bedeutend fjenften und einen befcheideneren Zon anftimmten, ald in Frankfurt. „Wir miüfjen wieder anfangen zu jchreiben”, meinte der Dr. Yalobi, der in Frankfurt aud) feine glänzende Rolle gefpielt hat. „isrei- li”, erwiederte ih, „Jorgen Sie nur für Federn und Ba- pier, am Schreiben werde ich e8 nicht fehlen lafien*. Sie ihrieben aber jo wenig, wie fie für Kebern und Bapier forgten. Der Einzige, der fi durd Schreiben bemerkbar zu machen judhte, war Herr Simon von Trier, der in Frankfurt einer ihrer Hauptrepräfentanten durch Die Zunge gewejen war, wie er e8 im Auslande dur die Feder zu werben fuchte. Das Bud, worin diefer Herr feine und feiner Kollegen Helventhaten jchyildert, ift harakteriftiich für bie ganze Sippfchaft und eine kurze Beiprehung deijelben ift ein geeignetes Mittel, den Geift anfhaulicd zu machen, von welchen: diefe teutihen Charaftermänner und fFrei- heitöretter befeelt waren. E8 mag dadburd zugleich ein Spiegel ihren Nadfolgern, den „nationalliberalen“ Bet: telmöncen, vorgehalten werden, welde eine in demjelben Maße verfchledhterte Ausgabe ihrer Vorgänger bilden, in weldem das Bismark’iche „Reich“ jchlechter ift, al8 das in
Sranffurt geplante war. 22
— 338 —
Der „große Mann“, der durch den Zufall begünftigen, der Umftände momentan zu einer Stellung und Namen nennung gelangte, welde ihm feine Natur und fein Ber dienjt nie verfcafft hätte, zeichnet fi vor allen Dingen dadurdy aus, daß er die Differenz zwifchen feiner Würdig- keit und feinem Glüd, feiner perlönlihen Bedeutung und feiner äußeren Stellung nicht erfennt. Eben fo wenig erfennt er die Nachficht Derer, melde fi im nterefie der allgemeinen Sadye zeitweife die Selbitverleugnung aufer legt haben, den Sohn eines glüdlihen Zufals jeiner Stellung wegen als erhofften Vermittler von Pıinzipien zu fchonen, die durd) feinen Zufall gegeben werden können, indem fie fid) dem Glauben überließen, er werde fich diefer Schonung durd aufrichtigen und befcheivenen Eifer zur Erreibung eine® enıfiiedeneren Stantpunftes würdig machen. Der große Mann nimt in feiner Ueberbebung die Schonung für Huldigung, er erwartet fogar in der Selbitvergefienbeit feines Dinteld Schulerehrfurdt von Denen, bei welchen er erjt in die Schule geben folte, und zwingt zulegt Diejenigen, offen feine Feinde zu werben, deren Sreundfhaft zu verdienen fein Hohmuth für über: flüffig hielt. Selbft feine dummijten Streidye bringen ihn nicht zur Befinnung über feine Unfähigkeit umd er fühlt fi fortwährenn um fo mehr zu Allem berufen, je weniger Beruf er bei enticheidenden Gelegenheiten bewies fen hat. Er glaubt über Diejenigen hinaus zu fein, bie bloß die Gefälligkeit hatten, zum warten, bi8 er fie einge» holt habe, und da er Ddieh nicht konnte oder wollte, ver» langt er gar von ihnen, daß fie zu feinem Standpunkt ums lehren, um von dort ihre Eriftenz zu datiren. Gie th es natürlich nicht ward werfen ihn, wohin er gehört, in die
Rumpelfammer. Solcergeftalt wieder auf fich felbft re- duzirt und ebenfo wenig im Stande, durd) eigene Kraft feine jo leicht gewonnene Stellung zu behaupten, wie ge- willt, bejcheiden fi mit der früheren zu begnügen, zchrt er als verfannte Größe von einem hohlen Namen, defien Bergangenbeit eine Blamage war und deffen Zukunft ein ' Nichts ift, ausgefüllt mit unfterblicher Prätenfion.
Wer Geiftes Kinver Die meiften Mitglieder des Franf- furter Parlaments — id rede nur von der Oppofition — eigentlidy waren, haben fie am Beften gezeigt, nachdem bie Parlamentsfomddie zu Ende war. Was ein Hafen wer- den will, rümmt fi) bei Zeiten, jagt das Sprichwort, und wer ein Dann der Revolution ift, zeigt es nicht erft, wenn ein Zugwind der Zeit ihn auf eine revolutionaire Höhe trägt, die er mit feinen Beinen nie verfuht hatte zu erfteigen. Anf die Leute des plöglichen Erftehens ift nie etwas zu geben und eine Eiche wächj’t nicht wie ein Pilz. Die meiften der Frankfurter Oppofitionsmitglieder kamen zu ihrer Stellung über Nacht, ohne zu wifjen wie, und fie waren in wenig Tagen politifh ausgewadfen. Nadhdem fie aber einmal in Frankfurt gewejen und in den Zeitun- gen genannt worden waren, konnten fie trog allen ihren Blamagen die fhönen Tage des Schwägens vor bejegten Sallerien und des politiiben Studententbums in den Klub-Kneipen nicht vergefjen und fie haben fid) einen förm« lichen Korpsgeift ver blamirten Nichtigkeit angeeignet, der die Prätenfion hatte, die revolutionaire Ariftofratie des Erils darzuftellen. Die Berftändigeren unter ihnen has ben fid) entweder frühzeitig vom Parlament losgefagt, oder nad defjen Vernichtung den parlamentariihen Rod be- fhämt in die Ede geworfen. Der Haupttheil aber jhwelgte
u
nod fortwährend in den Erinnerungen an die blamagen- reihe Zeit, wo man mit einem Blid nad) den Schönen in der Gallerie die Freiheit erobert zu haben glaubte und wo man fpäter Märtyrer wurde, wenn man mit offenen Augen in das offen vor aller Welt gegrabene Tod der Neaktion rannte. Wer fi dabei die Nafe gefchunden, blidte dann verwundert nad) Oben und fragte den Schö- pfer, wie er jolcye Ungerechtigkeit könne gefchehen lafien; dann wandte er ald befiegter Held und Märtyrer dem „theuren Baterlande“ ven Rüden und verlangte von Des nen, bie ihm feit Jahr und Tag vergebens das Loch ge- zeigt, noch obendrein, fie follten ihn für einen Ausbund von Weisheit, einen geborenen Revolutionair und einen Wegweiler der Zutuhft halten. 8 geht nicht, meine Herren. Der Berftand fann vor der Thorheit nicht Buße thun, SKonnten die Herren den republifanifhen Rath nicht gebrauchen, fo müfjen fie fi mit der republifanifchen Kritik begnügen,
Bor mir liegt ein Bud) mit dem Titel „Aus dem Eril. Bon Ludwig Simon. 2 Bände.“ Ein jhredlihes Bud, aber dod) zugleidy ein amüfantes. SDiefer Herr Simon icheint von Natur ein ganz guter Men mit einer idyl- liihen Konftitution zu fein, der ohne Zweifel bei einer Bowle Maitrant, mit Mofelwein angejegt, viel provin» zielle Gemüthlichkeit entwidelt und im „Waldespunfel“ und auf „Wiejengrün“ mit einer germanifhen Schönen jehr jentimentale und familienväterlihe Szenen aufge- führt haben würde, wenn nicht die Revolution ihm den Spaß verborben und ihn zum großen Mann gemacht hätte, etst fcheint er jogar zum Liebhaber verborben zu jein, denn die Prätenfion verwandelt aud den Sentimen-
— 41 —
talen in einen Gourmand oder DBlafirten a la Morig Hartmann und überdieß würbe er feiner Liebften nur von der Paulskiche erzählen und da® würde felbft feine teutjche Prebigerstochter aushalten.
Herr Simon — das fieht man ihm an, denn er fteht fogar mit der teutfhen Meutterfprahe auf gefpanntem Fu — würde ohne die Paulsfirhe nie zu dem Glauben gefommen jein, er müffe aud) einen Ehrenplag in ber Literatur einnehmen. Setzt überrafht er die Welt mit zwei diden Bänden zugleih. Er hat das Bemußtiein, ein Mann der Paulsfirhe müfje nicht bloß ein Unverjal- genie, fondern die Welt müfje auch auf Alles verfefjen fein, wa® einem großen Vlanne diefes Drbens je begeg- net. Wann ihn ein Floh gejtohen und wo er an einer Blume gerochen, fogar wann er an „Obftruftionen“ gelitten und wo er ein „Kliftier“ befommen, warn er fit) gebadet und wo er jpazieren gegangen, wann er ge- rührt gemefen und mo er „Sauerkraut“ gegeffen, warın Freund Löwe „behaglih“ bei ver Cigarre war und wo Freund „Heinrih“ ihm (Yubwigen) einen Alpenftod fhenkte, da8 wird mit einer Göthe’ihen Umftändlichkeit, einer Naivetät ver Bebentfamteit und einer welthiftorijchen Individualitätsberäucherung erzählt, daß man meinen folte, ganz Europa habe Fudwigen von Trier, Mitglied der Paulskirche zu Frankfurt, und „die Freunde“ fafer- weife pränumerando mit Beichlag belegt.
Daß alle Schwägerei in Frankfurt eitel Komöpie fet, wenn man die Fürften im Befig der Haffen und im Kom- manbdo der Armeen lafle; daß ein teutjhe® „Reich“ mit einem SKaifer oben und Fürften unten nicht bloß eine mittelalterlihe Schöpfung, fondern aud, ein unmöglicher
BY (ge
Nonfens fei; daß weder‘ die Kaiferfandivaten nod die Reichsvafallen ihre Frankfurter Schöpfer zu Enpbeidlüß jen fommen lafjen, fondern fie zum Teufel jagen würden — alles Das haben wirklihe Revolutionaire, haben die Republifaner und „Radikalen“ den Schönreonern ber Paulskirche bei jeder Gelegenheit vorausgejagt und fie bedurften zu diefer Prophezeiung nur ein wenig Men fhenverftand und Ehrlichkeit, Die Herren waren aber in ihrer beklatfchten Weisheit hody erhaben über den Rath der „Schreihälje“, der „Revolutionaire von Profeflton“, und al8 die Frankfurter Komödie der großen Männer von Profefjion zu Ende war, fuchten fie in Stuttgart, um eini- ger Mapen den Schein zu retten, mit möglichft wenig qua litativer Differenz den Schlufaft hinzuzufügen. Cinzelne von Denen, welde nad Stuttgart gingen, mögen den gut» mithigen Glauben genährt haben, daß fich Dort nod) etwas am „Reiche“ fliden Lafje, obigen das „Reich“ ohne den verfaffungsmäßigen Kaifer eine Unmöglicykeit und bieler Kaifer in Stuttgart nody weniger zu haben war, ald in Branffurt und Berlin; aber die Pfiffigeren haben jiher nichts Anveres im Auge gehabt, als, mit möglichit we- nig Gefahr und mit einiger Wahrung des äußern An jtande8 in einer erzwungenen oder erfterbenden Auflöjung das Ende ihrer glorreichen Thätigkeit zu finden.
Hatten die Herren wirflid den Willen, nod) etwas für die Revolution zu thun, wollten fie fich wirklich, wie Hert Simon fagt, „den Boden diefer fündig-[hönen Erde nicht unter den Füßen wegziehen lafjen“, jo mußten fie von Frankfurt nah Mannheim gehen, wo fie keine „Reitbahn zum Zufluchtsort“ zu nehmen brauchten, fondern fi auf eine Armee von 20—30,000 Mann ftügen konnten; dert
— 343 —
mußten fie das „Reich“ als abgethan, die Fürften für Bolköfeinde und Hocverräther erflären, die Republit proflamiren und das ganze teutihe Volk unter die Waffen rufen. Dann war no Hoffnung vorhanden. Wer auf Stuttgart Hoffnungen fegen fonnte, thut feines Berjtan- des wegen wohl, zu verleugnen, daß er dort gewejen. Das thun aber unfere großen Männer nit. Stutt- gart bietet gerade den Ölanzpunft ihrer Gejdichte dar. Dort „tagten“ die „Reichöregenten” ohne „Reich“ und dort, dachten fie, ift das Ende des Fadens zurüdgeblieben, an den fie, wenn wieder eine Revolution vom Himmel geregnet wäre, den Reihsfaden auf’8 Neue hätten an- fnüpfen können.
Erft machten fie das teutjche Land zum „Reich“, Dod) hat fich fein „Regent“ dazu gefunden,
Dann hatten fünf „Regenten“ fie zugleich,
Jedoch Das „Reih“ — war unterdeß verjhwunden. Das „Rei“ war ihrer Hand entglitten,
Sie jelber wurden — „weggeritten“,
Ueber die Schluß- oder Wegreitungsizene in Stutt- gart berictet Herr Simon mit großer Befriedigung wie folgt :
„Segen Mittag feste fi unjer Zug nad) dem Sik- ungslofale in Bewegung. An der Spige ging der rüjtige Präfident Tömwe, zwei würbige Greife hatten ihn in ihre Mitte genommen, Zupwig Ubland und Albert Schott, der Ürjtere Freund, ver Lebtere Schwiegervater des Mlinijters, auf defien Befehl jest be« waffnete Macht uns den Eingang verwehrte. Ich ging, Arm in Arm mit Morig Hartmann, unter den
= Hi au
Erften hinter dem Präfidenten, bin alfo ein geeigneter Zeuge der folgenden Borgänge. In der Nähe umferes Lokales angelangt, fanden wir den Zugang dur eine Front Infanterie abgefperrt, dahinter zu Pferde den General Miller nebit anderen Offizieren und ben Regierungstommiffair Camerer. Diefer Lettere trat hervor und foderte uns im Namen des Gefetes auf, uns zurüdzuziehen. Löwe aber fchritt vorwärts und vers langte mit fefter Elangvoller Stimme: „Raum für die deutijche Nationalverfammlung !" — Darauf Tambour und „Falt’8 Bajonett!“ d.h. die Solpaten follten das Bajonett fällen, aber fie thaten’s nicht, oder doc) nur halb, kurz, e8 war ihnen gar nicht recht um’s Herz. IH habe ihnen von Angeficht zu Angeficht in die Augen geblidt, während der Zug vorwärts drängte; fie jchauten durchweg gar nicht feindlich drein und verriethen gar keine Luft, und eın Leid zuzufügen. Wir wären ficher in unfer Yolal gelangt, wäre nicht, auf gegebenen Befehl, ein, in einer Seitenftraße aufgeftellte® Gavallerie-Detachement num berangeiprengt, um uns binwegzureiten. Selbit diefe Aktion ‚wurde nicht mit joldatiichem Eifer ausgeführt, und vergeblidy bemühte fi ein Unteroffizier, die Leute zu energiiherem Zrabe anzufenern. Günther, Blum’s Schwager, rif die Bruft auf, daß die Knöpfe davon fuh- ren, und rief: „Stedyt zul“ — aber Niemand wollte zu ftehen. Doc) wurde der Eine und Anpere zu Boden und ber ganze Zug allmälig hinweggeritten.“
Merkwirdig! Man riß die Bruft auf, daß die Snöpfe davon fuhren. Ald ob man, wenn die Soldaten wirflid ftehen wollen und follen, erjt die Bruft aufzureißen brauchte. &8 wäre befjer gewefen, wenn die Herren bei
— 35 —
Zeiten die Augen aufgeriffen, dann hätten fie bie „Knöpfe* Sparen können und wären nicht „hinweggeritten“ worden.
Nachdem der Parlamentsrumpf hinmweggeritten war troß den davongefahrenen Knöpfen, fuhren einzelne Glie- der des KRumpfes davon nad) Baden und fie waren fogar — man bdente fih! — ftolz genug, das ihnen vom König von Württemberg aus Höchftvefien „Schatulle“ allergnä- digit angebotene Reifegeld auszufchlagen. Das erwähnt Herr Simon als eine Charaktertbat! Jetzt endlich kamen fie der bergeftellten Gleichheit wegen nad) Baden, das unterbefjen ebenfall$ zum Rumpf geworden war. Und in Baden wollten fie immer nod den fabelhaften teutjchen Kaifer embrafjiren, denn fie wollten immer nod die „Reichverfaflung“ und die war do nicht möglich ohne das „Reich“ und das „Reih“ war do nicht möglich ohne den Reichskaifer. Aber die Königlichen, die Känig- lich Preußifhen wollten nun einmal den Reichskaiferlihen felbft in der frommen Stadt Freiburg das Vergnügen nicht gönnen, für Reich und Kaifer zu Shwärmen, und fo wurden fie denn endlid nothgedrungen, wenigjtend geo- graphiich, Republikaner, indem fie den Boden der jchweize- rifhen Wepublif betraten. 8 ift höchft lächerlih, wenn Herr Simon feinen Republilanismus durd die Ausrede zu wahren fucht, er babe nicht, wie Herr Löwe u. f. w., für den Kaifer geftimmt. Er hatfürihn gehban- delt, indem er bie Reichöverfafjung, die ohne Kaijer nicht denkbar war, bis zum Ende wollte durchführen helfen.
Nahdem, vom theuren Baterlande fcheidend, unfer idylliihder Schönredner no für eine „von Uhland ver- ewigte Ulme* gejchwärmt, um feinem Tyrannenhaf Luft
BIEGEN
zu machen, ftürzt er fi, von vierzehnmonatliher An- firengung für das „Reich“ erihöpft, aus Baden in bus Thurgauer Bad „Horn“ am Bodenjee.
Mit dem Uebertritt von Baden nad) der Schweiz ift bie Komödie zu Ende und die Jdylle beginnt:
„Bir fhwammen täglidd mehrmald weit in den See hinein; ad, die Kühle tbat jo wohl nad vierzehnmionat- lihem Brande! Wir fuchten die jhattigften Stellen im Walde auf, und ich flodyt Kränze, wie hübjhe Mäpchen in friedlicheren Zeiten e8 mic) gelehrt hatten. Bracdten wir bieje Daun mit nach Haufe, jo wunderte fi ein Theil der Säfte über diefe ipylliiben Anmwanplungen fo blutgieriger Dienihen, während Andere verweltte Stüde davon in Bücher legten und mit fortnahmen.“
Horrible! Mit zitternder Freude werden die teutichen Türften beim Lefen diefer Stelle ertennen, welcher Gefahr fie entgangen, indem fie nody zur rechten Zeit dieje „blut- gierigen Menjchen“ mit den mäpdenhaften Blumenfrän- zen „hinwegreiten“ liegen. Hätten biefe ReichBregenten gefiegt, fie würden alle Fürften an Blumenkränzen aufge hängt haben.
In dem blumenreihen Bad „Horn“ würde man allen» falls das verlorene „Reich“ haben verfchmerzen können, wenn die „hübfchen Mädchen“ oder Frauen Gejellidaft geleiftet hätten, denn Die Herrn vom „Reich“ liebten außer dem Kaifer aud) ihre Huldinnen. Bald erzählt uns der trefflihe Simon, wie der würdige Yöwe von Calbe, bald, wie Herr Bedyer, bald, wie er felbft einen Einprnd ges madıt, oder fanft-und tief von Liebe burdprungen ift. Uber diefer poetischen Dispofition trit ein fehr projais
iche8 Hindernif entgegen, das fi noch vom „Reich“ hers batirt:
„Bor unferem Abgang nah Stuttgart hatte Yümwe fih um Anmeifung des üblihen Monatsbetrags für bie Bureaubedürfnijie der Nationalverfammlung an den le» ten Reihsfinanzminifter gewendet: „Anftändige Feind» Ihaft in-Ehren, aber Sie werden und do wohl nicht au&bungern wollen!, Und Herr Merk war an ftändig genug, die Anweifung anzufertigen. Als aber das Geld flüfjig gemacht werden follte, hatten fidy wieder anvere Einflüfje geltend gemadt; Rothjhild hatte bereit8 Oegenorbre erhalten.“
Alfo der fühllofe Rotbihild gönnte den blumenbefränzten Blutmenjhet nicht einmal das Glüd im Bad „Horn“ und bielt ihnen die Moneten, die „YBureaubebürfniffe“ des Unterleib8 zur Verhütung des „Aushungerns“ zurüd. Dafür fol er büßen. Wenn das „Reich“ wieberkehrt, werben wir darauf antragen, daß KRotbichild alle rüditäin- digen „Berürfnifje" aus feinem Beutel nadyzahle, mit BZinfen. Der Unmenjd!
Die „Ulme“, die „Blumenkränze*, das „Baden“, die „Liebften" und. — „Bureaubedürfniffe” — das waren aljo die Hauptgegenftinde, womit der frifche, rahejchnaus« bende Grimm diefer eben aus dem „Reid“ vertriebenen „Blutmenfchen“ fi zunädtt bejhäftigte,
Herr Simon fommt nad) einigem Umberreifen nad Zü- rih. Dort fieht er republifanifches Militair marjchiren und das begeiftert ihn fogar für das Morbhanpwerk an jih. Er verlangt bloß, daß der Soldat an Das glaubt, wofür er morbet, und dann verzeiht er jogar dem royaliftis ihen Morvfnedt.
— 38 —
„Ya, das Herz macht den Mann. Das müffen wir im Royaliften anerkennen, wie im Republifaner. Wird’s und audy fauer, wir- können nicht anders. Dafür aber dürfen wir unfere Bedingungen um fo ftrenger ftellen. Seine Ueberzeugung fei eine aufrichtige, volle, ungetheilte; er liebe feinen König und was diefer ihm vertritt, in Wahrheit und aus Seelengrund; er liebe ihn mehr, als feine Braut; er liebe ihn, wie wir die Freiheit lieben und unfer politifche8 Ideal! — Liebt er ihn nicht fo, dann er- fennen wir ihn nicht al ebenbürtig an, fo können wir ihn verurtheilen. Berurtheilen? — Wozu? Dazu, daß er nicht mehr Freudigfeit und aud) nit mehr Kraft in feinen Beruf mitbringe, ‘al® aus einer gefpaltenen ımd zweifelzerfrefjenen Seele zu entjpringen vermag. Wollten wir ihn zu Weiterem vernrtbheilen, jo fämen wir wegen der Bollfttedung in Berlegenheit.*
Allo Herr Simon kann fid, fogar mit dem Kofaden verföhnen, wenn er nur ein ganzer Kofad ifl. Der Banpit fei ein ganzer Banbit, er fei e8 von „Her zen“, er liebe das Banditenthbum „mehr als feine Braut“ und Herr Simon erkennt ihn als ebenbürtig an. Wahrjcheinlich waren die Reiter, die ihn in Stutt- gart „binmweggeritten“, ganze Reiter, deshalb hat er fih fo jchnell mit ihnen verfjöhnt md im Bab „Horn“ DBlumenkränze gewunden. Und jolde Schwadlöpfe, jolde Gefühlsoufeler, folhe Konfufionarien der patriotijchen Romantik, foldre Bappcharaktere bat das Volk zu feinen Rettern beftellt und fie geberden fich fogar ald „Republis faner“!
Die Fürften müffen mit einer wahren Wolluft diefe parlamentarifhen Blamagen gelefen haben. Daß Herr
u Ye
. Simon zum Tode verurtheilt worden, war bloß Wurft wider Wurft, Komödie wider Komöbdie,
In der Weife, wie Herr Simon das Solpatenthum acceptirt, liegt ein Zug bed Servilismusd ausgefprocden, ber einen Schimmer gemeinjter Niedertracht hat. Dem jelben Zuge begegnen wir in feiner Bertheidigung ber Schweizer Behörden wegen ihrer Hetjagden gegen bie Flüchtlinge. Sein „republifanifcher” Begriff verfteigt fich nicht höher ald zu der Anfiht, dag das Afylreht (die Schweizer jelbft nennen ed ein Recht) ein willtürlicher Ausfluf der „Srogmuth“ und „Humanität“, ein Alnıofen republitunifcher Gnade fei. Daß die Republik fich felbft erniedrigt, befhimpft und verräth, wenn fie die Betäntpfer ihrer Feinde verfolgt, füllt dem „Republifaner“ nicht ein; daf; fie nur dann auf einem würdigen und fichern Bovden fteht, wenn fie ftrafrehtlih die Flüchtlinge ihren Bürgern gleichftellt, fannn der Jurift nicht begreifen. Alles, was Flüchtlinge nit thun Dürfen, ohne Das Ajyl zu mißbrauden, dürften die Schweizer jelbjt ebenfalls nicht, 3. DB. feindlihe Unternehmungen gegen das Ausland ein» feiten u... w.; wa® aber die Schweizer dürfen, 3. ®. durd) die Prefje wirken, können ja die Flüchtlinge durd) fie oder unter ihrem Namen vollbringen lafjen, mithin ift e8 nidht einmal möglich, fie durch Ausnahmsjuftiz geiftig todt zu machen, was Herr Simon der Polizei als ein Recht fonzeviren will. In Amerifa macht man in diefer Bes ziehbung keinen Unterfdied und die Schweiz braudt ihn ebenfalls nicht zu machen, wenn fie wagt, was fie fann, und die Behauptung ihrer Würde höher ftellt, ald das un- geftörte Einvernehmen mit ihren Feinden. Die Schweiz beijhimpft ihre eigenen Jnftitutionen, wenn fie, was Durch
u aa
diefelben erlaubt und garantirt ift, den Despoten zu Tieb als ein Unrecht behandelt. Berflagt die Flüchtlinge vor unfern ©erihten — da® ift die einzige Antwort, melde die Schweiz auf auswärtige Reklamationen geben würde, wenn fie nicht fetg ihren eigenen Rechten den Stempel ver Berwerfung auforüden mollte,
Herr Simon gefteht, daf ibm nicht bloß Herr Gagern, fondern aud) Herr Radowig „imponirt“ habe, eben fo wie dem Unterthan und Romantiker das Soldatenthum impo- nirt,. Dadurch ift er volljtändig vor der Oefuhr gefichert, daß er jelbjt irgend Jemanden imponire, An einem ans deren Ort gejteht er, daß e8 ihm die Gegenwart verberbe, wenn er al8 Revolutionair fidy mit der Zukunft befafien d. i. für fie wirken wolle. Er nennt das ein profejjionelles Revolutioniren. Es ijt fogar gegen feinen „Stolz“, daß er den Leuten daheim, wenn fie zufrieden find und fein wollen, bejtändig darthun fol, ihre Lage jei unerträglid. * &8 wird aud) feinen Stolz beleidigen, den Dummen auf. zuflären, vem Unmifjenven etwas zu lehren. Jedes Schul« find hält ficy für weife ; deshalb muß e8 den „Stolz* des Lehrers beleidigen, ihm Unterricht zu ertheilen. Ein be» quemesd Mittel, fi das Lehren zu erjparen!
Wieder an einem andern Drte renommirt er mit dem Öeftändniß feiner ausgeftandenen Ungft wie folgt:
„Was ich 3.B. in den erften Tagen nad) dem Frank. furter September:Aufftande amsgejtanden babe, als es galt, über frifche Blutlahyen durdy die Reiben nod) pulvers geihmärzter Soldaten, denen man mich ald den unbejtrits tenen Anjtifter zum Morde Auerswald’ und Lid. nomw#fy's bezeichnete, mit fefter Stirne hindircdhzufchrei«
— 351 —
ten, um zu gewohnter Stunde und auf gewohnten Plate im Barlamente zu figen; ald der Antrag auf Verhaftung in’8 Barlament kam und felbft fonft ordentliche Yeute vor mir ausfpudten, — mas id damals ausgeftanden, das wünfche ich meinem Ärgften Feinde nicht, gejchweige denn einem Gefinnungsgenofjen. “ |
So oft Herr Simon ein Geftändnif ablegt, gefteht er einen Unverftand ein, aber nur mit der Prätenfion, ihn als ein neues Prinzip, oder einen Charakterzug, oder gar als „Stolz“ geltend zu mahen, weil er, der Autor, einjt Meitglied des Ordens der Paulsfirhe war. Und alle feine Dummpbeiten dringt er dem Lejer pe? „Du“ auf, er ftellt fih herablaffend mit aller Welt auf den Duzfur, nimt Jeden bei der Hand, zeigt ihm, was er Wunderbares ges jehen, und erzählt ihn, was er Großes erlebt hat.
Den widerwärtigiten Einprud macht er, wenn er mit feiner affettirten Bedeutfamkeit fih in diminutiven Ge- müthtichfeiten und weibijhen Siüßlichkeiten ergeht, wenn er über dad „Brüdlein“ fommt, unter dem ein munteres „Bäclein“ riefelt, wenn er und „die Freunde“, „Yöme nicht ausgenommen, das Nöflein munterer Reijelaune bald bierhin, bald dorthin werfen“, wenn er an die „Mama“ benft, wie fie „für jedes Nekonvalescenzitadium das ent» fprehende Süpplein kocht“, oder wenn er mit der tölpel- haften Ariftofrätelei eines bürgerlichen Provinzial Barvenit erzählt, wie er eine Dame als „liebe Frau Yonije“ anredet und mit ihr von Emanzipation fpricht u. f. w. Bei allen diejen welthiftorifchen Einzelnheiten des Privatverfehrs, aus denen da® halbe Bud zufammengefetst ift, „Läuft Einem fürmlid das Kompot im Manl zufammen“ uhd man muß geiftig ausfpuden.
— 352 —
MWäre das Bud) noch durch) irgend einen nicht finenfhen Jubalt gehoben, wäre wenigftend der objektive Theil von einiger Bepeutung, fo würde eine. gutmüthige Kritik dod) irgend eine fohriftftellerifhe Seite für das Yob ausbenten fönnen. Aber nein, nıtr triviale Gegenftäinde, nur taufend Mal in jedem Reifehandbud wicdergelaute Naturanjid- ten, mit verfehlten Neflerionen einer forcirten Geijtreidig« keit untermifcht, wechjeln mit den Kücdyen-, Kinderjtuben-, Leib: und Zeelengeheimnifjen diefer welthiftorifchen Perjon Simon und „der Freunde”, Uudb Das nennt der Wanıt „Memoiren“,
Wenn Einer folhe „Deemoiren“ über feine Perfon fhreiben will, fo muß entmwever diefe Perfon eine hiftes riihe Bedeutung haben, oder fie muß mit bedeutenden Perfonen verkehren, oder fie muß etwas Jnterefjantes er leben und mit dem Erlebten interefjante Zuftänbe fhildern, oder jie muß Das Erlebte durdy Geift und Humor fo ein- zuffeiven wiffen, daß man ihre Individualität in den Kauf nimt. Wenn aber in jedem Wort nur das alltägliche Individuum mit einer bloß von ihm geglaubten Yeden- tung fid) bereit macht, ohne etwas zu fein, ohne etwas zu erleben und ohne etwas aus fich und feinen Beobadtungen zu macen, nur auf das Welicf einer früher gefpielten, im Oanzen blamablen Rolle fich verlaffend, fo ift der Eindrud joldyer gefpreizten Unbeveutendheit ein ungemifcht wider wärtiger und im vorliegenden Fall, wo jede Saffeetiih- figung zu einem Ereigniß aufgebläht und aus jeder Heinen Diifere des Erils fentimentales Kapital für einen großen Dann gemacht wird, der e8 nod) dazu im Vergleich mit Andern überaus komfortabel gehabt hat, milvert fi der Eindrud nidt einmal durdy erregtes Mitleid, vielmebr
— 353 —
wird er verftärft durch die VBerächtlichkeit einer unmänn« lihen Koquetterie. 8 gibt tanfend Flüchtlinge, die, wenn fie ihre Leidensgeichichte veröffentlidhen wollten, ganz andere „Memoiren“ fchreiben könnten, al® diefer Simon; fie halten fit aber nicht fir fo große Männer, kehren ihre Privatleivden mit dem Bejen hübjch in die Ede und fehen nicht jeden Lefer für einen Kranfenwärter an, ber immer Paflion für Miferen und Jeremiaden haben müffe. Wer feine Mijeren erzählt, [oll zeigen, wie man fib über fie erhebt, oder wie burd) fie fein guter Wille, fih nüglich zu machen, gelähmt wird, nicht aber um damit zu fofettiren,
Bon einen revolutionairen Flüchhtling ift zu verlangen, daß er fein Schidjal mit würbiger Feltigfeit ertrage und nicht die Sadıe, der er zu dienen vorgibt, durch fein Benehmen zu einem Öegenftande des Jammers und der Beratung madye. Er fchlage fich ehrlidy durch, thue für feine Sadye was er fann und findet er babei feine Unterftügung, fo geißele er lieber die eigene Partei, ald daß er ven großen Mann fpielt auf Rechnung breiberziger Unterthanen. Wer vollens erklärt, daß er im Eril nichts für die Hevo- Iution thun wolle, welches Recht hat Der, die Leute daheim mit feinen Jeremiaden und feinen Selbftberäuderungen heimzufudhen? Herr Simon gilt wegen feiner Rebner- gabe für einen der Fähigften der Frankfırter Opponenten, wenigftens hat er zur Zeit viel Effeft und „Glüd“ beim Publitum gemadt. Dean fieht an ihm, was diefe Herren aus der Revolution machen würden, wenn fie wieder zu einer Stellung gelangten. Gie ließen lieber und Alle nohmals in’s Eril treiben, als daß fie den Spiegel ihrer Eitelfeit mit einem Werkzeug zur rn ihrer
Feinde vertaufchten. Mit Halbheiten haben fie begonnen, mit Dummbeiten haben fie geendet und mit voppelten Dummpheiten würden fie wieder anfangen. Wer durd feine Fehler nur zum Selbjtberäucderer und dur das Eril nur zum Janımermann wird, der wird durch feine neue Öelegenbeit zur Befjerung unt durd) feine neue Re» volution zur Entjhiedenheit gelangen.
Sclieflidy möge Herr Simon mit feinen eigenen Wer» ten jagen, wofür er fi gehalten hat. „Mit glühenver und ausjchliegliher Begeifterung babe ich die beiten Kräfte meiner Jugend (14 Monate) dem Dienfte des Baterlandes und der Meenjchheit gewidmet. Unjer Bolt hat uns verlaffen, wie jo viele andere Völker ihre republifanifhen Führer verlaffen haben. Nach» dem die Fluthen der Revolution fi verlaufen hatten, fand id mih einfamaufdem Sande wieder",
Die aljo nennen fi) republikanifche Führer, die niemals einen rvepublitanifhen Akt zu vollziehen wagten, objihon fogar die Fürften fie Dazu nöthigten, und dann wundern fie ficd) darüber, daß das verratbene Bolf fie „ver- lafjen“ und daß fie auf dem „Sande“ figen. Was follen denn Diejenigen fagen, die Herrn Simon und Andern feit fo langen Jahren den republifanifchen Weg gezeigt haben und von vorn herein „verlafjen“ waren? Mag das „Bolt“ zum Teufel fahren mitfanmt feinen großen Män- nern, wenn es verjtändigem Rath nicht folgen will; ein verftändiger Mann, der auf feiten Füßen fteht, thut feine Pflihtnah feinen Motiven, er läßt fih auf die Dauer nicht durch Andere anfechten und wenn ihn alle Welt „ver- läßt“, er verläßt fich felbft nicht und jpridyt: entweder follt
m
— 355 —
ibr mir d.e. verjtindigem Rathe folgen, oder ihr jollt zu Grunde gehen. Wollt ihr durdhaus zu Grunde geben, fo werde icdy eu ausladhen obendrein, wenn ihr den Pur- zelbaum in den Abgrund mad.
Selbit der Untergang der Welt, wenn er burd) verftodte Dummbpheit und Niedertradht erfolgt, ift fein Objekt für Die Sentimentalität und der Humor muß felbft am jüngjten Zage das legte Wort behalten,
IX.
Ein Yahr in London. Struviana und Struffiane.
Yrlandiihe Hülfe in der teutihen Noth. Enntiches
Chinefentyum. Der Erherzog von Braunfcwe g
nnd die ‚Lehren der Revolution‘. Die Fommus
niftiiche Schwefelbande. Zweite Auswanderung nad) Amerika.
Dbihoen ih damald nicht mehr igentbümer ver „Scnellpoft“ war (darüber jpäter), boten fi mir oo) in NewsPork immerhin befjere Ausfihten zur Sicherung mei- ner Eriftenz dar, al8 in London, zumal da ich fein Enaltich verftand. Aber id) fonnte mid) nicht entichließen, Europa zu verlaffen, weil mid die Hoffnung auf die Revolution und das nterefje für fie nicht verlafen wollte. E8 hat eine eigentbümlihe Bewandtnig mit diefer Joee der Revo» Iution. Wen fie einmal erfüllt, den hält fie feit wie eine Leidenschaft, wie eine Fiebe, In der That eriftirt zwifchen der Wevolution und der Liebe eine gewiffe Berwandtichaft: Beide eriftiven nur durd die Leidenfchaft und durdy fie nehmen fie den, wahrer Xeidenfchaft fähigen Menjcen ganz und vollftändig in Anjprud. Man nehme einem wirt: lihen Revolutionair die defnung auf die Revolution oder
— 357 —
die Möglichkeit für fie zu wirken und er muß verzweifeln, wenn er nicht für feine Leidenjchaft einen andren Gegen- ftand findet, ber ihn ganz erfüllen fann. Und Das kann nur die Liebe,
Sid) von der Revolution zu trennen, ift eine Aufgabe, bie aud) den Stärkiten frank machen kınn. Die Philifter haben keine Ahnung davon, was c8 heißt, dem Wirken für eine ‚jdee zu entjagen, der man, durd natürliche Anlage wie duch die Berhältniffe beftimmt, fein Leben geweiht hatte. Rein Haß, feine Verfolgung, kein Elend kann Dich ihr abwendig maden. E8 ift nicht mehr Sade deines Willens, did ihr zu weihen oder nicht zumeihen. Du nut ihr angehören, oder bu mußt aufhören du felbit zu fein. Alles wirkt dir entgegen, Alles ftürmt auf Dich ein, Alles verläßt dich, weil du von der verhaften dee nicht ablajien willft. Du fannft nit. Und findeit du Nie- manden, mit dem bu gemeinfam vich ihr hingeben kannit, fo verjcliegeft du fie in dich, du verfehrft mit ihr allein, du zehrit von ihr und fie zehrt von dir. Erft wenn du nad) Amerika fomnift und bier ein Paar Dugend Jahre lang vergebens, vergebens, vergebens Alles, Alles, Alled vır- fucht haft, für deine dee Sympathien zu erregen oder Dich) bei dem Wirken für fie unabhängig von den Sympathien Anderer zu machen, erft dann lernft du vielleicht, nicht der per, aber der Hoffnung entjagen, fie verwirklicht zu jehen oder für ihre Verwirklihung nod etwas thun zu können. Du mußt didy zu diefer Entjagung erheben, oder du mußt zu Grunde gehen. Der Kampf, den du innerlic durchaus kümpfen haft, um zu diefer Refignation, zu diefer Bers zweiflung an Andren und damit an deinen Hoffnungen auf Antre, zu diefer Ergebung in das Nıdhtsthun wegen
— 358 —
bes Nichtlönnens, zu diefer Abtödtung deines Wollens wegen bes Nichtshoffens, zu gelangen, kann dir den Hu- mor, kann dir die Gefundheit, kann dir das Leben koften. Haft du ihn aber fiegreid, beftanden, jo betrügt did, feine Hoffnung und fein Streben mehr. Du haft Die per, welhe dich beberrichte, bändigen gelernt. Sie bat did viel geplagt, als fie gefund war, noch mehr aber, als fie frant wurde, weil ihr die Nahrung verfagt war. Dann feffelteft du ihr die Glieder und fic lernte ruhig liegen. Mitunter verfuchte fie in rampfhaften Zudungen fich wie- der aufzurichten. Aber Du zeigteft ihr deine Umgebung, zeigteft ihr die Welt, zeigteft ihr die teutfche Natur und fie legte fidy ruhig wieder zurüd. So haft du fie denn endlich lebendig eingefargt. Sie hat ein Glasfenfter über dem Geficht, fo dag du immer ıhre Züge betrachten kannt; aber br bift ficher, daß fie fih nicht mehr aufrichtet und dich nicht wieder plagt, jo lang bu jelbjt nicht den Dedel öff« nejt. Sollteft du e8 jemals thun, fo ift fie durch Da® lange Liegen in erzwingenem Sceintode vielleicht zu fhwad geworden, um mieder aufitehen zu können, vielleicht zu bofinungslos, um e8 wieder zu wollen. &8 wäre jogar möglih, da fie, wenn fie wieder aufgeftanden wäre, jid freiwillig wieder in den Sarg legte, um nit nob Scylims- meres zu jehen, al8 fie früher fhon fah. Selbit auf dieje Möglichkeit mußt du gefaßt fein, denn du bift — ein Zeutjcer,
Kurzum, ald ih nad) Yondon kam, war, troß allem jchon Erlebten, die Jdee der Revolution noch friich, gejund und boffnungsvoll in mir wie am erften Tage. Dody ganz anders jtand e8 mit meiner Kafje. Ih war am frühen DVioigen angelangt; aber kaum hatte ich gefrühjtüdt, je
— 359 —
war ich fhon auf den Beinen, mir eine Wohnung zu fuchen, da ich die allertriftigften Gründe hatte zu fürchten, ich werde in dem (teutichen) Gafthof, in dem ic) abgeftie- gen, meine ganze Baarjchaft zurüdiafien müffen, wenn ich e8 mir auch nur ein Paar Tage dort bequem made. &$ gelang mir, fofort in einer benachbarten Nebenftraße (nahe dem Leicefter Square) eine möglicyft billige Stube zu fin» den, und nun ja ich wieder in „meiner“ Stube und jbaute in eine Zukunft, weit wie eine Welt, aber, die Re- volution abgerednet, leer wie eine Wüfte. Heute nod DBrod, morgen nod Brod, nody für eine ganze Woche Brod und dann? ALS Antwort auf diefe Frage ftarrte mic Die- jes fürdhterlihe London an, diefe Häufermafje fo fteinern und falt, al8 fei fie bloß von Krämer- und Ariftofraten- herzen aufgebaut. nm meiner Straße zogen unaufhörlic) Bettler vorüber, bald einfame reife, bald balbnadte Weiber mit Säuglingen an der Bruft, bald abgehärmte Frauen in Begleitung ihrer hungernoden Kinder, bald ein« fame Kinder ohne Eltern. Alle ftellten fich unter die Venfter, die Blide nad Oben, und fangen die Häglichften Weilen für die erhofften Pfennige. Für ‚die erhofften, denn halbe Tage lang habe ich gefchen, daß fich in der Straße — und fie war wahrlich keine arıftofratiihe — fein andres TFenjter öffnete, ald das des reihen Mannes, ber neulich vom jchweizerifhen Bunvesrath ald rewolntio« nairer Gefandter nad London war geihidt worden. Die Mufit diejer Bettler habe ich nody jest in den Obren und bo hatten fie vielleicht weniger Sorgen, als ih. Ic fannte in London feine Seele. Bon Mazzini hatte ich mir ein Paar Briefe an feine beiten Yondoner Freunde geben Lafjen und icy beeilte mich fie zu befudhen. Sie
-— BEO
waren trefflihe Menfhen — fpäter mehr von ihnen —, aber idy fonnte e8 eben jo wenig über das Herz bringen, fie von meiner Lage in Kenntniß zu jegen, wie jie eine Ahnung davon hatten. ALS Freunde des italicnijchen Patrioten, der perfönlich nie erfahren hat mus Mangel ift, nahmen fie mich als einen Dann von ähnlichen Verhält- nifjen auf, (uden mid zu ihren Partien, auf ihre Land» bäufer u. f. w. ein, furz erwiefen mir jeve Freundlichkeit, aber Alles im der jhweigenden Borausjegung, daß ich feiner direkten Hülfe bedürfe, Und Das grade machte c# mir ganz unmöglich, fie über meine VBerhältniffe aufzus Hären. Erft allmälig gelang c8, mit guter Dianier ihren Grauen den Wunfh nah Beihäftigung durch weibliche Handarbeiten, dur Unterriht im Tranzöfiichen u. |. w. zu erkennen zu geben. Und fobald ihre Aufmerkjantkeit auf diefen Punkt gelenkt war, fcheuten fie feine Mühe, bei Belannten für Unterridtsjtunden zu forgen. Ohne diefe Hilfe hätte ich in London nicht jeh8 Wochen eriftiren fönnen, objhon ich glei in ven erjten Tagen mehrere — Rojtgänger erhielt.
Koftgänger? Ja, und feine gewöhnliche. Cinige Tage nad mir langte nämlid, der Gewalt gewichen feiend, Guftav Striwe an, den das Scidjal überall auf meine Ferjen brachte, und da über meiner Stube nod Quartiere frei waren, micthete fi) Dort Guftav nebft Gemalinn ein, ja auch fein Schwager „Perro“ und fein — Selfretair. Öuftav mußte nämlich al8 großer Mann bei allem Elend einen Sefretair haben und jein Sefretair hieß Böhler und blie® das Horn.
