AETAS AS; BEBE WES

"S m Der.

BERKELEY

LISRARY UNIvaaSITY OF CALIFORNIA

AETAS KANTIANA

Das kritische Werk Emmanuel Kants, 1724-1804, bedeutet einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Philo- sophie; besser, der Philosophie überhaupt. Zwischen 1780 und 1800 liess Kant erscheinen : Die Kritik der reinen Vernunft, 1781; Die Kritik der praktischen Vernunft, 1788; Die Kritik der Urteilskraft, 1790; Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, 1793; Die Metaphysik der Sitten, 1797. Nicht aufgeführt sind dabei jene unzáhligen Schriften, die dazu bestimmt waren, die in diesen grundlegenden Werken ausgesprochenen Prinzipien zu verteidigen.

Kant hatte nicht nur Schüler und Bewunderer. An Gegnern fehl- te es nicht. Es waren dies vor allem die Verfechter des Wolff'schen und Leibniz'schen Rationalismus. Andererseitz waren es Fichte, Schelling und andere Idealisten, die aus den von Kant aufgestellten Prinzipien die extremsten Forderungen zogen.

Wenige Perioden waren so fruchtbar an Auseinandersetzungen von Ideen, an Versuchen von Systembildungen. Die Kant'sche Kritik gab den Anstoss zu einer ganzen philosophischen, kritischen und po- lemischen Literatur. Sie ist auch heute noch sehr máchtig.

Trotz der verschiedenen und oftmals gegensátzlichen Strómun- gen, die sie charakterisieren, bilded die Aetas Kantiana ein unteilba- res Ganzes : etwa die ersten vierzig Jahre der Bewegung. Dieses Gan- ze, diese Aetas Kantiana, besagt eine enorme Literatur. Sie umfasst viel mehr als die gróssten Autoren dieser Epoche, sie seien nun kan- tianisch oder nicht.

Dies ist der Grund, warum es nützlich, ja notwendig schien, die Werke in einem móglischt vollstándigen Corpus zusammenzustellen. Unter dem Namen Aetas Kantiana werden also, im Neudruck, die Originale oder die bestem Ausgaben der reprásentativsten Werke der Kant'schen Aera publiziert werden; mit Ausnahme, wohlgemerkt, der grossen Gesamtausgaben, die leicht zugánglich sind.

IMPRESSION ANASTALTIQUE CULTURE ET CIVILISATION 115 avenue Gabriel Lebon, Bruxelles 1968

Philoſophiſches Magazin.

——Á——(WGÓ—

$erauségegeben

von

Johann Auguſt Eberhard.

Erſter Band.

—————————————————————————————————————————— HALLE, bey Johann Jacob Gebauer. 1789.

Philoſophiſches Magazin.

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$etauságegeben

von

Johann Auguſt Eberhard.

Erſtes Stuͤck.

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——

HALLE, bey Johann Jacob Gebauer. 1788.

VOAN STACK

Vorbericht.

Si. Abſicht unb die Ginrid)tung dieſes Magazins iff in ber vorlaͤufigen Nachricht, welche in dem erſten Aufſatze dieſes erſten Stuͤcks enthalten iſt, ſo ausfuͤhrlich angezeigt worden, daß id) in dieſem Vorberichte daruͤ⸗

* 2 ber

Fur IV usc ber nichts hinzuzuſetzen habe. Slut einige Vortheile, fe) es mir erfaubt, mod) angw fübren, bie id) mit von bem Plane vet» ſpreche, mad) welchem wir unfere Gebanfen über bie neueſten Angelegenheiten in bem Reiche ber Philoſophie in furgen Aufſaͤtzen bem Publico vorgufegen wagen.

Da natuͤrlicherweiſe unfere Unterſuchun⸗ gen aud) bisweilen polemiſcher Art ſeyn wet den: ſo glaubten wir, daß es nicht anders als vortheilhaft ſeyn koͤnne, wenn der Wider⸗ ſpruch ſich, ſo bald als moͤglich, einer neuen Behauptung entgegenſtellte. Das wuͤrde, dachten wir, den Nutzen haben, daß die Meinungen von beiden Seiten beſſer verſtan⸗

den

fr OV cem ben wuͤrden, wenn bie eine fo gut afó bie att» bere, fammt ifren Grünben, nod) in frifd)em Andenken waͤre. Hiezu wuͤrde nod) fommer, daß, wenn wir ſelbſt eine Meinung nicht recht verſtanden haͤtten, welches bey Mate⸗ rien abſtruſer Speculation wol nicht ſelten der Fall ſeyn duͤrfte, die Belehrung uns ſo— gleich auf dem Fuße folgen koͤnnte. Da es uns nur um bie Wahrheit zu thun iſt: ſo wuͤrden wir dieſe Belehrung ſogleich nutzen unb unſern Jrrthum verbeſſern koöͤnnen. Auf dieſe Weiſe wuͤrde man endlich nach und nach ſich verſtaͤndigen, und da ſo vieler Streit aus Mißverſtand entſteht, endlich vic leicht auch wol gar vereinigen koͤnnen. Sollte dieſes aber auch nicht erfolgen: ſo wird es

3 uns

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uns nicht bie geringſte Ueberwindung foffett, tie Unterſuchung, ba, two fid), wenigſtens tor ter anb, nichts gebeiblid)e8 mehr von ihr erwarten láft, abjubred)en, ofne auf ben fíeinen zweydeutigen Ruhm, as fefte Wort gehabt ju haben, eiferſuͤchtig gu ſeyn. Wenn der deutſchen Philoſophie in ihrem ge⸗ genwaͤrtigen Zuſtande das ſchwerlich zu et» wartende Gluͤck nicht beſchieden iſt, die wich⸗ tigſten Gegenſtaͤnde des menſchlichen Nach— denkens außer allen Streit ju ſetzen: ſo büt» fen wir deswegen nicht alle Hoffnung aufge⸗ Den. Was heute nicht geſchieht, kann mot» gen geſchehen, unb was in dieſem feben um» vollendet bfeibt , fann in einem fünftigen forts geſetzt werden; wenn wir nur feine Unterſu⸗

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war VIDI 5-2» chung vot ber Zeit für geſchloſſen halten, unb ibren Ausgang mit Wahrheitsliebe unb obne Rechthaberey abmartert.

Die Kuͤrze bec Aufſaͤtze kann aud) een Sytu&en haben, bof fie Mannigfaltigkeit uno Abwechſelung in unfere Sammlung bringen wird. So ungleichartig indeß die Materien ſcheinen werden; ſo wird es ihnen doch nicht ganz an einer gewiſſen Verbindung fehlen. Sie werden wenigſtens groͤßtentheils durch die Zeitumſtaͤnde veranlaßt ſeyn; es iſt aber leicht zu bemerken, daß beynahe immer in jeder merklichen Zeitperiode gewiſſe Unterſu— chungen, die in einer Wiſſenſchaft zu gewiſſen Zeiten herrſchend ſind, ſich mehr oder weni⸗

* 4 get

ruv VII. ^v» get auj einander beziehen, unb durch ein ge» wiffeó Band, ba& bem forgfáftigern Beobach—⸗ fet nidjt gang unſichtbar iff , aufammengefal,

fen werden.

Bey biefem erſten Stuͤcke Gabe id) nur uͤber die Abhandlung von der wahren uno falſchen Aufklaͤrung noch einige Worte zu ſagen. Man hat ſich in derſelben bemuͤht, dieſe wichtige und ſchwere Materie mit derje⸗ nigen Ruhe und Gelaſſenheit zu unterſuchen, bie viele leſer an ben zahlreichen Schriften, die ſeit einiger Zeit daruͤber erſchienen ſind, noch immer vermiſſen werden. Anſtatt die Graͤnzen der oͤffentlichen Aufklaͤrung mit Bil— ligkeit und Unparteylichkeit aufzuſuchen, hat

man

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man (ie burd) 6raufenbe Declamationen nur nod) mebr verwirrt. Dieſe unüberfeate Hihe unb leidenſchaftliche Indiſeretion iff in feimet C rift merfid)er, afé in ben zwey Frag⸗ menten über oie Aufklaͤrung, bie vor furgem erfd)ienen (inb, unb ein Aufſehen ets tegt haben, welches (fie burd) ihren innern Gehalt nicht verdienen. Wie wenig ifr Verfaſſer mit der Sache durchgaͤngig bekannt ſey, laͤßt ſich ſchon daraus abnehmen, daß er ben Galilaͤi wegen ber Wahrheit, daß die Erde rund ſey, verdammen laͤßt. Solche Fehler laſſen ſich ſelbſt durch die un— geſtuͤmſte Declamation nicht verdecken. Dies ſen Ungeſtuͤm der Declamation, ſo wie alle die llebertreibungen des falſchen Pathos, ſollte

di. uͤber⸗

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uͤberhaupt ber arünblid)e Deutſche ben ſeich⸗ teſten unter ben. franzoͤſiſchen Schriftſtellern nicht nachahmen, bie ihre Blaͤße in ſolche Rauchwolken zu verhuͤllen ſuchen, welche, anſtatt neues fict " geben, ba8 Tageslicht beà rufigen gefunben Verſtandes verbunfeln, bey bem wir, ofne fie, beffer (eben wuͤrden. Halle, ben 13, Octob. 1788.

Der Herausgeber.

Inhalt.

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Inhalt.

I. Vorlaͤufige Nachricht.

Ik Ueber bie Schranken der menſchlichen Crfenntnig.

IU. Ueber bie wahre und falſche Aufklaͤrung.

IV. Cha⸗

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IV. Góaracferghge der Mexicaniſchen jns

bianer, I. Koͤrperliche Bildung. 2. Haͤusliche Tugenden.

3. Oeffentliche Tugenden. V. Epiſtel uͤber das Frauenzimmer.

VI. Recenſionen.

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Nach⸗

I.

Nachricht von dem Zweck und der Einrichtung dieſes philoſophiſchen Magazins, nebſt einigen Betrachtungen uͤber den gegenwaͤrtigen Zuſtand der Philoſophie in Deutſchland.

($i. Freunde ber Philoſophie haben fid) mit cínanber oerbunben, bie zerſtreuten Giebonfen, wozu ihnen bie neueſten Vorfaͤlle in ber. pbiloz ſophiſchen Welt Gelegenheit geben, ſich einander ſchriftlich mitzutheilen, und diejenigen, die eine ſorgfaͤltige Pruͤſung aushalten, in dieſem Ma— gazine aufzubewahren, und der Beurtheilung des Publicums vorzulegen. Sie glauben, die jetzige gute Regung, mit der man ſich ſelbſt fuͤr die dor⸗

Philoſ. Mag. 1. St. A nigſten

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nioftem Theile ber ſpeculativen Philoſophie su intereſſiren ſcheint, nugen gu müffen, um cínige nicht gang helle Gegenſtaͤnde ihrem beſten Lichte naͤher zu brngen; ihre Periode moͤchte geſchwind voruͤbergehen, und nicht ſo bald wiederkommen.

In ihren eigenen aber ſowol, als in den allgemeinen Umſtaͤnden, worin ſich die gegenwaͤr⸗ tige philoſophiſche Aufklaͤrung in Deutſchland be⸗ findet, liegt noch verſchiedenes, was ihrem Plane eine beſondere Geſtalt giebt.

Die philoſophiſchen Unterſuchungen ſcheinen jetzt ein groͤßeres Publicum zu haben, als ſie ſich tor funfzig Jahren ruͤhmen konnten. Der Gc brauch der Landesſprache in philoſophiſchen Schriften, die Eleganz, die Correction, die Schoͤnheit ber Compoſition, worin einige ber be» ſten Schriftſteller unſeres Vaterlandes ihre Philo⸗ ſophie gekleidet haben, das alles bat bie Phildſophie allgemein beliebt und bekandt gemacht, es hat die Schriften der Weltweiſen auch in ſolche Haͤnde gebracht, bic ſonſt nur nad) bem gu greifen. pfleg: tem, woraus fie fid) einen angenebmen Zeitver⸗ treib und hoͤchſtens eine geiſtreiche Unterhaltung

ver⸗

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verſprechen fonnten ; unfere philoſophiſchen Schrif⸗ fem finb angenehmer, und unſere angenehmen Schriften ſind philoſophiſcher geworden, und beide haben, wo nicht den philoſophiſchen Geiſt, doch gewiß die Bekandtſchaft mit philoſophiſchen Lehrſaͤtzen gemeiner gemacht.

Ob durch dieſe Verbreitung der Philoſophie außer den Schranken der Schule die Philoſophen fid) um ben. großen Haufen cin ſonderliches Ver⸗ dienſt erworben haben, daruͤber ließe ſich noch ſtreiten. Die Erfahrung lehrt, daß, tie bic Beqguͤn⸗ ſtigung der falſchen Andacht von jeher die Heuch⸗ ler und Scheinheiligen, eben ſo die allgemeine Verbreitung der Philoſophie die gedankenloſen Nachbeter und affectirten Scheinphiloſophen ver⸗ mehrt hat. Das ſcheint aber deſto ausgemachter zu ſeyn, daß die Wiſſenſchaft ſelbſt ſeit dieſer Verbreitung an innerm Gehalt verlohren habe.

In dieſer Lage der Sachen hatte Herr Prof. Zant in Koͤnigsberg ben Muth, der Philoſophie eine Revolution vorzubereiten, mit ber fie entwe⸗ ber alles gewinnen ober. alles verliehren ſollte. Das Werk, worin er dies unternahm, das durch

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die ſcheinbare Leichtigkeit unb Zierlichkeit bec Diction ſo gut den Uneingeweihten als den Eingeweihten anzieht, muthete ſeinen Leſern eine Geduld, einen Tiefſinn und ein Anhalten der Forſchbegier zu, das in dem Verfaſſer deſſelben ein uneingeſchraͤnktes Vertrauen zu ihrer Liebe der Philoſophie vorausſetzte. Der Erfolg uͤbertraf alles, was die ſanguiniſchſte Hoffnung von dem waͤrmſten Enthuſiasmus erwarten konnte; die Critik ber. reinen Vernunft und die darin entbalz tene Philoſophie machten cine Senſation, derglei⸗ chen man in langen Zeiten nicht in der philoſophi⸗ ſchen Welt geſehen hatte; allein bey verſchiedenen auf verſchiedene Art. Einige, die eben im Er— richten ihres Lehrgebaͤudes befangen waren, wozu fic die Materialien erſt zuſammentragen, prüfen und verbinden mußten, fanden hier den groͤßten Theil derſelben in Bauſch und Bogen verworfen, und ſahen ſich einer großen Muͤhe uͤberhoben; andere, bie ſchon ſelbſt an. ihrer Brauchbarkeit gezweifelt, fanden ihre Zweifel beſtaͤtigt und mit dieſer Beſtaͤtigung bie Ruhe det Gewißheit; am: dere endlich, die ihre Kenntniſſe nur aus den neueſten Buͤchern ſchoͤpfen, und bey denen immer der letzte Recht hat, beteten nach, die meiſten

aber

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aber wurden burd) bie S'übnbeit in ber. Unterneh⸗ mung, die Zuverſicht in ber Ausfuͤhrung, fo wie burd) bie Cubtilitat ber Unterſuchung unb bit Steubeit ber Terminologie, betaͤubt, unb von dieſer Betaͤubung mógen fid) nod) wenige erholt haben.

Da wir unſere Zeitſchrift in dieſer philoſo⸗ phiſchen Criſis anfangen, ſo werden wir unſere Leſer oft mit den Eigenheiten der Philoſophie des Koͤnigsbergiſchen Philoſophen unterhalten muͤſſen; unb wir werden dieſes mit befio mehr Vergnuͤgen thun, ba wir zugleich oft Gelegenheit haben wer⸗ ben, feinem Scharfſinne Gerechtigkeit widerfah— rem zu laſſen. Dieſe Theilnehmung an ben Un⸗ terſuchungen, wozu er unter ung das Feld eroͤff— net hat, werden wir ſuchen, ſo viel moͤglich, der Philoſophie nuͤtzlich zu machen, und da wir uns bewußt ſind, daß wir alle noͤthige lInpartepfid)z keit dazu mitbringen werden, ſo hoffen wir, daß fic nicht ohne allen Erfolg ſeyn ſollen. Es kann nicht anders als nuͤtzlich, und dem Schriſtſteller, ber etwas neues wagt, ſelbſt willkommen ſeyn, daß ſeine Gedanken von allen Seiten gepruͤft werden. Ein jeder bringt zur Unterſuchung einer Wahrheit feinen eigenen Geſichtspunct mit; je

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mehr dieſer Geſichtspuncte, deſto beſſer. nz dem wir die neue philoſophiſche Sprache mit der alten vergleichen werden, werden wir vielleicht manchem Wortſtreite zuvorkommen, manchem Mißverſtande ein Ende machen, und manche Dunkelheit in den Kantiſchen Schriften heben, uͤber die wir noch immer nach ſo vielen Commen⸗ tarien, Erlaͤuterungen, Abkuͤrzungen und Ausle⸗ gungen klagen hoͤren; indem wir das Alte neben das Neue ſtellen werden, werden voir uns in ben Stand ſetzen, die Nothwendigkeit und Graͤnzen der philoſophiſchen Reformation genauer zu beur⸗ theilen, ben Werth von beiden richtiger zu ſchaͤ⸗ tzen, und dem Muthwillen, der bald das Eine, bald das Andere, ohne beides gu kennen, ber wirft, am beſten begegnen, indem wir endlich auch bisweilen vor befugten Richtern bie Defen⸗ fion ber bisherigen Metaphyſik gegen ihre Anklaͤ⸗ ger zu Gunſten einer kuͤnftigen uͤbernehmen, denn die Gerechtigkeit will, daß man auch den verdaͤch⸗ tigſten Uebelthaͤter nicht ungehoͤrt verdamme ſo hoffen wir ihr ſogar vielleicht noch hie und da vor dem Richterſtuhle einer erleuchteten Unpar⸗ teylichkeit Gnade zu verſchaffen.

Wir

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Wir wollten Anfangs unſern Plan auf bloße Recenſionen neuer Schriften einſchraͤnken; allein nach reiferer Ueberlegung fanden wir, daß wir dadurch entweder unſere Beurtheilung ihres In⸗ halts zu ſehr zuſammenziehen, oder die Anzeigen zu ſehr verlaͤngern und durch unſer Dazwiſchenre⸗ den zu oft und zu lange wuͤrden unterbrechen muͤſſen. Wir beſchloſſen alfo, bie Anmerkun⸗ gen, die ſich in weitlaͤuftigere Eroͤrterungen aus⸗ dehnen koͤnnten, ín eigene Abhandlungen abzu⸗ ſondern, die doch aber, wo moͤglich, nie mehr als einen oder zwey Bogen, oft aber weniger, einnehmen werden.

Wir glauben, auf dieſe Weiſe dem Beduͤrf⸗ niß einer jeden Art von Leſern entgegen zu gehen; dem Beduͤrfniß dererjenigen, deren Geduld ſchon vor dem Ende des zweyten Bogens erſchoͤpft iſt, wie dem Beduͤrfniß derer, die nur einige Winke brauchen, um zerſtreuete Gedanken anderer mit ihrem eigenen Gedankenſyſteme zu vergleichen, und, wo ſie hingehoͤren, einzufuͤgen wiſſen.

Die erſte Abtheilung unſeres Magazins wird alſo eigene Aufſaͤtze, und die zweyte Recen⸗ A4 ſionen

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fionem. entbalten. Die Aufſatze werden nicht aud lauter ſpeculativen Abhandlungen beſtehen, fie werden bisweilen mit Beobachtungen, SRadyridy fe, kurzen Betrachtungen über. Sitten, Geſetze, Begebenheiten, Charactere unb aͤhnliche Gegen— ſtaͤnde abwechſeln. Es werden ſelbſt Gedichte philoſophiſchen Inhalts nicht ausgeſchloſſen, und wir haben Hoffnung, Beytraͤge von dieſer Art zu erhalten, von denen wir uns verſprechen, daß ſie bem Freunde ber deutſchen Dichtkunſt deſto intere eſſanter ſeyn werden, da ſie die Bluthen eines jungen Genies ſind, welche uns ſehr angenehme Fruͤchte verkuͤndigen. Auch werden wir alle fremden Beytraͤge, deren Mittheilung den Leſern willkommen ſeyn koͤnnen, mit der groͤßten Dank⸗ barkeit aufnehmen.

Ueber

2.

Ueber bie Schranken der menſchlichen Erkenntniß.

Et hoc habet animus argumentum divinitatis fuae, quod illum divina dele&ant: nec ut alienis in- teret, fed ut fuis.

Seneca.

Da Hauptverdienſt, welches ſich Herr Prof. ZAant um bie Metaphyſik zu erwerben geſucht bat, beſteht in der genauern Beſtimmung ber. Schranken des menſchlichen Verſtandes. Ob er die Linie richtig gezogen habe, welche das, was dem menſchlichen Verſtande erreichbar ijt, von bem Unerreich aren ſcheidet, das verdient bie ſorgſaͤſtigſte Unterſuchung, und dieſe falle aus, wie ſie will, ſo verdient es vie⸗ len Dank, ſie veranlaßt zu haben.

45 In

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In dieſer Unterſuchung ift nidjt bíe Stage von den inoivioucllen unb zufaͤlligen Graͤnzen des menſchlichen Verſtandes, die ins Unendliche mannig⸗ faltig und abwechſelnd ſeyn koͤnnen und wirklich ſind; monníafaftig ín ben verſchiedenen Stufſen ber Cultur ber Vernunft von bem ſtupiden Feuerlaͤnder bíó au bem aufacffárten. Europaͤer, abwechſelnd von bem unmiünbigen Kinde bis au bem verſtaͤndigſten Manne. Es fraͤgt ſich, welches ſind die allgemeinen weſent⸗ lichen Schranken, die der menſchliche Verſtand, auf keiner Stufe ſeiner Vervollkommnung, durch keine Anſtrengung ſeiner Kraͤfte, uͤberſchreiten kanu.

Man kann die Frage aud) fo ausdrucken, von welchen Gegenſtaͤnden ift es der menſchlichen Ver⸗ nunít moͤglich, eie gewiſſe Erkenntniß zu erhalten? von welchen iſt es ihr hingegen unmoͤglich? Wer bie erſtern durch einen kennbaren allgemeinen Chara⸗ cter bezeichnete, wodurch ſie ſich von den letztern un⸗ terſchiede, unb aus dieſem Charakter die Erkennbar⸗ keit der erſtern, ſo wie die Unmoͤglichkeit die letztern zu erkennen herleitete, der wuͤrde die Schranken des menſchlichen Verſtandes durch die beſtimmteſte Graͤnz⸗ linie angegeben haben.

Dieſe Graͤnzlinie ift num von jeher ſehr vet:

ſchieden gezogen worden; die ſteptiſche Philoſophie bedurf⸗

Fou»T^ TY On

Beburfte qat feíne, benn fie hielt feine Crfenntnig für aemig; bie dogmatiſche bezeichnete ibr Gebiet bald mit weiten, bald mit engin. Schranken, eim graͤnzenloſes Gehíet bat (ie fid) nid)t anycmaft. Es ift ein. ungegruͤndeter Vorwurf, ben. man eiefer pbi loſophie macht, bag fte ihre Herrſchaft über alle Ge⸗ genſtaͤnde ausdehne, daß (ie allen Zweifel ausſchließe unb fid) alles moͤgliche tit Gewißheit zu wiſſen vere meſſe. Sie iſt bet. ſteptiſchen Philoſophie entgegenge⸗ ſetzt, die an allem zweifelt, und um von dieſer ſich zu unterſcheiden, braucht ſie nicht allen Zweifel zu verwerfen, alle Graͤnzen der gewiſſen Erkenntniß zu leugnen, ſie kann dieſe Graͤnzen bald enge bald weit— umfaffemb zeichnen. Es ift eben fo ungerecht, oet Philoſophie einen allgemeinen Dogmatismus voraus werfen, die dem Gebiete ihrer gewiſſen Erkenntniß einen weitern Umfang giebt, als diejenige mit dem verdaͤchtigen Namen des Skepticismus zu brandmar⸗ ken, die ihre Schranken enger zuſammenzieht. Durch alle dieſe Beſchuldigungen und Gegenbeſchuldigungen wird in der Sache ſilbſt nichts ausgemacht; man ſollte dieſe Art zu ſtreiten den Sachwaltern mißlicher Rechteſtreite uͤberlaſſen; der philoſophiſche Crit: ſteller ſollte ſich an der Unterſuchung ber Sache bal: ten, bie Ouid) fol Mittel in nichts erleichtert wird.

Alſo:

FMAvPT^ T:52 xm

Alſo: wer feín Skeptiker i(t, ber ift eim Dogmatiker, unb e$ fragt fid) nur, mie weit ev e ift. Das wirb von ben weitern oder engern Girán; gen abfjanaen, worin er feine gewiſſe Erkenntniß ein⸗ ſchließt. Gine kurze Ueberſicht ber pbilofopbifdóen Sy⸗ ſteme ín. Ruͤckſicht auf dieſe Graͤnzbeſtimmung wird vielleicht nicht ohne Nutzen ſeyn, um uns der richti— gen Ausmeſſung des unbeſtrittenen Gebietes eines vernuͤnſtigen Dogmatismus naͤher zu bringen.

Es muß, auf ben erſten Anblick, nicht menia bes fremben, moni man bemerkt, daß ber aͤlteſte Dogma: tismus ín feinem Gebiete gerabe oie Gegenſtaͤnde 6er fair, oie bie neuefte "Dbilofopbie von bem ihrigen audr ſchließt, unb diejenigen davon ausſchließt, auf bie bie lettere bas ibriae cinfd)rántt. Plato unb Ariſtote⸗ les ſchloſſen die Gewißheit ven aller innenerfennt: niB au$, uub beſchraͤnkten fie blo anf bie Stegion ber unfinntidyen over. SBerítanbesibeen ;. ele neuefte Philo⸗ fopbie verbannt fie aus dieſer Region unb. nimmt fie bloß in ^er Sinnenwelt auf. So blieben bie Sachen mit mehr oder weniger Veraͤnderungen bis zu dem Anfange des vorigen Jahrhunderts, ba Bako Me Logik mit den Regeln ber Erſahrungskunſt bereicherte. Bis dahin hatte man nur bie Form ber Vernunfter⸗— kenntniß bearbeitet und ſich in Anſehung der Gewiß— heit ihrer Materie an das gehalten, was Plato und

Ariſto⸗

WMAPER 15 4

Ariſtoteles daruͤber philoſophirt Datten; unb dabey hatte es auch Bako gelaſſen.

St erſte, ber an die Materie ber SBernunft: erfenntnig bad)te, mar Des Cartes, Er ſuchte jus et(t ein Senngeid)en auf, woran fic) bíe wabren 35e« eriffe von den falſchen unterſcheiden ließen, unb glaubte e$ ín ber. Begreiflichkeit derſelben geſunden zu haben. Damit war nun zwar die Innſchrift an dem Tempel bec Wahrheit entdeckt, allein fie war nicht lesbar; Des Cartes hatte gelehrt, daß das Begreifliche wahr ſey, er batte aber nicht geſagt, woran ſich das Begreifliche erkennen laſſe. Indeß ließ es fi) nod) wol errathen, daß bie Begreiflichkeit der zuſammengeſetzten Begriffe in der Compoſſibilitaͤt ihrer Merkmale beſtehe. ie zuſammengeſetzten 95e; griffe ſetzen aber einfade voraus, woraus fie zuſam⸗ mengeſetzt ſind. Welches ſind biefe ? unb wie erhalten wir ſie? Auf die erſte Frage antwortete Des Car⸗ tes: ber einfachſte Begriff, morauf ſich alles in ben Koͤrpern aufloͤſen laͤßt, iſt die Ausdehnung, in den Geiſtern der Gedanke. Das druckte er in ſeiner Zpra: che aus: das Weſen des Koͤrpers iſt Ausdehnung; des Geiſtes, Gedanke. Die erſtere war alſo die allge⸗ meine Materie ſeiner zuſammengeſetzten Begriffe von Koͤrpern und ihren Erſcheinungen, und der letztere von Geiſtern, ihren Eigenſchaften und Wirkungen;

alle

KXAVEM q4 039

affe Veraͤnderungen ber. Sóvper waren alfo Modifica⸗ tionen ber Ausdehnung, alle Veraͤnderungen ber Geiſter Modificationen des Gedankens, obet oet Perceptionen.

Aus dieſer Materie mußten nun alle Begriffe nach den Geſetzen des Begreiflichen zuſammengeſetzt ſeyn; tiefe waren alfo bie Geſetze der Form. Wel⸗ ches (inb aber dieſe Geſetze der orm des Denkens? Das blieb nod) immer im Dunkeln.

Die Geſetze der Form der Erkenntniß waren in der ariſtoteliſchen Philoſophie in den Regeln ihrer Syllogiſtik enthalten. Dieſe enthielt Regeln fuͤr die categoriſchen und bedingten Vernunftſchluͤſſe; bey den letztern liegt der Satz des zureichenden Grundes, bep ben erſtern ber Satz des Wider—⸗ ſpruchs zum Grunde; denn das Geſetz der Schluͤſſe vom Allgemeinen auf das Beſondere iſt weiter nichts als ein beſonderer Fall, der unter dem allgemeinern Geſetze des Widerſpruchs enthalten iſt.

Wenn der Enthuſiasmus, auch der philoſo⸗ phiſche Enthuſiasmus, es uͤber ſich gewinnen koͤnnte, ſeiner auch noch ſo gegruͤndeten Liebe des Neuen nicht, ohne Pruͤfung, alles Alte aufzuopfern: ſo wuͤrde eine ſorgfaͤltige Zergliederung der Regeln der ariſtoteliſchen Syllogiſtik auf die erſten Geſetze der Form der Erkenntniß hinausgefuͤhrt haben. So

aber

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eber (ie tam biefe Regeln, für deren Brauchbar⸗ keit man, bey Strafe für. einen ſcholaſtiſchen Pedan⸗ ten gehalten zu werden, kein Wort mehr reden burfte, ganz auf ber Seite liegen, unb erſchoͤpfte allen ſeinen Fleiß auf die Bearbeitung des Stoffs der menſchlichen Erkenntniß.

Cin Hauptgebrechen, welches die naturfor—⸗ ſchenden Metaphyſiker der Carteſianiſchen Philoſo⸗ phie vorwarfen, ar, daß fie bie einfachen 35e: gríffe der aͤußern Sinne, oder, nad) ber Sprache der Carteſianiſchen Schule, das Weſen der Koͤrper nicht vollſtaͤndig genug angegeben haͤtte. Indeß man (id uͤber dieſen Theil des Carteſianiſchen Cy: ſtems ſtritt, trat ein logiſcher, oder, wenn man lieber will, ein kritiſcher Metaphyſiker auf, der der ganzen Unterſuchung eine neue Wendung gab. Da man in den Schulen der Philoſophie bis auf ben des Cartes immer mehr bie Form der Er— kenntniß bearbeitet hatte, ſo war es ein wichtiger Schritt zu ihrer groͤßern Vollkommenheit, daß fLor cke in ſeinem beruͤhmten Werke vom menſchlichen Verſtande ſich vorzuͤglich mit der Aufklaͤrung und Berichtigung ihrer Materie beſchaͤfftigte. Daß et daruͤber die Form ganz vergaß, daß er ſelbſt ihre Geſetze zum Theil ganz fuͤr unnoͤthig erklaͤrte, das wollen wir ihm jetzt nicht zum Verbrechen machen,

da

w^avr [r6 zu

ba es beo unà (tet, dieſen Mangel zu ergaͤnzen, und das Brauchbare, was ſeine Vorgaͤnger daruͤber enthalten, wieder hervorzuziehen. Der Weg, den et betrat, um ben Inbegriff der Ideen aufjufin; den, war allerdings der rechte, aber er verfolgte ihn nicht weit genug. Er bemerkte ganz richtig, daß man, um alle Arten der Ideen, die den geſammten Stoff ber. menſchlichen Erkenntniß au; machen, a priori au beſtimmen, fie nach beu Erkenntnißvermoͤgen der Seele claſſificiren muͤſſe. Indem er aber in dieſer Glajfification bloß bey ben innen (teen blieb, die i)m, in feinen. &enfa; tion$ : unb Steflerionáibeen, bloß Ideen ber umwz mittelbaren aͤußern unb innern Crfabrung gaben, inbem er in bem Verſtande unb ber Vernunft bie unleugbaren Quellen wahrer Ideen überíabz fo mußte ſeine Claſſification nothwendig unvollſtaͤndig werden.

Hier ſtehen wir bey der Epoche, womit die neuen. Graͤnzbeſtimmungen ber menſchlichen Erkennt⸗ niß anheben. Die Schranken derſelben mußten nun enger gezogen werden, da ihre Materie ſo ſehr war zuſammengezogen worden. Es waͤhrte auch nicht lange, ſo begann der Idealismus auf dieſem bequemen Grunde ſein (uftíaeó Gebaͤude auf⸗

zufuͤhren. KCocke ſchien die Folgen ſeiner Ideen—⸗ lehrt

17

lehre nicht geſehen zu haben, oder er hatte ſich, um mit dem gemeinen Verſtande nicht zu verfallen, ſo gut aus der Sache geholfen, als er konnte, und der gemeine Verſtand batte fid) feine Behelfe gefallen laſt ſen. Allein was er entweder nicht geſehen hatte, oder nicht hatte ſehen wollen, das ſahen andere.

Wenn es keine andere Ideen giebt, als die Senſations- und Reflexionsideen, fo folgt nothwen⸗ dig, daß alles Wirkliche bloß Veraͤnderung iſt, daß es alſo nichts Selbſtſtaͤndiges giebt. Denn alle aͤußere Empfindungen ſind bloſie Vorſtellungen von. Veraͤn⸗ derungen ber Koͤrper, alle Wahrnehmungen des innerm Sinnes ſind nichts anders als Wahrnehmungen unſers Erkennens und Begehrens. Mit dieſen Praͤmiſſen brauchte es bei weitem nicht aller ber ſpitzfindigen Me⸗ taphyſik, auf welche Berkeley das Lehrgebaͤude ſeines Idealismus auffuͤhrte, ja er konnte mit ihnen, wenn er conſequent ſeyn wollte, ſo weit gehen, daß ihm in bem ganzen Reiche bed Denkbaren nichts Selbſtſtaͤn diges übrig blieb. Mit weit weniger Subtilitaͤt, aber aud) mit weniger Schonung des gemeinen Ver— ſtandes, wiewol mit mehr Conſequenz that Hume den Salto mortal in das oͤde Reich des unbegraͤnzten Nichts, und pflanzte das Panier des allgemeinen Idea⸗ iemus auf. Gr ſchraͤnkte das Reich bes Wirklichen auf die bloßen Ideen ein; denn von dieſen allein haben

Philoſ. Mag. i. Gt. B wir

OST 358

wir eine unmittef&are Erfahrung, fie fnb e$ allein, was wir al Wirklich wahrnehmen. Wir haben zwar auch Vorſtellungen von Etwas, das aufer uns Wirk⸗ lid) ift; allein dieſe Vorſtellungen, bie in ber. gemei: nen Cpradje Cmpfinbungen fjeifen, unterſcheiden fid) Dío babutd) von ben Ginbilbungen, baf fie ftárfer finb, nicht baburd), baf ibt Gegenſtand gegentvártíg unb wirklich iſt. Die Cmpfinbungen. nennt Hume Eindruͤcke, Impreſſionen, alle uͤbrige Vorſtellun⸗ gen Ideen; beide haben einerley Bilder gemein und bieje ſind bloß nad) oem verſchiedenen Grade ihrer Staͤrke bald Impreſſ ionen, bald Ideen. Die com; plexen Ideen koͤnnen in einfache aufgeloͤſet werden; beide folgen auf einander nach den Geſetzen der Con⸗ tiguitaͤt, oder des Nebeneinanderſeyns, der Aehnlich⸗ lichkeit unb ber Caußalitaͤt. Dieſe Caußalitaͤt ift aber nichts weiter als bie Succeſſ ion ber. Eindruͤcke und der Ideen, deren oͤftere Wiederholung uns durch die Gewohnheit den Glauben einer urſachlichen Ver⸗ bindung unter ihnen aufdringt.

Nothwendig mußte durch dieſe Einſchraͤnkung bet gewiſſen Erkenntniß des Wirklichen auf bie bloßen Impreſſ ionen alle. Erkenntniß a priori, fo wie alle Erkenntniß ber Gegen(tánbe ſowohl ber Sinnen alg be$ Verſtandes, unb mit biefen alle logiſche Wahrheit ter Erkenntniß des Wirklichen ausgeſchloſſen werden;

und

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und fo war bie menſchliche Grfenntnig in ben enoften Kreis eingefdránft, ber fid) benfen laͤßt. Der Gin: flu, ben biefe unnatürtiche Grenzbeſtunmung auf os gi£, Metaphyſik unb Steligion fat, mufte notbrmoen: bíg viele für bie íntereffanteften Angelegenheiten if; re$ Verſtandes unb Herzens befotat machen, unb fie zur Unterſtuͤtzung berjeíóen aufforbern. Was im dieſer Abſicht iv England geſchehen ift, liegt jetzt aufer unſerm Plane, bet bloß auf bie neuere Ger ſchichte ber Grenzbeſtimmungen der menſchlichen Cr; kenntniß in. Deutſchlond eingeſchraͤnkt iſt. Um aber dieſe deutlicher aus einander zu ſetzen, muͤſſen wir wie⸗ ber etwas zuruͤckgehen.

Schon efe Cockes Werk über ben menſchlichen Verſtand erſchien, hatte Leibnitz, durch eine vollſtaͤndi⸗ gere Aufzaͤhlung der Quellen unſerer Begriffe, einer willkuͤhrlichen Verengung des Umfanges der menſchli⸗ chen Erkenntniß vorgebaut. lm bas Gebiet der menſch⸗ lichen rfc. mntnif, fo wie es Leibnitz gegen Locke ſowohl, als gegen den Idealismus, den materiellen und ollgemei⸗ nen, zu behaupten ſuchte, gu uͤberſehen, unb oie Rechts⸗ gruͤnde ſeiner Behauptung mit den Einreden dagegen vergleichen zu koͤnnen, ſey es mir erlaubt, die Leibnitzi⸗ ſche Theorie von den Quellen und dem Umfange der menſchlichen Erkenntniß zu einer leichtern Ueberſicht darzulegen. Ich werde nicht alle Eigenheiten des

923 Leib⸗

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Leibnitziſchen Syſtems anfüfren bürfen, fonberm nuc biejenigen, bie gu dieſer Theorie gehoͤren; unb ba Wolf ín allen €ágen, bie hieher gehoͤren, mit ibm übereinftímmt, fo wird e$ nicht nótbig fepn, ihn be: fonber8 ju nennen. Ich faſſe fic in folgenbe Ce:

I. Da voit nidót nut Cinnen, fonbern aud) Bets ſtand unb Vernunft faben: fo haben wir nicht bloße unmittelbare Erfahrungsbegriffe; denn aufer ben unmittelbaren Erfahrungsbegriffen bas ben wir aud) mitte(bare, b. i. fold)e, bie aué ben erſtern vermittelſt eine8. furgen. 3Bernunfts ſchluſſes herzuleiten ſind. Dieſe Begriffe zu feug; nen, iſt vergebens. Dergleichen iſt der Begriff von Vorſtellungskraft. Die Materie der an⸗ ſchauenden Erkenntniß iſt Ausdehnung und Vor⸗ ſtellung.

2. Die Form der Erkenntniß kann alſo auch auf unbildliche Begriffe angewandt werden.

3. Außer den Erſahrungsbegriffen haben wir Verſtan⸗ desbegriffe, ober abſtracte. Die hoͤchſten unter ifs nen oder die ontologiſchen ſind uͤberſinnliche. Die abſtracten Begriffe koͤnnen von dem menſchlichen Verſtande nur vermittelſt der Zeichen vorgeſtellt werden. Ihre Erkenntniß kann alſo nur ſymboliſch

ſeyn;

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ſeyn; follen fie anſchauend werben, fo müffen fie in concreto vorgeftelIt werden.

4. Aus ben abſtracten Begriffen faffen fid) neue Begriffe burd) willkuͤhrliche Verbindung zuſam⸗ menſetzen. Auch dieſe koͤnnen nicht anders zum Theil anſchauend werden, als wenn ihre Merk⸗ male in concreto vorgeſtellt werden.

:5. Das iſt bie gefammte Materie, aus bet, nach ben Gefe&en ber Sotm, bie auf bem Cage be8 Widerſpruchs ober des gauteid)enben Grundes beruhen, das Syſtem der menſchlichen Erkennt⸗ nig muß zuſammengeſelzt werden.

6. Danach giebt es wahre Begriffe des reinen Verſtandes eben ſo gut, als vermiſchte und ſinn⸗ liche Begriffe.

7. Eben fo Saͤtze, bie aus reinen Verſtandesbegrif⸗ fen, vermiſchten unb ſinnlichen Begriffen beſtehen.

8. Dieſe Begriffe ſind nicht leer, ſondern ſie ſind nur nicht in abſtracto anſchauend.

9. Die aͤußern Gegenſtaͤnde dieſer Begriffe ſind wirklich in concreto oder in dem Einzelnen, B 3 und

unb ihre Wirklichkeit kann a priori unb a poftc- riori erkannt werden.

10. Auf dieſe Weiſe wird die objective Wahrheit des hoͤchſten Weſens erkannt.

Ir. Dieſes beſte Weſen giebt aud) ten Gegenſtaͤnden der aͤußern Sinne ihr Daſeyn.

12. Die Qualitaͤten der Gegenſtaͤnde der aͤußern Sinne, alſo auch die Ausdehnung, werden durch die Sinne anſchauend erkannt. In dieſer Er⸗ kentniß wird das Einfache nicht unterſchieden; ſie koͤnnen aber durch den reinen Verſtand deut⸗ lich erkannt werden, jedoch von dem menſchlichen Verſtande nicht anſchauend, ſondern nur ſym⸗ boliſch.

13. Die Principien zu den Verſtandesbegriffen kom⸗ men nicht durch die Erfahrung in die Seele, ſind ihr alſo angebohren.

So hatte bisher die deutſche Philoſophie durch Erweiterung ber Cd)raufen ber menſchlichen Erkennt⸗ niß das Gebiet bes geſunden Verſtandes gegen ben ber ſondern und allgemeinen Idealismus zu behaupten ge⸗ ſucht. Daß ſie dabey kritiſch verſahren, wenn man

unter

€XAMfH 25 wi

unter biefem Verfahren bie Serolieberung bet. Geſetze verſteht, nad) welchen jebe$ Erkenntnißvermoͤgen, das zu einer beſondern Claſſe von Begrifſen mitwirkt, vet: mittelſt der Geſetze der Form, ſeine eigenthuͤmlichen Begriffe hervorbringt, das liegt am Tage; man hat ihr dieſen Vorzug ſeit einiger Zeit durch einen bloßen Machtſpruch abgeſprochen, der nicht einen Schein des Beweiſes fuͤr ſich hat, wenn man nicht etwa das daſuͤr will gelten laſſen, ba dieſe Kritik nicht eben das herausgebracht hat, was die neuere herausbringt, welches eine ziemlich arge petitio principii waͤre.

Die Metaphyſik dieſer Philoſophie erklaͤrte Herr

Kant für unbrauchbar, unb verwies auf ein kuͤnfti⸗ ges Metaphyſiſches Lehrgebaͤude, zu deſſen Errichtung aber kein Anſchein ſeyn kann, da ihm ſeine Kritik ſchon zum voraus den Zugang zu allen Materialien, die dazu noͤthig waͤren, verſperrt hat. Wir duͤrfen vorausſetzen, daß unſern Leſern bereits die Hauptzuͤge dieſer Kritik bekannt ſind. Um alfo nicht Gefahr au laufen, etwas ſo oft wiederholtes ohne Noth von neuem zu wiederholen, will ich nur diejenigen von den Hauptzuͤgen anfuͤhren, die die Vergleichung der Grenzbeſtimmung der menſchlichen Erkenntniß mit der Leibnitziſchen und Humiſchen erleichtern und zugleich den Leſer in den Stand ſetzen kann, zu beurtheilen, wie weit man (i) auf das Verſprechen verlaſſen bürfe, B A mit

mx 24 nas

mit dieſer Kritik bem. Humiſchen allgemeinen Idea⸗ lismus am kraͤftigſten zu begegnen.

Zuerſt verwirft Herr Kant bie objective üt: tigkeit der reinen Vernunftbegriſſe, oder, nach der alten Sprache, der reinen Verſtandesbegriffe, und zwar aus dem Grunde, daß dieſe Begriffe ganz leer ſeyn; weil ſie nichts von Bedingungen der ſinnlichen Anſchauung, d. i. keine Vorſtellungen von Raum und Seit enthalten; bas wuͤrde nad, ber Leibnitziſchen Spra⸗ che heißen, weil ſie keine anſchauende Vorſtellungen ſind, unb inabltracto feine anſchauende Merkmale ent: falten. Nach bem Leibnitziſchen Syſtem enthaͤlt ber 95e; griff des alletvollfommenften Geiſtes freylich nichts raͤumliches und ſucceſſives; ob aber Raum und Zeit die einfachſten anſchauenden Vorſtellungen ſind, das verdient noch eine beſondere Unterſuchung. Nach eben dieſem €wftem ift die Vorſtellung ſelbſt das einfachſte Merk— mal des Begriffs eines Geiſtes unb. von Vorſtellun⸗ gen haben mir eine anſchauende Erkenntniß in con- creto ín unſerm eigenen Selbſt. Leibnitz konnte alſe mit Recht annehmen, daß der reine Verſtandesbegriff bes allervollkommenſten Geiſtes kein leerer Begriff ſey.

Alſo nod) einmal: die Leibnitziſche Vernunſt⸗ kritik fuͤhrt auf andere Stctultate, als die Kantiſche; allein ſie iſt genau und gruͤndlich. Die letztere nimmt

Raum

fM 25 ^ic

Maum unb Seit gu Formen ber ſinnlichen Anſchauung, ober, nad) ber geroóbnlidhen Sprache, als bíe einfach⸗ (ten Merkmale bec finntid)en Begriffe; bíe erftere Aus⸗ befnung , unb für bie außerſinnlichen, 93orftellung arr, Syene haͤlt ire Formen ber finntidjen Anſchauung fuͤr ſchlechterdings unaufloͤslich; bíeje zwar aud) für un: auflóélid), aber nur ben Cinnen, nidt bem Ber: ftanbe, Das Raͤumliche unb Ausgedehnte entbált vie: (e$, ba$ von bem Verſtande unb ber 3Bernunft nid)t ofne Eins fann gedacht werden. Det Verſtand ente fált alfo die einfachern Merkmale, woraus ín bet ſinnlichen Vorſtellung ba$ Bild be$ Raͤumlichen unb Ausgedehnten entſteht. Dieſe Betrachtung wird in einem andern Aufſatze fortgeſetzt werden; es iſt daher nicht noͤthig, ſie jetzt weiter zu verfolgen.

Ein zweyter Grund, warum Herr Kant die reinen Vernunftbegriffe verwirft, iſt, daß ſie keine Gegenſtaͤnde geben. Was heißt: e$ werden Gegen; ſtaͤnde gegeben? Heißt es: ſie ſind außer dem Vorſtel⸗ lenden wirklich; fo ſehe id) nicht, mie bie Gegenſtaͤn⸗ de der ſinnlichen Ideen, darum daß ſie bildlich ſind, mehr wirklich ſeyn muͤſſen, als die Gegenſtaͤnde des Verſtandes, weil ſie nicht bildlich ſind. Heißt es: die ſinnlichen Begriffe ſind anſchaueud; ſo iſt das aller⸗ dings wahr, ſie ſind unmittelbar anſchauend, aber eid) bie Verſtandesbegriffe ſind anſchauend, nur mit⸗

B5 tel⸗

F^uvr- 206 wv

telbar, Denn (ie finb von ben ſinnlichen Begriffen abgezogen, unb fónnen ín dieſen angefdjauet werden, unb wenn fie aué abftracten Begriffen zuſammengeſetzt (inb, fo bringen fie aud) au biefen bie mittelbar ans ſchauenden Merkmale ber abſtracten Begriffe mit, aus denen ſie zuſammengeſetzt ſind; und es iſt hier wiederum nicht abzuſehen, was in den ſinnlichen Be⸗ griffen vorzuͤgliches ſey, woraus folge, baf fie einen wirllichen Gegenſtand haben muͤſſen, dieſe hingegen nicht.

Das Reſultat dieſer Betrachtungen ſcheint mir zu ſeyn: daß man ohne Vermeſſenheit behaupten koͤn⸗ ne, die Grenzbeſtimmung der menſchlichen Erkenntniß nad) bet Leibnitziſchen Vernunſtkritik duͤrfe nod) nicht aufgegeben werden; alles was die Kantiſche Kritik gruͤndliches enthaͤlt, ſey in ihrem Umfange enthalten, und außerdem noch vieles, was dieſe ohne Grund ver⸗ wirſt. Das wird noch mehr einleuchten, wenn wir unterſuchen, mit welcher von beiden man am beſten dem Bumiſchen allgemeinen Idealismus begegnen koͤnne.

Das ſoll gerade das Hauptverdienſt ſeyn, wo⸗ von Herr Kant ſeiner Kritik den Ruhm ausſchließend zugedacht hat, ſie ſoll nach ſeinen Prolegom. zu ei⸗ net kuͤnftigen Metaphyſik alle bie Wunden aus dem Grunde heilen, die der Humiſche Idealismus

der

Fo 07)

bet Philoſophie geſchlagen fat, unb bie, nad) feinem Ausſpruch, nod) feine Metaphyſik Gat beílen tónnen, Dies Wunder foll nun feine Sriti£ baburd) vercid)ten, baf fie eine Metaphyſik weranftaltet, welche, nad) ber Vorrede ju ber neuen Ausgabe ber Kritik occ reinen Yernunft, annimmt, die Gegenftanbe müf fen fid) nad) unſeret Grfenntnif richten. Wenn dieſe vielverſprechende Methode fo viel heißen foll, als: bie Gegenſtaͤnde unſerer Erkenntniß müfjen. mit. unjeree Erkenntniß, unb unfere Erkenntniß muf mit ben Ger een(tánben uͤbereinſtimmen, fo balo unfere Erkenntniß ben Geſetzen oec Form gemáf ift, bie ibren Erkenntniß⸗ vermógen ſelbſt voefent(id) ift: fo Dat fic bic Leibnitzi⸗ ſche Philoſophie in (brem gangen Umfange befolgt. Die Vernunft ſchreibt, nach Herrn Kants Sprache, in dieſer Philoſophie mehr als in irgend einer andern der Natur ihre Geſetze vor, ja ſie nimmt mehr als eine andere ben. Stoff ber Erkenntniß aud. ihrem Sym net. So zergliedert fie bie Gríd)einungen ber Koͤr⸗ pet ín. ben Stoff, wozu fie bíe Clemente ín fid) ſelbſt finbet; fo erhebt fie fid) mit biefen Glementen gu bem Begriffe bee hoͤchſten Stealitát, unb (teiat von biefem àu bec Wirklichkeit der aͤußern Objecte bec Sinnen herab.

Wenn alſo dieſe Methode alles das ſoll leiſten koͤnnen, was Herr Kant von ihr verſoricht: fo ift ber metaphyſiſche Stein ber Weiſen gefunden. Der

Humi⸗

fuv 28 ^v

Humiſche Idealismus iſt vernidjtet; bie Leibnitziſche Philoſophie fatte ifm ſchon aum voraus feinen Unter⸗ gang zubereitet. v haͤtte demnach nicht feine 3ties derlage durch Herrn Kants Vernunftkritik abwarten koͤnnen, von der es zweifelhaft iſt, ob er durch ſie fallen muͤſſe. Denn Herr ant erklaͤrt das Bewußt⸗ ſeyn der Vernunft vom Beharrlichen in uns ſelbſt und von unſerm eigenen individuellen Daſeyn fuͤr Taͤuſchung. Die Begriffe ber reinen Vernunft, bie alſo kein ſinn⸗ liches Anſchauen von Raum und Zeit enthalten, haben ebenfalls keine tranſcendentale Guͤltigkeit; es exſiſtirt alſo eben ſo wenig ein unendlicher Geiſt als die einfa⸗ chen Elemente der Koͤrper. Die Begriffe des Ver⸗ ſtandes ſind bloß Kategorien, durch welche bic Er⸗ ſcheinungen verbunden werden. Er beweiſet zwar das unmittelbare Bewußtſeyn anderer Dinge außer uns; allein wenn darunter die objektive Wirklichkeit einer ſubſtantiellen beharrlichen Koͤrperwelt foll. verſtanden werden, ſo iſt es mit dem bloß idealiſchen Seyn des Be⸗ harrlichen in uns ſelbſt nicht zu reimen; deſſen nicht zu gedenken, was ſich gegen die Verſtaͤndlichkeit und Buͤn⸗ digkeit dieſes Beweiſes einwenden laͤßt. Die Brauch⸗ harkeit ber Kantiſchen Vernunftkritik gegen den Humi⸗ ſchen Idealismus iſt alſo bey weitem noch nicht ſo ausge⸗ macht, unb bie Unbrauchbarkeit bet Leibnitziſchen nicht fo dargethan, daß die erſtere auf ben Truͤmmern von beiden

ihre rechtmaßig erworbene Herrſchaft gruͤnden koͤnnte. Wenn

Wenn tvir nun bíe Leibnitziſche Grenzbeſtim⸗ mung ber menſchlichen Grfenntnif mit der Kantiſchen veraleid)en : fo ſcheinet biefe ín 2(nfebung bes. Syocafié: mus ſchwerlich weiter zu ſeyn, als bie Humiſche, in: be bie Leibnitziſche bie rationelle Pſychologie, Cos⸗ mologie und Theologie in ihrem Gebiethe enthaͤlt, und dieſen Theil ihres Gebiets Dat ihr, nad) meiner lUeber— zeugung, die Kantiſche Vernunſtkritik nod) nicht ab; gewonnen.

Da dieſe Abhandlung eigentlich nur beſtimmt iſt, die Ueberſicht des Umfanges der menſchlichen Erkennt⸗ niß nach der Leibnitziſchen, Humiſchen und Kantiſchen Vernunftkritik zu erleichtern, um ſolchergeſtalt zu eís nec Einleitung ín bie Beurtheilung ber philoſophiſchen Streitigkeiten zu bienen, melde Herrn Aants Kritik der reinen Vernunft veranlaßt hat, ſo kann ſie ſich nicht auf die ausfuͤhrlichen Unterſuchungen der beſon⸗ dern Theile derſelben einlaſſen. Dieſe ſollen nach und nach in einigen folgenden Aufſaͤtzen dieſes Magazins erſolgen, zum Theil ſind ſie ſchon in Herrn Hofrath Feders Werke uͤber Raum unb Caufalítát, in Herrn Prof. Flatt Fragmentariſchen Beytraͤgen und in Herrn Mag. Maaß Briefen uͤber die Antinomieen verſucht worden.

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3.

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FO-HIHDHPP|PEPEPHT]HRS P!HCHIHEHEHHIHRÁHHESOS

3.

Ueber die tvabre unb falſche Aufklaͤrung, wie auch uͤber die Rechte der Kirche und des Staats in Anſehung derſelben.

E. iſt ſeit einiger Zelt viel uͤber den Werth der Auf⸗ klaͤrung geſtritten worden; aber, ſo viel ich weiß, mehr mit Declamationen als mit Gruͤnden. In dem Feuer der Begeiſterung iſt an beyden Theilen keinem einge⸗ fallen, bie wahre Aufklaͤrung von ber falſchen, bie Aufklarung in ber Sieligion von ber Aufklaͤrung in oen übrigen Wiſſenſchaſten zu unterfdoeiben, um alsdann mit oec Ruhe, womit man allein bie Wahr⸗ heit finben kann, bic Rechte ber Kirche unb be$ Staats in Anſehung ihrer Grroeiterung oder Einſchraͤnkung gu unterſuchen. Die Beſtimmung dieſer Begriffe und bie Unterſuchung dieſer Rechte muß aus ben tief: (ten. Gruͤnden ber Vernunftlehre unb des Naturrechts hergenommen werden. Die Fragen, die dabey vot: kommen, ſind groͤßtentheils bey weitem nicht genug

von

FM aT ma*Y

tot einanber unterfdjieben, unb nod weniger genau unb grünb(id) beantwortet. Gegenwaͤrtige Abhandlung ift beſtimmt eíne tiefere Unterſuchung derſelben zu ver⸗ anlaſſen, und wenn ſie dieſen Zweck erreicht, ſo wird ſie nicht ganz unnuͤtz ſeyn.

Das Schickſal, bag durch ben Mißkrauch ife Werth nach und nach zweifelhaft geworden iſt, hat bie Auſklaͤrung mit andern Eigenſchaften des menſch⸗ lichen Geiſtes gemein; ſie ſollte alſo auch billig das mit ihnen gemein haben, daß ſie, ſo wie ſie, nicht an und fuͤr ſich ſelbſt, ſondern nur erſt dann, wenn ſie uͤbertrieben wird, fuͤr ſchaͤdlich gehalten wuͤrde. Die Namen eines Polyhiſtors, eines ſchoͤnen Geiſtes, ci nes Empfindſamen, die ſonſt ſo ehrenvoll waren, ſind jetzt Spottnamen geworden; koͤnnen fie das aber wol ſeyn, menn wir (ie einem Haller, Leſſing, Hagedorn, Stammler, Gellert unb. andern ihres Gleichen beyle⸗ gen? Sie (inb e$ alfo nur durch ben Stolz ber. fid): ten Vielwiſſer, bie Taͤndeleyen ber falſchen ſchoͤnen Geiſter unb die Affectation ber falſchen ober uͤbertriebe⸗ nen Empfindſamkeit geworden. Eben ſo kann der Werth der Aufklaͤrung uͤberhaupt durch die falſche und zu weit getriebene Aufklaͤrung verdaͤchtig geworden ſeyn; man wuͤrde aber in dieſem Falle ſo gut, wie in jenem, in Gefahr gerathen, etwas ſehr ſchaͤtzbares zu verwer⸗ fet, wenn man die Fehler unb befi Schaden ber fal⸗

ſchen

FAMEM 32 ve

ſchen Aufklaͤrung bie wahre wollte entgelten faffen. Welches iſt aber eine wahre Aufklaͤrung und wodurch unterſcheidet ſie ſich von derjenigen Mißgeſtalt, die ihren Gang nachaͤfft, und ihren Ehrennamen zu uſurpiren wagt? Um das beſtimmen zu koͤnnen, müf: ſen wir erſt das Weſen der Aufklaͤrung genauer er⸗

forſchen.

1. Worin beſteht das Weſen der Aufklaͤrung?

Es i(t-auffallenb, daß weder bie aufgeklaͤrteſten aͤltern noch neuern Nationen fuͤr dieſe bald gewuͤnſchte bald gefuͤrchtete Eigenſchaft des menſchlichen Geiſtes ein Subſtantiv haben, das bem deutſchen Worte Aufklaͤ— rung voͤllig entſpraͤche. Sie ſehen ſich genoͤthigt, wenn ſie es uͤberſetzen wollen, ein Wort zu gebrauchen, das mit unſerm Erkenntniß, Einſichten, gleichbedeutend iſt; die Englaͤnder Knowledge, die Franzoſen Connoiffances, lumieres. Die Aufklaͤrung befoͤr—⸗ dern heißt ihnen, die Sphaͤre menſchlicher Kenntniſſe und Einſichten erweitern.

Die Frage kann daher bey dieſen Nationen gar nicht vorkommen, ob bie Aufklaͤrung koͤnne ſchaͤdlich ſeyn, ob man die Aufklaͤrung befoͤrdern oder hindern

muͤſſe; denn das wuͤrde heiſſen: ob es ſchaͤdlich ſey, ein ein:

CMOTM 343 e

einſichtsvoller Mann gu ſeyn, o6 man Senntniffe unb Einſichten Befórbern ober Dinbern folle ; fie entfált, in ihter Sprache autgebrudt, eine zu auffallenbe linge reimtheit, aí$ daß fie nut. fónnte aufaemorfen wer: ben. So fefe fann bie Sprache qur Leitung be ger funben SBer(tanbes bienen.

In ber franzoͤſiſchen unb engliſchen Sprache koͤn⸗ nen alfo dieſe Fragen nicht aufgeworfen werden; in ber unfrigen koͤnnen fie es, umb fie finb es auch. Wo⸗ her kommt dieſes? Mich duͤnkt, das Wort Aufklaͤ⸗ rung enthaͤlt einige Nebenbegriffe, die durch die Aus⸗ druͤcke Erkenntniß und Einſichten nicht ganz erſchoͤpft werden.

Es iſt wiederum eine Sonderbarkeit, bie mir merkwuͤrdig ſcheint, baf man eínen Euler, Kaͤſtner, Aluͤgel, Lichtenberg, wol gruͤndliche, tiefſinnige, aber ſchwerlich aufgeklaͤrte Mathematiker nennt. Man ſagt, daß ſie weit umfaſſende Kenntniſſe und Einſich⸗ ten in ihrer Wiſſenſchaft beſitzen; iſt aber nicht gez woͤhnlich, von einer aufgeklaͤrten Geometrie unb Ana⸗ lyſis zu reden. Deſto oͤfterer rebet man von aufge⸗ klaͤrten Gottesgelehrten, von aufgeklaͤrten Weltweiſen, Aer zten, Naturforſchern. Der Grund der Verſchie⸗ denheit dieſes Sprachgebrauchs ſcheim mir in den Ne⸗ benbegriffen des Worts Aufklaͤrung unb der Natur

Philoſ. Mag.i. Gt, occ

f^fM 34 mS

ber Wiſſenſchaften zu liegen, auf bie es angetoanbt wird. Die mathematiſchen Wiſſenſchaften beduͤrfen zu ihrer Vervollkommnung nichts anders, als oie Ver⸗ mehrung deutlicher und tiefſinniger Kenntniſſe; Irr⸗ thuͤmer und Vorurtheile koͤnnen ſich in ihrem Gebiet nicht feſtſetzen; das iſt kein Feind, den ſie zu beſiegen haben, wenn ſie ihre Graͤnzen erweitern, und ihr Licht uͤber einen weitern Horizont ausbreiten wollen; was ſie wiſſen, das wiſſen ſie entweder recht oder gar nicht. In allen andern Wiſſenſchaften giebt es aber ein gewiſſes Mittelding zwiſchen richtigen Einſichten und Unwiſſenheit, das ſo lange den Schein der erſtern annimmt unb ihre Stelle behauptet, bis eine gt nauere und tiefſinnigere Unterſuchung es in das Reich der letztern zuruͤckweiſt; zwiſchen der wahren Wiſſen⸗ ſchaft und der bloßen Unwiſſenheit ſteht noch die Scheinwiſſenſchaft oder der Irrthum mitten inne. Die Vervollkommnung der reinen Mathematik erfo⸗ dert alſo bloß die Befoͤrderung der Wiſſenſchaft und die Verminderung der Unwiſſenheit; die Vervollkomm⸗ nung bet übrigen beſteht nicht blog ín der Vermeh⸗ rung der wahren Wiſſenſchaft und der Verminderung bec Unwiſſenheit, fie erfodert aud) nod) bie Vermin⸗ beruna ber. Scheinwiſſenſchaft, b. i. bet. Irrthuͤmer unb 93orurtfeile. Die 2iufflárung ſcheint alfo nicht bloß Vermehrung bec Wiſſenſchaft umb Verminderung der Unwiſſenheit, ſie ſcheint auch Verminderung der

Irr⸗

fM as e

Jerthuͤmer unb 93orurtfeife zu erforbern, fie ſcheint nid)t bloß bee Unvollkommenheit ber ecftern Art, fone bern aud) ber Unvollfommenfeit ber (eGtetn Art enti gegengefeGt zu ſeyn, unb zwar bíefer letztern vorzuͤg⸗ lich; die von der erſtern Art ſcheint nur zu ihrem Weſen zu gehoͤren, fofern bie. Irrthuͤmer unb Vorur⸗ theile ohne Vermehrung der wahren Wiſſenſchaft nicht koͤnnen vermindert werden.

Die Fortſetzung dieſer Vergleichung der reinen mathematiſchen Wiſſenſchaften und der uͤbrigen kann uns mit bem Weſen bet Aufklaͤrung nod) naͤher bekannt machen. Laſſen Sie uns ju dem Ende bie Eigenheiten, wodurch ſich die reine Mathematik auszeichnet, noch etwas weiter verfolgen.

Zu den Urſachen, warum dieſe Wiſſenſchaft nie, wie alle andere, von ihrem Entſtehen an durch Irrthuͤmer iſt entſtellt worden, von denen ſie durch den Scharfſinn ihrer Verbeſſerer haͤtte muͤſſen gerei⸗ nigt werden, kann man, glaub ich, mit Recht auch die rechnen, daß fie auf allen Stuſen ihrer Vollkom⸗ menheit nothwendig immer zu den gelehrten Kenntniſ⸗ fet gehoͤren mußte; daß fie alfo immer das aus Hhlie⸗ Benbe Eigenthum derjenigen bleiben konnte, tie ihre Neigung, ihre Talente und ihr geuͤbter Verſtand zu ihrer Bearbeitung geſchickt machte. Das kam daher,

2 baf

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baf ifr Beduͤrfniß nie allgemein mar, toíe ba8 5e bürfnig ber S9teligion, bet Cittenlebre, ber Natur⸗ (febre; bíe Unfaͤhigkeit des rohern unb. unwiſſendern Theils der Menſchen konnte daher nie, wie auf den uͤbrigen Feldern ber. menſchlichen Erkenntniß, bae Un⸗ ftaut ber Irrthuͤmer unb Vorurtheile ausſtreuen. Da; von war eine natütlid)e Folge, bag bie 2ínbauer ihres Feldes nur feine Graͤnzen durch neue Anpflanzungen erweitern durften. Die Verbeſſerer der uͤbrigen Zweige der menſchlichen Erkenntniſſe, mußten aber uͤberdem noch bie Wiſſenſchaft von Vorurtheilen unb. Irrthuͤ⸗ mern reinigen, womit ſie durch die Rohigkeit, Unge⸗ lehrigkeit und den Unwerſtand der Menge waren vete dunkelt worden; um ju verbeſſern, mußten fie aufs klaͤren.

Ein anderer Vorzug der mathematiſchen Wiſſen⸗ ſchaften, den ich zu der letztern Claſſe rechnen kann, beſteht darin, daß ihre Begriffe und Wahrheiten zu weit von dem Gebiete der Sinnlichkeit entfernt liegen, als daß bie Einbildungskraft unb bie Leidenſchaften des Menſchen einen Einfluß darauf haben koͤnnten. Wie ſehr dieſe die Religion und Sittenlehre verdorben haben, lehrt die Geſchichte des menſchlichen Verſtan⸗ des. Die Leidenſchaften haben in dem rohen Zuſtande ber. menſchlichen Geſellſchaft das Naturrecht unb bie Sittenlehre gebildet, und aus dieſen Zuͤgen ber Rohig⸗

keit

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feit fat ble Cinbilbungéfraft bas Bild ihrer Glottfeit àufammengefe&t. Wer alfo 3teligion unb Sittenlehre vervollfommnen molite, mufte erft bíefe &puren ber Rohigkeit ausiófdjen, b. i. er mufte fie aufklaͤren.

Der letzte Characterzug, ben uns bie Verglei⸗ chung bcr. mathematiſchen Wiſſenſchaften mit ben uͤbri⸗ gen Kenntniſſen des Menſchen ſichtbar macht, liegt in ber Beglaubigung ihrer Wahrheiten. Syn bec Ma⸗ thematik iſt dieſe Beglaubigung keine andere als die vollſtaͤndigſte, ſtrengſte Demonſtration, die von der Wiſſenſchaft, ber man fie nur nod) immer unvolifom; ten fat nadjabmen £ónnen, ben Samen ber matber matiſchen ecfa(ten fat. Die Lehren ber veinen 9a: thematik haben entweder mathematiſche Gewißheit, oder fie haben gat keine, mic ſind entweder durch Oe: monſtration davon uͤberzeugt, oder gar nicht. Autho⸗ ritaͤt des Lehrers, uͤberredende Gruͤnde, bie bie (Cin bildungskraft, die Neigungen und die Leidenſchaften fuͤr eine Lehre gewinnen, koͤnnen hier nicht angebracht werden. Sie koͤnnen es aber in der Religion, in der Sittenlehre, in der Naturlehre und in allen unter ihnen enthaltenen Wiſſenſchaften. Dieſer Theil der eigenthuͤmlichen Natur von beiden Hauptarten der menſchlichen Kenntniſſe iſt zum Vortheil ber mate: matiſchen und zum Nachtheil der uͤbrigen entſcheidend. Durch ihn haͤlt die erſtere alle diejenigen ſogleich von

3 ibren

fM 38 ^u

ihren Graͤnzen a6, bie feiner Ueberzeugung bird) Demonſtration faͤhig (inb; burd) ibn verfagt fie allett ebren bie Aufnahme, bie fid) nicht mit bem Siegel be$ ſtrengſten Vernunftbeweiſes rechtfertigen; indeß die letzteren jedem eine Stimme vergoͤnnen, der ſich des Rechtes, ſeine Meinung zu ſagen, anmaaßen will, und Lehren aufnehmen, die nichts als die Mehrheit der Stimmen, das Anſehen des Lehrers und oft die Rohig⸗ feit uno Bloͤdſinnigkeit der Glaͤubigen beguͤnſtigen fant,

Ein weſentliches Stuͤck der Aufklaͤrung iſt alſo auch dieſes, daß ſie den Einfluß des Anſehens auf die Ueberzeugung vermindert, und den Gebrauch des ei⸗ genen Urtheils an die Stelle der Unterwerfung unter ein fremdes noch ſo ehrwuͤrdiges, ſo wie die Ueber⸗ zeugung aus innern Gruͤnden der Wahrheit an die Stelle des blinden Glaubens ſetzt. So gebrauchen die Franzoſen das Wort Philoſophie, wenn ſie es ber Xeligion entgegenſetzen. Da ſie unter Religion nur die poſitive verſtehen: ſo iſt ihnen Philoſophie der Inbegriff aller Kenntniſſe, die wir der Vernunft und der Erfahrung zu danken haben. Bey uns wird der Gedrauch ber. Vernunft in. ber Religion nicht ausge; ſchloſſen, wir haben eine Religionserkenntniß, die ein Theil der Philoſophie iſt; bey uns kann daher dieſe Oppoſition der Philoſophie und der Religion nichts anders als Mißverſtand veranlaſſen.

Wenn

PAM" 39 ^

Wenn toit biefe Zuͤge gut genaueſten Schilderung bet wahren Auftlaͤtung zuſammenfaſſen: fo wird fie ín Verminderung ber Irrthuͤmer unb (n Vermeh⸗ tung ber beutlid)ften unb richtigſten Senntni(fe aus ben angemeffenften Wahrheitsgruͤnden beſtehen. Der vollkommen aufgeklaͤrte Menſch wuͤrde alſo derjenige ſeyn, der ſich von allen Irrthuͤmern losgemacht und ſeinen Verſtand mit der deutlichſten und richtigſten Erkenntniß bet Wahrheit durch Vernunft, Erfah—⸗ rung und den vernunſtmaͤßigſten Glauben bereichert

haͤtte.

Allein dieſer Vollkommenauſgeklaͤrte iſt eben ſo wenig, als der Vollkommentugendhafte, irgendwo unter ben Menſchen ju. finden. Die menſchliche Voll⸗ kommenheit bildet ſich nach und nach; das gilt ſowohl für ben Verſtand als für das Herz; fie fángt mit ſchwachen Schritten an, unb geht (angfam, inter vielem Schwanken, Fehltritten unb Zuruͤckweichen ber hoͤchſten Stufe entgegen, ofne fie zu erreichen. Es muß alſo nothwendig in der menſchlichen Aufklaͤrung ſo unendlich mannigfaltige Stufen geben, als in der menſchlichen Tugend. In beiden aber muß es einen gewiſſen Anfang geben, worin fid) ihre Geſtalt zu bil⸗ den beginnt. In der Tugend iſt dieſes der feſte Vor⸗ ſatz, nur das zu thun, was man fuͤr recht erkennt, und zwar weil man es fuͤr recht erkennt; ín bec Aufklaͤ⸗

4 rung,

FXVF^ 40 màs

cung, nidjté für wahr gu halten, als wovon ung, nad) forafáftiger Pruͤfung, Vernunſt, Erfahrung oder vernuͤnftiger Glaube uͤberzeugt. Das, und nichts anders, wird alſo das Weſen der Aufklaͤrung ausma⸗ chen; wer dieſe Gewohnheit beſitzt, wird auf den Na⸗ men eines aufgeklaͤrten Mannes mit Recht Anſpruch machen koͤnnen; denn er iſt auf dem Wege, auf wel⸗ chem er allein der Wahrheit immer naͤher kommen und ſie immer mehr ohne die Taͤuſchungen des Irrthums wird erblicken koͤnnen.

Es iſt wichtig, daß wir dieſen Geſichtspunct, worin wir das Weſen der Aufklaͤrung betrachten, feſt vor den Augen behalten, wir werden ſonſt ſchwerlich bie wahre Aufklaͤrung von ber ſalſchen zu unterſchei⸗ ben, unb bie mannigfaltigen Anmaaßungen einge⸗ bildeter Aufklaͤrer und Aufgeklaͤrter mit Sicherheit zu beurtheilen im Stande ſeyn. Es iſt daher der Muͤhe werth, daß wir uns von der Richtigkeit des angege⸗ benen Begriffs nod) durch einige Faͤlle, worin das Wort gebraucht wird, zu uͤberzengen ſuchen.

Wir nennen den einen aufgeklaͤrten Landwirth, der in der Verwaltung ſeiner Oekonomie nicht einer gedankenloſen Routine folgt, und affe Verbeſſerungen derſelben aus einer blinden Anhaͤnglichkeit an ein un⸗ gepruͤftes Herkommen verwirft. Und ein ſolcher wird

er

PAVERM 4y nav

e ſeyn, er mag uͤbrigens das Alte beybehalten ober davon abgehen, wofern er nur beides nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung thut, und weder etwas eingefuͤhrtes beybe⸗ haͤlt, noch etwas neugewagtes annimmt, von deſſen vorzuͤglichem Nutzen ihn nicht Nachdenken und Erfah⸗ rung belehrt hat. Eben ſo nennen wir einen Boerhave einen aufgeklaͤrten Arzt, nicht wegen bet neuen Heilmit⸗ tel, die er zuerſt gebraucht, nicht wegen ſeiner Ver⸗ werfung alter und Einfuͤhrung neuer Curmethoden, alſo nicht darum, daß er das Alte verworfen und das Neue aufgebracht; ſondern darum, daß er die Theorie unb Praxis ber Arzneykunſt auf Erfahrung unb un: leugbare Grundſaͤtze ber Vernunft gebaut, unb ihren Umfang durch neue Beobachtungen und Beſtaͤtigung der alten mit ſeinen eigenen erweitert.

Dieſem alſo zufolge, daß das eigentliche Weſen der wahren Aufklaͤrung bloß in dem durchgaͤngigen ſorg⸗ faͤltigſten Gebrauche der Vernunft, der Erfahrung und eines vernunftmaͤßigen Glaubens beſteht, faͤllt es ſchon ín die Augen, daß es eine eitie Anmaaßung ſey, fid) durch bloßen Widerſpruch gegen allgemein angenom⸗ mene Meinungen das Verdienſt ber Aufklaͤtung jus zueignen. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als daß man die Verwerſung oder Beybehaltung gewiſſer Lehren zur Loſung macht, wonach man die auserwaͤhlten Aufge⸗ klaͤrten von ber Heerde ber. Unaufgellaͤrten ſondert;

nichts

F(AVM 42 m9

nidté it gleichwol grundloſer. Der unwiſſendſte, leerſte und ſeichteſte Kopf kann aus Neuerungsſucht, und aus Begierde Aufmerkſamkeit zu erregen, alte Wahrheit verwerfen und neue Irrthuͤmer behaupten, wie ber aufgeklaͤrteſte Mann alte Wahrheit beybehal⸗ ten und neuen Irrthuͤmern ſich entgegenſetzen kann. Weder das Alte noch das Neue in den Meinungen, macht das Weſen bet Aufklaͤrung aus; ſondern bloß bie Bewegurſachen, warum das (ine ober das An⸗ dere angenommen oder verworfen wird. Wer ſich bloß durch Gruͤnde der Vernunft und der Erfahrung beſtimmen laͤßt, Lehrwahrheiten, und durch vernuͤnfti⸗ gen Glauben, Geſchichtswahrheiten anzunehmen oder zu verwerfen, ſie moͤgen uͤbrigens neu oder alt ſeyn, deſſen Aufklaͤrung iſt eine wahre; wer ſeine Anſpruͤche auf andere Gruͤnde baut, welche e$ ſeyn moͤgen, deſ⸗ ſen Aufklaͤrung iſt eine falſche, angemaaßte.

2. Kann unb ſoll bie Aufklaͤrung in dem gegenwaͤrtigen Zuſtand der menſchlichen Geſellſchaft allgemein ſeyn?

Wenn wir dieſe Frage nad) bem feſtgeſetzten Be⸗ griffe von Aufklaͤrung beſtimmen, ſo muß ſie dieſen Sinn haben: Kann ein jedes Glied der menſchlichen Geſellſchaft, in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande, zu der velifommenen Ausbildung feines Verſtandes gelangen,

daß

WMPÉR 43 ^

baf ed in allem, was e$ annimmt ober vertoirft, aat feiner 2(utforitát folgt, und fid) bfog burd) Girünbe ber Vernunft unb. ber Grfabrung beftimmen laͤßt?

Wir müffn bie Frage auf ben aeaenmoártiaen Suftanb der menſchlichen Geſellſchaft einfd)ránfen, wenn wir uns ihre Beantwortung nicht unmoͤg⸗ lich machen wollen. Denn wie koͤnnen wir es uns zu entſcheiden anmaagen , wie die goͤttliche Vorſehung die Regierung der uns unbekannten Theile des unermeßlichen Geiſterreiches verwaltet, ober was fie fuͤr das menſchliche Geſchlecht in. ben durch Millio— nen Jahre von uns entfernten Zeitperioden ſeines Da⸗ ſeyns zu veranſtalten für aut finden wird? Sn ber Er⸗ forſchung des Zuſtandes der menſchlichen Geſellſchaft durch fo ferne Seiten ber Zukunft, kann uns bie Gre fahrung gar. nicht unb die Vernunſt nue. zur Entde⸗ ckung ſeiner allgemeinſten Zuͤge belehren. Wir muͤſſen alſo nur bey dem Vergangenen und Gegenwaͤrtigen ſtehen bleiben. Und was zeigt uns hier te Erfah— rung? Sie zeigt uns keinen Zeitraum, ſo groß oder klein er mag angenommen werden, keine Geſellſchaft, ſo eingeſchraͤnkt oder ausgebreitet ſie ſeyn maq, worin bie Aufklaͤrung, ſelbſt mad) dem engern Begriffe, oder ín alfen Gliedern ber. Geſellſchaft, in Anſehung aller Gegenſtaͤnde ber menſchlichen Erkenntniß allge⸗ mein waͤre.

Die

FEM 44

Die unübemvinb(id)en Hinderniſſe biefee Allge⸗ meinheit der Aufklaͤrung liegen in den eigenthuͤmlichen Characteren des Alters und des Umfangs der Geſell⸗ ſchaſt. Iſt bie Geſellſchaft nod) neu, ift fie noch in iter Kindheit: fo (inb bie Senntniffe, wo nicht aller, bod) einiger iret Gifieber, zwar al[gemeinet, aber auch beflo begrángter. Der nefmtid)e Menſch i(t zwar aus gleid) Arzt, Rechtsgelehrter, Gottesgelehrter, Na⸗ turforſcher; aber welcher Arzt? welcher Rechtsgelehr⸗ ter? welcher Naturſorſcher ? Schreitet bie Geſellſchaft zu ihrer maͤnnlichen Periode fort: fo ift ihre Arzney⸗ kunde, ihre Rechtsgelehrſamkeit, ihre Theologie, ihre Naturlehre vollkommner, ſie iſt weitumfaſſender, richtiger, gruͤndlicher. Allein welcher einzelne Menſch kann nun nod) alle dieſe mediciniſchen, juriſtiſchen, theo⸗ logiſchen, phyſiſchen, mathematiſchen und philoſophi⸗ ſchen Kenntniſſe in ſich vereinigen? Wenn wir daher einige ſeltene Faͤlle ausnehmen, ſo iſt der große Mann nur ín ſeinem Fache groß. Wilhelm oer Dritte, Koͤ⸗ nig von England, ein Mann, der ſich auf Menſchen verſtand, War einſt uͤber eine Staatsangelegenheit verlegen, man rieth ihm Newton ju Rathe zu zie⸗ hen; Newton! antwortete ber Koͤnig, bet iſt weiter nichts als ein großer Philoſoph. Syn wie vielen Um⸗ ſtaͤnden, bey wie vielen mathematiſchen Aufgaben haͤtte der Philoſoph, wenn man ihm gerathen haͤtte,

den

Vu 45 ^29

ben Monatchen 3u fragen, antroorten koͤnnen: Wil⸗ belm iſt weiter nid)té al$ ein großer &taütémann!

