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Ludwig Ganghofer, Bergluft.

- [ . Pom gleichen Verfaffer find im Verlage von Adolf Bon; S Comp. erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Die Bachantin. Roman. Illuſtriert. 2 Bände. Geh. M. 8.—, geb. M. 10.—.

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Beraluft

Bohlands-Gelhidten

von

note Ludivig, Sanghofer.

Pritte Auflage.

Yllufriert von Bugo Engl.

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Slulkgark. Verlag von Adolf Bonz & Comp. 1897,

Drud von U. Bong’ Erben in Stuttgart.

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Rarl SBtieley

in Berehrung und Freundſchaft gewidmet,

——— ce ae Der Herrgottichniger von Ammergau . 2»...

Aſſi Manlaffe

DIE OIBEISLINELBEENL 2 22: u u Hohmürden Herr Pfarrer . . 2 2 2 22.0.

Die Hauferin

8 Geigenfröpft.

(1883.)

Ganghofer, Bergluft.

Deternit* begann ängitlich zu werden. Vor etwa ſechs Jahren war fie wohl diejen Weg jchon einmal gegangen, doch war jie damals noch ein halbes Kind gewejen. Und wie eben Kinder, wenn fie durch den Wald ziehen, ihr Augenmerk mehr auf die von Zweig zu Zweig huichenden Bögelein, auf die Blumen des Wegraines und die darüber hingaufelnden Schmetterlinge zu richten lieben, ald auf die Beichaffenheit und Richtung des

* Netronella.

4 ’'5 Geigentröpfl.

Pfades, jo fonnte auch ihr hievon nur eine blaije Erinnerung geblieben jein.

Da es ihr nun eine Ewigkeit jchien, daß ſie den jchmalen, dichtverwachſenen Waldweg betreten hatte, der immer und immer nod) fein Ende nehmen wollte, jo beihlidh fie die Furcht, daß ſie doc) wohl eine falſche Richtung eingejchlagen hätte.

Horchend blieb fie ftehen; aber fein nahender Fußtritt tönte den Pfad einher, feines Holzar- beiter Stimme flang aus dem Gehölz, und fein Beilihlag Hallte im Walde freilich, es war ja Sonntag. Ein Specht nur hHämmerte an einem fernen Stamm, tief im Dickicht zwijcherten leiſe die Srasmüden und Schwarzblätthen, ab und zu flog eine winzige Meije pijpernd über den Weg, und einmal au krächzte ein Nußhäher, der mit lautlojem Flügelſchlag durch die Tannenäſte ſtrich. Kein Windhauch regte die Blätter des hoch— aufgejchofjenen Buſchwerks, das den Pfad geleitete gleich einer grünen Wand und nur durch jpärliche Lüden die goldene Maijonne niederbliden ließ auf das moosunterwachſene Gras des Waldwegs.

Während Beternil mit forichenden Augen nad) der Richtung blickte, in der fie einhergewandert

’3 Geigentröpfl. 5

war, ſchien es faſt, als ob ihr der Gedanke an die Umkehr käme nun aber lächelte ſie, warf das hübſche kleine Köpfchen auf, daß die Gold— troddeln am grünen Hute nur ſo flogen, und folgte mit haſtigen Schritten dem ſtillen Pfad. Dabei breitete ſie die Arme aus und ſtreifte zwiſchen den geſpreizten Fingern das Laub von den vorſpringen— den Zweigen. Gleich grünen Flocken flatterten von ihren Händen die Blätter zur Erde und legten ſich, den Weg des Mädchens bezeichnend, wie ein dunkleres Band über das lichte Gras.

Plötzlich verhielt das Mädchen den Schritt leiſe Geigentöne klangen den Pfad einher. Unter dem Eindruck der erſten Überraſchung klopfte das Herz der einſamen Fußgängerin mit ängſtlichen Schlägen gegen das ſilberumſchnürte Mieder, denn in der tiefen Waldesſtille, die ſie umfing, hörten ſich dieſe Klänge gar geheimnisvoll und geiſterhaft an und wäre nicht die helle Sonne faſt in Mittagshöhe am blauen Himmel geſtanden, wer weiß, obPeter— nil nicht unter einem geiſterbannenden Stoßgebetlein Reißaus genommen hätte. So aber ſchritt ſie, die Blicke forſchend vorausſchickend, mit lautloſen Trit— ten den Tönen des rätſelhaften Geigers entgegen.

6 's Geigentröpfl.

Nun machte der Pfad eine Biegung, und jeine Buſchwände traten auseinander, um jich unter den alten, hochſtämmigen Tannen zu verlieren, die einen großen, fait zirfelrunden Platz umftanden. Beternil Hujchte hinter eine junge, tiefäftige Buche und lugte durch die Lucken des Laubwerks.

Innerhalb der Bäume umzog ein breiter Moosring den ganzen Plag; der hievon einge: ihränftte Raum war in ebener Fläche bededt mit ihwarzem Kohliande; darauf erhoben ſich, Die Ecken eines Quadrates bildend, vier mächtige Meiler von der Gejtalt abgerundeter Segel das Heißt, einer derjelben deutete nur mehr durch den Grund bau die frühere Geftalt an, da er bis tief im die Mitte zerriffen und auseinandergezerrt erichien, während ringsumher Kohlenſtücke, Najenbroden und halbverbrannte Holzjcheite wirr durcheinander lagen. An den drei übrigen Meilern drängte ein bräunlicher Qualm durch die Klumſen der gelbge- brannten Raſendecke und vereinigte jich über der Spige eines jeden Kohlhaufens zu geradaufiteigen- den, dicken Rauchjäulen, die jich erjt in der Höhe etwas lichteten, wo fie die ſchräg einfallenden Sonnenstrahlen freuzten.

s Geigenkröpfl. 7

Rechterhand vom \ Verſteck des neugierigen 4 Mädchens lag im dunklen

Schatten der Bäume eine niedere,

von zwei dahförmig aneinander

gelehnten Reiligwänden gebildete Hütte. Seitlich vom Eingang erhob ſich eine Moosbank; ein Brod— rinken, ein Meſſer und ein fettfleckiges Stück Zeitungspapier lagen darauf, und daneben ſaß, mit dem Rücken an einen Baumſtamm gelehnt,

8 's Geigenfröpfl.

eine zwergartige Menjchengeftalt der rätjelhafte Geiger. Die kurzen, mageren Beine hielt er kreuz— weile aufgezogen; jtarf gebaut war die Bruft, die fih fait unmittelbar an die Schenkel anzu— ihliegen jchien, und breit waren die Schultern; ein wenig zu groß geraten jchien der Kopf, doch war deswegen das Geſicht durchaus nicht häßlich int Gegentbheil, bei jeiner bräunlichen Bläſſe und zwiſchen den tiefichwarzen Haarjträhnen, welche über die vorgebeugten Schläfe glatt niederfielen auf Bruft und Schultern, war diejes Gejicht jogar von eigentüntlicher, Interefie erwedender Schöns heit; freilih mußte man dieſe Wirkung zumeift den großen, glänzenden Augen zuichreiben, welche jegt wie geiftesabwejend auf der Hand ruhten, deren fnöcherne Finger über den eng bejaiteten Geigenhals glitten. Die andere Hand führte in langen, fiheren Zügen den Bogen über die Saiten, denen eine weiche, jhwermutsvolle Melodie ent— quoll. Dieje Weiſe war fein Sind des liederreichen Hodlandes jeltiam und fremdlandiich hörte fie jih an in Tonfall und Rhythmus.

Da raschelte e3 im Laubwerk des ausmüns denden Pfades und als der Spieler aufiprang,

's Geigentröpfl. 9 die Geige ſinken ließ und lauſchend den Kopf er— hob, daß ihm die Haare in den Nacken fielen, da kam ein dicker, entſtellender Kropf zum Vorſchein.

„Warum hörſt denn jetzt auf? Spiel doch weiter! So was Schöns hab ich leicht ſo bald net g'hört.“ Und mit lächelndem Munde und freund— lichen Augen nickte Peternil dem Verwachſenen zu, während ſie vollends aus den Büſchen trat.

„Hat dir's g'fallen?“ fragte der Angeredete, über deſſen Antlitz beim Erſcheinen des Mädchens ein tiefes, doch raſch verſchwindendes Rot geglitten war. „Es is auch mein Leibſtückl. Weißt, mein Mutterl hat's allweil g'ſungen, wie's noch am Leben war. Aber was willſt denn bei mir?“

„Bei dir?“ lachte Peternil. „Wie hätt ich denn bei dir was wollen können, wann ich erſt im Augenblick erfahr, daß du auf der Welt biſt! Nach Finſterwald möcht ich gern . . . muß aber, wie ich merk, den Weg verfehlt haben.“

„Ja, gleich hundert Schritt im Holz hättſt rechts ausbiegen ſollen, ſtatt gradaus gehn. Ich will dich aber ſchon wieder am rechten Weg nunter— führen.“

„Vergelt's Gott im voraus. Z'erſt muß ich

10 s Geigenkröpfl. aber wohl ein bißl raſten.“ Dabei ging Peternil auf die Moosbank zu und ließ ſich mit einem Seufzer der Ermüdung nieder. „Wie weit kann's denn noch ſein von da aus?“

„Kleine drei Viertelſtund. Aber wundern thut's mich doch, daß ein Madl von Gmund den Weg nach Finſterwald net wiſſen ſollt.“

„Wie ich zwölf Jahr alt war, bin ich den Weg wohl einmal'gangen. Aber mein Gott, das is halt doc jchon lang her. Und nachher war ich die ganze Zeit über net daheim. Erſt jeit dem Winter bin ich wieder in Gmund. Übrigens,“ und fragend blidte das Mädchen zu dem WVerwachjenen auf, der, das Knie auf die Mosbank ſtützend, mit Der Schulter fih an den Baumſtamm lehnte, „woher weißt denn du, daß ich aus Gmund bin?“

Ich kenn dich ſchon; du biſt die ſchöne Peternil vom alten Zimmerer. Weißt, vor vier— zehn Tag beim Veteranenfeſt hab ich dich g'ſehn, wie ich bei die Finſterwalder als Muſikant mit— »zogen bin.“

„Aber du biſt mir net aufg'fallen . . . mit kei'm Aug net.“

„über mich ſieht man halt gar leicht weg.“

11

's Geigentröpfl.

. beim Beteranenfeft.

12 's Geigenkröpfl.

„Aber wann ich dich jetzt ſo anſchau und an dein Geigenſpiel denk, mein' ich doch, daß ich ſchon von dir g'hört hab. Gelt, du biſt ’3 Geigenkröpfl?“

„Ich weiß ſchon, daß mic) d' Leut jo heißeıt. Aber ins Gicht hat's mir noch feiner g’jagt... dur biſt die erite.”

Verlegen blidte Beternil zur Erde, denn aus dem Ton der Antwort mochte fie wohl merken, daß Sie den Verwachienen gefräuft Hatte. „Es war net bös g’meint, g’wiß net.“ |

„Dir kann ich's auch net verübeln. Damit aber für mich ein’ Anred halt... Cyrill heiß ich, Cyrill G'wandtner.“

„Da ſchau,“ lachte das Mädchen, „Peternil ... Cyrill! Das reimt ſich gar.“

„Aber net z'ſamm!“ flüſterte Cyrill, hob die Geige an das Kinn und begann leiſe zu ſpielen.

„Das is wieder dasſelbige Stückl,“ bemerkte das Mädchen nach kurzem Lauſchen. „So was Seltſams hab ich noch nie net g'hört. Es hört ſich grad an... ich weiß net wie... .“

„Weil's halt ein Zigeumerlied is . . . mein’ Mutter war ja eine Zigeunerin.“

„Ah, geh weiter,“ fuhr Peternil neugierig auf.

’3 Geigenfröpfl.

13 „Im Allgäu, wo mein Vater vor dreißig Sahr fohlen war, er mit ihr zZ’ jamm’troffen.... no, und da find ſ' halt gleich bei'nander 'blieben.“

„Haben j’ einander vecht gern g’habt 2“

Cyrill nickte wehmütig mit dem Kopfe. „Ja... bi3 ih auf d’ Welt 'kommen bin.“ Mitten im Ton brad) er das Geigenipiel ab und ging an Beternil vorüber in jeine Hütte. Als er wieder unter der Thür erihien, trug er einen Schwarzen dikfilzigen Hut auf dem Kopf und in der Hand als Stod eine jchlangenartig geformte Baum— wurzel. „Komm, ich will dich jegt nunterführen ind Ort.”

Beternil erhob ſich und als fie neben ihrem Führer jtand, überragte ihre Schulterhöhe gut um eine Handbreite jeinen Kopf.

Quer durch den pfadlojen Tannenwald jchritt Cyrill dem Mädchen jchtweigend voraus; manchmal blieb er ftehen, um dürre Äüſte abzuknicken oder grüne Zweige beijeite zu biegen, welche hindernd den Weg freuzten.

Nun betraten fie eine Lichtung, über welche der gejuchte Pfad hinwegführte.

„Da is der Weg,” jagte Eyrill, während er

14 os Geigentröpfl.

das Mädchen an feine Seite treten ließ, „wann aber nix dagegen haft, geh ih noch mit nunter bis ans Ort.”

„3 recht, nachher hab ich grad G'ſellſchaft. Es thät mich wahrhaftig verinterejlieren, wanır mir von deiner Mutter was verzählen möchteit. Gelt, das war eine von diejelbigen, die ei'm aus der Hand mwahrjagen ?”

„Sa! Und wie hat’3 mein Mutterl verſtan— den! Freilich hat's der Vater net g’litten ... heimlich hat ſie's aber doch 'than, und von dem Geld, was ihr d'Leut dafür "geben haben, hat j’ mir mein’ Geigen "kauft, wie ih acht Jahr alt war. O mein! Was hätt mein Mutter! net für mic 'than und ’geben . . . ihr Seligfeit grad jo gern wie ein Stüdl Brod! Dafür bin ich aber an ihr g’hängt, wie d’Seel am Leib... freilich, ich hab ja jonft auch niemand g’habt in der Welt.“

„No... dein Vatern.“

Cyrill ſchwieg.

„War er 'leicht net gut zu dir?“

„Schau ich denn aus zum mögen?“

Der ſchmerzvolle Ton dieſer Worte rührte das Mädchen; und da ſie nun auch eine Gelegenheit

e 's Geigentröpfl. 15

jah, die Kränkung, welche fie Cyrill durch Die Nennung jeines Spottnamens angethan, wieder gut zu machen, legte fie freundlicy die Hand auf jeine Schulter und fagte:

„Aus Ausjehn fommt’3 ja net allweil an. 3 G'müt is die Hauptſach beim Menjchen. Und da, mein’ ich, i8’3 bei Div beſſer b’itellt als bei hundert andere, die auf lange Füß in der lieben Sotteswelt umeinander laufen. Schön im Herzen is jchöner, als ſchön am Leib.“

Eyrill war ftehen geblieben; und als er mit beiden Händen PBeternils Finger umſpannte und in ihr Gefiht emporjah, brach ein helles Feuer aus feinen großen dunklen Augen, und tiefe Nöte 90% jich über jeine Wangen.

„Deandl! So eine liebe Red hab ich nimmer g’hört, jeit daß mein Mutterl im Grab liegt.”

„Beh! Was hab ich denn jo b’jonders g’jagt!” lächelte Beternil, während fie im Weiterjichreiten ihre Finger aus Cyrills Händen Löfte.

„Wann mich der Vater g’ichlagen und g’itogen hat und hat mid ein’ Krüppl g'ſchimpft, ein’ Zwergl und Wechjelbalg, naher hat mein Mutter! zu mir g’redt, wie du grad, Deandl. In ihre

Augen var

ih der ſchönſt von alle ...

jie hat halt nir anders an mir gehn, als ihr Kind. So was von Lieb und Güt giebt’3 nimmer in der weiten Welt... ih mein’, unſer Herrgott hat noch ein’ Engel 'braucht, drum Hat er’3 g’holt! Fünfzehn Jahr war ich damals alt, aber ich hab’3 gar wohl ver: itanden, was ich verlier an ihr. Und die zwölf

s Geigentröpfl. 17 Jahr jeither find gar viele Tag 'kommen, wo id) weiß Gott was drum ’geben hätt, warın ich mic grad noch ein einziggmal an ihren Hal® hängen und ausweinen hätt fönnen.“

„An was denn g’itorben?” fragte Beternil mitleidig.

„An der Auszehrung ... jagen d'Leut. Aber es war was anderd. Weißt... ’3 Herz is ihr brochen ...’3 Herz... bei der Art und Weis, wie der Vater zu ihr war und zu mir.“

„Wann's jo is, nachher fommt’3 mir vor, ala ob unjer Herrgott dei'm Vatern das net vergefien hätt.”

„Du meinst wohl, weil er jo gottsjämmerlid) dat umkommen müſſen? Haft auch was g’hört davon?“

„Hat ja ſelbigsmal vor ſechs Wochen, wie's paſſiert is, die ganze Gegend g’redt davon.“

„Ja ... aber unſer Herrgott hat da damit nie z'ſchaffen g'habt. Hätt der Vater mehr auf: paßt und weniger ’trunfen, jo wärs ihm net pafjiert. Wann unjer Herrgott gar jo g’nau wär mit jeiner G’rechtigfeit, jo hätt er mir mein

Mutterl g'laſſen und dem Vaterl fein’ Sinn zum Ganghbofer, Bergluft. 2

18 's Geigentröpfl. guten g’wendt und net, daß ich jegt allein und liebverlaffen in der Melt ftehn muß, und jo, wie ich ſchon einmal bin, fein’ andern Zweck mehr hab, als daß ich mich net verhungern laß und meine Eltern nachtrauer . . . denn mag der Vater zu mir g’wejen fein, wie er will, mein Vater war er deöwegen doc, und ich hab allweil als Kind zu ihm denken müſſen ... jegt jchon gar, wo er jo elendiglih um jein arms Leben ’fommen iS.“

„Seh, mußt net jo traurig daherreden! Ei'm Menſchen, der jo ein gut3 Herz hat, wie du, dem fann’3 net jchleht gehn in der Welt, und der is net verlaffen. Muß ihn ja doc) ein jed3 gern haben.”

„Bern... wie man den Hund ger hat, weil er ein’ treu anjchaut aus jeinen Augen!“ ſtieß Cyrill in dumpfen Worten hervor, während er die zitternde Hand um den Arm de3 Mädchens ipannte. „Aber ic) hab meine Jahr, Deandl, ih bin jo alt wie andere Burjchen. Und meinit, weil ich anders zum anjchaun bin wie andere, jo hätt bei mir die Zeit ausbleiben müſſen, wo ’3 Herz zum reden und begehren anfangt. Wann ih jo allein bin mit mir, warm ich jo draußen lieg im Holz, und der Wind raujcht über mir

's Geigentröpfl. 19

in die Bäum, nachher kommt's diemal über mich, daß ich nir anders jieh als ein Deandl, das mich anlaht und mir die Arm entgegenftredt. Und da Hilft’3 nix, warn ich gleich die Augen verhalt und mein Gfiht neindrud ins Mies*. Ol Warum kann ich net ausfchaun wie andere! Wa— rum muß ich grad jo fein... jo!“

Dem Mädchen ward es ängſtlich zu Mut vor der überquellenden Flut dieſes leidenschaftlichen Empfindens, das jo jählings von den zitternden Lippen dieſes verwaiiten Menſchenkindes brad). Scheu wand fie ihren Arm aus der zitternden Hand, die ihn umklammert hielt; doch als ihr Blick das erregte Gefiht des Verwachſenen und die brennenden Mugen ftreifte, die ins Leere ſtarrten, regte fich doch wieder ein tiefes Mitleid in ihrem Herzen.

„Geh, wie magſt denn jo veden und did) jelber martern!* jagte fie mit bewegter Stimme. „Unjer Herrgott hat alle Menjchen paarweis g’ichaffen, und drum wirft du auch noch einmal die richtige finden, die nix anders an dir fieht alö deine Mugen und dein G’müt.” Bei diefen Morten hatte fich

*) Moos.

20 s Geigentröpft.

Beternil zu dem Ufergras des jchmalen Wald: baches niedergebücdt, der fich ſchon eine gute Strede zur Seite des Pfade hielt, und hatte mit beiden Händen von den blauen Blümchen gepflüdt, die in dichten Mafjen über da® Grad empor= wucherten. Als fie fi) wieder ER aufrichtete,theilte I fie das Buſchel der gepflückten Blumen und reichte die eine Hälfte freundlich lächelnd ihrem Be— gleiter. „Magſt es?“ „Deandl!“ Wie ein jauchzender Aufſchrei hatte dieſes Wort geklungen; ſchon aber ſchlich wieder ein bitteres Lächeln um Cyrills verſtummte Lippen, und langſam wandte er ſich ab, das Geſicht auf die empfangenen Blumen drückend.

’3 Geigentröpfl. 21

Dann pflüdte er eine der Schmelen, die aus dem Moos des Waldrains lang und dünn empor— ſchoſſen, midelte fie un die Blütenſtengel und ſteckte das Sträußchen auf den Hut.

Und jchweigend wanderten fie Seite an Seite dahin.

„Du und dein Vater,“ begann PBeternil nad einer Weile wieder zu plaudern, „ihr müßt aber noch net lang in der Gegend jein? Denn wie ic) ala kleins Deandl fort’fommen bin, hat man noch nir g’wußt von euch zwei.“

„Bir haben un? erjt vor drei Jahr her’zogen.”

„Habts auf eigene Rechnung ’ktohlt ?*

„Ra! Wir waren beim Finiterwalder Schmied in Dienſt. Aber jeßt hat er mir aufg’jagt bis Sohanni.”

„Warum denn?”

„Weil ich den Kohlhaufen, in dem mein Vater verbrennt i3, nimmer jchichten will.”

„Aber hör!" Wie er jo was von dir hat ver- langen können, das will mir net in Sinn.“

Syrill Hob die Schultern. „Sa! D’ Menjchen find diemal gar g'ſpaſſig. Aber e3 iS ganz gut id... ih taug net zum Kohlenbrenner. Als

22 s Geigenkröpfl.

Handlanger von mei'm Vater hats es noch'than ... aber allein hätt ich's nimmer lang ausg'halten.“

„Wie willſt dich denn aber nachher fort— bringen?“

„Als Muſikant. Denn weißt ... mein’ Geigen verdeckt mein' Hals, und wann ich lang ſpiel, vergeſſen D’Leut, daß meine Füß kürzer ſind, als die ihrigen.“

„Is ſchon wahr!” lächelte Peternil. „Wann man dich ſo ſpielen hört, da muß man allweil auf dein G'ſicht ſchauen, und da machſt nachher ſo heilige Augen, daß man alles andere drüber vergißt.“

Eimn Schimmer von Glückſeligkeit breitete ſich über Cyrills Antlitz aus. „Ja, ja, mein Mutterl hat ſchon g'wußt, warum's mir die Geigen b'ſchert hat. Ich ſelber hab alleranfangs kein' rechte Freud dran g'habt . . . mein, wie halt Kinder ſind . . und hab's überhaupt bloß 'trieben, weil's ihr eine Freud g'macht hat und weil ich mich von ihr um alle Welt net hätt ſchelten laſſen. Wie ich's aber nachher allweil beſſer g'lernt hab, wie ich Jahr um Jahr aufg'wachſen bin und mehr und mehr verſtanden hab, daß der Menſchenſpott

’3 Geigenfröpfl. 23

mir am Hals hängt und ’3 SHerzleid mit mir umlauft in die gleihen Schuh, da find mir d'Augen aufgangen, was mein Mutterl g’meint hat, wie's einmal g’rjagt Hat zu mir: ‚Spiel, Büberl, fpiel, bis dir d'Finger brechen, denn in dem Holz drin iS eine Seel verzaubert, und wer j’ foden und rufen fann, mit dem thut j’ reden, lieber und janfter als die liebte Menſchenſtimm . . . g’jund macht j’ ihn, wann er frank i3, froh, wann er weint, und reich, warn er fich Hinforgen muß in Elend und Armut!“ Sa, jo hat mein Mutter! g’iagt . . . ich aber hab's ang'ſchaut mit dumme Augen, weil ich mir net denken hab können, wie das jein möcht.“

„Die Wort aber haft dir g'merkt?“

„Sie hat mir ja oft gnug ’3 gleiche vorg’jagt. Und jo, wie’3 allweil g’jeffen iS unter die Bäum, warn ihr jo recht elend z'Mut war, und eins von ihre ungerifchen Lieder g’jungen hat, jo fi ich jegt ganze Stunden lang mit meiner Geigen, warın mir der Praft und der Gram aus'm Herzen fo raufiteigt in Hals. Und je länger daß ich jpiel, jo leichter wird’3 mir. Ganz, freilich, ganz kann's niemals helfen! Aber das is g'wiß: wann ic)

24 's Geigentröpfl.

mein’ Geigen net hätt, jo hätt man mich ſchon lang einmal runterjchneiden müſſen vom nächit beiten Baum! ... Schau, wie jchön!“

Die legten Worte galten der Ienzblühenden Landſchaft, die fich zu den Füßen der beiden hin— dehnte, ala fie aus dem Dunkel des Waldes heraus: traten auf eine jonnbejchienene Wieje. Bald jichtbar,

bald wieder

| hinter niederen Büſchen ver— ſchwindend ſchlängelte ſich der Pfad über einen ſanftge— neigten Berg—

hang hinunter in das Thal. Lang geſtreckt lag im tiefſten Grund das ſchmucke Dorf mit ſeinen hundert Häuſern zu beiden Seiten der weißglänzen— den Straße. Spitauf ragte der Kirhthurm, und fein vergoldeter Knauf funkelte im Sonnenschein. Drüben zogen die Gärten und Wiejen wieder bergan gegen die Waldhöhen, und über den zadigen Saum ihrer Wipfel winkten fern einher die Berge

’3 Geigenkröpfl. 25

der Jachenau und des Oberijarthales. Blau und wolkenrein jpannte fi) der Himmel über das jchöne Bild; Schwalben durchſchoſſen die Luft, und über den grünhalmigen Feldern fangen die Lerchen.

„Jetzt dank ich dir halt recht jchön, daß mid) jo weit g’führt haft,“ wandte fih das Mädchen an Eyrill und reichte ihm die Hand. „Und wann einmal nunterfommit nad) Gmund, jo gehit an mei'm Haus net vorbei. Aber dein’ Geigen mußt mitbringen.“

„sh komm ſchon ... ih komm jchon,“ entgegnete Cyrill mit haftigen Worten, und eine tiefinnige Freude leuchtete aus seinen Mugen. „Aber wart ein bißl... ih muß mic ja doch bedanfen für deine Blümeln.“

Er kniete in dad Grad der MWieje nieder und pflückte von den zahlreichen Blumen. Als er fi) erhob, um Beternil den zierlihen Strauß zu reichen, fiel ihm der Hut vom Kopf. Während das Mädchen mit der einen Hand die Blumen nahm, ftrich fie lächelnd mit der anderen dem Ver: wachjenen die Haare aus der Stirne.

Cyrill ſchauerte bei diejer Berührung. „Wie lang bleibft denn drunten im Ort?“ fragte er leife.

26 ‚3 Geigentröpfl,

„Bis Abend halt.”

„Haft leicht ein G’ichäft bei wen?“

„Ah na," entgegnete Peternil, während ein dünnes Rot über ihre Wangen huſchte. „Bloß eine Freundin will ich b’juchen, die drunten im Dienit i8. B'hüt Gott aljo... und wie g’jagt... laß dich bald anjchaun in Gmund.“

„B'hüt dic) Gott!”

Cyrill hob feinen Hut vom Gras; dann ftand er regungslos und blickte dem dahinjchreitenden Mädchen nad. Als Beternil bei einer Biegung des Pfades das Geficht wandte und mit der Hand zurüdgrüßte, jtieß er einen gellenden Jauchzer aus und fprang mit einem langen Sab in das Gebüſch des Waldrains.

Die Dämmerung janf über Berg und Thal. Auf der Fahritraße, die von Finſterwald durch das Gehölz nah) Gmund führt, zogen zwei jchnaubende

’3 Beigentröpft. 27

Rößlein in behaglihem Trott ein leichtes Berner: mwägelchen Hinter ji) her. Auf dem jchwarzledernen Siß hielt ein junger Burſche nachläſſig die Zügel in der einen Hand; fein anderer Arm jchlang fi um die Schulter eined Mädchen, deſſen Haupt an feiner Bruft ruhte. Kein Wort wurde gefprochen. Manche mal nur neigte der Burjche jein Geſicht und drückte jeine Lippen auf Stirne und Mund der Geliebten.

Einmal der Wagen lenkte gerade an einem Dichten Erlenbuſch vorüber fuhr das Mädchen auf,

„Halt du net grad was g'hört?“

„Ra, Beternil.“

„Mir war's aber doch, als hätt ich drin im Holz wen jeufzen hören?”

Der Burſche blickte in da3 Dunkel, das unter den Bäumen lag, dann Elatichte er den Pferden die Zügel auf den Rüden, und bald verihwand da3 Gefährte hinter einer Biegung des Weges.

Da regten jich die Zweige des Erlenbujches, e3 Hang wie Stöhnen und Schluchzen, wie Tritte im Wald und alles war jtille.

* =

28 s Geigentröpfl.

Als am andern Morgen die Magd des Schmiedes von Finfterwald dem verwachjenen Kohlenbrenner wie gewöhnlich das Ejjen für den Tag brachte und zu der niederen Hütte herantrat, ließ fie mit einem lauten Schrei den Korb zur Erde fallen. Auf der Moosbank, mit dem Rüden an den Baum gelehnt, ja Eyrill, die gebrochenen Augen weit geöffnet, Geige und Bogen in den Händen der niederhängenden Arme Schoß und Kniee überitrömt vom Blut der zerjchnittenen Bulsadern.

Ihm zu Füßen im blutigen Moos lagen die zerpflücten Nejte blauer VBergipmeinnichtblüten.

Der Herrgoitichniger von Ammergan.

(1880,)

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1.

Die MWiejen, welche die beiden Ufer der Ammer geleiten, waren furz geweidet, und ihre Farbe jpielte jchon ein wenig in jenes müde Gelb- grün, das für die ganze jprofjende Natur der erite Vorbote des nahenden Abjterbens ift.

Still und unbelebt lagen dieje Wiejen unter einem unfreundlichen Himmel. Nur vereinzelte Emmerlinge ſah man von Zeit zu Zeit aus den Büſchen aufflattern, die da und dort den Weg der Ammer bezeichnen oder den Lauf der Land itraße, welche fih von Kohlgrub Her in dag Ober- ammerthal hereinzieht.

32 Der Herrgottichniger von Ammergau.

An Stellen, wo ji die Ammer mit einer jeihten Ausbuchtung bis an die Straße heran: biegt, jah man wohl auc eine Bachitelze über die braunen, naffen, faum aus dem Wafler ragenden Steine hüpfen. j

Folgte der Bach in geräumigen Bette träge jeinem Lauf, jo ließ er ein recht ſchwermütiges Bild gewahren; hatte er doch nichts anderes zu ipiegeln, als den furzgrafigen Uferrajen und Darüber die ſchweren Wolken, Die den Himmel in jeinem ganzen fichtbaren Felde verhüllten. Darunter hin zogen, von einem ſchwachen Windhaud getrieben, die leichten, grauen Nebel, welche ſich aus dem das Thal zur linfen Seite begleitenden Höhenzuge des Stecken-Berges mit taujendfältigen Formen emporhoben und in fteter Verwandlung und Ber: änderung jchräg über das Thal hinweghuſchten, um jih in die jchwarzen Tannenwipfel und zwijchen die plumpen Suppen des Aufaders zu verlieren, der mit jeiner Zinne tief in Dunſt und Wolfen ſteckte. Das gleihe Scidjal theilten auch die anderen, da3 Thal umringenden Berg: ipigen; nur die jäh emporiteigende Kobelwand hatte mit ihren groben, edigen Konturen den

Der Herrgotifchniger von Ammergau. 33

Nebelſchleier zerriſſen und blickte nun finſter und verdroſſen auf das zu ihren Füßen liegende Ammergau hernieder, während ſich das auf ihrer höchſten Spitze aus Baumſtämmen errichtete Kreuz in zwei ſcharfen, ſchwarzen Strichen vom grauen Himmel abhob.

Mitten in dieſem lichtarmen Bilde lag das freundliche Dorf mit feinen weißen, appetitlichen Häuſern und feinem jtolz aufragenden Kirchthurm. Es lächelte dem Beichauer jo herzlich entgegen, als wollt e8 durch feinen lieben Anblick den ver- jtimmten Wanderer mit der grauen, düfteren Miene der Landſchaft wieder verjöhnen.

Gleich unter den eriten Häufern, an denen man vorüberwandelt, wenn man von Kohlgrub herfommend die Anımer auf der alten hölzernen Brücke überjchritt, jtand auch das Fleine Haus, in welchem dieje Gejchichte beginnt. Es war ein ein— ſtöckiges Haus von halb ftädtiiher Bauart, mit welcher ſich die dem Stile der Gebirgshäuſer ent- nonmmene Galerie vor dem Dachgeſchoß einer jeden Giebeljeite und der gejchnigte Zierrat auf den Firften zu einem angenehmen Ganzen ver-

einigte. Zwei uralte Birnbäume ſtreckten ihre Ganghofer, Bergluft. 3

34 Der Herrgottichniger von Ammergau.

fnorrigen Äſte ſchützend über das braune Dad), und ein Eleiner, ſorgſam gepflegter, von einem grüngeitri= chenen Sta=

ketenzaun einge— hegter Blumen— und Gemüſegarten umzog die ſauberen, weißen Wände.

Zwiſchen den Fenſtern, zu beiden Seiten der Thüre und über der Thüre ſelbſt zeigten ſich farben— bunte Abbildungen aus der Leidensgeſchichte Chriſti,

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deren Kompofition und Kolorit vermuten ließen, daß ihr Meifter fiher nicht außerhalb des Weichbildes von Ammergau gebildet worden war.

Dieje Bilder waren alt und hatten jchon ver- ichiedene Tünchungsperioden der Hauswand über: lebt; aber wenn auch ein naiver Kunſtſinn oder eine gewiſſe Pietät jie immer vor der gänzlichen Vernichtung gejhügt hatte, der theilweiſen Ber: ftörung waren jie Doch nicht entgangen. Bei jedem neuen Anftrih war der Kalkpinjel des Maurers weiter vorgedrungen, jo daß jene Bilder zur Zeit diefer Gejchichte am Rande nur mehr Figurenbruch- jtücfe zeigten. So ſchwang auf einem der Bilder ein in der Luft hängender Arm die Geihel über dent Leibe CHrifti. Der zu dem Arme gehörige Kör- per eines Soldaten oder Henkerknechtes war längſt der vorrüdenden Kalkdecke zum Opfer gefallen.

Die Hausthür war geöffnet und gewährte einen Bli in den Flur, deſſen Wände dicht be— hängt waren mit meift unvollendeten Schnigereien und mit verichiedenen Konturjchablonen aus Blech oder Bappdedel. Während rechts in der Tiefe eine Schmale Treppe zum Bodenraum emporführte und links ein thürartiger Durchbruch die Mauer

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nad) der Küche öffnete, zeigte der vordere Raum zwei fich gerade gegenüberjtehende Thüren. Das Gemach, zu weldhem die eine derjelben führte, jagte dem erſten Blick, daß der Befiger des Hauſes ein Bildjchniger war; Die hier und Dort umher— liegenden oder in Ordnung aufgeihichteten Holz- ſtücke, welche fid) durd) ihre Form als vorbereitetes Material für dereinitige Kruzifire zu erkennen gaben, ließen noch im bejondern jchließen, daß Paulus Lohner, von jeinen Bekannten kurzweg Bauli genannt, zu jenen Bildjchnigern gehöre, die dem Sprachgebrauch jeiner Heimat zufolge den Namen „Herrgottichniger” führen. Das Gemad) diente allem Anjcheine nach zugleih als Wohn— tube und Werfitätte. Etwas bejonderes war an ihm nicht zu finden: ein Zimmer, das gerade jeinem Zweck diente, wie jedes andere gleicher Art im den andern Häufern des Dorfes. Weiß— getünchte Wände, daran verblaßte Bhotographien, meiſt Soldatenporträts oder Koftümbilder der legten Bajlionsjpiele, Daritellungen aus dem Leben des zum Schußpatron gewählten Heiligen, das mit dünnen Goldleiften umrahmte Aufnahme— defret irgend eines Bewohners dieſes Hauſes in

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irgend welchen religiöſen Verein, das Kruzifix im „Herrgott3winfel* mit den melancholiſch über: hängenden PBalmzweigen, dann der gewöhnliche Kachelofen in der einen Ede, in der anderen der majlive eihene Tiih vor den in die Wand ein— gelaffenen Bänken, ein Kaften mit jchrankartigen Aufſatz, und fchließlich an der langen Fenfterjeite die Hobelbanf mit den verjchiedenen Werkzeugkäften darüber.

Die Stube mußte kurz erit aufgeräumt wor: den fein, denn neben der offenen Thüre lagen noch die zujammengefehrten Holzipäne, und an der Wand lehnte der benügte Bejen. Ein ficht: (ih in Eile abgeworfener blauleinener Arbeits— ſchurz lag auf der jäuberlich in Ordnung gebrachten Hobelbant, und neben ihm ein neues Kruzifix, oder, um die Sprache des Landes zu reden, ein neuer Herrgott: das Kreuzholz ſchwarz bemalt, darauf der weiße, gejchnigte Chriſtus, und ihm zu Füßen die Statuette der flagenden Maria. Es war eine ſchöne, jorgfältig ausgeführte Arbeit, die dem Kenner um jo mehr auffallen mußte, als die Maria nicht nad) der gebräuchlichen Schablone mit gefalteten oder mit auf die Bruſt gepreßten

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Händen dargeſtellt war, ſondern mit Armen, die ſich wie zur lauten Klage gen Himmel hoben.

Eben fing die untergehende Sonne an, die Wände leicht zu röten, als durch die Thür ein junger Burſche trat, der im Alter wohl zwiſchen fünfundzwanzig und dreißig Jahren ſtehen mochte. Es war Pauli. Er trug weder Rod noch Weite und hatte die Ärmel feines Hemdes bis über Die Ellbogen aufgeftülpt. Mit der Eurzgeftielten Blech— ichaufel, die er in der einen Hand hielt, faßte er die Holzipäne vom Boden auf und verichwand durd die Thür, um wenige Sekunden jpäter wieder zu erjcheinen.

Er ftülpte die Hemdärmel nieder, trat vor die Hobelbanf und muſterte fein jüngftes Werk noch einmal prüfenden Blides, während er Die beiden Hände langjam über die Hüften wiſchte. Es war eine wohlgeformte, jehnige Geftalt; Doch zeigte der Rücken eine Kleine Krümmung, die ent- weder die Folge des vielen Sitzens bei der Ar— beit war, oder vielleicht nur nachläffige Haltung; auch der Hals erichien etwas nach vorne gejtredt, wie man das bei Leuten fieht, welche die Ge- wohnheit haben, ftändig zur Erde zu blicken.

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Paulis Geſicht war nicht gerade gewöhnlich, jedenfalls hatte es aber auch nichts Außer— gewöhnliches an ſich. Es war eines von jenen Geſichtern, von denen man ſagen kann, ſie ſind hübſch . . . vorausgeſetzt, daß man's mit dem Begriffe dieſes Wortes nicht allzuſtrenge nimmt. Das einzige, was man wirklich an ihm ſchön nennen konnte und ſo nennen mußte, das war ſein Blick. Wie ein leichter Flor von Schwermut lag es über dieſen dunklen Augen, und dennoch un— getrübt ſprach aus ihnen jede gewinnende Eigen— ſchaft eines guten Menſchen.

Pauli legte das Kruzifix, das er zur beſſeren Betrachtung aufgenommen hatte, beiſeite, zog die Schublade aus einem der Werkzeugkäſten und nahm zwei Figürchen hervor, welche allem Anſcheine nach mißlungene, oder wenigſtens unvollendete Probeſtücke der auf dem Kreuz befeſtigten Marien— ſtatuette waren. Dann griff er nad) einem Schnitz— meffer, änderte mit ein paar ficheren Schnitten den Geſichtsausdruck der beiden Figürchen, welcher mit dem der Maria auf dem Kreuze ein und derjelbe war, und ftellte jie dann auf die vorderen Geſims— eden des neben dem Dfen ftehenden Schranfes.

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Einen Eurzen Bli noch warf er über diejelben, dann wandte er ſich Haftig ab, nahm einen leichten, nicht mehr neuen Kittel vom Thürnagel, 309 ihn an und drüdte einen fleinen, dunkelgrünen, mit einer MVeihenfeder geſchmückten Filzhut auf das fraufe, braune Haar. Vorſichtig wicdelte er das Kruzifix in einen großen Bogen PBadpapier, das allem Anſcheine nach jchon öfters ähnlichen Zwecken Hatte dienen müfjen, nahm das Paket fuchte auf den Arm und verließ das Haus.

Man tommt nicht jo jchnell von einem Ende des Dorfes zum anderen, wenn man bei alleı Leuten beliebt it. Und Bauli war beliebt. Bald wurde er von einen Freund auf den Wege angehal- ten, bald Hang ihm ein Gruß aus einem Feniter, da gab e3 zu fragen nad) jeinem Befinden, nad) dem Wohljein der Mutter, nach dem Ziel jeines Ausgangs, und weiß der Himmel, womit ſonſt noch freundliche Neugier feine Schritte hinderte. Als Pauli bei der Kırche um die Ede bog und jih dem Forſthaus näherte, jah er den Föriter auf der Freitreppe ftehen, die zu der hochge— legenen Hausthür emporführte. Er bot ihm einen freundlichen Gruß.

+41

Der Herrgotlfchniger von Ammergau.

„Wohin denn, Pauli?”

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„Wohin denn, Pauli?“ rief der Förfter den Burſchen an.

„Rah Graswang.“

„Was! Bei jo ei'm Wetter?"

„Ro... wann's auch noch einmal zum regnen kommt, was liegt dran? Durch d'Haut ’nein hat’3 dengerft noch kei'm g’regnet!”

Der Föriter lachte. „Sa, ja, 3 Wirtslonerl i3 ein ſaubers Madl! Der z’lieb leidt's eine ver: vegnete Joppen!“

Ein dunkles Rot flog über Paulis Wangen. „Na, na,” ſagte er jchüchtern, „ich geh grad in Hichäften nach Graswang. Der Wirt hat fchon lang ein’ neuen Herrgott bei mir b’itellt g’habt, und jetzt hab ich ihn ‚halt fertig g'macht und trag ihn nüber.“

„Sp, ſo!“ erwiderte der Förfter. „Wie ig, kommſt morgen am Sonntag zu mir ein bißl in’ Heimgarten? Haft dich in der legten Zeit recht var g'macht!“

„Müſſen S’ mir’3 halt net verübeln, daß mic d'Arbeit net Hat ablommen lafjen, und . . .“ Bauli machte eine Pauſe und blickte etwa verlegen zum Förster empor, „und wenn id) morgen net

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fomm, dürfen ©’ Halt aud) net bös jein.“ Haftig iprad) er meiter, als wollte er irgend welchem Einwande des Förfters zuvorfommen: „Willen ©’, der Huberbauer von Gradwang will Schnißereien in die drübere Kirchen ftiften, und der Herr Maler Baumiller.... Ihr kennt ihn ja auch ... hat halt mich dazu refomadiert, daß ich die Arbeit 'kriegt hab. Jetzt geb ich halt auf ſechs oder acht Wochen nüber und mad die G'ſchicht.“

„Sa was du net jagft! Haft ſchon ein Loſchi drüben?”

„Schon lang. Der Huberbaiter hat mir fein Austraghäusl überlafien. Zwei ganznette Stüberln ind drin. Heut fruh Hab ich jhon 's Notwen— digfte nüberbradt .. . und mein’ Mutter, die z'morgens nad) Ettal wallfahrten is, geht am Heimweg nüber und richt” mir mein Sad ein bißl z'ſamm.“

„Du ſagſt ja das alles mit ei'm G'ſicht,“ gab der Förfter lachend zur Antwort, „als ob dir der Weg nad Graswang und das lange Bleiben in der Näh von der Loni jchon jo z'wider wär, wie ei'm faulen Knecht D’Arbeit?”

Pauli 309g die Brauen zufammen. „Müſſen S’

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net jpotten, Herr Förster! Ihnen bringt’s fein’ Nugen, und mir thut's net wohl.“

„Ro, no, no,” begütigte der Förfter, „Jo ſchiech war’3 net g’meint; drum jei gut und mach Fein jo —— So was können d'Leut in Gras—

wang auch net leiden. Und jetzt b'hüt dich Gott und geh, ſonſt krie— gen wir am End gar noch Streit miteinand.“

„Jetzt das glaub id doch net!“ meinte Pauli, 309 mit freundlichem Gruß den Hut, al3 ihm der Förfter lächelnd ms mit der Hand zum Ab-

ſchied winfte, und jchritt jeines Weges weiter.

Auf dem einen Arme das Paket mit dem Kruzific, den andern Arm mit dem Daumen in da3 Querband de3 Hojenträgers eingehenft und den Bli zur Erde gerichtet, jo jchritt er die Straße dahin, ohne Sinn und Auge zu haben für

- * * —* N

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die trog de3 trüben Abends immer noch mannig— faltige Schönheit der Landichaft, die ihm zu beiden Seiten langjaın vorüberzog. Er glich einem Men- ihen, dem die Einjamkeit Bedürfnis und MWohlthat it, weil fie ihm gejtattet, all die Gedanfenarbeit, bei welcher daS eigene Herz dazwijchen jpricht, in Muße nachzuholen, nachdem die jchwere, andauernde Arbeit des Tages fie für Stunden zurücddrängte. Und Pauli hatte jo manches in Kopf und Herz, was die Zeit feiner Abende und vielleicht auch mancher Nacht in Anjpruch nahm, ohne daß er damit zu Ende oder mindeſtens zur Ruhe kommen wollte.

2.

Ks war ein Kleines Häuschen, das Austrag— häusl des Huberbauern, in welchen Pauli woh- nen jollte; aber freundlich jah es aus, und die alte Traudl, Paulis Mutter, Hatte jeit mittag alles mögliche gethan, um das eine der beiden Stübchen nach beiten Kräften wohnlich zu machen, während die Umgeftaltung de3 anderen zur proviſoriſchen Werkſtätte noch auf Pauli wartete.

Mit der Einrichtung jah es freilich ein wenig mager aus: ein Bett, ein Tiſch und dahinter

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eine jchon baufällige, mit abgejeilenen Leder: politern belegte Bank, zum Überfluß ein Stuhl, über dem Tiſch in der Ede der Herrgott, und da3 MWeihbrunnkeijelchden neben der Thüre. Und doch machte das Stübchen einen angenehmen Ein— drud; es war zu eng und zu klein, um Die Dürftigfeit der Einrichtung auffallen zu laffen. Unter den Armen des Herrgott3 gucten zwei große MWaldblumenfträuße hervor, die Traudl auf dem Wege von Gttal her zujanmengelejen hatte; in den Kleinen Fenſterniſchen ftanden ein paar blühende Neltenftöde, die der Huberbäuerin abgebettelt waren, und nun jollten gar noch weiße, ſäuberlich gefältete Vorhänge den Schmuck des Stübchens vollenden. Da3 eine der beiden Tenjter war bereit3 mit Diejer Zier angethaır, und das andere jollte fie eben aus der Hand Zraudl3 empfangen, welche vor den Fenſter auf einem Seffel jtand, um die Nägel für die dünne, eijerne Vorhangftange in die Wand einzujchlagen. In der ganzen Art, wie Traudl jo da oben ftand und ſich Hoch aufredte, um die für den Nagel beitimmte Stelle zu erreichen, machte fie eine recht drollige Figur. Der halbe Sonntagsſtaat, in

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dem fie der Wallfahrt wegen ſteckte, mit feiner hochgejegten Taille, mit den dickauswattierten Schultern des nur Schüchtern über das jeidene Umſchlagtuch vorgudenden Leibchens, und all das andere Darum und Daran fontraftierte ſeltſam mit der groben, blauen Leinenihürze, die fie der MWerkzeugfiitte Pauli entnommen und zum Schuß ihrer Kleider umgebunden hatte. Üüber diefer Figur ſaß das kleine bewegliche Köpfchen mit einen Geſichte, in deſſen vielen Falten ſich Ernſt und Gutmütigfeit friedjfan berührten, und das umrahmt war von grauen Haaren, welche glatt an die Schläfe angejcheitelt lagen und am Hinter: £opfe Tich zu einem etwas fonfujen Knoten zu: janmenwirbelten. Die hohe braunhaarige Biber: mütze, welche diejen legteren, für die Augen der Welt nicht berechneten Theil der Friſur außer dem Haufe gewöhnlich verhüllte, lag jet auf dem Tiiche, über einem zum Schuße dieſes foft- baren Utenſils ſorgſam untergebreiteten weißen Zajchentuche.

„Sakrafix nocheinmal!” klang plöglich Traudls Stimme mit einem halblauten Aufſchrei, und ihr linker Daumen, der von einem unvorfichtigen

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Hammerjchlage getroffen war, fuhr Hurtig nad) dem Munde.

„Sa was macht denn, Traudl?“ rief es durch die geöffnete Thüre. „Auf den Nagel mußt

ihlagen und net auf deine Finger!“ Ganghofer, Bergluft. 4

50 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

—— ——

„Jetzt wenn das net der Lehnl is,“ gab Traudl entgegen, während fie mit ein paar weiteren Hammerjchlägen den Nagel vollends befeitigte, „nachher will ich auch am Charfreitag Kirchweih feiern.” Nun ließ fie den Hammer finken und drehte jich der Thüre zu. „No freilich!“

Auf der Schwelle jtand ein alter Mann, deſſen weißes Haar darauf jchließen ließ, daß er wohl ihon die Sechzig auf dem Rücken Haben mochte. Mit der einen Hand in der Hofentajche und die andere an der Pfeife, welche zwischen jeinen Zähnen hing, jo ftand er da, und mit den Augen, um die ein leifer Zug von jpottender Überlegenheit jpielte, zwinterte er der Alten zu, die ihn jeit langer Zeit kannte und ihm ebenjo gut und ge= wogen war, wie das ganze Dorf.

Ungefähr vor zwanzig Jahren war er nad Graswang gefommen, aus Tirol her, wo er Bechler* gewefen, und Hatte jich die Zeit über jo leidlich fortgebracht, indem er ſich wechjelmweije bei den einzelnen Bauern zur Taglohnarbeit verdingte. Nun aber, da die Arbeitskraft jeiner alternden Glieder jhon ziemlich nachgelaffen hatte, erhielt er

* Pechſammler.

Der Herrgottfchniger von Ammergau. Hl bon der Gemeinde eine jährliche Unterftügung und war vom Wirte eigentlih mehr ala Pfründner ind Haus denn in Dienft genommen worden. Da machte er fich durch kleinere Verrichtungen nüglich, durch jeinen Humor beliebt und erwies ſich dank— bar durch Anhänglichkeit an das Haus jeines Wohlthäters. Bejonders an Loni, an der Adoptiv: tochter des Wirtes, hing Zehn! mit einer unbe: grenzten Zuneigung.

„Ro freilih!” hatte Traudl gejagt, als fie de3 Alten anfichtig geworden. „Wie man ein VBögerl am G'ſang kennt, jo fennt man dic) an der Ned. Da giebt’ allweil ein’ G'ſpaß oder ein’ Spott!“

Lehnl nahm das lähelnd hin, trat zu der Alten und war ihr behilflich, das Stübchen vollends in Ordnung zu bringen. Dabei wurde von diejen nd jenem geiprochen, die Dorfneuigfeiten der legten vierzehn Tage wurden Durchgehechelt, und ala man auf den Maler Baumiller zu jprechen fan, floß Zraudl über vom Lobe dieſes Mannes, der ihrem Pauli den Auftrag des Huberbanern mit dem ihönen Verdienste verjchafft hatte.

„sa, ja, er is cin herzensguter Manıt, der Herr Fritz“, ſtimmte Zehn! bei, „und fürs Dorf

52 Der Herrgottfchniger von Ammergau,

die reinfte Fruhjahrsihwalbe Kaum daß die eriten BlattIn rausſchauen, fliegt er ſchon 'rein . . . und fo ſeit zwanzig Jahr!“

„Es kennt ihn aber auch alles, und ein jedes hat ihn gern.”

„Das macht, weil er mit den Bauern umgehn kann, als ob er jelber einer wär, Und reden thut er dir grad wie unſereins.“

„Denk dir nur, Lehnl,“ dabei ftieg Traudl vorfihtig vom Stuhl herab und wiſchte die beiden Hände an die Schürze, „wa er neulich mei’m Pauli für ein’ Antrag g’madt hat. Er hätt arg viel Talent, hat er g’fagt, zu ei'm Bildhauer, und er nähmet den Pauli mit 'nein in d’Stadt und ließet ihn ausbilden auf der Akademie. Aber meinst, der Bub ging? Net um alles in der Welt. Und wirft dir wohl auch denken können, was ihn z'ruckhalt!“

„Ja, ja; 's Lonerl, gelt?“

„Es is zum narriſch werden mit dem Buben!“ jeufzte Traudl, „Wann er nur wenigſtens was davon hätt! Und der Herr Frig meinet’3 jo gut mit ihm ! Der war fein hent auch in Ettal drüben. Ich hab ihn in der Kirchen drin g’jehn.”

Der Herrgottichniger von Ammergan. 53

„Hätt eher ’denkt, im Wirtshaus.“

„Bag thät denn ih im Wirtshaus“, fuhr Traudl ganz entrüjtet auf, „und bei einer Wall: fahrt gar!”

„Mein Gott, was Halt ander Leut drin thun: ejjen, trinfen und recht g’jcheid reden.”

Ehen ſchickte ſich Traudl zu einer geharniſchten Eriwiderung an, als die Thüre fich öffnete und Pauli eintrat, feinen wohlverpadten Herrgott auf dem Arme, Herzlich begrüßte er die Mutter und freundlich den Alten, der ſich's inzwijchen hinter dem Tiſch bequem gemacht hatte.

„Aber grad ſchön haft mir das Stüberl her— gricht’!” jagte Bauli zu Traudl, während er Hut und Paket ablegte. „Bift denn fchon lang von Ettal z'ruck, daß alles halt jo machen können?“

„Mein Gott, jeit mittag halt!“

„ie i3 dir denn Z’Ettal 'gangen? Haft nad): her für mich auch ’bet’, Mutterl?*

„Für was geh’ ich denn wallfahrten,“ eiferte die Alte mit halbem Ernſte, „für was denn, als daß du einmal g’icheid werden jolljt.”

„sa bin ich denn dumm?“ fragte Bauli lächelnd.

54 Der Herrgottfhniger von Ammergau.

„to, mit deiner dalketen Lieb, das wird wohl net g’jcheid fein. Sp eine Narretei, die fein’ Heimat hat und fein Abſehn. Mie oft net hat dir d'Loni ſchon "zeigt, daß ſ' dir nix will, und doc gehit allweil wieder hin -und ſchmachſt 3’ Madl an, wie eine Kuh das neue Stadlthor.”

„Schau, Mutterl, da verſtehſt dur nir davon,“ war Pauli ruhige Antwort.

„Bär net aus!” fuhr Traudl auf und fchlug in komiſchem Entjegen die Hände zufammen. „Und wann ich auch wirklich jegt nie mehr davon ver— ſtünd, jo hab ich doc einmal was davon ver: ftanden, jonft wärft du net da. Und das wird jest nod) grad ſo fein, wie zır meiner Zeit. Da wird wohl der Teufel net auch fein’ Fortichritt neim’bracht haben!”

Traudl Hatte fi) in wirklich ernſte Hitze hineingeredet, jo daß Pauli es für geraten fand, twieder ein wenig einzulenfen. „Greifer dich net,“ jagte er und nahın fchmeichelnd ihren Kopf zwi— ichen beide Hände, „ich weiß ja doch, daß du's gut meinst mit mir, und dein Beten wird wohl fiir was gut a’wejen ſein!“

„Das will ich Hoffen!” lachte Traudl. Sie

Der Herrgottfhniger von Ammergau. 55

war bejänftigt, und um ihre Augen jpielten wies der die Fältchen ihres gewohnten, freundlichen Lächelns. „Brauchit aber net 3’ glauben, daß id) grad für dich allein ’bet’ hab. Wann ich einmal nah Ettal geh, jo Hab idy gar viel am Herzen, ja! Da bet ih für die Armen und Unglüd- lihen ... .“

„Bergelt dir’3 Gott!“ brummte Lehnl.

„Was denn?” fragte Traudl erſtaunt.

„Daß du aud an mich "denkt haft.“

„An dich? Ja g’hörft demm du zu Die Un— glücklichen 2”

„Sch werd wohl dazu g’hören, wann ich Die ganze Zeit dein dalkets G’ihwag anhören muß.“ Lehnls Gefiht wurde ernit, und fein Ton hart. „Wie kann man mur an den eigenen leiblichen Sohn jo ung'ſchickt hinreden. Kannſt es ihm denn verargen, wenn er ins Deandl verſchoſſen is? Schau's nur grad an, wenn ſie 's Köpferl ſo aufwirft und ſo lieblich dreinſchaut mit ihre Haſelnußaugen, da meinſt ſchon, 's Hirn wird dir ſiedet. Dabei hat j’ ein ſeelenguts Herz und i3 lieb und freundlich mit jeden: Menjchen, mit einer einzigen Ausnahm vielleicht. Siehſt, das

56 Der Herrgottfhniger von Ammergau. Madl kommt mir vor wie D»’ Sonn; die fcheint auch underdroiien auf Rojen wie auf Brennefjeln.”

Lehnl jchwieg, und ungeduldig trippelte Traudl bon einem Fenſter zum andern, zupfte an den Vorhängen, zucte mit den Achjeln und verzog die Mundwinkel. „No ja!“ brummte fie. „Aber jagen braucht man’3 net, am allerwenigjten vor mei'm Pauli; da käm's am End grad jo raus, al3 ob er mit feiner Dummheit im Recht wär. Und das geht ja doch net an.”

Während diefer Reden jaß Bauli am Tiſch mit einer Miene, als ob die Sache weiß Gott wen anginge, nur ihn nicht. Einzig und allein jeine Finger, die an dem Umjchlagpapier des neuen Herrgott3 erregt unherfnitterten, ließen vermuten, daß die gehörten Worte bei ihm doch tiefer gingen, als e3 oberflächlich betrachtet den Anjchein Hatte. Kaum war das legte Wort aus Traudl3 Munde, jo ftand er auf, nahm jein Schnigwerf unter den Arm, den Hut in die Hand und jagte:

„sch meinet, e8 wär an der Zeit, daß ich dem Wirt jein’ Herrgott nüber traget; könnt jonft leicht noch was dran paflieren. Und wenn ich dir gut vaten kann, Mutterl, jo gehit mit und

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er

is

trintft eine Maß Bier mit mir. Der Weg von Ettal daher und die Plag mit mei'm Stüberl wird dich wohl durftig g’macht haben. Und eine Stärkung für den Heimweg brauchſt auch!”

—— Yen m. Traudl brummte etwas vor ſich Hin, was nötigenfall3 in jeder brauchbaren Weije gedeutet werden konnte, jegte ihre Belzhaube auf und griff nad) Gebetbuch und Negenjchirn, ihren beiden

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dem Iren N rileNz Nez, 52:

„Maß. ger weiter! Derz S0e25 er Sraben- und Dauerdede zu) Fe Ir NINE underen über Die Struse ind Wirtede

ES ging u zu Außer zwei Dandiwertiburiben, die am Tit meden der Thüre ſchweigend idren Vittern trafen, wur Auton Höfl- meier der einzige Salt ſeines eigenen Wirtsbauĩes. Der graulöpfige Alte ſaß amt ‚yeniter, eine dide Hornbrille auf der Naſe, und wur eifrig bemüht, die Lektüre jeiner Zeitung noch zu Ende zu bringen, bevor die allmäblib anbresbende Timmerung ihm das Lejen verbieten würde Als er die Tbüre gehen hörte und eintretende Schritte vernahm, bob

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Der Herrgottfchniger von Ammergau.

14 *

Guten Abend

58 Der Herrgottihniger von Ammergau. Wallfahrtsinſignien. Auch Lehnl erhob ſich lang— jam, ftopfte mit dem Daumen in feiner Pfeife die Aſche nieder und ſagte zu Pauli:

„Ro, der Weg von dei'm Häusl ins Wirts— haus macht dic) auch net mid. Fünf Schritt über d’Straß nüber, und drin bift. Der Huber: bauer hätt dir net fommoder herbauen können!“

„Meinſt?“ Das war Paulis ganze Antwort. Sr trat unter die Thüre, welche Traudl offen ge: laſſen Hatte, hielt die Klinke in der Hand und rief dem immer noch weilenden Lehnl zu:

„Dach, geh weiter!" Dann jchloß er Stuben- und Hausthüre und folgte den beiden anderen über die Straße ins Wirtshaus.

Es ging da ziemlich) ruhig zu. Außer zwei Handwerföburfchen, die am Tiſch neben der Thüre ſchweigend ihren Bittern tranfen, war Anton Höfl- meier der einzige Gaſt jeines eigenen Wirtshauſes. Der grauföpfige Alte ja am Fenſter, eine Dice Horndrille auf der Naje, und war eifrig bemüht, die Lektüre feiner Zeitung noch zu Ende zu bringen, bevor die allmählich anbrechende Dämmerung ihm das Lejen verbieten würde. Als er die Thüre gehen hörte und eintretende Schritte vernahm, hob

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„Guten Abend !"

60 Der Herrgottichniger von Ammergau.

er kaum den Kopf, knurrte nur ein halbverjtänd: lihes „Guten Abend!“ und las eifrig weiter. Erjt als ihm Pauli zurief: „Du, Wirt, da bring ich dir dein’ Herrgott!“, blickte er auf, ſchielte über jeine Brille weg auf die Ankömmlinge, legte, al? er fie erfannte, vajch Glas und Zeitung beijeite und jagte:

„IH, das laß ich mir g’fallen, daß du jo bald Wort Haltft. Sch jag’3 halt allweil, auf den Pauli kannſt dich verlaffen. Und dein’ Mutter bringft auch gleich mit! Grüß dich Gott, Traudl!“

Die Alte ergriff die dargebotene Hand des Wirtes. „Haft Schon recht, daß mir jo ein’ Freund: lihen Gruß bieteft. Könnt leicht fein, daß ich mir ihn heut im Ettal verdient hab mit ei’m halben Nojenkranz, den ich für dein’ Schwarze Wirtsjeel 'bet' hab.”

Der Wirt lachte, denn er wußte, wie das gemeint war, und wandte fih zu Pauli, der in: zwijchen jeinen Herrgott ausgepacdt Hatte.

Schon beim eriten Blick nidte der Wirt befriedigt vor fih hin. Er nahm das Schnitz— werk in Empfang, wandte e3 betrachtend ein paar: mal Hin und her und jagte:

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 61

„Schön haft dein Sad wieder g’madt! Bin recht z’frieden! Und was is nachher mein’ Schul: digkeit 2”

„Das fteht bei dir!” gab Pauli zur Antwort. „Zahl, was du magft! Und wenn gar nir her: giebt, nachher is auch recht!“

„Jetzt das giebt’3 net!” meinte der Wirt, „Da jeß dich nieder; das andere werden wir nad): her jchon friegen. He! Nest! Wo ftedt denn das Deandl wieder?“

Die Thüre, die nad) der Kiiche führte, wurde heftig aufgeriffen, und die gerufene Kellnerin fuhr in die Stube:

„Bo brennt’3 denn? Da möcht man jchon glauben, d'Stuben wär voller Leut.“

„Dem Bauli ſchänk eine Maß ein!”

Das Mädchen ging zum Schänkkaſten, nahm einen Krug Heraus und brummte: „Das hätt doch net jo preſſiert. Es is noch niemand ver: durſt' bei und!”

„Sei net fo g'ſchnappig,“ rief ihr der Wirt nach, ala fie der Thüre zujchritt, „und thu, was ih dir ſag.“

„Halt, Rest! Nimm mir aud) gleich eine Halbe

62 Der Herrgotifchniger von Ammergau.

mit!” erklang vom Hausflur her eine tiefe Baß— ftimme, und der, dem fie gehörte, erichien auch gleich darauf unter der Thüre.

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3.

Kine gedrungene, faſt ans Storpulente jtreis fende Figur, angethan mit grauer Hoſe und einer dicken, gleichfarbigen Zodenjoppe, deren einft grüner Beſatz ſich in der Farbe bereit3 einem zweifelhaften Gelb näherte. Vom Gejicht jah man nur die breite Stirn und die ein wenig über die Broportion hinausgehende Naſe, welche allem Anſcheine nad) von manchem geleerten Krug und von manch einem ausgejchlürften Weinglas hätte erzählen fönnen; zwei Eleine freundliche Augen waren von buſchigen Brauen überjchattet, während die ganze untere Hälfte des Gefichtes von einem

64 Der Herrgottichniger von Ammergau.

dichten, bräunlichroten Barte verhüllt war, der faft bi3 zur Mitte der Bruft reichte. Bon etwas dunflerer Farbe wie der Bart war das furzge- Ihorene, ftruppig abjtehende Kopfhaar. In der einen Hand hielt der Eintretende den eben abge- nommenen, breitfrempigen Filzhut und in der andern Hand, zu einem Pak zujammengebunden, alle jene Dinge, welche die befannte Ausrüstung de3 Malers in der Sommerfrifche bilden. Diejer Mann war Frig Baumiller, Landichaftsntaler aus München (dort geboren, gebildet und fünfzig Jahre alt geworden), jeit mehr al3 zwanzig Jahren ftändiger Sommergaft des Ammerthales, der Broteftor von Baulis Talent.

Er begrüßte die Anmwejenden, bejonders herz— lich jeinen Liebling, den Herrgottichniger, legte jeine Sahen ab und nahm am gleichen Zijche PBlag, an welchem Pauli mit jeiner Mutter ſaß. Nest trat ein und brachte ihm fein Stammkrügl.

„hu mir Beicheid, Nest!” jagte Baumiller, der fich eben eine Gigarre anzündete. Das Mädchen nippte und jegte den Krug mit einem gewohnheits— mäßigen „G'ſegn's Gott!” wieder nieder. Dann ſchob fie mit einem fräftigen Ruck Bauli den an—

Der Herrgotifchniger von Ammergau. 65

dern Krug über den Tiſch zu: „Da... du... haſt dein Bier!“

„Wie fteht’3 nachher mit dem Eſſen, Madl?“ fragte der Maler. „Ich hab ein’ kannibaliichen Hunger.“

„Moosjchnepfen find da, d'Loni macht j’ grad z'recht. Wann ſ' fertig find, bring ich ſ', gelt!“ Dabei Elopfte das Mädchen den Maler auf die breite Schulter mit einer Gönnermiene, als ob fie Königreiche zu vergeben hätte.

Resl ging, und Baumiller wandte ſich zu Pauli: „Du, Pauli, demnächſt mußt du mic am Sonnenberg naufführen. Das is der einzige Punkt in der ganzen Gegend, von wo ich noch net runterg’ichaut hab.“

„Wiſſen ©’ was,” gab Pauli zur Antwort, „Sie haben doch allweil Zeit; gehen wir gleid) übermorgen! Übermorgen is Sonntag, und da kann ich morgen mein Häusl vollends z'ſamm'richten und nachher am Montag mit dem Huberbauer feiner Arbeit anfangen. Mein’ Herrgott Hab ih auch fertig, und jo können S’ mid) jede Stund haben.”

„38 recht. Aljo übermorgen! Aber... wo

i3 denn der neue Herrgott ?* Ganghofer, Bergluft. 5

66 Der Herrgottichniger von Ammergau.

Geſchäftig holte der Wirt das Kruzifix herbei.

Je mehr es der Maler betrachtete, jo mehr wuchs auch jeine Freude und jein Erftaunen. „Das Haft du g'macht, Pauli!” rief er endlich aus.

„Es is fast net zum glauben! Sag einmal, Bub, wo haft denn du das her?“

Eben al3 Baumiller das Kruzifir in die Hand genommen hatte, war Lehnl aus der Küche in die Stube getreten, mit einem halben Dugend Fliegen: ruten in der Hand, die er in die einzelnen Fenſter— niſchen vertheilte.

„Er is ein Ammergauer,” warf er auf den Ausruf des Maler ein, „und in Ammergau

Der Herrgottichniger von Ammergau. 67

fommen die Buben jchon ala Hergottichniger auf d'Welt.“

„Sünd und ſchad is,“ eiferte Baumiller, „Sünd und ſchad, wann du mir net folgſt und mit mir net in d'Stadt gehſt, um dich ausbilden z'laſſen! Schau nur einereinmaldie Stellungvon der Mutter: gottes an! Wie ſchön und jauber die ArmerIn g’macht find... ein wahres Rätſel, wie du das anftellit !“

„Ro mein, ein Rätjel i8 das grad net!” jagte Bauli, welcher eines von Baumillers Skizzenbüchern ergriffen hatte und darin blätterte. „Haben ©’ net allweil g’jagt, ich joll mich fleißig üben? Ich Hab lang g’nug dran rumprobiert, bis ich’3 jo z'ſamm— 'bracht hab.”

„Aber du mußt doch ein Modell, ein Vorbild g'habt haben!“ wandte der Maler ein.

„Ein Vorbild? Du mein, ih hab mir halt d'Loni vorg’stellt, wie ſ' jo dafteht und mit zwei Händ den Millifübel am Kopf hebt.“

„Sp, nah dem Modell arbeiteft du?“ lachte Baumiller. „Drum Haft du auch das G'ſſichtl fo fein rausg'ſchnitten.“

Lehnl war inzwijchen auch herbeigetreten und blidte nun dem Maler über die Schulter.

68 Der Herrgoltſchnitzer von Ammergau.

„Meiner Seel,“ rief er plötzlich aus, mit einer Erregung, die dem Alten ſeltſam zu Geſichte ſtand, „meiner Seel, das is ja d'Loni, wie ſ' leibt und lebt.“

„Weiß Gott, Lehnl, du haſt recht!“ Dabei raunte der Maler mit ein paar langen Schritten zur Küchenthür und rief hinaus:

„Loni, Loni, komm 'rein, g'ſchwind!“

„Seids ſo gut, machts mir mein Deandl auch noch rebelliſch!“ polterte der Wirt.

Man hörte von draußen ein Raſſeln, wie wenn ein eiſernes Geſchirr über die Feuerringe eines Herdes gezogen wird; leichte, ſchnelle Tritte näherten ſich über die Steinplatten und unter die von Baumiller geöffnete Thüre trat ein junges Mädchen von etwa dreiundzwanzig Jahren: die Loni.

Man ſah es ihr an, daß ſie vom Herde kam, denn noch trug ſie die breite, blaue Küchenſchürze umgebunden, deren rechter Zipfel an der Seite aufgeſteckt war, wodurch gerade noch das kurze Röckchen ſichtbar wurde, welches die gleiche Farbe zeigte, wie das weiß und rot karierte Leibchen, das ſich, die vollen Formen der Büſte eng um— ſpannend, über das kurze, ſchwarze Miederchen

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 69 hervorhob. An den Händen mochte das Mädchen wohl noch die Spuren der eben verlaffenen Be— ihäftigung tragen, denn fie hielt die bloßen, runden Arme mit den faft fofett geipreizten Fingern jeitab vom Leibe, jo daß e3 dem Auge gejtattet war, mit einem einzigen Bli die weichen, ebenmäßigen Linien diefer für ein Bauernmädchen beinahe zu zierlihen Geftalt ungehindert zu umſpannen. Aus den Schultern hob ſich ein Köpfchen, das leicht zur Seite geneigt war, wie unter der Laſt der diden, braunen Flechten, die ummvanden. Die Hite des Herdes hatte eine dunkle Nöte über das reizende Geficht gehaucht, aus welchem zwei glän— zende, braune Augen lachten, von dichten Wimpern umrahmt und überjpannt von feinen, faft Schwarzen Branen, zwiſchen welchen auf der Stirne ein Heiner, ſenkrechter Faltenzug fichtbar wurde, der eigentlich zu dieſem frijchen, lebensfrohen Antlige wenig paſſen wollte. |

„Bas giebt's?“ rief das Mädchen dem Maler zu. „Die Schnepfen find noch net fertig.”

„Die preffieren auch net! Aber da geh einmal her! Geh nur her.” Dabei faßte er Loni, Die ganz verwundert dreinſchaute und mit der Schürze

70 Der Herrgottihniger von Ammergau.

die Hände trodnete, beim Arm und zog fie nad) der Mitte der Stube.

„Was mwollt3 denn?“ fragte da3 Mädchen, inden es twiderftrebend folgte.