Gujtav Struve hatte bei feiner Ankunft jo viel im Ber- mögen, wie Karl Heinzen, nämlicd, eine möglichjt intime
— 361 —
Annäherung an das Nidhts. Sie befchloffen aber, ihr bei- berjeitiges Nichts zufammenzufchießen, und dieß ergab wunderbarer Weife fo viel, daß beide davon eriftirten. Guftav nebft Begleitung ging bei mir in die Koft und vers bungerte nit! Guftav, der Gemüfeefjer, aß an meinem, des Tleifchefiers, Tifh als Koftzänger! Dod will ic ihn hiermit nicht verdächtigen, al® habe er am meinem ZTifh feine vegetabilifhen Grundfäge aufgegeben ; nod) weniger aber opferte ih,ihm meine animalifchen. Die Rätbiel Löf't fich auf folgende Weife,
Lieber Guftav, wir find alle Menjhen. Sind wir nicht? Und fann Der ein wahrer Deenjd fein, der fich feiner Menichlichkeiten Shämt? Trog Allevem haben die Meijten die größte Scheu, fidy zu zeigen wie fie wirklich find. Na- mentlicy die „öffentlichen Charaktere“ juchen fich gemöhn- lidy in zwei ganz verjchiedene Perfonen zu theilen, von denen die eine apart für bie Deffentlichkeit zurechtgemacht und mit faljhem Schein herausgepugt, die andre aber, die wahre, nämlid die Privatperjon, jorgfültig den Bliden ber Welt entzogen wird. Yit Dasreht? it Das wür- big? a, ift e8 auch nur vortheilhaft? Es gibt „öffent: libe Charaktere”, deren liebenswürvigite Seite grade ihr Privatleben Darbietet, die fich alfo jelbft fhaden, wenn fie bloß ihre gemachte, nicht ihre natürliche, Perjon dem öffent- lihen Urtheil ausjegen.
Du weißt, lieber Guftav, daß fi) dein öffentliches Leben dur mande Dummheit auszeichnet, an der ich wenig Sejhmad gefunden habe. Für mic, wirft du aber wieder erträglich, wenn ich mich an die liebenswürdigen Seiten zurüderinnere, die ic privatim an dir kennen gelernt, und ih handle wahrlich nicht ald Yeind, wenn ich fie aud)
— 362 —
Andern vor Augen führe. Man fagt, für ven Kammers biener gebe e8 feinen großen Dann. ch aber behaupte, daß, wer für den Kammerbiener Hein ift, e8 auch für Andre fein müffe. Ich bin nun nicht dein Kammerdiener gemefen, aber dody dein Gaftwirth und diefer hat nicht weniger Gelegenheit, Menjcdlichkeiten zu beobachten, al® jener. Haft du etwas gegen ihre BVBeröffentlihung einzuwenden? Dann bift du fein großer Wann. Der wahrhaft große Mann hat nichts dawider, daß alle Welt ihn kenne bis in bie Kleinjten Kleinigkeiten hinein; er muß aus einem Guß fein und fein Stolz und Wahrheitsgefühl muß fich dagegen auflehnen, daß man feine Individualität in einer privaten und einer öffentlihen Berjon als verfchiedenartige Wefen darftelle. Nimm ein Beilpiel an mir. ch erlaube bir nicht bloß, fondern ich fodre dich wie jeden Andren jogar heraus, jede Dummbeit, jede Lächerlichkeit, kurz jebe Menfhlihkeit zu publiziren, die du von mir weißt, und mache nur bie eine Bedingung: daß du wahr bleibit.
Setzen wir ung jetzt zu Tifch in der Wohnung nahe dem Leicefter Square in London, wo wir zufammen gebauf't haben. Wenn ich bidy in Gedanken wieder dort figen und über den Unfinn laden fehe, den ich Dir vormadhte, vers gefie ich alle Faljcyheit, Die du fpäter an mir begangen, und ic) fönnte dir die Hand drüden, al8 fei nie Dda8 Mindefte vorgefallen.
Die Einrihtung unferer Hauswirthihaft war alfo fol- gende. Die Zamilie Heinzen lieferte die Koft für die Has milie Struve, nebft Schwager Perro und Sefretair, aud Hornbläjer Böhler. E8 wurde natürlich nichtS berechnet, als die baaren Auslagen, und diefe wurden fopfweife ver theilt, Die Hauptichwierigkeit bejtand darin, daß bie
— 363 —
Samilie Struve fein Fleifh und feine mit Fleifchtheilen oder Fett zubereitete Speifen efjen durfte, fo daß für fie immer eine aparte Küche geführt werden mußte. Gefett 3. B., e8 wurde Spedfucyen gebaden, jo mußten nebenbei audy Kuchen ohne Sped mit Butter gebaden werden, nicht etwa weil der Sped der Familie Struve gejhiabet hätte, fondern weil fie ein Antifpedgelübde abgelegt. ‘Diefe doppelte Küche mit Sped und ohne Sped führte viel Un» bequemlichteiten herbei, dody Tieß man fie fidh gefallen, da man — abgejehben von angeborener Gutmüthigfeit und brüderliher Gefinnung — heilige Prinzipien reipeftiren mußte und biejelden einen unerjhöpfliden Stoff für das Lachen lieferten.
Nun muß man wiffen, daß Guftav fein Mann des Las hend, daß er fogar ftet® geneigt war, das Lachen für „Trivol* zu halten und für ein Anzeichen, daß e8 mit dem „fittlihen Halt“ nicht richtig beftellt fei._ Ernft, Anftand und Würde, Das war ed, was Guftav al8 erjtes Außeres Erfovernif eines VBolfdmannes und Revolutionairs anfah, Ic aber, ver ich ein großer Freund des Ladens bin, hatte mir num einmul vorgenommen, ihn aus jeiner „fittlichen* Beftung hinauszutreiben, und zum Kampfplag die Eijitube auderjehen. Kaum hatte jich aljo Guftav zu Zifch gefetst, fo begann ich die Batterien meines Unfinns jpielen zu laf- fen und jhwagte je tolle8 Zeug zujammen, daß fein „fitt- fiher Halt“ allen Halt verlor. ch bezeuge, daß er fidh tapfer hielt und für die bebrohte Würbe eine Zeit lang alle Anftrengungen machte; aber fein Widerftand murde immer fhwäcder und al® er zulett erfannte, daß feine BPofition nicht mehr zu halten war, ergab er fih auf Dis- kretion. Guftav lachte, lachte, lachte, dag ihm mitunter
%
— 364 —
bie Thränen über die Baden liefen und er zulett, an fid jeldft verzweifelnd, erklären mußte, er habe in feinem gan- zen Leben nicht fo viel gelacht wie an unferm gemeinfamen Tiih über meinen Unfinn. Gleichzeitig aber Eonnte er fih nicht enthalten, gelegentlich auszurufen: „ich habe immer geglaubt, der Heder ei der grobfte Menfch auf der Melt; du aber bift ned) zehnmal grober.“
Degreiflicher Weife triumpbirte ich innerlich nicht wenig, daß ic) fogar Guftav frivol gemadht und feinen fittlichen Halt überwunden hatte. Zugleich aber ift er mir nie lie- benswürbdiger vorgelonmen, ald damals, denn er war ganz Menfh, er konnte nicht andere, Und dabei blieben wir, troß allen zur Abwechjelung eingemifhten Grobheiten, gute Freunde, denn wir waren Damals beide — offen und ehrlich gegen einander.
Unfer Ziihgejpräh drehte fi zwar um alle mögliche Dinge, aber ald rother Faden z0g fi) immer da8 Thema ber vegetabilifchen und animalifchen Ejjerei hindurch. Suftav behauptete, vegetabiliihe Nahrung bilde „die Grundlage feines ganzen Syitems*. Wenn ih ihm dann aber zu Leibe ging, um hinter das „Syitem“ zu fommen, verwies er mid) immer auf „Mandaras Wanderungen“, worin er feine „Religion“ entwidelt habe. Ich konnte mich inveh eben jo wenig entidhließen, „Wandara® Wanderungen“ wie die Struve’jhen Gedichte („Gedichte von Guftav Karl“) vurchzulefen und jo blieb mir denn fein „Syitem“ wie feine „Religion“ *) unenthült. Dod tbat ich alles
*) Im anzen glaube ich, daß er felbit nicht wußte, „weldye Religion er bekannte,“ In Mannheim ging er einst feierlich zum ZTeutjch.fatholizismus über umd ich glaube, viel weiter ift eraud) jpäter nicht gefonmen.
— 365 —
Mögliche, ihm mwenigitend Bruchftüde abzuloden. Eines Tags ah ich ihn eine Weile fharf an und fpradh dann in ernjtem, feierlihem Ton:
„Denn ih Matthy wäre und dich in meine Gewalt be» Kine, weißt Du, was ic mit dir anfinge?“
Nun, was denn? Ä
„Sb fperrte dich in Brucdfal in eine pennfylvanifche Zelle und Tiehe dir jeden Tag zehn Portionen Beafiteats vorjegen, jonjt aber gar nichts.“
Dann würde ic) verhungern, rief er entrüftet aus.
„Ad nein, jo dumm mwärft dur doc) nicht.“
Dann kennft du mid) fchlecht, verficherte er.
Ein ander Mal fah ich ihn wieder fharf an, mufterte feine Stirne und fprady „wenn ich Dich fo betrachte, bes jchleicht mich mitunter eine unheimliche Furdt. ch vente mir nämlic die Möglichkeit, daß die vegetabilifche Koft auf die Dauer eine Veränderung deine® förperlihen Syitems herbeiführen fönnte, und e8 wäre doch fhredlih, wenn plöglih an veiner Stirne gewilfe Auswüchje zum Bor» jhein kimen und dein Mund, ftatt auf meine Fragen zu antworten, oder über meine Witze zu lachen, jene geiftreichen Duneerbewegungen machte, weldye man Wieberfäuen nennt.*
Und ich, entgegnete Guftav, fehe fhon in Gedanten, wie deine Zähne ji) vergrößern und deine Fingernägel fi in Krallen verwandeln und deine ganze Perjon zum Tiger wird,
Nimm did nur in Acht, antwortete ich, und male den Zeufel nicht an die Wand, denn du weißt, daß der Tiger das Rindvich zerreigt.
Sole fleifhlihe Diskurfe führten wir zwei Bamilien-
— 366 —
väter an einem Tiich, an dem mehr Fleisch gefprodhen als gegeflen wurde,
Ueber eine, fehr intereffante Frage, melde das Bleifch- und Gemüfe-Syftem betraf, fonnte ih von Guftan fo wenig Aufihluß erhalten wie über feine „Religion“, Eines Tages nämlich biidte ich ihn abermals forfhenp an und redete und fagte und fpracdh:
„Denke dir, in ZTeutihland fei die Revolution ausges broden. Um fie zu retten und die Republik zu gründen, ift abfolut der rechte Führer nöthig und der bift natürlich bu. Du aber biit no nicht zugegen, fondern auf der Reife von Amerika nad) Teutichland begriffen. Auf dem Schiff findet fi eines Xags, daß der Zwiebad auf die Neige geht, alle vegetabilifche Koft fonfumirt und nur ned Pötelfleifh, Sped und anderes Efmaterial vom Thier vorhanden ift. 8 währt nody 14 Tage, bis die teutjche Küfte erreicht werden kann. So lang falten kannft du nicht, in 14 Tagen mußt du ohne Fleijc den Weg alles Tleifche® gehen und du ftehft jet vor Der entideidenden, fürdhterlihen Wahl: entweder du iffelt vom Thier und vetteft mit dir die teutjche Revolution, oder du läffeft mit dir die Revolution zu Orunde gehen und retteft die vege- tabiliihen Grundfäge. ett frage ich Dich: was würdejt bu thun ?“
Ich mogte verfuchen, was ich wollte, Guftav war nicht zur Beantwortung diefer Frage zu bringen. 8 verfteht fidy von felbft, daß er wegen biefer Unentjchiedenheit und „Beigheit" eine entiprechende Dofid „Srobheit“ an die Ohren befam, aber dadurch wurde unfer gutes Einver- nehmen nicht geftört.
Diep gejchah erft jpäter, nachdem wir beide die Wohnung
— 367 —
gewechfelt hatten und Guftav abermals mein Nadhbar ge» worden war,
Doc ehe ich über unfer Zerwürfnißg berichte, muß ich nody einer Merfwürpigkeit Erwähnung thun, die nicht übers gangen werden darf, weil fie „biltorifch“ ift.
ALS ich, nady Beendigung der Hederfomödie, mit Guftav nad) Straßburg rei’jte, bemerkte ih, daß er neben fich im Eifenbahnwagen einen Gegenftand Tiegen hatte, den er auf das Sorgfältigite hütete, objchon fi) da8 Ding durch fein Ausjehen der Sorgfalt wenig empfahl. 8 hatte verihiedene Farben, unter denen aber der Dred die her« vorftechendfte war. Dfne genau zurzufehen, war man vers fuht, e8 für eine alte Haut zu halten, doch fah e8 zu fremd aus, um den zumächit liegenden Verdacht zu erregen, nämlic) daß e8 eine Dchjenhaut fei. Nachdem ich den Gegenftand wiederholt verjtohlen angefehen und ftet8 durdy Beicheiven- heit und Anftand — wir waren und damals nod) ziemlich fremd — abgehalten worden war, eine zudringliche Unters jugung unzuftellen, konnte ich endlicdy meine Wißbegier nicht länger zügeln und* platte mit der Frage heraus; „Aber was führen Sie denn da für eine Rhinozeroshaut mit ih"? Guftav lachte über meine Unwifjenheit und theilte mir mit, die Rhinozeroshaut fei ver Mantel eines Dorfnahtwächters, oder Sauhirten, oder Bauerd — genau erinnere ich mich nicht mehr, weldyer Dorfgröße er angehört hatte — und diefen Mantel habe er, Struve, des fchlechten Wetters wegen bei einer befonveren (ich weiß nicht mehr, wel- her) Gelegenheit oder Affaire (wahrjheinlid) in ver Schlacht bei Dredlod) getragen. Dadurch aljo, daß Guftav diefen groben, verjchlifjenen und verjchhmierten Ueberzug eines Saubirten auf dem Leibe gehabt, war berjelbe ein gefchicht-
— 368 —
tiher Gegenftanp, eine biftorifhe Merkwürbigfeit, eine Art Reliquie geworden, wie der graue Rod Napoleons oder der ungenähte Rod des Herrn und fo jchleppte Guftan biek fäuifche, wielleiht 20—30 Pfund wiegende Ungethüm als Andenken an feine Großtbhaten in der Welt umber. Und er fchleppte e8 nicht bloß nad Straßburg, er jchleppte e8 aud, fo viel ich weiß, von Straßburg nah Chalons, von Chalons nah Paris, von Paris wieder nah Straßburg, von Straßburg nad der Schweiz und erft in der Schweiz mußte er — man erwäge diefen Schwerz! — fein biftori- ihes Kleinod zurüdlaffen, al® er ausgewiejen wurde und ber Gewalt wid. Doc zurüdgelaffen ift-nicht vergefien. Ein Paar Monate fpäter kommt plöglic in Londen eine große Kifte für Guftav an, vie ein Paar Pfund Sterling an Fracht koftete. Und was entbielt die Kifte? Außer Guftavs Dramen*) und fonftigen werthvollen Gegenftän- ben war ihr Hauptinhalt die merkwürdige — Rhinozeros- baut. Ich nüpfe hier gleicy die hiftorifche Frage an: was ift jpäter aus der Rhingzeroshaut geworden ? it die Rhinozeroshaut au mit nady Anterifa gefommen? Gie follte eigentlih in Stahlftih ald Jluftration zu Guftavs legtem Band der „Weltgejhichte“ erjcheinen, weldyer über
*), Man muß willen, daß Guftav auch Dramatiker war. Mod in pe gab er ein von ihm und feiner Amalie
emeinfam verfaßtes ZTrauerjpiel „Abelard und Heloije* Fe Yd) erinnere nıich, daf darin eine Szene hinter der Szene jpielte, weldye durch; folgende Berje eben jo kurz wie anfhaulic) dem Publitum vorgeführt wird:
„Es ift gefcheh’n, Das Meffer drang ihm in den Leib, Er ift jet weder Mann, nody ift er Weib,“
— 369 —
die „Schild-" und Nahtwächter- „Erhekungen“ des „bas biichen Bolts“ berichtet.
Noh über einen wichtigen Punkt fanın ich keine Aus. funft geben, nämlih ob Guftav die Ahinozeroshaut ac) bei Mork getragen bat, wo er von London aus eine ıevo- Iutionaire Aderbaufolonie gründete. Guftav eine Slolo- nie? wird man fragen. Ja, Guftav ift in England aud) Batriard) einer Kolonie gewefen und als folcher hätte er fih in der Rhinozeroshaut fiher ganz Hafjiich, ja home: rifh ausgenommen. Er hatte einen jungen Engländer fennen gelernt, der fih für ihn interefjirte und ihm zum Aufenthalt und zur Bebauung eine Farm anbot, die er in ber Gegend von Mork befaf. Wie e8 fcheint, war die f, g. Farm eine Art Stall oder Hütte, welche bei der Fuchs» jagd benugt wurde. Doc wei ib Das nidt genau, Genug, Guftav brauchte, wie gewöhnlich, Feine nähere Information und hatte feine Plane fogleid) fertig. Er verband fich mit vier Flüchtlingen, Schnauffer, Cohnheint, Rofenblum und Ader, die nichts Befjeres zu thun mußten, zur Ausübung der Yandwirtbihaft auf der Farın bei Mork. Da man wenigjteng jo viel wußte, Daß e8 dort feine Haus- möbel gab, faufte Guftav für jo viel Geld, ald die Möbel gefoftet haben würden, Werkzeuge zur Anfertigung der= felben und leitete mit diefem höcjft praftiiben Anfang die Kolonifation ein. Die Eintheilung der Gefhäfte mar nicht weniger praftifch. Ader (von Haufe aus Mecanifer) hatte, wahrjcheinlich feines Namens megen, vie Ader- wirtbichaft zu beforgen, Schnauffer führte al8 Stallmeifter die Aufficht über das fchnaufende Gefchleht, nämlih das Bieh (Kuh und Pferd); Cohnheim und Rofenblum ver- walteten al8 Minifter de8 Innern und der Polizei die
24
— 370 —
Hausmwirthichaft und die Küche; Guftav führte ald Patri- ar Die Oberaufjicht, kontrolirte den fittl!ihen Halt und ging gelegentlid mit gutem DBeifpiel voran, indem er ;. DB. zeigte, wie man die Kartoffeln „mit Yiebe“ jchälen müfjje; Die Dame des Haufes aber „beichäftigte fich geiftig*.
Wie e8 diefer Kolonie erging, läht fi denken. Nad einiger Zeit waren die Koloniften jerftoben, weil ihnen der fittlihe Halt gefehlt hatte, und fie führten allerlei Klag.n über den Patriarchen, Unter den Zwergfell erijbütternden Sejhichten, die von jener genialen Wirtbibaft erzäblt wurden, will id) bloß eine wiedergeben. Die vier jungen Flüchtlinge hatten, um in ihr fittlihes Dafein einige Ab» wecjelung zu bringen, fi) eines Tages ein uniittliches Fäp- hen Bierangefhafft. Gujtav war dadurd jhmerzlich be- rührt und meinte, feine Kolonijten hätten „den fittlichen Halt verloren“, Kurze Zeit nachher wird Schnauffer früh Wlor- gend durd) Guftav gewedt, der ihm mittheilt, dax die Kuh erbärnlich fchreie, fie habe Durft oder Hunger. Scuaufs fer, im Bemuftfein erfüllter Pflicht, legt fich auf das andre Ohr und fehläft weiter. Nad) einer Bierteljtunde wedt Guftav ihn abermals, erinnert ihn an jeine Blicht und appellirt an fein Mitleid für das arme Thier, das vor Durft oder Hunger keine Ruhe habe. „Ei was“, ruft enplid Schnauffer unwillig aus, „Die Kuh verlangt nad dem Dchjen, fie hat den fittlihen Halt verloren.“
Die Heinzen-Struve'jhe Wirtbihaft auf -Tozialiftifch. animaliicyevegetabiliiher Bafis war nicht lang zu halten, Nicht al8 ob Differenzen über das „Syitem“ oder die „Res ligion“ entjtanden wären, denn man biieb trog allen ritis ihen Bemerkungen gegenfeitig tolerant amd wohlgefimnt. Uber die Lolalität war zu wenig geeignet und troßg aller
— 371 —
Wohlfeilheit zu koftipielig und da der Berfuch, eine. beffere und billigere zu miethen, an den plöglic auftauchenden, grabezu in’® Reid der VBerrüdtheiten ftreifenden Präten- fionen einer Dame fceiterte, die fih ‚in ihrer Einfalt für eine tentihe ©. Sand zu halten fhien und alle Bequem- lichkeiten einer bloß „geiftigen Beihäftigung“ durd Zu- tbeilung aller Unbequemlichkeiten an Andere erfaufen wollte, beichloi ich, Die animalifche Wirthichaft anderwärts felbftftändig zu etabliren und die vegetabilijche nebft der „geiftigen Beihäftigung“ ihrem Scidjal zu überlafjen.
Wenn ih Anlage hätte, an eine Borfehung zu glauben, ich wilde e8 in London gelernt haben. Hätte eine Prämie darauf geftanden, in diefem fchredlichen Yondon ein Haus ausfindig.zu machen, worin ein teutjcher Flüchtling, ein Flüdtling mit den legten Scyillingen in der Tafche, ohne Miptrauen angefeben, ohne Bedenken aufgenommen, mit Theilnabme und Wohlmwollen behandelt, ja mit ullem Nö- thigen auf Kredit verforgt werden würde, wer, frage id), häste fi) zugetraut, die Prämie zu verdienen? Wie Flüchtlinge in Yonden auf der Straße fampiren, im Hhyde« Park übernadten, von Kagen und Hunden leben, ja ohne Raben und Hunde vor Hunger fterben können — derglei- hen habe ich zur Zeit oft genug erzählen hören. Was aber mir in Yondon paflirt ijt, das habe ich von feinem Anderen gehört und das würde ich jchwerlich glauben, wenn idy e8 nicht jelbft erfahren hätte,
Diit ebenjo jchwerem Herzen wie leichter Tafche machte ih mid) eines WMorgend auf die Beine, um eine Ent» dedamgsreije nad) einer möglichft einfachen, möglichft billi- gen und möglicht abgelegenen Wohnung aufzutreiben, in welcher fi) ohne Äußere Störung Privatgejpräce mit dem
— 372 —
Schidfal halten Tießen. Der Inftinkt fagte mir, dak ih eine folhe Wohnung nur am äußerften Ende Londons, unter den letten VBorpoften eines Proletarierviertels finden werde, wo ein Kartoffelngärtchen für das verlorene Glüd entihätigt, zu den Bewohnern der großen Weltjtadt zu gehören. Der Weg führte mid an Kenfington Garden vorbei, wo damald noch ganze Streden ohne Häufer waren und die lichten Stellen die Nähe der ländlichen Umgebung verriethen. Dennod fah e8 mir aud dort felbft in den beichyeidenften Gaffen nody zu ariftofratiidh aus und troß dem verführeriihen “Rooms to let’’ wagte id nirgendwo einzutreten, weil die Leute mir überall Gefichter zu machen fchienen, ald wollten fie mid) fragen: „wie viel Schillinge haft du in der Tajdhe?* Das böfe Gemwifien meiner Zajche ftudirte überall Phonfiognomif und trieb mich weiter. So fam ich durch eine neue Straße mit eins fachen, aber hübfchen Häufern, die ich kaum anzubliden wagte. Die Straße hieß Westbourn Grove. Schon der Name imponirte mir. Cr lautete fo lururiös, pfund« fterlingmäßig und romantifch-ariftofatijch, daß fich meine Hofentajhe tief befhämt inftinftmäßig zufnöpfte, Wie ih dazu fam, von diefer Straße aus in eine Queerftrafe zu bliden, die ebenfall® nette und neue, wenn aud) Hleinere Häufer hatte, weiß ich nicht, denn ich dadıte nur daran, weiter, immer weiter bi8 in die Gegend des Kartoffeln. gärtchen vorzudringen, mo ich wenigften® die „vegetabi« Lifhe“ Nahrung felbft ziehen könnte. Genug, der Zufall ober die VBorfehung lenkte meinen Blid rechtd in Die neue Dueeritraße hinein und zeigte mir dort an einem Feniter- laden einen weißen Zettel. ch blieb ftehen, blidte nad) dem Zettel und verfanf in Naciventen., „Dunmes Zeug,
— 373 —
fagte ich enblid) zu mir, „wie fannft du wagen, did) in diefjer Gegend mit Wohnungsgebanten zu befchäftigen ? Hier muß e8 nod theurer fein, al8 beim Leicefter-Square, und bier fieht man nur Blumengärtdhen, nirgends Kars toffeln“. Aber trog allen Bedenken trieb mid eine ges beimnigvelle Madr — id) weiß nicht, ob e8 die VBorfehung, ob e8 Magnetismus, ob e8 ein „guter Geift*, over mein eigner jchledhter Geijt war — unmwiderjtehlid an, mir den weißen Zettel in der Nähe zu bejehen. Vor dem Fenfter- laden jtehend, auf dem das “Rooms to let” angeflebt war, jebhe ich, va im Innern ein Heiner Laden, eine Art „Srocerie* ift, und aus dem Laden blidt mich eine Frau, der man fofort die Jrländerinn anjah, mıt ihren freund» lihen blauen Augen, ihren gutmüthigen Zügen und ihrem großen Mund jo unwiderjtehlid an, daß ich ohne Bevenfen fofort eintrete und in Hafjiihem Englifch eine Information nad) den *“Booms” redigire,
Dean hat mich jpäter mehrere Male um die Aorejje der Vamilie erfucht, welche mir diefe *Rooms” vermiethete, Ic) habe fie aber nicht geben wollen, aus Furcht, die vor- trefflihen Leute könnten mit Anderen üble Erfahrungen machen und dadurd für Das bejtraft werden, was fie an mir und den Meinigen gethan. ett, wo foldhe Bedenten nicht mehr eriftiren, will ich zu Ehren der Dienjchlichkeit die vollftändige Aorejje publizivren. Hunter, fo hieß der wohlgenährte, gutmüthige Bewohner des Haufes No. 7 IHereford Road, Westbourn Grove, das mid als wahrer Rettungsort aufnahm, und diefer Hunter war Berfertiger gattverherrlibender Orgelpfeifen. Er vers fertigte die Pfeifen des Initruments, womit die Mufit zu Ehren des Wejend gemacht wird, das mic Ungläubigen
—_— 374 —
inmitten des Londoner Häufermeers fpeciell nad No. 7 Hereford Road dirigirt hatte. Frau Hunter aber hatte, um mit ihrem Mann die Sorgen für die Bebürfnifje des Lebens zu theilen, einen Heinen Yaren eingerichtet, mit deflen Artikeln fie ihre neuen Hausbewohner wie ihre Nadıe barichaft auf die liberalite Weife verfab. Für I Sdil- linge die Woche vermiethete mir Yrau Bunter, obne irgend fränfende Informationen nad meiner Herfunft und meinen Berhältuifjen anzujtellen, ohne zu fragen, ob ih „gut“ fei oder „Referenzen“ babe, zwei bübjche möblirte Zimmer nebit Brand und Licht; daneben aber jtellte fie nicht bloß ihre Küchenfener zur Berfügung, fondern erbot jich aud), für ihre neuen Miethsleute vie Kocherei zu beforgen, ja Die Kindeswärterinn zu jpielen, wenn diefelben einen Aus- gang zu machen, Bejuche abzujtatten, oder jonjtige Ge- ihäfte hätten. Dohd Das war bei Weitem nod) nicht Ale, Kaum waren wir eingezogen, jo erfundigte jid Frau Hunter, welde Spezereiwaaren, wie viel Brod, mel« ches Gemüje, wie viel Fleilhy u. j. w. wir brauchten, und alles Beitellte fand fic) pimftlich ein, ohne daß eine Meiene gemacht wurde, Bezahlung zu fobern. Das werde ji fhon finden, meinte rau Hunter, und idy ging auf ibre Meinung gelehrig ein, Uno jo ging es nicht bloß einen, zwei, drei Lage, jo ging e8 Wochen und Monate lang, jo daß ih gradezu Monate lang auf Hunterfhe Rehuung lebte. Welche Bortheile bietet doch mitunter das Krepitjyiten neben den Baarjyitem! Bon Sezahlung der Miethe und der Yebensmittel war nur Rede, wenn ich wieder Geld hatte und von felbit bezahlte, Db ich aber Gelv hatte oder nicht, die Yamilie Hunter zeigte immer piefelbe Bremmdlichkeit, Diefelbe Bereitwilligkeit, diejelde Theil»
— 375 —
nahme. Ich Hatte den Leuten offen gejagt, wer ich war und wie ed mit mir flund. Das genügte ihnen und im Uebrigen verließen fie fih auf mein „ehrlihes Gefidht“. Der gute Hunter gewann troß meinem Unglauben, meis nem unenglifhen Wefen und meinen no unenglifcheren Gelvbeutel Zuneigung und Vertrauen zu mir, jo dal er mir jogar die Ehre zudachte, mich in feinen lub einzu: führen, und mir geftand, er jet ebenfall® Nevolutionatr und witrde, objchen jelbjt Engländer, gern helfen, viefe ariftofratiihe englifhe Aegierung über den Haufen zu werfen. So babe ich beinah ein Jahr lang bei der Fa- milie Hunter gelebt. E8$ gelang mir immer, von Zeit zu Zeit jo viel aufzubringen, daß ich meine Schuld wieder abtragen konnte und zulegt nicht einen Gent fihutvig zu bleiben brauchte, und al® ich endlidy nad Amerika mußte, meinten die gute Srau Hunter und ihr guter Orgelpfeifen- macer ihre beiten Thränen, als hätten fie ihre nädyjten Berwantten verloren.
Das habe ich in der Weltjtant London erfahren. Men, ber du die Welt kennt, bedenke, was Das heift. Hätteft du No. 7 Hereford Road gefunden? Dover gibt ed nod) eine zweite No. 7 im Yondon ? Gibt es in den 500,000 Häufern Londons eine zweite Yrau Hunter? OÖbne die Familie Hunter wäre e8 vielleicht der Familie Heinzen er- gangen wie anderen teutjchen Flüchtlingen, die von Katen lebten und ohne Katen verhungerten,
London ift feit jener Zeit beventend fosmopolitifcher geworden und hat fid) an die Flüchtlinge gewöhnt. Das mals aber erfhien den Yondoner Ehinefen — Kedru Rollin nannte die Englänver die Chinejen ded Occidentd — ein, nicht nach englijher Fagon zugefchnittener Ausländer wie
— 376 —
ein Barbar und ein Flüchtling wie ein wildes Thier. Jh fonnte damals nicht über die Straße geben, ohne daß die Menjhen baufenweife fteben blieben und mid) an- ftarrten ; jogar vornehme Ladies ftanden wie verjteinert und gafiten Einem in’® Gefidt, als hätten fie nie einen Dienjcen generis masculini gejehen. Ich erinnere mid), daß einjt ein ältlicher Herr, eine Dame am Arm, der mid erjt jab, al8 ich einen Schritt von ihm entfernt war, vor Scred luutauf ichrie, in Die Kniee fankt und entjegt an die Seite taumelte. Und doc war ich ganz einfach gefleivet und hatte nichts Auffallendes an mir, ald mein angebore- nes Yängemaf, aber ein engliiher Chinefe fah mir auf ben erjten Blid an, daß ich Fein — englifcher Chinefe war.
Wie weit dieg Chinefentyum mitunter ging, möge fol- gendes Beilpiel veranfhaulihen. Die Schriftitellerinn Tanny Lewald wollte Yondon befuhen und hatte cine dort lebente teutjhe reundinn, Fräulein Bölte, beauftragt, ihr eine Wohnung zu beforgen. Am Tage ihrer Ankunft wurde fie von diefer Freundinn und dem Herrn Morig Hartmann, der einen langen Bart trug, in der gemiethe- ten Wohnung erwartet. Die Wartenden traten hinaus auf ven Balkon und jahen auf dem Balkon des Neben; baufes den ihnen befannten ungarijchen Flüchtling Böothy ftehen, der ebenfall8 einen langen Bart trug. Kaum hatten jie einige Worte mit ihm gejprocdhen, al8 der Haus: eigenthümer heraufjtürmte und die Mietherinn erjuchte, auf ver Stelle jein Haus zu verlajjen, er vermiethe feine Wohnung an Damen, die mit bärtigen Männern ums gingen und Unterhaltungen auf dem Balkon beginnen, Dojhon Fräulein Bölte das Frübftüd fon auf dem
— 37T —
Ziih hatte, mußte fie wieder aufpaden und fidh nad) einer anderen Wohnung umfehen.
Gute Frau Hunter, du haft nicht danach gefehen, ob ich einen kurzen oder einen langen Bart trug, und mogte mid) ber bärtige Guftav oder der bärtige Bööthy befuchen, fie waren dir alle glei mwilllommen, denn fie befuchten den Mann der VBorjehung, flir welche dein reblidyer Gatte die Orgelpfeifen madte. Wenn einjt der König von Preußen mir die Million auszahlt, die er mir fchuldig ift, und id mid) allen Denen dankbar zeigen kann, die fi) ohne Eigen» nug um mid verdient gemacht haben, wird die Familie “ Hunter in erfter Reihe bevadyt werben.
Nachdem ich einige Zeit in Hereford Road gewohnt hatte, 320g Struve in meine Nähe nah Weftbourn Grove und diefe Grove war der Kirchhof unferer Freundfchaft.
Begreifliber WVeife waren wir fortwährend darauf be- dacht, nicht bloß eine animalifhe und vegetabilifche, jon- dern aud) wieder eine revolutionaire Thätigkeit zu ent- wideln. Aber wie Das beginnen ohne Mittel und ohne Gehülfen? Der eine Flühtling lebte hier, der andere dort, Alles war verjprengt und vereinzelt; Überdiefj herrichte bei faft allen Einzelnen eine mehr oder weniger ftörende Berfchiedenheit dem Meinungen. Ich entwarf baher fols genden Plan, E8 jollte ein Programm aufgeji«llt wer« ben, weldyes die Huuptgrundiäge Der Revolution und der revolutionairen Zhütigfeit in einer Weije flizzirte, daß es von nen, prinzipiell rad’falen mad praftifch vernünftigen Revokutionairen unter fhrieben werden fonnte. Dieß Programm folte von Heinzen und Struve allen Revos Iutsnairen, Nie einen beisanten nad geadhteten Namen hatten, zur Unnabme (rip. Barkefjeung) vorgelegt wer:
— 18 —
ben, War ed angenommen und unterichrieben, jo wurbe ed durch das, von den Unterzeichnern gewählte Zentralfo- mite mit jämmtlihen Namen des durd fie gebildeten Ge neralfomite’8 befannt gemacht und darauf hin die Unter ftüßung aller teutjchen Republifaner in Teutjchland wie im Auslande nahgejudht.
Kam bdiejer Plan zur Ausführung, fo wurde baburd eine Einigung, und zwar nicht um Namen und Perfonen, fondern auf prinzipiellee Bafis, zugleich aber eine aner: tannte revolutionaire Behörde gejchaffen und Beides hatte grabe den Teutihen am Weiften gefehlt.
Indem ih Struve meinen Plan mittheilte, legte ich ibm , gleichzeitig einen Entwurf des Programms vor, worüber ic) mich zumächjt mit ihm verjtändigen wollte. Er billigte nicht bloß den Plan, jondern nahm aud das Progranım an, ein Paar Punkte ausgenommen, über die wir und die Einigung ned) vorbehielten. Che wir aber zum Abjchluß darüber kamen, fpielte Guftan mir einen Jejuitenftreid, ber mich jo emipörte, daß ich jede weitere Berbindung mit ihm abbrad.
&8 erijtirte damals in London ein Arbeiterverein, der mich und Struve wieberholt eingeladen hatte, einer feiner Berfammiungen beizuwohnen. Da ich vor folden Hulbis gungsgelegenheiten — denn darauffwar e8 abgejehen — eine große Scheu habe, verjheb ich ven Bejudh, fo lang id fonnte; zulegt aber konnten wir nicht mehr ausweichen, ohne den Vereim zu beleidigen. ALS wir dort erfchienen, wurden wir burd) eine lange Kede des Präfidenten einge» führt. Diefer Bräfivent war ein gewifjfer Dr. Bauer, ber fic) jpäter im Amerika al8 „demofratiicher” Apojtel der Stkiavenhalterpartei bemerkbar gemaht hat, Seine Rede
— 379 —
war im Styl des bekannten lobhudelnden Bombaftes ge- halten: Die Männer... . die Männer... . die Männer .. . ja die Männer... o die Männer... . feht die Män- ner... . dort figen die Männer. .... Ich far währenp der Zeit am Tifch und blickte im mein Bierglas und munte nicht, ob ich lautamf lachen, oder vor Widermwillen das Yo- Kl verkaffen fjolte. Man merkte dem Rebner fofort an, taßer gewöhnt war, dem Verein durdy‘ den Humbug feiner (Suade zu imponiren und daß er fich einbilvete, vie Em- problenen, die beiden „Männer“, durch jeinen Banegyrikus fih anf’8 XTieffte zu verpflichten. Natürlih erwartete er zunädyft, daß die „Männer“ fich für die ihren angetbane chre Durdy eine entiprechende Antwort an den hocdhgeehrien Herrn ‘Präfidenten bevanfen würden. Allgemeine Stunm- heit und Erwartung. ch fette Das Glas an den Wtund und erhotte mic) von der ausgeftandenen Ehre. Da ftieß Guftav mid am md Tispelte mir im’d Ohr: „willft du denn nichts antworten ?* „Olaubft dur, ich fei verridt ?“ eriwieberte ih, Guftuv hatte eigentlidy bloß erwartet, ich folte ihm fagen, dag er antworten möge. Wie follte Guftav eine Yobrede unbeantwortet laffen fünnen? Er fah mie auf heigen Kohlen. Enpticd konnte er e8 doch nicht nrehr aushalten, er fuhr in die Höhe und hielt mit der be- fannten fanarienvogeligen Dounmerftinme eine Rede an die „Brüder“, Guftav begann mit Yiebe, ging weiter mit Haß ımd endigte mit Out. Wie kann man mur jo biuts dürftig fein! Onjtav wüthete unter ven Tyranmen herum, daß e8 zum Erbarmen war; bis am die Seniee watete er in ihrem fhwarzen Hint und was Parvon beift, davon hatte er feine Borjtellung mehr. Er drang wiederholt darauf, nran folle und ditrfe feinen Parbom geben, umd die ganze
— 390 —
Berfammlung hatte augenfheinlich alles Mitleid verloren. Nady jedem Sab rief einer der Zuhörer “hear, hear”, um zu beweijen, daß er wußte, wie die Engländer ed madıen, wenn fie eine Rede anhören. Ich, der ich fein Englifch veritand, glaubte immer, die Yeute riefen „bier, hier“, wie die Soldaten beim Appell, und wußte mir gar nicht zu er- flären, warum Gujftav, fo oft er diefen Yaut hörte, mit doppelter Wuth in’s Gefhirr ging. Endlid hörte das Blutvergiepen und das “hear” auf und ed wurde mir wies ber leiht um’8 Herz. Aber kaum hatte ih neu aufzus athmen begonnen, jo erhob ji) ein Mitglied ver VBerfamm- lung, ein Scufter, dem id ein breidoppeltes Pecpflaiter auf die Lippen gewünfcht hätte, und gab die Wirkung zum Beften, die Guftavs Blutvergiegen in feinem revolutios nären ©emüth hervorgebradht hatte. Diefer Schuiter war in der That fchredlic, al$ Redner nicht minder denn als Kannibale. Der Mann übertraf felbit dem blutgier rigen Guftav und ftürzte einen folhen Wolfenbrud von rothem Saft über die Berfammlung, daß mir zulegt zu Muth war wie dem Chourineur in den „Seheimnifjen von Paris“ und ich Alles „roth fah“. Guftav, der fjanfte, vegetabilifche, ftaudenhafte, botaniidhe, gemüfige Gujtan, der im natürlichen Zuftande fo viel Aehnlichkeit mit Pabit Sirtus I. hat — N. 3. id) habe die Portraits von jünmt- lidyen 262 Päbften in der Stube bangen —, diejer lieb» reihe Guftavus Mandaras jtand vor meinen Augen wie ein blutihwigender Henker und der rothe Schujter maß ihm Stiefel an von rothem Leder, das er fertig gegerbt von dem Rumpf der Tyrannen gezogen hatte. Der Athem ftodte mir und ald idy dad Glas ergriff, um mir durd einen friihen Schlud die Kehle zu öffnen, enthielt e8 Blut
— 381 —
ftatt Ale und mein Gemüth erbleichte im Innerften und mein nervus sympathicus drohte zu zerjpringen wie eine Darmfaite,
Nachdem endlich, endlid die rothe Sünpflut fidy ver- laufen batte, fam der Herr Präfident zu mir und fragte mich, warum denn ich nicht gefprochen habe, „Was id zu jagen habe, erwiederte id, da8 habe ich längft pruden lafien. Wer e8 wijjen will, mag e8 lejen.”
So weit verlief Alles ganz harmlos und fomifh. Wer hätte vermuthen fünnen, daß Gujtav Diefen Verein gut- müthiger Handwerker, denen zur Abmwedyjelung ein Paar Spione beigegeben waren und ein unausjtehlicher Schmiz er präfidirte, ald Mittel auserjehen hatte, meinen revo- Iutionairen Plan zu verderben? ch war wie aus den Wolten gefallen, al® Guftav durdy feinen „Selretair“ und Hornbläfer Böhler plögli mein Programm dem Hand« werferverein mittbeilte und zur Disfutfion vorlegte, Ein Programm, das austrüdlid nur dem Ontadyten weniger auserlejener Perfonen unterliegen follte, wollte Ouftav von dem Urtheil eine® Vereins abhängig machen, ber mit der Angelegenyeit nicht das Weinvdejte zu fcyarfen hatte, Es war Klar, dar, wenn ein foldhes Programm ald dasjenige eines jpeziellen, objfuren Vereins befannt wurde, e8 alle allgemeine Bedeutung, daß es jeine ganze Natur verlor und Diejenigen vom Anjluf zurüdicyreden mußte, Die e8 eben allein unterzeichnen jollten. Bon einer vemofra- tijhen Annahme konnte hier keine Kede fein, Da unter der Hauptmafje Derer, auf deren jpätere Yiligung und Unterftügung gerechnet wurde, fein bdemolratıldhes Ber- fahren miöglidy war, jo wenig wie die Wahl des revolutio- nairen Komite’s,
— 382 —
Um mir feine Blöfe zu geben und feine Szene herbei» zuführen, erflärte ich nach dem Bortrag des vorgeihobenen Hornbläfers Böhler bloß, dap das Programm nicht bie Beitimmung babe, in dem Londoner Verein biskutirt zu werden, da e8 aber einmal vor dieß Forum gebradt fei, möge derjelbe fein Urtbeil abgeben.