Die Ausdehnung ber Gefelfdjaft, bie voflform, nere. Ausbildung bet Wiſſenſchaften vervollfommnet nothwendig ba$ Gange, aber. bey weitem nicht eben fo nothwendig jeben Theil. Die gegenmártige Welt mag die alte Welt im Ganzen an Kenntniſſen über: tteffen; aber es iſt weit geſehlt, daß ein jedes ihrer Glieder ein jedes Glied der alten Welt an Kenntniſſen und Geiſtesbildung uͤbertreffen ſollte. Die lyriſche Muſik unſerer Opern iſt gewiß vollkommner, ſie iſt ein ſchoͤneres Concert, als die lyriſche Muſik des goͤtt⸗ lichen Pindar; aber ſchwerlich wird jemand behau⸗ pten, daß ein jeder Capellgeiger ein groͤßerer Mann ſey, als er. Dieſes Concert iſt ein treffendes Bild der gegenwaͤrtigen Cultur ín Vergleichung mit ber Cultur bet Vorwelt: es ift zuſammengenommen unb im Gan: zen beſſer, abet barum iſt nicht jeder Mitſpieler beſſer.

Wenn alſo die Geſellſchaft aufgeklaͤrt iſt, ſo folgt nicht gleich, daß jedes Glied derſelben in gleichem Grade aufgeklaͤrt ſeyn muͤſſe. Das Erſte heißt weiter nichts, als, die Geſellſchaft enthaͤlt Maͤnner, die den ganzen Umfang der menſchlichen Kenntniſſe nach den richtig⸗ fte. unb ſicherſten Grundſaͤtzen der Vernunft unb bet Erfahrung, ſo wie mit der ſorgfaͤltigſten, helleſten und zuvetlaͤſſ igſten Kritik bearbeitet haben. Allein dieſer

Ge⸗

AV*AS. 46 p0à

Gebrauch bet Vernunft, ber Erfahrung unb bee Stt tik ift einem jeben nur ín feinem eígenen ade moͤg⸗ lich; in einem fremben muß ec. fido frember Einſichten bebienen , er muf (id) auf bie Senntniffe des Gad; funbígen verfaffen, et mu beffen Urtheile trauen; furj, ec muß ba$ einem Andern glauben, was et nicht burd) eigene Unterſuchung, burd) eigenen. Ver⸗ munftgebraud), au$ eigener Crfafrung wiſſen kann.

Iſt biefe ſelbſt bey benen ber Fall, bie fid) ganz ben Wiſſenſchaften unb ber Bildung ihres Verſtandes widmen koͤnnen; wie weit mehr wird er es bey denen ſeyn, die durch mechaniſche Arbeiten und die Sorge für bie Erwerbung ber Nothwendigkeiten des Lebens an ihrer Aufklaͤrung gehindert werden! wie weit mehr werden dieſe genoͤthigt ſeyn, ſich auf frem⸗ de Einſichten zu verlaſſen, und ſtatt, ſich bloß durch eigene Vernunft und Erfahrung, durch die Authoritaͤt der Aufgeklaͤrteren in ihren Urtheilen leiten zu laſſen. Wenn daher die richtigern Kenntniſſe ber Aſtronowmie, ber Naturlehre ober ber Arzneytunde bis ju ben niebrigern Claſſen ber Buͤrger herabkom⸗ men: fo fónnen fie bod) für biefe feine andere Beglau⸗ bigung, als burd) bas Vertrauen auf ble hoͤhern Kennt⸗ niſſe der Gelehrten, alſo bloß die Beglaubigung der Authoritaͤt haben. Wenn unter dieſer Claſſe als aus⸗ gemacht angenommen wird, daß es einen Planeten

Ura⸗

&»ytAW 49. «wA

Uranus gebe, bag Saturn einen Ring fae: (o ift ift das nid)t ausgemacht, weil fie e$ bucd) eigene Beobach⸗ tung voi(fen 3 ſondern weil (ie e$. ber Authoritaͤt bet Aſtronomen glauben. Wie ſoll alfo bie Aufklaͤrung, wenn wir darunter die Berichtigung unſerer Kennt⸗ niſſe durch eigenen Vernunftgebrauch und durch eigene Erfahrung verſtehen, ſich je durch alle Kenntniſſe, oder auch nur durch einige uͤber alle Menſchen allgemein ausbreiten tónnen ?

3. Sann unb ſoll bie Aufklaͤrung im ber Religion in bem gegenmártigen Quftanbe bet. Gefellfd)aft allgemein werben ?

So fern bie Religion nicht tie Angelegenheit el; nes gewiſſen Standes, fonbern eines jeden Menſchen iſt, ſo fern iſt die Verpflichtung zu ihrer Erkenntniß allerdings allgemein; daͤrin macht fie eine Ausnahme von der Regel. Allein demungeachtet koͤnnen nicht alle Claſſen von Menſchen zu einem gleichen Grade der Vollkommenheit dieſer Erkenntniß verpflichtet ſeyn. Und wie ſollten fie aud) ? da bie verſchiedenen Geiſtes⸗ faͤhigkeiten, womit die Menſchen gebohren werden, und die Umſtaͤnde, worin ſie leben, ſo mannigfaltige Grade der Ausbildung des Verſtandes nothwendig machen. In dieſem Stuͤcke kann fuͤr die Religion feine Ausnahme Statt finden. Die Vollkommen⸗

heit

CVM 18 S*L

feit ihrer Erkenntniß beruhet auf ter. Erweiterung, der Richtigkeit und Gruͤndlichkeit unſerer Kenntniſſe ín allen uͤbrigen Wiſſenſchaften; alle Uebung des Ver— ſtandes an allen Arten der Erfahrungs- unb Ver—⸗ nunftwiſſenſchaften, den moraliſchen, phyſiſchen, ma⸗ thematiſchen, metaphyſiſchen, ift ein Beytrag zur Voll⸗ kommenheit unſerer Religionserkenntniß, die erſtere befoͤrdert immer die letztere, unb letztere erfodert in mer die erſtere. Es muß daher eine Religion der Gebildetern und der Ungebildetern geben; beide koͤnnen eben fo wenig gleich aufgeklaͤrt ſeyn, als jſeder Stand in der Geſellſchaft in allen uͤbrigen Wiſſenſchaften gleich aufgeklaͤrt ſeyn kann.

Dieſe Verſchiedenheit in den Graden ber Auf—⸗ klaͤrung ín ber Religion wird aud) nothwendig in bet Art iret Beglaubigung fid)tbar roerben müffen. Nur die Aufgeklaͤrtern werden ihrer 9teligionserfenntnig durch ben Gebrauch ihres Verſtandes unb ihrer Ver⸗ nunft ben groͤßten Tiefſinn unb die groͤßte Gruͤndlich⸗ keit geben koͤnnen; alle uͤbrigen werden durch Authori⸗

taͤt uͤberzeugt.

Bey dieſer Vergleichung ber Religion bet. 2(uf: geklaͤrten und Unaufgeklaͤrten iſt nur von der Religion bet Vernunft bie Rede; alſo rur von benenStelíaioné:

wahrheiten, bie von ber menfdlidyen Vernunft koͤn⸗ nean

nen etfannt werden; auch biefe baben für ben llnauf; geflárten, wenigſtens jum Geil, feine anbere lle; berzeugungsgruͤnde als bie Authoritaͤt feines Lehrers. Dieſe Art der Gewißheit iſt freilich nicht die gruͤnd⸗ lichſte, allein das nimmt ihr nichts von ihrer Staͤrle, und die Staͤrke iſt gerade die Vollkommenheit der Ge⸗ wißheit, die einer Wahrheit am meiſten practiſche Kraft giebt. Die Erfahrung beweiſt es hinlaͤnglich, daß bie Ueberzeugung, die nur mit ihren tiefſinnigen Beweiſen in dem Verſtande wohnt, bey weitem dem Herzen nicht fo nahe liegt, atc diejenige innige Ueber—⸗ redung, bie durch das Gefuͤhl wirkt. Martyrer giebt es nur in dem rohen Zeitalter einer Nation, mit dem Fortgang tet Cultur nehmen fie von ſelbſt ab, und unter einem raͤſonnirenden Volke hoͤrt man nichts mehr von ihnen.

Unter den beſten und kraͤſtigſten Ueberredungs— mitteln, die uns Erfahrung und Theorie an die Hand giebt, ſteht bie eigene Ueberzeugung des Lehrers oben an; von ifr erwartet die Dichtkunſt unb. Redekunſt bie groͤßte Wirkung fuͤr ihre Werke; von ihr werden auch gewiß die Wahrheiten der Religion fuͤr einen jeden eine ber kraͤſtiaſten Empfehlungen, unb bep ben Unaufgeklaͤrten ín. Anſehunq ber meiſten Wahrheiten ihre einzige Empfehlung erhalten. Von dieſer Seite betrachtet wird allezeit ein unſtraͤfliches exemplariſches

Philoſ. Mag. 1, Gt. D Leben

f^ 5o ^"249

Leben ber. Predigt beó Religionslehrers eine. Soft geben, beren Abgang turd) feine Kunſt ber Beredt— famfeit unb durch fein Blendwerk einer theatraliſchen Declamation wird koͤnnen erſetzt werden. Das un; verdorbene Gefuͤhl unb bet gerade Wahrheitsſinn des gemeinen Chriſten urtheilt ſehr richtig, daß der ſchwerlich ſehr uͤberzeugt ſeyn koͤnne, deſſen Ueberzeu⸗ gungen auf ſein Herz ſo wenig Kraft haben. Wenn nun dieſe aͤußern Ueberzeugungsmittel die einzigen ſind, die auf den gemeinen Chriſten wirken koͤnnen: fo wird ber unſittliche ober leichtſinnige Prediger ſchwerlich alles das mit noch ſo viel Beredtſamkeit wieder aufbauen, was er mit einem aͤrgerlichen £e: benswandel niederreißt. Es ift eine unmoͤgliche os derung, daß bet gemeine Zuhoͤrer, der bie Wahr—⸗ heiten ber Religion unb Sittenlehre nicht in if: ren innern Gruͤnden einſehen kann, nach deſſen Worten thun ſoll, der ihm mit ſeinen Werken

en(iofig ift.

Nach eben den Geſetzen, mad) welchen bie Au— thoritaͤt uͤberhaupt auf das Gemuͤth wirkt, entſteht auch eie Ueberzeugung durch die Belehrungen bet. po: ſitiven Religion. Die Urkunde, welche dieſes Anſe⸗ hen hat, iſt aus tauſend Gruͤnden ehrwuͤrdig, deren Gefuͤhl kein weitlaͤuftiges Raͤſonnement, unb nichts

vor aller der ſpitzfindigen hiſtoriſchen Kritik erſodert, womit

(f^ 5r - wues»

womit viele Apologeten des Chriſtenthums ben 5e; weis feiner Wahrheit mehr verwitret und erſchweret, als aufgeklaͤrt und erleichtert haben. Es wuͤrde ſchlecht um den Glauben des Chriſten ſtehen, wenn er ſo viele Gelehrſamkeit, Sprachkenntniß, Kritik unb Geſchichtskunde beduͤrfte, als bie meiſten Ver—⸗ theidigungen der chriſtlichen Religion erfodern. Zum Gluͤcke fuͤr die Tugend unb Gemuͤthsruhe des Cort ſten kann er. alles dieſes zu ſeiner Ueberzeugung ent: behren. Cr nimmt bie Thatſachen des neuen Teſta— ments als voͤllig ausgemacht an, und wenn er ſie nicht als ausgemacht annaͤhme, ſo iſt mir kein erſinn⸗ liches Mittel bekannt, ihn von ihrer hiſtoriſchen Wahrheit zu uͤberzeugen. Dae Alterthum feiner Mrs kunde, die Heiligkeit ihrer Tugendlehren, die Ver⸗ ehrung der großen Maͤnner, eines Luthers, eines Zwinglins, die darin ihren Heldenmuth, ſeiner Vor⸗ eltern, die darin die Reinigkeit ihrer Sitten, ihren Troſt und ihre Seligkeit gefunden, und mehr als dieſes bie ruͤhrende und bewundernswuͤrdige ei ligkeit des Stifters feiner Religion das alles giebt den Wahrheiten, die er in dieſer Urkunde lernt, eine Sanction, die man, durch Raͤſonne⸗ ment und gelehrte Beweiſe zu erſetzen, vergebens verſuchen wird.

D 2 4. Was

f^vY^ 52 wu»

4. Was iſt faf(d)e Aufklaͤrung in ber Religion?

Wenn dieſe Betrachtungen die allgemeinſte Erſah⸗ tung und eine richtige Kenntniß des menſchlichen Her⸗ zens auf ihrer Seite haben: ſo iſt leicht zu beſtim⸗ men, welche Aufklaͤrung in der Religion falſch und ſchaͤdlich iſt. Nur die iſt es, welche die ehrwuͤrdige Authoritaͤt einer wohlthaͤtigen poſitiven Religion bey denen wankend macht, die noch auf keine andere Art von den Wahrheiten, die zu ihrer Tugend und Ruhe unentbehrlich (inb, koͤnnen uͤberzeugt werden ; bie das belebende Feuer des Gefuͤhls durch Spott oder kalte Zweifel in dem Herzen ausloͤſcht, ohne gewiß zu ſeyn, es durch ein ſichrer leitendes Licht in dem Verſtande erſetzen zu koͤnnen. Wenn irgendwo eine halbe Aufklaͤ⸗ rung, bie fid) auf ein wenig Wiſſen gruͤndet, ein gefaͤhr⸗ liches Ding iſt: ſo iſt ſie es in der Religion. Sie iſt ge⸗ tabe groß genug, um das Gebaͤude unſerer Nuhe unb Tugend zu erſchuͤttern, aber nicht groß genug, dieſes Gebaͤnde durch dauerhaftere Stuͤtzen zu befeſtigen; es mug alfo mít feinen Grundpfeilern ſelbſt ſallen, und derjenige, der nur die Beglaubigung ſeiner Re⸗ ligion verbeſſern wollte, muß, weil er keiner andern faͤhig iſt, die Religion ſelbſt aus dem Herzen ver⸗ liehren.

Die

FKFAvf^ 553

fie Selbſtgefalligkeit, womit bet Halbaufge⸗ klaͤrte und der falſche Aufklaͤrer auf ſeinen ſchwaͤchern Bruder herabſieht, giebt ihm einen Stolz, wel— cher ohne Schonung mit der Gemuͤthsruhe deſſelben ein ſchnoͤdes Spiel treibt, und ſich kein Bedenken macht, die Bande ſeiner Pflicht zu erweitern, von deren Feſtigkeit das Weib ſeines Herzens Treue und Zaͤrtlichkeit, ſeine Kinder Erhaltung, Vorſorge, Aufſicht, Erziehung, fo mie alle bie Seinigen ife ganjes zeitliches Wohl ermarteten.

Das finb bie gewoͤhnlichen Folgen der falſchen Aufklaͤrung, moie uns bie Erfahrung alle Tage Bey⸗ ſpiele davon zeigen kann, und nur die Erwaͤgung die⸗ fec Folgen kann ben weiſen Wahrheitsfreund Din; dern, die Stuͤtzen der Authoritaͤt dem gemeinen Chri⸗ ſten verdaͤchtig zu machen, auf welchen die practiſche Religion deſſelben ruhet; nicht Gleichguͤltigkeit ge⸗ gen bie Wahtheit, nicht bie eigennuͤtzige Politik, bie den gemeinen Chriſten zu einer ewigen Unmuͤndigkeit verbammt, um ihn gegen fein Elend unempfindlich zu machen, unb um ihn ín ber zwiefachen Knecht⸗ ſchaft, der politiſchen und der kirchlichen, zu erhalten; kurz, dieſe vermeinte Aufklaͤrung wird ihm verſagt, nicht weil ſie Aufklaͤrung, ſondern weil ſie eine falſche unb ſchaͤdliche Auſtlaͤrung ift.

23 €;

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Es giebt alfo fein Recht, ber Aufklaͤrung Graͤn⸗ zen zu ſetzen, als das Recht der Weisheit und der Menſchenliebe, am wenigſten kann irgend jemand dazu ein vollkommnes Recht haben, nicht der Staat, nicht die Kirche.

5. Hat die Kirche ein vollkommnes Recht, die Graͤnzen der Aufklaͤrung zu beſtimmen?

Die Kirche koͤnnte dieſes Recht nur uͤber ihre Glieder haben, und dieſe ſind entweder ihre gemeinen Glieder oder ihre Lehrer. Wir wollen nur unterſu⸗ chen, ob ſie dieſes vollkommne Recht uͤber ihre Lehrer hat; alsdann wird ſich die Frage in Anſehung der gemeinen Glieder von ſelbſt beantworten. Um ſie recht deutlich und beſtimmt zu faſſen, wollen wir ſie ſogleich fo ausdrucken: at eine Kirche bas voll: kommne Recht, zu beſtimmen, wie weit ihr Lehrer durch ſeinen Vortrag den Gebrauch der Vernunft unb bie Erkenntniß ber Wahrheit in ber Religion be⸗ fürbecn foll, ober fann (ie ihn burd) bie Entſetzung von feinem €ebramt nótbigen, fid) in dieſer Abſicht innerfalb gewiſſer Graͤnzen zu falten, hat fie baé volltommne Recht, ihn an beſtimmte Lehrvorſchrif⸗ ten zu binden?

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FM 55 ^"uc»

Es ſcheint auf ben erſten Anblick, als wenn man der Kirche dieſes Recht nicht abſprechen koͤnne. Sie macht mit ihrem Lehrer einen Vertrag; und man ſollte meynen, daß beide Theile dieſen Vertrag nach ihrem Gefallen einrichten koͤnnten, daß ſich alſo keiner beklagen koͤnnte, wenn er zu denen Bedingun⸗ gen angehalten wird, zu denen er ſich anheiſchig ge⸗ macht fat. Allein das ſcheint nur. Denn id) darf nicht allesſverſprechen; ſondern nur das, was id) mit gutem Gewiſſen leiſten kann. Habe id) etwas vetr ſprochen, das ben Geſetzen ber Religion unb ter Tu⸗ gend entgegen iſt; muͤßte ich, um es zu leiſten, den Pflichten ber Wahrhaftigkeit, ber Menſchenliebe, bec Gerechtigkeit, der Keuſchheit entgegen handeln: ſo kann ein ſolches Verſprechen ſeiner Natur nach nicht kraͤftig ſehn. (ben fo wenig kann aud) jemand ein ſolches Ver⸗ ſprechen annehmen, oder ein vollkommnes Recht darauf gruͤnden, mich zu der Erfuͤllung deſſelben auzuhalten.

Es iſt alſo immer noch die Frage, ob eine Kirche das Recht fat, ein Verſprechen von (einem. Lehrer anzunehmen, wodurch er ſich auf immer zu einem unveraͤnderlichen Religionsvortrage anheiſchig macht. Wir muͤſſen nemlich vorausſetzen, daß ber Zweck ei net Religionsgeſellſchaft nicht bloß bie Uebung beó àu: ßern Gottesdienſtes iſt, ſondern daß fie aud) ihre in nere Religion zur Abſicht hat, und von dieſer iſt

D4 die

max 56 5

bíe SServollfommnung ihrer Religionserkenntniß einer der weſentlichſten Beſtandtheile. In den proteſtanti⸗ ſchen Kirchen iſt bekanntlich das Lehren eines der wichtigſten Stuͤcke des oͤffentlichen und Privatgottes⸗ dienſtes. Dazu ſind bie Predigten, bet Catechismus⸗ unterricht, dazu ſind die Erbauungsbuͤcher beſtimmt. Wie laͤßt es fid) aber. benfen, bag ber, welcher Un; terricht veríangt, feinem Lehrer fd)on jum vorau die Wahrheiten vorfd)reiben fónne, bie et iin vortragen foll ? Wer fid) will in ber Vernunſtlehre ober. ín bec Sittenlehre untercid)ten faffen, ber wird fid) mad) bem geſchickteſten unb gewiſſenhafteſten Lehrer in Dies fen Wiſſenſchaften umfefen, et wird ven ibm Die groͤßte Sreue unb Sorgfalt, bie zweckmaͤßigſte Voll⸗ ſtaͤndigkeit, die volllommenſte Deutlichkeit und Gruͤnd⸗ lichkeit verlangen. Wie koͤnnte er ſich aber einfallen laſſen, ſeinem Lehter ſchon zum voraus die Wahrhei⸗ ten vorzuſchteiben, bie ec erſt von ifm lernen mill?

SRan fónnte zwar denken, ba bie Kirche bier eine Ausnahme machen bürfe; benn ber Zweck ibre$ geſellſchaftlichen Gottesdienſtes fep rbauung. Allein kann dieſe bey jeder Religionshandlung und bey jedem Theile derſelben ihr unmittelbarer Zweck ſeyn? und kann e$ ihr gleichguͤltig ſeyn, ob Wahrheit unb Ver⸗ nunft ihre Erbauung leitet ober nicht? Koͤnnte das einer proteſtantiſchen Kirche gleichguͤltig ſeyn:

FMaMT^ 57 8449

ſehe id) nid)t , womit fie e$ rechtfertigen will, ba fie ben ganzen Pomp, unb fo viele gebeimnifivolle Ge: bráud)e ber cómifcben Kirche vermorfen Dat, benen fein unparteyijd)er Beobachter ire große SBirfung auf bie &innen unb bie dunkeln Geſuͤhle abfpred)en wird. Sagt (ie, baf fie fie vermoorfen babe, weit (ie feine vernünftige Erbauung befórberten, weil Die Gefuͤhle, bie fie erregten, entweder gat. feíne Reli⸗ gion$empfinbungen waren, ober nid)t rid)tige unà vernunftmaͤßige Grfenntnig Gotte$, fonbern Aber⸗ glauben au ihrer Quelle batten : fo geftebt fie zugleich, baf fie richtige Belehrung in ber Religion für ein roe: fentíid)e$ Stuͤck ihres Zwecks haͤlt.

Dann aber kann ſie ihren Lehrer nicht weiter als

im Allgemeinen verpflichten, die Wahrheiten der Re⸗ ligion nad) (einen beſten Einſichten von ben 95ebürf: niffen unb Faͤhigkeiten ihrer meiften Glieder vorgu: tragen. Geht fie weiter, unb ſchreibt ibm eine un: veránberfid)e Glaubensform vor, fo erf(árt fie, daß fie keine Belehrung verlangt, unb baf ifr bie meitere f5erid)tigung unb Aufklaͤrung ifrer Religion gleich— guͤltig iſt. Soll fie ibr das nidt ſeyn: fo fann fie ihren Vebrer nur. ju ihrem allgemeinen. Zwecke vet; pflichten, unb bann muf (ie e$ feiner Weisheit unb Gewiſſenhaftigkeit überlaffen , ben Grab ber Reinig⸗ feit unb bie Art ber Beglaubigung feiner Belehrun⸗ 25 gen

F^wvf^ 5g "rem

gen ber Faͤhigkeit und ben Beduͤrfniſſen ſeiner Zuhoͤ⸗ tet anzumeſſen.

Eine kirchliche Verfaſſung, die in Abſicht auf ihre Lehren auf ſolchen Grundſaͤtzen gebauet iſt, kann allein den Naturgeſetzen und dem allgemeinen vernuͤnf⸗ tigen Kirchenrecht gemaͤß ſeyn; mit ihr kann die Kirche ihren eigenen Zweck, ſich durch die Verehrung des hoͤchſten Weſens zu veredeln, am beſten erreichen, unb zugleich bie Pflichten der Religion und Men—⸗ ſchenliebe erfuͤllen. Denn ſowol bie Pflichten bec Religion als der Menſchenliebe, verbieten, irgend je⸗ mand von der Anbetung Gottes in ihren Verſamm⸗ lungen auszuſchließen, irgend jemand, der dieſes Be⸗ duͤrfniß ſuͤhlt, an bem Genuß ber mannigfaltigen Seligkeiten eines geſellſchaftlichen Gottesdienſtes zu hindern. So befoͤrdert und verbreitet ſie, ſo viel an ihr it, bie Verherrlichung des hoͤchſten Weſens, fo vergroͤßert fie ben. Choe, deſſen Stimmen (id) zum Preiſe des Ewigen vereinigen.

So viel und groß ſind die Segnungen einer kirchlichen Verfaſſung, bie auf ben Grundſatzen bet Reuigion unb Per allgemeinen. Gerechtigkeit rubet ; unb bod) finb fie nod) nid)t alle. Da es wichtig ift, feine ibrer wohlthaͤtigen Wirkungen gu überfcben ; fo duͤrfen mir aud) folgende nid)t verſchweigen.

Zufoͤr⸗

59 "we

Zufoͤrderſt Dringt eine ſolche Verfaſſung die groͤßte Harmonie unter ihre Glieder, die im bem qe: genwaͤrtigen Zuſtande ber. menſchlichen Geſellſchaft moͤglich iſt. Diejenigen, welche fid) zur Verehrung Gottes vereinigen, koͤnnen in den Faͤhigkeiten und der Ausbildung ihres Verſtandes ſehr verſchieden ſeyn; dieſe Verſchiedenheit iſt deſto groͤßer uit? mannigfalti— get, je groͤßer ihre Anzahl iſt. Die Wiſſenſchaſten werden taͤglich außer der Kirche durch fortgeſetztes Nachforſchen und Beobachten zu einem hoͤhern Grade von Vollkommenheit gebracht, unb die Gebildtern nu: tzen dieſe Vervolllommung; dieſe Erweiterung und Berichtigung ihrer wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe muß aber nothwendig auch auf ihre Religionserkenntniß wirken, (ie reiner, wuͤrdiger, und gruͤndlicher ma: chen. Sollte nun dieſer vollkommneten Siteligionés erkenntniß durch unveraͤnderliche Glaubensvorſchriften aller Zugang zu der Kirche verſchloſſen werden: ſo muͤßte endlich der Abſtand zwiſchen der Religion der gemeinen und gebildetern Glieder ſo groß werden, daß er keine gemeinſchaftliche Erbauung mehr zuließe, die Gebildetern wuͤrden fid) von bem Gottedienſte bec Kirche ausſchließen, unb er wuͤrde endlich bloß ben Unmuͤndigen, ben Schwachen unb ben Armen am Geiſte überíaffen werben. Ich darf nicht Gemerfen, wie nachtheilig dieſes der Religion ſelbſt ſeyn wuͤrde, iie feit diejenigen, welche fid) durch das Anſehn

der

ff^ Óo wa

ber Gebildetern leiten laſſen, aegen alle Religion wuͤr⸗ ben. eingenommen merben, wenn fie glauben koͤnnten, baf bie, welche fie fid) jum Muſter yu. nefmen pfle⸗ gen, baburd), baf fic fid) von bem oͤffentlichen Got: teóbienfte entſernen, alle Stefigion aufgegeben Dátten.

Su bem aebilbetern Theile ber Geſellſchaft gehoͤrt

«ud, ber Lehrer; denn eben dadurch, baf et anbere en Einſichten unb Senntniffen übertrift, wird er gu fenem Lehramte gejd)icft, eben deswegen Dat man e$ ihm übertragen. Als ein Mann won vorjüglidjen Senntniffen unb. gebilbeterm Verſtande foll et aud) bie Bereicherungen ber Wiſſenſchaften zu nu&en fudjen, bie nicht unmíttelbat zur Stelígion geboren, bie aber jut Erweiterung unb Berichtigung bet Steligionéerfennts nip tónnen angeroenbet roerben. SBenn nun eine ger nauere unb vollftánbigere Sríti£, Geſchichtsforſchung, Pſochologie, Naturlehre gewiſſe allgemeinauéges machte Wahrheiten in die Erkenntnißmaſſe der Ge⸗ ſellſchaſt gebracht bat, bie mit ben Glaubensvorſchrif⸗ ten ber Kirche in. Widerſpruch fteben, wie mirb er fid) ba gu verfaíten haben? Seine Glaubensvorſchrift fagt 4. B. bag gewiſſe Erſcheinungen am Himmel uͤbernatuͤtliche Vorbedeutungen goͤttlicher Strafge⸗ richte, gewiſſe Gefuͤhle in bet Seele Cinmirfungen boͤſer Geiſter ſind, indeß eine gruͤndliche Naturlehre und Pſychologie alles dieſes natuͤrlich erklaͤrt; oder, um

TAM 6G vr»

uim eínen wirklichen Sall angufüfren,, ber Confenfus helveticus mad bie góttlid)e ingebung ber hebraͤi⸗ ſchen Vocalzeichen in ber. Bibel zu einem Glaubens⸗ artikel ber reformirten Kirchen ín ber Schweiz; eme gruͤndlichere hiſtoriche Kritik ſetzt ben Urſprung dieſer Zeichen viele Jahrhunderte nad) bet Verſertigung ber Buͤcher des alten Teſtaments: wie ſoll er ſich bei dieſen Glaubensartikeln benehmen? Gehoͤren ſie zu Unterſuchungen, die bloß den Gelehrten beſchaͤfftigen koͤnnen, liegen ſie außer der Sphaͤre des gemeinen Chriſten, ſind fie für bie practiſche Religion gleich⸗ guͤltig, warum bat fie bie Kirche in ihre Glaubens— vorſchriften gebracht? Haben ſie eine practiſche Wich⸗ tigkeit, befoͤrdern ſie den Aberglauben, wie wird der Lehrer der Religion ſie mit Stillſchweigen uͤbergehen koͤnnen? Geſetzt aber, baf er e$ wollte, geſetzt, daß et ben Aberglauben, ohne in zu befoͤrdern, zu ſcho— nen ſuchte, wuͤrde man es ihm vergoͤnnen? wuͤrde man nicht ſein Stillſchweigen als eine Verwerſung bec ſymboliſchen Lehren auslegen?

Das Gewiſſen des Lehrers befindet fid) hier in einer peinlichen Verlegenheit, der ihn die Kirche uͤberheben kann, ſo bald ſie ſich auf ihren allgemeinen Zweck einſchraͤnkt. Dieſer erfordert weiter nichts, als daß ſich die Glieder derſelben mit ihrem Lehrer vereinigen, ihren gemeinſchaftlichen Gottesdienſt auf

die

fuf 62 ^c

bie Crfenntnig eines einzigen unfidtbaren Gottes, einer alfmirfenben Vorſehung unb allweiſen Regie— tuna unb eines fünftigen Zuſtandes ber Vergeltung zu gruͤnden, welche practiſche Hauptwahrheiten bet Re⸗ ligion auch ihre áufere Beglaubigung aus ber Bibel erhalten.

Laͤßt ſich die Vereinigungsformel auf ſubtilere P'efrbeftimmungen ein, ohne bie ber allgemeine Zweck ber. Kirche kann erreíd)t merben, bie cbnebem ber Faſſungskraft des gemeinen Chriſten unerreichbar, oder wol gar ein Gegenſtand gelehrter Streitigkeiten ſind: ſo thut ſie etwas vergebliches, unnuͤtzes und ſchaͤdliches. Zu dieſem Schaͤdlichen gehoͤtt bann vor: zuͤglich, daß ſie ihren Lehrer und gerade den wuͤrdig⸗ ſten am meiſten in das ſchmerzhafte Dilemma bringt, entweder ſeinen Einſichten oder ſeiner Aufrichtigkeit Schranken zu ſetzen.

Ich weiß zwar, daß man dieſe peinliche Lage dadurch zu erleichtern vorgeſchlagen hat, daß man dem Lehrer ſeine Privatreligion freyließe, und ihn nur zu der Uebereinſtimmung ſeines Vortrages mit der oͤffentlichen Religion der Kirche verpflichtete. Daß man ihn, ſeine Privatreligion zu haben, nicht hindern kann, ſo lange er ſie in ſeinem Buſen verbirgt, das verſteht ſich wol von ſelbſt. Wie aber, wenn er ſie

bekannt

KXofa 63 ^ic»

bekannt macht, es fey burd) driíten, ober ín fe nem limgange mit Fremden ober. ben. Gliedern bet Kirche, aber bod) aufer bem oͤffentlichen Gottes— bienfte? Wie wird bahep ber Gilaube an feine Aufrich⸗ tigfeit, mie ber Glaube an bíe Innigkeit ſeiner eige⸗ nen llebergeugung beſtehen, ber, mie wir oben geſe⸗ ben baben, für ben gemeinften Gbrifen gerade bee ftárffte, unb oft ber einzige Mebergeugungégrunb iſt?

Allein aud) ín bem Falle, daß ber Widerſpruch zwiſchen ber Privatreligion beá Lehrers unb ben Gau bensvorſchriften ber Kirche nicht dieſe ſchaͤdliche Wir⸗ kung haͤtte: fo darf man fragen, ob fie das Recht habe, das Gewiſſen ihres Lehrers in eine ſo gefaͤhr⸗ liche age zu ſetzen ?. Sie fann es mur de facto thun. Denn, kann irgend ein Menſch das innere Recht haben, von dem andern ein Verſprechen zu verlangen, oder auch nur anzunehmen, das er ohne Verletzung der ewi⸗ gen Geſetze der Heiligkeit, der Aufrichtigkeit und ber. Wahrhaftigkeit nicht halten kann?

Alle dieſe Folgen von ber Verpflichtung des Leh— rers zur Uebereinſtimmung mit der Religion der Kirche in ſeinem Vortrage, auch wenn ihr ſeine Privatreli⸗ gion widerſpricht, ſind ſo bedenklich, daß ich lieber glauben will, man verlange nur, der Lehrer ſolle ſeine Religionserkenntniß der Kirche nad) oen Geſetzen ber

volt.

64 wi

volifommen(ten Lehrweisheit mittheilen, unb (id) in feinem. Vortrage nad) den Faͤhigkeiten unb. SDebürf: niffen feiner Zuhoͤrer richten. Dieſe Weisheit haben wir ihm bereits ſelbſt oben (S. 52.) zur Pflicht ge⸗ macht; wie mill mon das aber durch Glaubensvor⸗ ſchriften beſſer tbun ?

Die Religion hat gewiß nichts dabey verlohren, baf ber Geiſt ber Seiten fid) gewoͤhnt bat, ben 33or: trag ber 9teligionéleDrer nad) feiner Gruͤndlichkeit unb Brauchbarkeit zur SBerbefferung bee Verſtandes unb be$ Herzens, unb nicht blog nad) emer knechtiſchen Beob⸗ achtung ber fogenannten Rechtglaͤubigkeit bis in. Den unverſtaͤndlichſten unb unnuͤtzeſten pi&finbigfeiten gu beurtheilen. Die Ruhe unb. Tugend der Cbriften hat ſich nicht anders als wohl dabey befinden koͤnnen, daß man es Maͤnnern, wie Jeruſalem, Spalding, Dieterich, Teller, Zollikofer, bie ber proteſtanti— ſchen Kirche durch ihre Verdienſte um die Religion und die Wiſſenſchaften Ehre machen, uͤberlaſſen hat, mit Weisheit unb Gewiſſenhaftigkeit an ber Verbeſſe⸗ rung beé Verſtandes unb be$ Herzens ihrer Zuhoͤrer zu arbeiten. Warum ſollte man fuͤrchten, dieſe Verbeſſe— rung ihnen, und denen, die in ihren Fußſtapfen wan⸗ deln, noch fernerhin anzuvertrauen? Gerade der wei— ſeſte, erleuchtetſte Religionslehrer weiß ſich am beſten zu den Faͤhigkeiten und den Beduͤrfniſſen ſeiner Zuhoͤrer

herab⸗

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herabzulaſſen, unb man fat gar nicht zu beſorgen, daß er fid) mit ſeinem Vortrage über bie Faſſungs⸗ kraft derſelben erheben und ihrer Erbauung ſchaden werde. Er weiß, daß die weiſeſten Geſetzgeber ihren neuen Staaten nicht ſogleich bie vollfonunenften Ge: ſetze geben fónnen, unb baf ber erleuchtetſte Reli—⸗ gionéleDrer feinen Zuhoͤrern nid)t auf einmal ben gan⸗ zen Schatz feiner. "Drivatreligion mittheilen kann. Was er davon mittheilen bürfe, unb mic? das fómmt auf bie Faͤhigkeiten uno Beduͤrfniſſe ber Kirche an, bic febr veránber(id) fínb, unb von benen man beffen muf, bafi fie taͤglich wachſen werden. Das Maaß ber 3teligionserfenntnig alfo gum Voraus burdj Vorſchriften ſeſtſetzen, heißt bie Lehrweisheit hes ef: rers unnuͤtz machen, und das einſchraͤnkenden Vor⸗ ſchriften zutrauen, was mit Weisheit beſſer ohne Vorſchriften, unb ohne Weisheit nie mit Vorſchrif— ten ausgerichtet werden kann. Das Reſultat dieſer Betrachtung iſt:

Seine Kirche kann das innere Recht haben, ifs ren Lehrer, auch nur durch die Entſetzung von ſeinem Amte, gu zwingen, bcr Befoͤrderung einer vollkomm⸗ nern Religionserlenntniß durch ſeinen Vortrag Graͤn⸗ zen ſetzen zu laſſen. Wenn ſie es thut, ſo thut ſie es de facto; unb handelt um nichts weiſer, als eim Sranfer, ber feinem Arzte vor(d)reibt, welche 2irg:

pbilof. Mag. 1, Gt. E neyen

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neyen er ihm verorbuen fo? Cie fat alfo kein volle fommnes Recht, bie Graͤnzen ber Auftlaͤrung, ſelbſt nicht in ihrem eigenen Schooße, zu beſtimmen.

6. Hat der Staat das vollkommne Recht, die Graͤnzen der Aufklaͤrung in der Kirche zu beſtimmen?

Wir wollen zuerſt den ſchwerern Theil dieſer Frage unterſuchen. Kann der Staat dieſes Recht, bec Aufklaͤrung i ber Religlon ihre Graͤnzen zu bes ſtimmen, im Namen ber Kirche ausüben? Dieſe Frage beantwortet ſich von ſelbſt; denn wenn es die Kirche nicht hat, wie ſoll es dann der Staat in ihrem Namen ausuͤben koͤnnen? Kann ein Vormund im Namen ſeines Muͤndels ein Recht ausuͤben, wel⸗ ches dieſer Muͤndel ſelbſt nicht beſitzt? Wenn alſo der Staat ein ſolches Recht haben ſollte: ſo wuͤrde er es immer nicht als Stellvertreter der Kirche haben. Als ſolcher hat er alſo uͤber die Religion der Kirche keine geſetzgebende Macht, kann ihre Lehrer durch keine Vorſchrift an irgend cine beſtimmte Lehrſform binden, mod) weniger ſie, um eine Abweichung von einer ſolchen Lehrform, ihres Amtes entſetzen. Wenn er dieſe Macht haben ſollte: ſo muͤßte ſie ihm, als Staat, urſpruͤnglich zukommen. Koͤmmt (ie ihm zu?

Wollten

FAV 62. ^34»

Wollten toit ben Zweck der buͤrgerlichen Geſell— ſchaft, wie Pufendorf, bloß auf bie aͤußere Sicher⸗ heit, ober, mie Locke, auf bie Beſchuͤtzung ber Steyr heit unb be8 Eigenthumes einfdjránfen: fo wuͤrde man cin Recht be$ Staats über bíe Religion feinet Unterthanen nur. mít vieler Muͤhe erkuͤnſteln koͤnnen; es wuͤrde nicht weiter, als auf die Erhaltung der Ruhe in der Kirche und durch die Kirche, gehen. Und da wollen wir es dem Regenten nicht verargen, wir wollen es ihm vielmehr Dank wiſſen, wenn er in An⸗ ſehung ber Kirche ſeine aufſehende Macht mit ber groͤßten Sorgfalt und Strenge gebraucht. Die Ge— ſchichte lehrt, wie viele Unruhen in den chriſtlichen Staaten durch die Herrſchſucht der Geiſtlichen und bie bloͤdſinnige Schwaͤtmerey der Laien erregt wor⸗ den ſind. Wie viele Scheiterhaufen haben fuͤr Ketzer gebrannt, wie viel Blut iſt um Meinungen vergoſſen, wie viel Kriege gefuͤhrt, wie viel. Empoͤrungen et; regt! Wie viel vortreffliche Koͤnige haben unter dem Dolche ſchwaͤrmeriſcher Unterthanen, wie viel unſchul⸗ dige Unterthanen unter dem Schwerdte ſchwaͤtmeri⸗ ſcher Koͤnige geblutet Heinrich ber Vierte unb die Bartholomaͤusnacht! Dieſer Graͤuel hat ſich die Kirche ſchuldig gemacht. Alſo ihre Hand zu ſeſſeln, daß fie fid) aud) nicht bie kleinſte Ungerechtig⸗ keit, nicht die geringſte Beeintraͤchtigung der Unter⸗ thanen unter dem Vorwande der Rechtglaͤubigkeit

2 erlau⸗

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erlaube, das i(t bie heilige Pflicht, das iſt bas un; veraͤußerliche Recht des Regenten, das Recht, durch deſſen madame unb weiſe Verwaltung er ſich bet Dankbarkeit unb ber Verehrung bey ber Welt und der Unſterblichkeit bey der Nachwelt verſichert.

Verfolgungsgeiſt! Verketzerung! das ſind die Ungeheuer, welche oie obrigkeitliche Gewalt gu. bán: digen hat. Sie ſchlafen in dem erleuchteten Theile ber Welt, unb das haben mir ber Aufklaͤrung zu danken; wehe uns! menn wir ſie wieder wecken, ius dem wir die Verbreitung des Lichtes der Erkenntniß hemmen, und den Meinungen eine rechtliche Wich⸗ tigkeit geben. Gewaltſame Revolutionen (inb das Werk ber finſtern Seiten, worin bie blinden, thieri— ſchen Kraͤfte des Menſchen wirken; bie Zeit ber Auf— klaͤrung unb bcr Philoſophie ſud bie Seiten ber Nuhe.

Wenn alfo ber Sroef der buͤrgerlichen Geſell⸗ ſchaft bloß Schutz der Rechte und Erhaltung der Si⸗ cherheit iſt: ſo kann ſich das Recht des Staats nicht uͤber bie Befoͤrderung ber Religion erſtrecken; nicht uͤber ihre Lehren, die koͤnnen keiner geſetzgebenden Macht unterworfen ſeyn, nicht über ihre Handlun—⸗ gen, denn die intereſſiren ihn nur durch ihren Ein— fluß auf die oͤffentliche Ruhe.

Doch

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Doch wir bürfen ifm aud) das Recht, bie Re— ligion zu befoͤrdern, nicht abſprechen; denn wir duͤr— fen ben Zweck der buͤrgerlichen Geſellſchaft nicht bloß auf den Schutz eínídránfen. 2er Staat muß das Recht haben, auch fuͤr die Geiſtesangelegenheiten der Unterthanen zu ſorgen; allein nicht anders, als durch die rechtmaͤßigen und ſchicklichen Mittel; und zu die— ſen gehoͤren nicht die Glaubensvorſchriften, nicht die Verhinderung der Irrthuͤmer durch Strafgeſetze. Alle Unveraͤnderlichkelt der beſondern Religionslehren erſtickt den Keim zu ihrer Verbeſſerung; ſie kann alſo weder dem Lehrer noch dem gemeinen Gliede der Kirche zugemuthet werden; es iſt kein Mittel zur Vervollkommnung der Religion, der Staat kann alſo aus feiner Pflicht zur S5efórberung des geiſtigen Wohls der Unterthanen kein Recht dazu herleiten. Er hat foglich kein Recht, den Lehrer der Kirche burch Glaubensvorſchriften zu binden, weder als Stellvertreter der Kirche, noch als Staat.

Dis Recht wollen die Verſechter willkuͤhrlicher Grundſaͤtze im Staatsrechte unb. des Glaubens;zwan— ges im Kirchenrechte nod) auf fofgenbe Art durchſe⸗ tzen. Sie ſagen: der Staat kann bem Richter Ge; ſetze vorſchreiben, nach denen er in Streitſachen Recht ſprechen muß; warum ſollte er nicht auch das Recht haben, ben Religionelehrer an Glaubensvor⸗

3 ſchrif⸗

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ſchriſten binden koͤnnen? Warum nicht? weil dis zwey ſo himmelweit verſchiedene Dinge ſind, daß ſchlechterdings nicht der Schluß von dem Einen auf das Andere gilt. Buͤrgerliche Geſetze und Glau— benslehren! Eigenthum unb Gewiſſenspflicht! Mei⸗ nem Eigenthum, ſelbſt meinem Leben, kann id) entſa⸗ gen, ich kann es aufopfern: Kann ich aber meiner Gewiſſenspflicht entſagen?

Doch wir muͤſſen dieſer Parallele tiefer auf den Grund forſchen. In der Kindheit der meiſten buͤr⸗ gerlichen Geſellſchaften wurde einem jeden das Recht durch feine Pairs nad) ber Mehrheit ber Stimmen geſprochen, und zwar nach Geſetzen, in die der ganze politiſche Koͤrper gleichfalls nad) ber Mehrheit bet Stimmen gewilligt hatte. Hier war ein Vertrag, das für recht zu erkennen, was bte Mehrheit beſtimmen wuͤrde, fid) oem Urtheilsſpruche zu unterwerfen, der nach eben dieſer Mehrheit abgefaßt wuͤrde.

Das Recht, buͤrgerliche Geſetze zu geben, wurde in der Folge, ſo wie die richterliche Gewalt, dem Regenten uͤbertragen. Dieſer uͤbertrug es von neuem rechtsgelehrten Maͤnnern, die es in ſeinem Namen verwalten. Nun vergleithe man:

1. Auf der einen Seite buͤrgerliches Recht uͤber Mein und Dein; auf der andern, Wahrheit. Ueber

FUMER TI «wa

Ueber das erftere Kann man Vertraͤge ſchließen, kann man es auch uͤber die letztere? kann man fid) durch einen. Vertrag anheiſchig machen ets was fuͤr wahr zu halten, oder der Verbindlich⸗ keit, nuͤtzliche Wahrheiten mitzutheilen, entſagen, und die Verbindlichkeit uͤbernehmen, Lehren, bie man für irrig haͤlt, als Wahrheiten vorzu⸗ tragen? Ferner: Der poſitive Theil des Rechts kann durch bie Mehrheit bec Stiumen feſtgeſetzt werden, kann das auch die Wahr⸗ heit? Kann irgend eine Lehre durch die Mehr— heit der Stimmen ausgemacht, kann irgend eine natuͤrliche Verbindlichkeit durch die Mehr⸗ heit ber Stimmen verünbett. merben? ? Kann durch irgend eine poſitive Vorſchrift, die durch bie groͤßte Mehrheit, ja durch bic vollſtandigſte Einſtimmigkeit beliebt waͤre, irgend eine natuͤr⸗ lide Verbindlichkeit, bie Verbindlichkeit zur Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, sut Ausbrei⸗ tung einer wohlthaͤtigen Religion aufgehoben werden? Was heißt: man foll ott mehr ges horchen, als den Menſchen, wenn es nicht heißt: man ſoll ſich durch keine menſchliche Befehle verpflichten laſſen, etwas gegen das ewige, goͤttliche, unveraͤnderliche Naturrecht zu thun?

4 2. Auf

FARA 0) ^wuüsm

3, Muf bet einen Cite Verwaltung des Rechts im Namen des Regenten; auf oec anbern Cite Mittheilung ber Wahrheit in feinem eigenen Samen, Der Buͤrger verfíangt, bap ibm bet Richter Recht fpredoe, nad) ben Geſetzen, welche der Regent fuͤr die heilſamſten haͤlt; der Chriſt verlangt, daß ifm fein Lehrer bic Religion vor⸗ trage, von weicher ber Lehrer ſelbſt uͤberzeugt iſt. Und doch wuͤrde der Richter verbunden ſeyn, auf die Abſchaffung ſolcher poſitiven Geſetze anzutragen, die dem Naturrecht entgegen ſind, und gewiſſenhafte Gerichtshoͤfe erleuchten auch die geſetzgebende Macht durch ihre Vorſtellun⸗ gen gegen ſolche ſchaͤdliche Geſetze; ſie machen ſich dadurch der Verehrung aller tugendhaften Buͤrger wuͤrdig, unb eine weiſe Regierung ver⸗ ſagt ihnen ihre Aufmerkſamkeit und Achtung nicht.

Die Pflichten unb Rechte des Staats in fur ſehung der Aufklaͤrung innerhalb der Kirche laſſen fid) nun (o gufammenfaffen

Der Staat fann. nidjt bie wahre Aufklaͤrung hindern, er iſt vielmehr verpflichtet ſie zu befoͤrdern; et hat das Recht unb ift verpflichtet, bie falſche Auf⸗— tlaͤrung js hindern, aber durch angemeßne Mittel,

und

73 ^")

unb 6a8 ſind nicht Lehrvorſchriften und Einſchraͤnkun⸗ gen der Freyheit zu lehren; es ſind Einrichtung der beſten Anſtalten, worin kuͤnftige Lehrer gebi.bet wer—⸗ ber, verbunden mit bcr ſorgfaͤltigſten Pruͤfung ihrer Gahen, Kenntniſſe, unb inſonderheit ihrer Gewiſſen— haſtigkeit unb Lehrweisheit. Sich auf dieſe Mittel einzuſchraͤnken, ift deſto noͤthiger, ba man leicht, in; bem man oec falfcben Aufklaͤrung guvorfommen milf, bie wahre hindern fónnte.

7. Hat ber Ctaat bie Pflicht unb das Recht, bie 2lufffárung außerhalb ter Kirche zu hindern?

Um dieſe Frage zu beantworten, muͤſſen wir

zwey Grundſätze voranſchicken, bie von ber hoͤchſten Evidenz ſind:

1. Der Staat muß die buͤrgerliche Freyheit nicht mehr einſchraͤnken, als es der Zweck der Geſell⸗ ſchaft noͤthig macht; mehr iſt in dem Vereini— gungsvertrage derſelben nicht enthalten.

2. Er muß alſo ſeine Herrſchaft nicht uͤber ſolche Gattungen von Handlungen erſtrecken, die je der Buͤrger beſſer verrichtet, wenn er darin ohne alle einſchraͤnkende unb verordnende

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Fu vq «vm

Vorſchriften feinen. eigenen. Einſichten uͤberlaſſen wird. Sein Eigennutz wird ibn in feinen Geld⸗ geſchaͤfften hellſehender, ſeine vaͤterliche Liebe in der Erziehung ſeiner Kinder ſorgfaͤltiger machen, feine eigene Vernunft in bet. Grforíd)ung ber Wahrheit fid)erer (eitem, als alle nod) fo gut Deobadjtete Zwangsgeſetze fid) je verſprechen tón: nen. Wohlgeordneter Eigennutz, Liebe unb Vernunft werden durch be von ihnen abhan⸗ gende Handlungen von ſelbſt fuͤr den Zweck des Staats arbeiten; alle Geſetze, wodurch er dieſe Principien erſetzen will, werden ihre Federkraft ſchwaͤchen, ihr Spiel verwirren und die politi⸗ ſchen Kraͤfte in Stockung bringen.

Was wird aus biefen Grundſaͤtzen folgen ?

Wenn der Staat die Pflicht und das Recht

haben ſollte, die Aufklaͤrung zu hindern, oder ihr Geſetze vorzuſchreiben: ſo muͤßte die Schaͤdlichkeit derſelben fuͤr die menſchliche Geſellſchaft augenſchein⸗ lich ſeyn. Kann man das von der wahren Aufklaͤ⸗ tung behaupten? Kann man beſorgen, daß bie Cty weiterung der menſchlichen Erkenntniß durch den be⸗ ſten Gebrauch der Erfahrung und der Vernunft je koͤnne ſchaͤdlich werden? Wie ſollte ſie das?

Sie

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Sie kann der Ruhe des Staats gefaͤhrlich wer⸗ ben, (agen die Feinde ber Aufklaͤrung; fie fann ife fidt auf bie Rechte ber Buͤrger, auf bie Pflichten bet Regierung au6reiten, unb 2ínmaafungen veran⸗ laffen, bíe bem Anſehen ber. Geſetzgebung zu nahe treten,

Eine wohlbefeſtigte, erleuchtete unb großmuͤ⸗ thige Regierung iſt uͤber dieſe kleinmuͤthigen Beſorg⸗ niſſe erhaben. Weit entfernt eine aufgeklaͤrte Beur⸗ theilung ihrer Verwaltung zu fuͤrchten, geht ſie ſelbſt, nad) bem Beyſpiel eines großen Mannes, des x5, Grafen von »X»erberg, dem oͤffentlichen Urtheil entgegen, ſicher, den Beyfall, bie Liebe, die Dank⸗ barkeit und die Bewunderung ihrer Buͤrger, wie der Fremden, zu erhalten; und zwar um deſto mehr, je mehr ihre Beurtheiler unterrichtet und aufgeklaͤrt ſind.

Man beſorgt, der aufgeklaͤrte Buͤrger werde die Sphaͤre ſeiner Freyheit erweitern wollen, aber man beſorgt es ohne Grund. Wenn die Frage von buͤr⸗ gerlicher und politiſcher Freyheit iſt: ſo wird dieſe Beſorgniß durch die Erfahrung uͤherall widerlegt. Wo irgend ein Staat durch gewaltſame Convulſionen erſchuͤttert wurde, ſo erregte ſie nie ein friedfertiger Freund ber wahren Aufklaͤrung, ber an ber Vervoll⸗ kommnung ſeiner Vernunft im Stillen arbeitete; es

waren

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paren immer die heimlichen Machinationen des un: ruhigen Ehrgeizes, oder die oͤffentliche Wuth eines ſtupiden, aberalaubifd)en, fanatiſchen unb verfuͤhrten Poͤbele, die ſich durch Thaͤtlichkeiten der buͤrgerlichen Authoritaͤt widerſetzten. Der aufgeklaͤrte Mann weiß, daß ſeine buͤrgerliche Freyheit beſchraͤnkt iſt, und wenn er ſie ohne Noth beſchraͤnkt glaubt, ſo thut er ber Regierung Vorſtellungen, unb traut es ihrer Weisheit und Guͤte zu, ſie ſo weit in Betrachtung zu ziehen, als e$ bas oͤſſentliche Wohl zulaͤßt, womit die Regierung bekanmer iſt, als der einzelne Buͤrger. Was die politiſche Freyheit betrifft, ſo weiß der auf⸗ gektarte Mann, daß fie durch bie Staatsverfaſſung beſtimmt wird; er weiß, daß die oͤffentliche Gluͤck⸗ ſeligkeit unter. jeder mit Weisheit verwalteten Regie— tuugsform gedeihen kann. Was endlich bie moras liſche Freyheit betrifft, ſo muß ſie nothwendig durch wahre Aufklaͤrung wachſen; allein deſto beſſer fuͤr die Ruhe und Gluͤckſeligkeit des Staats. Der ſtupide unb unwiſſende Menſch ift natuͤrlich von bem unter: ricbtetern abhaͤngig. Syn ben Seen ber allgemeinerm Finſterniß ift der Einfaͤltige tn. ben Haͤnden beo Ver— ſchlagnern; in dieſen ungluͤcklichen Zeiten unſerer Ge⸗ ſchichte rar bie Laienſchaft in ben Haͤnden bet Geiſt⸗ lichkeit, weil (ie nótfig batte, burd) ihre Einſichten geleitet zu werden. Die Herrſchſucht unb ber. Ehr⸗ geiz der Geiſtlichkeit mißbrauchte ire geringe Ueber⸗

legen⸗

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(eaenfeit an Senntnifien, um ben Stationen Seffefr su ſchmieden. Wer hat fie zerbrochen, bieje Feſſeln?

Soll bie Freyheit nicht ned) Einmal dieſe Feſ— ſeln tragen: ſo muß ſie eben die Wohlthaͤterinn davor ſchuͤtzen, die fie davon erloͤſt hat. Die Aufklaͤrung muß die Freyheit ſchuͤtzen. Schon von dieſer Seite detrachtet, muß fie bem Staate ein Kleinod ſeyn, deſſen Werth unſchaͤtzbar iſt. Nur ihr kann jede Regierung ihre Ruhe, ihre Freyheit, ihre Unabhangigkeit ver: dankent. Daruͤber ſollte (ie endlich die Geſchichte aller Seiten belehrt haben. Wo nur der geiſtliche Deſpo⸗ tizmus dem weltlichen den Vertrag angeboten, und wo die falſche Politik einen ſolchen Vertrag eingegan⸗ gen iſt: Leihe mir deinen Arm und ich will dir die Voͤlker unterjochen helfen; da iſt die Regierung am Ende ſelbſt mit unterjocht worden.

Ich ſehe alſo nicht, was eine weiſe und gerechte Regierung zur Rechtfertigung ihrer Maaßregeln, die Aufklaͤrung zu beſchraͤnken, anfübren fónne, e$ ſey von Seiten des Rechts oder der Staatsklugheit.

4. Cu

F^ 78 uc» 249 OO $0 —— ——

4. Einige Charakterzuͤge der Mexicaniſchen Indianer. Aus des

Herrn Thiery be Stenonville Traité de la culture du nopal & de l'éducation de la cochenille dans les colonies francoifes de l'Amérique, précédé d'un voyage à Guaxaca. Au Cap Francois, à Paris & à Bourdeaux 1787. In 8vo. premiere partie.

S. Abſchen, womit jeber gefuͤhlvolle Menſch bie unmenſchlichen Behandlungen lieſet, welche die Einge⸗ bohrnen von Mexico von den Spaniern erlitten, und die Unterdruͤckungen, worunter ſie noch bis dieſe Stunde ſeufzen, muß dadurch noch verſtaͤrkt werden, daß dieſe Ungluͤcklichen, an denen noch immer gegen die geheiligtſten Rechte der Menſchen gefrevelt wird, keines⸗ weges eine veraͤchtliche Menſchengattung ſind, ſondern daß fie, vermoͤge ihrer phyſiſchen unb moraliſchen An⸗ lagen einer Ausbildung faͤhig waͤren, bie ber Ausbil⸗

dung

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dung keiner Curopáifdjen Station. etwas nadygeben wuͤrde. Schon bet 2(6t Raynal fat fie ín feinem be; fannten Werke auf eine Art aefdjilbert, bie einen je: ben Menſchen von Gefuͤhl für fie mít Liebe, Achtung unb Mitleiden einne)men tuf. Hier ſind einige 2üge von einem Augenzeugen, bie dieſe Schilderung beſtaͤtigen.

1. Koͤrperliche Bildung. *)

Ich entſchloß mich, in eine Indianiſche Huͤtte, die an meinem Wege lag, hineinzugehen. Ich ward wohl aufgenommen, und man gab mir Brod und Eyer, welches ohngefehr alles iſt, was man von die⸗ ſer ungluͤcklichen Menſchenclaſſe erwarten kann. Was mich aber mehr ruͤhrte und entzuͤckte, das war die vollkommne Schoͤnheit ber. Indianerinn, welche die Frau von der Huͤtte war. Syd) ſuchte vergebens Feh—⸗ ler an ihr; ob ſie gleich halbnackend war, indem ſie blog einen Nock von falbalatirtem Neſſeltuch, mit ror ſenfarbenen Schnuͤren beſelzt, und ein Hemde, das ihre Schultern entbloͤßt ließ, anhatte, ſo ſchien mir tod) ihr Wuchs an Regelmaͤßigkeit ben Zuͤgen ihres Geſichts gleich. Ich ſagte ihr, daß ſie ſchoͤn ſey, das ſchien ihr Vergnuͤgen zu machen, und zwey alte Frauen, die eine ihre Mutter, die andere ihre Baſe,

lach⸗ S. 69.

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lachten een ganzem Herzen daruͤber. Ich tat ihr verſchiedene Fragen unb id) erfuhr, daß fie verheira— thet ſey und Kinder habe. Dieſe Umſtaͤnde intereſſir— ten mich nur noch mehr fuͤr ſie, und ihre Schoͤnheiten hatten bereits meine Sinne verwirrt. Ich wagte es, Gold vor ihren Augen glaͤnzen zu laſſen; allein ich kam bald wieder zu mir ſelbſt. Ungluͤcklicher, ſagte ich zu mir, was haſt du vor? Iſt das das Ziel deiner Arbeiten? In einem fremden Lande, ohne Freunde, ohne Stuͤtze, mit tauſend immer wiederkehrenden Gefahren umgeben, wenn Óu ben Reizungen der Wolluſt untetliegeſt! Unſinniger! Nach dieſen Ueberle— gungen ging ich ſort, ohne ein Wort zu ſagen, ohne mid) umzuſehen, unb id) ſchleppte mich ſeuſzend auf der Heerſtraße fort. Nachdem ich eine halbe Meile zuruͤckgelegt hatte, befand ich mich weit beſſer, ich fanb tauſend verſchiedene Ideen, bie mich troͤſteten unb erfreuten; fur » id) erfuhr, was £a Bruͤyere fagt, bug nichts fo febr bas Blut erfriſcht, aí$ bet Gefahr entgaugen zu ſeyn, fic) eine Thorheit oder ein Vergehen vorwerfen zu muͤſſen.

2. Haͤusliche Xugenb. *)

Die Muͤdigkeit, bie Furcht mid) au verírren, unb bie nid)t weniger lebhafte Beſorgniß, naf au moet; ben, beftimmten mid), ob «8 gleid) nod) heller Sag

war, N 6.7.

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tat, in eine von ben Indianiſchen Huͤtten, bie idj am Wege faf, hineinzugehen. ie mar wie bie Koͤhlerhuͤtten in unſern Forſten gemacht, unb. man konnte in derſelben nicht aufrecht ſtehen. Syd) fanb darin eine Indianerinn, und ein kleines Maͤdchen, die aus allen ihren Kraͤften Tordillas *) machten. Sie empfin⸗ gen mich ohne Umſtaͤnde, aber doch mit Ehrerbietung. Sie verſtanden nicht ein Wort Caſtilianiſch, und ich nicht ein Wort Mexicaniſch, dergeſtalt, daß wir uns durch Zeichen unterreden mußten. Als die Nacht angebrochen war, kam der Hausvater mit fuͤnf Kindern, wovon bas aͤlteſte ſunfzehn Jahr alt war; drey andere, wovon das eine noch an der Bruſt lag, waren in der Huͤtte geblieben; Totalſumme, acht Kin⸗ der. Der Vater, die Mutter, und ich, wir ſaßen alle um einen kleinen Heerd von Holzſtuͤcken, in einer Strohhuͤtte von funfzehn Fuß ins Gevierte. Dieſer arme Indianer, erſchoͤpft von Arbeit, halbtodt vor Hunger, fatte eine ſanfte Mine, unb die Phyſioqno⸗ mie eines guten Mannes. Cc machte mit cínige Ehr⸗ furchtsbezeugungen, abet heißhunqrig von Liebe bedeckte er ſeine Kinder mit Kuͤſſen, und ſeine Blicke voll Zaͤrt⸗ lichkeit fuͤr ſeine Frau wendeten ſich nur gegen mich aus bloßer Achtung. Er wußte einige Worte ſpaniſch, allein *) Die Tordillas ſind kleine Kuchen von Maygs, welche bie vornehmſte Nahrung ber. Indianer ausmachen. Philoſ. Mag. 1, Gr.

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allein toit fpradjen nur toenig. Ein tiefes Stillſchwei⸗ gen herrſchte waͤhrend ber Mahlzeit. Es war das Stillſchweigen des Vergnuͤgens, welches bisweilen die Accente einer kurzen und ſanften Sprache, und dem ruͤhrenden Geſchrey unſerer Dohmpfaffen aͤhnliche Toͤne unterbrachen. So erwarteten die Freude, die Zaͤrtlichkeit und die Ruhe bcn. guten Indianer, um ihn wegen der Muͤhſeligkeiten des Tages zu entſchaͤdigen. Er verdiente taͤglich nicht mehr als zwey Realen, ich gab ihm noch zwey dazu, aber er ſchien mir gegen den Gewinn fefe wenig empfindlich.

Ich ging zu Bette, das Herz bewegt uͤber dieſe Scene, die ich mit der Scene meines Mittagseſſens verglich, und ich ſagte: das ſind alſo die Herzen, die man mit tanſend Dolchen durchbohrt, wenn man ihre Weiber verfuͤhrt, den einzigen Troſt ihres Kummers und ihrer Muͤhſeligkeiten! Solche Seelen lehret man das Verbrechen, ben Schmerz und die Verzweiſlung, wenn man ſie verdirbt.

3. Oeffentliche Tugenden.

Als bie Gerechtigkeit unb ber Friede, mübe ut tet ben. Sterblichen zu (eben, von benen fie jeben Sag neue Sránfungen erfufren , biefe undankbaren Gäſte verlaſſen haben, fat man geglaubt, daß [ie ju bem

Jim:

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Himmel zuruͤckgekehrt ſeyn, von bem fie ju uns fet, abgeſtiegen waren. tan fat fij geirrt; nadjbem fie bie verkfiebenen Gegenben ber. Crbe durchlaufen, im; mer herumirrend, ünmer Óeunrufiget, fo haben fie fid) in einen Winkel von bem noͤrdlichen America gu; tügegogen, nad) 2D. SOumínguillo; biefe$ arme kleine Doͤrfſchen, fo reizend durch feine Sage, durch ben 25; Dang eineé Huͤgels am Sufammenflug bes Rio Granbe unb des Las Bueltas, (dienen ihnen mürbíg, mit ihrer Gegenwart beehrt gu werden. Da habe id) bie fanfz ten Einfluͤſſe dieſer liebenswuͤrdigen Gottheiten em⸗ pfunden.

Es war bep folgender Gelegenheit. Waͤhrend meines Abendeſſens fatte (d) einen Topith (ein Pfer⸗ devermiether) kommen laſſen, mit welchem ich Pferde beſprochen hatte, die mich nach Quicattlan bringen ſollten. Der Gauner hatte die Geſchicklichkeit, mich um drey Piaſter zu betruͤgen, ohne daß ich es merkte. Seine lebhafte und treuherzige Mine, und vielleicht die Sorgen, wovon ich den Kopf voll hatte, vereinig⸗ ten fi, um mich ju uͤberraſchen. Der Caſero (Gaſt⸗ wirth) war es gewahr geworden unb fatte mich auf merkſam darauf gemacht, allein der Topith war mit meinem Gelde ſchon fort. Ich aͤrgerte mich, daß ich mich hatte anfuͤhren laſſen, unb id) machte bem Caſero Vorwuͤrſe, daß er mit nicht eher etwas davon geſagt

2 patte ;

Fr o gq 24

fatte. Allein id) dachte nidjt mefr an mein Gefb, unb inbem (d) nad) ber fDroceffion ,. ber id) zugeſehen fatte, auf bem oͤffentlichen Platze ſpatziren gebe, fefe éd) zwey Indianer auf. mich jufommen, wovon eín jeder einen fedj$ Fuß hohen €tab bielt, auf beffen aͤußerſten Cnbe ihre ausgeſtreckten Arme bie Hand ſtuͤtzten. Ich gab wenig barauf Acht, bis id) drey⸗ mal auf Mexicaniſch ſchreyen und dreymal pfeifen hoͤrte. In dem naͤmlichen Augenblick koͤmmt mein Topith ganz außer Athem und macht den Maͤnnern mit den Staͤben, Unterſcheidungszeichen ihrer Gerichtsbarkeit, viele große Verbeugungen. Es war wirklich der Al⸗ kalde und ſein Beyſitzer. Da ich ſie auf mich zukom⸗ men ſah, ſo erſparte ich ihnen die Haͤlfte des Weges. Sie vernahmen meinen Topith mit vieler Gravitaͤt in meiner Gegenwart, uͤber die Anzahl der Pferde, die ich verlangt, und uͤber den Preis, den er dafuͤr ge⸗ fodert haͤtte. Gt geſtand alles bis auf zwey Realen. Sie fragten mid) darauf, wie viel id) auegegeben haͤtte; ich gab es ihnen genau an. Hierauf wandten ſie ſich wieder gegen den Topith, und wollten von ihm wiſſen, ob er mir den Tarif gezeigt habe. Er bekann⸗ te, daß er mir nichts davon geſagt; darauf verwies ihm der Alalde ſtreng, obgleich kalt: erſtlich, daß er mehr von mir gefodert, als die Verordnung erlaubt; zweytens, daß er zwey Realen weniger angegeben habe, als er wirklich empfangen. Indem ſie ſprachen,

unter⸗

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unterſchied id) mit Huͤlfe des Mondſcheins bie Zuͤge dieſer einfaͤltigen Beamten; id) bemerkte darin me: der Zorn noch Unwillen, nicht die geringſte Spur von Gemuͤthsbewegung veraͤnderte ihr Geſicht; ohne Lei⸗ denſchaft, wie das Geſetz, urtheilten und entſchieden fie mie dieſes, unb nie haben roof Senatoren, Raths⸗ berren, Praͤſidenten ín. langen. Sleibern, in Pelzen, in rothen ober ſchwarzen Amtsroͤcken, ín viereckigten oder runden Huͤten, ein ſo erlauchtes und ehrwuͤrdi⸗ ges Anſehen haben koͤnnen, als dieſe armen ganz zer⸗ lumpten Indianer.

Nachdem ſie den Beklagten durch ſein eigenes Geftánbnifi uͤberwieſen hatten, ließen fic fid) von ifm bie gange Cumme, bie er erhalten fatte, wieder fer: euégeben. Hernach ajngen fie ín mein 3íimmer, wo id) Licht fatte , unb wollten auéted)nen, voas ifm ba: von von Rechtewegen zukaͤme. Da fie abet wenig mit bem Gelbe umzugehen wußten, fo fonnten fie bamit nicht fertig werden; id) faf) mid) alfo genótfigt mid) darein zu mífd)en, unb nachdem íd) inen klaͤrlich bat: gethan, bag id) brep Piaſter unb zwey Realen mebr gegeben fatte, aló id) fd)uíbig war: fo gab fie mir ber Alkalde wieder unb überlieferte bad Uebrige bem Topith, inbem et ifm aufga6, meine Pferde auf bie Ctunbe, bie id) im vorgefd)rieben, Bereit. 3n falten. Ich war in Bewunderung, id alaubte gu

$3 traͤu⸗

F^ 86 ^v

ttáumen; eine fo einfache, fo ſchnelle unb fo wohlver⸗ waltete Gerechtigkeit ſchien mir ein. Traumgeſicht. In meiner Begeiſterung gab ich dem Caſero, der, durch ſeine Anzeige, mir dieſes ruͤhrende Schauſpiel verſchafft hatte, einen Piaſter, und ich bat den Alkalde, bie drey Piaſter unb zwey Realen, woruͤber ber Pro— ceß geweſen war, zu behalten, um ſie unter die Armen des Ortes auszutheilen. Ich haͤtte tauſend Piaſter gegeben, um das Andenken dieſer ſchoͤnen Handlung der Billigkeit zu verewigen. Denn man muß fid) nicht verhehlen, das beſte Mittel, vor den Menſchen Bey— ſpiele der Weisheit unb ber Tugend zu erhalten, ift, wenn man auch die kleinſten Handlungen, die das Ge⸗ praͤge davon tragen, ehret und belohnet. Die Men— ſchen handeln immer nach einigen Bewegungsgruͤnden des Intereſſe, und welches Intereſſe iſt wol edler, als auf immer in der Achtung ſeiner Mitbuͤrger und der Nachwelt zu leben! man lobe alſo die ſchoͤnen Handlungen, und man wird bald eine Menge anderer entſtehen ſehen.

|

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5.

C»iftel

über das Grauenjimmcet an eíne

junge Gráfin.

S... ſchoͤne Graͤfin! wer ba till auf der Satire Rabenfluͤgeln

die Bahn nach Pindus Lorberhuͤgeln durchflattern! lieber ſchwieg ich ſtill und ließe nie in Phoͤbus Hallen

um ſeinen Kranz ein Lied erſchallen, eh' ich es wagt', um dieſen Preis

dem kleinſten angenehmen Kreis

von edlen Schoͤnen zu mißfallen.

Und gegen dieſe ſelbſt den Pfeil des Witzes freveff)aft su wetzen, heißt aͤchten Beifall wenig ſchaͤtzen; denn welcher Muſe Roſenſeil wird eine Leier wol umſchlingen, zu der ein Dichter ſich erkuͤhnt ber. ſanften Schoͤnheit Hohn zu ſingen,

84 die

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bíe Opfet nur unb. Dank verbient, ínbem, durch ihre Treflichkeiten genaͤhrt, zum Kranz für unſte Saiten der neidenswerthſte Lorber gruͤnt.

O! drum entweihe keine Blume, die gleich der ſcharfen Neſſel ſticht, den Kranz, den ſich im Heiligthume der Pallas meine Muſe flicht! Ein jedes ihrer Lieder gleiche dem Veilchen, dem Vergißmeinnicht, und Roſen, welche vom Geſtraͤuche die Hand ber ſchoͤnſten Nymphe bricht!

Unſterblich ſingen alle Muſen, wenn ſanfte Schoͤnheit ſie durchgluͤht, und jedes ſchlechte Veilchen bluͤht mit neuem Reiz an einem Buſen, wo es Cytherens Hauch umweht; ja ſelbſt die ſimple Wieſenblume, die ſich durch blonde Locken dreht, wird welkend noch zum Heiligthume von fanften Liebenden erhoͤht.

Zwar giebt es, ſagt man, ſtarke Seelen, wenn gleich nicht allzuviele, die, um mit bewaͤhrter Kaͤlte fruͤh

ſich gegen Amors Pfeil zu ſtaͤhlen,

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bie ſtoiſche Pheloſophie

zur einzigen Geliebten waͤhlen;

die Zaͤrtlichkeit und Sympathie

für Euch, o fanfte, ſchoͤne Seelen! ju mitleidswerthen Schwaͤchen zaͤhlen, unb fo rit ausgelernter Muͤh

ben. ſchoͤnſten Lebenspfad verfehlen denn Weisheit nenn' ich dieſes nie.

Nur wo Natur durch Blumenauen mich zu der Weisheit Tempel fuͤhrt, da folg ich gern, denn ihr gebuͤhrt gewiß ein kindliches Vertrauen.

Und will ein Afterweiſer dann

mir Warnung in die Seele raunen, ſo trau' ich nicht dem finſtern Mann, der weiter oft durch truͤbe Launen vom Ziele mich entfernen kann,

als alle ſchoͤne Zauberinnen,

die zwar, uns leichter zu gewinnen, zu manchem Netz der Zaͤrtlichkeit Cytherens feinſte Saben" ſpinnen, doch die zu frommen Prieſterinnen der Tugend und der Charitinnen die weiſe Pallas ſelber weiht.

$5 Auch

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Jud) (ag uns, theure Graͤfin! ehrlich und unparteyiſch bei dem Streit verfahren! Ja! bie Zaͤrtlichkeit iſt zwar dem Herzen oft gefaͤhrlich; doch trotz dem reizenden Gewand, das ihren Buſen leicht umhuͤllet, deß Anblick ſchon Sartüffen? anb mit ſtrengen Donnerkeilen fuͤllet, fuͤhrt ſie am Seil der Froͤhlichkeit weit ſicherer das Herz der Jugend zum Blumenalter aͤchter Tugend, als je die Unempfindlichkeit, die uns in allen ſtrengen, kalten und ſehr vernuͤnftigen Geſtalten vergebens ihre Rechte beut.

Ja wer fuͤr Euch nicht fein empfinbet, o Lieblinginnen der Natur, wer nicht fon auf ber. Kindheit (ut für feine Phyllis Kraͤnze winbet, nid)t heimlich ſeufzend ihre Spur verfolgt, nicht zaͤrtlich in die Rinde der ſchattenreichſten Gartenlinde den fruͤhgeliebten Namen graͤbt; und nur wo ihre Heerden weiden die Auen durch Geſang belebt, weil hier der Genius der Freuden

fuͤr ihn auf Roſenwolken ſchwebt; Wen

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Wen fruͤh nicht bie Gefuͤhle kroͤnen, die Amor einſt zur Liebe nuͤzt,

iſt vor dem Zauber alles Schoͤnen unb Edlen, leider! gleich geſchuͤzt!

Er wird bei Oeſers Magdalenen, bei Guidos Amor, und beim Kuß der Danae, wie beim Genuß von Deiner Unterhaltung gaͤhnen. Fuͤr ihn iſt Greſſets Papagei mit allem Witz und feinen Scherzen nur eine fade Taͤndelei; Er glaubt mit uͤberzeugtem Herzen, daß Rouſſeau nur ein Schwaͤtzer ſei; und findet Goͤckings Schwaͤrmerei, für Nantchen, unb Petrarkas Schmerzen mit Grekourts Liebe einerlei. Er wuͤnſcht in ſchoͤnen Roſenlauben der Freundſchaft nichts bei Mondenſchein, als Morfeus Armen ſich zu weihn; ihm wird kein Wink aus Phoͤbus Hain den langen Morgenſchlummer rauben; und nimmer, nimmer wird ſein Haar den fauften Lorberkranz gewinnen, denn nicht umſonſt ſind die Huldinnen unb Muſen aus ber. Maͤdchen Schaar,

Euch

CT 92 ^w

Euch Schoͤnen nut. gab das Verhaͤngniß zum Pathenpfand die Zauberkraft, die uns zu neuen Weſen ſchafft; Ihr reicht in Kummer und Bedraͤngniß dem Herzen Lethens Schlummerſaft; Ihr adelt, ſuͤße Charitinnen! zu ſanften Freuden unſte Sinnen, und laͤutert jede Leidenſchaft.

An Blumenſeilen der Empfindung fuͤhrt Ihr uns leicht, beim Saitenſpiel der Seelenharmonie, zum Ziel der liebenswuͤrdigſten Verbindung der Weisheit mit der Froͤhlichkeit.

An Eurer ſanften Hand durchwallen

wir gluͤcklicher die Lebenszeit;

wir lernen von Euch zu gefallen,

und lohnen Euch durch Zaͤrtlichkeit.

Ja Eure grade Seele lenket

des Forſchers ſchwankende Begier

nach aͤchter Wahrheit oft, der Ihr

die ſchoͤnſte Blumenhuͤlle ſchenket;

benn, edle Nymphen! wenn Ihr denket fo denkt Ihr beſſer nod) als wir.

Und

Ku 93 ^w

iub endlich, laßt e$ uns geſtehen! Ihr ſeid nicht alle Grazien, bie von Cytherens Myrthenhoͤhen Geiſt, Artigkeit und Witz umwehen; auch viele ſchoͤne Statuen ſehn mir ín Cypris Hainen (tefeu, vor denen zwar mit Liebesflehen kein Weiſer ſeine Kniee beugt, doch wird er ſie noch lieber ſehen, als rauhe Gothiſche Stopfaen, die mancher Maͤnnerkreis ihm zeigt.

Wir ſpotten gar zu gern der kleinen Vergnuͤgen ſchoͤner Eitelkeit, die Tiefgelehrten jederzeit ſo herzlich unbedeutend ſcheinen, wie Maͤdchen die Gelehrſamkeit. Wir ſpotten gern der kleinen Schwaͤchen, die, unter Reizungen verſteckt, des Tadlers Auge nur entdeckt, und ſuchen ſtets davon zu ſprechen, um uns bei der Gelegenheit an Eurer Schoͤnheit, Artigkeit und edler Selbſtzufriedenheit durch der Satire Pfeil zu raͤchen.

Doch

Fu 0j, 515

Doch tvir vergeſſen get. babet bet Grouppen, bie um volle Flaſchen bei minder edler Taͤndelei nach faden Witz und Lachen haſchen, vor welchen jede Muſe flieht.

