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B . Süd, 333 - (2,

<36606786290012 <36606786290012

Bayer. Staatsbibliothek

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Das

Leben Jesu,

kritisch bearbeitet

V O

Dr. David Friedrich Strauss.

Zweiter Band.

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Zweite, verbeiterte Auflege.

Tübingen,

Verleg von C. F. Osiendcr.

1 8 3 7.

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1 ' . »

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Vorrede v

EU* ersten Auflage.

I . I -

Ich könnte mich freuen, dass ich den zweiten und letzten Band dieses Werkes so bald nach dem er- sten erscheinen lassen kann, in der Hoffnung, es

*

werden sich, nun die Übersicht des Ganzen möglich ist, manche Missverständnisse lösen, und manches

harte Urtheil mildern. Allein sowohl mündlich ha-

. *

ben über den ersten Band eben diejenigen am laute- sten geschrieen, welche keine Seite; in demselben ge- lesen hatten 3 als auch schriftlich bis jetzt nur solche über denselben geurtheilt, mit welchen ich keine Ver- ständigung hoffen kann, auch wenn sie diesen zwei- ten Theil gelesen haben werden. So will ich mich also keiner Freude hingeben, die mich doch täuschen würde j aber ebenso wenig auch fernerhin das Ge- schrei der Eulen mich verdriessen lassen, die ich denn

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IV Vorrede zur ersten Auflage..

freilich allzu rücksichtslos mit ungedämpftem Licht

geweckt habe.

Aus den bis jetzt erschienenen Beurtheilungen über den ersten Band habe ich ftlr den zweiten noch keinen Nutzen ziehen können, theils weil er schon grösstenteils abgedruckt war, als sie mir zu Gesicht kamen , theils wegen der Beschaffenheit der Beur- theilungen selber.

Die erste, die ich zu lesen bekam, war eine Reccnsion von Herrn Dr. Paulus im Litcraturblatt zur allgemeinen Kirchenzeitung. Dem Urheber derselben bin ich Dank schuldig für die liberale und anerken- nende Weise, mit welcher er, bei durchaus abweichen- der Ansicht, doch meine Arbeit behandelt hat. Sein gewichtigster Einwand gegen meine Methode ist der: wenn in einer Erzählung einiges Mythische sei, so folge daraus noch nicht, dass Alles in ihr mythisch sein müsse. Das wäre ohne Zweifel ein sehr falscher Schlüsse aber den habe ich auch nicht gemacht, son- dern nur, dass dann auch Alles mythisch sein kön- % ne. Ob es sich wirklich so verhält, muss sich aus

7m

1

Hu

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Vorrede *ur ertten Auflag«, v ben, und daraus habe ich es auch, wenn mir Alles

noch präsent ist, durchaus entschieden. Eigene Em- pfindungen hat es in mir erregt, des ehrwürdigen alten Landsmannes Freude über die Fortschritte der wis- scnschaftlichen Freiheit in Würtemberg zu lesen, ver- möge welcher man daselbst dergleichen jetzt unge- lahrdet schreiben könne: zu einer Zeit, wo ich be- reits auf meine Schrift hin von meiner Repetenten- stelle am Tübinger Seminar entfernt war.

Wie ron seiner Wachsamkeit nicht anders er- wartet werden konnte, hat sofort Herr Dr. Steu- del geglaubt, den verderblichen Wirkungen mei- ner Schrift durch ein „Vorläufig zu Beherzi- gen des"*) zuvorkommen zu sollen. Man hat die- sem Mann schon so oft gesagt, dass es unschicklich ist, wissenschaftliche Verhandlungen auf das morali-

•) Der volle Titel lautet : „Vorläufig zu Beherzigendes bei Wür- digung der Frage über die historische oder mythische Grund- lage des Lebens Jesu , wie die canonischen Evangelien die- ses darstellen, vorgehalten aus dem Bewusstsein eines Gläu- bigen , der den Supranaturalisten beigezählt wird , zur iu « ruhigung der Gemüther von D. Joh. Christian rriedr. Stzi - del. Besonders abgedruckt aus der Tübinger Zeitschrift iür Theologie. Tübingen, bei Ludwig Friedrich Kues. 1835/' (88 S.)

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VI Vorrede tur ersten Auflage.

sehe Gebiet hinüberzuspielen, dem Gegner seine Ansichten in's Gewissen zu schieben, und den Nicht- orthodoxen als Irreligiösen zu brandmarken. Dennoch hat er auch diessmal wieder den gewohnten Ton an* gestimmt. Es ist freilich das Leichteste, statt in die Sache einzugehen, vielmehr Torläufig um sie herum zu reden, und beiläufig den Gegner mit gehässigen Insi- nuationen zu verwunden, zumal wenn einem derglei- chen Praktiken von sonst her schon geläufig sind, Dass aber damit nichts ausgerichtet ist, liegt am Ta- ge. Oder ja, man richtet etwas aus damit, nämlich den Gegner beim grossen Publicum, das die Sache nicht versteht, recht schwarz zu machen. Dazu brauch- te es dann aber keinen Doctor der Theologie , son- dern man konnte es ruhig dem Gerede der Conven- tikel und dem Geschreibe der Tractätchengesellschaf- ten überlassen.

Auch angeblich vom Standpunkt der Philosophie ist meine Schrift beurtheilt worden durch Herrn Prof. Esche NM ayer, in einer Broschüre mit dem Titel : der Ischariotistnus unsrer Tage. Diese Ausgeburt der le- gitimen Ehe zwischen theologischer Ignoranz und rcli-

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Vorrede tor ersten Auflage! VII

giöser Intoleranz, eingesegnet' von einer schlaf wan-

* _ ' » » * *

delnden Philosophie, föllt so sehr durch sich selbst

in's Lächerliche, dass sie jedes "Wort der Vertheidi-

gung überflüssig macht Dir Titel überdiess ist mir

zu einer fast gar zu stolzen Erinnerung Anlass gewor-

den. An Lessing nämlich, den auch einmal Wie-

9

ncr Blätter als zweiten Judas lschariot verklatsch- ten, weil er freilich" &ne rioöfr massivere Beschul- digung, als sie Herr E. gegen mich erhebt für die Herausgabe der Fragmente seines Ungenannten von der Amsterdamer Judenschaft sich 1000 Ducateri soll- te haben bezahlen lassen. An ihn hätte mich übri- gens schon* Herrn Dr. Steudel's Vorläufig zu Be- herzigendes erinnern können, wenn ich es mit Vor- bildern und Weissagungen leichter nähme, denn auch gegen Lessing war „Etwas Vorläufiges" erschienen vom Hauptpastor Göze, gottseligen Andenkens, was der heitere Mann , der Geschmeidigkeit wegen, lieber das vorläufige Etwas nannte. Und so will ich denn die Vorrede zu diesem zweiten Bande meines angeblich anstössigen Werks mit den Worten schlics-

i

sen, mit welchen Lessing erklärt hat, warum eres

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VIU Vorrede *ur ersten Auflage,

nicht bei Herausgabe der erste» Probe jener ärgerli- chen Fragmente, wie ich' nicht bei'm ersten Theile dieses Buchs, habe bewenden lassen: „darum nicht, weil ich überzeugt bin, dass diess Ärgerniss über- haupt nichts als ein Popanz ist, mit dem gewisse Leute gern allen und jeden Geist der Prüfung ver- scheuchen möchten^ darum nicht, weil es schlech- terdings zu nichts hilft, den Krebs nur halb schnei- den zu wollen 5 darum nicht, weil dem Feuer muss Luft gemacht werden, wenn es gelöscht werden soll." Ludwigsburg im October 1835« >

Der Verfasser.

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Inhalt des zweiten Bandes.

Seite

(Zweiter Abschnitt.) Nenntet Kapitel. Die Wunder Jeto . 255

$. 90. Jesus al» Wunderthäter - I

91. Die Dämonischen , allgemein betrachtet g

^. 92. Jesu Dämoncnaustreibungen einzeln betrachtet - 22

§. 93. Heilungen von Aussätzigen « » . 55

§. 94. Blindenheilungen - . .

$. 95. Heilungen von Paralytischen. Ob Jesus Krankhei- ten alt Sündenstrafen betrachtet habe - 34

§. 96. Unwillkührliche Heilungen

§> 97» Heilungen in die Ferne J04

§. 98. Sabbatheilungen -

99. Todtenerweckungen 1^4

f. 100. Seeanekdoten |75

101. Die wunderbare Speisung » . |gg

$. 101. Jesus verwandelt Wasser in Wein - , . 231

$. 103. Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum 237

Zehntes Kapitel. Jesu Verklärung und

letzte Reite nach Jerusalem 354—302

$• 104. Die Verklärung Jesu alt wunderbarer äusserer

Vorgang 254

$. 105. Die natürliche Auffassung der Erzählung in ver- schiedenen Formen . . !T* ~ . 253

§. 106 Die Verklärungsgeschichte als Mythut - - 265

$. 107. Abweichende Nachrichten über die letzte Reise

Jesu nach Jerusalem 276

1

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X . La n t 1 .

Seite

$. 108. Abweichungen der Evangelien in Hinsicht auf den

Ausgangspunkt det Einzugs Jetu in Jerusalem m

$. 109. Näherer Hergang bei dem Einzug, /weck und

historische Realität desselben - 230

Dritter Abschnitt. Die Geschichte des Lei- deng, Todes, und der Auferstehung Jesu 305—690

Erstes Kapitel. Verhältnis« Jesu zu der Idee eines leidenden und sterbenden Messias; seine Reden tos Tod, Aufer- stehung und Wiederkunft > aoj— 373 |. 110. Ob Jesus sein Leiden und »einen Tod in bestimm- ten Zügen vorhergesagt habe? - - . 505 §«111. Jesu Todcsverkiindigung im Allgemeinen; ihr Verhältniss zu den jüdischen Messiasbegriffen ; Aussprüche Jesu über den Zweck und die Wir- kungen seines Todes 313

$. 112. Bestimmte Aussprüche Jesu Uber seine künftige

Auferstehung - - 326

§. 113. Bildliche Reden, in welchen Jesus seine Auferste- hung vorherverkündigt haben soll - - 330 $. 114. Die Reden Jesu von seiner Parusic. Kritik der

» verschiedenen Auslegungen - 343

115» Ursprung der Reden über die Farusle " ' '. 357

Zweites Kapitel. Anschläge der Feinde Jtp*u; Verrath des Judas; letztes M ahl mit den ng e r n 374—442

$. 116.

Entwicklung des Verhältnisses Jesu zu seinen Feinden

374

5. 117.

Jesus und sein Verräther .....

380

f. 118.

Verschiedene Ansichten über den Charakter des Ju-

das , und die Motive seines Verraths

390

$. 119.

Bestellung des Paschamahls ....

396

S- 120.

Abweichende Angaben über die Zeit des letzten

402

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Inhalt. XI

. ri 1 I

Seite

4 %fi. Differenzen in Betreff der Vorgänge beim letzten

Mahle Jetu ' «l> >^'\j"- *l y'''- ' ; W

$. Verkündigung de» Verrath« und der Verleugnung 426

y 123. Die Einsetzung det Abendmahls . 437

Drittes Kapitel. Gang nach dem lilberg, i »• Gefang^nnehmun^, Verhör, Verur«

theilung und Kreuzigung Jesu . 445— 555

fr. 124. Jesu SeelenKampf im Garten - * « J ' 44$ ^. 125. Verhältnis» de* vierten Evangeliums zu den Vor- - gangen in Gethsemane. Die johannei»chen Ab«

achkdsreden ond die Scene bei Anmeldung der Hellenen - . . . 454

§. 126. Gefangennehmung Jesu . . . . . 472

V», 127. Jetu Verhör vor dem Hohenpriester 4 SO

fr. 128. Die Verläugnung det Petrin . . . 490

129. Der Tod de* Verräthers - 40g

$».130. Jesus vor Pilatus und Herode» * » 512

$. 131» Die Kreuzigung - - 528

Viertes Kapitel. Tod und Auferstehung

Jesu ~ ~ ~ ~ - 7~ 556—667

f. 131.

Die Naturerscheinungen bei'm Tode Jesu - x

556

§. 133.

Der Lanzenstich in die Seite Jetu ...

568

$. 154.

576

tj. 135.

Die Wache am Grabe Jetu .....

584

136.

Erste Hunde der Auferstehung -

593

137.

Galiläische und judaische, paulinisehe und apokry-

phische Erscheinungen des Auferstandenen

619

f. 138.

Die Qualität des Leibs und Wandelt Jetu nach

C. 139.

Die Debatte über die Realität det Todet und der

Auferstehung Jesu 543

Fünftet Kapitel. Die Himmelfahrt 668—690

140. Die letzten Anordnungen und Verheissungcn Jesu 668 %. 141. Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches

und als natürliches Ereignist . 575

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XII

■1/ .

Inhalt.

Seite

$. 141. Das Ungenügende der Nachrichten über Jesu Him- melfahrt« Deren mythische Auffassung .

681

Schlofsabhandliing. Die dogmatische Bedeu- tung des Leben» Jean « » , , . 691—749

f. 145? Notwendiger Übergang der Kritik in das Dogma 691

<$. 144. Die Christologie de» orthodoxen Systems - * 693

§, |4Sj Bestreitung der kirchlichen Lehre von Christo 706

146* Die Christologie des Rationalismus - 712

4. 147. Eine eklektische Christologie. Schlehrmacheh - 715 $•148. Die Christologie, symbolisch gewendet. Hakt.

om Wette 725

£• 149. Die speculative Christologie - 7S4

§. 150. Letztes Dilemma 737

§. 1ÄL Verhaltnist der Kritisch - speculativen Theologie

zur Kirche - 743

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Neuntes Kapitel.

Die Wunder Jesu.

§. 90.

Jesus als >Yunderth8ter.

Dafs das jüdische Volk zu Jesu Zeit rom Messias Wunderthaten erwartete, %t theils an sich schon natür- lich, da ihm der Messias ein aweiter Moses und der grüfste Prophet war, von Moses und den Propheten aber die heilige iSationalsage Wunder aller Art erzählte; theils läTst es «ich aus spateren jüdischen Schriften wahrschein- lich machen *); theils wird es aus den Evangelien selbst oewifs. Als Jesus einmal einen dämonischen ßlindstum- men (ohne natürliche Mittel) geheilt hatte, wurde das VolL dadurch auf die Veriniithun« geführt: f§y%t tttog igiv d viog Juviö (Matth. 12, 23.); zum Beweise, dafs man eine wunderbare Heilkraft als Attribut des Messias be- trachtete. Johannes der Täufer wurde durch das Gerücht von den inyoig Jesu zu der Frage an ihn veranlafst, ob er der to^o/iivoi; sei? worauf sich Jesus, zum Belege, dafs er es sei, nur wieder auf seine Wunderthaten berief (Matth. 11, 2 ff. parall.). Auf dem Laubhüttenfeste, das Jesus in Jerusalem feierte, wurden Viele vom Volk an ihn glaubig, indem sie dachten, Ott 6 XQigtg oiuv itöfo

1) S. die im lten Band, Einleitung S. 7a. Anm. , angeführten Stellen, wozu noch genommen werden kann 4Esdr. 13, 50. (Fabric. Cod. pseudepigr. V. T. 2, S. 286) und Sohar Exod. fol. 5, col. 12 (bei Schöttgkk, horac, 2, S.541, auch in Bkk- tmolut*s Christol. §. 35, not. 1.). Das Leben Jesu II. Band. 1

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% Zweiter Abschnitt.

/ijjta nXelova mtfAÜa tmtav nou^ast, wv *kog inoir^tv (Job. 7, 31.);

Doch nicht blofs, dafs er überhaupt Wunder thun sollte, sondern auch die verschiedenen Arten von Wun- dern, welche der Messias verrichten würde, waren in der Volkserwartung vorherbestimmt. Auch diefs durch aittestamentliche Vorbilder und Aussprüche. Durch Mo- ses war dem Volko auf übernatürliche Art Speise und Trank gewahrt worden (2 Mos. 16,17.): ein Gleiches er- wartete man, wie die Rabbinen ausdrücklich sagen, vom Messias; auf Elisa'* Bitten waren den Einen die Augen auf übernatürliche Weise verschlissen , den Andern ebenso geöffnet worden (2 Kön. 6.): auch der Messias sollte die Augen der Blinden aufthun; selbst Todte hatte der ge- nannte Prophet und sein Lehrer wiederbelebt (1 Kön. 17. 2 Kön. 4.): so konnte auch dem Messias die Macht Über den Tod nicht fehlen 2). Unter den Weissagungen war besonders Jes. 35, 5 f. (vgl. 42, 7.) auf diese Seite der Messiasvofstellung von Einflufs. Hier war von der mes- sianischen Zeit gesagt (LXX.): tote <xvot%drtaovr(u ogp— 9cdfwl tvq:?^öjv9 xal iura xtoyiov axiioovraC tote akutai wg ilctfog^u gccAog, TQanj de i'gai ylwooa ftoydtlliov, was, bei Jesaias zwar in bildlichem Zusammenhange, doch bald eigentlich verstanden wurde, wie daraus erhellt, dafs Jesus den Boten des Johannes gegenüber (Matth. 11, 5.) mit offenbarer Beziehung auf diese Prophetenstelle seine Wunderthaten beschreibt.

Diese Erwartung trat auch Jesu , sofern er zunächst für eine:i Propheten, weiterhin für den Messias, sich gab und gehalten wurde, als Forderung entgegen, wenn er nach mehreren bereits betrachteten Stellen ( Matth. 12, 3?. 16, I. parall. ) von seinen pharisäischen Gegnern um ein oqn eiov angegangen wurde; wenn nach der gewaltsamen

2) S. die a. a. O. des i. Bds angcfiil rten rabbinischen Stellen.

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Neuntes Kapitel. §. 90. $

Vertreibung der Verkäufer und Wechsler ans dem Tempel die Juden ein iegitimirendes oratio» von ihm verlangten (Joh. 2, 18.), und das Volk in der Synagoge von Kaper- naum, als er Glauben an sich als den vo« Gott gesandten forderte, zur Bedingung dieses Glaubens machte, dafs er ihm ein orjitiov zeigen sollte (Joh. ß, 30.).

Den neutestamentlichen Nachrichten zufolge hat Je- ans dieser Anforderung, welche seine Zeitgenossen an den Messias machten, mehr als genuggethan. Nicht nur be- steht ein beträchtlicher Theil der evangelischen Erzählun- gen aus Beschreibungen seiner Wunderthaten ; nicht nur riefen nach seinem l üde seine Anhänger vor Allem auch die von ihm verrichteten <W/.«ft o,;,«Iu und jtQcezct sich und den Juden in das Gedächtnils zurück (A. G. 2 22 vgl. Luc. 24, 19.): sondern das Volk selbst war schon za seinen Lebzeiten nach dieser Seile so durch ihn befrie- digt, da(s viele deswegen an ihn glaubten (Joh. 2, 23. Vgl. 6, 2.); dafs man ihn dem Täufer, der kein mutia» getban hatte, entgegenstellte (Joh. 10, 41.), und selbst vom kOnftigen Messias nicht glaubte , dafs er ihn in die- ser Hinsicht werde Überbieten können (Job. 7, 31.). Dafs es Jeinsen Wundern hätte fehlen lassen, scheinen jene Zeichenforderungen um so weniger zu beweisen, da meh- rere derselben unmittelbar nach bedeu.enden Wunder- acten gemacht wurden, so Matth. 12, 38. nach der Heilung eines Dämonischen, Joh. «,30. nach der Speisung der Fünftausende. Freilich ist eben diese Stellung schwie- rig; denn wie die Juden die zwei genannten nicht als rechte or^tla gelten gelassen haben sollten, ist nicht wohl zu begreifen, da namentlich die Dämonenaustreibungen sehr hoch gehallen wurden (Luc. 10, 17.); es mühte denn das in jenen beiden Stellen geforderte Zeichen aus Luc. II, 16. ( vgl. Matth. 16, 1. Marc.8. 11.) als arjatov Ä vqovh näher bestimmt, und dabei an das specinsch - mes- sianische ont,tisn> viü av»Qolna iv i.f «4,0,£ (Matth.

1 *

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4 Zweiter Abschnitt.

24, 30.) gedacht werden. Will man aber lieber die Ver- bindung jener Zeichenforderungen mit vorhergegangenen Wunderacten auflösen , so kann Jesus ganz wohl zahl- reiche Wunder gethan , und dennoch einige feindselige Pharisäer, welche zufallig noch bei keinem derselben Augenzeugen gewesen waren, nun auch selbst eines zu

sehen verlangt haben.

Auch dafs Jesus die Wandersucht tadelt (Joh. 4, 48. ), und auf jene Zeichenforderungen jedesmal ableh- nend antwortet, bewegt an sich gar nicht, dals er nicht in andern Fallen freiwillig Wunder gethan haben könnte, wo ihm solche besser angelegt schienen. Wenn er in Bezug auf die Forderung der Pharisäer Marc. 8, 12. er- klärt, es werde zft yivtq, %ai%r\ gar keines, oder Matth. 12, 39 f. 10,4. Luc. 11, 29 f., es werde ihr kein Zeichen ausser dem orjuiov Ton»« zu typffa** ßegeben werden: so kann er ja unter dieser ytvtu, welche er bei Matthäus und Lukas als novnqa xui ftoizatig näher bestimmt, auch nur den ihm feindlichen pharisäischen Theil seiner Zeit- genossen verstanden, und versichern gewollt haben, dafs diesem, sei es gar kein , oder nur das Zeichen des Jonas, d. h., wie er es bei Matthäus deutet, das Wunder seiner Auferstehang, oder, wie neuere Erklärer meinen, das Be- deutsame seiner Person und Predigt, zu Theil werden solle. Allein nimmt man das ö doÜ^oixai ai^ifj in dem Sinn, dafs seine Feinde nicht selbst ein Zeichen von ihm su sehen bekommen sollen : so raüfste es theils sonder- bar zugegangen sein, wenn unter den vielen in der gi öfs- ten Öffentlichkeit von Jesu verrichteten Wundern bei keinem sollten Pharisäer zugegen gewesen sein, was überdiefs Matth. 12, 24 f. parall. , wo sie offenbar als ge- genwärtig bei der Heilung des ßlindstummcn vorausge- setzt werden, deutlich widersprochen ist; theils, wenn hier von selbstgesehenen Zeichen die Rede sein soll, so bekamen ja die Auferstehung Jesu . und den Auferstan-

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Neuntes Kapitel. $.90. 5

denen seine Feinde gleichfalls nicht zu sehen: so dafs mithin jener Ausspruch nicht wohl nur den Sinn haben kann, seine Feinde sollten vom Selbstsehen seiner Wunder ausgeschlossen werden. Möchte man daher bei dem do~ 9ratzut, avrf] an ein Geschehen zum Besten der bezeich- neten Subjecte denken: so sind die übrigen Wunder mit der Sendung and insbesondere mit der Auferstehung Je- su, in gleichem Sinn za ihrem Besten geschehen oder nicht, nämlich dem Erfolge nach nicht, wohl aber dem Zwecke nach. Es bleibt also nichts Übrig, als die yeveci von den Zeitgenossen Jesu überhaupt, und ebenso das dLdoo&ui von möglicher Wahrnehmung überhaupt, mittelbarer wie unmittelbarer, zu verstehen, so dafs Jesus hier alle Wun- derthätigkeit überhaupt abgelehnt hatte.

So übel diefs mit den zahlreichen Wundererzahlun- gen in den Evangelien sich zu vertragen scheint, so voll- kommen stimmt es damit zusammen , dafs in der Verkün- digung und den Briefen der Apostel, ein paar allgemeine Erwähnungen abgerechnet (A. G. 2, 22. 10, 3S f.), die Wunder Jesu wie verschollen sind, und Alles auf seine Auferstehung gebaut wird, von welcher man wohl sagen darf, dafs sie weder so unerwartet noch so epochema- chend hätte sein können, wenn Jesus vorher schon mehr als Einen Todten erweckt, und die übernatürlichsten Wunder aller Art verrichtet gehabt hätte. So dafs also sehr die Frage ist, ob wir der evangelischen Wunderer- zählungen wegen jenen Ausspruch Jesu umdeuten oder seine Ächtheit bezweifeln dürfen , und nicht vielmehr von jenem Ausspruch und dem Schweigen der apostolischen Schriften aus gegen die zahlreichen Wundergeschichteii der Evangelien mißtrauisch werden müssen.

Doch diefs kann sich erst durch genauere Erwägung dieser Erzählungen entscheiden, von welchen wir, aus einem Grunde, der unten von selbst erhellen wird, zuerst die Dänjoiieuau8treibuii£en vornehmen wollen.

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I

§ Zweiter Abschnitt

§. 91.

Die Dämonischen , allgemein betrachtet.

Während im vierten Evangelium die Ausdrucke dai- fmvtov HyjEiv nnd dcttfionZofievog nur .im Munde der Juden als Beschuldigung gegen Jesum , parallel mit ftalveofrai, vorkommen (S, 48 f. 10, 20 f. vgl. Marc. 3, 22. 30. Matth. II, 18.)! sind in den drei ersten Dämonische , man kann sagen die gewöhnlichsten Gegenstände der heilenden ThÄ- tigkeit Jesu. Gleich wo sie die Anfange seiner Wirksam* keit in Galiläa besehreiben, stellen die Synoptiker unter den Kranken, welche Jesus geheilt habe, die datfitovuoftl- vsg *) oben an (Matth. 4, 24. Marc. 1, 34.), und diese spielen durchweg in ihren summarischen Berichten von der Wirksamkeit Jesu in gewissen Gegenden eine Hauptrolle (Matth.' 8, IG f. Marc. 1, 39. 3, 11 f. Luc. 6, IS.). Auch seinen Jüngern theilt Jesus vor allem Andern die Voll- macht mit, Dämonen auszutreiben (Matth. 10, 1. 8. Marc. 3, 15. 6, 7. Lue. 0, 1.), was ihnen zu ihrer besondern Freude wirklich nach Wunsch gelang (Luc. 10, 17.20. Marc. 6, 13.).

Aussei- diesen summarischen Angaben aber werden uns auch die Heilungen mehrerer Dämonischen im Einzel- neu erzählt, so dafs wir uns eine ziemlich genaue Vorstel- lung von dem eigenthUmlicften Zustande dieser Leute ma- chen können. Gleich bei demjenigen , dessen Heilung in der Synagoge zu ] Kapernaum die Evangelisten als die er- •fe dieser Art setzen (Marc. 1, 23 ff. Luc. 4, 33 ff.) , fin- den wir einestheils eine Alterirung des Selbstbewufstseins, vermöge deren der Besessene in der Person des Dämon

1) Dass die ihnen bei Matthäus zugesellten otXrtviatfp*voi nur eine besondere Art von Dämonischen sind , deren Krankheit sich nämlich nach dem Mondwechsel zu richten schien, zeigt IVIatth. 17, 14 ff., wo aus einem asb(via^6fitvot ein Satjudrior ausgetrieben wird.

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»

buntes Kapitel. §. Ol. 7

redet, was sich auch bei andern Dämonischen , wie bei den Gadarenischen (Matth. 8, 29 f. parall.), wiederholt; amlerntheils Krämpfe und Convulsionen mit wildem Ge- schrei. Dieses krampfhafte Wesen findet sich bei jenem Dämonischen, der zugleich als Mondsüchtiger bezeichnet ist (Matth. 17, 14 ff. parall.), deutlich als Fallsucht ausge- bildet; denn das plötzliche Niederstürzen, oft an gefährli- chen Orten, das Brüllen, Zähneknirschen und Schäumen, «iftd bekannte Symptome der Epilepsie 2). Die andre Seite' die Störung des Selbstbewufstseins , erscheint besonders bei den Gadarenischen Besessenen, neben dem, dals gleich- falls der Dämon, oder vielmehr eine Mehrheit von solchen, als Subject aus ihnen spricht, cum menschenscheuen Wahn- sinn mit Anfällen einer gegen sich und Andre wfithenden Tobsucht gesteigert3). Doch nicht blofs Wahnsinnige ond Epileptische, sondern auch Stumme (Matth. 9,32. Luc. 11, 14. Matth. 12, 22. ist der daiftovi^oftevog xwyog zugleich noch zvqkcg), und an gicbtischer Verkrümmung des Körpers Leidende (Luc. 13, 11. ff.), werden mehr oder minder bestimmt als Dämonische bezeichnet.

Die in den Evangelien vorausgesetzte, auch von de- ren Verfassern getheilte, Vorstellung von diesen Leiden- den ist die, dafs ein höser, unreiner Geist (Ja///d)/or, nvfrua axu&ccQzov) oder mehrere, sich ihrer betnächtigt haben (daher ihr Zustand durch öaittoviov dctiftoviLfafrai bezeichnet wird), welche nun aus ihnen reden (so Matth. 6. 31. oi dalfiovfg nctQixuXuv aviov Xiyovte g), und ihre (>lied- mafsen nach Belieben in Bewegung setzen (so Marc. 9. 20. io Ttvtvfia ion&Qtt&v artoV), bis sie bei der Heilung, mit Gewalt ausgetrieben , den Menschen verlassen ( ixfidlXtiv, i$iQZfO*h*i ). Nach der evangelischen Darstellung hatte

2) Vergl. die Stellen alter Ärzte bei Wimm, bibl. Realw »rterh. 1, S. 101.

5) Rabbinische u. a. Stellen s. bei Wut«*, a. a. 0. S. 192.

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Zweiter Abschnitt.

auch Jesus diese Ansicht von der Sache. Zwar, wenn er /uui Behuf der Heilung von Besessenen den in ihnen befind- lichen Dämon anredet (wie Marc. 9, 25. Matth. S, 32, Luc. 4, 35.) : so könnte man diefs allerdings mit Paulus 4) als Eingehen in die fixe Idee dieser mehr oder minder verrück- irn Personen ansehen, wozu der psychische Arzt, um wir- ken zu können, sich bequemen mufs, so sehr er von dem Lugrundo jener Vorstellung überzeugt sein mag. Allein wenn nun Jesus auch in Privatunterhaltungeu mit seinen .Jüngern diesen nicht allein niemals etwas zur Untergra- bung jener Vorstellung sagt, sondern vielmehr wiederholt aus der Voraussetzung eines dämonischen Grundes jener Zustände heraus spricht (so, ausserdem Auftrag: duiftovia ; -lukteza Matth. 10, 8. noch Luc. 10, IS. ff. und besonders Matth. 17, 21. parali.: tüio tu ytrog 9 sc. dut/norioiVy ux i. looevtxat x. r. A. ); wenn er in einer rein theoretischen Abführung, vielleicht ebenfalls im engeren Kreise seiner Junger, eine ganz den damaligen Volksvorstellungen sich u'iscMtefsende Beschreibung vom Ausgehen der Dämonen, fi:rem Uinirren in der Wüste und ihrer verstärkten Rück- keii.« giebt (Matth. 12, 43. ff.): so kann man nur ein Zu- reeit Hänchen der Vorstellungen Jesu nach den unsrigen darin sehen , wenn sonst unbefangene Forscher, wie »neu 5), Jesu« die Meinung des Volks von der Ursache dieser Krankheiten nicht theilen, sondern sich ihr nur an- bequemen lassen. Um von jedem Gedanken an blofse Ac- co.imioiiation abzukommen, darf man sich nur die zuletzt bemerkte Stelle genauer ansehen. Zwar hat man das Be- weisende derselben dadurch zu umgehen gesucht, dafs uiau sie bildlich nahm, oder gar als eine Parabel bezeich- nete ). Dabei, wenn wir Ausdeutungen, wie diejenige,

4) ex, ßa<\db. 1, b, S. 475; vgl. Hase, L. J. §. üJ.

5) a. a: 0. S. 13t.

6) GiUT/i Cftum. z, Matth. 1, S. 615.

S

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Neuntes Kap lleL §.91.

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welche naclTCALMET noch Olshausen giebt7), bei Seite lassen, Kommt das Wesentliche der Erklärung des vorgeb- lichen Bildes immer darauf hinaus, dafs oberflächliche Be- kehrung zu der Sache Jesu einen nur um so schlimmem Rückfall nach sich ziehe 8). Allein ich mochte wissen, was uns denn überhaupt berechtigt, von der eigentlichen Auf- fassung dieser Rede abzuweichen? In den Sätzen selbst liegt keine Andeutung, ebensowenig in der anderweitigen Darstellungsweise Jesu , welcher sonst nirgends sittliche Verhältnisse in das Bild dämonischer Zustände hüllt, son- dern wo er sonst noch, wie hier, von S;t(>y60&ai der bösen Geister spricht, z. ß. Matth. 17, 21. , diefs eigentlich will verstanden wissen. Aber in dem Zusammenhang der Er- zählung? Lukas (11, 24, ff.) stellt den in Frage stehenden Ausspruch hinter die Vertheidigung Jesu gegen die phari- säische Beschuldigung, die Dämonen durch] ßeelzebul aus- zutreiben, — ohne Zweifel irrig, wie wir gesehen haben, aber doch wohl zum Beweise, dafs er sie eigentlich, von wirklichen Dämonen, verstanden hat. Auch Matthäus stellt den Ausspruch in die Nähe jener Beschuldigung und Apologie, doch schiebt er die Zeichenforderung nebst Jesu Gegenäusserungen dazwischen, und läfst Jesum am Schlüs- se die Nutzanu endung machen: iziog icui xal Tfj yiviu tairr{ rfj nrnrnr. Dadurch gicht er freilich der Rede eine m bildliche Beziehung auf den sittlich - religiösen Zustand seiner Zeitgenossen, aber ohne Zweifel nur so, dafs er die vorangeschickte Beschreibung des vertriebenen und wie- derkehrenden Dämons eigentlich von Besessenen gemeint bat, hierauf aber diesen Hergang auch wieder als Bild des

7) b. Conus. 1, vS. 424. Es sei vom jüdischen Volke die Rede, Nias vor dem Exil durch den Teufel in Form der Abgötterei,

nach demselben durch den schlimmeren des Fhariiaisuius besessen gewesen*

8) 10 Enrrzscus, in Matth, p. 447.

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Zweiter Abschnitt.

moralischen Za. Standes seiner Zeitgenossen wendet« Jeden- falls giebt Lukas, der diesen Beisatz nicht hat, die Rede Je- su, wie Paulus sich ausdrückt, als eine Warnung vor dämo- nischer Recidive. Dafs nun die meisten jetzigen Theologen ohne bestimmten Vorschub von Seiten des Matthäus, und in bestimmtem Widerspruch gegen Lukas, den Ausspruch blofs bildlich fassen wollen, diefs scheint nur in der Scheue seinen Grund zu haben, Jesu eine so ausgeführte Dämo- nologie zuzuschreiben, wie sie in den eigentlich gefalzten Worten liegt. Einer solchen aber entgeht man auch abge- sehen von dieser Stelle dennoch nicht. Matth. 12, 25 f. 29. spricht Jesus von einem Reich und Haushalt des Teufeis in einer Weise, welche über das blofs Figürliche augen- scheinlich hinausgeht , besonders aber ist die schon ange- führte Steile, Luc. 10, 18-20., von der Art, dafs sie selbst einem Paulus, der sonst den geheiligten Personen der christlichen Urgeschichte so gerne die Einsichten unseres Zeitalters leiht, das Gestandnifs abnöthigt, das Satansreich sei Jesu durchaus nicht blofs Symbol des Bösen gewesen, und er habe namentlich wirkliche Dämonenbesitzungen angenommen. Denn, sagt er ganz richtig, da hier Jesus nicht zu den Kranken, nicht zum Volke, sondern zu sol- chen spreche, welche selbst von dergleichen Krankheiten nach seiner Anleitung befreiten, so sei es nicht als blof-e Anbequemung erklärbar, wenn er ihr tu datf-toria imotuo— oezai ?]fuv bestätigend wieder aufnehme, und ihre Befähi- gung zur Heilung der Dämonischen als eine Gewalt über die dvvctfiig x£f iz&iiV beschreibe 9). Ebenso treflend hat derselbe Theologe an andern Orten dem Anstofse, welchen solche, deren Bildung mit dem Glauben an Dämonenbesi- tzungen sich nicht verträgt, an dem Ergebnisse nehmen könnten, dafs Jesus jenen Glauben gehabt habe, durch die Bemerkung vorgebeugt, dafs selbst der ausgezeichnetste

9) ex. Handb. 2, S. 566.

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Neuntes Kapitel. §. 91. 11

Geist eine anrichtige Zeitvorstellung beibehalten könne, sofern sie nicht gerade im Bereiche seines besondern Nach* denken* liege lo).

Erläuternd für die nentestamentlichen Vorstellungen von den Dämonischen sind die Ansichten, welche wir bei andern mehr oder minder gleichzeitigen Schriftstellern über diese Materie finden. Die allgemeinen Begriffe von Einflüssen böser Geister auf den Menschen, welche Melan- cholie,-Wahnsinn, Epilepsie zur Folge haben, waren zwar schon frühe bei Griechen ") wie bei Hebräern ,2) verbrei- tet: aber die bestimmtere Vorstellung, dafs die bösen Gei- ster in den Leib des Menschen fahren und von demselben Besitz nehmen , hat sich nachweislich doch erst ziemlich spät, in Folge allgemeiner Verbreitung der orientalischen, namentlich persischen, Pneumatologie unter Hebräern und Griechen ausgebildet ' Daher denn bei Josephus die Rede von daifiuna zoig ^watv tjgdvofteva *f) , iyxa&e£o- fuva 1 5), und dieselben Vorstellungen auch bei Lucian ,Ä) und Philostratus 1 7J.

10) a. a. O. 1, b, S. 483. 2, S. 96.

11) Daher wurde Jaipovuy, xaxoäatporäv = ptXayxoXSv , paht- o9a», gebraucht, und Hippokrates musste die Ableitung der Epilepsie von dämonischem Einflüsse bestreiten, •. bei YVktstei*, S. 282 ff.

12) Man vergleiche die rfiiT TKO HIT» BTl, welche den Saul melancholisch machte, 1. Sam. 16, 14. Ihr Einfluss auf Saul wird durch VtflJ^, sie überfiel ihn, ausgedrückt.

13) s. Crkuzbr, Symbolik, 3, S. 69 f.; Baur, Apollonius von Tyana und Christus, S. 144.

14) Bell. jud. 7, 6, 3.

15) Antiq. 6, 11, 2. von dem Zustand Sauls.

16) fhilopseud. 16.

17) Vita Apollon. 4,20,25-, vgl. Back, a. a. O. 8. 3f f. 42. In- dessen spricht auch schon Aristoteles , de mirab. 166. cd. Bekk., von daiporC Tin yt>o/<eYo<; xcto/oi;.

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12 Zweiter Abschnitt.

a

Über die Natur und Herkunft dieser Geister finden wir in den Evangelien nichts ausdrücklich bemerkt, als dafs sie zum Haushalte des Satan gehören (Matth. 12, 2G ff. parall.), wefswegen denn, was einer von ihnen thut, auch geradezu dem Satan zugeschrieben wird (Luc. 13, 16.)* Durch Josephus 1 8), Justin den Märtyrer19) und Fhiio- stratus 20), mit welchen auch rabbinische Schriften über- einstimmen 2 erfahren wir nun aber, dafs diese Dämo- nien von Hause* aus eigentliche abgeschiedene Seeleh böser Menschen seien, und neuere Theologen haben keinen An- stand genommen, diese Ansicht von ihrer Herkunft auch dem N. T. unterzulegen 22> Näher bestimmen jedoch

18) «. *• 0. des bell. j. : ra yaq xaltlfitva dai/ioyta HOrqQtZv tSiv arfrQtonuiv nvtvßjara, ro?j Zuiatv slidvoftiva xa\ xxslvovra th; ßorjStt'a; ftrj TuyxavovTa{,

19) Apoll. 1, 18.

20) a. a. O. 3, 38.

21) s. Eisexmenger, entdecktes Judenthum, 2, S. 427.

22) Paulus, exeg. Handb. 2, S. 39; L. J. l,a, S. 217. Kr beruft sich hicfiir namentlich auf Matth. 14, 2., wo Herodcs auf das Gerücht von Jesu Wundcrthatcn hin sagt: «rrf; tgtr *Ioidvrrti 6 ftanris/js, avro; uno twv rexgüiy' worin Pau- lus die rabbinische Ansicht vom "VH^ findet, vermöge des- sen (im Unterschiede vom S"uSj oder der eigentlichen Scc- lcnwandcrung, d. h. der Versetzung abgeschiedener Seelen in eben sich bildende Kindericiber) zu der Seele eines Le- benden die eines Verstorbenen als verstärkender Zusatz sich gesellt (s. Eisexmenger, 2, S. 85 ff.). Allein, dass in dem jy/fty nicht diese, sondern die Vorstellung einer wirklichen Auferstehung dos Täufers liege, hat u. A. Fritzsche z. d. St. gezeigt, und wenn auch jene, so wäre doch hier von einem ganz andern Verhältnisse die Rede, als von dem der dämoni- schen* Besitzung. Hier wäre es nämlich ein guter Geist, der in einen Propheten zur Verstärkung seiner Kraft überge- gangen wäre, wie nach späterer jüdischer Vorstellung Seths Seele zu der des Moses, und wieder Moses und Aarons See-

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Neunte« Kapitel. $• 91. 13

Justin und die Rahbinen vorzugsweise die Seelen der Rie- sen, der Abkömmlinge jener Engel, weiche sich mit den Töchtern der Menschen vermischten , und die Rabbinen fei ner noch die Seelen der in der Sündfluth Umgekomme- nen und der Theilhaber am babylonischen Thurrobau, als Plagegeister für die Überlebenden^'), womit auch die Klementinen zusammenstimmen , nach welchen gleichfalls jene zu Dämonen gewordenen Riesenseelen sich als die stärkeren an menschliche Seelen zu hangen, und in Men- schenlerer zu fahren suchen Da nun in der ersteren weiter lautenden Stelle Justin den Heiden aus ihren ei- genen Vorstellungen heraus die Unsterblichkeit beweisen will , so ist die Ansicht von den Dämonen als Seelen Ver- storbener überhaupt , welche er dort äussert, zumal sein Schüler Tatian sich ausdrücklich gegen diese Vorstellung erklärt :5), schwerlich als seine eigene zu betrachten; Josephus aber entscheidet für die im N. T. zum Grunde liegende Ansicht defswegen nichts, weil sich seiner grie- chischen Bildung wegen sehr fragt, ob er jene Lehre in der ursprünglich jüdischen, oder in gracisirter Gestalt wiedergiebt. Darf man nun annehmen , dafs die Daino- nenlehre zu den Hebräern von Persien her gekommen sei: so waren die Dew s der Zendreligion bekanntlich vor der Menschenwelt entstandene, von Hause aus böse Geister, an welchen der Hebraismus für sich nur den letzteren, dem Dualismus angehörigen Zug, nicht aber den ersteren, zu verwischen veranlagt sein konnte. So wurden die Dämonen in der hebräischen Ansicht die gefallenen Engel

len zu der des Samuel sich gesellt haben (fciSBMWK*«* a. *

O.); woraus aber die Möglichkeit eines Übergangs böser Seelen in Lebende noch keineswegs folgen würde.

23) Justin. Apol. 2, 5. Eisknme>gkr, a. a. 0. S. 428 ff.

24) Homil. 8, 18 f. 9, 9 f.

25) Orat. contra (iraecos, 16.

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^Zweiter Abschnitt.

von 1 Mos, 9, die Seelen ihrer, Kinder, der Riesen, und der grofsen Verbrecher vor und unmittelbar nach der Sündfluth überhaupt, welche die Volks Vorstellung allmäh« lig in das Übermenschliche hinaufgesteigert hatte; Uber den Kreis dieser Seelen jedoch, die man sich als den Hofstaat des Satans denken mochte, lag in den Vorstel- lungen der Hebräer kein Grund herabzusteigen. Ein sol- cher lag nur in dem Zusammentreffen der griechisch-rö- mischen Bildung mit der hebrä'ischen : jene hatte keinen Satan, also auch keinen eigenthümlichen , ihm dienenden Geisterstaat, wohl aber hatte sie ihre Manen, Lemuren u. dgl. , sämmtlich abgeschiedene Menschengeister, welche die Lebenden beunruhigten. Product nun der Ausglei- chung jener jüdischen Vorstellungen mit diesen griechisch- römischen scheint die Darstellungsweise des Josephus und Justin , wie auch der späteren Kabbinen , zu sein : dafs aber auch schon im N. T. eine solche zu finden sei, folgt hieraus nicht. Sondern, wenn wir hier diese gräcisirte Vorstellungsweise nicht positiv angezeigt finden, wie sie es denn nirgends ist, vielmehr an einigen Orten die Dä- monen mit dem Satan als sein zugehöriger Haushalt in Verbindung gesetzt sind: so müssen wir, bei der sonsti- gen (soweit keine Umbildung in christlichem Sinne ein- trat) unverraischt jüdischen Denkweise der synoptischen Evangelien , vielmehr jene rein und ursprünglich jüdische Vorstellung als die ihrige voraussetzen.

Die ältere Theologie nun hat bekanntlich, in Betracht der Auctoritnt Jesu und der Evangelisten , die Ansicht von einem wirklichen Besessenseiii jener Menschen durch Dämonen zu der ihrigen gemacht. Die neuere Theologie dagegen, besonders seit Semler26), in Betracht der auf-

26) s. dessen Cowmentatio de dacmoniacis quorum in N. T. fit mentio, und umständliche Untersuchung der dämonischen Leute. Schon zu ürigcncs Zeit gaben übrigens die Arzte

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Neunte« Kapitel. 5.01. jj

fallenden Ähnlichkeit, welche zwischen dem Zustande der neutestamentlichen Dämonischen und mancher natürlich Kranken unsrer Zeit stattfindet, hat angefangen, auch das Übel von jenen aus natürlichen Ursachen abzuleiten, und die im N. T. vorausgesetzte übernatürliche Ursache auf Rechnung der Vorstellungen jener Zeit zu schreiben. Dafs, wo in jetziger Zeit Epilepsie, Wahnsinn und selbst eine, dem Zustand der neutestamentlichen Besessenen Ähn- liche Alteration des Selbstbewußtseins vorkommen, doch nicht leicht mehr an dämonischen Einflufs gedacht wird, hat seinen ürund theils darin, dafs der fortgeschritte- nen Natur- und Seelenkunde jetzt mehr Mittel und An- knüpfungspunkte zur natürlichen Erklärung jener Zu- stande zu Gebote stehen, theils darin, dafs man die Wi- dersprüche, welche in der Vorstellung des Besessenseins iiegen, wenigstens dunkel zu erkennen angefangen hat. Venn abgesehen von den oben auseinandergesetzten Schwierigkeiten, welche die Annahme der Existenz von Teufel und Dämonen überhaupt drücken , so mag man sich das Verhältnifs zwischen dem Seibstbewufstsein und den leiblichen Organen denken wie man will , immer ist doch das schlechterdings nicht vorzustellen , wie das Band zwischen beiden so lose sein sollte, dafs ein fremdes Seibst- bewufstsein sich einschieben, und, mit Verdrängung des zum Organismus gehörigen, diesen in Besitz nehmen konnte. So ergiebt sich für jeden, welcher die Erschei- nungen der Gegenwart mit aufgeklarten , und doch die Erzählungen des N. T. noch mit orthodoxen Augen be- trachtet, der Widerspruch, dafs dasselbe , was jetzt ans natürlichen Ursachen kommt, zu Jesu Zeiten übernatür- lich müfste verursacht gewesen sein.

Diesen undenkbaren Unterschied der Zeiten wegzu-

von dem Zustand der angeblich Besessenen natürliche Er- klärungen, s. Orig. in Matth. 17, 15.

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Zweiter Abschnitt

bringen , nnd doch dem N. T. nichts zu vergeben , läiig- net ÜLSHAüSJiNj welchen wir für diesen Punkt füglich als Repräsentanten der mystischen Theologie und Philoso- phie jetziger Zeit betrachten können, Beides, sowohl dafs jetzt alte dergleichen Zustände natürlich, als dafs damals alle übernatürlich verursacht gewesen seien. Was unsre Zeit betrifft, so fragt er, wenn die Apostel in unsre Irren- häuser träten, wie sie manche der Kranken in denselben nennen würden *7)? Allerdings, antworten wir, würden sie viele derselben Besessene nennen , vermöge ihrer Zeit- und Volksvorstellung nämlich, und nicht vermöge aposto- lischer Erleuchtung; so dafs also der herumführende Mann vom Fache sie mit Recht eines Bessern zu beleh- ren suchen würde, und daraus gegen die Natürlichkeit jener Zustände in unserer Zeit lediglich nichts folgen kann. Von der Zeit Jesu behauptet der genannte Theo« löge, auch von den Juden seien dieselben Krankheits- furmen , je nach der verschiedenen Entstehungsart, das einemal für dämonisch gehalten worden , das andremal nicht, so dafs z. B. einer, der durch organische Verle- tzung des Gehirns wahnsinnig, oder der Zunge stumm geworden war, nicht für dämonisch gegolten haben wür- de, sondern nur ein solcher, dessen Zustand mehr oder minder auch psychisch veranlafst gewesen sei. Beispiele einer solchen , im Zeitalter Jesu gemachten Unterschei- dung bleibt uns ülshausen, wie sich von selbst versteht, schuldig. Wo hätten auch die damaligen Juden die Kennt- nifs der verborgenen natürlichen Ursachen solcher Zu- stände hergenommen, wo die Kriterien, einen durch Müs- bildung des Gehirns entstandenen Wahnsinn oder Blödsinn von psychologisch verursachtem zu unterscheiden ? Wa- ren sie nicht ganz und gar auf die äussere Erscheinung, und zwar in ihren gröberen Umrissen, angewiesen? Diese

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27) b. Comnu 1, S. 296. Anm.

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Neuntes Kapitel §.91. 17

aber ist bei einem Epileptischen mit seinem plötzlichen unvorhergesehenen Niederstürzen and seinen Convul« sionen , bei einem Wahnsinnigen mit seinem Irrereden, namentlich wenn er, durch Rückwirkung der Volksvor- stellungen auf seinen Zustand, in der Person eines Drit- ten spricht, von der Art, dafs sie auf eine fremde den Menschen beherrschende Macht hinweist, und dafs folg- lich sobald einmal der Glaube an dämonische Besitzun- gen im Volke gegeben ist, alle dergleichen Zustände auf solche zurückgeführt werden werden, wie wir diefs im N. T. finden ; wogegen bei Stummheit und gichtischer Verkrümmung oder Lähmung die Herrschaft einer frem- den Macht schon weniger entschieden indicirt ist, und diese Leiden also bald gleichfalls einem besitzenden Dä- mon zugeschrieben werden können, Bald auch nicht; wie wir jenes bei den schon erwähnten Stummen Matth 9, 32. 1*2, 22. und bei der verkrümmten Frau, Luc. 13, 11, dieses bei dem xvjydg ftoydälog Marc. 7, 32 ff. und bei den mancherlei Paralytischen, deren in den Evange- lien gedacht wird, finden; wobei übrigens die Entschei- dung für die eine oder andre Ansicht gewife nicht von Erforschung der Entstehungsweise, sondern lediglich von der äussern Erscheinung ausgegangen ist Haben demnach die Juden, und mit ihnen die Evangelisten, die beiden Hauptarten der hiehergehörigen Zustände auf dämonischen bin Hüls zurückgeführt, so bleibt für den, der sich durch ihre Ansicht gebunden glaubt, ohne sich doch der Bildung unsrer Zeit entziehen zu wollen , die grelle Ungleichheit, dieselben Krankheiten in der einen Z-eit sämmtlich als natürliche, in der andern sämmt- iich als übernatürliche denken zu müssen.

Die schlimmste Schwierigkeit aber erwächst für den ORSHAUSEN 'sehen Vermittlungsversuch zwischen der jü- disch - neutestamentlichen Dämonologie und der Bildung unsrer Zeit daraus , dafs dieses letztere Element in ihm Das Leben Jesu IL Band. Ä

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Zweiter Abschnitt.

der Annahme persönlicher Dämonen widerstrebt Das- selbe, der Bildung des gedachten Theologen durch die Naturphilosophie a »gehörige Streben, das im N. T. als ein Heer discreter Individuen Gedachte emanatistisch in das Continuum einer Substanz aufzulösen, welche zwar einzelne Kräfte aus sich hervortreten, diese jedoch nicht zu selbstständigen Individuen sich hxiren, sondern als Accidenzien wieder in die Einheit der Substanz zurück- kehren läfst, diese i Streben sahen wir schon in öls- hausbn's Angelologie hindurchleuchten , und entschiede- ner tritt es nun in der Dämonologie hervor. Dämonische Persönlichkeiten sind zu widrig , bei den angeblich be- sessenen namentlich das, wie es Olshausen selbst aus- drückt 28), Stecken zweier Subjecte in Einem Indivi- duum zu undenkbar, als dafs mau sich eine solche Vor- stellung zumurhen könnte» Daher wird Überall nur in schwebender Allgemeinheit von einem Reiche des Bösen und der Finsternifs geredet, und zwar ein persönlicher Fürst desselben vorausgesetzt, aber unter den Dämo- nen nur die einzelnen Ausflüsse und Wirkungen ver- standen, in welchen das böse Princip sich uianifestirt. Daher, und hieran ist Olshausen's Ansicht von den Dä- monen am bestimmtesten zu ergreifen, ist es ihm zu viel, dafs Jesus den Dämon im Gadareuer um seinen Namen ge- fragt haben soll: so bestimmt kann doch Christus die von dem Ausleger bezweifelte Persönlichkeit jener Ausflüsse des finstern Reiches nicht vorausgesetzt haben; wefswegen denn das %l pot, ovoitu \ (Marc. 5, 9.) als Frage nach dem Namen nicht des Dämon, sondern des Menschen aufge- fafst wird 29 )y ge^en allen Zusammenhang offenbar, da die Antwort: Xtyiuv , keineswegs als Mifsverstand, son- dern als die rechte, von Jesus gewollte, Antwort erscheint.

28) S. 295 f.

29) S. nich dem Vorgang von Paulus, ex. Handb. 1, b, S. 474.

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Neuntes Kapitel. tJ. 10

Sind nun aber die Dam onen, nach Olshaüsen's An- sicht, unpersönliche Kräfte, so ist es die GesefEmaTsigkeit des Reichs der Finsternifs in seinem Verhaitnifs tum Lichtreiche, was sie leitet und eu ihren verschiedenen Functionen bewegt. Von dieser Seite inüTste also, je schlimmer der Mensch wird, desto enger der Zusammen- hang «wischen ihm und dem Reiche des Bösen sich knü- pfen, und der engste denkbare Zusammenhang, das Ein- gehen der finstem Macht in die Persönlichkeit des Men* sehen, d. h. die Besessenheit, müfste immer bei den Schlechtesten eintreten» Diefs finden wir aber geschicht- lich gar nicht so: die Dämonischen erscheinen in den Evangelien nur so weit als Sünder, wie alle Kranke Vergebung der Sünde nöthig haben, und die grofsten Sünder, wie ein Judas, bleiben von der Besessenheit verschone. Die gewöhnliche Vorstellung, mit ihren per« sönlichen Dämonen, entgeht diesem Widerspruch* Zwar hält auch sie, wie wir diefs e. ß. in den Klementinen finden, daran fest, dafs nur durch die Sünde der Mensch dem Dämon den Zugang eu sich eröffne 3c); doch bleibt hier immer noch, ein Spielraum für die individuelle Wili- kühr des Dämon, weicher aus nicht eu berechnenden subjectiven Gründen oft den Schiechteren vorübergehen, auf den weniger Schlechten aber Jagd machen kann Sly. Werden hingegen, wie von Olsuausem, die Dämonen nur als die Actionen der Macht des Bösen in ihre«, durch Gesetze geregelten Verhaitnifs Eur Macht des Guten betrachtet, so ist jede Willkühr und Zufälligkeit ausge- schlossen, und defswegen bat die Abweisung der Conse-

SO) Hottil. 8, 19.

31) Wie sich Asmodi die San und llire Männer xum Plagen und Umbringen ausersieht, nicht weil jene oder diese beson* ders schlecht waren, sondern weil Sanft Schönheit ihn anzog, Tob, 6, 12. 15.

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zu Zweiter Abschnitt.

qnenz, dafs nach seiner Theorie eigentlich immer die Schlimmsten besessen sein sollten, Olshalsen sichtbare Mühe verursweht. Von dem scheinbaren Kampfe zweier Mächte in den Dämonischen ausgehend, ergreift er zu- nächst den Ausweg, dafs nicht bei denjenigen, weiche sich ganz dem Bösen ergeben , und somit eine innere Ein- heit ihres Wesens behalten, sundern nur bei denen, in welchen noch ein inneres Widerstreben gegen die Sünde vorhanden sei, der Zustand des Besessenseins eintrete * :) So aber, zum rein moralischen Phänomen gemacht, müfste dieser Zustand weit häutiger vorkommen , es müfste jeder heftige innere Kampf in dieser Form sich äussern, und namentlich diejenigen, welche sich später dem Bösen ganz ergeben, ihren Durchgang durch eine Periode des Kampfs, also des ßesessenseins , nehmen. Daher fügt auch Dim- hausen noch ein physisches Moment hinzu, dafs nämlich das Böse im Menschen vorwiegend seinen leiblichen Or- ganismus, insbesondere das Nervensystem, geschwächt haben müsse, wenn er für den dämonischen Zustand em- pfänglich sein solle. Allein wer sieht nicht, zumal sol- che Zerrüttungen des Nervensystems auch ohne sittliche Verschuldung eintreten können, dafs auf diese Weise der Zustand, weichen man der dämonischen Macht als eigen- tümlicher Ursache vindiciren wollte, zum grofsen Theil auf natürliche Gründe zurückgeführt, und somit dem ei- genen Zwecke widersprochen wird? Daher wendet sich Olshausbn von dieser Seite auch bald wieder weg, und verweilt bei der Vergleichung des dmfiovi^ofuvog mit dem novwog, statt dafs er ihn mit dem Epileptischen und Wahnsinnigen ausaminenstellen sollte, aus deren Ver- gleichung allein auf den Besessenen ein Licht zurückge- worfen werden kann. Durch dieses Her überspielen der Sache vom physiologisch - psychologischen Gebiete auf

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32) S. 29*.

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I

Neuutes Kapitel. §. 91. 31

«Us moralisch - religiöse ist der Excurs über die Dämo- nischen eu einem der unbrauchbarsten geworden, die im OLSHAUSEN'schen Buche cu finden sind 3 3).

Lassen wir also die unerfreulichen Versuche, die neutestamentlichen Vorstellungen von den Dämonischen cu modcrnisiren , und unsre jetzigen Begriffe zu judai« siren, fassen wir vielmehr auch in diesem Punkte das N. T. auf, wie es sich giebfc , ohne jedoch durch die Zeit- und Volksvorstellungen in demselben uns für weitere For- schungen die Hände binden su lassen34).

Den bisher ermittelten Vorstellungen vom Wesen der D.imonischen gemäfs gestaltete sich auch das Heilverfah- ren mit solchen Personen, namentlich bei den Juden. Da

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die Krankheitsursache nicht, wie bei natürlichen Übeln, als ein unpersönlicher Gegenstand oder Znstand, wie ein ungesunder Saft, eine krankhafte Spannung oder Schwa- che, sondern als ein selbstbewußtes Wesen angesehen wurde: so suchte man auf dieselbe auch nicht biofs me- chanisch, chemisch und dergl., sondern logisch, durch das Wort, su wirken. Man sprach dem Dämon zu, sich ku entfernen, und um diesem Zuspruch Kachdruck su ge- ben, knüpfte man ihn an die Namen von Wesen, welchen man Macht über das Reich der Dämonen suschrieb. Da- her als Hauptmittel gegen dämonische Besitzungen die Be- schwörung 3 5) , sei es bei dem Namen Gottes, oder der Engel, oder eines andern Übermächtigen Wesens, wie des Messias (A. G. 19, 13.), in gewissen Formeln, die man von Salomo herzuleiten pflegte 3 6). Übrigens wurden hie-

33) Er füllt S. 289-298.

3+) Beiträge zu einer wissenschaftlichen Auffassung der frag- lichen Zustände habe ich in einer Kritik der KmMn'schcn Schrift über Besessene neuerer Zeit, in den Jahrbb. für wiss. Kr. zu geben gesucht.

55) s. die Anm. 16. angeführte Lucianische Stelle.

56) Joseph. Antiq. 8, 2, 5.

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Zweiter Abschnitt.

mit auch gewisse Wurzeln *7), Steine18), Rftucherun- gen und Anmiete J9) in Verbindung gesetzt, ebenfalls, wie man glaubte, aus Salomonischer Überlieferung. Da nun die Ursache von dergleichen Übeln nicht selten wirklich eine psychisohe war, oder doch im Nervensysteme lag, anf welche* sich von geistiger Seite unberechenbar ein- wirken läfst, so tauschte jenes psychologische Verfahren nicht durchaus, sondern es konnte oft wirklich durch die im Kranken erregte Meinung, dafs vor einer Zauberfor- mel der ihn besitzende Dämon sieh nicht länger halten könne, eine Hebung des Übels bewirkt werden; wie denn Jesus selbst zugiebt, dafs auch jüdischen Beschwörern dergleichen Kuren bisweilen gelingen (Matth. 12, 27.)* Von Jesu* aber lesen wir, dafs er ohne anderweitige Mittel und ohne Beschwerung bei einer andern Macht durch sein blofses Wort die Dämonen ausgetrieben ha- be, uni es sind die hervorstechendsten Heilungen die- ser Art, von welohen uns die Evangelien berichten, nunmehr in Erwägung zu ziehen,

§. 92.

Jesu DKmonenaustreibungcn , einzeln betrachtet.

Unter den einzelnen Erzählungen, welche uns In den drei ersten Evangelien von den Kuren Jesu an Dämoni- schen gegeben w irden, ragen besonders drei hervor : die Heilung eines Dämonischen in der Synagoge zu Kaper« naum, die der von einer Menge Dämonen besessenen (ia- darener, und e idlich die des Mondsüchtigen, welohen die Jünger nicht im Stande gewesen waren zu heilen.

Wie nach Johannes die Wasserverwandlnng, so ist Dach Markus (1, 23 ff. ) und Lukas (4, 33 ff. ) die Heilung eines Besessenen in der Synagoge von Kaperna um das er-

37) Joseph, a. a. O.

38) Gittin, f. 67. 2. *

39) Justin. Mart. dial. c. Tryph. 85.

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Neunte« Kapitel. §. 92. 23

ste Wunder, das sie von Jesu seit seiner Rückkehr von der Taufe nach Galiläa zu erschien wissen. Jesus hatte mit gewaltigem Eindruck gelehrt: als auf einmal ein anwe- sender Besessener In der Rolle des ihn besitzenden Dä- mons aufschrie, er wolle mit ihm nichts zu schaffen haben, er kenne ihn als. den Messias, welcher gekommen sei, sie, die Dämonen, zu verderben; worauf Jesus dem Dämon zu schweigen und auszufahren gebot, was unter Geschrei und Zuckungen von Seiten des Kranken und zum grofsen Erstaunen der Menge äber solche' Gewalt Jesu geschah.

Hier könnte man sich allerdings mit rationalistischen Aus'egern die Sache so- vorstellen : wenn der Kranke, der wahrend eines lichten Angenblicks in die Synagoge getre- ten war, von der gewaltigen Rede Jesu einen Eindruck bekommen, und dabei einen der Anwesenden von ihm als dem Messias hatte sprechen hören, so konnte in ihm leicht die Vorstellung sich bilden, der ihn besitzende unreine Geist könne mit dem heiligen Messias nicht zusammenbe- 8tehen, wodurch er in Paroxysmus gerathen, und seine Furcht vor Jesu in der Rolle des Dämon aussprechenlmoch- te. Sah aber Jesus einmal den Menschen so gestimmt, was war ihm naher gelegt, als, die Meinung desselben von seiner Gewalt über den Dämon zu benützen und die- sem das Ausfahren zu gebieten, was 'dann nach den Ge- setzen der Seelenheilkunde, da der Irre von seiner fixen Idee aus ergriffen wurde, gar wohl günstigen Erfolg ha- ben konnte; wefswegen Paulus diesen Fall för die Veran- lassung halt, durch welche Jesus zuerst auf den Gedanken geführt worden sei, seine messianische Geltung zu Hei- lung von dergleichen Kranken zu benützen *).

Doch erhebt sich gegen diese natürliche Vorstellung von der Sache auch manche Schwierigkeit. Dafs Jesus der Messias sei, soll ihr zufolge der Kranke durch die Leute

1) exeg. Handb. 1, b. S. 422; L. J. J, a, S. 218.

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24 Zweiter Abschnitt.

in Her Synagoge erfahren haben. Davon schweigt derTeit nicht blofs , sondern er widerspricht einer solchen Annah- me aufs Bestimmteste. Sein Wissen am Jesu Messiani- tät hebt der aus dem Menschen redende Dämon durch das olöd as rlg el x. %. h deutlich als ein ihm nicht von Men- schen zufällig mitgeteiltes , sondern als ein ihm vermöge seiner dämonischen Natur wesentlich zuLommendes her- aus. Ferner , wenn Jesus ihm ein qMfiüifrqti ! zuruft, so bezieht sich diefs eben auf das, was der Dämon zuvor von seiner Messianittft ausgesagt hatte, wie ja auch sonst von Jesu erzählt wird, dafs er öx ifau kakeiv tu datfiona, Ott ijdfiaccv ctvvov (Marc. 1, 34. Luc. 4, 41.), oder, iva /*>; (pct- veQOV aviov Tioifoiooiy (Marc. 3, 12.); glaubte also Jesus durch das dem Dämon aufgelegte Schweigen das Bekannt- werden seiner Messianita't verhindern zu können, so mufs er der Meinung gewesen sein, dafs nicht der Besessene durch das Volk in der Synagoge etwas von derselben ge- hört habe, vielmehr umgekehrt dieses es von dem ßeses- aenen erfahren könnte , wie denn auch in der Zeit des er- sten Auftritts Jesu , in welche die Evangelisten den Vorfall verlegen, noch Niemand an seine Messianita't gedacht hat.

Fragt es sich demnach, wie, ohne Mittheilung von aussen, der Dämonische Jesum als Messias durchschaut haben könne? so beruft sich Olshausen auf die unnatür- lich gesteigerte Nerventha'tigkeit, welche in dämonischen Personen wie in somnambulen ein verstärktes Ahnungs- vermögen, eine Art von Hellsehen hervorbringe , vermöge dessen ein solcher Mensch gar wohl die Bedeutung Jesu für das ganze Geisterreich habe erkennen können 2). Die evangelische Darstellung freilich schreibt jene Kunde nicht einem Vermögen des Kranken , sondern des in ihm woh- nenden Dämons zu, wie diefs auch allein den damaligen jüdischen Vorstellungen angemessen ist. Der Messias toll«

*

2) b. Comm. 1, 296.

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Neuntes Kapitel. §. 92. 25

te erscheinen, um das dämonische Reich mm stürzen (cfsra— Horn f;fiu<;, vgl. Uoh. 3, 8. Luc. 10, 18 f.), den Teufel iaomt seinen Engeln in den Feuerpfuhl zu werfen (Matth. *5, 41. Offenb. 20, 10.) ')> (i«fs nun die Dämonen den- jenigen, der ein solches Gericht über sie zu üben bestimmt war, als solchen erkennen würden, ergab sich von selbst 4). Indessen iiefse sich diefs. als Einmischung der Ansicht des Referenten, unbeschadet der übrigen Erzählung, in Abzug bringen: wenn nur ein so weit gehendes Ahnungs- vermögen dergleichen Kranken mit Sicherheit zugeschrie- ben werden könnte. Da es nun aber höchst unwahrschein- lich ist, dafs ein auch noch so aufgeregter Nervenkran- ker Jesum zu einer Zeit, wo ihn sonst noch Niemand, und vielleicht er sich selbst noch nicht, für den Messias hielt, als solchen erkannt haben sollte, und andrerseits dieses Erkanntwerden des Messias von den Dämonen so ganz mit den volkstümlichen Vorstellungen zusammen- trifft: so müssen wir wohl vermuthen, dafs in diesem Punkte die evangelische Tradition nicht rein nach der Iiistorisrhen Wahrheit sich gebildet habe, sondern durch jene Verstellungen mitbestimmt worden sei ?). Hiezu war um so mehr Veranlassung, je rühmlicher für Jesum

3) vgl. Behthoi.pt, Christol. Jud. §§. 36. 41.

4 Nach Pesikta in Jalkut Schimoni 2, f. 56, 3. (■. Bmthoi.dt, p. 185. ) erkennt auf ähnliche Weise der Satan den unter dem Throne Gottes präexistirenden Messias mit Schrecken als denjenigen, qui me, sagt er, et omnes gentiles in in- fernum praeeipitaturut est. 5) FftiTzscMz, in Marc. p. 35: In muUit evangeliorum loci* ho- mines legas a pravis daemonibus agitatos, quum primum conspexerint Jesum, eum Messiam esse, a nemine unquam de hac re commonitos, statim int eiligere. In qua re hac nottri Script or es dueti sunt sententia , consentaneum esse , Satanae satcllites facile cognovisse Metsiam, quippe insignia de te tup- plicia aliquando sumturum.

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26 Zweiter Abschnitt,

eine solche Anerkennung von Seiten der Dämonen war. Wie ihm , da die Erwachsenen ihn verkannten, aus dem Munde der Kinder Lob zubereitet war (Matth. 21, 10.), wie er, falls die Mensohen schwiegen, überzeugt war, dafs die Steine schreien würden (Luc, 19, 40,): so mufs» te es angemessen scheinen, den, welchen sein Volk, das zu retten er gekommen war, nicht anerkennen wollte, Ton den Dämonen anerkannt werden zu lassen, dereu Zeognifs, weil sie nur Verderben von ihm zu gevvar- ten hatten, unparteiisoh , und wegen ihrer höheren gel* stigen Natur zuverlässig war,

Haben wir in der zuletzt betrachteten Heilungsge* schichte eines Dämonischen eine von der einfachsten Gat- tung gehabt: so begegnet uns in der Erzählung von der Heilung der besessenen Gadarener (Matth. 8, 28 ff, Marc, 5, 1 ff. Luc. 8| 20 ff.) eine höchst zusammengesetzte, Indem wir hier, neben mehreren Abweichungen der Evangelisten, statt Eines Dämons viele, uud statt des einfachen Ausfahrens derselben ein Fahren in eine. Schwei« neheerde haben.

Nach einer stürmischen Überfahrt über den galiläi. sehen See an das östliche Ufer begegnet Jesu nach Mar- kus und Lukas ein Dämonischer, welcher sich in den Grabmälern jener Gegend aufhielt*) und mit furchtba- rer Wildheit gegen sich selbst ) und Andere zu wüthea

«

6) Ein Lteblingsaufenthalt der Rasenden, t. Lightfoot und Schöttgen x. d. St. , und der unreinen Geister , s. die rab- binischen Stellen bei Wctsteu«,

7) Die Behauptung, dass da« »ar<r«o'nTt*r iawor itfoif» wel- ches Markus dem Besessenen zuschreibt, in lichten Au- genblicken als Busse für seine Verschuldung von ihm ge- schehen sei, gehört zu den Unrichtigkeiten, zu, welchen Olshauskn durch seinen falschen, moralisch - religiösen Standpunkt in Betrachtung dieser Erscheinungen verfuhrt wird, da doch bekannt genug ist, wie gerade in den Par-

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Neuntes Kapitel. $. 92.

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pflegte; nach Matthäus waren es ihrer zwei. Es ist er- staunlich, wie lange sich hier die Harraonistik mit elen- den Ausflüchten, wie, dafs Markus und Lukas nur Ei- nen nennen, weil dieser durch Wildheit sieh besonders ausgezeichnet , oder Matthäus zwei, weil er den dem Wahnsinnigen cur Aufsicht beigegebenen Begleiter mit- gezählt habe, und dergl. *) beholfen hat, bis man eine wirkliche) Differenz zwischen beiden Relationen zuge- ben mochte. Hiebet hat man, in Erwfigung dessen, dafs dergleichen Rasende ungesellig zu sein pflegen, der An- gabe der beiden mittlem Evangelisten den Vorzug gege- ben, und die Verdoppelung des Einen Dämonischen bei dem ersten daraus erklärt, dafs die Mehrheit der der/. /iorf£, von welchen in der Erzählung die Rede war, dem Referenten zu einer Mehrheit von daipovi^Ofiavoi ge- worden sei 9 ). Allein so entschieden ist die Unmöglich- keit, dafs zwei Rasende in der Wirklichkeit sich zu- sammengesellen, oder vielleicht auch nur in der ursprüng- lichen Sage zusammengeselit wurden, denn doch nicht, dafs hierauf allein schon ein Vorzug des Berichts bei Markus und Lukas vor dem bei Matthäus sich begrün- den tief«*. Wenigsten wenn man fragt, welche der beiden Darstellungen der Sache leichter aus der anHern, als der ursprünglichen, in der Überlieferung sich habe bilden können? so wird man die Möglichkeit auf beiden Selten gleich grofs finden. Denn wenn auf die oben ange- zeigte Weise die mehreren Dämonen zu der Vorstellung aueh von mehreren Dämonischen Anlafs geben konnten, so lä/st sich ebenso umgekehrt sagen: in der dem Fac-

oxy&mea solcher Kranken die sei bitzerstörende Wuth ein- tritt.

8) i. die Sammlung von dergleichen Erklärungen bei Fnrrz- seuf, in Matth, p. 327.

9) *o Schulz, über das Abendmahl, S. 309 J Faülui, z. d. St.; Ha»*, L. J. §. 75.

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Zweiter Abschnitt

tum näheren Darstellung des Matthäus, wo von Beses- senen sowohl als von Dämonen in der Mehrzahl die Rede war, trat das specitUch Ausserordentliche, welches dieser Fall in der Erzählung der beiden andern hat, noch nicht hervor, dafs nämlich auf Ein Individuum mehrere Dämonen kamen , und indem man, um dieses Verhält- Bifs hervorzuheben, sich beim Wiedererzählen so aus- drücken mufste, dafs in einem Menschen mehrere Dä- monen sich befunden haben, so konnte diefs leicht Ver- anlassung werden, dafs nach und nach dem Plural der Dämonen gegenüber der Besessene in den Singular ge- setzt wurde. Im Übrigen ist in diesem ersten Eingang die Erzählung des Matthäus kurz und allgemein, die der beiden andern ausführlich malend, woraus man gleich- falls nioht ermangelt hat, auf die gröfsere Ursprünglich- keit der letzteren zu schiiefsen *°). Gewifs aber kann ebensowohl die Ausführung , in welche sich Lukas und Markus theilen , dafs der Besessene kein Kleid an sich geduldet, alle Fesseln zerrissen, und sieh selbst mit Steinen geschlagen habe, eine willkührliche Ausmalung der ein- fachen Bezeichnung yu).t7ioi Xlav sein, welche Matthäus nebst der Folge, dafs Niemand jenen Weg habe gehen können, giebt, als diese eine ungenaue Zusammenfassung von jener.

Die Eröffnung der Scene zwischen dem oder den Dä- monischen und Jesus geschieht hier wie oben durch ei- nen angstvollen Zuruf des Dämonischen in der Person des ihn besitzenden Dämons, dafs er mit Jesus, dem Messias, von welchem er nur dualen zu erwarten hätte, nichts zu schaffen haben wolle« Die zur Erklärung der Erscheinung, dafs der Dämonische Jesum sogleich als Messias erkennt, gemachten Postulate, dafs Jesus da- mals wohl auch schon auf dem peräischen Ufer als Mes-

10) Schulz, s. s. 0.

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sias genannt worden sei TT), oder dafs dem Menschen (welchem seiner Wildheit viegen Niemand nahe kom- men konnte!) einige von den mit Jesu Uber den See Gekummenen gesagt haben , dort sei der Messias an s Land gestiegen »»"d gleicherweise grundlos, als

otienbar ist, wie auch hier dieselbe jüdisch - christliche Voraussetzung über das Verhältnifs der Dämonen zum Messias, wie oben, diesen Zug der Erzählung hervor- gebracht hat l3> Indefs tritt hier noch eine Differenz der Berichte ein. . Nach Matthäus nämlich rufen die Besesse- nen, wie sie Jesu ansichtig werden: %l i]fdv xai ooi ; t)/.0*q ßaocoloai t]ftug ; nach Lukas fällt der Dämo- nische Jesu zn FüTsen, und bittet ihn, ftrj ja (taouviong' nach Markus endlich läuft er von ferne herbei , um Je« zum fufsfällig hei Gott zu beschwören , dafs er ihn nicht quälen möchte. Wir haben also wieder einen Klimax: bei Matthäus ein schreckenvolles Abwehren des unerwünscht . kommenden Jesus: bei Lukas eine bittende Annäherung an den gegenwärtigen; bei Markus sogar ein eiliges Aufsuchen des noch entfernten. Die £rklärer, von Mar- kus ausgehend, müssen selbst zugeben, dafs das Herzu- laufen eines Dämonischen zu Jesu, den er doch fürch- tet, etwas Widersprechendes sei, wefswegen sie sich durch die Annahme helfen, der Mensch, als er sich ge- gen Jesum hin in Bewegung setzte, sei in einem lichten Augenblicke gewesen, in welchem er vom Dämon be- freit zu werden wünschte, und erst durch die Erhitzung des Laufens 14), oder durch die Anrede Jesu lS) sei er in den Paroxysmus gerathen, in welchem er in der Rolle

11) Schliiirmachir, Uber den Lukas, S. 127*

12) r au la s, L. J. 1, s, S. 232. J>) t. Fmtxschi, in Matth. S. 329.

14) Naturliche Geschichte, 2, 174.

15) Paulus, exeg. Handb. 1, b. S. 473; Olshavsiw, S. 302.

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30 Zweiter Abtchnitt.

des Dämons am Unterlassung der Austreibung bat. Al- lein in den zusammen hängenden Worten bei Markus: Idatv - iÖQctfte xccl TiQooexvvqoe xai xQa^ag eint' ist keine Spur von einem Wechsel seines Zustandes zu finden , und es bleibt so das Unwahrscheinliche seiner Darstellung; denn der wirklich Besessene hätte sich, wenn er den gefürchteten Messias von ferne erkannte, eher so schnell wie möglich davon gemacht, als sich ihm genähert , und wenn auch diefs, so konnte er, der sich durch einen Gott feindseligen Dämon besessen glaubte, Jesum doch gewifs nicht bei Gott beschwören , wie Mar- kus den Dämonischen thnn läfst 1 ). Kann demnach sei- ne Darstellung hier die ursprüngliche nicht sein , so ist die des Lukas ihr zu verwandt , und eigentlich nur unt die Züge des lierzulaufens und Beschwörens einfacher, als dafs wir sie für die dem Factum nächste ansehen k «'mu- ten. Sondern die am reinsten gehaltene ist ohne Zweifel die des Matthäus, deren schreckenvolle Frage: ijA&g aide uqo xuiqb ßaaayiaai yioff, einem Dämon, der als Feind des Messiasreichs vom Messias keine Schonung su erwarten hatte, weit natürlicher steht, als die Bitte um Schonung bei Markus und Lukas, wenn gleich Phi- lostratus in einer Erzählung, die man als Nachbildung dieser evangelischen ansehen könnte, sich an die letztere Form gehalten hat x7>

Während man nach dem Bisherigen glauben mufste, die Dämonen haben hier wie in der ersten Erzählung, ohne dafs etwas von Seiten Jesu vorangegangen war, ihn auf die beschriebene Weise angesprochen: so holen nun die zwei mittleren Evangelisten nach, Jesus habe

16) Diess finden auch Paulus S. 474. und Olsbausx* S. 303. auf- fallend.

17) Es ist diess die Erzählung von der Entlarvung einer Empusa durch Apollonius von Tyana, vit. Ap. 4, 35 ; bei Baun S, 145«

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Neuntes Kapitel. $.92. 31

nämlich dem unsaubern Geiste geboten gehabt , den Men- schen zu verlassen. Es frngt sich , wann Jesus diefs ge- than haben soll? Das Nächste wäre: ehe der Mensch ihn anredete; aber mit dieser Anrede ist bei Lukas das fi oo^hctas j und mit diesem weiter rückwärts das Jyax(>cr— £ug so eng verbunden, dafs man den Befehl Jesu vor den Schrei und Fufsfall als deren Ursache setzen müfste. Nun aber ist als Ursache davon vielmehr der blofse An- blick Jesu angegeben, so dafs man bei Lukas nicht sieht, wo jenes Gebot Jesu seine Stelle finden soll« Noch schlimmer ist es bei Markus , wo der Zuruf Jesu durch eine ähnliche Verkettung der Sätze sogar vor das lÖQa/its zurück geschoben wird , so dafs Jesus sonderbarerweise schon aus der Ferne dem Dämon das e^tk&e zugerufen haben müfste. Wenn auf diese Weise bei den beiden mittleren Evangelisten entweder die vorangeschickte zu» sammenhängende Darstellung oder der darauffolgende Zusatz unrichtig sein mufs: so fragt sich nur, was von beiden eher den Schein des Unhistorischen wider sich v habe? Und hier hat selbst Schleiermachkr eingeräumt, wenn in der ursprünglichen Erzählung von einem vor« ausgegangenen Gebote Jesu die Rede gewesen wäre, so würde dieses gewifs in seiner rechten Stelle vor der Bitte der Dämonen , und mit Anführung der eigenen Worte Jesu gegeben worden sein ; wogegen seine jetzi« ge Stellung als Nachtrag, und ebenso seine abgekürzte Fassung in der oratio obliqua (bei Lukas; erst Markus wandelt sie nach seiner Weise in oratio recta um) sehr stark die Vermuthung begründe, dafs es auch nur ein erklärender Nachtrag des Referenten aus eigener Con- jectur sei ,B). Und «war ist es ein höchst störender,

IS) a. a. O. S. 128. Wenn er nun «her diese unrichtige Ergän- zung von Seiten des Lukas daraus erklärt, dass sein Bericht- erstatter vermutlich beim Schiff beschäftigt und etwas zu-

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32 Zweiter Abschnitt.

indem er der ganzen Scene nachträglich eine andere Gestalt giebt, als sie von vorne herein reigte. Zueilt nämlich war sie auf ein zuvorkommendes Ei kennen und Bitten des Dämonischen angelegt: nun aber füllt der Erzähler aus seiner Rolle, und in der Meinung, der Bitte des Dämons um Schonung müsse ein harter Be- fehl Jesu vorangegangen sein, bemerkt er nachholend, dafs Jesus vielmehr mit seinem Gebote zuvorgekommen.

An die INachhoInng dieses Gebots schliefst sich nun bei Markus und Lukas die Frage Jesu an den Dämon an: %l ooi orofta ; worauf sich eine Mehrheit von Dä- monen zu erkennen giebt, und als ihren Namen Xeyewv bezeichnet, eine Zwischen handlung, von welcher Mat- thäus nichts hat. Wie wäre es nun, wenn, wie der vo- rige Zusatz eine nachträgliche Erklärung des Vorherge- henden , so diese Frage und Antwort eine vorausge- schickte Einleitung des Folgenden wäre, und ebenso nur aus den eigenen Mitteln der Sage oder der Referen- ten? Der sofort von den Dämonen ausgesprochene Wunsch nämlich, in die Schweineheerde zu fahren, setzt bei Matthäus noch gar nicht nothwendig eine Mehrheit von Dämonen in jedem der beiden Besessenen voraus, da wir nicht wissen können, ob der Hebräer nicht auch zwei Dämonen in ein Besitzungsverhältnifs zu einer gan- zen Heerde zu setzen im Stande war: wohl aber konnte ein späterer Erzähler meinen, die Zahl der bösen Geister mit der Zahl der Schweine ausgleichen zu müssen. Was nun bei Thieren eine Heerde, das ist bei Menschen und höheren Wesen ein Heer oder eine Heeresa btheiiung, und da lag, wenn eine gröfsere Abtheilung bezeichnet

rückgeblicben, dem Anfang der Scenc mit dem Dämoni- schen nicht angewohnt habe, so ist diess ein gar xu neu- gieriger Scharfsinn neben der veralteten Annahme eines möglichst unmittelbaren Verhältnisses der evangelischen Be- richte zu den Thatsachcn.

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.Neuntes Kapitel. §. 92. 33

werden tollte, nichts näher, als die römische Legion, welche Matth. 26, 53. auf die Engel, wie hier auf die Dämonen, angewendet ist Dafs es nun aber, auch abgesehen Ton dieser näheren Bestimmung, mehrere Dä- monen gewesen sein sollen, welche hier in Einem In- dividuum ihre Wohnung aufgeschlagen hatten , ist als undenkbar zu bezeichnen. Denn wenn man zwar so viel etwa noch sich vorstellig machen kann,. wie Ein Dämon, mit Unterdrückung des menschlichen Bewußtseins, sich eines menschlichen Organismus bemächtigen könne; so gebt einem doch alle Vorstellung aus, sobald man gar Viele einen Menschen besitzende dämonische Persönlich-. Leiten sich denken soll. Denn da dieses Besitzen nichts Anderes ist, als, sich zum Snbject des Bewußtseins in einem Individuum machen, das Bewußtsein aber in der* Wirklichkeit nur Eine Spitze, Einen .Mittelpunkt, haben kann : so ist jedenfalls das schlechterdings nicht an den- ken , dals au gleicher Zeit mehrere Dämonen von einem Menschen sollten besitz nehmen können, und es könnte die mehrfache Besitzung immer nur als successiver Wech- sel des Besessenseins durch verschiedene Dämonen vor* haudeu sein , und nicht wie hier ein ganzes Heer der« selben zugleich im Menschen wohnen und zugleich ihn verlassen.

Darin nun stimmen weiterhin alle Erzählungen ü her- ein , dafs die Dämonen (um nicht, wie Markus sagt, aus« sar Landes, oder nach Lukas in den Abgrund verwiesen zu werden) Jesum um die Erlaubnils gebeten haben, in die benachbarte Schweineheerde zu fahren, dals ihnen diefs von Jesu gestattet worden , und sofort durch ihre Einwirkung sämmtliche Schweine (Markus, man darf nicht fragen, aus welchen Mitteln, bestimmt ihre Zahl auf 2U0O) in den See gestürzt und ersoffen seien. Bleibt man hier auf dem Standpunkt der Berichte, welche durchaus wirk* liehe Dämonen voraussetzen, stehen, so fragt es sich: wie Das JLeben Jesu II. Band. ?

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;<t Zweiter Abschnitt.

können Dämonen, eingeräumt auch, dafs sie von Men- schen Besitz nehmen können , - nie können sie aber, als in jedem Falle vernünftige Geister, den Wunsch haben und erreichen, in thierische Bildungen einzugehen ? Jede Reli- gion und Philosophie, welche die Seelenwanderung verwirft, ihufs aus demselben Grunde auch die Möglichkeit eines sol- chen Überganges läugnen , und ölshausen stellt vollkom- men richtig die gadarenischen Saue im IN. T. mit ßileams Esel im alten als ein ähnliches oxurdcäov xal nQogxoftfta zusammen Diesem ist er aber durch die Bemerkung,

dafs hier nicht an ein Eingehen der eineeinen Dämonen in die einzelnen Schweine, sondern an ein blofses Einwirken »ämmtlicher bösen Geister auf die Thiermasse zu denken sei, mehr ausgewichen, als dafs er darüber hinweggekom- men wäre. Denn das elgek&elv etg rüg zoiQug, wie es dem f.zzlfclv ix iii avÖQwns gegenübersteht, kann doch unmög- lich etwas Anderes bedeuten, als dafs die Dämonen in das- selbe Verhältn i fs , in welchem sie bisher zu den besessenen Menschen gestanden, nunmehr zu den Schweinen getre- ten seiend auch konnte sie vor der Verbannung ausser Lands oder in den Abgrund nicht ein blofses Einwirken, sondern nur ein wirkliches Einwohnen in den Leibern der Thier« bewahren: so dafs jenes oxdvdakov stehen bleibt. IH möglich alio kann jene Bitte von wirklichen Dämonen, sondern nur etwa von jüdischen Wahnsinnigen vorgebracht worden sein, nach den Vorstellungen ihres Volkes. Ohne leibliche Hülle zu sein , macht diesen zufolge den bösen Geistern Qual, weil sie ohne Leib ihre sinnlichen Lüste nicht befriedigen können 2C); waren sie daher aus den Menschen ausgetrieben , so mufsten sie in Thierleiber zo fahren wünschen, und was tau- te für ein nvtv/ua dxdöctQJOv

19) S. 305. Anm.

2w; CUm. hoot. 9, 10«

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Neuntes Kapitel. §. 02. 35

besser, als ein fwor axddvQrov, wie das Schwein war? 2I) So weit könnten also die Evangelisten in diesem Punkte das Faktische richtig wiedergeben, indem sie nur ihrer Vor- stellung gemafs den Dämonen zuschreiben, was vielmehr die Kranken aus ihrem Wahne heraus sprachen. Nun aber, wenn es weiter helfet, die Dämonen seien in die Schweine gefahren, berichten da die Evangelisten nicht eine offenbare Unmöglichkeit? Paulus meint, auch hier, wie sonst immer, identinciren die Evangelisten die besesse- nen Menschen mit den sie besitzenden Dämonen , und schrei- ben also das tigtX&eiv eig zvg yoioxg den letzteren eu , wah- rend doch in der Wirklichkeit nur die erster en ihrer fixen Idee gemfifs auf die Schweine losgerannt seien 2 2). Hier liefse sich zwar des Matthäus anrjkOov £<V 1 : > X0'- Qsg, für sieb genommen, etwa noch von einem Losrennen auf die Heerde verstehen; aber nicht nur mufs Paulus selbst einräumen, dafs das elgtX&omg der beiden andern Synoptiker ein wirkliches Hineingehen in die Schweine bezeichne, sondern es hat auch Matthäus, wie die beiden andern, vor dem unr^&ov ein tZil&lneg ol daipoitg (sc. ix iwv av&QWTttov') , wodurch also die in die Schweine fah- renden Dämonen von den Menschen, aus welchen sie vor- her wichen, deutlich genug unterschieden sind :3). So er- zählen also unsre Berichterstatter hier nicht blofs wirklich Vorgefallenes, gefärbt durch die Vorstellungsweise ihrer Zeit, sondern hier haben sie einen Zug, der gar nicht auf diese Weise vorgefallen sein kann. >

21) rRiTzscHK, in Matth, p. 352. Nach Eisbxmskgir 2, 447 ff. halten sich, der jüdischen Vorstellung gemäss, die Dämo- nen überhaupt gern an unreinen Orten auf, und in Jalkut Bubeni f. lo, 2. (bei WlTSTSia) findet sich die JSotir: Anima idololatrarum, quae venit a spiritu immundo, vocatur porcus»

22) a. a. O. S. 474. 485- Ebenso Wikir, b. Bralw. 1, S. 102.

23) Kritischi, in Matth. 8. 330.

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.1« , Zweiter Abschnitt.

Neuen Anstois macht die Wirkung, welche die Dä- monen in den Schweinen hervorgebracht haben sollen. . Kaum in dieselben gefahren nämlich sollen sie die ganze Heerde angetrieben haben, sich in den See eu stürzen, wobei man mit Recht fragt, was denn die Dämonen nun durch das Fahren in die Thiere gewonnen haben, wenn sie diese alsbald vernichteten, und sich somit der so sehr erbetenen leidlichen Interimswohnung selbst wieder be- raubten ")? Die Vermuthung, die Absicht der Dämonen bei Vernichtung der Schweine sei gewesen, die GemUther der Eigenthfimer durch diesen Verlust gegen Jesum ein zu- nehmen, was auch erfolgt sei**), ist zu weit hergeholt; die andre, dafs der mit Geschrei auf die Heerde losstür- zende Dämonische sammt den im Schrecken davonlaufen- den Hirten die Schweine scheu gemacht und in s Wasser gejagt habe36), würde, wenn sie auch nicht nach dem Obigen dem Text zuwider wäre, doch nicht hinreichen, um das Ertrinken einer Heerde von 2000 Stücken nach Markos, oder überhaupt nur einer grofsen Heerde, nach MatthÄus, zu erklären. Die Ausflucht, dafs wohl nur ein Theil der Heerde ersoffen sei27), hat in der evangelischen Erzählung nicht den mindesten Halt. Vermehrt wird für diesen Punkt die Schwierigkeit durch die nahe liegen- de Reflexion auf den nicht geringen Schaden, welchen das Ertrinken der Heerde den Eigentümern brachte, und des- sen mittelbarer Urheber Jesus gewesen wäre. Die Ortho* doxen, wenn sie Jesum in irgend einer Wendung dadurch rechtfertigen wollen, dafs durch Zulassung des Übergangs der Dämonen in die Schweine die Heilung des Besessenen möglich gemacht worden sei, und dafs doch gewifs Thiere getödtet werden dürfen, damit die Menschen lebendig wer-

24) Paulus, s. a. 0. S. 475 f.

I. 25) OlIHAUIBK, S. 307.

2ß) Paulus, S. 474.

20 Paulus, S. 485; Wctih, a. a. 0.

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Neunte* Kapitel. §. 02.

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den **), bedenken nicht, dafs sie hiedarch anf die fUr ihren Standpunkt inconsequenteste Weise die absolute Macht Jesu über das dämonische Reich beschränken. Die Auskunft aber, Jesus habe, sofern die Schweine Ju-

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den gehörten, diese für ihre gewinnsüchtige Übertretung des Gesetzes strafen wollen :9), Überhaupt habe er aus göttlicher Vollmacht gehandelt, welche oft zu höheren Zwecken Einzelnes zerstöre, und durch ßlifz, Hagel und Überschwemmung vieler Menschen Habe vernichten lasse30), worüber Gott der Ungerechtigkeit anzuklagen, albern wä- re J,)> diefs wieder die auf orthodoxem Standpunkt unerlaubteste Vermischung des Standes der Erniedrigung Christi mit dem seiner Erhöhung, ein schwärmerisches Hin- ausgehen Ober das besonnene paulinisehe ytvoftevov vrto voftoy (Gal. 4, 4.) und eawov ix&vcjoe (Phil. 2, 7.), welches uns Jesnm völlig entfremdet, indem es ihn .auch in Bezug auf die sittliche ßeurtheilung seiner Handlungen über das Maafs des Menschlichen hinaushebt. Es blieb daher hur noch übrig, das vom Standpunkte der natürlichen Erklä- rung vorausgesetzte Hineinrennen der Dämonischen unter die Schweine und deren dadurch herbeigeführten Unter- gang als etwas Jesu selbst Unerwartetes, für das er also auch nicht verantwortlich sei, darzustellen im offensten Widerspruch gegen die evangelische Darstellung, welche Jesum die Erfolge, sofern er sie auch nicht geradezu be- wirkt, doch aufs Bestimmteste vorhersehen Jäfst33). Es scheint daher auf Jesu die Beschuldigung eines Eingriffs in fremdes Eigenthum liegen zu bleiben, wie denn Gegner des

28) Olshauskn, a. a. O. 20) Den. ebenda«.

30) UixMANir , Uber die Unendlichkeit Jesu , in seinen Studien,

1, i, S. 51 f. '31) Olshaumx, a. a. 0. 52) Paulus. 33) s. UmfAifjf.

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Zweiter Abschnitt

Otristenthums diese Erzählung sich längst gehörig eu Nutze gemacht haben 54); wenigstens w«re Pythagoras in Ähn- lichem Falle weit billiger verfahren, da er die Fische, de- ren Loslas*ung er von den Fischern, die sie gefangen hat- ten, auswirkte, ihnen baar bezahlt haben soll 3 f).

Bei diesem Gewebe von Schwierigkeiten, welche na- mentlich der Punkt mit den Schweinen in die vorliegende Er/fihlung bringt, ist es kein Wunder, dafs man in Bezug auf diese Anekdote früher als bei den meisten andern aus dem Öffentlichen Leben Jesu angefangen hat, die durch- gängige historische Realität der Erzählung eu bezweifeln, und insbesondere den Untergnng der Schweine mit der durch Jesum bewirkten Austreibung der Dämonen- ausser Bezie- hung zu setzen. So fand Krug in der Stellung beider Er- folge ein in der Tradition entstandenes vzeoov tiootbqov. Die Schweine seien schon vor der Landung Jesu durch den Sturm, der während seiner Überfahrt wüthete, in deu See gestürzt worden, und als Jesus nachher den Dämonischen heilen wollte, habe entweder er selbst, oder einer aus sei- nem tiefolge, den Menschen beredet, seine Dämonen seien bereits in jene Schweine gefahren, und haben sie in den See gestürzt; was dann als wirklich so erfolgt aufgenom- men und weiter gesagt worden sei K. Ch. L. Schmidt IftTstj als Jesus an's Land stieg, die Hirten ihm entgegen geSon, indessen von den sich selbst überlatsenen Schwei- nen mehrere in das Wasser stürzen, und da nun um eben diese Zeit Jesus dem Dämon auszufahren geboten habe, so haben die Umstehenden Beides in Causalzusammenhang ge-

54) *. B. Wooivrow, Disc. 1, S. 52 ff.

55) Jamblich. vitS Pythag. no. 36. ed. Kießling.

5G) In der Abhandlung Uber genetische oder formelle ErXTarungs- trt der Wunder, in Henke'» Museum 1, 5, S. 410 ff. Zu lo- ben ist hier such das Bewuaitaein davon , dasi die Darstel- lung bei Matthaus die einfachere, die der beiden andern Evangelisten die ausgeschmücktere ist.

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Neunte* Kapitel. §.92. VJ

setst *7). Ohne weitere Bemerkung erkennt man in diesen Erklärungsversuchen, an der grofsen Rolle, welche in den- selben das zufällige Zusammen treffen verschiedener Umstün- de spielt, die ungeschickte Vermischung der mythischen Er- klärung mit der natürlichen, wie sie den ersten Unterneh- mungen auf dem mythischen Standpunkt eigen gewesen ist. Statt also eine wunderlose Grundlage zu erdenken, für wel- che wir nirgends eine Bürgschaft haben, und welche die Entstehung der wunderhaft ausgeschmückten Erzählung in den Evangelien nicht einmal erklärt: müssen wir vielmehr fragen, ob in der Zeit der muthmafslichen Bildung der evangelischen Erzählungen sich nicht Vorstellungen finden, aus welchen sich der Zug mit den Schweinen in der vor- liegenden Geschichte erklären liefse?

Eine hiehergehörige Zeitmeinung hatten wir schon, nämlich die, dafs Dämonen nicht ohne Leib sein wollen, und, dafs sie gerne an unreinen Orten seien, wefs wegen ihnen die Leiber von Schweinen am besten taugen mufsten: indefs erklärt sich hieraus der Zug noch nicht, dafs sie die Schweine in das Wasser gestürzt haben sollen. Doch auch hiefür fehlt es nicht an erklärenden Notizen. Josephus be- richtet von einem jüdischen Beschwörer, der durch Salo- monische Formeln und Mittel die Dämonen austrieb, dafs er, um die Anwesenden von der Realität seiner Austrei- bungen su Überführen, in die Mähe des Besessenen ein Wassergefäfs gestellt habe, welches der ausfahrende Dä- mon umwerfen, und dadurch den Zuschauern augenschein- lich zeigen mufste, dafs er aus dem Menschen heraus sei38).

37) Exeg. Beiträge, 2, 109 ff,

38) Antiq. 8, 2y 5 : fluZd/arof Sh ntiaa* 4fo* nctQa&joa* roXf nfl^a- ivyx*y»et* & *l:.ifd±nt(,o; , txh raCrr-v i/rt to/vv , it£9tt /diXQor

1fiitQoo9tv tjroi nmjqßor nlij^tt Maros q noSSvnTQOv, *a\ n~> SatpoviM n^oadrurrty i^idrrt rS av^^'n» ravr uvar(>iy>at % xai 7iai>aox*ir iniyräyat rotf oqiootY, ot$ »aciaUlomt ror äy^umoy.

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Zweiter Abschnitt.

Auf ähnliche Weise wird von Apollonias von Trans erzählt, dafs er einem Dämon, der einen Jüngling besessen hatte, befohlen habe, sich mit einem sichtbaren Zeichen zu ent- fernen, worauf derselbe sich erbot, ein in der Nahe befind- liches Standbild umzuwerfen , welches dann zum grofsen Erstaunen aller Anwesenden wirklich in dem Augenblicke umfiel, als der Dämon den Jüngling verliefs39). Galt Ma- nsch das in Bewegung Setzen eines nahen Gegenstandes Ahne körperliche Berührung als die sicherste Probe der Realität einer Dämonenauetreibung : so durfte diese Probe . auch Jesu nicht fehlen, und zwsr, wenn jener Gegenstand bei einem Eleazar nur jutxQov von dem Beschwörer und dem •Kranken entfernt, mithin der Gedanke an eine Täuschung nicht ganz ausgeschlossen war, so räumt in Bezug auf Je- sttm MatthfffH, hierin ausmalender als die beiden andern, durch die Bemerkung, dafs die Schweineheerde fiaxoav geweidet habe, auch den letzten Rest einer solchen Mög- lichkeit hinweg. Oafs der Gegenstand, an welchem Jesus - diese Probe ablegte, schon In der ursprünglichen Erzäh- lung eine Sohweineheerde war, diefs, wie es zunächst aus der jtiifischen Vorstellung von unreinen Geistern und Thie- le hervorgegangen war, so gab es nun ferner erwünschte Gelegenheit, einer andern Tendenz der Sage genug zu thun. Jesus sollt© nämlich nicht blofs gewöhnliche Besessene, wie den der ersten von uns betrachteten Geschichte, geheilt ha- ben, sondern die schwierigsten Kuren dieser Art sollten ihm gelangen sein. Den gegenwärtigen Fall als einen von finsterster Schwierigkeit darzustellen, darauf ist ron vorne herein die ganze Erzählung mit ihrer grellen Schilderung Von dem furchtbaren Zustande des Gsdareners angelegt. Zu dem Cemptlcirten eines solchen Falles gehörte nun aber besonders, dafs die Besitzung keine einfache, sondern, wie bei Maria Magdalena, d(p daifiona tivta i!-eAy).v9u

iD) Philostr. v. Ap., 4, 20; bei Baur, a. t. Ü. S. 39.

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Neuntes Kapitel. $. 92. 41

(Lac. 9, 2.) , oder bei der dämonischen Recidive, wo der ausgetriebene Dämon mit sieben ärgeren wiederkommt (Matth. 12, -I V), eine mehrfache war, wefswegen denn hier, gemäfs der muthmafslichen Zahl einer Heerde, selbst diese Zahlen, namentlich von Markos, noch weit überboten sind. Die Einwirkung der aus den Menschen vertriebenen Dämonen aber, wie sie an einem WassergefaTs oder Standbilde durch nichts augenscheinlicher sich zeigen konnte, als dadurch, da Ts dasselbe gegen sein natürliches, durch das Gesetz der Schwere bestimmtes Verhalten umfiel: so konnte sie an Thieren durch nichts sicherer sich bethätigen, als wenn diese, ihrem natürlichen Lebenstriebe zuwider, sich zu er- säufen veranlagt wurden. Nur diese Entstehung unserer Erzählung aus dem Zusammentreffen verschiedener Zeitvor- stellungen und Interessen erklärt auch den oben bemerkten Widerspruch, dafs die Dämonen zuerst die Schweine als Aufenthalt sich erbitten, und unmittelbar darauf diesen Aufenthalt selbst zerstören. Jene Bitte nämlich ist, wie gesagt, aus der Vorstellung von der Scheue der Dämonen vor Kinderlosigkeit erwachsen, diese Zerstörung aber aus der hienut gar nicht zusammenhängenden von einer Aus- treibungsprobe; was Wunder, wenn aus so heterogenen Vorstellungen zwei widersprechende Züge in der Erzäh- lung hervorgiengen ?

Die dritte und letzte ausführlich erzählte Däroonenaus- treibung hat das Eigenthümliehe , dafs zuerst die Jünger vergeblich die Heilung versuchten, hierauf aber Jesus die- selbe mit Leichtigkeit vollbringt. Sämmtliche Synoptiker nämlich (Matth. 17, 14 ff. ; Marc. 9, 14 ff.; Luc. 9, 37 ff.) berichten einstimmig, wie Jesus mit seinen drei Vertraute- sten vom Verklärungsberge herabgekommen sei, habe er seine übrigen Jünger in der Verlegenheit gefunden, dafs sie einen besessenen Knaben, welchen sein Vater zu ih- nen gebracht hatte, nicht im Staude gewesen seien, zu

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Zweiler Abschnitt.

Auch In dieser Erzählung findet eine Abstufung sMt von der gröTsten Einfachheit bei Matthäus bis zur gröfsteu Ausführlichkeit der Schilderung bei Markus, was denn auch hier wieder die Folge gehabt bat, daf* man den Be- richt des Matthäus als den der Thatsache am fernsten ste- henden den Relationen der beiden andern nachsetzen zu müssen glaubte40). Im Eingange ififst Matthäus Jet um, vom Berge herabgestiegen, zu dem ox^og atofsen, hierauf den Vater des Knaben zu ihm treten und ihn fufsfällig um Heilung desselben bitten ; nach Lukas kommt ihm der o^u«; entgegen; nach Markus endlich sieht Jesus um die Jün- ger viel Volks und Schriftgelehrte , die mit ihnen streiten, das Volk, wie es seiner ansichtig wird, läuft hinzu und be- griffst ihn, er aber fragt, was sie streiten? worauf der Vater des Knaben das Wort nimmt« Hier haben wir in Bezug auf das Benehmen des Volks wieder einen Klimax : aus dem zufälligen Zusammen treffen mit demselben bei Matthäus war schon bei Lukas ein Entgegenkommen des Volks geworden, und dieses steigert nun Markus zu einem Herbeilaufen, um Jesum zu begrüfsen, wozu er noch das abenteuerliche ü-eSctfißqfy fügt. Was in alier Welt hatte das Volk, wenn Jesus mit einigen Jüngern daherkam, so sehr zu erstaunen? Diefs bleibt durch alle andern Erklä- rungsgründe, die man aufgesucht hat, so unerklärt, da Ts ich den Gedanken des Euthymius nicht so absurd finden kann , wie Fritzsche ihn dafür ausgiebt, es sei an dem eben vom Verklärungsberg herabgestiegenen Jesus noch et- was von dem himmlisehen Glänze, der ihn dort umleuchtet hatte, gichtbar gewesen, wie bei Moses, als er vom Sinai herunterkam (2 Mos. 34,29. f.). Dafs unter diesem Volks- gedränge zufällig auch Schriftgelehrte sich befunden ha- ben, welche den Jüngern wegen der mifslungenen Heilung zusetzten uud sie in einen Streit verwickelten , ist zwar an

40) Schulz, S. 319.

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Neuntes Kapitel. J. 92. 43

und für sich gar wohl denkbar , aber Im Zusammenhang

vit jenen Übertreibungen hinsichtlich des Verhaltens der Menge raufs auch dieser Zug verdächtig werden , zumal die beiden andern Berichterstatter ihn nicht haben ; so dafs, wenn sich «eigen läfst, auf welche Weise der Referent dazu kommen konnte, ibu aus eigener Combination hinzu- zufügen , wir ihn mit höchster Wahrscheinlichkeit fallen lassen dürfen. In Beeug auf die Fähigkeit Jesu, Wunder zu thun, hiefs es bei Markus früher einmal (S, 11.) bei Gelegenheit der Forderung eines himmlischen Zeichens von den Pharisäern: ijofcrrro üv^tjthv amy, und so lief« er denn hier, wo die Jünger sich unfähig «um Wunderthun zeigten, die grofsentheils zur pharisäischen Secte gehöri- gen yQaftftccTeTg als ov^iötrag tolg [icefyTcag auftreten. Auch in der folgenden Schilderung der Umstände des Kna- ben findet dieselbe Abstufung in Bezug auf die Ausführ- lichkeit statt, nur dafs Matthäus das atlividZuat eigen hat, welches man ihm nie hätte «um Vorwurf machen sol- len ♦■), da die Herleitung periodischer Krankheiten vom Monde im Zeitalter Jesu nichts Ungewöhnliches war 41). Dem Markus ist die Bezeichnung des den Knaben besitzen- den nveTficc als cllalov (V. 17.) ond xaxpov (V. 25.) eigen- thümlich; es konnte nämlich das Ausstossen unarticulir- ter Laute während des epileptischen Anfalles als Stumm- heit , und das für jede Anrede unzugängliche Verhalten des Kranken als Taubheit des Dämons angesehen werden.

Wie der Vater Jesu in von dem Gegenstande des Streites und der Unfähigkeit seiner Jünger, den Knaben zu hei- len, unterrichtet hat, bricht Jesus in die Worte aus: yma ixrngog xai ditcoaufiivrj x. t. X. Vergleicht man bei Mat- thäus den Schiufs der Erzählung, wo Jesus den Jüngern

41) Wie Schulz a. a. O. zu thun scheint.

42) s. die von Paulus cxcg. Handb. 1, b, S. 569, und von Wims, 1, S. 191 f. angeführten Stellen.

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44/ Zweiter Abschnitt.

auf die Frage, warum sie den Kranken nicht haben hei- len können, cur Antwort giebt: dia zrj amgiav vfiüv, und hieran die Schilderung der bergeversetzenden Macht schliefst, welche ein auch nur aenfkorngrofser Glaube ha- be (V. 19 ff.): so kann man nicht zweifelhaft sein, dafs nicht auch jene unwillige Anrede sich auf die Jünger be- siehe, in deren Unfähigkeit, den Dämon auszutreiben, Jesus einen Beweis ihres noch immer mangelhaften Glau- bens fand 4 *)• Diese schiiefsliche Erklärung des Unver- mögens der Jünger aus ihrer amgla lafst Lukas weg, und Markus thut ihm nicht nur dieses nach , sondern flicht auch V. 21—24. eine ihm eigenthümliche Zwischenscene zwi- schen Jesus und dem Vater ein , in welcher er zuerst Ei- niges Über die Krankheitsumstände , theils aus Matthäus, theils aus eigenen Mitteln, nachholt, hierauf aber den Va- ter zur ;thig aufgefordert werden, und sofort mit Thränen die Schwäche seines Glaubens und den Wunsch einer Stär- kung desselben aussprechen lafst. Dieses zusammen genom- men mit der Notiz von den streitenden Schriftgelehrten, wird man nicht irre gehen, wenn man bei Markus und wohl auoh bei Lukas die Anrede: cJ yavia ümgog9 auf das Publikum im Unterschiede von den Jüngern, nach Markus namentlich auch auf den Vater des Knaben, bezieht, des- sen Unglaube hier als der Heilung hinderlich , wie ander- wärts (Matth. 9., 2.) der Glaube der Angehörigen als der* selben förderlich, dargestellt wird. Da aber beide Evange- listen diesen Sinn dadurch hervorbringen, dafs sie die Er- klärung der Unwirksamkeit der Jünger aus ihrer dtiigia sammt dem Ausspruch Über die Berge versetzende Macht des Glaubens hier weglassen: so fragt sich, ob die an- dern Verbindungen, in welohe sie diese Reden stellen, pas- sender als die bei Matthäus sind? Bei Lukas nun steht der Ausspruch: wenn ihr Glauben habt, wie ein Senfkorn

45) so FaiTzicus z. d. St.

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Neuntes Kapitel. §. 92. 45

o. s. f. C«enn das dia tt]v anigictv iftaiv haben beide gar nicht), nur mit der geringen Variation, dafs statt des Ber- ges ein Baum genannt ist, 17, 5. 6. ausser aller Verbin- dung weder mit dem Vorhergehenden noch Folgenden als ein versprengtes Redestfick kleinster Gröfse, mit der ohne Zweifel nach Art von Luc. 11, 1. und 13, 23. gemachten Einleitung, dafs die Jünger Jesum bitten: nQcgOeg rtfuv fitgiv* Markus giebt die Sentene vom Berge versetzen- den Glauben als Nutzanwendung eu der Geschichte vom verfluchten Feigenbaume, wo sie auch Matthäus wieder hat. Aber dazu palst, wie wir bald sehen werden, der Aus- spruch gar nicht, sondern, wenn wir nicht ganz darauf verzichten wollen, etwas von dem Anlafs eu wissen, bei welchem er gethan worden ist, so müssen wir die Ver- bindung bei Matthäus als die ursprüngliche annehmen ; denn eu einer den Jüngern mifslungenen Kur pafs: er vor- trefflich. — Ausser dem Zwischenspiele mit dem Vater hat Markus die Scene auch dadurch noch effectvoller eu ma- chen gesucht, dafs er während jener Zwischenhandlung ei- nen Volkssulauf entstehen, nach Austreibung des Dämons den Knaben wgtl ybxqov, so dafs Yiele sagten, Sri dni9a~ ter, hinsinken, und von Jesu, wie er sonst bei Todren that (Matth. II, 25.) , durch ein-*ocrr£iV %rtg y^tnog aufgerich et und ins Leben zurückgerufen werden läfst.

Während nach vollendeter Kur Lukas durch eine kurze Hinweisung auf das Erstaunen des Volkes schliefst, lassen die ersten Synoptiker beide die Jünger, als sie mit Jesu allein sind, die Frage an ihn richten, warum sie nicht im Stande gewesen seien , den Dämon ausEutreiben ? was er nun bei Matthaus Eunächst auf die erwähnte Weise aus ihrem Unglauben, bei Markus aber daraus erklärt, dafs Tfcto to yivog iv udtvl dvvarat igeXOeiv, el fti) iv nQogevxfi xal vrtgtiq , was auch Matthäus nach den Reden über Un- glauben und Glaubensmacht noch hinzufügt. Diefs scheint nun bei Matthäus eine üble Zusammensetzung Ell gehen ;

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4G Zweiter Abschnitt.

denn wenn eu der Heilang Fasten und Beten erforderlich war: so hätten die Jünger, falls sie nicht vorher gefastet hatten , auch mit dem festesten Glanben den Dämon nicht ansEUtreiben vermocht 44). Ob nun die Auskunft genüge, die beiden von Jesu namhaft gemachten Gründe der Un- wirksamkeil der Jünger dadurch eu vereinigen , dafs man Fasten und Beten eben als Stärkungsmittel des Glauben» betrachtet 4S), oder ob mit Schlei ermach er eine Zusam- menstellung von nicht zusammengehörigen Aussprüchen an- zunehmen sei, bleibe hier dahingestellt. Dafs übrigens ei- ne solche geistige und leibliche DiÄt des Exorcisten auf den Besessenen von Wirkung sein sollte , hat man befremdlich gefunden , und indem man eine solche mit Porphyrius 4<s) eher dem Kranken angemessen dachte , hat man die KQog— evjp] xal vqgeia als eine dem Besessenen, um die Kur ra- dical eu machen , gegebene Vorschrift angesehen 47). Al- lein in offenbarem Widerspruch gegen die Erzählung. Denn wenn Fasten und Beten von Seiten des Kranken eum Gelingender Kur erforderlich gewesen wäre, so hatten wir eine allmühli^e Heilung und keine plötzliche, was doch alle Kuren sind, die in den Evangelien von Jesu erzählt werden, und wie namentlich diese durch das xai i&eQanev— &T] 6 naig und tfg wQag ixelvijg bei Matthäus, so wie durch das Ewischen inetift^oe x. x. X. und aneSoxs x. t. X. hin- eingestellte Idoccio bei Lukas deutlich genug bezeichnet ist. Freilich will Paulus jenen Ausdruck des Matthäus gerade eu seinem Vortheii wenden , indem er ihn so ver- steht, von jener Zeit an sei nun der Knabe durch Anwen- dung der vorgeschriebenen Diät aiimählig vollends gesund

44) SCRLIIIRMACHIR, S. 150.

45) Küste», Immanuel, S. 197; FRrrztcmi z. d. St.

46) de abstinent. 2, p. 204. und 417 f. s. Wiks», 1, S. 191.

47) Favus, eseg. Handb. 2, S. 471 f.

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Neuntes Kapitel. $.92. 47

geworden. Allem man darf nnr dieselbe Formel, wo aie sonst in den Evangelien als Schlußformel von Heilungsge- schichten vorkommt, betrachten, um sich von der Unmög- lichkeit jener Deutung zu überzeugen. Wenn z. ß. die Geschichte von der Heilang der Blut flüssigen mit der Be- merkung schliefst (Matth. 9, 22.) : Ual iov)&T] r) yi-vr] anc tjjS ÜQag ixdvqg) so wird man diefs doch nicht Überse- tzen wollen: et txinde mulier paulat im servabatur, sondern es kann nur heißen : servata e$t, (et senatum se praebuif) ob Mo tetnporis Moment o. Ein Anderes , worauf sich Paulus beruft, um zu beweisen, dafs Jesus hier ein fortzuset- zendes Heilverfahren eingeleitet habe, ist das anidtoxtv avtov iw TratQt ccvtQ bei Lukas , was nach ihm ziemlich überflüssig wäre, wenn es nicht ein Übergeben zu be- sonderer Fürsorge bezeichnen sollte. Allein ariodidü)[ti heiCst nicht zunächst übergeben, sondern zurückgeben, und to liegt in dem Satze nur der Sinn : puerumß quem scr- nandum aeeeperot j sanatum reddidit, oder, dafs er den einer fremden Gewalt, des Dämons, verfallenen Sohn den fil- tern als den ihrigen zurückgegeben habe. Endlich, wie willkühriich ist es, wenn Paulus das ixnoQtn'tTai (Matth. V. 21.) in der engeren Bedeutung eines völligen Weggehens vom vorläufigen Ausfahren, was schon auf das Wort Jesu (V. 18.) geschehen sei, unterscheidet. So dafs uns auch hier keine Kur berichtet ist, welche Tage nnd Wochen gedauert hätte, sondern, wie sonst immer, eine in Einem Wunderact vollendete 5 vrefswegen denn auch die nQogevyj) und vr^eia nicht als Vorschrift für den Patienten gefafst werden können.

Zn dieser ganzen Geschichte mofs eine analoge Er- zählung aas 2 Kön. 4* 2!) ff. verglichen werden. Hier will der Prophet Elisa einen gestorbenen Knaben dadurch wie- der eum Leben bringen , dafs er seinen Knecht Gehasi mit «einem Stabe sendet, welchen dieser dem Todten auf das Angesicht legen soll; aber das Vornehmen des Knechts

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48 Zweiter Abschnitt.

bleibt ohne Erfolg, nnd Elisa mnfs selbst kommen, um den Knaben ins Leben zu rufen. Das gleiche Verhältnifs, wie in dieser A. T.lichcn Geschichte zwischen dem Propheten und seinem Diener, sehen wir in der N. T. liehen Erzählung zwischen dem Messias ond seinen J Ungern, dafs diese oh- ne ihn nichts thun können, dafs aber er, was ihnen zu schwer ist , mit Sicherheit vollbringt* Ebendamit aber se- hen wir auch die Tendenz beider Erzählungen : sie ist, durch Hinweisung auf den Abstand zwischen ihm und selbst seinen vertrautesten Schülern den Meister zu heben ; oder, wenn wir die vorliegende evangelische Erzählung mit der von den gadarenischen Besessenen zusammenhalten, so können wir sagen : wie jener früher erwogene Fall an sich selbst als einer von höchster Schwierigkeit geschildert wurde, so dieser durch das Verhältnifs, in welches die demselben gewachsene Kraft Jesu zu der, wenn auch sonst noch so grofsen, doch hier nicht ausreichenden Kraft sei- - ner Junger gestellt wird.

Von den übrigen, kürzer erzählten Dfimonenaustrei- bungen ist die Heilung eines dämonisch Stummen und ei* nes ebenso Blindstummen oben bei Gelegenheit des daran sich knüpfenden Vorwurfs eines höllischen Bündnisses, so wie die der zusammengebückten Frau in der allgemeinen Betrachtung Über die Dämonischen bereits genügend zur Sprache gekommen ; die der besessenen Tochter des kana- näischen Weibes aber (Matth. 15, 22. ff. Marc. 7, 25. ff.) hat nur das Eigenthümiiche, dafs sie von Jesu durch ein Wort aus der Entfernung bewirkt wird, wovon später.

Wenn nun den evangelischen Berichten zufolge in allen diesen Fällen die Austreibung des Dämons Jesu ge- lungen ist: so bemerkt Paulus, dafs diese Art von Heilun- gen , unerachtet sie für das Ansehen Jesu bei der Menge das Meiste gewirkt habe, doch an sich die leichteste ge- wesen sei, und auch de Wette will für die Heilung der Dämonischen, aber auch nur für sie, eine psychologische

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Neuntes Kapitel. $.93. 49

Erklärung gelten fassen4*); Bemerkungen, welchen wir Dicht werden umhin können beizutreten» Denn sehen wir als die wirkliche Grundlage des Zustande« der Dämonischen eine Art von Verrückung mit krampfhafter Stimmung des Nervensystems an , so wissen wir , dafs auf psychische and Nervenkrankheiten am ehesten auch psychisch einau» wirken ist, eine Einwirkung, au welcher bei dem aber* wiegenden Ansehen Jesu als Propheten und später selbst als des Messias alle Bedingungen vorhanden waren» Nun aber findet unter solchen Zuständen eine bedeutende Abstu- fung statt , je nachdem sich die psychische Verrückung mehr oder weniger auch schon körperlich fixirt hat, und die Verstimmung des Nervensystems mehr oder minder ha* bituell geworden und in die übrigen Systeme Übergegangen ist. Es stellt sich also der Kanon : je mehr das Übel blofc in einer Verstimmung des tiemüthes lag, auf welches Je* aus unmittelbar durch sein Wort geistig wirken konnte, oder in einer leichteren des Nervensystems, auf Welches er durch Vermittlung des Gemüths gewaltigen Eindruck au machen im Stande war: desto eher war es möglich« dafs Jesus kcyq> (Matth. 8, 16.) und nccQaxQrfia (Lac* 13, 13.) dergleichen Zuständen ein Ende machen konnte; je mehr aber umgekehrt das Übel sich auch schon als kör* perliche Krankheit. festgesetzt hatte, desto schwerer ist an* sunehmen, dafs Jesus im Stande gewesen sei, auf rein psy- chologische Weise und augenblicklich Hülfe au schaffen. Ein aweiter Kanon ergiebt sich daraus, dafs, um bedeutend geistig einwirken au können , das ganze Ansehen Jesu als Propheten mitwirken muiste , wefa wegen er in Zeiten und Gegenden, wo er längst in diesem Kufe stand, leichter auf jene Weise wirken konnte, als wo nicht. (

48) Paulus, tscg. Handb. 1, b, 8. 4$8. L. J. 1, i, 8. 225, t>a Wktt«, bibL Dogm. §. 222, Anm. c.

Bat lieben Jesu IL Band, 4

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00 Zweiter Abschnitt.

An diese beiden Mafsstäbe die evangelischen Erzäh« langen gehalten , steht der ersten, von dem Vorgang in Her Synagoge zu Kapernaum , sobald man nur davon abgeht, sie als durchaus historisch zu betrachten, nicht mehr all- zuviel entgegen. Denn ob sie gleich so lautet, als hätte der Dämon Jesum aus sich selbst erkannt, so kann doch theils der in jenen Gegenden bereits sich ausbreitende Ruf Jesu, theils seine gewaltige Rede in der Synagoge, auf den Dä- monischen den Eindruck, wenn auch nicht, dafs Jesus der Messias sei , wie die Evangelisten sagen , doch , dafs er ein Prophet sein müsse , gemacht, und so seinein Worte Nach- druck gegeben haben. Was aber den Zustand des Kran- ken betrifft, so wird uns nur von der fixen Idee desselben, besessen zu sein , und von krampfhaften Anfällen gemeldet, welche möglicherweise von der leichteren Art gewesen sein könnten , der sich auf psychologischem Wege beikom- men liefs. Schwieriger in beiden Hinsichten ist die Hei- lung der Gadarener. Denn einmal war Jesus am jenseiti- gen Ufer nicht so bekannt, und dann wird uns der Zustand derselben als ein so heftiger und eingewurzelter Wahnsinn geschildert, dafs hier schwerlich ein Wort Jesu genügen konnte , um dem schrecklichen Zustand ein Ende zu ma- chen. Hier reicht somit die natürliche Erklärung von Pau- lus nicht hin, sondern, wenn überhaupt noch etwas von der Erzählung stehen bleiben soll, so müfste man anneh- men , dafs , wie andre Theile derselben , so namentlich die Schilderung von dem Zustande des Kranken, sagenhaft über- trieben sei. Ebendiefs wäre in Bezug auf die Heilung des mondsüchtigen Knaben anzunehmen, da eine von Kindheit an (Marc. V. 21.) dauernde, so heftige und in bestimmten Perioden sich wiederholende Epilepsie etwas zu sehr im Körper eingewurzeltes ist, als, dafs die Möglichkeit einer so schnellen reinpsychologischen Hülfe glaublich sein könn- te* Dafs aber selbst Stummheit und vieljährige Verkrüm- mung, welche doch nicht mit Paulus als blofse närrische

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Neuntes Kapitel. §. 92.

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Einbildung, man dürfe nicht reden oder sich aufrichten 49). genommen werden kann, auf ein Wort gewichen sei, wird man ohne vorgefafste dogmatische Meinungen sich nicht fiberreden können. Am wenigsten endlich laTst sich denken, dafs auch ohne das Imposante seiner Gegenwart der Wunderthfiter aus der Ferne habe wirken können, wie diefs Jesus auf die Tochter des kananaischen Weibes ge- than haben soll.

So sehr sich also der Natur der Sache nach annehmen Jiefse, dafs Jesus manche Personen , welche an vermeintlich dämonischer Verrückung oder Nervenstörung litten, auf psychische Weise, durch die Übermacht seines Ansehensund Wortes, geheilt habe: so augenscheinlich ist es doch (wenn man nicht mit Vknturini *°) und Kaiser '*) annehmen will, Kranke dieser Art haben sich nicht selten geheilt geglaubt, wenn nur durch Jesu Einwirkung die Krisis gebrochen war, und die Referenten haben sie dafür ausgegeben, weil sie nichts Weiteres von ihnen erfuhren, und also von der wahrschein- lich wiedergekehrten Krankheit nichts wufsten), dafs die Sage auch in diesem Felde nicht gefeiert, sondern die leichteren Fülle, welche aliein auf jene Weise kurirt wer* den konnten , mit den schwersten und complicirtesien ver- tauscht hat, auf welche eine psychologische Ileilart gar keine Anwendung finden konnte *3). Ob sich hiemit die obi^e Verweigerung jedes Zeichens von Seiten Jesu verei- nigen lasse, oder ob, um diese begreiflich zu finden, auch solche psychologisch erklärbare Heilungen, weiche aber doch nur als Wunder erscheinen konnten, Jesu abgespro-

49) exeg. Handb. s. d. St.

50) Natürliche Geschichte u. s. f. 2, S. 429.

51) Bibl. Theologie, 1, S. 196.

52) Zu den vorübergehenden Verstimmungen, auf welche Jesus psychologisch eingewirkt haben kann, lasst »ich vielleicht auch der Fieberanfall der Schwiegermutter Petri zählen, welchen Jesus nach Matth. 8, 14 ff. parall. gehoben hat.

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52 Zweiter Abschnitt.

eben werden müssen ? soli hier nur alt Frage aufgestellt werden.

Werfen wir schliefsliVh noch einen Blick auf das jo- hanneische Evangelium, welches von Dämonischen und de* ren Heilung durch Jesum nichts hat, so ist diefs dem Apo- stel Johannes, dem voraussetzlichen Verfasser, nicht selten als ein Zeichen geläuterter Ansichten zum Vortheil ange- rechnet worden S3). Allein, wenn der genannte Apostel an wirkliche Teufeisbesitzungen nicht glaubte, so hatte er als Verfasser des vierten Evangeliums, der gewöhnlichen Ansicht von seinem Verhaltnifse zu den Synoptikern zufol- ge, die bestimmteste Veranlassung, sie zu berichtigen, und der Verbreitung einer nach seiner Ansicht falschen Mei- nung durch eine Darstellung dieser Heilungen vom richti- gen Gesichtspunkt aus vorzubeugen. Doch wie konnte der Apostel Johannes zur Verwerfung der Ansicht, dafs jene Krankheiten ihren Grund in dämonischen Besitzungen ha- ben , kommen ? Sie war nach Josephus jüdische Volksan- sicht in jener Zeit, von der ein palästinischer Jude, der, wie Johannes, erst in späteren Jahren in das Ausland wanderte , nicht mehr im Stande war, sich loszumachen ; sie war , der Natur der Sache und den synoptischen Be- richten zufolge, Ansicht Jesu selbst, seines angebeteten Mei- sters , von welcher der Lieblingsjünger gewifs keinen Fin- ger breit abzuweichen geneigt war. Theilte aber Johan- nes mit seinen Volksgenossen und Jesu selbst die Annah- me wirklicher Dämonenbesitzungen, und bildete die Hei- lung solcher Personen einen Haupttheil , ja vielleicht die eigentliche Grundlage der angeblichen Wundert hat ig Ueit Jesu: wie kommt es, dafs er dessenungeachtet in seinem

53) So mehr oder minder von Eichhorn, in der allg. Bibliothek, 4, S. 435; Herder, von Gottes Sohn u. s. f., S. 20, Wec scheidrr , Eial. in das Evang. Joh. S. 313. ; de Wette, bibl. Dogm. 269.

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Neuntes Kapitel. §. 93.

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Evangelium ihrer keine Erwähnung thut? Dafs er sie Übergangen habe, weil die übrigen Evangelisten genug der- gleichen Geschichten aufgenommen hatten, sollte man doch endlich aufhören zu sagen , da er ja mehr als Eine von ih- nen schon berichtete Wundergeschichte wiederholt hat, und sagt man, diese habe er wiederholt, weil sie der Be- richtigung bedurften : so haben wir bei Erwägung der syn- optischen Relationen von den Heilungen der Da'monischen gesehen, dafs bei manchen derselben eine Zurückführung auf die einfache geschichtliche Grundlage gar sehr am Orte gewesen wäre. So bliebe noch, dafs Johannes aus Anbe- quemung an die griechische Cultur der Kleinasiaten, unter welchen er geschrieben haben soll, die ihnen unglaublichen oder anstössigen Dämonengeschichten aus seinem Evange- lium weggelassen hätte. Aber konnte und durfte wohl, mufs man auch hier fragen , ein Apostel aus blofser Ac- commodation an die feinen Ohren seiner Zuhörer einen so wesentlichen Zug des Wirkeos Jesu zurückbehalten? Ge- wifs vielmehr deutet auch dieses Stillschweigen bei Vor- aussetzung der Ächtheit der drei ersten Evangelien auf ei- nen Verfasser hin, welcher die Wirksamkeit Jesu nicht aus eigener Anschauung kannte, bei unsrer Ansicht aber we- nigstens auf einen solchen, dem nicht die ursprüngliche, pa- lästinische, sondern nur eine durch hellenischen Einflufs niudificirte Tradition zu Gebote stand, in welcher daher die der höheren griechischen Bildung weniger entsprechen- den Dämonenaustreibungen entweder ganz verschwunden, oder doch so zurückgetreten waren , dafs sie vom Verfas- ser des Evangeliums übergangen werden konnten.

§. 93.

Heilungen ron Aussätzigen.

Unter den Kranken, welche Jesus heilte, spielen, ge- mJff* dem leicht Hautkrankheiten erzeugenden Klima von Palästina, die Aussätzigen eine Hauptrolle. Wo Jesus der

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54 Zweiter Abschnitt.

synoptischen Erzählung zufolge die Abgesandten des Täu- fers auf die factischen Beweise seiner Messianität hinweist (Matth. 11, 5.), führt er unter diesen auch das ksngol xo> Sansanal auf; wo er seine Jünger bei der ersten Aus- sendung zu allerhand Wunderthaten bevollmächtigt, stellt er die Reinigung der Aussätzigen oben an (Matth. 10, S.), und zwei Fälle von solchen Heilungen werden uns im Ein- zelnen berichtet.

Der eine Fall ist allen Synoptikern gemeinschaftlich, wiewohl sie ihn in verschiedenen Zusammenhang stellen. Matthäus nämlich läfst Jesu bei m Herabgehen von dem Berge, auf weichem er die Bergrede gehalten (S, 1. ff.)? die fihrigen in unbestimmter Stel'ung am Anfang seiner gali- läischen Wirksamkeit (Marc. 1, 40 ff. Luc. 5, 12 ff.) einen

*

Aussätzigen begegnen, der ihn fufsffillig um Heilung an- fleht, und diese auch durch eine Berührung Jesu erhält, welcher ihn sofort anweist, sich dem Gesetze (3 Mos. 14, 2 ff.) gemäß dem Priester zur Reinerklärung zu stellen. Der Zustand des Menschen wird von Matthäus und Mar- kus einfach durch fongog, von Lukas stärker durch nXqQijg Xiftoag bezeichnet. Nach Paulus freilich war eben dieses Vollsein von Aussatz ein Symptom der Heilbarkeit, indem das Ausschlagen und Abblättern des Aussatzes auf der gan- zen Haut die Reinigungskrisis bezeichne, und demgemäfs stellt sich jener Ausleger den Hergang folgendermafsen vor. Der Aussätzige geht Jesum als den Messias um ein Gut- achten über seinen Zustand, und nach Befund um eine Rein- erklärung, an (et &eleig, dvvaaai fie xafrayioaO > welche ihm den Gang zum Priester entweder ersparen, oder doch eine tröstliche Hoffnung auf denselben mitgeben sollte. Je- sus , indem er sich zu einer Untersuchung bereit erklärt (;>< )j >l, streckt die Hand aus, um ihn zu befühlen, ohne dafs doch der vielleicht noch ansteckende Kranke ihm y.u nahe käme, und nach genauer Untersuchung spricht er als Ergebnif« derselben die Überzeugung aus , dafs die Krank-

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Neuntes Kapitel. §. 93.

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Ii ei t nicht mehr ansteckend sei (xa&ao!o9rpO , worauf sich denn wirklich bald nnd leicht itittcog) der Aussäte vollends ganz verlor *).

Hier ist vor Allem die Behauptung, der Aussätzige sei

gerade in der Reinigungskrise gewesen, dem Texte fremd, welcher bei den zwei ersten Evangelisten von Aussatz schlechtweg spricht , während das nXriQr(g Xingag des drit- ten nichts Andres bedeuten kann , als das A. T.liche Älttg ir&D (2 Mos. 4, 6. 4 Mos. 12, 10. 2 Kon. 5, 27.), was dem Zusammenhang nach jedesmal den höchsten Grad des Aussatzes bezeichnet. Dafs das xadani'Ctiv nach he- bräischem und hellenistischem Sprachgebrauch auch blofs reiner klären bedeuten könne, ist zwar nicht in Abrede zu stellen , nur müfste es diese Bedeutung in dem ganzen Ab- schnitte beibehalten. Dafs nun aber, nachdem von Jesu erzühlt war, er habe das xa&aQiod-TjTi gesprochen, Mat- thaus noch ein xai ii&ia>g ixa9a(>lo9r] x. t. L in dem Sin- ne, dafs also der Kranke wirklich von Jesu reinerklärt worden sei, hinzugefügt haben sollte, ist der albernen Tau- tologie wegen so undenkbar, dafs hier, aber dann auch im ganzen Abschnitt, das xafrctQiCeodai von wirklichem Gereinigtwerden zu nehmen ist. An das XenQoi xa#ao/fov— rat (Matth. 11, 5.) und leTVQtig xctDaQl&re (Matth. 10, 8.), wo doch das letztere Wort weder blofse Reinerklärung, noch auch etwas Anderes als in der vorliegenden Erzäh- lung bezeichnen kann, genfigt es zu erinnern. Woran aber die natürliche Deutung der Anekdote am entschiedensten scheitert, das ist die Zerreissung des &tfoo, xce&ccQio9rp;i. Wer wird sich überreden können, dafs diese in allen drei Berichten unmittelbar verbundenen Worte durch eine ziem- liche Pause getrennt gewesen , dafs das ötku) bei oder ei- gentlich vor dem Befühlen , das xa9aqio9ri'u aber nach demselben gesprochen worden sei, da doch sämmtliche

1) exeg. Handb. 1, b, S. 698 ff.

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5G Zweitor Abschnitt.

Evangelisten bettle Worte ohne Unterschied während der Berührung gesprochen sein lassen? Gewifs würfle , wenn der angegebene Sinn der ursprüngliche wäre, wenigstens Einer der Evangelisten , statt des tjtparo aizx 6 *JifO% ).t- yoW dila>9 xafrttQiQfhpt, sagen : o *JL ausxoirccio* ^«7ft>, xai axpifitvog avrS ein? xa&*Ql<}drpi. Ist aber das xcr^ao/- eVrri in Einem Zuge mit *>ikü> gesprochen, so dnfs Jesus lediglich in Folge seines Willens, ohne dazwiseheiieinge- tretene Untersuchung, das xaVanueoSai eintreten iiefs : so kann dieTs unmöglich eine Reinerkltirung , wozu es einer vorgängigen Untersuchung bedurfte, sondern raufs ein wirk- liches Reinmachen gewesen sein« In diesem Zusammenhang ist dann «»ich das amso&ctl nicht von untersuchender Be- rührung zu verstehen, sondern, wie sonst immer in sol- chen Erzählungen, von heilender.

Für seine natürliche Erklärung dieses Vorgangs beruft sich Paulus auf den Kanon , dafs fiberall in einer Erzäh- lung das Gewohnliehe und Ordentliche vorausgesetzt wer- den müsse , wo nicht das Gegentheil ausdrücklich angege- ben sei 2); ein Kanon, welcher an der der ganzen rationa- listischen Auslegung eigentümlichen Zweideutigkeit leidet, was für uns, und was für die auszulegenden Sehrifsteller gewöhnlich und ordentlich ist, nicht au unserscheiden. Allerdings, wenn ich einen Gibbon vor mir habe, so darf ich in seinen Erzählungen , sofern er nicht ausdrücklich das Gegentheil anmerkt, nur natürliche Ursachen und Vor- gänge voraussetzen, weil von der Bildung eines solchen Schriftstellers aus das Übernatürliche höchstens als selten- ste Ausnahme denkbar ist: schon anders verhält sich diefs bei einem Herodot, in dessen Vorstell ungs weise das Ein- greifen höherer Machte keineswegs ungewöhnlich und aus- ser der Ordnung ist, und vollends in einer auf jüdischem Boden gewachsenen Anekdotenreihe, deren Zweck ist , ein

i) a. a. 0. S. 705 u. sonst.

»

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I

Neuntes Kapital. §. 93.

Individuum alt höchsten Propheten , als mit Gott innigst verbundenen Menschen darzustellen, versteht sich das Über- natürliche so sehr von selbst, dafs jener rationalistische Kanon sich dahin umkehrt: wo in solchen Er/ah hingen auf Erfolge Gewicht gelegt ist, welohe, als natürliche be- trachtet, keine Wichtigkeit haben würden, da müßten übernatürliche Ursachen ausdrücklich ausgeschlossen sein, wenn nicht, dafs solche im Spiele gewesen, als Ansicht des Erzählers vorausgesetzt werden sollte. In der vorlie- genden Geschichte ist überdiefs das Ausserordentliche des Hergangs dadurch hinlänglich angedeutet, dafs es heifst, auf Jesu Wort habe den Kranken der Aussatz alsbald ver- lassen. Freilich weifs Paulus, wie schon bemerkt, diese Angabe auf eine allmähliche natürliche Genesung zu deuten, da ev9ih)g9 wodurch die Evangelisten die Zeit derselben bestimmen, Je nach dem verschiedenen Zusammenhange das einemal sogleich bedeute, das andremal nur bald und an- gehindert. Diefs eingeräumt , soll nun das bei Markus in unmittelbarem Zusammenhang folgende svd-hog i^lßaXev ai iuv (V. 43.) sagen wollen , bald und ungehindert habe Jesus den Geheilten hinausgetrieben? Oder soll in zwei aufeinander folgenden Versen das Wort in verschiedenem Sinne genommen werden ¥

Ist somit nach der Absicht der evangelischen Referen- ten von einem augenblicklichen Verschwinden des Aussatzes auf das Wort und die Berührung Jesu hin die Rede : so ist, sich diefs denkbar zu machen , freilich noch eine ganz andre Aufgabe, als die, dns augenblickliche Zurechtbrin- gen eines mit fixer Idee Behafteten, oder einen bleibend stärkenden Eindruck auf einen Nervenkranken sich vorzu- stellen. Dafs eine , in Folge tiefer Verderbnifs der Safte durch den hartnäckigsten und bösartigsten aller Ausschläge xerfreuene Haut durch ein Wort und eine Berührung au- genblicklich rein und gesund geworden sein sollte, diefs Ist, weil es etwas einer laugen Reihe von Vermittlungen

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58 Zweiter Abschnitt.

Bedürftiges als anmittelbar eingetreten darstellt, so undenk- bar ;), dafs es jeden, der ausserhalb gewisser Vorurtheile steht (was der Kritiker immer soll), unwillkürlich an dos Fabelreich erinnern mufs. Und im fabelhaften Gebiete roor- genläudischer, näher jüdischer, Sage finden wir wirklich das plötzliche sowohl Entstehen« als Verschwindenmacheri des Aussatzes zuerst. Als Jehova den Moses zum Behuf seiner Sendung nach Ägypten mit der Fähigkeit, allerlei Zeichen zu thun, ausrüstete, hiefs er ihn unter Anderem auch seine Hand in den Busen stecken, und als er sie herauszog, war sie von Aussatz bedeckt: er mufste sie noch einmal hineinstecken, und beim abermaligen Heraus- ziehen war sie wieder rein (2 Mos. 4, 6. 7.)* Später , we- gen eines Empürungsversuchs gegen Moses, wurde seine Schw ester Mirjam plötzlieh mit Aussatz geschlagen, aber auf die Fürbitte des Moses bald wieder geheilt (4 Mos. 12, 10. ff.) Besonders aber spielt unter den Wtinderthaten des Pro- pheten Elisa die Heilung eines Aussätzigen, deren auch Je- sus (Luc. 4, 27.) gedenkt, eine bedeutende Rolle. Der sy- rische Feldherr ISae'man , welcher am Aussatze litt, wandte sich an den israelitischen Propheten um Hülfe; dieser liefs ihm die Weisung geben, er solle sich siebenmal im Jordan waschen, worauf auch wirklich der Aussatz wich, welchen aber der Prophet später veranlafst war auf seinen betrü- gerischen Diener Gehasi überzutragen (2Kön. 5.). Ich wüfste nicht, was wir ausser diesen A. T. liehen Vorgän- gen noch weiter bedürfen sollten , um die Entstehung der evangelischen Anekdote erklärbar zu finden. Was der er- ste (ioel in Jehova's Auftrag vermochte, das, wie gesagt, mufste auch der zweite zu thun im Stande sein, und oh- nehin hinter einem Propheten durfte der Propheten gröfs- ter nicht zurückbleiben. Waren hienach ohne Zweifel schon

in dem jüdischen Messiasbilde dergleichen Heilungen mit-

3) vgl. Hass, L. J. §. 86.

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Neuntes Kapitel. $.03. 59

begriffen , so waren noch bestimmter die Christen , welche den Messias in Jesu wirklich erschienen glaubten , veran- laßt, seine Geschichte durch solche aus der mosaischen und prophetischen Sage genommene Züge zu verherrlichen, nur dafs sie dem milden Geiste des neuen Bundes (Luc. 9, 55 f.) gemäfs die strafende Seite jener alten Wunder wegtiefsen.

Etwas mehr Schein hat die rationalistische Berufung auf den Mangel einer ausdrücklichen Angabe, dafs eine wunderbare Reinigung vom Aussätze gemeint sei, bei der Erzählung Von den sehn Aussätzigen , welche dem Lukas elgentUü rolich ist (17, 12 ff.). Hier nämlich verlangen we- der die Kranken ausdrücklich die Heilung , sondern sie ru- fen nur: iMrjOov ypäg, noch thut Jesus ein hierauf sich beziehendes Machtwort, sondern er weist sie nur an, sich den Priestern zu zeigen, was man denn rationalistischer- selts nicht säumt, dahin zu erklären, dafs Jesus, nach ge- nommener Kenntnifs von ihrem Zustande, sie ermuntert ha- be, sich der priesterlichen Visitation zu unterwerfen ; diefs habe wirklich ihre Reinsprechung zur Folge gehabt, und der Samariter sei umgekehrt, um Jesu für seinen ermuthi- genden Rath zu [danken 4). Allein so angelegentlich , wie es hier beschrieben wird , durch ein ntninv ini nQoaümov, dankt man nicht für einen blofsen Rath, noch weniger konnte Jesus verlangen , dafs um des Erfolgs dieses Ra- thes willen alle Zehne hätten umkehren sollen, und zw*ar um Gott die Ehre zu geben -— soll man nun sagen dafür, dafs ei* Jesum befähigt habe, ihnen einen so guten Rath zu erf heilen ? Nein, sondern hier wird eine reellere Lei- stung vorausgesetzt, und diese giebt die Erzählung wirklich an, wenn sie sowohl die Umkehr des Samariters durch ioW uii iclth; begründet, als auch Jesum den Grund, wa- rum er von Allen Dank erwartet hätte , durch Hyi oi öixa

4) Paus», L. J., 1, b, S. 68.

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6o Zweiter Abschnitt.

2xa$aof(j$T]Octv; aussprechen läfst, was Beides doch nur höchst gezwungen so erklärt werden kann , dafs , weil sie gesehen, dafs Jesus mit seiner Reinerklärung recht gehabt, der eine wirklich umgekehrt sei, ihm zu danken, die übri- gen aber hätten umkehren sollen. Entscheidend aber ge- gen die natürliche Erklärung ist der Satz: iv vndyeiv aivB$ txa&aQtofyaav. Wollte hier nach jener Deutung der Referent btofs sagen: wie die Kranken, beim Priester angekommen, sich ihm zeigten, wurden sie für rein er- klärt : so mufste er wenigstens setzen : 7ioQtvf>hr8$ ixa- &aQif7xfhrjoav: wogegen nun die absichtsvolle Wahl des ev t<p vriayeiv unwidersprechlich zeigt, dafs von einem Rein- werden während des Hingehens die Rede ist. Auch hier also haben wir eine wunderbare Aussatzheilung, welche eben denselben Schwierigkeiten unterliegt, aber auch eben- so in ihrer Entstehung erklärbar scheint , wie die vorige Anekdote. I

Doch es kommt bei dieser Erzählung noch etwas Ei- genthürnliches in Betracht, das sie von der vorigen unter- scheidet. Es ist hier keine simple Heilung, ja die Hei- lung ist nicht einmal eigentlich die Hauptsache; diese liegt vielmehr in dem verschiedenen Betragen der Geheilten, und die Frage Jesu : iyli oi dixa ixaSaQiotyoai1 x. r. X. (V. 17 f.) bildet die Spitze des Ganzen, welches hiemit ganz moralisch schliefst und zum Behuf der Belehrung erzählt zu sein scheint *). Namentlich dafs der als Muster der Dankbarkeit Erscheinende gerade ein Samariter ist, mufs bei demjenigen Evangelisten auffallen, welchem auch die Lehrrede vom barmherzigen Samariter eigenthümlieh Sst. Wie nämlich in dieser zwei Juden, ein Priester und ein Levit, sich unbarmherzig beweisen, ein Samariter da- gegen musterhaft barmherzig: so steht hier neun undank- baren Juden ein Samariter als der einzig Dankbare ge-

1 ^™ ^

5) ScuLEiERauCKKR, über den Lukas, S. 215.

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Neuntes Kapitel. §• 04.

61

gen über. Wie daher, sofern doch die plötzliche Heilung dieser Kranken nicht historisch sein kann, wenn wir auch hier, wie dort, eine von Jesu vorgetragene Parabel vor uns hätten, welche die Dankbarkeit, wie jene die Barm- herzigkeit, am Beispiel eines Samariters darstellen sollte, nur aber geschichtlich verstanden worden wäre? Diefs wäre dann so, wie man schon behauptet hat, dafs es mit der Versuchungsgeschichte sich verhalte. Doch eben in Bezug auf diese haben wir gesehen , dafs und warum Je- sus nie sich selbst unmittelbar in einer Gleichnifsrede auf- treten Ussen konnte, und diefs müfste er hier gethan ha- ben, wenn er von zehn Aussätzigen erzählt hätte, die er einmal geheilt habe» Wollen wir daher den Gedanken, hier etwas ursprünglich Parabolisches zu haben, nicht fal- len lassen, so hätten wir uns die Sache so zu denken, dafs aus der Sage von Heilungen , welche Jesus auch an Aus- sätzigen vollbracht habe, einerseits, und andrerseits aus Parabeln, in welchen Jesus, wie in der vom barmherzigen Samariter, Individuen dieses angefeindeten Volkes als Mu- ster verschiedener Tugenden aufstellte, die urchristliche Sa- ge diese Erzählung zusammengewoben habe, welche eben*

daher halb Wundererzählung, halb Parabel ist.

*

S. 94.

Blindenbeilungen.

Eine der ersten Steilen unter den von Jesu geheilten Kranken nehmen, gleichfalls nach der Natur des Landes die Blinden ein, von deren Heilung wiederum nicht blofs in den allgemeinen Schilderungen, welche die Evangelisten cMatth. 15, 30 f. Luc. 7, 21.) oder Jesus selbst (Matth. 11, 5.) von seiner messianischen Thätigkeit geben, die Re- de ist, sondern auch einige einzelne Fälle ausführlich be- richtet werden. Und zwar mehrere als von den Heilungen

i) s. Wikzr, Realw. d. A. Blüidr.

62

Zweiter Abschnitt.

der zuletzt beschriebenen Art, ohne Zweifel, weil die Blind- heit, als ein Leiden des feinsten und complicirtesten Or- gans, mehrere abweichende Behandlangsweisen zulief*. Eine dieser Blindenheilungen ist sämmtlichen Synoptikern gemein- sam; die andern sind (sofern wir den dämonischen Blind- stummen des Matthaus hier nicht wieder zahlen) je eine dem ersten, zweiten und vierten Evangelisten eigentümlich.

Gemeinsam ist den drei synoptischen Evangelien die Erzählung, dafs Jesus auf seiner letzten Reise nach Jerusa- lem bei Jericho eine Blindenheilung verrichtet habe (Matth. 20, 29. parall.): aber bedeutende Differenzen finden statt sowohl in Bestimmung des Objects der Heilung, indem Matthäus zwei Blinde hat, die beiden andern nur Einen, als auch in Bezug auf das Local derselben, indem Lukas sie beim Einzug, Matthäus und Markus beim Auszug aus Jericho vor sich gehen lassen; auch wissen von der Berührung , mittelst welcher nach dem ersten Evangelisten Jesus die Blinden heilt, die beiden andern Berichterstat- ter nichts. Von diesen Differenzen mag sich die letzte durch die Bemerkung, dafs Markus und Lukas die Berüh- rung, die sie verschweigen, darum nicht läugnen, etwa lö- sen lassen: schwieriger ist die erste, welche die Zahl der Geheilten betrifft. Hier hat man bald mit Zugrundlegung des Matthäus gesagt, es möge sich einer von beiden Blin- den besonders ausgezeichnet haben, wefswegen in die er- ste Überlieferung er allein gekommen sei; Matthäus aber als Augenzeuge habe ergänzend den zweiten Blinden hin- zugefügt. So widersprechen weder Lukas und Markus dem Matthäus, denn sie läugnen nirgends, dafs nicht noch mehrere als nur der von ihnen hervorgehobene Blinde ge- heilt worden seien; noch Matthäus den beiden andern, denn wo Zwei seien, da sei auch Einer a). Allein wenn der einfache Erzähler von Einem Individuum spricht (und

2) Gjutz, Comm. x. Matth. 2, S. 323.

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Neuntes Kapitel. $.94. 63

sogar, wie Markus, dessen Namen nennt), an welchem et«

was Ausserordentliches geschehen sei: so hat er offenbar der Angabe, es sei an zwei Individuen vorgegangen, still- schweigend widersprochen, was ausdrücklich zu thun er keine Veranlassung hatte. Wenn man sich aber auf die andre Seite wendet, und, die Kin/.ahl des Markus und Lu- kas zum Grunde legend, von Matthaus, der hier wohl nicht Augenzeuge gewesen sei, vermuthet, sein Referent habe vielleicht den Führer des Blinden für einen zweiten Blin- den angesehen 3): so ist damit schon ein wahrer Wider- spruch zugegeben, nur unnötigerweise eine höchst unwahr- scheinliche Veranlassung desselben erdacht. Dah die drit- te Differenz, des ixitOQevofibwP uno und iv t(p iyyl&tv tig 7i ^(/i ri, unlösbar sei, kann, wen die Worte nicht überzeu- gen , aus den gewaltsamen Ausgleichungsversuchen lernen, welche von Grotiüs bis Paulus darüber aufgestellt wor- den sind.

Besser haben daher die alteren Harmonisten 4) gethan, welchen defswegen auch neuere Kritiker beigefnllen sind 5), wenn sie mit Rücksicht auf die zuletzt besprochene Diffe- renz hier zweierlei Begebenheiten unterschieden , und fettl nahmen, Jesus habe zuerst bei'm Einzug in Jericho (nach Lukas), dann wieder bei m Auszug (nach Matthäus und Markus) einen Blinden geheilt. Mit der andern Abwei- chung, rücksichtlich der Zahl , glauben diese Harmonisten durch die Voraussetzung fertig zu werden, Matthäus habe die beiden Bünden, den vor und den hinter Jericho ge- heilten, zusammengezählt, und die Heilung von beiden hinter Jericho versetzt. Allein, wenn man der Angabe des Matthäus rücksichtlieh der Lokalität der Heilung so viel Gewicht beilegt, um ihr und der des Markus zufolge swei

5) Paulus, exeg. Handb. 3, a, S. 44.

4) Schulz, Anmerkungen zu Michaelis, 2, S. 105.

5) SttrrsAT, a. a. O. S. 104,

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64

Zweiter Abschnitt.

Hello ngen, die eine vor, die andre hinter der Stadt anzu- nehmen : so weife ich nicht, warum seine abweichende Zahiangabe nicht ebensoviel Geltung haben soll, and Stork scheint mir conseqnenter za verfahren, wenn er, auf bei* de Differenzen gleiches Gewicht legend, annimmt, dafs Je- sus zuerst bei m Einzug nach Jericho Einen Blinden (Lu- kas), dann bei'm Auszug von da zwei Blinde (Matthäus) geheilt habe 6). Kommt nun aber hiebe! Matthäus zu sei- nem vollen Rechte, so ist diefs hingegen dem Markus ver- weigert. Denn wenn dieser, wie hier geschieht, um sei- ner Ortsangabe willen mit Matthäus zusammengestellt ist, so geschieht hiedurch seiner Zahlangabe Gewalt, welche für sich vielmehr eine Zusammenstellung mit Lukas erheischen würde: so dafs, wenn man keine seiner Angaben beein- trächtigen will , was man bei dieser Verfahrungsart nicht darf, er von beiden gleicherweise getrennt werden mufs. So hätten wir drei verschiedene Blindenheilungen bei Je- richo: 1) die Heilung Eines Blinden bei'm Einzug, 2) die eines weiteren beim Auszug, und 3) die Heilung zweier Blinden bei m Auszug , also zusammen vier Blinde. Den zweiten und dritten Fall nun auseinanderzuhalten, ist frei- lich schwierig. Denn wenn doch Jesus zu zwei verschie- denen Thoren zu gleicher Zeit nicht ausgezogen sein kann, so will sich ebensowenig das vorstellen lassen, dafs er, blofs auf der Durchreise begriffen, nach dem ersten Aus- zug wieder in die Stadt zurückgekehrt, und spater noch einmal ausgezogen sein sollte, Überhaupt aber, drei so ganz ähnliche Vorfalle hier zusammentreffen zu lassen, will kaum angehen. Schon die Häufung von Blindenheilungen mufs befremden. Besonders aber wird das Benehmen der Begleiter Jesu unbegreiflich, welche, hatten sie einmal bei'm Einzug gesehen, dafs das emtifircv z$ %vq>Xtj>f ira oivmr^ji nicht in Jesu Sinne sei, indem er ihn ja zu sich rief, diefs

6) Uber den Zweck der ev. Geschichte* und der Br. Joh. S. 545.

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Neuntes Kapitel. §. 04. 05 '

Hoch nicht bei dem Ansenge 9 nnd zwar zweimal , wieder- holt haben werden. Storr n freilich stört diese Wiederho- lung nicht in der Annahme von wenigstens swei Vorfäl- len dieser Art, denn Niemand wisse ja, ob diejenigen, welche hinter Jericho Stille geboten, nicht ganz andre ge* wesen seien, als die vor der Stadt das Gleiche gethan hatten; wenn aber auch, so wäre eine solche Wiederho- lung eines von Jesu factisch mißbilligten Benehmens zwar unschicklich gewesen, aber darum nicht unmöglich, da auch die Jünger, welche der ersten Speisung angewohnt hatten, doch vor der «weiten wieder gefragt haben, wo Brot für so Viele herzunehmen sei? allein das heilst ans der Wirklichkeit einer Unmöglichkeit auf die der andern argumentirt, wie wir bald genug bei Betrachtung des doppelten Speisungswunders sehen werden« Doch nicht allein das Benehmen der Begleiter, sondern Oberhaupt fast alle Züge der Begebenheit müßten sich auf die nn begreif* lichste Weise wiederholt haben. Einmal wie das andere der Ruf der Blinden: tUrouv '/7"*£t eder j/ie, tiU Javidl hierauf (nachdem ihnen von der Umgebung Stillschweigen «uferlegt worden) der Befehl Jesu, sie zu ihm zu bringen; seine Frage , was sie von ihm wollen ? ihre Antwort : se- hend werden; seine Gewährung ihres Wunsches, worauf sie ihm dankbar nachfolgen! Dafs sich diefs Alles drei- mal, oder auch nur zweimal so wiederholt haben sollte, ist eine der Unmöglichkeit gleichkommende Unwahrschein- lichkeit, und es müsste entweder nach der von Sieffer? in solchen Fallen angewandten Hypothese eine sagenhafte Assimilation verschiedener Facta, oder eine traditionelle Variation einer einzigen Begebenheit angenommen werden. Fragt man sich, um hier zu entscheiden] was konnte, ein- mal eine Vermittlung durch die Sage vorausgesetzt, leichter geschehen , das Eine , dafs dieselbe Geschichte bald von .Einem, bald von Mehreren, bald vom Einzug, bald vom Aus- sog erzählt wurde ? so braucht man das Andre gar nicht Das Leben Jesu 1J. Band. *

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ttti Zweiter A Um cluii It.

erst dazuzudenken, da jenes Erstere so ohne Vergleichung wahrscheinlich ist, dafs man keinen Augenblick anstehen kann, es als wirklich vorauszusetzen. Reducirt man aber so die scheinbar mehreren Facta auf wenigere, so bleibe man nur nicht mit Sieffert bei der Reduction auf zwei stehen, da hiebei nicht allein die Schwierigkeiten hinsieht* lieh der Wiederholung desselben Hergangs bleiben, son- dern anch die Consequens verlangt, wenn man die eine Abweichung (In der Zahl; als unwesentlich aufgiebt, auch von der andern (im Local} zu abstrahlren. Stellt sicii nun, wenn hier nur Eine Begebenheit erzahlt werden soll, die weitere Frage , welche der verschiedenen Erzählungen Wd.il die ursprüngliche sei? so wird die Ortsangabe zu keiner Entscheidung helfen , da genau ebensogut vor als hinter Jericho ein Blinder zu Jesu stofsen konnte. Eher wird man in Bezug auf die Zahl Grund haben, sich zu entscheiden, und zwar zu Gunsten des Lukas und Markus für blols Einen Bünden. Keineswegs zwar aus dem von »SciiLKiERMACUEa angegebeneu Grunde, weil Markus, der durch die Angabe , wie der Blinde geheifsen, eine genauere Bekanntschaft mit den Verhältnissen beurkunde, auch nur Kiuen habe 7 ) , da dem so oft auf eigne Band individuali* sirenden Markus am wenigsten bei den ihm eigen t ».li- ehen Namen zu trauen sein dache; soudern wegen eines an* dern U ms tan des.

Es scheint nämlich die Verdoppelung des Blinden bei Matthäus durch die Eriuuerung an die demselben Evangeli- sten eigentümliche Erzählung von einer früheren Heilung zweier Blinden (9,'J7if.) veranlagt zu sein. Hier, gleichfalls im Weggehen, nämlich von dem Orte, wo er die Tochter des UQ^unf wiedererweckt hatte, folgen Jesu zwei Blinde nach, (die bei Jericho sitzen) und rufen ähnlich wie dort den Da« vidssohn um ferbaruien au , der sie sofort auch hier , wie

1) s. «. 0. S. 237.

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Neuntes Kapitel. §. 94. 07

dort nach Matthäus, durch Handanflegung heilt. Daneben finden sich freilich nicht geringe Abweichungen: von ei* neos Stillegebote der Begleiter Jesu steht hier nichts , und während bei Jericho Jesus die Blinden sogleich eu sich ruft, kommen sie in dem früheren Falle erst eu Ihm. als er wieder au Hause ist; ferner, während er dort sie fragt, was sie von ihm wollen ? fragt er hier gleich , ob sie das "Vertrauen haben, dafs er sie heilen könne? endlich das Verbot, Niemand etwas eu sagen, ist dem früheren Fall« eigentümlich. Bei diesem Verhältnifs beider Erzählun- gen könnte wohl eine Assimilation in der Art stattgefunden haben, dafs dem Matthäus die ewei Blinden und die Berüh- rung Jesu aus der ersten Anekdote in die zweite, die Form des Rufs der Kranken aber aus der eweiten in die erste hineingekommen wäre.

Wie beide Geschichten angelegt sind, scheint für ei« ne natürliche Erklärung sich wenig darzubieten. Dennoch haben die rationalistischen Ausleger eine solche zu veran- stalten gewufst. Dafs Jesus in dem früheren Falle die Blinden fragt , ob sie Vertrauen eu ihm haben, erklärt man dahin, Jesus habe sich übereeugen wollen, ob sie ihm wohl bei der Operation festhalten und seine weiteren Vor- schriften pünktlich befolgen würden 8) ; erst eu Hause hier* auf, um ungestört eu sein , habe er ihr L Lei untersucht, und als er in demselben ein heilbares (nach Vemuiini 9) durch den feinen Staub jener Gegenden bewirktes) Übel erkannte, die Leidenden versichert, dafs ihnen nach dem Maafs ihres Zutrauens geschehen solle. Hierauf sagt Pau- lus nur kure, Jesus habe das Hindernifs ihres Sehens ent- fernt; aber auch er mufs sich etwas Ähnliches mit Ven- turin i denken, welcher Jesum die Augen der Blinden mit einem scharfen, von ihm vorher zubereiteten Wasser be-

8) Paulus, L. J. 1, t, S. 249.

9) Natürliche Geschichte des Propheten von Nas. 2, S. 216.

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<W Zweitor Abschnitt.

«

streichen, urul sie so von dem entzündeten Staube reini- gen läßt, worauf in Kurzem ihr Gesicht zurückgekehrt sei. Allein auch diese natürliche Erklärung hat nicht die mindeste Wurzel im Texte; denn weder kann in der von den Kranken geforderten nigig etwas Anderes, als, wie immer in ähnlichen Füllen, das Vertrauen auf Jesu Wun- dermacht, gefunden werden, noch in dem r^ipcno eine chir- urgische Operation , sondern lediglich jenes Berühren, welches bei so vielen evangelischen Heilungswundern , sei es als Zeichen oder als Leiter der heilenden Kraft Jesu, er- scheint; von weiteren Vorschriften zur völligen Herstel- lung ist ohnehin nichts zu bemerken. Nicht anders verhält es sich mit der Heilung der Blinden bei Jericho , wo Über- diefs die zwei mittleren Evangelisten nicht einmal einer Berührung gedenken.

Sollen aber auf diese Weise nach dem Sinne der Re- ferenten auf das blofse Wort oder die Berührung Jesu hin Blinde augenblicklich sehend geworden sein: so werden wohl ähnliche Bedenklichkeiten hier eintreten, wie in dem vorigen Falle mit den Aussätzigen. Denn ein Augenübel, es mag noch so leicht sein, wie es nicht ohne manchfache Vermittlung entstanden ist, so wird es noch weniger un- mittelbar auf ein Wort oder eine Berührung hin weichen wollen, sondern es erfordert sehr complicirte theils chirur- gische theils medicinische Behandlung, und so vornehmlich die Blindheit, wenn sie Uberhaupt heilbarer Art ist. Wie sollten wir uns auch die plötzliche heilende Einwirkung ei- nes Wortes und einer Hand auf ein erblindetes Auge vor- stellen? rein wunderbar und magisch? das hiefse das Den- ken über die Sache aufgeben ; oder magnetisch ? allein es ist ohne Beispiel , dafs auf dergleichen Übel der Magnetis- mus von Einflufs gewesen ; oder endlich psychisch ? aber die Blindheit ist etwas vom Seelenleben so Unabhängiges, selbstständig Körperliches, dals an 'eine, namentlich plötz- liche, Hebung derselben von geistiger Seite her nicht zn

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Neuntes KapiteL $.94. 6U

denken Ist. Wir müssen folglich bekennen, dafs eine ge- schichtliche Auffassung dieser Erzählungen uns mehr als nur schwer füllt, und es kommt nun darauf an, ob wir die Entstehung unhistorischer Sagen dieser Art wahrschein« lieh machen können.

Die Steüe ist bereits angefahrt, wo nach dein ersten und dritten Evangelium Jesus den Gesandten des Täufers gegenüber, welche' ihn eu fragen hatten, ob er der eoyö- ftevog sei, sich auf seine Theten beruft, und vor allem An- dern hervorhebt, dafs twjpM avctßlinsoi, eum deutli- chen Beweis, dafs namentlich auch solche, an Blinden verrichtete, Wunder vom Messias erwartet wurden, wie ja jene Worte aus Jes. 35, 5. einer messianisch gedeutel- ten Weissagung , genommen sind , und auch in einer oben angeführten rabbinischen Stelle unter den Wundern , wel- che Jehova in der inessianischen Zeit ausfähren werde, das hervorgehoben ist, dafs er oculos caecorum aperiet, id qvod per Elisatn feett ' °). Eine eigentliche Blindheit nun hat Elisa nicht geheilt , sondern nur einmal seinem Diener die Augen für eine Wahrnehmung aus der über- sinnlichen Welt eröffnet , und dann eine in Folge seines Gebets über seine Feinde verhängte Verblendung wieder aufhören lassen (2 Kön. 17 - 20.)« Diese Theten des Elisa nun fafste man , ohne Zweifel in Rücksicht auf die jesaia- nische Steile, gerade«« als Eröflkung erblindeter Augen, wie wir aus jener rabbinischen Stelle sehen, und so wurden vom Messias auch ßlindenheiiiingen erwartet

10) s. Band 1, S. 73, Anm. '

11) Auch sonst finden wir, das* in jener Zeit Männern, die für Lieblinge der Gottheit galten, daa Vermögen wunderbarer Heilung, namentlich auch der Blindheit, zugeschrieben zu werden pflegte. So erzählen uns Tacitus, Hist. 4, 81., und Sueton, Vespas. 7, in Alexandrien habe sich an den Kürzlich Imperator gewordenen VcspasiSn ein Blinder, angeblich nach einer Weisung des Gottes Serapis, mit der Bitte feowcndeb

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70 Zweiter AJichnitt.

Kahm nun die urohriatiiohe Gemeinde, wie tie aus den Juden hervorgegangen war, Jesum für das meesianische Subjeet, so raufste sie die Tendenz haben, ihm auch alle messianischen Prädicate, und so auch das in Rede «teilen- de 1 eu zuschreiben.

Die dem Markus eigenthümliche Erzählung von einer Blinden he tlung bei Bethsalda (9y 22 ff.) ist, neben der gleichfalls nur bei ihm su findenden von der Heilung ei- nee sehwerredenden Tauben (7, 32 ff.) , welche wir des- wegen hier mitberücksichtigen, die Lieblinggerza'hlung alier rationalistischen Ausleger. Wären ans doch, rufen sie aus, noch sonst bei den evangelischen Heiiungsgesohicbten wie hier die erklärenden Nebenumstinde aufbehalten , so wür- de* dafs Jesus nicht durch blofse MaohtsprUehe heilte, hi- storisch an erweisen, und für tiefer Forsobende sogar die natürlichen Mittel seiner Heilungen zu entdecken sein l3Y. So Ist, vorzüglich aus Veranlassung dieser Ersählungen, welchen sich dann aber auch einzelne Züge aus andern Theilen des zweiten Evangeliums ansohiiefsen, Markus in neuester Zeit auch von solchen, die sonst dieser Au sie-

ihn durch Benetzung seiner Augen mit seinem Speichel zu heilen, was Vespasian mit dem Erfolge gethan habe, dasa der Blinde augenblicklich das Gesicht wieder erhielt. Da Taci- tua die Richtigkeit dieser Erzählung ganz besonders ver- bürgt, ao dürfte Paulus wohl nicht Unrecht haben, wenn er die Sache ala Veranstaltung schmeichlerischer Priester an- sieht, weiche durch suhornirte Scheinkranke den Kaiser in den Ruf des Wunderthatcrs, und dadurch ihren Gott, dessen Rath den Vorgang veranlasst hatte, hei ihm in Gunst setzen wollten. Exeg. Uandh. 2, S. 56 f. Jedenfalls aber sehen wir hieraus, was man in jener Zeit auch ausserhalb Palästina'» von einem Manne erwartete, weicher, wie Tacitus sich hier über Vespasian ausdrückt, einen favor e coelis und eine in- clinatio nwninum genoss. 12) So ungsfahr Paulus, exeg. Uandh. 2, 8. 312. #91.

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Pieumes Kapitel. $.04. 71

pnnsfs weise nicht eben geneigt sind , als Patron der natür- lichen Erklärung dargestellt worden u>

Wae nun onsre beiden Heilangen betrifft, so ist den rationalistischen Auslegern schon das eine gute Vorbedeu- tung , dafs Jesus beide Kranke vom Volke weg besonders nimmt, aus keinem andern Grunde, wie sie glauben, als am ihren Zustand Ärztlich eu untersuchen, und an sehen, ob sich helfen Jasse oder nicht. Eine solche Untersuchung ünden die bezeichneten Erklärer vom Evangelisten selbst angeseigt, wenn nach ihm Jesus dem Tauben die Finger in die Ohren steckte, wobei er die Taubheit als eine heil- bare, vielleicht nur durch, verhärtete Feuchtigkeit im Ohr entstandene, gefunden, und hierauf, gleichfalls mit den Fingern , das Hindernifs des Gehörs entfernt habe. Wie das ißale tag dctxtvXug eig ta circf, so wird auch das ?^cr- tn iTtg yhioartg von einer chirurgischen Operation verstan- den, durch welche Jesus das Zungenband bis auf den er- forderlichen Punkt gelöst , und dem erstarrten Organ sei- ne Gelenkigkeit wieder gegeben habe, und ebenso wird das ini&rfg zag %tiqag avtqi bei dem Blinden dahin erklärt, Jesus habe vielleicht durch ein Drücken der Augen diu verdickte Linse herausgebracht. Eine weitere Hülfe findet diese Erklärung weise darin, dafs Jesus beidemale, an der Zunge des Schwerredenden und an den Augen des Win- den, Speichel anwandte. Schon für sich hat der Speichel, besonders nach alteren Arsten 14), eine für die Augen heilsa- me Kraft; da er indefs so schnell in keinem Falle wirkt, um eine Blindheit und einen Fehler der Sprachorgane mit Einemmale entfernen zu können, so wird für beide Fälle vermuthet, Jesus habe den Speichel nur gebraucht, um ein

13) ob Wem, Beitrag lur Charakteristik des Evangelisten Mar- aus | in Ullmana's und Umbmeit's Studien 1, 4, 780 ff. Vgl. Höst», Immanuel, S. 72.

14) Flui. H. N. 28, 7. u. a. St. bei Wimus.

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72 Zweiter Abschnitt.

Arzneimittel , wahrscheinlich ein Atzendes Pulver, eozu-

feuchten, wobei sowohl der Blinde nur das Ausspucken ge- hört y von den eingemischten Medien menten aber nichts ge- sehen 9 als auch der Taube nach dem Geiste der Zeit die natürlichen Mittel wenig beachtet, oder die Sage sie nicht weiter aufbewahrt habe. Wird hierauf in der Erzählung vom Tauben die Heilung nur einfach angegeben, so zeich- net sich die vom Blinden noch dadurch aus , dafs sie die Wiederherstellung seines Gesichts umständlich als eine suc- cessive beschreibt. Nachdem Jesus die Augen des Kran- ken auf die beschriebene Welse behandelt hatte, fragte er denselben t et ti fiUnu; gar nicht, bemerkt Paulus, wie ein Wunderthäter, der des Erfolges sicher ist, sondern recht wie ein Arzt, der naoh gemachter Operation den Patienten probiren läfst , ob ihm geholfen sei. Der Kran- ke erwiedert, er sehe, aber erst undeutlich, so dafs ihm die Menschen wie Bäume erscheinen. Hier kann nun der rationalistische Erklärer siegreich, wie es scheint, den orthodoxen fragen : wenn Jesu die göttliche Kraft eu Be- wirk ung von Heilungen so Gebote stand, warum heilte er den Blinden nicht sogleioh vollständig? Wenn ihm daa Übel einen Widerstand entgegensetzte, den er nicht schon hei 'in ersten Versuche zu Uberwinden vermochte, wird daraus nicht klar, dafs seine Kraft eine endliche, gewöhnlich menschliche gewesen ist? Hierauf legte Jesus noch ein- mal Hand an die Augen des Kranken , um der ersten Ope- ration nachzuhelfen, und nun erst war die Kur vollendet 1 *).

Die Freude der rationalistischen Ausleger an diesen Erzählungen des Markus ist durch die trockene Bemer- kung zu stören, dafs auch hier die Umstände, welche die natürliche Erklärung möglich machen sollen, nicht vom Evangelisten selbst angegeben, sondern von den Auslegern

15) Paulus, a. a. O. S. 312 f. 392 ff.; natürliche Geschichte, 3, S. 31 ff. 216 f. ; Köstibj Immanuel, S. it$a IT.

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Nannte« Kapitel. $.94. 75

«Ind. Denn bei beiden Heiinngen giebt Markus nor den Speichel her, das wirksame Pulver aber streuen Paulus und Venturwi darein, wie auch nnr ste es sind , die aus dem Legen der Finger in die Ohren eu- erst ein Sondiren, dann ein Operiren, und ans dem intL t&irai tag yuqctg inl tug oyfraXvdg sprachwidrig statt eines Handaoflegens ein chirurgisches Ilandanlegen machen. Auch das Beiseitenehmen der Kranken besieht sich dem Zusammenhang infolge (7, 36. 8, 2o.) auf die Absicht Je- su, den wunderbaren Erfolg geheim su halten, nicht auf das Verlangen, in Anwendung natürlicher Mittel onae- •tört su sein 2 so dafs der rationalistischen Erklärung alle Stützen sinken , und die orthodoxe sich ihr aufs Neue gegenüberstellen kann. Diese nimmt die Berührung und den Speichel entweder als Herablassung zu den Kranken, welchen dadurch nahe gelegt werden sollte, wessen Macht sie ihre Heilung su verdanken hatten , oder als ein lei- tendes Medium der geistigen Kraft Christi, an dessen Ge- braueh er jedoch nicht gebunden gewesen sei dasSuc- cessive der Heilung aber sucht man dann theils so su wen- den, dafs Jesus durch die halbe Heilung suvor den Glau- ben des Blinden habe beleben wollen, und erst als dieser gewachsen war, den nunmehr Würdigen ganz wiederher- gestellt habe «7). 0ljep Vermuthet man, dem Blinden, bei seinem tiefgewurseiten Leiden , wäre eine plötzliche Hei- lung vielleicht schädlich gewesen > »).

Allein durch diese Versuche, namentlich die letste Ei- genheit der Evangelischen Erzählung su deuten , begeben •ich'die supranaturalistischen Theologen, welche sie vor- bringen, selbst auf Einen Boden mit den Rationalisten, in-

16) Jenes Hess, Geschichte Jesu, 1, S. 390 f.; dieses (Wuss*, o. Comm. 1, S. 510.

17) bei Kuiköl, in Marc. p. Ho.

18) Ouiuuss*, S. 505.

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Zweiter Abschnitt.

den sie nicht minder als jene in den Text hineintragen, was in demselben nicht von ferne angedeutet ist. Denn wo ist in dein Heilverfahren Jesu mit dem Kranken irgend eine Spur, dafs er zuerst nur darauf ausgegangen sei , sei- nen Glauben zu prüfen und eu stärken? in {welchem Falle statt des nur seinen äussern Zustand betreffenden inr4Q<tna ctvvov u %t ßlknsi,; vielmehr wie Matth. 9, 28. ein rnztmig vzl dvvauat xueo noirjaai; stehen müTste. Vollends aber die Vermuthung, eine plötzliche Kur möchte schädlich ge- wesen sein! Der heilende Act eines Wunderthäters ist doch (namentlich nach Olshausbk's Ansicht) nicht als der blofs negative der Wegräumung eines Übels, sondern zu- gleich als der positive einer Mittheilung neuen Lebens und frischer Kraft an das leidende Organ eu betrachten , bei welcher von Schädlichkeit ihres plötzlichen Eintritts nicht die Rede sein kann. Da somit kein Grund sich ausfin- dig machen läfst , aus weichem Jesus absichtlich dem au- genblicklichen Wirken seiner Wdnderkraft Einhalt gethan hätte, so mflfste sie nur ohne seinen Willen von aussen durch die Macht des eingewurzelten Übels gehemmt wor- den sein, was aber der ganzen evangelischen Vorstellung von der selbst dem Tod überlegenen Wundermacht Jesu entgegen ist, folglich nicht Meinung unsres Evangelisten sein kann. Sondern die Absicht des Markus, wenn wir seine ganze schriftstellerische Eigentümlichkeit erwägen, kann auch hier auf nichts Andres als auf Veranschauli- chung gehen. Alles Plötzliche aber ist schwer sich cur Anschauung zu bringen: wer eine geschwinde Bewegung einem Andern deutlich machen will , der macht sie ihm zuerst langsam vor, und ein schneller Erfolg wird nur dann recht vorsteilbar, wenn ihn der Erzähler durch al- le seine Momente hindurchführt ; wefswegen denn ein Re- ferent, dem es darum au thun ist, in seiner Erzählung der Vorstellungskraft seiner Leser möglichst zu Hülfe zu kom- men, auch die Neigung zeigen wird, wo möglich überall das

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H euntes Kapitel. §. 04.

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Unmittelbare zu rermltteln und an dem plötsDchen Erfolge doch das Sueceasive sein es Eintritts hervo rzuk ehren * »). So glaubte hier Markus oder sein Gewährsmann viel für die An- schaulichkeit an thnn, wenn er zwischen die Blindheit des Mannes und die völlige Herstellung seiner Sehkraft die halbfertige Heilung oder das Sehen der Menschen wie Bäu- me einschob, and des eigne Gefühl wird Jedem sagen, dafs dieser Zweck vollkommen erreicht isu Darin aber liegt, wie auch Andre bemerkt haben -°), so wenig eine Hinneigung des Markus au natürlicher Auffassung solcher Wander, dafs er ja vielmehr nicht selten die Wunder au vergrössern bemüht ist, wie wir theils befm Gadarener gesehen haben, theils noch öfters werden bemerken kön- nen. Auf ähnliche Weise wird dann auch das au beur- teilen sein, da& Markus namentlich in diesen ihm eigenen Erzählungen (aber auch sonst , wie 0, 13., wo Cr bemerkt, dals die Jünger die Kranken mit Öl gesalbt haben) die Anwendung äusserer Mittel und Manipulationen bei den Heilungswundern hervorhebt. Dafs diese Mittel, wie be- sonders der Speiohel, in der damaligen Volksansicht nicht als oatürliohwirkende Ursachen der Heilung galten, davon kann schon die oben angeführte Erxahlung von Vespasian überzeugen, so wie Stellen jüdischer und römischer Auto- ren, nach welchen das Ausspucken als magisches Mittel, vornehmlich gegen Augenübel, galt So dafs Dimhau-

sen* ganz die damalige Vorstellung giebt , wenn er Berüh- rung, Speichel u. dgl. für die Conductoren der dem Wun- dermann inwohnenden höheren Kraft erklärt. Nur frei- lich diese Ansicht auch au der unsrigen machen könnten wir nur dann, wenn wir mit Dlshauskn von einer Parallele der Wunderkraft Jesu mit der animalisch - magnetischen

19) ygl. db Wette, Kritik der mosaischen Geschichte, S. 36 f.

20) Kritisch« , Comm. in Marc. p. XLIII.

21) s. d. St. hei Wstitsu und Ligmtioot zu Joh. 9, 6.

76 Zweiter Abschnitt.

ansengen, eine Vergleichung , welche «ar Erklärung der Wunder Jesu, insbesondere des vorliegenden, unzureichend und darum überflüssig ist Wir schreiben daher jene Mit- tel lediglich auf Rechnung des Evangelisten. Auf diese kommt dann ohne Zweifel auch das ßesondernehmen der Kranken, die übertreibende Beschreibung der Verwunde- rung des Volks CvTztQiieQioocjQ i^enX^aoovzo Q7iavrBg9 7, 37.) , und das strenge Verbot, Niemand von den Heilun- gen etwas zu sagen. Dieses Geheimhalten gab der Sache ein mysteriöses Ansehen, welches auch nach andern Stel- len dem Markus gefallen zu haben scheint. Zu dem My- steriösen gehört bei der Heilung des Tauben auch das avaßMftag sig tov unavov igiva^s (7, 34.). Denn wozu , hier seufzen? über das Elend des Menschengeschlechts22)! das Jesu aus viel traurigeren Fällen langst bekannt sein mufste? oder wollen wir durch die Erklärung, dafs jener Ausdruck nichts weiter, als stilles Beten oder lautes Spre- chen bedeute23), der Schwierigkeit ausweichen? Wer den Markus kennt, wird vielmehr den Übertreibenden Er- zähler darin erkennen , dafs er Jesu eine tiefe GemÜths- bewegung bei einem Anlafs zuschreibt, der eine solche gar nicht hervorbringen konnte, aber von derselben begleitet sich nur um so geheimnifsvoller ausnahm. Ganz vorzüg- lich aber scheint mir etwas Mysteriöses darin zu liegen, dafs Markus das gebietende Wort, mit welchem Jesus die Ohren des Tauben aufthut, in seiner ursprünglichen syri- schen Form : tqvpa&a wiedergiebt, wie bei der Erweckung der Tochter des Jairus nur unser Evangelist (5, 41.) das Tcdi&a xü/a hat. Man sagt wohl, diefs seien nichts we- niger als Zauberformeln gewesen 24); allein, dafs Markus diese Machtworte so gerne in der seinen Lesern, denen er

22) so nach Euthymius Fmtzbcii*, in Marc. p. 304.

23) Krsteres Hüiköl, Letzteres Schott.

24) Hüss, Ocsch. Jesu, 1, S. 391. Anm. 1.

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Nennte* Kapitel. §. 04. 77

sie ja erklären uitifs , fremden Ursprache wiedergibt , be- weist doch, dafs er eben dieser ihrer ursprünglichen Form eine besondere Bedeutung beigelegt hnhen mtif* , welche dem Zusammenhang zufolge nur eine magische scheint ge- wesen sein zu können. Diese Neigung zum Mysteriösen können wir rückwärts blickend nun auch in der Anwen- dung jener Süsseren Mittel finden, welche «um Erfolg in keinem Verhältnifs stehen; denn eben darin besteht ja das Mysterium, dafs mit einer inadäquaten, endlichen Form ein unendlicher Inhalt , mit einem scheinbar unwirksamen Mittel die kräftigste Wirkung sich verbindet.

Haben wir nun oben die einfache Erzählung sa'mmt- licher Synoptiker von der ßlindenheilung bei Jericho nicht für historisch halten können , so sind wir diefs bei der ge- he im ni& vollen Schilderung des Einen Markus von der Heilung eines Blinden bei Bethsaida noch weniger im Stan- de, sondern wir müssen sie als ein Product der Sage mit mehr oder weniger Zuthaten des evangelischen Referen- ten ansehen , und ebenso die von ihm mit gleicher Eigen- tümlichkeit erzählte Heilung des xinycg ftoyddXog. Denn anch bei dieser letzteren Geschichte fehlen uns neben den schon ausgeführten negativen Gründen gegen ihre histori- sche Glaubwürdigkeit die positiven Veranlassungen ihrer mythischen Entstehung nicht, da die Weissagung auf die niessianische Zeit: tot£-wt« xvxpviv dxuootiui TQavq 6k igcu yXüiaaa // oyt Id l<)v (Jes. 35, 5. 0.) vorhanden war, und nach Matth. 11, 5. eigentlich verstanden wurde.

So günstig der natürlichen Erklärung auf den ersten Anblick die eben betrachteten Erzählungen des Markus zu sein schienen: so ungünstig und vernichtend, sollte man glauben, müsse die johanneische Erzählung, Kap. 0., auf sie fallen, wo nicht von einem Blinden schlechtweg, des- sen zufällig eingetretenes Übel leichter wieder zu heben sein mochte , sondern von einem Blindgebornen die Rede ist. Doch wie die Ausleger dieser Richtung scharfsichtig

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78 Zweiter Abschnitt.

sind, und den Muth niest bald verlieren, so wissen sie auch hier manches ihnen Günstige tu entdecken. Vor Al- lem den Znstand des Kranken finden sie, so bestimmt anch das zvtf'Aov ix yevezijg an lauten scheint, doch nnr unge- nau bezeichnet. Die Zeitbestimmung zwar, welche darin liegt, enthält sich Paulus, wiewohl ungern nnd eigentlich nur halb, umaustofsen : um so mehr mufs er dann aber an der Qualitätsbestimmung des Zustande« an rütteln suchen. Tvqtlds mtlsie nicht gerade totale Blindheit bezeichnen, nnd wenn Jesus den Kranken anweise, zum Siloateich an gehen, nicht sich führen au lassen, so müsse derselbe noch einigen Schein des Augenlichts gehabt haben, mittelst des- sen er selbst den Weg dahin finden konnte. Bloch mehr Hül- fe sehen die rationalistischen Ausleger in dem Heilverfahren Jesu. Gleich Anfangs (V. 4.) sage er, er müsse wirken i'cog i4^iqa in der Nacht lasse sich nichts mehr anfangen« Beweis genug, dals er den Blinden nicht mit einem blo- fsen Machtwort au heilen im Sinne gehabt habe, was er auch bei Nacht hätte aussprechen können, dals er viel- mehr eine künstliche Operation habe vornehmen wollen, au welcher er freilich das Tageslicht bedurfte. Der rtylog ferner, welchen Jesus mittelst seines Speichels macht, und dem Blinden auf die Augen streicht, ist ja der natürlichen Auslegung noch günstiger als das blofse ntvoag befm vo- rigen Fall, wefswegen denn aus demselben die Fragen nnd Vermuthungen wie Pilae in üppiger Fülle aufschieben. Woher wuIste Johannes, fragt man, dafs Jesus nichts weiter als Speichel und Staub au der Augensalbe nahm? war er selbst dabei, oder hatte er es blofs aus der Erzäh- lung des geheilten Blinden? Dieser konnte aber bei dem schwachen Schimmer, den er nur hatte, nicht genau se- hen > was Jesus vornahm; er konnte vielleicht, wenn Je- sus, während er aus andern Ingredienzien eine Salbe misch- te, zufällig auch ausspuckte, auf den Wahn verfallen, ans dem Ausgespuckten sei die Salbe entstanden. Koch mehr:

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ISeuntes Kapitel. §. 94. 79

hat Jesus, wfihrend oder ehe er etwas auf die Augen strich, nicht auch etwas aas denselben weggenommen, weggestri- chen, oder sonst etwas daran verändert, was der Blinde 1 selbst nnd die Umstehenden leicht für Nebensache ansehen konnten ? Endlich das dem Blinden gebotene Waschen im Teiche dauerte vielleicht mehrere Tage, war eine längere Badekur, und das iftöe fiUnm sagt nicht, dafs er nach dem ersten Bade, sondern dafs er eu seiner Zeit, nach Vollendung der Kur, sehend wiederkam 2 5).

Allein, um von vorne anzufangen, so wird hier dem r^iqa und vi$ eine Bedeutung gegeben, welche selbst ei- nem Ventürini eu seicht gewesen ist und namentlich dem Zusammenhange mit V. 5. zuwiderläuft, welcher durch- mus eine Beziehung der Worte auf den baldigen Hingang Jesu erheischt37). Was aber von etwaigen mediciniscben Ingredienzien des nrjlog vermuthet wird, ist um so boden- loser, als hier nicht wie bei dem vorigen Falle gesagt wer- den kann, es werde nur das angegeben, was der Blinde durch das Gehör oder einen leichten Lichtschimmer wahr« nehmen konnte, da ja diefsmal Jesus den Kranken nicht allein, sondern in Gegenwart seiner Jünger vornahm. Über die weitere Vermuthung vorangegangener chirurgischer Operationen, durch welche die im Texte allein angegebene Bestreichung und Waschung zur Nebensache wird, Ist nichts eu sagen, als dafs man an diesem Beispiele sieht, wie zügellos die einmal eingelassene natürliche Erklärung sich alsbald gebärdet, und die klarsten Worte des Textes durch die Gebilde ihrer eigenen Combination verdrängt* W eun ferner daraus, dafs Jesus den Blinden zum Teiche gnhen hiefs, gefolgert wird, er müsse noch einen Schein des Lichts gehabt haben, so ist dagegen eu bemerken, daüs

25) Paulus, Comm. 4, S. 472 ff.

2b) Natürliche Geich. 3, S. 215. $ 27) s. Tmoi.uck und Li'oca x. d. St.

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SO Zweiter Abschnitt.

Jesus demselben nur angab, wohin er sich begeben (urea- solle; wie er diefs näher angreifen wollte, ob allein gehen oder einen Führer nehmen, das tiberliefs er ihm sel- ber. Endlich wenn das engverbundene änj4l$ev iv xal iri- tpccro xai ßtentov (V. 7, vgl. V. 11.) zu einer mehr-

wöchigen ßadekur auseinandergezogen wird, so ist diefs gerade, wie wenn man das venij vidi, vici übersetzen woll- te : nach meiner Ankunft recognoscirte ich mehrere Tage, lieferte hierauf in gehörigen Zwischenzeiten unterschiedli« che Schichten, und blieb endlich Sieger.

£s läfst uns also auch hier die natürliche Erklärung im Stiche, und wir behalten einen von Jesu wunderbar geheilten Blindgeborenen. Dafs unsre obigen Zweifel ge- gen die Realität der ßlindenheilungen hier, wo es sich von angeborener ßlindheit handelt, in verstärktem Maafse wie- derkehren, ist natürlich. Und zwar kommen hier noch ei* nige besondere kritische Gründe hinzu. Keiner der drei ersten Evangelisten weifs etwas von dieser Heilung. Nun aber, wenn doch in der Gestaltung der apostolischen Tra- dition und in der Auswahl, welche sie unter den von Jesu zu erzählenden Wundern traf, irgend ein Verstand gewe- sen sein soll , so mufs sich diese nach den zwei Gesichts- punkten gerichtet haben: erstlich, die gröfseren Wunder vor den scheinbar minder bedeutenden auszuwählen, und zweitens diejenigen, an welche sich erbauliche Erörterun- gen knüpften, vor denen, bei welchen diefs nicht der Fall war. In der ersteren Rücksicht war nun offenbar die Hei- lung eines von Geburt an Blinden, als die ungleich schwie- rigere, vor der eines Blinden schlechthin auszuwählen, und man begreift nicht, wenn doch Jesus wirklich einen Blind- geborenen sehend gemacht hat, warum davon nichts in die evangelische Tradition und also in die synoptischen Evan- gelien gekommen ist. Freilich konnte mit dieser Rücksicht auf die Grüfse des Wunders die andere auf die Erbau- lichkeit der daran sich knüpfenden Reden nicht sehen col-

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Neuntes Kapitel. 5. 94. >i

lidiren, so dafs ein mindei* auffüllendes, aber durch die Ge- spräche, die es veranlagte, fruchtbareres Wunder einem auffallenderen, aber bei welchem das Letztere weniger zu- traf, vorgezogen werden mochte. Allein die Heilung des blindgeborenen bei Jobannes ist von so merkwürdigen Ge- sprächen, zuerst Jesu mit den Jüngern, dann des Geheil- ten mit der Obrigkeit, endlich Jesu mit dem Geheilten, be- gleitet, wie von dergleichen bei den synoptischen Blinden- hcilungen keine Spur ist, Gespräche, von welchen, wenn auch nicht der ganze dialogische Verlauf, so doch gnomi- sche Perlen , wie V. 4. 5. 39. , sich auch für die Darstel- lung der drei ersten Evangelisten trefflich eigneten. Diese hätten also nicht umhin gekonnt, statt der sowohl weniger merkwürdigen, als auch minder, erbaulichen ßlindenhei- lungen, weiche sie haben, die Heilung des Blindgeborenen aufzunehmen, wenn dieselbe in der evangelischen Überlie- ferung, aus welcher sie schöpften, befindlich gewesen wä- re. Der allgemeinen evangelischen Verkündigung konnte sie möglicherweise unbekannt bleiben, wenn sie an einem Orte und unter Umständen vorgefallen war, die ihre Aus- breitung nicht begünstigten , also wenn sie in einem Win- kel des Landes ohne weitere Zeugen verrichtet worden war. Aber Jesus vollbringt sie ja vielmehr zu Jerusalem, im Kreise seiner Jünger, mit grölst em Aufsehen in der Stadt, und zum höchsten Anstofse bei der Obrigkeit: da mufste die Sache bekannt werden, wenn sie anders geschehen war, und da wir sie in der gewöhnlichen Evangelientraditiou nicht als bekannt antreffen, so entsteht der Verdacht, sie möchte vielleicht gar nicht geschehen sein.

Aber der Gewährsmann ist doch der Apostel Johan- nes. Wenn diefs nur nicht, ausser dem unglaublichen, also schwerlich von einem Augenzeugen herrührenden In- halte des Berichts, auch noch aus einem andern Grund un- wahrscheinlich würde. Der Referent erklärt nämlich den Ruinen des Teiches Zihoufi durch das griechische ujuca),^ Das UUn Jesu IL Band.

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Zweiter Abschnitt.

/it'rog (V. 7.)* e»no fauche Erklärung, denn ein Abgeschick- ter heifst Tlfoti, wogegen ffa? der wahrscheinlichsten Er- klärung zufolge einen Wassergufs bedeutet 8). Der Evan- gelist wählte aber jene Deutung, weil er «wischen dem Namen des Teichs und der Sendung des Blinden feu dem- selben eine bedeutungsvolle Beziehung suchte , und sich hIso vorgestellt m haben scheint, der Teich habe durch besondere Fügung den Namen des Gesendeten bekommen, vteil dereinst vom Messias eur Offenbarung seiner Herr- lichkeit ein Blinder eu demselben gesendet werden sollte ~y). Nun konnte allerdings ein Apostel eine grammatisch un- richtige Erklärung geben« sofern er nur nicht als inspirirt vorausgesetzt wird, und auch ein geborener Palästinenser konnte sich in Etymologieen hebräischer Worte irren, wie das A. T. selber zeigt : doch aber sieht eine Spielerei die- . »er Art eher wie das Machwerk eines entfernter Stehen- den als eines Augenzeugen aus. Der Augenzeuge hatte an dem angeschauten Wunder und den vernommenen Reden genug Bedeutungsvolles: erst bei dem entfernter Stehen- den konnte die Mikrologie eintreten, dafs er auch aus den kleinsten Nebenzügen eine Bedeutung herauszupressen such- te. Tholuck und Lücke stossen sich stark an einer sol- chen, wie der Letztere sich ausdrückt, an Unsinn streifen- den Allegorie, welche sie ebendeswegen sich nicht für jo- hanneisch aufreden lassen wollen, sondern als eine Glo.-^e betrachten. Da jedoch alle kritischen Auetontüten, bis auf Eine, minder bedeutende, dieselbe bieten, so ist eine solche Behauptung die baare Wilikühr, und man hat nur die Wahl, ob man mit Orshausen auch an diesem Zug als einem apostolischen sich erbauen 3 °), oder mit den Proba-

28) s. Paulus und Llcks t. d. St.

29) so Kuthymiui und Paulus z. d. St.

JO) b. Comm. 2, S. 230, wo er jedoch das Irrtzaiptros auf den von Gott ausgehenden (Jeistcsstrom bezieht.

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Neuntes Kapitel $.04. 83

bilien denselben mit unter die Merkmale von dem nicht apo- stolischen Ursprung des vierten Evangeliums cahlen will » 1 ).

Was nun aber den Verfasser des vierten Evangeliums, oder die Überlieferung, aus welcher er schöpfte , veran- lassen konnte, unzufrieden mit den ßlindenheilungen, von welchen die Synoptiker berichten , die vorliegende trzfi h* Im ig auszubilden, liegt schon in dem bisher Ausgeführtem Ks ist schon von Andern die Bemerkung gemacht, wie das vierte Evangelium zwar wenigere, aber um so stärkere Wun- der von Jesu erzähle 3 :). So, wenn die übrigen Evange- lien simple Paralytische haben, welche Jesus heilt, hat das vierte Evangelium einen, der 38 Jahre lang gelahmt war; wenn Jesus in jenen eben Verstorbene wiederbelebt, ruft er in diesem einen schon vier Tage in der Gruft Gelege- nen, bei welchem bereits der Eintritt der Verwesung zu vermnthen war, in das Leben zurück; ebenso hier stall einfacher ßlindenheilungen die Heilung eines Blindgebore- nen, — eine Steigerung der Wunder, wie sie der apolo- getisch-dogmatischen Tendenz dieses Evangeliums ganz an* gemessen ist. Auf welchem Wege hiebei der Verfasser des Evangeliums oder die particula're Tradition , weicher er folgte , zu den einzelnen Zügen der Erzählung kommen konnte, ergiebt sich leicht. Das Tttveiv war bei magischen Augenkuren gewöhnlich ; der nr4i6g lag als Surrogat einer Aiigensalbe nahe und kommt auch sonst bei zauberhaften Proceduren vor 3 3); der Befehl, sich im SiJoateich zu wa- schen, kann der Verordnung Elisas, dafs der aussätzige Nammen sich siebenmal im Jordan baden solle, nachgebildet sein. Die Verhandlungen, welche sich an die Heilung knüpfen, gehen theils aus der, auch von Stork bemerklich gemach- ten Tendenz des johanneischen Evangeliums hervor, sowohl

31) S. 03.

32) Hösts*, Immanuel, S. 79; fiastscaftiit**, Trotab. S. 122.

33) Wetstziw, z. d. St.

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H4 Zweiter Abaclinift.

di* Heilung als die angeborne Blindheit des Menschen mög- lichst urkundlich su machen und tu verbürgen, daher d»s wiederholte Verhör des Geheilten selbst und sogar seiner fckern; theils drehen sie sich um die symbolische Bedeutung der Ausdrücke: tvcflög unAßlhuüV, yittQa und wie sie Bwar au«h den Synoptikern nicht fremd ist, noch spccifi- scher jedoch in den johanneischen Bilderkreis gehört.

?k 95.

Heilungen Vött Paralytischen. Ob Jesus Krankheiten all Sündens trafen betrachtet habe.

Ein wichtiger Zug in der johanneischen Heilungsge- sehichte des Blindgeborenen ist übergangen worden, weil er erst in Verbindung mit einem entsprechenden in der synoptischen Erzählung von der Heilung eines Paralyti- schen (Matth. i>, 1 ff. Marc. 2, 1 ff. Luc. 5, 17 ff.), die wir demnächst ^betrachten haben, richtig gewürdigt werden kann. Hier nämlich erklärt Jesus dem Kranken euerst: ayttavral aoi al äfiaQdai ou> und hierauf, als Beweis, dafs er au solcher Sündenvergebung Vollmacht habe, heilt er ihn, wobei die Beziehung auf die jüdische Ansicht nicht verkannt werden kann , dafs das Übel und namentlich die Krankheit des Eineeluen Strafe seiner Sünde sei ; eine An* sieht, welche, In ihren ürundeügen im A. T. angelegt (3 Mos. 26, Uff. 5 Mos. 28, 15 ff. 2 Chron. 21, 15. 18 f.), von den späteren Juden aufs Bestimmteste ausgesprochen wurde» Hätten wir nun blofs jene synoptische Erzäh- lung, so müfsten wir glauben, Jesus habe die Ansichtsei- ner Zeit- und Volksgenossen über diesen Punkt getheilt, indem er ja seine Befugnifs, Sünden (als Grund der Krank- heit) en vergeben, durch eine Probe seiner Fähigkeit,

1) Ncdarim f. 41, 1. (bei Schöttckw, 1, S.93.): Di™* Bffr fil. Abba: nullus aegrotus a morbo suo sanatur, donec ifitt omnia pecetäa retnissa sint*

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Neuntes Kapitel. $.95. So

Krankheiten (die Folgen der Sünde) au hellen, beweist. Allein, sagt man, es finden sich andre Stellen, wo Jesus die- ser jüdischen Meinung geradezu widerspricht , and daraus folgt, dafs, was er dort zum Paralytischen sprach, blofse Accommodation an die Vorstellungen des Kranken zur För- derung seiner Heilung war 2).

Die Hauptstelle, welche man hicfür anzuführen pflegt, ist eben die Einleitung der auletzt betrachteten Geschichte vom Blindgeborenen (Joh. 9, 1 S). Hier nämlich legen die Jünger, wie sie den Mann am Wege stehen sehen, den sie als von Geburt an Blinden kennen, Jesu die Frage vor, ob seine Blindheit Folge seiner eigenen, oder der Sünde seiner Eltern sei? Der Fall war für die jüdische Yer- gcltungstheorie besonders schwierig. Von Übeln , welche einem Menschen erst im Verlaufe seines Lebens zuge- atossen sind, wird der auf eine gewisse Seite sich einmal neigende Beobachter leicht irgend welche eigene Verschul- dungen dieses Menschen als Ursache ausfindig machen oder doch voraussetzen. Von angeborenen Übeln dagegen gab zwar die althebrÄische Ansicht (2 Mos. 20, 5. 5 Mos. 5,9. 2 Sam. 3, 29.) die Erklärung an die Hand, dafs durch die- selben die Sünden der Vorfahren an den Nachkommen heimgesucht werden; allein, wie für das menschliche Recht das mosaische Gesetz selbst verordnete, da(s Jeder nur für eigene Vergehungen solle gestraft werden können (5 Mos. 24, 16. 2 Kon. 14, 6.), und auch in Bezug auf die göttli- che Strafgerechtigkeit die Propheten ein Gleiches ahnten (Jer. 31, 30. Ezech. 18, 19. f.): so ergab sich für angebo- rene Übel dem rabbinischen Scharfsinn der Ausweg , sol- che Menschen mögen wohl schon in Mutterleibe gesündigt haben J), und diese Meinung war es ohne Zweifel auch,

2) Hasb, Im J. §. 73. Fritzsghk, in Matth. S. 335. 5) Sanbodr. f. 91, 2. und Bercschith Rabba f. 58, t. (bei Limit- SVOTj S. 1050.) : Anloninus interrogavit Rabbi (Judam) : a quo*

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90 Zweitor Abschnitt. ,

welche die Jünger bei ihrer Frage V. 2. voraussetzten. Wenn ihnen nun Jesus zur Antwort giebt , weder uro ei- ner eignen, noch um einer Sünde seiner Eitern willen «ei jener Mensch blind zur Welt gekommen, sondern, um durch die Heilung, welche er als Messias an ihm vollziehen soll- te, die Wundermacht Gottes zur Anschauung zu bringen: •o wird diefs insgemein so verstanden , als hätte damit Je- sus jene ganze Meinung, dafs Krankheit and sonstiges Übel wesentlich Sündenstrafe sei, verworfen. Allein ausdrück- lich spricht hier Jesus nur von dem Falle, der ihm eben vorlag , dafs dieses bestimmte Übel hier nicht in der Ver- schuldung des Individuums, sondern in höheren göttlichen Absichten seinen Grund habe; einen allgemeineren Sinn und die Verwerfung der ganten jüdischen Ansicht in jenem Ausspruche zu linden, könnte man nur durch andre be- stimmter dahin lautende Aussprüche ein Recht bekommen. Da nun aber dem Obigen zufolge in den synoptischen Evan- gelien eine Erzählungsich findet, welche, einfach aufge- faßt, vielmehr ein Einstimmen Jesu in die herrschende Meinung enthält, so würde sich fragen, was leichter an« gehe, jenen synoptischen Ausspruch Jesu als Accommoda- tion, oder den johanneischen nur mit Bezug auf den vor- liegenden Fall zu fassen? eine Frage, welche Jeder zu Gunsten des letzten Gliedes entscheiden wird, der einerseits die Schwierigkeiten der Accomodationshypothese in ihrer Anwendung auf die evangelischen Aussprüche Jesu kennt, und andrerseits sich klar macht, dafs in der betreffenden Stelle des vierten Evangeliums eine allgemeinere Beziehung des Ausspruchs gar nicht angedeutet ist«

Freilich darf nach richtigen Interpretationsgrundsätzen ein Evangelist nicht unmittelbar aus einem andern eriäu-

nam tempore ineipit malus affectus praevalere in nomine: an a tempore formationis ejus {in utero)y an a tempore processio- nit ejus (jsx utero) ( Dicit ei Rabbi ; a tempore formationis ejus.

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IS eujitos Kapitel. %. Vi.

ftert werden , sondern es bliebe in unsrcra Falle woM mög- lich , dafs, wahrend die Synoptiker Jesu jene Zeitansicht zuschreiben, der höher gebildete Verfasser des vierten Evangeliums ihn dieselbe verwerfen liefse: allein dafs auch er jene Abweisung der Zeitansicht von Seiten Jesu nur auf den einzelnen Fall bezog, beweist er durch die Art, wie er ein andermal Jesuin reden läfst. Wenn dieser näui- lieh zu dem achtunddreifsigjährigen Kranken Joh. 5. nach seiner Wiederherstellung warnend sagt: /irr/ht afiagtan, Iva ftt} yjkiQov %i oui ylvmuit CV. 14.)> •<> ist diefs so got, als wenn er einem zu Heilenden zuruft: cfysWrai* aoi ui auunuui oit , beidemale nämlich wird Krankheit als Sun- denstrafe hier aufgehoben, dort angedroht. Doch auch hier wissen die Erklärer, denen es unwillkommen ist, von Jesu eine Ansicht, welche sie verwerfen , anerkannt zu finden, dem natürlichen Sinne auszuweichen. Jesus soll das bo- sondre Übel dieses Menschen als eine natürliche Folge gewisser Ausschweifungen erkannt, und ihn vor Wieder- holung derselben gewarnt haben, weil diefa eine gefährli- chere Recidive herbeiführen könnte 4). Allein der Denk- weise des Zeitalters Jesu liegt die Einsicht in den natürli- chen Zusammenhang gewisser Ausschweifungen mit gewis- sen Krankheiten als deren Folgen weit ferner als die An- sicht von einem positiven Zusammenbang der Sünde über- haupt mit der Krankheit als deren Strafe; es müfste also, wenn wir dennoch den Worten Jesu den ersteren Sinn sollten unterlegen dürfen, dieser sehr bestimmt in der Stel- le angezeigt sein. Nun aber ist in der ganzen Erzählung von einer bestimmten Ausschweifung des Menschen nicht die Rede, das von Jesu ihm zugerufene fiqxki, v[4<i(ncne be- zeichnet nur Sündigen überhaupt, und eine Unterredung Jesu mit dem Kranken, in welcher er denselben Über den Zusammenhang seines Leidens mit einer bestimmten Süude

4) Paulus, Comm. 4, S. 264. LUcks, 2, S. 22.

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ss Zweiter Abschnitt

belehrt h«tte, zu supplircn, *), ist die willkührlichste Fi- rtion. Welche Auslegung, wenn man, um einem dogmatisch unangenehmen Ergebnifs auszuweichen, die eine Stelle (Job. 9 ) eu einer Allgemeinheit erweitert , welche nicht in ihr liegt, die andere (Matth. 0.) durch die Accommodationshypo- these eludirt, der dritten fJnh. 5.) einen modernen Begriff gewaltsam aufdrangt: statt dafs, wenn man nur die erste Stelle nicht mehr sagen läfst als sie sagt , die beiden an- dern in ihrem zunächst liegenden Sinne nicht im Mindesten angetastet zu werden brauchen!

Doch man bringt noch eine weitere , und zwar syn- optische Stelle herbei , um Jesu die Erhabenheit Ober die bezeichnete Volksmeinung zu vindiciren. Wie ihm nämlich einmal von Galiläern erzählt wurde, welche Pilatus hei m Opfern hatte niederhauen lassen , nnd von andern, welche durch den Einsturz eines Thurmes verunglückt waren (Luc. 13, 1 ff.), wobei die Erzähler, wie man glauben mufs, zu erkennen gaben, dafs sie jene Unglücksfalle für göttliche Strafen der besondern Verworfenheit jener Leute ansehen, erwiederte Jesus, sie möchten ja nicht glauben , jene Men- schen seien besonders schlecht gewesen; sie selbst seien um nichts besser, und sehen daher, falls sie sich nicht be- kehren, einem gleichen Untergang entgegen. Es ist in der That nicht klar, wie man in dieser .Äusserung Jesu eine Verwerfung jener Volksansicht finden kann. Wollte Jesus gegen diese sprechen, so mufste er entweder sagen: ihr seid ebenso grofse Sünder, wenn ihr auch nicht auf die gleiche Weise leiblich zu Grunde gehet; oder: glaubet ihr, dafs jene Menschen ihrer Sünde wegen zu Grunde ge- lingen seien? nein! diefs sieht man an euch, die ihr un- ♦•rsfuWf eurer Schlechtigkeit doch nicht ebenso zu Grunde jf^Set. So dagegen , wie der Ausspruch Jesu bei Lukas lautet, kann d?r Sinn desselben nur dieser sein: dafs jene

S) Wie Tmolic« z. d. St. thut.

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Nountet Kapitel. $. 95.

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Menschen schon jetzt ein solcher Unfall betroffen hat, be- weist nichts für ihre besondre Schlechtigkeit, so wenig das, «In Ts ihr bisher von dergleichen verschont geblieben seid, fflr eure größere Würdigkeit beweist; vielmehr werden früher oder spater Über euch kommende ähnliche Strafge- richte eare gleiche Schlechtigkeit beurkunden wodurch also das Gesetz des Zusammenhangs «wischen Sünde und Unglück jedes Einzelnen bestätigt, nicht umgestoßen wür- de. Diese vulgffr- hebräische Ansicht von Krankheit und Übel steht nun allerdings im Widerspruche mit jener esote- rischen, essenisch-ebionitischen , die wir im Eingang der ßergrede , im Gleichnifs vom reichen Mann und sonst ge- funden haben, nach welcher vielmehr die Gerechten in die- sem Aon die Leidenden, Armen, Kranken, sind: allein bei- de Ansichten liegen einmal in den Äusserungen Jesu für eine unbefangene Exegese zu Tage , und der Widerspruch, welchen wir zwischen beiden finden, berechtigt uns we- der , die eine Klasse von Aussprüchen gewaltsam zu deu- ten , noch auch, sie Jesu abzusprechen, da wir nicht be- rechnen können , wie er den Widerstreit zweier ihm von verschiedenen Seiten der damaligen jüdischen Bildung her gebotenen Weltanschauungen für sich gelöst haben mag.