„So geh nur grad her und paß auf!“ Da: mit poftierte der Maler Loni vor einen Tiſch und ließ fie Die Arme erheben in gleicher Art, wie die Maria unter dem Kreuze. Loni, die nicht wußte, wo das hinaus jollte, wollte eine Einwendung machen und die Arme finfen laſſen.

„Ob du gleich ſtehn bleibft!” fuhr fie der Maler an, trat einige Schritte zurüd und blidte mit lebhaften Erftaunen und mit leifen Ausrufen der Berwunderung vom Schnigwerf auf dad Mäd- chen und vom Mädchen wieder auf das Schnigwerf.

Lehnl ftand neben Baumiller, und mit leuch- tenden Blicken fchaute er auf Loni. „Wie g’jagt, die ganze Muttergottes, auf und nieder !*

„aber... wie fanı man denn jo ein’ Ver⸗ gleich anſtellen!“ zürnte Loni und ließ die Arme ſinken. „Das is ja Sünd!“

„Aber ſo bleib doch!“ rief Baumiller.

„Ich mag net, das is mir zZ’ dumm!” gab das Mädchen zurück und wandte fich zur Küchenthüre.

71

Der Herrgottfchniger von Ammergau.

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„Die ganze Muttergotted, auf und nieder!”

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Digitizec

72 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„No, jo Schau einmal jelber!” rief der Maler und hielt dem Mädchen das Kruzifix entgegen. „Schau nur grad das Gfichtl von der Mutter: gottes an!“

Lonikehrte zurück; die Hände Hinter dem Rüden verichlungen, jtand fie neben Baumiller und betrad)- tete die Schnigerei. Mit den erften Blick erfannte jie die Ähnlichkeit, und ein fpöttifches Lächeln huſchte um ihre Mundmwinfel, während fie, ohne das Köpfchen um eine Linie zu heben, nad Pauli hinüberſchielte. Dann warf fie die Lippen auf, ihaute dem Maler ins Geficht und fragte mit einem geringichägenden Tone, der wie ein Meſſer in Paulis Herz fchnitt: „Wer hat denn das g'macht?“

„Wie magſt noch fragen?“ lautete die etwas ärgerliche Antwort des Malers. „Is denn im ganzen Gebirg einer, der ſo was fertig brächt, wenn net der Pauli!“

Loni machte einen haſtigen Schritt gegen den Burſchen. „Eigentlich hätt ich mir denken können, daß ſonſt kei'm ſo was Dummes einfallt, als dir.”

Pauli wurde blaß und rot. Wenn ihm aber auch die Erregung ſeines Innern vom Geſichte

Der Herrgottihniger von Ammergau. 73 abzulejen war, jo merkte man doch nichts davon in feiner Stimme und in feinen Worten. „No, 10... das wird jeßt doch wohl fein jo gar arges Unglüd fein! Sch Hab mir halt ’denft.. .“

„Weißt, was ich mir denk?“ unterbrach ihn das Mädchen heftig. „ES könnt dir was G'ſcheideres in Sinn kommen, als daß du allweil mich drin haft ... ih brauch mid net von dir ausichnigeln zlajjien!” Dabei drehte fie A ihm den Rücken, jchritt ER auf den Schänktajten PR zu umd 14 fniete vor demſel⸗ ben nieder, a | um aus einem der unteren Fächer die für das Abend- eſſen Baumillers nötigen Teller hervorzunehmen.

„Wann ih g’wußt hätt, daß dir's net recht wär,” vief ihr Pauli nach, „oder wann ich mir hätt denken können, daß dic die Sach gar jo viel

74 Der Herrgottihniger von Ammergau.

verſchmachen thät, naher hätt ich's eh net an— g'fangt! Geh zu, Wirt,“ wandte er jih an den Bater des Mädchens, „Ichieb halt den Herrgott in Ofen nein... ich mad dir ein’ andern!“

„Was dir net einfallt!* Tautete die brummige Antwort. „Der Herrgott fommt da ins Ed nauf, und ſonſt fein anderer!“

„Das will ih auch hoffen,” warf Baumiller ein, „denn der Chriſtus da, das 18 ein Meeifterftüd von Schnitzerei!“

Loni erhob fih und jtieß die ausgejuchten Teller auf die Platte des Schänkkaſtens, daß fie laut erklirrten. „Ein Meifterjtück!* fichertefie. „Daß id) net lach’ !*

Bauli hatte fid) wieder zu feiner Mutter, welche ihweigend, aber mit unverhehltem Ärger dieje ganze Scene angehört, an den Tijch gejegt, der unweit vom Scänffaften ftand. Nun neigte er jich über die Banklehne gegen dad Mädchen und jagte:

„Wenn jchon dein’ Üübermut auslaffen wilft an mir, fo thu's in Gottesnamen! Aber jchau, Loni ... es könnt vielleicht doch einmal eine Zeit fommen, wo's dich reut!“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 75

„Eine jolhe Zeit? Na! Da müßteft du z'erſt ein ander Mannsbild werden ... ſonſt erlebit e3 jchwerlich !”

„Müßts ihr zwei jegt allweil wie Hund und Rat fein?” fuhr der Wirt dazwiichen.

„seßt ich beiß doch g’wiß net!” meinte Bauli mit bitterm Lächeln.

Loni lachte hell auf zu diefen Worten. „Das muß wahr fein, denn zum Beißen g’hört vor allem eine Schneid ... und das Wörtl fteht in dei’m Katechismus net!" Mit einem energiihen Ruck 309 fie die Teller vom Schänffaften und wandte jih zu Baumiller: „Gehen S' zu, Herr Friß, fommen ©’ zu mir raus in die Kuchl... Ihnen Ihr Eifen könnt leicht ein’ faden Beig'ſchmack friegen, wenn ich’3 da ’rein traget.” Sie ging zur Thür, und kopfichüttelnd folgte ihr der Maler. Bevor er die Stube verließ, wandte er fich noch: mal? zurüd und rief Pauli zu:

„Gelt, vergiß net, daß mich übermorgen früh abholft zu unſerer Partie auf den Sonnenberg.“

Pauli hatte feine Antwort mehr; er nickte nur mit dem Sopfe.

Traudl griff nad) Gebetbuch und Regenſchirm.

76 Der Herrgottfäniser von Ammergat.

„Es is ein Glüd, wenn wieder einmalauf ein’ Berg naufkommſt,“ murmelte fie in Bauli hinein, „nach: her £riegit doch twieder ein’ andern Gedanfen. Der ewige Daunderlaun führt doch zu mir. Hint und vorn halt dih 's Deandl für ein’ Narren und macht dich vor alle Leut ſpöttiſch.“ Die Alte ſtand auf und ftrih Rod und Schürze glatt. „Sie meint’3 net ſo!“ jagte Pauli begütigend. „Jeſſes, jeſſes!“ Klatjchend flog das Gebet: buch auf den Tiih, um fofort von Traudl mit heiliger Scheu wieder aufgenommen und zur Sühne für dieje Unbill an die Lippen gedrücdt zu werden. „Sie meint's net jo! Da möcht ich mid) doch gleich bucklig lachen. 38 dir das noch net g'nug?“ Zu bejjerem Nachdrude ftieß fie ihrem Sohn mit jedem betonten Worte den Knauf des Regenichirmes auf den Arm. „Willit noch mehr Schand und Spott auf dich bringen? Wenn du g’jcheid bift, jo gehit jegt mit mir und laßt den Findling gehn, von dem man net einmal weiß, ob er ein’ Vater oder eine Mutter g'habt hat! Mach zu! Geh weiter!” Ohne ein Wort der Erwiderung erhob ſich Pauli, nahm feinen Hut, nicte dem Wirt umd Lehnl einen kurzen Gruß zu und folgte feiner

Der Herrgottſchnitzer von Ammergau. 77

Mutter. Als er aus dem Flur ins Freie treten wollte, fühlte er jih am Arm zurüdgehalten. Es war der alte Lehnl, der ihm ins Ohr flüfterte: „Sie is ein Madl! Laß dich’3 net verdrießen, Pauli!“ „Das wär ein Kunſtſtück, Lehnl.“ „Freilich wohl, aber du bringſt es fertig!“ Es war ein feſter Händedruck, mit welchem die beiden ſchieden.

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Spät in der Nacht war Pauli erit zurückge— £ehrt ; denn bis zu den eriten Häujern von Ammergau hatte er jeiner Mutter aufihrem Heimweg das Geleit gegeben und war danı den Rückweg, den man bei gutem Marſche jchwer in einer Stunde zurüclegt, jo langjam Schritt für Schritt einhergewandert.

In feiner neuen Wohnung angelangt, Hatte er ſich müde gefühlt, und dennoch hatte er die ganze Nacht fein Auge zu jchließen vermodht. Bor dem Tage war er jchon wieder auf den Beinen gewejen und hatte dann die ganzen

Der Herrgottfchniger von Ammergan. 79

Morgenſtunden mit der Einrichtung feiner Werk: jtätte verbradt.

Nun war e3 elf Uhr mittags.

Drüben im Wirtöhaufe ftand Zoni vor einem Tiiche, über welchen Lehnl eben ein großes Leinen— tuch dedte. Auf ihrem linken Arme hielt jie ein längliches Körbchen, und unmutig warf fie die Meſſer und Gabeln durcheinander, die es barg, weil fie immer nicht das richtige, das heikt, das ichlechtefte Baar finden konnte.

Un dem Tijche, der hier gededt wurde, und

mit dem Beſtecke, das Loni zufammenjuchte, jollte Pauli fein Mittageffen einnehmen. Er hatte fich durch Zehn, der am Morgen auf ein paar Minuten zu ihm hinübergefommen war, für die folgenden Wochen als Mittagsgaft anmelden laſſen. Sao war Loni jetzt mit Beihilfe Lehnls be: ſchäftigt, ihm das erſte „Gedeck“ zurecht zu legen: einen irdenen Teller, auf der einen Seite einen Blechlöffel und auf der andern Meſſer und Gabel, die Loni eben jetzt dazulegte, eine Mühe, welche ſie mit den Worten begleitete:

„Das G'ſchäft freut mich ſchon recht, ich muß ſagen!“

80 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„Sa Zonerl, was macht denn!“ rief Lehnl. „Schau nur grad die Gabel an! Die hat ja frumme Zinken.“

„Bann die Gabel dem gnädigen Herrn, der damit eſſen joll, net vecht iS, nachher joll er wo— hin gehen, wo er eine goldne friegt. Verſtanden!“

Lehnl tete die Zinken der Gabel, einen nad) dem andern, in das Tiſchholz und bog fie gerade, „sa, ja! Recht nett!” brummmte er dazu. „Weil dir dem braven Burjchen fein G'ſicht net g’fallt, jest muß am End gar jein armer Magen das entgelten.“

„Sein G'ſicht?“ erwiderte das Mädchen un— geduldig. „Der ganze Menſch g’fallt mir net!“

„Wenn's ſchon jo id... gut! Es aber das nod lang fein Grund, daß man mit ei'm Menichen jo umfpringt, wie du mit dem Pauli. Sch jag dir's, Deandl, du hättſt e3 met thun jollen, daß du ihn geitern jo abg’ichnalzt Haft.“

„sa, aber jag einmal felber ... .“ dabei fegte ont das Körbchen auf den Tiſch und jchlug die Hände ineinander, „jag einmal jelber! Is das net ein Mannsbild wie von lauter Semmelbröjel? Ein andrer hätt fi halt g’wehrt und hätt g’jagt:

Der Herrgottichniger von Ammergau. 81

Ich kann meine Muttergotteſer ſchnitzeln, wie ich mag, und dich geht's nix an! Was hat er aber raus'dalkt? Ich mad) dir halt ein’ andern!“ Es war ein häßliher Mund, den das Mädchen zog, um dieſe Worte in möglidit langweiligen Tone vorzubringen. Nun fiel ihre flache Hand jchwer auf die Tijchplatte nieder. „Is das ein’ Antwort für ein’ Buben? Und dann braucht’3 es halt doc) net, daß er grad mich zu jo was hernimmt.“

„Ro wart nur,” drohte Lehnl, „er thut dir ihon noch einmal was an. Z'nächſt fchnigelt er dein Teufel jein’ Großmutter, und nachher nimmt er auch dich zum Muſter.“

Loni trug eben das Körbchen nad) dem Schänf: fajten. Auf halbem Wege blieb fie jtehen, wandte das Geficht zu Lehnl zurüd und jagte, während ein eigentümlich ftolzes und ſelbſtbewußtes Lächeln ihre Lippen umſpielte: „Na, Lehnl, das thut der Pauli doch net!“

„Meinſt leicht, er hat dich alles z'viel gern dazu, gelt?“

„Könnt ſchon ſein!“ Im gleichen Augenblick, in welchem Loni das ſagte, hörte ſie Tritte vom

Flur. Mit ein paar eiligen Schritten verſchwand Ganghofer, Bergluft. 6

82 Der Hergottichniger von Ammergau.

das Mädchen nn in der Küchenthüre, und faum hatte jie diejelbe hinter ſich geichlofjen, als Pauli eintrat. Er grüßte den alten Lehnl, der ihm forichend ins Geficht jah, mit einem freundlichen, aber kurzen Worte. Zu einem Geſpräch war Pauli nicht ſonderlich aufgelegt. Ruhig Hörte er die Dinge au, die ihm Lehnl zu erzählen wußte, und bejchäftigte fi) dabei mit jeiner Suppe, die ihm Resl gleich nach feinem Eintritt gebracht hatte.

„Seh, der Bachbauer!“ unterbrad) ſich Lehnl, der einen zufälligen Blick durch das Feniter geworfen hatte. „Was will denn der um Die jeßige Zeit im Wirtshaus, und gar im Sonne tagsitaat? Da muß ja was ganz B'ſonders (03 ſein!“

Der Herrgottichniger von Ammergau. 83

Der Gait trat ein. Vom grünen, mit goldenen Schnüren umwundenen Filzhut bis hin— unter zu den Schnallenfchuhen war er das Pro: totyp eines reichen Hofbauern.

Unter der Thüre blieb er ftehen und ftieß den Stod auf die Schwelle. „Sreuziaren, da herin i3 ja jo ftad, als ob eins rausg’storben wär!“ Dann trat er in die Stube. „Grüß did Gott, Bauli! Was haft denn? Machſt ja ein’ Kopf, ala ob dir der Bader Zähn g’riifen hätt!“

„Jetzt jo was ließ ich mir halt doch net g'fallen!“ war die Antwort des Burſchen.

„Und du, Qehnl, was treibft denn du allweil?* wandte fic) der Bauer an den Alten.

„liegen fangen, damit ſ' fein’ Bauern ſtechen!“

„Sin vecht mildthätiges G'ſchäft, ich muß jagen! Aber wo is denn der Höflmaier, der Wirt? Ich hab was mit ihm ins reine z’bringen.“

„Seh nur dort nein ins Nebenftüberl, da is er drin,” gab Lehnl zur Antwort, und der Bachbauer folgte nach einem Wort des Dankes diejer Weifung.

Der Alte jah nod immer nad) der Thüre, die ſich Längft hinter dem Bauern gejchlofjen hatte ; nun wandte er ich langſam zu Pauli:

84 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„Du... Bauli... id glaub, der Bad): bauer iS auf B'ſchau da... wegen ſei'm Muckl und wegen der Loni.”

Pauli erblaßte, und der Krug, den er eben vom Munde führte, zitterte in feiner Hand, als er ihn auf den Tiſch jekte.

Nicht lange währte es, fo ſteckte der Wirt den Kopf zur Thüre heraus und rief Zehn! zu:

„Seh, jag der Loni, fie ſoll ein bißl da rein— fommen.”

Mit einem bedeutungsvollen Blick auf Bauli erhob jich der Alte und ging nad) der Küche. ALS er mit dem Mädchen in die Stube zurücdkehrte, ichritt Zoni mit einem furzen Gruß an Bauli vorüber.

Vor der Thür zum Nebenftübchen faßte Lehnl da3 Mädchen beim Arm und flüfterte:

„Zonerl, ich glaub, der Bachbauer hat um dic) ang’halten für fein’ Muck. Aber ich bitt dich... thu's net... thu’3 net, wann du ihn net magſt.“

Loni Elopfte den Alten lächelnd auf Die Wange und trat in das Stübchen.

Raſch fette Lehn! den Fuß au die Schwelle, jo daß die Thüre fich nicht jchließen konnte.

Der Herrgottfhniger von Ammergau. 85

„Was ſoll's, Vater?” Hang Zonis Stimme.

„Beicheid fjollit geben, der Rötelbachbauer will dic) ala Schwieger.“

„Mich?“ Und hellauf hörte man das Mädchen lachen.

„Sa... wenn's Dich gar jo freut,“ hörten die beiden in der Stube nun den Bachbauer jagen, „dann freut’3 ja mic) auch! Nachher wird’3 auch weiter fein’ Anftand Haben, und ich frag glei: wann is Hochzeit?”

„Ab jo... jetzt hab ich allweil noch g’meint, e3 is G'ſpaß. Scheint mir aber nimmer, und drum muß ich auch wohl ernitlich werden. Alſo kurz und gut... Euer Antrag is mir eine große Chr, und der Muckl i3 auch ganz ein richtiger Burſch, aber... . heiraten thu ich ihn net.“

Ein vergrügtes Lächeln flog über Lehnls Antlig, als er das hörte, und leije jchnalzte er mit den Fingern.

Inzwiſchen ſaß Bauli regungslos am Tijche, ftarıte, den Kopf in beide Hände geftügt, auf den Teller nieder und ließ das Eſſen unberührt erkalten.

„Jetzt will ich dir aber was jagen, Deandh!“

86 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

lang die Stimme von Lonis Pflegevater aus der Nebenſtube. „E3 iS net ’3 erjtemal, daß du gar jo furz am’bunden bift. Das kann net allweil fo fortgehen. Ei'm Antrag, wie dem heutigen, dem jchlagt man net grad jo die Thür vor der Naſen zu. Denn weißt, wenn du die Sad) bei'm Licht betrachteſt, jo hat die G'ſchicht Halt doch ein’ Haken. Du bift ein Madl, das jedermann gern hat, und du wirft weder von mir, nod) von meiner Alten jelig jemals ein ungutes Wörtl g’hört haben wegen deiner Herkunft. Aber es giebt halt doch Leut, die’3 net verwinden fönnen, daß du einmal in einer Nacht vor jo und ſoviel Sahr vor unjer Thür g’legt worden bift. Drum jollit dir jo was überlegen und did) net z'ſtark drauf fteifen, daß du dem Wirt fein Herzkäferl biſt . . . es könnt jich leicht feiner mehr finden, der ſich drüber wegſetzt über den Namen „Findl- loni“!“

„Ja, überleg dir's wohl!“ fiel der Bachbauer ein. „Ich kann mei'm Muckl ſo viel mitgeben, daß die Madln mit zwei Händ zugreifen thäten in jedem Bauernhof, wo er anklopft.“

„Sut, Bater,” Hang Lonis erregte Stimme,

Der Herrgottfchniger von Ammergan. 87

„gut... und wenn auch feiner mehr kommt ... ledig g’ftorben 13 auch net verdorben! Zugreifen und Sa jagen kann ich bloß, wenn fich einmal da unterm Bruftflek was rührt; denn folang’3 da drin tot bleibt, eine Heirat fein Glück, ſondern ein G'ſchäft .. . und eine Heirat, die nach dem alten Brauch g’macht wird, wo der Bauer zum Bauer jagt: gieb mir dein Madl, ich gieb dir noch fünf: zig Gulden und eine Kuhdrauf.... eine jolche Heirat fann machen, wer mag... ih net... und id) thu's net... vielleicht grad, weil ich ein Findl— find bin.“

Raſche Tritte näherten fich von innen her der. Thüre, und Loni trat heraus, jo ruhig, als hätte der Vater jie gefragt, ob das am Morgen angezapfte Faß ſchon zu Ende gelaufen wäre. Drinnen hörte man den Wirt noch jagen:

„sa mein, Bachbauer ... .. warn 's Deandl net mag . . . zwingen fann ich’3 net!“

Nun kamen auch die beiden Männer in die Stube. Im gleichen Augenblick wurde Die Thüre, die nach dem Flur führte, von außen aufgeftoßgen, und Mudl trat ein. Es war eine fraftvolle, jtämmige Geſtalt mit einem

88 Der Herrgottfchniger von Aınmergan.

Geficht, dem der fee Übermut aus den Augen bligte.

„Ro, was is denn?” vief er, indem er den Hut aufs Ohr rüdte. „Set wär ih da beim Dafein! Braucht das jo lang, bis man Ja jagt? Derweil mad ich zehn Heiraten aus.“

„'s geht doch net jo g'ſchwind, ala du meinit!“ gab ihm fein Bater ein wenig fleinmütig zur Antwort.

„Wär net z'wider! Zoni... „na“ wenn g’jagt haft, nachher beiß ich mir gleich mein’ Kopf runter. Bin ich net ein Kerl, der den Teufel in der Luft beutelt? Was haft denn ausz’jegen an mir?“

Loni Stand am Schänkkaſten und ftellte die friichgepugten Gläfer in die Fächer. „Gar nie... aber heiraten thu ich dich net!” Sie hatte nicht einmal das Gefiht nach dem Burjchen gedreht, als fie das jagte.

„Und warum net?” fragte Muckl umd trat an ihre Seite.

„Ich mag net. Verſtehſt? Das wird wohl Grund g'nug fein!“

„38 net z'wenig,“ lachte der Burfche, „aber z'dumm is er mir doh!... War aljo das wirklich 's legte Wörtl in der Sad?“

Der Herrgottichniger von Aınmergan. 89

„Wenn du's net glauben willſt,“ fiel Lonis Vater ein, „nachher mußt halt ins Waſſer gehen, daß dich die Krebſen freſſen!“

„Fallt mir ein! Für Krebsfutter bin ich mir doch z'gut. Ich denk mir halt:

Ein richtiger Bub

Bleibt niemals net hint, Denn ein' andere Mutter Hat auch ein liebs Kind!“

Ein heller Jauchzer reihte ſich an das Schnaderhüpfel; dann warf Muckl ſeinen Hut in die Fenſterniſche und ſetzte ſich zu ſeinem Vater, der an einem der Tiſche Platz genommen hatte,

„Hätt net ’glaubt, daß du’3 jo leicht nähmſt,“ meinte dieſer.

„Sol ich mich vielleicht abfränfen und mager werden wie ein Zwiefelröhrl . . . fallet mir ein! Siehft, Loni, ich gieb dir jogar den Rat, daß du jeßt erjt recht wählerifch wirft. Braucht net Sorg z'haben, daß du ledig bleibit und als alte Jungfer in der Ewigkeit Wolfen jchieben mußt. Der da,” und Dabei deutete Mucdl mit ausgeftredtem Arme nah Pauli, „der da bleibt dir allweil

90 Der Herrgottihniger von Ammergau.

g’wiß. Den haft im Sad und braucht ihn bloß rausz’ langen.‘

Lehnl, der neben Pauli ftand, griff haſtig nah dem Arm des Burſchen, ala wollt er ihn am Aufipringen verhindern. Aber das war über: flüſſige Sorge; Pauli rührte fich nicht.

„Oder,“ ſprach Muckl weiter, „haft mich am End gar abg'wieſen, weil du dich mit ihm ſchon verſprochen haſt?“

Loni fuhr auf wie von einer Natter geſtochen: „Dein dummes G'ſchwatz hat fein’ Heimat. Daß zwijchen uns nix i8 und nix wird, das weißt du jo gut als ich, ſonſt wärſt net kommen und hätift um mich ang’halten. Wenn ich einmal ein’ nimm, das muß einer jein, der eine Schneid hat, ein richtiges Mannsbild, und net einer, der bloß jo Heißt, weil er Hoſen anhat!” Zornig warf jie das Staubtud), welches fie in der Hand hielt, in eine Ede des Schänkkaſtens.

„Seh... Pauli,“ ſpottete Muckl, „das wenn du dir g'fallen laßt, nachher darfſt gleich morgen Kegel aufſetzen!“

Pauli krampfte die Hand zur Fauſt und rief mit einem finſteren Blick dem Spötter zu: „Laß

Der Herrgottichniger von Ammergau. 9

mich aus'm Spiel, ich ſag' dir's! Ich Hab dir fein’ Anlaß ’geben! ... Gieb mir fein’!“

„Jetzt jo was ließ ich mir halt doch net jagen,“ lenkte Muckl ein. „Ich thät ihr halt einmal das Wilde runter, was fie fih jo vom Bechlerlehnl ang’wöhnt hat!“

„Du nirnußiger Loder,“ rief der Alte, „möch— tejt net mic) auch noch neinbringen !“

„Hätt ich vielleicht net recht! Bon went lernt j’ denn all die Schlauderwörtin, als von dir? Zeit und G'legenheit hat ſſ ja g'nug. Zwiſchen euch dauert die Schul grad von der Früh bis auf d'Nacht, und es wär ſchon lang an der Zeit, daß d'Loni der G’meind ein Dankſchreiben ſchicket, weil j’ ihr 's ganze Jahr jo ein’ jaubern Schul: lehrer verhalt'.“

Dem Mädchen ſchoß das Blut dunkelrot ins Geficht bei diefen Worten. Muckl hatte noch nicht geendet, da ſtand Loni bereit3 am Tijche vor ihm. Ihre Stimme klang hart md bitter:

„Jetzt ſcham dic) aber in d'Seel ’nein, daß du ihm das Stüdl Brod vorwirfit, was ihm Die G'meind giebt. Thut dir der Pfennig jeßt ſchon weh, den du einmal dazu zahlen mußt ala haus:

92 Der Herrgottichhniger von Ammergau.

g’iefjener Bauer? Dank's unjerm Herrgott, daß du von einer Mutter bijt, die dich gleich mitten nein g’jeßt hat in eim’ reichen Hof. Verdient hättft es net nach ei'm joldden Spott auf ein’ Menfchen, der fi fein ganz’ Zeben lang für die Bauern zjammg’arbeit’ und z'ſammg'ſchunden hat. Ber: ftehft mich!" Damit wandte fie ihm den Rücken und ging nach der Küche, um eine neue Partie der friſchgewaſchenen Gläſer in die Stube zu Holen.

„Duck,“ ſagte der Wirt lächelnd, „die Ned kannſt auswendig lernen.‘

„sc mag net; ich hab gar ein ſchweres G'merk,“ gab der Burfche zur Antwort. Die energifchen Morte Lonis jchienen nicht jonderlich tief bei ihm gegangen zu jein; aber er ärgerte ſich doch, und jein hübfcher Schnurrbart mußte das entgelten.

Der alte Bechlerlehnl war dem Mädchen in die Küche nachgegangen und drüdte ihr draußen dankbar die Hand. Die Stimme ftodte ihm faſt ein wenig, als er ihr zuflüfterte: „Sch jag Dir halt Vergelt's Gott, daß dich jo neing'redt haft wegen meiner. Weißt... ich hätt ihm ſchon ausgeben können, aber ich hör auf ei’m Ohr nimmer recht.“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 93

„Da braucht's fein b’jondern Dank, Aber dein guter Freund, der jchöne Herr Pauli, der hätt ſich grad ſchon auch ein bikl um dich an— nehmen können. Verdient hättjt es um ihn; denn

du redit ihm 's Wort jo oft bei mir, daß mir's mit der Zeit leicht zZ’viel werden könnt.” Während dies in der Küche vor ich ging, hatte fich die Gejellfhaft in der Wirtsftube um eine neue Perſon vermehrt, um Loisl, den Gais: buben des Wirtes. E3 war ein junger Menſch von etwa achtzehn Jahren. Der eige Kopf mit

94 Der Herrgottfchniger von Ammergaut.

der Stumpfnaje und dem Schlappmaul hätte eigent- lih einen widerlihen Eindrud maden müſſen, wenn die Häßlichkeit des Gefichtes nicht durch ein paar grundgutmütige Augen gemildert worden wäre, Diejer Kopf reckte fih auf einem langen jehnigen Halje aus einer mageren, nachläſſig in jich gefrümmten Geftalt.e Der Oberkörper war nur von einem groben Hemde umfleidet, das Loisl jeit Sonntag auf dem Leibe trug und jetzt zählte man den legten Tag der Woche. Die Beine des Gaisbuben ſteckten in einer bis zur Möglichkeit abgeweßten ledernen Hofe, welche die Kniee nackt lieg. Einſtens weiß gewejene, vielfach zerriiiene Stußen umſchloſſen die Waden oder, bejjer gejagt, den Platz der Waden, während die nadten Füße in jchweren, dickbenagelten Schuhen ftedten. Ein in der Farbe jehr zweifelhafter Ruckſack, eine Zipfel: fappe und ein am Wege geichnittener Stod vollen: deten Loisls Aufzug.

„Jetzt kommt der Rechte,” Hatte Mudl ge- rufen, als Loisl eingetreten war, „der 18 und noch ab’gangen.

„Selt, hajt Zeitlang g’habt nach mir.“ Das nit war Loisl auf ihn zugetreten, hatte die

Der Herrgottihniger von Ammergau.

„Schentft mir was?”

96 Der Herrgottfchniger von Ammergau. Bipfelfappe abgezogen und fie dem Burjchen mit beiden Händen entgegengehalten. „Schenkſt mir was?“

„Bettelſt ſchon wieder?“

„Von dem, was du mir g'ſchenkt haſt,“ lautete die patzige Antwort, „von dem kann ich mir noch net einmal eine Schuhſchmieren kaufen!“

„Was thätſt auch damit? Haſt ja gar keine Schuh.“

„Drum ſtünd's dir gut an, wenn mir ein Paar ſchenken thätſt.“

In dieſem Augenblick trat Loni wieder ein, in jeder Hand fünf Biergläſer. Als ſie an Pauli vorüberkam, blieb ſie ſtehen und ſchaute dem Burſchen mit einem halb mitleidigen, halb ärger— lichen Blick ins Geſicht. „Du biſt ſchon der Allerſchönſt!“ Dann ſchritt ſie kopfſchüttelnd zum Schänkkaſten. „Es is ſchon merkwürdig, was ein Menſch vertragt!“

„Ja grüß dich Gott, Loni,“ rief Loisl und eilte auf das Mädchen zu. „Geh, ſchenk mir was zum Eſſen!“

„Geh halt naus in die Kuchl. Auf der Anricht liegen Schmalznudeln . . . da nimmſt div eine,“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 97

—— —“

„Eine grad?” war die enttäujchte Frage.

„Kannst auch zwei haben, du Bettelſack!“

„Nachher nimm ich mir Halt drei recht fette.“ Damit wollte Loisl der Küche zueilen.

„Halt einmal, du!“ rief ihm der Wirt nah, „was willit denn eigentlich unterm halben Tag da herunt?“

„Jeſſes, jeſſes!“ Loisl kehrte zurüd. „Da hätt ich jeßt bald drauf vergeſſen! Botſchaft joll ih ausrichten von deiner Sennerin.... . weißt, von der Zwerger-Nandl. Die will morgen abends runter von der Alm, weilam Montag ihr’ Schweiter Hochzeit macht. Die alte Kramerwaben hat der Nandl ſchon verſprochen, daß j’ ihr derweil aus— hilft. Jetzt kann aber die alte Kramerwaben erjt am Montag in der Fruh kommen, und jegt hätt dich Halt d'Nandl recht ſchön bitten laffen, daß du übern Sonntag Abend und über d'Nacht d'Loni auf d'Weglalm ſchicken thätit, damit d'Nandl runter fommen kann.”

„D' Nandl iS wohl verrucdt?” knurrte der Wirt.

„Da bift g’itimmt, die i3 g’icheider wie du!“

„sh kann doc d' Loni net weglaſſen,“ war Gangbofer, Bergluft. 7

98 Der Herrgottfchniser von Ammergau.

die brummige Antwort, „wo am Montag die Hochzeit bei uns iS, und dabei ’3 ganze Haus voller Arbeit!“

Da trat Loni zu ihrem Vater, legte die Hand auf jeinen Arm und fagte: „Das Deandl kann aber doch net am Feitmorgen von ihrer Schweiter auf der Alm bleiben, und bei den Brautleuten wird’3 im Haus am End noch mehr Arbeit geben als wie bei und. Wenn du willit, Vater, fönnen wir’3 doc machen. 's meifte ift jchon herg’richt”, heut und morgen bis Mittag kann noch viel g’ichehen, und am Montag vormittags, bis in Kirch Zeit iS, bin ich wieder da. Thuſt ihr halt den G'fallen.“

„Ja, wenn du meinst,” jagte der Wirt nad furzer Überlegung, „wenn du meinst, daß 's geht, hab ich nir dagegen.“

Bauli war aufgejtanden und verließ nad furzem Gruß die Stube, um wieder an jeine Arbeit zu gehen.

Als der Wirt auf Lonis Bitte die Zuftimmung gab, neigte Muckl den Kopf gegen feinen Vater und flüfterte:

„Da fenn ich ein’, der morgen nachts auch

Der Herrgottichniger von Ammergau. 99

auf der Weglalm is. Eine Anjprady und eine Frag unter vier Augen i3 das Deandl ja doch noch wert. Und... im Finitern redt man fich leichter.“

> 7

Don der Stelle aus, wo der an Graswang vorüberfließende Rötelbah in die Ammer ein- mündet, muB dieſe einen mächtigen, vielgefrümmten Bogen beichreiben, um ihren Weg ins Ammer— gau zu finden. Gezwungen wird fie dazu durch einen Bergzug, der von der Brunnenkopf- und

Der Herrgottichniger von Ammergau. 101 Klammjpiggruppe ausläuft, dann, unterbrochen durch die Spiten des Pürjtlingfopfes, des Sonnen: berges und des Brunnberges, an Linder und Graswang vorüberzieht und nach der Seite von Ammergau in die Kobelwand, nad der Seite des Zujammenflujjes von Rötelbad und Ammer in den Rappenkopf endigt. Weit über der Hälfte des Aufſtieges zu dieſer legtgenannten DBergipige hebt fih aus der tiefgrünen Be— waldung eine Heine Hochebene, auf welcher Die von jaftigem Weideland umzogene, dem Mirte von Gradwang gehörige Weglalm gelegen ift. Faſt in der Mitte des mit leichter Steigung gegen den Berg fich hinziehenden Miejengrundes liegt die Sennhütte, an welche jich, den Aufitieg von Gradwang verdedend, das Gehölz mit einem Ihmalen Ausläufer heranzieht, indem es die Hütte noch mit ein paar hochſtämmigen Fichten überfchattet und in einiger Entfernung von der: jelben aus Wachholdergefträuch und jungen Bäumen einen lauſchigen Hintergrund bildet für einen niederen Brunnenftod, der jeinen dünnen Wafler- ftrahl leiſe plätjchernd in den durch einen ge— höhlten Baumftamm gebildeten Brunnengrand

102 Der Herrgottichniger von Ammergau.

ergießt. Die Sennhütte jelbit, die von all den Hundert anderen des Gebirges ſich faum durch etwas Bejonderes umnterjchied, ftand auf einer kleinen Bodenerhebung, welche gegen den Brunnen in etwas ftarfer Böſchung ausläuft, während jie fih nah dem Berge zu in gerader Fläche verliert. Die eine Hälfte des Blockhauſes bildete den Safer, zu dem von außen die Thüre führte, jowie den Wohnraum der Sennerin, der durch ein Kleines Fenſter jein Licht erhielt, die andere Hälfte den mit eigener Thüre verjehenen Stall und Schuppen; darüber lag das Schindeldad mit den bejchwerenden Felöbroden.

Dicht unter dem Fenſter war in die Außen: jeite der hölzernen Wand eine Bank eingefügt, auf der die Sennerin ſaß, das große Butter— faß zwijchen den Knieen. Es war eine dralle, friihe Erjcheinung, dieſes Mädchen, deſſen volle und runde Arme mit emfiger Gejchielichfeit den Stößer des Butterfafjes handhabten. Im Tate zu ihrer Arbeit jang jie ein Lied, und als fie den Jodler mit einem hellen Jauchzer ichloß, flang nah aus dem Gehölz ein langgezogener Suhichrei zur Antwort.

Der Herrgottihniger von Ammergau. 103

Freudig überrajht iprang Nandl auf und eilte der Ausmündung des Steiges zu, der von Graswang zur Alm emporführte.

„Seh, da fommt ja gar d’ Loni ſchon! Und der Lehnl i3 auch dabei!” rief fie fröhlich aus, und es galt jchon den beiden aus dem Gehölz Auftauchenden, wenn fie lachend beijegte: „Das ſoll mic) aber net wundern, denn ohne Loni fein Lehnl und ohne Lehnl fein’ Loni!“

„Srüß dich Gott, Nandl!“ rief Loni, die

104 Der Herrgottihniger von Ammergau.

unter den Bäumen hervortrat, aufatmend ftehen blieb und mit dem Ürmel über die erhißte Stirne fuhr. Sie nahm das jchwarze Kopf: tu) ab und blidte nad Lehnl zurück, der ihr mit etwa3 müden Schritten folgte.

„Wir haben dir... jhon lang zug'horcht ... auf dein’ G'ſang,“ ſprach er Nandl an, wobei er ein paarmal abjegen mußte, um Atem zu holen. „Kannst es leicht jo ſchön wie die Engeln im Himmel.”

„Probier's ja auch allweil,* war die fröhliche Antwort, „damit ich einmal dazuftimm, wann ich neinfomm in Himmel.”

„Du darfit net nein!“

„Sp... wegen was nachher net?“

„Biſt alles z'verliebt . . und die, wo jo viel G'ſpuſi treiben, laßt der Peterl net 'nein!“

Wie Ieifer Ärger Hang es ans Nandls Stimme, als fie zur Antwort gab: „Müpt id fait lachen, wenn’3 wahr wär!”

„3 Lachen wird dir jchon vergehen, bald er dich einmal friegt, dev mit dem Schürhaft.”

„Seh, ſchwatz net jo viel!" mahnte Loni den Alten, nahm ihn beim Arm und zog ihn zum

Der Herrgottfchniger von Ammergau, 105

Brunnen. „Da je dich nieder und ſchnauf ordent- lih aus. Der Weg da rauf is fein Kaßenjprung für ein alt3 Leut.“

„Randl... Nandl!“ plärrte es plöglicd hinter ver Hütte, mir is was g’ichehen!“ Und ftolpernd fam Loisl den Hügel herabgerannt, indem er ſich die Seite rieb und ein ganz jämmerliches Geſicht dazu ſchnitt.

„Was is denn jchon wieder?” fragte Nandl ungeduldig.

„Unſer. . . unſer Gaisbock Hat mich g'ſtößen . . . das Vieh!“

Nandl mußte lachen. „Haſt ihn wieder 'tratzt, gelt?“

„Na, bloß ein' Renner hab ich ihm 'geben, nachher is er davon. Ich hab ihn fangen wollen und hab ihm allweil recht ſchön zug'redt, 's hat mich aber nix g'nutzt. Auf einmal, ich hab ſchon gar nimmer dran "denkt, ſteh ich jo droben am Hütten bergl und ſchau zum Holzergirgl munter... frieg ih von hint ein’ Buff und purzl dir übers Bergl munter wie eine Kirtanudl. Wie ich in d'Höh' ſchau, iteht das jchwarze Vieh droben wie der Teufel und ſchaut mir nah und jagt allweil: mehehehe!“

106 Der Herrgottihniger von Ammergau.

Lehnl uud die beiden Mädchen lachten aus vollem Halje, als Loisl jo daſtand mit jchlaff hängenden Armen, den Hals geitrecdt und Die Stimme ded Gaisbocks nahahmend.

„Der Gaisbock is halt g’icheider als Du,” jagte Zehn! und flopfte dem Gaisbuben beruhigend auf die Schulter.

„Das is jchon eine Kunſt au,“ war die ent: rüftete Antwort, „wenn man ein’ von hint er= wicht. Aber wart nur, jegt hol ich mein’ Geißel- itefen, nachher kriegt er Wir.” Eilig Humpelte 2oisl der Hütte zu und verihwand in der Thüre des Schuppens.

„Und ich richt mich Halt jeßt ſchön langſam z'ſamm, daß ich weiter fomm,” jagte Nandl zu Loni, „weil doch Schon jo gut warſt und rauf: 'kommen biſt.“

„Ja, ja, geh nur,“ ermunterte Loni das Mädchen, „'s is Zeit, ſonſt kommſt noch in d'Nacht nein. Da . . . wann du nunterſchauſt ins Thal, da wird's ſchon bald Abend.“ gu thun Haft nimmer viel,“ ſagte Nandl, während ſie der Hütte zuſchritt, „brauchſt grad den Butter ausz'nehmen, er is ſchon bald bei—

Der Herrgottijchniger von Ammergau. 107

„Mehehehe!“

108 Der Herrgottichniger von Ammergau.

jamm.. . und was denn noch g'ſchwind? Sa... und ein’ Trank fürd Viech mußt aufjegen, nach— her wird dein G'ſchäft bei'nander fein.”

„sh will dir's Schon recht machen.” Damit band fi) Zoni die Schürze um, welche Nandl ab» gelegt Hatte, und jchritt auf Die Banf zu, vor welcher das Butterfaß jtand.

Lehnl hatte ji die ganze Zeit über damit beijchäftigt, die während des Aufftieges zur Alm erlojchene Pfeife wieder in Brand zu bringen. Noch immer ſaß er auf der Bank am Brummen, auf welche ihn Loni niedergedrüdt Hatte. Es jchien ihm gar wohl zu gefallen, daß Loni ſich jo raſch in ihre neue Arbeit jchickte, und es war ein recht herzliher Bi, mit dem er dad Mädchen ver: folgte, als e3 zur Hütte emporitieg.

„Kommft aus der Arbeit jegt gar mimmer raus!” rief er Loni nad. „Und bald nunter- kommſt, geht’3 drunten auc wieder an, Die Hochzeit wird dir ſchön z'thun geben.“

„Mein, e3 wird mir doch D’Arbeit net z’viel werden, und gar daheroben. Kann's denn ein ſchöners Plagerl geben als die MWeglalm? Die Berg... die Luft... und ſchau, wann da an dem

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 109

Fleckl ſtehſt,“ damit trat fie au das Stangenge- länder, das die Hütte umzog, und hob die Hand über die Augen, „da ſiehſt grad nunter auf Sraswang, und da liegt’3 dir jo friedlich und Heilig da wie ein Kripperl.“

Lehnl nickte Shmunzelnd „Nur geht ihm 's Ehriftfinderl ab, wenn du net daheim biit.“

Das Mädchen lachte. „Geh, du biſt ein ver— liebter Giſpel,“ rief fie dem Alten zu. „Man meinet, was ich dir jchon 'than hätt, daß du gar io an mir hängſt.“

„Du lieber Gott!” war die gutmütige Ant— wort. „Warum haft du ein Nagerl gern, eine Rojen, oder d'Sonn? Thut dir auch nir B'ſonders z'lieb und magit es doch. Mußt dir mein’ guten Willen halt g’fallen laſſen.“ Wie ein Schatten flog es über Lehnls Geſicht. „Wann einmal verheirat’ biit, wird’3 ohnedas anders.”

„Damit hat’3 noch gute Weg,” ſprach Loni leicht vor fich Hin und hob den Dedel des Butter: faffes, um nach dem Inhalt zu jehen.

„Da mußt net jo leicht jagen; jo was fommt über Naht und Tag.” Lehnl nahm die Pfeife aus dem Mund und fah recht bedenklich

110 Der Herrgottihniger von Ammergau. nach der ſchwachen Glut. Kein Blick traf das Mädchen, al3 er nun den mattglimmenden Tabaf anſprach: „Hättit erſt geitern dein Glück machen können.“

Energiſch fuhr der Stößer mit Lonis Händen nieder, daß die Milch im Faſſe klatſchte. „Es is net dein Ernſt, was da ſagſt, obwohl..." und Stimme und Miene des Mädchens wurden diplo— matiſch . . . „obwohl der Muckl noch der einzige wär, von dem man bei jo was reden könnt.”

„Wirklih? Der einzige?“ fragte Zehn jeinen Tabaf, der fich, ermuntert durch einen glühenden Schwamm, zu bejjerem Brennen entichloß.

„Ich wüßt jonit fein’,“ gab ihm nicht jein Tabak, jondern Loni zur Antwort.

„Ro... und der Pauli?“

Abermals ein fräftigerStoß in das Butterfaß, dann jprang Loni auf und jchüttelte die Schürze. „Mit dem wär ich fertig für heut!“ rief fie.

Haltig wandte Zehn! jein Geficht nad) dem Mädchen: „Mit dem Pauli 2*

„Ra... mit dem Butter!” Und mit beiden Händen hob Loni das Faß empor, um es zum Brunnen zu tragen.

Der Herrgottihniger von Ammergau. 111

„Ro mein,“ jagte Lehnl, während er etwas zur Seite rüdte, um Loni zum Ausheben des Butters Plag zu machen, „ed hätt grad jo qut auf den Pauli auch paifen können. Er is ja heut in aller Früh ſchon mit dem Maler fort auf den Sonnenberg. Und ic denk, der Herr Frig wird ihm z’/lieb am Heimweg net zwei Stund lang umgehen wollen.“

„Bott ſei Dank!“ gab Loni zurück, und klitſch, klatſch bearbeiteten ihre Hände den milchtriefenden Butterballen. „Gott ſei Dank! So vergeht mir doch auch einmal ein Tag, wo mir der Menſch net auf die Füß rumtritt!“

Da Hang ein heller, kurzer Jauchzer von der Höhe, ein Jodler folgte, und als diefer mit einem langgehaltenen Juhſchrei ſchloß, blidte Lehnl zu Loni empor, welche daſtand wie vom Blitz ge: rührt und ftarr zur Höhe des Berges aufjchaute. Mit fnapper Not Hatte fie den Butterballen noch in den Händen verhalten, der ihr beim eriten Schred beinahe in den Brunnentrog gefallen wäre. Lehnls Bruft erjchütterte ein leiſes innerliches Laden, wie man es oft bei Menjchen bemerkt, welche plößlich etwas eintreffen jehen, was fie nach

112 Der Herrgottichniger von Ammergau.

allen Vorausſetzungen mit halber Gewißheit längit erwartet haben.

„Ro ja..." ſtieß Loni hervor, und der Butter: ballen klatſchte in die irdene Schüffel nieder, daß die Milch dem Alten ins Geficht fprigte, „kennſt ja wohl da3 Sprichwort von demjelben Thier, von dem d'Leut jagen:

Wann man's nennt, Kommt's g’rennt!“

Damit nahm fie die Schüffel auf und jchritt der Hütte zu.

Unter der Thür trat ihr Nandl entgegen, das Kopftuch umgebunden und ein Eleines Bündel unter dem Arme. „So, jeßt hab ich's!“ jagte fie zu Loni. „BO hüt euch Gott, und halt? mir gut Haug.“

„Halt, Nandl, id) geh mit!“ jchrie Loisl, der aus dem Schuppen trat und mit jeiner Peitſche knallte, „könntſt leicht ausrutichen auf dem wurzigen Weg.” Er hatte noch nicht ausgeſprochen, da jtolperte er über eine der Hüttenftufen, fiel der Länge nad über den fteilen Abjtieg und purzelte bis vor Nandls Füße. Mühjam erhob er fich, rieb jih unter jchmerzhaften Grimafjen die Hüfte und

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 118

den Schenkel, und während er dem lachenden Mädchen zum Steige folgte, brummte er vor fi) Hin: „Set wär ich aber jchiergar g’fallen!“

Raum waren die beiden im Gehölze ver: ſchwunden, al3 von der anderen Seite her Baus miller und Pauli über die Höhe herabitiegen.

„Sa Bauli .. .* rief der Maler und blickte jich verwundert um, „wo haft denn du mich hin— grührt? Da find wir ja auf der Weglalm bei der Iuftigen Nandl.“

Eben trat Zoni wieder aus der Hütte und rief dem Maler zu: „Heut müſſen S' aber jchon mit mir vorlieb nehmen,“

„sa Zoni," fragte der Maler verwundert, „jeit wann bift denn du Sennerin?” Danır ftieg er zur Hütte empor und reichte dem Mädchen die Hand zum Gruße, während fich’3 Pauli bereits an Lehnls Seite auf einem Felsſtücke bequem gemacht hatte.

„Aber jegt werden S’ müd fein!“ jagte Loni bejorgt zum Maler. „Segen S’ Ihnen da nieder auf das Bankl und vaften S' aus. Haben thu ih nie als Milch und ein’ friſchen Butter.“

„ur her damit!“

Loni verihwand in der Hütte. Ganghbofer, Bergluft. 8

114 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„sh hab g’meint, ihr jeids am Sonnen— berg g’wejen?” jagte Zehn! zu Pauli.

„Waren wir auch,” gab diefer zur Antwort, während er jich angelegentlich mit dem abgelegten Ruckſack beichäftigte und denfelben achtſam zur Seite legte, als wollte er den Inhalt nicht durch Drücken bejchädigen. Ä

„Da habt nachher grad den nächſten Heim— weg g’macht, das muß ich jagen. Aber freilich ... wie der Herr Pfarrer jagt, alle Weg führen nach Rom, jo führen bei dir alle Weg nad der Wegl- alm, wenn d'Loni da 18, gelt?”

Loni Hatte unterdejjen dem Maler einen mäch— tigen Meidling mit friſcher Milch auf die Kniee geftellt und Brod und Butter ihm zur Seite auf die Bank gelegt. Nun kam fie den Hügel herunter, jtellte fich, die Arme in die Seite gejtemmt, vor Pauli hin und fragte:

„58 dem Herrn vielleicht auch was g’fällig?*

„Wie magſt fragen?” warf Lehnl lächelnd ein. „Denn jpeift ja d'Lieb.“

„Mit dir hab ich net g'redt,“ lautete die ärger: lihe Zurechtweiſung.

„Sonſt war's wohl fo der Brauch auf der Alm,“

Der Herrgottichniger von Ammergau. 115 jagte Pauli, „daß ei'm d'Sennerin eine Schüffel Milch 'bracht Hat, wenn man im Vorbeigehen ein- ehrt is.“

„No! Sch möcht mic) halt rüh— ren,wann’3 mid hun—

gert! Sch

Dir net nein ichauen in Magen!” Damit kehrte jich Loni kurz von ihm ab und ging zur Hütte.

Es war ein recht bitteres, wehmütiges Lächeln,

„—. tann

116 Der Herrgotifchniser von Ammergau.

mit dem fih Pauli zu Lehnl wandte, als ihn diefer anſprach:

„Was Haft denn da in dei'm Rudjad drin?”

„Ein paar Boſchen Edelweiß, wo ich heut g’funden Hab! Wird wohl ’3 lebte jein für heuer.”

„Kür wen g’hört’3 denn?“ fragte Lehnl; doch es Jag feine Spur von Neugier im Ton feiner Stimme; e3 war eher jener gewohnheitämäße Hang, mit dem man einen Freund, den man da oder dort getroffen, zu fragen pflegt: „Biſt du auch da?“ Für wen diejes Edelweiß beftimmt wäre das jchien Zehn! bereits zu wiffen, als er fragte: „Für wen g’hört’3 denn?“

„Für mein Mutter!.”

Zehn! mußte Doc eine andere Antwort er— wartet Haben, denn es klang ein recht bedenklicher Zweifel aus jeiner Stimme, al3 er vor fich hin— brummte: „So . . . ſo ... fürs Mutterl?*

Loni ſtand wieder vor den beiden und hielt Pauli eine Schüſſel entgegen.

„Vergelt dir's halt Gott,“ ſagte der Burſche, während er das Geſchirr auf ſeine Kniee ſtellte und mit dem Finger den Rahm von der Schüſſel— wand löſte. „Vergelt dir's halt Gott, daß du ſo

Der Herrgottſchnitzer von Ammergau. 117

gut biſt und mich met jchlechter Haltit, als ein’ andern.“

Es war ein hartes, trodenes Lachen, mit dem ſich Loni zu Pauli niederbeugte: „DO du g'nügſamer Menjch!”

Dann schritt fie zum Brunnen, faßte mit lauten Seklapper die zum Trocknen aufgeitellten Milch geihirre zufammen und trug fie in die Hütte,

Mit ein paar langen Zügen hatte Pauli die Schüſſel geleert, al3 ihm der Maler von oben zurief:

„Pauli, jegt brechen wir wieder auf, jonft bringen wir den Umweg gar nimmer ein. Bis wir nunterkommen, wird's jo wie jo ganz finfter werden.“

Schweigend ftellte Bauli da3 Geſchirr bei- jeite, erhob ſich und griff nah Ruckſack und Bergitod. |

Lächelnd reichte Loni dem Maler die Hand: „Bhüt Ihnen Gott Halt! Es hat mich jchon recht g’freut, daß S' bei mir zug’sprochen haben!“

„Ro, und mich jelber am allermeisten! Aber wie i3 denn nachher, Loni, wirst morgen auf der Hochzeit auch mit mir tanzen?“

118 Der Herrgottfähniger von Ammergau.

„Bär net aus!“ erwiderte das Mädchen ge: ichmeichelt. „Da fommt’3 doch z’erit drauf an, ob Sie mir die Ehr jchenfen!“

„Jetzt da kannst ficher drauf rechnen!” Tautete de3 Maler fröhliche Antwort.

„Bas 18 denn mit dir, Zehn?“ fragte Pauli inzwijchen den Alten, während er den Ruckſack über die Schultern zog. „Gehſt du net mit?“

„Na!“ gab Zehn! zur Antwort; dann erhob er fih, trat an Paulis Seite und flüfterte ihm zu: „Sch muß erſt noch dir ein bißl zu gut reden! Und... .” fügte er bei, während er mit Pauli auf Baumiller und Loni zufchritt, „ichlafen werd ich wohl auch daheroben. Sch laß die Loni net allein in der Nacht.”

Die legten Abjchiedsworte wurden gewechjelt, und der Maler machte fich, von Lehnl einige Schritte begleitet, voraus auf den Weg. Pauli hatte jich ihon dem Gehölze zugewandt, als er nochmals umfehrte. Es war ein herzlich warmes Wort, wo: mit er dem Mädchen die Hand bot:

„B'hüt Dich Gott, Loni!“

„B'hüt dic) Gott auch!“ war die Antwort; und indem fie die dargebotene Hand ergriff, zuckte

Der Herrgottichniger von Ammergau. 119

- Do _—

ein leijes Lächeln um ihre Lippen. „Gelt, vergeh dich halt jobald net wieder auf d'Weglalm.“ Lehnl, der eben zurückkehrte, hatte die legten Worte gerade noch gehört; er Elopfte dag Mäd— chen auf die Schulter und jagte: „Hab fein’ Sorg, Deandl, wann du net da bift, nachher findt er net her!“

Drunten im Thale war

| | längit die Dämmerung einge: ar treten. Nun ſchlich fie aud) mäbhlid) herauf über die tannen— bewaldeten Höhen; langjanı zogen die tiefen, rie= jigen Schlagichatten der Nachbarberge über die ein— ihlummernden Wipfel und über die ftillen Matten, während der legte Gruß der Sonne mit dunklem Purpur die waldlojfen Kuppen und Spigen über:

Der Herrgottichniger von Ammergau. 121

.—— u

hauchte. Über den Bergen da draußen, fern am Hinmel jah man noch einzelne, langgezogene Wol- fenftreifen mit lichtem Gold bejäumt, aber je höher e3 hinging am Firmamente, um jo bläffer wurden die Farben, um jo unflarer ſchwammen die Kon: turen der gleich getönten Wolkenmaſſen durchein- ander. Faſt ſah e8 aus, als ob dieje Leblojen Gebilde der Lifte plöglich Leben und Gefühl in jih geboren hätten, fähig, die ganze herbitliche Schönheit des Hinjchwindenden Tages zu erfafjen 8 jehnjüchtig zogen fie der untergehenden Sonne nad. Nur fern im Oſten zeigte dieſe dunkle Hülle de3 Himmel? einen matten, fi in der Runde wieder verlierenden Lichtkreis. Es waren die Strahlen des Mondes, die fih dort mühſam einen hellen Weg durch die dichten Wolfen braden.

Auch auf der Alm war es till geworden; da3 Gebrüll der einziehenden Kühe war verſtummt, dad vielftimmige Geläut der Schellen war ver- lungen, und faft jchien es, als ob auch der Brunnen leijer und ruhiger flöffe wie anı Tage. Still in- mitten dieſes Friedens ftand die Hütte; nur die leihten Dampfwolken de3 eben mit Waſſer gelöjch- ten Herdfeuers fränfelten fich noch durch die Ritzen de3 Scindeldaches in die dunkelnde Luft.

122 Der Herrgottichniger von Ammergau.

Auf der Bank vor der Hütte ſaß Lehnl und ihmauchte jein Pfeifchen. Nun trat auch Loni aus der Thür ind Freie; fie hatte die Arbeitsſchürze ab: gelegt und ftülpte, als fie fi an Lehnls Seite auf die Bank niederließ, die Ärmel ihres Leibchens nieder.

Der Alte mußte wohl all die Zeit her über die Art und Weile nachgedacht Haben, in welcher Loni jeinen jungen Freund Pauli entlaffen hatte, jonft wäre wohl das erjte Wort, das er zu dem Mädchen ſprach, ein anderes geweſen.

„Heut abend, Lonerl, hättft dir mit leichter Müh den jchönften Bufchen Edelweiß verdienen fönnen, wenn dem Bauli, wie er ’gangen iS, ein freundlich Wörtl ’geben hättft. Er Hat ihn jchon im Ruckſack g’habt. Aber freilih . .. .”

„Laß mir mein’ Ruh!” unterbrach ihn das Mädchen. „Und fang net wieder von dem Leim— jieder an. Du kannſt viel zu mir jagen... wenn du aber ſonſt nie z'reden weißt, nachher fannft mich fuchtig machen.“

„Ich thu's doch net, um Dich z'ärgern,“ fiel Lehnl bejchwichtigend ein, „im Gegentheil, ich thu's ja nur, weil ich dir’3 gut mein’!“

„Was du net jagit!” lautete die Halb fpöttifche, halb zweifelnde Entgegnung.

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 123

Lehnl that ein paar tiefe Züge aus jeiner Pfeife. „Siehft...“ abermals ein tiefer Zug... „ſiehſt .. . geitern, wie dem Muckl fein Vater um dih ang’halten Hat, is mir völlig angjt "worden, du könnteſt „ja“ jagen. Der Mudl is ein guter

Kerl, dasZheißt, wenn er mag... aber wenn du ihn auch gern g’habt Hättjt, ihr hätts doch net z'ſamm'paßt! Er is ein Menjch, der ’3 Leben nimmt, wie D’Sennerin den Rahm... von oben weg. Bei dir 18 die G’ichicht ganz anders... und zwei Leut, die in der Art verſchieden find, die pafjen niemals

124 Der Herrgottichniger von Ammerga .

net z'ſamm. Der einzige... nimm mir's net übel, Daß ich Halt wieder davon anfang... der einzige, der in jolcher Art zu dir paßt, das is und bleibt der Bali.” Wertraulich rückte der Alte näher und lehnte jeine Schulter an die des Mädchens. Seine Pfeife jchien er ganz vergefjen zu haben, ala er fortfuhr: „Schau, Loni, du mußt bloß denken, wen du auf der Welt noch haft. Dein’ Pflegmutter liegt jchon unter der Erden, und dein Pflegvater iſt auch jchon ein alter Kerl... ich will g’wiß nir berufen,” jo fuhr ſich Lehnl jelbit in die Rede, ala er jah, wie bei dieſen legten Worten die Lippen des Mädchens leife zu zittern begannen, „ich will g’wiß nix berufen, aber ſchau, mein lieb Deandl, man weiß halt doch net, was heut oder morgen g'ſchehen kann.“

Loni hatte die beiden Hände in ihrem Schoße liegen; nun fuhr jie fich rajch mit der einen Hand über die Stirne,. und ihre Stimme Hang gepreßt, als fie, gerade vor ſich in die Luft ftarrend, Die Worte hervorſtieß: „Was fahrft jeßt da jo lang rum im Nebel? Sag doch furz: du Haft fein’ Menjchen auf der. Welt, von dem du jagen könnteft, er g'hört zu Div und dir zu ihm. Schau, Lehnl,“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 125

die Härte in ihrer Stimme milderte fich, „ich hab jelber jchon öfters über dem Pauli feiner Lieb nach'denkt. Und wenn's mir dann in Sinn kommt, wie verlaffen ich auf der Welt bin, da thut’s mir wohl, wenn ich mir jagen kann, es giebt ein’ Menjchen, von dem ich weiß, ich bin jein ganz Denken, ich bin fein Alles. Aber wenn ich nach: her den Bauli wieder anjchau, wie er is und tie er thut, jo muß ich mir wieder jagen, ih kann ihn net mögen, ih kann net.“

„Bann ihn nur ich Heiraten könnt!“ jeufzte Zehn! mit einem leifen Anlauf zum Scherz, als begänne ihm das Geſpräch zu ernſt zu werden.

Loni aber hatte dieſen Einwurf ganz überhört. „Mein Pflegvater hat g’wiß viel für mic 'than,“ ſprach fie weiter, „ich Hab ihn auch ganz gern; aber die rechte Lieb, wie man j’ zu ei'm Vatern haben fol, i3 das Halt doc net. Wenn ich mir das alles jag . . .“ tief atmend preßte Loni Die Hände auf ihre Brust, „dann ſpür ich’3 vecht ſchwer, daß ich jo gar kein’ Menjchen Hab auf der Welt, den ic) jo recht von Herzen lieb haben kann ... und wo ich auch wüßt, warum. Sieht, in ei’m jolhen Augenblid, da fteigt’3 mir heiß auf, und

126 Der Herrgottſchnitzer von Ammergan.

ih kann die Stund nur verfluchen, in der meine rechten Eltern mich der Gnad und Barmbherzig- feit fremder Leut überlaſſen haben.“

In überwallendem Schmerze war Loni auf: geiprungen, drüdte den Arm über die Augen und ballte die Fäuſte. Als Lehnl jie nun leicht um die Hüfte faßte und janft wieder auf die Bank niederzog, fühlte das Mädchen, wie die Hände des Alten zitterten.

„Weißt denn auch g’wiß,” jo fragte er Loni mit einer Stimme, die das Mädchen erftaunt auf: blifen machte, „weißt denn auch g’wiß, ob's feine Sind is, wenn du jo von deine Eltern redſt?“

„Siehft Zehn! . . . in mei’m Herzen, da is mir grad, als wär ein Kammer! drin, das mir unfer Herrgott ganz ertra für d'Eltern g’ichaffen hat. Und wie weh mir’3 thut, daß die Kammer leer ’plieben iS, das kann ich kei'm Menjchen jagen. Sch hab feine Eltern und hab doch ein Herz dafür, und mir wil’3 net in Sinn, daß es Leut geben joll, die ein Kind haben und feine Lieb dazu, die's weggeben können in Gleichmut oder gar in Haß!“

Der Alte, dem das Mädchen hier jo ohne Scheu ihr Innerſtes ausjchüttete, mußte ein ge=

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 127

mittvolles, mitfühlendes Herz bejigen, denn feine Stimme bebte, als er Zoni fragte: „Wer jagt dir denn g’wiß, daß alles jo is?“

„Wie fönnt’3 denn anders fein?* fuhr Zoni verwundert auf. Dann ſank fie wieder in jich zu— jammen und nidte wehmütig mit dem Kopfe. „DO ja... eins könnt ich mir noch denken: daß ich eine Mutter g’habt hab, die mich wegg’legt hat aus Angit vor der Schand, daß fie Mutter "worden is. O hätt j’ mich b'halten!“ Die Hände des Müd- chens falteten fich wie zur Bitte. „Meine Lieb hätt ihr müſſen alles vergefjen laflen, die Treu— lofigfeit von ihrem Schaß und ’3 Adhjelzuden von die andern Menschen!”

Loni verjtummte und vergrub ihr Gelicht an Lehnls Schulter, der plößlich von einer ganz be— jonderen Neugier erfaßt wurde, zu jehen, was denn der Brand in feiner Pfeife mache, die er ganz vergefien zu haben jchien. Freilich, wär e3 heller Tag geweſen, jo würde man mit diejer gleichgül- tigen Beichäftigung die ſchwere Thräne wenig in Einklang haben bringen können, die man langjam über feine braune, faltige Wange hätte rollen jehen.

„Sag einmal, Deandl,* ſprach er Loni an,

128 Ter Derrgottiäniger von Ammergan.

und ein tiefer Ernit klang durch jeine Worte, „lag einmal, wie's fommt, daß du, wenn du von deine Leut redit, bloß allweil die Ichlechten Seiten auf: führſt und mie eine gute?“

Ohne da3 Haupt von Lehnls Schulter zu erheben, fragte Zoni leife: „Wüßteſt du da eine z’finden ?“

„D ja!“ Hang die eindringliche Stimme des Alten entgegen. „Denk einmal, fie hätten Unglüd g’habt und wären fo recht im Elend g’itedt, daß gar net g’wußt hätten, wie fie fih von ei'm Tag auf den andern durdhbringen ſollen. Kannſt dir jeßt gar net denken, daß deine Leut dich grad deöwegen, weil j’ dich jo gern g’habt, fort’geben haben unter Kummer und Herzleid, bloß damit’s dir bejjer gehen jollt in Leben?“

„Jetzt jo eine Lieb, die will mir net recht in Kopf; ich mein’, d'Lieb müßt b’figen, d'Lieb müßt haben... man jagt doch net umjonft: lieb haben!“ Im heißer Leidenjchaftlichkeit Löften ſich diefe Worte von den Lippen des Mädchens. Wie in unbewußtem Drange hatte jie den Arm um den Hals des Alten gejchlungen, und als nun ein breiter Strahl des Mondes, der durch eine Lücke

Der Herrgottihniger von Ammergau. 129

der hüllenden Wolfen niedergefloffen war, die beiden mit jeinem milden Lichte übergoß, da leuch— teten Lonis Augen in hellem Feuer, und aus ihrem Antlitz ſprach die heiße Sehnfucht nah) dem Bes fig eines MWejend, das fie in treuer Liebe um— ihlingen könnte.

„D mein Deandl, Lieb und Lieb iS zweierlei.“ Ein tiefer, ftoefender Seufzer Hob Lehuls Bruft. „Schau, Loni, e3 giebt auf der Welt gar ver: ichiedene Lieben; aber die richtigfte und die wahrfte is halt doch bloß d’Elternlieb, weil fie die einzige i3, die allweil giebt und niemals nimmt und nehmen will. Ein Bub, wenn er dich noch jo gerit hat, wenn er fich dir ganz z’eigen giebt, warum thut er's ... Narr... weil er dich dafür will. Aber was kann ein Kind ſei'm Vatern oder feiner Mutter geben? Wenn's brav is, haben die alten Leut eine Freud, e8 is jhon wahr... wer ’3 Kind die alten Leut recht Lieb Hat, wenn fie ſſ hegt und pflegt, wie’3 im vierten Gebot steht, es thut ihnen wohl ... aber 's Nechte und 's Ganze is das noch allweil net. Die größte Freud, die man an Kindern erleben kann, das is, wenn ſ' glück—

lich werden. 's Glück von die Kinder 13 d’Selig- Ganghofer, Bergluft. 9

130 Der Herrgotticäniger von Ammergau.

feit von die Eltern.” Ein edles Feuer verichönte das faltenreihe Geſicht.

Mit großen, verwunderten Augen blidte Loni auf den Alten. „Ja Lehnl,“ jagte fie langjam und jede Wort betonend, „ic jhau nur grad und frag mich, wo bei dir das alles herkommt. Sp kann ein Menjch net reden von der Lieb, wenn ev’3 net jelber g'ſpürt hat.”

„Ro mein, freilih hab ich’3 g'ſpürt!“ war die halb EKeinlaute, halb ernite Antwort.

„Bas du ſagſt! 's erſte Wörtl, jeit ich dich kenn?“

„Was hätt ih auch für ein’ Grund g’habt zum Reden?” Das flang ausweichend und mit umflorten Augen blickte Lehnl in Die graue Dämmerung hinaus.

„Wenn auch jonft fein’,* drang Loni ſchmei— chelnd in den Alten, „nachher doc wenigitens den, den ich hab, wenn ich dir mein Herz ausjchütt... daß e3 leichter wird.“

„Du mein Gott, wad wär aud am End an der G'ſchicht z’erzählen; jo was fommt alle Tag vor.” Nod ein paar Sekunden bejann fic) der Alte, dann begamı er zu erzählen. Stoßweife

Der Herrgottichniger von Ammergau. 131 fam e3 hervor, Wort für Wort; dem Klang der Stimme merkte man’3 an, wie das, was fie jagte, jahrelang begraben war in einer tiefen, jchmerz- gewohnten Bruft. „Gern haben wir uns g’habt... 's Madl und ih... aber g’habt haben wir alle zwei nix . . drum haben’3 dem Deandl jeine Leit auch net zug’laffen, daß wir Hochzeit g'macht haben. 's Deandl war ein folgſams Kind, jo haben wir halt g’wart’, bis die Alten g’ftorben find. 3 hat ein bißl lang "dauert; ich war Schon in Die Vierzig und 's Madl net weit vom Dreißiger. Sn der Fruh find wir fopuliert worden, und am Nachmittag bin ich Holzen ’gangen und mei jungs Weib auf d' Alm. Aber wir haben uns gern g’habt und waren z’frieden, wenn's gleid) oft tommen is, daß wir bloß über den andern Tag warm ’gefien haben. Zur richtigen Zeit war auch ein Kind da. Jetzt hat 's Unglück ang’fangt. Mein Weib hat fih nimmer erholt, und net lang hat’3 "dauert, da hat man's ein’graben.“ Der Alte fuhr fih mit dem Rüden der Hand über Die Augen und ſprach dann haftig weiter: „Mic hat’3 an dem Ort ninmer g’litten . . von Ar— beiten war feine Ned mehr ... jeden Tag hat’s

132 Der Herrgottihniger von Ammergau.

mi ans Grab ’trieben . . . und ic) Hab doc was verdienen müſſen, ſchau, jchon wegen dem Kind. Vielleicht wird’3 beifer, Hab ich mir ’denkt, wann ich anderwo bin... und fo bin ich Halt einmal fort, 's war ein eifig falter Wintertag ... 's Kleine am Arm ... da bin ich in d'Nacht ’nein fommen...’3 Kind hat 's Wimmern ang’fangt, daß ich g’meint Hab, es zerreißt mir ’3 Herz... meine eigenen Kräft Haben mid verlafien ... und... wie’3 wieder Morgen worden is, hab ic) fein Kind mehr g'habt!“ Lehnls Stimme ver- lor fi in einem ſchweren Schluchzen, und es ſank ihn das Haupt in beide Hände.

Regungslos hatte Zoni der Erzählung Lehnls gelaujcht, und ihre Augen waren feucht, als fie nun mit leifer Stimme fragte: „SS g’ftorben in der Nacht 2”

Ein Schauer überlief den Alten. „G'ſtorben ... ja... g’itorben!” murmelte er dumpf in die Hände, während ihm die heißen Thränen durch die Finger riejelten.

„Arms Würmerl!“ jeufzte Loni, ſchaute mit warmen Bliden des Mitgefühls .auf Lehnl und fuhr mit weicher Haud glättend über jein weißes

Der Herrgottfchniger von Ammergan. 133

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...'s war ein eifig Falter Wintertag .. . ’3 Kleine am Arm... da bin ih in d'Nacht ’nein "tommen ...

134 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

Haar. Plöglih Iprang fie auf, und während fie mit der einen Hand nad) Lehnls Arm griff, preßte fie die andere auf ihre Bruft. „Lehnl,“ rief fie, „aus jedem Wort, was du da g’redt haft, Hört man den Kummer und den Schmerz um beine verlornen Lieben. Und wenn ich bedenf, wie lieb und gut Du zu mir fchon bift, wie gern mußt du erft dein eigenes Kind g'habt Haben? Lehnl ... red . . jag mir: hätteft du dein Kind weggeben fönnen, jo wie’3 meine Eltern mit mir g'macht Haben? Sag „ja"... und ich fan vielleicht den Groll und den Haß gegen meine Elterit er= ftien, der mir jo fchwer am Herzen Tiegt!“

„Deandl... das is eine Schwere Frag,“ war Lehnls zögernde Antwort. „Sch kann net „na“ jagen und ih wil’3 aud net. ber eins weiß ih gwiß: wann ich im jener Nacht mein Kind unjerm Herrgott anvertraut und braven Leuten vor die Thür g’legt hätt... und wenn ich’3 aud) net haben könnt und dürft net zu ihm jagen „mein Kind“... es wär ein Troft für mich, wann ih wüßt, daß es jeßt befier dran iS, als wie’ e3 je bei mir hätt haben können!“

„Ich dank dir, Lehnl, für das Wort!” jagte

Der Herrgottfhniger von Ammergau. 135

Loni tief aufatmend und ftredte dem Alten die beiden Hände hin. Lehn Hatte fich erhoben, die Hände des Mäd—

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chens ergriffen, und als er nun ſprach, blickte er voll in Lonis thränenfeuchte Augen. „Wenn's dich tröſten kann, ſoll mir's wohlthun. Jetzt ſag ih dir Halt gut Nacht . . . und wenn du Dich

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136 Der Herrgotifchniger von Ammergau.

niederlegft und kannſt net gleich einjchlafen, fo dene Halt ein wenig nach über das, was ich dir g’jagt Hab. Gut Nacht!“

Langſam wandte er ſich ab, jchritt auf die Thüre des Schuppens zu und verichwand, um fich im Heu ein Lager zu fuchen.