Wir ſpotten nicht mit bittrem Witze des edlen Ritters, der durchgluͤht

von Ahnenruhm, nur vom Beſitze

des neuſten Gauls begeiſtert ſpricht, und ſelbſt im Kreiſe muntrer Schoͤnen mit ziemlich rauh gewaͤhlten Toͤnen für ſeines Jagdhunds Ehre ficht. Wir klagen, daß von Evens Toͤchtern ſo manche Treu' und Lieb' entehrt, doch ſind wol viele von Veraͤchtern der Schoͤnen Lieb' und Treue werth? Sind viele wol der feinen Triebe,

der ſanften Seelenflamme werth,

mit der ſo oft verlaßne Liebe

ein zartes Maͤdchenherz verzehrt?

O! moͤcht', Ihr Schoͤnen! Euch zu raͤchen, gu einem. Kranz bec Dankbarkeit ein Dichter manchen Lorber brechen,

der willig Euch die Laute weiht! der

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ber ſchon im leichten Fluͤgelkleide Euch Liebesopfer dargebracht,

und bei des Fruͤhlings Blumenpracht ſchon fruͤh auf Lieder ſuͤßer Freude gum Lob ber Grazien gedacht;

der mehr durch Eure Faͤcher lernte, als durch die Birkenruthe, die

mit ernſtlich angewandter Muͤh

ihn von den Muſen nur entfernte; der, fruͤh vom Myrthenhauch umſpielt, noch jetzt, wo Paphos Zefirn wehen, mit frommer Dankbarkeit es fuͤhlt, bafi er vor. Euren Kanapeen

mehr Bildung unb Geſchmack erhielt, als an der vielgetruͤbten Quelle

der ſtaubigen Gelehrſamkeit;

ach! der zu ſpaͤt die lange Zeit,

da er in duͤſtrer Kloſterzelle

nur leſen lernte, noch bereut.

leben bann bie edlen Schoͤnen! die unſre Seelen mit Gefuͤhl und jedes beßre Saitenſpiel mit ihrem holden Beifall kroͤnen!

Mag

wAvf 96 wie

Mag 25oileau, Dop', unb Juvenal, und iie bie ſtrengen Maͤnner feifen, uné immerhin durch Cypott beweiſen, daß „auch die Liljen manchesmal durch ſuͤßen Duft vergiften koͤnnen, Ich Friedlicher, beneide ſie um dieſe Spoͤttereien nie, und moͤchte ſelbſt nicht gern Genie unb Reiz unb Tugend jemals trennen. Am wenigſten, wenn mich, wie jezt, die Ruͤckerinnrung jener Stunde,

o theute Graͤfin! nod) ergoͤzt,

da mir aus deinem holden Munde der Weisheit Silberquelle floß,

an deren Ufer jede Bluͤthe

des Witzes und der Seelenguͤte in ſchoͤnſter Harmonie entſproß.

Wohlan! ſtatt beißender Satiren, nimm edle Graͤfin! dieſes Lied, das keine Schoͤne ſchuͤchtern flieht; denn jeder Ruhm, der Dich umbluͤht, ſoll es als Opferbinde zieren!

Nicht wahr, Du glaubſt der Muſe leicht, dies koſt' ihr wenig Ueberwindung, indem ihr Jugend und Empfindung zum Opfer reine Flammen reicht?

mf 97 ^

Ja wer mit zwanzig Blumenjahren fid) unterſtuͤnd' in Phoͤbus Hain ber Schoͤnheit Myrthen zu entweihn, verdiente nod) bei grauen Haaren von huͤbſchen Maͤdchen allgemein verſpottet und verhoͤhnt zu ſeyn! Kein Weibchen muͤßte je ſein Leben durch Liebe, Witz und Zaͤrtlichkeit zum Himmelsvorgenuß erheben; kein Toͤchterchen durch Artigkeit und holde Schoͤnheit ihn entzuͤcken, wenn tauſend Juͤnglinge zerſtreut und liebeſchmachtend nach ihr blicken; Ihm muͤßte nie bie nfelinn mit heitrem, unſchuldsvollem Sinn die Stirne ſpaͤt durch Blumen ſchmuͤcken.

Doch jeden Dichter, welcher fruͤh

fuͤr Grazien und Pierinnen die ſanfte Laute ruͤhrt, um ſie durch fromme Demuth zu gewinnen; wer meinem guten Hoͤlty gleich, an geiſtiger Empfindung reich, der Schoͤnheit Zauberkraft beſinget, die mit der Weisheit in Verein in Feſſeln alle Herzen zwinget, die ſich den holden Muſen weihn

Philoſ. Mag. 1. Gt. G

den

(aw 98 724

den Dichter müffe fruͤh jum Lohne die ſtolz errungne Myrthenkrone «u$ einer ſchoͤnen Hand erfreun!

Wenn leider! dann nach wenig Lenzen ſein ſtiller Huͤgel ſich erhebt, ſo muͤſſen ihn noch Roſen kraͤnzen, auf denen ſanfte Zaͤhren glaͤnzen, wenn Lunas Schimmer ſie umbebt.

Und ſeine Samlung kleiner Lieder,

die jedem Foliantenſchrank

auf Amors flatterndem Gefieder

enteilt belohne ſtiller Dank

von Lippen tugendreicher Schoͤnen,

die ſie zum trauten Saitenſpiel

mit ſeelerhebendem Gefuͤhl,

wie Du, o edle Graͤfin! toͤnen.

Sei dies dann meiner Muſe Ziel! ſo wird ihr Lorber lange gruͤnen, und reizende Philoſophie des Lebens wird alsdenn fuͤr ſie zum blumichten Gewande dienen.

Ja,

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Ja, Graͤfin! biefe Wiſſenſchaft den Reiz der Tugend zu empfinden, ber Weisheit ungeſchwaͤchte Kraft mit ſanften Scherzen zu verbinden; bie ſeelenſtaͤrkende Gedulb mit weiſem Laͤcheln auszuuͤben, und, ſind wir ſelber außer Schuld, uns nie zu graͤmlich zu betruͤben: die ſchwere Kunſt, mit einem Band von Roſen erſt das Herz zu fangen, um uͤber Willen und Verſtand den Sieg ſo leichter zu erlangen; Fuͤr alles Schoͤne dies Gefuͤhl, das in erhabnen Buſen gluͤhet, und uns allmaͤchtig zu dem Ziel der edlen Menſchenliebe ziehet; die reizende Gefaͤlligkeit, die uͤber alle Lebensauen der Freude ſuͤße Veilchen ſtreut; und dieſes innige Vertrauen zum Schoͤpfer, das Zufriedenheit mit Seinem Thun und ſeinem Willen in jedem Traubenkelch uns beut, bei welchem Ernſt und Heiterkeit ſtets lieblich in einander quillen.

G 2 Ja,

T^4*f^ roo """«

Ja, Girüfin! dieſe Harmonie ber nuͤzlichſten Philoſophie entlernen wir nicht duͤſtern Schriften, die hinter Gatterthuͤren ſtehn, bie (lernen voir. auf Blumentriſten, wenn rir mít Dir ſpazieren gehn.

Selmar.

Recen⸗

Secemnftbo memi.

Ie

Verſuch uͤber Gott, die Welt, unb bie men[dy lid)e Seele; burd) bie gegenwaͤrtigen pilofos phiſchen Streitigkeiten veranlaft. Berlin und Stettin 1788. 8.

D. Verfaſſer will die dogmatiſche Metaphyſik gegen Kants Angriffe vertheidigen, und behauptet in der Vorerinnerung: daß die transſcendentale Philoſo⸗ phie nur auf bem Wege bet Analyſis gefunben werde, bag (ie feine neue Wahrheiten entwickeln fónne, bie nicht vorher in ber Anſchauung, ober bem Geſuͤhle gegeben. worden. Auf biefen Gedanken gruͤndet fid) das Syſtem des Verfaſſers, ob er ihm gleich in der Ausfuͤhrung nicht getreu bleibt, da er nicht genugſam zeigt, wie wir durch Abſtraction zu den Begriffen voit transſcendentellen Objecten, unb au Urtheilen uͤber dieſelben gelangen. Wir koͤnnen dem Verfaſſer in ſei⸗ nen muͤhſamen unb oft febr ſcharfſinnigen Unterſuchun⸗

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FXMER yo4 "9

get nicht Schritt vor Schritt fofgen, zumal ba et ſeinem Sybeengange nid immer bie leichteſte Me⸗ thode gegeben fat. Wir wollen alfo nur ben Haupt⸗ infalt bes Werks anzeigen.

f£rfle Abtheilung: Von ben Grünben

ber gemeinen SBernunfterfenntnig von ber. &eele, bet Welt unb Gott. (Cap. 1. Von Crfenntni unb Daſeyn. (38enn e$ S. x8. feift: „Raum unb 3eit finó in bet Anſchauung nicht eher gegeben, al8 bie Objecte, unb werden von biefen abſtrahirt, fo ift das eben bie Streitfrage, voorauf fo viel beruhet; oa Stant ba$ Gegentheil behauptet, unb alfo biefen Satz, fo nackt hingeſtellt, voͤllig verwerflich macht.) Cap. 2. Von ber Ewpfindung unb analogiſchen Schlußart. (Sir) bie unbeſtimmte Behauptung S. 37. daß wit bie innere Natur der ſimultan unb ſucceſſ iv fid) eoexiſti⸗ renden Dinge nicht kennen, verwirft der Verfaſſer den groͤßten Theil der Erkenntniß transſcendeutaler Ob⸗ jecte, die er doch in Schutz genommen hat; es ſey bann, daß er unter Kennen ein anſchauendes unb voll: ſtaͤndiges verſteht.) Cap. 3. Von der Phantaſie. Cap. 4. Von dem Verſtande und der Vernunft in engrer Bedeutung. EEs iſt etwas unerwartet, daß in dieſem Cap. von Traͤumen gehandelt wird. f. $. 11.) Cap. 5. Vom Willen unb feinen Trieben. (Die An⸗ merkung S. 92. baf Adam vor fcinem dalle bie finn; liben

FMUT^ q05 ^29

lien: Ojecte durch bie Imagination eben fo abe be handeln fànnen, voie bie Ideen feiner Phantaſie ſelbſt, ift bod) wol nuc eine Satyre auf 'Doitet ?). Cap. 6, Gemeine Weſenlehre ( Ontolegie) und Syllogiſtik. (Sie bier gegebne Crtlárung des Verſtandes in engrer SDebeutung, roonad) er bat Vermoͤgen, Vieles im einzelnen Dinge gu unterſcheiden, fen fol, ift auf ber cínen Seite ju enge; benn ber Verſtand beſchaͤffti⸗ get fid) mit Begriffen unb Urtheilen, wozu nicht bloß das Unterſcheiden erforderlich iſt; auf der andern Seite zu weit, benn aud) durch bie ſinnliche Erkennt⸗ niß unterſcheiden wir vieles im einzelnen Dinge.) Cap. 7. Wie fid) bie Seele von bet Welt unterſchei— bet. Cap. 8. Ahndung vom Subſtanzweſen. Cap. 9. Von bet Welt. ( Die nad) bes 3Berf. Meinung hetero— doxen Behauptungen von der Welt werden nur ganz kurz abgefertigt. So heißt es z. B. S. 143. der transſcendentale Idealismus wiederſpreche ber. gemei— nen Erſahrung. Kann denn die Erfahrung uͤber Dinge aufer der Vorſtellung entſcheiden?) Cap. ro. Von ber Exiſtenz Gottes, als Weltſchoͤpfers. Wir bringen Ordnung, Schoͤnheit, Harmonie gern hervor; da wir nun dergleichen in der Welt bemerken, ſo ſchließen wir analogiſch auf ein verſtaͤndiges, freies Weſen, als Urheber derſelben. Cap. rx. Von der Unſterblichkeit der Seele, und ihrer Gemeinſchaft mit der Welt. Cap. 12. Ueber die Metaphyſik und

65 Hyper⸗

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Hyperphyſik, obe hen. Inbegriff ber Hypotheſen von ſolchen benfbar fepn ſollenden Erfahrungen, bíe ber Analogie ber phyſiſchen Weitveraͤnderungen wenig ge⸗ maͤß ſind.

Zweite Abtheilung: Syſtem einer trans⸗ ſcendentalen Philoſophie.

I. Weſenlehre. Cap. r. Moͤglichkeit bet trans⸗ fcenbentalen Grfenntnig. (Wir Dátten fier ermartet, eine Beleuchtung ber Sragen zu fiiben : wie fontfeti, ſche Urtheile a priori moͤglich ſeyn? unb o6 man eine Erkenntniß von transfcenbentalen Gegenftánben haben fónne? voit finben aber (tatt teffen einige Semerfun: gen uͤber bie Deutlichkeit unb. Wahrheit bet empiri⸗ ſchen Grfenntnig.) Cap, 2. Von ben allgemeines innerlichen Praͤdicaten (Categoríen , Praͤdicamenten, Beſtimmungen des Reellen) und der Identitaͤt. (Wir muͤſſen hier nur bemerken, daß der Verf. von dem Kantiſchen Begriffe einer Categorie abweicht, und daß er bloß die Einheit als die einzige Categorie anfuͤhrt) Cap. 3. Von ben disjunctiven Praͤdica⸗ ten. Cap. 4. Subjectiviſche Beſtimmungen des Dings, Grad der Realitaͤt oder Moͤglichkeit. Maaß ber. Nealitaͤt, (einfache Voillkommenheit, ober Gut.) S. 196. 197. wird die Meinung geaͤußert: das Bei⸗ ſammenſeyn aller Praͤdicate ſey die Exiſtenz; das Bei⸗

ſam⸗

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menſeyn einiger bie Moͤglichkeit, unb zwar ber innetn, bie innere, unb ber. áufern, bie áufere Moͤglichteit. (Allein wenn id) alle Praͤdicate, bie innern unb áufern, b. i. bie innere unb áufere Moͤglichkeit zuſammenſetze, fo ift aud) ba$ Gange immer nur nod; Moͤglichkeit. Der ganze Sjnbeariff ber fDrábicate fann aud) blog in ber Vorſtellung beifammen ſeyn. Der Verf. ſcheint auch die verzweifelte Sache ſelbſt aufzugeben, indem er €. 196. ſagt: Dieſe Saͤltze leuchten durch Analyſe der Begriffe ein; wer ſie laͤugnet, mit dem iſt nichts anzufangen.) Cap. 5. Von den Verhaͤltnißen. Uebereinſtimmung, Succeſſion, Cohaͤrenz unb. Inhaͤ⸗ renz (Caußalzuſammenhang).

2, Seelenlehre. Cap. 1. Egoitaͤt, Perſonali⸗ taͤt, Ginfad)beit. ap. 2. Von bem Willen unb ber Freiheit. (entfált nichts Neues oter Befriedigen⸗ des.) Cap. 3. Von der Gemeinſchaft der Seele mit dem Koͤrper, ihrer Praͤexiſtenz und Unſterblichkeit.

3. Weltlehre. Cap, x. Von bem Zuſammen⸗ fange ber Weltſubſtanzen. Der Egoismus vermor; fen. Die vorferbeftimmte lebereinftimmung verthei⸗ bigt. Cap. 2. Von ber Vollkommenheit ber Welt: C$ giebt keine Blinbe Nothwendigkeit, feinen 3 ufall ; Subſtanzen, die in$ Unendliche ire Vollkommenheit vermehten, bringen eine groͤßre Summe von Voll—⸗

foin:

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fommenfjeit in ber Welt Gervor, als anbre; daher Unſterblichkeit. Phyſiſches unb moraliſches Mebel.

4. Natuͤrliche Theologie. Cap. x. Abhaͤngige⸗ keit der Welt: Ein Fortgang der Urſachen ins Unend⸗ liche, ift unmoͤglich. Etwas gegen Spinoza u. f. w. Cap. 2. Phyſicotheologiſcher Beweis des Daſeyns G'otte$ wird verworſen: weil alles Vollkommene zur Wuͤrklichkeit fommen muß, ſchon deßwegen; weil es vollkommen iſt. Cap. 3. Beweis des Daſeyns Got⸗ tes a priori. (C$ ift von einem Schriftſteller, als ber gegeniváctige, befremdend, menn mat hier aud) 3meís (el von ber Art mit unter finbet: ,, Bielleid)t giebt es fein abjotut unendliches Subſtanzweſen, fo wie e$ feine abfotut unenblid)e Sigur geben Éann. ,,)

Dritte XMbtbeilung: Etwas uͤber Santé riti ber reinen 9Sernunft. Cap. r. Von Erkennt⸗ nif unb Daſeyn. Cap, 2. Von ber Orbnung bet e"ften. SSegriffe. Cap. 3. Von bet Analyſis unb Syntheſis. Cap. 4. SBerfud) einer Beurtheilung be Kantiſchen Angriffs auf bie alte Metaphyſik. Cap. s. Schwierigkeiten, Sant mit (id) felbft zu vereintgen. Viele Vorwuͤrſe, bie in dieſer Abtheilung gegen das Kantiſche Syſtem vorgebracht werden, treffen daſſelbe nicht. So heißt es S. 335. „Nach Kants Syſteme iſt das, welches unter den Schemen Raum und Zeit

ſub⸗

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ſubſumirt unb ín bie Form des Denkens gebracht tvitb, ſo wie dieſe Scheme und Formen, an und fuͤr ſich Süidté., Kant behauptet nur, daß bie Sinnenwelt verſchwinde, wenn man bie ſubjective Einrichtung unſrer Siunnlichkeit aufhebt, Grit. b. r. V. x. Ausg. €. 42. unb beweiſet ausdruͤcklich, daß bie Eriſtenz bec Dinge außer uns nothwendig ſey, Grit. 2te Ausg. S. 274. Als ein Beiſpiel, voie ber Verf. gegen bie Kantiſchen Behauptungen zuweilen ſtreitet, mag die Widerlegung des Beweiſes ber erſten Antinomie, rit, X. Mué£g. €. 370. 371. dienen, melde S. 371. fo lautet : „Wie fani mai aber nun fagen, bag bic 98elt weder enblid) nod) unenb(íd) (ep? Iſts benn nidt notfwenbig, I) baf entweder bie Erſcheinungen der benfenben Cubftangen niemals angefangen haben unb níemaf$ enben merben, oder bafi fie einen Anfang unb Cnbe haben? 2) Daß ein Weſen in. ber Welt, welches auf einmal nut einen. begrángten 9taum mit bec Vorſtellung umfpannen fann, bie Welt (tufenrocife mit ben Gebanfen umfaffen fónne, oder nit? Vom Nichts (affen fid) freilich Widerſpruͤche prábiciren, aber die Erſcheinungen ſind ja nicht Nichts. Sonſt hoͤrte alles Denken auf, weil nad) Kants eigner Dei nung gar nichts da iſt, woruͤber wir raiſonniren koͤn⸗ nen, als die Erſcheinungen unb ihre Sormen. ,

So

FMAvÉ^ IrIO «uw

So wie toir mit Vergnuͤgen Bemerfen, daß üt 6er. ganzen Abhandlung mande fdjarfe Blicke vorfom: men, fo finben fid) dergleichen aud) im dieſer britten Abtheilung 3. 5. €. 379. 1. 391. ꝛc. Was 6. 4. €. 410. :«. gefaat roítb, leuchtet uné vàllig ein. Denn menn baé Noumenon für míd) weder móglid) nod) unmóglid), wenn e$ ein ens rationis, ein Nichts für mid ift, fo fann fcin Glaube an baffelbe (tattfin: ben, ber bod) nothwendig eine Erkenntniß ber Moͤg⸗ lichkeit bet Sache voraus[cet.

8.

2.

KVER III ^" FO 7H-7]])H-H £4 3 ]HPHEIPIHHHHLHSS

2.

Zweifel libet bie Kantiſchen Begriffe von Qeit unb Raum, von Adam Weishaupt. Nuͤrnberg 1788. 8.

J. Abſicht der Reſultate, die Kant aus ſeinen Unterſuchungen uͤber bie Natur ber. menſchlichen Gv; kenntniß zieht, ſtimmt der Verfaſſer mit ihm uͤberein. Er glaubt mit ihm, daß unſte ganze Philoſophie nur eine Philoſophie der Erſcheinungen ſey; nur ge⸗ langt er, wie er ſagt, in ſeinem Syſteme, zu eben den Reſultaten auf einem ganz andern Wege auf bem Wege ber Erfahrungen (S. 7.). Das, worin er von Kant vorzuͤglich abweicht, iſt die Behauptung; daß weder ber Verſtand, noch bie Sinnlichkeit ges wiſſe Formen und Bedinqungen haben, daß alſo Raum und Zeit nicht die Formen der Sinnlichkeit ſeyen, und daß wir dieſe beiden Vorſtellungen nicht nnabhaͤngig von ber Erfahrung beſitzen (S. 8.).

Um

1I12 ö

Um ſeine Meinung ins Licht zu ſetzen, giebt der Verf. zuerſt eine kurze Darſtellung des Kantiſchen Syſtems in Beziehung auf Raum und Zeit 6. 3.; alsdann geht er die moͤglichen Vorſtellungsarten von Raum und Zeit durch.

Die erſte Vorſtellungsart, nach welcher Raum und Zeit als Nichts gedacht werben, kann bie San: tiſche nicht ſeyn; benn menn R. unb 3. Formen bet Sinnlichkeit ſeyn ſollen, ſo koͤnnen ſie nicht Nichts ſeyn. Nach dem rohen Begriffe ſtellt man ſich den Raum als Nichts vor; nicht ſo aber die Zeit, dieſe iſt im gemeinen Leben nichts andres, als ein beſtimm⸗ tes, groͤßres ober kleineres, Zeitmaaß. $. 4. 5. 6.

Sweyte Vorſtellungsart, $. 7.: Der 9taum als Etwas, vorzuͤglich als Subſtanz, betrachtet. ( Wenn es S. 48. heißt: „alle &ubftanyen*finb un: durchdringlich, befinden fid) außer einander, unb wer— ben dadurch ber Grund unſrer Vorſtellung von Aus— dehnung; „ſo ift das theils cine pet, princ. denn dis iſt es gerade, was Kant laͤugnet theils offen⸗ bar ein zu allgemeiner Satz. Nur unſrer ſinnlichen Vorſtellungsart nad) befinden fid) bie Subſtanzen au fet einanbers aber nit als íntelligibele Gegenſtaͤnde, ba fállt alles Außereinanderſeyn weg.) Der Raum kann nad) bem Kantiſchen Syſteme keine Subſtanz

ſeyn,

F*A»f^ ry15 ^w34«*

fen, $. 9.3. benn als fofde fónnte ec feine Form ber Sinnlichkeit ſeyn, weil et. eine von dieſer abges ſonderte Crifteny haͤtte. Er fann aber aud) aufer dieſem v(teme niemals eíne Subſtanz feyn, $. 9.; benn, waͤr er eine Subſtanz, fo waͤren alle anbere Dinge, weil (ic nid)t aufer tem Raume (inb, keine Subſtanzen, alles waͤre Modification emer. einzigen Subſtanz. (Dis ſtuͤtzt (id auf $. 7, unb faͤllt mit biefem weg. Die bei dieſer Gelegenheit gemachten Anmerkungen uͤber Spinozas Syſtem gehoͤren gar nicht hieher, denn es iſt von dem Kantiſchen Syſteme die Rede, welches mit jenem in dieſer Hinſicht gar nichts gemein hat; ſie ſind uͤberdem zum Theil unbefriedigend, unb unerwieſen, wie z. B. dieſe S. 51:1: baf beim Spinoza alles auf verwor— renen Begtiffen von Raum und Aucedehnung

beruhe.)

Wenn man ($. 10.) ben Raum als ein Accidenz hetrachtet, ſo giebt es dabey drey Faͤlle: der Raum iſt entweder 1) ein ausſchließendes Praͤdicat der Dinge außer uns, oder blos objectiv; oder 2) eine aus ſchließende Eigenſchaft, unb Accidenz unicer cele, b. i. blos ſubjectiv; oder 3) er ift ein Accidenz vor beiden zugleich, b. b. theils objectio, theils ſub⸗ jectiv ein Verhaͤltniß.

Philoſ. Mag. 1. St. H Die

114 «aet

Die Meinung, bie ba$ erfle annimmt, ift (8. 11.) bie dritte Vorſtellungeart vom Siaume, unb nicht ſowol falid), als unvollſtaͤndig. Sie erklaͤrt nur, was Raum unb Zeit am ſich, aufer ber Vor— ſtellung ſeyn und ba ſind fie nichts als bie Gegen— ſtaͤnde ſelbſt; ihr Aufeinanderfolgen, unb ihr Neben⸗ einanderſeyn aber bie Frage: was unſte Vorſtel⸗ lung von Zeit unb Raume ſeye? woher dieſe entſtehe? Bleibt unberuͤhrt. (Die $. 7. bemerkte petit. princ. fait bier woieber in bie Augen.)

Die vierte Vorſtellungsart (6. 12.) betrachtet ben Raum als blos fubjectiv; unb biefe i(t bie Stan: tiſche. Waͤren Raum unb 3eit blos fubjectio, truͤ⸗ get ^ie aͤußern Gegenſtaͤnde gar nichts dazu bei; fo muͤßten und koͤnnten wir auch Gegenſtaͤnde außer uns gewahr werden, wenn auch keine Gegenſtaͤnde waͤren, wenn auch keine auf uns wirkten. Wir haͤtten dann alle Gruͤnde, das Daſeyn ber Dinge aufier uns zu leugnen. Denn da alle Dinge nur mit Raum und Zeit vorgeſtellt werden koͤnnen, da der Raum die Form unſrer Sinnlichkeit iſt, da wir ſogar, kraft dieſer Form, Gegenſtaände erkennen wuͤrden, wenn aud) keine vorhanden waͤren: fo ſind alle Dinge blos in unſrer Vorſtellung wirklich. (Folgende Bemer⸗ kungen fallen von ſelbſt in die Augen: 1) Geſetzt, der aufgeſtellte Satz waͤre richtig, ſo muͤßten wir uns die

Fol⸗

F.M IIS nA: 7^2]

Folgen barau$ gefallen faffen. Die (eere Declama⸗ tion, bit der Verf. €. 60. unb 61. hinzufuͤgt, fann nidjt$ beweiſen. 2) Der fegnfollenbe Beweis be$ aufaeftellten Gates iſt cine loge Wiederholung be$ Satzes felbft. 3) Wird vom Moͤglichen aufs Wirk— lide geſchloſſen. Wenn die aͤußerlichen Dinge nicbtà gu unſern Vorſtellungen beytragen, fo ift es moͤglich, daß wir Vorſtellungen von Dingen, als außer uns, haben, und daß es ſolche Dinge demohnerachtet nicht giebt; aber deswegen noch nicht wirklich. 4) Iſt es ein bittweiſe angenommener Satz: wenn der Raum und die Zeit die nur Einrichtungen unſrer Sinnlichkeit, nach Kants Syſteme, ſind von den aͤußerlichen Gegenftauben unabhaͤugig (inb; fo koͤnnen auch die Vorſtellungen von den Dingen im Raume und in der Zeit davon abhaͤngig ſeyn. 5) Der Verf. verraͤth eine Unbekanntſchaft mit bem Kantiſchen Sy⸗ ſteme (verat. S. 64.), gegen welche er in ber Vor— erinnerung fo ſehr proteſtirte. Kant ſagt ausdruͤck⸗ lich: Eine Anſchauung findet nur ſtatt, ſo ſern uns der Gegenſtand gegeben wird; dieſes aber iſt nur da— durch moͤglich, daß er das Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe afficire, Crit. ate Aueg. €. 355. unb an einem an: bern Orte. ( €. 274 :€.)) beweiſet ec fegar das Da: ſeyn ber Gegenftánbe aufer uns.) Die mreiter aus— gefuͤhrte Widerlegung ber Kantiſchen Theorie $. 13. bis 15. ſtuͤtzt fid) auf $. 12.

$a Die

116 ae

Die fünfte Erklaͤrungeart nímmt ben. 9taum und e 3eít, als theils objecti, theils fubjectio am. Wenn nuc fünf Erklaͤrungsarten einer Sache moͤglich ſind, (tec Verfaſſer fordert jeden auf, cine ſechste vom Raume zu finden,) und wenn vier davon falſch beſunden werden, fo muß die fünfte bie wahre ſeyn. Es bieibt alfo nichts uͤbrig, als anzunehmen, daß Raum und Zeit theils objectiv, theils ſubjectiv, alſo Verhaͤltniſſe, ſeyn. F. 16 :c. erlaͤutert ber Verfaſſer ziemlich vollſtändig, voie er (if dieſen von ibi in Schutz gcenommenen Begriff bcé Raumes unb der Zeit vorſtelle, und was von Seiten der vorſtellenden Kraft unb. der Gegenſtaͤnde aufer. derſelben dazu etr ſordert werde.

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Philoſophiſches Magazin.

Herausgegeben

von

Johann Auguſt Eberhard.

$weytee Stuͤck.

HALLE, bey Johann Jacob Gebauer. 1788.

HR cv C

I. Ueber bie tranéfcenbentale Aeſthetik.

D. , bet mit einem forſchenden Auge bie Welt bet. Erſcheinungen Betradjtet, kann die Frage keinesweges gleichguͤltig ſeyn, ob die Dinge, die ihm feine Sinne vorſtellen, wirkliche, und aufer ber Vor⸗ ſtellung vorhandene Gegenſtaͤnde ſeyen, ob ihnen we⸗ nigſtens dergleichen zum Grunde liegen, oder ob er fid) gleichſam vor einem Zauberſpiegel befinde, unb mit leeren Blendwerken unaufhoͤrlich getáufdot werde? Man ſieht leicht, daß die Beantwortung dieſer Frage von der Natur der Vorſtellungen abhange, die bey al⸗ len Wahrnehmungen gum Grunde liegen, als bie einfach⸗ ſten aller ſinnlichen Vorſtellungen, ob fie bloß für bie finn [ide Grtenntnif, ober aud) für ben 9Berftanb unauflóstid) finb ? Alles aber, was wahrgenommen wird, tbeilt fid) in zwey Gattungen, deren eine die Gegenſtaͤnde enthaͤlt, die als außer uns, die andere aber diejenigen, die nicht als außer uns vorgeſtellt werden. Die Faͤhigkeit, Gegen⸗

Philoſ. Mag. a. St. J ſtaͤnde

F(AvK^ I1 ^T

ſtaͤnde von br erſtern Art wahrzunehmen, ift bec aͤußere Sinn, fo wie men unter oem. innern. oenje: nigen verſteht, ber uns Gegenſtaͤnde von oer andern Art amchauen faft. *) Daß nun dasjenige, was bey allen Gegenſtaͤnden des aͤußern Sinnes nothwen⸗ digerweiſe gum Grunde liegt, der Raum ſey, imglei⸗

chen

*) €» alaubte ich ben Unlerſchied zwiſchen aͤuherm unb innerm Sinn angeben gu muͤſſen, in Beſiehung auf bie Unterſuchungen in Kants* traneſcendentaler Aeſthe— tif. Das was inan gewoͤhnlich unter aͤußern Sinnen denkt, fani bier. eicbt gemeint ſeyn, weil ſonſt bie Behauſtung, daß der Raum ihre allgemeine Form ſey, nicht beſtehen koͤnnte. Geruch und Geſchmack ſtellen keine Erſcheinungen im Raume ver; unb daß ein Menſch, ber ber Geſichtsfaähigkeit gaͤnzlich beraubt waͤre, durch das Gefübl cine Vorſtellung vom Raume bekommen mürec, laͤßt fi aud) nicht erweiſen. Wenn man ſagt, daß durch die ſucceſſive oder ſimul⸗ taniſche Betaſtung mehrerer neben. einander ſeyender Koͤeber die Vorſtellung von Raume entwickelt werden muͤſſe, ſo folgt das nicht. Es wuͤrde dadurch bloß bie Vorſiellung mehrerer von. einander verſchiedener, abcr nicht dem Raume nach außer einander befindli⸗ cher, Gefuͤhle entſtehen; ja nicht einmal bie Vorſtel⸗ lung von etwas außer uns daſeyendem; denn das Gefuͤhl ſtellt bie Gegenſtaͤnde nicht vor, inſofern fie außer uns ſind. Wenn aber auch die Vorſtellung vom Raume durchs Gefuͤhl entwickelt werden koͤnnte, fo muͤßte doch das Merkmal der Impenetrabilitaͤt darin verwebt ſehn.

fXvfh IIQ e$»

den baf ble 3eit alle Vorſtellungen des innern Sin⸗ nes Begleite, ijt eine SSeimerfung , bie einem aufmetf, famen. Beobachter nicht leicht entgehen kann. Allein die wahre Natur unb. Beſchaffenheit des Raums unb der Seit mit voͤlliger Gewißheit zu beſtimmen, (moo: von doch das Urtheil uͤber die ganze Welt der Erſchei⸗ nungen abhaͤngt,) ift mit viel groͤßern Schwierigkei— ten verknuͤpft, und die Behauptungen der groͤßten Weltweiſen ſind daruͤber getheilt. Entweder nimmt man an, daß Raum unb Zeit bloß Formen unſrer Sinnlichkeit ſeyn, d. i. bloß eine gewiſſe Cinrichtung unſres ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgens bebenten, nad) welcher mit gezwungen ſind, uns Me ſinnlichen Ger genſtaͤnde ſo und nicht anders vorzuſtellen, daß alſo nichts außer unſrer Vorſtellung ihnen entſprechendes vorhanden ſey; oder man erklaͤrt ſich fuͤrs Gegeutheil, und iſt alſo der Meinung, daß dem Raume und der Zeit auch außer unſerer Vorſtellung etwas entſpreche. Die erſtre Behauptung (ft e$, die in unſren Tagen an dem beruͤhmten Koͤnigsbergiſchen Weltweiſen einen fo großen Vertheidiger gefunden fat, unb woruͤber mir jetzt einige Bemerkungen zu machen erlaubt ſey.

Da tie Theorie des gedachten ſcharſſinnigen Den⸗ kers nicht allein von bem bisher faſt allgemein fuͤr guͤltig erkannten metaphyſiſchen Syſteme, ſondern auch von der Vorſtellungsart abweicht, die ſich der

ja ſchlich⸗

FT I20 «ua

ſchlichte Menſchenverſtand vom Naume unb. von. bec Zeit macht, ſo mußte er ſie allerdings mit ſtrengen, untadelhaſten Beweiſen ausruͤſten, wenn er fie gegen alle Augriffe ſicher ſtellen wollte, Ob dieſes nun. ger ſchehen feo, daran laͤßtiſich, fo viel ich einſehe, nod) immer zweifeln, und daß es, wenn es durch Kant nicht geleiſtet wurde, auch nicht habe geſchehen koͤnnen, das (ap: fid) mit allem Rechte vermuthen.

Der Geiſt des Kantiſchen Syſtems fuͤhrt unver⸗ meidlich auf bie Behauptung, bie aud) Kant an meh⸗ term Orten áufert, bag mir von ben Dingen, voie fte an fid ſeyn moͤgen, ſchlechterdings nidjt$ wiſſen, baf mit in Abſicht aller ibrer innern unb áuferlid)en Be⸗ ftimmungen eine gaͤnzliche Unwiſſenheit zu geſtehen ge zwungen ſind, und von keiner einzigen derſelben ſagen koͤnnen, daß ſie ihnen zukomme oder nicht zukomme; ja daß uns ſogar nicht einmal von der Moͤglichkeit un⸗ ſerer Begriffe (der logiſchen) auf die Moͤglichkeit ber Dinge (bie reale) zu ſchließen vergoͤnnet ift. (Ct. b. r. V. r. Ausg. €. 596.) Wenn nun dies alles ſeine Richtigkeit hat, ſo duͤrfte dadurch auch die Moͤg⸗ lichkeit und Wahrheit der Behauptung, daß Raum unb Zeit bloß ſubjective Fotmen ber Sinnlichkeit ſeyn, daß ihnen in den Dingen an ſich gar nichts entſpre⸗ che, aufgehoben werden; benn in Abſicht einer Be⸗ ſtimmung der Dinge an ſich koͤnnen wir weder etwas

beja⸗

F^u»T IA2I mra

bejahen, nod) verneinen, unb ihnen fofafíf auch bas fprábicat des Raumes unb ber Seit rocher abſprechen, nod) zuerkennen. Hieraus laͤßt fid) qum voraus ein⸗ feben, bag bie Beweiſe für bie angefuͤhrte Behaup⸗ tung in ber transfcenbentalen Aeſthetik nicht ganz bin: laͤnglich feyn, ſondern hoͤchſtens nur fo weit reichen koͤnnen, als nothwendig tft, um darzuthun, daß Raum unb Zeit bey uns ſubjective Formen ber Sinn⸗ lichkeit ſeyn; woraus aber noch nicht erhellt, daß ſie bloß ſolche ſind, und daß ihnen in den Dingen außer ber Vorſtellung nichts entſpricht. ») Wenn aber die Kantiſche Theorie von Naum unb Zeit unerſchuͤtterlich feſt ſtehen ſoll, ſo iſt der Satz, daß wir uns in einer gaͤnzlichen Unwiſſenheit gu fSeftimmungen ber Dinge

3 an

*) Man bat geglaubt, bie &anti(be Zbeorie baburd) ju tetten, ba nan fagte: ,, Der Satz, daß dem Raum unb ber 2eit, meni (ie aud) fubjectioc Formen ber Sinnlichkeit ſeyn, bed) etmas außer bcr Vorſtellung entſprechen fónne, ſey eiue blofe Hypotheſe unb alſo unjufáffig ; uͤberdem ſpreche man ben Dingen an fid ellc Praͤdieate des Raums unb ber 3cit ab.,,— 2lbct man bebadcbte dabey nicbt, v? daß eine Wahrheit, bie ſelbſt nicht Hypotheſe, ienbern apodictiſch gewiß ſeyn ſoll, auch die Moͤglichkeit des Gegentheils aufheben muͤſſe. 2) 2f man bic Praͤdicate des Ruums unb ber Zeit, ben Dingen an fib nur abſpreche, inſofern man (ie als innerliche Praͤdicate von ibuen bt: tractet.

f^uvT^ [22

an fid) Sefinben, nothwendig verwerflich; denn es werden in dieſer Theorie die Praͤdicate von Raum und Zeit den Dingen an ſich abgeſprochen. Dies wird nod) mehr beſtatiat, wenn mar bedenkt, daß fid) bie Behauptungen von der Nichtigkeit unſrer Erkennt— niß der Dinge an fid) auf die transſcendentale Aeſthe— tik ſtuͤtzen. Es iſt naͤmlich unmoͤglich, aus einem Satze ſein Gegentheil, einen ihm widerſprechenden Satz herzuleiten; es iſt folglich unmoͤglich, aus einem Satze, worin ich bie Moͤglichkeit, über Dinge an ſich zu urtheilen, dadurch anerkenne, daß ich ihnen gewiſſe Beſtimmungen (Raum und Zeit) abſpreche, den Satz herzuleiten: daß es ſchlechthin unmoͤglich ſey, uͤber Dinge an ſich zu urtheilen, ihnen irgend eine denkbare Beſtimmung zuzuſchreiben, oder abzu— ſprechen.

Ich weiß nicht, auf welcher Seite dem Kantiſchen Syſteme mehr Abbruch geſchehen duͤrfte, wenn man entweder die Lehre von Raum und Zeit aͤnderte, um der Behauptung getreu zu bleiben, daß man von den Dingen an fid) gat nichts wiſſen koͤnne, oder menn man dieſe Behauptung aufgaͤbe, um die Guͤltigkeit jener Lehren zu vertheidigen. So viel ſehe ich inzwi⸗ ſchen ein, daß auf ber einen Seite bie apodictiſche Ges wißheit, die Kant bey Unterſuchungen dieſer Art ſchlechterdings verlangt ( Vorr. gut Gr. b. t. V.), in

Ki:

KMOTA 123 ^WAc»

ſeinem Syſteme zugleich mit ber ſtrengen unb genauen Wahrheit feiner transicenbentalen Aeſthetik aufgeboben werde; unb baf/auf ber anbern Seite bíe wichtigſten Saͤtze feines Lehrgebaͤudes verlohren gehen.

Nach dieſer allgemeinen Betrachtung uͤber die Moͤglichkeit der Beweiſe, wodurch im Kantiſchen Syſtem bie einzig ſubjective Natur des Raums unb der Zeit erhaͤrtet werden ſoll, will ich die einzelnen Gruͤnde, die zu dieſem Behuſe gebraucht werden, ganz kurz etwas naͤher erwaͤgen.

Vom Raume.

Kant ſagt I. „Der Raum ift fein empiriſcher Be⸗ griff, der von aͤußern Erfahrungen abgezogen waͤre. Denn damit gewiſſe Empfindungen auf etwas außer mid) bezogen werden (b. i. auf etwas ín einem art; bern. Orte des Raumes, als darin id) mid) befinbc) ; imgleichen damit id) fic al8 aufer cinanber, mithin nicht bloß als verſchieden, fonbern als (n verſchiedenen Orten vorſtellen koͤnne; dazu muß die Vorſtellung des Raums ſchon zum Grunde liegen. Demnach kann die Vorſtellung des Raums nicht aus den Verhältniſſen der aͤußern Erſcheinung durch Erfahrung erborgt ſeyn, ſondern dieſe aͤußere Cefabrung it ſelbſt nur durch ge; gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich.

J4 Die

KMPT^ [q24,

Die Wahrheit be& Unterſatzes in dieſem Schluſſe raͤume ich ein, und bin uͤberzeugt, daß die Vorſtellung des Raums zum Grunde liege, ſo bald wir uns irgend etwas als außer uns, oder als außer einander geden⸗ ken. Aber mit dem daraus hergeleiteten Schlußſatze, daß der Raum demnach kein empiriſcher Begriff ſey, ſondern vor aller Erſahrung ín ber Seele vorhergehe, Bin ich deewegen noch nicht einverſtanden: weil bet Oberſatz, worauf er ſich ſtuͤtzt, nach meinem Beduͤn⸗ fen unrichtig ift. Dieſer Oberſatz lautet: Eine Bot; ſtellung A, bie bei einer Vorſtellung B. nothwendig zum Grunde liegt, iſt nicht aus B genommen, ſon⸗ bern muß vor derſelben daſeyn. Allein wenn B nicht gedacht werden kann ohne A, oder wenn A dem B nothwendig zum Grunde liegt, ſo iſt freilich noth⸗ wendig, daß A geſetzt werde, fo bald B aefeGt wird; aber es giebt zwey Faͤlle: entweder geht A vor B vorauf, oder es wird zugleich mit demſelben gegeben, und nachher durch Abſtraction davon abgeſondert, und allein gedacht. Der Satz: bie Vorſtellung A (bie bey B nothwendig gum Grunde liegt) kann nicht aus B genommen ſeyn, ſondern muß vor demſelben voti aufgehen, iſt demnach augenſcheinlich unrichtig; und mithin auch alles, was daraus hergeleitet wird. Wenn alfo aud) bie Vorſtellung des Naums bey jeder Empfin⸗ dung, die ich auf etwas als außer mir beziehe, und worin id) etwas als außer einander gedenke, noth—

wendig

PT I25 ^w»

wendig um Grunde liegt, fo ſolgt bod) daraus nicht, daß ſie vor den Empfindungen des außer mir und außer einander befindlichen vorauſgehe; ſie kann auch zugleich mit denſelben gegeben, unb. nachher durch Ab⸗ ſtraction zu einer beſondern Vorſtellung gemacht wer⸗ den. Der Raum kann alſo gar wohl ein empiriſcher Begriff ſeyn.

Da hier noch nicht bewieſen iſt, ſondern aus den vorliegenden Schluͤſſen erſt gefolgert werden ſoll, daß der Raum nichts in den Dingen außer der Vorſtellung, ſondern bioß eine ſubjective Form ſey: ſo laͤßt ſich auch hier nod) das Gegentheil annehmen. Man koͤnnte demnach ſagen: der Raum iſt ein Verhaͤltniß, das den Dingen, ſofern fie als aufer tir, ober als aufer ein⸗ ander erſcheinen, nothwendig zukoͤmmt; daher kann id) dieſelben, in ſofery id) fie als außer mir, ober als aufer cínanber ver(telle, nicht ohne ben Raum 9er benfen ; bie Vorſtellung des Raums liegt babey notf: voenbíg aum Grunde, unb mito eben dadurch, baf Vorſtelllingen von Dingen, als aufer mir, unb als außereinander, geſelzt werden, aud) mit geſetzt. Nach—⸗ her wird ſie durch Abſtraction zu einer abgeſonderten Vorſtellung gemacht, unb ift alſo allerdings ein. em; piriſcher Begriff.

35 Kant

126 4^ Stant Befauptet ferner :

II. „Der 9taum iff. eine nothwendige 9Aorftel: luna, a priori, bie affen aufern 2fnfdjauungen jum Grunde liegt. Man fann fid) niemat$ eine SBorftefz [ung davon madjen, bafi fein 9taum fey, ob man (id) gleich oan; wohl tenfen faun, baf feine Gegenſtaͤnde batín angetroffen werden. Cr wird affo als bie 5e; bíngung ber Moͤglichkeit ber. Erſcheinungen, unb nicht als eíne von ifnen abhangende Seftmmung angeſehen, unb ift eine Vorſtellung a priori, die nothwendigerweiſe aͤußern Erſcheinungen 3um Grun⸗ be liegt.,

Sin dieſem Argumente wird aus ber Nothwen⸗ bigfeit ber. Vorſtellung vom Raume, unb ber Zufaͤl⸗ liafeit ber Erſcheinungen ín bemfelben hergeleitet, daß bie letztern allererſt butd) ben Staum móglid) werben, unb daß bicjer aljo nid)t eine von ihnen a6fangenbe Beſtimmung, fonbern vie(mefr eine a priori vor (5s nen vorbergcbenbe Verſtellung ſeyn müffe. Sant et: f(árt fellft, mie ev bep ats wolle verſtanden wiſſen, baf bir Jtaum eine nothwendige Vorſtellung ſey, in: bem ec fingufeGt: man fann e$ fid) niemals benfen, baj kein Raum'ſey, ober, welches eben bas ift, man fann ben Gegenſtand der Vorſtellung vom Staume ín Gedanken nie aufheben; unb ber Schluß, woraus die

Priori⸗

mM^T I27

Prioritaͤt bet Vorſtellung vom Jtaume ,erfártet werden ſoll, iſt vollſtaͤndig dieſer:

Wenn etwas (A) eine nothwendige Vorſtellung iſt, etwas andres aber (B), das in A angetroffen wird, ift feine nothwendige Vorſtellung, ſo ift A die Bedingung der Moͤglichkeit von B, und nicht von B abhangig. Nun aber iſt der Raum eine nothwendige Vorſtellung (er kann in Gedanken nicht aufgehoben werden), die Erſcheinungen hingegen, die darin an— getroſfen werden, fino keine nothwendige Vorſtellun— gen «fie laſſen ſich alle wegdenken). Alſo iſt ber Raum bie Bedingung bet Moͤaglichkeit ber Erſcheinun— gen, uno nicht von ihnen abhangig.

Gegen dieſen Schluß ift, moie mir deucht, fot gendes zu erinnern: wenn A eine nothwendige Vor⸗ ſtellung ift, unb das darin enthaltene B. nicht, fo be: beutet das blof cin Verhaͤltniß, das A unb B. gegen mein 9Bor(tellungévermógen haben, nicht aber ein fol: d$, das ibnen unter einanber gufáme; moburd) ir Grund (bie 95ebingung) ber Moͤglichkeit, fomol von A, als ven B, ganz unbeftimmt bleibt; unb e$ giebt hiebey eren Faͤlle: entweder ift A ber Grund (bie Be— dingung) ber Moͤglichkeit von B, oder B von A, oder beibe faben ben Grund ibrer Moͤglichkeit in einem tritten C. Aus A, welches eine nothwendige Vorſtel⸗

lung

(FAV i28

lung ift, fan man, in fofern es eine notbwenoige yorfiellung iſt, nicht bie Moͤglichkeit eines nicht nothwendigen B, welches ín bem nachherigen Bewußt—⸗ ſeyn in A angetroffen wird, begreifen. Daher iſt bet Oberſatz in bem vorliegenden Schluſſe offenbar ur zulaͤſſig; mithin fáfft auch bie darauf beruhende Fol⸗ gerung weg: daß der Raum, der eine nothwendige Vorſtellung ift, die Bedingung ber Moͤglichkeit bet Grídeinungen, tie darin angetroffen rocréen, nicht nothwendig ſind, und alſo keine von ihnen abhangende Beſtimmung ſey.

Inzwiſchen, wenn man den Satz auch zugeben wollte, daß die nothwendige Vorſtellung des Raumes die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſcheinungen ſey; fo ſolgt bed) daraus ned lange nicht, daß der Raum als cine, von ben Erſcheinungen unabbángige , notf: wendige Vorſtellung a priori, daſeyn müff. Gt fann aud) dann cin empiriſcher Begriff ſeyn. Denn

I. menn A (ber Raum) bie Bedingung, ober bet Grund eer Moͤglichkeit von B (eem Erſchei⸗ nungen) iſt; fe folgt: daß A geſetzt fep, fo» bald B geſetzt wird. Nun fann A entweder voranfachen, oder zugleich mit B gegeben, unb nadie bavon abgeſondert unb befonberó wot;

geſtellt

FT I29 *"—*

geſtellt werden Cf. I.); alfo A fann ein empiris ſcher Begriff feyn.

. Wollte man aber einwenden, ein empiriſcher Be⸗ griff koͤnne nicht nothwendig ſeyn: ſo iſt einmal davon hier gar die Rede nicht, und der obige Schluß wuͤrde alſo dadurch, wenn es auch wahr waͤre, nicht richtig werden; und ſodann liegt bie Nothwendigkeit ber Vorſtellung des Raumes, wenn er auch ein empiriſcher Begriff iſt, vor Augen. So bald mir ben Raum als nicht ba: ſeyend vorſtellen, oder ihm das Praͤdicat der Exiſtenz abſprechen wollen, beziehen wir eben dadurch unſre Gedanken auf etwas außer uns, und ſtellen uns alſo eben dadurch den Raum als daſeyend vot; unb weil ric" feinen Widerſpruch benfen fónnen, fo vermóaen mir nicht, ihm qu: gleich bas 'Drabirat bed Daſeyns abzuſprechen.

Der dritte Kantiſche Lehrſatz vom Raume

lautet:

III. „Auf dieſe (Nr. I1. gedachte) Nothwen—⸗

digkeit a priori gruͤndet fid) bie apodictiſche Gewißheit aller geometriſchen Grundſatze, und die Moͤglichkeit ihter Conftructienen a. priori, Waͤre naͤmlich dieſe Vorſtellung des Raums ein a pofteriori erworbner

Be⸗

WT Iq130 ^vi

Begriff, bet aus bet. allgemeinen. aͤußern Erfahrung geſchoͤpft mare, fo wuͤrden Bie erſten Grundſaͤtze bet mathematiſchen Beſtimmung nichts als Wahrnehmun—⸗ gen ſeyn. Sie haͤtten alſo alle Zufalligkeit ber Wahr—⸗ nehmungen; unb es waͤre eben nicht nothwendig, daß zwiſchen zween Puncten nur cine grade Linie fen, fon: dern die Erſahrung wuͤrde es ſo jederzeit lehren. Was von der Erfahrung entleint iſt, hat aud) nur compar rative Aligemeinheit, nàauid durch Induction. Man wuͤrde alſo nuz ſagen koͤnnen, fo viel sur. Zeit nod) be; merkt roorben , ijt kein Raum gefunben worden, ber mehr al$ drey Abineſſungen fatte *).,, 2illein

1. kann auf der Nothwendigkeit der Vorſtel—⸗ lung des Raums a priori die apodictiſche Coe; wißheit bet geometriſchen Grundſaͤtze nicht beru—⸗ Den; denn a) bie Geometrie ſtuͤtzt keinen einzi⸗ gen ihrer Grundſaͤtze auf die Vorſtellung des Ranmes, inſofern fie nothwendig ift, b. f. infefetn voit ins. oen Raum nicht wegge⸗ denken koͤnnen; es gilt ihr vóllia gleich, ob der Raum exiſtirt oder nicht. Sie nimmt den

Raum,

) Dieſer Lehrſatz wird zwar in Der zweyten Ausgabe het Grit. b. e V. S 40. etwas anders vorgetragen; al⸗ fen. im Weſentlichen iſt feine Veraͤnderung vorge⸗ nommen worden, wie Kant ſelbſt behauptet. (Vorr. qur aten Ausg. €. 37. 42.

FAT 131r "vr

Raum, infofern ec vorgeftelIt wirb, und fest ſeine Beſtimmung ſeſt. Koͤnnten wir uns aad) ber Raum wegdenken, fo wuͤrden mir zwar zugleich mit ifm bie Moͤglichkeit des Satzes, daß mir ſchen zween Puncten uur Cine grade Linie ſtatt— finde, uͤberhaupt aufheben, (weil alsdann gar kein Außereinanderſeyn, keine Entſernung gedacht wuͤrde,) aber dadurch nicht dieſen Satz moͤglich machen koͤnnen: daß zwiſchen zween Puncten mehr als Eine grade Linie gebe. b) Wenn ich mir Etwas (A) uͤberhaupt nicht weggedenken kann, ſo iſt es deswegen nicht nothwendig, daß ich dem A die Beſtimmungen b. c. d. beylegen muß; oder wenn A eine nothwendige Vorſtellung iſt, fo haben deswegen ſeine Beſtimmungen b. c. d. noch keine apodictiſche Gewißheit; denn ſonſt muͤßte die Vorſtellung der Beſtimmungen b. c. d. mit der Vorſtellung von A, bloß ſoſern es da iſt, oder mit der bloßen Vorſtellung der Exiſtenz des A nothwendig verbunden ſeyn. Dies iſt aber unmoͤglich; denn die bloße Vorſtellung von Exiſtenz iſt durchaus tunbeſtimmt. (ſ. Cr. S. 599.)

Geſetzt aber, die apodictiſche Gewißheit der geometriſchen Grundſaͤtze finge von ber Noth— wendigkeit der Vorſtellung des Raums ab, ſo

felat

132 5

folgt weiter nichts, als daß die gedachte Noth⸗ wendigkeit gegeben ſeyn muͤſſe; ihr Grund aber, ob fie a priori oder a pofteriori muͤſſe entſtan⸗ ben ſeyn, ift gang unbeſtimmt. Wenn

3. behauptet wird: ber 9taum ſey feina pofteriori ervoróner Begriff, meil fonjt bie erſten Grund⸗ ſatze bet matbematijden Beſtimmung blofe Wahr⸗ nebmuraen, unb mitbin gufallig ſeyn wuͤrden, fo ſcheint mir dabey zweierley zu bebenfen ju ſeyn: a) Wenn ein Begriff a pofteriori erworben iſt, fo folgt nit, daß alle &ate, bie einen Bezug bat: auf Üaben, Wahrnehmungen ſeyn; aud) bet Verſtand kann fid) batauf begiebenbe Urtheile zu Stande bringen, die dann weder Wahrnehmun⸗ gen, noch zufaͤllig ſind; welches Stant ſelbſt zu⸗ giebt. (Crit. S. 158 u. f.) b) Es ift ein ur; erwieſener, ja unerweislicher Satz, ber aus eir ner unvollſtaͤndigen Induction hergenommen iſt, daß es ſchlechterdings keine Wahrnehmung gebe, wodurch bie bem Cubject A zukommende Be⸗ ſtimmung g apodictiſch gewiß wuͤrde, daß eine Wahrnehmung nie etwas enthalten koͤnne, deſ⸗ ſen Aufhebung uns auf Widerſpruͤche fuͤhrte; oder, das wir von der Wahrnehmung getrennt zu denken nicht im Stande waͤren. Wer mit mir an ber Richtigkeit ber. Beweiſe Nr. I. II.

zwei⸗

Ni133

zweifelte, unb babeo bie erſten mathematiſchen Grundſaͤtze fuͤr Wahrnehmungen hielte, der wuͤrde das vorliegende Argument fuͤr einen bitt⸗ weiſe angenommenen Satz anſehen, und behaup⸗

ten: bie mathematiſchen Grundſaͤtze ſeyen ein Beweis, daß man auch aus der Wahrnehmung etwas apodictiſch gewiſſes ſchoͤpfen koͤnne.

Nach dieſen Betrachtungen ift alſo, moie mlt deucht, nicht ju leugnen, daß bie apodictiſche Gewiß⸗ heit der geometriſchen Grundſaͤtze nicht auf der Noth⸗ wendigkeit der Vorſtellung des Raumes a priori, ober auf bet Unmoͤglichkeit fid) den Raum wegzudenken beruhe; daß dieſelbe beſtehen koͤnne, wenn auch der Raum ein a pofteriori erworbener Begriff iſt. Was aber bie Allgemeinheit ber gedachten Grunbfáge betrift, ſo iſt dieſelbe zugleich mit der apodictiſchen Gewißheit gegeben; eins ſolgt aus dem andern.

Ich gehe

IV. Zu dem vierten Lehrſatze, den Kant von dem Raume aufſtellt. Er lautet: Der Raum iſt kein discurſiver, oder, wie man ſagt, allgemeiner Begriff von Verhaͤltniſſen der Dinge uͤberhaupt, ſondern eine reine Anſchauung. Denn erſtlich kann man. fid) nue einen einzigen Raum vorſtellen, und wenn man von

Philoſ. Mag. a. Gt. K vie⸗

134 ^"^

elelen Stáumen rebet, fo verſteht man darunter nut G cile eines unb beffelben aflcínigen Staumeé, Dieſe Theile tónnen aud) nidjt vot bem einigen allbefaſſenden Naume, gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus feine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehn, fon: dern nur in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich einzig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Raͤumen überbaupt. beruht bloß auf Einſchraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in Anſehung ſeiner eine Anſchauung a piãori (bie nicht empiriſch iſt) allen Begriffen von denſelben zum Grunde liege. So werden auch alle geometriſche Grundſaͤtze, z. B. daß in einem Triangel zwey Seiten groͤßer ſeyn, als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen von Linie und Triangel, ſondern aus der Anſchauung, und zwar a priori mit apodictiſcher Gewißheit abge⸗ leitet., Hiebey fann id)

x,bie Bemerkung nicht vorbeylaſſen, daß eine Anſchauung a priori, bie Diet angenommen toitb, nad) Santé cígenen Crflárungen nicht denk⸗ Bat ſey. Eine Anſchauung iſt eine Vorſtellung. (Cr. b. r. V. x. Aufl. S. 19.) Sollte fie a priori ſeyn, ſo muͤßte ſie ſchlechterdings nicht vom Objecte hergenommen werden (S. 128.) und eine Anſchauung iſt doch nur moͤglich, ſofern uns ber Gegenſtand gegeben wird, dieſes aber iſt

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£ft wiederum nur dadurch moͤglich, baf et ba$ Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe afficire. (S. 19.) Eine Anſchauung a priori iſt demnach unmoͤg⸗ lich, und kann mithin auch in Anſehung des Raumes nicht zum Grunde liegen. Hieraus ift, wie e$ mic ſcheint, ſchon hinlaͤnglich klar, bag der vorliegende Beweis nicht brauchbar ſeyn koͤnne.

2. Wenn ein discurſwer oder allgemeiner Begriff derjenige iſt, der mehrern Dingen als Praͤdicat zugeſchrieben wird, ober ber unter mehrern in; bivibucllen Beſtimmungen vorfómmt, fo iſt bet Raum eín folder; er wird foroof bem Quadrate, als bem Triangel al$ Praͤdicat beygelegt.

9. Was ben Beweisgrund anbetrifft, woraus erhel⸗ len ſoll, daß der Raum eine reine Anſchauung ſey, ſo iſt der erſte Schluß vollſtaͤndig dieſer: Dasjenige, was nur ale cín einziges vorgeſtellt werden kaun, iſt kein diſcurſiver Begriff ꝛc. Der Raum kann nur als ein einziger vorgeſtellt werden; alfo iſt er fein diſcurſiver Begriff ꝛc. Hiebey iſt a) im Oberfa&e angenommen, daß im Subjecte deſſelben eine hinreichende Bedingung bec Wahrbheit tec Urtheils ꝛc liege, ober daß es in der Natur desjenigen, was nur als ein einzi⸗

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ges vorgeſtellt werden kann, gegrünbet ſey, daß daſſelbe kein discurſiver Begriff ſeyn koͤnne; welches aber eines Beweiſes ſehr noͤthig bebuvft haͤtte. b) Da ber Raum nad) ben vorigen Lehr⸗ fá&en eine Vorſtellung ijt, fo fann ber Unterſatz aud, fo ausgebrüdit werben: Man fann fid) nut eine eingige Vorſtellung madjen, bie das au£brüdtt, was roit ben 9taum nennen. Nun müfte Det Schluß fo lauten: Gine Vorſtellung A , bíe fo beſchaffen ift, bag man fid) nur dieſe eingige Vor⸗ ſtellung machen fann, bie ba$ ausbrüdt, was man A nennt, í(t, fein discurſiver Begriff 1c. Der 3iaum iſt eine Vorſtellung A , ꝛc. Alſo ift bet Raum kein discurſiver Begriff ꝛc. Ser Oberſatz, als allgemein verneinend, kann ſchlecht⸗ Din umgekehrt werden; unb muͤßte bann fo (au: ten: Sein biscurflver Begriff ift eine 9Borftellung A, bié fo 2c. Wenn biefer Satz feine Richtig⸗ feit haben folíte, fo müfte fid) au£ ber Natur eines affgemeinen Begriffs einſehen faffen, warum et nicht eine ſolche 3Bor(tellung (A) ſeyn fónnte. Nun ift abet eine Vorſtellung A , tie fo beſchaf⸗ fen ift 2c. eine ſolche Vorſtellung, von bet. man fein Merkmal roegbenfen, unb ju welcher man fein. Merkmal hinzuſetzen fann, menn fie bie naͤmliche Vorſtellung bleiben foll.

Von

FAM 137 «wi

Von einem allgemeinen. SSegriffe abet. fan tian weder ein Merkmal wegnehmen, nod) zu im fingufe&en, wenn et bie námtíd)e Vorſtellung bfeibett foll (benn ber Inbegriff der Merkmale macht die $Bot; ſtellung aus.) Ein discurſiver Begriff iſt daher eine Vorſtellung A, die ſo beſchaffen iſt, daß man ſich nur dieſe einzige Vorſtellung machen kann, die das ausdruͤckt, was man A nennt. (Man kann ſich z. B. nur eine einzige Gerechtigkeit, nicht mehrere Gerechtigkeiten vorſtellen.) Wenn alfo aud) bet Raum eine ſolche Vorſtellung À :c. ift, fo folgt daraus nicht, daß et fein biécurfiver Begriff ſey.

Wenn fetnet als eín zweyter Beweisgrund (bie ſcheint wenigſtens aus dem Vorhergehenden erſtlich zu erhellen) fuͤr die Behauptung, daß ber Raum fein discurſiver Begriff, ſondern eine reine Auſchauung ſey, hinzugeſetzt wird: daß die Theile des Raums nicht vor dem einzigen allbefaſſenden Raume, gleichſam als deſſen Beſtandtheile (daraus ſeine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur in ihm gedacht werden koͤnnen, ſo heißt das: Wir koͤnnen uns jetzt, nach unſerm jetzigen Bewußtſeyn, bie Theile des Rau⸗ mes nicht iſolitt gedenken, unb daraus die Vorſtel⸗ lung des Ganzen zuſammenſetzen. Hieraus folgt aber nicht, daß dies in den erſten Augenblicken, wo wir nn$ ber Vorſtellung des Raumes bewußt wurden, auch

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fo war; unb bafi roit aud) 9a nicht au& ber Vorſtel⸗ lung der Theile die des Ganzen zuſammenſetzten; viel⸗ mebr muß bey bet Vorſtellung einer extenſiven Girófe, ſofern wir uns derſelben bewußt werden, die Vorſtellung der Theile nothwendig voraufgehen, wie Kant ſelbſt behauptet. (S. 162) Eine leere Form aber, die ohne unſer Bewußtſeyn a priori im e; muͤthe (áge, unb bie Vorſtellung ber Theile des Rau⸗ mes erſt moͤglich machte, kann unter dem einzigen, all⸗ befaſſenden Raume nicht gemeint ſeyn; denn es ſoll ja aus dem vorliegenden Satze erſt bewieſen werden, daß eine ſolche vorhanden ſey; alſo muß man darunter den Raum, inſofern wir uns deſſen bewußt ſind, verſtehen. Da ſich nun von dieſem nicht beweiſen laͤßt, daß die Vorſtellung der Theile ſchlechterdings nicht vor der Vorſtellung des Ganzen voraufgehen koͤnnen, ſo laͤßt ſich auch aus ſeiner ſogenannten weſentlichen Einzigkeit nicht folgern, daß in Anſehung feiner eine Anſchauung 2 priori allen Begriffen von demſelben aum Grunde liegen muͤſſe.

Der letzte Lehrſatz lautet:

V. Der Raum wird als eine unendliche, gegebne Groͤße vorgeſtellt. Nun muß man zwar einen jeden Beqriff als eine Vorſtellung denken, bie ín einer um: enbliden Menge von. verfdyiebenen moͤglichen Vorſtel⸗

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lungen (als ihr gemeinſchaftliches Merkmaſ) enthal⸗ ten iſt, mithin dieſe unter fid) enthaͤlt; aper. fein 95er griff, als cin ſolcher, fann fo gedacht werden, als 05 et eine unendliche Menge von 3Borftellungen ín fid) ent; hielte. Gleichwol wird ber Staum fo getad)t (bent alle Theile des Naumes ins Unendliche fino zugleich.) Alſo ift bie urſpruͤngliche Vorſtellung vom Raume An⸗ ſchauung a priori, unb nicht Begriff.

Hiebey ſind mir ſolgende Schwierigteiten auf gefallen:

Y. Der Cof enthaͤlt einen Schluß von den meiſten Begriffen auf alle, und beruht auf einem bitt⸗ weiſe angenommenen Urtheile. Denn bevor nicht aus dem Weſen eines Begriffes gezeigt worden iſt, (unb dies iſt unmoͤglich,) bag et nicht eine unendliche Menge von Vorſtellungen in ſich enthalten koͤnne, darf man auch nicht ſchließen, daß der Raum, bey dem dies der Fall iſt, kein Begriff, ſondern eine Anſchauung a priori ſey.

2. Der Raum wird als eine Groͤße vorgeſtellt, und daher koͤmmt es, daß die unendliche Menge von Vorſtellungen nicht als unter ihm, ſondern als in ihm enthalten gedacht wird. Der Grund

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hievon (iegt alío gar nicht barin, daß et eine An⸗ fdjauuny a priori ift.

5. Cine Anſchauung a priori iſt unmóglid), (f. vom 9taume IV, x.)

Von bet Seit.

Die SSemerfungen, bie id) bey ben £efrfágen vom Staume gemacht babe, gelten aud) alle, mit bec. gebóris $en Anwendung, vou bett SDebauptungen, bie Sant in Ruͤckſicht ber Zeit aufftellt, veil bie Dice gebrauchten Be⸗ weisgruͤnde ben obigen vóllig áfnfid) (inb. Nur nod) zwey Anmerkungen mug id) bier hinzuſetzen. Die erſte betrifft den erſten Lehrſatz, in welchem behauptet wird, daß bie Zeit a priori im Gemuͤthe gum Grunde liegen muͤſſe, weil ſonſt bae Zugleichſeyn, unb Auſein⸗ anderfolgen gar. nicht in die Wahrnehmung fommen wuͤrde. Es iſt freylich wahr, wir koͤnnen uns kein Zugleichſeyn, oder Aufeinanderfolgen gedenken, ohne die Vorſtellung der Zeit; aber es iſt auch umgekehrt eben ſo wahr, daß wir uns keine Zeit vorſtellen koͤn⸗ nen, ohne uns ein Zugleichſeyn oder Aufeinanderfol⸗ gen zu denken. Man koͤnnte alſo mit eben dem Rechte ſchließen, daß dieſe Vorſtellungen a priori zum Grunde liegen muͤßten, weil ſonſt die Zeit gar nicht in die Wahrnehmung kommen wuͤrde. (f, Abels Verſ. über

die

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bíe Statut ber ſpecul. Vern S. 185. 1c.) obgleich weder dieſer, nod) bet. Kantiſche Schluß gültig ift. (j. vom 9taume I.)

Meine zweyte Anmerkung aebt auf ben Giebanfen überfaupt, bay die 3eit bie Form unſres innern & ins nes ſeyn fof, So viel íd) einſehe, fann bie Zei nicht die Form des innern Sinnes in dem Verſtande genannt werden, ín welchem vom Raume geſagt iſt, daß er bie Form des aͤußern Sinnes ſey. Denn daß (it nicht daſſelbe Verhaͤltniß gegen unſre Sinnlichkeit Das ben koͤnne, als der Raum, erhellt 1) ſchon daraus, was Kant ſelbſt behauptet, daß ſie auch eine Bedin— gung für bie aͤußerliche Wahrnehmung ift; denn Diet: au$ iſt £lar, bag ihre Anwendbarkeit nicht von bem abhange, was wahrgenommen wird; welded aber bey dem Raume der Fall iſt. Denn, wenn das nicht waͤre, ſo muͤßte dieſer auch eine Bedingung fuͤr die Wahrnehmung durch den innern Sinn ſeyn koͤnnen, welches aber widerſprechend ift. Die Seit nun vot; zugsweiſe bie orm des innern Sinnes gu nennen, baju í(t gat. kein Grund vorhanden. 2) Der Raum wird als enthalten in. ben Gegenſtaͤnden des aͤußern Sinnes vorgeſtellt; die Zeit aber nicht al enthalten ín ben Gegenſtaͤnden des innern Cinued, Wenn alſo ber Raum bie Form des aͤußern Sinnes genannt werben kann, weil er ben Gegenſtaͤnden deſſil⸗

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Ben nothwendig zum Gieunbe liegt, ober in denſelben enthalten iſt; ſo kann dieſes nicht auch auf die Zeit angewandt werden, in Beziehung auf den innern Sinn. Sie liegt nicht den Gegenſtaͤnden deſſelben zum Grunde, iſt nicht in denſelben enthalten; ſondern begleitet nur bie Reihe unſrer 93ovftellungen, oder ber Thatigkeiten unſres Vorſtellungsvermoͤgens. Da⸗ Der iio die Vorſtellungen des innern Sinnes (ſo wie alle) in bet Seit, aber nicht bie bed außern im Stau: mc; man kann bemnad) bie Seit nid)t für oic. Form des innern Sinnes Daten, ín ber SSebeutung, worin ber 9taum bie Sorm des áufern iſt; fonbern vielmehr baé, was allen Gegenftánben des innern Sinnes gum Girunbe lieat, was darin nothwendig entfjalten ift, üt Vorſtellung; biefe müfite man alfo bie Form des ín nern Sinnes nennen; unb es fann ber daraus ent: fpringenbe Unterſchied nidjt ofne wichtige Folgen

ſe yn.

Wenn bie von mir gemadjten Bemerkungen ihre Nichtigkeit haben, fo folgt daraus, daß man aud) bert Schluͤſſen, welche Sant aud ben vorgetragenen 35e: Dauptungen bereitet, nicht beyſtimmen fónne. Es iſt alſo nicht bewieſen: 1) daß Raum und Zeit ſchlech⸗ terdings keined objective Beſtimmungen ber. Dinge ſeyn, die uͤbrig blieben, wenn man von allen ſub⸗ jectiven Bedingungen bec. Sinnlichkeit ab(tvabirte;

2)

FT 43. x.

2) baf (ie bloß fubjective Bedingungen, Formen ber Sinnlichkeit ſeyn, der Raum fuͤr den aͤußern und die Zeit fuͤr den imnnern Sinn. Der Raum ift allerdings das Einfachſte in den Gegenſtaͤnden des aͤußern in; ne$, unb für bie ſinnliche Erkenntniß unauftóstidy ; aber deswegen nicht für ben Verſtand. 3) Daß fii) mur bie empiriſche Realitaͤt derſelben behaupten laſſe, b. h. ihre Guͤltigkeit ín Anſehung aller Gegenſtaͤnde, inſofern dieſe als Erſcheinungen genommen werden; daß man aber auch zugleich ihre transſcendentale Idea⸗ litát annehmen muͤſſe, b. fj. taf fie Nichts ſeyn, [or bald man vor ben ſinnlichen Bebingungen abſtrahirt, oder unjre Art unb Weiſe, Gegenſtande anzuſchauen, weglaͤßt. (Kant ſagt (ier vom Raume, daß er nichts ſey, wenn man ihn, als etwas, das den Dingen an ſich ſelbſt zum Grunde liege, annehmen wollte. Dle—⸗ ſes iſt voͤllig richtig, und auch nach dem Leihnitziſchen Syſteme wahr. Wenn man den Raum nicht fuͤr eine bloß ſubjective Form oder Einrichtung unſrer Sinnlichkeit gelten laͤßt, fo haͤlt man ihn deswegen noch nicht fuͤr etwas, das den Dingen an ſich ſelbſt zum Grunde liegt; ſondern man kann auch annehmen, daß er eine von den Dingen an ſich allererſt abhaͤngige Beſtimmung ſey.)

Zuletzt werden noch einige allgemeine Anmerkun⸗ gen hinzugefuͤgt. Die erſte, die ich hier nur beruͤhre, ent⸗

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enthaͤlt eine wiederholte Erklaͤrung des eigentlichen Sinnes ber transſcendentalen Aeſthetik; unb laͤuft alſo darauf hinaus: Alle unſre Anſchauung iſt nichts, als die Vorſtellung von Erſcheinung; die Dinge, die wir anſchauen, ſind nicht das an fid) ſelbſt, wofuͤr mir fie anſchauen, auch ſind ihre Verhaͤltniſſe nicht ſo beſchaf⸗ fen, wie ſie uns erſcheinen; und wenn wir daher die ſubjective Beſchaffenheit unſter Sinne aufheben, fo muͤſſen alle die Beſchaffenheiten und Verhaͤltniſſe der Objecte im 9taum unb ín ber Zeit, alfo bie ganze Sin⸗ nenrocít, ja felb(t 9taum.unb Zeit verfdyroinben. Von ben Dingen on fif, wie fie abgefonbett von allet Receptivitaͤt unſrer Sinnlichkeit beſchaffen ſeyn moͤgen, wiſſen wir gar nichts.

Dieſe ganze Behauptung ſtuͤtzt ſich auf die Lehre, daß Raum unb Zeit bloß ſubjective Formen unfteé aͤußern unb innern Sinnes ſeyn, unb wird daher ju gleich mit jener zweifelhaft; (ob fie gleich groͤßtentheils, nur in einer etwas andern Bedeutung und aus andern Gruͤnden, wahr iſt; wie ich gleich bemerken werde.) Daher laͤßt fid) nun aud) nicht mit einem entſcheiden⸗ ben Tone jagen: 1) die Meinung, daß unfte Sinn⸗ lichkeit nichts als die verworrene Vorſtellung der Din⸗ ge ſey, und lediglich das enthalte, was den Dingen en fid) ſelbſt zukoͤmmt, aber nur unter einer Zuſam⸗ menbáufung von Merkmalen und Theilvorſtellungen,

die

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bie rir nicht mit Bewußtſeyn auseinander ſetzen, ſey eine Verſaͤlſchung des Begriffs von Sinnlichkeit, wel che die ganze Lehre derſelben unnuͤtz und leer mache. 2) Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie habe allen Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſrer Erkenntniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct ange⸗ wieſen; indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom Intellectuellen bloß als logiſch betrachte, ba er offen⸗ bar transſcendental ſey, und nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, ſondern den Urſprung und Inhalt derſelben betreffe, ſo daß wir durch die erſtere die Beſchaffenheit der Dinge an ſich ſelbſt nicht bloß undeutlich, ſondern ganz und gar nicht erkennen.

Was ben erſten €t anbetrifft, fo fet er 1) bie unerwieſene Behauptung voraus, bai Raum unb Zeit bloß ſubjective Einrichtungen unſrer Sinnlichkeit ſeyn; 2) iſt von Leibnitzen niemals behauptet worden, daß unſere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene Vorſtellung der Dinge an ſich ſelbſt ſey, welche ledig⸗ lid» das enthalte, was ben Dingen an ſich ſelbſt zu⸗ koͤmmt. Eine Erſcheinung, nach Leibnitz nus Sinne, iſt nicht ein Dina an fid) ſelbſt, unb bic Theile ber; ſelben ſind nicht Beſtimmungen eines Dinges an fid) ſelbſt, ſondern eine Erſcheinung iſt eine Art und Weiſe, wie ein Ding auf unſre Sinnlichkeit wirkt. Nun liegt alſo einer Erſcheinung freylich immer ein Ding an

ſich

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fid) yum Grunte; aber dies macht bie Erſcheinung nod) nidt aue, fonbern e$ wird dazu nod) bie2(rt unb Weiſe, wie unfre Sinnlichkeit afficit mírb, erforbert, Es gehoͤrt alfo gu einer Erſcheinung etwas Objectives (bet Gegenſtand aufer un$, ber bem (run? bavon übets faupt, unb von ber inbívibuelleg. Beſtimmung beriels ben entbá(t), unb fobann etas Subjectives, das unfre Sinnlichkeit hinzufuͤgt. Hebt man alfo unfte Sinnlichkeit auf, fo verſchwinden alle Erſcheinungen, bie ganze Sinnenwelt, als fotd)e, unb weil Raum und Zeit davon abhangen, auch dieſe (naͤmlich als ſolche, inſofern fie eine ſinnliche Vorſtellung ſind.) Was den zweyten Satz anbelangt, ſo trifft der darin enthaltene Vorwurf die Leibnitziſche Philoſophie nicht. Leibnitz wußte ſehr gut, daß der Unterſchied des Intel⸗ lectuellen von bec Sinnlichkeit nicht bloß loqiſch, ſon⸗ bern transſcendental ſey. Denn 1; wies er bem Ver⸗ flanbe Gegenſtaͤnde an, bíe burd) bie Sinnlichkeit gat nid)t vorgeſtellt werden fónnen. 2) 95ilbete er fid) aud) nidjt ein, bag man durch eine bloße Aufloͤſung bec Theile ober Merkmale einer. Erſcheinung, als fof, diet, (moburd) logiſche Deutlichkeit ent(tebt,) auf ba$ Syntellectuelle fomme; ba man fid) den intelligibeln Gegenſtand eines Koͤrpers denke, wenn man ſich alle darin enthaltene Theile und ihre Zuſammenſetzung mit voͤlligem Bewußtſeyn vorſtellt; aud) bet fo analy, ſirte Koͤrper bleibt nach ſeinem Syſteme noch immer

Er⸗

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Erſcheinung. Wenn er alfo behauptet, baf durch Er— hebung ber vermorrenen ſinnlichen Vorſtellung sur deut⸗ lichen, Verſtandeserkenntniß entſtehe, (o behauptet er einmal damit nicht, bafi alle Verſtandeserkenntniß auf die Art entſpringe, und ſodann kann er unter Erhebung zur Deutlichkeit nicht blog tie Auseinanderſetzung der

derkmale ber Erſcheinung, als ſolcher, verſtehen, fon: dern eine Abſonderung der Merkmale, bie durch unſre Sinnlichkeit hinzukommen, unb in ber Art unb Weiſe liegen, wie dieſe von dem Gegenſtande afficirt wird; wodurch bann eine Vorſtellung deſſen entſteht, ma. der Gegenſtand an ſich iſt, oder was ihm an ſich ſelbſt zukoͤmmt, alſo wahre Verſtandeserkenntniß, die aber bey uns nut abftract unb alfo ſymboliſch, nicht anſchaulich ſeyn kann. Wenn Leibnitz unter der Deutlichkeit ber. Verſtandeserkenntniß bloß eine logiſche Deutlich⸗ keit, und unter der Verworrenheit der ſinnlichen bloß ein Unbewußtſeyn der Merkmale verſtanden haͤtte, ſo ließe ſich auch gar nicht einſehen, wie er ſchlechthin alle ſinnliche Erkenntniß verworren haͤtte nennen. koͤnnen; denn er mußte doch wiſſen, daß ich, wenn ich mir ei— nen Baum vorſtelle, mir aud) bcc Zweige, Blaͤtter ꝛc. bewußt bin.