Was nun die oben erwähnte Heilung betrifft, so las- sen die Synoptiker Jesum den Boten des Taufers gegen- über sich namentlich auch darauf berufen , dafs durch sei- ne Wundermacht ftolol TUQtTiatitaiv (Matth. 11, 5.), und ein andermal wundert sich das Volk , wie es neben andern Geheilten auch x(0^ nsQtTVuiQvrag und xvXlvg vyuTg er- blickt (Matth. 15, 31.)* An der Steile der %coXol werden anderwärts rcanalvTtxoi aufgeführt (Matth. 4, 24.) , und nnmentlich sind in den detaillirten Heilungsgeschichten, welche wir über diese Art von Kranken haben, (wie Matth. 9, 1. ff. pnrall. 8, 5. parall.) nicht /o)Xnl , sondern yn/noc- Iniy.tn genannt. Der Kranke Joh. Ä, 5. gehörte wohl zu den /miu?.t)ig, von weichen V. 3. die Rede gevtesea war;

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9tf Zweiter Abschnitt.

ebendaselbt sind gqool aufgeführt, und so finden wir Matth. 12, 9. ff. parall. die Heilung eines Mensehen, der eine /. m> £>ocr hatte. Da jedoch die drei zulet/t angeführten Hei- Jungen von Gliederkranken unter andern Rubriken uns wiederkehren werden: so bleibt hier nur die Heilung des Paralytischen Matth. 1), 1 ff. parall. zu beleuchten Übrig.

Da die Definitionen , welche die alten Ärzte von der nccQalixJtg geben, zwar alle auf Lähmung, aber unentschie- den, ob totale oder partiale, gehen 6), und überdiefs von den Evangelisten kein strenges Festhalten an der wedicini- schen Kunstsprache zu erwarten ist, so müssen wir, was sie unter Paralytischen verstehen, aus ihren eignen Be- schreibungen von dergleichen Kranken entnehmen. In unsrer Stelle nun erfahren wir von dem TfaQalvrixOQ , dafs er auf einer y.Uir getragen werden inufste, und dafs, ihn zum Aufstehen und Tragen seines Bettes zu befähigen, für ein nie gesehenes nuQuöo^ov galt, woraus wir also auf eine Lähmung wenigstens der Füfse schliefsen müssen. Während von Schmerzen und einem hitzigen Charakter der Krankheit in unsrem Falle nicht die Rede ist, wird ein solcher in der Geschichte Matth. 8, 6. unverkennbar vor- ausgesetzt, wenn der Ceuturio von seinem Knechte sagt: tiefifojTcci—TcaHalvTixüg, öuvtHs ßaaavi^ofitvog, so dafs wir also unter der siaQulvaig in den Evangelien bald eine schmerzlos lähmende, bald eine schmerzhaft gichtische tiliederkrankheit zu verstehen hätten 7).

In Schilderung derScene , wie der Paralytische Matth. 99 1 ff. parall. zu Jesu gebracht wird, findet zwischen den drei Berichten eine merkliche Abstufung statt. Matthäus sagt einfach, wie Jesus von einem Ausüug an das jeusei-

6) Man sehe sie bei Wktsteih, N. T. 1 , S. 284 , und in Wahl» Claris u. (1. A. nach.

7) vgl. WiNKH, Ucalw. 1. Aufl. S. 77G. und 1«"ritzscric, in Matth,

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Neuntes Kapitel. §. 0". Ol

tige Ufer nach Kepernaum zurückgekehrt gel, hebe man ihn einen Paralytischen, auf einem Lager hingestreckt, ge- bracht. Lnkas beschi*eibt genau , wie Jesus , von einer grofsen Menge, namentlich von Pharisäern und Schrift- gelehrten, umgeben, in einem Hause lehrte und heilte, und wie die Trager des Paralytischen , weil sie vor der Volks- menge nicht durch die Thüre au Jesu gelangen konnten, den Kranken durch das Dach au ihm niederliefsen. Be- denkt man die Structur morgenlandlscher Häuser, auf de- ren plattes Dach aus dem oberen Stockwerk eine Öffnung führte 8), und nimmt man den rabbinischen Sprachgebrauch hinÄU, in weichem der via per porlam (UTinD die twa per tectum (pj *\Tf) als nicht minder ordentlicher Weg , namentlich um in das vnftiotov au gelangen , gegen- übergestellt wird9): so kann man unter dem xa&tevui diu t<üv xtQccfuov schwerlich etwas Amleres verstehen , als dafs die Träger, welche entweder mittelst einer unmittelbar von der Strafte dahin führenden Treppe, oder vom Dache des Nachbarhauses aus auf das platte Dach des Hauses , in welchem Jesns sich befand, gelangt waren, den Kranken sammt seinem Bette durch die im Dachboden bereits be- findliche Öffnung, wie es scheint an Stricken, zu Jesu her- abgelassen haben. Markus, der in der Verlegung der See* ne nach Kapernaum mit Matthäus, in Schilderung des gros- sen Gedränges und der dadurch veranlagten Besteigung des Daches mit Lukas zusammenstimmt, geht, ausserdem, dafs er die Zahl der Träger auf viere festsetzt, darin noch wei- ter als Lukas , dafs er dieselben , ohne Rücksicht auf die schon vorher vorhandene ThQre, das Dach abdecken und durch eine erst aufgegrabene Öffnung den Kranken hin un- terbefördern ltifst.

Fragen wir auch hier, in welcher Richtung , ob anf-

8) Wixaa, a. a. O. u. d. A. Dach.

*)) LuilllTOOT, p. CGI.

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02 Zweiter Abschnitt.

wfirts oder abwfirts, der Klimax wohl eher entstanden sein möge, so hat die auf der Spitse desselben stehende Erzäh- lung des Markos so viel Schwieriges, dafs sie wohl kaum für die der Wahrheit nächste wird angesehen werden kön- nen. Denn nieht allein von Gegnern ist gefragt worden, wie denn das Dach habe aufgegraben werden können , oh- ne die darunter Befindlichen zu beschädigen IO)? sondern auch Olshausen räumt ein, dafs die Zerstörung der oberen, mit Ziegeln bedeckten, Fläche etwas Abenteuerliches ba- hn ' Diesem auszuweichen nehmen manche Erklärer an, »I •■.-•Iis habe entweder im inneren Hofe 1 2) , oder vor dem Hnuse *3) unter freiem Himmel gelehrt, und die Träger ha- ben nur von der Brustwehr des Daches ein Stück heraus- gebrochen, um den Kranken bequemer herunterlassen zu können. Allein sowohl die Bezeichnung: <5/u itov tteQuuow, hei Lukas, als die Ausdrücke des Markus machen diese Auffassung unmöglich, indem hier weder gtyrj Brustwehr des Dachs, noch anogeya^io das Durchbrechen von dieser, iznQVTTot aber doch nur das Aufgraben eines Loches be- deuten kann. Bleibt hiemit das Aufbrechen des oberen Dachbodens , so wird diefs auch noch defswegen unwahr- scheinlich, weil es völlig überflüssig war, sofern in jedem Dache sich eine Thüre befand. Daher hat man sich durch die Annahme zu helfen gesucht, dafs die Träger zwar die im Dache schon vorher befindliche Thüre benützt, diese aber , weil sie für die Lagerstatt des Kranken zu eng ge- wesen, durch Wegbrechen der umgebenden Ziegellagen er- weitert haben allein auch hiebei bleibt das Gefährli-

10) WobLSTOK, Disc. 4.

11) 1, S. 310 f.

12) Köster, Immanuel, S. 166. Anm. 6o\

15) So scheint es Paulus xu meinen, L. J. 1, a, S. 23S. Anders

exeg. Handb. 1, b, S. 505. 14) So LiGitrioor, Kuuköl, Olsiuuskä x. d. St.

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Nenntet Kapitel. $.95. 93

che, nnd die Worte lauten von einer eigens gemachten, nicht blofs erweiterten Öffnung im Dache.

So gefährlich und überflüssig aber ein solches Begin- nen in der Wirklichkeit war, so leicht la'fst sich erklären, wie Markus, in weiterer Ausmalung des Berichtes von Lukas begriffen, auf diesen Zug verfallen konnte. Lukas hatte gesagt, man habe den Kranken hinabgelassen, so dafs er tftTiQOOd-av tu^fyou herunterkam. Wie konnten die Lente ge- rade diese Steile treffen, fragte sich Markus, wenn Jesus nicht zufällig unter der Thüre des Daches stand, als da- dorch, dafs sie das Dach in der Gegend, unter welcher sie Jesum befindlich wufsten, aufbrachen, Canegiyaouv tjJv giyyv onu r4v 1 *)) ? ein Zog, den Markus um so lieber aufnahm, weil er den keine Mühe scheuenden Eifer, wei- chen das Zutrauen zu Jesu den Leuten einflöfste, in das stärkste Licht zu setzen geeignet war. Aber eben aus dem letzteren Interesse scheint auch schon die Abweichung des Lukas von Matthäus hervorgegangen so sein. Bei Mat- thäus nämlich , der die Träger den Paralytischen auf dem gewöhnlichen Wege zu Jesu bringen Jtifst, indem er ohne Zweifel das mühselige Herheischleppen des Kranken auf seinem Lager für sich schon als Probe ihres Glaubens an- sah, tritt es doch minder bestimmt hervor, worin Jesus ihre :rhtg gesehen haben soll. Wurde nun die Geschichte ursprünglich so, wie sie im ersten Evangelium lautet, vor- getragen, so konnte leicht der Reiz entstehen, ein mehr hervortretendes Zeichen ihres Zutrauens für die Träger Ausfindig zu machen , welches , sofern man die Scene zu- gleich in grofsem Volksgedränge vor sich gehen liefs, am angemessensten in dem ungewöhnlichen Wege gefunden zu werden scheinen konnte, welchen die Leute einschlugen, um ihren Kranken zu Jesu zu bringen«

15) s. Fritzscrb, in Maro. S. 52.

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IM Zweiter Abschnitt.

Doch nach die Darstellung des Matthäus können wir nicht für treuen Bericht von einem Factum halten. Man hat «war den Erfolg dadurch als einen natürlichen darr.u* stellen gesucht , dafs man den Zustand des Kranken nur für Ner? enschwache erklärte, bei welcher das Schlimmste die Einbildung des Kranken, sein Lbel müsse als Sünden- strafe fortdauern, gewesen sei w) : man hat sich auf ana- loge Falle schneller psychischer Heilung von Lahmungen berufen ,7), und eine länger fortgesetzte Nachkur ange- nommen18); allein das Erste und Letzte ist reine Will- kübr; wenn aber an den angeblichen Analogicen auch et- was Wahres sein sollte , so ist es doch immerhin ohne Vergleicliung leichter möglich gewesen, dafs iieilungsge- achichteu von x^XoTg und jtaQalvuxcitg den messianischen Erwartungen gemaTs sich in der Sage bilden, als dafs sie wirklich erfolgen konnten. In der schon angeführten Stelle des Jesaias nämlich, 35, 6, war von der messinnischen Zeit auch verheifsen : rote afairat wg l7.a<fog o zvilog, und in demselben Zusammenhang, V. 3., war den yovcrzcc na- Qakelvfteva ein ioyvocae zugerufen, was, wie diu übrigen damit zusammenhängenden Züge, später eigentlich verstan- den und als Wunderleistung vom Messias erwartet worden sein mufs, da sich, wie schon erwähnt, Jesus, zum Be- weise, dafs er der iQzofA&vog sei, auch darauf, dafs yiokol fUQineciöOi , berief.

§• 06.

UnwillkÜhr liehe Heilungen.

Etlichemale in ihren allgemeinen Angaben über die hei- lende Thätigkeit Jesu bemerken die Synoptiker, dafs Kranke

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16) Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 498. 501.

17) Bbngel, ünomon, 1, S. 245* ed. 2. Paulus, S. 502, nimmt > auch hier wieder ein offenbares Mahrchen aus Livias 2, 3öj

als natürlich erklärbare Geschichte.

18) Paulus, a. a. O. S. 501.

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Neuntes Kapitel. $. 9ß. 05

aller Art Jesu iu nur zn berühren, oder am Snnme seines Kleides zu fassen gesucht haben , um geheilt zu werden, was dann auf die Berührung hin auch wirklich erfolgt sei (Matth. 14, 36. Marc. 3, 10. 6, 50. Luc. C, 19.). Hier wirkte also Jesus nicht, wie wir es bis jetzt immer gefun- den haben, mit bestimmter Richtung auf einzelne Kranke, sondern, ohne dafs er von jedem besondre Notiz nehmen konnte, auf ganze Massen ; sein Vermögen zu heilen er- scheint hier nicht, wie sonst, an seinen Willen, sondern an seinen Leib und dessen Umhüllungen gebunden; er spendet nicht selbstthätig Kräfte aus, sondern mufs sich dieselben unwillkührlich abgewinnen lassen.

Auch von dieser Gattung der fleiiungswunder ist uns ein detaillirtes Beispiel aufbehalten, in der Geschichte von der blutflüssigen Frau, welche sämmtüche Synoptiker wie- dergeben, und sie Auf eigenthÜmliche Weise mit der Ge- »rhichte von der Auferweckung der Tochter des Jairus so verfechten, dafs auf dem Hinwege zu dessen Hause Jesus die Frau geheilt haben soll (Matth. 9, 20 ff. Marc. 5, 25 ff. Luc. 8, 43 ff.). Vergleichen wir die Darstellung des Vor- gangs bei den verschiedenen Evangelisten, so könnten wir diefsmal versucht sein , die des Lukas für die ursprüngli- che zu halten , weil aus ihr die gleichmäfsige Verbindung der bezeichneten zwei Geschichten sich vielleicht erklären liefse. Wie nämlich die Leidenszeit der Frau von sämmt- lichen Referenten, so wird von Lukas, welchem Markus folgt, auch das Lebensalter des Mädchens auf zwölf Jahre gesetzt, eine Gleichheit der Zahl, welche wohl im Stande gewesen sein könnte, die beiden Geschichten in der evange* tischen Überlieferung zusamnienzugesellen. Doch dieses Mo- ment steht viel zu vereinzelt, um für sich eine Entschei- dung herbeizuführen, welche nur aus einer durchgeführten Vergleichung der drei Berichte nach ihren einzelnen Zü- gen hervorgehen kann. Matthäus nun bezeichnet die Frau einfach als ywr} al/tio^nouaa dwfoxa eV?, was einen so ian-

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Zweiter Abschnitt.

go andauernden starken Blutverlust, vermuthlich in Form EU reichlicher Menstruation, bedeutet. Lukas, der angeb- liche Arzt, zeigt sich hier seinen Kunstverwandten keines- wegs ho Iii, sondern setzt hinzu , die Frau habe ihr ganzes Vermögen an Ärzte gewendet, ohne da Ts diese ihr hätten helfen können. Markus, noch ungünstiger, fügt bei, dal* sie von den vielen Ärzten viel habe leiden müssen, und dafs es durch dieselben, statt besser, vielmehr schlimmer mit ihr geworden sei. Die Umgebung Jesu , als die Frau zu ihm tritt, bilden nach Matthäus seine Jünger, nach Markus und Lukas drängende Volksmassen. Nachdem nun alle drei Berichterstatter erzählt haben, wie die Frau, eben- so schüchtern als vertrauensvoll, von hinten herzugetreten sei und den Saum von Jesu Gewand berührt habe, melden Markus und Lukas, sie sei alsbald geheilt worden, Jesus aber habe das Ausgehen einer Kraft gefühlt und gefragt, wer ihn berührt habe '; Als die Jünger befremdet erwie- dern, wie er denn bei so allgemeinem Drängen und Drücken des Volks eine einzelne Berührung habe unterscheiden kön- nen? beharrt er nach Lukas auf seiner Behauptung, nach Markus blickt er suchend um sich, die Thäterin ausfindig zu machen. Auf dieses kommt nach beiden die Frau zit- ternd herbei, fällt ihm zu Füßen und bekennt Alles, wor- auf er ihr die beruhigende Versicherung giebt, dafs ihr Glaube ihr geholfen habe. Diesen complicirten Hergang hat Matthäus nicht, sondern läfst nach der Berührung Je- sum sich umschauen, die Frau entdecken und ihr die Ret- tung durch ihren Glauben verkündigen.

Die vorgelegte Differenz ist so erheblich, dafs man lieh nicht zu sehr wundern darf, wenn Storr zwei ver- schiedene Heilungen blutflüssiger Frauen annehmen woll- te »). Wurde er aber hiezu noch mehr durch die bedeu- tenderen Abweichungen bestimmt, welche in der mit vur-

J) Uber den Zweck der evang. Geich, und derBr. Joh. S. 551 f.

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Nennte« Kapitel. §. 90. J)7

liegender Heilungsgeschichte verilochtenen Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus sich finden: so wird es eben durch diese Verflechtung vollends unmöglich, sich vorzustellen, dafs Jesus zweimal, beidemaie im Hin* weg zur Wiederbelebung der Tochter eines jüdischen <*'<>. gctw, eine zwölf Jahre lang mit dem ßlutflufs behaftete Frau geheilt haben solle* Wenn in Betracht dessen die Kritik längst für die Einheit der fac tischen Grundlage un- serer drei Erzählungen sich entschieden hat. so hat sie zugleich den Berichten des Markus und Lukas, ihrer gros, seren Anschaulichkeit wegen, den Vorzug gegeben 5). AI« lein, gleich von vorne, wenn doch von Markus Jeder zu* geben wird , dafs sein Zusatz : dl).ä ftäUov eis qov itööoa, als Ausmalung des ex toyvoav in üdtvog Öe~> QQTtevOijvat, bei Lukas, auf seine eigene Rechnung kommt: so scheint dieser Zug bei Lukas gleichfalls nur eine selbst« erschlossene Ergänzung des aifiö^oöoa dojdsxa foy zu sein, welches Matthäus ohne Zusatz wiedergiebt. War die Frau so lange krank, dachte man, so wird sie in dieser Zeit viel mit Ärzten zu thun gehabt haben, und weil zugleich im Contrast gegen die Ärzte, welche nichts ausgerichtet hatten, die Wundermacht Jesu, welche augenblicklich Hülfe schaffte, in um so glänzenderem Lichte erschien: so bilde* ten sich in der Sage oder bei den Referenten jene Zusätze. Wie nun, wenn es mit den übrigen Differenzen sich eben« so verhielte? Dafs die Frau auch nach Matthäus Jesura nur von hinten berührte, drückte das Bestreben und die Hoffnung aus , verborgen zu bleiben ; dafs Jesus sich so« gleich nach ihr umsah, darin lag, dafs er ihre Berührung gefühlt haben mufste. Jene Hoffnung der Frau wurde er- klärlicher und dieses Gefühl Jesu um so wundervoller, je mehr Menschen Jesum umgaben und drängten : daher wurde aus dem Geleite der naö/jai bei Matthäus von den beiden

2) Schulz a. a. 0. S. 517 ; Olsiuuiew, 1, S. 322. Das Leben Jesu 2teAvJl. 11 Band. ?

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98 Zweiter Abschnitt

andern ein aw&Xißeodai durch die oyhu gemacht. Da zu- gleich in dem auch von Matthäus erwähnten Umschauen Je« su nach der Berührung die Voraussetzung gefunden werden konnte, dafs er diese auf eigentümliche Weise empfunden habe, so bildete sich weiterhin die Scene aus , wie Jesu*, obgleich von allen Seiten gedrängt, doch jene einzelne IV- riihrung an der Kraft, die sie ihm entlockte, herausfühlt, und so wurde das einfache imgQaytlg xai idwv alvr}v des Matthäus zu einem fragenden und die Thäterin aus der Menge heraussuchenden Sichumwenden, welches das Ge- stämluifs der Frau cur Folge hatte, umgebildet. Endlich, Weil als das Eigen thümiiehe dieser Heiiungsgeschichte, auch nach ihrer Gestalt im ersten Evangelium , bei Vergleichung von 14, 36., das erschien, dafs die Berührung des Kleides Jesu für sich schon heilend gewesen: so bestrebte man sich bei m Weitererzahlen der Geschichte immer mehr, unmittelbar nach der Berührung den Erfolg eintreten, und Jesum auch nach demselben noch längere Zeit Über die Thäterin in Ungewißheit sein zu lassen (Letzteres im Wi- derspruche mit der sonstigen Voraussetzung eines höheren Wissens Jesu) ; so dafs sich von allen Seiten die Erzäh- lung des ersten Evangeliums als die frühere und einfachere, die der beiden andern als spätere und ausgeschmücktem Formation der Sage zu erkennen giebt.

Was nun den gemeinschaftlichen Inhalt der Erzählungen betrifft , so ist in neuerer Zeit beiden , orthodoxen wie ra- tionalistischen, Theologen Has Un will kührliche des heilenden Einwirken* Jesu ein Anstofs gevt esen. Gar zu sehr hierin stimmen Paulus und Olshausen zusammen3) werde hie- durch die Wirsamkeit Jesu in das Gebiet des Physi- schen herabgezogen; Jesus erscheine da wie ein Mague- tiseur, welcher bei der heilenden Berührung nervenschwa-

3) exeg. Handb. 1, b, S. 524 f. ; bihi. Ccmm. !, S. 324 f. j vgl. HüSTfiA, Immanuel, S. 201 ff»

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Neuntel Kapitel. §. 96. 99

eher Personen einen Abgang an Kraft verspürt; wie eine geladene elektrische Batterie, die bei m ßetasten sich ent- ladet. Eine solche Vorstellung von Christo, meint Ors- hausen , verbiete das christliche Bewufstsein, welches sich vielmehr gen ötli igt finde, die in Jesu wohnende Kraftfülle als durchaus beherrscht durch seinen Willen , und diesen geleitet durch das Bewufstsein von dem sittlichen Zustande der zu heilenden Personen, sich zu denken. De fs wegen wird nun vorausgesetzt, Jesus habe die Frau auch ungese- hen wohl erkannt , und mit Rücksicht auf ihre Fähigkeit, durch diese leibliche Hülfe auch geistig gewonnen zu wer* den, seine heilende Kraft wohlbedacht in sie ausströmen lassen, sich aber, um ihre falsche Scham zu brechen und sie zum offenen Bekenntnifs zu treiben, gestellt, als ob er nicht wüfste , wer ihn berührt habe. Allein das christliche Bewufstsein, d. h. in dergleichen Fällen nichts Anderes, als die fortgeschrittene religiöse Bildung unsrer Zeit, wel- che die altertümlichen Vorstellungen der Bibel nicht zu den ihrigen machen will , hat zu schweigen , wo es eben nicht auf dogmatische Aneignung, sondern rein auf exege- tische Ermittlung der biblischen Vorstellungen ankommt. Wie von der Einmischung dieses angeblich christlichen Be- wußtseins die meisten Verirr ungen der Exegese herrühren, so hat es auch hier den genannten Ausleger von dem offenba- ren Sinn der Berichte abgeführt. Denn nicht nur lautet in den beiden ausfuhrlicheren Erzählungen die Frage Jesu: xlg 6 Sipafievog /(» ; in der Art , wie er sie bei Lukas wieder- holt und bei Markus durch ein suchendes Umherblicken bekräftigt, durchaus als eine ernstich gemeinte, wie ja überhaupt die Bemühung dieser beiden Evangelisten dahin geht, das Wunderbare an der Heilkraft Jesu dadurch in ein besonders helles Licht zu setzen , dafs durch blofse glaubige Berührung seines Gewandes, ohne dafs er die be- rührende Person erst zu kennen, oder ein Wort zu ihr zu spre- chen brauchte, Heilung von ihm zu erlangen gewesen sei:

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Zweiter Abschnitt.

sondern anch ursprünglich schon in der kürzeren Darstel- lung des Matthäus liegt in dem nQogel&5occ omo&ev rjipu— TO und imcQocfftig xal idiov aizyv deutlich diefs, d«fs Jesus erst nachdem sie ihn berührt hatte, die Frau ken- nen gelernt habe. LaTst sich somit eine der Heilung vorausgegangene Kenntnifs der Frau und ein specieller Wille, ihr zu helfen, bei Jesu nicht nachweisen, ><» bliebe für denjenigen, welcher keine unwillkührliche Äus- serung der Heilkraft Jesu annehmen will, nur übrig, ei- nen bestandigen allgemeinen Willen, zu heilen, in ihm vorauszusetzen, mit welchem dann nur der Glaube im Kran- ken zusammentreffen durfte, um die wirkliche Heilung hervorzubringen. Allein dafs, unerachtet eine specielie Willensrichtung auf die Heilung dieser Frau in Jesu nicht vorhanden war, sie durch ihren blofsen Glauben, auch oh- ne ßerührung seines Kleides, gesund geworden wäre, ist gewifs nicht die Vorstellung der Evangelisten, sondern es tritt hier an die Stelle des individuellen Willensactes von Seiten Jesu die ßerührung von Seiten des Kranken; diese ist es , welche statt des ersteren die in Jesu ruhende Kraft zur Äusserung bringt : so dafs mithin das Materiaiis tische der Vorstellung auf diesem Wege nicht zu vermeiden ist.

Einen Schritt weiter mufs die rationalistische Ausle- gung gehen, welcher nicht blofs, wie dem modernen Su- pranaturalismus , ein unbewufstes, sondern überhaupt das Ausgehen heilender Kräfte von Jesu unglaublich ist, wel- che aber doch die Evangelisten geschichtlich wahr erzäh- len lassen will. Nach ihr wurde Jesus zu der Frage, wer ihn berührt habe, lediglich dadurch veranlafst, dafs er sich im Vorwärtsgehen aufgehalten fühlte; dafs die Empfindung einer ivvafug i$e?.&uoa die Veranlassung gewesen sei, ist blofser Schlufs zweier Referenten, von welchen der eine, Markus, es auch blofs als eigene Bemerkung giebt, und nur Lukas es der Frage Jesu einverleibt ; die Genesung der Frau wurde durch ihr exaltirtes Zutrauen bewirkt, vermöge

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dessen sie bei der Berührung des Saumes Jesu in allen Nerven zusammenschauderte, wodurch vielleicht eine plötzli- che Zusammenziehung der erweiterten ßlutgefäfse herbei- geführt wurde; übrigens konnte sie im Augenblicke nur meinen, nicht gewifs wissen, geheilt zu sein, und erst nach und nach, vielleicht in Folge des Gebrauchs von Mit- teln, die ihr Jesus anrieth , wird das Übel sich völlig ver- loren haben 4). Allein wer wird sich die schüchterne Be- rührung einer kranken Frau, deren Absicht war, verbor- gen zu bleiben , und deren Glaube auch durch das leiseste Anstreifen Heilung zu erlangen gewifs war, als ein Anfas- sen vorstellen , welches den nach Markus und Lukas vom Volk umdrängten Jesus im Gehen aufhielt? was für ein mächtiges Vertrauen ferner auf die Macht des Vertrauens gehört zu der Annahme, dafs es ohne Hinzutritt einer rea- len Kraft von Seiten Jesu einen zwölfjährigen ßlutflufs geheilt oder auch nur gemindert habe ? endlich aber, wenn die Evangelisten einen selbstgemachten Schlufs (dafs eine Kraft von ihm ausgegangen) Jesu in den Mund gelegt, und eine nur successiv eingetretene Wiederherstellung als eine momentane beschrieben haben sollen : so fallt mit dem Auf- geben dieser Züge die Bürgschaft für die historische Rea- lität der ganzen Erzählung, aber ebendamit auch die Ver- anlassung hinweg, sich mit der natürlichen Erklärung ver- gebliche Mühe zu machen.

In der That auch, betrachten wir nur die vorliegende Erzählung etwas näher, und vergleichen sie mit verwand- ten Anekdoten, so können wir über ihren eigentlichen Cha- rakter nicht im Zweifel bleiben. Wie hier und an eini- gen andern Steilen von Jesu erzählt wird, dafs durch blo- fse Berührung seines Kleides Kranke genesen seien : so be- richtet die Apostelgeschichte, dafs die aadaQia und uiui-

4) Paulus, cxcg. Handb. I, b, S. 524 f. 530; L. J. 1, a, S.244f.j Vmturim, 2, S. 204 ff ; Kfftisa, a. a. ü.

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102 Zweiter Abschnitt.

xiv&ia des Paulas, wenn man sie auflegte (10. 11 f.), und von Petrus selbst der Schatten, wenn er auf einen fiel (5, 15.), Kranke aller Art gesund gemacht habe, und apo- i kryphische Evangelien lassen durch die Windeln und das Waschwasser des Kindes Jesu eine Masse von Kuren ver- richtet werden 5). Von diesen letzteren Geschichten weifs Jedermann, dafs er sich mit denselben auf dem Gebiete der Sage und Legende befindet; aber wodurch sollen sich von diesen Kuren durch die Windein Jesu die Heiinngen durch die Schweifstücher Pauli unterscheiden , als etwa dadurch, dafs jene von einem Kinde , diese von einem Erwachsenen ausgehen? Gewifs, stände die letztere Nachricht nicht in einem kanonischen Buche , so würde sie Jedermann für fa- belhaft halten : und doch soll die Glaubwürdigkeit der Er- c ablängen nicht aus dem vorausgesetzten Ursprung des Buchs, das sie enthält, sondern die Ansicht von dem Buche mufs aus der Beschaffenheit seiner einzelnen Erzählungen er- schlossen werden. Zwischen diesen Heilungen durch die Schweifstücher aber und denen durch die Berührung des Saums am Kleide findet wieder kein wesentlicher Unter- schied statt. Beidemale eine Berührung von Gegenständen, weiche nur in äusserem Zusammenhang mit dem Wunder- täter stehen; nur dafs dieser Zusammenhang bei den abgelegten Schweifstüchern ein unterbrochener, bei dem Gewände noch ein fortdauernder ist; beidemale aber sind Erfolge, welche doch auch der orthodoxe Stand- punkt nur aus dem geistigen Wesen jener Männer ablei- ten, und als Acte ihres mit dem göttlichen einigen Willens betrachten wird, zu physischen Wirkungen und Ausflüs- sen gemacht. Steigt hiemit die Sache vom religiösen und theologischen Standpunkt auf den natürlichen und physi- kalischen herunter, weil ein Mensch mit einer solchen sei- nem Körper inwohnenden und ihn als Atmosphäre umflies-

5) s. das Evangelium infantiae arabicum bei i aukicius und Thilo.

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Neuntos Kapitel §. IH>.

senden Heilkraft an den Gegenständen der Naturkunde, nicht mehr der Religion, gehören würde : so findet sich die Naturwissenschaft ausser Stands, eine solche Heilkraft durch sichere Analogieen oder klare Begriffe festzustellen, und es fallen also jene Heilungen, vom objectiven Gebiet auf das subjective vertrieben, der Psychologie eur Begutach- tung anheim. Diese wird nun allerdings, wenn sie die Macht der Einbildung und des Glaubens in Rechnung nimmt, für möglich erachten, dafs ohne eine wirkliche Heilkraft in dem vermeintlichen W und erth titer, einzig durch das Gberschwengliche Zutrauen des Kranken eu demsel- ben, körperliche Leiden, welche mit dem Nervensystem in engerem Zusammenhange stehen , geheilt werden können : wenn nun aber die Psychologie geschichtliche Belege hie- für aufsucht, so wird die Kritik, welche sie hiebe! eu Hül- fe zu nehmen hat, bald finden, dafs eine weitgröfsere Zahl von dergleichen Kuren durch den Glauben Anderer erdich- tet, als durch den angeblich dabei Betheiligter verrichtet worden ist. So wäre es ewar keineswegs an sich un- möglich, dafs durch den starken Glauben an eine selbst den Kleidern und Tüchern Jesu und der Apostel inwoh- nende Heilkraft manche Kranke bei Berührung derselben wirklich Besserung verspürt hatten : aber mindestens eben- sogut läfst sich denken, dafs man erst später, all nach dem Tode jener Männer ihr Ansehen in der Gemeinde im- mer höher stieg, dergleichen sich glaubig erzählt habe , und es kommt auf die Beschaffenheit der Berichte hierüber an, für welche von beiden Annahmen man sich eu entscheiden hat. An den allgemeinen Angaben nun in den Evangelien and der A. G. , welche ganze Massen auf jene Weise ku- rirt werden lassen, ist eben diese Häufung jedenfalls tra- ditionell; die detaillirte Geschichte aber, welche wir bis- her untersucht haben, hat darin, dafs sie die Frau ganze awölf Jahre lang an einer sehr hartnäckigen und am we- nigsten biofs psychisch eu heilenden Krankheit leiden , und

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104 Zweiter Abschnitt.

die Heilung, statt durch die Einbildung der Kranken, durch eine Jesu fühlbar entströmte Kraft vor sich gehen läfst, so viel Mythisches, dafs wir eine historische Grandlage gar nicht mehr herausfinden können, und das Ganze als Sage betrachten müssen«

Was diesem Zweige der evangelischen Wandersage im Unterschiede von andern sein Dasein gegeben hat, ist nicht schwer so sehen. Der sinnliche Glaube des Volks, unfä- hig , das Göttliche mit dem Gedanken zu ergreifen, strebt, es immer mehr in das materielle Sein herabzuziehen. Da- her mufste nach der späteren Meinung der heilige Mann als Knochenreliquie Wunder thun, Christi Leib in der ver- wandelten Hostie gegenwärtig sein , und ebendaher anch nach einer schon frühe ausgebildeten Vorstellung die Heil- kraft der neutestamentlichen Männer an ihrem Leib und dessen Bedeckungen haften. Je weniger man Jesu Worte fafste, desto mehr hielt man auf das Fassen seines Man- tels, und je mehr man sich vou der freien Geisteskraft des Apostels Paulus, entfernte , desto getroster liefs man seine Heilkraft im Schweifstuche nach Hause tragen.

5. 97.

Heilungen in die Ferne.

Von jenen unwillkührlichen Heilungen sind nun sol- che, welche aus der Entfernung bewirkt werden, eigent- lich das gerade Gegentheil. Geschehen jene durch blofse körperliche Berührung, ohne besondern Willensact: so er- folgen diese durch den blofsen Willensact ohne leibliche Berührung oder auch hur räumliche Mähe. Zugleich aber mufs man sagen : war die Heilkraft Jesu so materiell, dafs sie bei der blofsen leiblichen Berührung unwilikührlich sich entlud, so kann sie nicht so geistig gewesen sein, dafs der blofse Wille sie auch über bedeutende Entfernungen hin- übergetragen hätte; war sie aber so geistig, um auch oh- ne leibliche Gegenwart su wirken, so kann sie nicht so

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Neuntes Kapitel. §. 97.

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materiell gewesen sein, am ohne Willen sich cu entladen. Da wir nun jene reinphysische Wirkungsweise Jesu be- zweifelt haben: so bliebe uns für diese geistige freier Raum, ood die Entscheidung über dieselbe wird also rein von der Untersuchung der Berichte und der Sache selber abhängen.

AU Proben einer solchen in die Ferne wirkenden Heil- kraft Jesu berichten uns Matthäus und Lukas die Heilung des kranken Knechts eines Hauptmanns zu Kapernanns, Johannes die des kranken Sohns eines ßaoiXixog ebenda- selbst (Matth. 8, 5 ff. Luc. 7, 1 ff. Joh. 4, 46 ff.); ferner Matthäus (15, 22 ff.) und Markus (7, 25 ff.) die HeÜung der Tochter des kananäischen Weibes, wovon , da die letztere •in der summarischen Relation nichts £igenthUmliches hat, nur die ersteren beiden hier zu untersuchen sind. Die ge- wöhnliche Ansicht nämlich über die bezeichneten Erzäh- lungen ist die, dafs zwar Matthäus und Lukas dasselbe, Johannes aber ein von diesem verschiedenes Factum mel- de, da sein Bericht von dem der beiden andern in folgen- den Zügen abweiche: 1) der Ort, von wo aus Jesus hei- le, sei bei den Synoptikern der Aufenthaltsort des Kran- ken, Kapernaum, nach Johannes ein davon verschiedener, nämlich Kana; 2) die Zeit, in welche die Synoptiker die Begebenheit setzen, nämlich beide unmittelbar hinter die Heimkehr Jesu nach der ßergrede, sei von der im vierten Evangelium angegebenen, ebenso unmittelbar nach der Rück- kehr Jesu vom ersten Pascha und seiner Wirksamkeit in Samaria, verschieden; 3) der Kranke sei nach jenen der Sklave, nach diesem der Sohn des Bittstellers; die wich- tigsten Abweichungen aber finden 4) in Hinsicht des Bitt- stellers selber statt, indem er im ersten und dritten Evan- gelium eine Militärperson (ein txaiovtaQXOS)) *m vierten ein Hotbeamter Cßaoihxog*), nach jenen (laut V. 10 ff. bei Matth.) ein Heide, nach diesem ohne Zweifel als Jude zu denken sei; hauptsächlich aber werde er nach den Synop- tikern von Jesu als Muster des innigsten, demüthigsten

106 Zweiter Abschnitt.

Glaubens belobt , weil er ja Jesum in der Zu versieht , dafs er aaoh aus der Ferne heilen könne, verhinderte, in sein Haas zu gehen: nach Johannes dagegen werde er umge- kehrt, weil er die Gegenwart Jesu in seinem Hause zum Behuf der Heilung für nöthig hielt, wegen seines schwa- chen, der entern und zEQcrtct bedürftigen Glaubens getadelt x).

Diese Abweichungen sind allerdings bedeutend genug, um von einem gewissen Gesichtspunkt aus um ihretwillen auf der Verschiedenheit des dem synoptischen and des dem johanneischen Berichte cum Grunde liegenden Factischen su beharren : nur sollte man, wenn man es von dieser Seite so genau nimmt, sich über die Abweichungen, welche auch «wischen den beiden synoptischen Berichten stattfinden, nicht verblenden. Schon in Bezeichnung der Person des Leidenden stimmen sie nicht ganz zusammen : Lnkas heifst ihn einen öulog hzi^og des Hauptmanns, bei Matthäus nennt dieser ihn 6 neiig //«, was ebensowohl einen Sohn als einen Diener bedeuten kann, und dadurch, da(s der Hauptmann V. 9, wo er von seinem Knechte spricht, den Ausdruck: dälog gebraucht, wahrend der Geheilte V. 13. noch einmal als 6 naig aviu bezeichnet wird, eher im er- steren Sinne erklärt zu sein scheint. In Betreff seines Lei- dens wird der Mensch von Matthäus als ein nctQaXvrixcg ttef- vwg ßaacni^o^evog geschildert, von welcher Krankheitsform _ Lukas nicht allein schweigt, sondern, indem er zu dem unbe- stimmten : xccxwg exwv noch rj^teXle leltwtfv setzt, Manchen eine andere Krankheit vorauszusetzen scheint, da die Pa- ralyse sonst nicht als schnell tödtende Krankheit vor- komme 2). Als die bedeutendste Differenz aber geht durch die ganze Erzählung diese hindurch, dafs Alles, was nach Matthäus der Centurio unmittelbar selbst thut, bei Lukas

1) s. die Ausführungen von Paulus, Lücvs , Tholuck und Ols hau*ktv z. d. St.

2) Schuubkrucubk, über den Lukas, S. 92.

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Neuntel Kapitel. §. 07.

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durch Gesandtschaften vermittelt ist, Indem er hier zuerst schon, nicht wie bei Matthäus persönlich, sondern durch die TZQEOßvztoijg tdiy Ja/t/>v Jesu m um die Heilung ersucht, dann aber von dem Betreten seines Hauses ihn wiederum nicht selbst zurückhält, sondern durch einige Freunde ab- muhnen JaTst. Zur Ausgleichung dieser Differenz pflegt man sich auf die Regel: quod quis per aJium facit etc. zu be- rufen ). Soll damit, wie es auf dem Standpunkte der so ■rtheilenden Erklärer nicht anders denkbar ist, gesagt sein , Matthäus habe wohl gewufst, dafs zwischen dem Hauptmann und Jesu Alles durch Mittelspersonen verhan- delt worden sei , dennoch aber habe er der Kürze wegen mittelst jener Redefigur ihn selbst mit Jesu sprechen las- sen: so hat Stork vollkommen recht mit der Gegenbemer- kung , dafs wohl schwerlich irgend ein Geschichtschreiber jene Metonymie so beharrlich durch eine ganze Erzählung hindurchführen würde, und «war in einem Falle, wo ei- nerseits die Redefigursich keineswegs so von selbst verrathe, wie z. B. wenn einem Feldherrn zugeschrieben wird, was seine Soldaten thun, und wo andrerseits gerade auf den Um- stand, ob die Person selbst oder durch Andere gehandelt habe, zur vollen Erkennbarkeit ihres Charakters etwas an- komme 4). Mit löblicher Consequenz hat daher Stork, wie er der bedeutenden Differenzen wegen die Erzählung des vierten Evangeliums auf ein anderes Factum beziehen zu müssen glaubte, als die des ersten und dritten, ebenso am der Abweichungen willen, weiche er zwischen des Berich- ten der letzteren beiden fand, auch diese für Erzählungen zweier verschiedenen Begebenheiten erklärt. Wundert man •ich , dafs zu drei verschiedenen Malen ein so ganz ähnli- cher Heilungsfall an dem gleichen Orte vorgekommen sein

3) Au^ustin, de consens. evang. 1,20; Paulus, ezeg. Handb. I,

K S 709; Köster, Immanuel, S. 63.

4) Über den Zweck u. s. f. S. 351.

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108 Zweiter Abschnitt.

Holl (denn auch nach Johannes lag und genas der Kranke in Kapernaum): so verwundert sich Stork seinerseits, wie man im Mindesten unwahrscheinlich finden könne, dafs in Kapernaum zu verschiedenen Zeiten zwei Hauptlente einen kranken Knecht, und wieder ein andermal ein Hofbeamter einen kranken Sohn gehabt; dafs der zweite Hauptmann (des Lukas) von der Geschichte des ersten gehört, sich auf ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof- manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen dieses letzteren habe übertreffen wollen , und dafs endlich Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne geheilt habe. Allein der Vorfall, dafs ein vornehmer Be- amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange- hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen einwirkte, dafs um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig in seiner Art, dafs eine dreimalige Wiederholung dessel- ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon eine blofs zweimalige Schwierigkeiten hat; wefswegen der Versuch gemacht werden inufs, ob nicht die drei Berichte anf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.

Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel- heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti- schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, dafs er den Kranken als nalg bezeichnet, Matthäus mindestens ebensowohl mit dem johanneischen viög übereinstimmend gefunden werden kann, als mit dem dalog des Lukas, tref- fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen, daß nach beiden der kaperoui tische Beamte sich unuiittel-

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Neuntes Kapitel. §. 97. 109

bar an Je« um selber wendet , and nicht, wje bei Lukas, durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be- richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be- schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei- dende sich befunden haben soll : beide wissen nichts von der naQaXvaig9 von welcher Matthaus spricht, sondern be- zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch rjjuMe tsl€vr^vf Johannes durch ^fieklev ano&vr] oxetv, wozu der letztere V. 52. nachträglich bemerkt, dafs die Krankheit von einem nvQerog begleitet gewesen. In Dar- stellung der Art , wie Jesus die Heilung des Kranken voll- zog, und wie dessen Genesung erfolgte, steht Johannes wieder auf Seiten des Matthäus gegen den Lukas. Wäh- rend nämlich dieser eine ausdrückliche Versicherung Jesu, dafs der Knecht geheilt sei , gar nicht hat , lassen jene bei- den ihn sehr übereinstimmend zu dem Beamten sagen, der eine: vnaye, xal dg inigsvoag yevqd'ifcü) aot, der andere: noQitu, 6 viog oh Cr, und auch der Schlufs des Matthäus: xal id&T} 6 naig axnä iv zfj wQa ixeivrj, stimmt wenigstens der Form nach mehr zu der jo hanneischen Angabe , bei ge- haltener Nachfrage habe der Vater gefunden , dafs iv ixt hfl tjj wQ^y in welcher Jesus jenes Wort gesprochen, sein Sohn gesund geworden sei, als zu der des Lukas, dafs die zurückgekehrten Boten den kranken Knecht gesund ange- troffen haben. In einem andern Punkte dieses Schlusses wendet sich nun aber die Zustimmung des Johannes von Matthaus wieder zu Lukas zurück. Bei beiden nämlich ist von einer Art von Gesandtschaft die Rede, weiche zu« letzt noch aus dem Hause des Beamten tritt: bei Lukas eine Anzahl von Freunden des Hauptmanns, welche Jesum abhalten sollen , sich selbst zu bemühen ; bei Johannes Knechte, welche jubelnd ihrem Herrn entgegenziehen und ihm die Kunde von der Genesung seines Äohnes bringen. Gewifs , wo drei Erzählungen so durcheinander verschlun- gen sind , wie diese , darf man nicht blofs zwei derselben

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no Zweiter Abschnitt

fHr identisch erklären und eine als verschiedene stehen las- sen, sondern man roufs die drei Berichte entweder alle auseinander halten, oder alle zusammen werfen , wie Letz- teres nach älteren Vorgängern Semler gethan *), und Tho- luck wenigstens für möglich erklärt hat, es zu thun. Nur suchen solche Ausleger dann die Abweichungen der drei Berichte so co erklären , dafs keiner der Evangelisten et- - was Falsches gesagt haben soU. Den Stand des Bittstel- lers betreffend sucht man den ßaothxog des Johannes cum Militärbeamten eu machen , wovon dann das txcnovcaQzog der beiden andern nur nähere Bestimmung wäre ; was aber den Hauptpunkt, das Benehmen des Bittstellers, betrifft, so könnten , meint man , die verschiedenen Erzähler ver- schiedene Seiten der Sache in der Art hervorgehoben ha* ben, dafs Johannes nur das Frühere wiedergäbe, wie sich Jesus über die anfängliche Schwäche des Glaubens in dem Bittenden beklagte, die Synoptiker nur das Spätere, wie er seinen schnell gewachsenen Glauben belohte. Wie man auf noch leichtere Weise die Hauptdifferenz zwischen den beiden synoptischen Berichten , in Hinsicht der mittelbaren oder unmittelbaren Bittstellung, ausgleichen zu können meinte , ist bereits angegeben worden. Dieses Bestreben, die Widersprüche der drei Relationen auf gütlichem Wege auszugleichen, ist ein falsches. Es bleibt dabei: die Syn- optiker haben sich den Bittsteller als einen Centn rio ge- dacht , der vierte Evangelist als einen Hofbeamten : jene als glaubensstark, dieser als der Stärkung noch bedürftig; Johannes und Matthäus stellten sich vor, er habe sich un- mittelbar, Lukas, er habe sich aus Bescheidenheit nur mit- telbar an Jesum gewendet 6).

Wer stellt nun die Sache auf die rechte, und wer auf irrige Weise dar? Nehmen wir zuerst die beiden Synop-

5) s. bei Lücke, 1, S. 552.

6) Frjtzschs , in Mstth. p. 310 : discrepat erntem Lucas ita a

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Neuntes Kapitel. $• 97.

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tiker für sich, so ist nur Eine Stimme der Erklärer, dafs Lukas die genauere Darstellung gebe. Schon das will man unwahrscheinlich finden, dafs der Kranke nach Matthäus ein Paralytischer gewesen sein sollte, da bei dem Ungefähr- lichen dieses Leidens der bescheidene Hauptmann schwer- lich Jesum gleich beim Eintritt in die Stadt in Beschlag . genommen haben würde 7): als ob ein sehr schmerzhaf- tes Übel , wie das von Matthaus beschriebene , nicht mög- lichst schnelle Abhülfe wünschenswert» machte , und als ob es ein unbescheidener Anspruch gewesen wäre, Je- sum noch vor seiner Nachhausekunft um ein heilendes Wort zu ersuchen. Vielmehr das umgekehrte Verhälfc- nifs zwischen Matthäus und Lukas wird durch die Be- merkung wahrscheinlich , dafs das Wunder und also auch das Übel des wunderbar Gebeilten in der Überlieferung sich nie verkleinert, sondern stets vergröfsert, daher eher der arggeplagte Paralytische zum fiilXtav rü.tviuv gestei-

den mochte. Hauptsächlich aber die doppelt* Gesandtschaft bei Lukas ist nach Schleikrmachkr etwas, das nicht leicht erdacht wird. Wie, wenn sich dieser Zug vielmehr sehr deutlich als einen erdachten zu erkennen gäbe? Während bei Matthäus der Hauptmann Jesum auf sein Erbieten, mit ihm gehen zu wollen , durch die Einwendung zurück« zuhalten sucht: xvQte, öx elpi Ixctvog, na vno zip gtyip> eioil&rjg, läfst er bei Lukas durch die abgesandten Freunde noch hinzusetzen : dto £d& uianov fäiuioa hqoq oe iX9tZvf womit deutlich genug der Schlufs angegeben ist, auf wel- chem diese Gesandtschaft beruht Erklärte sich der Mann für anwürdig , dafs Jesus zu ihm komme, dachte man , so

Matthaei narratione, ut ceniurionem non ipsum venisse ad Je- sum, sed per legatos cum eo egisse tradat ; quibus ditsidenti« bus paccm obt rudere, boni nego inierpretii eise*

7) ScHLXUftMACHXA, a. 3. 0. S. 92 f.

gert, als dieser zu einem

eidenden herabgesetzt wer-

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11*

Zweiter Abschnitt.

bat er wohl auch sich selbst nicht für würdig gehalten, zu Jesu zu kommen, eine Steigerung seiner Demuth , durch welche sich auch hier der Bericht des Lukas als der se- cundäre zu erkennen giebt. Den ersten Anstofs zu die- ser Gesandtschaft scheint übrigens das andere Interesse gegeben zu haben, die Bereitwilligkeit Jesu, in des Hei- den Hans su gehen, durch eine vorgängige Empfehlung desselben zu motiviren. Das ist ja das Erste, was die nQEOßvTBQOi tcjv 1 ludaiwv , nachdem sie Jesu den Krankheits- fall berichtet, hinzusetzen, oxi ä^wg iciv y naQt^ei tüto' äycm$ yaQ to i'&vog yiiwv x. r. L , Ähnlich , wie gleichfalls bei Lukas, in der A. G. 10, 22. , die Boten des Cornelius dem Petrus , um ihn zu einem Gang in dessen Haus zu vermögen , auseinandersetzen , dafs er ein awjo dixcttog xal cpoßüftevog %6v 9ebv, fiaQTVQSfievog re vno olu tS e'&vug twj> \/r.<)cj'cn sei. Dafs die doppelte Gesandtschaft nicht ursprüng- lich sein kann , erhellt am deutlichsten daraus, dafs durch dieselbe die Erzählung des Lukas alle Haltung verliert. Bei Matthäus hängt Alles wohl zusammen: der Hauptmann zeigt Jesu zuerst nur den Zustand des Kranken an , und tiberläfst entweder ihm selber, was er nun thun wolle, oder es kommt ihm, ehe er seine Bitte stellt, Jesus mit seinem Anerbieten , sich in sein Haus zu begeben, zuvor, was nun der Hauptmann auf die bekannte Weise ablehnt. Welches Benehmen dagegen , wenn nach Lukas der Centurio Jesu zu- erst durch die jüdischen Ältesten sagen läfst, er möchte kom- men (ü&üjv) und seinen Knecht heilen, hierauf aber, wie Jesus wirklich kommen will, gereut es ihn wieder, ihn dazu veranlagst zu haben, und er begehrt nur ein wunder- tätiges Wort von ihm. Dafs die erste Bitte nur von den Ältesten, nicht von dem Centurio ausgegangen 8), diese Aus* kunft läuft den ausdrücklichen Worten des Evangelisten entgegen, welcher durch die Wendung: einigelte - 7fQ60{tv~

8) Huwöi,, in Matth. S. 221 f.

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Neuntes Kapitel. $. 07. 113

riQug-iQoniov uvtov die Bitte ali vom Hauptmann «elber ausgegangen darstellt ; dafs aber dieser mit dem tk&uv nur gemeint haben sollte, Jesus möchte sich in die Nähe seines Hauses begeben, und nun wie er gesehen, dafs Jesus so* gar in sein Haus treten wolle, diefs abgelehnt habe, wäre doch wohl zu ungereimt, als dafs man es dem sonst ver- ständigen Manne zutrauen könnte, von welchem aber eben- defshalb noch weniger eine so wetterwendische Umstim- mung zu erwarten ist , wie sie im Texte des Lukas liegt Der ganze Übelstand wäre vermieden worden , wenn Lukas der erstenGesandtschaft, wieMatthäus dem Centurio selbst,zu« erst nur die directe oder indirecte Bitte um Heilung überhaupt, und dann, nachdem Jesus sich erboten, in das Haus des Kran- ken sich zu begeben , noch derselben ersten Gesandtschaft das bescheidene Ablehnen dieses Anerbietens in den Mund gelegt hätte. Allein er glaubte , den Entschlaft Jesu, in das Haus zu gehen, durch eine ebendahin zielende Bitte motiviren zu müssen, und indem ihm nun die Tradition noch ein Verbitten dieser persönlichen Bemühung Jesu an die Hand gab : so sah er sich ausser Stands , Bitten und Verbitten denselben Personen zu leihen, und mufste daher eine zweite Gesandtschaft veranstalten ; wodurch aber der Widerspruch nur scheinbar vermieden ist, indem ja beide Gesandtschaften von dem Einen Centurio abgeschickt sind. Vielleicht erinnerte ihn auch der Hauptmann, welcher Je- su in nicht in sein Haus bemühen will , an den Boten, der dem Jairus wehrte, den Lehrer in sein Haus zu bemü- hen , nachdem gleichfalls eine Aufforderung , in das Haus zu kommen, vorangegangen war, und er legte nun, wie zu Jairus nach ihm und Markus der Bote sagt: ^ij axvXle %ov dtöaoxalov (Luc. 8, 49.) , so auch hier der zweiten Gesandtschaft ein xvqib oxvklu in den Mund; obwohl zu einer solchen Contre- ordre nur bei Jairus, in dessen Hause sich seit der ersten Aufforderung durch den Tod der Tochter die Lage der Dinge verändert hatte, ein Das Leben Jesu Tie Aufl. IL Band. S

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114 Zweiter Abschnitt«

Grand vorlag, keineswegs aber bei dem Genturio, dessen Knecht noch Immer im gleichen Zustande sich befand.

Da von der Identification aller drei Geschichten die neueren Erklärer sich hauptsächlich durch die Furcht ab- gehalten finden , Johannes möchte dabei in das Licht eines solchen gestellt werden , der die Scene nicht genau genug aufgefaßt, and wohl gar das Hauptmoment abersehen ha- be 9): so würden sie also, wenn sie eine Vereinigung dennoch wagen wollten , dem vierten Evangelium so viel möglich die ursprünglichste Darstellung der Sache vindici- ren , eine Voraussetzung , die wir sofort aus der Beschaf- fenheit der Berichte heraus eu prüfen haben. Das nun, dafs dem vierten Evangelisten der Bittende ein ßaoiltxog ist, nicht, wie den übrigen, ein ixonovraqxog , ist ein in- differenter Zug , aus welchem sich für keinen Theil etwas schlicfsen laTst, und ebenso kann es mit der Abweichung in Betreff des Verhältnisses des Kranken cum Bittsteller •ich eu verhalten scheinen. Indessen, wenn man in Bezug auf den letzteren Punkt sich fragt: welche der drei Beeeich- nungswelsen eignet sich am ehesten dazu, die beiden an« dem aus sich haben entstehen eu lassen ? so wird man wohl schwerlich annehmen können, dafs aus dem johanneischen vlog in absteigender Linie zuerst unbestimmt ein rtctig, dann ein dSXog geworden sei , and auch die umgekehrte aufstei- gende Richtung ist hier minder wahrscheinlich , als das Mitt- lere, dafs aus dem zweideutigen nötig (= "U/p, welches wir

im ersten Evangelium finden , in zwei Richtungen das ei- nemal ein Knecht, wie bei Lukas, das andremal ein Sohn, wie bei Johannes, gemacht worden sein mag. Dafs die Be- zeichnung des Zustandes, in welchem sich der Leidende befand, bei Johannes wie bei Lukas sich eu der bei Mat- thäus als Steigerung, mithin als die spätere verhalte, ist bereits oben bemerkt. Der Unterschied in der Ortsan-

9) Tuoluck, S. 102 f. Ha«, §. OS. Anm. 2.

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Neuntes Kapitel. §. 97. 115

gäbe würde auf dem jetzigen Standpunkte der verglei- chenden Evangeiienkritik ohne Zweifel so beurtheilt wer- den , dafs in der Tradition , aas weicher die Synoptiker schöpften , der Ort, von welchem aus Jesus das Wun- der verrichtete, mit dem, in welchem der Kranke lag, zusammengeflossen , das minder bekannte Kana Von dem berühmten Kapernaum verschlungen worden sei, Johan- nes aber, als Augenzeuge, das Genauere aufbewahrt ha* be. Aliein so erscheint das Verhältnis nur, wenn man» den vierten Evangelisten als Augenzeugen schon voraus- setzt : sucht man , wie man soll , rein aus der Beschaffen- heit der Berichte heraus zu entscheiden, so stellt sich ein ganz anderes Ergebnils heraus. Es wird hier eine Hei- lung aus der Ferne berichtet, in welcher das Wunder um so gröfser erscheint, je weiter die Distanz zwischen dem Heilenden und Geheilten ist. Wird nun die mündliche Überlieferung, wenn sich die Erzählung in dieser fort- pflanzt, eine Neigung haben, jene Entfernung, und damit das Wunder, zu verkleinern, so dafs wir in der Darstel- lung des Johannes , der Jesum die Heilung von einem Orte aus verrichten läfst , von welchem der Hofbeamte erst am andern Tage bei dem Geheilten ankommt, die ursprüngliche, In der der Synoptiker dagegen , welche Jesum mit dem kranken Knecht in derselben Stadt sich befinden lassen, die traditionell umgebildete Erzählung hätten? Nur das Um- gekehrte kann der Sage gemäfs gefunden werden, und auch hierin also zeigt sich der johanneische Bericht als. ein abgeleiteter. Besonders gemacht zeigt sich noch die Pünktlichkeit, mit welcher im vierten Evangelium die Stun- de der Genesung des Kranken ausgemittelt wird. Aus dem einfachen, auch sonst am Schlüsse von Heilungsgeschichten vorkommenden idfy iv tfj ixeivx des Matthäus ist ei- ne Nachfrage des Vaters nach der wqcc iv rt xofttpineQOv iox*, eine Antwort der Knechte: ort äqav tpfJo/^v,

a<pqx£v av%6v 6 nvQeiög, und endlich das Resultat, dafs

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Zweiter Abschnitt.

«V ixtivfi tfi tupft, iv fi tlntv avcip 6 6 vlog o*a die- ser wirklich gesund geworden sei , gemacht : eine ängstli che Genauigkeit, eine Quälerei mit der Rechnung , welche weit mehr das Streben des Referenten , das Wunder zu constatiren , als den ursprünglichen Hergang der Sache zu zeigen scheint. Darin, dafs er den ßaoikixog persönlich mit Jesu verhandeln lafst , hat der Verfasser des vierten Evan- geliums mehr als der des dritten die ursprüngliche Ein- fachheit der Erzählung bewahrt, wiewohl er, wie bemerkt, in den entgegenkommenden Knechten einen Anklang an üie zweite Botschaft des Lukas hat. In dem Hauptdiffe- renzpunkt aber, der den Charakter des Bittstellers betrifft, könnte man mit Anwendung unsers eigenen Maßstabes dem Johannes den Vorzug vor den beiden andern Referenten zuerkennen wollen. Denn wenn diejenige Erzählung die mehr sagenhafte ist , welche ein Bestreben nach Vergröfse- rung oder Verschönerung zu erkennen giebt : so könnte man sagen, es zeige sich der Bittende , der nach Johannes ziemlich schwach im Glauben gewesen sei , bei den Synop- tikern zu einem Glaubensmuster verschönert. Allein nicht auf Verschönerung überhaupt, sondern nur in Besiehung auf ihren Hauptzweck, welcher bei den Evangelien die Verherrlichung Jesu ist, geht die Sage oder ein dichtender Referent aus, und hienach wird man in doppelter Hinsicht die Verschönerung auf Seiten des vierten Evangeliums fin- den. Einmai, wie es überhaupt darauf ausgeht, die Über- legenheit Jesu durch den Contrast mit der Schwäche de- rer, die mit ihm zu thun flauen , hervorzuheben, konnte es auch hier sein Interesse sein, den Bittsteller eher schwach- als starkgläubig darzustellen, wobei ihm jedoch die Erwie- derung, welche es Jesu in den Mund legt: iav fty oqfieia xai tiQccva U/pe, ü fit} m$BVOy*9f doch wohl zu hart ge- rathen ist, wefs wegen sie denn auch die meisten Erklärer in Verlegenheit setzt. Zweitens aber konnte es unschick- lich erscheinen, dafs Jesus von seinem anfänglichen Vor-

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Neuntes Kapitel. §. 95, 11?

satse, In das Haus des Kranken eu gehen, sich nachher wieder abbringen lief«, nnd so fremdem Kinflofse su folgen schien; man konnte es für angemessener halten, die Hei- lung aus der Ferne als seinen ursprünglichen Vorsatz, und nicht erst durch einen Andern ihm eingeredet, darzustel- len. Sollte nun aber, wie diefs die Überlieferung an die Hand gab , der Bittsteller doch eine Einrede gethan haben, so mufste diese die entgegengesetzte Richtung als bei den Synoptikern bekommen, nämlich, Jesum au einem Gange in das Haus des Kranken bestimmen zu wollen.

Fragt es sich nun um die Möglichkeit und den nähe- ren Hergang des vorliegenden Ereignisses, so glaubt die 'natürliche Erklärung am leichtesten mit der Erzählung des vierten Evangeliums zurechtzukommen. Hier, wird be- merkt, sage Jesus nichts davon, dafs er die Heilung des Kranken bewirken wolle, sondern er versichere den Vater nur, dafs das Leben seines Sohnes ausser Gefahr sei (o viog an £77), und auch der Vater, wie er finde, dafs das Besserwerden seines Sohnes mit der Zeit, um welche er mit Jesus gesprochen, zusammenfalle, schliefse keineswegs, dafs Jesus die Heilung aus der Ferne bewirkt habe. So sei diese Geschichte nur die Probe davon, dals Jesus, ver- möge gründlicher Kenntnisse in der Semiotik , im Stande gewesen sei, auf gegebene Beschreibung der Umstände ei- nes Kranken hin eine riohtige Prognose über den Verlauf seiner Krankheit su stellen ; dafs jene Beschreibung kier nicht mitgetheilt sei, daraus folge nicht, dafs sie Jesus sich nicht habe geben lassen; ein otjfitlov aber werde diese Probe (V. 54.) genannt , als Zeichen einer von Jo- hannes zuvor noch nicht angedeuteten Fertigkeit Jesu , die Genesung eines besorglich Kranken vorauszusagen 1 °), Al- lein, abgesehen von dieser Mifsdeutung des Wortes oijttiuv

10) Piutus, Comm. 4, S. 253 f. Vswtukuii, 2, S. 140 ff. V^l. Hais, §. 68.

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Zweiter Abschnitt.

und jener Einschwfirzung einet im Texte nicht angedeute- ten Gesprächs, erschiene bei dieser Ansicht von der Sa- che der Charakter and selbst der Verstand Jesu im zweideutigsten Lichte. Denn, wenn wir schon denjenigen Arzt für unvorsichtig halten würden , welcher auf selbst* genommenen Augenschein hin bei einem Fieberkranken, den man so eben noch für sterbend hielt, die Genesung verbürgte, und dadurch seinen Credit auf das Spiel setz- te: um wie viel vermessener hätte Jesus gehandelt, wenn er auf die blofee Beschreibung eines Laien hin die Ge- fahrlosigkeit des Umstandes versichert hätte? Ein solches Benehmen können wir ans an ihm defswegen nicht den- ken, weil es der Analogie seines sonstigen Verfahrens, und dem Eindruck , welchen sein Charakter bei den Zeitgenos- sen zurücklieft , geradezu widersprechen würde. Hat al- so Jesus die Genesung des Fieberkranken auch nur vor- ausgesagt, ohne sie zu bewirken, so mufs er doch auf zu- verlängere Weise als durch natürliches Räsonnement von derselben versichert gewesen sein, er mufs sie auf über- natürliche Art gewufst haben. Diese Wendung hat der neueste Erklärer des Jobannes der Sache zu geben versucht. Er stellt die Frage , ob wir hier ein Wunder des Wissens oder des Wirkens haben ? und da nun von einer unmiU telbaren Wirkung des Wortes Jesu nirgends die Rede sei, sonst aber im vierten Evangelium gerade das höhere Wis- sen Jesu besonders hervorgehoben werde, so erklärt er sieh dahin , Jesus habe vermöge seiner höheren Natur nur gewufst, dafs in jenem Augenblicke die Krankheit sich zum Leben entschied 1 »> Allein die öftere Hervorhebung des hö- heren Wissens Jesu in unserem Evangelium beweist hie- her nichts, da es ebenso oft auf sein höheres Wirken auf- merksam macht. Ferner, wenn von übernatürlichem Wie- sen Jesu die Rede ist, wird diefs sonst deutlich angegeben

Ii) Lücke, 1, S. 550 f.

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Neuutes Kapitel. $.97. 119

(wie I, 49. 2, 25. 6, 64.), und ao würde Johannes , wenn eine übernatürliche Kunde von der ohnehin erfolgten Ge- nesung dea Knaben gemeint wäre, Jesum wohi auoh hier auf ähnliche Weise, wie dort an Nathanati , so dem Vater sprechen lassen , dafs er seinen Sohn bereite in er- träglicherem Zustande auf seinem Bette erblicke. Nicht nnr aber ist von höherem Wissen nichts angedeutet , son- dern eine wunderbare Wirksamkeit deutlich genug bo ver- stehen gegeben. Wenn nämlich von einem fiillwv dno- lhrtoxuv die plötzliche Genesong gemeldet ist, so will man zunächst die Ursache wissen, welche diese unerwartete Wendung herbeigeführt habe, und wenn) nun ein Bericht, der auch sonst auf das Wort seines Helden hin Wunder erfolgen läfst, eine Versicherung desselben, data der Kran- ke lebe , mittbeilt, so kann nur das falsche Bestreben , das Wunderbare zu vermindern, der Anerkenntnifa im Wege stehen , dafa der Erzähler in diesem Worte die Ursache jener Veränderung angeben wolle.

Bei der synoptischen Erzählung ist mit der Annahme einer bloßen Prognose nicht abzukommen, da hier der Vater (Matth. V.8.) eine heilende Einwirkung verlangt, und Jesus ihm (V. 13.) eben diese seine Bitte gewährt. Dadurch schien sieh bei der Entfernung Jesu von dem Kranken, welche alle physische wie psychische Einwirkung unmöglich machte, der natürlichen Erklärung jeder Weg zu verschliefsen : wenn nicht Ein Zug der Erzählung unerwartete Hülfe ge- boten hätte. Die Vergleichung nämlich, welche der Cen- turio zwischen sich und Jesu anstellt, dafs, wie er nur ein Wort sprechen dürfe, um durch seine Soldaten und Die- ner diefs und jenes ausgerichtet zu sehen, so auch Jesum es nur ein Wort koste, seinem Knechte zur Gesundheit zu verhelfen, konnte man möglicherweise so pressen, dafs, wie auf Seiten des Hauptmanns, so auch auf Seiten Jesu au menschliche Mittelspersonen gedacht wurde. Demnach soll uuu der ilauniiuanu Jesu haben vorstellen wollen, er

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120 Zweiter Abschnitt.

dürfe nur zu einem seiner Jünger ein Wert sprechen, so werde dieser mit ihm gehen und seinen Knecht gesund machen, was sofort auch wirklich geschehen sein soll »*)■ Allein, da diefs der erste Fall wäre, dafs Jesus durch sei- ne Jünger hellen liefs, und der einzige, dafs er sie unmit- telbar eu einer bestimmten He'ilun? abschickte : wie konn- te dieser eigentümliche Umstand sogar in der sonst so ausführlichen Erzählung des Lukas stillschweigend vor- ausgesetzt werden? warum, da dieser Referent in Aus- spinnung der übrigen Rede der Abgesandten nicht spar- sam ist, geizt er mit den paar Worten, welche Alles auf- geklärt haben würden, wenn er nämlich zu dem tlnh loyoj, hl tuv fta&Tpcjv au oder dergleichen etwas gesetzt hätte? Vollends aber am Schlüsse der Erzählung, wo der Erfolg ge- meldet wird, kommt diese Deutung nicht blofs durch das Stillschweigen der Referenten, sondern durch einen positi- ven Zug bei Lukas in die übelste Verlegenheit. Lukas schliefst nämlich mit der Notiz, dafs die Freunde des Haupt- manns bei ihrer Rückkehr in dessen Haus den Knecht be- reits gesund gefunden haben. Soll ihn nun Jesus dadurch wiederhergestellt haben, dafs er den Abgesandten einen oder mehrere seiner Jünger mitgab, so konnte es mit dem Kranken erst von da an, als die Abgesandten mit den Jün- gern Im Hause ankamen, allmfihlig besser werden, nicht aber konnten sie ihn bei ihrer Ankunft schon hergestellt finden. Paulus freilich setzt voraus, die Abgesandten ha- ben sich bei den Reden Jesu noch etwas verweilt, und so seien die Jünger vor ihnen angekommen: aber wie sich jene so unnöthig haben verweilen mögen, und wie der Evangelist neben der Absendung der Jünger nun auch noch das Zurückbleiben der Abgesandten habe verschwei- gen können, enthält er sich zu erklären. Mag man nun

12) Paulus, exeg. Handb. I, b, S. 710 f.; natürliche Geschichte, 2, S. 285 ff.

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Neuntes Kapitel. (. 97. 121

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statt dessen als dasjenige, was den Solduten des Haupt* iiianns auf Seiten Jesu entspricht, Krankheitsdämonen13), oder dienstbare Engel l4), oder blofs das Wort and die Heilkräfte Jesu I$) denken: jedenfalls bleibt uns eine wun- derbare Wirksamkeit in die Ferne.

Diese Art des Wirkens Jesu nun hat nach dem Zuge- stfindnifs selbst solcher Ausleger, welche sonst das Wun- derbare nicht scheuen, darin etwas besonders Schwieri- ges, dafs durch den Mangel der persönlichen Gegenwart Jesu und ihres wohlthütigen Eindrucks auf den Kranken uns jede Möglichkeit genommen ist, die Heilung durch ein Analogon des Natürlichen uns denkbar zu machen16). . Nach Olshausen zwar hat auch diese Fernwirkung ihre Analogieen , nämlich im thierischen Magnetismus 1 7). Ich will diefs nicht geradezu bestreiten , sondern nur auf die Schranken aufmerksam machen, innerhalb deren sich mei- nes Wissens diese Erscheinung im Gebiete des Magnetis- mus immer hält. In die Ferne hin wirken kann nach den bisherigen Erfahrungen nur theils der Magnetiseur oder ein anderes im magnetischen Rapport mit ihr stehendes In- dividuum auf die somnambüle Person, wo also der Fern- wirkung immer eine unmittelbare Berührung vorausgegan- gen sein mufs, was in dem Verhältnis Jesu zu dem Kran- ken unsrer Erzählung nicht gegeben ist; theils findet sich ein solches Wirkungsvermögen bei den Somnambulen selbst oder andern in zerrüttetem Nervenzustande befindlichen Menschen, was wiederum auf Jesum keine Anwendung fin- det. Geht also ein solches Heilen entfernter Personen, wie es in unsern Erzählungen Jesu zugeschrieben wird, über

13) so sehon Clem. homil. 9, 21 ; jetzt Fmtzschx, in Matth. 315*

14) Wetstbik, N. T. 1, p. 349 ; vgl. Olshausi«, 1, S. 269.

15) Köster, Immanuel, S. 195. Anm.

16) U'ckk, 1, S. 550.

17) bibl. Comm. 1, S. 268.

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122 Zweiter Abschnitt.

jenes Äuss erste natürlicher Wirksamkeit, wie wir es im Magnetismus und den verwandten Erscheinungen finden, noch weit hinaus: so wird uns durch jene Erzählungen, sofern sie historische Geltung ansprechen , Jesus au einem übernatürlichen Wesen, und ehe wir ein solches uns als wirklieh denken , verlohnt es sich auf unserem kritischen Standpunkte, cuvor noch au untersuchen, ob die betrach- tete Erzählung nicht auch ohne historischen Grund den- noch habe entstehen können ? zumal sich , dafs sie sagen- hafte Ingredienzien enthalte, schon an den verschiedenen Formationen seigt, welche sie in den drei evangelischen Berichten erhalten hat. Und hier erhellt es nun von selbst, dafs das wunderbare Heilen Jesu durch Berührung des Kranken, wie wir es z. ß. bei dem Aussäteigen Matth. S, 3. und den Blinden Matth. 9, 29. antreffen, vermöge eines na- he liegenden Klimax zunächst zum Heilen Gegenwärtiger mittelst des blofsen Wortes , wie bei den Dämonischen, den Aussätaigen Lue. 17, 14. und andern Kranken, dann aber sur Herstellung selbst Abwesender durch ein Wort sich steigern konnte , wie denn schon im A. T. ein Analo- gen hie von besonders herausgehoben ist. Wie nämlich nach 2 Kön. 5, 9 ff. der syrische Feldherr Naemann vor die Woh- nung des Propheten Elisa kam, um sich vom Aussatze hei- len au lassen, gieng dieser nicht selbst su ihm heraus, son- dern sandte ihm einen Boten und liefs ihn au siebenmali- ger Waschung im Jordan anweisen. Darüber wurde der Syrer so ungehalten, dafs er, ohne die Anweisung des Propheten au berücksichtigen, wieder heimziehen wollte. Er habe erwartet, erklärt er, der Prophet werde au ihm hertreten und unter Anrufung Gottes mit der Hand über die aussätzige Stelle fahren; dafs nun aber der Prophet, ohne selbst etwas an ihm vorzunehmen, ihn an den Jor- dan verweist, das macht ihn muthlos und ärgerlich , weil, wenn es auf Wasser ankäme, er solche zu Hause besser als liier hätte Laben können. Man sieht aus dieser A. T.Ii-

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Nenntsa Kapitel. §. 08. 123

elion Darstellung: das Ordentliche, was man von einem Propheten erwartete, war, dafs er anwesend mit körper- licher Berührung heilen könne; dafs er es auch entfernt und ohne Berührung vermöge, wurde nicht vorausgesetzt. Dafs Elisa dennoch auf die letztere Weise die Kur des aus- sätzigen Feldherrn vollbringt, (denn das Waschen war es auch hier so wenig als Joh. 9, was den Kranken gesund machte, sondern die Wundermacht des Propheten, welche ihre Wirksamkeit an diese äussere Handlung zu knüpfen für gut fand), dadurch bewies er sich als einen besonders ausgezeichneten Propheten, und nun der Messias, durfte der auch in diesem Stücke hinter dein Propheten zurück- bleiben ? So zeigt sich unsre N. T.Iiche Erzählung als Ii oth wendiges Gegen bild jener A. T. liehen. Wie dort der Kranke an die Möglichkeit seiner Wiederherstellung nicht glauben will, wenn der Prophet nicht aus seinem Hause heraus zu ihm trete: so zweifelt hier nach der einen Re- daction der für den Kranken Bittende ebenso an der Mög- lichkeit der Heilung, wenn nicht Jesus in sein Haus tre- te, nach der andern im Gegentheil ist er von der Wirk- samkeit der Heilkraft Jesu auch ohne das überzeugt, und nach beiden gelingt hier Jesu wie dort dem Propheten auch dieser besonders schwierige Wunderaot.

Sahbatheilungen. -

Groden Anstofs erregte den evangelischen Nachrichten infolge Jesus dadurch, dafs er nicht selten seine üeilungs- wunder am Sabbat verrichtete, wovon ein Beispiel den drei Synoptikern gemeinschaftlich ist, zwei dem Lukas eigen- tümlich, und zwei dem Johannes.

In jener den drei ersten Evangelisten gemeinschaftli- chen Erzählung sind zwei Fälle vermeinter Sabhatsenthei- ligung verbunden, das Ährenraufen der Jünger (Matth. 12, 1. parall. ) und die durch Jesum vollbrachte Heilung des

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Zweiter Abschnitt.

Menschen mit der verdorrten Hand (V. 9 ff. parall.). Nach der auf dem Felde Torgefallenen Verhandlung Ober das Ährenraufen fahren die beiden ersten Evangelisten so fort, wie wenn Jesus unmittelbar von dieser Scene weg in die Synagoge desselben nicht näher bezeichneten Orts sich ver- fügt, und hier aus Anlafs der Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand abermals einen Streit über die Heili- gung des Sabbats gehabt hätte. Offenbar aber waren diese beiden Geschichten ursprünglich nur der Ähnlichkeit des Inhalts wegen zusammengestellt, wefswegen hier Lukas zu loben ist, dafs er durch die Worte: iv ht<v;> oaßßdry den chronologischen Zusammenhang zwischen beiden ausdrück- lich zerschnitten hat1). Die weitere Untersuchung, wes- sen Erzählung hier die ursprünglichere sei, können wir durch die Bemerkung erledigen, dafs, wenn die von Mat- thäus den Pharisäern in den Mund gelegte Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, als ein Stück von ge- machtem Dialogisiren bezeichnet wird l), dessen ebensogut dieselbe Frage beschuldigt werden kann, welche die zwei mittleren Evangelisten Jesu leihen, und noch dazu ihre be- löbte s) Schilderung, wie Jesus den Kranken in die Mitte treten heilst, und später strafende Blicke ringsumher wirf r, einer gemachten Anschaulichkeit.

Das Übel des Kranken war nach den Übereinstimmen- den Nachrichten eine x^Q ot^er i^Qafi^trq» So un- bestimmt diese Bezeichnung ist, so macht es sich doch die natürliche Erklärung allzuleicht, wenn sie mit Paulus nur eine durch Hitze angegriffene 4), oder gar nach Vknturini's Ausdruck eine verstauchte Hand *) darunter versteht. Son-

1) Schuikuliciisr, iibcr den Lukas, S. 80 f.

2) ScHNiCKiiniuaeBii, über den Ursprung u. s. f. S. 50.

3) SCHLKIKRMACHKR, S. O.

4) exeg. Handb. 2, S. 4s ff.

5) Natürliche Geschichte, 2, S. 421.

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Neuntes Kapitel. 5- OS. 123

dern wenn wir, om die Bedeutung der N. T.lichen Be- zeichnungsweise eu bestimmen , billig auf das A. T. zu- rückgehen , so finden wir 1 Kün. 13, 4. eine Hand, wel- che im Ausstrecken l^rßdv&r} (ttftTY)), als unfähig geschil- dert, an den Leib zurückgezogen au werden, so dafs also an Lähmung und Starrheit der Hand, und, bei Verglei- ehung des von einem Epileptischen gebrauchten ^QairtqOai Marc. V, IS., zugleich an ein Saftloswerden und Schwin- den au denken ist 6). Dafür nun aber, dafs Jesus dieses und andre Übel mit natürlichen Mitteln behandelt habe, wird aus der vorliegenden Erzählung ein sehr scheinbares Argument abgeleitet. Nur ein solches Heilen, sagt man, \\i\r am Sabbat verboten, welches mit irgend einer Be- schäftigung verbunden war : also müssen die Pharisäer, wenn sie, wie es hier heilst, von Jesu eine Übertretung der Sabbatsgesetze durch Heilen erwarteten, gewufst ha- ben, dafs er nicht durch das blofse Wort, sondern durch Medicamente und chirurgische Operationen zu heilen pfleg- te 7). Da indessen , wie Paulus selbst anderswo anführt, am Sabbat das Heilen auch nur durch eine sonst erlaubte Beschwörung verboten war 8), da Tern*r «wischen den Schulen Hillels und Schammai's ein Streit obwaltete, ob auch nur das Trösten der Kranken am Sabbat erlaubt sei 9), und da überdiefs nach Paulus eigener Bemerkung die fil- teren Rabbinen im Punkte des Sabbats strenger waren als diejenigen , von welchen die uns vorliegenden Schriften Über diesen Gegenstand 1 erstammen 1 c) : so konnten die Heilungen Jesu, auch ohne dafs natürliche Mittel dabei

6) Wiäir, bibl. Realw. 1, 8. 796.

7) Paulus, a. a. O. S. 49. 54. Köster, Immanuel, S. 185 f.

8) a. a. O. S. 83., aus trict. Schabbat.

S) Schabbat, f. 12, 1, bei Schotts!*, 1, p. 123. 10) a. d. zuletzt a. 0.

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1*6 Zweiter Abschnitt

in's Spiel kamen, von chicanlrenden Pharisäern unter du Kategorie Ton Sabbatsverletzungen gezogen werden. Den* Hauptein wände gegen die rationalistische Erklärung, der aus dem Schweigen der Evangelisten von natürlichen Mitteln hergenommen wird, glaubt Paulus für anaern Fall durch die Wendung zu begegnen, dafs damals in der Synagoge wirklich keine zur Anwendung gekommen seien, sondern Je- sus habe sich die Hand vorzeigen lassen, um zu sehen, wie die bisher von ihm angeordneten Mittel (also werden der- gleichen doch fingirt) geholfen hatten, und da habe er sie bereits völlig geheilt gefunden ; denn dafs sie bereits wie- derhergestellt gewesen sei, nicht dafs sie nun plötzlich ge- sund geworden , bedeute das anoxaregdO'Tj sämmtlicher Re- ferenten. Allerdings scheint diefs der Zusammenhang zu verlangen, sofern das Ausstrecken der Hand ohne voran- gegangene Heilung so wenig möglich gewesen wäre als 1 Kön. 13, 4. das Anziehen: aber die Heilung war bewirkt durch das Wort Jesu, welches die Evangelisten mittheilen, nicht durch natürliche Mittel, welche nur von den Erklfi- rern ersonnen sind 1 4).

Gleich sehr entscheidend für die Notwendigkeit, hier eine Wunderheiiung anzunehmen, wie für die Mög- lichkeit, die Entstehung der Anekdote zu erklären, ist die nähere Vergleichung der bereits erwähnten A. T.lichen Er- zählung 1 Kön. 13, 1 ff. Als ein Prophet aus Juda dem am Götzenaltar räuchernden Jerobeam mit dem Untergang des Altars und des Götzendienstes drohte, und der König mit ausgestreckter Hand den Unglückspropheren zu grei- fen befahl, da vertrocknete plötzlich seine Hand, so dafs er sie nicht mehr zurückziehen konnte, und der Altar zer- fiel. Wie aber auf Ersuchen des Königs der Prophet Je- hova am Wiederherstellung der Hand bat, konnte sie jener Wieder an sich ziehen , und sie wurde, wie sie vorher ge-

ll) Fimscu, in Matth, p. 427; in Marc. S. 79.

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Nennte« Kapitel. 5.98.

127

wesen war ). Auch Pauli» vergleicht hier diese Erzäh- lung, aber. nur «im auch auf sie seine natürliche Erklärungs- weise durch die Bemerkung anzuwenden, Jerobeams Zorn habe leicht eine vorübergehende krampfhafte Erstarrung der Muskeln u. s. w. in der gerade mit Heftigkeit aus- gestreckten Hand hervorbringen können. Wem fällt es aber nicht vielmehr in die Augen , dafs wir hier eine Sage £ur Verherrlichung des monotheistischen Prophe- tenthums und zur Brandmarkung des israelitischen Gö- tzendienst« in der Person seines Urhebers Jerobeain vor ans haben ? Der Mann Gottes weissagt dem Götzenaltar schnellen wunderbaren Ruin ; der abgöttische König streckt freventlich die Hand gegen den Gottesmann aus; die Hand erstarrt, der Götzenaltar zerfällt in Staub, und nur auf die Fürbitte des Propheten wird der König wiederhergestellt: wer mag hier über wunderbaren oder natürlichen Hergang rechten, wo man eine offenbare Mythe vor sich hat? Und wer kann ferner in onsrer evangelichen Erzählung eine Nachbildung jener A. T.iichen verkennen, wobei nur dem Geiste des Christenthums gemäfs die Vertrocknung der Hand nicht als Strafwunder eintritt, sondern als natürliche Krank- heit dargestellt, und Jesu nur die Heilang zugeschrieben wird, ebendefswegen auch nicht wie dort die Ausstrecknung der Hand zur verbrecherischen Ursache and zum pönalen Ha« bitus der Krankheit, das Anziehen derselben aber zum Zei- chen der Genesang gemacht ist, sondern die Hand, wel- che bis dahin krankhaft angezogen war, nach vollbrachter

12) 1 Höh. 13, 4. LXX : tri 131

ti» ßaaiXt'tag n^of ovro> , xal iy/rtro «atfei« tu nqoTiqor.

Matth. 12, 10: xa\ ?<?; aV-

fjdv (Marc. iXqQafifitvfjv).

13 : t6t* 2,y#l Ttp ir&itSny ¥xTttror r^r x^oox' xal ran' xal inoxax^ä^ tyfc

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I»J8 Zweiter Abschnitt.

Heilung wieder ausgestreckt werden kann. Dafe auch um jene Zeit im Orient den Lieblingen der Götter das Vermögen zu dergleichen Heilungen augeschrieben wurde, sehen wir aus einer schon früher angeführten Erzählung, in welcher dem Vespasian neben einer tilindenheilung auch die Wiederherstellung einer kranken Hand zugeschrieben wird »*>

Nicht selbstständig übrigens und als Zweck für sich tritt in dieser Geschichte das Heilungswunder auf, sondern die Hauptsache ist, dafs es am Sabbat geschieht, und die Spitze der Anekdote liegt in den Worten, durch welche Jesus seine heilende Thätigkeit am Sabbat gegen die Pha- risäer rechtfertigt, bei Lukas und Markus nämlich durch die Frage, was am Sabbat eher angehe, Gutes zu thun oder ßöses, ein Leben zu erhalten, oder zu verderben ? bei Mat- thaus, neben einem Stück von dieser Rede , durch das Di- ctum von der sabbatlichen Rettung des in die Grube gefal- lenen Schaafa. Lukas, welcher diese Gnome hier nicht hat, legt sie mit der Abweichung, dafs statt des ngoßetrov ein ovog ij statt (*er Grube der Brunnen steht, hei

Gelegenheit der Heilung eines vdQwmxog Jesujn den Mund (14, 50? eine Erzählung, an welcher überhaupt die Ähn- lichkeit mit der bisher erwogenen auffällt» Jesus speist bei einem Pharisäerobersten, wo man, wie dort in der Syna- goge nach den zwei mittleren Evangelisten, auf ihn lauert (hier: rfiav naQCttrjQttfiBvoi , dort: yiaosT^öv ) ; es ist ein Wassersüchtiger da, wie dort ein Mensch mit verdorrter Hand ; wie dort nach Matthäus die Pharisäer Jesum fra- gen: el i$egi rolg adßßaat &eQct7ieveiv ; nach Markus und Lukas Jesus sie fragt, ob es erlaubt sei, am Sabbat ein Leben zu retten u. s. f. : so legt er ihnen hier die F rage vor: ti i$egi t$ oaßßaUj) ^BQcmevetv ; worauf, wie dort, die Gefragten schweigen (dort Markus: ol de ioiwriuv,

13) Tactt. Histor. 4, 81.

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Neuntes Kapitel. $. 12»

hier Lukas : oi Je t; ovyaoav) ; endlich als Epilog der Hei- lung, wie dort bei Matthäus als Prolog, das Dictum von dem in den Brunnen gefallenen Thiere. Eine natürliche Erklärung, wie sie auch von diesem Heiiungs wunder gege- ben worden ist 14), erscheint hier ganz besonders als ver- lorene Mühe, wo wir gar keine besondere Geschichte vor uns haben, die auf eigenem historischen Fundamente ruh- te, sondern eine blofse Variation Über das Thema der Sab* batheilungen und die Gnome von dem verunglückten Last* thier, welche dem einen (Matthäus) in Verbindung mit der Wiederherstellung einer dürren Hand, dem andern (La* kas) mit der Heilung eines Wassersüchtigen , einem drit- ten in noch anderer Verbindung zukommen konnte; denn auch noch einer dritten Heiiungsgeschichte ist ein Ähnlicher Ausspruch beigesellt. Lukas nämlich erzählt 13, 10 ff. die von Jesu am Sabbat vollzogene Heilung einer dämonisch zusammengebückten Frau, wo auf die Beschwerde des Syn- agogenvorstehers Jesus die Frage zurtickgiebt, ob denn nicht jeder am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe löse und zur Tränke führe? eine Frage, in wel- cher die Variation der obigen nicht zu verkennen ist. So ganz identisch erscheint diese Geschichte mit der zuletzt er- wähnten, dafs Schleiermacher daraus, dafs bei der zwei- ten nicht auf die vorhergehende zurückgewiesen, und so die Wiederholung durch das Eingeständnis entschuldigt ist, schliefst, es könne Luc. 13, 10 14, 5. nicht von demsel- ben Verfasser hintereinander geschrieben sein 1

Haben wir hienach gleich nicht drei verschiedene Vorfälle hier , sondern nur drei verschiedene Rahmen , in welche die Sage das unvergeßliche, wahrhaft voiksthdinli- che Dictum von dem am Sabbat zu rettenden oder zu ver~ . sorgenden Hausthier gefafst hat: so mufs doch, scheint

14) Paulus, exeg. Hsndb. 2, S. 341 f. J5) a. a. O. S. 196. Das Lebern Jesu Ite Aufl. II. Band. 9

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Zweiter Abschnitt.

es. wenn wir Jesn eine so originelle and angemessene Re- de nicht absprechen wollen, irgend eine, am Sabbat vor- gefallene , Heilung zum Grunde liegen Nur nicht gerade eine wunderbare. Sondern wie Lukas in der zuletzt an- geführten Stelle jenen Ausspruch mit der Heilung einer dämonischen Frau verbindet, so könnte er von Jesu bei Ge- legenheit einer jener Heilungen von Dämonischen, deren natürliche Möglichkeit wir unter gewissen Einschränkun- gen zugegeben haben, gethan worden sein; oder kann Je- sus auch, wenn er bei Krankheitsfallen unter 'Seiner Ge- sellschaft in Anwendung der üblichen Aledicamente auf den Sabbat keine Rücksicht nahm, jene Appellation an den praktischen Menschenverstand zu seiner Rechtfertigung luithig gehabt haben; oder endlieh, wenn an der Annahme rationalistischer Erklarer etwas Wahres ist, dafs Jesus in orientalischer, namentlich essenischer, Weise neben der tSeelenheilung auch mit leiblicher sich befafst habe, so kann er htebei , wenn er der Aufforderung dazu auch am •Sabbat nicht widerstand, eu einer solchen Apologie ver- anlafst gewesen sein ; nur dafs wir dann immer nicht mit jenen Auslegern in den einzelnen übernatürlichen Heilun- gen, welche die Evangelien meiden, die eum Grunde lie- genden natürlichen aufsuchen dürften, sondern wir müfs- ten eingestehen, dafs uns diese ganc verloren, und jene an ihre Steile getreten seien 16). Übrigens müssen es nicht einmal Heilungen überhaupt gewesen sein, an welche sich jener Ausspruch Jesu knüpfte, sondern jeder als Leb na- rettung oder Lebenserhaltung eu betrachtende and mit äus-

16) Treffend Wimm, bibl. Realw. 1, S. 796 : „man sollte sich doch bescheiden, [von den Heilungen Jesu] nicht in den ein- zelnen Fällen eine natürliche Erklärung geben zu wol- len, und immer bedenken, dass die Verbannung des Wun- derbaren aus der Wirksamkeit Jesu, so lange die Evan- gelien ge s c hic htlic h be trachtet werden, niemals gelingen kann,"

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Neuntes Kapitel. §. 98. 131

aerer Geschäftigkeit verbundene Dienst, den er oder seine Jünger leiteten , konnte ihm der pharisäischen Partei ge- genüber Anlafs eu einer solchen Vertheidigung werden.

Von den ewei Sabbatheilungen des vierten Evange- liums ist die eine schon mit den iUindenheiiungen betrach- tet worden ; die andere (5, 1 IT.) , welche unter den Hei- lungen der Paralytischen vorgenommen werden konnte, liefs sich, weil doch der Kranke nicht mit jenem Ausdrucke bezeichnet ist, hieher yersparen. In den Ualien des Teiche iiethesda in Jerusalem fand Jesus einen schon 38 Jahre, wie aus dem Folgenden erhellt, an Lähmung, kranken Men- schen , welchen er mit einem Worte cum Aufstehen und Heimtragen seines Bettes befähigt, dadurch jedoch, weil ee Sabbat war, die Feindschaft der jüdischen Hierarchien auf sich ladet. Auf eigene Weise glaubten seit \\ oolston 1 7), Manche mit dieser Geschichte durch die Annahme fertig eu werden, dafs Jesus hier nicht einen wirklich Leiden- den geheilt, sondern nur einen verstellten Kranken entlarvt habe iS). Der einzige Grund, der mit einigem Schein hie« fUr angeführt werden kann, ist, dafs der Gesundgemachte Jesum seinen Feinden als denjenigen angebe, der ihm am Sabbat sein Bette eu tragen befohlen habe (V. 15. vgl. 11 ff.), was sich nur dann erklären lasse, wenn Jesus ihm etwa« Unwillkommenes erwiesen hatte. Allein jene Anzeige konnte er auch entweder in guter Meinung machen, wie der Blind« geborene (Job. 9, 11. 25.), oder wenigstens in der unschul- digen, den Vorwurf der Sabbatsverletzung von sich auf einen Stärkeren abzuwälzen 1 9). Dals der Mensch wirk- lich krank, und zwar an einem langwierigen Übel krank gewesen sei, giebt wenigstens der Evangelist als seine Ansicht, wenn er Ihn als TQiaxovia xai ixiw l%rt i%M iv

17) Disc. 5.

18) Paulus, Comm. 4, S. 263 ff. L. J. 1, a, S. 298 iL

19) s. LUcxi und Tholuck x. d. St.

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132 Zweiter Abschnitt.

dofcvslq bezeichnet (V. 5.), wovon Paulus seine früher Vorgetragene gewaltsame Erklärung, nach welcher er die 36 Jahre auf das Lebensalter, nicht auf die Krankheitszeit des Mannes bezog, neuerlich selbst nicht mehr vertreten tuag :c). Unerklärlich bleibt bei jener Ansicht von dein Vorfall auch, was Jesus bei einer späteren Begegnung zu dem Geheilten sprach (V. 14.) : ide vytqg yiyovctf faptkl a/.idf)Tare , %va firj %uq6v %L aoi yirqzcu* Paulus selbst sieht sich durch diese Worte genbthigt , ein wirkliches, nur un- bedeutendes, Unwohlsein bei dem Menschen vorauszuse- tzen, d. h. das Unzureichende seiner Grundansicht von dem Vorfall selbst einzugestehen, so dafs wir also hier ein Wunder, und zwar keines der geringsten, behalten.

Was nun die historische Glaubwürdigkeit der Erzäh- lung betrifft, so kann mau es allerdings auffallend finden, dafs einer so grofsartigen Wohlthfitigkeitsanstalt, nie Jo- hannes Bethesda beschreibt, weder Josephus noch die Rab- binen Erwähnung thun, zumal, wenn die Volksmeinung an den Teich eine wunderbare Heilkraft knüpfte 2l): doch führt diefs noch keine Entscheidung herbei. Dafs in der Beschreibung des Teiches ein fabelhafter Volksglaube liegt, und vom Referenten acceptirt zu werden scheint (wenn auch V. 4. unächt ist, so liegt etwas Ähnliches doch schon in der xlvqoie to vdctTOQ V. 3. und dem raQax9rj V. 7.), beweist gegen die Wahrheit der Erzählung nichts, da auch ein Augenzeuge nnd Jünger Jesu den betreffenden Volksglau- ben getheÜt haben kann. Dafs nun aber ein seit 38 Jah- ren in der Art gelähmter Mensch, dafs er znm Gehen un- fähig auf einem Bette liegen mufste, durch ein Wort völlig wiederhergestellt worden sein soll, diefs denkbar zu ma- chen , reicht weder die Annahme psychologischer Einwir- kung (der Mensch kannte ja Jesum nicht einmal, V. 13.),

20) vgl. mit Comm. 4, S. 290. das L. J. 1, a, S. 298«

21) Basrscwuuosa, Frobab. S. 69.

••■ . ( .

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kennte« Kapitel. $. 98* 133

noch irgend weiche physische Analogie (wie Magnetismus u. dergl.) auch nur von ferne hin, sondern, wenn diefs wirklich erfolgt ist, so müssen wir den, durch welchen es erfolgte, aber alle Grenzen des Menschlichen und Natürli- chen hinausheben. Dagegen hätte man das, dafs Jesus aua der Menge von Kranken, welche in den Hallen von Ue- thesda sich befanden, nur diesen einzigen zur Heilung aus« erkor, niemals bedenklich finden sollen *J), da die Heilung dessen, der am längsten krank lag, zur Verherrlichung der messianischen Wunderkrafr nicht nur besonders geeignet, sondern auch hinreichend war. Dennoch knüpft sich an- drerseits eben an diesen Zug die Vermuthung eines mythi- schen Charakters der Erzählung. Auf einem grofsen Schau- platze der Krankheit, wo alle mögliche Leidende ausgestellt sind, tritt der grofse Wunderarzt Jesus auf, und wählt sich denjenigen, der am hartnäckigsten leidet, heraus, um durch Wiederherstellung desselben die glänzendste Probe seiner Heilkraft abzulegen. Wie wir es bereits als die Weise des vierten Evangeliums kennen, statt der extensiv grösseren Blasse synoptischer Wundergeschichten wenige, aber desto intensivere zu geben : so hat es auch hier durch die Erzählung von der Heilung eines 38 Jahre lang Ge- lähmten alle synoptischen Berichte von Heilange» gliedere kranker Personen, von welchen die am längsten leidende bei Lukas 13, 11. nur als eine ywr} nnvfua typoa aa&eveias icr} dixa xal oxjai bezeichnet war , bei Weitem fiberbo- ten. Ohne Zweifel war dem Evangelisten eine, obwohl, wie wir diefs auch sonst schon bei ihm fanden, ziemlich unbe- stimmte, Kunde von dergleichen Heilungen Jesu, namentlich der des Paralytischen Matth. 9,2 ff. parali, zugekommen, da der heilende Zuruf und der Eifulg der Heilung hier bei Johannes fast wörtlich ebenso, wie dort namentlich bei Mar-

22) Wie Ham, L. J. §. 92.

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Zweiter Abschnitt.

km, angegeben ist 2'). Auch davon, dafs in der synopti- schen tirstihlung jene Heilung zugleich als ein Act der Sündenvergebung erscheint , ist in der vorliegenden johnn- neischen Geschichte noch eine Spur, indem Jesus , wie er dort den Kranken vor der Heilung mit einem aq)ii>nrai aoe nl afuccQziai beruhigt, so hier nach der Heilung ihn durch das iirjx&i afiaQtceve *. t. X. verwarnt. Die so aus- geschmückte Heilungsgeschichte aber wurde zugleich eur Sabbatheilung gemacht, weil das darin vorkommende Ge- heifs, das Bette hin wegzutragen, als der geeignetste Anlafs cum Vorwurf der Sabbatentheiligung erscheinen mochte.

Todtenerwcckungen.

Drei Todtenerweckungen wissen die Evangelisten von Jesu su erzählen, davon eine den drei Syno{>tikern ge- meinschaftlich, eine dem Lukas, und eine dem Johannes eigentümlich ist.

Die gemeinsame ist diejenige, welche von Jesu an ei- nem Mädchen verrichtet worden , und in allen drei Berich- ten mit der Erzählung von der blutflüssigen Frau verbun- den ist (Matth. 9, 18 f. 23 26. Marc. 5, 22 ff. Luc. 8, 41 ff.). In der näheren Bezeichnung des Mädchens and ihres Va-

23)

Mtrc. 2, 9: (rl foy tvxontoTtfoy, tlnttv „- -..) tyttpt, qq6v an ror nqdßßax&y mal neqtndrti ;

10: aqoy rov

*edßßardv am xal Vnayt elf ror otxdv am. 12: ra\ jy/f») tu***«?, *ol ttQas rov uqdßßaxov i\Sjl9tv ivavrfov ndvrtav.

Joh. 5 > 8 : lytiQat , oqov rov nqdßßardr <x«, xa\ ntQindret.

9: xa\ tuMt*; lyivtro vyt o av9(>tono(, xat tjqe iov xqdß- ßarov out« xut neotindtn.

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Neuntes Kapitel. §. 99. ];;•»

ters weiehen die Synoptiker ab, indem Matthäus den Va- ter, ohne einen Namen zu nennen, unbestimmt als u£VW efc, die beiden andern aber als Synagogenvorsteher Na- mens yIaeiQog einführen, und ebendieselben auch die Toch- ter als zwölfjährig, Lukas noch ausserdem als das einzige Kind ihres Vaters, bestimmen, wovon Matthäus nichts weifs. Bedeutender ist die wettere Differenz, dafs nach Matthans der Vater das Mädchen Jesu gleich Anfangs als gestorben ankündigt, und ihre Wiederbelebung verlangt, wahrend er nach den beide« andern sie noch lebend, ob- wohl in den letzten Zügen, verliefe, um Jesum zur Verhü- tung ihres wirklichen Todes herbeizuholen, und erst, wie Jesus mit ihm auf dem Wege war, Leute aus seinem Hau« se mit der Nachricht kommen, dafs das Mädchen indefs gestorben , und nun jede weitere Bemühung Jesu vergeb- lich sei. Auch die Umstände bei der Wiederbelebung wer- den verschieden beschrieben, indem Matthäus namentlich davon nichts weifs, dafs Jesus nach den beiden andern Referenten nur den engsten Ausschufs seiner Jünger, den Petrus und die Zebedaiden , als Zeugen mitgenommen ha- ben soll. Diese Abweichungen hat z. B. Storr so bedeu- tend gefunden , dafs er zwei verschiedene Fälle annahm, in welchen unter ähnlichen Umständen die Tochter das ei- nemal eines weltlichen « <y< i (Matthäus) , das andremal eines Synagogarchen Jairus (Markus und Lukas) vom To- de erweckt worden sei Dafs nun aber, was Stork noch dazu annimmt, und was auf diesem Standpunkt an- genommen werden mufs, Jesus nicht blofs zweimal ein Mäd- chen vom Tode erweckt, sondern auch beidemale unmittel- bar vorher eine Frau vom Blutflufse geheilt haben soll, ist ein Zusammentreffen, welches sich durch die vage Bemer- kung Storr's, es können sich zu verschiedenen Zeiten gar wohl sehr ähnliche Dinge zutragen, um nichts vi a h r schein-

1) Über den Zweck dül Joh. S. 351 J.

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136 Zweiter Abschnitt.

lieber wird. Muff man somit einräumen, dafs die Evan- gelisten nnr Eine Begebenheit erzählen, so sollte man doch des weichlichen Bestrebens sich entschlagen, eine völlige Übereinstimmung ihrer Erzählungen herauszubringen. Denn weder kann das ccqxi k*l*vrqo$ bei Matthäus, wie Kuinöl will :), est morti pro rimn heifsen , noch läfst sich das iozdttog e'xei und äni&vqoxe bei Markus und Lukas von bereits erfolgtem Tode verstehen, zumal bei beiden die Todesnachricht dem Vater später als etwas Neues hinter- bracht wird *).

Hat daher die neuere Kritik mit Recht hier eine Ab- weichung der Relationen zugegeben, so findet sie die ge- nauere Darstellung des Hergangs einstimmig auf Seiten der mittleren Evangelisten, sei es, dafs man mit Schonung dea Matthäus in seiner Darstellung eine Abkürzung findet, wie sie auch von einem Augenzeugen veranstaltet sein könn- te4), oder dafs man diese mindere Genauigkeit als Zeichen eines nichtapostolischen Ursprungs des ersten Evangeliums ansieht *). Dafs nun Markus und Lukas den von Matthäus verschwiegenen Namen des Bittstellers angeben , und auch seinen Stand genauer als jener bestimmen, kann ebenso- wohl zu Ungunsten, als, wie gewöhnlich, zu Gunsten je- ner beiden ausgelegt werden, da die namentliche ßezeich-

2) Comm. in Matth, p. 263. Welche Argumentation : verba [NB. Matthaei]: ,*, iriUihqorr non possunt tat ine reddi : jam mortua est: nam, anetore [NB.] Luca, patri adlmc cum Christo colloquenti nun dahat servus , filiam jam exspirasse, ergo [auetore Matthaeo? J nondum mortua erat , cum pater ad Jesum accederet.

3) Vergl. über diese falschen Ausglcichungsvcrsuchc Schleikr- buchkr, über den Lukas, S. 132. und Fmtzscks, in Matth, p. 347 f.

4) Olshjhjskti, 1, S. 323.

5) ScHLKiKnaucHER, a . a. O. S. 151 ff. ; Schulz, über das Abcndm. S. 516 f.

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Neuntes Kapitel. §. 99.

137

nung der Personen, wie schon früher bemerkt, nicht sel- ten Znthat der spateren Sage Ist, wie die blutflüssige Frau erst in der Tradition eines Job Malala Veronika 6) , d»s kananäische Weib erst in den Kleroentinen Justa heifst 7), und die beiden Mitgekreuzigten Jesu erst im Evangelium Nicodemi Gestas und Demas 8). Das povoyevrjg des Lu- kas ohnehin dient nur, die Scene rührender zu machen, und das ttaiv doifexa konnte er und nach ihm Markus ans der Geschichte der Blutflüssigen heranfnehmen. Die Dif- ferenz, dafs nach Matthäus das Mädchen schon Anfangs als gestorben, nach den beiden andern erst als sterbend angekündigt wird, müfste man sehr oberflächlich angese- hen .haben , wenn man dieselbe nach unserem eigenen Ka- non eu Ungunsten des Matthäus unter dem Vorwand ge- brauchen su können glaubte, dafs bei ihm das Wunder vergrösseVc sei Denn auch bei den beiden andern wird hernach der Tod des Mädchens gemeldet, und dafs er naeh Matthäus einige Augenblicke früher eingetreten sein müfs- te, kann keine Vergrößerung des Wunders heifsen. Um- gekehrt mufs man sagen, dafs bei den beiden andern die Wundermacht Jesu, zwar nicht objectiv, wohl aber subjec- tiv gröfser, weil gesteigert durch den Contrast und das Unerwartete, erscheine. Dort, wo Jesus gleich Anfangs um eine Todtenerweckung gebeten wird, leistet er nicht mehr, als von ihm verlangt war: hier dagegen, wo er, nur um eineKrankenbeilung ersucht, eine Todtenerweckung voll- bringt, thut er mehr als die Betheiligten bitten und ver- stehen ; dort, wo das Vermögen, Todte zu erwecken, vom Vater bei Jesu vorausgesetzt wird, ist das Ungemeine eines solchen Vermögens noch nicht so hervorgehoben, als hier, wo der Vater zunächst nur das Vermögen, die Kranke zu

6) s. Fabmcius, Cod. ipocr. N. T. 2, S. 449 ff.

7) Homii. 2, 19.

8) Cap. 10.

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JäS Zweiter Abschnitt.

hMlon, voraussetzt, and eis der Tod eingetreten ist, von jeder weiteren Hoffnung abgemahnt wird. In der Art, wie die Ankunft und das Verfahren Jesu im Leichenhause be- schriehen wird, ist Matthäus bei seiner Kürze wenigstens klarer als die andern mit ihren weitläufigen Berichten. Denn dafs Jesus, im Hause angelangt, die bereits zur Lei- che versammelten Pfeifer s am int der übrigen Menge aus dem Grunde weggewiesen habe, weil es hier keine Leiche geben werde, ist vollkommen verständlich ; warum er aber nach Markus und Lukas ausserdem auch seine Jünger bis auf jene drei von dem vorzunehmenden Schauspiel ausge- schlossen haben soll, davon ist ein Grund schwer einzu- sehen. Dafs eine gröfsere Anzahl von Zuschauern phy- sisch oder psychologisch ein Hindernifs der Wiederbele- bung gewesen wäre, kann man nur anter Voraussetzung eines natürlichen Hergangs sagen: war es ein Wunder, so könnte man den Grund jener Ausschließung nur in der minderen Fähigkeit der Ausgeschlossenen suchen, wel- cher aber eben durch die Anschauung eines solchen Wun- ders hätte aufgeholfen werden sollen. Vielmehr scheint es nach Allem, als hätten die zwei späteren Synoptiker, Welche auch im Gegensatz gegen die Schlufsformei des Mat- thäus, dafs das Gerücht von diesem Ereignifs sich im ganzen Lande verbreitet habe, den Zeugen desselben von Jesu das strengste Stillschweigen auflegen lassen, den Vorgang als ein Mysterium betrachtet, cu welchem ausser den nächsten Angehörigen nur der engste Ausschlufs der Jünger gezogen worden sei. Vollends auf das von Schulz herausgehobene, dafs, während Matthäus Jesum das Mäd- chen nur einfach bei der Hand nehmen läfst, Markus und Lukas uns die Wrorte, welche er dazu gesprochen, der er- stere sogar in der Ursprache, zu überliefern wissen, kann entweder kein Gewicht gelegt werden, oder nur in entge- gengesetztem Sinne. Denn dafs Jesus, wenn er bei Aufer- weckuu^ eines SUdcIiens etwas sprach, sich ungefähr der

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Neuntes Kapitel. §. 09. 139

Worte: rj na~g iyttnu bedient haben werde, dfeff konnte wohl aach der vom Factum entfernteste Erzähler auf ei- gene Hand sich vorstellen, und bei Markus gar das rccli&ä xüui als Zeichen einer besonders ursprünglichen Quelle, aus welcher der Evangelist geschöpft habe, anse- hen, heifst das herliegende vergessen, dafs er es ebenso leicht aus dem Griechischen seines Gewährsmanns über- tragen haben kann, um, wie bei jenem iqxpctfrä, das geheim- nisvolle Lebenswort in seiner ursprünglichen fremden Spra- che, also nur um so mysteriöser klingend, wiederzugeben. Gerne werden wir uns demnach dessen bescheiden, mit Seil LEiERMACHER'schem Scharfsinn auszumachen, ob der ur- sprüngliche Gewährsmann der Erzählung des Lukas einer von den drei zugelassenen Jüngern gewesen, und ob der- selbe, der sie ursprünglich berichtete, sie auch niederge- schrieben habe 9) ?

In Bezug nun auf den vorauszusetzenden wirklichen Hergang der Sache tritt die natürliche Erklärung hier ganz besonders zuversichtlich auf, indem sie Jesu eigene Versicherung für sich zu haben glaubt, dafs das Mädchen nicht wirklich todt sei, sondern nur in einem schlafiihnlichen Zustande der Ohnmacht sich befinde, und nicht blofs entschie- den rationalistische Ausleger, wie Paulüs, oder halbratio- nalistische, wie Schleiermachkr, sondern auch entschieden lupranaturalistische Theologen , wie Olshausen , glauben um der bezeichneten Erklärung Jesu willen hier an keine Todtenerweckung denken bu dürfen x°). Der suletzt ge- nannte Erklärer legt besonders auf den Gegensatz in der Rede Jesu Gewicht, und meint, weil zu dem ax dn&ccve noch das akka xa&etdei gesetzt sei , so könne der «rstare Ausdruck nicht blofs so gefafst werden : sie ist nicht todt,

9) a. a. O. S. 129. 10) Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 526. 31 f. Schlsxkrmachbr, a. a. O. S. 132. Ouhaüik», l, S. 3*7.

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liO Zweiter Abschnitt.

indem ich den Vorsatz habe, sie zu erwecken wunder- lich, da doch dieser Zusatz gerade anzeigt, dafs sie nur in- sofern nicht gestorben sei, als Jesus sie zu erwecken ver- möge. Man beruft sich ferner auf die Erklärung Jesu (Iber den Lazarus, Joh. 11,14., welche mit ihrem : .ddCaQog ame— &uve der gerade Gegensatz zu unserem ex ank&ave ro xooa- oiov sei. Aber vorher hatte Jesus doch auch von Lazarus gesagt: avxrj rj äo&iveia bx igt ngog &dvazov (V. 4.) und: yid^aqog 6 cpilog ^fiaiv xexolftTjrai (V. 11.), also ganz die- selbe Läugnung des Todes und Behauptung eines blofsen Schlafes, wie hier, und doch bei einem wirklich Gestorbe- nen. Gewifs hat demnach Fritzsche recht, wenn er den Sinn der Worte Jesu in unsrer Stelle so angiebt: puel- lam ne pro mortua habetote, sed dormire existimalote, qutp- pe in vitam mox redituram. Ohnehin, wenn Matthäus 11, 5. Jesum sagen lafst: vexqoI iyeiQOVTai, so scheint er, der sonst keine Todtenerwekung erzählt, eben an diese gedacht haben zu müssen.

Doch auch abgesehen von der falschen Deutung der Worte Jesu hat diese Erklärung noch manche andere Schwierigkeiten. Zwar, dafs sowohl an sich bei manchen Krankheiten Zustünde eintreten können, welche dem Tode tauschend ähnlich sehen , als auch insbesondere bei dem« schlechten Zustand der Heilkunde unter den damaligen Ju- den eine Ohnmacht leicht für wirklichen Tod genommen werden konnte, ist nicht in Abrede zu stellen. Nun aber, woher soll Jesus gewufst haben, dafs gerade bei diesem Mädchen ein blofser Scheintod stattfand? Erzählte ihm auch der Vater den Gang der Krankheit noch so genau, ja , war er mit den Umstünden des Mädchens vielleicht vorher Schon bekannt, wie die natürliche Erklärung aup- ponirt, immer fragt sich, wie er hierauf so viel bauen konn- te, am, ohne jdas Kind noch gesehen zu haben, im Wi- derspruche gegen die Versicherung der Augenzeugen , es, nach der raUoualUlUcJieu Deutung seiner Worte, bestimmt

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Neuntes Kapitel. §. 90.

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für nicht gestorben zu erklären ? Diefs wäre Vermesse nn ei t gewesen and Unklugheit dazu , wenn nicht anders Jesus anf übernatürlichem Wege von dem wahren Thatbestando sichere Kenntnifs hatte, womit aber der Standpunkt der natürlichen Erklärung verlassen wäre. Nach Jesu Ankunft bei der angeblich Scheintodten schiebt nun Paulus zwi- schen das ixqdi^ae %rg %f*ooff ctvzrjg und das TjyiQ&rj to xOQ(iaiovf was, bei Mar haus schon enge genug verbunden, die beiden andern Evangelisten durch SL&eio und rtaQCz- ZQ/jfta noch näher zusammenrücken, eine längere Zeit der arztlichen Behandlung ein, und Venturini weifs die ange- wandten Mittel sogar im Einzelnen namhaft zu machen11). Mit Recht hält gegen solche Willkührlichkeiten Olshausen daran fest, dafs nach der Ansicht der Erzähler der bele- bende Ruf Jesu , und wir können hinzusetzen, die Berüh- rung seiner mit göttlicher Macht gerüsteten Hand , das Me- dium der Erweckung des Mädchens gewesen sei.

Bei der dem Lukas eigentümlichen Erweckungsge- schichte (7, 11 ff.) fehlt der natürlichen Erklärung die Handhabe, die in der zuletzt betrachteten der Ausspruch Jesu bot, in welchem er den wirklich erfolgten Tod des Mädchens zu läugnen schien. Dennoch fassen die ratio- nalistischen Ausleger Muth, und knüpfen ihre Hoffnungen hauptsächlich daran , dafs Jesus V. 14. den im Sarge lie- genden Jüngling anredet: anreden aber, sagen sie, könne man doch nicht einen Todten , sondern nur einen solchen, den man des Hörens fähig erkannt habe oder vermuthe 1 2). Allein dieser Kanon würde auch beweisen , dafs die Tod- ten alle, welche am Ende der Tage Christus auferwecken wird , nur Scheintodte seien , da sie sonst nicht , wie es doch ausdrücklich heifst (Joh. 5, 28. vgl. 1 Thess. 4, Hl.), seine Stimme hören könnten, er würde also zu viel be-

11) Natürliche Geschichte, 2, S. 212.

12) Paulus, cxeg. Hsndb. 1, b, S. 716. Anm. und 719

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142 Zweiter Abschnitt.

weisen. Allerdings mufs, wer angeredet wird, als hörend und in ge*»i*sem Sinne lebend vorausgesetzt werden, aber hier nur insofern, als die Stimme des Todtenerwecker* auch in erstorbene Obren dringen kann. lNächstdem wer- den wir zwar die Möglichkeit, dafs bei der jüdischen Un- sitte , die Todten schon einige Stunden nach deren Ver- scheiden En begraben, leicht ein blofs Scheintodter zu Grabe getragen werden konnte, zugeben müssen Ai): alles Weitere aber, wodurch geneigt werden soll, dafs diese Möglichkeit hier Wirklichkeit gewesen , ist ein Gewebe von Erdichtungen. Um zu erklären, wie Jesus, auch ohne den Vorsatz, hier ein Wunder zu thun, sich mit dem Lei- chenzuge einlassen, wie er auf die Vermuthung, der zu Begrabende möchte vielleicht nicht wirklich todt sein, kom- men konnte, wird zuerst fingirt, die beiden Züge, der Leichenzug und der Zug der Begleiter Jesu, seien gerade unter dem Stadtthor zusammengetroffen, und da sie einan- der den Weg sperrten, eine Weile aufgehalten worden: geradezu gegen den Teit, der erst, als Jesus den Sarg anfafste, die Träger stillestehen Jäfst. Durch die Erzäh- lung der näheren Uintände des Todesfalls, die er sich während des Stillstands habe geben lassen, gerührt, sei nun Jesus zu der Mutter getreten und habe, ohne Bezug auf eine zu vollbringende Todtenerweckung , rein nur als tröstenden Zuspruch, die Worte: ftq xlaie zu ihr gespro- chen l4). Allein was wäre doch das für ein leerer, an- »afsender Tröster, welcher einer Mutter, die ihren einzi- gen Sohn begräbt, nur geradezu das Weinen verbieten wollte , ohne weder reale Hülfe durch Wiederbelebung des Gestorbenen, noch ideale durch ausgesuchte Trostgründe ihr zu bieten ? Das Letztere thut nun Jesus nicht : soll er also nicht ganz unzart aufgetreten sein , so mufs er das

13) Dcrs. a. s. 0. S. 723.

so such Hase, L. J. §. 87,

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Neunte* Kapitel. §. Vd

kursiere im Sinne gehabt haben, und ft*i»Mi macht er auch alle Anstalt, indem er absichtlich den »arg anhält und die Trager cum Stellen bringt. Vor dem erweckenden Kufe Jesu schiebt nun die natürliche Erklärung den Umstand ein, dafs Jesus an dem Jüngling irgend ein Lebenszeichen bemerkt, und auf dieses hin entweder unmittelbar, oder nach vorgangiger Anwendung von Medicamenten jene Worte gesprochen habe , welche ihn vollends erwecken halfen. Allein abgesehen davon , dald jene Zwischenmo- mente in den Text nur eingeschoben sind, und das starke: vtarioxe, aoi Af'yw, iytQ&rpi, eher dem Machtbefehl eines YVunderthaters als dem .Belebungsversuch eines Arztes ähn- lich sieht: wie konnte Jesus, wenn er sich bewußt war, den Jüngling als lebenden schon angetroffen, nicht selbst erst ihn vom Tode zurückgerufen zu haben, mit gutem Ge- wissen die Lobpreisungen hinnehmen , welche dein Bericht zi folge die zuschauende Menge dieser That wegen ihm als grofsem Propheten zollte? Nach Paulus war er selber un- gfwifs, wie er den Erfolg anzusehen habe; aber eben wenn er nieht überzeugt war, den Erfolg sich selber zu- schreiben zu dürfen, so erwuchs ihm die Pflicht, alles Lob in Bezug auf denselben abzulehnen , und er kommt, wenn er diefs nicht that, in ein zweideutiges Licht, in welchem er nach der übrigen evangelischen Geschichte, sofern sie unbefangen aufgefafst wird , keineswegs steht. Auch hier also müssen wir anerkennen, dafs der Evan- gelist uns eine wunderbare Todtenerweckung erzählen will, und dals nach ihm auch Jesus seine That als ein Wunder angesehen haben mufs ,6).

Je weniger bei der dritte»« Todtenerweckungsgeschich- te, welche dem johanneischen Evangelium (Kap. 11.) ei- gentümlich ist , weil wir an Lazarus keinen eben Gestor-

15) VcaTCRiNi, 2, S. 295.

16) VgL Sc HI. Kl KR MACH £ H 1 n. «. O. S. 103 f.

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144 Zweiter Abschnitt.

honen, oder auf dem Weg Elim Grabe Befindlichen, son- dern eine» schon mehrere Tage Begrabenen vor ans ha- ben, an eine natürliche Erklärung gedacht werden zu kön- nen scheint: desto künstlicher und ausführlicher hat sie sich gerade in Bezug auf diese Erzählung ausgebildet. Und zwar ist hier neben der streng und consequent rationali- stischen Auslegungsweise, welche den evangelischen Be- richt durchaus als geschichtlich festhaltend, alle Theile des- selben natürlich zu deuten sich anheischig macht, auch noch jene andere aufgetreten , welche einzelne Züge des Berichts als solche ausscheidet , die erst nach dem Erfolg hinzugesetzt seien, womit also schon ein Schritt in die my- thische Erklärung hinüber gemacht worden ist.

Auf die nämlichen Prämissen wie bei der vorigen Er- zählung gestützt, dafs sowohl an sich als wegen der jüdi- schen Sitten ein Begrabener wohl nach viertägigem Auf- enthalt in einer Felsengruft wieder zum Leben habe kom- men können eine Möglichkeit, die wir als solche auch hier nicht bestreiten - , beginnt die natürliche Erklärung 1 mit der Voraussetzung, die wir vielleicht schon nicht mehr ebenso passiren lassen sollten, dafs bei dem Boten, den ihm die Schwestern mit der Krankheitsnachricht sandten, Jesus sich genau nach den Umständen der Krankheit er- kundigt haben werde, und nun soll die Antwort, welche er dem Boten gab (V. 4.): uviy jJ doDivtia ux izi nfidg &ttvazov x. z. L ebenso nur als Schlufs aus den von dem Bo- ten eingezogenen Nachrichten seine Uberzeugung ausdrü- cken , dafs die Krankheit nicht tödtlich sei. Mit einer sol- chen Ansicht von dem Zustande des Freundes würde aller- dings das aufs Beste zusammenstimmen, dafs Jesus nach erhaltener Botschaft noch zwei Tage in Peräa blieb (V. 6.), indem er nach jener Voraussetzung seine Anwesenheit in Bethanien für nicht so dringend nothwendig erachten konnte.

|7) Paulus, Con m. ^, S. 535 ff. L. J. 1, b, S. 55 ff.

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Nennte« Kapitel. $.99. 145

Nun aber, wie kommt es, dafs er nach Abflafa dieser zwei Ta- ge nicht nur entschlossen ist, dahin zu reisen (V. S.), sondern auch von dem Zustande des Lazarus eine ganz andre Ansicht, ja die bestimmte Kunde von seinem Tode hat, welchen er den Jüngern zuerst verblümt (V. 11.), dann offen (V. 14.) ankün- digt 'i Hier erhält die bezeichnete Erklärungsart einen beden- tenden Rifs, den sie durch die Fiction eines zweiten Roten x 8), welcher nach Verflufs der zwei Tage Jesu die Nachricht von des Lazarus in de Ts erfolgtem Ableben gebracht habe, nur um so auffallender macht. Denn von einem zweiten Boten kann wenigstens der Verfasser des Evangeliums nichts gewufst haben , sonst mtifste er seiner Erwähnung thun , da die Verschweigung desselben der ganzen Erzäh- lung einen andern Schein giebt, den nämlich, dafs Jesus auf wunderbare Weise von dem Tode des Lazarus Kenntnifs gehabt habe. Dafs sofort Jesus, als er entschlossen war, nach Bethanien zu reisen, zu den Jüngern sagte, er wolle den eingeschlummerten Lazarus aufwecken ixtxoipr/iat, £$vnrlo(o V. Ii.), wird auf diesem Standpunkte so er- klärt, Jesus müsse aus den Nachrichten des Boten, der. den Tod des Lazarus meldete, irgendwie abgenommen ha- ben, dafs derselbe nur in einem soporösen Zustande sich befinde. Allein hier so wenig als oben können wir Jesu die unkluge Vermessenheit zutrauen, ehe er noch den an- geblich Verstorbenen gesehen hatte , die bestimmte Versi- cherung zu geben, dafs er noch lebe lV). Auch das hat auf diesem Standpunkte seine Schwierigkeit, dafs Jesus zu seinen Jüngern (V. 15.) sagt, er freue sich um ihretwillen,

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18) Im L. J. 2, b (Textübersetzung), S. 46. scheinen gar nach der im Evangelium erwähnten Sendung noch drei weitere vorausgesetzt au werden. ,

19) vgl. C. Ch. Flatt, etwas zur Verteidigung des Wunders der Wiederbelebung des Lazarus, in Süsxxhd's Magazin, 14tea

Stück , S. 93 ff. i. Das Üben Jesu 2ie Aufl. II. Band.

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Zweiter Abschnitt.

vor und bei des Lazarus Tode nicht zugegen gewesen rw sein, ha mgevoqTe. Die PxuLUs'sche Erklärung dieser Worte, als ob Jesus gefürchtet hätte, derin seiner Gegeu- wnrt erfolgte Tod hatte sie im Glauben an ihn wankend machen können , hat nicht allein das von Gabler Bemerk- te gegen sich, dafs ritzt u ) nicht geradezu nur das Nega- tive : den Glauben nicht verlieren , bedeuten kann , was vielmehr dnreh eine Phrasis, wie: \'va //tJ ixlei/irj rj 7ihtg vfttav (s. Luc. 22, 32.) ausgedrückt sein müfste 2C), son- dern es ist auch nirgendsher eine solclie Vorstellung der Jünger von Jesu als dem Messias nach/.uweisen, mit wel- cher das Sterben eines Menschen, oder näher eines Freun- des, in seiner Gegenwart unverträglich gewesen wäre.

Von Jesu Ankunft in Bethanien an wird die evange- lische Erzählung der natürlichen Erklärung etwas günsti- ger. Zwar die Anrede der Martha an ihn (V. 21. f.): wä- re er zugegen gewesen , so würde ihr Bruder nicht gestor- ben sein : dllu xai vlv olöcc, ort, ooa uv aizr.arj zov feov, diooti ooio $eog , scheint unverkennbar die Hoffnung aus- zusprechen, dafs Jesus auch den schon Gestorbenen in das Leben zurückzurufen vermöge; allein dafs sie auf die fol- gende Zusicherung Jesu: avag^oetai 6 adelcpog ou> klein- inüthig erwiedert: ja, am jüngsten Tage (V. 24.)? thut al- lerdings einer Erklärung Vorschub, welche nun rückwärts auch der obigen Äusserung der Martha (V. 22.) den unbe- stimmten Sinn unterlegt, selbst jetzt noch, unerachtet er ihren Bruder nicht bei m Leben erhalten habe, glaube sie an Jesum als an denjenigen, welchem Gott Alles, was er bitte, gewähre, d. h. als den Liebling der Gottheit, den Messias. Allein nicht mztmo sagte Martha dort, sondern oldu, und die Wendung: ich weifs, dafs das und ' m <*p- schieht, wenn du nur willst , ist eine gewöhnliche »directe

20) Gabler'* Journal für auserlesene thcol. Literatur, 3, 2, S. 261. Anm.

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. Neunte* Kapitel. $. !>». 147

Form der Bitte, und hier um so unverkennbarer , da der Gegenstand der ßitte aus dem vorausgeschickten Gegensätze dahin klar wird, dafs Martha sagen will: den Tod des Bruders «war hast du nicht verhindert , aber auch jetzt ist es noch nicht eu spät, sondern auf deine Bitte wird ihn Gott dir und uns wieder schenken. Ein Wechsel der Stim- mung, wie ei dann in Martha angenommen werden mufs, deren kaum geäusserte Hoffnung in der Erwiederung V. 24. bereits wieder erloschen ist , kann hei einem Weibe, wei- ches hier und sonst als von sehr beweglicher T\atur sich zeigt, nicht zu sehr befremden, und wird in unserem Falle durch die Form der vorangegangenen Zusicherung Jesu (V. 23.) hinlänglich erkläVt. Auf ihre indirecte ßitte näm- lich hatte Martha eine bestimmte gewährende Zusage er- wartet: da nun Jesus nur ganz allgemein und mit einem Ausdruck antwortet, welchen man auf die Auferstehung am Ende der Dinge zu beziehen gewohnt war (uvagi'vtiat), so giebtsie halb empfindlich halb kleinmüthig jene Erwiede- rung *»). Ehen jene so allgemein lautende Äusserung Je- su aber, so wie die noch unbestimmteren, V. 25 1. tyii elfu rj ävagccaig x. t. A., glaubt maii nun rationalistischer- seits dahin deuten zu können, Jesus selbst sei von der Er- wartung eines ausserordentlichen Erfolgs noch entfernt ge- wesen , defswegen tröste er die Martha blofs mit der allge- meinen Hoffnung, dafs er, der Messias, den an ihn Glau- bigen die einstige Auferstehung und ein seliges Leben ver- schaffen werde. Da jedoch Jesus oben (V. 11.) zu seinen Jüngern zuversichtlich von einem Aufwecken des Lazarus gesprochen hatte , so müfste er indessen umgestimmt wor- den sein, wozu kein Anlafs zu finden ist. Auch beruft sich Jesus V. 40, wo er, im Begriff, zur Erweckung des Lazarus zu schreiten, zu Martha sagt: d/. elnov ooif tnif iav mgeva^g, vtpu %i]v dd£av %h offenbar auf V. 23,

21) Flau, a. a. O. S. 102 f.

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Zweiter Abschnitt.

in welchem er also schon die vorzunehmende Wiederbele- bung ror hergesagt haben will« Dafs er diese nicht be- stimmter bezeichnet, und das kaum gegebene Versprechen in Bezug auf den dötkyög V. 25 f. wieder in allgemeine Verheifsungen für den mgavcjv überhaupt verhüllt, ge- schieht , um den Glauben der Martha zu prüfen und eu stärken

Wie nun Maria mit Begleitung herauskommt, und durch ihr Weinen auch Jesus bis eu Thränen erschüttert wird , das ist ein Punkt , auf welchen sich die natürliche Erklärung mit besonderer Zuversicht beruft und fragt, ob Jesus, wenn ihm die Wiederbelebung des Freundes jetzt schon gewifs gewesen wäre, nicht vielmehr mit der innig- sten Freude sich seiner Gruft genähert haben würde, aus der er ihn im nächsten Augenblicke lebend wieder hervor- rufen eu können sich bewufst war? Hiebei wird dann das iytßqi(.irtoaio (V. 33.) und iftßQlfiWfitvOQ (V. 38.) von ge- waltsamem Zurückdrängen des Schmerzens über den Tod des Freundes verstanden , der sich hierauf in dem iddxQv— oiv Luft gemacht habe. Allein sowohl nach der Etymolo- gie, nach welcher es fremere in aliquem oder im se heilst, als nach der Analogie des N. T. liehen Sprachgebrauchs, wo es Matth. 9, 30. Marc. 1, 43. 14, 5. immer nur im Sinne von merepare aliquem vorkommt, bezeichnet ipßQifiäo&at, eine Bewegung des Zorns, nicht des Schmersens, und zwar müfste es hier , wo es nicht mit dem Dativ einer andern Person, sondern mit zip mevftati und tv kauiy verbunden ist, von einem stillen, verhaltenen Unwillen verstanden wer- den. In diesem Sinne würde es V. 38, wo es zum Ewei- tenmale vorkommt, ganz wohl passen, denn in der voran- gegangenen Äusserung der Juden: öx tjövvoio öiog, o avoigag tag 6q>D-aXfiag ra xvq>XH , noirjoat ha xal &zog /< *} änofravt] ; liegt jedenfalls ein oxavdali&o&ai , indem Jesu

*

22) rUrr, a. s. 0., Lucas und Täolick x. d. St.

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Neuntes Kapitel §. 99. ' 149

frühere That sie an seinem jetzigen Benehmen, und dieses hinwiederum an jener, irre machte. Wo aber das erstemal von einem ißßqifiäoOai die Rede ist, V. 33, scheint zwar das allgemeine Weinen Jesuin eher zu einer wehraftthigen als unwilligen Bewegung haben veranlassen zu können: doch war auch hier eine starke Mifsbilligung der sich zei- genden ohyontgla möglich. Dafs hierauf Jesus selbst in Thra'nen ausbrach, beweist nur, dafs sein Unwille über die yevea umgog um ihn her sich in Wehmuth auflöste, nicht aber, dafs Wehmuth von Anfang an Seine Empfin- dung war. Endlich, dafs die Juden (V.36.)in Bezug auf die Thränen Jesu untereinander sagten : nwg icpiXn

uirtov, diefs scheint eher gegen als für diejenigen zu sprechen, welche die Gemüthsbewegting Jesu als Schmerz Über den Tod des Freundes und Mitgefühl mit dessen Schwestern betrach- ten, da, wie der Charakter der johanneischen Darstellung überhaupt eher einen Gegensatz zwischen dem wirklichen Sinne des Benehmens Jesu und der Arr, wie die Zuschauer es auffafsten, erwarten lüfst, so insbesondere oi Yädcrfoi in die- sem Evangelium sonst immer diejenigen sind, welche Jesu Worte und Theten theils mifsverstehen , theiis mifsdeuten. Man beruft sich freilich noch auf den sonst so milden Charak- ter Jesu, welchem die Härte nicht angemessen sei, mit wei- cher er hier der Maria und den Übrigen ihr so natürliches Weinen übelgenommen haben müTste aliein dem jo-

hanneischen Christus ist eine solche Denkweise keineswegs fremd. Derjenige, welcher dem ßaaiXixog , der ihm mit der unverfänglichen Bitte, zur Heilung seines Sohnes in sein Haus zu kommen, entgegentrat, den Verweis gab: iav ttr) arjma med tigecra id^rf, « nxetvorpt (4, 48.) : der die Jünger, welche sich an der harten Rede des 6ten Kapitels gestossen hatten, so schneidend mit einem töto vftäg axav—

daU&t; und ^rj xal ifiug öiksie v.iaytiv; anliefs (6, 61. . . ..

25) Lucas, 2, S. 388.

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150 Zweiter Abschnitt.

67.); der seine eigene Matter, als sie bei der Hochzeit eu Kairn ihm den Weinmangei klagte, durch das harte: tL ifiol xctl ool, yvvai; abwies (2,4.); der also jedesmal dann nm unwilligsten wurde, wenn Menschen, sein höheres Thun und Denken nicht, begreifend, sich kleinmüthig oder zu- dringlich zeigten: der war hier ganz besonders zu ähnli- chem Unwillen, veranlafst. Ist bei dieser Erklärung den Stelle von einem Schmerz Jesu über den Tod des Lazarus gar nicht die (teile, so füllt auch die Hülfe weg, welche die natürliche Erklärung des ganzen' Hergangs in die em Zuge zu finden glaubt; indes auch bei der anderen Deu- tung läfst sich die augenblickliche Rührung durch das Mit- gefühl mit den Weinenden gar wohl mit der Voraussicht der Wiederbelebung vereinigen *4). Und wie hätten sich auch die Worte der Juden V. 37. nach der Behauptung natürlicher Erklärer geeignet , die Hoffnung, dafs Gott auch jetzt vielleicht etwas Auszeichnendes für ihn thnn werde, in Jesu zuerst anzuregen? .Nicht die Hoffnung, dafs er den Todten wiedererwecken könne , sondern nur die Ver- muthung, dafs er vielleicht den Kranken am Leben zu er- halten im Stande gewesen wäre, sprachen fa die Juden aus; es hatte also schon früher Martha durch die Äusse- rung, dafs auch jetzt noch der Vater ihm gewähren werde, was er bitte , mehr gesagt : so dafs , wenn dergleichen Hoffnungen erst von aussen in Jesu angeregt wurden, die- selben schon früher angeregt sein mufsten, und namentlich vor jenem Weinen Jesu, auf welches man sich dafür, dafs sie noch nicht angeregt gewesen, zu berufen pflegt.

Dafs die Äusserung der Martha, als Jesus den Stein vom Grabe zu nehmen befiehlt: xvqib, }jdjj o$€t (V. 39.), für die wirklich schon eingetretene Verwesung und also gegen die Möglichkeit einer natürlichen Wiederbelebung nichts beweise, da sie auch blofser Schlufs aus dem Ter«"-

»

24) Flatt, a. a. 0. S. 104 f. Lücks, a. a. O.

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Neunte« Kapitel. §. 99.

taTog sein kann, ist auch von supranaturalistischen Aus- legern eingeräumt worden Hierauf aber die Worte,

mit welchen Jesus , die Einrede der Martha ablehnend, auf der Öffnung des urriulov besteht (V. 40.), dnfs sie, wenn sie nur glaube, tt]v öö^av tu sehen werde, wie konnte er diese aussprechen , wenn er sich seiner Macht, den Lazarus zu erwecken, nicht auf s Bestimmteste bewufst war? Mach Paulus sagte jener Ausspruch nur allgemein, dafs der Vertrauensvolle auf irgend eine Weise eine herr- liche Äusserung der Gottheit erlebe. Allein welche herr- liche Äusserung der Gottheit war denn hier, bei Eröffnung der Gruft eines seit vier Tagen Begrabenen co erleben, wenn nicht die, dafs er auferweckt werden sollte? und im Gegensatze vollends gegen die Versicherung der Martha, dafs den Bruder bereits die Verwesung ergriffen haben müs- se, was können jene Worte für einen Sinn haben, als, hier sei der Mann, der Verwesung zu wehren? Um aber ganz sicher zu erfahren , was die d6$a tQ in unsrer Stelle sagen will, darf man nur auf V. 4. zurücksehen, wo Jesus gesagt hatte, die Krankheit des Lazarus sei nicht anog O-dvazov, sondern irttQ trjs dofyg #£Ö, x. t. X. Hier erhellt doch wohl aos dem Gegensatz: nicht zum To- de, unabweisbar, dafs die Joga 9tü die Verherrlichung Gottes durch das Leben, also, sofern er jetzt bereits todt war, durch die Wiederbelebung des Lazarus bedeutet, eine Hoffnung, welche Jesus gerade im£entscheidensten Augenblick nicht anzuregen wagen konnte, ohne eine hö- here Gewifsheit zu haben, dafs sie in Erfüllung gehen wer- de - . Dafs er sofort nach Eröffnung der Gruft, noeh ehe er dem Todten das devno i^o) ! zugerufen,* bereits dem Vater für die Erhörung seiner Bitte dankt, diefs wird vom Standpunkte der natürlichen Erklärung als der klarste Be- weis dafür angeführt, dafs er den Lazarus nicht durch je-

25) Fi.att, S. 106; Olshaisek, 2, S, 26C.

26) rWr, S. 97 f.

Digiti. ,jP^3!e

15* Zweiter Abschnitt.

Tie« Wort erst in das Leben gerufen, sondern beim Hinein- blick in die Gruft ihn bereits wiederbelebt gefunden haben müsse. Ein solches Argument sollte man von Kennern des jo hanneischen Evangeliums in der That nicht erwarten. Wie gewöhnlich ist es diesem nicht, z. B. in dem Ausspruche: idn*uofr7} 6 viog x. er., das erst noch Bevorstehende und nur erst Angelegte als bereits Verwirklichtes darzustellen : wie passend war es namentlich hier , die Gewißheit der Erhtf- mng dadurch hervorzuheben, dafs sie als bereits gesche- hene bezeichnet wurde? Und welcher Fictionen bedarf es nun ferner, um zu erklären, thells wie Jesus das in den Lazarus zurückgekehrte Leben bemerken , theils wie HieRer wieder zum Leben gelangt sein konnte! Zwischen dem Weg- nehmen des Steins, sagt Paulus, und Jesu Dankgebet liegt der Moment des überraschenden Erfolgs; damals mufs Je- sus, noch um einige Schritte entfernt, den Lazarus als ei- nen Lebenden erkannt haben. Woran ? müssen wir fra- gen, und wie so schnell und sicher? und warum nur er und Niemand sonst? Erkannt möge er ihn haben an Be- wegungen, vermnthet man. Aber wie leicht konnte er sich hierin täuschen bei einem in dunkler Felsengruft lie- genden Todten ; wie voreilig, wenn er , ohne erst genauer untersucht zu haben, so schnell und bestimmt die Über- zeugung, dafs er lebe, aussprach! Oder, wenn die Bewe- gungen des Todtgeglaubten stark und unverkennbar waren, wie konnten sie den Umstehenden entgehen? Endlich, wie konnte Jesus in seinem Gebete das bevorstehende Factum

*

als Erkennungszeichen seiner güttlichen Sendung darstel- len, wenn er sich bewufst war, die Wiederbelebung des Lazarus nicht bewirkt, sondern nur entdeckt zu haben? Für die natürliche Möglichkeit eines Wiederauflebens des schon Begrabenen wird unsre Unkenntnifs der näheren Um- stände seines vermeintlichen Todes, das schnelle Begraben bei den Juden, hierauf die kühle Gruft, die stark duften- den Specereien, und endlich der warme Luftzug angeführt,

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Neuntes Kapitel. $.09.

1*3

welcher mit der Abwälzung des Steins belebend in die Gruft strömte. Alle diese Umstände jedoch führen nicht über den niedrigsten Grad der Möglichkeit, welcher der höchsten Unwahrscheinlichkeit gleich ist, hinaas, womit dann die GewÜsheit, mit welcher Jesus den Erfolg vorausverkün- digt, unvereinbar bleiben mufs 3?);

Eben diese bestimmten Vorhersagen, als das Haupthin- dernis einer natürlichen Erklärung dieses Abschnitts, sind es daher, welche man, noch vom rationalistischen Stand- punkt aus, durch die Annahme beseitigen wollte, dafs sie \ nicht von Jesu selbst herrühren, sondern ex eveniu vom Referenten hinzugefügt sein mögen. Paulus selbst fand wenigstens das t$im;vi(i(ü ctvtov (,S, 11.) gar zu bestimmt, und wagte daher die Vermathong, dafs der Erzähler nach dem Erfolge ein milderndes Vielleicht, das Jesns hinzuge- setzt hatte, weggelassen habe J8). Diese Auskunft hat Gabler in erweiterte Anwendung gebracht. Nicht blofs Uber den bezeichneten Ausspruch theilt er die pAULU^sche Vermnthung, sondern schon V. 4. ist er geneigt, das vntQ tifi do'f^s Oib nur auf Rechnung des Evangelisten zu schreiben; ebenso V. 15., bei dem %a/oct> dt v/uag, 'ivet mgev— orte, ort nx fyiTpr ixet, vermuthet er eine kleine, von Jo- hannes nach dem Erfolg angebrachte Verstärkung ; endlich auch bei den Worten der Martha, V. 22: aV.a xal vvv olda x. t. X, giebt er dein Gedanken an einen eigenen Zu- satz des Referenten Raum Durch diese Wendung hat

27) vgl. auch hierüber vorzüglich Flatt und LCcki.

28) So im Commcntar, 4, S. 537; ün L. J. i, b, S. 57, und 2, b, S. 46'. wird diese Vermuthung nicht mehr angewendet.

29) a. a. O. S. 272 ff. Wie Gablkk diese Äusserungen nicht von Jesu, sondern nur von Johannes, so glaubte sie Diiffrubich, in Bkrtholdt's krit. Journal , 5, S. 7-ff. , auch nicht von Jo- hannes ableiten zu können , und da er das übrige Evange- lium für johanneisch hielt, so erklärte er jene Stellen für Interpolationen.

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134 .Zweiter Abschnitt.

die natürliche Auslegungsweise sich selbst als uufähig be kaunt, mit der jolianneischen Erzählung fertig so wer- den. Denn wenn sie, am sich an derselben geltend ma- chen zu können , mehrere , gerade der bezeichnendsten Stellen ausmerzen mufs,* so gesteht sie damit eben, dafs die Erzählung, so wie sie vorliegt, eine natürliche Deu- tung nicht zulüfst. Zwar sind die Stellen , deren Unver- träglichkeit mit der rationalistischen Erklärungsart durch Ausscheidung derselben eingestanden wird, sehr sparsam gewählt: allein aus der obigen Darstellung erhellt, dafs, wollte man alle in diesem Abschnitt vorkommende Züge, welche der natürlichen Ansicht vom ganzen Hergang wi- derstreben, auf Rechnung des Evangelisten schreiben, am Ende nur nicht gar Alles, was hier verhandelt wird, als spätere Erdichtung angesehen werden müfste. Hiemit ist, was bei den früher betrachteten zwei Berichten von Tod- tenerweokungen wir gethan haben, bei der letzten und merkwürdigsten Geschichte dieser Art von den verschiede- nen auf einander gefoigten Erklärungsversuchen selbst voll- sogen worden, nämlich die Sache auf die Alternative zu treiben, dafs man von der evangelischen Erzählung entwe- der den Hergang als übernatürlichen hinnehmen, oder, wenn man ihn als solchen unglaublich findet, den historischen Charakter der Erzählung läugnen mufs.

Um in diesem Dilemma für alle drei hiehergehörige Erzählungen eine Entscheidung zu finden, müssen wir auf den eigentümlichen Charakter derjenigen Art von Wundern zurückgehen , welche wir hier vor uns haben. Wir sind bis jetzt durch eine Stufenleiter des Wunderbaren aufge- stiegen. Zuerst Heilungen von Geisteskranken; dann von allen Arten leiblich Kranker, deren Organismus aber doch noch nicht bis zum Entweichen des Geistes und Lebens zerrüttet war; nunmehr die Wiederbelebung solcher Kör- per, aps welchen das Leben bereits geflohen ist. Dieser Klimax des Wunderbaren ist zugleich eine Stufen reihe des

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Undenkbaren. Das nämlich haben wir uns zwar etwa noch vorstellen können , wie eine geistige Störung, bei welcher von den körperlichen Organen nur das dem Geiste zunächst angehörige Nervensystem sich einigermaßen angegriffen zeigte, auch anf dem rein geistigen Wege des blofsen Wor- tes, Anblicks, Eindrucks Jesu gehoben werden mochte: je weiter aber in das Körperliche eingedrungen das Übel sich seigte, desto undenkbarer war uns eine Heilung die- ser Art. Wo bei Geisteskranken das Gehirn bis snr wil- desten Tobsucht, bei Nervenkranken das Nervensystem bis tu periodischer Epilepsie zerrüttet war, da konnten wir uns schon schwer vorstellen, wie durch jene geistige Ein- wirkung bleibende Hülfe geschafft worden sein sollte; noch schwerer, wo die Krankheit ausser allem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geistigen bich zeigte, wie bei Aus- satz, Blindheit, Lähmung uud dergleichen. Immer aber war doch hier noch etwas vorhanden, woran die Wander- kraft Jesu , sofern wir sie uns doch geistiger Art denken müssen , sich wenden konnte ; es war doch noch ein Be- wußtsein in den Menschen, auf welches Eindruck zu ma- chen, und durch dessen Vermittlung möglicherweise auch auf den Körper solcher Personen su wirken war. Nun aber bei Todten ist das anders. Der Gestorbene, dem mit dem Leben auch das ßcwufstsein entflohen ist, hat den letz- ten Anknüpfungspunkt fur die Einwirkung des Wunder- täters verloren, er nimmt ihn nicht mehr wahr, bekommt keinen Eindruck mehr von ihm , da ihm selbst die Fähig- keit, Eindrücke zu bekommen, aufs Neue verliehen wer- den mufs. Diese aber zu verleihen, oder beleben im ei- gentlichen Sinn, ist eine schöpferische Thfitigkeit, welche von einem Menschen ausgeübt zu denken, wir unsre Un- fähigkeit bekennen müssen., . .

Doch auch innerhalb unsrer drei Todtenerweckungs- geschichten selbst findet ein unverkennbarer Klimax statt. Mit Recht hat schon Woolston bemerkt, es sehe aus, wie

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15$ Zweiter Abschnitt.

wenn von diesen drei Erzählungen jede zu der vorange- henden an Wunderbarem hätte hinzufügen wollen, was dieser noch fehlte 3o). Die Jairnstochter erweckt Jesus noch auf demselben Lager, auf welchem sie so eben ver- schieden war; den nainitischen Jüngling schon im Sarge und auf dem Wege zur Bestattung; den Lazarus endlich nach viertägigem Aufenthalt in der Gruft. War es in je- ner ersten Geschichte nur durch ein Wort angezeigt, dafs das Mädchen den unterirdischen Mächten verfallen gewe- sen : so wurde diefs in der zweiten Geschichte durch den Zug, dafs man den Jüngling bereits vor die Stadt hinaus zu Grabe getragen habe, auch für die Anschauung ausge- prägt, am entschiedensten aber ist der längst in der Gruft verschlossene Lazarus als ein bereits der Unterwelt an- gehöriger geschildert; so dafs, wenn die Wirklichkeit des Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, diefs boi'in zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie unmöglich ist *'). In dieser Abstufung steigt dann auch die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist, «wischen verschiedenen Modifikationen derselben eine Stei- gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Ware näm- lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müfste sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede- nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal- teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der Verwesung als eingetreten vorausgesetzt, und dafs sich diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver- neint wird.

Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in-

50) Disc. 5.

öl) DiuTSCuxsiDS*, l'robab. S. 61.

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Neuntel KapiteL $.99. 157

nerlich anwahrscheinlicher, theils iiusserlich unverbürgter als die Torhergehende. Was die innere Un Wahrscheinlich- keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an sich zwar in allen , and somit auch in der ersten , liegt, doeh bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war- um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.)- Damit ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der Mensch, bemerkt er, kann als bewufstes Wesen nie blofs als Mittel behandelt werden , wie es hier der Fall wäre, wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten .woll- te 5 O* Hiedurch hat Olsuausen auf dankenswerthe Weise die Schwierigkeit dieser und jeder Todtenerweckung nicht gehoben, sondern ins Licht gestellt. Denn der Schiufs, da Ts, was an sich, oder nach geläuterten Begriffen, nicht erlaubt oder schicklich ist, von den Evangelisten Jesu nicht zugeschrieben werden könne, ist ein durchaus unerlaubter: vielmehr müfste, die Reinheit des Charakters Jesu voraus- gesetzt, wenn ihm die Evangelien etwas Unerlaubtes zu- schreiben , auf die Unrichtigkeit ihrer Erzählungen ge- schlossen werden. Dafs nun Jesus bei seinen Todtenerwe- ckungen darauf Köcksicht genommen hätte, ob sie den zu erweckenden Personen, vermöge des Seelenzustands , in welchem sie gestorben waren , zu Gute kommen oder nicht, davon finden wir keine Spur; dafs, wie Olshausen an- nimmt , bei den leiblich Erweckten auch die geistige Erwe- ckung habe eintreten sollen und eingetreten sei, wird nir- gends gesagt; überhaupt treten diese Erweckten, auch den Lazarus nicht ausgenommen , nach ihrer Erweckung durch- aas zurück ? weis wegen Woolston fragen konnte, warum

32) J, S. 276.

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158 Zweiter Abschnitt

«

doch Jesus gerade diese unbedeutenden Personen dem Tode entrissen habe, and nicht einen Täufer Johannes oder ei- nen andern allgemein nützlichen Mann? Wollte man sagen, er habe es als den Willen der Vorsehung erkannt, dafa diese Männer, einmal gestorben, im Tode blieben : so hätte er, scheint es, von allen einmal Gestorbenen so denken müssen, und es wird in letzter Beziehung keine andere Ant- wort Übrig bleiben , als diese : weil man von berühmten Männern urkundlich wufste, dafs die durch ihren Tod ent-

4

standene Lücke durch kein Wiederaufleben ausgefüllt wor- den war, so konnte die Sage, was sie von Todtenerwe- ckangen zu erzählen Lust hatte , nicht an solche Namen knüpfen, sondern mufste unbekannte Subjecte wählen, bei welchen jene Controle wegfiel.

Ist dieser Anstofs allen drei Erzählungen gemein, und tritt bei der zweiten nur eines zufälligen Ausdrucks we- gen sichtbarer hervor: so ist dagegen die dritte Erzählung voll von ganz eigenthilmlichen Schwierigkeiten, indem das ganze Benehmen Jesu und zum Theil auch der übrigen Personen nicht wohl zu begreifen ist. Wie Jesus die Nachricht von der Krankheit des Lazarus und die darin enthaltene Bitte der Schwestern, nach Bethanien zu kom- men, erhält, bleibt er noch zwei Tage an Ort und Stelle, und setzt sich erst, nachdem er seines Todes gewifs gewor- den , nach Judäa in Bewegung. Warum diefs ? Dafs es nicht geschah, weil er etwa die Krankheit für ungefährlich gehalten hätte, ist oben gezeigt, da er vielmehr den Tod des Lazarus voraussah. Dafs es ebensowenig Gleichgültig- keit gegen diesen war, wird vom Evangelisten (V. 5.) aus- drücklich bemerkt. Was also sonst? Lücke vermuthet, Jesus sei vielleicht eben in einer besonders gesegneten Wirk- samkeit in Peräa begriffen gewesen , welche er um des La- zarus willen nicht sogleich habe abbrechen wollen , indem er flir Pflicht gehalten habe, seinem höheren Beruf als Lehrer den geringeren als heilender Wunderthäter nnd

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Neuntes Kapitel. S- 99. 159

helfender Freund nachzusetzen ")» Allein neben dem, dafs er hier ganz wohl das Eine than und das Andre nicht las- sen konnte, nämlich entweder einige Jünger zur Fortse- tzung seiner Wirksamkeit in jener Gegend zurücklassen, oder den Lazarus, sei es durch einen Jünger, oder durch die Macht seines Willens in die Ferne, heilen, schweigt ja nnser Referent völlig über eine solche Veranlassung des Jüngeren Verweilens Jesu, es darf sich also diese Ansicht von demselben nur dann erst, und zwar als blofse Ver- muthung, hören lassen, wenn vom Evangelisten kein an- derer Grund von Jesu Verweilen angedeutet ist. Dieser liegt aber, worauf auch Olshadsen aufmerksam macht, ganz offen in der Erklärung Jesu V. 15. , defswegen sei es ihm lieb , dafs er bei Lazarus Tode nicht gegenwärtig gewesen sei, weil für den Zweck, den Glauben der Jün- ger zu starken, die Wiederbelebung des Gestorbenen wirk- samer sein werde, als die Heilung des nur erst Kranken hatte sein können. Absichtlich also hatte Jesus den La- zarus erst sterben lassen , um durch seine wunderbare Er- % weckuug sich um so mehr Glauben zu verschaffen. Das- selbe im Ganzen fassen Tholuck und Olshausen nur zu mo- ralisch, wenn sie von einer pädagogischen Absicht Jesu reden , den Seelenzustand der Bethanischen Familie Und seiner Jünger zu vollenden 3m), da es doch nach Ausdru- cken , wie ha do^uaOfj 6 viog t. 9. (V. 4.), vielmehr mes- sianisch um Verbreitung und Befestigung des Glaubens an Jesum als Gottessohn , zunächst freilich in jenem engsten Kreise, zu thun war. Hier ruft zwar Lücke: nimmer- mehr ! so willkührlich und eigensinnig hat der Helfer in der Noth, der edelste Menschenfreund, nie gehandelt3*), und auch de Wette macht darauf aufmerksam, dafs Jesus)

33) Comm. 2, S. 3767

54) Tholuck, S. 202. Olshausih, 2, S. 260.

55) a. a. O.

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Zweiier Abschnitt.

sonst niemals seine Wunder absichtlich herbeigeführt oder vergrößert habe 3<). Allein wenn beide hieraus schliefsen, es müsse also Jesum irgend etwas Äusseres, ein anderwei- tiges Berufsgeschäft , abgehalten haben : so ist diefs im Obigen schon als dem ßericht zuwiderlaufend erwiesen; so dafs, wenn jene Männer mit Recht darauf beharren, der wirkliche Jesus habe so nicht handeln können , das aber nur mit Unrecht läugnen, dafs der Verfasser des vierten Evangeliums seinen Jesus so handeln lasse, nichts Ande- res übrig bleibt , als aus dieser Incongruenz des jolian flei- schen Christus und des denkbar wirklichen mit den Pro- babilien 3r) auf den unhistorischen Charakter der johan- neischen Erzählung En schliefsen»

Auch das angebliche Benehmen der Jünger V. 12 f.- mufs befremden. Wenn ihnen Jesus doch , sofern jeden- falls ihre drei Koryphäen dabei gegenwärtig gewesen wa- ren, schon den Tod der Jairustochter als einen biofsen Schlaf dargestellt hatte: wie konnten sie dann, wenn er <, nun von Lazarus sagte : xExoifiqrat, und igunviaa* uuiov, an einen natürlichen Schlaf denken? Aus einem gesunden Schlafe weckt man doch wohl einen Patienten nicht, und so mufste den Jüngern alsbald einfallen, dafs hier vielmehr in dem Sinne, wie bei jenem Mädchen , von einer xoij.it]Oig die Rede sei. Dafs statt dessen die Jünger das tiefer Ge- meinte so oberflächlich verstehen, das ist ja ganz nur die Lieblingsmanier des vierten Evangelisten , die wir schon an einer Reihe von Beispielen kennen gelernt haben. Es war ihm traditionell der Sprachgebrauch Jesu au Ohren gekommen, den Tod nur als einen Schlaf zu bezeichnen, und alsbald ergab sich in seiner, zu dergleichen Antithe- sen geneigten Phantasie für diese Bilderrede ein entspre- chendes Miüsverständnifs.

56) AmlachUbuch, J, S. 292 f. 17) S. 59 f. 79.

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, Nenntet Kapitel. $.99. 1C1

Wae die Joden V. 37. sagen, ist, die Wahrheit der synoptischen Todtenerwecknngen vorausgesetzt, schwer be- greiflich. Die Jnden berufen sich auf die Heilung des Blindgeborenen (Job. 9.), und machen den Schlufs, dafs derjenige, weicher diesem cum Gesicht verhol fen , wohl auch im Stande gewesen sein mflfste, den Tod des Laza- rus au verhindern. Wie verfallen sie auf dieses heterogene und unzureichende Beispiel, wenn ihnen doch in den bei« den Todtenerwecknngen gleichartigere vorlagen, und sol- che, welche selbst noch für den Fall des bereits erfolgten Todes Hoffnung zu geben geeignet waren? Vorangegangen waren aber jene galiläischen Todtenerwecknngen dieser judäischen in jedem Fall, weil Jesus nach dieser nicht mehr nach Galiläa kam; auch konnten jene Vorgänge in der Hauptstadt nicht unbekannt geblieben sein, zumal et ja von beiden ausdrücklich heifst, das Gerficht von densel- ben habe sich elg oXyv %ftv ytjv heiny, iv o?.tj tft Vedalq xal iv naorj %f\ nsQtxo)Q([) verbreitet. Den wirklichen Juden also hatten diese Fälle näher gelegen : da der vierte Evan- gelist sie auf etwas weit weniger Naheliegendes sich be- rufen läfst, so wird wahrscheinlich, dafs er von jenen Vorgängen nichts gewufst hat; denn dafs die Berufung nur ihm, nicht den Juden selber angehört, zeigt sich schon darin, dafs er sie gerade auf diejenige Heilung sich bezie- hen Jäfst, welche er nächstzuvor erzählt hatte.

Ein starker Anstofs liegt auch in dem Gebete, weichet V. 41 f. Jesu in den Mund gelegt wird. Nachdem er dem Vater für die Erhörung gedankt, setzt er hinzu, er f ür sich wisse wohl, dafs der Vater ihn jederzeit erhöre, und nur um des Volkes willen, um ihm Glauben an seine göttliche Sendung beizubringen, spreche er diesen besonderen Dank aus. Zuerst also giebt er seiner Rede eine Beziehung auf Gott, hinterher aber setzt er diese Beziehung zu einer nur um des Volks willen gemachten herunter. Und diefs nicht nur so, wie Lückr will, dafs Jesus für sich zwarblof*

Das Lehn Mm 2te Aufl. //. Band. 1 1

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162 Zweiter Abschnitt.

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still gebetet haben würde, um des Volks willen aber sein Gebet laut spreche (denn für das biufs stille Beten liegt in der Gewifsheit der Erhörung kein Grund), sondern in dem Sinne, dafs er für sich dem Vater nicht für einen einzelnen Erfolg, wie gleichsam überrascht. tu danken brauche, da er der Gewährung im Voraus gewii's sei, also Wunsch und Dank zusammenfallen, überhaupt sein Verhältnifs zum Vater nicht in einseinen Acten der Bitte, der Erhörung und des Dankes sich bewege, sondern ein beständiger uud stetiger Austausch dieser gegenseitigen Functionen sei, aus wel- chem an und für sich kein einzelner Dankact in dieser Weise sich aussondern würde. Wenn nun allerdings in Bezug auf die Bedürfnisse des Volks und aus Sympathie, mit demselben in Jesu ein solcher einzelner Act hervorge- treten sein könnte: so müfste doch, wenn iu dieser Stel- lung Wahrheit gewesen sein soll, Jesus ganz im Mitgefühl aufgegangen sein, den Standpuukt des Volks zu dem sei- nigen gemacht, und so in jenem Augenblicke doch auch aus eigenem Trieb und für sich selber gebetet haben, iiier aber hat er kaum zu beten angefangen, so steigt ihm schon die Reflexion auf, dafs er nicht in eigenem Bedürfnisse bete, er betet also nicht aus lebendigem Gefühl, sondern aus kalter Accommodation, uud diefs mufs man anstöfsig, ja widrig finden. In keinem Falle darf, wer auf diese Wel- se nur zur Erbauung Anderer betet, es diesen sagen, es geschehe nicht von seinem , sondern nur von ihrem Stand- punkt aus , weil ein lautes Gebet auf die Hörer nur dann Eindruck machen kann, wenn sie voraussetzen, dafs der Spre* eilende mit ganzer Seele dabei sei. Wie mochte also Je« aus sein angefangenes Gebet durch diesen Zusatz unwirk- sam machen? Drängte es ihn, vor Gott ein Bekenntnifs des wahren Bestands der Sache abzulegen, so konnte er diefs im Stillen thun; dafs er es laut aussprach, und in Folge dessen auch wir es hier lesen, diefs könnte nur auf die spätere Christenheit, auf die Leser des Evangeliums,

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Neuntes Kapitel. 5. 99. 1«$

berechnet gewesen sein. Während nämlich cur Erweckung des Glaubens in der umstehenden Menge erklärtermafsen das Dankgebet nöthig war, konnte der fortgeschrittene Glaube, wie ihn das vierte Evangelium voraussetzt, sich an demselben stossen, weil es aus einem zu untergeordneten, und namentlich zu wenig stetigen Verhältnis des Sohns zum Vater hervorgegangen scheinen konnte; es mufste folg- lich jenes Gebet, das für die gegenwärtigen Hörer nöthig war, für die späteren Leser wieder annullirt, oder auf den Werth einer blofsen Accommodation restringirt werden. Diese Rücksicht aber kann unmöglich schon Jesus, sondern nur ein später lebender Christ gehabt haben. Diels hat schon früher ein Kritiker gefühlt, und daher den 42. Vers als unächten Zusatz von späterer Hand aus dem Texte wer- fen wollen 38). Da jedoch dieses Unheil von allen äusseren Gründen verlassen ist , so müfste man , wenn jene Worte doch nicht von Jesu sein können, annehmen, wozu Lück* früher nicht ganz ungeneigt war 3y), der Evangelist habe Jesu jene Worte nur geliehen, um die in V. 41. vorange- gangenen zu erläutern. Ganz gewifs haben wir hier Wor- te, die Jesu vom Evangelisten nur geliehen sind: aber, wenn einmal diese, wer steht uns dann auch hier dafür, dafs es nur mit diesen sich so verhält ? In einem Evange- lium, in welchem wir schon so viele Reden als blofs gelie- hene erkannt haben, im Zusammenhang einer Erzählung, welche an allen Enden historische Uudenkbarkeiton hat, ist die Schwierigkeit eines einzelnen Verses nicht ein Zei- chen, dafs er nicht cum Übrigen, sondern in Verbindung mit dem Übrigen davon, dafs das Ganze nicht in die Klas- se historischer Compositionen gehört 4°).

38) MEFFSitBACH, über einige wahrscheinliche Interpolationen im Evangelium Johannis, in Bbrtholdt's krit. Journal, 5, S. 8 f.

39) Comm. x. Joh. lte Aufl. 2, S. 310.

40) So auch der Verf. der Frobabilien S. 61.

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Zweiter Abschnitt.

Wm fürs Andere die Abstufung zwischen den drei Erzählungen in Rücksicht auf die finstere Beglaubigung be- trifft, so hat schon Woolston richtig beobachtet, wie auf- fallend es sei, dafs nur die Erweckung der Jairustöchter, in welcher das Wunderbare am wenigsten hervortrete, bei drei Evangelisten vorkomme, die beiden andern aber je nur bei Einem 4l), and zwar, indem es bei der Erweckung des Lazarus noch weit weniger begreiflich ist, wie sie bei den übrigen fehlen kann, als bei der Erweckung des naini- tischen Jünglings, so ist auch hier ein vollständiger Kli- max vorhanden«

Dafs die zuletzt genannte Begebenheit nur allein vom Verfasser des Lukasevangeliums erzählt ist, dafs insbeson- dere Matthaus und Markus sie nicht neben oder statt der Erzählung von dem erweckten Mädchen haben, macht in mehr als Einer Hinsicht Schwierigkeit 4:)- Schon über- haupt als Todtenerweckung, sollte man glauben , da deren nach unsern Berichten nur wenige vorgekommen waren, und diese von ausgezeichneter Beweiskraft sind, es müfste die Evangelisten nicht verdrossen haben, neben der einen auch noch die zweite aufzunehmen , da es ja Matthäus für der Mühe werth gehalten hat, z. B. von Blindenheilungen drei Proben zu berichten, welche doch weit weniger tie- wicht hatten, wo er also weit eher mit Einer hätte ab- kommen , und statt der übrigen noch eine oder die ande- re Todtenerweckung aufnehmen können. Gesetzt aber auch, die zwei ersten Evangelisten wollten aus einem nicht mehr zu ermittelnden Grunde nicht weiter als Eine Todtener- weckungsgoschichte geben, so sollten sie, mufs man mei- nen, weit eher die vom Jüngling zu Nain, sofern sie von derselben wufsten, ausgewählt haben, als die von der Jai- rustöchter, weil sie, wie oben ausgeführt, eine entschiede-

4!) Dise. 5.

42) Vgl. SdosisaKACBSK, Uber den Lukas, S. 105 ff.

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H«Mntei Kapitel. §. 99.

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nere and auffallendere Todtenerweckung war. Geben sie dessen ungeachtet nur die letztere, so kann von der andern wenigstens Matthäus nichts gewufst haben ; dem Markus freilich lag sie wahrscheinlich im Lukas vor, aber er war schon 3, 7. oder 20. von Lukas 6, 12. (17.) *u Matthäus 12, 15. übergesprungen, and kehrt erst 4,35.(21 ff.) zu LukasS,22. (16 ff.) zurück 4 ' ), wo er dann die Erweck ung des JGnglings (Luc. 7, 1 1 ff) bereits hinter sieb hat. Die nunmehr entstehen* de zweite Frage: wie kann die Wiederbelebung des Jüng- lings, wenn sie wirklich Torgegangen war, dem Verfasser des ersten Evangeliums unbekannt gebliebon sein? hat, auch abgesehen von dem voraussetzen apostolischen Ur- sprung dieses Evangeliums, doch nicht geringere Schwie- rigkeiten als die vorige. Waren doch ausser vielem Vol- ke auch na üruä ixcevoi dabei; der Ort Nain kann, wie Josephus seine Lage im Verhältnifs zum Thabor bestimmt, nicht fern von dem gewöhnlichen galilllischen Schauplatze der Thätigkeit Jesu gewesen sein 44) $ endlich verbreitete sich ja das Gerücht von dem Ereignifs, wie natürlich , weit umher (V. 17.). Schleiermacher meint, die nichtapostoli- schen Verfasser der ersten Aufzeichnungen aus dem Le- ben Jesu haben weniger gewagt, die vielbeschäftigten Apo- stel am Notizen anzugehen, sondern mehr die Freunde Je* su zweiter Ordnung aufgesucht, und hiebei haben sie sich natürlich am meisten an diejenigen Orte gewendet, wo sie die reichste Ernte hoffen konnten, nach Kapernaum und Jerusalem: was sich, wie die in Rede stehende Todtener* weckung , an andern Orten zugetragen , das habe nicht sc* leicht Gemeingut werden können. Allein diese Vorstellung der Sache ist theiis zu subjectiv, indem sie die Verbreitung der Kunde von Jesu Thaten durch Machfrage einzelner* Liebhaber und Anekdotensammler gehen l&Tst , theiis , was

43) Sauhiib, über die Quellen des Marius, S. 6b ff.

44) vgl. Wik**, bibl. Uealw. d. A.

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Zweiter Abschnitt.

damit zusammenhä ngt , liegt von dergleichen Geschichten die irrige Ansicht zum Gründe, als wären sie an den Plätzen , wo sie vorgegangen, wie träge Klumpen zu Boden gefallen, desselben Orts als todte Schätze verwahrt, und nur denen, die «ich an Ort und Stelle bemühten, vorgezeigt worden : statt dafs dieselben vielmehr von dem Orte , wo sie sich begeben oder gebildet haben , lebendig auffliegen, allenthalben umherschweifen , und nicht selten das Band, das sie mit; dem Ort ihrer Entstehung verknüpft, ganz zer- reissen , wie wir an unzähligen wahren oder erdichteten Geschichten täglich sehen, welche als an den verschieden* sten Orten vorgefallen dargestellt werden. Hat sich ein- mal eine solche Erzählung gebildet, so ist sie die Substanz, die angebliche Localität das Accidens, keineswegs, wie Schle i- e&machrr es wendet, der Ort die Substanz, an welche die Er- zählung als Accidens gebunden wäre. Läfst es sich dem- nach nicht wohl denken, wie eine Begebenheit dieser Art, wenn sie wirklich vorgefallen war, ausser der allgemei- nen Uberlieferung bleiben , und daher dem Verfasser des ersten Evangeliums unbekannt sein konnte : so ergiebt sich aus der Thatsache, dafs er nichts von derselben weifs, ein Schlufs gegen ihr wirkliches Vorgefallensein.

Doch mit ungleich schwererem Gewichte fällt dieser Zweifelsgrund auf die Erzählung des vierten Evangeliums von der Auferweckung des Lazarus. Wufsten die Verfas- ser oder Sammler der drei ersten Evangelien von dieser , so konnten sie aus mehr als Einem Grunde nicht umhin, sio in ihre Schriften aufzunehmen. Denn erstlich ist sie unter sämmtlichen von Jesu vollbrachten Todtenerweckungen , ja unter seinen sämmtlichen Wundern überhaupt dasjenige, dem der Charakter des Wunderbaren am unverkennbarsten aufgeprägt ist , und welches daher , wenn es gelingt, einen von seiner historischen Realität zu überzeugen, eine vor- züglich starke Beweiskraft hat 4'); wefs wegen die Evan-

45) Man erinnere sich der bekannten Äusserung von Simor*.

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Neuntes Kapitel. §.99.

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gelisten , sie mochten schon eine oder swei andere Todten- erweckungen erzählt haben, doch nicht Überflüssig Anden konnten , auch diese noch hinzuzufügen. Zweitens aber griff sie, laut der johanneischen Darstellung, entscheidend in die Entwickelung des Schicksals Jesu ein, indem nach 11, 47 ff. der vermehrte Zulauf zu Jesu und das grofse Aufsehen, was die Wiederbelebung des Lazarus herbeige- führt hatte, das Synedrium zu jener Beratschlagung ror- anlafste, bei welcher der blutige Rath des Kaiphas gege- ben wurde und Hingang fand. Diese doppelte, dogmatische sowohl als pragmatische Wichtigkeit des Ereignisses mufste die Synoptiker nöthigen , es zu erzählen , wie sie davon wußten, lndefs die Theologen haben allerlei Gründe aus« ti tidig gemacht, warum jene Evangelisten, auch wenn ih- nen die Sache bekannt war, doch nichts von derselben sol- len haben erzählen mögen. Die einen waren der Meinung, cur Zeit der Abfassung der drei ersten Evangelien sei die Geschichte noch in aller Munde, mithin ihre Aufzeichnung tiberflüssig gewesen 4 6) ; Andre vermutheten umgekehrt, man habe das weitere Bekanntwerden derselben verhüten wollen, am dem noch lebenden Lazarus, welcher nach Joh. 12, 10. wegen des an ihm geschehenen Wunders von den jüdischen Hierareben verfolgt wurde , oder seiner Familie, keine Ge- fahr zu bereiten, was in der spateren Zeit, als Johannes sein Evangelium schrieb , nicht mehr zu befürchten gewe- sen sei 47). Zwar heben sich nun diese beiden Gründe auf s Schönste gegenseitig auf, und sind auch jeder für ■ich kaum einer ernsthaften Widerlegung werth : doch sollen, weil ähnliche Ausflüchte auch sonst noch öfter als man glauben möchte, angewendet werden, einige Gegenbemer- kungen nicht gespart sein. Die Behauptung , als in ihrem

46) Whitbt, Annot. s. d. St.

47) So Cirotius , Hkkdkk ; auch Olshadsvc bekennt sich vermu- Ihungsweisc zu dieser Ansicht, 2, S. 256 f. Anmcrk.

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Zweiter Abschnitt.

Kreise allgemein bekannt sei die Wiederbelebung des La- sars» von den Synoptikern nicht aufgezeichnet worden, beweist an viel, indem auf diese Weise gerade die Haupt- punkte im Leben Jesu , seine Taufe im Jordan , sein Tod und seine Auferstehung, hätten unbeschrieben bleiben inüs* aen. Es dient aber eine solche Schrift, die, wie unsre Evangelien , in einer religiösen Gemeinde entsteht, keines- wegs blofs dazu , Unbekanntes bekannt zu machen , son- dern auch das bereits Bekannte festzuhalten. Gegen die andre Erklärung Ist schon von Andern bemerkt worden, das Bekanntwerden dieser Geschichte unter Niohtpaltfsti- nensern, für welche Markus und Lukas schrieben, habe dem Lasarus nichts schaden können ; aber auch der Ver- fasser des ersten Evangeliums, falls er in und für Palästina geschrieben, würde wohl schwerlich aus Rücksicht auf La- sarus , welcher, ohne Zweifel Christ geworden, wenn er auch im unwahrscheinlichen Fall zur Zeit der Abfassung des ersten Evangeliums noch gelebt haben sollte, so wenig als seine Familie sich weigern durfte, nm des Namens Christi willen au leiden , ein F actum verschwiegen haben, in welohem sich dessen Herrlichkeit so besonders geoffen- bart hatte. Die gefährlichste Zeit für Lazarus war nach Jüh. 12, 10. die gleich nach seiner Wiederbelebung, und schwerlich konnte eine so spät kommende Erzählung diese Gefahr erhöhen oder erneuern ; überhaupt mufste in der Ge- gend von Bethanien und Jerusalem, von woher dem La- zarus die Gefahr drohte, der Vorgang so bekannt sein und im Andenken bleiben, dafs durch Aufzeichnung desselben nie hu su verderben war

48) s. diese Argumente zerstreut bei Paulus und Lucks s. d. Absch. ; bei Gable* in der angef. Abhandl. S. 238 ff. und >f Ahl, L. J. §. 119. Einen neuen Grund, warum namentlich Matthäus von der Auferweckung des Lazarus schweige, bat U*u»«.Mvsica (über die UazuUisigkeit der mythischen Ava?«!«

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Kapitel, f. 09.

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Bleibt ee also, dafs die Synoptiker von der Auferwe- ckung des Lazarus, TOD welcher aie niohts erzählen , auch nichts gewufst haben können , so entsteht auch hier die zweite Frage, wie diefs Nichtwissen möglich war? Die mysteriöse Antwort Hask's , der Grund dieser Auslassung sei in den gemeinsamen Verhaltnissen verborgen, unter welchen die Synoptiker überhaupt von allen früheren Vor- fällen in Judäa schweigen , Itifst wenigstens dem Aus« druck nach ungewifs, ob damit zu Ungunsten des vierten Evangeliums oder der übrigen entschieden sein soll. Ge- rade dieses Beste an der ÜASE'schen Antwort hat die neue- ste Kritik des Matthäusevangeliums etwas zufahrend ver- dorben, indem sie jene gemeinsamen Verhältnisse eiligst dahin bestimmte, dafs durch die Unbekanntschaft mit einer Geschichte, die einem Apostel habe bekannt sein müssen, die Synoptiker sich sämmtlich als Nichtapostel beurkun- den 49). Durch diese Verzichtleistung auf den aposto- lischen Ursprung des ersten Evangeliums wird sein und der andern Nichtwissen um den Vorgang mit Lazarus noch, keineswegs erklärlich. Denn bei der Merkwürdigkeit des Facturus , da es ferner im Mittelpunkte des jüdischen Lan- des vorgefallen war, grofses Aufsehen erregt hatte, und die Apostel als Augenzeugen zugegen gewesen waren: ist gar nicht einzusehen, wie es nicht in die allgemeine Uber- lieferung, und aus ihr in die synoptischen Evangelien hätte kommen sollen. Man berief sich darauf, dafs diesen £van-

sung , 2te s Stück , S. 42.) susgedacht. Der Evangelist habe, sie übergangen , weil sie mit einer Zartheit und Lebendig« keit des Gefühls dargestellt und behandelt sein wolle, zu welcher er sich nicht fähig gefühlt habe. Daher habe der bescheidene Mann sich lieber gar nicht an die Geschichte wagen wollen, als sie in seiner Erzählung an rührender Kraft und Erhabenheit verlieren lassen. Welche eitle Besehet« denheit diess gewesen wäre! 49) ScMASdUMsvatSA; über den Urspr. S. 10»

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170 Zweiter Abschnitt.

gelten galilftlsche Sagen, d. h. mündliche Erzählungen und schriftliche Aufsätze der galiläischen Freunde und Beglei- ter Jesu «um Grunde liegen ; diese seien bei der Auferwe- ckung des Lazarus nicht zugegen gewesen, und haben sie also nicht in ihre Denkwürdigkeiten aufgenommen; die Verfasser der ersten Evangelien aber, indem sie sich streng an diese galiläischen Nachrichten hielten , haben die Bege- benheit gleichfalls Übergangen *°). Allein so scharf Itffst sioh die Scheidewand zwischen Galiläischem und Judäi- achem nicht ziehen, dafs der Ruf eines Ereignisses wie die Auferweckung des Lazarus nicht auch nach Galiläa hätte hinübertönen müssen; war es auch nicht in einer Festzeit vorgefallen, wo (wie J0h 4, 45.) viele Gaiiläer Augen- zeugen sein konnten, so waren doch die Jünger , gröfsern- thetls Gaiiläer, dabei (V. 16.), and mufsten, sobald sie nach Jesu Auferstehung wieder nach Galiläa kamen , das Factum überall auch in dieser Provinz aasbreiten ; oder vielmehr mufsten schon vorher, an dem letzten von Jesu besuchten Paschafeste, die festbesuchenden Gaiiläer die stadtkundige Begebenheit erfahren haben. Daher findet auch Lücke diese GABLEn'sche Erklärung ungenügend ; wenn er aber seinerseits das Räthel durch die Bemerkung lösen will, dafs die ursprüngliche evangelische Überlieferung, welcher die Synoptiker gefolgt seien, die Leidensgeschichte wenig pragmatisch , also auch ohne Rücksicht auf diese Begebenheit, als das geheime Motiv des Mordbefehls ge- gen Jesdra, dargestellt habe, und erst der in die innere Geschichte des Synedriums eingeweihte Johannes im Stande gewesen sei, diese Ergänzung zu geben 5l): so könnte zwar hiemit der eine Grund entkräftet zu sein scheinen, der die Synoptiker nöthigen mufste , jene Begebenheit auf- zunehmen, der nämlich, welcher von ihrer pragmatischen

50) Gablkii, a. a. O. S. 240 f.

51) Comm. z. Job. 2; S. 402.

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Neuntes Kapitel. §. W. .171

Wichtigkeit hergenommen Set ; wenn aber hineufresetzt wird, als Wunder an sieh und ohne jene näheren Umstände be- trachtet, habe sie sich leicht anter den übrigen W underer- . sahlungen verlieren können , von welchen wir in den drei ersten Evangelien eine cum Theil zufällige Auswahl ha- ben : so erscheint die synoptische Wunderauswahi eben nur. dann als eine zufällige, wenn man, was hier erst bewie- sen werden soll, schon voraussetzt, dafs die jo hanneischen Wunder historisch seien, und ist sie nicht bis cum Ver- atandlosen zufällig , so kann sie ein solches Wander nicht verloren haben ,

Diese und ähnliche Erwägungen sind ea wohl gewe- sen, welche einen der neuesten Sprecher in der Streitsa- che des ersten Evangeliums su einer Rüge der Einseitig -

52) Darf ich mich auch auf eine erst zu druckende Schrift bezic- hen , so werden wir in den ScHiKisiuiuCHzn'schen Vorlesun- gen über das Leben Jesu zur Erklärung des fraglichen Still- schweigens darauf verwiesen werden, das* die synoptischen Evangelien überhaupt das Verhältniss Jesu zur Bethanischen Familie ignoriren, weil vielleicht die Apostel eine vertraute persönliche Verbindung dieser Art nicht in die allgemeine Tradition haben übergehen lassen wollen, aus welcher jene Evangelisten schöpften: mit dem Verhältnisse Jesu zu dieser Familie überhaupt sei nun auch dieses einzelne auf sie sich beziehende Factum unbekannt geblieben. Allein was sollte die Apostel zu einem solchen Zurückhalten bewogen haben ? sollen wir denn an geheime > oder mit Vkxtukiüi an zarte Verbindungen denken ? sollte hei Jesu nicht auch ein sol- ches Frivatverhältniss des Erbaulichen viel gehabt haben? Wirklich enthalten ja die Proben, welche uns Johannes und Lukas von dem Verhältnisse Jesu zu der bezeichneten Fami- lie geben, dessen viel, und aus der Erzählung des Letzteren von dem Besuch Jesu bei Martha und Maria sehen wir zu- gleich , dass auch die apostolische Verkündigung keineswegs abgeneigt war, etwas von jenem Verhaltnisse sehen zu lassen, sofern es allgemeines Interesse gewahren konnte. In dieser

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m ZweiUr Abichuit t.

keit veranlafsten , mit welcher man die obige Frage immer nur zum Nachtheil der Synoptiker and namentlich dea Matthäus beantwortet habe , ohne daran bu denken , dafe ebenso nahe eine dem vierten Evangelium gefährliche Ant- wort liege n), and auch uns schrecken Lückk's Bannstrah- len, welcher auch in der neuen Ausgabe demjenigen, der aus dem Schweigen der Synoptiker auf Erdichtung dieser Erzählung und Unächtheit des johanneischen Evangeliums achliefst, eine A krisle sonder Gleichen und gänzlichen Man* gel an Einsicht in das Verhaltnifs ansrer Evangelien zu einander (wie es nämlich die geistliche Sicherheit der Theo- logen, auch durch die cum Theii treffenden Winke der Proba- bilien nicht aufgerüttelt, noch immer festhält) vorwirft, nicht so sehr, am uns von der bestimmten Erklärung tu- rückzuhalten, dafs wir die Erweckungsgeschichte des La- ssan» für die wie innerlich an wahrscheinlichste, so fiusser- lich am wenigsten beglaubigte halten, and auch diesen Ab- schnitt in Verbindung mit den bisher beleuchteten als Kenn- zeichen der Unächtheit des vierten Evangeliums betrachten.

Sind auf diese Weise alle drei evangelische Todtener- weckungsgeschichten durch negative Gründe mehr oder minder eweifelhaft gemacht, so fehlt jetit nur noch der po- sitive Nachweis, dafs leicht auch ohne historischen Grund die Sage, Jesus habe Todte erweckt, sich bilden konnte. Vom Messias wurde bei seiner Ankunft nach rabbini- schen ") wie nach N. I \ liehen Stellen (c. ß. Job. 5, SS f.

Hinsicht ragte nun aber die Auferweckung des Lazarus als eminentes Wunder ohne Vergleichung weiter als jener Be- such mit seinem fafc "her das PriTstrerhaltniss Je- su sur Bethanischen Familie hinaus : das rorausgesetzte Stre- ben , dieses geheim xu halten , konnte der Verbreitung yoä jener nicht in den Weg treten.

53) K***, über den Ursprung des Eving. Matth, Tttbing. Zeit- schrift, 1834, 2, S. 110.

54) Bsstmoldt, Chrütol. Jud. $. 33.

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Neuntes Kapitel. $. 99.

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6, 40. 44. 1 Kor. 15. 1 These. 4, 16.) die Auferweckung der Todten erwartet. Nun war aber die nanuala de» Mea- •ias Jesus In der Ansicht der ersten Gemeinde durch sei- nen Tod in Ewei Stücke gebrochen: in seine erste vorbe- reitende Anwesenheit, welche mit seiner menschlichen Ge- burt begann und mit der Auferstehung nnd Himmelfahrt schloß, und in die «weite, noch eu erwartende, Ankunft in den Wolken des Himmels , um den aio)v ftiUcov wirk- lich eu eröffnen* Da es der ersten Parusie Jesu an der von einem Messias erwarteten Herrlichkeit gefehlt hatte, so wurden die großartigen Betätigungen messianischer Macht, wie namentlich die allgemeine Todtenerweckung, in die e weite, noch bevorstehende, Parusie verlegt. Doch mufste, Eum Unterpfande für das eu Erwartende, auch schon durch die erste Anwesenheit die Herrlichkeit der zweiten in einzelnen Proben hindurchgeschimmert, Jesus seinen Beruf, einst alle Todte eu erwecken, schon bei sei- ner ersten Ankunft durch Erweckung einiger Todten be- urkundet haben; er mußte, um seine Messianität gefragt, unter den Kriterien derselben auch das vbxqoI fytiqonai (Matth. 11,5.) haben aufführen und seinen Aposteln dieselbe Vollmacht ertheilen können (Matth. 10, 8. Tgl. A. G. V, 40. 20, 10.), namentlich aber als genaues Vorspiel davon, dafs •inst ndvreg oi iv toig urrjutotg dxioovrai u~g qwrg cvtö xui ixnoqehCovxai (Joh. Ä, 28 f.), einem xioaaqag r^iqag Vty ixorci i> t(/j ftiTjttiti» qwfi fteydlfl das dtvQO t;o> eu- gerufen haben (Joh. 11, 17. 43 ). Für die Entstehung de- taillirter Erzählungen von einzelnen Todtenerweckungen lagen überdiefs im A. T. die geeignetsten Vorbilder. Die Propheten Elias (1 Kon. 17, 17 ff.) und Elisa (3 Kon. 4, 18 ff.) hatten Todte erweckt, und darauf berufen sich jüdische Schriften als auf ein Vorbild der messianlschen Zeit lf> Object ihrer Todtenerweckungen war bei beiden

55) s. die Band 1, S. 73. angeführte Stelle aui Tanchuma.

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174' Zweiter Abschnitt.

ein Kind, nur ein Knabe, wie in der den Synoptikern ge- meinsamen Ereählung ein Mädchen ; beide erweckten es, wie Jesu* die Jairustochter , noch auf dem Bette; beide so, dafs sie sich allein in die Todtenkammer begaben, wie Jesus dort Alle ausser wenigen Vertrauten hinauswies; nur braucht wie billig der Messias die mühsamen Mani- pulationen nicht vorzunehmen, durch welche die Prophe- ten su ihrem Zwecke eu gelangen suchen. Elia im Beson- der n erweckte den Sohn einer Wittwe, wie Jesus eu Main that; er begegnete der Sareptanischen Wittwe (aber vordem Tod ihres Sohnes) am Thor, wie Jesus mit der Nainitiachen (nach ihres Sohnes Tod) unter dem Stadtthor Eusammentraf ; endlich wird mit denselben Worten beidemale gemeldet, wie der Wunderthäter den Sohn der Mutter Eurückgegcben ha- be '*). Selbst ein bereits in s Grab Gelegter, wie Lazarus, wurde durch Elisa erweckt (2 Kon. 13, 21.), nur dafs da- mals der Prophet längst todt war, und die ßerührung sei- ner Gebeine den Eufallig darauf geworfenen Leichnam be- lebte; Ewischen den EU?or angeführten A. T.lichen Tod- tener weck un gen aber und der des Lazarus besteht darin eine Ähnlichkeit, dafs Jesus, während er bei den beiden an- dern geradezu gebietend auftritt, bei dieser eu Gott betet, wie Elisa und namentlich Elia gethan hatte. Während nun Paulus auch auf diese A. T.lichen Eraählungen seine an den evangelisches vollzogene natürliche Erklärung ausdehnt: haben weitersehende Theologen längst bemerkt, dafs die N. T.lichen Todtenerweckungen nichts Anderes als Mythen seien, entstanden aus der Neigung der ältesten Christenge- meinde, ihren Messias dem Vorbilde der Propheten und dem messianischen Ideale gemäfs eu machen S7)>

56) 1 Kön. 17, 23. LXX: «ot H*>*ev avro t$ mtq\ *vtS. Luc. 7, 16 : *«♦ < Stojtev vvtov xa ft$r$ «vr*.

57) So der Verf. der Abhandlung über die verschiedenen Rücksich- ten, in welchen der Biograph Jesu arbeiten kann, in Bsa-

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Neuntes Kapitel. §. 1ÜO. 175

$• 100.

Secanekdotcn.

Wie überhaupt, wenigstens nach der Darstellung der drei ersten Evangelisten, die Umgegend des galilüischen Sees Hauptschauplatz der Thutigkeit Jesu war: so steht auch eine ziemliche Anzahl seiner Wunder mit dem See in unmittelbarer Beziehung. Eines von dieser Gattung, der item Petrus bescheerte wunderbare Fischzug, hat sich uns bereits zur Betrachtung dargeboten ; Übrig sind nun noch die wunderbare Stillung des Sturms, der, während Jesus bchlief, auf dem See entstanden war, bei den drei Synop- tikern; das Wandeln Jesu auf dem See, gleichfalls wah- rend eines Sturms, bei Matthäus, Markus und Johannes,

tu oi. di "s krit. Journal, 5, S. 257 f. j Kaiszr, hihi. Theol. 1, S. 202. Eine der Erweckung des Jünglings zu ISain aullal- lend ähnliche Todtcaerwcckung weiss Pkilostratus von sei_ nem Apollonius zu erzählen: „Wie es nach Lukas ein Jüng- ling, der einzige Sohn einer Wittwe, war, der schon vor die Stadt hinausgetragen wurde: so ist es bei Philostratus ein erwachsenes , schon dem Bräutigam verlobtes Mädchen, dessen Bahre Apollonius hegegnet. Der Befehl, die Bahra niederzusetzen, die blosse Berührung und wenige ausgespro- chene Worte reichen iiier wie dort hin, den Xodten wieder zum Lehen zu bringen" (Bau*, Apollonius y. Tyana und Christus, S. 145.)* Ich möchte wissen, ob vielleicht Paulus oder wer sonst Lust hätte, auch diese Erzählung natürlich zu erklären; wenn man sie aher, wie man wohl nicht um- hin kann, alt Machbildung dar evangelischen fassen muss: so gehört schon eine vorgetasste Meinung von dem Charak- ter der N. T.lichen Bücher dazu, um der Consequenz aus* zuweichen, dass ebenso die in ihnen sich findenden Todten* erweckungen nur minder absichtlich entstandene iSachbildun* gen jener A. T.lichen seien, welche selbst aus dem Glauben des Altcrthums an die den Tod bezwingende Kraft gottge- liehtcr Männer (Herkules, Xsculap), und näher aus den jü- dischen Begrilien von einem Propheten abzuleiten sind.

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176 Zweiter Abschnitt.

die Zusammenfassung der meisten dieser Momente, welche der Anhang des vierten Evangeliums in Hie Zeit nach der Auferstehung verlegt; endlich der von Petras zu erangeln- de Stater bei Matthäus.

Die zuerst genannte Erzählung (Matth. S, 23 ff. paralf.) will uns ihrer eigenen Schlußformel Bufolge Jesom als denjenigen darstellen, welchem oi arf//ot xal r; öalaooa vnaxBöOiv. Es wird also, wenn wir den bisherigen Wun- derklimax verfolgen , hier nicht blofs vorausgesetet , dafs Jesus auf den menschlichen Geist und durch diesen auf den Körper psychologisch, oder auf den vom Geist verlassenen menschlichen Organismus neu belebend, auch nicht blofs, wie in der früher erwogenen Fischzngsgeschichte, dafs er auf die vernunftlose aber lebendige Natur, sondern, dafs er selbst auf die leblose unmittelbar bestimmend habe einwirken können. Durch ein richtiges Bewofstsein davon, wie eine solche Gewalt Uber die äussere Natur mit der Bestimmung Jesu für die, Menschheit und ihre Erlösung an sich nicht zusammenhänge , ist Olshausen auf den Ver- such geführt worden, das Naturereignifa , welchem Jesus hier Einhalt thnt, in eine Beziehung cur Sünde, und da* mit zum Berufe Jesu zu setzen. Die Stürme sind ihm die Krämpfe und Zuckungen der Natur, und als solche Fol- gen der Sünde , welche in ihrer furchtbaren Wirksamkeit auch die physische Seite des Daseins zerrüttet hat Al- lein nur eine Naturbeobachtnng, welche über dem Einzel- nen das Allgemeine vergifst, kann Stürme, Gewitter u. dgl. Er- scheinungen, die im Zusammenhang des Ganzen ihre notwen- dige Steile und wohlthätige Wirkung haben, als Übel und Ab- normitäten betrachten, und eine Weltansicht, welche im Ern- ste der Meinung ist, vor und ohne den Sündenfall würde ee keine Stürme und Gewitter , wie andrerseits keine Gift- pflanzen und reissende Thiere, gegeben haben, streift

1) bibl. Comm. I, S. 287.

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Nennte« Kapitel* $* 100. 177

man welfs nicht, soll man sagen, an das Schwärmerische oder an das Kindische. Woait aber, wenn sich die Sache auf diese Weise nicht fassen lafst, bei Jesu eine solche Macht Über die Natur? Als Mittel, ihm Glauben cu erwe- cken, war sie unzureichend und überflüssig ; denn eineeine Gläubige fand Jesus auch ohne diese Art von Macht bew ei- sen , und allgemeinen Anhang verschafften ihm auch diese nicht. Als Bild der ursprünglichen Herrschaft des Men- schen Uber die äussere Natur, zu deren Wiedererlangung er bestimmt ist, kann sie ebensowenig betrachtet werden, denn der Werth dieser Herrschaft besteht eben darin , dafs sie eine vermittelte, durch das fortgesetzte Nachdenken und die vereinigte Anstrengung von Jahrhunderten der Natur abgerungene , nicht aber eine unmittelbare , magische ist, welche nur ein Wort kostet. So ist in Bezug auf den Theii der Natur, von welchem hier die Rede ist, der Kompafs, das Dampfschiff, eine ungleich wahrere Verwirk- lichung der Herrschaft des Menschen Über dieselbe , als die Beschwichtigung des Meeres durch ein blufses Wort gewesen wäre. Die Sache hat aber noch eine andere Sei- te, indem die Herrschaft des Menschen über die Natur nicht blofs eine in sie eingreifende , praktische, sondern auch eine immanente oder theoretische ist , vermöge wel- cher der Mensch, auch wo er aosserlich der Macht des Elementes unterliegt, doch innerlich nicht von derselben besiegt wird, sondern in der Überzeugung, dafs die Na- turgewalt nur das Natürliche an ihm zu zerstören vermö- ge, sich in der Selbstgewifsheit des Geistes über den mög- lichen Untergang seiner Natürlichkeit emporhebt. Diese geistige Macht, sagt man, bewies Jesus, indem er mitten im Sturme ruhig schlief, und, von den zagenden Jüngern aufgeweckt, ihnen Muth einsprach. Da jedoch, wenn Muth bewiesen werden soll, wirkliche Gefahr vorhanden sein mufs , für Jesura aber, sofern er sich als die unmit- telbare Macht über die Natur wufste , eine solche gar nicht Das Lehen Jesu 2t e Aufl. II Band. 12

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Zweiter Abschnitt.

vorhanden war: so hÄtte er auch von dieser theoretischen Macht keine wahre Probe hier abgelegt.

In beiden Hinsichten hat die natürliche Erklärung in der evangelischen Erzählung nur das Denkbare und Wün- schenswerthe Jesu zugeschrieben finden wollen, nämlich einerseits verständige Beobachtung des Gangs der Witte- rung, andererseits hohen Muth bei wirklicher Gefahr des Untergangs. Das Luxtuyv zoTg avifiioig soll nur in einem Sprechen über den Sturm, in einigen Ausrufungen Ober seine Heftigkeit, das Stillegebieten in der auf Beobachtung gewisser Zeichen gegründeten Voraussage bestanden haben, dafs der Sturm sich nun wohl bald legen werde , und der Zuspruch an die Jünger soll, wie jener bekannte von Ca- sar , nur aus dem Vertrauen hervorgegangen sein , dafs ein Mann, auf welchen in der Weltgeschichte gerechnet sei, nicht so leicht durch Zufälle aus seiner Bahn herausge- worfen werde. Dafs hierauf die im Schiffe Befindlichen die Stillung des Stnrms als Wirkung der Worte Jesu angese- hen haben, beweise nichts , da ja Jesus ihre Deutung nir- gends billige -> Doch auch mifsbilligt hat er sie nicht, nneraehtet er den Eindruck wohl bemerken mufste, wel- chen von der bezeichneten Ansicht aus der Erfolg auf die Leute gemacht hatte; er müfste also absichtlich, wie Vkn- turivi wirklich annimmt, ihre hohe Meinung von seiner Wundermacht nicht haben stören wollen , um sie desto fester an sich bu knüpfen. Noch ganz abgesehen hie von aber, wie sollte die natürlichen Vorzeichen von dem Ende des Sturmes Jesus, der nie einen Beruf auf dem See ge- habt hatte, besser verstanden haben, als ein Petrus, Ja- kobus , Johannes , welche von Jugend an auf demselben einheimisch waren 3)? Endlich, wie konnte, wenn Mat-

2) so Paulus, exeg. Handb. 1, b, S. 468 ff. Venturiki, 2, S. 166 ff. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 197. Auch Hass, $. 74, findet diese Ansicht möglich.

3) Hais, a. t. O.

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Nenntei Kapitel. $.100. 179

thäns, zwar damals noch nicht in der Gesellschaft Jesu, doch ohne Zweifel Ton den übrigen Jüngern als Augen- zeugen den Hergang vernommen hat, von diesen dem blos- sen Rasonniren Jesu über das Wetter der Sinn eines im- gegeben werden?

Es bleibt also dabei: so, wie die Evangelisten uns den Vorgang erzählen, müssen wir in demselben ein Won- der erkennen ; dieses nnn aber vom exegetischen Ergeb- nis zum wirklichen Factum zu erheben, fallt nach dem oben Ausgeführten äusserst schwer , woraus gegen den hi- storischen Charakter der Erzählung ein Verdacht erwächst. Näher jedoch läfst sich, den Matthäus eum Grunde gelegt, gegen die Erzählung bis zur Mitte von V. 26. nichts ein« wenden, sondern Jesus könnte bei seinen öfteren Fahrten auf dem galiläischen See wirklich einmal geschlafen haben, als ein Sturm ausbrach, die Jünger könnten ihn mit Schre- cken erweckt, er aber ruhig und gefafst das : ti dedoi ige, oXiyomgoi; zu ihnen gesprochen haben. Was dann wei- ter folgt, das tTziTiufjv zfj ÖaXdoorj, welches Markus wie- der mit seiner bekannten Vorliebe für solche Machtworte mit den angeblich eigenen Ausdrücken Jesu nach griechi- scher Ubersetzung {oiuma, neylfitoool') wiedergiebt, der Erfolg und der Eindruck , könnte in der Sage hinzugefügt worden sein. Dafs ein solches imzifi^v tfi daXaooji Jesu angedichtet werden konnte, dazu lag die Veranlassung im A. T. Hier wird in poetischen Darstellungen des Durch- gangs der Israeliten durch das rothe Meer Jehova als der- jenige bezeichnet , welcher ineri^ae zfi (qv$q$ &aXaooji (Ps. 106, 9. LXX. vgl. Nahum 1, 4.), dafs sie zurückwei- chen sollte. Da nun das Werkzeug dieser Zurückweisung des rothen Meers Moses gewesen war (2 Mos. 14, 16. 21.), so lag es nahe, seinem grofsen Nachfolger, dem Messias, eine ähnliche Function zuzuschreiben, wie denn wirklich nach rabbinischen Stellen in der messianischen Zeit ein ähnliches Austrocknen des Meeres, von Gott ohne Ztr ei- lst *

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190 Zweiter Abschnitt.

fei durch den Messiaa bewirkt , erwartet wurde , wie einst Moses eines herbeigeführt hatte 4). Dafs Jesu hier statt des Aiistrocknens nur ein Stillen des Meers ange- schrieben wird, erklärt sich, wenn man den Sturm und die dabei von Jesu bewiesene Fassung historisch nimmt, eben aus dem Anknüpfen des Mythischen an diese ge- schichtliche Grundlage, wo ein Austrocknen des Sees, da sie ja au Schiffe waren , nicht an der Stelle gewesen wäre.

Immerhin indefs ist es ohne sicheres Beispiel, und auch an sich unwahrscheinlich , dafs auf den Stamm eines wirklichen Vorfalls ein mythischer Zusatz in der Art ge- pfropft worden wäre , dafs jener völlig unverändert blieb. Und Ein Zug ist schon in jenem bisher als historich vor- ausgesetzten Stücke, welcher, näher angesehen, sich doch eher dafür giebt, in der Sage gedichtet, als wirklich so vorgefallen bu sein. Dafs nämlich Jesus vor dein Aus- bruche des Sturmes einschlief, und auch als er ausbrach, nicht sogleich erwachte, das war nicht seine That , son- dern Zufall; eben dieser Zufall aber ist es, welcher der ganzen Scene erst ihre volle Bedeutung giebt; denn der im Sturme schlafende Jesus ist durch den Constrast , wel- cher darin liegt, ein nicht minder sinnvolles Bild, als der nach so vielen Stürmen im Schlaf an der heimischen Insel landende Odysseus. Dafs nun Jesus wirklich bei m Aus- bruch eines Sturms geschlafen , kann zwar von Ungefähr in Einem Falle unter zehn geschehen sein: auch in den neun Fällen aber, wo es nicht geschehen war, sondern Je- sus nur überhaupt im Sturme gefafst und muthig sich zeig- te, würde, glaube ich, die Sage ihren Vortheil so weit ver- standen haben , dafs sie den Contrast der Seelenruhe Jesu mit dem Toben der Elemente, wie er sich für den Ge- danken in den Worten Jesu ausdrückte, so für die An- schauung in das Bild des im Schiffe (oder wie Markus

4) s. Bind I, S. 73, Aam^rk.

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Nennte* Kapitel. $. 100. 161

malt auf einem Kissen im Hintertheil des Schiffs) schla- fenden Jesus zusammenfaßte. Wenn so, was in Einom Falle vielleicht sich wirklich ereignet hat , in neun Fallen von der Sage producirt werden mufste: so ist doch wohl wahrscheinlicher, dafs wir hier einen dieser neun, als dafs wir jenen Einen Fall vor uns haben. Bliebe auf die- se Weise als historische Grundlage nichts mehr übrig, als dafs Jesus im Gegensätze zu tobenden Meereswellen den Glaubensmuth seiner Jünger in Anspruch genommen , so mufs er diefs nicht gerade mitten in einem Seesturm oder Überhaupt cur See gethan haben, sondern, so gut er bild- lich sagen konnte : wenn ihr Glauben habt nur eines Senf- korns grofs, so seid ihr im Stande, zu diesem Berge zu sprechen : hebe dich weg und wirf dich in's Meer (Matth. 21, 21.), oder zu diesem Baume: entwurzle dich und pflan- ze dich in den Meeresgrund (Luc. 17, 6.), und beides mit Erfolg (xui vnr^xsoev'av x\u7v, Luc): so konnte auch, sei es er sich des Bildes bedienen , oder die Sage es ihm nach- bildend leihen , dafs demjenigen, der Glauben habe , Wind und Wellen auf das Wort gehorsam seien (Z%i xal rotg art.fiOig inndoaei xal u~> vdcai , xal VTiaxilaoiv avro) (Luc). Bringen wir nun noch in Rechnung, was auch Olshaüskk bemerkt, und Schneckenburgkr belegt hat 6), dafs der Kampf des Gottesreichs mit der Welt in der ersten christ- lichen Zeit gerne mit einer Fahrt durch einen stürmischen Ücean verglichen wurde: so sieht man, wie leicht die Sa- ge dazu kommen konnte , aus der Parallele mit Moses, aus Äusserungen Jesu , und aus der Vorstellung von ihm als demjenigen , welcher das Schifflein des Gottesreichs durch die empörten Wogen des xuauug sicher hindurchsteuert, eine solche Erzählung zusammenzusetzen. Oder, abgese- hen hie von, die Sache nur allgemein vom Begriff eine« .

5) vgl. Sautuer, über die Quellen des Markus, S. 82.

6) über den Ursprung u. s. f. S. 6S f.

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182 Zweiter Abschnitt

Wunderthäters au» betrachtet , findet man e. B. auch ei- nem Pythagoras ähnliche Macht über Sturm und Unwetter Bugeschrieben 7).

Verwickeiter als diese erste ist die andere See-Anek- dote , welche dem Lukas fehlt, dagegen aber neben Matth. 14, ff. und Marc, ti, 45 ff sich auch bei Jo- hannes, 6, IG ff., findet, wo der Sturm die in der Nacht allein sehiffenden Jünger überfallt, und sofort Jesus, über den See daherwandeind, zu ihrer Rettung erscheint« Wäh- rend auch hier mit Jesu Eintritt in das Schiff wunderba- rer Weise der Sturm sich legt , bildet doch den eigentli- chen Knoten der Eraählung diefs , dafs in derselben der Leib Jesu von einem Gesetze, weiches sonst ausnahmslos alle menschlichen Leiber in seinen Banden halt, von dem Gesetz der Schwere, so sehr ausgenommen erscheint, dafs er im Wasser nicht nur nicht unter-, sondern selbst nicht einsinkt , vielmehr über die Weilen wie Über festen Boden eich emporhait. Da inöfste man sich den Leib Jesu in ir- gend einer Art als einen ätherischen Scheinkörper denken, wie die Doketen thaten, eine Vorstellung, welche, wie von den Kirchenvätern als eine irreligiöse , so von uns als eine abenteuerliche eurückgewiesen werden mufs. Zwar sagt Olshauskn, an einer höheren Leiblichkeit, geschwän- gert mit Kräften einer höheren Welt, dürfe eine solche Erscheinung nicht befremden8): doch das sind Worte, mit welchen sich kein bestimmter Gedanke verbindet. Wenn man die den Leib verklärende und vollendende Thätigkeit des Geistes Jesu, statt sie als eine solche eu fassen, weiche

7) Nach Jamblich, vits Pyth. 155, ed. Husum», wurden von Pythagoras erzahlt avkfiiat ßtahor ^aia(wK tc /Ja* tue rta^ayrttta xai tvvtjvt »; nat uvfidttav norttpiur mal ÜaXaooCtür dneudtaapoi

7i fäc iv/uatf T«r half** 6toßao*r. Vgl. Porphyr. P. 29. der*. Ausg.

8) a. a. U. S. 491.

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Neuntes Kapitel. $. WO. 183

seinen Leib den psychischen Gesetzen der Lost und Sinn- lichkeit immer vollständiger entnahm, vielmehr so versteht, dafs derselbe durch sie den physischen Gesetzen der Schwe- re enthoben worden sei: so ist diefs ein Materialismus, von welchem, wie oben, schwer so entscheiden ist, ob man ihn mehr phantastisch nennen soll oder kindisch« Ein Jesus, der im Wasser nicht einsänke, w«re ein Gespenst, nnd die Jünger in unserer Erzählung hätten ihn nicht mit Un- recht dafür gehalten. Anch daran müssen wir uns erin- nern, dafs bei seiner* Taufe im Jordan Jesus diese Eigen- schaft nicht zeigte, sondern ordentlich wie ein anderer Mensch untertauchte. Hatte er nun auch damals schon die Fähigkeit, sich Uber der Wasserfläche eu halten, und wollte sie nur nicht gebrauchen ? und war es also ein Act seines Willens, sich schwer oder leicht zu machen? oder aber: wie Olshausen vielleicht sagen würde, war er zur Zeifc seiner Taufe im Procefs der Läuterung seines Körpers noch nicht so weit gekommen , dafs ihn das Wasser frei getra- gen hätte, sondern so weit hätte er es erst später gebracht? Fragen , die wir nur machen , um einen Blick in den Abgrund von Ungereimtheiten zu eröffnen, in welche man sich bei der supranaturalistischen Deutung dieser Erzäh- lung verwickelt.

Sie zu vermeiden, hat die natürliche Erklärung man- cherlei Wendungen genommen. Am kühnsten hat Paulus geradezu behauptet, es stehe gar nicht im Texte, dafs Je- sus auf dem Meere gegangen, das Wunder in dieser Stelle sei lediglich ein philologisches , indem das niQinaxHV inl %r4g &aldaat]g nur, wie 2 Mos. 14,2, das QQcnonidtveiv ml %rtg &alaoort$ ein Lagern, so ein Wandeln über dem Meere d. h. am erhabenen Ufer desselben , bedeute 9). Der Be- deutung der einzelnen Worte nach ist diese Erklärung mög-

9) Paulus, Memorabilicn , 6. Slück, No. V.; cieg. Handb. 2> S. 25« ff.

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184 Zweiter Abschnitt.

lieh: Ihre wirkliche Anwendbarkeit aber mute sich erst ans dem Zusammenhang ergeben. Dieser nun lfffst die Jün- ger 25—30 Stadien weit gefahren sein (Joh.) oder mitten im See sich befinden (Matth, u. Mark.)? und nun heifst es, Jesus sei anf sie zu-, und zwar so nahe, dafs er mit ih- nen sprechen konnte, an das Schiff herangekommen, ttcoi- naralv irä xrjg ^aldaa^g wie konnte er diefs, wenn er am Ufer blieb? Dieser Instanz auszuweichen, vermuthet Paulus, die Jünger seien in der stürmischen Nacht wohl nur am Ufer hingefahren : was dem iv ftloq> zf;g d-alda- or;gf wenn es auch allerding nicht mathematisch genau, sondern nach populärer Redeweise zu nehmen ist, eu ent- schieden widerspricht, um in weitere Rücksicht kommen su können. Tödtlich aber verletzt sich diese Auffassungs- weise an der Stelle, wo Matthäus auch von Petrus sagt, dafs er xataßag arzo tu rtloiu iceoiEndr^oav im rec vdatec (V. 29.)$ was, da unmittelbar darauf von xaTccnorti&o&at, die Rede ist , doch wohl kein Wandeln am Ufer sein kann, und wenn dieses nicht, dann auch nicht das wesentlich ebenso bezeichnete Wandeln Jesu lo).