„Gut Naht, Lehnl!“ rief ihm Loni nod) nach, aber er hörte es nicht mehr.

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Mi dem Rücken an den Zaun gelehnt, der die Hütte umzog, und die beiden Arme auf Die rauhe Stange geitüst, jo ftand Loni mit gejenf- tem Kopf und hing ihren Gedanken nad. Lehnl war ihr jchon immer lieb gewejen. Seit fie aber jegt wußte, daß er ebenſo verlafjen und allein in der Welt jtand, wie fie jelbit, feitdem war es ihr, al3 hätte ein unfichtbares Band ihre Herzen noch näher aneinander geſchloſſen. Wie fühlender Thau waren die Worte des Alten auf ihr heißes, uns ruhiges Herz gefallen, und fie fühlte ſich jet jo leiht und jo ruhig wie noch nie. Faſt fremd

138 Der Herrgottfhniger von Ammergau. itanden ihr die bitteren Gedanfen des Hafjes und de3 Vorwurfs gegenüber, die fie in verjchloffener Bruſt gegen ihr herbes, durch die eigenen Eltern verfchuldetes Schidjal genährt hatte. Und fie fühlte fich faft überzeugt, daß all dieſes dunkel Vergangene genau jo gewejen jein müßte, wie e3 ihr Lehnl ala möglich dargeftellt hatte; und ftatt mit blinden Vorwürfen das gequälte Herz zu betäuben, fing fie an, das Schidjal ihrer armen Eltern zu betrauern und zu beflagen. Freilih machte ſich auch der Gedanke geltend, daß an den Thatjachen jelbft fich wenig ändere, wenn an der Stelle von Gleihgültigkeit es Unglück und Liebe geweſen wären, die fie in die Hände fremder Leute gelegt hätten.

Loni richtete fih auf. „Im Gottsnamen,“ jeufzte fie, „unjer Herrgott wird wiſſen, wie's g’weien is, und wird jchon alles recht machen.” Dann trat fie in die Hütte,

Hinter dem Kleinen Fenſter der Almſtube ichimmerte ein matter Lichtfchein auf.

Längst hatte der Mond fich wieder Hinter den Wolken verborgen. Ein kühler Nachthauch 30g von Thal herauf und machte die Wipfel der ſchwarzen Tannen ſchwanken; doch jo leiſe klang ihr Raufchen,

Der Herrgottfchniger von Ammergan. 139

daß e3 die Enifternden Tritte nicht zu übertönen vermochte, die jih vom Waldſaum hören ließen. Vorſichtig trat neben dem Brunnen eine dunkle Geſtalt ans dem Gebüſche, lautlos jchlich fie über

den Hügel zur Hütte hinauf und näherte fich vor— jichtig der Bank unter dem Feniter. Da bewegte fi) das Licht, und ein voller Strahl fiel auf das Geficht des jpäten Bejuchers. Es war Muck. Nun jaß er auf der Bank, die Wange hart an die Wand gedrücdt, und blickte durch die er— leuchteten Scheiben. Was er jah, machte einen

140 Der Herrgottihniger von Ammergau.

eigentümlihen Eindrud auf ihn. Vor dem Tifche, über welchem ein fleined Kruzifix an der Wand befeftigt war, kniete Loni mit gefalteten Händen und betetee Dann erhob fie fih, jchritt ihrer LZagerftätte zu und begann das Mieder aufzu: ſchnüren. Faſt bis an die Scheiben rückte Muckl fein Geſicht, auf die Gefahr hin, von innen er- blikt zu werden. Plötzlich fuhr er zurüd; Loni war zum Tiſch gegangen, und gleicd) darauf er- lofh das Licht. „Da haft den Teufel!” zifchte e3 ärgerlich durch die Zähne des Burfchen. Un— ihlüffig jaß er und überlegte, was er thun jollte. Minute um Minute verann. Eben wollte Muckl die Hand erheben, um an das Fenſter zu Elopfen, als er die Thüre des Schuppens knarren hörte,

„Loni?“ Hang gedämpft die Stimme Lehnls. „Sie wird ſchon jchlafen "gangen fein,” murmelte der Alte vor fih hin, als er feine Antwort er: hielt. Er hatte weder Ruhe noh Schlaf finden fönnen. Dazu war ihn die Hitze, die auf dem Heuboden herrichte, unerträglich geworden, und jo kam er num heraus, um in der fühlen Nacht: luft Erfriihung zu Holen.

Muckl war beim eriten Geräufch, das er ver—

Der Herrgottihniger von Ammergau. 141

nommen, von der Bank aufgejprungen, und dicht an die Wand gedrücdt, Hatte er ſich Schritt für Schritt gegen die Ede der Hütte fortgeichlichen. Plöglih ftieß er mit dem Fuß gegen ein am Boden liegendes Brett.

„Halt,“ fuhr Lehnl auf, der zur Bank ge- gangen war, „was is denn jeßt da... was rührt fih da!“

Sm gleihen Augenblid, als Muckl über den Hügel hinabeilen wollte, hatte Lehnl ihn troß der Dunkelheit erblidt; mit einem wilden Sage jprang der Alte auf den Burjchen los und befam ihn an der Joppe zu fallen.

„Bart, ich will dir...“ ftieß Lehnl hervor, aber jeine Stimme erftarb in einem dumpfen Röcheln, denn Muckl hatte beide Hände um die Kehle des Alten geichlungen, und Bruft an Bruft drängte er ihn über den Hügel hinunter gegen den Brummen.

„Auslaſſen . . . oder...” ziſchte er dem Alten zu, der den heißen Atem des Burſchen auf ſeiner Wange fühlte.

„Die Stimm ſollt ich ja kennen!“ keuchte Lehnl, während er die Arme noch feſter um Muckls

142 Der Herrgottfhniger von Ammtergait.

Hüften Eammerte. „Was willft du... da her: oben ... Mucklh!“

Eine jähe Wut faßte den Burfchen, als er fih erkannt wußte. „Set will ich nur fehn, ob du net... auslaßt!“ Bei dieſem legten Worte ichleuderte er mit dem Aufgebot all feiner Kräfte den Alten von fih. Ein paar Schritte taumelte Lehnl zurüd, und zufammenftürzend fchlug er in voller Wucht mit dem Kopfe gegen den jcharf- fantigen Brunnengrand. Ein mattes Röchelu und alles war ftil. Muckl ftand atemlos, und die Angit ftieg ihm bis in Die Kehle, ala er jah, was gejchehen war gegen feinen Willen. Er hatte ja nichts anderes bezweden wollen, als ih) Togmachen von Lehnls Händen. „Herrgott, was hab ich ang’fangt!” ftieß er hervor. Mit zögernden Schritten ging er auf den leblos Daliegenden zu und beugte fih zu ihm nieder. „Lehnl ... Lehnl!“ rief er leife und rüttelte ihn am Arme. Plöglich richtete er fih auf und lauſchte. Eilig nahende Schritte Elangen aus dem Gehölz.

„Jetzt führt der Teufel noch wen daher.“ Mit ein paar Sätzen war Muckl im Gebüſch verſchwun—

Der Herrgottichniger von Ammergau. 143 den. Kaum hatten ji die Zweige hinter ihm geſchloſſen, als die Wolfen den Mond wieder freigaben.

Unter den Bäumen, diht am Aufftieg zur Hütte, ftand Pauli, in der einen Hand den Berg— ftof, in der andern einen dien Strauß von Edelweiß.

Mit banger Sorge blidte er um ſich. „Da hat's was ’geben,“ murmelte er, „’3 wird doc der Loni nir g’schehen fein!“ Noch ein paar Schritte, und er jah Lehnl in feinem Blute liegen. „Jeſus Maria!” Mit diefem Ausruf eilte er auf den Alten zu, Bergftod und Strauß entjanken jeiner Hand, und im gleichen Augenblick lag er auch ſchon auf den Snieen vor Lehnl. „Um Gottes willen, was is da g’ihehen! ... Zehnl... mein Gott... Lehnl . . . komm zu dir!“ Bitternd griff Pauli, während er den einen Arm unter Lehnls Kopf geichoben hatte, mit der andern Hand nach feinem Halje, rig mit einem Ruck das umgejchlungene Tuch herunter, tauchte e3 in den Brunnen und drüdte es auf Lehnls blutende Stirne.

Ein tiefer, ſtockender Seufzer machte die Lippen

144 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

des Alten zittern; feine Hand erhob fih und griff nad) der Bruft. Langſam öffneten fid) die Augen, und während er ftarr in das Geficht de3 Burſchen blickte, fragte er mit matter Stimme: „Bas is denn... wo... bin ich denn?“

„Auf der Weglalm... und ich bin bei dir... der Bauli!*

„Der Pauli!“ Die zitternde Hand auf die Erde jtügend, erhob Lehnl den Oberkörper und fchlang den andern Arm um Baulis Hals. „Und du kommſt heut nacht nochmal da rauf? Da hat unjer Herr: gott ein Wunder g’wirkt.“

„Aber red... was is denn mit Div?” fragte Bauli bejorgt. „Du bijt ja voller Blut!” Er ichlang den Arm um Lehnls Schultern, richtete ihn langjam auf und ließ ihn neben dem Brunnen auf die Holzbanf nieder. „Um Gottes willen...” wiederholte er, und Angſt und Sorge jpraden aus jeiner Stimme, „ganz. voller Blut!“

„Macht nie... macht nix,” gab Lehnl mit bebender Stimme zurüd, „wenn's gleich der legte Tropfen 18. Ich jag nur dem Himmel Vergelts— gott, daß ich am Plag g’wejen bin. Dem Deandl war’3 jchlecht vermeint!“

Der Herrgottfhhniger von Ammergau. 145

. .. im gleichen Augenblid lag er auf den Anieen vor Lehnl. 10

146 Der Herrgotifähniger von Ammergau.

„Wieſo?“ fuhr Pauli auf, der das blutge- tränkte Tuch in den Brunnen tauchte.

„Der Mudl war da... ich Hab ihm recht wohl 'kennt. Und... was er wollen hat, das wirft dir denken können. Aber was ich heut von dem Deandl abg’wendt hab, das kann ihr morgen zuftoßen. Wer weiß, ob ich die Nacht noch über- leb .. . die Angft drudt mir faft ’3 Herz ab!“ Zitternd zog fi Lehnl an Pauli empor, der ihn das Feuchte Tuch wieder feſt um die Stirne ge— bunden hatte. „Pauli ... ich kenn Dich als den, der an der Loni hängt mit Leib und Seel! Wer weiß, was mit mir vorgeht ... dann ſteht das arme Deandl allein auf der Welt. Bei allem was dir heilig fein kann . . .“ und in namenlojer Angst ſchlang Zehn beide Arme um Paulis Hals, „ich bitt dich . . . jei du ein Schug und eine Hilf für mein armes Kind!”

Starr blidte Bauli in des Alten weitgeöffnete Augen. „Dein Kind?“

„Jeſus Maria!” Stöhnend ſank Lehnl auf die Bank zurück und barg das Geficht in beide Hände „Mein? Angſt und mein’ Sorg hat ver: raten,“ ſchluchzte er, „was ic) jo lange jchwere

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 147

Jahr als G'heimnis mit mir rum’tragen hab. Sa, Bali...» Loni iS mein Kind. Trag’s ihr net nad, daß jie mich zum Vater hat... verſprich mir's . . .*

„Alles, alles, was du willft,” fiel Bauli be— ſchwichtigend ein, „jei nur jeßt grad ftad! Schau, 's Reden könnt dir leicht Schaden. Sek dich Daher auf? Bankl, ich weck derweil d'Loni.“

„Ra, nal” fuhr Lehnl auf und faßte den Burjchen mit beiden Händen am Arme. „Thu's net! Sie könnt erjchreden, wann j’ mich jo fähet.“

„Wie d’ meinst, daß ’3 beijer is,“ gab Pauli zurüd. „Probieren wir’3, vielleicht fommen wir munter,”

„3 befte i8, du laßt mich da ſitzen,“ bat Zehnl, „wenn ich fortging, ich könnt ja doch net jein vor lauter Angft um dad Deandl.“

„Ra, Lehnl, das geht net!“ erwiderte Bauli ernit. „Set folgit mir und gehſt mit mir munter in d’ Holzerhütten. Dort breit ich dich recht gut ’nein, und wenn du dich erholt haft, jo geb id) wieder rauf... damit doch Ruh Haft... . und jeg mid) daher, bi8 Tag wird.” Damit hob Pauli den Bergitod und die Blumen vom Boden

148 Der Herrgottfhniger von Ammergau,

auf. Als er den Strauß betrachtete, fah er Blut: fleden an den weißen Blütenfteruen. „Arms Sträußerl,“ murmelte der Burjche mit wehmütiger Stimme, „bit auch blutig worden... . und hab mich jo ’plagt um dich! Ich nimm dich Halt wieder mit, und wann je in mir der Mißmut auffteigen jollt gegen ’3 Madl“ ... wie zum Schwur erhob Pauli die Blumen gen Himmel ... . „dann jollen mich die Blümerln mahnen an die jegige Stund.” Dann wandte er fich zu Lehnl. „Komm, Lehnl, häng dich ein in mich!” Sorgſam legte er den Arm um den Alten, und mit dem Bergftod weit ausholend und jeden Schritt ftügend, führte er den Wankenden dem Gehölze zu.

Kaum waren die beiden unter dem Schatten der erjten Bäume verfchwunden, da trat Muckl wieder aus dem Gebüſch und blidte ihnen nad). ALS er vor dem anfommenden Pauli geflohen war, hatte ihn die Angft und die Sorge um Lehnl nicht weit kommen lafjen; wie er dann zurückkehrte, jah er gerade, daß Pauli dem Alten auf die Bank half, und konnte deutlich jedes Wort ver: nehmen, das zwiſchen den beiden gefprochen wurde. Die Tochter des von der Gemeinde erhaltenen

Der Herrgoltfchniger von —— 149

Pfründners hatte für den Sohn des reichen Rötel— badybauern wenig Intereſſe mehr. Mit langen Schritten eilte Muckl über die Lichtung vor der Hütte, und geraden Wegs ftieg erden Berg hinunter, dem Dorfe zu.

Für Lehnl und Bauli war inzwijchen der Weg nad) der fajt eine Biertelftunde —— Holzerhütte eine ſchwere Mühe. Den Alten mehr tragend als ſtützend, mußte Pauli auf dem finſteren Pfade jede Wurzel, jeden Stein und jede Stufe mit dem Fuße vorausfühlen, um Lehnl darauf aufmerk— ſam machen zu können. Endlich war auch dies überſtanden. Pauli weckte den Holzknecht, der in der Hütte übernachtete, und bereitwillig trat dieſer ſeine Liegerſtatt an Lehnl ab. Friſches Moos wurde herbeigebracht, um das

150 Der Herrgottichniger von Ammergau.

Lager weicher zu machen, und als Lehnl darauf gebettet lag, von einer diden wollenen Dede um— hüllt, nahm er Paulis Hand, zog ihn zu fich nieder und flüfterte ihm ein paar leife Worte ins Ohr.

„Sol ich net lieber warten, bis Du eins g’richlafen biſt?“ fragte Pauli mit gedämpfter Stimme. Lehnl jchüttelte den Kopf und blidte bittend zu dem Burſchen auf. Sanft drückte ihm dieſer die Hand, dann nahm er den Holz— fnecht beifeite und verlich mit ihm die Hütte. „Er hat was verloren,“ flüfterte er ihm draußen zu, „und ich jol’3 ihm wieder ſuchen. Wenn jeßt ein guts Werk thun willft, jo richt eine Tragbahren zjamm, bis id) wieder fomm. Magſt?“

„Is recht!” war die Antwort. Pauli drückte dem Knechte dankbar die Hand und ging.

Als er Lonis Hütte erreicht hatte, blieb er laufchend ftehen; dann jchritt er aufden Brunnen zu und ließ fich auf die Bank nieder.

Der Thau der Nacht fiel auf Pauli Haar und Schultern; er jchien es nicht zu merfen, denn regungölos jaß er da; nur einmal tauchte er die Hand in den Brunnen und fühlte feine Stirne. Als der Morgen dämmerte und das erjte leiſe

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 151 Frührot über die Spigen der Berge herabglitt, erhob fi) Pauli und ftieg zur Holzerhütte hinunter. Bei Lehnl zeigte fich der Anfuͤng eines Wund— fiebers. Mit Hilfe des Holzknechtes legte ihn Pauli auf die Reiſigbahre, und ſo trugen ſie ihn bis vor das kleine Haus, in welchem Pauli ſeinen Wohnſitz aufgeſchlagen hatte,

8.

Wieder war es Abend geworden. Wenn auch die Straßen und die weißen Häuſer noch im roten Glanz der ſinkenden Sonne lagen, ſo herrſchte doch in Paulis Stübchen ſchon tiefes Dunkel; die kleinen grünen Fenſterläden, welche die Nacht über geſchloſſen waren, Hatten ſich auch während des ganzen Tages nicht geöffnet. Durch ihre Rigen jtahl fich noch ein letzter Schimmer des jcheidenden Abends in das dunkle Stübchen. Wie goldfuntelnde

Der Herrgottichniger von Ammergau. 153

Leuchtfäden lag es auf der finjteren Wand, und in dünnen flimmernden Streifen 309 das Licht von ihnen aus durch das kleine ftille Gemach, huſchte über ein gebeugtes Haupt und legte ſich mit mattrotem Schinmer auf die grob geblümte Bett: decke und auf ein bleiches Geficht, das in den ihweren, dem Drud widerftrebenden Kiffen lag. So ftill war es in dem Stübchen, daß man das leije Ticken einer Tajchenuhr vernahm, die irgendivo auf den: Tifche oder auf einem Fenſter— bretichen liegen mußte; dazwiſchen hörte man von Zeit zu Zeit einen tiefen, zitternden Atemzug und manchmal auch ein mattes Nafcheln, wie wenn eine Hand über fteifed Leinen gleitet. Nur von augen wurde dieje Stille in langen Zwiſchen— räumen geftört, wenn von dem nach den Gärten hinausliegenden Tanzboden des Wirtshauſes die gedämpften Töne der ländlichen Tanzweije Hangen. Da drüben wurde ja heute Hochzeit gehalten. Wieder einmal jegten die Töne eines Ländlers ein, als fich in dem Stübchen eine Gejtalt von dem Stuhle zur Seite des Bette erhob und mit leijen Tritten zum Fenfter glitt. Es war Pauli, der die Tajhenuhr, die er aufgenommen hatte, an

154 Der Herrgottfchniger von Ammergan.

jenen Spalt des Fenſter— laden? hob, durch den das meiſte Zichteindrang. Dann ging er wieder zurück, beugte jich über den Kranken und flüfterte: Lehnl!. . Lehnl!“

„Was is?“ klang mit ſchwacher Stimme die Ant— wort.

„Die Stund is aus, einnehmen mußt.“

„So gieb halt her!“

Man hörte das matte Schnalzen eines aufgehenden Korkes, das Teije Klingen des mit dem Löffel berührten Glaſes dann ſank der Kranke jchwer in die Kiffen zurück, und alles war wieder ftill.

Die ungeftörte Ruhe während de3 ganzen Tages und das bejänftigende Medikament, das der aus Ammergau jchon in aller Frühe herbeigeholte Arzt verordnet hatte, waren für da Befinden Lehnls von der beften Wirkung geweſen. Seine, troß der hohen Fahre kräftige Natur Hatte auch das ihrige gethan, und jo war e3 gekommen, daß

Der Herrgottichniger von Ammergau. 155

ih Zehn! gegen Abend wohler befand, als man de3 Morgens nad) feiner ſchweren Kopfwunde hätte Hoffen fönnen. Außer den Betheiligten und dem Knete, den Pauli in der Frühe nad) dem Arzte geichiet hatte, wußte im Dorf noch niemand etwas von dem Vorfall. Muckl hatte wohl guten Grund, nicht davon zu reden, und wenn Pauli gegen niemand gejprochen oder niemand zur Hilfeleiftung

‚berbeigezogen Hatte, jo war es auf die injtändige

Bitte Lehnls gejchehen, der die Angſt nicht be— meiftern kounte, die Leute möchten von dem einen aufs andere kommen und fo jein ſorgſam gehegtes Geheimnis in Gefahr bringen oder zum mindejten den guten Ruf feines Kindes. Daß Pauli diejer Bitte Folge geleiitet, hatte viel zu Lehnls Be— ruhigung beigetragen. Nun lag er mit gejchloffenen Augen und laufchte den vom Wirtshaus herüber— flingenden Weiſen.

Die jpärlichen Lichter, welche durch die Spalten der Fenſterläden in das Stübchen fielen, wurden immer bläffer und bläjfer, bis fie endlich ganz erlojchen.

Lehnls Hand, die ruhig auf der Dede ge: legen, hob fich und taſtete nach Paulis Arm.

156 Der Herrgottfhniger von Ammergau.

„Pauli!“ flüfterte der Kranke, ohne das ver: bundene Haupt zu regen.

„Bag magft?” fragte der Burjche und beugte ſich nieder.

„Hörit es?“ Er meinte die herüberklingende Muſik. „Möchteit leicht ein bißl nüber? Gelt?*

„Was fallt dir ein! Ich werd dich doch net allein laffen . . . in dei'm Zuſtand!“

„Die Loni möcht ſich aber ſorgen un mid... fönnteft ihr Schon ein Wörtl jagen; mir wär net recht gut... oder was fonft fagen magit. Aber mach's met arg.”

„Ra, na! Sch kann doch net weg gehen!“

„Bann ich aber jchlafet?*

„KRachher vielleicht.“

„Net vielleicht... verfprich mir's .. . g’wiß!“

„Ja ... ja ... ſei nur ftad und jtreng dich net z'arg an!“

Es dauerte kaum ein paar Minuten, ſo fing Lehnl leiſe zu ſchnarchen an. Pauli wußte wohl, daß er ſo raſch nicht eingeſchlafen ſein konnte, aber er hielt es für gut, auf den Wunſch des Kranken einzugehen. Sein eigenes Herz ſprach ihm wohl auch ein wenig zu, und ſo erhob er

Der Herrgottfchniger von Ammergan. 157

fi denn, zog geräuſchlos jeine ‚Feiertagsjoppe an und ging.

Al Bauli, von Bekannten und Freunden vielfach angeſprochen und aufgehalten, endlich die ihmale Treppe, welche zu dem im erften Stode des Wirtshaufes gelegenen Tanzboden emporführte, hinter fich hatte und auf die offene Thüre zutrat, war gerade ein Tanz zu Ende. Plaudernd, lär- mend und jauchzend umſchritten die einzelnen Paare den niederen Saal, um fich früher oder jpäter an die reich gedecdten Tijche zu verlieren, die in dem anftoßenden Zimmer durch einen breiten Wanddurchbruch fichtbar waren.

„So ſchick dich!” hörte Pauli Lonis helle Stimme von der Treppe her, und gleich darauf erichien fie auf der oberiten Stufe. Das Mädchen jah reizend aus in dem Sonntagsftaate mit dem geblümten jeidenen Röckchen und dem fchwarzen Miederhen, an dem das Silberne Schnürzeug prunkte und die alten Schaumünzen klirrten und Elingelten. Wie eine dunkle Krone jaß Die glanz- haarige Bibermüge über ihren braunen Flechten, und der großmütig ftolze Gruß, mit dem fie jet an Pauli vorüber in den Tanzjaal jchritt, Hätte

158 Der Herrgottichniger von Ammergau. wahrhaftig auch einer gefrönten Fürjtin Ehre ge- macht. Ihr auf dem Fuße folgte Loisl, einen mächtigen, mit Waſſer gefüllten Blechtrichter in der Hand, deſſen untere Offnung er ſorgfältig mit dem Finger zugedrückt hielt. Als die beiden eingetreten waren, hörte Pauli das Mädchen noch zu Loisl jagen: „So... jetzt ſpritz, aber ordentlich!” und ſah auch noch, twie der Gaisbub anfing, mitdem aus dem Trichter fließenden dünnen Wafferftrahl die wun— derlichiten Arabesken auf den jtaubigen Fußboden zu zeichnen; dann wandte er fi), jchritt über den Gang zurück und trat durch die Hintere Thür in die Gaftftube, um die Brautleute zu begrüßen.

Loni jah ein paar Sekunden noch der Arbeit Loisls zu und wollte dann ebenfall3 in die Gaſt— jtube eintreten, al3 Mudl ihr entgegenfam und fie aufhielt. Am frühen Morgen jhon war der Burſche einigemal lauernd an Paulis Häuschen vorüber gejchlichen, hatte wohl bemerkt, daß die Fenjterläden geichloffen blieben, und Hatte auch den herbeigeholten Arzt eintreten jehen; jo trieb ihn nun eine leife Angst, zu verjuchen, ob er viel- leiht von Loni etwas Näheres über das Befinden Lehnls erfahren Eönute,

Der Herrgottfääniger von Ammergau. 159

R

Er zeichnete mit dem Wafjerfirabl die wunberlichften Arabesten auf den Fußboden.

160 Der Herrgottfhntger von Ammergau,

„Haft du vielleicht was g’hört, wie ’3 den Lehnl geht?” ſprach er dad Mädchen an.

„Wie ’3 ihm geht? Ja fehlt ihm denn was?“ war Lonis verwunderte Frage. Hätte fie nur dem Burjchen mit etwas weniger Unbefangenheit ins Ge— jicht geblickt, fo würde ihr die Verlegenheit nicht ent= gangen fein, die fich bei diefen Worten feiner be= mächtigte.

„Ja ... das heißt... ich weiß net,” gab er jtodend zur Antwort; „ich Hab nur jo was läuten hören, als ob er g’fallen wär und hätt ji am Kopf oder am Arm aufg’schlagen.“

„Du machſt mir ja völlig angft!“

„Der Pauli fol ihn g’funden und joll ihn zu fi) heim'bracht haben.“

„Siehit e8, ſiehſt e8, hab ich mir doch heut früh gleich "denkt, e3 müßt was g'ſchehen fein! Weißt, der Lehnl i3 mit mir gejtern auf d'Alm ’gangen und über Nacht droben ’blieben. Heut in der Früh ſchrei ih ihm... . ſchrei allweil, frieg aber fein’ Antwort... und wie ich in fein’ Liegeritatt fchau, iS er nimmer da,“

„Seh weiter!“ gab Muckl mit gut gejpielter Verwunderung zurüd, „Aber wie g’jagt, ich kann dir gar nie G'wiſſes jagen.”

Der Herrgottfchhniger von Ammergau. 161

„Da muß ich ja doch gleich nach dem Pauli ſchaun . . grad vorhin is er dort noch unter der Thür g'ſtanden.“ Damit ließ Loni den Burichen ftehen, der ihr ſpöttiſch lächelnd nachblidte, einen halblauten kurzen Pfiff that und fich auf dem Abjag gegen die Thür der Gaftitube drehte. Doc) als er die Schwelle überfchreiten wollte, trat ihm Bauli in den Weg.

„Halt, Mudl, ich hab ein Wörtl 3’ reden mit dir!” Die Blicke, mit denen Pauli diefe Worte begleitete, waren gerade nicht die gutmütigften.

Muckl trat einige Schritte zurücd und mufterte Paulis Schuhe. „Schau... kommſt du gar aud) zum Tanz?“ fragte er mit jpöttiichem Lächeln. „sh hätt "glaubt, deine Schuh wären noch net troden ... ’3 is gar feucht g’wejen heut nacht auf der Alm.“

Wie ein Blitz fam Pauli bei diefen Worten der Gedanke, Muckl könne, verborgen im Gebüſch, mit angehört haben, was er mit Lehnl gejprochen und was ihm diefer vertraut hatte. Einen hafti- gen Schritt machte er gegen den Burjchen und faßte ihn mit eijernem Griff am Arm. Muckl

mußte eingejhüchtert und zum Schweigen ges Ganghofer, Bergluft. 11

162 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

zwungen werden, jei es auch um den Preis einer Unwahrheit.

„Ein einzigs Wörtl wenn du ſchnaufſt über die G'ſchicht,“ ſo flüſterte er ihm zu, „nachher bring ich dich aufs G'richt. Der Lehnl liegt bei mir daheim im Sterben, daß du's weißt.“

Mudl erblaßte.. Sein Gefiht nahm einen trogigen Ausdrud an, als er erwiderte: „Was geht denn das mich an...“

„Sei ftad!” herrſchte ihm Pauli zu und ließ feinen Arm fahren, denn er fah, daß Loni aus der Thüre trat und auf ihn zueilte.

„Bauli... i8 wahr, was ich über den Lehnl g’hört hab 2” fragte das Mädchen bejorgt.

„Von wen haft du was g’hört?” Und mit großen Augen blidte Pauli in Lonis Geficht.

„Brad vorhin... vom Muck.“

Pauli jah ſich nach dem Burfchen um, der e3 aber für geraten befunden hatte, ſich nach Lonis Eintreten ftilfchweigend zu entfernen. „So... bon dem haft du's g’hört!” fagte er langjam. „Aber mie fommft denn nachher dazu, daß du mich um den Lehnl fragſt?“

„Du Haft ihn ja g’funden, hat der Muckl g'ſagt. Is denn net ſo?“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 163

„sa...ja... e8 id Schon fo...” gab Bauli zögernd zurück.

„Aber ich möcht nur willen, wie der Lehnl dazu kommt, daß ihm jo was pajltert ?“

„Ich dene mir halt,“ gab Pauli verlegen zur Antwort, „er wird in aller Früh aufg’itan- den fein, um dir ein’

Bujchen 3’ bro= den, [damit er dir gleich eine Freud machen könnt, wenn Du aufs wachſt ...“

„Der gute Menſch!“

„Und da wird's halt noch ein bißl finſter g'weſen fein... und ja... no... und da wird er wohl g’fallen fein.“

„Aber wie fommft denn nachher du...“

164 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„sch war heut in der Früh jchon einmal da,“ fiel Bauli dem Mädchen Haftig ins Wort, „un dir ein’ Gruß ausz’richten vom Lehnl und dir zjagen, du jollft fein’ Angft net haben, und es wär net jo ſchlimm; haft es aber jo nötig g’habt, daß du mir fagen haft lafjen, du fönntft dir net denken, was ich mit dir z’reden hätt. Jetzt weißt es ja, wie’3 mit dem Lehnl fteht.” Damit wandte ih Pauli zum Gehen. Loni war aber mit dieſem Beicheid nicht zufrieden, jondern faßte den Bur— ihen am Arm und fragte weiter;

„Aber wo haft denn du ihn g’funden 2"

„Bo ich ihn g’funden hab?...ja... fchau, das is Doc wohl net jo wichtig... und... .* Bauli wußte wahrhaftig nicht mehr, waß er dem - Mädchen jagen follte; erleichtert atmete er deshalb auf, als ihm plöglid ein anderer Umftand zu Hilfe fam. „Seh... da ſchau ... der Hochzeit: lader!“ rief er aus und deutete nach der Thüre, durch die der Genannte in den Tanzjaal trat, den reich mit Bändern geſchmückten Stab ſchwingend und umdrängt von der fchwaßenden Schaar der Mädchen und Burjchen. Pauli benügte den Augen: blid, um ſich von Loni loszumachen und fich zu

Ki. .

Der Herrgottichniger von Ammergau. 165

entfernen. An dem Lostanz, der jet nach alter Sitte abgehalten werden jollte, hatte er fein In— terefje, da e3 ihm wenig Vergnügen bereiten konnte, mit dem nächſtbeſten, durch das 208 ihm beftimmten Mädchen zu tanzen.

9.

De Hochzeitlader hatte inzwijchen einen ſchweren Stand. Die Lo3zettel mußten mit den Namen der einzelnen Burjchen bejchrieben werden, bon denen jeder zuerſt die Gewißheit haben wollte, daß er ja nicht überfehen würde. Das Schreiben ging dem Alten auch nicht gerade bejonders leicht von der Hand, und jo war er zu Tod froh, als Muckl fih ihm zum Gehilfen anbot. Die be- ichriebenen Zettel wurden gerollt und in den Hut

Der Herrgottihniger von Ammergau. 167

des Hochzeitladers geworfen. Bei dieſer Gelegen- heit drückte Muckl dem Alten heimlich ein gefaltetes 203 in die Hand und flüfterte ihm zu: „Da fteht dem Pauli fein Namen drauf; den giebit z’aller- legt der Loni. Es foll dein Schaden net jein.“

Beiftimmend zwinterte der Hochzeitlader mit den Augen, dann nahm er den Hut mit den Zetteln und rief:

„Allo ber da zum G'ſpiel! Buben und DeandIn! Ein jeds kommtans Ziel! Seids alleda ?"

„Ja!“ ichallte es laut im Chorus.

„Sranzerl, komm her,“ rief der Hochzeitlader einen der zunächitftehenden Mädchen zu, „mac du den Anfang!“

Das Mädchen zog ein Los aus dem Hut und reichte es dem Alten.

„Alſo auf’paßt!” rief Diefer, nachdem er den Namen des Loſes zuerit für jich geleien hatte, „Srites Paar: Die ehr: und tugendjfame Jungs frau Franziska Reindl mit dem Hocdhlöblichen Jüngling Kajpar Hintermeier.“

„Da bin ich Schon !* Tachte der Burjche, drängte fih duch den Kreis und faßte mit hellem Juh— Ichrei da3 Mädchen um die Hüften.

168 Der Herrgottfääniger von Ammergau. Sp ähnlich) ging e3 weiter; Baar um Baar wurde ausgeloſt, biß die Zettel zu Ende waren. „Halt ... halt!“ rief plöglich der Hochzeit- Lader, als fich der Kreis der Umftehenden jchon zer: ftrenen wollte. „Da hat = ji) jagar fo ein verfluchts Mal Papierl unter Hutfutter verſchoben!“ Geſchickt praktizierte er das abſichtlich zurückge— haltene 208 in den Hut. „Welche von die DeandIn Hat noch

net zogen?“ „Da...dort... d'Loni! Die hat g’wiß och fein’ Lostänzer |” fiel Muckl haſtig ein und zeigte auf das Mädchen, das, mit einer alten Bäuerin plaudernd, eben den Tanzboden betrat.

Der Hoczeitlader jchritt auf Zoni zu, und der ganze Kreis drängte fid) ihm nad. „Sa was i3 denn, Loni,“ rief der Alte das Mädchen an,

Der Herrgottſchnitzer von Aınmergau. 169

„du wirft doch beim Spiel fein’ Ausnahm net machen? Schau, da is grad noch ein Los da.“

„Ro, jo geh her, daß eine Ruh iS!” gab Loni lähelnd zur Antwort, nahm das 208 aus dem Hut und reichte es dem Hochzeitlader.

„Jetzt bin ich aber neugierig... . jo neugierig war ich noch nie!” rief Mudl, trat an die Seite des Hochzeitladers und blickte ihm über die Schul- ter, als er das 208 aufrollte. „Seh... der Pauli!“ lachte er laut auf.

„Letztes Baar: die ehrengeacdhtete Jungfrau Appollonia Höflmaier und der tugendjame Jüng— ling Paulus Lohner, Herrgottichniger.”

Eine jähe Nöte hatte im erjten Moment Lonis Antlitz überflogen; dann riß fie dem Hoch— zeitlader, der die Entſcheidung des Loſes verkündete, den Zettel au der Hand, um fich zu überzeugen, ob er wirklich den ihr fo leidigen Namen enthalte.

„Schau, jhau, der Baulil” kicherte Mudl. „Der muß dir rein von unſerm Herrgott auf: g’jegt jein, weil er ihn dir fogar beim Lostanz bis auf die Lest aufhebt.“

„Das is ein’ ab’fartete G'ſchicht!“ fuhr Loni auf, „da thu ich net mit!“

170 Der Herrgottihniger von Aınmergau.

„Wär net z'wider!“ fiel der Hochzeitlader mit möglichft entrüftetem Tone ein. „So wie ’3 203 fallt, jo muß ’tanzt werden ; das is Gotte3- willen !“

Loni zudte die Schultern und warf die roten Lippen auf. „Da hätt unfer Herrgott viel z'thun, wenn er fih um al Eure Narreteien kümmern müßt!“

„Aber wo ſteckt denn der Pauli?“ fragte der Hochzeitlader und blickte juchend im Kreis umber.

„Dan wird’3 ihm wohl jagen lafien müffen,“ meinte Mudl, „dem blinden Godel, was ihm 3 Glück für ein Gerftenkörndl ins Maul g’ftedt hat. Geh weiter, Loisl, rühr dich!“ ſchnauzte er den Gaisbuben an, der fich neugierig herbeige- gedrängt hatte.

„Befehlen Euer Gnaden!” Dazu machte Lois! eine tiefe Verbeugung, wobei er fomplimentierend den Blechtrichter abnahm, den er auf jeinen Kraus— fopf geitülpt hatte, und fprang davon, um Bauli zu juchen,

„Dach dir fein’ Müh,“ vief ihm Loni noch nad, „er wird's noch zeitlich g'nug erfahren.“

„Du wirft doch net am End „Na“ jagen?“

Der Herrgottfhniger von Ammergan. 171

fragte Muckl, und lauernd blicte er dem Mädchen in die Augen.

„Bas ich thu, iS meine Sach!“ war die bündige Antwort.

„Das ſchon,“ gab Muckl lächelnd zurücd, „aber der Lostanz is ein alter Brauch, und wie fich’s trifft, jo muß 'tanzt werden.“ Die lebhafteiten Zeichen der Beiftimmung von Seite der umftehenden Burjchen begleiteten diefe Worte. „Da thäten wir uns g’hörig auf die Füß stellen, wenn bu ein’ Ausnahm machen mollteft!“

„Hab ich denn g'ſagt, daß ich's will?” fuhr Loni auf, und ihr Geficht rötete fih vor Erregung. „Aber wann ich’3 wollt, nachher fönnts ihr alle mid net davon abhalten!“

„D ja! Das können wir!“ rief ein Burſche aus dem Haufen, und jchreiend und proteitierend drängte alles auf Loni ein.

Muckl lachte laut hinaus. „Geh, plag did) net, du Feinipinnerin. Man weiß ja dod, daß bald Hochzeit macht mit dem Pauli!“

„Dumms G'ſchwatz, einfältigs!“ gab Loni mit bebender Stimme zurück. „Hab ich vielleicht je einmal ein' Grund 'geben, daß du ſo daherreden kannſt?“

172 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„Anm Tag und am Tanzboden vielleicht net,“ war Muckls jpöttiiche Antwort, „aber... .. wer weiß... . vielleicht bei der Nacht auf der Alm!“

„Mucklh!“ Hang ed mit zornigem Aufſchrei von den Lippen des Mädchens, das bis in den Hals erblagt war.

„Deshalb brauchſt net jo aufz'fahren,“ er- widerte Muckl mit einer verlegenden Vertraulich— lichkeit, „e3 i8 doc) jchon, wie's is. In aller Früh haben ’3 ja jhon die Spaten am Dad ’pfiffen, daß der Pauli heut nacht auf der Weglalmı bei dir am Kammerfenſter war.“

Dem Mädchen jtockte der Atem. „Der Bauli... an mei'm . . .“

„Da is der Pauli!“ klang Loisls Stimme von der Thüre her, und Pauli, dem die Freude über den glücklichen Zufall aus den Augen leuchtete, drängte ſich ſchon durch die Umſtehenden.

„Ja Deandl,“ ſprach er Loni an, „is's denn wahr? du und id... das is ja doch 's reinſte Glücksſpiel! Eine Freud hab ich, daß ich gleich nar— riſch werden könnt. Und fhamen wirft dich g'wiß auch net müſſen mit mir, denn wenn ich auch 3 Tan— zen Schon lang nimmer ’trieben hab, verlernt,

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 173

mein’ ich, hab ich’3 doch noch net!” Damit ſtreckte er die Arme nah Loni aus, war aber bitter überrajcht, als ihn das Mädchen mit harter Fauſt zurüditieß.

„sh will dir aber jagen... was du ver: lernt haſt,“ brach es in heißen Worten von ihren Lippen, „die NRechtihaffenheit von ei'm braven Burſchen ... dur falfcher, jcheinheiliger Menſch, der ſich net ſchämt, ein braves Deandl um ihren ehr— lichen Namen z'bringen durch deine Schlechtigkeit und Hinterliſt!“ Ein tiefer, ſchluchzender Atemzug erſchütterte Lonis Bruſt.

Der arme Burſche wußte gar nicht, wie ihm geſchah; mit weitgeöffneten, ſtarren Augen blickte er ſprachlos auf das Mädchen.

„Und drum ſag ich dir jetzt,“ zürnte Loni weiter, „da, wo ich bin, haft du in Zukunft nix mehr z'ſuchen. Dein’ Tanz aber... ,” mit zittern: den Händen zerriß fie das Los und warf dem Burſchen die Feen vor die Füße, „da haft ihn, den kannſt halten, mit wem du willft. Die Loni 13 von heut an nimmer für dich auf der Welt... das merkſt dir! Und daß du's net vergißt, und daß die MadIn alle, wie j’ da rumftehen, willen,

174 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

wie man mit ei'm foldhen nirnugigen Menfchen umgeht, jo will idy’3 ihnen zeigen .. .” einen haftigen Schritt machte fie auf den Burſchen zu, „du Schlechter Kerl!“ Und ein brennender Schlag fiel auf Pauli Wange.

Wie flüjliges Feuer ftieg dem Burjchen das Blut in Wangen und Stirne; die Adern an Hals und Schläfen ſchwollen ihm zum Springen, und ein Schauer flog über feine Geftalt. Plöglich hörte er, wie ihm einer ins Ohr zifchelte: „So was wirft du dir doch net g’fallen laſſen ... vom Pechlerlehnl feiner Tochter!” Es war Muckl und Pauli wußte nun, wen er diefe Schmac zu danken Hatte. In der erſten Wallung feines Zornes wollte er fich über den ſcheu zurück— weichenden Burjchen ftürzen, aber wie mit einem Schlage ftanden all die Erlebniffe der letzten Naht vor feinen Augen, er hörte daS leiſe Flehen des blutenden, um jein Geheimnis be— jorgten Alten, er dachte des eigenen Schmwures, und kraftlos ſanken ihm die erhobenen Arme nieder.

Da fiel fein Bli auf Loni, die, ohne ſich umzubliden, zur Thüre ging Mit ein paar

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 175

Schritten hatte er das Mädchen eingeholt und zog die Widerjtrebende mit unerwehrbarer Gewalt in den Tanzjaal zurück. „Halt Loni . . . nei von der Stell,“ ſo tlang es von ſeinen siiteenben et, „bis ic) dir g’jagt hab, wozu du mich rausg’fordert haft. Wie id) jederzeit zu dir g’ftanden bin, wie mein Herz an bir q’hängt 4% i3, das braud) ich dir nimmer (A zjagen; wohl aber, daß fein’ mehr N finden wirft auf der Welt, der's 7 ſo ehrlich mit dir meint, wie ich!“

„sa glaubjt denn

..* fuhr Loni auf. / 9

„Red net!“ ſchnitt N —J— ihr Pauli mit harten 4 Tone das Wort ab. | „Bas ich dir jegt zum jagen Hab, is or Frag und braucht auch fein’ Antwort. Ich will auch den Grund net willen, warum du mich g’ichlagen haft. Denn was man dir aud) von mir eing’redt hat...” und ein drohender Blick fiel auf Muck, „und ich weiß auch, wer dir's eing’redt hat

176 Der Herrgottihniger von Ammergau.

. . . jo weit hätteft mich kennen jollen, daß, wenn's was Schlechtes g’wejen wär, daß e3 grad des: wegen eine Zug hätt fein müffen. Übrigens brauch ic) mid) net vor dir zu vertheidigen.... ich wüßt net wozu... aber ich jag dir bloß das einzige: Sei froh, daß dur ein Deandl bift, das erſpart dir wenigſtens die Vergeltung für den Schlag.“ Baus 113 Fäufte ballten fich bei diejen Worten, und aus jeinen Mugen blitte der heiße Zorn über die er- littene Schmad).

Mit großen, regungslojen Augen blickte Loni auf den Burfchen, der vor ihr ftand, ein Bild zürnen- der Männlichkeit. Es ward ihr bange vor diejen Hammenden Bliden, unwillkürlich trat fie einen Schritt zurüd und umklammerte, wie Schuß juchend, mit zitternden Händen den Arm einer Freundin.

Da fielen Baulis Augen über die auf dem Bo- den zerjtreuten Fetzen des zerriffenen Loſes, und jeine Lippen zudten in erzwungenem Lächeln. „Die Fetzen vom Los hätteft mir auch net vor die Füß Hinz’werfen ’braudt . . . denn daß ich noch mit dir tanzen wollt, das wirft ja doch net glauben. Zwar... wann ich wollt... mußt net meinen, dag mich was abhalten könnt... denn...” dicht

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Der Herrgottfchniger von Ammergau. 177

Er faßte Loni mit beiden Händen um die Hüfte und ſchwang fie mit geftredten Armen hoch empor.

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178 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

trat er vor Loni hin und hob ihr ſeine ſtarken Arnıe bis an die Augen, „da ſchau dir j’ an, Die zwei Arm, mit denen lupfet ich dich in d’ Höh...“ dabei faßte er Loni mit beiden Händen um die Hüfte, ſchwang fie mit geftredten Armen hoch über den Kopf empor, und indem er jich ein paar= mal um fich jelbft drehte, wirbelte er das Mädchen im Kreis umber, daß die Röcke flogen; mit jo fräftigem Ruck ftellte er fie wieder zur Erde, daß Loni, rückwärts taumelnd und mit beiden Händen nach einem Halte Hajchend, in die Arme ihrer Freundin ſank.

Ein Blid noch aus den Augen Pauli flog über da3 zitternde Mädchen. „Da ftehit... und jegt wenn ſagſt: zwiichen uns is nir und zwiſchen un wird nir, nachher fannjt recht haben! ... B'hüt Dich Gott!” So Hart und froftig waren dieje drei Worte wohl nie noch über Paulis Lippen gefommen, und wohl nie noch waren fie von einem jo finfteren Blick begleitet gewejen, wie der, mit dem fih Pauli von Loni wandte.

Scheu wichen die umftehenden Mädchen vor ihm zurüd, und auch die Burjchen machten gut: willig Plag, jo daß Pauli, von aller Augen ver:

Der Herrgottjcniger von Ammergau. 179

folgt, durch eine förmliche Gaffe jchreiten mußte, um die Thüre zu erreihen. Noch ein Schritt, und er war verichwunden.

Auf Loni war es wie ein lähmender Bann gelegen. Halb auf den Knieen, von den Armen ihrer Freundin gejtügt und mit der zitternden Hand am Munde, war jie regungslos verblieben und hatte mit jtarren, weitgeöffneten Augen dem forteilenden Burſchen nachgeblidt.

Kaum war aber Bauli durch die Thüre ver- ſchwunden, jo erjhütterte ein frampfhaftes Schludy: zen Lonis Brust; fie jprang auf, riß fich mit zornigem Ruck von ihrer Freundin [08 und ftürzte davon, mit beiden Händen das Antlig bededend, um vor all den neugierigen Augen, die mit uns verhehlter Schadenfreude nad ihr blickten, Die hervorbrehenden Thränen zu verbergen.

10,

Drei Wochen waren vergangen jeit jener für Pauli und Zoni jo verhängnisvollen Hochzeitsfeier. So manches war inzwifchen geichehen. Noch am

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Der Herrgottichniger von Ammergau.

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181

Abend der Hochzeit hatten die mit Pauli befreun— deten Bauernburſchen ein kleines Nachipiel auf: geführt im Vereine mit Mudl, der allerdings dabei etwa3 wider jeinen Willen betheiligt war. Die allgemeine Gemütlichkeit war geftört worden, und die Burjchen, welche fich in ihrer Quftbarkeit beeinträchtigt ſahen, ergingen fi in Stichelreden gegen Mudl; ein Wort gab dad andere; es ſetzte tüchtige Hiebe, und ehe der Wirt interbenieren fonnte, war Muckl die Treppe hinunter und zur Thüre hinausfpediert worden.

Als man dann acht Tage jpäter im Dorfe vernahm, Muckl hätte fich mit einer reichen Bauern- tochter aus einem benachbarten Dorfe verfprocen, die als eine böje Sieben befannt war, erregte das recht wenig Aufjehen. Spigige Worte für den neugebadenen Bräutigam feste e3 freilich in Hülle und Fülle,

Ebenjojehr, als Muckl jeit jenem Hochzeitstage an Beliebtheit verloren hatte, ebenfoviel hatte Pauli bei allen an Zuneigung gewonnen. Es ſchien auch, als ob er längft mit fich zur Ruhe gekommen wäre und alles verjchmerzt hätte; Tag für Tag, von früh bi3 in die finfende Nacht ftand er an feiner Schnitz—

182 Der Herrgottichniger von Ammergau.

banf, und die Arbeit wuchs ihm unter den Händen hervor. Das Wirtshaus hatte er jeit jenem Tage nie mehr betreten; des Mittag? ließ er fich jein Efjen herüberholen, ebenjo des Abends feinen Krug Bier; und während er ihn leer tranf, jaß er am Bette Lehnls, der langjam jeiner Genefung entgegenſchritt.

Der Unfall, der den Alten betroffen hatte in der Verſion, ald ob er gejtürzt wäre und fich dabei verwundet hätte war bald auch im Dorfe befannt geworden. Täglich fam der eine oder der andere, der den Kranken bejuchte, und mehr als genug ſprachen dieſe Bejucher dem Alten von jenem Vorfall beim Hochzeitsfeite. So oft aber Lehnl mit Bauli darüber reden wollte, jchnitt ihm diejer furz das Wort ab, oder jegte allen Fragen ein hartnädiges Stillihweigen entgegen.

Am häufigsten fam der Maler Baumiller, freilich mehr zu Pauli als zu Lehnl. Jetzt, nad): dem er der Meinung war, daß die Liebe zu Loni für den Burichen fein Grund zum Bleiben mehr jein könnte, verfolgte er jeinen alten Lieblings» plan, Bauli mit in die Stadt zu nehmen und ihn dort ausbilden zu laſſen, mit um fo größerer Hart— nädigfeit. Als Baumiller aber bei Pauli jelbit

Der Herrgottihniger von Ammergau. 183 nicht3 außrichtete, der dem eindringlichften Zu— ipruche des Malers nur immer ein „Sch geh net!” entgegenhielt, ſteckte er fich jogar Hinter den Bürger: weifter von Ammergau, damit diefer mit einem Mahtwort feinen Plan fördern möchte. Aber aud) diefes Mittel war ohne Erfolg geblieben. Selbit Paulis Mutter hatte ſich mit dem Maler verbündet; denn außer Lehnl war ſie vielleicht die einzige, die ſich durch die äußere Ruhe Paulis nicht täuſchen ließ, die ihm ins Herz ſah und von dem, was ſie darin gewahrte, gerade nicht ſehr erfreut war. So trug auch fie fich mit dem Glauben, daß es wohl für Bauli das beite wäre, wenn er fortginge. Aber wenn auch Bauli nicht Schon aus eigenem Antrieb jeder Überredung widerftanden hätte, wenn er wirklich einmal ſchwach und nachgiebig geworden wäre die Ginflüfterungen Lehnls, der in jeder nur möglichen Weile dem Plan des Malers ent: gegenarbeitete, hätten in dem Burjchen immer wieder den erjten Willen befejtigen müflen. Lehnl mußte wohl gewichtige Gründe haben, daß er jeinen jungen Freund ſtets aufs neue zum Bleiben er: mahnte; die Hoffnung, daß alles noch einmal gut werden könne, wollte den Alten nie verlaffen.

184 Der Herrgotifchniger von Ammergau.

Mit heißer Spannung erwartete Zehn! den Tag, an dem er zum erjtenmal das Haus verlafjen fönnte; und als diefer Tag gefommen war, führte der erite Ausgang den umgeduldigen Alten ins Wirtshaus hinüber.

Es war am Nachmittag eines für die jchon ziemlich vorgerückte Jahreszeit jelten jchönen Tages. Als Lehnl in die Wirtsjtube trat, fand er nur ein paar Holzknechte vor, welde mit Karten, die bis zur Unfenntlichkeit beſchmutzt waren, ihren Bittern ausfpielten. Die Kellnerin jaß neben dem Schänkkaſten und ftridte. Nachdem Lehnl diejen drei Leuten zur Genüge verjichert hatte, daß es ihm jegt recht pafjabel ginge, ſchritt er auf die Thüre

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 185

des Nebenzimmers zu, in dem er Loni vermutete. Er Hatte fih auch nicht getäufht. Das Mädchen ja am Fenſter und mühte fi) damit ab, einen in die Brüche gegangenen Hausrod ihres Pflege: vater3 wieder zujammenzurichten. Als Loni die Thüre gehen hörte, wandte fie langjam den Kopf, iprang aber dann in freudiger Überraſchung auf.

„Meiner Seel, der Zehn!” Und mit ausge: jtredten Händen eilte fie dem Alten entgegen.

Zehn jah dem Mädchen erftaunt, fast erjchredt ins Gejiht. Das frifche, blühende Not, das ſonſt auf diefen Wangen gelegen, war von ihnen gewichen, und die vollen, runden Baden waren recht jchmal geiworden.

„Sa wie geht’ dir den, du armer Kerl?” jo plauderte Loni weiter. „Was macht dein dein Kopf?“

„Mein Gott,” gab Lehnl zurüd, „jo ei'm dicken Schädel jchadet net leicht was. Wie geht’3 denn aber dir?... Schauft net gar gut aus! .... Hab allweil Zeitlang g’habt nad dir und hab "glaubt, du b'ſuchſt mich einmal.“

Loni wandte ſich ab und machte ſich am Tijche zu ſchaffen. „Sch wär ſchon "fommen... wenn... aber... .*

186 Der Herrgottfchniger von Ammergau

„Wenn... aber... in dad Haus, wo id) g’legen bin, gehit halt net ’nein. Gelt?“

„Du haft wohl g’hört . . .“ gab Loni mit gepreßter Stimme zur Antwort.

„G'hört und g’jehen g’nug!“ Dabei zog Lehnl einen Stuhl an den Tiiyh und ließ fich nieder. „Deandl . . . das war net recht!”

„Sagit du auch jo! Jh muß mir jchon von die andern Leut g’nug hören.”

„Meinft vielleicht, ichjollt dich loben auch noch? Das wär doch z’viel verlangt. Wer den Bauli g’jehen Hat, wie ich . . . wie er heim’fommen i3, fein Wortg’redt, ſein Feiertagsg'wandl wegg’worfen hat und wieder naus i3 bei der Thür ... Deandl ... der fann dir fein Fleißbillet geben. Erit am andern Tag in der Fruh is er wieder heim'kommen ... und wie ich ihn fragen hab wollen, was denn 18, hat’3 g’heißen: red nir, wenn du haben willit, daß ich dir gut bin.“

„Du biſt Halt auch wie die andern,” verjegte Loni mit ärgerlihem Ton in der Stimme, „vedit allweil bloß von ihm, aber net von mir. Hab mich Schon jo g'freut, daß ich mit dir über die Schicht disf’rieren könnt... . derweil iS das

Der Herrgottfchhniger von Ammergau. 187 auch nir!” Damit trat fie vom Tiſch weg an das Fenjter und nahm ihr Nähzeug wieder zur Hand. „etzt is halt aus!“ jeufzte fie tief auf und be— gann zu nähen.

„Ro... meinte Lehnl und blidte forjchend nach dem Mädchen, „das möcht ich grad doch net jo fteif behaupten. Denn was einmal die rich- tige Lieb war, die bleibt’3 auch, mag da g'ſchehen, was will.“ i

Loni warf den Kopf auf „So?“ rief fie erregt. „Du haft ihn net g’jehen, wie er da= g’itanden is und g’redt hat... ein ganz’ Manns— bild, wie man ſich's denkt . . . und wie er g’jagt hat: jet wenn ſagſt, zwiichen uns is nix und zwiſchen uns wird nir, nachher kannſt recht Haben! .. . Und dad B’hüt Gott... ich dank!“

„Sa, ja...” meinte Lehnl, „das will ich ihon glauben... aber... wenn auch bei ihm, wie ich mein’, 's Eis noch zum Brechen wär... du kannſt ihn ja Doc) nimmer mögen.”

„Ra...nie!” fuhr Loni auf. „Lieber jterben!“

Im gleihen Augenblick öffnete fich die Thüre, und der Maler Baumiller trat ein. Die üblichen Begrüßungen wurden gewechjelt, und wieder ein-

188 Der Herrgotifchniger von Ammergau.

mal mußte Lehnl ein halbes Dugend Fragen nad) jeinen Befinden beantworten. Dann verließ ber Alte da3 Gemadh, um aud dem Wirte ein Grüß Gott zu fagen.

Über alles mögliche plauderte der Maler inzwiſchen mit Loni; plöglih, mitten im Ges ipräche, neigte er jich über die Lehne des Stuhles, auf welchem Loni ſaß, und jprad) dem Mädchen ins Ohr: s

„Sag einmal, Zonerl, könnt man jet mit dir net auch einmal ein g’icheides Wörtl reden ?*

„Man müßt's halt probieren!”

„Wegen meiner und wegen dem Pauli.“

„Jeſſes, wenn ih nur den Namen nimmer Hören müßt!“ gab Loni unruhig zur Antwort. „Ihr wißt’3 ja, daß ich ihn net ausſtehen kann.“

„Ich red ja nur grad deswegen von ihm, daß du einmal zur Ruh fommit,” ſprach der Maler dem Mädchen eindringlich zu, „und das g’jchieht tet eher, vor der Pauli net geht.“

Hajtig hob Loni die Augen und blidte dem Maler ins Gefiht. „Daß er aber net geht,” gab fie zögernd zur Antwort, „ich mein’, das habt’3 oft g’nug Schon g'hört.“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 189

„Die Sad) is halt net recht an’padt worden! Du, Loni, du felber mußt die G’ichicht’ in Die Hand nehmen!“

Lonis Augen wurden immer größer, und bedenklich jchüttelte fie den Kopf. „Das veriteh id) net!”

„Wirſt e8 gleich veritehen!” ermwiderte Baus miller. Er 30g einen Stuhl zu Loni an Feniter, fieß fich ihr gegenüber nieder und faßte ihre beiden Hände „Sag, Xoni, kannt du's begreifen, daß ein Menjch mit ganzem Herzen und ganzer Seel was wiünjcht und hofft, jo daß er gar fein’ an- dern Gedanken mehr hat. Begreifit du das?“

„D ja!“ Ein tiefer Seufzer ſchwellte Die Bruft des Mädchens.

„Siehft, Loni,“ fuhr Baumiller fort, „jo ein G'fühl hab ich g’habt, wie ich ein junger Menich war. Wie ich zum malen ang’fangt hab, und wie ich die Bilder g’jehen hab von unjere großen Meiiter, da is in mir der Wunſch aufg’stiegen, was Gleiches zu ſchaffen und auch Bilder zu malen, vor denen die ganze Welt ftaunen müßt. Der Wunſch war ein recht chöner, und was an mei'm guten Willen und an mei’m Fleiß g’legen war,

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das is auch redlich g'ſchehen. Aber weiter hab ich's halt doch net bbracht, als daß meine Bild’In gern 'kauft worden ſind, und daß ich mir ein bißl was erworben hab. Schau, Deandl, damit du's veritehit, möcht ich jagen, mir iS ’gangen, wie ei'm Schneider, der ein’ Rod für ein’ großmächtigen Mann maden will... und ’3 Tuch reicht bloß für ein’ Buben. Das Tuch, daß heißt man bei uns Talent. Die Stund, wo ih zur Einficht ’fommen bin, daß bei mir ’3 Tuch net reicht, das war die fchwerite Stund in mei'm Leben. Da find ich auf einmal ein’ Menjchen, der das Talent, das mir g’fehlt hat, im reichiten Maß befigt, und dem, um das zu werden, was mir bei allem Fleiß net g’lungen is, nir fehlt, als die richtige Schul und der rechte Lehrer.”

In immer fteigender Aufmerkſamkeit hatte Loni dem Maler zugehört, und mit Ihüchterner Stimme fragte fie nun: „Is das der Pauli?“ .

„Sa, Deandl, dag i3 der Pauli!“ fiel der Maler ein, und feine Augen leuchteten, als er weiterfuhr: „Immer beſſer und befjer hab ich ihn fennen lernen... und wie mein Glauben an jein Talent immer mehr und mehr beftärkt worden

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 191

i8, da hat in mir unter all der Aſchen die alte Glut wieder aufg’flammt; da hab ich den Menjchen wachſen und werden jehen zu dem, was er werden fann; da Hab ih im Geiſt voraus ſchon Die Kunſtwerke ang’staunt, die unter feiner Hand einmal entjtehen . . und in Gedanken jeh ich die Leut fih drum ’rum drängen und Hör, wie jie einander erzählen: ‚Seht? ... dort... der alte Maler i3’3, der den Menjchen für die Kunſt g’wonnen hat!‘ Und von dem Dant, den die Welt ihm zu Füßen g’legt hätt, wär auch für mic) ein Theil ab: g’rallen, wern auch nur ein ganz Heiner... und ich wär z'frieden g’wejen !“

Loni konnte ihre Bewegung nicht mehr unter: drüden; fie jprang auf, und in unverhehlter Rüh—

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rung jtredte fie dem Maler die beiden Hände hin. „Was kann ich thun, damit ’3 jo fommt... jagen Sie3 mir... und ich thu's!“

„Du jelber mußt mit dem Pauli reden!“

„Ra... nal” fuhr Loni auf, und dunkle Nöte überfloß ihr Antlit. „Alles thu ih... alles... aber das... das kann ich net!“

„Seh, red net jo voreilig,” mahnte der Maler, „denn jiehft, Lonerl, was ich von dir verlang, das ift das einzige, was noch helfen Tann.”

„Und warum jol’3 grad helfen, wann ich mit ihm red!” fragte Loni zweifelnd. „Da glaub ich eher, daß mein Reden alles noch ſchlechter machet.“

„Und wenn's auch ſo wär, verſuchen mußt du's, ob du ihn net bewegen kannſt, daß er die Hand nach ſei'm Glück ausſtreckt.“ Der Maler trat an Lonis Seite, und indem er den Arm ver— traulich um ihre Schulter legte, fuhr er fort: „Siehſt, Deandl, du haft ſchon eine Schuld ab— ztragen an dem Menjchen! Sch weiß auch, und lang jhon Hab ich dir's ang’merkt, daß du 's jelber in dir jpürft, als ob’3 jo fein müßt.”

Mehmütig nickte das Mädchen vor fich Hin.

Der Herrgottfhniger von Ammergau. 193

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Der Maler legte den Arm vertraulich um ihre Schulter.

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194 Der Herrgotifchniger von Ammergau.

„Gelt,“ meinte der Maler, „g’itehft es auch ein? Drum jei g’iheid und laß dir auch. was jagen! Schau, der Pauli hat dich jo gern g’habt, daß mit demjelben böjen Tag noch net alles ver- raucht fein fanıı. So viel Lieb zu Dir bei ihn noch allweil z'Haus, daß er dir’ g’wiß net ab- ihlagt, wenn du zu ihm jagft: Pauli, ich bitt dich, geh fort, mich leidt's nimmer im Dorf, ſo— lang du da bift. Und wann er erft einmal bei mir in der Stadt iS, wann er all das Neue jieht, was ihm da entgegentritt, und warn er ’3 Arbeiten anfangt und ’3 Studieren, da müßt’3 doch mit dem Teufel zugehen, wenn er mit der Zeit net Die unglücjelige Lieb aus dem Kopf brädt, die ihn ein Elend is und dir ein Ung'mach, und wenn er net ein Menjch werden thät, der jein Glüd ver: dient und der jein Glück auch findet.“

Lautlos hatte das Mädchen dem Maler zu— gehört, und als dieſer ſchloß und Loni fragend anſah, legte ſie ihre Hand auf ſeinen Arm und ſchaute ihm mit forſchendem Blick in die Augen. Und leichte Röte huſchte über ihre Wangen, als ſie fragte: „Glaubts Ihr auch g'wiß, daß es dem Pauli ſein Glück ſein wird, wann er geht?“

Der Herrgottichniger von Ammergau. 195

„Es is mein’ feite Überzeugung!“ gab der Maler eifrig zur Antwort.

Haſtig ſtreckte ihm Loni die Hand hin. „In Gottes Namen... ich thu's ...“ ftieß fie mit zitternder Stimme hervor, „... . weil Ihnen ein G'fallen damit g'ſchieht . . . und weil... „“ Die Thränen ſchoſſen in Lonis Augen, und ein leijes Schluchzen erjchütterte ihre Lippen, „... und weil... . weilich jo froh bin, wann ih... den Menjchen nimmer fieh.“

„Seh, Lonerl,” tröftete der Maler, „geh, nimm's net jo ſchwer!“

„Schwer?“ fuhr Loni ganz entrüftet auf und wijchte rajch mit dem Nüden der Hand über Die Augen. „FJalt mir ja gar net ein!“

„Sp is recht!” rief der Maler freudig aus und drückte das Mädchen an feine Bruſt. „Seht fann ich ruhig wieder auf meine Berg nauf jteigen. Weißt, es muB ja net gleich jein. Sch geh heut fort auf ein paar Tag, und wann ich nachher heim fomm, können wir noch einmal drüber reden. Und nachher wird ſich ſchon einmal die rechte Zeit dazu finden. Jetzt b’hüt dich Gott... und ich dank dir Halt im voraus für dein’ guten Willen. B'hüt Gott!“

196 Der Herrgottihniger von Ammergan.

Noch einmal jchüttelte Baumiller dem Mäd— hen die Hand, dann nahm er feinen Hut und ging.

Lange, lange noch ftand Loni regungslos und ftarrte vor fich hin auf die Erde. Sie wußte gar nicht mehr, wie es gefommen war, daß fie dieſes un jelige Verfprechen geben fonnte. Sie und reden? Mit jenem Menſchen, der ihr jo bitterböje Worte gejagt hatte, vor all ihren Freundinnen, vor dem ganzen Dorf? Aber freilich, hatte fie denn nicht ielbit ... .

Boni fchlug beide Hände vor die Augen. Sie hatte nicht den Mut, jenen Gedanken auszudenken, der fie jelbit aller Schuld zeihen mußte. Sie jhritt auf das Fenſter zu, ließ fich nieder und nahın ihre Näharbeit wieder zur Hand. Aber die Nadel zwijchen ihren Fingern war recht träge, und nur langjam juchte fie ihren Weg durch das wider: ipenftige Tuch, bis fie auf einmal wieder ganz jtille jtand.

„Es muß ja net gleich ſein!“ murmelte Boni vor jich Hin, die Worte des Malers wiederholend. Dann jprang fie plöglih auf. „Wohl muß es gleich fein, denn ein altes Sprihwort jagt: man

Der Herrgottichniger von Ammergau. 197 muß das Eijen jchmieden, jo lang's heiß is." Sie eilte zur Thür und rief hinaus: „Rest!“

Da3 Mädchen fam und fragte: „Was magit ?*

„Seh nüber zum Pauli und jag ihm, er toll gleich auf der Stell rüber fommen, der Herr Baumiller hätt was Wichtiges mit ihm z'reden!“

Resl Hatte den Maler fortgehen ſehen und blickte fragend auf Loni: „Ja ... aber ...“

„Schau net ſo dumm drein,“ fuhr Loni ſie zornig an, „ſondern thu, was ich dir ſchaff.“

„Das is aber g'ſpaßig!“ knurrte Resl, als ſie kopfſchüttelnd ging, um Lonis Auftrag aus— zuführen.

Loni trat zum Tiſch, der in der Mitte des Zimmers ſtand, und da ihr augenblicklich keine andere Beſchäftigung einfiel oder nahe lag, ſo fing ſie an, mit den Fingernägeln aus den Klumſen der Tiſchplatte den grauen Sand herauszubohren, der ſich beim Reinfegen des Tiſches feſt in alle Ritzen gelegt hatte.

Ein paar Minuten mochten vergangen ſein, da klang aus der Wirtsſtube die Stimme der

198 Der Herrgottihniger von Ammergau.

Kellnerin: „Geh nur dort 'nein in d'Stuben!“ und jchwere Tritte näherten ji) der Thüre.

„Heilige Muttergottes, jteh mir bei,” flüfterte Zoni, „da is er ſchon!“

Il.

Ein ihüchternes Klopfen wurde hörbar; gleich darauf öffnete fich die Thür, und Pauli trat ein.

„Jeſſes ... d' Boni!“ Hujchte es von jeinen Lippen, als er dad Mädchen erblickte, und in pein— licher VBerlegenheit drehte er jeinen Filzhut zwiſchen den Fingern.

Mit der einen Hand auf den Tijch geitüst, ſtand Zoni da und blickte jcheu nach dem Bur— ihen hinüber. „Grüß Gott!“ Elang es leije von ihren Lippen.

„Srüß Gott auch!” war Paulis trodene Ant: wort. „Sch weiß net, ob ich da recht bin,“ fragte

200 Der Herrgottjhniger von Ammergau. er zögernd. „Sch Toll zum Herrn Baumiller fommen.“

„Sa, ja, biſt ſchon recht . .. .* ftieß Loni hervor, und als fiele ihr eine jchnellgeiprochene Züge weniger jchwer, jeßte fie haftig bei: „Er hat g’fagt, du ſollſt da warten... er wird gleich kommen ... hat er g’jagt.“

„Da werd ich freilich warten müſſen!“ Damit wandte fih Pauli zum Fenfter, welches dicht neben der Thüre lag, ftellte fich vor die Scheiben, freuzte die Arme hinter dem Nüden, wobei er zwijchen zwei Fingern feinen Hut leicht hin- und her— ſchwenkte, und blickte lautlos ins Freie hinaus.

Loni näherte fih ihm mit kurzen Schritten, aber ur jo weit, daß ihr ausgeſtreckter Arm mit den Fingerſpitzen noch immer die eine Tijchede be— rührte. Vergeben mühte fie fich, ein Wort über die Lippen zu bringen; es war ihr, ala ob eine unfihtbare Hand wie mit eijernen Fingern ihre Kehle umſchlöſſe. Bange Sekunden verranneıt, bis endlich Pauli, dem fich dieje peinliche Stille ebenſo drüdend aufs Herz legte, wie dem Mädchen, fich kurz bon Fenſter abwandte und der Thüre zufchritt mit den Worten: „Ich will doch lieber draußen warten!“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 201

„Ra... nal” fuhr Zoni erfchredt auf, und die Angſt, daß Pauli wirklich wieder gehen möchte, ipiegelte fih in ihren Mienen. „So bleib nur, der Herr Baumiller fommt gleih! Das heißt... e3 könnt ja möglich fein, daß er auch net gleich füm ... aber... wenn du ’3 vielleicht mit der Arbeit recht notwendig Haft... . ich weiß auch, was er dir zum jagen hat... . naher ... wenn du meinit . . . und wenn du's von mir anhören willſt . . . nachher könnt's ja ich bir auch jagen.“

Erwartungsvoll hingen die Augen Lonis an dem Geficht des Burfchen, der auf halbem Wege jtehen geblieben war und nun dem Mädchen voll ins Antlig blidte, während ein wehmütiges Lä— heln um feine Lippen huſchte. „Schau, Loni, plag dich net!“ erwiderte er nach furzem Schweigen. „Du haſt es ſchon in manchem recht weit ’bracht, aber 's Lügen bringit doch net recht z'ſamm. Drud ’3 nur raus, was mir zum jagen haft; ich merk's ja doch, daß's ein’ abg'machte Sad) is, daß du mit mir reden jolljt.“

Dunfle Röte übergoß Lonis Wangen. „Na... g'wiß net,“ ftotterte fie, „das heißt... .”

202 Der Herrgottichniger von Ammergau.

„Es is Schon gut!“ jchnitt ihr Pauli kurz das Wort ab und näherte fich wieder dem Fenſter.

Durch dieje legten Worte war Voni weiter bon ihrem Vorhaben abgebradit, al3 ihr lieb jein fonnte. Aber fie mußte nun ſprechen ... um jeden Preis. So faßte fie den erjten Gedanken auf, der ihr in den Sinn fam, und während fie jih dem Burjchen um ein zagendes Schrittlein näherte, fragte fie ſchüchtern: „Wie geht's denn dei'm Mutterl, Hab’3 lang nimmer g’jehn?“

„Ich dank, ganz gut!“ langes vom Fenſter her.