Später ging ih zu Guitav und fagte ihm offen meine ganze Meinung, welde dahin ging, daß er meinen Plan blop deshalb zu verderben gefucht habe, weil derjelbe nicht von ihm ausgegangen fei. Seine mapßloje Eitelkeit, weldye ihm einbilde, daß aus jeinem verrüdten Gehirn die Jnitias tive für alle revolutionaire Thätigfeit ausgehen müffe, babe ihm die Perfivie eingegeben, ohne Rüdiprache mit mir meinen Plan auf jejuitiiche Weife zur Sade eines uns fremden Vereins zu machen, in deffen Händen er von vorn herein verpfujcht fei. Dieje Faljchheit, womit er eine von ihm jelbit gebilligte Sacye feiner Eitelfeit opfere, zeige mir feinen Charakter von einer Seite, die mein fer- nered Aufammenmwirfen mit ibm unmöglich mache. “Ich babe ihn als tüdiichen Jefuiten fennen gelernt und kchre ihm als Feind für immer ven Rüden,
Das war das lette Wort, das ich mit Guftav Struve gefprohen habe. ch habe ven Mann trog allen Differ: renzen ftet8 offen und ehrlid) behandelt wie alle Dienfchen, mit denen ich auf freundlihem Fuß verkehre, und jo lang er mid) auf gleiche Weije behandelte, tonnte er fidy auf mich verlafjen; wer aber — und namentlic) in foldyem revolus tionairen Zufanmenwirten — meine Offenheit mit Ber- ftedenfpielen und mein Vertrauen mit Faljchheit erwiebert, mit dem fchließe ich ab für immer. Die Crfahrung, Die ich mit Struve gemacht, habe ich in anderer Weije auch
—_ 389 —
mit UAndern gemacht. Unter den Herrn Revolntionais ren fcheint die Ehrlichkeit nur jo lang vorzuhbalten, bis fie ein wenig Namen erlangen, worauf dann ber fligel der Eitelteit fie zu dem Glauben bringt, fie feien die allein Berufenen, und zu der Berfuhung, nicht untergeordnete Mitwirter ald Rivalen ihrer eingebifveten Größe dur Falichheiten zu befeitigen. Wenn man eine Reihe folder Erfahrungen durhgemadht hat, lernt man zulegt die Noth- wendigfeit erfennen, allen diefen großen Männern gründ- lih zu mißtrauen amd lieber als [honungslojer Richter ihre Feindfchaft, denn als nahfichtiger Freund ihre Falich- beit zu verdienen. Und hat man vollens, außer mit den großen Männern, au mit dem Schwanz von revolutio- nairem Pöbel feine Erfahrungen gemacht, ven fie hinter fi herzufchleppen pflegen, jo verjöhnt man fich zulegt mit der Nothwendigkeit einer vollftändigen Jfelirung:
Die Sadje der Freiheit machte fich febon,
Wenn nur ihr abichenticher Schwanz nicht wäre, Treu bleib’ id) der Revolution,
Satt hab’ ich die Herrn „Revolutionaire*.
Da ih im Vorbergehenven fo viel von Gemüfeloft ge- redet habe, halte ich e8 für palfend, da8 Thema bier abzus fchliegen dırd Einjhaltung folgender Gefchichte, die ich ©. Struve und jener Gemalinn gewidmet habe,
u BE
Die Gefhihte von Johann Struffopder StrufflL, Peter Struffoder Struff II. und Kaspar GStruff oder Struff IIL; oder Die Kunft, ein Jupiter zu werben.
—
Zwei Dugend teutihe Revolutionaire wollten zu Schiff geben, um das goldene Vlied der Freiheit zu erobern. Sie waren fämmtlich nicht bloß jehr radikal, fondern auc) jehr praftifch, und thaten eben jo wenig etwas, was unniüß war, wie fie etwas unterliegen, was nöthig war. Diefen Grad der Befähigung hatten fie erreicht durch den Unter- richt ihre® Anführers Johann Struff, eined® Mannes von allen möglichen Talenten und Tugenden. Unter den let» tern waren die größten fein unerjhütterliher Glaube an die VBorfehung und eine mit unerbittliber Konjequen; durchgeführte Abftinenz von allen Fleifchipeifen, weldye Ab: - ftinenz al8 die Grundlage aller Humanität und Philoio- phie war erfannt worden. E83 fand fid Daher audy auf dem Schiff weder Sped nod, Pötelfleiib, wever Wurft nod Scinten. Die Manufchaft jollte ausjdlieglicy von Erbfen, Bohnen, Sauertraut und Zwiebad leben, damit ihr die humane Dispofition, die man den fittlihen Halt nannte, nicht abhanden fomme. Bloß einer der freiheits- argonauten, welder fid) die neue Lehre nicht aneignen fonnte oder wollte, hatte die alte fleifchliche Yeidenjchaft beibehalten und fröhnte ihr durd, mitgenommene Scinten und Würfte. Man fagte dieß jogar Johann Struffs ©emalinn nach, welche ohne Wifjen ihres Gatten mitun-
—_ 385 —
ter etwa® Zervelatwurft und Gänfeleberpaftete nafdıte. Sie hatte e8 noch nicht zu jener Gewifienhaftigkeit ge- bracht, melde aus einer religiöfen Auffaffung des Gemüfeefiend hervorgeht, bloß beftrebt, der Autorität ihres geliebten Johann äußerlich zu genügen, jeiner Be» rubigung wegen.
Bor der Abfahrt hielt Johann Struff an feine Gefähr- ten eine erhebende Rebe, in der er fie zu dem gefahrvollen Unternehmen ermuthigte durd eindringliche Ermahnungen, mit fronmem Ölauben und fefler Zuverficht auf die Bors jehung zu rechnen, welche fie ficher geleiten werde, Denn, fagte er, der Blid des Menfchen ift furzfichtig und er muß ihn ergänzen dur blinde Zuverjiht in die Führung der unfihtbaren Borfehung; wollten wir uns ftet8 befinnen, wo wir nicht erfennen, wollten wir tet nachdenten, wo wir nicht fehen, fo würden wir ftets ftilljtehen, aber — „wo die Erfenntniß aufhört, beginnt der Glaube.” Glaube und Enthaltfamkeit von fleifhlihem Materialismus, das find unfere feften Stügen, unjere fiheren Führer.
Unfere. Argonauten hatten jhon eine ziemlich lange ahrt hinter fih, ohne das Ziel zu erreihen. Mehrere behaupteten, man habe einen faljhen Kours eingefchlagen, und wollten nörblid ftenern. Johann Streuff aber, ver nie feine VBorjäge änderte, weil fie jtetS weije waren, be- ftand auf der Fellhaltung des füplichen Kourjes. Die Borliebe, die er für Südteutfchland hatte, übertrug er auch) auf die See und er hätte um Alles in ver Welt die Frei- heit nicht in der Mord» oder Dftfee gefucht, Wenn bie Mannfhaft unruhig wurde, jo jchrieb er dieß dem Unglau- ben und dem Tleifchefier zu, welcher, dur; Zweifeljucht zum Mißtrauen und dur Fleifc zur ne ae
5
u
getrieben, fich nicht die nöthige Gebuld aneignen könne, Eine® Tages bielt er auf dem VBervded einen ergreifenden Bortrag über diefes Thema. Borträge, fowohl mündliche wie fchriftlihe, waren überhaupt feine Xeivenfchaft und er verfäumte nie eine Gelegenheit, jein Talent der Rede wie der Schrift zu entwideln. Er hielt tiglich zwölf Reden und diktirte nebenbei ftündlidy zwölf Bogen voll. Struff bewies feinen Zuhörern auf dem Berded, daß fie nie und nimmer da® Ziel der Yuhrt erreichen könnten, wenn nit alle Zweifelfuht und alle thierifche LYeidenjhaft uno mit legterer alles Fleifh über Bord geworfen werde. Er trug zulegt darauf an, daß eine Vıfitation nah Schinken und Würften angeftellt und das VBorgefundene nad) dem zu erwartenden Majoritätsbejhluß bejeitigt werde,
Der Fleifchefler widerfegte fih diefem Antrag auf das Lebhaftefte und fogar Struff’8 Gemalinn jhhlof fich ibm in fo fern an, als fie die Meinung äußerte, da® temokratijhe Prinzip des Majoritätsrechts könne fich nicht bis in den Diagen ausdehnen. Struff befämpfte indeh diefe Ein» wände fiegreich und fein Antrag wurde mit großer Majo- rität zum Beihluß erhoben. Xeider kam aber der Be [hluß nicht zur Ausführung. Während: man fid) nämlich mit der Hauptfadhe, dem Ölauben und dem Gemiüjeefjen, beichäftigte, hatte man eine Nebenfache, da8 Steuerruber, außer Acht gelafien, denn man hatte die Borjehung zum Steuermann ernannt. So gejhhah es, daß in dem Augen» blid, wo die gemüjeeffende Majorität zur Abftimmung die Hände in bie Höhe ftredte, das Schiff plöglich einen hefti- gen Stoß erhielt und fümmtlihe Abftimmende zu Boden warf. Es war auf einen Feljen gelaufen und begann aud fofort zu finten, Die Bemannung rettete fi glücklich auf
Ba
ben Feljen, aber ihre ganze‘ Provifion nnd Habe, ein Paar Flinten, Fiihereigerätbichaften und dergleichen aus: genommen, ging mit dem Schiff zu. Grunde. Unter ven» jenigen ©egenftänden, deren Berluft.am Meiften beflagt wurde, find vorzugsweife zu nennen eine Starte der fünfti- gen teutjchen Föderativrepublif, ein Verfafjungsentwurf für Diefelbe, ein Roman, „Blumenktohl’8 Fahrten“ bes titelt, welcher die ganze Anjchauungsweiie der Glaubens- und Gemüfepbilojophie geiftreih und überzeugend ent- widelte, fodann ein phrenologisches Kopfmaß, wonach in der künftigen Republit die Normaltöpfe geformt werden . mußten, und Movelle von den fehshunvert „Geifeln ver Menihheit“, endlich ein vegetabiliicher Kalender, welcher eine neue Zeitrehnung nad) der republitanifchen Küche und Religion einfährte, jo daß er z.B. Montag in Kartoffel- tag, Dienftag in Kohltag, Mittwoh in Rübentag, Don- nerftag in Spinattag, Freitag in Erbjentag, Samjtag in Salattag und Sonntag in Olaubenstag ummandelte. Struff verfchmerzte den Berluft feiner wichtigen Papiere und Borridtungen nur in der Ueberzeugung, daß c8 feiner produftiven Thätigfeit bald gelingen werde, fie der Welt auf’8 Neue zu fihern.
Der Feljen, auf melden die Schiffbrüdigen fi) ausge- fetst jahen, hatte ungefähr vreifig Fuß im Durchmefier, war durdaus fahl und bot daher feinen jehr tröftlichen Aufenthalt für Bewohner dar, mogten diejelben der Ge- müje- oder FFleischtheorie huldigen. Derjenige, weldyer die neue Lage am Grofartigften und Politischften auffaßte, war natürlih Struff. Kaum hatten fid) die Geretteten von ihrem erften Schred erhelt und das Seewafjer abge- fhüttelt, ald Struff eine Rebe hielt und feinen. Gefährten
ia A: au
bewies, wie gütig die Borfehung über fie gemacht hake, denn fonft würde das Schiff zu Grumvde gegangen feit ohne auf einen rettenden Felfen zu ftoßen. Sodanı bes antragte er, daß man fid) parlamentarifch konftitwire und einen Präfidenten ernenne. Nachdem die gefchehen war, nahm Struff das Wort, beftieg eine erhöhte Spike dd Teljens und jprah: „Brüder! Ein Unglüd hat und ge troffen — body war ed nur ein fcheinbares, denn gleihzeis tig ift uns ein Glüd wiederfahren. Wir haben unfert Habe verloren, do, was wir gerettet haben, ift unjer Geift, unfere Gefinnung, unfer Glaube und unfer Muth. Mit ihnen ausgerüftet, trogen wir allen Zufällen und Ge fahren. Wohlan, bewähren wir uns! Richten wir unfere Thätigfeit zunächt auf das Nöthigite, auf das Prattifcfte! Ja beantrage daher, daß wir fofort ein Journal gründen unter dem Titel „Der ozeanifche Zufhauer“, Anfangs laffen wir es ald Wochenblatt erjcheinen; jobalt e8 aber binreichende Abnehmer hat, geben wir e8 ald Tage blatt heraus, Die Redaktion bin ich bereit zu überneb men.“ Sodann fprady er fic über die Tendenz und Ein richtung bed Blatted näher aus und begann den Mitar beitern ihre Aufgaben zuzumeifen.
Struff'8 Plan fand unter einem Theil der Verfamm- lung lebhafte Unterftügung. Ein anderer Theil aber, namentlidy der Fleifchefjer, erklärte fich entjchieden dages gen. „Wo haben wir denn, fagte der lettere, Federn, Dinte und Papier? Gefet aber au, wir fangen einen Dintefiih, jchießen einen Seevogel und jhreiben auf Mu: jcheln, wo finden wir eine Prefje und Drudlettern ? Ans genommen aber auch, wir machen Yettern aus Korallen und eine Prefie aus Felsblöden, wo ift unfer Bublitum?
— 389 —
Wird das teutfche Volk feine neue Flotte hierherfenden, um Abonnenten zu bringen? Über follen wir eine Zei- tung für Wallroffe und Möven herausgeben ?_ Ich halte e8 für viel zwedmäßiger, daß wir und nah Lebens- mitteln umfehen, denn unfer nähftes Bebürfnif fcheint mir der Schuß vor dem Hungertod zu fein.“
Diefe Einwürfe und Propofitionen erfchienen ven Meis ften als fehr gefuht. Dennoch fanden fie einige Beadh- tung, da ihnen al® heimlicher Alliirter der Magen fünmt- licher Anwejenden geficyert war, welche begannen ein mäd)- tiged Epbebürfnig zu empfinden.
Als Struff diefe Gefahr erlannte, fuchte er fie Durch pafjende Borftellungen abzuwenden. Er appellirte an das fittlihe Gefühl der VBerfammlung, zeigte ihr, daß in ihrer jegigen Yage feine vegetabilifche Nahrung, einiges ange- Ihwemmte Seegras ausgenommen, zu erwarten fei, daf daher nur die Wahl übrig bleibe, entweder Auftern, Bogeleier und Tilhe zu efjen, oder aber zu verhungern. Er feinerfeit8 bleibe feinen fittlih-vegetabiliihen Grund- fügen treu und werde eher verhungern, als die unmora- life animalifhe Nahrung zu fi nehmen. Für feine Ueberzeugung, für die Jdeen der fittlidhen Menjchheit, müfje man zu fterben wifjen; er fodere Daher die Berfamm- lung auf, durd Majoritätsbeihluß zn erklären, daß man verhungern müfle.
Der Fleifhejfer wandte hiergegen ein, daß man, wenn man verhungert fei, Das Journal nidht her. aus geben kfönne. Diejer Einwurf Teudhtete Allen ein und führte das Amendement herbei, man folle Jedem das Berhungern freiftellen, dann aber aud das Journal herausgeben.
u
Struff erklärte fich mit Diefem Borfchlag einverftanden und fonmit murde er Beihluß. Daranf warf man bie Angeln aus, um einen Dinteftfc) zu fangen, und die Ge- wehre wurden geladen zur Bogeljagd. Statt Dinteftiche fing man Bratfifhe. Der Anblid verfelben jo wie einige gefangene Seekrebfe und die umberliegenden Bogeleier wirkten jo verführeriich auf die Gejelichaft, daß in Kurzem Alles mit dem Anrichten einer Mahlzeit bejhäftigt war. Aus aufgefiihten Schiffstrümmern wurde ein Teuerberd errichtet. und nad einigen Minuten hatte Jeder, Struff und feine nothgedrungene Gemalinn ausgenommen, einen gebratenen Fifd, in der Hand, .
Struff war außer fi, einmal weil er alle feine Jüns- ger aus bloßem finnlidem Gelüfte gegen feine heiligiten Grundjäge revoltiren fabh, vann aber, weil er, troß allen Beihmwörungen der Borjehung, feinen Dintefiih fangen und das Journal nicht beginnen konnte. m feiner Ber- zweiflung fann erauf-Auswege. Plöglich entdedte er am Horizont die Umrifje einer Injel. Augenjcheinlich fam die Borfehung ihm jegt zur Hülfe. Die Infel, dachte er, ift entweder bewohnt und dann ift und in jeber Beziehung geholfen, oder aber fie ijt nicht bewohnt und dann nehmen wir fie in Befig, um meinen neuen Staat auf ihr zu gründen. Begetabilien wird fie jedenfall$ in binreichendem Deaße hervorbringen und das etwaige. Chierreich lafje ich topsächlagen, damit man ed nicht effe..- -
Aber wie die Infel erreihen? . Auch hierzu fand jid Rath. Bon dem untergegangenen Schiff rifjen-die. Wellen eine Menge Planten 108, - Diefe Planten. band man zu Flöpen zufammen-und die Meberfahrt war gefidert. Man bejann fi nicht lang und [iffte fi ein. Aber als die
— 31 —
Argonauten fhen in der Nähe der Jnfel waren und Struff eben die Landungsrede hielt, ftatt die Landung felbft zu überwachen, gerietben die Tlöge in die Brandung, bie Bellen rifjen fie auseinander und der größte Theil der Demannung ertrant. Nur Struff mit feiner Gemalinn, zweien feiner treueften Anhänger und dem Fletichefier ret» teten fih. Der Fleifcheffer hatte.jogar das Glüd, feine Flinte und Jagdtafche nit an’s Ufer zu bringen.
Das Erfte, worauf Struff nad) der Landung fann, war eine Danktrede an die Borjehung, indem diefelbe von 24 Perjonen fünf am Leben erhalten habe, und dann die Auf- findung von Gegenftänden, durd) die er fih ven Märtyrer- tod für feine Berhungerungstbeorie erfparen könnte, Er brandpte nicht lang zu fuchen. Baunfrücte fand er zwar nicht, aber Gras, wilden Sellerie, wilde Kartoffeln, Sauerampfer u. f. w. in Menge. Dan überzeugte fich bald, daf man auf einer unbewohnten, mit einiger Wal- dung und viel Gras bevedten Infel fich befand,
Struff erfannte fofort die Aehnlichkeit feiner Lage mit berjenigen, worin ber Held des Romans „Blumentohls Fabıten“ feine Theorie jo anziehend verwirklicht hatte, Er fah hierin eine Fügung der VBorjehung und war bald über- zeugt, daß er auf der neuen Ynfel feine Miffion erfüllen müffe. Nachdem er fi vollftändig Har über die Yage der Dinge geworden, fprad) er zu jeinen Genofjen: „Brüder, wir müffen eine Bollöverfammlung berufen!“
Zwei feiner Brüder waren damit einverftanden, daß man eine Bollöverfammiung berufen müfle. Der Dritte aber, der Fleifchefjer, Karl Straff mit Namen, der Näm- liche, welcher gegen das Journalprojett jo ftarfe Oppofition gemacht hatte, erhob aud) allerlei unzeitige Einwürfe gegen
— 392 —
die Berufung einer Bollsverfammlung. „Ic jebe hier, jprad) er, kein anderes Bolt, als ein Bolt Rebhühner, auf die ich mich im-VBoraus freue, fodann eine Menge Kanin- hen, wilde Enten u. j.w. Will man diefe zufammenbes rufen, fo habe ic) nicht8 dawider, man erfpart mir daburd) die Mühe, fie zu jagen, aber —“ Hier wurde er unter- brohen durd den Ausprud der Entrüftung, melde bie Berjanmlung über feine frivolen Reden empfand. Sturz, er mußte fi der Majorität fügen und die fünf Schiffbrü- higen konftituirten fi) ald Boltsverfammlung.
Struff hielt eine fulminante Rede, in welcher er zumächft feftitellte, daß man mit den Iyrannen feinen Frieden fchlies Ben, jondern in ihrer Belfämpfung eifrig fortfahren müffe. Hierzu gehöre aber vor allen Dingen Muth und Entjdlof- jenheit. Dan müfje ein „Dann der That“, nicht der
Worte fein. Wer nit Gut und Blut einzufegen und im „Kugelregen, zu wandeln entjchlofjen fei, der jei ein Ber. räther und Unmenjh. Er fodere daher die Berfammlung auf, ihm zu jhwören, daß fie Gut und Blut zur Berfü- gung jtellen und ftet8 im Sugelregen wandeln wolle zur Betämpfung der Tyrannen.
Seine beiden vegetabiliichen Anhänger fhwuren. Der fleijchejiende Dpponent aber weigerte fi und fprad: „Daß wir auf diefer Injel die Tyrannen bekämpfen jollen, fommt mir eben fo amüfant vor, wie daß wir auf dem Teljen ein Journal herausgeben wollten, oder daß wir fünf Mann body eine Bolfsverfammlung halten. Ich finde bier einftweilen nichts zu belämpfen ald Rebhühner, Ka- ninden u. f.w. Zyrannen, wenn auch jehr unfchnldige, finde ich hier höchftens in Denen, weldye Andere mit ihren Berrüdtheiten tyrannifiren wollen und fi) bazu jogar der
a DE u
Majoritätsbefchlüffe bedienen. Man kann Alles lächerlich machen, jogar bie Freiheit, und unfer Präfivent Struff ift auf dem beften Wege dazu, Wühten die Tyrannen, was wir bier beginnen, fie bevürften gar keiner Anftrengung mehr, uns unjhäplich zu machen, denn ihr kennt das Spridwoert: „bie Lächerlichkeit tödtet*. Mögen wir uns durch unjer Streben verhaft, mögen wir und furdtbar machen, da8 Alles jchadet uns nicht; aber jobald wir uns läcyerlic, machen, find wir verloren. Wer Die Grenze des Läcyerlihen nicht zu erkennen und zu meiden weiß, vem fehlt e8 an Berftand, und nur ver VBerftand hat Anfpruc) auf Zutrauen in Berjtandesjahen. Der Präfident Struff empfiehlt und Muth. Wohlan, wir haben hier keinen anderen Muth zu bewähren, al® den, uns einander bie Wahrheit zu jagen und unfere Thorbeiten abzulegen. Eine Thorheit mit Hartnädıgkeit fefthalten, zeugt entweder von einem Gebirnfehler, oder von einer inkturablen Eitelkeit. Ich trage im Interefje der Freiheit darauf an, daß wir auf diefer Injel alle unjere Narrheiten zurüdlaffen und mit dem erften Schiff, das fich nähert, ald gejcheidte Leute in unfer Vaterland zurüdtehren. Erjt dort, wo ed am Play ift, wollen wir B.töverfammlungen halten und unferen Muth in Funktion jegen, und wer dann den Sugelregen liebt, wird Gelegenheit genug erhalten, fich beregnen zu lafien, Wer am unredhten Ort ald „Mann ver That“ renommirt, ift gewöhnlicy am rechten Drt ein Dann ber Blamage.“
Straff’d Rede bewirkte Das Gegentheil von Dem, was fie beabfihtigte. Struff entgegnete ihm mit großer Em- phaje:, Man fieht“, jprac er, „Daß unfer Mitbürger, der fo viel von Freiheit redet, nicht einmal die Elementarbes
— 394 —
griffe der Freiheit richtig erfaßt hat. Er verwirft das Majoritätsreht. Wer da® verwirft, der ift fein Demo- frat, der ift ein Monardift, ein Despot, ein Berräther —“
„Sch vermerfe nicht dad Majoritätsrecht, entgegnete Straff, ihn unterbredhend. dc) ertenne e8 dem demofrati- jhen Staate zu, in allgemeinen Angelegenheiten, aber ih erienne ed nicht an, wo es irgend einer durch den Zufall zufanmengewürfelten Gejelljhaft ald Weittel dient, ent- gegenftehende Ueberzeugungen oder Jndividualitäten zu ver- nichten und jede beliebige Tollheit zum ejets zu machen. Das Majoritätsreht jegt vernünftige Menjchen voraus, nicht Narren. Auf dem Feljen, den wir geftern verlafjen haben, jollten wir bemofratiich verhungern; auf biejer Injel werbde ich, wenn ich die Majorität anerlenne, ge- nöthigt werden, gleich dem lieben Bieh demokratiih Gras zu frefien. Dazu babe ich feine Luft und jolltet ihr mid) dazu zwingen wollen, jo werbe ich nöthigenfall3 an mein Minoritätsreht, da® heift an meine fylinte oder den „Kugelvegen“ appelliren. - Ich frage den Präfidenten, wenn die Majorität diejer Gejellihaft für das Fleijchefien ftimmt, ob er dann aus purer demofratijher Gewifjenhaf- tigkeit fi) Kaninden und Rebhühner braten wird ?“
„Slaubjt du“, entgegnete Struff heftig, „daß ich bier auf dem Armenjünderjiuhl jige und mid von dir müfje aus fragen lafjen ?“
„Da haben wir den Demokraten, rief Straff triumphi- rend. Mic will er par force auf feinen demofratijchen Zeiften jlagen; beginne ich aber, ihn ihm jelbit anzupafien, jo rettet er fid) Durch eine übelverdedte Flucht in das Gebiet einer gemachten Entrüftung.. Doc genug. davon, mir wird biefe Art von Demokratie langweilig und mid hun-
— 395 —
gert: Ich gehe auf die Jagd, um mir recht undemotratifch eine wilde Ente zu fhießen.* (Fndem er fi) verabjchiedete, fläfterte ibm Struffs Gemalinn in’® Ohr, fie rechne darauf, daß er ihr einen Schentel von der wilden Ente zuftede.)
Nah‘ Straff'8 Entfernung blieb die übrige Gefellichaft in großer Bewegung zurüd,. Struff’s beide Anhänger Ihwuren nicht bloß Unerbittlichkeit und Muth gegen die Tyrannen und unerfhöpflihen Kugelregen, fondern aud) treue Anhänglichkeit an die Fleijchverabfchenungstheorie, Um ihre innige Ergebung fund zu than, baten fie fi) jogar die Ehre aus, Struff’3 Namen annehmen zu dürfen. Struff, dem vieß Berlangen jehr jchmeichelte, war natür- lid einverftanden und fo konftitwirten fidy denn Die drei Gefinnungsgenofjen als „vegetabilifche Föderativrepublit“ unter dem Namen:
Johann Struff oder Struff L.,
Peter Struff over Struff II., und
Kaspar Struff oder Struff ILL., gefegnet und protegirt von Struffina,
Sie entwarfen ihr Programm oder ihre Berfafjung und bejchlojfen zunädft, nicht eher zu ruhen, als bis fie ihre ganze Umgebung zur vegetabilifchen Staatslehre be- kehrt und einen Kugelregen zu Stande gebracht hätten.
Das Belchren begann fofort, als Straff von der Jagd jurüdgelommen war und mit Fran Struff die wilde Ente verzehrt hatte,
- ‚Struff’$ Rede Iantete alfe: „Ich muß nicht bloß eine innige Vorliebe für Die. vegetabilifhe Ari@asweife, fondern aud) fchon eine genauere Kenntnif ganzen vegetabilis fhen Wifjenfchaft voransjegen können, wenn ich einen Blid
— BO a
in den tiefen Hintergrund thun Iafjen foll, der alle ihre Ge- beimniffe und Seeligfeiten im Sanftiffimum ber Bor» fehung verbirgt. Auf dem vegetabiliihen Syftem, ges tragen von dem Olauben an die VBorfehung, beruht meine ganze Weltanfhauung, meine Politif und meine Moral. Nur der verflärte Blid des Herbivoren vermag in jene Himmelsfernen zu fhanen, die feine Seele nady dem Tode burchbringt, um auf demjenigen Stern fi anzufiedeln, welcher dem Grade ihrer VBolllommmenheit entipricht, fo daß die wahrhaft harmonijchen Seelen auf die Blumen- und Mufil-Sterne verjegt- werden, auf welden fie von Beilhenduft und Flötentönen fidy nähren. Nur der Her- bivore kann ein wahrhaft freier Mann, nur der Herbivore fann ein fittliher Menjch werben, und ihm allein ijt e8 vorbehalten, fi) endlich in einen Gott zu verwandeln.“ —
Straff begann, Struff zu unterbredyen. „Keine Unter- bredyung!“ jchrie Struff. „Es heißt allem parlamentari- jhen und demofratiihen Wejen Hohn jprechen, wenn man den Gründen des Gegners durdy Gejchrei oder Unterbredy- ungen zuvorlommen will,“
„Davon handelt es fich hier nicht“, entgegnete Straff. E3 handelt fi einzig von der Langeweile. Ich weiß, daß der Bürger Struff, wenn man feine Selbftgefälligkeit fi felbft überläßt, mit feinen Reden gar nicht zu Ende kommt. Seine Rebe aber bis zu Ende zu hören, habe ich heute um fo weniger Xuft, da id Das, womit er uns regaliren will, [don hundert Mal gehört habe. In dem geheimnigvollen Hintergrund, den er unferer Geduld in Ausficht ftellt, erblide ich nichts al8 entweder Charlatanerie oder eine Berrüdtheit. Das Wort Charlatanerie wird mir um fo eher erlaubt fein, da bdiefe Gemüfetheorie als
— 897 —
Mittel der Sektirerei ausgebentet wird. Alle Eharlatane und Seltirer bedienen fic) gewiffer Arkana, Gelübde oder Abftinenzübungen, um ihre Anhänger an eine Feffel zu binden, die, aus Abhängigkeit und Gewohnheit zufammen- gejegt, für gemähnliche Menfchen eine bannende Kraft zu haben pflegt. Andere bedienen fich fogar folher Mittel aus Eitelfeit, indem fie dur eine Enthaltfamkeit zu im» peniren glauben, deren Eindrud fie falfch berechnen. Doc lafjen wir Das jet bei Seite. ch wollte eine kurze Be- leuhtung der Gründe geben, womit uns Johann Struff feine Gemüfe » oder Grastheorie plaufibel zu machen judt.“
„sc Ichmeichele mir, gegen Alles, was nicht das Men- jchenreht und die freiheit verlegt, möglichft tolerant zu fein, jogar gegen diejenige Spezied von Gejchöpfen, vie man Herbivoren oder Graßfrefjer nennt. ch [predye zus vörderft Niemanden das Recht ab, zu effen, was er will, und hat Jemand Luft, Tehm zu frefien wie ein gemiffes Küftenvolt von Amerika, jo werde ich mit naturhiftorifcher Neugier und Theilnahme feiner Mahlzeit zufchauen. Ich würde jogar einem Oemüfeefjer jehr dankbar fein, wenn er mir feine Leiche zufagte, Damit ich al8 Anatom unterfuchen fönnte, ob fein Duodenum kürzer oder länger geworben fei. And, geftehe ich dem „vegetabilifchen Syftem“ einen medizinischen Werth zu. E8 ift Feine Frage, daß eine vegetabilifche Koft beruhigender wirft, al8 eine animalifche + es kann daher in gewilfen Förperlichen Zuftänden nöthig fein, fich für einige Zeit des Fleifches zu enthalten. a, gegen die Nahmwirkungen ver Syphilis fol eine jahrelange vegetabilifhe Diät eine ganz probate Kur fein, und e# gibt Menfchen, die, nachdem fie einige Jahre zur Ummwands
n
— 5 —
lung ihrer durch die Syphilis verborbenen Säfte die Ge miüfetur gebraucht hatten, berfelben aus bloßer Gewohn» beit oder in dem Glauben treu blieben, daß eine Lebensart, welche gegen ein fpezielle® Uebel gute Dienfte geleiftet, ein Univerfalmittel gegen alle Uebel fe. So wenig wie einem Sppbhilitifhen, würde ich einem Gefangenen viel Tleifhb zu effen geben, da ihm daffelbe die nöthige Geduld erihweren würde und Fleifchkoft Thätigkeit und Bewegung vorausfegt.”
„Man fieht alfo, daß ich der Gemiüfediät vollftändige Gerechtigkeit wiederfahren Laffe, jofern fie eine perjönliche Liebhaberei ift und in Ausnahmsfällen ihre Dienfte Leiftet. Über was ich, gelinde ausgeprüdt, für eine Berirrung an- jehe, ift ihre Ausjchließlichkeit für alle Fälle. So wenig ic) e8 für gerechtfertigt halten könnte, bloß Fleifch zu effen, jo wenig halte ich e8 für vernünftig, bloß Vegetabilien zu efien. Der Menjc ijt nicht deshalb für Beides körperlich disponirt, damit er fich dem Einen oder Andern entfrempe. Daß er das Maß und die Bertheilung bejtimme, dazu ift er ein fittlihe® und vernünftiges Weien. Nicht bloß der Sefunpheit halber, fondern au der gejchichtlichen Zmede wegen ift die Fleifhnahrung eine Nothmwendigteit. Die jenigen Bölter, welche die meifte Thatkraft entwideln, 3. DB. vie Engländer und Norbameritaner, leben größten- theil® von Fleifh. Auch zeigt die Analogie der Thiere, daß die Fleiihnahrung eine Bedingung der Kraft und des Muths ift. ES ift daher fogar im Intereffe des Kugel regens, daß man Beafiteald und Schinken nicht verfchmäht. Der Bürger. Struff mat zwar mit Genngthuumg daranf aufmerfjan, daß die ftärkjten Thiere, 3. B. der Elephant, der Ochfe und das Pferd, von Begetabilien leben. Aber:
— 399 —
der Löme fchlägt ein Rind mit einem einzigen Tatenhieb zu Boden, verfpeift Pferde und Dchfeng und gäbe e8 Löwen von der Größe des Elephanten, jo wären die Eles phanten in Furzer Zeit ausgerottet. Aucy zeigt und ber Bürger Struff, daß die pflanzenfrefjenden TIhiere Die fuls tivirteften, die brauchbarften feien. Er macht aber feiner Theorie kein bejonderes Kompliment, wenn er bemeif’t, daß fie geeignet made, ein Laftträger over eine Malytzeit für Undere zu werden. Zur Freiheit zeigt uns bdiefe Wirkung nicht den Weg und es liche fidh eine ganz gute Parallele ziehen zwifchen ven lafttragenden Völkern und ben pflanzenfrefienden Thieren. Ya, ein Despot würde eine ganz praftifhe KRonjequenz befolgen, wenn er alle Fleifhnahrung aus dem Volk verbannte und fie nur für fih und feine Solvaten in Beichlag nähme, Er wäre fiyer, Dann aud) in Bezug auf die phhyfiiche Erziehung eine Heerde von Yämmern, Kameelen und Rindern zu erhalten. it ed nicht grade eine bevorzugende Cigenthümlichkeit, daß die fleifchfrefienden Thiere, die Hunde ausgenommen, ficdy nicht dazu eignen, verjpeif’t zu werden ?_ Die Raub thiere wie die Könige frefjen fich nicht unter einander auf, fie freffen nur das plebejiihe Vieh, da8 den Kopf zur Erde beugt, um fidy mit Gras und Kartoffeln zu mäiten. Seit wann ift ed ein Borzug, ald Yajt- und Scladhtvieh gebo- ren oder erzogen zu werben ?“
„Der Bürger Struff hat und nody nie die Frage beant» wortet, wie ed auf der Welt ausfehen würde, wenn feine Theorie ftet3 befolgt und kein Thier gefchlachtet worden wäre. Es würde ein foldes Gebränge von Rindvieh und Schweinen auf ver Welt fein, daß die Menjchen in und von der Luft leben mäßten. Glaubt man, die Thiere
— 400 —
feien bloß vorhanden, um zu leben und den Menfchen zu intommodiren % Ich bin der Meinung, e8 fei eine natür« lihe Beftimmung, daß der Menih nad und nad, wie er bie Erde fultivirt, alle jhäpliche, nämlich alle Raubthiere (die nur auf der unkultivirten Erbe eine Beitimmung hatten) möglihft ausrotte, dagegen bie nütlichen oder brauhbaren Thiere möglicht pflege und benuge. Ich fodere mit Heinrich IV., daß jeder Bürger fein Huhn, ja vielleicht feinen Hafen- und Rebbraten im Topf babe. Damit er aber nicht zu übermüthig und wild werde, jege ich aud) voraus, daß er das Huhn nicht allein effe, fondern eine entjprechende Quantität Gemüfe dazır verzehre.“ „Die Frage der, Benugunz der Thiere führt uns zur Hauptfrage. Der Bürger Struff will ung durd Rechts, und Humanitätsgründe überzeugen, daß es Unrecht umd Inhumanität fei, Die Thiere zu tödten, ch ziehe zunädhit einige Konfequenzen, Sollen die Thiere dem Menfcen gleichgejtellt werden, jo dag e8 rechtswidrig fei, ihnen das leben zunehmen, fo ilt es nothwendig auch rechts» widrig, fiezu berauben, und wenn der Bürger Struff no) inımer einen Rod von Wolle trägt, die einem Schaf geraubt worden ift, jo begeht er eine arge Intonjequenz. Ferner tft e8 infonjequent, die Thiere in ihrer Freiheit zu bejchränten, fie zu benugen, ja zu unterjoden, Wer gibt dem Bürger Struff das Recht, auf einem zur Freiheit ges borenen Noß fpazieren zu reiten, oder ein Regiment Ka- vallerie zu errichten zur Belämpfung der Despoten ? Uebs rigens trinft der Bürger Struff Mil und brennt Talg liter. it das nicht ein Verbrechen gegen feine Sitten» Ichre? Wenn e8 eine Sünde gegen die Humanität ıft, nicht bloß ein Thier zu tödten, jondern aud burd Bes
== Ah
nugung bes getöbteten fic, an der Sünde indirekt zu bethei- ligen, jo ift e8 gewiß inhuman, die Mil zu trinken, weldye zur Ernährung des Kindes einer Kuh beftimmt war und nur Dadurch für den Bürger Struff disponibel wurde, daß man das Find feiner Mutter wegnahm und jchlachtete, Und wie kann ver Bürger Struff e8 mit feiner Konjequenz vereinigen, daß er Waffer trinkt, welces in jedem Zros pfen eine Anzahl Thiere nährt, und daß er fpazieren gebt, während er weiß, daß er mit jedem Fußtritt einige zum Leben berechtigte Geihöpfe vernidtet? Ja, wie will er feine Berbredhen verantworten, wenn er nebjt Gemalinn in heißen Nächten die Jagd auf gewiffe unausipredyliche ZThiere fultivirt, die man nur dadurd) lo8 wird, daß man fie hinrihtet, ermordet, ftandredtet ? Wenn eine Lehre nicht durch ihre Konfequenzen erprobt wird, fo ift fie faljch, jofern die Konjequenzen richtig find. *
„Aber ich ziehe nocdy weitere Konfequenzen. dh bes baupte, wenn der Wen nicht das Hecht hat, das Leben eine® Thieres zu zeritören, jo hat er aud) nicht das Kedht, das Peben einer Pflanze zu zerftören. Daß die Pflanze feftgewurzelt ift und fein uns wahrnehmbares Schmerzver« mögen hat, begründet um fo weniger einen prinziptellen Unterfchied, da e8 Thiere gibt, die ebenfalld nicht von der Stelle fommen und fi, wie 3. B. eine Aufter, jo jhmerz- 108 verfpeifen lafjen wie eine Birne oder eine Pflaume, Die Konfequenz der Struff’jhen Theorie mınf fein, daß Alles, was lebt und fich entwidelt, ein Recht habe, in feinem Leben und feiner Entwidlung nicht beeinträchtigt zu werden, Und bdiefe Konfequenz führt uns dahin, daR wir vor lauter Nechtögefühl und Humanität entweder verhungern oder gleich) dem Bogel Strauß Steine freffen müffen, die, follten
| 26
BEE |, , ER
fie lebens: und entwidelungsfäbig fein, wenigiiens- bie bes rnbigende Eigenfchaft befigen, daß fie unverdaut wieder in Treiheit gefetst werden,“
„Bernünftige Menfchen find ver Meinung, ein Recht Fönne nur erijtiren unter der Borausfegung eines Bemnft- feins, alfo der Vernunft. Deshalb habe nur der Mienid Rechte und die Thiere, wie Alles, was die Erde protuzirt, feien nur Gegenftände, welche der Dienjch zu jeinen. d. & zu den humanen Bweden benugt. Die Humanität liegt nur im Gebiete der Menfchheit. Deshalb find c# auch nur Rüdfichten auf feine eigene Bernunft, weun. der Menih die Thiere nicht mißhandelt und nicht unnöthiger- Weite quält. Was unvernünftig ift, widerjtcht dem ver= nünftigen Wefen.*
„Hiermit bredhe ich für heute ab. Es gibt. Menicen, die glauben, ungeftraft Narren fein zu können, menn fie es im Namen ber Freiheit find. ch bin nicht gutmüthig.ges nug, fie audy dann nody zu ertragen, wenn fie mit ihrer Narrheit dominiren wollen. Jh erkläre euere G.müje theorie für baare Berrüdtheit und den Bürger Struff für ein abgefhmacdtes Gemifch von hırmaner Anlage, Narrheit. und Eitelfeit. ch babe ihn gefchont uud begleitet, weil ich hoffte, feine guten Eigenfchaften tadurd nugbringend- zu machen, daß ich ihn von feinen Nurrheiten: Eurirte, Nacıvem ich aber erfannt.habe, va er nicht bloß unbeilbar ift, jondern audy ftolz auf feine VBerrüdtheiten und. bafew außerdem troß der unbedenklihen Blofftellung feiner Tall. beiten an einer diplomatischen Verftedtheit. laborirt, bie. mir den verföhnenden Eindrud de8 Ganzen. fört, if’ e8 mir zu Tangmweilig geworden, mid länger mit ibm.zu fatsbalgen. cd) fage end aljo hiermit Adiew und über
a
lafje euch ohne Störung eneren vegetabilifchen Uebum- gen.“
Damit hängte er fein Gewehr um und gürg.
„Der Straff ift der grobfte Menjc, der mir je vorge» fommen,“ vief Struff dem Lahenden nah und riß ein Bündel Grad aus der Erbe.
Straff’s rüdfichtloje und frivole Mede beftärkte Struff’s Anhänger nur in ihrem Eifer, objdyen die von ihm urgir- ten Konfequenzen ihnen einige Unruhe verurfaditen. Sie Ihwuren aufs Newe ewigen Abjcheu dem Fleifcheflen und die neue Republik ging an’8 Werk, um aus Gras und Sauerampfer eine Felt- und Humanitätsfuppe zu kochen.
Da Straff fi gar nicht wieder fehen ließ, batte Die Republif einige Tage ruhigen Beftand. Wer hätte ahnen fünnen, daß fie den Keim der Revolution in ihrem eigenen Scoofe barg! Nady einigen Tagen meldeten fi näm« lid) bei. Struff H. die von Straff gezogenen Konfequenzen wieder. Sie wurben jo zubringlic, dag fie ihn gar nich mehr jchlafen liegen. Aber fie führten ihn feineswegs zu der Erfenntniß, daß man das Fleifch nicht verbannmen. mäüfje, jondern zu der Einfiht, daß Struff I. nit fonfequent genug war und widt weit ge nug ging. 8 wurde ihm klar, daß das Pflanzenefjen. ein eben jo großes Verbrechen fei wie das Fleifcheflen. Nachdem er hieritber ganz mit fich eistig geworben, legte er Struff I. ein offenes Belenntmiß ab, fagte fi) feierlich von feiner Lehre lo8 und erklärte, daß er von nun nm — bloß Steine effen werde,
Struff I. war nicht wenig überrafcht, aber alle jeine
Gegenvorftellungen balfen nichts. Sogar feinen „Hinter- ,
grund“ z0g er ohne Erfolg hervor. Gr mußte es mit aus
— 404 —
feben, wie Struff II. Kiefel aß und fib zum Frübftüd Kaffee aus Brauntohlen kohte. a, er mußte zu feinem Screden erleben, daß fein Schüler nah und nad ein fteinartige8 Ausjehen befam und marmortalt wurde. Und als derjelbe fogar behauptete, fein VBerftand werde täglich Harer und fein Gemüth täglich ruhiger, ja al8 er aufitellte, er werde nad dem Tode auf einen Stern verfett, wo feine Seele fid) von dem Wafler der Diamanten nähre, wurde e8 Struff I. ganz wirr davon im Kopfe.
Sein einziger Troft war, daß Struff III. treu bei ihm ausharrte. Aber aud diefer ZTroft hielt nicht lang vor. Struff III. wurde allmälig ebenfalld von dem Geift Struff’s II. erleuchtet und bekannte fid) wie Diefer — zum mineralogijhen Syitem. Go war alfo auf der Infel das zoologifche, Das vegetabilifche und das minera- logifhe Syitem vollftänpig repräjentirt.
Aber bei diefen drei Syitemen jollte e8 nicht bleiben.. Nachdem Struff III. eine Zeit lang Steine gegefien hatte, erfannte er plößlich, daß er noch immer nicht ganz fonje- quent war und nicht weit genug ging. Er gelangte zu diefer Ertenntniß, ald er eine® Tages ein Stüd — eines verfteinerten Seethier® umd einer verfteinerten Pflanze ge- gefien hatte. Bon diefem Augenblid an jah er in jedem Stein ein verfteinerte® Thier oder eine Pflanze und fein Gewifien ließ ihm keine Ruhe mehr. Er fagte fi daher von Struff I. und Struff II. feierlich [08 und beihleg — gar nihts mehr zu efjen.
Struff I. hatte in wenig Tagen viel traurige Erfahrun- gen gemacht. Das Benehmen Straff8 konnte er vers Jhmerzen, weil er e8 feiner Grobheit zufchrieb, feiner Un- gläubigkeit und feiner Xeidenjchajt für Fleifchfpeifen. Aber
ur U
weit näher ging ihm der Abfall feiner beiden Anhänger, bie weder eine ©robheit gejagt hatten, nody ihm ben Troft ließen, daß ihrer Abtrünmigkeit Zweifelfuht und ihrer antivegetabiliihen Gefinnung Eigennuß des Gau- mens oder des Magens zu Grunde liege. Dennod) wurde Struff nicht gebeugt. Sein Muth, fein Glaube und feine vegetabilifche Ueberzeugung blieben unerjhüttert. Aber ed ging mit ihm eine Veränderung vor, die Niemand zu deuten mußte, objcden fie feiner Gemalinn mitunter Un- ruhe macte. Er ftredte fib nämlid häufig auf den Bopden bin und wurde fehr nadhrentlich, dann ftich es ihm plöglic) auf und er begann zu fauen, objdyen er nidhtd in dem Mund geitedt hatte. Dabei jabh er jo gleichgültig und vegetabilifchtiefjinnig in die Welt hinein, dag man — jhredliber Gedanke! — zu der Bermuthung hätte gelangen können, er habe vom Pflanzenefjen fieben lagen befom- men und fi am — Wiederfäuen!