Aber, wenn Petrus bei seinem TieomareTv inl td vdata zu sinken anfieng, könnte da nicht bei ihm sowohl als bei Jesus an ein Schwimmen auf dem See oder an ein Waten durch seine Untiefen zu denken sein? Beide Ansichten sind wirklich aufgestellt worden XI). Allein das Waten mfifote durch tt: turnst uv did r. 9. ausgedrückt, um das Schwimmen zu bezeichnen aber doch irgend einmal in den parallelen Stellen der uneigentliche Ausdruck mit dem ei- gentlichen vertauscht sein ; abgesehen davon, dafs 25 30 Stadien im Sturm zu schwimmen, oder bis gegen die Mitte

JO) Gegen die höchst gewaltsame Auskunft, welche hier Paulus

traf, ■. Storr, Üpusc. acad. 3, p. 288. Ii) Jon« von Boltsx, Bericht des Matthäus z. d. St., dieso

tiiAitg*! neuem Magazin, 6, 2, S. 327 ff.

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Neuntes KapiteL $.100. 195

des gewifs nicht so weit hinein seichten Sees zu waten, beides gleich unmöglich sein mufste, ferner ein Schwim- mender nicht leicht für ein Gespenst gehalten werden konn- te, und endlich die Bitte des Petrus um besondere Erlaub- nis, es Jesu nachzuthun, und dafs er wegen Mangels an Glauben es nicht vermochte, auf etwas übernatürliches hinweist ' :).

Oa Räsonnement, worauf auch hier die natürliche Ausle- gungsweise beruht, hat bei dieser Gelegenheit Paulus in einer Weise ausgesprochen, an welcher der «um Grunde liegende Irrthum besonders glücklich in die Augen fällt. Die Frage, sagt er, bleibe in solchen Füllen immer die, ob die Möglichkeit eines nicht ganz genauen Ausdrucks von Seiten der Schriftsteller, oder eine Abweichung vom Na- turlauf das Wahrscheinlichere sei? Man sieht, wie falsch das Dilemma gestellt ist, da es vielmehr nur heifsen sollte, ob es wahrscheinlicher sei, dafs der Verfasser sich unge- nau (vielmehr widersinnig) ausgedrückt, oder dafs er eine Abweichung vom Naturlauf habe erzählen wollen; denn nur von dem , was er geben will , ist zunächst die Rede : was wirklich zum Grund gelegen, das ist, selbst nach dem immerwährenden PAULüs'schen Reden von Unterscheidung des Urtheils vom Factum, eine ganz andere Frage. Dar- aus,, dafs unserer Ansicht zufolge eine Abweichung vom Naturlaufe nicht vorgekommen sein kann, folgt keineswegs, dafs ein Erzähler aus der christlichen Urzeit eine solche nicht annehmen und berichten konnte um a'80 dftS

Wunderbare aus dem Wege zu räumen , dürfen wir es nicht aus dem Bericht hinaus erklären , sondern das müssen wir versuchen , ob nicht der Bericht selbst ganz oder zum Theil aus dem Kreise des Geschichtlichen auszuschliefsen ist. Und in dieser Hinsicht hat nun zuvörderst jede unsrer

12) vgl. Paulus und Fritzachs x. d. St.

13) t. die trcfilkku StcUu bei ftuTSStti*, Cornau in Matth. p«505<

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18* Zweiter Abschnitt.

drei Relationen eigentümliche Züge, die in historischer Hinsicht verdächtig sind.

Am auffallendsten sticht ein solcher Zag bei Markus hervor, wenn er V. 48. von Jesu sagt, er sei auf dem Meer gegen die Jünger dahergekommen, xai ij freie naQelfciv cn;k', nur ihr angstvolles Rufen habe ihn vermocht, von ihnen Not»« eu nehmen. Mit Recht deutet Fritzsche diese Stelle so, dafs Markus dadurch anzeigen wolle, Jesus habe im Sinne gehabt, durch göttliche Kraft unterstätzt, über den ganzen See, wie Über festen Boden, hinüberzugehen« Aber mit eben so vielem Rechte fragt Paulus : hätte etwas zweck- loser , abenteuerlicher sein können , als ein so seltsames Wunder zu thun, ohne dafs es gesehen werden sollte? Nur dafs man defswegen nicht mit diesem Ausleger den Worten des Markus den natürlichen Sinn geben darf, als hätte Jesus die in der Nähe des Ufers Schiffenden zu Lande vorübergehen wollen, zumal die wunderhafte Deutung der Steile dem Geist unsres Schriftstellers vollkommen ange- messen ist. Nicht zufrieden mit der Darstellung seines Ge- währsmanns, dafs Jesus mit besondrer Rücksicht auf die Jünger diefsmal einen so ausserordentlichen Weg gemacht habe, giebt er durch jenen Zusatz der Sache die Wendung, als wäre Jesu ein solches Gehen auf dem Wasser so na- türlich und gewöhnlich gewesen , dafs er auch ohne Rück- sicht auf die Jünger, wo ihm ein Wasser im Wege lag, •eine Strafse über dasselbe so unbedenklich, wie über fe- stes Land, nahm. Dafs nun ein solches Gehen bei Jesu ha- bituell gewesen, diels würde am entschiedensten eine Ols- HAUSEN'schen Leibesverkiärung, mithin das Undenkbare, vor- aussetzen, wodurch sich dieser Zug als einer der stärk- sten von jenen zu erkennen giebt, durch welche das zweite Evangelium sich hin und wieder der apokryphischen Über- treibung nähert x4).

14) Des Markus Neigung zum Übertreiben zeigt sich auch in der

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Neuntel Kapitel. (. 100. 187

Auf andre Weite findet sich bei Matthäus da« Wun- derbare dea Vorgangs, nicht sowohl gesteigert, als verviel- fältigt, indem er ausser Jesu auch den Petrus einen, wie- wohl nicht ganz gut abgelaufenen, Versuch im Gehen auf dem Meeie machen laTst« Diesen Zug macht ausser dem Stillschweigen der beiden Correferenten auch seine eigne Natur verdächtig. Auf das Wort Jesu hin und durch sei- nen anfänglichen Glauben vermag Petras wirklich eine Zeit lang auf dem Wasser cu gehen , und erst als Furcht and Kleingläubigkeit ihn ergreift, fängt er unterzusinken an. Was sollen wir nun hievon denken? Vermochte Je- sus mittelst eines verklarten Leibes auf dem Wasser cu ge- hen: wie konnte er dem Petrus, der eines solchen Kör- pers sich nicht erfreute, zusprechen, ein Gleiches zu than? oder wenn er durch ein blofses Wort den Leib des Petras vom Gesetz der Schwere dispensiren konnte, ist er dann noch ein Mensch? und wenn ein Gott, wird dieser auf den Einfall eines Menschen hin so spielend Naturgesetze cessiren lassen ? oder endlich , soll der Glaube die Kraft haben, augenblicklich den Körper des Gläubigen leichter su machen? Der Glaube hat freilich eine solche Kraft, näm- lich in der kaum erwähnten bildlichen Rede Jesu, nach wel- cher der Gläubige Berge und Bäume in's Meer zu versetzen, and warum nicht auch selbst auf dem Meere zu wandeln? im Stande ist. Und dafs nun, sobald der Glaube weiche, auch das Gelingen aufhöre, diefs konnte in keinem der zwei er- steren Bilder so geschickt dargestellt werden, wie in dem letzten durch die Wendung : so lange einer Glauben habe, vermöge er ungefährdet auf dem wogenden Meere einher- z uschreiten, sobald er aber Zweifeln Raum gebe, sinke er

Schlusiformel , V. 51 (vgl. 7, 37): *a\ Ito* I* ntqwS h> iavrolf ifaarTo xa\ »»ai/patov, worin man doch nicht mit Paulus (2, S. 266.) eine Mißbilligung des unvcrhältnissmiu- tigea Erstauaens wird finden wollen.

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188 Zweiter Abschnitt.

unter, wenn nicht Christus helfend ihm die Hand reiche. Das also werden die Grundgedanken der von Matthäus ein- geschobenen Erzählung sein, dafs Petras auf die Festigkeit seines Glaubens su viel vertraut habe, durch das plötzliche Schwachwerden desselben in grofse Gefahr gekommen, aber durch Jesus gerettet worden sei; ein Gedanke, wel- cher sich Luc. 22, 31 f. wirklich ausgesprochen findet, wenn Jesus zu Simon sagt: 6 aaravag i^T7jaaro raag i5 omäoai dg zov aixov' iyd de idtqfyv n€Ql aS, iva f*q ixlelurj ?? nigig an. Diefs sagt Jesus dem Petrus mit Be- «ug auf seine bevorstehende Verlfiugnung: diese war der Fall , wo sein Glaube , kraft dessen er sich so eben noch erboten hatte, mit Jesu xal eig (pvlaxr.v xal etg durarov noQevea^aiy wankend wurde, wenn nicht der Herr durch seine Fürbitte ihm neue Starke verschafft hätte. Nehmen wir dazu die schon erwähnte Neigung der ersten christli- chen Zeit, die den Christen anfechtende Welt unter dem ßiide eines wilden Meeres darzustellen : so werden wir nicht umhin können, mit einem der neuesten Kritiker in dem sich muthig zum Gehen auf dem Meer anschickenden, bald jedoch kleininüthig untersinkenden, aber von Jesu emporgehaltenen Petrus eine in der Sage gebildete allego- risch-mythische Darstellung jener Glaubensprobe zu lin- den, welche der so stark sich dünken de Jünger so schwach bestanden, und nur durch höheren Beistand glücklich tiber- standen hat 1 *).

Doch auch der Relation des vierten Evangeliums fehlt es nicht an einigen eigentümlichen Zügen , die einen Uli- historischen Charakter verrathen. Von jeher hat es den Harmonisten Kreuz gemacht, dafs nach Matthäus und Mar- kus das Schiff erst ungefähr in der Mitte des Sees sich befand, als Jesus demselben begegnete: nach Johannes aber bald vollends das jenseitige Ufer erreicht gehabt haben soll \

15) ScasscKKMifEGSK, über den Ursprung u, s. f. S. 68 f.

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Neuntes Kapitel. §. 100. 169

dafs nach jenen Jesus wirklich noch in das Schiff stieg, und darauf der Sturm sich legte : nach Johannes dagegen die Jünger ihn zwar in das SchifF nehmen wollten, die wirkliche Aufnahme aber durch das sogleich erfoJgte An- landen überflüssig gemacht wurde. Zwar fand man auch hier Ausgleichungen in Menge: das zu laß&v gesetzte ifos- Xov sollte bald abundiren , bald, wie wenn es i&iloweg ilotßov hiefse, die freudige Aufnahme bezeichnen, bald nur den ersten Eindruck beschreiben, welchen das Erkennen Jesu auf die Jünger gemacht habe, wobei die später wirk- lich erfolgte Aufnahme in das Schiff verschwiegen sei1*). Doch zu einer solchen Deutung liegt der einzige Anlafs in der unbefugten Vergleichung der Synoptiker: in der Er- zählung des Johannes für sich liegt nicht nur kein Grund dafür, sondern ein entschiedener dagegen. Denn der hin- zugefügte Satz: evOttog %6 nloiov iyir&zo inl %Ttg yijg, eig i4v inijyov, wenn er auch nicht durch sondern durch y.cd angeknüpft ist, kann doch nur adversativ in dem Sinn genommen werden, dafses zur wirklichen Aufnahme Jesu in das Schiff unerachtet der Bereitwilligkeit der Jünger doch nicht gekommen sei, weil sie sich bereits am Ufer befunden haben. In ßetracht dieser Differenz hat Chrysostomus zwei verschiedene Ga'nge Jesu auf dem Meer angenommen, und wenn er sagt, bei dem zweiten Falle, den Johannes erzah- le, sei Jesus nicht in das Schiff gestiegen, ha %6 ituina (li^ov iQyaofjTcci 17 )i so werden wir diese Absicht auf den Evangelisten übertragend sagen , wenn Markus das Wunder dadurch vergrößert habe, dafs er Jesu die Ab- sicht, an den Jüngern vorbei über den ganzen See hinüber- zuwandeln, unterlegte: so gehe Johannes noch weiter, in- dem er ihn diese Ansicht wirklich ausführen, und ohne Aufnahme in das Schiff bis an das jenseitige Ufer gelan-

16) s. bei Lücns und Tholuck.

17) Homil. in Jotnn. 43.

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190 Zweiter Abschnitt.

gen laste. Dech nicht nur zu vergrößern, sondern auch fester zu begründen nnd zu constatiren hat der vierte Evan- gelist das vorliegende Wunder gesucht. Nach den Syn- optikern sind die einzigen Gewährsmänner desselben die Jünger, welche Jesuin auf dem Meere daherschreiten sa- hen: Johannes fügt zu diesen wenigen unmittelbaren Ge- währsmännern eine Masse von mittelbaren hinzu, näm- lich das Volk, das bei der Speisung versammelt gewesen war. Dieses nämlich, wie es am anHern Morgen Jesum nicht mehr an Ort und Steile findet, berechnet nach ihm, 1) zu Schiff könne Jesus nicht über den See gekommen sein, denn ä) das Fahrzeug der Jünger habe er nicht mitbestie- gen (V. 22.), b) ein anderes Fahrzeug sei nicht dagewesen (ebenda«.); dafs er aber 2) auch nicht zu Land hinüber- gekommen sei, ist darin enthalten, dafs das Volk, als es sofort über den See fährt, ihn bereits am jenseitigen Ufer findet (V. 25.), wohin er zu Lande in der kurzen Zwi- schenzeit schwerlich gelangen konnte. So bleibt in der Darstellung des vierten Evangeliums, indem alle natürlichen Wege des Hinüberkommens Jesu abgeschnitten werden, nur ein übernatürlicher übrig, und diese Folgerung ist von der Menge in der verwunderten Frage wirklich gezogen, welche sie an Jesum, als sie ihn am jenseitigen Ufer fin- det, macht : nozs aide yiyovccg ; Da diese ganze Conrrole des wunderbaren Ubergangs Jesu an der schnellen Überfahrt der Menge hängt: so beeilt sich der Evangelist, zum Be- huf von dieser äXXa nlotdnia herbeizuschaffen (V. 23.). Nun ist die überfahrende Menge (V. 22. 20 ff.) als dieje- nige bezeichnet, welche Jesus wunderbar gespeist hatte, and diese belief sich (nach V. 10.) auf 5000 Menschen. Wenn von diesen auch nur {, ja nur /o hinüberfuhr, so bedurfte es hiezu, nach der richtigen Bemerkung der Pro* babilien, einer ganzen Flotte von Schiffen, namentlich wenn man an Fischernachen denkt ; nimmt man aber Frachtschiffe an, so werden diese nicht gerade alle die Richtung nach

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Nenntet Kapitel. §. 100. 191

Knpernaum gehabt, oder dem Begehren des Volks Enlieb ihre ursprüngliche Richtung abgeändert haben. Es scheint also diese ganze Volksiiberfahrt nur gemacht zu sein18), theils um das Wandeln Jesu auf dem Meer durch eine Controle zu bestätigen, theils, wie wir später noch sehen .werden, um Jesu in, welcher der Uberlieferung zufolge un- mittelbar nach der Speisung an das andre Ufer des Sees sich begeben hatte, noch mit dem Volk über die Speisung reden lassen zu können.

Nach Uinwegnahme dieser, den einzelnen Erzählungen eigentümlichen Auswüchse des Wunderhaften bleibt im* mer noch der Stamm des Wunders, dafs nämlich Jesus eine bedeutende Strecke weit auf dem Meer gewandelt ha* be, mit aller oben auseinandergesetzten Un Wahrscheinlich- keit eines solchen Factum» zurück. Doch hat uns die Auflösung jener Nebenzüge , indem wir die Anlässe ihrer unhistorischen Entstehung entdeckten, die Auffindung sol- cher Anlässe auch für die Haupterzählung erleichtert, und damit die Auflösung auch dieser selbst möglich gemacht« Dafs die Gewalt Gottes und des mit ihm einigen mensch« liehen Geistes über die Natur von den Hebräern und er« sten Christen gerne unter dem Bilde einer Ubermacht über die tobenden Meeresweilen vorgestellt wurde, haben wir aus dem vorigen Beispiel gesehen. In der Erzählung des Exodus stellt sich diese Ubermacht so dar, dafs das Meer durch einen Wink aus seiner Stelle verjagt, und so dem Volke Gottes ein trockener Weg durch seinen Grund geöff- net wurde; in der zuvor betrachteten N. T.lichen Erzäh- lung so, dafs das Meer an seiner Stelle blieb, and nur so weit zur Ruhe gewiesen wurde, dafs Jesus und seine Jün- ger zu Schiffe gefahrlos Über dasselbe hinübergelangen konn- ten : in der jetzt vorliegenden Anekdote wird aus der zwei- ten der Zug beibehalten, dafs das Meer an seiner Melle

18) Britschkiidih, Frobabil. S. 81.

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192 Zweiter Abschnitt '

bleibt, sogleich jedoch ans der ersten der herbeigeholt, dafs co Fufs, nicht zu Schiffe, hinübergewandelt wird, doch, mit Rücksicht aof den andern Zog, nicht dorch seinen ürond, sondern über seine Oberfläche. Dafs sich aof sol- che Weise die Anschauung der Ubermacht des Wunder* t Hüters über Wasserwogen fortbildete, dazu Ififst sich theiis im A. T., theiis in den Meinungen des Zeitalters Jesji noch nähere Veranlassung finden. Unter den Wondern des Elisa wird neben dem, dafs er mittelst seines Mantels den Jordan getheilt, und so trockenen Fufses habe hin- durchgehen können (2 Kön. 2, 14.), auch das erzählt, dafs er ein in s Wasser gefallenes Eisen schwimmend gemacht habe (2 Kon. 6, 6.) : eine Ubermacht über das Gesetz der Schwere, welche der Wunderthäter wohl auch am eigenen Leibe geltend machen, und so, wie es Hiob 9, 8. LXX. von Jehova heifst, als nzQincnwv dg iri iddepug im öaldooqg sich darstellen konnte. Von Wonderthätern, die aof dem Wasser gehen konnten, wufste man sich am die Zeit Jesu Vieles eo erzählen. Abgesehen von eigen thümlich griechi- schen Vorstellungen19), so schrieb die orientalisch - grie- chische Sage dem Hyperboreer Abaris einen Pfeil zu, auf welchem er über Flüsse, Meere und Abgründe schwe- bend setzte :o)5 der gemeine Volksglaube lieh manchen Thaumaturgen die Fähigkeit, auf dem Wasser zu gehen :r): und es erscheint so die Möglichkeit, dafs sich aus allen diesen Elementen und Veranlassungen eine gleiche Sage auch über Jesum bilden konnte, ungleich gröfser, als die eines wirklichen Vorgangs dieser Art , womit unsre Rechnung geschlossen ist.

Mit den bisher betrachteten Seeanekdoten hat die Job. 21. erzählte favtquaig Jesu im %rtg &akdooqg %fjg TifteQid-

19) s. die Stellen bei Witstiix, p. 417 f.

20) Jimblich, vitt Pythagortc 156, vgl. Porphyr. 29.

21) Lucisn. Fhilopseudet, 13.

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Neuntes Kapitel. §.100. 1U$

Sog so auffallende Ähnlichkeit, dafs wir, obwohl das vierte Evangelium den Vorfall in die Tage der Auferstehung Je- su verlegt, doch nicht umhin können, wie wir sie schon früher ihrem einen Theile nach mit der Erzählung vom Fischzug Petri in Verbindung brachten, so nun ihren an-» dem Bestandteil mit dem Wandeln Jesu und Petri auf ' dem Meer in Parallele zu setzen, Beidemale wird in dem noch nächtlichen Dunkel des Frühmorgens Jesus von den im Schilfe befindlichen Jüngern erblickt, nur dafs er bei dem spateren Falle nicht wie in dem früheren auf dem Meere geht, sondern am Ufer steht, und die Jünger nicht durch Sturm, sondern nur durch die Fruchtlosigkeit ihrer Fischerarbeit in Verlegenheit gesetzt sind. Beidemale furch- ten sie ihn : dort , weil sie ihn für ein Gespenst halten, hier wagt es keiner, zu fragen , wer er sei , ti dore g, oti 6 JCvQiog igtv. Im ßesondern aber findet die dem ersten Evangelium eigenthümliche Scene mit Petrus in der genann- ten Stelle des vierten ihre Parallele, Wie Petrus dort, als der über den See einherschreitende Jesus sich zu er- kennen giebt, ihn um die Erlaubnifs bittet, zu ihm über das Wasser hingehen zu dürfen : so wirft er sich hier, sobald der am Ufer stehende Jesus erkannt ist, in das Wasser, um auf dem kürzesten Wege schwimmend zu ihm su gelangen. Da auf diese Weise, was in jener früheren .Erzählung ein wunderbares Wandeln auf dem Meere war, in der vorliegenden in Bezug auf Jesum ein wunderloses Ste- hen am Ufer, in Bezug auf den Petrus aber ein natürli- ches Schwimmen ist , somit die letztere Geschichte fast wie eine rationalistische Paraphrase der erst eren lautet : so hat es nicht an solchen gefehlt, welche wenigstens von der pe- trinischen Anekdote im ersten Evangelium behaupteten , dafa sie eine traditionelle Umbildung des Zugs Joh. 21, 7. in'a Wunderhafte sei Diese Vcrmuthung auch auf das

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22) Schkeckimiurger, Uber den Urspr. S. 68, Das Leben Jesu ZteAuß. 11. Band. 13

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194 Zweiter Abschnitt.

Meerwandeln Jesu Auszudehnen, wird die jetzige Kritik dadurch abgehalten , dafs diesen Zng das als apostolisch vorausgesetzte vierte Evangelium selbst in der früheren Er- zählung hat; wogegen wir auf unserem Standpunkt es gar wohl möglich finden werden, dafs demselben vierten Evangelisten dieselbe Geschichte in zwiefacher Form zu Ohren gekommen , und von ihm an verschiedenen Orten seiner Erzählung einverleibt worden sei. Indessen, wenn beide Geschichten verglichen werden sollen, so dürfen wir nicht schon zum Voraus die eine, Joh. 21., als die ur- sprüngliche, die andere, Matth. 14. parall. , als die abge- leitete setzen, sondern müssen erst fragen , welche von bei- den sich eher zum Einen oder Andern eigne? Allerdings nun, wenn wir dem bewährten Kanon folgen, dafs die wunderhaftere Erzählung die spätere sei, so erscheint die von Joh. 21. in Bezug auf die Art, wie Jesus in die Mähe der Jünger, und Petrus zu ihm gelangt , als die ursprüng- liche. Aber auf s Engste hängt mit jenem Kanon der an- dre zusammen, dafs die einfachere Erzählung die frühere, die zusammengesetztere die spätere ist, wie das Conglome- rat später als die einfache Steinbildung: und nach die- sem Kanon wäre umgekehrt die Erzählung Joh. 21. die ab- geleitete, da in ihr die bezeichneten Züge noch mit dem wunderbaren Fischzug verflochten sind, während sie in der früheren Erzählung für sich ein Ganzes ausmachen. Allerdings zwar kann auch ein gröfseres Ganze in kleinere Stücke zerplittern: doch solchen Bruchstücken sehen die getrennten Erzählungen vom Fischzug und vom Wandeln auf dem Meere keineswegs ähnlich, welche vielmehr jede als wohlgeschlossenes Ganze sich verhalten. Aus dieser Ver- flechtung mit dem Wunder des Fischzugs, wozu noch kommt, dafs der ganze Vorgang um den auferstandenen Jesus, der an sich schon ein Wunder ist, sich dreht, wird nun auch erklärlich, wie, gegen die sonstige Regel, die oft bezeich- neten beiden Züge in der späteren Darstellung ihr Wun-

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derhaffes verlieren konnten, indem sie nämlich durch die Verbindung mit anderweitigem Wunderbaren zu blöken INebenzügen, zur- natürlichen Staffage, heruntergesetzt wur- den. Ist aber auf diese Weise die Erzählung Joh. 21. ei* ne durchaus abgeleitete, so ist sie in Bezug auf ihren hi« atorischen Werth bereits mit denjenigen Erzählungen he- urtheilt , welche ihre Grandlage bilden.

Sehen wir, ehe wir weiter gehen, auf die bisher durchlaufene (Reihe von Seeanekdoten zurück , so fin- den wir, daf8 zwar die eine äuss erste der andern durch- aus unähnlich ist, indem in der einen biofs von Fischen, in der andern biofs vom Sturm gehandelt wird: doch aber, je nachdem man sie aufstellt, hangt jede mit der folgenden durch einen gemeinsamen Zug zusammen. Die Erzählung von der Berufung der Menschennscher (Matth. 4, 18 ff. parall ) eröffnet die Reihe ; mit dieser hat die vom Fischzug des Petrus (Luc. 5, 1 ff.) die Gnome von Men- schennschern gemein , aber das Factum des Fischzugs ist ihr eigentümlich ; dieser letztere kehrt Joh. 21. wieder, wo noch das morgenliche Stehen Jesu am Ufer und das Hinüberschwimmen des Petrus dazukommt; diefs Stehen und Schwimmen erscheint Matth. 14, 22. ff. parall. als Ge- hen auf dem Meer, und zugleich ist ein Sturm und dessen Aufhören mit Jesu Eintritt in das Schiff hinzugefügt; Matth. 8, 23 ff. parall. endlich steht die Stillung des Sturms durch Jesu in für sich allein.

Entfernter von den bisher betrachteten Erzählungen steht die Geschichte Matth. 17,24 ff. Zwar findet sich auch hier wie bei einigen von jenen eine Anweisung Jesu an den Petrus zum Fischfang, welcher, wie zwar nicht aus- drücklich gesagt ist, doch vorausgesetzt werden mufs , der Erfolg entspricht: aber theils soll nur Ein Fisch, und zwar mit dem Angel, gefangen werden, theils ist die Hauptsache die, dafs in seinem Maule ein Geldstück gefunden werden soll, um damit die Tempelsteuer für Jesus und Petrus, um

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welche der letztere angegangen war, tu bezahlen. Diese Erzählung, wie sie zunächst sich giebt, hat eigeiithUmlirhe »Schwierigkeiten, welche Paulus gut auseinandersetzt, und auch Olshausen nicht in Abrede stellt. Wenn nämlich Fritzsche mit Recht bemerkt, zwei wunderbare Stücke seien in dieser Geschichte, das eine, dafs der Fisch einen Stater im Manie!« ehabt , das andere, dafs Jesus diefs vorher- gewufst haben solle: so erscheint theils jenes und damit auch dieses als abenteuerlich, theils das ganze Wunder als unnö- thig. Zwar, dafs Fische Metalle und Kostbarkeiten im Leibe gehabt haben, wird auch sonst erzählt :3)> und ist nicht unglaublich : dafs aber ein Fisch ein Geldstück im Maule haben und darin behalten sollte, während er zu- gleich nach dem Angel schnappt, das fand auch Dr. Schnap- pinger 24) unbegreiflich. Der Anlafs für Jesum aber, ein solches Wunder zu thun, konnte weder Geldmangel sein: denn wenn auch damals gerade kein Vorrath in der ge- meinsamen Kasse war, so befand sich doch Jesus in dem befreundeten Kapernaum , wo er auf natürlichem Weg zu dem nöthigen Geide gelangen konnte, man müfste denn mit Olshausen das Entlehnen durch Zusammenwerfen mit dem Betteln gegen das von Jesu zu beobachtende decorum divinum finden ; noch konnte Jesus nach so vielen Proben seiner Wunderkraft auch dieses Wunder noch nöthig fin- den, um den Petrus im Glauben an seine Messianität zu bestärken.

Defswegen ist es nicht zu verwundern , wenn ratio- nalistische Ausleger gesucht haben, eines Wunders, das auch Olshausen das schwierigste in der ganzen evangeli- schen Geschichte nennt, um jeden Preis sich zu entledigen : es kommt nur auf die Art an, wie sie diefs angegriffen haben. Der Nerv der natürlichen Erklärung des Factums

33) Die Beispiele 8. bei Wktstiin z. d. St.

24) Die heil. Schrift des n. Bundes I, 8. 514. 2tc Aufl.

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liegt darin , dafs man in der Anweisung Jesu das tvQro&tg nicht vom unmittelbaren Finden eines Staters im Fische, sondern von einem mittelbaren Erwerben dieses Geldbe- trags durch Verkauf des Erangelten versteht Dafs das angezeigte Wort auch diese Bedeutung haben kann, ist zu- zugeben, nur mufs , dafs es diese und nicht seine gewöhn- liche Bedeutung habe , im einzelnen Falle aus dem Zusam- menhang erhellen. Wenn es also in unsrem Fall hiefse : nimm den ersten besten Fisch , trage ihn auf den Markt, xaxtl evQqoeig $cn?}Qa9 so wäre jene Erklärung an der Stelle ; da statt dessen dem evQr.of tg vielmehr ein avol^ag 7o cdtta uviH vorhergeht , da also nicht ein Ort zum Ver- kaufen, sondern nur ein Ort am Fisch angegeben ist, bei dessen Eröffnung der Stnter erlangt werden sollte, so ksnii nur an ein unmittelbares Finden des Geldstücks in diesem Theiie des Fischs gedacht werden l6\ Wozu wäre auch das Offnen des Fischmauls ausdrücklich bemerkt, wenn nicht eben in demselben das Begehrte gefunden werden sollte? Paulus findet darin nur die Anweisung, den Fisch ungesäumt vom Angel zu lösen , um ihn lebendig zu erhalten und desto eher verkäuflich zu machen. Zu dem Befehl , das Maul des Fisches zu Öffnen» könnte allerdings , wenn sonst nichts dabei stände, die Herausnahme des Angels als Zweck und Erfolg hinzugedacht werden: da aber evQt'oeig ccaftna da- beisteht, so ist unverkennbar dieses als nächster Zweck des Maulöffnens bezeichnet. Das Gefühl , dafs , so lange von einem Aufthun des Maules am Fisch in der Stelle die Rede sei, auch der Stater als in demselben zu findender vorausgesetzt werde, beweg die rationalistischen Erklärer, das co//cf wo möglich auf ein anderes Subject als den Fisch jbii beziehen , und da war nur der Fischer, Petrus, übrige Da nun aber das zona durch das dabeistehende avtu an

25) Paulus, excg. Handb. 2, 502 ff. vgl. Hase, L. J. §. 111.

26) vgl. SroKR, im fc lu i sehen Magazin, 2, S. 68 0.

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198 Zweiter Abschnitt

den Fisch gebunden schien, so hat Dr. Paulus, den Vor- schlag eines Freundes, statt aivs , evQ^oetg geradezu ctv- öfrnraeit; zu lesen , mildernd oder tiberbietend, das stehen gelassene ctvxa von coftct getrennt, adverbialisch genommen, und Ubersetzt: da darfst dann nur deinen Mond aufthun, um den Fisch feilzubieten, so wirst du auf der Stelle (ctJtö) einen Stater f&r denselben ausbezahlt bekommen. Wie konnte aber, raufste man noch fragen , In dem fisohreichen Kaper- naum ein einziger Fisch so theuer bezahlt werden ? daher nahm'dinn Paulus das rov uvceßavra nQüirov l%Svv apov collect! v : nimm allemal den Fisch, der dir zuerst aufstöTst, und mache so fort, bis du eines Staters werth eran- gelt hast.

Werden wir durch die Reihe von Gewalf thfitigkeiten, welche zur natürlichen ErklÄrung dieser Erzählung nö- tliig sind, wieder zu derjenigen zurückgewiesen, welche hier ein Wander findet, und erscheint uns doch nach dem früher Bemerkten dieses Wunder als abenteuerlich und annöthig, mithin als unglaublich ; so bleibt nichts übrig, als auch hier ein sagenhaftes Element vorauszusetzen. Diefs hat man so versucht , dafs man ein wirkliches aber natürliches Factum als zum Grunde liegend annahm, dafs nämlich Jesuseinmal den Petrus angewiesen habe, solan- ge zu fischen , bis die Tempelsteuer erangeit wäre, woraus dann die Sage entstanden sei, der Fisch habe die Steuer- pia nze im Maule gehabt 27). Diesen immer ungenügenden Mittelweg zwischen natürlicher und mythischer Erklärung zu vermeiden, denken wir uns lieber als Veranlassung die- ser Anekdote das vielbenützte Thema von einem Fischfang des Petrus auf der einen , und die bekannten Erzählungen von Kostbarkeiten, die im Leibe von Fischen gefunden worden, auf der andern Seite. Petrus war, wie wir aus Matth. 4, Luc. 5, Joh. 21. wissen, in der evangelischen

27) Uaisir, bibl. Theo!. 1, S. 200. vgl. Hase, «. t. 0.

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Sage der Fischer, welchem Jesus in verschiedenen Formen, zunächst symbolisch, dann eigentlich, den reichen Fang bescheert hatte. Das Werthvolle des Fangs tritt nun hier als GeldmUnze heraus, welche, wie dergleichen Dinge sonst im Bauche von Fischen, so durch eine Steigerung des Wunders gleich im Maule des Fisches gefunden werden sollte. Dafs es gerade der zur TeropeUteuer erforderliche Stater ist, könnte durch eine wirkliche Äusserung Jesu über sein Verhaltnifs zu dieser Abgabe, welche zufällig mit jener Anekdote in Verbindung kam , veranlagt sei», oder könnte umgekehrt der in der Sag* vom Fischfang zu- fällig vorhandene Stater an die Tempelabgabe, welche für zwei Personen eben so viel betrug, und jden darauf be- züglichen Ausspruch Jesu erinnert haben.

In diesen mährchenhaften Ausläufer endigen die See- anekdoten.

§. 101.

Die wunderbare Speisung. Wie in den zuletzt betrachteten Geschichten Jesus be- stimmend und besänftigend auf die vernunftlose und selbst auf die leblose Natur einwirkte : so wirkt er in denjenigen Erzählungen, zu deren Betrachtung wir jetzt fortschreiten, sogar vermehrend nicht allein auf Naturgegensttfnde, son- dern selbst auf künstlich verarbeitete Naturproducte.

Dafs Jesus zubereitete Nahrungsmittel auf wunderbare Weise vermehrt, mit wenigen Broten und Fischen eine grofse Menschenmenge gespeist habe, erzählen uns mit sel- tener Einstimmigkeit sämmtliche Evangelisten (Matth. 14, 13 ff, Marc. 6, 30 ff. Luc. 9, 10 ff. Joh. 0, 1 ff.). Und glauben wir den beiden ersten von ihnen, so hat Jesus diefs nicht blofs Einmal gethan, sondern Matth. 15, 32 ff. Marc. 8, 1 ff. wird eine zweite Speisung erzählt, bei der es im Wesentlichen ebenso wie bei der ersten zugieng. Sie fällt der Zeit nach etwas später; der Ort istetvtasau-

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Zweiter Abschnitt.

der* bezeichnet and die Dauer des Aufenthalts der Menge bei Je<u Abweichend angegeben; auch ist, was mehr besa- gen will, das Gröfsenverhältnifs zwischen dem Speisevor- fath und der Menschenmenge ein verschiedenes, indem das erstemal mit 5 Broten und 2 Fischen 5000 , das zweitemal mit 7 Broten und wenigen Fischen 4000 Mann gesättigt Werden, und dort 12, hier 7 Körbe mit Brocken übrig bleiben. Demungeachtet ist nicht nur die Substanz der Geschichte auf beiden Seiten ganz dieselbe: Sättigung ei- tler Volksmenge mit unverhältnifsmäfsig wenigen Nahrungs- mitteln, sondern auch die Ausmalung der Scene ist in den liründeO^en ganz analog: beidemale das Local eine einsa- me Gegend in der Nähe des galiläischen Sees; beidemale die Veranlassung des Wunders ein zu langes Verweilen des Volks bei Jesu; beidemale bezeugt Jesus Lust, die Wenge aus eigenen Mitteln zu speisen, was die Jünger als eine unmögliche Sache betrachten ; beidemale besteht der disponible Speisevorrath in Broten und Fischen ; beidemale Jafst Jesus die Leute sich lagern und theilt ihnen nach gesprochenem Dankgebet durch Vermittlung seiner Jünger nus; beidemale werden sie vollkommen satt, und es kann noch eine unverhtiltnifsma'fsig grofse Menge übrig gebliebe- ner Brocken in Körbe gesammelt werden ; endlich einmal wie das andere setzt Jesus nach vollbrachter Speisung über den See*

Bei dieser Wiederholung desselben Factums macht na- mentlich die Frage Schwierigkeit, ob es wohl denkbar sei, dafs die Jünger, nachdem sie selbst mitangesehen hatten, Wie Jesus mit wenigen Nahrungsmitteln eine grofse Menge vu speisen vermochte, dennoch bei einem zweiten ähnli- chen *,Fall jenen ersten spurlos vergessen gehabt, und ge- fragt haben sollten: Tiofrev t^uv iv tQtyttrt unroi toobtoi, ügF inoxaoai 0%htt rnoutov; Wenn man sieh für eine sol- che Vergefslichkeit der Jünger darauf beruft, dafs sie auf ähnliche unbegreifliche Weise die Erklärungen Jesu über

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Nennte» Kapitel. §. 101

SOI

sein bevorstehendes Leiden und Sterben vergessen gehabt haben, als dasselbe eintrat J), so ist es ja ebenso noch eine obschwebende Frage, ob nach so deutlichen Voraussagen Jesu sein Tod den Jüngern so unerwartet hätte sein kön- nen ? Denkt man sich aber zwischen beide Speisungen eine längere Zeit und eine Anzahl analoger Fälle hinein, wo aber Jesus nicht für gut gefunden habe, auf wunderbare Weise zu helfen :), so sind diefs theils reine Erdichtungen, theils bliebe auch so unbegreiflich, wie die gar zu spre- chende Ähnlichkeit der Umstünde vor der zweiten Spei- sung mit denen vor der ersten auch nicht Einen der Jün- ger an diese sollte erinnert haben. Mit Recht behauptet daher Paulus, hätte Jesus schon einmal die Menge durch ein Wunder gespeist gehabt, so würden bei'm zweiten Male die Jünger auf seine Erklärung, er möge das Volk nicht nüchtern entlassen, ihn getrost zur Wiederholung des vo- rigen Wunders aufgefordert haben.

Jedenfalls daher, wenn Jesus zu zwei verschiedenen Malen eine Volksmenge mit unverhältnifsmäfsig geringem Yorrath gesättigt hat, müfste man mit einigen Kritikern annehmen, dafs aus der Erzählung von der einen Bege- benheit viele Züge in die von der andern übergegangen, und so beide, ursprünglich sich unähnlicher, in der münd- lichen Überlieferung immer mehr ausgeglichen worden seien,

1) Olshausbiv, i, S. 512. Die ebenda*, in der Anmerkung gel- tend gemachte Instanz, dass laut des oqt*s «* tMßoptv Matth, ifi, 7. die Jünger auch nach der zweiten Speisung noch sich nicht gemerkt hatten, wie man in der Nahe des Menschen-

> sohns keine Speise für den Leib mitzunehmen brauche, be- weist desswegen nichts, weil die Umstände hier ganz andere waren. Dass aus der wunderbaren Sättigung des zufällig in der Wüste verspäteten Volks die Jünger nicht den beque- men Schluss zogen , welchen der bibl. Comm. daraus zieht, kann ihnen nur zur Ehre gereichen.

2) Ders. ebend.

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202 Zweiter Abschnitt.

wobei also namentlich die zweifelnde Frage der Jßnger nur das erste, nicht aber anch das zweitemal vorgekom- men sein könnte 5). Für eine solche Assimilation kann * der Umstand zu sprechen scheinen, dafs der vierte Evan- gelist, der namentlich in den Zahlan?ahen anf Seiten d»»r ersten Speisung des Matthäus und Markos ist, doch von deren zweiter Speisungsgeschichte die Züge hat, dafs eine Anrede Jesu, nicht der Jflnger, die Scene eröffnet, und dafs das Volk zu Jesu auf einen Berg kommt. Allein wenn man hiebe! die Grundzflge: Wüste, Speisung des Volks, Aufsammeln der Brocken, auf beiden Seiten stehen Iafst, so ist auch ohne jene Frage der Jünger immer noch un- wahrscheinlich genug, dafs f»ine solche Scene sich auf so ganz ähnliche Weise wiederholt haben sollte; läfst man hin- gegen auch jene allgemeinen Züge bei der einen Geschichte fallen, so ist nicht weiter einzusehen, wie man die Treue der evangelischen Erzählung in Bezug auf den Heygang der zweiten Speisung auf allen Punkten in Anspruch nehmen, und doch an der Angabe, dafs eine solche vorgefallen, festhalten kann , zumal nur Matthäus und der ihm folgen- de Markus von derselben wissen.

Daher haben neuere Kritiker, mit mehr 4) oder weni- ger *) Entschiedenheit, die Ansicht ausgesprochen, es sei hier ein und dasselbe Factum durch Mifsverstand des er- sten Evangelisten, welchem der zweite folgte, verdoppelt worden. Von der wunderbaren Speisung seien verschie- dene Erzählungen im Umlauf gewesen, welche namentlich in den Zahlangaben von einander abwichen, und nun habe

3) Gr4tz, Comm. z. Matth. 2, S. 90 f. Sievfrrt, über den ürspr. S. 97.

4) Tmikss, krit. Commentar, f, S. 168 fl\ Schulz, über d. Abcndm. S. 311. vgl. Fritzschk, in Matth, p. 523.

5) Schlzizrmaciibr, über den Lukas, S. 145. SiRiiKRr, a. a. O, S. 95 ff. Hasi, §. 97.

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Neuntes Kapitel. §. 101.

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der Verfasser des ersten Evangeliums, welchem Jede Won- dergeschichte weiter ein willkommener Fond, ond der defs- halb zu kritischer Redoction zweier verschieden laotenden Erzählungen der Art wenig geeignet war, beide in seine Sammlung aufgenommen. Dann erklärt sich vollkommen, wie bei der zweiten Speisung die Jünger noch einmal so ungläubig »ich äussern können: weil nämlich noch die zweite Geschichte da, wo der Verfasser des ersten Evan- geliums sie hernahm, die einzige und erste gewesen war, und der Evangelist verwischte diesen Zug nicht, weil er überhaupt die beiden Erzählungen ganz so, wie er sie hörte oder las, seiner Schrift einverleibt zu haben scheint, was sich unter Anderem auch in der Constane zeigt, mit welcher er und der ihm nachschreibende Markus nicht nur in der Darstellung der Begebenheiten selbst, sondern auch in der späteren Erwähnung derselben Matth. 16, 9 f. Marc. 8, 19 f. bei der ersten Speisung die Körbe durch xotpivot, bei der zweiten durch onvqldtg bezeichnet 6). Freilich wird mit Recht behauptet, dafs der Apostel Matthäus un- möglich einerlei für zweierlei habe aufgreifen , und eine gar nicht vorgefallene neue Geschichte erzählen können7): aber die Wirklichkeit einer doppelten Speisung folgt nur dann hieraus, wenn man den apostolischen Ursprung des ersten Evangeliums schon voraussetzt, der doch erst zu be- weisen ist. Wenn ferner Paulus einwirft, die Verdoppe- lung jenes Factums wäre ohne allen Vortheil für die Sache des Evangelisten gewesen, und Olshadsen diefs näher da- hin entwickelt, dafs die Sage die zweite Speisungsgeschichte nicht so einfach und nüchtern, wie die erste, gelassen ha- ben würde: so kann dieses begehrliche Reden, es sei et- was keine Erdichtung, weil es als solche noch ausge- schmückter sein müfste, eigentlich geradezu abgewiesen

6) vgl. Sauniir a. a. O. S. 105.

7) Faului, exeg. Handb. 2, S. 315. Oiskausejv, 1, S. 512.

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204 Zweiter Abschnitt

werden, weil es, jedes bestimmten Mafsstabs entbehrend, anter allen Umständen wiederkehren, und am Ende da* Mährchen selbst nicht mährchenhaft genug finden wird; insbesondre aber hier ist es defswegen völlig leer, weil es die Erzählung von der ersten Speisung als eine historisch genaue voraussetzt : haben wir in dieser schon ein sagenhaf- tes IVoduct, so braucht sich die Variation davon, die zweite Speisungsgeschichte , nicht noch durch besondre traditio- nelle Züge auszuzeichnen. Doch nicht blofs nicht in s Wim- derbarere ist die Erzählung von der zweiten Speisung ge- genüber von der ersten ausgeschmückt, sondern, indem sie, die Menge der Nahrungsmittel vermehrend, die Zahl der Gesättigten vermindert, verringert sie damit das Wun- der, und in diesem Antiklimax findet man die sicherste Bürgschaft für die Wirklichkeit der zweiten Speisung, in- dem, wer zu der ersten noch eine weitere hinzudichten wollte, dieselbe wohl auch (Iberboten, und statt der 5000 Menschen nicht 4000, sondern 10,000 gesetzt haben würde 8). Auch diese Argumentation beruht auf der unbegründeten Voraussetzung, dafs die erste Speisung historisch sei, wo- bei Olshausen selbst den Gedanken hat, dafs einer wohl auch die zweite für die historische Grundlage, und die er- ste für die sagenhafte Zuthat ansehen könnte, und dann verhielte sich die erdichtete zur wahren, wie gefordert wür- de, als Steigerung. Wenn er nun aber hiegegen bemerkt, wie unwahrscheinlich es sei , dafs der unlautere Referent das ächte Factum als das geringere nachbringe, und das falsche voranstelle, vielmehr wolle ein solcher die Wahr, heit überbieten , und stelle defshalb immer das Erdichtete als das Glänzendere hinten an: so zeigt er damit aufs Neue, dafs er sich auf die mythische Ansicht von den bi- blischen Erzählungen nicht einmal so weit versteht, als zu ihrer Beurtheilung nöthig ist. Denn von einem unlauteren

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8) Olshauikh, S. 513.

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Neuntes Kapitel. §. 101. 205

Referenten, welcher absichtlich die wahre Speisnngsge- ■ehiebte hätte Oberbieten wollen, spricht hier Niemand, und am wenigsten erklärt irgend wer den Matthäus für ei« nen solchen, sondern, mit vollkommenster Redlichkeit, ist die Meinung, hatte der eine von 5000, der andre von 4000 Gesattigten geschrieben, ebenso redlich schrieb der erste Evangelist Beides nach, und eben weil er Völlig arg- und absichtslos zu Werke gieng, kam es ihm auch nicht dar- auf an, welche von beiden Geschichten voran- oder nach« stehe, die bedeutendere oder die von minderem Belange, son- dern er liefs sich hierin durch zufällige Umstände, wie dafs er die eine mit Begebenheiten zusammengestellt fand, die ihm die früheren, die andre mit solchen, die ihm die spä- teren schienen, bestimmen. Ganz dieselbe Verdopplung findet sich auch schon im Pentateuch in Bezug auf die Ge- schichten von der Speisung mit Wachteln und der Trän- kung aus dem Felsen, von welchen die erstere sowohl 2 Mos. 16. als 4 Mos. 11, die letztere aber 2 Mos. 17. und wieder 4 Mos. 20, beidemaie mit veränderten Zeit-, Orts- und son- stigen Umständen, erzählt ist y). Hiemit haben wir indefs blofs das negative Resultat, dafs der doppelten Erzählung der ersten Evangelien nicht zwei verschiedene Begebenhei- ten können zum Grunde gelegen haben: welche, und ob überhaupt eine von beiden historisch begründet sei, mufs Gegenstand einer eigenen Untersuchung werden.

Wenn, um dem magischen Scheine auszuweichen, wel- chen das vorliegende Wunder vor andern hat, Olshausen dasselbe mit dem Gemüthszustand der betheiligten Perso- nen in Beziehung setzt, und die wunderbare Speisung durch den geistlichen Hunger der Menge vermittelt wissen will: so ist diefs nur ein zweideutiges Reden, das bei dem ersten

9) «. die Nachweisung bei de Wim , Kritik der mos. Gesch., S, 220 ff. 5U ff.

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200 Zweiter Abschnitt.

Versuch, den Sinn desselben festzustellen, in Nichts zer- fällt. Denn bei Heilungen z. ß. besteht nnch der hier vor- ausgesetzten Ansicht jene Vermittlung darin , dafs das Ge- müth des Kranken sich der Einwirkung Jesu glaubig öff- net, so dafs bei fehlendem Glauben auch der Wunderkraft Jesu der erforderliche Anknüpfungspunkt im Menschen fehlt : hier also ist die Vermittlung eine reale. Sollte nun hier dieselbe Art von Vermittlung stattgehabt, und also bei denjenigen von der Menge, welche etwa ungläubig wa- ren, die sättigende Einwirkung Jesu keinen Eingang ge- funden haben: so müfste hier die Sättigung wie dort die Heilung als etwas von Jesu geradezu und ohne vorange- gangene Vermehrung der ausserlich vorhandenen Nahrungs- mittel in dem Leibe der Hungrigen Gewirktes angesehen werden. Allein eine solche Vorstellung von der Sache wird, wie Paulus mit Recht erinnert, und auch Olshausen an- deutet, durch die Bemerkung der Evangelisten abgeschnit- ten, dafs unter die Menge wirklich Speisen vertheilt wor- den seien, dafs von diesen jeder, so viel er wollte, genos- sen habe , und dafs am Ende noch mehr als ursprünglich vorräthig gewesen, übrig geblieben sei. Die hierin liegende äusserlich und objectiv vorgegangene Vermehrung der Nah- rungsmittel kann nun doch nicht durch den Glauben des Volks auf reale Weise vermittelt gedacht werden, so dafs jener Glaube zum Gelingen der Brotvermehrung mitwirken mufste, die Vermittlung kann vielmehr nur eine teleologi- sche gewesen sein, d. h. dafs um eines gewissen Gemüts- zustands der Menge willen Jesus die Speisung vornahm. Eine solche Vermittlung aber giebt mir nicht die mindeste Hülfe, mir den fraglichen Vorgang denkbarer zu inachen; denn nicht, warum es so , sondern wie es zugegangen sei, ist die Frage. So beruht mithin Alles, was Olshausen hier gethan zu haben glaubt, um das Wunder denkbarer zu jachen, auf der Amphibolie des Ausdrucks: Vermittlung, und es bleibt die Undenkbarkeit einer unmittelbaren Ein«

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wirkling des Willens Jesu auf die vernunftlose Natur die- ser Geschichte mit den zuletzt erwogenen gemein.

Doch eigentümlich vor den andern ist ihr die Schwie- rigkeit, dal's hier nicht blofs wie bisher von einer den Naturgegenständen ertheilten Richtung oder Modifikation, sondern von einer Vermehrung derselben , und zwar ins Ungeheure, die Rede ist. Zwar ist uns nichts alltäglicher, als Wachsthum und Vermehrung der Naturgegenstände, wie sie z. ß. vom Samenkorn in den Parabeln vom Säe- mann und vom Senfkorn dargestellt ist. Allein diese ge- schieht erstlich nicht ohne Zntritt anderer Naturdinge, wie Erde, Wasser, Luft, so dafs auch hier, nach dem bekann- ten Satz der Naturlehre, nicht eigentlich die Substanz ver- mehrt, sondern nur die Accidenzien verwandelt werden; zweitens geschieht dieser Procefs so, dafs er seine verschie- denen Stadien in entsprechenden Zeitdistanzen zurücklegt. Hier dagegen, bei der Vermehrung der Nahrungsmittel durch Jesus, findet weder das Eine noch das Andere statt: das Brot in der Hand Jesu hängt nicht mehr, wie der Halm, auf welchem die Frucht wuchs, mit dem mütterli- chen Boden zusammen , noch geschieht seine Vermehrung ailmähJig, sondern plötzlich.

Das aber eben soll das Wunderbare an der Sache sein, und namentlich nach der letzteren Seite hin das gegenwär- tige Wunder ein beschleunigter Natur procefs genannt wer- den können. Was von der Aussaat bis zur Ernte in drei Vierteljahren geschieht, soll da in Minuten unter der Aus- theilung der Speise geschehen sein ; denn einer Beschleu- nigung seien die Naturentwicklungen fähig, und einer wie grofsen , das sei nicht zu bestimmen IO). Ein beschleunig- ter Naturprocefs wäre es gewesen , wenn in Jesu Hand je ein Korn hundertfältige Frucht getragen und zur Reife gebracht, und er die vermehrten Körner aus immer vollen

10) So, nach Pizxxiscia, Olsiuüsm, 1, S. 489 f. vgl. Hasb, §. 97.

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Zweiter Abschnitt.

Händen dem Volke hingeschüttet hätte , um sie von diesem zerreiben, kneten und backen, oder in der Wüste, wo sie waren, roh aus den Hülsen heraus gemessen zu lassen; wenn er einen lebendigen Fisch genommen, und die Eier in dessen Leibe plötzlich hervorgerufen, befruchtet, und zu ausgewachsenen Fischen gemacht hätte, welche dann die Jünger oder das Volk hätten sieden oder braten mögen. So hingegen nimmt er nicht Korn in die Hand, sondern Brot, und auch die Fische müssen, so wie sie in Stücken ausgetbeiit werden, irgendwie zubereitet, vielleicht, wie Luc. 24, 42. vgl. J oh. 21, 0. gebraten, oder eingesalzen ge- wesen sein. Hier ist also auf beiden Seiten kein reines, lebendiges Naturproduct mehr, sondern ein todtes und durch Kunst modificirtes ; um ein solches in einen Naturproeeis jener Art zu versetzen , hätte Jesus vor Allem durch seine Wunderkraft aus dem Brot wieder Körner, aus den Brat- fischen wieder rohe und lebende machen, dann geschwind die beschriebene Vermehrung vornehmen , endlich sämmt- liches Vermehrte vom Naturzustand in den künstlichen zu- rückversetzen müssen. So wäre mithin dieses Wunder zu- sammengesetzt 1) aus einer Wiederbelebung, welche alle sonst in den Evangelien erzählte an Miraculosität Überträ- fe; 2) aus einem höchst beschleunigten Naturprocefs, und 3) aus einem unsichtbar vorgenommenen und ebenfalls höchst beschleunigten Kunstprocefs , indem alle die langen Proce- duren des Müllers und Bäckers auf der einen , und des Kochs auf der andern Seite durch Jesu Wort in einem Au- genblick müßten vor sich gegangen sein. Wie mag also Olshausen sich selbst und den gläubigen Leser durch den annehmlich klingenden Ausdruck : beschleunigter Naturpro- cefs, täuschen, wenn doch dieser die Sache, von der die Rede ist, nur zum dritten 1 heil bezeichnet.

Wie sollen wir uns nun aber ein solches Wunder zur An- schauung bringen, und in weichen Moment des Hergangs es versetzen? In Betreu0 des Letzteren sind nach der An-

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Neuntes Kapitel. §. 101. 9M

tahl der in untrer Erzählung handelnden Gruppen drei Ansichten möglich, indem entweder in den Händen Jesu, oder in denen der aust heil enden Junger, oder endlich erst in denen des empfangenden Volks die Vermehrung vor sich gegangen sein kann. Die letztere Vorstellung ist theils bis zum Abenteuerlichen minutiös, weun man sich Jesum und die Apostel denken will, .mit Behutsamkeit, dafs es doch ja ausreichen möge, Krümchen vertheilend, die in den Hän- den der Empfänger zu Stücken ansehwellen, theils wäre es auch nicht einmal gut möglich gewesen, lür eine Masse von 5000 Mann aus 5 Broten, welche nach hebräischer Sitte, und da sie ja ein Knabe trug, nicht sehr grofs können gewesen sein , und vollends aas 2 Fischen für jeden ein , wenn auch noch so kleines, Stückchen herauszubringen« Unter den zwei übrigen Vorstellungsweisen linde ic> e* mit Oishau- skn am angemessensten, dafs unter den schöpferischen Hän- den Jesu sich die Nahrungsmittel vermehrt, . und er neue und immer neue Stücke den vertheilenden Jüngern gebo- ten habe. Zur Anschauung kaiin man sich dann den Vor- gang auf die doppelte Art zu bringen suchen , dafs man entweder sich vorstellt, so oft ein Hrotkuchen und ein Fisch zu Ende war, sei aus den Händen Jesu ein neuer gekommen; oder man denkt sich,, die einzelnen Brotku- cheu und Fische seien gewachsen , so dafs, wie ein Stück abgebrochen wurde, es sich so lange wieder ergänzte, bis berechnetermafsen die Reihe an den folgenden kommen konnte. Die erstere Vorstellung scheint dem Texte fremd zu sein, welcher, wenn er von Brocken ix %wv nivte a{tzw spricht (Joh. 6, 13.), schwerlich eiue Vermehrung dieser Anzahl voraussetzt, und so bleibt nur die zweite, durch deren poetische Ausmalung Layater der orthodoxen An- sicht einen schlechten Dienst erwiesen hat Denn die- ses Wunder gehört zu denjenigen, welche nur so lauge

11) Jesu» Messias, 2. Bd. No. 14. 15 und 20. Dai Ulxn Je»u UtiAuJL iL Band. 14

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210 Zweiter Abschnitt.

einigermafsen glaublich erscheinen können , als man sie im Halbdunkel einer anbestimmten Vorstellung zu halten weifs t i sobald man dieselben an s Licht ziehen und in al- len T heilen genau anschauen will, lösen sie sich in Nebei- gebilde auf. Brote, die in den Händen des Austheilenden wie angefeuchtete Schwömme aufquellen, Bratfische, wel- chen, wie dem lebendigen Krebs die abgerissenen Scheeren allmäh 1 ig, so die abgebrochenen Theile plötzlich wieder wach- sen, gehören offenbar nicht in das Reich der Wirklich- keit, sondern in «in gana anderes. , Wie grofsen Dank verdient daher auch hier die ratio-

nalistische Auslegung , wenn es wahr ist, dafs sie uns von der Zumuthang , ein so unerhörtes Wunder anzunehmen, aaf die leichteste Weise au befreien weifs. Hören wir Dr. Pa*)MJ»*0> so wollen die Evangelisten gar kein Wun- der erzählen , und das Wunder ist erst von den Erklä- rer n in ihren Bericht hineingetragen worden. Was sie er- zählen , ist nach ihm nur so viel , dafs Jesus seinen gerin- gen Vorrath an Lebensmitteln habe au sr heilen lassen, und dafs in Folge dessen die ganze Menge genug an essen be- kommen habe. Hier «ei jedenfalls das /Mittelglied ausge- lassen , welches näher angebe , wie es möglich gewesen, dafs, uneraehtet Jesus nur so wenige Lebensmittel au bie- ten hatte, dennoch die» grofse Volksmasse habe gesättigt werden können* Ein sehr natürliches Mittelglied aber er- gebe sich aus der historischen Combination der Umstünde. l)a nach Vergieichung von Joh. 6, 4. die Menge wahrschein- lich zum gröfseren Theil aus einer Festkaravane bestan- den habe, so könne sie nicht ohne alle Speisevorrfithe ge- wesen, und nur einigen Armeren vielleicht der Vorrath bereits ausgegangen gewesen sein. Um nun die besser Ver- sehenen zur Mitteilung an die, denen es fehlte, au ver- anlassen, habe Jesus ein Mahl veranstaltet, und sei mit

12) exrg. Handb. 2, S. 205 ff.

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Keimtet KapiteL §. 101. 211

eigenem Beispiele in der Mittheilting dessen , wag er und «eine Jünger von ihrem geringen Vorrath entbehren konn- ten , vorangegangen ; dieser Vorgang habe Nachahmung gefunden, und 10 sei, indem Jesu ßiotaustbeilung eine aligemeine Mittheilung veranlaßt* , der ganze Volkahaufe satt geworden. Allerdings müsse man dieses natürliche Mittelglied in den Text erst hineindenken 5 da jedoch das übernatürliche, welches man gewöhnlich annehme, die wun- derbare ßrotr errnehrung , ebenso wenig ausdrücklich ange- geben sei, sondern beide gleicherweise hinzugedacht wer- den müssen : t>o könne man nicht anders , als für das na- türliche sich entscheiden. Doch das hier behauptete glei- che Verhältnis der beiden Mittelglieder zum Texte findet in der That nicht statt. Sondern , wahrend zum Behufe der natürlichen Erklärung ein neues austheilendes Hubjeet (die besser Versehenen unter der Menge) , und ein neues ausgetheiltes Object (deren Vorräthe), sammt der Handlung des Austheilens von diesen, hinzugedacht weiden raufs : be- gnügt sich die supranaturaiistische Erklärung mit de» vor* haiidenen Subject (Jesu und seinen Jüngern), Object (de- ren kleinem Vorrath) und dessen Austheilung, und lädst nur die Art hinzudenken, wie dieser Vorrath zur Sätti- guug der Menge zulänglich gemacht wurde, indem er sich nämlich unter Jesu (oder seiner Jünger) Händen wunder- bar vermehrte. Wie kann man hier noch behaupten, dem Texte liege keines von beiden Mittelgliedern näher als das andere ? Dafs die wunderbare Vermehrung der Brote und Fische verschwiegen ist,, erklärt sich daraus, dafs dieser Vorgang selbst sich nicht für die Anschauung festhalten lassen will, daher besser nur nach dem Erfolg bezeichnet wird: wie aber will man erklären, dafs von der durch Jesum hervorgerufenen Mit t heilsam keit der übrigen mit Vor- rath Versehenen nichts gesagt ist? Zwischen das idwxt %viig fiafrynag, oi de uuih^td zöig o%loig (Matth. 14, 19.) und xai iyayov ntivveg xui ixoQiua^aav (V. 20.) je««

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S19 Zweiter Abschnitt.

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Mittheilung der Andern hineinzudenken, ist reine Willkfihr, wogegen durch das xai thig dvo lxO"vag itUQioe naoi (Marc. 1$, 41.) unverkennbar angezeigt ist, dafs nur die 2 Fische und also auch nur die 5 Brote das Object der Thei- Jung für Alle waren Ganz besonders aber kommt die

se natürliche Erklärung mit den Körben in Verlegenheit, welche, nachdem Alle satt geworden , 'Jesus noch mit den übrig gebliebenen Brocken füllen liefs. Wenn hier der vierte Evangelist sagt: ov%*qyayov uv, xai iyifiiactv dtudexa xoffivug xluafiuuov ix twv nivie an nur rwv xQi&ivwv, a intQiaoevoe zolg ßißqwxoatv (6, li.)z so scheint doch hiedurch deutlich genug gesagt zu sein, dafs eben von je- nen 5 Broten, nachdem 5000 Mann sich von denselben gesättigt, noch 12 Körbe voll Brocken, also mehr als der ursprüngliche Vorrath betragen hatte, übrig geblieben seien. Hier hat daher der natürliche Erklärer die abenteuerlich- sten Wendungen nöthig, um dem Wunder auszuweichen. Zwar, wenn die Synoptiker nur schlechtweg sagen , man habe die Überreste des Mahls gesammelt, und mit densel- ben 12 Körbe gefüllt, so könnte man vom Standpunkt der natürlichen Erklärung etwa denken, Jesus habe aus Ach- tung für die Gottesgabe auch das , was die Versammlung von den eigenen Vorräthen liegen liefs , durch seine Jün- ger aufsammeln lassen. Allein, wie das, dafs das Volk das übrig Gebliebene liegen liefs uud nicht zu sich steckte, anzudeuten scheint, dafs es die gereichten Nahrungsmittel als fremdes Eigenthum behandelte: so scheint Jesus, in- dem er es ohne Weiteres durch seine Jünger einsammein iäfst, es als sein Eigenthum zu betrachten. Daher nimmt denn Paulus das r^av x. r. Ä. der Synoptiker nicht von einem auf das Essen erst erfolgten Aufsammeln dessen, was nach Sättigung der Menge übrig blieb, sondern von dem IJberilufs ihres geringen Vorraths, welchen die Jünger,

15) OaxAUsza, 1, S. 488.

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Neuntes Kapitel. §. 101. 213

nachdem sie das für Jesuin and sie selbst Erforderliche zurückgethan , vor dem gemeinsamen Mahle und um ein solches zu veranlassen, herumgetragen haben. Wie kann aber, wenn nach ttpayov xal i%o(rtdo{h]Oav unmittelbar xal f^av folgt , damit anf die Zeit vor dem Essen zurückge- sjirungen sein? müfste es nicht noth wendig wenigsten ?]nuv yuQ heifsen ? Ferner, wie kann, nachdem eben gesagt war, das Volk habe sich satt gegessen, %6 niQiooevoav , vollends wenn, wie bei Lukas, aviv/g dabei steht , etwas Anderes als das vom Volk Ubergelassene bedeuten ? Endlich , wie ist es möglich, dafs von 5 Broten und 2 Fischen , nachdem Jesus und seine Jünger ihren Bedarf genommen, oder selbst ohne diefs, natürlicherweise 12 Körbe cur Austheilung an das Volkgefttl 1t werden konnten? Doch noch seltsamer geht es bei Erklärung der johanneischen Stelle zu. Wegen der An- weisung Jesu, das Übriggebliebene eu sammeln, Iva u .ühjaty scheint der folgenden Angabe, dafs sie von dem Überschuß der 5 Brote 12 Körbe gefüllt haben, die Beziehung auf die Zeit nach dem Mahle nicht entzogen werden zu kön- nen, wobei dann ohne wunderbare Brotvermehrung nicht ab- zukommen wäre. Lieher reifst daher Paulus von dem aw- riycc'/ov 5v das in Einem fortlaufende xal iyifiiaav fiwdexa y.orpivHg x. t. iL ab, und läfst nun hier die Rede, noch har- ter als bei den Synoptikern , ohne alle Andeutung auf Ein- mal in das Plusquatnperfectum und in die Zeit vor dem Mahle zurückspringen.

Auch hier demnach löst die natürliche Erklärung ih- re Aufgabe nicht: dem Texte bleibt sein Wunder, und wenn wir Gründe haben, dieses unglaublich zu Huden, so müssen wir untersuchen , ob die Erzählung des Textes wirklich Glauben verdiene? Für ihre ausgezeichnete Glaub- würdigkeit führt man gewöhnlich die Übereinstimmung sämmtlicher 4 Evangelisten in derselben an: aber diene, Übereinstimmung ist so vollständig nicht. Zwar die Dif- ferenzen; weiche zwischen Matthäus und Lukas, und wie-

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114 Zweiter Abschnitt.

der zwischen diesen beiden und dem aoch hier ausmalen- den Markos stattfinden, ferner zwischen sämmtlichen Syn- optikern nnd Johannes darin , dafs jene den Vorgang schlechtweg an einen %6nog EQ^og, dieser ihn auf ein oQog versetzt , und dafs den Synoptikern zufolge die Handlung durch eine Anrede der Jünger, nach Johannes durch ei- ne Frage Jesu eröffnet ist (zwei Züge, worin , wie bereits bemerkt, die johanneische Erzählung sich dem Berichte des Matthäus und Markus von der zweiten Speisung nähert), endlich noch die Differenz, dafs die Reden, welche die drei ersten Evangelisten unbestimmt %otg faa^rjraTg in den Mund legen , der vierte in seiner individualisirenden Wei- se namentlich dem Philippus und Andreas leiht, welcher letztere aoch als Träger der Brote und Fische bestimmt ein TicaöaoLOv angiebt, diese Abweichungen können wir als minder wesentlich übergehen , um nur an Eine uns zu hal- ten, welohe tiefer eingreift. Während nämlich nach den synoptischen Berichten Jesus die Volksmenge zuerst lange beiehrt und ihre Kranken geheilt hatte, und erst durch den einbrechenden Abend und die bemerkte Verspätung veranlafst wurde, sie noch zu speisen: ist bei Johannes, sobald er nur die Augen aufhebt und das Volk heranzie- hen sieht, Jesu erster Gedenke der, welchen er in der Frage an den Philippus ausspricht: woher Brot nehmen, um diese su speisen? oder , da er diefs nur netQa^ojv frag- te, wohlwissend, %i reelle noteiv, der Vorsats, hier eine wunderbare Speisung su veranstalten. Wie konnte denn aber Jeeujjbei'in ersten Herannahen des Volks sogleich die Aufgabe! entstehen , ihm su essen su geben? Defshalb kam es ja gar nicht su ihm, sondern um seiner Lehre und Heilkraft willen. £r mufste sich also ganz aus eigenem Antrieb jene Aufgabe stellen, um seine Wundermacht in einer recht ausgezeichneten Probe zu beweisen. Aber that er auch je sonst ein Wunder so ohne Noth und selbst ohne Veranlassung, ganz eigenwillig, nur um ein Wunder zu

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Neunte« Kapitel. $. 101. 215

verric h tei i ? Ich weife es nicht stark genug auszusprechen, wie unmöglich hier das Kssen Jesu erster Gedanke (sein, wie unmöglich er dem Volke sein Speisungswunder in die- ser Weise aufdringen konnte. Hier geht also die synopti- sche Darstellung, in welcher das Wunder doch einen An- lafs hat, der des vierten Evangelisten bedeutend vor , wel- eher , cum Wunder eilend , die ntfthtge Motivirung dessel- ben uberspringt , und Jesum die Gelegenheit zu demselben machen, nicht abwarten lafst. So kennte ein Augenzeuge nicht erzählen, und wenn somit der Bericht desjenigen Evangeliums, welchem man jetzt die grüfste Auetori tat ein- räumt, als unhistorisch bei Seite gesteilt werden mufs: so sind bei den übrigen die oben beregten Schwierigkei- ten der Thatsache hinreichende Gründe, ihre historische Zuverlässigkeit zu bezweifeln, besonders wenn sich neben diesen negativen auch positive Gründe auffinden lassen, welche eine unhistorische Entstehung unsrer Erzählung denkbar machen, i .1 - i . . **

Solche Veranlassungen finden sich wirklich sowohl innerhalb der evangelischen Berichte selbst , als ausserhalb ihrer in der A. T. liehen Geschichte und dem jüdischen Volksglauben. In erster er Beziehung ist es bemerkenswert», «lafs sowohl bei den Synoptikern als bei Johannes an die durch JesUm vollzogene Speisung mit eigentlichem Brote mehr oder minder unmittelbar Reden Jesu von Urot Und Brotmasse in uneigentlichem Sinne angehängt sind, näm- lich hier die Aussprüche vom wahren Himmels - und Le- bensbrot, das Jesus gebe (Job. 6, 27 ff.), dort die vom fal- schen Sauerteig der Pharisäer und Sadducaer, nämlich ih- rer falschen Lehre und Heuchelei (Matth. 16, 5 ff. Marc, b, 14 ff. vgl. Luc. 12, I.), und beiderseits wird diese bild- liche Rede Jesu Irrig ton eigentlichem Brot > ei -Stauden. Uienach läge die Vermuthung nicht allzufern , wie in dun angeführten Stellen das Volk und die Jünger, so habe auch die eiste chiuiiküe l bei lieferung dao \on Jt»u uutigent«

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Zweiter Abschnitt.

Höh Gemeinte eigentlich gefafst, und wenn er sieh etwa in bildlicher Rede bisweilen ab denjenigen dargestellt hat« te , welcher dem verirrten und hungernden Volk das wah- re Lebensbrot, die beste Zukost, eu reichen vermöge, wo- mit er vielleicht den Sauerteig der Pharisäer in Gegensatz stellte : so habe diefs in der Sage , ihrer realistischen Rich- tung gemJSfa, die Wendung genommen, als oh Jesus wirk* lieh einmal in der Wüste hungernde Volksmassen wunder- bar gespeist hätte. Wenn das vierte Evangelium die Re- den vom Himmelsbrot als veranlafst durch die Speisung hinstellt , so könnte das Verhältnis leicht umgekehrt diefs gewesen sein, dafs die Entstehung dieser Geschichte durch jene Rede veranlafst war, zumal auch der Eingang der jo- hanneisohen Erefihlung mit seinem : nofrev ayoodaouev ao- Täg, iva qxxyiooiv ;not ; sich gleioh bei m ersten Anblick des Volks in Jesu Munde eher denken ltifst, wenn er da- mit auf eine Speisung durch das Wort Gottes (vgl. Job.

4, .12 ff.), auf eine Stillung des geistigen Hungers (Matth.

5, 6.) anspielte , um das höhere VerstÄndnifs seiner Jün- ger au üben Cxrioouf n) , als wenn er wirk lieh an leibliche Sättigung gedaoht, und seine Jünger nur in der Hinsicht auf die Probe gestellt haben soll, ob sie sich dabei auf •eine Wunderkraft verlassen würden. Weniger ladet au einer solohen Ansicht die Erzählung der Synoptiker ein: durch die bildliohen Reden vom Sauerteig für sicli konnte die 'Entstehung der Speisungsgeschichte nicht veranlafst werden, und da somit das johanneisehe, Evangelium in Be- äug auf jenen Schein eigentlich allein steht, so ist es dem Charakter desselben doch angemessener, au vermuthen, dafs es die traditionell überkommene Wundereraähiung eu bild- lichen Reden im aleiandrinischen Geschmscke verwendet, eis dafs es uns die ursprünglichen Reden aufbewahrt ha« be , aus welchen die Sage jene Wundergeschichte gespon- nen hätte.

Sind nu \ vollends <(ie ausserhalb des N. T, liegen*

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Nennte* Kapitel. §. 101. 217

den möglichen Veranlassungen zur Entstehung der Spet- snngsgeschichte «ehr stark: so werden wir den aufgenom- menen Versuch , dieselbe aus N. T.ltchen Stoffen zu con- grruiren , wieder fallen lassen müssen. Und hier erinnert uns gleich der vierte Evangelist durch die dem Volke in den Mund gelegte Erwähnung des Manna, jenes Himmels- brots, welches Moses in der Wüste den Vorfahren zu es- sen gegeben habe' (V. 31.), an einen der berühmtesten Zü- ge der israelitischen Urgeschichte (2 Mos. Iß.), welcher sich ganz dazu eignete, dafs in der messianischen Zeit ein < Nachbild desselben erwartet wurde, wie wir denn wirk- lich aus rabbinischen Schriften wissen, dafs unter denjeni- gen Zügen, welche vom ersten Goel auf den zweiten fiber- getragen wurden, das Verleihen von Himmelsbrot eine Haupt steile einnahm "*). Und wenn das mosaische Manna sich dazu hergiebt, als Vorbild des von Jesu auf wunder- bare Weise vermehrten Brotes angesehen zu werden : so könnten die Fische , welche Jesus ebenso wunderbar ver- mehrte, daran erinnern, wie auch durch Moses nicht nur in dem Manna ein Brotsurrogat, sondern auch in den Wachteln eine Fleischspeise dem Volke zu Theil geworden war (2 Mos. 16,8. 12. 13. 4 Mos. 11, 4— Ende). Ver- gleicht man diese mosaischen Erzählungen mit unsrer evan- gelischen , so findet sich auch in den einzelnen Zügen ei- ne auffallende Ähnlichkeit. Das Locsl ist beidemale die Wüste: die Veranlassung des Wunders hier wie dort die He*orgnifs, das Volk möchte In der Wüste Mangel leiden, oder gar durch Hunger zu Grunde gehen: in der A. T.- lichen Geschichte die vorlaute, mit Murren verbundene des Volks, in der N. T.lichen die kurzsichtige der Jünger und die menschenfreundliche Jesu. Geht hierauf mit der An- weisung des letzteren an die Jünger, sie sollen dem Volke zu essen geben, in welcher schon sein Vorhaben einer

14) t, den t. Band, $. 14. » ' *

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Zweiter Abschnitt. 7

wunderbaren Speisung liegt, die Zusage parallel, welche Jehova dem Moses gab, das Volk mit Manna (2 Mos. 16, 4.) und mit Wachteln (S Mos. 16, 12. 4 Mos. 11, 18—20) Eii speisen: so ist ganz besonders sprechend die Ähnlich- keit des Zuges der evangelischen Erzählung, dafs die Jünger es als Unmöglichkeit ansehen , für eine so grofse Volksmasse in der Wüste Nahrungsmittel herbeizuschaffen, mit dem, was der A. T.liche Bericht den Moses gegen die Verheifsung Jehova s, das Volk mit Fleisch eu sätti- gen, zweifelnd einwenden iäfst (4 Mos. 11, 21 f.)- VVie nämlich die Jünger, so findet auch Moses die Menge des Volks zu grofs , als dafs er für möglich halten könnte , es hinreichend mit Nahrungsmitteln tu versorgen; wie jene fragen, woher in der Wüste so viele Brote nehmen ? so fragt Moses ironisch, ob sie denn Schafe und Rinder (was sie nicht hatten) schlachten sollen? und wie die Jünger ein- wenden, dafs nicht einmal durch die erschöpfendste Aus- gabe von ihrer Seite dem Bedürfnifs gründlich abgeholfen , werden könnte : so hatte Moses in einer andern Wendung erklärt, um das Volk so, wie Jehova verhieb, sättigen zu können, roüfste das Unmögliche geschehen (die Fitche au* dem Meer herbeikommen); Einwendungen, auf welche dort Jehova, wie hier Jesus, nicht achtet, sondern das Volk zur Empfangnahme der wunderbaren Speise sich rüsten heilst.

So analog übrigens der Hergang der ausserordentlichen Speisung auf beiden Seiten ist, so findet sich doch der we- sentliche Unterschied, dafs im A. T. beidemale, bei dem Manna wie bei den Wachteln, von wunderbarer Beschaf- fung zuvor nicbt vorhandener Speise, im neuen aber von wunderbarer Vermehrung eines schon vorhandenen, aber unzureichenden Vorraths die Rede ist, so dafs die Kluft zwischen der mosaischen Erzählung und der evangelischen zu grofs wäre, um diese unmittelbar ans jener abl*i*e» zu können. Sehen wir uns hier nach einem Mittelglied um, so trifft es sich ganz sachgemäß, dafs zwischen Moses und

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Neunte. Kapitel. §.1111.

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den Messing auch in diesem Stücke die Propheten eintreten. Von Elias ist es bekannt, wie durch ihn und um seinet- willen der geringe Vorrath an Mehl und Ol, den er bei der Wittwe eu Zarpath fand, wunderbar vermehrt, oder naher während der ganzen Dauer einer Hungersroth eu- reichend erhalten wurde (1 Kön. 17, 8—16.)« ^oc» wei" ter, und mehr cur Ähnlichkeit mit der evangelischen Er- p.ffhlnng entwickelt findet sich diere WundergescMehte bei Elisa (2 Kön. 4, 42 ff.). Dieser will, wie Jesus in der Wüste mit 5 Broten unci 2 Fischen 5000, so wahrend ei- ner Hu ngersnoth mit 20 Broten (welche, wie die von Jesu vertheilten bei Johannes, als Gerstenbrode bezeichnet wer- den) nebst etwas zerriebenem Getraide (Slpl3> LXX: nec-

Xdöag) 100 Menschen speisen; ein MifsverhJiltnifa zwischen Vorrath und Mannschaft, Welches sein. Diener, wie dort Jesu Jünger, in der Frage ausdrückt, was denn für 100 Mann diefs Wenige solle'*)? Elisa wie Jesus läfst sich dadurch nicht irren, sondern befiehlt dem Diener, das Vorhandene dem Volke au essen' eu geben, und wie in der evangelischen Erzählung, das Sammeln der übriggebliebenen Brocken, so wird auch in der A. T. liehen am Schlüsse das besonders hervorgehoben, dafs unerachtet von dem Vor- rath so Viele gegessen hatten, doch noch Überschuh sich herausgestellt habe 1 6). Die einzige Differenz ist hier ei- gentlich noch die geringere. Zahl der Brote und die grofsere des gesättigten Volks auf Seiten der evangelischen Erzäh- lung; allein wer weifs nicht, dafs überhaupt die Sage nicht

15) 2 Kön. 4, 43. LXX :

rl Jtu tSto trümor ixaroy

16) Ebendas. V. 44: *a\

yor, nal tearUtnor xara ro

Joh. 6, 9: aXXa raura rC htv elf xocixin \

I »

Matth. 14, 20: *«< 1q>ayomdv-

TO ntQiaaiuor r£t xlaopanor m. r. X.

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Zweiter Abschnitt.

leicht nachbildet ohne zugleich zu Überbieten , und wer sieht nicht, dafs es insbesondre der Stellung des Messias völlig angemessen war, seine Wunderkraft zu der eines Elisa, was das Bedürfnifs natürlicher Mittel betrifft, in das Verhältnifs von 5 zu 20, was aber die übernatürliche Leistung, in das von 5000 zu 100 zu setzen? Paulus frei- lich, um die Folgerung abzuschneiden, dafs, wie die bei- den A. T. liehen, so auch die ihnen so auffallend ahnliche evangelische Erzählung mythisch zu fassen sei, dehnt auch auf jene den Versuch einer natürlichen Erklärung aus, den er an dieser durchgeführt, und läfst den Ölkrug der Witt- we durch Beiträge der Prophetenschüler voll erhalten wer- den, die 20 Brote aber für 100 Mann vermöge einer lo- be ns werthen Mäfsigkeit derselben zureichen ,7), eine Er- klärung, welche in dem Maafse noch weniger verführe- risch ist, als die entsprechende der N. T liehen Erzählung, in welchem bei jener vermöge ihrer gröfseren Zeitentfer- nung weniger kritische (und vermöge ihres nur mittelba- ren Verhältnisses zum Christenthum auch weniger dogma- tische) Beweggründe" vorhanden sind, an ihrer historischen Richtigkeit festzuhalten.

Diese mythische Deduction der Speisungsgeschichte vollständig zu machen, fehlt nichts mehr, als die Nach- weisung, dafs auch die spateren Juden noch von besonders heiligen Männern glaubten , es werde durch ihren Einflufs geringer Speisevorrath zureichend gemacht, und auch mit solchen Notizen hat uns der uneigennützige Sammler- fleifs von Dr. Paulus beschenkt, wie namentlich, dafs zur Zeit eines besonders heiligen Mannes die wenigen Schau- brote zur Sättigung der Priester bis zum Uberflufs zuge- reicht haben 1 •). Consequenterweise sollte der genannte

37) exeg. Htndb. 2, S. 257 f.

JK) Joma f. 30, i: Tempore Simonis justi benedictio erat super duos panes pentccostales et super decem pancs np9io*<Hi ut

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Neuntes Kapitel. $. 102. 221

Ansleger auch fliese Erzählung natürlich, etwa gleichfalls durch die Mäfsigkeit jener Priester, zu erklären suchen: doch die Geschichte steht ja nicht im Kanon, daher kann er sie unbedenklich für ein Mährchen halten, und räumt ihrer auffallenden Ähnlichkeit mit der evangelischen, nur so viel ein , dafs vermöge des durch jene rabbinische Wo- rt/, dokumentirten Glaubens der Juden an dergleichen Spei- severmehrungen auch die N. T.liche Erzählung von judai- sirenden Christen frühzeitig in gleichem ( wunderbaftem) Sinne habe aufaefafst werden können. Allein laut unsrer Untersuchung ist der evangelische Bericht in diesem Sinne schon abgefafst, und lag dieser Sinn im Geist der jüdischen Volkssage, so ist die evangelische Erzählung ohne Zweifel ein Product derselben.

S. 102-

Jeius verwandelt Wasser in Wein.

An die Speisungsgeschichte läfst sich die Erzählung des vierten Evangeliums (2, 1 ff.) anreihen, dafs Jesus bei einer Hochzeit zu Kana in Galiläa Wasser in Wein verwandelt habe. Nach Olsuausen sollen beide Wunder unter dieselbe Kategorie zusammenfallen, indem beidemale ein Substrat vorhanden sei, dessen Substanz modificirt werde Allein hiebei ist der logische Unterschied über- sehen, dafs in der Speisungsgeschichte die Modifikation des Substrats eine blofs quantitative, eine Vermehrung des be- reits in dieser Eigenschaft Vorhandenen, bt ( ßrot wird nur mehr ßrot, aber bleibt Brot): wogegen bei der Hochzeit zu Kana das Substrat qualitativ modificirt, aus etwas nicht blofs mehr dergleichen, sondern ein Anderes

singuli sacerdotes , qui pro rata parte aeeiperent quantitatem olicac, ad tat i etat cm comederent , imo ut adhuc reliquiaß superessent. J) bibl. Comm. 2, S. 74.

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Tli Zweiter Abschnitt.

'.i ' * (ans Wasser Wein)' wird, somit eine eigentliche Trans- substantiation vor sich geht. Zwar giebt es qualitative Ver- änderungen, welche naturgemäfs erfolgen, und deren plöte- Jiche Hervorbringung von Seiten Jesu noch leichter denk- bar wäre, als eine ebenso schnelle Vermehrung des Quan- tums, wie z. ß. wenn er plötzlich Most zu Wein, oder Wein eu Essfg gemacht haben würde: denn diefs wäre nur ein beschleunigtes Hindurchführen desselben vegetabi- lischen Substrats, des Traubensaftes, durch verschiedene ihm natürliche Zu. tändlichkeiten ; wogegen es schon w un- derbarer wäre, wenn Jesus dem Saft einer andern Pllan- zenfrucht, e. ß. des Apfels, die Qualität des Traubensaftes ertheilt hätte, ob er gleich hiebe! doch innrer noch inner- halb der G ranzen desselben Naturreichs stehen geblieben wäre. Hier nun aber, wo Wasser in Wein verwandelt wird, ist von einem Naturreich in das andere, vom Ele- mentarischen in das Vegetabilische übergesprungen , ein Wunder, welches so weit Über dem Speisungswunder steht, als wenn Jesus dem Rath des Versuchers Gehör gegeben, und aus Steinen ßrot gemacht hätte.

Auch auf diese, wie auf die vorige Wundererzählung wendet Olshaüsen, nach Augustin;2), die Kategorie eines beschleunigten Naturprocesses an, so dafs'hier nichts An- "dres geschehen sein soll, als in accelerirter Weise dassel- be, was in langsamer Entwicklung sich jährlich am Wein- stock darstelle. Diese Betrachtungsweise wäre in dem Fall gegründet, Wenn das Substrat, auf welches Jesus ein" wirkte, dasselbe gewesen wäre, aus welchem naturgenväfs der Wein hervorzugehen pflegt: hätte er eine Weinrebe zur Hand genommen, und diese plötzlich zum Blühen und Tragen reifer Trauben gebracht, so iiefse sich diefs ein beschleunigter Naturprocefs nennen. Auch so übrigens hät-

2) In Joann. trict. 8: Jwe vinum fecü in nuptiis , oui omni

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Nenntet Kapitel. $. 102. 2 513

,,ten wir noch keinen Wein, und brachte Jesu» aus der zur Hand genommenen Rebe sogleich auch diesen hervor, so

, mutete er noch ein unsichtbares Surrogat des kelterns, also einen beschleunigten Kunstprocefs hinzufügen, so dafs auch s*» schon die Kategorie des beschleunigten Naturprocesses unzureichend würde. Doch wir haben ja keine Rebe als Substrat dieser VVeinproduction , sondern Wasser, und hiebet könnte von einem beschleunigten ftatnrprocefs nur dfum mit Fug gesprochen werden, wenn jemals aus Was-

:ser, sei es auch noch so alimÄhlig, Wein entstände. Hier wird nun der Sache die Wendung gegeben, dafs allerdings aus Wasser, aus der durch Regen u. dgl. in die Erde ge- brachten Feuchtigkeit, die Rebe ihren Saft ziehe, den sie sofort zur Production der Traube und des in ihr enthal- tenen Weines verwende, so dafs folglich allerdings jähr« lieh vermöge eines natürlichen Processes aus Wasser Wein entstehe 3 ). Aliein abgesehen davon, dafs das Wasser nur Eine der elementarischen Potenzen ist , welche die Rebe zu ihrer Fruchtbarkeit nöthig hat, und dafs zu demselben noch Freie, Luft und Licht hinzukommen müssen j so könnte doch weder von einer, noch von allen diesen elementar!- sehen Pptenzen zusammen gesagt werden , dafs sie die Traube oc|er den Wein hervorbringen, dafs also Jesus, wenn er aus Wasser Wein hervorbrachte, dasselbe, nur schneller, gethan habe, was sich in allmähligem Processe jährlich wiederhole, sondern auch hier wieder sind we- sentlich verschiedene logische Kategorieen verwechselt. Wir mögen nämlich das Verhältnifs des Products zum Pro- ducirenden, von welchem es sich hier handelt, unter die Kategorie von Kraft und Äusserung, oder von Ursache und Wirkung stellen: niemals wird gesagt werden können, dafs

3) So, von Olsiuuskw gebilligt, Augustin a. a. O. : statt emm, quod mherunt ministri in Jiydriasy in vinum conversum est opere Domini , sie et quod nahes Jundunt , in uiniun converti- tur ejasdem opere UominL

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i*U Zweiter Abschnitt.

das Wasser die Kraft oder die Ursache sei, weiche Trau- ben und Wein hervorbringe, sondern die Kruft, welche deren Entstehung verursacht, ist immer nur die vegetabi- lische Individualität des Weinstocks, zu welcher sich das Wasser nebst den übrigen elementarischen Agenzien Hui- wie die Sollicitation zur Kraft, wie die Veranlassung zur 1 Ursache, verhält. D. h. ohne Einwirkung von Wasser, Luft u. s. f. kann allerdings die Traube nicht entstehen, so wenig als ohne die Rebe; aber der Unterschied ist, dafs in der Rebe die Traube an sich oder dem Keime nach bereits vorhanden ist, welchem Wasser o. 8. f. nur zur Entwicklung verhelfen: in diesen elementarischen Wesen dagegen ist die Traube weder actu noch potcntia vorhan- den, sie können dieselbe auf keine Weise au* sich, son- dern nur aus einem Andern, der Rebe, entwickeln. Aus Wasser Wein machen heif.t also nicht, eine Ursache schnel- ler als auf natürlichem Wege erfolgen würde, zur Wirk- samkeit bringen, sondern ohne Ursache, aus der blofseu Veranlassung, die Wirkung entstehen lassen, oder bestimm- ter auf das Organische bezogen, ein organisches Product ohne den nroducirenden Organismus aus dem blofsen un- organischen Material, oder vielmehr nur aus Einem Be- standteil dieses Materials, hervorrufen : ungefähr wie wenn Einer aus Erde, ohne Dazwischen kunft der (ietreidepflan- xe, Brot, aus Brot, ohne es vorher durch einen thierischen Körper assimiliren zu lassen, Fleisch, aus Wein auf eben dieselbe Weise Blut gemacht haben sollte. Will man sich daher nicht biofs auf das Unbegreifliche eines Allmachts- worts Jesu berufen , sondern mit Olshaüsen den Procefs, der in dem fraglichen Wunder enthalten sein inüfste, nach Art eines Naturprocesses sich näher bringen : so mufs man nur nicht, um die Sache scheinbarer zu machen, einen Theil der dazu gehörigen Momente verschweigen, sondern alle hervorstellen, welche dann folgende gewesen sein müß- ten; ij Zu dem eleiueiiUu'iscueu ageu* de» Wassers niüfste

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Neuntes Kapitel. $. 102. 225

Jesus die Kraft der übrigen oben genannten Elemente ge- fügt, dann aber 2j was die Hauptsache ist, die organische Individualität der Rebe ebenso unsichtbar herbeigeschafft haben ; 3) bitte er nun den natürlic hen Proeefs dieser Ge- genstände mit einauder, das Blühen und Fruchttragen der Hebe samot dem Reifen der Traube, bis zum Augenblick- lichen beschleunigt; 4) hierauf den Kunstprocefs de» Pres- sens u. s. f. unsichtbar und plötzlich geschehen lassen, und endlich 5) den weiteren JSaturprocefs der Uährung wieder bis Eum Augenblicklichen beschleunigen müssen. Auch hier demnach ist die Bezeichnung des wunderbaren Vorgangs als beschleunigten Naturprocefses nur von awei Momenten unter fünfen hergenommen, während deren drei unter die- sen Gesichtspunkt sich gar nicht bringen lassen , von wel- chen doch die beiden ersten, namentlich das weite, von, einem Belange sind, der selbst den bei der Speisungsge- schichte von dieser Vorstellungsweise vernachlässigten Mo- menten nicht zukam: so dal's also von einem beschleunig- ten -NaturjM ocels hier so wenig wie dort die Rede sein kann 4j. Da aber allerdings diese Kategorie die einzige oder äusserte ist, unter weicher wir dergleichen Vorgän- ge unserem Vorstellen und Begreifen näher bringen kön- nen : so ist mit der Unanwendbarkeit jener Kategorie auch die Undenkbarkeit des Vorgangs dargethau«

Doch nicht allein in Bezug auf die Möglichkeit, son- dern auch auf die Zweckmässigkeit und Schick lieh keit ist das vorliegende Wunder in Anspruch genommen worden. Zwar der in älteren 5) und neueren 6) Zeiten gemachte

4) Auch Lücke, 1, S. 405, findet die Analogie mit dem bezeich- neten Naturprocess mangelhaft und undeutlich , und weiss sich hierüber nur dadurch einigermassen zu beruhigen, daes ein ahnlicher übelstand auch bei dem Speisungsvtundcr statt- finde.

5) Bei Chrysostomus, homil. in Joann. 2f.

6) Woolstow, Disc. 4.

Das Lcbgn Jesu 2te Auß. 11, Band. 15

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Zw^'eer Abschnitt.

Vorwurf, dafs es Jesn unwfirdig sei , »Ich nicht MÜefn in Gesellschaft von Trunkenen betreten zu lassen , sondern ihrer Trunkenheit durch seine Wunderkraft noch Vorschub zu fluni, ist als übertrieben abzuweisen, indem, wie die Erklärer mit Recht bemerken , aus dem otav utüuKhhoi (V. 10.) | welche« der aQXitQixhvog in Bezug auf den ge- wöhnlichen Hergang bei dergleichen Mahlen bemerkt , fin- den damaligen Fall nichts mit Sicherheit gefolgert werden kann. So viel jedoch bleibt immer, was nicht aliein Pau- lus und die Probabilien 7) bemerklich machen , sondern auch Lückb und Olshausen als eine bei'm ersten Anblick sich aufdringende Bedenklichkeit zugestehen, dafs nämlich Jesus durch dieses Wnnder nicht, wie er sonst pflegte, irgend einer Noth, einem wirklichen ßedfirfnifs abhalf, sondern nur einen weiteren Reiz der Lust herbeischaffte ; nicht sowohl halfreich , als vielmehr gefallig sich erwies ; mehr nur so zu sagen ein Luxuswunder , als ein wirklich wohlthätiges verrichtete. Sagt man hier, es sei ein hinrei- chender Zweck des Wunders gewesen , den Glauben der Jünger zu befestigen fc) was nach V. II. auch wirklich die Folge war: so mute man sich erinnern, dafs bei den Übrigen Wundern Jesu in der Regel nicht allein das For- male derselben, d. h. dafs sie ausserordentliche Erfolge waren, etwas Wünschenswertes, nämlich den Glauben der Anwesenden, cur Folge hatte, sondern auch ihrem Materialen , d. h. dafs sie in Heilungen, Speisungen u. dgl. bestanden, eine wohlthätige Absicht tum Grunde lag. Bei dem gegenwärtigen Wunder fehlt diese Seife, und Paulus hat so Unrecht nicht, wenn er auf den Widerspruch auf- merksam macht, welcher darin liege, dafs Jesus zwar dem Versucher gegenüber jede Aufforderung zu solchen \\ im* dern, die , ohne materiell wohlthätig, und durch ein drin-

7) p. 42.

S) Tmolvcx, s. d. St.

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Neuntes Kapitel. $.102. W

gendes Bedürfnlfa gefordert zu sein , nur formell etwa Glau- ben und Bewunderung wirken könnten , abgewiesen, und nun doch ein solches Wunder gethan haben sollte 9).

Man war daher supranaturalistischerseits auf die Wen* dong angewiesen, nicht Glauben überhaupt, welcher eben- so gut oder noch besser durch eine auch materiell wohi- thätige Wunderhandlung zu bewirken war, sondern eine ganz specielle , eben nur durch dieses Wunder zu bewir- kende Überzeugung habe Jesus durch dasselbe hervorbrin- gen wollen. Und hier lag nun nichts näher, als durch den Gegensatz von Wasser und Wein , um welchen sich das Wunder dreht , an den Gegensatz zwischen dem ßantlCioy sV vdati (Matth. 3, 11.), der zugleich ein oivov /ur} nivwv war (Luc. 1, 15. Matth. 11, 18.), und demjenigen, wel- cher, wie er mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufte, so auch die feurige, geistreiche Frucht des Weinstocks sich nicht versagte, und daher oivotiottjs gescholten ward (Matth. 11, ID.), erinnert zu werden, um so mehr, da das vierte Evangelium, welches die Erzählung von der Hoch- zeit zu Kana enthält, in seinen ersten Abschnitten beson- ders die Tendenz zeigt , vom Täufer zu Jesu herüberzufüh- ren. Daher haben denn Herder l°) und nach ihm einige Andere 41 ) angenommen, Jesus habe durch jenes Vorneh- men seinen Jüngern, von welchen mehrere vorher Schül- ler des Täufers gewesen waren, das Verhältnis seines Geistes und Amtes zu dem des Johannes versinnlichen, und den Anstois, welchen sie etwa an seiner liberaleren Lebensweise nehmen mochten, durch das Wunder nieder- schlagen wollen. Allein hier tritt nun dasjenige ein, was

9) Comm. 4, S. 151 f.

10) Von Gottes Sohn u. s. f. nach Johannes Evangelium, S. 131 f.

11) C. C. Flatt, über die Verwandlung des Wassers in Wein, in SüsaWa Magazin, 14. Stück, S. 86 f. Olsmaussk a. a. O. . S. 75 f.

15

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228 Zweiter Abschnitt

gleichfalls selbst Freunde dieser Auslegung nts auffallend her- vorheben < ), dafs Jesus das sinnbildliche Wunder nicht be- nOtzf, um durch erläuternde Reden seine Jünger Uber sein Yerhaitnifs zum Täufer aufzuklaren. Wie nbthig eine sol- che Auslegung war, wenn das Wunder nicht seinen 8pe- ciellen Zweck verfehlen sollte, erhellt sogleich daraus, dafs der Referent nach V. 1 1. dasselbe gar nicht in diesem Sinn , als Veranschaulichung einer besondern Maxime Je- su , sondern ganz allgemein, als <pavtQo>otg seiner äoi;a, ver- standen hat War also doch jene specielle Verständi- gung Jesu Zweck bei dem vorliegenden Wunder, so hat ihn der Verfasser des vierten Evangeliums, d. h. nach der Voraussetzung jener Erklärer sein empfänglichster Schüler, mifs verstanden , und Jesus, diesem Mifsverständnifs vorzu- beugen, auf unzweckmäßige Weise versäumt; oder, wenn man dieses Beides nicht annehmen will , so bleibt es dabei, dafs Jesus den allgemeinen Zweck, seine Wunderkraft zu zeigen, gegen seine sonstige Weise durch eine Handlung so erreichen gesucht hätte, an deren Stelle er eine nützli- chere scheint haben setzen zu können.

Auch das unverhähnifsmäfsige Quantum Weins , wel- ches Jesus den Gästen gewährt, mufs in Erstaunen setzen. Ii Krüge, jeder 2 bis 3 fieiQr/rdg fassend, gäben, wenn der dem hebräischen ßath entsprechende attische fittQiftfjg, zu H römischen amphoris oder 21 VVürtembergisohen Maafsen, verstanden ist, 252-378Maafs <4). Welches Quan- tum für eine Gesellschaft, die bereits ziemlich getrunken hatte ! Welche ungeheuren Krüge ! ruft auch Dr. Paulos aus, und wendet nun Alles an, um die Maafsangabe des Tex-

12) ÜLSKAUSKH, S. S. 0.

13) Auch Lücke findet jene symbolische Deutung su weit herge- holt, und zu wenig im Tone der Erzählung begründet. S. 406.

14) Würm, de ponderum, mensurarum etc. rationibus ap. Rom. et Graes, p. 123. 120. Vgl. Lucas, s. d. St.

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Neuntes Kapitel. §. 102. 2*2*

tos bu verkleinern. Auf die sprachwidrigste Weise giebt er dem ava statt seiner distributiven eine zusammenfassen- de Bedeutung, so dafs die G Hydrien nicht jede , sondern zusammen 2 bis 3 Metreten enthalten haben sollen, und auch Olshauskn getröstet sich nach Semler dessen , dafc ja nirgends bemerkt sei, das Waiser aJJer Krüge sei in Wein verwandelt worden. Allein das sind Ausflüchte: wem dia Herbeischaffung eines so verschwenderisch und gefährlich grofsen Quantums von Seiten Jesu unglaublich ist, dermufä daraus auf einen unhistorischen Charakter der ganzen Er« Zählung schliefsen.

£igenthümiiche Schwierigkeit macht bei dieser Er- Zählung auch das Verhältnis, in welches sie Jesum zu sei«* ner Mutter und diese zu ihm setzt. Nach des Evangelisten} ausdrücklicher Angabe war dieses Wunder die aQxq zw ariulwf Jesu: und doch zählt seine Mutter so bestimmt darauf, er werde hier ein Wunder thun , dafs sie ihm dem eingetretenen Weinmangel nur anzeigen zu dürfen glaubt» um ihn zu übernatürlicher Abhülfe zu bewegen, und selbst als sie eine abweisende Antwort erhalt, verliert sie dies» Hoffnung so wenig, dafs sie den Dienern Anweisung giebt» der Winke ihres Sohnes gewärtig zu sein (V. 3. 5.). Wie» sollen wir diese Erwartung eines Wunders bei Jesu Mut- ter erklären? sollen wir die johanneische Angabe, die Was- serverwandlung sei das erste Zeichen Jesu gewesen , nur auf die Zeit seines öffentlichen Lebens beziehen, für seine* Jugend aber die apokryph ischen Wunder der Kindheits- evangelien voraussetzen? oder wenn diefs schon Chrysosto- mus mit Recht zu unkritisch gefunden hat 1 *), sollen wir lieber vermuthen, Maria habe, vermöge ihrer durch die* Zeichen bei Jesu Geburt bewirkten Überzeugung, dafs er der Messias sei , auch Wunder von ihm erwartet, und, wie* vielleicht schon bei einigen früheren , so nun auch bei die-

15) Homil. in Joaua. z. d. St.

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250 Zweiter Abschnitt

sein Anlaß, wo die Verlegenheit grofs war, eine Probe je- ner Kraft von ihm verlangt 1 ') V Wenn nur jene frühe Überzeugung der Angehörigen Jean von seiner Messiani- ta't in etwas wahrscheinlicher, und namentlich die ausseror- dentlichen Ereignisse der Kindheit, durch welche sie hervor- gebracht worden sein soll , mehr beglaubigt wÄren ! wozu noch kommt, dafs, auch den Glauben der Maria an die Wunderkraft ihres Sohnes vorausgesetzt, immer nicht er- hellt, wie sie unerachtet seiner abweisenden Antwort doch noch zuversichtlich erwarten konnte, er werde gerade bei dieser Gelegenheit sein erstes Wunder thun , und bestimmt zu wissen glauben, er werde es gerade so thun, dafs er die Diener dazu gebrauchen würde. Olefs bestimmte Wis- sen der Maria selbst um die Modalität des zu verrichtenden Wunders scheint auf eine vorangegangene Eröffnung Je- su gegen sie zu deuten, und so setzt Olshausbn voraus, Jesus habe seiner Mutter über das Wunder, das er vor- hatte, einen Wink gegeben gehabt. Wann aber sollte die- se Eröffnung geschehen sein? schon wie sie zu der Hoch- zeit giengen? da mttfste also Jesus vorausgesehen haben, dafs es an Wein gebrechen würde, in welchem Falle dann aber Maria nicht wie von einer unerwarteten Verlegenheit Ihn von dem ohov ix tyuot in Kenntnifs setzen konnte. Oder erst nach dieser Anzeige, also in Verbindung mit den Worten: %l iftoi xal aoi yvvai; x. t. iL? aber hiemit lafst sich eine so entgegengesetzte Eröffnung gar nicht in Ver- bindung denken , man müfste sich denn die abweisenden Worte laut, die zusagenden aber leise, blofs für Maria, gesprochen vorstellen , was eine Komödie veranstalten hiefse. Begreift man somit auf keine Weise, wie Maria ein Wunder, und gerade ein solches, erwarten konnte, so liefse sich der ersteren Schwierigkeit zwar durch die Annah- me scheinbar ausweichen , dafs Maria nicht in Erwartung

16) Tiiolucm, z. d. St.

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Neunte. Kapitel. $. 102. 2SI

eines Wunders, sondern nur so, wie sie sich in allen schwierigen Fällen bei ihrem Sohne Raths erholte, sieh auch in diesem an ihn gewendet habe l7): aber seine Erwiederung zeigt, dafs er in den Worten seiner Mutter die Aufforderung zu einem Wunder gefunden hatte y und die Anweisung, welche Maria den Dienern giebt, bleibt ohnehin bei dieser Annahme unerklärt.

Die Erwiederung Jesu auf die Anmahnung seiner Mut- ter (V. 4.) ist ebenso oft auf flbertriebene Weise getadelt t8> als auf ungenügende gerechtfertigt worden. Man mag im- merhin sagen, das hebräische *f?\ ^Tfflp > dem das tl ifiol

xiä aol entspreche, komme z. B. 2. Sam. Iß, 10. auch als gelinder Tadel vor *9), oder sich darauf berufen, dafs mit dem Amtsantritt Jesu sein Verhältnifs zur Mutter, was die Wirksamkeit betrifft, sich gelöst habe 2C): gewifs durfte doch Jesus auf die Gelegenheiten , seine Wundermacht in Anwendung su bringen, mit Bescheidenheit aufmerksam gemacht werden, und so wenig derjenige, welcher ihm ei« nen Krankheitsfall mit hinzugefügter Bitte um finife an« zeigte, eine Schmähung verdiente, so wenig und noch we- niger Maria, wenn sie einen eingetretenen Mangel mit blofa hinzugedachter Bitte um Abhülfe zu seiner Kenntnifs brach- te. Ein Anderes wäre es gewesen, wenn Jesus den Fall nicht geeignet, oder gar unwürdig gefunden hätte, ein Wun- der an denselben zu knüpfen: dann hätte er die auffor- dernde Anzeige als Reizung zu falscher Wunderthätigkeit (wie in der Versuchnngsgeschichte) hart abweisen mögen ; so hingegen, da er bald darauf durch die That aeigte , dafs er den Anlafs allerdings eines Wunders Werth finde, ist schlechterdings nicht einzusehen, wie er der Mutter ihr»

17) H«$s, Geschichte Jesu* 1, S. 155. Vgl. auch Calvik> x. cU St.

18) *. B. von Woolstox a. a. O.

19) Platt, a. a. O. S. 90; Tmoluck, z. d. St.

20) UtsaAUtSA, z. tl. St.

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232 Zweiter Abschnitt,

Anzeige , die ihm nur vielleicht einige Augenblicke za frü- he kern, verdenken konnte 2i)-

Den zahlreichen Schwierigkeiten der supranaturalisti- •chen Auffassung bat man auch hier durch natürliche Deu- tung der Geschichte zu entfliehen versucht. Von der Sitte ausgehend, dafs bei jüdischen Hochzeiten Geschenke an Wein oder Öl gewöhnlich waren, und davon, dafs Jesus, der 5 neugeworbene Schaler als ungeladene Gäste mitbrach- te, einen Mangel an Wein voraussehen konnte, nimmt man an, des Scherzes wegen habe Jesus sein Geschenk auf un- erwartete und geheimnifsvolle Weise anbringen wollen. Die ddfa, welche er durch diese Handlung offenbarte, ist hie- nach nur seine Humanität , welche gehörigen Ortes auch einen Spafs zu machen nicht verschmähte; die nigtg, die er sich dadurch bei seinen Jüngern zuwege brachte, ist das freudige Anschließen an einen Mann , welcher nichts von dem drückenden Ernste zeigte , den man sich vom Messias prognosticirte. Die Mutter wufste um den Vor- satz des Sohnes und mahnt ihn , wie es ihr Zeit schien, denselben zur Ausführung zu bringen; er aber erinnert sie soherzend, ihm nicht durch Vorschnelligkeit den Spafs zu verderben. Dafs er Wasser einschöpfen lief's , scheint su der scherzhaften Täuschung gehört zu haben , welche er beabsichtigte; dafs, als auf Einmal Wein statt Was- sers in den Krügen sich fand, diefs für eine wunderbare Verwandlung gehalten wurde, ist leicht begreiflieh in ei- ner späten Nachtstunde, wo man schon ziemlich getrunken * hatte; dafs endlich Jesus die Hochzeitleote über den wah- ren Thatbestand nicht aufklärte, war die natürliche Con- aequen« , die hervorgebrachte scherzhafte Täuschung nicht selbst zerstören zu wollen »*> Wie übrigens die Sache

2t) Vgl. auch dio Frobabilien, p. 41 f.

22) Paulv», Comm. 4, S. 150 0. ; L. J. I, *, S, 169 ff.; Natür- liche Imchicbtc, 2, S, H fT.

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Neuntes Kapitel. f. IM. 233

zugegangen, durch welche Veranstaltung Jesus den Wein an die Stelle des Wassers gebracht, diefs , meint Paulus, lasse sich nicht mehr ausmachen : genug , wenn wir wis- sen , dafa Alles natürlich vor sich gegangen sei. Da aber nach der Annahme dieses Auslegers der Evangelist sich der Natürlichkeit des Erfolgs im Allgemeinen bewufst war, warum hat er uns keinen Wink darüber gegeben? Wollte er auch den Lesern die Überraschung bereiten , weiche Je- sus den Zuschauern bereitet hatte : so mufste er sie doch hinterher auflösen , um die Täuschung nicht bleibend zu raachen. Namentlich durfte er nicht den irreführenden Ausdruck gebrauchen, dafs Jesus durch diesen Act iitv öu'iuv avrö (V, iL), was in der Sprache seines Evangeliums nur dessen höhere Würde bedeuten kann, geoffenbart ha- be ; er durfte den Vorfall kein or^ielov nennen , was ein i übernatürliches involvirt; er durfte endlich nicht durch den Ausdruck: %o vöioq olvov yeyEvrjfisvov (V. 9.), noch we- niger unten (4, 46.) durch die Bezeichnung Kana's mit o.iu irtolvjoev vöcjq olvov, den Schein erregen , als stimmte er der wunderhaften Auffassung des Vorgangs bei M). Die- se Schwierigkeiten suchte der Verfasser der natürlichen Geschichte durch die Einräumung zu umgehen, dafs der Referent selbst, Johannes, die Sache für ein Wunder an- gesehen habe und als solches erzähle. Indefs, abgesehen von der unwürdigen Art, wie er diesen Irrthnm des Evan- gelisten erklärt wäre es von Jesu nicht woM denkbar, dafs er auch seine Schüler in der Täuschung der übrigen liäste erhalten , und nicht wenigstens ihnen eine Aufklä- rung über den wirklichen Hergang der Sache gegeben ha- ben sollte. Man müfste daher annehmen, der Referent die- ses Vorfalls im vierten Evangelium sei keiner von Jesu

23) Vgl. hierüber Flatt, a. a. O. S. 77 ff. Und LCcke, *.d. Absch. J4) Kr giebt dem u*9va**a9<n V. fo. eine Beziehung auch auf den Johanne«,

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134 Zweiter Abschnitt.

Schülern gewesen , wag jedoch über die Sphäre dieser Er- klärungsweise hinausgeht. Doch auch zugegeben, dafs der Referent selbst, wer er immer sein möge, in der Täuschung derer, weiche in dem Vorgang »in Wander sahen, befan- gen gewesen sei, wobei also seine Darstell ungs weise und die von ihm gebrauchten Ausdrücke begreiflich würden: ao ist Jesu Verfahren und Handlungsweise desto unbegreif- 1 ic her« wenn kein wirkliches Wunder im Spiele war. Warum richtete er die Darbringung des Geschenks mit rafft nirtem Fleifse so ein, dafs es als wunderbare ßescheerung er- scheinen mufste? warum liefs er namentlich die GefaTse, in welche er sofort den Wein zu bringen im Sinne hatte, vorher mit Wasser voll machen , dessen nothwendige Wie- derentfernung am unbemerkten Vornehmen der Sache nur hinderlich sein konnte? wenn man nicht mit Woolston an- nehmen will , er habe dem Wasser nur durch zugegossene Liqueure einen Weingeschmack ertheilt. Das Gefühl die- ser doppelten Schwierigkeit , theils das Hineinbringen des Weins in die bereits mit Wasser gefüllten Krüge denkbar su machen, theils Jesum von dem Verdachte freizusprechen, als hatte er den Schein einer wunderbaren Verwandlung des Wassers erregen wollen, mag es gewesen sein, was den Verfasser der natürlichen Geschichte bewog , den Zusam- menhang zwischen dem eingefüllten Wasser und dem spa- ter zum Vorschein gekommenen Wein ganz zu zerreissen durch die Annahme, das Wasser habe Jesus holen lassen, weil es auch daran fehlte, und er den wohlthXtigen Ge- brauch des Waschens vor und nach der Tafel empfehlen wollte , den Wein aber habe er hernach aus einer anstos- senden Kammer, wohin er ihn gestellt hatte , herbeibrin- gen lassen eine Auffassung , bei weicher freilich entwe- der die Trunkenheit sa'mmtlicher Gäste und namentlich des Referenten als ziemlich bedeutend angenommen werden müfste, wenn sie den aus der Kammer gebrachten Wein für einen aus den Wasserkrügeu geschöpften angesehen

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Nenntet Kapitel, f. 162. 235

haben sollen , oder die tauschende Veranstaltung Jesu als sehr fein angelegt, was mit seiner sonstigen Geradheit sich nicht verträgt.

In dieser Klemme zwischen der supranaturalistischen and der natürlichen Erklärung , von welchen auch hier die eine so wenig als die andre genügen kann, möTsten wir nun mit dem neuesten Ausleger des vierten Evangeliums warten, „bis es Gott gefüllt, durch weitere Entwicklungen des be- sonnenen christlichen Denkens die Lösung dieser Rathsei zu allgemeiner Befriedigung herbeizuführen wenn uns nicht ein Ausweg schon dadurch angezeigt wäre , dafs wir die betreffende Geschichte nur bei dem Einen Jo- hannes finden. War sie, einzig in ihrer Art wie sie ist, zugleich das erste Zeichen Jesu, so mufste sie, wenn auch damals noch nicht alle Zwölfe mit Jesu waren, doch die- sen allen bekannt werden, und wenn auch unter den übri- gen Evangelisten kein Apostel ist, doch in die allgemeine Tradition und von da in die synoptischen Aufzeichnungen fibergehen: so, da sie nur Johannes hat, scheint die An- nahme, dafs sie in einem den Synoptikern unbekannten Sa- gengebiet erst entstanden , leichter als die andere, dafs sie aus dem ihrigen so frühzeitig verschwunden sei ; es kommt nur darauf an, ob wir im Stande sind, nachzuweisen , wie auch ohne historischen Grund eine solche Sage sich gestal- ten konnte. Kaiser verweist hiefür auf den abenteuerli- chen Geist des verwandelnden Orients : aber diese Instans ist so unbestimmt, dafs Kaiser allerdings noch die Voraus- setzung eines wirklich vorgefallenen humanen Scherzes Jesu nöthig hat 2 , womit er in- der unglücklichen Mitte zwi- schen mythischer und natürlicher Erklärung stehen bleibt, aus welcher man nicht eher herauskommt , als bis man be- stimmtere, näher liegende mythische Anhalts- und Entste-

25) Lücks, S. 407.

26) bibl. Theol. 1, S. 200.

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236 Zweiter Abschnitt.

hungspankte für eine Erzählung herbeizuschaffen im Stande ist. Im gegenwärtigen Falle nun braucht man weder bei m Orient überhaupt, noch bei Verwandlungen im Allgemei- nen stehen zu bleiben , da sich bestimmt Wasserverwand- lungen im engeren Kreise der hebräischen Urgeschichte finden. Neben einigen Ersählungen, dafs Moses den Israe- liten in der Wüste aus dürrem Felsen Wasser verschafft habe (2 Mos. 17, 1 ff. 4 Mos. 20, 1 ff.); eine Wasser- bescheerung, welche, nachdem sie in modificirter Weise eich in der Geschichte Sirason's wiederholt hatte (Rieht. 15, JS f.), a irh in die messiauischen Erwartungen übergetra- gen wurde 27); ist die erste dem Moses zugeschriebene Wasserverwandlung jene Umwandlung alles Wasser» in Ägypten in Blut, welche unter den sogenannten zehn Ma- gen aufgeführt wird (2 Mos. 7, 17 ff.). Neben dieser mutatio in deterius findet sich aber in der Geschichte des Moses auch eine am Wasser vollzogene mutatio in melius, indem er bitteres Wasser nach Jehova's Anweisung süß machte (2. Mos. 14, 23 ff.)? wie spater auch Elisa ein un- gesundes Wasser gut und unschädlich gemacht haben soll (2 Kon. 2, 19 ff.). Wie, laut der angeführten rabbinischen Stelle, die Wasserbescheerung, so scheint unsrer johannei- schen Erzählung zufolge auch die Wasserverwandlung von Moses und den Propheten auf den Messias übergetragen worden zu sein, mit denjenigen Modifikationen jedoch, wel- che in der Natur der Sache lagen. Konnte nämlich auf der eine/1 Seite eine Veränderung des Wassers ins Schlim- mere, wie jene mosaische Verwandlung desselben in Blut, konnte ein solches Strafwunder dem milden Geiste des als Messias erkannten Jesus nicht wohl angemessen gefunden

27) In der Band 1, §. 14. angeführten Stelle aus Midrasch Ho-

hcleth hebst es unter Anderem : Goe'l primus ascendere fecit put cum : sie quo que Goil p&stremut ascendere Jaciet atjuas etc.

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Neuntes Kapitel. J. 103. 237

werden r so konnte andrerseits eine solche Veränderung ins Bessere, welche, wie die Vertreibung ;der Bitterkeit oder Schädlichkeit, innerhalb der species des Wassers ste- t hen blieb, and nicht, wie jene Verwandlung in Blut, die Substanz des Wassers selbst änderte, für den Messias ungenügend erscheinen ; beides zusammengenommen aber, eine Veränderung des Wassers ins Bessere, welche zu- gleich eine specifische Veränderung seiner Substanz wäre, mufste beinahe von selbst eine Verwandlung in Wein ge- ben. Diese ist nun von Johannes so erzählt, wie es zwar nicht der Wirklichkeit, um so mehr aber dem Geiste seines Evangeliums angemessen gefunden werden mufs. Denn so undenkbar, geschichtlich betrachtet, die Harte Jesu ge- gen seine Mutter erscheint : so ganz im Geiste des vierten Evangeliums ist es, seine Erhabenheit als des göttlichen Xoyog dorch ein solches Benehmen gegen Bittende (wie Joh. 4, 48.), und selbst gegen seine Mutter, auf die Spitze zustellen 8 ). Ebenso im Geiste dieses Evangelisten < ist es auch, den festen Glauben, welchen Maria unerachtet der abweisenden Antwort Jesu behielt, dadurch herauszu- heben, dafs er sie in einer historisch unmöglichen Ahnung selbst von der Art und Weise, wie Jesus das Wunder ver- richten würde, die oben besprochene Anweisung den Die- nern geben iäfst.

§. 103.

Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum.

Die Anekdote von dem Feigenbaum, welchen Jesus, weil er, hungrig, keine Früchte auf ihm fand, dorch sein Wort verdorren machte, ist den zwei ersten Evangelien eigentümlich (Matth. 21, 18 ff. Marc. 11, 12 ff.), wird aber von ihnen mit Abweichungen erzählt, welche auf die An- sicht von der Sache von Einflufs sind. Und zwar schien

m Vgl. die Prohsbilien, a. a. 0. . v. . . !

»

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Zweiter Abschnitt.

die eine dieser Abweichungen des Markus von Matthäus der natürlichen Erklärung so günstig zu sein, dafs man namentlich auch mit Rücksicht auf sie dem Evangelisten neuerlieh eine Tendenz eu natürlicher Ansicht von den Wundern Jesu Angeschrieben, und um dieser einen, gün- stigen, Abweichung willen ihn auch bei der andern, ziem- lich unbequemen, die sich in vorliegender Erzählung fin- det, in Schutz genommen hat.

Bliebe es nämlich bei der Art, wie der erste Evange- list den Erfolg der Verwünschung Jesu angiebt: xixi Qav&q naQayorj{4a jy ovxr} (V. 19.), «o würde es wohl schwer halten, hier mit einer natürlichen Erklärung anzukommen, da auch die gewaltsame PAUtus'sche Deutung, nach wel- cher das TtccQaxQrjpa nur weiteres menschliches Zuthun, nicht aber eine längere Zeitfrist ausschliefen soll, doch nur auf unbefugtem Herübertragen des Markus in den Matthäus beruht. Bei Markus nämlich verwünscht Jesus den Baum am Morgen nach seinem Einzug in Jerusalem, und erst am folgenden Morgen bemerken die Jünger im Vor- übergehen, dafs der Baum verdorrt ist. Durch diese Zwi- schenzeit, welche Markus zwischen der Rede Jesu und dem Verdorren des Baumes offen läfst, drängt sich nun die natürliche Erklärung der ganzen Geschichte ein,: darauf fufsend, dafs in dieser Frist der Baum wohl auch durch na- türliche Ursachen habe verdorren können Derogemitfs soll nun Jesus an dem Baume neben dem Mangel an Früch- ten auch sonst noch eine Beschaffenheit bemerkt haben, aus welcher er ein baldiges Absterben desselben prognosti- cirte, und dieses Prognostikon soll er ihm in den Worten: von dir wird wohl Niemand mehr Früchte zu essen be- kommen, gestellt haben. Als die Hitze des Tages die Vor- aussage Jesu unvermuthet schnell verwirklichte, und die Jünger diefs am andern Morgen bemerkten , da erst setz- ten sie diesen Erfolg mit den Worten Jesu vom vorigen Morgen in Verbindung! und begannen diese als Verwün-

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Nenntet Kapitel. $. 103. 239

i

tchnng aufzufassen ; eine Deutung, welche übrigens Jesus ^ nicht bestätigt, sondern den Jüngern r.u (iemüthe führt, mit nur einigem Selbstvertrauen werden sie nicht blofs solche schon physiologisch bemerkbare Erfolge voraussa- gen, sondern noch viel Schwereres wissen und bewirken können x). Allein gesetzt auch, die Angabe des Markus wäre die richtige, so bleibt doch auch so die natürliche Er- klärung unmöglich. Denn die Worte Jesu bei Markus (V. 14.): Mxtti ix €ig iov cclvjvcc fiydelg xaQTiov qayoi, müßten, wenn sie blofs eine Vermothung, was wohl ge- liehenen werde, enthalten sollten, noth wendig ein av bei sich haben, und in dem firtxiri ix xuo/tog yivrpai des Matthäus ist ohnehin der Befehl nicht zu verkennen , ob- gleich Paulus auch hier mit einem blobsen „mag werden" abkommen möchte. Auch dafs Jesus den liaum selbst an- redet, so wie das feierliche dg tov otära» weiches er hin- zufügt, spricht gegen eine simple Voraussage und, für die Verwünschung; Paulus fühlt diefs wohl, und deutet daher mit unerlaubter Gewaltsamkeit das Xtyu uizjj zu einem Sagen in Beziehung auf den Baum uro, wahrend er das dg i6 v auova durch die Übersetzung: in die Folgezeit hin, abschwächt. Doch gesetzt auch, die Evangelisten hatten aus ihrer irrigen Ansicht von dem Vorgang heraus die Worte Jesu über den Feigenbaum in etwas verändert, und Jesus also wirklich dem Baum nur ein Prognostikon gestellt: so hat er doch, als das Vorausgesagte eingetreten war, den Erfolg seiner übernatürlichen Einwirkung zugeschrieben. Denn wenn er das, was er in Bezug auf den Feigenbaum geleistet, als ein noitiv bezeichnet (V. 21. bei Matth.), so kann schon diefs nur gezwungen auf eine blofse Voraus- sage bezogen werden; namentlich aber, wenn er es dem Bergeversetzen gegenüberstellt, so mufs, wie dieses nach jeder möglichen Deutung doch immer ein Bewirken ist,

I) Paulus, exeg. Handb., 3, a, S. 157 ff.

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240

Zweiter A bschnitt.

ebenso auch jenes als eine Einwirkung auf den Baum ge- fafst werden: jedenfalls mufste Jesus dem xctTrtQctO(ti des Petrus (V. St. Marc.) entweder widersprechen, oder war sein Stillschweigen darüber Zustimmung. Schreibt demnach Jesus das Verdorren des Baums hinterher seiner Einwir- kung zu : so hat er entweder auch schon durch seine An* rede an denselben eine Einwirkung beabsichtigt, oder er hat den zufälligen Erfolg cur Tauschung seiner Jünger ehrgeizig mifsbraucht; ein Dilemma, in welchem uns die Worte Jesu, wie sie von den Evangelisten referirt sind, entschieden auf die erstere Seite hinweisen.

Unerbittlich also werden wir von diesem natürlichen Erklärungsversuch auf die supranaturalistische Auffassung zurückgedrängt , so schwierig diese auch gerade bei vorlie- gender Geschichte ist. Was sich gegen die physische Mög- lichkeit einer solchen Einwirkung sagen liefse, übergehen wir, nicht zwar, als ob wir mit Hase uns anheischig ma- chen könnten, sie aus der natürlichen Magie zu begrei- fen 2), sondern weil eine andere Schwierigkeit die Unter* auchung schon vorher abschliefst, und gar nicht bis zur Erwägung der physischen Möglichkeit kommen läfst. Die- ser entscheidende Anstofs betrifft die moralische Möglich- keit einer solchen Handlung von Seiten Jesu. Was er hier vollzieht, ist ein Strafwunder. Ein solches findet sich sonst in den kanonischen Berichten über das Leben Jesu nicht: nur die apokryphischen Evangelien sind, wie oben bemerkt wurde, voll davon. In einem der kanonischen Evangelien findet sich vielmehr eine gleichfalls schon öfters angeführ- te Stelle, Luc. 9, 55 f., welche es als Bewußtsein Jesu ausspricht, dals eine Benützung der YVunderkraft, um Stra- fe zu Üben und Rache zu nehmen, dein Geiste seines Be- rufs widerspreche, und dasselbe Bewußtsein spricht der Evangelist Über ihn aus, wenn er das jesaianische : zu)m-

2) L. J. §. 128.

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Neuntes Kapitel. §. HM. 241

fuüp m^ttrQififihay ö xateagsi x. t. X. auf ihn anwendet (Matth. 12, SO.). Diesem Grundsatz und seinem >onstigen Verfahren gemtffs hätte Jesus vielmehr einen dürren Baum neubeleben, als einen grünen verdorren machen müssen, and um «eine diesmalige Handlungsweise zu begreifen , müTsten wir Gründe nachzuweisen im Stande sein, wel- che er gehabt haben könnte, von dem dort ausgesprochenen Grundsätze, welcher keine Zeichen der Unfichtheit gegen sich hat, in diesem Faii abzugehen. Die Gelegenheit, bei welcher er jenen Grundsatz aufstellte, war die aus An- Jafs der Weigerung eines samarischen Dorfs , Jesum und seine Jünger gastlich aufzunehmen, an ihn gerichtete Fra- ge der Zebedaiden , ob sie nicht nach der W eise des Elias Feuer auf das Dorf herabregnen lassen sollen? worauf sie Jesus an die Eigentümlichkeit des Geistes mahnt, dem sie angehören, mit welcher ein so verderbendes Thun sieh uieht vertrage. In unserem Falle hatte es Jesus nicht wie «ort mit Renschen, die sich unrecht gegen ihn betragen hatten, sondern mit einem Baume zu tiiun, den er nicht in der erwünschten, Verfassung traf. Statt dafs nun hierin «in besonderer Grund läge, ?on jener Regel abzugehen, ist vielmehr der Hauptgrund, weicher in jenem ersten Falle möglicherweise sur Verhangung eines Strafwunders hätte bewegen können, bei diesem zweiten nicht vorhanden. Der moralische Zweck der Strafe nämlich, den ^Gestraften zur Einsicht und Anerkenntnis seines Fehlers zu bringen und dadurch zu bessern, fallt einem Baume gegenüber völlig weg, und selbst von Strafe als Vergeltung kann bei einem unfreien Naturgegenstande nicht die Hede sein Sich gegen einen leblosen Gegenstand, den man eben nicht im erwünschten Zustande findet, eu ereifern, wird mit Recht

5) Augustin, de vcrbis Domini in ev, sec. Joann. scrmo 44; Quid arbor fecerat y J rat tum non ajjcrcndo, qua* culpa ar- boris infoecunditast

Das Leben Jesu VeAufl. 11. Band. 16

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142 Zweiter Abschnitt.

alsltfangel an Bildung ausgelegt; in solcher Entrüstung bis cur Zerstörung des Gegenstandes fortzugehen , wird m Ibst l'ür roh und unwürdig angesehen, und Woülston hat so Unrecht nicht, wenn er behauptet, an jedem Andern Bis an Jesn , würde eine solche Handlung streng getadelt werden 4), Zwar bei wirklich objectiv und habituell feh- lerhafter Beschaffenheit eines Naiurgegenstnndes kann es ^yobl etwa geschehen, d*fs der Mensch ihn aus dem Wege räumt, um einen heuern an seine Stelle zu setzen, wozu übrigens immer nur der Eigen thüm er die gehörige Auffor- derung; und Befugnis hat (vgl. Luc* 13, 7. j. Dafs aber dieser Baum, weil er eben damals keilte. Früchte bot, auch Im folgenden Jahre keine getragen haben würde, verstand sich keineswegs von selbst, und auch in . der Erzählung wird das Gegentheil angedeutet, wenn Jesus seine Verwün- schung so ausdrückt, dafs auf dem Baume nie mehr LVüoh- te wachsen sollen, was also ohne diesen Fiueh voraussetz- liefe doch noch geschehen sein würde. .

War so die üble Beschaffenheit des Baums keine ha- bituelle, sondern nur eine vorübergehende, so war sie, wenn wir dem Markus weiter folgen, nicht einmal eine ob* jective, sondern rein subjeetfv nur in dem »u fälligen Ver- hältnis des Baums zu dem .augenblicklichen Wunsch und Bedürfnis Jesu gegründet. Denn nach einem Zusätze, wel- cher die zweite Eigentümlichkeit des Markus in dieser Eraänlung bildet, war eben damals nicht Feigenzeit VV. 13.), es war also kein Fehler,, vielmehr ganz in der Ordnung, dafs auch dieser Baum damals keine hatte, und Jesus , an den es schon Wunder nehmen mufs , dafs er so «ur Un- aeit Feigen auf dem Baum erwartete, hätte wenigstens, als er keine fand , sich auf das Ungegründete seiner Erwar- tung besinnen, und eine so ganz unbillige Handlung, wie die Verwünschung war, unterlassen sollen. Schon Kirchen-

4) Disc. 4.

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HevnWYapl'U'Vltt.

243

vfiter Stießen sicK KrV diesem Zusätze des Markus, dB}*» den unter Voräusseeeun^ desselben 6*9 Verfahren Jesu gaW besonders rathseinaft' ) 'WoOL*sroN 'mtrer spottet nicht mit Unrecht , wenn ein Kritischer Bauer Im Frühjahr Ob$t in seinem Garten suchte, und die BKtttfe umhiebe, w eiche kell lies haben, SO würde er von Jedermann aus gel «cht wer- den. Die Ausleger haben durch eine buhte1 Reihe von Con- jecturen und Deutungen der Schwierigkeit dieses Zusätze!

Wunsch, dafs doch die schwierigen Worte lieber gar nicht

kehrte Angabe zu wünschen war, dafs damals Feigenzeit gewesen, um nämlich Jesu Erwartung, und seinen Unwil« Jen, als er sie getäuscht sah, begreifen zu können : so hat man auf vertchletfene« Weise die Negation aus dem Satze »u-entferneii gesucht ,: rheiis gsMs gewaltsam,"' Indem man

t/rsv«), /cttipusßciitöVrtat^l theils abgeschmackt, durch Verwandlung de« fcatziitih einen Fragesatz: norm* enim etc. 8); theils dadurch , :daft das xaiQog ovxiuv fon der Zeit der FeigenflPnte 'genommen und so in dem Zusatz die An- gabe , die Feigen seien noch nicht Weggelesen , d. h. noch '

6) J"u 11, cinendd. in Suidam, 1, p. 550 f.

7) Hsiksivs u. A.? bei Faiyzscms *. d. St.

16 *

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344

Zweiter Abschnitt.

nnf den Baumen gewesen, gefunden wo rde 9) wofür man sich; auf da« xuiQog tuv xannwv Matth. 2.1, 34. berief. Al- lein wie unter diesem Ausdrucke, der eigentlich nur das

Jn/ecedens der £rnte,; das Vorhandensein der Früchte auf ackern oder Baumen, bezeichnet, wenn er in einem affirma- tiven Satze steht,, das consequeas,, die mögliche Fruchtein- SMinmlung, nur in der Art verstanden sein kann, dafs das antecedens, das Dasein der Früchte auf dem Felde, mitein- geschlossen bleibt, folglich igt xainog xaqmov nur so viel bedeuten kann: die (reifen) Früchte stehen auf den Äckern, und sind demnach zur Einsammlung bereit : ebenso wird, wenn jener Ausdruck in einem negativen Satze steht , zu- erst das antecedens, das ßefin dl ichsein der Früchte auf dem Acker , Baum u. dgl. ^ und erst mittelst dessen das conse* quensy die Einsammlung der Früchte , aufgehoben ; ax igt, xfitiQOQ ovxuv heifst also: die Feigen sind nicht auf den Bäu- men gegenwärtig, und somit auch nicht zum Einsammeln bereit, keineswegs aber umgekehrt: sie sind noch nicht eingesammelt, und stehen also -noch auf den Bäumen. Aber nicht nur diese unerhörte Redeiigur,-. dafs , während den Worten nach das antecedens aufgehoben wird, dem Sinne nach nur das cattsequens aufgehoben , das antecedens aber gesetzt sein soll, sondern noch eine andere, die man bald Synchysis, bald Hyperbaton nennt, mufs bei dieser Erklä- rung angenommen werden. Denn als Angabe, dafs damals die Feigen noch auf den Bäumen gewesen, giebt der in Rede stehende Zusatz nicht den Grund, warum Jesus auf jenem Baume keine fand , sondern , warum er welche er- wartete: er sollte also nicht hinter udi» evnev x. r. A., sondern nach ijAtev, el änce evQrjoet x, t. L stehen; eine Versetzung , welche aber nur beweist , dafs diese ganze Erklärung gegen den Text läuft. Uberzeugt einerseits, dafs

9) Dahmr, in HiKKt's n. Magazin, 2, Bd. 2. Heft, S. 252. Auch

Mi mök, in Marc. p. 150 f.

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Neui'iei Kapitel, f! 103. 245

der Zusatz des Markos das Obwalten, Einstiger Umstände für das Vorbandensein von Feigen auf jenem Baume ver- neine, aber andrerseits docb bemüht, Jesu Erwartung an rechtfertigen, suchten andre Erklärer jener Verneinung statt des allgemeinen Sinns, dafs es überhaupt nicht an der Jahrs- eeit gewesen sei, wovon Jesus nothwendig hätte Notiz ha- ben müssen, den particularen au geben , dafs nur besondre* Umbände, welche Jesu nicht nothwendig bekannt sein mu ta- ten, der Fruchtbarkeit des Feigenbaums entgegengestanden haben. Ein ganz speciales Hindernifs wäre es gewesen, wenn etwa der Boden, in welchem der Baum wurzelte, ein unfruchtbarer gewesen wäre, und wirklich soll nacht Einigen xaiQvg ovxvjv einen für Feigen günstigen Boden be- yeichnen *°); Andere, mit mehr Achtung vor der Wortbe- deutung vonxcuQog, bleiben zwar bei der Erklärung von gün- stiger Zeit, nur dafs sie die Angabe des Markus nicht universell von einer stehend und alljährlich der Feigen ermangelnden Jahreszeit, sondern nur von einem einzelnen, zufällig den Feigen ungünstigen Jahrgange verstehen 1 Allein xaiyog i t zunächst die rechte Zeit im Gegensatze zur Unzeit, nicht eine günstige gegenüber einer ungünstigen; nun aber kann, wenn einer, auch in einem unfruchtbaren Jahrgänge, zu der Zeit, in welcher sonst die Früchte zu reifen pflegen, solch© sucht, doch nicht gesagt werden, dafs es zur Unzeit sei, viel- mehr könnte ein Mifsjahr gerade dadurch bezeichnet wer- den, dafs, ott 6 xaiQog ttov xaQnuv, man nirgends welche gefunden habe. Jedenfalls , wenn der ganze Jahr- gang die Feigen, einein Palästina so häufige Frucht, nicht begünstigte, mufste Jesus diefs fast ebensogut wissen, als wenn die unrechte Jahrszeit war: so data das Räthsel bleibt, wie Jesus über eine ßeschafieuheit des Baums, wei-

10) s. bei Kuixol, z. d. St.

Jl) Paülu», exeg. Haadb. 3, a, S. 175. Olsiuvssw, b. Comm. 1, S. IbZ i.

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konnte

e , tfo angehalten sein mochte. Allein erinnern wir uns doch nur wer es Sa t , d< wir jenen £os&tz verdanken. Ks ist Markus, weleher in •einem erläuternden, veranschaulichenden Beatreben so Man- ches aas seinem Eignen rneetzt, und dabei, wie langst an« erkannt ist, ond auch wir auf unsrem Wege schon cur Genüge gefunden haben , nicht immer auf die überlegteste Weise cu Werke geht. So hier nimmt er gleich das erste Aulfallende, waa ihm begegnet, dafs der Baum keine Früchte hatte , und ist eilig mit der Erklffrung bei der Hand, es werde die Zeit nicht gewesen sein; merkt aber nicht, dafs er, indem er physikalisch die Leerheit des Bauma erklfirt, dadurch das Verfahren Jesu moralich unerklär- lich macht. Auch die oben erwa'hnte Abweichung von Mat- thäus in Betreff der Zeit, innerhalb welcher der Baum verdorrte, ist, weit entfernt, eine gröfsere Urkundlichkeit des Markus in dieser Erzählung 1 2), oder eine Neigung EU natürlicher Erklärung des Wunderbaren eu beweisen, wieder nur aus demselben veranschaulichenden Bestreben, wie der zuletzt betrachtete Zusatz, hervorgegangen. Das Bild eines auf ein Wort hin plötzlich verdorrenden Baums fällt der Einbildungskraft schwer zu vollziehen ; wogegen es nicht Abel dramatisch genannt werden kann, den Pro- cefs des Verdorrens hinter die Scene eu verlegen, und erst von dessen Resultate die spitter Vorübergehenden Ansicht nehmen eu lassen. Mit seiner Behauptung übrigens, es s«*i damals, etliche Tage vor Ostern, keine Zeit für Feigen ge- wesen, hfitte, auf die klimatischen Verhaltnisse Palästina^ gesehen, Markus insofern recht, als in so früher Jahrszeit die frisch getriebenen Feigen jenes Jahrgangs noch nicht

12) Wie Siiffrrt meint, über den Ursprung u. I. f. S. 113 ff. Vcrgl. dagegen meine Recens. in den Jahrb. f. wits. Kritik, Nov. 1834.

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Neuntes Kapitel. 103. 247

reif waren, indem die Frntifelge ^fler fibbcore doVh er«e um die Mitte oder gegen Ende Juni's, die" eigentliche Fel- ge, die Kermuf , aber gar erst im Augostmonat reif wird. Dagegen konnte um die Osterzeit noch vom vorigen Herb*t und über den Winter her die dritte Frucht des Felgen- ba ums , die sp«te Kermus , hie und da auf einem Baum angetroffen werden n), wie denn nach Josephos ein Theit von Palfistina (das Uferland des galila'ischen Sees , freilich fruchtbarer, als die Gegend um Jerusalem, wo die frag- liche Geschichte vorgfeng) ovxov SUafrtfah udtahl

%0QTffU ,4).

Doch wenn wir auch auf diese Weise die allerdings erschwerende Notie des Markus, dafs der IWangel de* ßaams kein wirklicher gewesen, sondern mir Jesu ver- möge einer irrigen Erwartung so erschienen sei, auf die Seite gebracht haben : so bleibt uns doch auch nach Wat- thaus noch das Mifsverhfiitnifs, dafs Jesus wegen einen vielleicht blofs vorübergehenden Mangels einen Naturgegen- atand zu Grunde gerichtet hatte. Weil ihn hiezu . Weder Ökonomische Rücksichten , da er nicht Eigenthünicr des Baumes war, noch auch moralische Absichten auf einen 4>ewufstlosen Naturgegenstand bewogen haben können, so hat man den Ausweg ergriffen, als das eigentliche Ob- ject, auf welches Jesus hier wirken wollte, die Jfinger zu substituiren , den Baum aber und was Jesus nn ihm t hat, als blofses Mittel setner Absicht auf jene zu betrac^ ten. Diefs ist die symbolische Auffassung , durch welche schon die Kirchenväter, und nun auch die ineisten ortho- doxen Theologen unter den Neueren , die Handlungsweise Jesu von dem Vorwurfe des Unpassenden zu befreien ge* meint haben. Nicht Erboisung Über den Baum , der sei*

IS) s. Paitius, «. a. O. S. 16S f. J Wiwer, b. Re*lw. d. A. Fei-

genbauni« 14) bell. jud. 5| 10, 8.

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248 Zweiter Abschnitt.

nem Hanger keine Stillung bot , war hienaoh die

Jesu bei diesem Acte, sein Zweck nicht Schleen weg die Vertilgung des unfruchtbaren Gewächses : sondern mit Be- sonnenheit hat er die Gelegenheit eines früchteleer befun- denen Baume» dasu benützt , den Jüngern durch eine sym- bolische Handlung anschaulicher und unvergeßlicher als durch Worte die Wahrheit in machen, die nun entweder speciell so gefafst werden kann, dafs das jüdische Volk, weiches beharrlich keine Gott und dem Messias gefalligen Früchte bringe, zu Grunde gehen werde, oder allgemeiner so, daß überhaupt jeder, der von guten Werken so ent- blößt sei, wie dieser Baum von Früchten, einem ähnlichen Strafgericht entgegenzusehen habe »*> Mit Recht indefs fordern andre Ausleger, wenn Jesus mit der Handlung

y ©r IC« Ii

irgendwie darüber erkla- ren müssen denn war bei seinen Gleichnifsreden eine Auslegung nöthig, so war sie bei einer Handlung um «o unentbehrlicher, je mehr diese ohne eine derartige Hin- weisung auf einen ausser ihr liegenden Zweck als Zweck ftir sich selbst gefaßt werden niufste. Zwar liefse sich auch hier, wie sonst, annehmen , Jesus habe wohl cur Verstän- digung seiner Jünger über das von ihm Vollzogene noch etwas gesprochen, was jedoch die Referenten , mit dem Wunderfactum zufrieden, weggelassen haben. Allein sollte Jesus eine Deutung seiner Handlung im angegebenen sym- bolischen Sinne gegeben haben, so hätten die Evangelisten diese Rede nicht blofs verschwiegen, sondern eine falsche an deren Stelle gesetzt ; denn sie lassen Jesum nach seinem Vornehmen mit dem Baume nicht schweigen , sondern aus Anlafa einer verwunderungs vollen Frage seiner Jünger, wie

15) Ullwawx, über die ünsUndlichkeit Jesu , in seinen Studien, 1, S. 50. SnsrrsRT, a. a. O. S. 115 ff. OtsuAUsax, 1, S. 783 f.

16) Paulus a. a. 0. S. 170; Hais, L. J. J. i28i auch Siftma*, a. a. 0.

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Keuntei Kapitel. $.103. «49

es mit dem Baume zugegangen , eine Erläuterung geben, welche über nicht jene symbolische , sondern von ihr ver- schieden, ja ihr entgegengesetzt ist. Denn wenn Jesus ih- nen sagt, sie sollen sich Ober das Verdorren des Feigen- baums auf sein Wort hin nicht wundern, mit nur weni- gem Glauben werden sie noch Gröberes zu thun im Stande sein : so legt er das Hauptgewicht auf sein Thun in der Sache , nicht auf den Zustand und das Leiden des Baums als Symbole: er hätte also, wenn doch auf das Letztere sein Absehen gieng, zweckwidrig zu seinen Jüngern ge- sprochen ; oder vielmehr , wenn er so sprach , kann jenes seine Absicht nicht gewesen sein. £bendamit füllt auch Sibffert's, ohnehin aus der Luft gegriffene Hypothese, dafs Jesus zwar nicht nach , wohl aber vor jenem Acte, auf dem Weg zum Feigenbaum hin, über den Zustand und die Zukunft des israelitischen Volks mit seinen Jüngern Gespräche geführt habe, zu welchen die symbolische Ver- wünschung des Baums nur als von selbst verständlicher Scblufsstein gefügt worden sei; denn alles durch jene Ein- leitung etwa angebahnte Verständnifs des fraglichen Actes hätte, zumai bei der Neigung der Zeit zum Miracuiüsen, durch jenes Machwort, welches nur die wunderbare Seite des Factums berücksichtigte, wieder zu Nichte gemacht werden müssen. Mit Recht bat daher Ullmann den hin- zugefügten Worten Jesu so weit nachgegeben, dafs er der von ihm zulässig gefundenen symbolischen Auffassung die andere noch vorzieht , welche auch sonst schon vorgetra- gen war l7), Jesus habe durch die Wunderhandlung den Seinigen einen neuen Beweis seiner Machtvollkommenheit geben wollen, um dadurch ihr Vertrauen auf ihn für die bevorstehenden Gefahren zu stärken. Oder vielmehr, da eine specielle Beziehung auf das bevorstehende Leiden nirgends hervorgehoben , und in den Worten Jesu nichts

17) ii*Yi>KAMkiCM} in uca ihcol. iWhft dilcu, Mai, S. 121 ff.

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256 Zweiter Abt ohaiU. f.

enthalte» ist , was er nicht auoh schon früher gesagt hätte (Matth. 17, 20. Luc. 17, 6.): so mufs man mit Fritzschi: als die Ansicht der Referenten ganz allgemein diese aus- sprechen, Jesus habe seinen Unwillen Ober die Unfrucht- barkeit des Feigenbaums als Gelegenheit cur Verrichtung eines Wunders benützt, dessen Zweck nur der allgemeine aller seiner Wunder war , sich als Messias zu beurkun- den. E,>> Gans in dem von Fritzsche gezeichneten '9) Geiste der Referenten spricht daher Euthymius, wenn er alles Gräbeln Ober den besondern Zweck der Handlung verbie- tet, und nur im Allgemeinen auf das Wunder in ihr zu sehen ermahnt 2 °). Keineswegs aber folgt hieraus , dafs auch wir uns des Nachdenkens hierüber enthalten, und ohne Weiteres das Wunder glaubig hinnehmen mUfsteri : vielmehr können wir uns der Bemerkung nicht' erwehren, dafs das besondere Wunder, welches wir hier hüben, we- der aus dem allgemeinen Zwecke des Wunderthuns über- haupt, noch aus irgend einem besondern Zweck und Grund als wirklich von Jesu verrichtet sich erklären Iftfst, viel- mehr in jeder Hinsicht seiner Theorie wie sonstigengPrarts widerstrebt, und defswegen mit gröTserer Bestimmtheit als irgend ein andres, auch abgesehen von der Frage Ober die physische Möglichkeit, für ein solches erklKrt werden mufs, welches Jesus nicht wirklich verrichtet haben kann. '

18) Comm. in Matth, p. 637.

19) Comm» in Marc. p. 481 : Male w. dd. In io haese*mty quod Jesus sine ratiohe innoceniem ficum aridam reddidisse vidcretur , mirisque argfitiis usi sunt t ut a Ii quod hu/us rei consilium fuisse ostenJ^rent^ i\imirum aposloli , evangeUstae et omnes primi temporis Christiani , qua eramt ingeniorum simplicitaie, quid quantumque Jesus portcntose fccisse diceretur9 curarunt tantarhmodo'f1 noh quod Jesu in edendo miracuio contilium fturit, Subtiliter W argttte qnaeh'verunt. «*7*»*

20) ]\t;} n*Qt/9oXoy*. ffinri rert mSn^rai ro tpurov , avotriov ok" nlla

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Neun*** Kapitel. §1/1113.

.\i , klIiKfom f«r*s »Mi* a>er noch der positive Äaohweis dem- jenigen Veranlassung .abliegt, durch w^cbe, auch ohne ge- schichtlichen Grund, eine solche Er«Ählt»ng entgehen konfi- te: so finden wir in untrer gewöhnlichen Üuelle, dem A. T. , zwar wohl manche bildliche Reden und Erzählungen von Bäumen und. vofc-1 Feigenbäumen insbesondere) aber kein», weiche *u uiwrrt- Erzählung eine so specffische Ver- wandeschaft hätte, dafs wir sagen könnten, diese sei jeher nachgebildet. Statt dessen aber dürfen wir im N. T. nicht weit blättern, so finden wir schon, zuerst in des Täufers (Matth. 3, 10.)> dann in Jesu eigenem Munde (7, 19.) die Gnome von Baume, der, weil erikeine gute Frucht trägt, abgehauen und ins Feuer geworfen wird, und wei- terhin (Luc, 13, ff.) findet sich dieses Thema zu der ün- girten Geschickte eine*, Herrn ausgeführt, welcher auf ei- nem Feigenbaum in seinem Weinberge drei Jahre lang ver- geblich Früchte sucht, und deswegen denselben umhauen Jossen will, wenn nicht durch die Fürbitte des Gärtners ihm noch eint einjährige Frist ausgewirkt würde. Schon Kirchenvater haben in der Verwünschung des Feigenbaums nur eine thatsächliche Ausführung der . Parabel . vom Fei- genbaum gefunden : ') ; freilich in de m Sinne der vorhin angeführten Erklärung, dafs Jesus selbst den damaligen Zustand und das bevorstehende Schicksal des jüdischen Volks, wjc früher durch eine bildliche Rede, ab damals durdi eine., symbolische Handlung habe darstellen wollen; was, wie wir gesehen haben, undenkbar iscJ Dennoch werden wir uns der Vermuthung nicht erwehren können, dafs wjr hier ein und dasselbe Thema in drei verschiedenen Gestalten vor uns haben: noeret in ooncentrirtester Ford, al* Gliome, dann sur Parabel erweitert, und endlich zur Geschichte realisirt; wobei wir nur nicht annehmen , dafs Jesus, was er zweimal durch iWortCj zuletzt auch noch

21) Ambrosius, Couun. in Luc /.. d St.

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39A Zweiter Abschnitt. '

dnroh eine Handlung dargestellt, sondern, dafs die Tradi- tion, was sie als Gliome und parabolische Geschichte vor- fand , anch vollends £ur wirklichen Begebenheit gemacht habe. Dafs in dieser wirklichen Geschichte das Ende des Baums ein etwas andres ist, als Was ihm in der Gnome und Gleich nifsrede angedroht wird, nämlich Verdorren statt des Umgehauen werden« , darr nicht «um Anstof* ge- reichen. Denn war die Parabel einmal zur wirklichen Geschichte, mit dem Subject Jesus, geworden, war also Ihr ganzer didaktischer und symbolischer Gehalt in der äus- seren Handlung aufgegangen : so mufste diese, sollte sie noch Gewicht und Interesse haben, als Widerhandlung sich bestimmen , also die durch Axt und Hauen natürlich vermittelte Vertilgung des Baums in ein unmittelbares Ver- dorren auf das Wort Jesu sich verwandeln. Zwar scheint gegen diese Ansieht von der EreÄhlung, nach welcher ihr innerster Kern doch kein andrer als ein symbolischer blie- be, sich ebendasselbe, was gegen die oben erwogene, ein- wenden zu lassen, dafs nämlich die daran sich knüpfen- de Rede Jesu einer solchen Auffassung widerstrebe. Al- lein bei unsrer Ansicht von den Berichten sind wir befugt, zu sagen, dafs mit der Umwandlung der Parabel zur Ge- schichte in der Tradition auch der ursprüngliche Sinn von Jener verloren gieng, und, indem das Wunderbare als der Werv der Sache betrachtet zu werden anfieng, irrigerweise jene, die Wundermacht und Glaubenskraft betreffende Re- de damit verknüpft wurde. Sogar die besondere Veranlas- sung, warum gerade die Rede vom ßergeversetzen an die Erzählung vom Feigenbaum angeknüpft ist, Ifffst sich mit Wahrscheinlichkeit nachweisen. Die Glaubenskraft, wel- che hier durch ein von Erfolg begleitetes Sprechen zu einem Berge : Üq^s, xat ßhytopi trjv ödkaoouv dargestellt ist, findet sich anderswo (Lue. 17, 6.) versinnbildlicht durch riti ebenso wirksames Sprechen zu einer Art von Feigen ha um (üiwcffU*0£): ixQipiityti xai (pvttv^u £v tf; &ukuuu>r fco

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Neuntes Kapitel. §■ 103. 255

erinnerte der verwünschte Feigenbaum, sobald sein Ver- dorren als Wirkung der Wunderkraft Jesu gefafst wurde, an den durch die wunderbare Kraft des Glaubens zu ver- pflanzenden Baum oder Berg, und so wurde dieses Dictum jenem Factum angehängt. Hier also gebührt dem dritten Evangelium der Preifs , welches uns die Parabel von der unfruchtbaren ovx% und die Gnome von der durch den Glauben zu verpflanzenden avxdfitvog getrennt und rein, jede in ihrer ursprunglichen Form und Bedeutung, erhal- ten hat: wahrend die beiden andern Synoptiker die Para- bel zur Geschichte umgebildet, die Gnome aber (in etwas andrer Form) zu einer falschen Deutung jener angeblichen Geschichte verwendet haben. :i

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Zehntes Kapitel.

Jesu Verklärung und letzte ' Reise nach

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v, / |3ic Verklärung Jesu als wunderbarer äusserer Vorgang* »•»«"•

' Mit den bisher untersuchten WundererzBhlunfcen konnte die Geschichte von der Verklärung Jesu auf dein Berge nicht mehr verbunden werden, nicht blofs weil sie kein von Jesu verrichtetes Wunder, wie jene, vielmehr ein an ihm vorge- gangenes betrifft, sondern auch weil sie als ein für sich stehender Moment im Leben Jesu hervortritt, welche der Gleichartigkeit wegen nur etwa mit der Taufe und Auf- erstehung zusammengestellt werden könnte; wie denn Her- der mit Hecht diese drei Begebenheiten als die drei lich- ten Punkte himmlischer Beurkundung im Leben Jesu be- zeichnet hat x).

So, wie sich die synoptische Erzählung (Matth. 17, 1 ff. Marc. 0, 2 ff. Luc. 9, 28 ff.) denn im vierten Evan- gelium fehlt die Geschichte dem ersten Anblicke darbie- tet, haben wir hier einen wirklichen äusseren und zwar wunderbaren Vorgang: als Jesus C S Tage nach seiner ersten Leidensverkündigung mit seinen drei vertrautesten Jüngern einen hohen Berg bestieg, waren diese Zeugen, wie mit Einem Male sein Angesicht und selbst seine Klei- der in überirdischem Glänze sich verklärten, wie zwei ehrwürdige Gestalten aas dem Geisterreiche, Moses und

1) Vom Erlöser der Menschen nach unsern drei ersten Evan- gelien, S. 114.

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Zehnt** Kapitel 104. «55

Elia« . erschienen, sieh mit ihm eu unterreden , und wie endlich aas einer liebten Wolke eine himmlische Stimme Jesuiu für, Gottes Sohn , dem sie Gehör eu schenken hät- ten , erklärte. 1 . .0

Diese wenigen Züge der Geschichte regen eine Men- ge Fragen an, um deren Sammlung sich Gabler ein be- sonderes Verdienst erworben hat.')« Bei jede» der drei Momente , des Vorgangs, dem Glanae, der Todtenerschei- n..no, und der Stimme, Jafst sich sowohl nach der Mög- lichkeit, nis nach dem sareichenden Zwecke fragen. Wo- her soll vorerst der ausserordentliche Glanz an Jeaum ge- kommen sein? Bedenkt man, da fr von einem (jietoc^OQfpHt oO-ai Jesu die Rede ist, so scheint nicht an ein blofses Be- schienen werden von aussen her, sondern an eine von innen kommende Verklärung gedacht werden au müssen, so fl« aagen nn ein momentanes Durchleuchten der göttlichen dö^cc durch die menschliche Hülle, wie auch Öls hausen diese Begebenheit all einen Hauptmoment in- dem Läuterungs- und Verklarungsproceese fafst, in welchem er die Leiblich» kett Jesu während seines ganzen Lebens bis eur Himmel- fahrt beg«*ffen , denkt 3). Allein, ohne das schon oben Gesagte hier weiter auszuführen, dafs Jesus entweder kein wahrer Mensch war, oder die mit ihm wahrem! seines Le* beut vorgegangene Läuterung eine andere gewesen sein muft, als .weiche in einem Licht- und Leicht werden des Körpers bestand : so ist in keinem Falle an begreifen, wie an einem solchen Verklarungsprocefs ausser seinem Lei* be auch seine, Kleider tbeilnehmen konnten. Mochte man dieses ieleterentfunkM* wegen lieber an eine Beleuchtung ▼on aussen denken, so wäre diefs dann keine Metamorpho-

2) In eifier 'Abhandlung Uber die VerMärungsgeschichte, In t. neuesten tueet. Journal, i. Bd. 5. Stück, S. 517 ff. Vgl. Baukk, hebr. M>thoL 2, S. 255 ff*

3) bibL Comm. 1, S. 534 f.

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Zweiter Abschnitt.

se, von*welcher doch die Evangelisten sprechen: so dafs also diese Scene zu keiner in sich zusammenstimmenden Anschauung gebrecht werden kenn, wofern man nicht et- wa mit Olshausen beides verbunden, Jesum sowohl strah- lend als bestrahlt, sich denken will. Aber wer dieser G In na auch möglich : immer bleibt doch die Frage, wozu er denn gedient haben soll? Sagt man, was am nächsten liegt: um Jesum zu verherrlichen, so war der geistigen Verherr- lichung gegenüber, weiche Jesus durch Rede und That •ich selber gab, diese physische durch glänzende Beleuch- tung eine sehr unwesentliche, und fast kindisch zu nen- nen; soll sie aber dennoch zor Erhaltung des allzuschwa- chen Glaubens nöthig gewesen sein, so müfste sie vor der Menge, oder doch vor dem weiteren Kreise der Jünger, nicht aber vor dem engsten Ausschusse der kräftigsten vor- genommen, mindestens den wenigen Augenzeugen nicht die Mittheilung gerade für die am meisten kritische Zeit, bis zur Auferstehung, untersagt worden sein. Mit ver- stärkter Kraft kehren diese beiden F ragen bei dem zweiten Moment in unsrer Geschichte, bei der Erscheinung der neiden Verstorbenen, wieder. Können abgeschiedene See- len den Lebenden erscheinen? und wenn, wie es scheint,' die beiden Gottesmänner mit ihrem vormaligen , nur ver- klärten, Leibe sich zeigten, woher nahmen sie diesen nach biblischer Vorstellung vor der allgemeinen Auf- erstehung? Zwar bei Elias, der ohne Ablegung des Kör- pers gen Himmel fuhr, macht diefs weniger Schwierig- keit : allein Moses war doch gestorben , und sein Leich- nam begraben worden. Vollends aber zu welehem Zwecke sollten die beiden grofsen Todten erschienen sein? Die evangelische Darstellung, indem sie die beiden Gestalten als ovlliukövteg z$ V. darstellt, scheint den Zweck der Er- scheinung in Jesum zu setzen; näher, wenn Lukas recht hat, bezog sich dieselbe auf das Jesu bevorstehende Lei- den und Sterben. Aber angekündigt können sie ihm diefs

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Zehntes Kapitel. $. 104. 237

nicht erst haben, da der einstimmigen Angabe der Synop- tiker zufolge schon eine Woche vorher er selbst es voraus- gesagt hatte (Matth. 10, 21. paralJ.). Daher vermuthet man, durch Moses und Elias sei Jesus nur von den näheren Umständen und Verhältnissen Seines Todes genauer unter» richtet worden ♦) allein einerseits ist es der Stellung, m eiche die Evangelien Jesu zu den alten Propheten geben, nicht angemessen, dafs er von ihnen Belehrung bedurft haben soll: andrerseits hatte Jesus schon früher sein Lei- den mit so genauen Zügen vorhergesagt, dafs die speciel- leren Eröffnungen aus der Geisterwelt nur etwa das na- QaSidöo&ai nng i'Öveotv ond i^tniveoVaty wovon0 er erst später sagt (Matth. 20, Itf. Marc. 10, 34.), betfrofien haben könnten. Oder sollte die an Jesu m zu machende 31 itthei- lung nicht sowohl in einer Belehrung, als in' einer Stär- kung für sein bevorstehendes Leiden bestehen: so ist um diese Zelt noch keine Spur eines Uemü ths zu Stands bei Je- su vorhanden , welcher einen Beistand dieser Art zu er- heischen schein, n konnte*, für das spätere. Leiden aber hätte diese so trübe Stärkung doch nicht hingereicht, wie

sich

scheinung nicht vielleicht eine Beziehung auf die Jünger geben lasse, so reicht der Zweck der GJäubensstärkunjr überhaupt zur Begründung einer so besondern Veranstal- tung tbeiis als zu allgemein nicht aus, theils mülste Jesus in der Parabel vom reichen Manne den leitenden Grundsatz der göttlichen Fügungen in Hieser Beziehung JaJsch gedeu-

4 *

4) Olsmacsb», a. a. O. S. 537.

XJa$L*UnJ*su IttAi^L 11. Band. 17

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25S .Zweiter Abschnitt.

r.um Glauben gebracht werden würde, wefswegen denn ei- ne solche Erscheinung, wenigstens eu jenem Zwecke) von Gott nicht verfügt werde. Der speziellere Zweck, die Jün- ger von der Übereilet im roung der Lehre und Schicksale Jesu mit Moses und den Propheten ru Oberzeugen, war cum Theil schon erreicht , zum Theil aber wurde er es erst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu und der Ausgiefsung des Geistes , ohne dafs die Verklärung in die- ser Hinsicht irgend Epoche gemacht hätte. Endlich die Stimme aus der lichten Wolke (ohne Zweifei der Scheck*» nah') ist, gleich der hei der Taufe, eine Gottesstimme: aber wie anthropomorphistUch mufs die Vorstellung von Gott sein , welche ein wirkliches hörbares Sprechen Got- tes für möglich hält ; oder wenn hier nur von einer Mit« theil ung Gottes an das geistige Ohr die Rede sein soll $), so ist damit die Sache in das Visionäre hinttbergespielt, und in eine gane andere Betrachtungsweise übergesprungen.

- < $.105. Die natürliche Auffassung der Erzählung In verschiedenen Formen.

l>en ausgeführten Schwierigkeiten derjenigen Ansicht, welche die Verklärung Jesu als wunderbare und zwar äus- sere Begebenheit betrachtet, hat man dadurch eu entgehen gesucht, dafs man den ganzen Vorgang in das Innere der dabei beteiligten Personen verlegte. Hiebei braucht das Wunderbare nicht sogleich aufgegeben eu werden, nur scheint es als ein im menschlichen Innern gewirktes Wun- der einfacher und denkbarer eu sein. Man nimmt daher an, dafs durch göttliche Einwirkung das geistige Wesen der drei Apostel, und wohl auch Jesu selbst, bis cur KksUse gesteigert worden sei , in welcher sie entweder wirklich mit der höheren Welt in Berührung traten,

oder deren Gestalten aufs Lebendigste selbst produciren

i. !*•<.»•» . ;».• ..-n*. \u «»-;).» . t *

5) ülshaussjv, S. 539. vgl. 178.

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Zehntes Kapitel. $. 105.

konnten, d. h. man denkt «ich den Vorgang al« Vision *). Allein die erste Stütr.e dieser Auffassung, da(a ja Matthäus selbst durch den Ansdruck: vyufnc O '.!).) die Sache als' ei- nen blofs subjectiren, visionären Vorgang bezeichne, weicht alsbald, wenn man Sich erinnert, dafs weder in der Wort- bedeutung von oQccfia das Merkmal des blofs Innerlichen liegt, noch auch der IN. T. liehe Sprachgebrauch den] Aus- druck nur für innere, sondern, wie A 6. 7, 31., ebenso auch für äussere Anschauungen verwendet J). Die Sache selbst betreffend aber ist es unwahrscheinlich , nnd auch in der Schrift beispiellos, dafa/Mehrere, wie hier Drei oder Viere, an demselben, sehr ausführlichen, Gesichte Theil gehabt bfit- ten 3 ) ; wozu noch kommt, dafs die ganze schwierige Frage nach der Zweckmässigkeit einer solchen wunderbaren Ver- anstaltung auch bei dieser Auflassung der Sache wiederkehrt.

Diesen Anstofs zu vermeiden, haben daher Andere den Vorgang zwar im Innern der betheiligten Personen belas- ten, aber als Product einer natürlichen Thatigkeit der Seele, das Ganze mithin für einen Traum erklärt 4). Wäh- rend oder nach einem von Jesu oder Ihnen selbst gespro- chenen Gebete, in welchem des Moses und Elias gedacht, nnd ihre Ankunft als messianischer Vorläufer gewünscht worden war, schliefen dieser Auffassung zufolge die drei Jünger ein, und träumten, indem wohl auch die von Jesu genannten Namen jener Beiden in ihre schlaftrunkenen Oh- ren hineintönten, als ob Moses und Elias gegenwärtig wä- ren and Jesus sich mit ihnen unterhielte; was ihnen auch

1) So Tertull. adv. Marcion 4, 22; Herdbx, a. a. O. S. IIS f., welchen auch («ratz, Comm. z. Matth. 2, S. 163 f. 169. bei- stimmt. , .

2) r*iTi»CHB, in Matth, p. 55*. Oiibawbk, 1, S. 533.

3) Olshausbh, a. a. O.

4) IUu, lymbola ad illustrandam Ew. de metamorphosi J. Chr. narrationem; Gabler, a. a. Ö. S. 55? ff. Kuiröi , Comm. z. Matth, p. 450 ff. a ' '

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./5Q ^weiter, Afbsqhnitt. .

bci'm ersten, trüben Erwachen noch einen Augenblick vor* schwebte. Wie die vorige Erklärung auf dus Sau;,«; d^g Matthäus, so stützt sich diese darauf, d«k Lukas die Jün- ger als ß^ag^juiroi ,tW, unL?r# gegen das Eude «Vr

Scene wieder als öi«y\)W\HWWVi*£'i »JW^WW*« ( * )• Auf die Ilandhabe> weichender dritte Evangelist himJt der

ll Fl* 1

natürlichen ^rHÄrung. biete):, wirfl nun ein Vor- eng seiner Erzählung vor der der beiden ersten- begründe t, imirm die neu ereii Kritiker er Um en, dafs durch diese und iiinirt' AiiyPj welche die Begebenheit dein Natürlichen nä- her bringen, die Darstellung bei Lukas sich als die ur- sprüngliche, d}e des Matthäus dagegen durch Wegla^un* derselben sich als die abgeleitete erweise, da bei der wunder* sücbtigen Richtung, jener Zeit^ wohl Niemand solche, das Wunder mindernde Züge, wie das Schlafen der Jünger, niuzu^edicbtet haben würde *)• V.iese Schiufs weise wür- ben wir eu der unsrigen machen müssen 9l wenn wirklich der bezeichnete Zug nur im Sinne der natürlichen Erklä- rung aufgefaßt werden könnte. Hier dürfen yrir uns aber nur erinnern, wie bei einer andern Scene, Ja weicher da* nach Lukas bei der Verklärung Jesu angekündigte Leiden. In Erfüllung eu gehen aufieng, und bei welcher nach dem? selben Evangelisten Jesu gleichfalls eine himmlische Erschei- nung zu Theii wurde, in Gethsemane näiniieb, die Junger ebenso, und «wer nach sammtlichen Synoptikern, als tiöovteg erscheinen (Matth. 2$, 40 |iarall. j. Konnte hier schon die blofs Süssere, formeUe Ähnlichkeit beider Sei- nen einen Referenten zur Übertragung des Zugs vom Schlaf in die VerWarungsgeschichte veranlassen : so konnter ihm noch mehr der Sinn und Inhalt dieses Zugs auch hier au seinem Orte scheinen. Durch das Schlafen der Jünger nämlich , eben wahrend mit ihrem Meister das Wichtigste

1 » .

5) Schule, Uber das Abendmahl, S. 319} Scmlsikrmacmer, Uber den Lukas, S. 14S f.; vgl. auch Hösts* , Immanuel, S. 60 f.

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ZiUto.'W.Jftii'fc 105. 2<J|

vorgeht, wird Ihr unendlidter^Abstam/ySui^ifiiro, ihre tW Fähigkeit, »eine Höhe zu erreichen, ' unq «eine Überlege n!u*jt bezeichnet; der' Prophet, der Emnfa'hger einer Oftenbaruu^ Ist nnter den gewöhnlichen Menschen wie ein Wache nuur unter Schlafenden: wefs wegen es sich ^anz von seihst eir- gab, wie bei dem tiefsten Leiden, so auch hier hei der Ii üchsten Verherrlichung Jesu Hin Jünger als. schlaftrunke- ne darzustellen. Ist somit dioer Zug so weit eiufern^ der natürlichen Erklärung Vorschub zu thpn>1u,a(s er vielmehr das an Jesu vorgegangene Wunder durch einen Lontrast liehen will: so sind wir auch nicht mehr befugt, den 15e- rieht des Lukas als den ursprünglichen .anzusehen, und auf seine Angabe eine Erklärung des Vorfalls, zu bauen, son- dem umgekehrt werden wir an jenem Zusatz, in Verbia- dung mit dem schon erwähnten V. 3,1 seine Darstellung als abgeleitete und ausgeschmückte erkennen 6), und uns mehr an die der beiden ersten 'Evangelisten halUn müssen.

Fallt auf diese Weise die Hauptstütze derjenigen Auf- fassung, welche hier nur einen natürlichen Traum der Apostel sieht: so hat diese ausserdem noch eine Menge innerer Schwierigkeiten. Sie setzt nur die drei Jünger al* träumend voraus , und Ififst Jesum wachen , also nicht in> der Illusion begriffen sein. Dh> ganze, evangelische Dar- stellung lautet aber so, als ob Jesus so gut wie die Jün- ger die Erscheinung gehabt hätte; namentlich konnte er, wenn das Ganze nur ein Traum der Jünger war, ihnen nicht hernach sagen: ^rfim itvrpe id GQufia, wodurch er sie ja eben in der Meinung bestärkt hätte, dafs es etwas Besonderes und Wunderbares gewesen sei. Hatte aber auch Jesus keinen Theil an dem Traume, so bleibt es doch immer noch unerhört, dafs drei Personen zu gleicher Zeit einen und denselben Traum haben sollten. Diefs haben

t>) Diese Einsicht hat Baukr, a. a. O. S. 257, Kmtzscmf., Söo> und iuöj Tkeü auch Fauvs, ex. Hantlb. 2, S. 447 L

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Zweiter Abschnitt.

Freunde dieser Erklärung eingesehen, nnd daher soff nun eigentlich nur der feurige Petrus , der ja euch allein spre- che, so geträumt, die Referenten aber vermöge einer Syn- ekdoche allen drei Jüngern Bugeschrieben haben, was nur Einem von ihnen begegnet war. Allein daraus, dafs Pe- trus auch hier wie sonst den Snrecher in*fht, folgt nicht, dafs auch nur er allein jenes Gesicht gehabt habe, wovon das Gegeiitheil ans den klaren Worten der Evangelisten durch keine Redefigur entfernt werden kann. Doch die in Rede stellende Erklärung der Sache bekennt ihre Unzu- länglichkeit noch deutlicher, Nicht nur, wie schon be- merkt, das laute Aussprechen der Namen des Moses und Elias von Seiten Jesu inufs in den Traum der Jünger un- terstatzend hineinspielen , sondern auch ein Gewitter wird eu Hälfe genominen, welches in denselben durch seine Blitze das Bild von überirdischem Glan«, und durch seine Don- t ner schlüge das von Gesprächen und Uiinmeisstimmen hin- eingebracht , und sie auch nach ihrem Erwachen noch ei- nige Zeit in der Täuschung erhalten haben soll. Doch da& die Jünger nach Lukas eben bei ihrem Erwachen (dioypjy- yottrüuvtts) die zwei Männer bei Jesu stehen sahen, sieht nicht wie eine blofse aus dem Traum in das Wachen her- tl hergenommene Täuschung aus, wefswegen denn Kuinül die weitere Annahme herbeisieht, dafs, während die Jan« ger schliefen, wirklich cwei unbekannte Männer zu Jesu gekommen seien, welche die Erwachenden sofort mit ihren Träumen in Verbindung gebracht, und für Moses nnd Elias gehalten haben. Durch diese Wendung der Ansicht sind nun alle diejenigen Momente, welche die auf einen Traum zurückgehende Auflassung als innerlich vorschwebende be- trachten sollte, wieder nach aussen getreten, indem die Vorstellung eines Lichtglanzes durch die Blitze, die Mei- nung, Stimmen zu hören, durch den Donner, endlich die Vorstellung von zwei bei Jesu anwesenden Personen durch die wirkliche Gegenwart zweier Unbekannten hervorge-

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Zehnte« Kapitel. $. 103. -ur.i

„H f., ,?r

bracht worden sein soll. Das Alles konnten die Jünger

eigentlich nur iin Wachen wahrnehmen, und fällt somit die Voraussetzung eines Traums als eine überflüssige hinweg.

Besser daher , sofern sie darin , dafs ihrer Drei »u Einem Traume theilgenommen haben müfsten , ebie eigen« i mliehe Schwierigkeit hat, den Faden, welcher nach dieser Erklärungsart den Vorgang noch an das Innere knüpft, ganz abgerissen, und Alles wieder in die Aussen* weit verlegt: so dafs wir, wie zuerst einen übernatürli- chen, so nun einen natürlichen äusseren Hergang vor uns haben. Den Jüngern bot sich etwas Objectives dar: so> erklärt sich , wie es mehrere zugleich wahrnehmen konn- ten ; sie täuschten sich, w teilen. 1 über das Wahrgenomme- ne : natürlich , weil sie sdle in demselben Vorstellungskreis, In derselben Stimmung und Lage sich befanden. Dieser Ansicht Eufofge ist das Wesentliche der Scene auf dein Berge eine geheime Zusammenkunft, welche Jesus beab- sichtigte, nnd zu diesem Behufs die drei zuverlässigsten seiner Jünger mit sich nahm. Wer die smei Männer wa- ren, mit welchen Jesus zusammenkam , wagt Pauli s nicht so bestimmen; Kuwöt vermuthet heimliche Anhänger iu> der Art des Nikodemus; nach Venturin i waren es Esse- ner, Jesu geheime Verbündete. Ehe diese noch eintrafen, betete Jesus, and die Jünger, nicht cur Tbeilnahme gezo>» gen, schliefen ein; denn den von Lukas an die Hand ge- gebenen Schlaf, wiewohl traumlos , behält diese Erklärung gerne bei, um bei eben erst Erwachten die Täuschung wahrscheinlicher au machen. An fremden Stimmen , di* sie bei Jesu hörten, wachen sie auf, sehen Jesum, der wahrscheinlich auf einem höheren Punkte* des Berges, ni* wo sie sich gelagert hatten f stand, in einem ungewöhnbV chen Glänze, der von den ersten Morgen strahlen , weiche*» vielleicht durch nahe Schneelagen zurückgeworfen, auf Je- sum fielen, herrührte, von ihnen aber in der ersten Über«» rasch ung für übernatürliche VcfCIarung gehatten wurde;

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•>G\ Zweiter Abschnitt. ,

sie erblicken die beiden Manner, .welche aus unbekannten Gründen der schlaftrunkene Petrus,, uncl nach ihm die Übri- gen , für Mose* und Elias halten ; ihre ßestfi rzung steigt, alt »ie Hie beiden Unbekannten in einem lichten Morgen- nebel , der sieh, wie sie weggeben wollten, herabsenkte, verschwinden sehen , and aus dem Nebelgewölk einen der* selben die Worte: &rog igiv x. t. h rufen hören, welche sie unter diesen Umständen für eine Himmelsstimme halten mufsten Diese Erklärung, welcher auch Schleiermacher sich gen ei ort zeigt8), glaubt, wie die vorige, besonders in Lukas eine Stütze zu finden, weil bei diesem die Behauptung, die beiden Männer seien Moses und Elias gewesen, weit, we- niger zuversichtlich als bei Matthäus nnd Markus ausge- sprochen werde , und mehr nur als Einfall des schlaft™ n- kenen Petrus erscheine, uiefs besieht sich darauf, daU, während die beiden ersten Evangelisten geradezu sagen: fdffd'qoav <xvtotgl Mua^g xcci HUag, Lukas, [ wie es scheint belmU*»er, W &toe' JÜo flpricht o'm^. jW iJfow^ xc;t lüiccg, wobei dann die erstere Bezeichnung <Jen obje- rtiven Thatbestand, die zweite dessen subjective Deutung enrhalten soll. Allein dieser Deutung pflichtet der Refe- rent, wenn er doch oiuveg ijocev, und nicht l'öoSccv tlvai, tags) offenbar bei; wefs wegen er also zuerst nur von zwei Män- nern spricht, und erst nachher ihre Namen nennt, davon kann die Absicht nicht gewesen sein , dem Leser eine be- liebige modere Deutung offen zu lassen , sondern nur die, das Geheimnifsvotle der ausserordentlichen Soene durch die anfängliche Unbestimmtheit des Ausdrucks nachzubil- den. Hat somit diese Erklärung ebensowenig als die bis- her betrachteten in einer der evangelisohen Erzählungen eine Stütze: so hat sie zugleich nicht mindere Schwierig-

* * *

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7) Pauws, es. Hiadb. 2, 456 ff. L. J. 1, b, S. 7 IL Natürliche Geschichte, 3, S. 256 ff. ...

8) a. a. U.

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Ze 1*4** Ka4> Sie Li oft 306.

keilen als* jene Jn sich selbst. Die Morgenbeleuchtong auf ihren vaterländischen Bergen mufrten die Jünger so weit kennen, um sie von hiramlicher Glorie unterscheiden ku können; wie sie auf die Meinung kamen, dafs diei bei- den Unbekannten Milses und Elias seien , ist zwar betikei«- ner der bisher vorgefegten Ansichten leicht, am schwersten aber bei dieser, zun er klaren; wie Jesus, dem ja Petrus durch seinen Antrag« die eu erbauenden ox^vag betreffend, die Täuschung der Jünger zu erkeneeu gab, ihnen diese nicht benahm , ist unbegreiflich : wefswegen Paulus ' sieh MI der Annahme flüchtet , Jesus heb« die Anrede des Pe- trus überhört; die ganze Anfleht > von geheimen Verbün- deten Jesu ist eine mit Recht verschollene , und endlich hätte .derjenige diese»* Verbündeten-, weicher aas der Wolke bettaus jene Worte zu den Jüngern sprach, sich eine un- wOnligo, Jtfystiiieatioii erlaubt* i ►.•*.. n^:>« ^ *»« 'md»

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-iU:' t r ( iPie YerUäruagftgescfaichte all Mythus« >o. >n» m « ur Wie immer also , so finden wir ans esith hier, rt Mel- dern wir den Kreis der natürlichen Erklärungen durcblau- fen haben, au dar übernatürlichen auritefc geführt; /.über ebenso entschieden von dieser abgestofsen, niUssen wir1, da eine natürliche Auslegung der Text verbietet^ >>aHe töxtge- mäfse supranaturale aber historisch festzuhalten ans ratio- nalen Gründen unmöglich fällt y uri* daztf weWden , die Aussagen des Textes kritisch au unterjochen» Diese sollen /.war bei vorliegender Erzählung besonders aavftrfcfsig sein, (U das Factum von drei Evangelisten , welche namentlich auch in i der genauen Zeitbestimmung auffallend zusamraen- f r '(Ten, erzählt , und überdiefs vom Apostel Petrus (2 Petr.

1, 17.) bezeugt werde Jene übereinstimmende Zeitan-

. t..tl

I) Paulus, excg. Handb. S. 446 y Gratz, 2, S. 165 f- Olshau- sk.\, 1, S. 535.

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*66 Zweiter Abschnitt.

gäbe, (sofern die inuKU oxrw des Lukas, je nachdem man zählt, mit den miiocug Eg der andern dasselbe sagen) ist allerdings auffallend ; sie Jftfst sich aber, lammt dem , dafs nach allen drei Referenten auf die Verkfindignngsscene die Heilang des dämonischen Knaben fol^t , den die J ünger nicht hatten heilen können, schon durch den Ursprung der synoptischen Evangelien aus stehend gewordener evan?» gelischer Verkündigung erklären, von welcher es nicht höher Wunder nehmen darf, dafs sie manche Anekdoten ohne objectiven Grund auf bestimmte Weise susammen gruppirt, als dafs siadoft Ausdrücke, in welchen sie hatte variiren können , durch alle drei Redaetioneu hindurch festgehalten hat :). Die Beurkundung der Geschichte durch die drei Synoptiker aber wird wenigstens för die gewöhn- liehe Ansieht von dem Verhfiltnifs der vier Evangelien durch das Schweigen des johanneischen sehr geschwächt, indem nicht einzusehen ist, warum dieser Evangelist eine so wichtige Begebenheit , welche zugleich seinem Systeme so angemessen, und eigentlich die anschauliche Verwirkli- chung seines Ausspruchs im Prolog (V. 14.): xal idtaou- ftetta %rtv do§av ctiriü, öoSav tag ftovoyevög nana natQog, war, nicht aufgenommen haben soll. Der abgenutzte Grund, er habe die Begebenheit als durch seine Vorgänger be- kannt voraussetzen können , ist neben seiner allgemeinen Unrichtigkeit hier noch besonders defswegen unbrauchbar, weil von den Synoptikern diefsmal keiner Augenzeuge ge- wesen war, also an ihren Erzählungen durch einen, der, wie Johannes, die Scene miterlebt hatte, noch Manches au berichtigen und an erläutern sein mufste. Man hat sieh daher naeh einem andern Grunde für diese und ahnli- che Auslassungen im vierten Evaugelium umgesehen , und einen solchen in der antignostischen, näher antidoketischen, Tendenz au finden geglaubt , welche man ans den johannei-

2) Vgl. us Warn, Eiulcit. in das N. T. §. 7%

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Zehntes Kapitel, f. 100.

sehen Briefen auch auf das Evangelium Übertrug. In Her Verklärungsgeschichte, wird hienach behauptet, habe der Jesum umleuchtende Glans, die Verwandlung seines Aus- sehens in das Überirdische, der Meinung Vorschub lei- sten können, als sei seine menschliche Gestalt nur eine Schein- hülle gewesen, durch welche au Zeiten seine wahre , über- menschliche Natur hindurch geleuchtet habe; sein Verkehr mit alten Prophetengeistern habe auf die Vermuthang ; fah- ren können , er möge vielleicht selbst nur eine solche wie- dergekommene Seele eines A. T. liehen Frommen sein, and um solchen irrigen Meinungen, welche unter gnosti- sirenden Christen sieh frühzeitig zu bilden annengen , kei- ne Nahrung au geben , habe Johannes diese und ähnliche Geschichten lieber unterdrückt 3). Allein abgesehen davon, dafs es der apostolischen naonroia nicht entspricht, mög- lichen Mifsbrauchs bei Einzelnen wegen Hauptfacta der evangelischen Geschichte au unterdrücken, so müfste Jo- hannes hiebei doch mit einiger Consequenz verfahren sein, nnd alle Erzählungen, welche eine doketische Mifsdeutung in gleichem Maafse mit der gegenwärtigen hervorrufen konnten, aus dem Kreise seiner Darstellung ausgeschlos- seil haben. Nun erinnert sich aber sogleich Jeder an die Geschichte vom Wandeln Jesu auf dem See, welche min- destens ebensosehr wie die Verklärungsgeschichte die Mei- nung von einem blofsen Scheinköqw Jesu hervorruft, nnd doch auch von Jobannes aufgenommen ist. Die Wich- tigkeit freilich eines Vorfall konnte hier noch einen Un- terschied begründen , so dafs von zwei Erzählungen mit gleich stark doketisohem Schein Johannes dennoch gröbe- rer Wichtigkeit wegen die eine aufnahm , die minder wich- tige aber wegliefs. Hier nun aber wird doch wohl Nie- mand behaupten wollen, der Gang Jesu auf dem See ste- he an Wichtigkeit der Verklarungsgeschichte voran oder

5) So ScuMcasasuaesa, Beiträge, S. iL

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268 . Zweiter Abschnitt.

•och nur gleich; Johannes mufste, wenn es ihm um Ver- meidung des doketiscli Scheinenden zu thun war, in jeder Hinsicht ' vor Allem jene erste Geschichte unterdrücken : da er es nicht gethan hat, so kann er auch jenes Prinetp nicht gehabt haben, weiches daher nie als Grund der afc- aichslicheo Auslassung einer Geschichte im vierten Evan- geliom gebraucht werden darf ; sondern es bleibt, was na- mentlich diese Begebenheit betrifft, dabei, dafs sein Ver- fasser nichts oder doch nichts Genaues von derselben ge- wuTat haben kann. Freilich kann dieses Ergebnifs n«r denen eine Instana gegen den historischen Charakter dev Yerklärungsgesohiehte s»*in, welche das vierte Evangelium als Work eines Apostels betrachten, so dafs also wir At#s diesem Stillschweigen nicht gegen die Wahrheit der Er- zählung argumentiresi können: aber uns beweist audli umgekehrt die Übereinstimmung der Synoptiker nichts für Dieselbe, indem wiir schon mehr als Eine Ersahlung, in welcher drei, ja alle vier Evangelien ausammenstimmen, für unhistorisch haben erklären müssen. Was endlich «u* angebliche Zeognifs des Petras betrifft , so ist wegen der mehr als zweifelhaften Ächtheit des «weiten* Briefs l'etri die allerdings auf unsre Verkiärnngsgeschfohte» be- zügliche Stelle als Beweis für die historische Wahrheit derselben jetst auch von orthodoxen Theologen aufgegeben worden 4). .j, ... » >< >i

... /Dagegen haben wir ausser den oben angeaeigten Schwie- rigkeiten, welche in dem wunder haften Inhalt der Er- zählung liegen, noch einen weiteren Grund gegen die historische Geltung der Verklfirungsgeschkshte, die Un- terredung nämlich , welche den beiden ersten Evangelisten zufolge die Jünger unmittelbar nachher mit Jesu geführt haben sollen. Wenn nämlich im Herabsteigen vom Verklä- rungsberge die Jünger Jesum fragen: tI h oi yQappttzds

4) ÜLSUAUsa*, S. 553. Anm.

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Zehntes Kapitel. $. IOC.

rroj^rov (Matth. V. 10.)? klingt diefs gana, wie w«un etwa« vorangegangen wäre, woraus sie hätten abnehmen müssen, Elias werde nicht er- scheinen, und gar nicht, wie wenn sie eben von einer Er- scheinung desselben herkamen, da sie in diesem Falle nicht unbefriedigt fragen, sondern aufriedenges teilt sagen rnufs- ten: uxozwg >&* oi yQafifitetg kiyuoiv x. %. L *)• Daher wird denn die Frage der Jünger von den Erkläre™ so ge- deutet, als ob sie nicht eine Elias Erscheinung überhaupt, sondern an der eben gehabten nur ein gewisses Merkmal vermifst hatten, das nämlich , dafs nach der Ansicht der Sc(iriftgeiehrten Elias bei seinem Auftritt wirksam und re- formätorisch in das Leben der Nation eingreifen sollte , wo* gegen er bei. der eben gehabten Erscheinung ohne weitere Wirksamkeit sogleich wieder verschwunden war 6). Diese Erklärung wäre aniäasig, wenn das uitoxuiagr{oei nawa in der Frage der Jünger stände: statt dessen aber steht es bei beiden Referenten (Matth. V. 11. Marc. V. 12.) nur in der Antwort, Jesu , so dafs die Jünger auf äusserst verkehrte Weise das, was sie eigentlich vermifsten , das L'.A(r/Ailit=LiM(t , verschwiegen , und nur das tQyto&ui ge- nannt haben müßten, was sie nach der gehabten Erschei- nung t*»ciit vernii6*e«,ibonnten. Wie aber die Frage der Jünger keine gehabte Elias-Erscheinung , vielmehr das Ge- fühl des Mangels einer solchen voraussetzt ; so auoh die Ant- wort, welche, ihnen ( Jesus gleht. Denn wenn er erwie- dert: wohl haben tiÄe.^ehr#f^tlelirten recht , wenn sie sa- gen, Ellas mösse vor ilem Messias kommen; die 1h ist aber, kein Grund gegen meine , Messiani tat , da mir bereits ein . " » .! # Ii'--' i >\n ' t J»^i ..

5) «. IUu, im an^cf. Programm, bei Gabler, neuest, theol. Jour- 1 nsl, ii i1 1 V

6) Fritzsci«, in Matth, p. 553; Ouhausen, 1, S. 541. Noch, weniger genügende Auskünfte bei Gabl«r, a. a. O. und hei Mattmam, Religionsgk der Apostel, 2, S. 596.

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*70

Zweiter Abschnitt.

Elia« in der Person des Täufers vorangegangen ist, wenn er somit seine Jünger gegen den ans der Erwartung der yQafttiUTeig au siebenden Zweifel durch Verweisung auf den ihm Torangegangenen uneigentlichen Elias au ver- wahren sucht: so kann eine Erscheinung des eigentlichen Elias unmöglich vorausgegangen sein , sonst muTste Jesus Bit allererst auf diese Erscheinung, und nur etwa weiter- hin auch auf den Täufer, hingewiesen haben 7). Die un- mittelbare Verbindung dieses Gesprächs mit jener Erschei- nung kann also nicht historisch sein, sondern nur der Ähn- lichkeit aulieb gemacht , weil in beiden von Elias die Rede ist 8). Doch nicht einmal mittelbar und durch Zwischen- begebenheiten getrennt kann einer solchen Rede eine Er- scheinung des Elias vorangegangen sein, da, wenn auch noch so lange nachher, sowohl Jesus als die drei Augen* neugen unter seinen Jüngern sich derselben erinnern tunk- ten , und nie so sprechen konnten , als ob eine solche gar nicht stattgefunden hätte. Selbst aber auch nach einer solchen Unterredung kann eine Erscheinung des wirklichen Elias der orthodoxen Vorstellung von Jesu gern« Ts nicht wohl stattgefunden haben« Denn su deutlich spricht er hier seine Ansicht aus, dafs der eigentliche Elias gar nicht au erwarten, sondern der Täufer Johannes der verheifsene Elias gewesen sei S wäre also dennoch später eine Erschei- nung des wirklichen Elias noch eingetreten , so hätte sich Jesus geirrt , was gerade diejenigen , welchen an der hi- storischen Realitfit der VerklXrungsgesehichte am meisten gelegen ist, am wenigsten annehmen können. Schliefseu sich somit jene Erscheinung und diese Unterredung geradezu ans: so fragt sich , welches von beiden Stücken eher aufgegeben werden kann ? Und hier ist der Inhalt der Unterredung durch Matth. 11, 14. vgl. Luc. 1, 17., so bestätigt, die

7) Dicss gesteht auch Paulus zu, 2, S. 442.

8) ScMLSistoucH*«, über den Lukas, S. 149.

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Zehnte« Kapitel. (. 106. S?l

Yerklärungsgeschichte aber durch alle Arten {Von Schwie- rigkeiten 10 anwahrscheinlich gemacht, riafs die Entschei- dung nicht sweifelhaft sein kann. Es scheinen demnach, wie oben schon einige Male, so auch hier zwei von gans verschiedenen Voraussetzungen ausgehende und wohl auch in verschiedenen Zeiten entstandene Erzählungsstücke auf ziemlich ungeschickte Weise zusammengesetzt worden zu sein ; das die Unterredung enthaltende Stück nämlich gehl von der, wahrscheinlich früheren, Ansioht aus, die Weis- sagung in Betreff des Elias sei eben nur in Johannes in Erfüllung gegangen; wogegen das Stück von der Verklä- rung, ohne Zweifel späteren Ursprungs, sich damit nicht begnügt, dafs in der messianischen Zeit Jesu Elias, un ei- gentlich im Täufer aufgetreten sei: er mufste auch persön- lich und eigentlich, wenn auch nur in vorübergehender Erscheinung, sich gezeigt haben.

, Um nun cu begreifen, wie eine solche Ersählung auf sagenhaftem Wege entstehen konnte, ist der sucret zu er> . wägende Zug, an dessen Betrachtung sich die aller übri- gen .am leichtesten anreiht, der sonnenartige Glans des Angesichts und das belle Leuchten der Kleider Jesu* Das Schone und Majestätische ist dem Orientalen, und ins- besondere dem Hebräer, ein Leuchtende* ; der Dichter des hohen Lieds vergleicht seine Geliebte mit der Morgenröthe, dem Monde, der Sonne (6, 0.); die von Gottes Segen un- terstützten Frommen werden der Sonn© in ihrer Macht verglichen (Rieht. 5, 31. ), und namentlich das künftige Loos der Gerechten wird dem Glänze der Sonne und der Gestirne zur Seite gesetst (Dan. 12, 3. Matth. 13, 43.) 9). Daher erscheint nicht allein Gott im Lichtglans, und Engel mit glänzendem Angesicht und leuchtenden Gewändern (Ps. i . ' *

9) Vgl. Jalkut Simeoni P. 2, f.. 10, 3. (bei W«t8tmw, p. 455.) : Facies justorum Juturo tempore similes erunt toli ei lunae, coeb et steüis , fulguri etc.

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*T2 Äweite* Abeebnrft. *

0/4F%*K*1kR& ¥y 9 t. 8. Lad 24, 4. Offenb. /,

ft.)> sondern auch die Frommen des hebräischen Alter- thuros, wie Adam vor dem Fall , und um er den folgenden' ii amen eiic Ii Moses und Joaua, werden mit einem solchen Licht- glänz vorgestellt 1 °) ; wie denn die spgtertf'jtidisclie Sage auch ausgezeichneten Rabbineri in erhöhten Augenblicken über* irdischen Glan/ verlieh J l> Am berühmtesten ist das lench- tende Antlitz des Moses geworden, >on weichen! 2. Mo.. 34, 2t). ff. die Rede ist, and von ihm wurde, wie in an- dern Stücken, so mich in diesem ein Schlufs a minori majus 'auf den Messias gemacht, was Schon der Apostel Paulus 2. Kor. 3, 7 ff. andeutet, wiewohl er dem Mosei als dem dtuxovog yQu^pcet og nicht Jesurn , sondern ? ge^ mä'fs der Veranlassung seines Schreibens, die Apostel und christlichen Lehrer M öiaxovag mit pai äf1 gegenüber- stellt , and die den Glanz des Moses über biet e nde ö6*u die* aer letzteren erst als Gegenstand der ilnig'lm tu künftigen Leben erwartet Eigentlich aber war doch am Messt*! selbst ein Glanz zo erwarten, welcher dem des Moses entsprä- che, ja ihn Uberstraf dte: und eine jüdische Schrift, die von unsrer Verklürungsgeschichte keine Notiz nimmt, a räu- men tirt ganz im Geiste der Juden der ersten christlichen Zeit, wenn Sie gehend macht, Jesus könne nicht der Mes- sias gewesen sein, d«1 ja sein Angesicht nicht den Glan« des Angesichts Mosis, geschweige einen höheren , gehab* habe *J); Solche Einwürfe , wie sie ohne Zweifel schon

-10| ÖeresChtth fcabb'a 20 e 29* (toci- 'Wktsteis )' i 7%/at /öcw läJbl . , JBdüßä nnWf Potoctt, ex Nachoiamda OebeVidas.) : "Fbtg&tt

Jl) In tirke Kliescr, 2, findet sich nach Wetstkin die Angabe, inter docendum radios ex Jacie ipsius , ut otim e AIo&U ja- de , proäiisse y adeo vt non dtgnasceret qüh, vtrwn dies e$- . , ut an nox. >.•*■>- ' 1 ' * K

i2) ISiziaciion vetnt, p. 40, adExodi 34, 33. (bei Wxtstxiv) : £c<*

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Zehntes Kapitel. $,100. 273

die ersten Christen theils von Juden hören, theils «ich sei Li- )- nifwhen mui'steu , konnten nicht Anders , als in der ältesten Gemeinde eine Tendens erzeugen , jenen Zog aus dem Leben des Moses im Leben Jesu nachenbilden , ja In hiner Hinsicht eu tiberbieten, and statt eines leuchtenden Angesichts, das sich mit einem Tuche verdecken lieft, ihm einen auch über die Gewfinder sich ergießenden Strahlen- fclan«, wenn auch nur vorübergehend, au eu schreiben.

Dals die Verklärung des Angesichts *cn Moses cum Vorbilde für Jesu Verklärung gedient habe, beweist aber tiberdiefs eine Reihe eineeiner Züge. Moses bekam seinen Glans auf dem Berge Sinai: auch von Jesu Verklärung ist ein Berg der Schauplate; Moses hatte bei einer früheren Besteigung des Bergs , welche mit der späteren , nach der sein Angesicht glänzend wurde , leicht eusammenfliefsen konnte, ausser den 70 Ältesten besonders doch drei Ver- traute, Aaron, Nadah und Abihu, eur Theilnabme an der Anschauung Jehova*s mit sich auf den Berg genommen (2. Mos. 24,1. 9—11.): so nimmt nun auch Jesus seine drei vertrautesten Jünger mit sich, um, so viel ihre Kräfte es vermöchten, Zeugen des erhabenen Schauspiels eu sein, und ihre nächste Absicht war nach Luc. V. 28. nnogev- gaodcti: gerade wie Jehova den Moses mit den Dreien und den Ältesten auf den Berg kommen heilst, um von ferne anzubeten. Wie hernach, als Moses mit Josua den Sinai bestieg, die do£a KvqIh als verfüg den Berg bedeckte ( V. 15 f. LXX.) , wie Jehova aus der Wolke heraus dem

Moses magister noster filicis memoriae, qui homo tnerus erat, quin Deuis de facie ad faciem cum eo locutus est, tmltum tarn lucentem retulit , ut Judaei vererentur accedere: quanto igt. tur magis de ipsa divinitate hoc tenere oportet, atque Jesu Jaciem ab uno Orbis cardine ad alterum fulgorem dijfundere conveniebat? At non praeditas fuit uüo splendore, sed re- liquis mortalibus fuit similiimus. Quapropter constat , non tut in cum credendum. Das Lehen Jem ZleAuß. 11. Band. 18

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274 Zweiter Abschnitt. ;

Moses rief, bis dieser endlich in die Wolke zu ihm hin* eingieng (V. Iß— 18.): so haben wir such in unsrer tir- aühJung eine vexpeXr; tporcog, weiche Jesnm and die himm- lischen Erscheinungen beschattet, eine (pawrj ix tijg verrtlqg, nnd bei Lukas ein tigel&ttv der Drei in die Wolke. Was die Stimme nus der Wolke zu den Jüngern spricht, ist im ersten Theile die messianische Declaration, welche, aus Ps. 2, 7. und Jes. 42, 1. zusammengesetzt, schon bei Jesu Taufe vom Himmel erscholl ; im zweiten Tbeil ist sie aus den Worten genommen , mit welchen Moses in der früher angeführten Stelle des [Jeuteronomium (18, 15.) nach der gewöhnlichen Deutung dem Volk den künftigen Messias ankündigt und es cur Folgsamkeit gegen denselben er- mahnt *<).

Durch die Verklärung auf dem ßerge war Jesus sei- nem Vorbilde, Moses , an die Seite gestellt , und da es in den Erwartungen der Juden lag, dafs nach Jes. 52, G ff. die messianische Zeit nicht nur Einen, sondern mehrere Vorläufer haben ,4), und unter Andern namentlich auch der alte Gesetzgeber zur Zeit des Messias erscheinen soll- te I5): so war für dessen Erscheinung kein Moment ge-

13) Aus dieser Vergleichung mit der Bergbesteigung des Moses lässt sich vielleicht auch die Zeitbestimmung der ^'Ca, ?$ ableiten, durch welche die zwei ersten Evangelisten das ge- genwartige Ereigniss von dem zuletzt erzählten trennen. Denn auch die eigentliche Geschichte von den Begcgnissen des Moses auf dem Berge beginnt mit der gleichen Zeitbestim- mung, indem es heisst, nachdem 6 Tage lang die Wolke den Berg bedeckt hatte, sei Moses zu Jehova berufen worden (V. 16.) , eine Zeitbestimmung, welche, obgleich der Aus- gangspunkt ein ganz anderer war, für die Eröffnung der Je« sunt betreffenden Verklärung sscenc beibehalten werden mochte.

1*) s. Bertholdt, Chrislologia Judaeorum §. 15. S. 60 ff.

15) Debarim Rabba 3. (Wetsteih) : Dixti Deut S. E. Most': per vitam tuam , quemadmodum vi tarn tuam posuisti pro Israelitin in hoc mundo, ita tempore futuro, quando Eliam prophelam

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Zehnte* Kapitel. S- UM*. *75

Eignerer, *t* der, tu welchem de* Messias auf dieselbe Wei- ne , wie einst er, auf einem Berge verherrlicht wurde« Zu ihm geseilte sich dann von selbst derjenige» welcher nach Mal. 3, *23» am bestimmtesten als messiatiischer Vor- läufer, nnd swar nach den Rabbinen «agleich mit Moses, erwartet wurde» Erschienen beide Männer dem Messias, so ergab sich von selbst, dafs sie sich mit ihm unterredet haben werden, and fragte sich's am einen Inhalt dieser Unterredung, so lag vom letzten Abschnitt her nichts nüher, alsi das bevorstehende Leiden and Sterben Jesu , welches ohnehin als das eigentliche messianische Geheimnifs des Ji, T. sich am ehesten su einer solchen Unterhaltung mit Wesen einer andern Welt eignete ; wefsWegen man sich wundern rauf», wie Olshauskn behaupten kann, auf die* sen Inhalt des Gesprächs hätte die Mythe nicht kommen können. So hätten wir also hier einen Mythus , dessen Tendenz die gedoppelfeist! erstens, die Verklärung des Mo- ses an Jesu in erhöhter Weise tu Wiederholen , und ewei* tens, Jesum als den Messias mit seinen beiden Vorläufern zusammenzubringen, durch diese Erscheinung des Gesetz gebers und des Propheten, des Gründers nnd des Reforma* tors der Theokratie , Jesum als den Vollender des Gottes» reiehs, als die Erfüllung des Gesetzes and der Propheten, darzustellen, und seine messianische Würde noch überdiefc durch eine Himmelsstimme bekräftigen za lassen

ad ipsos mit tarn, vos duo eodem tefhport'VenittHi Vgl* Tan- chuma f. 42, i, bei Schött*kn, 1, S* l*9t ' ' 16) Für einen Mythus erklärt diese Erzählung t>t WtTff, Kritik der mos. Gesch. S, 250 \ Bkrtholot, Christologia Jud, J. 15. not. 17 j Schulz, über das Abendmahl, 9. 319, giebt Wenig- stens ein Mehr und Minder des Mythischen in den verschic- denen evangelischen Relationen der Vcfklärungsgeschichtc zu, und Fmtzsch», in Matth, p, 448 f. und 456, fuhrt die mythi- sche Ansicht Ton derselben nicht ohne Zeichen ton Beistim- mung auf. Vergl. auch Kviatt*, In Matth, p, 459, und G*atz, 2,S. 161 ff. ^

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270

Zweiter Abschnitt

An diesem Beispiele ladt sich schließlich beaondrre Augenscheinlich teilen, wie die natürliche Erklärung, in dein sie die historische Gewifsheit der Erzählungen fest- halten will, die ideale Wahrheit derselben verliert, gegen die Form den Inhalt aofgiebt: wogegen die mythische durch Aufopferung des geschichtlichen Leibes solcher Erzählun- gen doch die Idee derselben, welche ihr Geist und ihre Seele ist, erhält und rettet. War nämlich der natürlichen Erklärung aufolge der Lichtglans um Jesum ein zufalliges optisches Phänomen, und die beiden Erschienenen entwe- der Traumbilder oder unbekannte Menschen: wo bleibt da die Bedeutung der Begebenheit? wo ein Grund, eine solche ideenlose, gehahlcere, auf gemeiner Täuschung und Aberglauben beruhende Anekdote im Andenken der Ge- meinde festzuhalten? Dagegen, wenn ich nach der mythi- schen Auflösung in dem evangelischen Berichte zwar keine wirkliche Begebenheit finden kann, so behalte ich doch einen Sinn und Inhalt der Erzählung , weifs , was die er- ste Christengemeinde sich bei derselben gedacht , und war- um die Verfasser der Evangelien ihr eine so wichtige Stelle in ihren Denkschriften eingeräumt haben l7).

J. 107.

Abweichende Nachrichten Uber die letzte Reise Jesu nach •*** 1 Jerusalem.

«

Bald nach der Verklärung auf dem Berge lassen die Evangelisten Jesum die verhängnifs volle Reise antreten,

17) Auch Plato im Symposion (p. 223. B. ff. Steph.) verherrlicht seinen Sokrates dadurch, dass er auf natürlichem und ko- mischem Grund eine ähnliche Gruppe veranstaltet, wie die Evangelisten hier auf tragischem und übernatürlichem. Nach einem Trinkgelage überwacht Sokrates die Freunde, welche schlafend um ihn liegen : wie hier die Jünger um den Herrn; mit Sokrates wachen nur noch zwei grossartige Gestalten,

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Zelt ntes Kapitel. §. 107. 277

welche Ihn seinem Leiden entgegenführte. Uber den Ort, ron welchem er bei dieser Keise ausgieng , und den Weg, welchen er nahm, weichen die evangelischen Narhriehren von einander ab. Stimmen (Iber den Ausgangspunkt die Synoptiker zusammen, indem sie sämmttich Jesuui von Ga- liläa aufbrechen lassen (Matth. 19, 1. Marc. 10, 1. Luc. 8, 51., in welcher letzteren Stelle «war Galiläa nicht aus- «i tücklich genannt Ist, aber aus dem Vorhergehenden, wo nur von Galtita und ga Maischen Ortschaften die Rede war, so wie aus der im Folgetiden erwähnten Reise durch Samarien, sieh von selbst ergtebt 1 ) : so scheinen sie doch Ober den VVeg, welchen Jesus von da nach Judia ge- wühlt habe, von einander abaugenen. Zwar sind die An« gaben zweier von ihnen in diesem Punkte so dunkel, data sie der harmouisirenden Exegese Vorschub au leisten schei- nen könnten. Am klarsten und bestimmtesten sagt Mar« kus, Jesus habe seinen Weg Über Pera'a genommen: aber sein iQjpiut itg ta OQta rrg yfuSaiag dta tu ntQav tu 7oo- dtivu ist schwerlich etwas Anderes, als die Art, wie er sich den schwerverständlichen Ausdruck des Matthäus, dem er In diesem Abschnitt folgt, erklaren an dürfen[glaub- te. Was dieser mit seinem fütfjQev dno tftg raliXaiag xid tlltev Big tcs onia trtg yIudalag nlQai tu yIoqdäru eigentlich sagen will, ist in der That dunkel. Denn wenn die Er- klärung : er kam in den Theil von Judia, welcher jenseits

der tragische Dichter und der komische, die beiden Elemen- te des früheren griechischen Lebens, welche Sokratcs in sich vereinigte: wie mit Jesu der Gesetzgeber und der Prophet sich unterreden, die beiden Säulen des A. T. liehen Lebens, welche Jesus in höherer Weise in sich zusammcnschlos» ; wie bei Plato endlich auch Agathon und Aristophanes ein- schlafen, und Sokratcs allein das Feld behalt : so verschwin- den im Kvangelium Moses undf Elias zuletzt, und die Jüager sehen nur noch Jcsum allein. 1) Scausucaaucnsa, Uber den Lukas, S. 160.

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S78 . Zweiter Ab.a«haltt.. ,

des Jorda^egt,?), gleicherweise gegen Geographie wie Grammatik veratöfst, *o Ist die Deutung, zu welcher die Vergleiohong de« Markus die meisten Ausleger geneigt maoh,^ daf« Jesus nach Judäa gekommen sei durch das Land jenseits des Jordans auch nach der von Fiitzscub angebrachten Modifikation wenigstens nicht ohne gram um. tische Schwierigkeit, Bleibt indefs so viel in Jedem Falle, dafs auch Matthäug wie Markus Jesum von Galiläa nach Judäa den weitereu Weg aber PerÄa nehmen iäfst : so acheint dagegen Lukas ihn den näheren, durch Sumaria, zu führen. Zwar ist «ein Ausdruck, 17, 11, da(* Jesus auf seiner Reise nach Jerusalem difowo äia pion SafiaQdüg xal rakkaiag, kaum klare*, < als der eben erwogene des Matthäus. Der gewöhnliche«! Wortbedeutung nach scheint er auszusagen, Jesus habe zuerst Samarien , dann Galiläa, queer durchschnitten, umso nach Jerusalem su kommen. Aber diese Aufeinaiulerfoige ist verkehrt; denn gieng er von einem galiJa'ischen Orte aus , so mu Ute er zuerst das übrige Galiläa, und dann erst Samarien durchreisen. Man hat defswegen demj^*/^ ,,^x# ^L die Bedeutung eines Hinziehen* auf der G ranze zwischen Galiläa und Sa- marien gegeben und nun den Lukas mit den beiden er- aten Evangelisten durch die Voraussetzung vereinigt, Jesus sei auf der gaiiläinch-samarischen Gränse bis zum Junlau hingereist, habe hierauf diesen uberschritten, und sei so- fort durch Peraa nach Judäa und Jerusalem gewandert. Diese letztere Voraussetzung vertragt sich aber mit Luc. 9, 51 ff. nicht; denn wenn dieser Stelle zufolge Jesus nach dem Aufbruch aus Galiläa alsbald einem satirischen Dor- fe zugeht, und hier Übeln Eindruck macht, %o nquou^

* i

2) Küinöl uid Giutz, z. d. St.

3) So z. B. Lishtfoot, z. d. Stf

« VVtrtTt.M, OuaAtss., d. St. j Sc«l*,shm4c,is* , s. s. Q,

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Zehntes Kapitel. $. 107. 27»

fiov avtS fjv nom vöutvov €ig 'liQUOalw : so lautet diefs ganz , wie wenn" er die Riehtun* von Galiläa durch Sama- rien nach JudÄa gehabt hätte, und wir werden am besten thun , mit unbefangenen Exegeten hier eine Abweichung der synoptischen Evangelien anzuerkennen Erst gegen das Ende dea Weges Jesu vereinigen sie «ich wieder, indem laut ihres übereinstimmenden Berichts Jesus nach Jerusa- lem von Jericho her gekommen ist (Matth. 20, 29. parall.) ; ein Ort, welcher übrigens mehr dem über Perfiä, als dem durch Samarien gekommenen Galilaer auf der geraden Strafse lag.

Ist auf diese Weise unter den Synoptikern «war in Rücksicht auf den von Jesu eingeschlagenen Weg ein Streit, aber doch in Bezug auf den ersten Ausgangspunkt und das letzte Stück des Wegs Übereinstimmung s so weicht derjo- hanneische Bericht in beiden Hinsichten Von ihnen ab. Ihm zufolge nämlich ist es gar nioht Galiläa, von wo Jesus zw letzten Pasohareise aufbricht, sondern schon vor dem Laub- hüttenfeste des vorigen Jahrs hatte er jene Provinz, zum letztenmal, wie es scheint, verlassen (7, 1. 10.) ; dafs er zwi- * oben diesem und dem Feste der Tempelweihe (10, 22.) wie- der dahin gekommen wäre, wird wenigstens nicht gesagt; nach diesem Fest aber begab er sich nach Peräa und blieb daselbst (10, 40/>, bis ihn die Krankheit und der Tod dea Lazarus nach Judaa, und in die nächste Nähe Jerusalems, nach Bethanien, rief vll, 8 ff.). Der Nachstellungen seiner Feinde wegen zog er sich von hier bald wieder zurück, dech, weil er das bevorstehende Pascha besuchen wollte, nur bis in das Städtchen Ephraim, unweit der Wüste (I I, 54.) ; von wo aus er dann , ohne dafs eines Aufenthalts in gedacht würdo, das auch von Ephraim aus, wie

5) Fritzschi, in Marc. p. 415: Marcus Matthaei 19, i. se <ru- ctoritati h. /. adstringit, dieitque, Jesum e Galilaea (cf. 9, 33.) projectum esse per Peracam. Sed miclore Luca 17, 11. in Judaeam coniendit per Samarium itinere br vissimo.