„Sc hab g’hört, fie redt dir allweil zu, du jollit mit dem Herrn Baumiller in d’ Stadt gehen?”

„Kann ſchon fein!“

„Und du mwollteit net?”

„Is aud möglich!”

Paulis kurze, trodene Antworten fonnten Loni nicht mehr einſchüchtern. Sie hatte den Faden nun einmal gewonnen, und mutig fragte fie weiter.

„Warum magjt denn net, wenn man fragen darf?”

„Weil's mich net freut!“

„Das 18 freilich ein ganz g’wichtiger Grund,“ wandte Zoni ein, „aber wer weiß, ob dein Mutter!

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 203

net am. End recht hat, und ob's net dein Glüd wär, wenn ihr folgen thäteft.“

Bis zur Unkenntlichfeit hatte Pauli während Lonis hartnäckigen Fragen jeinen Filzhut zus jammengedreht. Die legten Worte des Mädchens

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liegen ihn plöglich auf dieje immerhin unterhaltende Bejchäftigung ver— zihten, und mit jähem Ruck wandte er fich gegen Loni.

„No alſo ... ſiehſt es... da wären wir ja bei der Sad! Alles mögliche hat der Herr Bau— miller jchon probiert. Mein’ Mutter und den

204 Der Herrgottichniger von Ammergau.

Bürgermeijter hat er hinter mich g’hekt ... und jegt ſchickt er gar noch dich!“

„5a, Bauli, ich will's auch net länger leug- sen,” gab Loni zur Antwort, und haftig, ohne zu bedenken, was fie jprad), redete fie weiter: „Der Herr Baumiller hat mir das Verſprechen abg’nommen, daß ich dir zureden joll, daß du mit ihm in d’ Stadt gingft. Ein kleins bißl, hat er g’meint, könnteſt du doch noch auf das hören, was ich dir ſag . . . nachher hat er g’meint, wenn ich dir jaget: Pauli, mich leidt’3 nimmer im Dorf, jolang du da bift... mein’ Raſt und mein’ Ruh i8 weg ... geh fort von da... jo... jo thätit du's auch ... hat er g’jagt.“

Blindlings, in guter Meinung, das Richtige gefunden zu haben, hatte Loni fait Wort für Wort die Rede des Malers wiederholt und erichraf nun nicht wenig, als Bauli fie mit rauher Stimme anfuhr:

„Und du ſchamſt dich net, mir jo was ins G'ſicht zu jagen! Mein’ Ruh haft mir g’itohlen, um meiner Lieb willen haft mich b’ichandelt vor alle Leut, und jet kommſt und mwillit mein’ Lieb zu Hilf nehmen, um mid) von meiner Heimat

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 205

ztreiben, von Mutter und Haus. Loni, das is grundſchlecht!“

Flehend hob Loni die zitternden Hände. „Pauli... ich bitt dich um Gottes willen, glaub jo wa3 net von mir! Wenn ich mich hab über- reden lafjen, daß ich dir zufprich, jo war’3, weil ih überzeugt bin, es wär beſſer für dich, wenn gingit . . weil du mich dann vielleicht vergeſſen könnteſt . . . und alles, was g’ichehen is. Und wenn du nachher ein berühmter Bildhauer werden thätft und alle Leut dich gern hätten und in Ehren halten... und wenn du nachher recht reich werden thätft . . . jo hätt ich halt g’meint, könnteſt leicht auh das finden, was in deiner Heimat umſonſt g'ſucht haſt . . die Lieb von ei'm braven Deandl.“

Wären es nicht die Einflüſterungen ſchwer ge— kränkter Liebe geweſen, die Paulis Augen ver— dunkelten und ſeine Ohren ſchloſſen, er hätte aus Lonis Antlitz leſen müſſen, was in dem Innern des Mädchens vorging, und hätte hören müſſen, daß aus dem Klang dieſer Worte die wahrhaftigſte Offenheit eines geängjtigten Herzens jprad).

So aber jchüttelte er nur unmutig den Kopf, und mit heijerem Lachen rief er aus:

206 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„Alſo grad wegen mei'm Glück! Du mitlei- diges Deandl! Ich jag dir, ich glaub dir's net; ih glaub viel eher, daß du jest lügſt, und daß dein’ erite Red d' Wahrheit war, daß mid) bloß fort Haben willft, weil ich dir im Weg umgeh!”

„Ra, Bauli, g’wiß net!“ klang es flehend von Lonis Lippen.

„Laß gut jein!“ gab Pauli kurz zurück. „Ich geh dir aus dem Weg! Du jollit dein’ Ruh finden... ob ich mein Glüd, das is ein’ andere rag. Glaub aber ja net, daß ich mir aus dem Maler ſei'm G'ſchwatz eine Hoffnung mad. Ich will net berühmt werden und braud fein’ Neich- tum... was ich brauch, hab ich, Gott jei Dan, und wollt ich mir mehr wünjchen, jo müßt mich unjer Herrgott jtrafen! Aber mag’3 jet jein, wie's will . . id) geh . . und wenn ich auch in mein Unglüd renn.“

„Sa... wenn du jo denkſt ... Pauli... wär’ mir gleich lieber, du bliebeft da!“

Pauli blickte verwundert auf; es Hang ihm nun doc aus diejer Stimme etwas entgegen, was ihn ftugen machte; aber es fam ihm das jo jon- derbar vor, fo ganz unglaublich, daß er dem Ge—

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danken, der zu Lonis Gunjten fprach, nur einen einzigen Nugenblid Gehör jchenkte.

„Plag dich net, Zoni, dein Ernjt is ja doc net! Und meinetwegen brauchſt auch Fein’ Angit net 3’haben ... weil ſchon einmal jo mitleidig biit. Ich bin jchon über gar viel weg’tommen und werd mich auch da durchſchlagen! Freilich, wie jchwer als es mir wird, das fann dir gleich jein.... wenn's nur nach dei'm Kopf geht."

Durch Paulis legte Worte Hang ein Ton jo tiefen Schmerzes, daß die Thränen in Lonis Augen traten. Beherzt trat ſie dem Burſchen einen Schritt näher und zerknitterte in fieberhafter Ungeduld ihre weiße Schürze, während fie ſprach: „Na, Bauli... wenn du mich auch für recht jchlecht haltſt, jo ſchlecht bin ich doch net... und fiehjt, wenn du meinit, e3 wär net jo, wie der Herr Baumiller jagt, jondern jo, wie dur ſagſt ... ſiehſt . . da mein’ ich, wär's beffer, du gingft net fort, jondern bliebeit da und thätſt auch gleich... .“ das Blut ſchoß ihr ind Ant: liß, bei dem Gedanken an dag, was fie da eigentlich hatte jagen wollen, und im erften Augenblick hielt fie e3 für ein rechtes Glüd, daß Pauli fie im Weiter— ſprechen verhindert hatte, als er fie unterbrad:

208 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

„Seh, ſei ſtad!“

Und doch wär es ihr wieder lieber geweſen, er hätte ſie nicht unterbrochen, da ſie ihn nun weiter reden hörte: „Es is jetzt vorbeil Aber grad dadurch, daß ich jetzt geh, will ich dir noch be— weiſen, wie gern ich Did) g'habt hab . . . und ſomit b'hüt dich Gott!“ Er nickte einen ſtummen Gruß und ging zur Thüre.

Loni glaubte vor Schreck in die Erde ſinken zu müſſen, als ſie ihn gehen ſah. Gedanken und Worte verſagten ihr, und alle Qualen ihres ge— folterten Herzens machten ſich nur in einem ein— zigen Aufſchrei Luft.

„Pauli!“

Der Burſche hielt ſchon die Thürklinke in der Hand, als ihm dieſer Ausruf an das Ohr ſchlug. Er wandte ſich langſam wieder zu dem Mädchen und fragte: „Was is?“ Als er ſah, wie Loni vergebens ſich mühte, ein Wort hervorzubringen, ſprach er weiter: „Wenn noch ein' Wunſch haſt, ſchenier dich net... . jetzt geht's in ei'm Hin!“

„Wenn's wirklich... b'ſchloſſene Sad) is ... daß gehſt . . .“ kam es ſtockend über Lonis Lip— pen, „nachher .. . nachher könnteſt mir ja doch

Der Herrgottijäniger von Ammergau. 209 noch zum B'hüt Gott dein’ Hand geben!“ Zwi— ihen Weinen und Lachen Eangen diefe Worte halb wie eine Frage, halb wie eine Bitte, und als fie dem Burfchen nun die Hand entgegenitredte, eilte Bauli mit freudigen Ausruf auf das Mädchen zu. „Loni!“

Aber auf Halbem Wege hielt er an, und der ausgejtredte Arm fiel ihm nieder. „Nal Das geht ja doch net,“ ſprach er vor fi Hin, „daß ich die Hand druck, die nach mir g'ſchlagen hat.“

„Wenn ich dir aber jag, wie weh mir’3 all weil g’wejen is,” klang e3 ihm unter Thränen entgegen, „und wie ich jhon oft mit nafje Augen die Stund verwünjcht Hab, wo ich dir fo ein ſchwe— res Unrecht hab anthun können . . . und wenn ich dich ſo recht von Herzen um Verzeihung bitt“ ... und wieder ſtreckte ihm Loni die Hand entgegen, „darfſt mir dann dein' Hand auch net geben?“

Einer ſolch herzinnigen Bitte gegenüber gab es keinen Widerſtand mehr. „Ja, Loni!“ rief Pauli aus und ſchlug in die dargebotene Hand ein. „Das Wort macht viel vergeſſen und wird mir mein' Weg leichter machen!“

Scheu blickte Loni dem Burſchen in das freudig Ganghofer, Bergluft. 14

210 Der Herrgottjchniger von Ammergau.

erregte Antlig, und ein liebliches Rot ftieg in ihre Wangen, als fie jchüchtern fragte: „Und willjt denn jetzt auch wirklich fort?“

Der weiche, flehende Ton dieſer Worte ließ in dem Burjchen eine Ahnung auftauchen, welche ihn mit der Fülle ihrer Glückſeligkeit faft betäubte. Seine beiden Hände, mit denen er Lonis Finger umjpannt hielt, fingen zu zittern au, jeine Bruft hob und jenfte fid unter rafchen Atemzügen, und aus den Augen flammte ihm die Glut, die in jeinem Herzen jähling® emporloderte. „Loni.. .“ rief er auß, „Deandl ... du fragt mit einer Stimm, jo gut und lieb, wie ich’3 noch nie von dir g’hört Hab... und aus deine Augen jchaut’s mid an, daß ich's faſt net für möglich Halten kann! . . Loni? ... Meinſt net, es könnt nod) anders werden zwijchen uns?“

Berihämt blickte Boni zur Erde. „Meinft du?“ fragte fie mit leifer Stimme,

„Ich ſchon!“ flüfterte ihr Pauli ins Ohr.

„Ja . ..“ meinte das Mädchen bedädhtig, „wenn du vergeſſen könnteſt, was ich dir für eine Schand an'than hab... nachher mein’ ich auch!”

„Ah was Schand . . .“ kalkulierte Bauli mit

Der Herrgottiniger von Ammergau. 211

wachjendem Eifer, „es wär ja gar nie eine Schand g’wejen, wen net die Zeut dabei g’ftanden wären. Und du haſt es ja bloß in der Hitz 'than! Siehft, . alles ließ fich wieder gut machen, wenn du nur den feſten Willen hätteft, und wenn du dich ein bißl zjamm nähmſt.“

„So jag nur grad wie?” fragte Loni mit bor Freude zitternder Stimme.

„Wenn du mit mir Hand in Hand zur Kirch gingit und auf die Frag vom geiftlichen Herrn, ob du mich haben willft fürs ganze Zeben, vor all dene Leut recht laut jagen thätft: Sal... Willft das, Loni?“

Das Mädchen hatte dem Burjchen ihre Hände entwunden und das Antlit bededt, wie um Die Glut zu fühlen, die auf ihren Wangen flammte. Sie weinte und lachte, und ala Bauli nun zum zweitenmale fragte: „Willft das, Loni?“ wiſchte jie fi) die Thränen von den Baden und rief:

„Sa...ja... ih will! Und jo laut will ich's jagen, daß deine g’ichnigten Heiligen felber eine Freud dran haben follen. Sa... Dein will ic) g’hören mit Leib und Seel... du braver, du treuer Burſch!“

212 Der Herrgottfhniger von Ammergau. ——— —————

„Ja Loni, was treibſt denn?“

1 (009 E 8

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 213

Ihre Arme öffneten fih, und fie lag am Herzen Baulis, der ihr den erjten Kuß der Liebe und Treue auf die Lippen drüdte.

Sat gleichen Augenblide ging die Thür auf, und Lonis Pflegevater trat ein. Die Augen, die er machte, als er die beiden Herz an Herz liegen ſah!

„sa Loni! Was treibft denn?“ rief er aus und schlug vor Verwunderung die Hände zuſammen. „Bas macht denn?“

„Hochzeit, Vater... und das recht bald, wann nir dagegen haft!” war Lonis lachende Antwort.

„Was! Ja is denn jo was möglich!” rief der Wirt wieder und twieder.

„Freilich, das fiehft ja!” gab Pauli zurücd. „Und weil jchon da bift, nachher halt ich gleich) auch um d’ Loni an bei dir. Wer ich bin, das weißt, und was ich hab, kannſt leicht erfragen... . braucht bloß Sa jagen!“

„So? Meinit? Du Saperlot!“ polterte der Wirt. „Die alten Leut find wahrſcheinlich zu nie anderm auf der Welt, als zum Ja jagen!“

„In dem Fall jchon, Vater!” lachte Loni. „And wenn mid) gern Haft, nachher b’finnft dich auch net lang und ſagſt Ja!“

214 Der Herrgottihniger von Ammergau.

„Bas könnt's helfen, wenn ich’3 net thät,“ meinte der Wirt. „Drum gebt3 mir eure Händ ... und da habts mein’ Segen!“ Dabei legte er die Hände der beiden ineinander. „So... und jest madt3 mit einander aus, wann Hochzeit is ... und nachher fommt3 und jagt3 mir's!“ Mit zufriedenem Blick muſterte er noch ein= mal da Baar, dann ftürmte er zur Stube hinaus und hätte in feiner Eile beinahe den alten Lehnl, der dicht vor der Thüre ftand, zu Boden ge: worfen.

„Bas haft denn, Lehnl?“ fragte er erftaunt, als er dem Alten ins Geficht blickte. „Dir fteht ja 3 Waſſer in die Augen.“

„Eine Fliegen i3 mir nein g’flogen!“ gab Lehnl

Antwort, während er durch die halbgeöffnete

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 215

Thür in die Stube blinzelte, aus welcher der Wirt joeben gekommen war.

Da drinnen ftanden Loni und Pauli am enter, eines umjchlungen von den Armen des andern, und beſprachen ji, wann die Hochzeit ge— feiert werden jollte.

„Bald!“ lautete die Entjcheidung, in welcher beide übereinftimmten: „Necht bald!“

12,

Hei Tage jpäter wurde beim Wirte von Graswang Stuhlfeit gefeiert. In der großen Wirtö- jtube ftanden die weißgededten Tifche, und darım jaßen die geladenen Gäjte, zu oberft, am Ehren plaße, die Mutter des Bräutigam. Die alte Traudl itrahlte vor Vergnügen, und ihre Augen glänzten heller als all die blanfen Schaumünzen, die an dem filbernen Schnürwerf ihres Mieders baumel- ten. Neben ihr jaßen der Wirt und Loni, deren Stuhl freilich die meifte Zeit leer ftand, denn fie ließ e3 fich nicht nehmen, fleißig in der Küche nad): zujchauen und dafür zu jorgen, daß fein Teller leer wurde und fein Krug ungefüllt blieb.

Der Herrgotifchniger von Ammergau. 217

Auch der Rötelbahbauer war unter den ge= ladenen Gäjten; er jaß zwijchen feinem Sohne Muckl und jeiner zukünftigen Schmwiegertochter. Wenn die Qeute von diefer erzählten, fie hätte Haare auf den Zähnen, jo konnte das jedenfall mur bildlich gemeint fein, denn ihr Gebiß, das von der ichmalen Oberlippe faum zur Hälfte verdeckt wurde, war, wie der Augenjchein lehrte, vollftändig uns behaart.

Pauli, der zur Seite des Wirtes faß, war für die Unterhaltung der Säfte verloren. Er folgte nur immer mit leuchtenden Blicken dem geichäftigen Thun und Treiben jeiner Braut. Wenn ihn an dieſem Freudentage überhaupt etwas beunruhigen fonnte, jo war es die Abwejenheit Lehnls, den er Ihon ein paarmal vergebens im ganzen Hauje ge- jucht hatte. Ganz zufällig blickte er einmal durch das Fenster und jah gerade noch, wie Zehn! drüben im Austraghäuschen des Huberbauern die Thüre hinter fich zuzog. Er fprang vom Stuhl auf, jagte Loni, weshalb und wohin er ginge, und eilte hin— über nad) jeiner Wohnung, um den Alten herbei- zuholen, der ihm die zwei legten Tage in auffallen: der Weiſe ausgewichen war.

218 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

Loni hatte ihren Verlobten bis an die Haus: thüre begleitet, und als fie nun wieder im Die Stube zurücdfehren wollte, wurde fie von Muckl aufgehalten, der ihr aus dem Flur entgegentrat.

„No, Loni,“ ſprach der Burjche das Mädchen an, „jet i8 halt doch jo ’tommen, wie ich dir all: weil g’iagt hab. Drum mein’ ich, könnteſt mir jeßt auch wieder gut fein, jchau, ſchon deswegen, weil mein’ Giferjucht eigentlich dein Glück g'macht hat!”

ont lachte. „Wenn du jagit, daß dich alles reut, was du ang’itellt haſt . . . nachher will ich wieder gut jein!“

„Freilich reut’3 mich,” gab Muckl zurücd, „wenn ich auch) netleugnen fann, daß’3 mir einegroße Gaudi g'macht hat, wie ihr auf einander losg’fahren jeids, wie Die g’ftupften Gockeln! . . . Sa... hätt id nur von Anfang net jo viel Angſt ausſtehen müfjen wegen dem Lehnl! Das hätt weiters net dumm ausg'ſchaut, wenn ich, der einzige Sohn vom reichen Rötelbahbauern ein paar Monat hätt figen müſſen wegen jo einer dalketen G'ſchicht.“

„Isa haft denn du dem Lehnl was 'than?“ fragte Loni erftaunt.

„Weißt denn du da nic davon?“

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 219

„Aus dem G'ſchwatz werd ich net g’icheid!” gab Loni ärgerlich zurüc.

„Kannst dich denn nimmer erinnern an den Tag,” fragte Muckl, „wo ih mit mei'm Vater zu euch kommen bin, und wo du mir nachher jo g’ihwind ein’ Korb ’geben haft? Da mar glei darauf die Ned, daß du am andern Tag auf d'Alm gehſt. Da Hab ich mir "denkt, den

Kagenjprung fönnt ich Schon noch riskieren; vielleicht redt man ſich leichter mit dir, wenn du allein biſt!“

„Und du warſt in derſelben Nacht auf der Alm?“

„Freilich . . . aber grad, wie ich an dein Kammerfenjter hab Elopfen wollen, da kommt der Lehnl dazu, packt mid)... und wie’3 diemal geht...

2230 Der Herrgottichniger von Ammergau.

ich hab ihn Halt jo wegg’ichlenzt . . und da... da 13 er halt unglücklich g’fallen. In der erften Angft, man könnt mich jehen, bin ich außsg’riffen, weil ich auf einmal wen hab fommen hören. Freilich hat mich die Sorg um den Lehn! net weit fort’laffen. So bin ich wieder z'ruck, und da Hab’ ich nachher g’jehen, daß der Pauli da is und dem Lehnl auf: hilft. Der arme Kerl Hat g’meint, er müßt jchon iterben wegen den bißl Zoch im Kopf, und hat den Pauli heilig verjprechen lafjen, daß er dir ein Schuß jein wollt und eine Hilf, ob du gut oder ungut mit ihm wärjt. Alles hab ich mit ang’hört, aud) wie er ihm verraten hat, daß du fein leibliches Kind wärjt.“ Zutraulich neigte ſich Muckl gegen Loni und fprad) ihr ind Ohr: „Weißt, von mir aus Hat’3 fein Menſch erfahren, und erfahrt’3 auch niemand. Brauchſt dich aljo net z'ſorgen, daß ich’3 weiß!”

Lonis Geſicht war weiß wie die Wand, und fie zitterte an allen Gliedern. Vergeben vang fie nach einem Worte; plöglich brad) e8 von ihren Lippen, wild, herzzerreißend: „Heilige Maria... was haft du g’jagt!“

„sa weißt denn du da auch nie davon?” fragte Muckl mehr erjtaunt als erjchroden.

Der Herrgottfchhniger von Ammergau. 221

Loni hatte fein Ohr mehr für dieje Frage. Regung3lo3 ftand fie vor dem Burjchen und ftarrte ins Leere. Plötzlich jchlug fie die Hand an die Stirne. „Pauli!“ murmelte fie. „Wo der Pauli?“ Wie ein gejcheuchtes Reh floh fie aus der Thür auf die Straße und hinüber zum Austraghäuschen des Huberbauern ...

Dort drüben hatte unterdefjen Pauli den Alten aufgefunden; aber vergebens ſuchte er Lehnl zu bewegen, mit ihm zu gehen.

„Komm Lehnl . . fomm ... geh mit!” bat Pauli immer und immer wieder. „Du haft am allererften ein Recht, daß da bilt.... *

„Seh, laß mich!” unterbrad ihn Zehn! weh: mütig. „Wenn du wifjen thätft, wie ’3 in mei’m Herzen ausjchaut, nachher jäheft ein, daß ich in fein’ luſtige G'ſellſchaft pa.“

„Ah was da!” gab Pauli zurüd. „Du Haft allen Grund zum Quftigfein, jest, wo dein Lieb— lingswunſch in Erfüllung geht, daß die Loni und ich ein Baar werden.”

„Sa... früher... da hab ich mir ’3 aus— g’malen in Gedanken, wenn mein Deandl einmal ein’ richtigen Burfchen zum Mann krieget .. . und

2922 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

wie ich nachher ganz glücjelig wär, wenn ich mit anjehen könnt, wie das Deandl jo mitten drin fit im Wohlſein und in der Zufriedenheit.“

„Und warum fol das net ſein?“ fragte Bauli ungeduldig. „Wir haben uns gern, und was an mir liegt, dag weißt, wird auch g’ichehen, um 's Deandl glücklich z'machen.“

„Eben weil ich das weiß,“ erwiderte Lehnl und fuhr ſich mit dem Rücken der Hand über die Augen, „eben weil ich das weiß, wird mir der Ab— ſchied leichter, als eigentlich für ein' Vater recht is!“

„Seh... red fein jo dalket's Zeug!“ zürnte Pauli. „Du wirft fortgehen! Wo willft denn du alter Zwickl noch hin? Eine überſpannte G'ſchicht is das, weiter nix!“

„Ich will dich net von dei'm Glauben ab— bringen; aber es wird doch ſo ſein müſſen, daß ich geh. Du weißt, daß der Muckl damals alles g'hört hat, was auf der Alm zwiſchen uns g'redt worden is. Und wenn der was weiß, ſo weiß es auch 's ganze Dorf!“

„Und was is nachher?” fragte Pauli und faßte dem Alten bei der Hand.

Zu jehr waren Die beiden jeßt mit fich jelbft

Der Herrgottfchniger von Ammergau. 223

bejchäftigt, um auf die Tritte zu merken, die jich vom Hausflur hören ließen, und um zu jehen, wie Boni, wenn auch nur einen Augenblid, unter die offene Stubenthüre trat. Denn faum hatte das Mädchen die beiden erblidt, jo trat fie, von einem unbewußten Gedanken getrieben, wieder zurück in den Flur, und lautlos jtand fie und laujchte pochenden Herzens dem Gejpräh in der Stube.

„Sieht, Lehnl,“ hörte fie Pauli jagen, „ich bin der erjte, der vor der ganzen G’meind dir Die Händ entgegenftredt und jagt, daß ich did mein’ Vatern heißen und als jolden halten will. Und grad jo wie id, wird auch d’ LXoni.. .“

„Sei ftad .. . fei ftad . . .“ unterbrach ihn der Alte jammernd. „Du weißt net, wie das Deandl über ihre Eltern deuft. Wenn d' Loni je erfahret, daß ich ihr Vater bin... jo gern j’ mich bis jeßt g’habt Hat... mit dem Wort wär ich ihr z'wider bis in d' Seel ’nein. Und erfahren muß fie ’5; dem wenn der Muckl bis jegt auch g'ſchwiegen hat, jo war das nur die Angjt vorm G'richt!“

„sch Hab von der Loni ein’ bejjeren Glauben!“ fiel Pauli ein. „Weißt was ... jeßt hol ich j’ rüber, nachher vedjt offen mit ihr.“

224 Der Herrgottiähniger von Ammergau,

„Ra, Pauli, na!“ jchrie Lehnl auf und faßte den Burjchen mit beiden Händen am Arme. „Um Gottes willen net! Sie könnt mir ’3 net verzeihen, daß ich fie weg’geben hab, wenn's auch nur g’ichehen is aus Lieb und in der G'fahr. Mir drudt ’3 faft mein Herz ab, daß ich 's Deandl von jegt ab nimmer fehen joll, aber e8 geht net anders. Ich geh in mein’ Heimat z'ruck ... die paar Jahrl, wo ich noch z'leben hab, werden meiner G’meind net 3’ viel fein. Eine Bitt hätt ich aber noch an dich. Ich Hab mir ein bißl was eripart; das will id Dir geben. Es könnt grad jo viel fein, daß man von da bis in mein Dorf einmal dafür Hin und her fahrt. Wenn nachher Hört, daß ich g’ftorben bin, jo laß mich um das Geld mit ei'm Wagen holen und lag mic) eingraben an ei'm Blagl, two ich mir denken dürft, 3 Madl fommt einmal neben mir 3’ liegen!... Und jest laß mich gehen!“

Dem Alten rannen, als er jo ſprach, die hellen Thränen über die braunen, faltigen Baden. Seine Kniee zitterten, und erfchöpft griff er nad) der Lehne eine Stuhles.

„Ra, Lehnl ... na... du darfit net gehen! Bleib bei ung!“

Der Herrgottichniger von Ammergau. 225

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Lautlos ftand fie und lauſchte pochenden Herzens.

15

226 Der Herrgottfchniger von Ammergau.

——

Lehnl ſchüttelte den Kopf. „ES geht net und kann net ſein!“

Da klang von der Thüre her eine weiche, bittende Stimme: „Auch net, wann ich dic) bitt!“

Lehnl fuhr auf, und mit erfticdtem Schrei wanfte er auf das Mädchen zu, das unter der Thüre ftand und ihm mit ausgebreiteten Armen auf halbem Weg entgegeneilte.

„Mein Vaterl!“ jchluchzte Loni und barg ihr Sefiht an der Bruft des Alten. „Mein liebs Vaterl!“

Mit zitternden Händen umfaßte Lehnl das Haupt feines Kindes. „Loni . . . du ſagſt zu mir: lieb Baterl . . .“

„No freilich!” plauderte das Mädchen zwijchen Meinen und Lachen. „Sch weiß ja, daß du ’3 bift! 's is noch fein Viertelftünd! her, daß fich der Muck! gegen mich verjchnappt hat. Aber was hab ich von dir hören müffen! Du willjt deine Kinder verlafjen? Unterſteh dih... du...“ und während fih Loni mit der einen Hand die Thränen von den Wangen twijchte, drohte fie mit der andern Hand gegen Lehnl, „... da müßt ich ja gleich

Der Herrgottfchniger von Ammergau, 2927

in der eriten Stund, wo ich mein’ Vater find, ’3 Greinen anfangen!“

„Kannft mir denn verzeihen?“ fragte Zehn! mit thränenerftidter Stimme.

Loni ließ ihn faum ausſprechen. „Geh,“ rief fie, „red net vom BVerzeihen. Im erſten Mugen: blick, wo ich g’hört hab, daß du mein Vater bift, i3 mir mit ei'm Schlag alles Liebe eing’fallen, was ich von dir erfahren hab jeit dem Tag, wo du zum erftenmal mein Kleines Kinderhandl "druckt hajt. Mein arms Baterl ... .* und beide Arnıe ihlang fie wieder um den Hals des Alten, „was mußt du g’litten haben, wo du mich jo gern g’habt haft. Aber jest joll dir's auch von una zwei ver— golten werden!”

Lehnl wußte fih kaum mehr zu faſſen vor Freude und Seligfeit. „DO mein lieber Herrgott,” rief er aus, „die Freud... . ich Eönnt jet gleih ein’ Juhſchrei machen, daß alle Berg zum wadeln anfangen. Wenn ich mir dent, daß wir alle miteinand im Frieden haufen... daß ich noch Enkeln am Arm ’rumtrag.... und die Kinds— wäh... und die Dußeln... Pauli... Halt mich, jonft mach ich ein’ Kreuzſprung!“ Wie mit einem

2928 Der Herrgottichniger von Ammergau.

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| Schlage wich aber nun die Freude aus Lehnls Antlig. „Aber d’ Leut... Kinder... was werden d’ Leut jagen!“

„Laß ſ' jagen, was j’ wollen!” tröftete ihn Pauli. „Was kümmern denn wir und drum?“ Jawohl,“ fiel Loni ein, „und damit j’ net

Der Herrgoitichniger von Ammergau. 2929 lang Zeit zum tratfchen haben . . . am nächſten Sountag, wenn ich und der Pauli ’3 erftemal in der Kirchen aufboten werden, joll der Herr Pfarrer mich gleich beim rechten Namen rufen. Mit mei'm Pflegvater und mit meiner Schwieger:- mutter reden wir heut noch, jobald die Gäſt fort find. 38 dir’3 jo recht, Pauli?”

Pauli nidte zuftimmend, und Loni drückte ihm zum Danfe dafür einen herzhaften Kuß auf die Lippen.

„Kommts,“ jagte Loni dann, „jet müſſen wir aber wieder nüber. Und du, Vaterl, mußt drüben an der Ehrentafel neben mir figen!“

Vereint für alle Zeit verließen dieje drei glück— lihen Menjchen das kleine Gemach und jchritten über die Straße.

Als am andern Tag der Maler von feinem Ausflug zurückkehrte, machte er große Augen zu der Nachricht, die er zu hören bekam. Er wollte anfangs den Gekränkten jpielen, doch hielt dieſe Regung nicht lange an, als ihm Pauli die Hand bot mit den Worten: „Sind S’ net bös, Herr Baus miller, daß Ihnen Ihr Plan net naus’gangen is. Aber zwei Leut z'wiſſen, wo S' zu jeder Stund

230 Der Herrgottfchniger von Ammergan.

gern g’jehen find und eine Heimat haben, ich mein’, da3 wär aucd was wert! Bleiben S’ uns gut!”

Und er blieb ihnen gut. Jeden Sommer, den er jpäter im Schönen Ammerthal verlebte, verfloß ihm fröhlicher, als all die früheren, im traulichen Verkehr mit dem jungen Herrgottjchniger und jeinem jungen, glüclichen Weibe.

Aſſi Manlaſſe.

(1880.)

Ati Manlafje ift ein Name, oder genauer präzifiert, war ein Name. Er flingt ein wenig nad dem alten Teftament; aber wie jo vieles in der Welt, ift auch das eine Täufchung. Der ge: ftorbene Mann, der, als er noch lebte, von den Leuten Aſſi Manlafje genannt wurde, gehörte feinem der zwölf Stämme Iſraels an, war vielmehr ein redlich guter Chriſt, dazu jeines Zeichens ein pflicht- getreuer Gemeindediener in einem Bergdorfe, das am Südende eines der jchönften unter den bai— riſchen Seeen liegt, und gar mand) ein Städter, den der Sommer an die Ufer des melancholiich

234 Aſſt Manlaffe.

rauſchenden Bergwaſſers locdte, mag meinen Aſſi Manlaſſe gekannt haben.

Sn dem Taufbuche feiner Pfarrkirche war er eingezeichnet unter dem Namen Xaver Reijer, als der ältefte Sohn eines Gemeindedieners, der ge= nau ebenjo geheißen und auch wieder einen Mann von ganz gleichem Namen und Beruf zum Vater gehabt Hatte. Und dennoch nannte ihn feiner von all denen, die ihn fannten, Kaver Reiſer. Die einen riefen ihn kurzweg Aſſi, die andern ſchlecht⸗ hin Manlaſſe, und wenn man von ihm erzählte, ſo ſprach man von ihm als von Aſſi Manlaſſe, zur Unterſcheidung von Aſſi dem Jüngern, ſeinem älteſten Sohne, der ebenfalls Xaver Reiſer hieß und nach des Vaters abſonderlichem Tode ebenfalls Gemeindediener in ſeinem Heimatsdorfe wurde.

Manlaſſe hörte zwar keinen dieſer Namen recht gerne, denn ſie waren Spitznamen aber das that nichts zur Sache; wenn er ſich darüber ärgerte, ſo war das für ſeine liebenswürdigen Mitbürger nur ein Grund, ihn erſt recht ſo zu nennen.

Wie jeder Spitzname ſeine Entſtehung auf eine Abſonderlichkeit deſſen zurückführt, der ihn erhält,

Aſſi Manlaffe. 235

jo war dies auch hier der Fall. Manlafje hatte näm— lich einen Eleinen Zungenfehler, der e3 ihm ſchwer machte, den D- oder T-Laut zu Anfang eines Wortes auszusprechen. So ließ er ihn einfach weg, oder erjegte ihn, wenn er es gerade für notwendig hielt, durch) irgend welchen andern Konfonanten.

„Sin recht heißer Gag heut!“ meinte Manlaffe, wenn die Sommerjonne auf jeine Glaße brannte.

Dabei bediente er fi) ganz bejonderer Frei: heiten in der Konftruftion. Vor allen jenen Ne— benjägen, die er mit der Konjunktion „daß“ (bei ihm „aß“) einleitete, pflegte er den meiit jelbit- verftändlichen Hauptjag einfach für fich zu behalten.

Wenn ihm ein Bauer des Morgens irgend ein während der Nacht an jeinem Eigentum ver: übtes Unrecht mittheilte, von welchem Manlaffe natürlich noch gar feine Ahnung haben fonnte, nahm er eine lange Priſe und betheuerte dabei:

„Alt (daß ich) jchon lang weiß, wer ner Lump war!“

Wenn wir Jungen uns im jchwanfen Mai- grad einer Wieſe kugelten, und Manlafje unjer bon fern anfichtig wurde, jchwang er drohend jeinen Hakenſtock in der Luft und rief:

236 Aifi Manlafie,

„Ali ent (euch) fein verwiich und einſpier!“

Wenn er aus diefer Drohung aud niemals Ernſt machte, jo hatten wir Buben doc) eine Heilige Scheu vor ihm, und der Ruf unjeres außgeftellten Wächter: „Der Aſſi kommt!“ veranlaßte ung immer, jchleunigit Reißaus zu nehmen.

Aſſis zweiter Spigname datierte ebenfalla von einer elliptiichen Redewendung, die er zu ge: brauchen liebte. Wen man ihn gelegentlich eines Vorhabens um Rat fragte, oder wenn er denfelben ungefragt gab, und die Sache jchien ihm nicht ganz geheuer und des Erfolges nicht ganz jicher, jo faßte er fein Urtheil in die zwei gewichtigen Worte:

„Dan laffel*

In ganz bedenflichen Fällen wiederholte er wohl auch dieſen Ausſpruch: „Man laſſe, Freun- derl . . . man lafjfe!” und tippte dazu den Be— treffenden mit jeinem Hakenſtock ganz gelinde auf den Kopf.

Ein dritter Spigname Aſſis, den man aber feltener hörte, war „Meinverele* Verele war nämlih Aſſis ſchon genannter ältefter Sohn Xa— ver, an dem der Vater mit einer unbegrenzten

Aſſi Manlaffe.

238 Aſſt Manlaffe.

Liebe Hing. „Mein Verele“ war jein zweites Wort, und jede Gelegenheit benützte der alte Mann, um den Burichen de3 Ortes zu verjichern:

„Ab mein VBerele fein ein anderer Kerl i3 (scilicet als ihr alle zufammen)!*

So originell Manlaffe in feiner Art zu Sprechen war, jo originell war jeine Erjcheinung.

Eine baumlange, jehnige Geftalt. Zwiſchen zwei weitabjtehenden Ohren ein hageres Geficht mit einer Naſe, die jcharf und edig zwiſchen den bujchigen Brauen und den unruhigen grauen Augen hervorftah. Ein dichter, borjtig von der Ober: lippe abitehender Schnurrbart, deffen Grau durch Schnupftabalörefte unappetitlih maskiert war, überdedte, einem Halbdah aus Reiſig zu ver: gleichen, den nie fihtbaren Mund. Stirne, Scei- tel und Hinterkopf umhüllte eine große, alte Sol: datenmüge ohne Emblem, mit einem von ihm jelbjt angenähten Schilde aus Naturleder. Zu der Zeit, ala ich ihn fannte, mag er diefe Kappe höchften Falles zehn bis fünfzehn Jahre getragen haben, denn es ließen fi) an ihr noch Spuren von Blau fonftatieren.

Es waren nur drei Perſonen im Orte, vor

Am Danlaffe. 239

denen er die Mütze abzog: der Bürgermeifter, der Pfarrer und der Oberförjter. That er das, jo faßte er die Mütze mit der Linken hoch oben wie eine Zipfelfappe, 309g fie langjam vom Haupt und ftrih dann mit der Rechten ein paarmal bedäch— tig über den fahlen Scheitel nad) der Stirne. Diefe Handbewegung mußte ihm mohl ala Ge: wohnbheit aus einer Zeit verblieben jein, in welcher jein Haupt noch Haare getragen hatte, die des Glättens bedürftig waren.

Um Aſſis Schultern hing eine Yodenjoppe, Die wohl einmal eine beitimmte Farbe gehabt hatte aber welche, da3 wußte niemand mehr. Als die Ellbogen dieſer Joppe zum erſtenmal in die Brüche gegangen, waren fie mit Flicken aus blauem Soldatentuche gebeifert worden. Aber auch diejes hatte der aufreibenden Zeit nicht den wünſchens— werten Widerftand geleiftet und jo waren bie neuentftandenen Blößen mit Lederlappen bejegt worden, die fih nun, von dem jahrelangen Ge: brauche geformt und gedehnt, gleich zwei Harniſch— fugeln über Affis Ellbogengelenke mwölbten.

Eine Weite trug er natürlich über feinem grobleinenen Hemde niemals; dafür aber bildete

240 Aſſi Manlafie.

er fich defto mehr auf Die zwei „jeidenen“ Hals— tücher ein, die er bejaß. Jeden Sonntag fam eines der beiden „Tüchel“ friih an die Reihe, das er danı mit einem leichten Knoten, aber eng: anliegend um den Hals ichlang. Nachts zog er es nicht aus und jo kam es, daß Tag für Tag der Knoten fejter und das Halstuch weiter wurde, jo daß es am Sonnabend einem aufge: dröfelten Stride nicht mehr jehr unähnlid jah. Sonntags Stand er dann eine Stunde früher auf um über dem Löſen des Knoten die Predigt nicht zu verſäumen.

Aifis lange magere Beine teten in einer bis zur Möglichkeit abgewegten bodledernen Hoie, die wohl nad Art der Tuchhofen gejchnitten war, aber dennoch meinem Helden kaum bis an die Knöchel reichte. Ich will nicht behaupten, daß diefe feine Hofe von vornherein zu furz war; ich möchte lieber glauben, daß ihm während der Zeit, in der er fie trug, die Beine zu lang geworden.

Seine Füße fteckten nackt in fchweren, Did: benagelten Schnürfchuhen. Sch Hab e3 einmal mit angejehen, wie Aſſi mitten auf der Landſtraße aus einem der Schuhe mit jeinem Tajchenmefjer

Aſſi Manlaffe. 241

ein thalergroßes Stüd des Afterlederö heraus: ihnitt, das ihm die Ferſe wund gerieben hatte.

Seine Ausrüftung vollendete ein großer Hakenſtock, den er jich jelbft gejchnitten und gebogen

242 Aſſi Manlaffe.

hatte, der aber von ihm niemals ala Stüße beim Gehen benügt wurde, ſondern, wenn Aſſi nicht gerade damit geftifulierte, ftändig im Ellbogen gelenk des linken Armes hing. Nur ein einziged- mal jah ich meinen Aſſi einen praftiichen Gebrauch von diefem Stocde machen, al® er mit dem Hafen desjelben einen Jungen, der in den See gefallen war, and Ufer zerrte. Als der Eleine Kerl heulend und von Waſſer triefend wieder auf feitem Boden itand, ſchlug ihm Aſſi eins hinter die Ohren und jagte:

„Aß fein acht giebft, net wieder einifallit! Ich kunnt leicht net abeifein, und nachher kunntſt vajaufen müffen ... . Tröpferl miſerabligs!“

Alles Gute, was über jeinen Charakter zu jagen wäre, jchließt fich in die Worte: Aſſi hatte feine Feinde. Als er ftarb, wurde er betrauert, weil er von allen gern gefehen war und nicht nur deshalb, weil er eines jo traurigen Todes hatte fterben müſſen.

Es war zur Zeit der Zwetjchgenreife. Ein Bauer, dem Aſſi des Morgens eine Botſchaft überbradt, hatte ihm an Stelle eines Trintgeldes alle Taſchen mit Zwetichgen vollgepfropft und

Aſſi Manlaffe. 243

Aſſi verichlang diejelben während des Heimweges bis auf das lebte Stück mitiamt den Kernen.

Schon ein paar Tage jpäter war es nicht mehr ganz geheuer mit ihm. Wenn er einen Gang zu machen hatte, dämelte er feines Weges jo ein- her, blieb wohl von Zeit zu Zeit auch ftehen, gerade als wollt er überlegen, ob es nicht beſſer wäre, wenn er umfehrte und nach Haufe ginge. Und fragte man ihn:

„Manlafje, was Habt3 denn?” jo gab er ihmweratmend zur Antwort:

„Alt in mir Schon ganz ein malefiziſch Zwicken verſpür.“

Dazu trank er Schnaps unglaublich viel Schnaps. Und wenn ihm die Leute darüber ab— mahnende Vorſtellungen machten, meinte er nur:

„AB 08 ein leichts Reden habts!“

Ein paar Wochen waren vergangen, und wie— der einmal ſaß Aſſi, um ſeine Schmerzen zu be— täuben, im Wirtshauſe bis ſpät in die Nacht auf ſeinem dreibeinigen Stuhl, die eine Hand auf den Leib gepreßt und mit dem immer neugefüllten Schnapsglas in der andern.

Plötzlich hörte man einen dumpfen Knall,

244 Aſſi Manlaſſe. und wachsbleich ſank Aſſi vom Stuhl. Als der Wirt und die andern Gäſte herbeiſprangen, um ihn emporzuheben, kam es wie ein mattes Röcheln aus ſeinem Munde:

„Man laſſe!“

Es war ſein letztes Wort.

Die Seeleitnerslent.

(1882.)

Hat ihn ſchon!“ rief der Jagdgehilfe, als mein Schuß im Bergmwald verhallte und der Hirich in rajender Flucht über den fteinigen Hang hin— wegitürmte.

Pochenden Herzens blickte ich dem flüchtigen Thiere nah nun jah ich es ftürzen, nun wieder aufipringen und weiter fliehen nun ftürzte es wieder, und fich überjchlagend follerte es die Höhe hinunter, daß die Steine rafjelten und die Afte flogen, die e8 im Sturze mit feinem mächtigen Geweih zerichlug.

248 Die Seeleitnersleut.

„Sehen ©’ her, geben S’ ihm den Gnaden— ſchuß!“ rief mir Anderl entgegen, ala ich näher kam.

Der Hirſch hatte fich auf beiden Vorderläufen aufgerichtet und jchlug mit dem Gemweih, von dem der dürre Baft in Feen niederhing, gegen die alte Fichte, die ihn im Sturze aufgehalten hatte. Ich umging das Thier, zielte nach jeinem Genid der Schuß krachte und e3 war aus mit ihnt.

Anderl legte jein Jagdzeug ab, zog die Joppe aus und ließ ſich auf die Kniee nieder, um den Hirſch aufzubrechen. An die Fichte gelehnt, jah ich zu, wie er mit waidmännijcher Fertigkeit Hantierte.

Drei Tage lang war ich unter der Führung Anderls, des Jachenauer Sagdgehilfen, dieſem Hirſch vergebens nachgeſtiegen. Und auch heute hatte mich nur ein ganz unerwartet glücklicher Zu— fall zu Schuß gebradt.

Während ich in Gedanken die Überrafhung noch einmal nachfühlte, die ich empfunden hatte, als ich, von Anderl aus einem recht unwaid— männiſchen Mittagsichläfchen gewedt, den Hirich achtzig Schritte vor mir im Didicht ziehen ſah, blickte ich durch den jchattigen Bergwald hinunter.

Die Seeleitneräleut. 249

Zwiſchen den Äſten der tieferftehenden Bäume ihimmerte ein leichtes Blaugrün.

„a3 iS denn da, was da drunten durch die Baum ſcheint?“ fragte ich den Jäger.

Er hob den Kopf. „Das? Das is ja der Walchenſee!“

„Was? Sind wir denn hier ſo nah am See?“

„No freilich, kaum eine Viertelſtund den Berg nunter, und nachher noch über eine ſchmale Wieſen, ſo ſind S' am Waſſer. Ja, wir ſind weit von der Jachenau, gut dritthalb Stund. Sie ſind halt erſt kurz in unſerer Gegend, und da können ©’ Ihnen halt noch net ſo gut verorientieren.“

Immer wieder mußte ich nach dem lockenden Schimmer hinunterblicken. Was wäre das ein Hochgenuß, bei dieſer drückenden Sommerhitze dort unten hineinzuſpringen in das kühle Berg— waſſer!

„Du, Anderl? Möchteſt du wohl ein Stün— derl auf mich warten?“

„Ja, recht gern. Warum denn?“

„Ich möcht nunter an See und baden.“

Anderl lachte. „Wann S' das wollen, jo fann ich Shnen ein’ andern Vorſchlag machen.

350 Die Seeleitneräleut.

Den Hirich können wir ja jo wie jo net da liegen lajien . .. die Bremſen treiben’3 bei jo einer Hit gar arg. Willen S’ was? Da richt ich nachher ein’ Schlitten zZ’ jamm, und auf dem ziehen wir den Hirſch nunter bis zum Straßl am See. Drun— ten Schick ich ein’ Buben in d’ Jachenau nüber um ein’ Wagen, und Sie können derweil baden grad g’nug. Is Ihnen das recht?”

„Natürlich!“

Als Anderl mit feiner roten Arbeit zu Ende war, jfäuberte er fich mit außgerupftem Moos Die Hände. Dann jchnitt er ftarfe, lange Äſte von den Bäumen und flocht ſie Durcheinander, jo daß jie einen feiten und doch elaſtiſchen Polſter bil: deten. Auf diefen grünen Schlitten hoben wir den Hirih und fchleiften ihn langjam über den moofigen Bergabhang hinunter.

Als wir den Waldjaum erreichten, blieb ich aufatmend ftehen und betrachtete das entzückende Bild, das der See mit jeiner Schillernden Wafjer: fläche und jeinem dunfeln, bergigen Hintergrunde bot. Anderl nannte mir die Ortichaften, Die am jenjeitigen Ufer lagen, und die Namen der Berge, welche ſich drüben erhoben.

Hr; = 72

IB . * —— leitner‘ heißt man's.

Die Seeleitneräleut. 251

„Was i3 das da drunten für ein Haus?“ fragte ich, während ich auf einen Kleinen Bauern Hof deutete, der und zu Füßen am Rand der hügeligen Wieje lag, die fi vom Waldfaum gegen der ſ Seehinun: | e terſenkte.

„Beim See—

—* *

| Der Alte is ſchon vor Sahr und Tag verjtorben, und jegt hauſen da jeine drei Kinder, zwei Buben und ein Deandl, die Mali. Sie, da werden S' ſchaun, wann ©’ die jehen! Und die bejte Sängerin is das Deandl weit umundum in der ganzen Gegend. Da haben

252 Die Seeleitnersleut.

die Jachenauer allweil d' Ohren weiterd net g’ipigt, wann die Mali in der Kirchen drin am Sonntag im Hochamt g’fungen hat. Freilich, mit dem Vergnügen iS jchon lang rum für d' Jachen— auer, denn d' Mali geht nimmer 'nein in d’ Kirch und fingt auch nimmer gern, jeit ihr die Singerei zu einer unglüdlichen Liebsg'ſchicht verholfen hat.“ Anderl griff wieder nach den Aſten des Schlitten®. „Jetzt machen wir aber, daß wir vollends nunter fommen!“

Einige Minuten noch, und wir ftanden im Schatten de3 Hauſes. Anderl wälzte den Hirjch ins Gras, riß die verflochtenen Afte auseinander und dedte fie zum Schuß gegen die Fliegen über das tote Thier.

Da Hangen jchwere Schritte im gepflafterten Hofraum und um die Hausecke bog ein jchlant aufgejchoffener Burſche von etwa achtundzwanzig Jahren. Ein grobes, gerade nicht mehr „bluh— weißes” Hemd, eine weite, abgewegte Tuchhoje und plumpe Lederpantoffeln das mar jeine Kleidung. In der einen Hand trug er einen Hammer und zwijchen ‚den Lippen hielt er einige lange Bretternägel. Seine Haare waren furz

Die Seeleitnerälent. | 253

geihoren, und unter der Stirne, auf welcher fich Falte an Falte reihte, blickten finftere, unruhige Augen hervor. Das ganze Geficht hatte einen ſeltſam galligen Ausdrud.

„Grüß dic) Gott, Lipp!“

Mit einem faum merklichen Nicken dankte der Burfche für den Gruß des Jägers, ging auf den Hirſch zu und Hob mit dem Fuß die Zweige, Die das Thier bededten.

„Du, Lipp, möchteft net jo gut fein, natür— lich gegen ein richtigd Trinkgeld, und in d’ Jachenau nüberjpringen und dem Herrn Oberförftner aus— richten, daß er ein’ Wagen für den Hirſch rüber: ſchickt? Könnteft ja nachher gleich wieder mit dem Wagen z’rudfahren!“

„Sa, ſchon!“ brummte Lipp. „Aber jo prei- jteren wird’3 dengerjt net, daß man nur grad jo ipringen muß? Jetzt auf der Stell könnt's auch Ihon gar net fein, denn ich bin allein im Haus. Mein Bruder iS draußen am See, und d' Mali i3 in Urfeld drüben. Sie muß aber jeden Augen: blick heimkommen. Ich kann mir jo wie jo net denken, warum ſ' jo lang ausbleibt, die greinige

Hatſchen!“

254 Die Seeleitneräleut,

„Du haft aber heut wieder ein’ jchiechen Tag!“ lachte Anderl, während wir dem Burjchen in den Hofraum folgten.

Lipp überhörte diefe Worte, und ohne ſich weiter umzufehen, rief er una zus „Geht nur derweil in d’ Stuben 'nein!“ Dann ging er auf den Zaun des Kleinen Gemüjegartens zu, an wel- chem einige neu angefchlagene Stafeten vermuten ließen, daß unſer Kommen den Burjchen in der Ausbefferung des Zaunes unterbrochen hatte.

Wir traten in die Stube. Ein niederer Raum mit vier fleinen Fenſtern; in der Lichtede der geicheuerte Tiſch vor den beiden in die Wände eingelajjenen Bänfen, darüber im Wandwinfel das Kruzifie mit den unvermeidlichen Palmzweigen; in der gegenüberliegenden Ede der grüne Kachel- ofen mit den durch Schnüre an die Dede gehef- teten Trodenftangen; daneben ein altes Vederjofa, und neben der Thüre ein Geſchirrkaſten kurz, eine Bauernftube, wie hundert andere. Der einzig auffallende Schmuck diefer Stube war eine jchöne, mit Berlmutter eingelegte Guitarre, die der Thüre gegenüber zwijchen den zwei Fenſtern an der Wand hing.

Die Seeleitnersleut. 25

ot

Wir jtellten unfere Gewehre und Bergftöde hin— ter den Ofen und legten die Rucdjäde ab. Während ſich Anderl auf das Lederjofa ftredte, verließ ich die Stube wieder, um drunten am See eine paſſende Stelle für das erwünjchte Bad zu juchen.

Unweit vom Hauje floß ein breiter, aber jeihter Bach aus dem See, die Jachen. Es führte wohl ein Steg hinüber, aber das Geeufer da drüben jchien jumpfig oder verfandet. Sch folgte aljo aufs Geradewohl dem jchmalen Sträßden, da3 am diesjeitigen Ufer dahinlief.

Eine weite Strede war ih ſchon den See entlang gewandert, ohne für meinen Zwed einen paflenden Pla gefunden zu haben. Das lifer war entweder dicht mit Gefträuchen bewachjen, oder jo fteil, daß das Ausfteigen aus dem Waſſer eine unangenehme Sache gewejen wäre.

Schon wollte ich wieder umfehren, als ich in furzer Entfernung vor mir ein Geräufch hörte, wie von einem Stein, der ins Waſſer fällt.

Als ich weiter zujchritt, einer Biegung des Weges folgend, gewahrte ich ein kleines Felspla— teau, da3 vom Sträßchen aus in den See hinein- ſprang. Auf einer niederen Holzbanf jaß dort

256 Die Seeleitnersleut.

ein Mädchen, mit einem dunkeln, halb ſtädtiſch geſchnittenen Kleide angethan. Das weiße Tuch, das ſie um den Kopf gebunden hatte, war in den Nacken zurückgeſunken, ſo daß ſich das feine Pro— fil des Geſichtes und die wohlgeſtaltete Form des Kopfes ſcharf und deutlich von dem ſchimmernden Seeſpiegel abhoben. Regungslos ruhten ihre Blicke auf dem Waſſer, während ſie den einen Arm um ein kleines, rotbemaltes Kreuz geſchlungen hielt.

Nun mußte ſie wohl meine Tritte vernom— men haben, denn ſie wandte das Geſicht, erhob ſich raſch, und während ſie noch einen letzten Blick auf die verlaſſene Stelle warf, bekreuzte ſie ſich Stirne, Mund und Bruſt. Sie mußte alſo wohl gebetet haben.

Als ſie auf die Straße trat und mir ent— gegenſchritt, erhob ſie die Arme und zog mit bei— den Händen das geſunkene Tuch über den Kopf bis tief in die Stirne. Ich ſtaunte bei dieſer Be— wegung über die ſchöne Regelmäßigkeit ihrer weich gerundeten Geſtalt.

Nun war ſie mir ſo nahe, daß ich das Ge— ſicht trotz des Schattens, den das vorgezogene

Die Seeleitnersleut. 957

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Regungslos ruhten ihre Blide auf dem Waſſer.

17

258 Die Seeleitneräleut.

Tud darüber warf, deutlich zu unterjcheiden ver: mochte. Das mußte Mali fein! Die Ähnlichkeit mit Lipp war unverkennbar freilih war das eine Ühnlichkeit, wie die Ähnlichkeit von Tag und Nacht, Die beide ja doch auch Geſchwiſter, Kinder einer einzigen Sonne find. Was in Lipps Zügen gallige VBerbifjenheit, das war hier das Erbe über: wundener Schmerzen; was in Lipps Augen fin: ftere Unruhe, das war in diefen großen, dunklen Sternen eine tiefe, unfagbare Schwermut.

„Srüß Gott, Herr!” jagte fie leife.

„Srüß Gott auch!” dankte ich und blieb stehen, um ihr nahzufhauen. Mich Hatte dieſe weiche, Elangvolle Altftimme eigentümlich berührt. Und e3 fchien mir, als hätte fie den Gruß nicht geſprochen, jondern gejungen.

Als fie an der Biegung des Weges meinen Blicken entjchwand, jchritt ich der Stelle zu, wo fie geruht Hatte. Schon beim Nähertreten erkannte ich das kleine Holzkveuz ald ein „Marterl“. Auf dem Blechſchilde, der auf dag Kreuz genagelt war, ſah ich den See in Farben abgebildet das heißt, meine Phantaſie redete mir ein, daß dieſe weißen, blauen und grünen Sicheln den See und

Die Seeleitneröleut. 259 jeine Wellen, und die braunen und grauen Dreiede darüber die Berge des Hintergrundes vorftellen möchten. Aus dem gemalten Waſſer ragten zwei bleiche Hände mit gejpreizten Fingern hervor und darunter ftand in Schwarzen, klexigen Buch: itaben auf weißem Grunde:

„Wanderer, ein VBaterunjer! Hier an diefer Stelle im Waſſer ftarb in der Naht vom 7. auf den 8. Oftober des Jahres 1875 der ehr= und tugendjame Jüngling Domi- nicu3 Hajelwanter, Schulgehilfe in der Jachen— au, in der Blüte feines Lebens eines unglücd- lihen Todes infolge von Ertrinfens, ala er gerade von einer Kirchweih in Urfeld nad

Haufe ging. Wanderer, ein Vaterunſer!“

Der See ift weit, der See ift breit, Der See ift tief wie d’ Ewigfeit. Gott lohn der Erde Not und Leid Den Toten mit der Seeligkeit. Herr, gieb ihm die ewige Ruh! R. I. P.

* * *

Nach einer Stunde ich hatte doch noch gefunden, was ich ſuchte kehrte ich zu dem

260 Die Seeleitneröleut.

Banernhaufe zurüd. Als ich in die Stube trat, rief mir Anderl aus dem Herrgottswinkel über den Tiſch entgegen:

„Seßt friegen wir nod) was Guts z’effen auch! Der Chriftl,* und er deutete dabei mit dem Daumen nah einem etwa fünfunddreigigjährigen Burfhen, der ihm zur Seite am Tijche ſaß, „der Shriftl Hat ein paar Pfund von die jchönften Forellen mit heimbracht. Ich hab mir 'denkt, Sie werden aufs Bad nauf ein’ rechten Hunger kriegen, drum Hab ich's ihm abg’handelt, und d’ Mali fteht jegt jchon draußen am Herd und richt’3 zu!“

„Wer iS denn der Herr da?” wandte fich Chriſtl, unbefimmert um meine Gegenwart, an den Jäger.

Sch hatte mir einen der breibeinigen Stühle an den Tiſch gezogen und während Anderl, jo weit er e3 für nötig fand, die Neugier des Bauern befriedigte, konnte ih in Muße deſſen Gelicht betrachten.

Auch an Ehriftl war die Ähnlichkeit mit den Geſchwiſtern auf den erſten Blick erfichtlih. Was dieſe Ähnlichkeit an all den Dreien ausmachte, ſchien mir die tiefe Senkung der Naſenwurzel zu

Die Seeleitneräleut. 261

EEE

jein, das jcharfe Hervortreten der Augenbogen mit den geradlinigen, faft ſchwarzen Brauen, und be: jonder® die eigenartige Zeichnung der jchmalen Lippen.

Trotz der auffallenden Ähnlichkeit war jedoch der Ausdruck in diefem Gefichte von dem der an- deren wieder ganz verichieden. ine geiitloje Trägheit ſprach aus den jchlaffen Wangen und aus der Art und Weije, wie Chriftl, wenn er auf die Rede eines anderen horchte, die Zunge zwijchen den Zähnen hielt, jo daß ihr dickes und breites Ende die ganze Unterlippe bededte. Sah er einem ins Gefiht, jo fniff er das linfe Auge ein, daß es faſt geichlojien erjchien, und in dieſem ver: jchleierten Bli lag es wie ſcheues, furchtſames Mißtrauen.

Auf meine Fragen über den Charakter des Sees, über die Gattungen der Fiſche und die Art ihres Fanges gab er nur kurze, ungenügende Antworten; doch ſchien mir das weniger einem Mangel an gutem Willen zu entſpringen, als der trägen Unfähigkeit, eine ſachliche Frage mit über— dachten Worten zu erwidern.

Nicht lange war ich ſo am Tiſche geſeſſen,

262 Die Seeleitnerslent.

als fih die Stubenthür öffnete, und Anderl mir zurief:

„Da is die Malil Jetzt ſchauen Sie's an!“

Ich gewahrte, wie dem Mädchen ein flüch— tiges Rot über die Wangen huſchte. „Wir haben ja halb und halb ſchon Bekanntſchaft g'macht. Gelt, Mali?“ ſagte ich und bot ihr zum Gruß meine Hand, in welche ſie wortlos einſchlug.

„Bekanntſchaft? Wo denn?“ fragte Auderl neugierig.

„Drunten am See, wo das Marterl ſteht.“ Ich blickte zu Mali auf, die aus der Tiſchlade zwei Eßbeſtecke hervornahm. „Haſt wohl für die arme Seel ein Vaterunſer gebetet?“

Mit jähem Unwillen erhob ſich Chriſtl. „Die verruckte Narretei könnt jetzt ſchon bald einmal ein End haben!“ ſchnauzte er die Schweſter an, verließ die Stube und ſchlug hinter ſich die Thüre zu, daß die Wände zitterten und die Fenſter— ſcheiben klirrten.

„Ja was is denn?“ fragte ich mit ärgerlicher Überraſchung. Da ſpürte ich unter dem Tiſch einen recht ungelinden Fußtritt, der nur von An— derl herrühren konnte, und als ich den Jäger

verwundert anjah, blinzelte er mit den Augen und machte mir heimliche Zeichen. Sollte ich wider Wiſſen und Willen ein unrechtes Wort ge: ſprochen haben? Unmwillfürlich fuchten meine Blicke da3 Antlig Malis, die vor uns ein blau⸗ es, verwaſchenes Tiſchtuch aus— einanderbreitete. Ihre Züge wa— ren ſtarr und hart, nur die ge— ſenkten Lider rührte ein leich— tes Zittern, wie ein Anzeichen naher Thränen. Nun wandte ſie ſich haſtig vom Tiſch und ſchritt auf den Geſchirrkaſten zu; als ſie wieder kam und zwei weißglaſierte irdene Teller auf den Tiſch ſetzte, gewahrte ich einen feuchten Schimmer an ihren Wimpern.

Ich faßte die Hand des Mädchens. „Mali!

PER

P“*

264 Die Seeleitnersleut.

53 thäte mir leid, wenn ich etwas gejagt hätte, was dir nicht lieb war?”

Sie jehüttelte ftill den Kopf und ging aus der Stube.

„Anderl? Was hab ich denn eigentlich an— geſtellt?“

„O mein, gar net ſo viell“ entgegnete der Jäger flüſternd. „Aber wiſſen S', Sie hätten halt vor dem Bruder da net ſagen ſollen, daß Sie die Mali draußen am Marterl haben ſitzen ſehen. Die zwei Buben haben's net gern, daß die Schweſter noch allweil mit ihrem ganzen Herzen an dem Platzl hängt. Sie haben's ja g'ſehen, wie der Ehriftl aufg’fahren i8, der doch fonft feine Hand und fein’ Fuß rührt, wann er net muß. Und g’wiß, wann der Lipp von der Sacenau Heimfommt und der ander jagt’3 ihm, jo £riegt die Mali auch von dem noch eim’ rechten Burger. Aber freilich, wie haben denn Sie willen fönnen, daß... .*

Anderl jchwieg, denn im gleichen Augenblic trat Mali in die Stube. Auf einer flachen, zin: nernen Schüſſel brachte fie die Forellen, welche, wie ic) zu meinem Schreck bemerkte, mit „Sem—

Die Seeleitnersleut, 265

melbröjeln” gebaden waren Forellen in Schmalz gebaden! Dennoch mundeten fie mir aufs beite; die Morgenbirjche und das kalte Bad Hatten mich hungrig gemacht.

Meiner Einladung folgend, holte jih Mali einen Teller und ſetzte fih zu ung an den Tiſch. Sie ftocherte an dem Kleinen Stückchen Fiſch, das fie genommen hatte, eine Zeitlang umher, hob eine jorgjam gejäuberte Fleischfajer auf die Zungen ipige, legte die Gabel wieder fort und jchob den Teller von fih. „Ach weiß net,” jagte jie, „jetzt haben wir bei uns fait Tag für Tag Fiid in der Schüffel, und doch Hab ich mich noch net dran g’wöhnen können. G'wiß wahr... ich hab's niemal3 mögen. Und jegt jchon gar nimmer!“

„Sa, jal Sch begreif’3!” jagte der Jäger; und während er auf die legte Forelle deutete, jah er mich an und fragte: „Mögen Sie’3 vielleicht noch?” Als ich den Kopf jchüttelte, padte er dei Fiſch bei der ftarren Schweiffloffe, und während er ihn auf feinen Teller niederklatichen ließ, ſagte er zu Mali: „Da dein Bruder, der Ehriftl, ihon ein anderer Filchefler ald wie du! Den hab ich neulich in Urfeld jo vier oder fünf Pfund

266 Die Seeleitnersleut.

zjammraumen fehen mit Kopf und Schwanz und Gräten. Aber gelt ... . haft dich grad jegt recht über ihn g’ärgert wegen jeiner unguten Red?“

„Ah nal” erwiderte Mali ruhig, „da hätt ic) viel z’thun den ganzen Tag, wann ich mic) da jedesmal ärgern wollt. Won dene zwei bin ich die Roheiten jchon lang g’wöhnt . . . jo was lauft an mir ab wie 's Wafjer am Stein.“ Sie erhob ji, um den Tiſch zu räumen.

„Bart ein bißl, nachher Hilf ich dir!” brummite Anderl, während er den legten Biffen in den Mund ihob. Danır stellte er die Teller über einander, legte fie mit dem Beſteck in die Schüffel und trug jie in die Kiiche.

„Schau, jollteft doch bald heiraten,“ rief ihm Mali jcherzend nach, während fie den Brodlaib und dad Salzbühschen in die Tiſchſchublade legte. „Du gäbſt wahrhaftig ein’ guten Mann ab, der jeiner Frau manchen Gang veriparet.”

„Kannft ja net willen, ob’3 net bald einmal fracht!” Elang von draußen die fröhliche Stimme des Jägers.

Mali lachte. „Ich glanb gar, du Schlaucherl, du halt ſchon was im Sinn?“

Die Seeleitnersleut. 267

„Kann ſchon fein!” entgegnete Anderl, der eben wieder in die Stube trat, ald Mali vor dem Feniter die Brojamen vom Tiſchtuch ſchüttelte.

Ich war aufgeftanden, und nachdem ich ein paarmal die Heine Stube durchwan— dert hatte, war ich vor der Suitarre ftehen geblieben, hatte jie von der Wand gehoben und ſchraubte nun die Saiten auf und nie—

der, um eine paſſalle Fr Stimmung herauszu— —2

bringen. Das wollte mir nicht recht gelingen, und Mali, die mir lächelnd zu— geſehen hatte, nahm mir das Inſtrument aus der Hand. Sie griff ein paar Afforde, drehte ©. die Schrauben, und ala die Töne rein und melodijch flangen, reichte jie mir das Inſtrument mit den Worten:

„Sp, Herr, jegt müfjen S’ uns aber was aufjpielen!“

„sa, können vor Lachen!” erwiderte ich, mühſam die Fingerſtellung eines Akkordes zufammenfuchend.

268 Die Seeleitnersleut.

Anderl war zu ung getreten und ſprach das Mädchen an: „Du jelber, Mali, jollteft dem Herru was zum beften geben! Ich hab ihm jchon lang erzählt, was du für ein Zeijerl bift, und daß dih im weiten Walchenthal und in der ganzen Jachenau fein anderes Madl Hinfingt. Geh weiter, nimm dein’ Zupfen im’ Arm und fing und eins bon deine hundert LiedIn.“

Ein Schatten von Ernft und Trauer legte fich über das Geficht des Mädchend. „Du weißt, Anderl, daß ich nimmer gern fing, drum jollteit mich net bitten, und der Herr da wird jchon ans der haben fingen hören, als wie’3 ein Bauern: madl kann.“

„Aber geh”, fiel ich ein, während ich dem Mädchen die Guitarre aufzudrängen juchte, „wann ich auch Schon manche Sängerin g’hört hab, des— wegen kann mir doch ein Liedl von dir noch zehn: mal befjer g’fallen!”

Mali jchüttelte den Kopf. „ES geht net! Und wann ich auch jelber möcht... was thät mein Bruder fagen, warn er mich unterm hellichten Werktag daherin fingen höret? Und... ich hab ihon jo lang nix mehr g’jungen, daß ich wahre

Die Seeleitnersleut. 269

haftig auch gar nie mehr kann. Ich glaub kaum, daß mir noch ein Liedl einfallen möcht.“

„Ah bah, bad, bah! Wanı dir fein Lied! auswendig net einfallt, io braucht ja bloß dein Singbud) aus der Kammer z’holen.“ Anderl wandte fic) zu mir: „Wiſſen ©, d'Mali hat ein dicks Buch, da Stehen die G'ſtanzln und G'ſangerln, wie ſ' halt bei uns daheraußen jo der Braud) find, gleich dem Hundert nad) drin.“

Ein Liederbuch, jedenfall3 ein gejchriebenes! Das war für mid, wie der Baier jagt, „ein g’mähtes Wieferl.* Um eines neuen Volksliedes willen wär ih Stunden weit gegangen. Nun trat für mid) der Geſang Malis in den Hinter: grund, das Buch war mir jegt die Hauptjache.

„Schau, Mali,” fagte ich, „wann mir ſchon nix fingen willft, jo fönnteft mir doch dein Liederbud) ein bißl zum Anschauen geben. Weißt, ich hab ſolche G'ſangerln gar arg gern, und es freut mich allweil, mann ich wieder ein neus zum hören oder zum lejen frieg. Geh weiter, hol mir's ein wengerl her.”

Mali zögerte ich merkte, daß ihr meine Bitte nicht jehr gelegen fam. Dann aber. nicte jie und verließ die Stube.

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Als fie wieder zurücfehrte, trug fie ein großes, zierlich gebundenes Buch. Sie wijchte mit der Schürze über den Tiſch und legte das Buch jorg- jam vor mir auf die Platte. „Müſſen S’ mir aber ſchon recht obacht geben, daß Fein Fleck net ’nein kommt!” jagte fie, während fie mit miß— trauifchen Blicken nieine Hand verfolgte, die ſchon den Dedel des Buches aufichlug.

Da ftand auf dem erſten Blatt in zierlicher Nundichrift:

Rieder und Gefänge für eine und zwei Stimmen, mit Guitarrebegleitung (von Berjchiedenen) für Fräulein Amalie Leitner zu deren dreiundzwanzigſtem Geburtstage

zufaınmengeftellt und aufgefchrieben von

Dominicus Hafelwanter, Schulgehilfe in der Jachenau.

Dominicus Hajelwanter! Als ich diejen Na: men lag, mußte ich unmillfürlich zu dem Mädchen aufblicken das war ja der gleiche Name, der draußen am See auf dem Marterl angejchrieben ſtand.

Eine gute Weile noch blieb Mali vor mir

Die Seeleitneräleut. 271

itehen, als ob fie fih von der Achtſamkeit über: zeugen wollte, mit welcher ih) das Buch behan— delte. Danı verließ ſie die Stube, wohl um ihrer Arbeit nachzugehen.

Anderl Hatte ih auf das Sofa geftrecdt und ſchmauchte in jtiller Be: haglicheit jein Pfeifchen. So konnte ich mit ungeitörter Muße dad Buch durchblät: tern. Die Lieder, welche ich da fand, waren mir meijtens alte, gute Bekannte einfache, aber gemüt— volle, oft ſin— nige Volks— weijen, wie fie zwi— ihen Königsſee und Mittenwald alleror- " ten von Burjchen und Mädchen gejungen werden. Bei den meiften diejer Lieder war nur vor jeder Strophe die Tonart der Begleitung durch la— teiniſche Buchftaben angegeben, andere wieder waren unter jauber gezogene Notenlinien gejchrie-

272 Die Seeleitnersleut.

ben, in welche Melodie und Begleitung mit zier: fihen Noten eingezeichnet war. Unter dieſe heimiſche Geſellſchaft mifchten fih ab und zu auch Lieder: gäfte, die fi) im jolcher Umgebung wohl recht jeltjam ausnahmen. So fand ic) in dem Buche Abts „Gute Naht, du mein hHerziges Kind,“ Schuberts Ständen, das Mozartiche Kirchenlied „sch will dich lieben, meine Stärke” und fogar Beethovens „Adelaide,“ dieſes leßtere Lied auf dem gleihen Blatt mit dem Wiener Couplet: „Sa jo ziwa, wie wir zwa, das findt man net leicht!“ Wenn ich unter den Dialektliedern das eine und andere fand, das ich noch nicht Fannte, oder das in einzelnen Strophen eine Verfion von dem Wortlaut zeigte, in dem es an anderen Orten ge- jungen wird, jo jchrieb ich e3 als gewifjenhafter Sammler in mein Taſchenbuch ein. Da war mir denn auch ein Lied aufgefallen, deſſen rührender, unverfünftelter Inhalt in eigentümlichem Kontraft zu den hochklingenden Titel ftand, den es trug, und das mich umjomehr interejjierte, da unter der feßten Strophe „Dominicus Hajelwanter” als Autor verzeichnet war. Das Lied war überjchrie- ben: „Abſchied an Amalia!“ und lautete:

Die Seeleitneräleut. j 2373 „Und i kon Halt net bleibu Und i mueß wieder fort Drum pfüet di Gott, Deanerl! Gelt, dös is a Wort! Es druckt oam ſchier 's Herz ab Und ſagt ſi ſo ſchwaar Woaß Gott, i gang leichter, Wanns net a ſo waar! Mei Load, dös gheart mei Und dös trag i mit mir, Mei Herzerl gheart dei Und drum bleibt3 aa bei dir! Sp pfüet di Gott, Deanerl, Saß gehts Halt dahi Haft grad amal Zeit, Nacha denkſt halt an mi!“

Noh war ich mit der Abichrift diejes Liedes nicht zu Ende gekommen, al3 Mali wieder in die Stube trat. Sie jeßte fi) zu mir auf die Banf und jah mir eine Zeitlang ſchweigend zu,

„Warum jchreiben ©’ denn dag G'ſangl ab?“ fragte fie mich endlich mit halblauter Stimme.