Wunderbare Ezene! Wer vermag e8 zu bejchreiben, wie Etruff I., feine bejorgte Gemalinn zur Seite, im Grafe liegt und wiederfäut, wie auf der anderen Seite Struff Il. uld lebendige MDarmurbüfte dafigt und über den Diamantitern nachdenft, Struff LU. aber ald abgemager- te8 Gerippe fi vor Hunger am Boden windet! Und während dieje erlen Naturen für ihre Ueberzgeugungen, für die Jpeen der fittliben Menjchheit leben und leiden, im Vertrauen auf die VBorfehung, jagt der fühllofe, finnliche Straff, der „alles menjchlihe Gefühl abgeftreift“ hat, am anderen Ende der njel Rebhühner und bratet fid) wilde Kartoffeln dazu!
Mit Struff I. ging nod) eine andere, weit merfwürbis gere DBerändernung vor, 8 zeigten fid) nämlich an ben
——
Seiten feines VBorderkopfes allmälig zwei auffallende Ex böhungen. Er freute fi) derfelben, da er als Phrenologe darin eine BVerftärkung der Denforgane erkannte, die er früher an feinem Schädel wermift hatte. Seine Gema- linn fand in diefer Auslegung alle Beruhigung. und wenn Struff wiederkäuend im Grafe lag, betrachtete fie jetst mit ftolzer Genugthuung feine wuchlenven Dentorgane.
Eines Tages fiel e8 Straff ein, einmal zuzufehen, bis zu welchem Grade der Entwidelung die vegetabiliiche Re. publit fchon gediehen fei. Bon den vorgegangenen Ber- iinderungen wuhte er natürlich nichts. ALS er fi) näherte, gewahrte er nnter einem berübergebogenen Felfen einen Menichen regungslos am Boden liegen. Näber zufehend fand er GStraff III. zum Gerippe abgemagert und tobt. Der Eple war den Tod ber Ueberzeugung geftorben und hatte über fih in den Welfen, der ihm zum Leichenftein diente, die Worte eingegraben: „bier liegt Kaspar Struff, der Humanfte der Humanen, der Freiefte der Freien, der Konfequentefte der Ronfequenten.*
Straff eilte weiter, um fi) dieg Mäthiel deuten zu laften. An einiger Entfernung bemerkte er Struff II. auf einem - Felsbtod ftehend. Er rief ihm zu, erhielt aber feine Ant- wort. Beim Nähertreten bemerkte er, daß Struff II. kalt, leblo8 und hart wie ein Stein war. Er war zur Statue geworden, war verfteinert. Mit dem rechten Arnı wieß er gen Himmel mund auf dem Zeigefinger hatte er mit einem fharfen Stiefel die Worte eingefchrieben: „Dort oben auf dem Diamantitern*!
Straff glaubte in einer verzauberten Welt zu fein. In- dem er erjtaunt Baftand amd nicht wußte, iwa® er beginnen follte, hörte er in einiger Entfernung die Gemaliun
ei BE
Struff’8 I, jämmerlih um Hülfe rufen. Was fah er? Ein Dchfe mit großen Hörnern erhob fid) vor der Frau Struff auf die Hinterfüe und machte die zärtlichiten Ber- fuche, fie zu umbalfen. Straff eilte als helfender Ritter binzu, ‚geiff fein Gewehr von der Schulter und ftredie den Dchfen durd einen wohlgezielten Schuß zu Boden,
„Um Gottes Willen, rief Wittwe Stuff, was haben Sie getan? Sie haben meinen Struff, meinen Johann eribofjen!*
Struff lag va in den legten Zügen. Sein $ugelvegen, nur ein einziger Tropfeu hatte ihn erlegt. Er wußte von jeiner förperlichen Veränderung eben jo wenig wie er frü- ber jemals den Einorud feiner Erfheinung amd feines Denehmend zu berechnen verjtand. Zu Straff gewanpt, iprabh er jeine legten Worte: „Dabhin führt Die Gott- [ojigfeit und die Yeidenfchaft des Fleifchefiens! Nachvem du das Wild diefer Injel famntlich verzehrt, wirft du end- lid) zum Menjhenfrefjer und erjchießeft deinen Bruder. Ich Iterbe getroft, denn mein Tod wird der fprechende Be weis für Die Borzüglichteit meiner Xehre jein und aus meis ner Ace werden die Beildyen der Auferjtehung jprießen und den Weg zum Hintergrund der Borjehuag bezeichnen. *
Struff jtarb. Seine Wittwe erholte jih bald und fprad zu Straff, der zwilchen Mitleid und Erjtaunen ges theilt war; „Sch würde Ihnen ewig zürnen, daß Sie mir meinen Johann geraubt haben, wenn ich nicht in Ihnen zugleich meinen Retter ertennen müßte. ch rede nicht davon, daß Site mid) vor den Umarmungen eines Mannes bewahrt haben, der in der Geftalt ded verwandelten Jupia ter jehr majlive Lieblofungen erwarten ließ; aber ih map befennen, aur hrer Gefälligkeit, weldhe mir regelmäßig
— 4085 —
Tleifh und Wurft zuftedte, habe ich e8 zu verdanken, daf ich nicht die gleichgeftaltete Gefährtinn meines unglüdlichen Johann geworden bin. Und wenn idy mir denfe, vaf ic, net Hörnern, Schweif und vier Füren verfehen, die Ange- betete eines Apis fein jollte — ha! die bloße Borftellung fönnte mic verrüdt machen über folde Art von Emanzi- pation des Weibes!“
Straff bemerkte in der Ferneein Schiff. „Sehen Sie“, fprady er, „unjere Retter nahen? Ermweifen wir Ihrem Johann die legten vegetabiliihen Ehren, begraben wir ihn unter einer Pyramide von duftendem Heu und fchiffen wir ung ein. Eins haben wir auf biefer Injel doc ge- lernt, nämlih die Kunjt, mit Hülfe der VBorjehung und des vegetabilifhen Syftemd „ein Gott“ d, i. ein Jupiter zu werden.“
«
Sobald id in meiner neuen Wohnung bei der braven Familie Hunter einiger Mafen zur Ruhe gelommen war, fuchte id meine alte jchriftftellerifhe Thätigfeit wieder aufzunehmen. E83 war aber damals leichter zu fchreiben, als vruden zu lafien. In Teutfchland war fein Verleger für einen revolutionairen Schriftfteller mehr aufzutreiben, aud) wenn er die unverfänglichften Sadyen fchrieb. Sogar für eine Bearbeitung ded Bud;8 von Leprü Rollin über Englands Berfall, defjen Berfaffer mi und Struve in Stand fegen wollte, eine teutjche Ausgabe (nebft Einlei- tung) gleichzeitig mit dem franzöfifchen Original erjheinen zu lafjen, wollte fic) kein Verleger finden. ch hatte eine jhon in Genf verfahte (jpäter in Amerika veröffentlichte) Scuıift „über die Stellung und die Rechte der Weiber”
— 409 —
nad) Zeipzig an eine Frau gejandt, die fi) mit begeijterter Theilnahme für meine Thätigkeit intereffirte und fich alle möglidde Mühe gab, einen Verleger aufzutreiben. Aber über die Weiber konnte ic in Teutfchland jo wenig publis ziren wie über die Männer. In der Schweiz hatte ich ebenfalls feit Ienni’8 Erkrankung jede Gelegenheit zu Publikationen verloren, die, ftatt Geld zu often, etwas einzutragen verjpraden. Unter diefen Umftänden ftand “ mir fein anderes Mittel zu Veröffentlihungen mehr zur Berfügung, ald die von dem vertriebenen Herzog von Braunfchweig herausgegebene „Londoner Deutjche Zei- tung“.
Ic habe jhon früher berichtet, welche LKiebhaberei diejer Mann für meine revolntienairen Schriften hatte, Die er für Das probatefte Mittel zur Wergerung feiner früheren Kollegen hielt. Perfönlic hatte ich nie etwas mit ihm zu thun gehabt, auch hatte id der Redaktion feines Blattes von Genf aus in einer Reklamation erklärt, daß ich mir bie Publifation meiner Brodhüren in der „Yond. D. Ztg.“ verbitten müfje, wenn man viefelben beliebig zujchneide und nicht zu dem med verwende, wozu fie gejchrieben feien. Der Republitanismus, bemerkte id) dabei, Lafje jich nicht gutwillig al8 Mittel einer fürjtlihen Rancune be- nugen. In London ließ Se, ErsHoheit mir und Struve durd) Dero Sefretair Anträge über Yieferung von Beiträ- gen für die „Dentjche Zeitung“, auch, jo viel ich mic) er= innere, über Betheiligung an ber Redaktion macdyen. Natürlich erklärten wir uns bereit, das Blatt zu fchreiben, wenn wir feine Zendenz beherrihen und offen vertreten könnten. Se. Hoheit aber wollten e8 nicht au8 der Hand geben und beriefen fich bei wieverholten Anträgen, die mir
in,
allein gemacht wurben, auf die englifhen Gefege; er habe Kaution geftellt und werde für Das verantwortlich fein, was ich publizive, uuch wenn ich mid ald Mebalteur auf dem Blatte nenne. Der Mann wünfchte jehr mich fennen zu lernen und ließ mid wiederholt einladen, ihn zu be fuhen. Natürlih ging ich Darauf eben jo wenig einwie auf den Antrag, unter feiner Direktion den Redakteur zu machen, da id; wollte, der Herr Er-Herzog folle der Xevo- Iution dienen, während er die Kevolution Dem Er-Herzog dienftbar maden wollte, Wer das Papier zu meinen Schriften zahlte, das erklärte ich für gleichgültig; aber e8 follte Niemand glauben dürfen, fie feien im Dienft oder Intereffe eines Anderen, namentlich eines Fürften, gejärie- ben. Bielleiht würde ih das Blatt denned, in die Hand befommen haben, wenn mir der Aberglaube nicht in Die Dmeere gearbeitet hätte. Der Erberzog machte nämlich plöglic die Entvedung, daf mein Name 7 Budhitaben babe, und vor Namen mit 7 Buchftaben hatte er eine be- fondere Schidjalsfurdt. Die fieben Buchftaben machten ihn zweifelhaft, ob er mir hinlänglich tramen könne, ob ich ihm nicht Unheil bringen werde, und wie Farrcht vor mei nem Namen trug zulegt ven Sieg über die Liebhaberei für meinen Styl davon, Er machte mir daher feine andere Konzefiten, als daß er mir verjprehen ließ, eime Brochüre, die ich eben beendet hatte, unverändert abzudruden. Die Brodüre hieß „Lehren der Revolution“. Al8 Honerar fandte der Knider mir 6 Pund Sterling, die mir aber in meiner damaligen Lage jo viel wert waren wie 1000 Thaler in mandyer anderen.
Die ift dad ganze Berbhältnif, in welchem ich zu dem flüchtigen Herzog von Braunfanweig ‚geftanden Habe. I
— 41 —
habe den Mann nie gefehen, nie gefprochen, midy ihm nie genäbert und frog allen feinen Bemühungen in keiner an- deren Beziehung zu ihm geftanven, ald im Borftehenven angegeben if. Wenn daher 3. B, das Piererfche Konver- fationslerifon in jeiner biographifhen Skizze von mir berichtet, id habe „regen Antheil an der deutjchen Ton» doner Zeitung des Erherzogs Karl von Braunfchmweig genommen“, jo ift diefe Angabe vurdaus unridytig und wol nur dadurch veranlaft worden, daß der Erherzog ans eigenem Antrieb meine Flugfhriften abprnden lien. Nicht ich habe „regen Antheil an der Tondoner Deutjben Zei- tung“ genommen, fondern der Herausgeber diejer Zeitung bat regen Autheil an der Verbreitung meiner Flugjhriften genommen,
Zrog aller Borjiht braten die 7 Buchftaben den hers zeglihen Redakteur dennod in die größte Verlegenheit. Die „Lehren der Revolution“ nämlid verurfacdhten einen ungeheuren Yärm und zwar amı unrechten Orte, we man ed nit erwartet hatte, nämlich in London felbft. Durd) diejen Yärm verlor er die Yuit, weitere Beiträge aus mei- ner Feder zu publiziren, und mid) jelbft half vie Brodüre nach Amerifa treiben,
Sokald die „Lehren der Revolution“ erfdhienen, waren ed zumäcjit die Diplomaten und ihre Agenten, die ein Öffentliche8 Skandal dagegen erhoben, und als ihr Organ diente hauptjächlich die Londoner „Times“,
Aus der Schweiz hatte man mic glädlicy entfernt und wenn auch der Streicd) miflungen war, mid, direkt nad) Amerika zu jchaffen, mogte man fich doch der Hoffnung bingeben, daß in England meine Mittellofigkeit mi un- Ihäpdlih machen werde. Und nun trat ic) plötslid) wieder
— 412 —
in einer Weife auf wie nie zuvor und zwar in einem Bflatte, welches vermuthen Tief, daß mir defjen bedeutende Mittel zur Verfügung gejtellt fein. Dan kann fi denfen, wie die Herrn Diplomaten, namentlid den Herrn von Bunjen, diefe Enttäufhung verdrießen mußte. Sie ließen in der „Zimes“ einen Lärm fchlagen, als habe England in mir dem wahren Satan ein Ajyl bereitet, wobei es fich von felbjt verfteht, daß ihnen als Pinfelftrihe zu dem Bilde, welches fie von mir entwarfen, die rotheften, aus dem Zus fammenbhang geriflenen und burd die willfürlichiten Zu« füge entitellten Paflagen meiner Flugihrift dienten. Damald war die Alien-Bill jhon aufgehoben; aber die „zZimed“ ging jo weit, an die Minifter gravezu die Tyode- rung zu ftellen, daß ein folder Menfch in zwei Dial viers undzwanzig Stunden aus dem DBereinigten Königreich zu vertreiben fei, da® Parlament werde der Regierung mit Freuden Indemnität dafür bewilligen. Natürlich war diefe Foderung bloß läcyerlih und von offiziellen Folgen babe id) nicht Anderes verjpürt, als daß einige Zeit Die Polizei fi in der Gegend meiner Wohnung mehr bemerk» bar madıte und daß jpäter Yord Palmerjton den teutjchen Regierungen meinen Namen als Schredgeipenft zitirte, um fie vor zu rüdfichtlojer Reaktion zu warnen, Die Haupt- wirkung des Yärms in der „Limes“ aber und die nad theiligite für mid war der Schreden und Abjcheu, welchen mein Name und bie erregte Borjtellung von meiner PBerjon ben loyalen Engläntern einflögte. Dieg ging jo weit, daß ich eined Tags, als id Kuge in Brighton befudte, im Eijenbabnwagen gewöhnAde Philifter ih mit fittlichiter Empörung über ven Flüctling Heinzen unterhalten hörte, ein Name, den fie früher nie gehört hatten und der fich
— 43 —
dem Ohr eines Engländers nicht fo leicht einprägen konnte. Genug, die indirefte Wirkung meiner Schrift beim eng» lichen Publitum fchnitt-mir die wenigen Erwerbsquellen, die jo mühjam waren aufgefunden und geöffnet worben, nad und nah volljtändig ab und trieb mid) auf diefe Art über dad Meer.
Nach anderen Seiten erregte die publizirte Brochlire — wobei al® Duelle der Benrtheilung faft immer die „Times“ diente — nicht weniger Senjation, Die fanften und fried« lihen Wevolutionaire, welche glauben eine Welt von Blut» vergiegern ohne Blutvergießen umwandeln zu fönnen, ers ihrafen vor der Gefahr, ebenfall® in ven Verdacht der in der „Times“ gejchilderten Tigerhaftigkeit zu fommen, und protejtirten gegen meine rothen Doftrinen. So nament- lid) Herr Yamennais, welder damals in Paris die „Re form“ redigirte. Wenn ich, um bervorzubeben, daß die Freiheit um jeden Preis miüfje errungen werden, gejagt batte, der Revolutionsfampf könne möglicher Weife zwei Viilionen Köpfe koften (man zähle nad, ob either nit die Reaktion allein eın Paar Millionen Köpfe ge- opfert bat), jo ftellte mic) die „Times“ tar, ald fodere ih auf eın Haar zwei Millionen Köpfe und wolle fie wo | möglich mit eigener Hand abjclagen. Und vor folder Ungeheuerlichkeit fanf der fromme Herr von Lamannais in die Stniee,
Mit einem Ähnlichen Eifer ftrengte mıan fi) von Seiten der ungarischen Flüchtlinge an, den Verdacht der Ueberein- fimmung mit meinen Dottrinen fern zu halten. Ic) hatte mic in einer Entgegnung an die „Times“ auf die Ungarn berufen, denen ich, mich auf zu günftige Zeitungsberichte fügend, die vernünftige Praxis zufchrieb, ihre unverbefjer«
— 414 —
lichen Feinde aus der Welt zu fchaffen, ftatt fie zu jchonen. Diefy !ob der Ungarn, verbimden mit dem unverdienten 2ob, tas ih Herrn Kofjuth gezollt hatte, ließ deifen Agen- ten Puldty, welher ihm unter den loyalen Engländern vorzuarbeiten fuchte, feine Ruhe. Er ftedte fi daher hinter den General Klapfa und verleitete Diefen zu einer Erflärung in der „Kölnischen Zeitung“, worin er auf bie thörichtite Weife die Ungarn gegen meine Bejhuldigung im Schuß nahm, daß fie wirklich vevolutionair und praftiich gehandelt hätten. Nachdem ich übrigens den Herrn Ge- neral angemefjen zurechtgemiefen und er fich näher nad mir erkundigt hatte, jah er fein Urecht ein und ließ id durdy feiwen Adjutanten Mednyansty bei mir entjchulvigen, was er auch noch perjönlicdy fi vorbehielt,. Derjenige Ungar, ver volljtäudig auf meiner Seite war und meine Brodüre dDurcdans billigte, war der wadere alte Böötby.
Diejenigen, die fih über die Wirkung der Brodhüre am Meiften ärgerten, waren die Kommunijten. E83 gibt nichts, das auf das edle Herz der Heren Mearr, Engeld u. f. w. eine galligere Wirkung ausübt, ald wenn von einem an« deren Menjhen, namentlih einem XRevolutionair, öffent» fih Notiz genommen wird, Die Thatjadhe, daß die Hauptzeitung der Welt, die „Times“, fich jo viel mit mir beihäftigte und mich al8 einen gefährlichen Menfchen var: ftellte, während body eigentlidy der gefährlichite Dienjch des Univerfums Her 8. Marr ift, war genügend, jenen Monopoliften der Weltbewegung ven Schlaf zu rauben, und fie gaben fid) alle Dlühe, meine Unfchulo in der dar- tiftifchen: Prefje' zu retten.
Ehe idy von den Umtrieben diefer „Schwefelbanbiten“ weiter berichte, mache ich nody darauf aufmerkjam, ba
— 415 —
meine Brodire eine Probe für Das liefert, was Flüdit- linge in England publiziren fönnen, ohne die Gefahr einer gefetlihen Berfolgung zu laufen. Hätte man mir — in Ermangelung der aufgehobenen Alien: Bill — mit einem Prozeß zu Leibe gehen fön nen, man wirbe e8 ficher gethan haben. C8 gibt aber fein englifches Gefes, wel- he& eine Auffoderung zur Empörung in fremden Ländern verpönt, und was die Beiprehung revolutionairer Hald- erefutionen u. j. w. betrifft, jo fun fie in der Allgemein beit und mit der politifchen Färbung, womit fie in meiner Brochüre aufteit, nicht unter folhe Gefete gebradyt wer- den, die etwa eine Anleitung zum Mord u. f. w. verpönen mögen, namentlih in England, wo der Fürftenmord von den berühmteften Schriftftellern offen gepredigt worden it. &8 erhellt daraus, daß man, wenn man ihn benuten will, im England hinlänglihen Spielraum für eine wirf- lich revolutionaire Propaganda und mehr Schut und Frei- beit hat, ald 3. B. in der Schweiz. Das wäre denjenigen Flüchtlingen zur Beherzigung zu empfehlen, die von Yore don aus mitunter jo zahme Manifejte erlafjien haben, alg feien fie in Teutfchland felbft gebrudt worden. Hätte ich Geld zum Leben gehabt, e8 würden mic) feine Flugfriften aus Yondon vertrieben haben. Nur der Gelomangel und die angeborene Zalentlofigfeit, ihm abzuhelfen, hat mid; genötbigt, dur meine Thätigfeit im Amerika mir einigen Erjag zu fchhaffen für die revolutionaire, die meiner Natur am Dkeijten entfprad; und die ich ohne jenes Hindernif‘ unabhängig und tonfequent würde fortgefetst haben bis auf den heutigen Tag.
Beihäftigen wir ung jetst eine Zeit lang mit den ont muniften, den im jüngjter. Zeit wieder jo wohlriechend de
— 416 —
kannt gewordenen „Schwefelbanditen“, und vorzugsmeife mit ihrem würdigen „Chef”, dem Herrn Karl Mare. Ich bulte nicht8 von der Affektation, welche foldhe Menichen zu ignoriren fudht. Sie haben binlänglich bewiejen, daß fie fchaden können, und was ihren „Chef“ betrifft, jo bat ver» jelbe jedenfall mehr VBerftand und Talent, als ein ganzes Schod ınjerer fonftigen „großen Männer“. Ueberdieß benutze ich, wie der Lefer.wird bemerft baben, in dem Be- riht Über meine Erlebniffe nicht bloß jeve Gelegenheit, Diejenigen, die ihrer Natur und ihrer Stellung nad) der Revolution mehr fchaden als nüten können, nad eigener Erfahrung in das rechte Yicht zu ftellen, fonvern aud) Die» jenigen bervorzuziehen, die fi) an dem gegen mid geführ- ten Berleumpdungsfrieg bejonder® betheiligt haben.
Eines Tages befuchte mid) in London der ehemalige preußijche Referendarius ZTellering, den ich Shen dem Na= men nad ald den Wiener Korrespondenten kannte, welder während ver ungarifhen Revolution die „Neue Rheiniiche Zeitung“ mit interefjanten Berichten vom Kriegsihau- plag verjehen hatte. Der Dann zeigte in feinem Velen etwas Unruhiges, Berlegened® und Berwirrtes, Das mir auffiel, da8 ich aber Damals nicht zu deuten wußte. Denn damals hatte ich feine Ahnung davon, daß mid) irgend ein Menidh bejuhen Fönne zu dem Zwed, fid) durdy den Aus genjchein zu überzeugen, ob ich, was Herrn Tellering die Scwefelbanditen verfihert hatten, ein Agent des Herzogs von Braunjhweig und ein Spion des Herrn von Bunjen fein fönne, Während der Unterhaltung fam das Gejpräd natürlicy and aufpdie „N. Khein. Ztg.* und ihren edal- teur, den Herr Tellering nicht wenig verehrte. ch rieth ihm, mit jeiner Verehrung fortzufahren und den Verehrter
— 47 —
perjönlih recht eifrig zu ftudiren, in 4—6 Wochen werde er genug von ihm wifjen und auf eine jehr unlichjame Weife von ihm Abjchien nehmen.
Es mährte nicht jo lang, bi8 Herr ZTellering aus dem Kreife ver verehrten „Bande“ hinausmaltraitirt war und jeinerjeit8 einen folben Haß gegen fie auffahte, vaß er demjelben in einer, von den Hobigjten Zärtlichfeiten jtro- Genden Brodüre Yuft machen mußte.
Ih hatte mich übrigend um Herrn Tellering nicht weiter befümmert, fo wenig wie um jeine fommunifttichen Freunde, als mir eines Tags ein Brief ded Herrn Referendarius eingebändigt wurde, worin derjelbe dem General Klapfa jeine Feder gegen mid) anbot. ch fchidte diejen Brief dem Berfaffer zu mit angemefjenen Berficherungen ver Hedyadytung, welche mir jolde Ehrenhaftigfeit und joldyer Nevolutionseifer einflöge. Darauf antwortete mir Herr ZTellering in dem folgenden Schreiben, das ich volljtänpig aboruden lajje, da es jo redht einen Einblid gewährt in das Hleinliche, gemeine Treiben und ntriguenpiel, wo- durdy fi) gewifje „Revolutionaire* auszeichnen, die als vorzugsmweife berufene Vertreter der Freiheit, der Hunta= nität und der Menjchenrecdhte fi geberven. Man mag fi) auß Ddiefer Heinen Enthülung eine Borftellung von dem edlen Eifer bilden, wemit fi foldes Gefinvdel hinter dem Rüden Derer abmübht, die "gradedurd ihren eignen Weg geben, ohne fi um alle die großen Männer ud Heinen Spekulanten zu kümmern, die recht und Links gegen Ehre und Ehrlichkeit wegelagern, um evem, der ungejchoren bleiben will, einen Zribut an Schmeicheleien und Rüdfichten, oder VBortheilen und Dienftleiftungen ab» zuprefien.
— 418 —
„Srün-Donnerftag- Abend, 28. Mär; 1850. Bürger Heinzen!
AS ih am 10. Dez.v.%. auf VBeranlaffung und in Begleitung des Jhnen durd mich perjänlich zum Theil be- kannt gewordenen fomorner und biefigen Spefulantenpaars Medunyansfi-Klapfa yıd Klapfa- Meonyanski von Brüjjel bier angefommen war, hatte ich nad), die uns Ihätbare Ehre, ein Anhänger der Bande Vları und Gone jorten zu fein, die ih — einen furzen Aufenthalt des Diarr in Wien abgeredinet — bis duhin nur aus ver Ent fernung fannte,
Leider kann ich den Beweis führen, daß id ein war- mer Anhänger gewiller Berjönlichfeiten dicter. Bande ger wejen bin, weil ic diejelben mit ıhren Motiven für ebenjo ehrlic hielt, al8 das Ziel, worauf wir gemeinjchaftlich losjteuern, Erft hier in London zwang man mich anderer Ueberzeugung zu werden und jet jehr für dieje und andere frühere Gutmüthigfeiten zu büpßen.
Ueber Ihre jpezielle Stellung zu Marr u. j. w. wußte id aus jeinem untergegangenen Blatte und von: jonjt nur. allgemeines und nur wenig, aber beides war jo beihaffen,. daß e8 Sie in feinem günftigen Lichte vor mir. erjcheinen, ließ.
Ihre eben, in der „Londoner deutfhen Zeitung“ abge drudt gewejenen „Lehren der Revolution“ hatten, befjen. werden Sie fi erinnern, bier amı, Plage. zwei. befanute revolutionaire Örößen (sit venia werbo), gleichzeitig, gegen Sie zum Beitungs-Turnien, aufgeftacelt,, nämlich den ebengenannten, duch feine gefchidte Spekulation. mit, ben gewaltigen fomorner Ochjen-Borräthen berüchtigt ge» wordenen Klapka, und bie mir damald nod) befreun«
— 419 —
bite Bande Engel8-Marr GSieerinmern fiheben- fs, wie die geiftige Obmmadıt und ver öfterreidhifche Scnurrbart- Wit des erftern fich in der fölnifchen Zeitung. gezeigt, wie Die neidijche, vor revolutionairer Berdunflung bange, fdhlecht placirte Wuth der letsteren ebenfo öffentlich, noch mehr und fchnaubender aber insgeheim und zeitungs- anonym mit jenem fomorner Görgey wider Sie Chorus gemacht.
Wenn ich nicht irre, Schon aur Tage meiner Ankunft hier» jertft — ich hatte Amım meine [chuldige Reverenz bei Marx und Conforten gemacht — hatte fid) befonders Engels in einem in der Nähe des Kommmmijtenflubs befindlichen Kafs feehaufe in Gegenwart ver Eheleute Marr, Schramms und, id; glaube, auch eine® anderen, dahin geäußert, daß Sie nicht nur ein Sölvling Braunjdiweigs, fondern audı ein Bertrauter (vulgo Spion) Bunjens jeien, und nur auf Grund defjen und um die vemokratiiche Emigration in Eng: land zu fompromittiren, wie Sie getban, gejchrieben hät“ ten. — In meiner Boreingenommenbheit für die Banve, weldye in ven erften Tagen meiner Ankunft bierfelbft noch) ungefhmächt fortvauerte, und in meiner durch meine bes greifliche anfängliche Unmiffenheit über die nähern Um- ftände der Hiefigen Emigration bedingten fubalternen Stel- lung, Hatte ih mit Rüdficht auf Die Meberzeugung, welche id über Sie mit hierher gebrachs,. einftweilen nody- feine Beranlaffung, diefe damaligen’ Berficherungen der Bande Diarr u. f. w. in den geringjten Zweifel zu ziehen, und’ fir das, waß fiewaren, für pure Berleumbumgen zu. halten: Sie waren als Söldling Braunfchweigs, als VBertrauten “ Bunfensimder That für diefen- Augenblid: in- jeder Be ziehung für mich verbamunlid).
— 420 —
Auch) das, über den von Jhnen für feine unfluge Jnitia- tive in der Fölnifhen Zeitung erhaltenen Hieb empfindliche Spekulanten-Baar MWiednyansti-Klapfa unterhielt ji mit mir über Sie und Jhr Auftreten, wobei ich Demjelben nicht nur mittheilte, was ich über Sie von meinen damaligen Parteigenofjen erfahren, fondern Klapfa au das Jhnen nun fo öfterreichifch bornirt und polizeiniederträchtig in die Hand gefpielte Anerbieten machte. '
Indem ic mich auf den Grund des Gefagten weiter über diefes Unerbieten ausjprecdye, erjuhe ich Sie, vor allem fejthalten zu wollen, daß ich dem Klapfa, ungeachtet meiner damaligen Ueberzeugung, dennod principaliter abgerathen, wider Sie von neuem aufzutreten, und nur für den Fall, dag er es nicht unterlafjien fünne, meinen Beiftand verfprodhen habe. Ih war dabei nämlich von der Borunsiegung ausgegangen, das allgemeine demo- kratifche Juterefje für diejen abgerathenen Fall befjer wah= ren zu können, al8 der Ablieferer der fomorner Fejtung und Ddjfen.
Untervefien erhielt ich täglich neue Gelegenheit, much) über die Berhältnifje und die Perfönlichkeiten der hiefigen Emigration genauer und befjer zu unterrichten. Cine der Folgen davon war, daß ich al8balv meine Anfichten, meine in obiger Weije gewonnene Ueberzeugung über Sie derge- ftalt modifiziren mußte, „daß ich zulegt, um vollens Ge- nüge zu befommen, mid) quoique und malgr& entihloß, Sie perfönlich zu bejuchen. Der perjönlice Eindrud ift mir lieb, id gebe immer etwas auf ihn. Defhalb geftehe ich Ihnen hier ebenfo unbefangen, wahr und freimüthig, als ich überhaupt jet gejchrieben, daß der Eindrud, ven Sie beim erjten Bejuc, auf mic) machten, den ungünftigen, mel-
—_ 4a —
hen ih — obwohl mobifizirt — nod hatte, ganz ver« brängte. Auch eilte ich fofort zu Klapka und zu Meony- anski, den ich bei ihm antraf, und madıte ihnen die gleich- zeitige Erklärung, daß; ich den mir über Sie von der Bande Marr-Engels gemachten Berichten nad) den Erfundigungen, die ich feit meiner Ankunft bier eingezogen, überhaupt nad) den Erfahrungen, die id) täglich zu machen Gelegenheit bes fomme, und namentlich nad meinem Befuche bei Ihnen feinen Glauben mehr jchenten könne, ihn, Mednyansti, vielmehr, damit er fid, jelber überzeuge, erfuchen müffe, mit nr bei Ihnen Bejud, zu mahen, Mednyansti folgte aud, alsbald meiner Einladung und hat jo vor Jhnen jel- ber ein unwiderlegbares Zeugnig von meiner über Sie unterbeffen geänderten Ucberzeugung abgelegt. Er jprad) fid) jpäter aud dahin aus, dag aud Klapfa, nachdem er Sie in einer Gefellihaft angetroffen, e8 nun halb und halb bereue, gegen Sie jo öjterreihijcd pumm vom Leder gezogen zu haben.
Ih hoffe, Sie werden hiernad) au unaufgefordert be- greifen, daf; mein dem Klapfa in Betreff Ihrer gemadhtes Anerbieten nad) jolden Borfommunifjen, insbejondere aber nad) dem nicht abzuleugnenden gemeinfhaftlichen Bejuche, ben Weepnyansfi nad dem 12. Dezember mit mir bei Ihnen gemacht, alle und jede Bereutung verloren hat, jelbft wenn, wie von Leuten, denen id nadhweijen kann, daß fie fih mir gegenüber wie gemeine Spigbuben be» nommen, zu erwarten jteht, die über Sie mündlid) ftatt- gehabten Unterhaltungen nur für Klatjcy ausgegeben wer« ben jollten. |
Unterdefjen wurde das Spefulantenpaar Klapfa-Meb- nyansfi, weil ich keine Luft bezeugte, mir eine mir zuges
— 419 —
Dachte jimmerliche Wiederholung feiner Behandlung gefal« fen zu Lafjen, fonbern e8 dafür nady Gebühr zurecht feste, natärlicd mein ingrimmiger Feind und hat als foldyer, wie ih nah Ihrem Briefe nicht anders annehmen kann, in fei- ner öfterreichifch fubalternen Gemeinheit und Bosheit e8 für fehr folgenreidh erachtet, da® Original jene® jetst feit Iange bedeutungslofen Briefd in Ihre Hänte zu jpielen. Wahrjcheinlih aber genügen diefe Angaben und Thatjachen vollftändig, Sie von dem Charakter und dem Werthe jener armfeligen Denunziation, die jo ganz auf ihre Urbeber zu- rüdfallen muß, zu überzeugen, ohne dar ich einftweilen mehr darüber jchreibe. ch erfuche Sie daher, mir meben Ihren etwaigen weiteren Bemerkungen nunmehr andy die Art und Weife gefälligft mittheilen zu wollen, durch welche Sie in den Befit des in Ihrem Briefe erwähnten Schrei: bens getommen find. Damit Sie jevoh Gelegenheit ba- ben, die fpezifiiche Moral des komerner und biefigen Spe- fulanten- Paar Klapfa-Mednyansti, jowie der Bande Engels-Marr des Näheren kennen zu lernen, lade ich Sie ein, bei mir Kenntniß ven den zwifchen ung ftattgehabten Ihriftlihen und mündlichen Berhandlungen nehmen zu
wollen. Ihe E. Tellering.“
Wie Herr Tellering, fo haben fid) von Herrn Marr no eine Wlenge anderer Tente eine Zeit lang täufchen md be- nıuten lafjen. Regelmäßig aber kehrten fie ibm nad eint- ger Zeit ald Feinde den Büden. Sein Talent hatte fie angezogen, doc) fein Charakter trieb fie wieder fort. Jeden Fatls ift e8 der Mühe wert, ein folhes Individuum et- was näher Tennen zu lernen, und id will nad) genauen
BEROE | . nn
Perfonalftubium ein getreues Bild von ihm entwerfen, damit, nachdem er jetst ein berühmter Mann geworben ift, mein Beitrag zu feiner Biographie der Nachwelt gefichert bleibe. Aus bloßen Schriften lernt man feinen Menfhen richtig beurtheilen. Man muß ihn perfönlich vor fich ba- ben, ihn phyjiognomiich-und phyfiologiich ftudiren, um ein rihtige® Bild feines ganzen Wejens zu erlangen. Des» halb will id mit einer Photographie des großen Mannes beginnen.
K. Darr ftammt von jüdifhen Eltern aus Trier ber und der orientaliihe Typus it jeiner originellen Erfcheis _ nung auf eine ganz frappante Weije aufgeprägt. Sein liederlich verworrenes Haar it fohlihwar; und fein Teint Ihmugig gelb, DObpvief Schmugige zur natürlichen Noms | plerion gehört, oder von Außen erworbene Zutbhat ift — für welde Zuthat er eine große Yiebhaberei befigt —, läßt jih nt immer jo beutlid) unterjcpeiden wie der Schmuß an feinen Hemden und Kleidern von deren urjprünglicher Varbe. Seine nicht hohe, halb verdedte Stirne ijt ein merkwiürdiges Kuorrengewädhs, namentlicy ausgezeichnet Durd) Die hervorragenden Ruoten Über den Augen, zu wels hen das Gegengewicht bedeutende Organe von “destruc- tiveness” hinter deu, weit auseinander jtehenden Obren bilden. Der ganzen Gehirnpartie des Mannes fehlt, wie jeinen Zügen, das Clement des Eolen und des Joeateı. Ju den, von den erwähnten Kinorren überdedten, Heincı, dunklen, furzfichtigen Augen jpielt ein aus Geift und Bos- beit gemijchtes euer, das aber jelten eigentlih widermär- tig leuchtet, da die ganze Erjcheinung jofort den Einoraf macht, daß die Dispofition zur Bosheit durd den Mangel an Kraft gewifjer Mapen unjchuldig wiıd. Dadurd er;
— 42141 —
hält unfer Freund den Stempel einer Kuriofität, an der man fi amüfirt, während er, wenn er imponiren und Furcht erregen jollte, in’8 Thieriich-Widerwärtige und Wilde übergehen müßte. Aber als Tiger hat die Natur diefe Perfönlichkeit nicht angelegt; fie blieb auf halbem Wege ftehen und machte einen Affen aus iym. Man er- fennt fofert, Daß er nicht auf Zerreißen und Erwürgen ausgeht, fondern eher auf!8 Kragen, Gefichterjchueiden, Kothwerfen und fonftige Tüden. Er ijt ein Weittelding zwifchen einem Affen und einer Kate. Wenn man feinen Heinen Augen no eine Kleine, plumpe, wie aus einem Dredtuorren geformte Nafe und diejen zudringlic komi» fhen Mund binzufügt, deffen nah Hohn und Spott Ihadenfroh ausgreifenve vide Unterlippe einen halben Zoll weit vor der Dberlippe hinausragt, jo hat man eine Phys fiognomie vor fich, die fofort an das boshaftefte Affenthum erinnert, ohne daß die einzelnen Züge mit denen bes Affen eigentlicd Übereinftimmen. XZrog diefem abjcheus liben Kompofitum phyfiognomifcher Abnormitäten madt bennody Das Geficht, namentlih wenn e3 Lädyelt, nicht grade einen unangenehmen Eindrud. Und dieg rührt daher, daß e& Geijt verrät und daß man fid), wıe ges jagt, an dem Kigenthümer amüfiren muß, wenn man nicht grade perjönlih von feiner Liebenswürdigfeit zu leiden hat.
Dan begreift fofert, daß eine fo gebildete Natur einem Feind nicht offen und ehrlich zu Leibe geht, fondern vaf ihre entjprechenpften Mittel Lüge und Berleumdung, Züde und JIntrigue fein müfjen. Bon Treue und Verla, Ehrlichkeit und Gemifienhaftigkeit, Ehre und Charakter ift bei einem foldyen Menfchen keine Nede, darauf muj man
er
bon born herein verzichten. Bei allem Talent ift Herr Marr geiftig ein bloßer Dialektiter und Sophift und ven überjegt fein gemeiner Charalter in die Praris unmittel« bar ald Lügner und Intrigueanten.
Ich lernte 8. Marz zuerit in Köln kennen, wohin er als Redakteur der „Rheiniihen Zeitung“ berufen wurde, nahdem er durdy einige Beiträge die Aufmerkfamteit der Herausgeber auf fi gezogen hatte. Jh hatte damals großen Kejpekt vor feinem Zalent und Freifinn, während gleichzeitig dieß Heine, originelle, in Bezug auf jeine äußere Erjheinung völlig indifferente und jelbftvergefiene Kterihen meine Beobachter- Pafjion reizte. E8 interefjirte mid ungemein, wenn ih ihn im Wirthshaufe, die furz- fihtigen Augen auf eine Zeitung gedrüdt, dafigen und dann plöglic nad) einem anderen Zijch fahren und nad Blättern greifen jah, die gar nicht vorhanden waren; oder wenn er zum Senfor lief, um gegen das Streichen eines Urtifeld zu proteftiren, und er dann ftatt diefes Artikels irgend eine fremde Zeitung oder gar ein Schuupftuch in die Tajche ftedte und davon rannte. Durch foldye geniale Zerfireutheiten und pofjierlide Mißgriffe gewann er mein Herz, wie er burd feine Artikel meinen Geift angezogen hatte. Ic hielt vaher in ver That große Stüde auf ihn und hätte in meinem jungfräulichen Schriftjtellerenthufias- mus jein bejter Freund werden fünnen, wenn idy nicht herz ausgebradht hätte, dag er ein unzuverläfliger Egorft und lügnerifher Intrigueant war, den feine Uebereinjtimmmuug von Öefinnungen und fein aufrictiged® Wohlwollen an eine fremde Perjönlichkeit attachiren konnte, jondern der Undere nur auszubenten juchte und faft nody mehr von ge-
— 1 —
meinem Neid gegen fremde Leiftungen, al® von eigenem Ehrgeiz beherricht wurde.
Zu feinen Tiebenswürbigften Eigenfkhaften gehörte in Köln feine Neigung zum „Kneipen“. Sie verfcyaffte mir eines Abends Gelegenheit, diefes Kuriofum von ganz neuen Seiten fennen zu lernen. Wir hatten mehrere Flafchen Wein mit einander getrunfen und ba er nicht viel vertragen konnte, bradyte ich ihn in etwas derangirtem Zuftand nad Haufe. An der Hausthüre angefommen, die er mit einem langen Schlüffel mühfam öffnete, nöthigte er mic, mit geheimnigvollen Andeutungen zum Eintreten, Neugierig, zu erfahren, was er mir ned) mitzutheilen habe, trat ich ein und fobald ich im Hmuje war, verjchloi er die Thüre, verftedte den Scylüfjel und verhöhnte mich in ko- wmifher Weile, daß ich jetzt fein Gefangener fe. Erer fuchte mich, hinanf in feine Stube zu folgen. Dort an. getommen, fette ich mid auf’8 Ranape, un zu fehen, was diefer wunderliche Kauz eigentlicd, beginnen werde. Gleich darauf hatte er jhon vergefjen, daß ich zugegen war, jetste fih, den Kopf auf die LXehne gebüdt, rittlings auf einen Stuhl und begaumn halb Elagend, halb höhmend an Einem fort in fingendem Zon zudeflamiren: „Armer Lieutenant, armer Lieutenant! Armer Lieutenant, armer Lieutenant!“ Diefe Klage bezog fih auf einen preußiicen Lieutenant, den er „korrumpirte“ indem er ihn in der hegeljchen Phi- lofophie wuterrichtete, Er hatteihn für den Abend zu fich beftellt, aber bei der Sneiperei den Lientenant mitfammt der hegelihen Philofophie vergefjen.