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2S0 Zweiter Abschnitt. fc

nmn dessen Lasre gewöhnlich bestimmt, nicht im Wege lag, nach Jerusalem mm Feste sich begab.

Eine so totale Abweichung mufste die Harmoniken in ungewöhnliche Geschäftigkeit versetzen. Der Aufbruch aus Galiläa, dessen d>> Synoptikerf gedenken , soll nach ih- nen nicht der Aufbruch zum letzten Pnsrhaf, sondern /nrn Feste der Tempel weihe gewesen sein 6) , anerachtet er von Lukas durch das £v ovpTikrßHO&ai *ag rjpBQag tfjg oW- kytpEtog at>TÖ (9, 51.) unverkennbar als Aufbruch zu dem- jenigen Feste , auf welchem Leiden und Tod Jesu warte- ten, bezeichnet ist, und sa'mmtliche Synoptiker die hier be- gonnene Reise mit jenem festlichen Einzug in Jerusalem endigen lassen, welcher auch dem vierten Evangelium zu- folge unmittelbar vor .dem letzten Paschafest erfolgt ist 7.)« Soll hienach der Aufbruch aus Galiläa, von welchem sie erzählen, der zum Enkfinienfest, die Ankunft in Jerusalem aber, welche sie melden, die zum späteren Pascha gewe- sen sein : so müTsren sie das nach dieser Voraussetzung zwischen beiden Punkten Liegende, nämlich Jesu Ankunft und Aufenthalt in Jerusalem zum Fest der Tempelweihe, seine Heise von da nach Peräa, von Peräa nach Bethanien, und von hier nach Ephraim, ganz (ibergangen haben. Scheint hieraus au folgen, dafs jene Berichterstatter von allem diesem auch nichts gewufst haben: so soll vielmehr, wie geltend gemacht wird , Lukas dadurch , dafs er bald nach der Abreise aus Gxliläa Jesum auf Schriftgelehrte stofceri lasse, die ihn auf die Probestellen wollen (10, 25 ff.), dann |hn in dem Jerusalem benachbarten Bethanien zeige ( 10, 3S ff.) , hierauf ihn wieder rückwärts an die Gränzscheide von Samarien und Galiläa versetze (17, 11.) , und erst als- dann ihn zum Pasoha in Jerusalem einziehen lasse (19, 29 ff.), deutlich genug darauf hinweisen, dafs zwischen je-

6) Paulus, 2, S. 293. RS4. Vgl. Oi.shuskin, 1, S. 583.

7) Scmmukry vcMSh, ä. a. O. S. 159.

*

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Zahntet Kapitel. §. 107. »61

11 er Abreise und dieser Ankunft Jesus ein weiteres Mal nach Jtidka und Jerusalem, und von da wieder zurück, gereist sei 8). Allein, wenn die Schriftgelehrten ohnehin nichts beweisen, so ist auch von Bethanien nirgends die Rede, sondern nur von einer K in kehr Jesu bei Martha und Ma- ria, welche der vierte Evangelist in jenes Dorf versetst, woraus jedoch nicht folgt, dafs auch der dritte sie ebenda- selbst wohnhaft, und also Jesum, wenn er bei ihnen war, in der Nabe von Jerusalem ' sich gedacht habe. Daraua aber, dafs so sehr lange nach der Abreise (0, il 17, 11.) Jeaqs erst auf der Gränxe iwischen Galiläa und Samarien erscheint, folgt nur, dafs wir hier keine geordnet fort- schreitende Erzählung vor ons haben. Doch selbst Mat- thäus soll nach dieser harmonisirenden Ansicht von jenen Zwischenbegebenheiten gewufst, und sie für den genauer Zusehenden angedeutet haben ; sein tairjocv and %rtg I er— hlulag nämlich soll als Andeutung der Reise Jesu auf die En men eine Diegese abschliefsen , das xcel qXöev eig ta CQta rrg ludaiag neyav loQduvH dagegen mit Angabe der Ausweichung von Jerusalem nach PerXa (Job. 10, 40.) einen neuen Abschnitt eröffnen ; wobei Übrigens ehrlich zugestan- den wird, dafs ohne die Data des Johannes Niemand auf eine solche Zerreissung der Worte des Mattha'us kommen würde v). Dergleichen Künsteleien gegenüber ist für denje- nigen , welcher die Richtigkeit des johanneischen Berichts voraussetzt, kein anderer Weg übrig, als der von der neue- sten Kritik eingeschlagene, nämlich die Autopsie des Mat- thaus, der die Reise nur ganz kurz behandelt, aufzugehen, von Lukas aber, der einen ausführlichen Reisebericht hat, anzunehmen, dafs er oder ein von ihm benutzter Sammler swei verschiedene Berichte , von welchen der eine die frü- here Reise Jesu auf das Fest der Tempelweihe , der andre

8) !'ȟlU8, 2, S. 294 ff.

9) *. a. O. 295 f. 5S4 f.

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282 Zweiter Abschnitt*

seine letzte Paschareiae betraf, zusammengefügt habe, ohne eu ahnen, dafs zwischen die Abreite Jesu ans Galiläa und aainen Einzug in Jerusalem vor dem Patcha noch ein frü- herer Aufenthalt In Jerusalem, saramt andern Reisen und Begebenheiten, fiel 1 °).

Auf eigene Weise kehrt sich nun aber im Verlauf, des Berichts von der oder den letzten Reisen Jesu das Verhält- nifs zwischen den synoptischen Evangelien und dem johan- neischen um. Wie nämlich zuerst auf Seiten der ersteren eine grofse Lücke sich zeigte, indem sie eine Masse von Z wischen begeben hei ten und Zwischenaufenthalten Ohergien- gen, welohe Johannes giebt: so scheint nun gegen das En- de des Reiseberichts auf Seiten des letzteren eine, wenn auch kleinere, Lücke einzutreten, indem er nichts davon hat, dafs Jesus über Jericho nach Jerusalem gekommen ist. Man kann zwar Mgen , Johannes habe, unerachtet den Synoptikern zufolge eine Blindenheilung und der Be- such bei Zacchä'us in dieselbe fiel, doch diese Durchreise übergehen können; allein es fragt sich, ob in seiner Dar- stellung ein Durchgang durch Jericho Überhaupt Kaum ha- be ? Auf dem Wege von Ephraim nach Jerusalem liegt die genannte Stadt nicht, sondern bedeutend östlich ab; man hilft sich daher durch die Voraussetzung, von Ephraim ans habe Jesus allerlei Nebenreisen gemacht, auf einer von diesen sei er nach Jericho gekommen, und von hier dann nach Jerusalem gezogen **).

Jedenfalls herrscht hienach in den evangelischen Nach- richten von der letzten Reise Jesu eine besondere Uneinig- keit, indem er der vulgären, synoptischen Tradition zufol- ge aus Galiläa über Jericho, und zwar

10) Schleikhuachkr, a. a. O. S. 161 f. Si kkfert, Uber den Urspr. S. 104 ff. Dem ersteren stimmt in Beziehung auf Lukas auch Olsijiuskx bei a. a. O.

11) Tmoluck, Couuu. z, Joü. S. 210 j Olskausk.n, f, S. 771 f.

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Zeh»*** Kapitel. J. 109. 283

Markus duodli Peräaf odob iLakat durch Samaria, gereift wäre, dem vierten Evangelium zufolge aber von Ephraim

eine Vereinigung unmöglich , aber auch die Wahl »ehr schwierig ist, v\j ' .

iu «Vi i *«b Ton !iu«M 1Äi ...... h

Abweichungen .dar Evaagulien in Hinsicht auf den Ausgangs* JflMdu>4es Ew11»«« Jc«u Jerusalem. . >.|. Selbst über den Sehlufa der Reite Jesu, über die letzte Station vor Jerusalem, sind die Evangelisten nicht ganz ei- nig Während es nach den Synoptikern das Ansehen hat, als sei Jesus von Jericho aus ohne längeren Zwischenauf- enthalt au demselben Tage bis nach Jerusalem gekommen, (Matth. 20, 34.' 21, 1 ff. parail.): läfst ihn das vierte Evan- gelium von Ephraim zunächst nur bis Bethanien gehen, hier übernachten, und erst am folgenden Tage seinen Einzog in die Hauptstadt halten (12, 1. 12 ff.). Um beide Darstel. lungen zu vereinigen, tagt man, bei der nur summarischen Erzählung der Synoptiker sei es nicht zu verwundern, dafs sie das Ubernachten in Bethanien nicht ausdrucklich berühren , ohne es deswegen leugnen zu wollen ; es linde somit kein Widerspruch «wischen ihnen nnd Johannes statt, sondern, was jene kurz zusammenfassen, lege dieser in seine weiteren Momente auseinander *> Allein während Matthäus Bethanien gar nicht nennt, thnn die beiden an- dern Synoptiker dieser Ortschaft auf eine Weise Erwäh- nung, welche der Annahme, dafs Jesus daselbst über- nachtet habe, entschieden widerstrebt. Wenn sie nämlich erzählen, w$ jjyytatv eis Brj&fpayr} xui Bfjd-aviav, habe sich Jesus aus dem nächsten Dorf einen Esel holen lassen, und sei sofort auf diesem in die Stadt eingeritten : so kann man «loh zwischen die so verbundenen Vorgänge unmöglich eiue

1) IttOMW*, S. 218.; üisiuiiSSN, 1, S. 771.

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284 Zweiter Abstsh räet! ' v

»

Nacht hineindenken, sondert die ftrsählung lautet so, alt» ob unmittelbar auf die Sendung Jesu der Eigentümer den Esel verabfolgt, und unmittelbar nach der Ankunft des Eseis Jesus sieh cum Einzug angeschickt hätte. Auch Ja Ist sich, wenn Jesus in Bethanien über Nacht so bleiben im Sinne hatte, auf keine Weise ein Zweck seiner Sendung nach dem Esel ausfindig machen. Denn soll das Dorf, in welches er schickte, eben Bethanien gewesen sein : so hatte er, wenn erst auf den andern Morgen ein Reitthier eu be- stellen war, nicht nöthig, die Jünger vorausschicken, sondern konnte füglich warten , bis er mit 1 ihnen in Be- thanien angekommen war; dafs er aber, ehe er noch Be- thanien erreicht und sich umgesehen hatte, ob nicht hier ein Esel su finden sei , Aber dieses nächstgelegene Dorf hinaus nach ßethphage geschickt haben sollte, um dort auf den andern Morgen einen Esel aufzubieten, entbehrt vol- lends aller Wahrscheinlichkeit: und doch sagt wenigstens Matthäus entschieden, dafs der Esel in Bethphage geholt worden sei. Daau kommt, dafs, der Darstellung des Mar- kus zufolge, als Jesus in Jerusalem ankam, bereits die oipia angebrochen (11, II«), und es ihm defswegen nur noch möglich war, sich in Stadt und Tempel vorläufig um- zusehen, worauf er mit den Zwölfen sich nach Bethanien zurückzog. Nun iäfst sich zwar das nicht beweisen , was schon behauptet worden ist, dafs das vierte Evangelium den Einaug vielmehr auf den Morgen verlege: aber das mufs man fragen, warum denn Jesus, wenn er nur von dem nahen Bethanien kam , nicht bälder von da aufgebro- chen ist, um in Jerusalem auch noch etwas, das der Rede werth wäre, thun au können ? Die späte Ankunft Jesu in der Stadt, wie sie Markus behauptet, erklärt sich offen- bar nur aus dem längeren Wege von Jericho her: kam er blofs von Bethanien, so gieng er von hier schwerlich so spät erst weg, dafs er, nachdem er die Stadt sich nur ango>ehen9 wieder nach Bethanien umkehren mufste, um

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Zehnte» Kapitel. §. 103 2S:>

nm folgenden Tag zeitiger von da aufzubrechen , woran ihn Uber auch schon am vorigen nicht» gehindert hatte, freilich ist in sejuer Verlegung der Ankunft Jesu in Je- rusalem auf den spaten Abend Markus von den beiden an- dern Synoptikern nicht unterstützt, indem diese Jesum noch am Tage seiner Ankunft die Tempelreinigung vornehmen, und Matthäus ihn selbst noch Heilungen verrichten und sich gegen die Hohenpriester und Schriftgelehrten verant- worten ia'fst (Matth. 21, 12 ff.): allein auch ohne jene Zeit- angabe entscheidet die ContinuitÄt der Momente des Hin- . kom mens gegen jene Flecken, der Sendung der Jünger, der Ankunft des Esels, und des Einreitens, gegen die Mög- lichkeit, in die Erzählung der Synoptiker ein l etbanisches Nachtquartier einzuschieben«

Bleibt es auf diese Weise dabei, dafs die drei ersten Evangelisten Jesum geradezu von Jericho aus, ohne Auf- enthalt in Bethanien, der vierte aber ihn nur von ßetha» ni n her nach Jerusalem ziehen läfst: so müssen sie, wenn sie heiderseits recht haben sollen, von zwei verschiedenen Einzügen reden, wie diefs neuerlich von mehreren Kritikern ve'rmuthet worden ist -). Ihnen zufolge zog Jesus zuerst (was die Synoptiker erzählen) mit der Festkarawane ge- radezu nach Jerusalem, und es erfolgte hiebei, w ie er sich durch die Besteigung des Thiers beroerklich machte, von Seiten der Mitreisenden unvorbereitet eine laute Huldigung, welche den Einzug in einen Triumphzug verwandelte. Nach- dem er sich am Abend nach Bethanien zurückgezogen, gieng ihm dann am folgenden Morgen (was Johannes be- richtet) eine grofse Volksmenge entgegen , um ihn einzu- holen, und als er auf dem Wege von Bethanien her mit derselben zusammentraf, wiederholte sich, diefsmal vorbe- reitet von Seiten seiner Anhänger, die Scene des gestrigen

2) Paulus, exeg. Handb. 3, a, S. 92 ff. 98 ff. Schlkibrmachiä, über den Lukas , S. 244 f.

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Zweiter A b t? h ti i 1 1.

Tags in noch grösserem Mafsstabe. Dieser Unterscheidung eines frflheren Einzugs Jesu in Jerusalem, ehe man hier von seiner Ankunft wufste, und eines späteren, nachdem man schon erfahren hatte, dafs er in JUthanfen sei, ist die Differenz günstig, dafs nach der synoptischen Krai- lling die Huldigenden nur TtQodyonig und axobi^ünt^ (Matth. V. 9.)> nach der johanneischen aber v7Tartitaavtf$ (V. 13. 18.) sind. Fragt man nun aber: warum geben denn unsere sämmtlichen Referenten jeder nur Einen Ein- zug, und findet sich bei keinem derselben von zweien eine Spur? so bekommt man in Bezug auf den Johannes die Antwort, dieser verschweige den ersten Einzug wahrschein- lich defswegen, weil er ihn nicht mitgemacht habe, indem er während desselben nach Bethanien möge verschickt ge- wesen sein, um die Ankunft Jesu anzumelden *). Da in- defs nach unsern Grundsätzen , wenn vom Verfasser des vierten Evangeliums , dann auch von dem des ersten vor^ ausgesetzt werden darf, dafs er der in der Überschrift ge- nannte Apostel gewesen: so fragt man vergebens, wohin denn nun bei m zweiten Einzüge Matthäus solle verschickt gewesen sein, dafs er von diesem nichts zu erzählen wufs- te? da sich hei dem wiederholten Gange von Bethanien nach Jerusalem kein Anlafs einer solchen Sendung denken la'fst. Übrigens auch in Bezug auf den Johannes ist sie reine Er- dichtung; abgesehen davon, dafs, auch wenn die beiden Evangelisten nicht persönlich zugegen waren, sie doch von einer im Kreise der Jünger so vielbesprochenen Begeben* heit, wie der feierliche Einzug gewifs auch in seiner Wie- derholung wnr, genug erfahren mufsten, um von demselben Bericht erstatten zu können. Hauptsächlich aber, wie die Erzählung der Synoptiker nicht so lautet, als ob nach dem Ton ihnen beschriebenen Einzüge noch ein zweiter erfolgt wäre: so Ist die jo hanneische von der Art, dafs vor dem

. *

3) SCMLSISMIACHIR, S. S. 0.

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Zehntes Kapitel. §. 1 OS- 287

Einznge, dessen sie Meldung that, ein anderer Unmöglich gedacht werden kann. Ihr zufolge gehen nämlich am Tag vor dem johanneischen £inzug, also der Voraussetzung ge- mäß an demselben Tage mit dem synoptischen, viele Ju- den von Jerusalem nach Bethanien hinaus, weil sie von Jesu Ankunft gehört hatten, und nun ihn und den von ihm erweckten Lazarus sehen wollten ( V. 9. vgl. 12. ). Allein wie konnten sie am Tage des synoptischen. Einzugs hören, dafs Jesus in Bethanien sei? an jenem Tage gierig ja Jesus Bethanien vorbei oder durch, und zog gerade nach Jerusalem, von wo er nach allen Erzählungen erst so spät Abends nach Bethanien hinausgegangen sein kann, dafs Juden, die nun erst von Jerusalem aus dahin gien- gen, nicht mehr hoffen konnten, ihn noch sehen zu kön- nen 4). Wofür mochten sie aber nur sich die Mühe neh- men, Jesum in Bethanien aufzusuchen, da sie ihn doch an jenem Tag in Jerusalem selber hatten? gewifs mfifste es in diesem Falle nicht blofs heifsen, sie seien « dia tov lrtouv ftovov ctf ha xai %6v sta^ctQOv VoWj, ge- kommen, sondern, Jesum haben sie zwar in Jerusalem selbst gesehen gehabt, nun aber haben sie auch noch den Lazarus sehen wollen, und seien defswegen nach Betha- nien gegangen; wogegen der Evangelist, welcher Leute von Jerusalem aus, um Jesum zu sehen, nach Bethanien gelien Ififst, unmöglich vorausgesetzt haben kann, dafs eben an diesem nämlichen Tage Jesus in Jerusalem zu sehen ge- wesen sei. Auch das Weitere, wenn es bei Johannes heifst, am folgenden Tag habe man in Jerusalem gehört, dafs Jesus dahin komme (V. 12.), klingt gar nicht so, wie wenn Jesus schon am Tage vorher daselbst gewesen wäre, sondern als ob man von Bethanien aus erfahren hätte, dafs er heute vollends hereinkommen wurde; so wie auch der Empfang, den man ihm sofort bereitet, nur als Verherr-

4) vgl. Lucas, 2, S. 432. Aam.

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4SS Zweiter Abschnitt.

lichong seines ersten Eintritts in die Hauptstadt einen recht- ten Sinn hat, bei seiner zweiten Dahin kunft aber nur et- wa dann füglich hätte veranstaltet werden können, wenn Jesus Tagt zuvor unbemerkt und ungeehrt hereingekom- men wäre, und man diefs am folgenden Tag hätte nach- holen wollen : nicht aber wenn der erste Einzug schon so glänzend gewesen war. Und zwar müfsten sich bei in zweiten «alle Züge des ersten wiederholt haben, was, mag man es mehr als absichtliche Veranstaltung Jesu , oder als zufällige Fügung der Umstände betrachten, immer höchst unwahrscheinlich bleibt. Von Jesu ist es nicht wohl zu begreifen , wie er ein Schauspiel wiederholen mochte, das, Einmal bedeutsam, in seiner Wiederholung matt und zweck- los war *); die Umstände aber müfsten auf unerhörte Wei- se zusammengetroffen haben , wenn beidemale dieselben Eh- renbezeugungen von Seiten des Volks, dieselben Äusserun- gen des Neides von Seiten seiner Gegner eingetreten sein, auch beidemale ein an die Weissagung des Zacharias erin- nerndes Reitthier zu Gebote gestanden haben sollte. Man könnte daher die SiEFFERT'sche Assimilationshypothese zu- Hülfe nehmen, und voraussetzen, die beiden Einzüge, ur- sprünglich mehr verschieden, seien durch traditionelle Ver- mischung sich so ähnlich geworden : wenn nicht überhaupt die Annahme, dafs den evangelischen Erzählungen hier zwei verschiedene Facta zum Grunde liegen, eines andern Umstands wegen unmöglich würde.

Auf den ersten Anblick zwar scheint es die Annah- me von zwei verschiedenen Einzügen zu unterstützen, wenn man bemerkt, dafs Johannes seinen Einzug den Tag nach jenem Cet hanischen Mahle , bei welchem Jesus unter merk- würdigen Umständen gesalbt wurde, vor sich gehen läfst, die beiden ersten Synoptiker dagegen (denn Lukas weif« von einer zu Bethanien und in dieser Periode des Lebens

5) Hau, L. J. §. 124.

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Zehntel Kapitel. §. ins. asi)

Jesu gehaltenen Mahlreit bekanntlich nichts) Ihren Ein« rüg diesem Mahle vorangehen lassen; wodurch also, ganz der obigen Voraussetzung gemäfs, der synoptische Einzug als der frühere, der johatinelsche als der spätere erschiene. Diels wäre gut, wenn nur nicht Johannes seinen Einzog so früh, die Synoptiker dagegen ihr Bethanisches Mahl so spät setzen würden , dafs jener unmöglich nach diesem erst erfolgt sein kann. Mach Johannes nämlich kommt Je- sus sechs J age vor dem Pascha nach Bethanien, und zieht «m folgenden Tag in Jerusalem ein (Ii, 1. 13. : das Bethani- sehe Mahl der Synoptiker dagegen ([Matth. 26, 0 ff. parall.) kann höchstens zwei t age vor dem Pascha gehalten worden sein (V. 2.); so dafs, wenn der synoptische Einzug vor . dem johanneischen Mahl und Einzug stattgefunden haben Boll , dann nach allem .diesem den Synoptikern zufolge noch eine zweite fteihauische Mahlzeit angenommen wer« den müTste. Allein zwischen den hiebei vorauszusetzenden zwei Mahlzeiten fände nun ebenso, wie zwischen den bei- den Einzügen , bis in's Einzelste hinein die autiallendsto Ähnlichkeit statt, und das Siehverflechten von zwei der- gleichen Düppelbegebenheiten ist so verdachtig, dafs man hier schwerlich die Auskunft wird anwenden mögen, es seien zwei Einzüge und Mahlzeiten , die einander ursprüng- lich weit unähnlicher gesehen haben, in der Tradition durch Übertragung von Zügen aus der einen Begebenheit in die andere sich so ähnlich geworden , wie wir sie jetzt ha- , ben: sondern hier, wenn irgendwo, ist es leichter, sofern einmal die Urkundlichkeit der Berichte aufgegeben wird, sich vorzustellen, dafs in der Überlieferung Eine Bege- benheit variirt, als dafs durch dieselbe zwei Begebenhei- ten assimiürt worden seien c)<

6) Vgl. Bd. *, $. 8*.

Das Leben Jesu 2t e Aufl. IL Hand. 19

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•290 Zweiter Abschnitt.

§. 109.

Näherer Hergang bei dem Rinzug. Zweck und historische

Realität desselben.

Während das vierte Evangelium eiterst die Jesu ent- gegenströmende Menge ihm ihre Huldigung darbringen, und dann erst die kurze Angabe folgen läfst, dafs Jesus einen jungen Esel, dessen er habbaft wurde, bestiegen ha- be: ist bei den; Synoptikern das Erste, was sie geben, ein ausführlicher Bericht, wie Jesus zu dem Esel kam. Als er nämlich in die Nähe von Jerusalem, gegen Bethphage und Bethanien am Ölberg hingekommen , habe er zwei sei- ner Jünger in das vor ihnen liegende Dorf geschickt, mit der Weisung , wenn sie hineinkämen , würden sie und nun sagt Matthäus , eine Eselin angebunden , und ein Fül- len bei ihr, die beiden andern, ein Füllen, auf welchem noch Niemand gesessen habe, angebunden finden, das (die) sollen sie losbinden nnd ihm bringen, etwaige Ein- wendungen des Eigenthümers aber durch die Bemerkung, der Herr bedürfe seiner (ihrer) , niederschlagen ; diefs sei so geschehen, and die Jünger haben auf die Thiere nach Matthäus, nach den beiden andern auf das Eine Thier , ihre Kleider unterbreitend, Jesum gesetzt.

Das Auffallendste in diesen Berichten ist offenbar die Angabe des Matthäus, dafs Jesus nicht blofs, da doch nur er allein reiten wollte , zwei Esel requirirt , sondern dafs er auch wirklich auf beide sich gesetzt haben soll. Zwar, wie natürlich, hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Er- st ere zu erklären , und das Letztere zu beseitigen. Das Mutterthier soll Jesus mit dem Füllen, auf welchem er ei- gentlich reiten wollte, haben holen lassen, damit das jun- ge, noch saugende Thier desto eher gehen möchte '), oder soll die an das Junge gewöhnte Mutter von selbst nachge-

i) Paulss, 3, a, S. 115 ; Kuuiöl, in Matth, p. 541.

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Zehntes Kapitel. 109. UUl

taufen sein -) ; allein ein noch durch Saugen an die Mutter gewöhntes Thier gnb der Eigner schwerlich tum Reiten her. Ein genügender tirund für Jesum, zwei Thiere holen ku lassen, lag nur darin, wenn er auf beiden reiten woll- te; was Matthäus deutlich genug bu sagen scheint, indem er auf beide Thiere iinuvio avtwv) sowohl die Kleider ge- breitet werden, als Jesum sich setzen Jäfst. Allein wie soll man sich diefs vorstellen? Als ein abwechselndes Rei- ten auf dem einen und andern, meint Fritzschk j): aber diefs war, für die kurze Strecke Wegs, eine unntityige Unbequemlichkeit. Daher suchten die Ausleger der son- derbaren Angabe los au werden; die einen indem sie, sehr schwachen Auetori tüten zufolge, und gegen alle kritischen Grundsätze, in den Worten vorn Auflegen derjKieirier statt indvo) uviCov lasen : in uinov Cnov nwlov), worauf sodann bei der Erwähnung, dafs Jesus sich darnuf gesetzt habe, das inetno aviwv auf die über das Eine Thier gebreiteten Kleider bezogen wird 4). Ohne Änderung derj Lesart glaubten Andere durch Annahme einer Enallagc nutneri auszukommen *)> was WiN£R dahin bestimmt hat, dafs wirklich der Erzähler in ungenauer Ausdruckst ei*o von beiden T liieren spreche, wie auch wir von demjenigen, der von einem der zusammengespannten Pferde springt, sagen , er sei von den Pferden gesprungen y). Gesetzt , diese Auskunft reichte zu, so begreift man nun wieder nicht, wofür Jesus, der hienach nur des einen sich be- dienen wollte, zwei Thiere bestellt haben soll. Diese ganze Angabe mufs um so mehr verdächtig werden, da der erste Evangelist mit derselben allein steht; denn das reicht doch

2) Olshausbn, 1, S. 77f.

3) Comm. in Matth, p. 650.

4) Paulus, a. a. 0. S. H5 f.

5) Glassius, phil. sacr. p. 172. Ähnlich Kl'lfttfi und Chat* •, d. St.

6) N. T. Gramm. S. 149.

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I

•292 ' Zweiter Abschnitt.

nicht aus, um die übrigen auf «eine Seite zu ziehen , wae man gewöhnlich zu lesen bekommt: sie nennen nur du* \ ii Heu, auf; welchem Jesus geritten sei, die Eselin, aU Nebensache, lassen sie weg, ohne sie auseuschliefsen. Fragt es sich nun, wie Matthäus zu seiner eigenthtlmli- chen Darstellung gekommen ist? so haben, wiewohl auf seltsame Weise, diejenigen auf den rechten Punkt hinge- wiesen , welche vermutheten , Jesus habe in seinem Auf- trag an die zwei Jünger, und Matthäus in seiner Urschrift, der Stelle des Zacharias (!>, 9.) zufolge für den Einen Be- griff des Esels mehrerer Ausdrücke sich bedient, woraus sofort der griechische Übersetzer des ersten Evangeliums mifsverstHiidlich mehrere Thiere gemacht habe 7). Aller- dings sind die gehäuften Bezeichnungen des Esels in je- ner Stelle: rfajl^rfj ffl "VCT» vnoLvyiov xctl mZlov reov, LXX., der Aniafs der Verdoppelung desselben im ersten Evangelium, indem nämlich die copula , welche im He- bräischen erklärend gemeint war, als hinzufügend genom- men, und statt „ein Esel, d. h. ein Eselsfüllen u. s. w." vielmehr „ein Esel sammt einem Eselsftillen" in der Steile gefunden wurde 8). Allein diesen Fehler kann nicht erst der griechische Übersetzer gemacht haben, weicher schwer- lich , wenn er in der ganzen Erzählung des Matthäus nur Einen Esel gefunden hätte, rein aus der Prophetenstelie heraus ihn verdoppelt, und so oft sein Original von Ei- nem Esel sprach, den zweiten hinzugefügt, oder statt des Singulars den Plural gesetzt haben würde: sondern ein solcher mufs den Verstofs begangen haben, dessen einzige schriftlich fixirte Quelle die Prophetenstelle war, aus wel- cher er mit Zuziehung der mündlichen Tradition seine gan- ze Erzählung herausspann, d. h. der Verfasser des ersten

7) Eichhorn, allgem. Bibliothek, 5, S. 896 f. vgl. Boltbn, Be- richt des Matthäus, S. 317 f. t. Fmt*schs, x. d. St.

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Zehntes Kauitel. §^10f. m

Evangeliums, welcher sich freilich hiedarch, wie die neuere Kritik mit Recht behauptet, unwiederbringUchjun ciei«. Rahm eines Augenzeugen bringt *)•

Ist dieser Mifsgriff dem ersten Evangelium eigen , s<> .v haben hinwiederum auch die beiden mittleren einen Zu^; für sich, welchen vermieden au haben dem Verfasse? de* % ersten zum Vortheil gereicht. Auf das Schleppende zw|r . soll nur beiläufig aufmerksam gemacht, werden, was dann liegt, dafs, nachdem hei allen drei Synoptikern Jesus den zwei abgeschickten J Ungern genau vorher bezeichnet haue, wie sie den Esel linden, und womit sie den Eigeuthtimer desselben zufrieden stellen sollten, nun Markus and Lu- kas sich und dem Leser die Mühe nicht sparen, ausfuhr* lieh und genau das Alles als eingetroffen zu wiederholest cMarc. V. 4 ff. Luc. V. 32 ff.), während Matthäus geschickt durch ein noiqou\zi$ xuÜmgnQogita^iv ainolg u .7. sich abfindet diefs, als blofs die Form betreffend, soll hier nicht weiter geltend gemacht werden» Das aber be- trifft den Inhalt der Sache, dafs nach Markus und Lukas Jesus ein Thier verlangte, uf o Cdtig numote uvdQwrut)» ixuOtOBf ein Zug, von welchem Matthäus nichts weif*. Man begreift hier nicht, wie sich Jesus das Vorwärtskom- men durch die Wahl eines noch nicht zugerittenen Thier« absichtlich erschweren mochte, welches, wenn er es nicht durch göttliche Allmacht in Ordnung hielt (denn bei dem ersten Ritt auf einem solchen T liiere reicht auch die grofs- te menschliche Geschicklichkeit nicht aus), gewifs manch* Störung des festlichen Zuges herbeigeführt haben wird, zumal ihm kein Vorangehen des Mutterthiers zu Statten kam, welches nur in der Vorstellung des ersten Evange- listen mitgelaufen ist. Dieser Unannehmlichkeit bat Jeaua gewifs nicht ohne triftigen Grund sich ausgesetzt, und eu*

y) Schili, über das Abendia. S. 5i > f j Sjy^aax, ulc* dea iri*pr. b. 107 i.

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2<J4f- Zweiter Abschnitt.

solche* scheint nahe £nuf *n liefen in der Ansieht des Alt^thnmsy welcher fcnfoige, nach Wetstbin's Ausdruck, tmimalia , usibus humaniä nontlum mattet put a , sacra habe» bafüvr^i' -ltö dafs also Jesus für seine geheiligte Person n»d zu Horn hohon Zweckn «eines messianischen Einzugs auch nur ein heiliges Thier1 lifftte gebrauchen rotten. Nfihprer- wftjen jedoch wird man diefs eitel finden, und wunderlich dazu ; denn dein Esel konnten die Zuschauer es nicht an- sehen, dafs er noch nicht geritten war, ausser an der üfi^elnlrdrg^eit, mit welcher er den ruhigen Fortschritt dos' feierlichen Zuge* gestört haben würde 1 °). Sowenig wir^^uf diese Weise begreifen, wie Jesus in dem Bestei- gen eines nicht angerittenen Thiers eine Ehre gesucht ha- ben kann, so begreiflich werden wir es finden, daf* schon frühe Hie christliche Gemeinde es seiner Ehre schuldig zu sein glaubte, ihn nur auf einem solchen Thiere reiten, wie später ihn nur in einem ungebrauchten Grabe liegen zu lassen, was In ihre Denkwürdigkeiten aufzunehmen, die Verfasser der mittleren Evangelien kein Bedenken trugen, weil ihnen freilich bei'm Schreiben der nichtzugerittene Esel nicht die Unbequemlichkeit verursachte, welche er Jesu bei m Reiten verursacht haben müfste.

10) Dass jener Grund für die Maassregel Jesu nicht genüge, hat ^ auch Paulus gefühlt; denn nur aui dem verzweifelnden Su- chen nach einem reelleren und mehr speeifischen Grunde ist es zu erklären, dass er hier das einzige Mal mystisch wird, und an die Erklärung Justins des Märtyrers (die als öno{vyior bezeichnete Eselin bedeute die Juden, der noch nicht gerit- tene Esel die Heiden, dial. c. Tryph. 53.)> den er sonst im- mer als Urheber der verkehrten kirchlichen Bibcldcutungen bekämpft, sich anschliessend, wahrscheinlich zu machen sucht, Jesus habe durch Besteigung eines noch nicht gerittenen Thiers sich als Stifter und Regenten einer neuen Rcligions- geiellschaft aakUndigcn wollen. Exeg. Handb. 3, a, S. 116 ff.

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Zehute« Kapitel. f. 109. 995

Wenn in die bisher erwogenen beiden Schwierigkei- ten die Synoptiker sich theiien, so ist eine andre ihnen allen gemeinschaftlich, die nämlich, welche in dem Um« stände liegt, dafs Jesus so zuversichtlich zwei Jünger nach einem Esel sendet, den sie im nächsten Dorf in der und der Situation finden würden, nnd daf* der Erfolg seiner Voraussage so genau entspricht. Das Natürlichste könnte scheinen , hier an eine vorangegangene Verabredung zu denken, welcher zufolge zur bestimmten Stunde am be- zeichneten Orte ein Keitihier für Jesum bereit gehalten worden sei 1 *); allein wie konnte er eine solche Verabre- dung in ßethphnge getroffen haben , da er eben von Jeri- cho kam? Daher findet auch Paulus diefsuial etwas An- deres wahrscheinlicher, dal* nämlich in den an der Haupt- straße nach Jerusalem gelegenen Dörfern um die Fest« zeiten viele Lastthiere zum Vermiethen an die Wallfahrer bereit gestandet: haben werden ; wogegen jedoch zu be- merken ist, dafs Jesus gar nicht wie vom nächsten be- sten, sondern von einem bestimmten Thiere spricht. Man wnndert sich daher, wenn man es bei Olsuausen nur als vermutlichen Sinn der Referenten bezeichnet findet, dafa dem einziehenden Messias Alles durch Fügung Gottes zur Hand gewesen sei, wie er dessen eben bedurfte; so wie, dafs derselbe Ausleger, um die Willfährigkeit der Besitzer des Thieres zu erklären, die Voraussetzung noth wendig findet, sie seien mit Jesu befreundet gewesen: da viel- mehr durch diesen Zug die gleichsam magische Gewalt dargestellt werden soll, welche, sobald er nur wollte, dem blofsen Namen des KvQtog in wohnte, bei dessen Nen- nung der Besitzer des Esels den Esel, wie später (Matth. 26, 19. parali.) der Inhaber d>s Saals den Saal, unwei- gerlich zu seiner Disposition stellte. Zu dieser göttlichen

il) Nalttrlicke Geschichte, 5, S. 566 f.

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296

Zweiter Abschnitt.

Fügung so Gunsten des Messias , und der un widersteh 11* dien Kraft seinett Namens kommt noeb das höhere Wis- sen, durch welches Jesu hier ein entferntes Verhaltnifs, das er für seine Bedürfnisse benützen konnte , offen vor Augen lag.

Ist diefs der Sinn und die Absicht der Evangelisten bei den angegebenen Zügen ihrer Erzählung: so unterliegt theils auch hier das wunderbare Zusammentreffen und Vorherwissen denselben Schwierigkeiten wie immer sonst; theils kennen wir die Neigung der urchristlichen Sage, solche Proben der höheren Natur ihres Messias zu geben, bereits allzu gut (man denke an die Berufung der zwei Brüderpaare; die genaueste Analogie aber bat die eben angeführte, unten näher zu betrachtende Art, wie Jesus das Locai für seine letzte Mahlzeit mit den Zwölfen be- stellen Jafst), als dafs wir uns der Vermuthung enthal- ten könnten, auch hier nur ein Gebilde jener Neigung vor uns zu haben. Diefs wird um so wahrscheinlicher, wenn wir nachzuweisen im Stande sind, warum sich hier das Fernsehen Jesu gerade als Wilsen um einen angebuu* denen Esel zeigt; wie denn eine solche Nachweisung al- lerdings möglich ist. Uber der im ersten und vierten Evangelium citirten Stelle aus Zacharias nämlich, welche vom Einreiten des sanftmüthigen Königs nur überhaupt auf einem Esel handelt, versäumt man gewöhnlich, eine andere A. T. liehe Stelle zu berücksichtigen, welche naher den angebundenen Esel des Messias enthalt. Es ist diefs die Stelle 1 Mos. 49, 11., wo der sterbende Jakob ku Juda von jenem rh*U? aag* (LXX. ): deo^tiwv HQOg ilfiTzelov tov tivjIov cvtu xal %fi Stixe iov nwXov rijg ora uvtS. Justin der Märtyrer fafst auch diese mosaische (Stelle, wie jene prophetische, als Weissagung auf den l.inzug Jesu, und behauptet daher geradezu, d.is Füllen,

welche» Jv'sus holen lieft, sei au einen W«2li»twk gebuu*

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Zehntes Kapitel. §. 100. 2S»7

den gewesen 1 :> Ebenso deuteten die Joden nicht nur überhaupt jenen Schilo vom Messias, wie sich schon in den Targumim nachweisen iäTst l3)> sondern combinlrten auch beide Stellen , das messianische Anbinden des Esels mit dem Einreiten auf demselben l4). Dafs jene Weis- sagung Jakobs von keinem unsrer Evangelisten angeführt wird, beweist höchbtens , dafs sie beim Niederschreiben der vorliegenden Erzählung sich derselben nicht ausdrück- lich bewufst waren : dafs sie aber auch demjenigen Krei- se, in welchem die Anekdote sich zuerst bildete, nicht vorgeschwebt habe, kann es keineswegs beweisen. Für einen Durchgang der Erzählung durch mehrere Hfinde von solchen, welche sich der ursprünglichen Beziehung auf die Stelle der Genesis nicht mehr bewufst waren, spricht allerdings auch diefs, dafs sie der Weissagung nicht mehr ganz ii Im lieh ist. Sollte eine vollkommene Über- einstimmung stattfinden, so müfste Jesus, nachdem er dem Zacharias zufolge auf dem Esel in die Stadt geritten war, diesen bei'm Absteigen an einer Weinrebe angebunden ha- ben, statt dafs er ihn jetzt im nächsten Dorfe (nach Mar- kus von einer Tbüre am Wege) losbinden iflfst. Hiedurch wurde aber zugleich diefs noch erreicht, dafs mit der Er- füllung jener beiden Weissagungen noch eine Probe des übernatürlichen Wissens Jesu und der magischen Kraft seines Namens verbunden werden konnte; wobei mau ins- besondere daran denken kann , dafs auch Samuel einst sei- ne Sehergabe durch die Voraussage erprobt hatte, dem . « -

i$) Apol. I, 32: to Sä' Stoufitir nqo; a/mtlov ror rtulor avrS av/ißoXov drXwuxuy qy röiy y%rilaoftkrtay ttp Xqis$ T™r V* OVTH 7t per / 0 i/'U ut) v>y" TUo/.o, vuq ji; ov« tlqtj*H Tir* kWJm nq6{ Sfintkoy Stdt-ut'yo:, $y ixt'itvotr ay«y#I> aJ-

t * x. t. ;..

15) *• Sciiöitoi;\, horac, 2, p. 14C,

Uj.&idrasUi i.abbs i. i)S.

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398 Zweiter Abto*Kiitt.

heimkehrenden Sani werden zwei Manner begegnen mit der Nachriebt, dafs die Eselinnen seines Vaters Kis ge- funden seien (I Sam. 10, 2.)* Im vierten Evangelium fehlt mit der Beziehung auf die mosaische Stelle der Zug vom angebundenen Esel und dessen Abholung, und es wird mit alleiniger Rücksicht auf die Stelle des Zacha- rias kura gesagt: evQwv de 6 7. ovaßiov, ixaOioev in av%6 (V. 14.).

Das Nächste, was nun In Betracht kommt, ist die Huldigung, welche Jesu ?om Volke dargebracht wird. Nach allen Relationen ausser der des Lukas bestand diese im Abhauen von Batrmzweigen , welche man nach den beiden Synoptikern auf den Weg streute, nach Johannes , der na- her Palmzweige angiebt, Jesn, wie es scheint, entgegen- trug; ferner nnch allen ausser Johannes im Breiten von Kleidern auf den Weg. Dazu kam ein jubelnder Zuruf, von welchem alle mit unbedeutenden Modifikationen die Worte: evloyrjdrog 6 iQxofievog iv oVo/zau J\vqIü haben, ferner alle ausser Lukas das awetwa, alle endlich die Be- grüßung als König oder Sohn Davids, iiier ist zwar das rrtTT Otfa WH ^rQ aus Ps. IIS, 26. eine gewöhnliche Be-

gruTsungsformel für Festbesuchende gewesen , ond auch das dem vorhergehenden Verse desselben Psalms entnom- mene K| njTttftn war ein gewöhnlicher Ruf am Laubhütten- fest und am Pascha lf)j aber das hinzugesetzte ko vh>> Javld und o ßaailevg 'loQctrjl «eigt, dafs man jene all- gemeinen Formeln hier speciell auf Jesum als den Messias anwandte, ihn in eminentem Sinne willkommen heifsen, und seinem Unternehmen Glück wünschen wollte. In Be- treif der Subjecte, welche die Huldigung darbringen, bleilt Lukas im engsten Kreise stehen , er knüpft nämlich das Breiten der Kleider auf den Weg (V. .16.) an das Vorher- gehende so an , dafs es scheint , als schriebe er es, wie das

15) vgl. PauujIj z. d. St.

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Zehntes Kapitel. §. 109. 299

Legen der Kleiner auf den Esel, nur den Jüngern zu, wie er denn die Loblieder ausdrücklich nur anav to n\ij&og i t:>v fia&riTiov anstimmen läfst ; Matthäus und Markus da- gegen lassen diese Huldigungen von den begleitenden Volks- massen ausgehen. Diefs vereinigt sich indessen leicht ; denn wenn Lukas von dem nlfjdog zwv fia&qiajv spricht, so ist diefs der weitere Kreis der Anhänger Jesu, und andrer- seits ist der nXeTcog oyXog bei Matthäus doch auch cur die Gesammtheit der ihm Günstigen unter der Menge. Wäh- rend nun aber die Synoptiker innerhalb eW kränzen des mit Jesu reisenden Festzuges bleiben: lÄfst Johannes, wie schon oben erwähnt, die ganze Feierlichkeit Von solchen ausgehen, die von Jerusalem aus Jesu entger cncogen (V. 13.), wogegen dann die mit Jesu kommende Menge den Einho- lenden die von ihm vollbrachte Aufer weckung des Laza- rus bezeugt , um deren willen nach Johannes die feierliche Ein holung von Jerusalem aus veranstaltet war (V. 17 f.). Diesen Beweggrund können wir , da wir die Wiederbele- bung des Lazarus oben kritisch bezweifelt haben, nicht gelten lassen ; mit seinem angeblichen Grunde aber wird auch das Factum der Einholung selbst erschüttert, zumal wenn wir bedenken , wie die Würde Jesu es zu erfordern scheinen konnte, dafs ihn die Davidsstadt feierlich einge- holt habe , und wie es auch sonst zu den Eigentümlich- keiten der Darstellung des vierten Evangeliums gehört, vor der Ankunft Jesu zu den Festen zu beschreiben, wie sehr die Erwartung jies Volks auf ihn gespannt war (7, 11 ft. 11, 56.).

Der letzte Zog in dem vor uns liegenden Gemälde ist der Unwille der Feinde Jesu über die starke Anhänglich- keit des Volks an ihn, welche sich bei dieser Gelegenheit zeigte. Nach Johannes (V. 19.) sprachen die Pharisäer zu einander: da sehen wir, dafs unser bisheriges (scho- nendes) Verfahren nichts nützt ; alle Welt hängt ihm ja an (wir werden gewaltsam einschreiten müssen). Nach Lukas

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Zweiter Abschnitt.

(V. 39 f.) wandten sich einige Pharisäer an Jesum selbst mit dem Ansinnen, seinen Schülern Stillschweigen aufzu- legen; worauf er ihnen zur Antwort giebt, wenn diese nicht rufen, würden die Steine schreien. Während Lukas und Johannes diefs noch auf dem Zuge vor sich gehen La- sen, ist es bei Matthäus erst nachher, als Jesus mit dem Festzug im Tempel angekommen war, und die Kinder auch liier fortfuhren, Hosianna dem Sohne Davids au rufen, <!afs die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum auf den Unfug, wofür sie es hielten, aufmerksam machten, worauf er sie mit einer Sentenz aus Ps. 8, 3. (ix go/ucaog v^nitav xui ^Xa^oiTViV xcuyQiiota ahov) zurückweist (V. 15 f.) ; eine Sentenz, die also hier, unerachtet sie im Orginale sich augenscheinlich auf Jehora bezieht, auf Jesum angewendet wird. - Die von Lukas an den Einzug angeknüpfte Klage Jesu über Jerusalem wird unten noch in Betrachtung kommen.

Unzweideutig sprechen Johannes und insbesondere Mat- thäus durch sein xüxo dh olov ytyovtv, ha nkqQo&fi x. r. X. V. 5. den Gedanken aus, die Absicht zunächst Gottes, indem er diese Scene veranstaltete, dann aber auch des Messias Je- sus, als Mitwissers und Theilnehmers der göttlichen Rath- schlüsse, sei gewesen, durch diese Gestaltung seines Ein- zugs eine alte Weissagung zu erfüllen. Wenn Jesus in der Stelle des Zacharias, 9, 9. l()9 eine Weissagung auf sich als den Messias sah, so kann diefs nicht Er kenn tu üs des höheren Princips in ihm gewesen sein , da , wenn die Prophetenstelle auch nicht auf einen historischen Fürsten,

IG) So wie Matthäus das Orakel anführt, ist es eine Zusammen- setzung einer jesaianiachen Stelle mit der des Zacharias. Denn das «mar« rij &vyaT(>\ Xtior ist aus Jcs. 62, 11 j das Weitere aus Zach. 9, 9., wo die LXX, etwas abweichend, hat : id* 6 ftaotfovs am ?i£*T*< oo» SUaioi nm\ ot&fav «JwJj 7if>m/i nal

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Zehnte* Kapitel. $. 1011

301

wie Usla ,7) oder Johannes Hyrcanoa ,8), sondern auf ein messianlsches Individuum eu beziehen ist »*), dieses wohl als friedlicher, aber doch als weltlicher Fürst, nnd swar im ruhigen Besitze von Jerusalem, also gana anders als Jesus, gedacht werden mufs, Wohl aber scheint Je- sus auf natürlichem Wege zu jener Beziehung haben kom- men zn können, sofern wenigstens die Kabbinen die Stelle des Zacharias mit großer Übereinstimmung auf den Messias deuten. :c). Namentlich wissen wir, dafs, weil die un- scheinbare Ankunft, welche hier vom Messias vorhergesagt war, im Widerspruche zu stehen schien mit der glänzenden, welche Daniel vorherverkündigt hatte, diefs später dahin ausgeglichen zu werden pflegte, dafs, je nachdem sich das jüdische Volk würdig beweisen würde oder nicht, sein Mes- sias in der herrlichen oder in der geringeu Gestalt erschei- nen solle "> War nun auch zur Zeit Jesu diese Unter- scheidung noch nicht ausgebildet, sondern nur erst über- haupt eine Beziehung der Stelle Zach. 0, 9, auf den Mes- <

17) Hrrzi*, Uber die Abfassungszeit der Orakel Zach. 9—14, in den theol. Studien, 1830, 1, S. 36 ff. bezieht die vorange- henden Verse auf die Kriegsthatcn dieses Königs , also den gegenwärtigen wohl auf seine friedlichen Tugenden.

18) Paulus, exeg. Handb. 3, a, S. 121 ff.

19) RossrnnuLLER, Schol. in V. T. 7, 4, S. 274 ff.

20) In der TM. 1, 14. citirten Cardinalstellc aus Midrasch Co- heleth wird gleich Anfangs das Zacharianische pauper et in- sidens asino auf den Goel postremus bezogen. Dieser Esel des Messias wurde sofort mit dem des Abraham und Moses für identisch gehalten, s. Jalkut Rubcni f. 79, 3. 4. bei Scmöttgkn, 1, S. 169, vgl. Eisknmkkger , entdecktes Juden- thum, 2, S. 697 f.

21) Sanhedrin f. 98, 1. (bei Wktstiin) : Dixit R. Alexander: B. Josua J. Lcvi du ob us inter se collatis Joris tanquam contra- rias visis objc<.it : scribitur Dan, 7, 13: et ecce cum nuoi- bus coeli vetut filius hominis venit. Et scribitur Zach. 9, 9: pauper ei insidens asino. Verum haec duo hea ita inter se

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Zweiter Abschnitt.

sias: so konnte doch Jesus sich etwa die Vorstellung ma- chen, daJGs jetvt, bei seiner ersten Parusie, die Weissagung des Zacharias , einst aber bei seiner zweiten die des Da- niel an ihm in Erfüllung gehen müsse. Doch wäre auch das Dritte möglich, dafs entweder ein zufälliges Einreiten Jesu auf einem fisel von den Christen später auf diese Weise gedeutet, oder dafs, damit kein messianisches Attribut ihm fehle , der ganze Einzug frei nach den beiden Weissagun- gen und der dogmatischen Voraussetzung eines höheren Wissens in Jesu componirt worden wäre.

conciliari possunt: nempe , si justitia sua mereantur Israeli' tae , Messias uenict cum nubibus coeli: si autem non merean- tur , veniei pauper, ei vehetur asino.

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Dritter Abschnitt.

Die Geschichte des Leidens, Todes, und der Auferstehung Jesu.

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Erstes Kapitel.

Verhältniss Jesu zu der Idee eines lei- denden und sterbenden Messias; seine Reden von Tod* Auferstehung und

Wiederkunft.

s. ho«

Ob Jesus «ein Leiden und seinen Tod in bestimmten ZUgen1

vorhergesagt habe?

Den Evangelien «ufolge hat Jesus seinen Jüngern mehr als Einmal, und schon geraume Zeit vor dem Erfolge Vorausgesagt, dafs ihm Leiden und gewaltsamer Tod be- vorstehe. Und «war blieb er, wenn wir den synoptischen Nachrichten trauen, nicht bei Voraussagung dieses Schick« aals im Allgemeinen stehen, sondern bestimmte den Ort seines Leidens vorher, nämlich Jerusalem \ die Zeit dessel- ben : dafs eben auf dieser Festreise ihn sein Schicksal er- eilen würde; die Subjecte, von weichen er tu leiden ha' ben würde (aQXiSQtTg9 ygafiftarcelg , ithy); die wesentliche Form seines Leidens: Kreuzigung in Folge eines Richter' spruchs ; auch NebenEÜge sagte er voraus : dafs es an Geis-* seihieben, Spott und Verspeien nicht fehlen würde (Matth« 16, 21. 17, 12. 22 f. 20, 17 ff. 26, 12, mit den ParalL, Luc. 13, 33.). Zwischen den Synoptikern und dem Ver- fasser des vierten Evangeliums findet hier ein dreifacher

1) Was er gins in der Nähe des Erfolgs, in den letzten Tagen seines Lebens, noch von einzelnen Umständen seines Lei- dens Torhersigtc, kann erst weiter unten, in der Geschichte jener Tage, in Betrachtung kommen,

Das Lehen Jesa 2teAafL II. Bend. 20

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300 Dritter Abschnitt.

Unterschied statt. Für s Erste lauten bei dem Letzteren die Voraussagen Jesu nicht so klar und deutlich, sondern sind meistens in dunkler Bilderrede vorgetragen, von welcher der Referent wohl auch selbst gesteht, dafs sie den Jün- gern erst rtach dem Erfolge klar geworden sei (2, 22. . Ausser einer bestimmten Äusserung, dafs er sein Leben freiwillig lassen werde JO, 15 ff.), spielt in diesem Evan- gelium Jesus auf seinen bevorstehenden Tod besonders ger- ne durch d«?n Ausdruck vipav, vipöoitat , an, welcher «w i- schen Erhöhung an das Kreuz und zur Herrlichkeit schwankt (3, 14. S, 28. 12, 32.), und vergleicht die ihm bevorstehen- de Erhöhung mit der der ehernen Schlange in der Wüste (3, 14.), wie bei Matthäus sein Schicksal mit dem des Jo- nas (12, 40. , ; dann* spricht er auch von einem Weggehen, wohin man ihm nicht folgen könne (7, 33 ff. 8, 21 f.), wie bei den Synoptikern von einem Kelche, den er trinken müsse, und welchen mit ihm cd theilen seinen Jüngern schwer fallen dürfte (Matth. 20, 22 parall.). Sind auf diese Weise die johanneiseben Leidensverkündigungen min- der deutlich als die synoptischen: so fangt dagegen bei Jo- hannes Jesus weit früher mit diesen Verkündigungen an. ßel den Synoptikern fallen die bestimmteren Vorhersagen alle theils unmittelbar vor, t Keils auf die letete Reise ; nur die dunkle Rede vom Zeichen des Jonas fiele früher; wogegen im vierten Evangelium Jesus bereits bei seinem ersten Festbesuch auf seinen bevorstehenden Tod hinzudeu- ten anfängt. Endlich, wenn den drei ersten Evangelisten zu- folge Jesus jene Voraussagungen nur dem vertrauten Kreise der Zwölfe mittheilt, spricht er sie bei Johannes dem Volk nnd selbst seinen Feinden gegenüber aus.

ßei der kritischen Prüfung dieser evangelischen Nach- richten werden wir vom Speciellen zum Allgemeinen in der Art fortschreiten, dafs wir zuerst fragen : ist es glaublich, dafs Jesus so viele einzelne Züge des auf ihn wartenden Schick- sals vorausgewufst habe ? hierauf untersuchen , ob liber-

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Erltes Kapitel. $. 110. 30?

haupt ein Vorauswissen und Voraassegen seines Leidens von Seiten Jesu wahrscheinlich sei; wobei dann der Un- terschied «wischen der synoptischen und johanneischen Dar- stellung von selbst zur Sprache kommen wird.

Wie Jesus die einzelnen Umstände seines Leidens und Sterbens so genau vorherwissen konnte, davon giebt es eine doppelte Erk (ärungs weise : eine supranaturale und eine na* türJiche. Die erstere scheint ihre Aufgabe durch die ein* fache Berufung darauf lösen eu können , dafs vor dem pro* poetischen Geiste, welcher Jesu in höchster Fülle inwohn- te , von Anfang an sein Schicksal in allen einseinen Zügen ausgebreitet gelegen haben müsse. Da indessen Jesus selbst bei seinen Leidens verkündigungen ausdrücklich sich auf das A. T. berief, dessen Weissagungen auf ihn in allen Stü- cken erfüllt werden müfsten (Lue* 18, dl. vgl. 22, 37. 24, 25. ff. Matth. 16, 21. 26, 54.): so darf die orthodoie Betrachtungsweise diese Hülfe nicht verschmähen, sondern mufs der Sache die Wendung geben, Jesus habe, lebend und webend in den Weissagungen des A. T. , aus ihnen mit Hülfe des ihm inwohnenden Geistes jene Spezialitäten schöpfen können 2). Demnaoh müfste Jesus, während die Kunde von der Zeit seines Leidens, wenn er diese niehl etwa aus Daniel oder einer ähnlichen Quelle berechnet ha- ben soll, seinem prophetischen Vorgefühl überlassen bliebe, auf Jerusalem als den Ort seines Leidens und Todes durch Betrachtung des Schicksals früherer Propheten als Typus des seinigen in der Art gekommen sein , dafs der Geist ihm sagte , wo so viele Propheten , da müsse nach höherer Consequene auch der Messias den Tod erleiden (Luc. 13, 33.) ; auf seinen Untergang In Folge förmlicher Verurtheilung müfste ihn etwa diefs geführt haben, dafs Jes. 53, 8. von einem Aber den Knecht Gottes verhängten

BDtfD und V. 12. davon die Rede ist, dafs er iv tolg avo- * «

2) vgl. Olsxaussjt, bibl. Co mm. 1, S. 528.

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Dritter Abschnitt«

fiotg iloyloty (vgl. Luc. 22, 37.); »eine Vcrurtheilung durch die Obersten des eigenen Volks hatte er vielleicht aus P*. 118, 22. geschlossen, wo ol oixoöofiQvreg , welche den Eck- stein verworfen haben, nach apostolischer Deutung (A. G. 4, 11.) die jüdischen Obern sind; seine Übergabe an die Heiden konnte er darin finden, dafs in mehreren A. T.Ii* liehen Klagliedern, die sich messianisch deuten liefsen, die plagenden Subjecte als Qinj d. h. als Heiden, erschei-

nen : dafs sein Tod gerade der Kreuzestod sein würde, könn- te er theils aus dem Typus der am Holz aufgehängten eher- nen Schlange 4. Mos. 21, S f. (vgl. Joh. 3, 14.), theils aus dem Durch graben der Hände und Füfse Ps. 22. 17. LAW. abgenommen haben ; endlich den Hohn und die Mißhand- lung aus Stellen , wie im angeführten Psalm V. 7 ff. Jes. 50, 6. Ii. dgl. Soll nun der Jesu inwohuende Geist , wel- cher ihm der orthodoxen Ansicht zufuJge die Beziehung dieser Weissagungen und Vorbilder auf sein endliches Schick- sal erkennbar machte, ein Geist der Wahrheit gewesen sein: so muls sich die Beziehung auf Jesum als der wahre and ursprüngliche Sinn jener A. T. liehen Stellen nachwei- sen lassen. Um aber nur bei den Hauptsteilen stehen zu bleiben, so hat jetzt eine gründliche, grammatisch - histori- sche Auslegung für Alle , die sich aus dogmatischen Vor- aussetzungen hinauszusetzen im Stande sind , überzeugen «{ nachgewiesen , dafs in denselben nirgends vom Leiden Chri- sti, sondern Jes. 50, 6. von den Mifshandlungen , welche der Prophet zu) erdulden hatte 3), Jes. 53. von den Drang- salen des Prophetenstandes, oder noch wahrscheinlicher des israelitischen Volks, die Rede sei 4); dafs Ps. 1 IS. von der unerwarteten Rettung und Erhöhung des Volks oder eines Fürsten desselben gehandelt werde *) , so wie, dafs Ps. 22.

5) Gbsknius, Jcsaias, 3, S. 137 ff. ; Hitzig, Comm. z. Jes. S. 550. 4) Gksknius, a. a. O. S. 158 ff.; Hitzis-, S. 577 ff.

6) nie Wsrra, Comm. zu den Psalmen, S. 514 ff., 3te Aufl.

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Erstes Kapitel. §. HO.

ein bedrängter Exulant spreche 6) ; dafs aber gar im ITten Verse dieses Psalms von der Kreuzigung Christi die Rede sei (da doch, auch die unwahrscheinlichste Erklärung des HJO durch perfoderunt vorausgesetzt, diefs in keinem Fall eigentlich, sondern nur bildlich zu verstehen, das Bild aber nicht von einer Kreuzigung, sondern von einer Jagd oder einem Kampfe mit wilden Thieren hergenommen wäre ")), diefs wird jetzt nur noch von solchen behauptet , mit wel- chen es sich nicht verlohnt zu streiten. Sollte demnach Jesus auf übernatürliche Weise vermöge seiner höheren Natur in diesen Stellen eine Vorandeutung der einzelnen ZQge seines Leidens gefunden haben: so wäre, da eine solche Beziehung nicht der wahre Sinn jener Stellen ist, der Geist in Jesu nicht der Geist der Wahrheit gewesen ; es wird also der orthodoxe Erklärer , sofern er sich nur dem Lichte unbefangener Auslegung des A. T. nieht ver- schliefst, aus eigenem Interesse zu der natürlichen Ansicht hingetrieben, dafs nioht höhere Eingebung, sondern eigene Combination Jesum auf eine solche Auslegung der A. T. Ii« chen Stellen und auf die Voraussicht der einzelnen Züge seines künftigen Schicksals geführt habe.

Dafs es die herrschende Priesterpartei sein würde , der er unterliegen mülste, diefs, kann man hienach sagen *), war leicht vorauszusehen, da diese theils vorzüglich gegen. Jesum erbittert, theils im Besitz der erforderlichen Macht war; dafs sie Jerusalem zum Schanpfatze seiner Verurtei- lung und Hinrichtung machen würde, ebenfalls, da hier der Mittelpunkt ihrer Starke war; dafs er, von den Ober- sten seines Volks verurtheilt, den Römern zur Hinrichtung würde übergeben werden, folgte aus der damaligen Be*

6) Ders. ebenda»., S. 224 ff.

7) Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 677 ff. und de Wetts *. d. St.

8) s. diese Ansicht ausgeführt bei Farmern, Comni. iu Marc, p. 581 f.

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Dritter Abschnitt.

schränkung der jüdischen Gerichtsbarkeit ; dafs gerade der Kreuzestod Uber ihn verhängt werden würde, konnte ver- um thet werden | da diese Todesart bei den Körnern na- mentlich gegen Aufrührer verfügt su werden pflegte ; dafs endlich Geißelung und Verspottung nicht fehlen würde, lief« sich gleichfalls aus römischer Sitte und der Roheit damaligen Gerichtsverfahren« zum Voraua berechnen. Doch, genauer die Sache erwogen, wie konnte denn Je- •us so gewifs wissen, ob nicht Herodes , der eine gefährli- che Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte (Luc. 13, 31. , der Priesterpartei zuvorkommen, und cu dem Morde des Täufers auch den seines Nachfolgers fügen würde ? Und wenn er auch gewifs sein zu dürfen glaubte , dafs ihm nur von Selten der Hierarchie her wirkliche Gefahr drohe, wer versicherte ihn denn , dafs nicht einer ihrer tumultua- ri sehen Mordversuche (vgl. Job. 8, 5°. 10, 31.) doch end- lich gelingen , und er also , wie später Stephanus , ohne weitere Förmlichkeit, und ohne vorgängige Ablieferung an die Römer, seinen Tod auf ganz andre Weise, als durch die römische Strafe der Kreuzigung , finden könne ? End- lich, wie konnte er so zuversichtlich behaupten, dafs ge- rade der nächste Anschlag, nach so vielen mifslungenen, sei- nen Feinden glücken, und eben die jetzt bevorstehende Festreise seine letzte sein würde? Indessen kann auch die natürliche Erklärung hier die A. T.lichen Stellen au Hülfe nehmen und sagen, Jesus habe, sei es durch An- wendung einer unter seinen Volksgenossen damals Übli- chen Auslegungsweise, oder von eigentümlichen Ansichten geleitet , in den schon angeführten Schriftsteilen näheren Aufsohiufs über den Hergang bei dem ihm als Messias be- vorstehenden gewaltsamen Ende gefunden y). Allein wenn schon dlefs schwer cu beweisen sein möchte, dafs bereits zu Lebzeiten Jesu alle diese verschiedenen Stellen auf den

0) i. r'airmai, s. a. Ü.

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Erste« Kapitel. $. 110. 311

Messias belogen worden seien; dafs eher JesaseeJhsjtsMiiir dig, vor dem Erfolg, auf eine solche Beaicjiong gekommen sei, ebenso schwer denkbar ist: so wäre das vollends dem Wunder ähnlich, wenn. eine« %Q fajaohen Deutung der Er- folg wirklich entsprochen haben «oUte ; i«^r#eft »her rei- chen die A. T. liehen Orakel and -.^rtWJs]erHn|pht eln^maji hin, am alle eineeinen Zöge in der Vorherverkündigaug Jesu, namentlich die genaue Zeitbestimmung, au erklären.

Kann somit Jesus weder auf übernatürliche noch suf natürliche Weise eine so genaue Vorkenntnifsrder Art und Weise seines Leidens and Todes gehabt haben : so hat er sie überhaupt nioht gehabt, und was ihm Evangelien davon in den Mund legen, ist als vaHcuAm po*t et>cn~ tum anzusehen *°). Hiebet hat man nicht ermangelt , den synoptischen Berichten gegenüber den johanaeiachen au er- heben, indem eben die speci eilen Züge der Voraussag« ng, welche Jesus nicht so gegeben haben kenn!, nur bei den Synoptikern sich finden, während Johannes ihm nur SJB> bestimmte Andentungen in den Mund lege, und von die- sen seine nach dem Erfolg gemachte Auslegung derselben unterscheide; anm deutlichen Beweis,, dafs wir in seinem Evangelium allein die Reden Jesu unverfälscht in ihrer «r- sprünglichen Gestalt besitzen Allein näher betrachte*

verhält es sieh nicht so, dafs auf den Xerfßuer des v teil- ten Evangeliums nur die Schuld irriger Deutung der übri- gens unverfälscht erhaltenen Aussprüche Jesu fiele, son- dern an Einer Stelle wenigstens hat er, »war dunkel, aber doch unverkennbar, die Vorausbezeichnung seines Todes als Kreuzestodes ihm in den Mund gelegt, mithin die eige-

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10) Paulus, exeg. Hsndb. 2, S. 415 ff,; A™, bibl. Theo!. 2, 377 f.; Kaiser, bibl. Theol., 1, S. 246. Auch rartstcusj a. a. O. räumt diest nim Theii ein. »

1 ) Hfutmoldt, Einleitung in d. Ni T. MMMfff; Wtsiciuweia, Einlei t. in das Evang. Johannis, C. 271 f.

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$!<J Dritter A bsehnltt

>

nsn Worte Jesu nach dem Erfolg verlindert Wenn nln*. Itoh Jesus bei Johanne» tonst jmssi wsch von einem vfuhm jrfvai des Menschensohns spricht, so konnte er hiemit iwar möglicherweise seine Erhebung cur Herrlichkeit meinen, wiewohl dieft *, 14. wegen der Verglelchung mit der wo* satsoben Sehlange, die bekanntlich an einer Stange er- höht worden ist, bereits schwer fällt: aber wenn er mm 8, 9,9. das Erhöhen des Menschensohns als That seiner Feinde darstellt (Statt vifMooyre %uv viov r. «.), so konn- ten diese ihn nicht unmittelbar zur Herrlichkeit, sondern nnr tum Krens erheben, und Johannes mufs also, wenn unser obiges Resultat gelten soll, diesen Ausdruck selbst gebildet, oder doch die aramäischen Worte Jesu schief Übersetzt haben, und et* fallt daher mit den Synoptikern im Wesentlichen unter eine Kategorie. Dafs er übrigens größten theiis das Bestimmte, was er sich dabei dachte, Je- sum in dunkeln Ausdrücken vortragen liefs ; diefs hat In der ganzen Manier dieses Evangelisten seinen Grund, des- sen Neigung tum RfithseJhaften und Mysteriösen hier der Forderung, Weissagungen, die nicht verstanden worden wareu, auch unverständlich einzurichten , auf erwünschte Art entgegenkam,

Jesu auf diese Weise eine Vorherverkttndlgnng der einseinen Züge seines Leidens, namentlich der schmaohvoU len Kreuzigung, aus dem Erfolge heraus in den Mnud zu legen, dazu war die urchristliche Sage hinlänglich ver- anlagt. Je mehr der gekreuzigte Christus 'fudaioig ftt* oxdvdaXov, "FiXrfli dh uwnla war (1 Kor. 1, 23. ) i desto mehr that es Noth, diesen Anstofs auf alle Weise hinweg-, anschaffen, und wie hiesu unter dem Nachhergeschehenen besonders die Auferstehung, als gleichsam die nachträg- liche Aufhebung jenes schmachvollen Todes, diente: so mußte es erwünscht sein, jener anstöfsigen Katastrophe auch schon vorläufig den Stachel zu benehmen, wai nicht besser, als durch eins solche Voi -hen erkündigung,

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' Erstes Kapitel, f. III. 813

pescheben konnte. Denn wie das Unbedeutendste, prophe- tisch vorausverkündigt, durch solche Aufnahme in den Zu- sammenhang eines höheren Wissens Bedeutung gewinnt: so hört das Schmählichste, sobald es als Moment eines göttlichen Heilplans vorhergesagt wird, auf, schmählich su sein, und wenn dann vollends eben derjenige, über welchen es verhängt ist, sugleich den prophetischen Geist besitzt, es vorauszusehen und vorauszusagen : so beweist er sich, Indem er nicht blofs leidet, sondern auch das gött- liche Wissen um sein Leiden ist, als die ideale Macht Uber dasselbe Noch weiter ist hierin der vierte Evangelist ge- gangen, indem er es der Ehre Jesu schuldig bu sein glaub- te, ihn auch als die reale Macht über sein Leiden, als denjenigen, welchem nicht fremde Gewalt die xfjvj^ ent- reisse , sondern der sie mit freiem Willen hingebe, darzu- stellen (iO, 17 f.); eine Darstellung, zu welcher übrigens Matth. 26, 53., wo Jesus die Möglichkeit behauptet, eu Abwendung seines Leidens den Vater um Engellegionen su bitten , bereits ein Ansatz ist,

5- III.

Jeiu Todesverkündigung im Allgemeinen; ihr Verhältnis» zu den jüdischen Messiasbegriffen; Aussprüche Jesu über den Zweck und die "Wirkungen seines Todes.

Ziehen wir auf diese Weise von den Äusserungen, wel- che die Evangelisten Jesu Uber sein bevorstehendes Schick- ssl in den Mund legen, alles dasjenige ab, was die nähere Bestimmtheit dieser Katastrophe betrifft : so bleibt uns doch noch so viel, dafj Jesus Uberhaupt vorherverkftndigt habe, ihm stehe Leiden und Tod bevor, und zwar insofern in den A. T. liehen Orakeln dem Messiss ein solches Schick- sal vorausbestiiumt sei. Da nun aber die angeführten A.- T.lichen Hauptstellen, welche von Leiden und Tod handeln, nur mit Unrecht auf den Messias beaogasi werden , und auch andere, wie Dan. 9, 20, Zach, it, 1«, diese Besie-

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314 Dritter Abschnitt.

hung nicht haben v): so werden sich wiederum gerade die Orthodoxen am meisten hüten müssen, dem fibernatürli- chen Prineip in Jesu eine so falsche Deutung der betref- fenden Weissagungen euen schreiben. Dafs statt dessen Jesus möglicherweise durch rein natürliche Combbiationen das aligemeine Resultat herausgebracht haben könnte: da er die Hierarchie seines Volks sich cur unversöhnlichen Feindin gemacht, to habe er, sofern er aus der Bahn sei- nes Berufs nicht im weichen fest entschlossen war, von ihrer Rachsucht und Übermacht das Äusserste au furch- ten (Job. 10, II ff.); dafs er aus dem Schicksal mehrerer früheren Propheten (Matth. 5, 12. 21, 33 ff. Luc. 13, 33 f.), und einseinen dahin gedeuteten Weissagungen auch sich ein Ähnliches finde prognosticlren, und demgem&f* den Sei- nigen voraussagen konnte, es stehe ihm früher oder spä- ter ein gewaltsamer Tod bevor, das sollte man nicht mehr mit unnüthiger Überspannung des supranattiraliatl- achen Standpunkts iäugnen, sondern der rationalen Be- trachtungsweise der Sache einräumen

Es kann auffallen, .Wenn wir nach diesem Zugeständ- nis nooh die Frage machen, ob es der N. T.lichen Dar- stellung au folge auch wahrscheinlich sei, dafs Jesus wirk- lich Jene Voraussage gegeben habe? da ja eine allgemeine Vorherverkündigung des gewaltsamen Todes das Mindeste ist, was die evangelischen Nachrichten au enthalten schei- nen. Die Meinung mit dieser Frage ist aber die, ob der Erfolg, namentlich das Benehmen der Jünger, in den Evan- gelien so beschrieben werde, dafs eine vorausgegangene Er- öffnung Jesu Aber sein bevorstehendes Leiden damit ver- einbar sei? Von den Jüngern nun bemerken die Evange-

1) Daniel, Übersetzt und erklärt von Bbrtholdt, 2, S. 541 ff.

660 ff. Rosaiurfusa, Schol. in V. T. 7, 4, S. 339 ff. 8) bk WnTE, de roorte Christi expUtoria, in dessen Opuscula

thcol., p. 130. Mass, L. J. §• 106,

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Erste« Kapitel. §. 111.

\Uten ausdrücklich, dafs sie io die Reden Jesu von dem ihm bevorstehenden Tode und der Auferstehung sich nicht allein nicht haben finden können , in dem Sinne , dafs sie die Sache sieh nicht zurechtzulegen , mit ihren vorgefaß- ten Messiasbegriffen, nicht an reimen wußten, wie Petras, wenn er Jesu auf die erste Todes Verkündigung hin anrief: Itedg ooi Kvqlb- ö /oj egal oait&so (Matth. 16, 22.), son- dern wenn Lukas das ol dt rjvouv zo (j^a des Markos (9, 32.) so weiter ausführt : xcd rv naQaxexaXvftfiivov afC^ avzüiv 'iva jug cuo&vjvtcu, aino (9, 45.) p so ist hiemlt selbst das einfache; WojrtverstÄndnifs, das Fassen, wovon die Re- de ist, den Jüngern abgesprochen. {So trifft sie denn auch hernach die Verurteilung und Hinrichtung Jesu fällig un- vorbereitet, und vernichtet defs wegen alle Hoffnungen , (; die sie auf ihn als Messias gesetzt hatten (Luc. 24, 2$ f.,: tzuvotoauv uviov' r^fiug de ?]hiuo^ov, oxi amog fyv 6 fit/fc hüv h itn-.oOai tov ^loqarjV}. Allein hatte Jesus mit den Jüngern so gana na^olff (Marc. 8, 32.) von seinem Tode gesprochen, so mufsten sie seine klaren Worte not h wen- dig auch fassen, und hatte er ihnen seinen Tod als gegrün- det in den messianischen Weissagungen des A. T. , mithin zur Bestimmung des Messias gehörig , nachgewiesen , so konnten sie nach seinem wirklich erfolgten Tode den Glau- ben an seine Messianität nicht so gana verlieren. Mit Un- recht zwar hat der Wolfen büttler Fragmentist in dem Be- nehmen Jesu, wie es die Evangelisten schildern, Spuren auffinden wollen, dafs auch ihm selbst sein Tod unerwar- tet gekommen sei: aber das Resultat, welches er zieht, behält, auch wenn blofs auf das Benehmen dar Jünger ge- sehen wird, seine Gültigkeit, dafs nämlich, nach demsel- ben zu urtheilen, Jesus den Jüngern keine vorläufige Mit- teilung über seinen bevorstehenden Tod gemacht haben könne, sondern sie scheinen bis auf die letzte Zelt hinaus in diesem Stücke die gewöhnliche Ansiebt gehabt, und erst nachdem sie der Tod Jesu unerwartet getroffen , »ns dem

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316 Dritter Abschnitt.

Erfolge das Merkmal des Leidens und Sterbens in Ihren Messiasbegriff aufgenommen zu haben 3). Allerdings müs- sen wir hier das Dilemma stellen: entweder sind die An- gaben der Evangelisten von dem Nicht verstehen der Jün- ger und ihrer Überraschung bei m Tode Jesu unhistorisch tibertrieben , oder sind die bestimmten Ausspräche Jesu Über den ihm bevorstehenden Tod ex tventu gemacht, und er kann nicht einmal im Allgemeinen seinen Tod als zu seinem messianischen Schicksal gehörig vorhergesagt haben. In beiden Hinsichten konnte die Sage zu un historischen Darstellungen veranlafst sein: zur Erdichtung einer Vor- aussage seines Todes im Allgemeinen durch dieselben Grün- de, welche oben als Motive geltend gemacht worden sind, ihm' die Vorherverkündigung der einzelnen Zöge seines Leidens in den Mund zu legen ; zur Fiction eines so völ- ligen Unverstandes von Seiten der Jünger aber konnte man sich theils durch die Neigung veranlafst sehen, die Tiefe des von Jesu eröffneten Mysteriums von einem leidenden Messias mittelst des Nichtverstehens der Jünger zu heben, theils dadurch, dafs mnn in der evangelischen Verkündi- gung Hie Jünger vor der Aosgiefsung des Geistes den zu- bekehrenden Juden und Heiden verähniiehte , welche Al- les eher, als den Tod des Messias, begreifen konnten.

Um dieses Dilemma einer Entscheidung entgegen zufüh- ren , müssen wir zuvörderst die damaligen Zeit Vorstellun- gen über den Messias darauf ansehen, ob wohl das Merk- mal des Leidens und Sterbens schon vor und unabhängig von Jesu Tod in denselben enthalten war oder nicht. War es schon zu Lebzeiten Jesu jüdische Vorstellung, dafs der Messias eines gewaltsamen Todes sterben müsse : so hat es alle Wahrscheinlichkeit, dafs aueh Jesus diese Vorstel- lung in seine Überzeugung aufgenommen und seinen Jün- gern mitgetheilt habe , welohe dann um so weniger in die-

3) Vom Zweck Jesu und «einer Jünger, S. 1J4 ff. 155 f.

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Eiste« Kapitel. §. 111. 317

sein Stücke so anbelehrt bleiben and rom wirkliehen Er» folge so ganz darniedergeschlagen werden konnten; war dagegen jene Vorstellung vor Jesu Tode nicht anter seinen Landslea ten verbreitet : so bleibt es zwar immer noch mög- lich, dafa Jesos darch eigenes Raisonement auf dieselbe kommen konnte, aber eben so möglich ist dann, dafs die Jünger erst nach dem Erfolg das Merkmal des Leidens and Todes in ihren Messiasbegriff aufgenommen haben.

Die Frage, ob die Vorstellung von einem leidenden und sterbenden Messias ni Jesu Zeit bereits unter den Ju- den verbreitet gewesen sei, gehört zu den schwierigsten, und über welche die Theologen noch am wenigsten zum Ei ii v erst ändn i fs gekommen sind. Und zwar liegt die Schwie- rigkeit der Frage nicht in theologischem Parteiinteresse , so dafs man hoffen könnte, mit dem Aufkommen unparteii- scher Forschung werde sich die Verwicklung lösen, da vielmehr, wie Staudlin treffend nachgewiesen hat 4), so- wohl das orthodoxe als das rationalistische Interesse jedes auf beide Seiten hintreiben kann; wefswegen wir denn auch auf beiden Seiten Theologen von beiden Parteien fin- den ' ) : sondern die Schwierigkeit der Sache liegt in dem Mangel an Nachrichten, und in der Unsicherheit derjeni- gen, welche vorhanden sind. Wenn das alte Testament die Lehre von einem leidenden und sterbenden Messias ent- hielte, so würde hieraus allerdings mit mehr als blofser Wahrscheinlichkeit folgen, dafs sie auch unter den Juden

4) Uber den Zweck und die Wirkungen des Todes Jesu, in der Göttingischcn Bibliothek, 1, 4, S. 252 ff.

5) s. das Verzeichnist bei i>s Witts a. a. O. S. 6 ff. Die be- deutendsten Stimmen für das Vorhandensein der fraglichen Vorstellung schon tu Lebzeiten Jesu haben abgegeben Städs- in der angef. Abh. in der Gött. Biblioth. 1, S. 233 ff. und ÜSK6STKKBERG , Christologie des A. T. , 1, s, S. 270 ff. b, S. 290 ff. ; für die entgegengesettte Ansicht dz Warn , in der angefahrten Abh. , Opusc. S. 1 ff.

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318 Dritter Abschnitt.

cn Jesu Zeit vorhanden gewesen : so hingegen , da nach den neuesten Untersuchungen wohl die Leine von einer in der messianischen Zeit vorzunehmenden Sohnung des Volks (JSeech. 36, 25. 37, 23. Zach. 13, 1. Dan. U, »24.), «ich ii» A. T. findet, aber keine Spur davon, daß diese Söhnung durch Leiden und Tod des Messias zu Stande kommen sol- le6): so ist von dieser Seite her keine Entscheidung der vorgelegten Frage zu erwarten. Näher liegen der Zeit Je- su die A. T. liehen Apokryphen : aber da diese Oberhaupt vom Messias schweigen, so kann auch von jenem speciellen Zug im BMe desselben keine Rede sein 7 ) ; so wie auch von deo beiden das fragliche Zeitalter am nächsten berüh- renden Schriftstellern, Philo und Josephus , der letztere die messianischen Hoffnungen seiner Nation verschweigt 8), der erstere wohl messianische Zeiten und einen messiasartigen Helden, aber nichts von einem Leiden desselben hat 9). fia bleiben also nur das N. T. und die späteren jüdischen Schriften als du eilen flbrig.

Im N.T. hat es fast durchaus das Ansehen, als hätte an einen leidenden und sterbenden Messias unter den mit Jesu lebenden Juden Niemand gedacht. Wenn der Mehr- zahl der Juden die Lehre vom gekreuzigten Messias ein oxdvdcdov war; wenn die Jünger Jesu in seine wiederhol- ten deutlichen Todesverkündigungen sich nicht finden konn- ten: so sieht diefs doch gar nicht aus, als ob die Lehre von einem leidenden Messias unter den Juden jener Zeit im Umlauf gewesen wäre; vielmehr stimmt mit diesen Um- ständen die ßehauptung völlig Überein , welche der vierte Evangelist dem jüdischen oXkog in den Mund legt (12, 34.):

6) »t Warrs, bibl. Dogm. $. 201 f. Baumsirtui - Crvmui, bihl. Theo!. §. 54.

7) s. »■ Wette, s. a. O. §. 189 ff.

8) Tgl. us Wette, a. a. O. §. 193.* 0) Gfaöaaa, Philo, 1, S. 495 ff.

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fcrstes Kapitel. §. III. 3)9

sie haben aus dem rouog gelernt , Sri 6 y.Qicog ftirei tig zov aiuiva ,0). Doch eine allgemeine Geltung der Idee des lei- denden Messias unter den damaligen Juden behaupten auch jene Theologen nicht, sondern die Hoffnung auf einen welt- lichen, endlos regierenden Messias als die herrschende einräumend, halten sie nur daran fest, worin selbst der Wolfenbüttler Fragmentist mit ihnen übereinstimmt dafs eine minder aahlreiche Partei, nach Stäcdlin namentlich die Essener, nacfi Henostrnbero der bessere, erleuchtetere Theil des Volks Überhaupt, einen solchen Messias angenommen habe, weicher eu nächst in Niedrigkeit erscheinen , und erst durch Leiden und Tod aur Herrlichkeit eingehen würde. Hiefür beruft man sich besonders auf ewei Stellen , eine ans dem dritten, und eine aus dem vierten Evangelium. Wie Jesus als unmündiges Kind im Tempel au Jerusalem dargestellt wird, spricht der greise Simeon unter andern Weissagungen, namentlich über den Widerspruch, welchen ihr Sohn einst finden werde, au Maria auch die Worte: xui od de avtftgirdv i'Tyiv öielevoeiai {tOfucpaia (Luc. 2,35.), wodurch ihr mütterlicher Schmers über den Tod ihres Soh- nes bezeichnet, also die Ansicht, dafs dem Messias ein ge- waltsamer Tod bevorstehe, als eine schon vor Christo vor- handene dargestellt an werden scheint. Koch deutlicher liegt die Idee von einem leidenden Messias in den Worten, welche das vierte Evangelium (1, 29.) den Täufer beim Anblick Jesu sprechen läfst, er sei 6 apvog %u &eö 6 aU q(>)v zt]v auaozlav tu xoguu , ein Ausspruch , welcher , in seiner ßesiehung auf Jes. 53., im Munde des Täufers gleich- falls dafür sprechen würde, dafs die Vorstellung eines süh- nenden Leidens des Messias schon vor Jesu vorhanden ge-

10) Eine Stelle aus dem eigentlichen ro>oc möchte hier schwer zu finden sein ; dk Wkttb , de morte , S. 72. denkt an Jes. 9, 5*y Lucmc, z. d. St. an Fs. 110, 4. Dan. 7, 14* 2, 44.

11) Vom Zweck Jesu und leiner Jünger, S. 179 f.

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Dritter Abschnitt.

wesen sei. Allein beide Stellen sind bereits oben aU an- historich nachgewiesen , und es darf daran*, dafs die ur- christliche Sage gerauine Zeit nach dem Erfolge sich be- wogen fand, Personen, welche sie für goctbegeisterte hielt, eine Vorkemitnifs des göttlichen Rathschlusses hinsichtlich des Todes Jesu in den Mond zu legen, keineswegs gefol- gert werden, dafs wirklich schon vor den Tode Jesu die* se Hinsicht vorhanden gewesen« Sciiliefslich wird das noch geltend gemacht , dafs die Evangelisten und Apostel die Idee eines leidenden nnd sterbenden Messias im A. T. nachweisen , woraus man schiiefsen cu dürfen glanbt , daü diese Deutung: der betreffende i A. T. liehen Stellen damals unter den Juden nicht unerhört gewesen sei. Allerdings berufen sich Petrus (A. G. 3, 18. 1. Petr. 1, 11 f.) und Paulos (A. 6. 26, 22 f. I. Kor. 15, 3.) auf Moses und die Propheten als Verkündiger des Todes Jesu, und Phi- lippus deutet dem Äthiopischen Eunuchen die Stelle Jes. 53. aof die Leiden Christi (A. G. 6, 35.) : allein , da die ge- nannten Männer alles diefs nach dem Erfolge sprachen und schrieben, so haben wir keine Sicherheit, ob sie nicht auch blofs aus dem Erfolge heraus, und ohne sich an eine unter ihren jüdischen Zeitgenossen übliche Auslegungsweise an- zuschliefsen , jenen A. T. liehen Stellen eine Beziehung auf das Leiden des Messias gegeben haben 1 l>

Wenn auf diese Weise die Annahme, dafs die in Frage stehende Idee schon au Jesu Lebzeiten unter seinen Volks- genossen vorhanden gewesen sei, im N. T. keinen festen Grund hat: so fragt sich jetzt, ob ein solcher vielleicht in den späteren jüdischen Schriften zu finden ist. Zu den äl- testen ans übrigen Schriften dieser Klasse gehören die bei- den chaldfiischen Paraphrasen von Onkelos und Jonathan, nnd von diesen pflegt das Targum des letzteren , der rab- binischen Tradition zufolge eines Schülers von Hillel

12) s. di Warn, de mortc Chr. p. 73 f.

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Erst«» Kapitel, f. 111.

321

d. Ä. '*), für die Vorstellung von einem leidenden Messias defswegen angeführt au werden , weil es die Stelle Je«, 5*, 13—53, 1*. auf den Messias beziehe. Allein mit der Auslegung dieser Stelle im Targum Jonathan hat es die eigene Bewandtnifs, dafs dasselbe zwar den Abschnitt im Allgemeinen messianisch deutet, so oft aber von Leiden und Tod die Rede wird, recht absichtlich und meistens höchst gewaltsam entweder diese Begriffe vermeidet, oder auf ein anderes Subject, das Volk Israel, ausbeugt: cum deutlichen Beweise, dafs dem Verfasser Leiden und gewalt- samer Tod mit dem Begriff des Messias unvereinbar ge- schienen habe ,4> Doch diefs soll eben der Anfang der Abirrung vom wahren Sinne des Orakels sein, £n welcher die späteren Juden ihr fleischlicher Sinn nnd die Opj)osi-

13) vgl. Gestirn?*, Jesaiaa, 2 TW., S. 66; tu Wim, Einleitung in des A. T. §. 59. 3tc Ausg.

14)

iWörtlicheÜberi.nachHmisJ \ Tsrgufli Jonsthsn 1

52» 14: Gleichwie sich Viele vor ihm entsetz« tcn, slso entstellt, nicht menschlich, war sein An- sehen, und seine Gestalt nicht die der Menschenkin- der u. s. f.

53,4: Allein unsre Krank- heiten er trug sie, und unsere Schmerzen lud er sich auf, und wir achte- ten ihn geschlagen, getrof- fen von Gott und gequält.

Quemadmodum per muUoi dies ipsum exs pect a ran t lt» raelitac , quorutn contabait inter gentes adspectus et spien- dor (et evanuit) e ßliu homi-

Idcirco pro delictis nostris ipse de p r eca bi t u r , ei Ini- quität es nostrae propter tum condonabuntur , licet nos reputati sirnus contusi , piagis ajfecti et afjUcti.

Auch Origcnes erzählt, c. Cels. f, 55 ! wie ein Ur^ttot Wie* *l*Satotf aoyos seiner christlichen Deutung der jesaianischea Stelle entgegengehalten habe: raCra nen^nrtM^ *5« ft«fi iros tm 81m la*, nat ytvopirm tV Tjj <Wr*ay, mmi nlrtyinot, im noZlol rr Qoq}-XvToi yitwvTcu.

Das Leben Jesu 2te Aufl. 2. Band. ,2!

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Dritte r Abschnitt.

tSon gegen das Chri.'tenthum verleitet habe: die filteren Ausleger haben, sagt man, in der jesaiam sehen Stelle einen leidenden und sterbenden Messias gefunden. Allerdinga bezeugen Abenesra, Abarbanel und Andre, manche alte Lehrer haben Jer. 53. auf den Messias bezogea 1 5) : allein einige dieser Angaben lassen dunkel, ob nicht ebenso bloU stückweise, wie Jonathan, und bei allen bleibt zweifelhaft, ob die Erklärer, von denen sie sprechen, zum Alter Jo- nathan'* hinaufreichen , was ohnehin von den Theilen des Buchs Sohar, welche die bezeichnete Stelle auf den le - denden Messias deuten ' ), unwahrscheinlich ist. Diejeni- ge Schrift aber, welche neben Jonathan noch am nächsten an, die Zeit Jesu hinanreichen möchte, da« pseudepigraphi- sche vierte Buch Esra, der wahrscheinlichsten Rechnung zufolge kurz nach der Zt-rstörimg Jerusalems unter Titus ahgefafst r~), erwähnt zwar' des Todes des Messias, aber nicht eines leidensvollen , Sondern nur eines solchen , wie er nach der langen Dauer des messianischen Reichs der allgemeinen Auferstehung vorangehen sollte I8). Die Vor- stellung von grofsen Drangsalen allerdings, welche gleich- sam als Geburtswehen di<# Messias (p tfen 5 vgl. u{>yf) tidhorv Matth. 24, 8. ) der messianischen Zeit vorangehen wurden , ist ohne Zweifel schon vor Christo verbreitet ge- wesen <9), und ebenso frühe seheint an die Spitze dieser, besonders das Volk Israel bedrängenden Übel der ch W/of- cog gestellt worden zu sein, welchen der XQlSOQ «u be- kfimpfen haben würde (S Thesa. 2, 3 ff.) -°): aber, indem

% I *

15) s. bei Schöttgkn, 2, S. 182 f. Eiskkmkngkr , entdecktes Jn- denthum, 2, S. 758.

16) bei Schöttgkn, 2, S. 181 f.

17) i»a Wzttb, de morte Chr. expiatoria, 1. a. 0. S. 50.

18) Cap. 7, 29.

19) Sr.iiÖTTGKK, 2, S. 509 IT. ; Schmidt, Christologische Fragmente, in seiner Bibliothek, 1, S. 24 ff.; Beetholdt, Christol. Jud. 15.

20) Schmidt, a. a. O. ; Bbrtmoldt, a. a. ü. §. 1«.

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Erstes Kapitel. §. Ith 323

ef denselben auf übernatürliche Weite, tu nvirfttttl cuuamg avtu , vernichten sollte, so war hierin noch kein Leiden für den Messias enthalten. Dennoch finden sich Stellen, In welchen ton einem Leiden des Messias, und tunr von einem stellvertretenden für das Volk, die Rede ist allein theils ist diefs nur ein Leiden, kein Sterben des Messias; theils trifft es denselben entweder vor seiner llerabkunft in das irdische Leben, in seiner PrXeiistenz 2 ;), oder in der Verborgenheit, in welcher er sich von seiner Geburt bis zu seinem messianischen Auftritt hält3*); theils ist das Airer dieser Vorstellungen zweifelhaft, and sie könn- ten nach einigen Spuren erst von der Zerstörung des jüdi- schen Staats durch Titus sich zu datiren scheinen >«> In- rieft?en fehlt es in jüdischen Schriften keineswegs an Stel- len, in welchen geradezu behauptet wird, dafs* ein Messias auf gewaltsame Weise umkommen werde : allein diese be- treffen nicht den eigentlichen Messias, den Abkömmling D.ttids, sondern einen andern, aus der Nachkommenschaft Josephs und Ephraim*, welcher dem ersteren in unterge- ordneter Stellung beigegeben wurde. Dieser Messias ben Joseph sollte dem Messias ben David vorangehen, die zehn Stämme des ehmaligen Reichs Israel mit den zwei Stäm- men des Reichs Juda vereinigen, hierauf aber im Kriege gegen Oog und Magog dureh das Schwert umkommen, wor- auf die Stelle Zach. 12, 10. bezogen wurde *•«). Doeh von diesem zweiten, sterbenden Messias fehlen vor der babylo-

21) Peaikta in Abkath Rockel, bei Sckmidt, S. 47 f.

22) Schar, P. 2, 85, 2-, bei Schaidt, S. 48 f.

25) Gemars Sanbedrin f. 98, 1, bei Wim, de motte Chr. *p. 95 f., und sei HswctTENBEac, S. 292. . ,

24) Sohar, P. 2, f. 82, 2. bei d* Witts, S, 94: Cum Israelitae essent in terra saneta, per cultus religiosos et sacrißeia quae faciebant , omnes Mos morbos et poenas e mundo süstulerunt ; nunc veto Messias Hebet auferre $as ab hominibus.

25) «• BlRTHOLDT, S. a. O. V 17.

21 *

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Dritter Abschnitt.

irischen Gemara, welche im 5ten und fiten Jahrhunder nach Christo gesammelt ist, und dem in Bezug auf sein Alter höchst zweifelhaften Buche Sohar, die sicheren Spu- ren 36).

Obschon es hienach nicht nachweislich and selbst nicht wahrscheinlich ist, da ('s die Vorstellung von einem leiden- den Messias zu Jesu Zeit schon unter den Juden vorhan- den gewesen: so bliebe doch immer möglich, dafs auch ohne solchen Vorgang Jesus selbst durch Beobachtung der Verhältnisse, und Vergleichung derselben mit A. T.lichen Erzählungen und Weissagungen, auf den Gedanken gekom- men wäre, dafs Leiden und Sterben zum Amt und cur Bestimmung des Messias gehöre; wobei dann aber natür- licher wäre, da s er aliu Jthlig erst im Laufe seiner urteilt- liehen Wirksamkeit diese Uberzeugung gefafst , und sie hauptsächlich nur seinen Vertrauten mitgerheilt, als dafs er sie schon von Anfang an gehabt, und sie vor Gleichgültigen, ja Feinden, ausgesprochen hatte: dieses die Art, wie Jo- hanne«, jenes, wie die Synoptiker die Sache darat eilen.

Auch in Bezug auf die Äusserungen Jesu über den Zweck und die Wirkungen seines Todes können wir, wie oben bei der Vorherverkündigung des Todes selbst, einen mehr natürlichen Gesichtspunkt von einem mehr suprana- turalistischen unterscheiden. Wenn Jesus im vierten Evan- gelium sich mit dem treuen Hirten vergleicht, der für sei- ne Schafe das Leben lasse (10, 11. 15.): "> kann diefs den ganz natürlichen Sinn haben, dafs er von seinem Hir- ten - und Lehramte nicht zu weicheu gesonnen sei, sollte auch in Führung desselben der Tod ihm drohen (morali- sche Notwendigkeit seines Todes) *7)\ der ahnungsvolle Ausspruch in demselben Evangelium (12, 24.), wenn das Waizenkorn nicht in die Erde fallend ersterbe, bleibe es

26) t)K Warn, de morte Chr. p. ilf. vgl. 53 ff.

27) Hvsk, L. J. §. 108.

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Erstes Kapitel, f. III

einsam, ersterbe es über, so bringe es viele Frucht, läfat eine ebenso rationale Erklärung von der siegenden Kraft jedes MUrtyrertods für eine Idee und Überzeugung zu (mo- ralische Wirksamkeit seines Todes) :8); endlich, was sich in den johanneischen Abschiedsreden so oft] wiederholt, es sei den Jüngern gut, dafs Jes >s hingehe, denn ohne sei- nen Hingang könnte der nctnaxlr-zog nicht eu ihnen kom- men, der ihn in ihnen verklären, und sie in alle Wahrheit leiten werde , darin könnte man die gane natürliche Uber* legung Jesu finden, dafs ohne die Aufhebung seiner sinnli- chen Gegenwart die bis dahin noch so sinnlichen messia- nischen Vorstellungen seiner Jünger nicht vergeistigt wer- den wörden (psychologische Wirksamkeit seines Todes) :V). Mehr der supranaturalistischen Betrachtungsweise gehört dasjenige an, was Jesus bei der Stiftung des Abendmahls spricht. Denn wenn zwar das, vias die beiden mittleren Evangelisten ihn hiebei sagen lassen, dafs das dargereichte rroTTrQiov t6 alfia rtjg xatv~g dictf>rtx7jg (Marc. 14, 24. )^ f) xcuvq dia&rjxr} iv ti~> aiftari öftir« (Luc. 22, 20.) sei, nur so viel zu bedeuten scheinen könnte : wie durch die bluti- gen Opfer am Sinai der Bund des alten Volkes mit Gott, so werde durch sein, des Messias, Blut In höherer Weise der Bund der neuen um ihn sieh sammelnden Gemeinde besiegelt : so verschmilzt hingegen in der Relation des Mat- thäus, wenn er (26, 28.) Jesum hinzusetzen ia'fst, sein Blut werde vergossen für Viele eig arfhoiv äftaQTtoßv , die Vor- stellung des Bundesopfers mit der von einem Sühnopfer, und auch bei den beiden andern ist durch den Zusatz: ro neol noXkZv oder tWo vfivjv ixxvvofieiov, über das blofse Bundesopfer zum Sühnopfer hinausgegangen. Wenn fer- ner im ersten Evangelium (20, 28.) Jesus sagt, er müsse dtivai trjv ifwxqv uviCt IviQOV oval noXltüv: so ist diefs ohne

28) Dcrs. ebenda«.

29) Dcrs. ebeudas. und §. 109.

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Dritter Abschnitt,

Zweifel auf Je«. 53, zu he/iehen, wo, nach einer, de» He- bräer auch sonst geläufigen Vorstellung (Je«, 43, 3. Prov, 21, 18,) dem Tode des Knechts Jehovas eine sühnende Beziehung auf die übrige Menschheit gegeben wird.

Hienach könnte Jesus durch psychologische Relleiion darauf gekommen sein , wie aufriß I »eh der «eiKtijgpu Kiit* wioklung seiner Jünger eine solche Katastrophe sein w**< de, und nationalen Vorstellungen gemäfs mit Berücksichti- gung A. T.licher Stellen selbst auf die Idee einer sühnen- den Kraft soines messianischen Todes. Indessen kön/ite doch namentlich das, was die Synoptiker Jesuin von sei- nem Tod als Sühnopfer sagen lassen, mehr dem nach Je- su Tode ausgebildeten System anzugehören, und was der vierte Evangelist ihm über die Beziehung seines Todes zum Paraklet in den Mund legt, ex eventu gesagt zu sein scheinen; so dafs auch bei diesen Aussprüchen Jesu aber den Zweck seines Todes eine Sonderling des Allgemeinen vom Speciellen vorgenommen werden müfste,

J, 11t,

Bestimmt« Aussprüche Jesu iitcr seine Künftige Auferstehung,

Mit nicht minder klaren Worten als seinen Tod, und mit einer besonders genauen Zeitbestimmung, hat den evan- * geiischen Nachrichten zufolge Jesus auch »eine Auferste- hung vorausverkündigt. So oft er seinen Jüngern sagte, des Menschen Sohn werde am Kreuze getödtet werden, setzte er hinzu: xal rft TQhfj rjd(uj ivagqo&m oder iysq&rowvi (Matth. 16, 21, 17,23, 20, 19. paraii, vgl. 17, 9. 26, 32. paral!.), Abor auch von dieser Vorherverkündignng heilst es, die Jünger haben sie nicht gefafst, so wenig, dafs sie sogar miteinander stritten , %i igt %6 ex y&cqwv dwgqvai (Marc, 9, MI.); und gemäfs diesem Michtveraieben zeigen sie so*, fort nach dem Tode Jesu keine Spur einer Erinnerung, dafs Ihnen ein auf das Sterben folgendes Auferstehen Je*

su Yovher^esajt war, keine« Funken von Uoflnaug, da&

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Erste« Kapitel. §. 112. 327

diese Zusage in Erfüllung gehen werde. Als die Freunde den vom Krens Abgenommenen Leichnam in das Grab gelegt hatten, nahmen sie (Joh. 19, 40.) oder behielten sich die Frauen (Marc. In, 1. Luc. 2fr, fiftV) die Einbal- samirung vor, was man doch nur bei einem. solchen thut, welchen man als eine Beute der Verwesung betrachtet; als an dem Morgen, welcher nach N. T. lieher Rechnung den vorausbestimmten Auferstehungstag eröffnete, diet Frauen zum Grabe giengen , dachten sie so wenig an eine vorher- gesagte Auferstehung , dafs ihnen die vermuthliche Schwie- rigkeit, den Stein vom Grabe euwo'lxen, Jiesorgnifs mach- te (Marc. 16,3.); als Maria Magdalena und später Petrus das Grab leer fanden, hätte ihr erster Gedanke sein müs- sen, dafs nun die Auferstehung wirklich erfolgt sei, wenn eine solche vorausgesagt war: statt dessen vermut he t jene, der Leichnam möchte gestohlen sein (Joh. 20, 2.), Petrus aber verwundert sich bio£s , ohne auf eine bestimmte Yer- muthung zu kommen (Luc. 24, 12.); als die Weiher den Jüngern von der gehabten Engelserscheinung sagten , und sich des Auftrags der Engel entledigten, hielten die Jon- ger ihre Aussage theiis für leere* Geachwat« (Arooc L*e. 24, IL), theiis wurden sie au sohreckenvollem Erstaunen erregt Ci^egrjaay ijiä$9 Luc 24, 21 ff.); als Maria Magda- lena , und hernach die Em roaun tischen Jünger, die Ell fe versicherten , den Auferstandenen selbst gesehen «u haben, schenkten sie auch dieser Aussage keinen Glauben- (Marc* 16, II. 13.) , wie später Thomas sogar der Versicherung seiner Mitapostel nicht (Joh. 20, 2.5.) : endlich, als Jesus selbst in Galiläa den Jüngern erschien, gaben noch nicht alle den Zweifel auf (ol ök idl getoav, Marc. 2S, 17.). DieG» Alles mufs man wohl mit dem Wolfenbüttler Fragment!« sten x) unbegreiflich ünden, wenn Jesus seine Auferstehung so klar und bestimmt vorhergesagt hatte.

1) Vgl. seine beichte und schlagende Au^iulirung , .cm Zweck *. s. f. S. 121 ff.

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Dritter Abschnitt.

Zwar, wie da* Benehmen der Jünger nach Jesu Tod gegen eine solche von Jesn gegebene Voraussage spricht, so scheint das seiner Feinde dafür an sprechen. Denn dafs nach Matth. 27, <fc ff. die Hohenpriester und Pha- riaäer an das Grab Jesu sich von Pilatus eine Wache erbitten, hat naoh Ihrer eigenen ErklKrang darin seinen Grund, dafs Jesus bei seinem Leben noch gesagt habe* sollte: fitta TQsTg rjfiiQag eysiQOjttat. Allein diese Erzäh- lung des ersten Evangeliums , die wir erst unten näher würdigen können , entscheidet noch nichts , sondern tritt nur auf die eine Seite des Dilemma , ao dafe wir nun sa- gen müssen : wenn die Jünger nach dem Tode Jesu sich wlrlloh tu benahmen , dann kann weder er seine Aufer- stehung vorhergesngt , noch können die Juden aus Rück- sicht auf eine solche Vorherverkündigung eine Wache an aeln Grab bestellt haben ; oder, wenn die beiden letzteren Angaben richtig sind, können die Jünger sich nicht ao be- nommen haben.

Die Schürfe dieses Dllemma hat man dadurch abau- stumpfen versucht, dafs man den oben angeführten Vorher* Verkündigungen nicht den eigentlichen Sinn einer Wieder- kehr des gestorbenenen Jesu aus dem Grabe, sondern nur den uneigentlichen eines neuen Aufschwungs seiner unter- drückten Lehre und Sache unterlegte Wie die A. T.- ifchen Propheten , wurde gesagt, die Wiederherstellung des Israelitischen Volks au neuem Wohlergehen unter dem Bild einer Auferstehung der Todten darstellen (Jes. 26,. 19, Baach. 37.), wie sie diese kurze Frist, innerhalb welcher unter gewissen Bedingungen diese Wendung der Dinge au erwarten wäre, durch den Ausdruck bezeichnen, in zwei bis drei Tagen werde Jehova das Gesohlagene aufrichten --

2) So namentlich Hssdir, vom Erlöser der Menseben, 9,1$) ff, vgl, KW*. , Com», in Mstth, p, 444 f.

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Erstes Kapitel. 5. 112.

3*0

und das Getiidtete wiederbeleben (Hos. 6, 2. ')), eine Zeit- angabe, welche auch Jesus unbestimmt für eine kurze Zeit gebrauche (Luc. 13, 32.): so wolle er mit dem Ausdruck, er werde nach seinem Tode rfj tqIttj yftBQfe ävazfjvat, nichts Anderes sagen, als , wenn auch er der Gewalt seiner Fein- de unterliegen und getödtet werden sollte, so werde das ronihrn begonnene Werk doch nicht untergehen, sondern in kurzer Zeit einen neuen Aufschwung nehmen. Diese von Jesu blofs bildlich gemeinten Redensarten haben die Apostel, nachdem Jesus leihlich auferstanden war , eigent- lich genommen, und für Weissagungen auf seine persön- liche Wiederbelebung angesehen. Dafs nun in den ange- fahrten Prophetenstellen das HT! » Dp und f^PI nur den an- gegebenen tropischen Sinn habe, ist richtig, aber i* Stellen, deren ganzer Zusammenhang tropisch ist, und wo namentlich das dem Wiederbeleben vorangegangene Schlagen und Töd- ten selbst nur einen figürlichen Sinn hatte. Dafs dage- gen hier, wo die ganze vorhergehende Reihe von Ausdru- cken, das nctQaöidoo&ai, xcnaxyinoSai, gavQ5a&ai , areo— yrelreoO-ai u. s. f., eigentlich zu nehmen war, auf Einmal mit dem iyEQ^rjvm und avazrjvat eine uneigentliche Bedeu- tung eintreten sollte, würde doch ein unerhörter Absprung sein ; dessen nicht zu gedenken , dafs Stellen, wie Matth. 26, 32, wo Jesus sagt: fteta zo tyeQfrfjval fte nQod^o) vftag eig ttjv rahlaiav, nur bei der eigentlichen Bedeutung des tyelQeo&cu einen Sinn haben. Ebenso steht die Zeitbe- stimmung des dritten Tages an den beiden Stellen, auf welche man sich f3r die ungenaue und sprichwörtliche Be- deutung einer kurzen Zeit überhaupt beruft, in einem Zu- sammenhang, welcher von selbst auf einen solchen Sinn des Ausdrucks führt, indem in der Prophetenstelle vor

dem iv zfj tjftBQet xr\ TQhfl-fisra dvo r^tigaSt I* der CW1-

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330

Dritter Abschnitt.

gelisohen aber vor dem %jj TQltrna^fiBQOv xai avQtov fleht: wogegen in allen Steilen, wo Jesus seine Auferstehung verkündigt, jede solche Veranlassung, von dem bestimmten Sinne des Ausdrucks abzugehen, fehlt 4). Hat also Jesus wirklich die Ausdrfike, und in dem Zusammenhange ge- braucht, wie die Evangelisten sie ihm in den Mund legen, so kann er durch dieselben nicht blofs uneigentlioh deu haldigen Sieg seiner Sache haben verkündigen wollen , son- dern seine Meinung mofs die gewesen sein, er selbst wer- de drei Tage nach seinem gewaltsamen Tod aufs Neue in das Leben euröck kehren.

Da Jedoch Jesus, dem Benehmen seiner Jünger nach meinem Tode cufolge, seine Auferstehung nicht mit deutli- chen Worten vorherverkündigt haben kann: so hsben sich andre Ausleger su der Einräumung verstanden , die Evan- gelisten haben den Reden Jesu nach dem Erfolg eine Be- stimmtheit gegeben , welche sie in Jesu Munde noch nicht gehabt haben; sie haben das, was Jesos bildlich vom Auf- schwung seiner Sache naoh seinem Tode gesngt habe, nicht blofs eigentlich verstanden , sondern es dieser Auffassung gema'fc auch so umgeformt, dafs, wie wir es jetat lesen, wir es allerdings eigentlich verstehen müssen *)• Doch nicht alle betreffenden Reden Jesu seien auf diese Weise verändert , sondern hie und da auch noch seine ursprüng- lichen Ausdrucke stehen geblieben.

§. 113.

Bildliche Reden, in welchen Jesus seine Auferstehung vorher-

verkündigt haben soll.

Schon su Anfang seiner öffentlichen Wirksamkeit hat dem vierten Evangelium zufolge Jesus die ihm feindlich ga-

4) vgl. Süskikid, einige Bemerkungen über die Frage, ob Jesus seine Auferstehung bestimmt vorhergesagt habe? in I'uim Magaz'n, 7, S. 303 ff.

5) Paulus, a. a. O. 2, S. 415 *. EUss, L. J. 104.

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Erste* Kapitel. $.113.

331

sin nten Juden in bildlicher -Ii de auf seine künftige Auf- erstehung hingewiesen C*i ff ). Nachdem während sei- nes ersten messiantschen Featbcsucht der Marktunfug im Tempel ihn zu jenem Schritte heiligen Eifers bewogen hat«« te, lon welchem oben die Rede gewesen, und wie nun die Juden ihn um ein Zeichen angiengen, 'durch welches er «ich als einen Gottgeaandten legitimiren sollte, der zur Vornahme solcher Gewaltmafsregeln ßefugnifs hätte , giebt ihnen Jesus die Antwort : Ii aar e tov vaov T&rov, xal eV

ci i oy. Die Juden- 4tahmen diese Wor- te in dem Sinn, welcher, da sie im Tempel gesprochen wurden, am nächsten lag, und hielten Jesu entgegen , dafg er diesen Tempel , cu dessen Bau man 46 Jahre gehraucht habe, wohl schwerlich, wenn er nerstört wfire> in 3 Tagen wiederaufzurichten im Stande sein dürfte; aber der Evan* gelist belehrt uns, diefa sei nicht die Meinung Jesu gewe- sen, sondern dieser habe, wie übrigens den Jüngern erst nach seiner Auferstehung klar geworden sei, ton dem mo$ atafioerog aviö geredet, d. h. also durch dal Abbrechen und Wiederaufbauen des Tempels auf seinen Tod und seine Auferstehung hingedeutet. Giebt man hiebei noch cu, was indessen gemüßigte Ausleger lüugnen '), dab Jesus die Jui den mit ihrer Forderung eines gegenwärtigen Zeichens (wie er es auch Matth. 12, 39 ff. gethan haben soll) füglich auf seine einstige Auferstehung, als das gröfete und namentlich für seine Feinde beschämendste Wunder in seiner Ge- schichte, habe verweisen können: so mufste diese 11 in Wei- sung doch von der Art sein, dafs sie möglicherweise ver- standen werden konnte (wie Matth, a. d. a. St Jesum gaiue unumwunden sich erklären iä'fst). So hingegen, wie wir liier den Ausspruch Jesu haben, konnte er, als ihn Jesus that, unmöglich in diesem Sinne begriffen werden. Denn wer im Tempel von der Zerstörung dieses Tempel«

1) i. ö. Uaut, i, S. 4Jö i Tgl. dagegen TaottCK, S. 75.

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332

Dritter Abschnitt.

spricht, dessen Rede wird Jedermann auf eben das Tem- pelgebäude, in welchem er sich befindet, beziehen. Es Pa- te, denn Jesus , als er das %6v vanv rszov sprach , auf seinen Leib gedeutet haben , was auch die Freunde dieser Erklärung meistens voraussetzen 2). Allein fürs Erste sagt der Evangelist von einem solchen Gestus nichts, un- erachtet es in seinem Interesse lag, cur Unterstützung sei- ner Deutung denselben hervorzuheben. Fürs Andre hat Gabler mit Recht darauf aufmerksam' gemacht, wie matt und schaal es gewesen wäre , einer Rede , weiche nach Al- lem, was in ihr Wort, also Logisches war, sich auf das Terapelgebüude bezog, durch einen blofsen Zusatz von Mi- mischem eine ganz andere Beziehung zu geben. Hat sich aber Jesus dieser Hülfe bedient, so konnte sein Fingerzeig

nicht unbemerkt bleiben: es mufsten die Juden eher dar-

•»

über mit ihm rechten , wie er zu dem Ubermuth komme, seinen Leib vaog zu nennen , oder wenn auch diefs nicht, so konnten doch in Folge jener Action die Jünger nicht bis nach der Auferstehung Jesu über den Sinn seiner Re- de im Dunkeln bleiben 3).

Durch diese Schwierigkeiten fand sich die neuere Exegese gedrungen , die johanneische Auslegung der Wor- te Jesu als eine ex eventu gemachte Umdeutung zu ver- lassen, und zu versuchen, unabhängig von der Erklärung des Referenten in den Sinn der räthselhaften Rede einzu- dringen, welche er Jesu in den Mund legt4). Der Auf-

2) s. Tholuck, a. s. O.

3) Hbnkb, Joannes apostolus nonmillorum Jesu apophthegmatum in evang. suo et ipse interpres. In Pott's und RupbrtTs Sylloge Conim. theol. 1, S. 9j Gablsr, Recension des Hkk- Ki'schen Programms im neuesten theol. Journal, 2, 1, S. 88 ; Li'cKB, z. d. St.

4) So, ausser Hbhrb im angef. Programm , Hbbdbr , von Gottes Sohn nach Johannes Evang., S. IVt f. ; Paulus, Conun. 4, S. lo5 f. I*. J. 1, a, S. 173 f. i Lückb, z. d. St.

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Erstes Kapitel. |. 113.

fassong der Jaden , welche die Worte Jesu suf ein wirkli- ches Abbrechen uud Wiederaufbauen des Kationalheilig- thoms bezogen, kann man nicht beistimmen wollen , ohne Jesu gegen seinen sonstigen Charakter eine in's Ungeheu- re getriebene leere Großsprecherei zuzuschreiben. Sieht man sich defswegen nach einem irgendwie uneigentlichen Verstände des Ausspruchs um, so begegnet man in demsel- ben Evangelium zuerst der Stelle 4, 21 ff., wo Jesus der Samariterin verkündigt, es komme nächstens die Zeit, wo man nicht mehr iv leQoookvpoig den Vater anbeten, son- dern ibn als Geist geistig verehren werde. Eine Abro- girung des vermeintlich allein gültigen Tempelcultus zu Je- rusalem könnte das Xvhv des vuog auch in unsrer Steile ursprünglich bedeutet haben. Diese Auflassung wird durch eine Erzählung der Apostelgeschichte, 6, 14., bestätigt. Stephan us, welcher, wie es scheint, den in Frage stehen- den Ausspruch Jesu adoptirt hatte, wurde von seinen An- klägern beschuldigt, geäussert zu haben, ort *fyoö$ 6 JScc- £iooouog ötoc? y.aicdi'ou tdv tonov z&tov , xai äkkai-ei ra töty a naqidwxe Mwvorjg , wo demnach als Folge des Tem- pelabbruchs eine Änderung der mosaischen Religionsver- fassung , ohne Zweifel eine Vergeistigung derselben, be- zeichnet wird. Dazo kommt noch; eine Stelle in den synoptischen Evangelien. Dieselben Worte beinahe, wel- che bei Johannes Jesus selbst ausspricht, kommen in den zwei ersten Evangelien (Matth. 26, 60 f. Marc. 14, 57 f.) als Anklage falscher Zeugen gegen ihn vor, und hier hat Markus den Zusatz, dafs er den abzubrechenden wog als ytinoTioir-iog, den von Jesus neu zu bauenden als alkog, ayUQonoiijiog bezeichnet, was derselbe Gegentatz von sinn- licher und geistiger Religionsverfassung zu sein scheint. Demgemafs läfst sich nun auch die johanneische Stelle so erklären: das ist das Zeichen meiner Vollmacht , dafs ich im Stande bin , an die Stelle des mosaischen Ceremonialdien- stes in kürzester Frist einen neuen , geistigen Gottesdienst

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SU Dritter A bsth n i tf.

ru setzen. Allein , abgesehen von Her minder bedeuten- den Schwierigkeit, dar« bei Johannes nicht wie bei den Synoptikern das Subject gewechselt, and der neuzuer- rlchtende vaog als ulXog , sondern durch ctvtcg als dersel- be mit dem zerstörten bezeichnet wird *), so lafst sich na- mentlich da* tv tniaiv rrfteQcag nach dem oben Ausgeführ- ten auch hier nicht ohne Weiteres in dem anbestimmten Sinne von kurzer Zeit fassen "): in seiner genauen Be- de«tu*g genommen aber pafst es nur als Termin der Auf- erstehung Jesu, nicht aber der Vergeistigung des Reli- gionswesens.

So von beiden Erklärungen in gleicher Weise angeso- gen und abgestossen, flüchtet sich Olshaüskn eu einem Dop- pelsinn, welcher indefs nicht z wischen der johanneischen and der zuletzt dargelegten symbolischen, sondern zwischen der johanneischen Deutung und der jüdischen die Mitte- halt, indem Jesns nur, um die Juden abzuweisen, sie zu in Abbrechen ihres Tempels, als cu etwas Unmöglichem, auf- gefordert, und unter dieser nie eintreffenden Bedingung sich zum Bau eines neuen erboten haben soll; so jedoch, dafs neben diesem ostensibeln Sinn für die Menge' noch ein verborgener hergieng, der den Jüngern erst nach der Auf- erstehung klar wurde, nach welchem vacg den Leib Jesu bezeichnete. Allein jene an die Juden gerichtete Auffor- derung sammt dem darangehÄngten Erbieten wäre ein un- würdiger Mai h wille, die darin verborgene Andeutung für die Jünger eine nutzlose Spielerei gewesen, und überhaupt tat ein Doppelsinn dieser Art in der Rede eines verständi- gen Menschen unerhört. Da man auf diese Weise an der Erklärbarkeit der johanneischen Stelle ganz verzweifeln möchte, so beruft sich der Verfasser der Probabiiieti dar- auf, daf« die Synoptiker die Zeugen, welche vor Gericht

m L '

5) Stork, in Flatt's Magazin, 4, S. 199,

6) TaotüCK und Oishaussx, z. d. St. .

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Erste« Kapitel. §. 113. 33.1

behaupteten, Jesus habe jenen Ausspruch gethan, als ?/'£* - doiiaQTVQctg bezeichnen, woraus er folgert, dafs Jesus so etwas, wie Johannes ihn hier sprechen lasse, gar nicht gesagt habe, und sich somit einer Erklärung der johannci- sehen Stelle überhebt, indem er sie als ein Figment des vierten Evangelisten betrachtet, weicher die Verleumdung jener Ankläger sowohl erklären , als durch eine mystische Deutung der Worte Jesu habe abwenden wollen 7). AU lein theils folgt aus der synoptischen Bezeichnung jener Zeugen als falscher nicht, dafs der Ansicht jener Evange- listen zufolge Jesus gar nichts von dem, wessen sie ihn beschuldigten, gesagt habe, da er es ja auch nur etwas anders gesagt oder anders gemeint haben kann, theils ist, wenn er gar nicht« der Art gesagt haben soll, schwer zu erklären, wie die falschen Zeugen auf jene Aussage, und namentlich auf das sonderbare iv zqioiv qfti(>cctg gekommen sein sollen.

Wenn hienach bei jeder Deutung des Ausspruchs, aus- ser bei der unmöglichen auf den Leib Jesu, das iv tqioiv muiQmß einen Anstois bildet: so werden wir, wie es scheint, auf diejenige Relation des Ausspruchs hingewiesen, in wel- cher jene Zeitbestimmung fehlt, d. h. auf die Relation der - Apostelgeschichte. Hier wird Stephanus nur beschuldigt, gesagt zu haben, Zu 7. o Aaf. izog xaxaXvou %6v tonov tötov (tqV uyiov)> xcci a?.Xu^€L tu t&r} a naQtdtJxe Mwvoijg. Das Falsche an dieser Aussage denn auch die Zeugen gegen Stephanus werden als ftaQtvQeg ipevötig .bezeichnet könnte der zweite Satz sein, welcher mit eigentlichen Wor- ten von einer Änderung der mosaischen Religionsverfas- sung spricht, und statt dessen Stephanus wohl in der oben ausgeführten figürlichen Bedeutung gesagt haben : xcd

nctltv olxoöo^au aviov, oder xcel akkov {ct%UQ07%olrp;ov*) oixodofi7}oei*

7) Probabil. p. 23 ff.

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Dritter Abschnitt.

Hatte nun in diesem Sinne auch schon Jesus jenen Ausspruch, aber ohne die Bestimmung der drei Tage, ge- than, und dadurch unter den Juden bedeutenden Anstofs erregt, so lag es nach seiner Auferstehung nahe, den bu zerstörenden und wiederaufzubauenden Tempel aJs Bezeich- nung des Leibes Jesu aufzufassen, um theils den jüdischen Beschuldigungen auszuweichen, theils eine Weissagung der Auferstehung mehr zu haben. Einmal aber den Ausspruch auf die Auferstehung bezogen, ergab es sich von selbst, dafs zuerst auch das bei der Bestimmung von dieser solenne tv tQioiv 7-fieQccig hineingetragen , und dann weiterhin das ukkov in avrov, das oixoöofii^oio in iyeQtj verwandelt wurde.

Wie hier durch das Bild vom abzubrechenden und neu aufzubauenden Tempel, so soll Jesus bei einer andern Ge- legenheit darch das Vorbild des Propheten Jonas auf seine Auferstehung im Voraus hingedeutet haben (Matth. IS, 39 ff. vgl. 10, 4. Lac. 11, 20 ff.). Als die Schriftgelehrten and Pharisäer ein oy^tiov von ihm za sehen verlangten , soll Jesus ihr Ansinnen durch die Erwiederung zurückgewiesen haben, dafs einer so schlimmen yevea kein Zeichen gege- ben werde, als xo orutlov Viovä nQoqtjjtu, welches in der ersten Stelle bei Matthäus Jesus selbst dahin erklärt: wie Jonas drei Tage und drei Nächte iv rfj xoiUcj xrjzag ge- wesen sei, so werde auch des Menschen Sohn drei Tage uud drei Nächte iv rfj xctQÖlcc rrtg yijg zubringen. An der eweiten Stelle, wo Matthäus Jesu diesen Ausspruch leiht, wiederholt er die angegebene Deutung nicht; Lukas aber in der Purallelstelle erklärt denselben nur so: xafrüg y&Q iyivtio \uiväg aijfUtov %olg Nivevtraigf Sriog igui xal o viog tu uvJqutih %r\ yevtfc zuvifr Gegen die Möglichkeit, dafs Jesus die Auslegung des Jonaszeichens, welche ihm Mat- thäus, V. 40., in den Mund legt, selbst gegeben habe, läfst sich Verschiedenes einwenden. Das zwar, dafs Jesus von drei Tagen und drei Nächten, welche er im Herzen der Erde zubringen werde, defswegen nicht habe sprechen

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Erstet Kapitel. .11*.

können, weil er nur einen Tag und awei Nächte im Grabe gewesen sei 8), wird sich schwerlich entgegenhalten las- sen , da der N. T. liehe Sprachgebrauch entschieden die Ei- genheit hat, den Aufenthalt Jetu im Grabe, weil er den Tilg vor dem Sabbat durch den Abend, und den nach dem Sabbat durch den Morgen noch berührte, einen dreitägigen EU nennen ; wurde aber einmal dieser Eine Tag sammt awei Wächten für drei volle Tage genommen, so war es nur eine Umschreibung dietes Voll* eins, dafs au den Ta- gen auoh noch die Nachte gesetzt wurden, was sich ohne- hin in der Vergleichung mit den drei Tagen und Nächten des Jonas von selbst ergab9). Dagegen wäre es, wenn Je»us von dem or^itiov >lwvü die iJ^klärung gab , weiche ihm Matthäus leiht, eine so klare ^Voraussagnng seiner Auferstehung gewesen, dafs aus denselben Gründen, wei- che nach dem Obigen den eigentlichen Voraus Verkündigun- gen derselben entgegenstehen, Jesus auch diese Erklärung nicht gegeben haben kann. Jedenfalls mufste sie die nach V. 40. anwesenden Jünger au einer Frage an Jesum ver- anlassen, wo sich dann nicht einsehen läfst, warum er ih- nen die Sache nicht vollends klar gemacht, also mit eigent- lichen Worten seine Auferstehung vorherverkündigt haben sollte. Kann er aber dlefs nicht gethan haben, weil sonst die Jünger nach seinem Tode sich nicht so benommen ha- ben könnten, wie sie sich den evangelischen {Nachrichten eu folge benahmen: so kann er auch nicht durch jene Ver- gleichung des ihm bevorstehenden Schicksals mit dem des Jonas eine Frage der Jünger hervorgerufen haben, welche er, wenn sie an ihn gestellt wurde, auch beantworten m nis- te, aber dem Erfolge nach nicht beantwortet haben kann.

Aus diesen Gründen hat sich die neuere Kritik dahin ausgesprochen, dafs die Matthfliscbe Erklärung des ar^tiov

8) Paulus, exeg. Handb. t. A, St.

9) vgl. Km rzscaK und Olshauskn, 2. d. St,

Das Leben Jesu 2t< AaJL 11. Band. 2*

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Dritter Abschnitt.

WJ eine pe$t evetHun vom Evangelisten gemachte Deu- tong sei, welche er fälschlich Jesu in den Mund lege »°). Wohl hat hienach Jesus die Pharisäer auf das arfteiov lomx ▼erwiesen, aber nur in dem Sinn, In welchem es Lukas Ihn erklären lifat, dafs, wie Jonas selbst, seine blofse Ge- genwart und seine Büßpredigt, ohne Wunder, den Ninevi- ten als göttliches Zeiohen genügt habe: so auch seine Zeit- genossen, statt nach Wunderzeichen zu haschen, sich an seiner Person und Predigt genügen lassen sollen. Diese Auffassung ist die einzige dem Zusammenhang der Rede jegu auch bei Matthäus und näher der Parallele zwi- schen dem Verhfiltnifs der Mneviren zu Jonas und dem der Königin des Sodens zu Salomo abgemessene. Wie es die OMfla loXofidtvog war, durch welche die letztere von den En- den der Erde sich herbeigezogen fühlte: so bei Jonas auch nach dem Ausdruck des Matthäus lediglich sein xiQry{ia, auf welches hin die Nineviten Bufse thafen. Das Futurum in dem Satze bei Lukas: Stoj£ igai xai 6 vlog r. a. rfj yeveijr ravtr] Carjietov) j *on welchem man glauben möchte, es könne nicht auf den gegenwärtigen Jesus und seine Pre- digt, sondern müsse auf etwas Künftiges, wie seine Aufer- stehung, bezogen werden, geht in der That nur auf die künftige xQioiQy in welcher sich hervorstellen wird, dafs, wie für die Nineviten Jonas, so für die damals lebenden Ju- den Jesus als orjteiov berechnet war. Frühzeitig mufs jedoch, wie wir aus dem ersten Evangelium ersehen, dem Schicksale des Jonas eine typische Beziehung auf den Tod und die Auferstehung Jesu gegeben worden sein, indem die erste Gemeinde für die so anstöfsige Katastrophe ihres Messias mit Ängstlichkeit überall im A. T. Vorbilder und Weissa- gungen aufsuchte.

Noch einige Aussprüche Jesu linden sich im vierten

10) Pavuh, oxcg. Handb. 2, S. 97 IT. Scamt, über das Abendm. 8. 517 f.

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Erste« Kapitel« §« Hl S3U

Evangelium, welche sehen als verhüllte Weissagungen der Auferstehung gefaist worden sind, Die Rede vom Wal- tcjikora zwar, 12, 24, bezieht sich an augenscheinlich nur auf das du roh seinen Tod eil fördernde Werk Jesu, als dafs sie hier weiter In Betracht kommen konnte» Aber in den johanneischen Abschiedsreden finden sich einige Aus- sprüche, welehe noch immer Manche Von der Auferstehung Verstehen möchten« Wenn Jesus sagt t ich Herde euch nicht verwaist lassen, ich komme zu euch; noch kurze Zeit, so sieht die Welt mich nicht mehr, ihr aber sehet mich ; Uber eiu Kleines , so werdet ihr mich nicht mehr sehen, und wieder über ein Kleines f so werdet Ihr mich sehen u. f. (14, 18 ff* 16, 10 Ü.) i so glauben Manche, die- se Reden, mit dem Verhültnifs von (4i*Qvv rat nuhv fuxnor, mit dem Gegensätze zwischen tfiffavi&ur r^lv Uöifc fia^r^ taig) xal Wi-ty xoow, dw» .von gan* persönlichem Wiedersehen lautenden nuliv aif/Ofial und o^adi4 können Auf nichts Anderes,, als auf die Auferstehung bezogen wer- den, weiche eben das kurz auf das lichtscheu gefolgte Sehen , und, zwar ein persönliches und auf die Freunde Jesu eingeschränktes, gewesen M"> Allein dieses ver* heilsene Wiedersehen beschreibt Jesus hier zugleich auf eine Weise, welche für die Tage der Auferstehung nicht ganz passen will- Wenn das oh iyu fu> (14, 19«) seine Auferstehung bedeuten soll: so weifs man gar nicht, was in diesem Zusammenhange das xai vfteis ^oeot/e heilsen will; wenn Jesus sagt, bei jenem Wiedersehen werden seine Jünger sein Verhaitnife cum Vater erkennen, und ihn nichts mehr zu fragen brauchen (14, 20* lfr> 23. Ja so machten sie ja noch am letzten Tage ihres Zusammenseins mit ihm nach der Auferstehung eine, nnd zwar im Sinne des vierten Evangeliums recht unverständige, Frage an Ihn CA- G. 1, ö.); endlich, wenn er verspricht, dais zu dem-

11) StSKiM», a. a. O. S. 184 ff«

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Dritter Abschnitt.

jeiiigen, der ihn liebe, er und der Vater kommen und Wohnung bei ihm machen werden: so wird vollends klar, dafs Jesus hier nicht von einem leiblichen , sondern von seinem geistigen Wiederkommen durch den naQctyJ.r/io^ redet 1 :). Hat jedoch auch diese Erklärung ihre Schwie- rigkeiten, indem hinwiederum das otpta&i fite und otpopai Taug auf jene blofs geistige Wiederkunft nicht ganz passen will : so müssen wir die Lösung dieses f cheinbaren Wi- derspruchs auf die genauere Beleuchtung dieser Aussprü- che an einer späteren Steile versparen, und erinnern einst- weilen nur, dafs aus den johanneischen Abschiedsreden, deren 'tJutermlschung mi eignen Gedanken des Evangeli- sten jetzt selbst von Freunden des vierten Evangeliums zu- gestanden ist, am wenigsten ein Beweis in dieser Sache genommen werden kann.

Nach allem diesem könnte der Ausweg noch übrig bu sein scheinen, dafs Jesus zwar allerdings Aber seine künftige Auferstehung sich nicht geäussert, nichts desto weniger aber sie für sich vorhergewufst habe. Wufste er seine Auferstehung vorher*, so wufste er sie entweder auf Übernatürliche Weise, vermöge des ihm in wohnenden pro* phe tischen Geistes, höheren Princips, wenn man will, seiner göttlichen Natur: oder er wufste sie auf natürliche Weise, durch verständige menschliche Überlegung. Allein ein Übernatürliches Vorherwissen jenes Ereignisses ist auch hier, wie in Beziehung auf den Tod, wegen der Beziehung - undenkbar, in welche Jesus dasselbe zum A. T. setzt. Nicht blofs in Stellen nämlich, wie Luc. 18, 31, welche, als Vorhersagungen, nach dem Ergebnifs unsrer letzten Untersuchung, uns schon nicht mehr als historisch gelten Können , stellt Jesus seine Auferstehung, wie sein Leiden und seinen Tod, als ein teleadfjvat fidvtwv tiov yeyQaft— fttrotv öia tiov TtQOtyqttov no vif* zu är&Qiotö dar, son-

12) s. Li'cits, z. d. St.

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Erstes Kapitel. §. 113. 341

«lern auch nach dem Erfolg hält er den an seiner Aufer- stehung Zweifelnden Jüngern vor, sie halten glauben sol- len feVu nüoiv ois tkulyoav ol TSQOi^zat, dafs nämlich 7 av— tu fiJf^ nuSup zov JYoicov, xai tlot l&bTv H$Trdv dogav ainu (Luc. 24, 2$ f.). Laut des Verfolgs der Erzählung hat Jesus sofort «diesen Jüngern (den Emmauntischen) alle von ihm handelnden Schriftstelten , a^djutvog €tni Mtüoeu>g not und nuintav tu/v rcQoqirpüv , woen weiter unten auch noch die tfrtX/twl gesetzt werden (V.,j45.), ausgelegt; im Einzei- nen jedoch wird uns keine Ste(|e angegeben , welche und wie sie Jesus auf seine Wiederbelebung gedeutet hätte, ausser dafs aus Matth. 12, 39 f. folgen würde, er habe das Schicksal des Propheten Jonas als Vorbild des seinigen betrachtet , und aus der späteren apostolischen Deutung, als muthmafsiichein Nachhall der seinigen, geschlossen wer- den könnte, dafs er, wie nachmals die Apostel, thaupts sch- lich in Ps. 10, 8 ff. (A.G. 2, 25 ff. 13, 35.), Jes. 53. (A.G. 8, 32 ff.), Jes. 55, 3. (A.G. 13, 34.), und dann etwa noch in Hos. 6, 2. solche Weissagungen gefunden habe. Allein das Schicksal des Jonas hat mit dem Schicksal. Jesu nicht einmal recht eine «usseriiche Ähnlichkeit, und das ihn be- treffende Buch trägt seinen Zweck so sehr in sieh selber, dafs derjenige es gewifs nicht nach seinem wahren Sinn und der Absicht seines Verfassers deutet, der ihm oder einem Zuge desselben eine vorbildliche Beziehung auf Er- eignisse der Zukunft unterlegt 4 Jes. 55, 3. ist so augen- scheinlich heterogen, dafs man kaum begreift, wie die Stelle nur mit der Auferstehung Jesu; bat in Beziehung gebracht werden können; Jes. 53. bezieht sich entschieden auf ein in immer neuen Gliedern wiecjeraullebendes Collektlvsub- ject; Hosea 6. unverkennbar bildlich auf Volk und Staat Israel ; endlich die Hauptstelle, Ps. kann nur auf ei- nen Frommen gedeutet werden, welcher durch Jehova's Hülfe einer Todesgefahr zu entrinnen hofft, und zwar nicht in der Art, dafs er, wie Jesus, aus dem Grabe wieder her-

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I

Drittel» Abschnitt,

vorgehen , sondern gar nicht wirklieh in dasselbe verseht werden würde, versteht sieh, diele nur vor der Hand, und mit dem Vorbehalt, seiner Zeit Allerdings der Natur den Tribut so entrichten xl)> was auf Jesu m wiederum nioht passen würde, Hatte also ein übernatürlich** Princip in Jesu , ein prophetischer Geist , ihn in diesen A. T. liehen Geschichten und Stellen eine Vorandeutung seiner Aufer- stehung finden lassen; so könnte, da in keiner derselben eine solche Beziehung wirklich liegt, der Geist in ihai nicht der Geist der Wahrheit , sondern er nftoTste ein La- gengeist gewesen sein, das Uber natürliche Prineip in Ihm nioht ein göttliches, sondern ein dämonisches. Bleibt, um dieser Consequen* zu entgehen , dem ftir verständige Aus- legung des A. T. zugänglichen Swpranaturalisten nichts übrig, als das Vorherwissen Jesu Von seiner Auferstehung als ein natürlich- menschliches zu betrachten; so war die Auferstehung, als Wunder 'genommen, ein Geheimnifs des göttlichen« Rathschlusses, in weiches einzudringen dem menschlichen Verstatide vor dem Erfolg unmöglich wer; als natürlicher Erfolg angesehen aber war sie der unbere- chenbarste Zufall, wenn man nicht einen von Jesu und sei- nen Verbündeten planmäfsig herbeigeführten Scheintod an« nehmen will,

Also naoh dem Erfolg erst ist so Voraussicht wie Voraussage der Auferstehung Jesu beigelegt, und nun war es auch bei der bodenlosen WillkUhr jüdischer Exegese den Jüngern und Verfassern der N. T. liehen Schriften ein Leichtes, im A. T. VorbiMer und Weissagungen auf die Wiederbelebung ihres Messlas aufzufinden. Nicht als oh sie diefs mit schlauer Absichtlichkeit, und selbst von der Nichtigkeit ihrer Auslegungs- und Schlufsweise überzeugt, gethan hfttten, wie der Wolfenbüttler Fragmentist und An- dre seinesgleichen lüstern ; sondern wie es dem, der in die

13) «. as Witts, Comm, über Ftatmea, S, m,

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Erstes Kh|Mtei. §. IM. iM.i

Sonne gesehen, ergeht, dafs er noch längere Zeit, wo er hinsieht , ihr fiild erblickt: so cahen sie, tlurch ihre II* geisterung Für den neuen Messiaa« geblendet, in dem einai- gen Buche, das sie lasen, dem A. T.f Um übereil, pnd ih- re, in dem wahren Gefühl der Befriedigung If^iter ^Bedürf- nisse gegründete Öberaeugung, cfafo JesuSlder! Messias sei, ein Gefühl nnd eine Übersendung *lie aach wir noch eh- ren, griff, sobald es sich um i rfloiionsomfsige Beweise handelte, nach Stützen, welche längst gebrochen sind, und selbst durch das eifrigste Bemühen einer hinter der Zeit zurückgebliebenen Exegese nicht mehr heJt»ajn -gemacht werden können. « > ■■ ■» fl.*« ' ^osn l.* «

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./» r. &• 114- »i.^ . L «I nf ,:•*.* »vi. .

Die Reden Jesu von seiner Farusie. . Kritik der ve*ßhieV i . .. denen Auslegungen, ,„ ; .

i Doch nicht allein dafs er drei Tage) nach seinem To- de wieder aufleben werde, um sich seinen freunden »u «eigen, sondern auch, dafs er später einmal, mitten in der Drangsalszeit , welche auch die Zerstörung des Tempels in .Jerusalem herbeiführen sollte , in den Wolken des Himmeis kommen werde, um die gegenwärtige W eitn er iode abzu- schließen, und durch ein allgemeines Gericht die künftige zu beginnen, hat Jesus den evangelichen IN ach richten zu- folge vorausgesagt (Matth. 24. und 25. Marc. 13. Lue. 17,

22-37. 2.1, 5-Sft.)., :. ^

Als, Jesus aum ietztenmale aus dem Tempel gieugA<W kas hat diese liestimmung nicht) und seine Jünger (Lu- kas unbestimmt : Einige) ihn auf den herrlichen ßau be- wundernd aufmerksam machten, gab er. ihnen die Versi- cherung, dafs alles, wie sie et da beben, von Grund aas serstört werden würde (Matth. 24, 1. 2. parall.). Auf die Frage der Jünger, wann diefs gesel eben, und was das Zeichen der ihrer Ansicht nach damit zusammen hangenden Ankunft des Messias sein werde (V. hh warnt..*« J««Os,

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344 ' J)riifer Abschnitt

»loh nicht durch Leute, welche sich fälschlich ftr den Messias ausgeben, und Horch die Meinung , gleich nach den eisten Vorzeichen müsse die erwartete Katastrophe folgen , irreführen eu lassen ; denn Kriege und Kriegs^e- rttchte, Kampfe von Volkern und Reichen gegeneinander, Ilungersnoth, Pest und Erdbeben da and dort, seien nur die ersten Anfange des Elendes, welches der Ankunft des Messias vorangehen werde f V. 4— S.V Auch sie selbst, seine Anhänger werden zuvor noch Hafs, Verfolgung und Muri Aber «Coli ergehen lassen müssen ; Treulosigkeit, Verrat Ii, Täuschung durch falsche Propheten, Lieblosigkeit und all- gemeines Sittenverderben werde unter den Menschen einreis- ten , zugleich aber müsse die Botschaft vom Messiasreich noch vorher in der ganzen Welt verkündigt werden ; naoh allem diesem erst könne das Ende der jetzigen Weltperio- de eintreten, auf welches mit Standhaftigkeit harren müs- se, wer an dem (il ticke der künftigen Antheil bekommen wolle (V. D 34.). Ein näheret Vorzeichen schon von dieser Katastrophe sei die Erfüllung des Danielischen Ora- keis (9, 27.) von dem an heiliger Stätte aufzustellenden VepwUstungsgvtfuel (nach Lukas, 11, 10, die Umstellung Jerusalems durch Kriegsheere) ; wenn dieses eintrete, dann sei es (nach Lukas, weil die Verödung Jerusalems be- vorstehe, weiche Luc. 1U, 4* f, in einer Anrede Jesu an die Stadt durch moißaXuotv iyßQol oa ydtQaxd ooi , *cu neQixvxltüO'dol jjae ycd owl^aoL 06 ndvso9er , x«i idacptSoi ce x<w ra rikva er ooi, *al ix affoaoi* iv ooi Xidov inl ?.l0':> näher bestimmt ist) die höchste Zeit sur schleu- nigsten Flucht, bei welcher alle am schnellen Fortkommen Gehinderte eu bedauern, und von welcher, dafs sie in kei- ne ungünstige Zeit fallen möge, angelegentlich eu wünschen sei; denn es trete dann eine beispiellose Draugsalf seit ein (uaoh Luc. V. 14. hauptsächlich darin bestehend, dafs vom Volk Israel viele umkommen, andere gefangen weggeführt, Jerusalem aber eine vorherbestimmte Periode hinduruh

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. Erstes Kapitel. $. 114. S45

von Heiden zertreten werden werde) , weiche nnr durch rnadenvolle Abkürzung ihrer Dauer von Seiten Gottes aas Kucksicht auf die Erwählten erträglich werde (V. 15—32 ). Um diese Zeit werden falsche Propheten und Messiase ilarcli Wunder und Zeichen zu täuschen suchen, und da oder dort den Messias zu seilen versprechen : da doch ein Messias , der irgendwo verborgen wäre und aufgesucht werden inübte, kein wahrer sein könne, indem dessen An«* Icunft wie dts Leuchten des Blitze» eine plötzliche, überall- hin dringende Offenbarung sei, und ebensobakd sich um ihn die bestimmten Anhänger sammeln werden (V. 2S 28 ). Unmittelbar nach dieser Drangsalszeit werde sich ii «in durch Verfinsterung von Sonne und Mond, durch Herabfallen der Sterne und Ergchfltterung aller Kräfte des Himmels, die Krscheinuog des Messias einleiten, welcher sofort zum Schrecken der Erdenbewohner mit grofser Herrlichkeit in Jen Wolken des Himmels daherkommen, und alsbald durch Engel mit Trompetenscball seine Er- wählten von allen Enden der Erde zusammenrufen lassen werde (V. 2t>— 3I.V An den vorgenannten Zeichen sei die Nähe der angegebenen Katastrophe so sicher, wie an dem Ausschlagen des Felgenbaums die Nähe des Sommers, zu erkennen ; noch das gegenwärtige Zeitalter werde , bei al- lem wa9 sicher sei, das Alles erleben, obgleich der genaue- re Termin nur Gott aliein bekannt sei (Y. 32 -3G.). Wie aber die Menschen seien (das Folgende haben Markus und Lukas theiis gar nicht, theils nicht in diese» Zusammen- hang), so werden sie auch die Ankunft de« Messias, wie einst die der ndfluth , mit leichtsinniger Sicherheit her- anrucken lassen (V. 37—39.): und doch werde es ein äusserst kritischer Zeitpunkt sein, der diejenigen , welche in den nächsten Verhältnissen gestanden, ganz entgegen- gesetztem Loos Uberantworten werde (V. 40. 41.)« Darum #ei Wachsamkeit noth (V. 42.), wie imizer, wenn von ei- nem entscheidenden Erfolge der Zeitpankt seines Eintref-

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Dritter Abschnitt.

fens unbekannt sei; was sofort durch des Bild vom Haus- herrn und Dieb (V 43. 44.), vom Knechte, dem der ver- reisende Herr die Aufsieht über das Hauswesen anver- traut (V. 45— 51.> 9 forner von den klugen und thörichten Jungfrauen (25, 1 13.)» endlieh von den Talenten (V. 14 —30.), veranschaulicht wird. Hierauf folgt eine Beschrei- bung des feierliehen Gerichts , welches der Messias Uber alle Völker halten, und in welchem er nach der Rücksicht, oh einer die Pflichten der Menschenliebe beobachtet oder hintangesetzt habe, Seligkeit oder Verdammnid zuerkennen werde (V. 31—46.) x).

In diesen Reden kündigt also Jesus bald (ev&iü>Q, 24, 20.) nach derjenigen Drangsal , in welcher wir ( nament- lich nach der Darstellung des Lukasevangeiiums) die Zer- störung Jerusalems und seines Tempels erkennen müssen, und so, dafs es die Generation seiner Zeitgenossen (/ yfved nvrr V. 34.) noch erleben werde, seine sichtbare Wiederkunft in den Wolken und das finde der gegen- wärtigen Zeitperiode an. Da nun bald vor 1800 Jahren die Zerstörung der jüdischen Hauptstadt erfolgt, und eben- solange her die Zeit Genossen schuft Jesu ausgestorben, seine sichtbare Wiederkunft aber und das von ihm mit dersel- ben in Verbindung gesetzte Weltende noch immer nicht ein- getreten ist: so scheint insofern die Vorherverkündigung Jesu eine irrige gewesen zu sein. Schon in der ältesten christlichen Zeit, da die Wiederkunft Christi sich langer verzog , als man sich gedacht hatte , standen, nach 2. Petr. 3, 3 f. Spötter mit der Frage auf: i$iv jj inayytlia Tijg nccQaolag ccinö; afp ijg yaQ oi naztoeg ixoifiTj&qoa*, nana Uro) diuuivu an aQzijs xrlaewg. In neuerer Zeit ist die nachtheilige Folgerung , welche aus dem bezeichneten Verhaltnifs gegen Jesum und die Apostel sich scheinbar

1) Vgl. Uber den Inhalt und Zusammenhing dieser Heden Kritische, in Matth, p. 695 ff. +t.

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Erstes Kapitel. $. 114. 347

ziehen iKüt, von Niemand schneidender ausgesprochen wor- den | als von dein WolfenbUttler rragmentisten. Keine Verheissung in der ganzen Schrift, meint er, sei auf der einen Seite bestimmter vorgetragen, auf der andern offen- barer falsch befunden worden, als diese, welche doch eine der Gmndsaulen des gesanimten Christenthums bilde. Und zwar sieht er darin -nicht einen blofsen Irrt haut , sondern einen absichtlichen Betrug der A postej (denen , und nicht Jesu selbst, er jenes Versprechen und die es enthaltenden Reden zuschreibt), hervorgegangen aus der Notwendig- keit, die Leute, von deren Beitrügen sie ihren Unterhalt stieben wellten,' durch das Versprechen einer nahen Beloh- nung annolocken, und kennbar an der Kahlheit, mit wel- cher sie den aus dem allzulangen Verzug der Wiederkunft Christi erwachsenden Zweifeln , wie Paulus im 2ten Tbes- salonioherbrief durch Versteckspielen mit dunkeln Redens- arten , und gar Petrus in seiner zweiten Epistel durch das Ungeheure einer Berufung auf die göttliche Zeitrechnung, in welcher 1000 Jahre m einem Tage seien , zu entgehen suchen

Der tödtlichen Wunde , welche man durch solche Fol- gerungen aus dem vor uns liegenden Abschnitte dem Chri- stenthum beibringen wollte , mufste natürlich die Exegese auf jede Weise äusau beugen suchen. Und zwar naher, in- dem der ganze Knoten darin besteht, dafs Jesus mit etwas nunmehr längst Vergangenem in unmittelbaren Zeitzusam- menhang etwas noch immer Zukünftiges au setson scheint, so waren die drei Auswege möglich : entweder zu liugnen, dafs Jesus cum Theii auch von etwas jetzt schon Vergan- genem spreche, und ihn von lauter noch immer Zukünfti- gem reden zu lassen ; oder au Jfiognen , dafs ein Theil sei- ner Rede etwas noch jetzt Zukünftiges betreffe, somit die Ijanze Voraussagung auf etwas bereits hinter uns Liegen-

2) Vom Zweck Jesu und iciner Jünger, S. 184. 201 *? 207 ff.

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Dritter Abschnitt.

des ru beistehen; oder endlich «war su zugeben, dafs der Vortrag Jesu theil* auf Solches , was uns schon ein Ver- gangenes , theils auf Solches , was ans noch ein Zukünf- tiges ist, sich besiehe, aber suläugnen, dafs er «wischen beidem eine unmittelbare Zeitfolge behauptet habe.

In der urehristiichen Erwartung der W iederkünft Christi noch lebend, und sogleich in geregelter Exegese nicht so geübt , um Über einige Härten einer sonst erwünschten Er- klärung nicht hinwegsehen su können , besogen einige Kir- chenväter, wie Irenaus und Hilarius 3), den ganzen Ab- schnitt von seinem Anfang Matth. 24» bis su seinem Ende Kap. 2."» , auf die noch bevorstehende Wiederkunft Christi zu na Gericht. Allein, indem diese Auslegungsweise so- gleich einräumt, von vorne herein habe Jesus als Typus dieser leteten Katastrophe die Zerstörung Jerusalems ge- braucht: so giebt sie damit sich selbst wieder auf, denn was heifst jenes Zugeständnifa anders, als dafs der Anfang der fraglichen Reden zunächst den Eindruck mache , wie wenn von der Zerstörung Jerusalems, also etwas bereits Vergangenem, die Rede wäre, und dafs nur eine weitere Reflexion und Combination demselben eine Besiehung auf etwas noch in der Zukunft Liegendes geben könne.

Der neuere Rationalismus , welchem in seinen natura- listischen Auffingen jede Hoffnung auf die Wiederkunft Christi su Nichte geworden war, und welcher, um das ihm Mi Ts fall ige aus der Schrift wegzubringen, jede exege- tische Uewaitthat sich erlaubte , warf sich defswegen auf die entgegengesetzte Seite, und wagte den Versuch, die be- treffenden Reden Jesu in ihrem gansen Verlauf nur auf die Zerstörung Jerusalems , und was ihr sunachst voran- i i

5) Jener adv. haeres. 5, 25; dieser Comm. in Matth, r. d. St. Vergl. über die verschiedenen Auslegungen dieses Abschnitts das Verzeichnist bei Schott , Coinmcntarius in eos J. Chr. sermones, qui de reditu ejus ad judicium agunt, p. 75 ff.

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Erstes Kapitel. §. 114. 349

gieng und folgte , zu beziehen 4). Dieser Auslegung au- folge soll das Ende, von welchem die Rede ist, nur das Aufhören der jüdisch -heidnischen Wel Gestaltung; das von der Anknnft Christi in den Wolken Gesagte nur bildliche Bezeichnung der Verbreitung und des Siegs seiner Lehre ; die Versammlung der Völker cum Gericht und die Verwei- sung der einen in die Seligkeit, der andern in die Ver- dammnhaein Bild für die beglückenden Folgen sein, wel- che die Aneignung der Lehre und Sache Jesu, und für die Übel, welche die Gleichgültigkeit oder gar Feindschaft ge- gen dieselbe mit sich führe. Aliein hiebei wird ein Ab- srand der Bilder von den Ideen angenommen , der sowohl an sich unerhört, als im ßesondern hier nicht denkbar ist, wo Jesus EU jüdisch Gebildeten redend, wissen mufste, dafs sie, was er von Ankunft des Messias in den Wolken, vom Gericht und Ende der gegenwärtigen Weltperiode sagte, im eigentlichsten Verstände nehmen würden.

Lufst auf diese Weise die Rede Jesu ihrer ganten Länge nach weder auf die Zerstörung des jüdischen Staats, noch auf die Vorgänge am finde der Dinge sich beziehen : so roüfste sie auf etwas von beidem Verschiedenes bezogen werden , wenn jedesmal an einem und ebendemselben Zug jene gedoppelte Unmöglichkeit haften würde. So aber liegt die Sache nicht, sondern während auf das ferne Ende der Weit nicht bezogen werden kann, was Matth. 24, 2. X 15 ff. von Verwüstung des Tempels u. s. w. gesagt wird : kann umgekehrt auf die Zerstörung Jerusalems das nicht gehen, was 25, 31 ff. von dem durch des Menschen Sohn r.u haltenden Gerichte verkündigt ist. Indem hienachin der Rede Jesu von vorn herein die Beziehung auf die Zerstö- rung Jerusalems , nach hinten au aber die auf das finde

4) Bahrdt, Ubcrsetmr.g des N. T., 1, S. 1103, 3te Ausg.; EcKSRMAxy, Handbuch der Glaubenslehre, 2, S. 579. 3, S.427. 437. 709 iL, und Andere, bei Scuott, a. a. 0.

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350 Dritter Abschnitt«

der Dinge die vorwiegende ist: so wird eine T hei hing mög- lich, in der Art, d*fs der erste Theil der Rede auf jenen näheren , der zweite auf diesen entfernteren Erfolg bezo- gen werden kann. Di eis ist der von den meisten neueren Kxegeten eingeschlagene Mittelweg , bei welchem es sich nur fragt, wo der Einschnitt so machen ist, welcher beide Theile von einander trennt. Da es eine Spalte sein müfs- te9 in weiche voraussetz lieh die ganze Zeit von der Zerstö- rung Jerusalems bis cum jüngsten Tag, also muthmafslich ein Zeitraum von mehreren Jahrtausenden, hineinfiele: so sollte sie, mufs man denken, kenntlich bezeichnet, und folglieh leicht und mit Übereinstimmung zu finden sein. Es ist kein gutes Vorzeichen für die ganze Voraussetzung, dafs man diese Übereinstimmung vergeblich sucht, vielmehr an den verschiedensten Ortern der Rede Jesu jener Ab- schnitt gefunden worden ist«

Da auf der einen Seite so viel entschieden zu sein schien, dafs wenigstens der Schiufa des 25ten Kapitels, Ten V. 31. an, mit den Reden von dem feierlichen Gerichte, welches der Messias, von den Engeln umgeben, über alle Völker halten werde , nicht auf die Zeit der Zerstörung Jerusalems bezogen werden könne; so glaubten manche Theologen hier die Granze abstecken, und bis 25, 30. zwar die Beziehung auf das Ende des jüdischen Staates festhal- ten zu können, von da an aber zum Weltgericht am Ende der Dinge (Ibergehen zu müssen s). Auffallen mufs bei die- ser Erklärung schon diefs, die grofse Kluft, welche der- selben zufolge zwischen 25, 30. und 31. stattlinden mtifste, durch ein einfaches dt bezeichnet zu sehen. Dann aber

5) So Lichtfoot, x. d. St.; Flatt, Comnt. de notione voci* ßaotXita Tt3r »Qarwv, in Vklthuskiv's u. A. Sammlung, 2, 461 ff. ; Jahn, Erklärung der Weissagungen Jesu von der Zerstörung Jerusalems n. 9. w. , in BtKtti's Archiv 2, i> S. 79 ff.1, und Andere, ». bei Schoit, S. 75 f.

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Erstes Kapitel« $- 114. SSI

wird hiebe! nicht nur das von Sonnen und Mondsfinster* nissen, Erdbeben, and herabfallenden Sternen Gesagte als blofses Bild für den Untergang des jüdischen Staats und Cultns erklärt, sondern, dafs 24, 31« vom Messias gesagt i«t, er werde auf den Wolken kommen, das soll hei s- sen: unsichtbar; mit Macht, das heifse: nnr durch seine Wirkungen bemerkbar; mit vieler Herrlichkeit, d.h. mit einer solchen, die aus jenen Wirkungen werde erschlossen werden können; die alle Völker zusammentrompetenden äyyeloi aber sollen die predigenden Apostel sein *).

Füllt hiemit der Versuch, von hinten herein gehend bpi 25, 30. abzutheilen, durch die Unfähigkeit, das weiter vorwärts Liegende zu erklären, in sich selbst zusammen: so lag es nahe , von vorne herein zu sehen , bis wohin die Beziehung auf die nächste Zukunft nothwendig festzuhal- ten sei, und da ergab sich der erste Ruhepunkt hinter 24, 28. ; denn was bis dahin von Krieg und andrer Not h, vom (ira'uel im Tempel, von der Nothwendigkeit schleuni- ger Flucht, um beispiellosem Elend zu entgehen, gesagt iht , das kann aus der Beziehung zur Zerstörung Jerusa- lems ohne die gröfste Gewalt nicht gerissen werden; was aber folgt, vom Erscheinen des Menschensohns in den Woi- K'-n u. s. f., erheischt eben so dringend eine Beziehung auf die letzten Dinge 7 ). Hiebei jedoch scheint es zuvörderst un- begreiflich, wie man den ungeheuren Zeitraum, welcher auch bei dieser Erklärung zwischen den einen und andern Theil der Rede fällt, gerade zwischen zwei Verse hineinlegen kann , welche Matthäus durch eine Partikel der kürzesten Zeit Cfv&iwg) verbindet. Man hat diesem Ubelstande durch die Behauptung auszuweichen versucht , dafs ev&ewg hier nicht die schnelle Folge der einen Begebenheit auf die an-

6) So namentlich Jahn, in der angeführten Abh.

7) So Stork, Opusc. acad. 3, S. 54 fT. Pauipi, exeg. Handb. 5, a, S. 546 f. 402 f.

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Dritter Abschnitt

dere, sondern nur das unerwartete Eintreten eines Ereig- nisses bezeichne, #und also hier nur so viel gesagt werde: plötzlich einmal (unbestimmt, wie lange) nach jenen Be- drängnissen bei der Zerstörung Jerusalems werde der Mes- sias sichtbar erscheinen. Abgesehen davon jedoch, dafs eine solche Deutung von iv&iwg , wie ülshaüsen richtig sieht, ein blofser Nothbehelf ist, so ist durch dieselbe nicht einmal wirklich geholfen, indem nicht allein der parallele Markus V. 24. durch sein iv ixeivatt; Talg yfUQuig ftera tjJv Mtpiv ixüvrp die von hier an gemeldeten Erfolge in dieselbe Zeitreihe mit den zuvor erzählten verlegt, sondern auch kurz hernach übereinstimmend in allen Relationen (Matth. V. 34. parall.) die Versicherung sich findet, alles diefs werde noch von der gegenwärtigen Generation erlebt werden. Da auf diese Weise der Annahme, dals von V. 29. an Alles auf die Wiederkunft Christi cum Welt- gericht gehe, durch den 34ten Vers Vernichtung drohte : so wurde nunmehr, wie schon der Wolfonbüttler klagt 8), das Wort yevfd gefoltert, dafs es der Voraussetzung nicht mehr entgegen sein sollte« Bald mufste es die jüdische Nation y), bald die Anhangerschaft Jesu 1 ) bedeuten, und von der einen oder andern sollte Jesus sagen , sie werde, unbestimmt in der wievielten Generation, bei in Eintritt jener Katastrophe noch vorhanden sein. So den gedachten Vers zu erklären , dafs er eine Zeitbestimmung gar nicht enthalte, soll selbst nothwendig sein in Rück- sicht auf den gleichfolgenden 35ten ; da nämlich in diesem Jesus den Zeitpunkt jener Katastrophe zu bestimmen für unmöglich erkläre, so könne er nicht unmittelbar vorher eine solche Bestimmung gegeben haben durch die Versi- cherung, dals seine Zeitgenossen noch Alles erleben wür-

8) a. a. O. S. 188.

9) Sromn, a. a. O. 8. 39. 116 ff. 10) Faulu*, z. d. St.

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Ente« Kapitel. $. 114.

Jen. Indefr diese angebliche Nurhigung, dag ymi to EU deuten, ist längst aus dem Wege geschafft durch die Unterscheidung zwischen der ungefähren Bezeichnung des Zeitraums, Aber den das fragliche Ereignifs nicht hinaus« fallen werde (yerea), welche Jesus giebt, und der genauen Bestimmung des Zeitpunkts Oy» xoi c3n«), in welchem es eintreten werde , die er nicht geben zu können \ ersi- chert ")• Doch selbst die Möglichkeit, ye*M auffeine der an- gegebenen Arten zu deuten , verschwindet', wenn man er- wägt, dafs in Verbindung mit einem Verbum der Zeit und ohne sonstige Bestimmung yevea unmöglich eine andre als seine ursprüngliche Bedeutung: Generation, Zeitalter, ha- ben kann; dafs in einen Zusammenhang, welcher die Za kunft des Messlas durch Zeichen sin bestimmen sucht, ein Ausspruch Obel passen Wörde, der ^ statt Uber den Ein- tritt jener Katastrophe etwas auszusagen, vielmehr von der Dauer des jüdischen Volks oder der christlichen Gemeinde bandelte, von welcher gar nicht die Rede war ; dafs auch schon V. 33. in dem v/tielg oiav tdyte nuvxa tavta, ytvdoxBTB x. %. X. vorausgesetzt ist, die Angeredeten wür- den die Annäherung des fraglichen Ereignisses noch erle- ben; endlich , dafs an einer andern Stelle (Matth. 16, 28. parail.) die Versicherung, die Ankunft des Menschensohne noch eu erleben, statt von der yevea avtq geradezu von vial tdiv ude igvitiov gegeben wird, wodurch aufs Ent- scheidendste dargethan ist, dafs Jesus auch an unerer Stelle unter jenem Ausdrucke das Geschlecht seiner Zeitgenossen verstanden hat , welches noch nicht ausgestorben sein soll- te , bis jene Katastrophe eintreten würde ").

Findet sich demnach noch V. 34. etwas, das aof ein dem Zeitalter Jesu sehr nahes Ereignifs zu beziehen ist :

ü) t. KrmOL, in Matth. S. 649. '

12) vgl. den Wolfenbüttler f ragmentisten, a. a. 0. S. mit. Schott a. a. O. S. 127 ff.

Das Leben Jesu 2te Aufl. 2. Band. 23

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354 . Dritter Abschnitt.

so bnn nicht schon .von V- 20. an die Rede Jesu auf das entfernte Ende der Welt gehen, sondern man mala den

Einschnitt noch etwas weiter hinaus, etwa nach V. 35. oder 42. setzen Allein hiebet behält man dann Aussprüche

im Rücken, welche der Deutung auf die Zeit von Jerusa- lems Zerstörung, die man dem Abschnitt bis zu den be- zeichneten Versen geben will, widerstreben; man mufs in den Reden von dem herrlichen Kommen Christi auf den Wolken und dem Versammeln aller Völker durch Engel (V. 30 f.) dieselben ungeheuren Tropen finden, an welchen, wie wir oben gesehen haben, eine andere Abtheilung ge- scheitert ist.

»** iit*i!i< »••

Hat auf diese Weise; der Ausspruch V. 34, welcher, sammt der vorangehenden Bilderrede vom Feigenbaum (V. 32 f.) und der angehängten Bekräftigung (V. 35.), auf ein sehr nahes Ereigniis sich beziehen mufs, sowohl ohnehin vorwärts Reden, welche nur auf die ferne Katastrophe ge- hen können, als auch rückwärts bereits eben solche: so scheint er in dem Con texte der übrigen Rede alsjOase von eigentümlichem Sinn mitten inne zu liegen. So nimmt Schott an, nachdem Jesus- bis. V. 20. von der Zerstörung Jerusalems gesprochen, sei er, zwar V. 27. auf die Ereig- nisse am Ende der jetzigen Weltperiede übergegangen, V. 32. aber komme er auf das die Zerstörung Jerusalems Betreffende zurück , und fahre erst V. 30. wieder über das Weltende zu sprechen (ort "). Allein das heifst in der Verzweiflung den Text zerhacken ; denn so .unordentlich und springend kann Jesus, noch dazu ohne in der An* einanderreihung der Sätze eine Andeutung zu geben, un- möglich gesprochen haben.

Das soll er auoh nicht, meint die neueste Kritik , son-

13) Jene» Süskikd, vermischte Aufsätie, S. 90 ff. ; diese« Küiäol, in Matth, p. 655 ff. , ,: j.

14) s. dessen Commentaritis, s. d. St.

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flr8'tfctf4tfi?fc*r.' f. 114. 355

dern auf Rechnung der Referenten soll es kommen , ver- schiedene, nicht zusammengehörige Aussprüche Jesu nicht in der besten Ordnung aneinandergefügt zu haben. Mat- thaus freilich, räumt »Schulz ein, stelle sich diese Reden als in Einem Zuge gesprochen vor, und nur Wiilkühr oder Gewalt könne sie in dieser Hinsicht auseinanderreissen : schwerlich aber habe Jesus selbst sie in diesem Zusammen- hang und mit diesem Totalgepräge vorgetragen ,3). Die verschiedenen Momente seiner Zukunft , meint Sieffert, seine unsichtbare Parusie zur Zerstörung Jerusalems, und seine eigentliche am Ende der Dinge, möge Jesus zwar nicht ausdrücklich gesondert haben , doch habe er sie si- cher auch nicht positiv verbunden , sondern , was er still* schweigend aneinanderreihte, das sei den Evangelisten der Dunkelheit des Gegenstandes wegen in einander vei-ilossen 10j. Und indem hier zwischen Matthaus und Lukas die Diffe- renz wiederkehrt , dafs , was Matthäus in Einem Zusam- menhange gesprochen sein läfst , bei Lukas an verschiedene Stellen vertheilt ist, wozu noch kommt, dafs er manches von Matthäus Mitgetheilte theils gar nicht, theils anders giebt: so glaubte sich Schleiermacher ") berechtigt, die Composition des Matthäus geradezu aus Lukas zu rectiti- ciren und zu behaupten , während bei Lukas die zwei ge- trennten Reden, 17, 22 ff. und 21, 5 ff., jede ihren guten Zusammenhang und ihre unzweifelhafte Beziehung haben, sei bei Matthäus (Kap. 24. und 25.) durch Vermengung jener beiden Vorträge und Hinzufügung anderweitiger Re- destücke sowohl der Zusammenhang verdorben , als die Be- ziehung verdunkelt worden. Soli nun aber in der Rede Luc. 21. für sich genommen nichts sein, was über die Be- ziehung auf die Einnahme Jerusalems und das damit Zu-

15) über das Abendmahl, S. 315 f.

16) Uber den Ursprung des ersten Kanon. Evang. $.119 £

17) Uber den Lukas, S. 215 ff. 265 ff.

23

350 Dritter Abschnitt.

sammenha'ngende hinan sgienge: so findet sieh doch auch hier (V.) 27. da» %6te qi/jwvm tov viov th av9Qtina ftjii fievov iv v£q>£lfl, und wenn diefa Schlrierm ach er aJs blofses - Bild für die au Tage kommende religiöse Bedeutung der zuvorbeschriebenen politischen und Naturbegebenheiten er- klärt: so ist diefs eine Gewaltsamkeit, an, weicher seine ganze Ansicht von dem Verhfjtnifs der beiden Berichte scheitert. Wenn auf diese Weise in der Verknüpfung des Endes aller Oinge mit der Zerstörung des Tem- pels su Jerusalem Matthäus keineswegs allein steht, son- dern Lukas sie gleichfall« macht, und ohnehin Markus, der in diesem Abschnitt einen Auszug aus Matthäus giebt: so mag zwar vielleicht auch in dieser Rede Jesu, wie in an- dern, die sie mittheilen, Manches so verschiedenen Zeiten Ge- sprochene zusammengestellt sein; aber au der Annahme hat man kein Recht, dafs gerade das auf jene beiden nach on- srer Vorstellung so weit auseinanderliegenden Begebenhei- ten sieh Beaiehende das Nichtzusam mengehörige sei , zumal wir aus der übereinstimmenden Darstellung der übrigen JN. T.lichen Schriften ersehen, dafs die erste Gemeinde die Wiederkunft Christi sammt dem Ende der gegenwärtigen Weltperiode [als nahe bevorstehend erwartete (s. I. Ker. 10,1.1.15, 51. PhiL 4, 5. L Thess. 4, 15 ff. Jac. 5, 8. 1. Petr. 4, 7. 1. Job. 2, l$ft Offenb. ,1, 1. 3. ?, 11. »2, 7. 10. 12. 20. ,vv<llj

Ist hiemit der letzte Versuch gescheitert, die grofse Kluft, weiche auf nnsrem heutigen Standpunkte zwischen der Zerstörung Jerusalems und dem Ende: aller Dinge be- festigt ist , auch in die vorliegenden Reden hineinzubrin- gen: so sind wir thatsächlich belehrt, dafs jene Trennung eben nur unsre Vorstellung ist, die wir in die Darstellung des Textes nicht hineintragen dürfen. Und wenn wir er- wägen , dafs wir die Vorstellung von jener Kluft nur Her Erfahrung der vielen Jahrhunderte verdanken, welche seit der Zerstörung Jerusalems verflossen sind: so mufs es uns

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Erstes' K'apltel. $.' IIS. 357

leicht werden, am «u %ä!tW, wie der ürlieber dieser Reden, welcher diese Erfahrung noch nicht hinter sich hatte , die Vorstellung hegen konnte , dkfs bald nach dem Falle des jüdischen Heil igth ums, nach jüdischer Vorstellung des Mittelpunkts der jetzigen Weh, es auch mit dieser selbst ein Ende nehmen, und der Messlas «um Gericht er-

scheinen werde. 0 V '

i . . .".1 t ir . »• aintlm« i * j

1; .... ;/ ;fs villi..!, , ; u-

. Ursprung der Reden über die PirniJc.

In dem culetet gesogenen Resultat Aber die unsrer Be- trachtung vorliegenden Heden ist nun aber etwas enthal- ten , welches bu vermeide n alle bis her beurt hellten falschen Erklärungsversuche gemritht worden 'sind. Hat nämlich Jesus sich vorgestellt und ausgesprochen, deis bald naeh dem Falle des jüdischen Heiligthum« seine sichtbare* Wiederkunft und das Knde der Welt erfolgen werde, wäh- rend nun seit jener ersten Katastrophe fast tSM> Jahre hingegangen sind , ohne daß die andere eingetreten wlre : so hat er in diesem Stücke geirrt 4 u*n# wer nun auch der exegetischen Evidenz so viel nachgiebt, um in jenem Re-

ot.ltata /Ikon Amn Sinn Ja» »ttJUaAnitan RmI^ii mU «na llkan

»uiime uoer ucii oiiin «er rwruegeiiuen neuen mii uns uoer- einzustimmen j der sucht doch aus dogmatischen Rücksich- ten dieser Consequens desselben auszuweichen.

Bekanntlieh hat Henostknbero in Betug auf die Ge- sichte der hebräischen Propheten die Ansicht aufgebracht, welche auch bei Andern Beifall gefunden , es haben sich dem geistigen Schauen dieser Männer die zukünftigen Din- ge nicht sowohl in dem Medium der Zeit, als vielmehr des Raums , gleichsam als grofse Tableaux , dargeboten s wo- bei, wie diefs bei Gemälden oder Fernsichten der Fall i«t, das Entfernteste oft unmittelbar hinter dem Nächsten au stehen geschienen, Vorder - und Hintergrund sich miteinan- der vermengt haben: und diese Theorie ton ei min per- spectiv ischen Schauen soll nun auch auf Jesuin, uamont-

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lieh in Betreff der vorliegenden Beden , Ihre Anwendung finden *)• Allein, ,-waj Paulus schlafend bemerkt hat wie derjenige, welche*, einer fiusserlich gegebenen Perspective die Distanzen nicht zu un Verscheiden weift, fleh in einer optischen Täuschung befindet, d. h. irrt; ebenso wlrs) ebgtT» Inneru^cben Perspective von Vorstel- Jongen , wenn es so etwas *ieht , das Übersehen der Di- •tarnen ein Irrthum genannt werden müssen, ond es r.eiet somit diese Theorie nicht-, da f* jene Minner nicht geirrt haben, sondern erklärt- vielmehr hur, wie sie leicht irren konnten. !

Auch iHNNbiM d>fcer.dj0*, ,v«a, ihm sonst adoptirte Betrachtungsweise nicht für zureichend, in ge> gen w artigem Fall allen Schein des Irrt hu ras von Jean sn ent- fernen, und sucht deswegen au» der eigentümlichen Natur des Factums, von dessen Voraussage es sich handelt, noch besondere Rechtfertigungsgründe abzuleiten *). Für s Erste aoli es zur ethischen Bedeutsamkeit der Lehre von Christi Wiederkunft gehören , dafs diese jeden Augenblick für möfflich. ia wahrscheinlich, Gehalten werde. Allein biednreh sind blofs Äusserungen , wje Matth. 24, 57 ff. , gerechtfer- tigt, wo Jesus zur Wachsamkeit ermahnt, weil Niemand wissen könne, wie bald der entscheidende Augenblick kom- me; keineswegs aber solche, wie 24, &4, wo er versichert, noch vor Ablauf eines Menschenalters werde alles in Er- füllung gehen; denn das Mögliche denkt sich, wer eine richtige Vorstellung hat, eben als möglich, das Wahrschein* liehe als wahrscheinlich , und wenn er bei der Wahrheit bleiben will, stellt er es eben so dar: wer hingegen daa nur Mögliche oder Wahrscheinliche als Wirkliches sich vorstellt, der irrt, und wer es,

1) HsNo<TSNHBRG, Chrittologie des A. T. , 1 , a, S. 305 ff.

2) eieg. Handb« S, a, S. 403.

3) bibl. Comm. t, S. 874 ff.

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E r g t e* 'ttffl 0 f't *L J. 115. 35V

stellen, doch am eines religiösen oder moralischen Zweckes willen dafür aussiebt, der hat sich eine pia frau* erlaubt. Weiter bemerkt Olshauskn , die Ansicht, dafs die Zukunft Christi zunächst bevorstehe, habe ihre Wahrheit darin, dafs wirklich die ganze Weltgeschichte ein Kommen Chri- sti sei, ohne dafs jedoch hiedurch sein abschließendes Kom- men am Ende der Dinge ausgeschlossen wäre. Allein, wenn Jesus als -n-a'chstbevorstchend bewiesenermafsen sein eigentliches, abschliessendes Kommen darstellt, in Wahr- heit aber nur sein uneigentliches, fortwährendes Kommen auch in der nächsten Zeit schon eingetreten ist: so hat er diese beiden Arten seines Kommens verwechselt. Das Letz- te, was ÖlSh* AtJSKM Anführt: weil die Beschleunigung oder Verzögerung der Wiederkunft Christi von dem Benehmen der Menschen, also von der Freiheit, abhänge, so sei seine Weissagung nur bedingt zu verstehen , steht und fällt mit dem Ersten ; denn etwas Bedingtes unbedingt darstellen, heilst eine ir ge Vorstellung verbreiten.

In ähnlicher Weise hält auch Sikffert die Gründe, durch welche Olshausen die Bestimmungen Jesu Ober sei- ne Wiederkunft dem Gebiete des Irrthums zu entnehmen sacht, für ungenügend: dennoch aber meint er, dem christ- lichen ßewufstsein sei es unmöglich, Jesu eine getäuschte Erwartung zuzuschreiben *). In keinem Falle würde diefs berechtigen , in der Rede Jesu diejenigen Elemente , wel- che auf den näheren , und welche auf den nach unserer Einsicht entfernteren Erfolgsich beziehen, willkührlich von einander zu scheiden : sondern , wenn wir Gründe hätten, einen solchen Irrthum von Seiten Jesu für undenkbar zu halten, so würden wir Oberhaupt die Reden von der Par- 1 usie ihm absprechen müssen. Indefs, vom orthodoxen Standpunkt betrachtet, fragt man nicht zuerst, was einem heutigen christlichen ßewufstsein beliebe, von Christo an-

4) Uber den Ursprung u. I. f. S. 119.

m Dritter Abschnitt.

ku nehmen oder nicht, sondern, wai von Christo geschrie- ben stehe, ist die Frage, worein sich dann das Betrafst- sein wird zu schicken suchen müssen so gut es geht; ra- tional die Sache angesehen aber hat ein solches auf Vor- •uxsetzungen ruhendes Gefühl, wie das sog. christliche Be- rufst sein ist, in wissenschaftlichen Verhandlungen keine .Stimme, und ist, so oft es sich in solche mischen will, durch ein einfaches: mulicr tactat in ecclesial eur Ord- nung zu weisen.

Fragt es sich nun, ob wir vielleicht andre Gründe hüben, die Weissagungen Matth. 24, 25. perall, Jesu ab- zusprechen, so Honen wir unsre Untersuchung an die Be- hauptung supranaturalistischer Theologen anknüpfen , was Jesus hier voraussage, habe er nioht auf dem natürlichen Wege verständiger Berechnung, sondern nur auf uberna tar- liche Weis* vorherwissen können *). Sehen des Allgemei- ne, dafs der Tempel «erstört, und Jerusalem verwüstet werden würde , konnte nach dieser Ansieht nicht so sicher vorausgewufst werden. Wer hätte vermutheu können, fragt man, dafs die Juden so weit in ihrer Raserei gehen Wör- den, dafs jener Ausgang herbeigeführt werden mutsle ? wer konnte berechnen, dafs gerade solche Kaiser solche Proco- ratoren schicken würden, welche durch Niederträchtigkeit und Schwäche cur Empörung reisten? Noch auffallender, ist dann, dafs manche einzelne Zöge, die Jesus vorhersag- te, wirklich eingetroffen sind. Die Kriege, Seuchen, Erd- beben, üungersnöthen, welche er propheseihte, lassen sich In der folgenden Geschichte wirklieh nachweisen; die Verfolgungen seiner Anhänger sind ohnehin eingetreten ; die Voraussagung von falschen Propheten, und awar na- mentlich von solchen, die durch Versprechen von Wun- derzeichen das Volk in die Wüste locken würden (Matth. 24, II. 24 fc parall.) , l&fst sich mit einer auffallend ähnli-

5) i. z. B Gasts, Comm. z. Matth. 2, 444 ff.

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Erat ei Kapitel. : i * US. »1

eben Stelle au« Joseph us Schilderung der loteten Zeiten-

des iüdischen Staats vergleichen * ) : die. xvxl.it titvr vrzo ctxx- tujiicW 'hQiiaahjt bei Lukas, womit der ZaPa$ «nve* gleichen ist, weichen ch Luc. 19, 43 f. um Jerusalem' ge- zogen werden sollte? , kann in dem Umstände wiedergefun- den werden, dafs nach Joseph as Zeugnifs Titus Jerusalem ciu i*oli .©ew© jRjUsWmör ci n ä c Ii 1 1 © fsc ri li^fls ^) ^ ^^PÄ^^ ©n^iiiofe1 auch das auffallen kann, dafs die Angaben: ax arpsöraprai li&og ini tiSvi in Bezug auf den Tempel, lind idatpiuoi oe (Luc. 19, 44.) In Bezug auf die Stadt, in wörtliche Er- füllunc gegangen aftad. >iu .. v da un

,! ri^Wenn nun asm der Unmöglichkeit, dergleichen i* na- türlicher Weise vorauszusehen, auf orthodoxem Standpunkt' eine übernatürliche Einsicht Jesu gefolgert wird : so ün* terliagt die Annahme einer solchen auch hier der gleichen Schwierigkeit, wie oben bei den Vorherverkündigungen des Tode» und der «Auferstehung, und noch einer weiteren dazu. Fürs Erste nämlich hat nach Matthäus ( 24, 15. ) und Markus (13, 14.) Jesus das Eintreten der Katastrophe«' an die Erfüllung der Danielischen Weissagung von einem ! fiSikvy^a zr^g iQ^t «wenig geknüpft, folglich Dan. 9, 27v (vgl. : 11, 31.. IV") auf ein Ereignifs bei der Zerstörung Je- ruaaiems durch die Römer bezogen. Denn wae PaijiH» be- hauptet , Jesus habe hier nur einen Ausdruck von Daniel entlehnt,, ohne jenen Ausspruch des Propheten als Weis- tagung auf etwas an seiner Zelt noch Künftiges au be- trachten, wird hier besondere durch den Zusatz: o avo- ymioxotv votfroj, andenkbar. Nun aber darf es anf dem

6) Antiq. 20, 8, 6 (vgl. bell. jud. 2, 15, 4.): Ol St anartHrts Sr9(t»not ror ojf lor tnttdor avtotf tt; rrr letj/t(ar \rifo9at. /Ii(§tiv ya^ fcpaoar ira^yr, rt'ftara xat otjpt 7a , xara rqr ri &tü nqjrotar ytvo^va. Kai noUol nttoMms rfa 07*0- SSV«C nfi^Ui infrXor' jraXMrTaf avrig «#>$i,$ hdlm^r.

7) Bell. jud. 5, 12, t. 2.

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. I Dritter ^Wcbortt.

II

ab entschieden Angesehen werden, dnfs die angezeigten Stellen im -Daniel auf die Entweihung ides Heiligth ums un- ter, Antiochus Kpiphaoes sich beziehe*«), also die Da*. tung derselben , welche die Evangelisten hier Jesu ie*en, eine lakelie ist.' Ferner aber, was dieser Weissagung ei- gentltü mlieb ist , sie ist nur nach ihrer Einen , Jerusalem * betreffenden, Seite «eingetroffen, nach der andern aber, die sieh jauf die V ifderkin.ft Jesu und das Weitende bezog, unerfüllt geblieben. Kine solche halb wahre Weissagung nun aber kann Jesu nicht aas seiner höheren Natur ge- kowntf n, sondern er müfste hierin seiner menschlichen Geisteskraft Üb erlassen gewesen sein. Doch eben, wie er mittelst dieser im Stande gewesen sein sollte, einen von so vielen Zufälligkeiten abhängigen Erfolg, wie die Zer- störung Jerusalems, mit seinen Einzelheiten vorauszusehen, scheint unbegreiflich, und man wird von hier aus auf die Vtjrmuthung geführt, dafs diese Reden, in der Bestimmt- heit, wie wir sie hier lesen, nicht vor dem Erfolge/ mit- hin nicht von Jesu, gesprochen, sondern nach dem Erfolg ihm als Weissagung in den Mund gelegt worden sein mö- gen. £o nimmt s. ß. Kaiser an, Jesus habe nur bedingt, für den Fall, dafs die Nation sich nicht durch den Messiaa retten: Jiefse, dem Tempel und der Stadt ein schreckliches Schicksal durch die Äömer gedroht * und diefs in prophe- tischen Bildern beschrieben : die unbedingte Haltung aber und die genaueren Bestimmungen seien seiner Rede erst potf eventum gegeben worden 9). Nur freilich müfste die Weissagung, wie wir sie in den beiden ersten Evangelien lesen , unmittelbar nach , oder selbst während des Erfolgs gebildet worden sein, da hier für die nächste Zeit nach dem

8) Bertholdt, Daniel übersetzt und erklärt, 2, S. 668 ff. ; l'u - u», exeg. Uandb. 3, a, S. &4u f.

9) bibl. Yhcol. 1, S. 247.

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fir.ales Kapitel. 115. SÖ5

Falle Jerusalems die Erscheinung des Messias vorhergesagt wird, was im späteren Jahren nicht mehr die Erwartung sein konnte. Da diese unmittelbarer Zeitverbindung der beiden Katastrophen bei Lukas sich nicht so ausdrücklich findet, so hat man Von ihm angenommen, er gebe die Weis- sagung in der Form, wie sie sich durah die Erfahrung um- gebildet habe, dafs nach der Zerstörung Jerusalems keines- wegs sofortf Partie und' Weitende gefolgt waren 1Ä).

Im Gegensatz gegen diese beiden Ansichten, von einer Übernatürlichen, und einer ers nach dem Erfolge gemach- ten Weis*egu*g, sucht man von einer dritten Seite her die Möglichkeit darzuthun, dafs, was hier vorausgesagt wird, wirklich schon Jesus natürlicherweise habe wissen kön- nen n). Wenn man vor Allem das befremdlich gefun- den hat, dafs mit einzelnen Zügen der Weissagung Jesu d«r Erfolg s* genau zusammengetroffen sein soll: so wird eben dieses Zusammentreffen in Anspruch genommen. Das Jerusalem prophezeihte xvxlöo&ai vnd sQctronedmv werde von Titus bei Josephus gerade als unausführbar be- zeichnet 1 ); ebenso, wenn das Aufwerfen eines ^anaf o«: die Stadt vorausgesagt werde, so melde Josephus , daf«, nachdem der erste Versuch eines %m^a durch Brandstif- tung von Seiten der Belagerten vereitelt worden, Titus vom Auf werfen weiterer Wälle abgestanden sei 13); von falschen Messiasen, die in der Zeit von Jesu Ted bis zur Zerstörung Jerusalems aufgestanden wären, meide die Ge- schichte nichts 5 die Völker Bewegungen und Naturerschei- nungen in jener Periode seien bei Weitem nicht so bedeuV

10) i»k Wrrrs, Einl, in d. N. T. 'J. 97. 101. ' n

11) Paulus, Famtcai, x. d. Absch.

12) b. j. 5, 1$, t% XwuhkmM r. Yi9 t* epn'.* r)r nShr. *>i

13) b. j. 5, 11, 1 ff. 12, 1.

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864 Dritter Abschnitt.

tend gewesen, wie sie hier geschildert werden; namentlich aber sei In diesen Reden, nach Ihrer Gestalt bei Matthäus und Markus, keine Zerstörung Jerusalems, sondern nur des Tempels vorhergesagt: lauter Abweichungen der Weissa- gung vom Erfolge, welche nicht stattfinden Wörden, wenn entweder ein Übernatürlicher Blick in die Zukunft, oder ein vaticinium post exentum im Spiele wäre.

Nicht vorwärts, Im Erfolge, dürfen daher nach jenen Theologen die Gegenbilder dieser Weissagungen aufgesucht werden: sondern rückwärts, auf Vorbilder der Vergangen- heit, soll der Urheber derselben gesehen haben. Eine Mas- se solcher Vorbilder lieferte die jüdische Vorstellung von den Umständen, welche der Ankunft des Messias voraus- gehen sollten. Falsche Propheten und Messiase, Krieg, Tiieurung und Seuchen , Erdbeben und Bewegungen am Himmel, überhandnehmende Slttenlosigkeit , Verfolgungen der gläubigen Jehovadiener , galten als die nächsten Vor- boten des Messiasreichs, und es finden sich bei den Pro- pheten so analoge Beschreibungen der Drangsale, welche den Tag des Kommens Jehovas ankündigen und begleiten (Jes. 13, Uff. Joil 1, 15. 2, 1 ff. 10 ff. 3, 3 ff. 4, 15 f. Zeph. 1, Uff. flagg. S, 7. Zach. 14, 1 ff. Mal. S, 1 ff.), oder dem Eintritte des raessianisohen Reichs der Heiligen vorange- hen sollten (üan. 7—12.), und ohnehin In spateren jüdi- schen Schriften Aussprüche, weiche mit onsern evangeli- schen so viel Verwandtschaft haben dafs man nicht zweifeln kann, es sei hier aus einem Kreise von Zeitvor- stellungen heraas über die Zeit der Ankunft des Messias gesprochen.

Eine andere Frage ist, , ob der G rund zug in dem vor- liegenden Gemälde , die Zerstörung des Tempels und die Verödung der Stadt vor der Ankunft des Messias, sich

* * - »

14) s. die Stellen bei ScKtfmiir, 1, S. 509 ff. j Birtholpt, §. 13. ; Sc KMioi, Biblioth. i, S. 34 ff.

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Erstes Kapitel. (IIS. 165

ebenso als ein Tbeil der aligemeinen Vorstellungen zur Zeit Jesu nachweisen lasse ? In jüdischen Schriften findet sich die Meinung, die Geburt des Messias treffe mit der Zerstö- rung des Heiligt hums zusammen **) : doch diese Vorstel- lung hat sich offenbar erst nach dem Untergange des Tem- pels gebildet» um auf dem tiefsten Punkte des Unglücks die Quelle des Trostes entspringen cu lassen. Josephus findet im Daniel neben dem auf Antiochus Bezüglichen auch eine Weissagung auf die Vernichtung des jüdischen Staats durch die Römer 16J : doch, wie dielt* von keinem der Da- nieiischen üesi» hte die ursprüngliche Beziehung ist, so könnte Josephus diese Deutung erst nach dem Erfolge ge- macht haben, in welchem Falle sie für die Zeiten Jesu nichts beweisen würde. Indessen liefse sich doch denken, dafs auch schon «u Jesu Zeit die Juden den Weissagun- gen Daniels, unerachtet sie in der That weit frühere Zeit-

15) bei Scmöttsbw, 2, S. 52S f.

16) Anticj. 10,1!, 7. Nachdem er das kleine Horn auf Antiochus gedeutet, selxt er Kurs hinzu: Tor aitor 3h r^6nor danijlot nat 7l*£i Tf» rcZy 'Ptojuai'uv Syt/wyi'a; a rt'y o a y t , uai 6*T» Vit* av-

rÜK fQqpu)fhjotra$ C to S&vof qfiwy). Auf die Römer bezog er ohne Zweifel die vierte, eiserne Monarchie, Dan. 2, 40, wie ausser dem u^ar^at» rlf Srntr , was er ihr «uschreibt , beson- der» daraus erhellt, dass er ihre Zerstörung durch den Stein für etwas noch Zukünftiges erklärt, Aiitiq. 10 , 10, 4 : . J*«U»ot Sh *a\ «t€V ri XO* Jerhof fimmltl , M3ß*\ ?*r hm i'Jo-f tüto isapr'iv, to nctQtl&drra na\ ta yfytrtjfiiva avyyod- ipetv, it rd fit'llorra 6*<peUom. Den Stein nämlich deutet Daniel 2 , 44. auf das himmlische Königreich , welches das eiserne zerstören , selbst aber ewig bleiben werde , ein messianU scher Zug, auf welchen sich Josephus nicht weiter einlassen will. Dass nach richtiger Auslegung die eisernen Schenkel des Bildes das maeedonische , die aus Thon und Eisen ge- mischten Küsse aber die aus dem macedoniseben entstande- nen Reiche, also namentlich das syrische, bezeichnen, darüber vgl. ds Witts, Einl. in das A. T. }. 254.

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Dritter Abschnitt.

Verhältnisse betreffen, eine Beziehung an f noch bevorste- hende Ereignisse gegeben hätten- ans demselben («runde nämlich, ans welchem die Christen jetziger Zeit der vollen Verwirklichung von Matth. 24. 25. noch entgegensehen. Da nämlich nach dem Untergange der ans Thon und Ei- sen gemischten Reiche , und des Horn** , das die Gottes- lästerungen ausstößt und gegen die Heiligen streitet, als- bald das Kommen des Menschensohns in den Wolken und der Eintritt des ewigen Reichs der Heiligen geweissagt, diese Erfolge aber nach der Überwindung des Antiochus keineswegs sofort eingetreten waren : so war man veran- lagt, mit diesem himmlischen Reiche auch die ihm unmit- telbar vorangestellten Drangsale durch das eiserne und ge- mischte Reich, worunter man nach Analogie des vom Hör- ne Vorhergesagten namentlich die Entweihung des Heilig- thums verstand, erst noch einmal von der Zukunft zu er* warten. Während nun aber bei Daniel nur Entweihung des Tempels und Störung des Cultus, nebst (theilweiser) 1 :) Zerstörung der Stadt geweissagt ist: wird in den vorlie- genden Reden dem Tempel und auch der Stadt nicht blofs bei Lukas, wo es entschieden ist, sondern ohne Zweifel aqch bei den beiden andern) wo die Ermahnung zur eiligen Flucht aus der Stadt dasselbe anzudeuten scheint völlige Zerstörung vorhergesagt; was also, weil in dem Vorbilde nicht enthalten, nur aus dem Erfol- ge scheint genommen sein zu können. Allein theils liefe sich die Beschreibung bei Daniel mit den Ausdrücken ryati und riTItfn 0>> *Gf. 12, 11.), welche die LXX. durch

iQrjaooig und öia(f9uQU) wiedergeben, leicht auch von völ- liger Zerstörung verstehen; t heils war ja schon einmal im Zu- sammenhange mit den Sünden des Volks Tempel und Stadt serstört und das Volk gefangen weggeführt worden: es konnte mithin von da ao jeder begeisterte Israel ite, dem

17) i. Joseph. Antiq. 12, 5. .

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Erstes KapiteL fcUl&

t»1

dsfr religio. p 11 ml sittliche Zastanci seiner Lnndsleute ver- werilich und unverhesserlich erschien, die Wiederhofong jenes früheren Strafgerichts erwarten und vorherverkan- digen. Hienach ist sei bat dasjenige, was, laut der im vo- rigen $. gegebenen Darstellung, Lukas vor seinen beiden Cor referen ten an Bestimmtheit der einzelnen Zöge vora u s bat, nicht von der Art, dafs es uns nöchigen würde, ent- weder ein übernatürliches Vorherwissen, oder ein vaticinhim pont evtntum anzunehmen : sondern ee Ja Ist sieh Aliesiaus genauerer Berücksichtigung dessen erklären, was über die erste Zerstörung Jerusalems 2 Kon. 15. 2 Chron. 36. und Jer. 39, 52. ,ej^|hlt ist;

Nur Eine Bestimmung könnte Jesus, als Urheber die- se^ Reden, nicht ans irgend welchen Vorbildern , sondern müfste sie aus sich, selber genommen haben, die Versiche- rung nämlich, dafs die Katastrophe, welche er besehrieb, noch während des damaligen Menschenalters eintreten wer- de. Die(s aus einer übernatürlichen Erkenntnis abzulei- ten, müssen wir aus dem oben erwähnten Grunde Beden- ken tragen , well es nämlich nur zur Hälfte eingetroffen ist : wogegen uns das Andere, dafs wenigstens die Eine fliilftt der Weissagung so auffallend in ErfflUn*£ gegan- gen ist, ebenso g^gon die Annahme einer blols natürlichen Vorherberecbnung mifstrsuisch, und geneigt machen kann- te, wenigstens diese Zeitbestimmung als eine erst nach dem Erfolg in die Reden Jesu hineingetragene zn betrachten, lndefs die Wiederkunft Christi glaubten nach dem zu gg. de des vorigen §. angeführten Stellen auch die Apostel selbst noch zu erleben : und so hat wohl auch Jesus die- selbe, nebst eler nach Daniel ihr vorangehenden Drangssl der Stadt und des Tempels, in der nächsten Zukunft er- wartet.

Das Allgemeine der Erwartung nämlich, irgend ein- mal in den Wolken des Himmels zu erscheinen., um die Todten zu erwecken , Gericht zu halten , and ein ewiges

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368 Dritter Abschnitt.

Reich En begründen, war Jesu eben sobald gegeben, alt' er sichrfür den Messiaa hielt mit Beeng auf Daniel, wo jenes Kommen dem vtog uv»(wma zu geschrieben ist. Dachte sich "nun diefs Jesus Anfangs, wie es nach Matth. 10, 23. scheinen könnte, wo er, noch ehe seine Boten in allen Städten Israels herumwären, als viog TÖav&Qoms n* kom- men verspricht, als eine Verherrlichung, welche noch im Verlaufe seines Lebens eintreten würde: so war ebenda* mit die Bestimmung, dafs es auch andere von seinen Zeit- genossen noch erleben würden (Matth. 10,18.), mitgesetst, und wurde anch dadurch nicht nothwendig aufgehoben, wenn Jesus späterhin, als ihm der Tod gewifs geworden war, seine messianische Parusie als ein durch den Tod ver- mitteltes Wiederkommen betrachtete; eine Vorstellung, aus welcher heraus Matth. 20, 04. gesprochen ist.

Eine Einwendung gegen die Ächtheit der synoptischen Reden Ober die Parusie ist noch zurück, sie hat übrigens auf nnsrem Standpunkte weniger Erheblichkeit, alt auf dem der jetzt gewöhnlichen Evangelienkritik, diejenige nämlich, weiche aus dem Fehlen jeder ausführlichen Schil- derung der künftigen Parusie Jesu Im johannelsehen Evan- gelium hergenommen werden kann **> Zwar die Grund- bestandteile der Lehre von der Wiederkunft Christi sind *'anch im vierten Evangelium nicht zu verkennen Je- sus schreibt sich in demselben das einstige Gericht und die Attferwedknng der Todten zu (Job. 5, 21—30.), welche letztere als Moment der Zukunft Christi zwar in den eben erwogenen synoptischen Reden nicht hervortritt, aber sonst im N. T. nicht selten in jenem Zusammenhange vorkommt Cs. B. 1 Kor. 15 , 23. 1 Theas. 4 , 10.). Wenn Jesus im

18) s, Hasb, L. J. §. 130.

Die hichergehörigen Stellen (Inden sich zusammengestellt und erläutert bei Schott, Commentsriut etc. p. 3G4ff., vgl. Lücke, SU den.. '

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Erstes Kapitel. §. 115. 309

*

vierten Evangeliom bisweilen läugnet, zum Gericht in die Weit gekommen zu sein (3, 17. 8, 15. 12, 47,), so gilt diefs theiia nur von seiner ersten Anwesenheit, theiis wird es durch entgegengesetzte Äusserungen, wo er vielmehr be- hauptet, zum Gerichte gekommen zu sein (9, 39. vgl. 8, 16.), auf den Sinn eingeschränkt, dafs der Zweck seiner Ken- dung nicht Verdammen, sondern Retten, und sein Gericht nicht ein particularistisches oder sonstwie parteiisches, Ober- haupt kein subjectiver Muchtspruch seiner Person, sondern ein objectiver Act der Sache selbst sei ; wie diel'» deutlich ausgesprochen ist in der Versicherung, wer sein Wort ge- hurt habe, ohne zu glauben, den richte nicht er, sondern o ÄiJ;off, 6v ilctlrtaa9 xqivu avtdy iv %r\ ia^uiri r^iny (12, 48 ). Wenn ferner der jo hanneische Jesus von dem Glau- benden sagt: ö xohtiui, big xyloiv uxeQxetui (3, 18. 5,24.): •o ist diefs von einem Gerichte mit verdammendem Ausgang zu verstehen; heißt es dagegen von dem üugiaubigen: jjfy xexnuai (3, 18.): *o sagt diefs nur so viel, dals die An« Weisung des verdienten Looses für jeden nicht erst dem künftigen Gericht am Ende der Dinge aufbehalten sei, sondern mit seiner inneru Beschaffenheit schon jetzt jeder das ihm gebührende Schicksal in sich trage. Dadurch ist ein bevorstehender solenner Gerichtsact, an welchem das jetzt nur erst an sich Vorhandene zur feierlichen Offenbar rung gelangen wird, nicht ausgeschlossen, wie denn in der zuletzt angeführten Stelle die Zuerkennung der Verdamm- nifs, und sonst auch die Ertheilong der Seligkeit (5, 28 f. 6, 39 f. 54.), an den jüngsten Tag und die Auferstehung geknüpft wird. Ebenso sagt ja auch bei Lukas Jesus in demselben Zusammenhang, in welchem er seine Wieder* kunft als eine noch bevorstehende äussere Katastrophe be- schreibt , 17 , 20 f. , das Reich Gottes komme nicht pezu naQcttt}Qrtoewg* ad« iqöoir läj aide, q idi ixet' 13h yccQ, y jiaoifoiu %u &eü ino$ vfiuiv e^/v. Auch dais seine Wiederkunft in Kurzem bevorstehe, soll nach einer ge- Dot Leben Jesu UcAvfl. II iW. 24

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3?0> Dritter Abschnitt, i

uhtsen Deutung seiner Worte der johanneifche Jcs.is ge- äussert haben. Die schon erwähnten Aussprüche in den Ah^chiedsreden nämlich, wo Jesus seinen Jüngern ver- spricht, sie nicht verwaist zurückzulassen, sondern, hinge- gangen zum Vater, in Kurzem (16, 16.) wieder zu ihnen, zu kommen (14, 3. 18.)) sind nicht selten auch von der Wiederkunft Christi am Ende der Tage verstanden wor- den 20) ; aber wenn man von dieser nämlichen Wieder- kunft Jesum sagen hört, dafs er bei derselben nur seinen Jüngern, nicht aber der Welt sich offenbaren werde (14, 19. vgl. 22.): so kann man unmöglich an die Wiederkunft zum Gerichte denken, wo Jesus sich Guten und Bösen ohne Unterschied zu offenbaren gedachte. Besonders rath- srlhaft ist noch im Anhang des vierten Evangeliums, Kap. 21, von dem Kommen Jesu die Rede. Auf die Frage des Petrus, was es mit dem Apostel Johannes werden solle, erwiedert hier Jesus: iay avidv üü.u) ftirtiv, tcog togn/icri, %l nQog al; (V. 22.) was, wie hinzugesetzt wird, die Chri- sten so verstanden, als sollte Johannes gar nicht sterben, 1 indem sie das t^r/toüat auf die letzte Wiederkunft Christi bezogen, bei welcher die sie Erlebenden, ohne den Tod zu schmecken, verwandelt werden sollten (I Kor. 15, 51 f.)« Aber, setzt der Verfasser berichtigend hinzu, Jesus habe nicht gesagt, der Jünger werde nicht sterben, sondern nur, wenn er wolle, dafs er bleibe« bis er komme, was es den Petrus angehe? Hiedurch kann der Evangelist zweierlei berichtigen wollen. Entweder schien es ihm un- richtig, das Bleiben, bis Jesus komme, geradezu mit nicht sterben zu identificiren , d. h. also das Kommen , von wel- chem hier Jesus sprach, für das letzte, welches dem Tod ein Ende machen sollte, zu nehmen, und dann müfste er sich ein unsichtbares Kommen Christi, etwa in der Zer- störung Jerusalems, darunter gedacht haben 21). Oder hielt

i *

20) s. bei Tholuck, S. 259.

21) vgl. T moluck, z. d. St.

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Erltes Kapitel. §. 115. 37!

er es für irrig, was Jesus nur hypothetisch gesagt hatte: wenn er auch etwa das Angegebene wollte, so gienge das doch den Petrus nichts an, kategorisch zu fassen, als ob es Jesu wirklicher Wille gewesen wäre, wobei dann das (qXPUCU seine gewöhnliche Bedeutung behielte 22)*

Sind hienach allerdings die Grundzüge der Lehre von der Parusie auch im vierten Evangelium Jesu in den Mund gelegt, so finden wir doch nirgends etwas von der aus- führlichen sinnlichen Schilderung des äussern Hergangs bei derselben, und der mit ihr zusammenhängenden Vorgänge, wie wir sie in den synoptischen Evangelien lesen. Dieses Verhältnifs macht bei der gewöhnlichen Ansicht von dem Ursprung der Evangelien , namentlich des vierten , nicht wenig Schwierigkeit. Wenn Jesus wirklich so ausführ- lich und feierlich, wie ihn die Synoptiker davon reden lassen, von seiner Wiederkunft gesprochen, und die rich- tige Erkenntnis und Beobachtung der Zeichen derselben als etwas so Wichtiges behandelt hat: so ist es unbegreif- lich, wie der Verfasser des vierten Evangeliums das Alles übergehen konnte, wenn er anders ein unmittelbarer Schil- ler Jesu war. Das gewöhnliche Reden, er habe diefs aus den Synoptikern oder der mündlichen Verkündigung als bekannt vorausgesetzt, reicht hier um so weniger aus, je mehr alles, was Weissagung ist, namentlich einer so er- sehnten und gefürchteten Katastrophe, der Mifsdeutung blofssteht, wie wir aus der zuletzt erwähnten Berichtigung sehen, welche der Verfasser von Joh. 21. an der Meinung seiner Zeitgenossen Über die dem Johannes von Jesu ge- gebene Verheifsung anzubringen für nOthig fand. Hier al- so ein verständigendes Wort zu reden, wie zweckmäßig nnd verdienstlich wäre es gewesen, besonders da die Dar- stellung des ersten Evangeliums, welche sogleich auf die Zerstörung des Tempels das Ende der Dinge folgen lieft,

22) So Lvcks, auch Tholcck, «. d. 8t. Schott, p. 409.

•24

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372 Dritter Abschnitt.

je naher jenes Ereignifs kam , und noch mehr als es vor- über war, immer bedenklicher und anstöfsiger werden i mufste, und wer war eher im Stande, eine solche Berich- tigung eu geben, als der Lieblingsjünger, zumal wenn er nach Marc. 13, 3. der einzige Evangelist war, der den Er- örterungen Jesu Ober diesen Gegenstand angewohnt hatte? Daher sucht man auch hier einen besondern Grund seines Stillschweigens in der angeblichen Bestimmung seines Evan- geliums für nichtjüdische, idealisirende Gnostiker, für de* ren Standpunkt jene Schilderungen nicht gepafst haben, und defohalb weggelassen worden seien 2"). Allein gera- de solchen Lesern gegenüber wfire es eine pflichtwidrige Nachgiebigkeit, eine Bestärkung in ihrer idealisirendeu Richtung gewesen, wenn Johannes ihnen zulieb die reale Seite an der Wiederkunft Christi hatte zurücktreten lassen. Dem Hang dieser Leute, das äusserlich Geschichtliche des Christenthums zu verflüchtigen, mufste der Apostel dadurch entgegentreten, dafs er eben diese Seite gebührend hervor- hob; wie er in seinem Brief ihrem Doketlsmus gegenüber die Leiblichkeit Jesu premirt, so mufste er im Gegensatz gegen ihren Idealismus an der Wiederkunft Christi die Süs- seren Momente ihres Eintritte mit besonderem Fleifse her- vorkehren. Statt dessen spricht er selbst fast wie ein Gno- stiker, und sucht die Wiederkunft Christi von der Bedeu- tung eines Äussern, zukünftigen Vorgangs immer wieder in das Innere und die Gegenwart zurückzurufen. Es ist also nicht so übertrieben, wie Olshausen meint, wenn Fleck behauptet , dafs die synoptische und die johannei- sche Darstellung der Lehre Jesu von seiner Wieder- kunft sieh ausschliefsend zu einander verhalten2*); son- dern, wenn der Verfasser des vierten Evangelitims ein Apostel ist, so können die Reden, welche die drei ersten

23) Oljiuusbn, 1, S. 870.

24) Flkck, de regno divino, p. 483.

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Erntet Kapitel. §. 115.

Evangelisten Jesu über seine Parusie in den Mond legen, nicht so von ihm gesprochen worden sein, und umgekehrt. Doch, wie gesagt, dieses Arguments können wir uns nicht bedienen , da wir die Voraussetzung eines apostolischen Ursprungs für das vierte Evangelium längst aufgegeben haben. Auf unserem Standpunkte können wir uns nun aber das Verhtfltnifs der Johann eischen Darstellung cur synoptischen vollkommen erklären. In Palästina, wo sich die in den drei ersten Evangelien aufgezeichnete Tradi. tion bildete, wurde die daselbst verbreitete und von Je- su adoptirte Lehre von einer feierlichen Ankunft des Mes- sias in ihrer ganzen Breite in die christliche Verkündi- gung aufgenommen: wogegen in dem hellenistisch -theo* sophischen Kreise, in welchem das vierte Evangelium ent- stand, diese Idee ihr sinnliches Gewand abstreifte, und die Wiederkunft Christi zu dem zwischen einem realen und idealen, gegenwärtigen und künftigen Vorgang schwe- benden Mittelding wurde, wie sie im vierten Evangelium erscheint.

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m Dritter Abschnitt,

Zweite» Kapitel.

Anschläge der Feinde Jesu; Verrath des Judas; letztes Mahl mit den Jüngern.

Entwicklung des Verhältnisses Jesu tu seinen Feinden.

Alf die Feinde Jesu erscheinen in den drei ersten E van-

.

gelten am häufigsten die QctQiovioi xcci YQaftftarelg *) , wel- che in ihm denv verderblichsten Gegner ihres Satzungswe- sens erkannten, und neben diesen beiden die anyjtntJs and TVQeoßvTBQOi , welche als Häupter des äusseren Tempelctil* tus und der auf diesen gegründeten Hicrttrulue mit demje- nigen , der bei jeder Gelegenheit nuf den inneren Gottes- dienst des Gemtiths als die Hauptsache hinwies, sich nic!>t befreunden konnten. Sonst treten wühl auch die JSoroMc^ Kalo* unter den Gegnern Jesu auf (Matth. 10, 1. 22, 2S ff. parall. vgl. Matth. 16, 6 ff. parall.) , deren Materialismus Manches an seinen Ansichten zuwider sein mufste , und dia Jterodisohe Partei (Maro. 3, 6. Matth. 22, 10. purnll. >, welche, wie dem Täufer, so auch seinem Nachfolger *h- bold war. Das vierte Evangelium, obwohl es einigeui«ie die ccQ%i€QeiQ und (I)uQiauioi nennt, bezeichnet die Feinde Jesu doch am häufigsten ;durch den allgemeinen Ausdruck : oi %IudaT(uy was vom späteren, christlichen Standpunkt aus gesprochen ist.

Übereinstimmend berichten sa'muitliche vier EvangelU eten, dafs die bestimmteren Anschlüge der pharisäisch- hier«

1) ». Wisan'» bibl. ttcalw orterb. d. A. A*

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Zweites Kapitel. $.116. 375

archischen Partei gegen Jesu m von einem VcrMofse dessel- ben gegen die den Sabbat betreffenden Satzungen ihren Anfang genommen haben. Als Jesus den Menschen mit der vertrockneten Hand am Sabbat wiederhergestellt hatte, heilst es bei Matthäus: oi de 0ctoio7oi avftßuliov ilaßov xat avtöj oncog ccvtoy anollwaiv (12, 14. vgl. Marc. 3, 6. Luc. 6, II.), und ebenso bemerkt Johannes bei der sabbat- lichen Heilung am Teich Bethesda : xal öia t£?o iöiwxov xbv V. oi luduloi , und fährt , nachdem er noch einen Aus- sprach Jesu gemeldet, fort : öiä ibxo uv fiällov i£tjtw au- vor oi fedatoi bno*ttiv(xi (5, 16*. 18.).