„Weil's mir halt gar jo viel g’fallt.”

„a, ja, es is auch wohl eins von die jchön- jten in ganzen Buch; aber weiter hinten, da fommt noch weit ein ſchöners!“

Ganghofer, Bergluft. 18

274 Die Seeleitneräleut.

Haftig hatte fie nach dem Buch gegriffen, wohl um mir diejed „weit jchönere* Lied aufzu— ſchlagen.

Ich zog ihr jedoch das Buch unter den Hän— den weg. „Nur ſtad, ſtad! Wir werden's ſchon noch erwiſchen. Bei mir geht alles ſchön langſam und richtig nach der Reih.“

Dann blätterte ich weiter, und Mali ſah mir dabei über die Schulter, an das eine und andere Lied kleine Bemerkungen knüpfend, daß ſie es einſt gern oder ungern geſungen hätte, daß es leicht oder ſchwer zu begleiten wäre.

Sp ſchlug ich wieder einmal ein Blatt um.

„Das da is'!“ rief Mali erregt, während fie auf ein Lied deutete, das Üüberjchrieben war: „Der Saager am Walchenjee.”

„Das hat er allweil am Liebiten g’jungen, fast jedsmal, jo oft er bei mir heraußen war!“ hatte da3 Mädchen mit geprekter Stimme bei- gefügt.

„Sit das Lied von ihm ſelber?“ fragte id).

„Sa, jo halb und bald. Wiſſen S', die jaageriihen Sachen,” dabei deutete fie auf ein: zelne Strophen, „die find aus ei'm andern, alten

Die Seeleitnersleut. 275

Lied, aber den Anfang und 's End hat er jelber dazu verfaßt.“

Schweigend jah fie mir wieder zu, wie ic) das Lied abjchrieb. Als ich damit zu Ende war, fragte ich:

„Wie geht’ denn?“ ER

„Wieſo?“ 52 Zus

„sch mein’, wie’ ge— jungen wird?”

Sie griff nad) der Guitarre und begann mit hal: ber Stimme zu fingen, die Weiſe mit lei . jen Akkorden begleitend. Sch vermutete, daß fie nad) der erften Strophe wieder abbrechen wirde, täufchte mich jedodh. Won Wort zu Wort hob fie) ihre Stimme und verftärfte fich der Klang der Saiten.

Anderl richtete ſich auf und laujchte gleich mir dem Gejang des Mädchend. Es war eine Altftinnme, weich und ſchmiegſam und jo kunſt—

276 Die Seeleitnersleut.

[08 die Art dieſes Geſanges war, jo ergreifend war dieſer Ton. Die Weile des Liedes war ein- förmig und bewegte fih, von eigentümlich ſchwer— mütigen Sodelläufen unterbrochen, innerhalb des Umfanges einer Quinte; dazu kam noch der ges tragene Klang der von jchmerzliher Empfindung bewegten Stimme, jo daß der Gejang jeltjam fontraftierte mit dem herzinnig fröhlichen Sinn der gelungenen Worte:

„a See, der iS blau, der liegt tief in ei'm Thol Da woaß i a Deandl, dös gfallt mir jo wohl. Dös Deandl, dös is grad wie Milch und wie Bluet, Wie a Rehcherl jo janft, wie a Lamperl jo guet. Dös Deandl kon fingen wie ’3 Zeijerl am Baanı Und Ziedern kons jchlagn wie a Himmlijcher Traam. Und juhazt mei Deandl, jo ziedert da See, Und die Berg alle wadeln bis auffa in d'Höh. Um di, du mei Deandl, draht ji als was i bin, Dei ghear i, dei bleib i mit Herz und mit Sinn. Und ſchieß i an Gamsbock, a ſchwarzer muß fein, Da Gamöbart, liebs Deandl, der gheart nacha dein. Und warn i am Berg wo an Edelweiß find, Paß auf, was i für a jchöns Sträußerl dir bind. Und is wo a Schießn, jo geh i dazıra,

Das Ichönft ſeiden Tüchel dafchießt dir dei Bıra.

Die Seeleitneröleut. 277

Und du bift amal mei und di gib i net auf, Mei Seligfeit, Schagerl, vaſchwör i da drauf. Und müeßt i bald jterbn und grabns mi ein Mei Grab dös mueß nacha am Walchnſee jein!“

Mali ſchwieg. Negungslos, den Kopf ge: jenkt, jtarrte fie nieder auf die Guitarre, in deren Saiten noch ihre Finger lagen, während ſchim— mernde Thränen über ihre Wangen rannen und niedertropften auf ihre Bruft.

„Wie er mir zum erftenmal das Lied da gungen hat,” ſprach fie mit verfagender Stimme vor ſich Hin, „da hätt er ſich wohl niemals ’dentt, daß fein Lied jo traurig zur Wahrheit werden müßt. Jetzt is der Walchenfee jein Grab... ein Grab, jo tief, daß man fein’ mehr drin findt vor'm jüngſten Tag.”

Da wurde die Thür aufgeriſſen, und Lipp trat in die Stube. Heißer Zorn lag auf ſeinem Geſicht, und ſeine Stimme klang ſchrill, als er die Schweſter anſchrie: „Du Haft vielleicht kein’ Arbeit net, daß dafigen kannſt und dene zwei was vorplärren!” Er riß ihr die Guitarre aus den Händen und warf jie in eine der tiefen Fenſter— nischen, daß fie frachte und klirrte. „Mad, daß

278 Die Seeleitneräleut. naus fommft zu deiner Arbeit in Stall! Unſere Küh haben an dei'm Gang net g'freſſen!“

Mali warf einen langen, traurigen Bli auf ihren Bruder, ging zum Fenfter, nahm die Gui- tarre und hängte fie an die Wand. Dann 309 fie da3 Liederbuh vom Tiſch und verließ ohne Wort und Gruß die Stube.

Lipp hatte Hut und Joppe hinter den Ofen gejchleudert, und während er die Stiefel abitreifte, rief er dem Jäger zu: „Der Wagen jteht draußen! Und im übrigen will ich dir jagen... warn bu bei una da fein anderes G'ſchäft haft, ala mein’ Schweiter zum Faulenzen anz’halten, nachher fannit das nächſtemal ſchon mwegbleiben!”

Anderl war Dicht vor den Burjchen hinge— treten. „Lipp! Wegen deiner SFlegelei gegen 's Deandl kann ich dir nir jagen... da hab ich fein Necht dazu! Aber gegen nich, das darfjt dir merken, mußt von jegt an deine Wörtlu ein bißl janfter z'ſammklauben, jonft könnt ich dir zei- gen mögen, für was unjer Herrgott eigentlich d’ Hajelnußftauden Hat wachſen laſſen! Verſtehſt mich!“

„Oho!“ fuhr der Burſche auf. „Das wär

Die Seeleitnersleut. 279

mir grad noch 's Rechte! In mei'm eigenen Haus müßt ih mir... .*

„Jetzt jei ſtad!“ fiel ihm Anderl energiſch ins Wort. „Wir wiſſen ſchon, daß ein Lümmel bit... brauchſt uns gar fein weiters Zeugnis mehr beiz’bringen.” Und während er Gewehr und Ruckſack aufnahm, wandte er fich zu mir: „Geben S’ ihm ein Markftüdl, das hat er verdient für fein’ Gang... und nachher find wir fertig!”

Ich reichte dem Burſchen einen Thaler, den er brummend einitedte.

Draußen auf der Straße ftand der Eleine, mit einem Pferde beſpannte Leiterwagen, den der Dberföriter gejchikt Hatte. Wir jchleiften den Hirsch bi au den Wegrand und hoben ihn mit Hilfe des Knechtes auf den Wagen.

„Jetzt jegen © Ihnen nur Schön nauf zum Kutſcher am Bod und grüßen S’ mir den Herrn Oberförfter,” jagte Anderl, während er mir zum Abſchied die Hand reichte. „Sch will bis auf d'Nacht noch ein Stückl von der Grenz abgeh’n. Übernachten thu ich in einer Holzerhütten, aber bis morgen auf'n Abend komm ich nachher fchon heim. Alſo b'hüt Gott!“

280 Die Seeleitneräleut.

„B'hüt dich Gott, Anderl!“ Ich ſtieg auf den Wagen, der Knecht gab mit der Peitſche dem Pferd einen leichten Streich über den Rücken, und der Wagen rollte dahin über den ſtaubigen Weg.

Ein ſpaarmal wandte ich das Geſicht; aber

das Mädchen wollte fic)

nicht mehr blicken lajjen; nur die Brüder jah ich Chriſtl hantierte drunten am See an feinem alten Boot umher und Lipp hämmerte am Gar:

tenzaun wütend auf die Stafeten los.

* * *

Die Seeleitnersleut. 281

Zehn Tage waren vergangen. So lieb mir der Aufenthalt in der wiejenblühenden Jachenau geworden war endlih mußte ich doch an das Weiterwandern denken. Ich hatte ja noch einen ihönen Weg vor mir: über Walchenjee wollte id) hinüber nach dev Vorderried, von dort aus empor— jteigen nach dem Plumſerjoch und dann hinunter: pilgern an den Achenfee, an deſſen lieblichen Ufern ich den Reit meiner Sommerferien zu verbringen gedachte.

So ſtopfte ich eines ſchönen Morgens das be— jcheidene Gepäd, das ich auf meiner Wanderung mit mir führte, in meinen weitfaltigen Ruckſack, nahm von Wirt und Wirtin fröhlichen Abjchied und pilgerte das wenig befahrene Sträßchen nad) Urfeld dahin.

Diejer Weg führt über die waldigen Höhen, welche nördlich vom Walchenjee emporfteigen, und brachte mic wieder zu der Stelle, an der ich vor zehn Tagen einen jo glücklichen Schuß gethan hatte. Als ich nun den leuchtenden Seejpiegel wieder heraufichimmern jah durch die dunklen Fichtenäfte, fragte ich mich, weshalb ich denn eigentlich den weiten Ummeg über Urfeld machen wollte, und

282 Die Seeleitnersleut. ob es mir denn nicht weit bequemer und ange— nehmer wäre, wenn ich jegt da den Berghang hinunterftiege und mich von einem der Seeleitners— buben nad) Walchenfee hinüberrudern ließe. Raſch entichloffen, wandte ich mid) thalwärts. Doch mußte ich mich wohl in der Richtung ver- jehen haben denn als ich den Rand des Ge: hölzes erreichte, jah ich weder die Wieſe noch das Haus der Seeleitneräleute vor mir lag die ichmale Straße, und hinter ihr dehnte fich der jtillblaue See. Ein Bli über die Ufer jagte mir, daß ich jegt näher bei lIrfeld war, ala beim Geeleitnerhaufe; Dennoch wollte ih von meinem Entſchluſſe nicht mehr abjtehen e3 drängte mic), das Mädchen noch einmal zu jehen, deſſen Schid- jal mein ganzes Mitgefühl in Anſpruch nahm. So folgte ich mit rafhen Schritten dem Wege, welcher dicht an dem fteilen, felligen Seeufer da— hinzog. Ein paarmal blieb ich horchend ftehen, denn die Straße einher flang der dumpfe Hall raſch aufeinander folgender Schläge id) ver: mutete, daß da wohl irgendwo am Rande des Ge— hölzes ein Holzknecht damit bejchäftigt fein möchte, Baumklötze oder Wurzelftöcde auseinander zu keilen.

Die Seeleitneräleut. 283

Nun konnte ich nicht mehr weit von der Stelle jein; da plößglich veritummten die Schläge; ich bog um eine Waldede, und vor mir jtand das Marterl des verunglüdten Schulgehilfen. Aber ich Eonnte feinen Menjchen erbliden doc als ih aufhordhte, war es mir, als hörte ich im Gehölz das Geräujch enteilender Fußtritte. Viel: leiht war das der Holzfneht, der oben am MWaldhang arbeitete, und nicht hier am Wege, wie id) vermutet hatte.

Sch trat auf die Felsplatte hinaus, las wieder die Inſchrift des Marterls und mußte da= bei mit jeltfamen Gefühlen der zierlichen, fleißigen Schrift in Malis Liederbuch gedenken.

ALS ich) wieder den Weg betreten wollte und zufällig zur Erde blickte, machte ich eine ſon— derbare Entdeckung. In der ganzen Breite, in der die Felsplatte mit dem Straßenförper zus ſammenhing, war fie von tiefen Riffen durchzogen und zeripaltet. Sch Hatte dieje Riffe wohl auch wahrgenommen, als ich zum erjtenmal dieſen Bla betreten hatte aber heute jchienen fie mir weiter, tiefer und zahlveiher und tief eingetrieben in jold einen Spalt, ftaf ein dider,

284 Die Seeleitneräleut.

an feinem Kopfe zu Faſern zerichlagener Holz- feil

Als ich eine Viertelftunde jpäter den Hof des Seeleitnerhaujes betrat, hörte ich aus der Stall: thür eine jcheltende Männerftimme klingen. Da

ich bei einem Blick durch die offenen Fenſter nie= manden in der Stube gewahrte, ging ich auf den Stall zu, überſchritt die Schwelle der dunklen Thüröffnung und jah Malis älteren Bruder am Futterbarren ftehen, wie er die roftige Stallkette um den Hals eines Ochjen legte, dem er dabei die unzweidentigiten Zärtlichfeiten an den Kopf jchrie,

Die Seeleitneräleut. 285

„Srüß Gott!“ rief ich dem Burichen zu. „Macht dir der Kerl da ein bißl z'ſchaffen?“

„Isa, ja! 3 Vich iS halt dumm!“ erwiderte Chriſtl der bei meinem Gruß den Kopf gewandt und mir einen ſtillen Willkomm zugenict hatte.

„Biſt du ganz allein daheim?“

„Ra! Der Lipp is wohl draußen im Holz, aber ’3 Deandl is noch da. Warum ?*

„Ich hätt mich Halt gern mitm Schiff nad) Walchenſee nüberführen lafjen.“

„Sp, jo!” Chriftl trat auf mich zu, wobei er die Hände in die Hüften preßte und das Ge: ficht verzog, als empfände er Schmerzen im Rüden. „Jetzt wiſſen ©’, ich jelber fanı net fort, aber 's Deandl kann Ihnen jchon nüberfahren. Was zahlen S' denn?”

„a3 du verlangit.”

„sh mein’, zwei Mark fufzig, das wär net z’viel?”

„But! Ein Trinkgeld leg’ ich auch zu, nach: her Eriegt 's Deandl drei Mark.”

„Ah nal Das Heißt, mit die drei Mark bin ich einverstanden, aber mir müſſen S’ e8 zahlen, und jeßt gleich vor'm Fahren!”

286 Die Seeleitneräleut.

Ich reichte dem Burjchen das Geld, das er ſchmunzelnd einftedte, während er mir voraus zur Hausthür fehritt. Im Flur blieb er vor der Holztreppe jtehen, die zum Bodenraum des Hauſes emporführte, und rief hinauf:

„Mali!“

„Ba is?“ Klang von droben die Stimme des Mädchen?.

„Schläf di an, du mußt ein’ Herrn nad Walchenſee nüberfahren . . . ich richt derweil die Zillen her. Aber tummel dich!“

Ich ging mit Chriftl zum See hinunter und jah ihm zu, wie er das Boot losfettete und die plumpen Ruder in die abgewegten Weidenringe ichob.

Als Mali fam fie trug das gleiche dunkle $tleid, in dem ich fie damals hatte vor den Mar: terl figen jehen, doc) ftatt des weißen Kopftuches deu niederen, breitfrempigen Hut mit den landes- üblihen Goldſchnüren ftredte ich ihr grüßend die Hand entgegen.

„Sp? Sie jind’3! Grüß Gott!” jagte fie, und legte ihre Hand in die meine,

Ich ftieg in das Boot, Mali jegte ſich auf

Die Seeleitnersleut. 287 die Ruderbanf, griff nach den Stangen, und „’zahlt hat er ſchon!“ rief Ehrijtl der Schweiter zu, wäh: vend er mit fräftigem Stoß den Nachen in das Waſſer trieb.

Das Mädchen rührte die Ruder mit jo ſtram— mer Kraft, daß die Flut laut aufraufchte an dem iharf einjchneidenden Kiel.

Stunm fuhren wir dahin;. die ftille, fried- lihe Schönheit der ums umgebenden Natur feffelte mein Auge jo jehr, daß ich ganz des Redens vergaß.

Die Morgenfonue breitete einen hellen, blau— weißen Schimmer über den regungslofen Spiegel; auch die leichten Wellenfurchen, die den Weg des Boote bezeichneten, verflachten ſich raſch und ver: ſchwammen bald wieder in ftille Ruhe. Wie Gold und Berlen glänzten die Waffertropfen, die von den gehobenen Rudern niederfielen. Zarter Son nenduft lag über den Bergen von Walchenjee und ließ fie ferner erjcheinen, als fie wirklich waren. Hoc über dem See z0g ein Weih mit rajhem Flug zu Walde und in der Tiefe des klaren Waſſers glitt jein Spiegelbild, wie ein Fiſch mit Federn.

288 Die Seeleitnersfeut.

Als ich ein mal aufblidte, ſah ich Dialis Geſicht gegen dag Ufer gewandt, an dem jich das Urfelder Sträß- chen dahinzieht. Sch folgte der Richtung ihrer Blide da drüben ftand das Marterl, deſſen rot bemaltes Holz, von der Sonne bejchienen, hell leuchtete wie blankes Metall.

Eine düftere Schwermut lag auf Malis Antlig und als fie nun die Augen wieder zum Boot zurücdwandte, dag weit aus jeiner Richtung geraten war, ſchwellte ein tiefer Seufzer ihre Bruft.

„Wie lang mag’3 denn her jein, daß er ver— unglüct ift?* fragte ich.

Die Seeleitnersleut. 289

„Sieben Vierteljahr!”

„Und du fannft es noch allweil net verwinden ?“ Wortlos jchüttelte Mali den Kopf.

„Haft ihn recht gern g’habt?*

De Aber das fann ja fein Menſch net faffen, der ihn ————— net ſo 'kennt hat, wie ich ihn am ’tennt hab. Wiſſen ©’, ei 9 ſchön war er gar i }

net. Aber Herz und G'müt hat er g’habt, jo gut und janft, fein Viecherl am

| —9— Weg hätt er zer— 4 7 treten können. Und * iR ſo fromm war er

und gottesgläubig, und wann er auf der Orgel droben das ſchöne Benediktus g’jungen hat, oder 's Gloria, ſo hat man's ihm ang'hört, daß er akrat für unſern Herrgott ſingt. Und brav is er g'weſen, jo viel brav... wann's im Wirtshaus ein’ Spitatl oder ein’ Streit "geben

hat, da war er g’wiß nie dabei. Alle Leut Banghofer, Bergluft. 19

290 Die Seeleitneräleut.

waren ihm gut ... bloß meine zwei faubern Brüder haben ihn nie net mögen.“

„Und. warum net?”

„Wiſſen ©’, das hat halt jo fein’ eigene Be— wandtnid. Wie der Vater felig g’ftorben iS, da hat er uns drei G'ſchwiſter den Hof Hinterlaffen und hat in ſei'm Teſtament ausg’madt, daß am Hof bleiben fol, wer z'letzt heirat. Wer früher heirat, der müßt aus'm Hof nausheiraten, frieget aber dafür zwölfhundert Mark raus’zuhlt. Der Vater felig hat's gwiß gut g’meint und hat fich 'denkt, auf die Weis thät er fein von und ver: fürzen . . . aber freilih, wann er hätt wiſſen fönnen, wa3 ba draus für Feindichaft, Sorg und Sammer aufwachit, hätt er’3 g’wik anders g’madt. Es is wahr, der Hof is gut im Stand; man fann z’dritt, wann man fleißig auf d’Arbeit ſchaut, richtig drauf leben. Aber jo viel bars Geld war niemals net da, daß eins von uns naus’zahlt hätt werden fönnen, ohne daß man auf? Haus Hypothekenfchulden hätt aufnehmen müſſen. Drum lang ion, vor ich jelber ans Heiraten 'denkt hab, war Feindſchaft zwischen meine zwei Brüder. Jed— weder hat ein’ Schatz g'habt und jediweder hat

Die Seeleitneräleut. 291

am Hof bleiben wollen... und feiner is auf die Abmahung ein’gangen, daß der, wo naus— heirat, bloß die Zinjen friegt, derweil ’3 Geld am Haus bleibt. So haben j’ halt miteinander fortg’hadert Jahr um Jahr... . dem ChHriftl jein Schag hat ein Kind friegt, und der vom Lipp gar zwei in ei'm Jahr. Da haben die Buben wieder ihre MadIn was zahlen müffen, und ftatt daß man g’ipart und g’ipart hätt, is das Geld, da3 da war, noch allweil weniger worden.”

„Da mußt du auc fein gut3 Leben dabei g’habt Haben!“

„Das können S’ Ahnen denken! Zwar im Anfang, ſolang ich allweil die VBermittlerin hab machen fönnen, wenn ſ' auf einander g’ftritten und g’ichlagen haben, da hat's es noch ’than. Aber arg is's worden, wie z’leßt alle zwei ſich gegen mich 'kehrt haben. Willen S’... da is damals ein reicher Bauernjohn in der Jachenau g’weien, der war gar arg in mich verichoffen und is mir nach'gangen auf Schritt und Tritt. Selbigs- mal war ich Halt auch noch ein ſaubers Deandl, aber jetzt . . . du mein Gott!... jegt muß id) mic fo wie jo wundern, daß mich der Jammer

2923 Die Seeleitnersleut.

net noch ärger runter'bracht hat. Alſo der Huber: franzl . . Sie werden wohl jein Haus fennen?... wann S’ von der Kirchen die Lengriejer Straßen naufgehen, das vierte Haus links mit die grünen Läden... aljo der Franzl, der war jo verliebt in mic), daß er zu meine Brüder g’jagt hat, er nähmet mich ganz ohne Heiratsgut zum Weib. Ich jelber hätt gegen den Franzl auch gar nir einz’wenden g’habt, wann mein Herz net jchon lang im Stillen ei'm andern g’hört hätt. Da hab ich’3 natürlich jagen müſſen, daß ich den Domini gern hab und fein’ andern Heirat als ihn, und weil ih das ſchon hab einb’itehen müſſen, hab ich auch noch gleich dazu g’jagt, daß wir im Herbit Hochzeit machen möchten, und daß mir bi3 dahin mein Heiratsgut aus’zahlt werden müßt, geh’3 wie’3 will. Wie meine Brüder da drauf mit mir umg’jprungen find, das kann ich net jagen... . ich glaub, der Lipp hätt mich in feiner Wut erichlagen, wann ich net zur Stuben naus g’iprungen wär und mich in mei'm Kammerl ein— g’iperrt hätt. Am andern Morgen haben j’ mir g’iagt, daß fie dem Franzl die feite Zuſag "geben hätten, und ich müßt mich jet drein ſchicken

Die Seeleitneröleut. 233

ob ich wollt oder net. Je mehr ich ’droht, ’beten oder g’weint hab, deito gröber find j’ mit mir worden. Den ganzen Tag haben j’ aufg’schaut, daß ich net in d'Jachenau nein ging oder dem Domini Botſchaft jagen ließet . . . und wie der nächte Sonntag 'kommen is, da haben j’ mich zur Kirchenzeit auf den Heuboden naufg’iperrt, damit ich mit ihm net zuſammkommen ſollt. Ihm jelber haben j’ aber jchon lang von alle Seiten die Botſchaft zutragen laffen, daß ich mit dem Huberfranzl verfprochen wär. An jelbigen Sonntag i3 in Urfeld drüben Kirchweih g’wejen...“

„In Urfeld jteht ja gar feine Kirch net,“ unterbrach ich das Mädchen.

„Dad macht nir, deswegen wird da doch Stirhweih g’feiert. Alfo am Nachmittag find meine Brüder aus der Jachenau heimkommen, wo ſ' in der Kirch waren und beim Wirt drin ’gefien haben. Da hat mic) der Lipp aus dem Heuboden raus’lafjen und hat mir g’jagt, daß der Franzl drunten wär... ich jollt nur gleich mein Feiertagag’wand anlegen, weil ich mit ihnen nüber müßt zum Tanz nad Urfeld. Sch Hab fchon g’merft, dag mir eine Widerred nir anders ein:

294 Die Seeleitnersleut.

tragen möcht, ald Schimpf und Schläg, und jo hab ich mich vorerſt gutwillig in alles ergeben und hab mir "denkt, die G'legenheit wird fchon noch fommen, wo ih nah mei'm Willen thun fanı. Was joll id Fhnen fang“ erzählen vom Nüberweg ... wie der Franzl allweil in mid neing’redt hat... und wie ih außer Ja und Na faum ein Wörtl rausbradht hab. Drüben in Urfeld Hab ich nachher ’tanzt, 'geſſen und 'trunken, ih weiß net wie... mir war’ grad, als ob ih bei mei’m eigenen Leichenſchmaus mithalten thät. Links von mir hat der Franzl und rechts von mir der Lipp jein’ Pla g’habt... und mit kei'm andern Burjchen Hab ich tanzen dürfen, ala mit dem Franzl . . . denn der Lipp, der in der Jachenau drüben jhon ein bißl z'viel 'trunken g'habt hat, der hätt mich beim g'ringſten Muckſer vor alle Leut an'packt. Auf einmal... ich bin grad wieder nach'm Tanz am Tiſch g’jeflen.... da ichau ich auf und bin halb 3’ Tod erjchroden, wie ic; den Domini daftehen fieh, den Hut noch am Kopf und fein ſpaniſch Spazierftedl in der Hand, mit dem er allweil an d'Füß hin’flopft hat. Sein Geſicht war weiß wie d'Wand, und mit Augen

Die Seeleiinersleut. 295

hat er mic ang'ſchaut jo ftarr, wie von ei'm G'ſtorbenen. Aber gleich wieder hat er fi ab- ’fehrt von mir und is auf ein’ Tiih zu’gangen, wo fünf oder ſechs Jachenauer DeandIn g'ſeſſen find. Da hat er nachher ein’ füßen Wein fommen laffen, und hat ’trunfen und 'tanzt und mit Die MadIn Dummheiten "trieben, und diemal hat er g'lacht, daß man ihn im ganzen Saal hat hören fönnen. Späterhin haben P ihm nachher Die Zither ’bracht, und da hat er grad g’jungen, ein Lied! ums andere... . zZlet auch den „Jaager am Walchenſee“ ... . willen ©’:

U See der is blau, der liegt tief in ei'm Thol

Kaum daß ich mit aller G’walt 's Weinen hab verhalten können, wie ich ihn jo hab fingen hören! Denn wenn's feiner g’merkft hat, ich und mein Herz haben’3 wohl g’ipürt, wie’3 mit feiner Zus ftigkeit beftellt i8. Umd wie er nachher g’jungen g'habt hat:

Und müeßt i bald fterben und graben’3 mi ein, Mein Grab, dös mueß nacha am Walchenſee fein

da is er gahlings von ſei'm Sig aufg’fprungen und hat mit ei'm milden Lacher zu mir rüber:

296 Die Seelettnersleut.

g'rufen: „No, was is denn, Mali? Singſt jegt net ein mit mir? Weißt, dasjelbig luftige Liedl vom Deandl, das ein andern g’uommen hat?“ ... Ich Hab ſchon aufitehen wollen, aber der Lipp hat mich ınit G’walt wieder nieder’zogen auf mein’ Stuhl und hat zum Domini nüberg’jchrieen: „Sing du ur allein, mein’ Schweiter hat jelber ein’ Zwieg’jang da am Tiſch!“

Meine Brüder müfjen’3 aber wohl g’merkt haben, daß ich den Zwang nimmer lang ertragen könnt . . . drum haben j’ bei ihre Freund das G'witter vorg’schügt, das am Himmel g’itanden i3, und find zum Heimweg auf’broden, kaum daß's recht abend war. Wie wir nachher zur Thür vom Tanzjaal nausgehn, da jeh ich drüben an der Wand neben der Stiegen den Domini ftehen. Am ganzen G'ſicht Hab ich ihm ang’merft, daß ihm net vecht gut fein muß... natürlich, ſein Liebsgram und das Neintrinfen und die g'waltſame Zuftigkeit... aber ich das jehn und auf ihn zufpringen war eins. „Domini!“ hab ich ihn ang’rufen, „zu allem bin ich "zwungen worden . . . aber dir bleib ich treu, und wär’3 bis zum Sterben!” Meiter aber hab ich nimmer reden können, denn der Chrijtl

Die Seeleitnersleut. 297

ae

\ 4 \/ j’ / 7 ee —— 4

/

„Tomini!“

298 Die Seeleitnersleut.

is zwijchen una g’iprungen, und der Lipp hat mih am Arm 'packt und hat mich mit nunter- griffen über d’ Stiegen. Und wie wir drunten auf der Straßen waren, da is ein paar Augen— bli jpäter auch der Franzl nach'kommen, der droben mit ang’hört hat, was ih zum Domini g’iagt hab. Natürlich Hat der jet zum fragen ang’fangt, was denn das wär, und was denn die Sad) für eine Bewandtnis hätt, daß ich mit ei'm andern jo reden könnt, wo er doch ſchon die feite Zufag hätt. Da hab ich mir ’3 Kuraſch g'nom— men und hab ihm alles gradaus g’jagt. Wie ev’3 aufg’nommen hat, Hab ich ihm net anjehen fönnen, denn ed war ja jchon finfter, aber ich hab g’ipürt, wie jein’ Hand zittert, mit der er mich g’führt hat . . . und gleich bei mei’m erften Wort, wie der Lipp auf mic losfahren hat wollen, da hat er den Arm vorg’stredt und hat zu ihm g’rjagt: „Laß du 's Deandl reden, wie's ihr ums Herz is!“ Und ich hab auch g’redt, wie’3 mir ums Herz war, und wie ich nachher fertig war, da hat er g’jagt: „Schau, Mali, das alle3 hab ih net g'wußt, jonft hätt ich dir net mit mei'm Antrag fo zug'ſetzt. Und ich denf mir

Die Seeleitnersleut. 299 auch jegt, daß e3 für dich fein Glück wär, wann du mich heiraten müßteft, wo du mich doch net magst, und auch für mich fein Segen, wann ich ein Weib Erieget, das ein’ andern im Herzen tragt.“

„Ein braver Burſch, der Franzi!“ jagte ich und blickte tief ergriffen in das ernſte Geficht des Mädchens.

Mali nidte und ftarrte eine Weile ſtumm vor fich nieder, dann atmete fie Schwer und ſprach mit bebender Stimme weiter:

„So find wir halt nachher unfern Weg fort: ’gangen in der Nacht. Kein von ung hat mehr ein Wörtl g’vedt. Blos der Lipp is gahlings ‚Stehen ’blieben und hat g’jagt, wir jollten nur zugehen, er müßt wieder umfehren.“

„a3? Der Lipp iS nochmal nad) Urfeld?* fragte ich haftig.

„sa, er hat auf dem Tiih, an dem mir g'ſeſſen find, ſein' jilberb’ichlagene Pfeifen liegen laffen, und ohne die wär er net heim’gangen. So i3 er halt wieder z'ruck. Wie wir drei nachher vor unjerm Haus an'kommen find, da Hat mir der Franzl die Hand ’geben und hat g’jagt: „So

300 Die Seeleitnersleut.

müſſen wir halt jegt von einander, Mali! Aber deswegen fein’ Feindichaft net . . . es kommt ja doc alles, wie’3 unjer Herrgott will.“ Nachher hat er mir die Hand 'druckt, hat gut Nacht g’jagt und i3 fort am Weg nach der Jachenau. Wie ich mit dem Ehriftl im Haus drin war, er in d' Stuben ’nein und hat die Thür zug’ichlagen, ohne auf mein Gutnacht ein’ Antwort z'geben. Ich aber bin in mein Kammer! nauf und hab nic ana offene Fenster g’jegt, weil ich mir "denkt hab, der Domini fönnt am End doc den weiteren Weg an unjerem Haus vorbei machen, und id) könnt ihm nachher noch ein paar tröjtende WörtIn zurufen. Zwei Stund jpäter hab ich den Lipp heimfommen hören, und bin nachher noch g'ſeſſen und hab g’wart und g’wart, aber der Tag is fommen und fein Domini. Gegen Morgen bin ich vor Müdigkeit aufm Seifel eing’schlafen, und wie ich wieder aufg'wacht bin, iS die Sonn ſchon übern See g’ftanden. Da hab ich mein Werk: tagsg'wand am’zogen und bin munter an mein’ Arbeit, wenn ic) gleich g’meint hab, ich muß um— fallen, jo matt war ich am ganzen Leib. Der Lipp is jchon draußen im Holz g’weien, und der

Die Seeleitnersleut. 301

Chriſtl Hat im Garten am großen Zugneß g’flict. So bin id) mei'm G'ſchäft nach’gangen . . . und wie ich jpäter einmal am Brunnen fteh und ins Schaffl Waſſer einlaufen laß, da hör ich draußen am Straßl wen daherjpringen. Kaum daß ic) umſchau, rennt ſchon ein alts Weib in’ Hof,

ganz fasweiß im G'ſicht . . . und in der Hand hat’3 ein ſpaniſch Spazieritedl g’halten, das ich auf den erſten Blick al3 dem Domini das jeinige erkennt Hab. Das hätt j’ draußen am See g'fun— den, hat die Alte ganz atemlos rausg’haipelt... und im Wafler drin ſchwimmet ein Hut. Ein’ Schrei hab ich ausg’ftoßen, bin naus zum Hof

302 Die Seeleitnersleut.

und nunter die Straßen... hinter mir die Alte und der Chriftl. Wie ih an dasjelbig Platzl fomm und am Waſſer meim Schag fein’ Hut liegen fieh, da hab ich g’meint, die Berg und der Hinmel fallen über mir ein... und bin nieder- g’ihlagen aufn Boden wie ein Stüdl Holz. Vier Wochen lang bin ih am Tod g’legen, und wie ich nach der fechiten Wochen zum erſtenmal wie— der aufftehn Hab dürfen, da war das Marterl am See drunten alles, was mir von meiner ganzen Lieb und für mein Herz noch übrig ’blieben is.“

Mali ſchwieg, und tief atmend Hob fie für furze Raft die Ruder aus dem Waſſer. Mit ernster Ruhe hatte fie gejprodhen, und die Em— pfindungen, die ihr Inneres erregten, hatten fich faun anders verraten, al3 durch ein Beben der Stimme, durch einen jchmerzlihen Zug, der ſich um die Mundwinfel legte, und wohl auch durch die übermäßige Haft, mit welcher fie die Ruder führte, Aber gerade aus diefem ſchmuckloſen Be- richt der traurigen Wahrheit, aus den fcheinbar ruhigen Worten jprachen die Schmerzen und der unftillbare Gram dieſer hart geprüften Seele um jo iiberzeugender zu meinen Herzen.

Die Seelettnersleut. 303

Nun ließ das Mädchen die Nuder wieder in das Waffer ſinken, hob das Geſicht und jah mir in die Augen. „Wie ich jett eigentlich dazu kommen bin, Ihnen, den ich doch heut erft zum zweitenmal fieh, jo gradweg mein’ ganze Liebs— gichicht zu erzählen, das weiß ich wohl jelber net. Aber ich hab’3 wohl g’merkt, jchon 's erſte— mal, daß Sie gut und mitleidig zu mir denken, und jo was greift ei’'m halt ans Herz und macht ein’ vertraut. Und Sie dürfen mir's glauben: 's war mir eine Wohlthat, wieder einmal jo lang und offen mit jemand über mein Unglück reden z'dürfen.“

„Ich möcht nur, Deandl, daß ich dein Ver— trauen wenigſtens mit ei'm Troſt vergelten könnt! Aber wo der Tod ſein letztes Wörtl g'redt hat, kann der Menſch nix anders mehr ſagen, als: über dem Grab giebt's auch noch ein Leben, und auf das muß man hoffen und ſich vertröſten!“

„O du mein lieber Herrgott!“ ſchluchzte Mali laut auf und vergrub das Geſicht in beide Hände. „Sch wollt ja gern alles in Geduld und Demut tra— gen, wenn mir nur grad der einzige Troft verblieben wär . . . aber den jogar haben j’ mir ausg'redt!“

304 Die Seeleitneröleut.

„er hat ihn dir ausg'redt?“ fragte ich er— ſtaunt.

„Der Pfarrer!“ Eine finſtere Falte legte ſich über Malis Stirne, während ſie wieder zu den Ru— dern griff undüber die Schulter nach dem Ufer blickte, das wir in wenigen Minuten erreichen mußten. „Am Krankenbett bin ich noch g'legen, da hat er mich allweil b'ſucht, der geiſtliche Herr! Und wie ich ihn in Angſt und Zittern g'fragt hab, was er wohl meinet wegen dem Domini ſei'm Seelen— heil, da hat er nur allweil zu mir g'ſagt: „Bet, Deandl, bet, damit der Herr ihm die Strafen der Ewigkeit mildert, denn der Domini kann net im Himmel ſein und auch net im Fegfeuer. Mag er jetzt im Rauſch neing'fallen ſein ins Waſſer, oder mag er ſelber neing'ſprungen ſein, weil er dir nimmer hat glauben können, in jedem Fall is er mit einer Todſünd am G'wiſſen dahing'fahren aus den Zeben. Und was die Straf für eine unver: büßte Todjünd is, das weißt du ja grad fo gut wie ich!" Ich Hab ihn ’bitt? mit aufg’hobene Händ, g’weint hab ich und g’rjammert, er möcht mir nur grad mit ei'm einzigen Wörtl den Jammer und den Vorwurf von mei'm Gewiſſen nehmen,

Die Seeleitneräleut.

305

er aber is Hart ’blieben und Hat mir nir anders jagen können. Und jest leb ich halt jo dahin... und glaub an mein’ Herrgott und daß ich jelber einmal in Himmel fomm . . . und muß dabei denfen, daß ich droben den net find, der auf der Welt mein ganzer Himmel war!”

Knirſchend fuhr der Kahn an das jandige Ufer. Mali erhob jih und trat hart an Die Bootswand, um nich vorüber zu laſſen. Ich blieb vor ihr ftehen, und während mein Blick mit tiefem Mitgefühl auf ihren bleihen Zügen ruhte, faßte ih ihre Hand,

„Glaub net, Deandl, was dir der Pfarrer g'ſagt Hat! Unſer Herrgott iS größer im Lieben und Berzeihen, al3 in Strafen und Verdammen. Er jelber hat in die Herzen von und Menjchen die Lieb verpflanzt und hat fein’ Himmel g'ſchaffen als ein Haus voll Glüd und Seligkeit und zum ewigen MWiederfinden für die, wo auf der Welt in Treu zu einander g’ftanden find und doch das Glück net haben finden können. An der Hoffnung, Deandl, Halt feſt . . und wenn noch Zweifel und Unruh über dich fommen, jo frag dein eigenes

Herz und net den Pfarrer!” Ganghbofer, Bergluft. 20

306 Die Seeleitneräleut.

Ein dankbarer Blick Teuchtete mir aus Malis Augen entgegen. „Sch dank, Herr, ich dank für das gute Wort!“

„Und jegt b'hüt dich Gott, und ich möcht wünjchen, daß ich Did) froher find, warn ich über8 Sahr wie— der herkommen

Pe ., folt zum BE , Gecleit- nerhaug!“ Noch eins mal drückte ih ihre

Boot ans Ufer.

„8 hüt Shnen Gott!“ rief fie mir mit thränenerftidter Stimme nad, während fie den Kahn zurüdjchob in das Waſſer.

Ein legtesmal winkte ich ihr grüßend zu und ging meiner Wege.

Die Seeleitnerdleut. 307

Drei Wochen fpäter fehrte ih von Achenjee über Jenbach nah München zurüd.

In meiner Wohnung fand ic eine Kifte vor, in welcher mir Anderl, mein Jagdführer in der Jachenau, das Geweih des von mir erlegten Hirſches überjandt hatte,

Der Brief, welcher dabei lag, lautete:

„Jachenau, den 2. September. Hochverehrter Herr!

Anbei überjchide ih Ihnen, wie fie mir auftragen haben, das Hirichgweih. Ich Habs ihon recht gut verpadt, e3 wird Hoffentlich Fein End oder jonft nic brochen fein. Es iſt recht ihad, daß Sie jo bald fort haben müjfen, aber fommen3 nur das nächite Jahr wieder, ich jpür Shnen den ſchönſten Hirich aus im ganzen Re— vier. Aber geltens, mit der Geeleitnermali hat3 ein recht traurig End gnommen. Gie dauert alle Leut! War ein bravs und ein guts Madl, wos ſchon befjer verdient hätt. Aber es geht oft gfpaßig zu in unjerer Welt. 33 eh nir wert, alles übereinander! Der Herr Ober: förfter läßt Ihnen auch viele Grüß jagen und

308 Die Seeleitnersleut. Sie jollen auf die Batronenhülfen net vergeſſen, die fie ihm haben bjorgen wollen. Er wart ihon drauf. Am Königstag haben wir ein Schießen ghabt und ich hab das Belt am Haupt kriegt, ein jeidens Tüchl mit zehn Mark. Und ein Rauſch hab ich auch kriegt, und ein ganz ein ghörigen. Sie find jchon wieder beim Teu— fel, die zehn Mark. Alfo das nächte Jahr jehn wir uns twieder und bi3 dahin bhüt Ihnen Gott. Hochachtungsvollſt grüßend, zeichnet Andrea Horlinger, fönigliher Jagdgehilfe in der Jachenau.“ Mali tot! Ich war von diefer Nachricht tief ergriffen. Umgehend jchrieb ich an Anderl, er möchte mich über die näheren Umſtände diejer mir jo unerwarteten Kunde aufflären. Drei Tage ipäter erhielt ich feine Antwort. Sie lautete:

„Sadhenau, den 9. September. Hochzuverehrender Herr!

Sch hab eben glaubt, Sie wüßtens jchon oder hättens vielleicht in der Zeitung glejen. Aber freilich, Sie waren ja fort auf der Reis. Die Mali i8 aber net gjtorben, fie i8 im Walchen-

Die Seeleitnersleut. 309 jee verunglüdt, jo daß fie jegt mit ihrem Do— mini vereinigt i3, freilich auf andere Weis, ala wie ſichs die zwei früher denkt Haben mögen. Das Plagl fennen? ja, wo dem Domini fein Marterl fteht. Da is die Mali Tag für Tag zum Beten nausgangen. Die Feldplatten hat aber jhon lang Riß ghabt, und da is Halt einmal, grad wie die Mali wieder am Bankl vor dem Kreuz g’jejlen iS, die ganze G'ſchicht mit jammt dem Deandl und dem Marterl in See neingrumpelt. Am 22. Auguſt i3 daS gweſen. Da3 Deandl hat man nimmer gfunden, den der See is an der Stell gar graufig tief. Ihr Bruder, der Lipp, iS ganz menjchenjcheu jeit derer Zeit, und der andere, der Chriftl, 13 ganz täpplih und redt allweil irr. Der iS aud) bettlägerig, denn wies das Madl gſucht haben, i3 er mit dem Haden wo hängen blieben und i3 fopfüber in See gfallen. Seit der Zeit hat er ein arg böjen Huften, und der Doktor fürcht. Geltens, da3 find Gſchichten, jo was möcht man fich nicht denken. Mir thuts recht leid um das brave Deandl. Für die Patronen hülfen laßt Shnen der Herr Oberföriter beftens

310 Die Seeleitnerälent.

danken. Indem ih Sie ebenfalld auf das Freundlichſte grüße, verbleibe ih Ihr Hochachtungsvollſt ergebenjter Andread Horlinger, fönigliher Sagdgehilfe in der Jachenau.“

Drei Ausichnitte aus einem Münchener Lo— falblatte:

Jachenau, 16. Sept. Geitern abend gegen 9 Uhr jah man hier plößlich über dem Gehölze, da3 gegen Walchenjee zuliegt, eine flammtende Feuerröte jich erheben, welche von Minute zu Minute an Dimenjion und Intenfivität zunahm. Die Gemeindeiprige wurde jofort ausgerüftet und abgejandt. Al man nach möglichft raſcher Fahrt den Rand des Gehölzes erreichte, jah man fich dicht vor dem Feuerherde. Hier am See jteht, oder vielmehr ftand ein einfames Haus, „beim Seeleitner” geheißen. Bis auf die Grundmauern war alles schon niedergebrannt.

Die Seeleitneräleut. 311

Leute aus dem näheren Urfeld umftanden be= reit3 jammernd und händeringend die nr jtätte. Außer dem jämtlichen . Vieh ſcheinen —«“ | ——

:$ Ada

auch die zwei Brüder ver— brannt zu ſein, welche das Haus bewohnten, und denen erſt vor wenigen Wochen eine Schweſter im See ertrank. DTölz, 19. Sept. (Originalkorreſpondenz.) Sie haben fo jchreibt man und vor wenigen Tagen in Ihrem geſchätzten Blatte von dem Brande des jogenannten Seeleitner-Hauſes be— richtet und es dabei als wahrſcheinlich Hingeftellt, daß die Bewohner desjelben, zwei Brüder, in den Flammen umgelommen wären. Dieje Nach—

312 Die Seeleitneräleut.

richt muB eine Berichtigung finden, die allerdings noch grauenhafter ift. Heute vormittag erjchien nämlich) auf dem hiefigen Landgericht ein mild ausjehender Burſche in ſchmutzigen, abgerifjenen Kleidern. Er gab an, daß er Philipp Leit— ner heiße und Mitbefiger jene abgebrannten Hauſes gewejen wäre. Daran jchlofjen ſich Selbit: anklagen und Entdedungen, welche jenen, die fie anhörten, buchftäblich die Haare zu Berg ftehen ließen. Philipp Leitner, oder Lipp, wie er furz- weg genannt wurde, bat erjtlid den Geliebten jeiner Schwefter, einen Jachenauer Schulgehilfen Namens Dominifus Hafelwanter, in den See ge: jtürzt, un jeiner Schweiter nicht da3 vom Vater teftamentarifch ausgejegte Heiratögut bezahlen zu müſſen. Im Oftober werden es bereitö zwei Jahre, daß Lipp dieſe Unthat verübte. Da da— mals alle8 der Meinung war, daß Haſelwanter im Rauſch verunglüdt wäre, ließ die Jachenauer Gemeinde an der Stelle, wo man des Toten Hut und Stod gefunden hatte, auf einer in den See hinausfpringenden Fel3platte ein jogenanntes Mar- ter! errichten. Hier pflegte die Schwefter des Mörders, die Geliebte des unglücklichen Opfers,

%

Die Seeleitnersleut. 313 täglich zu beten. Da ſich Lipp Dadurd immer wie: der an feine That erinnert jah, fam er auf den Ge- danfen, die Felsplatte mit dem Marterl vom Ufer abzujprengen und in den See zu ftürzen. Wochen: lang unterminierte Lipp den Felſen, bis derjelbe eined Tages in den See brach, unglücklichermweije zu einer Stunde, da die Schmwefter betend vor dem Kreuze kniete. So hat aud) die Arme durch die Schuld ihres Bruder den Tod gefunden. . Die Habjucht hatte den Burſchen zu feinen Ber: brechen verleitet, und gerade an dieſer Habjucht jollte er durch die unerforjchliche Gerechtigkeit des Schidjals beftraft werden. Sein älterer Bruder Ehriftian war, als er im Waſſer den Leichnam jeiner Schwefter juchte, aus Unvorfichtigkeit in den See geftürzt, und es hatte fich bei ihm in— folge dejjen eine Art firer Idee ausgebildet, in: dem er glaubte, Die tote Schwejter hätte ihn zu jih in die Tiefe hinabziehen wollen. Er verfiel in eine ſchwere Krankheit, und als er aus der Bejorgnis des Arztes und Lipps unverhehlter Freude merkte, daß er jterben müſſe, verleiteten ihn der Wahnſinn und der Neid, daß dem Bruder nach feinem Tode das ungetheilte Erbe verbliebe,

314 Die Seeleitnersleut.

zu dem entjeglichen Entjchluffe, dieſem Die Freude zu verderben, indem er dad Haus in Brand ftedte. Als Lipp, der noch ſpät am Abend in einiger Entfernung vom Hofraume Holz auffchichtete, die Flammen aus dem Dache ihlagen jah und jammernd und entjegt dem brennenden Haufe zueilte, traf er im Flur auf jeinen Bruder, der ihm mit höhniſchem Geläd)- ter und in der Schadenfreude des Wahnſinns zu jeiner Erbichaft gratulierte Schäumend vor Wut, jeiner jelbit nicht mehr mächtig, riß Lipp das Meſſer aus der Tajche und jtieß es dem Bruder, der vor ihm in die Stube ge= flüchtet war, von rückwärts in den Hals. Als dieſer Jich Jchwergetroffen, blutendund röchelnd am Boden wand, padte den Mörder das Entjegent, und er jtürzte, Verzweiflung im Herzen, aus den brennenden Haufe. Drei Tage irrte er in den waldigen Bergen umher, bis er fich heute morgens in einem Aufzuge, welcher, wie be= reit3 bemerkt, jeder Beichreibung jpottete, den Gerichten ftellte.

(ITölz, 20, Sept. Der Mörder Philipp Leitner hat jich heute nacht in dem Gewahr:

Die Seeleitneräleut. 315

jam, in den er verbracht worden war, mit Hilfe feiner zerriffenen, zu einer Schnur verbundenen Rockärmel erdroffelt.

Hodhwürden Herr Pfarrer.

(1882.)

Auf ſeinem Grabe wuchert ſchon lange grünes. Gras, wenn es nicht der Schnee deckt im Winter oder eine pietätvolle Hand am Allerſeelentage den niederen Hügel mit ſchwarzer Erde beſtreut.

Will ich von dem, der darumter liegt, er— zählen, jo hab ich feine Mahnung des alten Spruches zu befürchten: De mortuis nil nisi bene, Denn ſelbſt jeine Feinde die Finger reichten aus, um fie zu zählen fonnten ihm nichts Schlimmes, nır Abjonderliches nachſagen.

Daß er, wie es in Nefrologen jo gerne heißt, „durch dieſes Leben geſchwebt“ wäre, läßt ſich von

320 Hohwirden Herr Pfarrer.

ihm nicht gut behaupten, denn die Spur, die jeinen Weg kennzeichnete, war tief und breit, wie die eines jechsräderigen Bierwagend. Ich weiß, diejer Vergleich ift nicht poetiſch, aber er hat Wirklichkeit und man opfert ja heutzutage dem Wirklichen die Poeſie jo gerne.

Meder er jelbit, noch fein Leben, noch jein Wirken war bedeutend, und doch find dieſe drei Dinge der Betradtung wert.

Daß fein Vater ein reicher Bauer war, fo einer vom richtigen Schlag der Berge, ich meine die Kerle mit den blauen Nugen und den vier: eigen Köpfen daran iſt an und für fi nichts beionderes. Merktwürdig in hohem Grade find aber fchon die ſeltſamen Umftände zu nennen, unter denen Franzerl das Licht der Welt erblidte. Franzerl jo hieß nämlich unjer Held; ſchon bei den Anzeichen feines Werdens hatte man fi im Familienrate je nahdem über den Namen Franziskus oder Franziska geeinigt. Und wenn da wirklich, wie erhofft, ein Franzisfus käme, jo wußte lang jchon im voraus das ganze Dorf, daß er als zweiter Sohn eines reihen Hofbauern „zur Studi aufn Pfarrer“ bejtimmt jet.

Hochwürden Herr Pfarrer, 321

War nun Franzerl fchon vor feinem Eintritt in die Welt der Stoff jo mancher Unterhaltung geweſen, jo ward er, da er denfelben endlich voll- zog, für mehrere Wochen geradezu zum ausfchließ- lihen Tagesgeſpräche.

Eigentlich) hatte man den oder das Franzerl erit zwei Monate fpäter erwartet und ohne Ahnung deſſen, was die nächſte Stunde bringen jollte, ging jeine Mutter eines Palmſonntags in das Hochamt. Freili war e8 der guten Frau ihon ein paar Tage her „net recht jo ſo“ geweſen, was fie aber nicht hindern konnte, ihrer Chriften- pflicht zu genügen.

Wohl erjchien ihr die Predigt ein wenig gar zu lang, und als fie endlich Doch überftanden war, hätte die Bäuerin ihrem körperlichen Unbehagen, da3 dringend zur Heimkehr mahnte, gerne nachge- geben. Da fie aber, ihrem Reichtum angemefjen, in einer der vorderiten Bänke ihren Stand hatte, jo hätte fie, um zur Thüre zu gelangen, an all den Leuten vorüber den ganzen langen Kirchengang dahinpilgern müfjen und in ihrem jegigen Zu: itande wollte fie das um alle Welt nicht thun. So

drückte fie tapfer die Augen zu und betete hurtig Ganghofer, Bergluft. 21

322 Hochwürden Herr Fiarrer.

weiter, Baterunjer, Ave Maria, Glauben an Gott, die Heiligenlitanei alles kunterbunt durchein- ander, was ihr eben auf die Lippen kam.

Auf einmal aber, gerade als die Frau Lehrerin, begleitet von Orgelllängen, Geigen und Poſaunen, droben auf dem Chor das jhöne Solo von Kemp— ter zu fingen anhub: Beatus ille, qui venit da war der Bäuerin „ganz anderſt“ geworden.

„Berblaßt und dag’fegen, war eins!“ erzählie nach der Kataftrophe ihre Kirchſtuhlnachbarin.

Bon der „Mannerfeiten” fprangen ein paar Buriche zu Hilfe, um die Ohnmächtige ins Freie zu tragen. Die gewiſſe „Frau G’vatterin” aber, welche geihäftig und mit beredten Händen die wiipernden Leute beruhigend herbeigeeilt war, er: fanıte gar bald, „wo Mathäi am längſten,“ und ließ die Kranke jchleunigit in das Glodenhaus tragen, wo man fie jorgjam auf einen Haufen ihwarzer Bahrtücher niederlegte.

Mit der Andacht der Kirchleute war e3 jeßt freilich vorbei. Wohl wandte ſich der Hochwürdige öfter als vorgeichrieben mit einem recht unwilligen, von zornigen Blicken begleiteten Dominus vobis- cum zu feinen Schäflein, da er aber bemerkte,

Hochwürden Herr Pfarrer. 323

daß lange nicht mehr der Altar, fondern die Thür der Glocenftube, aus welcher ab und zu recht verdächtige Yaute vernehmbar wurden, die Auf: merkſamkeit unmwiderftehlich in Anſpruch nahm, da betete auch er das Sanktus, Paternofter und Evangelium rajcher denn jonft, verzichtete jogar

beim Ite missa est auf den gewöhnlichen Kolora= turenprunf und mwäre zu allem Ende beinahe noch über eine Falte des Altarteppich3 geftolpert. Nah Schluß des Gottesdienftes holte man in Ermangelung eines anderen Transportmittels aus dem Schulhaus eine vollftändige Bettlade herbei und jchaffte damit die Bäuerin mitjamt dem dreißig Minuten alten Franzerl nach Haufe.

324 Hohmwürben Herr Pfarrer.

Als tags darauf der geiftlihe Herr Die Wehmutter befuchte, machte er unter Hinweis auf die unerforjchlichen Fügungen des Herren bejonders auf das ſeltſame Zufanımentreffen des Geburts— ortes und der Lebensbeftimmung des Kindes auf- merkſam und verjuchte aus dieſem Anlaß gegen den Namen „Franzerl“ zu opponieren. Donatus jolle der Junge getauft werden, meinte er, indem er ohne Furcht vor einer gegnerischen Meinung die etwas gewagte Behauptung aufftellte, Donatus bedeute joviel als „der von Gott geſchenkte und für Gott geborene.“

Dem trat aber der Bauer kurz und bündig entgegen: „Das geht über mein’ Verftand! Franz Sojeph joll mein Bub heißen und net anders.“

Es war merfwürdig, wie alle Meinungen, die über den Jungen laut wurden, mehr oder weniger mit feinem fünftigen Beruf in Verbin— dung ftanden. So hatte jich die „Frau G’vatterin” noch im Glockenhauſe zu der Äußerung veranlaßt gejehen:

„Am Kopf fehlt fi nir! Der iS groß g’nug für ein’ Biſchof oder ein’ Pater Kapuziner.“

Welchem Fdeengange fie folgte, um zu dieſem

Hochwurden Herr Pfarrer. 325 jeltjamen Doppelichluffe zu gelangen, ift allen, die ihn vernahmen, ein Rätſel geblieben. Gemein- verjtändliher war jchon die Anmerkung, die fie zu den großen, tweitabitehenden Ohren des Kin— des machte:

„Schimpfts mir net über die Wajcheln; die find jhon recht . . . da überhört er grab nir, wann er im Beichtftuhl fißt.“

Und wenn der Junge unter ihren Händen ſchrie, tätjchelte fie ihm lächelnd die dicken runden Schenkelchen.

„Schrei nur zu, kleiner Herr! Da kriegſt grad das richtige Lüngerl zum Predigen!“ Sie war eine perfekte Prophetin, die Frau Gevatterin.

Die Jahre vergingen; Franzerl wuchs aus dein Kinderröcklein in die Höschen, kam in. die Schule und mit acht Jahren zum Herren Pfarrer in die lateiniishe Stunde. Schon jet erwachte in ihm das Bewußtſein der einjtigen Würde er fühlte fih, wie man jo fagt. Stolz warf er den Kopf zurück, drückte die Bruft heraus und 30g die Ellbogen auf, fo daß er an jeder Geite den Arm trug, wie der Krug feinen Henkel. Da: bei fing er an, auf jeine Altersgenoſſen von oben

327

el fahen ‚vohnten, :anten in

umgen Tagen

gres Mitglied

Ange und Körper—

fe alt geworden

ommen. Daß cr er Donau gleich in niit einem halben aufgenommen wurde, Stenntniijen, al3 der 73 danken, der zu Anfang hn im Neuburger Studien: ewejen war. für Franzl eine harte Zeit. Grit: \hon das lange Sigen ſchwer, und Studieren, zu deutſch Oxen, ward ihm mer. Doc betrübte ihn das lange nicht als der Umſtand, daß er unter all diejen von Negierungsräten, Landrichtern und örſtern ji weder Einfluß oc Anſehen

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326 Hochwürden Herr Pfarrer.

herab zu jehen, ohne aber deshalb in einen dum— men Knabenhochmut auszuarten; und ala er erit mensa deflinieren und das Vaterunſer lateiniſch beten konnte, tyrannijierte er mit Blid und Wort die ganze Schule. Die Spiele wurden nach jeinem Willen geipielt, er war Schiedsrichter in allen Zwiſtigkeiten, Feldherr in. allen Kriegen und Hauptmann in allen NRäuberfämpfen. Freilich) waren unter feinen Schulfanteraden auch manche, die jeine Autorität nicht jo geradeweg anerkennen wollten; mit denen machte Franzl jedoch kurzen Prozeß; er jchlug ihnen, wenn fie nur ein Wort jolder Meinung fallen ließen, einfach die mit einem. Niemen zuſammengeſchnürten Schulbücher um die Köpfe und wehe dem, der gegen dieſe legte Inſtanz noch zu appellieren verjuchte, er lag im Straßengraben, eh er fich’3 verjah. Hatte Franzl doh mit zehn. Jahren jchon das ganze Ausjehen eines jungen Bräuknechts; was er ans rüihrte, jpürte feinen Griff da3 Fonnte man allereritens ſchon an feinen Büchern erjehen; vier: zehn Tage genügten, um vom neuejten Exemplar jeglihe Spur eines Einbandes verſchwinden zu machen, wobei freilich der oben angeführte Gebraud)

Hochwürden Herr Pfarrer. 8327

ein Wejentliches beitrug; Hinter dem Titel fahen ſie aber nicht befjer aus, da bei feinem gewohnten, rajhen „UmblattIn“ alle Eden und Kanten in Franzls dien Fingern blieben.

Mit einem Worte Schon in jungen Tagen verſprach unjer Held ein brauchbares Mitglied der ecclesia militans zu werden.

So war Franzl zwölf Jahre alt geworben und hatte freilih mehr an Länge und Körper: jtärfe denn an Weisheit zugenommen. Daß er trog alledem zu Neuburg an der Donau gleich in die zweite Lateinklaffe und mit einem halben Freiplag in das Seminar aufgenommen wurde, durfte er weniger jeinen SKenntniffen, al3 der Fürſorge feines Pfarrers danfeı, der zu Anfang jeiner Briefterlaufbahn im Neuburger Studien: jeminar Präfekt gewejen war.

Nun kam für Franzl eine harte Zeit. Erſt— lich fiel ihm jchon das lange Sigen jchwer, und das viele Studieren, zu deutſch Oxen, ward ihm weidlich fauer. Doch betrübte ihn das Lange nicht jo jehr, als der Umftand, daß er unter all dieſen Söhnen von NRegierungsräten, LVandrichtern und Nevierförjtern ih weder Einfluß noch Anſehen

328 Hochwürden Herr Pfarrer.

zu erfämpfen vermochte und als er es in einer böfen Stunde mit dem früher jo wohl erprobten Gewaltmittel verjuchte, da jeßte e8 Tagen und langftündigen Harzer. Seine Kameraden machten ihn aber von nun an erit recht zur Zielſcheibe ihre8 Spottes, der aus Franzls grobförniger Redeweiſe, aus dem dumpf gedehnten „oa“ und „au“ feiner unverfälichten Heimatipradhe eine un— verjiegbare Nahrung ſchöpfte und als Dieje jungen Herren von der Schulbank erſt herausge:- bracht hatten, daß Franzls Mutter ihre Briefe ftet3 adreilierte an „Wohlgeboren Herrn Franzerl . . .” da hieß es „Franzerl* Hin und „Franzerl“ her im ganzen Seminar, jo daß dem langen, fräftigen Burſchen der mütterliche Schmeichelname bald ein Ekel und Abſcheu wurde Als er dann im die Ferien nah Haufe kam, war fein erites, daß er diefen Namen abthat und fategorijch den Gebraud) der zweiten Hälfte ſeines Taufnamens begehrte. Wenn er ſich nun auch im Dorfe zu einem „Sepp“ verwandelt hatte, im Seminar, wohin ihn ber Herbit zurücdführte, mußte er fi) wohl das „Franz zerl“ noch lange Zeit gefallen laſſen. Auch der übrigen Stellung gegemüber jeinen Kameraden

Hochmitrben Herr Pfarrer. 329

mußte er erft von der Zeit an, da er in die Gym— nafialklafjen übertrat, eine lichte Seite abzuge— winnen.

Und das war fo. In dem umfangreichen, von einer hohen Mauer umzogenen Garten des Seminar hatten Lateinſchüler und Gymnafiaften getrennte Spielplägte. Da erluftigten fich Die eriteren auf ihrem Gebiete während der „Freizeit“ an den mannigfachen Turngeräten, Springböden, Shwungbäumen und Slettergerüften; wenn fie aber dann nach ſtundenlangem Umhertollen müd und erhigt im Graſe lagen, laujchten die jungen Burschen neidisch dem Rumpeln der Kugel und dem Boltern der fallenden Kegel, das vom Spiel: plag der Gymnaſiaſten herüber Hang. Und auf diejer Kegelbahn war Sepp von dem Augenblicke au, da er fie zum erftenmal betreten hatte, um: befiegter Meifter geblieben. Wie angeſchraubt ſaß die Kugel in feiner breiten, dickfingerigen Hand, und wenn er jie warf ed war das immer ein Schuß wie aus der Büchſe dann mähte fie die Kegel wie des Schnitterd Senje die Waizenhalnte. Und nicht nur, daß es für unjern Sepp eine Kleinigkeit war, einen Kranz oder alle Neune zu

330 Hochwurden Herr Pfarrer.

„ſcheiben“ er brachte es nach und nach zu einer ſolchen Kraftentwicklung und Geſchicklichkeit, daß er mit einer kleinen Kugel aus freier Hand jeden einzelnen Kegel aus dem vollen Spiel heraus— warf. Dieſe unbeſtrittene und gerechter Weiſe bewunderte Meiſterſchaft feſtigte wieder ſein Selbſt— bewußtſein, das unter ſeiner früheren gedrückten Stellung bedenklich gelitten hatte.

Doch wie im Leben gemeinhin, jo jchreitet auch manchmal auf der Kegelbahn das Schidjal ſchnell. Es war im legten Sommer feiner Stu- dienzeit, juft drei Monate vor dem Eramen, da nahm Sepps fegelmörderifche Meifterherrlichkeit mit einemmal ein jähes Ende. Er hatte da, wie früher jo Häufig fchon, eines Nachmittags wieder gewettet, dreimal nacheinander den Hinterften Ke— gel au dem Spiel zu werfen. Zweimal war ihm das Kunſtſtück bereit3 gelungen nun ftand er wieder vor dem Brett und jchwang, in den Knieen fich wiegend, mit weitausholendem Bogen die Eleine lignum sanctum-Sugel. Aber jei es, daß er diedmal die Kurve zu Hoch nahm, oder in der Erregung des Spieles und der Wette ein Übermaß von Kraft verichwendete ftatt auf

Hochwurden Herr Pfarrer. 331

332 Hochwürden Herr Pfarrer,

den bedrohten Segel flog die Kugel Erachend in die Latten des Daches, jo daß ein halbbugend der Ziegelplatten zerſchmettert niederprafjelte auf die Dielen der Kegelbahn.

Der Spektakel diejer Kataftrophe Hatte den auffichtführenden Präfekten herbeigelodt und die Folge war, daß dent überfräftigen Kegelkönig neben der Verurtheilung in die Koften für den Reſt des Semefter3 das Betreten der Kegelbahn unterjagt wurde.

Das war num freilich für Sepp ein jchmerz- liher Schlag; doch machte er aus der Not eine Tugend, und jo fam die eriparte Zeit den Bor: bereitungeit für das Examen zugut, das er ſchließ— lich, wenn auch nicht glänzend, jo doch ehrenvoll beitand.

Über die Zeit jeines Aufenthaltes im Priefter: jeminar, jowie über das vorangehende Univerji- tätsjahr zu München fließen meine Quellen ſpär— ih. Nur das eine Hab ich mir jagen Lafjen, daß er während feiner zwei philojophiichen Se- meter gleich fleißig wie die Kollegien auch das Hofbräuhans frequentierte. Iſt doch ſchon in Dieje Zeit die erite Entwicklungsperiode jenes

Hohmürben Herr Pfarrer. 333

ausdauernden Burpurs zurüdzuleiten, der jpäter- hin durch feine Sonjequenzen für Sepps Naje jo verhängnisvoll werden follte.

Daß ihn der Aufenthalt innerhalb der ftillen Mauern des Alummenhaujes große Seelenfümpfe und innere Stürme bradte, ift wohl nicht an- zunehmen. Sein Geift erfreute ſich niemals einer bejonderen Beweglichkeit. Gedankenſkrupel waren ihm zuwider wie ſchaales Bier. Er ließ andere denken und nahm Worte und Dinge, die man ihm lehrte, willig und fritiflos entgegen. Dann war ihm ja auch feine Berufsbeitimmung von Kindheit an fo in Fleifch und Blut übergegangen, daß ihm niemals der leijefte Gedanke fam, als hätte er auch zu etwas anderem geboren jein können. Kurz, er verließ als geweihter Prieſter die Schwelle des Seminars mit derjelben gleihmütigen Ruhe, mit der er fie betreten hatte und als er vier Wochen jpäter in dem weiten Grasgarten ſeines Elternhaujes unter blauem Himmel feine Brimiz feierte, da hielt er den ungeheuren Zu: lauf der Zandbevölferung für etwas ganz Selbft- verftändliches und Natürliches. Der Pfarrer und ein paar Betjchweitern nahmen es ihm freilich

331 Sodwärben Herr Pfarrer. übel, daß er beim Feitmahle dem Bierfrug und der Weinflaihe allzuwader zuſprach, um ungeführt jeine Sammer finden zu fönnen. Sepp aber joll auch das für natürlich und jelbitveritändlich ge- halten haben.

Bald darauf verließ er jeine Heimat, um Die erlangte Kaplanſtelle in einem weit entfernten Bfarrdorfe anzutreten. Da nahm er als Köchin die alte Hausmagd jeiner Eltern mit fi, die ihn als Kind jchon auf den Armen getragen hatte.

Über Sepps jiebenjährige Kaplanzeit und über die fünf Jahre, die er als Pfarrer in einem hochgelegenen Gebirgsorte verbradte, breitet ſich wieder ein Schleier, den feine Nachfrage zu lüften vermochte.

Da jegnete eines Tages der alte hochwürdige Herr in jeinem Heimatsdorfe das Zeitlihe, und wenige Wochen ſpäter vernahmen die Bauern von jagen wir Wadersdorf mit jehr ges theilten Empfindungen die Hunde, daß Sepp zum Nachfolger des Hingefchiedenen ernannt wor— den jei. Seine Verwandten jahen dem Ein- treffen des neuen Pfarrer mit Stolz und großen Erwartungen entgegen, da fie mit der gerechten

Hochwürden Herr Pfarrer. 335 Hoffnung fich trugen, daß ihr zu geiftlichen Ehren und Würden gefommenes Blut ihrer Stellung im Dorfe einen erhöhten Nimbus verleihen würde. Mand andere jedod, die mit Sepp auf der gleihen Schulbanf gejeffen, von ihm gedrillt und gefnechtet worden waren und fich inzwifchen zu hausgejefjenen Bauern und wahlfähigen Hands werfern ausgewachſen hatten, ergingen fich in recht pejlimiftiichen Befürchtungen, und das umjomehr, als fie, wenn auch etwas dunkel und unbestimmt, bon der energiichen, weder Einmiſchung noch Widerſpruch duldenden Amtsführung vernommen hatten, die Sepp dort oben in jenem Gebirgöneite zu handhaben pflegte. Beide Barteien vereinigten fich jedoch in der Spannung und Neugierde nach dem Ausjehen de3 neuen Pfarrers, den fie jeit jeiner Primiz nicht mehr zu Geficht befommen hatten. All die zwölf Jahre her war Sepp nicht mehr zu Beſuch in jein Elternhaus gekehrt, hatte ihm doch fein Beruf nicht einmal geitattet, dent Begräbnis jeines Vaters beizumohnen. Nun follte er als mwohlbeitallter Seeljorger in jeinem SHeimat3dorfe Einzug halten und am Tage feiner Ankunft waren PBfarrhof und

336 Hohwürden Herr Pfarrer.

| * ven 7 Kirche von in- Lin —— nen und außen mit Blumen, Tannen— bäumchen und Laubgewinden geziert, während draußen vor dem erjten Haufe des Ortes ein riefiger Triumphbogen ſich über die Straße baute. Im grauenden Morgen jchon war des Pfarrers Bruder, der Hofbauer, begleitet von der bejahrten Mutter, in blumengeſchmückter Kutjche nach der Bahnitation gefahren und lange vor der Stunde, zu der fie zurück fein konnten, ftanden die Leute in dichten Gruppen vor dem Dorfe und fpähten die weit jichtbare Straße entlang. Endlid rollte, vom Staub ummirbelt, der Magen mit den Grwarteten einher, die Roſſe ftanden, die Böller fradhten, die vom Lehrer an

Hochwürden Herr Pfarrer. 337

geführten Schulkinder intonierten einen Subelchor die Leute aber redten die Hälje und ftießen unter mühjam verbijfenem Sichern die Ellbogen an einander, denn aus der wanfenden, ächzenden Kutſche ftieg eine ſchwarze Geftalt, die den Größten im Dorfe noch um Haupteslänge überragte, mit Armen, Schultern und einem Leibe, daß der ver— hüllende Talar an Stoff wohl auögereicht hätte für. die Flügelröcke zweier richtiger Männer mit einem Kopfe darüber, Haarborftig, eig und maſſiv, mit einem breiten Gefichte, daraus eine Nafe ſich ballte eine Nafe! Wo find ic für die Schilderung diejer Naſe Worte und Bilder? Diefe Naje war gar feine Naje fie war ein Konglomerat, eine Volkzverfammlung von Naſen und Näschen, von deren Gipfel eine flanımende Röte über Wangen, Stirn und Lippen floß, wie wie wie glühende Lava über die Felshänge und Schroffen eines feiterjpeienden Berges.