Nadıvem er den Lieutenant eine Weile beklagt hatte, fuhr er in die Höhe und entvedte plöglicy wieder, dak ich im Zimmer war, Er trat zum, gab mir zu verftepen,
— 27 —
daß er mich in feiner Gemalt habe, und begamn in einer Ichavdenfrohen Weile, die gern diabolifh gewejen wäre, aber hödftens Lobolpifh war, mich mit Drohungen und Handgriffen zu moleftiren. Jh erfuhte ihn, mid mit bergleihen zu verfchonen, ba e8 mir widermärtig fei, ihn in gleiher Weile abwehren zu müfjen. Da er aber nit nadjlien, Fündigte ich ihm ernjtlih an, daß ich mid) feiner auf eine fühlbare Weife entledigen werde, und da aud) Dief miht half, Jah ich mid genöthigt, ihn eine Reife in die Stubenede machen zu lafjen. Nucdydem er fi wieder auf- gerichtet, jagte ich ihm, fein Wejen jet mir langweilig ge- worden, und foderte ihn auf, mir die Hausthüre zu Kffuen, Jetst war die Heihe des Triumphirens an ihm. Geh’ nur nah Haufe, ftarter Mann, höhnte er und grinf’te dabei auf die tomifchfte Weife, Es war, ald hätte er, wie im Vauft, gefungen:
„Drinnen gefangen it Einer* —
wenigften® war die Stimmung eine Ähnliche, aber die Si- tuation wurde Äuferjt fomijcdy dur) Die verfehlte Mepbifto- miene, die er dabei annahm. ndlid, Fündigte ic) ihm an, daß, wenn er mir die Thür nicht öffne, ich fie felbit, und zwar auf feine Kojten, öffuen werde. Als er aud darauf nur mit Örinjen und Höhnen antwortete, ging id hinab, riß die Hausthüre aus dem Schloß und rief ihm von der Straße aus zu, daß er dad Haus verjchliegen möge, damit feine Diebe eindrängen. Stumm vor Erftaunen, daß ic) feinem Zauberbann entgangen, lag er im Yenjter und ftierte mir mit feinen Heinen Augen nad) wie ein begofjener Kobold,
Belanntlih) wurde die „Rheiniihe Zeitung“, melde
u a
einer Gejellihaft von Aktionairen angehörte, verboten un ter Teitfegung eines Termins für ihr Ende. Der Bor» fteher ded BVerwaltungstomite’8, Oppenheim, reij'te nad) Derlin, um wo möglich eine Aufhebung des DBerbots zu erwirken. Zu den Aftionairen gehörten die reichiten Yeute von Köln und fie hatten, fo viel ich mich erinnere, 20,000 Thaler zufammengebradht für das Erperiment, was aus einer Oppofitionszeitung werden könne, die nicht auf Ges winn jpefulire und welcher nicht durch das Selbfterhaltungs- interefje eine® einzelnen Bejigerd Fefjeln angelegt würs den. Man begreift, daß diefe unabhängige Stellung das Huuptmotiv des VBerbots und aud die fiherfte Garantie gegen die Aufhebung defjelben bieten mußte. K. Marr war hierüber auc nicht im Zweifel und z0g fih jhon wäh- rend ber AÜbwefenheit bed Herrn Oppenheim tbatfächlich von der Redaktion zurüd. Er hatte beftändig Reifen nad) Trier zu machen und erfuchte mich, der ih damals ein fleı- Biger Mitarbeiter der „Rheiniihen Zeitung“ war, für die letten Wochen ihn in der Redaktion zu vertreten. ch that dieß mit Vergnügen, da idy dadurdy Gelegenheit er« hielt, mid auszulafien, fo weit die die Zenfur möglich machte. Gleichzeitig aber führte ih mit Konfequenz eine negative Oppofition durd, indem ich alle Loyalitäts- - Bhrajen, Allerhödjjte Ordenverleihbungen, Belanntmacdh« ungen und allen fonitigen Alerhöhjten Unfinn, obne ven damald Fein Blatt zu erfcheinen wagte, aus der Zei« tung verbannte. Herr Oppenheim meinte bei feiner Rüds tehr, das habe dem Blatte definitiv den Hals gebrodhen — eine völlig haltlofe Behauptung, da es, aus den oben ans gegebenen Gründen, ohnehin unwiderruflid dem Tode ge= weiht war,
— 429 —
ı
Unterdefjen benugte Herr Marz eine fimulirte Hoffnung anf den Fortbeftand zu einem Manöver, wodurd ich ihn abermals. von neuen Seiten kennen lernte und ernftlich gegen ihn mißtrauish gemadht wurde. Eines Tags nahm er mich an die Seite und madıte mir folgende Bors ftellung:
„Es ift — dieß waren ungefähr feine Worte — von der bödhjten Wichtigkeit, daf die „Rheinifche Zeitung“ gerettet werde. Dazu gibt ed aber nur ein Mittel. Was die Kegierung bauptfählih in Furcht fest, ıft der Glaube, die Beitung jet Das Organ zuahllojer Opponenten in allen Theilen des Landes. Nimt man ihr diefen Glauben, fo nimt man ihr die Furcht und damit ift der Hauptgrund des Berbots entfernt. ch fchlage dir deshalb vor, in irgend einem Blatt, in das du forreipondirft, außeinanderzujegen, dag alles Gefährliche, wa® in der „Nheinifhen Zeitung” erichienen ift, ausjchlieglih auf meine Rechnung konımt, kurz, mich zum alleinigen S:indenbod zu machen. Du fannft Das leiht begrünten, wenn du neben den Rebal- tionsartifeln auf Diefe over jene Korrefpondenz hinbenteft, die zur Zeit viel Anjtoß erregt hat und unter fremdem Zei- hen erjdien, aber von mir gejchrieben war. Heberzengt jic) auf diefe Art die Regierung, daß ich allein der Frevler war, jo Brauche ih mich bloß zu entfernen und aller Grund zur Unterdrüdfung des Blattes ijt verfchwunden. ch bin auf alle Fälle entichlofjen abzutreten und bu erhältft die Re- baftion.“
Worauf Freund Marr hinausmwollte, war mir jofort Har und eben fo jchhnell war ich gefaßt, feine Aufrichtigfeit mit einer noch größeren zu erwiebern.
Dein Plan, erwiederte id) ihm, jcheint mir ausgezeidh-
u BE
net zu fein. ch wäre fofont bereit, ihn ausführen zu helfen, wenn mir nicht ein mächtige® Bedenken im Wege fände,
„Und das ift ?*
Mein freunpfchaftliches Berhältnig zu dir. Wie fann ih als dein Freund dazu” übergehen, wie ein Feind Dich öffentlih anzuijhwärzen und in ein jo gehäfjiges Licht zu jeten ?
„Das laß nur gut fein, Das nehme ich gern auf mic, wenn nur der Jwed erreicht wird.“ j
Nein, e8 geht nicht. Es ift für mich eine Gemifens- fade. Wer weiß, wie fehr ich dir dur meine Dar- ftelung jhabden würde, und das könnte ich nie verant- worten!
„Aber, Menich, wie fannjt du ein foldher Gewiflens- Thor fein! ch jelbit bin es ja, der e8 dir eingibt, ich felbit übernehme ja alle Berantmwortlichkeit,*
Wenn audh. ch würde dennoch mir ftetd vorwerfen miüflen, daß ich da Werkzeug zu Deinem Berberben gewe- fen wäre. Denn id würde e® body fein, der den Artikel geihrieben hätte.
„Wenn e8 Das ift, jo will ih die Hauptfache felbft jchrei- ben. Du braudjt da8 Ganze dann nur in eine Slorres- ponbenzform zu bringen.“
Auch Das kann id nicht über da® Herz bringen. Meine Freunpfchaft verbietet mir aud- Das,., Doc; ich weiß einen Ausweg. Willft du did niht an 8, Grün wenden ? Schreibe. ihm nur Alles vor und er wirb glüdlich fein, Stoff für eine pilante Korrespondenz. um die „Mannheimer Ubendzeitung“ zu erhalten.
8 währte nicht act Tage, fo erfdhien in der „Mann-
u A
beimer Abendzeitung” die Grünfche Korrespondenz, beinah Wort vor Wort Das enthaltenn, wa® Marr mir hatte in die Feder flößen wollen. Er war als ein wahrer Satan dargejtellt und dennody wurde fein Hauptzwed nicht er» reicht: vom Kosmos für die gefährlicyfte Feder des Univer- fum® gehalten zu werden.
Beiläufig bemerfe ih, daß Herr K. Grün fi damals, in Diannheim ausgewiejen, in Mainz aufbielt. Er war einer der erften Jnpujtriellen, weldye die teutfche Pireratur aufzumeilen bat, und dabei einer der fchamlofeften Hum- buger, die ich fennen gelernt habe. Kurze Zeit nad) feiner Ausweifung fam er nad Köln, wo ic) viel mit ihm ver- fehrte, da er durd; die Mannheimer Verfolgung ein gros her Dann und Märtyrer geworden war. Bon Köln aus redigirte er den in Wefel ericheinenden „Spreder” und ließ in diefem Blatt einen Durdy mehrere Nummern laufen- ten, von den übertriebenjten Yobiprücen ftrogenden Arti« fel „starl Heinzen ein Eharakterbild“ ericheinen. Nachdem: der Artikel vellftindig erfchienen war, fragte er mid), ma®! ih davon halte, und jprad die Erwartung aus, daf ich ihm in den Blättern, in die ich forrespondire, einen Gegen» dienft leiften und namentlicdy fein Buch „Meine Ausweis» fung aus- Baden“ beiprechen werde,
Wenn Sie darauf bejtehen, erwiberte ih, jo werde ich ed thun, Aber ich. jage Ihnen voraus, daß id Sie nady beiter Weberzengung beruntermadyen werbe, wie Sie e# nody nie erfahren haben, venn Jhr Bud) ift, wie der alte Iuitein e8 richtig bezeichnet, nichts Anders als. „Bode muthspinfelei und ein Bettelbrief”.
Bon diefem Augenblid an hatte ich. and) die Freundichaft: bed großen: Grün- verjcerzt. E8-ift dieß derjelbe Ehren»
— 432 —
mann, der fpäter den Kommuniiten fo eifrig in dem Bes miühen jefundirte, das „Charafterbild“ Heinzen berabzu« fegen, darauf aber von den nämlidhen Kommunijten als Erzlump in Grund und Boren getreten wurde. — So entjtehen die Allianzen und die Kriege unferer großen Männer der Literatur und der Revolution,
Nad) dem Untergang der „Rheinijcyen Zeitung“ war ft. Marr fehr glüdlih, von Ruge ald Mitredakteur jeiner Jahrbücher nad Paris gezogen zu werden, Er hatte jid aber bald mit ihm auf feine gewöhnliche Weife verfeindet, nachdem er entdedt, daß der Kommunismus der „avans cirtefte Standpunkt“ war, und ih tFaf ihn nach meiner Blut aus Köln im Winter 1844—45 in Brüfjel wieder, wohin er fih gewandt, nachdem man ihn mit Auge aus Paris vertrieben hatte,
In Brüffel erjt madhte 8. Marr die Wahrnehmung, daß ich ein Menic jei, ven man angreifen und unjhärlic machen müfje, denn — ich hatte unterbejjen „Die preus Kiihe Büreaufratie“ herausgegeben, dad Bud batte be. beutendes Aufjehen erregt und ich hatte einen Namen das durd; befommen. Grund genug, entjcheidender Grund für Marriche. Feindihaft. Diefe Feintihaft ließ jid aber damals bloß durd Nedereien und Reibereien aus, die gewöhnlich mit der Drohung jchloffen: „ich werde did vernichten“. Ich mahın fie mit der größten Bonbhomie auf und benußte fie bloß zu Späßen und jdlehten Wigen, nur dann und wann mit derben Andeutungen begleitet, um den „Bernichter“ nicht über meine Wertbihägung feiner Berfon im Zweifel zu laffen. So bemerkte ich ibm eined Tags in Gejellihaft feiner Begleiter, mit denen wir häufig im Bierhaus, namentlih in der Heinen, gemüth»
ER |... 089
lihen ‘faille dechirde” (Zeriffene Haube) zufammen- trafen:
„Weißt du, auf welhem Treundfhaftsfuß ich zu bir fiehbe? ch gebe dir gutherzig die Hand, aber indem id) dir eine Hand gebe, fchlage ich dir mit der anderen hinter die Ohren,“
„Das?“ fchrie er, „vann ftedhe ich dir ein Meffer in den Leib.“
„Run,“ entgegnete ich, „wenn du fo läppifch bift, gebe ich dir nicht einmal eine Ohrfeige, fondern einen Tritt,“
Diep ift die Art, „wie man mit diefem Mearr umgehen mußte, wenn man nicht ven ihm wollte maltraitirt wer- den. Er hatte zur Zeit Begleiter, die fih das Unglaub- lihe von ihm gefallen ließen, und nur das derbite Ent- gegentreten konnte ihn in Schranten halten,
Der Natur diefes Menjchen ift nichts unerträglicher, als vie Auszeichnung eined Anderen. Wen er nicht errei- chen oder ausftehen fann, den muß er berunterjeten. Als Hermwegh durd feine Gedichte jo großes Aufiehen machte, ärgerte fid) Niemand fo jehr wie &..Marr. „Man muß denn Menjhen zeigen, daß man aud Gedichte machen kann“, fagte er. Freilich, wenn er e8 gefonnt, jo hätte er es andy ohne Herwegh „gezeigt“. Schon daf ein Menjd ibm an Sörperfraft überlegen war, madte ihm Kopf- fhmerzen. Namentlich ich hatte fortwährend Anfpielun- gen über meine Stärke zu hören und wie in Köln, jo hatte er aud) in Brüfjel feine Ruhe, biß er fie erprobt. Eines Tages band er öffentlih im Kaffeehaus mit mir an und unter der Berficherung, daß er mic) zu Boden werfen könne, begann er fofort mic zu umfafien. Durch einen unge» Ihidten Berjud, meines Ellenbogens, diejes Eindijche Ats
BR
tentat abzuwehren, in bie Glasthüre des Lofals gefchleu- bert, raffte er fich auf und rief: „das ift feine Kunft, wenn man joldhe Elephantentnohen hat“. Freilid, antwortete ich, ift e3 feine Kunft, aber eine Kunft war es, jo bumm zu fein, daß man Das nicht vorher wußte,
Diefe Heinen Züge charakterifiren vollftändig Ddiefen „Ehef“ der Kommuniften, diefen gelben Neidhard, diefen nergelnden Kobold, diefen Heinen Dr. Grünfpan, wie id) ihn fpäter getauft habe.
Trog folhen Heinen Renktontres gingen wir in Brüffel, Danf meinem guten Humor, nicht feindlich auseinander und als ich im Frühjahr 1845 mit Freiligrath nad) der Schweiz abreij’te, tranfen wir zum Abjchied bei der Familie Marr no Punih und ließen auf die unbefangenfte WBeife Die Geijter mouffiren. Bei jener Gelegenheit fprach ich zu Marr: „Du haft fo oft gebroht, mich wegen meines Buchs über die Büreaufratie zu vernichten, aber bis jetzt nicht Wort gehalten. Ich lafje mir nicht gern vergebens drohen und fehne mid) nadı meinem Ende, Um mir jetst, wo ich von dir gehe, eine Garantie mit auf den Weg zu geben, verfprichft du mir hier zum Abjhied in Gegenwart deiner Freunde in die Hand, daß du mich vernichten wirft.“ Er mußte e8 mir in bie Hand verfprechen, hat aber auf ganz andere Weile Wort gehalten, al er verfjprohen. Das Wort des Krititerd hat er einzulöfen gefucht durch bie Gemeinbeit des Berleumbders.
Die Nothwendigkeit, mi zu „vernichten“, wurde für Herrn Marr nod) bringenver, al® ich durdy meine Brodit« renpropaganda in ber Schweiz der gefürdhtetfte Wiühler ZTeutihlands wurde und dire gegen mich gerichteten Ver- folgungen mid) zum Gegenftand der ausgedehnteften Theil-
a DR
nahme machten. Wie ic fchon frither berichtet, intriguirte Herr Marr auf die perfidefte Weife unter den Arbeitern gegen mich, weil diefe „Klafje”, auf die er feine Zukunft zu bauen hoffte, fih namentlich in der Schweiz fehr für mid) intereffirte. Noch gemeiner benahm er fi in Brüffel. E8 hatte fi dort, während ich in Genf war, in der von dem Induftrieritter von Bornftedt herausgegebenen „Brüfs feler Zeitung“ eine Polemik zwildyen mir und dem Marr- Ihen Pylade8 Engels entiponnen, worin biefer edle Strei- ° ter auf’8 Haupt gefchlagen wurde, fo daß Oreftes Marr ihm zu Hilfe kommen mußte. Er ließ in jenem Blatt eine lange, aus Sopbiftereien und perjönlichen Inveltiven zufammengefetste Epiftel gegen mic druden; als ich ihm aber von ver Schweiz aus antworten wollte, mußte auf fein Betreiben der Herr von Bornftebt erklären, daß mir fein Blatt nicht mehr zur Berfügung ftehe, und Herr Marr behauptete al® Sieger ven Plag. Ic habe ihm und feinen Genofjen fpäter in einer befonderen Brodüre geantwortet. |
Den höhften Grad von DBerwerflichkeit aber erreichte ih, als, und zwar ohne alles Zuthun meinerjeits, im Hamburg die demofratiihe Partei mich in’8 Barlament wählte. ine folde Schlectigteit konnte daß fittlicdye Ger fühl eine® Marr um keinen Preis ruhig ertragen und er rächte fi dafür durch Abdrud der gemeinjten, namentlich, von Herrn Heder ausgehenden Berleumdungen in ver ‚Neuen Rheinischen Zeitung“.
Um die alliirten Herrn Mare und Heder als Ehren- männer gleichzeitig zu -charakterifiren und zu zeigen, weldye Mittel von diefen evlen Geiftern angewandt wurden, um mich überall in Mißkrebit zu bringen, Laffe ich die Marrfche
—_— 436 —
Mittheilung aus der „N. Rheinischen Zeitung“ volftändig abvruden. Die „verfleinernden Briefe“ in der „Schnell poft“, worauf Herr Heder fi) bezieht, bejtanden einzig und allein in folgender kurzen, viel zu gelinden Beurtheilung, die ih nah dem Wenkontre in Hüningen in eine Korres- ponbenz einflocht:
„Heder, der für das Haupt der badifhen Republi- faner gilt, verdient diefe Ehre nur jehr relativ. Er hat . fidy früher nie ald Republikaner offen zu befennen gewagt. Als Sohn mohlhabender Eltern, dem es ftet8 nah Wunjd ging, und ald Veitglied einer Kammer von Chwätern, in welcdyer er durd) einzelne Kedheiten Aufjehen gemacht, war er ein verwöhntes Kind geworben, das fid) nur zeigen zu türfen glaubte, um zu fiegen. Er bat den badiichen Aufs ftand ohne allen Plan und Berftand in’s Werk gejegt, was man in Amerifu wohl gejtehen darf. Bon Organi- fation und praftifcher Leitung hat er feinen Begriff. Da- bei glaubte er den Diktator jpielen zu können, ohne die Veftigkeit dazu zu haben. Ging nit Alles nah Wunjd, jo verlor er fogleih den Muth und gerieth jogar in fin» difche Verzweiflung. Zum Republifaner wäre er zu ehr» geizig, wenn er nicht zu Jhwad) dazu wäre.
Weit höher, als Hedek, jteht Struve“ u, f. w.
Den, angeblid duch diefe Beurtheilung provozirten, aus den jchamlofejten Winpbeuteleien, Yügen, Gemein- beiten und Lächerlichkeiten zufammengefeten Brief eines in feiner renommiftichen Hohlheit bloßgeftellten, maflos eingebilveten Pöbelgögen theilt Herr Diarr in der „N. Rheiniihen Zeitung“ vom 19. Januar 1849 in folgender Weife mit:
„Hamburg, A. Ian. Unter diefem Datum bringt
BE, ,
bie deutfhe Reichdzeitung folgende Detaild über das Durdfallen Karl Heinzen’s in feiner Hamburger Kanbida= tur für das Frankfurter Parlament. 8 circulirte in Hamburg „ein Brief Brig Heders, worin diefer fi) mit wahrhaft fouveräner Beraditung über befagten Heinzen ausfpridt“. Diefer Brief hat urjprünglich in der beutjhen New-PNorker Staatszeitung vom 24. Auguft geftanden. Heder fagt darin von fid), er fei ein Dann, welcher feit zwölf Jahren unabläffig für die Rechte des deutichen Volkd gefämpft und für feine Ueber zeugung daß glänzenpfteloos und ein be- deutende® Bermögen freudig zum Opfer gebradt habe. Nett komme nun biejer Heinzen, fo roh, fo giftig, fo lügenbaft, um ihn zu fhmähen, zu verfleinern und zu verbädtigen, während von Nord und Süd, Dit und Welt Deutjchlands und der Schweiz ihm die rührenpften Beweije von Liebe und Ad- tung zu Theil würden, Und (Heder’8 Brief ift batirt Miutenz, 31. Juli 1848) jene verfleinernden Briefe habe Heinzen in die „NewsPorker Schnellpoft“ geichrieben „zu einer Zeit, da piefer Menjh mit mir freund Ihaftlide Beziehungen zu unterhalten fhien“. Herr Heder hebt hervor, daß er nie einem Fürften gedient habe, während Herr Heinzen „fürftlicher Söldner” gewefen, und, ein junger, rüftiger, fräftiger Wann, feit Jahren von poli- tifhen Almofen lebe „Für einen gejunden, rüftigen Mann, für einen Dann, der fi) für ein Genie ausgibt, wie Herr Heinzen, wäre es, wenn er wirklich die geiftige Größe gemejen wäre, für die er fich ausgeben mödte, niht [wer geworden, burd
a Se
eigene Kaft [ih zu erbalten, flatt- um des politiihen Glaubens willen Jahre lang Unterftägungen in Anfprud zu nehmen; die Republit ifl und fol fein ein Arbeitsftaat, nur Arbeit giebt Ehre. „Wo war denn aber Herr Heinzen in den flüärmijchen Tagen der Revolution? Warum ift er nit auf dem kürzejten Wege nad der Aheinprovinz gereift und hat borten den Aufitand organijirt und geleitet? (Warum ijt er nicht mit dem Yuftballon von New-Pork nad Köln geflos gen und bat dort „80,000 Dann“ auf Die Beine biktirt wie der Teloherr Heder? H.) Warum zog er hinter den Örenzmarlen Deutjhlandps um ber, wäbreud wir Anderenin Sturm und Schnee, auf fteilen Bergpfaden und tiefen Thälern das republil nijhe Banner trugen und den Rugeln der Feinde uns ausjegten? (in Hüningen im Wirthöhaufe, H.) Warum eilte der große Dictator nicht auf Sturmesflügeln in’s deutihe Yand, warum lieh er fid) erft in Hüningen fehen, al® der unglüdlidhe Ausgang vor Augen lag? -Freilid war Heinzen jywer von Heder beleidigt worden; diefer hatte iypm in einem Wortwechiel gelagt, er, Heinzen, jei kein Bublicift, e8 fehle ihm. dazız das Genie und das Willen, und daburd) fei Der-ungeheure Eigendüntel dDiejesg Mannes auf das Unerjeglichite verlegt worden. Aud) Geldgejdichten fpielen hinein: mit Heim zen bättendie$lüdhtlinge-endlid alle Gemeinjhaftabgebrohen. Heder jhil dert unjern. Wahllandidaten , mit folgenden., Worten: „Herr ‚Heinzen, leidet offenbar an folgenden unheilbaren Krankheiten: an der dee, welche bejhräntten Menjcen
Ze AU
eigen ift, daß er der größte Mann Europa’8 und zum Dics tator geftempelt fei; an der wenig republifanifchen Eigen- Ihaft, au8 der Unterftügung Anpderer gut leben zu wollen, ftatt burd Arbeiten fidy in Die Lage zu fetten, Almofen zurüdzumweifen; und endlich burd grenzenloje Hoffahrt und Grobheit überall, wo er binfommt, Händel anzufangen und gegen Andere, die feis ner „Größe“ fich nicht beugen, ihn nicht al8 den fublimften Einzigen anerlennen, mit allen Mitteln zu operiren." — Diefe wenig jhmeichelhafte Empfehlung hat Hrn. Heinzen fehr geichadet, um fo. mehr, da Sadpverftändige zugeben, daß „srig“ nicht allzu duntel gemalt habe,“
So weit diejes Doppel-Manifeft zweier gleich geftimms ter Seelen. Daß burd foldhe Gemteinheiten ein Heder fidy für eine-verbiente Demüthigung an mir zu rächen fuchte, könnte man damit entichuldigen wollen, daß dDiejer, fchriftftellerifch durchaus unzurehnungsfähige „Publizift“ zu roh und unfähig ift, mit mir cinen geiftigen Kampf zu führen; aber Herr Dlarr weiß; mit der Feder umzugehen und daß er die Waffen eines jo bäurifchen umd pöbelhaften, von ihm jonft gründiidh verachteten Kampfgenofien adops tirte, fommt bloß auf Redhnung feiner Ehrlofigkeit. Sie kieß ihn fogar die Rolle überjehen, vie er fpielte, ald er, der „Bourgevis".Tzrefler und Advokat ver „Proletarier“, einem der hohmüthigiten „VBourgeois* applaudirte, der, auf feine volle Tafche Hopfend, einen abgehesten „Proletarier“ wegen feiner unverfchuldeteten Mlittellofigkeit zu verhöhnen fudyte. - Und er, der Berireter der „Arbeit“, der aber während feines ganzes Eril® durch eigene Arbeit nicht das Salz verdient und faft immer anf fremde Koften gelebt hat, hilft befagtem „Bourgeois* einen, vurd Berfolgungen
Ai
aller Reflourcen beraubten Ylüchtling verleumbden, der in feinem Leben mehr gearbeitet hat, al8 ein balbe8® Dugend Dearr-Heder zufammen. Wenn diefer Heder nody einiges Schamgefühl befigt, jo muß er fi, auf meine Erlebniije jurüdblidend, feines Manifeftes fhämen jo lang er lebt. Zugleid mag er und jeder Gleichgefinnte fid) Die Frage ftellen, wa® aus ihm würde geworben fein, wenn das Schidjal ihm alles Das zugedadt hätte, was der „von Almojen gutlebende* ehemalige „fürftlide Sölpner“ in feinem Leben zu ertragen und durdzulämpfen hatte. Die Deantwortung der Frage, ober, der „Zurift und Publizift“, mid) dabei burd feine Leiftungen würde bejhänt haben, will id ihm aus blofem Mitleid erlaffen.
Was nun aber Herrn Marr betrifft, fo konnte die Ge meinbeit, wozu er die „N. Rheiniidhe Zeitung“ benugte, bödjtens nody gefteigert werden durdy die Schlechtigfeit, womit er mich in Lonton al® Spion Bunfens verleumpden ließ, weil meine Brodüre Senfation erregt hatte. Dod er mußte mid) eben „vernichten“,
Sp weit die perfönlihen Erfahrungen, die ich mit die- fem ehr» und gewifjenlojen Neidhard gemacht habe. Andere haben ähnliche gemacht und fie werden wahrjdheinlid, den- fen, daß fie no gut genug davon gelommen find, wenn die Marrihe Berührung fie bloß in Skandalgefchichten und nicht in’® Gefängnißg gebradt hat. Denn diejer Menid ift überall ein wahrer Lieferant für Gefängniffe auf Koften Derer geworben, die an ihn glaubten. Und einem foldhen Menjchen konnten die Arbeiter Bertrauen jhenfen, bloß weil er ihnen die Ehre anthat, fie als „Klafje* abjondern zu wollen, um fie für fich benugen zu fönnen! Und diefen Agenten der Reaktion und Polizeis
FRE , re
lieferanten konnten Revolutionaire ald Manı der Reve- Iution betradyten! ch habe diefem Menjhen jede Schledy- tigfeit zutrauen gelernt, von der gemeinften Intrigue bis zum infamjten Berrath, e8 braucht fid bloß um einen Öegner zu handeln, der eine öffentlihe Macht zu werden und feine Macht ehrlicy für die Freiheit zu benugen droht. Bei einem Menfhen, der Die Berleumdung fyitematisch betreibt und zwar bloß aus perjönlicden Motiven ber Scyeeljuht und der Rangläuferei, hat die Schledhtigfeit feine andere Grenze, als die jeine® Muthed und der phy- fiihen Möglichkeit. E3 ijt nicht prinzipielle Eiferfucht, nicht Eifer für den Sieg der Bernunft und Wahrheit, mas diejen Marr treibt, Diefen oder Jenen anzugreifen, weil er in jeiner Anerkennung die Dummheit und Yüge triumphiren fieht. Nein, c8 mag ein Schriftfteller genau Dafjelbe fügen und ein Revolutionair genau Daffelbe wollen, was Herr Marz fagen und wollen würde, er wird ihn herab- jegen, verfeumden und Jntriguen gegen ihn anjpinnen, jo= bald er ihn ich auszeichnen und einen Einfluß erlangen fiehbt. Eine gelungene Intrigue oder ein wirffamer An- griff gegen einen Schriftjteller und Politiker, den er als Rivalen anfieht, gilt ihm mehr, al® jedes fiegreiche Prin= zip, und bie größte Freude, die Diefer bübifche Egoijt in der Welt kennt, ift die Schadenfreube.
Das alfo it Das Haupt der teutihen Kommmuniften, der Chef der „Schwefelbande*, der Erfinder des „Klafien- lampf3“. Und glauben etwa bie Kommuniften, dem Hrn. Diarr jei e8 Ernft mit dem Kommunismus ? Er glaubt fo wenig daran wie id) und Niemand würde fi) in einer fommunftifchen Gefellihaft weniger am Play finden als er. Der Kommunismus bat ihm bloß ald Mittel ge-
u BEE in
dient, etwas Apartes zu repräjentiren und eine „Partei“ figuriren zu .laffen, die allen anderen opponirte. Man gebe ihm heute alle Madt, den Kommunismus zu ver- wirklichen, jo wird er morgen Reifaus nehmen, um nicht beim Wort genommen zu werben. Der Hauptehrgeiz bie» jes Menichen befteht bloß darin, für Andere, die etwas ihaffen wollen, ein Hinderniß zu fein und als foldyes an« erkannt zu werben; ber Wunfh, ein Förderung % mittel zu fein, liegt nicht in einer folhen Natur. Und ba er weder den Trieb, nod) bie Kraft hat, etwas Pofitives zu ichaffen, findet er feine Höchite Satisfaktion darin, Andere als negative. Kraft zu lähmen und von ihnen für „gefähr- lih“ gehalten zu werden. Als man ihm den Gefallen that, ihn ald Chef der „Internationale* anzufehen und in voll» ftändiger Vertennung feiner Kraft ihn zu fürdyten, ja ihn jogar mit ver Barijer Commune zu ibentifiziren, vor wel- er er, wenn in Paris anmwejend, fi) in das verborgenite Sclupflod würbe verfrodhen haben, ba feierte er inner- lidy ven hödften Triumph, den dieje Karrikatur eines Die phifto fic je geträumt hat,
Die „Marrianer* (die Auserlefenen bilden mit ihrem „Chef“ ein Kompagniegeihäft von etwa 6 Mann) hören fi) gern die „philofophifhen Kommuniften“ nennen (wahr: fheinlih im Gegenjag zu den unorthographiichen Storpo- ralögeijtern.a la Willi und den rohen Werkitatt-Apofteln ala Weitling); aud mögten fie gern eine „Schule“ dar- ftellen. Der „philofophifche* Gedaufengang iied, Schule" wird etwa folgenver fein:
Als Ausgangspunkt für die Entwidelung aller Wahr: heiten nehmen fie, wie andere Leute, den Materialidmns an, aber vermöge ihrer gemeinen Natur verjtehen fie ben
ii ARE
Materialismus aud nur in der materiellften Beichrän- fung. Weil alles Leben und Denken materialiftijch ent- fteht und zu erklären ift, muß e® nad) ihrer Auffafiung aud nur auf das Materielle gerichtet fein. Der wahre Mate rialismus läßt fi die ideale Welt nicht durd) die. That- jüche verderben, daß fie aus der materiellen hervorgeht, er gewinnt Dadurd bloß das Vermögen, fie auf einem fejten Boden aufzubauen; der gemeine, kommuniftijhe Miate- rialismus aber ftreicht die ideale Welt mıt allen ihren Be: firebungen. und Bedürfniffen aus feiner Berehnung aus und läßt nur das materielle Thier mit feinen phyfifchen Zrieben und Interejjen übrig. Er erkennt daher audy jo wenig fittlihe Motive wie geiftige Zwede an und findet zulegt feine ganze Welt erfhöpft.in der „Delonomie“, der Wifjenihaft der Ausbeutung der materiellen Natur für die materiellen Bedürfnifje einer materiell gefinnten Ge- jellihaft. Freiheit, Charakter, Ehre. und andere Stre- bensziele, Motive und Jmpulfe, die einen edlen Menfchen in Bewegung fegen, find dem Kommuniften fremd: er rehmet bloß, um zu „probuziren“ und zu „Lonjumis ren", Das Interefje, nämlich bas materielle, ift bie einzige Triebfeder wie die einzige Rüdficht, welche der „Sejelihaft* übrig gelafien wird, und, nad) der brutalen Einjeitigteit zu fließen, weldye unfere Herrn Philojophen in diefer Beziehung entwideln, muß man annehmen, daß in ihrem Gemeinwejen ald Arena-der menjclichen Thätig- feit nur die Fabrif geduldet, Kunft und Willenjchaft „aber abgeihafft wird, jo weit fie nicht ber „Delonomie“ bienen. Ausprüdlih ansgeiprohen haben fie fich. hierüber. meines Wifiend no nicht, jo wie ed denn überhanpt unmöglich ift, aus diejen bübijhen Verneinungsgeiftern ein pofitived Des
— MA —
tenntniß über beftimmte Zwede und Einrichtungen berans- jubringen. „SKritifiven“ und zerftören wollen, das ift das Einzige, wozu fie fich befennen. Was nicht fein fol, wifjen fie in fo fern, al8 Alles nicht fein foll was nicht nad ihrer Yagon ift; mas fein fol, darüber wifjen fie nichts zu fagen.
Es ift Har, daß eine foldhe „Pbhilofophie”, neben ver fo- gar der Yejuitismus nmobel it, Die Gefinnung ihrer Anhänger durch und durdy gemein machen und Alles, mas Ehre, Grundfjas und Gemwifjen beißt, in ihnen zerftören muß. Es fommt bloß auf ihr „Interefje“ an; das Wit- tel zum Zwed ift dann gleichgültig. Heute betrügt man, morgen verleumdet man, natürlich aus „Interefje“. Heute fhimpft man auf die „Bourgeois“, morgen bettelt man Geld bei ihnen zufanmen, verfteht fih aus „Interefle“. Heute fchreibt man die „Neue ARheinijche Zeitung“, mer- gen korrefponpirt man in die „Augsburger Allgemeine“, Ales aus „Intereffe*. Heute fhwärmt man für bie Interefjen der „Arbeiter“ und [himpft gegen die „Kapita- liften“ ver Fabriten, morgen [hwärmt man für die Kapi- talijten des Menjchenhandels, trit die [hwarzen „Arbeiter“ mit Füßen, die für ihre Arbeit nicht einmal „Lohn“, jon- bern nur die Beitihe erhalten, und rechtfertigt, wie der ehrlofe Dr. Kellner, die Sklaverei durd die „ötonomifce Nothwendigkeit“. Es ift kein Zufall, daß in Amerita die teutihe Stlavenhalterprefje zu ihren fähigften und eifrig- ften Mitgliedern Kommmniften zählte. 8 gibt überhaupt feine Schledhtigfeit und Gemeinheit, wie ed feine Yächer- lichkeit und Berrüdtheit gibt, zu welder der Konımunis- mus nicht fähig macht. |
Dod wenden wir und jest von den Apofteln der Ge-
ER en
meinheit zu edleren Menfchen. Ich habe den Lefern nod) von den englifhen Freumden und Freundinnen Mazzini’s zu erzählen, bei denen ich durch feine Briefe war ein» „geführt worden. E8 waren bie ein Paar Aovofaten und ein Paar Kaufleute mit ihren rauen. Alle dieje Menjhen, die in jeder Beziehung freifinnig und human gefinnt waren, fdhienen bloß zu eriftiren um der verfdie- denen Flüchtlinge willen, die fih in London zufammenges gefunden. Sie waren nicht bloß beftändig thätig, um Flüchtlingen bebülflich zu fein, fonbern fie verkehrten aud) faft nur mit Erilirten und im Winter veranjtalteten fie abwechjelnd in ihren Häujern möchentlihe Abendgefell» Ihaften, vie faft ausjchlieglih von Flüchtlingen, und zwar aller Nationen, zujammengejegt waren. Unter den Jtas lienern, die ic dort Jah, waren Die hervorragenditen Miaz« zini, Pifacane, Medici, unter den Franzofen Youis Blanc, unter den Polen Worcel, unter den Ungarn SKlapta. Ruge und Struve wurden ebenfalls eingeführt. Jun die» jen Gejeljhaften wurde, mitunter bis nad) Mitternacht, auf tie zwanglofejte Weife konverfirt, Schady gefpielt u. . w., jo daß man an die gewöhnlichen Steifheiten und Dummphbeiten englijher Gejelligfeit durd nichts erummert wurde,
Den Freunden und Freundinnen Mazzint’$ babe ich nicht bloß die angenehmjten Stunden, die id in Yonvon zugebradyt, jondern aud die Möglicykeit zu danken, aus London wieder nad) Amerika zu entkommen, nachdem meine Erijienz dert dur die gemeine Noth unhaltbar gewors den war. Wie ich jchon erwähnt, hatte der Yärm, den die „Zimes“ wegen meiner Brocüre gemacht, unter den Eng« länvern eine foldhe Scheu vor mir erregt, daß jogar ver
Eeuhen ? WEN
Unterricht in weiblichen Handarbeiten, der unter Heinzen- fhem Namen ertheilt wurde, plöglic eingeftellt werben mußte und damit die letten Hülfsquellen verfiegten, auf bie ich dort rechnen konnte. Alle meine fonftigen Ref - fourcen waren erfhöpft. Was Freunde in Teutichland für mich thun konnten, hatten fie früher jchon fo weit ge» than, daß ih um feinen Prei® nohmal® an ihre Hülfe appellirt hätte, Al® meine Brohüre erjhien, hatte ich Ausfiht, in einem Londoner Handelshanfe eine Commis- ftelle zu erhalten — denn ih war zu jeder anftändigen Arbeit bereit —; jene Publikation machte allen Unter: bandlungen darüber ein Ende, ch hatte zwar fonft nod) allerlei Projekte zum Geldverdienen erfonnen, aber va mid die Natur einmal verurtheilt hat, in folhen Dingen ein Stümper zu bleiben, fam nichts zur Ausführung. So 3. D. hatte ih den Plan, zur Zeit der WVeinleje in Frankreich ein Paar Dampficiffe vol Trauben zu holen, um fie in England zu keltern. Dadurd wäre der hohe Eingunge- zol auf Wein erfpart worden und fiher ein jehr jhönes Geld zu verdienen gemwejen. Uber welder Kapitalift hätte fi) mit mir afjoziirt ?_ Ich konnte mich den Kapitas liften jo wenig nähern, wie das Kapital fi mir näherte,
Unterdefien zwidte mic Die Noth täglich empfindlicher und machte mich in der Auffindung von Hülfsmitteln fo Iharffihtig und kunftfertig, daß ich fogar da® fülberne, jech# Cents werthe Ränddyen von dem eifernen Kreuz, weldyed ein Berwandter in der Schlaht von Waterloo verbient hatte, ablöj’te und verfaufte, Webrigen® bat foldhe Noth audy ihre humoriftiichen Seiten. Meinem fünfjährigen Sohn hatte ich zu feinem Geburtstag für meine Ir 2 Cents folgende Gefchente gekauft:
u BE
1) einen Bogen Papier,
2) einen Bleiftift,
3) eine Schnur.
Auf dem Bogen Papier follte er mit dem Bfleiftift fein ZTeftament jcreiben und dann follte er fih mit der Schnur aufhängen.
An das Teftamentichreiben Hätte ich ferhft ebenfalls ven» fen können, wenn nit die Freunde Mazzini’s, denen meine Lage fo wie mein Wunfd, wieder nadı Amerika zu gehen, befannt geworden war, fid erboten hätten, das Reifegeld aufzubringen. Hört e®, jehr ehrenmwerthe Yands- leute, Engländer haben das Reifegeld für meine Auswan- derung zufammengebradht, haben mir Kleider und Lebens« mittel mit auf die See gegeben, Damit der teutjche Revolu- Iutionair nicht verhungere, und diefe Engländer haben mir niemals, wie Herr Heder und die übrigen teutjchen Ehren- männer, vorgeworfen, daß ich arm fei oder von nicht erifti- renden Fonds in Saus und Braus lebe, und haben mir niemals, wie die Übrige teutiche Noblefje, nacdhgerechnet, daß ich von ihnen einige lumpige Dollar „Geld“ empfan- gen habe, „Gele“! Hole der Henker das Gelo und eu bazu! Ä
Das Keifegeld hätte hingereicht, mich nebft Yamilie an» ftändig über die See zu befördern. Aber idy hatte e8 nicht bloß zu diefem Zmede zu verwenden: ich hatte der trefflis hen Familie Hunter, die mich fo vertrauenvoll beherbergt, eine anjehnlihe Schuld abzutragen und fonftige Löcher zu fliden, von denen nicht in der „Limes“ gejtanden, fo daß mir faum noch genug übrig blieb, um einen Pla im Baud) eined ganz gemeinen Emigrantenjchiffes zu bezah- len. In diefem Schiffsbaud habe ic) nebit Familie viel
Ey
leicht die fürchterlichften fech® Wochen meine® Lebens in ber viehiichen Gefellihaft von etwa 300 Jrländern zubrin- gen müfjen. Al mich die Freunde Mazzini’s und ihre Frauen mit 2. Blanc vor der Abreife auf dem Schiff bes fuchten, fchienen fie jehr erftaunt zu fein über meine Wahl. Ich konnte ihnen die Urfache nicht erklären. Ebenjo wenig konnte ih Mazzini aufklären, der beim Abjcyied meinte, ic gebe wel nad) Anterifa, um mid nicht abzunugen. Ih nnfte ihn dabei laffen, denn hätte ich ihm meine Verhält- nifje auseinandergefegt, jo würde er mir wahrjcheinlid Unterftügung angeboten haben. Auf diejer zweiten Reife nad) Amerifa babe ic) die Entdedung gemadt, daß ber Dienjd) vor Efel fterben kann — ein Tod, auf den ich ge- faßt war im Fall id) noch weitere zwei Wochen hätte aus- halten müfjen. Und dody war nicht einmal diefer Efel vie ihlimnite Regung in jener Umgebung und Atmojpbäre, Dente dir, Lefer, in diefem irländergefüllten Schiffsbaud, in diefem ftinfenden und tobenden BViehjtall wird dein ein« ziges Kind vom Scarladyfieber angeftedt. Von eigentli» her Hütung und Pflege ijt feine Rede, fie ift platterdings nit möglid, und die Krankheit fchlägt in ver Falten Herbitluft nady Innen. Du weißt, was das heißt. Mos nate naher noch ringt der Kranke mit dem Tode und nahdem du ihm endlid, no immer ohne Mittel für eine regelresyte Heilung, doc das Leben gerettet, Eehält ver als Mujter von Kraft und Geiundheit zu Schiff Gegangene Spuren und Mängel zurüd, die ihn diefjeit des Grabed vielleicht nicht mehr verlaffen. Qirug er die Schuld, daß du ein Teutfcher warft und dic, für teutjche Freiheit inter- ejfirteft und vieferhalb von den Herrn „Freiheitsfreuns den“ verfchrieen und hülflos gemacht wurbeft ?_ Und nun
ur A
denke bir, lieber Xefer, daß bu, jene Erinnerungen im Her- zen, Dir von den großen Männern der Revolution mußt borwerfen laffen, dein Vater habe dir nicht jo viel Bermö- gen binterlafjen wie ber alte Heder zu Mannheitt, und daf du dich auß diefem, nur aus diefem Grunde mußt verleumden hören, du habeft nicht erijtirende Gelver ver- praßt, und daß bu dir noch ein halbes Menjchenalter bin= durdy von deinen ehrenmwerthen Landsleuten bei jeder Ge: legenheit mußt vorrechnen hören, du habeft einft für die teutfche Revolution nit mit Gelde gewirkt, das du bir „aus den Rippen gefchnitten“ — warum thateft Du es nicht, du Dummktopf? —, jendern mit Gelve, das der teutjche Epelmuth fi) von der niedrigen Seele gejchnitten — denfe dir das Alles, lieber Lejer, und du wirft mitunter eine Sanftuuth und Zärtlichkeit in dir erwachen fühlen, die feinem Tiger eigen ift, und bu wirft zeitmeife jo human gefinnt, daß du das ganze gemeine Yumpenpad und Berleumdergejindel, weldes dich ein halbes Yeben lang im Namen der Freiheit und Revolution mit dem Ruf „Seld, Geld“ verfolgt hat, wie Gewürm zu Atomen unter dem Abjag könnteft zertreten fehen ohne in Ohnmacht zu fallen. Berrätbft du aber den Yeuten, daß du foldyen Ein- drüden ausgefett bift, vaß du empfinbejt wie ein Menjch und did) empörft wie ein Menjh und daß du nicht Alles dulden willft wie ein Chrift oder ein Hund, fo machen die Piychologen die Entvedung, du habeft fein „Gefühl“. Sie find im Stande, dir dein ganzes Leben zu vergiften und dic) dann zu verfchreien, daß du fein Yanım fei’ft, Sie find im Stande, dir das Blut bi auf den legten Tropfen abzuzapfen und did) dann anzuflagen, vu habeft fein menjch-
liches Blut in den Adern. 29
u BD
Man kann jede perfönlidye Beleidigung vergefien, die nicht eine Ermiedrigung in. fid) fchließt, und wer feine Feinde unter fi) hat, ohne fie einem Prinzip opfern zu müffen, muß eine gemeine Natur fein, wenn er nit Grof- mutb üben kann; mer aber tödtliche Ehrenfränfungen und angethanes Unredht vergift, die mit verruchter Bosheit bireft oder indireft al8 verdiente Strafe oder geübte Geredhtigfeit aufreht erhalten werden, ber ift ein veräcdtliher Schwädling und Niederträchtling und verdient unter die Füße getreten zu werden. Ich glaube nicht, daß ed einen Revolutionair gibt, der, ohne den Despoten in die Hände zu fallen, für feine Freiheitsliebe mehr hat büßen müffen ala ih. Nas türlich habe ich ed voßlommen verdient, aber id; will mes nigftens dafür forgen, daß ich Daburd nicht zum Märtyrer werde, wenn ed aud auf Koften des „Gemüths“ und „Ger fühls“ gejchieht.