Sogleich nach diesem Anfangspunkt aber gehen die

synoptische und die johanneische Darstellung des fraglichen Verhältnisses auseinander. Bei den Synoptikern giebt den

i nächsten Anstofs die Vernachlässigung des Waschens vor

< Tische von Seiten Jesu und seiner Jünger nnd die schar- fen Ausfälle, welche er, darüber zur Rede gestellt, ge-

*gen den kleinlichten Satzungsgeist und die damit verbun- dene Heuchelei und Verfolgungsstieht der Pharisäer und Gesetzkunrftgen macht, Wo es dann am Ende heifst, sie ha- . ben tiefen Groll gegen ihn gefafst, und ihn auszuholen, ihm verfängliche Reden abzulocken gesucht , tlitt Grund zur An* klag* gegen ihn zu gewinnen (Luc. 11, 37—54. vgl. Matth. 15, ) ff. Marc. 7, 1 ff.). Aufseiner letzten Reise nach Je- rusalem liefsen die Pharisäer Jesu eine Warnung vor He- 'rodes zukommen; (Luc. 13, 41.) j die wahrscheinlich nur den Zweck ha t re , Ihn aus der Genend wegzubringen. Den nächsten Hauptanstofs nimmt die hierarchische Partei an der auffallenden Huldigung, welche Jesu beim Einzug in Jerusalem vom Volke dargebracht wird, and an der Tem- pelreinigung, zu weicherer sofort schreitet: doch etwas Ge- waltsames gegen ihn zu unternehmen, hielt sie sein star- ker Anhang unter dem Volke noch zurück (Matth. 21, 15 f. Marc. 11» 18. Luc. 1!), 31>. 47 f.), was auch der einzige Grund war, warum sie nach der scharfen Zeichnung durch

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376

Dritter Abschnitt

das Gleichnifi von den WeingKrtnern sich seiner Person nicht bemächtigte (Matth. 21, 45 f. pareJL). Nach diesen Vorgängen bedurfte es kaum mehr der antipharisltischen Hede Matth. 23, nm kuns vor dem Pascha die Hohenprie- ster, Schriftgelehren and Ältesten, d. h. das Synedriuin, in den Palast des Hohenpriesters zu einer Berathang zu- sammenzuführen , ha top Y. tf<U<p xQaryowoi xal anortü- vaotv (Matth. 26, 3 ff. parall.).

Auch im vierten Evangelium ewar wird der grofse An- hang Jesu unter dem Volk einigemaie als der Grund be- zeichnet, warum ihn seine Feinde haben wollen festnehmen lassen (7, 32. 44. vgl. 4, 1 ff.), and sein feierlicher Einzug in Jerusalem erbittert sie auch hier (12, 10.); bisweilen wird ihrer Mordanschlage ohne Angabe einer Veranlassung ge- dacht (7, 1. 19. 25. 8 , 40.) : aber den Hauptanstois geben in diesem Evangelium die Aussagen Jesu über seine höhere Würde, Schon bei jener Sabbatheilung reitzte das haupt- sächlich die Juden auf, dafs Jesus dieselbe durch Beru- fung auf die ununterbrochene Thätigkeit Gottes, als seines Vaters, rech fertigte r wprin nach ihrer Meinung ein blas- phemisches typv havzov noitiv ShQ lag (5, 18.); wenn er von seiner göttlichen Sendung sprach , suchten sie ihn v.n greifen (7, 30. vgl. 9, 20.); wegen der Behauptung, vor Ahraham sei er, hoben sie Steine gegen ihn auf (SL50.); dasselbe thaten sie, als, er äusserte, er und der Vater seien Eins (10, 31.), und wie er behauptete , der Vater sei in ihm, und er im Vater, suchten sie sich abermals seiner au bemächtigen (10, 39.). Was aber den Ausschlag giebt nach der Darstellung des vierten Evangeliums, und die feindliche Partei zu förmlicher ßescbiufsnahme gegen Je- tuni veranlafst, ist die Auferweckung des Lazarus. Als diese That den Pharisäern gemeldet wurde, veranstalteten sie und die Hohenpriester eine Synedriurassitzung , in v* el- cher sie in Erwägung zogen, wenn Jesus fortfahre, so viele aqfiüa zu tlmu, werde ihm zuletzt Alles anhängen,

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Zweites Kapitel. §. 110.

und dann die Römer eerstörend einschreiten; worauf der Hohepriester Kai phas den verhängnisvollen Ausspruch that, es sei besser, dafs Ein Mensch ffir das Volk sterbe, als dafs das ganze Volk au Grunde gehe. Nun war sein Tod beschlossen , und es wurde jedem zur Pflicht gemacht, sei- nen Aufenthaltsort anzuzeigen , um sich seiner Person be- mächtigen au können (II, 46 ff.).

In Bezug auf diese Differenz bemerkt die neuere Kri- tik, dafs wir aus den synoptischen Berichten- die tragische Wendung des Schicksals Je*u gar nicht begreifen würden, und nur Johannes einen Blick in die stufenweise Steige- rung der Spannung «wischen der hierarchischen Partei und Jesu uns eröffne, kurz, dafs namentlich auch in die- sem Stücke die Darstellung des vierten Evangeliums als eine pragmatische sich Beige, was die der übrigen nicht sei *). Allein, was hier an stufen weisem Fortschreiten die johan- neische Erzählung voraushaben soll , ist schwer einzusehen, - da ja gleich die» erste bestimmtere Angabe über das sich bildende Mifsverhüitnif* (5, 16.) in dem IW tavrdv notwv t~i lh<~) das Höchste des Anstofses , in dem it^xBv ccvjov ditoxitivai aber das Höchste der Feindseligkeit enthält, so dafs Alles, was weiter von der Feindschaft derVutfatot er- zählt wird, blofse Wiederholung ist, und nur der Syne- driumsbeschluf« Kap. 11. als Fortschritt zum Bestimmteren sieh darstellt. In diesem Sinne fehlt aber auch der syn- optischen Darstellung der Fortschritt nicht, von dem un- bestimmten iveÖQ€V€iv und diaXcdztv , %l av noiqosiav r<p 'April (Lue. 11, 54, 6, 11.), oder, wie es bei Matthäus (12, 14.) und Markus (3, Ä.) bestimmter lautet, ovfißii— Uov Xctftßdveiv omog avxov dnoXiaowtr 9 bis au dem in ße- r.ug auf Art (ßolqO und Zeit Qir} iv rfj tOQtff) nunmehr genau bestimmten Beschlüsse (Matth. 20, 4 f. parall.).

2) ScttKitcKEKiiuiieiR, über den Urspr., S. 9 f. Llcki, 1, S. 155. 159. 2, S. 402.

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37S

...Dritter Abschnitt.,

Näher wird nun aber den drei ersten Kvangelisten beson- ders das zum Vorwarf gemacht, dafs sie in der Auferwe- ckung des Lazarus diejenige Begebenheit übergangen ha- ben, weiohe für die letzte Wendung des Schicksals Jesu entscheidend geworden sei ■"). Müssen dagegen vsir, mit Rücksicht auf das obige Resultat unsrer Kritik dieser Wun- dererzahlung, vielmehr die Synoptiker loben, dafs sie nicht eine Begebenheit zum Wendepunkte des Schicksals Jesu inachen, welche gar nicht wirklich vorgefallen ist : so be- urkundet sich der vierte Evangelist auch durch die Art, wie er den dadurch veranlagten Hordbeschiufs berichler, keineswegs als einen solchen, dessen Auetoritat uns die Wahrheit seiner Erzählung verbürgen könnte. Das zwar, dafs er, ohne Zweifel nach einer abergläubischen Zeitvor- stellung *)> dem Hohenpriester die Gabe der Prophetie zu- schreibt, und seinen Ausspruch für eine Weissagung auf ifen Tod Jesu hält, diefs würde für sich noch keinem < .> beweisen, dafs er nicht ein Augenzeuge und Apostel kannte gewesen sein *). Das aber ist mit Recht bedenklich gefun- den worden, dafs unser Evangelist den Kaiphas als un/ji— ffevs itf iviavxü ixtivH beaeichnet (11, 39.) , also vorauszu- setzen scheint, diese Würde sei, wie manche römische Ma- gistraturen , eine jährige gewesen , da sie doch .ursprüng- lich eine lebenslängliche war, und auch* in jener Zeit der römischen Oberherrschaft nicht regelmäfsig jährlich , son- dern so oft es der Willkühr der Römer gefiel, abwechseln*. Auf die Auctorität des vierten Evangeliums hin gegen die sonstige Sitte und unerachtet des Stillschweigens des Jose« phu8 anzunehmen , Annas und Kaiphas haben vermöge ei- ner Privatubereinkunft jahrlich gewechselt b) , dazu mag

3) Vgl., ausser den angeführten Kritikern, Uus, tinleit. in das N. T. 2, S. 215.

4) Hieruber am richtigsten Lucas, 2, S. 407 H.

5) Wie die Probabilien meinen, S. 94* 0) Huc, tu a. O. S. 221.

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Zweites Kapitel. §. 116. 379

sich, wer Lust hat, entschließen ; iviavzS unbestimmt für ZQOVts eu nehmen 7), ist wegen der doppelten Wiederho- lung desselben Ausdrucks V. 51. und 18, 13. unzulässig; dafs in jener Zeit das Hohepriesterthum so häufig wech- selte, und einige Hohepriester nicht länger als ein Jahr in ihrer Stelle belassen wurdeu 8j, berechtigte unsern Schrift- steller nicht, den Kaiphas als Hohenpriester eines Jahrs zu be- zeichnen, welcher gerade vielmehr eine Reihe von Jahren, namentlich wahrend der ganzen Dauer von Jesu öffentli- cher Wirksamkeit, jene Stelle bekleidete; d*(s aber endlieh Johannes soll sagen wollen, im Todesjahr Jesu sei Kaiphas Hoherpriester gewesen, ohne dadurch frühere und spätere Jahre auszuschliefseri , in welchen er dieses Amt; gleich- falls bekleidet habe "j geht ebensowenig. Denn wenn die Zeit, in welche eine Begebenheit füllt, als ein gewisses Jahr bezeichnet wird, so mufs diefs darin seinen Grund haben, daß entweder die Begebenheit, deren Zeit bestimmt werden soll, oder das Datum, nach welchem man dieselbe bestimmen will, mit dem Jahreswechsel zusammenhangt. Entweder mufs also der Erzähler im vierten Evangelium der Meinung gewesen sein, von Jesu Tod, zu welchem sie damals den Anschlag machten , sei auf jenes ganze Jahr, aber weiter nicht, eine Fülle von Geistesgaben, unter wei- chen auch die prophetische Gabe des damaligen Hohenprie- sters, Ausgellossen l0) : oder, wenn diefs eine gesuchte Er- klärung ist, so mufs er den Kaiphas als Hohenpriester eben nur jenes Jahrgangs sich vorgestellt haben. Wenn also Lücke schliefst, da nach Josephus der damalige Hoheprie- ster dieses Amt zehn Jahre hintereinander verwaltet habe, so könne Johannes mit dem uqxuq^i'S %h inainä ixtiva

7) KuiNbL, z. d. St.

8) Paulus, Co mm. 4, S. 579 f.

9) LCcks, x. d. St. 10) LieimrooT, s, d. St.

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380 Dritter Abschnitt.

nicht gemeint haben , das hohepriesterliche Amt sei damals jährig gewesen : so kehrt sich dieser Schlufs , da das Zu- tageliegen dieser Meinung in den Worten des Evangeliums sicherer ist, als dafs dessen Verfasser Johannes gewesen, in den der Probabiiien um : da das vierte Evangelium hier eine Vorsteliung von der Dauer des Hohenpriesteramte« sieige, die man in Palästina nicht haben konnte, so könne der Verfasser desselben kein Palästinenser gewesen sein

Auch von den weiteren Angaben Über die Punkte, durch welche Jesus der Hierarchie seines Volkes anstöfsig geworden sei , sind nur diejenigen glaubiich , welche die Synoptiker allein oder mit Johannes gemein haben: die dem letzteren eigentümlichen nicht. Von dem Gemein- schaftlichen war der Anstofs an seinem feierlichen Ginsog und der starken Anhänglichkeit des Volks an ihn, die sich dabei zeigte, ebenso natürlich, als die Erbitterung Uber sein Reden und Thun gegen die Sabbats Vorschriften , worin im- mer letzteres bestanden haben mag; dagegen ist die Art, wie dem vierten Evangelium zufolge die Juden an den Äus- serungen Jesu fiber sich als Sohn Gottes Anstofs genom- men haben sollen, nach einer früheren Auseinandersetzung ls) ebenso nndenkbar, als es in der Ordnung ist, dafs die Po- lemik gegen den PharisXismus, welche ihm die drei ersten Evangelien leihen , die Getroffenen verdriefsen mufste. So ist über die Ursachen und Motive der Reaction , welche gegen Jesum sich bildete , in der johanneischen Darstellung kein neuer und tieferer Aufschlufs zu holen : aber was die Synoptiker bieten , reicht auch vollkommen hin , jene Erscheinung cu begreifen.

5. H7.

Jesus und sein Verräther. Unerachtet im Rathe der Hohenpriester und Ältesten

11) Probabil. a. a. O. '

12) 1. Band, §. 62.

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\

Zwei res Kapitel. §. 117. 381

beschlossen worden war , die Festzeit erst vorfl bergeben ru lassen, weil eine in diesen Tagen an Jesu verübte Gewalt- that unter der Masse ihm günstiger Festbesucher leicht ei- nen Aufstand erregen konnte (Matth. 26, 5. Marc. 14, 2.): so wurde diese Rücksicht doch durch die Leichtigkeit über- wogen , mit welcher einer seiner Jünger ihn in ihre Mün- de su liefern sich anheischig machte. Judas nämlich, ohi-e Zweifei von seiner Abstammung aus der judäischen Stallt Kerioth (Jos. 15, 25. ) *IoxctQitoT7]g genannt ')> gieng den Syn- optikern zufolge wenige Tage vor dem Paschafest zu den Vorstehern der Priesterschaft, und erbot sich, Jesum ih- nen in der Stille zu überliefern, wofür sie ihm Geld, nach Matthäus dreissig Silbersekel iaQyvQia), versprachen (Matth. 26, 14 ff. parall.). Von einer solchen vorläufigen Verhand- lung des Judas mit den Feinden Jesu meldet das vierte Evangelium nicht nur nichts, sondern scheint auch sonst die Sache so darzustellen, als hätte Judas erst bei der letz- ten Mahlzeit den £ntschlufs gefafst und sogleich ausge- führt, Jesum an die Priesterschaft zu verrathen. Dassel- be elgtlfolv des Satan in Judas nämlich , welches Lukas (22, 3.) vor seinen ersten Gang zu den Hohenpriestern, und ehe noch zum Paschafest Anstalt gemacht ist, setzt, läfst der Verfasser des vierten Evangeliums bei diesem Mahle eintreten, ehe Judas die Gesellschaft verliefs (13, 27.): zum Beweis, wie es scheint, dafs nach der Ansicht dieses Evangelisten Judas erst jetzt den verrätherischen Gang ge- macht hat. Zwar schon vor dem Mahle, bemerkt derselbe

1) Genauere Auskunft Uber die Abstammung des Verräthers weiss Olshauskn iu geben, wenn er bibl. Comm. 2, S. 458 Anm. sagt : „Vielleicht ist 1 Mos. 49, 17. [ : Dan wird eine Schlange sein auf dem Wege, ein Cerast auf dem Fusssteige, der das Pferd in die Hufe sticht, dass sein Reiter rückwärts fallt] der Venrath des Judas prophetisch angedeutet, wor- nach man schliesscn könnte, dass er aus dem Stamme Dan war."

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382 Dritter A bschnitt.

(13, 2.), habe der Teufel dem Jodas in« Her» gegeben gehabt, Jesuni jtu verratben, und dieses t5 diaßolü ßfßlr^- xozog eig Tfjv xaQÖiav wird gemeiniglich dem elgr^&e aorcr- rdg bei Lukas gleichgesetzt, und von dem Entschlüsse zum Venrath verstanden, in dessen Folge Judas zu den Hohen- priestern gegangen sei : allein , war er schon damals mit denselben einig geworden, so war der Verrath bereits voli- eogen, ond man weif* dann kaum , was das etgijl&sv eig aizov 6 oazavag bei'm letzten Mahle noch bedeuten soll, da das Hinausführen derer, welche Jesum greifen sollten, kein neuer Teufeisentscbiufs , sondern nur die Vollziehung des bereits gefafsten war. Der Ausdruck bei Johannes V. 27. bekommt im Unterschiede von V. 2. nur dann einen ganz passenden Sinn , wenn man das ßallav eig trtv xaQÖiav von dem Aufsteigen des Gedankens, das ugilOktv aber von dem Reifen desselben zum Entschlufs versteht, also nicht voraussetzt, dafs Judas schon vor dem Mahle den Hohen- priestern eine Zusage gemacht habe '-'). Stehen sich aber auf diese Weise die Angabe der Synoptiker, dafs Jndas schon einige Zeit vor der Ausführung seines Verraths mit den Feinden Jesu in Unterhandlung gestanden, und die jo- hanneiscbe, dafs er erst unmittelbar vor der l hat sich mit ihnen in Verbindung gesetzt habe , entgegen ; so ent- scheidet sich zwar Lücke in der Art für den Johannes, dafs er behauptet, erst nach dem Aufbruch vom letzten Mahl (.loh. 13, 30.) habe Judas den (jang zu den Hohen- priestern gemacht, welchen die Synoptiker (Matth. 26, 14 f. parail.) vor das Mahl versetzen 3): aber er thut diefs

2) Dass nach der jolianneischen Darstellung Judas erat vom Mahle weg zum erstenmal zu den Hohenpriestern gegangen sei, bat auch Li6ht»oot anerkannt (horae, p. 465.), aber mit desswegen das von Johannes erzählte Mahl für ein früheres als das synoptische gehalten.

3) Comm. z. Joh. 2, S. 434.

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Zweites Kapitel. §. 117.

nur der vorausgesetzten Auetoritat des Johannes znJieb ; denn wenn auch , wie er bemerkt , bei eben einbrechender Ts acht Judas mit den Priestern noch recht gut unterhan- deln konnte: so ist doch, die Sache ohne Voraussetzung betrachtet, die Wahrscheinlichkeit ohne Vergleichung mehr auf Seiten der Synoptiker, welche der Sache doch einige Zeit lassen, als des Johannes, bei welchem Alles Knall und Fall geht, und Judas, allerdings wie besessen, nach Einbruch der Nacht noch davonrennt, um mit den Prie- stern zu unterhandeln , und unmittelbar darauf zur That zu schreiten.

Uber die Motive, welche den Judas bewogen haben, sich mit den Feinden Jesu gegen ihn zu verbinden , erfah- ren wir aus den drei ersten Evangelien nur, dafs er von den Hohenpriestern Geld bekommen habe. Diefs würde, besonders nach der Erzählung bei Matthaus, wo Judas, ehe er den Venrath zusagt, die Frage macht : rl Meitze // 01 Sbvat ; für Hab - und Gewinnsucht als Triebfeder sprechen. Bestimmteres Licht wirft hierauf noch die Angabe des vierten Evangeliums (12, 4 ff.), schon bei dem Bethanischen Mahle habe Judas sich Uber die Salbung, als eine unnö- thige Verschwendung, geärgert ; er habe nämlich den Beu- tel geführt, sei aber an demselben zum Dieb geworden; wornach also anzunehmen wäre , dafs die Habsucht des Judas, durch das, was er der GeseiUchaftscasse abstehlen konnte, nicht mehr befriedigt, durch die Überlieferung Je- su an die reiche und mfichrige Priesterpartei nachhal- tigeren Gewinn zu machen gehofft habe. Man wird es dem Verfasser des vierten Evangeliums Dank wissen müs- sen , dafs er uns durch die Aufbewahrung dieser Notizen, welche den übrigen Evangelisten fehlen, die That des Ju- das einigermaßen begreiflich gemacht hat, sobald sich seine Angaben als historisch begründet zeigen. Hier ist nun aber in Bezog darauf, dafs gerade Judas jene Rüge ausgesprochen habe, schon oben ausgeführt worden, wie

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V

384 Dritter Abschnitt.

unwahrscheinlich es «ei, dafs die Sage diesen Zug verlo- ren haben sollte 1 ) :• wie wahrscheinlich dagegen^eine sa- genhafte Entstehung desselben ist, erhellt leicht. Das in- dianische Mahl stand in der evangelischen Überlieferung dem Ausgang des Lebens Jesu durch den Vorrath des Ju- das nahe: wie Jeicht konnte einem der Gedanke aufstei- gen, jener engherzige Tadel edler Verschwendung könne nur von dem habsüchtigen Judas ausgegangen sein? Dafs der Tadel zugleich auf Verkaufen der Salbe zum Besten der Armen drang, konnte im Munde des Judas nur ein Vorwand gewesen sein, hinter welchem sich sein Eigen- nutz versteckte : eignen Vortheii aber konnte er von dem Verkauf jener Salbe nur dann erwarten, wenn er sich erlaubte, von dem erlösten Geld etwas zu unterschlagen, und diefs konnte er wiederum nur, wenn er Cassenftih- rer war. Zeigt sich so auch von dem Zuge, dafs Judas xXlntyg rjß xai %o yhooooxouov e*ne unhistorische

Entstehung als möglich : so ist nun zu untersuchen , ob sich Gründe zu der Annahme finden, dafs es sich wirk- lich so verhalte ?

Hier mufs ein andrer Punkt hinzugenomroen werden, in welchem die Synoptiker und Johannes differiren, näm- lich das Vorherwissen Jesu von des Judas Verrä'therei. Bei den Synoptikern zeigt Jesus diese Kunde erst am letz- ten Mahle, also zu einer Zeit, wo die That des Judas ei- gentlich schon geschehen war, und noch knrz vorher, wie es scheint, ahnte Jesus noch so wenig davon, dafs einer der Zwölfe ihm verloren gehen würde , dafs er ihnen al- len, wie sie da waren, bei der Palingenesie ein Sitzen auf 12 Richterstühlen verhiefs (Matth. 19, 28 ). Nach Johan- nes dagegen versichert Jesus schon um die Zeit des vor- letzten Pascha, also ein Jahr vor dem Erfolg, einer von den Zwölfen sei ein ditxßolog, womit er, laut der ße«

4) 1. Band %. 88.

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Zweites Kapitel. $. 117. 385

merkung des Evangelisten , den Jude«, als »einen künf- tigen Verräther, meinte (6,70.); denn, wie kurz vorher (V. 64.) bemerkt war, ffiii aQX>tS o 'i'jWfc tig *£" i tiuyudujaun umov. Hienach hätte also Jesus von Anfang •einer Bekanntschaft mit dem Judas gewufst, dafs dieser ihn verrathen würde, und nicht biofs diesen äussern Lriolg hätte tr vorhergesehen, sondern, da er ja wufste, was im Menschen war (Job. 2, 25.)) so hatte er auch die Triebfe- dern des Judaa durchschaut, dafs er nämlich aus Habsucht und Geldgier Jene That begehen wurde. Und dabei soller ihn zum Cassel Öhr er gemacht, d. h. ihn auf einen Posten gestellt haben, auf welchem sein Hang, sich auf jede, wenn auch unrechte Art Gewinn au schaden, die reichste Nah* rung bekommen mufste ? er soll ihn durch Gelegenheit sunt Dieb gemacht, und sich, wie absichtlich, an ihm einen Ver- rät her grofs geaogen haben? Schon vom ökonomischeu •Standpunkt aus betrachtet: wer vertraut denn eineiU|eine Casse an, von dem er weifs, dafs er sie bestiehlt ? dann pädagogisch: wer stellt deu Schwachen auf einen Fiat«, der gerade seine schwache Seite so beständig in Anspruch nimmt, dafs vorauszusehen ist, er iuüf*e früher oder spä- ter unterliegen? Wein in der That, so hat Jesus mit de% ihm auuächst anvertrauten Seelen nicht gespielt, so nicht das Gegentheil von dem ihnen erwiesen, was er sie beten lehrte : /</ tioivtyxfö r^äg tig nti^uofiov (Matth. 6, 13.), dafs er den Judas, von welchem er vorauswufste, er werde aus Gewinnsucht sein Verräther werden, zum Cassel ühr er ernannt haben könnte; oder wenn er ihn dazu machte, so kann er jenes Vorherwissen nicht gehabt haben.

13m in dieser Alternative zn einer Entscheidung au gelangen, mttfsen wir jenes Vorherwissen für sich nehmen, vnd sehen, ob es, abgesehen von dem Cassenamte des Judas, wahrscheinlich ist oder nicht? Aaf die Frage nach der psychologischen Möglichkeit wollen wir uns nicht einlassen, da es ja immer frei steht, sich auf die göttliche Natur in Dai Ub€n Jesu VAaJh 11. band. Sft

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Jesu zu berufen; aber von de

wird es sich fragen, o.» es bei j(

386 Dritter Abschnitt

II .i 1 •« »J*A i * *

der moralischen Möglichkeit [euer Voraussicht zu recht- fertigen sei, dafs Jesus den Judas unter die Zwölfe ge- wählt, und in diesem Kreise behalten habe? Dadurch diese: Berufung sein Verrath als solcher erst möglich wur- de ? so scheint Jesus , wenn' er diesen vorherwufste , und den Judas' rfocH "Berief, ihn absichtlich in jene Sünde hin- Sfhigezogen zuliöben. Man wendet ein. durch den Um- gang mit Jesu sei dem Judas ja auch die Möglichkeit ge- ieben werde..; j enem Abgrund zu entgehen v) : aber Jesus nattc ja vorausgesehen ^ dafs sich diese Möglichkeit nicht Verwirklichen würde; pari sagt weiter, auch in andern KreÜen Würde das In Judas* gelegene Böse sich, nur in andrer Form, entwickelt haben, was schon stark determi- nistisch klingt ; so wie vol ends die Behauptung, es sei kei- ne wahre Hülfe' für 'den Menschen, wenn das Böse, wozu der Keim in ihm liegt, nicht zur Ausbildung komme, auf Cons&jüenzen zu führen scheint, wie sie Köm. 3, 8. 6, 1 f* verworfen sind. Und auch nur von der gemüthlichen Sei- te angesehen, wie konnte Jesus es ertragen, einen Men- schen, Vonuwelchem er wufste, dafs er sein Verrfither werden^' und alle Unterweisung an ihm fruchtlos bleiben 4rürdej: die ganze Zeit seines öffentlichen Lebens hin- durch um sich zu haben? mufste ihm durch denselben nicht jede Stunde traulichen Zusammenseins mit den Zwöl- fen verkümmert werden? Gewifs triftige Gründe müfsten es gewesen sein, um deren willen Jesus sich dieses Widri- ge und Harte aufgelegt hätte. Solche Gründe und Zwecke konnten sich entweder auf den Judas beziehen, und hier also in der Absicht bestehen, ihn zu bessern, welche aber durch die bestimmte Voraussicht seines Verbrechens zum Voraus abgeschnitten war; oder sie bezogen sich auf Je-

5) Diesen und die folgenden Gründe s. bei Olshausi*, 2, S. 458 ff.

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Zi#ftlf^Mt#pftfeT.: i 117. 187

snnt selbst und sein Werk, so dafs er die Überzeugung gehabt hatte, wenn die Erlösung durch seinen Tod zu Stan- de kommen solle, müsse anch einer sein, der ihn verra- the Allein zu jenem Zwecke war nach christlicher Vor- aussetzung nur der Tod Jesu ein unentbehrliches Mittel : oh dieser aber mittelst eines Verraths, oder wie'sonst, her- bei«.eführt wurde, htatfe för den Erlösungszweck kein Mo; ment, und dafs es dert Feindon Jesu auch ohne den Judas früher oder später hätte gelingen* müssen, ihn in ihre Ge- walt zu bekommen, ist unlfi^har; dafs aber der Verrä- ther unentbehrlich gewesen, um Jesu Tod eben am Pascha- feste, das sein typisches Vorbild enthalte, zu Stande bringen7): mit Solchen Spielereien wird man uns döcli heutiges Tags nicht mehr hinhalten wollen. - / 7 * Lifst sich somit auf keine Weise eine genügende Ab- sicht ausfindig machen, welche Jesum bewegen konnte, in der i;erson des Judas wissentlieh seinen Verräthcr an sicfr zu ziehen und Um sieh zu behalten : so scheint entschieden, dafs er ihn als solchen nicht im Voraus gekannt haben kann. Schleiermacher, um nicht durch Läng nung dieses Vorherwissens der* johanneischen Auctorit/it Zu nahe zu treten, zweifelt lieber daran, dafs Jesus die Zwölfe rein selbständig ausgewählt habe, und indem nun dieser Kreis' sich mehr durch freies Anschliefsenf der Jünger von selbst gebildet haben soll, so könne Jesus leichter darüber ge- rechtfertigt werden, dafs er den Sich zudrängenden Judas nicht zurückwies, als wenn er ihn aus freier Wahl zu sich gezogen hätte *). Allein die Auctorität des Johannes* wird hiedurch doch verletzt, da ja gerade er Jesum zu den* Zwölfen sagen läfst: b% vftuS fte i£ett$ao9e, aXX iytZ

6) Olshausbi», a. a. O.

7) Ein solches Argument licsse sich aus dem ableiten, was Ols- hausr*, 2, S. 387 unten und 388 oben tagt.

8) Uber den Lukas, S. 88.

25 *

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I ,

389 Dritter Abschnitt

htaurv vfi&S (15, Hk vgl. fl, 70.) ; übrigens einen bestimm- ten Wahlaet aach weggedacht) so brauchte es doch, da- mit einer bestandig um Jesus* bleiben durfte, seiner Erlaub* nifs und Bestätigung , und schon diese konnte er me isch- lieherweise einem Manne nicht geben, von welchem er Wülf- te, dafs er durch dieses Verhäitnifs au ihm der schwftrsesten Frevelthat entgegenreife ; sich aber gana, wie man sagt, in den Standpunkt Gottes bu versetzen, und um der Möglichkeit der Besserung willen, von der er doch vorauswofste, dafs sie nie zur Wirklichkeit werden würde, den Judas in sei- ner Gesellschaft su lassen , das wlre eine göttliche Un- menschlichkeit, nichts Gottmenschliches, gewesen. So schwer es hienach hält, die Angabe dea vierten Evangeliums, dafs Je «us von Anlang an den Judas als seinen Verrät her ge- kannt habe, als historisch festzuhalten : so leicht entdeckt sieh, was noch ohne geschichtlichen Grnnd su einer sol- chen Darstellung bewegen konnte.

Dafs der von einem seiner eignen Schüler an Jesu begangene Verrath ihm in den Augen seiner Feinde tum Nachtheil gereichte, ist natürlich, wenn wir auch nicht von Celans wüfsten, dafs er in der Rolle eines Juden Je- su verwarf, Sri iq> wv wvofta^e fia&ynriv noöJo,'>r, sum Beweis, dafs er weniger als jeder Räuberhauptmann die Seinigen an sich su fesseln vermocht habe *). Wie nun die aus dem schmählichen Tode Jesu au siebende üble Folgerung durch die Behauptung, er habe seinen Tod lan- ge vorhergewufst , am besten abgeschnitten au werden schien: ebenso das, was man ans dem Verrathe des Ju- das Schlimmes gegen Jesnm ableitete, durch die Angabe, dafs er von Anfang an den Verräther durchschaut habe, und dem, was ihm dieser bereitete, hätte entgehen kön- nen, mithin mit Freiheit und aus höheren Rücksichten •ich seiner Treulosigkeit ausgesetat habe t0) ; womit su-

9) Orig. c. Geis. 2, 11 f. 10) vgl. Probabil. p 159.

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Zweites Kapitel, f. 117. tS9

gleich nach der Vortheil ea gewinnen war, der in jeder angeblich eingetroffenen Voraussagung für den Voraus- verkflndigenden liegt , and welchen der rierte Evangelist naiv feinen Jesus aussprechen läfst, wenn er ihai nach der Beaeichnnng des Verrät hers beim letaten Mahle die Worte leiht t an Sora Xiy<o iplv nQö %5 ytvtadat, tra9 orccv yivrrrai, mzevarie , ort tyoi dpi (13, 19.) in der That daa beste Motto an allen vaticinitg pott evttihtm. Dieae beiden Zwecke wurden deato vollkommener erreicht, je weiter aarfick im Leben Jean dieses Vorherwleeen ge- aetat wurde, woraus sich also erklärt, warum der Verfas- ser dea vierten Evangeliums, nicht zufrieden cfamit, dafe nach der gewöhnliehen Oaratellnng Jesus bel'm letr.t»n Mahle den Verrath dea Judas vorher ? erkOndlif t haben sollte, aeln Wissen am denselben schon in die Anfang* dea Znaammenseina Jesu mit Jndaa verlegte n).

Ist hiemit ein ao frühes Wissen Jean am die Ver- rltherei dea Jndaa ala anbiatoriach beseitigt, so wäre Rannt für die Angabe gemacht, dafa Jiu'as den Beutel der Ge- Seilschaft Jean geführt habe, was sich nur mit jenem Vor* anawiaaen nicht an vertragen schien, wogegen nun, wenn aleh Jeana überhaupt In Judas irrte, er in eben diesem Irr- thum Ihm auch die Caase anvertraut habe» könnte. Allein

11) Noch welter rückwärts wird, nicht das Winsen Jesa um sei- neu Verrätber , aber doch ein bedeutsames Zusammentreffen mit demselben, im apokryphiachen vangelium Infantiae ara- bicum c. 55., bei Kaaaicivs I, p. 197 f., bei Thilo, 1, p. 108 f. gesetzt. Hier wird ein dämonischer Kn.be, der im Anfall mit den Zähnen um sich biss, zu dem Kinde Jesus gebracht, er beisst nach ihm, und weil er es mit den Zähnen niebt errei- chen kann, versetzt er ihm einen Schlag auf die rechte Seite, worauf das Jesuskind weint, der Satan aber einem" w ulken- den Hunde ähnlich aus dem Knaben fahrt. Hie autem puerf qni JesumTpercussit et ex quo Sataras sub forma canis exi-

oii9 fuii Mai hchariotts, qui illum Jedaeis prodidit.

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$%&*hW&mt*W* die WW* /Weilung ty.9rWff «»/ 4<tf. W'H«1 Jesu «m «einen Verrather eine gemachte^ sei, i*t die Glaubwürdigkeit derselben in dieser Sache stt erschüttert, dafs mao auch zq jener andern An

^be.kein re^c^es Ver^W f*"en der Verfas-

se* des vierten, fv^^^ daa; Verhültliifa Ewiache« Je- *u* u nd JujU* au ider Je*nw betreffenden ßeite ausgemalt: 80 wird er seh werlich die fS.eite des Judas uiivertiert gä- lf ssen Jiaben * hat er die Th ansehe , dafc Jesus verrathen Worden. istr jia^uroH eingelegt ,3 tfaft er Jesum diefe Schicksal »vorhersehe^ litis, so wag leicht das Andere, dafs er ,deu Juda^- ae^ut Gewinnsucht durch untreue Führung ^^»^fc-J0^ «chon «tige^ iaTst , nur Einleitung da- au sein,, ^ ^udaa Jesu© verrathen hat. | ,«/

J) n ih, uit|s«ei| ir auch die johanneischtn Winke Ober den Charakter und die Motive des Judas aufgeben: im- merhin behaltet} wir auch, in^ den oben dargelegten Anga- ben der>ynopt{ker die ^«awnrteste Einweisung auf Hab- iueht als, üjufldtrW»fedep.se;ner That..,.^ r ,< - > -frt

Vk*t\\ 5*71 mU''*L' ' ' * ' ' : '* '')' ' *' * ' *

. / .Hill IJ*n,<*fc"« RVJ .7* ?• rf'd >•* I* 4 V-'-

Versclii^-dene, Ansichten ujl#r f(knjC^sr«Mer des Judas und

die Motive seines Verralhs. ,

Von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten hat es solche .^gebeoj welche mit di^^r^^cht der ISvT.lichen Sohi;iftstej/e/r von deuj, ^Beweggründe, des Judas und mit ih- rem 4wäUäm» Ä«r^erfeuden UrtbeU über denselben (vgl. A. G. 1, 16 tl'. ) ni -ht übereinstimmen au können glaubten, und zwar können wir lägen, dafs diese Abweichung theils aus übertriebenem Supranaturalismus, theils aus einem ra- tionalistischen Hange hervorgegangen ist.

Ein überspannter Supranaturalisinus konnte von dem im N. T. selbst an die Hand gegebepen Gesichtspunkt aus, dafs der Tod Jesu, im göttlichen Weltplan beschlossen, /um Heil der Menschheit gedient habe, nun auch den Ju-

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,11 1 u H s jt A 10 Min«! Zweite« Kapitel. §. 118. 3Ü1

«I durcli dessen Venrath der Tod Jesu herbeigeführt w or- den ist, nur als ein W,erk*eii£ /ler fland der Vor*ifhi*ng, als einen Mitarbeiter /lejn Erlösung der Mensohheit. be- trachten. In dieses Licht konnte er dadurch gestellt wer- den, dafs man ihm ein Wissen um jenen göttlichen Kath- sohiufs lieh, and. die VpUxi^hiifi^.f}emIben^.(^f^s^ Zweck seines Verjathes setzte. Diese Retrao^gsweiae linden wir wirklich bei der gno<i lachen Partei der Kainl- ten, weiche den alten liäresiolugen eufolge den Judaa für denjenigen hieltea, der,, sich über die beschränkte jfldi- »che Ansicht der übrig** Junger r.ur Gnosis. erhoben, und dieser geraäfs Jesomvrrratheii habe, weil er erkannte, dnfs durch seinen Tod das Reich jfcer *Üe Weir beherrschenden niederen Geister, ge^t^ Verden würdet AnüW in der fiteren Kfccb* ra umten * war ein , 4el> aMae Jeräm ans jie winusucht verratheti haj^^> jrloaji soll er/ nicht erwartet haben , dafs Jesua gefcödtet, werden würde , sondern dev Meinung gewesen sein, er, ^ isjerde % mi* 1 schon öftere ,! so auch diefsmal, durch seine übernatürliche Machfr*einen Feinden entgehen 2 ) ; eine Ansicht, weiche bereits den Uber« gang sn den neueren Rechtfertigungen des Verräthers bildet. ' \, ^ ;ii »-.tfoeU»

1) Ircn,.ady. htm 4,. 35 : 1 Judam proditorem tölum prae «?. fem cognoiceniem \xrit<tl$m p&rfrcifise proditionis myüerium, per quem et terrena et coaiestia üiiuiiu dissoluta dicunt. Epä- phan. 58, 3: Einige Hainiten sagen, Judas habe Jesum als einen nortjQov verrathen , weil er das gute Gesetz auflösen wollte; ci2oi Sie rwy aurcSr, *xt>Va<uv> ***** <*ya$oy avzoy opxa vaqt'SiüKf xara rt)y lrt*Qav$or yvwatv. fyrtoamr yaq, ftp'* t fy/on««, or«, tay <$ X^i?o« na^aSo^ MtrSrat mvrwy j} doDtv^i 9vpaftti* xai tiTOy <pqoit yvi; & "l*da;, Zontvot xcti ndy- ra iuCvtjotv , «5sr# na^adSyat avroy , ayabey tnyor noifjoas Imv fi; ou)Tt]ni'av, xai Sii \uCi; Inatytlv xa\ an <K?i Jeu at auTut toy tnatyoy, Srt 61 autm xuitoxeväaUt; folr >) ri gavQä our^ia xai

tijg Totautris vno9t'atto( ztay ayto dnoxdiuyti. 1

2) TheouhyUct. in Matth. 27, 4.

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Sttt Dritter A bseh n i tt.

, , i x * *i * Wir dir bezeichnete supranaturalistische Crhebang des Judss bei den Kainlten zunächst von ihrer Opposition ge- gen'das Judenthnut ausgieng , kraft deren sie sich eum firundsata gemacht hatten, alle von den ffldlschen Verfas- •ern des alten, oder den judaisirenden des neuen Testa- ment« getadelte Personen ru ehren and umgekehrt: so ver- spürte der Rationalismus, besonders in seinem ersten Un- willen Uber die lange Knechtschaft der Vernunft in den Fesseln der Auctoritä't, einen gewissen Rela tn sich, wie die ?oo der orthodoxen Ansicht seiner Meinung nach an aehr vergötterten biblischen Personen ihre« Nimbus au ent- kleiden , so die in eben dieser Ansicht verdammten oder aurockgesetcten au vertheldigen und zu heben. Daher, was das A. T. betrifft, die Erhebung Esau's über Jaeob, Säule Über Samuel; im neuen der Martha Aber die Maria, die I/obreden auf den eweifelndon Thomas, and nun sogar die Apologie des Verrftheea «Inda«. Den Einen war er ein Verbrecher aus beleidigter Ehre: die Art, wie Jeans ihn bei der Bethanischen MahUeit geeüchtigt, die Zurflcksetaung Überhaupt, die er Im Vergleich mit andern Jüngern erfuhr, verwandelt« seine Liebe au dem Lehrer in flafs und Redi- gier*). Andere haben sich mehr der von Tbeophyiakt auf- behaltenen Vermuthung angeschlossen, dafs Judas gehofft haben möge , Jesus werde aueh diefsmal seinen Feinden entgehen. Dlefs fifsten die Einen noch supranaturaiistUch so, als hatte Judas erwartet, Jesus werde sich durch An- wendung seiner Wunderkraft in Freiheit setsen K) ; conse- qoonter auf ihrem Standpunkt muthmafsten Andere, Judas mtfge wohl erwartet haben , wenn Jesua gefangen wäre,

m

3) Hussa/ Atel. Theo!. |, S. 249. Ähnlich auch Ktortvoca, im

4) R. Ca. L. Schmiht, exeg. Beiträge, f. Tbl. 2ter Versuch, S. 18 ff. ; vgl. denselben in Scamov'i Bibliothek, J, 1, S.

165 ir.

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I

Zweites Kapitel. %. 118.

werde ein Volksaufstand zu seinen Gunsten ausbrechen nnd ihn befreien *). Judas wird hienach als ein solcher vor- gestellt, der, darin öhrigen« den andern Jüngern gleich, das Messiasreich irdisch nnd politisch sich dachte, nnd daher unzufrieden war, dafs Jesus die Gunst des Volks so lange nicht benütete, um sich «um mestiaimchen Herrscher aufzuwerten. Veranlagt nun entweder durch Bestechung*- versuche des Synedriums , oder durch das Gerücht von des- sen Plane, Jesum nach dem Fest insgeheim zu verhaften, habe Judas diesem Anschlag, der Jeaurn verderben mubte, zuvorzukommen , und eine Verhaftung noch während de« Feets zu Stande zu bringen gesucht, wo er gewifs hoffen bu können glaubte, Jesum durch einen Volksaufstand befreit, ebendamit aber genöthigt zu sehen , sich endlich dem Volk in die Arne zu werfen, und zur Gründung seiner Herr» schaft den entscheidenden Schritt zu thun. Da er Jesum von der Notwendigkeit seiner Gefangennehmnng, nnd dafs er in drei Tagen sich wieder erbeben werde, spre- ehen hörte, habe er diefs als Zeichen der Einstimmung Je- su in seinen Plan genommen , in diesem Wahne dessen übrige abmahnende Reden theils überhört, theils falsch ge- deutet, namentlich das o 7voutgf \notqoov TOffiW als eine wirkliche Ermunterung zur Ausführung seines Vorhabens aufgefafst. Die SO Silberlinge habe er von den, Priestern genommen , entweder um seine wahre Absicht hinter den Schein der Habsucht zu verbergen, und ihnen dadurch jeden Verdacht zu benehmen ; oder habe er neben der Er- hobung zu einer der ersten Steilen im Reiche seines Mei- stert, die er erwartete, auch jenen kleinen Vortheil noch mitnehmen wollen« Aber Judas habe sich in awei Punk- ten verrechnet: einmal, indem er nicht bedachte, dafs nach der durchschmausten Paschanacht das Volk nicht frühe

5) Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 451 ff. L. J. 1, b, S. 143 ff. Hasi, L. J. $.

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394 " bitter fcfc&fclftV "

WAMm 'A«ßt»nd wich .eh. wB^e ;' Uei'ten«, nJrm pr nicht "erwog , dafs das Sjnedriam eilen würde, Jesum iii die ride der Römer zu bringen, denen ein Volk Bau fctaiiH ihn schwerlich zu entreisst-n im Stande war. So soll nun Judas entweder ein verkannter braver Mann (Schmidt); oder ein Getäuschter * ein, der aber Un gemeiner 'CU- rakter , vielmehr in seiner Verzweiflung noch ein Trüm- mer apostolischer Gröfse war (Hase); oder soll er, swsr durch ein schlechtes Mittel , doch einen guten 'Zweck har ben erreichen wollen (Paulus).

Gegen die zuerst ausgeführte Ansicht nun, w eiche den Verrath dem Judas aus gekränktem Ehrgeiz ableitet, ist in Bezug auf den Verweis bei'm Bethanischen Mahle, auf den man so großes Gewicht legt, schon bei andrer Gelegen- heit die Bemerkung der neuesten Kritik gekehrt worden, dafs die Milde jenes Verweiset, wie sie namentlich aus der Vergleichung mit der weit schärferen Zurechtweisung des Petrus, Matth. 16, 2?. erhelle , in gar keinem Verhalt- nlfs zu dem Groll stünde, den er In Judas erregt haben soll *); dafs dieser aber sonst Zurücksetzung gegen seine Mitjünger erfahren habe , davon fehlt uns jede Spur. Die andre Ansicht , welche dem Judas die Hoffnung auf Befrei- ung Jesu unterlegt, fufst hauptsächlich darauf, dafs er, nachdem ihm die Ablieferung Jc-u an die Römer und die Unvermeidlichkeit seines Todes zu Ohren gekommen , in Verzweiflung geraihen sei, als Beweis, dafs er einen ent- gegengesetzten Erfolg erwartet hatte. Allein nicht hlofs der unglückliche Erfolg, wie Paulus meint, sondern ebenso auch der glückliche , oder das Gelingen des Verbrechens , „zeigt dasselbe , welches man sich vorher unter tausend EntschuldigungsgrÜnden verschleierte, in seiner schwarzen eigenthümlichen Gestalt." Das real gewordene Verbrechen wirft die Maske ab, die man dem nur erst idealen, im Ge-

6) 1. Baad, §. 88. Vgl. n>ch Hilf, a. a. 0.

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<bnken vorhanden«, fUeM <*ohn(S>, ^'»"^Pfte1 Heue manches IWra^wenn er den* Gemordeten Vo>WÄR* lieguir sieht , beweis* , da fs er den Nord nicht wirkflckle* abiichtigt habe: ebenso wenig kann dir de» Judas, als er Jeium ohne Rettung sah, beweisen, >dafs er nicht Voran s^ berechnet hatte , ea werde Jesum das Leben kosten. <Un- PA^Üch aber, ntgl man ferner, kann i la baucht die Triebfe- der des Judas gewesen sein ; denn kenn ihm um Ge- yrtaur«) th«n war , so konnte ihm nicht entgehen /Ha* die fortdauernde Gaalenführung in der (Jpaellschaft Jesu * ihm mehr abwerfen würde, ala die elenden 30 Silbertinge, unsres Oides 20 -25 Thaler, die er bekam, was bei den Jqu^Ä« Vergütung für einen verletzten Skiaren, eftrT«^ lohn auf 4 Monate war. Allein eben die 30 Silberttifgfr siiojfcfc m*** ^eroreblirh bei allen Berichterstattern ausser Mat- the ja, Johannes schweigt völlig aber einen dem Judas vw denrCriestern gebotenen Lohn; Markus und Lukas sprechen unbestimmt von aQ'/VQiov , daa sie ihm verspro- chen haben, und auch den Petrus lädt" die Apostelge- schichte ( 1, 16.) nur von einem fuo&dg reden, der dem J n- dan au Theil geworden sei. Matthäus aber, der allein jene benimm te Summe hat, IXfst uns zugleich keinen Zweifel über den historischen Werth seiner Angabe. Er citirt ofisatieh, naohdem er das Ende des Judas berichtet (27, 9 f.), eine Stelle ans Zacharias (11, 12 f. ; ans Irrthum achreibt er Jere- mias) , in welcher ebenfalls 30 Silberlinge als Greifs vor- kommen, eu welchem einer angeschlagen worden nefc ' Zwar sind in der Prophetenstelle die 30 Silberlinge kein Kauf- preifs , sondern ein Lohn; der damit Bezahltest 4er Je- hova's Person vorstellende Prophet , nnd durch die geringe Summe wird die Geringschätzung angezeigt^ welche die Juden gegen sof viele göttliche Wohlthaten eieb «u Schul- den kommen liefsen *)• Wie leicht aber konnte ein christ-

7) RosENmCixsa, Schol. in V. T. 7, 4, S. 318 ff.

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m D*I»Uf Abschnitt. ;

__ f

Hober Leser durch die«« Stelle, in welcher ron elftem schmählich geringen Preise (ironisch Tjrn -QK) die Rede

war, Hai welchen die Israeliten einen im Orakel Redenden angeschlagen haben, an seinen Messiaa erinnert werden, der um ein seinem Werthe gegen aber jedenfalls geringe« Geld seinen Feinden verkauft worden war, and er konnte nan ans dieser Stelle heraas den Preifs bestimmen, der dem Judas für [die Überlieferung Jesu beaahlt worden wer. Hie%>ach geben die iQidxovza aQyvQia durchaus keinen Punkt ab, auf den sich derjenige stützen konnte, welcher bewei- sen will , der geringe Lohn könne es nicht gewesen sein , was den Judas cum Verräther machte; denn wie gering oder bedeutend der Lohn war, welchen Jodas beknm, wis- sen wir geschichtlich gar nicht. >< '

<Ht Da alle andern Gründe, welche fflr edlere Triebfedern des Judas sprechen sollen , noch schwlcher als die unter- suchten sind: so finden wir uns immer wieder auf die Ge- winnsucht aurflckgewiesen , welche uns durch die evange- lischen Nachrichten an die Hand gegeben ist , und sollte diese als Motir eu einem solchen Schritte nicht genügen, so ist es besser gethan, die Unmöglichkeit, hierüber in s Klare au kommen , offen au bekennen , als durch luftiges Prsgmatisiren die mangelhaften Data aufaupnteen *)•

Bestellung des Pascbsmahla.

Am ersten Tage der ungesäuerten Brote , an dessen Abend das Pasehalamm geschlachtet werden mufste, also den Tag vor dem eigentlichen Feste, welohes aber an dem- selben Abend noch seinen Anfang nahm, d. h. den Uten AUsan, soll Jesus, nach den awei ersten Evangelien auf eine ron den Jüngern an ihn gerichtete Anfrage, nach Mat- thäus unbestimmt, weiche und wie viele, nach MarLus awei

8) Vgl. auch FaiTzscHK, in Matth, p. 759 f.

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Zweites Kapitel f. 119. 397

Jünger, welche Lut'as alt den Petra« and Johannes he* reich net, aor Stadt geschickt haben t vielleicht Ton Betha- nien aus) , um für die Festmahlzeit ein Local an bestellen, und die weiteren Anordnungen an treffen (Matth. 26, 17 ff. parall.)« Was Jesu« diesen Jüngern für eine Weisung ge- geben, darin stimmen die drei Berichterstatter nicht ganz iberein. Nach allen schickt er sie au einem Manne,' bei weichest sie nur im Auftrage des diddoxccXog ein Local aur Pawchafeter begehren dürften, um sogleich eines eingeräumt au bekommen: aber theils wird dieses Local von den bei- den andern naher als von Matthaus bezeichnet, nämlich als ein grofses oberes Zimmer, welches bereits mit Polstern versehen , und sum Empfang von Gästen zugerichtet sei ; theile wird namentlich die Art, wie sie den Eigenthomer desselben auflinden sollten , von jenen anders als von die- sem angegeben« Matthäus nämlich lafst Jesum nur *sgen9 sie sollten hingehen ngog tov dtiva: die übrigen aber, sie würden, in die Stadt getreten, einem Menschen begegnen, welcher ein xeQafiiov l'darof trage , dem sollten sie in das Haus, in welches er gehe, folgen, und daselbst mit dem Hausherrn unterhandeln«

In dieser Erzählung hat man eine Menge von Anstös- sen gefunden, welche Gabler In einer eigenen Abhandlung zusammengestellt hat '). Schon das ist aufgefallen , dafs Je<<us erst am letzten Tage an die Bestellung des Mahles gedacht haben soll, ja nach den beiden ersten Evangelisten noch durch die Janger daran erinnert werden mufs , da doch bei dem grofsen Andrang von Menschen in der Paschaeeit (2,700,000 naoh Josephus *)) die städtischen Locale bald vergeben waren, und die meisten Fremden vor der Stadt

unter Zelten campiren mufsten. Um so sonderbarer ist

» »

J) über die Anordnung des letzten Ptschamahls Jesu, in seinem

neuesten theol. Journal, |, 5, S. Ul s?. 2) bell. jud. 6, 9, 5.

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Site Di*tt#r AbwkviVmX

dann, dafs dem un erachtet die Botenj^esu <U$ verlangte Zimmer nicht besetz^ finden, sondern der^ ti^enthünuer^ als hätte er Jesn Bestellung geahnt, e* £u>ihafaufgebobeji, umi bereits für ein Gastmahl zugerichtet hatte,. Und des- sen rersieht sich Jesus so gewifs, daf*. er den - Hauseigen- thümer nicht erst fragen läfst , o b ?er bei ihm ein J^o- cal zur Paschamahlzeit bekommen ktjnoe, sondern ohne Weiteres, wo das für ihn geeignete Xo^t sei? oder nach Matthäus ihm nur ansagen läfst, bei i^m t werde er4a» Pa* scha essen; wozu noch kommt, dafs nach Mnrkqs und,$L#? kas Jesus sogar diefs weifs, was für ein Zimmer mal in welchem Theile des Hauses ihnen eingeräumt werden wfijdp, Besonders auffallend ist nun aber nach diesen beiden die Art , wie die Jünger den Weg zu den£ betreffenden Hause finden sollen. Lautet nämlich bei Matthäus das vnuyn* *i$-Tyv nohv riQog jov ötiva einfach, so, als hätte zwar Je- sus den Namen dessen, zu dem sie gehen sollten, genannt, der Referent aber ihn nicht mehr angeben wollen oder können : so bezeichnet bei den beiden andern Berichten stattern Jesus den Jüngern das Haus, . in das sie zu gehen hätten , dureh einen Wasserträger, dem sie begegnen w (ir- den. Wie konnte nun Jesus in Bethanien, oder wo er sonst eben war, diesen zufälligen Umstand vorherwissen,, wenn anders nicht vorher verabredet worden war, dafs um diese Zeit ein Knecht ans jenem Hause mit einem Krug Wasser sich zeigen, und auf die Boten Jesu warten sollte? Auf eine vorhergegangene Verabredung schien den rationalisti- schen Erklärern Alles in unsrer Erzählung hinzuweisen, und durch diese Voraussetzung zugleich alle Schwierig* keiten derselben sich zu lösen. Die so spät erst ausge*chir-?<- ten Jünger konnten nur dann noch ein Local unbesetzt fi - «Jen, wenn diefs von Jesu vorher bestellt worden war; nur dann konnte er dem Hausbesitzer so kategorisch sich au- ssagen leasen, wenn er mit ihm schon früher Ahr» de ge- kommen hatte; aus einer solchen erklärt sich auch Jesu

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Zweite» Kapitel. §. 119. 399

genaue Kenntnifs von dem Locale, and endlich, wovon aus- gegangen wuni**, seine Gewifsheit, dafs die Jünger einem WässertrÄger aus jenem Hanse begegnen Würden. Den Um- schweif dieser Bezeichnung des Hauses, der durch einfa- che Nennung des Namens vom Eigentümer zu vermeiden War, soll Jesus gemacht haben, um den Ort, wo er die Mahlzeit halten wollte, nicht vor der Zeit dem Verräther bekannt werden zu lassen, der sonst vielleicht schon dort ihn anf störende Weise überfallen haben würde *).

Allein diesen Eindruck macht die evangelische Erzäh- lung durchaus nicht. Von einer Verabredung, Vorgang igen Bestellung, hat sie nichts ; vielmehr scheint das €vqov xo— $iug tiQTjy.Bv cevzoig bei Markus und Lukas darauf hinwei- sen zu sollen, dafs Jesus Alles, wie es sich später wirk- lich fand, vorauszusagen im Stande war; eine furchtsame Vorsicht ist nirgends angezeigt, vielmehr deutet Alles auf eine wundersame Voraussicht hin. Näher ist hier, wie oben bei der Bestellung des Reitthieres «um Einzug in Jerusalem, das zwiefache Wunder vorhanden, dafs ei- nerseits für Jesu Bedürfnisse Alles bereit ist, und der (iewait seines Namens Niemand zu wiederstehen vermag; andrerseits aber Jesus in entfernte Verhältnisse einen Blick zu werfen, und das Zufälligste rorherzusagen im Stande ist4). Es mufs befremden, dafs diese so unab- weisbar sich darbietende sopranaturalistische Auffassung des vorliegenden Berichts diefsmal selbst Olshausen zu umgehen sucht, mit Gründen, durch welche die meisten eschlohten umzustofsen wären, und welche man

3*) so Gablir, a. a. O.; ähnlich Paulus, exeg. Handb. 3, b. S. 481.

4) Richtig, nur mit zu specieller Beziehung auf das Jesu bevor- stehende Leiden, giebt Bau, zu Matth. 26, IS., als Zweck dieser Vorherbezeichnung an, ui magis ac magig intellige- rent diseipuli , nihil temer* in urbe magislro eventurum , sed quae ad minutissimas usque eircunutantiae penitue pertpecta haberei.

».

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400 Dritter Abschnitt.

tonst nur von Rationalisten su hören gewohnt Ist. Dem unparteiischen Ausleger, sagt er 5) , gebe die Erzählung nicht das Geringste an die Hand, das die wanderhafte Auffassung rechfertigte man glaubt sich bereits in Pau- lus Commentar versetzt ; wollten die Referenten ein Wun- der erzählen, so hatten sie ausdrücklich bemerken müssen, es habe keine Verabredung stattgefunden ganz das ra- tionalistische ßegehren , wenn eine Heilung als wunderba- re anerkannt werden sollte , so müßte die Anwendung na- türlicher Mittel ausdrücklich geläugnet sein ; auch ein Zweck dieses Wunders sei nicht einzusehen, insbesondere eine Glaubensstärkung der Jünger sei damals nicht uüthig, und nach den früheren erhabeneren Wundern durch dieses we- niger bedeutende nicht zu erreichen gewesen Gründe, durch welche ebenso namentlich auch die ganz Ahnliche Erzählung ?on der Vurherbezeichnung des Esels beim Ein- aug, welche doch Olshauskn als wunderbar festhält, aus dem Kreise des Übernatürlichen ausgeschlossen werden würde.

Eben dieser früheren Erzählung nun aber ist die ge- genwärtige so auffallend analog , dals über die historische Realität der einen nicht anders als über die der andern geur- theilt werden kann. Hier wie dort hat Jesus ein Bedürfnis, für dessen schleunige Befriedigung von Gott so gesorgt ist , dafs Jesus die Art dieser Befriedigung aufs Genauste Torherweifs ; hier bedarf er einen Speisesaal , wie dort ein Reitthier; hier wie dort sendet er zwei Jünger aus, um die Bestellung zu machen ; hier giebt er ihnen einen be- gegnenden Wasserträger als Kenneeichen für das Haus an, wie dort der angebundene Esel das Zeichen war; hier wie dort weist er die Jünger an, dem K igen thü wer aar Ihn, hier als SiöaaxaXog , wie dort als xvqios, sm nen- nen, um sogleich die unweigerliche .Gewährung seines Ver-

*) biM. Comm. 2, S. 3S5 f.

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Zweites Kapitel. §.119. 401

langen« auszuwirken ; beidemale entsprich t der Erfolg sei- ner Voraussage genau. Auch bei dieser Erzählung , wie bei der früheren, fehlt der hinreichende Zweck, welchem culieb ein solches mehrfaches Wunder könnte veranstaltet worden sein; wogegen der Grund ebenso leicht wie bei jener in die Augen fällt, vermöge dessen sich in der ur- christlichen Sage die Wundererzählung ausgebildet haben mag. An eine A. T. liehe Erzählung insbesondere , an welche wir schon dort denken mufsten, werden wir hier noch bestimmter erinnert. Zum Zeichen, dafs er ihm mit Grund der Wahrheit die «Herrschaft aber Israel verkün- digt habe, sagt Samuel dem Saul vorher, wer ihm beim Weggehen von ihm begegnen werde. Nämlich zunächst swei Männer mit der Nachricht, dafs seines Vaters Ese- linnen wiedergefunden seien; hierauf drei andere, welche Opferthiere , Brot und Wein tragen und ihm von dem Urote Anbieten werden u. s. f. (1 Sam. 10, 1 ff.) ; woraus wir sehen, durch welcherlei Vorhersagungen die hebräi- sche Sage ihre Propheten sich beglaubigen iiefs.

Was schliefslich das Verhältnis der Evangelien be- trifft, so wird gewöhnlich die Erzählung des Matthäus tief unter die der zwei andern Synoptiker gesetzt, und als die spätere und abgeleitete betrachtet 6). Vor Allem soll der Umstand mit dem Wasserträger, welchen jene beiden geben, dem ursprünglichen Factum angehören, in der Sage aber, bis sie an Matthäus kam, verloren gegangen, und nun das räthselhafte v/zuyave uqu^ %6v dtlva an seine Stelle gesetzt worden sein. Allein, wie wir gefunden haben, ist der dtha vielmehr unverfänglich, der Wasserträger aber im höchsten Grade räthselhaft 7). Noch weniger läfst

6) Schulz, über das Abendmahl, S. 521; Schleikrmacher , Uber den Lukas, S. 280*

7) s. Tiieilk , über die letzte Mahlzeit Jesu, in Wikir's und Engelhardt'* neuem krit. Journal, 2, S. 169* Anm.

Das Leben Jesu 2te Aufl. 2. Band. 2G

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402 Dritter Abschnitt.

•ich darin, dafe Matthäus die abgeschickten Jünger nicht wie Lukas als den Petrus und Johannes bezeichnet, eine Spur finden , dafs die Erzählung des dritten Evangeliums die ursprünglichere sei. Denn wenn Schlkimacher sagt, dieser Zog habe wohl im Hindurchgehen durch mehrere Hände verloren gehen, nicht leicht aber durch eine spätere Hand hinzukommen können, so ist wenigstens die letztere Behauptung ohne Grond. So wenig wahrscheinlich es ist, dafs zu einer so rein ökonomischen Bestellung Jesus gerade die beiden ersten Apostel verwendet haben sollte, so leicht Ifftt sich denken, dafs zuerst unbestimmt, wie wir bei Matthäus lesen, eine Sendnng der «der einiger Jü'iger erzählt wur- de, deren Zahl hierauf, vielleicht aus der Erzählung vom der Sendung nach dem G*el, auf zwei festgesetzt, und die- se Stellen endlich, da es von einer Auswahl zu einem Ge- schäft von späterhin hoher Bedeutung der Bereitung des letzten Mahles Jesu sich handelte, durch die beiden ersten Apostel ausgefüllt wurden. So dafs hier selbst Markus sich der ursprünglichen Wahrheit wieder mehr genähert zu haben scheint , indem er die von Lukas an die Hand gegebenen Namen der beiden Jünger in seine Erzählung nicht aufnahm.

Abweichende Angaben über die Zeit des letzten Mahles Jesu.

Meldet der vierte Eange'ist von der bisher bespro- chenen Bestellung der Paschamahlzeit nichts, so weicht er auch in Bezug auf das Mahl selbst auffallend von den Übrigen ab. Abgesehen nämlich von der durchgehenden Differenz im Inhalt der Scene, von welcher erst später die Rede werden kann , scheint er , was die Zeit des Mah- les betriflt, es mit eben der Bestimmtheit als eine vor dem Pascha gehaltene Mahlzeit zu geben , wie die Synoptiker als das Pa>chamahl selbst.

Wenn diesen zufolge der Tag , an welchem die Jfln-

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Zweite« Kapitel. 5. 120. 403

ger von Jean cor Bestellung des Mahles angewiesen wor- den, bereits ?J nQwtr} vah dCvfuov war, iv jj iöu &ieo&ai i6 naoxct (Matth. 26, 17. parall.): so kann das darauf gefolgte Mahl kein anderes als eben das Paschamahl ge- wesen sein; wenn ferner die Jünger Jesu m fragen: $ileig hoifidawfiev aoi (payiiv xo nao%a (ebendas.) wenn es hierauf Ton denselben heifst: tjtoifiaaav to 7iia%a (Matth. V. 19. parall.), und sofort von Jesu : cxplag yewfiii- vqg avixeiio fitta %uv dciöexa (V. 20.) : so wfire das Mahl, zu welchem man sich hier nieder liefs, schon überflüssig als das Paschamahl bezeichnet, wenn auch nicht Lukas (22, 15.) Jesum dasselbe mit den Worten eröffnen liefse: imöv- liiq ine&vnT]<ja thzo to fiota%a (payelv tJ/^wy^— Wenn dagegen das vierte Evangelium seine Erzählung von dem letzten Mahle mit der Zeitbestimmung: txqo dt zrts eo(rf$> ndoza, eröffnet (13, 1.) , so scheint das ötlnvov, dessen es unmittelbar darauf (V. 2.) gedenkt, ebenfalls noch vor das Paschafest zu fallen, zumal in der ganzen johannei- schen Schilderung dieses Abends, welche namentlich In Bezug auf die an das Mahl sich knüpfenden Reden höchst ausführlich ist, jede Erwähnung und selbst jede Anspie* lung darauf, dafs hier das Paschamahl gefeiert werde, fehlt. Wenn ferner die Aufforderung Jesu an den Verra- ther nach dem Essen , was er thue , schnell zu thun , von den Jüngern dahin mifsverstanden wird, on liyet avrft ayoqaoovy wv %odav €%Ofiev elg tijv ionijjv (V. 29.): bo be- logen sich die Festbedürfnisse doch hauptsächlich auf das Paschamahl, und kann folglich die so eben vollendete Mahl- zeit nicht wohl schon das Paschamahi gewesen sein. Wenn es dann (18, 28.) weiter heifst, am folgenden Morgen seien die Juden nicht in das heidnische PrÄtoriom gegangen, Iva w fitav^üoiv, cU* ha yaywot, tb ndoya : so scheint auch hienach die Paschamahlzeit noch berorgestanden Etf haben. Dazu kommt, dafs (19, 14.) eben dieser folgende Tag, an welchem Jesus gekreuziget wurde, als naQaoxevq

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404 Dritter Abschnitt.

tii ndayß bezeichnet wird, d. h. als derjenige Tag, an des- sen Abend erst das Paschalamm verzehrt werden sollte ; auch, wenn von dem zweiten Tage nach jener Mahlzeit, wel- chen Jesus im Grabe zubrachte, gesagt wird: ir yaq §t$— yalr] ?; rftiQCt ixelvH tx oußßdxH (19, 31.): so scheint die- se besondere Feierlich k it eben daher gerührt zu haben, dafs auf jenen Sabbat der erste Paschatag fiel, also das Osterlamm nicht schon am Abend der Gefangennehmung v Jesu gefeiert worden war, sondern erst am Abend seines Begräbnisses gehalten wurde.

Diese Abweichungen sind so bedeutend, dafs manche Ausleger, um die Evangelisten liicht in Widerspruch mit- einander kommen zu lassen, auch hier die alte probate Auskunft angewendet haben, sie reden gar nicht von der- selben Sache, Johannes meine eine ganz andre Mahlzeit als die Synoptiker. Dan johanneische ötinvov ist hienach ein gewöhnliches Abendessen, ohne Zweifel in Bethanien ; bei diesem nahm Jesus die Fufswaschung vor, sprach vom Verräther, und fügte, nachdem dieser die Gesellschaft ver- lassen , noch andere Reden tröstenden und ermahnenden Inhalts hinzu, bis er endlich am Morgen des Uten Nisan durch die Worte: iysiQeoÜe, aywfiev tvietfrev (14, 31.), die Jünger zum Aufbruch von Bethanien und zum Gang nach Jerusalem ermahnte. Hier fallen nun die Synoptiker ein, indem sie ihn auf dem Wege nach Jerusalem die zwei Jünger zur Bestellung des Mahls aussenden lassen, hierauf das Paschamahl einfügen, von welchem Johannes schweigt, und seinerseits erst wieder mit den nach dem Paschamahl gehaltenen Reden (15, 1 ff.) eingreift *). Gegen diesen Ver- such , durch Beziehung der beiderseitigen Erzählungen auf ganz verschiedene Vorfälle den Widerspruch zu vermei- den, kehrt sich nun aber die in mehreren Zügen unver-

1) So Li6ht*oot, horae, p. 463 ff.; Hkss, Geschichte Jesu, 2, S. 273 ff. , auch Vkkturim, 3, S. 634 ff.

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Zweites Kapitel. §. 120. 405

kennbare Identität beider Mahlzeiten heraus. Abgesehen nfimlich von einzelnen Stucken, die sich gleicherweise in beiden Relationen finden , will offenbar Johannes wie die Synoptiker das letzte Mahl schildern, welches Jesus mit seinen Schülern gehalten hat. Darauf deutet schon die Einleitung der johannemhen Erzählung hin: denn der Be- weis, der ihr zufolge hier gegeben werden soll, wie Je- sus die Seinigen eig tiXog geliebt habe, liefs sich am pas- sendsten aus seinem letzten geselligen Zusammensein mit denselben entnehmen. Ebenso weisen die nach dem Mahle geführten Reden auf unmittelbar bevorstehenden Abschied hin, und an die Mahlzeit und die Reden schliefst sich auch bei Johannes unmittelbar der liingang nach Gethsemane und die Gefangennehmung Jesu an. Freilich sollen dieser Ansicht zufolge die zuletzt genannten Vorgänge nur an die- jenigen Gespräche sich unmittelbar angeknüpft haben, wel- che bei dem späteren, von Johannes übergangenen, Mahle geführt worden sind (Kap. 15 17.): allein, dafs zwischen 14, 31. und 15, 1. der Verfasser des vierten Evangeliums auf bewufste Weise das ganze Paschamabl ausgelassen ha- be , diefs , obwohl dadurch das wunderliche iyeiQeo&e, ayiofiev iiiev9ev nicht übel erklärt zu werden scheinen könnte, wird wohl Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, diefs auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus seine Verläugnung mit der Zeitbe- stimmung: ö a?.txjü)Q q>üm(Ofo voraus, wie er nur bei der letzten Mahlzeit sprechen konnte, und nicht, wie hier Torausgesetzt wird , bei einer früheren 2).

Dieser Ausweg also mufs verlassen, and zugestanden werden, dafs sämmtliche Evangelisten von der gleichen Mahlzeit, der letzten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt, reden wollen. Und hiebet schien die Billigkeit, die man jedem Autor schuldig ist , und in besonderem Mafse

2) Eine ungenügende Auskunft ^iebi Lightioot, p. 48-' f.

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406 Dritter Abschnitt.

den biblischen schuldig En sein glaubte, den Versuch rn er- fordern, ob nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vor* gang In mehreren Besiehungen Äusserst abweichend d um- stellen , dennoch beide Theile recht haben könnten. Ks mtifste sioh also, was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entwr. der, doTs auch die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pasohamahl, oder, dafs auch dieser wie jene ein solches geben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufga- be auf dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es IXug- net, dafs Matthäus das letzte Mahl Jesu auf den Abend des 14ten Ntsan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl, and sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag des Pasohafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist daher in oeuern Zeiten der Versuch gemacht worden, den Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4). Sein nQQ zrjg aoQtijg naa%a (13, 1.) glaubte man durch die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese Worte nicht unmittelbar das dünvov> sondern nur die Be- merkung sioh anscbliefse, dafs Jesus gewufst habe, nun sei seine Stunde gekommen, und dafs er die Seinigen bis ans Ende geliebt habe; erst im folgenden Vers sei dann vom Mahle die Rede, auf welches also jene Zeltbestimmung sich nicht besiehe. Worauf soll sie sich dann aber bezie- hen \ auf das Wissen, dafs seine Stunde gekommen sei? diefs ist nur eine Nebenbemerkung ; oder auf die bis zum Ende bewahrte Liebe? zu dieser aber kann eine so spe- cielle Zeitbestimmung nur dann gehören, wenn sie als ein äusserer Liebesbeweis gemeint ist, und als solober betä- tigte sie sioh eben bei jenem Mahle, welches also immer

3) Kr agm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron.

Paschat. cd. du Fresnc. Paris 1688. p. 6 f. prsef. i) i. nuneatiicli Tholucx und Olshavsiw, z. d. Absch.

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Zweites Kapitel. §. 120. 407

dae Punkt bleibt, der durch jene Tagsbestimmung fixirt werden soll. Daher vermuthet man ferner, das ngo tfjg eo^g sei ans Anbequemung an die Griechen geredet, für welche Johannes geschrieben habe: weil diese den Tag nicht wie die Juden mit dem Abend begannen: so sei ih- nen das am Anfang des ersten Paschatags gehaltene Mahl als eine Mahlzeit am Vinhend des Pascha erschienen. Allein welcher verständige Schriftsteller, wenn er einen möglichen Mißverstand des Lesers vermuthet, , schreibt dann lieber gleich so, wie der Leser ihn mifs verstehen wird? Schwieriger noch ist 18, 28, wo die Juden am Morgen nach Jesu Gefangennehmung das Prtitorlum nicht betreten, um sich nicht zu verunreinigen, ak£ iva (fctyowt TO nccaya. Doch »hubre man nach Stellen, wie 5 Mos. 16, 1. 2., wo slfmmtliche in der Paschazeit zu schlachten« de Opfer durch den Ausdruck PICS bezeichnet sind, %o

nuoxct hier von den Übrigen während der Paschawoche darzubringenden Opfern , namentlich von der gegen Ende des ersten Festtags zu verzehrenden Chagiga , verstehen zu dürfen. Allein schon Mosheim hatte richtig bemerkt, daraas, difs bisweilen das Paschalamm einschließlich der Übrigen in der Pascha/eit zu bringenden Opfer durch na- aya bezeichnet werde, folge keineswegs, dafs auch diese Übrigen Opfer mit Ausschlufs des Paschalamms so genannt werden können 5). Dagegen suchten nunmehr die Freun- de jener Ansicht zu ihrer Deutung der johanneischen No- tiz durch die Bemerkung zu nöthigen, dafs an der Pa- schamahlzeit, die in den Spa'rabcnd, also schon in den Anfang des folgenden Tages, fiel, das Betreten eines heid- nischen Hauses am Morgen, als eine nur den laufenden Tag hindurch dauernde Verunreinigung, nicht verhindert haben würde: wohl aber am Genüsse der Chagiga, welche

5) Diss. de vers notione coenac Domini, xu Cvdwoatm. syit. intcll. p. 22. not. 1.

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408 Dritter Abschnitt

am Nachmittag also noch an demselben Tag mit der an Morgen angezogenen Verunreinigung, gegessen wurde: so dafs also nur diese, nicht jene gemeint sein könne. Allem theils wissen wir nicht, ob der Eintritt in ein heidnisches Hsus nur für den Tag verunreinigte, theils waren, wenn sich diefs auch so verhielt, die Juden durch eine Verun- reinigung am Moi*£fen doch an der Selbstvornahme der vor* bereitenden (Geschäfte , die in den Nachmittag des 14ten lVisan fielen, wie am Schlachten der Lämmer im Tcmpel- ▼orhof, verhindert. Um endÜch auch die Stelle 19. 14- in ihrem Sinne zu deuten, nehmen die Harmonisten na^aoxevrj %h naaxa von dem Rüsttag auf den Sabbat in der Oster- woche; eine Gewaltsamkeit, weiche wenigstens in 19, 31, wo die 7vanaoxevT7 als Riisttag auf den Sabbat bezeichnet ist, keine Hülfe findet, weil hieraus nur erhellt, dafs der Evangelist die Vorstellung hat, der erste Paschatag sei da« mal* auf den Sabbat gefallen 6).

Im Gefühl der Unmöglichkeit, die Vereinigung der Syn- optiker mit Johannes in dieser einfachen Weise zu Stan- de zu bringen , haben andere Ausleger eine complicirtere Auskunft ergriffen. Der Schein, als ob die Evangelisten das letzte Malil Jesu auf verschiedene Tage verlegten, soll darin seine Wahrheit haben, dafs wirklich damals entwe- der die Juden oder Jesus das Paschamahl auf einen andern Tag verlegt hatten. Die Juden, sagen die einen, um der Unbequemlichkeit auszuweichen, weiche darin lag, dafs in jenem Jahre der erste Paschatag auf den Freitag fiel, also zwei Tage hintereinander als Sabbate hätten gefeiert wer- den müssen, haben das Paschamahl auf den Freitag Abend verlegt, wefswegen sie am Tag der Kreuzigung sich noch vor Verunreinigung in Acht zu nehmen hatten ; Jesus aber, streng am Gesetze haltend, habe es zur gehörigen Zeit, am

6) Diese Gegenbemerkungen s. besonders bei LiJcxz s. d. Abschn. und bei Sikpvkrt, über den Urspr. S. 127 ff.

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Zweites Kapitel. §. 120. / 409

Donneretag Abend, gefeiert, so dafs sowohl die Synopti- ker recht haben , wenn sie das letzte Mahl Jesu als ein wirkliches Paschaessen beschreiben, als auch Johannes, wenn er die Juden erst Tags darauf dem Osterlamm ent- gegensehen lasse 7). In diesem Fall hätte also Markos mit seiner Angabe, dafs an dem Tag, öts to ndoxcc eSvov (V. 12.) , auch Jesus es habe zurichten lassen, unrecht; was aber die Hauptsache ist, so gieng es zwar in gewis- sen Fa'llen an, das Pascha einen Monat später, dann aber auch am 15ten desselben , zu feiern , von einer Verlegung auf einen späteren Tag desselben Monats hingegen findet sich nirgends eine Spur. Lieber wandte man sich da- her auf die andre Seite, und nahm an, Jesus habe das Pascha auf einen früheren Tag verlegt. Aus rein persön- lichem Bedürfnifs, meinten Einige, in der Voraussicht, daf« er um die eigentliche Zeit des Paschamahls schon im Grabe ruhen werde, oder doch seines Lebens bis dahin nicht mehr sicher sei, habe er in ähnlich r Weise, wie von jeher diejenigen Juden, welche an der Festreise ge- hindert waren, und wie die jetzigen Juden alle, ohne ein geopfertes Lamm , mit blofsen Surrogaten desselben , ein ftaaya fivrjfiovevrixiv gefeiert 8). Allein erstlich hätte so Jesus nicht, wie Lukas sagt, das Pascha an dem Tag, ip rj töki Sveabai to nd(jya, auch gefeiert; dann aber hält, wer die blofse Gedächtnisfeier begeht, mit Aufgebung der für das Pascha bestimmten Orflichlteit (Jerusalem) doch die Zeit desselben (Abend vom 1 < te i auf den 15ten Nisan ) unverbrüchlich fest: wogegen Je*us dasselbe gerade umge- kehrt, zwar an dem gewöhnlichen Ort, aber zu ungewöhn- licher Zeit, gefeiert haben müfste, was ohne Beispiel ist. Gegen diesen Vorwurf des Unerhörten und Eigenmächtigen hat man die von Jesu angeblich vorgenommene Verlegung

7) Calviw zu Matth. 26, 17.

8) Oäotils, zu Matth. 26, 18.

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410 Dritter Abschnitt.

dadurch zu schützen gesacht, dato man Ihn mit einer gan- zen Partei seiner Volksgenoasen daa Pascha früher aJs die Obrijrpn feiern liefa. Wie nämlich von der jüdischen Par- tei der kartier oder Scripturarier bekannt ist, dafs sie von den Kabbaniten oder Traditionariern namentlich auch in der Bestimmung des Neumonds abweichen, indem sie be- haupten, die Art der letzteren, den Neumond nach dem astronomischen Caicui festzusetzen, aei eine Neuerung, wo- gegen sie, der alten, gesetzlichen Sitte getreu, denselben nach der empirischen Beobachtung der Phase des Neulichts bestimmen : so sollen schon zu Jesu Zeit die Sadduc«er, von welchen die Karäer abstammen sollen, den Neumond und mit ihm das von demselben abhängige Osterfest an- ders als die Pharisäer bestimmt, und Jesus, als Gegner der Tradition und Freund der Schrift, sich hierin an sie angeschlossen haben Allein abgesehen davon, dafs der Zusammenhang der Karäer mit den alten SadducKern eine bloße Vermuthung ist, so ist es ja eben der gegründete Vorwurf der Kartier, dafs die Bestimmung des Neumonds durch den Calcul erst nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer aufgekommen sei : so dafs also zur Zeit Jesu eine solche Abweichung noch gar nicht stattgefunden haben kann; ohnehin vom Pascbafest findet aus jener Zeit sich keine Spur, dafs es von verschiedenen Parteien an verschiedenen Tagen gefeiert worden wäre 10). Angenom- men jedoch, jene Differenz in der Bestimmung des Neu« monds habe schon damals obgewaltet, so würde die Fest- setzung desselben nach der Phase , welcher Jesus gefolgt sein soll, eher ein späteres als ein früheres Pascha zur Folge gehabt haben; wefs wegen denn wirklich Einige ver- mutheten, Jesus möge vielmehr dem astronomischen Cal- cul gefolgt sein ">

9) Ikek, Di*«, philol. theol. Vol, 2, p. 416 ff. JO) ». Paulus, exeg. Handb. 3, «, S. 486 ff. Ii) Michaelis, Anm. zu Job, 13.

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Zweites Kapitel $. 120. 41t

Auster dem , was sieh auf diese Weise gegen jeden einzelnen der Versuche, die Angaben der Evangelisten Ober die Zeit des letzten Mahles Jesu gütlich eu vereinigen, sa- gen Ufst, entscheidet gegen alle zusammen ein Umstand, welchen erst die neueste Kritik gehörig hervorgehoben hat. Es verhalt sich nämlich mit diesem Widerstreite nicht so, dafs unter gröTstentheils harmonirenden Stellen nur etwa Eine Äusserung von scheinbar entgegengesetztem Sinne vor- käme, wobei man dann sagen könnte, der Verfasser habe sich hier eines ungenauen Ausdrucks bedient, der aus den Übrigen Stellen eu erklären sei: sondern alle Zeitbestim- mungen der Synoptiker sind von der Art, dafs nach ihnen Jesus das Pascha noch mitgefeiert haben müTste, alle johanneischen dagegen so, dafs er es nicht mitgefeiert haben kann 1 ')• Da «ich auf diese Weise zwei unter sich differirende Gesammtheiten evangelischer Stellen ge- genüberstehen , die auf zwei verschiedene Grundansichten der Referenten über die Sache hinweisen: so kann es, wie Si kffert sehr wahr bemerkt, nicht mehr als wissen- schaftliche Auslegung, sondern nur als unwissenschaftliche Willkühr und Eigensinn betrachtet werden , wenn man auf Nichtanerkennung der Differenz zwischen den synoptischen Evangelien und dem vierten bestehen will.

So hat sich denn die neuere Kritik dazu verstehen müs- sen , auf einer oder der andern Seite einen Irrthum anzu- nehmen , und zwar war es , ausser den gangbaren Vorur- teilen für das johanneische Evangelium, ein bedeutender Grund, welcher zu nöthigen schien, den Irrthum auf die Seite der Synoptiker zu verlegen. Schon jenes alte , an- geblich Apollinarische Fragment wendet gegen die Mei- nung, dafs Jesus tfj fteydlrj ruiQv ™v ä£vpwv SnaSev, ein, dafs sie dovftyonog tu> w'/kj) sei, und so ist auch neuerlich wieder bemerkt worden, der auf das letzte Mahl Jesu fol-

4

12) Siarrsar, a. a. 0. ; Hits , L. J. $. 124.

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412

Dritter Abschnitt

gende Tag werde von allen Seiten so werktäglich behan- delt, dafs sich nicht denken lasse, er sei der erste IV schatag, und folglich das Mahl am Abend vorher das Pa- schainalil gewesen. Jesus feire ihn nicht, indem er, was in der Paschanacht verboten war, sich aus der Stadt ent- ferne; seine Freunde nicht, indem sie seine Bestattung noch zu besorgen anfangen , und dieselbe nur wegen An- bruchs des nächsten Tags , des Sabbats , unvollendet lassen ; noch weniger die Mitglieder des Synedriums, indem sie nicht nur ihre Diener aus der Stadt zur Verhaftung Jesu sen- den, sondern auch persönlich Gerichtssitzung, Verhör, Ur- theil und Klage 'bei dem Procurator vornehmen; Uberhaupt zeige sich durchaus nur die Furcht, den folgenden Tag, der am Abend nach der Kreuzigung anbrach , zu entheili- gen , nirgends eine Sorge für den laufenden : lauter Zei- chen , dafs die synoptische Darstellung jenes Mahls als ei- nes Pascha ein späterer Irrthum sei , da in der übrigen Erzählung dieser Evangelisten selbst das Richtige, dafs Je- sus den Tag vor dem Pascha gekreuzigt worden, noch un- verkennbar durchscheine "). Diese Bemerkungen sind al- lerdings von Gewicht. Zwar die erste könnte man durch den Widerstreit der jüdischen Bestimmungen Ober jenen Punkt vielleicht entkräften n); der letzten und stärksten die Thatsache entgegenhalten , dafs Verhören und Richten an Sabbaten und Festen bei den Juden nicht nur erlaubt, sondern für solche Tage wegen des Volksandrangs selbst ein größeres Gerichtsiocal vorhanden gewesen sei , wie

13) Thkile, a. a. O. 157 ff. ; Si*rr*RT und Lücke a. a. O.

14) Pesachin f. 65, 2, bei Licmtfoot , p. 654 : Paschate pn'mo te~ netur quispiam ad pernoctationem. Glon. : Paschatizans tene- tur ad pernoctandum in Hierosolyma nocte prima. Dagegen Totaphoth ad tr. Fesachin 8 : In Paschate Aegyptiaco dici- tur : nemo exeat usque ad mane. Sed sie non fuit in se- qitentibus generationibus , quibus comedebatur id uno loco et pernoctabant in alio. Vgl. Scbmcximsur6kr, Beiträge, S. 9.

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Zweites Kapitel. §. 120. 413

derih auch nach dem N. T. selbst die Joden an der ijtf-ncc fteyulrj des Laubhüttenfests Diener ausschickten , um Je« suin so greifen (Joh. 7, 44 f.) , und am Feste der Tem- pel weihe ihn steinigen wollten (Joh. 10, 31.)> Herodes aber während der j^/iotu twv u^uftojv den Petras gefangen se- tzen iiefs, und vielleicht in eben diesen Tagen Jakobus den älteren hatte hinrichten lassen (A. G. 12, 2 f.) i5> Da& Jesu Hinrichtung am Paschafest habe vorgenommen werden dürfen, dafür beruft man sich theils darauf, dafs die Exe- cution durch römische Soldaten geschehen , übrigens auch nach jüdischer Sitte üblich gewesen sei, die Hinrichtung bedeutender Verbrecher auf eine Festzeit zu verspareu, uiu durch dieselbe auf eine desto gröTsere Menge Eindruck zu machen ,6> Allein nur so viel ist erweislich, dafs v* alirend der Festzeit, also bei m Pascha an den fünf mittleren , we- niger feierlichen Tagen , Verbrecher verurtheilt und hinge- richtet werden konnten, nicht aber, dafs diefs auch am ersten und letzten Paschatage, welche Sabbatsrang hatten, zulässig gewesen sei 1:) ; wie denn auch nach dem Talmud Jesusam p££ d. h. am Vorabend des Pascha, gekreu- zigt worden ist 18). Ein Anderes wäre es, wenn, wie Dr. Baur nachzuweisen sucht, in dem Wesen und der Bedeu- tung des Pascha als eines Sühnfestes die Hinrichtung von Verbrechern, als blutige Sühne für das Volk, gelegen hät- te, und die von den Evangelisten angemerkte Sitte, auf das Fest einen Gefangenen loszulassen, zu der Hinrichtung eines andern nur als die Kehrseite, wie die beiden Böcke und Sperlinge jüdischer Sühn- und Reinigungsopfer, sich verhielte 19>

15) Tholuck, S. 244 f.

16) Tract. Sanhedr. f. 89, 1. bei Schöttgkn, 1, p, 224, vgl. Pau- lus, a. a. O. S. 402. und Tiioluck, a. a. O.

17) FarrzaCMSj in Matth, p. 763 f. vgl. 755. Lück«, 2, S. 614. '

J8) Sanhedr. f. 45, 1, bei Schottgkn, 2, S. 700.

19) über die ursprüngliche Bedeutung des Passahfestes u. s. vr. Tübinger Zeitschrift f. Theol. 1852, 1, S. 90 ff.

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414 Dritter Abschnitt.

Leicht konnte freilich die urchristliche Tradition auch auf unhistorischem Wege dazukommen, Jesu letztes Mahl mit dem Osterlaram, und seinen Todestag mit dem Pascha- fest zu combiniren. Da nämlich das christliche Abend- mahl ebenso von der einen Seite, durch seine Form, das Pascha, wie von der andern, durch seine Bedeutung, den Tod Jesu berührte: so lag es nahe geniig, diese beiden Punkte zusammenzurücken, und die Hinrichtung Jesu auf den ersten Paschatag zu verlegen, seine letzte Mahlzeit aber, bei welcher er das Abendmahl gestiftet haben sollte, als das Paschamahl zu betrachten. Freilich, wenn der Verfasser des ersten Evangeliums als Apostel und Selbst- theilnehmer an dem letzten Mahle Jesu vorausgesetzt wird, bleibt es schwer zu erklfiren , wie er zu einem solchen Irrthum kommen konnte« Wenigstens reicht es nicht hin, sich mit Theile darauf zu berufen , je mehr das letzte mit ihrem Meister gehaltene Mahl den Jüngern über alle Paschamahle gegangen sei, desto weniger sei ihnen auf die Zeit desselben, ob es am Paschaabend selbst, oder ei- nen Tag früher gehalten worden war, angekommen 30). Denn der erste Evangelist la'fst diefs nicht etwa nur un- bestimmt, sondern er spricht ausdrücklich von einem Pa- schamahl , und so konnte sich ein wirklicher Theilnehmer desselben , wenn er auch noch so lange Zeit nach jenem Abend schrieb, unmöglich tauschen. Die Augenxeugen- schaft des ersten Evangelisten also wird man bei dieser Ansicht aufgeben, und ihn sammt den beiden mittleren aus der Tradition schöpfen lassen müssen 21). Der An- Stöfs daran, dafs sammt liehe Synoptiker, also alle dieje- nigen, welche uns die vulgäre Evangelientradition der er- sten Zeit aufbehalten haben, in einem solchen Irrthum

20) a. a. O. S. 167 ff.

21) Sigmar, a. a. O. S. 144 ff. Li; cki, S. 623 ff.

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Zweites Kapitel. §. ISO. 415

übereinstimmen tollen *) , LtTst sich vielleicht darch die Bemerkung aus dem Wege rfiumen , dsfs , so allgemein in den jadenchristliohen Gemeinden, in welchen doch die evangelische Uberlieferung sich ursprünglich gebildet hat, das jüdische Pascha noch mitgefeiert wurde , so allgemein sich auch der Versuch darbieten mufste , demselben durch die Beziehung auf den Tod und das letzte Mahl Jesu eine christliche Bedeutung zu geben.

Ebensowohl aber liefse sich, die Richtigkeit der syn- optischen Zeitbestimmung vorausgesetzt, denken, wie Jo- hannes irrig dazukommen konnte, den Tod Jesu auf den Nachmittag des 14ten Nisan, und seine letzte Mahlzeit auf den Abend vorher zu verlegen. Wenn nämlich dieser Evangelist in dem Umstände , dafs dem gekreuzigten Chri- stus die Beine nicht Verschlagen wurden , eine Erfüllung des ocöf ö ovvtQißijottai uik~> (2 Mos. 1*2, 46.) fand: so konnte ihn diese Beziehung des Todes Jesu auf das Oster- lamm zu der Vorstellung veranlassen , dafs um dieselbe Zeit , in welcher die Paschalämmer geschlachtet wurden, am Naohmitt/ig des Uten Nisan, Jesus am Kreuze gelitten und den Geist aufgegeben habe 2S), also die am Abend vorher gefeierte Mahlzeit noch nicht das Paschamahl ge- wesen sei **).

Ist auf diese Weise eine mögliche Veranlassung zum Irrthum auf beiden Seiten vorhanden, and findet die inne- re Schwierigkeit der synoptischen Zeitbestimmung, die vielfache Verletzung des ersten Pasohatags , theils in den angeführten Bemerkungen einigermafsen ihre Erledigung, theils in der Zusammenstimmung dreier Evangelisten ein

22) Fhitzscmk, in Matth, p. 763. Kam», Uber den Ursprung des Evang Matth, in der Tiib. Zeitschrift, 1834, 2, S. 98.

23) Vgl. Suickm, thes»ur. 2, S. 615.

24) Line andere Ansicht über die Veranlassung des Irrthums im 4ten Evangelium geben die Probabilien, S. 100 ff.

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416 Dritter Abschnitt.

Gegengewicht : so ist vor der Hand nur der unauflöslich e Widerstreit der beiderseitigen Darstellungen anzuerkennen, eine Entscheidung aber , welche die richtige sei, noch nicht zu wagen.

5- MI.

Differenzen in Betreff der Vorgänge beim Jc tztcn Mahle Jesu.

Doch nicht allein in Bezug anf die Zeit des letzten Mahles Jesu, sondern auch auf dasjenige, was bei demsel- ben vorgegangen sein soll, gehen die Evangelisten von einander ab. Die Hauptdifferenz findet zwischen den syn- optischen und dem vierten Evangelium statt; näher aber verhalt es sich so , dafs nur Matthäus und Markus genau zusammenstimmen, Lukas schon ziemlich abweicht, doch im Ganzen mit seinen beiden Vorgängern immer noch ein- stimmiger ist, als mit seinem Nachfolger.

Gemeinsam ist sämmtlichen Evangelisten , ausser dem Mahle selbst , dafs über demselben von dem bevorstehenden Verrath des Judas gesprochen wird, und dafs wahrend oder nach demselben Jesus dem Petrus seine Verleugnung vorherverkündigt. Aber abgesehen davon, dafs bei Johan- nes die Bezeichnung des Verrathers eine andere und ge- nauere, auch von einem Erfolge begleitet ist, von welchem die übrigen nichts wissen; rials ferner bei demselben nach dem Mahle gedehnte Abschiedsreden sich finden, v* eiche den andern fehlen : so ist der liaupf unterschied der , dafs, während den Synoptikern zufolge Jesus bei dieser letzten Mahbeit das Abendmahl eingesetzt hat, er bei Johannes vielmehr eine Fufswaschung mit den Jüngern vornimmt.

Die drei Synoptiker unter sich haben die Stiftung des Abendmahls sammt der Verkündigung des Verrat hs und der Verläugnung gemein ; aber Abweichung findet zwischen den beiden ersten und dem dritten schon in der Anord- nung dieser Stücke statt, indem bei jenen die Verkündi- * gung des Verraths, bei diesem die Stiftung des Abendmahls

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Zweite- Kapitel. $. «121.

voranstellt; die Vorhersagung der. Verlflagnu ng des Petrus aber nach Lukas, wie es scheint, nach im Speisesaal, nach den beiden andern aber erst auf dem Hinweg Elim Ölberge vor sich geht. Dann aber bringt Lukas auch einige Stocka bei, welche die beiden ersten Evangelisten, entweder gar nicht, oder nicht in diesem Zusammenhang haben : in ganz anderem Zusammenhang steht bei ihnen der Rangstreit und . die Verheißung des Sitzens auf Thronen ; wogegen die. Rede von den Schwertern vergeblieh bei ihnen gesucht wird. , In seiner Abweichung von den beiden ersten Evan- gelisten hat der dritte einige Annäherung an den vier- ten. Gemeinsam nämlich ist dem Lukas' und Johanne«, dafs, wie dieser in der Fufswaschuug efna auf Rangstreit, sich besiehende symbolische Handlung nebst angehängten, Demuthsreden hat : so Lukas wirklich einen -Rangstreit und darauf bezügliche Reden meldet, welche nicht gen« ohne Analogie mit den johauneischen sind; dafs, fesner euch bei, ihm wie bei Johannes die Reden vom Verräther. das Mahl nicht eröffnen , sondern erst nach einer symbolischen Hand-, lung eintreten; endlich dafs auch er die Verleugnung des Petrus noch imLocalder Mahlzeit verkündigt Vierden IfiGuV Am meisten Schwierigkeit macht hier natürlich die. Differenz, dafs bei Jobannes die von den Synoptikern. ein«, stimmig berichtete Einsetzung des Abendmahls fehlt , und an ihrer Statt eine ganz andere Handlung Jesu, eine Fufs-, Waschung, gemeldet wird* freilich, wenn man sich durch, den ganzen bisherigen Verlauf der evangelischen Geschich- te mit der Annahme hindurchgeholfen hat , Johannes habe den Zweck gehabt, die Übrigen Evangelien zu ergänzen,, so kommt man auch üher diese Schwierigkeit, so. gut oder, so schlecht wie über die andern alle hinweg. Die Ein- setzung des Abendmahls, heifst es, fand Jobaunes bei den drei ersten Evangelisten auf eine Weise erzählt schon vor, welche mit seiner eigenen Erinnerung völlig Übereinstimm- te, wefswegen er sich denn nicht bewogen fand, sie zu Das Leben Jesu 2teAufl. //. Band. 27

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418 Dritter Abschnitt

wiederholen Allein, wenn wirklich der vierte Evange- Üst ton den echato in den drei ersten Evangelien aufge- seichneten Geschichten nur diejenigen noch einmal erzäh- len wollte, an deren Darstellung er etwas au berichtigen oder En ergftnaen fand : warum erzählt er dann die Spei- irnngsgeschichte, an der er nichts irgend Erhebliches an bessern weift, noch einmal, die Stiftung des Abendmahls dagegen nicht, bei welcher ihn doch schon die Differen- zen der Synoptiker in Anordnung der Scene und Fassung der Worte Jesu, hauptsächlich aber der Umstand, dafr sie, nach Seiner Darstellung irrig, jene Einsetzung am Pa- schaabend vorgehen lassen , aur Mittheilung eines authen- tischen Berichts hfitte verlassen müssen ? Mit Rücksicht auf diese Schwierigkeit giebt man nun wohl die Behaup- tung auf, der Verfasser des vierten Evangeliums habe eine Kenntnifs von den drei ersten, und die Absicht, sie an ergänzen und an berichtigen , gehabt : doch aber soll er die vulgare mündliche Evangelien tradition gekannt und bei seinen Lesern froransgesetat , und in dieser Rücksicht die Stiftung des Abendmahls, als allgemein bekannte Geschich- te, übergangen haben 2). Allein dieser Zweck einer evan- gelischen Schrift, nur das minder Bekannte au erzählen, das Bekannte aber an übergehen , tatst sich eigentlich gar nicht denken. Die schriftliche Aufzeichnung geht ja aus von Mifstrauen gegen die mündliche Überlieferung ; sie will diese nicht blofs ergänzen , sondern auch befestigen , und so kann sie gerade die Hauptpunkte, welche, wie sie als die meistbesprochenen der Entstellung am meisten ausge- setzt sind, so die genaueste Aufbewahrung wttnsohenswerth machen, am wenigsten übergehen : ebenso demnach [auch Jo- hannes die Stiftung des Abendmahls nicht, an dessen Ein- setzungsworten, wenn wir die verschiedenen N. T.lichen

1) Paulus, 5, b, S. 499. Olskausk*, 2, S. 294.

2) Licas, 2, S. 484 f.

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Zweite Kapitel. §. III. 419

Relationen vergleichen, frühzeitig entweder Zusftze oder W p^lüssuii^Gn müssen gemacht worden sein» Aber, &^§^ ■in weiter, die Stiftung des Abendmahls zu erzählen, wer für den Zweck des Johanneischen Evangeliums von keiner Bedeutung *)• Wie ? für den allgemeinen Zweck desselben , seine Leaer zu überzeugen , 8u *trpög i w o Xnigoy , ö viog Ütii (20, 31.)) sollte die Mittheilung ei- ner Seena nicht von Belang gewesen sein , in welcher er ala Stifter einer xaivrj diafrqxt] erscheint? und für den be* sonderen Zweck des betreffenden Abschnitts, Jean bis an s Ende sich gleich gebliebene Liebe ins Lieht an seteen (13, L)> sollte es nichts ausgetragen haben, co erwähnen, wie er seinen Leib und sein Blut den Seinen als Speis« und Trank dargeboten , und damit seinen Worten Job. 6. Realität gegeben habe? Doch, dem Jobannes soll es hier wie Überall vorzugsweise nur um die tieferen Reden Jesu eu tbnn gewesen sein, und defswegen soll er die Einsetzung des Abendmahls übergangen, und erst mit den auf die Fufs- waschung bezüglichen Reden seine Erzählung begonnen ha- ben *). Allein diese Demutbsreden kann nur ein verhär- tetes Vorurtbeil für das Werte Evangelium für tiefer aus- geben , als dasjenige, waa Jesus bei Einsetzung des Abend- mahls von dem Genüsse seines Leibes und Blutes im Brot und Weine sagt» £i . «.

Die Hauptsache ist nun aber, dafs uns die Harm o ni- sten nachweisen, wo denn Johannes,^ wenn er doch selbst voraussetzen soll, Jesus habe bei dieser letzten Mahlzeit das Abendmahl gestiftet, dieses übersprungen habe, dafs sie uns in der johanneischen Darstellung dieses letzten Abends die Fuge zeigen, in welche sieh jener Vorgang ein- passen lÄfst. Sehen wir uns in den tommentaren um, so scheint mehr als Kino Stelle sich zu solcher Eiuschiebniig

3) OisiuustK, a. a. 0. U

4) Sisffirt, über den Uftprf & 152* '

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Dri tter Abschnitt." s

vortrefflich eignen. Olshal^rn meint, an Ende des 13ten Kapitels, nnch Her Verkündigung der Verlffugnung des Petrus, sei dSe Stiftung des Abendmahls hineinzuden- ken : mit dieser habe sich die Mahl zeit geschlossen, and die folgenden Reden Ton 14, 1. an habe Jesus nach dem Aufbruch vom Tische stehend im Saale nachgesprochen ). Allein hier scheint sich Oshausk» , um zwischen 13, 38. und 14, 1. ' einen Ruhepunkt zu bekommen, der Täuschung hinzugeben, als ob das fycitJeafa , ayio/jtv ivttv&er , bei weichem er Jesum vom Tische sich erheben und das folgen* de noch stehend sprechen Ufst, schon hier, am Ende des 13ten Kapitels , stünde , da es doch erst am Ende des 14ten sich findet. An unsrer Stelle ist kein Raum , um eine See- ne wie das Abendmahl einzuschalten. Jesus hatte von sei- nem Hingang, wohin ihm die Seinigen nicht folgen könn- ten, gesprochen, und das vermessene Erbieten des Petras, das Leben für ihn an lassen , durch die Voraussage seiner Verlftugnung zurückgewiesen: nun, 14, 1. ff., beruhigter die hiedurch erschütterten Gemüther wieder, indem er sie nnf den Glauben und' die; segensreichen Wirkungen seines Hingangs* verweist. Darob den festen Zusammenhalt die- ser Redetheile zurückgewiesen , rücken andre Ausleger weiter hinauf, und glauben nach dem Abgang des Verrä- thers, 13,30, die schicklichste Stelle zur Einscbiebang des Abendmahls zu finden, indem der Hingang des Judas , am seinen Verrath zu vollenden , leicht die Todesgedanken in Jesu rege machen konnte , weiche der Stiftung des Abend- mahls zum Grunde liegen 6). Allein nicht nur wenn man mit Lücke u. A. das ort tzijkD-e au dem folgenden Uyn o Yr aug zieht , sondern auch ohne diefs hat das vvv idogaafh] o n'iog tu av$Q(i?iB x. r. X. (V. 31.), und was Jesus wei- terhin (V. 33.) von seinem baldigen Hingang spricht, sei-

5) 2, S. 310. 381 f.

6) Paulus, exeg. Handb. 5, b, 4&7.

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Zweite* Kaufte f. $. 121. 4*1

ne nächste Beziehung unverkennbar inf den Weggang des Judas. Denn wenn das- do^ä^pn' im vierten Evangelium im- -mer die Verherrlichung Jesu bedeutet, welcher ihrt sein Lei- den entgegenfahrt , so war eben mit dem Gang des verlore- nen Jüngers zu denen, welche Leiden und Tod über Je- som brachten, seine Verherrlichung und sein baldiger Hin- gang entschieden. Hängen aaf diese Weise die Verse 31 33. antrennbar mit V. 30. zusammen: so kann man sieh bewogen finden , mit dem Abendmahl wieder etwas liera-b- soTÜcken , und es dahin r.u stellen, wo dieser Zusammen- hang ein Ende cu haben scheinen kann: nnd so la'fst denn LOckb die Einsetzung desselben zwischen V. 33. und 3t. in der Art fallen, dafs , nachdem Jesus V. 31 33. die durch das Hinausgehen des Verrfithers* Berstreuten und er- fehrockenen Gemüther beruhet und auf das Abendmahl vorbereitet habe, er nun V. 34 f. an die Austheilung dessel- ben das neue Gebot der Liebe knüpfe. Allein , wie s*>ir*fc schon bemerkt worden ist *) , wenn V. 36. Petrus mit Be- ziehung auf V. 33. Jesuin fragt, wo er dehn hingehe? so kann unmöglich nach jenem Ausspruch Jesu V. 33. das Abendmahl eingesetzt Worden sein , weil sonst Petrus das vn&ytü durch das oto/Ltcr &t6otif.vov und dl uet wert/ Fim er- klärt, jedenfalls aber sich eher zu einer Frage Aber die Bedeutung dieser letzteren Ausdrücke veranlagt linden raub- te. — Man mufs daher abermals aufwärts gehen, nur neeh weiter als Paulus gethan hat; hier aber bietet sich ; < da von V. 30. bis hinauf zu V. 18. in Etnem- Zuge vom4 'Ver- räther die Rede ist, das Gespräch (Iber diesen aber sieh wiederum untrennbar an die Fufswasehüng und die' Deu- tung derselben schliefst , bis zum Anfang des" Kapitel* kei- ne Stelle dar, an welcher die Abenrimalilsstif'ttwg einge- fügt werden könnte. Hier jefiooh «oll< *te"i*0fc*ae£oM- nem der neuesten Kritiker auf eine Weise einreihen las- B £?* .2 ,tx*i**i'€ (J*

7) Mstkr, Comm. über den Job. r. d. W 2 e»*1

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42* .. »ritte*, Abschnitt

imi, welch« den Verfasser des Evangeliums von dem Vor- wurf gan* befreie, durch eine scheinbar continuiriich fort- schreitende, und doch da* Abendmahl überspringend* Dar- Stellung den Leser irre, gemacht eu haben. Denn gleich von Anfang mache «ich Johannes gar nicht anheischig, Ton Mahle seibat and was dabei vorgefallen , .etwas «u erzäh- len, sondern nur was naoh dem Mahle sich begeben, wei- le er bericliten ; wie denn das ddn*& ysvouFvH nach seiner natürlichsten Bedeutung heifse: nachdem die Mahlaeit vor- über war, das iysi(te vat ix d%ht¥B aber deutlieh seige, dafs die Fufs waschung etwas erst nach dem Essen Vorge- nommenes gewesen sei Allein, wenn et von Jesu nach vollbrachter Fufs waschung heifst : dvaneacov ndliv (V, 12,), so war folglieh die Mahlaeit noch . nicht vor über , als er •leb aar Fufs wasche ns erhob, nnd das ivünEiait* Sslnvn will sagen, dafs er aus dem Mahle heraus, das Essen, oder wenigstens das vorläufige au Tische Sitzen unterbre- chend, au Jenem Geschäfte aufgestanden sei* Das deinvü ytyo^ikva aber heifst so wenig nachdem ein Mahl gohal- ten wsr«*ds frd X yevofuha iv B^ana (Matth, 16, 6.) sa- gen wiU; nachdem Jesus in Bethanien gewesen war, son- dern, Indem uns durch jene Wendung Johannes den Ver- lauf der Mahlaeit selbst *)t wie Matthäus durch diese die Dauer des ItethanSseben Aufenthalts Jesu, vorführt, so macht er sich damit anheischig, uns alles, was während Jener Mahlzeit Merkwürdiges vorfiel, eu berichten, und wenn er nun die bei derselben vorgefallene Stiftung des Abendmahls nicht meldet,,. so bleibt diels ein Sprung, der ihm den Vorwurf ansieht , lückenhaft eraählt, und gerade das Wichtigste übergangen au haben.

Wi# sieh also im Allgemeinen kein Grund denken liefe , warum Johannes, wenn er einmal von diesem lete> sei ne^lsnain « » *»u » '% A »

8) SisrrsaT, S. 152 ff.

9) Vgl. LOcm, S. , ml ,

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Zweit«« Kapitel. $.121. 425

ten Abend sprach , die Stiftung des Abendmahls Ibergan- gen haben sollte: so findet sieh auch im Einzelnen keine Stelle, wo sie in den Verlauf seiner Darstellung eingesehe- ben werden könnte , und es bleibt somit nichts flbrig, als die Annahme, er erzähle sie nicht, weil er nichts von der- selben gewuf*t habe. Nämlich von dem Abendmahl als christlichem Ritus wulke er wohl, wie sein Otes Kapitel seigt, und mufste davon wissen , da es, wie wir aus den pauiinischen Briefen abnehmen können, schon lu der er- sten Zeit allgemein in der Christenheit verbreitet war: d*s aber kann ihm unbekannt gewesen sein , nuter wel- chen Umstanden Jesus das Abendmahl förmlich einge- »etst haben sollte. Einen so hochgehaltenen Gebrauch auf die Auctoritüt Jesu selbst zurückzuführen , lag awar auch

ner synoptischen 8tiftungsscene , so wie aus Vorliebe fttr dafs Geheimnifsvolle, vermöge weicher er Jesu gerne Aus- sprüche in den Mund legte , die , für den Augenblick un- verständlich, erst aus dem späteren Erfolge Licht bekommen haben sollten , nicht so , dafs er Jesom wirklich schon den Ritus einsetzen, sondern nur so, dafs er ihn dunkle Wor- te von der Notwendigkeit, sein Fleisch an essen und sein Mut eu trinken, sprechen liefs, welche, nur aus dem nach seinem Tode in der Gemeinde aufgekommenen Abendmahls- ritus verstündlich, als indirecte Stiftung von diesem auge- sehen werden konnten.

Dafs, so wenig als Johannes von der Einsetanng des Abendmahls, die Synoptiker von der FufswaschungJetwas gewufst haben können , weil sie derselben keine Erwäh- nung thun , diefs kann theils wegen der minderen Wich- tigkeit der Sache und der hier mehr fragmentarischen Darstellung dieser Evangelisten nicht so bestimmt behaup- tet werden, theils hat, wie oben bemerkt, Lukas in dem Rangstreit V. 24 ff. etwas, das mit jener Fufswaschung, als AulaTs derselben, zusammenzuhängen, manchen Erkl&-

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4*4 . Dritter »Abschnitt.

-rei n schienen hat ,0). Ist nun Aber in Bezog auf diesen ^Rangstreit bereits oben dargelegt, wie er, in den Zusam- menhang der vorliegenden Soene nicht passend, nur einer anfälligen Ideon Association des Erzählers seine Steile ver- .danke"): «o könnte die Fufswaafchongsscene bei Johan- nes nur die sagenhafte Ausführung einer synoptischen De- itantharede *u »ein scheinen. Wenn nämlich bei Matthäus •CUMiff,} Jeans seine Jünger ermahnt, wer unter ihnen grofs sein wolle, der solle der andern diclxovog sein, gleich- en er nkht gekommen sei, dsfeos^dffasj oU« tlutxovf- uas, und wenn er diel> hier hei Lukas ( 22, 27. > in der AVage ausdrückt : y^^Wv; 6 cW/^voc, % 6 d«tt- xovwv; und mit der Hiaweisung verbindet : iyta -\k eifti tV fiHKo vßiun> (a$ q öuexovük>j so könnte zwar sehr wohl Je- sus selbst für gut * gefunden; haheu, -diesen Anssprunjbi durch

ein wirkliches tiirrsnri-lv inmitten AAinni* dm llstila >1AM ^.,n,

^«//<«yoi S|)ielcnden Jünger au veranschaulichen, ebensogut *ber könnte ni au, sofern die Synoptiker Von einen» solchen

»Vornehmen schweigen, die Verum thung fassen, es möge, «ati.esdie Sage, wie sie dem vierten Evangelisten au Oh- . reu kam, oder er seihst, aus jenem Dictum dieses Factum .liersnsgespounen haben1). Und ohne defs ihm gerade, der IfearstcUoiig des Lukas gemüls, jener Ausspruch Jesu als während der letaten Mahiaeit gethan zugekommen au ,#e}a buchte, ergab es sieh aus dem ammlatou und dto- xovuv von selbst, dafs die Versinnlich ung dieses. Verhält- nisses an ein Mahl geknüpft wurde, welches dann aua leicht denkbaren Gründen am schicklichsten das letate £e~ -i wese« zu sein. scheinen konnte. , It,,, h ,

*'J . . •.»•.'1 -f

10) Sntmai-, S. 153. Paulus und Olshaus*», x. d. St.

as-fty-1, 9P.^l5'rfih-i.ii« » .dl frvi3« ;*

t. ,4» .Zy.weit hcpgcliplt was die ProhabiUen, S. 7ef-, iü»er lie

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Zweite* Kapitel, f. 1121.

Oaf< hierauf nach der Darstellung bei Lukas die Jünger ali solche anredet, welche bei Ihm Id seinen liedraiignisieu beWtt haben, und Ihnen dafür verhelfst,

daG* ?*ie -tnit ihm iu seinen) Reich zu Tische sitzen, und arif Thronen die 12 Stamme Israels rieirten sollen (V.28^30.J,

pas»en, in welcher er un mittel ha r vorher einem der Xwulfo de» Verna th, unmittelbar nachher einem andern die Ver- jMüisnüiig vor hergesagt hahen soll, und in « inen Zeitpunkt^ in 1 \v e loh cm die eigentlichen TtfutcitJttoi erst bevorstanden wu. ii«u44jcuhji iiuueicii oeu «i.itiung ine ocene oei IjH~ jJtaM*"- V4Uane herein angelegt ist, «dürfen wir den tirund de«: VA mchaltung; dieses RedestQok* schwerlich im;etwas Anderem« als

ingssl

lerenten an den »ihnen von Jesu verhetfsenen Hang, und die Redt vom Aufwartenden und zu Tische Sitzenden an das ihnen versprochene zu Tische Sitzen im messianSsahen Reiche erinnern toochte. f. ja«^;^»* w* Tili »>nn

* 'In tierfug auf das folgende Gespräch, wo Jeans sei- nen J*ng*rn bildlieh lagt, von nun an wurde es' Koth thnn, sie kauften sich Schwerte^ so feindlich werde man ihnen von allen Seiten entgegentreten, sie aber ihn eigent- lich verstehen, und auf zwei in de* Gesellschaft vorrfithige Seh werter verweisen, möchte ich am liebsten ScifcKIKR- - mxCHZR nt beistimmen , welcher der Meinung ist , um das •'in der folgenden Erzfihlung vorkommende Hauen des Pe- . trus mit dein Schwert zu hevorworten, habe der Refe- rent dieses Redestück hiehergestellt «4

Die übrigen Differenzen in Bezug auf das letzte Mahl « werden Im' Verlauf der folgenden Untersuchungen cur Sprache kommen. 1 " Ji: '

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15) Uber dca Lukas, S. 275. ' .'aoM

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4M Dritter Abschnitt.

im Vei^SfUgaag des|Verraths und der Veftfi^smag. »

,.• v Wenn mit der Angabe, dafa Jesus von Jeher seinen Verräther gekannt and« durchschaut habe, der vierte K van - geliat allein steht: so stimmen darin alle viere zusammen, dafa «er bei seinem letzten Mahle vorhergesagt habe, einer seiner Jünger werde ihn verrathen. H ~*}~* I 'doch findet zuerst schon darin eine Differenz statt, dafa, während den beiden ersten Evangelisten zufolge die Reden vom Verräther die Scene eröffnen, und namentlich der Stiftung des Abendmahls vorangehen (Matth. *V*fr* Mard 14, 18 ff.): Le*as erst nach eingenommenem Mahl ■ad gestifteter Gedächthifsfeier 21 ff.) Jesum roh dem bevorstehenden Verrats» sprechen läfsff bei Johannes feilt diu auf den Verrither sich Beziehende während und nach der Fufswaschung vor (13, 10—30.). Die an «Seh unbe- deutende Frage, welcher Evangelist hier recht habe , ist den Theologen ans dem Grund überaus wichtig, weil je nach der Entscheidung derselben sich die andere Frage zu beantworten scheint , ob auch der Verräther das Abend- ro ahl n och mitgenossen habe? Weder mit 4er Idee des Abendmahls , als des Mahls der innigsten Liebe und Ver- einigung, schien sich die Theilaahme eines so fremdarti- gen Glieds an demselben an vertragen, noch nach mit der Liebe und Barmherzigkeit des Herrn das, dafa er sollte einen Unwürdigen zur, Erhöhung seiner Schuld das Abend« mahl haben mitgeniefsen laasen *). Diesem geftircbieten Umstand glaubte man. dadurch zn entgehen , da** man , der Anordnung des Matthäus und Markus folgend, die Be- Zeichnung des Verräthers der Stiftung des Abendmahls vorangehen liefe, and da man nein aus Johannes wufste, dafs, nachdem er sioh entdeckt nnd bezeichnet sah, Judaa ans der Gesellschaft gegangen sei: so glaubte man anneh-

1) Olsbausi*, 2, S. 580.

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Zweites Kapitel, f. 122.

n dürfen, dafs erst nach dieser Entfernung des «Ver- r/ithers Jesus die Einsetzung 'des Abendmahls vorgenommen hübe *). Allein diese Abhälfe kommt nur durch unerlaubte

Vermischung des Johannes mit den Synoptikern eu Stande. Denn von einer Entfernung1 des Judas aus der Gesellschaft weifs eben nur der vierte Evangelist, und er allein hat aueh diese Annahme^ nothig, weil nach ihm Judas erst Jetzt seine Unterhandlungen mit den Feinden Jesu anknüpft, •Uo , um mit ihnen einig zu werden, und Bedeckung von Ihnen eu erhalten, eine etwas längere Zeit brauchte: bei iinn *3y iitf fiii Kern uwgegen ist nome opur, nais oer Terra* ther die Gesellschaft verlassen hätte, es ist Alles so erzählt, wie wenn er erst bei dem allgemeinen Aufbruch, statt di- rect in den Garten, zu den Hohenpriestern gegangen Wäre, von welchen er dann, da die Unterhandlungen schon vor- her angeknüpft waren, unverzüglich die ntfthige Mannschaft aur Verhaftung Jesu erhalten konnte. Mag also In Anord- nung der Scene Lukas oder Matthäus recht haben r nach sftmmtlichen Synoptikern hat Judas, der ihnen zufolge sich

gar nicht vor der Zeit aus der Gesellschaft entfernte, das

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Aber auch in der Art und Weise, wie Jesu* seinen Verräther bezeichnet haben soll, weichen die Evangelisten nicht unbedeutend von einander ab. Bei Lukas giebt Jesus nur kurz die Versicherung, dafs die Hand seines Verrathers mit ihm über Tische sei, worauf die Jünger onter sich fra- gen , wer es wohl sein möge, der so etwas zu thun im Stande wäre? Bei Matthäus und Markus sagt er zuerst, einer der Anwesenden werde ihn verrathen, und als von den Jüngern ihn jeder einzeln fragt, ob er es sei? erwie- dert er: der mit ihm in die Schüssel tauche; bis endlich nach einem über den Verräther ausgesprochenen Wehe dem Matthäus zufolge auch Judas jene Frage thut, worauf ihm

2) So Lucas, Paulus, Oinuusia.

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428 Dritter Abschnitt. \

Jesus eine bejahende Antwort giebt. ; Bei Joben nes de«-

ilnfi nicht ftllö Rn WGSGiitlcn J linder rein flcifn « duftf vi^i~ mehr die Schrift erfüllt werden müsse: der mit mir des Brot ifst, erhebt die Forte gegen mich« Denn sagt er ge- radeso., einer ton ihnen werde ihn verrathon, und* als die Jünger forschend einander anblicken, wen er wohl meine, l&fsfc Petrus durch den eu nächst an Jesu liegenden Johan- nes fragen, wer es sei ? worauf Jesus erwiedert, der, wel- chem er den Bissen eintauche und gebe, was er sofort dem Judas thut. mit beigefügter Erinnerung, die Ausführung sei nes Vorhabens n beschleunigen ; worauf dieser die Ge- aellacbaft verlüfst. •••«•«•'. M..~r.

>v Die üarmooitten sind auch hier tohneli damit fertig gewesen, die verschiedenen Scenen ineinander einauschie- ben and miteinander- verträglich an. maohen. Da soll Jesus auf die Frage der einaelnen Junger , «ob et> semiv, Be- erst mit lauter Stimme erklärt haben,' einer seiner Tisch- genossen werde ihn verrathen (Matth.) 5 hierauf toli,Je> hannet leite gefragt haben , wer es naher sei, ond Jesus ihm ebenso leise die Antwort ert heilt: der, dem er den Bissen gebe (Job.);; dann soll auch Judaty gleichfalls lei- te, gefragt haben, oh er es sei, ond Jesus ebenso seine Frage bejaht haben (Matth.;: endlich aber soll auf eine antreibende Mahnung Jesu der Verrät her tut der Gesell- schaft gegangen sein (Joh.) ). Allein dafs die zwischen Jesus und Jndat gewechselte Frage und Antwort, welche Matthäus mittheilt, leite gesprochen worden sei, davon be- merkt der £vangeiitt nichtt, auch läfst es sieh nicht wohl denken, wenn man nicht dat Unwahrscheinliche vorausse- tzen will, dafs Judat auf der andern Seite, wie Johannes auf der einen neben Jetu gelegen hebe; war aber die Ver- handlung laut, so konnten die Jünger nicht, wie Johannes

3) Kuisoi, in Matth, p. 707. .:.*«:•■ * ' - > I*

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Zweite« &«<pltel. 1.122.

erzählt^ > dU <i>*rotüs fiaiipw Tapc* auf so wunderliche Weite mißverstehen, «nd mit einer stotternden Frage von Seiten de» Judas und leichthin gesprochenen Antwort Jesu wird ; man sich niefit im Ernst beruhigen können \). Auch das ist nicht wahrscheinlich, dafs Jesus, nachdem er schon die Erklärung gegeben: der mit mir in die Schwei taucht, wird mich verrathen, zur bestimmteren Bezeich- nung des \ erräthers nun noch selbst ihm einen Bissen eirv- getaucht haben sollte: sondern beides ist wohl dasselbe, nur verschieden referirt. Erkennt man aber einmal diefs mit Paulus und Olshausen an, so hat man bereit» dem ei- nen oder andern Bericht so viel vergeben, d«f* man sich auch über die Schwierigkeit, welche in der ausdrücklichen Antwort liegt, die Matthäus Jesuin dem VerrÄther ge\>e* lälst, nicht mit Zwang hinüberheifen, sondern eingestehen sollte, hier zwei abweichende Berichte vor sich zu haoen, deren einer nicht daraaf berechnet ist, durch den ander» ergänzt zu werden,

Jst man mit Sikffert und Fritzsche zu dieser Einsicht gekommen: so fragt sich nur noch, welchem von beiden Berichten als dem ursprünglichen der Vorzug zu geben sei? Siek fbrt hat diese Frage mit grofser Entschiedenheit zp Gunsten des Johannes beantwortet, nicht blofs, wie er be- hauptet, vermöge des Vorurtheils für die angebliche A*~ gen zeugenschaft dieses Evangelisten, sondern auch, weil •ich seine Erzählung in diesem Abschnitt durch innere Wahrheit und malerische Anschaulichkeit aufs Unverkenn- barste vor der des Matthäus auszeichne, welcher Jerztent die Spuren der Autopsie auch hier durchaus fehlen. Wah- rend nämlich Johannes das Genaueste über die Art zusa- gen wisse, wie Jesus den Verräther bezeichnet habe: klinge die Erzählung des ersten Evangeliums so, als ob seinem Verfasser nur die allgemeine Notiz, dafs Jesus seinen Ver- - t , 4) Wie Olshacsbk, 2, S. 402. S. dagegen SisrrssT, S. 148 f.

4S0 Dritter Abschnitt

rfther auch persönlich beeeichnet habe , angekommen ge-

der runden Antwort, die Jeans bei Matthäus (V, 25.) dem Judas giebt, nicht geleugnet werden kann, dafs sie gana darnach aussieht, nach jener Notiz auf ziemlich Weise gemacht an sein , nnd in sofern der vi also doch immer wahrscheinlicheren Art, wie Johannes diese Bezeichnung wendet, nachsteht: so ist dagegen zwi- schen dem 6 iftßdipag oder ifißanrofMog per tun bei den zwei ersten Evangelisten , nnd dem johannelschen $ iyv ßdipag to tpcofilov imdiooo) , das Verhältnifs ein gans an- deres ; hier nämlich ist offenbar die gröfsere Bestimmtheit der Bezeichnung, mithin die geringere Wahrscheinlichkeit des Berichts, auf Seiten des vierten Evangeliums. Bei Lukas bezeichnet Jesus den Verräther nnr als einen der mit ihm bei Tische Sitzenden, und auch von dem 6 iftßa— \pag x. L bei Matthans und Markus ist die Deutnng, welche Kuinöl und Hennebero «) von demselben geben : ei- ner von meinen Tischgenossen, unbestimmt welcher, so irreleitend nicht, wie Olshausen sie dafür aosgiebt. Denn auch auf die Frage der einzelnen Jfinger: bin ich »? konnte ja Jesus theiis immer noch eine ausweichende Ant- wort zu geben für gut finden , theiis verhielt sich au dem früheren: tig Vfiüh nctQaÖi&asi fti (V. 21.) , nach Kuin- ©l's richtiger Bemerkung jene Antwort auch in diesem Sin- ne als angemessene Steigerung, indem sie das den Venrath noch besonders gravirende Moment der Tischgenossenschaft hervorhob. Wenn auch die Verfasser der beiden ersten Evangelien den fraglichen Ausdruck bereits so verstanden, als ob gerade Judas mit Jesu die Hand in die Schüssel ge- taucht, und somit jene Äusserung ihn persönlich bezeich-

5) s. a. ü. S. 147 ff.

6) Comment. über die Geschichte de* Leidens und Todes Jesu, s. d. St.

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Zweites Kapitel f. 1*2. 4SI

Met hätte : so zeigt doch die Parallele bei Lukas , und bei Markus das dem o ipßamoiuevog vorgesetzte * Ig ix rcaMdalw dexa, dafs ursprünglich jenen nur fipexegese von diesem war, wenn es gleich vermöge des Wunsches, Seine recht bestimmte Vorherbeseichnung des Verrathers von Seiten Je- su zu haben , frühzeitig in jenem andern Sinne genommen wurde. Haben wir aber so einmal eine sagenhafte Steige- rung der Bestimmtheit jener Beseiehnong: so ist auch die Art , wie das vierte Evangelium den Verräther bezeichnet werden lifst , in diese Reihe zu ziehen , und zwar mftfstb sie nach Sikffkrt die ursprüngliche gewesen sein, von wel*. eher alle Übrigen ausgegangen wären. Nun aber ist sie, wenn wir das ov elnag des Matthäus zum Yorans preisge- ben, die bestimmteste Bezeichnungsweise, zu welcher sich der Ausdruck: meiner Tischgenossen einer, nur als gang unbestimmt verhält , und auch der Wink : derjenige , wei- cher jetzt eben mit mir in die Schüssel taucht , war noch weniger direct, als wenn Jesus selbt ihm den Bissen ein* tauchte und reichte« Ist es denn nun im Geist der alten Sage, die bestimmteste Bezeichnung, wenn Jesus eine sol- che gegeben hatte, fallen zu lassen, und auf unbestimmte- re su reduciren , also das Wunder des Vorherwissens Je- su zu verringern? Gewifs vielmehr das Umgekehrte! so dafs Matthäus neben dem unhistorischen Bestimmten doch zugleich noch das ursprüngliche Unbestimmte aufbewahrt* Johannes dagegen dieses ganz verloren , und nur jenes be- halten hat.

Geben wir auf diese Weise dasjenige , was von per- sönlicher Bezeichnung des Verräthers durch Jesum erzählt wird, als Vmt neu tum gebildet, auf, so bleibt uns doch die allgemeine Voraussieht und Vorhersage Jesu noch, dafs überhaupt einer seiner Schüler und Tischgenossen ihn ver- raChen werde. Doch auch schon diefs hat Schwierigkei- ten. Dafs Jesus auf den im Kreise seiner Vertrautesten brütenden Verrath von Andern aufmerksam gemacht wor-

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<: : D 1 I 1 t e r Abschnitt.

den Iwstre, davon findet sich in den Evangelien keine Spur: nur aas der Schrift scheint er auch diese« Verhangniis. her« ausgelesen rn haben. Wiederholt erklÄrt Jesus.,» durch, den ihm bevorstehenden Verrath werde die Schrift erfüllt ( Job. 13, 18. 17, 12. vgl. Matth. 26, 24. . parall.), und in vierten Evangelium (Wf 1&) führt er als diese yQatpn Ps. 41, 10. die Worte an : o TQüiyoiv per ifiü %6v coror, inr&v in tut zrtv meQvav avtö. Die Psalm stelle he zieht sich entweder auf die bekannten treulosen Freunde Davids, Ahitophel und Mephiboseth , oder, wenn der Psalm nicht Davidisch ist, «of Unbekannte, die mit dem Dichter. des- selben in ähnlichem Verbältnifs standen 0- Von messiani- scher Beziehung ist so wenig eine Spur , dafs selbst Thq- luck und Olshausen den angegebenen Sinn als den um sprünglichen anerkennen. Nun soll aber nach dem Letzte- ren in dem Schicksal Davids sich das des Messias abspie- geln; nach dem Ersteren sogar David selbst auf göttlichen Antrieb oft Ausdrücke von sich gebraucht haben, welche specielie Hinweisungen auf die Schicksale Jesu enthielten. Wenn aber Tholuck da zusetzt, David selbst habe in der Begeisterung diesen tieferen Sinn seiner Aussprüche nicht immer ganz begriffen : was ist diefs anders , als ein Zuge* stündnifs , dafs durch die Deutung auf Christum solchen Stellen ein anderer Sinn gegeben werde, als den der Ver- fasser ursprünglich in dieselben gelegt hat ? Dafs nun Je« ans aus dieser Psalmstelle vor dem Erfolg durch natürli- che Überlegung sollte herausgelesen haben, ihm stehe Ver- rath durch einen Freund bevor, ist um so undenkbarer, als sieh keine Spur findet, dafs der Psalm unter den Ja- den messianiseh gedeutet worden wäre: dafs aber das Gött- liche in Jesu ihm eine solche Deutung an die Hand gege- ben habe, ist defswegen unmöglich, weU es eine falsche Deutung ist. Vielmehr nach dem Erfolg erst wurde der i

7) s. ds Wim, x. d. Ps.

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Zweites Kapitel. §.122.

433

Psalmstelle eine Beziehung auf den Verrath des Judas ge- geben. Das durch der! gewaltsamen Tod des Messias übers raschte Gemflth seiner ersten Anhänger mufs man sich in ängstlicher Geschäftigkeit denken , dieses Schicksal des- selben zu begreifen, was aber bei jadisch Gebildeten nicht hiefs, es mit Bewußtsein and Vernunft, sondern mit dar Schrift in Einklang bringen. So fanden sie nicht nur sei- nen Tod, sondern auch, dafs er durch die Treulosigkeit eines seiner Freunde zu Grunde gehen würde, und selbst das weitere Schicksal und Ende des Verrätliers (Matth« 27, 9 f. A. G. 1, 20.) im A. T. vorhergesagt, und um für den Verrath eine A. T.iiche Auctorität zu finden, bot sich am meisten jene Stelle aus Ps. 41, wo der Verfasser über Mifshandlung durch einen seiner Vertrautesten Klage führt. Diese Belege aus dem A. T. konnten die Schreiber der N.* T. liehen Geschichte entweder als ihre und Anderer Reflexio- nen bei Meldung des Erfolgs hinzusetzen, wie die Verfasser des ersten Evangeliums und der Apostelgeschichte, wo sie das Ende des Judas referiren : oder, was noch schlagen- der war, sie konnten sie Jesu selbst schon vor dem Er- folg in den Mund legen, wie der Verfasser des vierten Evangeliums hier thut. Der Psalmist hatte mit seinem ^ZpnS SDM einen solchen gemeint, der überhaupt das

Brot mit ihm zu theilen pflege: leicht aber konnte es als die Bezeichnung eines solchen angesehen werden, der jetzt eben mit dem in der Weissagung Gemeinten esse, und so wurde als Scene der Vorherbezeichnung ein Mahl Jesu mit seinen Jüngern, und wegen der JNähe des Erfolgs am schicklichsten das letzte, gewählt. An die Worte der* Psalm - stelle Übrigens band man sich in der Art , wie man Jesum den Verräther bezeichnen liefs, weiter nicht, sondern nahm statt des 6 TQtiytav n& iftä tbv Zqtov entweder das syno- nyme /* «t iftö im %rg tQone^ , wie Lukas, oder, da den Synoptikern zufolge dieses letzte Mahl ein Paschamahl war, so wählte man mit Bezug auf die dem Paschamahl eigen- Das Leben Jesu 2te Aufl. 2. Band. 28

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434 'Dritter Abschnitt.

thdmliche Twukfc d»s t> fftßa7tt6tuevos ^ iftö eis rd tqv~ ßliov, wie Markus und Matths««. Diefs, zuerst ganz syn- onym dem o ttuiyov x. r. P.., elf Bezeichnung irgend ei- nes setner Tischgenossen wurde bald, da man eine per- sönliche Bezeichnung haben wollte, durch Mißverstand so gewendet, als ob Judas zufällig zugleich mit Jesu in die Schüssel gegriffen hätte, und endlich wurde, um die Be- zeichnung möglichst unmittelbar zu machen, der von Ju- das zugleich mit Jesu in die Schüssel getauchte Bissen vom vierten Evangelisten in einen solchen verwandelt, den Jesus dem Verrather eingetaucht und gegeben habe.

\uch sonst ist in der johanneischen Darstellung die- ser Seena Manches, was gar nicht natürlich, wie Siekfkrt Will9 sondern vielmehr gemacht erscheint. Die Art, wie Petrus sich der Vermittlung des Schoofsj (Ingers bedienen mofs, um von Jesti einen näheren Wink (Iber den Verrfi- ther herauszubringen, wie sie den Synoptikern fremd ist, so gehört sie auch nur zu der unhistorischen Wendung, welche, wie oben auseinandergesetzt, dss vierte Evangelium dem Verhaltnifs der beiden Apostel giebt. Die unter ei« ner Handlung der Freundschaft, wie das Reichen des Bis- sens, verborgene Bezeichnung im schlimmen Sinne ferner hat immer etwas Unwahres und Widriges, was man auch Ton zum Grunde liegenden Absichten, den Verrät her noch zu rühren u. dergl. , erdenken mag. Endlich auch das o nottig9 noiriOOVTa%tov, man niages zu mildern suchen, wie man will8), ist doch immer hart, Und mit einem gewissen Trotz dem her- einbrechenden Schicksal gegenüber gesprochen, und ebe ich die Werte durch irgend eine Künstelei als von Jesu ge- sprochene rechtfertige, stimme ich lieber dem Verfasser der Probabilien bei , welcher in denselben das Bestreben des vierten Evangelisten sieht, die gewöhnliche Darstellung, welcher zufolge Jesus den Venrath vorauswüßte und nicht

8) s. Lucas und Traue», 1. <L Sttr

».

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Zweites Kapitel. $.122. 455

hinderte , durch die Wendung, er habe den Verrfither so- gar eur Beschleunigung seine» Vorhabens aufgefordert, cu überbieten *>

Wie dem Judas den Verrat h , so «oll Jesus dem Petrus die Veriäugnung vorhergesagt haben, und «war mit der besonders genauen Zeitbestimmung, dafs, ehe am nächsten Frühmorgen der Hahn (nach Markus zwei- mal) krähe, Petrus ihn dreimal verleugnet haben Vierde (Matth. 26, 33 ff. parail), was den Evangelien zufolge aufs Genaueste eingetroffen ist* Hier ist von rationali- stischer Seite bemerkt worden, die Erstreck ong der Se- hergabe auf solche Nebenr.üge, wie der Hahnenschrei, müs- se Befremden erregen; ebenso, dafs Jesus, statt eu war- nen , vielmehr den Erfolg wie unvermeidlich voi hersage lü), was allerdings ganz nach der Art des traghehen Fatums der Griechen lautet , wo der Mensch in das ihm, vom Ora- kel Vorhergesagte, indem er es vermeiden will,: dennoch hineingerfith. Freilich, wenn dann Paulus weder das « (fur/oti Oi;ttt<fOv alixiu^9 noch daa anaqvtioOat, noch das to/w in der genauen, wörtlichen Bedeutung gesprochen wis- sen will , sondern der ganzen Hede nur den ungelühren und problematischen Sinn giebt: ao leicht eu erschüttern sei die vermeinte Festigkeit des Jüngers, dafs zwischen jetst und dem nächsten Morgen schon Ereignisse eintreten können , die ihn veranlassen würden , mehr als Einmal an ihm irre und ihm untreu eu werden : so ist diefa nicht die rechte Art , die Schwierigkeit des evangelischen Be- richts aus dem Wege zu räumen; die Jesu in den Mund gelegten Worte stimmen mit dem nachherigen Erfolge so

9) p. 62: reliqui quidem narrant evangelistac , urvtaiorem sei» visse prodaionis consilium , nec impedivisie; ipsum vero ex- citusse J adam ad proditionem , nemo eorum dicit , neque cvn- venit hoc Jesu,

10) Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 538. L* 3. i, b, S. 192. Hasb, L. J. J37.

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435 Dritter Abschnitt.

genau überein, dafs hier nn ein blofs zufälliges Zusammen- treffen nicht gedacht werden kann. Sondern in diesem Zusammenhange von lauter vaticinüa post eventum werden wh* auch hier annehmen müssen , dafs, nachdem wirklich Petras in jener Nacht Jesum mehrmals verlaugnet hatte, die Vorherverkündigung davon Jesn in den Mund gelegt wurde, Bit der üblichen Zeitbestimmung vom Hahnen- schrei ll) 5 und mit der Reduction auf die runde Zahl von drei Veriiugnungsfailen. Dafs diese Zeit- and Zahlbe- stimmonf in der evangelischen Überlieferang stehend blieb (ausser dafs Markos , ohne Zweifel durch eine willkührli- ehe Künstelei, um dem rgtg der Verleugnung gegenüber auch den Hahnenschrei durch eine Zahl zu bestimmen, von einem zweimaligen Rufen des Hahns spricht), diefs scheint sioh aas der Anschaulichkeit and ßehaitbarkeit jener früh« zeitig gewählten Ausdrücke, die sich ganz zu einer ste- henden Bestimmung eigneten, ohne allzu grofse Schwierig- keit sa erklären.

Dafs endlich Jesus auch den übrigen Jüngern vor- aussagt, sie werden in der bevorstehenden Nacht alle an ihm irre werden, ihn verlassen and sich zerstreuen (Matth. 26, 31. parall. vgl. Joh. 16, 32 ), hat wohl ebensowenig Ansprach, als wirkliche Weissagung festgehalten zu wer- den, zumal hier die zwei ersten Evangelisten in dem yi- YQamai yaQ* nard^vf *6* noiftira , xai dtaaxoQma^aerai tu nQoßaxa rtjg noifiv^gy die A. T.liche Stelle (Zach. 13, 7.) selber an die Hand geben, welche, zuerst von den Anhängern Jesu zur eigenen Verständigung über den Tod ihres Meisters und dessen zunächst traurige Folgen auf- gesucht, bald Jesu selbst als Vor hersagung dieser Erfolge in den Mund gelegt wurde.

11) vgl. Li*rt»oot und Paülü«, z. d. S».

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Zweites Kapitel, f. 123. 437

*

§. 123. Die Einsetzung des Abendmahls.

Bei dem letzten Mahle war es , nach dem Berichte der drei ersten Evangelisten , mit welchem auch der Apostel Paulos (1 Kor. 11, 23 ff.) zusammenstimmt, daf«| Jesus dem ungesäuerten Brot and dem Weine , was nach der Sit- te des Paschafestes ') er als Familienhaopt unter seine Schüler zu vert heilen hatte, eine Beziehung anf seinen na- he bevorstehenden Tod gegeben hat. Wahrend des Essens nämlich soll er einen Brotkuchen genommen , nach gebro- chenem Dankgebet ihn gebrochen und seinen Jüngern ge- reicht haben, mit der Erklärung: tüTO igi zo aoiftd ins, wo/u Paulus und Lukas noch setzen : to tW p vfiCjv didd- fizrov oder xXcuftevov, und ebenso hierauf, her Paulus und Lukas naoh dem Essen, soll er ihnen einen Becher Weins mit den Worten hingegeben haben: roro igt to alfia fix, tu tfjg xaivfg diafrqxyg, oder, nach Paulus und Lu- kas : jj xatvrj dia&rxTj i* t<£ «fy*«1^ f*** i ^nl noU/Zir, oder vntQ vftwr, ixxvvoftevov, wozu Matthäus noch setzt: Big wftoiv uftvfnuov, Paulus aber, was er und Lukas auch schon oben bei'm Brote hatten : töto nouitt (Paulus bei m Wein oadxig av nlvrpe) eig irtv ifirv ävaprqütr*

Der Streit der Confessionen aber die Bedeutung die- ser Worte, ob sie eine Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, oder ein Vorhandensein von Leib und Blut Christi mit und unter jenen Elementen, oder endlich diefs ausdrücken, dafs Brot und Wein Chri- sti Leib und Blnt bedeuten sollen, ist als obsolet eu be- zeichnen, und sollte wenigstens exegetisch defswegen nicht mehr nachgeführt werden, weil er auf einer unrichtigen Disjunction beruht. Nur in der Übertragung in das ab- stractere Bewufstsein des Abendlandes und der neuern Zeit

1) vgl. Uber diese vornämlich Lishtzoot, horac p. 474 ff* , und Paulus, exeg. Uaadb. 3, b, S. Sil ff. . >

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438

Dritter Abschnitt.

aerfallt dasjenige, was der alte Orientale sich unter sei- nem i i) io igi dachte, in jene verschiedenen Möglichkeiten der Bedeutung, welche wir, wenn Wir den ursprünglichen Gedanken in uns nachbilden wollen , gar nicht auf diese Weise trennen dürfen. Erklärt man die fraglichen Worte von Verwandlung: so ist das zu viel und zu bestimmt; nimmt mau aien von einer Kiisteuz ctun et sub specie etc. : so ist diefs an. kUnstÜfih ;■ ubersetzt man aber : diefs bedeutet: so hat man zu wem*: und zu nüchtern gedacht. Den Schrei« bern unsrer Evangelien war das Brot im Abendmahl der Leib Christi; aber hätte man sie gefragt, ob also das Brot verwandelt sei? so würden sie es verneint; hätte man ih- nen von einem Genufs des Leibes mit und unter der Gestalt des Brots gesprochen : so würden sie diefs nicht verstan- den ; hätte man geschlossen, daft mithin das Brot den Leib blofs bedeute: so würden sie sich dadurch nicht be- friedigt gefunden haben. .

Hierüber also verlohnt es sich nicht, weiter an strei- ten; eher kann die Frage interessiren , ob Jesus jene ei- gentümlich bedeutsame Brot- und Weiuaustheilung nur als einen Act des Abschieds von seinen Jüngern, oder ob er dieselbe in der Absicht vorgenommen habe, dafs sie auch naeh seinem Hingang von seinen Anhängern com An- denken an ihn gefeiert werden sollte* Hätten wir blofs die Berichte der beiden ersten Evangelisten diefs geben hier selbst orthodoxe Theologen zu - \ so wäre kein entschei- dender Grund zu der letzteren Annahme vorhanden: allein entscheidend scheint bei Paulus und Lukas der Zusata: %uro nomt8 etg ttjv itiyv avd^aiv, welchem aufolge Jesus of- fenbar die Absicht hatte, ein Gedaohtnifsmahi an stiften, das nach Paulus die Christen feiern sollten , uyoig H uv tiü-fr Aliein eben von diesen Zusätzen hat man neuerlich

2) SUshiko, in der Abhandlung: hat Jesus das Abendmahl als einen macmoai»chcaIUlus angeordnet? in s. Magazin, llj S. 1 ff.

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Zweite* Kapital. $.123. «30

vermuthet, sie möchten nicht ursprünglich Worte Jesu ge- wesen sein, sondern bei der Ahendaiahlsfeier in der ersten Gemeinde möge der äugt heilen du Vorsteher die Gemeinde« glieder aufgefordert haben , dieses Mahl auch ferner xum Andenken Christi eu wiederholen, und aus diesem «rchrist. liehen Ritaal seien dann die Worte eu der Rede Jesu ge- behlagen worden 3). Gegen diese Vermuthuug sollte man nicht mit Olshausen die Aucforität des Apostels Paulus iu der Überspannung geltend machen , dafs laut seiner Versi- cherung: naQilaßov and Kvqiu, er hier aus einer un- mittelbaren Offenbarung Christi, ja dafs {Christus selbst hier aus ihm spreche! da doch, wie selbst Süsrind Eugege- ben, und neuerlich Schulz aufs Bündigste bewiesen hat \>, mtoakctfißccveiv auo nvog nicht ein unmittelbares Bekom- men von einem, sondern nur ein mittelbares Überkommen von einem her, also durch Überlieferung, bedeuten kann. Hat aber Paulus jenen Zusatz nicht von Jesu selbst gehabt: so glaubt Ewar Süskind beweisen eu können, er müsse ihm von einem Apostel roitgetheilt oder mindestens bestä- tigt worden sein , und meint in der Weise seiner Schule durch eine Reihe abstracter Disjunctionen sichere Mauth- Jinicn stehen eu können, welche da* Eindringen einer an- last orischen Sage in diesem Stücke verhindern sollen: al- lein die strenge Urkundlichkeit unsere* Tage darf ton einer werdenden Religionsgesellschaft nicht erwartet werden, de- ren an verschiedenen Orten befindliche Theiie noch keinen geordneten Zusammenhang und meistens nur mündlichen Verkehr hatten. Ebensowenig aber darf man dazu, das röi'o noihixz x. r. L fttr einen späteren Zusatz eu den Wor- ten Jesu eu halten, durch falsche Gründe, wie dafs es ge- gen die Demuth Jesu verstofsen haben würde, sich selbst

5) Taulus, exeg. Hindb. 5, b, S. 527. 4) Über das Abendmahl, S. 217 ff.

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440 Dritter Abtclmiu.

eine Gedüohtnifsfeter zu stiften -) u. dgl., eich bewegen Jessen, oder das Stillschweigen der beiden ersten Evange- listen, dem Zeugnifs des Apostels Paulus gegenüber, ell- enhoch ansehlagen.

Vielleicht entscheidet sich dieser Punkt mit der an- dern Frage: wie überhaupt Jesus dazu gekommen sei, die- se eigentümlich bedeutsame Brot - und Weinaustheilung mit seinen Jüngern vorzunehmen? Wie die orthodoxe Ansicht von der Person Jesu aus dieser, als einer göttli- chen, das Werden und namentlich ein allmählifes oder plötzliches Entstehen von früher nicht degewesenen Planen und Vorsätzen möglichst zu entfernen sucht: so lag ihr zufolge sammt dem Vorherwissen um sein Schicksal und seinem ganzen Plane auch der Vorsatz , das Abendmahl, und zwar als Gedächtnisfeier für seine Kirche, zu stifte«, von jeher in Jesu, und diese Ansicht kann sich wenigstens dafür, dafs Jesus schon ein Jahr vorher das Abendmahl im Sinne gehabt habe, auf die dahin zielenden Anspielun- gen berufen, welche das vierte Evangelium am sechsten Kapitel Jesu in den Mund legt. ,

Freilich ist diefs eine unsichere Stütze, de nach ei- ner früheren Untersuchung jene vor der Stiftung des Abendmahls schlechterdings unverständlichen Anspielun- gen nicht von Jesu seihst, sondern nur vom Evangelisten herrühren können 6). Und da es ferner Überhaupt die Wahrheit der menschlichen Natur in Jesu aufzuheben schien, in ihm von jeher, oder wenigstens vom Anfange des rei- fen Alters an, Alles schon fertig und vorgesehen sich zu denken: so hat der Rationalismus im Gegentheil behaup- tet, nicht früher, als eben an jenem Abend sei der Ge- danke jener sinnbildlichen Handlung und Rede in Jesu

3) Hussa, bibl. Thcol. 2* a, S. 30. Stspbasi, da» h. Abendm.

S. ol* 6) 1. Dd. V bi).

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Zweite« Kapitel, f. 113. 441

aufgestiegen. Demnach soll nun bei'ro Anblick des gebro- chenen Brots and ausgegossenen Weinet Jesum eine Ah- nung seines nahen gewaltsamen Todes angewandelt, er so4i in jenem ein Bild aeinea hinzurichtenden Leibes, in diesem seines an vergiei'senden Blutes erblickt, und diesen awgesi- blick liehen Euldruck gegen seine Jünger ausgesprochen haben'). Einen solchen tragischen Eindruck aber konnte Jeans nnr bekommen, wenn er seinen gewaltsamen Tod in der Nähe sab. Dafs diefs bei jenem Mahle mit groTster Bestimmtheit der Fall gewesen, scheint die Versicherung tl Id Äa^^s^^^ i s © n y ^^^©Äc 1)6 er n ft c Ii 8 onn f 1 1 c \\ e n Ä^^n ^^p^ t c h c Berirliten seinen Jüngern gab , dafs er von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken werde, bis er es neu geniefsen werde im Reiche seines Vaters ; wornach er also, da an ein Enthaltungsgeiöbdo zu denken kein Grand Ist, für die nächsten Tage sein Ende vorausgesehen haben müfs- te. Sehen wir jedoch, wie bei Lukas dieser Versicherung in Bezug auf den Wein die Erklärung Jesu vorangeht, das Pascha werde er nicht mehr geniefsen bis zur Erfüllung im Gottesreiche: so ist wohl ursprünglich noch unter dem yiwtyta ifdg ifmiki nicht Wein überhaupt, sondern speziell der Paschatrunk verstanden gewesen, wovon man auch bei Matthäus und Markus in dem Tora, welches sie zu ythn}~ fictiog setzen, eine Spnr entdecken könnte. Von Mahlzei- ten im messianischen Reiche sprach Jesus, gemäfs den Vor- stellungen seiner Zeit, öfters, und so mag er erwartet haben, dafs in demselben namentlich daa Pasohamahl mit besonde- rer Feierlichkeit werde begangen werden. Wenn er nun «ersichert, dieses Mahl nicht mehr in diesem, sondern erst in jenem Aon wieder zu geniefsen : so liegt darin erstens nicht, wie, wenn er von Essen und Trinken überhaupt spräche, dafs schon in den nächsten Tagen, sondern nur, dafs vor Ablauf eines Jahrs das Verweilen in dieser vor-

7) Paulus, a. a. 0. S. 519 ff. Haue*, s. a. ü. S. 57 ff.

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442 Dritter Abschnitt.

messtaniseben Weltordnung für ihn ein Ende haben wer- de; «weiten» euch das nicht notfi wendig , dafs diese Ver- änderung durch seinen Tod werde herbeigeführt werden, »ondhrn er könnte auch jetzt noch erwartet haben , noch wahrend seines Lebens werde das Messiasreich seinen An- fang nehmen»

•tu». »Indessen Jesu auch für diese letzte Zeit jede Ahnung seines Endes im Allgemeinen abzusprechen, sind wir theSJ* durch die frühere Untersuchung nicht berechtigt , t hei! s Täten wir mit derselben auch die Stiftung des Abend- mahl* durch -3 es um bezweifeln, was wegen des paulini- eehen Zeugnisses nicht angeht. Gar Wohl denkbar ist es auch, dafs die immer grofser* Verwicklung seines Ver- hältnisses cur jüdischen Hierarchie Jesum am Ende zu der Hinsicht brachte, sein Tod werde unverm eidlich sein, und dafs er in bewegter Gern üthsstimmung sogar das nächste Paschafest als den Termin bestimmen an können glaubte, welchen er nicht mehr erleben werde« Von hier ans er- scheint dann Beides als gleich möglich, sowohl dafs er ver- möge einer Eingebung des bedeutungsvollen Augenblicks bei dem letzten Pascha, das er mit seinen Jüngern feierte, Ii rot und Wein an Symbolen seines su tödtenden Leibes und vsu vergiefsenden ßlutes gemacht bitte , oder dal's er schon einige Zeit zuvor auf sien Gedanken gekommen wft- re, seinen Anhängern ein solches Gedächtnifsmaul au hin- terlassen, wobei er dann gar wohl auch jene von Paulus und Lukas aufbehaltenen Worte gesprochen haben könnte. Ehe aber die Jünger diese Andeutung des Todes Jesu sich gehörig angeeignet und in ihre Überzeugung aufgenommen hatten, überraschte sie der wirkliche Erfolg, welcher sie ebendeswegen noch so gut als ganz unvorbereitet traf.

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Dritte« Kapitel. §. 124« '443

9 . - 1 ' ! .

Dritte« Kapitel.

Gang nach dem Oelberg, Gefangenneh- mungVerhör, Verurtheilung uiifl Kreuzigung Jesu.

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Jesu Seelenkampf im Garten. . %.

Den; synoptischen Berichten zufolge gieng Jesus sogleich nach Beendigung des Muhles und Absingung des Hallel, wie er überhaupt wahrend dieser Festzeit ausserhalb Jerusa- lems zu übernachten pflegte (Matth. 21, 17. Lue. 22, 39.), hinaus an den Oelberg, in ein XioqLov (bei Job. xfjrtog), Gethsemane genannt (Matth. 26 , 30. 36. paratl.), wohin ihn Johannes, mit der ausdrücklichen Erwähnung, dafs ea über den Bach Kidron gegangen sei, erat nach einer lan- gen Reihe von Abschiedsreden (Kap, 14—17.), «nf welche wir spater zu reden kommen werden, aufbrechen llfst. YVßhrend an die Ankunft Jesu im Garten Johannea un- mittelbar die Gefangennehmung knüpft: schieben die Syn- optiker noch diejenige Scene dazwischen, welche man aU den Seelenkampf Jesu zu bezeichnen pflegt.

Ihre Berichte hierüber sind nicht gleichlautend. Mach. Matthäus und Markus nimmt Jesus, indem er die übrigen Jünger zurückbleiben heifst, seine drei Vertrautesten, den Petrus und die Zebedaiden, mit sich, wird von Bangigkeit und Zagen überfallen, erklärt den Dreien, bis zum Tode betrübt zu sein, und reifst sich auch von ihnen, indem er sie wach zu bleiben ermahnt, loa, um für aich ein Gebet verrichten zu können, in welchem er, daa Angeaicht auf die Erde gebeugt, in der bekannten Weise um Abwendung

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444 Dritter Abschnitt.

des Leiden skelohs fleht , übrigens Alles dem Willen seines Vaters anheimstellt. Wie er wieder zu den Jüngern kommt,

» findet er sin schlafend , ermahnt sie abermals rar Wach- samkeit, entfernt sich dann noch einmal and wiederholt

. des vorige Gebet, worauf er seine Jünger wieder schla- fend antrifft. Zum drittenmal entfernt er sich nun. um das Gebet zu wiederholen, und wiederkommend findet er Bura drittenmal die Jünger schlafend, erweckt sie aber Jetzt, um dem nahenden Verräther entgegenzugehen. Von den beiden Dreizahlen, welche in dieser Erzählung der bei« den ersten Evangelisten eine Rolle spielen, hat Lukas nichts, sondern nach ihm entfernt sich Jesus von sammtlichen Jün- gern , nachdem er sie zur Wachsamkeit ermahnt, ungefähr •uf eines Stainwnrfs Weite, und betet knieend, nur Ein- mal, aber fast mit denselben Worten , wie ihn die beiden andern beten lassen, kehrt dann zu den Jüngern zurück und erweckt sie, weil Judas mit der Schaar sieh nähert. Dafür hat nun aber Lukas in der einzigen Gebetsscene, Ton weicher er weifs, zwei Umstünde, die den übrigen Be- richterstattern fremd sind , dafs nämlich wahrend des Ge- bets, unmittelbar ehe der heftigste Seelenkampf eintrat, ein Engel erschienen sei , Jesum zu starken, wahrend der darauf gefolgten ayotvla aber Jesus Schweifs, wie zur Er- de fallende Blutstropfen, vergossen habe.

Von jeher ist an diesem Vorgang in Gethsemane An« stofs genommen worden , weil in demselben Jesus eine Schwache und Todesfurcht zu zeigen scheint, welche man Ihm unangemessen glauben könnte. Ein Celsus und Ju- lian haben, in Rücksicht ohne Zweifel auf die grofsen Mu- ster eines sterbenden Sokrates und anderer heidnischen Weisen, das Zagen Jesu vor dem Tode geschmäht *)j ein

L2

1) Orig. e. Celt. 2, 24: a/y« (6 Kaooi)' rt Sr noman,, *a\

aSÜQtrai, xai tov tS olt'&Q* yofiov ii/na» na^ad QafiiTw , Itytv

m, n 2.; Julian io einem Fragment Theodor'» von Mops-

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Drittes Kapital. §. 124. 445

Vanini sein eigenes Benehmen bei bevorstehender Hinrich- tung kühn Aber das Ton Jesu gestellt«), und in evattge. hum Nicodcmi schliefst der Satan aus dieser Sceue, dafa Christas ein blofse> Mensch gewesen Die Ausflucht des Aj)okryphums, die Betrübnifs Jesu sei nur Verstellung ge- wesen , um dem Teufel Kam Kampf mit ihm Muth zu ma- chen v) , ist nur das Eingeständnifs, dafs es eine wirkliehe . Betrübnifs jener Art bei Jesu nicht zu denken weifs. Da- her berief man sich auf den Unterschied der beiden Na- turen in Christo, und schrieb die Betrübnifs und die Bitte um Abnahme des nnxtnmv der menschlichen, die Ergebung in das öslrtfia des Vaters aber der göttlichen Natur zu *). Da jedoch diefs thells eine unzulässige Trennung im We- sen Jesu su setzen, theils das Zagen auch nur seiner menschlichen Natur vor bevorstehenden körperlichen Lei- den ihm nicht wohl anzustehen schien : so gab man seiner Bangigkeit einen geistigen Bezug , und machte sie zu einer sympathetischen , indem es nun die Ruchlosigkeit des Ju- das, die Gefahr, welche seinen Jüngern drohte, und das Schicksal, weichet seinem Volke bevorstand , gewesen sein

vestia, bei MvxTia , Fragm. Fatr. gnec. Fnc. 1, p. 121: Slla nai rotayra n^oatJxtTa{f 91*tr» °*a «W««S äy^tmot^

ouuTo,>ay tff'ztty fJxü/wi Svrd/itvot , aa\ vn ayyrt», 9iot <5r, iviaxvtrat.

2) Gramond. hitt. GiU. ab exc. Henr. IV. L. 5, p. 211: i-u- cilius Vanini - dum in patibulum trMtur - Chrisio illudit in haec eadem verbal Uli ine extremis prae timore imbellii sudor: ego imperterritus morior.

3) Eving. Nicod. c. 20 , bei Thilo, I, S. 702 ff. : ly» yae olSa*

av9y*n6s Sftt Mal feeoa avri Myoriof 8r* nt^Uundf i^r j$ /te tt*s $ardr*.

4) Ebenda*. S. 706, erwiedert Hades dem Satan : »J J| 2/y#**> St» tjMmoas avrm tpoßnfikv* ror 9dvarov, na^mr ae Mal yiZtSr ffSj T«ro, $«'2«k, Iva ot aqnaon Swarfi.

5) So schon Origenes, c. Cels. 2, 25.

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Dritter Abschnitt.

soll , was Ihm solche Traurigkeit verursachte *}. Seine Spitze erreichte dieses Streben , den Schmerz Jesu ton « I - ler sinnlichen Beimischung und Beziehung auf seine eigene Person zu reinigen, in der kirchlich gewordenen Ansicht, dafs J esus in das Mitgefühl der Sündenschuld der ganzen Menschheit versetzt gewesen sei, und Gottes Zorn über die- selbe stellvertretend empfunden habe *)5 wobei i,ml, jep Ansicht von Einigen sogar der Teufel selbst mit Jesu ge- rungen haben soll8).

Doch von einem solchen Grunde der Bangigkeit Je- su steht nichts im Texte, vielmehr, wie sonst (.Matth. %Q9 19 f. parall.), so muf's auch hier das nozijQtov, um dessen Abnahme Jesus bittet, von seinem eigenen Leiden und Tode verstanden werden. Zugleich liegt jener kirchlic hen Ansicht eine unbiblische Vorstellung von der Stellvertre- tung zum Grunde. Jesu Leiden ist allerdings aucji .schon in der Vorstellung der Synoptiker ein steilvertretendes für die Sünden Vieler; allein die Stellvertretung besteht nach ihnen nicht darin, dafs Jesus unmittelbar diese Sün- den und das ihretwegen der Menschheit gebührende Lei- den zu empfinden bekäme: sondern für jene Sünden, und um ihre Strafe aufzuheben, wird ihm ein persönliches Leiden aufgelegt. Wie ihn also am Kreuze nicht direct

6} Hieron. Comm. In Matth, z. d. St. : Contristabatur non ti- more patiendi, qui ad hoc venerat, ut pateretur, sed propter infeiicitsimum Judam, et scandalum omni um apaHolorum, et rejectionem popuii Judaeorum , et eversionem miserae Hieru- salem,

7) Calvin, Comm. in Bann, evsngg. xu Matth. 26, 37: Kon mortem horruit timpliciter , quatenus transitus est e mundo, sed quia Jormidabilc Bei tribunal Uli erat ante oculos , judex ipse incomprehensibili vindicta armatut , peccata vero noslra, quorum onus Uli erat impositum , sua ingenti moie cum pre- mebant. Vgl. Luthm's Hauspostille, die erse Passionspredigt.

S) LtsurvooT, p. 884 f.

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Drittel Kapitel. J. 124.

die Sfinden der Weit, und der auf diese »ich beziehende Zorn Gottes, sondern die ihm beigebrachten Wunden, gftmmt seiner ganzen jammervollen Lage, in welche er freilich um der Sünden der Menschheit willen versetzt Mar, schmerzten: so wer es der Vorstellung der Evange- listen zufolge such in Gethsemane nicht unmittelbar des Ge- fühl des Elends der Menschheit, sondern dss Vorgefühl seines eigenen , allerdings en der Stelle der Menschheit zu tibernehmenden Leidens, was ihn in jene Bangigkeit ver- setzte.

Von der unhaltbar befundenen kirchlichen Ansicht des Seelen kanipfs Jesu ist man in neuerer Zeit einerseits in rohen Materialismus zurückgefallen, indem man die Stirn« mutig, welche man ethisch rechtfertigen zu können ver- zweifelte, en einer rein physischen machte, und Jesu in Gethsemane eine Übelkeit zustofsen lief* *) ; eine Ansicht, welche Paulus mit einer Strenge, die er nur fleißiger auch gegen seine eigenen Erklärungen hätte kehren sollen, für eine unschickliche, textwidrige Umdeutung erklärt, dabei aber dennoch die Heum an »'sehe Hypothese nicht unwahr- scheinlich findet, dafs zu dem innern Schmers eine leib- liche Erkältung in dem vom Kidron durchschnittenen Thal- grund wenigstens hinzugekommen sei 10). Von der andern Seite hat man der Scene mit moderner Empfindsamkeit auf- zuhelfen gesucht, und das Freundschaftsgefühl, den Treu- nungssebmerz, die Abschiedsgedanken, als dasjenige betrach- tet, was Jesu Inneres so zerrissen habe oder ein trü- bes Gemisch von dem Allem, von selbstischem und r heil- nehmendem, sinnlichem und geistigem Schmerz vorausge- setzt «*). Paulus deutet das ü dwenor igt, naqeXOktui zo

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9) Thiess, krit. Comm. S. 418 ff.

10) s. a. O. S. 554 f. Anm. 549.

11) Schuster, Eur Erläuterung des N. T., in EiCHitoaa's Biblioth. 9, S. 1012 fT.

12) Hsss, Geschichte Jesu, 2, S. 322 ff. Kui*«l, in Matth, p. 719.

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448 Dritter Abschnitt.

Tt&njQtöV alt rein moralische Ängstlichkeit Jesu, ob e* wirklich Gottes Wille sei , dafs er sieh dem nachstbevor- stehehden Angriff hingebe , ob es nicht vielmehr got fgeffil- liger wäre , dieser Gefahr noch aaseow eichen : er macht ■ur Holsen Anfrage an Gott, was offenbar die dringendste

Bitte ist. * Während Olshausen sich in die kirchliche Ansicht zü- rn ck wirft, and den Machtspruch thut , die Meinung, als hätte das äusserliche, körperliche Leiden den Kampf in Jesn hervorgerufen, müsse als eine das Wesen seiner Erschei- nung vernichtende entfernt werden: haben Andere richti- ger anerkannt, dafs hier allerdings der cum Affecte ge- wordene Wunsch, des bevorstehenden furchtbaren Leidens uberhoben eu sein , die Schauer der sinnlichen Natur vor ihrer Vernichtung, sich zeigen 1S). Was nun aber auch von jeher bemerkt worden ist, um eine solche Weichheit der Stimmung Jesu von jedem Vorwurfe eu befreien: dafs die schleunige Überwindung der widerstrebenden Sinnlich- keit jeden Schein des Sündhaften wieder entferne n)J; dafs das Beben der sinnlichen Natur vor ihrer. Vernichtung eu ihren wesentlichen Lebensäusserungen gehöre ") ; dafs, je reiner die menschliche Natur in einem sei, desto em- pfindlicher sie gegen Schmers und Vernichtung sich ver- halte dafs das Durchempfinden und Überwinden des Schmerzes gröfser sei als eine stoische Unempfindlich keit gegen denselben17): immer bleibt doch die auch von Ols- hausen getheilte Bedenklichkeit , dafs ein solches Zagen vor körperlichem Schmers und Tod Jesum unter einen Sokra- tes und manche Andere herunterzusetzen scheinen könnte.

13) Ullkam«, Uber die Unendlichkeit Jesu, in s. Studien, 1, S. 61. Hascht, ebcnd. 3, 1, S. 66 ff.

14) Ullmakk, a. a. O.

15) Hasert, a. a. O.

16) Luther, in der Predigt vom Leiden Christi im Garten.

17) Ambrosius in Luc. Tom. 10, 56.

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Drittes Kapitel. §. IU. 449

Defswegen sollte wohl derjenige anf den Dank besonder« ' der Orthodoxen rechnen dürfen, der es unternimmt, die Glaubwürdigkeit der betreffenden Erzählungen kritisch zu untersuchen.

Auch hier indessen dürfen wir die Kritik nicht erst an* fangen, welche vielmehr, namentlich durch die eigen th Ii mil- che Darstellung des dritten Evangeliums, schon längst her- vorgerufen worden ist. Der stärkende Engel hat, wie aas dogmatischen Gründen der alten Kirche, so der neueren Auslegung aus kritischen Gründen, zu schaffen gemacht. Ein altes Scholion, in Betracht, ort trjg ia/vog tu uyyika öx inedkezo 6 vno ndarjg insQavUi dwdftEtag q>6ßi[) xcu roo- ft(p n Qogy.vvüfitvog mal do$a±6furog , fafst das dem Enget zugeschriebene inoyvHv als ein für stark Erklären, d. h. als Darbringung einer Poxologie 18) ; wogegen Andere lie- ber, als Jesum einer Stärkung durch einen Engel bedürf- tig sein an lassen, den ayytlog iyiaxvtav zum bösen Engel machen, welcher gegen Jesum Gewalt brauchen wollte 19). Wenn nun auch die Orthodoxen durch die Unterscheidung des Standes der Erniedrigung und Entäusserung bei Christo Ton dem Stande seiner Erhöhung, oder auf ähnliche Wei- se, den Stachel der dogmatischen Bedenklichkeit längst ab- gestumpft haben: so hat sich an deren Stelle nur um so entschiedener ein kritisches Bedenken ausgebildet. In Er- wägung des Verdachts, welchen nach früheren Bemerkun- gen angebliche Angelophanien jederzeit gegen sich haben, hat man auch in dem hier erscheinenden Engel bald einen Menschen *°) , bald ein Bild für die von Jesn wiederge- wonnene Ruhe 2t) finden wollen. Doch der eigentliche Ort für den kritischen Angriff anf die Engelerscheinung

18) In Matth asi's N. T. p. 447.

19) Liciitvoot, a. a. O.

20) VsnTCanu, 5, 677. und vcnnuthungsweisc such Piuirs, S. 561.

21) Eichhorw, allg. Bihl. 1, S. G28. Thisss, s. d. St. Das Lebe* Jesu 2te Aufl. II. Band. 20

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I

450 Dritte* Abschnitt.

war durch den Umstand angezeigt, dafs Lukas der einzige ist, von welchem wir dieselbe erfahren 22). Sind laut der gewöhnlichen Voraussetzung das erste und vierte Evange- lium apostolischen Ursprungs: warum schweigt dann Mat- thaus, der doch im Garten war, von dem Engel, warum besonders Johannes, der unter den Dreien in der Mähe Jesu sich befand? Sagt man: weil sie, schlaftrunken, wie sie waren, und immerhin in einiger Entfernung, noch dazu bei Macht, ihn nicht bemerkten, so fragt sich, woher Lu- kas die Notiz bekommen haben soll 2S) ? Dafs, sofern die Junger die Erscheinung nicht selbst beobachtet hatten, Je« sus ihnen. noch in jener Macht von derselben sollte erzählt haben , ist wegen der gespannten Stimmung jener Stun- den , und der unmittelbar nach der Zurückkunft Jesu zu seinen Jüngern erfolgten Annäherung des Judas wenig wahrscheinlich; ebenso, dafs er in den Tagen der Auf- erstehung es ihnen sollte mitgetheilt, und diese Kunde nun nur dem dritten Evangelisten, an welchen sie doch blofs mittelbar gelangte, der Aufzeichnung werth geschie- nen haben. Da auf diese Weise Alles gegen den histori- schen Charakter der Engelerscheinung sich vereinigt: war- um sollten wir nicht auch sie, wie alle, namentlich in der Üundheitsgeschichte Jesu uns vorgekommenen Erscheinun- gen dieser Art , mythisch fassen ? Schon Gabler hat die Ansicht vorgetragen, dafs man in der ältesten Gemeinde den schnellen Ubergang von der heftigsten GemÜthsbewe- gung su der ruhigsten Ergebung, welcher in jener Nacht an Jesu bemerklieh war, sich der jüdischen Denkweise ge- mäfs durch die Dazwischenkunft eines stärkenden Engels erklärt, und diese Erklärung sich in die Erzählung ge-

22) vgl. hierüber und Uber das Folgende Gabi kr, im neuesten theol. Journal, 1, 2, S. 109 ff. 3, S. 217 ff.

23) Tgl. Julian bei Theod. v. Mop»v. in Mühtka's Fragin. Patr. p. 121 f.

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Drittes Kapitel. *. 1*4. 451

mischt hüben möge, ond Schlüikrmachkr findet Ms da* Wahrscheinlichste , dafs man diese, von Jesu selbst als schwer bezeichneten Augenblicke aeitig durch fingelerschei« nungen hymnisch verherrlicht , und der Referent im drit- ten Evangelium dieses ursprünglich blols poetisch Gemeinte geschichtlich genommen habe *•)• Ob diese Auffassung ge- nügt, ob sie nicht etwas als geschichtlich cum Grunde legt, was selbst noch eum Mythischen gerechnet werden mufs, kann sich erst weiter unten «eigen.

Nicht minder anstölsig als die Stärkung durch den Engel ist schon frühzeitig der andere dem Lukas eigen« thü iiiliche Zug, der blutige Schweifs, gefunden worden« Wenigstens scheint es dieser vor Allem gewesen eu sein, welcher die Weglassung der ganaen Einschaltung bei Lu- kas V. 43. und 44. aus mehreren alten Evangelienexempla- ren veranlafst hat« Denn wie die Orthodoxen, welche nach Epiphanius **j die Stelle ausmerzten, hauptsächlich den tiefsten Grad der Bangigkeit, der sieh in dem ßlntschweife ausdrückt, gescheut au haben scheinen: so können beson- ders die doketisch Gesinnten unter denen, welche die Stel- le nicht lasen 2S), nur jenen Schweifs perhorraseirt haben« Erhob man auf diese Weise früher aus dogmatischen Rück- sichten gegen die Schicklichkeit des Blutschweifsea Jean Zweifel : so hat man diefs in neuerer Zeit aus physiolo- gischen Gründen gegen die Möglichkeit desselben gethan« Zwar werden für das Vorkommen von blutigem Schweifs von Aristoteles 27) bis auf die neueren Naturforscher herun- ter28) Auetoritaten aufgeführt: aber man findet eine sol-

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24) Über den Lukas, S. 288.

25) Ancorahis, 3t.

26) s. bei Warnet*« S. 807.

27) De part. animal. 3, 15*

23) s. bei Michaslis, Anm. s. d, St. und Kuiaör, in Luc. p. 691 f.

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4.V2 Dritter Abschnitt.

Symptom bestimmter Krankheiten erwähnt. Daher macht Paulus auf das toatl aufmerksam, welchem zufolge hier nicht geradezu von einem ßlutschweifs , sondern nur von einem mit Blut vergleicht aren Schweifs die Rede sei: die- se Vergleichung aber besieht er nur auf die dichte Tro- pfenbildung, und auch Olshausen stimmt ihm so weit bei, dafs die rothe Farbe des Schweißes nicht nothwendig in der Vergleichung enthalten sei. Allein im Zusammenhang einer Erzählung, welche ein Vorspiel des blutigen Todes Jesu geben will, wird es doch immer das Natürlichste bleiben, die Vergleichung des Schweifses mit Blutstropfen in ihrem vollen Sinne zu nehmen. Ferner kehrt nun aber hier «och gewichtiger als bei der Engelerscheinung die Frage zurück, wie Lukas zu dieser Notiz gekommen ist, oder, um alle Fragen, die sich hier ganz wie Oben gestalten, zu «bergeben, wie die Jünger aus der Entfernung und in der Nacht das Herabfallen blutiger Tropfen vom Leibe Je- su bemerken konnten? Zwar soll nach Paulus nicht ge- sagt sein , dafs der Schweifs herabgefallen sei , sondern, indem das xaraßaiwiteg statt auf iÖQag vielmehr auf die nur zur Vergleichung herbeigezogenen ÖQOftßoi aiuaiag sich beziehe, so sei nur gemeint, dafs ein Schweifs, so dicht und schwer wie fallende Blutstropfen, auf Jesu Stirne ge- standen habe. Allein ob es heifst: der Schweifs fiel- wie Blutstropfen auf die Erde, oder: er war wie auf die Erde fallende Blutstropfen , wird wohl ziemlich auf Eines hin- auslaufen; wenigstens wäre die Vergleichung eines auf der Stirne stehenden Schweifses mit zur Erde träufelndem Blute ungeschickt, vollends wenn mit dem Fallen auch die Farbe des Bluts aus der Vergleichung wegbleiben, und von dem tooel ^QOftßot aiftcaog xaraßalvorteg eig rqv yrjv ei- gentlich nur das woel dqoußoi einen bestimmten Sinn ha- ben soll. Nehmen wir also, da wir den Umstand weder be- greifen, noch uns denken können, woher der Referent ei- ne historische Kunde von demselben haben sollte, lieber

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Drittes Kapitel. §. 124. 453

nuch diesen Zug mit Sciileiermacher als einen poetischen, welchen der Evangelist geschichtlich genommen, oder hes- ser als einen mythischen , dessen Entstehung sich leicht aus dem Trieb erklären IftTst, das Vorspiel des Leidens Jesu am Kreuze, was dieser Kampf im Garten war, da- durch zu vervollständigen , dafs nicht blofs das psychische Moment jenes Leidens in der Bekümmernifs, sondern auch das physische in dem Biutschweifs sollte vorgebildet gewe- sen sein.

Dieser Eigentümlichkeit des Lukas gegenüber ist sei- nen beiden Vorgängern, wie gesagt, die doppelte Dreizahl, der Jünger, und der Entfernungen und Gebete Jesu, eigen. Können wir hier an der ersteren keinen besondern An- stofs nehmen, so hat doch die zweite etwas Befremden- des. Man hat zwar ein so unstetes Hinundhergchen , ein so schnell wechselndes Sichentfernen und Wiederkommen ganz der Stimmung angemessen gefunden , in weicher Je- sus damals war 29}, und ebenso in der Wiederholung des Gebets eine sachgemaTse Steigerung, eine immer vollstän- digere Ergebung in den Willen des Vaters nachgewie- sen Allein dafs die beiden Referenten die Gänge Je- su zählen, von tx devreQU und ex tqIzs sprechen, zeigt schon , dafs ihnen gerade an der Dreizahl besonders viel gelegen war; wenn dann Matthäus zwar dem zweiten Ge- bet einen von dem des ersten etwas verschiedenen Aus- druck zu geben weifs, beim dritten aber Jesum nur tot acctiv Xoyov wiederholen läfst, was Markos schon bei'm zweiten Male thut : so wird vollends deutlich , dafs sie in Verlegenheit waren, die beliebte Dreizahl der Gebete mit gehörigem Inhalt auszufüllen. Nach Olshausen soll Mat- thäus mit seinen drei Acten dieses Kampfs schon defshalb gegen Lukas recht haben, weil diese drei auf Jesum mit-

29) Paulus, a. «. O. S. 549.

30) las im, in Wijum's und E»s*uuxdt*s krit. Journal, 2, 5. 555.

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4*4

Dritter Abschnitt.

telst der Furcht gemachten Angriffe den drei Angriffen mittelst der Luit In d<>r Versuchungsgeschiohte parallel stehen. Diese Parallele ist gegründet, nur führt sie auf das entgegengesetzte Resultat von demjenigen, welches Olsh al. sen aus ihr riehen will- Denn was ist nun wahrscheinli- cher: dafs In beiden Füllen die dreimalige Wiederholung des Angriffs ihren obfectiven Grnnd in einer verborgenen GesetamaTsigkelt des Geisterreichs gehabt habe, mithin als wirklich historisch anzusehen sei ; oder dafs ihr blofs sub- jectiver Grund in der Manier der Sage liege, und dem- nach das Vorkommen dieser Zahl uns hier so sicher wie oben bei der Versuchungsgeschichte auf etwas Mythisches hinweise?

Rechnen wir also Engel, Blutsohwelfs und die drei« malige Wiederholung der Entfernung und des Gebets Je«u als mythische Zöthain ab: so bliebe vorläufig als histori- scher Kern das Factum, dafs Jesus an jenem Abend im Garten in ein heftiges Zagen hineingeraten sei, und Gott mm Abwendung seines Leidens , mit Vorbehalt jedooh der Unterwerfung unter seinen Willen, gebeten habe: wobei es indefs anter Voraussetzung der gewöhnlichen Ansicht vom Verhältnifs unserer Evangelien nioht wenig befremden saufe, dafs dem johanneischen Evangelium selbst diese Grund« äffe der in Rede stehenden Geschichte fehlen«

Verhältnis! des viertes Evangelium! tu den Vorgängen in Geth- semane. Die johanneischen Ahschiedireden und die Sceue bei Anmeldung der Hellenen.

Das Verhalten des Johannes ru den bisher erwogenen EwähJnngen der Synoptiker hat «onAohst die awei Seiten, daf« er erstlich von de«, was diese geben, nichts hat, und a seitens statt deasen etwas hat, was mit dem von den Syn« epükeru Eraäliiteu aavereiubar scheint,

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Drittes Kapitel. $• 125.

Was die erste, negative, Seite betrifft, so ist, beider gewöhnlichen Voraussetzung öher den Verfasser des vier- ten Evangeliums und die Richtigkeit des synoptischen Be- riet te* , zu erklären, wie es kommt, data Johannes, der doch den beiden ersten Evangelien zufolge einer der drei t iü«*wesen ist , welche Jesus ah die näheren Zeugen seines Kampfes mit sieh nahm , den ganzen Vorgang mit Still- schweigen fibergeht? Auf seine Schläfrigkeit während des- selben darf man sich nicht berufen, da, wenn diese ein Hindernifs war, säinmtliche Evangelisten, nicht Johannes allein, von der Sache schweigen möfsten. Daher r ieht man auch hier das Vulgäre heran, er Ubergehe die Scene , weil er sie schon bei den Synoptikern sorgfältig genug darge- stellt gefunden habe 1). Allein zwischen den beiden ersten S/noptikern und dem dritten findet ja eine so bedeutende Differenz statt, dafs sie den Johannes, wenn er auf ihre Darstellungen Rücksicht nahm, auf s Dringendste Auffordern mufste, in diesem Streit ein vermittelndes Wort zu spre- chen. Wenn aber auch nicht aus den vor ihm liegenden Arbeiten seiner Vorgänger, so soll Johannes doch haben voraussetzen können , dafs aus der evangelischen Tradition jene tieschichte seinen Lesern hinlänglich bekannt sein wer- de Doch, da aus dieser Tradition die so sehr abwei- chenden Darstellungen der Synoptiker hervorgegangen sind, so mufs in ihr selbst schon frühzeitig ein Schwanken ge- wesen , und die Sache bald so bald anders erzählt Wörden, folglich auch von hier aus an den Verfasser des vierten Evangeliums die Aufforderung ergangen sein, diese schwan- kenden Erzählungen durch seine Auctorität zu berichtigen. Daher hat man neuestens auf etwas ganz Besonderes ge- rathen, dafs nämlich Johannes die Vorgänge in Gethsema- ne defswegen übergehe , um nicht durch Erwähnung des i

. - V

1) OLfMAUSBK, 2, S. 429.

2) TaoLUCM, S. 315. Lücke, 2, S. 591.

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456" Dritter Abschnitt.

stärkenden Engels der ebfonitlschen Meinung Vorschub zu thun, das Höhere in Christo sei ein Engel gewesen , der sich mit ihm bei der Taufe verbunden habe, und damals^ ror dem Antritt des Leidens, wie man glauben konnte, wieder von ihm geschieden sei »). Allein, auch abgesehen davon, dafs wir diese Hypothese sehon sonst als unzurei- chend gefunden haben, die Auslassungen im jo Evangelium zu erklären, so mufste Johannes , ne engere Beziehung Jesu auf Engel vermeiden wollte, auch noch andere Stellen aus seinem Evangelium weglas- sen : vor allen, worauf Lückb aufmerksam macht *) , 1, 52. den Ausspruch von den über ihm auf- und absteigenden Engeln, dann aber auch das, ewar nur als Vermuthung etlicher Umstehenden gegebene , äyyüog avvf UhU^v 12, 29. Nahm er aber aus irgend einem Grunde an dem Engel im Garten ganz besondern Anstofs: so konnte doch hierin nur ein Grund liegen, mit Matthäus und Markus die Dazwischen kunft des Engels, nicht aber die ganze, von der Angelophanie wohl trennbare Geschichte wegzulassen.

Will sich nun schon das Fehlen der Begebenheit hei Johannes nicht erklären lassen : so wächst die Schwierig- keit, wenn wir dasjenige erwägen, was derselbe statt die- ser Scene im Garten Uber die Stimmung Jesu in den letz- ten Stunden vor seiner Gefangennehmung mttheiit. Näm- lich an der gleichen Steile zwar, welche die Synoptiker dem Seeienkampf anweisen, hat Johannes nichts, indem er nach Jesu Ankunft im Gsrten sogleich die Verhaftung er- folgen lafat: aber unmittelbar vorher, bei und nach dem letzten Mahle, hat er Reden, von einer Stimmung beseelt, auf welche dergleichen Sceneu, wie sie laut der synopti- schen Berichte im Garten vorgegangen sein sollen, nicht wohl gefolgt sein können. In den Abschiedsreden bei Je-

3) ScMwscKSFfut'RsiR, Beiträge, S. 65 f.

4) Com«, i, S. 177 f.

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Drittes Kapitel. §. 125.

457

Johanne« nfimlich, Kap. 14 17, spricht Jesus gans wie et* ner, der das bevorstehende Leiden innerlich schon völlig Überwunden hat; von einem Standpunkt, welchem der Tod in den Strahlen der auf ihn folgenden Herrlichkeit ver- schwimmt; mit einer göttlichen Ruhe, die in der Gewifs- beit ihrer Unerschütterlichkeit heiter ist: wie konnte ihm unmittelbar darauf diese Ruhe in der heftigsten Gemüts- bewegung, diese Heiterkeit in Todesbetrübnifs untergehen, und er aus dem schon gewonnenen Sieg wieder cum schwan- kenden Kampf, in welchem er der Stärkung durch einen En- gel bedurfte, zurücksinken? In jenen Abschiedsreden ist er es durchaus, welcher aus der Fülle seiner inneren Klar- heit und Sicherheit die sagenden Freunde beruhigt: und nun soll er bei den schlaftrunkenen Schülern geistigen Bei- stand gesucht haben, indem er sie mit ihm zu wachen bat} dort ist er der heilsamen Wirkungen seines bevorstehenden Todes so gewifs, dafs er die Jünger versichert, es sei gut, dafs er hingehe, sonst käme der itctQaxXqTog nicht zu ih- nen: nun soll er hier wieder gezweifelt haben, ob sein Tod auch wirklich des Vaters Wille sei; dort zeigt er ein ßewufstsein , welches in der Notwendigkeit des To- des dadurch, dafs es diese begreift, die Freiheit wieder- - findet, so dafs sein Sterbenwollen mit dem göttlichen Wil- len , dafs er sterben solle , eins ist : hier geben diese bei» den Willen so auseinander, dafs sich der subjektive unter den absoluten »war freiwillig, aber doch nur schmerzhaft, beugt. Und diese beiden so entgegengesetzten Stimmungen sind nicht etwa durch eine zwischeneingetretene schrecken- de Begebenheit, sondern nur durch den geringen Zeitraum getrennt, welcher während des Gangs aus Jerusalem über den Kidron nach dem Ölberg verlief: gans als wftre Je- su in jenem Bache, wie den Seelen im Lethe, alle Erinnerung au die vorangegangenen Reden und Stimmungen versunken.

Man beruft sich «war auf den Wechsel der Stimmun- gen, welcher natürlich, je näher dem entscheidenden Mo-

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458 Dritter Abschnitt.

ment, desto schneller werde *); auf die Thatsache, dafa nieht teiten im Leben gläubiger Personen eine plötzliche Entziehung der höheren Lebenskräfte , eine Gottverlasseii- heit, eintrete, weiche den doch erfolgenden Sieg erst wahr- haft grofs und bewundernswerth mache *). Aliein die*e letztere Ansicht verrät h ihren ungeistigen Ursprung aus ei- nem imaginirenden Denken (welchem die Seele etwa wie ein See erscheinen kann, der, je nachdem die zuführen- den Kanttie verschlossen, oder deren Schleusen geöffnet werden, ebbt oder fluthet) sogleich durch die Widerspra- che , in welche sie nach allen Seiten sich verwickelt. Der Sieg Christi eher die Todesfurcht soll erst dadurch seine rechte Bedeutung gewinnen, dafs, während ein Sokrates nur siegen kannte, indem er im vollen Besitz seiner gei- stigen Kraftfülle blieb, Christus über die ganze Macht der Finsternif* auch in der Verlassenheit von Gott und der Falle seines Geistes, durch seine blofse menschliche ij'vyr , zu siegen im Stande war : ist diefs nicht der roheste Pelagiauisious , der grellste Widerspruch gegen Kirchenlehre wie gegen gesunde Philosophie , welche glei- cherweise darauf bestehen , dafs ohne Gott der Mensch nichts Gutes thun, nur durch seinen Harnisch die Pfeile des Bösewicht« zurückschlagen könne? Um diesem Wi- derspruch ge^cn die Ergebnisse eines wirklichen Denkens au entgehen , mufs jenes phantasirende Denken einen Wi- derspruch mit sich selbst hinzufügen, sofern nun in dem stärkenden Engel (welcher beiläufig auch gegen allen Wort« verstand der Stelle zu einer blofs innerlichen Erscheinung, die Jesus hatte, umgedeutet wird) dem in der höchsten Verlassenheit ringenden Jesu ein Zuflufs geistiger Kräfte au Theil geworden sein soll, so dafs er also doch nicht, wie vorher gerühmt worden war, ohne, sondern mit l-

5) LticM, 2, S. 392 ff.

6) ObiasviBa , 2, S. 429 f.

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Dritte« Kapitel. $. 125

fe göttlicher Kräfte gesiegt hätte : wenn nämlich nach La« Kuh iler Engel vor dem letzten, heftigsten Momente dee Kampfe, um Jesum für denselben au stärken, erschienen sein soll. Doch ehe man so offenbar sich selbst wider- spricht, widerspricht man lieber versteckt dem Text, und so verdreht nnn Olshausrn die Stellung der Momente, in- dem er ohne Weitere« annimmt , die Stärkung «ei nach dem dreimaligen Gebete, also nach bereit« errungenem Sie« ge, eingetreten, an welchem Behuf dann das nach Erwäh- nung des Engels stehende xai yevoftevog iv ayomc/ txtiytgt- qov TTQogrjvx*™ mlt höchster Willktthr als Plusquamper- fectüin gedeutet wird.

Doch auch abgesehen von dieser sinnlichen Ausmalung des Grundes, welcher den schnellen Wechsel in Jesu Stim- mung herbeigeführt haben soll, Ut die Annahme eines solchen auch an sich von vielen Schwierigkeiten gedrückt. Mäher nämlich wäre, was hier bei Jesu stattfände, nicht ein blo- fser Wechsel, sondern ein Rückfall der bedenklichsten Art« Mamentliohin dem sogenannten hohenpriesterlichen Gebete, Job. 17, hatte Jesus seine Rechnung mit dem Vater völlig *. beschlossen ; jedes Zagen in ßeaug auf das, wa* ihm be- vorstand, lag hier bereit« so weit hinter Üim, dafs er über sein eigene« Leiden kein Wort verlor, und nur der Drang- aale gedachte, welche «einen Freunden drohten; den Haupt- inhalt seine:» Unterhaltung mit dem Vater bildete die Herr- lichkeit, in welohe er sofort einzugehen, und die Selig- keit, welche er den Seinigen erworben au haben hoffte: so daf« «ein Hingang cum Schauplatz der Gefangennehmung gana den Charakter hat, dem innerlich und weaentlich be- reit« Vollzogenen nur noch die äussere Verwirklichung al« acoidentelle Beigabe hinzuzufügen. Wenn nun Jesus nach diesem Abschlüsse die Rechnung mit Gott noch einmal er- öffnete , wenn er , nachdem er «ich «chon Sieger gemeint, noch einmal in ängstlichen Kampf zurücksank: müfste er

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460 Dritter Abschnitt.

Hoffnungen der Herrlichkeit zu schwelgen , dich nicht lie- ber bei Zeit mit dem ernsten Gedanken des bevorstehenden Leidens beschäftigt, am dir durch solche Vorbereitung die gefährliche Überraschung durch das Herannahen desselben zu ersparen ? warum hast du Triumph gerufen , ehe du gekämpft hattest, um dann bei Annäherung des Kampfs mit Besch&mung um Hülfe rufen eu müssen ? In der That, nach der in jenen Abschiedsreden, und besonders im Schlufs- gebet, ausgesprochenen Gewifsheit des bereits errungenen Siegs wäre das Herabsinken in eine Stimmung , wie sie die Synoptiker schildern, ein sehr demüthigender Rückfall ge- wesen, welchen Jesus nicht vorausgesehen haben könnte, sonst würde er sich vorher nicht so selbstgewifs ausgespro- chen haben, welcher demnach beweisen würde, dnfs er sich über sich selbst getäuschst, dafs er sich für stärker genommen hätte, als er sich wirklich fand, und dafs er jene eu hohe Meinung von sich nicht ohne einige Vermes- aenheit ausgesprochen hätte. Wer nun diefs dem sonstigen, ebenso besonnenen als bescheidenen Wesen Jesu nicht an- gemessen findet, der wird sich eu dem Dilemma gedrun- gen fühlen*, dafs entweder die johanneischen Abschiedsre- den, und namentlich das Schlufsgebet , oder aber die Vor- gänge in Gethsemane nicht historisch sein können.

Schade, dafs bei der Entscheidung hierüber die Theo- logen mehr von dogmatischen Vorurtheilen , als von kriti- sche« Gründen ausgegangen sind. Usteri's Behauptung we- nigstens, dafs nur die johanneische Darstellung der Stim- mung Jesu in seinen letzten Stunden die richtige, die der Synoptiker aber unhistorisch sei f), wird man nur aus der damaligen Anhänglichkeit ihres Urhebers an die Paragraphen der ScüLEiERMACHER'schen Dogmatik erklärlich finden, in V elcher der Begriff der Unsündlichkeit Christi auf eine Weise

7) Commentatio critica, qua Evangelium Joannis genuinum esse ostenditur, p. 57 ff.

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Drittes Kapitel. $. 125. 461

gespannt wird, die selbst das Kleinste von Kampf aus« schliefst; denn dafs , abgesehen von solchen Voraussetzun- gen, die johanneische Darstellung der letzten Stunden Jesu eine natürlichere und sachgemäfsere wa're, möchte schwer nachzuweisen sein. Eher könnte umgekehrt Bketschneider recht eu haben scheinen, wenn er für die Synoptiker die gröfsere Natürlichkeit und innere Wahrheit der Schilde- rung in Anspruch nimmt8): wenn nur nicht die Art, wie ihm an den von Johannes in diesen Zeitpunkt gestellten Reden hauptsächlich das Dogmatische und Metaphysische zuwider ist, an den Ursprung seiner ganzen Polemik ge- gen den Johannes aus dem Widerwilien seiner kritischen Rellexionsphilosophie gegen den speculativen Gehalt des vierten Evangeliums erinnerte.

Ganz übrigens hat, wie auch die Probabilien bemer- ken1, Johannes die Beängstigung Jesu in Bezug auf seinen bevorstehenden Tod nicht übergangen , nur dafs er sie schon an einer früheren Stelle, Job. 12, 27 ff., eingefügt hat. Bei aller Verschiedenheit der Verhältnisse (da die von Johannes beschriebene Scene unmittelbar nach dem Einzug Jesu in Jerusalem vorgeht, als ihn mitten unter der Menge einige «um Fest gekommene Hellenen , ohne Zweifel Proselyten des Thors, au sprechen wünschten) und des Hergangs selbst , findet doch zwischen diesem Vorfall und dem, welchen die Synoptiker in den letzten Abend des Lebens Jesu und in die Einsamkeit des Gartens versetzen, eine auffallende Übereinstimmung statt. Wie Jesus hier seinen Jüngern erklärt: mqllimog igt* rj tpv%^ (.m eu)Q vccTö (Matth. 26, 38.) : so sagt er dort : vvv jJ xpvxq fia

8) Probab. p. 33 ff. In einer etwaigen dritten Ausgabe möge doch Olsmausih endlich den Verf. der Probabilien aus der Reihe derer wegstreichen, welche die synoptische Erzählung vom Kampf in Gethsemane mit Rücksicht auf das Stillschwei- gen des Augenzeugen Johannes für irrig halten (2, S. 428.) !

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462 Dritter Abschnitt

taQcactai (Joh. \% 27.); wie er hier betet, 5Vcr, et oW- tov igi, TtaQ&X&r] an aviu r woa (Marc. 14, 35.): so bie- tet er dort: nattQ, awaov ix ryg WQag tav%rtg (Joh. ebds.) ; wie er aber hier sich darch die Restrictlon : aXX i %l iyd 9iXw9 dXXa tl ov, berohigt (Marc 14, 36.): «o dort durch die Reflexion : aXXa dui %Hto %Xfrov dg trdv {jqov tavttpr (Joh. eben da s.) ; endlich , wie hier ein ayyeXog in— axvtav Jesu erscheint (Lac. 22, 43.) : so ereignet sich auch dort etwas, das einige der Umstehenden eu der Äusserung veranlafst : ayyaXog avttp hldX?txev (Joh. V. 29.). Durch diese Ähnlichkeit bewogen, haben neuere Theologen den Vorgang J. 12, 27 ff. mit dem in Gethsemane für iden- tich erklärt ; wobei es nur darauf ankam, auf welche von beiden Seiten der Vorwurf ungenauer Erzählung nnd na- mentlich unrichtiger Stellung fallen sollte.

Der Richtung der neueren Evangelienkritik gemlfs ist zunächst den Synoptikern aufgebürdet worden , in dieser Sache sich geirrt zu haben. Die wahre Veranlassung des Seelenkampfs Jesu sollte nur bei Johannes zu finden sein, in der Annäherung jener Hellenen nämlich , welche ihm durch Philippus und Andreas den Wunsch so erkennen gaben , ihn eu sehen. Diese haben ihm ohne Zweifel An* träge machen wollen , Palästina eu verlassen , nnd unter den auswärtigen Juden fortzuwirken ; ein solcher Antrag habe einen Reiz für ihn enthalten , sich der drohenden Ge- fahr so entziehen, und diefs ihn auf einige Augenblick« in einen Zustand von Zweifel und innerem Kampf gesetzt, welcher jedoch damit geendigt habe, dafs er die Hellenen nicht vor sich liefs 9> Das heifst nnn nichts Anderes, als* mit einem, durch doppeltes, kritisches wie dogmatische«

9) Goldhorh, Uber dss Schweigen des Joh. Evang. über den Seelenkampf Jesu in Gethsemane, in TsscHiitftsVs Magazin f. christliche Prediger, 1, J, S. 1 C

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Dritte* Kapitel. §. 125.

VorurtheÜ geschärften Geeicht zwischen den Zeilen des Textes gelesen; denn von einem solchen Antrag, den die Hellenen beabsichtigt hätten, ist bei Jobannes keine Spur: da es doch, gesetzt auch, der Evangelist habe von dem Plan der Hellenen durch diese selber nichts gewufst, den Reden Jesu anzumerken sein mUfste , dafs sich seine Ge- mflthsbewegung auf einen solchen Antrag bezog. Nach dem Zusammenhang der johanneischen Darstellung hatte das Be- gehren der Hellenen keinen andern Grund, als dafs sie durch den feierlichen Einzug und das viele Reden der Leute von Jesu begierig geworden waren , den gefeierten Mann zu sehen und kennen su lernen , und die Gemttthsbewe- gung, in welche Jesus bei diesem Aniafs hineingeriet!), hieng mit ihrem Begehren nur so zusammen, dal's Jesus dadurch veranlagt wurde, an die baldige Verbreitung sei- nes Reichs in der Heidenwelt, und an die unerläßliche Bedingung von dieser, an seinen Tod, zu denken. Je ver- mittelter und entfernter aber hienaoh die Vorstellung sei- nes bevorstehenden Todes Jesu vor die Seele trat : desto weniger ist su begreifen , wie sie ihn so stark erschüttern konnte, dafs er sich gedrungen fühlte , den Vater um Ret- tung aus dieser Stunde anzuflehen, und wenn er einmal im Vorgefühl des Todes im Innersten erbebt haben soll, so scheinen die Synoptiker dieses Zagen an eine richtigere Stelle, in die unmittelbarste Mähe des beginnenden Lei- dens, su verlegen. Auch das füllt bei der johanneischen Darstellung weg, was die Synoptiker sor Rechtfertigung der Bangigkeit Jesu an die Hand geben, dafs in der Ein- samkeit des Gartens und der Nacht, deren Schauer ihn überfielen, sich eine solche GemQthsbewegung eher begrei- fen , und ihre unverholene Äusserung im Kreise von lauter Vertrauten und Würdigen sieh wobl rechtfertigen su las. sen scheint. Denn nach Johannes befiel jene Erschütterung Jesum am hellen Tage , mitten unter dem zuströmenden Volke, wo man sonst leichter die Fassung behält, oder vor

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Dritter Abschnitt.

welchem man doch, des möglichen Mifs Verständnisses we- gen, stärkere Gemüthsbewegongen in sich verschliefst.

Weit eher wird man daher der Ansicht Theile s zustim- men können , dafs der Verfasser des vierten Evangeliums die von den Synoptikern richtig eingefügte Begebenheit an «inen falschen Ort gestellt habe 10). Da Jesus zur Einlei- tung einer Antwort an die Hellenen , welche den durch den Einzug Verherrlichten sprechen wollten, gesagt hatte : ja, die Stunde meiner Verherrlichung ist da, aber der Ver- herrlichung durch den Tod (12, 23. f.): so habe diefs den Erzähler verleitet, statt die wirkliche Antwort Jesu an die Hellenen sammt dem weiteren Verfolg anzugeben, vielmehr Jesum sich ausführlich Uber die innere Notwendigkeit sei- nes Todes verbreiten zu lassen, wo er dann fast unbewufst auch die Schilderung des inneren Kampfs, den Jesus rück- aichtlich seiner freiwilligen Aufopferung zu bestehen hatte, eingeflochten habe, welchen er defs wegen später, an sei* ner eigentlichen Stelle, übergehe. Eigen ist hiebe! nur, dafs Theile der Meinung ist, eine solche Umstellung habe dem Apostel Johannes selbst begegnen können. Dafs sich ihm der Vorgang in Gethsemane, da er während desselben schlaftrunken gewesen, nicht tief eingeprägt habe, und dafs derselbe fiberdem durch den schnell darauf erfolgten Kreuzestod in den Hintergrund seines ßewufstseins gerückt worden sei, dadurch könnte man etwa erklärt finden, wenn er ihn ganz übergangen , oder nur summarisch dar- gestellt hätte, keineswegs aber, dafs er ihn an unrechter Stelle eingefügt hat. So viel mufste er doch, wenn er un- erachtet seiner damaligen Schläfrigkeit von dem Vorgang Notiz genommen hatte, behalten, dafs jene eigentümliche Stimmung*. Jesum hart vor dem Anfang seines Leidens, und in Macht und Einsamkeit befallen habe: wie konnte er je-

10) •. die Becens. von Ustem's Comment. crit., in Wuiaa's und Eksslmardt's n. kr. Journal, 2, S. 359 ff.

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Drittes Kapitel. §. 1*5. 465

mala seine Erinnerung so weit verläugnen, dafs er Hie Sce- ne in weit früherer Zeit, am hellen T«g und unter vielem Volke vorgehen liefs? Um nicht auf diese Weise die Ae Jä- heit des johanneischen Evangeliums zu gefährden, bleiben Andere dabei, mit Berufung darauf, dafs eine solche Stim- mung im letzten Abschnitte des Lebens Jesu mehrmals ha- be vorkommen können, die Identität der beiden Scenen

eu läugnen11)*

Allerdings finden zwischen der synoptischen Darstel- lung des Seeleukampfs Jesu und der johanneischen , auch ausser der verschiedenen äusseren Stellung, im Inhalt bei- der Vorgänge noch bedeutende Differenzen statt, indem namentlich die jobanneische Erzählung Züge enthälr, wel- che in den Berichten der drei ersten Evangelisten Aber den Vorfall in Gethsemane keine Analogie findei . VVenu nämlich zwar das Flehen des johannei&chen Jesus um Ret- tung aus dieser Stunde bei den Synoptikern vollkommen anklingt: so fehlt es doch für die bei Johannes hinzuge- fügte Bitte: näteQ, dogaoov oa %6 övopa (12, 28.), an ei- ner Parallele; ferner, wenn zwar in beiden Darstellungen von einem Engel die Rede ist, so ist doch von einer iiiin- melsstimnie , welche im vierten Evangelium die Meinung, es sei ein Engel im Spiel gewesen, veranlafst, bei den Syn- optikern keine Spur. Sondern solche Bimmelsstimmen h - den wir in diesen Evangelien nur bei der Taufe und wie- der in der Verklärungsgeschichte, an welche letztere auch die Bitte des johauneischen Jesus : ndttt), öo^aoov an %6 oivucc, erinnern kann. In der synoptischen Beschreibung der Verklärung zwar findet sich der Ausdruck: doga und do£«£efy nicht, dagegen läfst der zweite Brief Petri Jesu bei der Verklärung zi^v xai dogav zu Theil werden, und die Himmelsstimme aus der fuyakonQenr^g dv$a erschallen (1, 17 f.). So bietet sich denn zu den beiden bisdaher be~

1J) Ha»k, L. J. §. 134. Uckk, 2, f. Anm.

Das Leben Jesu 2teAujl- II, Hand. 30

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46« Drifter Absohnitt.

trachteten Erzählungen noch eine dritte als Parallele dar, indem die Seeue Jon. 12, 27 ff. , wie einerseits durch die ßekümmernifs und den Engel mit dem Vorgang in Geth- semane, so andrerseits durch die Bitte um Verklärung und die gewahrende Himmelsstimmc mit der Verklärungsge- schichte zusammenhangt. Und nun sind zwei Fälle mög- lich: entweder ist die johanneische Erzählung die einfa- che Wurzel, aus welcher auf traditionellem Wege durch Scheidung der in ihr enthaltenen Elemente die beiden syn- optischen Anekdoten ron der Verklärung und dem Seelen« kämpf hervorgewachsen sind: oder sind diese letzteren die ursprünglichen Gestaltungen, aus deren Auflösung und Ver- schwemmung in der Sage die johanneische Erzählung als gemischtes Product zusammengeflossen ist; worüber nur die Beschaffenheit der drei Anekdoten entscheiden kann. Jiafs nun die synoptischen Erzählungen von der Verkla- rung und dem Seelenkampf klare Gemälde mit bestimmt ausgebildeten Zügen sind, kann für sich nichts beweisen, da* wie wir zur Genüge gefunden haben, eine aus sagen- haftem Boden erwachsene Erzählung ebensogut, als eine reiu historische, jene Eigenschaften besitzen kann. Wäre also die johanneische Darstellung jenes Auftritts nur minder klar und bestimmt gehalten, so könnte sie defswegen doch, für den ursprünglichen, einfachen Bericht gehalten wer- den, aus welchem sich durch die ausschmückende und ma- lende Arbeit der Uberlieferung jene farbigeren Gebilde herausentwickelt hätten. Nun aber fehlt es der johannei- scheu Erzählung nicht blofs an Bestimmtheit, sondern an Übereinstimmung mit den umgebenden Verhältnissen und, mit sich seihst. Wo Jesu Antwort auf das Gesuch der Hellenen bleibt, und wo diese selber hinkommen, weifs Niemand; die plötzliche Beklemmung Jesu und die Bitte am eine Ehrenerklärung von Seiten Gottes sind nicht ge- hörig motivirt. Ein solches Gemisch unzusammengehöri- ger Theile ist aber immer das Kennzeichen eines secundä-

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Drittes Kapitel. §. 125.

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ren Producta eines zusammengeschwemmten Conglomerata t und so scheint denn der Schlufs gerechtfertigt, da fs in der johanneischen Erzählung die beiden synoptischen Anekdo- ten von der Verklärung und vom Seelerikampf zusammen- geflossen seien. Hatte dem Verfasser des vierten Kvaiige- liums die Sage, wie es scheint, schon ziemlich verwa- schen und nur in unbestimmten Umrissen , von jenen bei* den Vorfällen Kunde zugeführt: so konnten ihm leicht, wie sein Begriff von do^d^iv diese Zweiseitigkeit von Lei- den und Herrlichkeit hat, beide sich vermengen; was er in der Erzählung des Seelenkampfs von einer Anrede Jesu an den Vater vernommen hatte, konnte er mit der göttli- chen Stimme aus der Verklärungsgeschichte als Ai tu ort darauf verbinden; dieser Stimme, deren näherer Inhalt, wie die Synoptiker ihn geben, ihm nicht berichtet war, gab er aus der allgemeinen Vorstellung von dieser Begeben- heit, als einer Jesu zu Theil gewordenen dofa, den In- halt: y.ctl idoSaaa, xai naliv öo^aGcdf und um auf diese göttliche Erwiederung zu passen, mufste der Anrede Jesu ausser der Bitte um Kettung noch die um Verklärung hin- zugefügt werden; der stärkende Engel, von weicht iu der vierte Evangelist vielleicht auch etwas vernommen hatte, wurde als Ansicht der Leute von dem Ursprung der Hiru- melsstimme mit aufgenommen; in Betreff des Zeitpunkts wurde zwischen dem der Verklärung und dem des Seelen- kampfs die ungefähre Mitte gehalten, wobei die Wahl der Verhältnisse aus Unkenntuifs der ursprünglichen übel ausfiel.

Sehen wir von hier auf die Frage zurück, von wei- cher wir ausgegangen sind, ob wir eher die johanneischen Abschiedsreden Jesu als historisch festhalten, und dagegen die synoptische Darstellung der Scene in Gethsemane auf- geben wollen, oder umgekehrt: so werden wir vermöge des Ergebnisses unsrer eben geführten Untersuchung zu der letzteren Annahme geneigter sein. Die Schwierigkeit, weiche schon darin liegt, dafs man kaum begreift, wie

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488 Dritter Abschnitt

Johannes diese langen Reden Jesu genau behalten konnte, hat Paulus durch die Vermuthung zu lösen geglaubt, dafs der Apostel wohl schon am nächsten Sabbat, während Je- sus im Grabe lag, die Gespräche des vorigen Abends sich in die Erinnerung zurückgerufen, und sie vielleicht auch niedergeschrieben habe 12). Aliein in jener Zeit der Nie- dergeschlagenheit, welche auch Johannes theilte, wäre er wohl nicht im Stande gewesen, diese Reden wiederzuge- ben, ohne ihr eigentümliches Colorit der ruhigsten Heiter- keit zu verwischen ; sondern, wie der Wolfenbüttler sagt, wenn die Evangelisten in den paar Tagen nach Jesu Tode die Erzählung von seinen Reden und Theten hätten zu Pa- pier bringen sollen , so Wörden , da sie selber keine Hoff- nung mehr hatten, auch alle verheizenden Reden aus ih- ren Evangelien weggeblieben sein ls). Daher hat auch Lü- cke, in Betracht der eigenth inilich johanneischen Ausdrucks- weise, welche sich namentlich in dem Schlufsgebet findet, die Behauptung, dafs Jesus mit denselben Worten gespro- chen habe, welche ihm Johannes in den Mund legt, oder die Behauptung der Authentie dieser Reden im engsten Sinn, aufgegeben, aber nur um ihre Authentie im weiteren Sinn, die Ächfheit des Gedankeninhalts, desto fester zu halten n). Doch auch gegen diesen hat der Verfasser der Probabilien seinen Angriff gewendet, indem er namentlich in Bezug auf Kap. 17. fragt, ob es denkbar sei, dafs Je- sus in der Erwartung des gewaltsamsten Todes nichts An- gelegeneres zu thun gehabt habe, als mit Gott von seiner Person, seinen bisherigen Leistungen, und der zu erwarten- den Herrlichkeit sich zu unterhalten ? und ob es defswe- gen nicht vielmehr alle Wahrscheinlichkeit habe, dafs die- ses Gebet nur aus dem Sinne des Schriftstellers geflos-

12) J. 1, b, S. 165 f.