Und das war Sepp, der neue Pfarrer von Wadersdorf!

In der einen Hand den Hut, in der andern das dicke filberbefchlagene Nohr, fo ftand er, re—

gungslos zur Erde niederblickend, vor den fingenden Ganghofer, Bergluft. 22

338 Hohmwürden Herr Pfarrer.

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Schulfindern, die mit jcheuen Augen zu jenem monftröjen Gefichtsberge emporjchielten. Als dann das Lied zu Ende war, trat ein mweißgefleidetes Mädchen aus der Neihe, reihte dem Pfarrer einen Blumenftrauß, knixte und begann:

„Hochwürdiger Herr Pfarrer, hören Sie mich an! Das ganze Dorf drängt jubelud fich heran, Um Ihnen zu begrüßen, wie’3 der Braud), Die Erwachſenen und die Schulkinder auch. In diefem Ort find Sie geboren

Und zum geiftlihen Stand erforen woren. Nun kommen Sie durch Gottes Gnad und Gunſt Als Hochwürdiger Herr Bfarrer zu und.

Das muß für Ihnen eine große Freude fein, Wie auch wir alle und darüber freun.

Nun bitt ich Sie, nehmen Sie in Lieb und Güt Uns alle auf in Ihr Herz und Gemüt

Und laſſen Sie ung freundlich werden zu theil, Ihre Sorge für unfer Seelenheil

Recht viele, viele Jahre noch.

Der hochwürdige Herr Pfarrer lebe Hoch!“

„Hoch! Hoch! Hoch!” ſchrie es in hundert: ſtimmigem Chorus dann räuſperte ſich Sepp, was eine atemloſe Stille hervorrief, legte die Hand auf das Haupt des kleinen, weißgekleideten Mäd— chens, und unter ſtolzem Lächeln ſtreifte er die

Hochwurden Herr Pfarrer. 339

Geſichter der Leute mit einem langjamen, for: ihenden Blick aus den Heinen, von Wangen und Lidern ſchier erdrückten Augen. Wie angrollender Donner Hang es, als er zu reden begann:

„Deine lieben Landsleute und nunmehrigen Pfarrfinder! E3 freut mich außerordentlih, daß Ihr Euch jo ang’ftrengt habt wegen meiner, was allerding3 bei jedem Pfarrer gejchieht, ob man ihn jegt gern kommen jieht oder ungern. Wie's in dem Punkt mit Euch beftellt ift, dag werden ja die nächſten Wochen zeigen. Aber mag’3 jeßt jein, wie’3 will, ich verjprih Euch, daß ich meiner Heimatsg’meind ein redlicher Seelforger fein und allweil Euer Beites im Aug haben will... und wann’ jelber gegen Euren Verftand und Willen ging’. Alfo nochmals meinen beiten Dauf für alle und für jeden! So! Und jegt machen wir, daß wir heimfommen, denn ich hab jeit geftern mit- tags nie Warm mehr ’gefjen.”

Er nahm den Arm feiner Mutter, aus deren Antlig Freude, Stolz und Sorge jpraden, 308 den Bürgermeifter an feine andere Seite und wanderte zwijchen den beiden die Straße dahin nad dem Pfarrhaufe. Ihm nach marjchierte die

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liebe Jugend und ein großer Theil der Leute. Viele jedod) blieben, die Hände in den Tajchen, flüfternd, raunend, wijpernd und plaudernd unter dem Triumphbogen itehen.

„Du! Haft du jhon einmal jo was g’jehn?“

„Na! Ich noch net!“

„Kreuzjafra, iS das ein Köpfl!“

„Auf den fann fich der Schneider freun.“

„Jetzt, ich ſag, er hätt ſchon droben bleiben fönnen in ſei'm Felienneit . . . der Pfarrer mit die ſieben Tagwerf Naſen.“

Das Wort wurde belaht und madte in we— nigen Stunden die Runde durd das Dorf.

Andern Tags wurde die Inſtallation mitgroßer ‚seierlichkeit begangen, wobei der Herr Dekan eine ‚seitpredigt hielt, die länger als erbaulich war.

Der kommende Sonntag bradte noch eine fleine Erregung Sepps erite Predigt. Der Lehrer, ein heimtückiſcher Achjelträger, hatte Dem Pfarrer jenes ominöſe Wort von den fieben Tags werfen und der Naje hHinterbradt. Wenn fich Sepp nun auch in amjcheinender Gleichgültigfeit für die Zukunft alle derartigen Rapporte verbat, jo hatte ihn die Nede doc geärgert.

Hochwürden Herr Pfarrer. 341

Als er dann auf der Kanzel ftand und das Evangelium gejprochen hatte, lehnte er ich mit beiden Armen weit über die Brüftung und begann:

„Andäctige Zus hörer in Chrifto! Da %,° ift er num, diejer neue Pfarrer von Wackers⸗ dorf, derjelbige mit jeine fieben Tagwerk Najen, der Euch gar jo zuwider iſt. Dieſem Pfarrer gefallt es da— hier an der Stätte ſeinerWiege ſehr wohl, und er hat im Sinne, immer bei Euch zu bleiben. Was werdet Ihr aber thun, wenn dieſer Pfarrer einmal ſtirbt, mit ſeine ſieben Tagwerk Naſen? Da müßt Ihr entweder den Friedhof vergrößern oder die ſieben Tagwerk in die Tiefe graben. Es wäre mir um meiner Ruhe willen angenehm, wenn ſich der Gemeinderat jetzt

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ſchon mit dieſer Frage befaſſen würde. Und nun zum Texte unſeres heutigen Evangeliums ...“ In tönendem Schwalle ſprudelten ihm nun die Worte chriſtlicher Ermahnung von den Lippen, und als er erſt ſo recht in Zug kam, da funkelten ſeine Augen, da regnete es Pech, Schwefel und hölliſches Feuer, da hallten die Wände vom Klang ſeiner mächtigen Stimme, die Fenſterſcheiben er— zitterten, und unter ſeinen Fauſtſchlägen dröhnte die Kanzel. Dabei kam er, je mehr er ſich in ſeinen heiligen Eifer hineinſprach, immer mehr von dem hochdeutſchen Tone ab, in dem er be— gonnen, bald platzte ihm ein derbes, aber bezeich— nendes Wort über die Lippen, dann kam ſo ab und zu ein ganzer Satz in den Lauten feiner Heimatſprache, und zu guter Letzt klang feine Rede, wie der Bauer zum Bauer ſpricht: „So! Für heut jol’3 g’nug jein! Und wen's ’troffen hat, der kann ſich Hinter die Ohrwaicheln fragen. Amen!“

Als das Hochamt zu Ende war und Die Bauern über den Kirchhof jchritten, winkten jie einander zu, zogen die Augenbrauen in die Höhe und nicten mit den Köpfen zuftimmend vor fich hin.

„Du! Der kann's!“

Hochwürden Herr Pfarrer. 343

„Hätt's net 'denkt!“

„G'wiß wahr, ſo hab ich noch nie kein' net predigen hören.“

„Der redt ei'm ja ins G'wiſſen, daß ei'm d'Haar aufſtehn vor Schauder und Sündenreu.“ „Und weißt, was das ſchönſte dran is?“

No?“

„Daß man verſteht, was er ſagt und was er meint, und daß er kein ſo lateiniſch G'ſalbater macht, wie der ander ſelig.“

„Ja, ja! Und einſchlafen thut bei ihm g'wiß keiner!“

„Da kannſt recht haben!“

So und ſo ähnlich ſchwirrte es hin und her in ernſten und ſcherzhaften Worten und gar, als die Bauern eine Viertelſtunde ſpäter auf dem Marktplatz im großen Bürgerrat beiſammenſtan— den und der Ortsvorſteher verlas, daß Hoch— würden Herr Pfarrer aus Anlaß ſeines Amts— antrittes fünftauſend Mark zur Erbauung eines neuen Armenhauſes gejtiftet habe, da waren Die „eben Tagwerk Naſen“ mit allen andern ver- geilen, und über Sepp herrichte nur mehr eine Stimme der Anerkennung und Zufriedenheit.

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Woche um Woche verging, und alles war zum beften in ein ruhiges Geleife gefommen. Die Leute gemwöhnten fi an die rauhen, oft gröb- lihen Worte de3 Pfarrers, da fie jahen, wie gut er es troß alledem mit ihnen meinte, wie er an feinem Krankenbett fehlte, wie er überall, wo Not an den Mann Fam, mit beitem Rat und ebenjo häufig mit materieller Hilfe beifprang, und wie er dad Wohl der Gemeinde und feiner Pfarrkinder zu feiner einzigen Sorge machte.

Die Jungen freilich brummten ein wenig gegen die ftrenge Zucht, die er führte, und waren anfangs zu Boffen und Ärgernis wider den Pfar- rer gern bereit. Seit der Zeit jedodh, da Sepp einen Burſchen, der jchleht an einem Mädchen gehandelt und diejer That fih am Wirtstiiche gerühmt hatte mit dem Bemerken, daß es ihn den Teufel fümmere, was der Pfarrer dazu jagen würde feit Sepp diejen Burfchen, al3 er gerade am Pfarrhof vorüberging, bein Sragen gefaßt, in den Flur gezogen und dort mwindelweich geprüs gelt hatte, waren die andern von einem heilfamen Reſpekt erfaßt worden.

Solche kleine Intermezzi abgerechnet, lebte auch

346 Hochwürden Herr Pfarrer.

Sepp in der erften Zeit ruhig und zufrieden feine Tage dahin. Sein Vormittag galt dem Kirchen— dienfte, feinem Brevier und der Erledigung feiner Screibereien. Nach Tiſch unternahm er, mochte das Metter gut oder jchlecht fein, einen ftunden- langen Spaziergang in Wald und Feld. Auf dem Rückwege ſprach er dann bei jeinen Kran— fen vor und überall, wo er ging, liefen ihm die Kinder zu, um jeine großen, roten Hände zu küſſen. Jeden Ermwachjenen, dem er begegnete, hielt er mit lautem Gruße an und fragte ihn nach Leid und Freud in feiner Familie. Darauf fehrte er im Wirtshauſe zu, um fein gleihmäßiges, freilih gut gemefjenes Quantum Bier zu ver: tilgen und den Reit des Nachmittags mit einem Stegelipiel oder einem harmloſen Tarödchen zu vertreiben. Am Sonntage jaß er hier mitten unter feinen Bauern und bdisputierte mit ihnen von all jenen Dingen, von denen ein Bauer eben zu reden weiß. Wenn bei einbrechender Duntel- heit die Aveglocde zum Gebet läutete, ſprach er mit ihnen gemeinjan noch den Abendjegen: „Der Engel de3 Herrn bradte Maria die Botjchaft, und jie empfing vom Heiligen Geiſt. Gegrüßt

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feift dit 20.” darauf nahm er Hut und Stod, dankte für die allfeitig gewünjchte gute Nacht und wanderte dem Pfarrhof zu. Da Hatte er es dann gerne, wenn einer jeiner Verwandten oder der eine und andere feiner intimeren Bekannten nach dem Abendeſſen noch auf ein Plauderftündchen bei ihm vorſprach, um unter Scherz und Ernit eine Flaſche echten Tiroler auszuſtechen.

Aber nicht allein im eigenen Dorfe mehrte fich des neuen Pfarrers Ruhm von Tag zu Tag der Auf feiner fulminanten Predigten verbreitete ſich ringsum im Lande, und an Sonn- und Feiertagen ftrömten die Bauern auf Stunden weit herbei, um den „Blödererſepp“ predigen zu hören. Dieſe Bezeihnung war zu gleichen Theilen Ehren- und Spigname doch mag es den Sprachgelehrten überlafjen bleiben, zu erfunden, inwieweit die erfte Hälfte mit dent mittelhochdeutichen blödern ver— wandt ift, das jo viel wie rauſchen, braujen und wohl auch fo viel wie iiberlautes Sprechen bedeutet.

Sepp verftand e3, dieſen dickköpfigen Chriſten auf ihre eigene Weije in das Herz zu reden, wo— bei er vor allem die Aufmerkjamfeit durch ein- geftreute Bilder, Gleichniffe und Hiftörchen zu

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fejfeln wußte, die er mit demjelben Ernfte be— handelte, wie das Heiligite des Heiligen. Gar mancher Sa und mand eine Gefchichte, die er da mit feiner Donneritimme von der Kanzel ver— Eiindete, lebt heute noch wortgetreu im Gedächt— nifje jener, welche fie unmittelbar aus feinem Munde vernahmen oder von Älteren überliefert erhielten.

Sp begann er an einem Marienfefte feine Predigt mit folgenden Worten: „Ihr meine lieben Kinder im Herrn! E3 wird Euch nicht unbekannt jein, daß ed auf der Welt gar verjchiedene Nüß giebt, als da find Haſelnüß, Weljhnüß, Bes dürfnis, Hindernis, Betrübnis und andere mehr. Doch unter alle Nüß die foftbarfte, die edelfte und erhabenfte, das ift Maria Empfängnis.”

Ein andermal, man feierte Schugengelfeft, fuhr er, an das Weſen und die Beitimmung der Schugengel anfnüpfend, folgendermaßen weiter: „Bei manchem hat’3 zwar nicht den Anjchein, aber es ift deswegen doch lautere Wahrheit, daß jeder Menjch jeinen Schugengel hat: der Bauer und die Bäuerin, der Sohn und die Tochter, der Knecht und die Divn, jeder Menjch hat ein’. And

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daß Ihr wißt, was ein Heiliger Schugengel für jeinen Schüßling leiften kann, wenn er ihn hoch— hält durch fleißiges Gebet und geziemende Ber: ehrung . . . deswegen will ih Euch erzählen, was ich für einen Schußengel hab. Es wird Euch allen bekannt fein, daß mir vor vier Wochen auf meiner Rüdfahrt von Altötting die Pferde durchgegangen find. Die Roß find g’flogen, der Kutſcher ift auch g'flogen . .. aber anderft .. . und ih und die Köchin figen allein im Wageıt. Was glaubt Shr, daß ich mir da 'denkt hab? „Du mein lieber, heiliger Schußengel, erhalt dein’ alter Sepp!” Und kaum daß ich’3 ’denft hab, reißt's auch jchon den Wagen um. Was glaubts aber, daß ich jeßt g’jagt hab? „Du mein lieber Schugßengel, 's Aufbetten veritehft!“ .. . denn neben meiner Köchin bin ich dring'ſeſſen im dicken Gras wie im jchönften Flaumenbett.“

Einer ausgedehnten Kolportage erfreut ſich heute noch die Trauerrede, welche Sepp am Grabe ſeines beiten Freundes und täglichen Gejellfchafterg, am Grabe des Bräumeifters von Wackersdorf gehalten hat. Als er, mit Mühe feine Bewegung meifternd, die rituelle Einjegnung geiprochen hatte,

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ihloß er das Buch und blidte lange Sekunden ftumm und mit thränengefüllten Augen auf den ihwarzen Sarg, bis er endlih mit gebrüdter Stimme zu reden begann: „Siehit es, Wölferl, fiehit es! Wann jo bei mir g’jeflen bift, haft all- weil gemeint, du gehit einmal mit meiner Leich und jhauft mir in die Gruben! Und jekt geh ich mit Deiner Leich und jchau dir in die Gruben! Fa, Ihr Freunde und Trauernden, blidet her auf diefen Sarg, der ein furchtbares Sinnbild der irdiichen VBergänglichkeit ift. Vor wenigen Tagen habt Ihr noch mit ihm gejcherzt und gelacht, und num liegt er da, der gute Bräumeijter, dieſer vor— zügliche Biermacher! Ja! Diejes feine, dieſes milde, dieſes klare Bier wird man jelten finden. Dafür war Wolfgang Adler aber auch im bayriihen Walde geboren, in jenem bayriihen Walde, aus dem die glorreichen Bräufnechte hervorgehen, geboren im Jahre 1801, wo ſelbigsmal der große Wind gegangen tft.”

Am diefem Tone ſprach Sepp weiter, die Lebensgeſchichte des Verblichenen verherrlichend, bi3 er endlich mit den Worten jchloß: „Und wer meinen lieben Bräumeifter bei Lebzeiten nicht

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nach Verdienſt geſchätzt Hat, der wird es ſchon jetzt nach ſeinem Tode thun. Ihr werdet ſchon ſehen! Wenn Ihr da von der Arbeit kommt, müd, hungrig und durſtig, oder Ihr kehret vom Felde heim, wo Euch die Sonn auf die Köpf geſchienen hat, daß Euch die Zung am Gau— men pappt, und Ihr müßt ein trübs und ein matts Bier trinken ... gelt ja, da könnts nach— her jchreien: O du grundgütiger Herrgott, hättſt uns doch unſern Bräumeiſter g'laſſen. Da kommt Euch nachher 's Einſehen, was er für Euch

352 Hochwürden Herr Pfarrer. g’wejen is, aber ftatt daß nachher auf den neuen Panſcher g’ichimpft fein muß, betet lieber ein heimlich3 Vaterunſer und wünſchet dem Toten, was ich ihn jegt wünjch: Herr, gieb ihm Fried und Ruh in Ewigkeit, Amen!” Dann wandte er lich Schluchzend au die Leichenträger: „Und jo laßts ihn halt nunter in Gottesnamen!“

Sp wären Beijpiele, wie dieſer dörfliche Abraham a Santa Clara feinen Bauern zu pres digen pflegte, noch zu Dugenden anzuführen.

Da mag e3 jest nah all dem Erzählten freilich jcheinen, als hätte Sepp in ungetrübter Nuhe feines Lebens ich freuen fönnen. Dem war aber doch nicht jo. Denn abgejehen davon, daß das ftete Wachſtum und VBermehrungdgelüfte jeiner Nafe ihm manche jchwere Stunde bereitete, wurde der ruhige Gang feiner Tage von einem roten Faden des Haderd gefreuzt, der für Den guten Pfarrer wohl noch zur würgenden Schlinge geworden wäre, wenn nicht aber das jpäter.

Zwei Monate nad) Sepps Amtsantritt in Wackersdorf hatte jein hochwürdigſter Herr Biſchof gelegentlich einer Inſpektionsreiſe für die Dauer eine Mittageifens in Pfarrhofe vorgeſprochen.

Hochwürden Herr Pfarrer. 353

Der Pfarrer war fih natürlich der Ehre vollauf bewußt, die. ihm da widerfuhr, ließ, ſo— weit er und jeine alte Köchin es verjtanden, auf: tragen, wa3 gut und theuer war, und ftrahlte vor - Vergnügen, da der hochwürdigſte Herr jede Schüffel und jede Flaſche jo freundlich zu loben beliebte. Übereifrig und unermüdlich war Sepp im Beant: worten all der leutjeligen Fragen, die an ihn gerichtet wurden. Und als dann der hohe Gaſt fich jo nebenbei auch erkundigte, wie Sepp mit dem Einfommen feiner Pfarrei zufrieden wäre, da nidte er ſchmunzelnd vor fid hin:

„Aaah, Wacersdorf ift wohl eine bon den beiten Pfarreien; da bleibt nichts zu wünſchen übrig. Und dann... jo ein bikl was hab id) ja felber auch ... alſo ...“

„Alſo find Sie,“ unterbrah ihn der hoch— würdigfte Herr, „im Bergleich zu Ihrem Vor: gänger noch weit beſſer daran, der doch von feiner Pfründe allein jährlich achthundert Mark zurück: legen konnte.“

Sepp lachte. „Sch felber wüßt auch nicht, wie ich alles allein brauchen jollt.*

„Ihr Herr Vorgänger hat in liebenswürdigfter Ganghofer, Bergluft. 23

354 Hochwürden Herr Pfarrer.

MWeije dieſes jährlihe Erſparnis der Bervoll- kommnung meines Prieſterſeminars zugewendet. Und ich würde gerne hören, daß Sie, fei es num aus rein wohlthätigem Drange für das Intereſſe unjere3 Standes oder aus irgend welchem Motive der Dankbarkeit, das gleiche beablichtigen möchten.“

Betroffen jchwieg Sepp eine Zeit lang. In jeiner Hand zitterte die Gabel, mit deren Zinfen er auf feinem Kuchenteller Figuren in die Zucker— frummen zeichnete. „Freilih ... an meinem Beutel zehren mehr, als an dem de3 alten Herrn Pfarrer jelig . . . das heißt, was ein anderer in dem Pfarrhof eripart hat, kann ih auch er— jparen . . . undaljo gut... . ich will jedes Jahr die gleichen ahthundert Mark zurüclegen. Aber was ich einnimm, ift ja Bauerngeld . . . e8 wär aljo doch wohl nicht mehr al? billig, wenn ein alfenfallfiger Überjchuß wieder den Bauern zu gut füm? Unſer Kirchl ift Klein, und jeden Sonntag muß ein Theil der Leute Predigt und Hochamt durch die offenen Thüren und Fenfter anhören... e3 wär aljo da ein Erweiterung3bau wohl auch ein gutes, chriftliches Werk... mein’ ih. Wenn aljo der hochwürdigſte Herr Biſchof nicht dagegen hätten...”

Hochwürden Herr Pfarrer. 355

„Bitte, Herr Pfarrer, was ich fagte, war nur ein Vorſchlag, den Sie ja immer noch ded Genaueren überlegen Eönnen,“ Tautete die lächelnde Antwort, während der hohe Gaft fih vom Tijc erhob.

Eine Stunde jpäter, als das Rollen der biſchöflichen Equipage auf der hinziehenden Straße verflang, fteuerte Sepp in langen Schritten dem Bräuhauſe zu.

„Wölferl! Wölferl!“ riefer mit lauter Stimme dur das offene Thor in den weiten, von Waſſer— dämpfen erfüllten Sudraum. „Mac, weiter, nimm dein’ Hut,” ſprach er den damals noch in voller Ge— jundheit ftrogenden Bräumeifter an, als diejer mit fröhlidem Grüßgott herbeifprang, „und geh ein Stündl mit mir jpazieren. Ich hab was z’reden mit dir.”

Als nad) Wochen vom bijchöflichen Sekretariat eine Anfrage einlief, „wie Hochwürden in der be— wußten Angelegenheit fich entfchieben habe,” ant= wortete Sepp bündiger al® gerade notwendig geweſen, daß die Stiftung der jährlichen 800 Mark zur Erweiterung der Kirche vorläufig für fünf Jahre beim Ortsvorsteher bereit3 verbrieft läge.

In das folgende Frühjahr fiel eine Landtags—

356 Hohwürden Herr Pfarrer.

wahl, und Sepp, von jeher ein abgejagter Feind aller politifchen Umtriebe, betheiligte fich dabei eben nur durch die Abgabe feiner Stimme. Einem, wenige Wochen fpäter eingetroffenen, auf bie Dfterfeier fich beziehenden, bifchöflichen Erlaſſe war ein ziemlich ungnädig gehaltener Vermerk über dieſe Qauheit im Dienfte der firhlichen In— terefjen beigelegt.

Und merfwürdig Sepp konnte von nun an dem Ordinariate feinen Bericht, dem Bezirksamte fein Brotofoll mehr forreft und umfafjend genug zuftande bringen; da kam eine Neflamatioı, eine Berichtigung um die andere an den Pfarrer zurüd.

Einmal es ging fehon weit in das zweite Jahr, daß Sepp in Wadersdorf weilte erhielt er gar eine ernftlihe Ermahnung wegen jeiner Urt zu predigen. Es wäre unjchiclich und ärgernis— gebend, fo hieß es, daß er Dinge profanen In— halt3 in einer Art und Weije auf der Kanzel zu verhandeln liebe, die fich faum mit dem am Bier- tiiche zu wahrenden Anftande, un fo viel weniger mit der Heiligkeit de3 Ortes vertrage, an dem man das lautere Wort Gottes zu hören gewohnt wäre.

Hochwürden Herr Pfarrer. 357

Sepp war wütend. Er jandte eine geharnijchte Ermwiderung an das Ordinariat: Man folle den Pfarrern auf dem Lande nicht vorjchreiben, wie jie zu predigen hätten. Die Herrn Pröpfte und Kapitulare verftünden wohl, auf welche Weiſe man den jeidenraufchigen Stadtfräulein das Evangelium in dad Mündchen ftreichen müfje Wie man aber den Bauern ins Herz und Gewiſſen zu reden habe, das verftünde nun er wieder befjer, da er, eine3 Bauern Sohn und unter Bauern aufge— wachſen, wiſſe, was Bauernart wäre.

Umgehend kam die Antwort: Daß er Bauern— art zu üben wiſſe, beweiſe der Ton ſeines Schrei— bens. Unter dem Bemerken, daß man ihm eine derartige Kritik eines Ordinariatserlaſſes ein für allemal unterſage, würde man es ihm für geratener bezeichnen, die ergangene, gelinde Ermahnung als einen Beweis des Wohlwollens zu betrachten. Man hätte es vorerſt nur deshalb bei der zarten Warnung bewenden lafjen, da man ihn bislang noch für jo gutmütig Eurzfichtig halte, in dem Zu— lauf der Landbevölkerung zu feinen Predigten eine bäuriſch Fromme Begeifterung zu erbliden, während das Motiv hiefiir doch nichts anderes wäre, als die

358 Hochwürden Herr Pfarrer. Sudt der Leute, jih an des Herrn Pfarrers Kanzelſpäßen zu erluftigen.

Das kam unferem Sepp nun wieder jpaßhaft vor. Seine guten, frommen Bauern, die regungs— (08 mit offenen Ohren und Mäulern jaßen und itanden, wenn er jtundenlang auch predigte, jollten fih über ihn luſtig machen! Diefe Vermutung er- ichien ihm jo komiſch, daß fie ihn mit dem ganzen Handel verjöhnte und feine Ruhe wieder ins Gleichgewicht brachte.

Er legte das Schreiben zu den übrigen, fuhr fort zu predigen, wie er es bisher gewohnt war und als er Monate hindurch „von oben“ nichts weiter zu hören bekam, dachte er nicht anders, als daß die hohen Herren in der Stadt eben zur Einſicht gekommen märeıt.

Da, an einem Sonntage Sepp jtand eben in der Safriitei und 309 das Chorhemd mit den zterlich gefräujelten Spigen über den Talar kam plößglic feine alte Köchin herbeigelaufen und flüjterte ihm zu:

„Herr Pfarrer! Herr Bfarrer! . . . Der Landrichter!“

„Was is mit dem Landrichter?“ fragte Sepp

359

Hochwürden Herr Pfarrer.

Sepp jtand in ber Safriftei .. .

360 Hochwürden Herr Pfarrer. die Alte, die vor atemlojer Erregung kaum weis ter jprechen konnte.

„In der Kirch is er... drin im Glocken— haus verjtedt . . . der G'meindsdiener hat mir’ g'ſagt . . . der hat's g’jehen, wie ihn der Zehrer nach'm Z'ſammläuten neing’führt hat.”

„Is gut! Geh nur zu!” ftieß Sepp zornig hervor, drückte das Barett in die Stirne und trat mit langen Schritten aus der Safriftei in den Kirchenraum. ZTrippelnd folgte ihm der Miniftrant mit MWeihwafjerkefjel und Sprengwedel.

Über den Stufen, die vom Altarraume zu den Betjtühlen Hinunterführten, blieb er ftehen und ſprach mit erhabener Stimme:

„Liebe Pfarrkinder! Bevor ich den Heiligen Gottesdienst beginne, Hab ich Euch etwas zu Jagen. Sch Hab Euch heut wieder einmal eine tüchtige Predigt Halten wollen, und e3 hätt Euch das aud) jehr notgethan. Da Hint im Glodenhaus fteht aber einer, der mir net taugt, und drum könnt Ihr's über acht Tag hören!” Damit faßte er den Sprengwedel, jchritt den Kirchengang auf und nieder, das Weihwaſſer in dien Tropfen iiber die fich befreuzenden Leute jprühend, umd ver:

Hochwürden Herr Pfarrer. 361

ſchwand dann erhobenen Hauptes in der Sakriſtei, um ſich zum Hochamt anzukleiden.

Mit einem Schlage wandten ſich nun alle Geſichter gegen die Thüre des Glockenhauſes, und ein ziſchelndes Flüſtern durchlief die Betſtühle. Da trat aus der letzten Bank einer der Knechte von Sepps Bruder hervor, ging auf den Thurm— bau zu und ſtieß mit der Fauſt die Thüre auf. An ihm vorüber ſchritt aus dem dunklen Raum ein ſchwarzgekleideter Herr und ſteuerte eilfertig dem Portale zu, während er mit der einen Hand den Cylinderhut vor das Ohr hielt und mit der andern ein weißes Taſchentuch über Mund und Naſe deckte.

Als Sepp nad dem Hochamt die Sakriſtei verließ, ſah er auf dem Kirchhof die Männer in Gruppen beieinanderſtehen. Und eine Viertel— ſtunde ſpäter, während er in ſeiner Stube beim Frühſtücke ſaß, kamen die ſechs Älteſten der Ge— meinde zu ihm. Man wiſſe ſchon, wer der Beſuch geweſen ſei, und auch was er zu bedeuten habe ſo wandte ſich ihr Sprecher an den Pfarrer. Und deshalb ließe ihm die Gemeinde jetzt ſagen, daß weder der Herr Landrichter, noch ſonſt jemand

362 Hochwürden Herr Pfarrer. den Bauern von Wackersdorf etwas einreden könne. Ihr Pfarrer wäre ihnen recht, gerade jo und nicht anders. Und was auch gejchehen möge, jie würden zu ihm halten, wie er in Not und Sorgen zu ihnen.

Sepp konnte vor Rührung fein Wort er: wider. Er drücdte den Männern nur ftumm Die Hände und jchob fie zur Thüre hinaus hätte er jich doch vor ihnen der zwei großen Thränen ſchämen müjfen, die er, wieder allein, mit feinen dicken Fingern aus den Augen wijchte Ddiejer Rieſe an Gliedern, der an Herz ein Kind war, wenn nur einmal die grobe Rinde jprang, die e3 umbüllte,

Die folgende Woche brachte noch eine andere Aufregung ins Dorf. Ein Bräufnecht, der um jeines biederen Humores willen bei jedermann beliebt gemwejen, hatte durch einen Sturz im die mit Eochendem Waſſer gefüllte Sudpfanne den jähen Tod gefunden. Als Sepp auf die Schredenzkunde herbeeilte, fand er Veverl, die feit längerer Zeit ichon halbverwaifte Tochter des Verunglückten, ein jechzehnjähriges, braves, blühendes Kind, neben der gräßlich verftiimmelten Leiche aufgelöft in

Hochwürden Herr Pfarrer. 363 Schmerz und Jammer. Sepp überließ die Sorge für den Toten all den herbeigeeilten Leuten und führte das jchluchzende Mädchen mit fich in den Pfarrhof und da war es nun jeltjam anzujeheı, wie der großmächtige Mann neben dem Kinde jaß und ihm Troft zuſprach in den liebevollften Worten.

Immer und immer ’wieder jprang Veverl auf und begehrte jchreiend zu ihrem Water, Sepp aber, der verhindern wollte, daß fie fi an dem grauenhaften Anblid der Leiche von neuem ent— ſetzte, drückte fie ftetS wieder mit janfter Gewalt in die Sofaede:

„Seh, Veverl, geh, bleib bei mir! Schau, dein Vater iS ja jegt im Himmel bei deiner Mut: ter, und da jchauen j’ jegt mit einander runter zu

364 Hochwürden Herr Pfarrer.

dir. Drum mußt net jo weinen und jammern, denn weißt, das jpüren die Verftorbenen, und das thut ihnen grad jo weh in der Seel, ala wie und. Geh, fomm, mußt dir net die Erinnerung veritalten laflen durch da3 traurige Bild. Wie dein Vater im Leben war, jo mußt ihn im Herzen b’halten, mit dem guten Gicht und mit Die treuen Augen.“

Wenn folde und ähnliche Worte auch Die Thränen des Mädchens nicht zu Stillen vermochten, jo brachten fie ihm doch ſoviel Troft und Ruhe, daß es einjah, wie gut der Pfarrer es meinte, und jeinen Anordnungen willige3 Gehör jchenkte.

Als Sepp jpäter das Haus verließ, mußte die Köchin zu Veverl in die Stube figen; und da er wohl einjah, welch “ein trauriger Aufenthalt für Die Verwaifte das eigene, totenftille Häuschen wäre, jo gebot er der Alten, in ihrer Kammer für dag Mädchen ein Lager zu richten; wenigſtens bi3 nad) dem Begräbnis jollte Veverl im Pfarr: hof bleiben. |

Am anderen Tage hielt er im ganzen Ort Umfrage nach einem Plag für die Waiſe; doc) fand er feine Stelle, an die er fie gern und be=

Hodwürben Herr Pfarrer. 365

ruhigt gegeben hätte. Als er des Abends id darüber bedauernd gegen feine Köchin äußerte, warf die Alte ein:

„Wiſſen S’ was, Herr Pfarrer, b’halten S' das Deandl bei uns! Bei mir geht’3 jo wie jo nimmer recht mit Händ und Füß, ich könnt eine junge Beihilf gar leicht brauchen.“

Und fo geihah es. Veverl fand im Pfarr: hof eine zweite Heimat, und es that ihrem Herzen unendlich wohl, daß fie hier jo gut und freundlich gehalten wurde. Mit einer jchwärmerischen Dank— barkeit hing fie an ihrem Wohlthäter, und rührend war e3 zu jehen, mit welchem Fleiß fie jich jeder Arbeit im Haus unterzog und mit welchem Eifer fie der alten Köchin jede Mühe zu erleichtern ſuchte. Ehe noch die zweite Woche verging, war fie mit allen Obliegenheiten fo vertraut und in allen Dingen jo geübt, daß ihre Untermweiferin anfangen konnte, die Bejchließerin zu fpielen und plaudernd am Herd zu figen, während Veverl mit rührigen Händen alle Arbeit that.

Sepp hatte in diejen zwei Wochen ungewöhn— lich viel mit Schreibereien zu Schaffen. Tagtäglich famen und gingen Briefe. Eines Morgen? kam

366 Hochwürden Herr Pfarrer.

auch ein fremder Herr mit einem langen, ſchwarzen Bart zu Befuch, der jich außerordentlich für Die Dorfkirche zu interejlieren jchien. Ein andermal ließ Sepp gar die Kutſche feines Bruders kom— nen, fuhr gleich nach der Mefje davon ohne zu hinterlaflen, . wohin, und fehrte erjt ſpät in der Nacht wieder zurüd.

Am folgenden Sonntag lüftete Sepp den Schleier dieſes geheimnisvollen Treibend. Er ließ nach dem Hochamt jene ſechs Älteften der Ge- meinde, die damals nad) der Landrichtergeichichte als Kundgeber des Vertrauens jeiner Pfarrfinder zu ihm gefommen waren, in den Pfarrhof rufen und hielt an diejelben, während er auf dem Tiſch verichiedene Schriften und Pläne ausbreitete, eine Anſprache des Inhaltes: Wie fie wüßten, hätte er fih für fünf Jahre verpflichtet, zu gunften einer Erweiterung der Pfarrkirche jährlih acht: hundert Mark zu erlegen. Da man aber nie wiſſe, was die Zukunft bringe, und da er fi für den Ausdrud des Vertrauens, den ihm die Ge: meinde entgegengebradt, dankbar ermweijen wolle, jo hätte er Baupläne und Voranfchläge fertigen laffen, auf Grund derjelben die Baugenehmigung

Hochwürden Herr Pfarrer.

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367

bereits erholt, und hiemit übergebe er ihnen als Vertreter der Gemeinde die bezüglichen Urkunden und die Summe, welche mit den bereits bezahlten Jahresraten die Höhe der Koftenvoranfchläge er: reiche. Wenn fie alfo Zuft hätten, könnten fie gleich) morgen zu bauen anfangen.

Da war denn großer Jubel im Dorf; abends fam der gejamte Gemeinderat mit Blechmufit vor den Pfarrhof gezogen, und als das Ständchen mit jeinen manchmal gewagten Harmonien ver: lungen und das dreifache Hoc, da3 der Bürger: meiſter auf Hochwürden Herrn Pfarrer ausbrachte, verhallt war, bedankte ſich Sepp mit kurzen Worten und öffnete dann Flur und Stuben den rajchge: ladenen Gäſten.

Auch noch ein anderes Geſchäft war dem Pfarrer in diefen Tagen geglüct: er hatte einen guten Käufer für das kleine Häuschen gefunden, welches Veverls Erbtheil bildete. Als er dem Mädchen die zwar nicht beträchtliche, aber doch einen annehmbaren Sparpfennig ausmachende Summe nannte, blidte Veverl bittend zu ihm auf.

„Hohmürden Herr Pfarrer,“ ſagte fie, „ich hätt Schon ein rechtes Anliegen am Herzen.“

368 Hodwürden Herr Pfarrer.

--{-.---

„Raus damit, Veverl!“

„Schauen S' halt... ſeit mein liebs Vaterl im Grab liegt, geht's mir ſchon allweil nach, daß er bloß ſo ein armſeligs Holzkreuzl über ihm ſtecken hat. Und weil ich jetzt doch ein Geld hätt, jo meinet ich Halt... .“

„Du könntſt ihm ein richtigs, eifernes Kreuz jegen lafjen, gelt?” fragte Sepp, al? das Mädchen zögerte.

Veverl nidte.

„Recht ſchön is das von dir, denn es beweift, wie dein Herz und dein ganzes Denken an dei’m Vater! hängt. No, no... geh, jei ftad... mußt et wieder weinen! Aber jchau, zu deiner Bitt darf ich Halt doch net ja jagen. Du mußt das bißl Geld z'ſammhalten . . . jegt freilich, ſolang bei mir biſt, haft es net nötig... aber man muß auf alle Fall denken. Glaub mir’s, Veverl, durch ein frommes Andenken ehrt man ein Grab mehr, als durch ein eiſerns Kreuz. Aber jei jegt net betrübt deswegen, es wird fich jchon noch ein Ausweg finden lafjen.”

Traurig verließ Veverl die Stube, und ver: gebens dachte fie nach, wie da ein Ausweg zu

Hochwürden Herr 369

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finden wäre. Als fie aber vierzehn Tage jpäter den Kirchhof bejuchte, be: nahm ihr die Überrafhung faft den Atem, al3 jie das Grab ihres Water mit einem ge— ihmiedeten Kreuze geſchmückt jah, deſſen Stangen, Schneden und Rofetten zierlich bemalt und ver- goldet waren. Ohne fich Zeit zu einem Vaterunjer zu nehmen, rannte fie nach dem Pfarrhofe zurück.

Mit glühenden Wangen trat fie in die Stube, Ganghofer, Bergluft. 24

1, Potmsangie

370 Hochwürden Herr Pfarrer.

und Stanmeln und Thränen waren ihr Dank für die Erfüllung ihres Lieblingswunſches.

„Siehft Veverl,“ jagte Sepp, während er den Kopf des Mädchens freundlich in beide Hände nahm, „io wie dir das naus’gangen i3, jo wird dir alles nausgehn im Leben, wenn du nur immer ihön brav und vechtichaffen bift.” Er blidte auf, denn die Thüre öffnete fi) und der Lehrer trat ein. „Was giebt's?“

„Net viel, Hochwürden, net viel. Bloß ein paar Zeugnis zum Unterſchreiben,“ entgegnete der Schulmeiſter und breitete mit lächelnder Geſchäf— tigkeit auf dem Tiſch einige Schriften aus.

Während Sepp das Tintenzeug herbeiholte, verließ das Mädchen die Stube mit abgewandtem Geſicht, um vor dem Lehrer die naſſen Wangen zu verbergen.

Am anderen Tage, da ſchon die Dämmerung einbrach, kam wie gewöhnlich der Poſtbote, um Zeitungen und Briefe zu bringen.

„Herr Pfarrer... ich möcht was fragen... das heißt, warn Sie’3 net verübeln,“ jo begann der alte Mann, da er fich jchon wieder zum Gehen gewandt hatte.

Hochwürden Herr Pfarrer. 371

„Red nur! Was willit 2“

„Srad vorhin Hat mir der Lehrer ein’ Brief ans Ordinariat mit’geben, wie früher ſchon öfters. Sch Hab mir aber nie was ’denkt dabei... . erit heut, wie der Lehrer jo rum’drudt hat, daß id) von dene Brief im Pfarrhof herüben nix z’reden brauchet ... . erit da is mir’3 aufg’fallen, als ob was net recht jauber fein könnt... nie für uns gut drum, Herr Pfarrer.”

„Ah, woher doch! Und ich dank ſchön für den guten Willen! Aber habts fein’ Angst net, es is nie dran!” Damit verabichiedete er den Bojtboten.

Es war wohl etwas daran. Was Sepp ſchon längft vermutet hatte, daß der Lehrer über jein Thun und Treiben an das Ordinariat berichte oder berichten müſſe, das war ihm durch Dieje Mittheilung zur Gemwißheit geworden. Aber was mochte ihn das fümmern! Was er trieb und that, durfte die ganze Welt wijjen.

Fünf Tage jpäter fam wirklid ein Schreiben vom Ordinariate, und Sepp erbrach es mit er— wartungdvollem Lächeln. Kaum hatte er jedoch zu lejen begonnen, da verfärbte fich jein Gefiht jo weit das möglih war und in. zitternden

372 Hohwiürden Herr Pfarrer. Händen zerfuitterte er das Bapier. Die Thüre riß er auf und jchrie in den Flur hinaus:

„Den Lehrer! Holt3 mir den Lehrer!“ Und al3 Veverl eilig aus der Küche herbeijprang, winkte er fie mit der Hand zurück. „Du net! Die ander jol gehn!“

Mit ſchweren, dumpfhallenden Schritten ging er in der Stube auf und nieder, bis der Zehrer eintrat.

„Da! Lejen S’!" fchrie Sepp in hellem Zorn und jchleuderte dem ängftlih Dareinichauenden da3 zerfnäullte Bapier ind Geficht. „Lejen ©, jag ich, leſen S'!“

Der Lehrer bücdte fich nach der Bapierkugel, taltete jie auseinander, glättete das Blatt über dem gehobenen nie und begann zu lejen.

„Ah! Ah! So was!” ftotterte er und wollte jich Eopfichüttelnd wieder in den Inhalt des Schrei: ben3 vertiefen, al3 ihm Sepp das Blatt aus den Händen rip.

„sa! So was! Und wie fommen Sie dazu, jo eine Gemeinheit ans Ordinariat zu berichten 2”

„Ich?“

„Ja, Sie! Glauben Sie vielleicht, ich wüßt Mer..."

Hochwürden Herr Pfarrer. 373

„Nix willen S’! Gar nie wiſſen S'!“ kreiſchte der Lehrer. „Aber weil's ſchon ſo weit is, ſo ſollen S' einmal wiſſen, wer Ihr verſchwiegener Schutzengel die ganze Zeit über g'weſen is, wer all die Anfragen, die von drin 'kommen ſind, all— weil aufs beſte und ſchönſte beantwort' hat... .“ „O du nixnutziger Kerl du!“ donnerte Sepp. „Ich brauch fein’ andern Schutzengel, verſtanden, als den mir mein Herrgott mit auf'n Weg ’geben hat!“ „Aber Hohmwürden Herr Pfarrer... .“ „Ich will nie mehr hören! Marſch, naus zur Thür!“ Der Lehrer ftand auf der Straße, er mußte nicht wie. Sepp aber jeßte jich in der Stube an

374 Hochmwürben Herr Pfarrer. den Tiih, um das Schreiben zu beantworten: Er fönne nicht begreifen, woher man im Ordinariate den Mut nähme, an einen unbejcholtenen Menjchen eine Zumutung zu. ftellen, welche, wenn auch un— ausgeſprochen, die ungerechtefte Beleidigung in ſich ſchließe. Übrigens mühe man ihm erft die Beweije erbringen, daß irgendwer im Dorfe, den Lehrer vielleicht ausgenommen, über die an ihm gerügte Handlungsweije fich wirklich in jo „ehr: abſchneideriſchen“ Worten geäußert habe. Was aber nun den Wunſch des hohen Ordinariates anbelange, ſo verbiete ihm geradezu ſein Gewiſſen, demſelben Folge zu leiſten. Er würde den gegen ihn erhobenen Verläumdungen nur Nahrung und Ge— wicht geben, wenn er das junge Mädchen jo plötz— lich aus feinem Haufe entferne, was übrigens aud) auf die arme Waije jelbit einen ganz unverfchul: deten Makel werfen müßte. Das leßtere wiirde er um jo weniger verantworten können, als die Umftände, welche das Mädchen in jein Haus ge= führt, ihm unveräußerliche Pflichten gegen dasſelbe auferlegt hätten wenigitens gemäß der An— ihauungsweije eines chriftlich denfenden Menjchen. Briefe famen und Briefe gingen. Während

Hohmwürben Herr Pfarrer. 375 man auf der einen Seite immer dringender und drohender bei der einmal aufgeftellten Forderung beharrte, mäßigte Sepp in feiner Weije die Schroff- heit feines Miderftandes im Gegentheil, feine Erbitterung veranlaßte ihn bei der Beantwortung der empfangenen Zujchriften zu ftiliftiichen Aus— jhreitungen, die feiner gerechten Sache nur von Schaden jein konnten.

Ein unbefangener Richter freilich Hätte ihn auch defjentwegen entjchuldigen dürfen, da das Schickſal gerade in diefen Tagen den Pfarrer in einer Weife heimfuchte, die ihm vollends den Neft jeiner Ruhe rauben mußte. Innerhalb einer ein— zigen Woche begrub er jeine alte Mutter umd jeinen geliebten Freund, „den guten Bräumeifter”, defjen Andenken er durch jene befannte Grabrede verewigte.

Der Streit, den Sepp mit ſeiner geiſtlichen Behörde führte, konnte für die Dorfbewohner auf die Dauer kein Geheimnis bleiben. Und wenn aud) die Mehrzahl der Leute fich auf Seite des Pfarrers ftellte, jo hatte doch der Schullehrer auch gegen ihn Bartei zu bilden gewußt. Es war das auch wieder ein Umftand, welcher Sepps Erbitterung fteigerte.

376 Hodhmwürden Herr Pfarrer.

Veverl, die unjchuldige Urſache des ganzen Konfliktes, hatte bei all dem auch nicht die leich- teften Stunden. Still und mit verweinten Augen ging fie im Haufe umher, da e8 die alte Köchin hinter des Pfarrers Nüden nicht an Vorwürfen fehlen ließ, daß des Mädchens Eintritt in den Pfarrhof den Frieden und die jorgenloje Ruhe über die Schwelle gejagt hätte. Nur Sepps zus fällige Dazwiſchenkunft hatte Veverl eines Tages von der Flucht zurüdgehalten, mit der fie ihrem Wohlthäter einen Dienft zu erweiſen gedachte.

Sepp fühlte, wenn er in einer etwas ruhigeren Stunde mit fi) zu Nate ging, wohl das Unhalt— bare feines Widerftandes heraus. Da aber fein ftolzer, der eigenen Redlichkeit wohlbewußter Troß immer wieder das Recht auf feine Seite ftellte, jo ward e3 für ihn zur Unmöglichkeit, einen Mo— dus der Nachgiebigfeit und der Einlenkung zu finden.

Als er fih in der Folge nun gar mit der Berfegung nach einer Strafpfarre, eventuell mit der Sufpenfation bedroht jah, erwiderte er dieſe Mittheilung durch ein Schreiben, dejjen Ton und Anhalt fein Verbleiben als Untergebener jener

Hochwürden Herr Pfarrer. 377 geijtlihen Behörde freilich zur baren Unmöglich— feit machte.

Die Antwort, welche hierauf erfolgte, fündigte ihm in kurzen Worten für acht Tage fpäter das Eintreffen des hochwürdigſten Herrn Bifchofs an.

Sn dieſe Frift fiel ein Sonntag. Als Sepp die Predigt beendet und die fi) daran knüpfenden Gebete und Verfündigungen geiprochen Hatte, wandte er fih, da er jchon die Kanzel verlaſſen wollte, mit folgenden Worten zu den Anweſenden:

„Roh was! Am Donnerstag kommt der Biſchof. Da könnt Ihr Kränze binden, Triumph: bögen errichten und Vorreiter ausſchicken . . . und wohl auch mich verflagen. Denn dasmal gilt jein Kommen nicht Eurem Seelenheil; er fommt nur als Taubenſtöſſel, als Schwalbenhabicht zu mir armen Pfarrer. Ich joll, wie Ihr wißt, das Beverl aus dem Haus geben. Aber eh ich mir eine jolche Beleidigung anthun laß, geh ic aus Me: tropolitifum . . . und wenn das nichts hilft, fo joll Rom entjcheiden.”

Das Schickſal jollte ihm die Notwendigkeit diejer Berufung erjpareır.

Es war jpät in der Naht von Mittwoc auf

378 Hochwürden Herr Pfarrer.

Donnerstag. In der Stube des Pfarrhofes brannte noch die Lampe, und ruhelos wanderte Sepp mit langen Schritten zwifhen Thür und Fenſtern hin und her. |

Plötzlich klang es auf der Straße mit Freis ihendem Rufe: „Feuerjo! Feuerjo!*

Sepp fprang in den Flur und riß die Haus thür auf. „Wo brennt's?“ rief er die vorüber: eilenden Leute an.

„Beim Kramer drunt!“

Da nahm er fich nicht mehr Zeit, feine Pan— toffeln gegen Schuhe zu vertaufchen; wie er ftand, barhäuptig und in Hemdärmeln, eilte er all den andern voraus der Brandftätte zu.

Das ganze Sparrenwerf des Daches ftand ihon in hellen Flammen; während die Bewohner des Haufes in thatlofem Jammer inmitten der Straße ftanden, drängten Männer und Burjchen durch die Thüre aus und ein, um die Krämer— waren und die Einrichtung der ebenerdigen Zimmer zu bergen. Da Sepp gewahrte, wie langjanm das von ftatten ging, ſchlug er an den Giebelfenftern die Scheiben ein und riß mit einer durch Die Notlage geiteigerten Kraft die Kreuzſtöcke aus den

Hochwürden Herr Pfarrer. 379

Mauerlucken, um dem Hausgerät einen mehrfachen Ausweg zu Schaffen.

„Herr Pfarrer! Jeſus Maria!”

Sepp vernahm den Warnungs⸗ ſchrei er hörte ein Praſſeln über ſeinem Haup— te, blickte auf und mitten auf ſeine Stirne ſchlug ein brenn— ender Balken, den das Feuer aus dem Giebel losgenagt hatte.

Den hundertſtim— migen Jammerruf der ſchreckensbleichen Leute hatte laut gellend ein ein— ziger Schrei des Entſetzens übertönt und ſchon lag Veverl neben dem rauchenden Balken auf den Knieen und rüttelte unter ſtöhnenden Wehklagen

das blutüberſtrömte Haupt des Erſchlagenen.

* *

380 Hochwürden Herr Pfarrer.

Als am andern Tag der hochwürdigſte Herr Biſchof einfuhr in das Dorf, fand er den reni- tenten, vorlauten Pfarrer als ftillen Mann auf der Bahre.

Beverl wurde von Sepps Bruder an Kindes— ftatt angenommen, und heute tft fie die glücliche Schwiegertochter des gealterten Bauern. Sollte der Zufall meinen Leſer nad) Wadersdorf führen, jo bitt ih ihn, die jhmude Hofbäuerin von mir zu grüßen gleich hinter dem Wirtshaus, an dem bergwärts führenden Sträßchen der erſte große Bauernhof links, das iſt ihr Haus und Eigen.

Die Hauſerin.

(1882.)

Kine laute, jcheltende Männerftimme klang aus dem offenen Hausflur.

Unter dem MWerkjtattthore, das durch zwei Fenſter von der Hausthüre getrennt war, er: ichienen die beiden Wagnergejellen, im Schurzfell, der eine mit dem Hammer, der andere mit dem zweihändigen Schniger unter dem Arne, und während der jüngere aufmerfjam jener jcheltenden Stimme laujchte, Lächelte der ältere und brummte:

„Es jcheint, die Alt Hat Heut jchon wieder was ang’jtellt!”

Auch zwei Buben, über deren Köpfe und

384 Die Hauferin.

Ohren langhaarige Belzmügen gezogen, und deren Hälſe mit diden, rotwollenen Schlipſen vielfach umwunden waren, hielten mitten im tiefen Schnee der Straße ihren Bodichlitten an und gudten neugierig nach der offenen Thüre.

Die Stimme im Hauzflur Hang immer lauter und zorniger, nun ſchien fie fih der Thüre zu nähern, und die Worte wurden verftändlih: „So was! Das wär ja doch aus der Weis! Und wenn du meinst, mein Haus wär eine Herberg für jo eine Bagaſch, da haft mit dem Falichen g'rech— net! Und damit wir der G'ſchicht gleich ein End machen... marſch da!“

Bolternde Tritte wurden hörbar, man ver— nahm einen kreiſchenden Schrei, und über Die Thürichwelle ftolperte ein altes Weib, fuchtelte einen Augenblick mit den Armen durch die Luft und plumpfte der Länge nach zur Erde, im Fall noch ein paar Schritte weiter rutjchend, jo daß ſich Geſicht und Hände tief eingruben in den Schnee und die Röcke emporflogen bis über die blaube- ftrumpften Kniekehlen.

Während die Thüre zugejchlagen wurde und drinnen der Niegel Elirrte, verſchwanden die beiden

Die Hauferin. a85 Sejellen mit lauten Lachen in der Werkftätte, und die zwei Buben mit den PBelzmügen rannten die Straße dahin, daß ihre Schlipgenden flatterten und der Bodichlitten Fußhohe Sprünge machte. Drüben aber auf der Brücke, hundert Schritte von Haufe des Wagners, hielten fie an, wandten fich zu der jo jählings und Eoftenfrei über die Schwelle be= förderten Alten zurück, und während fie lange Naſen machten, jchricen fie ein um das anderemal:

„Ätſch! Ätſch! Auſſig'ſchmiſſen! Auſſig'ſchmiſ— ſen!“

Mühſam und unter Verwünſchungen erhob ſich die Alte, drohte mit erhobener Fauſt den beiden Buben nach, und während ſie den Schnee vom Geſicht und aus den Haaren wiſchte und ihn vom Rock ſchüttelte, ſtreifte ein ſcheuer Blick die Fenſter und Thüren der Nachbarhäuſer; außer den zwei Buben und den beiden Geſellen, deren lachende Geſichter ihr aus einem der Werkſtatt— fenſter entgegenſchauten, ſchien jedoch niemand ihre ebenſo kurze als unliebſame Luftreiſe beobachtet zu haben.

So humpelte ſie nun auf die Hausthür zu

und faßte die Klinke; als ſie merkte, daß drinnen Ganghofer, Bergluft. 25

386 Die Hauferin

der Riegel vorgejchoben war, verzog ein widriges Lachen ihren breiten, zahnlojen Mund; ein paar Augenblide ſtand fie in fichtliher Unentſchloſſen— heit auf der Schwelle, wobei fie mit den Fingern noch einige Schneerefte vom Mieder und von den Ärmeln jchnellte, dann ftieg fie über die Stufe nieder und jchlich zur MWerkftätte; doc ſchon auf halbem Wege hielt fie wieder an, wandte ſich um, ging zurüd, an der Thüre vorüber nad) dem erften linksgelegenen Fenſter und blickte in die Stube. Drinnen ſah fie den jungen, jeit einem Jahr vermwitweten Wagnermeifter Jörg Hohr: miller, ihren Vetter und nunmehrigen Spediteur, mitlangenerreg=

tenSchrittenauf: und nieder: Ichreiten.

Die Hauferin. 387

In Sorge ftreifte jein Blick immer wieder die neben dem Dfen poftierte mächtige Wiege, in welcher fein pausbädiges Knäblein lag, das, den Schnuller im Munde, mit großen Augen aufſchaute zur weiß: getündten Stubendede. Ab und zu blieb der Wagner, oder wie man im Dorfe jagt, der Wanger, wohl auch kurze Zeit vor dem Tiſche ftehen und diıcchftöberte den funterbunten Wuft der darauf: liegenden Röde, Mieder, Strümpfe und Halstücher.

AU diefe Dinge hatten einftmals dev Wangerin gehört, die nach kurzer und wicht gerade jehr glück— licher Ehe eines rafchen, unerwarteten Todes ver: ftorben war und die Alte da draußen vor dem Fenſter, die der Wanger nad) dem Tode feines MWeibes ala Hauferin und Kindsfrau hauptſächlich in Nücficht auf die Verwandtſchaft zu ich ge: nommten, hatte jene wenig forgjam verwahrten Erbſtücke in unbelauſchten Stunden bereit3 jo gut und fiher in ihrer Truhe geborgen gehabt, daß fie es eigentlich als ein jchreiendes Unrecht empfand, als der Wanger, der fie vor einer halben Stunde bei einer neuen Vermehrung ihrer ſchön angewach— jenen Sammlung ertappte, ihre Truhe kurzweg umftülpte und aus dem Inhalt derjelben unter

388 Die Hauferin.

einem für die Alte nichts weniger als jchmeichel: haften Kommentar das einftige Eigentum feines Weibes wieder ausjonderte ein Vorgang, der in der bereit3 befannten, Eoftenfreien Beförderung über die Hausthürſchwelle einen dramatiichen Ab— ſchluß fand.

Eine Zeit lang Hatte die Alte, ohne fi zu regen, durch das Fenfter geblict; nun aber be: gann es fie zu frieren ftand fie ja doch mit den Strümpfen im naßkalten Schnee, da fie im Eifer des Miderftandes, dei fie der Fräftigen Fauſt des Wangers entgegengejeßt, drinnen im Hausflur ihre beiden PBantoffel verloren hatte.

So erhob fie ihre Hand und Elopfte Shüchtern mit den Knöcheln an die Scheiben. Drinnen in der Stube aber blieb alles ftill.

Wieder Hopfte fie, und als fie dabei merkte, daß der £leine, vieredige Fenfterflügel un ein Weni— ges nachgab, drücdte fie ihn vollends auf, faßte mit beiden Händen die eifernen Stäbe und ſchob ihren grauen Kopf durch die Lucke des Gitters.

„Wanger, ſeids doch g'ſcheid!“ ſprach fie mit weinerlicher Stimme in die Stube. „Gehts weiter und machts die Thür wieder auf!“

Die Hauferin. 389

Jörg aber, der an der andern Wand in einer Fenſterniſche lehnte und auf den Hofraum jeines Nachbar Hinausblidte, fchenkte ihren Worten nicht das geringfte Gehör.

Jmmer weiter und eindringlicher jprach die Alte in die Stube, pochte dabei auf ihre Ver: wandtichaft, auf ihre Sorge für das Kind, machte geltend, daß e3 für den Wanger eine recht ge— jalzene Doktor: und Apotheferrehnung abjegen fönnte, wenn jie jich daheraußen im Schnee er— frorene Füße oder jonit eine Krankheit holen würde, und ſprach noch von einem Dutzend an- derer Dinge, die ihn bewegen follten, ihr die Thüre wieder zu öffnen. Aber feine Bitte und feine Mahnung wollte fruchten.

Da wurde die Alte, die jchon vor Kälte zit: terte und bald den einen, bald den anderen Fuß unter die Röcke emporzog, allen Ernites ärgerlich, und mit freiichender Stimmte jchrie fie in die Stube: „So! Wann’3 jchon fo fein joll, daß wir aus— einander fonımen, jo laßts mich wenigitend mein’ Kufer holen, und zahlts mir mein’ fchuldigen Lohn aus! Nachher find wir fertig, wir zwei!“

„Ah ja!“ erwiderte der Wanger, während er

390 Die Hauferin.

langjam der Stubenthüre zujchritt. „Das kann g’ichehen!” Gleich darauf Flirrte der Riegel, und die Hausthür öffnete jich.

Die Alte trat in den Flur, und während fie ihre Bantoffeln juchte, Tieß fie, wohl um das harte Herz ihres Wetters zu rühren, die Zähne klappern und jchüttelte ſich dazu ein paarmal wie eine Ente, die aus den falten Wafjer fteigt.

Jörg lächelte; als aber die Alte, die wohl aus diefem Lächeln neue Hoffnung jhöpfte, ihm demütig bittend in die Augen jah, wies er nur mit der Hand nad) der Holztreppe, die zu den Sclafituben des Knechtes und der Sejellen, ſowie

zu dem Stübchen eımporführte, da die Alte be: wohnt hatte. Dieje wollte jedoch die deutliche Auf: Forderung nicht verjtehen, und während fie den einen Halstuchzipfel zwiſchen den Fingern drehte, fing fie janft und jchüchtern an zu reden:

„Schauts Vetter, e3 is ja Doch wohl net redt . . .*

„Sei ftad, Zenz; zwiſchen uns zwei is alles ausg’redt!” unterbrach der Wanger mit heftigen Mort ihre Anjprache. „Und jegt mad, daß nauf— kommſt, und räumt deine fieben Zwetichgen z''ſamm!“

Die Hauferin. 391

Seufzend und mit einer wahren Märtyrer: miene jcehritt Zenz der Treppe zu und ftieg, vom Wanger gefolgt, die jchmalen und fteilen Stufen empor. Als die beiden droben im Stübchen der Alten anlangten, blieb Jörg unter der offenen Thüre ftehen, während Zenz die auf dem Boden durcheinan- Re der liegende Ei Wäſche zufam- menla3® und aus Schrank und Kaſten ihre Ge— wandftüce herbeitrug, um Gtüd für Stüd in die große, blau und weiß bemalte Truhe zu verpaden.

Wieder einmal der zu bergende Hleidervorrat ging bereits jeinem Ende zu hob fie, vor der Truhe auf den Knieen liegend, eine Jade empor, al? fie die— jelbe plöglich wieder zu Boden fallen ließ, die Hände vor da3-Geficht ſchlug und laut zu Schluchzen begann:

392 ‚Die Hauferin.

„G'wiß wahr, Better, Ihr thuts ein Unrecht an mir, an Eurer näditen Berwandien. Was wär jest da dran g’legen...an dem bißl G'wand von Eurem Weib ſelig .. . Ihr jelber könnts es ja doch net anziehn! Und eh die Sachen im Kaſten vergraun und vergrabeln, is doch beſſer, ich hab's zu mir g’nommen, Nachher müßts wohl auch bedenken, daß ich eine arme, verlaffene Wittib...“

„Seßt jo mußt mir net daherredeu!“ wurde jie von Jörg unterbrochen. „Sch hab aus Ber: wandtichaft eh jchon mehr ’than, ala nötig war und als du braudft. Dein Madl is im Dienit, dein Bub Hat fein redlichs Auskommen als Schreinerg’jell, und du jelber haft ’3 Geld von dei'm verkauften Häusl am Zins liegen. Da is alio net jo weit her mit der verlaffenen Armut!“

„Aber ſchauts, Vetter... .“

„Da giebt’3 gar nix zum jchauen, da giebt’3 jegt bloß zum einpaden! Im übrigen mußt fein net glauben, daß mir’s um jo ein G'wandſtückl zthun g’weien wär. Wann bloß ein Wörtl zu mir g’jagt hättſt, ich joll Dir das ein’ und andere ichenfen, jo wär ich q’wiß net drauf ang’itanden. Aber dab man ei'm grad 's Sad aus die Kalten

Die Hauferin. 393

jo forttragt, das geht ja doch net au. Freilich, ich weiß, du bift von eh jchon jo g’weien...“

„Ah nal“

„Ah ja! Und was einmal ein Daherl*) war, das wird auch in der Alten fein Stieglig mehr, Und ich kann fein’ Menjchen im Haus Haben, vor dem man nix liegen und ftehn lafjen darf und vor dem man Kiſten und Kaſten veriperren muß. Drum fei z'frieden, daß ich die G'ſchicht auf unjern gleichen Namen jo hingehn laß, denn. . . wenn man's richtig bei der Nafen nimmt, jo haft Halt dengerjt g'ſtohlen!“ Dabei warf Jörg mit dem Fuß den Dedel der fertig gepadten Truhe zu, trat aus der Thür und rief über die Treppe hin unter: „Veit! Waftl!“

. Kin paar Augenblide jpäter ftanden die bei- den Gejellen vor dem jungen Meifter. „Da, padt3 der Zenz ihren Kufer auf,“ gebot ihnen Jörg, „und tragts ihn munter in d'Werkſtatt. Ind wann der Knecht vom Holz heim kommt, fo joll er ihn auf den Schubfarren jtellen und foll ihn Hinführen, wo ihn die Zenz haben will. Machts weiter!”

9) Dohle.

394 Die Hauferin.

Die beiden Gejellen, von denen Waftl, der jingere, nur mühſam das Laden verbiß, hoben die Truhe an ihren hänfenen Tragbändern em— por und trugen fie mit fic) fort. Jörg und Zenz folgten; und als die beiden in die Stube traten, hörten fie von der Werfitatt ber Waſtls ladhende Stim— me:

„Du, Veit, heut kauf ich mir eine Er: tramaß, weil die alte Bißguren endlid) ausm Haus kommt!“

In der Stube jchritt Jörg auf einen kleinen Wandſchrank zu und holte einen jchweren Leder: beutel hervor, aus dem er der Alten den rüd- ftändigen Zohn und dazu den Betrag für einen weiteren halben Monat in blanfen Markftücen auf den Tiſch zählte.

Mit zitternden Händen vaffte Zenz die Münzen zujanımen, band fie in ihr Tajchentuch und ver:

Die Hauferin. 395 wahrte das Päckchen ſorgſam hinter ihrem Mieder. Dann jchritt fie auf den Wanger zu, der an das Fenſter getreten war, und ſprach ihn mit jpißer Stimme an:

„Vetter! überlegts e3 Euch nochmal, eh daß mich gehen laßts! Denkts grad an Euer Kind, an das arme Würmer!, das fein’ Menſchen hat, wann ich mich net drum annimm. Überlegts es wohl, denn wann ich einmal draußen bin bei der Thür, komm ich nimmer z'ruck!“ Dabei erhob fie drohend den Finger. „G'wiß net!”

„Wär mir höchſtens z’wider, wann wieder kämſt!“ brummte Jörg, ohne fih vom Fenſter abzuwenden.

„So! Is gut! Is ſchon gut!“ ſtieß die Alte hervor und ſchritt ohne Gruß und Abſchied der Thüre zu, die ſie zornig hinter ſich ins Schloß warf.

Der polternde Schlag ſchien das Kind er— ſchreckt zu haben, denn es begann leiſe zu weinen. Beſorgt eilte Jörg auf die Wiege zu, ſuchte unter ſchmeichelnden Worten den Schnuller hervor, der den kleinen Lippen entfallen war, tauchte ihn in ein Schälchen mit Zuckerwaſſer, das neben der Wiege auf der Ofenbank ftand, und jchob ihn

396 Die Hauferin.

wieder in das winzige Mäulchen, das begierig darnach jchnappte.

Obwohl das Kind nun beruhigt war, blieb Jörg an der Wiege figen, die er in ſchwachem Schaufeln erhielt; die Wange auf die Hand ge— ftügt, hing er feinen Gedanken nad).

Das braune, von einem kurzen, dunklen, Dicht- gefräufelten Badenbart umrahmte Geſicht des Mei- ſters war noch jugendlich anzujehen hatte Jörg doch faum das dreißigſte Lebensjahr überjchritten; aber ein tiefer männlicher Ernst lag in dei ftillen, großen Augen war e3 doch jchwere, unermüd- liche Arbeit gewejen, die ihn frühzeitig gereift hatte.

Wenige Wochen nad) Jörgs achtzehntem Ge— burtötage war jein Vater einer kurzen Krankheit . erlegen und hatte dem einzigen Sohn ein ftatt- liches Haus und ein rentables Geſchäft hinter- laſſen. Nachdem der erite, tiefe Schmerz über: wunden war, hatte Jörg fih mit energijchen Eifer und einer Naftlofigkeit, wie man fie von dem jungen Burſchen Faum erwartet hätte, in ſein Geſchäft Hineingearbeitet. Und ſolch eine Thätig- feit war wirklich von nöten gewejen, denn kurz nach dem Tode von Jörgs Vater Hatte ein früherer

Die Hauferin. 397

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Geſelle desſelben im Dorf eine zweite Wagnerei errichtet, welcher anfangs auch wirklich viele Kun— den zuliefen; doch war noch kein Jahr vergangen, als dieſelben alle wieder zu Jörg zurückkehrten, der beſſer und billiger arbeitete und nicht lange währte es, ſo mußte jener Konkurrent ſeine Werkſtätte wieder ſchließen. Von früh bis in die Nacht Hatte Jörg mit feinen zwei Geſellen nun zu thun, um allen Anforderungen an ſein Geſchäft Genüge zu leiſten und ſo verging ihm Jahr um Jahr in angeſtrengter Thätigkeit. Dabei hatte er auch niemals recht Zeit und Luſt gefunden, ſich den geſelligen Freuden ſeiner Altersgenoſſen anzuſchließen; des Abends nach der Arbeit ſaß er mit ſeinem Mutterl zuſammen, rechnend oder plaudernd, und am Sonntag machte ihm ein Spa— ziergang in Feld und Wald größeres Vergnügen, als der Spektakel in der dunſtigen, dichtgefüllten Wirtsſtube ja, nicht einmal zu einer richtigen Liebſchaft hatte er es bringen können, obgleich manch ein Mädchen im Dorf umherging, mit dem Bilde des ſchmucken, fleißigen Burſchen im Herzen.

Deshalb Hatten aber die Umſtände den jungen Meifter durchaus nicht zu einem menjchenfcheuen,

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infichgefehrten Charakter verbildet; im Gegentheil, Jörg war eine offene, zum Frohfinn neigende Natur; bei jedem ehrlihen Scherz, in den der Zufall ihn verwidelte, that er gerne und lachend mit, während ihn anderjeit3 der Mangel an be— ihäftigungslofer Zeit die laute Freude weder juchen noch entbehren ließ. Dabei hatte er ſich durch all die Jahre der Arbeit dag weiche, gutmütige Herz des Knaben erhalten, das auch reichlich Platz hatte für fremde Leiden und Sorgen; und dod) fonnte er wieder ftarr und Hart fein, wo jein ſtrenges Rechtlichkeitsgefühl die Milde ein Übel nannte. Mit einem Worte, Jörg war ein ganzer, fertiger Mann, und man jah ihm dad aud an, wenn er jo vor einem ftand, ſtark und Hoch ge= wachjen, mit den kräftigen Armen und den breiten Schultern, mit den erniten Augen und der hohen Stirne.

Und daß der junge Meiſter jolh ein Mann geworden, da hatte zu guterlegt nicht wenig die mannigfahe Kümmernis beigetragen, welche die kurze Zeit jeiner Ehe über ihn gebradit.

Jörg war jehaundzwanzig Jahre alt ges worden, als jeine Mutter zu kränkeln begamır,

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wovon zur Hälfte ihr Alter, zur Hälfte die Nach— wehen der jchweren Arbeit früherer Jahre die Urſache bildeten. Und ala e3 dann immer jchlim: mer mit ihr wurde, da war dieſe Frau zu flug, um nicht ruhig einzujehen, daß ihr Verbleiben auf der Erde nur mehr nah Monaten zählte. So wenig aber dieje Erkenntnis fie betrübte, jo jehr war ihr Herz mit Sorge um ihren Sohn erfüllt, den fie gerne vor ihrem Verſcheiden geborgen in der Liebe eines braven, treuen Weibes gejehen hätte.

Als fie das eritemal davon zu Jörg geiprochen, hatte ihr dieſer mit fröhlihem Troft ihre Sorge auszureden gejuht, da ja wohl fie ſelbſt nad) baldiger Beſſerung und durch Gottes Hilfe nod) lange Sahre mit dem Wohl ihres Sohnes fid) befaffen würde wollte Jörg doch wirklich nie und nimmer daran glauben, daß e3 um feine Mutter gar jo bedenklich ſtünde.

Als jie aber immer wieder, erjt von Woche zu Woche, dann Tag für Tag ihn um die Er: füllung ihres Lieblingswunjches anging, ſagte er ihließlih Ja und lediglich jeiner Mutter zu liebe geichah es, wenn Jörg nun eine ſchnelle,

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dem erjten Anjcheine nad) gute, wie aber die Folge lehrte, recht mißlungene Wahl traf.