Dod) jehen wir uns, ehe wir zum zweiten Mal die „gaft- lihen Gejtade“ Amerifa’8 betreten, ein wenig in unferm Schiffsbauh um. Das Schiff, Das uns hinüberfchaffen follte, trug wieder den fhönen Namen „Mifftfjippi*.. Das erjte Dial war ich auf einem Damp fihiff „Deiffiljippi* nad Amerika gefahren; ich follte e8 jet auch einmal mit einem jegelnden „Mijiffippi“ verfuhen. ch war einer der erjten Paflagiere, die ihren Pla belegten, und da id) mit den Leben auf der See hinlänglid befannt war, fuchte id mir den allerhinterften aus, jo daß ich in mei- ner Ede jedenfalls nad) einer Seite hin vor der erwarteten Nahbarihaft gefihert war und die Deffnungen zur lüR tung in unmittelbarer Nähe hatte. Inftinktmägig fam« melten fih um meinen Pla die anftändigften Familien,
= AN
welde die Reife mitmachten, fo daß ich über meine nächfte Nahbarfchaft, die aus ruhigen Handwerkerfamilien beftanp, möglichft wenig zu Hagen hatte. Ye weiter man nun aber nad vorn Fam, deito roher, jchmieriger, fittenlojer und beftialifcher war die Gefellfchaft, bis wieder an der äußerften Spige fih eine anftändigere Kompagnie zufanmenfand und bieje beftand aus — teutihen Flüdtlingen. Die bier befannteften unter ihnen waren ber Lehrer Wintle und der Student Rotbader, die jett beide auf dem Gincinnatier Kirchhof von ihren Strapazen ausruben. Diefe Flüchtlinge hatten noch das Unglüd, bei der Ein- Ihiffung um bie angefauften Lebensmittel betrogen zu werden, jo daß fie mitunter die härteften Entbehrungen litten. Wir halfen ihnen natürlich aus fo viel ed uns möglid war, aber das konnte auf der langen Reife nicht weit reihen,*) Sie waren übrigens troß aller Noth mei- ften® guter Dinge und führten täglich beim Bugfpriet ihre Konzerte auf,
Die Herkunft und Berufsart der übrigen Schiffsgefell- Ichaft ift fchwer anzugeben. Genüge es, zu jagen, daß fie faft ausjchlieglidy aus Jrländern der vorfommenften Sorte beftand und daß die weiblihen Mitglieder derjelben mei« ftens Proftituirte waren. Von weldhem moralifchen wie phyfiichen Schmutß in diefer Umgebung fänmtlihe Sinne
F} Selbft in der Höhle des Efels, in die mich auf diefer Reife meine Armut bannte, lauerte da® gelbäugige teutjche .—- die Berleumdung, auf mid. Später wurde meine Unterftügung der mitreifenden Flüchtlinge zu der Beihuldigung benust, ich habe die Keije großartig ın der erjten Rajüte gemacht, aber jene Vebürftigen im Schiffsband, ihrem Schidfal Überlafjen. u
— 452 —
bei Tag und bei Nacht Zeuge fein mußten, wird man fi audy ohne befondere Phantafiebegabung vorftellen fönnen, und diefer Zuftand erreichte den höchften Grad der Uner- träglichkeit, wenn bei Sturmwetter fämmtlidhe Yüftungs- Öffnungen geichloffen werden und fümmtliche Bafjagiere im Schiffsraum bleiben mußten. Daß in diefem Raum nicht Peit und Typhus ausgebrochen find, ift mir nod; jegt uns begreiflih. Die efelhaftefte Peft, von der wir bedroht wur- den, war eine Yäufeüberfjhwenmmung; die fi vom Vorder: theil des Schiffs nad) hinten unmwiderftehlid, ausbreitete, in ihrem ortjchritt täglich marfirt wurde und ber wir glüdliher Weife no entgingen, da fie noch etwa jechs Betten von uns entfernt war, ald wir den Hafen von New:Pork erreichten.
Was man fonft no abzumehren hatte, war hauptjäd- lic) der Diebftahl. Er wurde zulegt fo zudringlid, daf wir Hinterbemohner jede Nacht abwechjelnd Wade halten mußten,
Wo möglih nod roher und unausftehlicher, als die Paflugiere, war ein Theil der amerifanifsben Schiffsmann« Ihaft, namentlich der Kapitain und der erjte Steuermann. Der lestere, eine wahre Seeräubernatur, verijhwand, jos bald wir den New-)orker Hafen erreichten, da er von mıeb- veren Mordprozefien bedroht war. Diejer Menjch hauf'te unter den PBaflagieren wie ein Sklavenhalter unter den Sklaven. Er theilte Obhrfeigen aus, wo er eine Wiper- rede fand, bevrohte Alle, die fidh ihm nicht unbedingt füg- ten, und disponirte über die weibliche Gefellihaft wie ein Sultan. Nur ernjte Entjchlofjenheit konnte diefen Bich- menjhen im Zaum halten und ich trug während der Reife ein geladenes Biftol in der ZTajche, um ihn beim erjten
BEER! ı «ABER
Berfuh einer Impertinenz in meinem Bereich niederzu- fhiegen. Glüdliher Weife hatte er Blid genug um zu wijjen, mit wem er zu tbun hatte, und ich hatte nicht die mindefte Kollifion weder mit ihm nod mit dem Kapitain, obichon ich beide bei einer befonderen Gelegenheit durdy An- Drohung eines Prozefjes in ihre Schranken zu meijen hatte. E8 fiel denfelben nämlidy eines Tages ein, die Pafjagtere zum Sohlenherbeifchaffen und zu anderen Arbeiten zwingen zu wollen, und da man fi weigerte, wurde bekannt ge- madıt, daß kein Wafjer mehr verabreicht werde jo lang man bei diefer Weigerung jtehen bleibe. Die irifchen Honoratioren, als fie ihre Weiber und Kinder nad Waifer Ichreien hörten, hielten Rath, was zu thun jei, und zogen aud) mich dazu. Ich foderte fie auf, fi) ihren Pafjageton- traft anzujehen.. Dan z0g ihn hervor, aber — die Be- ftimmungen, die man nacjehen wollte, fehlten. Der Steuermann hatte nämlid die Einrichtung getroffen, daß beim Abnehmen von Thee, Graupen und Ähnlichen Din- gen, die das Schiff lieferte, Jeder feinen Paffagefchein vor- zeigen mußte, von dem dann der Schurke, ungeblic) um die geichehene Abnahme zu vermerken, ein Stüd abriß, fo daf jehr bald derjenige Theil des Kontrafts fehlte, aus dem die Paffagiere ihre Anfprüde erfehen konnten. Glüdlicher Weife hatte ich, der id) felten Thee u. |. w. brauchte, mei- nen Kontrakt ziemlich unverfehrt erhalten. Ich holte ihn hervor, rief die Paflagiere auf das Verbed in der Nähe des Kapitaind und Steuermanns zufammen, [a8 ihnen die betreffenden Beftimmungen vor und foderte fie auf, ein Komite zu ernennen, da® bei der Yanbung fofort den Kapi; tain und Steuermann arretiren zu laffen und ihnen ven Prozeß zu machen habe. Dieß Mittel wirkte auf ver
— AR
Stelle und in fünf Minuten waren die Wafferpumpen in Bewegung.
Uebrigens, rubten während ber ganzen Reife aud) bie Schiffspumpen nit. Das Schiff war 15—20 Jahre alt; jhon gleich nad) der. Abfahrt mar e8 led und hatte mehrere ‚Fuß. Wafler über dem Kiel. Einem ernftlichen Sterm.hätte.e8 nicht wideritehen können, au fol e8 auf feiner Rüdreife nad Europa untergegangen fein.
Trog allen diefen Gefahren und trog einem, glüdlich gelöjhten Brand, der das ganze Schiff mit Schreden er- füllte, landeten wir nah 6 Wochen Anfangs Ditober 1850 lebend im Hafen von New-PYort. Meine Baarjhaft be» ftand aus $3, Hederjche Währung.
X, Dreinndzwanzig Jahre in Amerika.
Während meines breiundzwanzigjährigen Aufenthalts in Amerita habe ich ein interefjantes Stüd Gejdidhte Dicjer Republik erlebt und eine radikale, von rüdjichtlofer Wahr- heit geleitete Beurtheilung diefer Gejdhidyte würde jie mit- unter in ganz anderem Licht erfcheinen Laffen, ald worin die gewöhnliche Partei» oder Patriotem- Politik fie darzu- ftellen pflegt. Auch habe icy im biefigen LYeben mandye Deobadtangen und Erfahrungen gefammelt, die Stoff zu intereffanten Mittheilungen liefern könnten: Doc) dief Alles mn ich von diefem Buch ausfchließen, um den Ums fang befjelben nicht‘ über Gebühr anmwacjen zu lafien. Ergibt fih jpäter ein Intereffe und Bebürfnig dafür, fo tann es für eine befonvere Schrift benutt werden. In der vorliegenden mn ich mich bejchränten auf eine kurze Skizze über'meinen perfönlihen „Kampf um’s Dajein“, das moralifcje wie das phyfiihe, und um Feder und Pa- pier, d. i. über meine journaliftifche Thätigkeit. E8 handelt Nic j ja darum, die Schidjale eines teutjchen Revolutionairs im Eril zu Ihilern.
455
— 456 —
AS ic in New-Morf landete, madte ich ohne mein Willen eine Acquifition, an die ich zulegt gedacht hätte: e# war eine jchön gebundene Bibel. Sie war bei der Gele- genbeit, wo die Zollbeamten die Bagage vifitirten, in mei- nen Koffer praftizirt worden und zwar,auf eine jo gejchidte Weife, daR ih troß aller Aufmerkjamteit, welche ich zur Verhütung eines Diebftahld auf meine Effekten gerichtet, nicht8 davon bemerkt hatte, Die Spitbuben ftehlen euch die Sadyen heraus und die frommen Leute ftehlen fie euch hinein, aber leider nur Bibeln, Welde Ueberrufhung, wenn id im Shalespeare-Hotel, wo ich einkehrte, entvedt hätte, daß mir ein frommer Mann $1000 in den Koffer geftohlen! Dodh Das ift ein jündiger Wunjcd und wenn ih in diefem gejegneten Lande ebenfalls mit allerlei Unge- mad zu fänpfen hatte, fo liegt das am Ende bloß daran, daß ich ven Wink nicht beachtet, Den mir die gejchenkte Bi- bei ertheilte. Als ich in New-Nork das erfte Abolitio- niftenblatt jchrieb, befudhte mid der jüngjt verftorbene reiche Abolitionift Tappan, um mir feine Hülfe anzubie- ten, Cr fette dabei voraus, daß ich ein Chrijt fei. Als ich ihm aber erklärte, ich jei ein entjchiedener Atheift, meinte der fromme Mann, dann könne ich fein wirklicher Aboli- tionift fein, und verließ mid mit traurigem Gefiht, Da haben wir den Schlüffel zum Räthfel.
Nachdem ich gelandet war, beging ich, ftatt die Bibel zu lefen, eine That, die der teutjchen Nation zur Ehre gereicht, ich trank nämlidy drei Glas Yagerbier hinter einander. Ju meinem Leben babe ich nicht jolden Heißdurft auf einen er- frifchenden Trank gehabt, wie damals, wo ich aus dem Ihwimmenden Biehftall an diefe „gaftlichen Gejtade* trat. E8 war mir, al® hätte ich ein Faß leer trinken können und
— 457 —
müffen, um all den Efel hinabzufchwenmmen, welder mir Wochen lang im Halfe geftedt hatte,
Jegt bin ich aljo wieder in New-Mork, unter meinen theuren Landsleuten, die mic, früher jo glänzend empfan« gen und fo theilnahmevofl entlaffen haben. Kennt ihr mic) noch ?_ Kenne ich euch no? Seid ihr nod) was ihr wart? ch bin nody immer der Nämlidhe. Aber ih habe unterdefjen wieder viel erfahren, wovon ihr nichts wißt, und mit eurem Geld wenig ausgerichtet, wa ihr ganz ge- nau berechnet habt. Ych babe mit euren $400 nidt ein- mal die teutjhe Republif gegründet, gejhweige denn das hinefiihe Reid, erobert, Auftralien revolutionirt und Ruf: land von der Yandfarte vertilgt. Euer großer Heder und die anderen Himmeldftürmer, die nod) ein wenig mehr Dol- lar zur Verfügung hatten, als icy, und denen, wie der große Badenjer fi jo Hafjiih ausprüdt, „ümmtliche gährende Buttermildtöpfe nadyliefen“, während ich fhhlechter Nicht» badenfer feinen Dahshund zu fommandiren hatte, haben zwar ebenfalls nicht volljtändig die Welt befreit, aber fie hatten dody den unjchägbaren Vorzug, daß ihr Geld nicht aus eurer Tajche fam und daß fie euch nicht die Wahrheit gefagt hatten wie ih. Deshalb blieben fie jo groß wie fie waren, während ich unterbejjen jo Hein geworden bin wie meine Börde.
Menid, wa willft du machen und fein in ver Welt, wenn nidyt dein Bater ein reiher Dann ift oder du jelbft nicht die Heinen runden Dinger zu machen verftehft, womit man die ganze Welt kaufen kann, einige wenige verrüdte Judividuen ausgenommen? Das zu haben, o Menfd, was die Yeute Selbitgefühl nennen und rechtichaffenen Willen und Ehre im Leibe und Charakter und Prinziptreue und
== A
felbft etma® Zalent,- das ift recht hübfch und lobenswertb, aber e8 hilft dir doc nichts ohne ein wenig “cash”. Haft du indefien. “cash”, dann kannft du fogar unter den teut- jhen „Revolutionairen“ und Revolutionsfreunden ein ge» fheibter und ehrliher Mann und dennoch fiher vor An- feindungen, Berleumdungen: und Herabfegungen bleiben. Denn Rotbhichild fich heute für einen rothen Revolutionair erklärte, morgen. hätte. :er alle Gefinnungstüchtigteit der Welt, wenigftend der germanifhen, hinter fi, und jollte er aud) feine Anhänger wie. Hunde behandeln,
Das find wichtige und ausgemahte Wahrheiten, meine Freunde. Seien ‚wir daher ‚geiheidt und praftiih und machen wir cash. Ich habe. ein. Betriebstapital von $3 in der Tale. En avant!
Dod) ehe ich meine neue amerifanifche Laufbahn weiter verfolge, muß ich-eınen Rüdblid auf Das thun, was während meiner Abwejenheit bier vorgegangen war. Als Anhalt jollen mir dabei Die Briefe dienen, die der arme, unterbefien in’8 Schattenreic .gegangene Tyijowsli, den ih als alleinigen : Rebaktenn der und gemeinjchaftlich ge börenden „Schnellpoft“ zurüdlafjen mußte, mir nah Eu. ropa geihrieben,. : Man lege.ed nicht vertehrt.aug, daß ich Dadurch wieder - alte Standalgefdichten aufrühre, die ich ihon ihrer Efelhaftigkeit wegen längjt der Vergeffenbeit überliefert hätte, wenn fie. mich nicht in eine faljhe Stel- lung zu dem-größten Theil meiner hiefigen: Kandsleute ge» bradht und wenn fie nicht einen Spiegel für Zuftände abgäben,. die zum .sSheil heute nod) forteriftiven. Ich laffe and Tyflowsti’s. Briefen Diejenigen - Stellen abbruden, welche ein Licht auf mein. Berhältnig zu .den biefigen Zeutjchen jo wie auf das- Unternehmen werfen, an dem ich
Er:
betheiligt: war und auf das ic. ald.einzige Reffource im Eril meine Hoffnungen gebaut hatte.
Aus einem Brief vom 11. Mai 1848:
- „Dein Brief vonr, 20. v. M. aus London: kam erft mit ber ‚Britannia an... Ich war jchon in Berzweiflung. Ich bin getröftet. Du haft volltommen Recht, wenn Du ver- mutheft, daß ic Dir bald nadyfolgen werde. 8 handelt fid) jenoh ‚darum wie? Wenn:ic abgehe, und das will ich fo bald al8 möglich, fo bin ich entfchloffen, meinen Ans theil an der „‚Schnellpoft* geradezu zu verkaufen, denn ich begreife nicht, wer. fie bier:ohne und beide redigiren und und vor Uebervortheilung. jhügen joll, Zudem ift jelbit Kriege fort, umd-icy hätte auch iym.micht „recht getraut, ob er aus. dem Blatt nicht ein. Organ einer:und feindlichen Lehre machen würde. ch wiederhole Dir, ich kenne Nies manden, dem wiv.bier die. Reballion anvertrauen fünn- ten, noch, weniger -Jemanden, dem. ich e9- anvertrauen wollte, unfer. Gefchäft zu adminiftriren; wir würden nur Rechnungen, aber nie: einen Heller erhalten. Ich glaube aljo, Daß, einzige Mittel ift Verkauf. - Darum jenve mir oder Eh. oder fonft Jemanden VBollmabt zum Berfauf Deines Antheild. Anders geht ed nicht. Dabei bemerfe ih Dir, daß, ob-zwar die Gelder langjam eingehen, und obwohl id mit genauer Noth Die Wocenrehnungen deden fann,-docp bis: jegt.im Ganzen 200 Abonnenten feit dem 1.,ebruar zugewadjen find, und daß, feit ed bekannt ift, daß-:Du- fehreibft, täglich ‚neue kommen. Langen Deine Korrespondenzen ‚regelmäßig;an, jo haben wir in 3. Mo- naten wenigftens . 500. Abonnenten. mehr, und vann faun das Blatt für-$3000-bie 5000: verkauft werden,
u
Der hiefige Revolutionsverein beträgt fih fo, dak ih gar nicht mehr in deflen Sigungen bingehe. Du wirft genug von ihm haben, wenn idy Dir fage, daß er Darüber beräth, Weitling und Dowiat nad) Europa zu fenden. Appage Satanas. Soldes Bolt hält die Republif in Deutihland auf. Ich redete mich heifer, fchrieb bei Gele» genheit, wa8 ich konnte, alles umjonft. Das Bolf ift un- verbeflerlidh.
Ad, Freund, Du glaubft e8 nicht, wie mic) diefe joge- nannten Freiheitöhelden bier anefeln. Echte® Yumpen- pad, das een zum Hanbelsartifel gemadt hat, fie bei Elle und Pfund verkauft und nur darauf finnt, fi) wichtig mit hohlen Phrafen zu madhen. ch erhalte beitändig Korrespondenzen, bie mich blau vor Aerger machen.“
In Bezug auf die „Schnellpoft“ heift ed noch in dem- felben Brief:
„Ale meine Sorgen fhwanten, ald Dein Brief antam. Schreibt Du regelmäßig, jo ftehen wir glänzend. Bringit Du e8 dahin, daß ich das Blatt dreimal die Woche (e8 er- [dien damals zwei Mal. H.) berausgeben fann, dann ftehe ih Dir gut dafür, wir verfaufen e8 Ende Dezember um $5000,*
Aus einem Briefe vom 30. Mai 1848.
„Heder’8, Struve’8 und zulett Dein Beginnen ift den radifalften Rapdikalen und insbefondere mir unerflärbar. Alles, was ihr dafür anführt, ift weniger ald unzureichend, Das nichtsfagende VBorparlament hättet ihr, darin figend, zu einer Diktatur über Deutjchland erheben Fönnen. (Dies fer Meinung bin id aud. Was mid betrifft, jo vergift Tyfiomsti hier, daß ich damals auf der See [hwamım. H.)
= BR
hr könnt e8 Heute nur vernichten, aber zum neuen Aufbau ift wenig Hoffnung vorhanden. Ferner fällt es auf, daß man euer Zentral-Eomite zerjprengt, da man body ein Ähnliches polnifches bejtehen läßt; man vermuthet alfo, daß ihr euch im Angefiht der Franzofen bedeutende Blößen gegeben haben müßt. — Freund, id) jpredye offen, aber ich glaube, e& ift bejler, offene Sprade als gleifine- riihe Yobhudelei zu hören. Wenn die Anficht irrig. it, (und fie war mehr, fie war total unfinnig, ohne alle Rüd- fiht auf die gänzlich verfchiedenen VBerhältniffe. H.), wißt ihr wenigjtens, wie ihr der öffentliben Meinung entgegen zutreten habt.“
Aus einem Brief vom 11. und 12. Juni 1848:
„Die Erhaltung der Poft- und Regierungs- Anzeigen hängt von zwei Sadhen ab. Entweder müfjen wir die größte Abonnentenzahl nadhmeijen, oder wir müfjen ung einer Partei verfaufen. ©. jehrieb mir und wied unzwei» deutig auf das Yegtere hin. Wir follen Bubanan zum PBräfidenten begünftigen. Nidt um eine Willion würde ich jo etwas thun,. 8 bleibt ung aljo , nur der erfte Weg und dahin fommt e8 nie bei den jeßigen Berhältnifjen des Blattes. Kommft Du aber zurüd und übernimmft felbft die Yeitung und bift Du alleiniger Eis genthümer, tann fann Alles gehen.“
„Rady reiflicher Ueberlegung jehe ich, daß für Dein In» tereije nicht befjer gejorgt werden könnte, ald wenn Du jelbjt dich entjchließen mögteft, nach Amerika überzufiedeln. Du könnteft bier aus dem Blatte etwas madhen. Wie es jetst fteht, droht ihm der Untergang und id) ehe nicht, wie ohne Deine Rüdtehr dem Ucbel abgeholfen werden kann.
— 462 —
Mid drüdt neben meiner perfönlihen Lage das Schidfal meines Baterlandes ganz darnieder, ch bin beftändig in einer fieberhaften Aufregung und fanrı bei diefer Stim- mung der eibrüdenden Lat der Redaktion und der Ber. waltung des Gejhäfts ohne deffen offenbaren Nactbeil nicht genügen. Dazu fommt, daß die Berhältniffe gebie- ten, eine radikale Menderung in der Herausgabe vorzuneh- men und dazu ift baares Geld nöthig. Wirft Du alleiniger Eigenthümer, jo befommft Du Gelv fo viel Du willft, aber dazu mußt Du hier fein. ch will mich in kein Schulden- machen einlaffen, um freie Hand zu behalten, nad Europa in jeden Augenblid zurüdzureifen.“
Brief vom 3. Juli:
„Unter und gefagt, theurer Heinzen, haben Struve und Heder einen dummen Streidy gemadht. Fidler ift ja heute frei, und waren fie wirklich ernjtlich bedroht, fo wäre e# glorreicher und gewiß zwedinäßiger gewefen, im Ausihuß zu erjcheinen und zu erflären: „Bidlerd Gefangennehmung ift Hocyverrath an der Souverammetät ded Bolls. Aud unfjere Perjonen find bedroht. Wir erklären daher, daß wir hier in diefem Saale, in dem Heiligthum der Nation, fo lange wachen, fchlafen, eflen, trinten u. |. w. werben, bis die Nation vollftändig im Parlamente vertreten ift und über und ihr Urtheil ausgejproden hat. Nur tobt wird man und vorher von hier wegbringen!* — Wer, frage ich, hätte e8 gewagt, nady folder Apoftrophe die Republikaner anzutaften? Und hätte nian fie gefangen gefetst, ja ge- benft, ihr Fall wäre Deutfhlands Triumph gewejen. Das für haben fie ohne Plan, ohne Vorbereitung einen Kampf begonnen, der vom Anbeginm auf feinen Succef rechnen
—_ 463 —
konnte. E8 konnte ja jedes Kind mwahrfagen, daß man nicht Babenfer, fondern andere Truppen gegen die Repus- blifaner fchiden werde. Was Dich anbelangt, jo halte ich Dein Aujtreten für edel, denn Du kamft zu fpät, um bie Sadje rüdgängig zu machen.“
Am 16. Juli fhreibt Tyffomsti:
„Deine Müge gegen Heder hat hier einen fürchterlichen Sturm bervorgebradt. Deine beften Freunde find Dir gram deswegen. ch fagte mehreren, daß fie ärger find, ald die Despoten, da fie einen freien Mann nicht feine Meinung ausipreden lafjen, aber man fagte mir, das jhade der guten Sache, fie Uneinigkeit und Miftrauen u.f.w. &8 ift etwas daran, gewiß ift e® aber, daf; derfei Ausfälle der „Schnellpoft“ und namentlich perfönlid Dir fhaden, Dod id) vermuthe, Du hatteft wichtige Gründe zu thun was Du tbatejt und ich durfte nicht Deinen Zen» jor fpielen. Uebrigens warft Du nidt der erjte, ver Anlaß zum Streite gab. Bor Deinem Artikel erfchien ein Brief Heder8® und Gundies in der „Staatszertung“; ich dachte, die „Staatszeitung“ hätte uns einen Streidy gefpielt. Dein Aufiag hat mir die Sabe aufgeflärt. Aber unfere KRepublifaner können ed nicht begreifen, wie Du und Heder auf zwei Wegen gehen könnt, und fomit ift die Aufregung bier ungeheuer, Die „Staatszeitung* reibt fid) die Hände. Du bift zu weit um zu antworten. ch- kann nicht antworten, weil id von der Sade nichts verftehe, und fo freut fid) der Ejel, daß der Löwe krank ift, und glaubt unterdefien den König fpielen zu fönnen, Ih kann nur ewig jammern: warum bift Du nicht bier, wenn Du nicht in Frankfurt
u A
fein kannt? Einen britten Plag für Di kenne ic nicht.“
Aus einem Brief vom 4. Auguft:
„Beiliegend fchide ih Direin Pamphlet, welches unfere Seger (Steinlein und Hofmann) gegen Deine Feinde (in der „Staatszeitung") gejhleudert. ch kann nichtd der- gleichen thun, objchon e8 mein Herz erleichtern würde, denn das Volt ftinft vor Schmuß und ich fürchte ausjägig zu werben wenn ich e8 berühre,“
„sch erwähne der Standalgefchichte blof, um dir noch einmal zu wiederholen, dafz ich trog Vettern und Tanten und Bafen und Philiftern und großen und Heinen Dunmes föpfen, und trog Mißgefbid und was ba fommen und nicht fommen mag, Dein unveränderlih treuer und Dich herzlich liebenvder Freund bleibe. Der fhurfifhe „Pbila- velphia Demokrat“ hat audh ein Pasquill auf Did ver- öffentliht. Ych fchidte e8 Dir duch B, Schreibe; kommt Dein Briefnac verfaufter „ Schnellpeft“, fo lafje ich ihn in anderen Blättern publiziren und wenn ich ihn in’8 Engliiche überfegen follte, Außer mir haft Du immer nody Taufende wahrer Freunde bier. Die Hunde, die Did anbellen, werden nod Deine Füße leden.*
In. einem anderen Briefe jchrieb Tyffomwsfi, er wolle lieber in den Urwald geben und die Schweine hüten, al8 fi) länger mit dem gemeinen teutjchen Gefindel in News Hort herumftreiten, Er bejtand daher darauf, die „ Schnelle pojt“ müjje verfauft werben, da er nicht die Kraft hatte, feine Stellung zu behaupten, und ich juchte aus mehrfadyen Gründen dad Blatt io lang wie möglich feitzubhalten. Aber zulegt mußte ich nachgeben und die „Schnellpoft“
— 465 —
wurde für einen Spottpreis verkauft, ohne daf ich einen Heller dafür erhielt, da ih dem früheren Verkäufer noch einen Theil des Kaufgelves fhuldig war. Bei meiner Zu- ftimmung zu dem Berfauf konnte ich mich nicht enthalten, Tyfliomsti meine Unzufriedenheit über feine Schwäde zu erfennen zu geben. Darauf fchrieb er mir am 27. Auguft einen Brief, den letten, den ich erhalten und in dem folgende merkwürdige, prophetifhe Stellen vor- lommen:
„Genug von biefer Angelegenheit, die mich anefelt, daß mir der Anblid von Zeitufgen unleidlic wird. Wie ich von Dir perjönlid denke, darüber lies die „Schnellpoft“ nah und glaube mir, daß ich wielleiht der Einzige in Amerika bin, der Dir nod) das Wort redet, oder, was be» deutungsooller ift, da8 Wort zu reden wagt. ich Acht, Freund! Das Jahr 1848 hat viele große Namen umgebradt. Jh wünfchte nicht dich auf der Lifte zu fehen. Du haft Amerifa ganz und gar nidt ftus birt, bier wird Alles nur gelauft und du — haft noh Geld gefodbert! Daiftdas Räthjel. — Du wirft mir wieder Inkonfequenz vor- werfen. Du erhielteft ja Geld, oder man verjpricht e8 dir wenigitend, Ad, könnteft Du Alles Icjen und hören, wo» mit diefe Sendungen begleitet waren, Du mögtejt e8 den Leuten ins Gefiht zurüdjhmeißen, aub wenn Du dabei verhungern jolltejt.“
Ya, Tyfiemsti hatte Recht: ich hatte Amerika nicht ftu- Dirt. Kein Menjch Hätte mich damald überzeugt, daß die Teutihen bier fo bovenlos fchleht und gemein werben tönnten wie ich einen fo großen Theil derjelben burdy bei- fpiellofe Erfahrungen kennen lernen jollte, er
— 466 —
Ein fehr gefheidte® Sprichwort fagt: „Die Abwefert- den haben Unredbt“. Bloß wenn man „auf längere Zeit“ abmwefend, nämlich zum Befuch in „jener Welt“ ift, darf man hoffen, Gerechtigkeit zu finden. Eine dieniteifs rige und gut dirigirte Berleumdung kann einen webrlefen Abwefenden in einigen Wochen in einen Ruf bringen, den er fpäter nicht in zehn Jahren niederzuleben vermag, namentlid wenn die Organe der VBerleumdung ficdy nie zu einem Widerruf verftehen, wie das hier Die Kegel zu jein pflegt. Auf die Öelegenheit, fi) während meiner Abwe- fenheit zu rächen, lauerten vor Allen Diejenigen, die ich mwährend meiner Anmwefenbeit nicht nah ihren Erwartuns gen ald große Männer behandelt hatte, und unter diefen ftanden obenan: der noble „Editor“ der „N. Y. Staats- zeitung“, des erjten teutiben Sflavenhalter- Blattes, und ein verjoffener Bierbrauer, der als jpezieller Freund des Herrn Heder auftrar. Die Oelegenbeit, einem Grell Luft zu maden, den fie früher nicht zu äußern wagten, ver- Ihaffte meinen Feinden der badijhe Putfhmaher. Wie aus dem Briefe Tyfjowsti’8 zu erjehen, war ver Hüninger „Publizift“, jhen ehe ich über ihn etwas veröffentlicht hatte, gegen mid) in der „Staatszeitung“ aufgetreten und zwar in Kompagnie mit dem amerifanifhen Konjul in Bajel, Gundie, einem Manne, den ic) nie gefehen und mit dem id) nie etwas zu jchaffen gehabt habe. Der elende Heder hatte ihn alfo zur Unterfchrift verleitet, um durch eine amerifanijche Autorität feinem Angriff Kredit zu geben, und der ehrloje Konjul hatte fi zum Zeugen gegen einen Men» hen hergegeben, den er gar nicht kannte, Einige Zeit nad) Beröffentlihung Diefes Manifeftes, wovon icy nichts wujte, erjhienen in der „Schnellpoft* die früher zitirten
— 467 —
Bemerkungen, worin ich die Verftandlofigkeit, Diüntelhaf- tigkeit und Schwäche des badifchen Popanzes in der gelin« beiten WVeife darftellte. Jene Bemerkungen aber gaben das Signal zum Kampf und die Hauptanführer vefjelben waren die verfommenjten Pöbelgrößen und Bierphilifter New Morks, unterftügt von den beleidigten Ariftofrätlern wie den befämpften Kommuniften. Sie traten für ihren „Breund“ Heder auf — Herr Heder bat .überall derartige noble „Treunde* — und trafen mich in die Adyillesferfe indem fie ftet® darauf hinmwiejen, daß ih Unglüdlicdyer nichts thun könne ohne — Geld und merfwürdiger Weife immer Geld brauche wo ic) keins habe. „Heinzen hält fi — jo jhrieb man in der „Staatszeitung“ — für den wah- ren Mefjias, aber nur und nur mit Geld fann er er: löfen! — —“ Fett hatte man die wahren Stihmworte ges funden: „Heder“ und „Geld“ fchrie jett jeder Hallunfe und er. jhrie um fo lauter, je weniger Geld er jelbjt herge« geben oder je mehrer — auf meinen Namen ge jammelt und verfoffen hatte! Zieht man dabei num nody den Eindrud der in Teutfchland verpfulc- ten Revolution in Betracht, Die man gern auf meine Wed- nung gefchrieben hätte, bedenkt man ferner, daß Hr. Heder fpäter nod) ein zweited Manifejt gegen mic) erließ, worin er mid) auf die infamfte Weife verleumdete, und dann per= fönlih in Amerifa.gegen mid, den Abwefenvden, wirkte, jo fann man fi vorftellen, wie das Gefindel in New. Hort über mic herfiel und wie leichtes Spiel e8 hatte, den Abwefenden zu bdisfreditiren, der fein Organ mehr zur Berfügung hatte und von allem Verkehr mit Amerika abge. fohnitten war,
Sie transit gloria. Als id zum zweiten Mal in New«
— U
Hort landete, war nit bloß alle Sympathie für mich, fondern audy alles Interefje für die Revolution erftorben, Ich täufchte mich Darüber nicht lang, trante mir aber zu, in kurzer Zeit wieder eine angemefjene Stellung. erringen und mir eine entiprechende Wirkjamkeit mittelft ver Prefle fihern zu fönnen. Um einen Grund zu legen. und mir die erjten Mittel zum Präludiren zu erwerben, künvigte ich gleich in den erften Tagen einen Vortrag über die Revolu- tion und die Urfachen ihres Untergangs an. Das war ein Thema, weldyes, wie ich dadıte, alle Diejenigen inter: efjiren mußte, die früher jo emphatifc der Revolution das Wort geredet hatten. Zu dem Vortrag fanden fih — richtig gezählt — 32 Zuhörer ein, die mir, 25 Cents vie Perjon, afturat $8 einbrachten. Herr Liepre hatte mir ven Saal des Shakespeare » Hoteld gratis eingeräumt, jonft würde meine Einnahme fic, auf Null reduzirt haben.
Das war ein ermutbigender Anfang. Sollte ich unter meinen Zandsleuten nod) weitere Berjuche mahen? Sellte ih ameritanifche Hülfe annehmen ?
Eine Dame aus einer der befannteften und reichiten Familien New-Ports hatte in Genf eine meiner reun- dinnen kennen gelernt und war burd) deren Berichte jo warm für mich interefjirt worden, daß fie, von meiner Reife nah Amerika unterrichtet, ihren VBerwanpten, na- mentlid ihrem Bruder (dem Schriftfteller Tudermann) an’8 Herz gelegt hatte, mid bei meiner Ankunft jofort auf- zufuchen und mir in Allem behülflich zu fein. ch war faum ein Paar Tage im Shafespeare-Hotel, je juchte mid) dort Herr Tudermann auf und lud mic, im Sinne jeiner Schwefter handelnd, auf die freumdlichfte Weile zu fich ein. Da bot fidy eine Hülfe, Sollte ich fie annehmen ? Der
— 469 —
Menid fol nicht gegen feine Natur handeln. Ich Konnte mich nit einmal entichliegen, den Bejud, de8 noblen Amerifaners nur zu erwiedern, weil er barin eine Bereit« willigfeit zur Annahme feiner Freundlidkeiten hätte er- bliden müfjen, und trug lieber den Berwurf der Unböf- lichkeit, al8 den Drud einer fremden Wohlthat. Mein Gefühl Hatte mir fhon früher gefagt, daf die Amerikaner einen fremden, namentlih wenn er arm ift, nur von tem Standpunkt einer eingebildeten Superiorität aus pro- tegiren. Ueberdieß wußte id, daf man fich nur für mid) intereffirte weil man mic nicht kannte und in mir nur den revolutionairen Flüdhtling fah. Hätte man gewußt, daß icdy ein Antichrift u. |. w. war, manwäre mir jdywerlid) entgegengefommen und da ic) nur ald Das gelten wollte, was id) war, hätte id die guten Abfichten meiner Protet- toren nur durd) eine unangenehme Enttäufhung belohnen können.
Alfo mit den Amerikanern war e8 aud) nihts. Sollte ic unter die Indianer de Urmwaldes gehen ? Ih machte e8 einftweilen, wie in London, id) wechelte, um nicht die Hefte meines großen Vermögens im Wirthshaufe zu ver- zehren, rajc) das Uuartier, wandte mid wieder in bie Einjamfeit, wo id mit dem Scidjal unter vier Augen verfehren konnte, und fand am Ende von Hobofen ein mößlirte® Zimmer für ein Paar Dollar.
Berfetze dich dorthin, freundlicher Lefer. Was wirft vu nun beginnen ? 8 ift trübes Oftoberwetter, die Blätter rafdieln von den Bäunten, der Winter ijt vor der Thüre und in deinen Innern meldet er fich audh. Bei guter Detonomie ift dir da8 Brod nod) ein Paar Wochen ficher. Aber dann ? Nur nicht verzweifelt, mein Freund! Lafjen
— 40 —
dich die Menfhen im Stich, fo wende dich an die Natur, Du fiebft dort das Hobofener Wälpcen, ven Lieblings- Ipaziergang der New-PMorker im Sommer, dem fie den verlodenden Namen „Elyfärfhe Felder“ gegeben haben. Jenes Wäldcyen befteht zur Hälfte aus Nufbäumen, die eben beladen find mit reifen Nüffen. Nimm einen Sad in bie eine Hand, deinen kranken Jungen an die andere und wandere hinaus in die elyjäifcben yelder. Dert nimft du einen möglichft jchweren Stein und jchleuderft ihn mit Macht an diejenigen Stämme, an denen vu mit einem felden Mahner nicht vergebens anzuflopfen hoffen darfit, und jevde® Mal wird ein ganzer Regen von Hidory- Nüffen auf dein forgenvolles Haupt herabrafien. Sind fie in den Sad gefüllt, jo wiederholjt du das Erperiment an anderen Bäumen und in einer halben Stunde wirft dur eine ganze Laft nach Haufe fchleppen Fönnen. Auf diefe Weije erreicht du mehrere jehr wichtige Jwede gleichzeitig: du haft eine gejunde Xeibesbewegung, du haft eine zerjtreuende Unterhaltung für dich und deinen Kleinen, du bringit etwas zum Beißen nad Haufe und Die Nu Ihaalen find vortrefflid zu benugen beim Anzünden des Dfens,
Das war in Hoboten meine Hauptbefhäftigung. Aber die Hidory-Nüffe find jo wenig unerfhöpflich wie die Cents, das nahende Ende de8 Monats bringt zugleich das Ende deiner Zahlungsfähigkeit mit fid und du wohnft hier nicht bei einer Familie Hunter,
Da trat zwijchen mid) und das drohende Berhängnig ein anderer Schußengel. Herr Wagenig, der früher die „Schnellpoft* vorfhußweife für mid angefauft hatte, bradpte mir die beruhigende Botihaft, dag er eine unbe-
— 41 —
nuste Dacftube habe und fie mir zur Verfügung ftelle. Ih nahm dieß Anerbieten lieber an, ald eine fremde ‘Pro- teftion. Das Umpaden bielt mich nicht auf, denn ich hatte jo wenig Möbel wie „der Herr“, der „nicht wußte, wohin er da8 Haupt legen follte*, Ich aber wuhte die befier, ald der Herr. Bon einem Paar alter Betttüiher wurde ein Sad zufammengenäht und diefer Sad, mit Hobelfpänen angefüllt, die fid) im Steller des. Herrn Wage- ni fanden, war Monate lang das Bette für mich und die Deeinigen auf dem platten Boden. Aber ich fand nicht Eloß ein Quartier, ic) fand auch „VBerdienft*. Herr Wagenit trieb damals ein Gejhäft mit Golpleiften, die in feinem Haufe angefertigt wurden. - Ich erlernte das Belegen ber Leiften mit Goldfhaum und bradte e8 zu einem Berdienft von $3 die Wode, wovon id mit den Meinıgen Dionate lang gelebt habe, ohne „Oejundheit und ein froh Gemüth“ zu verlieren, wovon die frommen Leute fingen.
Dhne die Mittel, ein eigenes Blatt zu gründen, hätte ih damals nur ald8 Redakteur eines Barteiblattes purd) die Prefie thätig fein können. Aber dazu war ih nun einmal von Haufe aus verborben und id wollte Lieber Handwerker bleiben, al$ meinen Geift verkaufen. Troß dem Umfchwung, ver vamals in der Stimmung und Ge- finnung der Teutjchen, namentlid in New-Porf, eingetre- ten war, gab e8 natürlicy nody immer Leute, die jid) wun«- derten, mich nicht geiftig thätig zu jehen, und mic auf dem öffentlihen Kampfplag vermiften. So geichah e8 denn, bat ein freund meined Styls, der gehört hatte, daß ich ein Wochenblatt zu gründen wünfjce, fi freiwillig bereit erklärte, die Koften der Probennummer zu übernehmen. Ich ließ aljo vie erfte Nummer des „Bölferbund“ erjchei-
— N —
nen. Der Name zeigt, daß ıdy nod) immer nicht daran verzweifelte, in Amerika für die europäifche Freiheit wirken zu können. Da ich mich nicht entjchließen fonnte, mit meinem Blatte betteln zu gehen oder Hanfirer damit um« berzujenden, wie e8 bier Mode ift, begnügte ich mich, e# zu annonciren und befannten Perfonen und Zeitungen zu- zujenden. ch erwartete, daß alddann Diejenigen, die fid) dafür intereffirten, fich von felbft melden und burdy; Boraus; zahlung mid, zur Fortfegung des Blattes in Stand jegen würden. ch wollte fon damals beginnen, was ich fpä- ter mit dem „Pionier“ endlid) Durchgefegt habe. Aber ich hatte nıir zu viel zugetraut, indem ich mich von dem hiefi- gen bettelhaften und gemeinen Gejdhäftsgang unabhängig madyen wollte, E83 wäre mir bie nur gelungen, wenn ich die Mittel gehabt hätte, miinveftens ein halbes Dugend Nummern zu publiziren und daburd) Das Blatt allgemeiner befannt zu maden. Der Erfolg ber erften Nummer reıcyte auf dem eingejhlagenen Wege nicht bin, die Koften ver zweiten zn fichern, und id muÄte die Feder abermals nieberlegen. .
Da bot mir der damalige Befiger der „Schnellpoft“ — fie hatte feit meiner Abreife von Amerika drei Dial den Eigenthümer gewechfelt — die Redaltion feines Blattes an. Objchon e8 mit den Finanzen defjelben jo fümmerlic) wie möglich beftellt war, nahm id) das Anerbieten mit Breuden an, um nur wieber in geiftige-Thätigfeit zu fom- men, natürlid nur unter der Bedingung, da ich vollftän« dig unabhängiger Herr über Tendenz und Inhalt fei. Ich redigirte das Blatt vom Ende Januar 1851 ab und zwar fofort in der unabhängigften und radikalften Weife, feit entihlofjen, lieber auf's Neue die jeder wegzumerfen,
— 413 —
al8 mir den mindeften Zwang sanzuthun ober anthun zu lafien.