13) Vom Zweck Jesu und «einer Jünger, S. 124.

14) 2, S. 58S f.

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Drittes Kapitel §.125. 469

sen sei, welcher durch dasselbe thells seine Lehre von Je- sus als dem fleischgewordenen Xoyog bestätigen, theils das Ansehen der Apostel befestigen wollte15)? In dieser Aus- stellang liegt das Richtige, dafs das fragliche Schlufsgebet nicht als ein anmittelbarer Ergufa, sondern als IVoduet der Reflexion , eher als eine Rede Aber Jesum , denn als eine Rede von ihm erscheint. Überall seigt sich in dem- selben das Denken eines solchen, der schon weit Torwart * im Erfolge steht, und defswegei die Gestalt Jesu bereits in fernem, verklärendem Duft erblickt, ein Zauber, wel- chen er dadurch vermehrt, dafs er seine, auf der flöhe einer fortgeschrittenen Entwicklung der christlichen Ge- mein de entsprungenen Gedanken von dem Gründer dersel- ben schon vor ihrer eigentlichen Entstehung ausgesprochen sein läfst. Aber auch in den vorhergehenden Abschiedsre- den erscheint Manches aus dem Erfolge herausgesprochen. Der ganee Ton derselben erklärt sich doch am natürlich« sten, wenn die Reden Werk eines solchen sind, welchem der Tod Jesu bereits ein Vergangenes war, dessen Schreck- lichkeit in den segensreichen Folgen und der andächtigen Betrachtungsweise der Gemeinde sich gelind aufgelöst hat- te. Im Einzelnen ist, abgesehen von dem über die Wieder- kunft Gesagten, auch diejenige Wendung der christlichen Sache, welche man als Sendung des heiligen Geistes ku bezeichnen pflegt, in den Äusserungen über den Paraklet und dessen über die Welt zu haltendes Gericht (14, 10 11'. 25 f. 15, 26. 16, 7 ff. 13 ff.) mit einer Bestimmtheit vor» ausgesagt, welche auf die Zeit nach dein Erfolge hinzu- weisen scheint.

Indem aber auch von dem nächstbevorstehenden Er- folge, dem Leiden und Tod Jesu, das bestimmte Voraus- wissen in diesen Abschiedsreden liegt (13, 18 ff. 33. 3& 14, 30 f. 16, 5 ff. 16, 32 f.), tritt die johaiineische Darstel-

15) a. a. O.

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470 Dritter Abschnitt.

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lung mit der synoptischen auf Einen Boden, du r«ich die- se auf der Voraussetzung der genauesten Voraussicht der Stunde und des Augenblicks , wann das Leiden eintreten werde, ruht. Nicht allein bei'm letzten Mahle und beim Hinausgehen an den Olberg zeigte sich dieses Vorher%vis- sen nach den drei ersten Evangelien, indem, wie im vier- ten, dem Petrus eine Verleugnung, ehe der Hahn krähen werde, vorhergesagt wird; nicht nur beruht der ganze 8eelenkarapf im Garten auf der Voraussicht des in den nächsten Augenblicken bevorstehenden Leidens : sondern am Ende dieses Kampfes weifs Jesus sogar auf die Minu- te hin zu sagen, dafs jetzt der Verräther heranrücke (Matth. SO, 45 f.). Zwar behauptet Paulos, Jesus habe die Trup- pe der Häscher von ferne schon aus der Stadt heranrücken sehen, was allerdings, da sie Tackeln hatten, von einem Garten am Olberg aus vielleicht möglich war; allein ohne vorher von den Planen feiner Feinde unterrichtet zu sein, konnte Jesus nicht wiesen, dafs es auf ihn abgesehen sei, und jedenfalls berichten es die Evangelisten als Probe des übernatürlichen Wissens Jesu. Vom höheren Princip in ihm kann nun aber, wenn dem Obigen zufolge nicht das Vorherwissen der Katastrophe überhaupt und ibrer einzel- nen Momente, danu auch nicht das ihres Zeitpunkts, aus- gegangen sein; dafs ihm aber auf natürlichem Wege, durch geheime Freunde im Synedrium, oder wie sonst, die Kun- de von dem vernichtenden Sehlage zugekommen wäre, wel- chen die jüdischen Herrscher mit Hülfe eines seiner Jün- ger in der nächsten Nacht gegen ihn zu führen beabsichtig- ten, davon haben wir keine Spur in unsern Berichten, und sind also auch nicht befugt, dergleichen etwas voraus« zusetzen. Sondern so, wie es uns <Up Referenten als Be- weis seines oberen Wissens g*i*e u , »wüst-en wir es ent- weder hinnehmen, oder, wenn w ir diefs nicht können. *<» folgt vorerst nur das Negative, dnl'u sie uns hier mit Un- recht eine solche Probe erzählen, woran dann zunächst

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Dritte« Kapitel. §. 125. 471

incht das Positive grinst, dafs jene* Wisseu wohl nur ein natürliches gewesen, sondern das, dafs die evangelisel eu Erzähler ein Interesse gehabt haben müssen , eine fiber- natOrliche Kunde Jesu von seinem bevorstehenden Leiden zu behaupten; ein Interesse, welches schon oben ausein- andergesetzt worden ist.

Was nun aber der Grund war, das Vorherwissen zu einem wirklichen Vorgefühl zu steigern , und fo die Sceno in Gethsemane auszubilden , liegt gleichfalls nahe. Kiner- seits na'mlich giebt es keine augenscheinlichere Probe, dafs von einem Erfolg oder Zustand ein Vorherwissen stattge- funden hat , als wenn es bis zur Lebendigkeit eines Vor- gefühls gestiegen ist , andrerseits mufs das Leiden um so furchtbarer erscheinen , wenn es schon Im blofaen Vorge- fühl dem dazu Bestimmten Angst bis zum blutigen Schweifs und die Bitte um Enthebung ausprefst. Ferner zeigte sich das Leiden Jesu in höherem Sinn als ein freiwilliges, wenn er, ehe es äusserlich an ihn kam, sich innerlich in dassel- be ergab; und endlieh inufste es der urchristlichen An- dacht erwünscht sein , den eigentlichen Kern die» es Lei- dens den profanen Augen , welchen er am Kreuze ausge- setzt war, zu entziehen, und als ein Mysterium in den engeren Kreis einiger Geweihten zu verlegen. ZurjAusstattong dieser Scene bot sich neben der Schilderung des Schmer- «ens und Gebets, welche sich von seibat ergab, theils das von Jesu selber (Matth. 20, 22 f.) zur Bezeichnung seines Leidens gebrauchte Bild eines noirtQtov> theils A. T. liehe Stellen in Klagepsalmen, 42, 5. 12. 43, 5., wo in der LXX. die ipvxij nsQllvnog vorkommt, wobei das Swg ^araralJon. 4, 9 um so näher lag, da Jesus hier wirklich dem Tod entgegengieng. Frühzeitig mufs diese Darstellung entstan- den sein, weil sich schon im Ilehraerbrief (.5, 7.) eine An- spielung, o^ne Zw eiftl auf diese Scene, findet . Es w ar al- so zu w*»nig gesagt, vtenn G\blkr die Engelserscheinung für mythische Einkleidung der Thatsache erklärte, dafs

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47:8 Dritter Abschnitt

•lentis sich im tiefsten Schmerze jener Nacht plötzlich ge- stärkt gefühlt habe: da vielmehr jener ganze Seelenkampf, weil auf unerweislichen Voraussetzungen ruhend , aufge- geben werden inufs.

Hiemit fällt das oben gestellte Dilemma weg, indem wir .nicht blofs eine von beiden, sondern beide Darstellun- gen der letzten Standen Jesu vor seiner Gefangennehmung als unhistorisch bezeichnen müssen. Nur so viel bleibt von einem Unterschied des geschichtlichen Werths zwischen der synoptischen Erzählung und der johanneischen , dafs, während jene, so zu sagen, eine mythische Bildung erster Potenz ist, diese die zweite Potenz traditioneller Gestal- tung zeigt, oder näher ist jene schon eine Bildung zweiten, und somit diese des dritten Grades. Ist nämlich die den Synoptikern und dem Johannes gemeinsame Dar- stellung, dafs Jesus sein Leiden auf Tag und Stunde hin vorhergewufst habe, die erste Umgestaltung, welche die fromme Sage mit der wirklichen Geschichte Jesu vor- nahm: so ist die Angabe der Synoptiker, er habe sein Leiden sogar vorherempfunden , die zweite Stufe des My- thischen ; dafs er es aber , obwohl er es vorhergewufst, und auch früher einmal (Joh. 12,2? ff.) vorhergehen meckt, doch schon lange zum Voraus völlig überwunden , und demselben, als es unmittelbar bevorstand, mit unerschttt- terter Ruhe in'* Auge geblickt habe, diese Darstellung des johanneischen Evangeliums ist die dritte und höchste Stufe andächtiger, aber ungeschichtlicher, Verschönerung.

J. 126.

Gefangciuiebmung Jesu.

Genau zusammentreffend mit der Erklärung Jesn an die schlafenden Jünger, dafs eben jetzt der Verräther nahe, soll, während er noch redete, Judas mit einer bewaffneten Macht herangerückt sein (Matth. 26, 47. parali. vgl. Joh. IS, 3.). Diese Schaar kam den Synoptikern zufolge vou

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Dritte« Kapitel. §. 126, 475

den Hohenpriestern und Altesten, und war nach Lukas von den goatrjois i£Q& angeführt , also wahrscheinlich eine Abtheilung Tempelsoidaten , an welche sich übrigens, ans der Bezeichnung als o%koz und ihrer theilweisen Bewaff- nung mit ZvXoig zu schliersen , noch anderes Gesindel tumuliuarisch angeschlossen zuhaben scheint; der Darstel- lung bei Johannes zufolge , welcher neben den inr^ixaig Tiov aQX߀Qia& xal (paqioaLwv von einer anuqa und einem XtMctQxog, ohne Erwähnung tumultuarischer Bewaffnung, spricht, scheint es, als hätten sich die jadischen Obern auch eine Abtheilung römischen Militärs zur Unterstützung ausgcbeten gehabt

Während sofort nach den drei ersten Evangelisten Ju- das vortritt und Jesum küfst, um ihn durch dieses verab- redete Zeichen der anrückenden Schaar als denjenigen kennt- lich zu machen, welchen sie zu greifen hätte: geht laut des vierten Evangeliums umgekehrt Jesus ihnen , wie es scheint , vor den Garten hinaus ii&l&w) , entgegen , und bezeichnet sich selbst als denjenigen , welchen sie suchen. Diese abweichenden Darstellungen zu vereinigen , haben Einige den Hergang sich so gedacht, dafs, um eine Ver- haftung seiner Jünger zu verhüten, Jesus gleich zuerst dem Haufen entgegengegangen sei , und sich zu erkennen gege- ben habe; hierauf erst sei Judas hervorgetreten, und habe ihn durch den Kufs bezeichnet *). Aliein, hatte sich Je- sus bereits selbst zu erkennen gegeben, so konnte Judas den Kufs ersparen ; denn dafs die Leute der Angabe Jesu, er sei es, den sie suchen, nicht geglaubt, und noch auf die Bekräftigung derselben durch den Rufs des bestoche- nen Jüngers gewartet haben, kann nicht gesagt werden, wenn nach der Angabe des vierten Evangeliums jenes iyd iiui so starken Eindruck auf sie machte, dafs sie zu Bo-

1) s. Lücke, z. d. St. Hase, L. J. §, 135.

2) Paulus, exeg. Uaadb., 3, b, S. 567.

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474 Dritter Abschnitt. ,

. Hen sanken. Defswegen haben Andere di« Ordnung Her Scenen in der Art umgekehrt, dafs zuerst Judas, voran« tretend, Jesum durch den Kufs bezeichnet, dann aber, noch ehe der Haufe In den Garten eindringen konnte, Je- sus eu ihnen hinaustretend sich so erkennen gegeben I a- be *). Allein, wenn Ihn Judas bereits durch den Kufs be- zeichnet, und er den Zweck des Kusses so gut verstanden hatte, wie es sich in seiner Erwiederung auf denselben Luc. V. 48. ausspricht: so brauchte er sich nicht noch be- sonders zu erkennen zu geben , da er schon kenntlich ge- macht war; es zum Schutze der Jünger zu thun, war eben- so überflüssig, da er an dem verräterischen Kusse mer- ken mufste, es sei darauf abgesehen, ihn aus seinem Ge- folge herauszufallen: that er es blofs um seinen Muth zu zeigen, so war diefs fast etwas schauspielerisch; überhaupt aber kommt dadurch , daf« Jesus zwischen den Judaskufs und das gewifa unmittelbar darauf erfolgte Eindringen Her Schaar hinein dieser noch mit Fragen und Anreden entge- gengetreten sein soll , in sein Benehmen eine Hast und Eil- fertigkeit, welche ihm unter diesen Umstand« n so übel an- steht, dafs die Evangelisten schwerlich beabsichtigen , ihm eine solche zuzuschreiben. Man sollte demnach anerken- nen, dafs von den beiden Darstellungen keine darauf be- rechnet ist , durch die andere ergänzt zu werden *), indem jede die Art, wie Jesus erkannt wurde, und wie Judas dabei thiit ig war, auf andere Weise fafst. Dafs Judas

3) Lücke, 2, S. 5*19. Hase, a. a. O. Olshacsex, 2, S. 435.

4) Wie mag LCcke die Auslassung des Judaskusses im johan. fleischen Evangelium daraus erklären, dass er gar zu bekannt gewesen sei, und wie hiezu als Analogie das anführen, data Johannes aurh die Verhandlung de* Wrmthrrs mit dem Syn- edrium übersehe? da zwar diese Verhandlung als etwas hin. ter der Scene Vorgegangenes wohl übergangen werden konn- te, keineswegs aher etwas, das, wie jener Kuss, so ganz im Vordergrund und Mittelpunkt der Handlung geschehen war.

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Drittes Kapitel. $• 11* 475

triffdg TO~g avllafiSai tov yIr{ouv gewesen (A. G. 1 , 16.), darin stimmen alle Evangelien zusammen. Man aber, wäh- rend nach der synoptischen Darstellung nun Geschäft des Judas ausser der ürtsbezeichnung auch noch die Bezeich- nung der Person gehört, welche durch den Kufs geschieht: tüfst Johannes die Thätigkeit des Verräthers mit der Be-

Zeichnung des Orts ihr Ende erreichen , und ihn nach der Ankunft an Ort und Stelle müfsig bei den Übrigen stehen (.nzqxu de xai *[ödag~—ftez* airetov. V. 5). Warum die jo- hanneische Darstellung dem Judas das Geschäft der per- sönlichen Bezeichnung Jesu nicht ertheilt, ist leicht zu se- hen : damit nämlich Jesus nicht als ein Überlieferter, son- d»»ru als ein sich selbst Uberliefernder, somit sein Leiden in höherem Grad als frei übernommenes erscheinen möchte. Man darf sich nur erinnern, wie von jeher die Gegner des Chnstenthums Jesn seinen Weggang aus der Stadt in den abgelegenen Garten als schimpfliche Flucht vor seinen Fein- den aufrechneten 5), um es begreiflich zu finden, dafs früh- zeitig unter den Christen eine Neigung entstand , die Art, wie er sich bei seiner Verhaftung benahm , noch in höhe- rem Grade, als diefs in der gewöhnlichen Evangelientradi- tion der Fall war, im Licht einer freiwilligen Hingabe er- scheinen zu lassen.

Reiht sich nun bei den Synoptikern an den Judaskufs eine einschneidende Frage Jesu an den Verräther, so schliefst sich bei Johannes an das von Jesu gesprochene: iytS ei fit, die Erwähnung, dafs vor diesem Machtworte die zu seiner Verhaftung gekommene Schaar zurückgewichen und zu Bo- den gefallen sei, so dafs Jesus seine Erklärung wiederho- len, und die Leute gleichsam ermuthigen mufste, ihn zu greifen. Hierin will man neuerdings kein Wunder mehr

5) So sagt der Jude des Celsus bei Orig. c. Cels. 2, 9 : K XQumoptvoi juiv xai öiadiS^daxvr inoviiS^djara idlta.

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476 Dritter A bschnitt.

erblicken , sondern psychologisch soll der Eindruck Jesu auf diejenigen unter der Schaar, welche ihn schon sonst öfters gesehen und gehört hatten, gewirkt haben; wobei man sich auf die Beispiele aus dem Leben eines Marius, eines TeJigny u. A. beruft *), Allein weder nach der syn- optischen Darstellung, laut deren es der Bezeichnung Jesu durch den Kufs, noch auch nach der johanneischcn , nach weicheres der Erklärung Jesu, dafs er es sei, bedurfte, war Jesus dem Haufen genauer, am wenigsten auf eine tiefere Weise, bekannt; jene Beispiele aber beweisen nur, dafs bisweilen der gewaltige Eindruck eines Mannes mör- derische Hände Einzelner oder Weniger gelähmt hat, nicht aber, dafs ein ganzes Detachement von Gerichtsdienern und Soldaten nicht blofs zurückgewichen, sondern zu Boden gefallen wäre. Was soll es nützen , wenn Lücke zuerst Einige, dann den ganzen Haufen , niederstürzen läTst, wo- durch es vollends unmöglich wird, sich die Sache auf ernst- hafte Weise vorzustellen ? Wir kehren daher zu den Alten zurück, welche hier aligemein ein Wunder anerkannten. Der Christus, weicher durch ein Wort seines Mundes die feindlichen Schaaren niederwirft, Ist kein anderer, als der- jenige, welcher nach 2. Thess. 2, 8. den Antichrist otvu- hioet nvevftau zu goftatog avis , d. h. aber nicht der historische , sondern der Christus der Jüdischen und ur- christlichen Phantasie. Der Verfasser des vierten Evange- liums insbesondere, der so oft bemerkt hatte, wie die Feinde Jesu und ihre Schergen ausser Stands gewesen seien, Hand

6) Lücki, 2, S. 597 f.; Olshausm, 2, S. 435-; vgl. Tholvck, S. 319. Dass der letztere statt Teligny's dessen bekannte- ren Schwiegervater, Coligny, anführt, beruht wohl auf Ver- wechslung ; denn bei Coligny's Ermordung bewies sich ge- rade der Eindruck des ehrwürdigen Greisen auffallend un- wirksam. S. Schiller, Werke, 16. Bd. S. 382 f. 384; Eascu und Grubsr's Encyclopädic, 7. Bd. S. 452 f.

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Drittes Kapitel. §. 126. 477

an ihn so legen, weil seine Stunde noch nicht gekommen gewesen sei (7, 30. 32. 44 ff. 8, 20.), war veranlaßt , nun, als die Stunde erschienen war, den wirklich gemachten Versuch zunächst noch einmal auf recht eklatante Weise mißlingen zu lassen, zumal diefs ganz mit dem Interesse zusammenstimmte, welches in der Beschreibung dieser gan- zen Scene ihn beherrscht, die Verhaftung Jesu rein als Act seines freien Willens darzustellen. Indem Jesus die Soldaten durch die Macht seines Wortes niederwirft, giebt er ihnen eine Probe, was er vermöchte, wenn es ihm um Befreiung zu thun wäre , und wenn er sich nun unmittel- bar darauf greifen läfst , so erscheint diefs als die freiwil- ligste Hingahe. So giebt Jesus im vierten Evangelium eine factische Probe jener Macht , welche er im ersten nur mit Worten ausdrückt , wenn er zu einem seiner Jünger sagt: doxtlg, ort ö dvvaftai unti TtctQaxalloai tov ncaiqa //a, xai nanapjoeL fiot nXdsg rj dtidexa Xeytuivctg ayylkcov (V. 53.);

Nachdem hierauf der Verfasser des vierten Evangelium« einen früher richtiger auf die geistige Bewahrung seiner Schü- ler bezogenen Ausspruch Jesu (17, 12.), dafs er keinen der ihm von Gott Anvertrauten verloren habe, sehr unpassend in der Sorgfalt erfüllt gefunden, welche Jesus angewen- det habe, dafs seine Jünger nicht mit ihm verhaftet wür- den, stimmen nun sämmtliche Evangelisten darin zusam- men, dafs, als die Soldaten Hand an Jesum zu legen an- fangen, einer seiner Anhänger das Schwert gezogen, und , des Hohenpriesters Knecht ein Ohr abgehauen habe, was von Jesu mifsbilligt worden sei. Doch haben Lukas und Johannes jeder einen eigenthümlichen Zug. Abgesehen da- von , dafs beide das von den Vormännern unbestimmt ge- lassene Ohr als das rechte näher bestimmen, nennt der letz- tere nicht blofs den verwundeten Knecht mit Namen, son- dern bemerkt auch, dafs der hauende Jünger Petrus ge- wesen sei. Warum die Synoptiker den Petrus nicht nen- nen , hat man auf verschiedene Weise zu erklären versucht.

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478 Dritter Abschnitt

IJafs sie den zur Zeit der Abfassung ihrer Evangelien noch lebenden Apostel nicht durch Nennung seines Namens ha- ben compromittiren wollen ') , gehört zu den mit Recht verschollenen Fictionen einer faslch p**agmatisirenden Exe- gese ; dafs sie aber auch sonst die Namen meistens über- gehen 8) , ist in dieser Allgemeinheit nicht einmal von Mat- thäus wahr, welcher wohl unberühmte, gleichgültige Per- sonen ungenannt lüfst, wie einen Jairus , einen ßartimäus: dafs aber aus einer Petrusanekdote, welche so sehr in diu Rolle dieses Apostels pafste, der wirkliche Matthäus, oder auch nur die vulgäre Evangelientradition, so frühzeitig und allgemein den Namen verloren haben sollte, wird man nicht sehr glaublich finden. Weit eher könnte ich mir das Um- gekehrte denkbar machen, dafs die Anekdote ursprünglich ohne Namensangabe umgelaufen wäre (und warum sollte nicht aoeh ein sonst minder ausgezeichneter unter den An- hängern Jesu denn nach den Synoptikern scheint es nicht einmal nothwendig einer der Zwölfe gewesen sein zu müssen dessen Name daher eher zu vergessen war, Muth und Übereilung genug gehabt haben , in jenem Zeit- punkt das Schwert zu ziehen?), ein späterer Referent aber eine solche Handlungsweise dem raschen Charakter des Petrus besonders angemessen gefunden, und sie defswegen aus eigener Combination ihm zugeschrieben hätte. Dann brauchen wir uns auch nicht für die Möglichkeit, dafs Jo- hannes den Namen des Knechts wissen konnte, auf seine Bekanntschaft im hohenpriesterlichen Hause zu berufen *), so wenig Markus, um zur Kenntnifs des Namens von je- nem Blinden zu gelangen, einer besondern Bekanntschaft In Jericho bedurfte.

Lukas hat bei dieser Schwertscene das Eigenthümli-

7) Paulus, exeg. Handb. 5, b, S. 570.

Ders. cbendas. 9) We J-Cckk, Tmoluck und Olshausen, z. d. St.

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Dritte« Kapitel. J. 1*6. 47»

che, dafs nach ihm Jesus das Ohr des Knechts, wie es scheint durch ein Wunder, wieder geheilt hat. Während Olshausen die zufriedene Anmerkung macht, dieser Um- stand erkläre am besten, wie Petrus sich unverletzt zu- rückziehen konnte das Erstaunen über die Heilung wer- de die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben: wollte nach Paulus Jesus das verwundete Ohr durch die Befühlung (ju^ufterog") nur untersuchen, und gab so- fort an, was zum Behuf der Heilung zu tliun sei Guoaro av%6v)\ hätte er ihn durch ein Wunder geheilt, so muTste doch auch ein Erstaunen der Anwesenden gemeldet sein. Solche üufilerei ist diefsmal besonders unnöthig, da das Alleinstellen des Lukas mit dem fraglichen Zug und der gan/e Zusammenhang der Scene uns deutlich genug sagt, was wir von der Sache zu halten haben. Jesus, der so vieles Leiden, an weichem er unschuldig war, durch seine Wun- derkraft gehoben hatte, der sollte ein Leiden, welches ei- ner von seinen Jüngern aus Anhänglichkeit an ihn, also mittelbar er selbst, verursacht hatte, ungeheilt gelassen haben ? Diefs mufste man bald undenkbar finden, und so dem Schwertstreich des Petrus eine Wunderheilung von . Seiten Jesu die letzte in der evangelischen Geschichte

sich anschltefsen.

Hieher, unmittelbar vor seine Abführung, stellen die Synoptiker den Vorwurf, welchen Jesus den zu seiner Gefangennehmung Gekommenen machte, dafs sie ihn, der ihnen durch sein tägliches öffentliches Auftreten im Tem- pei die beste Gelegenheit gegeben habe, sich seiner auf die einfachste Weise zu bemächtigen, ein schlimmes An- zeichen für die Reinheit ihrer Sache mit so vielen Um- standen, wie einen Räuber hier aussen aufsuchen. Das vier- te Evangelium läfst ihn etwas Ahnliches später zu Annas sagen, dessen Erkundigung nach seinen Schülern und sei- ner Lehre er auf die Öffentlichkeit seines ganzen Wirkens, auf sein Lehren in Tempel und Synagoge, verweist (18, 20 f.).

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480 Dritter Abschnitt.

Wie wenn er von Beiden* vernommen hätte, sowohl dafs Jesus so etwas dem Hohenpriester, als dafs er es bei sei- ner Gefangennehmung gesagt habe, läfst Lnkas die Ho- henpriester und Ältesten selbst bei der Verhaftung gegen- wärtig sein, und Jesum hier auf jene Weise zu ihnen sprechen, was gewifs nur Irrthum ist10).

Nach den zwei ersten Evangelisten fliehen nun alle Jünger, wobei Markus den speciellen Zug hat, dafs ein Jüngling, der eine Leinwand um den blofsen Leib gewor- fen hatte, als man ihn greifen wollte, mit ZnrUcklassung der Leinwand nackt davongcfloben sei. Abgesehen von den müssigen Vermuthungen alterer und selbst neuerer Kr klarer, wer dieser Jüngling gewesen sein möge, hat man mit Unrecht aus dieser Notiz auf nahe Gleichzeitigkeit d< s Markusevangeliums geschlossen, weil eine solche kleine, namenlose Anekdote nur in der Nähe der Personen und Begebenheiten habe interessiren können11): da doch die- ser Zug selbst uns, in der weitesten Zeitferne, noch eine lebendige Anschauung von dem panischen Schrecken und der schnellen Flucht der Anhänger Jesu giebt, und also dem Markus, woher er ihn auch bekommen, und wie spät auch geschrieben haben mag, willkommen sein mufste.

§. 127.

Jesu Verhör vor dem Hohenpriester.

Von dem Orte der Gefangennehmung lassen die Syn- optiker Jesum zum Hohenpriester, dessen Namen, Kaiphas, jedoch hier nur Matthäus nennt, Johannes aber zu Annas, dem Schwiegervater des damaligen Hohenpriesters , und von diesem erst zu Kaiphas, geführt werden (Matth. 26, 57 ff. parall. Joh. IS, 12 ff.); was bei dem Ansehen de* Annas eben so denkbar ist, als sich das Stillschweigen der

10) Schlrikrmachbr, über den Lukas, S. 290.

11) Paulis, cxcg. Handb. 5, b, S. 576.

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Dritte« KnpIteL §. 127.

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Synoptiken daraus erklärt, dafs der gewesene Hoheprie- ster keine Entscheidung in dieser Sache herbeiführen konnte« Um so auffallender ist es aber, dafs, wie man dem er* •ten Anblick nach glauben mufs, der vierte Evangelist um« gekehrt nur aus der Verhandlung mit Annas einiges Nä- here mit zu th eilen , das entscheidende Verhör des wirkli- chen Hohenpriesters dagegen, ausser dafs er sagt, Jesus sei dahin abgeführt worden, ganz zu übergehen seheint« Nichts lag daher der Harmonistik näher, als die Annahme, wie sie sich z. B. schon bei Euthymius findet, Johannis habe vermöge seines Ergänzungssweckes das von den Syn- optikern Übergangene Verhör vor Annas nachgeholt, das vor Kaiphas aber übergangen, weil es von seinen Vorgän* gern ausführlich genug beschrieben war1)« Diese Ansicht, dafs Johannes and die Synoptiker von ganz verschiedenen Verhören reden, findet darin eine Bestätigung, dafs der Inhalt des Verhörs auf beiden Seiten ein ganz verschiede- ner ist« Während nämlich bei dem, weiches die Synop- tiker beschreiben, nach Matthäus und Markus zuerst die falschen Zeugen gegen Jesum auftreten, hierauf der Hohe- priester ihn fragt, ob er sich wirklich für den Messias aasgebe, und auf die Bejahung davon ihn der Blasphemie und des Todes schuldig erklärt, woran sich Mifshandlun* gen schliefsen : so wird in dem von Johannes geschilder- ten Verhöre Jesus nur nach seinen Jüngern und nach sei- ner Lehre gefragt , worauf er sich auf die Öffentlichkeit seines Wirkens beruft, und nachdem er hierüber von ei- nem Diener mifshandelt worden war, wird er, ohne dafs ein Urtheii gefällt wäre , weiter geschickt. Dafs nun aber hienach der vierte Evangelist von dem Verhöre vor Kai- phas nichts Näheres angiebt, ist um so auffallender, da in dem vor Annas, wenn es dieses ist, von dem er erzählt, aeiner eigenen Darstellung zufolge nichts entschieden wor-

I) Paulus, s. s. O. 8. 577» OtsiiArsiw« 8. 244. Dms Üben Jesu 2t« Aajl> 2. ß*nd. 31

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- Dritter Abschnitt

den ist, mithin die Gründe and der Act der Verurthci- ]nng Jesu durch das jüdische Gericht in seinem Evange- lium durchaus fehlen. Diefs aus dem Ergänzungszweck erklaren , heifst dem Johannes ein gar zu verkehrtes Ver- fahren zur Last legen; da, wenn er das (ibergieng, was ■die Andern schon hatten, ohne anzudeuten, dafs er es nur defsvt egen weglasse, er berechnen konnte , dadurch nur Verwirrung, und gegen sich den Schein eines falschen Be- richts , euwege zu bringen. Die Meinung, dafs das Ver- hör vor Annas das Hauptverhör gewesen sei, und defswe- gen das andre übergangen werden dürfe, kann e* auch nicht wohl gehabt haben, da er ja keinen Hesel. lufs, der in jenem gefafst worden wäre, anzugeben weifs 5 wufste er aber endlich das Verhör vor Katphas als das Hauptver- hör, und gab doch keine nähere Auskunft darüber, so ist . auch diefs ein höchst sonderbares Verfahren.

Von selbst ergiebt sich daher der Versuch, in der Darstellung des vierten Evangeliums Spuren davon zu e? t- decken , dafs auch sein Bericht von einem V erhöre bei Kaiphas zu verstehen sei. Die auffallemlste Spur einer möglichen Identität beider Verhöre ist die Identität einer itcbenherspieleiiden Begebenheit, indem auch Johannes, wie die Synoptiker, während des von ihm beschrii b.*nen Ver- lars Jesum von Petrus ver'äugnet werden läfst. Ferner kann es auffallen, dafs, nachdem V. 13. von Annas, als dem nfvÖtQog Kai'uifa, die Rede gewesen, nun eine nä- here Bezeichnung des letzteren , als Urhebers von jenem verbängnifsvollen Barhe, Joh. 11, 50., folgt, wenn doc h so- fort nicht ein von ihm, sondern von dem ersteren vorge- nommenes Verhör erfühlt werden soll. Dann ist auch in der l'eschreihtrri« des Verhörs selbst durchaus vom Palaste und von Fragen iCi uQzuQ'wg die Rede, wie doch Johan- ne« sonst nirg«n!s den Annas, sondern nur den Kaiphas nennt. Dafs aber nun auf diese Weise schon von V. 15.

an von etwas bei kaiphas Vor^e^an^enem die Bede sein

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Dritte« Kapitel. §. 127. 483

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tollte, scheint freilich wegen V. 24. anmöglich, weil es hier erst helfet, Annas habe Jesura eq Kaiphas geschickt, so dals er also bis dahin bei Annas gewesen sein müfsfe. Schnell besonnen setzte man daher zuerst den 24ten Vers dahin, wo man ihn brauchte, nämlich hinter V. 13., and schob die Schuld, dafs er jetzt weh später gelesen wird, auf die Nachlässigkeit der Abschreiber*).' Da jedoefi die^e Umstellung, in ihrer Verlassenheit von kWiischeW Aiicfbri- täten, als willköhrliche Gewalthüffe erscheinen nrufcte, so hat man sofort versucht, ob sich nicht defftotiz V. 24, ohne sie wirklich aus ihrem Orte zu rücken, doch eine solche t Deutung geben liefse, dafs sie dein Sinne nach hin- ter V. 13. zu stehen käme, d. h. man nahm7 das CLtti&iXtv in der Bedeutung eines Plusquamperfekts, und dächte sich, Johannes wolle hier nachholen, was er bei V.* l&V rn be- merken vergessen, dafs nämlich Annas J est/m' Wlsbald zu Kaiphas geschickt habe, folglich das JjesöhrieWne Verhör von diesem vorgenommen worden sei ^).r Da die* allgemei- ne Möglichkeit einer solchen enallage iertpöÜtlh zuzugeben ist, so fragt sich nur, ob sie zu der Eigenthfimlichkeit des gegenwärtigen Schriftsteller* pafst, und im Ziisifmnienhange angedeutet ist. In letzterer Hinsicht konnte nun alleidings der Evangelist, wenn vor Annas nichts Bedeutende* vorgf« fallen war, sich durch die an die Angabe seines Verhält- nisses zu Kaiphas geknüpfte nähere Bezeichnung dieses Letztern verführen lassen, sofort ohne Weiteres zu dem Verhöre des Kaiphas überzugehen , und diesen Ubergang etwa nachträglich, bei irgend einem Ruhepunkte, wie hier nach dem Schlüsse der Verhandlungen des Hohenpriesters mit Jesu, bemerklich zu machen. Ein genau griechisch Schreibender freilich würde in diesem Falle, wenn auch

2) So z. B. Erasmus, z. d. St.

3) So Wime*, N. T. Gramm. §.41, 5; Tmolück und Lücke, z. d. St.

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484 Dritter Abschnitt.

nicht das Plusquamperfectum gebraucht, doch an dem Aoriit durch ein yuo die erläuternde Beziehung auf du« Vorhergehende sichtbar gemacht haben. Unser Evangelist hingegen , bei welchem die Eigenheit der hellenistischen Schriftsteller , dem Geist der hebräischen Sprache gemfif« die Sätze nur lose zu verbinden, besonders ausgeprägt sich zeigt, kann jene Nachholung wohl auch entweder ohne Partikel, oder der gewöhnlichen Lesart zufolge durch öv, Has nicht blofs fortfahrend, sondern auch wiedersuf- nehmend ist *), eingefügt haben. Erzählt hienach auch er diis Verhör vor Kaiphas: so erhellt freilich theils schon aus der Ansicht seiner Darstellung für sich, theils aus ih- rer oben angestellten Vergleichung mit der synoptischen, dafs seine Erzählung nicht vollständig sein kann.

Sind wir hiemit an den Bericht der Synoptiker ge- wiesen, so finden auch unter ihnen, zwischen den beiden ersten nämlich nnd dem dritten, mehrfache Abweichungen statt. Während nach jenen beiden, als man Jesum in den hohenpriesterlichen Palast brachte, die Schriftgelehrten und Altesten bereits versammelt waren, und nun noch in der Nacht über ihn Gericht hielten, wobei zuerst Zeugen auf- traten, dann der Hohepriester ihm die entscheidende Frage vorlegte, auf deren Beantwortung hin die Versammlung Ihn des Todes schuldig erklärte (auch bei Johannes geht das Verhör in der Nacht vor sieb , ohne dafs jedoch von der Anwesenheit des hohen Raths die Rede wfire) : wird nach der Darstellung im dritten Evangelium Jesus die Nacht über im Palaste des Hohenpriesters nur einstweilen verwahrt nnd von der Dienerschaft mifshandelt, bis erst mit Tagesanbruch das Synedrinm sieh versammelt, und nun, ohne dafs vorher Zeugen auftreten, der Hohepriester durch jene entscheidende Präge die Vernrtheilung beschleu- nigt. Dafs nun die Mitglieder des hohen Raths schon in

4) Wiass, Gramm. J. 57, 4.

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Drittes Kapitel. f. 127.

der Nacht, während Judas mit der Wache ausgerückt war, zur Empfangnahme Jesu sich versammelt haben, könn- te Mail unwahrscheinlich finden, and insofern die Darstel- lung des dritten Evangeliums vorziehen wollen, welche« sie erst bei Tagesanbrneh zusammen kommen läfst *) : wenn sieh Lukas nur nicht diesen Vortheil dadurch selbst wie- der entzöge, dafs er die Hohenpriester und Altesten bei der Gefangennehmung im Garten zugegen sein läfst; ein Eifer, der sie wohl anch getrieben haben wörde, sich alsbald nur schleunigen Beschlnfrnahme nusammennuthun. Inde& auch bei Matthaus und Markos ist das seltsam, dafs, naehdesa sie nns das ganze Verhör sammt der Beschlufs« nähme erzählt haben, sie doch noeh (87, 1. und 15, 1.) »•gen : npatag de ytvofihnjg ovfißshov tkaßer* , so dafs es scheint, die Synedristen haben, wenn nicht gar sich am Morgen wieder versammelt, da sie schon die ganze Nacht beisammen gewesen waren, doch jetzt erst einen Beschlufs gegen Jesnm gefafst , der auch nach ihnen bereits in der nächtlichen Versammlung gefafst worden war *) ; wena man nicht sagen will, sn dem bereits gefällten Todes ur- theii sei am Morgen noeh der Beschlufs der Ablieferuns; an Pilatus gekommen: allein diefs verstand sieh naeh da* maligem Rechtszustande von selbst nnd bedurfte keines besonderen Beschlusses. Dafs Lukas nnd Johannes die Ver- handlung mit den %pevdofia(nvQtQ übergehen, ist als eine Lücke in ihrer Darstellung au betrachten. Denn dafs Je- sus den Aussprach vom Abbrach und Aufbau dea Tem- pels (doch wohl ohne die Bestimmung der drei Tage) ge- than, hat bei dem Zusammentreffen von Job. 2, 19. nnd A. G. 6, 14. mit Matthäus nnd Markus alle Wahrschein- lichkeit; dafs man dann aber vor Gerieht jene Äussern*

5) Sa Schlkiirmachm, über den I,«k»i, S. 295.

6) ScauusAMAcaaa, a. s. 0., vgl. ftu.ascas, i. d. St. des Ma Ith.

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4btf Dritter Abschnitt.

a'* Anklagrpunkt ge*ren ihn benutzte, ergab sich von reibst. J)ai Fehle« «lieses v* U htigen Punktes bei Lukas erklärt I^chlei5$ima.cu£3. aus dem I mstande, dpfs der Verfasser die* «e* Stück* in» driften Evangelium zwar vom Garten herein ijeni Zuge, der Jesuin geleitete, gefolgt, vom hoheupr le- serlichen Palast aber mit den meisten Übrigen ausgeschlos- sen worden sei, raUhtn d»»* in diesem Vorgefallene nur vom Jlorensagen erzähle. Allein ein so nahes Verhältnis des .Berichterstatters in diesem Abschnitte des Lukasevange- Jinms zur Thatsache kann , um aus dem Folgenden nichts en antieipiren, auch nur om des Einen Zugs willen von der Heilung dos verwundeten Knechts nicht angenommen Verden. Vielmehr scheint dem dritten Evangelisten die- se Aasspruch nur als Klagartikel gegen Stephanus, nicht g"$en Jesus, dem vierten aber nur als Ausspruch Jesu, flieht auch als Klagartikel gegen ihn, zugekommen zu sein. Weiter ist Über desselben , da er schon früher erläutert Verden mufste, hier nichts mehr zu bemerken Übrig *).

Wie Jesus auf die Aussage der Zeugen nichts erwie- *' rte , fragte ihn den beiden ersten Evangelisten zufolge dur Hohepriester, im dritten Evangelium ohne jene Veran- lassung das Synedrium, ob er wirklich der Messias (der Sohn Gottes) zu sein behaupte? was er nach jenen beiden ohne Weiteres dureh ov tl/iug und tyu> Hin bejaht, und hinzusetzt , dafs sie von jetzt an , oder demnächst ( an Jon), des Menschen Sohn zur Rechten der göttlichen Macht sitzen, and in den Wolken des Himmels kommen sehen vürden; nach Lukas hingegen erklärt er zuerst, dsfs ihn seine Antwort doch nichts nützen werde , fügt Übrigens hinzu, von jetzt an werde des Menschen Sohn zur Rech- ten der göttlichen Macht sitzen, worauf ihn Alle gespannt fragen, ob er demnach der Sohn Gottes sei? was er be-

7) Bd. 1. %. 66. ; Bd. 2, §. 113,

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Dritte* Kapitel. J. 127. 437

jftht. Bier spricht also Jesus die Erwartung aus, durch seinen Tod nunmehr zu der Herrlichkeit des messianischen Sitzens zur Rechten Gottes, nach P-. 110, 1., den er schon. Matth. 22, 44. auf den Messias gedeutet hatte, einzugel.eiu Denn wenn er auch seine messianische Verherrlichung sich Anfangs vielleicht ohne \ ermittlnng durch den Tod ge- dacht hahen mag , weil eine solche Vermittlung in den Vorstellungen der Zeit ihm nicht scheint an die Hand ge- geben gewesen zu sein ; wenn ihm erst spfiter in Folge der Verhältnisse eine solche Ahnung mit allmäMig steigender ISestimrntheit aufzugehen aufieng: jetzt, gefangen, von sei* uen Anhängern ver la*sen , dem erbitterten iSynedrlum ge- genüber, mufste es ihm, wenn er ül erhaupt noch die Über- zeugung von seiner Messianität festhalten wollte, cur Ge- wißheit werden , dafs er zu seiner messianischen Ver- herrlichung nur durch den Tod eingehen könne. Wenn den zwei ersten Evangelisten zufolge Jesus zu dem xa#r— fievov ix deBicJv if4g dwaphwQ noch xal iQxofievov inl roiv veqxlwv BQcevö setzt, so sagt er, wie schon früher, sei- ne baldige Parusie , und zwar hier bestimmt als Wieder- kunft, voraus. Nach Olshaüsen soll das an i'mi des Mat- thäus nur auf xa&Sfitvov x. t. X. bezogen werden, weil es zu tQxdfievov x. t. X. nicht passen würde, indem frieh nicht denken lasse, wie Jesus sich damals schon als demnächst Kommenden habe darstellen können: eine lediglich dogma- tische Bedenklichkeit, welche auf unsrem Standpunkte nicht stattfindet, auf keinem aber die grammatische Aus- legung so weit, wie hier bei Olshaüsen, verderben sollte» Auf die gedachte Erklärung Jesu zerreifst nach Matthäus und Markus der Hohepriester seine Kleider, erklärt Je.su m der Blasphemie für überwiesen, und die Versammlung er- kennt ihn des Todes schuldig; wie auch nach Lukas die Versammelten bemerken , nun brauche es kein weiteres Zeugnifs mehr, da die \erbrecherixche Aus&a^e vuu Jesu selbst vor ihren Ohren gethaii v>orden sti.

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488 Dritter Abschnitt.

An die Verurtheilung schliefe sieh denn bei den beiden ersten Evangelisten die Mißhandlung Jeso, welche Johan- nes, der hier keiner Verurtheilnng erwähnt, nach der Be- rufung Jesu auf die Öffentlichkeit seines Wirkens erfol- gen Jafst, Lukas aber schon vor das Verhör verlegt; wahr- scheinlicher , weil man nicht mehr genau wufste, wana diese Mifshandlnngen vorgefallen waren, als weil sie so verschiedenen Zeiten and anter verschiedenen Verhältnis- sen wiederholt worden wären. Die VerÜbung dieser Mi IV handlangen wird bei Johannes und Lukas ausdrücklich dort einem vnrjQkr^ hier den ävÖQsg owexovzsg %w Y. an- geschrieben ; dagegen müssen bei Markus , wenn er im Folgenden die vni^Qhag von ihnen unterscheidet, die uwig kjcnivovieg einige von den nuvteg sein, welche ihn eben vorher verurtheilt hatten , und auch bei Matthias, der, oh« ne ein neues Snbject au setaen, nur durch tot« r^ano fortfährt, sind es offenbar die Synedristen selbst, welche •Ich jene unwürdigen Handlungen erlauben; was Schleis r- Bf acnbr mit Recht unwahrscheinlich gefunden , and insofern die Darstellung des Lukas der des Matthias vorgewogen bat •> Die Mifshandiung besteht bei Johannes in einem Backenstreich (^a/noy/a), welchen ein Diener , wegen einer Termeintlioh an bescheidenen Rede gegen den Hohenprie- ster, Jeia giebt; bei Matthäus and Markus ist es Ver- •peiung des Angesichts isvimvow sig %6 uqoocotiov avrä), Schläge auf den Kopf and Backenstreiche , wozn, auch nach Lukas, das kam, dafs er bei verhülltem Haupte ge- schlagen und höhnend aufgefordert wurde, seinen messia- »isehen Seherblick durch Angabe des Thiters zn beurkun- den *). Nach Olsbausen hat der Geist der Weissagung

8) a. a. O.

9) Datt Matthäus hier der Verhüllung nicht gedenkt , itt eine Nachlässigkeit seiner Darstellung, du ohne jene Notiz das nqofijTtvaor «. f. i, keinen rechten Sion JmiI.

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Dritte« Kapitel, f. 1*7.

m nicht unter seiner Wflrde gehalten, diese Rohheiten Im Eineeinen vorherzuverkündigen, und sogleich die GemÖths- Verfassung su zeichnen, weiche der Heilige Gottes der uu- belügen Menge entgegenstellte. Richtig wird hiesu Jes. 5 6 f. sngefflhrt (LXX.) : tor viotöv //« dtSioxa t ig /*ac t- tag d& aiayövag /ua dg l>ama/uaiat %6 dk jiqoou iov /<** hm anisQeipa ano mozvvqg tumva^iatutv *.*»*», vgl. Mich. 4, 14, und für die Art, wie Jesus das Alles ertrug, die bekannte Stelle Jes. 53, 7, wo vom Knecht Gottes das Schweigen anter den Mißhandlungen hervorgehoben wird« Aliein , dafs Jes. 50, 4 ff. eine Weissagung auf den Mes- sias sei, ist ebenso gegen den Zusammenhang des Abschnitts, wie bei Jes. 53. ") : folglich mOfste das Zusammentreffen des Erfolgs mit diesen Stellen entweder menschlich beabsich- tigt , oder rein anfällig gewesen sein. So wenig nun die Diener und Soldaten bei ihren Mißhandlungen die Absicht gehabt haben werden, Weissagungen an Jesu in Erfüllung gehen so lassen : so wenig wird man diesem selbst das Affectirte suschreiben wollen, aus dieser Absicht geschwie- gen eu haben; aus dem blofsen Zufall aber ein solches, aller* dings , wie ülshausen sagt, in's Einzelne gebendes , Zusam- mentreffen herzuleiten , ist immer mißlich. So wahrschein- lich es also auch der rohen Sitte jener Zeit zufolge ist, dafs der gefangene Jesus mißhandelt, und unter Andrem auch so mifshandelt worden ist, wie die Evangelisten es beschreiben : so läßt sich doch kaum verkennen , dafs ihre Schilderungen nach Weissagungen gemacht siad, welche man, da Jesus einmal als Leidender und Mißhandelter ge- geben war, auf ihn bezog; ebenso, wie angemessen es auch dem Charakter Jesu ist, diese Mißhandlungen geduldig er- tragen, und unbefugte Fragen mit edlem Schweigen zurück- gewiesen eu haben: so hatten doch schwerlich die Evan- gelisten dieüs so oft und angelegentlich hervorgeho-

10) s. Gsisjiiut; s. d. AWh.

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400 Dritter Abschnitt.

«'.:•• *

ben wenn es ihnen nicht Harum zu thun gewesen wäre,

dadurch A. T.liche Orakel als erfüllt zu zeigen.

§• 128. Die Verleugnung de» Petrus. Bei der Abführung Jesu aus dem Garten lassen die zwei ersten Evangelisten im Augenblick zwar alle Jünger die Flucht ergreifen, doch folgt auch bei ihnen, wie hei den übrigen, Petrus von ferne, und weifs sich mit dein Zuge Eingang in den Hof des hohenpriesterlichen Palast« zu verschaffen. Wahrend den Synoptikern zufolge Petrus allein es ist, der diese Probe von Muth und Anhänglichkeit au Jesum, die ihm aber bald genug cur tiefsten Demüti- gung ausschlagen sollte, ablegt: gesellt ihm das vierte Evnn- geiium den Johannes hei, und zwar so , dafs es dieser ist, welcher durch seine Bekanntschaft mit dem Hohenpriester dem Petrus Zutritt zu dessen Palast verschafft ; eine Ab- weichung, die mit dein ganzen eigenthümlichen Verhältnifs, in welches dieses Evangelium den Petrus zu Johannes setzt, schon früher erwogen worden ist *).

Sümrotlichen Evangelisten zufolge war es in dieser avtf, dafs Petrus , emgeschüchtert durch die bedenkliche Wen- dung der Sache Jesu und die hohenpriesterliche Diener- schaft, die ihn umgab, den entstandenen und wiederholt geäusserten Verdacht , dafs er zu den Anhängern des ver- hafteten Galiläera gehöre, durch wiederholte Versicherun- gen, ihn nicht zu kennen, niederzuschlagen suchte. Doch, wie bereits angedeutet, in Bezug auf den Inhaber dieses Locals kann zwischen dem vierten Evangelium und den

11) Matth. 26, 63. vgl. Markus 14, 61: 6 dk 7. «Wna. Matth. 27, 12 I SShr antntfvaro.

Matth. 27, 14. vgl. Marc. 15, 5: mai «* aitfn^tvaro avnp n^oc

»3$ ev/i.r. c5yf ^avftd^tiv tov rjytftova XCav* LllC. 23» 9: cJrof Sit närv antxnlyaTo auno* Joh. 19, 9 : & 9\ andxQtotv «* iöuxtv ojrw« 1) 1. Bd. §. 73.

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Drittes Kapitel. §. 128. 4Vt

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übrigen eine Abweichung stattzufinden scheinen. Dem

ersten AnhÜck seiner Erzählung nach zu urtheilen , fällt nämlich bei Johannes die erste Verleugnung (18, 17.) wah- rend des Verhörs vor Annas, da sie nach der Notiz, dafs J 'mis zu Annas (V. 13.)) und vor der, dafs er zu Kaiphas geführt worden sei (V. 2-1.), steht, und nur die zwei wei- teren Acte der Verläugnung, sofern sie auf die Erwäh- nung der Abführung zu Kaiphas erst folgen (V. 25—27.), und unmittelbar naeh ihnen die Ablieferung an den Pila- tus erzählt wird (V. 2S.) , scheinen auch nach Johannes während des Verhörs vor Kaiphas , in dessen Palaste, vor- gegangen zu sein. Allein diese Annahme einer Verschie- denheit der Locaiität für die erste Verläugnung und die beiden folgenden, hat in der johanueischen Darstellung selbst ein Hindernifs. Nachdem die erste, schon an der Pforte des Palastes, wie es scheint, von Annas, vorge- fallene Verläugnung gemeldet ist, heifst es, die Diener- schaft habe sich der Kälte wegen ein Kohlenfeuer ange- macht , ijv öt xal fter avicjv 6 ffitQOQ tgwg xul #€p//a*ro— fievog ( V. IS ). VV enn nun später die Erzählung von der zweiten und dritten Verläugnung fast mit den nämlichen Worten : rtv dt Siftviv TliiQog Igiug xtd Oty^anofterog (V. 25.) sich eröffnet : so kann man nicht anders denken, als durch jene erste Erwähnung des Kohlenfeuers , und dafs Petrus zu demselben getreten , solle der Umstand eingeleitet wer- den, dafs die zweite und dritte Verläugnung an diesem Feuer , also nach obiger Ansicht gleichfalls noch im Hause des Annas , vorgefallen sei. Zwar sprechen die Synopti- ker (Marc. V. 54. Luc. V. 55.) auch im Hofe des Kaiphas von einem Feuer, an welchem Petrus (nur hvr sitzend, wie bei Johannes stehend) sich gewärmt habe: doch daraus folgt nicht, dafs auch Johannes im Hofe des regierenden Hohenpriesters ein ähnliches Feuer sich gedacht habe, wie er der bisherigen Voraussetzung zufolge nur bei Annas ei- nes solchen gedenkt. Wer daher die Veriunthung des En-

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49* Dritter Abschnitt.

thymin» eu künstlich findet , dafs die Wohnungen des Annes und Kaiphas vielleicht einen gemeinschaftlichen Hof- raum gehabt, und folglich Petras nach der Abführung Jesu vom emteren com letzteren an demselben Feuer habe ste- hen bleiben können , der nimmt lieber an, die «weite und .dritte Verleugnung sei dem Johannes aufolge nicht nach, sondern eben während der Abfahrung Jesu von Annes Kaiphas geschehen 2). Bleibt somit bei der Voraussetzung, dafs Johannes ein Verhör vor Annas berichte, die Diffe- renz der Evangelien in Besag anf die Örtlichkeit der Ver- leugnung eine totale, so haben die Einen bu Gunsten des Johannes sich dahin entschieden, dafs die versprengten Jünger über diese Seenen nur fragmentarische Nachrich- ten gehabt, und der in Jerusalem nicht einheimische Pe- trus selbst nicht gewufst habe , in welchen Palast er so seinem Unglück hineingekommen war; sondern er, und nach ihm die ersten Evangelisten , haben gemeint , die Verleugnungen seien im Hofe des Kaiphas vorgefallen, was jedoch der in der Stadt und dem hohenpriesterlichen Pa- läste bekanntere Johannes beriohtige *). Allein auch das Unglaubliche zugegeben , dafs Petrus irrig gemeint haben sollte, im Palaste des Kaiphas geleugnet eu haben, so hät- te doch gewifs Johannes, der in diesen Tagen um den Petrus war, seine Aussage gleich damals berichtigt, so dafs jene irrige Meinung sich gar nicht hette fixiren kön- nen. Man könnte daher den umgekehrten Versuch machen» und auf Kosten des vierten Evangeliums den Synoptikern Recht geben wollen : wenn nicht in der Bemerkung des vorigen $., wonach Johannes, nachdem er die Abführung Jesu su Annas biofs erwähnt hat , schon von V. 15. an

t) So ScRLBxsaauoasa, über den Lukas , S. 2S&> Ouuiusxx, 2>

S. 445.

e) So Paulus, a. a. 0. S. 577 f.

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Drittel Kapitel. §. 128. 493

i

von den Vorgängen Im Paläste des Kaiphas spricht, dio Lösung auch dieses scheinbaren Widerspruches läge*

In Bezug auf die einzelnen Acte der Verläugnung stim- men sämmt liehe Evangelisten darin zusammen, dafs es de- ren, gemäfs der Vorhersage Jesu, drei gewesen seien ; aber in der Beschreibung derselben weichen sie von einander ab. Zuerst Orte and Personen betreffend, geschieht nach Jo- hannes die erste Verleugnung bereits beim Eintritt des Pe- tras gegen eine natdioxr} d^vocoong (V. 17.) : bei den Syn- optikern erst im innern Hofrauia , wo Petras am Feuer ■oft , gegen eine natdlaxrj (Matth. V. 6tf f. parail.). Die •weite geschieht nach Johannes (V. 25.) und auch nach Lukas, der wenigstens keine Veränderung des Standpunkts anmerkt (V. 58.) , am Feuer: bei Matthäus (V. 71.) und Markus (V. 68 ff.) , nachdem Petrus in den vorderen Hof {nvhav, nQoavXiov) hinausgegangen war; ferner nach Jo- hannes gegen mehrere, nach Lukas gegen Einen Mann; nach Matthäus gegen eine andere, nach Markus gegen die- selbe Magd, vor welcher er das erstemal geläugnet hatte« Die dritte Verläugnung geschah nach Matthäus und Mar- kus, die keine Ortsveränderung gegen die «weite bemer- ken , gleichfalls im vorderen Hof : nach Lukas und Johan- nes, sofern sie gleichfalls keines Localwechsels gedenken, ohne Zweifel noch im inneren, am Feuer; ferner nach Matthäus und Markus gegen mehrere Umstehende: nach Lukas gegen Einen: nach Johannes bestimmt gegen einen Anverwandten des im Garten verwundeten Knechts. Was fürs Andere die Reden betrifft , welche bei dieser Gele« genheit gewechselt werden , so sind die Anreden der Leute bald an Petrus selbst, bald an die Umstehenden gerichtet, um sie auf ihn aufmerksam su machen, und lauten die bei- den ersten Male siemlich gleich dahin , dafs auch er einer von den Anhängern des eben Verhafteten zu sein scheine; nur bei'm drittenmal, wo die Leute ihren Verdacht gegen Petrus motiviren wollen , gebrauchen sie nach den Synop-

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494 Dritter Abschnitt.

filtern als Beweisgrand seinen galiläischen Dialekt, bei Jo- hannes beruft sich der Verwandte des Malchin darauf, ihn im Garten! bei Jesu gesehen zu haben; wo die erstere .Mo- tivirung ebenso natürlich, als die zweite, s am int der Be- zeichnung dessen, der sie vorbrachte, als eines Verwand- ten jenes Malclius, künstlich und gemacht klingt, um die Beziehung jenes Schwertstreichs auf Petrus recht fest in die Erzählung zu verweben. In den Antworten des Petrus findet die Abweichung statt, dafs er nach Matthäus schon . die zweite, nach Markus erst die dritte, bei den beiden andern gar keine seiner Verleugnungen durch einen Schw ur bekräftigt; bei Matthäus ist dann an der driften Verlang* nung die Steigerung dadurch hervorgebracht, dafs zu dem vinnir noch das y.caavafcfictrutiv gefügt ist, was den an- dern gegenüber allerdings als übertreibende Darstellung erscheinen kann.

Diese so verschieden erzählten Verläugnangen derge- stalt ineinander ein /u schieben , dafs kein Evangelist einer unrichtigen, ja auch nur ungenauen Darstellung beschuldigt werden müfste, war nun ganz ein Geschäft für die liarmo- nisten. Nicht nur die älteren, supranaturalisfischen Aus- leger, wie Bengel, haben sieh diesem Geschäft unterzo- gen, sondern auch neuestens noch hat sich Paulus viele Mühe gegeben, die verschiedenen, von den Evangelisten erzählten Verläugnungsacte in schickliche Ordnung und pragmatischen Zusammenhang zu bringen. Nach ihm ver- iäugnet Petrus den Herrn

1) vor der Pförtnerin (lte Verleugnung bei Johannes) ;

2") vor mehreren am Feuer Stehenden (2te bei Job.):

3) vor einer Magd am Feuer (lte bei den Synoptikern) ;

4) vor einem, der nicht näher bezeichnet wird (2te bei Lukas);

5) befm Hinausgehen in den vordem Hof vor einer Magd (2te bei Matthäus und Markus. Aas dieser Verläugnung müfste Paulus conseauenterweise zwei

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. Dritte» Kapitel. 5. 12«. .495

f ••

machen, da die Magd, welche die Umgehenden auf den Petrus aufmerksam macht, nach Markus dieselbe mit No. 3., nach Matthäus aber eine andere war);

6) vor drm Verwandten des Malchus (dritte bei Joh.) ;

7) vor einem, der ihn nm galilfiischen Dialekt erkennen will (dritte bei Lukas) , weichem sofort

8) mehrere Andere beistimmen, gegen welche sich Pe- trus noch stärker betheuert, Jesum nicht zu kennen (dritte bei Matthäus und Markus).

Indefs dureh solche vom Resnect vor der Glaubwür- digkeit der Evangelisten eingegebene Auseinanderhaltung ihrer Berichte kam man in Gefahr, die noeh wichtigere Glaubwürdigkeit Jesu anzutasten; denn dieser hatte von dreimaligem Verleugnen gesprochen: nun aber soll Petrus, je nachdem man mehr oder minder consequent im Ausein- anderhalten ist, 6 9 mal verleugnet haben. Die filtere Exegese half sich durch den Kanon : abnegalio ad plurca phtritim interrogatiottes facta urio paro.rysmo^ pro vfia tiumeratur*^. Allein auch die Zulässigkeit einer solchen Zählung eingeräumt, so müfsten, da jeder der vier Referen- ten zwischen den einzelnen von ihm berichteten Verleug- nungen meistens grnfsere oder kleinere Zwischenzeiten be- merklich macht, allemal gerade die von verschiedenen Evan- gelisten errahlfen, also eine von Matthäus berichtete mit einer von Markus u. s. f., in Einem Zuge geschehen sein : was eine durchaus willkürliche Voraussetzung ist. Daher hat man sich neuerlich lieber darauf berufen, dafs das ta}g im Munde Jesu nur eine runde Zahl für ein wiederholtes Verleugnen gewesen sei, und dafs Petrus, einmal in die Verlegenheit vermeintlicher Nothlügen versunken, seine Be- theurungen eher gegen 6-7, als blofs gegen drei argwöh- nisch Fragende wiederholt haben möge5). Allein, wenn

4) Bihgicl, im Gnomon.

5) Paulus, a. a. O. S. 578.

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406 Dritter Abschnitt.

man auch nach Lukas (V. 59 f.) die Zeitdistane von der ersten Verlaugnu ng bis zur letzten zu mehr als einer Stun- de anschlagt, so ist doch ein solches Fragen aller Leute an allen Enden und Ecken, und dafs bei diesem so allge- meinen Verdacht Petrus doch frei ausgteng, höchst unwahr- scheinlich, und wenn die Erklärer die Stimmung des Pe- trus während dieser Scene als eine Völlige Betäubung be* schreiben6), so geben sie hiemit vielmehr die Stimmung an, in welche der Leser hineingerath, der in ein solches Gedränge von immer sich wiederholenden Fragen und Ant- worten gleichen Inhalts, dem sinn - und endlosen Fort- schlagen einer in Unordnung gekommenen Uhr vergleich- bar, sich hineinversetzen soll. Mit Recht hat Olshausen die Bemühung, dergleichen Differenzen wegzuschaffen, als eine unbelohnende von der Hand gewiesen : doch sucht er theils selbst unmittelbar darauf an einigen Punkten dieser Erzählung die Abweichungen auf gezwungene Weise aus- sogleichen, theils, wenn er darauf besteht, dafs gerade drei Verla'ugnungen vorgefallen, so hat doch wieder Pau- lus das Richtigere gesehen, wenn er das absichtliche Be- streben der Evangelisten bemerklich macht, eben eine drei« fache Ablaugnung herauszubringen. Dieses Streben haben sie zunächst mit Rücksicht auf die Vorhersagung Jesu : allein, dafs dieser gerade so bestimmt von drei VerlÜugnunga- fallen gesprochen haben sollte, ist ebenso unwahrschein* lieb, als dafs er, wenn er den Ausdruck : i^-, gebrauchte, diefs blofs sprfleb wörtlich gemeint habe. Sondern beide Dreizahlen sind wohl auch hier, wie sonst so oft, in der Sage entstanden, so dafs, was an jenem Abende vielleicht zu wiederholten Malen (nur nicht 8 9 mal) vorgekommen war, auf dreimal nxirt, und demgemttfs auch Jesu eine Vorherverktindigung eben dieser Zahl von Verllugnungen In den Mund gelegt wurde.

6) Hais, Geschichte Jesu, 2, S. 343«

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Dritte« Kapitel. §. 128

497

Den Endpunkt und gleichsam die Katastrophe der ganzen Verlüugnungsgeschichte führt nach allen Bericht > n der Vorhersagung Jesu geinäls das Krähen des Dahns her- bei. Mach Markus kräht derselbe schon nach der ersten Verläugnung (V. 68.), und dann nach der dritten zum ewei- teitinal i bei den übrigen nor Einmal , nach dem letzten Ver- läugnungsact. Während mit diesem Datum Johannes sei- ne Darstellung bescbliefst, fügen Matthäus und Markus noch hinzu, da(s Petrus bei dem Hahnenschrei sich der Yoraussagung Jesu erinnert und geweint habe; Lukas aber hat die eigentümliche Ausführung, dafs bei m Krähen des Hahns Jesus sich umgewendet , und den Petrus angesehen habe , worauf dieser , der Voraussage Jesu eingedenk , in bitteres Weinen ausgebrochen sei. Da nun aber nach den beiden ersten Evangelisten Petrus nicht in demselben Lo- cal mit Jesu, sondern i^w (Matth. V. 69.) oder xdtw (Marc. V. 66.) iv tfi ctvlfj, also Jesus innen oder oben im Palaste war, so mufs man fragen, wie denn Jesus die Verla ugnun- gen des Petrus habe mit anhören, und hierauf ihn ansehen können? Auf das Letztere bekommt man gewöhnlich die Antwort, Jesus sei jetzt eben aus dem Palaste des Annas in den des Kaiphas abgeführt worden, und habe im Vor- übergehen den schwachen Jünger bedeutend angesehen 7), Allein von einem solchen Abführen weifs Lukas nichts; auch lautet sein gQcuftit; 6 KvQiog ivißleipt rrp TletQ(\> nicht sowohl, wie wenn Jesus im liehen, als wie wenn er, abgewendet ttehend, sich nach Petrus umgesehen hätte; endlich aber ist durch jene Voraussetzung noch nicht er- klärt, wie Jesus zur Kenntnifs von den Verläugnungen des Jüngers gekommen war, da er bei dem Getümmel die- ses Abends doch nicht wohl, wie Paulus meint, im Zim- mer den auf dem Hofe lautredenden Petrus hören konnte. Freilich findet sich jene ausdrückliche Unterscheidung des

7) Paulus und Olshauskn, z. d. St. Schxiiikmachir, a. a. O. S. 289* Das Leben Jesu ItcAufl. 11. Band. 32

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I

49S Dritter Abschnitt.

Ortes, wo Jesus, von dem, wo Petrus war, bei Lukas nicht, sondern nach ihm könnte auch Jesus einige Zeit im Hofe sich haben aufhalten müssen : allein theils ist hier die Darstellung der andern an sich wahrscheinlicher, theils macht auch die eigene Erzählung des Lukas von den Ver- läugnungen von vorne herein nicht den Eindruck , als ob Jesus in unmittelbarer Nähe gewesen wäre. Man hätte sich übrigens die Hypothesen zur Erklärung jenes Blickes ersparen können, wenn man auf den Ursprung dieses Zuges einen kritischen Blick gerichtet hätte. Schon die Unklar- heit , mit welcher der in der ganzen früheren Verhandlung hinter die Scene gerückte Jesus hier auf einmal einen Blick in dieselbe wirft, hätte, zusammengenommen mit dem Still» schweigen der (übrigen Evangelisten, ein Fingerzeig sein sollen , wie es mit dieser Notiz steht. Dann, wenn hinzu- gesetzt wird , als Jesus den Petrus anblickte , habe sich die- ser des Wortes erinnert, welches Jesus früher über seine , bevorstehende Verläugnung zu ihm gesprochen hatte: so härte man bemerken können, wie der Blick Jesu nichts Andres ist, als die zur äussern Anschauung gemachte Er- innerung des Petrus an die Worte seines Meisters. Zeigt Hie hierin einfuchste johanneische Erzählung nur objectiv das Eintreffen der Verheifsung Jesu durch das Krähen des Hahnes an ; fügen die zwei ersten Evangelisten hiezu auch den subjectiven Eindruck , welchen dieses Zusammentref- fen auf den Petrus machte: so wendet Lukas diefs wieder objectiv, und läfst die schmerzhafte Erinnerung an die Worte des Meisters als einen durchbohrenden Blick von diesem in das Innere des Jüngers dringen.

§. 129.

Der Tod det Verräthers.

Auf die Nachricht, dafs Jesus zum Tode verurtheüt •ei, läfst das erste Evangelium (27, 3 ff.) den Judas , von Reue ergriffen , zu den Hohenpriestern und Altesten eilen,

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Drittes Kapitel. §.120. m 499

um die 30 Silberlinge, mit der Erklärung, dafs er einen Unschuldigen verrat hon hatte , ihnen zurückzugeben. AU aber diese höhnisch alle Verantwortlichkeit für jene That auf ihn allein schieben: geht Judas, nachdem er das Geld im Tempel hingeworfen, von Verzweiflung getrieben, weg,' und erhängt sich. Die Synedristen hierauf kaufen um das von Judas zurückgegebene Geld, welches sie als Blutgeld nicht in den Tempelschate legen zu dürfen glauben , einen Töpfersacker, cum Begräbnifs für Fremde. Hiezu bemerkt der Evangelist zweierlei : erstlich, dafs eben dieser Art der Erwerbung wegen das Grundstück bis auf seine Zeit Blut- acker genannt worden sei, und zweitens, dafs durch di<- ■eu Gang der Sache eine alte Weissagung sich erfüllt ha- be. — Wahrend die übrigen Evangelisten über das Ende des Judas schweigen, finden wir dagegen in der Apostel- geschichte (1, 16 ff.) einen Bericht über dasselbe , welcher von dem des Matthäus in mehreren Stücken abweicht. Petrus, wo er die Ergänzung der apostolischen Zwölfzahl durch die Wahl eines neuen Mitgliedes in Autrag bringt, findet angemessen, zuvor an die Art, wie die Lücke im Apostelkreise entstanden war, d.h. an den Verrath und das Ende des Judas, zu erinnern, und sagt in letzterer Bezie- hung , der Verrather habe für den Lohn seiner Sc Ii and that ein Grundstück sich erworben , sei aber jählings herabge- stürzt , und mitten entzweigeborsten , so dafs alle Einge- weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor- den, dxt?.dufttc , d. h. Blutland, geheifsen. Wozn dann der Referent den Petrus bemerken iäfst, dafs dadurch zwei Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien«

Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte Abweichung statt: die eine Über die Todesart des Judas, die andere darüber, wann und von wem das Grundstück erworben worden sei. Was das Erstere betritit, so ist es nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Veiv

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5o0 Dritter A tisch nitt.

swciflnng Hand an sieh legt: wogegen in der A. G. von keiner Reue des Verrät her 8 die Hede ist, und sein Tod nicht als Selbstmord , sondern als zufälliger , oder naher Tora Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint; ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er- sieh den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist es ein Stur/, der durch ein grafsliches ttersten des Lei- bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thatig von jeher die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu- gleichen , mag man bei Süiceb ») und Kuinöl nachlesen : hier tollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer- den, üa die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsitz in den Worten amjy^ato hei Matthäus, und 7C(tr^rtg ytv6^tvog bei Lukas hat : so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu ziehen wäre, üiefs hat man mit än^aco auf verschie* dene Weise versucht , indem dieses Wort bald nur die Beängstigungen des böaen Gewissens 2), bald eine Krank- heit in Folge derselben3), bald jeden aus Schwermuth und Verzweiflung gewählten Tod bedeuten sollte*); wozu dann erst das nor^g yevotuevog x. x, 1. der Apostelgeschichte das Genauere nachbringe, dais die Todesart, zu welcher den Judas das böse Gewissen und die Verzweiflung trieb, der Sturz von steiler Hohe herunter gewesen sei. Andere haben umgekehrt das /ty/;»^,* yav6tuevog dem unryZaio an- zupassen gesucht, in der Art, dafs es nichts Anderes aus- drücken sollte , als dasjenige als Zustand, was das untj^ajo als Handlung : wenn dieses durch se suspetuiit , so sollte jenes durch suspetisus übersetzt werden 6). Der otlenba-

1) Thesaurus, s. v. ändyxu.

2) Grotujs.

3) Hkiasius.

4) Pkrizomus.

5) So die Vulgata und Erasmus. S. gegen alle diese Deutungen Kuijnöl, in Matth, p. 743 ff.

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Drittes Kapitel. $.129. 501

ren Gewaltsamkeit dieser Versuche gegenüber haben An- dere mit Schonung der natürlichen Bedeutung der beider, seitigen Ausdrücke die abweichenden Berichte durch die Annahme vereinigt, dafs Matthäus einen früheren, die A. (i. einen späteren Moment in dem Hergang bei dem Ende 'des Judas berichte. Und zwar hielten einige der filteren Er- klärer beide Momente so weit auseinander, dafs sie in dem an^y^aro nur einen mißlungenen Verbuch rem Selbstmord sahen , welchen Judas, indem der ßaumast, an den er sich hängen wollte, sich bog, oder aus sonst einer Ursa-> che, überlebte, bis ppflter die Strafe des Himmels durch das nQtpijg y wo m trog ihn ereilte s). Allein , da Matthäus sein anqyj-ctTO offenbar in der Meinung und Absicht setzt, von dem Verräther das Letzte zu berichten: so hat man in neuerer Zeit die beiden Momente, in deren Bericht sich das erste Evangelium und die A. 6. theilen sollen, näher zusammengezogen, und angenommen, Judas habe sich auf einer Höhe an einem Baume aufhängen wollen, da aber der Strick rifs, oder der Baumast brach, sei er Über schrof- fe Klippen und spitze Gesträuche, die [seinen Leib zer- fleischten, bis ins Thal heruntergestürzt 7). Doch schon der Verfasser einer Abhandlung über die letzten Schicksale des Judas in Schmidts Bibliothek8) hat es auffallend ge-

6) Oekumenius z. A. G. i : ö *I*iSac ** tvanrtari r| Jf/rfrft alf }7reß(t*-t uttrtvtx9^^ nH° r" on ovvty^vat. Vgl. Theophy- lakt zu Matth. 27, und ein Schol. ItinoltraQt* bei Matthaki.

7) -So, nach Casauroitos, Paulus, 3, b, S. 457; KuijsHl, in Matth. 747 f., und mit halber Beistimmung Olshausen , 2, S. 4S5 f. Selbst Kritische ist durch den langen Weg bis zu diesen letzten Kapiteln des Matthäus so matt gemacht, dass er sich bei dieser Ausgleichung beruhigt, und unter Voraussetzung derselben behauptet , da*s die beiden Ucrithte amicissime conaptriren.

8) 2. Bd, 2. Stück, S. 248 f.

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502 Dritter Abschnitt.

fanden , wie getreulich sieh nach dieser Annahme die bei- den Erzähler in die Nachricht geheilt haben müfsten , in- dem nieht etwa der eine das Unbestimmte, der andere das Bestimmtere berichte, sondern beide erzählen bestimmt, nttr der eine den ersten Theil der Begebenheit ohne den «weiten , der andere den zweiten , ohne den ersten zu be- rühren, and H\se behauptet mit Recht, beide Berichter- statter haben jeder nur den von ihm aufgenommenen That- bestand gekannt , da sie sonst die andere Hälfte nicht hät- ten auslassen können *).

Nachdem wir so an der ersten Differenz die Vereini- gungsversuche haben scheitern sehen , fragt sich nun , nb die andere, die Erwerbung des Grundstocks betreffende, sich leichter beilegen läTst. Sie besteht darin, dafs bei Mat- thäus erst nach des Judas Entleibung die Synedristen für das von ihm zurückgelassene Geld einen Acker (uud zwar von einem Töpfer eine Bestimmung, die in der A. G. fehlt) erkaufen: wogegen nach der A. G. Judas selbst noch das Grundstück für sich erwirbt, und auf demselben vom jähen Tode ereilt wird ; so dafs nach diesem Bericht das Grundstack von dem darauf vergossenen jBlute des Verräthers , nach jenem von dem am Ka ufpreif s desselben klebenden Blute Jesu , ayQog oder yrioQtov at'uarog genannt worden zu sein scheint. Hier ist nun die Ausdruckswei- se des Matthäus so bestimmt, dafs an ihr nicht wohl zu Gunsten der andern Nachricht gedeutelt werden kann: wohl aber hat das ixv^acczo in der A. G. eingeladen, es nach Matthäus umzudeuten. Durch den Verrätherlohn, soll die Stelle der A. G. sagen wollen, erwarb er einen Acker: nicht unmittelbar, sondern mittelbar , indem er durch die Zurückgabe des Geldes Veranlassung zum Ankauf eines Grundstücks gab ; nicht für sich , sondern für das Syn e- drium oder das allgemeine Beste 10). Doch so viele Stei-

9) L. J. §. 132.

10) s. Kwtiöl, in Matth, p. 748.

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Drittes Kapitel. $.129. 50»

len man auch aufführen mag, in welchen das xiüadxxi in der Bedeutung: für einen Andern erwerben: vorkommt, so mufs doch in diesem Falle nothwendig die andre Per- son, für welohe einer erwirbt , angegeben oder angedeutet sein , und wenn diefs , wie in der Stelle der A. G. , nicht der Fall ist, so bleibt es bei der Bedeutung: für sich selbst erwerben11)* Diefs hat Paulus gefühlt, und daher der Sache die Wendung gegeben, von Judas, der durch den schauderhaften Sturs auf eine Leimengrube der Anlafs ge- worden sei , dafs dieses Grundstück den Synedristen ver- kauft wurde, habe Petrus wohl ironisch sagen können, er habe noch im Tode durch den Fall seines Leichnams ein schönes ßesitzthum sich angeeigi et 1S). Doch diese Deu- tung ist theils an sich geschraubt, theils zeigt das ytvq&r— toi rj mavXig avtö tQtytog, welches der Petras der A. G. im Folgenden aus den Psalmen anführt, dafs er sich das Grund- stück als wirkliches Eigenthum des Judas gedacht habe, wel- ches zur Strafe durch seinen Tod verödet worden sei.

Da sich hienach weder die eine noch die andre Dif- ferenz auf gütlichem Wege ausgleichen iäfst, so hat schon Salmasius eine wirkliche Abweichung der beiden Berichte zugestanden, und Hase glaubt diese Erscheinung, ohne den apostolischen Ursprung der beiden Angaben zu gefähr- den, aus der gewaltigen Bewegung jener Tage erklären zu können, in welcher nur das Factum des Selbstmords von Judas bekannt geworden, über den näheren Hergang des- selben aber verschiedene Gerüchte geglaubt worden seien. Allein in der A. G. ist von einem Selbstmorde gar nicht die Rede, und dafs nun zwei Apostel , wie Matthäus und Petrus , wenn das erste Evangelium von jenem , die Rede in der A. G. aber von diesem herrühren sollr Über den in ihrer nächsten Nähe erfolgten Tod ihres ehmaligen Mit-

11) s. Schmidt*» Bibliolh. a. a. Ö. S. 251 f.

12) Faulls, 5, b, S. 4$7 f. rhiizicii*, p. 799.

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504 Dritter Abschnitt

apostets so tehr !m Dankein geblieben wären, dafs der ei- ne ihn einen zn fälligen , der andre eines selbstgewählten Todes sterben liefs, ist schwer na glauben. Da(ä daher nur eine der beiden Relationen als apostolisch festgehalten werden könne, hat der Verfasser der schon erwähnten Ab- handlung in Schmidt \s Bibliothek richtig eingesehen. Und zwar ist er bei der Wahl zwischen beiden von dem an nnd für sich richtigen Grundsätze ausgegangen , dafs die minder auf Verherrlichung eingerichtete Erzählung die glaub- würdigere sei; wefswegen er denn der Darstellung der A. 0., welche den verherrlichenden Zug der Rene des Judas und seines Bekenntnisses von Jesu Unschuld n?cht hat , vor der des ersten Evangeliums den Vorzug gieht Doch wie es immer ist bei zwei sich widersprechen den Berichten, dafs der eine den andern nicht nur durch sein hen ausschliefst, sondern auch durch sein Fallen miterscUrtt- tert : so haben wir auch hier, wenn diejenige Darstellung der Sache, welche das Ansehen desApostels Matthäus für sich gel- tend saacht, aufgegeben ist, keine Bürgschaft mehr für die andere, welche sich dem Apostel Petrus in den Mund legt.

Dürfen wir somit beide Berichte auf einen Fufs be- handeln, nämlich als Sagen, von welchen erst auszumachen ist, wie weit 'ihr geschichtlicher Kern , und wie weit das traditionell Aufgetragene geht: so müssen wir, um hier- über in s Klare zu kommen , die Anhaltspunkte betrach- ten , an welche die Erzählungen sich knüpfen. Hier zeigt sich ein beiden gemeinsamer , neben zwei andern , deren einen jede für sich eigen hat Gemeinschaftlich ist bei- den Relationen das Datum , dafs es in oder bei Jerusa- lem ein Grundstück gegeben habe, das aygog oder yv)Qlov alfunog, in der Ursprache nach der Angabe der A. G. uxelfictud , hiefs. Da in dieser Notiz zwei sonst so ganz auseinandergehende Berichte zusammentreffen, und Über- diefs der Verfasser des ersten Evangeliums sich darauf beruft, dafs noch zu seiner Zeit jener JName des Ackers

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Drittes Kapitel. §. 129. 505

vorhanden gewesen sei: so darf die Existenz eines so be- nannten Grundstücks wohl nicht bezweifelt werden. Dafs es eine wirkliche Bczienung auf den Verräther Jesu ge- habt habe, ist schon weniger gewifs, da ansre beiden Re- lationen diese Beziehung verschieden angeben: der eine den Judas selbst das Gat erwerben, der andere es erst nach seinem Tod um die 30 Silberlinge gekauft werden läfst. Wir können daher nur so viel sagen, dafs die ur- christliche Sage jenem Blutacker frühzeitig eine Beziehung auf den Verräther gegeben haben mtifs. Warum aber in verschiedener Weise, davon ist der Grund in dem andern Anhaltspunkt unsrer Erzählungen zu suchen, in den A.- T. liehen Stellen nämlich, welche die Iteferceten, feder übrigens andere , als erfüllt durch] das Schicksal des Judas anführen.

In der Stelle der A. G. wird Ps. 69, 26. nnd Ps. 109, 8. in dieser Weise angeführt. Der letztere ist ein Psalm, wel- chen die ersten Christen aus den Juden gar nicht umhin konnten, auf das Verhfiltnifs des Judas tn Jesu zu bezie- ben. Denn nicht nur spricht der Verfasser (angeblich Da- vid, ohne Zweifel aber ein weit späterer '*)) von vorne her- ein von solchen, die falsch und giftig wider ihn reden, and ihm für seine Liebe Hafs zurück geben, sondern von V. 6. an, wo die Verwünschungen angehen, wendet er sich gegen eine einzelne Person, so dafs die jüdischen Aus- leger an Dofig, Davids Verla um der bei Sani , dachten, und ebenso natürlich die Christen an den Judas. Ans diesem Psalm ist hier derjenige Vers herausgelesen, welcher, von der Übertragung des Amts an einen andern handelnd, gana auf den Fall des Judas zu passen schien. Der andre Psalm redet zwar unbestimmter von solchen , die den Verfasser ohne Ursache hassen und verfolgen: doch Ist er, ebenfalls angeblich Davidisch , dem andern an Inhalt und Manier so

13) S. DK Witts, z. d. Ps.

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506 / Dritter Abschnitt

ähnlich, dafs er alt Parallele zu jenem gelten, and wenn aus jenem, dann auch auf diesem Verwünschungen auf den Verräther angewendet werden konnten Hatte nun

Judas wirklich am seinen Verräthersold ein Gut gekauft, welches hernach wegen seines auf demselben erfolgten gräflichen Endes öde liegen blieb: so ergab es sich von selbst, aus diesem Psalm gerade diejenige Stelle, welche den Feinden Verödung ihrer tnavlig anwönscht, auf ihn zu beziehen. Wie es jedoch, bei der Abweichung des Mat- thäus, zweifelhaft ist, ob Judas selbst sich jenes Grundstück erkauft habe and auf demselben verunglückt sei: so war auch schwerlich den Juden das Stück Land, auf welchem der Verräther Jesu geendet hatte, so abscheulich, am es als Blutland öde liegen zu lassen ; sondern diese Benen- nung hatte wohl einen andern, nicht mehr an ermittelnden, Ursprang gehabt, and die Christen haben sie in ihrem Sin- ne umgedeutet; so dafs wir nicht aas einem wirklichen Besitzthnm des Judas die Anwendung der Psalmstelle and die Benennung jenes öden Platzes, sondern aus diesen bei- den Momenten die Sage von einem Besitze des Judas ablei- ten müssen. Waren nämlich die genannten beiden Psal- men einmal auf den Verräther Jesu bezogen, und in de- ren einem ihm Verödung seiner mavXig (LXX) gewünscht: so mufste er vorher im Besitz einer solchen gewesen sein, und diese, dachte man sich, wird er wohl am den Lohn seines Verraths erkauft haben. Oder vielmehr, dafs man aus jenen Psalmen gerade die Verödung der inavXig be- sonders hervorhob, scheint in der nahe liegenden Voraus- setzung seinen Grund gehabt zu haben, dafs eben an et- was, das er sich um sein Sündengeld erworben, der Fluch sieh geäussert haben werde: der Mittelpunkt des Erwerblichen

14) Auch sonst im N. T. sind Stellen dieses Psalms messianisch angewendet, wie V. 5. Joh. 15» 25.; V. 10. Joh. 2, 17., und Job. 19, 28 f. wahrscheinlich V. 22.

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Drittes Kapitel. §. 129. 507

»her unter Hern« wat die gedachten Psalmen aufführen, ist

die enavltg. Dieser Wendung der Sache kam nun auf er- ' wünschte Weise das in der Nähe Jerusalem« gelegene axfl- ^ctua entgegen, welches, je weniger man den wahren Ur- sprung seiner Benennung und des an ihm haftenden Ab- sehens kannte, desto leichter sich dazu hergab, von der urchristlichen Sage für sich verwendet, und als die Snav- ).tg rjQTjjnotfi&VT] des Verrfithers betrachtet zu werden«

Statt dieser Psalmstellen führt das erste Evangelium als erfüllt durch das endliche Benehmen des Judas eine Stelle angeblich aus Jeremias an, für welche sich aber nur bei Zacharias, 11, 12 f. , etwas Entsprechendes findet, wefswe^en man jetzt ziemlich allgemein eine Verwechslung der Namen von S"iten des Evangelisten voraussetzt '•). Wie Matthäus durch den Grundgedanken dieser Stelle einen unbillig geringen Preifs fflr den im Orakel Redenden xn einer Anwendung auf den Verrath des Judas, der nm ein schnödes GpM seinen Meister gleichkam verkauft hatte, sich veranlafst finden konnte, ist schon oben auseinander- gesetzt *')• Nun war in der Prophetenstelle dem Urheber des Orakels von Jehova befohlen, das schlechte Geld, womit er abgelohnt worden war, in das Gotteshaus, sind zwar »ffftPj'Sitf «o werfen, und er bemerkt, dafs er diefs ge*

fhan habe. Der Hinwerfende fst im Orakel dieselbe Per- son mit dem Sprechend» also mit dem des geringen Prei- ses werth Geachteten, weil hier iJasGeld nicht Kaufpreis sondern Lohn ist, folglich eben von dem so niedrig Ange- schlagenen eingenommen wird, und nur von diesem wieder hingeworfen werden kann : in der Anwendung des Evan- gelisten dagegen, wo das Geld ein Kanfpreifs ist, war ein anderer als der so gering Angeschlagene al* derjenige zu

denken , welcher das Geld eingenommen uml wieder hin-

15} Doch andere Vermutungen bei Küiköi, z. d. St. 1b) §. 118.

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Dritter Abschnitt.

geworfen habe. War der am so geringen Preifs Verkaufte Jesus : ao konnte der, welcher das Geld eingezogen hatte and wieder hinwarf, nur sein Verrather sein. Daher heifst es nun von diesem, er habe die aQyvQia iv tu> va$ hinge- worfen, entsprechend dem ffjpp JTJ Snk ?pS&gtJ in der Pro« . phetenstelle. obwohl gerade diese Worte in der höchst ent- stellenden Anführung des Matthfius fehlen. Nun aber stand neben dem TV\JT JTJ » wohin das Geld geworfen worden war, noch der Beisatz: •TCVnStf« Die LXX. übersetzt: eig to xtovEüvriotoV) in den Schmelzofen; jetzt vermothet min snit Grund, es sei nS^rrStf« in den Schatz, zu lesen l7); der Verfasser onsres Evangeliums blieb bei der wörtlichen Übersetzung durch xeQa/Aft'g. Was aber der Tüpfer hier than, warum ihm das Geld gegeben werden sollte, mufste ihm zunächst ebenso unverständlich sein, wie uns, wenn wir bei der gewöhnlichen Lesart bleiben. Non fiel ihm aber der Blutacker ein, welchem, wie wir ans der A. G. sehen, die christliche Sage eine Beziehung auf den Judas gegeben hatte, und so ergab sich die willkommene Combination, je- ner Acker sei es wohl gewesen, für welchen dem xfQaiitvg die 30 Silberlinge erlegt werden inufsten. Da aber der Töpfer nicht im Tempel zu denken war, und doch laut der Prophetensteile die Silberlinge in den Tempel gewor- fen worden waren: so wurde das Hinwerfen in den Tera- pel von dem Abgeben an den Töpfer getrennt. Mufste je- nes dem Judas zugeschrieben werden, hatte er also einmal das Geld aus der Hand gegeben: so konnte nicht mehr er selbst das Grundstück von dem Töpfer kaufen, sondern diefs mufsten mit dem hingeworfenen Gelde Andere H-un. Wer diese gewesen sein mufsten, ergab sich von sei bat :

17) Hitzig, in Ullmakk's und Umhrkit's Studien, 1830, 1, S. 35. übsbkius, im Lex., vgl. Rosxkmullsr's Scholia in V. T. 7, 4, S. 320 ff.

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Drittes Kapitel. §. 12».

warf Jin! hs das (ield bin, so wird er es denen hingewor- fen haben, von welchen er es erhalten haue; v*arf er es in den Tempel, so fiel es dessen Vorstehern in die Hände, auf beide Weise also den Synedristen. Der Zweck , wei- chen diese bei dem Ankaufe des Grundstücks gehabt haben mufsten, ergab sich vielleicht aus der wirklichen Benützung jenes öden Plaues. Sollte endlich Judas den Lohn seines Verraths von sich geworfen haben : so konnte diefs, mufste man sch Uelsen, nur aus Reue geschehen sein. Den Judas Reue zeigen zu lassen, und so dem Verräther selbst ein Zeugnifs für die Unschuld Jesu abzugewinnen, lag ohne- hin der Vorstellung der ältesten Christengemeinde ebenso nahe , oder vielmehr noch näher , als es ihr lag, den Pila- tus sich bekehren, und selbst den Tiberius im romischen Senat auf Vergötterung Jesu antragen zu lassen 18). Wie; wird sich nun aber die Reue des Judas ferner geäussert haben? Dafs er sich zum Guten zurückgewendet hätte, davon wufste man nicht nur nichts, sondern es war auch für den Verräther viel zu gut: folglich wird die Reue in ihm zur Verzweiflung geworden sein, und er das Ende des aus Davids Geschichte bekannten Verräthers Ahitophel ge- nommen haben , von welchem es 2. Sam. 17, 23. heilst : ivLsrj *al unrldtv xal unt^ato, wie von Judas hier:

Eine auf den Papias zurückgeführte Überlieferung scheint sich mehr nur au die Relation der Apostelgeschichte anzu-

18) Tertull. Apologet, c. 21 : Ea omnia super Christo Pilatus, et ipse jam pro Atia conscientia Christianus , Caesari tum 77- berio nunciavit. c. 5 : Tiberius ergo , cujus tempore noinen C/iristianum in seculum introiity annunciatum sibi ex Sjria Palacstina , quod illic veritatem illius Livinitatis revctaverat , detulit ad Senatum cum praerogativa sußragii sui. Senatus, quia non ipse probaverat, respuit. Weiteres hierüber findet man gesammelt bei Fabricius, Cod. Apocr. N. T. 1, p. 214 ff. 298 ff. } vgl. 2, p. 505.

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510 Dritter Abschnitt.

schliefgen. Okumenius führt au& dein genannten Traditio- nensammler an, Judas sei zum abschreckenden \U isjiiele der Gottlosigkeit dermafsen am Leibe aufgeschwollen, dafa er, wo ein Wagen durchfahren konnte, nicht mehr durchkam, und endlich, von einem Wagen gequetscht, zerborst und alle Eingeweide ausschüttete "> Die letzte Angabe ist ohne Zweifel ein Mißverstand der alten Sage ; denn der durch- fahrende Wagen war ursprünglich in keine unmittelbare Berührung mit dem Leibe des Judas gebracht, sondern nur als Mafs für dessen Dicke gebraucht, und diefs wurde > | Jä- ter irrig so aufgefafst, als ob ein vorüberfahrender Wagen den aufgeschwollenen Judas zerquetscht hätte. Wirklich finden wir daher nicht allein bei Theophylakt und in einem alten Schulion 20) ohne bestimmte Zurückftthrung auf den Papias, sondern auch in einer Catene mit genauer Anfüh- rung seiner igqyroeig, die Sache ohne jenen Zusatz erzählt 21). Das ungeheuere Anschwellen des Judas, von welchem in

59) Oecumen. ad Act. 1. : tSto öl aaffafo» igoqtT Jlcmiag, 6 *ltadrrm rS a7\oq6Xn /ua&qrrjs fitya aotßtCaq vndSnyua ?r t*tw tm xoopy nt^ndrtjatr yUSa9. JIe>jo&ttt y«e roaSror t9V. oaqxa,

httti&u, &gi to iyxara avrS i**WwMpw, * 20) 8. oben Anm. 6.

81) In MOktkr's Fragm. Fatr. 1, p. 17 ff. Die Stelle lautet übri- gens tehr ähnlich der des Ockumenius, und überbietet sie zum Theil noch: rSro St aaVf'gteor igofl Henimg, 6 VwcVr»

Zdyar piya 9k aotfitiaf CndSsty^a tV w'rw t«3 xda^o ntQitna-

&fr &ua$al>uäiui; AtSexirai, ixtlror Suyao&ai StiZPilv, aZZa fitjSt avror fi6ror rov Syxor rfc xtfaZtje avrS' ra fth yoQ /SZt'<paea Tür oy9aZfiwr avxS (Cod. Venet. : tpaal jooStov Itot^oat, «Sc avro* plr xatfo'2* to yeug flZtnuv) fao lar^ Stdnrea{

ifdfrm* Sdraotat x. t. 2- Ahra noZZas S* ßaadrst xa\ TAfimtfme

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Drittes Kapitel. §. 129. ^ 511

diesen Stellen die Rede ist, sollte wohl ursprünglich nnr eine Erklärung für das Zerplatzen und Ausschütten der Eingeweide sein, und ebenso könnte man die Wassersucht, in welche Theo- phylakt ihn verfallen läTst, wiederum nur als eine Erklärung dieses Anschwellens betrachten : indessen, wenn man in dem, A. G. 1, 20. auf den Judas angewendeten Ps. 109. unter an- dern Vorwürfen auch den liest: 'Q-Jp^l (nSSj?) K^H]

LXX : ugfjtötv xardQa) wgti vöwq eig td iyxaia avtS (V. 18.): so könnte doch möglicherweise die vioog vötQixrj auch aus dieser Stelle geholt sein ; wie der Zug der monströsen Beschreibung, welche der angebliche Papias von dem Zustan- de des Judas macht, dafs er nämlich wegen ungeheuren An- schwellens der Augenlieder das Tageslicht nicht mehr habe se- hen können, an V.24. des andern Judaspsaims erinnern dürf- te, wo unter den Verwünschungen namentlich auch die vor- kommt : ox<nio$itzü)Qav oi ikp&aXpot avtwv itr4 flUnuv, eine Verhinderung am Sehen, welche, einmal den ge- schwollenen Leib des Judas vorausgesetzt, als Züsch wellen der Augenlieder sich gestalten mufsle. Hat so die an A. G. 1. sich anschliefsende Tradition ihre Ansicht von dem Ende des Judas hauptsächlich nach Ausdrücken der be- zeichneten beiden Psalmen weitergebildet, und ist in jener Steile der A. G. selbst die Angabe von dem Verbaltnif» des Judas zu dem Landgut ebendaher entnommen: so liegt die Vermuthung nicht allzufern, dafs auch schon, was die A. G. über das Ende des Verräthers sagt, aus derselben Quelle geflossen sein möge. Dafs er eines frühzeitigen Todes ge- storben, kann historisch sein : aber auch wenn nicht, so war ein früher Tod schon Ps. 109, in demselben 8ten Verse, welcher die Verleihung der intoxonr) an einen andern ent- hielt, in den Worten : yer^^twaav ai ?juQai avitt okiyai, ihm verkündigt, und fast möchte man glauben, dafs auch der Tod durch einen jähen Fall aus Ps. 69 , 23., wo es heifst: yevri&rpv fj tQan^a avtwv ^ elg axdvdalov Olfflfp, entstanden sei.

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51* Dritter Abschnitt.

Schwerlich also wissen wir von Judas auch nur soviel gewifs, dafs er auf gewaltsame Weise vor der Zeit um's Leben gekommen: sundern vienn er, wie nach seinem Aus- tritt aus der Gesellschaft Jesu natürlich war, für dies«; in die Dunkelheit zurücktrat, in welcher die historische Kun- de von seinem weiteren Schicksal erlosch: so konnte die christliche Sage ungehindert alles das an ihm in Erfüllung gehen lassen, was die Weissagungen and Vorbilder des A. T. dem falschen Freunde des Davidssohnes drohten, und konnte selbst an eine bekannte unheiiige Stätte in der Nahe Jerusalems das Andenken seines Verbrechens knüpfen.

§. 130. Jesui vor Pilatus und Herodcs.

Nach sli mnitlichen Evangelisten war es Morgens, als die jüdischen Obern Jesuin, nachdem sie ihn des Todes schuldig erkannt hatten1)? (fessein nach Joh. 18, 12. war er schon im Garten bei der Gefangennehmung gefesselt wor- den ; Lukas erwähnt des Bindens gar nicht und) zu dem römischen Procurator Pontius Pilatus führen liefsen (Matth. 27 , 1 ff. parall. Joh. 18, 26.)* Hiecu nöthigte sie nach Joh. IS, 31. der Umstand, dafs dem Synedriuui die Befug- nifs, Todesstrafen (ohne römische Genehmigung) eo voll- ziehen, abgenommen war *) : jedenfalls indefs muf ste diefs-

1) Nach Babyl Sanhcdrin, bei Ligiitfoot, p. 4S6, wo es heisst: j uilicia de capitalibus jiniunt eodem die, si sint ab absolutio- nem ; si vero sint ad damnationem , finiuntur die sequente wäre diess Verfahren ungesetzlich gewesen.

2) Ausser dem johanneischen : fa'ty 3x Qegir ano*T*~iva$ «3*re9 spricht für diesen Stand der Dinge nur noch eine dunkle und schwankend ausgelegte Tradition , Avoda Zara f . 8 , 2 (LiGHTKour, p. 1125 f.) I Habh Cahna dicit, cum aegrotaret F. Jsmael bar Jose , miserunt ad eum , dicentes : die nobis , o Domine , duo aut tria , quae aliquando dixisti nobis nomine patris tui. IJicit iis quadraginta annis ante excidium

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Drittes Kapitel. §. 130.

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mnl die jüdische Regierung wünschen , die Römer in die Sache zu ziehen, weil nur deren Macht ihr gegen einen öuQvßog iv ti[t lay, den sie von einer Hinrichtung Jesu wahrend der Festzeit befürchtete (Matth. 26, 5. paralL), Sicherheit gewfihren konnte.

Beim Prätorium angekommen, blieben, nach der Dar- stellung des vierten Evangeliums, die Juden aus Scheue vor levitischer Verunreinigung aussen, Jesus aber wurde in das Innere des Gebäudes geführt, so dafs Pilatus ab- wechslungsweise, wenn er mit den Juden verhandeln woll- te, herauskommen, wenn er aber Jesum inrjuirirte, hin- eingehen inufste (18, 28 ff.). Die Synoptiker stellen im Verfolg Jesum mit Pilatus und den Juden in Einem und demselben Locale vor, da bei ihnen Jesus die Anklagt n der Juden unmittelbar hört, und vor Pilatus beantwortet. Da sie, wie Johannes, die Verurtheilung unter freiem Himmel vorgehen lassen (nach derselben lassen sie ja Jesum in das Prätorium hineingeführt werden, Matth. 27, 27. , um! Matthfius wie Johannes 19, 13., läfst den Pilatus das fttjfta besteigen, V. 19., welches nach Josephus<T) unter freiem Himmel stand), ohne im Verh&ltnifs com Verhör einer

templi migravit Synedrium et sedit in tabernis. Quid sibi vult haec traditio? Habh Jsaac, bar Abdimi diciti non ju- dieürunt judicia muictativa, Dixit R, Piachman bar Isaac : ne dicat , quod non j adieu runt jadicia muictativa , sed quod non judicarunt judicia capitalia womit noch die Notiz bei Josepbus, Antiq. 20, 9, f., verglichen werden Laim, dass es Sk Hop jvjirdry (dem Hohenpriester) *wc>5 ««#•>* (det Procurators) yreSm na&Urat awid^tor. Dagegen kbnntc zwar die ohne Zuziehung der Römer erfolgte Hinrichtung des Ste- phanua, A. G. 7, zu sprechen scheinen : allein diesa war ein tumultuarischer Act , unternommen vielleicht im Vertrauen auf die Abwesenheit des Pilatus. Vgl. über diesen Punkt Lückk, 2, S. 651 fT. 3) De bell. jud. 2, 9, 3.

Das Üben Jesu 2ie Aufl. II. Band. 33

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514 Dritter Abschnitt.

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Ortsveränderung zu gedenken: so haben lie sich wahr- scheinlich die ganze Verhandlung, aber, abweichend von Johannes, auch Jesum selbst, auf jenein Vorplätze gedacht, Die erste Frage des Pilatus an Jesum ist nach allen Evangelien : ov tl 6 [luoiXevs tiov ^luöaluv , d. h. der Mes- sias? Bei den ewei ersten Evangelisten ist diese Frage ohne Einleitung durch eine Klage der Juden (Matth. V. 11. Marc. V. 2.)5 De* Johannes fragt Pilatus, aus dem Präto- rium heraustretend, die Juden, was sie gegen Jesu in so klagen hätten (18, 19.)? worauf sie ihm trotzig erwie- dern : el fit} stog xccxonoiög, ax av ooi naQeötixafuv avcov, wodurch sie Übrigens sich nicht versprechen konn- ten , dem Römer die Bestätigung auf die schnellste Weise abzudringen *) , sondern nur ihn zu erbittern. Nachdem ihnen Pilatus hierauf mit auffallender Gelindigkeit cur Antwort gegeben : so mögen sie ihn nehmen und nach ihrem Gesetze richten indem er an ein todeswürdiges Verbre- chen nicht gedacht zu haben scheint , and die Juden ihm ihre Incompetenz zur Vollziehung von Todesstrafen entgegengehalten haben : geht der Procurator hinein, und legt Jesu gleich die bestimmte Frage vor, ob er der König der Juden sei? welche somit hier gleichfalls nicht gehörig eingeleitet ist. Nur bei Lukas ist diefs der Fall, welcher zuerst die Anklagen der Synedristen gegen Jesum auf- führt, dafs er das Volk aufwiegle, und zur Verweigerung der Steuer an den Cäsar reize , indem er sich für Xqizq* ßuoiUa ausgebe (43, 2.).

Begriffe man auf diese Weise aus der Relation des Lukas, wie Pilatus sofort die Frage an Jesum richten konnte, ob er der König der Juden sei? so ist bei ihm um so dunkler, wie auf die bejahende Antwort Jesu hin Pila- tus ohno Weiteres den Anklägern erklären konnte, an dem Beklagten keine Schuld zu linden« Er mufste doch erst

4) W o LCcki annimmt, S. 631.

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Dritte« Kapitel. $.130. 515

den (Jr und oder Ungrund der Anklage auf Voiksaufwfege- luttg unterjochen, und auch Uber den Sinn, in welchem sich Jesus fflr den ßuortevg tcjv ^sdaiwv ausgab , sich mit ihm verständigen , ehe er sein &dtv evQlaxa) aixtov iv tiji urOnu i«t) i&zip aussprechen konnte. Bei Matthäus und Markus folgt zwar auf die Bejahung Jesu , der König der Juden zu sein, noch sein den Pilatus befremdendes Schwei- gen gegenüber den gehäuften Anklagen der Synedristen; auch wird hierauf nicht eine bestimmte Erklärung, dafs an Jesu keine Schuld zu finden sei , sondern biofs der Versuch des Procurators gemeldet, Jesum durch die Zusammenstel- lung mit Barabbas in Freiheit zu setzen : doch auch nur, was ihn zu diesem Versuche bewog, geht aus den genann- ten Evangelien nicht hervor. Hinlänglich klar dagegen wird dieser Punkt im vierten Evangelium. Mach der Frage des Pilatus , ob er wirklich der Judenkönig sei , befremdet zwar die Gegenfrage Jesu , ob er die Ts von sich selbst, oder auf Eingebung Anderer rede? Man kann einen Be- klagten , möge er immer sich unschuldig wissen , zu einer solchen Frage nicht befugt finden , wefswegen man denn auoh auf allerlei Arten versucht hat, derselben einen er- träglicheren Sinn zu geben 5 allein, um blofs eine Zurück- weisung der Beschuldigung als einer widersinnigen zu sein *)> ist die Frage Jesu zu bestimmt: als Erkundigung aber, ob der Procurator das ßaaikevg tCjv *Iudai(av im römischen iufp Icutu) oder im jüdischen Sinne C&Xloi 001 elnov") meine6), zu unbestimmt. Auch fafst es Pilatus nicht so, sondern als unbefugte Frage, auf welche es noch sehr milde ist, dafs er zunächst zwar ungeduldig die zweite Gegen- frage macht, ob er denn ein Jude sei , um durch sich selbst von einem so specifisch jüdischen Verbreehen Notiz haben zu können? hierauf aber gutwillig erklärt, die Juden und de-

5) Calvih, «. d. St.

6) Lttexi und Tholuck, i. d. St

33

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516 Dritter Abschnitt.

ren Obere seien es ja , durch welche er ihm Überliefert worden, er möge also über das ihm von diesen- zur Last gelegte Vergehen sich näher aussprechen. Auf dieses nun «her giebt ihm Jesus eine Antwort , welche , zusammenge- nommen mit dem Eindruck seiner ganzen Erscheinung, dem Procurator allerdings die Uberzeugung von seiner Unschuld beibringen konnte. Er erwiedert nämlich, seine ßaoilua sei nicht ix xoofiit zütü, und führt den Beweis hiefür aus dem ruhigen , passiven Verhalten seiner Anhänger bei seiner Gefangennehmung (V. 36.). Auf die weitere Frage des Pilatus, da Jesus sich hiemit eine ßaadeia , wenn gleich keine irdische, zugeschrieben hatte, ob er also doch für einen König sich ausgebe ? erwiedert er , allerdings sei er das , doch nur insofern er zum Zeugnifs der W ahrheit geboren sei ; worauf von Seiten des Pilatus das bekannte : xi igiv alrj&eut ; erfolgt. Ob nun gleich an dieser letzteren Wendung das eigentümlich johanneische Colorit im Ge- brauch des Begriffs von dlij9eia> wie weiter oben das Un- gefügige in der Gegenfrage Jesu , auffällt: so begreift man doch nach dieser Darstellung, wie Pilatus sofort hinaus- treten, und den Juden erklären konnte, keine Schuld an ihm zu finden. Doch könnte leicht ein andrer Punkt gegen diesen Bericht des Johannes wieder bedenklich machen. Wenn ihm zufolge das Verhör Jesu im Innern des Präto- riumsvor sich gieng, welches kein Jude betreten mochte: wer soll dann das Gespräch des Procurators mit Jesu ge- hört, und als Gewährsmann dem Verfasser des vierten Evangeliums zugebracht haben? Die Ansicht älterer Erklä- rer, dafs Jesus selbst nach der Auferstehung den Jüngern diese Verhandlungen erzählt habe, ist als abenteuerlich auf- gegeben; die neuere, dafs vielleicht Pilatus selbt die Quelle der Nachrichten über das Verhör gewesen sei , ist kaum minder unwahrscheinlich, und ehe ich mir, wie Lückk , da- mit hälfe, dafs Jesus am Eingange des Prätori tima stehen ge- blieben sei, und somit die aussen Zuiiächststelienden bei

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Drittes Kapitel. §. 130. 517

einiger Aufmerksamkeit und Stille (?) die Unterredung haben hören können, würde ieh mich noch lieber auf die Umgebungen des Procurators, der schwerlich mit Jesu al- lein war, berufen. Leicht könnten wir indefs hier ein Ge- spräch haben, das nur der eignen Combination des Evan- gelisten seinen Ursprung verdankt, und in diesem Falle dürfte man sich dann nicht so viele Mühe in Bezug auf den eigentlichen Sinn der Frage des Pilatus : was ist Wahr- heit? geben, da diefs nur die beliebte dialogische Figur des vierten Evangeliums wäre, bei tiefen Eröffnungen von Seiten Jesu die Zuhörer Fragen entweder des Mifsverstands oder des gar nicht Verstehens machen zu lassen ; wie 12, 34. die Juden fragen: %ig igiv stog 6 viog t5 av&Qtüntty so hier Pilatus : %L igiv alr^eta *) ;

Vor der Diversion mit Barabbas , welche nun bei den übrigen folgt , hat Lukas ein eigentümliches Zwischen» spiel. Auf die Erklärung des Pilatus nämlich, an dem Beklagten keine Schuld zu finden, bleiben hier die Hohen- priester sammt ihrem Anhang unter der Menge dabei, Jesus rege das Volk auf durch seine Wirksamkeit als Lehrer von Galiläa bis Jerusalem; Pilatus fafst Galiläa in s Ohr, fragt, ob der Beklagte ein Galiläer sei ? und wie diefs bestätigt wird, ergreift er es als eine willkommene Gelegenheit, sich des unwillkommenen Handels zu entle- digen, schickt also dem Tetrarchen von Galiläa, dem zur Festzeit in Jerusalem anwesenden Herodes Antipas, Jesum zu, mit der Nebenabsicht vielleicht, was wenigstens der Erfolg war, den kleinen Fürsten durch solchen ilespect vor seinem Forum sich zu verbinden. Herodes , heifst es, sei darüber erfreut gewesen, weil er nach dem Vielen, was er schon von Jesu gehört hatte, längst wünschste, ihn zu sehen , in der Hoffnung , er würde vielleicht ein Wunder zum Besten geben. Der Tetrarch habe nun verschiedene

7) Vgl. Kaiwr, bibL Theol. 1, S. 252.

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Dritter Abschnitt

Fragen an ihn gerichtet, auch die Synedristen harte Kla- gen gegen ihn erhoben, Jeans aber keine Antwort gege- ben ; worauf dann Herodes mit seinen Soldaten sioh cum Spotte gewendet, and endlich Jesum in einem Prachtgewande eu Pilatus Eurückgeschickt habe (23, 4 ff.)* Diese Erzäh- lung des Lukas hat, sowohl in ihr selbst, als in ihrem Verhäithifs zu den übrigen Evangelien , mehreres Befremd- liche. Gehörte wirklich Jesus als Galiläer unter die Ge- richtsbarkeit des Herodes, wie Pilatus durch die Ubergabe des Beklagten an ihn anzuerkennen seheint : wie kam es, dafs Jesus, nicht nur der sandlose des orthodoxen Systems, sondern auch der gegen die bestehende Obrigkeit unter- würfige der Geschichte vom Zinsgroschen , ihm die schul- dige Antwort versagte ? wie , dafs ihn Herodes ohne Wei- teres wieder von seinem Forum zurückschickte? Mit Op- hausen eu sagen , es habe sich im Verhör bei Herodes er- geben, dafs Jesus nicht in Nazaret und Galiläa, sondern in Bethlehem, also in Judäa, geboren war, ist theils eine unerlaubte Bezugnahme auf die Geburtsgeschichte, von de- ren Angaben sich im ganzen seitherigen Verlauf des Lu- kasevangeliums keine Spur mehr gefunden hat, theils wür- de wohl eine so ganz zufällige Geburt in Judäa, wie sie Lukas darstellt, während die Eltern Jesu vor- und nachher, und auch Jesus selber, in Galiläa ansässig blieben , Jesum au keinem Judäer gemacht haben ; hauptsächlich aber mufs man fragen, durch wen denn die judfiische Abkunft Jesu an den Tag gekommen sein soll, da es von Jesu heifst, er habe keine Antwort gegeben, den Juden aber jene Ab- kunft nach allem , was wir wissen, unbekannt war ? Eher mag man das Stillschweigen Jesu aus der unwürdigen, nicht den Ernst des Richters, sondern blofse Neugier verraten- den Art der Fragen des Herodes, nnd die Zurücksend ung an Pilatus daraus erklären , dafs doch nicht allein die Ver- haftung, sodern auoh ein Theil der Wirksamkeit Jesu in das Gebiet des Pilatus gefallen war. Warum aber berich-

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Drittes Kapitel. §. 130.

ten die übrigen Evangelisten von dieser ganzen Zwiscben- scene nichts? Namentlich wenn man den Verfasser des vierten Evangeliums als den Apostel Johannes sich denkt, ist schwer einzusehen , wie man diese Auslassung erklären will. Die gewöhnliche Hülfe, er habe die Abführung zu Merodes aas den Synoptikern und überhaupt als bekannt vorausgesetzt, schlügt hier nicht an, da ja nur der Eine Lukas die Geschichte meldet, sie also nicht sehr verbrei- tet gewesen zu sein scheint; die Vermuthung, sie mö- ge ihm wohl mm unerheblich gewesen sein *) , verliert da- durch ihren Boden , dafs Johannes auch der Hinführung eu Annas, welche doch ebenso wenig entscheidend war, zu gedenken nicht verschmäht; überhaupt Ist, wie auch Schlei- ermacher zugesteht, die johanneische Erzählung dieser Vorgängeso zusammenhängend, dafs sich nirgends eine Fu- ge zeigen will, um eine solche Zwlschenscene einzuschie- ben. Flöchtet sich daher auch Schleiermacher zuletzt zu der Vermuthung, es möge wohl dem Johannes die Abfüh- rung Jesu zu Herodes entgangen sein, weil sie auf einer entgegengesetzten Seite, als wo der Jünger stand, durch ei- ne Hinterthüre, geschehen sei, dem Lukas aber eine Kun- de von derselben zugekommen, weil sein Gewährsmann ebenso eine Bekanntschaft im Hause des Herodes gehabt habe, wie Johannes in dem des Annas: so ist jene erstere Vermuthung eben nur eine Hinterthüre, die letztere aber ei- ne verzweifelte Fiction. Setzen wir freilich den Verfas- ser des vierten Evangeliums nicht als Apostel voraus: so verlieren wir die Unterlage , um gegen die Erzählung des Lukas den Hebel anzusetzen , welche jedenfalls , da schon Justin von der Abführung zu Herodes welfs *) , von sehr frühem Ursprung ist. Immerhin indessen bleibt theils das Stillschweigen der übrigen Evangelisten in einem Abschnitt,

SttitLMfchiu.icftKK, über den Lukas, S. 291. 9) Dial. c. Tryph. 103.

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Dritter Abschnitt.

wo sonst Uber die Hauptstädten der Entwicklung von Je- su Sache Übereinstimmung zu herrschen pflegt, theils die . innere Schwierigkeit der Erzählung so bedenklich , dafs die Vermuthung offen bleiben mufs, die Anekdote sei aus dem Bestreben entstanden, Jesum vor alle möglicherweise in Je- rusalem zusammenzubringende Richterstahle zu stellen, von allen nicht hierarchischen Behörden ihn zwar verfich 1 1 ich be- handelt, aber doch seine Unschuld lant oder stillschweigend anerkannt werden, ihn selbst aber vor allen seine gleieh- mafsige Haltung und Würde behaupten zu lassen. Ware diefs von der vorliegenden Erzählung, mit weicher der drit- te Evangelist alleinsteht, anzunehmen: so würde eine ähn- liche Vermuthung von der Hinfübrung zu Annas, mit wel- cher wir den vierten Evangelisten alleinstehend gefunden haben, nur durch den Umstand abgewehrt werden, dafs diese Scene nicht näher beschrieben ist, mithin auch kei- ne inneren Schwierigkeiten darbietet.

Nachdem er Jesum von Herodes zurückgesandt be- kommen hatte, berief nun dem Lukas zufolge Pilatus die Synedristen und das Volk wieder zu sich, und erklärte, auf das mit dem seinigen übereinstimmende Urtheil des Herodes gestützt, Jesum mit einer Züchtigung loslassen zu wollen; woz% er die Sitte, am Paschafest einen Gefange- nen frei zu lassen ir>, benützen konnte. Dieser bei Lu- kas etwas verkürzte Umstand tritt bei den übrigen , na- mentlich bei Matthäus, deutlicher heraus. Da nämlich die Befugnifs, sich einen Gefangenen loszubitten, dem Z%log zukam: so suchte Pilatus, wohl wissend, dafs nur der Neid der Grofsen Jesum verfolgte, die bessere Stimmung des Volks für ihn zu benützen, und um dasselbe zur ße-

10) Man zweifelt, cb diese Sitte, von welcher wir ohne das N. T. nichts wissen würden, römischen oder jüdischen Ursprungs war; vgl. Kritzschk und Paulus z. d. St., und Bau*, über die ursprüngliche Bedeutung dea rassahfestei u. s. f. Tüb. Zeitschr. f. Theol. 1832, 1, S. 94.

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Drittes Kapitel. §. 130. 521

freiancr Jesu eigentlich so nüthigen, stellte er ihn , den er, zum Theii zwar aus Spott gegen die Juden , zum Theil aber um sie von seiner Hinrichtung, als für sie seihst schimpf- lich , abzubringen , Messias oder Judenkönig nannte, zur Auswahl mit einem dsofniog irzlorjfiog, Barabbas u) , zu- sammen, welchen Johannes als Irjgijg, Markus und Lukas aber als einen solchen, der wegen Aufruhrs und Mords verhaftet war, bezeichnen. Oer Plan schlug aber fehl , da das Volk, subornirt, wie die zwei ersten Evangelisten an- merken, von seinen Oberen, mit grofser Einstimmigkeit die Freigebung des ßarafcbas, und für Jesum die Kreuzigung verlangte.

Ais ein besonderes Gewicht, das bei Pilatus noch in die Wagschale Jesu fiel, und ihn bewog, den Versuch mit Barabbas aufs Nachdrücklichste geltend zu machen, wird von Matthäus das angeführt , dafs, wie der Procura« tor auf dem (lichterstuhle safs , seine Gemahlin ihn in Folge eines fingstigenden Traumes warnen liefs , sich ja nichts gegen jenen Gerechten zu Schulden kommen zu las- sen (;27, 19.)* Nicht allein Paulus , sondern auch Olshau- sen erklärt diesen Traum als natürliches Ergebnifs aus dem- jenigen, was die Frau des Pilatus von Jesu und seiner am vorigen Abend erfolgten Gefangennehmuog gehört haben

11) Einer Lesart nach hiess dieser Mensch mit seinem vollen Namen *l*lo*;Ba<>aßflasy was hier nurdesswegen bemerkt wird, weil Oi s- haiskn es „merkwürdig" gefunden hat. Indem nämlich bar Abba Sohn des Vaters bedeutet, so ruft Olshauskn aus : Al- les, was an dem Erlöser Wesen war, erschien bei dein Mör- der als Carricatur ! und findet den Vers anwendbar : ludit m humanis divina potentia rebus. Wir können in dieser Ols- luussN'schen Betrachtung nur einen lusus humanae impotentiae finden.

12) Im K van«. Nicodemi und bei späteren Kirchcngcschicbtschrci- bern heisst sie Proculay Jl^dxl^ Vgl. hierüber Thilo, Cod. Apocr. N. f., p. 522, Taulus, exeg. Handb., 3, b, S. 640 f.

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522 Dritter Abschnitt.

■lochte; wozu man noch die Notiz des Kränge!. Nioodemi als erklärende Vermuthung ziehen kann , dafs dieselbe eine 9eootßr}g und ludät&oa gewesen sei 1S). Indessen , wie immer im N. T., namentlich im Matthäusevangelium, Träu- me als höhere Schicknng betrachtet werden: so ist auch dieser gewifs in der Ansicht des Referenten nom sine nu- mine gewesen, nnd es mufs sich daher ein Grund und Zweck seiner Zuschickung denken lassen. Sollte der Traum wirk- lich den Tod Jesu hintertreiben, so müfste man vom ortho- doxen Standpunkt aus, auf welchem dieser Tod cur Seligkeit der Menschen nothwendig war, auf die Vermuthung einiger Alten kommen, der Teufel möge es gewesen sein, welcher der Frau des Procurators jenen Traum eingab, um den Versöhnungstod zu verhindern "); sollte der Tod Jesu nicht verhindert werden, so könnte der Zweck des Trau- mes nur auf Pilatus oder seine Gattin gehen. Allein dem Pilatus konnte eine so spat kommende Warnung wohl nur die Schuld vermehren, ohne ihn von dem bereits halb ge- thanen Schritt zurückbringen zu können; dafs aber seine Gattin durch den Traum bekehrt worden sei, wie Manche angenommen haben 15), ist theils nirgendsher bekannt, theils spricht sich in der Erzählung nicht dieser Zweck aus. Sondern, wie schon die Figur des Pilatus in der evangelischen Erzählung so gehalten ist, dafs dem blinden Hasse der Volksgenossen Jesu das unparteiische Urtheil eines Heiden gegenüberstehen soll: so wird nun auch sei- ner Gattin ein Zeugnifs für Jesum abgewonnen, um, wie

13) Gap. 2, S. 520. bei Thilo.

14) Ignat. ad Philippent. 4: foßtl 6*h (der Teufel) To yvratvr. ir orttQOtf avro Mararaqdmav Mal natfar ntt^aza* tb Mala ror gavt>ov VgL Thilo, p. 523. Die Juden im Eving. Nicod., c. 2, p. 524, erklären den Traum für ein Zauberstück von Jesu : yorjt iql IS« övtt^vvtunra fntjuy§ hqos ryr yvratMa oa-

15) s. B. Thcophylact, s. Thilo, p. 523.

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Dritt»! Kapitel. 5. 130. 523

nach Matth. 21, Iß. aus dem Munde der vrpilwy xai £7- laQovxtovy so 11 un mehr aus dem Monde eine« aehwaehen Weibea , ihm ein Lob zu bereiten , welches , zur Mehrung seine» Gewichts, ans einem bedeutungsvollen Traume ab« geleitet wird. Je mehr man, um diesen wahrscheinlich * *u machen, auch aus der Profangeschichte dergleichen Träume anfahrt, welche einer blutigen Katastrophe be- ängstigend und warnend vorangeschritten sind 1C): desto mehr wird der Verdacht angeregt , da fs , wie die meisten von diesen, so auch der Traum in unsrer Stelle nach dem ttrfolge gemacht sein möge, um dessen tragische Wirkung eu erhöhen.

Wie nun die Juden auf wiederholtes Befragen des Pi- latus die Loslassung für Barabbas, für Jesu in aber die Kreu- Kigung, starmisch und beharrlich verlangen : lassen die bei- den mittleren Evangelisten ihn in ihr Begehren sofort wil- ligen, Matthäus aber schiebt noch eine Ceremonie und ei« ne Wechselrede dazwischen (27, 24 ff.). Nach ihm näm- lich laTst sich PÜatns Wasser geben, wascht sich damit die Hände vor dem Volk, und erklärt sich für unschuldig am Blute dieses Gerechten. Die Handwaschung als Rein- erklärung von einer Blutschuld war speclnsch jüdische Sitte, nach 5. Mos. 21, 6 f. Man hat unwahrschein- lich gefunden, dafs der Römer diese jüdische Gewohnheit hier nachgeahmt habe, und defswegen sich darauf berufen, wie jedem, der seine Unschuld feierlich erklären will, nichts leichter, als eine solche Handwaschung, einfallen könne ,8). Allein, um ohne Anhalt an einer gewohnten Sitte eine symbolische Handlung gleichsam im Augenblipk

16) Wie Paulus und Kuiköl, x. d. St., welche namentlich an den Traum von Ca'sar'f Gemahlin in der Nacht vor seiner Er- mordung erinnern.

17) Vgl. Sota, 8, 6.

18) PamSOB, in Matth, p. 808.

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Dritter Abschnitt.

na erfinden, oder auch nur in einen fremden Volksge- branch sich hineinzuwerfen, dazu gehört, dafs dein, wei- cher eine solche Handlung vornimmt, an demjenigen, was er durch dieselbe bezeichnen will, ungemein viel gelegen sei. So ungemein viel aber konnte doch nicht sowohl dem Pilatus daran gelegen sein, seine Unschuld an der Hinrich- tung Jesu zu bezeugen, als vielmehr den Christen daran, auf diese Weise die Unschuld ihres Messias bezeugen zu lassen; woraus der Verdacht erwächst, dafs vielleicht erst ihnen die Handwaschung des Pilatus ihre Entstehung ver- danken möge. Diese Vermuthnng bestätigt sich, wenn wir den Ausspruch erwägen, mit welchem Pilatus jene sym- bolische Handlung begleitet haben soll: äfrwog elf.u äno cufiazog Sixala töVö. Denn , „dafs der Richter öf- fentlich und emphatisch den, welchen er doch der härte- sten Bestrafung hingab, einen dlxaiog genannt haben soll- te", findet auch Paulus so in sich widersprechend, dafs er hier, gegen die sonstige Weise seiner Auslegung, an- nimmt, der Erzähler interpretire selbst, was Pilatus seiner Meinung nach bei der Handwaschung gedacht haben müs- se. Zu verwundern ist, dafs ihm das ebenso Unwahrschein« liehe nicht auffällt, was den Juden bei dieser Gelegenheit in den Mund gelegt ist. Nachdem nämlich Pilatus sich für unschuldig an dem Blute Jesu erklärt, und durch das hinzugefügte: vfieig oifjeo9e, die Verantwortung auf die Juden übergewälzt hatte, soll nach Matthäus nag 6 laog gerufen haben : rd alita cciVö igt fjttag rat im ra rixra fjuav. Allein diefs ist doch augenscheinlich nur vom Stand- punkte der Christen aus gesprochen, die in dem Unglück, welches bald nach Jesu Tode in immer verstärkten Schlü- gen über die jüdische Nation hereinbrach, nichts Andres, als die Blutschuld von der Hinrichtung Jesu her erblick- ten : so dafs also diese ganze dem ersten Evangelium ei- gentümliche Episode im höchsten Grade verdächtig ist. Nach Matthäus und Markus liefs nun Pilatus Jesum

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goisseln , um ihn sofort Bar Kreuzigung abführen zu las*

sen. Die (i eissei nng erscheint hier ganz so, wie nach rö- mischer Sitte «las virgU eaeder - dem securi pcrcutere , nnd bei Sclaven die G eissei ung der Kreuzigung, voranzugehen pflegte 19). Bei Lukas erscheint sie ganz anders. Während es dort heifst: toV dk V. (fQCtyM.woaq naotdwxBv ha &j}z erbietet sich hier Pilatus wiederholt, V. 16 und 22: natihvoag aviov anoliao), d. h. wie dort das Geissein als einleitendes Accidens der Hinrichtung erscheint: so hier als ableitendes Surrogat derselben ; Pilatus will durch diese Züchtigung den Hass der Feinde Jesu befriedigen, und sie bewegen, von dem Verlangen seiner Hinrichtung abzuste- hen. Während es aber bei Lukas zur wirklichen Geisse- lung nicht kommt, weil auf den wiederholten Vorschlag des Pilatus die Juden in keiner Weise eingehen wollen: so laTst dieser bei Johannes Jesum wirklich geissein, stellt ihn sofort mit dem Pnrpurkleid und Dornenkranz dem Volke vor, und versucht, ob nicht sein kläglicher Anblick, mit der wiederholten Erklärung seiner Unschuld verbun- den, einen Eindruck auf die erbitterten Gemüther machen möchte; aber auch diefs ist vergebens (19, 1 ff.)* Es be- steht somit zwischen den Evangelisten in Betreff der Geis- seiung Jesu ein Widerspruch, welchen man nicht mit Paulus dadurch ausgleichen darf, dafs man das röV V. <fna- yeXXütoag naQsdioxev iva gavyioDf, bei Matthäus und Mar* kus so umschreibt: Jesus, den er schon vorher hatte geis- sein lassen, um ihn zu retten, hatte diefs vergeblich er- , duldet, indem er nun doch zur Kreuzigung hingegeben wurde. Sondern, die Differenz der Berichte anerkennend, mufs man nur fragen, welcher von beiden die gröfsere hi- storische Wahrscheinlichkeit für sich habe? Wiewohl sich nun freilich nicht nachweisen läfst, dafs Geisseiung vor

19) Vgl. besonders die von Wststsih zu Matth. 27, 26. ange- führten Stellen.

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526 Dritter Abschnitt.

der Kreuzigung ausnahmslose römische Sitte gewesen wä- re : so ist es doch andrerseits «ach eiiirJg au* harmnni- stischem Bestrehen, wenn behauptet wird, da(s nur, wenn einer besonders hart gestraft werden sollte, vor der Kreu- zigung noch die Geisselung verhängt worden sei 20), und folglich Pilatus, der gegen Jesum nicht grausam sein woll- te , nur In der besondern Absicht, welche Lukas und Jo- hannes melden, und welche auch bei ihren beiden Vormän- nern hinzuzudenken sei, ihn könne haben geissein lassen. Weit wahrscheinlicher ist es vielmehr, dafs in der Wirk- Üchkeit zwar die Geisselung nur so , wie die zwei ersten Evangelisten berichten, als Vorspiel zur Hinrichtung, vor- genommen worden ist, die christliche Sage aber, wie ihr zum Zeugnifs gegen die Juden am Charakter des PilftfN diejenige Seite besonders willkommen war, vermöge wel- cher er Jesum zu retten sich auf verschiedene Weise be- strebt haben soll, so nun auch die Notiz von der Geisse- lung benützt habe, um an ihr einen neuen Befreiung sver- sueh des Pilatus zu gewinnen. Diese Benützung erscheint im dritten Evangelium nur erst als eine begonnene, indem hier das Geisselnlassen blofse Erbietung des Pilatus ist: wogegen im vierten die Geisselung wirklich vollzogen, und zu einem weiteren Acte des Drama verwendet wird.

An die Geisselung schliefst sich bei den zwei ersten Evangelisten und dem vierten die Mifshandlung und Ver- spottung Jesu durch die Soldaten, welche ihm ein Pur- § purkleid umlegten, einen Kranz von Dorngest rfiuch ihm auf das Haupt setzten 2,)> nach Matthäus ihm auch einen Kohr- en) Paulus, s. O. S. 647.

21) Durch die Auseinandersetzung von Pauiüs, S. 649 f., gewinnt es alle Wahrscheinlichkeit, dass der ^a*oc mw&Ü* nicht ein Ii ranz aus spitzen Dornen war, sondern von dem näch- sten besten Heckengesträuch genommen, um durch dir vilis- sima Corona , spineola (Plin. H. N. 21 , 10.) Jesum zu ver- höhnen.

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Drittes Kapitel. 5. 130. 527

stab in die Hand gaben, and in dieser Vermummung ihn t!u»i!fl als Judenköllig begrUfsten, theils schlugen und mifs- liamlelten-2). Lukas weiis hier von keiner Verhöhnung durch die Soldaten, wohl aber hat er in seiner Erzählung von der Abführung Jesu zu Herodes etwas Ähnliches, in« dem er hier den Herodes avv xolg gnaitvuuoiv avtö Jesu in verspotten, und ihn in einer io&rjg luimQa zu Pilatus zu- rücksenden laTst. Manche nehmen an, diefssei dasselbe Pur- purgewand, welches nachher die Soldaten des Pilatus Je- su zum zweitenmal angezogen haben; aber vielmehr drei- mal müfste, wenn wir den Johannes dazunehmen, nnd zu- gleich keinen der Synoptiker des Irrthums beschuldigen wol- len, mit Jesu diese Vermummung vorgenommen worden sein : zuerst bei Herodes (Lukas) ; hierauf ehe Pilatus Je- sum den Juden vorführte, um durch das: *<!de 6 av&QamoQ, ihr Mitleid rege zu machen (Job.) ; endlich noch einmal, nachdem er den Soldaten zur Kreuzigung fiberlassen war (Matth, und Markus). Diefs ist nun ebenso unwahrschein- lich, als es wahrscheinlich ist, dafs die Evangelisten eine und dieselbe Vermummung, von der sie gehört, an ver- schiedene Orte nnd Zeiten verlegt, und verschiedenen Per- sonen zugeschrieben haben.

Wahrend bei den zwei ersten Evangelisten vor der Geisselung Jesu die Gerichtsverhandlung bereits geschlos- sen ist, bei m dritten auf die Nichtannahme des natdevoag avzov änoXvöio von Seiten der Juden Pilatus Jesum zur Kreuzigung hingiebt: spinnt sich im vierten Evangelium die Gerichtsscene folgendermaßen noch weiter* Als auch die Vorstellung des gegeisselten und vermummten Jesus nichts fruchtet, sondern beharrlich seine Kreuzigung verlangt wird, ruft der Procura tor entrüstet den Juden zu: so mö-

22) Eine ähnliche Vermummung eines Menschen, um einen Drit- ten zu verhöhnen, führt aus Philo, in Flaccum, Wztstsui zu, p. 535 f.

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528 Dritter Abschnitt.

gen sie selbst ihn' hinnehmen und kreuzigen, denn er lin- de keine Schuld an ihm. Die Juden erwiedern, nach ih- rem Gesetze müsse er sterben, da er sich selbst zum vio<; Jhu gemacht habe; eine Bemerkung, welche dem Pilatus abergläubische Furcht einjagt, wefswegen er Jesum noch- mals in das Pratorium hineinführt, und nach seiner (ob wirklich himmlischen?) Abkunft fragt, worauf ihm aber Je- sus keine Antwort giebt, und, als ihm der Procurator mit der ihm zustehenden Gewalt Über sein Leben schrecken will, ihn auf die höhere Macht, die ihm diese Gewalt ge- geben babe, verweist. Zwar strebte in Folge dieser Re- den Pilatus (noch angelegentlicher als bisher), Jesum zu befreien: endlich aber fanden nun die Juden das rechte Mittel, ihn nach ihrem Willen zu stimmen, indem sie die Bemerkung hinwarfen, wenn er Jesum loslasse, der sich dem Casar als Usurpator gegenüberstellte, sei er kein q>ikog tra KaiactQog, So, durch eine mögliche AnschwJir* zung bei Tiberius eingeschüchtert, besteigt er den Rich- terstuhl, und greift, da er seinen Willen nicht durch- setzen kann, zum Hohn gegen die Juden, in der Frage, ob sie denn wollen, dafs er ihren König kreuzigen solle? worauf sie aber, die zuletzt mit so sichtbarem Erfolg an- genommene Stellung behauptend, erklären, von keinem Kö- nig, als von dem Cäsar, wissen zu wollen. Jetzt willigt der Procurator darein, Jesum zur Kreuzigung führen zu lassen, zu weichein Behofe man ihm, wie die zwei ersten £vangelisten bemerken, den Purpurmantel auszog, und sei- ne eigenen Kleider wieder anlegte.

§. 131.

Die Kreuzigung.

Schon über den Hingang Jesu zum Orte der Kreuzi- gung differiren die Synoptiker und Johannes, indem dem letzteren zufolge Jesus das Kreuz selber dahin trug (19, 17.), während die ersteren melden, man habe es an seiner statt

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Drittes Kapitel, f. 131. 520

einem Simon von Cyrene aufgelegt (Matth. 27, 32. parall.). Die Co^mmentatoren zwar, wie wenn es sich von selbst ver stände, vereinigen diese Angaben dahin: «uerst habe Je- sus selbst das Kreuz zu tragen versucht, hierauf aber, als es sich zeigte, dafs er zu erschöpft war, habe man es dem Simon aufgeladen Allein wenn Johannes sagt : xai ;iu- cuZtüv %ov gauQov ovtö igrköev eig Iolya&ä' onu avtcv igavQWOttvi so setzt er offenbar nicht voraus, dafs auf dem Weg dahin Jesu das Kreuz abgenommen worden wfire ). £8 scheint aber die von den Synoptikern so einstimmig ge- gebene Notiz von dem untergeschobenen Simon um so we- niger abgewiesen werden zu können, je weniger sich ein Anlafs, aus dem sie erdichtet worden sein könnte, auffin- den läfst. Wohl hingegen könnte dieser individuelle Zug im Kreise der Entstehung des vierten Evangeliums unbe- kannt geblieben sein, und der Verfasser desselben sich ge- dacht haben, dafs der allgemeinen Sitte zufolge Jesus selbst das Kreuz werde haben tragen müssen. Sa'mmtlichc Syn- optiker bezeichnen jenen Simon als einen Kvqrtvuiogt d. h. wahrscheinlich einen, aus der libyschen Stadt Cyrene, wo viele Juden wohnten *), zum Fest nach Jerusalem Gekom- menen. Nach allen wurde er auf gewaltsame Weise zum Tragen des Kreuzes gebracht, was aber ebensowenig für, als gegen die Annahme, dafs er Jesu günstig gewesen, benütze werden kann *). Nach Lukas und Markus kam der Mann gerade an ctyQÖ, und wie er am Kreuzigungszuge vorüber- gehen wollte, verwendete man ihn zur Unterstützung Jesu. Markus bezeichnet ihn noch bestimmter als ncarjo 1/Af$ay- dqs xal 'Piiopö, ohne Zweifel, weil diefs in der ersten Ge- rinde bekannte Miinner waren (vgl. A. G. 19, 33. Köm.

1) So Paulus, KuntÖL, Tholuck und Olshavskx in den Co mm.

2) Khitzsciik , in Marc. 684: Signijicat Joannes, Jcsum suam crucem portavisse , donec ad calvariae locum pervenisset.

3) Joseph. Anliq. 14, 7, 2.

4) Daiür benutzt es z. B. Gnonusj dagegen Olshalsbn, 2, S. 481t Das Leben Jesu He Aufl. 2. Band. 34

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530 Dritter Abschnitt.

ltf , 13. 1. Tim. 1, 20. 2. Tim. 4, 14) 5), an welche er, es ist nicht zu entscheiden, ob mit oder ohne geschichtli- chen Grund, den Simon anknüpft.

Auf dem Hinweg cum RichrpIaUe, meldet Lukas, sei eine grofse Voiksmasse, namentlich auch Weiber, wehkla- gend Jesu nachgefolgt, deren Klagen er aber auf sie seilet und ihre Kinder verwiesen habe , mit Hinsicht auf die schrecklichen Zeiten, welche bald Über sie hereinbrechen würden (23, 27 ff.). Die Zöge sind theils aus der Rede über die Pnrusie, Luc. 21, 23., entlehnt, da, wie dort den Schwangeren und Siiugenden in jener Zeit Wehe gerufen war, so hier gesagt wird, es kommen fjfUQai, in welchen al seiQai, xal xodiai dl öx iyivvr,oavy xal fiagol oi tx fö?/- ?.aoccv9 werden glücklich gepriesen werden ; theils ist aus Hosea 10, 8. geborgt, denn das %6te ctQ^onai Xiyeiv tötg oqsoi x. r. X. ist beinahe wörtlich die alexandrinische Über- setzung jener Stelle.

Den Plate der Hinrichtung nennen sa'mmtliche Evange- listen Golgatha, das chaldäische KnS|S|> und erklären diese Bezeichnung durch xQctviö ZOTIOQ oder xquuov (Matth. V. 33. parall.). Der letzteren Bezeichnung nach könnte es schei- nen , der Ort sei von seiner schadelformigen Figur so ge- nannt gewesen; wogegen die erstere Erklärung und wohl auch die Natur der Sache wahrscheinlicher macht, dafs er seiner Bestimmung als Richtplatz und den daselbst be- findlichen Gerippen und Schädeln der Hingerichteten seine Benennung verdankte. Wo dieser Platz gelegen war, Ut nicht bekannt, doch ohne Zweifel ausserhalb der Stadt; auch dafs er ein Hügel gewesen, wird nur vermuthet *).

Dtn Hergang nach der Ankunft Jesu auf dem Richt- platz erzählt Matthäus (V. 34 ff.) in etwas sonderbarer Fol-

5) Vgl. Paulus und Fiiitzsciik, z. d. St.

6) s. Paulus und Fritzschi z. d. Abscha. Www, bibl. Realw. d. A. Golgatha.

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Zvreiteg Kapitel. §.131. 531

ge. Zuerst erwähnt er des Jesu angebotenen Tranks; dann, dafs, nachdem sie ihn an das Kreuz geschlagen, die Sol- daten seine Kleider vertheilt haben ; hierauf, wie sie sich niedersetzten, um ihn zu bewachen; nach diesem die dem Kreuze gegebene Überschrift, und nun erst wird, und zwar nicht als Nachholung, sondern durch eine Partikel der Zeit- folge (zoTf) die Notiz angeknüpft, dafs man mit ihm zwei Räuber gekreuzigt habe. Wahrend Markus dem Matthäus folgt, nur dafs er statt der Angahe der Bewachung des Kreuzes eine Zeitbestimmung hat, berichtet Lukas richti- ger zuerst die Kreuzigung der beiden Verbrecher mit Jesu, dann erst die Kleiderverloosung, und in ähnlicher Abfolge auch Johannes. Defswegen aber die Verse bei Matthäus umzustellen (34. 37. 38. 35. 36.), wie schon vorgeschlafen wurde 7), ist unerlaubt, und man mnfs vielmehr auf dem Verfasser des ersten Evangeliums hier die Beschuldigung liegen lassen, dafs er über dem Bestreben, von den Haupt- vorgängen bei der Kreuzigung Jesu nur keinen zu uberge- hen, die natürliche Zeitfolge vernachlässigt habe 8).

Was die Art der Kreuzigung betrifft, ist jetzt kaum mehr etwas streitig, als nur die Frage, ob dem Gekreu- zigten ausser den Händen auch die Füfse angenagelt wor- den seien? Die Bejahung dieser Frage liegt ebenso im Interesse der orthodoxen, wie die Verneinung in dem der rationalistischen Ansicht. Von Justin dem Märtyrer an *) bis auf Hengstenberg 10) und Olshaüsen finden die Ortho- doxen in den angenagelten Füfsen Jesu eine Erfüllung der Weissagung Ps. 22, 17., wo die LXX. ÜQvgaP %tl(*A$

7) von WilimiMM, in der Diss. de trajectionibns N. T. xu Valckenaer's scholae in 11. quosd. N. T. 2, p. 51.

8) Vgl. Schlei kreuch er, Uber den Lukas, S. 295; Wim«, N.T. (iran n S. 226., und I'hitzsciik, in Matth, p. 814.

9) Apol. I, 35- DisL c. Tryph. 97.

10) Christologic ilts A. T. J, a, S. 182 ff.

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532 Dritter Abschnitt.

xai jtodag flbersetst: Allein im Grundtext ist schwerlich von Durchbohren], in keinem Fall von einer Kreuzigung die Rede; auch wird die Stelle im N. T. nirgends auf Chri- stum angewendet. Den Rationalisten hingegen wird es theils leichter, den Tod Jesu für blofsen Scheintod su er* klären, theils nur dann möglich, su begreifen, wie er nach der Auferstehung sogleich wieder gehen konnte, wenn an den Füfsen keine Verwundung stattgefunden hatte: allein vielmehr, wenn es sich geschichtlich ergäbe , dafs wirklich auch die Füfse Jesu angenagelt waren, müfste gefolgert werden, dafs die Wiederbelebung und das Wandeln nach derselben entweder auf übernatürliche Weise, oder gar nicht, geschehen sei. Neuestens stehen sich besonders swei gelehrte und gründliche Untersuchungen dieses Punk- tes, von Paulus und von Bahr, jene gegen, diese für die Annagelung der Füfse, gegenüber "). Aus der evangeli- schen Ersählung kann die erstere Ansicht vor Allem das . für sich geltend machen , dafs weder jene Psalmstelle, die doch unter Voraussetzung einer Fufsannagelung dem Prag- matismus der Evangelisten so nahe lag, irgendwo benützt, noch in der Auferstehungsgeschichte neben den Nägelmah- len in den Händen und der Seitenwunde einer Wunde in den Füfsen gedacht ist (Joh. 20, 20. 25.27.): wogegen die andere Ansicht sich nicht ohne Grund darauf beruft, dafs Luc. 24, 39. Jesus die Jünger auffordert: Ideie tag y,£i- qag fifs xal Ttig ndSag ftu, wo ewar, dafs die Füfse durch- bohrt gewesen, nicht gesagt, aber auch schwer zu begrei- fen ist, wie, blofs nm von der Realität seines Körpers überhaupt zu überzeugen , Jesus gerade die Füfse vorge- zeigt haben soll. Dafs unter den Kirchenvätern auch sol- che, welche, vor Constantin lebend, die Kreuzigung noch aus eigener Anschauung kennen konnten, wie Justin und

11) Paulus, im cxcg. Handbuch 5, b, S. (iü9-754 ; Bahr, in Tküluck's Itter. Anzeiger für christl. Thcol. 1S55 , No. i-6.

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Drittes Kapitel. $. 131. 533

Tertullian , die Füfse Jesu angenagelt werden lassen , ist von Gewicht, and wenn man auch aus der Bemerkung de» letzteren: qui (CÄtm/im) solus a populo 1am insigniter crucißxus est l2), schliefsen könnte, der Psalmstelle eu- lieb haben diese Vfiter angenommen, Christus sei ausnahmst weise mit Durchbohrung auch der Füfse gekreuzigt wor- den : so wird doch , wenn er vorher die Durchbohrung der Hände und Füfse die proprio airocia crucis nannte, klar, dafs jene Worte nicht eine ausgezeichnete Art der Kreuzigung, sondern die so auffallend mit der Weissagung zusammentreffende Todesart der Kreuzigung bedeuten. Un- ter den Stellen der Profanscribenten ist die wichtigste die Plautinische, wo, allerdings als ausnahmsweise verschärfte Kreuzigung, offigautur bis pedes, bis brachia vorkommt l ). Hier fragt es sich: soll das Ungewöhnliche in dem bis be- stehen , so dafs als das auch sonst Übliche die einfach» Anheftong sowohl von Füfsen als Händen vorausgesetzt wird ; oder soll das bis offigtre der Hände, d. h. dafs beide Hän- de angenagelt wurden, das Gewöhnliche gewesen, das An- nageln beider FüTse aber als ausserordentliche Verschär- fung hinzugekommen sein ? wovon jeder das £rstere den Worten angemessener finden wird. Hienach scheint sich mir dermalen das Ubergewicht der historischen Erfinde auf Seiten derer su neigen, welche behaupten, dafs Jesu am Kreuz beides, Hände und Füfse, angenagelt worden seien.

Noch vor der Kreuzigung war es laut der beiden er- sten Evangelisten , dafs Jesu ein Getränk angeboten wur- de, welches Matt haus (V. 34.) als ofo£ //«a %oXrtg pBpiy- ptvov, Markus (V. 23.) als iafiVQVWftivov ohov beaeichnet, das aber beiden aufolge Jesus, bei Matthäus nachdem er es vorher gekostet, nicht zu sich nehmen mochte. Da mau nicht begreift, au welchem Zweeke man unter den Essig

12) Adv. Marcion. 3, 19.

13) MostclUria 2, 1.

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534 Dritter Abschnitt. .

Galle gemischt haben möge, so erklärt man gewöhnlich die t%oh} des Matthäus, aus dem iofivQViOfilvov des Markus, von bittern vegetabilischen Ingredienzien, wfe namentlich Myrrhe, and liest dann auch statt o£og entweder garade- zu.onor, oder versteht doch jenes von saurem Wein1*), um so das betäubende Getränk aus Wein und starken Spe- cereien ^herauszubringen, welches nach jüdischer Sitte den Hinzurichtenden zur Abstumpfung des Schmerzgefühls ge- reicht au werden pflegte 15). Aüein wenn ^feuch der Text diese Lesart, und die Worte diese Erklärungen zuliefsen, so würde doch wohl Matthäus gegen die Hinausdeutung der wirklichen Galle und des Essigs aus seiner Erzählung sehr protestiren, weil ihmtdadurch die Erfüllung der \\ or- te des auch sonst messianisch gebrauchten Unglückspsalms G9, .V. 22. (LXX) : xai idioxecv elg %6 ßQujfid fia yohqv, xiä, .«V TtjV.öiipuv fiiit inoziouv (ie o$og9 verloren gjenge. Diesem Orakel geuiafs meint Matthäus unstreitig wirkliche Galle mit Essig, und aus der Vergleichung des Markus darf nur die Frage genommen werden, ob es wahrscheinlicher sei, dafs der Vorgang, wie ihn Markus darstellt, das Ursprüng- liche gewesen, was erst Matthäus zu genauerer Ähnlichkeit mit der Weissagung umgeformt, oder ob Matthäus ursprüng- lich den Zug aus der Psaimstelle geschöpft, Markus aber ihn hinterher zu größerer geschichtlicher Wahrscheinlich- keit umgebildet habe?

Um hierüber entscheiden zu können, müssen wir auch die beiden andern Evangelisten mit in die Betrachtung ziehen. Von einer Tränkung Jesu mit Essig nämlich mel-

14) s. Kvnrife, Taulus, x. d. St.

15) Sanhedrin, f. 43, 1, bei WsTSTStff, p. 635 t Dixit R. Chaja% /, R. Ascher, dixisse H. Chasdam : exeunti , ut capite plceta- fur, dant bibwdum gr anain turis in poculo utni, ut aiiene- tur mens ejus, sec. d. Prov, hl, 6: date siceram pereunti et umum amaris anima.

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den alle viere, and auch jene beiden, welche den mit Gal- le vermischten Essig, oder den Myrrhenwein, als den er- sten Trank, der Jesu geboten wurde, haben, wissen spä- ter noch von einer Tränkung mit blofsem Essig cu sagen. Nach Lukas war das o£o£ nQogffiQtiv eine Verhöhnung, welche die Soldaten gegen Jesuin, wie es scheint, nicht sehr lange nach der Kreuzigung, noch vor der Finsternis, vornahmen (V. 36 f.); nach Markus reichte kurz vor dem Ende, drei Stunden nach Entstehung der Finsternifs, ei« ner der Umstehenden auf den Ruf Jesu: mein Gott u. s.w., ihm, gleichfalls in spöttischer Absteht, mittelst eines auf ein Rohr gesteckten Schwammes Essig dar (V. 36.); Wich Matthäus bot ihm einer der Umstehenden auf eben jenen Kuf hin und auf dieselbe Weise den Essig, aber in guter Ansicht, wie man daraus sieht, dafs die Spötter ihn davon abhalten wollten (V. 48 f.) 16) 5 wogegen es bei Johannes auf den ausdrücklichen Ruf: diif'ujj ist, dafs einige ei- nen Schwamm in ein nahe stehendes Gefäfs mit Essig tauchten , und auf einem Ysopstengel zum Munde Je«u brachten (V. 29.). Man hat daher drei verschiedene Ver- suche, Jesum zu tränken, angenommen: den ersten vor der Kreuzigung, mit dem betäubenden Tranke (Matth, und Markus) ; den zweiten nach der Kreuzigung, wo ihm die Soldaten zum Hohne von ihrem gewöhnliehen Getränk, ei- ner Mischung aus Essig und Wasser, posca genannt <T), boten (Lukas), und endlich die dritte Tränkung, welche auf den klagenden Ruf Jesu erfolgte (Matth. Mark, und Joh.) 18). Allein, will man einmal Ungleichlautendes aus- einanderhalten, so mofs man auch folgerecht verfahren: soll die von Lukas berichtete Tränkung von der des Mat- thäus und Markus wegen einer Zeitdifferenz verschieden

16) i. Faitzschk, z. d. St.

17) vgl. Paulus, z. d. St.

18) So Kuixöi, in Luc. p. 710 f. TaotucK, p. 342.

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536 Dritter Abschnitt.

■elny so iit die des Matthäus von der des Markus durch eine Differenz der Absicht verschieden, and wiederum ist das, was Johannes berichtet, nicht dasseibe mit dem was die beiden ersten Synoptiker, da es ja auf einen ganz an- dern Ruf Jesu erfolgt. So bekamen wir im Gänsen fünf Tränkungen, und könnten wenigstens nicht wohi begreifen, warum Jesus, nachdem ihm schon dreimal Essig zum Mun- de geführt war, nooh zum viertenmai zu trinken verlangt hatte. Müssen wir demnach auf Vereinfachung bedacht sein: so ist aber keineswegs nur die Tränkung bei den *.wei ersten Evangelisten und dem vierten wegen des Zu- i ammentreffens der Zeit und der Art der Darreichung für Line su erklären, sondern ebenso die des Markus (und mitteist dieser die übrigen) mit der des Lukas wegen Gielch- Iteit der höhnischen Absicht. So bleiben uns zwei Trän- kungen, die eine vor der Kreuzigung, die andre nach der- selben, und beide haben, die erstere an der jüdischen Sit- te mit dem betäubenden Trank für Hinsurichtende, die an- dre an der römischen , vermöge welcher die Soldaten zu Expeditionen, dergleichen aueh die Vollziehung der Hin- richtung eine war, ihre posca mit sich su führen pflegten, einen historischen , an der Weissagung Ps. 69. aber einen prophetischen Haltpunkt. Beide Haltpunkte wirken entge- gengesetzt : der prophetische erregt Verdacht, ob auch wirk- Ji«'h der Erzählung etwas Geschichtliches zum Grunde lie- ge; der historische macht es sweifelhaft , dafs die ganze Sache nur aus Weissagungen sollte herausgesponnen sein.

Überblicken wir noch einmal die verschiedenen Be- richte , so sind wenigstens ihre Abweichungen gans von der Art, wie sie aus verschiedener Anwendung der Psalni- stelle entstehen konnten. Da in derselben von Galleessen und Essigtrinken die Rede war, so scheint man zu nächst das Erstere, als undenkbar, bei Seite gelassen, und die Erfüllung jener Weissagung darin gefunden zu haben, dafs, was wohl historisch sein kann, wie es von allen vier E van-

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Drittes Kapitel §. 131. 537

gellsten gemeldet wird , Jesus am Kreuze mit Essig getränkt worden sei. Diefs konnte man entweder als Handlang des Mitleids, wie Mattbios und Johannes , oder des Spottet, mit Markos und Lukas, betrachten. Da auf diese Weise ewar das inoxiaav fie o£o£, noch nicht aber auch das elg tt}v dlipav des Orakels ausdrücklich erfüllt war, so hielt es der Verfasser des vierten Evangeliums für wahr- scheinlich, dafs Jesus auch wirklich die Empfindung des Durstes geäussert, d. h. dityui gerufen habe; ein Ruf, den er ausdrücklich als Erfüllung der yoctyr} , worunter ohne Zweifel die genannte Psalmstelle (vgl. Ps. 22, 16.) ver- standen Ist , bezeichnet , und zwar , indem er das h a W— Xsiiü&fi YQa(P*} durch sldatg 6 7/;aa£, Ott, ndvtct rfirj xz— tilegai einleitet , so scheint er fast sagen zu wollen , die Erfüllung der Weissagung sei die eigene Absicht Jesu bei jenem Ausruf gewesen: allein mit solchem typolbgischen Spiel wird kein am Kreuz im Todeskampf begriffener sich abgeben, sondern nur sein in ruhiger Lage befindlicher Biograph. Indefs, auch hiedurch war immer nur die eine Hälfte jenes messianlschen Verses, die auf den Essig be- zügliche, erfüllt: die von der Galle handelnde, welche als Inbegriff aller Bitterkeit zu einer Beziehung auf den lei- denden Messias ganz besonders geeignet schien, war noch übrig. Zwar, dafs yolr als ßnwuu gegeben worden sei, was die Psalmstelle strenggenommen verlangte, blieb als un- denkbar bei Seite gestellt: wohl aber schien es dem ersten Evangelisten, oder wem er hier folgt , thunlich, die Galle als Ingredienz unter den Essig zu mischen, eine Mischung, welche dann freilich Jesus , des Übeln Geschmacks wegen, nicht trinken konnte. Der 'zweite Evangelist, mehr auf den pragmatischen als auf den prophetischen Zusammen- hang bedacht, machte dann, mit Beziehung auf eine jüdi- sche Sitte, und vielleicht zusammentreffend mit der ge- schichtlichen Wirklichkeit, au* dem Essig mit Galle hittern Myrrhenwein , und liefs Jesum dieseu, ohne Zweifel aus

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538 Dritter Abschnitt.

Scheue vor Betäubung, ausschlagen. Da aber diesen bei- den Evangelisten neben der Erzählung von dem mit Galle gemischten Essig auch noch die ursprüngliche, von blofsem Essig , zugekommen war : so wollten sie diese durch jene nicht verdrängen lassen , und stellten daher beide neben- einander. Hiemit soll aber, wie schon bemerkt, keineswegs geläugnet werden, dafs Jesu vor der Kreuzigung ein sol- cher Mischtrank, und nachher noch Essig möge gereicht worden sein, da jenes, wie es scheint, gewöhnlich, und dieses bei dem Durst, welcher die Gekreuzigten plagt, natürlich war : nur so viel soll gesagt sein, dafs die Evau- gelisten diesen Umstand, und zwar in so verschiedenen Wendungen, nicht defs wegen erzählen, weil sie historisch wufsten, er sei auf diese oder jene Weise wirklich vorge- kommen, sondern weil sie dogmatisch überzeugt waren, er müsse jener Weissagung zufolge, die sie aber verschie- dentlich anwandten, sich ereignet haben.

Während oder unmittelbar nach der Kreuzigung läfst Lukas Jesum sprechen 2 nazeQ , uipeg avtoig' 0 yaQ oidaoi %L Tioiöoi (V. 34.) , eine Fürbitte, die man bald auf die Soldaten, die ihn kreuzigten , beschränkt 19), bald auf die eigentlichen Urheber seines Todes, die Synedristen und Pi- latus, ausdehnt 20). So angemessen eine solche Bitte den sonstigen Grundsätzen Jesu über Feindesliebe ist (Matth. 5, 44.), und so viele innere Glaubwürdigkeit von dieser Seite die Notiz des Lukas hat: so ist doch, zumal er mit derselben allein steht, darauf aufmerksam zu machen, dafs möglicherweise dieser Zug aus dem für messianisch gehal- tenen Abschnitt Jes. 53. genommen sein könnte, wo es im letzten Vers, in demselben, aus weichem auch das fuid äwfum üoyia&r] entlehnt ist, heifst: jpjr* O^ytföSl» was Ewar die LXX. unrichtig durch diu zag avofäag ccvzwv naQ—

19) Küxköl, in Luc. p. 710.

20) Olshaussx, S. 484.

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Drittes Kapitel. §. 13K 539

tSofh] , aber bereits das Targum Jonathan durch pro pec- cutis (sollte heifsen peccatoribus ) deprecatus est wie- dergebt.

Dafs mit Jesu zugleich o*i5o xaxaoyot, welche Mat« thüus und Markus als Irjzag bezeichnen , in der Art ge- kreuzigt worden seien, dafs sein Kreuz in der Mitte stand, darin stimmen die Evangelisten zusammen , und Markus, wenn sein 2Ster Vers ächt ist , sieht darin eine wörtliche Erfüllung des jesaianisclien : fiexa uvoimv iloyio&rj, welches nach Lukas 22. 37. Jesus schon am Abend vorher als eine ' demnächst an ihm zu erfüllende Weissagung angeführt hatte. Von dem weiteren Verhalten dieser Mitgekreuzigten berich- tet uns Johannes nichts; die beiden ersten Synoptiker las- sen sie Schmähungen gegen Jesum ausstoßen (Matth. 27, 44. Marc. 15, 32.): wogegen Lukas erzahlt, nur der eino von ihnen habe sich diefs erlaubt, sei aber von dem andern zurechtgewiesen worden (23, 39. ff.). Um diese Dif- ferenz auszugleichen, haben die Erklärer die Voraussetzung gemacht , zuerst mögen wohl beide Verbrecher Jesum ge- schmäht haben, dann aber durch die ausserordentliche Fin- sternifs der eine umgestimmt worden sein 8I) ; neuere ha- ben sich auf eine enallage numcri berufen 2-) : gewifs aber nur diejenigen recht gesehen, welche eine wirkliche Diffe- renz zwischen Lukas und seinen Vormännern zugaben **)■ Offenbar haben von dem Genaueren , was jener über das Verhfiltnifs der beiden Mitgekreuzigten zu Jesu zu berich- ten weifs, die zwei ersten Evangelisten nichts gewufst. Nä- her erzählt nämlich Lukas, als der eine der beiden Ver- brecher Jesum durch die Aufforderung höhnte, wenn er wirklich der Messias sei , sich und sie zu befreien , habe

21) So Chrysostomus u. A.

22) Bkza und Orotius.

23) Paulus, S. 765; Warna, N. T. Gramm. S. 140; Fawsscas, io Matth, p. 817.

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Dritter Abschnitt.

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ihm der andere solchen Hohn gegen einen/ mit dem er doch das gleiche Schicksal, und Kwar als Schuldiger mit dem Unschuldigen, t heile, ernstlich verwiesen, Jesum aber gebeten, wenn er In seiner ßaoilela kommen werde, sei- ner su gedenken ; worauf ihm Jesus das Versprechen ge- geben habe , noch heute werde er mit ihm h nccQadel— c<;> sein. An dieser Scene ist von vorn herein nichts An- stöfsiges, bis zu der Anrede des zweiten Mitgekreuzigten an Jesum. Denn um von einem am Kreuz Hängenden ein einstiges Kommen cur Errichtung des Messiasreichs zu er- warten, dazu gehörte das ganze System von einem ster- benden Messias, welches die Apostel vor der Auferstehung nicht begriffen, und welches somit ein Xrjg^g vor ihnen gefafst haben mfifste. Diefs ist so unwahrscheinlich, dafa es kein Wunder ist , wenn Manche in der Bekehrung des Räubers am Kreuz ein Wunder haben sehen wollen -*), und es wird durch die Annahme, welche die Erklärer zu Hülfe rufen, der Mensch werde wohl kein gemeiner, son- dern ein politischer Verbrecher, vielleicht einer der oi~ gaaiagwv des Barabbas , gewesen sein JS) , nur noch un- denkbarer. Denn war er ein zum Aufruhr geneigter Is- raelit , der auf Befreiung seines Volks vom römischen Jo- che hinarbeiten wollte : so war gewifs auch seine Idee vom Messias am weitesten davon entfernt, einen politisch so ganz vernichteten, wie Jesus damals war, als solchen anzuerkennen. Man darf aber nur ein Auge für Sagen- bildung haben , so wird man sie hier besonders kenntlich wiederfinden. Zwei Gbelthfiter waren mit Jesu gekreuzigt, so viel hatte die Geschichte, oder auch diefs schon die

24) s. Thilo, Cod. apocr. I. S. 145. Weitere apokrypnischc Nach- richten von den beiden Mitgekreuzigten finden sich im evaog. infant. arab. c. 23, bei Tiin.o, p. 92 f., vgl. die Anjn. p. 143 i im cv. Nicod. c. 9. 10, Thilo, p. 581 ff. c. 26, p. 766 IT.

25) Paulus und Huiaöl, z. d. St.

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Weissagung Jes. 53, 12, an die Hand gegeben. Sie hiengen kii nächst als stamme Personen da, wie wir sie im vierten Evangelium finden, in dessen Entstehungsgebiet nur die einfache Nachricht, dafs sie mit Jesu gekreuzigt worden, gedrungen war. So unbenutzt aber konnte sie die Sage in die Länge unmöglich lassen : sie öffnete ihnen den Mund, und da sie übrigens nur von Schmähungen der Umgeben- den zu berichten hatte, so liefs sie in den allgemeinen Hohn gegen Jesum auch die beiden Ubelthäter, zunächst ohne nähere Angabe ihrer Reden, einstimmen (Matth, und Mar- kus). Doch die Mitgekreuzigten liefsen sich noch besser benutzen. Hatte ein Pilatus Zeugnifs für Jesum abgelegt, ceugte bald darauf ein römischer Centurio , ja die ganze wunderbar aufgeregte Natur für ihn : so werden auch sei- ne beiden Leidensgenossen, wiewohl Verbrecher, gegen den Eindruck seiner Grofse nicht ganz verschlossen geblieben sein, sondern, wenn zwar der eine, der ursprünglichen Gestaltung der Sage geroäfs, lästerte, so mufste wohl der andere sich in entgegengesetztem Sinn geäussert, und Glau- ben an Jesus als den Messias bewiesen haben (Lukas). Ganz im Geist der jüdischen Denk- und Redeweise ist dann seine Anrede an Jesum und dessen Antwort; denn das Pa- radies war nach damaliger Vorstellung derjenige Theii der Unterwelt, welcher die Seelen der Frommen in der Zwi- schenzeit zwischen ihrem Tod und der Auferstehung be- herbergen sollte; um eine Stelle im Paradies und ein gnädi- ges Andenken im künftigen Äon bittet der Israeiite Gott, und so hier den Messias 26) , und von einem ausgezeich- net frommen Manne glaubte man, dafs er den in seiner

26) Confessio Judaci aegroti , bei Wktstiw , p. 820 : da por- tionem meam in horto Edenis , et memento mei in seculo fu- turoy quod absconditum est justis. Andere Stellen s. bei ebendems., p. 819.

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542 Dritter Abschnitt

Sterbestande Anwesenden mit sich in «las Paradies einfüh- ren könne27).

Dem Kreuze Jesu wurde nach römischer Sitte28) eine intyQacprj (Marc. Luc), ein titXog (Job.), angeheftet, der tjjv ahiav ai ttt (Matth. Marc.) enthielt, welche nach sämmt- lichen Evangelisten durch die Worte: o ßaoiltvg tdh *fe- daiiov. bezeichnet war. Lukas und Johannes meiden, dafs diese Aufschrift in drei Sprachen zu lesen gewesen sei, und der letztere giebt noch die Notiz, dafs die jüdischen Obern den Spott, der in dieser Fassung der Überschrift gegen ihre Nation lag, wohl gefühlt, und defshalb den Pilatus, jedoch vergeblich, um Abänderung derselben ge- beten haben (V. 21 f.).

Von den Soldaten, welche Je; um gekreuzigt hatten, deren Zahl Johannes auf vier angiebt, berichten die Evan- gelisten einstimmig, dafs sie die Kleider Jesu mit An wen- dung des Looses unter sich vertheile haben. Nach dem römischen Gesetze de bonis damrtntorum 29) fielen die Klei- dungsstücke der Hingerichteten als spolia den Vollstrerkern des Urtheils zu , und insofern hat jene Angabe der Evan- gelisten einen historischen Anhaltspunkt. Doch, wie die meisten Züge dieser letzten Scene im Leben Jesu, hat sie auch einen prophetischen. Bei Mntthffus zwar ist die An- führung der Stelle Ps. 22, 19. ohne Zweifel eingeschoben, sicher ficht dagegen dasselbe Citat bei Johannes (10. 24 ): iva rj yqacfi) nlqQOf&jj ?j Uy&aa (wörtlich nach der LXX.) diefugiocnro ra iftartcl //ö htvroig , xai inl rov itfctTiOftov (iü ißaXov x).r4Qov. Auch hier hat nach der Versicherung

27) Cetuboth f. 103, bei Wetsthk, p. 819: Quo die Bahbi mo- riturm erat , venit vox de coelo , dixitque : qni praesens acierit morienti Rabbi , ille intrabit in paradisum.

28) s. WtTSTEiK, z. d. St. des Matthaus.

20) Angeführt bei Wktstkin, p. BSG , womit übrigens die Text- berichti^ung von Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 751, zu ver- gleichen ist.

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der orthodoxen Ausleger der Verfasser des Psalms, David, nach einer höheren Leitung, im Zustand der Begeisterung solche bildliche Ausdrücke gewühlt , welche bei Christo in eigentlichem Sinne zugetroffen sind 30). Vielmehr aber gab David, oder wer sonst der Urheber des Psalms ist, als ein Mann von dichterischem Geiste jene Ausdrücke nur bildlich, im Sinne von gänzlichem Unterliegen; aber die kleinlichte , prosaische Auslegungsweise der späteren Ju- den , welche die Evangelisten ohne ihre Schuld theiiten, und von welcher sich die orthodoxen Theologen, aber durch eigene Schuld, nach IS Jahrhunderten noch immer nicht frei gemacht haben, glaubte jene Worte eigentlich nehmen , und in diesem Sinn als am Messias erfüllt nach- weisen zu müssen. Ob nun die Evangelisten die Klei- derverloosung mehr aus historischen Nachrichten, die ih- nen zu Gebote standen, oder aus der prophetischen Stelle, welche sie verschiedentlich auslegten, geschöpft haben, mufs aus der Vergleichung ihrer Berichte sich ergeben. Diese weichen darin von einander ab, dafs, wahrend den Synoptikern zufolge sämmtliche Kleider durch das Loos vertheiit wurden, was schon aus dem Su/ueotoutTt) tu tia avru, ßdllovtes xA#;oov bei Matthäus (V. 35.) und der ähnliehen Wendung des Lukas (V. 34.), am entschieden- sten aber ans dem Zusatz des Markus : %ig %l qq* (V. 24.), erheilt: bei Johannes die übrigen Stücke ohne Loos ver- theilt, und nur um das Unterkleid geloost wird (V, 23. f.). Diese Abweichung wird gewöhnlich viel zu leicht genom- men, und stillschweigend so behandelt, als ob die Dar- stellung der Synoptiker zur johnnneischen sich nur wie die unbestimmtere zur bestimmteren verhielte. Kuinöl über- setzt mit Rücksicht auf den Johannes das Matthäische dufi£Qi£ovTO ßdXXomg geradezu durch : partim dividc-

bant , partim in sortem conjiciebant ; allein so läftt sich

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30) Tholuck, S. 341.

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644 Dritter Abschnitt.

nicht theilen, sondern das <Ji£//«n/9'o>m giebt nn , was, das ßdllovzeg xL, wie sie es gethan haben: ohnehin Ober das %lg %L ftQf, schweigt Kuinöl still , weil hierin unverkennbar liegt, dafs sie um melirere Stücke geJoost haben, während sich nach Johannes das Loos nnr auf Ein Kleidungsstück bezog. Fragt es sich nun, welche von beiden widerspre- chenden Angaben die richtige sei , so wird auf dem jetzi- gen Standpunkte der vergleichenden Evangelienkritik die Antwort ohne Zweifel so lauten, da Ts der Augenseuge Jo- hannes das Richtige gebe, den Synoptikern aber sei nur das Unbestimmte zu Ohren gekommen, dafs bei der Ver- thcilung der Kleider Jesu die Soldaten das Loos in An- wendung gebracht haben, und diefs haben sie aus Unkennt- nifs der näheren Verhältnisse so verstanden, als ob Tiber sammtiiche Kleidungsstücke Jesu das Loos geworfen wor- den wäre. Allein, wenn schon der Umstand, dafs gerade Johannes allein es ist, der die Psalmstelle ausdrücklich anführt, eine vorzügliche Berücksichtigung derselben von seiner Seite beweist, so ist überhaupt diese Abweichung der Evangelisten eine solche, welche einer verschiedenen Auslegung jener Stelle aufs Genaueste entspricht. Wenn der Psalm von einem Vertheilen der Kleider und Verloo- sen des Gewandes redet, so ist im Sinne des hebräischen Parallelismus das zweite nur nähere Bestimmung des er- sten, und in richtigem Versta'ndnifs hievon setzen die Syn- optiker das eine der heiden Verba ins Participium. Wer aber entweder diese Eigenheit des hebräischen Sprachge- brauchs nicht berücksichtigte, oder ein Interesse hatte, je- den einzelnen Zug der Weissagung als besonders erfüll- ten herauszuheben, der konnte jene näher bestimmende copula als hinzufügend fassen , und so in dem Verloosen einen von dem Vertheilen verschiedenen Act linden. Dann mnfste auch der iftanOfiOQ (Bftft)) welcher ursprünglich ein synonymum von ifiaria (0^132) war, ein von diesen verschiedenes Kleidungsstück werden , dessen nähere Be-

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Drittes Kapitel. §. 13!. 545

Stimmung, weil sie im Wort auf keine Weise lag, dem Belieben überlassen blieb. Der vierte Evangelist bestimmte es als yu ( ) v, und weil er seinen Lesern auch einen Grund schuldig eu sein glaubte, warum auf dieses Stück ein von der Vertheilung der Übrigen so verschiedenes Verfahren angewendet worden sei, brachte er heraus, der Grund, warum man das Unterkleid lieber verloosen als Eertheilen wollte-, werde wohl gewesen sein, dafs es keine das Zer- trennen begünstigenden Na'hte gehabt (aQovqiog), aus Einem Stück gewoben tvyctvzos dt olki) gewesen sei S1> Daha- ben wir also bei dein vierten Evangelisten ganz dasselbe Verfahren, wie wir es in der Geschichte des Einzugs auf Seiten des ersten gefunden haben: beidemale die Verdopp- lung eines ursprünglich einfachen Zugs aus falscher Fas- sung der vopula im hebräischen Parailelismus ; nur ist der erste Evangelist an jener Stelle darin noch weniger willkühr- iich, als hier der vierte, dafs er uns wenigstens mit der Auf- spürung des Grundes verschont, warum damals für Einen Rei- ter zwei Esel haben requirirt werden müssen. Je mehr sich auf diese Weise die Darstellung des bezeichneten Punkts bei den Evangelisten abha'ngig zeigt von der Art, wie je- der jene vermeintlich prophetische Psalmstelle verstand : de- sto weniger scheint eine sichere historische Kunde an ih- rer Darstellong Theil gehabt zu haben , und wir wissen demnach nicht , ob bei der Vertheilung der Kleider Jesu das Loos angewendet, ja ob überhaupt unter dem Kreuze Jesu eine Kleidertheilung vorgenommen worden ist; so zuversichtlich sich Justin gerade auch für diesen Zug auf die Acten des Pilatus beruft, welche er nie gesehen hatte S2).

31) Die Ausleger merken hieiu an, dass auch das Kleid des jü- dischen Hohenpriesters von dieser Beschaffenheit war. Jo- seph, antiq. 3, 7, 4. Die richtige Ansicht von obiger Dif- ferenz ist bereits in den Probabilien aufgestellt, p. 80 f.

32) Apol. I, 55.

Das Leben Jesu 2te Auß IL Hand. 35

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546 Dritter Abschnitt

xXan dem Benehmen der beim Kreuze Jesu anwesen- den Juden meldet uns Johannes nichts; Lukas Uf*t ilmi Volk zuschauend dastehen, und nur die a(#0!7,%' und die Sojdaten Jesuni durch die Aufforderung, sieh zu retten, wenn er der Messias sei, wozu von Seiten der letzteren noch das Anbieten des Essigs kommt, verhöhnen (V.S5ffV)? Matthäus und Markus haben von einem Spotte der Solda- ten hier nichts, dafür aber lassen sie ausser den uQXitQth', y/jaiiftartlg und nQSjßvrt-QOi noch die nanaTioQevoftevoi Lä- sterungen gegen Jesum ausstofsen (V, 39 ff. 29 fl.). Die Äusserungen dieser Leute beziehen sich theils auf frühere Reden und Thaten Jesu, wie der Spott: 6 xazakwov rov vaov xai iv zQioiv yfiigaig olxoöofiiov, aüaov aeavzov (Matth. Mark.) auf die gleichlautende Rede, die man Jesu zu- schrieb, der Vorwurf aber: u/lug towoev, iaviov ndmaxai awoai oder acjodzu) iaviov (bei allen dreien) auf seine Hei- lungen sich bezieht. Theils aber ist das Benehmen der Juden gegen den Gekreuzigten nach demselben Psalm ge- zeichnet , von welchem Tertullian mit Recht sagt , dafs er tot am Christi pasaionem in sich enthalte 33). Wenn wir nämlich bei Matthäus und Markus lesen : oi de Tiooa— noQtvufteroi ijJXaofijtiav (Lukas von den anxovzeg: e£e- fivxir}Qi£ov') avzov, xiväntg tag xeqpaldg avtojv xai liyov- zeg" so ist diefs doch gewifs nichts Anderes, als was Ps. 22, S. (LXX.) steht: ndvzeg oi öeojQÖvzig ige/uvxrr qi- odv fie9 ildh$oav iv xäliow , ixlvrtaav xt<pab]v, und hierauf hei Matthäus die den Synedristen geliehenen Worte : ni- noit/ev ini tov &eov , (wodj&u) vvv avzov, et avzcvj sind ganz dieselben mit den Worten des folgenden Verses in jenem Psalm : ijlnioev im Kvqtov, qvodo&ta aviov' oa;- vdiio avzov, ort dekei avzov. Kann nun zwar jenes Spot- ten und Kopfschiitteln der Feinde Jesu, unerachtet die Zeichnung desselben nach einer A. T.lichen Stelle abge-

35) Adv. Marcion. a. a. O.

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Drittes Kapitel. $. |3l.

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schuftet ist, dennoch gar wohl wirklich so vor sich gegan- gen sein: so verhält es sich dagegen mit dieser den Spüt- , tern geliehenen Rede anders. Worte, die, wie die ange- gebenen, im A. T. den Feinden des Frommen in den Mond gelegt sind , konnten die Synedristen nicht adoptiren , oh- ne damit sich selbst als Gottlose hinzustellen ; wovor sie sich wohl gehütet haben werden. Nur die christliche Sage, wenn sie einmal den Psalm anf das Leiden Jesu , und na- mentlich auf .seine letzten Stunden, anwandte, konnte auch diese Worte den jüdischen Obern in den Mund legen, and darin die Erfüllung einer Weissagung finden.

Dafs Ton den Zw ölfen einer bei der Kreuzigung Jesu zugegen gewesen wäre, davon melden die zwei vorderen Evangelisten nichts : sie erwähnen blofs mehrerer galiläi- schen Frauen . von welchen sie drei namhaft machen, näm- lich Maria Magdalena, Maria, die Mutter des kleinen Ja- kobus und des Joses ; die dritte bezeichnet Matthäus als Mutter der Zcbedaiden, Markus nennt sie Salome, was nach der gev öhnJicben Ansicht Eine und dieselbe Person ist (Matth. V. 55 f. Marc. V. 40 f.): die Zwölfe scheinen sich ihnen von ihrer Flucht bei Jesu tiefangennehmuiig noch nicht wieder gesammelt gehabt zu haben **). Bei Lukas dagegen sind unter den ndvrsg oi yvtogoi avts, wel- che er der Kreuzigung zusehen iäfst (V. 49.), wohl auch die Zwölfe mitzubegreifen : das vierte Evangelium aber nennt von den Jüngern ausdrücklich denjenigen, or qydna d '/., d. h. den Johannes, als anwesend, und unter den Frauen, neben Maria Magdalena und der von Klopas be- nannten, statt der Mutter der Zebedaiden die eigene Mut- ter Jesu. Und zwar, während nach allen übrigen Be- richten die Bekannten Jesu ftaxQO&tv stehen, müisten dem vierten Evangelium zufolge Johannes und die Mieter Jesu.

34) Justin, Apol. I, 50. und sonst, spricht gar von Abfall und Verleugnung aller Jünger nach der Kreuxigung Jesu.

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548 Dritter Abschnitt.

in der nächsten Nfihe des Kreuzes gestanden haben, da nach dessen Bericht Jesus vom Kreuze herunter den Johannes zum Stellvertreter in dem kindlichen Verhaltnifa zu seiner Mutter beruft (V. 25 ff.). Wenn Olshaüsf.n den Widerspruch, welcher zwischen der synoptischen Ansähe und der johanneischen Voraussetzung von der Stel- lung der Bekannten Jesu zu seinem Kreuze stattfindet, durch die Vermuthung zu heben meint, dafs dieselben An- fangs zwar ferne gestanden , späterhin aber einige nahe an das Kreuz herangetreten seien : so ist hiegegen zu be- merken, dafs die Synoptiker gerade am Schlüsse der Kreu- zes- und Todesscene, unmittelbar vor der Kreuzabnahme, jener Stellung der Angehörigen Jesu gedenken, also vor- aussetzen , dafs sie dieselbe bis zum Ende der Scene ein- genommen haben ; was wir der furchtsamen Stimmung der Jünger in jenen Tagen, und namentlich der weiblichen Schüchternheit, ganz angemessen finden müssen. Könnte man zwar von der mütterlichen Zärtlichkeit vielleicht den lleroimus eines näheren Uinzutretens erwarten: so macht dagegen das völlige Schweigen der Synoptiker, als der In- terpreten der gewöhnlichen evangelischen Tradition , die historische Realität jenes Zuges zweifelhaft. Die Synopti- ker können weder von der Anwesenheit der Mutter Jesu bei'm Kreuz etwas gewufst haben: sonst würden sie vor allen andern Frauen sie als die Hauptperson namhaft ma- chen; noch scheint von einem engeren Verhältnifs dersel- ben zu Jobannes etwas bekannt gewesen zu sein : wenig- stens läTst die Apostelgeschichte (1, 13 f.) die Mutter Jesu mit den Zwölfen überhaupt, seinen Brüdern und den Fr uen Zusammensein. Wie aber die Kunde von jener rüh- renden Gegenwart und diesem merkwürdigen Verhältnifs verloren gehen konnte, begreift sich wenig- tens nicht so leicht, ajs wie sie in dem Kreise , aus welchem d«s vierte Evangelium hervorgegangen ist, hat entstehen können. Müssen wir uns nach früher erwogenen Spuren diesen

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Dritte« Kapitel. §. 131. 549

Kreis als einen solchen denken, in welchem der Apostel Johannes besondere Verehrung genofs, wefswegeri ihn denn unser Evangelium- aus der DreizaM der genaueren Ver- trauten Jesu heraushebt, und allein cum LiebÜngsjüngee macht: so konnte zur Besieglung dieses Verhält nisses nichts Schlagenderes gefunden werden, als die Angabe, dal« Jesus die theuerste Hinterlassenschaft, seine Mutter (in Beziehung auf welche, wie auf den angeblichen Lieblings- jiinger, ohnehin die Frage nahe lag, ob sie denn in dieser letzten INoth von der Seite Jesu gewichen seien V) , dem Jo- hannes gleichsam letztwillig abergeben, diesen foroit an sei- ne Stelle gesetzt , ihn zum vicarius Christi gemacht habe.

ist die Anrede Jesu an die Mutter und den Jünger dem vierten Evangelium ei^enthfimlieh : so findet sich um- gekehrt der Aufruf : , jj/i , kapa oaßax&avi ; nur in den zwei ersten Evangelien (Matth. V. 46. Marc. V. 34.). Die- ser Ausruf und der innere Zustand , aus welchem er her- vorgegangen , wird , wie der Seelenkampf in Gethse- mane, von der kirchlichen Ansicht als ein Theil des stell- vertretenden Leidens Jesu gefafst. Da man sich jedoch auch hier das Auffallende nicht verbergen konnte, welches darin liegt , wenn der biofs körperliche Schmerz verbun- den mit dem äusserlichen Unterliegen seiner Sache Jesum bis zum Gefühle der Gottverlassenheit niedergedrückt Ha- len sollte, w«J rend es vor und nach ihm solche gegeben hat , welche unter ebenso »rolsen Leiden doch die Fassung und Stärke des Geistes beibehalten haben: so hat die kirch- liche Ansieht auch hier zu dem natürlichen körperlichen und Seelenschmerz als den eigentlichen Grund jener Stim- mung Jesu ein Zurückweichen Gottes von seinem Innern, eine Empfindung des göttlichen Zorns, hinzugefügt, w as an der Stelle der Menschen , die es eigentlich als Strafe ver- dient hätten, über ihn verhängt worden sei Wie aber bei .

55) s. Calvin, Co mm. in barm. cvv. zu Matth. 27, 46. Olmiau- &S2V z. d. St.

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£50 Dritter Abschnitt. .

den kfrchU«han Voraussetzungen über die Person Christi ein Zurückweichen Gottes Von seinem Innern gedacht wer- den kann , mögen die Veitheidiger dieser Ansicht selbst au« sehen. Soli es die menschliche Natur in ihm gewesen sein, die sich so verlassen fühlte : so wäre ihre Einheit mit der göttlichen unterbrochen, also die Grundlage der Persön- lichkeit Christi nach jenem System aufgehoben gewesen; oder die göttliche : so hätte sich die z weite Person in der Gottheit von der ersten losgerissen ; der aus beiden Naturen bestehende Gottmensch aber kann es ebensowenig gewesen sein, was sich gottverlassen fühlte, da dieser ja eben die Einheit und Unsertrennliohkeit des Göttlichen und Mensch- Hohen ist. So durch den Widerspruch dieser supranatura- iistischen Erklärung zu der natürlichen Ableitung jenes Ausrufs aus dem Gefühl des äusseren Leidens aurückge wür- fen, und dooh von der Annahme, dafs durch dieses Jesu* so tief sollte gebeugt gewesen sein, abgestoßen, hat man dem Ausruf einen mildern Sinn unterzulegen versucht. Da es die Anfangsworte des für diesen letzten Abschnitt im Leben Jesu classischen Ps 22. sind, dieser Psalm aber mit klagender Schilderung tiefsten Leidens zwar beginnt, doch im Verlaufe au froher Hoffnung der Rettung sich aufschwingt, •o hat man angenommen, die Worte, welche Jesus unmit- telbar ausspricht, geben nicht seine ganze Empfindung, sondern , indem er den ersten Vers ausspreche , citire er damit den ganzen Psalm, namentlich auch seinen freudi- gen Sohlufs , gleich als wollte er sagen : auch ich awar, wie der Verfasser jenes Psalms, scheine jetzt von Gottver- lassen , aber an mir , wie an ihm , wird sieh nur um so mehr die Hülfe Gottes verherrlichen Allein , that Je- sus jenen Aa.n.f in Bezug auf die Umstehenden, um sie der baldigen Wendung seines Schicksals zu versichern :

36) So Paulus, Grats z, d. St. ScaLSisajucass , Glaubenslehre, 2, S. 13*. Abau

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Drittes Kapitel. 9. 1.11. 5>l

ao hätte er es auf die zweckwidrigste Weise angegriffen, wenn er gerade diejenigen Worte des Psalms ausgespro- chen hätte, welche vom tiefsten Elend handeln, und er hätte statt des ersten Verses eher einen der Verse vom. lOten bis l'iten, oder vom 20ten bis cum finde, anführen müssen ; wollte er aber durch Jenen Ruf nur seiner eignen Empfindung Luft machen I so würde er nicht diesen Verg gewählt haben , wenn nicht eben das iu diesem , sondern das in den folgenden ausgesprochene Gefühl sein eigene* in diesem Augenblicke gewesen wäre. War es aber sein eigenes, und, nach Beseitigung übernatürlicher Erklärungs- gründe, aus seiner damaligen äussern Calamität hervorge- gangen: so konnte derjenige, welcher, wie die Evange- lien von Jesu berichten, das Leiden und Sterben längst in seinen Messiasbegritf aufgenommen, mithin als göttliche Führung begrifren hatte, das nunmehr wirklich eingetre- tene schwerlich als eine Gottverlassenheit beklagen , son- dern der Gedanke würde sehr nahe liegen, Jesus habe sich in früher gehegten Erwartungen durch die unglückliche Wendung seines Schicksals getäuscht gefunden, und so in Durchführung seines Plana von Gott verlassen geglaubt 37). Doch auf solche Vermuthungen hätten wir dann erst uns einzulassen, wenn jener Ausruf Jesu historisch sicher be- gründet wäre. In dieser Hinsicht würde uns «war das Stillschweigen des Lukas und Johannes nicht so sehr an* fechten, dafs wir zu Erklärungen desselben unsre Zuflucht nähmen, wie die: Johannes habe den Ausruf verschwie- gen, um nicht der gnosrischen Ansicht Vorschub tu thun, als hätte der leidensunfaiiige Äon Jesum damals schon ver- lassen gehabt "s> ; wohl aber macht das Verhältnis der Worte Jesu zum 22ten Psalm diesen Zug verdächtig. War

37) So der Wolfenbüttlcr , vom Zweck Jeiu und seiner Jünger, S. 153*

33) ScHASCiiSAttUA6SJi9 Beitrüge, S. ob f.

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552 Dritter Abschnitt. ,

nämiicli der Messias einmal als leidender aufgefaßt, nnd wurde jener Psalm gleichsam als ein Programm seines Lei« dens benutzt, wozu es keineswegs des Anlasses bedurfte, dafs Jesus am Kreuz eine Stelle desselben wirklich ange- führt hatte: so mufsten die Anfangs worte des Psalms, wel- che das Gefühl des tiefsten Leidens aussprechen, sich gane besonders eignen, dem gekreazigten Messias in den Mund gelegt zu werden. In diesem Falle könnte dann auch die auf jenen Ausruf Jesu sich beziehende Spottrede 39) der Umstehenden, oti *Hliav (potvel uiog u. s. w. , nur so ent- standen sein, dafs dem Wunsche, für diese Scene dem Psalm gemaf* verschiedene Spottreden zu bekommen, der Gleichklang des i]u in dem Jesu geliehenen Ausrufe mit dem auf den Messias bezogenen Elias entgegengekommen wäre. m

Über den letzten Laut, welcher von dem sterbenden Jesus vernommen wurde, differiren die Evangelisten. Nach den beiden ersten war es blofs eine (piovq fieydlq, mit welcher er verschied (V. 50.37,); nach Lukas das Gebet: ftdteQ, elg a** naqa&qoafiai %6 nvavßii /<« (V. 46.) ;

nach Johannes das kurze zitiXegaij worauf er das Haupt

39) Nach Olshauskk, S. 405, ist ein lolchcr Sinn der Rede mit keiner Sylbc angedeutet, vielmehr soll schon jetit sich ein heimlicher Schauder Uber die Gemuther ausgebreitet , und die Spötter bei dem Gedanken gebebt haben, Elias möchte im Wetter erscheinen. AU ein wenn sofort unter dem Vor- wandq, zusehen zu wollen, f? J^to* 7/2/«?, oulotov avrtr, ei- ner, der Jesu zu trinken geben will, davon abgemahnt wird, so ist doch hiedurch jener Vorwand deutlich genug als ein höhnischer bezeichnet, und gehört also der Schauder und das Beben nur der unwissenschaftlichen Stimmung des bibl. Commentators an , in welcher er sich namentlich der Lei- densgeschichte, als einem mysterium tremendum gegenüber befindet, und die ihn auch srhoa in Pilatus eine Tiefe fin- den Hess , welche die fcvangi listen diesem Römer nirgends geben.

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Dritte* Kapitel. §. 129.

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neigte und verschied (V. 30.)- Hier lassen sieh die zwei ersten Evangelisten mit je einem oder dem andern der fol- genden durch die Annahme vereinigen: was jene unbe- stimmt als lauten Schrei bezeichnen, und was man nach ihrer Darstellung für einen unarticulirten Schmerzenslaut halten könnte, davon geben diese näher die Worte an. Schwerer hingegen fällt die Vereinigung der zwei letzten Evangelien miteinander. Denn soll nun Jesus zuerst sei- ne Seele Gott befohlen, und hierauf noch: es ist vollbracht! gerufen haben, oder umgekehrt: so ist beides gleichsehe gegen die Absicht der Evangelisten, da des Lukas xctl rav+ ja tlnwv i^inrevaevi nicht mit Paulus durch „bald nach- dem er dieses gesprochen, verschied er" wiedergegeben werden kann, and Johannes schon dem Worte nach einen letzten, absch liefsenden Ausruf geben will, welchen aber der eine so, der andere anders dachte. Dem Lukas scheint die für das Sterben Jesu gewöhnliche Formel : naQida)X€ %o mtv^a, zu einer ausdrücklichen Übergabe des Geistes an Gott von Seiten Jesu geworden eu sein, und mit Rück- sicht auf die Stelle Ps. 31, 6. (LXX) : (xiW)yj/c 7*?Q&S ob TiaQctOqooftat t6 fivBVfucc /.m eine Stelle, die sich we- gen der genauen Ähnlichkeit dieses Psalms mit dem 22ten leicht darbot, sich zu jenem Huf ausgebildet zu haben. Wogegen der Verfasser des vierten Evangeliums mehr aus der Situation Jesu heraus ihm einen Ausruf geliehen zu haben scheint, indem er ihn durch das ttiikecat die Voll- endung seines Werkes, oder die Erfüllung sfimmtlicher Weissagungen (mit Ausnahme natürlich dessen, was sich erst noch in der Auferstehung vollenden und erfüllen soll- te) aussprechen Jä'fst.

Doch nicht blofs diese letzten, sondern auch schon die früheren Reden Jesu am Kreuze lassen sich nicht so, wie man gemeiniglich glaubt, ineinanderschieben. Man zä'hlt gewöhnlich sieben Worte Jesu am Kreuze: allein so viele hat kein einzelner Evangelist, sondern die beiden ersten

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554 Dritter Abschnitt.

haben nur Eines: den Ruf tj Vi x. t. L ; Lukas hat drei: die Bitte für die Feinde, die Verheifsung an den Mitge- kreuzigten, und die Übergabe des Geistes in des Vaters Hände; Johannes hat gleichfalls drei, aber andere: die Anrede an Mutter und Jünger, das diipw, und das rer He- gen. Hier iiefsen sich die Fürbitte, die Verheifsung, und die Anempfehlung der Mutter wohi in solcher Aufeinan- derfolge denken: aber das dixpw und das rU verwickeln sich bereits, indem nach beiden Ausrufungen das Gleiche, die Tränkung mit Essig durch einen auf ein Rohr gesteck- ten Schwamm, erfolgt sein soll. Mmmt man hiezu die Verwicklung des retilegai und des ndieQ x. %. L: so sollte man wohl einsehen und zugestehen, dafs keiner der Evan- gelisten bei den Worten, welche er Jesu am Kreuz in den % Mund legt, auf diejenigen, welche der andre ihm leiht, gerechnet, und von denselben etwas gewufst habe; viel- mehr malt diese Scene jeder auf seine Weise, je nach- dem er oder die ihm zu Gebot stehende Sage nach dieser oder jener Weissagung oder sonstigen Rücksicht die Vor- stellung von derselben ausgebildet hatte.

Eigentümliche Schwierigkeit macht hier noch die Stundenzählung. Mach sBmintlichen Synoptikern fand and &tT7jg ÜQctg &og ÜQag iwät^g (nach unsrer Rechnung von Mittags 12 bis Nachmittags 3 Uhr) die Finsternifs statt; nach Matthäus und Markus war es um die letztere Stun- de, dafs Jesus über Gottverlassenheit klagte, und bald dar- auf den Geist aufgab; nach Markus war es wqcc tqIj^ (Vor- mittags 9 Uhr) gewesen, als sie Jesum kreuzigten (V. 15.)- Dagegen hat nach Johannes (19, 14.) um die sechste Stun- de, wo nach Markus Jesus bereits drei Stunden am Kreu- ze Meng, Pilatus erst über ihn zu Gericht gesessen. Diel* ist, wenn nicht, wie zu Hiskias Zeiten, der Sonnenzeiger rückwärts gegangen sein soll , ein Widerspruch , der sich weder durch gewaltsame Änderung der Lesart, uoch durch Berufung auf das w$ü bei Johannes , oder auf die Lnf'ä-

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Dritt«* Kapitel. $. fjil.

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higlteit der Jünger, anter so schmerzvollen Eindrücken die Stande genau zu beobachten, heben JäTst; höchstens vielleicht dadurch, wenn sich beweisen liefse, dafs das vierte Evangelium durchaus von einer andern Stundenzäh- lung als die Übrigen ausgehe40).

40) So Hirne, exegetische Anstellten, in Ullmann's und Un- hrkit's Studien, 1830, 1, S. 106 ff. Vgl. Uber die verschie- denen Ausgleichungsversucbe Lücki s. d. St. des Joh.

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556 Dritter Abschnitt

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Viertes Kapitei.

Tod und Auferstehung Jesu.

§. 132.

Die Naturerscheinungen bei'm Tode Jesu.

Der Tod Jesu war nach den evangelischen Berichten Ton ausserordentlichen Erscheinungen begleitet. Schon drei Standen vorher soll eine Finsternifs sich verbreitet, und bis zu seinem Verscheiden gedauert haben (Matth. 27, 45. parall.); im Augenblicke des Todes sei der Vorhang im Tempel von oben an bis unten aus zerrissen, die Erde ha- be gebebt, die Felsen sich gespalten, die Gräber sich auf- gethan, und viele Leiber heiliger Verstorbenen seien auf- erstanden, in die Stadt gekommen, und Vielen erschienen (Matth. V. 51 ff. parall.). In diese Nachrichten theileit sich übrigens die Evangelisten sehr ungleich: nur das er- ste enthält sie alle; das zweite und dritte blofs die Fin- sternifs und das Zerreifsen des Vorhangs; das vierte aber weifs von allen diesen Zeichen nichts.

Nehmen wir sie einzeln nach der Reihe vor: so kann zuerst das oxocng, weiches, während Jesus am Kreuze hieng, entstanden sein soll, keine gewöhnliche, durch Dazwi- schenkunft des Monde? vermittelte Sonnenfinsternif* gewe- sen sein da es ja am Pascha, also um die Zeit des Voll- monds, war. Doch indem nun auch die Evangelien nicht

1) Das Evang. Nicodemi lasst die Juden sehr unverständig be- haupten : txlni/i; jjrii« ytyort xaea tO *?lü#J». C. 11, p. 502- bei Thilo.

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Viertes Kapitel. 5. 1.12. 557

bestimmt von einer txletlfttg rtlia sprechen, sondern die beulen ersten nur überhaupt von oxozog, wozu das dritte zwar etwas genauer: xal iaxotio&q 6 rj?uog, setzt, was aber gleichfalls von jeder Art der Verdunkelung des Sonnenlichts gesagt werden kann : so lag es nahe, statt einer astronomi- schen an eine atmosphärische Ursache dieser Finsternifs zu denken, und sie von verdunkelnden Dämpfen in der Luft, wie sie zumal vor Erdbeben herzugehen pflegen, abzuleiten Dafs solche Verdunkelungen der Luft über ganze Länder sich ausbreiten können, ist richtig; aber wenn auch die qXt} oder näaa rt yry über welche sich diese Finster- nifs erstreckt haben soll, nicht mit Fritzsche als der ganze Erdkreis genommen wird, so zeigt doch der Zusammen- hang, in welche sie die Evangelisten stellen, deutlich genug, dafs sie sich etwas Wunderbares dachten : wobei dann aber das Suchen nach einem denkbaren Grund und Zwecke des Wunders in die Frage nach seiner historischen Realität sich verwandeln mufs. Für diese beriefen sich die Kirchenvä- ter auf Zeugnisse heidnischer Schriftsteller, von welchen nnrnentlich Pblegon in seinen yoonxoTg jene Finsternifg angemerkt haben sollte ") : allein wenn man die bei Euse- bius wahrscheinlich aufbewahrte Stelle des Phlegon ver- gleicht, so ist in dieser nur die Olympiade, schwerlich das Jahr, in keinem Fall die Jahrszeit und der Tag dieser Finsternifs bestimmt *). Neuere berufen sich auf ähnliche Fälle aus der alten Geschichte, von welchen namentlich Wetstein eine reiche Sammlung angelegt hat. Er bringt aus griechischen and römischen Schriftstellern die Notizen von den Sonnenfinsternissen bei, welche bei der Wegnah- me des Romulus, beim Tode Cäsar* 5), und ähnlichen Er-

2) So Paulus und Kuiköl, z. d. St. ; Hass, L. J. §. 145.

3) Tertull. Apologet, c. 21. Orig. c. Cels. 2, 33, 59.

4) Euseb. can. chron. ad Ol. 202. ann. 4. Vgl. Paulus. S. 765 ff.

5) Serv. ad Virgil. Georg. 1,465 ff. : Constat , occiso Caetare in

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558 Dritter Abschnitt.

eignissen, stattgefunden; er führt Ausspröehe an, welche die Vorstellung enthalten, dafs Sonnenfinsternisse den Sture von Reichen, den Tod von Königen bedeuten ; endlich weist er A. T.liche (Jes. 50, 3. Jogi 3, 20. Arnos 8, 9. tgl. Jer. 15, 9.) und rabbinische Stellen nach, in welchen theils die Verfinsterung des Tageslichts als das göttliche Trauerco* stfim beschrieben 6), theils der Tod grofser Lebrer mit dem plötzlichen Untergang der Sonne am Mittag verglichen 7), theils die Ansicht vorgetragen wird , dafs bei dem Tode hoher hierarchischen Beamten, wenn ihnen die letzte Eh* re nicht erwiesen werde, die Sonne sich zu verfinstern pflege 8). Aber statt Stützen der Glaubwürdigkeit der evangelischen Erzählung zu sein, sind diese Parallelen eben- so viele Prämissen zu dem Schlüsse, dafs wir auch hier nur eine aus verbreiteten Vorstellungen entsprungene christ- liche Sage haben, welche den tragischen Tod des Messias von der ganzen Natur durch ihr solennes Traueroost. im mitfeiern lassen wollte 9).

Das zweite Prodigium ist das Zerreissen des Tem- pel Vorhangs, ohne Zweifel des inneren , vor dem Allerhei- ligsten, indem das diesen bezeichnende rCftS von der LXX.

durch xatanhaafta wiedergegeben zu werden pflegt. Auch diefs Zerreissen d*»s Vorhangs glaubte man als natürliches £reignifs deuten zu können, indem man es als Wirkung der Erderschütterung ansah. Allein von dieser ist, wie

Senatu pridie'ldus Maritas , solis fuisse defectum ab hora sexta usqtte ad noctem.

6) Echa H. 3, 28.

7) R. Bechai Cod. Hakkema : Cum insigni* Rabbinus fato con- cederet, dixit quidam: iste dies gravis est Israeli, ut cum sol occidit ips> meridie.

8) Succa , f. 29 , 1 : Dixerunt doctores : quatuor de causis sol ileficit : prima , ob palrem do/nus judicii morluum r cui exre- quiae non fiunt ut decet etc.

9) t. r'ftiTzacMs, *. d. St.

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Vierte« Kapitel. $. 132. 559

schon Lightfoot richtig bemerkt, elier begreiflich, wie sie feste Körper, dergleichen die nachher ermahnten nkiQat sind, als wie sie einen dehnbaren, freih anwenden Vorhang sii »erreissen im Staude war. Daher soll nun nach Paulus Annahme der Vorhang im Tempel ausgespannt, unten und auf den Seiten befestigt gewesen sein. AHein theils ist diefs blofse Vermuthung, theils, wenn <fts Erdbeben die Wände des Tempels so stark erschütterte, dafs ein, ob auch ausgespannter, doch immer noch dehnbarer Vorhang zerrifs : so wäre von solcher Erschütterung wohl eher et- was am Gebäude eingefallen, wie nach dem Hebra'erevan- gelium geschehen sein soll 10): wenn man nicht mit KuinÖl die weitere Vermuthung hinzufügen will, der Vorhang sei vor Alter mürbe , und daher auch durch eine kleine Kr- srhütterung zu zerreissen gewesen. Dafs in keinem Fall unsre Berichterstatter an einen solchen Caosalzusammen- lumg gedacht haben, bewebt des zweiten und dritten Evan- gelisten Schweigen von dem Erdstofs, und bei dem er- sten das , dafs er desselben erst nach dem Zerreissen dea Vorhangs gedenkt. Müssen wir demnach dieses Ereignifs, wenn es sich wirklich zugetragen haben soll, als wunder- bares festhalten: so könnte der göttliche Zweck bei dessen llervorbringung nur dieser gewesen sein, auf die jüdischen Zeitgenossen einen starken Eindruck von der Bedeutsam- keit des Todes Jesu hervorzubringen, und den ersten Ver- küudigern des Evangeliums etwas an die Hand zu geben, worauf sie sich in ihren Beweisführungen stützen könnten. Allein, wie auch Schleiermacher herausgehoben hat, nir- gends sonst im N. T. , weder in den apostolischen Brie- fen, noch in der A. G., noch im Brief an die Hebräer, auf

10) Hieron. ad Hedib. ep. 149, 8. (vgl. Comm. z. d. St.): in epangelio antcm , quod hebraicis litens scriptum est, legimusy non velum tcmpli scissum, sed superliminare templi mirae magnitudinis cor misse,

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560 Dritter Abschnitt. V,

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dessen Wege es fast nicht umgangen werden konnte , ge- schieht dieses Factuuis Erwähnung: sondern bis auf diese trockene synoptische Notiz ist jede Spur desselben ver- loren; was schwerlich der Fall sein konnte, wenn es wirklich einen Stützpunkt apostolischer Beweisführung ge- bildet hätte. Es müfste also die göttliche Absicht bei Veranstaltung dieses Wunders durchaus verfehlt worden sein, oder, da diefs undenkbar ist, so kann es nicht um dieses Zweckes willen, d. h. aber, da sich ein andrer nicht denken läfst, gar nicht geschehen sein. In anderer Weise kommt freilich ein eigenthümliches Verhältnifs Jesu tum jüdischen Tempelvorhang im Hebräerbrief zur Spra- che. Wahrend vor Christo nur die Priester in das Hci- *lige, in das Allerheiligste aber nur der Hohepriester Ein- mal des Jahrs mit dem Sühnungsblute Zutritt gehabt habe, sei Christus als ewiger Hohepriester mittelst seines eignen Blutes alg zo ioorceitoy tu xaranetdo^crrog , in das Aller- beiiigste des Himmels, eingegangen, womit er der tcqoöqo- fiog der Christen geworden sei, und auch ihnen den Zu- gang dahin eröffnet, eine alvinov Xvtqumsiv gestiftet habe (6, 19 f. 9, 6—12. 10, 19 f.). Diese Metaphern findet auch Paulus unsrer Erzählung so verwandt, dafs er es möglich findet, diese zu den Fabeln zu rechnen , welche nach dem IlKNKE'schen Programm e figurata genere diccndi abzulei- ten sind ; wenigstens sei die Sache, wenn auch wirklich vorgefallen, doch den Christen vorzüglich wegen jener, den Bildern des Hebräerbriefs verwandten symbolischen Be- deutsamkeit wichtig gewesen , dafs nämlich durch Christi Tod der Vorhang des jüdischen Cuitus zerrissen, der Zutritt zu Gott ohne Priester durch nQoaxmeiv t* mev- fiazi jedem eröffnet sei. Ist aber, wie gezeigt, die histo- rische Wahrscheinlichkeit des fraglichen Ereignisses so schwach, dagegen die Anlässe, aus welchen die Erzählung ohne historischen Grund sich bilden konnte, so bedeutend: so ist es folgerichtiger, mit Schleiermachkr den Vorgang

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Viertes Kapitel. §. 132. 561

ah geschichtlichen gan» aufzugeben, in ErwHgung, dafs sobald man anfieng, das Verdienst Christi unter den im Brief an die Hebräer herrschenden Bildern darzustellen, ja schon bei den ersten , leisesten Übergängen zu dieser Lehrweise, bei der ersten Aufnahme der Heiden, die man cum jüdischen Cultus nicht verpflichtete, und die also auch ohne Antheil an den jüdischen Sühnungen blieben , solche Darstellungen in die christlichen Hymnen [und die evan- gelischen Erzählungen] kommen mufsten ")•" '

Über das folgende: yrjioelo^j xai alnhQcaioxlo- &rtaav , kann nur Im Zusammenhang mit dem Vorhergehen« den geurt heilt werden. Ein Erdbeben, welches Felsen ser- reifst, ist als natürliche Erscheinung möglich: nicht sei« ten aber kommt es auch als poetische oder mythische Aus« schmückung eines grofsen Todesfalles vor, wie Virgil bei Ca- sars Tode nicht allein die Sonne sich verfinstern, sondern auch von ungewohnter Erschütterung die Alpen erzittern l&Tst **)• Ha wir nun die vorhergemeldeten Prodigien nur aus die« sem letzteren Gesichtspunkte haben fassen können , und da ttberdiefs gegen die historische Begründung der jetzt vorlie- genden Züge ihr alleiniges Vorkommen bei Matthäus spricht : so werden wir auch sie nur so ansehen, wie Fritzschb sagt: Messiae obitum uhoeibus oslentis, quibus , quantm vir quummaxime cjispinUsct , orM terrarum indkaretur9 illustrem esse oportcbuL l3).

11) über den Lukas, S. 293.

12) Georg. 1, 463 ff.

13) Wenn Hase, §. 143, schreibt: „(es) erbebte die'fcrde, mit- trauernd um ihren grössten Sehn'4: so sieht man, wie der Historiker, indem er jenen Zug als geschichtlichen festhal- ten will, dabei unwillkührlich zum Poeten wird, und wenn der Verf. in der zweiten Auflage die Phrase durch ein ein« gesetztes „gleichsam" mildert : so zeigt sich weiter , dass sein historisches Gewissen ihn darüber zu schlagen nach- träglich nicht unterlassen hat.

Das Lsbtn Jssu Ve Aujl. //, Bund. M

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562 Dritter Abschnitt.

» Das letzte, gleichfalls dem ersten Evangelium eigen -

thOmliche Wandereeichen beim Tode Jesa ist die Eröff- nung der Gräber, der Hervorgang vieler Todten aas den- selben, and deren Erscheinung in Jerusalem. Diesen Vor gang sich denkbar zu machen, fällt besonders schwer. An •ich schon ist weder klar, wie es diesen althebräischen äyiotf **) nach dieser Auferstehung ergangen sein soll I5), noch auch ist über den Zweck einer so ausserordentli- chen Veranstaltung etwas Genügendes anszumitteln '*). Rein in den Auferweckten selbst scheint der Zweck nicht gelegen zu haben, da sich sonst kein Grund denken Hes- se, warum sie alle eben im Momente des Todes Jesu aufer- weokt worden, und nicht jeder in dem durch den Gang sei- ner eigenen Entwicklung bedingten Zeitpunkte. War aber die Überzeugung Anderer der Zweck: so wäre dieser noch weniger erreicht worden als bei dem Wunder des •errissenen Vorhangs , da auf die Erscheinung der Heili- gen nicht nur in den apostolischen Briefen und Reden jede Berufung fehlt, sondern auch unter den Evangelisten Mat- thäus mit seiner Erwähnung derselben allein steht. Eine besondere Schwierigkeit erwächst aus der seltsamen Stel- lung, welche zwischen den scheinbar zusammengehöri- gen Momenten der Begebenheit die Zeitbestimmung: ueu: %ip fyeQOiv ccvtö, einnimmt. Denn wenn man diese Worte

1*) Nur an solche, nicht an sectatores Christi, wie Kuin'öl will, ist au denken. Im evang. Nicodemi, c. 17, sind es allerdings auch Verehrer Jesu, welche bei dieser Gelegenheit auferste- hen, nämlich Simeon (aus Luc. 2 ) und seine beiden Söhne; die Mehrzahl aber bilden auch nach diesem Apocryphum, wie nach der aratpoqa JTtlar* (Thilo, p. MO.), nach Rpipha- nius, orat. in sepulcrum Chr. 275, Ignat. ad Magnes. 9. u. A. (vgl. Thilo, p. 730 ff.) A. T.liche Personen, wie Adam und Eva, die Patriarchen und Propheten.

15) Vgl. die verschiedenen Meinungen bei Thilo, p. 783 f.

16) Vgl. besonders Eichhorw, Butt, in d. N. T. 1, S. 446 ff.