Da war im Dorfe bei einem reichen Bauern ein junges Mädchen im Dienft, Franzi mit Na— men, ein Gejchwifterfind der alten Zenz, deren Mann das frühverwaiſte Geihöpf aus ihrer Hei— mat ind Dorf gebracht und jo halb und Halb an Kindesftatt angenommen hatte. Man wußte aller- wege, daß Franzi ftill und fleißig ihre Arbeit that und fich niemal3 mit einem Burjchen eingelafjen hatte, trogdem fie vielfach ummworben war. Frei— lich meinten jo manche, daß man für diefe fühle Sprödigfeit die Urſache weniger in Franzis ehr: barem Weſen, als in einem höchſt ungerechtfer- tigten Stolz zu fuchen hätte.

Auf dieſes Mädchen war des jungen Meifters Wahl gefallen. Weshalb das wußte er ſpäter— hin eigentlich jelbft nicht zu jagen; hatte er dod) Franzi zeit jeines Lebens kaum ein Halb dugend- mal gejprochen möglich, daß ihn im eriten Augenblick aud) die äußere Erjcheinung des Mäd— chens beftach, denn Franzi war ſchmuck gewachlen, und wohlgeformt war ihr Geficht, das man jogar ihön hätte nennen müfjen, wenn die Mugen nicht

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jo ganz ohne allen Ausdruck gewejen wären. Dieje Augen konnten weder Ja noch Nein jagen es waren Augen ohne Sprade.

Schneller, als Jörg jelbit erwartete, hatte Franzi jeiner Werbung zugeftimmt. Nach einent Brautitande von drei Wochen war die Hochzeit in Subel und Freude gefeiert worden, wobei den jungen Meifter nur der eine Umftand betrübte, daß die kranke Mutter an der Ehrentafel nicht ihm zur Seite figen konnte.

Sp 309 Franzi, wie fie ging und ftand, in das ftattlihe Haus ein. Jörg fam feinem jungen MWeibe mit offenem Herzen entgegen, und wenn er fih auch Schon in den erjten acht Tagen mand)- mal recht bitter darüber verwunderte, daß Franzi

jein rebliches,. gut gemeintes Entgegenfommen ohne Ganghofer, Bergluft. 26

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jeglihen Gefühlsaufwand hinnahm, als etwas jelbit- verjtändlich ihr Gebührendes, jo äußerte er doch fein Befremden niemals und ein paar Wochen ver- flojien, wenn nicht in Glück, jo dod in Ruhe. Den eriten Streit ſetzte ed, als Franzi eines Tages Jörgs Mutter, die ihr einen auf die Wirt- ihaft bezüglichen guten Rat mit den liebevolliten Worten ertheilt hatte, in der gröblichiten Weiſe abfertigte und zur Stube hinausjchidte. Jörg verwies ihr das in ruhigem, aber ernftem Ton, und die Folge war, daß Franzi die Gefränfte ipielte. MS ihr Jörg nad) ein paar Tageıt der Verſtimmung dem guten Frieden zu liebe mit freundlichen Worten twieder zuredete, traftierte fie ihn mit Ungezogenheiten. Dabei jegte fie von Tag zu Tag immer mehr die Obliegenheiten des Hausweſens ihren Launen hintan, und bald juchte fie ihre ganze Arbeit im Befehlen und Schelten, während der Buß ihre einzige wirkliche Sorge war. Ihr Hochmut brachte fie mit allen Nachbars— frauen in Streit und Zwift, bis jchließlich Die alte Benz, welche von früh bis Naht im Wagner: Haufe jaß und die junge Frau mit Schmeicheleien überjchüttete, Franzis einzige Freundin blieb.

Die Hauferin. 403

Sp geitaltete fih das Verhältnis der jungen Eheleute immer unerträglicher, und wen ſich Franzi in ihrer Gefühllofigkeit auch leicht darüber Hinwegjeßte, ging doch ihrem Mann dieſes Leben hart an das Herz. Am bitterjten litt darunter Jörgs Mutter, die das, was fie für dag Glüd und Wohl ihres Sohnes gehalten, in jein ſchlimm— ſtes Unheil ausarten jah.

Und doch als Franzi nad) halbjähriger Ehe infolge eines Streites mit einer Dienſtmagd, in allzufrüher Geburt ein totes Kind zur Welt gebracht Hatte und daraufhin lange Wochen dar: niederlag, machte Jörg noch einmal den Ver: juch, durch Güte und Liebevolle Pflege das Herz jeines Weibes zu erwärmen und für fich zu ge= winnen umjonft. Denn kaum, daß Franzi wieder recht auf den Füßen war, fing das alte Leidwejen von neuem und nur noch ſchlimmer aıt. ALS dann eines Tages Jörgs Mutter den Krän— fungen, die jie von dem jungen Weibe erdulden mußte, den nagenden Sorgen um das Wohl ihres Sohnes und ihrer Altersichwäche erlag, und Franzi am Tage ihres Begräbniſſes ihrem trauernden Manne gegenüber mit unverblümten Worten ihre

404 Die Hauferin. Befriedigung äußerte, endlich einmal von der ihr jo läftigen Mitbewohnerin des Haufes erlöft zu jein, da erftarb in Jörg auch der legte Reit von Zuneigung zu feinem Weibe.

Bon nun an ließ er Franzi thun und treiben nad ihrem Belieben, jah. höchſtens darauf, daß ihre Putzſucht und ihr ſonſtiger Geldverbraud die Verhältnifje feines Verdienſtes nicht überjchritt, und ftill und jelten lächelnd lebte er in jeiner Arbeit dahin.

Grit, al jein Weib nad) Ablauf eines zweiten Sahres einen gefunden und blühenden Knaben gebar, wachte auch Jörg wieder auf aus feiner Schwermut und wandte in zärtlicher Viebe fein ganzes, reiches Herz dieſem Kinde zu. Und als dann Franzi, die nach der glüdlihen Geburt in launenhaftem Eigenfinn jeglihe Schonung ihres geſchwächten Körpers außer acht ließ, in eine ſchwere Krankheit verfiel, von welcher fie nicht wieder aufftand, da that es ihm dennoch bitter leid um ihr junges Leben, und er betrauerte fie ehrlicher, al3 fie e3 um ihn verdient Hatte.

UN dieſen vergangenen Dingen fann Jörg in jtilem Brüten nad), während er an der Seite

Die Hauferin. 405

jeines Kindes ſaß, das unter den leife ſchaukelnden

Bewegungen der Wiege längft Schon entichlafen war. Endlich erhob er fich, jchöpfte tief Atem und

jtrich ji mit den Händen über die Schläfe. Dann

ging er auf den

Tiſch zu, raffte

mit beiden Armen die Gewandftüde zuſammen und trug fie in die neben der Stube gelegene Sclaffammer, um fie in einem der zwei großen Wandkäften zu verwahren.

Al er wieder aus der Kammer trat, rief der Kuckuck von der Wanduhr die dritte Nach:

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mittagftunde an. Das war die Stunde der „Brod- zeit”. Nun mußte Jörg für heute wohl jelbit zufehen, daß die Gejellen ihr Bier und jpäterhin ihr warmes Abendeilen befamen.

Er vertaufchte den leichten Hausrod gegen eine dicke Joppe, ftülpte den weichen breitfrem- pigen Filzhut auf das dichte Haar, entnahm der Tiſchlade einen bereit3 angejchnittenen Laib Brod jowie ein gefülltes Salzfaß und verließ nad) einem legten Bli auf das ſchlummernde Kind mit leijen Tritten die Stube.

Sn der Werkftätte, in welcher noch die Truhe der verabichiedeten Alten ftand, übergab er Salz und Brod dem älteren Geiellen.

„Du Beit,“ jprad er ihn an, „ic geh jetzt nüber ins Wirtshaus und laß euch nachher ’3 Bier rüberjhiden. Und bis um fiebne will ich euer Eſſen richten lafjen, da könnts nachher nübergehn, wenn Feierabend is. Und gelt, ſchau mir diemal nach dem Kind, und wann's aufwacht und grantig wird, bleibft halt ein bißl dabei figen.“

Als Jörg fünf Minuten jpäter die Wirts— jtube betrat, fand er, dem Werktag angemefjen, nur wenig Gäfte vor. Der Thüre gegenüber, int

Die Hauferin. 407

„Herrenwinkel“, jah er den Wirt bei einigen reichen Dorffaulenzern figen, die fich Die Zeit mit „Zwicken“ vertrieben, einem Kartenſpiel, das wie der Volks— mund jagt, „gleich nach dem Stehlen fommt.“

Das war feine Gefellihaft, wie Jörg Tie liebte, und jo fchritt er einem Tijche zu, an wel— hem ein vereinfamter Gaft ſaß, ein alter, aber noch kräftig außfehender Mann, der ſich Durch das Emblem feiner blauen Mütze und durch die um— gehängte Ledertafche als Briefbote des Dorfes fennzeichnete, und der dem jungen Meifter auch) gleich bei jeinem Eintritt mit freundlichem Gruß den Krug zum Willkommstrunke geboten Hatte.

„Bergelt’3 Gott!“ dankte Jörg, ala er nad einem fräftigen Zuge den Krug auf den Tiich ftellte. „Und jegt jag mir, Uerle*), wie geht’s denn allweil bei dir?”

„Bei mir geht’3 allweil auf zwei Füß, und das acht Stund .alle Tag,“ erwiderte der Alte, während er Jörg freundlich anlachte, der fih am Tiiche niedergelafien hatte. „Drum hab ich Halt jest mein’ Plag bei dem nafjen, rutjchigen Schnee. Hab die Viertelitund bis zu mei'm Häusl naus

*) Ulrich.

408 Die Hauferin.

nimmer dermaht ohne Stärkung.“ Dabei griff er nad) jeinem Kruge.

„Da fannft allweil noch z'frieden fein! Der Schnee, der jetzt ſchon liegt, wird dich net lang plagen.”

„Meint 2”

„sa! Der Oktoberſchnee hat fein’ Dauer net... und gar, wenn vom Berg die Wänd und Bäum jo ſchwarz runterfhaun wie heut. Lang wird’3 nimmer anftehn, daß er verregnet wird oder verthaut ... . kann fein, ſchon morgen.“

Die Kellnerin, welche Jörg im Hausflur ge= troffen hatte, bradjte ihm das Bier. Er erjuchte jie, feinen Gefellen zwei Maß hinüberzufchiden, und gab ihr auch gleich ‚Auftrag wegen des Abendbrodes, das fie für die beiden bis fieben Uhr ſollte richten laffen.

„Seit wann ſchickſt denn du deine Gejellen zum Ejjen ind Wirtshaus?” fragte Merle, als da3 Mädchen fich entfernt hatte.

„Seit heut.“

„Sa, und warum denn?“

„Weil mein’ Haujerin ausg’standen is.“

„Was! Die Zenz iS ausg’standen? Dein Ba3l? Aber jag nur grad, weswegen?“

Die Hauferin.

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Sörg zudte die Achſeln. „Was weiß ich! Sie is halt ein alt3 Zeut, und da wird ihr wohl d’Arbeit z’viel worden jein!“

Forſchend blickte der Alte in Jörgs Gelicht. „Oder Halt am End z’viel von ihr verlangt? Bor ein paar Tag Hab ich ſ' ’troffen, und da hat j’ wenig Guts von dir zum erzählen g’wußt.“

„Bas net ſagſt!“ lächelte Jörg.

„Aber weißt,“ jprach Uerle eifrig weiter, „ich hab ihr Fein Sterbenswörtl net "glaubt. Denn das is ja doch ein’ alte Sad, daß von zmei jtrittige Zeut allweil das im Unrecht is, wo aufs andere jchimpft.”

„Bon mir aus könnt die Alte jchimpfen, fo lang j’ wollt!“ jeufzte Jörg. „Sch fig Halt jetzt da mit mei'm Kind und wär froh, warn ich nur ſchon wieder ein’ andere, verläffige Hauferin hätt.“

„Kreuzfaren!* fchrie der Alte und ſchlug mit der Fauſt auf den Tiih, daß jogar die in ihr Spiel vertieften Zwicbrüder drüben im Herren winkel von ihren Karten aufjchauten. „Kreuz: jagen! Sch mein’, da fommt mir in der Welt auch einmal was g’legen! Weißt, mein Deandl, d' Vro- ni...fie um drei vier Jahr jünger als du . . .“

410 Die Hauferin.

„Weiß Schon,” unterbrach ihn Jörg, „Te is ja mit mir noch in die Feiertagsichul und in Die Chriſtenlehr 'gangen!“

„No alſo! Und weißt, ſie is jetzt die Zeit her beim Einödbauern am Dings droben im Dienſt g'weſen, fo zwei Jahr lang... ja, grad ein paar Wochen nach deiner Hochzeit Hat fie fich ein'dingt . . . und was jagjt, geftern auf d'Nacht kommt j’ mir auf einmal daher, is droben auf und davon 'gangen, weil ihr der Bauernjohn fein’ Ruh mehr g’laffen hat. Schau, Jörgl, mein Vroni i8 ein bravs Madl, arbeiten thut j’ dir grad wie ein Roß, und zu die Kinder hat ſ' eine damiſche Freud. Wie wär’3 jegt, wenn du mein’ Vroni als Hauferin aufnehmen möchteft?* Dabei itredfte Uerle dem jungen Meifter die zitternde Hand über den Tiſch entgegen. „Schlag ein! Schau, mir nimmft damit eine Sorg vom Herzen, denn daß 's Madl bei dir gut g’halten iS, das weiß ih... und du bift mit ihr aufg’richt, in jeder Weis.”

Einen Augenblik nur bejann fi Zörg, dann ſchlug er fräftig in die Hand des Alten ein. „Gilt ſchon!“ vief er dazu. „Und g'nau dasſelbe kriegt j’

Die Hauferin. 411 bon mir, was ihr der Einödbauer zahlt hat! Und damit die Sad) gleich feit und ficher is ...“ er 30g jeinen kleinen Vederbeutel hervor und jchob dem Alten ein Thalerjtüc zu, „jo kannſt, als ihr Bater, gleich 's Drangeld nehmen.“

„Und die Freud, die mein’ Alte Haben wird!”

lachte Uerle und fchob den Thaler vorjichtig in Die MWeitenta- jhe. „Die ganz Nacht durch Hat g'flennt wegen dem Deandlund ' hat fein’ Ruh g'habt bis in der Fruh. Jetzt will ich aber gleich machen, daß ich Heim komm!“ Dabei erhob er ſich, griff nach feinem dicken Stock und rief die Kellnerin herbei.

„Bart, ich werd mich auch gleich wieder am Heimweg machen!” jagte Jörg und griff in den Seldbeutel um jeine „Schuldigfeit“ zu begleichen.

Plaudernd verließen fie zufammen die Stube,

412 Die Hauferin.

und als drunten auf der Straße ihr Weg fid) theilte, reichte Jörg dem Alten die Hand:

„Srüß mir halt d'Vroni derweil recht ſchön. Und morgen in der Fruh, da ſchickſt mir ſ' nad): - her. B'hüt dich Gott!”

„Bhüt did) Gott, Jörg, b’Hüt dich Gott! Und nochmal3 mein Dank!“

„Nix zu danken!“

Damit gingen die beiden auseinander. Als Jörg nad) Haufe fam und fein Kind jchlafend fand, half er den Gefellen bei Vollendung eineu Arbeit. Während jeiner Abwefenheit war die alte Zen; dagemwejen, hatte ihre Truhe abholen und nach dem Häuschen der Schmiedin verbringen laſſen; fie hatte dort ein kleines Stübchen ge: mietet, wo der Wanger, wie fie ihm durch Zeit hatte jagen laffen, zu jeder Zeit fie nach Belieben befuchen könne.

„Da könnt ihr doch 's Warten z’lang wer: deu, bis j’ das erlebt,“ meinte Jörg troden zu diejer Botjchaft.

Als es Feierabend wurde, mahnte er die Gefellen, nicht gar zu lange im Wirtshaus drüben figen zu bleiben, wünſchte ihnen eine gute Nacht

Die Hauferin. 413

und ging in die Stube, two er die kleine, von der Dede auf den Tiſch niederhängende Petroleum: lampe entzindete. Dann jchürte er im Ofen das verglimmende Feuer an, legte ein paar jchtwere, buchene Holzflöge in die Glut und ftellte für den Fall, daß das Kind in der Nacht hungrig er: wachen möchte, ein mit Milch gefülltes Blech— ihüffelhen in das Bratrohr. Nachdem er noch die Kammerthür geöffnet hatte, um die Stuben: wärme in das kalte Gemach ziehen zu laffen, jegte er jih an den Tiih und nahın vom Fenjterbrette das vier Seiten ftarfe „Bezirk3-Tageblatt”, das er Abend für Abend vom erften bis zum Teßteı Worte langjam und aufmerkjam zu durchleſen ge= wohnt war.

Den „politiihen Theil“ und die „Lokalkorre— ſpondenz“ hatte er erledigt, und eben vertiefte er jih in das Studium de3 kleinen, meiſt auf die Landwirtſchaft bezüglichen Snjeratentheiles, als er die Hausthür gehen und die heimfehrenden Ge— jellen mit jchweren Tritten über die Holztreppe nah ihrer Schlaffammer emporfteigen hörte.

Nachdem er jeine Lektüre völlig beendet hatte, ging er auf den Flur hinaus, um nachzujehen,

414 Die Hauferin.

ob Schloß und Niegel in Ordnung wären. Beim MWiedereintritt in die Stube tauchte er die Finger der rechten Hand in das neben der Thüre hän- gende MWeihmwafferkejfelhen, trat auf Die Wiege zu und beiprengte das Kopf: und Fußende der: jelben, dann das eigene Geficht. Nun hob er die Wiege mit beiden Armen vorfichtig empor, trug fie in jeine Schlaffammer und jtellte fie Leife zu Häupten feines Bettes nieder. Nachdem er in der Stube noch die Tijchlampe ausgelöſcht und am Dfen das Feuerthürchen geſchloſſen hatte, ging auch er zur Ruhe. | Doh konnte er feinen ordentliden Schlaf finden. Wohl ein halb dutzendmal erwachte er und laufchte dann, bis er wieder entichlummerte, den leijen, ruhigen Atemzügen feines Kindes. Da- bei wurde fein vielfach unterbrochener Schlaf noch beunruhigt Durch wirre, unzujammenhängende Zraumbilder. Einmal war es ihm, als fehre er mit einer Fuhr junger Birkenftämme vom Walde heim. Zu beiden Seiten des Feldiweges, der ſich in langer, gerader Linie gegen das Dorf Hinzog, wircherte ein dichtes, lichtgrünes Gras, aus welchen große, buntfarbige Blumen auf langen, dünnen

Die bauferin. 415 Stengeln emporftiegen. Die blaue, jonnige Luft war belebt von Schwalben, und vom Kirchthurm tönte daS helle Geläut der Gloden. Während er dur das Dorf feinem Haufe zufuhr, gingen die Leute im Sonntagsſtaat, Gebetbüher in den Händen, an ihm vorüber, und alle fchauten mit berwunderten Blicken auf fein Geficht und jein ſchmuckloſes Arbeitägewand. Jörg fühlte, wie ihm dabei das Blut in die Wangen ftieg, und mit leichtem Beitjchenjchlage trieb er die beiden Roſſe zu vaicherem Gange an. Als er vor jeinem Haufe hielt, rief er den Knecht der aber kam nicht; dann rief er die Gejellen doch feiner erihien. Das Thor der Werfftatt war gejchloffen, und aus ihren offenen Fenftern hallte weder ein Hammerjchlag, noch das Schnurren der Drehbant, noch das Kreiſchen der Säge. Kopfichüttelnd ſteckte er die Beitjche in das Kummet des Sattelpferdez, trat in den Flur und öffnete die Stubenthüre. Überrafcht blieb er ftehen, die Klinke in der Hand auf der Ofenbanf, neben der Wiege, in welcher jein Knabe ſchlummerte, jaß Vroni, genau fo, wie er fie vor zwei Jahren noch gekannt hatte, mit der ſchmächtig Ihwächlichen Geftalt, mit den großen

416 Die Hauferin.

Augen und den ſchma— len Wangen, deren Bläſſe durch daß tiefe Braun der Haare noch verjchärft wurde. Freundlich Tächelnd nickte fie ihm zu und erhob fih, ihm die Hand zum Gruß zu reichen. Noc) hatte fie nicht zwei Schritte ihm entgegen gethan, als fie Sich wieder zur Wiege zurüdwandte, denn dad Find mar erwacht und meinte. Da war auch Jörg in Wirklichkeit aus dent Schlaf emporgefahren, und im erften Augenblid wußte er nicht, ob er noch träume oder wache, da in der That die Stimme des weinenden Kindes an jein Ohr ſchlug. Eilig fprang er aus dem Bett, be- fleidete fid) notdürftig und machte Lit. Dann hob er den Kleinen aus der Wiege, wickelte ihn jorgfältig in ein weiches Flanelltuch und juchte

Die Hauferin. 417 ihn durch Schaufeln auf den Armen zu beruhigen. Als diefes Mittel nicht fruchten wollte, nahm er den Leuchter und ging in die Stube hinaus, die och beffer durhwärmt war als die Schlaffammer. Immer das Kind auf dem einen Arme twiegend, hob er zuerit das Licht zur Wanduhr empor, welche die jechfte Morgenftunde zeigte, dann jchritt er dem Dfen zu und drücdte die Hand an Die Kacheln, die jich noch warm anfühlten. Nun ent: nahm er dem Bratrohr das Milhichüffelden, deſſen Inhalt Freilich auf die Hälfte eingejotten war, ging damit zum Tiſch, holte einen Löffel aus der Schublade und ließ fih auf einen Stuhl nieder, um den kleinen Schreihal® durch das ge- wohnte Frühſtück zu bejänftigen; und der junge Bater war herzlich froh, als er dieje jeine Hoff: nung vom bejten Erfolge belohnt jah.

Während Jörg dem Kinde die Milch reichte, von welcher er jeden Löffel, eh er ihn dem kleinen roten Mäulchen näherte, fojtend an die Lippen führte, pochte drangen jemand an das Fenfter. Jörg war aber in feine väterliche Fürforge jo vertieft, daß er nicht nur dieſes erjte, jondern

auch ein zweites und drittes Klopfen überhörte ; - Ganghofer, Bergluft. 27

418 Die Hauferin.

und erjt als er fich erhoben, aus der Schlaffammer die Wiege herausgezogen und feinen gejättigten Sprößling zu neuem Schlafe gebettet Hatte, wurde er auf jenes Pochen aufmerfjam, das fich immer ftärfer und ungeduldiger erneuerte,

Er nahm das Licht, trat an das Fenfter und öffnete den fleinen Flügel. „Was giebt's?“ fragte er, während er den breiten Kragen des offenen Hemdes emporftülpte, da ihm die Morgenluft kalt und jcharf an den Hals 309.

„Sch bin’3, der Merle!” Hang von draußen die Antwort.

„sa was mwillft denn du Schon in aller Fruh bei mir?”

„Ro, ich geh halt grad auf mein’ Botengang aus, und weil ich bei dir in der Stuben Licht g’iehn hab, jo hab ich mir 'denkt: jegt klopfſt an. Klopf aber g’wiß jchon eine halbe Stund ... und das muß ich Dir jagen, ein forgfamerd Kindsmadl, als wie du bift, kannſt freilich net leicht kriegen!“

Jörg lachte. „Mein Gott, warn einmal d'Wiegen pumpert, da lernft gar viel, wo bu net 'denkt hättit, daß ein G'ſchick dazu Haft. Aber was mwillft denn?“

Die Hauferin. 419

—— nn

„Sagen hab ich dir halt wollen, daß mein Deandl kommt, wie's Tag wird. Und ja... mas ich fragen will... haft du ihr ’leicht einmal was z'leid 'than?“

„Ich? Na! Warum denn?“ fragte Jörg er— ſtaunt und aufmerkſam.

„No weißt, ſie hat mir's halt ſchiergar ver— übelt, daß ich 's Drangeld fo übereilig g’nommen hab... und da is mir’3 grad fürffommen, als ob’3 dir wegen was bös wär.“

„Ih könnt mir net denfen, woher. Wir waren ja allweil gut Freund zu einander. Mber halt, ja, da fallt mir ein... wie wir noch in die Chriftenlehr ’gangen find, hab ich ihr ein- mal jo im Spaß ein Buffel ’geben. Da Hat f’ wohl ſelbigsmal ’trugt mit mir... .“

„Set da3 wär ja doc) noch lang net's G'fahr— lichftel” lachte Uerle, während er durch das offene Fenfter dem Wanger die Hand reichte. „Halt f’ ein bißl freundlich, nachher wird ſich ſchon alles machen. Und jomit b’hüt dich Gott!”

„Bas is,“ fragte Jörg, während er die Hand des Alten mit Fräftigem Drud umfjpannt hielt, „willſt net ein Glasl Grannewitter mit am Weg

420 Die Hauferin.

nehmen? Der maht warm Blut und g'ſchwinde Füß!“

„Könnt mir net ſchaden!“

„No alſo!“ rief Jörg und ging auf den Ge— ſchirrſchrank zu, dem er eine kleine, dickbauchige Flaſche entnahm. „Jetzt is gut,“ rief er nach kurzem Suchen, „jetzt find ich gar 's Glasl net!“

„Macht nix! Sp trink ich Halt aus'm Flafchl. Das giebt grad beſſer aus!“

„Haft recht! Z’helfen mug man fi wiſſen.“ Dabei reichte Jörg dem Boten die Flafche zum Fenfter hinaus,

Ein breites, jchnarrendes „Ah!“ bezeichnete das Ende des tiefen Trunkes. „Safra, ſakra, der reißt ein’ z'ſamm! Und fein thut’3 dir grad, ala ob ein’ glühheißen Ofen im Leib hättft. Wo haft denn den her, Jörgl?“

„Selber ang’jegt!“ entgegnete der Wanger mit ftolzem Lächeln.

„Du, das Rezept mußt mir fein aufichreiben!”

„Recht gern! Und wenn er dir gar jo jchmedt, nimmſt Halt das Flaſchl mit!”

„Bär net z’wider! Ja, nachher dank ich dir halt recht ſchön. Schau, oft Schon hab ich’3 g’jagt:

Die Hauferin. 421

es giebt bloß ein’ Wangerjörg im ganzen Ort, und der bift du!“

„Seh, ſchäm dich!” lachte Jörg. „Wirft mir jet gar wegen dem bißl Schnaps noch Komplimenten machen. Ste ihn nur ein und mad), daß weiter kommſt, ſonſt frierit am End noch an da draußen.“

„Halt recht, es iS Zeit,“ entgegnete Uerle. „Da droben werden die Berg jchon ganz weiß vom Frühlicht.

„B'hüt dich Gott und fomm gut heim.“

„Dun mein Gott! Z'erſt wollt ich, ich wär ihon gut fort!” erwiderte Uerle, während jeine Stimme ſchon im Weiterichreiten verflang.

Jörg ſchloß das Fenfter, trug den Leuchter zum Tiih und ging auf den Ofen zu, um euer anzufchüren. Noc war er damit nicht zu Ende, ala der Kuckuck an der Wanduhr die fiebente Morgenftunde verkündete. Als das Holz praffelte und die Flamme fladerte, trat er auf den Flur hinaus und rief die Treppe empor:

„Beit! Wajtl! Siebne hat’3 g’ihlagen!”

„Gleich komm ich!” tönte die Stimme des äl- teren Gejellen zurück, gedämpft Durch die gefchlofjene Kammerthüre. „Sch bin jo wie jo jhon auf.“

422 Die Hauferin.

„Ja, ſchick dich nur, heut müſſen wir uns jelber d'Suppen kochen!“

Eine Viertelſtunde ſpäter brannte auch draußen in der Küche auf dem offenen Herd ein luſtiges Feuer, und darüber brodelte in einer weiten Pfanne das Waſſer für die Suppe. Waſtl hatte ſich zum Koch angeboten, und während er nun am Herde auf einem kleinen Brettchen eine dicke Zwiebel in dünne Scheiben jchnitt, ftanden Jörg und Veit nebenan und jchauten plaudernd feiner Hantierung zu. Auf den Gefichtern der drei Männer lag der vote Widerfchein der Herdflamme; durch die zwei niederen Fenfter ſtahl fich aber jchon das erite, fahle Zwielicht de3 werdenden Tages.

Als Waſtls Kochkunst ihr Meifterftüd jo

Die Hauferin. 423

nannte er jelbit fein Wert der Vollendung näherte, gingen die beiden andern in die Stube, wo Beit den Tiſch zu deden begann, während Jörg in feine Schlaffammer verſchwand, um fich vollends anzufleiden. Als er wieder in die Stube trat, trug Waftl eben die Schüffel mit der dampfenden Suppe herbei, und Veit ging, um den Knecht zu rufen, der in der Scheune für die drei Milchkühe und für die zwei Rofje das Frühfutter ichnitt. Als die beiden famen, ſprachen alle vier zufammen den gewohnten Morgenfegen und rutjch- ten dann in die Bänke.

Waſtl ſchöpfte mit einem großen Löffel die Suppe auf die einzelnen Teller und begann haftig zu efjen; die andern aber, kaum hatten fie nur den erſten Löffel voll gekoſtet, ſchoben gar ſchleu— nigjt wieder den Teller beifeite, denn die Suppe war bis zur Ungenießbarkeit verpfeffert. Waftl twollte das nun freilich nicht glauben, und unter Lobpreiſungen jeines® Kochwerkes er immer zu, bis aud ihm unter Huften und Pruſten das Waſſer aus den Augen rann, jo daß er ärgerlich) den Löffel in die Schüffel warf.

Während er von feinen Tijchgenofjen weidlich

424 Die Hauferin.

ansgelacht wurde, öffnete ſich Die Thüre, und in die Stube trat ein hochgewachſenes Mädchen von vollen Formen und mit einen runden, blühenden Gejicht.

„Srüß Gott, Wanger. Da bin ich!”

Haſtig ſprang Jörg von der Bank auf, und während er fih der Thüre näherte, blidte er forfchend und zweifelnd auf dag Mädchen, das in dem braunen, glattfaltigen Nod, in dem knappen Mieder, in dem zierlich gerafften, Hals und Büſte bededenden Seidentuch und in dem grünen, mit einen: Kleinen Buxzweige gezierten Hütchen eine ſchmucke und zugleich jtattliche Erjcheinung bildete, die dad Auge zu um jo fchärferer Beobachtung reizte, da da dämmerige Morgenlicht Gejtalt und Antlig noch Teicht verichleierte.

„Kennt mich am End gar nimmer?” fragte das Mädchen, als es fich von Jörg fo ſtumm be- trachtet jah, mit einem Tone, dem man unſchwer eine leichte Verftimmung anmerfte.

„Wann ich net wüßt, daß du die Vroni fein mußt,” ang e3 langjam von den Lippen des jungen Meiſters, „denn wer ſonſt füm Heut zu mir in folder Stund?.... fo möcht ih fait denken, du bit es net.“

Die Hauferin. 425

Das Mädchen zudte mit einen jeltfamen Lächeln die Achſeln. „ES i3 halt einmal nir Neus mehr, daß fih d' Leut auswachſen mit die Jahr.“

Sörg fühlte ſich eigentümlich befangen, als er auf Broni zutrat, um ihr die Hand zu reichen. „Sp jag ih dir Halt Grüßgott in mei'm Haus, und unfer Herrgott joll dein’ Eingang ſegnen. Mic kennſt . . . das da find meine Gejellen, der Veit und der Waftl, und das da is der Knecht... nachher haft alle beifammen, mit denen du Hau: jen mußt.”

„Slaub’3 doch net,” erwiderte Broni, während fie auf die Wiege zufchritt, wo fie mit janfter Hand über die fpärlichen Löckchen des jchlafenden Kindes ftrich.

Ein heller Strahl der Freude Leuchtete in Jörgs Augen auf. Raſch trat er an Vronis Seite, legte ihr die Hand auf die Schulter und jagte: „Deandl, jet haft es g’wonnen bei mir. Und daß wir alle gut auskommen mit einander... an mir jol’3 g’wiß net fehlen.“

„An mir noch minder,” entgegnete Vroni, während fie immer noch auf das Kind niederblicte und das Linnen des Kiſſens mit der Hand glättete,

426 Die Hauferin.

En N welche, wie Jörg mit WVerwunderung bemerkte, leije zitterte. Nun hob fie hajtig das Geficht. „Jetzt wird’3 aber Zeit jein, daß mich einweijen thuft in? Haus und in mein’ Arbeit, denn es iheint,“ und lächelnd blicte fie auf die in der Schüſſel und in den Tellern ftehende Suppe, „es iheint, daß mein Kommen an der Not war.“

„Magſt net die Suppen koſten?“ wandte jich Veit an Vroni, während er ihr einen gefüllten Löffel entgegenhielt.

Die Hauferin. 427

„Ra, ich dank ſchön, ich Hab jchon vom An— ihauen g'nug.“

„Jetzt mad) dein Kompliment, Waftl!* lachte Veit und ftieß den Gejellen mit dem Ellbogen in die Seite. Danı wandte er fi) wieder zu Vroni. „Weißt, die Suppen war fein Meifterftiict in der Kocherei.“

„Da brauchſt jetzt gar net ſpötteln!“ gab der junge Burſche ein wenig gereizt entgegen. „Wann ich deine Dalkereien nachreden wollt, könnt ich heut auf d'Nacht noch da am Tiſch figen. Im übrigen will ich mich Halt für die kommende Zeit an d'Vroni halten. Gelt, Deandl, du wirft net jo neidifch fein, daß mich net ein bißl was pro= fitieren laßt von dir. Du bift ja... .”

„Jetzt red net lang!” unterbrach ihn der junge Meifter in etwas ärgerlihem Ton. „Es is Zeit in d'Werkſtatt!“

Waſtls legte Worte hatten ihn verlegt und verjtimmt, wenn er jeldft fih auch nicht jagen fonnte, weshalb. Doc, verflog dieſe Laune raſch wieder, als er Bronis Augen verwundert auf fich gerichtet jah. „Komm, Deandl,* und freundlich nickte ev dem Mädchen zu, „ich will dir vor allem

428 Die Hauferin.

dein Stüberl zeigen.” Er öffnete die Thüre und ließ Vroni voraus auf den Flur treten. „Was is denn mit dei'm Sach?“

„Draußen im Hof fteht jchon mein Kufer. Ich Hab ihn jelber herg’fahren am Schubfarren.”

Jörg führte dag Mädchen die Treppe hinauf und zeigte ihr dag Stübchen, daß die alte Zenz bewohnt hatte und e8 war ihm leid, daß der fleine Raum jeßt gar jo ſchmucklos und unfreund— ih ausſah.

„Ih weiß ſchon,“ jagte er zu Vroni, „daß mit dem Stüberl feine b’jondere Freud haben £annft, jo wie’3 jet herſchaut. Mußt dir's Halt jelber ein bißl zZrjammrichten, und wann was haben willit dazu, brauchit es nur jagen.

Erjt öffıtete er noch die Thüren zu den Ges findefammern, die Vroni jeden Morgen in Ord— nung zu bringen hatte, dann führte er fie über den dichtgefüllten Heuboden bis zu der Leiter, die an Stelle einer Treppe den Weg zur Scheune vermittelte, zeigte ihr das vieredige, durch ein Fallthürchen verjchließbare Holzrohr, durch welches man Heu und Häcjel direkt in den Stall befördern konnte, und zulegt auch den Eleinen Bretterverjchlag

Die Hauferin. 429

in einer Ede de3 Bodenraumes, darin Senfen, Rechen, Sicheln, Heugabeln und Grabjcheite ver: wahrt wurden.

Nun ftiegen fie wieder in den Flur hinunter, befichtigten die Kithe und das Milchgemwölbe, gingen durch die Wohnftube in Jörgs Schlafkammer, fehrten wieder zurüd und traten in Freie, um da3 ganze Haus zu umwandeln. ine Zeit lang ftanden fie in dem Blumen: und Gemüjegarten, der vor den Giebelfenftern der Wohnräume ge: legen war. Jörg zeigte dem Mädchen die ein- zelnen, nun freilich mit Schnee bededten Beete und nannte ihr die Gemüdforten, die er gewöhn— lid darauf anzubauen pflegte. Dann betraten jie durch ein ſchmales Thürchen des grünen Sta- fetenzauned den an der Rückſeite des Haujes ge= legenen Wiejengrund, der fi, einige Tagwerke umfaffend, eben hinzog gegen die janftanfteigenden Vorberge und mit zahlreichen Obftbäumen durch— ſetzt war, die jet ihre laublojen, jchneeumfrorenen Äſte till emporredten gegen den grauen Himmel.

Während fie jo das Haus umſchritten, Hatte Jörg wieder die volle Geftalt des Mädchens mit verwunderten Mugen gemefjen, und e3 wollte ihm

430 Die Haulerin.

gar nicht in den Kopf, wie in der furzen Zeit bon zwei Jahren aus jold einem ſchmalwangigen, hochaufgeſchoſſenen und ſchmächtigen Ding eine fo ftattlihe Berfon ſich herauswachſen konnte.

Schon ein paarmal hatte Vroni, und immer mit leichtem Erröten, diefen forjchenden Blick be— merkt, und als fie nun wieder einmal die Augen de3 jungen Mannes auf fich gerichtet jah, fragte fie mit raſchem Worte: |

„Was ſchauſt mich denn allweil jo an?“

„Ich kann mich Halt net g’nug verwundern,“ entgegnete Jörg, „wie du dich verändert und g'macht Haft, feit daß ich Dich zum leßtenmal g'ſehn hab. Erſt Heut in der Nacht,“ und nun war ed an Jörg, zu erröten, während er fich verbefjerte, „das heißt, gejtern am Nachmittag, wie ich mit dei'm Water von dir g’jprochen hab, erit da hab ich dram’denkt, wie ich dich früher jo ’fennt hab, und jetzt . . .“

Sie waren an der den Wohnräumen ent- gegengejegten Giebeljeite des Haujes angelangt, und Jörg mufterte mit forfchenden Blicken die ichlanfgewachfenen, in Spiralen gejhälten Birken- ftämme, die da zu Dugenden aufgerichtet an der

Die Hauferin. 431

Wand lehnten, um mit der Zeit zu Wagendeichjeln und Leiterbäumen”verarbeitet zu werden. Und während er die überjchneiten

J

ER N Holztlöge

Fr und Eichen:

ihwellen bejchaute und Die

unter einem offenen Schuppen

aufgejchichteten Scheite und Äfte mufterte

da3 Material für dereinftige Nadnaben,

Achſen, Speichen und Leiterfproffen ſprach er in anjcheinend gleichgiltigem Tone weiter:

432 Die Hauſerin.

„sa, ja... Haft dich gar arg verwandelt... aber net bloß im Ausfehen. Denn früher, wie ich wohl noch dent, warſt doch allweil gut und freundlich zu mir g'ſinnt! Jetzt aber... .*

„Jetzt aber?“ fragte, da er zögerte, das Mädchen und blickte erwartungsvoll auf den jungen Meifter.

„Io, jet muß das Halt doch anders ſein,“ ent— gegnete Jörg, während er vor fich niederblicte und nit dem Fuße den Schnee vom Boden jcharrte, „wie könnt ich mir denn fonft denken, daß du Dich gar jo dagegen g’wehrt Haft, wie dein Water dir g'ſagt Hat, du jolljt zu mir als Hauferin fommen?”

In Vronis Wangen ftieg dunkle Röte, was Jörg freilich überfah, dader Schnee zu feinen Füßen jeine ganze Aufmerkjamkeit in Anſpruch nahm.

„Woher weißt denn du das?“

„Dein Vater felber Hat mir's g’jagt, heut in der Fruh.“

„Mein Bater könnt mein’ Mutter fein, weil er gar jo gern ſchwatzt,“ platte Broni heraus. „Aber wenn's auch jo war... Schau, Wanger ... .” ſprach fie langjam weiter, und Jörg hätte, wäre der Schnee zu feinen Füßen nicht geweſen, wohl

Die Hauferin. 433

merken müffen, wie verlegen fie nach Worten juchte, „deswegen brauchit mir das net verübeln. Schau, mußt halt denfen: es iS Fein’ Stleinigkeit net, wenn man ei'm jo mit ei'm Dienft über’n Hals fallt, wo du net weißt, was zum jchaffen friegft und zum jorgen.“

„Ja ja.“

„Alſo deswegen nix für ungut und... .“

„Ah na, na, na, Deandl!* fuhr Jörg auf und reichte dem Mädchen lächelnd die Hand. „Won nachtragen iS ja da gar niemals fein’ Ned net. Aber ich hab mir halt "denkt, es iS beijer Bei jo wa, wenn man’3 beredt.“

„sa freilich iS beſſer!“ entgegnete Broni aufatmend und folgte dem Meiiter, der wieder gemächlich voranichritt, um fie durd die Wagen reife in die Scheune und von da in den Stall zu führen.

Hier ſchirrte der Knecht eben die beiden Roſſe an, um in den Wald zu fahren, da der Wanger während des Winters, damit die Pferde nicht allzuviel müßig ftünden, Holz: und Kiesfuhren von der Oberföriterei in Akkord zu nehmen pflegte.

Während Jörg mit Vroni langjanı den gemanerten Ganghofer, Bergluft. 28

434 Die Hauferin.

Futterbarren entlang schritt, tätjchelte er den schönen, kräftigen Thieren, die fo blank gepugt waren, daß ihre kurzen, braunen Haare glänzten, als wären fie geölt, mit freundlicher Hand die Stirne und fraute ihnen die Ohren. Vroni erging fich dabei in breiten Qob über die Sauberkeit und Ordnung, die im Stalle herrichte, was der Knecht unter jelbftzufriedenem Lächeln mitanhörte; darauf jagte fie Jörg eine wohlverdiente Schmeichelei wegen des jelten jchönen Schlages feiner drei Milchkühe, deren erite fie bei den ftarfen, weitausbiegenden Hörnern faßte, um ihr dann mit beiden Händen janft die blaßroten Nüftern zu reiben.

Al die beiden anderen Thiere das jahen, drängten fie briillend ihre dicken Köpfe herbei und redten die Schnauzen nad) Vronis Hand.

„Jetzt da ſchau her,“ ſagte Jörg lächelnd, „was da3 für ein paar eiferfüchtige Trutjcheln jind.*

„No du, da hab ich droben bei'm Einödbauer erst mein Kreuz g'habt,“ plauderte das Mädchen, während e3 einem in der Ede ftehenden Faß eine Handvoll des grobkörnigen Viehſalzes entnahm und dasſelbe den Thieren auf flachen Händen

Die Hauferin. 435

entgegen bot. „Da hab ich ihrer neune im Stall g’habt, und warn ich 3’ morgenft futtern "tommen bin, da haben ſſ von aller Weiten fchon mein’ Tritt 'kennt, und grad Arbeit hab ich g'habt, daß ich jeder g’ihmwind g’nug Grüßgott g'ſagt hab, jonit hätten |’ einander um’bradt . . . is ſchon wahr.”

„Sa ja,” meinte Jörg, „die Behandlung macht’3 halt aus, beim Vieh wie beim Menſchen. Aber fomm, Deandl, jet jchauen wir, daß wir dein’ Kufer in dein Stüberl naufbringen. Bis aus'packt und alle in Ordnung haft, dauert’3 allweil ein Stündl, und nachher mußt dich um? Bier für die G'ſellen ſorgen.“

So ſchritten fie wieder zurüd durch die Länge des Stalles, traten ind Freie und gingen der Thüre zu, vor welcher der Schubfarren mit Vronis Koffer ftand. Da blieb Jörg mit einemmale horchend jtehen und legte die Hand auf den Arm de3 Mädchens, das verwundert zu ihm aufblicte.

„. . . fauber und g'wachſen, wie er fich’3 net fchöner rausſuchen hätt können im ganzen Thal,” jo Hang die Stimme des älteren Gejellen durch das halb geöffnete Fenster der Merkftätte.

436 Die Hauferin.

„a, ganz mein’ Gufto hat er ’troffen!” hörten fie Waſtl lachend erwidern.

„Da wird dir aber dasmal der Schnabel icon ſauber bleiben! D'Vroni jcheint mir fo ftolz wie fauber.“

„Das jchredt mic) noch lang net. Denn daß die Stolzen net allweil die Bräpften find, das hat man fchon oft erleben können.“

Waſtl Hatte noch nicht ausgeſprochen, als Jörg, das Antlig gerötet von Zorn, mit beiden Fäuften das Thor aufitieß. „Waftl!* jchrie er den Burjchen in einem Tone an, der die Gejellen verwundert aufbliden machte, da ihnen jolche Art an dem jungen Meifter völlig neu war. „Waftl! Das jag ich dir: noch ein einzigs jolches Wörtl, und du wart am längiten in mei'm Haus!“ Dann wandte er fich furz von den verdutzt umd verlegen daftehenden Burjchen ab, winkte Veit zu ih heran und verließ mit ihm die Werkſtätte.

„Da, hilf mir der Vroni ihren Kufer nauf- tragen!” jagte er zu dem Gejellen, als fie vor der Hausthür angelangt waren.

„Aber Wanger, ich kann ja doch jelber .. .” wollte Broni einwenden.

Die Hauferin. 437

„Laß nur gut fein!” wurde fie von Jörg unterbrochen, während er fich ſchon niederbeugte, um den Henkel der Truhe zu fafjen.

Als der Koffer droben im Stübchen ftand, und Broni aus ihrer Tafche den Schlüffel des Vor: hängſchloſſes hervorſuchte, fagte Jörg, indem er fid) ihon der Thüre zuwandte: „Wann nachher fertig und um’zogen biſt . . . drunten in dev Stuben leg ich dir ’3 Biergeld am Tiſch. Wir müſſen heut ein bißl früher Brodzeit Halten, denn vom Waftl jeiner Suppen hat ja feiner ein’ Löffelvoll ejjen fönnen. Schauft Halt nachher bald dazu!” Er nickte einen ftummen Gruß und ging jeiner Ar: beit nad).

Die Tage verjtrihen und bald war es allen merklich, welch ein neuer, frifcher Geift des Leben? und der Ordnung mit VBroni in das Haus des Wangers eingezogen war. Noch nie war früher der Tiſch, jede Bank und jeder Stuhl jo blank gejchenert, nie noch waren die Fenfterjcheiben immer jo Klar und nie noch die Dielen der Stuben und Kammern ftet3 fo fauber gewejen, wie jet. Sn allem und überall zeigte ſich Vronis ordnende Hand und diejer Umschlag zum Freundlichen

438 Die Hauferin.

und Befjeren, der das ganze Haus und die ganze Wirtſchaft umfaßte, jpiegelte fi im fleinen in der Umgeftaltung, welche Vronis Stübchen er— fahren hatte. Als Jörg, aht Tage nad des Mädchen? Ankunft, einmal ganz zufällig den Eleinen Raum betreten hatte, war er überrajcht auf der

Die Hauferin. 439

Schwelle ftehen geblieben. Wie ſchmuck und wohn lih jah e3 hier aus! Die ſonſt jo öden Fenfter waren mit zierlich gefältelten, blendendweißen Linnengardinen halb verjchleiert; die einft jo fahlen und froftigen Wände waren geziert mit Photo— graphien in gepreßten Papierrähmchen, mit Hei- ligenbildern und mit verholzten Schwämmen, darauf Heine Holzfigürchen ftanden, wie die heiligen drei Könige und die ſchwarze Muttergottes von Altötting; aus der Ede über dem Bette neigte jich ein Eleines Kruzifix, umrankt von Balmzweigen und getrodneten Gräjern; auf dem hohen Kleider: ichranfe ftanden drei Scherben mit künſtlichen Roſen, und über der linnenbedecdten Kommode erhob ſich gar ein förmlicher Haußaltar, auf wel: hem ein wächjernes Jeſukind ruhte, gebettet in Spigen und bunte Bänder und geichügt von einem blanfen Slasfturze.

Der Knecht und die beiden Gejellen, Waftl beſonders, predigten im ganzen Dorf das Lob der neuen Hauferin und gingen ihr im Haufe jelbit in allen Dingen mit eifrigem Willen an die Hund; wenn Vroni bei irgend welcher Arbeit einer Hilfe: leiftung bedurfte, brauchte fie nur mit einer Miene

440 Die Hauferin.

zu winken, jo jprangen fie mit langen Füßen, denn da wollte e8 jeder dem andern zuvor— tun und auch hier war es vor allem Waftl, der fih bemühte, durch Aufmerkjamkeiten aller Art, verbunden mit einer jcheuen Verehrung, jeine leichtfertigen Worte von damals bei Vroni ver: geffen zu machen. Bald kam es jo weit, daß dei dreien Vronis Wort als eine Höhere Autorität im Haufe galt denn die Stimme des Meifters. Und faſt jchien e8, als ob Jörg das jelbitver- jtändlich und natürlich fände, denn auch er gewöhnte fi unbewußt daran, bei allen, was er trieb und begann, den Nat des Eugen Mädchens einzu— holen. „Vroni, was meinft —“ oder „Vroni, wie glaubft —”, das waren die ftehenden Worte, mit denen er feine Fragen begann. „Sch glaub halt oder „Sch mein’ halt —“ fo pflegte dann aud) Vroni ihre kurze, aber Elare Antwort einzuleiten.

Mer aber durch des Mädchens Eintritt in des Wangers Haus amı meisten gewann, das war das Heine Bürjchlein in der Wiege. Jörg hatte fih bei der Fülle feiner Arbeit immer nur wenig mit dem Kinde bejchäftigen können, jo leid ihm das that und die alte Zenz hatte e3 mit ihrer

Die Hauferin. 441

Sorge für den Knaben niemals jehr genau ge— nommen. Wenn er jchrie, hatte fie ihm mit einem diden Schnuller das Mäulchen geftopft und ihn durch heftiges Wiegen eilig eingejchläfert. Go lag das Find oft die längste Zeit des Tages ein- ſam und verlaffen in feiner Wiege und hatte ſich dabei an ein übermäßig langes und vieles Schlafen gewöhnt.

Nun aber war in furzer Zeit aus dem Finde ein [uftiges, munteres Kerlchen geworden. Nicht nur, daß Vroni ihm jede freie Minute ausjchließ- lich widmete auch jede fleinere Arbeit, wenn ed nur immer anging, verrichtete fie in unmittel— barer Nähe des Kindes, das fie auch bei jedem Ausgang mit ſich ins Freie nahm, was für das Kind um jo erjprießlicher war, da jener Witte: rung3wechjel, welchen Jörg damals im Wirtshauſe dem alten Uerle vorausgejagt hatte, wirklich ein- getroffen, und dem jchwindenden Schnee in der legten Hälfte des Oktobers eine Reihe linder Tage gefolgt war. Diejer Umſtand Hatte es auch er: möglicht, daß Vroni die Wiege des Kindes während der Nacht in ihrem Stübchen ftehen haben konnte. Und um alles in ein einziges Wort zu faffen auf:

442 Die Hauferin. merfjamer und fürjorglicher, als Vroni gegen das Kind fi) erwies, fonnte kaum eine wahrhaftige Mutter fein.

Mit ftiler Freude und innerem Behagen jah Jörg diejen ganzen Wechjel mit an; und dennoch wurmte e3 ihn wieder im geheimen, daß er jelbft für jeine Berjon bei alledem am jpärlichiten be= dacht wurde. Vroni, die jich gegen jedermann im Haufe und außerhalb desſelben jo freundlich und zuvorkommend benahm, verhielt fih ihm gegen über ftill und zurückhaltend, faſt jcheu und fremd; und wenn auch in den eriten Tagen ihrer An— weienheit, da Vroni noch nicht völlig Beſcheid wußte im ganzen Haufe und in allen Erfordernifjen der Wirtichaft und ſich deshalb mit häufigen Fragen an Jörg menden mußte, dieſes Verhalten nicht jo fühlbar und merflih wurde jpäterhin trat e3 um jo deutlicher hervor, fo daß e3 dem jungen Meiiter des öfteren jcheinen wollte, al3 ob Vroni gefliffentlich ein Alleinjein mit ihm zu vermeiden juche.

Wenn Vroni mit einem der Gejellen im Ge— ipräcdhe ftand, und Jörg trat unerwarteter Weije Hinzu, jo mußte er mit Erjtaunen gewahren, wie

Die Hauferin. 443

da3 Mädchen errötete oder leicht erichraf, in der Nede ftockte, oder gar fich eilendS entfernte. Da Jörg, wie es der Zufall wollte, diefe Thatjache mehrmal3 hintereinander bemerkt hatte, wenn er Vroni mit Waftl jprechend angetroffen, jo war in ihm der Verdacht aufgeftiegen, daß zwiichen diejen beiden nun doch ein geheimes Einverftändnis aufzufeimen beginne, und bei dieſem WVerdachte regte ji) in feinem Innern eine Art von Eifer: jucht, die er ſelbſt nicht begriff denn ihm fonnte e3 ja doch völlig gleichgiltig fein, mit wen und was feine Hauſerin ſprach. Troß dieſer Verficherung aber, die er ſich ſelbſt im ſtillen gab, fing er an, die beiden jungen Leute ſchärfer zu beobachten. Wenn es ihm nun auch dabei ſo vorkam, als ob Waſtl bis über die Ohren in das Mädchen ver— liebt wäre ein Umſtand, der ihm merwürdiger— weiſe ganz begreiflich erſchien ſo konnte er doch nicht im geringſten herausfinden, daß Vroni gegen den Burſchen ſich zuvorkommender und freundlicher benahm, als gegen ſonſt jemanden freilich noch immer freundlicher, als gegen ihn ſelbſt. Und da er bemerkte, daß jenes Erröten und Erſchrecken auch eintrat, wenn er Vroni im Geſpräche mit

444 Die Hauferin.

Veit und dem Knechte betraf, oder wenn er, plöß: lich in die Stube tretend, da3 Mädchen in harm— 108 fröhlidem Geplauder mit jeinem Rinde vor— fand, jo wurde fein Verdacht immer mehr und mehr entkräftet, wenn ihm auch Vronis Gebaren hiedurch nur um fo jeltiamer erjcheinen und in— folgedeffen feine Gedanken um jo lebhafter be: ihäftigen mußte.

Sp ging ed num jeit Vronis Ankunft in die dritte Woche, auf deren Donnerjitag das Felt Allerheiligen fiel. Am Abend vorher war Jörg in Veits Begleitung nach dem Friedhof gegangen, um die Erdhügel auf den Gräbern feiner Eltern und feines Weibes zu locdern und mit ſchwarzem, feingefiebtem Sande zu einem regelmäßigen Ge: vierte aufzubauen. Bi jpät in die Nacht war er darauf mit Vroni und den Gefellen in der MWerkftätte gejellen, um für den Allerjeelentag die Trauerfränze zu winden, meift aus Waldepheu und Immergrün, da es nach dem frühgefallenen Schnee mit den Blumen recht färglich beftellt war.

ALS er dann unter Beihilfe feiner Gejellen am Allerjeelenmorgen dieje Kränze nad) dem Fried— hofe trug, war er nicht wenig überrascht, die Gräber

Die Hauferin. 445

ſchon ge= ſchmückt zu finden; auf jeden Hügel lag a % ein dicker Sranz bon Buchszweigen, in deren dunkles Grün zierlich gefertigte weiße Papier: rojen eingebunden waren, und ein gleicher, nur kleinerer Kranz Ding an jedem der drei jchmied- eijernen Grabfreuze. Jörg war überzeugt, daß diefer Beweis einer liebevollen Theilnahme nur von Vroni herrühren konnte hatte er Doc am verwichenen Tage die Buchsbäumchen in Uerles Garten bis zur Kahlheit geplündert gejehen. Jörg wäre nun am liebften jofort nach Hauje

446 Die Hauferin.

gegangen, um dem Mädchen ein Wort des Danfes zu jagen, doch mußte er bedenfen, daß er bis zum Beginne der Trauermefje wohl jchwerlich mehr bon diefem Wege rechtzeitig zurüdfehren würde.

Sine Stunde jpäter, ald der Gottesdienſt zu Ende war und die Leute aus dem breiten Portal der Kirche ftrömten, um ſich einzeln oder in kleineren Gruppen zum Bejuc der Gräber über den Fried» hof zu zerjtreuen, wollte auch Jörg noch ein- mal, eh er nah Hauſe ging, für ein kurzes Gebet die Ruhestätte jeiner Toten aufſuchen; doch fühlte er ih unangenehm berührt, ala er im Nähertreten die alte Zenz erblicte, die vor dem Grabe Franzis auf der Erde fniete, den Roſen— franz in den Händen, defjen braune Perlen fie unter halblautem Gemurmel durch die Enöchernen Finger gleiten ließ.

Jörg nickte der Alten, die freundlich lächelnd zu ihm aufblidte, einen ftummen Gruß zu, goß entblößten Hauptes und unter einem ftillen Vater: unfer das in der Kirche mit Weihwaſſer gefüllte Fläfchhen über die Gräber aus und wandte fich wieder zum Gehen. Doch hatte er die Gitterpforte des Friedhofes noch nicht erreicht, als er ſich am

Die Hauferin. 447 Rockſchoße gefaßt fühlte und Hinter ſich die Stimme der Alten vernahm:

„Vetter! Schauts! Ich mein', heut wär der richtige Tag, wo wir zwei uns wieder ausſöhnen ſollten, nachdem wir miteinander 'bet' haben am Grab von ei'm armen Menſchenkind, das doch jedem von uns gleich am Herzen g'hängt is.“

„Wegen was denn ausſöhnen?“ erwiderte Jörg ruhig und trocken. „Ich bin dir net feind und du mir wohl auch net... .”

„Nal G'wiß net! Unjer Herrgott fieht mir ing Herz, und der kann's bezeugen.“

„Ro alſo! Da is ja nachher alles in der ihönften Ordnung. Und du bift mein Basl, und ic) bin dein Vetter wie von eh. Und jomit b’Hüt dich Gott!” Damit Tüftete er den Hut, fehrte der Alten den Rüden und jtieg die fteiner- nen Stufen nad der Dorfſtraße hinunter.

„Was habts es denn aber heut gar jo eilig?“ rief Benz, während fie ihm haſtig nachhumpelte und drunten auf der Straße mit ihm Schritt zu halten ſuchte. „Schauts, wir haben ja ganz den gleichen Weg miteinander.”

„Ro, wenn grad meinſt, es hängt deine

448 Die Hauferin.

—— r

Seligkeit dran, daß du mit mir gehſt,“ brummte Jörg, „von mir aus gehſt halt mit.“

Nun ging es los bei der Alten, klipper und klapper, wie in einem Mühlwerk; alle Neuigkeiten ded Dorfes wurden durchgehecdhelt, und jeden ihrer beiderjeitigen Befannten wußte fie etwas anzuhängen. Jörg hörte das eine Zeit lang ftumm mit au, dann ward es ihm aber doc

zu Did. „Jetzt hör einmal auf mit dei'm gott3fträflichen G'ſchnader. So was is mir z'wider ... das

fönnteft von früher her wiſſen. Du bijt ja rein zum fürchten! Und dem gnad unfer Herrgott, der ziwijchen deine Zähn kommt.“

„Aber hörts, Vetter,“ entgegnete Zenz mit tiefer Entrüftung, „wie Shr jo was von mir jagen mögts, das kann ich net begreifen. Ich ved g’wiß über fein’ Menjchen was, wo ich's net verſchwören und beeidigen kann, ja, ich bin über- haupt3 gar feine Freundin vom vielen Neden. Und wann ich dem Better gegenüber von feine jogenannten guten Freund die Wahrheit jag, fo g'ſchieht's jo wie jo bloß deswegen, damit der Vetter weiß, vor wen er fich hüten und wahren muß.“

Die Hauferin. 449

„Geh mir weiter, du alte, jcheinheilige Zug: nerin, dul Sch weiß ja von eh, daß du's mit mir bei die andern grad fo machft, wie jegt mit die andern bei mir. Und weil wir jchon grad davon reden, jo jag ich dir nur das eine, daß mir’3 halt doch einmal z'bunt werden könnt, warn du dir mit nix anderem die Zeit zum vertreiben weißt, ald daß mich in deiner böjen Goſch rum— tragft im ganzen Ort und bei alle Zeut.”

„Ah! Ah! AH!” jammerte die Alte. „Ich? Den Better ausrichten! So eine Ungerechtigkeit muß ich mir jagen lafjen! Sch! Die ſich den ganzen Tag fein’ andere Müh giebt, als daß ich grad allweil rumlauf bei die Zeut und gutred und be— ihmwidtig . . . in der legten Zeit gar, wo 's Tratſchen und Ratſchen über den Vetter gar fein End mehr nimmt! Jal“

„Bas kann man reden!” fuhr Jörg zornig auf. „Raus da mit der Sprad! Wer redt was über mich?”

. „Du mein Gott, du mein Gott!“ plapperte die Alte, während jie jcheu zu den finfteren Augen des jungen Mannes aufblidte. „Wie kann man

da jagen: der hat was g’rebt, oder der und der... Ganghofer, Bergluft. 29

450 Die Hauferin.

wo alles redt und jeder. Es war überhaupts dumm von mir, daß ich davon ang’fangt hab. Aber die gute Meinung, wo ich vom Vetter... .“

„Sei ſtad jet mit deim G'ſchmalg!“ herrichte

Jörg die Schwäßes rin rauhen Tones an. „Wiſſen will ich, was man von mir Schlechts reden kann.“

Die Alte zuckte mit verlegenen Lächeln die Schultern. „Schleht3! Davon i3 ja gar fein’ Sprad) net. D'Leut reden halt jojo... und das... warn ich’8 jchon einmal jagen muß . . . wegen der Vroni!“

Die Hauferin. 451

Lautauf lachte Jörg und verdugt blickte Zenz zu ihm auf, da fie von ihrem legten Worte wohl eine andere Wirkung erwartet haben mochte. „Sal Lachts nur! Aber das hätt der Vetter doc) wohl von aller Anfang an bedenken follen, daß die Leut ſich gar ein g'ſpaßigs Versl drauf machen, warn ein junger Wittiber jo ein jungs und bild» ſaubers Deandl in fein Haus nimmt, wo niemand da 18, der drauf jchauen möcht, daß zwijchen bene zwei allweil alles in der richtigen Ordnung bleibt, jo wie’3 gut und brav is. ch weiß, ’3 Deandl jelber is brav und rechtichaffen, aber... aber...”

Jörg antwortete nicht glei) und nickte im MWeiterjchreiten nur ftumm vor fi hin. Dann wandte er der Alten plößlich das Geficht zu, und ein leiſes Lächeln umfpielte jeine Lippen, während er Zenz mit einem forjchenden Blick überflog.

„a, ja! Kannst vecht haben!“ jagte er lang— jam, und jein Lächeln verftärkte fi, als er den Ausdrud der Freude gewahrte, der in dem Ant: fig der Alten aufbligte. „Und ich dank dir Halt recht jhön, daß du mich da drauf aufmerkiam g'macht haſt . . . und ich werd wohl bald dazu ſchaun müſſen, damit das G'red ein End nimmt.”

452 Die Hauferin.

„5a, Vetter, ja,” mahnte die Alte gejchäftig, „machts nur, daß Ihr's fortbringts aus'm Haus. Brauchts ja net weit z'ſuchen um eine andere, die beſſer ...“

„Na, na, ſo mein' ich's net!“ fiel Jörg ihr ins Wort. „Sch denk mir, daß d'Leut ſchon von jelber 's Reden aufhören, wann j’ erfahren, daß die Broni mein Weib wird.”

Zenz erblaßte bis in die Lippen, die Augen quollen ihr aus den Lidern, und ihre Hände be— gannen zu zittern. „So? So? So alſo ſteht's!“ feuchte fie in jhäumender Wut. „Und jegt, wo die jaubere Harmante Schon fertig und ſchön in Ordnung i8... jest erſt muß ich’3 erfahren... mitten auf der Straßen... erfahren, daß in dem Haus, das meiner Franzi jelig g’hört hat, jo eine herg’laufene Perſon ſich breit machen joll, Die droben am Einödhof mit Schand und Spott da= vong’jagt worden is, weil ſie's mit alle Knecht g'halten Hat und zuguterlegt auch noch den Bauern john hat einfadeln wollen... .“

„Zenz! Nimm dein Reden in acht!“ drohte Jörg, während er die Alte zornig am Arme rüttelte.

Die Hauferin. 453

„Nimm lieber du dich in acht, dab bis in ein paar Tag net 's ganze Ort nach dir mit die Finger zeigt!” keifte Zenz, und Gift und Galle lagen im Ton ihrer Stimme, ala fie weiterjchrie: „Jetzt freut’3 mich erjt, daß ich recht g’habt hab’, wann ich all deine Nachbarleut fchon lang hab willen laſſen, was für eine fündige Natter rum— frieht in dem Haus, wo nad) Verwandtichaft und Gottesrecht ich und meine Kinder mit dir an ei’m Tiih figen müßten. Ganz recht jo! Nur zul Ich mwünjch Dir guten Appetit zu dem, was andre überg’laffen haben . . . wann dir unfer Herrgott net vor der Zeit d'Sucht an’ Hals ſchickt, damit dein Büberl an dei’m Laiter noch büßen muß, wann jeine Stiefmutter ihm Hab und Gut vers praßt mit ei'm von ihre keuſchen Joſeph. Pfui Teufel!" AU ihre Wut und Verachtung legte Zenz in dieſe beiden legten Worte, bei denen jie vor Jörg auf die Erde ſpuckte, um dann eilig das Weite zu fuchen.

„Halt, Alte, halt!“ rief Jörg, während er jie einholte und ihren Arm umflammerte, daß Zenz unter dem Schmerz diejes Drucdes wimmernd den einen Fuß in die Höhe hob. „G'wußt hab

454 Die Hauferin.

ih jchon lang, was ich an dir für eine jaubere Berwandtichaft Hab. Aber weil ich’3 halt gar jo gern mit deine eigenen Wort hätt hören mögen... ihau, Alte, nur deswegen hab ich dir vor’plaujct, daß ich die Vroni zum Weib nimm, was mir big heutigentags noch niemals, net einmal im Traum eing’fallen is. Ich weiß ſchon, daß dir nix lieber wär, als wann ich ledig blieb oder gar über Nacht veriterben möcht, daß du mit deiner Sippichaft herfallen fönntit über mein Sad, wie D’Aasraben über ein verpfudelts Wildſtück. Jet jag ich dir nur noch das Eine: ’3 gringfte fchiefe Wörtl wann ic) hör von ei’'m Nachbarn oder jonft wen, dem du was aufg’redt Haft über mich oder über das brave Madl, das für mein Büberl jorgt, ala ob's jeine Mutter wär... . nachher fehr ich einmal den Stiel um mit dem Tratjchen, und ’3 ganze Ort joll willen, weshalb ich dich eigentlich naus— g’worfen hab zu mei'm Haus... du Spigbübin! Sa! Und dag Eine kannſt auch noch willen: daß id; mir von heut an d'Vroni erſt richtig anſchaun will; denn ein Deandl, von dem du nur Schlechts zum reden weißt, das kann nur gute Eigenjchaften haben, mehr noch, als ich bis jeßt jelber "glaubt

Die Hauferin. 455

hab... und wer weiß, ob aus dem Spaß net bald richtiger Ernjt wird... . grad dir zum Fleiß!”

Schritt um Schritt hatte Jörg die Alte mit fich fortgezogen; nun ließ

er ihren * Arm fah— a / ven, und Zenz, die in A 3 * lautloſer Erſtarrung N nur immer zu den . | * ſprudelnden Lippen des jungen Meiſters aufgeblickt hatte, ſtolperte über einen Stein und fiel der Länge nach in die dicke Weißdornhecke, welche den Fußweg be—

gleitete. Als Jörg ein paar Minuten ſpäter ſein Haus

456 Die Hauferin.

erreichte und in die Stube trat, dedte Vroni ge— rade den Tiſch.

„Grüß dich Gott!” rief er dem Mädchen jchon unter der Thüre zu. „Gelt, die Burkränz draußen auf meine Gräber find von dir?“

„Ja!“ Errötend neigte Vroni das Gelicht. „Ich hab mir halt ’denft, e3 is jchon noch ein Plagl neben die deinigen.“

Jörg war an den Tiich getreten, den Hut noch auf dem Kopfe, und faßte Vronis beiden Hände „Sch dank dir jhon recht, denn ich muß div jagen, es hat mich gar arg g’freut.”

„Aber ich bitt, Wanger . . .*

„Ra, na! Sei nur net gar jo bejcheiden. Wegen ei'm guten Werk braucht man net verlegen z’werden. Es is jchon wahr, daß man jelber net viel drüber reden fol, aber ein ehrliches Dant- wort fann man doch anhören,“

Vroni befreite ihre Hände, und während jie die Beſtecke aus der Tiſchlade nahm, fragte fie: „Waren viel Leut draußen am Gottsacker?“

„Ro, das kannſt dir denken; grad g’wimmelt hat's,“ erwiderte Jörg, während er den Hut ab» legte und den langen, Schwarzen Rock gegen eine

Die Hauferin. 457

Hausjoppe vertauichte; dann ging er auf feinen Sungen zu, der jonntäglich angefleidet in der Wiege jaß.

„Datte, Datte! Tau! Tau!“ jauchzte der Kleine, während er dem Vater in den winzigen Händchen ein ſeltſam geformtes Spielzeug ent: gegenbhielt.

„Schauen jol ih? Was ſoll ich denn ſchauen?“ lachte Jörg, zog einen Stuhl zur Wiege und ließ jich nieder. „AH, das is aber was Schöns!“ rief er, den Verwunderten jpielend, und bejtaunte mit offenem Munde das fleine, hölzerne Roß, deſſen Mähne durch lange Boriten veriinnbildlicht wurde, und dem an Stelle eines Schweife eine Pfeife eingejegt war. „Ja Görgele, jag nur grad, wo halt denn das her?“

„ont, Oni!“ jubelte das Kind, deſſen Fröh— lichkeit noch gejteigert ſchien durch die Bewunde— rung, welche ſein Spielzeug erfahren hatte.

„So! Von der Vroni haſt es?“

„Ah na!“ fiel das Mädchen ein. „Mein' Mutter hat's ihm 'bracht. Sie hat auf ein' Sprung zug'ſprochen, eh ſ' in Kirchen 'gangen is.“

„So, jo! Wann du ſ' wieder ſiehſt, ſagſt ihr

458 Die Hauferin.

halt, ich laß beitend danken.” Forſchend hingen bei diefen Worten Jörgs Augen an Vronis Ge— ſicht, deſſen Profil fih vor dem hellen Fenſter klar und deutlich abzeichnete, und ein verſtecktes Lächeln zuckte um jeine Mundwinkel, während feine Blicke niederglitten über die wohlgeformte, ſchmiegſame Seitalt; er dachte im ftillen der legten Worte, mit denen er Zenz abgefertigt hatte. Freilich fielen ihn dabei auch jene Verdächtigungen ein, welche die Alte gegen Vronis Ehrbarfeit erhoben hatte.

„a, du... was ich jagen will,“ plauderte er in guigejpielter Harmlofigfeit weiter und hob das Kind auf feinen Schoß, „weißt, wen ich nad) der Kirchen ’troffen Hab?“

„Na; wie foll ich denn das willen!“

„Den Sohn vom Einödbauern.“

„So! Wie fommt denn aber der heut da runter? Der Einödhof g’hört doch net in unjer Pfarrei.“

Eine dunkle Röte ſchoß bei dieſem gleichgiltig geſprochenen Einwurf in Jörgs Wangen. „Ja, ja ... das hab ich mir aber auch gleich 'denkt. Ich bin aber net z’veden foınmen mit ihm. Sag...

Die Haufertn. 459

was i3 jegt da Wahrs dran... id) Hab g’hört, er hätt dich heiraten wollen?”

Vroni zudte die Achjeln. „Wenigjten hat er's g'ſagt.“

„Und du haſt net mögen?“

„Ra!“

„Schau... das thät mich jet doch inte- rejlieren, warum net?”

„Weil meiner Meinung nad zum Heiraten noch was anders g'hört als ein Burjch und ein Bauernhof.”

„Aber ſag . . .”

„Jeſſes, die Suppen lauft über!“ jtanımelte Vroni plöglih und verließ die Stube. Draußen im Flur blieb fie einen Augenblick aufatnend jtehen, danı ging fie langjam in die Küche, trat auf das Fenſter zu und preßte ihre Stirn an die jonnige Scheibe.

Sp verharrte fie lange Minuten; da hörte fie die Kiichenthüre leife fnarren und jah, als jie jih Haftig vom Fenfter wandte, Waſtls dunkle Geſtalt in der Thüröffnung ftehen.

„Du biſt's!“ fang e3 im Tone willflommener Enttäufhung von ihren Lippen.

460 Die Hauferin.

„Sa, ich bin's!“ entgegnete der Burſche, während er vollends über die Schwelle trat und hinter ji die Thür ins Schloß drüdte.