In der ameritanifchen Freiheit irgend eine Rüdficht bei der geiftigen Thätigkeit zu nehmen, oder in irgend einem Puntt meine Ueberzeugung:zu verleugnen, erfcien mir [hon da» mals ald eine unmögliche Herabwürdigung. Ich begann daher fogleih ohne lange Einleitung den offenen Kampf gegen jede Dummbeit und jeve emeinheit, griff vie Sklaverei an wie die "Pfafferei und verfodht Die Weiber- emanzipation eben fo. wohl wie den Atheisunus, Das Alles waren damals unerhörte Dinge. Daß namentlich ein Teutjher etwas Anderes fein konnte und follte als „Demofrat*, d, i. Mitglied und Bedienter der Sklaven- balterpartei, und daß ein Einwanderer fi) unterjtehen jollte, hier, in diefer „glorreichen Republik“, an viefen „gaftlihen Geftaden" Neuerungen zu prebigen, erjdjien unjeren LZandsleuten im Allgemeinen al Wahnfinn over Berbrehen und nıeine Erfahrungen bewiefen, daß mun das durch nicht bloß feinen Ruf und die materielle Erijtenz, fondern audy feine perjönlihe Sicherheit auf das Spiel jegte. Wo damals in den New-Porker Kneipen Heinzen das erjte Wort war, da war das zweite „Aushanen“ umd „Zodtichlagen". Natürlich ließ ic mich durdy nichts ab» fhreden und je mehr man mid anfeindete und bevrohte, defto jhonungslofer und trogiger trat ich meinen Yeinden entgegen. Dieje Menfchen muften zum Anhören ber Wahrheit gezwungen- werben und fie ließen fid zwingen. Ich war eutjchloffen, an biefe Aufgabe mein Leben zu fegen. Ich müßte die halbe „Schnellpoft“ ab» bruden, wollte ich dem Leer ein Bild von den Kämpfen geben, die icy täglich zu‘ beflchen hatte, ch begnüge mid,
° — 474 —
ben Geift und die Gefinnung, womit ich an’8 Werk ging, darzulegen dur Reprobuzirung des folgenden Schreibens, das id) an einen jungen Journaliften richtete. Ich hatte ihn eingeladen, für die „Schnellpojt“ mitzuwirken. Aber, abgeidhredt dur die Rohheit, VBertommenheit und Ges meinheit der teutjhen Prefje und ihres Bublitums, ver- zweifelte ev von vorn herein und fürdıtete, fi) „wegzumer- fen“, wenn er vor einem folhen PBublitum die ever führte. Meine Antwort, abgevrudt in ver „Schnellpeit“ vom 14. Yebruar 1851, war folgendes Senpicreiben: „sun Ihrem Schreiben, lieber Herr Lanpsmann, jprict fih eine verzeihlidye, aber nicht zu rechtfertigende VBerzweif- lung aus, DBerenten Sie, daß, wo wir die Gelegenheit haben, unter Menjhen dur Bernunftmittel zu wir- fen, jede Berzweiflung eine Berzweiflung an uns felbft wird, Mögen unjere Yandsleute in Amerika jein wie jie wollen, jo lang wir unter ihnen die Gelegenheit zum Re- ben finden, jo lang müfjen wir bie Hoffnung des Erfolgs in ihnen wie in ung jelbft fjuhen. Nur diejenige Lage ij zum Berzweifeln, wo ein geiftig jtrebender Menjch, das Herz voll Groll und den Kopf voll Stoff, gezwungen ijt, zu verftummen. Mag es für ven Bildhauer nicht gleichgül- tig jein, ob er Marmor oder Granit ald Material für fei- nen Meißel findet; ift er ein wahrer Slünftler, den der Drang des Schaffens bejeelt, jo wird er fid eher beque- men, feine Jveale in Granit auszuformen, ald den Meinel wegwerfen und aufhören, Kümnftler zu fein, lag viefer Bergleich hinten wie alle Bergleidhe; fo weit darf ich ihn fejthalten, daß ich Ihnen verfihere, nicht alle unjere Yands- leute in Amerika beftehen aus Granit, und felbft die gra- nitenen haben nicht alle aufgehört Menjhen zu jein.
= — 0.
Wenn Sie glauben, fi „wegzuwerfen“ indem Sie zu dem teutjch-amerifaniihen Publitum reden, jo begehen Sie im Grunde nur eine Schwäde. Noch nie hat ein Mitarbeiter an dem Reformationd- und Revo Iutionswerf der Menichheit fofort danfbare Zuhörer und entjprehenve Anerkennung gefunden. Hätte er fie gefunden, er wäre als Revolutionair überflüffig gewefen. Wer von der einen Seite für die Joee der Schönheit, der Freiheit, ver Hu manität wirken will, fann nicht auf der anderen den Kampf mit der Gemeinheit, der Sklavengefinnung und der Rob- heit umgehen wollen. Im ©egentheil, er muß ihn auf: fucyen, er muß im feindlihen LZager aufräumen, er muß bie Bollwerfe zertrümmern, hinter weldhen Dummheit, ©emeinheit und Schlechtigkeit der Bernunft das ihr be- ftimmte Gebiet ftreitig machen. Bebenten Sie, was hat geihehen müflen, um da drüben das teutjche Bolf jo weit umzuwandeln, daß e8 die Borprüfung der Revolution be- jtehen konntel 8 hat fie aber bejtanden, e8 hat in ein Paar Jahren mehr gelernt, al® mandes andere Volk in Jahrzehnten, und e8 wird feinen fehr erflärlihen Rüdfall in jeiner ganzen Bedeutung erkennen und in nicht langer Zeit vergefien machen. Darauf vertraue ih und jollte ich mich mit diefenı Bertrauen begnügen müfjen, bi man mid) begräbt.
Wohlan, aud) hier in Amerika haben wir feinen hinrei- chenden Grund, alles Vertrauen auf das teutihe Element aufzugeben. Hier ift Freiheit für die Gemeinheit, bie Dummheit, die Rohheit, hier ift aber aud) Freiheit für ven Öefinnungsavel, die Intelligenz und die Humanität, Der wird fich nie täujchen, der darauf vertraut, daß die Ver- nunjt eine zwingende Kraft hat, welcher endlich jever Wis
u — 46 —
derjtand weichen muß; Der aber wirb überall entmutbigt werden, der glaubt, das Weich ver Vernunft durch einen coup de main erobern zu können. Wille und Auspaner, das find die Alliirten, die ihr zur Seite ftehen müffen, fonft ift fie ohmmächtig troß ihrer Almaht. AU das wüfte Getümmel, womit Berfennung, VBorurtheil, Hohn, Derdammung, Berläfterung, Berleumdung, Berfolgung den ftrebenden Menjhen umgiebt und- ihn abzufchreden jucht, darf ihn keinen Augenblid-irremadjen, keinen Augen» blid das Ziel feinem Blid entrüden. Er wird e8 errei: hen, wenn er will, und warb-ihm nicht die genügende Zeit zugemefjen, bid an’8 Ende vorzudringen, er-wird, wie der Entdeder neuer Känder, ven Nadhfolgern den Weg gezeigt haben für die weitere Entvedung. - Wie kein Ber- ud) der Yänderentveder, fo'geht audy keine "Vorarbeit der Wahrbeitötämpfer verloren. Und wo wir mit gewöhnlichen Weitteln nicht ausreichen, da müflen wir nicht bevenklich fein, krüftigere anzuwenden, und wo die wohlmollenve Hand vidht angenommen wird, da fchlagen wir mit dem Knittel drein und fuhren Die ald Feinde unfhäplich zu machen, die nicht ald Freunde und wollen wirken lafjen. Das kann fi) natürlich nur anf Solche beziehen, die dur ihre Fähigkeit oderihre Stellung Bedeutung genug haben, um bireft oder indireft auf dem Weg zum Beflern ald Hindernifje gelten zu können. - Das in jeder Weife unter- georbnnete Gezücht, Das fi unter einander felbft auffrift, wenn man ed in Ruhe läßt, fanın'man volljtändig ignori- ren. Schon aus ölonomilhen Gründen gönnt man ihm feine efelhafte Eriftenz, denn man könnte das Gelo für Scyuhfohlen nicht aufbringen, wollte man jedem Hunde, bon dem man bier angebelfert wird, einen angemefjenen
— MT — z
Fußtritt verfegen. Ich brauche Ihnen daher, lieber Herr Landsmann, nicht erft den Troft in Erinnerung zu bringen, ben Goethe in die Worte faft:
„‚eber diefer Zumpenhunde Wird vom and’ren abgethan: Sei nur brav zu jeder Stunde, Keiner hat dir etwas an!"
Bon der anderen Seite werben Sie aber aud überzeugt fein, daß der Göthe’jhe Bere, den Sie zitiren („da Beite, was du wiffen Fannft, darfit du den Jungens body nicht jagen“), aufdie „Schnellpoft“, folang id) fie rebigire, feine Anwendung finden kann. . Meine erfte Beringung bei Uebernahme der Redaktion war: volljtändige Unabs bängigfeit in Bezug auf nhalt und Tendenz des Blattes, Nur unter diefer Bedingung kann und follte ein ehrenhafter Mann eine Redaktion übernehmen. Seien Sie verfichert, daß ich fie mir nicht einjchränfen lafle. Die „Schnellpoft“ fol und wird den „Jungen“ wie den Alten „das Beite fagen, was fie willen fann“, je nachdem Zeit und Öelegen- heit e8 mit fi) bringen. Allem, was ber tentjche Radifa- lismus da drüben gelehrt und gewollt hat, joll und wird die „Schnellpoft*, jofern jie e8 für theoretiich richtig und für praftijch ausführbar bält, unter unferen biefigen Yands- lenten Bahn zu bredhen fuhen. Sie wird den amerifa- nischen Zeutjhen den Schimpf erfparen helfen, daß fie bier auf freiem Boden nicht zu fagen oder nicht zu hören wagen, was jogar im alten Zeutfchland längft unter Zenfur ‚und Geiftesfnebelei jeder Art gelehrt und zum Semeingut aller aufgeflärten Menjhen gemacht werben fonnte,
— 478 —
Ich komme jett zu umnferem eigentlihen Thema, der teutfh-ameritanifhen Jonrnaliftit. Erlauben Sie mir, die Beiprehung diefes Thema mit den beberzigenswertben Worten eines franzöfiihen Schriftfteller8 zu beginnen: „man muß tie Fehler der Menjchen, um fie zu befiern, nicht bloß tadeln, fondern auch erklären,“
E8 ift genug anerkannt, daß das Leben in Nordamerika fi) der Natur der Dinge nad, felbft unter günstigeren Elementen der Einwanderung, einjtweilen vorzugsweile materiell entwideln mußte, weil diefe Entwidelung mit ber Ueberwältigung einer untultivirten Natur begann und noc) zu nen war, um Grundlage der Kultur genug abs jegen zu können für das frifdhe Aufiprofien geiftiger VBege tation.
In diefes materielle Leben nun, gegründet vorzugsweife von den in Gläubigfeit befangenen Ablommen eines jchon materiell gefinnten Bolfes, traten die früheren teutichen Einwanderer mit der Gefügigfeit gewejener Unterthanen, mit der Schüchternheit geduldeter Fremdlinge und mit der Dienftfertigkeit gewinnfuhender Unternehmer hinein. Nicht blog als vorgefundene Herrn des Landes, jondern auch ald Träger einer fremven Yandesiprade und als Ges legenheitsmader der Spekulation, mußten die englifchen Amerikaner den eimgewanderten Zeutjchen imponiren und Mufter werden. Dieß fügte fih um fo leichter, da den früheren teutfhen inwanderern im Durdicdmitt eine geiftige Richtung ganz fremd war. Landleute, Gemwerbs- leute, Kaufleute — das waren vorzugsweife die teutichen Einwanderer. Religiöfer und politifher Drud führte ihnen aber nad) und nad) auch geiftige Elemente zu umd mande Männer, namentlid aus den Zeiten der Burjchen-
— 479 —
fhaftsverfolgungen, vertreten, wenn audy vielleicht zur viel amerifanifirt und zu wenig den neneften Richtungen des teutichen Geiftes folgend, nod jet al$ geachtete Förderer die teutice Bildung in den Ver. Staaten.
Aus dem BVorftehenden gebt jehr natürlich die Erklärung der Nothwendigfeit hervor, daß die teutiche Zeritungspreife bei ihrem Erftehen in Amerika eine Hägliche Erfheinung fein mußte, da ihr einerfeitd nur amerifanifhe Mufter vorihwebten, andererfeits die geiftigen Kräfte zur Yeitung fehlten. VBerunglüdte Kaufleuten. j. w., die früher nie an Zeitungjchreiberei gedacht, waren ihre Gründer und Leiter. „Sie mar berechnet auf die bejcheidenften geiftigen Bedürfniffe und die handwerfsmäßigite Art, Geld zu ver- dienen. Daher diefes planloje Durdeinander von Annons cen, Unekooten, Wenerberihten, ZTopdtichlagsgefüidhten, Weltgefhichten, Lofalgefhichten u. f. w.; daher viefes mwohlfeile Abklatihen alter Yiteraturerfheinungen ohne Tendenz und ohne Auswahl. |
Auf diefem Wege wurde die teutjche Zeitungspreffe noch mehr, als die englijcheamerifanifche, ein bloßer Gewerbe: orer Marftartifel. Wie der Schujter einen Schub anmift, je nadı dem Fuß des Käufers, jo maß man Zeitungen an nad) dem Standpunft des Lejerd. Nicht die Gefinnung, nicht die Ueberzeugung, nicht das Streben nad Berbefjer- ungen diktirte die Zeitungen, fondern nur die Beredhnung der bequemjten Gewinnesart, welde den Leer nicht mit der Zumuthung beläftigt, nachzudenken und fich für einen höheren Zived zu interefjiren, fondern weldye ihm das jour- naliftifche Futter gleihfam mundgeredht macht, um ihm das geijtige Kauen und VBerdauen zu erfparen. Die meijten teutjhen Zeitungen in Amerika hatten noch vor drei Jah-
— 4850 —
ren, wo id) fie zuerft fennen lernte, da®.Anfehen, al8 jeicn fie nur gejchrieben fur weftphälifche Bauern, Dorfträmer und alte Weiber.
Nachdem auf diefe Weife einmal das. Bublitum dur die elendeften Schmierer dahin gebracht war, die Zeitungen nur ald Gemwerbsartifel und die Zeitungfchreiber ald Krä- mer anzufehen, denen man für Geld Beitellungen macht, mußte der nächfte Schritt zu der Übelangewandten „demo- tratiihen“ Foderung führen, daß eine Zeitung genau den Wiünfchen und vem Maß jedes einzelnen Abonnenten an« gepaßt werbe. früher zur Berzichtleijtung auf die freie Geltendmahung feiner Perjönlichkeit gezwungen, wollte der teutfche Philifter fi) hier auf dem freien Boden einmal recht entjhädigen, und wozu war er denn bier „ Denmtotrat“ geworden, wenn er nicht einmal vorjchreiben fonnie, wie viel alte Mode, Geiftlofigteit, Gemeinheit und Philifterel ihm von dem Herrn Zeitungjchreiber für das Abonnements» geld geliefert werden jollte ? Jeder Abonnent wurde Re dafteur en Chef, jeder Pfefferdutenträmer eine kritifche Ju- ftanz ohne Appellation, jeder Yinienzieher hatte den wahren Mapitab ver Publiziftif in Händen. Daß die Oefinnung nicht beliebig aufgegeben, die Heberzeugung nidyt für Geld geändert, der Geijt nicht für Abonnentengunft verleugnet werden kann, das leuchtet einem teutjhen Philijter, der für Geld Alles feil fieht und feil bietet, nicht ein. Und da er „Demolrat“ ift, fo jchmeißt er die Zeitung in vie Ede, wenn fie nur ein einziges Mal feine Nerven nicht nad) den Regeln des alten Schlendrians berührt, und jtraft ven Zeitungjchreiber um fo und jo viel Grojchen für zu wenig verleugnete Ueberzeugung und zu viel produzirte Intelligenz. So weit it man in Zeutjhland noch nicht
= BRE m
in der Demokratie gelommen. Dort hält man eine Zei- fung, wenn man im Allgemeinen mit ihr zufrieden ift und etwas aus ihr lernt; bier halten die Philifter fie nur, wenn fie ihnen nichts zu denken gibt und fid) als gehorfame „demokratifche* Magd gut aufführt.
So fand ih den Zuftand der Dinge vor drei Jahren und jo ijt er zum großen Theil noch jest. „
Der zuerjt einen würbigeren Ton und einen befjeren Gehalt in die teutfcheamerikanifche Prefje brachte, war der im Jahr 1847 verftorbene WB, von Eihthal, ein gebildeter, wohlmwollender und evelgefinnter Mann, wenn auch ohne befondere Fähigkeiten und Energie. Er gründete und er- bielt mit großen Opfern die „Deutihe Schnellpoft“, ge- geihmäht und verfolgt auf die brutuljte Art von dem Brod- neid und der Gemeinheit handwerkender Konkurrenten.
ALS ich vor drei Jahren in den Befig der „Schnellpoft“ fam, juchte ich dur SKonfequenz und Energie durchzus fegen, was Eichthal nicht gefonnt und nicht gewagt haıte, Die Ariftokraten, das ift die teutjchen Affen der amerikani» [hen Geldariftofraten, und die eingefleifchten Philifter ftraften mid) in ihrem Zorn dur) Auffündigung des Abon- . nementd, Aber für jeden abgegangenen Ariftofraten tra- ten drei Demokraten, für jeven Philifter drei Menichen an die Stelle, und id habe fhon damals die Probe gemadt, daß ed in Amerika, wenn aud) jehr zerjtreut, ein empfäng: lihe8 und bildungsjähiges Publitum gibt, mweldes fich die Mühe nimt, Menjhen von Ueberzeugung anzuhören, wenn fie in anftändiger Sprade mit ihm reden. Die Probe vollftändig zu machen, wurde ich gehindert durd) meine Nüdtehr nah Europa in Folge der Februarrevo-
Intion. | 31
— 489 —
Ju den letten Jahren nun bat fi nicht nur die teutjch- amerifanifche Preffe im Allgemeinen bedeutend gehoben, fondern aud das Publikum ift dur die Erziehung ber Zeit und die revolutionaire Einwanderung mit geiftigen Elementen fo weit verlegt worden, daß feine Empfänglid- feit um ein Bedeutendes gejteigert fein muß. Diefe Em: pfänglichfeit zu benugen und immer mehr zu fteigern, fo wie das VBewußtjein der bedeutenden Miffion zu weden, welde die Zeutihen durd Bildung und Geift in der Union zu erfüllen haben, die ift unfere Aufgabe. Mag der Sturm der Revolution audy manden jener Gefellen an den biejigen Strand geworfen haben, weldye ihre Gefinnungstaufe im Strafentoth erhalten; e3 find von der anderen Seite eine Menge tücdtiger und edler, zum Theil ausgezeichneter - Kräfte hierher verfchlagen worden, weldye nur einen Boven der Bereinigung zu finden brauden (und fie finden ihn jett in mehreren befjeren Zeitungen), um Ungewöhnliches zu wirken und die große Zukunft des teutjhen Elements in Nordamerika vorzubereiten.
Wenn Sie, lieber Herr Yandsmann, die Alles berüd- fihtigen, jo werden Sie zugeben, daß die Gefahr, fich durch publiziftiihes Wirken „wegzuwerfen“, bier geringer ift, als die Gefahr, dur Schweigen eine jhöne Gelegenheit zu geiftigen Thaten zu verfäumen.
E8 verjteht fi von felbit, daß ich Durch dieje Erpeftos rationen weder Sie nody Andere zur Mitwirkung an der „Schnellpojt“ bereden will. Das muß jest Sade des eigenen Antriebs fein, nahdem man in Stand gefegt ift, zu überbliden, was die „Schnellpoft“ will, Das aber darf ich Allen zurufen, welde zum geijtigen Wirken im Stande find: wenn wir auf einem freien’Boden unter
a MER da
fünf Millionen Yandslente nichts leiften, fo liegt die Schuld an und, nicht an den fünf Millionen.“
Das vorftehende Sendicyreiben beweif’t u. W., daß ich meine Thätigfeit al8 Fournalift wieder mit der größten Bereitwilligfeit begann, allen Denen die Hand zu rei- hen, die aufrichtig im Geifte der Freiheit an dem von mir begonnenen Werk der geiftigen Regeneration des amerikts nifhen Tentjhthums mitwirken wollten; daß ich zur An erfennung jedes Anderen geneigt war, der al8 Mitfänpfer Anerkennung verdiente, und dat; ich nicht die Abjicht ha- ben fonnte, Menjchen ald Feinde zu behandeln, die mir ©eredhtigkeit mwiederfahren liefen und nicht meinen Cha- rafter berabjegten. Wenn mein fpäteres Auftreten einen weniger verjöhnlihen Sinn fund gab, jo war dief die natürliche Folge der jahrelangen [händlichen Anfeinduns gen, bie durdy fein entjpredhendes Parteiergreifen von an« derer Seite kontrebalancirt wurden, jo daß ich, fajt immer allein gelaffen und ftetS zum perjönlihen Frontmahen gegen alle Welt genöthigt, in vielen Fällen Freunde von Feinden gar nicht mehr unterfcheiven konnte. Wo joll man aufbören, feine Feinde zu fudhen, wenn die Freunde gar feine öffentlide Meinung haben oder zu haben wagen? Und wer will nicht lieber riskiren, fih Alles zum Feind zu machen, al® geduldig feine Ehre und jein Recht preisgeben ? Im Gefühl meined Redhtd und im Bewußtfein meines guten Willens mußte ich nicht bloß auf Diejenigen losfchlagen, die midy angriffen, fondern endlich auch mitunter auf Diejenigen, die mid ruhig angreifen ließen, die mid) wie einen für vogelfrei Erklärten tem Pö- bel preisgaben, während die elendeften Humbugger und Die
= In
nihtönugigften Spelulanten von aller Welt felbft gegen.bie gerechteften Angriffe in Schug genommen murben, Unb weshalb ?? Weil man. mwufte, daß fie den Pöbel für fid, wenigitens ihn nicht beleidigt. hatten. Man fage was man wolle, e8 fteht nody. immer fo in der Welt, da, wer den Pöbel gegen fich hat, ein- wahrer Herkules fein muß, wenn er fi nicht verloren geben will, Wer aber mag ihn für fi haben, wenn er Achtung vor fich felbft hat ?
Dod genug davon. Da ich jegt alle Welt zum Freund babe und von ihr mit Liebenswürdigteiten überhäuft werde, ift e8 unzart und unpolitifch, fie zu viel an frühere Sün- den zu erinnern,
Unter meiner Redaktion begann die, in jeder Beziehung verfommene „Scnellpoft“ wieder aufzuleben und Fort» jchritte zn maden. Allein ihre Berhältnifje waren zu jehr zerrüttet, als dap fie ohne Zufchüfie hätte im Gang gehalten werben fünnen. Da: der damalige Befiger feine Mittel hatte, um foldhe Zujhüfje zu maden, war er gern bereit, das Blatt um killigen Preis zu verkaufen, als fich mir zu feiner Fortführung ein Kompagnon anbot, der fid) anhei- Ihig machte, außer dem geringen Kaufpreis uud den Be. trag einer Heinen Mortgage aufzubringen, die auf vem Inventar des Unternehmens haftete und in einigen Do» naten fällig war. So wurde ich. alfo auf’3 Neue Mit- eigenthümer der „Schnellpoft”. Ich traf mit meinem Kompagnon das Mebereintommen, daß er unabhängig den geihäftlichen und id eben jo unabhängig den editoriellen Theil übernehmen follte. Wein vieß Uebereinfommen erwies fi al8 eben jo wirkungslos wie «8 nothwendig war. Der Geldpunkt war auch hier der nädjjte Differenz. punkt. Mein Kompagnon,: ein Bremer Kaufmannsjohn,
u A
fonitte fich nicht don der Einbildung fodmadhen, vaf er, weil er das geringe finanzielle Kapital geliefert, mehr müffe zu fagen haben, aldich, der ich bie das geiftige lieferte. Er verfuihte daher fchon nad) kurzer Zeit, beftimmend auf die Redaktion einzuwirfen, und ‘je entfchiedener er dabei abgemwiejen wurde, befto mehr jchien er fih in der Einbil- bung feiner vertragswidrigen Befugniß zit beftärken. Die Hauptveranlafjungen zu feinen Einmilchungen gab fen Umgang mit Leuten aus denjenigen Kreifen, worin fich die teutfchen Ariftofrätler‘ bewegten. Natürlich erregte bie radifale „Schnellpoft“ in diejen Kreifen, die nody dazır ftod- „demofratifh“ waren, den größten Anftog und vort mußte mein Kompagnon tgfic die mißliebigfte Kritik über „fein“ Blatt hören.
Die Mifhelligkeiten bezogen fidy übrigens nicht bloß auf meine anftögige Redaktion, fondern fie wurden zulett aud) durd andere Anmaßungen genährt. ES erwies fc) nämlih, daß mein Kompagnon entweder feine Mittel überfchätt hatte, oder nicht gefonnen war, die übernomme«- nen Berbindlichkeiten zu erfüllen. Als der Termin zur Ablöfung der Mortgage heranrüdte, zog er fi) zurüd, nachdem: er vorher vergebens verfucht hatte, mich aus dem Unternehmen, das ich erft wieder im Gang gebracht, hin- auszutreiben und über daffelbe zu feinem Bortheil zu ver- fügen. Ichftand alfo jett allein, al8 Gejhäftsführer wie ald Redakteur, und da’ ic dincchaus mittello8 war — das Blatt hatte erft eben wieder begonnen einen Ertrag abzu- werfen oder feine Koften zu deden —, drohte der Inhaber der Mortgage, die „Schnellpoft“ äffentlich verfteigern zu Iafien. ° Als ih im folcher Lage abermals um die Früchte meiner "Airftreitgungen gebracht und zur Unthätigkeit ver»
—. u
urtheilt werben follte, erwadhte denn doc in einigen bon» neten Leuten das Ehrgefühl und die alte Sympathie wie» der und es entitand der Plan, entweder die „Schnellpoft“ zur Sicherung meiner Wirkjamteit anzufaufen, oder ein neues Blatt zu gründen, das id unabhängig rebigiren follte. Den Anftoß gab wieder ein fchlichter und braver Vürger, I. Schulz, auf defjen Beranlafjung fi) eine Ge- jellichaft bildete, welche die Leitung der Sade in die Hand nahm. Da das Druderei-Material der „Schnellpoft“ alt und abgenugt war, gab man kurz vor dem zum Berfauf derjelben angefegten Tage dem Plan zur Gründung eines neuen Blattes, das ald ihre Fortjegung eriheinen follte, den Vorzug. Man fchaffte rajh eine Druderei an und nachdem am 1. September die lete Nummer der „Schnellpoft“ erfchienen war, wurde am 2. al8 deren Fort» feßung die „New-Porker Deutjhe Zeitung“ den alten Abonnenten zugejtellt.
Der Inhaber der Mortgage, ein roher Gelbphiliiter, hatte darauf gerechnet, daß er mic oder Die in meinem Interejie handelnde Gejelihaft zwingen könne, ihm die „Schnellpoft“ unter feinen Bedingungen abzufaufen, und im brutalften Ton peluniairer Ueberlegenheit jeden Antrag auf Verlängerung bed Termind abgewiejen. Für bieß Verfahren erhielt er feine Strafe. Nachdem er zu feinem Screden am 2. September, dem zum Berfauf ber „Schnellpoft“ angejegten Tage, die „N. Y. Deutjde Zei- tung“ erblidt hatte, begegnete er mir in aufgeregtem Zu- ftande auf der Straße und fragte in gebieterijhem Ton: „Bo haben Sie meine Abonnentenlifte ?* Ich antwor- tete ihm in gleich liebenswürdiger Weife: „Die gejchrie- bene Lifte liegt bei den Typen, weldye Sie lönnen verkaufen
a
lafjen, aber die Hauptlifte ftedt Hier (auf meine Stirne zeigend) und darauf, Herr, haben Sie keine Mortgage.“ Beim Verkauf erhielt er für die alten Typen ein Spott- geld, für die Abonnentenlifte aber (die übrigens nit ein- mal zu dem ihm verfchriebenen Inventar gehörte) gab ihm kein Menfc einen Cent, da neben meinem neuen Blatte fein anderes auf einen einzigen meiner Abonnenten red)» nen konnte. Und damit war die „Schnellpoft“ begraben für immer. |
Das neue Blatt war jo volftändig mein Organ, al® wäre ich der Eigenthümer gewejen, da man mir kontraftlich fo- gar das Recht zugeftand, feine Tendenz bei etwaigem Austritt au für die Zukunft dur die Wahl meines Nachfolgers zu fihern. In peluniairer Beziehung hatte ih die bejcdeidenften Bedingungen geftellt, weil ich die Koften nicht zu meinem VBortheil erhöhen wollte. Für die übrigen Bedürfnifje hätte das proponirte Gejchäftstapital von $5000 vollfommen ausgereicht, da ich die „Schnell. pojt“ in ihren verfchiedenen Ausgaben [don auf3000 Abon- nenten gebradyt hatte, Ich hätte, über einen Theil jener Summe verfügend, in Europa wie in Amerika die fähig. ften Mitarbeiter engagiren und aus der „Deutfchen Zeis tung” das befte und reihhaltigfte Blatt der teutjchen Preffe machen können. Aber aud um diefe Shönen Hoffnungen jollte ich und die radikale Yeferwelt betrogen werden. Sie jcheiterten abermald an dem elenden Gelvpunft. Statt $5000 nämlich bradyte man in New-Pork nur $1300 zu- fammen und gleidyzeitig beging man den Mifgriff, diefe ganze Summe fofort in die Druderei zu fteden, fo daß für das Betriebskapital beinah gar nichts übrig blieb. Ein Betrieböfapital war aber für den Anfang nicht bloß des-
u A
halb nöthig, weil die „Schnellpoft* zu ihrer Erhaltung jhon alle erreihbaren Abonnementsgelver.hatte einziehen mäflen, fondern auch) deshalb, weil die „Deutjche Zeitung“, in größerem Gormat erfcheinend, ziemlich bedeutende Dichr- koften verurfadhte. Sie hätte daher, bi wieder Die Abon- nementögelver fällig wurden, aus eigenen Mitteln zehren müfjen und Diefe Mittel blieben aus, da das -ausmärtige Publitum in ihrem Erjcheinen den Beweis zu erbliden glaubte, daß ihre Eriftenz fhon gefichert jei. Später war e3 nicht mehr möglich, die Küde zu füllen, und jo mußte ic) die „Deutjhe Zeitung”, das hoffnungsreichite Unterneh- men, an defien Spitze ich je geftanden, abermals zu Grunde gehen jehen (Aten Dez. 1851), nadhdem ich fie 3 Dionate nothoürftig zu erhalten gefuht. Bejaß ih nur $200, fo fonnte ich wenigftens ihr Wochenblatt, das fon $1500 Abonnenten hatte, auf eigene Rechnung fortführen; aber ih befaß vielleiht nicht 200 Cents und konnte es nicht über mid) gewinnen, irgenp Jemanden um jene geringe Summe anzufpreben, da Niemand fid) gedrungen fühlte, fie von felbft anzubieten. Bon meinen verunglüdten Un- ternehmungen in Amerika bat mir feine mehr Bedauern verurjacht, al8 der Untergang der „New-Porker Deutjchen Zeitung”.
Sp war ic) alfo jett wieder anfer Thätigkeit, nachdem ich beinah ein Jahr lang durdy fortwährende Kämpfe mir und den radifalen Fdeen in der Hoffnung Bahı zu bredyen gejudht hatte, dag meine Stellung endlid eine gefidyerte fein werde. Alles war wieder vergeben® gefdhehen, bloß weil mir da® große VBerbienft fehlte, Befiger einiger hun dert Dollar zu fein. Befaß ich fie, jo hatte ih Beruf und Redt, für Freiheit und Wahrheit zu kämpfen;
Mr RER
ohne fie war ich weniger berechtigt und befähigt, al® der rohefte Schmierer eines „demokratifhen” Käfeblattes.
E8 wäre mir nichts übrig geblieben, ald wieder Gold- leiften zu machen, wenn nicht ber Berkäufer verjelben, Herr Wagenig, auf den Plan gefommen wäre, ein Wo- chenblatt unter meiner Redaktion zu gründen. So ent- ftand der „Janus“ mit dem Beginn des Jahres 1852.*)
*) Beiläufig bemerkt, führte mich burd den „Janus“ das Schidjal aud wieder mit meinem unvermeiblichen Guftav zufammen. Herr Wagenig bezog ein Haus in der William Str., worin aud) ich ein Baar Stuben mie thete, und als dritten Bewohner fanden wir darin — Buftav Struve. Beim Einziehen hinverte uns im Haus- gang ein ungeheures® Schild von etwa 30 Fuß Länge und 3 Fuß Breite, das auf dem Boren mit der Aufichrift gegen die Wand gejtellt war, Wir fehıten ed um und lajen darauf mit Screden in drohendsriefigen Buchjtaben: „Deutiber Zufhauer*. Das Schild, worurd Guftav das ganze Univerfum auf einen Blid von feinem journaliftifhen Unternehmen in Kenntniß fetsen zu wollen jhien, war fo polizeiwiprig riefenhaft ausgefallen, dag er ed an der Front des Haujed gar nicht anbringen fonnte und daher im Hausgang unverzinslid beponiven mußte. Aljo der „Deutfche Zujhauer“ und der „Janus“ unter einem Dad! Aber die „Borjehung“, die Guftav unter ihren jpezielen Schuß genommen, Phgte ed auch, Day die beiden journaliftiijhen Brüder in einem Rahmen vereinigt wurden. Sie wurden beide in verjelben Druderet gejegt und, da fie gleiches Format hatten, wurde der Sag für beide in diefelben eifernen Rahmen gefpannt. Bei Diejer Dperation vergaß, einer Fügung der VBorfehung gemäß, der Druder, beim Drud des „Janus“ die lete Zeile des „Zulhpauer“ herauszunehmen und jo erfchien denn dıe erjte Nummer meines Blatte® mit folgendem Kopf: „Red i- girt von 8. Heinzen“, aber mit folgendem
— 410 — “
Herr Wagenig hatte da® Bebürfniß, das Seinige zur Fürs derung ber radikalen Sadhe zu thun,. Hätte er mehr Mit- tel bejefien, jo würde e8 mir ficher gelungen fein, in Ber- bindung mit ihm ein größeres Unternehmen auf die Beine zu bringen; fo mußten wir und mit einem Wochenblatt begnügen. Dafjelbe konnte von vorn herein auf die » Mehrzahl der Abonnenten de8 Wocenblattes der „Deut: Ihen Zeitung“ rechnen und beburfte daher nur geringer Mittel zum Beginn.
Während der „Janus“ fortfuhr, die rapifalften Prinzi- pien nad jeder Richtung zu propagiren und die Schled- tigkeit der hiefigen Parteipolitif, namentlich der „vemofra« tiihen“, zu befämpfen, benugte er gleichzeitig die Wahl» fampagne von 1852, um den Teutfchen mit feinem Bei- fpiel auf dem praftifhen Wege voranzugehen, indem er fid) der Freefoil-Partei unter dem Kandidaten Hale an-
Schwanzitüd : „Derausgeber und Berleger Ouftav Struve*. _
Die Borfehung hat jehr wohl gewußt, was fie burd diefen Streib anrichtete. Im fpäteren Jahrhunderten wird fi die Literatur über den Schreiber des „Janus“ zanfen mie über den VBerfaljer von „Junius’ Briefen“ umd da man alddann des „Zujhauers* fih nicht mehr ganz beutlid) erinnern wird, wohl aber de8 Kugelvegens bei Stauffen und feines berühmten Jupiter pluvius, wird ihm unfehlbar der Ruhm der Autorihaft zufallen. Ich lege zwar biermit Protejt ein, aber man weiß, wie e8 da- mit gebt: dergleichen ijt in einigen Jahrhunderten vergej- jen und im Jahr 3000 nad Ehrijtus und 1151 nad) ver Schlacht bei Stauffen wird die Kıteraturgefhichte jchreiben: ber berühmte „Janus“, verfaßt von Guftav Struve, Herausgeber und Verleger.
— 491 —
Shlof. Es glaubte natürlich fein Menid an den Sieg der» felben und e8 galt nur, durch ihren Vorgang einer mächti- geren Freiheitspartei der Zukunft Bahn zu bredien und unjeren Landslenten zum Abfall von der „demofratifchen* Selegenheit zu geben. Ich jagte jhon damals vie Ent« ftehung der Partei voraus, weldye fi jpäter die republi- fanifhe nannte, glaubte aber natürlich, daß fie entichiedes ner ausfallen und an den Standpunkt der Freefoil- Partei anfnüpfen werbe.
Im Sommer 1852 machte ich, während die laufenden Redaktionsgefchäfte durhd einen Stellvertreter bejorgt wurden, eine Reife burd) die Hauptjtaaten der Union, um Borträge zu halten, deren Ertrag ih für die Kevolution beftimmt hatte. Der Envertrag bejtand aber bloß in Schulven für die Keifeloften und einer mehrmonatlichen Krankheit. Doh Das nur nebenbei. Jene Reife gab mir hauptjählicdy Gelegenheit, ven Geijt der Rohheit und Brutalität Iennen zu lernen, der damals nod die Mehrs zahl unferer Landsleute auh im Innern des Yandes be- feelte und ihnen einfahe Gemwaltthat als natürliches und berechtigte8 Mittel gegen abweichende Parteimeinungen anrieth,
In den meiften Orten wählte ich für meine Vorträge ein Thema, welches an eine lotale Beziehung oder Eigen» thümlichkeit anfnüpfte. So jprad ih in Philavelphia über „die Bruderliebe*. Der Bortrag war von — 36 Perjonen befuht. Ein zweiter hatte fogar 13 Zuhörer. Nadı dem Schluß defjelben aber brachte ein ganzes Regi- ment mir ein Ständchen, bei welder Gelegenheit fie viel- leicht hundert Dollar verfoffen. Für folhe Winpdbeute- leien haben unjere Landsleute immer nterefje und Gelv,
— 19 —
Weniger bruberlieblich, ‚als in Philadelphia, erging e8 mir . {hen in Eincinnati. In-diefer Schweineftabt over „Bor- topolis“ fprady ih’über „das Port“. Es hatten fic, auch eine Anzahl „Demokraten“ eingefunden, bie. neugierig waren :zu hören, wa® denn fold ein rabifaler: Apoftel über ihr Schweinefleifcy zu:fagen habe, Als-e8 aber zum: Borihein kam, daß das Port, welches im dem Vortrag eingefalzen wurbe, da® „Demokratische“. war, verliefen fie- unter maftodontijhem Gepolter den Saal und nad) dem Schluß des Bortrags bot mir eine Anzahl der’ Anmwefenden, welche die bortigen Zuftände kannten, eine Sicherheits- Estorte nady meinem Quartier an.
Nody komijcher ging e8 in Dayton zu. 36 hatte gehört, daß die Stabt eine lebhafte Inbuftrie habe, und kündigte daher einen Bortrag über „Wunder der Jnbuftrie“ an. Derjelbe enthielt einen jatyrifhen Bericht über Die Objette, welde auf der bamald vorbereiteten New-P)orter Jn- buftrie-Ausftelung figuriren würden, und unter jenen Objekten zeichneten fih) aus: die teutjhen Affen der Ame- rifaner, die Bifineßpolitifer, die „demokratifchen Zitifens“ n.j.w. Nady dem Bortrag fragte mich. der Dr. Brod- bed, bei dem ich logirte, und ein anderer Arzt, woher id) bieje genaue Perfonaltenntnig ber teutfhen Lokalgrößen von Dayton habe, und waren erftaunt zu hören, daß-mir zu meinen Portraits Niemand dort gefejien hatte. Ih hatte -eben Figuren -gezeichnet, wie fie damals überall vorhanden waren und zum Theil nod) jet vorhanden find. Der ehemalige Yuftizrath und Flüchtling Groneweg, der dem Bortrag ebenfalld beigewohnt, nahm-mid am nänı- lien Abend mit. auf feine benadhbarte Karım, wohin er nic, jchon früher eingeladen hatte. Bon dort zurüdgelom-
— 493 —
men erfuhr ich, daß. in der Nacht nad) dem Vortrag die Daytoner Größen, die id) unbewußt jo genau portraitirt hatte, fi in Gefellihaft einer Anzahl anderer Rompies vor dem Haufe bes Dr. Brodbed eingefunden hatten, um mich in allem Ernft — todtzufchlagen. Als fie mic, nicht fanden, feßten fie voraus, ih habe Wind von ihrem Kompflott gehabt und mich bei Zeiten aus dem Staube gemacht.
In Chicago befuchte mid) an dem Tage, wo mein Vor» trag gehalten werben follte, ein Beamter und theilte mir mit, e8 jei ein Kemplott im Gange, mein Aubitorium durch einen „Mob“ auseinander zu treiben. Er fragte mid, ob er auf dem Lofal die Ver. St. Flagge jolle aufhiffen und die Polizei avertiren laffen, um e8 zu jhügen. Mir fam Das bödjt komisch vor, ic wies den Schut ber - „Slagge“ und Polizei zurüd wie in Cincinnati die Sicher- beit3-E8forte und kein Menjch hat den Vortrag zu ftören gewagt. Zur Vorfiht hatte ich freilich ein Piltol in der Zajche. Das war teutiche Nedefreiheit in ver Republik,
Ganz anders erging e8 mir in Toledo. Die gewöhn- liche Phrafe, womit man mid auf meiner Reife in den Bann that, lautete: „er ift an die Whigs verkauft“. In Toledo nun war beichloffen worden, dem an die Whigs verkauften jchledhten Kerl jolle gar nicht erlaubt werden zu fprechen, man müfje ihm fofort mit Gewalt zu Leibe geben. E8 hanj’te dort zu jener Zeit ein ausgejucdtes Korps von Romdied und Todtichlägern, die natürlich alle die eifrigften „Demokraten“ waren, Ih Fam Abends an und wurde von Denen, die mid) eingeladen hatten, von der Eijenbahn in ein Kaffeehuus geführt. Kaum hatten wir dort einige Minuten bei einem Glafe Wein gejeflen, als fi) vor der
=
Thüre eine Bande von Kerlen fammelte, die mit Mäulern, alten Kefjeln und fonftigen Inftrumenten eine furdtbare Katenmufit begannen. Da fie dazwiihen ftet® meinen Namen riefen, ging ich hinaus und hielt folgende Anfprade an fie: „Meine Herrn, ich höre aus Jhren Zurufen, vaf die Ehrenbezeigung, die Sie bier aufführen, mir gelten fol, Zu meinem Bedauern bin ic nicht mufifalifch ge- nug, um die Tonfprade, in weldher Sie reden, gehörig würdigen zu fünnen. Dagegen verftehe ich mich ziemlich auf meine Mutterfprahe. Sollten Sie ein Anliegen an mid haben, fo wählen Sie aus Jhrer würdigen Mitte ein Komite, da8 Teutjch verjteht, und fenden Sie e8 mir ber. ein. Jh werde dann fehen, was mir zu thun haben“. Damit drehte ih ihnen den Rüden und flug die Thüre zu. Mein Auftreten machte fie eine Zeit lang ftußig. Dann aber begann die Mufit von Neuem und zwar mit erhöhter Anftrengung. Als fie mich aber dur das Tenfter ganz ruhig mid unterhalten und Wein trinken fahen, verloren fie zulegt Die Gepuld und da fie ned nicht zu dem Entihluß fommen fonnten, mich anzugreifen, be gannen fie fih unter einander zu prügeln, daß Einer von ihnen durdy die Scheiben ftürzte. Damit endigten an diefem Abend tie Empfangsfeierlichkeiten. Am nächiten Abend follte ih in einem großen ©arten, der eine BViertel- ftunde von Toledo an einem Walde lag, meinen Vortrag halten. Den Garten kultivirte einer der beiten Freunde meine® Blattes, welcher denjelben für die Gelegenheit illu- winirt und eine Zribüne darin errichtet hatte. Mean hatte mir gejagt, daß e8 dort etwas abjegen werde, und gerathen, ten Vortrag anderwärts und an einem anderen Tage zu halten, ALS ih die Freifinnigen auffoderte,
— 495 —
gleic) mir ein Piftol zu fich zu fteden und um jeden Preis das Recht der Redefreiheit zu jbügen, entgegnete man mir, ich fenne Toledo nicht, man dürfe Diefen Leuten nicht auf folhe Weije entgegentreten u. |. w. Kurz, ih mußte mich auf mid) felbft verlafien. Als ich in den Gar- ten famı, fand ich ihn von Hunderten gefüllt, von denen aber nicht der vierte Theil gefommen war, meinen Bortrag anzuhören. Der Geift, der die Mehrzahl bejeelte, war der Geijt der fredhften Pöbelrohheit und des YWhystey. Tie „vemokratifhen“ Leithämmel hatten Alles auf die Deine gebradyt, was die Faujt gegen das Wort zu gebrau« den bereit war und den Schnappsgeift dem Menicyengeift vorzog. Man ließ mich den Bortrag rubig beginnen; kaum aber hatte ich ein Paar Minuten gefprocen, jo be- gannen in dem benahbarten Walde und in den entfern- teren Theilen ded Gartens die „vemofratiihen“ Brälupien mit Diäulern, alten Kefjeln und jonjtigen Injtrumenten. Sn dem Viaße, in welchem fich die Töne verjtärften, vers mehrten fie fid) in meiner Nähe uud endlich gingen fie in einen folden allgemeinen Yärınm über, daß man fich von einer Armee von Indianern umgeben glauben konnte, und mir das Spreden völlig unmöglid wurde, ch wartete ab, biß die Ruhe wieder hergeftellt war, und appellirte dann an die „Demofratijchen Prinzipel8“, zu weldhen man bie freie Rede zu rechnen pflege. Sobald idy aber den Bortrag fortzuiegen begann, erneuerte fi) der „Demofra= - tiijche“ Yirm. Dabei liefen die Heer hin und ber und die Schnappsflafhen zirkulirten immer lebhafter. Ic foderte jovann diejenigen bonneten Leute der Berjammlung, welche die freie Rede [hüten wollten, auf, an meine Zeite zu treten. Kein Menjh wagte e& zu thun. Darauf
— 46 —
foderte ih Diejenigen, die meinen. Bortrag zu Ende hören wollten, auf, mir in das Haus des Herrn Gartenbefiters zu folgen. Kein Menfch folgte mir.- Nady einiger Zeit benadrichtigte man mic, die Aufregung fei fo groß und allgemein, daß an Herftellung der Auhe und an Fort» fegung des Vortrags nit mehr zu denken fei, und lud mid) ein, nad Haufe zu gehen. E8.war ein joldes Treis ben in dem Garten, dafj man mic in der Aufregung gar nicht bemerkte, obfhon ich mitten durch die Menge ging. Einige Zeit nad) meiner Entfernung aber wurde der be» joffenen Bande das Signal gegeben, mir zu Leibe zu gehen und mid aus dem Haufe zu holen. Al® man mich nit fand, juchte dDiefer mwahnwitgige Pöbel ein anderes Dpfer fur feine felbftgemacnhte Wuth und fie fanden e8 ın einem unfduldigen Neger, den die Neugier in den Garten gelodt hatte und dem jett ftatt meiner die ganze Helven- {haar wie eine Bande von Kannibalen verfolgte. Man fheg nad ihm und würde ihn getdbtet haben, wenn er fich nicht über einen Zaun gerettet hätte. Und weshalb all diefer Pärm und all diefe WuthH? Bloß weil ich „nicht fpreden follte“ und „an die Whig$ verkauft“ war.