Daß bey einer Unterſuchung uͤber die eigentliche Beſchaffenheit derjenigen Gegenſtaͤnde, die uns durch unſre Sinnlichkeit vorgeſtellt werden, ín Beziehung

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auf ben Unterſchied ber Crfenntnig be$ Verſtandes, bie fhebeutung einer Erſcheinung nicht in Anſchlag fomme, bie in ber Phyſik, in bfof empiriſcher Hinſicht guͤltig iſt, verſteht ſich von ſelbſt. In dieſer Bedeutung un⸗ terſcheidet man eine Erſcheinung von dem, was der Anſchauung des Gegenſtandes weſentlich anbángt, für jeden menſchlichen Sinn, unb ín ben meiſten Verhaͤlt⸗ niſſen deſſelben zum Gegenſtande, gilt, und was man ben Gegenſtand an fid) ſelbſt (in empiriſcher Bedeu⸗ tung) nennt; unb verſteht alfo darunter eine An⸗ fdauung, bie nur ín Beziehung auf ciue befonbere Stellung ober Organifation dieſes ober jene& Sinnes gülrig ift. So ift ber 9tegenbogen, ín dieſem Ver⸗ flanbe, eine bloße Crfdeinung, bie Stegentropfen abet fin^ bie Sachen an fid) ſelbſt. Es erbellet aber leicht, daß man ín ber. erſtern Hinſicht einen Schritt weiter gehn, und die Regentropfen, ſo wie alles, was durch bie Sinne vorgeſtellt wird, wenn es aud) ber An, ſchauung weſentlich anhaͤngt, und fuͤr jeden menſchli⸗ chen Sinn gilt, fuͤr bloße Erſcheinung halten d. i. zu⸗ geben muͤſſe, daß dies alles, als ſolches betrachtet, wegfalle, ſobald unfre Sinnlichkeit aufgehoben wird, (f. 05.) daß e$ folglich nit Dinge an ſich, in trant; fcenbentalec Bedeutung, , barftelle.

Wenn id) ín meinen Betrachtungen ben Weg bet Wahrheit nicht gang verfeblt Babe, wenn id) nidt ganz

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ganz (rte gegangen bin, fo fann man wenigſtens nicht mit einſtimmen, roenn Kant von ſeiner tranéfcenbene talen Aeſthetik fagt, baf fie nicht bloß cine ſcheinbare Hypotheſe, fonbern fo geri. unb ungezweifelt fep, äls jemals von einer Theorie, bie gum Organon dienen foll, gefordert werden fónne; man muf vielmebr eins geſtehen, baf fid) gegruͤndete Zweifel dagegen vorbrin⸗ gen laſſen, die das Urtheil des Denkenden allerdings zuruͤckhalten duͤrften. Die Folgen, die ſich hieraus herleiten laſſen, koͤnnen nicht anbere, als febr wichtig ſeyn, ba (ie bie Beſtinmung ber. Grenzen, die man bem menſchlichen Verſtande zu ſetzen Dat, Getreffen. Hievon zu reden, behalt ich mir auf ein andermal vor.

J. G. ££, Maaß.

philoſ. Mag. a. St. e II.

150

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II. Heber bie logiſche Wahrheit

obet bie transſcendentale Giüftigfeit ber

menſchlichen Erkenntniß.

—J ber. Vergleichung der Leibnitziſchen Vernunft⸗ kritik mit bet Kantiſchen *) fat ber Beweis von der tranéfcenbentalen Guͤltigkeit ber menſchlichen Grfennts ni nut angebeutet. merben fónnen, Die neuern Schwierigkeiten gegen biefe Guͤltiglkeit machen indeß, nachdem fie einmal ba ſind, eine weitere Rechtferti— gung aller Schritte, welche die bisherige Metaphyſik dazu verſucht hat, nothwendig. Sie hatte die logi⸗ ſche Wahrheit ihrer Vernunfterkenntniß vorausſetzen zu koͤnnen geglaubt; und da dieſes Recht den bloßen geſunden Verſtand ſo allgemein auf ſeiner Seite hat: fo hielt Leibnitz jut Vervollkommnung ber Metaphy⸗ ſik nichts weiter. noͤthig, als an ber Beſeſtigung ber erſten Grundſaͤtze ber menſchlichen Erkenntniß zu arbei⸗

tear. *) €. 1r. €t. Nr. 1I,

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ten, inbem er uͤber ire. transſcendentale Guͤltigkeit oder ihre logiſche Wahrheit vollkommen ruhig war. Er ſchloß fo: bie Grundſaͤtze des Widerſpruchs unb des zureichenden Grundes haben transſcendentale Guͤltig⸗ keit, folglich muͤſſen alle Wahrheiten, die darauf ge⸗ bauet ſind, ſie auch haben, es koͤmmt bloß darauf an, daß ſie unter einander und mit ihren erſten Gruͤnden nach den Regeln der Syllogiſtik verbunden ſind. Daß die geſunde Vernunft nothwendig ſo ſchließen muͤſſe, erkennt Hr. Kant ſelbſt; er haͤlt es aber fuͤr eine Illu⸗ fion. Er fagt: (S. 297. ber Gr. b. v. V. erſte Ausq.) „In unſerer Vernunft (fuljectio als ein menſch⸗ „liches Erkeuntnißvermoͤgen betrachtet, (iegen Grund⸗ „regeln unb Maximen ihres Gebrauchs, welche gaͤnz⸗ „lich das Anſehen objectiver Grundſatze haben, mo; „durch es geſchiehet, daß bie ſubjective Nothwendig⸗ „keit einer gewiſſen Verknuͤpfung unſerer Begriffe zu „Gunſten des Verſtandes, fuͤr eine objective Nothwen⸗ „digkeit, der Beſtimmung ber Dinge an fid) ſelbſt, ges „halten wird. Cine Illuſion, bie gar nicht gu ver: „meiden | üt.

Der Satz des yureidjenben Grundes hat alſo, nach Hru. Kants eigenem Geſtaͤndniß, das hier ge⸗ wiß von großem Gewichte iſt, wenigſtens eine allge⸗ meine ſubjective Nothwendigkeit; wir fuͤhlen uns ſo gar gedrungen, dieſe Verknuͤpfung unſerer Begriffe

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auf bie Gegenftánbe uͤberzutragen. Das iſt nun zwar, feiner Meynung nad), eine bloße Illuſion, gleichwol aber doch eine unvermeidliche.

tan fat bie Illuſionen bisher nur in ber ſinuli⸗ den Erkenntniß zu fürd)ten gehabt, unb man fat fid) fiber bíe Furcht vor denſelben baburd) beruhigt, baf fie burd) bas Cid)t des Verſtandes unb ber ?Bernunft koͤn⸗ nen entbedt unb berichtigt werden. Die optiſchen Taͤuſchungen (inb zwar bem Urtheile be Geſichtes uns ausweichlich, es kann ſich von den Irrthuͤmern der Perſpective nicht losmachen; allein die Wiſſenſchaft weiß aus den Elementen, worin das irrige Urtheil gegruͤndet iſt, aus ber Entfernung, bet Lage, bem Medium, den wahren Ort, die wahre Groͤße, Be⸗ ſchaffenheit, Geſtalt und Farbe des Gegenſtandes zu entraͤthſeln. Der Sinnlichkeit koͤmmt alſo ein anderes Erkenntnißvermoͤgen zu Huͤlfe, um aus ihren Urthei⸗ len die Wahrheit herauszufinden. Welches Erkennt⸗ nißvermoͤgen bleibt aber nun uͤbrig, um den Zauber der Taͤuſchung zu loͤſen, der, gleich Salomonis Sie⸗ gel, die Kraͤfte des Verſtandes verſchließt?

Die Taͤuſchungen der Sinnen entſpringen aus ihrem Unvermoͤgen und aus ihren Schranken. Ihr Wirkungsktreis iſt in aller Abſicht febr begraͤnzt. So vieles, das fid) ihrer Entdeckungskraft entzieht, giebt

ihren

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ihren Bildern in der Vorſtellungskraft eine Geſtalt, die nothwendig dem, was ſie ſind, unaͤhnlich ſeyn muß. Daher kann ein Sinn ſeine Urtheile berichtigen, wenn er die Gegenſtaͤnde ſeinem Empfindungskreiſe naͤher bringt, oder gar wie das Geſicht die Empfindungen des Gefuͤhls, einen andern Sinn zu Huͤlſe nimmt.

Aus dieſen Bemerkungen hat man mit Recht ge⸗ ſchloſſen, daß aller Irrthum, unb mithin alle Sáu: ſchung, ſeinen Grund in den Schranken, alle Wahrheit hingegen ihren Grund in der Kraft des denkenden We⸗ ſens habe; daß man ſich alſo nur verſichern duͤrfe, was in einer Vorſtellung oder in einem Urtheile aus den Schranken des Erkenntnißvermoͤgens, dem es zu⸗ gehoͤrt, entſtehe, um darin das Wahte vor dem Fal⸗ ſchen zu unterſcheiden. Bey den Urtheilen der Sinne hilft hier bisweilen der Verſtand, bisweilen hilft ſich der Sinn ſelbſt, bisweilen helfen ſich die Sinne ein⸗ ander. Alſo ein Erkenntnißvermoͤgen wird ín bec tnr terſuchung der Wahrheit bald durch ein anderes, bald durch ſich ſelbſt unterſtuͤtzt; das Gewehr, welches die Wunde geſchlagen, muß ſie ſelbſt wieder heilen. Wenn dieſes den Sinnen moͤglich iſt, warum ſollte es nicht aud) bem Verſtande moͤglich feyn ? Die Sinnen thun es, inbem fie ihre Svaft verſtaͤrken, fid) Deutlichkeit und Licht verſchaffen; der Verſtand muͤßte es thun, indem et ín der Zergliederung ſeiner Begriffe fortgebt,

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feine etften Grunbíáge fefter macht, unb in biefen ife Band mít ben Gegenftánben gu bemerfen fudit.

Sollte aber bie Uebertragung ber ceinen Vernunft⸗ erkenntniß auf Me Giegenftánbe, bie ifr entſprechen, durchgaͤngig eine bloße Illuſion feon, fo mürbe ba$ Uebel unheilbar feyn, unb, anftatt bie Sáufdjung aufus been, müfte ibre Unuͤberwindlichkeit immer einleuch—⸗ tender werden, je mebr ber 33er(tanb mit ber Zerglie— berung feiner Begriffe tiefer einbránge, unb bie Ver⸗ nunft zu ber Entdeckung ber Quellen bec Wiſſenſchaft fortruͤckte. Allein bann roürbe biefe llebertragung keine Sáufdjuug, fein Irrthum mebr ſeyn, e roürbe Wahrheit, bie unlaugbarjte Wahrheit ſeyn; benn was iſt Wahrheit, wenn es nicht die Uebereinſtimmung mit den nothwendigſten Geſetzen des Verſtandes und der Vernunft iſt?

Das muͤſſen wir alſo verſuchen, und wenn auch unſer Verſuch nicht gelingt, wenn wir das Abenteuer nicht beſtehen, wenn ſich der Abgrund, der unſere Erkenntniß von ihren Gegenſtaͤnden ſcheidet, nicht ſchließen foll: fo wird vielleicht ein anderer gluͤckli⸗ cherer auf den Truͤmmern der Opfer, die ihn fuͤllen, bas entgegengeſetzte Ufer erreichen. Das Unterneh— men, die ſpeculative Vernunft mit bem geſunden

Ver⸗

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Verſtande in Harmonie gu bringen, wird wenigſtene nie den Tadel eines billigen Richters verdienen.

Man hat immer unter der logiſchen Wahrheit ber Erkenntniß ihre Uebereinſtimmung mit ben Geaen: ſtaͤnden derſelben verſtanden. Dieſer Begriff ift ohne Zweifel zunaͤchſt von der Wahrheit ber Erfahrungser⸗ kenntniß abſtrahirt. Dieſe Erkenntniß berichtigen wir, indem wir das, was wir fuͤr ihre Gegenſtaͤnde halten, durch alle bie Mittel pruͤſen, bie voir in unſerer Ge: walt haben. Wir betrachten einen Gegenſtand, wenn wir zweiſelhaſt (inb, ob er eine Flaͤche, ober ein ot: per i(t, ín ber. Naͤhe; wir nemen das Geſuͤhl zu Huͤlfe, wenn un$ ba$ Geſicht im Zweiſel laͤßt. Wenn die Erkenntniß Vernunfterkenntniß iſt: ſo unterſuchen wir, ob ſle durch die Erfahrung beſtaͤtigt werde, und wenn roit das finden, fo urtheilen voir, daß fte logi; ſche Wahrheit habe. Allein dieſe Art der Pruͤfung laͤßt ſich nicht uͤberall anbringen. Wir koͤnnen nicht alle Gegenſtaͤnde in der Naͤhe, wir koͤnnen ſie nicht alle durch andere Sinnen pruͤfen. Die Vernunft hat zwar ausgemacht, bag ber Mond cine Kugel, unb keine bloße Scheibe ſey, weil er uns bey ſeinem Um— drehen beſtaͤndig unter der Geſtalt einer Scheibe et: ſcheint; allein wir koͤnnen uns von dieſer Wahrheit weder durch die Betrachtung deſſelben in der Naͤhe, nod) durch bie Betaſtung verſichern. Einige Vernunft⸗

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wahrheiten haben endlich Gegenftánbe, bie gaͤnzlich außer der Sphaͤre der Sinnenerkenntniß liegen, und dieſe koͤnnen von ber Erfahrung weder Beſtaͤtigung noch Widerlegung erwarten.

Wie koͤnnen wir uns alſo von ihrer logiſchen Wahrheit verſichern, wenn dieſe logiſche Wahrheit in der Uebereinſtimmung unſerer Erkenntniß mit ihren Gegenſtaͤnden beſteht? 7L if dieſe 3cage bat man aeant; wortet: aus ihrer metaphyſiſchen Wahrheit folgt notfs wendig ihre logiſche, bie Cine iſt mit ber andern un: zertrennlich verbunden. Das heißt nichts anders, als: ſo bald die vorſtellende Kraft ſich nach ihren nothwen⸗ digen Geſetzen etwas als moͤglich oder außer ſich wirk⸗ lich denkt: ſo muß es moͤglich und außer ihr wirklich ſeyn; und es kann nicht anders moͤglich und wirklich ſeyn, als die vorſtellende Kraft durch eben dieſelben Geſetze genoͤthigt wird, es ſich zu denken. Wenn die Geometrie uͤberzeugend bewieſen, daß bie Scheibenge⸗ ſtalt die nothwendige Eigenſchaft einer Kugel iſt, von welcher Seite ſie betrachtet werden mag: ſo iſt ſie ruhig; ſie fuͤrchtet nicht, daß der Mond eine andere Koͤrper⸗ figur haben werde; ſie ſieht ihn von allen Seiten als eine Scheibe, ſie weiß daß dieſe Eigenſchaft in dem Weſen der Kugel nothwendig gegruͤndet ſey. Wie ſie das Eine durch das Andere in ihrer Erkenntniß nach dem Satze des zureichenden Grundes nothwendig be⸗

ſtimmt:

FMvfe 157

ftímmt: fo ttágt fie kein Bedenken, dieſe Nothwen⸗ bigfeit aud) auf ben Gegen(taub derſelben uͤberzutragen.

So (tanben die Sachen bisher in ber deutſchen Philoſophie; man hatte ſich berechtigt gehalten, in bem Beweiſe ber. metaphyſiſchen Wahrheit einer. Cr fenntni aud) ben Beweis ihrer logiſchen Wahrheit zu finden; und dieſes Recht war immer noch unange⸗ fochten geblieben. Allein iſt es wirklich ein unbeſtreit⸗ bares Recht? Das hat man nun angefangen in Zwei⸗ ſel zu ziehen.

Ich, meines geringen Theils, bin von der Gruͤndlichkeit dieſes Rechts voͤllig uͤberzeugt; allein das thut nichts zur Sache; denn andere ſind es nicht. Sie greifen meine Beſugniß an, unb wenn id) fic vet; tíeibigen will, fo muf id) bie Grünbe anfüfren, matum id) mir dieſelbe zueigne. yd) bin mir bewußt, baf mid) dabey fein. Intereſſe ber Bequemlichkeit, ber Schule, be$ Syſtems unb ber Vorliebe beſticht, ja aud) nicht einmal bie Furcht, eine Wiſſenſchaft aufsugeben, ber id) einen grofen S beil meineé Lebens aufgeopfert fabe, Wenn aud) eim betraͤchtliches Stuͤck ihres Reiches muͤßte verlaſſen werden: ſo wuͤrde doch noch immer ein weit betraͤchtlicheres Land übrig blelben, auf wel⸗ chem der menſchliche Verſtand mannigfaltige Blumen und Fruͤchte des Geiſtes erzeugen, oder wenigſtens in

25 der

—i1538

ber Anbauung deſſelben feine Kraͤfte uͤben koͤnnte. Sjn: nerhalb ber Graͤnzen dieſes Landes liegen die unbeſtrit— tenen fruchtbaren Selber ber Ontologie, ber Pſycho⸗ logie, ber Vernunftlehre, ber Aeſthetek uno bee Cit: tetlebre, bie nur die Joánbe geſchickter und unverbrof ſener Arbeiter ſodern, um für bie Nahrung und baé Vergnuͤgen des Geiſtes gleich ergiebig zu werden. Allein auch an der Bearbeitung der beſtrittenen Wiſſen⸗ ſchaften der Kosmologie und der Theologie brauchen wir die Haͤnde nicht ſinken zu laſſen; wir koͤnnen an ihrer Erweiterung immer ſortarbeiten, wir koͤnnen (ie immer mit neuen Wahrheiten zu bereichern ſuchen, ohne uns auf bie transſcendentale Guͤltigkeit dieſer Wahr⸗ heiten vor der Haud einzulaſſen. Auf dieſe Art haben ſelbſt die Mathematiker die Zeichnung ganzer Wiſſen⸗ ſchaften vollendet, ohne von der Realitaͤt des Gegen⸗ ſtandes derſelben mit einem Worte Erwaͤhnung zu thun. Das laͤßt fid) mit einem merkwuͤrdigen Beyſpiele betes gen, mit einem Beyſpiele, das zu treffend und zu lehrreich iſt, als daß ich es nicht ſollte hier anfuͤhren duͤrfen. Apollonius und ſeine Ausleger haben die ganze Theorie der Kegelſchnitte aufgebauet, ohne irgend⸗ wo die Art zu lehren, wie die Ordinaten auf den Durchmeſſern dieſer krummen Linien applicirt werden, und gleichwol ruhet darauf die Realitaͤt der ganzen Theorie. Waͤre dieſe Application nicht moͤglich: ſo waͤre aud) bie Conſtruction ber Kegelſchnitte nicht aué:

zu⸗

—159 ^w"

zufuͤhren; ed wuͤrde ungewiß feo, o5 ein Cubject gebe, bem bie Eigenſchaſten gufommen, welche üt allen ben ſchoͤnen Problemen ber Theorie von ilm 6e miefen fin, *)

Die ?fmvenbung dieſes Verfahrens anf. die 9e: taphyſik iſt leicht. Man laſſe den Beweis von der Wirklichkeit ber Subjecte der Monadologie und Theo⸗ logie vor der Hand noch ausgeſetzt ſeyn; das was die Wiſſenſchaſt von ihren Eigenſchaſten beweiſet, wird indeß nicht weniger Wahrheit haben, und wenn wir das ganze Buch der Vernunft daruͤber durchgeleſen ha⸗ ben, wer weiß, ob wir nicht endlich noch die Ueber— zengung von ber. Wirklichkeit ihrer Subjecte auf. bem letzten Blatte finden?

Doch

Eustotius, Memur, et Commendiuur cum Apollonio I, affumunt rectas lineas ordinatim diametris fectio- num conicarum applicatas, licet mullibi doceant eas applicare: & forte Apollonius eam praxin in librum fuum VIII. circa problemata conica diftu- lera. Haec vero fuppofitio legitima eft, pofita definitione feu natura ipfarum rectarum ordinatim diemetris applicatarum. Subjefhum enim definitum aſſumi potefl , ut affec'iones variae de eo demonflren- fur, licet praemiffa nou fit ars fubjeclum ipfum ef- formandum delineandi. Jo. Alph. Borelli Admonitio ver f. Ausg. von Apollonii Con, Sect. XXII,

fr^ 160 ^"

Doch ofne uns mit eínem wer weiß: zu 6e gnuͤgen, ohne abzuwarten, ob uns nicht vielleicht die Zeit bie Entdeckung dieſes letzten Blues ungeſucht darbieten wird, laſſen Sie es une wagen ſeinen Inhalt, nach dem Beyſpiel der Mathematiker, durch eine kuͤhne Divination zu finden.

Es fómmt fier auf zwey Stuͤcke an: erſtlich auf die transſcendentale Guͤltigkeit der Form unſerer Erkenntniß, und zweytens auf die Realitaͤt der Ma⸗ ferie oer reinen Vernunfterkenntniß.

Syóre richtige Form erhaͤlt unſere Erkenntniß durch die Verbindung ber Wahrheiten nad) bem Satze des Widerſpruches und des zureichenden Grundes. (S. dieſ. phil. Mag. r. €t. S. r4.) Was dieſen Gruudgeſetzen der Vernunft gemáfi iſt, das ift wahr, und wenn wir uns ſeiner Wahrheit bewußt ſind, gewiß. Es fragte ſich nur, ob die nach dieſer Form gedachten Gegenſtaͤnde eben fo wahr unb gewiß ſind, ober ob alles in ben Gegenſtaͤnden fo ſey, wie wir es nad) dieſen Geſetzen erkannt haben, oder endlich, ob nach Herrn Kants Sprache dieſe Geſetze eine transſcenden⸗ tale Guͤltigkeit haben?

Die bisherige Metaphyſik hat dieſes als unfeug: bar angenommen. Hat ſie daran recht gethan? Wenn

ſie

f^Avr^ rÓ6r wa

fie affe ire SBernunfterfenntni$ nad; dieſen Geſetzen formt, wenn fie fid) bie Gegenſtaͤnde tiefen Gefe&en gemáf ben£t, unb menn fie gugícid) dieſe Geſetze aus dem Weſen ber Vernunft felb(t nimmt: fo erbellet von neuem, baf fie, wenigſtens in. Anſehung ber Sornt, gerade bas tut, was Hetr Sant von cíner ádten Metaphyſik fobert, ſie verlangt, baf fid) tie Ges genftánbe nad) ber Erkenntniß richten. Alſo nod) einr mal: Kann ſie das verlangen ?. ober, welches einet; ley ift, haben bie Grundgeſetze ber. menſchlichen Er⸗ kenntniß transſcendentale Guͤltigkeit?

Wir wollen unſere Unterſuchung ſo einrichten, daß wir von bem Satze des zureichenden Grundes am; fangen, wir wollen dem Beweis deſſelben eine ſolche Wendung geben, daß ſeine Abhaͤngigkeit von dem Satze des Widerſpruches etwas leichter als bie bisheri⸗ gen ín bie Augen faͤllt; wir wollen bie transſcenden⸗ tale Guͤltigkeit des Satzes des Widerſpruchs beſſer auseinander ſetzen; auf dieſe Weiſe wird dann auch eben dieſe transſcendentale Guͤltigkeit des Satzes des zureichenden Grundes einleuchten.

Diejenigen Philoſophen, die ben Cat ſelbſt an: nehmen, ob ſie gleich bisher keinen Beweis deſſelben buͤndig genug gefunden haben, wollen ihn als einen Grundſatz zulaſſen, ben man aud) ohne Beweis anneh⸗

men

f2.vTr^ I1602 ^"

men kann. Das mürbe nun zwar turf ben Gebrauch bet beſten Mathematiker, fel6ft des Euklides autfjor riſirt werden, ber unter ſeinen Axiomen einige Cá(e hat, die wol noch eines Beweiſes beduͤrfen, die aber ohne Beweis vorgetragen werden, weil man ſie fuͤr notiones communes oder xo»«s m»was hault, bít jedermann bereit i(t, ohne Beweis gugulaffen.

Allein in ber Philoſophie duͤrfen wir dieſes Ver— ſahren nicht nachahmen, unb am wenigſten mit bem Satze des zureichenden Grundes. Der Mathematiker fat alle Geſetze der Methode beobachtet, unb alle Fo—⸗ derungen ſeiner Wiſſenſchaft erfüllt, menn die Be⸗ weiſe ſeiner Lehrſaͤtze in richtiger Verkettung an die Axiomen anſchließen, uͤber die er mit ſeinem Leſer iſt eins geworden. So bald man ihm eines von ſeinen Axiomen leugnet: ſo fallen freylich auch alle Lehrſaͤtze, bie von demſelben abhangen. Das iſt aber. ein fo ſelte— ner Fall, baf er nicht glaubt, ibm bie unverwickelte Leichtigkeit feines 9Bortrageó unb bic ſchoͤnen Verhaͤlt⸗ níffe feine Lehrgebaͤudes auſopſern zu müffen.

Die Philoſophie mug gefaͤlliger ſeyn. &o Bab eines ihrer Axiome in Zweifel gezogen, ober gat at: leugnet wird, ſo mu fie es, wofern fie es anders ge: brauchen will, mit Beweiſen unkerſtuͤtzen, zumal wenn es in allen phyſiſchen unb moraliſchen Wiſſenſchaf⸗

ten

F^»f^ 1605

fen von fo weitem Umfange ift, als bcr Caf des gu reichenden Gruudes. Nun kann dieſer Satz nicht an; ders als a priori bewieſen werden; denn ein Beweis durch Induction iſt unmoͤglich. Die Gruͤnde der Dinge ſind in vielen Faͤllen ſo verſteckt, daß die Er— fahrung ſie nicht immer entdecken kann. Diejenigen alſo, die ſeine Allgemeinheit leugnen, koͤnnen eben ſo viele Erfahrungen gegen denſelben anfuͤhren, als ſeine Vertheidiger fuͤr ihn. Wenn alfo ber Satz des zurei⸗ chenden Grundes a priori ſoll bewieſen werden: ſo muͤſſen wir ihn aus einem hoͤhern Grundſatze herlei⸗ ten. Nun giebt es fein hoͤheres Axiom, als ben Satz des Widerſpruchs. Die allgemeine Wahrheit des Satzes des zureichenden Grundes kann daher nur aus dieſem demonſtrirt werden; und das kann, glaub ich, am deutlichſten ſo geſchehen:

Allẽs hat entweder einen Grund, oder nicht alles fat einen Grund. Sm letzten Falle koͤnnte alſo et: was moͤglich und denkbar ſeyn, deſſen Grund Nichts waͤre. Wenn aber von zwey entgegengeſetzten Dingen Eines ohne zureichenden Grund ſeyn koͤnnte: ſo koͤnnte auch das Andere von den beyden Entgegengeſetzten ohne zureichenden Grund ſeyn. Wenn z. B. cine Por—⸗ tion Luft ſich gegen Oſten bewegen und alſo der Wind gegen Oſten wehen koͤnnte, ohne daß im Oſten die Luft waͤrmer unb verduͤnnter waͤte: fo wuͤrde dieſelbe

Por⸗

Fou 164 ^uae

fportíon Luft fid) een fo gut gegen Weſten bewegen fónnen, als gegen Often; dieſelbe Luſt wuͤrde (id) alio zugleich nad) zwey entgegengeſetzten Richtungen bewe⸗ gcn koͤnnen, nad) Oſten unb Weſten ju, unb alſo ger gen Ojten unb nidt gegen Oſten, 5. i. e$ koͤnnte et: was zugleich ſeyn unb nicht ſeyn, welches widerſpre⸗ chend und unmoͤglich iſt.

Zwey Saͤtze, ble einander widerſprechen, kann ich nicht zugleich fuͤr wahr halten: welchen von beyden werde id) aber nun fuͤr wahr halten koͤnnen? Den⸗ jenigen, deſſen Praͤdicat bereits als eine Beſtimmung in bem Begrifſe des Subjects entfalten ift, ober durch etwas aufer demſelben beſtimmt wird. Dieſe SDeftim: mung des Subjectes fe mun eine nothwendige ober zufaͤllige Beſtimmung, fe muf id fie mir vor(tes (en, wenn (d) mír ben einen unter. zwey voiberfpres chenden Saͤtzen als wahr unb moͤglich vorſtellen will. Sie muß alſo Etwas ſeyn, denn ſonſt wuͤrde auch das Nichts koͤnnen vorgeſtellt werden; d. i. der Grund von der Wahrheit eines wahren Satzes muß Etwas ſeyn; denn der Grund iſt das, woraus man erkennen kann, warum etwas iſt, und warum es ſo und nicht anders iſt. Warum iſt bet Satz wahr: ein hoͤlzer⸗ nes Dreyeck kann verbrannt werden? weil zu dem Subject die Beſtimmung gehoͤrt, daß das Dreyeck

von Holz iſt. Warum kann es eben jet verbrannt wer⸗

* 165 «wc»

werden? Weil man es ins Feuer gelegt hat. Die Beſtimmung des Subjects, baf es von Holz ift, ift der Grund, daß es an ſich moͤglich iſt, es zu verbren⸗ nen; die Beſtimmung, daß es eben jetzt im Feuer liegt, ift der Grund, marum e$ eben jetzt kann ver: brannt metben, Wenn alfo von írgenb einem Sub⸗ jecte zwey roiberfpredjenbe "Drábicate móglid) finb: fo muf Etwas feyn, marum ibm ba$ Eine unb nidjt das Andere gutómmt.

Dieſer Beweis ift alfo auf ben Satz bes Wider⸗ ſpruches zuruͤckgefuͤhrt; benn feine ganje Kraft liegt barín: Wenn ber Satz bes zureichenden Grundes nidjt allgemeine Wahrheit Dátte; fo tónnte Ein &ubject gu; gleid) zwey widerſprechende fDrábicate faben. Gr mírb alfo transícenbentale Guͤltigkeit haben, fo bald ber Caf be Widerſpruchs fie Dat. Hat er bie? Wir fónnen freylich nid)t in Abrede fepn, bag ber Satz des Widerſpruchs eine ſubjective Gewißheit fat. Ich muß irgendwo bey einer erſten Wahrheit ſtehen blei⸗ ben, woran die Kette aller uͤbrigen befeſtigt iſt. Dieſe erſte Wahrheit kann ihre Gewißheit von keiner andern Wahrheit in der Reihe erhalten, ſonſt wuͤrde ſie nicht bie erſte ſeyn. Was hewegt mid) alſo, fie anzuneh⸗ men? Nichts anders, als das Bewußtſeyn, daß ich nichts widerſprechendes denken kann. Wenn ich es verſuche, ſo fuͤhl ich, daß die eine Operation meiner

Philoſ. Mag. 2. Gr. M vor⸗

FLU (i60 ^nm

vorſtellenden Saft bie anbere zerſtoͤhrt. Was allé Etwas, was alfo denkbar fepn fof, darf nichts mibet: ſprechendes enthalten, es darf nicht zugleich A und nicht A ſeyn. Kann ich das nun auf jeden Gegenſtand uͤbertragen; kann es auch keinen Gegenſtand, kann es nichts von mir verſchiedenes geben, worin etwas wider⸗ ſprechendes, etwas deſſen Praͤdicat zugleich A unb nicht A waͤre? Ich ſehe, daß es in meinen Gedan⸗ fen nicht ſeyn kann, unb zwar nicht barum, weil e$ dieſe Gedanken, oder weil es uͤberhaupt Gedanken ſind, ſondern weil es ein voͤllig unbeſtimmtes A iſt, das durch das eben fo unbeftimmte Nicht A zerſtoͤrt unb aufgehoben wird. Es muß alfo nicht bloß vor meinen Gedanken gelten, es muß eine allgemeine Guͤl⸗ tigkeit haben, ich muß es von meinen Vorſtellungen auf die Gegenſtaͤnde uͤbertragen koͤnnen. Der Grund⸗ ſatz des Widerſpruchs iſt alſo ein objectiver Grundſatz, und, der Satz des Grundes, wenn er von ihm ſeine Gewißheit erbalt, muß es aud) ſeyn.

Hier haben wir dann die Quelle der unvermeid⸗ lichen Nothwendigkeit, ben ſubjeetiven Geſetzen der Vernunft eine objective Kraft zu geben, die Herr Kant eine Illuſion nennt, welche gar nicht zu vermeiden iſt. Sollte es eine bloße Illuſion ſeyn: ſo muͤßte die Ueber— tragung unſerer Erkenntniß, aud) menn fle auf ihren erſten Grundſaͤtzen beruhet, ein Irrthum ſeyn, und

Jie

"CMTR 167 "n

dieſe erſten Girunbfáge müften feine objective Wahr⸗ Deit haben. Kann man inen abet bíefe, wie wir ers wieſen zu Daben glauben, nicht abſprechen: fo (at alle unfere Grfenntnif, bie dieſen Grunbfágen gemáf ift, gleichfalls ihre unleugbare logiſche Wahrheit, unb bie Nothwendigkeit, ihr eine objective Kraft zu geben, iſt keine Illuſion.

Die Schwierigkeiten, die bey der transſcenden⸗ talen Guͤltigkeit der Form an ſich ſelbſt vorkommen, ſchienen alſo gehoben. Allein damit waͤren wir nicht viel weiter, menn. keine Materie moͤglich waͤre, bie dieſer Form zum Stoffe bient, uno der Erkenntnißkraft Gegenſtaͤnde gaͤbe, die eine Subſiſtenz haben, welche von ihr verſchieden iſt.

Es iſt bekannt, daß der Verfaſſer der Crit. der reinen Vernunft keinen Stoff der Erkenntniß zulaͤßt, als das, was er die Form der Anſchauung nennt, naͤm⸗ lic) den Raum für ben aͤußern Sinn, und die Zeit fuͤr den innern. In welche enge Graͤnzen er die Erkenntniß durch dieſe Beengung ihres Stoffes zuſammenziehe, iſt bereits ín dieſem Magazine *) beinerkt worden. Um aber das nicht zu wiederholen, was uͤber dieſen Theil ſeiner Theorie iſt erinnert worden: ſo ſey es uns erlaubt, bie dort bloß angedeuteten Vetrachtungen bier etwas weiter fortzufuͤhren.

$a eit *) 1. €t, S. 19.

1608

Sie reichen vor der Hand wenigſtens ſo weit, daß wir annehmen duͤrſen: 1) die Formen der Er— kenntniß des Herrn Kant, ſeyen nur Formen der Sinnenerkenntniß, keinesweges aber der Verſtandes⸗ erkenntniß; 2) ſie ſeyen alſo nur die einfachſten Be⸗ griffe dieſer Sinnenerkenntniß; 3) die einfachſten Be⸗ griffe der Verſtandeserkenntniß ſeyen unbildlich und uͤberſinnlich; 4) dieſe Verſtandeserkenntniß ſey in abſtracto bloß ſymboliſch, unb nur in concreto arn: ffauenb, unb ba$ einfadjfte anſchauende Merkmal berfelben fey Vorſtellung.

Der reine Verſtand des endlichen Geiſtes, bet; gleichen der menſchliche iſt, hat alſo keinen Gegenſtand, deſſen Erkenntniß in dem menſchlichen Geiſte anſchauend ſeyn kann; daruͤber ſind alle ſtreitende Parteyen eins. Nur behauptet die eine Partey, daß dieſer Gegenſtand, ob er gleich keine unmittelbar anſchauende Erkenntniß zulaͤßt, dennoch ein wahrer Gegenſtand ſey; und ſie fin⸗ bet bie Gruͤnde für dieſe Meinung ſelbſt in ben Bildern des Raumes und der Zeit, die die erſten Elemente aller Sinnenerkenntniß ſeyn ſollen, in dem Beduͤrfniß, von dieſen Bildern außerhalb der Sphaͤre ber. Sinnener⸗ kenntniß Grund anzugeben. Eine kurze Seralieber rung derſelben wird uns vielleicht davon uͤber⸗ zeugen.

Bey

f^»f^ 169 UL

Bey ber Seit finben fid) ber Schwierigkeiten bie: ftt Zergliederung weniger ; wir wollen alfo bamit an: fangen. Die concrete Seit, obet bíe Seit , bie roit empfinben , i(t nichts anders, afó Me Succeſſion un: ſerer Vorſtellungen; benn aud) bie Succeſſion in. der Bewegung laͤßt fid) auf bie Cucceffion ber Vorſtellungen jurüdóringen. Die concrete Zeit i(t alfo etwas Su: ſammengeſetztes; ijre einfache Glemente ſind Vorſtel— tungen. Da alle endliche Dinge in einem beſtaͤndi⸗ gen. Fluſſe (inb: fo koͤnnen dieſe einfachen Elemente nie empfunben werden; ber innere Sinn kann fie nie ab: acfonbert empfinben ; (ie werden immer mit etwas em: pfunben, das vorferaeft unb nadfofgt. Da feret bec Fluß ber Veraͤnderungen allec enblid)en Dinge ein ſtetiger ununterbrochener Fluß ift: fo ift kein empfinb: baret Theil ber Seít bet fleinfte, ober ein vàllig einfa⸗ dr. Die einfad)en Elemente ber concreten Seit. [ies gen alfo vàllig außerhalb ber &pbáre ber Sinnlichkeit; das i(t ber Beobachtung ber bisherigen Metaphyſik gar nicht entgangen, unb Leibnitz bat daruͤber mit ſeinem gewoͤhnlichen Tiefſinne philoſophirt. Ueber dieſe Sphaͤre der Sinnlichkeit erhebt ſich nun aber der Verſtand, indem er das unbildliche Einſache entdeckt, ohne welches das Bild der Sinnlichkeit auch in Anſe⸗ hung der Zeit nicht moͤglich iſt. Er erkennt alſo, daß zu dem Bilde der Zeit zufoͤrderſt etwas Objectives gehoͤre, dieſe untheilbaren Elementarvorſtellungen, wel;

M3 dr

[£o Ae ol 170 wu

che zugleich mit ben (ubjectiven Gruͤnden, Me ín ben. Schranken des endlichen Geiſtes liegen, fuͤr die Sinnlichkeit das Bild der concreten Zeit geben. Denn vermoͤge dieſer Schranken koͤnnen dieſe Vorſtellungen nicht zugleich ſeyn, und vermoͤge eben dieſer Schran⸗ fen koͤnnen (ie ín bem Bilde⸗ nídt unterſchieden werden.

Wenn die concrete Zeit nicht ohne objective Gruͤnde moͤglich iſt, ſo wird es auch die abſtracte nicht ſeyn, wofern ifr Begriff vollſtaͤndig abgezogen, und folglich wahr ſeyn ſoll. Nur was in der erſtern Vorſtellungen und beſtimmte Vorſtellungen ſind, das ſind in der letztern unbeſtimmte auf einander in einem ſtetigen Fluſſe folgenbe Veraͤnderungen. Die Elemente der abſtracten Zeit ſind alsdann untheilbare Augenblicke, und dieſe Augenblicke verhalten ſich zu der abſtracten Zeit eben fo, voie die unbeſtimmten Einheiten zu der abſtracten Zahl. Es iſt alſo eine doppelte Verwirrung, wenn man die Elemente der Zeit fuͤr leere Vorſtellun⸗ gen haͤlt, fuͤr Vorſtellungen, die keinen Gegenſtand haben, und zwar darum, weil ihnen die Form der Anſchauung fehlt. Denn den Elementen der concreten Zeit feit dieſes Anſchauende nicht, e$ ift die Vorſtel⸗ lung ſelbſt; (S. 169.) bie. Elemente der abſtracten Zeit haben zwar unmittelbar. nichts anſchauendes, ſie haben es aber mittelbar in dem Concreten, von

dem

funr x7x T 1 78

bem bie abfttacte Seit abgezogen iſt. Dieſe Materie ließe fid) nod) weiter verfolgen; wir gedenken aber 6ey einer. andern Gelegenheit wieder darauf zuruͤcczukom⸗ men und ſie noch von andern intereſſanten Seiten zu betrachten.

Bey der Zergliederung der Zeit muͤßten wir alſo, um ſie auf Einmahl zu Ende zu bringen, in das Gebiet des Verſtandes übergeben, unb dieſes Erkenntnißvermoͤ⸗ gen wuͤrde dann in ſeiner eigenthuͤmlichen Region, zwar nicht bildliche, aber darum keine weſenloſe, begriffleere Gegenſtaͤnde haben. Die vielſeitige Gleichartigkeit der andern Form bec Anſchauung, des Raͤums, mit bet Zeit, uͤberhebt uns der Muͤhe, von der Zergliederung derſelben alles das zu wiederholen, was ſie mit der Zergliederung der Zeit gemein hat, und erlaubt uns, unſere Unterſuchung bloß auf das einzuſchraͤnken, was ihr eigenthuͤmlich iſt. Die erſten Elemente des Zu— ſammengeſetzten, mit welchem der Raum zugleich da iſt, ſind eben ſowol, wie die Elemente der Zeit, einfach unb aufer bem Gebiete ber Simlichkeit; fie ſind Ver— ftanbesmefen, unbildlich, fie koͤnnen unter. keiner ſinn⸗ lichen Form angeſchauet werden, ſie ſind aber dem un— geachtet wahre Gegenſtaͤnde, das alles haben fie mit den Elementen der Zeit gemein. Allein nun hat der Raum noch etwas eigenthuͤmliches, und deſſen Zer— gliederung ift einigen Schwierigkeiten mehr unterworfen.

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Der concrete Raum iſt mit bem Sufammenge: fe&ten zugleich ba, unb dieſes 3ufammengefeGte i(t bet Koͤrper; bec Koͤrper iſt aber, ſofern er zuſammengeſetzt iſt, ein Aggregat einfacher Subſtanzen. Hier ſind zwey Schwierigkeiten ſtatt Einer. Denn erſtlich ſagt man, der Koͤrper iſt ein Inbegriff von Erſchei⸗ nungen; der Raum, der mit ihm zugleich da iſt, iſt eine Erſcheinung, oder Etwas, deſſen Bild ſeinen Grund in den Schranken der Vorſtellungskraft hat; was iſt er aber an ſich?

Wenn das: was iſt der Koͤrper an ſich und außer bet Erkenntniß? fo viel heißt, als: was iſt er außer aller Erkenntniß? ſo iſt die Frage ungereimt, und man kann von keinem Philoſophen eine ungereimte Frage vermuthen. Die ganze Critik der rein. Vern. ſagt auch nur: was iſt er außer der ſinnlichen Er⸗ kenntniß? Daß aber. die transſcendentale Aeſthetik bit: fet Kritik alle unſere Erkenntniß auf diejenige einſchraͤnkt, bey welcher Raum unb Zeit als bie einfachſten Merk⸗ male aller unſerer Vorſtellungen oder als Formen der Anſchauung zum Grunde liegt, das iſt bereits bemerkt worden. Wir haben aber auch gegen dieſe Critik Erinnerungen gemacht, von denen wir glauben, daß fie einige Erwaͤgung verdienen.

Die

FMAMEM 173. ^ac»

Die Glemente ber. Koͤrper, bie (egten. Gruͤnde be$ Ausgedehnten, finb alfo aufer bem Gebiete bet Sinnlichkeit, bie Sinnlichkeit fann un$ nicht fagen, was fie an fid), ohne bie Sorm ber Anſchauung des aͤußern Sinnes (inb. Aber ber Verſtand fann e$, unb wir faben aefefen, ba zwar bie Merkmale bet Begriffe dieſes Erkenntnißvermoͤgens nicht bilblid), nicht finnlich ſind, aber daß ſeine Begriffe nichts deſto we⸗ niger ihre wahren Gegenſtaͤnde haben.

Alſo fuͤr den reinen Verſtand iſt der letzte Grund der Erſcheinungen, die wir an dem Koͤrper wahrneh⸗ men, und mithin auch des Raums, in den einfachen Subſtanzen.

Was iſt aber zweytens das Subſtanzielle, das Subſtratum der Accidenzen, die von den Subſtanzen zu erkennen ſind? Das iſt die andere Schwierigkeit, die der Unterſuchung uͤber den Raum eigenthuͤmlich iſt. Hier darf man wieder die Fragen unterſcheiden: Was ift e$. für bie Sinnenerkenntniß? Nichts. Denn bie Sinnen (tellen uns nur 9Beránberungen, unb alfo Accidenzen vor. Was ift e abet (ür ben 3Berftanb? Das Fortdaurende, wovon die Accidenzen SDeftimmun: gen ſind, die Kraft, welche ihren Grund enthaͤlt. Dieſes Beharrliche, dieſes Subſtanzielle liegt freylich außer der Sphaͤre der Sinne, der Verſtand kann ſich

9 5 bavon

FTT I74 was

Pason feine anſchauende Vorſtellung made; es muf aber bafeyn, menn bie Grundgeſetze ber 3Becnunft einen objectiven Werth, logiſche Wahrheit ober trans⸗ ſcendentale Guͤltigkeit haben. Wenn alſo keine Form ber Anſchauung dabey gum Grunde liegt: fo beroei(t, baé nur, baf es nicht ben Sinnen erfennbar ift; benn nur für biefe finb die Formen bet Anſchauungen not, wendige Bedingungen bet GrfenntniB, keinesweges aber fuͤr den Verſtand.

Co glauben wir alſo die transſcendentale Guͤl⸗ tigkeit ober bie logiſche Wahrheit ber menſchlichen Gr; kenntniß, ſowol von Seiten ihrer Form als ihrer Ma⸗ terie, nad) unſerer Ueberzeugung, vor ber Hand qe; tettet zu haben. Die Schranken, die wir uns vorge⸗ ſchrieben haben, verbieten uns, dieſe Materie jetzt weiter auszufuͤhren; roit werden aber noch oͤſter, die⸗ ſelbe zu beruͤhren, Gelegenheit nehmen.

III.

175 unc

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III. Beytrag zur Geſchichte ber Baͤrte.

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Sue Meberfdorift ſcheinet etwas fo unwichtiges zu verſprechen, daß es ſchwerlich in. eine Zeitſchriſt auf genommen zu werden verdienet, welche nicht bloß dem Zeitvertreibe, ſondern ber Aufklaͤrung ber interefjante: ſten Gegenſtuͤnde gewidmet iſt. Alleuſalls tóunte man nad) derſelben hoͤchſtens einen. entbehrlichen Beytrag zur Geſchichte ber Moden erwarten. Allein geſetzt auch; ſollte nicht aud) dieſe fo koͤnnen betrachtet vei: den, daß ſie dem philoſophiſchen Beobachter zu einigen intereſſanten Bemerkungen koͤnnte Gelegenheit geben? line nur auf dieſe Art wuͤnſche id) dieſen kleinen Bey⸗ trag zur Geſchichte ber Barte nuͤtzlich gu machen. ſoll zugleich zu einer Probe von dem Stolze und der Eitelkeit der Geiſtlichen in den vorigen Jahrhunderten dienen, und nebenher wird man ſich vielleicht daraus von ber Veraͤnderlichkeit ber Eitelkeit uͤberzeugen fon: nen, bie, nachdem e3 bie Mode will, 6alb auf eíne Tracht, bald auf bie entgegenſtehende einen. Werth ſetzet.

Ich

(TA 176 wa

Sid) weiß nid)t, ob mam bereits bemerkt fat, baf in bcn mittleren Seiten ber Bart ein Kennzeichen war, wodurch (id) bíe Layenſchaft von ber Geiſtlichkeit unterſchied. Das fdjeinet roeníg(ten$ nod) nidt fo Defannt zu ſeyn, baf die fe&tere ifr geſchornes Sinn für einen Vorzug hielt, beffen fid) bie Layen ohne ba$ groͤßte Verbrechen nid)t anmafen fonnten. &ie hielt uͤber dieſen Vorzug ſo ſtreng, daß ſie ſogar Wunder erdichtete, um einen fo laͤcherlichen Vorzug ber Geiſt⸗ lichkeit gegen die Layen zu behaupten.

Ein Benedictinermoͤnch des Kloſters Ct. Emeran im eilften Jahrhundert erzaͤhlet folgende Ge⸗ ſchichte *). „Ein Mann vom hoher Geburt wurde „eines Pferdediebſtahls beſchuldigt. Der Graf der „Provinz, zu welcher er gehoͤrte, befahl ihm, ſobald e tt die That vernommen, das Pferd entweder wieder⸗ zugeben oder ben Werth deſſelben zu bezahlen. Der „Beſchuldigte, uͤber dieſen Beſehl beſtuͤrzt, verſprach, „durch jeden Beweis, ben man verlangen wuͤrde, fid) „von dem auf ihn gebrachten Verdacht zu reinigen. .Dieſe Reinigung ſollte alſo auf Sbefebt des Grafen „in Gegenwart vieler Zeugen, vermittelſt des gewoͤhn⸗ „lichen Waſſerurtheils vor ſich gehen. Die Rich—⸗

„ter

*) Narratio Orhloni de Miraculo, quod accidit nuper cuidam Laico; in Pezii Thef. Anecd. T. III. P. II.

P. 397-

Fok^F^ 177 «wem

» tet unb Zeugen famen neb(E ben Parteyen an. bem » beftimmten Orte zuſammen, bie *Drobe vourbe vot; »9enommen, unb bet Beklagte ſchuldig Defunben. „Durch biefen Ausgang ber Sache rourbe er. áufec(t „niedergeſchlagen; er ſcheuete fid) nid)t nur vor ber „Wiedererſtattung be$ Pferdes, fonbern aud) vor bem »Sorne beó Grafen, von bem er mute, bof er ifn „nicht fdonen wuͤrde. Er berief alfo alle Geiſtliche „der Gegend zuſammen, um von ihnen zu vernehmen, „wie er fid) von einem Verbrechen befreyen koͤnne, an » bem er fid) gany unfdjulbig roüfte. ,,

» Det Rath bet verfammleten Geiſtlichkeit ging »babin: et folle alle feíne Suͤnden überbenfen, eine s allgemeine Beichte ablegen, unb Beſſerung verſpre⸗ „chen. Die Antwort bes Beſchuldigten mar, et babe „dieſes alles ſchon getfan, unb wiſſe fid) feiner Suͤnde „zu erinnern, die er nicht bereits gebeichtet habe. „Hier erhob Einer aus der Verſammlung ſeine Stim⸗ „me und ſagte: wie kannſt du das behaupten, da ich „an dir eine Suͤnde wahrnehme, die bu uns nicht ge „beichtet haſt und auch nicht einmal fuͤr eine Suͤnde „haͤltſt ? denn da du ein Laye biſt und nach Art der „Layen ſchlechterdings einen Bart tragen ſollteſt, ſo „haſt bu bir, als ein Veraͤchter des goͤttlichen Geſetzes, » gleid) einem Geiſtlichen, mit glattem inne einherzu⸗ » tbe angemaßet. Dieſe Suͤnde, ob du fie aleid)

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178

„fuͤr nichts haͤltſt, ift fo groß, bag bu ſchlechterdings nidt von bem Verbrechen, deſſen man bid) beſchul— » bígt, Fannft losgeſprochen werden, wofſern bu nidyt „Buße thuſt, unb Gott, es fünftia zu vermeibett, „verſprichſt. Als der Beſchuldigte dieſes hoͤrte, ant⸗ „wortete er: Siehe, ich verſpreche hiermit, daß, „wenn mich Gott von dem Verbrechen, deſſen ich „verdaͤchtig bin, losſpricht, kuͤnftig fein Schrermeſſer „uͤber meinen Bart kommen ſoll. Hierauf ging man „wieder zu dem Waſſer, und alle waren begierig zu „ſehen, ob ihm ſeine Beichte dieſes neuen Verbrechens, , unb ſeine Zuſage e$ kuͤnſtig zu vermeiden, etwas Get; „fen wuͤtrde. Die Probe wurde wiederholet, unb fie „fiel zu ſeinem Vortheil aus. Alle, die gegenwaͤrtig „waren, preiſeten Gott uͤber bie Unſchuld des Beklag— „ten unb uͤber bie Offenbarung bet goͤttlichen Gerech⸗ „tigkeit; allein der reuige Suͤnder vergaß der Barm⸗ „herzigkeit Gottes, bie ihn losgeſprochen hatte, vet: „lachte ſeine Zuſage, die er ihm gethan, ſich nicht fer⸗ „ner gu ſcheeren, unb ließ fid) feinen Bart mit einem Scheermeſſer abnehmen. Doch die goͤttliche Rache „blieb nicht aus; der Verbrecher wurde kurze Zeit » batauf von feinen Feinden gefangen, welche ibm die „Augen ausftaden. Dieſe Geſchichte, welche id) von „einem Geiſtlichen gehoͤrt habe, ſetzt unſer Benedicti⸗ „nermoͤuch hinzu: habe ich zu erzaͤhlen nicht unterlaſ⸗ „ſen koͤnnen, damit Einige, durch ein ſolches Exem⸗

» vd

FAMEM 170 ^*à4*9

» pel. erſchreckt, zur wahren Beſſerung gebracht wer⸗ „den. Dies it eit Beytrag gu ber Geſchichte ber Verſolgungen ber geſchorenen Sinne; allein endlich fam bie Reihe, verfolgt zu werden, and) an bie bártiz aen. Als ſich bie Layenſchaft aus der fangen Verach— tung, worin ſie die Geiſtlichkeit gehalten hatte, zu erheben begann, als Adel, Herren und Ritter durch ihren kriegriſchen Putz anfingen, Aufmerkſam—⸗ keit und Bewunderung auf ſich zu ziehen, ſo fingen auch die Geiſtlichen an, nach ihrem ritterlichen Schmu⸗ cke und Ehrenzeichen luͤſtern zu werden. Das glatte Sinn war nicht mehr if Stolz; fie fingen an fid) deſ⸗ felben zu ſchaͤmen, unb bíe Baͤrte mit allen ihren ver; ſchiedenen Verzierungen nachzuahmen. Dieſe geiſtliche Vartſucht rat bereits im funſzehnten Jahrhundert fo weit eingerlſſen, daß verſchiedene Domcapitel ín Frank⸗ reich fid) genoͤthiget ſahen, in ihren Cotiftéverorbnun: gen ben Baͤrten ihrer Stifteherren ben. Krieg anzu— kuͤndigen. Vielleicht hatte man ihnen unter den Fuß gegeben, daß, ba bie Geiſtlichkeit auf. ihre Baͤrte fo erpicht fep, man ein recht huͤbſches Einkommen aus dem Verkauf der Privilegien, Baͤrte zu tragen, von ihnen wuͤrde erheben koͤnnen. Dazu war vor allen Dingen noͤthig, zuerſt ein Edict zu publiciren, worin der Geiſtlichkeit das Tragen der Baͤrte verboten wuͤrde. Der beruͤhmte Du Prat, welcher unter der Regie— rung Franz des Erſten Kanzler von Frankreich war,

fam

Fxivf^ 190 ^"

fam zuerſt auf biefen Gebanfen, unb. auf Anſuchen des Koͤnigs Stans machte ber damalige Pabſt eine Bulle bekannt, worin er der franzoͤſiſchen Geiſtlich⸗ feit befahl, ihre Kinne zu ſcheeren, unb. bevollmaͤch⸗ tigte den Koͤnig, von denjenigen Geiſtlichen eine Taxe zu erheben, welche eine Befreyung von den Verfuͤgun⸗ gen der Bulle zu kaufen wuͤnſchten. Die Biſchoͤfe und alle Beſitzer fetter Pfruͤnden bezahlten die Taxe unverzuͤglich, unb retteten ire Baͤrte; allein bie nies drige Geiſtlichkeit, die nicht reich genug war, das Privilegium zu erkaufen, mittelſt welches ſie die Decke, welche die Natur ihren Kinnen gegeben hatte, haͤtten erhalten koͤnnen, ſah ſich genoͤthigt, ſie der Schaͤrfe des Scheermeſſers preis zu geben. So lange Franz lebte, unterdruͤckten ſie ihre Wuth; allein ſobald als et tobt rat, gaben (ie ihr uft unb ließen fie auf Wil⸗ belm ou Prat, einen. Sohn des Kanzlers, fallen. Dieſer Praͤlat fam eben triumphirend von ber Sríbens tinifden Kirchenverſammlung zuruͤck, roo er fid) burd) feine Beredtſamkeit hervorgethan Datte, unb fefste feine Reiſe nad) Clermont fort, um von btefem Bisthume, zu welchem in ber neue Sónig Heinrich oer Sweyte ernannt fatte, £Sefig zu nehmen. Det. neue Praͤlat fatte eínen von ben fdjón(ten unb. bufdjiaften Baͤrten in eem Koͤnigreiche. Er Batte den erſten Oftertag dazu auserſehen, feinen. oͤffentlichen Einzug in feine Kirche zu halten, und den Gottesdienſt in allem Glanze

des

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be$ pontificaliſchen Pompes au celebriren. Allein zu ſeinem unausſprechlichen Erſtaunen fand er, daß man ihm die Thuͤre des hohen Chores vor der Naſe zuge, ſchloſſen hatte, und durch ſie denn ſie war von ehernem Gitterwerk erblickte er drey Stiftsherren, bie ihn erwarteten, um ihn auf eine Art zu empfan; gen, welche ihm gar nicht ſchmeckte. Der eine hielt in ſeiner Hand ein Scheermeſſer, der andere eine Scheere, und der dritte ein altes Statutenbuch der Kirche von Clermont, mit ſeinem Finger auf die beyden Worte in einem der Statuten zeigend »barbis rafis, indeß bie andern beyden von Zeit zu Zeit die fuͤrchterlichen Waffen ſchwenkten, welche Seine Hochwuͤrden Gnaden mit dem Verluſt Dero Bartes bedroheten. Vergebens ſtellte ihnen der Praͤlat vot, daß, ob er fid) gleich gern ben Statuten ſuͤgen wollte, doch die Heiligkeit des Sabbaths es nicht ver⸗ ſtattete, daß ſie ihm an einem ſolchen Tage den Bart abſchnitten, indem dieſes ein knechtiſches Werk fev. Die Stiftsherren waren gegen alles dieſes taub; alles was ſie ſagten, war: „laß dich ſcheeren, oder bleib braufen,,, Cr mar fo halsſtarrig, als fie; unb ließ es fid) (ieber aefallen, abzuziehen, als feinen Bart preis zu geben. Er nafm aud) dieſe Niederlage unb die Nothwendigkeit, worin er ſich ſah, entweder ſein Bisthum oder ſeinen Bart zu verlieren, ſo ſehr zu Herzen, daß er krank wurde, und bald darauf ſtarb.

Philoſ. Mag. 2. St. N Du

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Du ptat tar nidt ber einzige Praͤlat, bem fid) fein Capitel, ín Betreff ſeines Bartes, widerſetzte. An—⸗ ton Caracciolo war won bem naͤmlichen Koͤnig Hein⸗ rid) ju bem Bisthum Croyes in. Cbampagne et: mannt; allein das Capitel rocigerte ficb, in ale Biſchof anzunehmen, woſerne ec fid) nicht gefallen liege, fein Kinn ſcheeren zu laſſen; dieſem wollte er fid) nit uns terwerfen, allein er. fano zu gleicher Seit Mittel, fein Bisthum au befalten, benn er fatte Ginfluf genug bey dem Sónige, um von ibm einen. Befehl an baó Capitel ausguroitfen, ihn mit feinem Barte anzuneh⸗ men. Dieſer Beſehl iſt datirt vom 28ſten November 1551. Fuͤnf Jahre hernach fand ſich Johann von Morvillers in einer aͤhnlichen Lage. Das Capitel von Orleans, zu welchem Bisthum er war befoͤrdert worden, wollte ihn nicht aufnehmen, ehe und bevor er nicht ſein Kinn durch den Barbier haͤtte qualificiren laſſen, ben Statuten gemaͤß in bem Chore zu erſchei⸗ nen, Er erhielt indeß bie Erlaubniß, ohne geſchoren zu ſeyn, von dem Capitel inthroniſirt zu werden, weil er zu ſeinem Gluͤck ein Befehlsſchreiben von dem Koͤnige in der Taſche hatte, worin verordnet war, daß er bey die⸗ ſer Gelegenheit von den Statuten muͤſſe dispenſiret wer⸗ den, weil Se. Majeſtaͤt vorhaͤtten, ihn zu Geſandſchaften in ſolchen Landern zu gebrauchen, wo er nicht ohne Bart erſcheinen koͤnnte.

IV.

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re$ r99ro9r9ro9 n9 $9 029099 ^96

IV. Rhapſodie

uͤber das Verdienſt.

SS tens taufóet in bem Strom ber Seiten eine 98elle nad) ber anbern fin;

unb ber Ocean bet. Ewigkeiten

ſammelt iren. bleibenden Gewinn.

Sanft getränket wachſen am Geſtade Palmenſproͤßlinge zu 38álbern. auf,

ſtreuen Schatten auf des Wandlers Pfade und erquicken ihn im matten Lauf.

Wie der Hauch die leichten Luͤfte theilet, und mit Toͤnen, die die Laute ſchallt, zu ber Echo fernen Kluͤften eilet, bic fie dann vervielſacht wlederhallt alſo ſchwimmt in immer weitern Kreiſen ſpaͤte Wirkung um die Urſach' her, und aus edlem Thatenſchweiß der Weiſen quillt der Enkelwelt ein Segensmeer.

Na

Heil

f^Avf^ 184. às»

Heil ben Edlen, bíe be8 Erdenlebens kurze Dauer bis zum Sternenzelt dehnen! deren Fackel nicht vergebens noch der Zukunft ferne Nacht erhellt! Heil den Edlen, denen Lorberkronen, die die unbeſtochne Nachwelt flicht, jene wirkungsreichen Siege lohnen, bie nut bleibendes Verdienſt erficht.

Weſenlos und eitel, gleich dem Schatten, flieht der Meiſten Leben! Weit vom Ziel, wie des Bogens ſchlaffe Senn', ermatten ihnen Thaͤtigkeit und Selbſtgefuͤhl;

Nur ein Muth, der Lohn und Ehre fodert, weil er duldend keinem Kampf entflieht,

iſt ein Feuer, das unſterblich lodert,

wenn es in des Edlen Bruſt ergluͤht.

Nicht am Staub, der ſeinen Geiſt umhuͤllet, weilt der Edle, traͤg, und thatenlos;

und dies Leben, das am Grab verquillet, ſcheint ihm, dem Unſterblichen! nicht groß; Nicht im Freudentaumel, bet. vermorren eitie Scenen au. einanbet. veibt,

pfüdt ev Blumen nur, bie ſchnell verborrer, ſondern pflanget. ſelbſt ber. Ewigkeit.

Jeden

U(Ox3vFA 195 4e

Jeden Trieb, ber (ei^ im Buſen fpielet, zeitigt er durch Ernſt zur Maͤnnerkraft, unb ber Weisheit hehre Palme kuͤhlet jede raſch entglommne Leidenſchaft. Selbſt die Wolluſt, dieſes Lebens Wuͤrze, wie der Selbſtbetrogne gern ſie nennt, taͤuſchet ihn umſonſt, weil er die Kuͤrze ihrer ſuͤßen Schmeicheleien kennt.

Jenſeit dieſes Lebens enger Schranken winkt das Ziel, wohin mit ſichrer Hand er den Bogen wirkender Gedanken, ernſten, unverwandten Blickes ſpannt; Stets ber ernſten Tugend wuͤrdig handeln, und hinan zu ihrem Heiligthum des Verdienſtes ſteile Pfade wandeln iſt fein Wechſelbrief auf Ehr' unb Ruhm.

Gleich dem Landmann, der an heitern Tagen in der Saat, die kaum der Furch' entbluͤht, ſchon die Segenſchwangern Erntewagen und den Freudenkranz der Schnitter ſieht blickt ſchon im Entſchluß zur That des Weiſen Auge zur Vollendung froh empor, und die Hymnen, die ihn kuͤnftig preiſen, cubren jetzt ſchon ſein empfindlich Ohr.

N3 Wenn

186 ^w»

Wenn zu Staub be& Lebens Blume finfet, wirkt durch Schoͤpſerkraft nod) ſein Verſtand; denn zu Wirklichkeit und Leben winket der noch was er dachte, that, empfand.

Ein Gedanke wirkt auf Millionen, ſchafft zu Gaͤrten Wuͤſten um, und lenkt wilde Fluthen, ober ſtuͤrzet Thronen wann ihn eine groſſe Seele denkt.

Ein Gedanke von dem reinen Feuer eines hohen Genius entfacht, und in Einklang mit der großen Leier, die der Vorſicht Rechte ſpielt, gedacht; hallt durch jegliches Jahrhundert wieder, welches ec zur ſanften Bildung rief, und beſeelt der Weisheit Jubellieder, die vor ihm in rauhen Buſen ſchlief.

Wie beſtrahlt vom milden Sonnenlichte

tauſendfache Purpurtrauben gluͤhn,

und aus dem Geringſten ihrer Fruͤchte wieder nene Rebenhuͤgel bluͤhn

alſo muͤſſen, von dem Geiſt beſchienen,

der den Staub zu Gottes Bildniß weiht, auch Gedanken einſt zu Thaten gruͤnen

und zu Fruͤchten fuͤr die Ewigkeit.

Durch

f^ 197 9

Durch ber. &innfid)feit zu weiche Bande an den Staub gefeſſelt, der ihn traͤgt, aber mit dem hoͤhern Vaterlande burd) oen Geiſt, der ſich allmaͤchtig regt, benkt, und wirket enger noch verbunden, fampft oer Menſch hinauf zum Sternenzelt, und den Sieg der ſchnellen Lebensſtunden front der Beyſall einer ſpaäͤten Welt.

Und er ſolte noch am Eitlen kleben, dieſer Freund der Gottheit, deſſen Bild durch ein edles thatenreiches Leben ſerne Zukunft mit Bewundrung fuͤllt? Nein! entzuͤckt begruͤßen wir die Hallen deines Tempels, o Unſterblichkeit! und mit frommer Eiferſucht, die allen Deinen Helden Opferweihrauch ſtreut.

Deinen Helden, die vor Schwerdt und Speeren niederſanken, noch vom Feind geehrt; oder die an duftenden Altaͤren milde Sittlichkeit ihr Volk gelehrt; Deinen Helden, die zum Trotz der Wellen kuͤhn die erſte Barke ausgehoͤhlt; oder die, den Erdkreis zu erhellen, ſpaͤt verborgner Lampenfleiß beſcelt.

9t 4 Denn

188 ^w

Denn am Harmonienband ber Liebe fuͤhrt mit ſanfter, muͤtterlicher Kraft, das Verhangniß alle ſuͤßen Triebe ernſter Kunſt, und ſchoͤner Wiſſenſchaft. Wer der Herrſchaft goldne Zuͤgel lenket, Samen in die Fruͤhlingsfurche ſtreut; Schlachten ordnet, oder Frieden denket foͤrdert gleich bie Allvollklommenheit.

Wer wie Friedrich ſelbſterkaͤmpfſten Staaten jedes Segens goldnes Fuͤllhorn leert; und ein Muſter nie erreichter Thaten den Monarchen aller Zeit gewaͤhrt; ſich im Panzer ewige Trophaͤen, in der Toga Friedenstempel baut, und mit holdem Blick von Marmorhoͤhen auf der Muſen Veilchen niederſchaut;

Wer mit ſtrenger unentweihter Rechte das ihm anvertraute Ruder lenkt; ſelbſt die ſuͤße Ruh erſparter Naͤchte gern dem Flehn gedruͤckter Armen ſchenkt; Wer, des Friedens Kuͤnſte zu beſchatten, Pallas heilige Oliven pflanzt, unter deren Schutz auf Blumenmatten Fleiß und Reichthum mit den Freuden tanzt;

Wer

FMAvYA 180 ^

Wer aud) ín be$ Wirkens eng'te Schranken vom Verhaͤngniß eingeſchloſſen ward, doch mit edlem Biederſinn Gedanken, Geiſt und Kraft zum Wohl der Menſchheit ſpart; bald durch ſanfter Tugend Lockungstoͤne junger Herzen Saitenſpiel beruͤhrt, bald durch Bildungskraft des Staates Soͤhne mit der beſſern Buͤrgerkrone ziert;

Dieſen allen winken jene Kronen, die im Tempel der Unſterblichkeit alle ſchoͤngelungne Gbaten. lohnen, welche niedre Abſicht nicht entweiht. Dieſen allen huldigt die Empfindung reger Ehrſucht, die ſo ſuͤß uns taͤuſcht, wenn ein Held nach kuͤhner Ueberwindung jedes Kampfs von uns Bewundrung heiſcht.

Dieſen Helden, die das Erdenleben, das als Raupenſtand der Thor verhoͤhnt, ſchon zur Goͤtterthaͤtigkeit erheben, die Unſterblichkeit und Ehre kroͤnt;

Dieſen Helden laßt uns Maͤler bauen und der Muſen Lobgeſaͤnge weihn:

laßt uns ſtolze Marmorſaͤnlen hauen,

und mit Blumenkraͤnzen fromm umſtreun!

N5 Zwar

CMM 1900 X

Sivas Bebürfen Cie ber. Mormorſaͤule nicht; auf allen Lippen ſchwebt ihr Ruhm! doch bafi bier ber. Juͤngling ſtumm verweile, hier bey des Verdienſtes Heiligthum unruhvolle Herzensſchlaͤg' empfinde, und ſich dann, zum Heldendienſt der Welt, jeder Wolluſt traͤgem Schlaf entwinde ſey ihr Ehrendenkmal aufgeſtellt!

Nicht vergebens haucht um ihre Huͤgel noch der Athem der Begeiſterung; und uns hebt zum Ruhm auf ſtolzem Fluͤgel ihrer Thaten Ruͤckerinnerung; Wie der Eiche Saft durch jede Roͤhre junger Aeſte friſches Leben briugt, wirkt das ſanſte Beyſpiel ihrer Ehre auf ein Herz, das Thatendurſt durchdringt.

Moͤge dann in ſteten Harmonien That und Wirkung aller Edlen ſtehn! moͤgen Lorbern, welche ſie umbluͤhen, fib aud) einſt um unfte Locken drehn! Kein Gedank' entffattre je vergebens unſerm Geiſt in leere Zukunft hin, uub bie kleinſte Welle dieſes Lebens

mee" einſt unſern bleibenden Gewinn! Selmar.

Recen—

Recenſionen.

I. Sragmentari(de Beyträge

aur

Beſtimmung unb SDebuction des Begriffs unb

Grundſatzes ber Gaufalitát, unb zur Grund—

legung ber natürlid)en X Geologie, in Beziehung

auf bie Kantiſche Philoſophie. Von Joh. Friedr. Flatt. Leipzig 1788. 8.

S. in dieſem Werk enthaltnen ſcharfſinnigen tnter: ſuchungen muͤſſen uns um deſto willkomnmer ſeyn, je hoͤher das Ziel iſt, zu. dem der tiefdenkende Verfaſſer Dinjfivebt', ein Ziel, deſſen Erreichung ben kuͤhnſten Flug der menſchlichen Vernunft gebietet, und deſſelben wuͤrdiger iſt, als irgend ein andrer Gegenſtand unſrer geſammten Erkenntniß. Die Erhaͤrtung ber. Wahr—⸗ heit und Rechtmaͤßigkeit des Beweiſes der Exiſtenz Gottes iſt es, worauf die angeſtellten Unterſuchungen des Begriffs von Urſache, unb ber Grundſaͤte bet

Caußali⸗

FM 194. ^v

Caußalitaͤt abzwecken; bie affo ſchon in dieſer Studis ſicht jedem Denkenden ſchaͤtzbar ſind, der es fuͤhlt, daß das practiſche Poſtulat welches Kant ſtatt der Vernunfterkenntniß vom Daſeyn Gottes ſubſtituirt, die Stelle derſelben nicht erſetze der es fuͤhlt, daß Glauben aus Beduͤrfniß immer ein Glauben, und nie eine unerſchuͤtterliche Ueberzeugung ſey, an der doch in dieſem Falle dem ganzen menſchlichen Geſchlechte unendlich viel gelegen iſt, und ſeyn muß.

Der Verfaſſer hat bie Kantiſchen Behauptungen, die Lehre von der Caußalitaͤt betreffend, mit wahrem philoſophiſchen Geiſte geprüft, unb durch ben Ueber— blick uͤber das gedachte ganze Syſtem, der nicht ſelten hervorleuchtet, bewieſen, daß er ſeinem Gegenſtande gewachſen war.

Um deswillen glaubt auch Recenſ. in der Darle⸗ gung der Gedankenreihe deſſelben etwas ausfuͤhrlichet

ſeyn zu muͤſſen.

Die ganze Abhandlung iſt in vier Fragmente abgetheilt. Erſtes Fragment. In dieſem erſten Fragmente unterſucht der Verf.

tie verſchiedenen Beſtimmungen des Begriffs von llt; ſache,

FM 195 ^w-

fade, unb bringt alle Erklaͤrungen beffelóen untet brey Arten. Der Begriff von Urſache kann

I. durch ben Begriff ber Scit beſtimmt werden: A ift oie Urſach von B, wenn ed. beftánbig ver B votfergeft. Dieſer Begriff, ben Hume aboptirt, wird von Verfaſſer der ceinfinnlidoe genannt $ unb deswegen als der einyigmógliche vermorfen» weil Der Vorderſatz, worauf fib Hume fiut, wenn er ihn fuͤr den einzig moͤglichen erklaͤrt, daß nemlich alle unſre Begriffe Abriſſe von ben Gu pfindungen unſrer aͤußern oder innern Sinne ſeyn, unrichtig iſt. Doch erklaͤrt ſich der Verſaſſer dahin, daß nur dieſer Begriff in einer empiriſchen Seelen- obet Koͤrperlehre vorkommen duͤrſe. (Al⸗ lein da die reinempiriſche Seelenlehre nicht bloß die Wirkungen ber ſinnlichen Erkenntnißkraͤfte, fen dern auch die des Verſtandes unterſuchen kann unb muß, ba aud) dieſe zu ben empiriſchen Ge⸗ geuſtaͤnden gehoͤren, fo ſcheint bie gedachte Be⸗ hauptung nicht beſtimmt genug gu ſeyn, unb eis gentlich ſoviel ſagen zu wollen: wenn man in der Seelenlehre annimmt, daß wir ſchlechterdings nicht im Beſitze andrer Begriffe ſind, als ſolcher, die von Eindruͤcken auf unſre Sinne entſtehen, ſo iſt auch kein anderer Begriff einer Urſache zulaͤſſig, als der reinſinnliche.) Der Begriff einer Urſach kann

2)

WP» 1906 4

2. butd) Cateaorien, ofne Cinmifdjung ber Seltbe: dingung, beſtimmt werden. Man verbinbet bert Verſtandesbegriff Grund mit bem Verſtandeshe⸗ griffe Wirklichkeit, und denkt ſich einen Begriff von Urſache, der gat feine Seitbebinqung ín fid) ſchließt: wenn man fid) A als das vor(tellt, was den Grund eines von ihm reell verſchiedenen B enthaͤlt. Dieſer heißt der reintransſcendente Begriff von Urſache, und er liegt in Leibnitzens Syſteme zum Grunde. Sehr buͤndig widerlegt der Verſ. den Einwurf, den Kant dagegen macht, wenn et (Gr. b. v. 3B. S. 30. ate Aufl.) lagt: „Vom Begriffe ber Urſach wuͤrde id), wenn id) bie Zeit wegließe, in der etwas auf etwas amt: ders nad) einer Regel folgt, in ber. reinen Cate: gorie nid)té weiter finben, als bag e$ fo etwas fto, woraus fid) auf ba$ Daſeyn eines anbetn ſchließen (apt; unb e wuͤrde baburd) Urſach unb Wirkung gar nid)jt von einander unterſchieden werden fónnen.,, Denn nad Leibnitz ift ein Grunb nicht bloß fo etwas, woraus fid) auf et⸗ was andres ſchlieſſen laͤßt (welches freylich von der Wirkung in Beziehung auf die Urſach auch gilt,) ſondern etwas (A) wotaus begriffen moet; den kann, warum etwas andres (B) und warum es grade ſo und nicht anders ſey, (Nouv. eff. fur l'ent. hum. L. 1V. ch. 17. Theod.

P. I,

W^f^ 197. ^w

P.L. $. 44.) Dies ift nun ſchlechterdings auf bie Wirkung nicht anwendbar; aus der elden laͤßt ſich wol ſchließen, daß die Urſach daſey, daß ſie ſo und nicht anders ſey, aber nicht begrei⸗ fen, warum ſich dies alles ſo verhalte.

Die Schwaͤche des Kantiſchen Ginmurfé wird nod) fetner daraus gewieſen, daß Sant ſelbſt ber reintransſcendenten, von aller Zeitbedingung freien, Begriff der Urſach gebrauche, weil ſonſt eine offenbare Ungereimtheit heraue kommen wuͤr⸗ be, wenn er einmal behauptet (Cr. b. v. V. r(te Ausg. S. 37. 2te Ausg. €. 54. 1.) taf tein trandfcenbentafeó Object. unter. einer. 3citbebins gung ſtehe; unb an einem anbern Orte ſagt: (Droleg. zu einer jeden fünftigen. 3etapf. €. 153. 179.) bap bem Menſchen, als einem Dinge an ſich, unb ber Gottheit Caufalitát durch Vernunft zugeſchrieben werden muͤſſe.

Endlich wird gegen Hrn. Jacobi (Ideal. und Real. S. 94. c.) gezeigt, daß ber Begriff ber Gleichzeitigkeit eben ſo wenig, als der Begriff von Succeſſion, nothwendig in ben Begriff von Urſache gebóre. Denn erſtlich verwechſelt Sar cobi ben Begriff von Grund und Urſach; alecanm ſtuͤtzt er ſeinen Beweis auf den unerweislichen

Philoſ. Mag. 2, St. O €o$,

CA^ ro9gg wax

Satz, daß ber SBernunftf-ariff von Urſach unb Wirkung aus bem Vethaͤltniſſe des Praͤdicats jum Subjecte, bet Theile gum Ganzen genom⸗ men ſey; und endlich ſchließt er, daß, weil der Begriff gar nichts von einem Hervorbringen ober Entſtehen enthalte, das objectiv waͤre, llt: ſach und Wirkung zugleich nicht in einander ſeyn muͤſſen. Aber daraus, daß A unb B nidt auf einander folgen, (apt (i) nur alsdann auf Gleich⸗ zeitigkeit ſchließen, wenn man vorauéje&t, baf beyde in bet Zeit eriftiren. Nun laͤßt fib aber ber Begriff ber Seit keinesweges auf das blof Objective (bie Dinge an fid) amvenben; unb es giebt fe(b(t nad) Sjacobis eigenen Worten feine objectiv teelfe Succeſſion. Daher wird Syacobi$ S5efauptung von bem Verſaſſer mit Sted)t. vcri worfen. Cublid) ent(tefr

3. Cin Begriff ber Urſache von gemiſchter Natur, wenn man die Beſtandtheile der beyden vorigen ganz, oder zum Theil in einen Begriff vereinigt. Dieſer Begriff laͤßt ſich auf dreyerlei Art beſtim⸗ men: a) Kann man die Zeitbedingung bloß auf das, worauf ſich die Urſach bezieht, (die Wirkung) einſchraͤnken, und ſagen: Urſach iſt das, was den Grund von der Entſtehung eines andern, ober bem Daſeyn deſſelben in oer Seit uͤberhaupt

ent:

fMMTM I99 ^ac?

enthaͤlt. So naͤhert fid) ber Begriff bem vein, transicenbenten, b) Kann man aud) zugleich bie Urſach ſelbſt bet Seitbebingung untermerfen; unb benft fid) ben Begriff fo: A ift 0er Grund von B, menn e$ &eftánbig vor demſelben votferaebt unb baffelbe nothwendig 6e(timmt. Dieſer Be⸗ griff fommt bem reinſinnlichen náfer; unb fíeat bey ber unentwickelten Vorſtellung der Menſchen von Urſache yum Grunde. c) Sam man ben Ver⸗ ſtandesbegriff Nothwendigkeit bloß mit ber Vorſtel⸗ lung von Succeſſion verbinden; und ſich den Be⸗ griff ſo denken: A iſt die Urſach von B, wenn es etwas iſt, worauf B nothwendig folgt. Dieſer Begriff liegt zwiſchen den beyden vorigen in der Sy itte.

Sweytes Scagment,

Dieſes Sragment enthaͤlt Bemerkungen uͤber bie Ableitungen oer Begriffe von Urſachen, unb ber bat: auf fid) beziehenden allgemeinen. Grundſaͤtze. Man fann bey ber Deduction bes Begriffs von Urſache einen doppelten Weg einſchlagen; entweder man [e&t bie allz gemeinften Grundſatze oer Caufialitát (alle, was ge⸗ ſchieht, ober überbaupt: alle Sufátliqe, Dat eine llt: fad) voraus, unb (eitet bieraus bie iealitat bed Be⸗ gri[f$ von Urſache fer; ober man ſucht dieſe Realitaͤt

O 2 dar⸗

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darzuthun, ofne bie Voraus ſetzung jener. allgemeinen Grundſaͤtze.