„Was willſt denn?“

„Reden will ic mit dir!” ſtieß Waſtl mit

aedämpfter Stimme zwi—

ichen ſchmalen Lip- pen hervor. „Re= den will ich, weil ich reden muß, weil ich’3 nimmer aud= halt in mei'm Zwiejpalt. Der Tag is mir ver: bittert, und in der Nacht hab ich fein’ Ruh... drum will ich einmalein End maden, ſei's jegt zum Guten oder zum

Schlimmen. Was jchauft mich denn jo an, als ob net wüßteſt, wie’3 fteht um mich und ntein’ Frieden. G'wiß wahr, auf mein’ Seligkeit möcht ih verzichten, wann ich einmal an einer Sünd im Fegfeuer nur halb jo zum büßen hätt, wie

Die Hauferin. 461

ich all die drei Wochen her dasſelbig leichtfertige Wort hab büßen müffen, das ich an dem Tag, wo du kommen biſt, g’jagt hab über dich.“

„Aber ſchau, Waftl, da dran denk ich ja jchon lang nimmer!” unterbrady ihn Vroni.

„Eben drum . . . drum is ja alles jo 'kom— men. Wärſt grob gegen mich g’wejen und ungut, wie ich’3 verdient hab, jo müßt ich mich jeßt net plagen und fretten mit den, was deine Gutheit verichuldet hat.“

„Berichuldet? Was verjchuldet?“

„Berfchuldet, daß mir 's Leben z’wider is ohne Dich,“ brach es mit jolcher Leidenjchaft aus dem Burjchen hervor, daß Vroni erſchrocken vor ihm zurückwich, „verjchuldet, daß ich bei leben— digem Leib ein g’ftorbener Menjch bin, wann du net jagt, daß mir ein bißl gut bift, und wann's nur foviel wär, daß ich draus Hoffen möcht, es fönnt mit der Zeit noch einmal was werden mit ung.” Schweratmend ſchwieg er und hing mit bangen Bliden an Vronis Gelicht, deffen Bläffe der Wi- derichein des fladernden Herdfeuers verjchleierte.

„So fteht’3 mit dir?” klang es nad) kurzem Schweigen langjam und leije von den Lippen des

462 Die Hauferin.

Mädchens. „Aber unjer Herrgott ſoll mir hel- fen... ih hab mit Wiljen und Willen g’wiß nir dazu ’than.“

„Was brauchit da unjern Herrgott anz’rufen,“ gab der Burjche bitter zurüd, „das kann ich dir jelber bezeugen. Aber wanır ich mir gleich hun— dertmal im Tag und in der Nacht vorg’jagt hab: Sei net fo narriſch, fie will dir nie! ... doch allweil hat mein’ Hoffnung wieder g’redt in mir, bis mich’3 her’trieben hat zu dir mit der Frag, die mir mein’ Ruh wieder geben joll, jo oder jo.“ Er trat auf Vroni zu und faßte ihre Hand. „Deandl, nimm dein G'wiſſen z'ſamm, eh mir das legte Wörtl ſagſt . . . ſchau mid) an, wie ich bin, in mir jelber und zu dir . . . und nachher... .“

„Wajtl!” unterbrach Vroni den Burſchen mit bewegter Stimme. „Sei g’iheid! Schau, mas jollen wir jegt da noch lang weiter reden in einer Weis, two div und mir nur weh jein muB dabei. G'wiß bin ich dir gut, von ganzem Herzen... weil ja doc troß allem ein braver, redlicher Burich biſt . . . aber jo gut, wie du meinst und ver— langt, das kann ich dir net fein und auch niemals werden im Leben.“

Die Hauferin. 463

„Bann das jegt jchon jo ſicher jagen kannſt,“ erwiderte der Burſche mit unwilligem Ton, „io mußt ja wohl dein’ ganz g'wiſſen Grimd haben. Und ſchau . . . da möcht's mich doch intereflieren, wie er heißt mit Vor: und Zunam... der Grund.“

Vronis Stirne verdüjterte fih. „Und wenn’s jo wär, jedenfall wär das nachher mein Sad allein und g’höret net daher. Aber wie jchon ein: mal alles liegt . . . hau Waſtl . . . nimm dich z'ſamm als ein richtigs Mannsbild. Mit gutem Willen kann der Menſch gar viel niederdruden... die Zeit thut g'wiß auch das ihrige . . . und wann nachher... .“

„Laß gut fein!“ unterbrach der Burjche mit rauher Stimme. „Wie ich dran bin mit dir, das weil ich jegt g’nauer als mir lieb is . . . und da kannſt nachher auch dein’ Tröftung fparen. Dir aber möcht ich nur da3 Eine wünſchen, daß du mit dei'm Herzen net auch einmal wo hing’vateft, wo man dir 's Haus veriperrt und wo nachher da— jtehit, verlafien und allein zum Erbarmen!” Haftig wandte er fich ab, ging mit jchweren Tritten der Thüre zu und verſchwand im Dunkel des Flurs.

In ftummer Bewegung blikte Vroni dem

464 Die Hauferin.

Burjchen nad), und feufzend fuhr fie mit der Hand über die feuchten Augen. „Schad nur, daß er ihon lang z'ſpät fommt, der gute Wunſch!“ Eine Viertelftunde jpäter jaßen die fünf Be— wohner des Wagnerhaujes um den Mittagstiich. Das Eſſen verlief ſtiller als gewöhnlich. Waſtl

ſprach nicht ein einziges Wort, wenig und ſchaute verdroſſen nur immer auf ſeinen Teller nieder. Veit war an und für ſich nie recht zum Plaudern aufgelegt, und der Knecht war zu ſehr mit ſeinem ſtets gefüllten Teller beſchäftigt, um ans Reden denken zu können. Vroni, die das Kind auf dem Schoße ſitzen hatte und ſich anfangs

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alle Mühe gab, ein Geſpräch in Gang zu bringen, wurde auch bald ftill, da fie, jo oft fie auf: blickte, Jörgs forſchende Augen auf fich gerich- tet jah.

Al man die Mahlzeit beichlofien und das Gebet geiproden, reichte Vroni, um abräumen zu können, den Wanger das Kind, und während fie die Beſtecke zuſammenlas, fragte fie ihn, ob jie des Nachmittagd nad) vollendeter Arbeit ihre Eltern bejuchen und dabei den Kleinen mit ich nehmen dürfe, was Jörg ihr bereitwillig zujagte.

Als der Tiih in Ordnung war und Vroni da3 Geſchirr mit ſich forttrug in die Küche, zahlte Jörg dem Knecht und den beiden Gefellen den Lohn für dem verwichenen Monat aus. Weit und der Knecht jacten ihr Geld ein und gingen, wäh- rend Waſtl zögernd am Tiſche ftehen blieb.

„Willſt noch was?" fragte Jörg.

„Ja, kündigen will ich!” ftieß der Burſche hervor und ftarrte über den Meifter weg auf das Fenſter.

„Was! Kündigen! Und darf man auch wiſſen, warum? Is dir vielleicht die Koſt zu ſchlecht, oder

die Arbeit zu viel, oder der Lohn zu g'ring? Ganghofer, Bergluft. 30

466 Die Hauferin.

Oder fanuft dich vielleicht beklagen, daß von mir net g'halten wirſt wie ein richtiger G'ſell?“

„Bon all dem is fein’ Ned net,” entgegnete MWaftl, ohne fih zu rühren, „und Ihr dürfts mir glauben, Wanger, aufs Wort, daß ich ungern fortgeh. Aber fort muß ich!“

„Jetzt geh weiter und mach feine Narreteien da. Du weißt, daß ich dich notwendig brauch in der Arbeit. Und daß ich mir net leicht ein’ beijeren G'ſellen z’finden weiß, das kann ich dir ohne Schmeichelei jagen. Drum überleg dir's . . . und wenn was zwiſchen ums i8, was dir net recht 16,

„Sch ſelber bin mir nimmer recht!“ murrte Waſtl vor fih Hin. „Und der Grid, warum's jo iS, der bleibt bejjer ung’jagt. Ih will Euch aber deöwegen net in Verlegenheit jegen, und ſo— lang, bis ein anderer G'ſell fommt, will ich ſchon noch bleiben.”

Jörg zucdte ärgerlich mit den Achjeln. „Mit G'walt fann ich dich net Halten." Er erhob ſich und jchritt ein paarmal im Zimmer auf und nie= der. „Acht Tag is Kündigungszeit... da kannſt nachher gehn, wann jchon meinft, e8 muß fein.“

Die Hauferin. 467 Dabei lehnte er fich in die Fenfterniiche, wijchte die Scheiben ab und jchaute auf die Straße hinaus.

„Seid mir jegt bös?“ fragte Waſtl.

„Ah na!“ erwiderte Jörg fur; und troden.

Eine Zeit lang blickte der Burfche noch zau— dernd vor jich nieder, dann warf er unmutig den Kopf auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Stube.

Nachmittags jpielte Jörg den Haushüter; er ja am Tiſch und mühte jich, die Arbeitsverrech— nungen de3 legten Monats ins reine zu bringen. Gar manchmal legte er dabei die Feder nieder, und den Kopf mit beiden Wangen in die Hände geitügt, blickte er finnend umher in dem einſamen Gemach. Dft war es ihm, ald müfje er draußen im Flur oder drin in der Kammer den leiien Hall eines leichten Fußes vernehmen, aber alles blieb jtil. Ein feltjames Gefühl von Verlafjenjein überfam ihn. Und doch hatte er nicht den Mut, dem Urgrund diefer Empfindung aufrichtig nach: zujpüren er fchrieb fie auf Rechnung des jtillen Allerjeelentagd.

Die folgende Nacht Hatte einen ſtarken Froit

468 Die Hauferin,

gebracht, und bis fpät in den Morgen fämpfte die Dämmerung mit einem Tage, deijen Himmel mit jchweren, bleigrauen Wolfen dicht behangen war. Auf den Bergen war bereit? in den Früh— ftunden tiefer Schnee gefallen, und ein paar Stunden nad Mittag, als Jörg fein Haus ver- ließ, um einen Gejhäftsgang zu machen, wirbeltenr auch im Thal die diden weißen Flocken über Dächer und Gärten nieder.

Mit rüftigen Schritten wanderte Jörg, den Hut tief in das Gefiht gedrüdt und die Hände in den Rocktaſchen geborgen, die menjchenleere Dorfitraße Hinunter und lenkte auf den Markt: plag ein, wo ein paar Buben fih im friſchen Schnee umeinander balgten. Während er am Haufe des Schreiner8 vorüberging und zufällig den Kopf hob, gewahrte er am Fenfter das Gefiht der alten genz, welde haftig zurüdfuhr, als fie feiner an— jihtig wurde. Hörg lächelte.

Doh war er noch feine Hundert Schritte weitergewandert, als am Schreinerhauje die Flur— thür Sich langjam öffnete und Zenz über die be= ſchneite Schwelle trat. Mit vorgebeugtem Kopfe ihaute fie dem Wanger nah, und als ihr jeine

Die Rente 469

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470 Die Hauferin.

Geftalt unter den wirbeinden Flocken verichwand, hufchte fie da3 Haus entlang, bog um die Ede, und während fie ihr blaues Tajchentuch über die dünnen grauen Zöpfe band, eilte fie dem Garteı zu. Daun jhürzte fie die Röde und tappte mit langen Schritten durch den Schnee der Wiejen in gerader Richtung dem Haufe Jörgs entgegen.

Dort angelangt, ftreifte fie an der Kante der fteinernen Vorſchwelle den dickſten Schnee von den Schuhen, jchüttelte die Kleider, trat in den Flur und öffnete die Stubenthüre.

„Srüß Gott, VBroni! Is mein Vetter das heim?” rief fie mit überfreundlihem Lächeln dem Mädchen zu, das mit einer Flickarbeit am Tiſche aß, während das Kind auf der Erde mit Hobel- ſpähnen jpielte.

„Ra! Grad vor ein paar Minuten iS der MWanger aus dem Haus!” antwortete Vroni.

„Jetzt das is mir ſchon gar net vecht,“ erwiderte Benz, während fie die Thüre zudrüdte und fich dem Tiiche näherte. „Und ich hätt jo was Wichtigs mit ihm z'reden. Wann ich aber ſchon einmal ein' Metzger— gang g'macht hab, ſo mußt mir wenigſtens erlauben, daß ich mich ein bißl ausraſt, eh ich wieder geh.“

Die Haufertn. 471

„sh hab da nir zu erlauben; du Haft ja mehr Recht in dem Haus als ich,“ jagte Vroni, wobei fie über ihre Näharbeit hinaus einen Blick nad) der Alten warf, die ſchon in die Bank ge— rutjcht war und das Kopftuch abgenommen hatte.

„Mehr Recht als du!” erwiderte Zenz mit gezwungenem Lächeln. „No weißt, wie man’s halt anſchaut.“

„Wieſo?“ fragte das Mädchen, das von dem Ton diefer Worte ſich unangenehm berührt fühlte.

„Du mein Gott! Wiejo? Weil die Jungen halt allweil mehr Recht haben, als die Alten, b’jonders warn ſ' jo fauber find wie du. Kannſt mir'3 glauben, mein Vetter halt gar arg viel auf did. Erſt geſtern,“ ein lauernder Blick begleitete diefe Worte, „ja, geitern nach der Kirch) Hab ich ihn ’troffen, und da Haben wir mit einander jo g’redt drüber. Hat er dir nir g’jagt Davon?“

„Daß er Dich ’troffen hat? Na.”

„38 g'wiß wahr?“

„Kein Sterbenswörtl.”

„Schau, hau!” erwiderte Zenz, während fie nachdenklich den Kopf zwiichen den Schultern wiegte. „Und wie bift du denn mit ihm z'frieden?“

472 Die Hauferin.

„Da drüber hab ich fein’ Meinung net,“ gab Broni kurz zur Antwort. „Sch bin fein Dienft- bot und hab nur drauf z'ſchauen, daß er über mich net z'klagen hat.“

„Ro weißt, jo fünf Schritt vom Leib kann man's auch ganz gut bei ihm aushalten, aber in der Näh b’ichaut, hat er Halt Doch feine fchiechen Seiten. Das hat jein Weib gar bitter erfahren müflen . . . unjer Herrgott hab’3 jelig!“

Vroni runzelte unmillig die Stirne. „Zenz, ich hab’ net gern, wenn man von Zeut übel redt, die net da find, und b'ſonders in ihrem eignen Haus. Was aber die Art und Weis betrifft, wie der Wanger zur Franzi jelig war, jo braud ich da gar fein’ Aufklärung net. Sch kenn die Wahr: heit grad jo gut wie du... wann aud) das, was ich weiß, ’3 ganze Gegentheil von dem is, was du jagen milljt.“

„Seh, jo g’nau haft dih um'than?“ fragte die Alte gedehnt, während ein häßliches Lächeln ihren Mund verzerrte. „Da muß dich der Jörg und jein Hausglück fchon recht arg interejliert haben.“

Vroni hatte jich zu dem Kinde niedergebeugt,

Die Hauferin. 473

und es mußte ihr da— bei wohl das Blut in den Kopf geitiegen jein, denn als fie dad Geficht wieder hob, waren ihre Wangen tief gerötet.

„No, der Jörg hat’3 auch verdient um Dich, daß gut von ihm denkſt und redit,“ ſprach die Alte weiter, nachdem jie eine Weile vergebens auf Vronis Antwort gewartet hatte. „Er jelber is ja auch gar fürdtig b’iorgt um Dich und dein’ guten Auf... jo hat er wenigſtens g’jagt.”

„Zenz!“ fuhr das Mädchen auf und maß das jpöttiich lächelnde Geficht der Alten mit zornfuns

474 Die Hauferin.

felnden Augen. „Eritens einmal glaub ich gar net, daß der Wanger von jo was g’redt hat, am mindeften zu dir . . . und nachher iS mein Auf ein jolcher, daß fich überhaupt fein Menſch drum jorgen braucht. Mein’ eigene Sorg reicht da völlig aus.”

„Du thuſt ja grad, ala ob ih was Schlechts von dir g'ſagt hätt! Gott jol mich bewahren! Sp was fallet mir ja net im Schlaf ein. Aber weißt, Deandl, d'Leut find gar jchlimm und reden mehr als in der Ordnung, ob jegt der Tag fur; oder lang is. Und zwei junge Menjchen, wie der Jörg und du, in ei'm Haus beifamm, wo j’ nix auseinanderhalt als d'Luft . .. mein, Deandl, das is Waſſer auf ſolcher Leut ihr Mühl. Schau, ich hab's geſtern dem Jörg in beſter Abſicht vor— g'halten, und er hat's auch eing'ſehn, daß ich recht hab. Freilich, daß er dich aus'm Haus laſſet, da— von hat er nix wiſſen wollen... hat auch recht, denn eine Hauferin, wie du, Eriegt er wohl net jo bald wieder! Und es wär auch jchon z'ſpät mit dem Fortgehn, denn d'Leut reden jchon alles z’viel. Sa, ja! Aber brauchit dich deswegen net jorgen. Der Jörg is, wann er grad mag, ein ganz guter

Die Hauferin. 475 Kerl. Und jo hat er g’meint, wann’3 mit dem G'red anders fein Aufhören nimmt, jo könnt er dic ja heiraten aud. Denn ob er fi eine Haus jerin zahlt oder ein Weib, das kommt am End aufs gleiche Geld maus. Und du kannſt dir's ja g'fallen laſſen . . . mein Gott, jo ei'm Anweſen z'lieb ſchluckt man gar viel.“

AU das hatte die Alte langſam, in einem anscheinend mwohlmeinenden Tone vor fi hinge— plaudert, während fie jpielend die Zipfel des Halstuches um ihre Finger widelte. Nun aber, da fie geendet, warf fie einen jcheuen Blick zu Broni hinüber, die mit leichenblafiem Gefichte dafaß, den Kopf an die Wand gelehnt, und mit weitoffenen, thränenfeuchten Augen vor fich ing Leere ſtarrte.

„Ja was haſt denn jetzt?“ fragte Zenz mit einem Lächeln, deſſen Spott ſie vergebens in einen Schein von Freundlichkeit zu mildern verſuchte.

„Nix!“ ſtieß Vroni unter ſchweren Atemzügen hervor, während ſie aufſprang. „Aber ich muß jetzt fort und 's Bier für die G'ſellen holen.“ Dabei blieb ſie, mit einer Fauſt auf den Tiſch geſtützt, vor der Alten ſtehen, als erwartete ſie,

476 Die Hauferin. daß Zenz num ebenfalls ſich erheben und die Stube verlafien würde.

„So, fo, 's Bier mußt holen? Sa, ja, geh nur!“ erwiderte die Alte, ohne fi zu rühren. „Ich thu Dir ſchon den G’fallen und bleib derweil beim Kind. Mitnehmen kannſt es ja doch net bei dem Schneeg’itöber.”

Einen Augenblik ftand Vroni unſchlüſſig und schaute durch die Fenfter nach der Straße hinaus, als hoffte fie, daß jemand käme. Dann fchüttelte jie den Kopf, ftrih mit den Händen über Die Stirne, beugte ſich zur Erde nieder, hob den Kleinen empor und trug ihn nad) der Wiege, während fie Kuß um Kuß auf des Kindes rote Wangen drüdte,

„Ra! Wie du an dem Kind! hängſt!“ lachte genz. „Das kriegt wahrhaftig eine gute Stief- mutter an dir.”

Vroni erwiderte fein Wort, fondern ging, ohne einen Blick auf die Alte zu werfen, dem Geſchirrſchranke zu, nahm einen hohen Steingut- frug und verließ die Stube.

Da hob Zenz ihr Geficht, und während ihre Hände zu zittern begannen, laujchte fie mit fun— felnden Augen und offenem Munde dem Geräuſch

Die Hauferin. 477

der auf: und zugehenden Hausthür und den rajc) verhallenden Tritten des Mädchens. Nun fprang jie auf, zog einen Schlüffelbund aus der Tajche und Hujchte auf den Eleinen Wandjchranf zu, dem der Wanger damal3 das Geld entnommen, als er ihr zum Abſchied den rück— ftändigen Lohn auöbe- zahlt Hatte. Der Schlüſſel, den fie aus— ſuchte, paßte genau in das Schloß, das Thürchen ESSEN öffnete fich, und mit F BR beiden Händen in die Höhlung greifend, padte die Alte den klingen— den LZederbeutel und Jörgs Tajchenuhr mit der dicken, jilbernen Kette. Haftig ſchob fie Die beiden Saden in ihre Roctafche, veriperrte das Thür: hen wieder und eilte aus der Stube.

Als fie nah einigen Minuten zurückkehrte, ging fie auf den Ofen zu, öffnete die Feuerlucke

478 Die Hauferin.

und warf den leeren Lederbeutel in die Glut. Da ſchrak jie zufammen draußen im Hof Elangen polternde Tritte, und fnarrend öffnete fich Die Hausthür.

Jörg war von ſeinem Geſchäftsgange zurück— gekehrt und ſtand im Flur, den Schnee von ſeinem Hute ſchüttelnd. Als er ſich der Stubenthür zu— wenden wollte, fiel ſein Blick auf die Stufen der hölzernen Treppe.

„Jetzt is da wieder einer von euch mit naſſe Füß über d’Stiegen naufl“ rief er mit lauter Stimme gegen die Thüre, die zur Werkſtatt führte. „Da könnt ja d'Vroni net gnug pußen und fegen.“

„Ah na,” Hang Veit Stimme zurüd, „von una zwei war feiner droben.“

„Ro, wer denn ſonſt!“ brummte Jörg, jchlug ärgerlich die Hausthür zu und trat in die Stube. Kaum wollte er jeinen Augen trauen, als er Zenz neben der Wiege auf den Dielen knieen jah. „Ya hörit! Daß du nach der Art und Weis, wie wir zum legtenmal außeinander ’gangen find, noch die Kuraſch hättft, ein’ Schritt über mein’ Schwellen z machen, das hätt ich mir doch net denkt. Aber was is denn . ..“ dabei ging er auf den Ofen

Die Hauferin. 479

—h

zu und öffnete das Bratrohr, „was riecht denn Daherin gar jo fürdhtig? Grad wie verbrennte Haar?” Und wieder wandte er fich zu der Alten; „Was willit denn von mir?“

„ir will ich, denn zu Dir bin ich net 'kom— men!“ entgegnete fie trogig, während fie ſich er— hob und den Staub von ihrer Schürze wilchte. „Ich hab ja g'wußt, daß net daheim biit, und drum hab ich g’meint, ich will mei'm Kleinen Wet: terl da ein’ B’juch machen, nach dem's mich gar jo furdtbar b’langt hat in die legten Wochen. Weil aber jest da bift, jo will ich dich gar net jchenieren und geh jchon wieder.“ Zenz hatte das jehr gerührt vor fich hingeſprochen, und es jchien, daß die Rührung ihr jogar Thränen erpreßte, denn al? fie auf den Tiſch zuging, um ihr Tuch zu holen, wiſchte fie mit den Fingerfpigen ein paarmal über die Augen.

„Das is aber jchon g’ipagig,“ entgegnete Jörg troden, „daß ic) von deiner jtarfen Lieb zu mei'm Kind früher nir g'merkt hab, wie dich den ganzen Tag drum jorgen hättit jollen. Aber wo is denn die Vroni?“

„Brad den Augenblid i3 fort,” gab Zenz

480) Die Hauferin.

haftig zur Antwort. „Sch mein’, du müßteft ihr draußen im Hof begegnet fein... aber wenn net, jo brauchit dich net jorgen, fie wird gleich wieder da jein. Grad ’3 Bier für die G’jellen holt ſ'. Und drum will ich weiter net ftören. B’hüt dich Gott.“

„Bart ein bißl!” erwiderte Jörg, während er der Alten den Weg vertrat. „Weil ſchon ein— mal da biſt, hab ich grad was ausz'karteln mit dir... ich hätt Dich deswegen heut jowiejo noch aufg'ſucht.“

„Jetzt da bin ich aber neugierig!“ ſagte Zenz mit etwas unſicherem Ton.

„Weißt, wo ich grad war? Draußen beim Nagelſchmied! Aha! Haſt ein ſchlechts G'wiſſen, weil gar ſo kasweiß wirſt? Drum ſag's nur gleich raus: was haſt ang'fangt mit dene ſieben Mark, wo ich dir vor vier Wochen 'geben hab, daß meine Rechnung draußen zahlen ſollſt? Ned!”

„sa, ja... jest fallt's mir ſchon ein... jeſſes, jeſſes . . . da hab ich ſellmals ganz drauf vergeſſen, daß ich's dem Vetter g'ſagt hätt,“ ſtot— terte Zenz, während ſie Schritt um Schritt vor Jörg zurückwich. „Wißts, Vetter, ich hab den Nagel— ſchmied net 'troffen, ja, und die nächſten Tag drauf

Die Hauferin. 481

bin ich nimmer dazu 'kommen, daß ich naus'gangen wär, ja, und jo hab ich halt das Geld nad und nach in der Wirtichaft auf’braucht, ja. Aber Vetter, no freilich, ich hab’3 Euch ja verrechnet, g'wiß!“

„Ah na! Da weiß ich nir davon. Aber ich will mit dir wegen dem Vettel net lang rumjtreiten. Sch gieb dir jegt das Geld, nachher gehit maus zum Nagelichmied, und in einer halben Stund bringſt mir die quittierte Rechnung.” Kurz wandte ſich Jörg von der Alten ab und jchritt auf den Wandſchrank zu.

Zenz mußte fich, als fie das jah, mit beiden Händen auf die Tilchplatte ftügen, um im eriten Schred nicht umzuſinken. Aber nur einen Augen: blick währte dieſe Anwandlung, dann lagerte ſich freher Trog auf ihrem Gejicht, und lauernden Blickes verfolgte fie die Bewegungen Jörgs, der den Schlüffel aus der Tajche hervorfuchte und das Thürchen aufiperrte.

„sa Himmel...” rief er aug, kaum daß er einen Bli in den Schrank geworfen, „da is ja fein Geld net da! Und mein Uhr is auch fort! Teufel noch einmal!”

„Heiliger Gott! Der Vetter wird ja doc) wohl Ganghofer, Bergluft. 31

482 Die Hauferin.

net ausg’raubt worden fein!” jammerte Zenz, wäh rend fie an Jörgs Seite herantrat, der mit ha= jtigen Händen in der Wandhöhlung umeinander framie, „Wer Fremder fann doch da net ’rein- fommen fein! Und Die G'ſellen und der Knecht find doch auch redliche Leut! Und die Vroni ... no ja, d'Vroni kenn ich freilich net ſo g'nau, daß ich ſagen möcht, ſie wär zu ſo was im ſtand oder net—

Dunkelrot war Jörgs Geſicht, als er die Schrankthüre zuwarf und Zenz mit einer vor Erregung heiſeren Stimme anſchrie: „Na, na, na! In mei'm Haus is kein Spitzbub mehr, ſeit du draußen biſt. Und eh ich auf eins von meine Leut den g'ringſten Ver— dacht wirf, möcht ich lieber glauben, daß du, wie mich auf der Straßen g’jehn haft, eigens zum Stehlen her— 'kommen biſt. Weißt, bei dir kenn ich mich aus!“

7 ne

Die Hauferin. 483

„Jeſſes na! Vetter!” freiichte Zenz. „So was muß ich mir jagen laffen! Da... da...“ Mit beiden Händen fuhr fie in die Röcke und ftülpte die leeren Taſchen um, „da ſuchts mich aus, ftellts mic meinetwegen am Kopf, und warn ein Zehner! aus mir rausfallt, jol mich gleih am Platzl der Teufel holen!“

Ein paar Schritte trat Jörg zurück, maß mit einem falten, forjhenden Blick die Geftalt der Alten, dann jchweiften jeine Augen durch die ganze Stube, und nun gewahrte er unter dem Tiſch, an der Stelle, wo Zenz geſeſſen war, die fleine Wafjer- lache, zu welcher in der Stubenwärme die Schnee- rejte von ihren Schuhen zerihmolzen waren, und von der aus die halb wieder aufgetrodneten Tritt: ſpuren vor den Wandſchrank führten, von da zur Thüre, von der Thüre zum Ofen, von dort zur MWiege und wieder zum Tiſch.

„Sp, jo? Aljo von die G'ſellen glaubft net, daß einer jo ſchlecht wär?“ ſprach er langſam die Alte an, zu der jeine Blicke zurüdfehrten. „Aber d'Vroni? Sa, ja! Komm, Alte, komm, gehn wir nauf mit einander über D’Stiegen und ſuchen wir nad in ihrem Stübl.“

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„SH... ich kann nimmer, Vetter... . ich muß fort!” ftammtelte Zenz, während ein Bitter ihre Geftalt überflog.

„Mitgehſt!“ jchrie Jörg fie in ausbrechendent Zorne an. „Mad weiter! Voraus!“ |

Mit Ichlotternden Knieen wankte die Alte der Ihüre zu, und mühjam am Geländer ich ftügend jtieg fie vor Jörg die Treppe hinauf.

Als fie droben angelangt waren, öffnete der Wanger die Thüre und blickte in das kleine, freund lihe Gemach. Gerade nod) Fenntlic zeigten jich auf den Dielen die verräteriichen Spuren, und dort vor der Kommode lag ein geſchwärztes Klümp— hen Schnee.

Jörg ftieß die Alte über die Schwelle, ging, auf den Kaften zu und rüttelte an den Schubfächern, die er ſämtlich verichloifen fand; da gewahrte er mit einemmale, daß der Glasſsſturz jchief auf dem Altare jtand, mit der einen Kante halb eingebrüct in die winzigen Füßchen des wächſernen Jeſu— findes; mit beiden Händen griff er zu und 309g unter den Spigen und Bändern feine Uhr und einen Schlüjjelbund hervor, den er, während er die eritere in jeine Tasche ſchob, kopfichüttelnd einer

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genaueren Betrachtung unterzog. „Set jo was war doch noc net da! Lauter Schlüffel zu meine Schränt und Käften! Aber mie 18 F mir denn? Den Ring da ſollt ich ja kennen? No frei— lich! Das is ja der Schlüſſelring von der Franzi ſelig!“ Noch war dieſes letzte Wort nicht über Jörgs Lippen gekom— men, da flüch— | tete Zenz mit einem langen Satz über die Schwelle, iprang jtolpernd die « Fr Treppe Hinunter und £ling £ling, tönte e3 bei jedem ihrer haftigen Tritte. Doch jhon an der Hausthür hatte der Wanger fie eingeholt ; er fperrte das Schloß, 30g den Schlüſſel ab und führte die Alte am Arme mit ich in die Stube, wo er fie auf eine Bank niederdrüdte.

x u * 2

1— Ev

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„Raus jegt mit dem Geld!“

„Better... auf Ehr und Seligfeit ... ih hab fein Geld net!” winjelte Zenz.

Da holte Jörg aus der Ede hinter dem Ge— ihirrichranf einen dicken Stod hervor.

„Raus mit dem Geld!“

Aſchfahl wurde das Geficht der Alten. Seuf— zend, als gejchähe ihr jchreiendes Unrecht, bücdte fie fich nieder, z0g die Schuhe aus, und als fie die Strümpfe von den Füßen ftreifte, £ollerten die weißen Silbermünzen über die Dielen.

„Mach weiter, klaub j’ alle z'ſamm!“

Zenz kniete auf die Bretter nieder, und wäh— rend Jörg die Stube verließ, rutjchte fie nach den zeritreuten Markitüden umher. „Weit!“ jo hörte jie drangen im Flur den Wanger rufen, dann ver— nahm jie die Tritte des Gejellen und ein leijes, unverftändliches Flüſtern.

Als Jörg wieder in die Stube trat, lagen die Silberjtüce bereit3 auf dem Tiſche, und Zenz jaß auf der Bank und 309 die Schuhe über die Füße Mit einem vafchen Blick überflog er das Geld. „Stimmt!“ jagte er, wobei er den Stock wieder Hinter den Schrank ftellte. „Aber wo is

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denn der lederne Beutel? AH ja, den haft in Ofen g’worfen, ich hab's ja gleich g'rochen.“

Da trat die Alte mit zerknirſchtem Arme— fündergefiht auf ihn zu: „Vetter... .*

„Wir haben nir mehr z'reden mit einander!“ herrichte Jörg fie an. „Brauchſt übrigens Fein’ Angit net Haben, es bleibt alles unter uns. Sch müßt mich ja felber ſchämen, wann's im Dorf umeinander käm, was ich für eine jelige Verwandt: ihaft Hab. Aber daß du jo jchlecht jein fannit und ein bravs, ehrenhaft3 Deandl in jo ein’ Ver— dacht Haft nein bringen wollen... deswegen jollt dich dein G'wiſſen jchon ein bißl beißen. Schad nur, daß ich’3 net zwingen kann dazu! Und jeßt mach, daß weiter kommſt! D’ Stubenluft taugt mir nimmer, wann du noch lang drin Ichnaufft.“

In ſtummer Klage faltete Benz die Hände und machte Miene, fi) der Wiege zu nähern. Aber Jörg vertrat ihr den Weg, und jo wandte jie fich jeufzend zur Thür und verließ die Stube. Ein paar Schritte folgte ihr Jörg und blieb dann lächelnd und lauſchend ftehen.

„Better! Die Hausthür iS ja verichlojjen!“ Hang draußen im Flur die Stimme der Alten.

438 Die Hauferin.

„Mupßt Halt durch d' Werkitatt gehn!“

Sörg hörte ihre Schuhe über die Fluriteine flappern und eine Thüre Enarren nun Klang ein lautes Kreiihen, dann ein Poltern und ein jammterliches Gewinjel, das jchließlich von lautem Gelächter übertönt wurde. Als er an das Fenfter trat, jah er Zenz mit puterrotem Geficht über den Hofraum nach der Straße jpringen.

Die Stubenthür öffnete fih, und Veit trat ein. „Die ſpürt's!“ ftieß er hervor, indem er fich vor Luchen jchüttelte. „Wann die Alte unter acht Tag figen kann, nachher will ich Hans heißen! Aber da...“ und dabei ftredte er dem Wanger die beiden Hände Hin, „die ganzen Finger hat j’ mir verfragt.“

„Dafür haft aber ein guts Werk 'than,“ lächelte Jörg, während er auf den Tifch zujchritt, von dem er eins der blanfen Gelditüde nahm und dem Gejellen reichte. „Da haft was, kannſt ein paar Maß Bier trinfen auf die Strapaz nauf.“

„Ich dank schön!” fagte Veit und nahm das Geſchenk Shmunzelnd in Empfang. „ES wär aber umjonst grad jo gern g’ihehn.“ Und lachend ver- ließ er die Stube.

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DEN

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„Du, Veit, hörit, es bleibt aber unter ung!“ rief Jörg dem Gejellen noch nad. Als er dann den Reſt des Geldes vom Tiihe nahm und im Wandſchrank verjchloß , hörte er draußen an der Hausthür die Klinke gehen. Er eilte in den Flur und jperrte auf.

„ber Vroni,“ zürnte er, ala ihm das Mäd- hen entgegentrat, „ſchau Dich nur an jegt! Am ganzen Leib biſt eing’schneit, und G’ficht und Haar ind dir ganz naß. Hättſt doch wenigſtens ein Tuch umg'ſchlagen oder ein’ Schirm g’nommen.” Dabei nahm er ihr den jchweren Steinkrug aus der Hand.

Vroni jchüttelte auf der Schwelle den Schnee von Gewand, dann trat fie in den Flur, fuhr nit beiden Händen über die Haare und trodnete jih mit der Schürze das Geſicht.

„33 die Zenz jchon wieder fort?“ fragte jie, ala fie dem Wanger voraus in die Stube trat.

„Ja!“ lächelte Jörg, der den Krug auf die Platte des Gejchirrichranfes ftellte. „ES war ihr fürdtig arg, daß ſ' dich nimmer hat erwarten fönnen." Doch als er auf den Tiſch zutrat, aus deffen Schublade Broni das Salz und den Brod—

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laib nahm, erichraf er; ihre Wangen waren blaß, ihre Augen gerötet. „Sa Deandl, was i denn? Gar net gut ſchauſt aus. Fehlt dir denn was!“

Das Mädchen nidte. „Ein bißl jchleht iS mir halt. In der Früh Hab ich’3 jchon verſpürt.“

„Ja um Gottes willen,“ entgegnete Jörg, und tiefe Bejorgnis jprach aus dem Ton feiner Stimme, „laß nur gleich alles liegen und ſtehn und leg dich nieder. Sch ſchick den Waftl nach dem Doktor, und der Veit muß wieder das kleine Öferl in dein Kanımerl jtellen, das früher dring’itanden is.“

„Aber Wanger! Wegen dem bißl libeljein ſolche G'ſchichten machen! Das wär ja zum Lachen! Übrigens dank ich dir ſchön für alle Sorg.“ Ein bittere Lächeln lag auf ihren Lippen, als fie die Stube verließ, um den Gejellen Brod und Bier in die Werkftätte zu tragen.

Unruhig wanderte Jörg während der folgen den Stunden im Haus umher; was er aud) an- griff, feine Arbeit wollte ihn von der Hand gehen; immer wieder machte er fich in der Küche zu fchaffen, und wohl ein dugendmal richtete er die Frage: „Wie geht’3 dir denn?” an Vroni, die nur auf Augens blidfe die Stube betrat, um nad) dem Kinde zu ſehen.

492 Die Hauferin.

„Beſſer geht’s, ich dank ſchön,“ beantwortete tie mit immer gleihem Tone Jörgs bejorgte Fragen.

Als es Abend wurde, hörte e3 draußen zu ijtöbern auf, und der frühe Mond goß ein bläu— liches Zwielicht über den weißen gligeritden Schnee. Auch in Jörgs Wohnſtube drangen Die bleichen Strahlen und fämpften mit dem rötlichen Licht: ichein, den die brennende Hängelampe unter ihrem großen, flahen Schirme hervorſtrahlte.

Eſſenszeit war vorüber. Veit und der Knecht hatten ſich bereit3 jchlafen gelegt; Waftl war ins Wirtshaus hinübergegangen, was er dod ſonſt an Werktagen nie gethan hatte; Vroni ftand draußen in der Küche, mit dem Abſpülen des Gejchirres beichäftigte und jo ſaß Jörg einjam in der Stube, deren Stille nur durch das matte Ticken der Wanduhr und durch Die leijen, gleihmäßigen Atemzüge des jchlummernden Kindes unterbrochen wurde.

Jörg hielt in beiden Händen vor ſich das Zeitungsblatt und war äußerſt ärgerlich über ſich ſelbſt, da er für ſeine gewohnte Lektüre mit dem beſten Willen nicht die richtige Aufmerkſam— keit zu finden vermochte. Er las und las wohl

Die Hauferin. 493

immer zu; wenn er aber mit einem Abſchnitt zu Ende war, wußte er nach dem legten Wort Feine Silbe mehr von all dem Gelejenen. Daziwijchen hob er auch manchmal den Kopf und laujchte dem

Klirren des Geſchirrs und dem Slappern der Blech: gefüße, das von der Küche hereinflang. So ver: rann eine Stunde und eine zweite. (Endlich öffnete jih die Thüre, und Vroni trat in die Stube, ein Kerzenlicht in der Hand. „sch bin fertig, Wanger, und will mich jchlafen

494 Die Hauferin. legen,” jagte jie und lehnte fich unter jtodendem Atemzug an die Seitenwand des Geſchirrſchrankes.

„gang haft aber heut braucht,” ſprach Jörg das Mädchen freundlich an und rückte zur ſtummen Aufforderung, daß Vroni fi neben ihn jegen follte, tiefer in die Bank.

„a, weiß jelber net, warum,” entgegnete das Mädchen und jtocherte, ohne ſich vom Platz zu rühren, mit der Lichtſchere den Docht der friichen Kerze auseinander. „Aber was ich jagen will... du mußt mir’3 net verübeln, daß id) ’3 Kind heut Nacht net mit nauf nimm in mein Kammerl ich mein’ halt, e8 wär jeßt doch ein bißl z'kalt.“

„Uber hörst, wie möcht ich dir das denn ver— übeln ?” fiel Jörg haftig ein. „Sch hätt's jo wie jo net zug’lajjen. Du mußt heut in der Nacht dein’ Ruh haben, damit dein Übelfein richtig ver: ichlafen Eannit. Is dir denn wirklich fchon beſſer?“

„Ab ja, ich dank jchön, ganz gut!” erwiderte Vroni mit gepreßter Stimme. „Aber ... eh ich) ihlafen geh, muß ich dir noch was jagen.“

„Und 2”

„Ründigen will ich.“

Jörg erblaßte. „Vroni!“ rief er aus, wäh-

Die Hauferin. 495

rend er fi langjam erhob. „Du macht dir wohl ein’ Spaß mit mir?” Seine Stimme zitterte, als er das jagte. „Fort willit wieder? Und an mid) denkſt gar net? Und net an mein Kind? Aber jag nur, Vroni, was für ein’ Grund...“ Da lachte er hellauf und jchlug ſich mit der geballten Fauſt vor die Stirne. „AH ja! Geftern er, und heut du! Das paßt ja am allerihöniten z'ſamm. Kannſt Schon gehn! Kannft Schon gehn ... gleich morgen, wann du willſt. Wir find fchon fertig! Mach nur, daß jchlafen fommft! Gut Naht! Gut Nacht!“

Verwundert hatte Vroni aufgeblickt, faſt er— ſchrocken über die leidenſchaftliche Haſt, mit der dieſe Worte über Jörgs Lippen geſprudelt waren.

„So geh doch! Geh!” ſchrie er das Mädchen an, in deffen Hand die Kerze zitterte.

„But Nacht !” Klang e3 verhauchend von Vronis Lippen. Zögernd wandte fie ih ab und verließ die Stube.

ALS ihre Tritte draußen auf der Treppe hall- ten, jprang Jörg zur Thüre, und jchon lag jeine Hand auf der Klinke, als er zornig den Kopf jchüt- telte. Langſam jchritt er zur Ofenbank, ließ fich

496 Die Hauferin.

jeufzend nieder, ſtützte die Ellbogen auf feine Kniee und drücdte dad Geficht in beide Hände.

Dod nur einen Augenblid jaß er jo, denn leije weinend regte fich in der Wiege das vom überlauten Klang der gefallenen Worte erweckte Kind. Raſch und unter zärtlihem Geflüfter hob Jörg den Kleinen aus den Kiffen und trug ihn auf jchaufelnden Armen in die Kammer denn ihn wurmte der Gedanke, Vroni könnte droben in ihrem Stübchen da3 Weinen des Kindes vernehmen und daran vermuten, daß er jest jchon ihren weiblichen Beiſtand vermißte.

(Srleichtert atmete er auf, als der Kleine gar ichnell wieder verjtummte und im jeinen Armen entjchlief. Sadt legte er ihn auf die Dede des eigenen Lagers, jtreifte lautlos die Schuhe von den Füßen, holte die Wiege aus der Stube und bettete das Kind jorgjam in die weichen, warmen stiffen. Als er draußen die Lampe außgeblajen hatte, verhängte er noch mit jeinem weiten Rad— mantel das Stanımerfenjter, da er die Wiege nir- gends jtellen konnte, ohne daß der breite Mond- ichein darauf fiel. Daum ging auch er zur Rube.

Zur Ruhe?

Die Hauferin. 497

Seine Augen waren heiß, und ungeſtüm pochte jein Herz. Eine unerträglihe Schwüle fühlte er auf jeiner Stirn und über allen Gliedern liegen, und doch wieder lief es ihm wie Schauer und Fröfteln durch den ganzen Leib. Mit Gewalt ver: hielt er fich regungslos und drücte die Lider zu aber der Schlaf und die Ruhe wollten nicht kommen. Schließlich redete er ſich ein, das Ticken der Wanduhr drangen in der Stube wäre jchuld daran ſprang aus dem Bett, verließ die Kam— mer und ftellte den Perpendikel.

Als er fein Lager wieder aufjuchen wollte, hörte er plöglih, daß ein Schlüffel, und wie es fhien, mit großer Vorjiht in das Schloß der Hausthür geftedkt wurde. Das mußte Waftl fein, der vom Wirtshaus heimfehrte. Lauſchend blieb Jörg inmitten der Stube jtehen; aus dem Ge: räuſch, das er vernahm, konnte er jchließen, daß der Burj im Flur die Schuhe auszog; mit ver: haltenem Atem näherte fih Jörg der Thüre, als er unter Waſtls lautloſen Zritten die Bretter der Treppenftufen leije ächzen hörte. „Wer i3 da?” Hang jet, gerade noch veritändlich, Vronis ge:

dämpfte Stimme an fein fcharfes Ohr; nun ver— Bangbofer, Bergluft. 32

498 Die Hauferin. nahm er ein leifes Flüftern, eine Thür ging, und alles war ftill,

Sörg fühlte, wie ihm das Blut wildftürmend zum Herzen ſtrömte. Mit zitternder Hand tajtete er nad) der Klinfe und rißdie Thüre auf aber die falte Luft, die ihm entgegen: wehte, erin= nerte ihn an den Aufzug, indem er ih befand. Er lief in die N Kammer zurück, jhlüpfte in das Beinkleid und zog eine Joppe über die Schul- tern. Als er wieder in die Stube zurücdfehrte, erihraf er vor jeinem eigenen Schatten, den das Mondliht Ihwarz an die Wand warf. Er blieb jtehen und preßte die Hand an feine Stirne.

Die Hauferin. 499

„Ra! Na! Net laß ich’3 Hingehn! Net in mei'm Haus, unter mei'm ehrlihen Dach!” mur= melte er, fich aufraffend, ftrih die Haare zurüd und jchritt der Thüre zu.

Als er mit den nackten Füßenauf die eifigen Flurſteine trat, jchauerte ihn. Mit langen Sägen iprang er die dunkle Treppe hinauf und ftand vor Broni3 Thüre. Aus den Fugen drang matter Lihtihimmer, und leije hörte er das Mädchen wiipern. Er drüdte auf die Klinfe und da er die Thüre verichloffen fand, fchlug er mit den Fäuften an die Bretter.

„Broni! Mach auf!“

„Was 13 denn 2?“ Elang die erjchrocene Stimme de3 Mädchens.

„Mac auf!“ feuchte Jörg und rüttelte mit beiden Händen am Schloß.

„Um Gottes willen!” hörte er Vroni rufen, dann vernahm er das Rücken eines Stuhles, haftige Tritte jperrangelweit wurde die Thüre auf: geriffen, und vor ihm ftand das Mädchen, halb entkleidet, Bruft und Schultern ummunden mit einem wollenen Tuch. „Sa was is denn pajliert? Es wird doc dem Kind nix fehlen ?*

500 Die Hauferin.

Jörg fand feine Antwort. Verblüfft jah er an Vroni vorüber in das leere Gemad), auf das unberührte Bett, auf den Stuhl vor der Kommode, über welcher das Kerzenlicht brannte, dem ein auf- geichlagenes Gebetbuh zur Seite lag. Und als er num schen und verlegen die Augen auf das Mädchen wandte, da3 noch immer, blaß und zit: ternd, die Klinke in der Hand hielt, ſchoß ihm das Blut dunkelrot in die Wangen.

„Vroni,“ ftanmelte er, „mußt net bös fein... ich war ganz verrudt ... ich Hab wen raufjchleichen hören über D’Stiegen . . und... der Menſch is ihon jo, daß er lieber das Schlechte glaubt...“

Dem Mädchen verjagte im erjten Augenblick die Sprade. „So! Wen raufichleichen haft hören ? Sal Ich jelber auch. Drum hab ich nausg’schaut zur Thür... da war's der Waftl. Er hat g’meint, ich jchlaf ichon, und drum hat er d'Schuh aus: zogen g’habt, damit er mich net weden möcht. Und du..."

„Aber Schau, ich Hab Halt das alles g’hört, und da war’3 mir... .”

„ie dir's war, und was du glaubt haft, da— rüber will ich heut nimmer reden!“ fagte Vroni,

Die Hauferin. 501 und Thränen füllten ihre Augen. „Aber jegt haft ja wohl g’jehn, daß ich allein bin . . . höchſtens in G'ſellſchaft mit mei'm Herrgott . . . und jo kannſt wieder gehn! Gut Nacht!“

Vroni rückte die Thüre, und als Jörg un— willkürlich über die Schwelle zurücktrat, knackte das Schloß, klirrte der Riegel, und es war finſter um ihn her. So ſtand er im Dunkeln, lange, ohne ſich zu regen, auf den kalten Dielen; kein Gedanke, keine Empfindung wollte ihm zur Klarheit kom— men; an ſeinen Schläfen hämmerte das Blut, und in Kopf und Herz ſchwirrten ihm Beſchämung, Liebe, Eiferſucht und Selbſtvorwürfe wirr durch— einander. Als er endlich langfam, vor Froſt ſich Ihüttelnd, die Treppe hinunterſtieg, wußte er faunt, daß er es that.

Sn jeiner Kammer angelangt, warf er jich, jo wie er war, auf das Bett. Doc fand er nicht Rast noch Ruhe, denn je mehr jeine fiebernde Er— regung fich legte, je Harer ihm Grinnerung und Überlegung wiederfehrten, um jo peinigender em pfand er das Bewußtſein der tiefen Kränfung, die er in blinder Eiferfucht den Mädchen anger than hatte. Ein bitterer Unwille gegen fich Telbit

502 Die Hauferin.

füllte all jeine Gedanken, und e3 war ihn, als könnte er die Nacht nicht überdauern, ohne von Vronis Lippen ein vergebendes Wort vernommen zu haben.

So erhob er ſich, Kleidete fich in aller Ord—

nung an, und wenige Minuten jpäter ftand er wieder vor der Thür des Mädchens.

„Broni! Biſt noch auf?* fragte er unter leiſem Bochen mit gedämpfter Stimme; doc nicht der geringste Laut wurde im Stübchen hörbar. „Vroni! Geh, mach auf, ih muß dir was jagen,“ flüfterte Sörg, und wieder Elopfte er mit dem Knöchel an

Die Hauferin. 503

die Bretter. Da vernahnı er das Geräuſch leijer Tritte aber nicht in Vronis Kammer, jondern in der Schlafjtube der und an ſein Ohr klang ein mattes Knirhj· ſchen, als würde eine Klinke achtſam niederge— drückt. Wenn er weiter auch nichts mehr hörte er fühlte, daß man ihn von da drüben belauſchte. Straffen Leibes richtete er ſich auf, ſchlug den Rücken der Hand an Vronis Thür und rief: „Madl, ich bitt ſchön, komm runter; 's Kind weint, und ich kann's net zum Schweigen bringen!“ Dann ſtieg er geräuſch— voll die Treppe hinunter. In der Stube ſteckte er eine Kerze in Brand und ſtellte ſie auf den Tiſch, nachdem er die Kam— merthüre zugezogen hatte. Von Zeit zu Zeit auf— horchend, durchmaß er mit ungeduldigen Schritten

504 Die Hauferin.

das Gemady. Ginmal blieb er beim Ofen ftehen; da hörte er leichte Tritte im Flur.

Völlig angefleidet, trat Vroni in die Stube und jah an Jörg vorüber nad) dem Eingang der Kam— mer. „Mir fcheint, 's Kind fchlaft ſchon wieder.”

„&8 i3 überhaupt noc) net aufg’wacht g'weſen,“ jagte Zörg, näherte fich rajc) dem Mädchen, drückte die halboffene Thüre zu und lehnte fih mit dent Rüden an die Bretter.

„Wanger! Was fol das!” fuhr Vroni auf und jah ihm, langſam zurüctretend, mit finfteren Augen ind Geficht.

„Was das fol? Nir, als daß ich dich net eher zur Stuben naus laß, eh mic net ang’hört halt. Schau, Vroni, wie ich runterfommen bin... ’3 erjtemal ... und wie mir alles wieder fo durch den Kopf g’ichojjen iS, was mich zu dem unfeligen Gang verführt hat, da hab ich’3 wohl g’ipürt in mir, was für eine Sünd ich durch mein’ ſchlechten Glauben an dir verübt hab... und net g’litten hat's mic), ich Hab wieder nauf müſſen zu div, um in ders jelben Stund dir wieder alles abz'bitten. Und wie ich ſo'klopft Hab’ und ’bettelt, du jollft mich anhören, da hab ich g'merkt, wie drüben von die G'ſellen

Die Haıferin.

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——

einer ganz ſtad die Thür aufmacht, und hab mir im Augenblick kein andere Ausred g'wußt, als die mit dem Kind. Denn das hättſt ja am End doch net verlangen können, daß jeder im Haus und hintnach wohl 's ganze Dorf wiſſen ſoll, was ich für ein Narr g'weſen bin. Drum ſei net harb ... und kannſt es glauben, wann ich dir ſag, wie weh als mir is, daß ich ein' Augenblick ſo was von dir hab denken können . . . freilich, wann du ein’ Ahnung Hättjt, wie alles jo über mich herg’fallen is, fo könntſt es vielleicht begreifen, daß ich mein' Verſtand und mein’ Ruh hab verlieren müjfen... und wer weiß, ob mir nachher net mein’ ganze Sünd vergeben thätſt.“

„Ich hab dir nix zum vergeben,“ entgegnete Vroni mit leiſer, gedrückter Stimme, „du biſt ja im Recht, biſt ja der Herr im Haus und kannſt von deine Ehhalten glauben, was du magſt. Und wann dich von dei'm Glauben überzeugen willſt, kann dir keins was dagegen ſagen. Und daß ich's grad war, von der jo was 'glaubt haft... was liegt Dir dran... . das kann ja bloß mir arg fein.” Sie wandte das Gelicht, um die Thränen zur verbergen, die ihr wieder in die Augen ſchoſſen.

506 Die Hauferin.

„Ra, Broni, nal Mit jo ei'm Wort kann ich mich net z’frieden geben.“

„Und ein anders fann ich dir net jagen. Zu was auch? Die paar Stund, die wir noch mit- einander haujen . . .*

„Wieſo die paar Stund? Wiejo?* wurde fie von Jörg unterbrochen.

„Bon jest bis in der Fruh. Oder du wirit doch net glauben, daß ich nad) der heutigen Nacht noch ein’ ganzen Tag unter dei'm Dad und an deiner Seiten bleib ? Da, ja, da müßt ich jo jchlecht jein, wie du mich haltit. Wann der Morgen graut, bin ich aus dei'm Haus! Mein’ Mutter wird dir bi3 Mittag Schon ein’ Erjag für mich auftreiben. Aber wann ich dir raten darf... jchau Dir lieber gleih um eine Braut um, denn ob dir ein Weib zahlit oder eine Haujerin, da8 kommt doch am End aufs gleiche maus.” Im Ton diejer legten Worte lag eine Bitterkeit, die Jörg eritaunt auf: bliden made.

„Vroni,“ riefer, „was joll das heißen? Das Wort id net aus dir.“ ;

„Es müßt mich auch wundern, wann du dein’ eigene Ned net wieder 'kennt hättit.“

Die Hauferin. 507 „Mein’ eigene Red? Ih? Ich hätt jo was g'ſagt? Und zu wem?“

„Denk halt nach, wen geftern nach der Kirch ’troffen haft,” erwiderte das Mädchen, indem e3 langjam auf den Tiſch zuging und fich mit müdem Seufzer auf die Holzbank niederließ.

„Siehit es, ſiehſt es!“ murmelte Jörg und klatſchte Die flache Hand an die Stirn. „Aber gleich hab ich mir’3 'denkt! Gleich bei der erſten Silben, die g’jagt haft von dei'm Krankſein, war’3 mir, als ob was ander? dahinter ftedet... weiß ich's ja doch von ech, daß da, wo die Alte ihren Fuß hinjegt, Verdruß, Zwiſt und Hader aufichießen, wie Schwammerling nad) ei'm warmen Regen.“ Er war ebenfalld an den Tijch getreten, und wäh— rend er weiterfprach, blictteer vor fich nieder auf die brennende Kerze und fragte mit den Nägeln das niedergetropfte Fett vom blechernen Leuchter. „Den ganzen Nachmittag allweil hat's mich 'druckt, als jollt ich dich fragen, ob dir net die Zenz am End weiß Gott was vorg’redt hat. Aber offen b’iteh ich dir's ein... ich Hab 's Kuraſch net g’habt, weil ich g’forchten hab, wir müßten von dem, was dir die Alte vielleicht g’iagt Hat, auf

508 Die Hauferin.

dag z’reden kommen, was ich geftern nad der Kirch wirklich mit ihr verhandelt hab.“

„Alſo doch!” flüfterte Vroni.

„Sa, doch! Und jest will ich gar net nach— fragen, was jie dir gegenüber eigentlih draus g'macht hat . . . ich denk mir eben das Schlechteite und mein’, daß ich dabei net fehl jchieß von der Wahrheit. Wann aber wifjen willft, wieviel dran 8... hab, wie die Zenz vor mir jo los— g'ſchimpft hat auf dich und dein’ guten Ruf... jegt wirft vielleicht wieder 653 jein, wann du’ hörſt . . . da Hab ich, bloß um die Alte z'ärgern und um z'wiſſen, wie ich mit ihrem G’red dran bin, jo Hing’iagt, daß ich dich heiraten will. Im Spaß hab ich’3 g'ſagt . .. bleib figen, Vroni, und hör mich au bis zum End, und wann alles weißt, magſt mich meinetwegen verladjen, und als verdiente Buß will ich’8 hinnehmen. Ja, im Spaß hab ich’3 g’jagt, aber in mei'm Herzen war's, ohne daß ich's g'wußt hab, jchon lang erniter, als ich mir's je hätt denfen können.

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„sa! Und wie du heut am Abend vor mir g’itanden biſt und g’jagt Haft, daß fortwillit von

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mir und mei'm Haus, da is mir's raufg’fahren in Hals, da hab ich’3 g’ipürt, daß ich mich nim- mer verlieben brauch in dich, fondern an Dir ſchon häng auf Leben und Sterben. Und im gleichen Augenblid is mir's in Kopf g'ſchoſſen, daß du von mir nie willft, daß dein Herz an ei'm andern hängt, mit dem Hand in Hand jegt fortgehn kannſt von meiner Schwellen. Vielleicht magft jegt mein’ Narretei verftehn und bejjer drüber denfen ... und dem Waſtl darfit jagen, daß er die gejtern ausg’machte Kündigungszeit net einz’halten braucht, daß er morgen früh jchon mit dir fort kann. Und für den Fall, daß er im Ort ein eigens G'ſchäft einrichten will, joll er mich net fürchten. Mir wird’3 jo wie jo jhon ein bißl z'viel mit der Ar—

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beit, fein zweiten G’jellen nimm ich nimmer auf... jo wird jeder von uns jein redlichs Auskommen haben. Und dir, Deandl,“ jeine Stimme zitterte, und zwei dide Thränen rannen ihm über die braunen Baden, als er dem Mädchen die Hand entgegen= itredte, „dir wünſch ich ein beffers Ehſtandsglück, ald das meinige war.” Es that ihm das Herz weh, alö er die ftumme Freude gemwahrte, die leuchtend aus ihren Augen jprah und mit glüd- jeligem Lächeln auf ihren Lippen lag. Rajch zog er jeine Hand zurück und fand es im ftillen nicht ihön von ihr, daß fie feinem Xeid gegenüber die eigene Herzensfreude jo wenig zu verhehlen juchte. „Der Waſtl aljo hat gejtern kündigt?“ „Deandl? Wie fragit? Ich dent mir, daß du das am allererjten g’wußt haft, lang vor mir,” Vroni jchüttelte den Kopf. „Das erite Wort, das ih Hör davon.“ Mit großen, ftrahlenden Augen jah fie zu Zörg auf. „Aber warın ich auch noch net g’wußt hab, daß er ’kiindigt hat, jo mein’ ich doch z’wiffen, weshalb ’3 g’ichehen is. Ich dent’ mir halt, es Teidt ihn nimmer in meiner Näh. Denn geitern is er zu mir kommen, hat mir eing’ftanden, wie er in mich verjchoffen wär, und

Die Hauferin. 511

hat mich g'fragt, ob ich ihn denn net ein bißl mögen könnt.“

„Und du?“

„Ich hab ihm ſagen müſſen, daß ich ihm wohl gut bin, aber ſo, wie jedem andern braven Bur— ſchen, und daß er weiter von mir nir z'hoffen hätt. Wohl hat er den Grund willen wollen, doch hab ih gar fein Urſach g’habt, ihm z'ſagen, daß ich ihn net mögen kann, weil... weil ich lang ſchon ein’ andern im Herzen trag.”

„Ein’ andern?” fragte Jörg mit erfticter Stimme, und der Tifch, auf den er fich mit beiden Armen ftügte, zitterte unter feinen Händen.

„sa, ein’andern! Viele Jahr her... da bin ich einmal Heim von der Chriftenlehr, und ein junger Burſch hat mih am Weg aufg’fangt nit jeine zwei Arm ... jo im Spaß... und hat mir mit G’walt ein Bußl g’itohlen.... fo im Spaß. Ich aber hab von dem Spaß her an fein’ andern nimmer denken fönnen.... wo id) ’gangen und g’itanden bin, hab ich fein’ andern g’iehen, ala ihn, und mein’ Lieb und Hoffnung i3 g’wachfen mit mir dur Jahr und Jahr. Ein- mal... io hab ich ’denft am Tag und ’träumt

512 Die Hauferin.

in der Wacht, einmal könnt's ja Doch jein, daß er mich ein zweitsmal auffangt in jeine Arm... im rihtigen Ernſt. Sa, jo hab ich g’hofft bis zur jelbigen Nacht, wo drüben im Wirtshaus die Muſi— fanten ’geigt und blajen haben, derweil ich daheim: g’legen bin in mei'm dunflen Kammerl, ein’graben in meine naßg’weinten Kiſſen!“

„Broni,“ jtammelte Jörg, während er nad ihren beiden Händen tajtete und überwältigt von Glück in die Kniee brach, um das Geſicht in ihren Schoß zu preifen. „Vroni! Ich mein, ich ſollt ihn kennen .. . den Burjchen.”

„Er is eim’zogen in jein Haus, ’3 junge Weib an der Seiten... mich aber hat's fort’trieben aus’m Ort. Narr, der ich g’wejen bin! Hab g’meint, ich könnt mei'm Kummer davonlaufen, der doch gleihen Schritt mit mir g’halten hat, wohin ich mich Hab wenden mögen. Und weiß Gott, leichter i3 mir net worden, wie d' Leut mir auf Stunden weit zu’tragen haben, wie du dahin: leben haft müſſen in Kümmernis und Unfried... du, dem ich ’3 befte und ’3 liebfte Glück Doch ver: gönnt hätt von ganzem Herzen. Und wie nad allem, was unſer Herrgott über dich hat fommen

Die Hauferin.

513

lafjen, die gütige Schickung mich mitten 'nein in dein Haus g’führt Hat, da hab ich mich alleran- fang wohl dagegen wehren wollen, weil ich mir net denken hab können, wie ich's fertig bring, fo hart an deiner Seiten ausz’halten mit meiner langverjchtviegenen Lieb im Herzen. Und wann ich doch "kommen bin, war's nur, weil ich g’Hofft hab, ich Fönnt in meiner Sorg und Lieb für dein mutterlos Büberl ein’ Troſt finden für mein’ eigene Trübjal. Und das, Jörg, dad war bie einzige Hoffnung in mei’m Leben, die mich net betrogen hat . . . und am End hab ich g’meint, ich fönnt gar nirgends anders mehr fein, als grad in dei'm Haus... bis mich jchiergar wieder ein Spaß fort’trieben hätt...“ Vroni ftockte und ihre Hände zucdten, denn e8 war ihr, als hätte fie zwijchen ihren Fingern einen heißen Tropfen verſpürt.

Langſam blickte Jörg zu ihr auf; feine Augen waren rot, feine Wangen feucht. „Vroni, kannt mir verzeihen, was ich mit Wiffen und wider Willen verfehlt und verjündigt hab’ an dir und deiner treuen Seel?“

„Du Lieber, du!“ flüfterte Vroni, während Ganghofer, Bergluft. 33

514 Die Hauferin.

fie fein Haupt in ihre Hände nahm. „Lieben und verzeihen is g’jagt in ei'm einzigen Wort.“

Da hob der glüdlide Mann die zitternden Arme zu ihrem Hals, 309 fi) empor an ihre Seite, hielt fie umjchlungen und füßte ihren Mund.

Tiefer und tiefer branntedie Kerze, fladernd und qualmend erlojch da3 Licht, und der wer— dendeTaggraute durh die Fen— ſter.

Draußen auf der Treppe klangen poltern— de Tritte, die Thüre ging auf, und Veit wollte in die Stube treten. „Oha!“ platzte es von den Lippen des verblüfften Geſellen, als er die beiden in enger Umarmung vor ſich ſitzen ſah, und mit raſchem Schritte trat er wieder zurück in den Flur.

„Nur 'rein da,“ rief Jörg unter fröhlichem

Die Hauferin. 515

Laden, „und wünjd mir als der erſte Glück zu deiner künftigen Meifterin.”

Broni aber hielt den freudigen Wünſchen des Geſellen nicht ſtand; errötend eilte fie zur Stube hinaus und hinauf in ihre Kanımer. Als fie auf der Kommode vor ihrem kleinen Altar dag aufges ihlagene Gebetbuch liegen ſah, ſank fie in bie Kniee, und leife betend preßte fie die glühenden Wangen in die offenen Blätter.

Nach einer Weile, als fie drunten die Thüre gehen und Veit nach der Werkſtätte jchreiten hörte, ftieg fie wieder hinunter und trat mit Jörg vor die Wiege feines Kindes, das nun bald auch ihr eigenes jein jollte. Als fie mit einander aus der Kammer wieder in die Stube zurüdfehrten, ſtand Waſtl vor ihnen, ein verlegenes Lächeln auf den Lippen.

„No, Vroni,” fprah er das Mädchen au, „jegt hab ich dein’ Grund g’ihwinder erfahren, als ich mir ’denft Hab... und ſchau, ich kann dir jegt net einmal mehr Harb fein. Braudjit dir auch mieintwegen fein’ Gedanken z’maden... bei mir hat’3 ſchon oft "brennt, und ich bin Doc) jed’3mal mit dem Löſchen wieder z’recht kommen.

516 Die Hauferin.

Ich bin ſchon jo ein Kerl, der bloß Durft Hat, jo lang er dent, daß er was zum Trinken kriegen Eönnt. Aber gelt, Wanger,” wandte er fih an Jörg, „gar jo dumm wär's net einmal g’wejen von mir... grad zeitiger hätt ich mich halt um: ihaun ſollen.“

Sörg mußte wohl oder übel laden. „Was is denn nachher jegt,” fragte er, „gehft oder bleibſt?“

Waſtl zuckte die Schultern. „Warten wir halt einmal, bis die acht Tag rum ſind, da kann man nachher allweil wieder drüber reden. Brauchſt auch grad vorher kei'm andern G'ſellen nachz'fragen. Aber daß ich auf deiner Hochzeit tanzen will, bis mir d'Waden ſpringen ... das kann ich dir jetzt ſchon ſagen.“ Lachend verließ der Burſche nach dieſen Worten die Stube.

Raſch und fröhlich verging der Tag. Als es Abend wurde, und Vroni dachte, daß ihr Vater von feinem Botengange wohl jchon zurüdgefehrt jein möchte, wanderte fie mit Jörg durch das Dorf hinunter nah dem kleinen Häuschen.

Uerle faß, ala fie in die enge Stube traten, am Tiſch und fonderte die Briefe und Zeitungen für den nächſten Morgen.

Die Hauferin. 517 „Was jagit jegt, Uerle,“ rief Jörg dem Alten von der Schwelle zu, „die Vroni will bei mir nimmer bleiben al3 Hauferin.“

„Bär net aus! Und warum, Deandl, warum ?*

„Warum 2?” Tächelte Vroni, mit glücjeligen Augen zu Jörg aufblidend „Weil ich halt doch lieber jein Weib bin.“

Das war jeßt für den alten Uerle ein heikler Fall wußte er doch nicht, ob er vor Freude lachen oder weinen jolltee Und erit das alte Mutter! 0 Gott, o Gott!

Perlag von Adolf Bong & Comp. in Sfultgarf.

3. V. von Scheffels Werke.

Quart-Ausgaben.

Bergpſalmen. Dichtung. Mit 6 Bildern von A. v. Werner 3. Aufl, Hochelegant gebunden M 12.—

Gaudeamug! Lieder aus dem Engeren und Weiteren. Mit SUuftrat. von X. v. Werner. 2. Aufl. Hoceleg. geb. AH 25.—

Der Irompeler von Säkkingen. Ein Sang vom Oberrhein. Sluftriert von A. v. Werner. 3. Aufl. Hocheleg. geb. M 45.—

Pas Walfarilied. Verdeutfcht. Mit ZUuftrationen von Alb. Baur. Hochelegant geb. «#4 10.—

Groß Ditav-Außgaben.

Frau Hovenfiure Lieder aus Heinrih von Dfterdingens Zeit. Mit 12 Bildern von A.v. Werner. Hocelegant geb. M 10.—

Ekkehard. Eine Geſchichte auß dem 10. Jahrhundert. 2 Bde. 6. Aufl. Hocelegant gebunden A 10.— GBaudeamus! Lieder aus dem Engeren und Weiteren. Mit Sluftrat. von A. v. Werner. Hoceleg, geb. «A 10.— Der Trompefer von Säkkingen. Ein Sang vom Oberrhein. Mit Jluftrationen von A. v. Werner 4. Aufl. Hod: eleg. geb. #4 12.—

Waldeinlamkeif. Dichtung. Mit 12 Bildern von Zul. Marak. 5. Aufl. Hocelegant geb. HM 8.—

Klein Dftav: Außgaben.

Frau Avenftiure. Lieder aus Heinrih von Dfterbingend Zeit, 17. Aufl. Hocelegant geb. HM 6.—

Bergplalmen. Dichtung. Mit 6 Bildern von A. v. Werner. 6. Aufl. Hodelegant geb. A 6.—

Ekkehard. Eine Gefhichte aus dem 10. Jahrhundert. 151. Aufl, Hodelegant geb. M 6.—

Epiſteln. Gebeftet #4 3.60, eleg. geb. «A 4.50.

Fünf Dichtungen. Hocelegant geb. HM 4.—

Karl Stielers Werke.

Dialektdihtungen.

Drei Buſchen: Weil’s mi’ freut! Babts a Bihneid!? Um Sunnawend’. Gedichte in oberbaierifcher Mundart. Mit Zus ftrationen in Holjjhnitt von Hugo Engl. Groß Dftav. In Prachtband gebunden A 12.—

Weil's mi’ Treuf! Neue Gedichte in oberbaierifher Mundart. 11. Auflage. Zluftriert von Hugo Engl. Groß Oftav. Kart. NM 3.—, eleg. geb. HM 4,—

Babis a Schneid!? Neue Gedichte in oberbaierifcher Mundart. 9. Auflage. Illuſtriert von Hugo Engl. Groß Dftav. Kart. AM 3,—, eleg. geb. M 4.—

Um Sunnawend’. Neue Gedichte in oberbaierifcher Mundart. 7. Auflage. SUuftriert von Hugo Engl. Groß Oftav. Kart. #4 8.—, eleg. geb. M 4.—

orhzeif in Die Berg’. Dichtungen in oberbaier. Mundart. it 25 Bildern in Lichtdrud von Hugo Kauffmann. 3. Auflage. Groß Dftav. leg. geb. mit Goldſchnitt A 8.50.

In der Sommerfriſch'. Gedichte in oberbaierifcher Mundart. Mit Bildern in Lichtbrud von Hugo Kauffmann. 2. Aufl. Groß Oktav. leg. geb. mit Goldſchnitt #4 8.50.

Hochdeutſche Dichtungen.

Borhlandslieder. 8. Auflage. Groß Oktav. Geh. A 3.60, eleg. geb. mit rotem Schnitt AM 5.—

Beue Bodjlandslieder. 4. Auflage. Gr. Oktav. Geh. A 3.60, eleg. geb. mit rotem Schnitt A 5.—

Wanderzeit. Ein Liederbuch. 3. Aufl. 8°. Geb. m. Goldſchn. M4.

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Proſaſchriften.

Kulturbilder aus Baiern. 2. Auflage. Groß Oktav. Geheftet A 4.80, eleg. geb. A 6.—

Aus Fremde und Beimaf. ee Aufſätze. Groß Ditav. Geh. AH 5.40, eleg. geb. M

Durch Krieg zum Frieden. a aus den Sahren 1870 und 1871. 2. Auflage. Groß Ditav. Geh. MA 4.-, eleg. geb. AH 5.—

Bafur- und Tebensbilder aus den Alpen. 2. Auflage. Groß Oktav. Geh. M 5.40, eleg. geb. M 6.80.

Reifebilder aus vergangener Beif. Gr. Oktav. Eleg. geb. M 2.—

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