Dieies brutale Attentat gegen die Rebefreiheit verurs fachte namentlid unter den Amerikanern eine große Auf: regung. Wir ließen ein Plakat in den Strafen anjchla- gen, weldes Die Rompdies angemeflen branpmarkte und den Vortrag auf den näcjften Tag in einem Lofal der Stadt anfindigte, Entree $1. Dieß Mal war die Berfammlung gerüftet und e8 waren mehrere bewaffnete Amerikaner, die von dem Vortrag fein Wort verftanden, bloß zu dem Zwed anmejend, etwaige Angreifer gebührend zu züdhtigen, Diep Mal mußten aber die Romdies, woran fie waren,
41 —
und fie ließen den an die Whigs verkauften fchledhten Serl ruhig fprechen.
In folder Weife konnte damald auch in den freien Staaten ein Teutfcher fein Leben durd) die eigenen Lands: leute verlieren, bloß weil er fein „Demofrat” d. i. fein Knecht der Stlavenhalter war. >
Ih führte die Redaktion des „Janus“ fort bis zum Ende des Jahres. Dann follte aud) er wieder fterben und zwar an berfelben Krankheit, woran feine Vorgänger ge« ftorben waren. Herr Wagenig war zu nadjläßg bei Ein« treibung der Abonnementsgelder gewefen, fo daß feine Lifte mehrere hundert Dollar Nüdftände aufwies, Die Eriftenz des „Janus“ war gefihert, wenn feine Abonnen- ten regelmäßig vorauszahlten, aber e8 war unterlafjen worden, fie dazu mit Konfequenz anzuhalten, und da Herr Wagenig nicht im Stande war, die Rüdjtände durd) eigene Zufhüfje zu erjeßen, bejchloß er, das Unternehmen fallen zu laffen. Ich konnte den „Janus“ auf eigene Rechnung fortführen, wenn id $30—40 zur Verfügung hatte, um die nächjten Drudtoften zu bezahlen. Aber kein Menid bot fie mir an und erbetteln wollte id fie nicht und fo mußte ich auch diejes Blatt, das ich mit bejonderer Bor- liebe geleitet hatte und an dem fid) ausgezeichnete Mitar- beiter betheiligten, zu Grunde gehen jehen.
Nadı dem Untergang des „Jamıs* kam wieder eine der härteften Zeiten, die ich erlebt habe. Wenn man Rüd. blide auf jolhe Perioden der Noth und Sorge thut und die Mittel zufammenzurehnen fucht, womit man fid) da= mals durdhgefchlagen, begreift man gar nicht mehr, wie man jie hat überftehen können. ch Juchte, da es aud feine Gololeiften mehr zu machen gab, . zu fein burd)
— 418 —
Rublikation. von Brodüren, fo weit: id. bie‘ Drudkoften tonnte geborgt erhalten, und durch Borträge,. fo weit ic ein Publikum finden fonnte. Das Alles botaber nur für kurze Zeit eine ‚kümmerliche Aushülfe. Teutjches Publi- fum und Vorträge! Aufeiner “lecturing tour” verirrte ic mic, auch nady Albany. E8 war mir für meinen Bor- trag die glänzend beleuchtete Stadthalle gratis eingeräumt worden. Als icy fie zur beftimmten Stunde betrat, wa- ren meine einzigen Zuhörer in spe meine zwei Begleiter, nämlich ein teutfher Schullehrer und ein Amerikaner, der Teutjch verftand. Später ergab e8 firh, daß noch drei Landsleute fi bi8 am die Türe des Lokals gewagt, dort aber veritohlen gewartet hatten, bis das übrige „Bolf“ fommen würde. Und da fein „Bolt“ kam, gingen fie, wie ich, nach Haufe ohne daß der Vortrag hatte Statt fin- den können. So ftand es damald mit öffentlihen Bor- lefungen. |
Um wohlfeiler zu leben, verlegte ich meine Wohnung nah Süd» Brooklyn, wo id zur Beruhigung Greenwood Cemetery in der Näbe hatte. ‘Der Hausherr war ein Engländer und feine Frau eine fromme Jrländerinn. Sie waren zanzgute und freundliche Beute, aber nach einiger Zeit ündigten fie. mir, zu ihrem Bedauern, an, dat fie ihr Haus verkauft hätten und veshalbihre Stuben nicht weiter vermietben könnten. ch: 30g ‚daher wieder nadı New- Hort. Später erfuhr ic, daß der angebliche Hausverfauf eine fromme Füge war,.burdy welche die Jrländerinn. ihre geängftigte Seele beruhigte. Sie hatte nämlich erfahren, daß ich. ein Atheift war, und von dem Augenblidt ab war ihre Rube dahin. Sie erzählte weitläufig,. welche Angit por mir und für. mich “fie: ausgeftanden und waß für grau-
— 499 —
enhafte Gefpenftergeihichten fie hatte-erleben müfjen.- So hatte:fie ‚jede Macht deutlich gehört, wie der: Teufel purd bas-Söflerfenfter mich befuchte tand mitt mir Berathungen bielt, um die Wenfchheit zu verderben. Die gute Fraut Wire ip der :Zeufel ‚felbit-gewefen, ich hätte nichts zum Berverben- der Menfchheit tyun können, denn ohne “cash” kann fogar der Gottfeibeiuns nichts zu Stande bringen. --Aber kahen ‚kann er, wenn Die -Meenfchheit c8 ihm zu toll treibt. -Dente Dir, lieber Lefer, e&: pafjire dir Fol- gendes; - Du haft jede Möglichkeit erfchöpft,:auf eine ehr- liche Weile Geld für das tägliche Brod aufzutreiben. DBet- tem kannft du nicht und Werthgegenftände zun Berkauf haft dur fo wenig wie Geld, . Du hältft nochmals Zamilien- rath und kommit endlic zu dem. harten Entjchlug, Alles, was die Tamiliengarderobe irgend entbehren kann, in’s Pfanphans -zu bringen. Das -ift zwar im-Grunde feine Handlung, die das Licht. zw fcheuen hat, aber vu wählft doch aus Vefcheidenheit zu ihrer Bollbringung die punkle Übendftunde. Man ftiehlt fih aljo, alle drei Schritte fi) ängjtli nah etwaigen Belannten umjehend, vor das Pfanphans; [haut nohmals vorfichtig urhher und, da fidh fein verbächtiger Zeuge bliden -Läßt, -Hufcht man hinein. Dean padt feine Werthgegenftände aus und verlangt von dem bebrillten Wohlthäter für feine leßte-Habe eine be» jcheidene. Summe. -Yengitliche Erwartung. Der Wohls thäter eraminirt: die Habe, - wirft fie-vor did hin und fpricht: „Für folche Lumpen kann ich nichtS geben”. Das it das: Refultat des. fchweren Entichluffes; zu dem-du erft nad) langen ‚Berathungen und. Heberlegungen: gelangen lounteft, Mit fichtlichem Weltfchmerz padjt du Deine „Zum pen“ gufammen umd eilft. nad: Haufe; als habeft dır ein
da ai
Berbrechen begangen. Dann aber ändert fi plöglich deine Stimmung und bu bridft in ein homerifche® Ge- lähter aus über vie mißlungene Heldenthat und viefe wunderbare Welt.
Endlich eröffnete fi) mir wieder eine Ausficht auf jonr- naliftifhe Tätigkeit. Der Herausgeber des „Republita- ner“ in Cincinnati bot mir, unter Aufiherung völliger Unabhängigteit, die Redaktion feines Blatted an und das Uebereinfommen war fhon kontraftlih abgefchlofien. Da jchrieb er mir, der frühere Redakteur, der wegen eines Scufjes auf einen Berleumder im Gefängnif fah, habe Ausfiht auf Begnadigung und merde unglüdlih jein, wenn er alddann feine Stelle nicht wiedererlangen könnte. Nachdem ich ibn von der eingegangenen Berpflibtung entbunden hatte, wurde mir ein andered Anerbieten von Louisville aus gemacht, wo id) die Medaktion des „Herold des Weltens* übernehmen folte, ch fchlug fie aber aus, da ich in feinem Sklavenftaat wohnen zu wollen erklärt hatte und mid) durch die bloße Noth diefem Borhaben nicht fonnte untreu machen lafjen.
Unter viefen Umftänden mußte ic auf andere, als jour- haliftifche, Unternehmen finnen und ging auf das Anerbie- ten eine® Freundes des „Jauus“ ein, der fi anheiidhig machte, mir ein Koithaus einzurichten und mir gleich zum Beginn ein halbes Dugend freifinnige Koftgänger zu ver- fhaffen. Ich gedachte in dem Haufe zugleich ein Lejekabi- net einzurichten und allmälig Mittel und Gelegenheit zur Erneuerung meiner literarifhen Thätigkeit zu finven. Damald war aber die Einladung von Xouisville in pring- ender Weije wiederholt worden und da ich jett eine freie Wahl hatte, id) auch die Verbindlichleiten fcheute, welche
=
ich mir durch Uebernahme des Kofthaufes auflud, entjchied ic mich endlich für LYonisville,
Meine Feinde in Louisville, fpeziell Herr Diet, der frühere franffurter „Marat“, der dort ein teutjhes Men- fhenhändlerblatt redigirte, hatten meine erfte abjhlägliche Antwort in ihrer Weife dahin ausgelegt, daß ich nicht wage, in einem Sklavenftaat aufzutreten. Ych kann ver; fihern, daß ich die zweite Einladung nit annahm um diefen Menjchen meinen Muth zu beweifen. Zu folder Dummheit oder Schwachheit hätten fie mich nicht gebracht. Aber id) wollte wenigftens die Probe machen, was fic) in einem Sklavenftaat thun lafje, doc gleichzeitig meinen früher geäußerten Abfcheu, dort zu leben, nicht verleugnen. Deshalb fhidte ich zur Publikation in dem von mir zu rebigirenden Blatte ein Schreiben voraus, worin ich jenen Abjhen in den ftärkiten Ausprüden ausiprah und er- Härte, daß ich mit Sflavenhaltern nicht diefelbe Luft ath- men möge, gejchweige denn mit ihnen individuell in irgend freundlihem Berkehr jtehen könne, aber meiner Zwede wegen mid überwinden und nad Lonisville fommen werde. Als Herr Dietfch dieg Schreiben im „Herold des Weitend“ las, glaubte er, e8 jei dur die Dummheit des Eigen- thimers hineingelfonmen, und fäumte nicht, e8 fofort zu überjegen und ben englifhen Sklavenhalterorganen zuzu- fenden. Diefe fhlugen großen Lärm darüber und erklär- ten, einen Menden meiner Art dürfe man gar nicht in Zouisville hineinlaffen. Mearat Dietfh und Konjorten freuten ic fhon auf den Spaß, mich aus der Staot trei- ben oder tobtjhlagen zu fehen. Man ließ mid aber nicht bloß „in LXouisville hinein“, fondern man ließ mic au grade fo fchreiben, wie ich in New-Mork und Bojton
_ 502 —
geichrieben habe, und tein Menjh bat- den Verfudy ge- macht, mich todtzufhlagen. Man fie mid fogar die be- kannte Lonisoiller' Plattform, die- jo viel Lärm gemacht bat ımd deren Hauptfoderung die Abihaffuug ver Stlave- rei war, aufftellen und trog dem Drohungen miteinem „DRod* Tieh man mridy-diefelbe mit wadern Gefinnungsge noffen in offener VBerfammlung berathen und zur allge- meinen Annahme vorlegen. Die Stlavenhalter find in gewiffem Sinn aud Menfchen und mo fie Andere ent- jplofjen fehen, ihr. Kedyt zu behaupten, haben fie jo gut Keipekt wie andere Leute. Daran aber zweifle ich nicht, daß ih wäre todtgefchlagen worden, hätte ich einige Zeıt fpäter, zur Zeit der großen Freindenhege, tod in Fonis- ville gelebt. Zum Unglüd-wußte id ihre Zeit nicht genau voraus und konnte daher Niemanden ben Gefallen thum, mic) lebendig braten zu fafjen wie da bei jener Gelegen- beit Anderen paffirt ift. |
Als id) Morgens früh vom Schiff in Lonisville Hirein- fuhr, fah ich an mehreren Hänfern: und Bretterverfchlägen mit großen Budyjjtaben angeichrieben: “Slaves for sale”. Den Eindrud, den diefe Auficdriften auf mic machten, werde ich nie vergeflen. Es war mir, ald brüde die ganze Atmofphäre anf mid: - In der That glaubt man in’ den Stlavenftaaten eine Art Kirchhof: oder Kerkerluft einzu- athmen und ich Bilde-mir ein, id würde, mit- verbundenen Augen in einen Sflavenftaat geführt, an- v ae mexten tönnen, wo die Örenze ift,
Det „Herolv’ des Wefteng“ rebigirte if ettwa'brei Me. nate bis‘ zum 8, Dezember ‘1853, in-weldyer‘Zeit er 500 neue Abonnenten geidanii;- 'Da’fand ih Ylöglich, als ic Morgens uiid 'näch deim Rebaktionslofal verfügen wollte,
— 503 —
die Druderei abgebrannt. Sie: war inder vergangenen Nacht angezündet worden. Den BR hat bie eig liche Unterfuhung nicht ermittelt:
Sp war alfo aud das fünfte kournofiftifgge PERRIRORR men, an dem ich mic) betheiligte,. zu Grabe gegangen. Ehe ich ed zu etwas Dauerndem bringen konnte, jollte erft das halbe Dutend voll''gemadt werden, und dieß gejhah burch den „Pionier“,
Der „Pionier“ verdanft feine Eriften, dem. Interefie, welches die freifinnige teutfcye Bevölterung von Tonisville an meiner Wirkjamteit nahm. Sie bat, nad) Berhältniß, mehr dafür gethan, ald irgend eine andere, Schon früher gab man dort die Abjicht fund, mid) zum Eigenthümer des „Herold des Weltens” zu machen, weil ich, obicdon fon- traftlih durdaus unabhängig disponirender Redakteur, die Einmifchungen des bornirten und rohen Typenbefigers, dem das Blatt ang.börte, beftänpig abzuwehren hatte, ALS aber dieß Blatt nothgedrungen zu erfcheinen aufgehört batte, wurde fofort der- Plan, entworfen, mid zur-Deraus- gabe eines neuen in Stand zu fegen. Man fammelte rafch die nöthigen Gelder zur Anfihaffung einer feinen Druderei, die man mir nach und nad abzuzahlen ges ftattete, und fhon mit Neujahr 1854 begann ber „Pionier* zu erjheinen. Sein Betriebskapital ‚beitand, nad De- zahlung der Druderei, in $25 und bie Koften ber erften Woche betrngen : $60. Dennod iany'eh, ihn im bie Vahrt zu bringen. :
Trog meiner günftigen lofalen Stellung fonnte ich- mic) auf die Dauer in: Lonisville wicht wohl fühlen. - Bon der ' einen Seite fehlte e8 an aller- Anregung, und an allen Refjonreen, von ber anderen. ward mir ber Drud ver
RER | ° pe
Stlavenhalter-Atmofphäre durh die Gewohnheit nicht leichter und da meine Wirkfamkeit im Staat Kentudy auf die Paarbundert nicht „vemokratifchen” Teutjchen befchränft war und blieb, kämpfte ih nur auf einem verlorenen Poften, Ich hatte gezeigt, was fi dort tbun-Tieh, ich batte ein Beifpiel aufgeftellt, ich hatte eine freiheitliche Bewegung von einem Sklavenftaat ausgehen lafien, bie ji über das ganze amerikanische ZTeutichthum, bi8 nad Teras hinunter, ausdehnte, und damit glaubte ich Alles gethan zu haben, was dort zu thun irgend möglich war. Troß aller Iofalen Erbärmlichkeit unt Theilnabmlofig- feit erfchien mir immer New-Pork ald der geeignetite Ort für meine journaliftifhe Wefivenz, weil fich dort die mıei- ftrn Anregungen und Hülfsquellen zufammenfinden. Yudy ftralt jedes Licht, Das dort aufgeitedt wird, rafcher und wirffamer nad) den übrigen Theilen des Landes aus. ch befchloß daher, mit dem „Pionier“ nad New-Pork über- jüliedeln, nachdem id in Louisville etwa ein Jahr ge- lebt hatte. Dod) hatte ich mich in meinen Mitteln ver: rechnet und fam auf meiner Umzugsreife nur bis Cincin- nati, wo der „Pionier“ vom November 1854 bi8 zum Ende des Mai 1855 erfhien., In Cincinnati fand ich ein wenig ergiebiges Feld, jo daß e8 mir nicht gelingen wollte, die Mittel zur Ausführung meines Nem-Porker ProjettS herauszufchlagen. Ein zufällig durdreijender Freund des „Pionier“ aus New-Pork kam zu Hülfe. Er hatte eine feine Summe für ein projektirte® teutidh-eng» fifches Blatt beftimmt, das unter meiner Yeitung erjcheinen follte, und da dafjelbe nicht zu Stande kam, gab er jene Summe dem „Pionier“ ald Keijegeld. So tam ic wieder nad New-Pork, wo der „Pionier“ vom 25. Juni 1855
u BO
bis zum Schluß des Jahres 1858 forterfchien, nachdem er mit Ad und rad) die große „Krifis“ des Jahres 1857 überjtanden hatte.
Gegen Ende des Jahres 1858 wurde von Bofton aus in mid) gebrungen, daß ich den „Pionier“ hierher verlegen möge. cd jelbjt hatte mich früher jhon mit diefem Plan beihäftigt, da ich ein günftiges VBorurtheil für die Boftoner Bevölkerung hegte und zugleich an ein mögliches Zufam- menwirten mit den amerifaniichen Rapdifalen dachte, die bier ihren Hauptfig-haben. E38 wurden mir in gejhäft- licher Beziehung die günftigften Ausfichten eröffnet und ic) zog aljo nad) Bofton. Die Erfahrung bat gelehrt, daß diefe Ausfichten iNuforifch waren, doch babe ich meine Ue- berjiedlung nicht bereut, da ih Bofton ald die ziilifirtefte Stadt Amerifa’d kennen gelernt habe.
Was der „Pionier“ gewollt und geleiftet, mag er jelbft berichten. Er hat jhon zwanzig Jahre lang gekämpft und er wird wohl das Vierteljahrhundert voll machen. Wann hat jemals fo lange Zeit ein Blatt eriftirt, das in der rabdifalften Weife die Wahrheit vertreten und über Perfonen und Dinge ohne eine einzige der Rüdjichten, welche fonjt auc der freieften Prefje Yefleln auzulegen pflegen, mit unabhängigjter Neberzeugung geurtheilt hat ? Der „Pionier“ hat, wie feine Vorgänger, für das freie Bort nie andere Schranken anerkannt ald die der Wahr- heit und ijt hinter feiner Erkenntniß nie mit dem Aus: d.ud derfelben zurüdgeblieben. Mag fein Beifpiel zeigen, dag aud die Äuferfte Freiheit möglidh, wenn man ent» Ihlofjen ift fie zu behaupten, und daß durd fie die Welt nicht zu Grunde geht, wenn fie fi) fern hält von der Tüge,
XI.
Schiußbemerkungen.
Ohne jofortige gründliche Aufräumung unter den Ber- tretern und Stügen der geftürzten Gewaltberribaft fann eine Revolution niemald Durddringen. Dazu aber find jehr jelten alle nöthige Vorbedingungen vorhanden. Ein Bolt in Maife ift niemals reif für die evolution, die es eben macht, denn die Revolution ift nicht das bloße Zer« jprengen getragener Stetten. Die Unerträglicdyleit ver Herricaft, die e8 zur Abwerfung feines Joches treibt, hat nur Dieje negative Wirkung, fie kann das Volk nicht gleichzei« tig auch befühigen, fi über die Sicherung der zu erringen= den Freiheit Har zu werden und e8 dazu ohne Weiteres in Stand fegen. Die Empörung gegen einen bisherigen Zujtand fann einem burd Gewalt nievergehaltenen Volt nicht aud) jofort die nöthige Einfiht zur Gründung eines neuen bringen. Sie fann es nur entfejjeln, aber Ents jejlelung ift nod nicht Belehrung und Befreiung. Die nämlicye Meaktion, die ed zur evolution reizt, hindert es au, jih im Voraus über deren Zwede zu verjtändigen
506
BEE,
und über die Mittel, diefe Zwede zu erreichen. Rathlos und ohne Borausficht vertraut e8 fich daher im Naufch des angenblidlihen Sieges über feine vermeintlih unjhädlich gemachten Unterbrüder immer zunädjft der Fiüurung Der: jenigen an, welde unter ber geftürzten Gewaltherrich.ft fih einen Namen an der Spite der offiziellen Op- pofition gemacht hatten, und dieß find nothwendig — da fie fonjt in folder Stellung nicht möglidy gewejen wären — Männer der Halbheit und Unentjchievenheit, wenn nicht gradezu unehrlihe Spekulanten. Die natürliche Volge ift dann, dal foldhe Fıihrer, ftatt ihren Einfluß und ihre Stellung zur fofortigen volljtindigen Niederbrehung der einftweilen gelähmten Reaktionsmadt zu benugen, zagbaft oder gewaltlüjtern mit deren Vertretern fi in Un- terhantlungen und Kompromifje einlafien. Die Reaktion fommt diefer willlommenen Hülfe mit jheinbar aufridhtigen Konzeffionen entgegen, wird dadırd in Stand gejest, ihre Kräfte allmälig wieder zu jammeln, und jobald jie binlänglic erftarkt ift, befeitigt fie Diejenigen der früheren DOpponenten, die fie nicht al befehrte Gehülfen weiter zu benugen für rathiam hält, und entfaltet dann als entidhie- dene Kontrerevolution rüdjihtlo8 den früheren Gewaltap- parat, um das Volk wieder in das alte Jod) zu jhmieden. E8 werben zwar unterbefjen wirflihe Nevolutionaire her- vorgetreten fein, die fähig und berufen wären, ein joldyes Schidjal turd Unfhäplidmadhung der alten Reaktion ab» zuwenden. Aber ohne ganz bejonders günftige Umfjtänve wird ihnen die nie gelingen. Sie haben jegt den Kampf, außer mit der verftedt operirenden Reaktion, aud mit der an’s Nuder gelangten früheren Oppofition aufzunehmen, die unterdejjen bewußt oder unbewußt zur Berrätherinn
nr DE
gemorden, aber nod) einen mächtigen Halt in dem bethör-- ten Bolfe hat, und e8 wird .ihmen nicht Zeit gelaffen, zur Durhführung diefes Kampfes einen hinreichenden Anhang in ben unterdefien wieder apathiicher gewordenen Wiatien zu gewinnen. Webervieß pflegen die, Durch feine vorberige Einigung und Drganifation verbumdenen ‚Führer durd Eiferfuht, Rivalitätsfuht und Meinungsverjchiedenbeit ein gemeinfames, energijches Handeln zu erjchweren, oder unmöglid zu machen. Dief ift namentlich dann der Fall, wenn gewilienlofe Demagogen, an denen es in revolutio- nairen Zeiten niemals fehlt, von gemeinen Leidenjchaften bejeelt und an gemeine Leidenjchaften appellirend,. fich. mit der durdy die Revolution entfefjelten Pöbelhefe in ven Bordergrund drängen und die nach georoneten Zuftänden verlangende Bevölkerung dahin bringen, eine Reaktion als einziges Mittel der Rettung vor wüfter Anarchie zu be- tradıten.
Diep ift der. Verlauf des Prozeffes, den Revolutionen, ohne bejonders günftige Wendungen, Durdhmachen werben, um die anfänglıd erregten großen Hoffnungen fpäter im Blut des verrathenen Bolf3 zu erftiden und auf dem leichen- reichen Kirchhof der Kontrerevolution.zu begraben.
Jenem Prozeß einen anderen Verlauf zu fihern, jenen Bereitelungszirtel zu dDurhbrechen und den Weg des Yort- fchritt8 abzufürzen, gibt e8 nur ein Mittel: zeitigre Bildung einer entjhiedenen Partei, welde, über Zwed, Mittel und Führung einverftanden, möglidht vajch die zu= nähft an die Spite gelangende alte Oppofition verbrän- gen kann und, eben jo feindlid, wie diefer, der Pöbeldema- gogie gegenüberftehend, nah velljtändiger Unfhärlihdina- hung der alten Reaktion die Elemente der Anardie nie=
— Wis
verhält, um alddann das Bolt in freien Institutionen auf vemofratiihem Wege fein Schidjal jelbit beftimmen zu lafjen. Eine folhe Partei kann in unferen Tagen nur eine vepublituniiche fein, die zugleich. alle |. g. fozialen Reformen durdzuführen entihloffen ift, welche auf gefun- den Prinzipien beruben, nicht auf utopifhe Schwindeleten binauslaufen und unter den gegebenen Berhältnijjen praf- tiich möglich find.
Wer meine revolutionairen Schriften gelefen, wird ge« funden haben, daß ich ftets, ven dargeftellten revolutionai- ren Prozeg vor Augen, auf Bildimg einer Partei der an- gegebenen Art hinzumwirken bemüht gemejen bin. Deshalb babe ich fortwährend die Kommunijten eben fo bitter be= füıpft wiedie Konftitutionellen und.die ehrgeizigen „großen Männer“ eben jo jhonungslos . gegeißelt wie die Ber» räther. Wenn dabei der Erfolg nicht meinen Bemühuns gen entiprocdhen bat, werde id; mir Darum wenigflens nicht den guten Willen beftreiten lajjen. Diejenigen, die nicht durdy blindes Vorurtheil oder perjönliden Haf jeder Ges rechtigfeit unzugänglic geworden, werden Mances aus den Exlebnifjen und Erfahrungen eines Flüdhtlings lernen fönnen, welder der revolutionairen dee das Sinnen und Trachten eines halben LXebens geweiht hat. - Nachdem das teutihe Bo.f.mit dem Schwert, womit e8 die Franzojen nievergefchlagen, zugleich fich jelbjt revolutienair entmannt hat, erwarte ich. nicht,. noch) eine teutihe Revolution. zu er= leben. Sollte fie aber in nicht langer Zeit zum Ausbruch fommen, jo jage ich, wenn die gegebenen Rathihläge nicht befolgt werden, -ihr Schidjal mit der größten Beitimmtheit voraus: fie wird zu Grunde gehen durd Die, „National- liberalen“ und „Bortjchrittler“ einerfeits, Die Kommuniften
— 510 —
andrerjeit8 und durd) den Mangel einer entichiedenen, ehr- lih, energifsh und umfichtig geführten republiktanifhen Partei, weldye, beide im Schach haltend, durh Aus: ottung ber alten Reaktion eine friedliche und gefunde Entwidlung in einem demofratiihen Staatswejen fibern könnte,
Kun nod ein Paar perföntihe Bemerkungen. Ich babe den Bericht über meine Erlebnifje zugleich zu einer Abs vehnung mit einem Theil meiner Feinde benutt. Kein von ajffeftirten Zimperlichfeiten freier Beurtheiler wird Das einem Dann übel deuten, der im Bewußtfein eines . redtlihen Strebens und ver ehrlihiten Abfihten ein bal- be8 Menjhenalter hindurch nicht bloß mit den Jhändlichiten Berfolgungen der offiziellen Gewalt und in Folge derjelben mit der gemeinen Notb des Lebens zu kümpfen, jondern aud ald Zugabe ein unabläfjiiges Bemühen abzuwehren batte, ihn Durch die infamiten Ungerechtigleiten und fyitematifche Verleumdingen moralijd zu vernichten. Sid jelbit Ge vechtigfeit gegen Feinte zu verfchaffen, fann nur dann ein Unrect jein, wern e8 auf Kojten der Wahrheit gejdicht. Ber fi auf die Gerechtigkeit Anderer verläßt, kann als eremplariiher Schuft in vie Grube fahren, wenn er aud der ehrlihite Mann der Welt war, und feine Feinde, vor jeinem Proteft gefichert, jhreiben ihm auf den Grabitein, was jie ihm früher auf den Rüden fchrieben. ch jhmei- cele mir, fein chriftlicher Kretin mit den beiden Disponib- len Baden, fondern ein natürlich disponirter Menjch zu fein, der, wenn er einen ungerechten Schlag auf Die eine Bade erhält, ftatt ihn ruhig hinzunehmen, lieber dem Geg- ner einen Schlag auf beide Baden zurüdgikt. Ein ge funder Menjch fol in perfönlihen wie in allgemeinen Up fairen fi nicht fcheuen zu zeigen, daß er die Galle
— bil —
auf dem rechten led Hat wie das Herz. Der undriftliche Gallenfad, ver fi) gegen Unrecht wehrt, wird der Menjche beit mehr nügen, al$ der chriftliche Herzbeutel, der Alles duldet, und nur Herz und Galle zufammen in richtigem Berhältnig fihern ein richtiges Handeln.
Die BVBerleumdungen, womit man mid) verfolgt hat, könnten mır wirklih Gegenftand eines befonderen Studi- ums werden. Ich babe früher immer geglaubt, die Ber- leumdung brauche einen wirklich vorhandenen Stoff, den fie bloß zu Uekertreibungen, Entjtellungen und Zuthaten be nuge. Das ift irrig. Die BVBerleumdung ijt ein Origi- nalgenie, fie ift eine wirflihe Erfinderinn und fie erfindet immer Dda® Gegentheil von Den, mas fie findet, Sie wäre nicht Berleumdung, wenn fie auch nur theilweije an Das glaubte, was fie jagt. de ehrlicher und gewifien- bhafter du bift, defto ficherer verdächtigt fie Dich ald Betrüs- ger; bijt dur mäßig, jo wird fie dich zum Schlemmer machen; bift du öfenomiich, jo wirft du zum Berichwender; hältjt du auf Wahrheit, jo bringt fie did als Lügner in VBerruf; bift du unbeftehlid, jo verjhreit fie deine Käuflicykeit; verachteft du Äußere Auszeihnungen und Stellungen, jo bift du vom Teufel des Ehrgeizes befefien. Kurz, wo man weiß, daß ein Menjcd verleumdet wird, da hat man alle Urfahe anzunehmen, daß grade im Gegentheil von Dem, was ihm nadgejagt wird, feine Hauptftärfe und Tugend liege,
. Mertwürdiger Weife drehten ji die Berleumdungen, die man gegen mich in’s Werk fette, faft immer um Geld. Nientmd ift weniger zum Geldmenjhen gemacht, als ich; Keiner fann den „goldenen Dred“ mehr verachten, al® ich; Keiner hätte mit dem Wenigen, das mir zu Zeiten zur VBer-
— 512 —
fügung ftand, befler hausgehalten und mehr geleiftet, als ih; Keiner hat dur‘ den Geldmangel, trog aller Arbeit, bitterer zu leiden gehabt, al8 ih. Stets aber gellte mir das „Geld“ um die Obren, das die Verleumtung auf meine Rechnung fhrieb. Was ich that und firebte, hatte bloß den Zwed, Geld zu mahen; wo ih etwas mollte oder leiftete, wurde nicht gefragt, wa® ich wolle oder leifte, jondern, wober id) das nöthige Geld genommen, oder wo- ber ih e8 nehmen werde, und wo ih am Bolljtändigiten von allen Mitteln entblößt war, follte id immer da meifte Geld verfhwendet haben. Wo man aber meine Mittel- lofigfeit anerkannte, da vergrößerte man fie jogar, bleß um mir allerlei Schändlichkeiten andichten zu fünnen, wodurd id> ihr abzubelfen fuchen jollte. Und Das thaten Dienicen, die mir früher nachgerübnut hatten, ih könnte ein Millio: nair fein, wenn ich meine Orumdjäge mobifizirt hätte! Troß allen Miferen würde mich Diejes ewige Geldgejcrei, das eine fo pifante Jronie auf meine wirklide Yage und Sefinnung bildete, haben amirfiren Fönnen, wenn mid) nicht der niedrige, erzgemeine, nur dem filzigen, fchmu- Bigen und bettelhaften Tentjchthbum eigene Zug, der fich darin ausiprict, fo gründlich angeefelt und wenn icy nicht die Auflöfung des Nätbfeld diefer gemeinen Nacrechnerei in ter erlen Abficht gefunden hätte, dem verhaßten Men- fhhen, der Ihenungslos aller Welt die Wahrheit fügte, möglichft ale Mittel zum Wirken abzujhneiven. Herr Kinkel hat im Jahr 1852 unter den amerifanifchen Teut- fhen 30,000 Dollar zufammengehumbugt, womit er in aller Gejhmwindigfeit die teutiche Revolution fertig machen wollte, Als er nad London zurüdgefehrt war, meldete er, er habe das zum Revolutioniren zujammengelogene
— 513 —
Geld „auf der Bank verzinslic deponirt“. Dabei blieb ed und mit dem Geld blieb aud die „Revolution“ depo- nirt, Er rührte feinen Finger für fie. ALS der Hum- bugger nad etwa fünfzehn Jahren auf mein Betreiben genöthigt wurde, über dad Geld Kecdenjchaft abzulegen, war das deponirte Kapital nebjt Zinjen auf ein Paar- taufend Dollar zufammengefhrumpft. ch beichuldige Herrn Kinfel nicht — denn ich weiß es nicht —, da er die Gelder geftohlen oder für feine Berfon verwendet babe, aber er hat Mittel, mit denen ficy eine langjührige Ayıtas tion unterhalten, oder ein revolutionaired Organ in Yon- don gründen ließ, auf die gewiljenlofefte Weife verfchleu- dert und fein Revolutionsgereve war reine Schwindele:. E8 fiel indeh aufer mir Niemanden ein, Heren Kinfel als Schwindler an den Pranger zu jtellen, denn er war ein unjhuldiger Schönredner und hatte Niemanden durd) Wahrheiten beleidigt. Man fege in Gedanken mih an die Stelle diejes8 Deponirer8 und man wird verjucht fein, fi) fofort die Ohren zuzubalten, um nicht Durch da8 zu er- wartende Gefchrei betäubt zu werden. Hhren „großen Männern“ verzeihen die enlen Teutjchen Alles, fogar ojfene Scwindelei und Berrath. Herr Kinfel blieb ihnen ein gefeierter Freiheitsheld trotz der verzinslichen Depontrung und den Verräther Brentano empfingen fie troß den Yüfl- laten zu Mannheim und Kajtatt, die auf feine Rechnung fommen, mit einem Fadelzug, ald er nad) Amerika Fam, dann machten fie ihn ald Herausgeber einer Zeitung zu einem reihen Mann und der große Heder blieb fein „Sreund“. Das Alles mag ganz rijtlic fein, fogar mehr als hriftlid; aber wie können Menfchen erwarten, mit Achtung behandelt und frei zu werden, Die foldye Bir- 33
— 5l4 —
tuofität im Götenmachen entwideln und fo frevelhaft lie derlich mit der Gerechtigkeit umgehen ?
Um übrigens auf das Geldgefchrei zurüdzutommen, fo liegt darin eine Methode, die ihre Wirkungen kennt. Das erfährt am Ueberzeugendften, wer nad Amerika verichlagen worden. Wenn ed der Reaktion gelingt, einen teutjchen Nevolutionair nad Amerika zu treiben, fo bat fie ibn uns Ihädlih gemaht. Hat ein europätfher Revolutionair Geld, fo geht er nicht hierher oder bleibt nicht bier; hat er keins, fo gelingt e8 grade ihm am Wenigiten, bier et» was zu erwerben. Se mehr Revolutionair, Defto weniger Geld und — point d’argent point de revolution 8 gibt feinen Gedanken, in dem fit) mehr Bitterfeit und mehr Demüthigung vereinigt, al® den, dem Despotitinus die Satisfaktion gönnen zu müfjen, daß er did) trog allem dei» nem Willen und aller deiner Freiheit zu mirfen unfchäds li gemacht hat wie einen Säugling, bloß weil du — fein Geld hatteft und erwerben konnteit. An diefem Gevmten zwanzig Jahre zu nagen, ifteine härtere Probe, ald zman- zig Dataillen mitzumahen. Wenn irgend Jemand mid beerben will, fo vermadye ich ihm den unbenugt gebliebenen guten Willen, welher den Despoten feit zwanzig Jahren aud nicht einen Tag Nube gelafen hätte, wenn er die nöthigen pefuniairen Mittel befaf. Diefen Willen unverwertbet hinterlaffen zu müfjen, ift ein jchledhter Troft. Zwar jagt man, daß, mas der Menjdh gewollt, nicht, was günftige Umpftände ihn vollbringen ließen, feinen Charafter ausmadhe oder ihm den Stempel aufprüde. Trog Dem bin idy uneigennügig genug, die Bethätigung diejes Charafterd durd Ausführung meines „legten Wil-
— 515 —
lens“ jedem Anderen zn gönnen, ben bie Umftände dazu in Stand feßen.
Audy meine bitterften Feinde werden, wenn fie diefes Bud) gelejen haben, nicht behaupten, va meine Anftreng- ungen und Kämpfe durch zu viel Erfolge und zu glänzende Trophäen belohnt worden feien. Sie werden vielleicht zu ihrer Befriedigung berechnen können, wie viel ich habe un- gethan lafien müfjen, was ich unter günftigeren Umftänven hätte vollbringen können. Wenn fie Piyuchologen find, Könnten fie jogar auf die Frage fommen, was mid) eigent« fih aufredt erhalten und fogar meinen Humor fonfervirt babe troß bdiefen langjährigen Entbehrungen, Sorgen, Nöthen, Miferen, Mühen, Kämpfen, Bertennungen, Her: abjegungen, Berfolgungen, Enttäufhungen und entmus thigenden Erfahrungen jeder Art? Dieje Frage wünjchte ih namentlich von frommen Leuten beantwortet zn feben. Ih frage fie, ob fie geblieben wären, wa8 ich geblieben bin, wenn fie Das für Religion und Reaktion durchge- macht bätten, was ich im Kampf für das Gegentheil purd- gemacht habe? Würde ihr „Gott“ ihnen die Stübe ge- währt haben die ich in mir jelbjt gefunden ? Wohlge- merft: fie hätten-allein fteben, oder auf ein Häuflein von freuden befhränft fein müfjlen wie ih. E8 ift, wie Fürften und Pfaffen, Gelpbrogen und Schwindler uns alle Zage zeigen, keine Kunft, jelbft al$ Vertreter einer jchlech- ten Sadye fih aufrecht zu erhalten, wenn man, mit Mit- teln reichlich verfehen, fih auf eine breite Genofienichaft ftügen und allerfeit8 an fihere Sympatbien anlehnen fann; nod) weniger ift e8 eine Kunft, ald Dann der Freiheit den Kopf emporzurichten, wenn man durd Popularität getra- gen, durdy eine Äußere Stellung gehoben und durd) die
— 516 —
Unterftügung einer Partei ermuthigt wird. Aber es ift nit ganz fo bequem, ohne Popularität und ohne Mittel und ohne Stellung und ohne Partei al8 Bertreter verba- ter Grunpfäße fi ein Leben lang durch alle Teufel durdh- zuichlagen, ja grade von der „eigenen Partei“ am Scänd- lihften behandelt zu werden und dody ungebeugt der Näm- liche zu bleiben. Was hat mid dazu in Stand gefet, ihr frommen Leute? Nichts Anderes, ald ver Wille, ehrlich Das ganz zu fein was ich war; nichts Anderes, ald das Bewußtjein eines freien, von allen Heinlichen Küdiihten unabhängigen Denjben; nichts Anderes, als die Treue gegen mich felbjt;z nichts Anderes, als die Wahrheit. Eignet eud die nämlihe Ehrlichkeit an und ihr werdet euch erhoben fühlen über Alle, den.n fie fehlt, und das Vertrauen, weldyes ihr in die Wahrheit eurer Sade fett, wird euer Selbitvertrauen um fo mehr erhöhen und befeftiger, je mehr ihr Dafür zu fünpfen habt. Weil id) mir felbit treu geblieben, bin ih aufrecht geblie- ben, Hätte ich meine Ueberzeugung verleugnet, wäre ih irgendwo zum Berräther an ihr geworden, hätte ich mich in [hwädliher Nadhgiebigkeit und Berfühnlichkeit zu Kton- zeflionen auf Koften meiner Grundfäge und meines Cha- rafters bejtimmen lajjen, jo war ed mit meinem ganzen Simfonsbewußtjein diefer BPhilifter-, Pharifiter- umd Stlavenwelt gegenüber vorbei. Die Untreue gegen eure Ueberzeugungen, eure Konzefjiond- und Kompromigfust, eure Unaufrichtigfeit un> Unwahrheit, furzum die Yüge — fie ift die Delila, die euch das Haar abjchneidet, euch immer mehr zu Feiglingen und Schwächlingen macht und euch) dann in der Verzweiflung an eudy felbit auf die Seite des Unrechts treibt oder am „Altar Gottes“ auf die Kniee
— 5lT —
wirft. Euer geiftige8 Leben ift vergiftet von ben ver« weiten Leichen euver bejten Gedanken, die ihr nicht an’$ Licht zu fegen wagt und ungeboren in eurem Gehirn jter« ben laßt, um die Wechjelbälge fremder Lügen an ihre Stelle zu adoptiren. Lernt von einem freien Menfchen wahr fein und ihr lernt gefund bleiben und glüdlid) fein. Ver: derbt e8 mit aller Welt, nur nidyt mit eudy jelbjt indem ihr jagt was ihr nicht glaubt und verleugnet was ihr ja- gen mögtet. Gübe e8 feine Heudhler und Lügner, jo gäbe ed aud) feine Unglüdlihe. Ohne Wahrheit gibt e8 feine Freiheit und ohne Freiheit fein Glüd,
E8 wäre eine Xüge, wollte ich behaupten, daf fic) in die Erinnerung an meine Vergangenheit feine Bitterfeit mijche, zumal wenn ich bedenke, um wie Manches, das ich zu vollbringen gedachte und im Stande gewejen märre, mid) frempe Bosheit und unverfchuldete Mittellofigfeit betrogen haben. Dennoch würde ich, könnte ich jene Vergangenheit wiederholen, mid unbedenflid) den nämlichen Verfolgungen und Miferen nohmald ausjegen, wenn vieß der einzige Preis wäre zur Sicherung des Bewuhtfeins, das mich für Alles entihärigt, des Bemußtjeind nämlid, unter allen Umftänvden, ohne Rüdfiht auf perfönlichen Bortheil oder Nachtheil, ein ehrlicher, entjchievener und Tonfequenter Berfechter der Wahrheit, der Freiheit und der Menfhens rechte gewejen zu fein, Wer etwas Befjeres werden fann, möge 8 fügen und er wird in mir feinen eifrigjten Schüler finden.
Zn An ei 2 nn ne
Digitized by Google |
Digitized by Google
“ ic:
une KAHN
ii
n u.