Recenſ. bemerket gleich anfangs, daß bet 95e; griff von Deduction fiet in. einem andern Sinne ge: nommen merbe, ec in Santé Gr. b. r. V. vore fómmt. Der Verfaſſer verftet unter Deduction ei⸗ nes Begriffs einen Beweis der objectiven Guͤltigkeit deſſelben, eine Darlegung ber Gruͤnde, aus denen et: hellt, daß er nicht eine leere Vorſtellung ſey, ſondern daß ihm in den Objecten außer der Vorſtellung etwas correſpondire. Nach Kant bedeutet die Deduction der reinen Verſtandesbegriffe eine Darlegung der Gruͤnde, aus denen ſich ergeben ſoll, daß die angeblichen Catego⸗ rien wahre Categotien, b. i. Verſtandesbegriffe ſeyn, die einzig unb allein a priori im Verſtande ihren Ur⸗ ſprung haben.

Ob nun gleich dieſer doppelte Begriff der De⸗ duction vom Verfaſſer ſelbſt (p. 54. 55.) ausdruͤck⸗ lich unterſchieden wird, ſo ſcheint doch die Verwechſe⸗ lung beyder Bedeutungen zuweilen, und beſonders bey Beurtheilung der Kantiſchen Deduction des Begriffs von Urſache, zu einigen Mißverſtaͤndniſſen unb viet leicht nicht ganz beſtimmten Urtheilen Anlaß gegeben zu haben.

Das

FRA» 20I "X

Das wotliegenbe zweyte Fragment theilt (id) itt zwey Abſchnitte.

1. Ueber die Deduction des Begriffs oder der Begriffe von Urſach.

Zuerſt werden die bemerkungswertheſten Deductlo⸗ nen des Begriffs von Urſache aufgeſtellt, die uns von den alten griechiſchen Dogmatikern uͤbrig geblieben ſind.

Einige derſelben beruhen offenbar auf bem allge⸗ meinen Princip: Nichts entſteht ohne Urſach; oder auf dem noch allgemeinern: Alles was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt, ſetzt eine Urſach voraus. z. B. die von Sextus aufbehaltene (Adv. Phyf. I. S. 200. ff. Pyrrhon, hypot. L. IIl. C. III. S. 17.)

Andere, faͤhrt ber 9Berfaffer fort, finb von bem allgemeinſten Gefetse ber. Gaufalitát unabbángig; uns tec. biefen zeichnen fid) biejenigen aud, bíe von bet Er— zengung oͤrganiſirter Koͤrper, obet uͤberhaupt von ber Re⸗ gelmaͤßigkeit mehrerer Naturbegebenheiten hergenom⸗ men ſind. Man ſchloß: weil der Saame Urſach iſt von bern, was daraus erzeugt wird, (adv. phyf. J. 196.) und weil ſo viele Naturbegebenheiten nur unter gewiſſen Umſtaͤnden erfolgen; ſo muß man dem Begriſſe von Urſache allerdings Realitaͤt zugeſtehen. Dleſer

O3 Be⸗

F^" 202 ""-À9«s

Beweis iſt, nad) bem Urtheile tee. Verſaſſers nicht in ber Staͤrke vorgetragen, bie er haben kann.

Noch ſchwaͤcher ſind andre Deductionen, in denen theils eine petitio principii, theils ein Trugſchluß entba(ten iſt. Su ber erften Art gehoͤrt bie, welche Sextus adv phyf. I. 197. anfübrt; unb ju ber an: bern foigenbes ſonderbare Dileum: (adv. phyf. I. S 204.) „Wenn jemanb bie Wuͤrklichkeit ber Urſachen leuanet, fo befauptet et feinen. af entweder ohne Urſach, ober nicht. Sym erften all ift feine Behaup⸗ tung níóté, unb ím anbern widerſpricht et fid) felb(t; weil eben baraué, baf et [eine SSebauptung auf cine Urſach ſtuͤtzt, nothwendig folgt, baf e Urſachen gebe. ;, Es ift offenbar, bafi bier Idealgrund unb Realgrund mit einanber verwechſelt voerben.

Die neuern Weltweiſen faben fid) beſonders auf SBeranfaffung des Humiſchen Skepticiſmus das Ver— dienſt gemacht, die Luͤcken, welche die Alten in den gedachten Deductionen uͤbrig ließen, entweder ganz oder zum Theil auszufuͤllen. Die Methode, deren ſie ſich dabey bedienten, ift dreyfach; fofetn man auf bie Quellen Ruͤckſicht nimmt, aus welchen ber Begriff von Urſach und die Realitaͤt deſſelben abgeleitet wird. Die Deductionen nach der erſten Methode ſind rein⸗ empiriſch, oder ganz von der Erfahrung abhaͤngig

(a

203

(a pofteriori) ; bie nad) bet zweyten, von oet Erfah⸗ rung gans unabbángig (a priori, im (trenoften Sinne), unb bíe endlich nad) ber dritten, falten fid) ín oet Mitte zwiſchen ben beyden erſten.

Bey einer Deduction der erſten Art leitet man den Begriff von Urſache bloß aus der Erfahrung her, und muß dennoch die Rechtmaͤßigkeit, oder objective Realitaͤt deſſelben auf die Behauptung ſtuͤtzen: daß in der Erfahrung das liege, was der Begriff enthaͤlt. Dieſen Weg zeichnete Locke vor; und viele folgten ihm auf demſelben nach. Hume (verm. Schr. 1I. Sf. VAI. Verſ. S. 173.) leitete aus der Verfahrungsart her, daß dem Begriffe von nothwendiger Verknuͤpfung zwiſchen ſogenannter Urſach unb Wirkung feine Reali⸗ taͤt zukomme, da die Erfahrung nur lehren koͤnne, daß A unb B gewoͤhnlich mit einander verknuͤpft ſeyn. Dies muß man entweder zugeben, oder die Lockiſche Methode verlaſſen, oder ſich tiefer in die Unterſuchung der Frage einlaſſen, inwieſern die Idee (der Begriff ſoll es heißen, nad) bem von Hr. Kant richtig ange; gebnen Unterſchiede) der Nothwendigkeit, aus der Er⸗ fahrung geſchoͤpft und in derſelbengegruͤndet ſey. Dies letztre haben Tetens (Phil. Verſ. B. 1. S. 317.) Feder (Ueb. 9taum unb Cauß. S. 146.) unb Jacobi ( Ideal. unb Real. €. 106.) gethan.

O14 Von

KM 204 ^w

Von gang entgeaenaefc&ter Art ift. eine Deduction des vorliegenden Begriffes nach der zweyten Methode, welche Kant ín ber Qr. b. v. V. befolgt. Er ſtellt ben Grundſatz auf: „Die Categorien (gu welchen ber Begriff von Urſache gehoͤrt) muͤſſen a priori im Ver— ſtande zum Grunde liegen, weil ſie die Erfahrung aller⸗ erſt moͤglich machen; und in dieſer Hinſicht muß ihnen auch objective SRealitát gutommen, ,, (€r, b. v. V. r. Auf S. 92.) Dieſem Grundſatze gemáf, fc&t ber Verf. hinzu, bebucirt er bie Jicalitat bes Begriffs von Urſache baber, weil obne benfelben bas Erfah—⸗ rungéuttei(, bag etwas entftebe, ober aefcbebe, nid)t nióglid) feo. Man finbet bier bie obem gemachte Bemerkung beſtaͤtigt.

Da der Verfaſſer unter einem reellen Begriffe einen ſolchen verſteht, dem etwas wirkliches in den Objecten, oder den Dingen, ſofern ſie außer unſrer Vorſtellung, und von derſelben unabhaͤngig ſind, ver⸗ ſteht (p. 55 ), unb zugleich annimmt, Kant habe in ſeiner Deduction die XXealitát des Begriffes von lr; fad) darthun wollen, fo liegt bier offenbar ein Mißver⸗ ſtaͤndniß zum Grunde, das auch noch unten einen nicht unwichtigen Einfluß aͤußert. Es iſt Kants Abſicht nicht, und kann es nicht ſeyn, in der Deduction der Categorien zu zeigen, daß ihnen in den Dingen außer unſrer Vorſtellung etwas reſpondire; denn er erweiſet

ja

FMAMT 205 ^um

ja ausdruͤcklich, daß mir von dieſen nichts wiſſen, fot: dern bloß mit Erſcheinungen, b. i. mit jubjectioen Vorſtellungen zu thun haben. Sym Kantiſchen Z inne bedeutet die Realitaͤt, oder objective Guͤltigkeit der Categorien; das Verhaͤltniß derſelben zu den Erſchei⸗ nungen, wodurch Erfahrung allererſt moͤglich, und ihre eigne Exiſtenz a priori nothwendig gemacht wird. Die Realitat der Categorien ín dieſer Bedeutung bat: zuthun, bas ift es, was Sant ín feiner Deduction bet: ſelben leiſten will: (Grit. b. r. 3B. r. Aufl. S. x28.) Es fann dennoch aud) nid)t bey bem Begriffe von Mt fade feine Abſicht ſeyn, au zeigen, baf bemfelben etwas in ben Dingen auper unſrer Vorſtellung entſpreche, unb daß man ſeine Realitaͤt in dieſer Bedeutung au: erkennen muͤſſe.

Die noch uͤbrige dritte Methode, den Begriff von Urſache zu deduciren, die man die gemiſchte nennen koͤnnte, haͤlt ſich zwiſchen den beyden vorigen in der Mitte. Im Allgemeinen betrachtet, ſagt der Verſaſſer, beſteht ſie darin, daß man aus irgend einem nothwendigen ſubjectiven Geſetze des Verſtandes die Nothwendigkeit ableitet, den Begriff von Urſache mit gewiſſen empiriſchen Wahrnehmungen zu verbinden, in welchen an ſich die Vorſtellung von urſachlicher Verknuͤpfung nicht enthalten iſt. Dieſe Methode naͤhert ſich der erſten dadurch, daß ſie etwas reinem⸗

O 5 piti:

fav 206

piriſches vorausſetzt, námlid) dies, bag ſolche em; piriſche Wahrnehmungen gebe, worauf ber Begriff von Urſache angewandt werden muß. Denn ſo lange dieſe ſehlen, (d. i. ſo lange es in der Erfahrung nichts giebt, was entſteht; oder uͤberhaupt, was zufaͤllig iſt,) bleibt auch der Begriff von Urſache ein leerer Begriff. Seine Realitaͤt kann alsdann nach dieſer Methode nicht erwieſen werden. Auf der andern Seite aber naͤhert ſich dieſe Methode der zweyten dadurch daß ſie den Satz, daß es Urſachen gebe, nicht aus ber Crfaf; rung, ſondern aus der Anwendung eines nothwendigen Verſtandesgeſetzes a. priori auf bie Erfahrung ableitet. Dieſe gemifd)te Methode laͤßt nun mehrere Modifica⸗ tionen zu. Man kann entweder die Frage: ob der Begriff von Urſache à priori, ober empiriſchen llt: ſprungs ſey, gang auf ber Seite (iegen laſſen, obet mit in Anſchlag bringen, unb bann entweder bie Prio⸗ titát des Begriffs ober ben reinempiriſchen, ober einen gemiſchten Urſprung deſſelben annehmen.

(Von ben angegebenen Faͤllen aber deucht uns der eine unmoͤglich zu ſeyn, naͤmlich der, wo man dem Begriffe von Urſache einen reinempiriſchen Ur⸗ ſprung zuſchreibt. Wenn man in ber gemiſchten De⸗ ductionsmethode (von ber hier die Rede iff) annimmt, daß der allgemeinſte Grundſatz der Caußalitaͤt: nichts

entſteht ohne Urſache, in einem nothwendigen Geſetze des

Feu 207 "nee

des Verſtandes aegrünbet fey, un^ alſo a priori ím SBer(tanbe (iege: fo mug man aud) eben bai, wenn man nid)t inconfequent. ſeyn will, von. bem Begriffe bet Urſach behaupten. Denn wenn eec Verſtand, ver: móge feiner Natur, unb unabbángig von ber Erfah— tung, mit bet Vorſtellung von etwas, das ent(tef)t, bie Vorſtellung einer Urſach verbinbet, fo. muß er aud) a priori unb unabhaͤngig von ber Grfabruna, im 95e; fi&e des Begriffs von Urſache ſeyn. 26er man fóunte eünvenben: bie Behauptung, daß der alfgeincinjte Grunbja& ber Caußalitaͤt a priori im Verſtande lieae, wolle nur fo vief ſagen: ber Verſtand fey fo eingerich— tet, baf er, wenn ifm fomof bie 3Borftelfung von Gt: was, baé entſteht, als aud) bie Vorſtellung einer Ur— ſach aus irgend einer Quelle gegeben werden, alsdann ſichs nicht denken koͤnne, daß Etwas, das entſteht, keine Urſach habe, daß er alsdenn dem Entſtehenden eine Urſach abzuſprechen nicht vermoͤge. Indeſſen muß man auch unter dieſer Bedingung einraͤumen, daß ber Begriff von Urſache a priori im Verſtande angus treffen ſey. Denn wenn das nidjt waͤre, fo wuͤrde

1. der Satz, daß das allgemeinſte Principium der Caußalitaͤt a priori im Verſtande liege, gar keine Bedeutung haben. Von einer Vorſtellung, in deren Beſitz ber Verſtand nicht a priori ift, kann man weder ſagen, daß er ſie einer gewiſſen

an⸗

fv 208 ^"

anberm bavon verſchiedenen Vorſtellung an fid, a priori, unb unabbángig von bec Grfabrung ablpre; den, nod) baf et fie berfelben nídyt abſprechen tónne,

2, St ab: bafi bas allgemein(te Geſetz bec Caußa⸗ litaͤt a priori im Verſtande liege, kann weiter feine Bedeutung faben, als biefe : Mit der Form, bie im Verſtande ift, fofern er Etwas denkt, das entſteht, ift aud) a priori bie Form nothwendig verbunben, bie daſeyn muß, fofern et eine Urſach bentt. woher e$ denn Cómmt, baf ct, ſobald beyde 3Borftellungen yum Semuts feon tommen, fie nid)t von einanber trennen fann. Wenn man alfo annimmt, baf oce hoͤchſte Grund⸗ fats der Gaufalitát a priori im Verſtande liege, fo mu$ man dies aud) von tem Begriffe einer Urſach einraͤumen. Da nun jene in der gemiſchten Deductionsmethode angenommen wird, ſo kann es auch keinen Fall geben, wo man nachderſelben ver⸗ ſahren, urb. bem Begriffe von Urſache zugleich ci nen reinempiriſchen Urſprung zugeſtehen koͤnnte.)

Noch eine andre Modification ber gemiſchten Zoe; ductionsmethode, die ber Verf. für zulaͤſſig erklaͤrt, crit: ſteht daraus, wenn man ſtatt des allgemeinſten Princip der Caußalitaͤt: nichts entſteht ohne Urſoch, ein weniger allgemeines, etwa dies: alles was regelmaßig entſteht, fat eine Urſach, als ein Princip. a priori ſubſtituitt.

Auf

KMe*^ 209 5r.»

Auf dieſe Betrachtungen ſolgt eine Pruͤfung der verſchiedenen angefuͤhrten Methoden, nachdem erſt vorlaͤufig bemerkt iſt, daß man bey einer ſolchen Pruͤfung wohl Achtung geben muͤſſe:

1, ob es bloß darum zu thun ſey, den Urſprung des Begriffs zu erſorſchen, oder zu erklaren, wie wir zum Beſitze deſſelben kommen? eder vielmehr barum, bie Rechtmaͤßigkeit des Beſitzes, b. i. bie objective Realitaͤt des Begriffes vor Augen zu legen. Eine Deduction der erſtern Art nennt ec eine empiriſch pſychologiſche, unb eine bec letztern Art eine metapbyfifcbe, welcher er oer Namen einer Deduction eigentlich nur einraͤumt.

2. (uf bie genaue Beſtimmung des Begriffes von Urſache, und

3. endlich darauf, ob man die empiriſche oder trans⸗ ſcendentale Realitat erweiſen will.

I. Was die erſte von ben oben angefuͤhrten De— ductions methoden betriſt, bie reinempiriſche, ſo faͤllt beo derſelben bie empiriſch pſychologiſche mit der meta⸗ phyſiſchen Deduction zuſammen. Denn wenn in dem Begriffe von Urſache weiter nichts iſt, als was wir aus der Erfahrung genommen haben, fo ift eben dadurch

erwie⸗

F^ 2fyo 349

ettoiefen, baf ibm etwas í(n ben Gegenftánben bet Erfahrung entfprece, unb baf er alfo Realitaͤt habe. Denn menn das nid)t waͤre, fo wuͤrden wir ben 25e: griff gut nicht haben. Der Begriff von Urſache iſt nun entweder reinſinnlich, oder reintransſcendent, oder gemiſcht, (f. Fragm. I.) unb die Realitat deſſelben im allen drey Faͤllen entweder empiriſch, oder transſcen⸗ dental, b. h. es reſpondirt bem Begriffe nicht allein etwas in. den Gegenſtaͤnden, wie fie und. (n. der Ctr fahrung erſcheinen, ſondern auch in ihm als Dinge an fij. Nimmt man den reinſinnlichen Begriff, fo kann

lI. ſeine empiriſche Realitaͤt im hoͤchſten Grade wahrſcheinlich gemacht werden. Wir bemierken, daß auf cin gewiſſes A (fo viel voir wiſſen, ims mer) eim beſtimmtes B foífge; unb es ift alfo hoͤchſt wahrſcheinlich bag A immet vor B vorfet: gehe. ( Da es aber hier nicht um ben practiſchen Gebrauch des Begriffs von Urſache, wo wir uns allerdings mit einem hohen Grade der Wahrſcheinlichkeit behelfen koͤnnen, ſondern um die ſpeculative Anwendung deſſelben zu thun iſt, ſo iſt, nach unſerm Beduͤnken, mit Wahrſchein⸗ lichkeit nichts erwieſen.)

2. Die transſcendentale Realitaͤt des Begriffs aber

kann durch dieſe Methode gar nicht ausgemacht wer⸗

FeA*FA 2IYI - "we

werden. Sf&enn man aud) bewieſen fjat, bag bem S5eariffe von Urſache ín ben Gegenſtänden bet Grfafrung, b. i. in. ben Erſcheinungen, etwas entípred)e, fo ai(t bod) ba$ deswegen nid)t von ben Giegenftanben, al$ Dingen an fid).

Die Deduction oes transfcenoenten Begriffs von Urſache, die empiriſch waͤre, koͤnnte nach dem Verfaſſer ſo eingerichtet werden: Wir ſind durch ein Gefuͤhl, das fid) bey allen Menſchen, ſofern fie ver⸗ nuͤnftige und moraliſche Weſen ſind, nothwendig fin bet, genoͤthigt, gewiſſe Erfolge als abhaͤngig von utt; ferm Willen zu betrachten (ohne bie Vorſtellung von dieſer Abhaͤngigkeit wuͤrde Freyheit unb Moralitaͤt auf; gehoben werden.) Daher muͤſſen wir den Begriff von Abhaͤngigkeit unb Realgrund als reell erkennen. Auch behauptet Kant ſelbſt, (Prol C. 153.) taf dem Men⸗ ſchen, als einem Dinge an ſich, Caußalitaͤt durch Freyheit zukomme.

(Bey dieſer Deduction findet Rec. folgendes zu bedenken:

I, Das gedachte Gefuͤhl ift gang unentwickelt, unb bloß fubjectío; es ſtellt uns das Verhaͤltniß unſrer Haudlungen gegen ben Willen vor, wie als Erſcheinung, nicht wie es an ſich iſt. Denn

durch

Fay 2I2 wu

burdj ein Gefuͤhl, ba alle Gefuͤhle finnlid fib, fónnen nur Erſcheinungen vorgeſtellt roe sen. Wenn mit alfo gleich bur) baffeibe gezwungen máren, gewiſſe Erfolge für abbangig von unſerm Wollen zu falten, fo folgt bod) daraus nicbt, taf fie es in ber That (inb; tafi aljo bem transſcen⸗ denten Begriffe von Urſache transjcenbentale Realitaͤt zukomme. Aber

2. kann auch nicht die empiriſche Realität deſſelben durch irgend ein Gefübl erwieſen werden: denn ſonſt muͤßte ein reiner Verſtandesbegriff durch ein Gefuͤhl, alſo durch ſinnliche Erkenntniß vorge⸗ ſtellt werden. Dies iſt aber unmoͤglich, unb ger gen des Verfaſſers eigne Aeußerungen, wenn er (C. 80.) ſagt: ber ſinnliche Gegenſtand laͤßt ſich zwar anſchauen, aber nicht inſofern an⸗ ſchauen, als er, oder irgend etwas in dem⸗ ſelben, der Categorie correſpondirt.

3. Die angefuͤhrte Behauptung Kants kann hier gar nicht gebraucht werden; denn ſie iſt, wie der Verfaſſer ſelbſt bemerkt, (S. 68.) ein klarer Widerſpruch gegen ſein uͤbriges Syſtem, da er als transſcendent. Idealiſt eine gaͤnzliche Unwiſ⸗ ſenheit von den Dingen an ſich geſteht und geſte⸗

hen muß.) II.

f^ 213.

II. Die Beurtheilung ter. zweyten, ber Santi ſchen Methode, ben Begriff von Urſache gu bebuciren verfpart ber Verfaſſer auf ben folgenden Abſatz, weil fie nit der Beurtheilung des ollgemeinften Princips der Caußalitaͤt zuſammenhaͤngt. Hier macht er nur bie doppelte Bemerkung, daß die gedachte Deduction nicht [o unabhaͤngig vom Empiriſchen ſey, als Sant zu behaupten ſcheine, und daß ſie darauf angelegt ſey, die transſcendentale Realitaͤt des Begriffs von Urſache voͤllig umzuſtoßen. Denn, ſagt er weiter, entweder wird dabey die Wahrheit des Urtheils: es entſteht etwas, vorausgeſetzt, ober nicht. Im erſten Salle beruht die Richtigkeit der Deduction auf einer empiri— ſchen Wahrheit, bie nod) dazu von Sant nirgends ere wieſen wird. Im andern Falle laͤßt fid bie empiri— ſche Realitaͤt des Begriffs von Urſache nur hypothe— tiſch behaupten.

(Allein hier ſcheint die Sache aus einem etwas unrichtigen Geſichtspunct betrachtet zu ſeyn.

1. Wenn Sant behauptet, das Erfahrungsurtheil: es entſteht oder geſchieht etwas, feo gar nicht moͤglich, wenn nicht der Begriff von Urſache ſchon zum Grunde laͤge; fo koͤmmt à hier gar nicht auf die Wahrheit eher Unwahrheit des ac: dachten Urtheils, b. i. darauf an, ob tim auper

Philoſ. Mag. 2. €t. P un⸗

24 "wu

unſrer Vorſtellung etwas entfprifjt, oder nicht; ſondern bloß auf das Daſeyn deſſelben in der Vor⸗ ſtellung, welches von niemanden gelaͤugnet wer⸗ den kann. Kant wollte bloß die Prioritaͤt, und das nothwendige Verhaͤltniß des Begriffs von Urſache zu den Erſcheinungen darthun, nicht, wie ber Verfaſſer zu glauben ſcheint, (p. 70.) bie empiriſche Realitaͤt beffelben in bem Verſtande, worin ſie der Verfaſſer nimmt, und worin ſie die Beziehung des Begriffs auf etwas in den Gegenſtaͤnden bec Erſahrung aufer der Vorſtellung ihm entſprechendes bedeutet.

2, Wenn Kant ín feiner transſtendentalen Aeſthetik die Zeit zu einer bloß ſubjectiven Form des innern Sinnes macht, fo kann er. freylich bem BVegriff von Urſache, in dem eine Zeitbedingung (die Vorſtellung vom Vorhergehen und Nachfolgen) iſt, keine Anwendbarkeit auf unſinnliche Objecte zugeſtehen; allein damit ſpricht er doch dieſelbe nicht jedem Begriffe von Urſache ab, nicht dem reintransſcendenten, worin gar keine Zeitbedin⸗ gung Statt findet. Er kann auch, nach ſeinem Syſteme dieſem Begriffe die transſcendentale Realitaͤt weder zugeſtehen noch abſprechen.)

Einige Widerſpruͤche des Kantiſchen Syſtems, die der Verfaſſer bey dieſer Gelegenheit anfuͤhrt, ſind

ffe DIS

ſind nad) des Verfaſſers Urtheil nicht aufzuloͤ⸗ ſen. Kant behauptet z. B. an dem einen Orte (Gr. d. v. $3. S. 240. t(te Aufl.) Categorien muͤſſen auf Erſcheinungen als ihre einzige Gegenſtaͤnde eingeſchraͤnkt werden; und an einem andern: (prol. 177. 179.) Categorien fónuen aud) von Dingen an fid) prábícirt met: ben. Ferner: (Grit. II. Aufl. S. 186.) oie Categorien fónnen einzig unb allein auf. füintid)e Anſchauungen angemanbt werden, weil fonft alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Object, wegfaͤllt; unb man fid) durch kein Beyſpiel faß⸗ lich machen kann, was denn unter dergleichen Begriffen eigentlich fuͤr ein Ding gemeint ſey. Und ati einem andern Orte? (S. 305.) die teinen Categorien haben ohne formale Bedingungen der Sinnlichkeit transſeendentale Bedeutung. Wenn uͤberdem, ſetzt der Verfaſſer hinzu, die letzte Bedingung zur Anwendung ber. Gateóotlerr nothwendig waͤre, daß man ſich durch irgend ein Beyſpiel muͤßte faßlich machen koͤnnen, was fuͤr ein Ding unter dergleichen Begriffen eigentlich gemeint fep; fo müfite man auf ihren Gebrauch, felbft itt Abſicht occ Erſcheinungen, Verzicht thun. Denn cin Gegenſtand, mít deſſen ſinnlicher Vorſtellung ble reine Categorie durch den Ver—⸗ ſtand verbunden wird, laͤßt ſich zwar anſchauen,

pa ic:

fu*- or Ó wma»

affein nicht inſofern anſchauen, als et, ober it; genb etwas in demſelben, jener Categorie cotre: fponbirt. Alſo kann man fid) aud) burd) fein Beyſpiel faflid) machen, was unter. berafeid)en Begriffe benn eigentlid) für ein Ding gemeint fey. Man muf alfo entroeoer auf ben Gebrauch ber Gategorien gánjlid) Verzicht tun, ober ifre An⸗ menbbarfeit aud) aufer oem Felde ber Erſcheinun⸗ gen. gugeben.

Man fiet hieraus, wie ſchwankend das Santi ſche Syſtem gerade in der Hauptſache ſey, naͤmlich in der Beſtimmung der Grenzen des menſchlichen Verſtandes.

III. Nach der dritten, der gemiſchten Methode wird eine doppelte Deduction des reintransſcendenten Begriffs von Urſache vorgeſchlagen. Man kann

1. aus bem ſubjectiv nothwendigen Geſetze der Wahrſcheinlichkeit und aus dem Wahrnehmungs⸗ urtheile, daß es regelmaͤßige Auſeinanderfolgen gebe, den Satz ableiten: daß es irgend ein 4 gebe, worin die Wirklichkeit von irgend etwas anderm gegruͤndet ſey. Je oͤfter auf ein gewiſ— ſes A ein beſtimmtes B fofat, deſto wahrſcheinli— cher ift cá, dag A ben Grund von B, ober irgend ein C ben. Grunb von bem Aufeinanderfolgen

des

fM L7

des A unb B entfalte. (Allein ta c8 fiet auf ſpeculative Grtenntnig anfómmt, bie gewifi ſeyn muß, unb bie gedachte Methode mur Wahrſchein— lichkeit aiebt ; fo ijt ſie, wie e$ ſcheint, nicht zulaͤſſig)

2. Kann man das allgemeinſte Princip bee Caufa: litaͤt: alles was entſteht, oder uͤberhaupt, alles zufaͤllige, fest eine Urſach Cim reintransſcendenten Sinne) voraus, unmittelbar aus einem noth— wendigen, vor aller Erſahrung hergehenden Denkgeſetze herleiten, und durch die Anwendung deſſelben auf Wahrnehmungen bie Realitaät des Begriffs von Urſache erhaͤrten. Hiebey koͤmmt es, außer der Anwendung aufs Empiriſche, auf zwey Fragen an: a) Iſt der gedachte allgemeinſte Grundſatz ber Caußalitat in einem nothwendigen Denkgeſetze a priori gegruͤndet? unb b) Iſt bas objectio wahr, worauf un$ nothwendige Denk— geſetze fübren ?

Hievon im fofgenben Abſatze dieſes Sragmenté.

2. lleber oie Ableitung der allgemeinſten Grundſaͤtze oec Caufialitar,

A. Ueber die Ableitung der Grundſaͤtze bet Caußalitaͤt von einem nothwendigen Denkgeſetze; oder P3 S5eant;

Few» 218 ^"

Beantwortung ber gebadjten tagen, Der Verfaſſer ſchraͤnkt fid) auf folgende beyde allgemeinſte Grund⸗ ſaͤtze der Caußalitaͤt ein, bey denen ber reintransſcen⸗ dente Begriff von Urſache zum Grunde liegt:

I. alles, was entſteht,

2. alles, was anders ſeyn koͤnnte, als cs ift, und uͤberhaupt alles zufaͤllig exiſtirende ſetzt, els ſolches, cine Urſach im reintrangſcen⸗ denten Verſtande voraus.

Der erſte dieſer Grundſaͤtze heißt der Grundſatz ter Entſtehung, der andre bet Grundſatz oer 3uz faͤlligkeit.

J. Was die erſte Frage betrifft, ſo laͤßt ſie ſich bejahen; und die Wahrheit der Behauptung kann auf eine doppelte Art erwieſen werden. Man kann

T. ein empiriſch erweisbares Denkgeſetz zum Grunde legen, unb daraus bie Grundſaͤtze bcr Caußali—⸗ taͤt ableiten. Es laͤßt ſich naͤmlich nicht allein das allgemeine Geſetz: kein Urtheil iſt ohne Grund, ſondern auch folgendes ſpeciellere, als Erfahrungsſatz aufſtellen: der Verſtand kann tein Urtheil (bag nicht unmittelbar evident iſt)

fuͤr

219 v4»

fuͤr wahr halten, unter ber Vorausſetzung, taf es aus keinem Grunde a priori hergeleitet wer ben koͤnne. Nun kann aber. ber Verſtand, als ſolcher, alle Urtheile, die ſich auf das Objective beziehen, nur inſofern fuͤr wahr halten, als ſie mit feinen. nothwendigen Denkgeſetzen uͤberein⸗ ſtimmen; und wenn er alſo durch ein ſolches Ge⸗ ſetz genoͤthigt iſt, unter der Vorausſetzung der Bedingung C bem Subjecte A das Praͤdicat B abzuſprechen, fo iſt er aud) genoͤthigt, bem. Ob⸗ jectiven, das der Vorſtellung A entſpricht, das Objective, das ber Vorſtellung D. cefponbirt, ats zuſprechen, unter ber Vorausſetzung einer objecti ven f5ebingung, bie ber Vorſtellung C cot: tefponbirt,

Wenn alfo ber Verſtand das Urtheil: A ift B, unter der Vorausſetzung, daß es weder in der Vorſtellung A unb B gegruͤndet ſey, nod) aus irgend einer dritten Vorſtellung C als einem Grunde a priori abgeleitet werden koͤnne, nicht fuͤr wahr halten kann, ſo kann er auch die Ver— bindung des objectiven A mit dem objectiven B nicht fuͤr wahr halten, (als wirklich denken) wenn er vorausſetzt, daß ſie weder an ſich nothwendig, noch aud irgend einem objectiven Grunde a priori begreiflich fep, So fülrt ta$ oben angegebne

P4 noth⸗

Four 220 "rb

nothwendige Denkgeſetz auf ben Grundſatz: Alles, was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt, (was nicht an ſich nothwendig iſt) ſetzt als ein ſolches eine Urſach im reintransſcendenten Verſtande voraus.

(Bey dieſer Schlußſolge, fo ſcharſſinnig fie aud) vorgetragen ijt, ſcheint uns doch cine Bedenklich⸗ feit übrig zu ſeyn. Wenn es erwieſen ift: Der Ver—⸗ ſtand kann bem Subject A das Praͤdicat B nicht bey: legen, unter Vorausſetzung der Bedingung C. (b. f, menn es im an einem idealen Wahrheitsgrunde fehlt); fo folgt daraus bod) nicht, bap ber Verſtand bem ob; jectíven A das objective B nid)t beylegen koͤnne, untet Vorausſetzung ber objectieen. Bedingung C. (b. i. wenn ce vorausfe&t, daß an einem objective. obe Siealatunbe von ber Wirklichkeit ber 2Berbinbung vott A un B febfe.) Die Bedingung der beyden Urtheile iſt offenbar verſchieden und verwechſelt, Der Schluß wuͤrde in ſchulgerechter Form ſo ausſehen.

Jedes Urtheil: ALB, kann nicht ſuͤr wahr gehalten werden, unter der Vorausſetzung der Bedingung C. (o. t

wenn es an einem idealen Wahrheitsgrunde fehlt, d. i. wenn das Urtheil nicht in ſich nothwendig iſt, und vorausgeſetzt wird, daß kein Grund deſſelben a priori daſey.)

Das

fuf 221 ^"

Das Urtheil: bem objectiven A koͤmmt das ob: jective B. zu, ift ein Urtheil, wobey bie Vorausſetzung bec Bedingung C, welche D i(t, (tatt finbet, (b. i.

wobey bíe Vorausſetzung ſtatt finbet, baf tie Verbindung be8 objectiven A mit bem objectíven B weber an fid) nothwendig, ned) baf cin. obz jectiver Grund derſelben a. priori bafey.) Alſo kann es nicht fuͤr wahr gehalten werden.

Es ift offenbar, bag C im Unterſatze etwas andres bedeute, als im Oberſatze; daß alſo der Schluß vier Hauptbegriffe habe und nicht zulaͤſſig ſey.

Es kann alſo, nach unſrer Einſicht, der Grund— ſatz, daß alles, was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt, (mas nicht an fid) nothwendig iſt,) inſofern es ein fol; d$ ift, eine Urſach im reintransſcendenten Sinne vorausſetze, auf dieſem Wege nicht aus nothwendigen Denkgeſetzen hergeleitet werden. Da ſich nun der uͤbrige heil dieſer Deduction auf den gedachten Schluß ſtuͤtzt, ſo kann Recenſ. bey dieſer Art, die allgemeinſten Grundſaͤtze der Caußalitaͤt zu deduciren, mit dem Ver— faſſer nicht einerley Meynung fen.)

Man kann aber bey der Ableitung der allgemein— ſten Grundgeſetze ber. Caußalitaͤt aus nothwendigen Denkgeſetzen

?s5 2,

F^Avf^ 2252 "we.

2. ben umaefefrten , ben analytiſchen Weg einſchla⸗ gen, ba bet vorige fontfjetifd) war. Bey biefet Methode, fagt ber Verfaſſer, fanm man vou bem empitiſch erweisbaren Satze ausgehen, daß alle Menſchen bey ihren Urtheilen uͤber entſtandene Dinge, ſofern fie dieſelben als entſtanden denken, den Grundſatz der Entſtehung vorausſetzen. Hieraus ſolgt, daß cine ſubjective Nothwendig⸗ keit vorhanden ſey, jedes entſtandne Ding, als ſolches, als verurſacht von einem andern zu denken. Da nun dieſe Nothwendigkeit nicht in einer Taͤuſchung der Phantaſie, oder in irgend einer Gewohnheit ihren Grund haben kann, ſo muß dieſer in einem Verſtandesgeſetze a priori liegen. Dies Verſtandesgeſetz "ift, nad) bem Verfaſſer, das im vorigen Abſatze angefuͤhrte, welches dann zugleich den allgemeinern und von aller Zeitbedingung freyen Grundſatz der Zufaͤl⸗ ligkeit giebt.

(Ob nun gleich bie Wahtheit dieſes letztern Satzes, unſrer Einſicht nad, nicht erwieſen ift, (f. ben vorigen Abſ.) ſo folgt doch aus dem Grundſatze des Entſtehens ter Grundſatz der Zufaͤlligkeit unmittelbar, und muß ſich entweder aus irgend einem Verſtandesge⸗ ſetze herleiten laſſen, oder ſelbſt als ein Verſtandesge⸗ ſetz betrachtet werden. Denn auf die Zeitbedingung

koͤmmt

f^AfA 223 ^w

koͤmmt es bey bem erſtern offenbar gar nidjt an, Nicht die ganz heterogene Vorſtellung be$ Daſeyns in oer Zeit, die als ſolche nur ein Vorhergehn vorausſetzt, kann uns zwingen, menn wir uns etwas, bac entre: Det, denken, aud) eine Urſach im transſcendenten Sinne anzunehmen, (onbern bie Vorſtellung deſſen, das entſteht, inſoſern wir daſſelbe als zufaͤllig denken.

Zuletzt widerlegt ber Verfaſſer einige Einwuͤrfe. die Kant der Ableitung des Grundſatzes der Caußali— taͤt aus einem Verſtandesgeſetze entgegenſtellt, die aber an ſich ganz unbedeutend ſind.

lI. Beantwortung bet zweyten von ben oben votgelegten Fragen: Iſt bad worauf uns nothwendige Denkgeſetze fuͤhren, auch objectiv wahr? Objectiv wahr aber Dat eire dreyſache Bedeutung. Es heißt 1) alles was in Anſehung der Menſchen allgemein, und unveraͤnderlich ſubjectiviſch iſt, was von allen nothwendigerweiſe ſo und nicht anders vorgeſtellt wird; 2) alles, was von jedem Weſen, ſofern es Verſtand hat, fuͤr wahr gehalten wird; 3) alles, was auch außer der Vorſtellung da iſt; jede Vorſtellung, der auch in den Objecten, in den Dingen außer dem Verſtande, etwas Wirkliches entſpricht.

In

f^^ 224 Tnm

In bem er(ten Sinne muf bie objective Guͤltig⸗ feit dem allgemeinften Grundſatze ber Gaufalitát aller; dings zugeſtanden roerben, nad) bem was in bem vori—⸗ gem erwieſen iſt. Was aber im erften Sinne objectio mafjr i(t, bas müffen roít aud) für objectiv güítig im zweyten unb brítten Sinne halten. Denn r) faben mir nídt allein gar feinen. Grunb, das Gegentbeil angunebmen, fonbern ſind genótbigt, unfte Denkgeſetze auf das Wirkliche anzuwenden, und eben deswegen aud) eine Harmonie derſelben mit ben Urtheilen andrer Geiſter gelten zu laſſen. 2) Die Einwuͤrſe, die man dagegen macht, ſind nichtig; ſelbſt der Kantiſche: daß man keinesweges von der ſubjectiven Nothwendigkeit, ben angefuͤhrten allgemeinen Grundſaͤtzen ber Caußali⸗ taͤt gemaͤß zu urtheilen, auf die objective Guͤltigkeit derſelben ſchließen koͤnne. (Cr. b, v. 38. 2te Aufl. S. 168.) Kant muß, wenn er nicht mit ſich ſelbſt in Widerſpruch ſallen will, das Gegentheil annehmen. Senn ec legt ſelbſt gewiſſen Saͤtzen (z. B. bem Grund⸗ geſetze der Sittlichkeit, dem Satze der Einſtimmung und des Widerſpruchs, und den daraus nothwendig folgenden Saͤtzen,) theils ausdruͤcklich, (Grundl. zur Met. d. Sitt. S. 28.) theils ſtillſchweigend, objective Guͤltigkeit im zweiten Sinne bey. (Grit. I. Aufl. S. 52.) Auch wenn er der Idee bet practiſchen 93er; nunft von der vollkommnen Harmonie der Sittlichkeit mit det Gluͤckſeligkeit objective Realitaͤt beylegt, (Cr.

IL. Aufl.

FAMEM 225 ^vi»

I. Aufl. €. 837.) fo wird fier das Ojective aat im britten. Sinne genommen; unb bie Behauptung ift offenbar ungüítig, wenn man nidjt eine vollfommene Mebereinftimmung der ſubjectiv nothwendigen Ver— ſtandsgeſetze, und deſſen was daraus nothwendig folgt, mit dem Objectiven vorausſetzt.

B. Ueber den Werth andrer Deductionen von denſelben GirunbfáGen, unb uͤber das Verhaͤltniß der— ſelben zu der obigen Ableitung.

Hier werden die Beweiſe kurz beurtheilt, die Wolf, Lambert und andre von dem allgemeinſten Grundgeſetze Det. Caufalitát gegeben haben.

Drittes Stagment,

Meber die Anwendung bed Grundſatzes ber Cnt: ftebung unb ber Zufaͤlligkeit auf transienbentale Ob⸗ jette, unb über bie transfcenbentale 9tealitát des Be⸗ griffs von 3Beránberung.

I. Gruͤnde oafür.

Daß es ím transfcenoenten Sinne reelle Ver⸗ aͤndrungen gebe, folgt

X. aus ber. Veraͤndrung ber Erſcheinungen (f. lt richs inftit, log. & met. p. 240.) 2-

f^uvfR 256 6*3

c. Aus ben von stant ſelbſt aufgeſtellten Principien bet Moral unb Moraltheologie aus von ifm ſelbſt behaupteten Saͤtzen, bag bet Menſch, als ein vernuͤnftiges und freyes Weſen, ein Ding an ſich, (rot. S. 153.) unb daß es fuͤr die Ver⸗ nunft nothwendig ſey, eine vollfommne Harmo⸗ nie der Gluͤckſeligkeit mit der Sittlichkeit zu hoffen. Es giebt drey Faͤlle. Entweder a) iſt Veraͤnde⸗ rung eines Menſchen, als eines Dinges an ſich, gar nicht moͤglich. Aber dann faͤlit erſtlich die Frey⸗ heit unb mit ifc alle Moral ſchlechterdengs weg. Senn Freyheit verlangt Veraͤnderlichkeit, unb bie Giebote ber Moral: bie Handlung A fell. ſeyn, ſetzen voraus, baf aud) non A fcn fónne. Set: ner faͤllt die Hoffnung einer ber Sinnlichkeit ges nau angemeſſenen Gluͤckſeligkeit gaͤnzlich weg; denn entweder muß ſie der Menſch ſchon beſitzen, oder er bekoͤmmt ſie nie. Oder b) Veraͤnderung des Menſchen, als eines Dinges an ſich, iſt moͤglich zwar, aber nicht wirklich. In dieſem Falle waͤre erſtlich die Freyheit, als Vermoͤgen betrachtet, zwar moͤglich, aber, und mit ihr der Trieb zur Vervolikommnung, ganz unnuͤtz und zwecklos, welches nach Kant ſelbſt unmoͤglich iſt. (Grit. II. Aufl. €. 678.) Sodann auch koͤnnte der Menſch, als Ding an ſich, in. dieſem Falle eben ſo wenig hoffen, als ám erſten. Denn

wenn

F^Avf 227 ^w

wenn er ftetá unveránoert ift, fo muf er bie bec Cittlid)feit angemefne Gluͤckſeligkeit entwe⸗ der ſchon befigen, obet et bekoͤmmt fie nie. Senn Gluͤckſeligkeit, bie ev bloß als Erſcheinung su hof⸗ fen haͤtte, kann keine Triebfeder fuͤr ihn, ſofern er ein wollendes, alſo intelligibeles Weſen iſt, ſeyn.

¶Man koͤnnte nod) hinzu ſetzen: Kant ſagt ſelbſt, Crit. b. pr. V. Es ſey abgeſchmackt, bie ber Sittlichkeit vollfommen angemeßne Gluͤckſeligkeit in der Sinnenwelt anzunehmen, oder zu hoffen; ſie ſey nur in der intetelligibeln denkbar. Wenn dies iſt, wenn der Menſch, als Ding an ſich, die gedachte Gluͤckſeligkeit jetzt in der Sinnenwelt nicht genießt, ſie aber in einer intelligibeln genießen wird, ſo muß es als Ding an ſich, nothwendig wirklich veraͤndert werden.)

Es bleibt alfo nichts uͤbrig, als daß c) Veraͤnde⸗ rung des Menſchen, als eines Dinges an ſich, nicht allein moͤglich, ſondern auch wirklich ſey.

Hieraus folgt, daß bet Begriff ber Veraͤnde⸗

rung auch auf transſcendentale Objecte anwendbar ſey, unb wenn das iſt, fo laͤßt ſich oer Grundſatz: „Jede Veraͤnderung, und uͤberhaupt, alles was entſteht, ſetzt eine Urſach im reintransſcendenten

Sinne

FXXTM 2028 ^"

Sinne voraus, auf transſeendentale Gegen⸗ ſtaͤnde ausdehnen. Eben dies kann man auch von dem Grundſatze der Zufaͤlligkeit behaupten; denn aus ber Veraͤnderung bec Zuſtande folgt ihre (unber dingte) Sufálligfeit nad) bem reinen Verſtandesbegriffe nothwendig. Auch Kant ſelbſt ift genoͤthigt, bem 3Bet; ſtandesbegriffe ber Zufaͤlligkeit trausſcendentale Siealí, taͤt einzugeſtehen. Denn da er dem Menſchen, als einem Dinge an ſich, Freyheit zuſchreibt, ſo muß er wenigſtens auf die Selbſtbeſtimmungen, wodurch ſich bie Freyheit aͤußert, alſo auf etwas transſcendentales, den Begriff von Zufaͤlligkeit anwenden.

Folglich muf auch vec Grundſatz oer Sufáfz ligfeit auf intelligible Degenfiánoe angevoanot werden.

JI. Ueber ie Einwuͤrfe gegen ber. tranéfcenbett: talem Gebrauch der Begriffe von 3Beranberung unb Sufálligfeit, unb ber allgemeinſten Grundſatze ber Caupalítát.

Hier Geurtfeift ber Verfaſſer groͤßtentheils ſehr gruͤndlich das, was Sant gegen bie transſcenden— tale Realitaͤt jener Begriffe und Grundſaͤtze einge: wandt hat.

Vier⸗

feAvYAM 2290 "3

yierttes Srtagment. inleitung suc Grundlegung oet natürticben Theologie. I, Allgemeine Bemerkungen über oie Art, das Daſeyn Gottes zu beweiſen.

Wenn bie objective Guͤltigkeit unſrer nothwendi⸗ gen Denkgeſetze ausgemacht, oder wenn es gewiß iſt, daß unſern Vorſtellungen, die in nothwendigen Denk⸗ geſetzen gegruͤndet ſind, aud) in bem Obiecte aufer ber Vorſtellung etroaé entſpreche, [o fiebt man dieſe Ueber⸗ einſtimmung unfrer Denkgeſetze mit bem. Objective entiveber als zufaͤllig, ober als nothwendig an.

Im erſten Salle kann man aus dieſer zufaͤlligen Harmonie auf einen hoͤchſt verſtandigen Urheber derſel— ben ſchließen; unb fo einen logiſch⸗ theologiſchen Beweis bec Daſeyns Gottes vor allen uͤbrigen vorbet: gehen laſſen.

Im andern Falle laͤßt ſich der cosmologiſche Be⸗ weis der Grifteng Gottes mit bem phyſicotheologiſchen, hiſtoriſchen und moraliſchen ſo verbinden, daß durch dieſe die Luͤcken deſſelben ausgeſuͤllt werden.

Der Verfaſſer haͤlt alſo den moraliſchen Beweis des Daſeyns Gottes nicht für ben einzig moͤglichen, unb die Wendung, die im Stant (Berl. Monatsſch. 1786. Oct.) giebt, mit allem Recht fuͤr unbefriedi⸗ gend. Denn man verwichkelt fid) dabey ín folgende Schwierigkeiten:

Philoſ. Mag. 2. Gt. Q i,

1, Die Idee ber Harmonie ber. Gilüdffeligfeit mit ber Sittlichkeit foll objective Realitaͤt erhalten burd) bie ?BorauéfeGung des Daſeyns Gottes; unb dieſe foll allerer(t aus jener. Sybee abaefeitet werden. (vergl. deutſch. Muſ. 1787. Febr.)

( Man koͤnnte nun freylich das Widerſprechende hierin leugnen und die Sache ſo vorſtellen: Die Idee von der gedachten Harmonie leitet uns auf die Idee eines exiſtirenden Gottes; nun ſetzen wir aus einem practiſchen Beduͤrfniſſe voraus, daß dieſe Idee objective Realitaͤt habe; wodurch bann aud) bie Idee von bet Harmonie ber Gluͤck⸗ feligfeit mit ber Sittlichkeit zugleich objective Siealitát erhaͤlt. Inzwiſchen koͤnnen Beweiſe von der Art niemals eine Ueberzeugung gewaͤh⸗ ren, da eine Vorausſetzung aus Beduͤrfniß nie ein Wahrheitsgrund ſeyn kann. Bey der Idee vor einer volltommnen Harmonie ber Gluͤckſelig⸗ keit mit der Sittlichkeit, kann man (denn wor⸗ aus iſt erweislich, taf man muf?) fid) aus ei: nem practijdjen Beduͤrfniſſe gebtungen fübten, bic(elbe realiſirt zu benfen ; ba mir bie aber nicht fónnen ofne bie Sybee eines wirklichen Gottes, fo benfen wir uns biefe Idee von eínem exiſtiren⸗ ben Gotte realifirt, b. i. roit (tellen uns Gott al[o voirfíid) vor, um uns jene Harmonie al aufer un$ roirflid) benfeh gu fónnen. Es bleibt

alſo

2.

KXAMFM 231 ^"

alfo ſowol bie Vorſtellung von ber Exiſtenz Gottes, al$ bie von ber Uebereinſtimmung ber Gluͤckſelig⸗ feit mit ber Sittlichkeit eine (eere Vorſtellung.) $ant widerſpricht fid) ſelbſt, wenn er einmal fagt : (Berl. Monatsſch. 1786. Oct, €. 316.) „Die Vernuuft 6ebarf ber Vorausſetzung eíne& unab: haͤngigen hoͤchſten Guts unb einer. oberſten In⸗ telligenz nicht, um die Triebfedern zur Beob⸗ achtung der moraliſchen Geſetze daraus ab⸗ zuleiten, ſondern nur, um dem Begriffe vom hoͤchſten Gute objective Realitaͤt zu geben. ,, Und das andremal (Cr. I. Aufl. S. 813.): „ohne einen Gott ſind bie Ideen der Gittr lichkeit zwar Gegenſtaͤnde des Beyfalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorſatzes unb ber 2íusübung. ,,

IL Verſuch uͤber ben Beweis ber Abhaͤngigkeit

des Daſeyns aus den Veraͤndrungen. Dieſer Abſchnitt theilt ſich in die Beantwortung zweyer Fragen.

A. Laͤßt ſich von der Veraͤnderlichkeit, oder den

Veraͤnderungen der Form des Daſeyns irgend eines Objects A, auf die Abhaͤngigkeit derſelben von irgend

einem von A verſchiedenen Weſen ſchließen?

Wenn das Beharrliche des transſcendentalen Ob⸗

jects A, ober die Materie beffelben M, aus dem Zu⸗ ſtande, ober der Form b ober non a, ín bie Form

a uͤbergeht, fo ift biefe nicht abfolut nothwendig mit M

$423

FXuT^ 232 «ws

M vetfunben, e8 mug alſo ein objectiver Grund daſeyn, aus welchem fid) biefe Verbindung begreifen lágt. Die⸗ ſer Grund (legt entweder bloß ín bem Objecte A, obet bloß ín einem aͤußerlichen Objecte B, obet in beiden zugleich. Sym eríten Salle bat bie Entſtehung ber. dorm 2 ibren Grund entmocber in M allein, oder (n einer at bern Form b, obec in M fofetm e$ mit b verbunben if. Stimmt man das erfte an, fo benft man M entz weder obne alle Form, ober. a(8 exiſtirend unter irgend einer Sorm, Sym etften Salle £ann a nicht bie Wirkung von M allein ſeyn; benn das Wirken bed M [e&t das Griftiren. deſſelben voraué; unb dies ift gar nidjt denkbar, ofne eine gewiſſe Form des Exiſti⸗ rens. Daher muß das Daſeyn des M unter einer ge; wiſſen Form als vorhergehend gedacht werden. (Allein dieſer Schluß ſcheint auf einer Verwechſelung des Be⸗ griffs von Form zu beruhen. Da nach des Verfaſſers Erklaͤrung S. 179. Form die veraͤnderlichen Beſtim⸗ mungen bedeutet, jede veraͤnderliche Beſtimmung aber von M getrennt gedacht werden kann; fo laͤßt (id) aud) M gedenken ohne eine gewiſſe Form des Exiſtirens, unb e$ kann daher bec Grund von a blos in M fiegcn. Waͤre unmoͤglich, bag M obne eine acmiffe Form, in dem angegeigten Sinne, exiſtirte, fo wuͤrde baburd) auch der Gottheit die Exiſtenz abgeſprechen werden, der man keine veraͤnderliche Beſtimmungen beylegen Bonn, wie bec Verf. ſelbſt einráumt (S. x71.) Da

fMMTA 223 ^"

Da nun das Reſultat dieſer Unterſuchungen: baf aus der Veraͤnderlichkeit der Form des Daſeyns die Abhangigkeit dieſer Form von einem aͤußerlichen Prin⸗ cip folge, zum Theil auf dieſem Satze beruht, daß die Materie des Objects, dem die Form zukoͤmmt, nicht ſelbſt den hinreichenden Grund ihrer Form ent: halten koͤnne; ſo kann Recenſent das gedachte Reſultat nicht für gang erwieſen halten.

B. Die zweite, beantwortete Frage iſt: Laͤßt ſich aus der Abhaͤngigkeit der Form des Daſeyns auch bie Abhaͤngigkeit der Materie, ober beo Beharrlichen, das den wechſelnden Formen zum Grunde liegt, folgern?

Sid) kann mir, ſagt der Verf., Mnicht als exiſti⸗ rend denken, aufer unter einer gewiſſen Form. Wenn alſo jede Form des Daſeyns von M míttef&ar ober uri mittelbar von einem unabhaͤngigen Weſen B afbángt ; fo bànat aud) bie Grifteng des Weſens A, befjen Ma⸗ terie M unb deſſen Form x ift, von B a6. Die Verbindung des M mit x macht bíe Grifteng vont A aus. Iſt alſo die (ete in. B aegrünbet, fo mug es auch bie erfte ſeyn. Alſo muß bie vorgelegte rage be jabt werden.

(Hiegegen, deucht uns, [iege fid) folgendes et; innern:

I. Zugegeben, daß es erwieſen fep, daß fid) von bet Veraͤnderung der Form des A auf bie Abhaͤn—⸗ Q3 gig⸗

KVMSMTR 224 ^e

gigkeit berfelben von einem von A verfdoiebenen Weſen ſchließen laſſe, fo liegt Diet wieder bet Satz jum Grunde, ber, nad) unfeter Einſicht, nídt yum Grunde liegen follte (f. À.)

4. Hievon abgefebn, unb gugegeben, baf jebe Form, des Daſeyns von M won einem. unabfángigen Weſen B. abfange, fo folgt bod) daraus nicht, bap bie Grifteny des Weſens A, beffen Sta: terie M ift, von B abfángig ſey, (ín bem Sinne, worin e$ bet Verfaſſer nimmt, nad) wet; dem e$ fo viel bebeutet, als ben wirkenden Grunb feiner Eriſtenz in etwas anberm haben) ſondern nur, bag B baju mitwirken muͤſſe. B ift bie Conditio fine qua non vom exiſtirenden A, aber. deswegen nicht ber mirfenbe Grund. A kann nicht exiſtiren, ohne irgenb eine $orm x, dieſe abet kann nut von B hervorgebracht werben; menn alfo A eriftiren foll, fo fann ba$ nicht anberé geſchehen, als wenn B bie orm x Dervorbringt. Hiedurch ift nun aber. gar. nidjt beſtimmt, ob bet wirkende Grund ber Gri(teng des À in B obct ín írgenb einem andern Dinge C D Y Z liege.)

m.

|

An

FMAMERP 235 ^24» e7297297o9 7960297972979 ^.97.97.9

An die Herrn Herausgeber der

Berliniſchen Monathſchrift.

hr Novemberſtuͤck dieſes Jahres enthaͤlt die erfreu⸗ liche Nachricht, „daß man bie Ausfuͤhrung bes Planes, vier deutſchen Weltweiſen der neuern Zeiten ein Denkmal zu errichten, wieder vorgenommen habe. Laſſen Sie mich zufoͤrderſt meinem Vaterlande zu bie: ſem oͤffentlichen Denkmale, das es ſeiner eigenen Weis⸗ feit, Bildung, Aufklaͤrung, unb Freyheit zu benfen, et; richtet, mit aller Waͤrme, mit allem Stolze, den mir das Gefuͤhl giebt, es das meinige zu nennen, Gluͤck wuͤnſchen. Außer England iſt alſo Preußſen bas. eim zige Land in der Welt, das nicht bloß Fuͤrſten und Hel⸗ den durch Erz und Stein zu verewigen ſucht; es iſt alſo ein Land ber Freyheit unb ber Aufklaͤrung. Syn den Gegenden der Knechtſchaft heiligt nur die Schmeicheley, in den Gegenden der Finſterniß der Aberglaube, den Gegenſtaͤnden ſeiner politiſchen und religioſen Furcht oͤffentliche Denkmale; unter. einem freyen unb aufge— klaͤrten Volke bie oͤffentliche Erkenntlichkeit, ben Gegen: ſtaͤnden ſeiner Bewunderung und ſeiner Achtung; ſei⸗ nen Fuͤrſten, ſeinen Helden, ſeinen Weiſen. Selbſt in dem geiſtreichen Frankreich, wuͤrde ſich die Hierar⸗ chie dieſem oͤffentlichen Zeichen der Verehrung ſeiner Q4 Wei⸗

CAM 236 um

Weiſen, ſeiner 2Descartes, ſeiner Gaſſendis, els einem Werke ber. Irreligion, widerſetzen. Syd) ver; einige mid) aljo mit inníget Sreube, au bem (lauten Beyfalle, mit welchem meine Mitbuͤrger aus allem Standen einen Plan aufgenommen haben, der nur in den Herzen vortrefflicher Menſchen entſtehen konnte.

Belehren Sie mich aber uͤber einen Zweifel, met; cher die Wahl der Weltweiſen betrifft, denen Sie Ihr Denkmal zugedacht haben. Ich vermiſſe Einen darun— ter, von dem es mich ſchmerzen wuͤrde, wenn ſich mein Vaterland, und die ganze deutſche Nation, ihm zu keiner Dankbarkeit ſollte verpflichtet halten. Wenn kein deutſcher Weltweiſer ein Denkmal der Achtung von den Deutſchen erhielt: ſo konnte ſich Chriſtian Wolf nicht beklagen; ev theilte bie oͤffentliche Gleichguͤltigkeit mit allen verdienten Unſterblichen ſeines Standes. Es lein wenn die Nation gegen einige dankbar iſt: fo ift Gleichguͤltigkeit gegen Einen Verachtung, und gegen Einen, der ihnen gleich iſt, Ungerechtigkeit.

Syd) fenne weder Ihren Maaßſtab des philoſo— phiſchen Verdienſtes, noch die Gruͤnde, welche Ihre Wahl beſtimmt haben; allein id) bin uͤberzeugt, daß, wenn die unſterblichen Maͤnner, die Ihr Denkmal zieren ſollen, ihre Stimmen fátten zu geben gehabt, ſie wuͤrden einmuͤthig ſich den eben ſo unſterblichen Wolf zugeſellet haben. Drey von ihnen machten ſich eine Ehre daraus, von ihm gelernt, und der erſte, ſich mit ihm auf ſeinem Wege begegnet zu haben.

Wenn Sie ſeinen unermuͤdeten Fleiß, ſeinen philo⸗ ſophiſchen Geiſt, feine zahlreichen Schriften, feine un; ermeßliche Litteratur, feine alle Theile ter Philoſophie und der Mathematik in Ein Syſtem zuſammenfaſſende

Wiſ⸗

237

Wiſſenſchaft fuͤr nichts rechnen wollen: ſo behaͤlt er ſelbſt alsdann noch Verdienſte genug, die auf unſere ganze Dankbarkeit Anſpruch machen. Es iſt wahr, ſeine meiſten Schriften ſind lateiniſch, unb konnten alſo nicht unmittel⸗ bar auf alle Staͤnde wirken. Allein geſetzt, bafi dieſer Theil ſeiner Arbeiten für ſeinen Ruhm verlohren feyn ſollte, wel⸗ ches große Recht auf unſere Erkenntlichkeit bleibt ihm dem ungeachtet nicht noch uͤbrig! Und haben ſelbſt dieſe Schriften nicht auf die Bildung ber gelehrten tánbe qe: wirkt, haben fie uns nicht eiie beſſere Theologie, eine be]; ſere Rechtsgelehrſamkeit, eine beſſere Philoſophie votz bereitet?

Syd) hoͤre, bafi man dieſem Theile feiner Schriften vorwirft, fie ſeyn trocken unb ſchwerfallig. Rathen Sie ja niemand, ben Euklides, nod weniger den Neuton auf: zuſchlagen, wennS ie glauben fonnen, baf in ein trockner unb ſchwerfaͤlliger Vortrag a6fd)recfen wuͤrde bein mas iſt trockner, als Neutons Philofophize naturalis prin- cipia mathematica? unb bod) wuͤrden Sie dieſem ſchwerfaͤlligen Philoſophen, wenn et cin Deutſcher gewe⸗ ſen waͤre, wol ſchwerlich eine Stelle unter denen verſagt haben, die das Denkmal verewigen ſoll.

Vielleicht wird man Wolfs deutſchen Schriften den Vorwurf nicht machen, den man ſeinen lateiniſchen macht. Sie ſind kleiner, gedraͤngter und popularer; fie ha⸗ ben alſo vermuthlich mehr unmittelbar auf bie Verbrei— tung der Philoſophie in Deutſchland gewirkt; ich ſage nur, vermuthlich auf die Verbreitung der Philoſophie, aber mit groͤßter Zuverſicht darf ich behaupten, daß ihre Wirkung auf oie deutſche Sprache bie vortheilhafteſte aec weſen iſt. Wolf gab das erſte Beyſpiel unter den deut⸗ ſchen Philoſophen von der PN Reinigkeit unb Rich:

L5 tig:

238

tiafeit der Sprache. Gr war in Opitzens unb Logaus Schule qebilbet; bie Sprache dieſer beutfdyen Dichter war ihm durch ſeinen Lehrer Gryphius uͤberliefert. Mit ihrem klaſſiſchen Stempel praͤgte er ſich eine proſaiſche, philoſophiſche Sprache, die aus ſeinen Schriften in Sul⸗ zers, Lamberts und Mendelsſohns Schriften ge⸗ floſſen iſt, ſich mit der Sprache des gemeinen Lebens der aufgeklaͤrten Staͤnde vermiſcht hat, und der es die Deut⸗ ſchen zu danken haben, daß ſie eine firirte philoſophiſche Sprache beſitzen, die allen andern Voͤlkern ſehlt.

Das alles iſt ein Theil ſeiner Rechtsanſpruͤche auf die Verehrung ſeines Vaterlandes. Bey ſeinen Lebzeiten ward ihm dieſe Verehrung nicht verſagt; und er ſand ſie nicht allein unter ſeinen deutſchen Mitbuͤrgern; er fand (ie aud) bey den Auslaͤndern mehr al irgend ein Deutſcher, meni Sie Leibnitz unb Tſchirnhauſen ausnehmen. Er war in allen Academien von Europa aufgenommen, und Rußland wuͤrde ihn mit Vergnuͤgen, als Praͤſiden⸗ ten, an der Spitze der ihrigen geſehen haben.

Selbſt ſeine Verfolgungen, in denen er ſo glorreich obſiegte, muͤſſen ſeinen Ruhm erhoͤhen. Und hierin finde ich einen neuen Grund, warum ich die Freunde des philoſo⸗ phiſchen Verdienſtes in ben preußiſchen Staaten auffotz dern zu muͤſſen glaube, den Weltweiſen Wolf in ihrer Hauptſtadt vor bem Denkmale des Ruhms nicht auszu⸗ ſchließen. Dort war der Brennpunkt, wo die Strahlen der Halliſchen Verunglimpfungen ſich vereinigten, wo die Flammen der Verfolgung ausbrachen und uͤber dem Haupte des Weltweiſen zuſammenſchlugen. Dort waren aber auch, unter den erſten des Staats, ſeine dankbarſten Schuͤler unb waͤrmſten Verehrer, bie ben verfolgten, abet

nídjt unterdruͤckten Weltweiſen im ben Augen bet —* raſch⸗

fMEM 239 "uk

tofd)ten Monarchen rechtfertigten. Und unter dieſen der Große, der ſich im Stillen zu dem bildete, was er ſeinem Volke und der Welt dereinſt ſeyn ſollte, Friedrich der Zweyte! Seine erſte Philoſophie ſchoͤpſte er aus Woifs Schriften; und die Wirkung dieſes erſten Studiums hat ſich in dieſem großen und feſten Geiſte ſein ganzes eben hindurch gegen allen pott. der fran; zoͤſiſchen fdónen Geiſter erbaíten. Und auf dieſem djaupla&e ſeiner &dymad unb ſeines Ruhmes wollte man 98oífen von feinem Antheile an. einem. Dent: male gu Ehren ber SBeltroeifen auc[dtiefen ?

Vielleicht aber haben bie ruhmwuͤrdigen Unter⸗ nehmer der Denkmale ihre Wahl auf diejenigen ein— geſchraͤntt, bie in Berlin gelebt haben? denn ich rathe blindlings umher, um ihre Bewegungsgruͤnde zu finden. Allein ſo konnten ſie Leibnitzen nicht in ihte Wahl aufnehmen; er lebte nicht in Berlin, er war ſo⸗ gar kein eigentlicher Buͤrger des preußiſchen Staats. Ueberdem gehoͤrt jeder Staatsbuͤrger, der ſeinem Va⸗ terlande Ehre macht, dem Sitze der Regierung zu, bit ibm ín bem ganzen Umſange ihrer Herrſchaft ba feinen. Standort anmeifet, wo fie feine. Wirkſamkeit für ben Staat am nuͤtzlichſten bált. Auch bat Seid⸗ li fein Standbild in ber Hauptſtadt, ob ber 9X onard) gleid) ihm eine Befehlshaberſchaft ferm. von. berfclben auverttaut batte.

Berſtehen Sie mid) nit unrecht. Ich Bu weit entfernt, Einen von den vier Weltweiſen, uͤber welche die Stimmen der Unternehmer ſich vereinigt haben, von ihrem Antheile an dem Denkmale auszu⸗ ſchließen ob ich gleich erſt noch lernen muß, war⸗ um Sulzer Wolfen verdraͤugen ſoll am meiſten

wuͤrde

fx» T* 2410 ^w»

wuͤrde id) untroͤſtbar ſeyn, wenn Cie den juͤngſten un tet ihnen, den Weltweiſen Moſes Mendelsſohn, den ich in dieſer ehrenvollen Verbindung, ohne Ruhm⸗ redigkeit, kaum meinen unvergeßlichen Freund nennen darf, uͤbergangen haͤtten. Die Nation ſetzet durch ſeine oͤffentliche Verewigung nicht allein ihrer Liebe der Weltweisheit, ſondern aud) ihrer erleuchteten Duld⸗ ſamkeit das ruͤhmlichſte Denkmal, fie. verwilligt ihm nicht nuc eine oͤffentliche Schadloshaltung dafuͤr, daß er nicht die Ehre, und die preußiſche Academie der Wiſſenſchaften nicht das Gluͤck hat haben koͤnnen, ihn au ben Ihrigen gu zaͤhlen: fte ſtellt aud) ein großes Beyſpiel auf, das allem Staͤnden taͤglich die große Wahrheit prebigt: daß uns kein Unterſchied ber. Na⸗ tion, der Religion und des Standes hindern muß, den Mann von ſeltenen Geiſteskraͤften und von weit—⸗ umfaſſenden Verdienſten zu ehren.

Ich bin alſo weit entſernt, den Enthuſiasmus der Verehrung und der Erkenntlichkeit fuͤr ihre Weiſen ín meinen Mitbuͤrgern einzuſchraͤnken; (d) moͤchte ihm lieber noch mehr Ausbreitung geben. Ich moͤchte Ihnen gern noch einen ſeltnen Mann nennen, einen Mann, den wir eilen muͤſſen, zu dem unſrigen zu machen, wenn uns nicht die Zierde der deutſchen Litteratur, der deut⸗ ſchen Schaubuͤhne, der deutſchen Philoſophie entriſſen werden foll, Der Mann, bem ein Fuͤrſt, ber dem preithiſchen Koͤnigshauſe durch die Bande ber Ver⸗ wandtſchaft, der Neigung und der Geſinnungen zuge⸗ hoͤrt, in ſeinen gluͤcklichen Staaten eine ſorgenfreye und ruhmvolle Muße verſchaffte, um ſich unter den Helden und weiſen Regenten auch als erleuchteten

Beſchuͤtzer der Wiſſenſchaften auszuzeichnen, kurz, Leſ⸗

CX 24r ^w

Leſſing ſollte, nad) feinem Tode, ín Preußens Haupt ſtadt wenigſtens einen Stein haben. Ich moͤchte bie Aufmerkſamkeit meiner Mitbuͤrger noch fuͤr eine andere Art von Weiſen, für bie erſten unſerer vater⸗ laͤndiſchen Dichter intereſſiren, wenn ich es nicht fuͤr beſcheidener halten muͤßte, dieſen Aufruf einer wichti⸗ gern Stimme, als die meinige iſt, zu uͤberlaſſen.

Sid) endige alfo, wie id) angefangen habe: Beleh⸗ ren ſie mich, warum man den deutſchen Weltweiſen Wolf von einem Denkmale deutſcher Weltweiſen aus⸗ geſchloſſen hat? Wie auch Ihre Antwort ausfallen mag: ſo werde ich e$ mit jur groͤßten Ehre ſchaͤtzen, wenn bie Unternehmer des Denkmals meinen geringen Bey⸗ trag dazu anuehmen wollen. Meine Abſicht ift blog, mich uͤber die Beſorgniß zu beruhigen, daß die Nach— welt, welche wieder bie XXicbter des Verdienſtes rich⸗ tet, vielleicht Wolſs Bildniß vermiſſen koͤnnte; ja daß vielleicht, rie einft in Rom das Bildniß des Bru⸗ tus unb Caſſius, Wolfs Bildniß deſto mer hervob⸗ glaͤnzen moͤchte, je weniger es geſehen wuͤrde.

J. 2f, Eberhard.

|

Snbalt

des zweyten Stuͤcks.

I. Neber bie transſcendentale Aeſthetik, von Herrn M. Maaß. S. 150.

II. Ueber die logiſche Wahrheit oder die trans⸗ ſcendentale Guͤltigkeit der menſchlichen Erkenntniß. €. 150.

III. Beytrag zur Geſchichte der Baͤtte. €. 175. IV. Rhapſodie uͤber das Verdienſt. &. 183. V. Recenſionen. €. 191.

VI. An die Herren Herausgeber der Berlini⸗ niſchen Monathſchrift, uͤber das Denk⸗ mal, welches vier Weltweiſen errichtet werden ſoll, von J. A. Eberhard. €. 235.

Philoſophiſches Magazin.

*

e

$erauégegeben

vorn

Johann Auguſt Eberhard.

Drittes Stuͤck.

HALLE, bey Johann Jacob Gebauer. 1789.

I.

Weitere Anwendung ber Theorie oon bee logiſchen Wahrheit ober Der tranfcenbentaten Guͤltigkeit bec menſchlichen Erkenntniß.

D. tranſcendentale Guͤltigkeit des Satzes von bem zureichenden Grunde ſtehet aio feſt, unb. mig koͤnnen dieſen Satz nun weiter anwenden. Bis bas hin war dieſe Anwendung bereits (St 2. &. 161. u. f.) auégefübrt, baf wir gemi waren, bet (e&te Girunb ber Formen ber ſunlichen Anſchauung mute etwas ſeyn, was nicht ſinnliche Anſchauung, b. i. was nicht bildlich, nicht ſinnlich iſt, des Raͤumlichen, was nicht raͤumlich, des Succeſſiven, was nicht fucceffiv

Philoſ. Mag. 3. Gr, R iſt.

m^ 244 73

it. Sy ben innern Ofjcften. ber Vorſtellungen iſt alſo etwas Denkbares, das nicht als etwas Bild⸗ liches oder Sinnliches gedacht wird. Einige die⸗ ſer Objekte werden aber zugleich als aͤußere gedacht: ſind alſo unter den Gegenſtaͤnden unſerer Vorſtellun⸗ gen einige auch in der That aͤußere, koͤnnen wir ihnen eine aͤußere Realitaͤt cine Moͤglichkeit ober Wirk⸗ lichkeit außer unſerer Erkenntnißkraft mit einiger Gewißheit beilegen? Das iſt die Frage, zu der wir nun vorruͤcken duͤrſen, ohne zu beſorgen, daß wir im geringſten etwas uͤbereilt haben.

Wir gingen von bem Cate aus, alles Moͤgliche muß einen zureichenden Grund haben. Wir fanden, daß dieſer Satz nicht bloß eine ſubjektive Wahrheit habe, ſeine allgemeine nothwendige Wahrheit wat auch eine objektive. Denn wir konnten in keinem Gegenſtande von zwey entgegengeſetzten Beſtimmun⸗ gen die eine mit Ausſchließung der andern denken, ohne etwas entweder wirklich zu denken, oder doch wenigſtens vorauszuſetzen, welches die eine von dieſen Beſtimmungen beſtimmte. Das mußte der Satz ſa⸗ gen wollen, den Hr. Kant mehrmals wiederholet: der menſchliche Verſtand ſchafft ſich erſt die Natur, indem et feine Begriffe unb Regeln auf. bie. Gegen⸗ ftánbe amenbet. Wenn er anberé etwas verſtaͤndli⸗ ches entfalten ſoll, jo kann er keine andere als ſolgende

Aus⸗

245 5

Auslequng zulaſſen: die allgemeinſten Gruͤnde der Erkenniniß, ber Satz des Widerſpruches unb des gus reichenden Grundes, ſind mit den allgemeinſten Gruͤn⸗ ben ber Dinge, bie erfannt werden, einerley Die menſchliche Seele erkennt dieſe Gruͤnde ín fid) ſelbſt durch ihren Verſtand, und ihre Vernunft erkennt nad) denſelben alles wahre Erkennbare. Der Satz des zureichenden Grundes hat alſo objektive GE tigkeit.

Daß die Wahrheit dieſes Satzes eine objeftíve ſey, erhellet noch daraus, daß die Vorſtellungen des denkenden Subjekts eben deswegen nicht ohne ihren zureichenden Grund ſeyn koͤnnen, weil in dieſem Subjekte, als Objekt betrachtet, keine Beſtimmung ohne Etwas ſeyn kann, das ſie, mit Ausſchließung der entgegengeſetzten, beſtimmt.

Das, was in dem denkenden Weſen eigentlich das Subjektive bey dieſem Satze iſt, bas iſt fein Be⸗ wußtſeyn, daß es ſich in dem Denken der Praͤdikate eines gewiſſen Gegenſtandes aufgehalten fuͤhlt; das Gefuͤhl des Stockens, des Schwankens, bec Verlegen⸗ heit, bie nicht eher gehoben wird, als bis ein beſtim— mender Grund zu bem Einen von zwey entgegenge⸗ ſetzten Praͤdikaten den Ausſchlag giebt; aber dieſes Oubjektive ſetzt das Objektive voraus. Koͤnnte irgend

02 ín

f^ 2416. ^m

in einem gebad)ten ober. benfbaren Gegenftante eítva ofne beftimmenben Grund ſeyn; fo brauchte das ben: fente Weſen ibn nid)t ju. ſuchen, nit abzuwarten, es koͤnnte ohne Zaudern, ohne Stocken, ohne Anſte⸗ hen aufs Gerathewohl zu der erſten der beſten Beſtim⸗ mung uͤbergehen, es wuͤrde nichts zu beſorgen haben, ein Mißgriff waͤre nicht moͤglich. Eben ſo wenig waͤre das geringſte Mißbehagen, die fleinfte * atuft, moͤglich, einen ſolchen Mißgriff getüan ;a ' "^en; pber, menn ibm ein Gegenftanb dargeſtellt wuͤrde, beffen Mannigfaltiges nid)t zu einanber pafte, nidjt mit einander 3ufammenfinge, wort irgend ein Theil keinen Grund haͤtte, oder einen andern, als den die uͤbrigen Theile angeben: ſo ließe ſich nicht ſagen, war⸗ um ein ſolcher Gegenſtand mißfiele, da das denkende Weſen das Zuſammenhaͤngende in dem Gegenſtande nicht zu dem Gefuͤhle des leichten Fortwirkens ſeiner Kraͤfte nothwendig beduͤrfte. Gin Gegenſtand aber, worin etwas iſt, das fehen Grund hat, oder das bem Grunde ber. übrigen Theile, mit denen einer⸗ (ey Grund haben foll, nid)t gemáf ift, ein ſolcher Gegenſtand mißfaͤllt. Warum beleidigt auf einem Gemaͤlde ein Schatten ohne undurchſichtigen Koͤrper, ein undurchſichtiger Koͤrper ohne Schatten, ein Schatten, den der Koͤrper nach den Regeln der Optik nicht werfen kann? Warum wuͤrde ín einer bramati ſchen Vorſtellung eine Iphigenia, bie in Todes⸗

ſchmerz,

FAMEM 242. ^wich

ffmerg, mit aefenftem Haupte und erſchlafften Glie— dern, mit Thraͤnen in den Augen an dem Halſe ihrer Mutter einen engliſchen Tanz, oder den Deſſauiſchen Marſch ſaͤnge, warum wuͤrde die beleidigen? Das Unangenehme, das Widrige, das Zuruͤckſtoßende ín allen dieſen Gegenſtaͤnden liegt e$. in etwas an; derm, als darin, daß in demſelben Etwas iſt, das keinen objektiven Grund hat?

Ich will aus dieſen Bemerkungen nicht zu viel Vortheil ziehen, aber doch auch nicht gern weniger, als ich berechtigt bin. Syd) aglaube aber, ich ſey voͤllig berechtigt, daraus zu ſchließen, daß ſie die (St. 2. S. 168. u. (f) bewieſenen Saͤtze mit unwi⸗ derſtehlicher Kraft beſtaͤtigen, und

X. bag ber Satz des zureichenden Grundes ein voͤllig allgemeiner Satz ſey;

2. bag feine Wahrheit nicht bloß ſubjektiv, fo dern auch objektiv ſey;

3. bag ſelbſt unſere Vorſtellungen demſelben ge: maͤß ſeyn muͤſſen, fo ſern fie Objctte ſind.

Wenn (dj hier etwas wiederhole, obet vict: mehr nachhole, ſo geſchieht es, um eine Wahrheit, auf bie fo viel ankoͤmmt, von allen ihren intereſſanten Seiten gu zeigen, unb nad) alfen ibren Richtungen ju Befeftigen. Wir muften erſt wegen bet. objcftiven

983 Git

CMAvTM 218. ^w

Guͤltigkeit dieſes Satzes uͤberhaupt ſicher ſeyn, wenn wir zu ſeiner aͤußern Ohjektivitaͤt unb zu ſeiner trang; ſcendentalen Guͤltigkeit, wie es Hr. Kant nennt, oder zu ſeiner Anwendung auf Gegenſtaͤnde, die außer uns, und keine bloße Erſcheinungen ſind, ohne Be⸗ ſorgniß uͤbergehen wollen.

Y. Einige unſerer Vorſtellungen haben Gegen⸗ ſtaͤnde, die wir uns als aͤußerlich denken.

Daß die innern Gegenſtaͤnde unſerer Vorſtellun⸗ gen, wenn ſie Erſcheinungen ſind, in Etwas ihren Grund haben muͤſſen, das nicht Erſcheinung iſt, das iſt, wie ich glaube, an den ſinnlichen Bildern von bem Raume unb ber Zeit uͤberzeugend bewieſen toot; den. Sind aber dieſe unſinnlichen Gruͤnde ber. Gt; ſcheinungen auch aͤußere Gegenſtande, haben ſie ein bloßes ideales, oder haben ſie auch ein reelles Daſeyn, ein Daſeyn außer der Vorſtellung, gibt es Dinge an ſich, wie ſie Hr. Kant, ovzos ovra , wie fie Plato, wahre Dinge, wie ſie Leibnitz, Wolf und Baum⸗ garten nennen?