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Viertes Kapitel. §. )32. 5tft

«um Vorhergehenden zieht , also die verstorbenen From- men im Augenblicke des Todes Jesu nur wiederbelebt wer- den, aus den Gräbern aber erst nach seiner Auferstehung gehen läfst : so wäre diefs eine Qnal für Verdammte, nichc ein Lohn für Heiljge gewesen; verbindet man dagegen jene Zeitbestimmung mit dem Folgenden, so dafs die Aufer- weckten zwar gleich nach ihrer beim Tode Jesu erfolg« ten Wiederbelebung auch aus den Gräbern hervorgegan- gen sein, aber erst nach seiner Auferstehung sollen in die Stadt haben gehen dürfen : so sucht man von dem Letzte- ren vergeblich irgend einen Grund« Diese Schwierigkei- ten zu vermeiden, ist es eine grobe Gewalthülfe gewesen! die ganze Stelle ohne kritische Gründe für V«* -"^» zu erklären"); fein- ^ > *ie dio rationalisti- •ciivii 13« Kitirer durch Beseitigung des Wunderbaren in dem £reignifs auch die Übrigen Schwierigkeiten wegzuräumen suchen. Wie bei'm Zerreissen des Vorhangs wird auch hier meistens an das Erdbeben angeknüpft: durch dieses sollen mehrere Grabmäler, namentlich auch von Prophe- ten, geöffnet worden sein, in welchen man, sei es, dafs sie verschüttet, oder verwest, oder von wilden Thieren ge- raubt worden waren , keine Leichen mehr gefunden habe« Ali nun nach Jesu Auferstehung die ihm Geneigten unter den Bewohnern Jerusalems voll von Auferstehungsgedanken gewesen, ao haben diese Gedanken, zusammen mit den leer- gefundenen Gräbern, Träume und Visionen in ihnen er- regt, in welchen sie die in jenen Gräbern beigesetzte ge- wesenen frommen Vorfahren zu sehen geglaubt haben ,H).

17) Stroth, von Interpolationen im Evang. Matth. In EiciihokiTs Rcpcrtorium, 9, S. 159. Nicht viel besser ist die Ksfta'schc Auskunft, die Stelle als Einschiebsel des griechischen Uber- setzers zu betrachten. Uber den Ursprung des Ev. Matth. S. 25 und 100.

18) So Paulus und Kuinöt., z. d. St., welcher letztere diese Er- klärung eine mythische nennt.

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5fi4 Dritter Abschnitt

Allein die^ leergefundenen Gräber hätten auch, mit der Kunde von Jesu Auferstehung zusammen schwerlich sol- che Träume hervorgebracht, wenn nicht schon vorher un- ter den Juden die Erwartung geherrscht hatte, der Mes- sias werde die verstorbenen frommen Israeliten auferwe- cken. War aber diese Erwartung vorhanden, so konnte aus derselben, eher als Traume, vielmehr die Sage von einer bei'm Tode Jesu geschehenen Auferstehung der Hei- ligen hervorgehen, wefswegen Hase mit Recht die Voraus- setzung von Träumen fallen läfat, und allein mit den leer- gefundenen Gräbern auf der einen ond jener jüdischen Erwartung auf der andern Seite auszureichen sucht ,9> bisher angesehen indefs , wenn einmal diese Vorstellung vorhanden w«a , u^nrfte es keiner wirklichen Eröff- nung der Gräber, um einem solcneu m^k..« Entstehung su geben , und so hat Schleiermacher die ieergeiunueuen Gräber aus seiner Rechnung weggelassen 20). Wenn nun aber er statt dessen von visionären Erscheinungen spricht, welche, durch Jesu Auferstehung angeregt, seine Anhänger in Jerusalem gehabt haben : so ist diefs ebenso einseitig, wie wenn Hase, die Träume weglassend, an der Graböffnung festhält; da, wenn einmal das eine, dann auch das andere dieser engverbundenen Momente als historisch aufgegeben werden mufs.

Freilich ist hiegegen nicht ohne Schein bemerkt wor- den , dafs zur Erklärung des Entstehens eines solchen My- thus die angeführte jüdische Erwartung nicht ausreiche 2i). Die Erwartung war näher diese. Vom Apostel Paulus C 1 Thess. 4, 16. vrgl. 1 Kor. 15, 22. f.) und bestimmter aus der Apokalypse (20, 4. £) wissen wir, dafs die ersten Christen bei der Wiederkunft Christi eine Auferstehung der From-

19) T,. J. §. 148.

20) Uber den Ursprung, S. 67.

21) Paulus, exeg. Htndb. 5, h, S. 798.

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Viertel Kapitel. §.132. 5G5

men erwarteten, welche sofort mit Christo 1000 Jahre regie- ren sollten ; erst nach dieser Zeit sollten dann auch die übri- gen auferstehen, und von dieser zweiten (Auferstehung wurde jene als dvdgaaig fj nQunrjy oder iwv dtxalwv (Luc. 14, 14.)> wofür Justin j? dyia avdgaaig jhat 22), unterschie- den. Doch diefs ist schon die christianisirte Form der jüdischen Vorstellung; diese bezog sich nicht auf die Wie- derkunft, sondern auf die erste Ankunft des Messias, und erwartete bei dieser nur die Auferstehung der Israeli- ten 2*). In die Zeit der ersten Farusie des Messias ver- legt nun zwar auch die Nachricht bei Matthäus jene Auferweckung : aber warum sie dieselbe gerade an seinen Tod knüpft, dafür liegt allerdings in der jüdischen Er- wartung an und für sich kein Grund , undjin der Modifi- cation, welche die Anhänger Jesu an dieser* Erwartung anbrachten, hätte, wie es scheint, eher ein Anlafs gelegen, die Auferweckung der Frommen mit seiner Auferste- hung zu verbinden, zumal die Anknüpfung an seinen Tod mit der sonstigen urchristlichen Vorstellung in Wider- spruch zu kommen scheint, welcher zufolge Jesus nQWtotoxog ixtwvvtxQwv (Kol. 1, 18. Offenb. 1, 5.), txnvQXrj twv vv/Anur- fiivow (1 Kor. 15, 20.) ist. Doch wir wissen ja nicht], ob diese Vorstellung die allgemeine war, und, wenn die Ei- nen der eminenten Würde Jesu schuldig zu sein glaub- ten , ihn als den ersten der Auferstandenen zu betrachten, so bieten sich doch auch Gründe dar, welche Andere be- wegen konnten , schon bei seinem Tod einige Fromme auf- erstehen zu lassen. Einmal der äussere, da unter den Prodigien bei Jesu Tod auch ein Erdbeben hervorgehoben ist, und in der Beschreibung seiner Heftigkeit dem nfafMU ioxia9r4oav sich leicht das auch sonst bei Schilderung hef-

22) Dial. c, Tryph. 113.

23) s. die Sammlung Jiichcrgeliörigc r Slcllen Irl Statin***, 2, p. 670 ff. > und in BzaTaouu's ChrUtol. §. 5u.

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500 Dritter Absen oitt.. ,

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tiger Erdbeben vorkommende 2*) fan^fata dyeyyßqoav bei« gesellen konnte: so war hier ein einladender Anknüpfungs- punkt für die Auferstehung der Frommen gegeben. Aber auch aus dem Innern der Vorstellung vom Tode Jesu her» aus, wie sie sich frühzeitig in der christlichen Gemeinde ausbildete, daf« nämlich derselbe das eigentlich erlösende Moment seiner Wirksamkeit ausmache, und namenlich durch den daran geknöpften Htaabgang zum Hades (1 Petr.3, 19. f.) die früher Verstorbenen aus demselben befreit worden

* seien 8*) , konnte sich ein Aniafs ergeben , gerade durch den Tod Jesu die Bande des Grabes für die alten Frommen gesprengt werden zu lassen. Ohnehin wurde durch disSe Stellung noch entschiedener als durch eine Verbindung mit Jesu Wiederbelebung die Auferweckung der Gerech- ten nach Jüdischer Vorstellung in die erste Parusie d*s

v Messias gesetzt ; eine Vorstellung, welche in judaisirenden Kreisen der ersten Christenheit gar wohl noch in einer solchen Erzählung nachklingen konnte: während ein Paulus und auch der Verfasser der Apokalypse bereits auch die dvdzaoig 77 TCQuir?] in die zweite , erst zu erwartende Ankunft des Messias verlegten. Mit Rücksicht auf diese Vorstellung scheint es dann , dafs , wahrscheinlich vom Verfasser des ersten Evangeliums selbst , das fierd %rp tyeqaiv aviS als Restriotion angebracht wurde.

Ihre Beschreibung der Vorgänge bei dem Tode Jesu sehliefsen die Synoptiker mit einer Angabe des Eindrucks, welchen dieselben , zunächst auf den wachhabenden römi- schen Centurio, gemacht haben. Nach Lukas (V. 47.) war dieser Eindruck durch to yevoftevov, d. h. , da er die Finsternis schon früher , zuletzt aber nur das Verschei- den Jesu mit lautem Gebete gemeldet hat, durch eben die«

24) •• die von WsTSTBlS gesammelten Stellen.

25) r. diese Vorstellung weiter ausgeführt im BvaogeL Nicod. csp. 18 ü\

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Viertes Kapitel, f. 132. 567

ses letztere hervorgebracht; wie denn Markos, den Lukas gleichsam auslegend, den Hauptmann dadurch, dafs Jesus Zua xQagag iginvevoev, zu dem Ausruf: 6 av&Qtonög wog viog r]v veranlafst werden JaTst (V. 39.). Bei Lukas

nun, der als die letzten Laute Jesu ein Gebet giebt, ist wohl etwa zu begreifen , wie durch dieses erbauliche Ende . der Hauptmann zu einer vorteilhaften Ansicht von Jesu gebracht werden mochte: wie hingegen aus dem Verschei- den mit lautem Geschrei auf die Würde eines Gottessohns geschlossen werden konnte , will auf keine Weise einleuch- ten. Die passendste Beziehung aber giebt dem Ausruf des Centurio Matthäus, welcher denselben durch das Erd- beben und die übrigen Vorfälle bei'm Tode Jesu veran- lafst sein läfst: wenn nur nicht die historische Realität dieser Rede des Hauptmanns mit der ihrer angeblichen Veran- lassungen stände und fiele. In der Angabe der Worte des Centurio hingegen hat hinwiederum Lukas die histo- rische Wahrscheinlichkeit besser, als seine beiden Vor- männer, beobachtet. Denn Jesum als viog erklärt im jüdischen Sinne hat der römische Krieger schwerlich: er konnte es nur im Sinne der heidnischen Götterzeugungen; in diesem Sinne aber melden die Evangelisten wenig- stens seinen Ausspruch nicht, sondern sie vollen hier selbst einen Heiden für die Messianität Jesu zeugen las- sen: wogegen, dafs er, wie Lukas berichtet, Jesum als av&Qtanog öixatog bezeichnet hätte, an sich wohl möglich wäre, wenn nicht mit der ganzen Darstellung der Kreu- sigungs- und Todesscene auch dieser Schlufstein dersel- ben verdächtig würde zumal bei Lukas, der zu dem Eindruck auf den Hauptmann noch den auf die Übrige Volksmenge fügt, und diese mit Zeichen der Reue und Trauer in die Stadt zurückkehren läfst, ein Zug, welcher nicht sowohl anzugeben scheint, was die Juden wirklich empfunden und gethan , als Mas sie nach christlicher An- sicht hätte thun und emp linden sollen.

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566 Dritter. Abschnitt.

§. 133.

Der Lanzenstich in die Seite Jesu.

Während die Synoptiker Jesum von der d. h. Nachmittags 3 Uhr, wo er verschied, bis zu der o\fjia9 d. h. wohl bis gegen 6 Uhr Abends, am Kreuze hängen lassen, ohne dafs weiter etwas mit ihm vorgienge: schiebt der vierte Evangelist eine merkwürdige Zwisohenscene ein. Nach ihm baten nämlich die Jaden, am zu verhüten, dafs nicht dorcli das Hängenbleiben der Gekreuzigten der be- vorstehende besonders heilige Sabbat entweiht würde, den Procurator, es möchte durch Zerschlagung der Berne ihr Tod beschleunigt, and sie sofort abgenommen werden. Die hiezu beauftragten Soldaten vollzogen diefs an den bei« den neben Jesu gekreuzigten Verbrechern: wie sie aber an Jesu die Zeichen des bereits eingetretenen Todes bemerk- ten, hielten sie bei ihm ein solches Vornehmen für Über- flüssig, and begnügten sich, in seine Seite einen Speerstich ca machen, worauf Blut and Wasser herausfloCs (19, 31 —37.).

Diese Thatsache wird gewöhnlich als Hauptbeleg für die Wirklichkeit des Todes Jesu angesehen , und im Ver- hältnis zu ihr der , aus den Synoptikern zu führende Be- weis für unzulänglich gehalten. Nach derjenigen Rech- nung nämlich, welche den längsten Zeitraum giebt, der des Markus , Iiieng Jesus von der dritten bis neunten , also 6 Standen, am Kreuze, ehe er starb; wenn, wie Manchen wahrscheinlich gewesen ist , bei den beiden andern Synop- tikern die mit der sechsten Stunde eingetretene Finsternils zugleich den Anfang der Kreuzigung bezeichnet , so hieng nach ihnen Jesus nur drei Stunden lebend am Kreuze, und wenn wir hei Johannes die jüdische Stundenzählung voraussetzen, und ihm die gleiche Ansicht vom Zeit punkte des Todes Jesu zuschreiben : so müfste , da er um die aeehste Stande den Pilatus erst das Urtheil sprechen laTsr, Jesus nach nicht viel über zwei Stunden Kreuzigung be-

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Viertes Kapitel. §. ISS. 569

reite gestorben sein. So schnell aber tödtet die Kreuaigung sonst nicht : was theils aus der Natur dieser Strafe , wel- che nicht durch starke Verwundung ein schnelles Verblu- ten, sondern mehr nur durch Ausspannung der Glieder ein allmtthliges Erstarren hervorbringt, sich ergiebt ; theiU aus den eigenen Angaben der Evangelisten erhellt, nach welchen Jesus unmittelbar vor dem Augenblicke, den sie für den letzten hielten, noch Kraft zum lauten Rufen hat- te, auch die beiden Mitgekreuzigten nach jener Zeit noch am Leben waren; theils endlich duroh Beispeile von sol- chen zu belegen ist, welche mehrere Tage lebend am Kreuz Bugeki'acht haben, und erst durch Hungern, dgl. alimfihligge- tödtet worden sind *). Daher haben Kirchenväter und ältere Theologen die Ansicht aufgestellt, Jesu Tod, der auf na- türlichem Wege noch nicht so bald erfolgt sein würde, sei auf Ubernatürliche Weise, entweder durch ihn selber, oder durch Gott, beschleunigt worden *); Ärzte und neuere Theologen haben sich auf die gehäuften körperlichen und Seelenleiden berufen, welche Jesus den Abend und die Nacht vor seiner Kreuzigung zu dulden hatte *) : doch auch sie lassen noch die Möglichkeit offen, dafs, was den Evangelisten der Eintritt des Todes schien, nur eine durch Stockung des Blutumlaufs herbeigeführte Ohnmacht gewe- sen sei , und erst der Speerstich in die Seite den Tod Je- su entschieden habe.

Doch eben über diesen Speerstich, über den Ort, an welchem, das Instrument, durch welches, und die Art und Weise, wie er beigebracht worden, Über seinen Zweck und

1) Das Hiehergehärige findet sich zusammengestellt bei Paulus, exeg. Handb. S, b, S. 781 ff. ; Wiker, bibl. Reaiwörtcrb. 1, 6. 672 ff. ; und Hit«, §. 144.

2) Jenes Tertullian, dieses Grotius, s. bei Paulus, S. 784, Anm.

3) so Grvmbr u. A. bei Paulus, S. 782 ff. Has«, a. a. 0.

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570 Dritter Abschnitt.

seine Wirkung, waren von jeher die Meinungen sehr ver- schieden. Das Instrument bezeichnet der »Evangelist als eine l6y%m was ebensogut den leichteren Wurfspiefs, als die schwere Lanze bedeuten kann : so dafs wir über den Umfang der Wunde im Ungewissen bleiben. Die Art, wie die Wunde beigebracht wurde, beschreibt er durch vvootiv : iliefs bedeutet aber bald eine tödtliche Verwundung, bald ein leichtes Ritzen, ja einen Stöfs, der nicht einmal Blut giebt; wir wissen also nicht, wie tief die Wunde gieng: wiewohl , wenn Jesus nach der Auferstehung den Thomas in die Na'gelmahle zwar den Finger, in, oder auch nur an die Seitenwunde aber die Hand legen iäfst (Joh. 20, 27.), der Stich eine bedeutende Wunde gemacht zu haben scheint. Doch dabei kommt es vor Allem noch auf die Steile der Verwundung an. Diese bestimmt Johannes als die Tiurnct^ wo freilich, wenn der Stich an der linken Seite zwischen den Rippen bis in das Herz drang, der Tod unausbleiblich erfolgen mufste: allein jener Ausdruck kann ebensowohl die rechte Seite als die linke, und an beiden jeden Ort von der Schulter bis zur Hüfte bedeuten. Die meisten dieser Punkte würden sich freilich von selbst bestimmen, wenn die Absicht des Kriegers mit dem Lanzenstich gewesen wäre, Jesum, sofern er noch nicht gestorben wäre, zu töd- ten; denn in diesem Falle würde er ohne Zweifei am tödt- lichsten Platz und so tief wie möglich gestochen haben. Allein diese Absicht ist zweifelhaft, und der Zusammen* hang der Stelle seheint eher dafür zu sprechen, dafs der Soldat durch den Stich vorerst nur erforschen wollte, ob der Tod wirklich schon eingetreten sei, was er aus dem llervorüiefsen von Blut und Wasser aus der Wunde sicher abnehmen zu können glaubte.

Aber freilich über diese Folge des Speerstichs ist man am allerwenigsten einig. Die Kirchenväter haben, in Betracht, dafs aus Leiehen kein Blut mehr fliefse, in dem aus Jesu Leichnam hervorgequollenen ulfox xcu vdiuy ein

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Viertes KapiteL $. 133. 571

Wunder, ein Zeichen seiner höhern Natur, gefunden4). Neuere, von der gleichen Erfahrung ausgehend, haben in dem Ausdruck eine Hendiadys gesehen, und denselben von noch flüssigem Blute, einem Zeichen des noch nicht, oder doch eben erst erfolgten Todes, verstanden 5). Da jedoch das Blut für sich schon ein Flüssiges ist, so kann das zu aJua gesetzte vÖwq nicht blofs den flüssigen Zustand von jenem bedeuten, sondern mufs eine besondere Beimischung bezeichnen , welche das aus der Wunde Jesu fliefsende Blut enthielt. Um sich diese zu erklären, und zugleich die möglichst sichere Todesprobe zu bekommen, s?nd An- dere auf den Kit» fall gerathen, das dem Blute beigemisch- te Wasser sei wohl aus dem von der Lanze getroffenen Herzbeutel gekommen, in welchem sich, namentlich bei sol- chen, die unter starker Beängstigung sterben, eine Quan- tität Flüssigkeit sammeln soll6). Allein ausserdem, dafs das Eindringen der Lanze in das Pericardium blofse Vor- aussetzung ist, so ist theils, wo keine Wassersucht statt- findet, das Quantum jener Flüssigkeit so gering, dafs ihr Ausflufs nicht in die Augen fiele; theils ist es nur ein einziger kleiner Fleck vorn an der Brust, wo das Pericar- dium so getroffen werden kann, dafs eine Entleerung nach aussen möglich ist: in allen andern Fällen würde, was ausfliefat, in das Innere der Brusthöhle sich ergiefsen 7).

4) Orig* c. Ccls. 2, 36 : x&y ftkr 3v SlXtay vixcc'v otopdroxy ro ai/ua nifyrvTa») «ort vo*taf> xa&aqoy «x anofätt9 rS 6*e xara rov *Iqa5y ytXQÜ od/uaros, ro naqddo^oy t mal tisq\ ro vtxQOV otoua ijy aifta xcu VÖcjq äno rwy 7il9vqdy nfto/v^ty» Vgl. Euthymius Z. d. St.: «x rixqS yaq ar&QüSna , xav fivQtdxtf yv^ji rt; , «*

MÜH

*oy , tri Cti^q uv$qiotioy 6 rvytis»

5) Schüitsr, in Eichhorn's Bibl. 9, S. 1036 IT.

6) Grufusr, Comm. de mortc J. Chr. vera, p. 47.

7) Vgl. Hasis, a. a. Ü.

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572 Dritter Abschnitt.

Ohne Zweifel geht vielmehr der Evangelist von der bei jeder Aderlässe mu machenden Erfahrung aus , dafs das Blut, sobald es aufgehört hat, Im Lebensprocesse begriffen Kii sein, sich in ßlutkuchen , placenta, und Blutwasser, scrum, eu zersetzen anfangt, und will nun daraus, dafs am Blute Jesu sich bereits diese Scheidung gezeigt habe, dessen wirklieh erfolgten Tod beweisen8). Ob nun aber dieses Ausfliefsen von Blut und Wasser in bemerkbarer Sonderung eine mögliche Todesprobe ist, ob Hase und Wi- ner recht haben, wenn sie behaupten, bei tieferen Ein- schnitten in Leichen quelle bisweilen das so zersetzte Blut heraus, oder die Kirchenväter, wenn sie diefs für so un- erhört hielten, dafs sie es bei Jesu als ein Wunder anse- hen zu müssen glaubten, ist noch eine andere Frage. Mir bat ein ausgezeichneter Anatom den Stand der Sache fol- gendermaßen angegeben. Für gewöhnlich pflegt binnen einer Stunde nach dem Tode das Blut in den Gefäfsen zu gerinnen, und sofort bei Einschnitten nichts mehr auszu- fliefsen; nur ausnahmsweise, bei gewissen Todesarten, wie Nervenfieber, Erstickung, behalt das Blut im Leich- nam seine Flüssigkeit. Wollte man nun den Tod am Kreuz etwa unter die Kategorie der Erstickung stellen, was jedoch wegen der langen Zeit, welche die Gekreuzigten oft noch am Leben blieben, und bei Jesu insbesondere, weil er ja bis zuletzt gesprochen haben soll , unthunlich scheint; oder wollte man annehmen, so bald schon nach dem Augenblicke des Todes sei der Stich in die Seite erfolgt, dafs er das Blut noch flüssig fand, was den Berichten unangemessen ist, welchen zufolge Jesus schon Nachmit- tags drei Uhr gestorben war, die Leichen aber erst Abends 6 Uhr abgenommen sein mufsten : so wäre, wenn der Stich ein gröfseres Blutgefäss traf, Blut, aber ohne Wasser, aus- geflossen ; war aber der Tod Jesu vor etwa einer Stuude

8) Wimm, a. a. O.

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Viertes Kapitel. $. 133. 573

erfolgt, und »ein Leichnam im gewöhnlichen Zustande: so flofs gar nichts aus. Also entweder Blut, oder nichts: Wasser und Blut in keinem Talle, weil%sich serum und pla- centa in den Gefäfsen des Leichnams gar nicht so sondert, wie im Geschirre nach der Aderlässe. Schwerlich also hat der Urheber dieses Zugs im vierten Evangelium das alfta xal vÖioq selbst aus der Seite Jesu als Zeichen des erfolg- ten Todes kommen sehen: sondern weil er bei Blutlä'ssen schon jene Scheidung im ersterbenden Blute gesehen hat- te, und ihm anlag, eine sichere Probe für den Tod Jesu eu bekommen , lieis er aus dessen verwundetem Leichnam jene geschiedenen ßestandtheile kommen.

Dafs sich diefs mit Jesu wirklich zugetragen habe, und sein Bericht davon, als auf Autopsie gegründet, zu- verlässig sei, versichert übrigens der Evangelist aufs An- gelegentlichste (V. 35.}. Nach Einigen defswegen, um do- ketische Gnostiker, welche die wahre Leiblichkeit Jesu leugneten, zu widerlegen *) : allein wozu dann die Erwäh- nung des £dwo? Nach Andern wegen der merkwürdigen Erf üllung zweier Weissagungen durch jenes Vornehmen mit der Leiche Jesu 10): aber, wie Lücke selber sagt, wenn allerdings auch sonst Johannes selbst in Nebenpunkten ei- ne Erfüllung der Schrift sucht, so legt er doch nirgends ein so ausserordentliches Gewicht darauf, wie er hier nach dieser Auffassung thun würde. Daher scheint es immer noch die natürlichste Annahme zu sein, dafs der Evangelist durch jene Versicherungen die Wahrheit des Todes Jesu bekräftigen wolle n), die Hinweisung auf die Schrifterfül- lung aber nur als weiteren, erläuternden Zusatz beifüge. Der Mangel einer historischen Spur, dafs schon zur Zeit der Abfassung des johanneischen Evangeliums der Verdacht

9) Wbtstb™ und Olshaussn, z. d. St. ; vgl. Hase, a. a. O,

10) Lückk, z. d. St.

11) so Lbss, Aufcrstehungsgeschichte, S. 95 f. Tuoluck z. d. St.

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&74 Drifter Abschnitt.

eine« Sehe'ntnrfg Jesu re^e gewesen, beweist bei der Man- gelhaftigkeit <Vr Nachrichten, die uns über Jene Zeit 2a Gebote stehen, nicht, dafs ein so nahe liegender Verdacht nicht wirklich in dem Kreise, in welchem das genannte Evangelium entstand, za bekämpfen gewesen ist, und daß dasselbe nicht, wie zur Mittheilung von Auferstehung* proben, so auch eine Todesprobe mitzutheiien veranlafst gewesen sein kann Ist doch auch schon im Evange- lium des Markus ein ähnliches Bestreben sichtbar. Wenn dieser von Pilatus, als Joseph sich den Leichnam Jesu aus- bat, sagt: i^av^aaev, el jj'cfy zifryxe (V. 44.): «o lautet diefs ganz, als wollte er dem Pilatus eine Verwunderung leihen, die er von manchen seiner Zeitgenossen über den so gar schnell erfolgten Tod Jesu mufste äussern hören, und wenn er sofort den Procurator von dem Centurio si- chere Kundschaft einziehen iäfst, dafs Jesus nulav äni~ Save: so scheint er mit der ßedenklichkeit des Pilatus zu- gleich die seiner Zeitgenossen beschwichtigen zu wollen; wobei er aber von einem Lanzenstiche nichts gewufst ha- ben kann, sonst hätte er ihn , als die sicherste Bürgschaft des wirklich erfolgten Todes, nicht unerwähnt gelassen: so dafs die Darstellnng bei Johannes als weitere Ausbil- dung eines schon bei Markus sichtbaren Triebs der Sage erscheint.

Diese Ansicht von der johanneischen Erzählung wird auch noch durch die Anführung A. T.iicher Weissagungen bestätigt, welche der Referent in diesem Vorgang erfüllt sieht. In dem Lanzenstiche sieht er die Erfüllung von Zach. 12, 10., wo das von Johannes richtig und besser als von der LXX. übersetzte: sp^l -ßfc ^ ^?rn von Jehova mm den Israeliten geredet ist, in dem Sinne, dafs sie an ihn, den sie so schwer gekränkt, sich einst wieder wenden wür-

12) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 253.

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Viertes Kapitel. §. 1.13. 575

den Ist schon das durchbohren, etwas, das, ei-

gentlich gefafst, eher g<"gt*n einen Menschen, als gegen Je- hova scheint unternommen werden zu können, Und wird diese Deutung durch die abweichende Lesart: V^N* un-

terstiitzt: so mufste das Folgende in dieser Auffassung be- stärken , da nun in der dritten Person fortgefahren wird : und sie werden um ihn klagen , wie um ein einziges Kind und um einen Erstgeborenen. Daher wurde diese Stelle von den Kabbinen auf den Messias ben Joseph gedeutet, welcher im Kriege vom Schwert durchbohrt werden soll- te w>, und von Christen konnte sie, wie so manche Stel- len in Unglückspsalmen , auf ihren Messias bezogen wer- den , indem das Durchbohren zunächst vielleicht entweder tropisch, oder von dem Durchnageln der Hände (und Füfse) b i der Kreuzigung verstanden wurde (vgl. Offenb. 1, 7.)j bis endlich einer, der eine zuverlässigere Todesprobe, als die Kreuzigung an sieh ist, zu haben wünschte, es als ein besondres Durchbohren mit der Lanze fafste.

Ist aus den zusammentreffenden Interessen, eine To- desprobe, und eine buchstäbliche Erfüllung der Weissa- gung zu gewinnen , der Zug mit dem Lanzenstich hervor- gegangen: so gehört das Übrige nur zur Motivirung die- ses Zuges. Ein Stich als Todesprobe war nur nöthig, wenn Jesus frühzeitig vom Kreuz abgenommen werden sollte, was nach jüdischem Gesetze (5. Mos. 21, 22. Jos. 8, 29. 10, 26 f. eine Ausnahme 2. Sam. 21, 6 ff.) f5) jedenfalls vor Nacht, insbesondere aber diefsmal , was Johannes allein heraushebt, vor Anbruch des Paschafestes, geschehen mufs- te. War Jesus ungewöhnlich schnell gestorben, und soli-

13) RosrkmUller, Schol. in V. T. 7, 4, p. 346.

|4) S. bei I i<> s k> MLLLKR, Z. d. St. Sf.HÜTTGF.%, 2, p. 221. BlRTHOLDT

§. 17, not. 12.

15) vgl. Joseph, b. j. 4, 5. 2. Sanhedrin 6,5. bei Lightioot p. 499.

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Dritter A bschnitt.

ten doch auch die beiden mit ihm Gekreuzigten Abgenom- men werden : so muffte man bei diesen den Tod gewalt- sam beschleunigen; was etwa durch das crurifragittm ge- schehen konnte, welches sich auch sonst, theils in Verbin- dung mit der Kreuzigung , theils als Todesstrafe für sich, findet 16). Da diefs an dem bereits gestorbenen Jesus nicht zu geschehen brauchte , so gab diefs zur Anwendung des ocäv ö ouito/ t/'£re ärc ainl aus dem Pascharitual, 2 Mos. 12, 42. LXX. , um so mehr Veranlassung, als, wie schon früher bemerkt , der getödtete Jesus mit dem Paschaiamm verglichen zu werden pflegte.

§. 134.

Begräbnis* Jesu.

Während der Leichnam Jesu nach römischer Sitte am Kreuz hätte hängen bleiben müssen , bis Witterung, Vögel und Verwesung ihn verzehrten *) ; nach jüdischer aber vor Abend abgenommen , auf dem unehrlichen Begräbnifs- platze der Hingerichteten verscharrt worden wäre : erbat sich den evangelischen Nachrichten zufolge ein angesehe- ner Anhänger des Getödteten vom Procurator seinen Leich- nam, der ihm nach römischem Gesetze 3) nicht verweigert, sondern alsbald verabfolgt wurde (Matth. 27, 57. parall.). Dieser Mann, welchen alle Evangelien Joseph nennen, und von Arimathäa stammen lassen, war nach Matthäus ein reicher Mann und Schüler Jesu, doch diefs, wie Johannes hinzufügt, blofs heimlich, gewesen; die beiden mittleren Evangelisten bezeichnen ihn als ein ehrenwerthes Mitglied des hohen Rathes, als welches er Übrigens, wie Lukas be- merkt , zu der Verurtheilung Jesu seine Stimme nicht ge-

16) s. Wststein und LI'ckb x. d. St.

1) Vgl. Wimch, I, S. 802.

2) Sanhedrin, bei Ligktfoot, p. 493. 5) Ulpian. 48, 24, 1 ff.

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Viertes Kapitel. §. 134. 577

geben hatte, und lassen Ihn messiantschen Erwartungen zugethan sein, üafs wir hier eine allmKhlig in'S Bestimm- tere ausgearbeitete Personalbezeichnung haben, fällt in die Augen. Im ersten Evangelium ist Joseph ein Schüler Jesu und das mufs wohl derjenige gewesen sein, der sich unter so ungünstigen Umständen nicht scheute, seines Leichnams sich anzunehmen ; dafs er nach demselben Evan- gelium ein äv&Qwnog nluaiog gewesen sein soll, Jtifst schon an Je*. 53, 9. denken, wo es heifst: y-Qp D'JfaH'TlN Vnb3 TItfjrnRh waa möglicherweise von einem Begrabnifs bei Reichen verstanden, und so die Quelle wenigstens von diesem Prädicate des Joseph von Arimathfia werden konn- te. Dafs er messianischen Ideen ergeben war, was LuIihs und Markus hinzufügen, folgte aus seinem Verhältnisse zu Jesu von selbst 5 dafs er ein ßalevTtjg gewesen, was die- selben Evangelisten versichern, ist freilich eine neue No- tiz: dafs er aber als solcher nicht in die Verurthellung Jesu eingestimmt haben konnte, ergab sich wieder von selbst; endlich , dafs er seine Anhänglichkeit an Jesurn bisher geheim gehalten, was Johannes anmerkt, hängt mit der eigentümlichen Stellung zusammen, welche dieser Evangelist gewissen vornehmen Anhängern, wie nament- lich dem im Folgenden dem Joseph beigesellten Nikode- mus, zu Jesu giebt: so dafs nicht eben angenommen wer- den mufs, was jeder folgende Evangelist weiter als der vorhergehende giebt, beruhe auf eben so vielen histori- schen Notizen, die er vor den übrigen voraus hatte.

Wahrend die Synoptiker die Bestattung Jesu durch Joseph allein verrichten , und nur noch die Frauen zu* sehen lassen, führt Johannes als Gehülfen dabei, wie gesagt, den Nikodemus auf; eine Notiz, Über deren Vei- iäfslichkeit schon oben, wo Nikodemus zum erstenmal vorkam, gehandelt worden ist *)• Dieser bringt zum Be-

4) 1. Band, §. 79.

Das Leben Jesu 2te Aufl. 2. Band. ' 37

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578 Dritter Abschnitt.

hufe der EinbaUamirung Jesu Specereien, nfimlich eine Mi- schung von Myrrhen und Aloe , in der Quantität von an- gefahr 100 Pfunden , herbei. Vergeblich hat man sich be- muht, dem von Johanne« hier gebrauchten XhQa die Be- deutung des lateinischen Ubra zu entziehen , und die eines kleineren Gewichtes unterzuschieben »): indefs möge für je le auffallend «rofse Quantität einstweilen die Bemerkung Imshausens genügen, dafs dag Cbermafs natörlicher Aua- druck der Verehrung jener Männer für Jesum gewesen sei. Im vierten Evangelium vollziehen nun gleich nach der Kreuzabnahme die beiden Männer die Einbalsamirung nach jüdischer Sitte , indem sie den Leichnam mit den Specereien in Leiutücher wickeln; bei Lukas sorgen die Frauen nach ihrer Heimkehr vom Grabe Jesu für Spece- reien und Salben , um nach dem Sabbat die Einbalsami- rung vorzunehmen (23, 56. 24, 1.); bei Markus kaufen sie die aQtificna erst nach Verflufs des Sabbats (16, 1.) ; bei Matthfius aber ist von einer binbalsamirung des Leichnams Jesu gar nicht, sondern nur von Einwickelung in reine Leinwand die Rede (27, 59 ).

Hier hat man zuerst die Differenz zwischen Markos und Lukas in Bezog auf die Zeit des Einkaufs der Spe- cereien dadurch ausgleichen zu können gemeint, dafs man den einen von beiden Referenten auf die Seite des andern herüberzog. Am leichtesten schien Markus nach Lukas umgedeutet werden zu können, durch die Annahme einer enallagt temporum , indem sein vom Tage nach dem Sab- bat gesagtes iyoQaaav, als Plusquamperfectum genommen, dasselbe zu sagen schien, wie des Lukas Angabe , dafs die Frauen schon vom Begrtibnifsabend her die Specereien in Bereitschaft gehabt haben «)• Ailein ge««n dleÄC Au»g,ei" ohung ist bereits vom Wolfenbattier Fragmentisten mit

5) Michaelis, Begräbnis - und Auferitehung«gctchichte, S. 68 ff. ü) So Gnonus; hsss, Aufcrstehungsgcschichte, S. 165.

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Viertes Kapitel. §. 134.

570

siegreichem Unwillen bemerkt worden , dafs der zwischen eine Zeitbestimmung and die Angabe eines Zwecks hin- eingestellte Aorist unmöglich etwas Anderes, als das um jene Zeit zu diesem Zwecke Geschehene, also hier das zwi- schen öiayevof.dva oaßßaxu und vva ik&öoai akiipwoiv aviov gestellte rjoaaoav aocificrtcc nur einen nach Verflufs des Sabbats vorgenommenen Einkauf bedeuten könne 7). Daher hat Michaelis, welcher die Widersprnchslosigkeit der ßegrä'bniis- und Auferstehungsgeschichte gegen die Angrifft des Fragmentisten zu retten unternahm, sich auf die andere Seite geschlagen, und den Lukas dem Markus zu conformiren gesucht. Wenn Lukas schreibt: iftocoß— xpaoctL de rjtoiiiceoav ununiaia xai fiVQct: so soll er damit nicht sagen wollen , da(s sie unmittelbar nach der Rück- kehr, also noch am Begrfibnifsabend , diese Einkäufe ge- macht hätten : vielmehr durch den Zusatz : xai %o fdv oaß— ßatov rjovxctoav xazu tt)v ivrotfv, gebe er selbst zu verste- hen, dafs es erst nach Verflufs des Sabbats geschehen sei, da zwischen ihrer Rückkehr vom Grab und dem Anbruch des Sabbats mit G Uhr Abends keine Zeit zum Einkaufen mehr übrig gewesen war8). Allein, wenn Lukas zwischen vnosQitpaaai und qovzaoav sein 7] % ot/i aoav stellt : so kann diefs ebensowenig etwas erst nach der Sabbatrube Vorge- fallenes bedeuten, als hei Markus das auf ähnliche Art in die Mitte gestellte ryoQaaav etwas , das vor dem Sab- bat wäre geschehen gewesen. Man hat daher neuerlich zwar eingesehen, dafs man jedem dieser beiden Evangeli- sten in Betreff des Ankaufs der Speccreien seinen eige- nen Sinn lassen müsse: doch glaubte man den Schein des Irrthums auf der einen oder andern Seite durch die An-

7) •. das fünfte Fragment, in Lsssiks's viertem Beitrag zur Ge- schichte und Literatur, S. 467 f. Vgl. über die*e Differenzen auch Lsisiks's Duplik.

8) Michajlis, a. a. 0. S. 102 ff.

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580 Dritter Abschnitt.

nähme entfernen zu Können, die noch vor dem Sahbat bereiteten Specereien haben nicht zugereicht, and def^ we- gen die Frauen dem Markus zufolge wirklich nach dem Sabbat noch weitere dazugekauft9). Das müfste aber doch ein ungeheurer Specereiverbrauch gewesen «ein, wenn zu- erst der von Nikodemus herbeigebrachte Centner nicht ge- reicht, und defswegen die Frauen noch Abends vor dem Sab- bat weitere Specereien bereit gelegt hatten, dann aber wä- re auch diefs als zu wenig befanden worden, und sie hat- ten am Morgen nach dem Sabbat noch etwas Weiteres da- engekauft.

So nämlich mttfste man doch consequcnterweise auch den zweiten Widerspruch lösen, welcher zwischen den r.wei mittleren Evangelisten zusammen and dem vierten statt- findet, dafs nämlich nach diesem Jesus bei seiner Grable- gung mit 100 Pfund Salben einbalsamirt worden, nach je- nen dagegen die Einbalsamirung bis nach dem Sabbat vor- behalten war. Nun waren aber der Materie nach die 100 Pfund Myrrhen and Aloe mehr als genug: was fehlte, und nach dem Sabbat nachgeholt werden' sollte, könnte nur etwa die Form gewesen sein, d. h. dafs die Specereien noch nicht auf die rechte Weise an dem Leichnam angebracht waren, weil bierin der Anbruch des Sabbats unterbro- chen hatte 10). Allein, wenn wir den Johannes hören, so war die Beisetzung Jesu am Abend seines Todes xaOog f ing igt roTg yfsdaloig ivzaqia&iv, d. h. rite, in aller Form, vorgenommen worden, indem der Leichnam ^teza iojv com- Itixviv in ofrtma gebunden wurde (V. 40.), was eben das Ganze der jüdischen Einbalsamirung war, welcher somit nach Johannes auch in Betreff der Form nichts mehr fehl- te11); abgesehen davon, dafs, wenn doch die Weiber nach

0) lictx'dt, in Luc. p. 721.

10) So TaotüCK, z. d. St.

11) %. den Faagmcntistea, a. a. O., S. 469 ff.

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Viertes Kapitel. §. 134. 5S1

Markas und Lukas neue Specereien kaufen und in Bereit« schaft stellen, die Einbalsamirung des Nikodemus auch ma- teriell unvollständig gewesen sein müfste. Da somit an der Bestattung Jesu, wie sie Johannes erzählt, objectiv nichts gefehlt haben kann: so soll sie doch subjectir für die Weiber eine nicht vorgenommene gewesen sein, d. h. sie sollen nicht gewufst haben, dafs Jesus bereits durch Niko- demus und Joseph einbalsamirt war 1 ')• Man erstaunt über eine solche Behauptung, da man doch bei den Synop- tiken, ausdrücklich liest, dafs die Frauen [bei der Bestat- tung Jesu zugegen gewesen seien, und nicht blofs den Ort (/tu liitena, Markus), sondern auch die Art, wie er bei- gesetzt wurde iiog itiOrl9 Lukas), mit angesehen haben.

Die dritte diesen Punkt betreffende Abweichung, wel- che zwischen Matthäus und den übrigen insofern stattfin- det, als jener überhaupt von keiner Einbalsamirung, we- der vor noch nach dem Sabbat, weifs , hat man, weil sie blofs im Schweigen eines Referenten besteht, bisher wenig berücksichtigt, und selbst der Wolfenbfittler gab zu, dafs in der von Matthäus gemeldeten Einwickelung in reine Leinwand die jüdische Einbalsamirung bereits mitenthalten sei. Allein diefsmal möchte doch wohl ex silentio ein Ar- gument sich ziehen lassen. Wenn man in der Erzählung von der Bethanischen Salbung das Wort Jesu liest, durch ihre That habe die Frau die Salbung seines Leibes zum Begräbnifs antieipirt (Matth. 26, 12. parall.): so hat diefs zwar allerdings in allen Relationen seinen Sinn, einen ganz besonders treffenden aber doch bei Matthäus, nach dessen weiterer Erzählung bei m Begräbnifs Jesu keine Salbung stattfand , und nur hieraus scheint sich auch das besondere Gewicht, welches die evangelische Tradition auf jene Handlung der Frau legte, genügend zu erklären.

12) Michakli», a. a. O., S. 90 f., Kui&oi. und Li*« tut Lassen zwi- schen dieser Auskunit und der vorigen die Wahl,

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582 Dritter Abschnitt.

War dem als Messias Verehrten bei seinem Begrfibnifs im Drang der ungünstigen Umstände die gebührende Ehre Her Kinbalsamirung nicht geworden: so mufste freilich der Blick seiner Anhänger mit besonderem Wohlgefallen auf einer Begebenheit aus dem loteten Abschnitte seines Le- bens ruhen, wo eine demuthsvolle Verehrerin, wie wenn sie geahnet hätte, dafs dem Todten diese Ehre versagt sein werde , sie dem Lebenden erwiesen hatte. Von hier ans würde sich dann auch die verschiedene Darstellung der letzten Salbung bei den Übrigen Evangelisten in das Licht einer ^stufen weisen Entwicklung der Sage stellen. Bei Markus und Lukas steht es noch, wie hei Matthäus, fest, dafs der Leichnam Jesu nicht wirklich einbalsamirt wor- den ist : so war ihm aber doch, sagte man Uber das erste Evangelium hinausschreitend , die Einbalsamirung zuge- dacht, dem Hingang der Frauen zu seinem Grab am Mor- gen nach dem Sabbat lag diese Absicht cum Grunde, de- ren Ausführung nur seine Auferstehung zuvorkam. Im vierten Evangelium dagegen Hofs jene bei dem Lebenden antieipirte, und diese dem Todten zugedachte Salbung in eine mit dem Todten vorgenommene zusammen, neben welcher übrigens, nach der Art der Sagenbildung, die Be- ziehung auch der früheren Salbung auf das Begräbnifs Je- su stehen blieb.

Der Leichnam Jesu wurde sofort nach sämmtlichen Referenten in einer Felsengruft beigesetzt, weiche mit ei- nem grofsen Stein verschlossen wurde. Matthäus bezeich- net dieses Grabmal als xcuvoV, was Lukas und Johannes genauer dahin bestimmen, dafs noch Niemand in demsel- ben beigesetzt gewesen sei. Beiläufig gesagt, hat man ge- gen diese Neuheit des Grabes ebenso Ursache, mifstrauUch zu «ein, wie bei der Geschichte des Einzugs Jesu gegen den Angerittenen Esel, da hier auf ähnliche Weise wie dort die Versuchung unwiderstehlich nahe lag, auch ohne historischen Grund das heilige Behältnifs des Leibes Jesu als ein noch

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Viertes Kapitel. (. KU. 5$3

durch keine Leiche verunreinigtes vorzustellen. Auch in Bezug auf dieses Grsbmal indefs zeigt sich eine Abwei- chung derErangelistcn. Nach Matt Ii aus war es das Eigen- thum des Joseph, welches er selbst hatte in Felsen hauen lassen, und auch die beiden andern Synoptiker, indem sie den Joseph ohne Weiteres Uber das Grab vertagen lassen, scheinen von der gleichen Voraussetzung auszugehen. Nach Johannes hingegen war nicht das Eigenthomsrecht des Jo- seph auf das Grab der Grand, warum man Jesvm in das- selbe legte, sondern, weil die Zeit drängte, legte man ihn in die frische Gruft, welche in einem benachbarten Gar« ten sich befand. Auch hier hat dfe Harmonistik auf bei- den Seiten ihre Ktnste versucht. Matthäus sollte zur Übereinstimmung mit Johannes gebracht werden Horch die Observation, dafs eine Handschrift seines Erangelinms das zu pnytthp gesetzte aii5 weglasse, eine alte Übersetzung aber statt o iXatoft^aev o rtv Xelatofiyftirov gelesen ha- be^: als ob nicht diese Änderungen wahrscheinlich selbst schon dem harmon istischen Bestreben ihr Dasein zu ver- danken hätten. Daher hat man, auf die andere Seite sich wendend, bemerkt, die johanneischen Worte schliefsen gar nicht aus, dafs nicht Joseph könnte der Eigentbifmer der Gruft gewesen sein, da ja beide Gründe, die Nähe, und dafs das Grab dem Joseph gehörte, zusammengewirkt- ha- ben können14). Vielmehr aber schliefst die Mähe, wenn sie als Beweggrund herausgehoben wird, das Eigenthums« verhält nifs aus: ein Haus, in welches ich bei einfallendem Regen der Nahe wegen trete, ist nicht mein eigenes; ich müfste denn Besitzer mehrerer Häuser, eines nahen und eines entfernteren, sein, von welchen das letztere meine ei* gentliche Wohnung wäre: ond ebenso ein Grab, in wel- ches einer einen Verwandten oder Freund , der iür sich

13) Micmailis, a. a. O., S. 45 ff.

14) Kuwöl, in Matth, p. 786. Hase, £. 145.

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584 Dritter Abschnitt.

kein (i rabm A hat, der Nähe wegen legt, kann nicht sein eigenes sein, er müfste denn mehrere Gräber besitzen, ond den Todten bei besserer Mufse in ein anderes bringen wollen ; was aber in unseren Falle, da das nahe Grab durch seine Neuheit zur Beisetzung Jesu in demselben vor allen andern sich eignete, nicht wohl denkbar ist. Bleibt so auch hier der Widerspruch, so scheint im Innern beider entgegengesetzten Angaben kein Grund zur Entscheidung für die eine oder andere an liegen

§. 135.

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Die Wache am Grabe Jesu.

m folgenden Tag, als am Sabbat ')> f ollen nun nach Matthaua (27, 02 ff.) die Hohenpriester und Pharisäer hei Pilatus zusammengekommen sein, und ihn, mit Rücksicht auf die Voraussage Jesu, er werde nach dreien Tagen auf- erstehen, gebeten haben, eine Wache an sein Grab su stel- len , damit nicht seine Anhänger von der durch jene Vor- aussage erregten Erwartung Gelegenheit nähmen, seinen Leichnam zu stehlen, und ihn sofort für auferstanden aus* zugeben. Pilatus gewährt ihre Bitte, und so gehen sie hin , versiegeln den Stein , und stellen die Wache vor das

15) Aus einer Verwechslung des dem Richtpiatze benachbarten «97TOC, wo Jesus, nach Johannes, begraben wurde, und des Gartens Gethsemane , wo er gefangen worden war , scheint die Angabe des evang. Nicodemi geflossen zu sein, Jesus sei gekreuzigt worden ly t$ *ijnoly Sna tmdofrtj. C. 9, p. 580. bei Thilo.

1) Tjj inavoioy, (fri« !ft fttra rtjv 7t a Qao*tvt)y , ist freilich eine sonderbare Umschreibung des Sabbats, da es eine Verkeh- rung ist, einen feierlichen Tag als den Tag nach dem Vor- tage zu bezeichnen: doch muss man bei dieser Deutung blei- ben , so lange man derselben nicht auf natürlichere Weise, als Schneckkmjukckr in seiner Chronologie der Leidenswoche, Beiträge S. 3 ff . , auszuweichen weiss.

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Viertes KapiteL 135. 585

Grab. Als nun (dieft mufs hier anticiplrt werden) die Auferstehung Jesu erfolgte, setzte die mit derselben verbun- dene Engelerscheinung die Wächter so in Furcht, dafs sie atgü vexQoi wurden, Übrigens doch sofort in die Stadt eil- ten, und den Hohenpriestern die Anzeige von dem Vorfall machten. Diese, nachdem sie sich in einer Versammlung darüber berathen, bestachen die Soldaten, dafs sie vorgeben so Ilten, die Jünger haben bei Nacht den Leichnam gestoh- len; woher sich, wie der Referent hinzusetzt, dieses Ge- rücht verbrei'cte, und bis auf seine Zeit erhielt (28, 4. 1 1 ff.).

Bei dieser, dem ersten Evangelium eigentümlichen Erzählung hat man allerlei Bedenken gefunden, w elche der Wolfenbüttler Fragmentist und nach ihm Paulus am scharf- sinnigsten in s Licht gestellt haben 2). Die Schwierigkei- ten liegen zuvörderst darin, dafs weder die erforderlichen Bedingungen dieses Vorgangs, .noch seine notwendigen Folgen in der übrigen N. T.lichen Geschichte gegeben sind. In ersterer Hinsicht ist es nicht zu begreifen, wie die Syn- edristen zu der Notiz kommen konnten , dafs drei Tage nach seinem Tode Jesus wieder in das Leben zurückkeh- ren solle: da selbst bei seinen Jüngern von einer solchen Kunde keine Spur sich findet. Sie sagen ; iuvrta!>rjtev ort, ixtlvog o nXaiog elrttv Sri &Zv x. z. X. Soll diefs heifsen, sie erinnern sich, ihn selber davon reden gehört zu haben : so sprach laut der evangelischen Nachrichten Jesus seinen Feinden gegenüber nie bestimmt von seiner Auferstehung; die bildlichen Reden aber, welche seinen vertrauten Schü- lern unverständlich blieben , konnten die an seine Denk- und Ausdrucksweise weniger gewöhnten jüdischen Hierar- chen gewifs noch weniger verstehen. Wollen aber die Syn- edristen blofs sagen, sie haben von Andern gehört, dafs Jesus jenes Versprechen gegeben habe: so könnte diese

2) Ersterer a. a. O. S. 437 ff. ; letzterer im exeg. Handb. 3, b, S. 837 ff. Vgl. Kaum, bibl. Theol. 1, S. 253.

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Dritter Abschnitt

Nachricht nur von den J fingern aasgegangen sein; aber diese, welche weder vor noch nach dem Tode Jesu eine Ähnung von bevorstehender Wiederbelebung hatten, konn- ten auch in Andern diese Vorstellung nicht erregen ab- gesehen davon, dafs wir die Jesu geliehenen VorherverkCin- digungen seiner Auferstehung sämmtlich als unhistorisch haben von der Hand weisen müssen. Wie aber bei den Feinden Jesu diese Kenntnifs: so ist bei seinen Freunden, den Aposteln und übrigen Evangelisten ausser Matthäus, ihr Schweigen von einem ihrer Sache so günstigen Umstän- de nicht zu begreifen. Zwar das ist an modern, was der Wolfenbfittler den J fingern anmuthet, sie hätten sich dar- über, dafs eine Bewachung des Grabes angeordnet worden, alsbald Brief und Siegel von Pilatus erbitten müssen: doch so viel bleibt, dafs es auffallen mufs, in der apostolischen Verkündigung nirgends eine Berufung auf eine so schla- gende Thatsache zu finden, nnd auch in den Evangelien, ausser dem ersten , jede Spur davon au vermissen. Man hat diefs Stillschweigen daraus au erklären versucht, dafs ja durch die Bestechung der Wache von Seiren des Syne- driums die Berufung auf sie eine fruchtlose geworden sei *) : allein um solcher offenbaren Lüge willen giebt man die Wahrheit nicht sogleich auf, und jedenfalls in der Ver- antwortung der Anhänger Jesu vor dem Synedriom niufs- te die Erwähnung jener Thatsache eine schlagende Waffe sein. Halb verloren giebt man schon, wenn man sich da- hin zurückzieht, die Jünger haben wohl von dem wahren Hergange nicht sogleich, sondern erst spät, als die Wich- ter annengen, denselben auszuschwatzen, Kenntnifs bekom- men *)• Denn brachten die Wächter im Augenblick auch blofs das Mährchen von dem Diebstahl vor, und gaben al-

3) Michaelis, Begräbniss- und Auferstehungsgeschichte, S. 206. Olshausbn, 2, S. 506.

4) Micuasus, a. au O.

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Viertes Kapitel. 5. 135. 987

<*o eo, dafs sie bei'm Grabt» aufgestellt gewesen : so konn- ten die Anhänger Jesu sich den wahren That bestand schon construiren, und sich dreist auf die Wächter berufen, wel- che von etwas ganz Anderem, als einem Leichendiebstahl, inüTsten Zeugen gewesen sein. Doch damit man nicht et« wa die Ungültigkeit des Arguments aus der blofs negati- ven Thatsache des Stillschweigens anrufe, so wird von einem Theil der Anhängerschaft Jesu, nämlich von den Frauen, etwas positiv erzählt, was sich mit der Wache am Grabe nicht vertrfigt. Nicht blofs wollen nämlich die Frauen, welche am Morgen nach dem Sabbat eum Grabe giengeti, die Salbung vollenden, was sie nicht hoffen konn- ten, thun eu dürfen, wenn sie wufsten, dafs eine Wache vor das Grab gestellt, und dieses noch dazu versiegelt war5): sondern nach Markus besteht ihre ganze Bedenk- lichkeit während des Hinausgehens darin, wer ihnen wohl den Stein vom Grabe wälzen werde ? zum deutlichen Be- weise, dafs sie von den Wächtern nichts wufsten, welche entweder einen auch noch so leichten Stein wegzunehmen ihnen nicht gestattet, oder, wenn diefs, dann wohl auch den schwereren ihnen hülfreich weggewftlzt, in jedem Fall al- so die Bedenklichkeit wegen der Schwere des Steins über- flüssig gemacht haben würden. Dafs aber die Aufstellung der Wache den Weibern sollte unbekannt geblieben sein, Ist bei dem Aufsehen, welches alles das Ende Jesu ßetref* fende in Jerusalem machte (Luc. 24, 18.), sehr unwahr- scheinlich.

Doch auch innerhalb der £rzfihlung ist Alles voll von Schwierigkeiten, indem nach dem Ausdrucke von Pau- lus keine einzige der in derselben auftretenden Personen ihrem Charakter gemafs handelt. Schon dafs Pilatus den

5) Den letzteren Punkt Ubersieht Olshausik, wenn er a. a. O. sagt, die Wache habe ja nicht den Befehl gehabt, die voll- ständige Bestattung Jesu zu hindern.

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588 Dritter Abschnitt.

jüdischen Obern ihr Gesuch um eine Wache, ich will nicht giigen , ohne Weigerung , aber so ganz ohne Spotf, gewährt haben soll , mufs nach seinem bisherigen Beneh- men gegen sie auffallen 6) ; obwohl diefs von Matthäus in seiner summarischen Darstellung auch nur Obergangen sein könnte. Befremdender ist, dafs die Wächter zu der bei der Strenge römischer Kriegszucht sehr gefährlichen Lüge, sie haben ihren Dienst durch Schlafen versäumt, sich so leicht hergaben; zumal sie bei dem gespannten Verhältnifs des Syrierin ums zum Procurator nicht wissen konnten, wie viel ihnen die von dem ersteren zugesagte Vermittlung nützen wUrde. Am undenkbarsten aber ist das angebliche Benehmen der Synedristen. Zwar die Schwierigkeit, wel- che darin liegt, dafs sie am Sabbat zu dem heidnischen Procurator giengen, sich am Grabe verunreinigten, und ei- ne Wache ausrücken liefsen , hat der W olfenbüttler auf die Spitze gestellt ; aber ihr Benehmen , als die vom Grab zurückgekehrte Wache die Auferstehung Jesu meldete, ist in der That ein unmögliches. Sie glauben der Aussage der Soldaten, dafs Jesus auf wundervolle Weise aus sei- nem Grabe auferstanden sei. Wie konnte diefs der hohe Rath, der eines guten Theils aus Sadducäern bestand, glaublich finden? Nicht einmal die Pharisäer in demselben, welche in thesi die Möglichkeit der Auferstehung behaup- teten, konnten bei der geringen Meinung, die sie von Jesu hatten, an die seinige zu glauben geneigt sein ; zumal die Aussage im Munde der weggelaufenen Wächter ganz wie eine zur Entschuldigung eines Dienstfehlers ersonnene Lü- ge lautete. Statt dafs somit die wirklichen Synedristen bei einer solchen Aussage der Soldaten erbittert gesagt haben .

6) Olshaussn freilich ist es auch hier noch immer so schauer- lich zu Muthe, dass er den Pilatus bei dieser MiUheiinng der Synedristen von unbeschreiblichen <»c fühlen durchschau- ert werden lässt , S. 505.

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Vierte« Kapitel. 5-135. 589

würden: ihr lügt! ihr habt geschlafen und ihn 'stehlen las- sen ; aber das werdet ihr theuer bezahlen müssen, wenn es erst vom Procurator untersacht werden wird statt des- sen bitten sie dieselben noch schon: lügt doch, ihr habt geschlafen und ihn stehlen lassen ; bezahlen sie Über diefs theuer für diese Lüge, und versprechen, sie beim Procura- tor zu entschuldigen. Man sieht , diefs ist ganz aus der christlichen Voraussetzung von der Realität der Auferste- hung Jesu gesprochen, eine Voraussetzung, welche aber ganz mit Unrecht auf die Mitglieder des Syncdriums Über- getragen wird. Auch darin liegt eine, nicht blofs vom Fragmentisten aufgesuchte, sondern selbst von orthodoxen Auslegern 7) anerkannte Schwierigkeit, dafs das Syne- drium in einer ordentlichen Versammlung und nach förm- licher Berathung sich entschlossen haben soll , die Soldaten zu bestechen, und ihnen eine Lüge in den Mund zu geben. Dafs auf diese Weise ein Collegium von 70 Männern ein Falsum zu begehen amtlich beschlossen haben sollte, ist, wie Olshausen richtig sagt, zu sehr gegen das Decorum, das natürliche Anstandsgefühl, einer solchen Versammlung. Die Auskunft, es sei eine blofse Privatversammlungi gewe- sen , da ja nur von den uQyjtQttg und nQeoßvttQoi , nicht auoh von den yQctftftazeTg gesagt sei , sie haben die Solda- ten zu bestechen den ßeschltifs gefafst 8) , liefe auf das Wunderliche hinaus, dafs bei dieser Zusammenkunft die yQafiftaxt7gi bei dem kurz vorher in derselben Angelegen- heit gemachten Gange zum Procurator aber, wo die Schrift- gelehrten durch die ihre Mehrheit bildenden Pharisäer ver- treten sind , die TZQsaßvTtQoi gefehlt haben müfsten : woraus aber vielmehr erhellt, dafs das Synedrium , weil , es jedes- mal durch vollständige Aufzählung seiner Bestandteile zu bezeichnen, unbequem war, nicht selten durch Erwähnung

7) Olshausek, S. 506.

8) Michaeli», a. a. O. S. 198 f.

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500 Dritter Abschnitt.

nur einiger oder Einet von denselben angezeigt wurde. Bleibt es somit dabei , dafs nach Matthäus der hohe Rath in förmli- cher Sitzung die Bestechung der Wächter beschlossen ha- ben mühte: so konnte eine solche Niederträchtigkeit doch wohl nnr die Erbitterung der ersten Christen , unter denen nnsre Anekdote entstanden ist, dem Coliegium als solchem zutrauen.

Diese Schwierigkeiten der vorliegenden Erzählung des ersten Evangeliums hat man schon so drückend gefunden, dafs man sie durch die Annahme einer Interpolation zu entfernen suchte 9) , was neuerlich dahin gemildert worden ist, dafs die Anekdote zwar nicht vom Apostel Matthäus selbst, doch auch nicht von einer unsrem Evangelium sonst fremden Hand herrühren, sondern von dem griechischen Ubersetzer des hebräischen Matthäus eingeschoben sein sollte 10). Gegen das Erstere ist der Mangel jeder kriti- schen Begründung entscheidend ; die Berufung der andern Ansicht auf den unapostolischen Charakter der Anekdote würde eine Ausscheidung derselben aus dem Conteve der

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Übrigen Erzählung nur dann begründen, wenn der apo- stolische Ursprung des Übrigen schon bewiesen wäre; Man- gel an Zusammenhang mit dem Übrigen aber findet so we- nig statt, dafs vielmehr Paulus recht hat mit der Beiner- kung, ein interpolator (oder einschiebender Übersetzer) würde sich schwerlich die Mühe gegeben haben, sein Ein- schiebsel an drei Orte (27, 62— ßö. 2S, 4. 11—15.) zu ver- theilen, soii dorn er hätte es an Einer, höchstens zwei Stei- len susam mengedrängt. Auch so leichten Kaufs läfgt sich die Sache nicht abmachen, wie Olshauskn will , dafs näm-

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lieh die ganze Erzählung apostolisch und im Übrigen iich-

9) Stroth, in Eichhorn'* Repertorium, 9, S. 141. t0) Krrh, über den Ursprung des Ev. Matth. Tüb. Zeitschrift, 1834, 2, S. 100 f. vgl. 123. Vcrgl. meine Hecens., Jahrbücher f. wiss Kritik, Nov. 1834, am Schlüsse.

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Viertes Kapitel. §. 133. 591

tig sein soll, nur darin habe der Evangelist geirrt , dafs er die Bestechung im vollen Rathe beschlossen werden lasse, da die Sache wahrscheinlich von Kaiphas allein unter der Hand abgemacht worden sei: als ob diese Rathsversamm- lung die einzige Schwierigkeit der Erzählung wäre, und als ob , wenn in Bezug auf sie dann nicht auch in andern Beziehungen IrrthUmer sich eingeschlichen haben könn- ten ">

Mit Recht macht Paulus darauf aufmerksam, wie Matthäus selbst durch seine Notiz: xai dteywuo&t] 6 Ao- yog mos naoa %öaiotg fäxQ1 *rjg oriitonv, auf ein verläum- derisches jüdisches Gerücht als die Quelle seiner Erzäh- lung hinweise. Wenn nun aber Paulus der Meinung ist, die Juden selbst haben ausgesprengt, sie hätten eine Wa- che an Jesu Grab gestellt, diese aber seinen Leichnam steh- len lassen: so ist diefs ebenso verkehrt, wie wenn Hase lermuthet, das bezeichnete Gerücht sei zuerst von den Freunden Jesu ausgegangen, und hernach von seinen Fein- den roodificirt worden. Denn was die erstere Annahme betrifft , so hat schon Kuinol richtig darauf hingewiesen, dafs Matthäus blofs die Aussage vom Leichendiebstahl, nicht die ganze Erzählung von Aufstellung einer Wache, als jü- disches Gerücht bezeichne; auch läfst sich kein Grund den- ken, warum die Juden sollten ausgesprengt haben, es sei am Grabe Jesu eine Wache aufgestellt gewesen. Wenn Paulus sagt, man habe dadurch die Behauptung , der Leib Jesu sei von seinen Jüngern gestohlen worden, den Leicht- gläubigen um so glaublicher machen wollen: so müfsten das allerdings sehr Leichtgläubige gewesen sein , die nicht bemerkt hätten, dafs eben durch die aufgestellte Wache die Entfernung des Leichnam < Jesu mittelst eines Diebstahls unwahrscheinlich werde. Paulus scheint sich die Sache etwa •o vorzustellen: die Juden haben für die Behauptung eines

11) Hais, L. J. $. 145.

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592 ' Dritter Abschnitt.

Diebstahls gleichsam Zeugen stellen gewollt, und hiezn die aufgestellten Wächter tiugirt. Aber dafs die Wächter mit offenen Augen ruhig zugesehen hätten, wie die Anhänger Jesu dessen Leichnam wegnahmen, konnte doch den Ju- den Niemand glauben ; sahen sie aber nichts davon , weil sie schliefen, so gaben sie auch keine Zeugen ab, indem sie dann nur durch einen Schlufs zu dem Resultat kom- men konnten , der Leichnam möge gestohlen worden sein : das aber konnte man ohne sie ebensogut. Keineswegs also kann die Wache schon zum jüdischen Grundstock der vor- liegenden Sage gehört haben , sondern das unter den Ju- den verbreitete Gerücht bestand, wie auch der Text sagt, nur darin, dafs die Jünger den Leichnam gestohlen haben sollten. Indem die Christen diese Verleumdung zu wider- legen wünschten, bildete sich unter ihnen die Sage von » i- ner am Grabe Jesu aufgestellten Wache, und nun konnten sie jener Verläumdung dreist durch die Frage entgegentre- ten : wie kann der Leichnam entwendet worden sein , da ihr ja eine Wache am Grab aufgestellt, und den Stein ver- siegelt hattet? Und weil, wie wir im Verlauf der Unter- suchung es selbst erprobt haben , einer Sage erst dann ih- re Grundlosigkeit völlig nachgewiesen ist, wenn es gelingt, zu zeigen, wie sie auch ohne historischen Grund sich bil- den konnte: so versuchte man von christlicher Seite, ne- ben der Aufstellung des vermeintlich wahren Thatbestan- des, zugleich die Genesis der falschen Sage nachzuweisen, indem man die verbreitete jüdische Lüge aus einer Anstif- tung des Synedriums und seiner mit der Wache vorgenom- menen Bestechung herleitete. Gerade das Umgekehrte von dem ist also wahr, was Hase sagt, die Sage sei wohl un- ter den Freunden Jesu entstanden , und von seinen Fein- den modificirt worden: die Freunde hatten nur dann erst Veranlassung, eine Wache zu erdichten , wenn die Feinde vorher von einem Diebstahl gesprochen hatten.

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Viertes Kapitel. $. 130. 503 5. 130.

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Erste Kunde der Auferstehung.

Dafs die erste Kunde von dem eröffneten und Jeeren Grabe Jesu am z weiten Morgen nach seinem Begrlibnifs durch Frauenmond an die Jünger gekommen, darin stim- men die vier Evangelisten flberein : aber in allen näheren Umständen weichen sie auf eine Weise von einander ab* welche der Polemik eines WolfenbUttler Fragmentisten den reichsten Stoff geboten, und dagegen den Harroonisten und Apologeten vollauf zu thun gegeben hat, ohne dafs bis jetzt eine befriedigende Vermittlung zwischen beiden Parteien zu Stande gekommen wäre.

Sehen wir von der an die Abweichungen der Begräb- nifsgeschichte sich anschliefsenden Differenz in Angabe des Zweckes ab, weichen die Frauen bei ihrem Gang zum Grabe hatten, indem sie nach den beiden mittleren Evan- gelisten eine Salbung mit dem Leichnam Jesu vorzuneh- men gedachten, nach den beiden andern nur einen Besuch am Grabe machen wollten, so findet zuerst in Bezug auf die Zahl der Frauen, welche diesen Gang machen, die manchfachste Abweichung statt. Nach Lukas sind es un- bestimmt viele, nämlich nicht allein diejenigen, welche er 23, 55. als ovveXt]Xv9vlai t(£ Y. ax trjg Faldaiag bezeich- net, und von welchen er 24, 10. Maria Magdalena, Johan- na und Maria Jakobi namhaft macht, sondern auch noch tivig ovv aureus (24, 1.). Bei Markus sind es blofa drei Frauen, nämlich zwei von denen, die aueh Lukas nennt, die dritte aber, statt der Jobanna, Salome (16, 1.)« Mat- thäus hat diese dritte, über welche die zwei mittleren Evangelisten differiren, gar nicht, sondern blofa die beiden Marien, über welche sie einig sind (28,1.). Johannes endlich hat nur die Eine von diesen, die Magdalenerin (20, I.)- Die Zeit, in welcher die Frauen zum Grabe gehen, wird gleichfalls nicht ganz gleichförmig bestimmt; denn wenn auch des Matthäus 6tpi oaßßcttiav, %f inupwa— Das Leben Jesu 2te Aufl. //. Band. 38

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594, J) ri f ter A bschnitt

xiifTrj Big fit uv aaßßduov keine Differenz macht *j, so ist doch der Zusatz des Markos : amreiXavcog rs 7tUa mit dem johanneischen ozoiiag tri U07;g und dem oq!>qu ßu&tag de* Lukas im Widerspruche. Über den Zustand, in welchem die Frauen zuerst das Grab erblickten, kann wenigsten* zwischen Matthaus um 4 den drei übrigen eine Abweichung stattzufinden scheinen. Nach diesen sehen sie, wie sie na- her kommen, und nach dem Grabe Innblicken, den Stein be- reits durch unbekannte Hand von demselben abgewälzt: wogegen die Erzählung des ersten Evangelisten Manchen so zu lauten geschienen hat, -als hätten die Weiber seihst noch die Abwälzung durch einen Engel mirangesehen. Manchfaltigcr werd. n die Abweichungen in Bezug auf das- jenige, was die Frauen weiter am Grabe sahen und erfuh« ren. Nach Lukas gehen sie in das Grab hinein, finden den Leib Jesu nicht, und indem sie hierüber betroffen sind, stehen zwei MKnner in strahlenden Gewändern bei ihnen, welche ihnen seine Auferstehung verkündigen. Bei Mar- kus, der sie gleichfalls in die Gruft hineingehen lÄfst, se- hen sie nur Einen Jüngling in weifsem Kleide auf der rech- ten Saite nicht stehen , sondern sitr en , der ihnen diesel- be Kunde ertheilt. Bei Matthäus bekommen sie diese Nach- richt ehe sie in das Grab hineingehen von dem Engel, der nach Abwälzung des Steins sich auf denselben gesetzt hat- te. Nach Johannes endlich läuft Maria Magdalena, sobald sie den Stein abgenommen sieht, ohne eine Engelerschei- nung gehabt zu haben, in die Stadt zurück. Auch das Verhältnifs, in welches die Jünger Jesu zu der ersten Kunde von seiner Auferstehung gesetzt werden, ist in den verschiedenen Evangelien ein verschiedenes. Nach Mar- lin« sagen die Frauen aus Furcht Niemand etwas von der gehabten Engeierscheinung; nach Johannes weifs Maria

J) Vgl. Kaitzscii*, «. d. St., uad Kiaj», Tlib. Zeitschr. 183*, 2, S. 102 f.

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V ierte« Kapitel. §. 136.

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Magdalena dem Johannes und Petrus, zu welchen sie vom Grabe hinweg eilt, nichts zu sagen, als dafs Jesus daraus weggenommen sei; nach Lukas berichten die Frauen den Jüngern Uberhaupt, nicht blofs zweien derselben, die ge- habte Erscheinung; nach Matthäus aber kam ihnen, wie *ie au den Jüngern eilen wollten, Jesus selbst noch in den Weg, und sie konnten auch diefs schon den Jüngern mit- theilen. Dafs einer von diesen auf die Nachricht der Frauen selbst zum Grabe gegangen wäre, davon sagen die zwei ersten Evangelien nichts; nach Lukas gieng Petras hinaus, fand es leer, und kehrte verwundert wieder um, und aus Luc. 24, 24. ist zu ersehen, dafs noch andere Jfin- ger ausser ihm in ähnlicher Weise dahin gegangen waren ; nach dem vierten Evangelium war Petrus von Johannes begleitet, welcher sich tiiebei von der Auferstehung Jesu überzeugte. Diesen Gang machte dem Lukas zufolge Pe- trus, nachdem er bereits durch die Weiber von der En- gelerscheinung benachrichtigt war: laut des vierten Evan- geliums aber giengen die beiden Jünger zum Graba, ehe ihnen Maria Magdalena von einer solchen hatte sagen kön- nen- denn erst, als diese mit denselben Beiden den zwei- ten Gang zum Grabe gemacht hatte, und die Apostel wie- der umgekehrt waren, sah sie nach dem vierten Evange- lium, sich in das Grabmal bückend, zwei Engel in weifsen Kleidern, oben und unten an der Stelle, wo Jesus gelegen hatte, sitzen, welche sie fragten, warum sie weine? nnd als sie sich umwendete, erblickte sie gar Jesum selbst, wovon auch bei Markus, V. Steine abgerissene Notiz sich findet, mit dem Beisätze, dafs sie diese Nachricht seinen ehemaligen Begleitern gebracht habe.

Die meisten von diesen Enautiophanieen glaubte man auch hier durch Auseinanderhaltung des verschieden Lau- tenden zu lösen , indem man statt Einer maiti bfttltig dar- gestellten, eine Manchfaltigkeit verschiedener £eenen her- auf brachte; wozu dann noch die gewöhnlichen grammati-

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59f» Dritter Abschnitt.

sehen u. a. Kunststücke der Harmonistik kamen. Damit Alarkos dem axoiiag h% Hoya bei Johannes nicht wider- spräche , entblödete man sich nicht , sein avazuXuitog zu rflJLa dnreh orituro sole zu fibersetzen 2); eher gienge es noch an, den Widerspruch zwischen Matthäus und den übrigen, wenn jener zu sagen scheint, die Weiber haben die Abwälzung des Steins durch den Engel mitangesehen, dadurch zu heben, dafs man zwar nicht mit Michaelis \) xai löu als Nachhoiung von etwas früherem, und anexvhee in der Bedeutung eines Plusquamperfectums nimmt, was gegen Lessing, der es nooh gestatten wollte, die neuere Kritik mit Recht verwehrt4), wohl aber etwa dadurch, dafs man das jjAte V. U von nooh nicht vollendetem Gan- ge der Weiber versteht, wo sodann das xai idö und was folgt, seiner eigentlichen Bedeutung gemäls, etwas anzei- gen kann, das erst nach dem Weggange der Frauen von Hause, doch aber vor ihrer Ankunft am Grabe, erfolgte. In Bezug auf die Zahl und den Gang der Frauen wurde zunächst geltend gemacht, dafs auch nach Johannes, ob er gleich die Magdalena aliein namhaft mache, mit dieser noch mehrere Frauen zum Grabe gegangen sein müssen, da er sie ja nach ihrer Rückkehr von demselben zu den beiden Jüngern sagen läfst: oYda//fcv, 71 u i&r^xav aviuv 5) ; ein Plural, der allerdings auf verschwiegene weitere Per- sonen deutet, mit welchen Magdalena, sei es am Grabe selbst, oder auf dem Rückweg, ehe sie zu den Aposteln kam, über den Gegenstand verhandelt hatte. So gieng also, sagt man, Magdalen^mit andern Weibern, von deuen

2) Kuiköl, in Marc. p. 194 f. 5) Michaelis, a. a. O. S. 112.

4) ScttxBCKENUUHGER, über den Urspr. des ersten ltanon. Evang. S. 62 f. Vgl. den Wolfenbüttler Fragmentisten in Lissixts viertem Beitrag, S. 472 ff. Dagegen Lessiisg's DupiUf, Wer- lte, Carlsr. Ausg. 24. Thl. S. 157 f.

5) Miciuaus, S. 150 ff.

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Vierte« Kapitel. §. 136. 5W

die übrigen Evangelisten, dieser mehrere, jener wenigere, namhaft machen, zum Grabe: da sie aber zurückkommt, ohne dafs sie, wie die übrigen Frauen, einen Engel gese- hen hatte, so wird nun angenommen, sie sei, sobald sie den Stein weggewälzt sah, allein zurückgelaufen ; was man durch ihre heftige Oeraüthsart, als einer ehedem Dämoni- schen, motirirt Während sie zur Stadt zurückeilte, hatten nun die Übrigen Frauen die Erscheinungen, von welchen die Synoptiker sprechen. Allen, wird behaup- tet, erschienen die Engel innerhalb des Grabes; denn dafs einer aussen auf dem Stein gesessen, ist bei Matthäus nur Plusquamperfectutn: als die Frauen kamen, hatte er sich bereits in das Grab zurückgezogen, da Ja nach ihrer Un- terhaltung mit ihm die Frauen als i&l&saai ix tk //w^ie/a bezeichnet werden 7): wobei nur flbersehen ist, dafs zwi- schen der ersten Anrede des Engels und dem l^rLf}Haac seine Aufforderung an die Frauen steht, mit i! m (in das Grab) zu kommen, und den Ort zu betrachten, wo Je- sus gelegen hatte. Wenn nach den beiden ersten Evan- gelisten die Frauen nur Einen, nach dem dritten aber zwei Engel sehen: so behilft sich selbst Calvin mit der ärm- lichen Auskunft der Synekdoche, so dafs zwar sMmmtlic! e Evangelisten von zwei Engeln wissen, Matthäus und Mar- kus aber nur desjenigen von ihnen, der das Wort führte, Erwähnung thun sollen. Andere lassen verschiedene Frauen hier Verschiedenes sehen : die einen , von welchen Mat- thäus und Markus sprechen, sahen nur Einen Engel, die andern , von welchen Lukas erzählt , und welche frü- her oder auch später als die vorgenannten kamen, sahen zwei *); aüein Lukas lafat dieselben beiden Marien den

6) Pivlub, exeg. Han Ib. 5, b, S. 825.

7) Michabms, S. 117.

g) Micha aus, S. 14(5. Schon Celsus ttiess »ich an dieser die Zahl der Engel betreffenden Diffcrcai, und Origcne» \owic«s

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Dritter Abschnitt.

Aposteln Ton einer Erscheinung zweier Engel referiren, welche nach »einen Vormfiiinern nur Einen Engel gesehen hatten. Auch den Rückweg sollen die Frauen in ge- trennten Gruppen gemacht haben, so dafs denen, von welchen Matthäus spricht, Jesus begegnen konnte, ohne von denen des Lukas gesehen zu werden, und die des Markus vor Schrecken Anfangs Niemand etwas sagen, die übrigen aber, und auch jene selbst später, die Jün- ger in Kenntnifs setzen konnten 9). Auf die durch meh- rere Frauen erhaltene Nachricht hin geht dem Lukas zu- folge Petrus zum Grabe, findet es leer, und kehrt verwundert wiederum. Aber schon geraume Zeit vor den Übrigen Wei- bern war nach dieser Hypothese Magdalena zurückgelaufen, und hatte den Petrus und Johannes mit herausgeführt. Ks roflfste also Petrus zuerst auf die unvollständige Kunde der Magdalena vom leeren Grabe hin mit Johannes hinausge- gangen sein, hernach auf die Nachricht der Frauen von der Engclerscheinung noch einmal allein: wobei besonders auffallend wäre, dafs, während sein Begleiter gleich bei m ersten Gange zum Glauben an Jesn Wiederbelebung gelang- te, er selb§t durch den zweiten Gang nicht weiter als bis zur Verwunderung es gebracht haben sollte. Überdiefs sind, wie der Wolfen büttler Fragmentist schon gut heraus- gehoben hat, die Erzählungen des dritten Evangeliums von dem Gange des Petrus allein, und des vierten von dem des Petrus and Johannes so auffallend selbst bis auf die Wor- te einander ähnlich 10), dafs die meisten Ausleger hier blofs

ihn darauf, dass die Evangelisten verschiedene Engel mei- nen: Matthäus und Markus den, der den Stein abgewälzt hatte, Lukas und Johannes diejenigen, welche als Berichter- statter für die Frauen aufgestellt waren, c. Cels. 5, 56. 9) Paulus, z. d. St. des Matth.

10) Ich setze die vom Wolfenbttttlcr (a. s. O. 8. 477 f.) entwor- fene Tabelle hichcr:

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Viertes Kapitel. §. UG.

Einen Gang, nur bei Lukas den Begleiter des Petras ver- schwiege») finden, wofür sie sich auf Luc. 24, 24. berufen können. Ist aber der durch Magdalenas Zurückkunft ver- anlagte Gang der beiden Apostel mit dem durch die Rück- kehr der Weiber veranlafsten des Petrus ein und derselbe: dann ist auch die Rückkehr der Frauen keine doppelte; sind bie aber miteinander umgekehrt: so sollten sie auch das. deiche gesehen haben, und da die Evangelisten sie Verschie- denes sehen lassen, so ist diefs ein Widerspruch. Nachdem nun die beiden Apostel umgekehrt sind, ohne einen Engel gesehen zu haben, erblickt die zurückgebliebene Maria, wie sie in das Grab hineinsieht, auf Einmal deren zwei. Welch - wunderliches Versteckspielen der Engel nach der harmoni- er ischen Zusammen füg ung dieser Erzählungen ! Zuerst zeigt sieh dem einen Trupp der Weiber nur Einer; dann einem andern deren zwei; vor den Jüngern hierauf verbergen sich beide; nach deren Abgang aber kommen beide wie- der zum Vorsehein. Um diefs unterbrechende Verschwin- den zu entfernen, hat Paulus die der Magdalena zu Theil gewordene Erscheinung vor die Ankunft der beiden Jün- ger gestellt: aber durch diese gewaltsame Umstellung der vom Berichterstatter gewählten Ordnung nur ein Bekennt-

,1) Luc. 24, 12 : Petrus lief zum Grabe, iSqap**,

Job. 20, 4: Petrus und Johannes liefen, tr^xov, 2) Luc. V. 12: Petrus kuckte hinein, naqaxvtpae.

Joh. V. 5 : Johannes kuckte hinein , naQaxvyat. 5) Luc. V. 12: Petrus sähe die Tücher allein liegen,

ßUnti ra o&orta uttptra ft6va. Joh. V. 6. 7 : Petrus sähe die Tücher liegen , und das

Schweisstuch nicht mit den Tüchern lie- gen: ViMgeT ra o&drta xtiptva , xut rd ottddqtov 5 fitra tujv oifortwv xelptvov. 4) Luc. V. 12: Petrus gieng heim, on^ZSe ttqos lavrdy. Joh. V. 10 : Petrus und Johannes giengen nieder Leim,

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601) Dritter Abschnitt.

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nifs der Unmöglichkeit abgelegt, die Erzählungen der ver- schiedenen Evangelisten auf diese Weise ineinander einen« schieben. Hierauf, wie sich Magdalena vom Hineinse- hen in das Grab aufrichtet und umschaut, sieht sie Jesum ' hinter sich stehen. Nach Matthäus ersobien Jesus der Magdalena und der andern Maria, als diese bereits auf dem Rückweg in die Stadt begriffen, mithin vom Grabe entfernt waren. So wfire also Jesus zuerst der Maria Magdalena aliein hart am Grabe, hierauf ihr in Gesell- schaft einer andern Frau auf dem Wege erschienen. Um das Zwecklose dieser in so kurzer Frist wiederholten Er- •chetnung Jesu vor derselben Person zu vermeiden , hat man die obige Behauptung benützt , von den Frauen , von Welchen Matthäus spreche, habe sich Magdalena schon froher getrennt gehabt ") : allein dann wäre es , da Mat- thäus ausser der Magdalena nur noch die andere Maria Ji.t, nur eine einzige Frau gewesen, welcher auf dem Rück- wege Jesus erschien : während doch Matthäus durchaus von mehreren spricht (arcifwjyoYv avtaig u. s. f.)

Um diesem unsteten Hinuadherrennen der Junger und Frauen, dem pbantasmagtrisefeen Erscheinen, Verschwin- den und Wiedererscheineu der Engel, nnd der zwecklosen Häufung der Erscheinungen Jesu vor derselben Person, wie sie bei dieser harmonistischen Methode herauskommt, 1 mm entgehen , müssen wir jeden Evangelisten für sich be- trachten , dann bekommen wir von jedem ein ruhiges Bild mit «infachen , würdigen Zügen : Einen Gang der Frauen, oder nach Johannes zwei; Eine Engelerscheinung: Eine .Erscheinung Jesu nach Johannes und Matthäus , und Ei- nen Gang Eines oder zweier Jünger nach Lukas und Jo- hannis.

Doch zu jenen materiellen Schwierigkeiten der har- m mistischen Einschiebungsmethode gesellt sich noch die

iX) Itvnröj., i* Matth, p. 800 f,

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Viertes Kapitel. $. 13d. 601

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formelle Frage, wie ei denn unter den Voraussetzungen jene Ansicht komme, dafs aus der Fülle des Geschehenen jeder Re- ferent ein andres Stück für sich herausgeschnitten, von den vielen Gängen und Erscheinungen keiner alle, und fast keiner dieselben wie sein Nachbar, sondern meistens nur jeder Eine, und jeder wieder eine andere zur Darstellung ausgewählt habe? Die plausibelste Antwort auf diese Fra- ge hat Griesbach in einem eigenen Programm über diesen Gegenstand gegeben **) , indem er annahm , jeder Evange- list gebe die Art und Weise wieder, wie ihm gerade zu- erst die Auferstehung Jesu bekanntgeworden war. Johan- nes habe die erste Nachricht durch Maria Magdalena er- halten, und so erzähle er auch nur , was er von dieser er- fahren habe; dem Matthäus (denn die Jünger haben, als festbesuchende Fremde , ohne Zweifel in verschiedenen Quartieren der Stadt gewohnt) sei die erste Kunde durch diejenigen Weiber zugekommen , welchen auf dem Rück- weg vom Grabe Jesus selbst erschienen war, und so thei- le er denn nur das von diesen Erlebte mit. Doch hier scheitert diese Erklärung bereits daran, dafs theils bei Matthäus unter den Frauen , welche auf dem Rückwege die Christophanie haben, auch Magdalena ist, theils bei Johanne« Magdalens nach ihrem zweiten Gang, auf welchem ihr Jesus erschienen war, nicht mehr eu Johannes and Petrus allein, sondern zu den fia^iatg überhaupt gieng, und Ihnen die ge- habte Erscheinung und den erhalteneu Auftrag mittheilte: so dafs also Matthäus in jedem Fall auch von der Erschei- nung Jesu vor Ma^dalera wissen mufste 1S). Wenn dann ferner nach dieser Hypothese Markus die Auferstehungsge- schiehte so, wie er sie im Hause seiner au Jerusalem leben-

12) Progr. de fontibus, unde Kvangcliitac «uas de rciurrectiono Domini narrationc* hauscrint. Opusc. acad. ed. Cuiilkr, Vol. 2, p. 241 ff. V

13) Vgl. ScMJvscKiexiiüiiGKK, a. a. O. S. 64 f. Aam.

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602 Dritter Abschnitt.

Hon Mutter (A. G. 12, 12,), Lukas, wie er sie von der bei ihm allein genannten Johanna erfahren hatte, erzählen soll: •6 mufs man sich Aber die Zähigkeit verwundern, mit wel- cher hienach jeder an der zufällig zuerst vernommenen Krztfhlung hängen geblieben wäre , da dooh gerade über die Auferstehung Jesu der Austausch der Erzählungen un- ter seinen Anhängern der lebhafteste sein, und so die Vor- stellungen über das erste Bekanntwerden derselben sich ausgleichen mufsten. Diese Schwierigkeit zu heben, hat Gries- bach weiter angenommen, die Jünger haben wohl im Sinne gehabt, die un zusammenstimmenden Berichte der Frauen zu vergleichen und in Ordnung zu bringen, als aber der wie« derbelebfe Jesus selbst in ihre Mitte getreten sei, haben sie diefs unterlassen, weil sie nun nicht mehr auf die Aus- sagen der Weiber, sondern auf die selbstgehahten Erschei- nungen ihren Glauben gegründet haben: allein eben, je mehr auf diese Weise die Nachrichten der Weiber in den Hintergrund traten, desto weniger ist zu begreifen, wie fernerhin jeder so starr au demjenigen hängen bleiben konnte, was ihm zufällig zuerst diese oder jene Frau be- richtet hatte.

Führt hienach" das einschiebende Verfahren nicht zum Ziele: so ist das auswählende zu versuchen, und zu se- lten, ob wir nicht etwa an Einen der vier Berichte, als vorzugsweise apostolischen, uns zu halten, und nach ihm die übrigen zu berichtigen haben; wobei wie sonst, so auch hier, um der wesentlichen Gleichheit der äusseren Beglaubigung willen , nur die innere Beschaffenheit der einzelnen Relationen entscheide;! kann.

Aus der Zahl derjenigen Berichte über das erste Kund- werden der Auferstehung Jesu, welche auf den Rang aut- optischer Urkunden Ansprach haben , ist der des ersten Evangeliums durch die neuere Kritik weggeräumt worden 1V),

14) Schulz, über das Abendmahl, S. 521 f. Schmckikbürckr,

a. a. O. S. 61 ff.

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Viertes Kapitel §. 136 603

o!iae dafs wir uns über diese Ungunst, wie in andern Fäl- len, als über eine, ungerechte, beklagen könnten. Denn in mehrerlei Beziehungen zeigt sieh diefsmal die Erzählung des ersten Evangeliums um eine Stelle weiter vorwärts in der Ausbildung der Tradition, als die der übrigen Evan- gelien. Einmal, dafs die wunderbare Eröffnung des Gra- bes von den Frauen noch mitangesehen worden, wofern diefs Matthäus sagen will, diefs konnte sich, wenn es wirklich der Fall gewesen war, schwerlich so, wie bei den übrigen Evange- listen, wieder verlieren, wohl aber sich nach und nach frei

sa

in der Überlieferung bilden; ferner, dafs die Abwälzung des Steins durch den Engel geschehen sei, beruht offenbar nar auf der Combination eines solchen, welcher die Frage, wiefdenn wohl der grofse Stein vom Grabe gekommen, und die Wächter bei Seite geschafft worden seien , nicht besser beantworten EU können glaubte, als wenn er zu Bei dem den Engel be- nfitzte, welchen ihm die umlaufenden Erzählungen van der den Frauen zu Theil gewordenen Erscheinung boten ; wo- zu er ferner das Erdbeben, als weitere Verrherlichung der Scene, setzte. Aber auch ausserdem ist in der Erzählung des Matthäus noch ein Zug , der nichts weniger als histo- risch klingen will. Nachdem den Frauen bereits der En- gel die Auferstehung Jesu verkündigt, und sie mit dem Auftrsg au die Jünger gesendet hatte, dafs sie nach Ga- liläa gehen sollen , dort werde ihnen der Auferstandene er- scheinen: begegnet ihnen dieser selbst, und wiederholt den Auftrag an die »füriger. Diefs ist ein sonderbarer Über- flufs. Zum Inhalte des Auftrags, den die Engel den Frauen gegeben, hafte Jesus nichts mehr hinzuzufügen; mithin müfste er denselben nur noch haben bekräftigen und glaub- hafter machen wollen. Allein bei den Frauen bedurfte es weiterer Beglaubigung nicht, denn sie waren ja schon durch die Nachricht des Engels %aQ<xg ftsydlyg voll, also gläubig; bei den Jüngern aber reichte auch jene Bekräf- tigung wicht hin , denn sie blieben selbst auf den Bericht

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604 Dritter Abschnitt.

derjenigen, welche Jesum gesehen ru haben versicher- ten , bis sie Ihn selbst sehen bekamen, ungläubig. Es scheinen sich also hier »zweierlei Relationen Ober die erste Kunde der Auferstehung in einander verwickelt zu haben, von welchen die eine die Weiber durch Engel , die andre durch Jesum selbst von seiner Wiederbelebung in Kenntnifs gesetzt, und an die Jünger abgeschickt werden liefe die letztere offenbar die spätere.

Der dem Berichte des Matthäus entzogene Vorrang der Autopsie wird auch hier wie sonst dem johanneischen zu- erkannt. So charakteristische Züge, sagt Lücke, wie, dafs bei'm Gang zum Grabe der ällog ficc&qTrjg schneller als Pe- trus gegangen, und vor ihm an Ort und Stelle gekommen sei, beurkunden die Ächtheit des Evangeliums auch dem Zweifelsüchtigsten. Allein hier hat Lücke, bei uns wenig- stens , ganz die unrechte Saite angeschlagen. Denn eben diesen Zug haben wir oben als einen von denjenigen uns gemerkt, welche dem eigentümlichen Bestreben des vier- ten Evangeliums angehören , den Johannes Über den Pe- trus zu stellen "). Wir haben diefs hier genauer zu be- trachten, indem wir den Bericht des Lukas über den Gang des Petrus mit dem Berichte des vierten Evangeliums über den Gang der beiden Jünger vergleichen. Mach Lukas (24, 12.) lauft Petrus zum Grabe: nach Johannes (20, 3 ff.) Petrus und der Lieblingsjünger zusammen , doch so , dafs der letztere schneller läuft, und zuerst zum Grabe kommt. Im dritten Evangelium bückt sich Petrus in das Grab hin- ein , und sieht die leeren Tücher: im vierten thut Johan- nes diefs, und sieht dasselbe. Nun von einem Hineinge- hen in die Gruft bat der dritte Evangelist gar nichts : der vierte aber läfst auerst den Petrus hineingehen und die Tücher genauer besichtigen, dann auch den Johannes, und diesen mit dem Erfolge, dafs er an die Wiederbelebung

15) Baad 1. §. 73.

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Viertes Kapitel. §. 136. 605

Jesu zu glauben anfängt16). Dafs hier von Einem diu! demselben Vorfalle die Rede sei, ist oben durch die] genaue Analogie selbst des Ausdrucks wahrscheinlich gemacht wor- den. £s fragt sich also nur , welches wohl die ursprüng- liche, dem Factum nähere Erzählung gewesen sei ? Wenn die des Johannes! dann müTste sich also dessen Name all- mählig aus der Uberlieferung verloren haben9 und der Gang dem Einen Petrus zugeschrieben worden sein; was sich bei dem alle andern verdunkelnden Ansehen des Petrus gar wohl denken Jiefse. Hiebet würde man, diese beiden parallelen Erzählungen für sich betrachtet, sich beruhigen können : allein im Zusammenhang mit der ganzen verdäch- tigen Stellung , welche das vierte Evangelium dem Johan- nes, gegenüber von Petrus, er t heilt, mufs auch hier das umgekehrte Verhfiltnife der beiden Berichte wahrscheinli- cher werden. Wie bei dem Gang in den hohenpriesterli- chen Palast , so wird auch bei dem zum Grabe Jesu nur allein im vierten Evangelium dem Petrus Johannes beige- geben ; wie er dort den Petrus einführt, so läuft er ihm hier voran, und wirft den ersten Blick in das Grab, was wiederholt hervorgehoben wird. Dafs sofort Petrus zuerst in das Grab hine'ngeht , ist nur der Schein eines Vorzugs, der ihm aus Rüik§icht auf die vulgäre Vorstellung von ihm eingeräumt wird; denn nach ihm geht ja auch Johan- nes hinein, und zwar mit einem Erfolge, wie Petrus sich dessen nicht rühmen konnte, dafs er nämlich an die Auf- erstehung Jesu als der Erste gläubig wurde. Aus diesem Bestreben, den Johannes zum Erstgebornen der Gläubigen an Jesu Auferstehung zu machen , erklärt sich dann auch die Abweichung, dafs nach dem Berichte des ein- zigen vierten Evangeliums Magdalena, noch ehe sie einen

16) Über diesen Sinn des ent^vatv, und dass ihm das Snto y^ fiStioay Tqv yqawr ». t. 1. nicht widerspricht, das Richtige bei Llcks x. d. St.

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606 Dritier Abschnitt.

Engel gesehen, zu den beiden Jüngern zurückeilt. Denn hätte sie schon vorher eine Engclerat hefnung gehabt, wel- cher sie dann *o wenig als die Frauen bei Mafihan» miß- traut haben würde, so wäre ja sie die erste Gläubige ge- wesen, und hätte vor Johannes einen Vorzug gewonnen : was nun dadurch vermieden ist, dafs sie blofa mit der Wahrnehmung des leeren Grabes und der hiedurch erreg- ten Unruhe zu den beiden Jüngern kommt. Auch das er- klärt sich unter dieser Voraussetzung , dafs das vierte Evangelium die vom Grabe zurückkehrende Frau nicht zu den Jüngern überhaupt, sondern nur zu Petrus und Jo- hannes gehen läfst. Da nämlich die der ursprünglichen Erzählung nach an sämmtliche Jünger gebrachte Nach- richt nach Lukas zunächst nur den Petrus zu einem Gang an das Grab veranlafste , wie denn auch nach Markus (V. 7.) die Botschaft der Frauen ganz besonders für Pi- trus bestimmt war: so konnte sich leicht die Vorstellung bilden , die Nachricht sei nur an diesen gekommen , wel- chem dann der vierte Evangelist seinen Zwecken gemäfs noch den Johannes beigesellen mufste. Dafs derselbe Evan- gelist statt der mehreren Frauen nur die Eine Magdalena hat, diefs könnte freilich unter andern Umständen als das Ursprüngliche angesehen werden, woraus die synopti- sche Darstellung durch Generalisirung entstanden wäre: ebensogut jedoch können die Übrigen Frauen als minder bekannt hinter Magdalena zurückgetreten sein. Nun erst, nachdem die beiden Jünger hei m Grabe gewesen wa- ren, und sein Johannes Glauben gewonnen hatte, konnte der Verfasser des vierten Evangeliums die Erscheinung der Engel und Jesu selbst einfügen, welche den Weibern au Theil geworden sein sollte , und welche entweder er, •der schon die ihm zu Gebote stehende Tradition auf die Eine Maria Magdalena beschränkt hatte. Die Ausmalung der Scene , mit dem anfänglichen Nichterkenneu u. s. f., macht der geistreichen und gefühlvollen Manier des Yer-

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Viertes Kapitel. §. 1.16 607

fassers Ehre : indefs findet sich auch hier ein ähnlicher un- historischer Uberflofs, nie hei Matthäus. Denn hier ha- ben die Engel der Magdalena .nicht . wie bei den übrigen Evangelisten den Frauen, die Auferstehung Jesu zu ver- kündigen, und ihr einen Aufschlufs zu geben, sondern sie fragen sie nur: rl xlaUig; worauf sie ihnen das Ver- schwinden des Leichnams Jesu klagt, aber, ohne weitern Aufschlufs abzuwarten, wendet sie sich sofort um, und sieht Jesum stehen. Wie also bei Matthäus die Erschei- nung Jesu, weiche doch noch nicht die eigentliche und rechte sein «oll, eine überflüssige Zugabe zu der Engeler- scheinung ist: so hier die Engelerscheinung eine müfsig prunkende Einleitung zur Erscheinung Jesu.

Sehen wir hierauf den dritten Bericht, den des Mar- kos , darauf an , ob nicht er vielleic ht der dem Factum nächste sein mochte: so ist er auf eine Weise in sich zer- rissen und aus ungefügigen Bestandteilen zusammenge- setzt , dafs an ein solches Verhälmifs nicht zu denken ist. Nachdem nämlich bereits erzählt war, dafs am Frühmor- gen des Tags nach dem Sahbat die Frauen zum Grabe Jesu gekommen, und durch einen Engel von seiner Aufer- stehung benachrichtigt worden seien, aus Furcht aber Niemand etwas von der gehabten Erscheinung gesagt ha- ben (16, 1—8.): wird nun (V. 9.) , als ob weder von der Auferstehung , noch von der Zeit derselben , die Rede ge- wesen wäre, fortgefahren: diugug di tiqloX nQü'tj] aaßfta— %iov iqavT] UQWOP Magire tfj JMayöalrjvfi. Dieser Zugpafst auch defshalb zu der vorangegangenen Erzählung nicht, weil diese gar nicht auf eine der Magdalena besonders zugedachte Erscheinung eingerichtet ist; sondern, da sie mit zwei andern Frauen durch einen Engel von Jesu Auf- erstehung benachrichtigt wird, so konnte ihr vorher Jesus noch nicht erschienen sein, nachher aber, auf dem Wege zur Stadt, war sie mit den übrigen Frauen zusammen, wo sie dann wirklich nach Matthäus miteinander die Chri-

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€08 Dritter Abschnitt

stophanie hatten. Ob man defswegen das Ende des M«r- kusevangeliunis , von V. 9. an, als einen späteren Zufiatj; ansehen daif 17), ist zwar wegen des Mangels an entschei- denden kritischen Gründen, nnd noch mehr wegen des Abgebrochenen Schiasses mit ipoßSvio yao, der sieh dann ergiebt, zweifelhaft; in jedem Fall aber haben wir hier einen Bericht, welchen der Verfasser ans verschiedenarti- gen Elementen der umgehenden Sage, welche er nicht m beherrschen wufste, ohne klare Anschauung von dem Hergang der Sache and der Aufeinanderfolge der Mo- mente, eilfertig zusammengesetzt hat.

In der Erzählung des Lukas wäre zwar übrigens kein besonderer Anstofs: doch aber hat sie ein verdächtiges Element, die Engelerscheinung , und zwar in der Zwer- zahl, mit den Übrigen gemein. Was sollten die Engel hei dieser Scene? Matthäus sagt uns: den Stein von der Grnft wälzen ; wogegen schon Celsus bemerkt hat, dafs nach <!► r orthodoxen Voraussetzung der Gottessohn hiezu keiner sol- chen Hülfe benöthigt sein konnte: ,8) nur etwa schickin h mochte er sie finden. Bei Markus und Lukas erscheine« die Engel mehr nur als diejenigen, welche den Weibern Nachricht und Aufträge ertheilen sollten : allein da narh Matthäus und Johannes unmittelbar darauf Jesus selber erschien, und jene Aufträge wiederholte, so war die He* Stellung durch Engel überflüssig. Es bleibt daher nichts übrig, als zu sagen: die Engel gehörten zur Verherrli- chung der grofsen Seene, als himmlische Dienerschnfr, welche dem Messias die Thür aufzuthun hatte, durch welche er ausgehen wollte; als Ehrenwache an der Stelle,

17) Wie *. B. Paulus und Fritzschr. Eine vermittelnde Ansicht bei Hu*, Einl. in d. N. T. 2, §. 69.

18) Bei Orig. c. Cels. 5, 52: 6 yoe rS M naU, «Sc fc>i«r, 1* iövvaro ayo'ila* roy rdtfoy , oIa iJ*^ all* an omt vr^ro^ r^y nirqay.

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Viertes Kapitel. §. 130. 609

welche der (ietodtete so eben lebendig verlassen hatte. Hier ist nun aber eben die Frage: giebt es einen solchen Prnnk in dem wirklichen Haushalt Untres, oder nur in der kindlichen Vorstellung, welche sich die Vorzeit von demselben machte ? i

Man hat sich daher verschiedentlich Mühe gegeben, die Engel der Auferstehungsgeschichte in natürliche Er- scheinungen su verwandeln. Gieng man hiebei von dein Berichte des ersten Evangeliumsaus, und.erwog, dafg dem Engel eine Uta dg dgyunr} , als Wirkung die Abwälzung des Steins und die Betäubung der Hüter zugeschrieben, auch mit seiner Erscheinung eine Erderschütterung in Ver- bindung gesetzt wird: so lag es nicht mehr fern, entwe- der an einen Blitz zu denken , weleher mit erschütterndem Schlage den das Grabmal schliefsenden Stein auf die Seite geschmettert, und die Hüter zu Boden geworfen habe; oder an ein Erdbeben, welches, begleitet von aus der Erde schlagenden Flammen, dieselben Wirkungen hervorgebracht habe; wobei denn das Feurige und Ubermächtige der Er- * scheinung von den wachhabenden Soldaten für einen En* gel gehalten worden sei 19). Allein theils der Umstand, dafs der Engel sich auf den abgewälzten Stein gesetzt, theils und noch mehr die Notiz, dafs er mit den Wei- bern geredet haben soll, macht diese Hypothese unzu- reichend. Man hat sie defswegen durch die Annahme zu ergänzen gesucht, der hohe Gedanke, Jesus sei auferstan- den, w elcher aus Veranlassung des leergefundenen Grabes in den Frauen entstand , und allmählig der anfänglichen Zweifel Meister wurde, sei von den Frauen nach orienta- lischer Denk - und Redeweise einem Engel zugeschrieben worden 80). Wie aber, dafs in sämmt liehen Evangelien

19) Schvstbh, in Eichhorh's allg. Bihlioth. 9, S. 1054 ff. Kuihöl, in Matth, p. 799.

20) Friedrich , über die Engel in der Auferstehungsgeschichte. In EichhorVs allg. Bibl. 6** S. 700 ff. Kurftlh.j a. a. O.

Das Leben Jesu 2t e Aufl. 11, Uand. 31)

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Dritter Abschnitt.

die Engel als gekleidet in weisse, strahlende fie?* Xnder dargestellt werden? soll auch das orientalische Bilden eile sein ? Der Orientale kann wohl etwa einen guten Gedan- ken, der ihm kommt, als einen bezeichnen, den ihm ein Engel zugeflüstert habe : aber nun noch die Kleidung und das Aussehen dieses Engels zu beschreiben, das geht Ober das Masfs des bloßen Bildes auch im Orient hinaus. Bei der Beschreibung im ersten Evangelium könnte man etwa den angeblichen Blitz zu Hülfe nehmen, und vermuthen, was den Frauen bei'm Anblick desselben durch den Sin»? fuhr, das haben sie einem Engel zugeschrieben , welchen sie mit Rücksicht auf jenen Blitz als einen glänzend ge- kleideten schilderten. Allein nach den übrigen Evangeli- sten sahen die Weiber die Abwälzung des Steins ejc hyp<>- ihesi durch den Blitz nicht mehr mit an, sondern, wie sie in das Grab giengen oder schauten, erschienen ihnen ganz ruhig die weissen Gestalten. Hienaeh mufs es etwas im Grabe gewesen sein, was in ihnen den Gedanken an weifs- gekleidete Engel erregte; im Grabe aber lagen nach Lukas und Johannes die weissen Leintücher, in welche der Leich- nam Jesu gewickelt gewesen war: diese, welche von «Jen ruhigeren und beherzteren Mfinnern einfach als solche er- kannt wurden, konnten, sagt man, von furchtsamen und aufgeregten Weibern in der dunkeln Gruft bei täuschen- der Morgendämmerung gar wohl für Engel gehalten wer- den 21). Doch wie sollten die Frauen, welche doch er- warten mufsten einen weifseingewickelten Todten in der Gruft zu finden, durch den Anblick jener Tücher auf ganz besondere Gedanken gekommen sein, und zwar ge- rade darauf, was ihnen damals am fernsten lag, diefs mö- gen wohl Engel sein , welche die Auferstehung ihres hin-

21) So eine Abhandlung in Eichhorn'* allg. Bibl. 8, S. 629 ff., und in Schmidt' s Bibl. 2, S. 545 f.; such Bauer, hebr. Mythol. 2, S. 259.

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Viertes Kapitel. §. 136. 611

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gerichteten Lehrers ihnen ankündigen wollen ? Wie son- derbar aber, mufste man von anderer Seite her denken, hier so viele künstliche Vermuthnngen aufzustellen, was wohl die Engel gewesen sein mögen, da doch unter den vier Berichten zwei ans ausdrücklich sagen, was sie ge- wesen sind, nämlich natürliche Menschen, wenn ja Mar- kus seinen Engel als veavioxov y Lukas die seinigen als avÖQccg dvo bezeichnet 22). Wer sollen nun aber diese Männer gewesen sein? Hier ist wieder Thür und Thor geöffnet für die Annahme von geheimen Verbündeten Je* su, welche selbst den Jüngern unbekannt gewesen sein müssten: es werden dieselben gewesen sein, welche bei der sogenannten Verklärungsgeschichte mit ihm zusammen- kamen , vielleicht Essener , welche sich weifs zu kleiden pflegten und was dergleichen aus der Mude gekomme- ne Vermuthungen eines HuiRDTisch - Venu RiNi'schen Prag- matismus mehr sind. Oder will man lieber ein rein zu- fälliges Zusammentreffen postuliren; oder endlich mit Pau- lus die Sache in einem Dunkel lassen, aus welchem, so- bald man es durch bestimmte Gedanken aufzuhellen ver- sucht, doch immer wieder die Gestalten der geheimen Ver- bündeten hervortreten? Der richtige Sinn wird auch hier vielmehr die Gestalten der jüdischen Volks Vorstellung er- kennen, durch welche die urchristliche Tradition die Auf- erstehung ihres Messias verherrlichen zu müssen glaubte; eine Ansicht, durch welche sich zugleich die Differenzen in Zahl und Erscheinungsweise jener Überirdischen We- sen von selbst auf die kunstloseste Welse lösen 2S).

22) Paulus exeg. Handbuch 5, b, S. 829. 55. 60. 62.

23) Fritzschk, in Marc. x. d. St. Kemo quispiam prmv tem. poris Christianis tarn dignus videri poterat , qui de Messia in vitam reverso nuntium ad homines perferret, quam ange- luSy Dei minister , divinorumque consiliorum interpres et ad* jutor. Dann Uber die Differenzen in Bezug auf die Anzahl

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0,12 Dritter Abschnitt.

Eben Memii ist nber auch anerkannt, dafs wir so wenig mit dem auswählenden, als mit dem einschiebenden Verfahren ausreichen, vielmehr bekennen müssen, in sSmmt- lichen evangelischen Darstellungen dieser ersten Kunde der Auferstehung nur traditionelle Berichte vor uns zu ha- ben »).

$. 137.

Galiläische und judäische, paulinische und apokryphische Fr- •cheiuungen des Auferstandenen.

Wohl die bedeutendste von allen in der Aoferstehungs- geschichte vorkommenden Differenzen betrifft die Frage, welches der von Jesu beabsichtigte Hauptschauplatz seiner Erscheinungen nach der Auferstehung gewesen sei? Die beiden ersten Evangelien lassen Jesum noch vor seinem Tode bei'ra Hinausgang an den Ölberg den Jüngern die Zusage machen: fiera ro iysQ&fjvai //£ nood^o vfiäg eis trjv raldaiav (Matth. 26, 32. Marc. 14, 2S.) ; dieselbe Versicherung giebt am Auferstehungsmorgen der Kugel den Weibern mit dem Zusatz: ixel avzov öifxaüe (Matth. 28, 7. Marc. 16, 7.) , und bei Matthäus ertheilt über alles die- ses Jesus in eigener Person den Weibern den Auftrag, den Jüngern zu sagen: iva dnllSwoiv tlg rrjv VuUluiav, tcaxtX //* oipoviai (28, 10.). Bei Matthaus wird sofort wirklich die Abreise der Jünger nach Galiläa, und die Erscheinung, welche sie dort von Jesu hatten (die einzige den Jüngern zu Theil gewordene, deren Matthäus gedenkt), gemeldet ; Markus bricht , nachdem er die Bestürzung be- schrieben, in welche die Engelerscheinung die Frauen ver-

der Engel u. s. f . : Nimirum insperato Jesu Messiae in ui- tam reditui miracula adjecere alii aliay quae Evangelistae re- ligiöse , quemadmodum ab suis auetoribus aeeeperani , Iltens mandürunt. 24) Kaisbu, bibl. Theol. f, S. 254 ff.

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Viertes Kapitel. §. 137. 013

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setzt habe, auf die schon erwähnte räthselhaftc Art ab, hängt einige Erscheinungen Jesu an, welche, da zwischen dt>r ersten, die als unmittelbar nach der Auferstehung er- folgt, nothwendig in Jerusalem zu denken ist, und den folgenden keine Ortsverändemnig bemerkt, und der Zusam- menhang mit der früheren Weisung nach Galiläa aufgeho- ben ist , sämmtlich als Erscheinungen in und um Jerusa- lem betrachtet werden müssen. Johannes weifs von einer Weisung der Jünger nach Galiläa nichts, und Jäfst Jesuin am Abende des Auferstehungstages und acht Tage später den Jüngern in Jerusalem sich zeigen; doch wird in dem angehängten Schlufskapitel eine Erscheinung am gallläischen See beschrieben. Bei Lukas {.dagegen ist nicht blofs von einer galiläischen Erscheinung keine Spur, und Jerusalem mit der Umgegend zum alleinigen Schauplatze der Christo- phanieen, welche dieses Evangelium hat, gemacht, sondern es wird auch Jesu, wie er am Abend nach der Auferste- hung den versammelten Jüngern in Jerusalem erscheint, die Weisung in den Mund gelegt: ifieig da xa%}l&ceti iv %f{ nolu (was die A. G. 1, 4. bestimmter negativ durch and l[eQO<Jolv{uov w xwQ&o&cti ausdrückt), i'ajg & ivdv- otjofe övrccjiuv vipsg (24, 49.). Hier mufs zweierlei ge- fragt werden : 1) wie kann Jesus die Jünger zu einer Reise nach Galiläa angewiesen, und ihnen doch zugleich geboten haben, bis Pfingsten in Jerusalem zu bleiben? und 2> wie konnte er sie darauf verweisen, in Galiläa sich ih- nen zu zeigen , wenn er doch im Sinne hatte, noch am nämlichen Tag ihnen in und bei Jerusalem zu erscheinen?

Den ersteren Widerspruch, welcher zunächst zwi- schen Matthäus and Lukas stattfinde», bat Niemand schär- fer hingestellt, als der Woifenbüttler Fragmentist. Ist es wahr> schreibt er, was Lukas sagt, dafs Jesus gleich am ersten Tage seiner Auferstehung seinen Jüngern in Jeru* salem erschienen ist, und befohlen hat, da zu bleiben, und nicht von da wegzugeheu bis Pfingsten: so ist es iaisuh,

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614 Dritter Abschnitt.

daft er ihnen befohlen habe, in derselben Zeit nach dem luflsersten Galiläa zu wandern, um ihnen da zu erscheinen, und umgekehrt (). Die Ilarmonisten gaben sich zwar die Miene, als wäre dieser Einwurf nnbedentend, und bemerk- ten nur kurz, die Anweisung, in einer Stadt zu bleiben, sei kein Stadtarrest, und schiiefse also Spaziergänge und Hebenreisen nicht bur : sondern nur die Verlegung dea Wohnsitzes von Jerusalem weg, und das Ausgehen in alle Weit zur Predigt des Evangeliums habe Jesus den Jün- gern bis zu jenem Termin verbieten wollen 2). Allein ein Spaziergang ist die Reise von Jerusalem nach Galiläa doch wohl nicht f sondern der weiteste Zug, den der Jude im Inland machen konnte; ebenso wenig war es für die Apo- stel eine Nebenreise, vielmehr eine Rückreise in ihre Ilei- mftth; was aber Jesus durch jene Weisung den Jüngern untersagen wollte, kann weder das Ausgehen in alle Weit ssur Verkündigung des Evangeliums gewesen sein, wozu sie vor der Ausgtefsung des Geistes gar keinen Trieb in »ich verspürten; noch die Verlegung des Wohnsitzes von Jerusalem weg, wo sie nur als festbesuchende Fremde sich aufhielten: sondern eben von der Reise mufs sie Jesus ha- ben zurückhalten wollen, welche zu machen ihnen am «ifichsten lag, d. h. von der Rückkehr in ihre Heimath Ga- lilfta nach Verflnfs der Festtage. Uberdiefs worüber auch Michaelis gesteht, sich wundern zu müssen wenn Lu- kas durch jenes Verbot Jesu 'die Reise nach Galiläa nicht ausschliefsen will, warum erwähnt er derselben mit kei- nem Wort? und ebenso, wenn Matthäus sich bewufst war, «iafs seine Hinweisung nach Galiläa sich mit dem Befehl, in der Hauptstadt zu bleiben, vertrage, warum hat er die- sen, sammt den jerusalemischen Erscheinungen, übergan- gen? gewifs ein deutlicher Beweis, deSs jeder von beiden

1) In Lutums Bei tr;i gen, a. a. O. S. 485.

2) Michaelis, S. 259 f. KuhvHl, in Luc. p. 743.

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Viertes Kapitel. §. 137.

einer andern Grundansicht vom Schauplatze der Erschei- nungen des auferstandenen Jesus gefolgt ist.

In diesem Gedränge, zwei an demselben Tage gegebene entgegengesetzte Befehle zusammenzureimen, bot die Ver- gleichung der Apostelgeschichte eine erwünschte Hälfe durch Unterscheidung der Zeiten dar. Hier findet sich nämlich der Befehl Jesu, Jerusalem nicht zu verlassen, in seine letzte Erscheinung, 40 Tage nach der Auferstehung, un- mittelbar vor der Himmelfahrt, verlegt; am Schlüsse des Lukasevangeliums ist es gleichfalls die letzte mit der Him- melfahrt schliefsende Zusammenkunft, in welcher jener Befehl ertheilf wird, und wenn man nun gleich, die ge- drängte Darstellung des Evangeliums für sich genommen, glauben müfste, das Alles sei noch am Tage der Auferste- hung selbst vorgegangen: so ersehe man doch, heifst es, aus der A. G. desselben Verfassers, dafs zwischen V. 43 und 44 im letzten Kapitel semes Kvangeliuaia die 40 Tage von der Auferstehung bis zur Himmelfahrt mitten inne lie- gen. Hiemit aber verschwinde auch der scheinbare Wider- spruch jener beiden Weisungen: denn gar wohl könne, wer zuerst zwar zu einer Reise nach Galiläa angewiesen hatte, 40 Tage später, nachdem diese Reise gemacht, und man in die Hauptstadt zurückgekehrt war, nunmehr jecie weitere Entfernung von da verboten haben 3). Allein so wenig der zu befahrende Widerspruch verschiedener N. T- l;cher Schriftsteller ein Grund sein darf, von der natürli- chen Deutung ihrer Aussprüche abzugehen : so wenig kann man hiezu durch die Furcht berechtigt sein, es möchte sonst ein und derselbe Autor in verschiedenen Sehriften sich widersprechen ; da , wenn die eine etwas spater als die andere geschrieben ist , der Schriftsteller in der Zwi- schenzeit über Manches anders berichtet worden sein kann, als er es bei Abfassung der ersten Schrift war. Dafs diefs

3) Sc;iLtiiÄuicMER, Uber den Lukas, S. ?f)f)f. Paulus,. S. 9ft>.

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61G Dritter Abschnitt.

in Bezug auf die Begebenheiten vor und zunächst nach der Auferstehung bei Lukas wirklich der Fall war, werden wir z. B, aus der Vergleichung von Luc. 24, 58. mit A. G. 1, 13. später noch sehen: womit denn jeder Grund ver- fch windet, «wischen das ecpayev V. 43. und sine de V. 44. g°gen den Augenschein eines unmittelbaren Zusammenhangs beinahe 6 Wochen Zwischenzeit einzuschieben, ebenso aber anch die Möglichkeit, die entgegengesetzten Befehle Jesu bei Matthäus und Lukas durch Unterscheidung der Zeiten r u vereinigen.

lndefs, gesetzt auch, dieser Widerspruch liefse sieh auf irgend eine Weise heben, so würden dennoch, seihst ohne jenen ausdrücklichen Befehl , welchen Lukas meldet, auch die blofsen Facta, wie sie bei ihm und seinem Vor- kamt und Nachfolger erzählt sind, mit der Weisung, wel- che Jesus bei Matthäus den Jüngern ertheilt, unvereinbar blei- ben. Denn haben ihn, fragt der Wolfenbüttler, diesfimmt- lichen Jünger zu zweien Malen in Jerusalem gesehen, ge- sprochen, betastet und mit ihm gespeist : wie kann es sein, dafs sie, um ihn zu sehen, die weite Reise nach Galiläa haben thun müssen4)? Die II armo nisten erwiedern zwar dreist, damit, dafs Jesus den Jüngern sagen lasse, in Galiläa wer- den sie ihn sehen, sei keineswegs gesagt, dafs sie ihn sonst nirgends, namentlich nicht in Jerusalem, sehen würden 5). Allein, könnte ihnen der Wolfenbüttler entgegnen, sowe- nig, wer zu mir sagt: geh' nach Rom, dort wirst du den Pabst sehen , meinen kann , der Fabst werde zwar zuvor noch durch meinen jetzigen Aufenthaltsort kommen, und da von mir gesehen werden können , hernach aber soll ich auch noch nach Rom gehen, um ihn dort wieder eu

4) a. a. O. S. 486.

5) Griesbach, Vorlesungen über Hermeneutik des N. T. , mit Anwendung auf die Leidens - und Aufcrstehungsgescliiclite Christi , herausgegeben von Stbiivkr, S. 514.

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Viertes Kapitel. $. 137. 617

sehen : to wenig würde der Engel bei Matthäus and Mar« kus, wenn er von der jerusale mischen Erscheinung noch am nämlichen Tage etwas geahnt hätte, den Jüngern ge- sagt haben: geht nach Galiläa, dort wird sich euch Je- sus zeigen, sondern: seid nur getrost, hierselbst in Jerusa- lem werdet ihr ihn vor Abend noch so sehen bekommen. Woeu die Verweisung auf das Entferntere, wenn ein gleich- artiges Näheres dazwischenlag? und wozu eine Bestellung der Jünger nach Galiläa durch die Weiber, wenn Jesus vorhersah, am nämlichen Tage noch die Jünger persön- lich zu sprechen? Mit Recht beharrt die neuer© Kritik auf dem, was schon Lessing geltend gemacht hat6), dafs kein Vernünftiger seinen Freunden durch eine dritte Per- son eine spätere Zusammenkunft zu freudigem Wiederse- hen an einem entfernten Ort anberaumen lasse, wenn er noch an demselben Tag und Öfters am gegenwärtigen Or- te sie zu sehen gewifs sei 7). Kann mithin der Engel und Jesus selbst , als sie am Morgen durch die Frauen die Jün- ger nach Galiläa beschieden , noch nichts davon gewufst haben, dafs er am Abende desselben Tages bei und io Jeru- salem sich ihnen zeigen werde: so mufs er also am Mor- gen noch im Sinne gehabt haben , sogleich nach Galiläa zu gehen, im Verlaufe des Tags aber auf andre Gedanken gekommen sein. Von jenem anfänglichen Vorsätze findet sich nach Paulus8) auch bei Lukas eine Spur, in der Wan- derung Jesu nach dem in der Richtung gegen Galiläa hin gelegenen Emmaus ; als Grund der Abänderung des Plans aber vermuthet derselbe Ausleger, welchem bierin Olshau- 6EN beistimmt9), den Unglauben der Jünger, wie er sich Jesu namentlich bei Gelegenheit des Gangs nach Emmaus

6) DupUk, Werke, 24. Bd. S. 204.

7) Schmxki!\burgir, über den Urspr. des ersten kanon. Evang., S. 17 f.

S) exeg. Handb. 3, b, S. 855. 9) bibl. Comm. 2, S. 524.

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«18 Dritter Abschnitt.

eq erkennen gegeben hatte. Wie sich eine solche irrige Berechnung von Seiten Jesu mit der orthodoxen Ansicht von seiner Person vertrage, möge hiebet Olsiiausen zuse- hen ; aber anch rein menschlich betrachtet , liegt kein ge- nügender Grand jener Umstimmang vor. Namentlich seit Jesus von den beiden Emmauntischen Jüngern erkannt wor- den war, durfte er gewifs sein , dafs das Zeugnifs der Män- ner die Aussage der Weiber so beglaobigen würde , um die Jünger wenigstens mit glimmenden Funken des Glau- bens und der Hoffnung nach Galiläa zu führen. Uberhaupt aber, wenn eine Umstimmung, und eine Verschiedenheit des Plans Jesu vor und nach derselben stattfand: warum giebt dann kein Evangelist von einem solchen Wendepunkte Nachricht, sondern spricht Lukas so, wie wenn er von dem urspünglichen Plane ; Matthäus, wie wenn er von ei- ner späteren Abänderung desselben nichts wflfste ; Johan- nes, als ob der Hauptschauplatz der Erscheinungen des Auf- erstandenen Jerusalem gewesen , und er nur nachträglich auch einmal nach Galiläa gekommen wäre; endlich Mar- kus so , dafs man wohl sieht , er hat die anfängliche Wei- sung nach Galiläa, welche er aus Matthäus, und die fol- genden Erscheinungen in Jerusalem und der Umgegend, welche er aus Lukas , und woher sonst noch , schöpfte, auf keine Weise zu vereinigen gewufst oder auch nur ge- sucht , sondern sie roh und widersprechend, wie er sie fand, zusammengestellt?

Mufs man demnach mit der neuesten Kritik des Mat- thäusevangeliums den Widerspruch zwischen diesem und den übrigen in Bezug auf die Localität der Erscheinungen Jesu nach der Auferstehang anerkennen: so fragt es sich, ob man derselben auch darin beistimmen kann , dafs sie ohne Weiteres die Darstellung des ersten Evangeliums ge- gen die der übrigen aufgiebt? i0) Stellen wir, abgesehen

10) Wie Schule, Uber d. Abendmahl, S. S21. Scmiuckekwjass», a. a. U.

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Viertes Kapitel. 5. 137. 619

von vorausgesetztem apostolischen Urspring des einen oder

andern Evangeliums, die Frage: welche der beiden abwei- chen Jen Darstellungen eignet sieh mehr dazu , als traditio- nelle Um- nnd Weiterbildung der andern angesehen zu werden ? so können wir hier , ausser der allgemeinen Be- schaffenheit der Erzählungen , noch auf einen einzelnen Punkt sehen, an welchem beide sich auf charakteristische Weise berühren. Diefs ist die Anrede der Engel an die Frauen , in welcher nach sümmtlichen Synoptikern Gali- Jjta'g erwähnt wird , aber auf verschiedene Weise« Bei Matthäus sagt der Engel , wie schon erwähnt , von Jesu :

rahlalav idü elnov ifilv (28, 7.). Bei Markus sagt er dasselbe, nur dafs er statt des letzte- ren Zusatzes, durch welchen bei Matthäus der Engei seine eignen Worte den Frauen einprägen will , den Zusatz hat : xa#w£ elnev vfav , mit welchem er sie auf die frühere Vor- hersage Jesu über diesen Gegenstand zurückweist. Ver- gleichen wir zunächst diese beiden Darstellungen : so könnte leicht das bekräftigende! elnov vfitv überflüssig und nichts- sagend erscheinen, dagegen die Zurückweise*^ auf Jesu frühere Vorhersagung durch elnev passender, und darauf könnte man die Vermuthung begründen, dafs hier viel- leicht Markus das Richtige und Ursprüngliche, Mat- thäus aber ein nicht ohne Mifsverständnifs Abgeleitetes ha- be u). Ziehen wir nun aber auch deu Bericht des Lukas in die Vergleichung herein: so wird auch hier, wie bei Markus, durch ein fivr4o&rje, wg äuahfimt ifuv tu orv iv zjj raltlalq, liyctv x. %. L auf eine frühere Vorhersage Jesu zurückgewiesen , aber nicht auf eine nach Galiläa weisende, sondern auf eine in Galiläa gegebene. Hier fragt sich: ist es wahrscheinlicher, dafs das ursprünglich zur Bestimmung des Locals, in welchem die Weissagung der

U; Wctswegen Micmjuu.u, S. IIS f., auch bei Matthäus tififf für die ursprüngliche Lesart hält.

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Dritter Abschnitt.

Auferstehung gegeben wurde, hinzugesetzte Galiläa später irrig als Bestimmung desjenigen Loeals , wo der Aufer- standene erscheinen wollte , umgedeutet worden ist , oder umgekehrt? Diefs mufs sich darnach entscheiden, in wel- cher von beiden Stellungen die Erwähnung Galiiäa's [inni- ger in den Zusammenhang pafst. Dafs nun bei Verkün- digung der Auferstehung Alles darauf ankam, ob und wo der Auferstandene zu sehen sei, erhellt von selbst; weni- ger lag , wenn auf eine frühere Weissagung zurückgewie- sen werden sollte, daran, wo diese gegeben worden war. Hienach könnte man schon von dieser Vergleichung der Stellen aus es wahrscheinlicher finden, dafs es ursprüng- lich geheifsen haben möge, der Engel habe die Jünger nach Galiläa gewiesen , um dort den Auferstandenen zu sehen (Matth.); hierauf aber, als die Erzählungen von ju- däischen Erscheinungen Jesu die galiläiscben verdrflngt hatten , habe man das Galiläa in der Engelrede dahin um- gestellt, dafs es nun hiefs, schon in Galiläa habe Jesus sei- ne Auferstehung vorhergesagt (Lukas) ; worauf dann Mar- kus vermittelnd eingetreten zu sein scheint, indem er mit Lukas das elnov, in tlnev verwandelt , auf Jesum bezog, Galiläa aber mit Matthäus als Schauplatz nicht der frühe- ren Vorhersagung, sondern der bevorstehenden Erschei- nung Jesu beibehielt.

Ziehen wir hierauf die allgemeine Beschaffenheit der beiden Erzählungen und die Natur der Sache in Betracht, so stehen der Annahme, dafs Jesus nach seiner Auferste- hung den Jüngern wirklich mehreremale in und bei Jeru- salem erschienen sei , die Kunde hievon aber aus der Tra- dition, wie sie dem ersten Evangelium cum Grunde lag, sich verloren habe, dieselben Schwierigkeiten entgegen, und die entgegengesetzte hat eben so viel für sich, wie wir diefs bei einer früheren Untersuchung in Bezug auf die mehreren Festreiseu und jndäischen Aufenthalte Jesu ge-

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Viertes Kapitel. §. 137. 621

Fiinden haben l2). Dafs die jerusalemischen Erscheinun- gen des Auferstandenen in Galiläa, wo dieser Vorausse- tzung nach die Matthäustradition sich bildete, unabsicht- lich , also durch völliges Verschwinden der Kunde von denselben , in Vergessenheit gekommen wären , läfst sieh bei der Wichtigkeit gerade dieser Erscheinungen , welche, wie die vor den versammelten Eilfen und vor Thomas, die sichersten Zeugnisse für die Realität der Auferstehung enthielteny and bei dem organisirenden Einilufs der Ge- meinde in Jerusalem, nicht wohl denken; dafs man aber in Galiläa von den fudäischen Erscheinungen Jesu «war gewufst, der Verfasser des ersten Evangeliums aber sie absichtlich verschwiegen haben sollte, nm seiner Provinz allein die Ehre derselben zu erhalten, diefs setzt einen ga- liia'ischen Particularismus , eine Opposition der dortigen Christen gegen die Gemeinde zu Jerusalem voraus, wovon uns jede geschichtliche Spur abgeht. Das andere Mögliche hingegen , dafs vielleicht, nachdem ursprünglich biols ga- lilaische Erscheinungen des Auferstandenen bekannt ge- wesen waren, in der Überlieferung allmählig immer mehr judäische und jerusalemische hinzugefügt , und durch diese endlich jene ganz verdrängt worden sein mögen , läfst sich durch mancherlei Gründe cur Wahrscheinlichkeit erheben. Schon der Zeit nach war die Kunde von der Auferste- hung Jesu um so schlagender, je unmittelbarer seine Er- scheinungen auf BegrJibnifs und Wiederbelebung gefolgt waren : sollte er aber erst in Galiläa erschienen sein , so fand eine solche unmittelbare Aufeinanderfolge nicht statt ; ferner war es eine natürliche Vorstellung , dafs sich die Auferstehung Jesu an Ort und Stelle seines Todes durch Erscheinungen documentirt haben müsse; endlich aber der Vorwurf, dafs Jesus nach seiner angeblichen Wiederbele- bung nur den Seinigen, und swar in einem Winkel von

12) 1. Band, §. 56.

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62* Dritter Abschnitt.

Galiläa, erschienen sei , war dadurch einigermafsen zurück- gewiesen, wenn man sich darauf berufen konnte, dafe er vielmehr in der Hauptstadt, mitten unter seinen ergrimm- ten Feinden , aber freilich von diesen weder eu sehen noch so greifen, als Auferstandener gewandelt habe. Hatte man aber einmal mehrere Erscheinungen Jesu nach Jnrfla und Jerusalem verlegt: so verloren die gaiiläischen ihre Wichtigkeit, und konnten hinfort entweder in der unter- geordneten Weise, wie im vierten Evangelium, nachge- tragen werden, oder auch, wie im dritten , ganz ausfallen. D# diesem, vom Standpunkte möglicher Sagenbildung aus »iah ergebenden Resultate hier nicht wie oben in der Un- tersuchung Ober den Schauplatz der Wirksamkeit des le- benden Jesus vom Gesichtspunkt der Verhältnisse und Ab- sichten Jesu aus ein umgekehrtes sich entgegensetzt: so brauchen wir hier die Entscheidung nicht dahingestellt zu lassen , sondern dürfen im Widerspruch gegen die jetzige Kritik eu Gunsten des ersten Evangeliums entscheiden, dessen Bericht über das Erscheinen des Auferstandenen ohnehin als der einfachere und minder schwierige sich empfehlen wird.

Was nun die Erscheinungen des auferstandenen Jesus im Eineeinen betrifft, so hat deren das erste Evangelium •5wei: eine am Auferstehungsmorgen vor den Frauen (28, 0. f.) , und eine, unbestimmt wann, vor den Eilfen in Ga- liläa (28, 16. ff.)- Markus hat, in übrigens blofs summa- rischer Angabe, drei: die erste, welche am Morgen der Auferstehung der Maria Magdalena (16, 9. f.), eine an- dere, welche zwei aufs Land gehenden Jüngern (16, 12.), und eine dritte, welche den zu Tische sitzenden Eilfen, ohne Zweifel in Jerusalem, eu Theil geworden ist (16, 14.)* Lukas erzählt zwar nur zwei Erscheinungen : die vor den Emmauntischen Jüngern am Auferstehungstag (24, 13. ff.) und die letzte, vor den Eilfen und andern Jüngern zu Je- rusalem, nach 24, 36. ff. am Abende desselben Tags, nach

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Vftrtet Kapitel. $. 137. 623

A.G. 1, 4. ff. vierzig Tage spfiter; -aber wenn den Emma- unfischen Wanderern bei ihrem Eintritte zu den Aposteln diese , noch ehe Jesus in ihre Mitte getreten ist , entgegen» rufen : yyiQ&y 6 KvQtog oVroj$, xai ujfOrj -l/icmi (24, 34.) : eo wird hier eine dritte Erscheinung vorausgesetzt, welche dem Petrus allein an Theil geworden war. Johannes hat vier dergleichen Erscheinungen : die erste, welche der Maria MHgdaJena am Grabe tu Theil wurde (20, 14. ff.); die /uritt-, welche die Jünger an Jerusalem bei verschlosse- nen Thtiren hatten (20, 10. ff.) ; die dritte, acht Tage spä- ter, ebenfalls in Jerusalem, bei welcher Thomas sich überzeugte (20, 26. ff.); die vierte, unbestimmt wann, am galiläischen See (21.> Hier ist nun aber auch eine Nach« rieht des Apostels Paulus zu berücksichtigen, welcher 1 Kor. 15, 5. ff., wenn man die ihm selbst au Theil ge- wordene Christophanie abrechnet , fünf Erscheinungen des Auferstandenen aufzählt, ohne sie jedoch näher zu be- schreiben : zuerst eine dem Kephas gewordene ; dann eine vor den Zwölfen ; hierauf eine vor mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal ; weiter eine vor Jakobus, und endlich eine vor sämmtlichen Aposteln.

Wie fügen wir nun diese verschiedenen Erscheinun- gen in einander ein ? Den Anpruch darauf, die erste zu sein, macht bei Johannes, und ausdrücklicher noch bei / Markus , die der Maria Magdalena zu Theii gewordene. Die zweite müsste das Zusammentreffen Jesu mit den vom Grabe zurückkehrenden Weibern, bei Matthäus, gewesen sein; da aber unter diesen Magdalena gleichfalls war, und keine Spur vorhanden ist, dafs sie schon vorher den Auf- erstandenen hätte gesehen gehabt : so können, wie bereits bemerkt, diese beiden Erscheinungen nicht auseinanderge- halten werden , sondern wir haben über Eine und dieselbe eine schwankende Relation. Dafs Paulus, welcher in der angeführten Stelle spricht, als wollte er alle Erscheinun- gen des wiederbelebten Christus aufzählen, von denen er

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624 Dritter Abschnitt.

wufste, die bezeichnete Übergeht, kann man Ha raus erklä- ren, dafs er Weiber nicht als Zeugen aufführen wollte. Da die Oidnuu;, in welcher er seine Christophanieen wle» dergiebt , der Reihe von eha und inuxa und dem Schlufs mit tayaiov nach zu urt heilen, die Zeitfolge zu sein scheint 1S) : so wäre nach ihm die Erscheinung vor ke- phas die erste einem Manne zu Theil gewordene gewesen. Diefs würde sich mit der Darstellung des Lukas gut ver- tragen, bei welchem den Emmauntischen Wanderern bei ih- rem Eintritte die Jünger zu Jerusalem mit der Nachricht entgegenkommen, dafs Jesus wirklich auferstanden and dem Simon erschienen sei , was möglicherweise noch vor dem Zusammentreffen mit jenen beiden der Fall gewesen sein konnte. Als die nächste Erscheinung inüT&te aber hierauf nach Lukas die zuletzt genannte gezahlt werden, welche Paulus nicht erwähnen würde, etwa weil er nur die Aposteln zu Theii gewordenen , und von den übrigen blofs solche, welche vor gröfseren Massen erfolgt waren, aufzuführen gedachte, oder wahrscheinlicher, weil er von derselben nichts wuf*te. Markus 16, VI L meint offenbar dieselbe Erscheinung; der Widerspruch, dafs, wahrend bei Lukas die versammelten Jünger den von Emmaus kom- menden mit dem gläubigen Ruf : rtyiq^rj 6 KvQiog x. t. /. entgegentreten, bei Markus die Jünger auch auf die Nach- richt jener beiden hin noch nicht geglaubt haben sollen, rührt wohl nur von einer Übertreibung des Markos her, welcher den Contrast der überzeugendsten Erscheinungen Jesu mit dem fortdauernden Unglauben der Jünger nicht aus den Händen lassen u ill. An die Emmauntische schliefet sich bei Lukas unmittelbar die Erscheinung Jesu in der Versammlung der tidtxu und anderer an. Diese hält man gemeiniglich für identisch mit der paulinischen Erschei- nung vor den dwdexcc, uiid mit dem, was Johannes berieh-

13) s. Billroths Co^mentar z. d. St.

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Viertes Kapitel. $. 137. 625

tet, dafs am Abend nach der Auferstehung Jesus bei ver- schlossenen Thüren zu den Jüngern, in deren Versamm- lung übrigens Thomas fehlte, eingetreten sei. Iliegegea darf man «war das trötxa des Lukas, da doch nach Jo- hannes nur sehn Apostel dabei gewesen sind, ebenso we- nig urgiren, als bei Paulus das dcJJexcr, wo doch in jedem Falle Judas abgerechnet werden mufs; auch scheint die bei den beiden Evangelisten ganz gleiche Beschreibung des I ler- beikommens Jesu durch igrj iv /uiaqi ainiZv und igt] dg to ftloov, und die Anführung des Grufses; tiq^vq vfuv9 auf Identität beider Erscheinungen hinzuweisen; indefs, wenn man bedenkt, wie das Betasten des Leibes Jesu, welches bei Johannes erst in die acht Tage spatere Er- scheinung fällt, und das Essen vom Bratlisch, welches Jo- hannes erst bei der noch späteren galilaischen Erscheinung hat, von Lukas in jene jerusalemische am Tage der Aufer- stehung verlegt wird : so erheilt, dafs wie man nun sa- gen will entweder der dritte Evangelist hier mehrere Vorgänge in Einen zusammengezogen, oder der vierte Ei- nen in mehrere auseinander geschlagen hat. Diese jerusa- lemische Erscheinung vor den Aposteln könnte aber, wie oben bemerkt, nach Matthäus gar nicht stattgehabt haben, da dieser Evangelist die h'vdexct) um Jesum zu sehen, nach Galiläa wandern läfst. Markus und Lukas knüpfen an dieselbe die Himmelfahrt an, schliefsen also alle späteren Erscheinungen aus. Der Apostel Paulus hat als die nächste Erscheinung die vor 500 Brüdern, welche man ge- wöhnlich mit derjenigen für identisch hält, die Matthäus auf einen Berg in Galiläa verlegt "): allein bei dieser sind nur die tvötxa als gegenwärrig angegeben, und auch die Gespräche, welche Jesus mit ihnen führt, seheinen, als vorwiegend amtliche Instructionen, mehr für diesen en- geren Kreis zu passen. Demnächst führt Paulus eine dem

14) Paulus, exeg. Handln 3, b, S. 897» OlShausrx, 2, S. 5^1. Das Leben Jesu 2t§ Aujl. 2. Band. 40

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tM Dritter Abschnitt

Jakobus su TheU gewordene Erscheinung auf, von der «neb im Hebräerevangelium des Hieronymus sich eine apo- kryphische Nachricht findet, nach welcher sie aber die erste von allen gewesen sein müTste ,5> Hierauf wäre für jene Erscheinung Raum, bei welcher dem vierten Evan- gelium zufolge acht Tage nach der Auferstehung Jesu Tho- mas überzeugt worden sein soll; womit Paulus genau über- einstimmen würde, wenn wirklich sein votg dnogokoig nü- öiv (V. 7.), vor welchen er seine fünfte Erscheinung vor- gehen läist, von einer Plenarversammlung der Eilfr, im Unterschied von dsr früheren, bei welcher Thomas gefehlt hatte, eu verstehen wäre: was aber, weil Paulus, nach der hier besprochenen Voraussetzung, auch diese als eine Erscheinung vor toTq dwdexcc bezeichnet hatte, unmöglich angeht, sondern der Apostel versteht sowohl unter diodfxa als unter1 ol anogoloi ndireg die sämmtlichen, damals Übri- gens um Einen Mann unvollzähligen Apostel im Gegen- satz gegen die einzelnen Individuen (Kephas und Jakobus), von welchen er beidemalc unmittelbar vorher als von sol- chen gesprochen hatte, denen eine Christophanic zu Theil geworden. Soll aber dennoch die fünfte pautinische Er-

15) Hieron. de viris illustr. 2: Evangelium quoque, quod appel» Lttur secundum Hebraeos , post resurrectionem Saloatoris

refert: Dominus autem* postquam dedisset sindonem servo

i

sacerdotis (wahrscheinlich in Bezug auf die Wache am Grabe, welche hier aus einer römischen zu einer priesterlichen ge- macht wäre } s. Crednbr, Beiträge zur fcinleü. in u. N. T. S. 406 f.) ioii ad Jacobum et apparuit ei, Juraverat enim Jacobus , se non come stumm panem ab Uta horay qua biberat calicem Domini, donec videret eum resurgentem a dormientibus (wie undenkbar ein solches Gelübde bei der Hoffnungslosig- keit der Jünger, darüber vgl. Michaelis, S. 122.). Hursus- que post paululum : AJferte , ait Dominus , mensam et panem. Statimque additur: Tulit panem et benedixit ac f regit y et dedit Jacobo jnsto et dixit ff : jrater mi, comede panem tuum, quia resurrexit filius hominis a dormientibus.

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Viertes Kapitel, §. 137, Ö27

fcheinnng Jesu mit der dritten johanneischen identisch sein j so Wörde nur um so deutlicher erhellen, dafs die vierte paulinische, vor den 500 Brüdern, nicht die gaiijäische dt* Matthäus sein kann. Da nämlich hei Johannes die dritte In Jerusalem statt fand, die vierte aber in Galiläa; tu müTsten also Jesus und die Zwölfe nach den ersten jeru« salemischen Erscheinungen nach Galiläa gegangen, und nuf dem Berge zusammengekommen sein; hierauf hätten »ie sieh wieder nach Jerusalem begeben , wo Jesus sich dem Thomas zeigte; dann wieder nach Galiläa, wo die Er* scheinung a.j See erfolgte; endlich zur Himmelfahrt wie« der nach Jerusalem. 13m diefs zwecklose Hinundherwan« dern zu vermeiden, und doch jene beiden Erscheinungen eombiniren zu können, verlegt Olshaüsen die Erscheinung vor Thomas nach Galiläa: ein unerlaubter Gewaltstreich, da nicht nur zwischen dieser und der vorhergehenden, ein« gestandnermaf«en jerusalemischen, Erscheinung keiner Orts« Veränderung gedacht, sondern der Versammlungsort ganz auf dieselbe Weise beschrieben ist, ja der Zusatz: %wv &vqwv xexltioiibviov, nur an die Hauptstadt denken iäfst, weil in dem von priesteriiehem Hasse gegen Jesom weni- ger infioirten Galiläa sich der Grund jenes Verschlieft ens, der yoßos tuv Yöda/wr, nicht ebenso denken Jäfst. Erst da also, wo mit der acht Tage nach der Auferstehung er- folgten die frühem judäischen Erscheinungen zu Ende sind, bekämen wir Raum, die galiläischen des Matthäus pnd Johannes einzufügen. Mit diesen hat es nun aber die eigene Bewaudtnifs, dafs jede von beiden die erste, und die des Matthäus noch ausserdem zugleich die letzte zu sein den Anspruch macht Durch seine ganze Darstellung nicht nur, sondern ausdrücklich durch den Zusatz: £ izü^aio avtolß u 7. «u dem galiläischen OQOg, auf weiches die Eilfe giengen, bezeichnet Matthäus diese Erscheinung

16) Lkssim,, Duplik, S. 199 ff.

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628 Dritter Abschnitt.

als diejenige, auf welche Jesus am Aufersteh ungsmorgen, ruerst durch den Engel, dann persönlich, verwiesen hatte; nun aber verabredet man nicht eine zweite Zusammenkunft in einer Gegend, indem man die erste unbestimmt läfst : folglich mufs, da ein unvorhergesehenes früheres Zusam- mentreffen bei der evangelischen Vorstellung von Jesu sich nicht denken iäfst, jene Zusammenkunft, weil die verabre- dete, auch die erste galiläische gewesen sein. Kann somit die Erscheinung am See Tiberias bei Johannen unmöglich vor die auf dem Berge bei Matthäus gesetzt werden : so will die letztere jene ebensowenig nach sich dulden, da sie einen förmlichen Abschied Jesu von seinen Jüngern ent- hält; auch wüfste man gar nicht, wie man die johannei- sehe Erscheinung nach der eigenen Angabe des Evangeli- sten als die dritte (pavafiioaig des auferstandenen Christus vor seinen uafrrjaig (21, 14.) herausbringen wollte, wenn auch noch jene des ersten Evangeliums ihr vorangegangen sein sollte. Indefs, auch wenn man jene voranstellt, bleibt die) Verlegenheit mit dieser johanneischen Zählung grofs genug. Zwar die Erscheinungen vor den Weibern dürfen wir abrechnen, weil Johannes selbst die der Magdalena au Theii gewordene wohl erzählt, aber nicht zählt : nun aber, wenn wir die dem Kephas gewordene als die erste zählen, und die Emmauntische als die zweite : so würde zwischen diese und die vor den Eilfen am Abend des Auferstehungs- tags in Jerusalem diese galiläische als die dritte fallen, was •ine ganz unmöglich schnelle Ortsveränderung voraussetzen würde; ja, wenn jene Erscheinung vor den versammelten Eilfen diejenige ist, bei welcher nach Johannes Thonrns fehlte: so fiele die dritte Erscheinung bei Johannes vor «eine erste. Vielleicht aber, wenn wir den Ausdruck : tyui t- Qto&q tötg ftatyicns avzS betrachten, dürfen wir nur sol- che Erscheinungen von Johannes gezählt uns denken, wel- che vor mehreren Jüngern zugleich sich ereigneten, so dafs also die Erscheinungen vor dem einzigen Petrus und Ja*

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Viertes Kapitel. §. 137. u'JO

Kohus a hzarechnen wären. Dann wäre als die erste zu zählen die den beiden Emmaun tischen Jüngern gewordene, als die zweite die vor den versammelten Eilfen am Abend des Auferstehungstags : so dafs nunmehr in die acht Tage zwischen dieser und der vor Thomas die Reise nach Ga- liläa zwar etwas bequemer fiele, aber auch so die dritte Erscheinung bei Johannes wenigstens vor seine zweite. Es erschienen also wohl dem Verfasser des vierten Evan- geliums zwei Jünger, wie die, denen Jesus auf dem Weg nach Emmaus begegnete, als eine zu geringe Zahl, um ei- ne nur so vielen zu Theil gewordne Chrlstophanie als ein (favenva&ai zotg ftatyralg zu zählen. Dann wäre also der Eintritt in die Jüngerversammlung am Abend die erste Er- scheinung; hierauf wären die 500 Brüder, welchen sich Jesus auf Einmai zeigte, gewifs zahlreich genug, um in Anschlag gebracht zu werden: so dafs also nach dieser, dann aber immer wieder vor der dem Thomas und den a.togdlotg näai gewordenen, welche Johannes als die zwei- te zählt, seine dritte, die galiläische, eingeschoben werden müfbte. Vielleicht aber ist jene Erscheinung Jesu vor den Fünfhunderten später zu setzen, so dafs nach jenem Ein- tritt Jesu in die Jüngerversammlung zunächst die Scenc mit Thomas , nach dieser die am galiläischen See , und hierauf erst der den Fünfhunderten gewährte Anblick fol- gen würde. Dann aber müfste, wenn doch die Erscheinung vor Thomas dieselbe sein soll mit der fünften beim Apo- stel Paulus, dieser die beiden letzten Erscheinungen , wel- che er aufzählt, umgestellt haben, wozu doch kein Grund vorhanden war: vielmehr lag es näher, die Erscheinung vor 500 Brüdern, als die gewichtigste, zuletzt zu stellen. Es bliebe also nichts Übrig , als zu sagen , Johannes habe unter den fta&qTcng immer nnr eine gröfsere oder kleine- re Versammlung von Aposteln verstanden, unter den Fünf- hunderten aber seien keine Apostel gewesen, defswegen habe er auch diese übergangen, und so mit Recht die Er-

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630 Dritter Abschnitt.

scheinung Am See Tiberias als die dritte gezählt: wenn diese nämlich vor der auf dem galilälschen Berge stattge* fanden haben könnte, was nach dem Obigen undenkbar Ist» Es bleibt also nichts übrig, als na bekennen, der vier- te Evangelist zähle nur diejenigen Erscheinungen Jean vor seinen Jüngern, welche er selbst erzählt hatte, und davon wird der Grund schwerlich gewesen sein, dafs ihm die übrigen aus irgend welchen Ursachen minder bedeu- tend schienen, sondern, dafs er nichts von denselben w»f*- le. Wie denn auch wiederum Matthaus mit seiner letz- ten galilftischen Erscheinung nichts von den Jerusalem? sehen des Johannes gewufst haben kann; denn wenn sich in der ersten von diesen beiden zehn Apostel, in der «weiten aber selbst Thomas von der Realität der Auferstehung Jesu über* fleugt hatten: so konnten nicht bei jener späteren Ersehet» tiung auf dem galilälschen Berge noch einige von den Kif- fen (denn nur diese läTst Matthäus dorthin kommen) Zwei« fei haben (ot dt iöigaoav V. 17.)« Endlich aber, wenn. Je- sus hier seinen Jüngern schon die letzten Befehle, lehrend Und taufend in alle Welt au gehen, und die Zusage, alle Tage bis zum Ende des gegenwärtigen Aon bei ihnen au sein, was ganz Worte eines Seheidenden sind, gegeben hatte: so kann er nicht spater noch einmal, wie die Apo- Stelgeschichte im Eingang meldet, bei Jerusalem ihnen die letzten Auftrüge ert heilt, und Abschied von ihnen genom- men haben. Nach dem Selilusse des Lukasevangeliums fällt dieser Abschied im Gegentheil viel früher, als er nach Matthäus zu denken wäre, und der Schlufs des Markus* evangeliums legt dem noch am Tage der Auferstehung zu Jerusalem von seinen Jüngern Scheidenden zum Theil die« selben Worte in den Mund, welche nach Matthäus in Ga- liläa, nnd jedenfalls später als am Auferstehungstage, ge- sprochen sind» Darauf, dafs die zwei Bücher des Einen Lukas in Bezug auf den Zeitraum, während dessen Jesus n*fth seiner Auferstehung noch erschien, so weit von ein-

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Viertes Kapitel. $. 147. 031

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Ander abgehen, dafs das eine diesen Zeitraum als eintägig, das andere als vierzigtfigig bestimmt, kann erst tiefer un- ten nähere Rücksicht genommen werden.

Wenn so die verschiedenen evangelischen Referenten der Erscheinungen Jesu nach seiner Auferstehung nur in wenigen derselben zusammenstimmen ; wenn die Localbe- xeichnung des einen die von den übrigen berichteten Er- scheinungen ausschliefst; die Zeitbestimmung eines andern Tür die Erzählungen der übrigen keine Frist Jäfst ; die Zäh- lung eines Dritten ohne alle Rücksiebt auf die andern an- gelegt ist; endlich unter mehreren von verschiedenen Re- ferenten berichteten Erscheinungen jede die letzte sein will, und doch mit den flbrigen nichts gemein hat: so müfste man absichtlich blind sein wollen , wenn man nicht aner- kennen würde, dafs keiner der Berichterstatter das, was der andere berichtet, kannte und voraussetzte, dafs je- der die Sache wieder anders gehört hatte, dafs somit über die Erscheinungen des auferstandenen Jesus frühzeitig nur schwankende und vielfach variirte Gerüchte im Um- lauf waren t7y.

Dadurch wird übrigens die Stelle aus dem ersten Ko- rintherbriefe nicht erschüttert, welcher, unzweifelhaft ficht, etwa um das Jahr 59 nach Christo, mithin noch keine 30 Jahre nach seiner Auferstehung, geschrieben ist 18). Die- ser Nachricht müssen wir das glauben, dafs viele zur Zeit der Abfassung des Briefs noch lebende Mitglieder der er- sten Gemeinde, namentlich die Apostel, überzeugt waren, Erscheinungen des auferstandenen Christas gehabt zu haben» Ob hiemit auch das schon gegeben ist, dafs diesen Erschei- nungen etwas objeetiv Wirkliches zum Grunde lag, wird später zur Untersuchung kommen ; über den gegenwärti- gen Funkt, die Abweichung der Evangelisten , nameutUcb

17) Vgl. Kaimcr, bibt. Theol. i, S. 254 ff. 16) »* Warn, EinL in da* N. T. ^ i&

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632 Dritter Abschnitt.

in Hinsicht der Localltät, ist ans der Stelle des Panlus kei- ne Entscheidung zu entnehmen, sofern er keine jener Er- scheinungen näher beschrieben hat

••f.» , f *

§. 138.

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Die Qualität des Leibes und Wandels Jesu nach der

Auferstehung.

Wie haben wir uns nun aber diese Fortsetzung des Lebens Jesu nach der Auferstehung, und namentlich die Beschaffenheit seines Leibes in dieser Periode, vorzustel- len? Zu dem Ende müssen wir die einzelnen Erzählun- gen Ton den Erscheinungen des Auferstandenen noch ein- mal durchsehen. Nach Matthäus begegnet iamjrmtor) Je- sus am Auferstehungsmorgen den vom Grabe zurückeilen- den Weibern, sie erkennen ihn, umfassen verehrungsvoll seine FüTse, worauf er zu ihnen spricht. Bei der zweiten Zusammenkunft auf dem galiläischen Berge sehen ihn die Jünger (jtöovtBQ), doch zweifein einige noch, und auch hier spricht Jesus zu ihnen. Von der Art, wie er kam und gieng, wird hier nichts Näheres gesagt. Bei Lukas geseift sich Jesus zu zwei Jüngern , die auf dem Wege von Jeru- salem in das benachbarte Dorf Emmaus waren Ctyyioag awsnoQsveto avxdig)\ diese erkennen ihn unterwegs nicht, was Lukas einem durch höhere Einwirkung in ihnen her- vorgebrachten subjectiven Hindernifs Col 6q>&ak/itol avtwv fxocci&To, m imyvaivai ertkov), und erst Markus , der dieses Ereignifs in wenige Worte zusammendrängt , einer objectiven Veränderung seiner Gestalt zuschreibt (ev hinrt (.lOQtpff)* Auf dem Weg unterhält sieh Jesus mit den bei« den , begleitet sie nach der Ankunft im Dorf auf ihre Ein- ladung in ihr Quartier, setzt sich mit ihnen zu Tische, und Abernimmt nach seiner Gewohnheit das Brechen und Ver- theilen des Brotes. In diesem Augenblicke weicht von den Augen der Jünger der wunderbare Bann, und sie erken-

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Viertes Kapitel. $. 138. 633

nen Ihn f) : aber in demselben Momente wird er ihnen plütz- lieh unsichtbar tuyairog iytvero an atVü/v). Ebenso plötz- lich, wie er hier verschwand , scheint ersieh unmittelbar nachher in der Versammlang der Jünger gezeigt za haben, wenn es heifst , er habe mit Einem Male in ihrer Mitte ge- standen (££?7 iv fdao) avrah), und sie, hierüber erschrocken, haben geglaubt, einen Geist zu sehen. Um ihnen diese ängstigende Meinung zu benehmen , zeigte ihnen Jesus seine Hünde und Füfse, und forderte sie zum Betasten auf, damit sie durch die Wahrnehmung seines oaQxa xcä ogia enthaltenden Leibes sich überzeugen könnten, dafe er kein Gespenst sei ; auch liefs er sich ein Stück Brat- fisch und etwas von einem Honigkuchen geben, und ver- zehrte es vor ihren Augen. Die dem Simon zu Theil geworde- ne Erscheinung iafst Lukas durch uicp&q bezeichnen, was auch Paulus im ersten Korintherbriefe für alle dort aufgezählten Christophanieen gebraucht , und sSmmtliche Erscheinungen des Auferstandenen wahrend der vierzig Tage fafst Lukas A. G. 1, 3. in dem Ausdruck oTttavofuvog , A. G. 10, 40. durch ifi(pavij f&rio9ai , zusammen; ähnlich wie Markus die Erscheinung vor Magdalena durch iydvq , die vor den wandernden Jüngern und vor den Eilfen durch irpctvt-Qio- Johannes aber die Erscheinung am SeeTiberias durch irpceviQioaev sawov bezeichnet , und sämmtliche Christopha- nieen, die er erzählt hat, unter den Ausdruck iyaveQti&T} fafst. Bei Markus und Lukas kommt hierauf als Schlufs des irdischen Wandels des Auferstandenen diefs hinzu, dafs er vor den Augen der Jünger weggenommen, und (durch eine Wolke, nach A. G. 1, 9.) zum Himmel emporgetragen wurde. Im vierten Evangelium steht Jesus zuerst, alz

1) Dass es die bei'm Brotbrechen sich enthüllenden Nagelmale in den Händen gewesen seien, an welchen hier Jesus erkannt wurde (Paulus, exeg. Handb. 5, b, S. 882. Kuiköl, in Luc. p. 754.), »•* ohne alle Andeutung im Text.

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Dritter Abschnitt.

Msria Magdalena «ich vom Grabe anwendet, hinter ihr, doch erkennt sie ihn auch auf eine Anrede hin nicht, son- dern hält ihn für den Gärtner, bis er sie (mit dem ihr so wohl bekannten Tone) bei Namen nennt. Wie sie ihm hierauf ihre Verehrung bezeigen will, hält sie Jesus durch die Worte prj fin amu ab , und sendet sie mit Botschaft EU den Jüngern. Die zweite johanneische Erscheinung Je- su fiel unter besonders merkwürdigen Umständen vor. Die Jünger waren aus Furcht vor den feindlich gesinnten Ju- den bei verschlossenen Tiniren versammelt : da kam auf einmal Jesus, stellte sich in ihre Mitte, begrüfste sie , und zeigte ihnen 'wahrscheinlich blofs dem Gesichte seine Hände und seine Seite, um sich als den Gekreuzigten kennt- lich zu machen. Als Thomas, der damals nicht zugegen gewesen war , durch den Bericht seiner Mitjünger von der Realität dieser Erscheinung sich nicht überzeugen lief«, und zu dem Ende die Wundenmale Jesu selbst zu sehen und zu betasten verlangte : gewährte ihm Jesus bei einer acht Tage darauf unter denselben Umständen wiederholen Erscheinung auch diefs, indem er ihn die Nägelmale in seinen Händen und die Stichwunde in seiner Seite befüh- len liefs. Endlich bei der Erscheinung am galiläischen See stand Jesus in der Morgendämmerung, unerkannt von den im Schiffe befindlichen Jüngern, am Ufer, fragte sie um ein Gericht Fische, und wurde hierauf an dem reichen Fischzuge, den er ihnen gewährte, von Johannes erkannt; doch so, dafs die ans Land gestiegenen Jünger nicht wag- ten , ihn zu fragen, ob er es wi* Mich sei. Hierauf ver- theilte er Brot und Fische unter sie, wovon er ohne Zwei- fel selbst auch mitgenofs, und hatte hernach mit Johannes und Petrus eine Unterredung 2).

2) Von demjenigen Thcile dieser Unterredung, welcher den Jo- hannes betrifft, ist schon oben die Rede gewesen. Den Pe- trus anlangend bezieht sich die dreimal wiederholte Frage

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Viertel Kapitel. $. 138. 635

Sind mm die beiden Hauptvorstellungen , die man von dein Leben Jesu nach seiner Auferstehung haben kann, die, data man dasselbe entweder als ein natürliches, voll- kommen menschliches , demgema'fs auch seinen Leib fort- während den physischen und organischen Gesetzen unter- worfen, sich denkt; oder dafs man sein Leben bereits als ein höheres , fibermenschliches , und seinen Leib als einen übernatürlichen, verklärten, sich vorstellt: so sind die zu- sammengestellten Berichte von der Art, dafs zunächst jede

....

Jesu : ayanäs oder filiXf fit ; der gewöhnlichen Ansicht nach auf seine Verläugnung; dem Srt realrtfot, ItoSrrvtt otav- Tor aal n«f jf7Ta'r«*$ Sntf i}9tlts Brav St yt}Qaajjff iartvitg ras Xtlqdt oo mal älloi ae £tJa#* xal oiott 6nn « Mletf (V. 18 f.) aber wird vom Evangelisten selbst die Deutung gegeben, Je- sus habe es zu Petrus gesprochen, o^o/r«r, noha 9a*aj<p Soldat* Tor &tdr- Diess müsste auf die Kreuzigung gehen, was der kirchlichen Sage zufolge (Tertull. de praescr. haer. 36. Euseb. H. E. 2, 250 die Todesart des Petrus war, und auf welche im Sinne des Evangelisten auch das aKoin9tt po* V. 20 und 22. ( d. h. folge mir in der gleichen Todesart) hinzuweisen scheint. Allein gerade der Hauptzug bei dieser Deutung, das ixTtrtTs rat x*'ta<t i4t hier so gestellt, dass die Beziehung auf die Kreuzigung unmöglich wird, nämlich vor die Abfuhrung, wohin man nicht will; umgekehrt das Gürten, was doch nur das Binden znm Behuf der Abführung bedeu- ten kann, sollte vor dem Ausstrecken der Hände am Kreuze stehen. Sicht man von der Deutung ab , welche der Refe- rent, wie auch Lückk (S. 703.) zugesteht, ex eventu, den Worten Jesu giebt : so scheinen diese nichts als den Ge- meinplatz von der Hülflosigkeit des Alters im Gegensatze zu der Rüstigkeit der Jugend zu enthalten, worüber auch das vXoti Sn« i Mint nicht hinausgeht. Der Verf. von Joh. 21. aber, dem die "Worte, sei es als Ausspruch Jesu, oder wie sonst, bekannt waren, glaubte sie in der Weise des vierten Evangeliums als verdeckte Weissagung auf den Kreuzestod des Petrus verwenden zu können,

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«36 Dritter Abaobnitt

der beiden Vorstellung* weisen sich auf gewisse Zuge in denselben berufen kann. Die menschliche Gestalt mit ihren natürlichen Gliedmaßen , die Möglichkeit, an derselben wieder erkannt zu werden, die Fortdauer der Wundenma- le, das menschliche Reden, Gehen, ßrotbrechen : das Alle« scheint für ein völlig natürliches Leben Jesu auch nach der Auferstehung zu sprechen. Könnte man doch noch Zweifel hegen , und vermuthen , es möge wohl auch eine höhere, himmlische Leiblichkeit ein solches Aussehen sich geben, und solche Functionen verrichten können : so wer- den doch alle Bedenklichkeiten durch die zwei weiteren Züge niedergeschlagen, dafs Jesus nach der Auferstehang irdische Nahrung genossen , und sieh hat betasten lassen. Wenn dergleichen wohl in alten Mythen auch höhe- ren Wesen angeschrieben sein mag, wie das Essen den drei himmlischen Gestalten, von welchen Abraham einen Besuch erhalt (1. Mos. 19, 8.), die Tastbarkeit dem mit Jakob ringenden Gott (1. Mos. 32, 24. ff.): so muPs doch darauf beharrt werden, dafs in der Wirklich- keit Beides nur bei Wesen mit materiellem, organischem Leibe vorkommen kann. Daher finden denn nicht allein die rationalistischen , sondern auch orthodoxe Ausleger in diesen Zügen den unumstößlichen Beweis , dafs Leib und Leben Jesu nach der Auferstehung noch immer als natür- lich menschliche gedacht werden müssen Diese Behaup- tung unterstützt man noch durch die Bemerkung, dafs in dem Befinden des Auferstandenen sich ganz derjenige Fort- schritt zeige, welcher bei der allmähligen natürlichen Ge- nesung eines schwer Verwundeten zu erwarten sei. In den ersten Stunden nach der Auferstehung müsse er sich noch in der Nähe des Grabes halten ; am Nachmittag rei-

3) Paulus, ex. Handb. 3, b, S. 834 ff. L. J. l, b, S. 265 ff. Vgl. Hase, L. J. §. 149. Miciuius, a. a. Q. S. 251 f. Thoiuoc. S. 352. *

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Viertes Kapitel. 5. 138. 637

chen seine Kräfte zu einem Gang nach dem benachbarten K in m aus ; erat später linde er sich im Stande, die weitere Heise nach Galiläa zu unternehmen. Dann auch in dem Betastenlassen finde der bemerkenswerthe Fortschritt statt, dafs am Auferstchungsinorgen zwar Jesus der Maria Mag« dalena verbiete , ihn anzurühren, weil sein verwundeter Leib noch zu leidend und empfindlich war: acht Tage später aber, nachdem seine Heilung weiter fortgeschritten war, fordre er selber den Thomas zur Berührung seiner Wunden auf. Selbst auch das, dafs, Jesus nach seiner Auferstehung so selten und kurz mit seinen Jüngern zu- sammen war , zeugt nach diesen Erklärern dafür , dafs er seinen natürlichen menschlichen Leib aus dem Grabe wie« dergebracht hatte, indem eben ein solcher von der Verwun- dung und Qual am Kreuze her sich so schwach fühlen mufste , um nach kurzen Momenten der Thätigkeit immer wieder längere Zwischenperioden ruhiger Zurückgezogen- heit nöthig zu haben.

Da indefs, wie wir gesehen haben, die N. T.lichen Erzählungen ebenso auch Züge enthalten , welche die ent- gegengesetzte Vorstellung von der Leiblichkeit Jesu nach der Auferstehung begünstigen: so mufs die bisher dargelegte Ansicht es über sich nehmen , auch diese , ihr scheinbar feindlichen Züge so zu deuten, dafs sie ihr nicht mehr widersprechen. Hier nun können schon die Ausdrücke, durch welche die Erscheinungen Jesu eingeführt zu wer- den pflegen, namentlich wq , wodurch auch die Erschei- nung im feurigen Busch, 2 Mos. 3, 2. LXX; 6mav6fi£vogf wie die Erscheinung des Engels, Tob. i2, 19.; iydvq, wie die Engelerscheinungen, Matth. 1. und 2., bezeichnet sind, auf etwas Ubermenschliches hinzuweisen scheinen. Bestimmter aber steht dem natürlichen Gehen und Kommen, welches bei einigen Scenen vorausgesetzt werden kann , in andern ein plötzliches Erscheinen und Verschwinden ; der Annahme eines gewöhnlichen menschlichen Körpers das öftere Miqfct-

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638 Dritter Abschnitt

erkannt werden, Ja die ausdrückliche Erwähnung einer heoa ftOQffr , entgegen : hauptsächlich aber scheint der Bctitst- barkeit des Leibes Jesu die Eigenschaft zu widcrstrebcn9 welche ihm Johannes, dem ersten Eindrucke seiner Worte r.u folge, leiht, durcli verschlossene ThOren einzugehen« Allein, dafs Maria Magdalena Jesum Anfangs für den yj^nuQog hielt, davon glauben selbst solche Ausleger, wel- che sich sonst vor dem Wunderbaren keineswegs scheuen, den Grund darin suchen zu dürfen, dafs Jesus von dem Gärtner , der wohi in der Nahe der Gruft seine Wohnung gehabt haben möge, sich einen Anzug habe geben lassen; wozu sowohl hier als bei dem Gange nach Km maus die Entstellung des Angesichts Jesu durch die Qualen der Kreuzigung beigetragen haben möge , und eben nur dieses beides soll auch durch die Irina ftOQCpr} bei Markus aus* gedrückt werden *)• Denselben Emmaun tischen Jüngern habe sich Jesus sofort in der freudigen Bestürzung, wel- che das plötzliche Wiedererkennen des Todtgeglauhten vor* ursachte, leicht auf die natürlichste Weise unbemerkt ent- ziehen können; was dann von ihnen, denen die ganze Sache mit Jesu Wiederbelebung ein Wunder war, für ein überirdisches Verschwinden gehalten worden sei 5). Auch in dem igy iv {iio<<) aviiuv oder (ig 76 fiiaov liege, zumal bei Johannes, wo das ordentliche itldtr und SQXttat dabeistehe, nichts Übernatürliches , sondern nur die über- raschende Ankunft eines Solchen, von dem man gerade ge- sprochen hat, ohne ihn zu erwarten, und für ein ,nv(vfia haben ihn die Versammelten gehalten , nicht weil er auf wunderbare Weise eingetreten war, sondern weil sie an die wirkliche Wiederbelebung des Gestorbenen eicht glae>

4) Tholuck , z. d. St., vgl. Paitlvs, exeg. Handb. S, b, H. 866*. ■881. Eine ähnliche natürliche Erklärung bat neuesten! LC- ckk von Hu* angenommen.

5) Paulus, a. a. O, S. 882.

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Vierte» Kapitel. §. 138. 639

ben konnten 6). Selbst Her Zug endlich, von welchem ninn meinen sollte , er sei gegen die Ansicht von dem Le- ben des Auferstandenen als einem natürlich menschlichen entscheidend, das to/ta^at &VQuh> xaxleinfiivcüv bei Johan- nes, ist längst sogar von orthodoxen Theologen so gedeutet worden , dafs es jener Ansicht nicht mehr entgegen ist. Abgesehen von Erklärungen, wie die HEUMANNsche , die jh'noi seien nicht die des Versammlungshauses der Jun- ger, sondern Überhaupt die Thüren in Jerusalem, und die Angabe, dafs sie verschlossen gewesen, sei eine Bezeich- nung derjenigen Stunde in der Nacht, in welcher man die Thüren zu schliefsen gepflegt habe, der yvßog %uv 'ludaiwv aber gebe nicht den Grund des Thürschliefsens , sondern des Zusammenseins der Jünger an, so bezeichnet selbst Calvin die Meinung , dafs der Leib des Auferstandenen per medium ferrum et asseres hindurchgedrungen sei , als pueriles argutiae , wozu der Text keine Veranlassung gebe, welcher nicht sage, Jesus sei per januas clausa* eingedrungen , sondern nur , er sei plötzlich unter seine Jünger getreten, cum clausae cssent januae 7). Dennoch halt Calvin den Eintritt Jesu, von welchem hier Johan- nes spricht, als ein Wunder fest, welches dann näher dahin zu bestimmen wäre, Jesus sei eingetreten, cum Jo- ns clausae fuissent , sed quae Domino veniente subito patuerunt ad nutum diiinae majestatis ejus 8). Während neuere Orthodoxe nur das Unbestimmte retten, dafs bei diesem Eintritt Jesu etwas Wunderbares unausgemacht, welcher Art stattgefunden habe •) : hat der Rationalis- mus aus demselben das Wunderbare vollends ganz zu ver- bannen gewufst. Die verschlossenen Thüren seien Jesu _____

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6) Paulus, a. a. O. S. 883. 93. Lücke, 2, S. 684 f.

7) Calviw, Gomm. in Joh. z. d. St. p. 363 f. cd. Tmoluck.

8) So Suicir, Thes. 8. v. Vgl. Micuaslis, S. 265.

9) Tholuch und Olshausin, k. d. St.

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640 Dritter Abschnitt

von Menschenhänden geöffnet worden; was Jobannes nnr defswegen zu berichten unterlasse, weil es sich von selbst verstehe , ja abgeschmackt gewesen wäre , wenn er gesagt hätte : sie machten ihm die Thüren auf, und er gieng hinein 10>

Allein bei dieser Deutung des tQytTcti twv &vqwv K8— xXeiopbw sind die Theologen keineswegs anbefangen gewe- sen. Am wenigsten Calvin ; denn wenn er sagt, die Pa- pisten behaupten ein wirkliches Durchdringen des Leibes Jesu durch geschlossene Thüren defswegen, ut corpus Christi immenaam esse nulloaue loco contineri obtineant : so sträubt er sich mithin gegen jene Auslegung der jo- hanneischen Worte nur defswegen so, um der ihm an- stöfsigen Lehre von der (Jbiquität des Leibes Jesu keine Stütze su geben. Die neueren Ausleger dagegen hatten das Interesse, dem Widerspruch auszuweichen, welcher nach unsern Einsichten darin liegt, dafs ein Körper zu- gleich aus fester Materie bestehen, und doch durch andre feste Materie ungehindert sollte hindurchgehen können; allein, da wir nicht wissen, ob diefs auch auf dem Stand- punkte der N. T.lichen Schriftsteller ein Widerspruch war, •o giebt uns die Scheue vor einem solchen kein Recht, je- ner Deutung, sofern sie als die textgemäfse sich Beigen sollte, uns su entziehen. Hier könnte man nun allerdings das tüjv &vQüiv /.< /J.i-iauhwv zunächst lediglich als Bezeich- nung des ängstlichen Zustandes fassen, in welchen die Jünger durch die Hinrichtung Jesu versetzt waren. Doch, schon dafs diese Notiz bei der Erscheinung Jesu von The- mas wiederholt ist, erregt Bedenken, da, wenn durch die- selbe weiter nichts , als das Angegebene , gesagt sein soll, es sich kaum verlohnte, sie zu wiederholen Wenn

10) Griesbach, Vorlesungen über Hermeneutik, S. 305. Paciüi, S. 835. Vgl. Lücki, 2, S. 683 ff.

11) s. Tholucic, i. d. St.

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Viertes Kapitel. $• 138. 641

nun bei diesem zweiten Falle Jener Grund, wem die Th«- ren verschlossen waren, weggelassen, dagegen mit dem %wv 9vqiüv xexXiiOfilvwv das tQxeiai unmittelbar verbunden ist : so wird der Schein aar Wahrscheinlichkeit , dnft durch jene Notiz zugleich die Art des Kommens Jesu näher be- stimmt werden solle ls). Ist ferner mit der wiederhol- ten Angabe, Jesus sei bei verschlossenen Thüren gekom- men , wiederholt das i'grj e/g %o filoov verbunden, was, nach in Verbindung mit ijlöev, wozu es sich als nähere Bestimmung verhält , immer ein plötzliches Dastehen Jesu, ohne dafs man ihn hatte kommen sehen, ausdrückt : so er- hellt aus diesen Zügen zusammen un laug bar wenigstens so viel, dafs hier von einem Kommen ohne die gewöhnli- chen Vermittlungen, mithin von einem wunderbaren, die Rede ist* Dafs aber dieses Wunder nicht in einem Drin- gen durch die Dielen der Thflren bestanden habe, dafür berufen sich auch die Wunderfreunde unter den Auslegern sehr zuversichtlich darauf, dafs es ja nirgends heifse, er sei dia ziZv drywv xtxXuoutiov hereingekommen 1S). Al- lein das will der Evangelist auch gar nicht bestimmen, dafs Jesus, wie Michaelis sich ausdrückt, gerade durch die Poren des Holzes an der ThOre in das Zimmer ge- drungen sei, sondern seine Meinung ist nur, die Thflren seien Versehlossen gewesen und geblieben, und doch habe Jesus auf Einmal im Zimmer gestanden, weichem also Winde, Thflren, kurz alle materiellen Zwischen lagen, kein Hin dernifs gewesen seien, hereinzukommen. Statt ihrer un- billigen Forderung an uns also, ihnen im Texte des Jo- hannes eine Bestimmung nachzuweisen, welche dieser gar nicht geben will, müssen wir vielmehr von ihnen verlangen, ans au erklären, warum er das (wunderbare) Aufgehen der Thüren, wenn er ein solehes voraussetzte, nicht her-

12) Vgl. ÜLSmiuszff, 1, S. 531. Anm.

13) So, aus % vt Calvin, LCcki, a. a. O.; Oishal-six, 530 f. Das Üben Jem MAufl. f/. Band. 41

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' 64t 1) ri ttcr A bschn itt.

vorgehoben hat? In dieser Hinsicht ist es sehr nnglficli lieh, dafs Calvin sich auf A, G. 11, 6. ff, beruft, wo von Pe- trus erea'hlt werde, er sei aus dem verschlossenen Kerker entkommen , ohne dafs jemand daran denke , die Thören seien verschlossen geblieben, und er durch Bretter und Ei- sen hindurchgedrungen. Natürlich nicht, weil hier von der CHernenGefangnifsjiforte, welche zur Stadt fft hrte, ausdrück- lich gesagt wird: qng avtottäcq yvoiyjhj atcoTg (V. 10.), •ine Bemerkung, welche, weil sie eine schöne Angehautin* des Wunders gi«*bt , gewifs auch unser Kvaiii»<-Ii$t nicht beidemale weggelassen haben würde, wenn er an ein wun- derbares Aufsuringen der Thfire gedacht hatte. So we- nig aber in dieser johanneischen Erza'hlung das Überna- türliche sich beseitigen oder vermindern lafst : sowenig will die natürliche Erklärung der Ausdrücke geniigen, mir welchen Lukas das Kommen und Gehen Jesu bezeichnet. Denn wenn nach diesem Evangelisten sein Kommen ein pjvai iv ftiay cwv ftafrqTÜVi sein Gehen ein acpavioj yireo$ai ari avtutv war: so lafst das Zusammentreffen die- ser Züge, raiteingerechnet noch den Sehrecken der Jün- ger und ihren Wahn, er sei ein Gespenst, schwerlich an etwas Anderes, als an ein wunderbares Erscheinen den- ken. Ohnehin, wenn man sich das zwar etwa noch vorstel- len konnte, wie Jesus in ein von Menschen erfülltes Zimmer auf natürliche Weise unbemerkt hineinkommen konnte : so lafst sich doch das auf keine Weise anschaulieh machen, wie es ihm sollte möglich gewesen sein, den zwei Emma- an tischen Jüngern, mit welchen er, wie es seheint, allein ku Tische safs , unbemerkt, und ohne dafs sie ihm nachge- hen konnten, sich zu entziehen

Dafs Markus unter der ttiqa fiOQfpr} eine wunderbar veränderte Gestalt verstehe, hätte man niemals läugnen sollen n) ; doch hat diefs weniger Gewicht, weil et nur

14) Ohhalskn, a. a. O. S. 530.

15) vgl. rniTzscHE, in Marc, p. 725.

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Viertes Kaplteh $. IIS.

t)ei Referenten eigene Erklärung des Umstände« ist) weK tchen Lukas , aber Anders erklärt , an die Hand gab , dafs die beiden Wanderer Jesum nicht erkannt habfn. Dafs Maria Magdalena Jesum für den Gärtner hielt, war nach der Ansicht des Evangelisten schwerlich Folge entlehnter Gfirtnerkleider : sondern , dafs sie ihn nicht kannte, wird man sich dem Geiste der Erzählung getnafs entweder durch ein xQuiHtUtai der Augen Magdalena^, oder aus einer li€Qa ffoorfr Jesu erklären müssen ; dafs sie ihn aber für den Gärtner ansah, kam dann einfach daher, dafs sie ihn im Garten traf. Auch eine Entstellung Jesu durch die Qualen der Kreuzigung, und ein allmähliges Heilen seiner Wunden anzunehmen, sind wir durch die evangelischen Machrichten nicht berechtigt. Das johanneische [iq /ua oWü, wenn es Abwehr einer sch oerzlichen Berührung sein soll« te, stünde im Widerspruche nicht blofs mit Matthäus, nach weichem Jesus an demselben Auferstehungsmorgen durch

die Frauen seine Füfse umfassen lieft, sondern auch mit

Lukas, welchem zufolge er noch am nämlichen Tage die Jünger auffordert, ihn zu betasten , und es früge sich als« dann, welche Darstellung die richtige wäre? Aber es liegt ja im Zusammenhange gar nichts , was daraaf hin* wiese, dafs Jesus sich das unieö&ai eben als etwas Schmerz- haftes verbitte, sondern diel* kann aus verschiedenen: Gründen geschehen sein: aus welchen, ist bei der Dutt* kelheit der Stelle bis jetzt nicht zur Entscheidung ge- bracht 16).

Die wunderlichste Verkehrung aber ist es, wenn ge* sagt wird, die seltenen und kurzen Zusammenkünfte Jesu mit seinen Jüngern nach der Auferstehung beweisen, dafs er für längere und häufigere Anstrengungen noch zu schwach, also ein natürlich Genesender, gewesen sei. Eben i-

16) Die verschiedenen Erklärungen s. bei Täöluck und U'cki, welcher letztere eine Änderung der Letsrt ntttMg findet.

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644 Dritter Abschnitt.

wenn er Mf diese Weise körperlicher Pflege bedftrftig war: so sollte er nicht selten, sondern immer bei seinen

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Jungem 'gewesen sein, welche die nächsten weren, denen er eine solche Pflege «u erwerten hatte. Denn wo soll er nnn in den langen Zwischeneeiten «wischen seinen Erscheinnngen sich aufgehalten haben? in der Einsamkeit? im Freien! In der Waste nod auf Bergen? Das war kein Aufenthalt für einen Kranken, und es bleibt nicht» Ohrig, als er mühte bei geheimen Verbündeten, von welchen selbst seine Jünger nichts wufsten, verborgen gewesen sein. Ein solches Geheimhalten seines eigentlichen Aufent- halts aber selbst vor seinen Schülern , denen er nur ael- ten, und mit Absicht plöUlich sich einstellend und wieder entfernend, sich neigte, wire ein Spielen unter der Decke, ein falscher Schein des Übernatürlichen gewesen, welctiea er ihnen vorgemacht hütte, der uns Jesum und seine ganr.e Sache in einem Lichte erscheinen liefse, welches dem Gegenstande selbst, wie er in den ttuellen vor uns liegt , fremd , nnr dureh die Blendlaterne moderner, übrigens bereits wieder verschollener, Vorstellungen anf denselben geworfen Ist. Die Ansicht der Evangelisten ist keine andere, als daft der Auferstandene nach jenen kur- Ben Erscheinungen unter den Seinigen sich wie, ein höhe- res Wesen in die Unsichtbarkeit eurückger.ogen habe, und aus dieser wieder, wo und wann er es «weckmSfsig fand,

hervorgetreten sei.

Endlich ; wie will man sich bei der Voraussetzung, dafs Jesus durch die Auferstehung In ein rein natürliches Leben eorückgekehrt sei, das Ende desselben denken? ConscqucnterweUe mufs man ihn , sei es längere ") oder kürsere Zeit uach seiner Wiederbelebung eines natürlichen

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17) Bsm»bcks, biblischer Beweis, dass Jesus nich seiner Aufcr- stehung noth 27 Jahre leibhaftig auf Erden gelebt, und iura Wohle der Menschheit in der Stille fortgewirkt habe. J'«0.

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Viertes Kapitel. 5. 138. 646

Tolles sterben lassen , wie euch Paulus andeutet, dafs der allzu heftig afficirte Leib Jeso , unerachtet er sich ?on der todähnlichen Erstarrung am Kreute wieder erholt hatte, doch durch natürliches Kränkeln und vermehrendes Fieber vollends aufgerieben worden sei ls). Dafs diefs wenigstens die Ansicht der Evangelisten vom Ende ihres Christus nicht sei , ist offenbar, da ihn die einen Ton ihnen wie einen Unsterblichen von den Jüngern Abschied nehmen, die an- dern ihn sichtbar in den Himmel steh erheben laufen. Yor der Himmelfahrt also spätestens müfste, wenn bis dahin Jesus einen natürlich menschlichen Leib beibehalten hatte, eine Veränderung mit demselben vorgegangen sein, welche ihn Eom Aufenthalt in den himmlischen Regionen befähigte; es müfste die Schlacke der groben Leiblichkeit niederge- fallen , und nur etwa der felyte Extract derselben mit- emporgestiegen sein. Davon aber, t'afg von dem com Him- mel sich erhebenden Jesos irgend ein materieller Überrest surflekgeblieben, melden die Evangelisten nichts, und da es die eu schauenden Jünger doch bemerkt haben mftfsten, so bleibt für diese Ansicht am Ende nichts, ah) die Aus- kunft jenes Theologen aus der Tübinger Schule, das Resi- duum von Jesu Leiblichkeit sei jene Wolke gewesen , die ihn bei der Himmelfahrt umhüllte, in welche sich, was materiell an ihm war, aufgelöst bebe und gleichsam ver- pufft sei Da somit die Evangelisten das Ende des ir- dischen Wandels Jesu nach der Auferstehung weder als einen natürlichen Tod sich vorstellen, noch bei der Him- melfahrt irgend einer mit seinem Körper vorgegangenen Veränderung gedenken, Überdiefs aus der Zeit «wischen der Auferstehung und Himmelfahrt Dinge von Jesu berich-

18) a. a. O. S. 793. 925.

19) Noch etwas über die Frage: warum haben die Apostel Mat- thäus und Johannes nicht ebenso wie die xwei Evangelisten Markus und Lukas die Himmelfahrt ausdrücklich eriahit? In SütKiao't Magazin, 17, S. 165 ff.

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Dritter Abschuitfc

ten, welche von einem natürlichen Leib undenkbar iM: fo können sie sieh sein Leben seit der Auferstehung nicht •Js ein natürliches, sondern nur als ein übernatürliche*, and seinen Leib nicht als einen organisch - materiellen , londern nur als einen verklärten vorgestellt haben«

Dieser Vorstellung widersprechen auf dem Stand« punkte der Evangelisten auch diejenigen Züge nicht, w pi- che die Freunde der rein natürlichen Ansicht vom Leben des Auferstandenen für sich geltend zu machen pflegen, Dafa Jesus afs nnd trank, das setzte in dem bezeichneten Vorstellungskreiso so wenig ein wirkliches Bedürfet« Lei ihm voraus, als das Mahl, welches Jehova mit zwei Kn« geln bei Abraham einnahm: Essenkönnen ist hier kein Be- weis für EssenmOssen. Dafa er sich betasten liefs , war der einzig mögliohe Beweis gegen die Yermuthung , ein körperlose* Gespenst möge den Jüngern erschienen sein; auch Götterwesen erschienen in altertümlichem , nicht blofs griechischer , sondern (nach der oben angeführten Stelle} Mos. 31, 24,) auch hebräischer Vorstellung, bis* weilen betastbar, im Unterschiede von wesenlosen Schatten, unerachtet sie sonst an die Gesetze der Materialität so we- nig gebunden sich zeigten, als der betastbare Jesus, weuu er doch plötzlich verschwinden, und in verschlossene Zim- mer ohne Hiodernifs eindringen konnte 20>.

Eine ganz andere Frage ist , oh auch anf unsere«, durah genauere Naturkenntnifa gebildeten Standpunkte jene beiderlei Züge sieh vertragen? Und da werden wir frei« lieh sagen müssen : ein Leih, der sichtbare Speise geniebt» mufs auch selbst ein sichtbarer sein; der Genufs der Spei- se setzt einen Orgauismus voraus, der Organismus aber ut

30) Das Unbestimmt« der hier sum Grunde liegenden Vorstellung drückt Origencs gut aus4 wenn er, c, CeJi.2x62. von Jesu ts^U *a\ ys jt$r» ff» ardgaaw avrS tiane^tl iv (uOoQb* Tiri na/yrtj-roi rm StQO jS nd'J»; ovpaiog, xai 19 yvui^v TOIST« Wi*

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Vierte* KapiteL $. 148. 647

.irganisirte Materie, und diese hat die Eigenschaft nicht, in beliebigem Wechsel verschwinden und wieder, sichtbar werden zu können. Gans besonders aber, wenn der Leib Jesu sich betasten iiefs, und Fleisch und Knochen an ffth- len gab , so zeigte er damit die Widerstandskraft der Ma- terie, und zwar wie sie ihr als fester eigen thumlich ist: wenn er dagegen in verschlossene Häuser and Zimmer, ungehindert durch dazwischenliegende Wände und Thören, einzugehen im Stande war, so bewies er hie durch, dafs eben diese Widerstandskraft der festen Materie ihm nicht »ukam; indem er also nach den evangelischen Berichten dieselbe Eigenschaft um dieselbe Zeit gehabt und nicht ge- habt haben mufste: so zeigt sieh die evangelische Darstel- lung der Leibiichkeit Jesu nach der Auferstehung als eine in sich widersprechend. Und zwar ist dieser Widerspruch nicht etwa von der Art, dafs er sich anter die verschie- denen Berichterstatter vertheilte; sondern der Bericht Ei- nes and desselben Evangelisten schliefst jene widerspre- chenden Züge in sich* Der kurze Bericht des Matthäus zwar enthält in dem ixQaz^oav auzä ziig nodas ( V* 9. ) nur das Moment der Be tastbarkeit,, ohne dafa ebenso ein entgegengesetztes hervorgehoben wäre ; bei Markus umge- kehrt spricht sein iv Izioy froypfi C^* 12.) far etwa» Übe r- natürliches, ohne dafs andrerseits auch wieder das Gegen- theil bestimmt vorausgesetzt würde: dagegen spricht bei Lukas das Sichbetasten lassen und Essen» ebenso bestimmt für organische Materialität % als das plötzliche. Erscheinen und Verschwinden gegen eine solche; ganz besonders hart »her stofsen die Glieder dieses Widerspruchs im vierteil Evangelium zusammen, wo Jesus, unmittelbar nachdem er n das verschlossene Gemach unberührt durch W ando und Uu'iren eingedrungen ist 2I)* 8*ch V011 d*m zweifelndem Thomas berühren iäfst.

21) Mit der Fähigkeit Jesu, durch, verschlossene Ihihren in dtin-

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648 Dritter Abschnitt.

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f. 139.

Die Debatte Uber die Realität des Todes und der Aufer- stehung Jesu.

Der Sets : ein Todter ist wiederbelebt worden , ist •os «wei so widersprechenden Bestandteilen zusammen- gesetzt, dafs immer, wenn man den einen festhalten will, der andere verschwinden droht. Ist er wirklich wie« der Kam Leben gekommen, so liegt es nahe, an denken, er werde nicht;. ganz todt gewesen sein; war er aber wirk- lich todt, so Ii alt es schwer, zu glauben, dafs er wirklieh lebendig geworden sei.

Bei einer richtigen Ansicht Ober das Verhältnis Ton Seele und Leib, welche diese beiden nicht abstract ausein- anderhält, sondern sie cugleich in ihrer Identität, die Seele sds die Innerlichkeit des Leibes , den Leib als die Ausser- lichkeit der Seele begreift, weifs man schon gar nicht, wie man sich die Wiederbelebung eines Todten nur vorstellen, geschweige denn sie verstehen tolle. Haben die Kräfte und Thätigkeiten des Leibes einmal aufgehört, in denjeni- gen regierenden Mittelpunkt zusammenzulaufen, welcher wir die Seele nennen, deren Thfitigkeit, oder vielmehr si< selbst, In der ununterbrochenen Niederhaltung aller ändert m Körper möglichen Processe unter der höheren Ein hei des organischen Lebensprocesses , welche befm Menschet sugleich die Basis des Geistigen ist, besteht: so treten Ii den verschiedenen Theilen des Körpers jene andern, nie drigern Principien als herrschend auf, deren Geschäft ii seiner Fortsetzung die Verwesung ist. Haben diese efo

"gen , fanden manche Kirchenväter nnd orthodoxe Theologo ' das nicht recht vereinbar, data zum Behufe der Aufcrstchur» { Jeau vorher der Stein vom Grabe gewälzt worden aein soll, und behaupteten daher : remrr§xit Christus clauso sepulcr, sine nondum ab ostio tepulcri revoiuto per angclum lapiö. QosfltrsoT, theol. didact. polem. 3, p. 542.

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Viertee Kapitel, $. 1*9. 649

mal die Herrsohaft angetreten : so werden sie ntoht geneigt •ein, sie an den vorigen Herrn, die Seele, zurückzugeben ; oder vielmehr ist diefs deswegen unmöglich, weil, gans abgesehen von der Frage über die Unsterblichkeit des menschlichen Geintes, mit ihrer Herrschaft und Thfitigkeit, welche ihre Kxiarens ist, die Seele als solche au sein auf- hört, mithin bei einer Wiederbelebung , selbst wenn man sich auf ein Wunder berufen wollte, diefs geradezu in der Erschaffung einer neuen Seele bestehen möfste.

Nur der populftrgewordene Dualismus in Bezug auf das VerhfSlrnifs von Leib und Seele begünstigt die Mei- nung von der Möglichkeit einer eigentlichen Wiederbele- bung. Da wird. die Seele in ihren* Verhältnifs cum Kör- per wie der Vogel vorgestellt, welcher, wenn auch eine Weile aus dem Käfig entflogen, doch wieder eingefangen, und in denselben zurückgebracht werden kann, und an der« gleichen Bilder hfilt sich ein tmaginirendes Denken, um die Vorstellung der Wiederbelebung festzuhalten. Doch selbst auf dem Standpunkte dieses Dualismus versteckt sich die Undenkbarkeit eines solchen Vorgangs mehr, als dafs sie •ich eigentlich verringerte. Denn so gleichgöltig und un- lebendig], wie bei einer Schachtel und deren Inhalt, darf man sieh doch das Zusammensein des Leibs und der Seele auch bei der abstractesten Trennung nicht denken, son- dern die Gegenwart der Seele bringt im Körper Wirkun- gen hervor, welche hinwiederum die Möglichkeit jener Ge- genwart der Seele in ihm bedingen. Sobald also die Seele den Körper verlassen hat, werden in diesem diejenigen Thltigbeiten stille stehen , welche nach der dualistischen Vorstellungsweise die unmittelbarsten Äusserungen des Ein- flusses der Seele waren; ebendamit werden die Organe dieser Thfitigkeiten, Gehirn, Blut u. s. f., zu stocken und starr zu werden beginnen , und zwar wird diese Verände- rung mit dem Augenblieke dea wirklichen Todes ihren An- fang nehmen. Könnte es also auch der entflohenen Seele

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650 Dritter Abschnitt,

einfallen, oder sie durch einen Andern dazu genothigt wer« den, ihren vorigen Wohnsir«, den Körper, wieder aufzu- suchen : fo würde sie ihn doch nach den ersten AugeublU cken schon in seinen edelsten Theilen unbewohnbar und für ihren Dienst untauglich finden. Wiederherstellen aber, wie ein krankes Glied , könnte sie die unbrauchbar gewor- denen unmittelbarsten Organe ihrer Wirksamkeit auf kei- ne Weise, da sie, um irgend etwas im Körper au wirken, des Dienstes eben dieser Organe bedarf; sie müTste also» ob auch wieder in den Leih aurdckgebannt , denselben doch geradezu vermodern lassen , weil sie keinen Einflufa auf ihn auszuüben im Stande wäre; oder es müfste zu dem Wunder ihrer Zurttckfflhrong in den Körper das aw ri- te einer Res£aurirun<r ihrer abgestorbenen körperlichen Or- gane hinzukommen ein unmittelbares Eingreifen Gottes in den gesetzlichen Verlauf des Naturlebens, wie es gelä t - f rrten Ansichten von dem Verhäituifs Gottes zur Welt wi- derspricht.

. Sehr bestimmt hat daher die neuere Bildung in Bezug auf Jesum das Dilemma aufgestellt, dafs er entweder nicht wirklich gestorben, oder nicht wirklich auferstanden sei.

Der Rationalismus hat sich vorwiegend der erstereo Annahme zugewendet. Die kurze Zeit, weiche Jesus am Kreuze hieng, zusammengenommen mit der sonst bekanr- ten Langsamkeit des Kreuzestodes; die ungewisse Beschaf- fenheit und Wirkung des Lanzenstichs (welchen wir nicht einmal für historisch halten kommen), schienen die Wirk- lichkeit des Todes zweifelhaft zu machen. Dafs die Voll- strecker der Kreuzigung, wie die Jünger selhit, keinem solchen Zweifel Raum geben, würde sich ausser der «IU gemeinen Schwierigkeit, tiefe Ohnmächten und .synkoptische Erstarrungen vom wirklichen Tode zu unterscheiden., aus dem niedrigen Stande der mecliciuischen Kenntnisse in je- ner Zeit erklären; wogegen wenigstens Ein Beispiel, dafs ein vom Kreuz Abgenommener wieder genas, ein erfolg-

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Viertes Kapitel. $• 139, fiji

tea Wiederaufleben auch, bei Jesu denkbar zu machen

aohlen. Dieses Beispiel findet sich bei Josephoa, welcher heriohte t , dafa Yon drei gekreuzigten, Bekannten , die er van Titus lasgeheten habe , nach der Abnahme vom Kreuze zwei gestorben, einer aber mit dem Leben davongekom- men sei« *). Wie lange diese Leute am Kreuze gehangen Watten, bemerkt Josephus nicht; doch da er sie mit sei« ner Expedition nach Thekoa in der Art in Verbindung Wringt, dafs er sie bei seiner Rückkehr von da erblickt haho : so miU&en sie wohl eben während dieser Expedition gekreuzigt worden sein, and da diese , vermöge der gerin- gen Entfernung des genannten Orts von Jerusalem , mög- licherweise in Einem Tage beendigt sein konnte, so hat- ten «e wohl nicht über einen Tag, vielleicht noch ktlraer, am Kreuze gehangen* Wean nun von drei Gekreuzigten, welch» schwerlich viel länger gehangen hatten, als Jesus, der nach Markus von Morgens 9 Uhr bis Abends gegen 6 Uhr au Kreuze sich befand, und welche, wie es scheint, noch mit den Zeichen des Lebens herabgenommen wurden , bei der sorgfältigsten Är&tiichen PÜege nur Einer davon kam: wie unwahrscheinlich mufs es werden, data Jesus, welcher bereita mit allen Zeichen des Todes vom Kreuze genom- men worden war, ohne Anwendung ärztlicher Mittel ganz von selbst wieder «um Lehen gekommen sei l a2 ~

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argumeatirt besonders Paulus , ex» Hantln. 3, b, S. 786,. und im Anhang, S. 929 ff. 2> Ba*x$£Jt&Kju>sji, über den angeblichen Scheintod Jesu am Kreu*

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65* Dritter Abschnitt

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Diese beiden Momente: ein Rest des bewofsten Le- ben«, and sorgfältige ärztliche Behandlang, hüben indets rech einer gewissen Ansicht aaeb bei Jesus nicht gefehlt, venn sie gleich ron den Evangelisten verschwiegen wer- den. Hiennch hat Jesus, weil er keinen andern Weg sah, die herrschende Messiasidee von ihren sinnlich - politischen Beimischungen zu reinigen, sich der Kreocigang aasge- setzt, dabei aber sich darauf verlassen, da roh ein fräh zei- tiges Neigen des Hauptes seine baldige Abnahme vom Kreuze zu bewirken , and hernach von heilkundigen Män- nern unter seinen geheimen Verbündeten wiederhergestellt ru werden, um zugleich durch den Schein einer Wieder- belebung das Volk zu begeistern *)• Von dieser Absicht- lichkeit haben Andere wenigstens Jesum freigesprochen, und ihn wirklich in todfthnliehen Schlammer versinken lassen , seinen Anhängern aber von vorn herein den Plan zugeschrieben, den durch einen Trank scheintodt gemach- ten and frühe vom Kreuz abgenommenen in das Leben zurückzurufen *). Allein von allem dem deuten die Quel- len nichts an, and es sa vermuthen, haben wir keinen Grund. Verständige Freunde der natürlichen Erklärung, welchen dergleichen Ausgeharten eines zflgellosen Prag- matisirens zuwider sind, haben daher zur Erklärung von Jesu Wiederbelebung, statt eines Restes von bewofstem Le- ben In ihm, mit der Lebenskraft sich begnflgt, welche auch nach dem Sehwinden des Bewnfstselns im Innersten des Jogendkrfifügen Körpers Jesu zurückgeblieben war,

zc, in Ullma>Vs und Umhrett's Studien, 1832, 5, S. 625 ff- Hut, Beiträge cur Geschichte des Verfahrens, bei der Todes- strafe der Kreuzigung, Freiburger Zeitschr. 7, S. 144 ff.

3) B Ahrdt, Ausführung des Plans und Zwecks Jesu. Vgl. dage- gen Paulus, exeg. Handb. 3, b, 793 f.

4) Xenodoxien, in der Abh. : Joseph und Nikodemus. Vgt. da- gegen HtAiaia's Studien der würtemberg. Geistlichkeit, 2, 2, S. 84 ff.

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Viertes Kapitel. f. 139. 653

and statt absichtlicher Pflege durch Menschenhände nof den wohlthätigen Einfluß aufmerksam gemacht, welchen die um seinen Leib gelegten cum Theil wohl öligen Substanzen auf Heilung seiner Wunden, und, zusammengenommen mit der von dem Dufte der Specereien geschwängerten Luft in der Höhle, auf Wiedererweckung des Gefühls und Bewufstseins Jesu gehabt haben müssen 0 ; wozu man wohl auch noch als entscheidendes Moment die Erschütterung und den Blitzstrahl fügte, weloheram Auferstehungsmorgen das Grabmal Jesu eröffnet habe Hiegegen haben jedoch Andere darauf aufmerksam gemacht, wie die kalte Luft in einer Höhle am wenigsten etwas Belebendes haben konnte ; wie starke Arome in einem verschlossenen Räume vielmehr betäubend und erstickend wirken 7); die gleiche Wirkung müTste ein in die Gruft schlagender Blitzstrahl gehabt haben , wenn dieser nicht blofse Erdichtung ratio« nalistischer Ausleger wäre.

Unerachtet aller dieser Un Wahrscheinlichkeiten jedoch, welche die Ansicht gegen sich bat, dafs Jesus aus einem blofsen Scheintode durch natürliche Ursachen wieder zum Leben gekommen sei , bleibt sie doch insoweit möglich, dafs, wenn uns die Wiederbelebung Jesu sicher verbürgt wäre, wir aus der Entschiedenheit des Erfolgs die Löcken der Berichte über den Hergang der Sache ergänzen, und der bisher vorgetragenen Ansicht, mit Abweisung jedoch aller bestimmten Vermuthungen, beitreten könnten. Ver- bürgt wäre uns die Auferstehung Jesu , wenn sie von un- parteiischen Zeugen auf bestimmte und zusammenstimmen- de Weise beurkundet wäre. Aber eben die Unparteilich- keit der angeblichen Zeugen für die Auferstehung Jesu ha- ben die Gegner des Christenthums von Celsus bis anf den

5) Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 785 ff. L. J. 1, b, S. 281 ff.

6) Scmu&tek, in Eichhorns allg. Bibl. 9, S. 1053.

7) YViasn, bibl. Realw. 1, S. 674,

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Dritter Abschnitt.

Wolfenbflttler Fragroemisten herab in Ansprach gmnom» men. Nur seinen Anhängern habe sich Je*n* grstet**: warnm nicht aacli seinen Feinden , nm anch sie sti über- zeugen, und durch ihr Zeognifs der Nachwelt jede Ver* muthang einer absichtlichen Täuschung von Seiten seiner Jünger «u benehmen? •) So wenig ich non anch von de« Erwiederungen der Apologeten auf diesen Einwand halten kann, von dem Origeneischen irfelfoto yan xai xorca- dtxuöavtog xal rajv inrtQeaoavTMv 6 %ntcog, ha //ij naraz- Stowt? äoQaola*) an, bis auf die Meinungen der Neueren, welche durch das Schwanken zwischen der Behauptung, durch eine solche Erscheinung wären die Feinde Jesu cum Klauben gezwungen worden, and der andern, sie wurden auch auf eine Solche hin nicht geglaubt haben, sich selbst widerlegen ft0) : so kann doch jenem Einwurfe das entge- gengehalten werden, dafs die Anhänger Jesu durch ihre Hoffnungslosigkeit, welche, wie sie ans der Zusainmenstiot» roung der Berichte erhellt, so der Natur der Sache voll* kommen angemessen ist, hier zum Range anparteiischer Zeugen sich erheben» Ha'tten sie eine Auferstellung Jesu erwartet, und sollten wir diese nun allein auf ihr Zeug- nifs hin glauben: so wäre allerdings die Möglichkeit, and vielleicht Wahrscheinlichkeit, wenn nicht eines absieht Ii-

8) Orig. C. Gell. 2, 63: Mira ravra 8 Ktlaot ** fjxara^orf- twc To yrypÄ^/Ko xa*oloyav > fyolr, Srt tintf otr*t dftav 3tv*/nw }x7?jrai r^tltv 6 Y. , oJrot; Tot* httjoeaoaoi »al Tto xaTXxdixdoavrt *a\ SXtos naair 3<f9ijra$. 67: « yae fari rSr in/flip&tj TJz ap/^K, Sra la»n- Vgl. den VVolfenbUttler, hei Lsssnts, S. 450. 60. 92 ff. Woolstok, Pisc. 6. Srwon, ep. 23. ad Oldenburg, p. 558 f. ed. GraöRsa.

9) s. i. O. 67.

10) Vgl. Mosmim, in seiner Übersetzung der Schrift des Origc- nes gegen den Cclsus, z. d. angef. St. Michaelis, Anm. zum fünften Fragment, S. 407.

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Viertes Kapitel. §. 139. «55

%hvr\ Betrugs, doch unwillkührltcher Selbsttäuschung TOn Ihrer Seite vorhanden; diese verschwindet eher in dem tirnde , als die Jünger Jesu nach seinem Tode alle Hoff- nung verloren hatten. Zwar rührt nun nach den Ergeb- nissen unsrer bisherigen Untersuchungen keines der Evan- gelien unmittelbar von einem Jünger Jesu her: doch, da uns den paulinischen Briefen und der Apostelgeschichte gewiß ist, dafs die Apostel selbst die Überzeugung hatten, den Auferstandenen gesehen zu haben, so könnten wir uns nti den N.T. liehen Zeugnissen für die Auferstehung immer- hin genügen lassen , wenn nur diese Zeugnisse theils be- stimmt genug waren, theils unter einander, und jedes mit sich selbst, zusammenstimmten. Nun aber ist das in sich einstim- mige und auch sonst gewichtigste Zeu^nü's des Paulus so allgemein und unbestimmt, dafs es für sich uns über diesub- jective Thatsache , die Jünger seien von der Auferstehung Jesu überzeugt gewesen, nicht hinausführt; die bestimm- teren Erzählungen der Evangelien dagegen, in welchen die Auferstehung Jesu als objeetive Thatsache erscheint, sind ihrer aufgezeigten Widersprüche wegen nicht als Zeug- nisse zu gebrauchen, überhaupt ist ihr Bericht über den Wandel Jesu nach seiner Auferstehung kein in sich zu- sammenhängender, der uns eine klare historische An- schauung der Sache gäbe, sondern ein fragmentarischer H), der uns mehr eine Reihe von Visionen, als eine fortlau- fende Geschichte zur Anschauung bringt.

Vergleicht man mit diesem Bericht über die Wieder- belebung Jesu den bestimmten in sich einstimmigen über seinen Tod : so mufs man in dem oben gesteilten Dilemma auf die andre Seite sich neigen , und eher die Realität der

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lt) Hask, L. J. $. 149. Diss.: llbrorum sacrorum de J. Chr. a mortuis revocato atque in coelum sublato narrationem colla- tis vulgaribus »IIa aetate Judaeorum de morte opinionibus interpretari conatus est C. A. Krrgi, p. 12 f.

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Dritter Abschnitt.

Auferstehung, als die des Todes In Ansprach sa nehmen

sich veranlagt finden. Auf diese Seite ist daher schon Gei- sas getreten, indem er die angeblichen Erscheinungen Jesu nach der Auferstehung entweder aus Selbsttäuschung sei* ner Anhänger, namentlich der Weiber, im Traum oder Wachen, oder was ihm noch wahrscheinlicher war, ans ab- sichtlichem Betrog ableitete 12) , and Neuere , wie na- mentlich der Wolfenbdttler Fragmentist, haben sich an die jüdische Beschuldigung bei Matthaus angeschlossen, dafs die Jünger den Leichnsm Jesu gestohlen, nnd hernach die £r Kühlungen von seiner Auferstehung nnd den Erschei- nungen nach derselben auf Abel zusammenstimmende Weise fingirt haben nj. Dieser Verdacht ist schon durch dis) Bemerkung des Origenes niedergeschlagen, dafs eine selbst- erfundene Lüge die Jünger anmöglich zu einer so stand- haften Verkündigung der Auferstehung Jesu unter den grofsten Gefahren hatte begeistern können IV), und mit Recht bestehen noch jetst die Apologeten darauf, dafs der ungeheure Umschwung von der tiefen Niedergeschlagenheit und gänzlichen Hoffnungslosigkeit der Jünger bei dem Tode Jesu zu der Glaubenskraft und Begeisterung, mit welcher sie am folgenden Pfingstfest ihn als Messias verkündigten, sich nicht erklären Jiefse, wenn nicht in der Zwischen- zeit etwas ganz ausserordentlich Ermuthigendes vorgefal-

12) Bei Orig c. Cels. i, 55: tüto fISt; (die durchbohrten Hände Jeiu , und überhaupt seine Erscheinungen nach der Auferatehung) yw,) naqoif9°<, *>t tpart, mal §X ri( aUos xär Im t^c avriji yotjr&iat, £roi Marti rtra dia&tatv orn^a; , $ mar* rqv avrS ßtilyotr So^fj ntnlavijjitvQ tfavraoita9*\{ , Smq mv- qlois ovfißtßt}X9¥m >*, ürttq pailor, i*nX!jlat ri( lotn*f r#fi- reia raütm Velijoa;, Mai tha tS ro««V« y>t¥OpuT*e i^o^u^v ai-

13) Das 5te Fragment, in LKiams'a 4tem Beitrag. Wooiara, » Diac. 8.

14) s. a. O. 56.