Wir unterſcheiden unter unſern Vorſtellungen voffenbar einige, deren Gegenſtaͤnde wir aufer uns denken, deren Urſachen wir außer uns ſetzen; wir nennen ſie aͤußere Empfindungen. Bume nennt ſie

Im⸗

FM 2419. ^wacs

Impreſſionen, alle ü6rigen nennt. er Ideen 9), unb er wird mit bcr Beſtimmung ihres Unterſchiedes bald fertig; fie unterjbeiben fi, feiner. Meinung nad), turd) nichts weiter, al$, bag bie Ideen ſchwaͤ— dr unb bíe Sympteffonen ſtärler (in^. Es laͤßt fic) kaum etwas feid)tcreó denken, als das angenehme Geſchwaͤlz, womit uns bet elegante Hume über dieſe daterie unterhaͤt. Daß ſeine Impreſſionen, oder unſere aͤußere Empfindungen gewoͤhnlich eine groͤ⸗ ßere Staͤrke haben, als feine Ideen, ober bie Vor⸗ ſtellungen, die keine Empfindungen ſind, das wird man wol ſchwerlich für eine febr neue Entbeckungq bat: ten duͤrfen. Es (ft bad gemeinſte Mittel, woburd) wir unſere Empfindungen von andern Vorſtellungen unterſcheiden; aber ein allgemein ausreichendes iſt es gewiß nidt. Wir finb ojt genoͤthigt, andere zu gebrauchen, unb ber gemeinſte Menſch gebraucht ſie. Er ſchließt nach einem unerlernten aber untruͤglichen Grundſatze, daß eine Vorſtellung keine Empfindung ſey, wenn ihr Gegenſtand etwas enthaͤlt, bas wider— ſprechend und unmoͤglich iſt, oder keinen Grund hat. Die Wahrheit, welche bey dieſem Schluſſe zum Grunde liegt, ift keine andere, als daß ein Gegen: ſtand nicht außer feiner. Vorſtellung wirklich ſeyn koͤn⸗ ne, menn nicht alles in ibm bem Gate des Wider—⸗ ſpruches unb des zureichenden Grundes gemäß iſt. R4 Soll⸗ ) Treat. on hum. Nat. B. I. P. I. S. I. S. 12,

f^f^ 250 "uc

Sollte et. irgendwo einen. Schatten geſehen zu haben glauben, ohne daß eim undurchſichtiger Koͤrper vor; handen waͤte, ſo wuͤrde er uͤberzeugt ſeyn, daß er es ſich bloß eingebildet habe, geſetzt, daß auch die Vor— ſtellung alle Staͤrke einer Empfindung gehabt haͤtte.

Das entſcheidende Kennzeichen, woran der bloße geſunde Verſtand etwas fuͤr eine Empfindung erkennt, iſt alſo die Staͤrke der Vorſtellung, verbunden mit der Moͤglichkeit des Gegenſtandes ſowol an ſich, als mit den vorhergehenden, begleitenden und nachfolgenden Umſtaͤnden. Hingegen erkennt eben ber geſunde Ver— ſtand eine Vorſtellung fuͤr eine Einbildung, ſo bald er fid) ihrer 93ergefellfdaftung mit feinen vorhergehen⸗ den oder gleichzeitigen Vorſtellungen bewußt iſt.

Dieſe Urtheile des geſunden Verſtandes laſſen ſich durch die ſchaͤrfſte Unterſuchung rechtfertigen. Eine jede wirkliche Vorſtellung muß einen unmittelba. ren zureichenden Grund haben, warum ſie eben jetzt, warum ſie nicht fruͤher und nicht ſpaͤter, unter dieſen unb feinen andern Umſtaͤnden wirklich iſt. St die⸗ ſer Grund ein bloßer innerer Grund: ſo ſuchen wir ibn nicht ín einem aͤußern von bem denkenden Subjekte verfd)iebenen Gegenſtande; bie Vorſtellung ift bloß vermoͤge eines Geſetzes des denkenden Subjektes ſelbſt vorhanden; ihr Grund iſt ſubjektiv. Iſt der Grund

der

FMVEM 25r ^ac»

ber Vorſtellung nicht blog ít einem Geſetze be& ben: fenben. &ubjefteó: fo muf er ín ifrem Dbjette, et muf ein objettivet ſeyn.

Danach unterſcheide id) bíe Theile einer Total⸗ vorſtellung, ſo wie die Folge in den Reihen meiner Vorſtellungen. Den naͤchſten Grund derjenigen Reihe, worin die Vorſtellungen nad) bem bloßen ſubjektiven Geſetze der Einbildungskraft auf einander folgen, ſuche ich nicht in Gegenſtaͤnden außer mir; ſo bald aber die Folge ber. Vorſtellungen dieſen Grund ín einem fub; jektiven Geſetze ber Seele, in bem Geſetze ber Einbil⸗ dungskraft gar nicht haben kann, ſo muß ſie einen Grund außer mir haben, in Dingen, die von mir verſchieden ſind, und die ich die Gegenſtaͤnde meiner Vorſtellungen nenne. Man hat ſich dieſes Satzes als eines Entſcheidungsgrundes in einem aͤußerſt verwickel⸗ ten Falle bedient, um danach auszumachen, ob eine gewiſſe Vorſtellung eine bloße Vorſtellung der Einbil⸗ dungskraft, oder eine wirkliche Empfindung ſey. Es iſt in der Theorie der Muſik eine beruͤhmte aber ſchwere Frage, ob die ſogenannten Nebentoͤne (toni ſecundarii) wirklich gehoͤrt werden, oder ob ſie bloß bie Einbildungskraft zu ben Haupttoͤnen hinzuſetzt. Man verſteht unter dieſen Nebentoͤnen bie. Octave, Duodecima, Decima quinta und Decima ſeptima, die mit dem Grundtone der Saite zugleich gehoͤrt werden,

R5 und

KAAVEM 252 4*1

unb c8 ift befannt, daß Xameau auf bie Erfahrung, daß jeber Girunbton von dieſen Socbentónen bealeitet werde, einen Theil feiner Theorie des Generalbaſſes ae: bauet hat. Dieſe Nebentoͤne ſind ſo ſchwach, daß man ſie, nach ihrer Staͤrke, nicht fuͤr Empfindungen halten duͤrſte, unb gleichwol ſind ſie es. Das Humiſche Kennzeichen der Impreſſionen oder Empfindungen laͤßt uns hier alſo voͤllig im Bloßen. Man hat ſich daher mit einem andern Mittel helfen muͤſſen, und das geben uns die Geſetze ber Einbildungskraft unb ber aͤußern Sinne an die Hand. Nach bem Geſetze der erſtern erregt eine Vorſtellung andere, die mit ihr vergeſellſchaftet ſind. Wenn alſo mit der Em—⸗ pfindung des Grundtones die Vorſtellung der uͤbrigen Toͤne, die zu dem harmoniſchen Dreyklange gehoͤren, kann erregt werden: ſo kann man fragen, warum die Quinte des Grundtones nicht als Nebenton mit ihm gehoͤrt wird, da ſie eben ſo genau und noch genauer mit ihm vergeſellſchaftet iſt, als die Duodecima; nicht die Tertie, die eben ſo genau und noch genauer mit bem Grundtone vergeſellſchaftet iſt, als die Decima ſeptima? Der Grund von dieſer Erſcheinung iſt alſo nicht ſubjektiv, er ift ín feinem Geſetze bed. empfin⸗ denden Subjektes; er muf alío objeftio ſeyn; ba8 heißt: wir müffen un& bie Nebentoͤne nicht bof ein: biben, wir muͤſſen fie empfinben, iir müffen fie wirklich bóren, Wir haben alfo Recht zu fdliefen,

der

FMMEM 253 ^um

óet Grund der 93or(tellungen, bet fein fubjeftiver feyn kann, muf ein objeftiver ſeyn. Dieſer Schluß fann ín taufenb Fallen binreidjen, um uns von bet áufern Objektivitat unferer Vorſtellungen gu uͤberzeu⸗ gen. Bismweilen finben wir abet oiefen Grund ín den Objekten ſelbſt, und dann iſt unſere Ueberzeugung, daß fie Empfindungen ſind, nod) vollſtaͤndiger Wenn id) den Koͤrper, ber einen Schatten verurſacht, wirk— lich ſehe, ſo zweifle ich nicht mehr, daß der Schatten kein bloßes Bild der Einbildungskraft ſey. Bey der vorliegenden muſikaliſchen Frage laͤßt ſich zeigen, daß qut die Schwingungen ber aliquoten ober erſchoͤpfen— den Theile der ganzen Saite, nicht von den Schwin⸗ gungen der ganzen Saite zerſtoͤrt, und alſo gehoͤrt werden koͤnnen, und das iſt der Grund, warum die Tertie unb Quinte, bie durch die Schwingungen von $ unb * entítefen, nicht, bie Octave aber, Duodecima u. f. m. bie burd) bie &dymingungen $, 3 u. f. tv. entſtehen, allerbingé zu bem Grundtone mitten.

Syd) Babe biefe8 Beyſpiel aefüffentlidy fo weit⸗ fauftig ausgefuͤhrt; weil es mir bie 9Bernunftmáfig: feít des Verfahrens, wonach bie gefunbe SBernunft jur Urſach einiger unſerer Vorſtellungen áufere. Oe: genſtaͤnde annímmt, ín einem febr hellen Lichte bat: guftellen ſcheint. Synbem fie ín ben SRorftellungert von einzelnen Dingen zweyerley Reihen unterjd)eibet, in

deren

fMvER 254. "wav

deren einer fie. entweder einen ſubjektiven Grund wahrnimmt, oder einſieht, daß fie feinen aͤußern ob⸗ jektiven haben kann; (n deren andern fie hingegen ent: weder einen aͤußern objektiven Grund erkennt, oder wenigſtens erkennt, daß fie feinen ſubſektiven haben kann, indem die geſunde Vernunft dieſe zweyerley Reihen voit Vorſtellungen einzelner Dinge unterſchei⸗ det: ſo glaubt ſie ſich genoͤthigt, zweyerley Arten von Vorſtellungen anzunehmen, Einbildungen und Em— pfindungen, und die letztern von den erſtern an dem Kennzeichen zu unterſcheiden, daß ſie durch wahre Gegenſtaͤnde außer ihr verurſacht werden, worin alles bem Satze bed zureichenden Gtundes gemaͤß ſeyn muß; die andern aber nicht.

2. Die Gegenſtaͤnde unſerer Empfindungen ſind wirklich.

Dieſe Betrachtungen ſetzen, wofern mich nicht alles taͤuſcht, die objektive Kraft des Satzes vom Grunde außer allen moͤglichen Zweifel. Ja! ich darf noch folgendes hinzuſetzen, und das bin ich gern zufrieden, fuͤr ein ſo großes Paradox gelten zu laſſen, als man will, ob es mir gleich darum nicht weniger wahr ſcheint. Ich ſelbſt Bin ein Objekt, meine Vor⸗ ſtellungen ſind Objekte; ſie ſind die Objekte meiner Betrachtungen, ſo oft ich ſie deutlich zu machen ſuche.

Ich

8ſ 255

Ich betrachte meine Anlagen, Kraͤfte, Fertigkeiten, Tugenden unb Fehler; id) unterjcflbe meine Vor— ſtellungen von mir, dem betrachtenden Subjekte. Wenn das auf den erſten Anblick paradoxer ſcheint, als daß wir uns ſelbſt in einem Spiegel betrachten: ſo kann es bloß daher kommen, daß wir dieſes gewohnter ſind als jenes. Die erften Grundſaͤtze der Vernunft muͤſ— ſen alſo eben darum auch eine objektive Nothwendig, feit haben, weil man ihnen eine ſubjektive nicht abfpre: chen kann; ja ſie haben nur darum eine ſubjektive, weil ſie eine objektive haben. Denn das Geſetz der Vernunft iſt nichts anders als ein beſonderes Geſetz, das unter dem allgemeinen Geſetze des zureichenden Grundes enthalten iſt; e$ iſt dieſes allgemeine Geſetz angewendet auf bie Folge deutlicher Vorſtellungen.

Ich ſehe wohl, daß dieſe Betrachtung ſich noch bis zu einer. groͤßern Evidenz ausfuͤhren ließe, unb et: warte nur die Veranlaſſung dazu, die uns auch nicht fehlen wird, ba die Art, auf bem Wege der Unterſu— chung zu reiſen, die die Einrichtung dieſer Zeitſchrift mit ſich bringt, es ſehr wohl erlaubt, daß wir unſere Tagereiſen nad) Belieben abbrechen unb wieder fort⸗ ſetzen, bag wir vorwaͤrts unb ruͤckwaͤrts geben, unb nach allen Richtungen ausbeugen koͤnnen. Jetzt alſo ſey es mir erlaubt, die bisherige Betrachtung in einen kurzen Nebenweg zu lenken.

Hier

FX» 256

Hier i(t bie erfte augenſcheinlichſte objektive Guͤl⸗ tigkeit der erſten Gruͤnde und Geſetze der Erkenntniß ſichtbar. Die Vorſtellungen, nicht bloß ſo fern ſie Vorſtellungen, ſondern fo ferm fie Objekte fino, müffen ibnem gemáfi ſeyn Muͤſſen fle bas nit: fo (inb fie nut. Geſetze für dieſe 3Borftellungen, bic in oiefem Augenblicke wirklich (inb: fo koͤnnen in jedem kuͤnftigen Augenblicke andere Vorſtellungen nad) ans dern Geſetzen ſeyn, ſo giebt es keine allgemeine Gruͤnde, keine nothwendige Geſetze, mit welchen id in meine Anſchauungen Einheit bringen kann. Denn die Allgemeinheit und Nothwendigkeit dieſer Geſetze und Gruͤnde meiner Vorſtellungen kann nicht davon abhangen, daß ſie Vorſtellungen uͤberhaupt, oder Vorſtellungen von dieſer oder jener Sache ſind, ſondern bloß davon, daß ſie uͤberhaupt Etwas, daß ſie Objekte ſind. Das Subjektivwahre in der Er⸗ kenntniß iſt veraͤnderlich, zufaͤllig, mannigfaltig; nur das Objektivwahre iſt unveraͤnderlich, nothwendig, allgemein. Entweder es giebt keine allgemeine Ger ſetze bet Vorſtellungen, ober ſie ſind objektiv guͤltig. So zerſtoͤrt der kritiſche Idealismus ſich ſelbſt; denn aller Streit daruͤber iſt unmoͤglich, wenn e$ feine allge⸗ meine Erkenntnißgruͤnde giebt, wenn dieſe nicht für alle Subjekte, ja nicht einmal fuͤr das nehmliche Sub⸗ jekt immer gelten muͤſſen. Sie muͤſſen aber objektiv guͤltig ſeyn, wenn ſie das ſollen.

Alſo:

FMAMf^ 257 ^3

Alſo: toir ſelbſt und unfere Vorſtellungen finb auch Objekte; ſie ſind es fuͤr uns ſelbſt; ſie koͤnnen es fuͤr andere denkende Weſen ſeyn, wenn es derglei⸗ chen giebt. Sind fie abet. Objekte: fo giebt es bet; gleichen fuͤr Eine Art unſerer Empfindungen, naͤmlich fuͤr die inneren. Eine ganz natuͤrliche Analogie koͤnnte und nun uͤberzeugen, daß ſo, wie bie innern Empfin⸗ dungen wirkliche Gegenſtaͤnde haben, bie aͤußern bet; gleichen ebenfalls haben muͤſſen, und zwar, wie jene innere, fo dieſe aͤußere. Es koͤmmt nut barauf art, daß wir die aͤußern Empfindungen von den uͤbrigen Vorſtellungen unterſcheiden, und dazu giebt uns, wie oben iſt gezeigt worden, bie geſunde Vernunft Kenn— zeichen an, die den erſten Gruͤnden der menſchlichen Erkenntniß gemaͤß ſind.

Wenn wir nun nach dieſen vorlaͤufigen Betrach⸗ tungen die Theorie ber bisherigen Metaphyſik mit Hrn. Rants Theorie vergleichen: fo ſagt bie letztere:

1) Raum und Zeit ſind die Formen der ſinnlichen Anſchauung aller unſerer Erkenntniß; wir haben das uͤberſetzt: fie ſind bie einfachſten Begriffe derſelben, bie Clemente, woraus (ie zuſammen⸗ geſetzt iſt;

2) ſie ſind in irgend etwas erkennbares voͤllig un⸗ aufloͤslich;

3) dieſe

F^Avf^ 258 wm

3) biefe Sormen ber ſinnlichen Anſchauung, ober, bieje einfadyen Begriffe, haben bloß fubjcftive Grünbe ;

4) fie finb affo blofie Erſcheinungen, ohne irgend etwas, das nidt Erſcheinung, ober, mie e Br. Sant nennt, cin Ding an fij, b. i. ein wahres Ding, ein orras cv ift, von bem wir irgenb etwas erkennen.

Die Leibnitziſche Theorie ſagt:

1) Raum und Zeit ſind nur Formen, d. i. die einfachſten Begriffe der Sinnenerkenntniß; (Phil. Mag. St. 2. S. 168.)

2) ſie ſind nur fuͤr die Sinnen, nicht aber fuͤr ben Verſtand unb die Vernunft, unaufloͤslich; (Ebend. S. 169.)

3) fie haben aufer den ſubjektiven aud) objektive Gruͤnde;

4) unb dieſe objektiven Gruͤnde (inb. keine Erſchei⸗ nungen, ſondern wahre erkennbare Dinge.

Die erſten zwey von dieſen Saͤtzen ſind bereits, wie es mir ſcheint, beftiedigend bewieſen worden; den dritten haben wir in der gegenwaͤrtigen Abhand⸗ lung darzuthun geſucht, indem wir uns durch die ob⸗ jektive Guͤltigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde

von

259

von der Wirklichkeit der Gegenſtaͤnde unſerer Empfin⸗ dungen uͤberzeugt haben. Um aber hier nicht den ge⸗ ringſten Schein einer Luͤcke zu laſſen: ſo mag folgende Fortfetzung unſerer Unterſuchungen, das, was zur voͤlligen Ueberzeugung von der Beziehung unſerer Er⸗ kenntniß des Wirklichen auf aͤußere Gegenſtaͤnde fehlt, noch ergaͤnzen.

3. Die Gegenſtaͤnde der aͤußern Empfindun⸗

gen (inb nicht bloß innere Gegenſtaͤnde, fons

bern aud) áufere, unb ifte letzten Girünbe finb Dinge an (id).

Daruͤber ift alfo fein Streit, baf bie Vorſtel⸗ lungen der Einbildungskraft von den Empfindungen dadurch unterſchieden werden, daß ſich letztere auf wirkliche Gegenſtaͤnde beziehen; allein vielleicht ſind dieſe Gegenſtaͤnde feine aͤußere, bloß innere.

Der Grund, wonach die geſunde Vernunft ur⸗ theilt, daß es wirklich aͤußere Gegenſtaͤnde ſind, den wir bereits angefuͤhrt haben, und der darin liegt, daß die Vorſtellungen ber Sinne durch bie Verknuͤ⸗ pfung ber VBeſtimmungen in bem Objekte beſtimmt werden, dieſen Grund koͤnnen wir noch allgemei⸗ ner, und eben dadurch noch faßlicher darſtellen.

Philoſ. Mag. 3. St. e Un⸗

mAuvr* 260 ^w

Unſere Cmpfinbungen müffen nothwendig aud) eiten Grund ihrer Wirklichkeit ober eine Urſach außer ſich haben; denn ihr innerer iſt nicht zureichend. Sind fie gar nicht Wirkungen unſerer Kraft, iſt das, was wir unſere Seele, unſer Ich nennen, gar keine Kraft, iſt es eine bloße Erſcheinung, alſo ſelbſt nichts als Vorſtellung: nun ſo muß irgendwo eine Kraft ſeyn, die die wirkende Urſach dieſer Vorſtellungen iſt, denn alles muß ſeinen zureichenden Grund haben. Iſt ſie aber eine Kraft: ſo muß eine Urſach daſeyn, bie fie zu bet Einen von ben unenbfíd) vielen moͤgli⸗ chen Vorſtellungen 6eftimmt. Das ift. nun entrocbet ein raͤumliches und ſucceſſives Ding außer ihr, oder es iſt ein nicht raͤumliches, nicht ſucceſſives Ding, kurz das, was wir die unendliche Subſtanz nennen. In dem letztern Falle haben wir ein Ding an ſich, unb zwar außer uns, ofne raͤumliche unb ſucceſſive Gegenſtaͤnde der Berkleyiſche Idealismus. In bem erſtern Salle haben wir aͤußere Objekte.

Iſt alles dieſes nicht: nun ſo habe ich meine Vorſtellungen, weil ich fie habe. Veftram fidem, Quirites! ruft hiebey ein neuerer Beſtreiter bet bloßen Subjektivitaͤt unſerer Erkenntniß aus, ift das eine Antwort, iſt das ein Grund? *) Auf dieſen

Gruͤn⸗ *) $t. Soft. weishaupt über hie Gruͤnde umb Gewish. der menſchl. Erkenntn. S. 162.

F-uvf o6r wu»

Gruͤnden alfo müfite bie Widerlegung des Berkleyiſchen Idealismus beruhen, bie Jor. Kant in ber. St. ber r. Vern. S. 275. n. X. verſucht hat. Denn fo voie et fie vortraͤgt, trifft fie ihn ſchlechterdings nicht. Von ben zweyerley moͤglichen Gruͤnden der Vorſtellungen, den veraͤnderlichen der Welt, unb bem nothwendigen Ber ſen, hat Berkley das letztere gewaͤhlt; und hierin iſt ſein Idealismus gewiß zuſammenhaͤngender, als der kritiſche Idealismus des Hrn. Kant, und der allge⸗ meine des ſeichten Hume.

Es iſt hier nicht der Ort, von dieſen ſucceſſiven Objekten zu ber Wirklichkeit der nothwendigen Sub⸗ ſtanz hinauf, oder von der Wirklichkeit der nothwendi⸗ gen Subſtanz zu der Wirklichkeit der ſucceſſiven Objekte herabzuſteigen; der Verſuch dazu mag in ein anderes Blatt ausgeſetzt bleiben. Wir geben jetzt gleich zu ben Dingen an fid fort, o bald wir genoͤthigt finb, aͤußere Gegenftánbe unfetec Cmpfinbungen , bie raͤumliche unb fucce(five Dinge finb, angunebmen , fo müffen wir aud) bie Wirklichkeit von ingen an. fid) etfennen ; benn bie (e&ten objektiven Gruͤnde bet concreten Seit. (inb 93orftellungen, unb bie le&ten ob; jektiven Gruͤnde be$ concrete unb wirklichen Raumes ſind einfache unraͤumliche Subſtanzen, Dinge an ſich, wahre Dinge, keine Erſcheinungen, ovrws ovra, unb fo fern fie aufer der Sphaͤre ber. Sinne liegen, unb

o2 nur

CA^ 262 «um

sut von bem Verſtande fónnen vorgeſtellt werden, Noumena. ('Dbif. Mag. €t. 2. €. 169 173.)

QC» twáte alfo die Wahrheit, ba Raum unb Seit jugleid) fubjefrive und objeftive Gruͤnde babet, bie oen. Santé Commentatoren kaum als Hypotheſe zu roibetlegen wuͤrdigen, voͤllig apodiktiſch erwieſen *). Es waͤre bewieſen, daß ihre letzten objektiven Gruͤnde Dinge an ſich ſind; und wir muͤßten, wenn der ein Dogmatiker iſt, der mit Gewißheit Dinge an ſich annimmt, es koſte was es wolle, uns dem Schimpfe unterwerfen, Dogmatiker zu heißen.

*) Wir empfehlen, was daruͤber in ber Allg. deutſchen Bibl. B. 66. Gt. 1. €. 94. u. ff. tnb $5. ga. 6t. a. €. 471. u. ff. mit vieler. Gruͤndlichkeit geſagt iff, nachzuleſen.

|

II.

FAM 263 / ux» $0909 ro$ro$9 n9 o9 729 c9 2$ ^) 9^9

II. Ueber das Gebiet des reinen CBerftanbes.

—ñ——

W. haͤtten uns alfo in ben bisherigen Unterſu— chungen uͤberzeugt, daß es Dinge an ſich, oder wahre Dinge, Dinge, die keine Erſcheinungen ſind, geben muͤſſe. Dieſe Dinge an fid), bie einfachen Subſtan⸗ zen, die endlichen ſowol als die unendliche, ſind dem reinen Verſtande erkennbar. Das leugnet Hr. Kant; er behauptet, aud) durch ben reinen Verſtand erken⸗ nen wir nicht das geringſte von ihnen. Die Begriffe dieſes Vermoͤgens ſind bloße Kategorien, die ohne Anſchauung gat keine Vorſtellungen geben. Die Gu; ſcheinungen der Koͤrperwelt ſind alſo bloße ſubjektive Modifikationen der Sinnlichkeit, die keinen objektiven Grund haben, gar nichts von dem Objekte vorſtellen; und nach dieſer Analogie, ſtellt uns unſere Erkenntniß Gottes nichts von ihrem Objekte vor, nichts von der Wirklichkeit, nichts von den Eigenſchaften dieſes hoͤch⸗ ſten Weſens.

Syd) habe bisher bem Gebiete des Verſtandes einen Umfang gegeben, den ihm alſo der kritiſche

S3 Idea⸗

(avrR 264.

Idealismus abſpricht. Hr. Kant fat bie Graͤnzen dieſes Gebietes ſo enge zuſammen zu ziehen verſucht, daß ſie weiter nichts mehr in ſich ſchließen, als die wenigen allgemeinen Begriffe, denen er ausſchlie⸗ ßungsweiſe ben ehemals mehr umfaſſenden Namen der Kategorien zugeeignet hat. Da er ſogar von dieſem eingeengten Boden auch nur eine ſehr geringe Nutzung zulaͤßt: ſo wird das Beduͤrfniß dringend, die Gerechtſame des Verſtandes auf ſein altes, unter fo vielen Revolutionen beſeſſenes Reich geltend zu ma: chen. Seine Kategorien oder allgemeinen Begriffe ſollen nemlich zu weiter nichts dienen, als bie Sot; men der Anſchauung zu verbinden, oder in Einheit der Apperception zu bringen. Da ferner die Erkennt⸗ niß der reinen Vernunft, wie er behauptet, leer iſt, weil ihr die Formen der Anſchauung fehlen, es alſo feine Dinge an fid), d. i. feine ſolche, bie nicht C ſcheinungen finb, kurz, feine wahre Dinge giebt, auf welche feine. Kategorien koͤnnten angewendet werden: fo ſehen mit uns ín ein Zauberland verſetzt, nachdem wir aud bem Reiche be8 93er(fanbed. vertrieben fib; toit leben untec bloßen Traumbildern, unb finb nicht ſicher, o6 mir uns ſelbſt für ctroa$ Beſſeres falten bürfen.

Das toürbe bie unausbleibliche Folge ber Ein— ſchraͤnkung des Verſtandes auf die bloße Erkenntniß der

mr 265

bet Sategotien, unb ber Anwendbarkeit bet Kalego⸗ rien auf bloße Erſcheinungen ſeyn. Es mürbe nichts wirklich ſeyn, als meine Vorſtellungen; denn ihre Materie waͤren Erſcheinungen ohne objektive Gruͤnde, und die Begriffe des Verſtandes haͤtten bloß das Ge⸗ ſchaͤft, dieſe Materie zu verbinden; bie Gegenſtaͤnde der Sinnlichkeit waͤren keine Dinge an ſich, die Ge⸗ genſtaͤnde des Verſtandes aud) nicht. Die Philoſophie, welche Hr. Kant die dogmatiſche nennt, und die er, meiner Einſicht nad), mit Unrecht der kritiſchen ente gegenſetzt, denn es kann eine kritiſche geben, die dogmatiſch iſt, dieſe Philoſophie glaubt mit unum⸗ ſtoͤßlichen Gruͤnden dargethan zu haben, daß Erſchei⸗ nungen der Koͤrperwelt ihre objektive Gruͤnde haben muͤſſen, die aber außerhalb des Geſichtskreiſes der Sinnlichkeit liegen, und nut Gegenſtaͤnde, aber wahre Gegenſtaͤnde des Verſtandes und der Vernunft

ſind *).

lm und davon zu uͤberzeugen, muͤſſen wit das Erkenntnißvermoͤgen, das wir Verſtand nen⸗ nen, allerdings genauer zu erforſchen ſuchen. Ich weiß, daß ich in dieſer Unterſuchung nichts neues werde ſagen koͤnnen; Plato, Ariſtoteles, inſonder⸗ heit aber. Leibnitz, Wolf, Baumgarten unb ar dere tieſſinnige Dogmatiker, haben alles, was hieher

e 4 gehoͤrt, *) Phil. Mag. €t. a. N. a. unb St. 3. N. rr.

F^A»f^ 266 -^-2x*

gehoͤrt, fo Befriebigenb auseinander geſetzt, baf id) ed Éíof zu wiederholen brauche; alleim es ift vergeſſen, ſeitdem man die Philoſophie popular gemacht hat, und ihr Studium mit den Schriften der letzten Meſſe anzufangen pflegt. Von dieſer Seite, muͤſſen wir geſtehen, haben bie Kantiſchen Zweiſel, fo wenig fte mir neu. ſcheinen, einen großen Werth Sie noͤthi⸗ gen uns, die Gruͤnde unſerer Ueberzeugung einet neuen Pruͤfung zu unterwerfen, unb bie Quellen, aus benen wir ſie aefd)ópft, nad) aller ihrer Siefe zu untetfüdjen 5; was bavon ber Crfelg feyn mag, fo wird et immer Gewinn ſeyn.

Co lange man das Wort Verſtand gebraucht hat, ſo lange hat man immer Verſtand und Sin⸗ nen, vovs unb &e5c;s , Intellectus unb Senſus eit ander entaegengefcet.

fen Unterſchied ber Crfenntnifarten dieſer bei;

ben Vermoͤgen beſtimmte man fo, baf man bie Gin; nenetfenntnif auf ble Vorſtellungen be$ Einzelnen, e8 ſey durch bie Oinnen, menn mic un das Vorgeſtellte als gegenroártig, ober butd) bie Ginbilbungstraft, wenn wir es uns als abroefenb vor(teliten; bie Ver⸗ ſtandeserkenntniß hingegen auf die Vorſtellungen des Allgemeinen einſchraͤnkte. Aus dieſem Unterſchiede leitete man einen andern her, den naͤmlich: g^ bie (n;

f^^ 262 wa

Sinmenerkenntniß aus bildlichen, bie Verſtandeser⸗ kenntniß hingegen aus unbildlichen Vorſtellungen 6er ſtehe; wenn man das Bildliche allgemein fuͤr alle Vorſtellung des Zuſammengeſetzten nimmt; denn in jedem Einzelnen ift immer unendlich viel Mannigfalti⸗ ges enthalten, es ſeyen Beſtimmungen in einander

ober aufer einander, unb ſucceſſive ober. neben einan⸗ ber ſcyende.

Dieſe Art, die Erkenntniß der Sinnen und des Verſtandes ju unterſcheiden, nimmt Hr. ant gleich—⸗ falls an, und er weicht von ſeinen Vorgaͤngern nur ín folgenben Stuͤcken ab.

Der aͤlteſte Begriff des Verſtandes war Vermoͤ⸗ gen unbildlicher Vorſtellungen. Zu dieſen rechnete man nicht allein die abſtrakten Begriffe, die wegen der Allgemeinheit ihres Gegenſtandes unbildlich ſind, ſondern auch diejenigen Begriffe des Einzelnen, die es wegen der Einſachheit ihres Gegenſtandes ſind. Das Unbildliche, das beiden Arten der Begriffe und ihren Gegenſtaͤnden gemein iſt, hat bisweilen die Alten verleitet, ſie mit einander zu verwirren, und aus dieſer Verwirrung ift vielleicht manches unver— ſtaͤndliche in der Zahlenlehre des Pythagoras, der Ideenlehre bes (gto, unb in ber Theologie des Ari— ftoteles entftanben, Dieſe Verwirrung ſelbſt beweiſet

S5 indeß,

F2uMF 268 «m2

indeß, baf fie bie €rfenntni des unbildlichen Einzel⸗ nen mit in das Gebiet be8 Verſtandes begriffen.

S dieſem letztern gehoͤrten von je ber das hoͤchſte Weſen, die menſchlichen Seelen, und, ſeit der Theorie der Monadologie, die einfachen Elemente der Koͤrper. Dieſe koͤnnen, ba fie einfad) ſind, keine Beſtimmun⸗ gen des Zuſammengeſetzten haben; die Geiſter, da ſie das Zuſammengeſetzte zuſammennehmen, und ihm durch die Vorſtellung diejenige Einheit geben, die ihm an ſich nicht zukommt; die Elemente der Koͤrper, da ſie die letzten Gruͤnde des Zuſammengeſetzten ſind, und alſo keine von den Beſtimmungen haben koͤnnen, die bem Zuſammengeſetzten, als Zuſammengeſetzten, aus kommen; keine Ausdehnung, denn ſie ſollen die Gruͤnde der Ausdehnung; keine Farbe, denn ſie ſollen die Gruͤnde der Farben ſeyn.

Zu den Verſtandesweſen, oder zu denen Dingen, die die Alten Noumena nennen, gehoͤren alſo auch die unbildlichen einzelnen Dinge; Gott, meine Seele, bie einfachen Elemente des Koͤrpers. Man Dat bis⸗ fer bie aͤußere objektive Wirklichkeit dieſer Verſtandes⸗ weſen als gewiß angenommen, ba man fie vermit—⸗ telſt der erſten Grundſaͤtze der Erkenntniß bewieſen geglaubt hat. Die Kantiſche Vernunftkritik ſpricht dieſen Grundſaͤtzen alle Guͤltigkeit ab, fo bald fie aus

fer

F^avr- 269 4wài49

fec bet Gebiete. bec Erſcheinungen angetvenbet. wer⸗ ben , unb zwar deswegen, weil, nad) dieſer SBernunft: friti£, alle Erkenntniß von Dingen, bie feine Gr: ſcheinungen finb, leer ift. Wir glauben bewieſen au fabem, ba dieſe Grunbfáge eine transſcendentale Guͤltigkeit faben, weil ire Wahrheit gang allgemein ift, unb weil fie nothwendig auf Dinge füfren, bie feine Grfdjeinungen (inb. Hr. Kant (eugnet, baf írgeno etwas von dieſen Singen erfennbar ſey; et behauptet, baf roit gar nichts von inen miffen, baf wir von ifnen fein einziges "Drábifat weder bejahen noch verneínen koͤnnen; unb zwar deswegen, teil bec Vorſtellung von benfeben bíe Formen ber ſinnlichen Anſchauung fehlen.

Wir haben geſtanden und welche gruͤndliche Philoſophie hat je etwas anderes geſagt? daß den Vorſtellungen von denſelben allerdings die Formen der Anſchauung fehlen; allein wir haben geglaubt, bat: aus nichts weiter ſchließen zu duͤrſen, als daß ihnen alſo, fofetn fie Gegenſtaͤnde des Verſtandes ſind, keine bildliche, ſinnliche, anſchauende Praͤdikate beyge⸗ legt werden duͤrfen. Wer von uns beiden richtig ge⸗ ſchloſſen, wird vielleicht beſſer in die Augen fallen, wenn wir die Schluͤſſe ín ihrer voͤlligen Form darle⸗ gen. Herr Kant ſchließt:

Alle

270

Alle Vorſtellungen, die keine Erſcheinungen ſind, ſind leer von Formen der ſinnlichen Anſchau⸗ ung.

Alle Vorſtellungen von Dingen an ſich finb- Vor⸗ ſtellungen, die keine Erſcheinungen ſind.

Alſo ſind ſie ſchlechterdings leer.

Dieſer Schluß hat augenſcheinlich vier Hauptbegriffe; ich glaube daher, daß man nur ſchließen koͤnne: alſo ſind dieſe Vorſtellungen leer von den Formen der ſinnlichen Anſchauung, d. i. ſie ſind nicht bildlich.

Wenn ſie dann nicht ganz leer ſind, wenn ſie etwas Reelles enthalten, was ift dieſes Reelle ? Gt: was Bildliches, etwas Sinnliches iſt es nicht, und kann es nicht ſeyn. Alles Bildliche war entweder ei— ne Vorſtellung bec Sinne oder ber Einbildungskraft, und die Vorſtellungen dieſer beiden Erkenntnißvermoͤ⸗ gen ſind einzelne Dinge. Das unbildliche Reelle, bie nicht ſinnlichen Merkmale des Einfachen, koͤnnen alſo nichts anders als allgemeine Dinge ſeyn. Dieſe allgemeinen Dinge ſind die Gattungen und Arten, wovon eine jede durch ihr Weſen und Eigenſchaften ſich von den andern unterſcheidet. Dieſe ſind nun allerdings, abgeſondert von bem Einzelnen, nicht wirk⸗ (id); allein ſie ſud e$ bod), bie hoͤhern Gattungen

unb

Fr 27Y "mra

unb Arten mittelbar, bie niebriaften Arten unmittel⸗

bar, in den unter ihnen enthaltenen einzelnen Dingen.

Wenn wir alſo alle Beſtimmungen des Einzelnen klaſſificiren wollen: ſo gehoͤren ſie entweder zu ſeiner Individualitaͤt, oder zu bcm Weſen unb ben Attri— buten der Art und aller der Gattungen, unter denen es enthalten iſt, bis zu der hoͤchſten dieſer Gattungen. Die Beſtimmungen, die zu der Individualitaͤt des Dinges gehoͤren, koͤnnen wir nur durch Empfindung erkennen; allein ſehr vieles, daß uns auf dieſem We— ge von demſelben nicht bekannt werden kann, laͤßt ſich durch den Verſtand und die Vernunft erkennen. Dieſe Verſtandeserkenntniß kann nun zwar ohne alles Bildliche ſeyn, wir koͤnnen aber gleichwol gewiß ſeyn, daß fie etwas [cc reelles enthaͤlt, daß fie folglich nicht ganz leer iſt.

Das Mittel, wie ſich der endliche Verſtand von ber Realitaͤt bet wahren allgemeinen Erkenntniß über: zeugen kann, iſt ſo einfach, daß man ſich wundern muß, wie es von dem kritiſchen Idealismus hat koͤnnen uͤberſehen werden. Der endliche Verſtand erhaͤlt feine allgemeine Erkenntniß durch Abſonderung desje— nigen, was mehrern einzelnen Dingen, mehrern Arten, mehrern niedrigern Gattungen gemein iſt; ſo

ſteigt

evt 072 ^w»

ſteigt er von bem niebrigften S5egriffe bis gu bem bód)ften empor. Wenn nun dieſe allgemeinen Dinge, fo fern fie das Einzelne enthaͤlt, etwas Reelles ſind: ſo muͤſſen ſie es auch noch ſeyn, wenn ſie der Ver⸗ ſtand abgeſondert betrachtet. Dieſe Realitaͤt muß ih⸗ nen nothwendig auch alsdann bleiben, wenn ſie der Verſtand als Beſtimmungen eines Dinges denkt, das nie der Gegenſtand der Erfahrung werden kann; und wenn die reine Vernunft nach ihren ewigen Grund⸗ ſaͤtzen genoͤthigt wird, die Wirklichkeit eines ſolchen einfachen Dinges, es ſey endlich oder unendlich, zu bejahen: ſo kann ſie der Umſtand nicht hindern, von dieſer Wirklichkeit gewiß ju ſeyn, daß e$ nie ber Ge⸗ genſtand einer moͤglichen Erfahrung werden kann. Denn was fehlt bec Erkenntniß dieſes Dinges ? nichts weiter als die anſchauende Vorſtellung desjenigen, was zu ſeiner Individualitaͤt gehoͤrt. Allein hindert dieſe Unwiſſenheit, daß das denkende Weſen eine große Menge Praͤdikate von ihm erkennt, die zu dem Weſen und den Attributen deſſelben gehoͤrt?

Ich muß hier ein Beyſpiel gebrauchen, von deſ⸗ ſen paſſenden Anwendbarkeit wir uns erſt weiter un⸗ ten werden uͤberzeugen koͤnnen. Die Sinnen und die Einbildungskraft des Menſchen in ſeinem gegenwaͤrti⸗ gen Zuſtande koͤnnen ſich von einem Tauſendeck kein

genaues Bild machen, d. i. ein Bild, wodurch ſie es

F^APEM 273 ^T»

es à. $5. von einem Neunhundertundneunund⸗ neunzigeck unterſcheiden fónntem. Allein fo bald id) weiß, daß eine Figur ein Tauſendeck iſt: ſo kann mein Verſtand ihr verſchiedene Praͤdikate beylegen, die alle Attribute einer Figur von einer ſolchen Anzahl von Seiten ſind; ich weiß, daß ihre Kubikwurzel zehn, daß ihre Quadratwurzel nicht rationell iſt, ich weiß, ob ſie eine figurirte Zahl iſt oder nicht, u. ſ. w. Hier iſt alſo ein Fall, wo der Verſtand von einem Gegenſtande vieles erkennt, ohne daß die Sinnen und die Einbildungskraft ſich ein beſtimmtes Bild von ihm machen koͤnnen. Wie laͤßt es ſich alſo beweiſen, daß der Verſtand von einem Dinge an ſich deswegen gar nichts weder bejahen noch verneinen koͤnne, weil ſich die Einbildungskraft kein Bild von demſelben machen kann, oder weil wir nicht alle die Beſtim⸗ mungen kennen, bie zu ſeiner Individualitaͤt gehoͤren?

Ich bin alſo uͤberzeugt, daß man ber Erkennt—⸗ niß des reinen Verſtandes oder der reinen Vernunft ihre logiſche Wahrheit oder ihre transſcendentale Guͤl⸗ tigkeit darum noch nicht abſprechen koͤnne, daß dabey keine Formen der Anſchauung zum Grunde liegen, oder daß ſie keine ſinnliche oder bildliche Merkmale ent⸗ haͤlt. Sie enthaͤlt Vorſtellungen von Dingen, die keine Erſcheinungen ſind, und dieſe Vorſtellungen ſind zwar von allem Bildlichen, aber darum nicht ganz

ſchlech⸗

f^^ 204 wues

ſchlechterdings, leer. Sie Begreifen nur nicht bie Merkmale, welche zu ihrer Individualitaͤt gehoͤren, oder dieſe Merkmale ſind, wie in der Erkenntniß von dem unendlichen Weſen, nicht anſchauend; aber ſie fiib immer nod) Vorſtellungen von ben gemeinen 95e: ftimmungen des Dinges, von feinem Weſen, von fei nen mefentlidem Stuͤcken, von feinen Attributen, von feinen Vermoͤgen, unb warum ſollen dieſe Cer genftánbe Écine Realitaͤt haben?

Der kritiſche Idealismus faat : deswegen nid)t bie Thaͤtigkeit des Gemuͤths fann nut ben €toff zu einer 93orftellung Bearbeiten, aber nicht felbft aus Nichts verfdjaffen, es muf alſo 3u bem Vorſtellungs⸗ vermoͤgen uod) ein anderes Vermoͤgen gefóren , ein Vermoͤgen afficiet gu werden, eine Empfaͤnglichkeit, eine Receptivitaͤt des Gemuͤths, elder ber Stoff, den die Thaͤtigkeit bearbeiten ſoll, erſt gegeben wer⸗ den muß; dann, erſt dann wird aus dieſem Stoffe eine Vorſtellung; bie Receptivitaͤt, ber bet Stoff ae acben wird, i(t bie €innlicbEeit, bie Thaͤtigkeit, bie ifn bearbeitet, ift der Verſtand. Alſo deswegen ift eine Vorſtellung des reinen Verſtandes ſchlechterdings (ect, das ift, fo gut als gar feine, weil fie unmittel⸗ bar feíne bildliche ober ſinnliche Merkmale enthaͤlt, das heißt, nad) bet Terminologie bes kritiſchen Idea— lismus, weil dabey' keine Formen der Anſchauung zum Grunde liegen.

Einige

TAM 275 ue

Einige Anmerkungen über dieſes Verhaͤltniß beg Verſtandes zu der Sinnenerkenntniß fuͤhren uns viel⸗ leicht zu dem Punkte, wo ſich der kritiſche Idealismus in den Dogmatismus heruͤber fuͤhren laͤßt, d. i. zu dem Punkte, wo wir ſehen, wie der reine Verſtand aus der Sinnenerkenntniß diejenigen Vorſtellungen erhaͤlt, mit denen er etwas von den Dingen an ſich erkennt.

Wir muͤſſen hier zufoͤrderſt fragen, was das heiße: „der Sinnlichkeit wird ber Stoff gegeben, ben ber Verſtand bearbeiten foll.,, Dieſen Stoff koͤnnen voit nicht anders erhalten, als in den Empfindungen; in ben innern, ín ben aͤußern. Alſo: bie Seele eti haͤlt den Stoff, ben bec Verſtand bearbeitet, ínbem fie empfindet; bie Gmpfinbunger geben. der Empfaͤng⸗ lídfeit beó Gemuͤths ober ber Cinnfid)feit irem Goff. Wer giebt aber bie Empfindungen? denn wo etwas gegeben werben foff, ba muf; Etwas ſeyn, welches giebt; ober, deutlicher, was i(t bie Urſach unſerer &mpfinbungen ? Hier bleibt uns keine weitere Wahl, als zwiſchen den aͤußern Gegenſtaͤnden und zwiſchen der Schoͤpferkraft, welche die Empfindungen durch eine unmittelbare Einwirkung auf das Gemuͤth hervorbringt. Denn bie bloße Empfaͤnglichkeit des Gemuͤths bringt fie nicht ſelbſt hetvor, fi ift eine bloße Empfaͤnglichkeit, fie empfaͤngt, ihr wird gege⸗ ben, fie wird affieirt, fie verhaͤlt fid) gans leidend

Philoſ. Mag 5. St. T Wir

FMTM 276 ^u»

Wir mógen waͤhlen, welches von beiden wir wollen, bie Schoͤpferkraſt ober. die Einwirkung der Kraͤfte ſinnlicher Gegenſtaͤnde: fo kommen mit auf Dinge an ſich.

Doch wir wollen annehmen, der Stoff ſey da und er mag in die Empfaͤnglichkeit des Gemuͤths ge kommen ſeyn, wie er mill: voie. bearbeitet ihn mu ber 93erftanb ? Was heißt, ber Verſtand bearbeit⸗ ihn? Es fani zweyerley heißen.

Erſtlich: Wir koͤnnen keine allgemeinen B⸗ griffe haben, die wir nicht von den Dingen, die wi durch die Sinnen wahrgenommen, oder von dener deren wir uns ín unſerer eigenen Seele bewußt ſiud abgezogen haben. In dieſem Sinne iſt unleugbai daß bie Sinnenerkenntniß bem Verſtande einen. €tof geben. mug, ben er Óeatbeitet, unb ber kritiſch Dogmatismus barf e$ nicht (eugnen. Denn bie af gemeinen Dinge (inb nid)t anberá, als ín bem Gir zelnen wirklich; der Menſch fann aber das Einzeln nicht anders, als durch die Sinne unb bie Einbildungt kraft vorſtellen. Die Sinnen muͤſſen alſo dem Ver ſtande ben Stoff geben, ben. er bearbeitet alleí: wie? den er bearbeitet, indem er. die gemeiner Beſtimmungen der Gegenſtaͤnde der Cmpfinibunget. unterſcheidet, und (ie, ohne bie Beſtimmungen be.

&ir

FRAME 277. "49

Einzelnen denkt, das i(t, inbem ec fie von ihnen abi ſtrahirt.

Das waͤre alſo die Eine Art, wie der Verſtand den Stoff, den ihm die Sinne geben, bearbeitet. Allein es giebt noch eine andere Bearbeitung dieſes Stoffes. Denn

Zweytens koͤnnen aus demſelben wieder Begriffe zuſammengeſetzt unb verbunden werden. Der ety ſtand ſteigt naͤmlich, vermittelſt der Abſtraktion, au immer hoͤhern und allgemeinern Dingen, bis zu den hoͤchſten unb allgemeinſten hinauf, bie in ben ontolo⸗ giſchen Begriſſen oder bem Sategorien vorgeſtellt wer—⸗ den. Alle dieſe Gattungen und Arten der Dinge unterſcheidet der Verſtand durch ihre weſentlichen Stuͤcke unb ihre eigenthuͤmlichen Attribute Gc ur terſcheidet ben Zirkel von. andern krummen Linien, for wol durch die Gleichheit ſeiner Halbmeſſer, als durch die Gleichheit des Quadrats ſeiner Ordinaten mit ben Rektangeln der Segmente; er erkennt den endli— een Verſtand ſowol ar ſeiner Unwiſſenheit, als an ſeit ner Fehlbarkeit; das erſte gehoͤrt zu ſeinem Weſen, das andere iſt eines ſeiner Attribute. Außerdem er— kennt er in allen niedrigen Gattungen und Arten alle weſentlichen Stuͤcke und Attribute, die den hoͤhern Gattungen zukemmen; unb wenn ihm oie Attribute

Wa der⸗

Cx»TM 278. "net

derſelben bekannt finb: fo erfennt bie Vernunft aus ihnen das Weſen, fo voie (ie ein Attribut aug einem anbern Befannten, unb bie Attribute alle aus bem Weſen herleitet, wenn bem Verſtande dieſes Weſen eher bekannt iſt.

So erhaͤlt alſo der Verſtand, mit Huͤlfe der Vernunft, neue zuſammengeſetzte Begriffe; ſo wie er ſelbſt, durch die Abſtraktion, zu immer allgemeinern und einfachern hinaufſteigt, bis zu den Begriffen des Moͤglichen und Gegruͤndeten, die allen Dingen, als Dingen, ohne den Unterſchied der Gattung und Art, wozu fie gehoͤren, zukommen.

Wenn wir hier die eigenthuͤmlichen Gegenſtaͤnde des Verſtandes nod) genauer beſtimmen wollen: fe ſind es ſowol die erſten Gruͤnde aller Erkenntniß und alles Erkennbaren uͤberhaupt, als auch die erſten Gruͤnde des Erkennbaren in jeder Gattung von Din⸗ gen, und dieſe ſind das Weſen derſelben. Das war e$, was bie Alten unter bem Verſtande (»z«) Begrif fen, wenn fie ihn nod) von der Vernunſt (2oyos) utr terſchieden; wenn fie ihn alſo nídt für ba$ ganze obere Erkenntnißvermoͤgen, ſondern nur fuͤr einen Theil deſſelben, mit Ausſchließung ber Vernunft, naf men. Sie definirten alsdann den Verſtand durch die Erkenntniß ber Principien, qvosis Tuv epxor; denn

dieſe

fe^ 279. "r9

dieſe Principien koͤnnen keine anbere, als ble erſten Grundſatze unb bie Weſen ber Dinge ſeyn. Aus ben Begriffen dieſer Weſen ſetzt die Vernunft, mit Huͤlfe der erſten Grundſaͤtze, auf die ſich alle Regeln der Vernunftſchluͤſſe ſtuͤtzen, neue Begriffe zuſammen, lei⸗ tet daraus neue Wahrheiten her, und dieſe ſind ins⸗ geſammt Gegenſtaͤnde bet. Verſtandeserkenntniß.

So koͤnnten wir dann allerdings ſagen: der Verſtand bearbeitet den Stoff, der dem Empfindungs⸗ vermoͤgen oder der Sinnlichkeit erſt gegeben werden muß. Das heißt naͤmlich, ber Verſtand, deſſen Gt: kenntniß allgemeine Erkenntniß ift, muf feine Be⸗ griffe aus den Vorſtellungen der Sinne von dem Ein⸗ zelnen abziehen, unb aus ihnen, mit Huͤlfe ber Ber; nunft, allgemeine Wahrheiten zuſammenſetzen. Al⸗ lein folgt daraus, daß er alſo keine Dinge an ſich er⸗ kenne? Muͤſſen die allgemeinen Begriffe, woraus ſeine Wahrheiten beſtehen, ſinnliche oder bildliche Merkmale enthalten, wenn ſie Realitaͤt haben, wenn fie nicht ſchlechterdings leer ſeyn ſollen? Folgt bat: aus: bag bie Verſtandesweſen, die Noumena, mut in dem Verſtande, nur innere Gegenſtaͤnde, nie aͤußere, ſeyn koͤnnen? Den erſten Theil dieſer Theorie des Verſtandes hat die dogmatiſche Philoſophie vom Plato an, bis auf Leibnitz, angenommen; ſie hat aber nie begreiſen koͤnnen, wie der andere Theil, oder der kri—

€3 tiſche

f^Mu"f^ 480 «49

fritifde Idealismus, barau$ gefolgert toerben tonne,

Doch wit müffen bicfe Unterſuchung nod) weiter verfolgen ; denn e8 ſcheint, wir finb bamit nur fo weit gekommen, daß bie Hauptbegriffe ber allgemei⸗ nen Wahrheitn feine. ſinnliche Anſchauungen beduͤr⸗ ſen Wenn es aber Anſchauungen gaͤbe, die nicht ſinnlich (inb: fo wuͤtrden dieſe Wahrheiten, nad Hr. Kant ſelbſt, von Dingen an. fi) ſelbſt gelten; denn ibre Hauptbegriffe wuͤtden Objekte haben *). Allein dieſe nicht ſinnliche Anſchauung leugnet der kritiſche Idealismus. Aber aus welchen Gruͤnden? Hr. Kant ſagt **): „Wir haben zwar oben nicht bewei⸗ » fett koͤnnen: bof bie ſinnliche Anſchauung uͤberhaupt, »„ſondern daß fie es nut fuͤr uns ſey; mir. konnten »Aber aud) nicht beweiſen: daß nod) eine andere An—⸗ „ſchauung moͤglich feo, unb, obgleich unfer Denken „von jener Sinulichkeit abſtrahiren kann, fo bleibt » 00d bie Frage, ob es alsdann nicht eine bloße Form „eines Begriffs ſey, und ob bey dieſer Abtrennung überall ein Objekt übrig bleibe. ,,

Man kann nicht beweiſen, daß eine anbere An⸗ ſchauung, als die ſinnliche, deren Form Raum und Zeit *) Ctit. dar. V. S. 253. 0. A. *) Ebend. €. 2352.

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Seit iſt, moͤglich fep. Die Leibnitziſche Philoſophie glaubt das bewieſen zu haben, unb ihre Beweiſe koͤn⸗ nen durch ein bloßes Nein! nicht entkraͤſtet werden. Wir heziehen und zufoͤrderſt, uͤber dieſen Punkt, auf das, was bereits davon in dieſem Mag. St. 2. €. 142. unb €. x68 174. iſt geſagt worden; unb wir fe&er nur nod), gu. mehrerer Deutlichkeit, foL gendes Dingu.

Wenn bie Gormen der ſinnlichen Anſchauung, oder die einfachſten und allgemeinſten ſinnlichen Merk⸗ male, Zeit fuͤr den innern Sinn, Raum fuͤr den aͤu⸗ fen ſeyn ſollen: fo haben wir ſchon geſehen, baf Vorſtellung das erſte Element der concreten Zeit, unb einfache Subſtanz das erſte Element des concre⸗ ten Raums ſey. Dieſe erſten Elemente aber fnb keine Erſcheinungen mehr; denn ſonſt wuͤrden ſie nicht die ſchlechterdings erſten Elemente ſeyn; ſonſt wuͤrde, wenn die Vorſtellung ſelbſt und das vorſtellende Subjekt noch Erſcheinung waͤre, wieder von neuem Vorſtellung unb vorſtellendes Subjekt, unb fo ind un⸗ endliche, muͤſſen angenommen werden. Alſo ſind die wahren Dinge, die Dinge an ſich, die Dinge, die keine Erſcheinungen ſind, vorſtellende Kraͤfte, ein: fache Subſtanzen, deren Accidenzen Vorſtellungen ſind. Denn dieſe koͤnnen keine Erſcheinungen ſeyn;

ſie koͤnnen bloß durch den Verſtand erkannt werden. & 4 eie

Fu" 282 wu

Sie finb aber wahre tranfcenbentafe Gegenſtaͤnde (nad) Hrn. Santé Sprache); fie fiub fein unbeitimm: tes Etwas; benn (ie (inb fo Deftimmt, baf id) ife Geſchlecht von allen andern unterfdjeiben fann, bie nídt ju ijnen gefóren. Cie ſind Subſtanzen, id) unterſcheide fie alfo von ben Accidenzen; fie ſind vor⸗ ſtellende Kraͤfte, dadurch unterſcheide ich ſie von den bewegenden; ich erkenne außerdem in ihnen eine Menge Attribute, eigentyuͤmliche und gemeinſchaft⸗ liche; ich kann ſie in Klaſſen theilen, wieder jede Klaſſe charakteriſiren, und von jeder Klaſſe verſchie⸗ dene eigenthuͤmliche und gemeinſchaftliche Attribute beweiſen. Die Begriffe von allen dieſen Beſtimmun—⸗ gen und Praͤdikaten ſind zwar allgemeine; aber es iſt oben, wie ich glaube, bewieſen, daß man ihnen des⸗ wegen, weil ſie allgemein ſind, nicht alle Realitaͤt ab⸗ ſprechen kann. Das, was in ihnen nicht enthalten iſt, das iſt, nach Hrn. Kants Sprache, bloß die ſinn⸗ liche Anſchauung, nach der gewoͤhnlichen das, was ju ihrer Individualitaͤt gehoͤrt. Dieſe beiden Aus— druͤcke bezeichnen aber im Grunde einerley Sache; denn die Beſtimmungen des Einzelnen werden von bem menſchlichen Verſtande nur durch die Sinnen ets kannt, die Vorſtellungen des Einzelnen ſind ſinnliche Vorſtellungen oder ſinnliche Anſchauungen.

Die allgemeinen Begriffe der Ontologie oder die Kategorien ſind, nach dem kritiſchen Idealismus,

WAT 283 ^x»

„bloße Sunftionem des Denkens *), tvoburd) mir » fein Gegenftanb gegeben, fonbetr nut ba$, was im » oet Anſchauung gegeben voerben mag, gebadyt miro. ,, Das heißt nun: r) bie ontologiſchen Begriffe (inb bie allgemeinften Begriffe, fie ſind alfo nut in bem Einzelnen wirklich, unb biejes Einzelne fann von ber end⸗ lichen 3Gorftellungsfraft nur burd) eie Cinnen erfannt werden; 2) fic entfalter bie Sorm ber. Verſtandes⸗ erfenntníg, inbem fie biefe SDegriffe nad) ben. alíger meinſten Gefe&en ber Form, námlid) nad) bem Cate bes Widerſpruchs unb des guteidjenben Girunbe zu⸗ ſammenſetzen: 3) fie müffen aber. aud) eine Materie faben , tie zuſammengeſetzt wird, fo bald fie in con- creto follen gebad)t roerben. Das einfad)fte Merk⸗ maí dieſes Ctoffé ift Vorſtellung, das allgemeine fte voi ben Beſtimmungen be$ Einfachen, unb bar von erfa(tem wir eine anfdjauenbe Idee burd) ben inner Sinn. Das ift es alfo, road in ber Anſchau⸗ ung gegeben wird, unb was bem teínen Gebraudje ber Kategorien o, i. ihrem Gebraudje ju. ben Girünben beà Ranms unb ber 3eit, bie alfo nid)t raͤumlich unb fucceffío finb, unb uͤberhaupt bey allem, 1023 weder ráum(id) nod) fucceffto, obet zwar ſucceſſiv, aber. nidjt ráumíid) ift, feinem Gegenítanb giebt. Es iff alfo hier ein Etwas, das feinem Gattungsbegriffe nach viele reelle Praͤdikate enthaͤlt, ein Etwas, mo:

€5 von

*) Crit. ber t. V. S. 352. a. 9f.

Wax 28, ^ud

von eine gtofe Menge ewiger Wahrheiten gelten, deſſen Indivitualitaͤt aber dem endlichen Verſtande unbetannt iſt. Und um dieſes dunkeln Theils willen verwirft der kritiſche Idealismus alles uͤbrige dem endlichen Verſtande erkennbare; er erklaͤrt das ganze Etwas fuͤr voͤllig dem menſchlichen Verſtande uner⸗ kennbar, für vóllig x. Hr. Kant druͤckt fid) bat; fiber ín einem Tone an$, ben man faum ín ber ui; terſuchenden Philoſophie einer beutfden Kritik ber reinen Vernunft erwarten ſollte. Er fagt: „Allein das ſchlechthin, bem reineu Verſtande nach, Inner⸗ liche bec Materie, ift aud) eine bloße Grille *).,,

Mit welchem Rechte? um das zu beurtheilen, wollen wir die Reſultate der Leibnitziſchen und Kanti⸗ ſchen Vernunftkritik, ſo weit ſie hieher gehoͤren, noch einmal ſummiren, und durch deutliche Nebeneinan⸗ derſtellung mit einander vergleichen; es wird ſich viel⸗ leicht fo am leichteſten uͤberſehen laſſen, um moie vitt fte von einander abweichen.

Kantiſche Krit. ber reinen £eibnipi(de Krit. bet vets Dernunft. nen Vernunft.

X, Es muj ber Erſchei- x. Eine Erſcheinung muf et. nung etwas entſprechen, nen letztenGrund haben, das nicht Erſcheinung iſt. der nicht Erſcheinung iſt.

2. Von *) Grit. b. t. V. €. 277. a. 9f.

P^AVER 285 9 Kamiſche Reit. ber reinen Leibnitziſche Reit. bet rei:

Vernunft. nen Vernunft. 2. Von dieſem Etwas 2. Die ju bet. Smbívibua: weiß id) nichts. litaͤt dieſes Etwas ge:

hoͤrigen Beſtimmungen unterſcheide ich nicht, ich habe davon keine klare Idee. 3. Ich habe gat feinen 3. Ich habe nut einen Be⸗ Begriff davon. griff von ben S5eftim: mungen, bie au feinec Gattung geboren. Die: fem Begriff fann id) burd) eine Definition deutlich angeben, unb aus demſelben eíne Menge Praͤdikate Bet leiten, die weſentliche Stuͤcke und Attribute des Dinges enthalten. 4. Dieſes Etwas, worauf 4. Dieſes Etwas, web ſich bie Erſcheinung be-⸗ ches feine Erſcheinung, zieht, kann daher kein kein Phaͤnomenon ift, Noumenon heißen. kann daher ein. Nou⸗ menon heißen. Denn ich kann es befiniren, und aus ſeiner Defini⸗ tion

f^» 2896

Rantiſche frit. ber reinen. Leibnitziſche Crit. ber vel: Vernunft. nen Vernunft. tion verſchiedene Wahr⸗ heiten herleiten, die ewige Wahrheiten (inb. Ich kann das unendli⸗ che Weſen, einen end⸗ lichen Geiſt, dergleichen die menſchliche Seele iſt, die Elemente der Koͤr⸗ per nad) ihren Gat; tungsbegriffen durch Definitionen unterſchei⸗ den, und daraus ver⸗ ſchiedene, theils allen gemeine, theils einer jeden Gattung eigen: thuͤmliche Attribute er: kennen. Das Erkennt⸗ nißvermoͤgen, das die⸗ ſes erkennt, ift ber Ver⸗ ſtand, und die Gegen⸗ ſtaͤnde des Verſtandes ſind Noumena, wie die Gegenſtaͤnde * Sinne pbàánomera. 5. Wenn dieſes Etwas ein 5. Die unſinnliche 2nd Gegenſtand ſeyn ſollte, ſchanung iſt Vorſtel⸗ lung;

F^uvY^ 287 "we

Dernuníft.

folíte, ber citt Stoume: non máre: fo imüfte es eine anbere Anſchauung geben, als bie ſinnliche.

6. Denn in einem jeden Gegenſtande muß eine Anſchauung ſeyn, wir koͤnnen aber nicht be: weiſen, daß es noch an⸗ dere Anſchauungen, als die ſinnliche geben koͤn⸗ ne, ob wir gleich nicht auch das Gegentheil be⸗ weiſen koͤnnen.

Kantiſche Crit. ber reinen Leibnitziſche Crit. ber rei⸗

nen Vernunft.

lung; denn das iſt der einſachſte Gegenſtand des innern Sinnes, unb die einjachſte Ma⸗ terie der concreten Zeit.

6. Wenn wir auch keine

anſchauende Idee von dieſer einfachſten Mate⸗ rie haͤtten: ſo koͤnnten wir doch vieles von ihren allgemeinen Beſtim⸗ mungen beweiſen. Die⸗ ſen Weg Dat in. Anſe— hung der Elemente der Koͤrper Wolf einge⸗ ſchlagen; Leibnitz hat geglaubt dieſe Materie beſtimmen zu koͤnnen, uno fic ift ihm ber ein: facte Gegenſtand des innern Sinnes, das einfachſte Element bet concreten Zeit, Vor—⸗ ſtellung.

7. Das

CXvT^ 388 ^w»

Rantifbe Reit. ber reinen £eibnipi(be Brit. ber rei⸗

Yernunft.

nen Vernunft.

7. Das Etwas, welches 7. Das Etwas, welches

ben. Erſcheinungen ent: ſprechen muß, ift nur ein trangeneentale$ Ob; feft, ein Etwas x, wovon wir gar nichts wiſſen, nod) uͤberhaupt (nach der gegenwaͤrti⸗ gen Einrichtung unſe⸗ res Verſtandes) wiſſen koͤnnen.

der letzte Grund der Er⸗ ſcheinungen iſt, enthaͤlt allgemeine Beſtimmun⸗ mungen a, die uns erkennbar, und zu der Individualitaͤt gehoͤri⸗ ge x, bie uns nicht klar erkennbar ſind. Al⸗ ſo iſt das ganze Etwas in Anſehung ſeiner Er⸗

fennbarteít —— a t x.

Wenn toit. affo, außer bem, was zu ber Indi⸗ vidualitaͤt eines Gegenſtandes gehoͤrt, noch vieles von ihm zu erkennen im Stande ſind, inſonderheit die Be⸗ ſtimmungen, die ihm als einem hoͤhern Dinge zu⸗ kommen, und die zu ſeiner Gattung und Art, und den Gattungen, worunter es enthalten iſt, gehoͤrt; wenn dieſes der Verſtand thut, und wenn die Vorſtellungen des Verſtandes Noumena ſind; wenn es endlich, wie Hr. Kant ſelbſt zugiebt, ein Etwas geben muß, das keine Erſcheinung iſt, auf das aber die Erſcheinungen fuͤhren: fo muß bet. Verſtand von Gegenſtaͤnden etr was erkennen, die feine Erſcheinungen ſind, unb bey

denen

FXu»*^ 289 ^"

benen feine. ſinnliche Anſchauung gum. Grunde liegt; dieſe Gegenſtaͤnde muͤſſen Noumena ſeyn.

Dieſes Gebiet des reinen Verſtandes iſt es alſo, was die Leibnitziſche Vernunſtkritik behaupten gu. koͤn⸗ nen, und wodurch ſie die Graͤnzen des Verſtandes uͤberhaupt uͤber die Graͤnzen des kritiſchen Idealismus ausdehnen zu muͤſſen glaubt. Wenn mir bi? Gruͤnde fuͤr die Ausdehnung dieſes Gebietes einleuchtend ge⸗ nug dargeſtellt haben: ſo wird das nun deutlicher ge⸗ worden ſeyn, was wir oben nut angedeutet haben: X. bafi die Leibnitziſche Philoſophie eben ſowol cine Vernunftkritik enthaͤlt, als die Kantiſche; denn fie gruͤndet ihren Dogmatismus auf. cíne genaue Zerglie⸗ derung ber Erkenntnißvermoͤgen, indem (ie genau an⸗ zugeben ſucht, was durch ein jedes moͤglich iſt; nue die Reſultate von beiden ſind verſchieden. Sie kann alſo, wenn ſie getren dargeſtellt wird, nicht unkritiſch genannt werden. 2. Daß bie Leibnitziſche Philoſo⸗ phie alles Wahre der Kantiſchen enthalten kann, aber außerdem noch mehr. Zu dieſem Mehr iſt ſie durch bie gegruͤndete Erweiterung des Gebietes des Ver— ſtandes im Stande, wozu fie ihre kritiſche Zergliede— rung ber Erkenninißvermoͤgen berechtigt.

cc

x290 59 ——

III. Ueber den weſentlichen Unterſchied der Erkenntniß durch die Sinne und durch den Ver⸗ ſtand.

, wuͤrde tod) gu viel. über bie Theorie ber Sin⸗ nenerfenntnif unb. ber Verſtandeserkenntniß im Dun⸗ keln bleiben , wenn wir nicht aud) über ben weſentli⸗ chen Charakter einer jeden von dieſen beiden Erkennt⸗ nißarten einiges Licht zu verbreiten ſuchten. Hr. Stant *) hat ber Leibnitziſch-Wolfiſchen Philoſophie vorgeworfen: „ſie habe ben Begriff von Sinnlichkeit unb Erſcheinung verfaͤlſcht, unb zwar dadurch, daß „ſie ben Unterſchied ber Sinnlichkeit von bem Intel⸗ „lektuellen bloß als logiſch betradbte. ,, Gegen die bloß logiſche Betrachtung dieſes Unterſchiedes behau⸗ ptet er: „daß er offenbar transſcendental ſey, und „nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlich⸗ „keit, ſondern den Urſprung und Inhalt derſelben „(der ſinnlichen uub intellektuellen Vorſtellungen) bc

y tteffc. »» 36 *) Grit. ber c. 8$. G.. 44. o. A

F^x»T^ 20r raw

Ich verweiſe jufórberft auf ba$, was, wie es mir ſcheint, gegen dieſen Vorwurf an einem andern Orte. (f. Phil. Mag. St. 2. S. 144. u. f.) be rei:$ fer richtig iſt bemerkt worden, unb ſchraͤnke mich jetzt bloß auf einige Erlaͤuterungen ein, wodurch die Sache vielleicht noch etwas weiter aufgeklaͤrt wer⸗ den kann.

Der Unterſchied zwiſchen der Sinnlichkeit und dem Verſtande ſoll alſo nicht bloß logiſch ſeyn, und zwar deswegen nicht, weil er auch transſcendental iſt. Er koͤnnte doch aber zugleich logiſch und tranſcendental ſeyn. Wie iſt aber bte. Unterſchied zwiſchen den Erkenntnißvermoͤgen transſcendental? Der Verſtand kann die Erkenntnißvermoͤgen als O6: jecte, woruͤber er. nachdenkt, nicht anders von einan: ber. unterſcheiden, als durch bie Arten vou Vorſtellun⸗ gen, die durch dieſelben moͤglich ſind, und dieſe Arten von Vorſtellungen nicht anders, als durch die Gegen— ſtaͤnde, auf die ſie ſich beziehen. Nun hat die Leib— nifsijd) ; SSotfild)e Philoſophie die beiden Hauptvermoͤ— gen der menſchlichen Erkenntniß einmuͤthig durch zwey gang verſchiedene Arten von. Gegenſtaͤnden ganz aus: druͤcklich von einander unterſchieden. Sie ſagt: Die Gegenſtaͤnde des Verſtandes ſind unbildliche, der Sinnlichkeit hingegen bildliche Gegenſtaͤnde. So ſetzt Leibnitz bie SSerftanbesibeen den Bildern ent:

Philoſ. Mag 3 St. u gegen,

fFAVTM 292 ""

gegen, inbem er unter dieſen basjeníge verſteht, was fid) bie Seele durch bie Sinne unb. Einbildungskraft vorſtellt. Wir fónnen uns, fagt er, von ber Ewig— feit fein Bild, aber wol eine Verſtandesidee machen *). Eben fo ſagt Wolf **): Die ſinnlichen Ideen ſind Bilder; und folglich ſind alle nicht bildliche Ideen Verſtandesideen.

Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie geht in bet Beſtimmung des transſcendentalen Unterſchiedes des Verſtandes unb ber Sinnlichkeit nod) weiter; fie zeigt ihn noch von einer andern Seite; indem ſie dem menſchlichen Verſtande die allgemeinen Dinge, und der Sinnlichkelt die einzelnen zu Gegenſtaͤnden giebt. (o unterſcheidet Wolf Sinne, Einbildungsktaft unb Ver⸗ ſtand dadurch, bafi bie erſtern bad gegenwartige, die andern das abweſende Einzelne, ber Verſtand Dinger gen das Allgemeine vorſtellt ***). Eben das geſchieht

in *) Nouv. Eff. fur l'Ent, hum. L. II. Ch. 29. €. 220. 221. ll y regne la méme confufion de I' Image avec l' Idée. Nous avons une Idéc complette et juíte de l'eternité, puisque nous en avons la definition, quoique nous n'en ayons aucune image. Und vors ber: le ne faurois avoir|l'Image d'un Chilogone, et il faudroit qu'on eut les Sens et l' Imagination plus exquis et plus exercés pour le diftinguer par

li d'un Polygone, qui eut un coté de moins,

**) Wolfi Pfych. rat. $. 86. v») Ej. Pfych. emp. $. 275. not.

f^AMF^ 293 ^"

in ber beutfjen Ueberſetzung von A. G. Baumgar⸗ tens Metaphyſik und in Meyers Unterſuchung uͤber die Natur des Verſtandes.

Leibnitz endlich weiſet bem Verſtande nod) ei; neu dritten eigenthuͤmlichen Gegenſtand an, unb baé fino bie notbicenoigen YOabrbeiten 3 er iſt, faat et 0, la faculté. d'avoir des Idées diftinttes avec le pouvoir de reflechir et d'en tirer des verités neceffaires.

Hier haben wir alfo eíne Unterſcheidung des Ver⸗ ſtandes und der Sinnlichkeit durch ihre eigenthuͤmlichen Gegenſtaͤnde. Die Gegenſtaͤnde des Verſtandes (inb unbildliche, allgemeine Ideen und nothwendige Wahrheiten; die Gegenſtaͤnde der Sinnlichkeit ſind bildliche Ideen, Ideen des Einzelnen unb uz faͤllige Wahrheiten.

Es iſt wahr, Leibnitz, Wolf und Baumgarten haben geglaubt, es ſey allen unbildlichen un? allgemei⸗ nen Ideen gemein, bag fie nur durch deutliche Er— kenntniß, ſo wie allen bildlichen und allen Ideen des Einzelnen, daß ſie dem menſchlichen Verſtande nur durch undeutliche Erkenntniß moͤglich ſind, und das Dat dieſe Weltweiſen ohne Zweifel bewogen, den Ver—

ua ſtand

*) Nouv. Eff. fur I Ent. hum, L. ll, Ch. 21. G. 131.

Fear 294 rat

(tant durch das Vermoͤgen zu befiniren, fid bie Sa⸗ chen deutlich vorguftelien. Mean wuͤrde fie hieruͤber am uͤberzengendſten rechtfertigen koͤnnen, menn e$ fid) zeigen ließe, daß fuͤr den menſchlichen Verſtand alle deutliche Erkenntniß keine andere, als allgemeine und unbildliche ſeyn kann; und ich glaube, daß das nicht unmoͤglich iſt.

Des Cartes hatte zuerſt die Ideen nach ihrem formellen Unterſchiede zu claſſificiren verſucht; allein er hatte ihre Claſſen weder vollſtaͤndig, noch durch ge— naue Definitionen angegeben; er batte nod) bie klaren unb deuntlichen in ine Claſſe geworfen. Gleichwol ift bie Slarbeit ber Idee, bie id) von. einer. arbe babe, nod) febr verſchieden, von ber, bie id) a. 95. von eis nem Dreyeck habe. Die rotbe Farbe unteríd)eibe id) gear, menn id) fie febe, von ber blauen u. f. w. aber íd) kann ihren Unterſchied nicht angeben, id) kann kei— nem andern durch eine Beſchreibung eine klare Idee davon beybringen. Leibnitz ſuchte dieſer Unvollſtaͤn⸗ digkeit abzuhelfen, indem er die Ideen, deren Merk— male ich unterſcheiden und angeben kann, von denen unterſchied, bey denen id) das nicht kann. er enb: liche Verſtand iſt nun nicht im Stande, die innern individuellen Unterſchiede, wodurch ſich die einzelnen Dinge von einander unterſcheiden, anzugeben und mit Bewußtſeyn ſich vorzuſtellen. Alſo bleiben ihm keine

als

f^ 205 ^"

als bie gemeinſchaftlichen übrig. Dieſe erfennt et aber nur beſonders durch Abſtraction; uno Abſtraction ſetzt voraus, daß die gemeinſchaftlichen Beſtimmungen von den eigenthuͤmlichen des Einzelnen ſind unterſchie⸗ den worden; dieſe gemeinſchaftlichen Beſtimmungen machen bann, wenn fie in Einem Begriffe zuſammen⸗ gedacht werden, dieſen Begriff deutlich. Daß ſich Leibnitz fo unb nicht anders bic deutlichen Begriffe ae: dacht babe, iſt aus dem ganzen Gange ſeiner Medi— tationen de Cognitione, Veritate et ldeis, mor: in er. (Dre genauere Beſtimmung zuerſt vortrug, aur eenkfeintíd) *). Alſo bic deutlichen Begriffe des menſchlichen Verſtandes ſind feme andern, als die all gemeinen. Wenn dann nun dieſe allein durch den Verſtand vorgeſtellt werden koͤnnen, wenn der menſch⸗ liche Verſtand allein von allgemeinen Dingen deutliche Erkenntniß haben kann, unb menn bie abſtrakte Gr: kenntniß der allgemeinen Dinge ohne Deutlichkeit nicht moͤglich ift: fo fonnte bie Leibnitziſch- Wolftſche Phi— loſophie, duͤnkt mich, ſehr wohl den Verſtand, nach Gefallen, eben ſo gut durch das Vermoͤgen deutlicher, als allgemeiner Erkenntniß definiren. Waͤhlte ſie die erſte Definition, fo betrachtete fie ber Verſtand (o; giſch; waͤhlte fie bie lettere, fo betrachtete fie. ihn tranéfcenbental ; ober. nad) einer anbern Terminologie, Uu 3 in

9$) In ber AG. Erud. An. 1684. unb in f, Opp. T. 1I.

G. 14. unb ff.

õæi⸗ 296

ít bem erſtern Salle bezeichnete fie ihn nad) ber form ober bem formellen Unterſchiede feiner Grfenntnig; im fe&tern fingeaen nad) ihrer Materie ober nad, ihrem materíellen Unterſchiede. Es wat aber voͤllig gleich⸗ guͤltig, welchen von beiden Charakteren ſie in ihrer Definition gebrauchen mochte, da, fuͤr den endlichen Verſtand, der eine immer durch den andern beſtimmt wird, da, fuͤr dieſen, alle deutliche Erkenntniß allgemeine unb alle allgemeine in abſtracto deutlich ſeyn muß. Sie hatte aber nod) einen beſondern Bewegungsgrund, warum ſie den Character der Deutlichkeit dem Cha⸗ racter der Allgemeinheit der Erkenntniß vorziehen zu muͤſſen glaubte, und das war der , daß dieſer aud) auf ben unendlichen Verſtand paßt; denn bet unend? liche Verſtand erkennt nicht allein die allgemeinen, ſon⸗ dern auch die einzelnen Dinge und zwar im hoͤchſten Grade deutlich.

Nach dieſen Bemerkungen laſſen Sie uns nun ben Vorwurf, ben. for. Stant ber Peibnigifd) ; Wol⸗ fien Philoſophie über ihre Definition des Verſtan⸗ des macht, mit wenigen Worten noch einmal beleuch⸗

ten. Sie beweiſen, glaub ich, folgende Saͤtze un⸗ widerleglich:

I. Die Leibnitziſch Wolfiſche Philoſophie betrach⸗ tet den Unterſchied zwiſchen dem Verſtande und der Sinnlichkeit nicht bloß logiſch.

Denn

Fevr^ 297 wmm

Denn ſie unterſcheidet ben menſchlichen Ver⸗ ſtand von der Sinnlichkeit, auch durch die Materie ſeiner Begriffe. Seine Ideen ſind allgemeine Dinge, die Ideen der Sinnlichkeit ſind einzelne Dinge. Wo ſie den Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Erkenntnißvermoͤgen logiſch oder von Sei⸗ ten ihrer Form angiebt, da thut fie es, weil (ie uͤberzeugt ift, daß in bem endlichen Verſtan—⸗ de die Materie durch die Form, ſo wie die Form durch die Materie, beſtimmt wird. Alle deutlichen Begriffe des endlichen Verſtandes koͤn⸗ nen nur allgemeine, unb alle allgemeinen Be⸗ griffe koͤnnen nur. deutliche ſeyn.

2. Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie charakteri⸗ ſirt die Begriffe des menſchlichen Verſtandes auch von ihrem Urſprunge und Inhalte.

Von ihrem Urſprunge.

Denn ſie ſagt: Die Sinnlichkeit erhaͤlt ihre Ideen durch die Empfindung; der Verſtand durch Abſtraktion unb Sufatimenfetung eer. Ver⸗ nunft. Beides aber erfordert Deutlichkeit.

Von ihrem Inhalte.

Denn ſie ſagt: Die Ideen des Verſtandes ſind allgemeine und unbildliche, die Ideen der Sinn⸗ lichkeit einzelne und bildliche.

M 4 exit

KeuMf^ 208 ^m

Mit welchem Rechte kann man. num Befjaupten „die Leibnitziſch- Wolfiſche Philoſophie hat ben Be⸗ „griff von Sinnlichkeit unb Erſcheinung verfaͤlſcht, s unb zwar dadurch, daß (ie ben Unterſchied ber Sinn⸗ „lichkeit von dem Intellektuellen bloß als logiſch „betrachtet;, dadurch, „daß fie annimmt, er ber „treffe bloß bie Form ber Deutlichkeit und Undeut—⸗ „lichkeit, nicht aber den Urſprung unb Inhalt ber; „ſelben?, Wer das nad) den augenſcheinlichen Be⸗ weiſen des Gegentheils behauptet, kann man bey dem eine ſorgfaͤltige und tiefeindringende Unterſuchung, eine reifliche Erwaͤgung der Sache vorausſetzen? Und wenn er dann ſo entſcheidend und zuverſichtlich verur⸗ theilt: Sie hat verfaͤlſcht! Doch wir bleiben in den Schranken, die uns unſer Zweck vorſchreibt, und der iſt, den Liebhaber philoſophiſcher Unterſuchungen, durch genaue Auseinanderſetzung der Gruͤnde und Ge⸗ gengruͤnde, ín den Stand zu ſetzen, ſelbſt ſein Ur⸗ theil zu faͤllen.

Nachdem hinlaͤnglich iſt erwieſen worden, daß bie Leibnitz- Wolfiſche Philoſophie ben Begriff des Erkenntnißvermoͤgens der Sinnlichkeit nicht verfaͤlſcht Dat: fo koͤnute der Beweis, bag man ihr feine 2Bets faͤlſchung des Begriffs ber Sybeen , ober ber Modifi⸗ fationen. bicfe& Vermoͤgens, vormerfen kann, übetr füiffig feinen, Um indeß nichts ju uͤbergehen,

was

Fea 209 nad

was bie S5eurtfeilung dieſes Vorwurfs erleichtern und die Unſchuld der verurtheilten Philoſophie in ihr voͤlliges Licht ſetzen kann: fo unterwerfe ic) ber Gut; ſcheidung ſorſchender Wahrheitsfreunde folgende Be— merkungen.

X. Es ift ungegruͤndet, taf bie Leibnitziſch- aot: fifde Philoſophie alles Erſcheinungen nenne, was bloß undeutlich oder verworren vorgeſtellt wird. Sie ſetzt ausdruͤcklich hinzu, was durch bie Sinnen undeutlich oder verworren vorgeſtellt wird; das thut Wolf *), das thut Baumgarten*), Engelhard **5, Xeufcb p, das thun alle Leibnitzianer, die ich nachgeſchlagen habe. Leibnitz hat zwar nirgends, (o viel id) weiß, cine eigentliche Definition von Erſcheinungen gegeben; in— deß iſt es aus den Beyſpielen ſowohl, als aus den Erklaͤrungen, womit er das Wort, wenn er es ge⸗ braucht, bisweilen begleitet, augenſcheinlich, bag er nichts anders darunter verſtanden habe. So ſagt et T2: „Die natuͤrlichen Erſcheinungen, ober. das, was an ben Koͤrpern er(deint.,, Das kann nichts

Uu 5 anberé *) JFolfii Cofm. $. 27;. Phaenomenort dicitur, quid. quid fen/&i obvium confufe percipitur. **) Met, $. 425. ***) Intt. Phil. theor. Met. $. $06. 1) Met. $. $39. 11) Conf. Nat. contra Atheos. in ben Opp. T. 1. G.. 5.

f^^ 500 ^4»

anders fier, af, ba$, was wir und burd) oie Sinne unbcutlíd) vorſtellen; bent alle ríd)einungen an den ZAótpern (inb 93or(teffungen burd) bie Sinne. Nichts anders i(t bet Sinn von ber Definition bec Marquiſe ou Cbatelets „Erſcheinungen finb. Bil⸗ „der, bie aus ber Verwirrung mehrerer Jiealitá: „ten entſtehen *)., Denn Bilder ſind Vorſtellun⸗ aen des Zuſammengeſetzten; dergleichen Vorſtellun⸗ gen des Zuſammengeſetzten aber ſind bie Empfin⸗ dungen *).

Hieraus iſt offenbar, daß die Inſtanz, welche Hr. Sant ***) bem Leibnitziſch-Wolfiſchen Begriffe entgegenſetzt, dieſen Begriff gar nicht treffe. Der geſunde Verſtand denke ſich, ſagt er, die Idee von Recht undeutlich, deswegen koͤnne man aber nicht ſagen, daß dieſer Begriff eine bloße Erſcheinung ent⸗ halte. Es iſt unleugbar, daß das keinem einfallen koͤnne, der unter Erſcheinung nur das verſteht, was an bert Koͤrpern, ober durch die aͤußern Sinne un: deutlich vorgeſtellt wird; denn das Recht iſt keine Be⸗ ſchaffenheit des Koͤrpers und kein Gegenſtand irgend eines aͤußern Sinnes.

2. Eben *) Inft. Phyf. C. 179. **) €. Wolfii Pfych. rat. $. $5. $5. ***) Crit. b, e, V. S. 43. a. 3l.

N⸗301 5

2. Eben ſo ungegruͤndet iſt es, daß der Charakter einer Erſcheinung in der L. W. Philoſophie nur von der Form der Deutlichkeit und nicht auch von ihrem Urſprunge und Inhalte hergenommen ſey. Ihren Urſprung bezeichnet das Merkmal in der Definition: Etwas das durch die Sinnen undeutlich vorgeſtellt voírb: unb ihren Inhalt, bag dieſes cine bildliche Idee unb bie Vorſtellung von einem einzelnen in: ge iſt.

Was ift alſo num nad) o. Kant eine Erſcheinung ? Eine Modiſication ber Sinnlichkeit *) ; bie Sinnlichkeit aber iſt ^as Vermoͤgen modificirt zu werden **); alfo eine Modification des Vermoͤgens modificirt su werden. Nach dieſem Muſter koͤnnte id) folgendergeſtalt defini⸗ ren: ein Gedicht iſt ein Produkt der Dichtungskraft; die Dichtungskraft iſt ein Vermoͤgen zu produciren; alſo waͤre ci. Gedicht cin Produkt des Vermoͤgens zu pre: duciren. Ich uͤbergehe jetzt, daß ein Vermoͤgen, eine Moͤglichkeit veraͤndert zu werden, durch die moͤglichen Veraͤnderungen, wenn ſie wirklich werden, nicht ſelbſt veraͤndert wird. Die Moͤglichkeit ber. Veraͤn—⸗ derungen wird durch die Veraͤnderungen nicht ſelbſt veraͤndert. Wenn ich alſo das uͤbergehe, ſo bleibt doch immer noch der Vorwurf gegen dieſe Definition zuruͤck, daß (ie einen. Zirkel enthaͤlt, ber nicht aerin:

ger *) Ebend. €. 20. 45. u. a, m. O.

**) Ebend. S. 19. 44.

fau 3062 "i

aet. it, a(4 menn id) bas Empfindungsvermoͤgen durch bas Vermoͤgen Empfindungen gu faben, unb bie mp: findungen durch Vorſtellungen des Empfindungsver⸗ moͤgens erklaͤren wollte. Wenn alſo die Leibnitziſch⸗ Wolfiſche Philoſophie die Erſcheinung durch das be: finirt, was verworren durch die Sinnen vorgeſtellt wird: fo wird dieſe Erklaͤrung immer das Ver— dienſt haben, daß fie von bet. erflárten Sache einen ver(tanbfid)en Charakter angiebt.

Um uns davon zu uͤberzeugen, duͤrfen wir uns ſeine Theorie uͤber die Natur der Erſcheinungen etwas genauer auseinander zu ſetzen ſuchen. Hr. Kant et; kennt ſelbſt, daß ſich die Erſcheinungen auf Dinge an ſich beziehen, d. i. in Dingen, die keine Erſcheinun⸗ gen ſind, ihten Grund haben. Das in ihnen, worin die Erſcheinung gegruͤndet iſt, unterſcheiden wir nicht; indeß iſt es das Merkmal, wodurch ich die eine C; ſcheinung von der andern, die rothe Farbe von der blauen unterſcheide; das aber, ſagt Leibnitz, was ich unterſcheide, ohne mir ſeine Merkmale bewußt zu ſeyn, ſtelle ich mir verworren vor. Ferner: id) ſtelle es mir verworren, durch die Sinne, vor; wenn es gegenwaͤrtig ift, empfinde id) es, unb dieſe Cmpfine dung kann die Einbildungskraft wiederholen. Ich ſtelle mir. alſo etwas Einzelnes vor, unb ba ba enb; líde vorftellenbe Weſen bie unenblid) mannid)faltigert

$e

f^*^ 203 "4

Beſtimmungen des Ginge(nen nid)t unterfd)eiben fann : fo ift bie f(are Vorſtelluug von bec Cade, deren Merkmale (ie nid)t unterfd)eibet, vermorcen; fie. ift eine Erſcheinung, fie. ift. ein Bild, eine Abbildung, menn id) annehme, daß ifre Urſach etwas auper. mir wirkliches ijt.

Wenn voir nun fagen: die Materie fteffen. mir uns aíé ausgedehnt vor, bie Ausdehnung ſey aber eine Erſcheinung, fo wollen mir. damit nicht mebr unb nid)t meniger, als: mit fónnen bie einfachen Gruͤnde bes Ausgedehnten in bem Bilde nicht unterſchei— den; ſie liegen außer dem Gebiete der Sinnlichkeit, fic koͤnnen nur von dem Verſtande, nad) ihren allge; meinen Beſtinmmungen, gedacht werden.

Wir koͤnnen auf dieſem Wege noch weiter gehen, wir koͤnnen die Frage beantworten, welches die hin— reichenden Gruͤnde der Erſcheinungen ſind. Denn wenn die Erſcheinungen verworrene Vorſtellungen ſind; fo muͤſſen fte, aufer. ihren objektiven Gruͤnden, aud) einen ſubjektiven Grund im dem Unvermoͤgen haben, alle Merkmale des Gegenſtandes zu unter— ſcheiden. Auf dieſe doppelte Art von Gruͤnden fuͤhrt uns ſelbſt die Erſahrung alle Augenblick. Die Far— ben muͤſſen andere objektive Gruͤnde haben, als die Ausdehnung, die Ausdehnung andere als die Farben.

Allein

FXAMEM 2304 ^x»

Allein bie Gegenſtaͤnde Bleiben oft einerley unb die Gt; ſcheinungen finb verfdyieben , ber gruͤne Wald wird in der Ferne blau, und der viereckigte Thurm wird rund. Gewiſſe Lichtſtrahlen beruͤhren das Auge, das von dem Gegenſtande entfernt iſt, zu ſchwach, ſo ſchwach, daß bie beſchraͤnkte Vorſtellungskraft fie nicht mehr appercipirt. Dieſer Grund der Erſcheinung iſt alſo ſubjektiv. Die Erſcheinungen moͤgen nun aͤhnlich oder verſchieden ſeyn: ſo muͤſſen ſie einen Grund ihrer Aehnlichkeit unb Verſchiedenheit in. ihrem Objekte fos wol als in ihrem Subjckt haben. Die beſondern unb zufaͤlligen Erſcheinungen, die zu den allgemeinen und nothwendigen hinzu kommen, haben bald den Grund ihrer Aehnlichkeit, bald ihrer Verſchiedenheit in dem Subjekte. Der Grund der Erſcheinung einer runden oder einer elliptiſchen Figur liegt nicht immer im Ob⸗ jekte, et. liegt oft in der Entfernung und bem Stand—⸗ puncte des Subjektes, oder ín ber Perſpektive; ber Zir⸗ kel ſcheint oft eine Ellipſe, und der viereckichte Thurm oft rund.

Und hier ſtoßen wir noch auf einen Unterſchied des Verſtandes und der Sinnlichkeit, ber zu ben wich⸗ tigſten gehoͤrt. Die Gruͤnde der Verſtandeserkennt⸗ niß ſind bloß objektiv; die Gruͤnde der Sinnenerkennt⸗ nig aud) ſubjektiv; die erſtere enthaͤlt, ſofern fie 33e; ſtandeserkenntuiß ift, Wahrheit, bie andere enthält,

ſofern

T^Xf^ 2305 ^w»

fofetn (ie Sinnenerkenntniß ift, Schein; bie Aehn⸗ lid)feit bet etfteren mit bem Gegenftanbe iſt eine ojfene Bate; bie Aehnlichkeit ber. letztern mit dem egens ſtande ijt eine verborgene, unb eine bejto verbotge; nere, je mehr fubjeftive Girünbe bie Vorſtellung des fobjefteó abánbern. Die Wahrheiten der Verſtan—⸗ deserkenntuiß ſind nothwendige unb ewige, ber &in: nenerkenntniß 3ufállige unb Zeitwahrheiten, aud) bars um aufállige, voeil fie oft von der gufálligen Beſchaf⸗ fenheit bes. Subjektes abhaͤngen. Da enbfid) allec Schein in ben Schranken ber. Vorſtellungekraft ge; grünbet it; fo ficht man nun, daß nur das wahr ſeyn fónne, was nidt in bem llnvermógen der Vorſtellungskraft gegruͤndet iſt; daß aber aud) alles, was nicht darin gegruͤndet ift, was alſo im dem Gegenſtande gegruͤndet ſeyn muß, wahr ſeyn muͤſſe.

So hing Leibnitzens Theorle von bem formel: len Unterſchiede der Erkenntniß mit ſeiner Theorie uͤber bic Koͤrper zuſammen. Nicht allein bie Sieben: beſchaffenheiten (qualitates ſecundariae) Farbe, Ton, Waͤrme u. ſ. w. waren ihm Erſcheinungen, auch die Hauptbeſchaffenheiten, Ausdehnung und Bewegung waren es, und er ſuchte verſtaͤndlich zu erklaͤren, was das Reale in dem Gegenſtande und das Unvermoͤgen in bem Subjekte zu dem Bilde von einem jeden bey:

tragen.

f^^ 306 n».

tragen. Und das ift e$, worin ſeine Dernunft, friti£ von. ber Kantiſchen abweicht. Meine Abſicht it, eine vernünftige Wahl zwiſchen beiden gu et: [eid)tern, unb wenn aud) bie bisherigen Semet: fungen über ben weſentlichen Unterſchied be& Ver—⸗ flanbeá unb ber Cinnlid)feít mit bagu etras bey; tragen , fe haben fie iren Zideck erreicht.

IV.

"ou 307 ^ae DM e ])C! OM) OO H)!IeCOHe Hk Me» IV. deber

bie Unterſcheidung ber Urtheile ín anafptifde unb fontbeti(d)e.

4f bec Vergleichung ber Leibnitziſchen und Kan⸗ tiſchen Vernunftkritik ſtoßen wir auf eine neue The⸗ orie, die der letztern zur Stuͤtze dienen ſoll, auf die Theorie uͤber bie Unterſcheidung ber Urtheile, bie Jor. Kant analytiſche unb ſynthetiſche nennt. Ehe wir dieſe Theorie ſelbſt unterſuchen, wird es nicht uͤber— fluͤſſig ſeyn, ihren Zuſammenhang mit beiben Ver— nunftkritiken ſo weit anzudenten, als es ſich wird thun laſſen, ohne ihre Unterſuchung geendigt zu haben; es wird ſich dann am beſten beurtheilen laſſen, was die Theorie fuͤr beide Syſteme fuͤr ein Intereſſe hat.

Leibnitz behauptet, voie wir geſehen haben, daß der menſchliche Verſtand Dinge an ſich, wie es Hr. Zant nennt, zu erkennen im Stande fep; Hr. Kant leugnet es. Der erſtere vertheidigt die logiſche Wahr⸗ heit der reinen Verſtandeserkenntniß, oder, nach Hr. Kants Sprache, bie objektive Guͤltigkeit ber

Pphiloſ. Mag. 5. €t. & teinen

me^ 308 ^w"

reinen Vernunfterkenntniß; ber (e&tere. beſtreitet fie. Der erſtere behauptet, baf e$ reine Vernunfturtheile gebe, deren Hauptbegriffe ſo von einander verſchieden ſind, daß das Praͤdikat weder ganz noch zum Theil mit dem Suhjekt einerley, obgleich in demſelben ger gruͤndet iſt. Solche Urtheile, ſetzt Leibnitz hinzu, koͤnnen wir auch von Dingen an ſich ſelbſt erkennen, und ſie vermehren oder erweitern unſere Erkenntniß von denſelben; auch das beſtreitet Hr. Kant. Bey dieſer Beſtreitung nimmt er zu den ſchon im erſten Stucke dieſ Mag. angefuͤhrten Gruͤnden noch ſeine Theorie von ben analytiſchen unb ſynthetiſchen Urthei⸗ fen zu Huͤlfe. Sie nun dieſe feinem kritiſchen Idea⸗ lismus zu Statten komme, das muß erſt kuͤrzlich aus⸗ einander geſetzt werden.

Wenn wir Dinge an ſich, wie ſie Hr. Kant nennt, oder einſache Dinge, bey deren Erkenntniß bie eite Bedingung ber ſinnlichen Anſchauung, naͤm⸗ lich der Raum, fehlt, die alſo keine Erſcheinungen ſind, ja gar das unendliche einfache Weſen, wo beide Bedingungen ber Anſchauung, Raum unb Seit ſehlen, erkennen ſollten: fo muͤßten wir fie a priori erken⸗ nen. Die ganze Metaphyſik entfált aber , wie Jor. Kant befauptet, lauter analytifcbe Urtheile, unb baburd) wird fie eine Wiſſenſchaft, Die un$ ju ben angelegentlichſten Beduͤrfniſſen unfere$ Verſtandes

und

f^^ 309 "wu

unb Herzens vóllig unnuͤtz iſt. „Man fann unf, fagt er *), fein einziges Buch aufyeigen, fo moie „man etroa einen Euclid vorgeigt, unb fagen, baé ift „Metaphyſik, bier findet ihr ben vornefinften Zweck „dieſer Wiſſenſchaft, das Erkenntniß eines hoͤchſten „Weſens, und einer kuͤnftigen Welt, bewieſen aus „Principien ber reinen Vernunft., Und warum nicht? „Denn, fabrt er fort, man fam uns „zwar viele Saͤtze aufzeigen, bie apodiktiſch aevi „ſind, und niemals beſtritten warden; aber dieſe »fino insgeſammt analytiſch, unb betreffen mehr „die Materialien unb. ben. Bauzeug zur Metaphyſck, „als die Erweiterung unſerer Erkenntniß, die doch „unſere eigentliche Abſicht mit ifr ſeyn foll. ,,

Alſo alle Urtheile ber Metaphyſik ſind analytiſch, und darum koͤnnen ſie uns nicht zu der Erkenntniß des hoͤchſten Weſens ſuͤhren! Was ſind dann aber dieſe analytiſchen Urtheile, und wie unterſcheiden ſie ſich von den ſynthetiſchen? Die analytiſchen Urtheile, ſagt uns Hr. Kant, ſind ſolche, die bloß erlaͤuternd ſind, und zu dem Inhalt der Erkenntniß nichts hinzuthun; die ſynthetiſchen hingegen ſolche, die erweiternd ſind, und die gegebene Erkenntniß vergroͤßern ).

Xa Dieſe ) Prol. iu e. k. Met. S. 33. **) Ebend. €, 25.

310 nds.

Vorausgeſetzt, baf dieſen Definitionen tvafjte Begriffe entſprechen, wovon wir uns aus Gruͤnden, die wir bald anfuͤhren werden, nicht uͤberzeugen koͤn⸗ nen; ſo fehlt ihnen ſchon zu derjenigen vollſtaͤndigen Deutlichkeit, die zu ihrer leichten Anwendung unent⸗ behrlich iſt, wie es mehrern ſeiner Leſer geſchienen hat, nicht wenig. Eine ſolche Deutlichkeit wuͤrde aber bey ſo neuen unb bisher fo wenig bemerkten Begriffen, wo: fuͤr fie Hr. Sant ſelbſt haͤlt, vorzuͤglich nuͤtzlich gewe⸗ ſen ſeyn. Wie neu fic dieſem Weltweiſen ſcheinen, ſagt er uns ſelbſt mit ausdruͤcklichen Worten: „Dieſe Qinteifung,,, heißt e$ *), „iſt in Anſehung bet „Kritik des menſchlichen Verſtandes unentbehrlich; „und verdient daher in ifr klaſſiſch au ſeyn; ſonſt wuͤßte id nicht, daß (fie irgend anderwerts einen „betraͤchtlichen Nuhen haͤtte. Und hierin find ich „auch die Urſache, weswegen dogmatiſche Philoſophen, „die die Quellen metaphyſiſcher Urtheile immer nur „in der Metaphyſik ſelbſt, nicht aber außer ihr in den „reinen SSernunftgefe&en uͤberhaupt ſuchten, tiefe Ein⸗ „theilung, die ſich von ſelbſt darzubieten ſcheint, ver⸗ „nachlaͤſſigten, unb wie ber beruͤhmte Wolf, ober ber „ſeinen Fußſtapfen folgende ſcharfſinnige Baumgar⸗ „ten, den Beweis von dem Satze des zureichenden „Grundes, der offenbar ſynthetiſch ift, im Satze bed „Widerſpruchs ſuchen fonnten. ,,

Nur *) Ebend. €. zi.

CAMP SII xo

Nur in Lock's Verſuchen über ben menſchlichen Verſtand findet Hr. Kant einen Wink ju dieſer Gin: theilung. Ein Nachfolger unb. Commentator des Koͤ⸗ nigsbergiſchen Philoſophen hat indeß, nach ihm dieſen ganzen Unterſchied in des D. Cruſius Weg zur Ge— wißheit unb Zuverlaͤſſigkeit ber menſchl. Erk. 6.260. voͤllig ausfuͤhrlich angezeigt gefunden; und es iſt nicht wenig merkwuͤrdig, daß ein fo ſcharſſinniger Dogma⸗ tiker, wie Cruſius, durch die tieſe Bekanntſchaft mit dieſem Unterſchiede von feinem feſten unb weit— umfaſſenden Dogmatismus nicht hat koͤnnen geheilt werden. Sollte es dann daher ſo ausgemacht ſeyn, bag Wolf unb Baumgarten, welchem letztern moe; nigſtens H. Kant einen großen Scharfſinn zuerkennt, aus Unkunde dieſes Unterſchiedes ſich in das weſenloſe Reich ihres hartnaͤckigen Dogmatismus ſo unwieder⸗ bringlich verirret haben?

Wir werden über dieſe unvermeidliche Frage viet: leicht etwas mehr Licht erhalten, wenn wir erſtlich den Unterſchied von dem, was er analytiſche und ſynthetiſche Urtheile nennt, etwas genauer zu beſtim⸗ men ſuchen, hiernaͤchſt uns verſichern, ob er bis auf den von Hr. Kant angegebenen Zeitpunkt gar nicht bekannt geweſen, und endlich ob er, richtig verſtanden, nicht in jeder bisherigen gruͤndlichen Metaphyſik zum Grunde liegt. Wenn wir inſonderheit gluͤcklich ge:

X3 nug

F^»fh 2ay2 «wu

sug waͤren, biefen letzten Punkt aufs Steine gu Bein gen: fo more, felb(t nad) Hr. Kants ſtrengſter Fo⸗ berung ble Crfenntnif ber Dinge an fid) unb alfo audj bie Erkenntniß eine$ hoͤchſten Weſens gerettet.

Um zu einer. genauern Beſtimmung ber angege⸗ benen Urtheile zu gelangen, wird es am beſten ſeyn, wenn wir von einer ſorgfaͤltigen Klaſſifikation aller moͤglichen Praͤdikate ausgehen, utm gu verſuchen, ob wir uns nicht vielleicht mit den von Hr. Kant ange⸗ fuͤhrten, unb von feinen Auslegern, fo viel ich weiß, noch nicht vermehrten Beyſpielen begegnen; denn die⸗ ſe Beyſpiele werden uns am ſicherſten leiten, um ſeine Definitionen mit andern vergleichen zu koͤnnen.

In allen allgemeinbejahenden Urtheilen iſt entweder das Pradikat mit bem Subjekte einerley, oder nicht; unb wenn eo mit ibm einerley iſt, entwe⸗ ber ganzlich ober nur aum Theil einerley. Sym erſtern Falle enthalt das Praͤdikat alle Beſtimmungen be$ Subjekts, wodurch es jederzeit von allen andern Din⸗ gen kann unterſchieden werden, es fep nun. unentiot: ckelt, wie ín dem Satze: alle Dreyecke ſind Dreyecke, alle Sórper ſind Koͤrper; ober durch eine Definition entwickelt, als: alle Dreyecke ſind dreyſeitige Figu— ren, alle Koͤrper ſind ausgedehnte Dinge, bie Srág: heits⸗ und Bewegungskraft haben; das ſind gans

iden⸗

313

identiſche, oder, wie ſie einige genannt haben, leere Urtheile. Nun kann aber auch das Praͤdikat nur mit einem oder mit einigen, nur nicht mit allen Beſtim— mungen des Subjekts einerley ſeyn; dieſe ſind zum Theil identiſche Urtheile, wie das Urtheil: alle Dreyecke (inb. Figuren; alle Koͤrper ſind ausgedehnt.

In allen dieſen Urtheilen ift das Praͤdikat bae Subjekt ſelbſt; oder ein Theil von dem Weſen des Subjekts, eines ſeiner weſentlichen Stuͤcke. Ich glaube alſo, man hat Recht anzunehmen, daß Hr. Kants Beſchreibung der analytiſchen Urtheile auf ſic paſſe. Analytiſche Urtheile waͤren dann, nad) einer genauern Definition, ſolche, in welchen das Praͤdikat das Weſen des &ubjetté ſelbſt ober eines ſeiner weſentli⸗ chen Stuͤcke ift. Denn, dieſe ſagen im Praͤdikat nichts, „als das, mat im Begriffe des Subjekts ſchon wirklich, „obgleich nicht fo klar unb mit. fe dentlichem Bewußt— „ſeyn enthalten war;, das iſt beſtimmter: deren Praͤdikat bie Sacherklaͤrung des Subſekts ober eines Merkmals dieſer Sacherklaͤrung ift.

Es wird fib, toic ich hoffe, bald uͤberzeugend barthun laſſen, daß dieſe genauere Erklaͤrung ber ana: lytiſchen Urtheile nichts weniger als uͤberfluͤſſig iff. „Was ín bem Begriff des Subjekts ſchon wirklich, „obgleich nicht ſo klar und mit gleichem Bewußtſeyn

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„gebacht tvoar,,, dieſe Beſchreibung ber Praͤdikate der analytiſchen Urtheile ſcheint mir etwas zweydeutig zu ſeyn. Es giebt Praͤdikate, welche Attribute des Subjekts ausſagen. Dieſe werden durch das Weſen des Subſjekts beſtimmt. Sind fie aber mit unter benen begriffen, „die in bem Subjekte, nur nicht fo klar unb mít a(eid)em Bewußtſeyn, gebad)t maren ?,, Sad) Jor. Santé Theorie von ben fontbetifben Urtheilen müffen fie nicht barunter begriffen fegn; denn et fprid)t der Mathematik bie ſonthetiſchen Urtheile nicht ab, ja er behauptet, daß dieſe Wiſſenſchaft bie eíny zige Ico, bie ſynthetiſche Urtheile a priori entbaíte ; alles ahet, vas fic von Groͤßen beroeifet, finb Attri— bute ober unveránberlid)e Affektionen derſelben.

Es giebt alfo Urtheile a priori obet nothwendige Wahrheiten, beren "Drábifate Attribute bes Subjekts fib; das i(t: Beſtimmungen, bie nidót gum Weſen bed Subjekts aebóren, ober in dieſem Weſen ihren zureichenden Grund haben Von dieſer Art ift 3. 95. bie Wahrheit: alle Dreyecke ſind bie Haͤlften von Parallelogrammen, die mit ihnen gleiche Hoͤhen und Grundlinien haben. Die Frage, ob es dergleichen auch außer der Mathematik gebe, mag vor der Hand noch ausgeſetzt bleiben.

Demnach waͤre der Unterſchied zwiſchen analyti⸗ ſchen und ſynthetiſchen Urtheilen dieſer: analytiſche waͤren

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voáren ſolche, beren Praͤdikate das Weſen ober einige von ben weſentlichen Stuͤcken des Subjektes ausia; gen; deren Praͤdikate feine Beſtimmungen ausſagen, die zu dem Weſen und den weſentlichen Stuͤcken des Subjekts gehoͤren, waͤren ſynthetiſche. Das muß Hr. Kant ſagen wollen, wenn er ihren Unterſchied fe angiebt, daß bie erſtern bloß erlaͤuternd, bie (et: tern aber erweiternd ſind, wofern wir uns bey ſeinen Erklarungen etwas Beſtimmtes denken ſollen.

Ich habe den Vegriff der ſynthetiſchen Urtheile bisher nur verneinend angegeben: ihre Praͤdikate ent: halten Beſtimmungen, die nicht zu dem Weſen und ben weſentlichen Stuͤcken des Subjekts gehoͤren. Sur foͤrderſt waren es die Attribute deſſelben, doch nur bey den nothwendigen und ewigen Wahrheiten, bey den Zeitwahrheiten waren es bie Modifikationen unb Ver— haͤltniſſe des Subjekts. Von der erſten Art iſt der Satz: dieſer Stein iſt jetzt warm; von der letztern der Satz in Hr. Kants Beyſpiele: einige Koͤrper ſind ſchwer. Die Bewegung ſelbſt iſt die Veraͤnderung eines Verhaͤltniſſes des Koͤrpers, und das Fallen eine zufaͤllige Beſtimmung der Bewegqung in Anſehung ihrer Richtung; denn in einem Syſtem von Koͤrpern koͤnnte ſich ein jeder Koͤrper ſo gut in entgegengeſetzter Richtung, als nach einem von ihren Mittelpunkten bewegen.

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316 uem

Die fontfjetifd)en Urtheile, menn fie nothwendige und eroige Wahrheiten finb, faben alfo Attribute ju ibren Praͤdikaten; finb fie Zeitwahrheiten, aufállige Beſchaffenheiten ober Verhaͤltniſſe. Dieſer Begriff von ſynthetiſchen Urtheilen verſchafft uns die Antwort auf eine Frage, uͤber die uns Hr. Kant unbefriedigt gelaſſen hat. Er fagt uns 5), welches „das gemein: ſchaftliche Princip der analytiſchen Urtheile ſeyn unb es ift natuͤrlich zu fragen: welches iſt das at; meinſchaftliche Princip der ſynthetiſchen Urtheile? Der Paragraph 2. c). antwortet bloß, daß e$ ein an: deres ſey. Alſo nicht der Satz oes Widerſpruchs; aber welcher dann? Das ſuchen wir vergebens.

Nach der bisherigen ausfuͤhrlichern Zergliede⸗ rung der ſynthetiſchen Urtheile kann es kein anderes als der Satz des Grundes ſeyn. Und nun haͤtten wir folgende Claſſifikation der Urtheile: 1) Solche, deren Praͤdikate das Weſen oder ein weſentliches Stuͤck des Subjekts ausſagen, nad) bet bisherigen Terminologie dans ober sum Theil identiſche Ur— theile. 2) Solche, deren Praͤdikate Affektionen des Subjekts ausſagen. Von dieſen Affektionen ſind einige beſtaͤndige und unveraͤnderliche, naͤmlich die Attribute oder die Eigenſchaften deſſelben, einige aber zufallige unb veraͤnderliche, naͤmlich feine zufälli—⸗

gen 9*) Prol. S. 25.

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een SSefdjaffenfeiten, feine Modifikationen. Beibe Arten von Urtheilen finb, nad) ber bisherigen Cpra: dye nicht icentifcbe, nad) Jor. Kants Sprache fone tbetifd)e, wovon bie erſtern nothwendige unb erige Wahrheiten, bie letztern aber zufaͤllige unb Zeitwahr⸗ heiten ſind.

So haͤtten wir alſo bereits die Unterſcheidung der Urtheile in analytiſche und ſynthetiſche, und zwar mit ber ſcharfſten Angabe ihrer Graͤnzbeſtimmung, ans bem fruchtbarſten unb einleuchtendſten Einthei⸗ lungsgrunde hergeleitet, und mit der voͤlligſten Get wißheit, daß die Eintheilung ihren Eintheilungsgrund gaͤnzlich erſchoͤpſft. Wir haͤtten fie, nut unter. einem andern Namen. Allein was thut der Name zur Sache? Bereichert man die Wiſſenſchaft, wenn man (ie nicht butd) neue Begriffe, Saͤtze ober Beweiſe et; weitert? Erleichtert man fie, renn man biof ifr Woͤrterbuch wergrófert? Mit welchem Rechte fami man alſo ſagen, daß Wolf und Baumgarten dieſe Eintheilung uͤberſehen haben?

Die Frage: iſt die Unterſcheidung der Urtheile ín analytiſche unb ſynthetiſche ſchon vor bem 3Ber: faffet ber Sit, ber rein, Vern. bekannt geweſen? voáte alfo fo qut moie beantwortet. Da e8 bey biefec Unterſcheidung ber Urtheile bloß auf bie Unterſchei—

dung

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bung ifrer "Drábifate anfómmt, unb bíefe von Wolf unb Baumgarten genau finb unteríd)ieben , unb voll ftànbig fíaffifuiirt morben, ja, ba fie ben llutet: fdjieb berfelben auébrüdf(id) burd) ibentifd)e unb nit identiſche begeid)net haben: fo fefe id) nid)t, mie mar £$ leugnen fann, baf bie Unterſcheidung dieſer Ur⸗ theile ben beiden Weltweiſen fey befannt geweſen.

Wir duͤrfen indeß Diet einen andern Unterſchied ber nichtidentiſchen Urtheile, welche nothwendige unb ewige Wahrheiten ſind, nicht uͤbergehen, um nichts vorbey zu laſſen, was Hr. Kants Theorie der ana⸗ lytiſchen unb ſynthetiſchen Urtheile und ihre Anwen⸗ dung auf die Dinge an ſich rechtfertigen kann. Die Praͤdikate ber ſynthetiſchen Urtheile waren, nad) un; ſerer Erklaͤrung, Affektionen des Subjekts. Sind dieſe Affektionen, wie ín ben nothwendigen Wahr⸗ heiten, Attribute: ſo kann hier ein neuer Unterſchied bemerkt werden. Sie koͤnnen entweder a priori oder a pofteriori erkannt werden. for. Sant ſcheint bloß bie nicht ſchlechterdings nothwendigen Wahrheiten unb von ben ſchlechterdings nothwendigen Wahtheiten bie letztere Art ber. Urtheile, deren nothwendige Praͤ—⸗ dikate nur a pofteriori von bem menſchlichen 93er: ſtande fónnen erkannt voerben , unter. feínen ſyntheti⸗ ſchen Urtheilen zu verfteben. Denn, bie Urtheile bet Mathematik auégenommen, (inb nut bie Crfabrungs;

urtheile

F.M 3190 «ic

uttfeife fontfetifd), Allein dann ift. ſeine Definition der ſynthetiſchen Urtheile augenſcheinlich zu enue, Die ſollen bie Erkenntniß erweitern; das kann nichts anders heißen, als, ſie ſollen Praͤdikate enthalten, die nicht ber Gattungsbegriff des Subjekts, ober ein etl mal der Definition deſſelben ſind. Dennoch iſt der Satz: Alles nothwendige ift. ewig, «llc notbz wenoige Wahrheiten fino ewige YOabrbeiten, augenſcheinlich ein ſynthetiſcher Satz, uub ted) faun et a priori erfannt werden, unb bod) enthalt er. fei €rfabrungsuttbeil.

Doch bavon wird fid) (n ber Folge nod) weiter reden fajen. Jetzt fómmt es nid)t barauf an, ob mit Germifbeit auszumachen fcy, was von beiben or. ZXant unter feinen ſynthetiſchen Urtheilen ver(tebes benn beide Arten derſelben ſind laͤngſt befannt gewe⸗ ſen. Verſteht er nur die Urtheile darunter, deren Praͤdikate Affektionen des Subhjekts (inb, bie nicht ín dem Weſen des Subjekts allein gegruͤndet ſind, oder doch von dem menſchlichen Verſtande nicht daraus koͤnnen erkannt werden: fo fann man das gelten laf: fen; denn die Definitionen ſind aud» darin willkuͤhr— (id), daß man ein neues Kunſtwort in einem beliebi⸗ gen Umfange beſtimmt. Allein alsdann haͤtte ſeine Definition muͤſſen beſtimmter ausgedruckt werden; denn Urtheile, die unſere Erkenntniß erweitern, koͤn⸗

nen

320

nen aud) ſolche ſeyn, deren Praͤdikate ſolche Affektio— nen des Subjekts (inb, welche man aus bem 35e grífe des Sabjekts Deríeiten kann; ober es batte muͤſſen bewieſen werden, baf bet menſchliche Verſtand gat feine ſolche Praͤdikate ju erkennen im Stande

ſey.

Nach Hr. Kants Definition iſt alfo zwiſchen dieſen beiden Arten der Urtheile kein Unterſchied; denn beide erweitern unſere Erkenntniß, das heißt, fie haben Praͤdikate, bie tein Merkmal bet Deſinition des Subjekts enthalten. Es giebt aber einen Unter⸗ ſchied zwiſchen ihnen und zwar einen Unterſchied, der gar nicht unbemerkt geblieben iſt.

Jacob Bernoulli hat ihn bemerkt und durch eine Terminoloqie bezeichnet, die ihm eigen iſt, und welche verdient haͤtte, allgemeiner zu werden. Er ſagt: allgemein bejahende Urtheile ſind entweder un⸗ beſtimmte (indefinita) ober beſtimmte (definita); ein jedes unbeſtimmtes Urtheil ift allgemein mabr, aber nicht ein jedes allgemein wahres Urtheil iſt ein unbeſtimmtes. Denn ein unbeſtinuntes Urteil. ift ein ſolches, deſſen Subjekt der Gattungsbegriff iſt, von dem das Praͤdikat ausgeſagt wird; es giebt aber auch allgemeine Urtheile, deren Subjekte die unter einem gewiſſen Gattungsbegriffe enthaltenen Arten

und

F^ 32r ^wuüz*

tub Individua (inb, unb bas finb Beftimmte. Die fDrábifate dieſer letztern fónnen alfo nur au8 ber Ge; fabtung erfannt roetben , fie mógen nun jufállige 95e; ſchaffenheiten, ober Moͤglichkeiten von aufálligen 95e; ſchaffenheiten, ober ſolche 2(ttribute feyn, bie man «u$ bem Weſen des Suͤbjekts nid)t herleiten kam. Was die unbeſtimmten Urtheile anbetrifft, ſo iſt ihr Praͤdikat entweder der hoͤhere Begriff, zu welchem das Subjekt gehoͤrt, als: Alle Dreyecke ſind Figuren, oder e$ iſt ber Unterſchied des Subjekts, als: Alle reps ecke haben drey Seiten; oder es iſt ein Attribut des Subjekts, unb alsdann entweder ein gemeines oder ein eigenthuͤmliches. Vielleicht waͤre es ju wuͤnſchen, daß es eine Terminologie gaͤbe, wodurch man alle dieſe Arten der Urtheile leichter unterſchei⸗ den koͤnnte; ihre eigenthuͤmlichen Regeln ließen ſich alsdann vielleicht deutlicher angeben, unb leichter be; weiſen. Dieſe Terminologie aus den bereits bekann⸗ ten logiſchen Schriften zuſammenzuſuchen, wuͤrde eben nicht ſchwer ſeyn, menn man nicht befuͤrchten bürfte, daß ſie wegen ihrer Trockenheit und barbariſchſcheinen⸗ den Stbtilitaͤt mißſallen wuͤrden.

Folgender Abriß mag ein Verſuch ſeyn, bie Ur⸗ theile nach der Verſchiedenheit ihrer Praͤdikate zu klaſſificiren.

I. All⸗

Four 322 "x

X. Allgemeine Urtheile, beren Subjekt ber hoͤhere Gattungsbegriff iſt, bem das Praͤdikat beyge⸗ legt wird. Unbeſtimmte Urtheile, Iudicia indefinita, Bernoulli.

1. Urtheile, deren Praͤdikat Merkmale ſind, die jum Weſen des Subjekts gehoͤren. Weſent⸗ liche Urtheile. Analytiſche Urtheile, Kant.

a. Das ganze Weſen, ober. der hoͤhere Begriff, worunter das Subjekt gehoͤrt, nebſt dem ln: terſchiede des niedrigern Begriffs, alſo die Janze Definition, ganz identiſche Urtheile. Iudicia totaliter identica.

b. Der hoͤhere Begriff ohne ben Unterſchied bed niedrigern Begriffs, zum Theil identiſche Urtheile, Iudicia partialiter identica.

2. Urtheile, deren Praͤdikat ein Attribut des Subjekts ift: Nichtweſentliche. Syntheti⸗ ſche Urtheile a priori, Kant.

a. Deren Praͤdikat ein. eigenthuͤmliches Attti⸗ but (attributum proprium) iſt. Xeci⸗ prokable Urtheile, Iudicia reciproca- bilia.

b. De⸗

FAY 323. «1

b. Seren Praͤdikat ein. gemeines Attribut (at- tributum commune) ift. Nichtrecipro⸗ Fable Urtheile. ludicia non reciproca- bilia.

JI. Allgemeine Urtheile, beren Praͤdikate aus bec Erfahrung erkannt werden, unb deren Subjekt daher alle unter. einem hoͤhern Begriffe entfat; tene. Individua ſind. Beſtimmte Urtheile. Iudicis definita. Bernoulli. Allgemeine ſyn⸗ thetiſche Urtheile a. pofteriori. Kant.

Der Grund zu dieſer Claſſifikation liegt bereits in der Theorie der ariſtoteliſchen Philoſophie von den Praͤdikabilien, welche einen wichtigen Theil ihres Organons ausmacht. Dieſe Praͤdikabilien waren nichts anders, als eine vollſtaͤndige Aufzaͤhlung alles moͤglichen Praͤdikate eines Urtheils, oder der in einem Dinge denkbaren Beſtimmungen. Wollten wir ſie mit unſerer heutigen Terminologie vergleichen: ſo wuͤrden bie vier erſten, bie Gattung (eos), bie Art (sides), ber Unterſchied (A«gops), das Eigenthuͤmliche (13), bie Beſtimmungen entbalten , bie wit das Weſen, bie weſent lichen Stuͤcke unb bie Gigenfdjaften nennen. Von biefen le&tern faffen fid) einige nur. aus tet Gr: fafrung erfennen, anbere laſſen fid) au$ bem SiBejen

Philoſ. Mag. 3. 6t. 9 des

FAMEM 324 ^"

des Dinges feríeiten; wovon biefe in bem Urtheilen vorkommen wuͤrden, die Bernoulli unbeſtimmte, jene aber in denen, bie ec beſtimmte nennt. Das fünfte unb letzte ber. Praͤdikabilien ift das Zufaͤllige (accidens, s'ug.Be5x95), welches wieder in das trennbare und untrennbare getheilt wurde, wovon das erſtere unſere zufaͤlligen Beſchaffenheiten oder Modifikationen des Dinges ſind, das letztere aber zu den Attributen deſſelben gerechnet wer⸗ den muß.

Die eigenthuͤmlichen Beſtimmungen (propria) oder Attribute wurden wieder im vier Modos einge⸗ theilt, wovon nur das zum zweyten und vierten Mo⸗ dus gehoͤrige einige Wichtigkeit hat; dieſes ſind unſere eigenthuͤmlichen Attribute, jenes unſere gemeinen. So giebt Bernoulli ihren Unterſchied ſelber an; und er erlaͤutert dieſen Unterſchied durch folgende Bey—⸗ ſpiele: „daß die Semiordinaten des Zirkels die mitt⸗ „lern Proportionallinien zwiſchen den Segmenten „ſeines Durchmeſſers (inb, ift ein Proprium quarti » modi, ober, nad) unſerer Sprache, ein eigenthuͤm⸗ » lid)es Attribut bed Zirkels; bag aber bie Quadrate »ber Ordinaten mit ben Stectangeln ber. Segmente »be8 Durchmeſſers (m Verhaͤltniß finb, ift eim ,Proprium fecundi modi, ober ein gemeines

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„Attribut des Sirfeló, benn es fómmt aud) bet » llipfe gu. »

Daß alſo ber Unterſchied zwiſchen analytiſchen und ſynthetiſchen Urtheilen, wenn er in weiter nichts beſteht, als daß bie erſtern bloß erlaͤuternd, bie letz⸗ tern hingegen erweiternd ſind, ſchon alt ſey, ſcheint mir hinlaͤnglich bewieſen zu ſeyn.

Nun iſt noch die Frage uͤbrig: ob die Metaphy— ſik gar feine ſynthetiſchen Urtheile enthalte. 93er: ſteht man unter dieſen Urtheilen ſolche, welche wir unbeſtimmte reciprokable unb nichtreciprokable ae; nannt haben: fo ſehe id) nicht, wie man ber Me—⸗ taphyſik alle ſynthetiſchen Urtheile abſprechen wolle. Wenn fid) bie Saͤtze: Alle endlichen Dinge finb vers aͤnderlich, und, das unendliche Ding iſt unveraͤnderlich, a priori beweiſen laſſen: Jo ſind fie ſynthetiſche Saͤtze apriori. Denn bie Begriffe ihrer Praͤdikate ſind von den Begriffen ihrer Subjekte verſchieden; ſie ſind keine weſentliche Stuͤcke, ſie ſind Attribute derſelben; ſie ſind Propria quarti modi. Wollte man ſagen: aber eben deswegen ſind ſie doch in ihnen gegruͤndet, und alſo ſchon durch ſie beſtimmt: ſo ſage ich das naͤmliche aud) von bem Praͤdikate des Satzes: bie Semiordi— naten des Zirkels ſind die mittlern Proportionallinien

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bet Segmente des Durchmeſſers; aud) bieft? i(t ein Attribut be$ Zirkels, ba8 ín bem Weſen beffelben ad gruͤndet i(t, unb burd) das Weſen deſſelben beſtimmt wird. Es iſt doch aber augenſcheinlich etwas anders, durch das Weſen beſtimmt werden und dieſes Weſen ſelbſt ſeyn. Eine Wageſchale wird durch das Gewicht

zum Sinken beſtimmt, iſt aber das Sinken und das Gewicht einerley?

Wenn aus allem dieſem nun folgt, daß unſere reine Vernunfterkenntniß aud) ſynthetiſche Saͤtze ent; haͤlt: ſo iſt eine reine Vernunftwiſſenſchaft mit ſolchen Saͤtzen moͤglich, und unſere bisherige Metaphyſik iſt eine ſolche. Denn fie enthaͤlt nicht allein reine Ver⸗ nunftwahrheiten, die auf dem Satze des Widerſpruchs, ſondern auch ſolche, die auf dem Satze des zureichen⸗ den Grundes beruhen; ſie enthaͤlt nicht allein analy⸗ tiſche, ſondern aud) ſynthetiſche Urtheile. Wenn ihr Hr. "Kant dieſe letztern batum abſpricht, weil er bem Satze des zureichenden Grundes nur einen regulati⸗ ven Gebrauch, nicht aber einen. conftitutiven guae: (tebt: fo kann er dieſes nid)t anders, als vermóae feiner Theorie, wonach ben 93erftanbesibeen feine Gegenſtaͤnde aufer oem Verſtande entfpred)en, biefer Grundſaltz feine ebjeftíoe Guͤltigkeit haben, unb nicht auf Dinge an fid, oder auf Dinge, bie keine Erſchei⸗

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nungen finb, angeroenbet werden folf, unb das ſcheint im ber zweyten unb orítten Abhandlung des gegens waͤrtigen Stuͤcks unſers phil. Mag. binfanaltd) roiber: legt zu ſeyn. Muͤſſen aber bey den Erſcheinungen Dinge an ſich, oder Dinge, die keine Erſcheinungen ſind, zum Grunde liegen, muß das Zufaͤllige eine nothwendige Urſach haben, bie nicht empfunben wet: den kann, find die Formen der Anſchauung nur die einfachſten Vorſtellungen fuͤr die Sinnlichkeit, nicht aber fuͤr den Verſtand, kann der Verſtand, wie in den beiden vorhergehenden Unterſuchungen iſt bewie⸗ ſen worden, von ihnen verſchiedenes mit Gewißheit erkennen: ſo fuͤhrt uns die reine Vernunft auf die Erkenntniß ber einfachen Subſtanzen unb des vol kommenſten Weſens; es giebt ſynthetiſche Urtheile fuͤr die Erkenntniß der reinen Vernunft, in Wolfs unb Baumgartens Metaphyſik ſind dergleichen ent⸗ halten.

So beruhete alſo auch die Verſchiedenheit der Leib— nitziſchen unb. Kantiſchen Vernunſtkritik ín ber Unter⸗ ſcheidung der analytiſchen und ſynthetiſchen Urtheile auf derjenigen Theorie, die eine jede uͤber die objektive Guͤltigkeit oder die logiſche Wahrheit der Begriffe und Urtheile des reinen Verſtandes annimmt. Wir hoffen dieſe logiſche Wahrheit außer allen Zweifel

3 ge⸗

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geſetzt zu haben. Hr. Sant feugnet fie, unb auf bie: ſes Leugnen gruͤndet ec die Verwerfung ber. bisherigen Metaphyſik; er gruͤndet darauf die Behauptung, daß die bisherige Metaphyſik keine ſynthetiſche, ſondern bloß analytiſche Urtheile enthalte. Einige kurze Be⸗ merkungen werden zeigen, daß hier der kritiſche Idealismus ſein eigenes Werk zerſtoͤhrt. Entweder die ſynthetiſchen Urtheile a priori ſind das, was fie in Wolfs und Baumgartens Schriften ſind, oder ihre Wahrheit (Ginftimmung mit bem Objekt) *) iſt nichts denkbares *).

Herr RKant theilt bie ſynthetiſchen Urtheile in Urtheile a pofteriori unb a priori ein. Die erſtern ſind mít ben Erfahrungsurtheilen einerley, unb ba: Bey fat e$ feine Schwierigkeit; beide SBernunftfritü fen formen barín überein, daß fie anfdjauenbe 95e; 9tiffe enthalten muͤſſen. Was ift aber nun eín wah⸗ tcs ſynthetiſches Urtheil a priori? lm wahr qu feyn, ſagt Jr. Kant, muf es mit bem Gegenftanbe über: einftimmen, e$ muf alfo eínen Gegegſtand haben; ba8 alles fagt Leibnitz aud): ein jeher Gegenftanb, fett abet Jor. ant hinzu, muß fónnen. erfabten wetben, oder: et ftebt untet ben. nothwendigen S5ebingungen der ſynthetiſchen Einheit des Mannigfaltigen, une

zwar, *) Crit. b. e. V. C. 157. a. 9f. **) G. was oben C, 310. geſagt iff,

zwar, wohl Bemerft, des Mannigfaltigen der An⸗ ſchauung in einer moͤglichen Erfahrung; und bas ſagt Leibnitz nicht. Und wohl ihm, daß er es nicht ſagt; denn, wenn er e$ ſagte, fo wuͤrde feine Civ kenntniß Gottes keine Wahrheit haben, und was er dabey verliehren wuͤrde, das wird ſich vielleicht einmal kuͤnftig zeigen laſſen.

Alſo: die ſynthetiſchen Urtheile, wenn ſie wahr ſeyn ſollen, muͤſſen einen Gegenſtand haben, und ein jeder Gegenſtand muß unter ben. nothwendigen Be— dingungen der Einheit des Mannigfaltigen ber An⸗ ſchauung in einer. moͤglichen Erſahrung ſtehen. Gt; fahrung erfodert nach Hr. Kant ſelbſt Empfindung *), Empfindung (ft Modifikation der Sinnlichkeit **), die Modifikationen der Sinnlichkeit ſind Erſcheinungen, Vorſtellungen, die nur ín mir vorhanden ſind ***). Die ſynthetiſchen Urtheile finb wahr, heißt bann, Vor⸗ ſtellungen ſtimmen mit Vorſtellungen uͤberein. So weit bringt uns alſo der kritiſche Idealismus mit ſei⸗ uec Theorie ber ſynthetiſchen Urtheile.

$2 4 Wie

*) Prol. $. 1$ 23. **) Grit. ber v. 95. €. 20. 42. fo. a. 9I. ***) €benb. €, 104. 391. 490. a. 3f.

Fav 330 ^m

Wie weit bringt un ber Leibnitziſche Dogmatis⸗ mus? Er ſagt: bie analytiſchen unb ſyntheti⸗ ſchen Urtheile a priori (wenn man fie. bann unter⸗ ſcheiden milf) fónnen nur unterſchieden werden nad) ber Mrt, tie das "Drábifat burd) das Subjekt be: ſtimmt wird; bie erftern ſind wahr, menn das Praͤ⸗ bifat das Weſen ober ein weſentliches Stuͤck; bie lets tet, wenn e8 ein X(ttribut des Cubjefté i(t; bas Ding, beffen Weſen, weſentliche Stuͤcke ober Attribute fie ausſagen, mag uͤbrigens empfunden werden koͤnnen ober nicht. Iſt feine Wirklichkeit außer ber Vorſtel—⸗ lung anderweitig erwieſen: ſo koͤnnen und muͤſſen alle wahre analytiſche und ſynthetiſche Urtheile von dem⸗ ſelben gelten, ſie muͤſſen logiſche Wahrheit haben. Sie ſind ſchlechterdings nothwendig wahr, und alle ſchlechterdings nothwendig wahte Urtheile ſind allge⸗ meine; alſo ſolche, die uns bie gemeinen Beſtim⸗ mungen vorſtellen. Sie geben uns alſo die gemeinen Beſtimmungen eines wirklichen Dinges, von dem wir uns bie Beſtimmungen, die zu ſeiner Individua⸗ litaͤt gehoͤren, nicht vorſtellen koͤnnen, alſo diejenigen, die durch den reinen Verſtand und die Vernunft er⸗ kannt werden; ſie ſind alſo keine ſchlechterdings leere Erkenntniß, unb, fo fern bie Erkenntniß, die fie ent halten, mit ihrem Gegenſtande übereinftimmt, ift fie eine logiſch wahre.

Wenn

ff^ 331

Wenn man alfo ben Unterſchied zwiſchen anafy: tiſchen unb ſynthetiſchen Urtheilen a priori im bie Metaphyſik bringen will, wenn dieſer Unterſchied ei: nen Sinn haben ſoll: fo kann er nur auf bie 33er ſchiedenheit der Beſtimmungsart des Praͤdikats durch das Subjekt gegruͤndet werden, und das Principium bet Wahrheit in ben analytiſchen kann nut ber. Satz e$ Widerſpruchs, bcr ſynthetiſchen aber ber Cat des zureichenden Grundes ſeyn. Da aber alles wahr iſt, was dieſen Saͤtzen gemaͤß iſt: ſo iſt dieſer Unter— ſchied fuͤr die logiſche Wahrheit eines Urtheils voͤllig unnuͤtz, und der Streit, ob ein Satz ein analytiſcher oder ein ſynthetiſcher ſey, in Ruͤckſicht auf ſeine logiſche Wahrheit, ein unerheblicher Streit; denn beide Arten koͤnnen logiſch wahr ſeyn. Daß aber der gauge Unterſchied, menn er nicht nad) bem Einthei— lungégrunbe bes Leibnitziſchen Dogmatismus beftimmt wird, feinen Sinn habe, i(t augenſcheinlich. Denn die ſynthetiſchen Urtheile koͤnnen in der Theorie des kritiſchen Idealismus keine Gegenſtaͤnde außer der Vorſtellung haben, da ſie ſich auf nichts beziehen koͤnnen, das außer der Vorſtellung wirklich waͤre, und ihre logiſche Wahrheit alſo nur in der Ueberein— ſtimmung einer. Vorſtellung in uns, mit eben derſel— ben Vorſtellung in uns beſteht; ber kritiſche Idealis⸗ mus ſetzt eine Theorie voraus, bie bic ganze lIntet:

$5 ſchei⸗

—332 ^m

ſcheidung gu einem. Spielwerk macht. Das endliche Reſultat aus allem dieſem iſt: Entweder die Erſchei⸗ nungen ſind in wahren Dingen, bie aufer der Vor⸗ ſtellung wirklich ſind, gegruͤndet, und es giebt eine Erkenntniß dieſer Dinge an ſich, naͤmlich durch den Verſtand; unb bann iſt ber Dogmatismus gerecht—⸗ fertigt: ober fie ſind bloße Erſcheinungen, bloße Vor— ſtellungen; dann ſind die ſynthetiſchen Urtheile nichts Denkbares, denn ihre Wahrheit beſteht in ber Ueber⸗ einſtimmung einer Vorſtellung mit ſich ſelbſt.

Ausführlichere Erklaärung uͤber die Abſicht dieſes philoſophiſchen Maga— zins. Veranlaßt durch eine Recenſion des erſten Stuͤckes deſſelben in der Allg. fitt. Zeitung.

D. es eine Hauptabſicht dieſes philoſophiſchen Magazins iſt, durch daſſelbe cine ſreye Mittheilung der Urtheile uͤber die gegenwaͤrtigen Unterſuchungen in der ſpekulativen Philoſophie zu befoͤrdern: ſo kann uns die freymuͤthigſte Beurtheilung ſeines Inhalts nicht anders als ſehr willkommen ſeyn. Wir haben dieſes bereits in der Ankuͤndigung des Plans unſeres Magazins erklaͤrt, unb es erhellet aus dieſer Ankuͤn⸗ digung hinlaͤnglich, daß es ganz vorzuͤglich zu unſerm Plane gehoͤrte, in unſern Unterſuchungen inſonder⸗ heit das Unterſcheidende in des Hrn. Prof. Kant Kritik der reinen Vernunft zu begreifen, und dadurch

die

bie fo eft wiederholte billige Auffoderung ber Ver⸗ theidiger derſelben anzunehmen.

Es iſt demnach allerdings unſere Abſicht, in bie; ſem Magazin eine gruͤndliche und ruhige gemeinſchaſt⸗ liche Unterſuchung ber Grundſaͤtze der Kantiſchen Vernunftkritik zu eroͤffnen. Und da in der Allgem. fitt. Zeit. bie Schriften für unb wider dieſe Kritik von Vertheidigern derſelben beurtheilt werden: ſo ge⸗ ſtehen mir, daß gleich vom Anfange an, unſere Au⸗ gen auf dieſe beliebte litterariſche Zeitung ſind gerich⸗ tet geweſen, unb daß wir durch ihren Kanal bic bt: ſten und gruͤndlichſten Beurtheilungen unſerer Un— terſuchungen, in dem Tone des Glimpfes und der Ruhe, erwartet haben. Das iff aud) von phi— loſophiſchen Unterſuchern abſtrakter Spekulationen gewiß nicht zu viel erwartet. Der geſundere Theil der Leſer kann unmoͤglich ben apoſto— liſchen Feuereiſer theilen, womit die Miſſionarien, von welcher Partey es ſeyn mag, ihre den meiſten Leſern unverſtaͤndlichen unb unbrauchbaren Spekula⸗ tionen predigen, und der ungeſundere Theil beluſtigt ſich bloß an dem ſchnoͤden Schauſpiele eines gelehrten Athletengefechts, das ſich ihm die Philoſophie zu geben billig ſchaͤmen ſollte.

Wir

K^AMT^ 335

Wir faben affo Grnft ohne Bitterkeit, Intereſſe ohne Hitze, ſtrenge Beurtheilung mit Glimpf und Aufrichtigleit ohne Vertuſchung ſeiner eigenen Bloͤßen ober Verſchweiguug ber Staͤrke des Beurtheilten er; wartet. Ob unſere Erwaͤrtung in ber Anzeige des erſten Stuͤckes iſt erfuͤllet worden koͤmmt uns nicht zu, zu entſcheiden.

Einige wenige Anmerkungen uͤber dieſe Anzeige moͤgen hier Platz finden, weil fie uns zu náferer 95e; ftimmung ber Cinrid)tung unb des Gefid)tépunfteg unſeres Magazins nótfig fdjeinen. Der Stecenfent 9laubt unferm Magazine daraus nichts gutes eiffa: gen ju fónnen, daß wit, aufer eigentlichen philoſophi⸗ ſchen Abhandlungen, auch andere Aufſaͤtze darin auf; nehmen. Dieſem Vorwurfe haͤtten wir leicht dadurch koͤnnen aus dem Wege gehen, daß wir unſerm Ma— gazine eine andere allgemeinere Aufſchrift, z. 95. ei; nes vermiſchten Magazins gegeben haͤtten. Wir haben aber die gegenwaͤrtige aus mehrern Urſachen recht gefliſſentlich gewaͤhlt. Wir glaubten zufoͤrderſt, daß ſie zu ſeiner Hauptbeſtimmung am beſten paſſe, und daß Materialien zu philoſophiſchen Betrachtungen aus der Geſchichte, der Voͤlkerkunde und dem menſchlichen Leben, dieſer Beſtimmung nichts weniger als entgegen ſeyn; zumal wenn ſie, wie es wenigſtens

unſere

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unſere Abſicht it, aus ciem philoſophiſchen Geſichts⸗ punkte dargeſtellt werden. Hiernaͤchſt glaubten wir auch an ſolche Leſer denken zu duͤrfen, die an den ermuͤdenden Cicfulationen. unb. den ſpitzfindigen Streitigkeiten nicht das warme Intereſſe nehmen koͤnnen, das ihnen fuͤr uns andere Schulgelehrten ſo viele, gute und ſchlechte, Gruͤnde zu geben pflegen. Dieſe verlangen mit Recht, wenn ſie eine Zeitlang dem Fluge der Spekulation durch ihre unſichtbaren Regionen oder ihrem Gange durch unſtuchtbare Wuͤſten gefolgt ſind, auf einem zugaͤnglichern und fruchtbarern Boden aus⸗ ruhen zu koͤnnen; unb mir haben Beweiſe, daß vet: ſchiedenen febr ehrwuͤrdigen Leſern von dieſer Art un⸗ ſere Einrichtung nicht mißfallen hat. Daß tir abet audj au fole Leſer benfen mußten, dazu nótbigte un$ bie Erfahrung, bic mir mehrmals gemacht 6aben, bof ein zudringlicher Eifer einiger Liebhaber De6 triti; ſchen Idealismus bie Stufe verſchiedener Perſonen er; ſchuͤttert hatte, die bis dahin mit ihrer Philoſophie, unb zwar, wie uns ſcheint, mit Recht, bie Gran: aem bes bloßen geſunden Verſtandes nicht zu über; ſchreiten gewohnt waren.

Endlich glaubten wit daß es nicht unſchickli⸗ cher ſey, in einem philoſophiſchen Journale Zuͤge aus der Geſchichte und der Voͤlkerkunde oder philoſophi⸗

ſche

ſ337 cm

fe Aufſaͤtze in dem Kleide ber Dichtkunſt anfgunef: men, als in einem Journale, das, wie der deutſche Merkur, vorzuͤglich den Werken des Geſchmacks gewid⸗ met iſt, gruͤndliche und tiefſinnige Abhandlungen aus dem Felde der eigentlichſten Philoſophie. So wie ein geſchmackvolles Luſtſchloß auch ein ungeſchmuͤcktes Boudoir enthalten kann, ſo wird man auch einem ſumplen wirthſchaftlichen Buͤrgerhauſe ein angemeſſenes beſcheidenes Putzzimmer nicht verſagen koͤnnen. Daß uͤbrigens dieſer Theil der Einrichtung nicht ſeinen Grund ín bem Mangel an andern Materialien habe, wird die Folge am uͤberzeugendſten beweiſen. Wir be⸗ ſorgen daher aat nicht, daß bas, was ber ungluͤckweiſ⸗ fagenbe Recenſent hinzuſetzt: „eine ſolche Einrichtung das Verderben ber Zeitſchriften,, ber unſrigen bevorſtehe. Da dieſe eine ſehr beſtimmte Abſicht hat, ſo werden wir von ſelbſt die Feder niederlegen, ſo bald dieſe Abſicht erfuͤllt iſt, und mir hoffen, daß bie: ſes fruͤher geſchehen werde, als ber Zeitpunkt des ge: weiſſagten Verderbens herankoͤmmt. Sollte er uns aber noch eher uͤbereilen, ſo beſcheiden wir uns gern, daß wir abtteten muͤſſen, fo bald wir nicht mehr das Gluͤck haben, unſern achtungswuͤrdigen Leſern zu ge— fallen. Da uͤbrigens dieſe nichtwiſſenſchaftlichen Auf⸗ ſaͤtze nicht weſentlich in unſern Plan gehoͤren: ſo wird ihre Rubrik oft leer bleiben, es ſey, daß wir ſie mit

nichtẽ

338 5

nichts unterhaſtendem anzufuͤllen haben, ober daß ihnen bie wiſſenſchaftlichen Aufſaͤtze keinen Platz laſſen.

Was die Beurtheilung des Gedichtes uͤber das Frauenzimmer betrifft: ſo koͤnnten wir um deſto leichter davon ſchweigen, da der Verfaſſer deſſelben ſeine Vertheidigung nicht von uns verlangt hat; wenn wir nicht uͤber die Art, wie es beurtheilt iſt, einige Bemerkungen zu machen haͤtten, die kein bloß individuelles Intereſſe haben. Der Dichter hat dem Recenſenten mit zu viel Wegwerfung von der Gelehr⸗ ſamkeit geſprochen. Wer ſo viel Scherz verſteht, daß et begreift, man koͤnne, ohne cin Verbrechen ber be⸗ leidigten Gelehrſamkeit zu begehen, zu einer geiſtrei— chen jungen Dame ſehr wohl mit einiger Verachtung von ſtaubigten Folianten reden, dem wird das gewiß nicht anffallen. Ein Gedicht, dem jeder ſogleich die Farbe bes. Scherzes anſieht, unb womit ein geſell⸗ ſchaftlicher Streit geendigt, nicht entſchieden wet: den ſollte, iſt kein theologiſches Bedenken uͤber einen Gewiſſensfall; die Philoſophie der Vernunft iſt nicht die Philoſophie des Geſchmacks, und die Moral des Dichters iſt nicht die Moral des Menſchen. Wer aber zu ber Beurtheilung eines Gedichtes einen fo ſalſchen Maaßſtab mitbringt, daß er dabey, wie jener Mathema⸗ titer, fragen kann, qu'elt- ce que cela prouve?

ber

339 ^ wan

bem iſt es erlaubt, voie ber Stecenfent, aud) 5a um terhaltendſte Gedicht ſchleppend gu finden. Uebrigens iſt die Stimme Eines Kunſtrichters nur Eine Stim⸗ me, und die Stimme eines ungenannten, der keine Gruͤnde (eines Urtheils anfuͤhrt, fo gut wir gar keine. Selbſt ein Wieland, der es ſo wenig noͤthig haͤtte, fuͤhrt, mo et tadeln mug, Gruͤnde ſeines Tadels au, unb bet Verfaſſer des beurtheilten Gedichts fat füc das Urtheil dieſes großen Mannes fo viel Achtung und fuͤr die Spiele ſeiner eigenen Muſe ſo wenig Vor⸗ liebe, daß et uns ausdruͤcklich aufgetragen hat, in feis nem Namen zu verſichern, daß, wenn ein Mann mit Wielands ſicherm Geſchmack unb. ſchonender Huma⸗ nitaͤt, ín einer fo belehrenden Kritik, wie z. B. bie vortrefliche Kritik des Voſſiſchen Muſenalmanachs b. Sy. ün t. Merk. Jan., ſein Gedicht vermerfen ſollte, er ber er(te ſeyn wuͤrde, Der dieſes Urthen unterſchriebe.

Philoſ. Mag 3. St. 3 VI.

VI.

Oborláufige Crflárung bes fDerfaffet8 oet Briefe über bie Antinomie ber Vernunft, in Ruͤckſicht auf bie Recen⸗ (iom biefer Briefe in ber allgem. fitt. Zeitung.

S. unvollkommen meine Briefe uͤber die Antino⸗ mie der Vernunft immer ſeyn moͤgen, ſo konnten doch wenigſtens nicht alle darin vorgetragne Zweifel gegen das Kantiſche Syſtem damit abgewieſen werden, daß man mir, wie der Recenſent in der allgem. Litt. Zei⸗ tung thut (Nr. 20. 1789.), ſagte: „dieſe Zweifel wuͤrden fid) von ſelbſt bey mir verlohren haben, wenn ich meine Bekanntſchaft mit den Kantiſchen Werken nod) ein: paar Jahre haͤtte aͤlter werden laſſen., Was dieſen legten, fo oft unb gegen fo viele wieder⸗ Doíten Vorwurf: baf id) mit ber Santifdjen Philo⸗ ſophie nicht hinlaͤnglich bekannt fep, betrifft: fo finbe 4d) in ber gangen Recenſion feinen. Beweis, baf id)

ibn

FCwT^ 341 ^"

[5n verdiene, unb glaube alfo für jet nicht noͤthig zu haben, mid) bagegen zu rechtfertigen.

Das, was bet Jor. Recenſent gegen mein Rai⸗ ſonnement einzuwenden der Muͤhe werth geachtet hat, betrifft bloß eine beylaͤufig beruͤhrte Nebenſache.

Ich habe in den erſtern der gedachten Briefe geſagt, was ich vielleicht haͤtte weglaſſen koͤnnen: daß die Kantiſche Philoſophie, gegen ihre eigenen Prin⸗ (ipia, ben dogmatiſchen Satz auſſtelle: „Raum unb Zeit koͤmmt ben Dingen an ſich ſelbſt nicht zu, und daß dieſer Satz etwas von den Dingen an ſich ſelbſt behaupte.

Der Recenſent erklaͤrt dieſes für ein Spiel mit Worten, und ſetzt hinzu: „der Satz: Raum und Zeit ſind Formen der bloßen Anſchauung, ſpricht den Dingen an ſich Raum und Zeit ab, ohne denſelben eine dem Raum und der Zeit entgegengeſetzte Be⸗ ſchaffenheit beyzulegen, d. h. ohne von ben Singen en fid) etwas poſitives zu bebaupten.,, Syd) ar(tefe gern, bafi id) ben. angefüfrten Satz nicht haͤtte dog⸗ matiſch nennen follen; wenn nad ber Grflárung des Stecenjenten ju. einem bogmatijd)en Cate, fo mie audj gut Behaupten, nod) gehoͤrt: baf er bejabeno ſey; unb wenn baburd), baf id) einem Dinge eine gemiffe

232 Be⸗

fXVER 342 ^Yuky

Beſtimmung geradezu abfpredje , nicht bie contrabíctor riſch entgeuengefete pofitio von ifm behauptet wird.

Aber auf ben Ausdruck fómmt es nit an; bie Sache ift dieſe: Wenn bie Dinge an fid) fefóft lig x für un$ finb, wenn wir gar nichts von il nen etfennen, un$ in einer gánjfid)en Unwiſſenheit allec ihrer Beſtimmungen befinben: moie i(t e8 alóbann moͤglich von einigen Beſtimmungen zu fagen, daß fie ihnen nidjt zukommen ? Wenn id) einem Dinge eine Beſtimmung abfpredjen vill, fo muf id) fie mit einer SBorftellung dieſes Dinges vergleichen fónnen ; dies if aber unmóglid), wenn mir das Ding gaͤnzlich unbe: kannt iſt. Wer z. 95. gar nichts vom Golde wuͤßte, ^o fid in einer gaͤnzlichen Unwiſſenheit aller. feiner. $5e; ſtimmungen Befánbe, ber koͤnnte aud) nídt fagen: ba$ Gold iſt nid)t ſchwarz.

Wie iſt alſo nach Kantiſchen Grundſaͤtzen der Be⸗ weis uͤberhaupt moͤglich: daß Raum und Zeit bloß Formen der Anſchauung, daß ſie ſchlechterdings nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich ſelbſt ſeyn?

Das iſt die Schwierigkeit, woruͤber ich Be⸗

lehrung wuͤnſchte, und die der Hr. Recenſent nicht einmal von fern beruͤhrt hat.

Ich

FM 543. "em

Ich fefe uͤbrigens wol eit, baf bie Briefform, bie id) in meiner. kleinen Schrift waͤhlte, gegen bie SXaterie zu ab(ted)enb fep, unb werde daher bie in dieſer drift angeſtellten Betrachtungen in bem naͤch⸗ ſten Stuͤcke dieſes philoſ. Magazins concentrirt vor⸗ tragen. Da es mir nicht darum zu thun iſt, Recht zu behalten, ſondern nur die Wahrheit zu entdecken, ſo verlange ich keine Nachſicht fuͤr meine Beweiſe, und werde dem Hrn. Recenſenten fuͤr jede gruͤndliche Belehrung uͤber Fehltritte in der Sache danken; auch dann, wenn er mich uͤberzeugt, daß ich den Weg bet Wahrheit gang unb gar verfehlt habe; toc; ches aber nut durch untadelhafte Beweiſe wird ge ſchehen koͤnnen.

|

83 VII.

FAM 344 "mx ft$040909 040 TIC OG 4006902024 VII.

Der 3eifig unb bie Maus. Cine Sabel.

C. Zeiſig, ber ben Buͤchern naf,

im Simmer eines Schuigelehrten,

nid)t obne Neid bie Maͤuſe faf,

bíe gierig Blatt unb. Band verzehrten, rief einſtens: O wie gluͤcklich ſeyd

Ihr, denen hier nach freyem Willen

ſich mit Gelehrſamkeit zu fuͤllen, Erlaubniß unſer Herr verleiht.

„Bleib, ſprach ein Maͤuschen, ohne Neid in Deinen goldenen Gegittern,

Wir ſuchen wahrlich hier nicht die Gelehrſamkeit, die Buͤcher nur weil ſie uns fuͤttern.

Recen⸗

Recenſionen.

34

I.

Ueber bie Gruͤnde ber Gewißheit bet menſch⸗ lichen Erkenntniß. Zur Pruͤfung der Kanti⸗ ſchen Kritik der reinen Vernunft. Von Adam Weishaupt, Herzoglich Sachſen⸗ Go; thaiſchem Hofrath. Nuͤrnberg, bey Grattenauer. 1788. 8.

$3. Hofrath Weishaupt fáfrt fort, fif) um bie Aufklaͤrung bed. gegentvártigen Streits über ba$ Ob; jeftive in unferec reinen Verſtandeserkenntniß verbient zu machen. Er ſteigt Bier in biefer kleinen aber lehr⸗ reichen Schrift auf die erſten Gruͤnde des kritiſchen Idealismus zuruͤck, und ſucht dieſen in allen ihren auffallendſten Folgen nachzugehen, um bie Unſtatthaf⸗ tigkeit der erſtern durch die offenbare Ungereimtheit der letztern einleuchtend zu machen. Wir koͤnnen es ihm uͤberall anſehen, daß es ihm um Wahrheit und gruͤnd⸗

35 liche

*⸗ 348 ^w»

liche Ueberzeugung, ſo wie um eine vernuͤnftige Beruhi⸗ gung durch die Aufloͤſung der Probleme, die uns Alles in und um uns alle Augenblicke vorlegt, ſo weit ſie der eingeſchraͤnkte Verſtand aufzuloͤſen vermag, zu thun iſt. Dieſer an ſich lobenswuͤrdigen Gemuͤths⸗ faſſung ſchreiben wir einige Ausbruͤche des Unmuths zu, womit et fid) gegen bie Theile des kritiſchen Sybeas lismus auslaͤßt, die ſeine ganze Ruhe erſchuͤttern umb es unmoͤglich zu machen ſcheinen, ſich mit den Vertheidi⸗ gern derſelben uͤber ihre Gruͤnde zu verſtaͤndigen. Da wir ihm nicht durch alle Theile ſeiner Unterſuchung folgen koͤnnen, ohne zu weitlaͤuftig zu werden: ſo be⸗ gnuͤgen wir uns, nur einige merkwuͤrdige Reſultate derſelben auszuheben und zu dieſen einige Anmerkun⸗ gen hinzuzuſuͤgen. Wenn dieſe Anmerkungen aud) bisweilen Zweifel aeger. die Genauigkeit eines oder des andern Urtheils des V. enthalten ſollten: ſo wer⸗ den ſie doch nur ſſeine Gruͤnde und Beweiſe betreffen; ſie werden die Hauptſache ſeines Syſtems unberuͤhrt laſſen denn in Anſehung dieſer, ſind wir voͤllig ſeiner Meinung, wir haben uns gleichfalls von bet Gruͤndlichkeit des kritiſchen Idealismus nicht über; zeugen koͤnnen; noch weniger werden fie ber. Ach⸗ tung fuͤr des V. philoſophiſche Verdienſte Eintrag thun. Es iſt ſo leicht, ein Syſtem, das eine ſo neue Sprache enthaͤlt, und zwar in Subtilitaͤten uͤber die Unterſcheidung des Objektiven von dem Subjektiven

un⸗

unredjt 3u verſtehen, unb Balb das Objektive ín Bev Sprache mít bem Objeftioen in ben Begrif— fen, bald das Erkennen mit bem Seyn gu vermi ſchen. Der Rec. glaubt fid) gar nicht vor aͤhnlichen Irrthuͤmern ſicher, fo aufrichtig er fid) aud) bemuͤht, ſie zu vermeiden; er haͤlt es daher fuͤr einen vorzuͤg⸗ lichen Nutzen dieſer Zeitſchrift, daß ſie darin, ſo bald ihre Verfaſſer eines Beſſern belehrt werden, auf der Stelle koͤnnen berichtigt werden; denn das ſcheint das beſte Mittel gu. ſeyn, um fid) einander zu vet; ſtaͤndigen. Man wuͤrde außerdem einen Gegner nicht widerlegt haben, wenn er noch fuͤr ſich anfuͤh⸗ ten koͤnnte, daß man ſeine Meinung nicht genau ge

faßt habe.

Der Plan der ganzen Schrift iſt ſehr einfach unb einleuchtend. Nach einer allgemeinen Betrach⸗ tung uͤber die Gruͤnde der menſchlichen Erkenntniß folgt eine Darſtellung des Kantiſchen Syſtems; hier⸗ auf eine Beurtheilung, und endlich eine Widerlegung deſſelben.