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Vierte« Kapitel. §. 130« 65f

len wäre, und «war näher etwas, das sie von der Wie- derbelebung des gekreuzigt eii Jesus überzeugte Js> Dafa aber dieses Überzeugende gerade eine wirkliche Erschei- nung des Auferstandenen , dafs es Uberhaupt ein Äusserer Vorgang gewesen sein müsse , ist damit noch keineswegs be- wiesen. Man könnte, wenn man anf supranaturalem Boden bleiben wollte, etwa mit Spinoza eine Im Innern der Jün- ger anf wunderbare Weise bewirkte Vision annehmen, weiche den Zweck gehabt hätte, ihnen nach ihrer Fas- sungskraft und der Vors tellungs weise ihrer Zeit anschau- lich sn machen, dafs Jesus durch sein tugendhaftes Le- ben vom geistigen Tode auferstanden sei, nnd denen, wel- che seinem Beispiel folgen, eine ähnliche Auferstehung verleibe Um aus dem Zauberkreise des Supranatura-

lismus in Betreff dieser Erscheinungen herauszukommen, haben Andere nach natürlichen äusseren Veranlassungen gesucht, weiche die Meinnng erregen konnten, Jesus sei

15) UmuNif, was letzt die Stiftung der christlichen Kirche durch einen Gekreuzigten voraus? In l. Studien, 1S52, 3, S. 589 f. (Röhr) Briefe Uber den Rationalismus, S. 23, 236« Fivtvs, exeg. Handb. 3, b, S. 826 f. Hasb, §. 146«

16) Snkoza, a. a. O. J Apostolos omnes omni na credidisse , tjvöd Christus a morte resurrexerit , et ad coelum revera ascende- rit ego non nego» ISam ipse etiam Abrahamus credidit, qaod Deus apud ipsum pransus fuerit cum tarnen haec et plura alia hujusmodi appariiiones seu revelationes fusrint) captui et opinionibus eorum hominüM aecommodatae , quibus Deus mentem suam üsdetn reveiare voluit. Concludo itaque Christi a mortuis resurrectionem revera spirituaiem , er sotis fidelibus ad eorum captum revelatam juisse, nempe quod Chri- stus aetemitate donatus fuitt et a mortuis (mortuos hic intelli- go eo sensu , quo Christus dixit : sinite mortuos sepeiire mor- tuos suos) surrexity simulatque vita et morte singuiaris San- ctitatis exemplum dedit , er eatenus diseipuius suos a mortuis suscitat, quatenus ipsi hoc vitae ejus et mortis exemplum seqimntar*

Das Leben Jesu VeAufl. 11. Band. 42

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05S , Dritter Abschnitt

auferstanden und als Auferstandener gesehen worden. O^n ersten Anstois, vermuthete man, habe das gegeben, daf* am zweiten Morgen noch dem Begrabnifs sein Grab leer gefunden wurde, dessen Leintücher zuerst für Kogel, dann für eine Erscheinung des Auferstandenen selbst ge- halten worden seien 17): allein, wenn der Leib Jesu nie Ii t neubelebt aus dem Grabe hervorgegangen ist, wie soll er denn herausgekommen sein? Da müfste man ja wieder an Diebstahl denken: wenn man nicht aus der Andeutung bei Johannes, dafs Jesus der Eile wegen in ein fremdes Grab gelegt worden, die Vermuthung herleiten will, dafs vielleicht der Eigen t hu roer der Gruft den Leichnam ha'.e entfernen lassen; was aber die Jünger nachträglich hfitt* n erfahren müssen, und was in jedem Fall an der verein- zelten Abgabe des vierten Evangeliums eine zu schwache Grundlage hat.

Ungleich fruchtbarer ist die Hinweisung auf die pau- linische Stelle 1. Kor. 15, 5 (f., als den geeignetsten Aus- gangspunkt in dieser Sache, und den Schlüssel sur Ver- ständigung über alle Erscheinungen Jesu nach seiner Auf- erstehung JS). Wenn nämlich Paulus dort die ihm zu Theil gewordene Christophanie mit den Erscheinungen Je- , su in den Tsgen nach seiner Auferstehung in Eine Reihe stellt, so berechtigt diefs, sofern sonst nichts im Wege steht, zu dem Schlüsse, dafs, so viel der Apostel wufste, jene früheren Erscheinungen von derselben Art, wie die ihm gewordene, gewesen seien. Von dieser letzteren nun aber, wie sie uns die Apostelgeschichte (9, 1 ff. 22, 3 ff. 26, 12 ff.) erzahlt, ist es nach den Analysen von Eichhorn 19) und

17) Versuch über die Auferstehung Jesu, in Schxidt's Biblio- thek, 2, 4, S. 545 ff.

18) S. die angeführte Abhandlung in Schmidt'» Bibl. , S. 537. ; Kaiskr, bibl. Theol. i, S. 258 f.; Fukgk, a. a. O. p. 15.

19) In seiner allg. Bibliothek, 6, 1, S. 1 ff.

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Viertes Kapitel, $. 139.

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Ammon 20) nicht wohl mehr möglich, sie als äussere, obje- ctive Erscheinung des wirklichen Christus festzuhalten; selbst Nkander 21) getraut sich blofs, eine innere Einwir- kung Christi auf das Gemüth des Paulus sicher zu behaup- ten, die Annahme einer äusseren Erscheinung aberhängt er nur sehr bittweise hinten an, und auch jene innere Ein- wirkung macht er dadurch selbst überflüssig, dafs er die Momente namhaft macht, welche auf natürliche Weise ei- ne solche Revolution in der Gesinnung des Mannes her- vorbringen konnten: die günstigen Eindrücke, welche er da und dort vom Christenthum, von der Lehre, dem Le- ben und Benehmenseiner Anhänger, namentlich auch durch den Märtyrertod des Stephanus, bekommen hatte, und wel- che sein Gemüth in eine Spannung und in einen innern Kampf versetzten, den er wohl einige Zeit gewaltsam, und vielleicht selbst durch verdoppeltes Eifern gegen die neue Secte, unterdrücken konnte, der sich aber zuletzt in einer entscheidenden geistigen Krisis entladen mufste, von wel- cher es uns bei einem Orientalen nur gar nicht wundern darf, dafs sie die Gestalt einer Christophanie annahm. Haben wir hiemit an dem Apostel Paulus ein Beispiel, dafs? starke Eindrücke von der jungen Christengemeinde ein feu- riges Gemüth, das ihr längere Zeit entgegengestrebt hatte, bis zur Christophanie und völligen Sinnesänderung steigern konnten : so wird wohl auch der gewaltige Eindruck der großartigen Persönlichkeit Jesu im .Stande gewesen sein, ■eine unmittelbaren Schüler im Kampfe mit den Zweifeln an seiner Messianität, welche sein Tod in ihnen erregt hatte, zu ähnlichen Gesichten zu begeistern. Wer zur Er- klärung der paulinischen Christophanie noch ein äusseres

20) Comm. exeg. de repentina Sauli convertione. In s. opusc. theol.

21) Geschichte der Pflanzung und Leitung der christl. Kirche durch die Apostel, 1, S. 75 ff.

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Dritter Abschnitt«

NaturphUnoraen, wie Blite und Donnerschlag, zu Hßlfe neh- men eu müssen und zu dürfen glaubt, der mag auch die Erklärung der Erscheinungen, welche früher die unmittel- baren Schüler Jesu von dem Auferstandenen eu haben glaubten, durch Voraussetzung Ähnlicher Ereignisse sich eu erleichtern suchen22). Nur, wie die EiCHHORNschc Er- klärung des Vorgangs mit Paulus daran scheiterte, dafs sie alle und jede Züge der N. T.lichen Erzählung, wie die Blindheit des Paulus und deren Heilung , die Vision des Ananias n. s. f., als historische festhielt, und diese begreif- lieh nur sehr geswungen in natürliche Erfolge umdeuten tonnte: so würde freilich derjenige die psychologische Er- klärung der Erscheinungen des auferstandenen Jesus selbst sich unmöglich machen, welcher alle evangelischen Erzäh- lungen von denselben, namentlich von den Proben, welche Thomas durch Betastung angestellt, und der Auferstandene selbst durch Genufs von Nahrung abgelegt haben soll, als historisch anerkennen wollte; worauf aber diese Erzählun- gen ihrer aufgezeigten Widersprüche wegen nicht den min- desten Anspruch haben. Die zwei ersten Evangelien, und der Hauptgewährsmann in dieser Sache, der Apostel Pau- los, erzählen uns von dergleichen Proben nichts, und es ' ist gans natürlich, dafs die Christophanieen, welche, so wie 'sie den Frauen und Aposteln wirklich vorgeschwebt hat- ten, mehr das visionäre Gepräge derjenigen gehabt haben mögen , welche Paulus auf dein Wege nach Damaskus hat- te, einmal in die Tradition aufgenommen, sich vermöge des apologetischen Bestrebens, alle Zweifel an der Realität der- selben abzuschneiden, immer mehr consolidirten , von stam- men Erscheinungen zu redenden , von geisterhaften zu es- senden, von sichtbaren eu handgreiflichen wurden.

Hier kehrt sich jedoch ein Unterschied heraus, wel-

22) So die Abhandlung in Schmidts Bibliothek, und Kai&m, a. a. O.

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Vierte» KapiteL $. 139.

eher den Vorgang m't Paulus eur Erklärung jener frühe- ren Erscheinungen mit Einem Male unbrauchbar bu ma- chen scheint. Dem Apo»t«l Paulus nämlich war die Vor- stellung, dafs Jesus auferstanden und mehreren Personen erschienen sei, als Glaube der Scote, die er verfolgte, ge- geben; er hatte sie nur noch in seine Uberzeugung aufsu- nehmen , und durch die Phantasie bis cur eigenen Erfah- rung bu beleben: die älteren Jünger hingegen hatten le- diglich den Tod ihres Messias als Factum vor sich, die Ansicht einer Auferstehung desselben konnten sie nir- gendsher nehmen, sondern mufsten dieselbe, nach unserer Vorstellung von der Sache, erst produciren; eine Aufga- be , welche über alle Vergleichung hinaus schwieriger su •ein scheint, als die, welche sich später dem Apostel Pau- lus stellte. Uin hierüber richtig urtheiien bu können, müs- sen wir uns noch genauer in die Lage und Stimmung der Jünger Jesu nach seinem Tode hineindenken. Er hatte während seines mehrjährigen Zusammenseins mit ihnen im« mer mehr und entschiedener den Eindruck des Messias auf sie gemacht: sein Tod aber, den sie mit ihren Mes- sias begriffen nicht reimen konnten, hatte diesen Eindrnck f Jr den Augenblick wieder vernichtet. Wie sich nun, nach- dem der erste Schrecken vorUber war, der frühere Ein- druck wieder eu regen begann : entstand in ihnen von selbst das psychologische Bedürfnifs, den Widerspruch der letz- ten Schicksale Jesu mit ihrer früheren Ansicht von ihm aufzulösen, in ihren Begriff vom Messias das Merkmal des Leidens und Todes mitaufsunehmen. Da aber Begreifen bei den Juden jener Zeit eben nur hiefs , etwas aus den heiligen Schriften ableiten: so waren sie an diese gewie- sen, ob nicht in ihnen vielleicht Andeutungen eines lei- denden und sterbenden Messias sich fänden. Dergleichen Andeutungen mufsten sich den Jüngern Jesu, welche sie bu finden wünschten, so fremd auch die Idee eines solchen Messias dem A. T. ist, dennoch in allen denjenigen poeti-

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tm Dritter Abschnitt.

sehen and prophetischen Stelleo darbieten, welche, wi« Je«. 53, Ps. 22, die Männer Gottes als geplagt und ge*- beogt bis cum Tode darstellten. Das ist es auch, was Le> kas als das Hauptgeschäft des auferstandenen Jesus bei seinen Zusammenkünften mit den Jüngern heraushebt, dmfs er vlot-afisvog ano Miooiiog xal ano navrwy twv nQOfpqrtSv dtyQfiqvevev avxolg iv ndaatg ra~g yqacpaTg tec jiiqI avrä, dafs nffmiieh TCCVTCt edei na&flv zov XQtgov (24, 26 f. 44 ff.}. Hatten sie aaf diese Weise Schmach, Leiden uud Tod Sn ihre Hessiasidee aufgenommen i so war ihnen der schmach- voll getödtete Jesus nicht verloren , sondern geblieben ; er wer durch den Tod nur in seine messianische do|cr| einge- gangen (Luc. 24, 26.), in welcher er unsichtbar mit ihnen war naaag tag foiQag, fiwg rrjg owteXelag xS alajvog (Matth. 28, 20.). Aas dieser Herrlichkeit aber, in welcher er lebte, wie konnte er es unterlassen, den Seinigen K«o- de ron sich so geben? und wie konnten sie, wenn ihnen der Sinn für die bisher verborgene Lehre der Schrift vom sterbenden Messias aafgieng, und in angewohnter Begei- sterung ihre xaodicc- xaiOftfar} war (Lue. 24, 32 ), umhin, diefs als Einwirkung ihres verherrlichten Christus auf sie, als ein von ihm ausgehendes diavolyeiv xov *5v (V. 45), ja als ein Reden mit ihnen aufzufassen? wie denkbar end- lich Ist es, dafs diese Empfindungen bisweilen bei Eineei- nen, namentlich Frauen, rein subjeotiv zur wirklichen Vi- sion sich steigerten; auf Andere dagegen, euch auf gante Versammlungen, irgend etwa« Objeetires, Siohtbares oder Hörbares, bisweilen vielleicht der Anblick einer unbekannten Person, den Eindruck einer Offenbarung eder Erscheinung Jesa machte: eine Höhe des frommen Enthusiasmus, wel- che auch sonst; bei religiösen Gesellschaften , besonders gedrückten und verfolgten, vorzukommen pflegt. Sollte aber der gekreuzigte Messias wahrhaft in die höchste Form des seligen Lebens eingegangen sein : so durfte er seinen Leib nicht im Grabe gelassen haben, und wenn

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Viertes Kapitel. $. 139. 6G3

nun gerade in solchen A. T. liehen Stellen , welche eiiie vorbildliche Beziehung auf das Leiden des Messias zulie- fsen, zugleich die Hoffnung sich ausgesprochen fand: Zti öx iyxarcdsiipeig zifv tyvx'p H** u$ $ö*öt ude dumtg tqv oaiov 0*0 lösiv diwp&OQav (Ps. 16, 10. A. G. 2, 27.) ; wenn Jes. 53, 10. dem zur Schlachtbank Geführten , Getödteten und Begrabenen nachher nooh ein langes Leben verheifsen war: was lag den Jüngern näher, als ihre frühere jüdi- sche Vorstellung, oxi 6 XQigog ^tivn elg tut altova (Job. 12, 34 ), die ihnen im Tode Jesu untergegangen war, durch Vermittlung des Gedankens einer wirklichen Wie- derbelebung des Getödteten wiederherzustellen, und zwar, da es messianisches Attribut war, einst die Todten leib- lich zu erwecken , ihn gleichfalls in Form der avagaaig iu das Leben zurückkehren zu lassen ?

Indefs, wenn doch der Leichnam Jesu an einem be- kannten Platze beigesetzt war , und an diesem (sofern wir weder einen Diebstahl, noch eine zufällige Entfernung des- selben postuliren mögen) aufgesucht und nachgewiesen werden konnte: ist es schwer zu begreifen, wie die Jün- ger in Jerusalem selbst, und nicht Tolle zwei Tage nach der Beerdigung, meinen und aussagen konnten, Jesus sei auferstanden, ohne durch den Augenschein'am Grabe sich selbst zu widerlegen, und Ton ihren Widersachern (de- nen sie freilich erst an Pfingsten etwas von der Auferste- hung ihres Messias eröffnet zu haben scheinen) (widerlegt su werden zs). Hier ist es nun, wo der mit Unrecht zu- rückgesetzte Bericht des ersten Evangeliums lösend und be- friedigend eintritt. Auch nach diesem Evangelium erscheint zwar der Auferstandene einmal noch in Jerusalem, aber nur den Weibern, und so sehr blofs auf eine folgende Zu- sammenkunft, und zwar auf Uberflüssige Weise, vorbereitend, dafs schon oben diese Ercheinong bezweifelt, nnd nur als ei-

23) Vgl. FiusDRiCH , in Eickhofs Bibliothek, 7, S. 223.

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004 Dritter Abschnitt.

ne spätere Umgestaltung der Sage von der Engelserscheinung, welche Matthäus neben ihr noch Aufnahm , hingestellt wur- de M). Die Eine Haupterscheinung Jesu nach der Aufer- etehung fällt bei Matthäus nach Galiläa, wohin ein En- gel und Jesus selbst am letzten Abend seines Lebens und am Auferstehungs morgen aufs Angelegentlichste verweisen, und wohin auch das vierte Evangelium im Machtrag eine (fartQtüoig des Wiederbelebten verlegt. Dals sich die durch den Schrecken Über die Hinrichtung Ihres Messiaa ver- sprengten Jünger in ihre Heimath Galiläa zurückzogen, wo aie nicht, wie in der Hauptstadt Judäa's, dem Sitze der Feinde ihres gekreuzigten Christus, nöthig hatten, did %6v q>6/)oy i w v *fudal(dv die Thören su verschliefsen , war na- türlich; hier war der Ort, wo aie allmählig wieder freier aufathmen , und ihr darniedergesohlagener Glaube an Jesum sich wieder in den ersten Regungen erheben konnte ; hier aber auch, wo kein im Grabe nachzuweisen* der Leichnam die kühnen Voraussetzungen widerlegte, konnte sich allmählig die Vorstellung von der Auferstehung Jesu bilden; und bis diese Überzeugung den Muth und die Begeisterung seiner Anhänger so weit gehoben hatte, dafs aie es wagten , in der Hauptstadt mit derselben aufzutre- ten , war es nicht mehr möglich, durch den Leichnam Je- su sich seibat zu fiberführen , oder von Andern überführt su werden.

Nach der Apostelgeschichte swar sind die Jünger schoa am nächsten P fingst feste, sieben Wochen nach dem Tode Jesu, mit der Verkündigung seiner Auferstehung in Jeru- salem hervorgetreten, und auf die eigene Überzeugung von derselben bereits am zweiten Morgen nach seiner Grable- gung, durch Erscheinungen, die sie hatten , gekommen. Allein wie lange wird es noch anstehen , bis die Art , wie die A. G. den ersten Hervortritt der Jünger Jesu mit

24) Vgl. »ucli Sciuuiii'* BÜ>1. 2, 5. 543.

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Viertes Kapitel, $. 159. 605

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Verkündigung der neuen Lehre gerade auf das Fett der

Vorkttndigung des alten Gesetzes verlegt, als eine solche erkannt wird, weiche lediglich auf dogmatischem Grunde ruht, mithin historisch werthlos, uns auf keine Weise bindet, jene Zeit der stillen Vorbereitung in Galiläa so kurc zu setzen? Was aber das Andere betrifft wenn sieh auch die Stimmung der Jünger erst nach Verfinfs eini- ger Zeit bis zu der Höhe erhoben hatte , welche dazu ge- hörte, dafs dieser oder jener Einzelne rein aus seinem Innern heraus den erstandenen Christus sich auf visionäre Weise vergegenwärtigte, und ganze begeisterte Versamm- lungen ihn In jedem auffallenden Ton oder Anblick, der sich ihnen darbot, zu hören und zu sehen glaubten: so mufste man sich doch denken , dafs er, xaSozi öx rjvdwa- zov xyrcntloSm avtov ino %5 9avcrta (A# G. 2, 24.) , nur kurze Zeit im Grabe zugebracht habe. Zur näheren Bestim- mung dieses Zeitraums, wenn man sich nicht damit begnügen will, dafs die solenne Dreizahl von Tagen am nächsten lag, mochte sich, mag es nun historisch sein oder nicht, dafs Jesus am Abend vor einem Sabbat begraben worden, die Vor- stellung bieten , dafs er im Grabe nur eine Sabbatruhe ge- halten habe , also nQwt nQvivri oaßßdvwv auferstanden sei, was mit der runden Zahl von drei. Tagen durch die be- kannte Zählung vereinigt werden konnte *').

Hatte sich auf diese Weise die Vorstellung einer Auf- erstehung Jesu gebildet , so konnte diese nicht so einfach vor sich gegangen sein , sondern mufste mit allem Geprän- ge, welches die jüdische Vorsteilungs weise bot, umgeben

25) Ist etwa auch der dreitägige Aufenthalt de§ Jonas im Wall- fisch von Einfluss auf diese Zeitbestimmung gewesen, wel- cher freilich nur in Einem Evangelium in Beziehung mit derselben gesetzt wird? und die, oben, §. 112. Anm. 5., angeführte Stelle aus Hosca , welche übrigens im N. T. nir- gends benutzt ist ?

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666 Dritter Absohnitt.

und verherrlicht werden. Oer Hauptalerrath, welcher za diesem Behuf eu Gebote stand, waren Engel: diese mufs- ten daher das Grab Jesu eröffnet, nachdem er hervorge- etiegen war , an der leeren Stätte Wache gehalten , und den Weibern , welche , gleichsam als der beweglichere Vortrab der Anhängerschaft Jesu, und weil ohne Zweifel Weiber die ersten Visionen gehabt hatten, zuerst com Grabe gehen mufsten , von dem Vorgefallenen Nachricht gegeben haben. Da es Galiläa war, wo ihnen später Je- sus erschien, so wurde die Reise der Jünger dahin, wel- che nichts Anderes, als ihre durch Furcht beschleunigte Rückkehr in die Heimath war, von der Weisung eines Engels abgeleitet, ja Jesus selbst mufste schon vor seinem Tode, und, wie Matthäus gar au eifrig hinzufügt, auch nach der Auferstehung noch einmal, die Jünger dahin ge- wiesen haben. Ja weiter sich aber diese Erzählungen in der Überlieferung fortpflanzten, desto mehr mufste die Verschiedenheit der Localität der Auferstehung selbst nnd der Erscheinungen des Auferstandenen als unbequem ver- schwinden, und, da die Örtlichkeit des Todes und der Auferstehung feststand, die Erscheinungen allmählig in dieselbe Localitäe mit der Auferstehung, nach Jerusalem, verlegt werden, weiches als der glänzendere Schauplatz und als Sitz der ersten ehristliohen Gemeinde besondere dasu geeignet war

26) Die Auferstehungigeschichta ist eine der Parthieen , in wel- chen die mythische Erklärung durch Fcsthaltung einer hi- storischen Grundlage den Beweis giebt, dass es ihr keines- wegs um Auflösung der Geschichte zu thun ist, dass sie die- se vielmehr willig anerkennt und wohl zu schätzen weiss, sobald sie ihr auf glaubhafte Weise entgegentritt. Dass diess, unerachtet der vielen Kriterien des Mythischen, welche die evangelischen Berichte von der Auferstehung Jesu theils in ihrem wunderhaften Charakter, theils in dem Mangel an Zu- sammen! timmung , gegen sich haben, dennoch gerade hier

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Viertes Kapitel §. 139. 667

mit besonderer Entschiedenheit der Fall ist, bat darin sei- nen Grund , dass für das Factum des Glaubens an Jesu Wie- derbelebung aucb ausserhalb der evangelischen Erzählungen, in den Briefen des Paulus und Überhaupt in der Entstehung und dem Bestände der christlichen Gemeinde, sich die sicher- sten Zeugnisse finden. Damit aber sinkt unsre Ansicht Kei- nes wegs vom mythischen Standpunkte zu dem der natürlichen Erklärung herunter: sofern wir uns, unerachtet der Aner- kennung des Factums (nicht der Wiederbelebung selbst, aber des Glaubens an dieselbe, und vermeintlicher Erscheinungen des Auferstandenen) im Allgemeinen, doch allen und jeden Einzelheiten der Erzählungen gegenüber frei verhalten , und •ie als sagenhafte Gebilde behandeln«

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m Dritter Absobnitt.

n f te> Kapitel,

Die Himmelfahrt

«. J40.

Die letzten Anordnungen und Verheissungen Jesu.

Bei der letzten Zusammenkunft mit seinen Jüngern, welche nach Markus und Lukas mit der Himmelfahrt schloß lassen die drei ersten Evangelisten (der vierte batet*« Ahnliches schon bei der ersten Zusammenkunft) Jesum ietztwillige Verordnungen und Verheifsungen geben, wel- che sich auf die Stiftung und Verbreitung des meuiw sehen Reichs auf Erden bezogen.

Was die Verordnungen betrifft, so ernennt bei La- ■M (24, 47 f. A.6. 1,8.) Jesus scheidend seine Jünger m Zeugen seiner Messianita't , und beauftragt sie, von Jeru- salem an bis an die Enden der Erde in seinem Nsa*« imavoiav xal ayeoiv a/uaQtuov zu verkündigen. Bei Mar- cus (16, 15 f.) weist er sie an, in alle Weit auszugehen, und die frohe Botschaft des durch ihn gestifteten Mei««* reichs ailer Creatur zu bringen; wer glaube und sich tso- fen lasse, werde gerettet, wer aber nicht glaube, (im be- vorstehenden messianischen Gerichte) verurtheiit werden. Bei Matthaus (28, 19 f.) werden die Jünger ebenfalls be- auftragt, nana %a i{h>q zu Schülern Jesu zu machen, dabei wird die Taufe nicht blofs beiläufig, wie bei M«* kus, erwfihnt, sondern als ausdrückliche Verordnung ^ hervorgehoben , und noch dazu als Taufe eig ro orofta t* natQQQ xal tu vis xal %h ayln nvevfiatog naher bestimm'.

Was hiebe! dem entgegensteht, dafs Jesus seinen Jö"* gern den ausdrücklichen Befehl gegeben haben *oil, «ucb

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Fünfte« Kapitel. 5. 140.

6fi9

an Heiden sich mit der evangelischen Verkündigung zu wenden, ist schon früher bemerklich gemacht worden *). Aber auch der zuletzt angegebenen näheren Bestimmung der Taufe steht das entgegen, dafs eine solche Zusammen- stellung von Vater, Sohn und Geist sonst nur in apostoli- schen Schriften als Grufsformel (2. Kor. 13, 13: ?] x«l}tS tu KöqIö X X. x. %• *1» nähere Bezeichnung der Taufe aber im ganzen N. T. einzig \n der angeführten Stelle des ersten Evangeliums anzutreffen ist: wogegen in den apo- stolischen Briefen und auch in der A. G. die Taufe nur als ßanti&tv dg XQigov *fyoöv> oder elg zo ovofta KvqIh *IrtOH und auf ähnliche Weise bezeichnet wird (Rom. 6, 3. Gai. 3, 27. A. G. 2, 38. 8, 16. 10, 48. 19, 5.), und erst bei Kirchenschriftstellern, wie Justin2), dieselbe dreifache Beziehung auf Gott, Jesum und den Geist sich findet. Auch lautet die Formel bei Matthäus schon so ganz wie aus dem kirchlichen Ritual, dafs es nicht wenig Wahrscheinlichkeit hat, sie aus diesem in Jesu Mund übergetragen zu den- ken. Defs wegen aber diese Stelle als Interpolation aus dem Texte zu werfen *) , ist man nicht berechtigt, da, wenn man Alles dasjenige in den Evangelien, was Jesu nicht begegnet, von ihm nicht so gethan und gesprochen sein kann, fifr eingeschoben erklären wollte, der Interpolatio- nen leicht zu viele werden dürften. Insofern ist mit Recht von Anderen die Ächtheit der Taufformel vertheidigt wor- den *); aber indem ihre Gründe für die Behauptung, die- selbe sei sch in von Jesu selbst auf diese Weise vorgetra- gen worden , nicht ausreichen : vereinigen sich beide An-

1) Band 1. §. 67.

2) Apol. I, 61.

3) Wie Trllir, im cxcurs. 2. ad Burneti l. de fide et offic. Christ, p. 262.

4) Pic Schrift von Bicmuus , über die Ächtheil der sog. Tauf- formel, 1794, fand allgemeine Zustimmung.

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670 Dritter Abschnitt.

sichten in der dritten, dafs diese nähere Bestimmung der Taufe zwar dem ursprünglichen Contexte des ersten Evan- geliums angehöre , ohne Jedoch schon von Jesu so vorge- tragen worden zu sein *). Überhaupt, sei es, dafs laut des vierten Evangeliums die Jünger schon zu Lebzeiten Jesu tauften, oder dafs sie erst nach seinem Tode diesen Ritus tum Zeichen der Aufnahme in die neue messianische Gaseilschaft machten; jedenfalls war es ganz in der Art der Sage, die Anweisung dazu, wie zum Ausgang in alle Welt, -dem scheidenden Christus als letzte Willenserklä- rung in den Mund zu legen«

Die Verheifsungen , welche Jesus scheidend den Sei« nigen giebt , beschränken sich bei Matthäus, wo sie aus- schließlich an die Eilfe gerichtet sind, einfach darauf, dafs er, dem als Messias alle Gewalt im Himmel und auf Er- den übertragen worden, auch während des gegenwärtigen alu)v immer unsichtbar bei ihnen sei, bis er mit der owi . - Xeia desselben in beständige sichtbare Gemeinschaft mit il - neu treten werde: ganz der Ausdruck des Bewufstsein*, wie es sieh nach Ausgleichung der Schwankungen, welche der Tod Jesu erregt hatte, in der ersten Gemeinde bil- dete« Bei Markus erscheinen die letzten Verheifsungen Jesu aus der Volksmeinung genommen, wie sie zur Zeit der Abfassung dieses Evangeliums über die wunderbaren Gaben der Christen gangbar war. Von den orueioig, wel- che den Gläubigen überhaupt hier verheifsen sind, mag das XaXtiv yltiooaig (xaivaig) im Sinne von 1. Kor. 14., nur nicht in dem bereits mythischen von A. G. 2. 6) , in der ersten Gemeinde wirklich vorgekommen sein; ebenso das datfwvia ixßukXuv, und auch dafs Kranke durch den Glau- ben an die Kraft der Inl&taig yuywv eines Christen gena«

5) Vgl. sb Witts, kune Au»leg. des Ev. Matth. S. 246. 15) Vgl- Baür, dar Tübinger Zeitschrift für Theologie, Jahr- gang 1850, 2, S. 75 ff.

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Fünfte* Kapitel. 5. 140. 671

aen, läfst sich auf natürliche Weise denken: dagegen hat das o(fug oIquv (vgl. Loc. 10, 19.) nnd der Gennfs tödtli- eher Getränke, ohne Schaden En nehmen, wohl immer nur in iitr abergläubischen Volksmeinung eine Stelle gehabt, nnd am wenigsten hätte Jesus auf dergleichen Dinge, als Zeichen seiner Jüngerschaft, einen Werth gelegt Bei Lukas ist der Gegenstand der letzten Verheifsung Jesu die dvvctftig vipng, welche er, gemäfs der inayyellct %h natQogf den Aposteln schicken, und deren Mittheilung sie in Je* rusalem abwarten sollten (24, 49.), und A. G. 1 , 5 ff . be- stimmt Jesus diese Kraft mitf Ii ei Jung näher alt eine Taufe mit dem nvavfia ayiov, welche nach wenigen Tagen den Jüngern zu Theil werden, und sie cur Verkündigung des Evangeliums befähigen werde. Mit diesen Stellen des Lnkas, welche die Mittheilung des heiligen Geistes in die Tage nach der Himmelfahrt setzen, acheint die Nachricht des vierten Evangeliums im Widerspruche zu stehen, dafs Jesus schon in den Tagen seiner Auferstehung, nnd zwar bei der ersten Erscheinung im Kreise der Eilfe, ihnen den heiligen Geist mitgetheilt habe. Joh. 20, 22 f. lesen wir nämlich, dafs Jesus, bei verschlossenen Thören erschei- ne nd , die Jünger angeblasen, nnd gesprochen habe: Aa— ßtie nrttftcc aytov, womit er die Befugnifs, Sünden eu er- lassen und zu behalten, verbunden habe.

Hätte man Uber die Mittheilung des jivevfta blofs diese Stelle, so würde jedermann glauben, die Jünger haben es schon damals von dem persönlich gegenwärtigen Jesus, und nicht erst später nach seiner Erhebung znm Himmel, mitgetheilt bekommen. Aber in harmonistischem Interesse hat schon Theodor von Mopsvestia, wie Jetzt X holuck, ge- schlossen, das laßere bei Johannes müsse in der Bedeu- tung von \rt\pea$e genommen werden, weil ja nach Lukas der heilige Geist den Jüngern erst später, am Pfingstfeste, mitgetheilt worden sei. Allein, wie wenn er einer solchen Verdrehung vorbeugen wollte, fügt der johanneische Jesus

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072 Dritter Abschnitt

seinen Worten die sinnbildliche Handlung des Anhauchen* hinan, welche anfs Unverkennbarste das Xapßaveiv des rwevfia als ein gegenwärtiges darstellt T). Die Aasleger freilich wissen auch dieses Anblasen an elndlren , indem sie ihm dem Sinn unterlegen: so gewifs sie Jesus jetzt an- hauche, so gewifs sollen sie künftig den heiligen Geist be- kommen *)• Aliein das Anblasen ist eben so entschieden Symbol einer gegenwärtigen Mittheilung, als die Handanfle* gung, und wie also diejenigen, auf welche die Apostel die Hände legten, auf der Stelle vom nvevtta erfüllt wurden (A.G. 8, 17« 19, 6.): so mufs sich jener Stelle zufolge der Verfasser des vierten Evangeliums gedacht haben, die Apostel haben eben damals von Jesu den Geist mitgetheilt bekommen* Cm

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nun weder gegen den klaren Sinn des Johannes läugnen cu müssen, dafs wirklich schon nach der Auferstehung eine Gen stesmittheilang an die Jttnger stattgefunden , noch auch mit Lukas in Widerspruch au kommen, welcher die Ausgie- fsnng des Geistes später setzt, nehmen jetzt die Ausleger gewöhnlich Beides an, dafs sowohl damals als später den Aposteln nvtüua verliehen, am Pfingstfeste die frühere Mit- theilung nur vermehrt und vollendet worden sei *)• Oder näher, indem schon Matth. 10, 20. von dem nvevfta zu natQog die Rede ist, welches die Apostel bei ihrer ersten Missions- reise unterstützen sollte , so wird angenommen , einige hö- here Kraft haben sie schon vor jener Reise , bei Lebzeiten Jesu, bekommen; hier, nach der Auferstehung, habe er ihnen diese Kraft erhöhl ; die ganze Fülle des Geistes aber sei erst am Pfingstfest über sie ausgegossen worden l0). Aber was nun die Unterschiede dieser Stufen gewesen seien, und worin namentlich die diefs malige Vermehrung der Geistes-

7) Lucki, Comm. z. Joh. 2, S. 686.

8) Liss, Auferstehungsgeschichte, S. 28i J HuikÖl, z. d. St.

9) Lvcki, S. 687.

10) •. bei Micha klis, Begräbnis«- und Auferstehungsgeschicbte, S. 268. Olshavskn, 2.

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Fünftes Kapitel. $. 140. 673

gaben bestanden baben solle, ist, wie schon Michaelis be- merkt hat, nicht abzusehen. War den Aposteln das er- stemal die Wunderkraft (Matth. 10, 1. 6.) nebst der Gabe der Parrhesie vor Gerieht (V. 20.) mitgetheilt norden : so konnte es nur etwa noch die richtigere Einsicht in die Geistigkeit seines Reiches gewesen sein, was ihnen Jesus durch das Anblasen verlieh; allein diese hatten sie ja un- mittelbar vor der Himmelfahrt noch nicht, wo sie nach A. G. 1, 6. fragten, ob mit der Geistesmittheilung in den nächsten Tagen die Wiederherstellung des Reiches Israel verbunden sein werde? Aiinmt man aber an, nicht neue Vermögen seien den Jüngern bei jeder folgenden Geistes- mittheilung verliehen, sondern das mit allen Vermögen schon in ihnen Vorhandene nur erhöbt worden: so muls es doch au Ii allen, dafs kein Evangelist neben einer früheren Mit- theilung noch einer spateren Vermehrung gedenkt, son- dern, ausser einer beiläufigen Erwähnung des apologetischen nrtvfta bei Lukas (12, 12.), welche, weil sie hier nicht, Wie bei Matthäus, mit einer Aussendung zusammenhängt, nur als liinweisnng auf die Zeit nach der späteren Aus- giefsung des Geistes erscheinen kann , gedenkt jeder blofs Einer solchen, und iäfst diese die erste und letzte sein: tum deutlichen Beweise, dafs jene Zusammenstellung dreier derselben , als verschiedener Stulen , nur durch das haiv monistische Bestreben in die Urkunden hineingetragen ist.

Drei verschiedene Ansichten also Über die Mittheilung des nvtlfia an die Jünger Jesu finden sich im N. T., wel- che in zweifacher Hinsicht einen Klimax bilden. Der Zeit nach nämlich setet Matthäus die Mittheilung am frühsten: noch in die Periode des natürlichen Lebens Jesu; Lukas am spätesten : in die Zeit nach seinem völligen Abschied von der Erde; Johannes in eine mittlere Zeit: in die Tage der Auferstehung. Die Fassung des Factums dieser Mit- theilung aber ist bei Matthäus die einfachste, am wenig- sten sinnliche, indem er keinen besondern und äusserlicb Das Leben Jesu 2te Auß. 2. Band. 43

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ort

Dritter Abschnitt.

anschaulichen Mfttheilungsact hat; Johannes hat bereits einen solchen in der Handlang des Anblasens; bei Lukas in der A. G ist das sanfte Anhauchen zum heftigen Stur- me geworden, der da* Haus bewegt, und mit welchem sich noch andre wunderbare Erscheinungen verbinden. Von diesen beiden Stufenreihen steht die eine zur histori- schen Wahrscheinlichkeit in umgekehrtem Verhältnifs als die andere. Dafs so früh, wie Matthäus b erichtet , das

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nrfvftaj welches, übernatürlich oder natürlich gefafst, doch immer die begeisternde Kraft des christlich raodifi- cirten MessianUmus ist, den Anhängern Jesu zu Theil ge- worden sei , wird durch seine eigene weitere Darstellung widerlegt, laut welcher sie eben jene christliche Modtfica- tion , das Moment des Leide is und Todes im Begriffe des Messias, noch lange nach jener Aussendung Matth. 10. nicht begriffen hatten; und da jene Iustructionsrede auch sonst Bestandteile enthalt, welche erst auf spätere Zeiten •»nd Verhältnisse passen : so kann leicit auch die fragliche Ycrheifsung aus dem spateren Erfolg in jene frühe Zeit zurückgetragen sein. Erst nach dem Tod und der Auf- erstehung Jesu lafst sich die Entwicklung dessen, was das JN. T. das nv€i\ua üyiov nennt, in den Jüngern denken, und insofern steht die johanneische Darstellung der Wahr- heit naher, als die des Matthäus; doch, da gewifs niclt schon zwei Tage nach dem Kreuzestod* Jomi iter im vori- gen §. beschriebene Umschwung in der Stimmung seiner Anhänger erfolgt war, so trifft auch der Bericht des Jo- hannes die Wahrheit nicht so nahe, wie der des Lukas, welcher doch wenigstens 50 Tage Rur Ausbildung der neuen Ansichten in den Jüngern Frist giebt. Umgekehrt stellen sich die Erzählungen zur geschichtlichen Wahrheit durch den andern Klimax. Denn je sinnlicher uns die Mittheiliing einer geistigen Kraft, je mirueulöser die Aus« bild im» einer Stimmung, weiche auf natürliche Weise ent- stehen konnte, je momentaner endlich die Entstehung ei-

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Fünftes Kapitel. $. 140. 075

ner Tüchtigkeit, welche nur allmählig sich ausgebildet haben kann, dargestellt ist: desto weiter liegt ei i»e solche Darstellung von der Wahrheit ab , und in dieser Hinsicht stünde ihr also Matthäus am nächsten, Lukas am entfern- testen. Erkennen wir somit in der Darstellung des letzteren Hie am weitesten fortgeschrittene Tradition, so kann es Wun- der nehmen , wie hienach die Überlieferung in entgegenge- setzter Weise gewirkt haben müTste : in Bezug auf die Be- stimmung der Art und Form jeuer Mittheilung von der Wahrheit entfernend, in Betreff der Zeitbestimmung aber dem Richtigen annähernd. Doch diefs erklart sich, sobald man bemerkt, dafs auch zu den Änderungen in der Zeit- bestimmung die Tradition nicht durch kritisches Forschen nach Wahrheit, welches freilich an ihr befremden müfste, sondern durch dieselbe Tendenz, jene Mittheilung als ein- zelnen Wunderact hinzustellen, verleitet wurde, wie zu der andern Abänderung. Sollte nämlich Jesus durch ei- nen besondern Act seinen Jüngern da« imvfiU verliehen haben: so raufste es angemessen erscheinen, diesen Act in den Standseiner Verherrlichung, d. h. also entweder mit Jo- hannes in die Zeit nach der Auferstehung, oder noch bes- ser mit Lukas auch noch nach der Himmelfahrt, zu ver- setzen, wie ja das vierte Evangelium ausdrücklich bemerkt, zu Jesu Lebzeiten habe es noch kein TMVfia uytor gege- ben, uii 'Iqo&g idinia iöo^da^r (7, 39.).

Diese Fassung der Ansicht des vierten Evangeliums über die Mittheilung des Geistes an die Jünger bewährt sich als die richtige noch dadurch, dafs sie auf eine frü- her unentschieden gelassene Dunkelheit in diesem Evange- lium ein unerwartetes Licht zurückwirft. In den Absjrhieds- reden Jesu nämlich konnte der Streit nicht geschlichtet werden, ob das, was Jesus dort von seiner Wiederkunft sagt, auf die Tage seiner Auferstehung, oder auf die Aus- giefsung des Geistes zu beziehen sei , weil für das Erstere die Beschreibung jener Wiederkunft als eines Wiederse-

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(?7ß Dritter Abschnitt.

hens, für das Letztere die Bemerkung, rUfs sie in jener Zeit ihn nichts mehr fragen, ihn ganz verstehen würden, gleich entscheidend zu sprechen schien: ein Zwiespalt, der soft Erwünschteste geschlichtet ist, wenn nach der Ansicht des Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Aufer- stehung fiel. Zunächst zwar sollte man freilich denken, diese Mittheilung, zumal mit derselben bei Johannes die ärmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten nnd die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Be- haltung der Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.), möge sich eher an den Schlufs , als für den Anfang der Ercheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenar- versammlung der Apostel eher, als in eine, wo Thotoss fehlte , geeignet haben; allein defs wegen mit Olshacsek anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegeo die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an, während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft ge- höre, bleibt immer eine unerlaubte Willkühr ; statt deren mau vielmehr anerkennen mufs , dafs der Verfasser des vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als die Häupter. ^hejoung, die nach acht Tagen nur als eine Nach- holung zu Gunsten des Thomas angesehen hat. Die Er- scheinung Kap. 21. ist ohnehin ein Nachtrag, der dem Ver- fasser , al*>r das Evangelium schrieb, entweder noch nicht bekannt, oder doch nicht gegenwärtig war.

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5- 141.

Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als

natürliches Ereignis».

Uber die Himmelfahrt Jesu haben wir im N. T. drei Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und An- schaulichkeit eine Stufenreihe bilden. Markus, in seinem letzten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen, sagt nur, nachdem Jesus zum letztenmale mit seinen Jün- gern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben

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Füiiite* Kapitel. §. 141. 677

worden Cdielrrpth,) und habe sich zur Hechten Gottes ge- setzt (16, 19.)* Kaum anschaulicher heilst es im Luka** evangelium : Jesus habe seine Jünger e3-ai i'tog tig Brftaviu» hinausgeführt, und während er hier mit aufgehobenen Händen ihnen den Segen ertheiite , habe er sich von Ihnen entfernt idügyh un(* *ei EUD> Himmel erhüben worden (aye— qi<itio)\ worauf die Jünger anbetend niedergefallen , und sofort mit Freuden nach Jerusalem umgekehrt seien (24, SO ff. )■ Im Eingang der Apostelgeschichte führt diefs Lu- kas weiter aus. Auf dem Olberge, wo Jesus seinen Jün- gern die letzten Befehle und Verl eifsungen gab» wm-de tr Tor ihren Augen aufgehoben (an/o/ir), und eine Wolke nahm ihn auf, die ihn ihren Blicken entzog. Hie Jünger schauten ihm nach, wie er auf der Wolke in den Himmel hinein sich entfernte: da a tan den plötzlich zwei Männer in weifsen Gewändern bei ihnen, und brachten sie ?on ihrem Nachsehen durch die Versicherung ab , da(s der ihnen entnommene Jesus auf dieselbe Weise, wie er so eben in den Himmel sich erhoben, wieder vom Himmel kommen, werde; worauf sie befriedigt nach Jerusalem umkehrten Cl, 1-12.).

Der erste Eindruck dieser Erzählung ist offenbar, dafs sie einen wunderbaren Vorgang, eine wirkliche Er- hebung Jesu in den Himmel, als den Wohnsitz Gottes, und eine Bestätigung desselben durch Engel berichten wolle; wie ältere und neuere Orthodoxe mit Recht behaupten. Es fragt sich nur, ob sie uns auch über die Schwierig- keiten hinüberhelfen können, welche es hat, einen solchen Vorgang sich denkbar zu machen. Hie eine Hauptschwie- rigkeit ist, wie ein tastbarer Leib , welcher noch oaQxce yai o;/of hat, und materielle Nahrung geniefst, für einen Über- irdischen Aufenthalt tauge? wie er sich auch nur dem Ge- setz der Schwere so weit zu entziehen vermöge, um eines Aufsteigens durch die Lüfte fähig zu sein? und wie Gott eine so widernatürliche Fähigkeit dem Leibe Jesu durch ein

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GTS Dritter Abschnitt.

Wonder habe geben mögen M? Das Einsige, was man hier etwa noch sagen kann, ist, die gröberen Tbeüe , wei- ehe der Leib Jesu auch nach der Auferstehung noch! te, seien vor der Himmelfahrt noch entfernt worden , and nur der feinste Extract seiner Körperlichkeit nl* Hülle der Seele mit gen Himmel gefahren 2). Allein da die Jün- ger, welche bei der Himmelfahrt Jesu zugegen waren, nichts davon bemerkten, dafs von seinem Leib ein Resi- duum zurückgeblieben wäre, so führt diefs entweder anf die oben erwähnte Absurdität einer Verdunstung des Leih* Jesu in Form der Wolke, oder auf den ÜLSHAUsEN'scbeu Läaterungsprocefs , welcher auch nach rfer Auferstehung noch nicht, sondern erst im Augenblicke der Himmelfahrt Vollendet gewesen sei ; ein Procefs , welcher nur wunder- lich sc'nell in dieser letEten Zeit mit retrograden Bewe- gungen gewechselt haben müfste , wenn doch Jesus bei'm Eindringen in das verschlosseoe Versa m ml ungszimmer der Jünger einen immateriellen, unmittelbar hierauf, als Tho- mas ihn befühlte, einen materiellen, endlich bei der Him- melfahrt wieder einen immateriellen Leib gehabt haben tollte. Die andere Schwierigkeit liegt darin, dafs nach richtiger Weitvorstellung der Sitz (iottes und der Seligen, zu welchem Jesus sich erhoben haben soll, keineswegs im oberen Luftraum, überhaupt an keinem bestimmten Orte au suchen ist, sondern diefs gehört nur zur kindlich be- sthränkten Vorstellungsweise der alten Weit. Wer zu Gott und In den Bezirk der Seligen kommen will, der, dos wissen wir, macht einen überflüssigen Umweg, wenn er zu diesem Behuf in die höheren Luftschichten sich empor- schwingen zu müssen meint, und diesen wird Jesus , je

1) Gabler, im neuesten thcol. Journal, 3, S. 417., und in der Vorrede zu Giukshach's opusc. acad. p. XCVI. Vgl. IUi.Voi, in Marc. p. 222.

J) Seiler, bei Kuiisöl, a. a. 0. , S. 225.

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Fünftes Kapitel. $.141. fft

vertrauter er mit Gott und göttlichen Dingen war, gewifs nicht gemacht haben, noch Gott ihn denselben haben ma- chen lassen 3). Man müTste also nur etwa eine göttliche Aecommodation an die damalige Weltvorstellung annehmen, und sagen: um die Jünger von dem Zurückgang Jesu in die höhere Welt zu überzeugen, habe Gott, obgleich diese Welt der Wirklichkeit nach keineswegs im oberen Luft* räum zu suchen sei , doch das Sjiectakel einer solchen Er- hebung veranstaltet ; was aber Gott zum täuschenden Schau* spieler machen heifst.

Als einen Versuch , solchen Schwierigkeiten und Un- gereimtheiten uns zu entheben , müssen wir die natürliche hrk Sflruog dieses Factums willkommen heifsen *). Sie un- te^oheidct in den evangelischen Erzählungen von der Him- melfahrt das Angeschaute von dem durch Raisonnement Erschlossenen. Freilich, indem es in der A. G. heil' t: {iie.torzrov avtwv iivqQxh] : so scheint hier eben die Erhö- hung in den Himmel als angeschautes Factum dargestellt zu werden. Hier soll nun aber inrßöt) nicht eine Erhe- bung über den Boden, sondern nur diefs bedeuten, dafs Jesus, um die Jünger zu segnen, sich hoch aufgerichtet habe, und ihnen dadurch erhabener erschienen sei. Si>- fort wird aus dem Schlüsse des Lukasevangeliums das ditcq herübergeholt, in der Bedeutung, dal» Jesus, indem er sich von seinen Jüngern verabschiedete, sicli entfernter von ih- nen gestellt habe. Hierauf sei in ähnlicher Weise, wie auf dem Verklärungsberge, ein Gewölke zwischen Jesum und die Jünger getreten, und habe ihn , in Verbindung mit den zahlreichen Ölbäumen des Bergs, ihren Blicken entzogen, was sie daun auf die Versicherung zweier unbekannten

3) Vgl. Paulus, exeg Handb. 3, b, S. 921. us Warnt, Religion und Theologie , S. 161.

4) Wie sie namentlich Paulus gtebt, a. a. O. S. 910 ff. L. J. 1, b, S. 518 ff.

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tiso Dritter Abschnitt.

Männer hin für eine Aufnahme Jesu in den Himmel gehal- ten haben. Allein , wenn Lukas in der A. 6. das inr^O^tj unmittelbar mit der Angabe verbindet: xal veq&Xrj {mila- ßev ai TOv: so soll doch wohl jene Erhebung die Einleitung e«i dem Aofgenoui inen werden dnrh die Wolke sein ; wat sie nicht ist, wenn sie nur ein Sichaufrichten, sondern nur, wenn sie eine Erhebung Jesu Ober den Boden war da nur in diesem Falle eine Wolke sich ihm tragend ond ver- hüllend unterschieben konnte, was in vrriXaßev enthalten ist. Ebenso, wenn im Lukasevangelium das ddp} oV av- twv ais etwas iv t$ evloyeiv avzdv avrag Vorgegangenes dargestellt wird , so wird doch Niemand, während er ei- nem Andern den Segen ertheilt, von ihm weggehen: wo- gegen es sehr passend erscheint , dafs Jesus wffhrend der Ertheilung des Segen* an die Jünger in die Höhe gehoben wurde, und so noch von oben herab die segnenden Hända Aber sie breitete. Die nstOrliche Erklärung des Verschwin- den*; in der Wolke fallt hieinit von selbst hinweg; in der Voraussetzung aber , dafs die zwei Weißgekleideten natür- liche Menschen gewesen seien , tritt schliefslich noch ein- mal besonders stark die liABRDTisch* VsNTURiNische, von Pau- xus aar verdeckte, Ansicht hervor, dafs mehrere Haupt- epochen im Leben Jesu, besonders seit seiner Kreuzigung, durch geheime Verbündete bewirkt gewesen seien. Und Jesus selbst, wie soll es ihm denn dieser Vorstellung ge- jntifs nach jener ieuten Entfernung von seinen Jüngern weiter ergangen sein ? Wollen wir mit Bshrdt eine Es- senerloge träumen, in welche er sich nach vollbrachtem Werke Strick gezogen habe? und mit Brmhbcke dafür, dafs Jesus noch Hingere Zeit im Stillen zum ßesten der Menschheit fortgewirkt habe, auf seine Erscheinung zum Jiehuf der Bekehrung des Paulus uns berufen, welche doch , die Erzählung der A. G. geschichtlich genommen, mit Umständen und Wirkungen verbunden war, die kein natürlicher Mensch, wenn auch Mitglied eiues geheimen

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Fünfte« Kapitel. §. 142. 081

Ordens , hervorbringen konnte. Oder will man mit Pau- lus annehmen, bald nach dieser leteten Zusammenkunft sei der angegriffene Leib Jesu den erhaltenen Verletzungen erlegen : so kann diefs doch nicht wohl in den nächsten Augenblicken, nachdem er so eben noch rüstig mit seinen Jüngern eusammen gewesen war, geschehen sein, so dafs die zwei hinzutretenden Männer Zeugen seines Verschei- dens gewesen wären, welche übrigens auoh in diesem Falle gar nicht der Wahrheit geraäfs gesprochen hätten ; lebte er aber noch längere Zeit, so müfste er die Absiebt gehabt L iben , von jenem Zeitpunkt an bis au seinem Bude in d*>r Verborgenheit einer geheimen Gesellschaft au bleiben, der dann wohl auch die zwei Weißgekleideten angehör- ten, welche den Jüngern, ohne Zweifel mit seinem Vor- wissen, seine Erhebung eum Himmel einredeten , eine Vorstellung, von welcher sich auch hier, wie immer, der gesunde Sinn mit Widerwillen abwendet.

$. 142.

Das Ungcnilgende der Nachrichten Uber Jesu Himmelfahrt.

Deren mythische Auffassung.

Am wenigsten unter allen N. T.lichen Wunderge- schichten war bei der Himmelfahrt ein solcher Aufwand unnatürlichen Scharfsinns nöthig, da die historische Gel- tung dieser Erzählung nicht allein für uns, die wir kei- nen wirklich Auferstandenen, mithin auch keinen haben, der gen Himmel gefahren sein könnte, sondern an sich und auf jedem Standpunkte, ganz besonders schwach verbürgt ist. Matthäus und Johannes, der gewöhnlichen Vorstel- lung nach die beiden Augentengen unter den Evangelisten, erwähnen ihrer nicht; nur Markus und Lukas berichtt n dieselbe; während auch in den übrigen tt. T. liehen Schrif- ten bestimmte Hinwetsungea auf sie fehlen. Doch ehen diese* F«»I»Ihii der Himmelfahrt im übrigen N. T. laug neu die orthodoxen AuJeger. Wenn Jesus bei Matthäus (26,

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6S2 * Dritter Abschnitt.

64.) vor Gericht versichere, von fetet an werde man des Menschen Sohn stur Rechten der Kraft Gottes sitssen se- hen: so sei hit bei doch wohl auch eine Erhebung dahin, mithin eine Himmelfahrt, vorausgesetzt; wenn er bei Jo- hannes (3, 13.) sage, keiner Sei in den HimmeJ gestiegen, ausser dem vom Himmel gekommenen Menschensohne, und ein andermal (6, 62.) die Jünger darauf verweise, dafs sie ihn einst dahin würden aufsteigen sehen, wo er vorher gewesen sei; ferner, wenn er am Morgen nach der Auf- erstehung erkläre, noch nicht zu seinem Vater aufjreshV gen zu sein , aber demnächst sich dahin zu erheben (20, 17.) : so könne es deutlichere Hinweisungen auf die Him- melfahrt nicht wohl geben; ebenso, wenn die Apostel in den Acten |p ofr von Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes sprechen (2, 33. 5, 31. vgl. 7, 56.), und Paulus ihn als iraßäg vnSQqt«) navtun' raiv xoarwv (Kph. 4, 10.) , Petrus als noQ€V&e)$ flg eoarov darstelle (1. Petr. 3,22.): so kön- ne kein Zweifel sein, dafs sie nicht alle von seiner Him- melfahrt gewußt haben *). Alle diese Stellen jedoch, mit Ausnahme etwa der einzigen Job. 6, 62., welche von ei- nem &eiooe7v uYccicurmna iov vtov r~i urünumu spricht, enthalten nur überhaupt eine Erhebnng in den Himmel, ohne Andeutung, dafs sir ein «unseres, sichtbares, und zwar von den Jüngern mitnngeschautes Factum gewesen. Vielmehr, wenn wir 1. Kor. 15, 5 ff. finden, wie Paulus die ihm zu Theii gewordene Erscheinung Jeso, welche lange nach der voraussctzlichen Himmelfahrt stattfand, mit den Christophanicen vor dieser Epoche so ohne alle Un- terbrechung oder Andeutung irgend eines Unterschieds zu- sammenstellt: so mufs man zweifeln, nicht blofs, ob alle

i) Seilir, hei Kuxxöl, a. a. O. S. 221. Olskausbk , S. 591 f- Vgl. Griesbach , locorum N. T. ad •sccnsionem Christi in coelum spcctantium sylloge. In s. opusc. acad. ed. Gablk». Voi. 2, 5. 48* ff.

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Fünftes Kapitel. §.142. 06*

Erscheinungen, die er ausser der seinigen aufzählt, vor die Himmelfahrt fallen 2), sondern, ob der Aposel überhaupt von einer Himmelfahrt als äusserem, den irdischen Wan- del des Auferstandenen beschließenden Factum etwas ge- wufst haben könne? In Bezug auf den Verfasser des wer- ten Evangeliums aber zwingt uns bei seiner Bildersprache das tew^ie schwerlich, ihm ein Wissen am die sichtbare Himmelfahrt Jesu zuzuschreiben, da er von einer solchen am Schlüsse seines Evangeliums nichts erzählt.

Die Ausleger freilieh haben sich alle ersinnliche Mü- he gegeben, das Fehlen einer Erzählung von der Himmel- fahrt im ersten und vierten Evangelium auf eine, der Au- ctorität dieser Schriften, wie der historischen Geltung jenes Factums, unschädliche Weise zu erklären. Die Himmel- fahrt Jesu zu erzählen, soll den Evangelisten, welche sie verschweigen, theils als unnuthig, theils als unmöglich er- schienen sein. Als unuürhig entweder an und für sich, we- gen der minderen Wichtigkeit des Ereignisses *) ; oder mit Rücksicht auf die evangelische Uberlieferung, durch wel- che sie allgemein bekannt war ; Johannes insbesondre soll sie aus Markus und Lukas voraussetzen1); oder end- lich sollen sie dieselbe, als nicht mehr zum irdischen Le- ben Jesu gehörig, in ihren Schriften, die nur der Beschrei- bung dieses Lebens gewidmet waren, Übergangen haben 6). Allein zum Leben Jesu, und zwar namentlich zu dem räth- selhaften , wie er es nach der Rückkehr aus dem Grabe

2) Schmckswburgkr, über den Urspr. u. s. f. S. 19. 5) Olshausek, S. 593 f.

4) Selbst Farmern, ermattet am Schlüsse seines Geschäfts, schreibt in Matth, p. 855 : Malthaeus Jesu in coelum abitum non commemoravity quippe nemini ignotum.

5) Michakms, a. a. 0. S. 552.

6) Die Abhandlung: warum haben nicht alle Evangelisten die Himmelfahrt Jesu ausdrücklich miterzählt? in Flatt'S Maga- zin, 8, S. 67.

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Dritter Abschnitt.

geführt haben soll, gehörte die Himmelfahrt so notwen- dig als Schlufspunkt, dafs dieselbe, gleichviel, ob allgemein bekannt oder nicht, ob wichtig oder unwichtig, schon um des ästhetischen Interesses willen, das auch der ungebil- dete Schriftsteller hat, seiner Erzählung einen Schlufs au geben, von jedem Evangelienschreiber, der von derselben wufste, am Ende seines Berichts, wenn auch noch so sum- marisch, erwähnt werden mufste, um den sonderbaren Ein- druck au vermeiden, welchen des erste, und noch mehr das vierte Evangelium , als in's Unbestimmte auslaufende Erzählungen, machen. Daher sollen nun der erste und der vierte Evangelist einen Bericht Ober die Himmelfahrt Jesu auch gar nicht für möglich gehalten haben, indem die Augenzeugen, so lange sie ihm auch nachsahen , doch nur sein Emporschweben auf der Wolke, nicht aber sei- nen Eingang in den Himmel und sein Platznehmen eur Reohten Gottes haben mit ansehen können 7). Allein in der Vorstellungsweise der alten Welt, welcher der Him- mel näher war als uns, galt ein Auffahren in die Wolken schon für eine wirkliche Himmelfahrt, wie wir an den Erzählungen von Kumulus und Elias sehen.

Das hienach unlaugbare Nichtwissen der genannten Evangelien um die Himmelfahrt nun aber mit der neuerea Kritik des ersten Evangeliums diesem als Zeichen nicht 'apostolischen Ursprungs cum Vorwurf zu machen 8) , ist hier um so weniger am Ort , da das. fragliche Ereignifs nicht blofs durch das Stillschweigen zweier Evangelisten, sondern auch durch die Nichtübereinstimmung derer, die es berichten , verdächtig wird. Markus stimmt nicht mit Lukas, ja dieser nicht mit sich selbst ü herein. Mach dem Berichte des erstehen hat es den Anschein, als hätte Je- sus unmittelbar von dem Mahle, bei welchem er den Eil-

7) Die zuletzt angeführte Abh. des Klatt'scIico Magazins.

8) ScüMiKiMtUMGiR, a. a. 0. S. 19 f.

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Fünftes Kapitel. §. 142. 685

fen erschien, also von einem Hanse in Jerusalem aas, sich in den Himmel erhoben ; denn das uvaxstfäroig icpave— Qio&y xai wvtithae xal elnev . 'O ptb vv KvQiog, ftejä to ?.a)Jjoai airotg, ärtXrtf&y x. t. L hfingt unmittelbar zusammen, and es lafst sich hier nur mit Gewalt eine Orts Veränderung und Zwischenzeit einschieben Frei- lich ist eine Himmelfahrt vom Zimmer ans nicht gut sich vorzustellen, daher lälst sie Lukas im Freien vor sich ge- hen. Die Differenz in der Ortsangabe, dafs er im Evan- gelium Jesu in mit den Jüngern twg elg Br^avlccv hinausge- hen läfst, in den Acten aber die Scene auf das OQog %6 xa?Mfuvov Omuüvu verlegt, kann dem Lukas nicht als Wi- derspruch angerechnet werden, da Bethanien am öiberge lag; wohl aber die bedeutende Abweichung in der Zeitan- gabe, dafs in seinem Evangelium, wie bei Markus, es den Anschein hat , als wa're die Himmelfahrt noch am nämli- chen Tage mit der Auferstehung erfolgt: wogegen in der A. G. ausdrücklich bemerkt ist, dafs beide Erfolge durch eine Frist von 40 Tagen getrennt gewesen. Es ist schon angemerkt worden , dafs die letztere Zeitbestimmung dem Lukas in der Zwischenzeit zwischen der Abfassung des Evangeliums und der A. G. zugekommen sein inufs. Von je mehreren Erscheinungen des Auferstandenen man sich erzählte, and an je verschiedenere Orte man sie verlegte: desto weniger reichte fernerhin die kurze Frist eines Tags für den Wandel des Auferstandenen auf der Erde za loj ; dafs aber die noth wendig gewordene längere Zeit gerade auf 40 Tage festgesetzt wurde, hatte in der Rolle seinen Grund, welche bekanntlich diese Zahl in der judischen

9) Wie z. B. Kuiwöl thut, p. 208 f. 217.

lo) Endlich fand man ja selbst die 40 Tage nicht mehr genügend, und verlängerte den irdischen Wandel des Auferstandenen auf 18 Monate, wie Irenaus adv. haercs. 1, 50. von den Ophi- ten, 2, 3. von den Valentinianern berichtet.

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ß9<* ' Dritter A bschnitt.

nnd bereit« noch in der christlichen Sage gpielte. Wi das Volk I*r»*| 40 Jahre in der Wüste, Moses 40 Tag auf dem Sinai gewesen war, er and Elias 40 Tage ge fastet, und Jesns selbst vor der Versuchung so lanore i, der Wöste ohne Nahrung sich aufgehalten hatte ;°wi, alle diese geheimnifsvollen MittelzustÄnde und Ourch^an- Perioden durch die Zahl 40 bestimmt waren: so bot Zu sich ganz besonders auch cur Bestimmung der mysteriöser Zwischenzeit zwischen Jesu Auferstehung und Himmelfahrt dar ").

Was die Schilderung des Vorgangs selber betrifft, so könnte man das Schweigen de8 Markus und Lukas im Evangelium von Wolke und Engeln lediglich der Kürze ih- rer Erzählungen zuschreiben wollen; doch da Lukas am Schlüsse seines Evangeliums das Verhalten der Jünaer, wie sie dem in den Himmel entrückten Jesus fafsfrliijxc Vereh- rung gebracht, und mit grofser Freude sich nach der Stadt zurückbegeben haben, umständlich genug erzählt: so wür- de er ohne Zweifei die ihnen durch Engel zu Theii ge- wordene Kunde als nächsten Grund ihrer Freude bemerk- Jich gemacht haben, wenn er schon bei Abfassnng seiner ersten Schrift etwas von derselben gewufst hätte; es*scheint sich hiernach vielmehr dieser Zug allmählig in der Überliefe- rung ausgebildet zu haben, um aurh diesem leUten Punkte des Lebens Jesu «eine Ehre an au t hu n, und das Unsolid- liehe menschliche Zeugmfs über seine Erhebung in den Himmel durch zweier himmlischen Mengen Mund bekräf- tigt werden zu lassen. Endlich auch in der Angabe über die Rückkehr der Jünger und was sie nach derselben vor- genommen, findet eine üiscrepanz der Berichte statt Un- gerechnet nämlich , dafs man nach dem Schlüsse des Mar-

kus: ixelvoi 6i t*ela6n€S ixrfovga* «. %. L, glauben konnte:

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11) Die Rücksicht auf eine Daniclischc Rechnung bei Taxjlv*, cx. Handb. 3, b, S. 925. scheint mir zu künstlich.

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Fünftes Kapitel. §. 142. 687

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die Jünger seien unmittelbar von dem Schauspiel der Him- melfahrt zur Verkündigung in alle Welt ausgegangen, was doch vielleicht nW ein Schein ist, der aus der Kürze und Abgebrochenheit des Schlusses am zweiten Evangelium entsteht: bestimmt Lukas den Aufenthalt der Jünger von der Himmelfahrt bis zum Pfingstfest in seinen beiden Schriften auf verschiedene Weise. ]Nach dem Schlüsse d«g Evangeliums nämlich waren die zurückgekehrten Jünger dianuvtog iv Tcj5 icocp, aivövreg xal tvXoyQyreg tov 9t6vi nach dem Eingang der A. G. (1, 13 f.) dagegen uveßrauv lig vmQ<l>ov9 ö rjocty xccTccfiivovieg fiQogxaQttQUvztg oho— Sfvfiadiv %f{ nQogevxfi* Diese Abweichung könnte man durch die Bemerkung ausgleichen wollen , dafs ja der Aufenthalt im Tempel den im oberen Stockwerk eines Hauses nicht ausschliefse: aber, zum Zwecke gemeinsamer Andacht die meiste Zeit im Tempel sein (diel's sagt doch wohl das dumanog) , und, zu eben dem Ende gewöhn- lich im oberen Stockwerk sirh aufhalten (.xatanhov— z*g ) schliefst einander aus. Man kann in dieser Differenz ein Fortschreiten der christlichen Selbstständigkeit erbli- cken. Zunächst fand man kein Arges darin, die Jünger nach der Rückkehr von Jesu Himmelfahrt im alten Natio- nalheiliMthiim ihre andächtigen Zusammenkünfte halten zu lassen; bald aber erschien diefs zu jüdisch, und sie mufs- ten zu dem Ende ein eigenes {.nntoor beziehen : von dem jüdischen Tempel trennte sich der christliche Versamm- Jungssaal.

Wie hienach diejenigen , welche von einer Himmel- fahrt Jesu wufaten , dies« in ttezug auf die näheren Um- stände sich keineswegs auf dieselbe Weise vorstellten: so mnfs es Überhaupt vom letzten Schlüsse des Lebens Jesu rweierlei Vorstellungsweisen gegeben haben, indem die Einen dienen Schluß als eine sichtbare Himmelfahrt dachten, dia Andern nicht Wenn Matthäus Jesum vor Gericht

i?> Hierüber vgl. besonders Ammo> , A^census J, C. in coelum

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6S8 Dritter Abschnitt

seine Erhebung zur Rechten der göttlichen Kraft vorher- sagen (26, 64.) > °nd nach seiner Auferstehung ihn versi- chern läfst , dafs ihm uun nüaa iguoicc evuQanJi xai ini yrjg ge- geben sei (28, IS.) , dennoch aber von einer sichtbaren Him- melfahrt nichts hat, vielmehr Jesu die Versicherung in den Mund legt: iya> fted? iftuiv diu naaag zag jjtuioug H'tg %ijg awreliiccg r/8 aluwog (V. 20.) : so Hegt hier offenbar die Vorstellung tu Grunde, dafs Jesus, ohne Zweifel schon bei der Auferstehung, unsichtbar cum. Vater aufge- stiegen , zugleich unsichtbar immer um die Seinigen sei, und aus dieser Verborgenheit heraus sich, so ofe er es nöthig finde, in Christop ha nieen offenbare; auch der Verfas- ser des vierten Evangeliums und die übrigen N. T.üchen Schriftsteiler setzen nur das voraus, was nach dem raessia- nischens xa&a ix degiütv fis> Ps. 110, 1. vorausgesetzt wer- den mufste, dafs Jesus sich zur Rechten Gattes erhoben habe , ohne Über das Wie etwas zu bestimmen , oder sich die Auffahrt dahin als eine sichtbare vorzustellen. Doch mufste es der urchristlichen Phantasie sehr nahe liegen, diese Erhebung auch zum glänzenden Schauspiele auszo- nialen. Liefs man den Messias Jesus an einem so erhabe- nen Ziele angekommen sein : so wollte man ihm auch auf dem Wege dahin gleichsam nachsehen. Erwartete man seine einstige Wiederkunft vom Himmel nach Daniel als sichtba- res Herabkommen in den Wolken : so ergab es sich voa selbst, seinen Hingang zum Himmel als sichtbares Aufstei- gen auf einer Wolke vorzustellen , und wenn Lukas die beiden Weißgekleideten, welche nach der Wegnahme J*su zu den Jüngern traten , sagen läfst : mog 6 'iqoog, 6 cVcr- kiflp&els aq? vftow eig zdv öquvov, Srtog ikevatcai , 6v toonov i&eaoao&e avzbv noQtvo^ievov tig tov uquvov (A.G. 1, II«)«

hiitoria bibliea. In s. epusc. nov. p. 45 ff. ; auch Kais», bibl. Theol. 1, S. 85 ff. »s War», kurze Ausleg. des Kvan^. Matth., S. 247.

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Fünftes Kapitel. §. 142. 6S'J

so darf man diefs nnr umkehren , um die üencsir der Vor- Stellung von der Himmelfahrt Jesu zu haben 5 indem nämlich geschlossen wurde: wie Jesus dereinst vom Himmel wie- derkommen'vrird: so1, wird er wohl auch dahin gegangen •ein*").

Neben diesem Hauptmomente treten die A. T. liehen Vorgänge, welche die Himmelfahrt Jesu an der 1! nweg- nahme des Henoch (1. Mos. 5, 24. vgl. Sir. 44, 16. 49, 16. Hebr. 11, 5.) und besonders an der Himmelfahrt des Elia C2. Kon. 2, 11. vgl. Sir. 48, 9. 1. Macc. 2, 58 ) hat, flammt den griechischen und römischen Apotheosen eines Herakles und Komulus , in den Hintergrund zurück. Ob von den letzteren die Verfasser des zweiten und dritten Evangeliums Kunde hatten , steht dahin ; die Notiz von Henoch ist zu unbestimmt; bei Elia aber eignete sich der Flammenwagen mit den Feuerrossen für den milderen Geist Christi nicht, statt dessen die Wolke aus der späteren Darstellung der Wegnahme des Moses genommen zu sein acheinen Könnte, wenn diese nur sonst nicht au verschie- den wäre "> Nur Ein Zug in der Erzählung der A. G. erklärt sich vielleicht aua der Geschichte des Elias. AU nämlich dieser vor seiner Hinwegnahme von seinem Die- ner Elisa gebeten wurde, ihm sein nvtv/ua in verdoppel- tem Maafse zurückzulassen : knüpfte der Prophet die Ge- währung dieses Wunsches an die Bedingung: iuv t öflg fts ava?Mftßav6fievov ano ou, xctl i'gat, 001 w^' xai iav fit}, 0 ftq

13) So auch Hask, L. J. §. 150.

14) Joseph. Antiq. 4, 8, 48. heisst es von Moses : Wg>*$ alq>v{$tor vn'fq qvts qdvros atpavifrrai xard Ttrog tpaqayyot, CT habe aber absichtlich geschrieben, er sei gestorben, damit man nicht seiner Trefflichkeit wegen behaupten mochte, er habe sich n^ot to dttor begeben. Thilo aber, de Vita Mosis, Opp. ed. Mangey, Vol. 2, p. 179, lasst bloss die Seele des Moses sich in den Himmel erheben.

Dm Leben Jesu 2teAuß. //. Band. 44

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Dritter Abschotte.

yhrrcti (V. 0. f. LX2L) ; woraus erhellen könnte, warum Lukas (A. 6. 1, 9.) auf das ßX&wvttnv ainwv imqQ&q Ge- wicht legt, weil nämlich gemfifs dem Vorgange mit Elisa d ief* erfordert bu werden schien , wenn die Schaler den Geist des Meisters bekommen sollten.

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Schlufsabhandlung. $. 143. 601

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Schlussabhandlung.

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Die dogmatische Bedeutung des

Lebens Jesu.

$. U3.

Notwendiger Übergang der Kritik In das Dogma.

Durch die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung ist nun, wie es scheint , Mies, was der Christ von seinem Je« sus glaubt, vernichtet, alle Ermunterungen, die er aus die- sem Glauben schöpft, sind ihm entzogeil, alle Tröstungen geraubt. Der unendliche Sehatz von Wahrheit und Leben, -an weichem seit achtzehn Jahrhunderten die Menschheit Sich grofsgenäbrt, scheint hiemit verwüstet, das Erhaben- ste in den Staub gestürzt, Gott seine Gnade , dem Men- schen seine Würde genommen, das Band «wischen Him- mel und Erde Verrissen zu sein« Mit Abscheu wendet sich von so ungeheurem Frevel die Frömmigkeit ab, und aus der unendlichen Selbstgewifa heit ihres Glaubens heraus thut sie den Machtspruch : eine freche Kritik müge versu- chen, was sie wolle, dennoch bleibe Alles , wat> Tun ( ari- sto die Schrift aussage und die Kirche glaube, ewig wahr, und dürfe kein Jota davon fallen gelassen werden. So er- sieht sich am Schlosse der Kritik von Jesu Lebensgeschichta die Aufgabe^ das kritisch Vernichtete dogmatisch wieder* Jierzuateilen.

Diese Aufgabe scheint zunächst nur eine Forderang des Gläubigen an den Kritiker zu sein, Jedem dieser bei- den für sich aber sich nicht zu stellen: der Gläubige als solcher, scheint es, bedarf keiner Wiederherstellung des

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Ü91 Schiufsabhandiung. §. 143.

Glnuhens, weil dieser in ihm durch keine Kritik Vernich- tt f worden ist ^ der Kritiker als solcher nicht, weil er die- se Vernichtung ertragen kann. So gewin it es das Anse- hen, als ob der Kritiker, wenn er aus dem Brande, den seine Kritik angerichtet, doch das Dogma noch retten will, für seinen Standtpunkt etwas Unwahres unternähme, so- fern er, was ihm selbst kein Kleinod ist, aus Accommo- dation an den Glauben als solches behandelt: in Bezug auf den Standpunkt des Gläubigen aber etwas Überflüssiges, indem er sich mit der Rettung von etwas bemüht, was für den, welchem es angehört, gar nicht gefährdet ist.

Dennoch verhält es sich bei näherer Betrachtung an- ders. Wenn gleich nicht entwickelt, so ist doch an sich in jedem Glauben, der noch nicht Wissen ist, der Zwei- fel mitgesetzt; der gläubigste Christ hat doch die Kritik als verborgenen Rest des Unglaubens , oder besser als negati- ven Keim des Wissens, in sich, und nur aus dessen be- ständiger Niederhaltung geht ihm der Glaube hervor, der also auch in ihm wesentlich ein wiederhergestellter ist. Ebenso abery wie der Gläubige an sich Zweifler oder Kri- tiker, ist auch umgekehrt der Kritiker an sich der CJlau- bige. Sofern er sich nämlich vom Naturalisten und Frei- geist unterscheidet, sofern seine Kritik im Geiste des neun- zehnten Jahrhunderts wurzelt, und nicht in früheren: ist er mit Achtung vor jeder Religion erfüllt, und namentlich des Inhalts der höchsten Religion , der christlichen, als iden- tisch mit der höchsten philosophischen Wahrheit sich be- wufst, und wird also, nachdem er im Verlaufe der Kritik durchaus nfur die Seite des Unterschieds seiner Übersee- gung vom christlichen Geschichtsglau ben herorgekehrt hat) das ßedürfnifs fühlen, nun ebenso auch die Seite der Iden- tität au ihrem Rechte zu bringen*,

Zunächst, indem unsre Kritik zwar in aller Ausfüh* Jichkeit vollzogen worden, aber nunmehr *n dem Bewußt- sein vorübergegangen ist, lallt sie demselben wieder tur

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Schiufaabhandiung. §. 144- 603

Einfachheit des unentwickelten Zweifels zusammen, ge*en welchen sich das gläubige Bewufstsein mit einem ebenso einfachen Veto kehrt , und nach ZurürUv* eisung desselben das Geglaubte in unverkümmerter Fülle wieder ausbreitet. Indem aber hiemit die Kritik nur beseitigt, nicht überwun- den ist, wird das Geglaubte nicht wahrhaft vermittelt, sonr dem bleibt in seiner Unmittelbarkeit. Scheint so , indem gegen diese Unmittelbarkeit abermals die Kritik sich keh- ren mnfs, der eben Tollendete Procefs sich zu wiederholen, und wir zum Anfang der Untersuchung zurückgeworfen su sein: so thut sich doch zugleich eine Differenz hervor, welche die Sache weiter führt. Bisher war Gegenstand der Kritik der christliehe Inhalt, wie er in den evange- I schen Urkunden als Geschichte Jesu vorliegt: nun dieser durch den Zweifel in Anspruch genommen ist, reflectirt er sich in sich , sucht eine Freistätte im Innern der Gläubi- gen, wo er aber nicht als blofse Geschichte, sondern als in sich reflectirte Geschichte, d. b. als Bekenntnifs und Dogma, vorhanden ist. Erwacht daher allerdings auch ge- gen das in seiner Unmittelbarkeit auftretende Dogma, wi« gegen jede Unmittelbarkeit, die Kritik als Negativität und Streben nach Vermittlung: so ist diese doch nicht mehr, wie bisher, historische, sondern dogmatische Kritik , und erst durch beide hindurchgegangen, ist der Glaube wahr- haft vermittelt , oder zum Wissen geworden.

Dieses zweite Stadium, welches der Glaube zu durch« laufen hat, müfste eigentlich ebenso, wie das erste, Ge- genstand eines eigenen Werkes sein : hier soll es nur in •einen Grundzügen verzeichnet werden , nm die historische Kritik nicht ohne Aussicht auf ihr letztes Ziel abzubrechen, welches erst jenseits der dogmatischen liegt.

5. 144.

Die Cnristologic des orthodoxen Systems. Der dogmatische Gehalt des Lebens Jesu in seiner Uit-

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094 Sobluf sabhandlnng. §. 144.

mittelbarkeit festgehalten , and auf diesem Boden ausgebil- det, ist die orthodoxe Lehre von Christo,

Ihren GrnndsOgen naoh findet sie sich schon Im N. T. Die Wurzel des Glaubens an Jesum war die Uberzeugung von seiher Auferstehung. Der Getödtete, schien es, wenn, auch noch so grob einst im Leben, könne der Messias nicht gewesen sein : die wundervolle Wiederbelebung be- wies um so stärker, dafs er es war. Durch die Aufer- weokung aus dem Schattenreich befreit, und zugleich über die Sphäre irdischer Menschheit hinausgehoben , war er nun in die himmlischen Regionen versetzt , hatte seinen niesslanisohen Sitz zur Rechten Gottes eingenommen (A. G. 2, 32. ff. 3, 15. ff. 5, 30. ff. nnd sonst). Nun erschien sein Tod als Haupttheil seiner messianischen Bestimmung : naoh Jes. 53. hatte er ihn för die Sünden des Volks und der Menschheit erlitten (A. G. 8, 32. ff. vgL Matth. 20, 23. Joh. 1, 29, 30. 1. Job. 2, 2.); sein am Kreuze vergossenes Blut wirkte, wie dasjenige, welches am Versöhnungsfeste der Hohepriester gegen den Deckel der Bundesiade sprengte (Rüra. 3, 25.); er war das reine Lamm, durch dessen Blut die Gläubigen losgekauft sind (1 Petr. 1, IS. f.) ; der ewig», sttndlose Hohepriester, der durch Darbringung sei- nes eigenen Leibes mit Einemmale bewirkt hat, was die jüdischen Priester durch unendlich wiederholte Thieropfer nicht auszurichten im Stande waren (Hehr. 10, 10, ff. u. s.). Aber auch von jeher schon konnte der jetzt zur Rechten Gottes erhöhte Messias kein gewöhnlicher Mensch gewe- sen sein : nicht blofs war er mit dem göttlichen Geiste in höherem Maafs , als je ein Prophet, gesalbt (A. G. 4, 27. 10, 33.), and hatte durch Wunder und Zeichen sich als göttlichen Gesandten erwiesen (A. G. 2, 22.): sondern, wie man ea sich nun vorstellen mochte, war er entweder überna- türlich durch den heiligen Geist erzeugt (Matth, u. Luc. 1.), oder als Gottes Weisheit und Wort in einen irdischen Leib herab^ekommen (Joh. 1.). Da er schon vor seinem

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Schlufsabhandlung. §. 144. 695

menschlichen Auftreten im Schoofse des Vaters, in göttlicher Majestät , gewesen war (Joh. 17, 5.) : so war sein Herab* kommen in die Mengchenwelt und besonders seine Hingabe in den schmachvollen Tod eine Erniedrigung, die er ans freiem Triebe zum Besten der Menschen auf sich nahm (Phil. % 5 ff.). Der Auferstandene und cum Himmel Ge- fahrene, wie er einst cur Auferweckong der Todten und cum Gerichte wiederkehren wird (A. & 1, 11. 17. 31.): so nimmt er auch jetzt schon als Theilhaber an der Welt- regierung (Matth. 28, 18.) der Gemeinde sich an (Rom. 8, 34. 1 Joh. 2, 1.) und wie jetzt an der Weitregierong, so hat er auch schon an der Weltschöpfung Theil genom- men (Joh. 1,3, 10. Kol. 1, IG f.). Ausserdem wurden nun noch alle möglichen einaelnen Züge des in der Volkserwa r - tung entworfenen Messiasbildes mit nöthigen oder beliebi- gen Abänderungen auf Jesum fibergetragen; auch von der einmal angeregten Phantasie neue Erzählungen hinzuge- dichtet.

Welche Fülle von beseligenden und erhabenen, er- munternden und tröstliehen Gedanken flofS der ersten Ge- meinde aus diesen Vorstellungen (Iber ihren Christus ! Durch die Sendung des Sohnes Gottes in die Welt , durch seine Hingabe für die Weh in den Tod , sind Himmel und Erde versöhnt (2 Kor. 5, 18 ff. Eph. 1, 10. Kol. 1, 20.) ; durch diese höchste Aufopferung ist den Menschen die Lie- be Gottes sicher verbürgt (Rom. 5, 8 ff. 8, 31 ff. 1 Joh. 4, 9k) , und die freudigste Hoffnung ihnen eröffnet. Ist der Sohn Gottes Mensch geworden : so sind die Menschen sei- ne Brüder, als solche gleichfalls Kinder Gottes, und Mit- erben Christi an dem Schatze göttlicher Seligkeit (Köm. 8, 16 f. 29.). Das knechtische Verhältnis der Menschen zu Gott, wie es unter dem Gesetze stattfand, hat aufgehört ; an die Stelle der Furcht vor den Strafen , mit welchen das Gesetz drohte, ist Liebe getreten (Rom. 8, 15. Gal. 4, 1 ff.). Vom Fluche des Gesetzes sind die Gläubigen dadurch

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696 Sehl ufsabhandlung. §. 144.

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losgekauft , dafs Christus sieh für sie demselben hingab, indem er eine Todesart erduldete, auf welche das Geseti den Fluch gelegt hat (Gal. 3, 13.)- N«*n haben wir nicht mehr das Unmögliche zu leisten, dafs wir alle Forderun- gen des Gesetzes erfüllen mfifsten (Gal. 3, 10 f.) eine Aufgabe, welche der Erfahrung Eufoige kein Mensch löst (Röm. 1, IS— 3, 20.), seiner sündigen Natur nach keiner lösen kann (Röm. 5, 12 ff.), und welche den, der sie so lösen strebt , nur immer tiefer in den unseligsten Kampf mit sich selbst verwickelt (Röm. 7, 7 ff.) : sondern wer an Christum glaubt, der versöhnenden Kraft seines Todes ver- traut, der ist von Gott begnadigt; nicht durch Werke und eigene Leistungen, sondern umsonst durch die freie Gns- ' de Gottes wird der Mensch, der sich ihr hingiebt, vor Gott gereoht, wodurch zugleich alle Selbsterhebung ausgeschlot- j sen ist (Röm 3, 31 ff.). Indem das mosaische Gesetz, dem , er mit Christo gestorben ist, den Gläubigen nicht mehr verbinden kann ( Röm. 7, 1 ff. ) , indem namentlich durch j das ewige und vollgültige Opfer Christi der jüdische Opfer- j und Priesterdienst aufgehoben ist (Hebr.), ist die Scher j dewand gefallen, welche Juden und Heiden trennte: diese, j sonst fern und fremd der Theokratie, gottverlassen und hoffnungslos in de/ Weit, sind Eur Theilnahme an dem neuen GottesSunde herbeigerufen, und ihnen freier Zutritt I cum väterlichen Gott verschafft worden ; so dafs nunmehr die beiden, sonst feindlich getrennten Theile der Mensch- heit in Frieden miteinander Glieder am Leibe Christi, «■ geistigen Raa seiner Gemeinde sind (Kph. 2, 11 ff.). Jener rechtfertigende Glaube an den Tod Christi aber ist we- sentlich sugleich ein geistiges mit ihm Sterben, nämlich ein Absterben der Sünde, und wie Christus aus dem Tode | «u neuem unsterblichem Leben auferstanden ist: so soll auch der an ihn Glaubige aus dem Tod der Sünde zu ei- nem neuen Leben der Gerechtigkeit und Heiligkeit aufer- stehen, den alten Menschen abthun , und einen neuen sw

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Sshlursabhandlung. $.144.

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«Sehen (Röm.6, 1 ff.* Da*u steht ihm Chrlttog selbst mit seinem Geiste bei, welcher diejenigen, die er beseelt, mit geistigem Streben erfüllt, und immer mehr von der Knecht- schaft der Sünde frei macht (Rom. 8, 1 ff.)- Ja nicht blofs geistig jetet, son dem einst auch leiblich, werden diejenigen, in welchen der Geist Christi wohnt, durch ihn belebt, in- dem Gott durch Christum am finde dieses Weltlaufs ihre Leiber auferwecken wird, wie er den Leib Christi aufer- weckt hat(Röm. 8, 11.). Christus, den die Bande des To- des und der Unterwelt nicht halten konnten ( \ . G. 2, 24.), hat beide auch für uns besiegt , und den Gläubigen die Furcht vor diesen höchsten Mächten der Endlichkeit be- nommen (Rum. 8, 38 f. 1. Kor. 15, 55 ff. Hebr. 2, 14 f.). Seine Auferweckung, wie sie seinem Tod erst die versöh- nende Kraft verleiht (Röm. 4, 25.), so ist sie sogleich die Bürgschaft unsrer eigenen künftigen Auferstehung, unsres Antheils an Christo in einem künftigen Leben, In seinem messianischen Reiche, zu dessen Seligkeit er bei seiner Wie- derkunft alle die Seinigen einführen wird (1. Kor. 15.)* Inzwischen aber dürfen wir uns getrösten, an ihm einen Fürsprecher bei Gott zu haben, der aus eigener Erfah- rung von der Schwäche und Gebrechlichkeit der Menschen- natur, die er selbst angesogen hatte, und in der er in al- len Stücken versucht wurde, doch ohne Sünde, weifs, wie vieler Nachsicht und Nachhülfe wir bedürfen ( Hebr. % 17 f. 4, 15 f.).

Den Reichthum dessen, was der Glaube an Christo hafte, in bestimmte Formeln zusammenzufassen, war sei- nen Anhängern schon frühe Bedürfnifs. Sie priefsen ihn als Xgigog 6 ccTio&avcjv, ftäklov dh xal iytQ&tig, og xal iciv iv del-iee t5 &€Öf 6g xal ivrvyyavfi i>ntQ (Röni. 8, 34.); oder genauer hiefs er V. X. 6 xvQiog, yevoftemg ix migpatog Javld xard adyxa, OQioöstg vicg &t5 iv dn«- tiu y.Lciu nrevfia uyitoQvnfi tj; dvazdafmg rty.QiZv (Röm. 1, 3 f.)i und als das 6fioloy8fiivag fdya %ttg evotßeiag fivgrr

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698 Schlufsabhandiung. $♦ 144.

qiov worden die Wahrheiten hinge« teilt: &sog ifaveQn'^ eV oaxQi, i(kxaul&t} h mevfiau, wy&T; ayyiXotg, ixijQV%9rj «y t&veaiv, in^ev^rj br xoo/uqi, aveirtfjhj iw dol-fl (l. Tim. 3, 16.).

Anschließend an die Tanfformel (Matth. 08, 10.), wel-

che durch die Zusammenstellung von Vater, Sohn und Geist gleichsam ein Fachwerk darbot, am den nenen Glauben in dasselbe einzuordnen, bildete sich in der Kirche der er- sten Jahrhunderte die sogenannte regula fidei aas, welche in verschiedenen Formen, bald sammarischer, bald Ausführ- licher, populärer oder subtiler, sich bei den verschiedenen Vätern findet *) , und nach ihrer populären Form endlich im sogenannten apostolischen Symbol zur Rahe kam, wel- ches, in der Gestalt, in welcher es auch von der evange- lischen Kirche aufgenommen worden ist, im zweiten, ans* führlichsten, Artikel vom Sohn folgende Glanbensmomente hervorhebt: et (crerfo) in Jeaum Christum, füium ejus ( J) i patris) unicum , Dominum no$1rum\ qui conceptus est de spiritu sancto , natu* ex Maria vir g ine; passus m Pontio Pilato, crucißxus, mortuus et sepultus, descendit ad in f er na ; tertia die resurr cjcit a mortui*, ascendit ad coc* los, sedet ad dextram Dei pairis omnipot cutis] inde vetr turus est , judicare vivos et mortuos.

Nebeu dieser volksmäfsigen Form des Glaubensbekennt- nisses io Bezug auf Christum gieng aber zugleich die Aus- bildung einer schärferen theologischen Fassung desselben her, veranlafst duroh die Diflferenzen und Streitigkeit welche sich frühzeitig über einzelne Punkte desselben her- vorthaten. Das Grundthema des christlichen Glaubens, das. o loyog <roo£ iyeveto, oder : $sog iyavsQuLSrj h oax$, *** von allen Seiten gefährdet, indem bald die Gottheit, bald die Menschheit, bald die wahre Vereinigung beider ix» A^*

fi) Iren. adv. haer. 1, 10. Tcrtull. de pracscr. harr. 13, *dv- I Frau. 2, de vcland. virg. 1. Orig. de prineipp. pr°ocnu

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Schlufsabhandlung. §. 144. 609

,

sprach genommen wurde. Diejenigen zwar, welche, wie die Ebiooiten, die Gottheit, oder, wie die doketischen Gno- stiker, die Menschheit Christi durchaas aufhoben *), schlos- sen sich zu entschieden von der christlichen Gemeinschaft aus, welche ihrerseits den Grundsatz festhielt: dafs tdsi tov neolryv 9e5 ts xal av9Q(07icjv diä idiag TtQog ixarinög olxeicxTjrog elg (pdlav xal dftovoiav tsg afKporiQög awaya— jt\v9 xal fih nanacijoai tov av&Qionov, ävÖQionoig ö*i yviDoloai rov &eov 3). Aber wenn etwa blofs die Vollstfin- digkeit der einen oder andern Natur gelfiugnet wurde, wenn Arius wohl ein göttliches, aber geschaffenes und dem nächsten Gott untergeordnetes Wesen in Christo Mensch geworden sein liefs wenn derselbe Christo zwar einen menschlichen Leib zuschrieb , in welchem aber die Stelle der Seele eben jenes höhere Wesen eingenommen habe 5), and Apollinaris ausser dem Leib aach noch die Seele Jesu wahrhaft menschlich sein, and nar an die Stelle des drit- ten Prinoip8 im Menschen, des vug, das göttliche Wesen treten liefs *) : so konnte solchen Ansichten schon eher ein Schein des Christlichen gegeben werden. Dennoch wies das Bewufstsein der Kirche sowohl die arianische Vorstel- lung von einem in Jesu Mensch gewordnen Untergott ne- ben andern minder wesentlichen Gründen auch defswegen rurück, weil auf diese Weise in Christo nicht das anschau- bare Ebenbild der Gottheit erschienen wäre 7); als die arianisch apollinaristische von einer der menschlichen i/w^r} oder de* menschlichen vug ermangelnden Menschennatur Christi unter Andrem aus dem Grunde, weil nur durch die Vereinigung mit einer ganzen und vollständigen Men-

2) s. Mü'nschkr's Dogmengesch., herausgcg. von Cölln, 1, §. 78. 5) Iren. adv. hacr. 3, 18, 7.

4) l. Münschkr, §. 69 ff.

5) Ebendas. §. 79. Anm. 2.

6) Ebendas. Anm. 5.

7) Ebendas. S. 235. '

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700 Schlufsabhandlung. §. 144.

schennatur diese nach allen Theilen habe erlöst werden

können 8).

Doch es konnte nicht blofs die eine oder andere Seite im Wesen Christi zurückgestellt, sondern auch in Bezug auf ihre Vereinigung in ihm, und zwar wieder auf entge- gengesetzte Weise, gefehlt werden. Die andächtige Begei- sterung Vieler glaubte, das neugeschlungene Band zwischen Himmel und Krde nicht eng genug anziehen zu können: in Christo wollten sie Gotrheit und Menschheit nicht mehr unterscheiden, und erkannten in ihm, wie er als Eine Per- son erschienen war, auch nur Eine Natur, die des fleisch« gewordenen Gottessohnes, an9). Der Besonnenheit Ande- rer war eine solche Vermischung des Göttlichen und Mensch- lichen anstöfsig, es schien ihnen frevelhaft, zu sagen, dafs eine menschliche Mutter Gott gehören habe: nur den Men- schen habe sie geboren, welchen sich der Sohn Gottes zum Tempel auserwählt hatte, und es seien in Christo zwei Na- turen «war der Verehrung nach verknöpft, aber dem We- sen nach noch immer verschieden 10). Der Kirche schien auf beide Weise das Mysterium der Menschwerdung ge- fährdet : wurden beide Naturen bleibend getrennt gehalten, so war die Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen, der innerste Lebenspunkt des Christenthums, zerstört; wur- de eine Vermischung angenommen, so war keine von bei- den Naturen als solche einer Vereinigung mit der andern fähig, somit gleichfalls keine wahre Einheit beider erreicht Beide Meinungen wurden daher, die letztere in Eutyches, für die erstere nicht ebenso mit Recht Nestorius, ver- dammt , und nachdem schon im nicanischen Symbol die

8) Gregor. Nar. Or. 51. p. 7*0. B. (bei Mlkscmr , S. 275.):

xct\ o Vfrer*.

9) b. MGxtcitia, §. 80 ff, 10) Ebenda».

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Schlufsabhandlnng. §. 144.

wahre Gottheit Christi festgesetzt worden war, nunmehr im chalcedonensisehen auch seine wahre und vollständige Menschheit, und die Vereinigung beider Naturen in Einer unzertrenuten Person, festgestellt H). Und als sich spater über den Willen in Christo eine ähnliche Differenz her- vorstellte, wie über seine Natur: so wurde anf dieselbe Weise entschieden, dals in Christo als dem Guttmenschen zwei unterschiedene Willen, aber nicht uneins, sondern der menschliche dem göttlichen sich unterordnend, anzu- nehmen seien 12).

Den Streitigkeiten über das Sein and Wesen Christi gegenüber gieng die Entv+ickiong der andern Seite, der Lehre von seinem Thun und Wirken, verhaltnifsmäfsig still und friedlieh vor sich. Die umfassendste Anschauung davon war die , dafs der Sohn Gottes durch Annahme der

11) fya xal ror avror SpoXoyttr vioy ror xdqtor tjjuwy *I, JC» ov fHftAvtat anarrtt txtitSaoxoptr , riXttor ror avror ir ötdrtjri, xal rtUtor ror avror $r aydQtandxtjrt , Sior aX>j9üit Mal £y#?w- nor alqdÜq ror avror Ix x^X^ Xoytx^t na\ oof/uaroty opodotor T#5 narql xara rijr ifdrnra , xal dpottotor ror atfror quir xara rqr uy9ot*indrryra , xara navra Spoior fjpir jfo>^t$ a^a^xtat' n^o auötwy fikr tu rS nar^o; ytrrrj&irra xara rijr v^dr/;ra, in ta/Jcivy rwr Sjptqwr ror avror dl tjftag xal 6*ta tfr ijfitri- o*y atarqotar ix Maotat rijt naoMr» rtjt &foroxe xara rqr ar- &pu)7tÖTtjra , %ra xal ror avror Xotfov , vlitr > xv^iory poroytrq% ix Svo tpvoitov aavy%vTo)t > arpt'nrtotf ddtatftm<;, fX^fffoßH yr*>— o^ö/iiror* tSa/uS rfjt rwr tpvottr Statpoqag arflofj/utvqt ry* SruHJir, otoioptvtjt 6*h uaXXor riji Idtortjrot ixariqat fvamg, xal

\ % alt nodaamor xal fttar vndgaatr ovrTo*x*aie §U Svo

noootana pt^dutror !/ SiatQu^tror , a<U' *va aal ror avror vioy xal fioyoyeri} , Stor Xdyoy , xv"^tor V. X. * '

12) Die 6te ökumenische Synode zu Consta ntinopcl setzte fett: Svo tpuotxa SeXtjpara h% ontvarrta, ai2* indfti'rOr wo a*yO(,tii- niyov avrS dtX^^a xal vnoraoodjutror r$ 94<* *&rn xal nuyoVtrti SiX^ar».

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703 Schlufsabhandl[nng. $.144.

Menschen natur diese geheiligt and vergöttlicht habe 1S), wobei namentlich die Ertheilang der Unsterblichkeit her- vorgehoben wurde nnd in gemächlicher Weise fafste man diefs Verhältnifs auch so , Gott habe durch den ru- vorkommenden Liebesbeweis , der in der Sendung seines Sohnes Hege, die Menschen aufs kräftigste zur Gegenlie- be erweckt ls). An dieser Einen grofsen Wirkung des Er- scheinens Christi wurden aber auch einzelne Seiten her- vorgehoben: auf seine heilsame Lehre , sein erhabenes Bei- spiel aufmerksam gemacht 16) , besonders aber auf den ge- waltsamen Tod, den er erduldet hatte, Gewicht gelegt. Der Begriff der Stellvertretung, der schon im N. T. gege- ben war, wurde weiter ausgeführt: der Tod Jesu bald als ein Lösegeld betrachtet, welches er dem Teufel für die durch die Sünde seiner Gewalt verfallene Menschheit ge- geben habe, bald sollte Gott dadurch die Schuld abgetra- gen, und er in den Stand gesetzt worden sein, unbescha- det seiner Wahrhaftigkeit die der Sünde gedrohten Stra- fen der Menschheit zu erlassen , weil Christus sie auf sich genommen hatte 17). Diese letztere Vorstellung wurde durch Anselm in seiner Schrift: Cur Dens homo, zu der bekann- ten Satisfactionstheorie ausgebildet, durch welche zugleich &ie Lehre von dem Eriösungsgeschäft Christi mit der von seiner Person in die engste Verbindung gesetzt wurde._Der

13) Athanas. de incarn. 54:

noirrrti« utY. Hilar. Pictav. de trin. 2, 24: humani generis ' causa Des filius natas ex virgine est ut homo /actus ex virgine naturam in se carnis acciperet , peryne luijus admix- tionis societatem sanctificatum in eo unioersi generis humani corpus ex ister et. Andere Äusserungen der Art a. bei MU»- acHKR, $. 97. Anm. 10.

14) MüftacMtH, $. 96. Anm. 5.

15) S. ebend. S. 421.

16) Ebenda». $. 96.

17) Ebenda«. 97.

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Schlufsabhandlung. §. 144; 703

Mensch Ist Gott vollständigen Gehorsam schuldig: der Sün- der aber und diefs sind alle Menschen entzieht Gott die schuldige Leistung nnd Ehre. Da nun Gott eine Be- leidigung seiner Ehre vermöge seiner Gerechtigkeit nicht dulden kann: so rauf« entweder der Mensch freiwillig Gott wiedergeben, was Gottes ist, ja zur Genugthuung ihm noch mehr leisten, als er ihm entzogen hat, oder mufs Gott dem Menschen mit Gewalt nehmen, was des Menschen ist, d. h. die Glückseligkeit , zu der er geschaffen ist, ihm zur Strafe entziehen« Jenes zu thun ist der Mensch nicht im Stande; denn da er alles Gnte, was er thun kann, Gott schuldig ist, um nicht in Sünde zu verfallen, so kann er nichts Gutes übrig haben, um durch diesen Überschuß die begangene Sünde zu decken« Dafs andrerseits Gott durch ewige Strafen sich Genugthuung verschaffe, dagegen ist sei- ne unveränderliche Güte, kraft welcher er den zur Selig- heit bestimmten Menschen auch wirklieh zu dieser führen will. Diefs kann aber vermöge der göttlichen Gerechtig« keit nicht geschehen, wenn -nicht Genugthuung für den Menschen geleistet, und nach Maafsgabe dessen, was Gott entzogen worden ist, ihm etwas gegeben wird, das gröfser ist, als Alles ausser Gott. Diefs aber ist nur Gott selbst, und da andrerseits fttr den Menschen nur der Mensch ge- nngthun kann : so mufs es ein Gottmensch sein , der die Genugthuung leistet. Diese kann naher nicht in thätigem Gehorsam, in sündlosem Leben, bestehen, weil diefs jedes vernünftige Wesen Gott für sich selbst schon schuldig ist; aber den Tod, der Sünden Sold, auf sich zu nehmen, ist der Sündlose nicht schuldig, und besteht also die Genug- thuung für die Sünde der Menschen im Tod des Gottme ti- schen, dessen Belohnung, weil er als Eins mit Gott nicht selbst belohnt werden kann, der Menschheit zu Gute kommt.

Dieses altkirchiiche Lehrsystem über die Person und Thätigkeit Christi gieng auch in die Bekenn tnifsschriften der lutherischen Kirche über, und wurde von den Theo-

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704 Schlu fsabhandlong. §.144.

logen derselben noch künstlicher ausgebildet 1ÖJ. Die Per- son Christi betreffend wurde an der Vereinigung der gött- lichen und menschlichen Natur in Einer Person festgehal- ten : im Acte derselben , der unitio personales , welche mit der Empfängnifs zusammenfiel , war es die göttliche Natur des Sohnes Gottes, welche die menschliche zur Einheit ih- rer Persönlichkeit aufnahm; der Zustand des Vereinigt- seins, die unio personal is, sollte weder eine wesentliche, noch auch eine blofs accidentelle , auch keine mystische, oder moralische, am wenigsten eine nur verbale , sondern eine reale und übernatürliche, ihrer Dauer nach aber eioe ewige Vereinigung sein. Vermöge dieser Verbindung mit der göttlichen kommen der menschliehen Natur gewisse eigentümliche Vorzüge eu, namentlich, was zunächst als Mangel erscheint, für sich unpersönlich zu sein , und nur in der Vereinigung mit der göttlichen Natur Persönlich- keit au haben; ferner Sündlosigkeit, und die Möglichkeit, nicht eu sterben« Doch ausser diesen eigentümlichen, hat die menschliche Natur Christi in ihrer Vereinigung mit der göttlichen auch gewisse von dieser geliehene Vor- zöge. Das Verhältnis der beiden Naturen ist nämlich nicht ein todtes und iiusserli. hes , sondern eine gegenseiti- ge Durchdringung, neQiywQ^aig , nicht die Verbindung zweier zusammengeleimten Bietter, sondern wie von Feuer und Metall im glühenden Eisen, oder wie im Menschen von Leib und Seele. Diese communio «atnrttrum äussert sich als communicatio idiomatvm , kraft welcher die mensch- liche Natur an den Vorzügen der göttlichen, die göttliche an den die Erlösung betreffenden Thätigkeiten der mensch-

18) vgl. Form. Concord., Epit. und sol. decl. VIII. p. 605 ff. und 761 ff. ed. Has*. Chejumz, de duabus nattlris in Christo li- ' belins, und loci thcol. , loc. 2, 'de Blio, Osaouttf, IL th. I, i p. 640 Av (ed. 1615. ). ■Qum*«i«dt* thcol. didact. pol. P. 5. - c. J. Vgt vm Ytmm, bibl. Dogm. §• 64 ff. '

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Schlufsabhandlung. §. 144. 705

1 L

liehen Theil nimmt. Dieses Verhäitnifs spricht sich in den propotitionibus personaUbus und idiomaticia aus; jenes Satze, in welchen das Concretum der einen Natur, d. h. die eine Natur, sofern sie in der Person Christi begriffen ist, von dem der andern prädicirt wird, wie 1. Kor. 15, 47 : der zweite Adam ist der Sohn des Höchsten ; dieses Sätze , in welchen theils Bestimmungen der einen oder an- dern Natur auf die ganze Person (genus idiomaticutn) , theils Thätigkeiten der ganzen Person auf die eine oder andere Natur (gcnus apotelesmaticum)y theils endlich Attri- bute der einen Natur auf die andre übergetragen werden, was aber nur von der göttlichen auf die menschliche,* nicht umgekehrt , möglich ist (genus auchematicum) .

In der Bewegung seiner Person mit ihren zwei Na- turen durch die verschiedenen Momente des Erlösungs- werks hat Christos nach dem an Phil« 2, 6 ff. anschliefsen- den Ausdruck der Dogmatiker einen zweifachen Zustand, slaium txinamiionis und exaltationis , durchlaufen. So- fern seine menschliche Natur in ihrer Vereinigung mit der göttlichen gleich bei der Empfängnifs in den Mitbesitz gött- licher Eigenschaften kam, aber von diesen während seines Erdenlebens keinen zusammenhangenden Gebrauch mach- te , so wird dieses irdische Leben Jesu bis zum Tod und Begräbnils als ein Stand der Erniedrigung mit verschie- denen Stationen betrachtet, wogegen mit der Auferstehung, oder schon mit der Höllenfahrt, der Stand der Erhöhung eintrat, welcher mit der scssio ad dexlram patrU sein« Vollendung erreichte.

Was das Werk Christi betrifft , so schreibt ihm die Dogmatik unserer Kirche ein dreifaches Amt zu. Als Pro« phet hat er die höchste Wahrheit, den göttlichen Erlösunga- rathschlufs, unter Bekräftigung durch Wunder, der Mensch« heit geoffenbart, und ist für deren Verkündigung nocb immer besorgt; als Hoherpriester hat er theils in seinen* unsträflichen Wandel das Gesetz an unsrer Statt erfüllt Das Üben Jesu 2t e Aufl. U. Band. 45

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70(1 Schlufsabhandlu n g. §. 145,

(nbedienlia activa^ , theiis in seinem Leiden und Tod die S»rnfe getragen, die uns gebührte Cobedicntia pagarra), und vertritt uns nun fortwährend bei dem Vater; als Kö- nig endlich regiert er die Welt und insbesondere die Kir- che, welche er aus den Kämpfen der Erde zur Herrlichkeit des Himmels führen , und durch Auferstehung und Welt- gericht vollenden wird,

* »

§. 145.

Bestreitung der kirchlichen Lehre von Christo.

In der Lehre von der Person Christi gierigen schon die Reformirten nicht so weit wie die Lutheraner mit, in- dem sie deren letzte, kühnste Folgerung aus der Vereini- gung des Göttlichen und Menschlichen in ihr, die commu- tricatio idiomrtum, nicht zugaben. Die lutherischen Dog- inatiker selbst liefsen die Eigenschaften der menschlichen Natur sich nicht an die göttliche , und von dieser wenig- stens nicht alle Eigenschaften,' wie z. ß. nicht die Ewig- keit, an die menschliche sich mittheilen *)J was die Re- formirten zu der Einwendung veranlafste: die Mittheilung der Eigenschaften müsse eine gegenseitige und vollständige sein, oder sei sie gar keine; übrigens werde auch schon durch die blofs einseitige Mittheilung von Eigenschaften ei- ner unendlichen Natur an eine endliche diese nicht minder in ihrem Wesen aufgehoben, als jene, wenn sie von die- ser Eigenschaften annehmen müTste Wenn sich hiege- gen die lutherischen üogmatiker dadurch zu decken such- ten, dafs sie die eine Natur die Eigenschaften der andern nur so weit mitbesitzen liefsen, uti per suam indolcm

1) s. die dem locus de pers. et offic. Chr. angehängte Oratio bei Gerhard, a. a. O. p. 719 ff.

2) s. Gerhard, U. th. 1, p. 685 ÜV Marhbikskk, institut. symb. §. 71 f.

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Sc hl ii Ts Abhandlung. §. 145.

T07

pofest *) : «0 war hiedurch die communicafio itlhmahim in der That Aufgehoben, wie sie denn auch fulbst von den orthodoxen Dogmatikern nach Reinhard fast durchaus auf- gegeben worden ist«

Aber auch die einfache Wurzel dieses verwickelten Idiomentausches, die Vereinigung der göttlichen und mensch- lichen Natur EU Einer Person, traf der Widerspruch. Schon die Socinianer Iftugneten sie. weil zwei Naturen, deren je- de für sich schon eine Person Ausmache, zumal wenn ih- nen so entgegengesetzte Eigenschaften zukommen, wie hier die eine unsterblich, die andere sterblich, die eine anfangs- los, die andere entstanden sein solle, sich nicht zu einer Person vereinigen können und ihnen stimmen die Ra- tionalisten bei, indem sie noch besonders hervorheben, theils dafs die kirchlichen Formeln, durch welche jene Ver- einigung bestimmt weiden solle, fast durchaus nur vernei- nend seien, und die Sache nicht anschaulich machen, theils dafs an einem Christus, der mit Hülfe einer einwohnenden göttlichen Natur dem Bösen widerstanden und sich ohne Sünde erhalten hätte, der von solcher Hülfe verlassene Mensch kein wahrhaftes Vorbild haben könnte 5).

3) Reinhard, Vöries, über die Dopm., "54. Gemäss dem von d<n Reformirten gegen die Lutheraner geltend gema«hten Grundsatze : nullet natura in se ipsam rec pit contradictor'a. Planck, Gesch. des protest. Lehrb. 13d. VI. S. 782.

4) Fausti Socim de Christi natura disputatio. Opp. Bibl. Fr. Pol. 1 , p. 784. Catech. Racov. Q. 96 ff. Vfel. Marhkinrkk, instit. symb. $. 96. Auch Spinoza , ep. 21. ad Oldenburg. Opp. ed. Gfrörkr, p. 556, sagt: quod quaedam ecclesine Iiis addunt , quod Dem naturam humanam assnmpserit, tnonui er- presse, me, quid dicanty nescire; imo , ut verum fa'ear , »on minus absurde mihi loqui cidentur, quam si quis mihi dierr, t9 quod circulus naturam quadrati ir.duerit.

5) (Rbü*) Briefe Uber den Rationalismus, S. 378 ff. %Y»«*cici- dib, Inst, theol. §. 128. Britschnkidkr , Ham'b. drr Do^m,

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708 Schlufsabhandlnng. §. 145.

Das Wesentliche und Haltbare der rationalistischen Einwürfe gegen diese Lehre hat am schärfsten Schlkier- m ach kr zusammengestellt, and auch hierin, wie in vielen Stücken, die negative Kritik des kirchlichen Dogma zum Abschlufs geführt 6). Vor Allem findet er bedenklich, dafs durch den Ausdruck : gottliche und menschliche Natur, Gött- liches und Menschliches unter Eine Kategorie gestellt wer- de, und zwar unter die Kategorie von Natur, was doch wesentlich nur ein beschränktes, im Gegensatz begriffenes Sein bedeute. Dann aber, statt dafs sonst Eine Natur vie- len Einzelwesen oder Personen gemeinsam sei, solle hier umgekehrt Eine Person an zwei verschiedenen Naturen Theil haben. Sei nun Person eine stetige Lebenseinhelr, Natur aber der Inbegriff von Gesetzen, nach welchen die Lebenszustande sich verlaufen : so sei nicht zu begreifen, wie zwei durchaus verschiedene Systeme von Lebenszustin- den in Einen Mittelpunkt zusammenlaufen können. Beson- ders klar wird nach Schleiermacher diese Undenkbarkeit in der Behauptung eines zweifachen Willens in Christo, welchem man folgerichtig auch einen doppelten Verstand cur Seite stellen müfste, wobei dann, wie Verstand und Wille die Persönlichkeit constituiren, die Zerspaltnng Clin*

2. $. 137 lt.; auch Kamp, Relig. innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, 2tes Stück, 2ter Abschn. b ). 6) Glaubenslehre, 2, 96—98. Indem ich diese Schlei kk- MACHKii'sche Kritik als vollkommen berechtigt anerkenne, stel- le ich mich in directen Widerspruch mit dem L i theil von Rosenkranz, welcher (Jabrb. für wiss. Kritik, 1851- Dec. S. 935—41.) „seinen Unwillen nicht zurückhalten kann Uber die theologisch seichte und philologisch klcinlichte Manier, mit welcher Scklsiirmachkr in diesem Lehrstück das Haupt- dogma des christlichen Glaubens von der Menschwerdung Gottes zu untergraben sucht.1' Die Verwechslung, auf wel- cher dieses Urtheil beruht, wird sich weiter unten von selbst aufdecken.

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Schlaf* ab handlang. §. 145. 709

sti In Ewei Personen entschieden wäre. Zwar sollen die beiden Willen immer dasselbe wollen: allein theils giebt dlefs nur moralische, nicht persönliche Einheit, theils ist es von göttlichem und menschlichem Willen nicht einmal möglich, indem ein menschlicher Wille, der wesentlich nur Einzelnes und eines am des andern willen will, mit einem göttlichen, dessen Gegenstand das Ganze in seiner Ent- wicklung ist, so wenig das Gleiche wollen kann, als ein disoursiver menschlicher Verstand mit dem intuitiven gött- lichen dasselbe denken ; woraus zugleich von selbst her~ vorgeht, da ('s eine Mittheilung der Eigenschaften zwischen den beiden Naturen sich nicht annehmen iafst.

Einer ähnlichen Kritik entgieng auch die Lehre von der Thätigkeit Christi nicht. Abgesehen von dem, was in formeller Hinsicht gegen die Eintheilung derselben in die drei Ämter eingewendet wurde, waren es im prophetischem hauptsächlich die Liegriffe von Offenbarung und Wunder, die man in Ansprach nahm, weil sie weder objectiv mit richtigen Vorstellungen von Gott and Welt in ihrem gegen- seitigen Verhältnis, noch subjectiv mit den Gesetzen des menschlichen Erkenntnisvermögens sich zu vertragen schie- nen. Unmöglich könne der vollkommene Gott eine Natur geschaffen haben, die von Zeit zu Zeit einer ausserordent- lichen Nachhülfe des Schöpfers bedürfte, noch insbesonde- re eine menschliche Natur, die nicht durch Entfaltung ih- rer mitgegebenen Anlagen ihre Bestimmung zu erreichen vermöchte; unmöglich könne der Unveränderliche bald auf diese, bald auf jene Weise, das einemal mittelbar, das an- dremal unmittelbar, auf die Welt einwirken, sondern im- mer nur auf die gleiche, nämlich an sich und auf das Ganze nnmittelbar, för uns aber und auf das Einzelne mittelbar. Eine Unterbrechung des Naturzusammenhangs und der Entwicklung der Menschheit durch unmittelbares Eingrei- fen Gottes anzunehmen, hiefse allem vernünftigen Denken entsagen; im einzelnen Fall aber sei eine Offenbarung und

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710 Schlufsabhaodlung. §. 145.

Wunder als solche nicht einmal zuverläfslg zu erkennen, weil, am sicher zu sein, dafs gewisse Erscheinungen nicht aus den Kräften der "Natur und den Anlagen des mensch- lichen Geistes hervorgegangen seien, eine vollständige Kennt- nis von diesen, und wie weit sie reichen, erfordert wür- de, deren der Mensch sich nicht rfihmen kann 7).

Doch der Hauutansfofs wurde an dem hohenpriester- lichen Amte Jesu, an der Lehre von der Versöhnung, ge- nommen. Zunächst war es die anthropopathische Färbung, welche dem Verhältnifs Gottes zur Sünde der Menschen im Anselmischen System gegeben war, was Einwürfe her- vorrufen mufste. Wie es dem Menschen wohl anstehe, Beleidigungen ohne Kache zu verzeihen: so, meinte Socin, könne auch Gott ohne Genugthuung die Beleidigungen , weiche ihm die Menschen durch ihre Sünden zufügen, vergeben 8). Dieser Einwurf wurde von Hugo Grotids durch die Wendung beseitigt, dafs nicht gleichsam in Fol- ge persönlicher Beleidigung, sondern um die Ordnung der moralischen Welt unverletzt zu erhalten, oder vermöge seiner juttitia rectoriay Gott die Sünden nicht ohne Ge- nugtuung vergeben könne9), li.defs, die Notwendigkeit einer Genugthuung auch zugegeben, schien doch der Tod Jesu eine solche nicht sein zu können. Während Anselm, und noch entschiedener Thomas von Aquino 10), von einer satisf actio tupcrabvtidans sprachen, läugnete Socin, dafs Christut auch nur gleichviel Strafe getragen habe, als die Menschen verdient hätten; denn die Menschen hätten, je-

7) Sraosi, tract. theol. polit. c. 6. p. 135. ed. Girörrr , und cp. 23. ad Oldenburg, p. 558 f. Briefe über den Rat., 4ter, Ster, 6ter, 12ter. Wkgsciisider, §§. 11. 12. Schlkibräachkk, §§. 14. 47.

8) Praelect. theol. c. 15.

9) In dem Werk : defensio fidei cath. de satisfactione Chr. adv. F. Socinum.

10) Summa, F. 3. Q. 48. A. 2. 1

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Schiu fsabhandiung. §. 145. 711

der einzelne, den ewigen Tod verdient, folglich hätten ebensoviele Stellvertreter als Sünder den ewigen Tod er- leiden müssen : wogegen nun der einzige Christus blofs den seitlichen Tod, Überdiefs als Eingang zur höchsten Herrlichkeit, erduldet habe, und zwar nicht mit seiner göttlichen Natur , dafs man sagen könnte, dieses Leiden habe unendlichen Werth, sondern mit seiner menschlichen. Wenn hiegegen schon früher dem Thomas gegenüber Dl ins Scotus "j, und nun wieder zwischen den Orthodoxen und den Socinianern Grotiüs und die Arminianer den Ausweg ergriffen, an sich zwar sei Christi Verdienst endlich ge- wesen, wie das Subject desselben, seine menschliche Na- tur, und daher zur üenugthuung für die Sünden der Welt unzureichend, aber Gott habe es aus freier Gnade für zu- reichend acceptirt : so folgte aus der Einräumung, dafs Gott mit unzulänglicher Genugtuung sich begnügen, also einen Theil der Schuld ohne Genugthuung vergeben kön- ne, nothwendig, dafs er auch die ganze so zu vergeben im Stande sein müsse. Doch auch abgesehen von allen diesen näheren Bestimmungen wurde die Grundvorstelluug selbst, dafs Jemand für Andere Sünden trafen auf sich nehmen könne, als eine rohe Übertragung niedrigerer Ve*- hahnifse auf höhere angegriffen. Sittliche Verschuldungen seien keine transmissibel!! Verbindlichkeiten , es verhalte sieh mit ihnen nicht, wie mit Geldschulden , wo es dem Gläubiger gleichgültig ist, wer sie bezahlt, wenn sie nur überhaupt bezahlt werden; der Sündenstrafe sei es viel- mehr wesentlich, eben nur über den verhängt zu werden, der sich ihrer schuldig gemacht hat ls). Kann hienach der sogenannte leidende Gehorsam Christi kein stellvertreten- der gewesen sein : so noch weniger der thätige, da er die-

11) Comm. in Sentt. L. 5. Dist. 19.

12) s. ausser Socik besonders Ka>t, Rclig. innerhalb der Gren- zen der blossen Vernunft, 2tes Stink, Jlci Abstlin., t).

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7VX SchUfsabhandlung. §. 146.

* 9 f , .

aen als Mensch für sich selbst schon so leisten schuldig war 18).

In Betreff des königlichen Amtes Christi trat die Hoff- nung auf seine einstige Wiederkunft zum Gericht im Be- wufstsein der Gemeinde in dem Maafse zurück, als die An« sieht von einer gleich nach dem Tode jedes Einzelnen voll st findig eintretenden Vergeltung erstarkte, wodurch jener allgemeine Gerich tsact als überflüssig erscheinen mufate

J. 146. % Die Christologie des Rationalismus.

An die Stelle des kirchlichen Dogma von Christus, •einer Person und seiner Wirksamkeit, welches sie als in sich widersprechendes, nutzloses, ja der wahren morali- schen Religiosität schädliches verwarfen, setzten nun die Rationalisten eine Lehre, weiche, mit Vermeidung jener Widersprüche, Jesum doch noch als eine in gewissem Sinne göttliche Erscheinung festhalten, ja, recht erwogen, ihn weit erhabener hinstellen, nnd dabei die kräftigsten Antriebe zu praktischer Frömmigkeit enthalten sollte

Ein göttlicher Gesandter, ein besonderer Liebling und Pflegling der Gottheit, sollte Jesus bleiben, sofern er durch die Veranstaltung der Vorsehung mit einem ausge- zeichneten Maafse geistiger Vorzöge ausgerüstet, unter ein Volk und in ein Zeitalter versetzt, und sein Lebensgang so geleitet wurde, wie es seiner Entwicklung zu dem, was er werden sollte, am günstigsten war; sofern namentlich gerade. diejenige Todesart über ihn herbeigeführt wurde, welche die Wiederbelebung, von der das Gedeihen seines ganzen Werkes abhieng, möglich, und Umstände, welche

15) TöLLwaa, der th'atigc Gehorsam Christi untersucht. 1768.

14) WlGSCHKlDBR, §. 199.

1) Vgl. übor das Folgende besonders die Briefe über den Rat. S. 572 IT. WssscKSiüSH, %%. 128, 133. 140.

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Schlu Ts ab Handlung. §. 146. 7)3

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dieselbe wirklieh machten. Glaubt biemit, auf seine na«

türliche Begabung und seine Süsseren Schicksale gesehen, die rationalistische Vorstellung von Christo hinter der or- thodoxen nicht wesentlich zurückzubleiben, indem er auch Vir der erhabenste Mensch ist, der je auf Erden lebte, •in Heros, in dessen Schicksalen sich die Vorsehung im höchsten Grade verherrlichte : so glaubt sie, wenn auf die innere Entwicklung und freie Thatigkeit Jesu gesehen wird, die kirchliche Lehre wesentlich zu Oberbieten« Wäh- rend der kirchliche Christus ein unfreies Automat sei, des- **n Menschheit als todtes Organ des Göttlichen sich ver- bitte, sittlich vollkommen handle, weil sie nicht sündigen Lonne, und ebendeswegen weder sittliches Verdienst haben, noch Gegenstand der Achtung und Verehrung sein könne : habe nach rationalistischer Ansicht die Gottheit in Jesum nur die natürlichen Bedingungen dessen, was er werden soll- te, gelegt, da fs er es aber wirklich wurde, sei das Re- sultat seiner freien Selbsttätigkeit gewesen. Seine be- wunderungswürdige Weisheit habe ersieh durch zweckmä- fsige Anwendung seiner Verstandeskräfte und gewissenhaf- te Benützung der ihm zu Gebot stehenden Hülfsmittel, sei- ne sittliche Gröfse durch eifrige Ausbildung seiner morali- schen Anlagen, Bezähmung seiner sinnlichen Neigungen und Leidenschaften, und zarte Folgsamkeit gegen die Stimme sei- nes Gewissens, erworben, und eben nur hierauf beruhe das Erhabene seiner Persönlichkeit, das Ermunternde sei- nes Vorbildes.

Die Thfitigkeit Jesu anlangend, hat er sich um die Menschheit vor Allem dadurch verdient gemacht, daf« er ihr eine Religionslehre mittheiite , welcher um ibrer Rein- heit und Trefflichkeit willen mit Recht eine gewisse gött- liche Kraft und Würde zugeschrieben wird, und daf« er diese durch das glänzende Beispiel seines eigenen Wandele auf die wirksamste Weise erläuterte und bekräftigte. Die- ses prophetische Amt Christi ist , bei Socinianern und Ra-

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Schiufsabhandlung. §. 146.

tionalisten der Mittelpunkt seiner Thätigkeit , anf welchen sie alles Andere, namentlich was die Kirchenlehre noter dem hohenpriesterlichen Amte begreift , immer wieder su- rUckführen. Der sogenannte thuende Gehorsam hat hier ohnehin nur als Beispiel Werth; aber auch der Tod Jesu sollte die Sündenvergebung nur durch Vermittlung der Bes- serung bewirken, entweder so, dafs er als Besegelung sei- ner Lehre, und Vorbild aufopfernder Pflichterfüllung, den Tugendeifer belebe, oder so, dafs er als Beweis der Liebe Gottes zu den Menschen, seiner Geneigtheit, dem Gebes- serten zu vergeben, den sittlichen Muth erhebe.2)

Wenn Christus nicht mehr gewesen ist und gethan hat, als diese rationalistische Lehre ihn sein und thun lälst : so sieht man nicht, wie die Frömmigkeit dazu kommt , ihn zu ihrem besondern Gegenstand zu machen , und die Dog- tnatik, eigene Sätze über ihn aufzustellen. Wirklich haben daher consequente Rationalisten erklärt, was die orthodoxe Dogmatik Christologie nenne, trete im rationalistischen Sy- stem gar nicht als ein integrirender Theil desselben auf, da dieses System zwar aus einer Religion bestehe, die Christus gelehrt habe, nicht aber aus einer, deren Object er selbst wäre. Heifre Christologie Messiaslehre : so sei diese nur eine Hülfslehre für die Juden gewesen; aber auch im ed- leren Sinn, als Lehre von dem Leben, den Thaten und Schicksalen Jesu als göttlichen Gesandten, gehöre sie nicht «um Glaubenssystem , da allgemeine religiöse Wahrheiten mit den Vorstellungen über die Person dessen, der sie zu- erst ausgesprochen, ebensowenig zusammenhängen, als man in dem System der Leibniz- WoLFischen, oder KANTischen, oder FiCHTK'schen und ScHELLiNG'schen Philosophie als phi- losophische Sätze dasjenige aufstelle, was man von der

Persönlichkeit ihrer Urheber zu halten habe. Nur zur Re-

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2) s. die verschiedenen Ansichten bei Bketschkiidka , Do gm. 2, S. 553, systematische Entwicklung, §. 107.

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Schiufsabhandiung. $. Uli 715

ligtonsgeschichte , nicht eur Religion könne das die Person und Wirksamkeit Jesu Betreffende gehören, und der Re- ligionslehre nnr entweder als geschichtliche Einleitung vor- angeschickt , oder als erläuternder Nachtrag beigegeben werden ■"). Hienach hatte schon Henke in seinen Linea- wenten die Christologie als selbständigen Haupttheil der Uogmatik aufgehoben , und sie der Anthropologie als Un- terabtheilung beigegeben.

Hieroit tritt nun aber der Rationalismus In offenen Widerstreit mit dem christlichen Glauben, indem er dasje- nige, was diesem der Mittelpunkt und Eckstein ist, die Lehre von Christus, in den Hintergrund zu Wicken, ja aus der Dogmatgk zu verbannen sucht. Kbenriamit aber ist auch die Unzulänglichkeit des rationalistischen Systems entschieden, weil es das nicht leistet, was jede Glaubens- lehre leisten soll: dem Glauben, der ihr Gegenstand ist, erstlich den adäquaten Ausdruck zu geben, und ihn zwei- tens mit der Wissenschaft in ein sei es positives, oder negatives Verhältnifs zu setzen. Hier nun Ist Ober dem Bestreben , den Glauben mit der Wissenschaft in Einklang zu bringen, der Ausdruck demselben verkümmert : denn ein Christus, nur als ausgezeichneter Mensch, macht zwar dem Begreifen keine Schwierigkeit, aber ist nicht derjenige, au welchen die Kirche glaubt.

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§. 147.

Eine eklektische Christologie. Schleiirmachkr.

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Beide Ubelstände zu vermeiden, und die Lehre von Christo ohne Beeinträchtigung des Glaubens so zu fassen, dafs die Wissenschaft ihr nicht den Krieg zu erklären braucht f) , ist nun das Bestreben desjenigen Theologen ge-

3) Röhr , Briefe , S. 36. 405 ff.

1) Scmi.kibrmachkr , über seine Glaubenslehre, an Dr. Lvckk. Zweites Sendschreiben. Studien, 2, 3, S. 481 ff.

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Sohlui sabhandlung. 5. 147.

wegen, welcher einerseits die negative Kritik des Rationa- lismus gegen die Kirchenlehre vollständig in sich aufge- nommen , ja noch geschürft, andrerseits aber doch noch .das Wesentliche des positiv christlichen Gehaltes, der dem Rationalismus verloren gegangen war , festzuhalten rersocht hat, und daher Vielen in der letzten Zeit der Retter aus der Enge des Snpranatnralismus nnd der Leere des Ratio- nalismus geworden ist. Jene Vereinfachung des Glauben bringt Schuhermachrr dadurch sn Stande, dafs er weder pro- testantisch von der Scbrrftlehre , noch auch katholisch von den Bestimmungen der Kirche ausgeht, da er auf beide Weise einen bestimmt entwickelten Inhalt bekommen würde, der, in früheren Jahrhunderten entstanden, mit der heuti- gen Wissenschaft sich nnthwendig verwickeln müTste : son- dern er geht vom christlichen Bewufstsein, von der inneren Erfahrung aus , die jeder über das , was er am Christen- thum hat, in sich selber macht, nnd bekommt so einen Stoff, der als Gefühltes ein minder Bestimmtes ist, dem daher durch dialektische Entwicklang leichter eine Form gegeben werden kann, weiche den Forderungen der Wis- senschaft genügt hut.

Als Glied der christlichen Gemeinde diefs ist der Ausgangspunkt der ScHLEiKRMACHERschen Christologie *) bin ich mir der Aufhebung meiner Sündhaftigkeit und der Mittheilung schlechthiniger Vollkommenheit bewufst, d. h. ich fühle in dieser Gemeinschaft die Einflüsse eines sünd- losen und vollkommenen Princips auf mich. Diese Einflüsse können von der christlichen Gemeinschaft nicht In der Art ausgehen, dafs die Wechselwirkung Ihrer Mitglieder sie hervorbrächte ; denn in jedem einseinen von diesen ist Sünde und Unvollkommenheit gesetzt, und das Zusammen- wirken von Unreinen hat nie etwas Reines sum Resul- tate. Sondern der Einflufs eines solchen mufs es sein,

2) Glaubenslehre, 2, 92-105.

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Schlufsabhandiung. 5. 147. 717

der einestheils jene Sinnlosigkeit und Vollkommenheit als persönliche Eigenschaften besafs , und anderntheiis mit der christlichen Gemeinschaft iu einem Verhäitnifs steht, ver- möge dessen diese Eigenschaften von ihm sich ihr mitthei- len können : d. h. , da vor dieser Mittheilung die christliche Gemeinschaft als solche nicht vorhanden gewesen sein kann, ihr Stifter war. Was wir in uns als Christen bewirkt finden, daraus schliefsen wir, wie immer von der Wirkung auf die Ursache geschlossen wird, auf die Wirksamkeit Christi zurück, und aus seiner Wirksamkeit auf seine Person , welche die Fähigkeit gehabt haben mufs , solches zu bewirken»

Näher ist nun, was wir in der christlichen Gemein- schaft in uns finden, eine Kräftigung des Gottesbewufstseins in seinem Verhäitnifs cum sinnlichen , d. h. wir finden es ans erleichtert, die Übermacht der Sinnlichkeit in uns zu brechen, alle Eindrücke, die wir empfangen , auf das re- ligiöse Gefühl zu beziehen , und hinwiederum alle Thätig- keiten aus demselben hervorgehen zu lassen. Nach dem Obigen ist diefs die Wirkung Christi auf uns, welcher die Kräftigkeit seines Gottesbewufstseins uns mittheiit , von der Knechtschaft der Sinnlichkeit und Sünde uns befreit, und hiemit der Erlöser ist In dem Gefühl des gekräftigten Got- tesbewufstseins , welches der Christ in der Gemeinschaft mit seinem Erlöser hat, werden die Hemmungen seines natürlichen und geselligen Lebens nicht zugleich als Hem- mungen des Gottesbewufstseins empfunden ; sie unterbre- chen nicht die Seligkeit, welche er in seinem innersten re- ligiösen Leben geniefst; was man sonst Übel und göttliche Strafen nennt, ist es für ihn nicht, und insofern es Chri- stus ist , der ihn durch Aufnahme in die Gemeinschaft sei- ner Seligkeit hievon befreit , kommt diesem neben der er- lösenden auch die versöhnende Thätigkeit zu. Hienach allein ist denn auch die kirchliche Lehre von dem dreifa- chen Amte Christi zu verstehen. Prophet ist er, sofern er

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S c h I ti f i a b h a n d 1 u n g. $.147«

nicht anders, «1« durch das Wort, durch Seih st d Anstel- lung überhaupt, die Menschheit an sich eichen konnte : so dnfs der Hauptgegenstand seiner Lehre eben seine Person war; lloherpriester und zugleich Opfer ist er, sofern er, der Söndlose, aus dessen Dasein sich daher auch kein Übel entwickeln konnte , in die Gemeinschaft des süncUichen Lebens der Menschheit eintrat, und die in demselben er-

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sengten UbeK auf sich nahm, um sofort uns in die Geniein- achaft seines sundlosen und sefigen Lebens aufzunehmen, d. h. , Sünde und Übel auch in und für uns aufzuheben, und uns vor Gott rein darzustellen ; König endlich ist er, sofern er diese Segnungen eben in Form eines Gemein w e- sens, dessen Haupt er ist, an die Menschheit bringt.

Aus diesem nun, was Christus wirkt, ergiebt s'ch, was er gewesen ist. Verdanken wir ihm die immer stei- gende Kräftigung unsres Gottesbewofstseins : so mufs diefs in ihm in absoluter kräftigkeit gewesen sein, so dafs et, oder Gott in Form des Bewufstseins , das allein Wirksame In ihm war, und diefs ist der Sinn des kirchlichen Aus- drucks, dafs Gott in Christo Mensch geworden ist WirU ferner Christus in uns die immer vollständigere Uberwin- dung der Sinnlichkeit: so mufs diese in ihm schlechthin überwunden gewesen sein, in keinem Augenblick seines Lebens ksnn das sinnliche Bewufstsein dem Gottesbewufst- sein den Sieg streitig gemacht, nie ein Schwanken und Kampf in ihm stattgefunden haben, d. h. die menschliche Natur in ihm war unsündlich, und «war in dem strenge- . ren Sinn, dafs er, vermöge des wesentlichen Ubergewichts . der höheren Kräfte in ihm über die niederen, unmöglich sündigen konnte. Ist er durch diese Eigentümlichkeit sei- nes Wesens das Urbild, welchem seine Gemeinde sich im- mer nur annähern, nie über dasselbe hinauskommen kann: so mufs er doch sonst könnte swischen ihm und uns keine wahrhafte Gemeinschaft stattfinden unter den ge- wöhnlichen Bedingungen des menschlichen Lebens sich ent«

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Schlofgnbhandlung. §. 147. 719

wickelt haben, das Urbildliche mufs in ihm vollkommen ge- schichtlich geworden sein, jeder seiner geschichtlichen Mo- mente zugleich das Urbildliche in sich getragen haben, und diefa ist der eigentliche Sinn der kirchlichen Formel, dafg die göttliche und menschliche Natur in ihm zu Einer Per- son vereinigt gewesen seien.

Nur so weit läfst sich die Lehre von Christo aus der inneren Erfahrung des Christen ableiten, und so weit wi- derstreitet sie, nach Schleiermachkr , auch der Wissen- schaft nicht: was im kirchlichen Dogma darüber hinaus- geht, — und gerade das ist es, was die Wissenschafe an- fechten raufs , wie namentlich die übernatürliche Erzeu- gung Jesu und seine Wunder, auch die Thatsachen der Auferstehung und Himmelfahrt, so wie die Vorhersagun- gen von seiner Wiederkunft zum Gericht, können nicht als eigentliche Bestandteile der Lehre von Christo aufge- stellt werden. Denn derjenige, von dessen Einwirkung uns alle Kräftigung unsres Gottesbewufstseins kommt, kann Christus gewesen sein , auch wenn er nicht leiblich aufer- stand und in den Himmel sich erhob u. s. f.: so daft wir diese Thatsachen nicht defswegen glauben, weil sie in un- serer inneren Erfahrung mitgesetzt wären, sondern nur weil sie in der Schrift stehen , also nicht sowohl auf religiöse und dogmatische, als vielmehr nur auf historische Weise.

Gevtifs ist diese Christologie eine sehr schöne Ent- wicklung, und in ihr, wie wir später sehen werden, das Möglichste geleistet, um die Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen in Christo als einem Individuum anschaulich zu machen ") ; allein wenn dieselbe Beides, sowohl den Glauben unverkürzt, als die Wissenschaft unverletzt zu er-

3) Auch hier befinde ich mich im Gegensatz gegen Rosenhram, welcher a. a. O. die ScHLEigRMACum'sche Christologie eine gequälte Entwicklung nennt.

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7*0 SchiufiabhandJung. §. 147.

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halten meint : so mufs gesagt werde r., dafs sie sioh in Bei- dem täuscht *)•

Der Widerstreit mit der Wissenschaft knüpft sich tu- nächst an die Formel, in Christus sei das Urbildliche zu- gleich geschichtlich gewesen. Dafs diefs ein gefährlicher Punkt sei, ist Schleiermacher'u selbst nicht entgangen« Raum hat er den bezeichneten Satz aufgestellt , so sagt er sich auch schon, wie schwer es zudenken ist, dafs das Urbildliche in einem geschichtlichen Einzelwesen vollstän- dig cur Wirklichkeit gekommen sein sollte, da wir das Urbild sonst nie in einer einzelnen Erscheinung, sondern nur In einen ganzen Kreise von solchen , die sich gegen* seitig erganzen , verwirklicht finden. Zwar soll nun die Urbildlich kett Christi keineswegs auf die tausenderlei Be- ziehungen des menschlichen Lebens sich erstrecken, so dafa er auch für alles Wissen, oder alle Kunst und Geschick- lichkeit, die sich in der menschlichen Gesellschaft enrwik- kelt, urbildlich sein müßte, sondern nur für das Gebiet des Gottesbewufstseins : allein diefs ändert, wie Sciimid mit Recht bemerkt, nichts, da auch das Gottesbewufstsein in seiner Entwicklung und Erscheinung den Bedingungen der Endlichkeit und Unvollkommenbeit unterworfen ist, und wenn auch nur in diesem Gebiete das Ideal in einer einzelnen historischen Person als wirklich anerkannt wer- den soll, diefs nicht geschehen kann, ohne die Gesetze der Natur durch Annahme eines Wunders zu durchbre- chen. Doch diefs schreckt Schlbiermacher^ keineswegs zurück, sondern eben hier, meint er, sei der einzige Ort, wo die christliche Glaubenslehre dem Wunder in sich Raum

4) Diess ist auch bereits in den namhaftesten Beurtheilungen des ScMLKiKKMACHBR'schen Systems tum Bewusstsein gekom- men, vgl. Bramss, über Scklsjermacmer's Glaubenilehre; H. Schmii>, über Sckl. Glaubens!. S. 263 ff.; Baur, die chrittl. Gnosis , S. 626 ff. , und die angef. Rccetis. von Roskxkraxz.

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Schlufsabhandlung. §. 147. , 721

geben müsse, indem die Entstehung der Person ( lu i ti nur als Resultat eines schöpferischen göttlichen Acts be- griffen werden könne. Zwar soll nun das Wunderbare nur auf den ersten Eintritt Christi in die Reihe des Da- seienden beschränkt werden , und seine ganze weitere Ent- wicklung allen Bedingungen des endlichen Daseins unter- worfen gewesen sein : aber diefs Zugeständnis kann den Rifs, der durch jene Behauptung in die ganze wissen- schaftliche Weltansicht gemacht ist, nicht heilen, und am wenigsten können vage Analogieen etwas helfen , wie die : so gut es noch jetzt möglich sei, dafs Materie sich balle und im unendlichen Raum zu rotiren beginne, müsse die Wissenschaft auch einräumen , es gebe eine Erscheinung im Gebiet des geistigen Lebens, die wir eben so nur als reinen Anfang einer höheren geistigen LebensentwickJung erklären können 5).

Zumal man durch diese Vergleichung an das erinnert wird, was Braniss besonders geltend gemacht hat , dafs es den Gesetzen aller Entwicklung zuwider wäre, den An- fangspunkt einer Reihe als ein Gröfstes zu denken, und also hier in Christo, dem Stifter des Gesatnmtlebens, das die Kräftigung des Gottesbewufstseins zum Zwecke hat, die Kraftigkeit desselben als schlechthinige vorzustellen, was doch nur das unendliche Ziel der Entfaltung des von ihm gestifteten Gesammtlebens ist. Zwar giebtauch Schleier- macher in gewissem Sinn eine Perfectibilität des Christen- thums zu: aber nicht über das Wesen Christi hinaus, son- dern nur über seine Erscheinung, ,1). h., die Bedingtheit und Du Vollkommenheit der Verhältnisse Christi, der Sora- che, in welcher er sich ausdrückte , der Nationalität, inner- halb deren er stand, habe auch sein Denken und Thua afficirt, aber nur die Aussenseite : der innere Kern der- selben sei dennoch wahrhaft urbildlich gewesen, und wenn

5) Im 2ten Sendschreiben. ^ ri, , ;.*p,

Das Leben Jesu 2U Aufl. 2. Band. 46

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722 Schlufsabhandlung. $. 147.

nun die Christenheit in ihrer Fortent wickln Hg in Lehre und Leben Immer mehr jene temporellen und nationalen Schranken niederwerfe, in weichen Jesu Thun und Reden sich bewegte: so sei diefs kein Hinausgehen öber Christum, sondern nor eine um so vollständigere Darlegung seines inneren Wesens. Allein , wie Schmid gründlich nachgewie- sen hat, ein geschichtliches Individuum ist eben nur das, ^ as von ihm erscheint , sein inneres Wesen wird in seinen Reden und Handlungen erkannt, eu seiner Eigenthflmlich- 'keit gehört die Bedingtheit durch Zeit - und Volksverbfilt- nisse mit, und was hinter dieser Er scheinung als An sich zurückliegt , ist nicht das Wesen dieses Individuums , son- dern die allgemeine menschliche Natur Oberhaupt, welche in den Einseinen durch Individualität, Zeit nnd Umstände beschränkt, zur Wirklichkeit kommt. Über die geschicht- liche Erscheinung Christi hinausgehen , heifst also nicht Biim Wesen Christi sich erheben , sondern zur Idee der Menschheit überhaupt , und wenn es Christus noch sein •oll , dessen Wesen sich darstellt , wenn mit Wegwer- fung des Temporeilen und Nationalen das Wesentliche aus seiner Lehre nnd seinem Leben fortgebildet wird : se könnte es nicht schwer fallen, durch ähnliche Abstrmction auch einen Sokrates als denjenigen darzustellen, öher wel- chen in dieser Weise nicht hinausgegangen werden könne.

Wie aber weder Überhaupt ein Individuum , noch ins- besondre ein geschichtlicher Anfangspunkt zugleich urbiid- lich sein kann : so will auch, Christum bestimmt als Men- schen gefafst, die nrbildliche Entwicklung und Beschaf- fenheit, welche ihm Schlkikrmacher zuschreibt, mit den Gesetzen des menschlichen Daseins sich nicht vertragen. Die ünsündiichkeit, als Unmöglichkeit des Söndigens ge- fafst, wie sie in Christo gewesen sein soll, ist eine mit der menschlichen Natur ganz unvereinbare Eigenschaft, da dem Menschen vermöge seiner von sinnlichen wie ver- nünftigen Antrieben bewegten Freiheit die Möglichkeit des

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Schlufsabhapdlung. $. 147. 723

Sündigen! wesentlich ist. Und wenn Christas sogar ?on allem innern Kampf, von jeder Schwankung des geistigen Lebens zwischen Gut und Böse, frei gewesen sein soll: so könnte er vollends kein Mensch wie wir gewesen sein, da die Wechselwirkung, in weicher bei*m Menschen sowohl die innere Geisteskraft überhaupt mit der auf sie einwirkenden Aussen weit, als insbesondere die höhere, re ligiössitdicbe Kraft mit der sinnlichen Geistesthätigkeit steht, nothwendig als Kampf zur Erscheinung kommt 6).

So wenig aber auf dieser Seite der Wissenschaft , so wenig thut die in Rede stehende Christologie auf der an- dern Seite dem Glanben genug. Um von denjenigen Punkten abzusehen , wo sie für die kirchlichen Bestimmungen wenig- stens annehmliche Surrogate so bieten weifs 9 über welche sich jedoch gleichfalls streiten iiefse , ob sie völligen Er- satz gewähren *) , tritt diefs am schreiendsten in der Be- hauptung hervor, die Thatsachen der Auferstehung und Himmelfahrt gehören nicht wesentlich cum christlichen Glauben. Während doch der Glaube an die Auferstehung Christi der Grundstein ist, ohne Welchen die christliche Gemeinde sich nicht hätte aufbauen können, auch jetzt noch der christliche Festcyclos, die äussere Darstellung des christlichen Bewußtseins , keine tödtlichere Verstüm- melung erleiden könnte, als wenn aus demselben das Oster- fest ausgebrochen würde; überhaupt im Glauben der Ge- meinde der gestorbene Christus nicht sein könnte, was er ist , wenn er nicht zugleich der Wiedererstandene wäre.

Zeigt sich an der Schleierm ACHERschen Lehre von der Person und den Zuständen Christi besonders ihre doppelte Unzulänglichkeit , in Bezug auf Kirchenglauben und Wis- senschaft : so wird aus der Lehre von der Wirksamkeit Chri-

6) Schmtd, a. a. O.

7) Vgl. Botannuun, a. a. O. S. 935 ff.

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704 ' Sehl ufeab band lang. > 147.

.su erhellen, dafs, uoi dem ersteren nur so weit genug zn thun , als hier geschieht, ein solcher Widerspruch gegen die Grundsätze der letzteren gar nicht nothig, sonüerii ein leichteres Verfahren möglich war. Nämlich biofs auf den Rückschlufs von der Innern Erfahrung des Christen, als der Wirkung, auf die Person Christi, als die Ursache, gegrön- det, steht die Schlei krm ach tR'sche Christologie auf schwa- chen Füfsen , indem nicht bewiesen werden kann, dafs jene innere Erfahrung nur dann sich erklären lasse, wenn ein solcher Christus wirklich gelebt hau Schleikrmacher selbst hat den Ausweg bemerkt, dafs man ja sagen könn- te, nur. veranlaßt durch Jesu relative Vortrefflichkeit habe die Gemeinde ein Ideal absoluter Vollkommenheit eutwor- feu, und auf den historischen Christus übergetragen , aus welchem sie nun fortwährend ihr tiottesbdwufstsein stärke und neu belebe: doch diesen Ausweg soll die Bemerkung abschneiden, die sündhafte Menschheit habe vermöge des Zusammenhangs von Willen und Verstand gar nicht das Vermögen, ein fleckenloses Urbild zu erzeugen. Aliein, wie treffend bemerkt worden ist, nenn Schleiermac u:.r iür die Entstehung seines wirklichen Chr^tus ein Wunder postulirt: so könnten ja wir für die Entstehung des Ideals von einem Christus in der menschlichen Seele dasselbe Rechjt in Anspi uch nehmen 8). Inde.: , es ist gar nicht einmal wahr, dafs die sündhafte menschliche Natur zur Erzeugung eines bündlosen Urbilds unfähig ist. Wird un- ter diesem Ideal nur die allgemeine Vorstellung verstan- den: so ist vielmehr mit dem Bewußtsein der Unvollkoni- meuheit und Sündhaftigkeit die Vorstellung des Vollkom- menen nnd Sfindloseu ebenso uoihwendig gegeben, wie mit dem der Endlichkeit die des Unendlichen, indem beide Vorstellungen sich gegenseitig b dingen, die eine ohne die andere gar nicht möglich ist. Ist aber die concreto Aus-

8) Bau* , a. a. O. S. 653.

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Scnlufsabhandiung. §. 149. 725

Führung des Bildes mit den einzelnen Zügen gemeint: po kann man engeben, difs einem sündhaften Individuum and Zeitalter diese Ausmalung nicht fleckenlos gelingen kann; allein dessen ist ein solches Zeitalter, weil es selbst nicht darüber hinaus ist, sich nic^t bewußt, und wenn das Bild nur skizzenhaft ausgeführt ist, und der Beleuchtung noch viel Spielraum läfst: so kann es hiebt auch von ei- ner späteren , scharfsichtiger gewordenen Zeit, so lange sie den guten Willen der günstigsten Beleuchtung hat, noch als fleckenlos betrachtet werden.

Hiemit sehen wir, was an dem Vorwurf ist, der ScHLKiERMAcnER'ri so ungehalten machte, dafs sein Chri- stus kein historischer, sondern ein idealer sei: er ist un- gerecht, wenn auf die Meinung Schleiermacher's gesehen wird, denn er glaubte steif und fest, der Christus, wie er ihn construirte, habe wirklich so gelebt; aber gerecht ist er einerseits in Bezug auf den geschichtlichen Thatbe- stand, weil ein Solcher Christus immer nur in der Idee vorhanden gewesen ist, in welchem Sinn freilich dem kirchlichen System derselbe Vorwurf noch stärker gemacht werden müTste, weil sein Christus noch viel weniger exi- stirt haben kann; gerecht endlich rücksichtlich der Con- sequenz des Systems, indem, nm das zu bewirken, was Schleiermacher ihn bewirken Jfifst, kein anderer Christus nöthig, und nach den Schleiermacher sehen Grundsätzen Über das Verhaitnifs Gottes zur Welt, des Übernatürlichen zum Natürlichen, auch kein andrer möglich ist, als ein idealer und in diesem Sinne trifft der Vorwurf die ScHLEiERMACHER'sche Glaubenslehre speeifisch, da nach den Prämissen der Kirchenlehre allerdings ein historischer Chri- stus sowohl möglich als nothwendig war. *

5. 148.

Die Christologic, symbolisch gewendet. Kakt. db Warn. Ist hiemit der Versuch gescheitert, das lirbildliche

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726 SchUrsabhandiung. §. 148.

in Christo mit dem Geschichtlichen zusammenzuhalten: §o scheiden sieh diese beiden Elemente, das letztere fallt als natürliches Residuum En Boden, das erste re aber steigt als reines Sublimat in den Äther der Ideen weit empor. Ge- schichtlich kann Jesus nichts Anderes gewesen sein, als eine «war sehr ansge zeichnete, aber darum doch der Be- schränktheit alles Endlichen unterworfene Persönlichkeit: vermöge dieser ausgezeichneten Persönlichkeit aber regte er das religiöse Gefühl so mächtig an, dafs dieses in ihm ein Ideal der Frömmigkeit anerkannte; wie denn über- haupt eine historische Thatsache oder Person nur dadurch Grundlage einer positiven Religion werden kann, dafs sie In die Sphäre des Idealen erhoben wird *)•

Schon Spinoza, hatte diese Unterscheidung gemacht in der Behauptung, den historischen Christus zu kennen , sei cur Seligkeit nicht noth wendig, wohl aber den idealen, die ewige Weisheit Gottes nämlich, welche sich in allen Dingen, im Besondern im menschlichen Geraüth, und al- lerdings in ausgezeichnetem Grad in Jesu Christo geoffen- bart habe, und welche allein den Menschen belehre, was wahr und falsch, gut und böse sei2).

Auch nach Kant darf es nicht zur Bedingung der Seligkeit gemacht werden, dafs man glaube, es habe ein- mal einen Menschen gegeben, der durch seine Heiligkeit and sein Verdienst sowohl für sich als auch für alle an- dern genuggethan habe 5 denn davon sage ans die Ver-

1) So Sc*»», e. s. O. 8. 267.

2) Ep. 21. ad Oldenburg. Opp. ed. GndSasa, p. 556: dico,

nem noscere; sed de aeterno illo filiö Dei, h. c Dei aeterno sapientia, qaae seit in omnibus rebus, ei maxime in mente tmrnana , et omnium maxime in Christo Jesu mani/estauit, long* attter xentiendnm Nam nemo absque hac ad statu m bea- titudinis polest pervenire , utpote quae sota docet , quid verum et falsum, bonum et malum sii.

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Sohlufsabhandlung. 5- 148. 727

sooft nicht«; wohl aber sei es allgemeine Mengchenpflicht, so dem Ideal der moralischen Vollkommenheit, welches in der Vernunft liege, sieh eu erheben, and durch dessen Vorhaltung sich sittlich kräftigen au lassen : nur so diesem moralischen, nicht zu jenem historischen Glanben sei der Mensch verpflichtet *).

Auf dieses Ideal sacht nan Kant die einzelnen Zöge der biblischen and kirchlichen Lehre von Christo umzu- deuten. Die Menschheit oder des vernünftige Weltwesen Oberhaupt in seiner ganzen sittlichen Vollkommenheit ist es allein , was eine Welt cum Gegenstande des göttlichen Rathschiasses and um Zweck der Schöpfung machen kann ; diese Idee der gottwohlgefälligen Menschheit ist in Gott von Ewigkeit her, sie geht von seinem Wesen aus, und ist insofern kein erschaffenes Ding, sondern sein eingebor- ner Sohn, das Wort, durch welches, d. h. am dessen wil- len, Alles gemacht ist, in welchem Gott die Weh geliebt bat« Sofern von dieser Idee der moralischen Vollkommen- heit der Mensch nicht selbst der Urheber ist, soodern sie in ihm Plate genommen hat, ohne dafs man begriffe, wie aeine Natur für sie habe empfänglich sein können: so l&fit eich sagen, dafs jenea Urbild vom Himmel zu uns herab- gekommen sei, dafs es die Menschheit angenommen habe, and diese Vereinigung mit uns kann als ein Stand der Erniedrigung des Sohnes Gottes angesehen werden. Die- ses Ideal der moralischen Vollkommenheit, wie sie in ei- nem von Bedürfnissen und Neigungen abhängigen Welt- wesen möglich ist, können wir uns nicht anders vorstel- len, als in Form eines Menschen, und zwar, weil wir uns von der Stärke einer Kraft, und so auch der sittlichen Gesinnung, keinen Begriff machen können, als wenn wir sie mit Hindernissen ringend , und unter den gröftten An-

3) Religion innerhalb der Gränzcn der blossen Vernunft, drittes Stück, lte Abthl. VU.

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7-2S Schlafsabhandlung. §. 148.

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feohtungen dennoch fiberwindend ans vorstellen, eines sol- chen Menschen, der nicht allein alle Menschenpflicht selbst ausrauben, und darch Lehre und Beispiel das Gate in größtmöglichem Umfang um sich her auszubreiten, sondern auch, obgleich durch die stärksten Anlockungen versacht, dennoch alle Leiden bis zum schmählichsten Tode am dei

Weltbesten willen eu übernehmen bereitwillig wffre.

Diese Idee hat Ihre Realität in practischer Beiiehnn» vollständig in sich selbst, und es bedarf keines B«»ispipls in der Krfahrnng, um dieselbe zum verbindenden Vorbild für uns r.u machen, da sie als solches schon in unserer Vernunft liegt. Auch bleibt dieses Urbild wesentlich nnr in der Vernunft, weil ihm kein Beispiel in der Süsseren Erfahrung adäquat sein kann , als welche das Innere der * Gesinnung nicht aufdeckt, sondern darauf nur mit schwan- kender Gewifsheit schfiefsen läfst. Da jedoch diesem bilde alle Menschen gemäfs sein sollten , und folglich es auch können mflssent so bleibt immer möglich, dnfs in der Erfahrung ein Mensch vorkomme, der durch Lehre, Lebenswandel und Leiden das Beispiel eines gottwohlge- fälligen Menschen gebe; doch auch in dieser Erscheinung des Gottmenschen wäre nicht eigentlich das, was von ih« in die Sinne fällt, oder durch Erfahrung erkannt werden kann, Ohject des seligmaclienden Glaubens, sondern du in unsrer Vernnnft liegende Urbild, welches wir jener Er- scheinung unterlegten, weil wir sie demselben gemüfs fan- den , aber freilich immer nnr in soweit, als diefs in Un- serer Erfahrung erkannt werden kann. Weil wir alle» obwohl natürlich erzeugte Menschen, uns verbunden und daher im Stande fühlen, selbst solche Beispiele absogehen: so haben wir keine Ursache, in jenem musterhaften Men- schen einen Übernatürlich errengten eu erblicken; eben- sowenig haf- er zu seiner Beglaubigung Wunder nöthig> sondern neben dem moralischen Glauben an die Idee i** nur noch die historische Wahrnehmung erforderlich, d*f*

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Schlufsabhandlung. §. 148. 729

fein Lebenswandel ihr gem&fr «ei, nm ihn als Beispiel derselben zu beglaubigen.

Derjenige nun, welcher sich einer solchen moralischen Gesinnung bewufst ist, dafs er gegründetes Tertrauen auf ■ich setzen kann, er würde unter ähnlichen Versuchungen und Leiden, wie sie an dem Urbilde der Menschheit als Probierstein seiner moralischen Gesinnung vorgestellt wer- don, diesem unwandelbar anhängig und in treuer Nachfol- ge ähnlich bleiben, ein solcher Mensch allein ist befugt, sich für einen Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens zu halten. Um zu solcher Gesinnung sich zu erheben, inufs der Mensch vom Bösen ausgehen, den allen Menschen ausziehen, sein Fleisch kreuzigen ; eine Umänderung, wel- che wesentlich mit einer Reihe von Schmerzen und Lei- den verbunden ist. Diese hat der alte Mensch als Strafen verdient: sie treffen aber den neuen, indem der Wiederge- borene, der sie auf sich nimmt, nur noch physisch, seine« empirischen Charakter nach, als Sinnenwesen, der alte bleibt, moralisch aber, als inteJligibles Wesen, in seiner veränderten Gesinnung, ein neuer Mensch geworden ist. Sofern er nun in der Sinnesänderung die Gesinnung des Sohnes Gottes in sich aufgenommen hat, so kann, was ei- gentlich ein Stellvertreten des alten Menschen für den neuen Ist, als Stellvertretung des Sohnes Gottes, wenn man die Idee personificirt , vorgestellt und gesagt werden, dieser selbst trage fär den Menschen, für alle, die an ihn prak- tisch glauben, als Stellvertreter die Sündenschuld, thne durch Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Er- löser genug, und mache als Saeh Verwalter , dafs sie hoffen können, vor dem Richter als gerechtfertigt zu erscheinen, indem das Leiden, weiches der neue Mens^fi, indem er dem alten abstirbt, im Leben fortwährend übernehmen mufs,. an dem Repräsentanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod vorgestellt wird 4).

4) a. a. O. 2tes Stück, itcr Abschn. 3tes Stück, itc Abthlg.

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730 Schiufsabhandlung. $. 148.

Aach Rurr, wie Schleiermachkr, dessen Christologie überhaupt in manchen Beziehungen an die KANTiscbe er- innert 5) , kommt in der Aneignung der kirchlichen Chri- stologie nnr bis cum Tod Christi: von seiner Auferstehung und Himmelfahrt aber sagt er , sie können sor Religion innerhalb der Grenzen der blofsen Vernunft nicht benütst werden , weil sie auf Materialität aller Weltwesen fahren würden. Wie er indefs auf der andern Seite diese That- sachen doch wieder als Symbole von Vernunftideen , als Bilder des Eingangs in den Sita der Seligkeit, d. h. in die Gemeinschaft mit allen Guten, gelten läfst: so hat noch bestimmter Tieftrunk erklärt, ohne die Auferstehung wür- de die Geschichte Jesu sich in ein widriges Ende verlie- ren , das Auge sich mit Wehmuth und Widerwillen von einer Begebenheit abwenden , in welcher das Muster der Menschheit als Opfer unheiliger Wuth fiele, und die Scene sich mit seinem ebenso unschuldigen, als schmerzli- chen Tod beschlbTse; es müsse der Ausgang dieser Geschieh* te mit der Erfüllung der Erwartung gekrönt sein, zu wel- cher «ich die moralische Betrachtung eines jeden unwider- stehlich hingesogen fühle: mit dem Übergang in eine ver- geltende Unsterblichkeit «)•

Auf Ähnliche Weise schrieb de Wettr, wie jeder Geschichte, und insbesondere der Religionsgeschichte, so auch der evangelischen , einen symbolischen , idealen Cha- rakter au, vermöge dessen sie Ausdruck und Abbild des menschlichen Geistes und seiner Tbfitigkeiten sei. Die Ge- schichte von der wunderbaren Erzeugung Jesu stelle den göttlichen Ursprang der Religion dar; die Ersählungen/ von seinen Wunderthaten die selbstständige Kraft des Menschengeistes und die erhabene Lehre des geistigen Selbstvertrauens; seine Auferstehung sei das Bild des

5) Wie diess Bau* nachweist , christl. Gnosis , S. 660 ff.

6) Ceniur des christl. protestantischen Lehrbegriffs, 5, S. 180.

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Schlufsabhandlung. $. 14S. 731

Siegt der Wahrheit, das Vorzeichen des künftig so voll- endenden Triumphs des Goten Aber das Böge ; seine Him- melfahrt das Symbol der ewigen Herrlichkeit der Religion« Die religiösen Grundideen, welche Jesus in seiner Lehre ausgesprochen, drücken sioh ebenso klar in seiner Ge- schichte aus. Sie ist Ausdruck der Begeisterung, in dem muthvollen Wirken Jesu and der siegreichen Gewalt sei- ner Erscheinung ; der Resignation , In seinem Kampf mit der Bosheit der Menschen , der Wehmuth seiner warnen- den Reden, und vor Allem in seinem Tode; Christus am Kreuz ist das Bild der durch Aufopferung geläuterten Menschheit : wir sollen uns alle mit ihm kreuzigen , um mit ihm au neuem Leben aufzustehen. Endlich die Idee der Andacht ist der Grundton der Geschichte Jesu, indem jeder Moment seines Lebens dem Gedanken an seinen himm- lischen Vater gewidmet ist

Besonders klar hatte schon früher Horst diese sym- bolische Ansicht von der Geschichte Jesu ausgesprochen. Ob Alles, was von Christo erzählt wird, sagt er, genau so als Geschichte vorgefallen ist , das kann uns jetst ziemlich gleichgültig sein, auch können wir es nicht mehr ausmit- teln. Ja, wenn wir es uns gesteben wollen, so ist dem gebildeten Theil der Zeitgenossen dasjenige, was den alt- gläubigen Christen heilige Geschichte war, nur noch Fabel: die Erzählungen von Christi übernatürlicher Geburt, von seinen Wundern, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, müssen, als den Gesetzen unsres Erkenntnifsvermögens widersprechend, verworfen werden. Aber man fasse sie nur nicht mehr blofs verständig, als Geschichte, sondern mit Gefühl und Phantasie, als Dichtung, auf: so wird man finden, dafs nichts in diesen Erzählungen willkühr» lieh gemacht ist , sondern Alles seine Anknüpfungspunkte

7) Religion und Theologie, 2ter Abschnitt, Kap. 3. Vgl. bibl. Dogmatik, §. 255 ; kirchliche, $. 64 ff.

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732 Schlnrsabhandlung. §. 14S.

in dem Tiefsten nnd Gottverwandten des menschlichen Ge- mfi! hos hat. Von diesem Standpunkt ans betrachtet, läfst aich an die Geschichte Christi Alles anknüpfen , was für das religiöse Vertrauen wichtig, für den reinen Sinn bele- bend, für das zarte Gefühl anziehend ist. Es ist jene Geschichte eine heilig schöne Dichtung des allgemeinen Menschengeschlechts , in der sich alle Bedürfnisse unseres religiösen Triebs vereinigen, und diefs ist eben die höchste £hre und der stärkste Beweis für die allgemeine Gültig- keit des Christenthums. Die Geschichte des Evangeliums ist im Grunde die Geschichte der idealisch gedachten all- gemeinen Menachennatur, und zeigt uns in dem Leben des Einzigen, was der Mensch sein soll, und mit ihm verbun- den durch Befolgung seiner Lehre und seines Beispiefs wirklich werden kann. Dabei wird^nicht gelfiugnet, dafs dem Paulus, Johannes, Matthäus und Lukas das That- sache und gewisse Geschichte war, was uns jetzt nur noch als heilige Dichtung erscheinen kann. Aber es war ihnen auf ihrem Standpunkt aus eben dem innern Grunde heili- ge Thatsacbe und Geschichte, aus welchem es uns jetzt auf unserem Standpunkt heilige Mythe und Dichtung ist. Nur die Ansichten sind verschieden: die menschliche Natur, und in ihr der religiöse Trieb, bleibt immer derselbe. Jene M/inner bedurften in ihrer Welt, zur Belebung der religiösen und moralischen Anlagen in den Menschen ihrer Zeit, Ge- schichten und Thatsachen, deren innersten Kern aber Ideen bildeten: uns sind die Thatsachen veraltet und zweifelhaft geworden , und nur noch um der zum Grunde liegenden Ideen willen die Erzählungen davon ein Gegenstand der Verehrung p).

Diese Ansicht traf zunächst von Seiten des kirchlichen Bewufstseins der Vorwurf, dafs sie statt des Reichthums

8) Ideen über Mythologie u. s. w. in Hbkkk's neuem Magazin, 6, S. 454 ff. vgl. HiKKi't Museum, 5, S. 465.

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Schlufsabhandlnng. §. 148, 733

göttlicher Realität, wie sie der Glaube in der Geschichte Christi findet, eine Sammlung leerer Ideen und Ideale un- terschiebe , statt ein trostreiches Sein zu gewähren , es bei' ui drückenden Sollen bewenden lasse. Für die Gewi fs- heit, dafs Gott sich einmal wirklich mit der mensclichen Natur vereinigt hat, bietet die Anmahnung schlechten Er- satz, dafs der Mensch göttlichen Sinnes werden solle; für die Beruhigung,, welche dem Gläubigen die durch Chri- stum Tollbrachte Erlösung gewährt, ist ihm die Veran- sc^aolichung der Pflicht kein Äquivalent, sich selbst von der Sünde loszumachen. Aus der versöhnten Welt, in welche ihn das Christenthum versetzt , wird der Mensch durch diese 'Ansicht in eine unversöhnte zurückgeworfen, aus einer seligen in eine unselige; denn wo die Versöh* nung erst zu vollbringen , die Seligkeit erst zu erringen ist, da ist vor der Hand noch Feindschaft und -Unselig* keit. Und zwar ist die Hoffnung , aus dieser je ganz her- auszukommen, nach den Principien dieser Ansicht, welche zur Idee nur eine unendliche Annäherung kennt-, eine täuschende; denn das nur im endlosen Progrefs »feu Errei- chende ist in der That ein Unerreichbares, 'i ' . i Doch nicht allein der Glaube, sondern auoh die Wis- senschaft in ihrer neuesten Entwicklung bat diesen Stand- punkt unzureichend befunden. Sie hat erkannt, dafs, die Ideen zum blofsen Sollen machen, dem kein Sein entspre- che, sie aufheben heifse: wie das Unendliche als bleiben- des Jenseits des Endlichen festhalten, es verendlichen ; sie hat begriffen, dafs das Unendliche im Setzen and Wie- deraufheben des Endlichen sioh selbst erhält, die Idee ia der Gesammtheit ihrer Erscheinungen sich verwirklicht, dafs nichts werden kann, was nicht an sich schon ist: also auch vom Menschen sich nicht verlangen iäfst, sich mit Gott zu versöhnen und göttlichen Sinnes zu werden, wenn diese Versöhnung und Vereinigung nicht an sich schon vollbracht ist.

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734 Schlafs abhandlang. §. 149.

§. 149.

Die ipeculitive Chrittologie.

Schon Kant hatte gesagt, das gute Princip sei nicht blofs zu einer gewissen Zeit, sondern vom Ursprung des menschlichen Geschlechts an unsichtbarerweise vom Him- mel in die Menschheit herabgekommen, und Schellino stellte den Satz auf: die Menschwerdung Gottes ist eine Menschwerdung von Ewigkeit ft). Aber während der er- atere unter jenem Ausdruck nur die moralische Anlage verstanden hatte, welche mit ihrem Ideal und ihrem Sollen von jeher dem Menschen eingepflanzt gewesen sei: verstand der letztere unter dem menschgewordenen Sohn Gottes das Endliche selbst, wie ea im Menschen zum Bewußtsein kommt, und in seinem Unterschied von dem Unendlichen, mit dem es doch Eins ist, als ein leidender und den Ver- hältnissen der Zeit unterworfener Gott erscheint

In der neuesten Philosophie ist diefs weiter so ausge- führt worden 2). Wenn Gott als Geist ausgesprochen wird» *o liegt darin, da auch der Mensch Geist ist, bereit«, dafs beide an sich nicht verschieden sind. Näher ist in der Erkenntnis Gottes als Geistes, da der Geist wesentlich diefs ist , in der Unterscheidung seiner ven sich identisch mit eich so bleiben , im Andern seiner sich selbst zu haben, diefs enthalten, dafs Gott nicht als sprödes Unendliche aus- ser und (Iber dem Endlichen verharrt, sondern in dassel- be eingeht, die Endlichkeit, die Natur und den mensch- lichen Geist , nur als seine EntSusserung setzt, aus der er ebenso ewig wieder in die Einheit mit sich selbst zurück-

1) Vorlesungen Uber die Methode des acsdemiichen Studium, S. 192.

2) HaczL't Phänomenologie des Geistes, S. 561 ff.; desselben Vor- lesungen über die Fhilos. der Reiig 2, S. 234 ff. Mjlkhii- hixb, Grundlehren der christl. Dogmatik, S. 174 ff. Bosau, suusz, EncyUopKdie der theol. Wissenschaften, S. 58 ff. 148 ff.

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Sehlufsabhandiung. §. 149. 735

kehrt So wenig der Mensch als blofs endlicher und an seiner Endlichkeit festhaltender Geist Wahrheit hat: so wenig hat Gott als blofs unendlicher, in seiner Unendlich« keit sich abschiiefsender Geist Wirklichkeit; sondern wirk- licher Geist ist der anendliche nar, wenn er zn endlichen Geistern sich erschliefst: wie der endliche Geist nur dann wahrer ist, wenn er in den anendlichen sich vertieft« Das wahre und wirkliche Dasein des Geistes also ist we- der Gott für sich, noch der Mensch für sich, sondern der Gottmensch; weder allein seine Unendlichkeit, noch allein seine Endlichkeit, sondern die Bewegung des Sichhinge- bens und Zurücknehmens zwischen beiden, welche von göttlicher Seite Offenbarung, von menschlicher Religion ist.

Sind Gott und Mensch an sich Eins, und ist die Re- ligion die menschliche Seite, das werdende Bewufstsein dieser Einheit: so mufs diese in der Religion für den Menschen werden, in ihm zum Bewufstsein und zur Wirk- lichkeit kommen. Freilich, so lange der Mensch sich selbst noch nicht als Geist weifs, kann er auch Gott noch nicht als Menschen wissen; ist er noch natürlicher Geist, so wird er die Natur vergöttern; als gesetzlicher Geist, der seine Natürlichkeit nur erst auf äusserliche Weise bemei- stert, wird er Gott als Gesetzgeber sich gegen 0 herstellen ; aber sind nur einmal im Gedränge der Weltgeschichte bei- de, jene Natürlichkeit ihres Verderbens, diese Gesetzlich- keit ihres Unglücks, inne geworden : so wird sowohl fene das Bedürfnifs empfinden, einen Gott zu haben, der sie aber sich erhebe, als diese einen, der sich zu ihr herun- terlasse. Ist die Menschheit einmal reif dazu, die Wahr- heit, dafs Gott Mensch, der Mensch göttlichen Geschlech- tes ist, als ihre Religion zu haben: so mafs, da die Reli- gion die Form ist, in welcher die Wahrheit für das ge- meine Bewufstsein wird , jene Wahrheit auf eine gemein- verständliche Weise, als sinnliche Gewifsheit, erscheinen, d. h. es mufs ein menschliches Individuum auftreten, wel-

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736 Sc hlufsabh an oblong. §. 149.

ches all der gegenwärtige Gott gewufst wird. Sofern die- ser Gottraensch das jenseitige göttliche Wesen und <fas diesseitige menschliche Selbst in Eins zusainmenschliefat, kann von ihm, gesagt werden , dafs er den göttlichen Geiat cum Vater, und eine menschliche Mutter habe; sofern sein Selbst sich nicht in sich, sondern in die absolute Substanz reflektirt, nichts für sich, sondern nur für Gott sein will, ist er der Sündiose und Vollkommene ; als Mensch von göttlichem. Wesen ist er die Macht über die Natur und W onderthäter ; aber als Gott in menschlicher Frscheinung ist er von der Natur abhängig, ihren Bedürfnissen und Leiden unterworfen, befindet sich im Stande der Erniedri- gung. Wird er der Natur auch den letzten Tribut bezah- len müssen?, liebt die Thatsache , dafs die menschliche Natur dem Tod verfällt, nioht die Meinung wieder auf, dafs sie an sieh Eina mit der göttlichen sei? Nein; der Gottmenach stirbt, und zeigt dadurch, dafs es Gott mit seiner Menschwerdung Ems* ist; dafs er zu, den unter- sten Tiefen der Endlichkeit herabzusteigen nicht ver- schmäht, weil er auch aus diesen den Rückweg zo sich zu finden weifs, auch in der völligsten Entäusserung mit sich identisch zu bleiben vermag. Näher , sofern der Gott- menaeh als der in seine Unendlichkeit reflektirte Geist den Menschen « als an ihrer Endlichkeit festhaltenden ge- genübersteht: Ut hiemit ein Gegensatz und Kampf gesetzt, und der Tod des Gottmenschen als gewaltsamer, durch der Sünder Hände, bestimmt,, wodurch zu der physischen Not Ii noch die moralische der Schmach und Beschuldi- gung des Verbrechens kommt. Findet so Gott den Weg vom üimmel bis zum Grabe: so mufs für den Menschen auch aus dem Grabe der Weg zum Himmel zu finden sein; das Sterben des Lebensfürsten ist das Leben des Sterbli- chen. Schon durch sein Eingehen in die Welt als Gott- mensch zeigte sich Gott mit der Welt versöhnt : näher aber, indem er sterbend seine Natürlichkeit abstreifte,

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SchJufsabhandlung. §. 150. 737

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zeigte er des Weg , wie er die Versöhnung ewig zu Stan- de bringt, nämlich durch Entwässerung zur Natürlichkeit und Wiederaufhebung derselben identisch mit sich zu blei- ben. Insofern der Tod des Gottmenschen nur Aufhebung seiner Entwässerung und Niedrigkeit ist, ist er in der That Erhöhung und Rückkehr zu Got$, und so folgt auf den Tod wesentlich die Auferstehung und Himmelfahrt. ,

« Indem der Gottmensch , welcher während seines Le- bens den mit ihm Lebenden sinnlich als ein Andrer gegen- überstand, durch den Tod ihren S i nen entnommen wird, geht er in ihre Vorstellung und Erinnerung ein , wird so- mit die, in ihm gesetzte Einheit des Göttlichen und Mensch- liehen allgemeines ßewufstsein, und die Gemeinde mufs die Momente seines Lebens, weiche er äusserlich durchlief, ia sich auf geistige Weise wiederholen. Im Natürlichen sich schon vorfindend, mufs der Glaubige, wie Christus, dem Natürlichen aber nur innerlich , wj/e er äusserlich sterben, geistig, wie Christus leiblich sich kreuzigen und begraben lassen , um durch Aufhebung der Natürlichkeit mit sich als Geist identisch zu sein, und an Christi Selig- keit und Herrlichkeit Antheil zu bekommen. f

5. 150. ,

Letztes I ilemma.

Hiemit scheint auf höhere Weise, aus dem Begriffe Gottes und des Menschen in ihrem gegenseitigen Verhält- nifs heraus, die Waitrheit der kirchlichen \ orstellung von Chriafus bestätigt, und so zum orthodoxen Standpunkte, wiewohl auf umgekehrtem Wege, zurückdenkt zu sein; wir nämlich durt aus der Richtigkeit t:vr evangeli&ehen Geschichte die Wahrheit der kirchlichen Begriffe von Chri- sto deducirt wurde: so hier aus der Wahrheit der begrif- fe die- Richtigkeit der Historie. Das Vernünftige ist auch wirklich, die Idee nicht ein ÜANTisches Sollen blofs, son- dern ebenso ein Sein; als Vernuuftidee nachgewiesen al« Das Leben Jetu 2te Aufl. 11. Band. 47

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738 Schlofiabhandlung. §. ISO.

so mafs die Idee der Einheit der göttlichen and menschli- chen Natai» auch ein geschichtliches Dasein haben« Die Einheit Gottes mit dem Menschen, sagt daher Marheine- KB *) f tat In der Pepton Jean Chriati offenbar und wirk- lich als ein Geschehensein; in ihm war, nach Rosenkranz die göttliche Macht Ober die Natur Concentrin , er konnte nicht anders wirken, aia wunderbar, und daa Wunderthnn, was uns befremdet, war Ihm natürlich; seine Auferstehang, sagt Conrad! *) , Ist die notbwendige Folge der Vollendung aeiner Persönlichkeit, und darf ao wenig befremden , dafs es vielmehr befremden müfste, wenn sie nicht erfolgt wäre.

Allein sind denn durch diese Deduction die Wider- spräche gelöst, weiche an der kirchlichen Lehre von der Person und Wirksamkeit Christi sich herausgestellt ha- ben f Man darf nur mit dem Tadel , welchen gegen die ScMLKiERMACHKRsche Kritik der kirchlichen Christologie Rosenkranz in seiner Recenaion ausgesprochen hat, dasje- nige vergleichen, was der letatere In seiner Enoyklopidie an die Stelle setst: so wird man finden , dafa durch die allge- meinen Sitte von Einheit der göttlichen und menschlichen Natur die Erscheinung einer Person, In welcher diese Einheit auf ausschliefsende Welse Individuell vorbanden gewesen wffre, nicht im Mindesten denkbarer wird* Wenn loh mir denken kann , dafs der göttliche Geist in seiner Entwässerung und Erniedrigung der menschliche, und der menschliche in seiner Einkehr in sich und Erhebung Ober sich der göttliche ist : so kann ich mir defs wegen noch nicht Vorstellen, wie göttliche und menschliche Na für die verschie- denen und doch verbundenen Bestandteile einer geschicht- lichen Person ausgemacht haben können ; wenn ich den Geist der Menschheit in seiner Einheit mit dem göttlichen

|) Dogmitik, $. $16. 2) Encyklopädie, S. 160.

%) Selbutbewuitttcin und Offenbarung , S. 295 f.

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Schlnfgabhandlong. $. 150. 789

im Verlauf der Weltgeschichte immer vollständiger als die Macht über die Natur sich bethätigen sehe : so Ist diefs etwas ganz Anderes , als einen einzelnen Menschen für ein- zelne willkühriiche Handlangen mit solcher Macht ausge- rüstet zu denken; vollends ans der Wahrheit, dafs die auf- gehobene Natürlichkeit das Auferstehen des Geistes sei, wird die leibliche Auferstehung eines Individuums niemals folgen.

HlemiC wären wir also wieder auf den KANTischeo Standpunkt zurückgesunken, den wir selbst ungenügend befunden haben : denn wenn der Idee keine Wirklichkeit zukommt, so ist sie leeres Sollen und Ideal. Aber heben wir denn alle Wirklichkeit der Idee auf? Keineswegs; sondern nur diejenige, welche aus den Prämissen nicht folgt. Wenn der Idee der Einheit von göttlicher und mensch- licher Natur Realität zugeschrieben wird, heilst diefs so- viel, dafs sie einmal in einem Individuum, wie vorher und hernach nicht mehr, wirklich geworden sein müsse? Das ist ja gar nicht die Art , wie die Idee sich reaiisirt, in Ein Exemplar ihre ganze Falle auszuschütten , und gegen alle andern zu geizen ; in jenem Einen sich vollständig, in allen übrigen aber Immer nur unvollständig abzudrücken : son- dern in einer Manohfaltigkeit von Exemplaren, die sich gegenseitig ergänzen , im Wechsel sich setzender und Wie- derau fhebend er Individuen , liebt sie ihren Reichthum aus- zubreiten. Und das soll keine wahre Wirklichkeit der Idee sein? die Idee der Einheit von göttlicher und mensch- licher Natur wäre nicht vielmehr in unendlich höherem

r

Sinn eine reale, wenn ich die ganze Menschheit als ihre Verwirklichung begreife , als wenn ich einen einzelnen Menschen als solche aussondere? Eine Menschwerdung Gottes von Ewigkeit nicht eine wahrere , als eine in ei- nem abgeschlossenen Punkte der Zeit?

Das ist der Schlüssel der ganzen Christologie, dafs als Suhject der Prädicate , welche die Kirche Christo beilegt, statt eines Individuums eine Idee, aber eine reale, nicht

47 *

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740 bchlufsabhandlung. $. 150.

v . l . . .. ; ' ' ' '»?

K \NTigch unwn khche, gesetzt wird, in einem Individuum,

einem Gott menschen , gedacht, widersprechen «ich die Ei- genschaften and Functionen, welche die jKirchenlehre Chri- sto easchreibt: in der Idee der Gattung stimmen sie zusam- men. Die Menschheit ist die Vereinigung der beiden Natu- ren , der menschgewordene Gott, der cur Endlichkeit ent- Äusserte unendliche , nnd der sedner Unendlichkeit sich er- innernde endliche Geist; sie ist das kind der sichtbaren Mut- ter and des nnsichtbareo Vaters; des Geistes nnd der, Na- tur; sie ist der Wunderthater; sofern im Verlauf der Men- schengeschichte der Geist sich i miner vollständiger der Natur, im Mensehen wie ausser demselben , .bemächtigt , diese ihm gegenüber zum machtlosen Material seiner Thätigkett her- untersetzt wird :, sie ist der UnsUndliche : sofern der Gang ihrer Entwicklung ein tadelloser ist, die Verunreinigung immer nur am Individuum klebt , in der Gattung aber and ihrer Geschichte aufgehoben ist ; sie ist der Sterbende, Auf- erstehende und gen Himmel Fahrende: sofern ihr ans der Negation ihrer .Natürlichkeit immer höheres geistiges Le- ben , aus der Aufhebung ihrer Endlich keit als persönli- chen, nationalen und weltlichen Geistes ihre Einigkeit mit dem unendlichen Geiste des Himmels hervorgeht. Durch den Glauben an diesen Christus, namentlich an seinen Tod und seine Auferstehung, wird der Mensch vor Gott: d.h. gerecht durch die Belebung der Idee der Menschheit in sich, namentlich nach dem Momente, dafs die Negation der Na- türlichkeit und Sinnlichkeit, welche selbst schon Negation des Geistes ist, also die Negation der Negation, der einzige Weg zum wahren geistigen Leben für den Men- schen sei , wird auch der Einzelne des gottmenschlichen Lebens der Gattung theilhaftig. . .

Diefs allein ist der absolute Inhalt der Christofe: dafs derselbe an die Person und Geschichte eines Einzel- nen geknüpft erscheint , hat nur den subjektiven Gruni/, dafs dieses Individuum durch seine Persönlichkeit und n'iue

»

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Sehlufsabhandiung. §. 150. 741

Schicksale Anlafs wurde, jenen Inhalt in das allgemeine

Bewußtsein zu erheben , und dafs die Geistesstufe der al-

ten Welt, und des Volks vielleicht sn jeder Zeit, die Idee der Menschheit nur in der concreten Figur eines Individuum« anzuschauen vermag. In einer Zeit der tiefsten Zerrissen-

heit, der höchsten leihlichen und geistigen Noth, versinkt ein reines , als göttlicher Gesandter verehrtes Individuum Sn Leiden und Tod , und bildet sich in Kurzem der Glaube an seine Wiederbelebung: da mnfste jedem das tua res agitvr einfallen, und Christus als derjenige erscheinen, welcher, wie Clemens von Alexandrien in etwas anderem Sinne sagt , %b dQäfict tijg äv&Qümovqrog vnexQlreto. War in seinem Leiden die liussere Noth, welche die Mensch- heit bedrückte, concentrirt, und die innere abgebildet: so lag in seiner Wiederbelebung der Trost, dafs in solchem Leiden der Geist sieh nicht verliere, sondern erhalte, durch die Negation der Natürlichkeit sich nicht verneine, sondern in höherer Weise affirmire. Hatte Gott seinen Pro- pheten , ja seinen Liebling und Sohn , in solches Elend da- hingegeben um der Sünde der Menschen willen: so war auch diese ftusserste Gra'nze der Endlichkeit als Moment Im göttlichen Leben erkannt, und lernte der von Nothund Sünde darniedergedrückte Mensch sich in die göttliche Freiheit aufgenommen fühlen. Wie der Gott des Plato auf die Ideen hinschauend die Welt bildete: so hat der Gemeinde, indem sie, veranlafst dorch die Person und Schicksale Jesu, das Bild ihres Christus entwarf, unbe- wufst die Idee der Menschheit in ihrem Verhältnis BW Gottheit vorgeschwebt.

Die Wissenschaft unsrer Zeit aber bann das Bewnfst- sein nicht langer mehr unterdrücken , dafs die Beziehung auf ein Individuum nur eur zeit- und volksmafsigcn Form dieser Lehre gehört. Schleiermacher hat ganz recht ge- habt, wenn er sagte, es ahne ihm, dafs hei der speeuiati- ven Ansicht für die geschichtliche Person des Erlöser*

Das Leben Jesu 2te Aufl. II. Band. 4S

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74* »chiulsabhandjung. §• 150.

nicht viel mehr , als bei der ebion irischen, übrig bleibe %). Die sinnliehe Geschichte des Individuums, sagt Hegel, ist nur der Ausgangspunkt für den Geist« Indem der Glaube von der sinnlichen Weise anfängt , hat er eine z«itliche Geschichte vor sich; was er für wahr hält, ist äussere, gewöhnliche Begebenheit, und die Beglaubigung ist die historische, juristische Weise, ein Factum durch sinnliche Gewifsheit und moralische Zuverläfsigkeit der Zeugen zu constatiren. Indem nun aber der Geist von diesem Äus- seren Veranlassung nimmt , die Idee der mit Gott einigen Menschheit sich zum Bewufstsein zu bringen, und nun in jVner Geschichte die Bewegung dieser Idee anschaut : hat sich der Gegenstand vollkommen verwandelt, ist aus ei- nem sinnlich empirischen zu einem geistigen und göttlichen geworden , der nicht mehr in der Geschichte , sondern in der Philosophie seine Beglaubigung hat. Durch dieses Hinaufgehen über die sinnliehe Geschichte zur absoluten wird jene als das Wesentliche aufgehoben, zum Unterge- ordneten herabgesetzt, über welchem die geistige Wahrheit auf eigenem Boden steht, zum fernen Traumbilde, das nur noch in der Vergangenheit, und nicht, wie die Idee, in dem sich schlechthin gegenwärtigen Geiste vorhanden ist *). »Schon Luther hat die leiblichen Wunder gegen die geistli- chen, als die rechten hohen Mirakel, herabgesetzt : und wir sollten uns für einige Krankenheilungen in Galiläa auf hö- here Weise interessiren können, als für die Wunder des Gemüt hslebens und der Weltgeschichte, für die in's Un- glaubliche steigende Gewalt des Menschen über die Na- lur , für die unwiderstehliche Macht der Idee, welcher noch so grofse Massen des Ideenlosen keinen dauernden Wider- stand entgegenzusetzen vermögen? uns sollten vereinzelte,

nach unbedeutende Begebnisse mehr sein, als

4) Zweites Sendschreiben.

5) Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2, S. 265 ff.

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Schlufsabhandlu ng. §. 151.

743

das universellste Geschehen , einzig de (Wegen , weil wir bei diesem die Natürlichkeit des Hergangs, wenn nicht be- greifen, doch voraussetzen, bei jenen aber das Gegen! heil ? Das wäre dem besseren ßewufstsein unserer Zeit in's Ange- sicht widersprochen, welches Schleiermacher riehtig und ab- schliefsend so ausgedrückt hat: aus dem Interesse der Fröm- migkeit könne nie mehr das BedUrfnifs entstehen , eine That- sache so aufzufassen , dafs durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr Bedingtsein durch den Naturzusammenhang aufge- hoben würde, da wir über die Meinung hinausseien, als ob die göttliche Allmacht sich gröfser zeigte in der Unterbre- chung, des Naturzusammenhangs , als in dem geordneten Verlauf desselben 6). Ebenso, wenn wir das Menschwer* den, Sterben und Wiederauferstehen, das: duplex negatio qffirmat, als den ewigen Kreislauf, den endlos sich wieder- holenden Pulsschlag des göttlichen Lebens wissen : was kann an einem einzelnen Factum, welches diesen Procefs dazu blofj sinnlich darstellt , noch besonders gelegen sein ? Zur Idee im Factum, zur Gattung im Individuum, will unsre Zeit in der Christologie geführt sein : eine Oogmatik , wei- che im Locus von Christo bei ihm als Individuum stehen bleibt, ist keine Dogmatik , sondern eine Predigt.

Aber eben die Predigt, wie diese sich dann zur Dog- matik verhalten solle, und wie überhaupt noch eine Wirk- samkeit des Geistlichen in der Gemeinde möglich sei, wenn die Dogmatik jene Gestalt angenommen, ist die bedenkliche Frage , die sich uns hier schliefslich noch entgegenstellt.

§. 151.

Verhältniss der kritisch - speculativen Theologie xur Kirche .

Schleiermacher hat gesagt, wenn er sich die immer mehr herannahende Krisis in der Theologie denke , und stelle sich vor, er müfste dann zwischen einem von beiden

6) Glaubenslehre, |, §. 47.

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Schlnfsah handlang. $. 151

wühlen, entweder die christliche Urgeschichte wie jede gemeine Geschichte der Kritik preiszugeben , oder seinen Ulfluben Von der Specnlation ru Leh*»n y.n nehmen: so wärdt» er für sich «Hein zwar das Letztere wählen ; betrachte er sich aber in der Gemeinde, und vorzüglich als Lehrer derselben: «o werde er von dieser Seite fort nnd auf die entgegengesetzrp hinübergezogen. Denn der Begriff der Idee Gottes und des Menschen, auf welchem nach der specnlativen Ansicht die Wahrheit des christlichen Glaubens beruhe, sei freilich ein köstliches Kleinod , aber nur Wenige können es be- sitzen, und ein solcher Privilegirter wolle er nicht sein in der Gemeinde, dafs er unter Tausenden den Grund des Glaubens allein hwtte. Hier könne ihm nur wohl sein in der völligen Gleichheit, in dem Bewufstsein, dafs wir alle auf dieselbe Weise von dem Einen nehmen , und dasselbe an ihm haben. Und als Wortführer und Lehrer in der Gemeinde könnte er sich doch unmöglich die Aufgabe stel- len, Alt und Jung ohne Unterschied den Begriff der Idee Gottes and des Menschen beizubringen: vielmehr müfste er ihren Glauben als einen grundlosen in Anspruch neh- men, nnd könnte ihn auch nur als einen solchen stärken und befestigen wollen. Indem so in der gemeinsamen An- gelegenheil der Religion eine unübersteigliche Kluft befe- stigt werde, bedrohe uns die speculative Theologie mit einem Gegensätze ven esoterischer nnd exoterischer Lehre, wicher den Äusserungen Christi, es sollen Alle von Gott gelehrt sein , gar nicht gemtffs sei : die Wissenden haben allein den Grund des Glaubens, die Nichtwissenden haben nur den Glauben, und erhalten ihn nur auf dem Wege der Überlieferung. Lasse hingegen die ebionitische Ansicht nur wenig von Christo übrig , so sei diefs Wenige doch Allen gleich zugänglich und erreichbar, und wir bleiben dabei bewahrt vor jeder, immer doch ins Römische hin- tiberspieienden , Hierarchie der Speculution Hier ist

7) Im zweiten Sendschreiben über seine Glaubenslehre.

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Selilufiabhandlang. §. 151. 745

auf gebildete Weise dasjenige ausgesprochen , was man jetzt von Vielen, nur in ihrer Art ungebildet, su hören be- kommt , dafs der speculative und zugleich kritische Theo» Jog der Gemeinde gegenüber tum Lögner werde. Der wirkliche Thatbestand ist hiebei d Loser. Die Gemeinde be- zieht die kirchliche Christologie auf ein zu gewisser Zeit geschichtlich dagewesenes Individuum: der speculative Theo- iog auf eine Idee, die nur in der Gesaromtheit der Indi- viduen zum Dasein gelangt; der Gemeinde Igelten die evan- gelischen Erzählungen als Geschieht« : dem kritischen Theo* logen guten TheiU nur als Mythe. Soll er sich nun der Gemeinde mittheilen, so stehen ihm vier Wege offen:

Erstlich der schon in den obigen Äusserungen Schl&i- ermachlr's abgeschnittene Verbuch, die Gemeinde geradezu auf seinen Standpunkt zu erheben, das Geschichtliche auch für sie in Ideen aufzulösen ein Versuch, der nothweit- dig fehlschlagen inufs, weil der Gesaeinde alle Prämissen fehlen, durch welche in dem Theologen seine speculative Ansicht vermittelt worden ist; den ebendefswegen nur ein fanatisch gewordener Anfklärungstriab machen könnte.

Der zweite, entgegengesetzte Ausweg wäre» sich dureh- aus auf den Standpunkt der Gemeinde su versetzen, und fttr die kirchliche Mittheilung sicn aus der Sphäre des Begriffs ganz in die Uegion der volkstümlichen Vorstel- lung herabzulassen. Dieser Ausweg wird gewöhnlich zu roh gefatst und beurtheilf. Die Differenz zwischen dem Theologen und der Gemeinde wird für eine totale angese- hen: er inüfste, meint man, aui die Frage, oh er au die Geschichte Christi glaube, eigentlich nein sagen, sage aber ja, und diefs sei eine Lüge. Allerdings, wenn bei in gei*t- lichen Vortrag und Unterricht das Interesse ein geschicht- liches wäre, verhielte es sich so: nun aber ist das Inter- esse ein religiöses, es ist wesentlich Religion, was hier mitgetheilt wird, erscheinend in Form von Geschichte, umk da kann, wer zwar an die Geschichte als solche nicht

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746 Schlui'sabhandlung. §. 151.

glaubt , doch das Religiöse in ihr ebensogut anerkennen, v*ie wer auch die Geschichte als solche annimmt; es ist nur ein Unterschied der Form, von welchem der Inhalt unberührt bleibt. Deiswegen ist es ungebildet, es schlecht- weg Lüge zu nenneii, wenn ein Geistlicher z. B. von der Auferstehung Christi predigt, indem er diese zwar als einzelne« sinnliches Factum nicht für wirklich, aber doch die Anschauung des geistigen Lebensprocesses, welche darin liegt, für wahr halt. Näher jedoch ist diese Identität des Inhalts nur für denjenigen vorhanden, welcher Inhalt und Form der Religion zu unterscheiden weifs, d. h. für den Theologen, nicht aber für die Gemeinde, zu welcher er spricht : diese kann sich keinen Glauben an die dogmati- sche Wahrheit z. B. der Auferstehung Christi denken, oh- ne Überzeugung von ihrer historischen Wirklichkeit, und kommt sie dahinter, dafs der Geistliche die letztere nicht annimmt, und doch noch von Auferstehung predigt, so inufs er ihr als Lügner erscheinen, wodurch das ganze Verhältnis zwischen ihm und der Gemeinde zerrissen ist.

So für sich zwar kein Lügner, aber der Gemeinde als solcher erscheinend nnd sich dessen bewufst, müH»re der Geistliche, wenn er demuncrachtet zu der Gemeinde in der Form ihres Bewufstseins zu reden fortfahrt, am Ende doch auch sich selbst als Lügner erscheinen, und sähe sich somit auf den dritten, verzweifelten Ausweg hinge- trieben, den geistlichen Stand zu verlassen. Ks hälfe nichts, eu sagen, er solle nur von der Kanzel herab, und statt Hos- ten auf den Katheder steigen, wo er vor solchen, die ri m Wissen bestimmt sind, seine wissenschaftliche Ansicht nicht zurückzuhalten brauche; denn wenn derjenige, welchen der Gang seiner Bildung nötbigte, die geistliche Praxis auf- zugeben, nun viele solche heranzubilden bekäme, die durch ihn zur geistlichen Praxis unfähig würden, so wäre diefs aus Übel nur ärger gemacht. Dennoch könnte es andrer- seits nicht gut für die Kirche gesorgt heifsen , wenn alle

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Schlufsabhandiung. §. 151. 747

diejenigen, welche der Kritik and Specalation bis zu den oben dargelegten Ergebnissen in sich Raum verstatten, aus ihrem Lehrstande heraustreten sollten. Denn da würde sich bald kein Geistlicher mehr mit solchen Forschungen abgeben wollen, wenn er dadurch Gefahr liefe, auf Resul- tate geführt su werden, welche ihn nöthigten, aus dem geistlichen Stande zu treten ; die Kritik und Philosophie Wftrde Eigenthum der Nichttheologen werden, den Theolo- gen aber bliebe nur der Glaube, welcher dann den An- griffen der kritischen und speculativen Laien unmöglich in die Lange widerstehen könnte. Doch der mögliche Er- folg hat da, wo es Wahrheit gilt, kein Gewicht, und so soll das eben Gesagte nicht gesagt sein. Das aber bleibt doch, wenn wir auf die Sache selbst sehen, dafs, wen seine theologischen Studien auf einen Standpunkt geführt haben, auf welchem er glauben mufs, hinter die Wahr- heit gekommen , in das innerste Mysterium der Theologie eingedrungen su sein, der 6ich nicht geneigt oder verpflich- tet fühlen kann , nun gerade die Theologie eu rjuittireu, dafs diefs vielmehr für einen solchen eine unnatürliche Zu- muthung, ja geradezu unmöglich «ein mufs.

Er wird also nach einem andern Auswege suchen, und als solcher bietet sich ein vierter , der, wie die zwei ersten einseitig, der dritte nur eine negative Vermittlung war, so eine positive Vermittlung zwischen den beiden Extremen, dem Bewußtsein des Theologen und der Ge- meinde, ist. Er wird sich in seiner Mittheilung an die Gemeinde zwar in den Formen der populären Vorstellung halten, aber so, dafs er bei jeder Gelegenheit den geistigen Inhalt, der ihm die einzige Wahrheit der Sache ist, durch- scheinen läfst, und so die, wenn gleich nur als unendli- cher Progreta zu denkende, Auflösung jener Formen auch im ttewufstsein der Gemeinde vorbereitet. Er wird also, tini bei dem gewühlten Beispiel zu bleiben, am Osterfeste war von dem sinnlichen Factum ilfe Auferstehung C'hri-

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748 Schlaf sab handln n.g. §. 151.

sti aasgehen, aber als die Hauptsache jenes mit Christo Begraben werden und Auferstehen hervorheben, worauf schon der Apostel dringt. Diesen Gang nimmt eigentlich jeder Prediger, auch der rechtgläubigste, so oft er ans der evangelischen Perikojie, über welche er predigt, eine Mo- ral rieht : auch d.irin ist der Übergang von etwas ausser- lich Historischem zu einem Inneren, Geistigen, vorhanden« Freilich ist der Unterschied nicht zu übersehen , dafs der orthodoxe Prediger die sogenannte Moral dergestalt auf die Historie seines Texte* baut , dafs diese als geschichtli- che Grundlage liegen bleibt: wogegen bei dem speculati- ven Prediger der Übergang von der biblischen Geschichte oder kirchlichen Lehre zu der Wahrheit, die er daraus ab- leitet, die negative Bedeutung einer Aufhebung von jener hat. Genau betrachtet jedoch fehlt auch im Übergänge des orthodoxen Predigers vom evangelischen Texte zurNutav- anwendung dieses negative Moment nicht; indem er von der Geschichte zur Lehre fortschreitet, sagt er damit we- nigstens so viel : mit der Geschichte ist es nicht gethan, sie ist die Wahrheit noch nicht, sie mufs von einer ver- gangenen «ur gegenwärtigen , von einem euch fremden, äusseren Geschehen zu eurer eigensten inneren That wer- den: so dafs es sich mit diesem Übergang auf ähnliche Wei- se verhält, wie mit den Beweisen für das Dasein Gottes, wo das weltliche Daseiu, von welchem ausgegangen wird, auch scheinbar zum Grunde liegen bleibt, in der That aber als das wahre Sein negirt, und zum Absoluten aufgehoben wird. Immerhin indessen bleibt es noch ein merklicher Unterschied , ob ich sage : da und sofern diefs geschehen ist, habt ihr das zu thnn nnd euch dessen zu getrösten , oder: diefs ist zwar erzählt als einmal geschehen, das Wahre aber ist , dafs es immer so geschieht , und auch an und durch euch geschehen soll. Wenigstens wird die Ge- meinde beidos nicht für dasselbe nehmen , und es kehrt somit, bei allem Mehr oder Minder, welche* das mehr oder

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Schlufsabhandluqg. §. 151. 749.

»

weniger selbstthfitfge Verhffltnifa des Geistlichen cur kriti- schen Theologie, nebst der Verschiedenheit in der Bildungs- stufe derGemeinde, hereinbringt, dennoch auch hier dieGefahr i m rück, dafs sie hinter diese Differenz komme, and der Predi- gtr ihr, and dadurch auch sich selbst, als Lügner erscheine.

Von hieraus kann dann der Geistliche sich wieder ge- trieben finden, entweder direct mit der Sprache herauszuge- hen, and das Volk zu seinen Begriffen erheben so wollen ; o.ler, da diefs nothwendig mifsglücken aiufs, sich behutsam ganz an die Vorstellungsweise der Gemeinde anzuschmie- gen ; oder endlich, sofern er auch hier sich leicht verrätb, am finde doch aus der Geistlichkeit zu treten.

fliemit ist die Schwierigkeit eingestanden, welche die kritisch speculative Ansicht in der Theologie für das Verhält- nis des Geistlichen zur Gemeinde mit sich f ührt ; dieCollision dargelegt, in welche der Theolog gerftth, wenn es sich fragt, was nun für ihn, sofern er auf solche Ansichten gekommen, weiter zu thun sei? und gezeigt, wie unsere Zeit hierüber noch nicht zur siehern Entscheidung gekommen ist. Aber die- se Collision ist nicht durch den Fürwitz eines Einzelnen ge- macht, sondern durch den Gang der Zeit ond die Entwick- lung der christlichen Theologie nothwendig herbeigeführt; sie kommt an das Individuum heran, und bemächtigt sich sei- ner, ohne dafs es sich ihrer erwehren könnte. Oder vielmehr, es kann diefs mit leichter Mühe, wenn es sich nämlich des Stu- direns und Denkens enthält, oder, wenn dieses nicht, doch des freien Redens und Schreibens. Und deren giebt es schon genug in unserer Zeit, and man brauchte sich nicht zu bemü- hen, ihrer immer mehrere zu machen durch Verunglimpfung derer, welche sich im Geiste der fortgeschrittenen Wissen- schaft vernehmen lassen. Aber auch deren giebt es noch, welche unerachtet solcher Anfechtungen doch frei bekennen, was nicht mehr verborgen werden kann and die Zeit wird lehren,- ob mit diesen oder mit jenen der Kirche, der Mensch- heit, der Wahrheit, besser gedient ist.

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...Register

der erläuterten evangelischen Abschnitte.

(Die römische Ziffer bedeutet den Baad, die arabische die Seitenzahl.)

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II, 336-338.

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II. 175-182.

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752

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L 767-769.

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IL 380-396.

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IL 437-442.

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II, 443-454.

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11, 472-480.

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II. 556-567.

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11, 576-584.

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Ii, 612-631.

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11, 676-690.

Lukas, b 5-25 L H>-142

Re g i

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75.1

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I, 233 —240.

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I, 116—142.

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40-42. 49-56 134—141.

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I, 231—264.

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I, 311-324.

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I, 425—448.

37—43

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^ 357-368.

44. 45

11, 305 ff.

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Ii 448-482.

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I, 797-800.

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I, 605-612.

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33-39

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14—51

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11, 2/ü.

12—19

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20—37

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1, 666.

15— 17

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18-27

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42-44

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45-48

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9—16

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17—19

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45—47

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7-13

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14-20

11, 402 f. 416 ff. 437

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s t e r.

22j 21 -23 J!i 436-435.

24-38 I,769X U, 423-A25.

1

435 f.

39-46

11, 443-472.

47-53

U, 472-4:io.

54-62

U, 490-493.

63—71 '

11, 4BO-490.

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11, 512 -527.

26-49

iL 528-5-5.

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iL 556—567.

50-56

11, 576 -534.

24

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M, 592-612.

13—49

IL 612—631.

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25-27- 32. 45 f. 662 f.

47—49

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14

1, 195. 444 «.

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19—30. 36

L 379—409.

29. 35 f.

L 386-388. 398 f. IL 319 f-

31. 33

I, 374-379.

32-34

I, 425-44^.

37-52

I, 583-595.

1

h 485.

2-11

U. 221-237.

12

L 485. 5(xi.

13-17

L 772-779.

18—22

11* 330-336.

23-25

L 537, 70Q.

3i

1-21

I, 700-713-

22-36

I, 390-3^5.

4i 1-3

h 492.

4-42

I, 573—531.

26

L526 1F.

43-45

L 726-729. 733.

46-54

U, 105— 1^3.

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R e g i

s t e r

5j

l

L 509 ^. ,

10, 40—42

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41

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1^ 376 f.

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U, 143-174.

17-47

It 714-718.

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6,

1—13

IL 199-221..

I, 486. 492.

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h 527, 35Ü.

55-57

IL 327 ff.

16—25

11, 182-192.

12, 1-8

L 779 ff.

26-71

Ii 718-721.

9—19

IL 283-3U2.

62

L 543.

20—30

11, 461-472.

* ~ ^ -

U, 3ü6.

64. ZiL Ii

11, 384-389.

31-36

68, 69

I, 528, 624.

37—43

L 701.

1

U 486. 492.

44-50

. J, 723-726.

2-9

L 228. 496.

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< 11, 402-416.

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10—13

L 753. '

3-20

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14. 15

L 347.

10. 18.21-

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16— 30

h 721 f.

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-

11, 376.

23-26

« 11, 427 ff.

31

IL 1 ff.

14-17 U, 456- 460. 467 - 472.

33-36

L 72i f.

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32

L 737 f.

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L 730—733.

40-46

Ii 253,

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L 723.

4t. 4* ,

L 321,

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. . , L 543.

47-53

L 7oo ff.

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IL 472-4Ö0.

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L 793-800.

12-27

' IL 480-498.

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L 721 f.

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JL 512—523.

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IL 312.

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31-37

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19—29

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4-41

IL 77-84.

21-23

IL 671 -676.

10,

1-21

L 722 f.

21, 1-14 L

603-605. IL 192

12 f.

, iL 313.

195.

22-29

L 723 f.

15-19

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30-39 I, 539. 753. 376.

20-23

1,627. U, 37üf.

756

D ruckfehler und Verbesserungen

im «weiten Band.

Seite Linie

27

22

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Ii

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121

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1 d. Anm.

129

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1

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11

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3 d. Anm»

IM

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215

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j d, Anm.

2*2

2

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3 d. Anm.

319

28

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13

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30

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23

11

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- ,

19

402

4

418

11

456

24

462

12

476

5 d. Anm.

statt

Wenigsten

zuschreiben

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unterscheiden

ernstich

Naemann

evangelichen

Lastthier IVlathäus

indes

entscheidensten

wie

ULSHAUSBnHchen bezeichnet.

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achlcchweg

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Besiehung

wirlich

Gegentatz

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die bestimmten

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verlassen mtthcüt

J. II* Greisen

xu lesen

Wenigstens

zuschrieben

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unterscheiden

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indess

entscheidendsten wenn

ULSiiAUsaVsche

bezeichnet!

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Gerstinbrote

schlechtweg

himmlischer

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Beziehung

wirklich

Gegensatz

evangelischen

die ihm bestimmten

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rechtfertigte Schlei iRMACME* veranlassen mittheilt Jon. 12, Greises

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15

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2 d. Anm.

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54

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32

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10

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7

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2

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3

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6

692

30

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2 und 30

721

32

755

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740

24 and 25

•litt

and ab

zu lesen

und ad

ihnen Heroimua Aufruf

Evangelisten. .

ScHLKIBRHMCMin

namenlich hätte

hei

VerrhAi.i-'vliang Anprücn dass,

immensam wirklich

Aposel Elisa

Standtpunkt herorgekehrt

derselben mentclichen menschlichen vor Gott : d. h. gerecht vor Gott gerecht

d. h.

&

Heroismus

Ausruf

Evangelien

ScWNBCKEITBURGKR

namentlich hätten

bei

i

Verherrlichung Anspruch

wieder

Apostel Elia

Standpunkt hervorgekehrt

desselben

SS. 1, 69 und 173 tollte , statt auf S. 73 des ersten Bandes , an

SS. 97 und 98 verwiesen sein.

S. 15S Lin. 10 sollte es statt: Nervensystem, Nerven - und Mus kelsystem heissen.

S. 338 ist nach: „geht in der That nur" einzuschieben: „entwe der auf die noch nicht vollendete Erscheinung Jcs (ni Warn t. d. St.), oder"

S. 340 Lin. 26 ist statt „Beziehung" „Rücksicht" zu setzen ebendaselbst Lin. 32 statt „t# U a*?ra." Erfüllt werden".

S. 352 Lin. 27 nach auf den " einzuschieben : vorangehende 14ten und den—. Hierauf S. 555 Lin. 1 und 2 sta! des Punkts ein Co mm» , und statt der Worte : », In dess deuten " die Worte: ,,und wenn er in jenen früheren Verse die Verkündigung des Evangelium

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ev Bin rs olxnfitvy all etwas hinstelle, das dem Tß0. noch vorangehen wefde: so müsse er dieses als noch weit entfernt gedacht haben. Indess eine Ausbreitung des Evangeliums in der römischen Welt kann Jesu« schon für die nächsten 40 Jahre gehofft haben, wie eine solche auch wirklich, vornehmlich durch Paulus, erfolgt ist ; die angebliche Ntfthigung aber , yt vt* auf die angegebene Weise umzudeuten/4

376 Lin. 3 statt „kaum mehr" zu lesen: „nur noch".

». 479 L. 32 statt „zu Annas" „zum Hohenpriester".

.. . . ;

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