Hr. W. hat, nach unſerer Meinung, die Streit⸗ frage, auf bie es in bem Streite zwiſchen bem kri⸗ tiſchen Idealismus unb jeber 2írt des Dogmatismus anfómmt, richtig gefaßt, nur bleibt er dieſer al(aes meinen Beſtimmung der Streitfrage nicht uͤberall getreu. Es koͤmmt naͤmlich darauf an, ob alle unſere

Er⸗

350

Erkenntniß bloß ſubjektiv ſey, oder ob es auch einige gebe, die wir mit Recht fuͤr objektiv halten koͤnnen. Er druͤckt das ſo aus: ob alle unſere Erkenntniß ei⸗ nen bloß ſubjektiven Grund, naͤmlich in der Receptivi⸗ taͤt des erkennenden Subjekts, oder auch einen objekti⸗ ven Grund in den Gegenſtaͤnden habe. Wir bemer⸗ ken hiebey ſogleich eine kleine Zweydeutigkeit in dem Ausdrucke: Grund, die in der Folge auf die Unter⸗ ſuchungen des V. einigen Einfluß hat. Man kann darunter das principium cognofcendi, man fann aber aud) bie Urſach derſelben verſtehen, ſofern fie eine Modifikation des Denkenden ift. Die erften prin- cipia cognofcendi (inb bie erſten Vernunftwahrhei⸗ ten füc unfere reine 3Bernunfterfenntni& unb bie anf fdjauenben Urtheile für unfere Erfahrungserkenntniß. Die er(ten principia cognofcendi unſerer einem fBernunfterfenntni& faben eine unleugbare nothwen⸗ dige objektive Guͤltigkeit; unb eben fo alles, was aus ihnen richtig gefolgert wird. Wenn der Verf. bey der Befeſtigung dieſer objektiven Guͤltigkeit ge⸗ blieben waͤre: ſo, ſcheint es uns, wuͤrde er ſich ſeine Unterſuchungen um ein großes erleichtert haben. So aber verſteht er hauptſaͤchlich unter Grund der Er⸗ feuntnif bie Urſach derſelben. Das thut er ſogleich in der allgemeinen Beurtheilung der Gruͤnde der Er⸗ kenntniß, bie et F. 4 7. voranſchickt. Wir be merken Bier nur 6e) bem dritten Balle, ben (id) ri

WCAVEA 35t o ^"uky

$8. vorlegt, daß námíid unſere Erkenntniß durch ein hoͤheres Weſen gewirkt werde, daß die Syſteme,

| welche biefe$ befaupten, bie Folgerungen, bie er bat: «u$ herleitet, ſchwerlich anerkennen werden. €» geſteht Carteſius nicht, daß durch ſein Syſtem der gelegentlichen Urſachen das Daſeyn aͤußerlicher Ge⸗ genſtaͤnde uͤberfluͤſſig werde, eben ſo wenig geſteht dieſer Philoſophh mit Malebranche unb Berkeley, daß wir von dem Daſeyn dieſes Weſens eine geringere Gewißheit haben, als von dem Daſeyn und der Ein⸗ wirkung der Koͤrperwelt. Auch weiß Berkeley die Spontaneitaͤt bey ſeinem Idealismus ſehr wohl zu be⸗ haupten, und alle haben der Schwaͤrmerey, die der Verf. beſorgt, in ihren Theorien hinlaͤnglich vorge⸗ beugt. Ob das, was der Verf. von den Urſachen ſagt, (5. 11.) bie Jor. Sant zu ſeinem Syſtem vet; anlaßt haben koͤnnen, wirklich gegruͤndet ſey, getrauen wir uns nicht zu beurtheilen. Es iſt kuͤrzlich dieſes: „Locke habe die große Entdeckung gemacht, daß man „alle unſere Erkenntniß von der Erfahrung ableiten „muͤſſe, daß die abſtrakten und allgemeinen Begriffe „nichts anders ſeyen, als die darunter begriffenen In⸗ »bivibua, unb daß daraus folge, dieſe allgemeinen „Begriffe ſeyen auf kein Weſen ín. ber. Natur an; »wendbar, als auf diejenigen, von welchen ſie abge⸗ „zogen, daß aber die ſcholaſtiſche Lehre von der „Ewigkeit, Nothwendigkeit und Unveraͤnderlichkeit „der

WeAMT^ 352 ^"

» bet Weſen ber Dinge bald verurfadjt, baf tnan von „dieſen Folgen abgewichen fep, unb ben Weſen ber » S ínge eine Art von engerer uno abgefonoertec » fExiflens (?) aegeben babe. Man fjabe angefangen »von Tugend, Gerechtigkeit u. f. ro. als von Din⸗ „gen zu teben, bie von Ewigkeit eir für fido felbft »beftebenoes Daſeyn baben, (?) Am ſtaͤrkſten » babe fid) dieſer Unfug in ber febre von Gott at: „zeigt; einige blog von Menſchen ab(trabirte Soll: „kommenheiten, als 9Berftanb, Wille, Güte, u. f. 1v. „habe man auf Gott angemenbet, Daraus feyen „falſche unb antfropomorpbi(tije Vorſtellungsarten „von Gott entſtanden. Sein endliches SBefen babe » icgeno cine enolicbe f&igenfcbaft mit oem unz „endlichen Weſen gemein, alle nod) fo febr ver: » atéferte menſchliche Gigenfdjaften bleiben ünmer nur „endliche Gigenfd)aften; aus eben temfelbigen Grunu⸗ „de muͤſſe man fonft nidjt obige Eigenſchaften allein, »fonbern eben fo gut taufenb anbere, als Nuͤchtern⸗ „heit, Maͤßigkeit, Cparfamfeit, Seufdbeit, Be— „gnuͤgſamkeit, Geduld, Beſcheidenheit, Schamhaf— „tigkeit wu. ſ. w. von Gott in einem unendlichen Gra: „de brjafen.,, Jud) nennt Jor. 98. biefe Vorſtel— lungsarten, an bie aud), wie et fagt, Cartes, od'e, Leibnitz, Wolf, 25sumgarten ihren Vortrag an. geſchloſſen (S. 43.), Widerſpruch und Unſinn. Wenn alle unſere Erlenntniß von ber Erfahrung muß

ab⸗

f^»T^ 353 ^R

abgeleitet werden, aud) unſere 3Berftanbeeerfenntnig ; wenn bie S5egriffe be8 Verſtandes nichts anders (inb, als bie unter (nen begri(fenen Synbivibua, ober, mie wir e$ verſtehen, roenn (ie feinen aubern. Dingen au; fommen, als von benen fie wirklich (inb abgezogen worden: fo feen wir nid)t eiu, rote ber. Verſtand gu ber Erkenntniß des hoͤchſten Weſens gelangen fónne. Wenn ferner dem unendlichen Weſen keine Realitaͤt des endlichen um deswillen kann beygelegt werden, weil eine jede Realitaͤt in dem endlichen Weſen (ſelbſt die Realitaͤt, daß es ein Ding iſt,) endlich ſeyn muß: fo bleibt augenſcheinlich fuͤr das unendliche Se: ſen nichts als der allerleerſte Begriff uͤbrig, und es iſt uns voͤllig unbegreiflich, wie Hr. W. hoffen koͤnne, mit ſolchen Vorderſaͤtzen ben kritiſchen Idealismus zu widerlegen. Denn da alle Dinge, bie feine Erſchei⸗ nungen ſind, außer bem Geſichtskreiſe ber Sinne liegen, alſo unmittelbar nicht erfahren werden koͤn— nen, bie Verſtandesbegriffe, unter denen wir fie. ben: fen wollten, alſo nicht von ihnen haben abgezogen werden koͤnnen, und ihnen folglich nicht zukommen: ſo muß die Erkenntniß derſelben gleichfalls ganz leer ſeyn, unb es iff aud) um das Objeftive unſerer Gs fenntni$ ber Grünbe der Erſcheinungen gethan. Wir beſorgen beynahe, den Verf. nicht recht verſtanden zu haben, und wuͤnſchen aufrichtig, belehrt zu wer— den. Die Darſtellung und Beurtheilung, die Hr.

(V^ 354 40

$9, von bem Kantiſchen Syſtem giebt, müffen toi ben Vertheidigern beffelben ſelbſt zu beurtheilen uͤber⸗ laſſen. Wir uͤbernehmen z. B. nicht, zu entſcheiden, ob es dieſem Syſteme gemaͤß iſt, menn e$. €. 119. 6. 29. heißt: „Es wird geſagt, ba ſolche ſubſtanti⸗ elle Dinge, welche bey ben. Erſcheinungen jut Grun⸗ » be liegen follen, voxgava (inb,,, ba or. Kant (Git. , b. t. V. €. 253. a. 21.) ausdruͤcklich fagt: Das „Objekt, worauf ſich die Erſcheinung bezieht, kann „nicht Noumenon heißen., Vergl. phil. Mag. St. 3. S. 282. Von den Noumenen wuͤrde ich etwas wiſſen, von den transſcendentalen Ob⸗ jekten aber. weiß id) nichts, unb eben barum, ſetzt Hr. Kant hinzu, koͤnnen dieſe keine Noumena ſeyn. Da der Verf. ſeine Widerlegung der gaͤnzlichen Sub⸗ jektivitaͤt unſerer Erkenntniß mur gegen ihre Unah⸗ haͤngigkeit von der Koͤrperwelt gerichtet hat: ſo tref⸗ fen bie Folgerungen, womit er dieſe SfGiberlegung füórt, fo gut ben Idealismus Berkeleys, als ben kritiſchen Idealismus des H. Kant. Beide duͤrften verſchiedene von dieſen Folgerungen wol nicht zulaſſen, andere aber zwar zulaſſen, aber durch des Verf. Gruͤnde nicht bewogen werden, ſie fuͤr falſch zu hal⸗ ten. So werden ſie nicht zugeben, daß eine Illuſion aufhoͤre, ſo bald ich weiß, daß ſie Illuſion ſey (S. 164.). Das wird durch alle perſpektiviſche Illu⸗ ſionen widerlegt. Die Illuſion iſt nur in der ſinnlichen

Er⸗

f^a»T^ 355 ^*^

Erkenntniß, biefe ift anſchauend unb fann durch feint nicht anfdjauenbe Grfenntni ihre ſinnliche Gewißheit verliehren. Es muͤſſen daher die Annehmlichkeiten des Lebens, wenn ſie auch nur auf einer Taͤuſchung beruhen, nicht nothwendig verlohren gehen, ſo bald ich weiß, daß die Erkenntniß ihrer aͤußern Urſachen eine Taͤuſchung iſt. Sollten ſie aber wirklich verloh⸗ ren gehen, fo wuͤrde ber Idealiſt dieſes als eim uns vermeidliches Ungluͤck anſehen. Einen andern Be— weis von der aͤußern Wirklichkeit der Koͤrperwelt hat ſich der Verf. dadurch erſchweret, daß er den Begriff des unendlichen Weſens ſo ohne alle dem menſchlichen Verſtande erkennbare Eigenſchaften beſtimmt haben will, daß dadurch keine denkbare Beziehung deſſelben auf die Welt uͤbrig zu bleiben ſcheint. Am Ende (S. 204.) verſpricht der Verf. eine Fortſetzung ſeiner Unterſuchung, die ſich mit dem Speciellen des Kan— tiſchen Syſtems beſchaͤftigen ſoll. Wie ſehen dieſet Fortſetzung mit deſto mehr Erwartung entgegen, da ſie vielleicht eine Aufloͤſung bet Zweifel, die mit Dice vorgetragen haben, enthalten wird. M *

philoſ. Mag. 3. St. Aa II.

i⸗356 5 «3 309 31 32939 03949-3991 390 200 209-

IT.

Ueber ben thieriſchen Magnetismus, von G. Meiners, SDrofeffor ber Weltweisheit in Goͤt⸗ fingen. 8. femao, ben Meyer, 1788. €. 340.

W.n der ſo beruͤchtigte Gegenſtand vorliegender Schrift in der Geſchichte der Arzneywiſſenſchaft der neueſten Zeit wichtig und intereſſant iſt, ſo iſt ers gewiß nicht weniger in der Geſchichte der Philo⸗ ſophie unſerer Tage und wenn die leider! ſelbſt unter Aerzten ſo große Ausbreitung dieſes gegen alle geſunde Grundſaͤtze der Philoſophie unb Heilkunde ſtreitenden Unſugs, bem gegenwaͤrtigen Zuſtand bet Medicin keine Ehre bringt, ſo bringt ſie wahrlich auch dem der Philoſophie Schande. Jene hat viel gethan, die ſchaͤndende Makel zu tilgen, unſere beſten Aerzte haben wacker dadegen geſtritten, ich nenne nur einige Deutſche, Hofmann, Elſner, ub den vortrefflichen Tahn, bie Zierde ber Schweizerſchen Aerzte dieſe Maͤnner haben gewiß nicht „eine ernſtliche Pruͤfung „geſcheut, aus Furcht auf facta zu ſtoßen, welche

„zu

„zu erfíáren unb zu widerlegen fie nid)t im Stande „ſeyn mochten, inbef fie betradjteten die Sache hauptſaͤchlich von mediciniſcher Seite. Wie wuͤnſchens⸗ werth war es nun aber, daß auch philoſophiſche Lehret uns ihre Gedanken uͤber die merkwuͤrdige Erſcheinung in unſerem Zeitalter mittheilten: daß ſie uns die prag⸗ matiſche Geſchichte dieſer Verirrung des menſchlichen Verſtandes, mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf die geſamte Denk- unb Handlungsart unſerer Zeitgenoſſen bem Reſultat des Studiums einer Menge vorgegang: ner und gleichzeitiger die Menſchheit intereſſirender Vorfaͤlle lieferten.

Dieſen Wunſch zu erfuͤllen, trit nun einer der erſten philoſophiſchen Lehrer auf einer unſerer beruͤhm⸗ teſten Univerſitaͤten auf; und liefert uns dazu, nicht etwa einen Verſuch, ſondern ein vollendetes Werk, wor⸗ in er (nach den eigenſten Worten der Vorrede) alles geſagt hat, was er uͤber und wider den Magnetismus zu ſagen wußte, ſo daß er weiter keine Einwendun⸗ gen und Gegenſchriften leſen wird, und womit er zur Beſtreitung von verfinſternden und verwirrenden Denkarten beygetragen zu haben glaubt. Doch da dieſe beiden Aeußerungen zu ſehr auffallen moͤchten, fo verſpricht uns der Hert Profeſſor Gegenſchriften unb Critiken in dem Fall zu leſen, wenn ſein Buch von neuem ſollte aufgelegt werden; wuͤnſcht alſo das Pu⸗

Aa 2 blicum

blicum fernere Aufklaͤrung verfinfternber unb. vertit: renber Denkungsarten, (o weiß e$, auf welche Art e$ bicje vom Hrn. «rof. erfjalten kann.

Nach einigen gewiß fefe uͤbertriebnen Cobpreifun: gen des Betragens unſers Deutſchlandes gegen. ben Magnetismus, vor bem Betragen Frankreichs, (nut ein, der zum Theil noch fortdaurenden Ge⸗ ſchichten in Str. Be. Br. 3. M. unb nod) (cbr viel anderen beutíd)en Ctábten, gang unkundiger Mann fann fagen: , mut in wenigen Staͤdten fanb er et; „klaͤrte Anhaͤnger, wurde nut. an menigen franfen „verſucht, nur menige obet. gat feíne Proſelyten „wurden gemadit,, :c. 2. unb faben nidt Frank⸗ teíd)$ arofe Aerzte ebenfalls kraͤftigen Widerſpruch gleich von Anfang gemacht? man erinnere ſich an Thouret, Retz, die Commiſſairs der Academie und des Koͤnigs,) zeigt uns Hr. M. den eigentlichen Geſichts⸗ punct, den er bey ſeiner Unterſuchung hat, an, er will naͤmlich die wahre Natur des Phaͤnomens, das eine ſo allgemeine Aufmerkſamkeit und ſo ſtreitende Urtheile veranlaßt hat, ohne alle Uebertreibung oder Hinzudichtung von Umſtaͤnden erzaͤhlen, unb bann un: terſuchen, ob man bie Symptome magnetiſirter Per⸗ ſonen aus den bisher bekanten Kraͤften und Geſetzen ber Natur erklaͤren ober nicht erklaͤren fónne; aber auch dieſes will er nur auf eine ſehr eingeſchraͤnkte

Art

F^AYf^ 359 ^c»

Art feiffen, benn er nimmt bloß auf bie favatet: Zuͤrcherſchen und bie Wienholt unb Bickerſchen Bre⸗ mter Geſchichten Ruͤckſicht.

Der erſte Abſchnitt ſeiner Schrift erzaͤhlt alſo die Bremer und Zuͤrcher Erſcheinungen, theils aus ge⸗ druckten Actenſtuͤcken, vornaͤmlich ber bekannten Wien⸗ holtſchen Schrift, unb deſſelben Verfaſſers ungedruck⸗ ten Briefen an Herrn Hofrath Feder. Dieſe Erzaͤh⸗ lung ift ſehr gut gemacht, unb mit mehreren Be⸗ merkungen der Widerſpruͤche und ſonderbaren Behaup⸗ tungen ber Herren Magnetiſeurs begleitet, bie frey⸗ (id) jebem Unparteyiſchen fein. gefunbec Menſchenver⸗ (tanb eingeben mufte.

Der zweyte Theil bet. Schrift foll num ben 3u: ftanb náfer beſtimmen, ín melden bie maanetifirten Perſonen butd) bie. Manipulation ober. ihnen gleich— geltende Bewegungen des Magnetiſeurs verſetzt wer—⸗ ben, ſchraͤnkt fid) aber bloß darauf cin, Geſchich⸗ ten von Schlafwandlern ín Exſtaſen gerathnen verzuckten Schwaͤrmern u. f. vo. aus Lorry Moritzens Magazin unb ein paar anderen Schriften au et; zaͤhlen, unb der Herr "rof. behauptet: „Der mag; „netiſche Schlaf iſt keinem bisher beobachteten natuͤr⸗ „lichen und unnatuͤrlichen Zuſtande vollkommen gleich, „aber allen natuͤrlichen und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnden

Aa 3

fur 360 ^"nbm

»fo aͤhnlich, taf man ifn mit einem jeben berfclben „von einer ober mehreren Seiten veraleidóen, unb » tbe deswegen feín. eingigeó Cymptom des magne: „tiſchen Schlafwandlens angeben kann, baé man nicht „auch ſchon in anderen geſunden oder kranken Perſo⸗ „neu wahrgenommen haͤtte.

Sym ber dritten Abtheilung ſucht ber Hr. Verf. darzuthun, daß die Phantaſie maͤchtig genug ſey, ohne alle andere mitwirkende Urſachen ſolche Symptome zu erzeugen, als man von den magneti⸗ ſchen Schlaͤferinnen erzaͤhlt. Natuͤrlich fuͤhrt er den Beweis a pofteriori; unb ba, nad) feinem eig: nen GeftànbniB, ihm biefe Art von Lectuͤre ziemlich ftemb iſt, fo Bat feim guter Genius in glücffidyer SBeife an einen Potpourri gemiefen, ber allerbingé ber allerbefte i(t, um batin zu finben, roaé man nur im met verlangen fann ; naͤmlich bie Ephemerides .- Mi- fcellanea .. unb Acta Naturae curioforum. Dieſe Sammlung fann unb barf man, bekantlich, nur mit grofer Sorgfalt unb. genauer. Critik gebrauchen; vb bie8 Jor. 9X. getban, mógen fofgenbe zwey Geſchichtchen, bie er uns daraus erzaͤhlt, zeigen: „Ein ſiebenjaͤhriger Knabe erhielt nicht nur das erſtemal die Blattern von bloßem Schreck uͤber den Anblick des Kindes einer Bettlerinn, das noch die Flecken uͤberſtandner Blattern auf bem Geſichte trug, fot

dern

4^ 206r wu»

bern. ein aͤhnlicher ſchreckenvoller Anblick brachte bicfem Kranken ín feinen reiſern Jahren nod) einmal die— ſelbe Krankheit. —, „Ein Arzt, von welchem biet viele vortrefliche (272) Beobachtungen vorkommen, verſichert, bag er von angeſehenen Jungfrauen, Frauen, und Witwen gehoͤrt habe, daß ſie das bevorſtehende Monatliche nach Belieben zuruͤckhalten koͤnnen, wenn fie einen carmeſin ſeidenen Faden fo oft um ihren Gold⸗ finger waͤnden, als ſie wollten daß ihre Zeit Tage aus bleiben ſollte; andere brauchten ſtatt bec ſeidenen Faden Pfefferkoͤrner von welchen man doch eher glauben koͤnnte, baf fte durch mediciniſche Kraͤfte bie von ihnen gehoffte Wirkung hervorgebracht Dátten, ,, (das Monatliche zuruͤckhalten? gewiß nichts weniger!)

Was ſoll man nun aber zu folgenden Stellen ſa⸗ gen (S. 152.) „Den meiſten Leſern werden alle angefuͤhrte Beyſpiele von Heilungen, Laͤhmungen und Krankheiten, welche die von Schrecken oder Furcht getroffene Phantaſie hervorgebracht bat, meni: ger wunderbar vorkommen, als die Beyſpiele von Contuſionen, Schmerzen an beſtimmten Oertern, und ſogar von Geſchwuͤren, welche alle durch bic GinbiC dungskraft erzeugt wurden. Ein geſunder unb ſtar— ker Mann von 30 Jahren ſah im Traum einen Fremdling in polniſcher Kleidung auf ſich zukommen, ber. ín ber rechten Hand einen Stein Diet, unb bar

Aa 4 tnit

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mit (o ſtark er fonnte bem Traͤumenden auf. ble Ge genb des Magens ſchlug. Sad) bem empſangnen Schlag erwachte der Traͤumende und empfand uͤber dem Magen einen heftigen Schmerz. Er zuͤndete des⸗ wegen Licht an, unterſuchte die ſchmerzende Stelle, unb fand zu feinem groͤßten Crítqunen, bafi in bct Gegend, mobin bec Srembling im Traum geſchlagen fatte, eine heftige Contuſion entftanben mat,,, unb Seite 154:— „Eine nod) viel feurigete Einbildungs⸗ kraft fatte bet Scholaſtiker Arnoldus, biefem tráumte, baf ct von einem Kater ím Fuß aebiffen voerbe, unb als ec fid am felgenben Sorgen unterſuchte, fanb er, baf er an ber gebiſſenen Stelle eine. SBunbe ober cin Geſchwuͤr fatte, ;,

Der Herr Verfaſſer will un$ nun bereden, jene Contuſion, unb dieſes Geſchwuͤr ſouen Wirkun— gen ber feurigen Einbildungskraft ſeyn! Credat Judaeus apella non ego. Wie offenbar ſind nicht fiev Urſache unb Wirkung verwechſelt! voir. fof; ten glauben, aud) einem Nichtarzte muͤßte dies Balb einfeudjten; ober haͤtte fid) bod) .r. M. bey einem Arzte batüber erfunbiot, gewiß feiner fann eínen fo eroben Irrthum begehen, aufer etwa cin elenber o: ſephi, ber Jo. Meiners ausſchreibt.

Nun geht Hr. M. weiter zu einer Behauptung daß auch ohne Huͤlfe der Phantaſie die erzaͤhlten Sym⸗

f^uvr^ 2363 ^X»

Symptome ín ſolchen Kranken als bie manipufirten Frauenzimmer waren, durch die bloße Manipulation haͤtten erfolgen koͤnnen; und beweiſt dies wieder, auf ſeine bisher angezeigte Manier, aus den bekanten von ben groͤßten Aerzten unb andern Beobachtern auf; gezeichneten Wirkungen ber Frietionen. Was er bat: uͤber ſagt, iſt bloß aus Lorry unb Tiſſot, wobey wol noch beſſere Quellen zu benutzen geweſen waͤren unb einigen Reiſebeſchreibern entlehnt bin unb moie: ber. finben fid) gang. unrid)tige Sefauptungen, fo S. IÓ68. baf ein großer Theil von Nervenkrankheiten vou ber unterdruͤckten Ausduͤnſtung herruͤhre u. f. vo.

Zum Beſchluß durchgeht Jor. M. nod) bie auf? fallenbften Erſcheinungen bey ben. magnetiſchen Schlaͤ⸗ ferinnen beſonders, um iie et. fagt bem Vor— wurf, nidt alles erfíart gu faben, vorzubeugen; aber wir müffen offenherzig geſtehen, baf uns Erklaͤ⸗ rungen, wie folgende ift, hoͤchſt ſonderbar vorkom⸗ men. „Mehrere Gegner des Magnetismus, heißt es S. 211. „haben es fuͤr bloße Erdichtung erklaͤrt, daß die magnetiſchen Schlaͤferinnen durch die Beruͤh— rung der Finger gedruckte und geſchriebene Schrift le— ſen koͤnnen, und zwar am meiſten aus dem Grunde, weil eine Kranke, die Hr. Dr. Rhode in Bremen be— ſuchte, ein von ihm geſchriebnes Wort nicht zu leſen vermochte; aber der einzige Fall beweiſet gar nichts

Aa 5 ge⸗

364 c

gegen bie Richtigkoit der von ben. Magnetiſeurs at: geſtellten Beobachtungen unb gegen bíe 3uvetlaffigfeit ihrer Erzaͤhlungen; Bemeifet nut, bag bie Seinbeit ber &inne nicht immer ín gleichem Grade bey ſolchen fDeríonen erbóft fep,,, unb mum weiter fein Wort von Crflárung hieruͤber! Uebrigens i(t bann. at: lerdings ín biefem Abſchnitt recht febr viel. wahres unb gutes enthalten; befonber$ gehoͤrt hieher, was uͤber die Arzneyen, die ſich die Schlaſwandlerinnen ſelbſt verordnen, geſagt wird, „beſonders fuͤhren die Magnetiſeurs es als etwas ihrer Hypotheſe guͤn⸗ ſtiges an, daß die Kranken ſich oft dem Scheine nach ſchaͤdliche, oder unwirkſame, oder paſſende Arzneyen in zu großen Quantitaͤten verordneten, unb daß alle fo: che Arzneyen doch die heilſamſten Wirkungen her⸗ vorgebracht haͤtten; allein man konnte wiſſen, daß bie Einbildungskraſt von Nervenkranken ſtark genug ſey, die Natur von Arzneyen gaͤnzlich zu verwandlen, unb baf fie alſo die Wirkſamkeit von heilſamen Mit⸗ teln unglaublich vermehren, unwirkſamen neue Kraͤf⸗ te mittheilen, unb ſchaͤdlichen ihr Gift nemen koͤn—⸗ ne., Dieſe aus einzelnen Faͤllen vie. gu geſchwind allgemeingemachte Behauptung wird aber doch nicht Entſchuldigung fuͤr die ganz unverantwortliche Drei⸗ ſtigkeit ber verwirrten Aerztekoͤpfe ſeyn ſollen, die bem Eigenſinn ihrer verwirrten Patienten auf eine ſolche Art zu befriedigen, ſich unterſtunden!! Voͤllig ſtim⸗

men

f^A»f^ 365 ^u»

men fir mit Jor. Meiners überein, wenn er am Cube dieſes Aufſatzes fagt die gewoͤhnlichen Fol⸗ gen dieſer fatalen Operation, muͤſſen doch immer Ent⸗ fráftung des Koͤrpers unb. Schwaͤchung des Geiſtes ſeyn!

Dies ſind unſere Bemerkungen uͤber dieſe Schrift Was man am meiſten von dem Herrn Verf. haͤtte erwarten und hoffen koͤnnen, und was wir zu Anfang dieſer Recenſion angedeutet haben philoſophi⸗ ſche Bemerkungen die vermißt man hier ganz; daß er im mediciniſchen Theil Bloͤßen giebt, koͤnnte man ihm leicht vergeben, aber er haͤtte ſich nie in dies Feld wagen ſollen.

Am allerauffallendſten war uns aber der Anhang dieſer Schrift, den wir nun noch kuͤrzlich anzeigen muͤſſen. Ein uns ganz unbekanter Lyoner Arzt, Petetin, hat neulich eine ganz abentheuerliche Schrift Sur la decouverte des phenomenes, que préfentent la Catalepfie et le Somnambulisme, herausgegeben; worin nun bíe Hauptſache eine im erhabenſten Ton Derbecfamirte Krankheitsgeſchichte eines Frauenzimmers iſt, die ſich durch Beſorgniß, ihren dreyjaͤhrigen Sohn zu verlieren, die heftigſten hyſteriſchen Zufaͤlle zugezogen hatte, bie mit fuͤrchter⸗ lichen Convulſionen, gaͤnzlicher Betaͤubung und nem;

pfind⸗

366

pfindlichkeit, und der unwiderſtehlichſten Luſt zu ſin⸗ gen begleitet waren er beweiſt bann, daß ſeine Kranke, bey voͤlliger Taubheit der Ohren, Blindheit der Augen, Unempfindlichkeit der Geruchnerven mit dem Magen gehoͤrt, geſehen, gerochen, ſie lieſt mit den Fingerſpitzen der Magen lernt durch Uebung beſſer ſehen, und (— zum Beweis der wahrhaften Blindheit —) die Perſon wird ſchwindlicht, und faͤllt in convulſiviſchen Schlaf, wenn man iht ſcharf ins Auge ſieht quatre Experiences beweiſen, daß bie im Magen angehaͤufte unb im. Gehirn erzeug⸗ te electriſche Feuchtigkeit, an allem dem Unheil ſchuld fo be Seele, meint. Jor. Petetin, fep wenig baran gelegen, ob ſie durch Augen ober Magen fcbe u. ſ. w. Aus dieſer allen geſunden Menſchenver⸗ ſtand empoͤrenden Schrift, liefert uns nun Hr. Prof. Meiners einen funfzig Seiten ſtarken Auszug, und fen Endurtheil daruͤber Seite 315. iſt: Es iſt in ei⸗ nem hohen Grad unwahrſcheinlich, daß der Magen einer kranken Frau alles das geleiſtet habe, was ihr Arzt erzaͤhlt; allein eben fo unwahrſcheinlich iſts, daß ein nicht unberuͤhmter Mann, der ein anſehnli⸗ ches Amt bekleidet, durch die Erdichtung von Nach richten, deren Falſchheit bald erfunden werden wuͤrde, ſeinen guten Namen habe aufé Spiel ſetzen wollen, man muß alſo durchaus annehmen, daß die vorge⸗ tragnen Facta, wo nicht alle, doch wenigſtens zum

theil

mur» 367 "n

ffeil wahr ſeyen! und zwey Selten ſpaͤter heißt es: Wenn nur ein Theil der neuen Erſcheinungen, die Hr. Petetin beobachtet haben will, beſtaͤtigt wer⸗ den ſollte, ſo koͤnnte man mit Recht ſagen, daß dieſe Beobachtungen über bie bisher unentdeckten Faͤhigkei— ten des Magens außerordentliche Veraͤnderungen in manchen wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen hervorbringen werden! Hierin erkenne den Philoſo⸗ phen wer da mag! Iſts nicht, als haͤtte ſich hier Hr. Meiners mit ben Treuen des Zirkels sum Motto ge; waͤhlt: „Und auf ben Mund ben Finger! Ach un: term Mond' ift. mancherley, wovon nichts traͤumt die Traͤumerey, $ifofofep!,, Weit beſſer ſind bie Be—⸗ merkungen uͤber Dr. Gmelins Schrift, die ſich am Schluſſe befinden, u.

In⸗

Inhalt

des dritten Stuͤcke.

L Weitere Anwendung bet. Theorie von bee logiſchen Wahbrheit ober ber tranſcendentalen Guͤltigkeit ber

menſchlichen Erkenntniß. €.243 1L. Ueber baé Gebict be$ reinen. Sherftanbes. 263 Ill. tieber ben weſentlichen Unterſchied ber Erkenntniß

burd) bic Cinne unb ben. SBeritanb, 290 IV. ileber bie Unterſcheldung ber. Urtheile in analp:

tiſche unb ſynthetiſche. 307

V. Ausfuͤhrlichere Erklaͤrung uͤber die Abſicht dieſes philoſophiſchen Magazins. Veranlaßt durch cine Recenſion des erſten Stuͤckes deſſelben in. ber. Ullg. Litt. Zeitung. 333

VI. Vorlaͤufige Erklaͤrung des Verfaſſers der Briefe über bie Antinomie bee Vernunft, in Ruͤckſicht auf bie Recenſion dieſer Briefe in ber allgem. Litt.

Zeitung. 340 VIL. Der Zeiſig unb die Maus. Eine Fabel. 344 VIII. Recenſionen. 345

Philoſophiſches Magazin.

⏑æ——

Herausgegeben

von

Johann Auguſt Eberhard.

Viertes Stuͤck.

HALLE, bey Johann Jacob Gebauer. 178 9.

I. Mebet

ben Urfprung ber menſchlichen Crfenntnif.

D) faben voit unſere wirkliche Erkenntniß? Dieſe Frage haben wir bisher noch immer auf der Seite liegen gelaſſen. Gleichwol darf ſie nicht ganz uͤbergangen werden. Der kritiſche Idealismus be⸗ antwortet ſie nicht, und, ich glaube, er kann ſie nicht beantworten. Um uns zu verſichern, ob unb mie weit et e$ koͤnne, müjfen mir wiederum etwas zuruͤckgehen.

I. Was iff ber Grund ber Wirklichkeit ber empirifen GCrfenntnif ?

Alle Erkenntniß iſt entiocber empiriſche ober Ct; kenntniß a priori. Die feGtere, wenn fie. nicht leer ſeyn foll, muri Anſchauungen ober ſinnliche, bildliche

Philoſ. Mag. 4. St. S5 Merk⸗

FRAYfM 370 "ux

derkmale entfalten, deren Formen ober. einfadjfter Elemente für bie Cinnen, Staum unb Seit iſt. Was ift empirifdbe Grfenntni$ ? Empfindung; eine. m pfinbung aber it ein Eindruck eine$ Gegenftanbes auf bac Gemuͤth ober eine Modifikation ber Sinnlichkeit. XDas mibificirt aber bie Sinnlichkeit ? was ift bet Dinreid)enbe Grund, bag in biefem Augenblicke, ba id) baé Papier fefe, auf welchem id) ſchreibe, meine Sinnlichkeit fo unb nid)t anber$ mobificrt wird? Der Gegenftanb. Allein bet Geaen(tanb ift ſelbſt eine Vorſtellung, benn et. iſt eine Erſcheinung, eine ſinnliche Vorſtellung; waͤte ec feine Erſcheinung, fo waͤre er ein Ding an ſich, von Dingen an ſich, weiß ich nichts, aud) nicht, ob fie wirklich (ub.

Dieſes gilt ſo wohl von den einfachen Subſtan⸗ zen, bie ber letzte Grund der Koͤrper finb, aló aud) von ber unendlichen Subſtanz, die bie wirkende lr: ſach aller endlichen Subſtanzen iſt. Da ſie keine Er⸗ ſcheinungen ſind: ſo erkenne ich nichts von ihnen, auch nicht das, daß ſie wirklich ſind. Folglich kann ich, weder die erſteren noch die letztere, als die Gruͤnde der Wirklichkeit meiner Empfindungen anſehen.

Fuͤr die Wirklichkeit meiner empiriſchen Erkennt⸗ niß weiß mir alſo der kritiſche Idealismus keinen be⸗ ruhigenden Grund anzugeben; alle ihre erkennbaren

Gruͤn⸗

FM 37X "Tes

Qirünbe (inb bloße fubjeftive. Der Menſch, faat er, fann mit feinen. Gedanken nicht aus fid) herausgehen, bie erſten Gruͤnde ſeiner Crfenntni, ber Cat des Widerſpruchs unb des zureichenden Grundes gehen nicht auf Dinge an fid), ober ſolche, bie feine Gr: fdeinungen finb, roit fónnen mit Huͤlfe berfelben nid)té von bem Coub(tantiellen, nid)t$ von ber raft unferet eigenen Seele, nid)tó von ben einfachen Elementen der Sórper, nichts von bem hoͤchſten Weſen erfenner, fie haben keinen conftitutiven, fie faben einen blog res gulativen Werth, b. i. fie fónnen uns nicht auf bie unfinnliden Grünbe ber Erſcheinungen (übren, fie dienen bloß, dieſe Erſcheinungen unter. einander ju verbinden. Wir finden alſo keinen Grund fuͤr unſere Empfindungen in unſerer Seele, denn wir erkennen ſie fuͤr keine Kraft; aber auch nicht außer ihr; denn auch außer ihr erkennen wir keine Kraͤfte, keine end⸗ lichen, feine unendliche. So kann uns alfo bet fri tiſche Idealismus nirgends auf einen erkennbaren Grund unſerer empiriſchen Erkenntniß hinweiſen. Denn uͤberall muͤßte, der letzte Grund derſelben ein Ding an ſich ſeyn, ein vorgeſtelltes oder gedachtes Ding an ſich wuͤrde aber, dem kritiſchen Idealismus zufolge, ein Unding ſeyn.

Ehe wir zu der Frage uͤber den Urſprung der Erkenntniß a priori, oder der Vernunfterkenntniß iba fom

VPox»r- 37? ^na

fommen, müffn wir fefen, wie fid) von jeher bet menſchliche Verſtand biefe Stage zu heantworten ver; ſucht hat. Alle Syſteme, die ſich mit der Unterſu⸗ chung dieſer Frage abgegeben haben, mußten den Grund ber Wirklichkeit unſerer Empfindungen ent: weder in der Einwirkung der aͤußern Gegenſtaͤnde oder des hoͤchſten Weſens oder in der Kraft unſerer eigenen Seele, oder in allem dieſem zuſammengenommen, ſuchen. Die erſte Antwort mußte natuͤrlich die roheſte ſeyn, das iſt, diejenige, die ſogleich der erſte unun⸗ terſuchte Schein an die Hand giebt: die aͤußern Ge⸗ genſtaͤnde drucken ſich, wenn wir empfinden, in der Seele ab; die aͤußern Empfindungen ſind alſo nichts, als Einwirkungen der Gegenſtaͤnde, wobey ſich die Seele ſelbſt leidendlich verhaͤt. So Balb man bie Natur der Koͤrper genauer unterſuchte, ihre Wirkun⸗ gen beſſer kennen lernte: ſo bald mußte dieſes Syſtem fallen. Des Cartes bemerkte, daß alle Wirkungen ber Koͤrper Bewegungen ſeyen; et mußte alfo fragen, wie koͤnnen aus Bewegungen Vorſtellungen entſtehen? Nur Bewegungen koͤnnen es ſeyn, welche die Ideen vor ben Farben wirken; dieſe Bewegungen werde ich aber in den Farben nicht gewahr, die Farben muͤſſen alſo Erſcheinungen ſeyn. Hier war nur noch ein Schritt zu thun, um zu ſchließen, daß auch die Ausdehnung eine Erſcheinung ſeyn muͤſſe; unb man wundert ſich, war⸗ um ein Mann von Des Cartes Tieſſinn, dieſen ſo

nahen

FMFR 073 ^wuüxw

nafen Schritt nid)t gethan Babe, unb, wie es ſcheint, mit Recht. Allein wie oft iſt man ín ben Wiſſen⸗ ſchaften 5e bem nádjften , gluͤcklichſten Schritte ſtille geftanben! Es (dint, als wenn ber Verſtand auf bem Wege, ben er nidjt ofne Muͤhe zuruͤckgelegt bat, alle feine Kraft erſchoͤpft habe. Das ift natuͤrlich bet Fall gerade bey den Erfindern; ihr friſcher Nachfol⸗ ger, wenn er ihnen an Geiſteskraft nicht nachſteht, wenn dieſe in aud) aum Erfinden ausruͤſtet, ihr Nachfolger, der ihren langen Weg nicht zu ſuchen, nicht ju bahnen, nur ju geben, ber nicht ju et: finben, nur zu lernen Braudjt hat nod) Kraft uͤbrig, ben eroͤfneten Weg weiter zu verfolgen. Was den Des Cartes in ſeinem Gange aufhielt, war, daß er bey der metaphyſiſchen Theorie der Farben von der Bewegung der Lichttheilchen ausgegangen war, die in ben Farben verborgen lag, unb bie ihm wegen i; tet Unaͤhnlichkeit mit ifrer SGirfung in bem vorſtellen⸗ ben Weſen nichts anberé uͤbrig (ie, als die Farben für Erſcheinungen zu halten, b. i. fuͤr Bewegungen bet Lichtmaterie, die ber Seele bey. bem Empfinden ver: borgen bleiben, und die ſie ſich unter dem Bilde von Farben vorſtellt.

Da alſo bey allen vermeynten Einwirkungen der Materie auf die Seele, Bewegung noͤthig war, und es ſich nicht begreifen ließ, wie aus Bewegungen

Bb 3 Ideen

FMTM 474. ng!

Sybeen werden koͤnnen: fo ſchien dem Philoſophen nichts anders uͤbrig, als eine Einwirkung zu leugnen, die ſich nicht begreifen ließ. Dieſe Hypotheſe hatte wieder andere Schwierigkeiten; indeß beantwortete ſie doch die Frage. Sie gab einen befriedigenden Grund an, warum ein Menſch in einem gegebenen Augenblicke eine Empfindung, und zwar dieſe unb keine andere Empfindung habe? Die Kraft ber um: endlichen Subſtanz wirkt ſie, und zwar auf Veran⸗ laſſung einer Bewegung in der Koͤrperwelt.

Leibnitz, ber ſich ín dieſer Theorie, fo wie ir vielen andern, ben ehrenvollen Namen des Conci⸗ liators verdiente, nahm aus der Carteſianiſchen Philoſophie, was er darin als vorzuͤglich erkannte, und ergaͤnzte es mit dem, was ihm darin noch zu fehlen ſchien. Er fragte, wie, aus den Bewegun⸗ gen in den Lichttheilchen, in der Seele das Bild von ben Farben werden koͤnne? In dem Mannichfalti⸗ gen ſelbſt, d. i. in dem Bewegungen, alſo in dem Objekt kann ber Grund nicht allein liegen; alſo muß auch etwas in dem Subjekt ſeyn, welches den Grund enthaͤlt, warum dieſe Bewegungen in dem Sinngliede des Geſichts, von der Seele unter dem Bilde der Farben vorgeſtellt werden. Wenn das vorſtellende Subhjekt dieſe Bewegungen durch das Geſicht empfindet, unterſcheidet e$. fie nicht mehr, es iſt (id) ihrer nicht

mehrt

mehr bewußt. Saad) feiner Theorie war affobet natürli che zureichende Grund bec Empfindungen theils objektiv theils ſubjektiv, und bem zufolge iat alſo nicht bec ganze voͤllig genugthuende Grund bloß in bem 9Xtan: nigfaltigen oder dem objektiven, ſondern zum Theil in dem ſubjektiven, das dieſes Mannichſaltige aufnimmt oder vorſtellt. Eine nothwendige Folge aus dieſen Vorderſaͤtzen ift, das bie Aehnlichkeit bes Objekts bey den Farben der Bewegungen mit der Empfin⸗ dung uns verborgen ſeyn muß; ſie muͤſſen einander vielmehr unaͤhnlich ſcheinen. Das war ohne Zweifel die Urſache, warum et dieſe Vorſtellungen durch bie Cin: nen undeutliche, verworrene, d. i. Erſcheinungen nannte; verworrene Vorſtellungen, ſofern bae Man⸗ nichfaltige darin nicht unterſchieden wird, Erſcheinun⸗ een, fofern fie mit bem. Objekte nicht bie bemerkbare Aehnlichkeit haben, bie zu ber Wahrheit erfobert wird, wenn man ſie dem Scheine entgegen ſetzt.

So weit, glaub ich, wird Hr. Kant mit der Leibnitziſchen Theorie uͤber die empiriſche Erkenntniß zufrieden ſeyn; und ein jeder, der den Beruf in ſich fuͤhlt, fo tief ín ber Erſorſchung ber Gruͤnde ber Dinge fortgubríngen , wird mit warmem Dank et; kennen, ba. dieſer Weltweiſe ben. Muth gehabt Dat, mit aller der Kraft und dem Nachdrucke, wozu ihn ſeine Verdienſte und Talente berechtigen, eine Theorie

Bb 4 wie⸗

f^» 376 uc»

wieder ín Bewegung gu bringen, bie ber. Bfofen ae meinen SBerftanbespbilofopbie fo fart fállt, baf fie vielen ein Aergerniß, unb nod) mehrern eine S bot:

brit ift.

Go ſehr fid) indeß bie bloße gemeine Verſtan⸗ betpbilofopfie gegen biefe Theorie (trauben mag, weil fie aufer bem Gebiete liegt, auf ba$ fie fid) einge: ſchraͤnkt füb(t: fo liegt fie bod) unenblid) vielen. ihrer eigenen. Urtheile zum Grunde. Sie fann fid) bod) nicht entbted)en, angunemen , baf etwas vorbanben ſeyn muͤſſe, warum eine Cmpfinbung ber anbetm, i. S5. bie Cmpfinbung von Einer geraden Linle bec von cíner anbern aeraben Linie áfnlid), hingegen die eíne von ber andern, 3. 5D. die Empfindung bec blauen Farbe von oer von ber roten Farbe verſchieden fe. Sie muß ferner. erfennen, bag dieſer Grund, weder ein bloßer ſubjektiver noch ein bloßer objektiver ſeyn koͤnne. Denn in einigen Faͤllen bin ich mir bewußt, daß die ſubjektiven Gruͤnde dieſelben geblieben ſind, und daß die Empfindung doch veraͤndert iſt, ich ſtehe an meinem vorigen Platze, und an dem Orte, wo ich einen rothen Koͤrper ſah, ſehe ich jetzt einen blauen, den man an die Stelle des rothen geſetzt hat; bisweilen bin ich mir bewußt, daß die ſubjektiven Bedingungen geaͤndert ſind; ich habe in bec Nahe einen gewiſſen Thurm viereckig geſehen, id)

habe

habe míd) von demſelben entfernt, unb num (efe id) ifn tuno.

Was dieſer fubjeftioe Grund bey ben Erſcheinun⸗ gen ſey, das hat Hr. Kant, ſo viel ich weiß, nicht beſtimmt; CLeibnitz wagt cá, weiter zu geben, unb auch dieſes qu beſtimmen; es (inb, nad) feiner Sei: mung, bíe Schranken des Subjekts, welches ba6 Mannigfaltige in der Erſcheinung aufnimmt oder vorſtellt. Die Analogie koͤmmt ihm hier augenſchein⸗ lich zu Statten; denn haͤtten wir ein betraͤchtlich ſchaͤrferes Geſicht: ſo wuͤrden wir einen Thurm noch in der Entfernung viereckig ſehen, worin er uns bey den gegenwaͤrtigen Schranken unſerer Geſichtsſchaͤrfe rund erſcheint.

Bis hieher ginge alſo Hr. Kant von der Leib⸗ nit; » Wolfiſchen Philoſophie darin ab, daß dieſe basjenige, was das Subjekt, welches ben Stoff ober das Mannichfaltige aufnimmt, zu bet Erſcheinung beytraͤgt, naͤher beſſimmt es (inb feine Schran⸗ ken indeß er diſſeits dieſer Beſtimmung ſtehen bleibt. Eine Erſcheinung, ſagt Leibnitz, iſt eine Vor⸗ ſtellung ber Seele, bie theils in ihren Schranken, theils in bem Objekte, iren Grund hat; eine Ct; ſcheinung iſt eine Modifikation des Gemuͤths, ſagt Hr. Kant, die theils durch den Stoff oder das

$565 Man⸗

fr 378 n

Mannigfaltige, theils burd) hie Form abet bas fuf: nefmenbe beftimmt wird.

Syd bin nicht fidet, o5 id) dieſen Theil bec Crit. b. r. 28. redit verftanben babe; ob ba$ mart meine Schuld fe, weiß id) nit, das weiß id) wohl, bag id) feine Muͤhe geſpart babe, ihn recht zu vet; ſtehen. Um gewiß ju werden, will ich fagen, voie (d) mit bie hieher gehoͤrige Stelle bec Crit. d. r. V., bic man als klaſſiſch anfuͤhrt, erklaͤre; jede Beleh⸗ tung daruͤber, fie ſey ſanft ober rauh, ſoll mir will⸗ kommen ſeyn. Hr. Rant fagt *): „Dasje⸗ „nige, welches macht, daß das Mannigfaltige der „Erſcheinung (alſo nicht Gegenſtaͤnde) in gewiſſen „Verhaͤltniſſen geordnet werden kann, nenn ich Form „der Grfdjeinung., Das wird in ber Allgem. fitt. Seit. Str. ro. 1789. alfo commentirt: „Das „Ordnen aljo, wovon in ber Crit. b. r. 9B. bie „Rede i(t, geſchieht in und durchs Aufnehmen des „gegebenen Stoffs, (des Mannichfaltigen) der die

„Form der Anſchauung, die er doch wol nicht außer „dem Gemuͤthe bat, unb bie bod) mol eine Bedin⸗

»gung bet Anſchauung ift, im Gemuͤthe an; ,»nimmt,, Dieſen Commentar commentire íd) toieber folaenbetgeftalt? Es ift etwas im Gemuͤthe, welches die Form, die Bedingung, der ſubjektive Grund

*) Git. b. x. V. S. 34. 2. A.

379

Grund der Anſchauung des Raumes und der Zeit iſt, und das ſind ſeine Schranken, welche machen, daß das Gemuͤth das Mannichfaltige gleichzeitige nicht unterſcheidet, und alſo ſich daſſelbe unter dem Bilde des Raumes vorſtellt, ſeine Veraͤnderungen aber ſucceſſiv entwickeln mug, unb durch bie Vorſtel⸗ lung ihrer ſtaͤtigen ſucceſſiven Entwicklung das Bild der Zeit erhaͤlt.

Dieſe Form, dieſe Bedingung, dieſer innere, ſubjektive Grund der Anſchauung oder der Erſcheinung ſind die Schranken der vorſtellenden Kraft: jede Anſchauung hat alſo zweyerley Gruͤnde, ihr aͤußerer Grund iſt das Mannichfaltige, ber Stoff, die Ma—⸗ terie, die mit dem innern Grunde, mit der Form zuſammengenommen die Erſcheinung, die Empfindung ausmacht. Dieſe Erklaͤrung des Commentators ſcheint freylich mit einer andern Stelle in der Crit. der r. V. (S. 267. a. A.) nicht uͤbereinzuſtimmen; wo Hr. Kant Materie für bie Erſcheinung, bie Empfindung ſelbſt nimmt. Hier iſt alſo eine Zweydeutigkeit und keine unwichtige; vielleicht wird ſie ſich in der Folge noch heben laſſen.

Wir folgen indeß dem Commentator, und gehen noch etwas weiter. Alſo die Form, oder der innere Grund der Erſcheinungen, der Anſchauungen, der

Emp⸗

ex»f^ 380 "mà

Cmpfinbungen, ift etwas in bem Gemuͤth, ba$ ba$ Mannigfaltige auſnimmt; mad) Ceibnitz: finb baf bie Schranken be$ vorftellenben Subjekts, vermóge welcher e$ das Mannigfaltige níd)t unterſcheidet, es alſo undeutlich, verworren und ſein Aggregat nur im Ganjen mit Bewußtſeyn vorſtellt. Dieſen Theil ber Leibnitziſchen Theorie verwirft die Kritik der reinen Vernunft mit einer Art von Unwillen, von dem wir wol einſehen, daß er ſich auch leicht ihren Leſern mit⸗ theilen kann. „Leibnitz, ſagt ſie, ließ den Sinnen „nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤft, bie Vorſtel⸗ „lungen bes Verſtandes zu verwirren unb zu vetuit; „ſtalten., (Crit. ber. t. $8. S. 276. a. A.) Oe; nauer: Leibnitz behauptet, daß das Mannichfaltige in den Erſcheinungen, welches die unendliche Vorſtel⸗ lungokraft woſern es eine giebt untet: ſcheidet, von der endlichen nicht unterſchieden, d. i. verworren vorgeſtellt wird; er behauptet, daß das ſinnliche Bild mit bet vollfommen deutlichen Vorſtel⸗ lung des Mannichfaltigen, woraus es beſteht, keine bemerkbare Aehnlichkeit habe. Wenn das veraͤchtlich ſeyn ſoll: ſo iſt es wenigſtens nicht zu aͤndern. Ein⸗ ſchraͤnkung ber Saft it Ohnmacht, unb Ohnmacht iſt freylich nichts hertliches. Was ift abet. aud) bie endliche Vorſtellungekraft gegen das Ideal bet un; endlichen? Das ganze Argument ift alfo, um wenig zu ſagen, ein bloßes argumentum movens; eine

Art

CY 381 7*4»

Art von Argumenten, ie ber Philoſoph Billig ber Stebnerbüfne uͤberlaſſen follte.

Doch id) fefe, id) fd)roeife gu oft von bem Pla⸗ ne dieſer M6fanb(ung ab, bie bloß bie Leibnitziſche Storie be$ Urſprungs ber. menſchlichen Grfenntnig mit ber Santifd)en vergleid)en foflte, inbem ich bie Einwuͤrfe ber letztern gegen bie erſtere gu weit verfols 9e, unb íd) bemerfe , baf die Beleuchtung biefer Cin; wuͤrfe bequemer ín einer. ausfuͤhrlichern Unterſuchuug uͤber das, was bie Grit. ber r. V. Xeflerionsbez griffe nennt, vorgenommen erben fann, unb bafin mag fie ausgeſetzt bleiben.

Um alfo ten. Faden ber. aegentoártigen Unterſu⸗ dung ba wieder aufsunefmen, mo wir ibn Baben fallen laſſen: fo fd)eínen mír nun beibe Vernunftkritiken, bie Leibnitziſche unb Kantiſche, daruͤber ein$ zu feyn, daß bie empiriſche Erkenntniß eine Vorſtellungskraft, eine vorſtellende Subſtanz vorauszuſetzen.

Der Hauptumſtand, worin ſie in dem Begriffe von dieſer Subſtanz, und einer Subſtanz uͤberhaupt von einander abgeben, beſteht darin, daß bie Kanti⸗ ſche behauptet, unſere reine Vernunfterkenntniß von ber Subſtanz ſey x, ober wir erkennen ſchlechter⸗ dings keine Beſtimmung von derſelben durch die reine

Ver⸗

* 382. ^"

Vernunft; bie Leibnitziſche hingegen, dieſe reine 9Bet: nunfterkenntniß (ey a t x, d. i. wir. erkennen verfdjiebene allgemeine Beſtimmungen ber Subſtanz utib bie Erkenntniß ber ganzen Synbívíbualitat einer eingelnen Subſtanz fe) bem endlichen Verſtande uns móglid). Nach ber reinen. (unfinnfidjen) Categorie, fagt Hr. Kant, i(t eine. Subſtanz ein bloßes Cub: jekt in cinem categoriſchen Urtheile. Dagegen ſcheint mir fdjon folgenbed gu (treitem: durch dieſen Begriff wuͤrde bie Subſtanz in bem teinen Verſtande nid von bem Accidens unterſchieden werden; denn aud) Accidenzen koͤnnen logiſche Subjekte ſeyn, ich faun fagen: die Gerechtigkeit iſt eine Tugend, Be—⸗ truͤgen iſt Suͤnde, Gerechtigkeit und Betruͤgen ſind aber Accidenzen. Ich ſehe wol, daß dieſer Begriff von Subſtanz und Accidens eine Folge von Hr. Kants Theorie des reinen Verſtandes iſt; allein gegen dieſe Theorie laſſen ſich noch einige nicht unerhebliche Zwei⸗ fel machen, fie verdient daher nod) eine beſondere ſorgfaͤltige Unterſuchung. Vor der Hand wollen wir nur den Begriff von Subſtanz ſo weit aufs Reine zu bringen ſuchen, als es ſich wird thun laſſen, ohne dieſe Theorie des Verſtandes zu beruͤhren.

In dem Logiſchen Subſekt betrachte ich nur das Verhaͤltniß des Begriffes von tem Subjekte zu ſei⸗ nem Praͤdikate in Anſehung ihres Umfanges. Die

menſch⸗

FXAYFM 383. 5

menſchliche Seele i(t ein. Geiſt, heißt: ber Begriff von einem Geiſte iſt von weiterm Umfange als der Begriff von einer. menſchlichen Seele u. f. vv. Da ift es gleichguͤltig, ob das Subjekt eine Subſtanuz ober ein Accidens ſey. Aber nun betrachte ich die Sub— ſtanz auch als Subſtanz, und dann ſind mir ihre Beſtimmungen nicht bloß logiſche Praͤdikate; ſie ſind Wirkungen derſelben, ich betrachte ſie als eine Kraft. So denke ich mir meine Seele als eine Subſtanz, wenn ich uͤberlege, daß ſie es ſich bewußt iſt, was ich jetzt ſchreibe, daß ſie die Gedanken, die ich jetzt aufzeichne, wirkt. Eine Subſtanz kann alſo auch für ben reinen Verſtand fein bloßes Gubjeft, fie muß eine thaͤtige, wirkſame Saft femi. Dieſe Kraft ift das Beharrliche, welches Wolf zu einer Subſtanz erforderte. Hr. Kant forbert e$ aud) dazu; allein erſtlich erſordert er es nur, ſoferne fie ſinnlich vor geſtellt wird, unb folglich zweytens, ſoſern es zur Wahrnehmung der Zeit nothwendig iſt; es iſt daher drittens dieſes beharrliche, als das Subſtantiale von allen Zeitbeſtimmungen abgeſondert, als tranéfcenbens taler Gegenſtand nach ſeiner Sprache, eine vóllig leere Vorſtellung.

Wenn die Subſtanz ſinnlich vorgeſtellt, oder die Subſtanz in ber. Erſcheinung, wie e$ Hr. Kant ir⸗ gendwo (Crit. d. v, $8, QD, 525. a. A.) zu verſtehen

zu

Few 384 ^M»

ju geben ſcheint, etroad von bem vorſtellenden Cub; jekte verſchiedenes it: fo muß es ber Sórper fen; unb eine foíde docinfubftang iſt ber. Sótper aud) in bem Leibnitziſchen Syſteme. 98a$ abcr. fof[. bie wahre Subſtanz für eje ſinnliche GrfenntniB. ſeyn, ba bie Sinnen lauter Veraͤnderungen waͤhrnehmen, und die Subſtanz an ſich ſelbſt nur dem Verſtande erkennbar ſeyn kann? Es giebt alſo entweder feine wahre Subſtanzen, obet e$ giebt einen Verſtandes⸗ Begriff von benjelben, unb dieſer Verſtandesbegriff ift fein anberer, als bie Kraft, welche bie 2c cibengen roirft. Laſſen fie uns verfucben, mie wir bie: fen. Verſtandesbegriff finden koͤnnen.

„Wir haben daher, (naͤmlich weil wir die Sub⸗ ſtanz nicht empfinden) ſagt der elegante Hume *), von deſſen metaphyſiſchem Tieſſinne wir ſchon mebrere Proben geſehen haben, „keine Idee von Subſtanz, „die von einer Sammlung beſonderer Eigenſchaften „verſchieden waͤre, auch hat es keinen Sinn, wenn „wir davon ſchwatzen ober daruͤber ráfonniren. ,, Gin einzelnes Ding, das eine Subſtanz waͤre, eine wirkliche Subſtanz, waͤre alſo eine Sammlung von Veraͤnderungen. Die Seele z. B. eine Sammlung von Vorſtellungen, von denen einige mit Bewußtſeyn

be⸗ *) Treat. on hum. Nat P. L B, Jl. Sect. VI. S. 36.

F"Avf^ 385 wx»

begíeitet, unb unter biefen einige bentlid) waͤren. Dieſe Vorſtellungen müffen. was freylich X5ume auf der Oberflaͤche ſeiner Impreſſionsphiloſophie nicht finden kann dieſe Vorſtellungen muͤſſen, vermoͤge des Satzes vom zureichenden Grunde nach dem Ge⸗ ſetze ber. Stetigkeit auf einander fo(gen; das heißt: es darf keine durch einen Sprung zum Bewußtſeyn kommen, es kann keine ganz aus Nichts entſtehen, ſondern eine jebe muß feit bem Entſtehen ber Sub⸗ ſtanz als ein Differentiale bet. kuͤnftigen klaren Vorſtel⸗ (ung durch alle fließenden Grade fid) bem Bewußt⸗ ſeyn genaͤhert haben. Daß alſo dieſe Vorſtellung zum Bewußtſeyn koͤmmt, davon iſt der Grund in dem nach allen ſeinen gegenwaͤrtigen, vergangenen und kuͤnf⸗ tigen Veraͤnderungen voͤllig beſtimmten Dinge, und darum iſt dieſes Ding eine Kraft, darum iſt es eine Subſtanz.

Das ift ber unſinnliche oder reine Be— griff von einer endlichen Subſtanz, das iſt dieſe Subſtanz fuͤr den reinen Verſtand, das iſt ſie als Noumenon. Man kann nicht ſagen, daß dieſer Be⸗ griff ſchlechterdings leer ſey; denn er kann durch eine Definition deutlich gemacht werden, die Subſtanz kann vermittelſt dieſer Definition von bem Accidens unterſchieden werden; es koͤnnen alle Praͤdikate, die ihr als Subſtanz, bie ifr als einer endlichen Sub⸗

Philoſ. Mag. 4. St. €tc ſtanz,

"Mv 386 «v2

ftany, einer Sraft unb einer endlichen Svaft, einem Dinge uͤberhaupt unb einem endlichen Dinge, zukom⸗ men, von ihr gedacht werden; die Endlichkeit der Kraft iſt der Grund, warum ihre Vorſtellungen des Einzelnen Erſcheinungen ſind. Wie kann man ſagen, daß man von dem nichts denkt, was man als den Grund von Etwas denkt, und was man durch eine Definition unterſcheiden kann?

Leibnitz fat alſo ben. innern Grund ber empi⸗ riſchen Erkenntniß angegeben, er iſt in der Kraft der denkenden Subſtanz. Dieſe iſt ſelbſt keine Erſcheinung, ſie iſt ein Noumenon. Nach dem kritiſchen Idealis⸗ mus iſt nichts ohne Anſchauung erkennbar; er kann alſo keinen innern Grund der empiriſchen Erkenntniß angeben; er muß ſagen, dieſe Vorſtellungen ſind da, weil ſie da ſind, und ſind ſo, weil ſie ſo ſind; ob er gleich geſteht, daß die Erſcheinungen anders ſeyn koͤnn⸗ ten. Eben ſo wenig kann der kritiſche Idealismus einen aͤußern Grund von der Wirklichkeit der ganzen Folge der Vorſtellungen angeben; denn dieſer muͤßte zuletzt in der nothwendigen Subſtanz ſeyn, bie glei— chergeſtalt ein Ding an ſich, und alſo nicht erkennbar iſt. Die Leibnitziſche Philoſophie findet ben letzten aͤußern Grund der Wirklichkeit der endlichen Kraͤfte in der unendlichen Subſtanz, und die Zwiſchengruͤnde von tec Beſchaffenheit unb ber Intenſitaͤt ihrer Vorſtel⸗

(nien

f^^ 387. "mà

lungen ín ben. von ber. Seele verſchiedenen Weltſub⸗ ſtanzen, deren Wirkungen fie. fid) mit ben Modifi—⸗ kationen durch ihre eigene Einſchraͤnkung, unb nad) den Geſetzen der Perſpektive vorſtellt.

2. Was iſt ber Grund ber Wirklichkeit ur ſerer Vernunfterkenntniß, oder unſerer Er⸗ kenntniß a priori?

Kann uns der kritiſche Idealismus dieſe Frage beantworten? Wir muͤſſen es verſuchen. Wenn bie Erkenntniß a priori nicht (eer ſeyn foll, ſagt ber kritiſche Idealismus, fo mu fie

r. teíne Anſchauungen enthalten, ole

2. Mitd) bie Categoriem ober bie reinen Ber: (tanbesbegriffe Einheit des Bewußtſeyns erhalten.

Die reinen Anſchauungen ſind Raum und Zeit; wie kommen dieſe Anſchauungen in die Seele? Das iſt eine Frage, die man unmoͤglich vorbeygehen kann. Durch die Sinne nicht; denn ſie ſollen allen Empfin⸗ dungen vorgehen, fie ſollen alfo in ber Seele geweſen ſeyn, ehe die Seele Empfindungen gehabt hat. Wer da ſagte, ſie ſind der Seele anerſchaffen, angebohren, der wuͤrde wenigſtens eine Antwort geben; allein auch

€ca biefe

Fr 388 ^

biefe Antwort, fo bürftia (ie it, fann bie Philoſophie be$ kritiſchen Idealismus nidjt entfalten, denn (ie fennt fein Weſen, das erſchaffen fann, bie Vorſtel⸗ (ung des unendlichen Weſens iſt fuͤr fic (eer.

Einer von H. Santé Epitomatoren *) ſagt zwar: „der Kantiſchen Theorie von Erkenntniſſen „a priori liege Leibnitzens Lehre von angebohrnen „Begriffen offenbar zum Grunde, obgleich ſie Hr. „Kant nirgends angebohren nennt, vermuthlich um „nicht zu der Vorſtellungsart Anlaß zu geben, die „Locke (o (djón woiberlegt fat.,, Eine beſondere Se: likateſſe! £-eibnit; hat (id) bod) nicht abhalten (affen, biejen Ausdruck beyzubehalten, nadjbem er ihm einen wahren Sinn untergelegt fatte, gerade fo, wie ber große Keppler von (id) fel6(t fagt, baf et es fogat mít bet Terminologie bet Aſtrologie gemacht fabe.

Indeß wenn man ben kritiſchen Idealismus auch dieſe Antwort wollte geben laſſen, ſo iſt ſie doch immer unzureichend. Wenn wir das zu beweiſen im Stande ſind: ſo wird es ſich zeigen, daß der kritiſche Idealismus die Leibnitziſche Theorie von den ange⸗ bohrnen Begriffen mißverſtanden oder verdorben habe, und daß die Entdeckung der einen Hauptquelle unſerer

i

*) $. 9. Schmid ín ſ. Woͤrterbuche, Art. 21 priori,

f^ 389 vm

Erkenntniß, námlid) ber reinen Sinnlichkeit, bie ber eben anaefüfrte Schriftſteller dem H. Sant recht ausdruͤcklich zueignet, nichts weniger als eine wahre Bereicherung der Philoſophie ſey.

Das, was bet kritiſche Idealismus reine An⸗ ſchauungen nennt, iſt der menſchlichen Seele nur in ihren Gruͤnden angebohren. Eine Anſchauung, die ihr auf eine andere Art angebohren waͤre, wuͤrde ge; rade eine ſolche qualitas occulta ſeyn, als urſpruͤng⸗ liche vegetative Kraft, Sympathie und Antipathie gewiſſer Koͤrper, und dergl. Und fo konnte fid) Leib⸗ nitz unmoͤglich es denken, wenn er von einem zuſam⸗ mengeſetzten Begriffe, und von den ſinnlichen Bildern ſagte, daß ſie uns angebohren ſeyn.

Raum unb Seit (inb ſinnliche Bilder; wenn bie uns alſo angebohren ſeyn ſollen, ſo kann man das nicht anders verſtehen, als, wir haben ihre Gruͤnde, b. i. die Beſtimmungen, welche ihte Merkmale au$; machen, von bem erſten Augenblicke unſerer Wirklich⸗ keit in uns. Wir haben bereits an einem andern Orte (Phil. Mag. St. 2. S. 169. u. ff.) die Be⸗ griffe von Raum und Zeit in ihre erſten Elemente aufzuloͤſen verſucht, wir koͤnnen alſo uͤber dieſen Punkt hier ganz kurz ſeyn.

€c3 Cine

Fur 490 ux»

Cine wirkliche Seele (ángt an wirklich gu ſeyn, inbem fie wirkliche Vorſtellungen fat; denn blofie Vermoͤgen (inb nichts Wirkliches. Sie fat alío 330r: ſtellungen, unb zunaͤchſt 3Bor(teffungen vou fid ſelbſt; biefe folgen auf einanber, fie fat alfo Vorſtellungen von Seit; fie fat SGorftellungen von Dingen, bie bebarren utib veránoert werben, von Verſchieden⸗ beit, von Einem, von Vielen; alle dieſes zuſam⸗ mengenommen macht, finnlid) vorgeftelít, ba$ Bild vom Raume.

Alſo fat bie Seele, fdjon efe fie Empfindungen mit Bewußtſeyn fat, bie bunf(en Grünbe ju bem Bilde des Raumes unb ber Seit im Allgemeinen in ſich; und dieſe ſind ihr dann anerſchaffen,

I. ſofern ifr bie Gruͤnde deſſelben in ihren eige⸗ nen Beſtimmungen anerſchaffen ſind,

2. ſofern ihre Vorſtellungekraft bie. Schranken

hat, die einer menſchlichen Seele weſentlich ſind.

Das alſo, zuſammengenommen, ſind die Gruͤnde der allgemeinen noch unbeſtimmten Bilder von Raum und Zeit, mit dieſen iſt die Seele erſchaffen. Wenn bie Seele bie Sinnenwelt mit Apperception zu emu pfinden anfaͤngt: ſo bekoͤmmt ſie Vorſtellungen mit

Be⸗

FeAvf^ 391

Bewußtſeyn, von Giegenftanben, in meldjen ſie biefe f'ifber unter unenblid) mannigfaltigen SXobififatio: nen wahrniumt. H. Sant mag num untet Worm ber Anſchauung bie Schranken der Erkenntnißkraft verſtehen, wodurch das Mannigfaltige zu dem Bilde der Zeit und des Raumes wird, oder dieſe Bilder im

Ugemeinen ſelbſt bann id) bin zweifelhaft (f. S. 378.) fo ſieht man nun, in welchem Sinne bei de koͤnnen angebohren genannt werden. Wer ſie ſich ſelbſt urſpruͤnglich, nicht in ihren Gruͤnden, anerſchaffen dentt, der denkt ſich eine qualitatem occultam. Stünmt er aber eine ver ben beiden obigen Erklaͤrungen an: fo ift feine Theorie entiveber ganz ober gum Theil in ber Leibnitziſchen Theorie entfalten; unb man fiet bier micberum, daß wir afeid) 2Infangs (Phil. Mag. €t. 1. S. 26.) Grunb atten ju Befaupten : ba alleg, was bie Kantiſche Vernunftkritik gruͤndliches enthaͤlt, ſchon in der Leibnitziſchen entfalten ſey.

Die Leibnitziſche Theorie belehrt uns alſo uͤber den Urſprung der Formen der Anſchauung, der reinen Anſchauungen a. priori; ob es der kritiſche Idealis⸗ mus thue, wird man aus den obigen Unterſuchun⸗

gen beurtheilen. 3. Urſprung der Categorien.

Nach bem kritiſchen Idealismus muß bie Er— tenntnig a priori auch unſinnliche Begriffe enthalten, Cc 4 um

392 ^"

um bie 2fnfdjauungen in. Cinfeit be$ Bewußtſeyns zu bringen. Darauf füfrt et das Geſchaͤfft biefer Be⸗ griffe zuruͤck. Wir wollen jetzt annehmen, daß ihre ganze Anwendbarkeit in dieſe Graͤnzen eingeſchraͤnkt ſey, um die Frage zu ſimplificiren: wie kommen aber dieſe Begriffe in bie Seele? Hr. Kant nennt ſeine Categorien Funktionen des Verſtandes. Was ſind Funktionen oder Verrichtungen eines Erkenntnißver⸗ moͤgens, wenn es nicht die Vorſtellungen ſind, die es wirkt? Funktionen des Verſtandes (inb alſo allgemeís ne Vorſtellungen. Hat alſo bie menſchliche Seele Verſtand: (o wirkt fie allgemeine Vorſtellungen, in bem fie fid) das Allgemeine ifret eigenen Veraͤnderun⸗ $en unb Beſtimmungen vor(tellt; ffe wirkt alſo bie Vorſtellungen von Grund, 3ufammenfang, Noth⸗ wendig, Zufaͤllig, Veraͤnderlich, Unveraͤnderlich, Urſach, u. ſ. w. indem ihre Veraͤnderungen gegruͤndet, verknuͤpft, zufaͤllig, nothwendig ſind, von andern verurſacht werden, andere verurſachen, u. ſ. w.

Hier giebt uns die Leibnitziſche Theorie wieder den Grund der Wirklichkeit auch unſerer allgemeinen Begriffe an, der ſich aber nicht angeben laͤßt, wenn man nicht eine denkende Kraft annimmt, die von dem Anfange ihres Daſeyns Vorſtellungen wirkt, und eine unendliche Subſtanz, bie dieſe denkende Kraft hervor⸗ btingt.

Laſſen

Far 393 "ace

Laſſen Cie uns wieberum, um Gruͤnde unb Ge: gengruͤnde leichter uͤberſehen au Eónnen, bie Reſultate beider Vernunftkritiken uͤber den Urſprung ber menſch— lichen Erkenntniß neben einander ſtellen.

Rantiſche Krit. der reinen. Leibnitziſche "rit. bet cei:

Vernunft.

nen Vernunft *).

I. Sinnliche Anſchauun- r. Die Vorſtellungen des

gen ſind einzelne Vor⸗ ſtellungen, welche von der Einrichtung des vor⸗ ſtellenden Subjekts ab⸗ hangen.

2. Sie gehen daher nicht auf Dinge an fib, fon: bern. auf Erſcheinun—⸗ gen.

Einzelnen baben fo: wohl ihren Grund in bem Objefte, als in bem vor(telfenben Sub⸗ jekte.

Sie ſind Erſcheinun⸗

aen (Phil. Mag. €t. 3. S. 299. u. jf.) unb fa; ben, als ſolche, mit bem Qeaenítanbe keine be; merkbare Aehnlichkeit; weil ſie die einzelnen Re⸗ alitaͤten deſſelben nicht unterſcheiden. Die all⸗

Cc 5 ge⸗

Wenn mir uns bier, gegen unſere Gewohnheit, qu entſcheidend ſollten auszudrucken ſcheinen: ſo wird ſich der billige Leſer erinnern, daß wir nicht in un⸗ ſerm eigenen, ſondern in Namen des Leibnitziſchen

Syſtems reden.

FMRvTM 394 T4

Kantiſche Rrit. ecr reinen £eibnitsi(dbe rit. bet veis Vernunft. nen Vernunft.

gemeinen Beſtimmun⸗ gen in bem Mannig—⸗ faltigen bed Gegenſtan⸗ des werden durch den Verſtand unterſchieden; bic zu ihrer Individua⸗ litaͤt gehoͤrigen Beſtim⸗ mungen ſind der endli⸗ chen Vorſtellungskraft nicht erkennbar. Was heißt aber, auf Erſchei⸗ nungen gehen? Heißt es, ſie ſind Erſcheinun⸗ gen? Das haben wir hier vorausgeſetzt. Oder heißt es: ihre Gegenſtaͤnde (inb (tr fdeinungen? Das hieße bann: bie Gegen: ftánbe von Erſcheinun⸗ gen ſind Erſcheinungen, welches ungereimt iſt.

3. Dasjenige, welches 3. Die Schranken des

macht, daß das Man-⸗ vorſtellenden Subjekts ſind

FT

Zantiſche Brit, ber reinen. Leibnitziſche Rrit. bet rei⸗

Vernunft,

nigfaítige der Erſchei⸗ nung angeſchauet wird, ift bie Form bet. Gv: ſcheinung. (Grit. b. r. $8. €. 20. a. 2f.)

4. Die reinen Sormen der Anſchauung finb Raum und Zeit.

nen Vernunft.

ſind der ſubjektive Grund oder die Form der Erſcheinung.

4. Raum und Zeit ſind

Erſcheinungen; denn ſie haben ſubiektive Gruͤn⸗ de in der endlichen Vorſtellungskraft. Die Schranken dieſer endli⸗ chen Vorſtellungskraft ſind alſo 1) die Formen der Erſcheinungen von Raum und Zeit. 2) Nun koͤnnen aber der Raum und die Zeit ohne bie Modifikationen unb Unterſchiede ber Dinge, bie ihre letzten objekti⸗ ven Gruͤnde ſind, ge⸗ dacht werden. Sie koͤnnen auch ohne eine beſtimmte Groͤße, ohne

be⸗

396 wa»

Rantiſche rit. ber reinen Leibnitziſche Brit. bet rei⸗

Vernunft.

nen Vernunft.

beſtimmte Schranken und Grade gedacht wer⸗ ben, mie bie Bewe— qung ofne einen e: ftimmten Grab bet Ge ſchwindigkeit. Dann ſind fie abſtrakte, allge; tneine Seit umb Stau, b. i. ſowol in Anſehung ihrer innern Beſtim—⸗ mungen, als ín (n; ſehung ihrer aͤußern Schranken unbeſtimm⸗ ter Raum, unbeſtimm⸗ te Zeit. Es iſt mir nicht voͤllig gewiß, in welchem Sinne der kri⸗ tiſche Idealismus den Ausdruck, reine Sorm ber Anſchauung, ge: braucht, ob in bem Sinne rx. obet 2.

(f. €. 378.)

Kantiſche Brit. ber reinen Leibnitziſche Rrit, ber reie

Vernunft.

nen Dernunft,

5. SDiefe Sormen bet ſinn⸗ 5. Wenn untet. bet orm

lichen Anſchauung (inb a priori im Gemuͤthe; denn 1) (inb fie bie Xez ceptivitàt oes Sub⸗ jets, von ben. Gegen: ftánben afficirt zu wer⸗ ben, unb biefe muf notfroenbíg vor allen Anſchauungen biefet Objekte vorhergehen.

6. Allein 2) muͤſſen ſie auch als Formen aller Erſcheinungen vor allen wirklichen Wahrneh⸗ mungen gegeben ſeyn.

der ſinnlichen Anſchau⸗ ung die Receptivitaͤt oes Subjekts verſtan⸗ den wird: ſo iſt ſie der ſubjektive Grund der Erſcheinungen, unb die⸗ ſer muß in der verſtaͤnd⸗ lichen Erklaͤrung der Er⸗ ſcheinung, zwar nicht mit Prioritaͤt der Zeit, aber allerdings mit Pri⸗ oritaͤt des Grundes, vor der Erſcheinung ſelbſt gedacht werden. (f. Phil. Sag. €t. 2. €. 124. u. ff.)

.Wenn Wahrnehmun⸗

gen Empfindungen mit Bewußtſeyn ſind: ſo ſind ſie Vorſtellungen von wirklichen und mit⸗ hin von einzelnen voͤl⸗ lig beſtimmten Dingen.

Dieſe

*8A398 «won

Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche Ait. bet vei»

Vernunfſt.

nen Vernunſt.

Dieſe niedrigern Dinge koͤnnen nicht ohne die Beſtimmungen der hoͤ⸗ hern ſeyn, zu denen ſie gehoͤren; in der Subor⸗ dination der Dinge ge⸗ hen daher die hoͤhern den niedrigern vot. Hingegen koͤnnen die niedrigern ohne die Be⸗ ſtimmungen der hoͤhern nicht gedacht werden: ſie gehen ihnen alſo in der Subordination der Dinge nach. Aber dar⸗ aus folgt nicht, daß die erſtern den letztern auch der Zeit nach vorgehen muͤſſen; denn bey der Entwickelung der Be⸗ griffe zur Klarheit iſt bie Ordnung umge⸗ kehrt. Wenn man alſo unter der reinen Form der Anſchauung die all⸗

ge⸗

F^" 399 wa

Kantiſche Arit. ber reinen Leibnitziſche "Brit, ber rei: Vernunſt. nen Vernunft.

gemeine Zeit und den allgemeinen Raum ver⸗ ſteht, ſo gehen in dieſer Entwicklung der Be⸗ griffe die Wahrnehmun⸗ gen der Form vor.

7. Nichts was im Rau⸗ 7. Das kann 1) heißen: me angeſchauet wird, kein ausgedehntes oder iſt ein Ding an ſich. raͤumliches wirkliches

Ding iſt ein Ding an ſich; bas ift al: lerbing8 wahr, unb von Leibnitz zuerſt ge» fert morben. 2) Das ausgedehnte ober raͤum⸗ liche wirkliche Ding hat keine objektiven Gruͤn⸗ de, die Dinge an ſich ſind: und das iſt falſch; denn das ausgedehnte Ding iſt, wie jebe Cre ſcheinung, ein Phae- nomenon bene fun- datum, d. i. e$ fat

ſub⸗

Pvt 400 ane Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche Reit. ber cei» Dernun(t,

empiriſcher Begriff, ber von aͤußern Erfahrun⸗ gen abgezogen waͤre. Denn damit gewiſſe Empfindungen auf et: was außer mit bezo⸗ aen werden, (b. i. auf etwas ín einem. anberm Orte des Raums, al$ darin id) mich befinde); imgleichen damit ich ſie als außer einander, mit⸗ fin nicht bloß als vet: ſchieden, ſondern als in verſchiedenen Orten vor⸗ ſtellen koͤnne, dazu muß die Vorſtellung

nen Vernunft.

ſubjektive und objek⸗ tive Gruͤnde. Was mir von dieſen Grün: ben durch ben Verſtand erfennen, ift bereits S. 284. angezeigt worden.

8$. Der Raum iſt kein 8. Die Apperception, oder

der klare Begriff des Raums iſt allerdings ein empiriſcher Begriff, oder ein ſolcher, der von den aͤußern Erfah⸗ rungen abgezogen iſt. Denn alle unſere ſinn⸗ liche Begriffe werden durch bie Cmpfinbune gen klar. Conft müfte unà bet Flare. Begriff davon anerſchaffen feyn, welches niemand be⸗ haupten wird. ( Die Widerlegung der Gruͤn⸗ de gegen den empiri⸗ ſchen Urſprung des

klaren

Fu 4o0p wu

Rantiſche Reit. ber reinen Leibnitziſche rit. ber vei» Dernun(t. nen Dernunft,

des Raumes fdon klaren Begriffs vom jum Grunde lie: Staume f. in bid. gen. phil. Mag. €t. 2. e. 123. u.(f.) Das, was un$ anerſchaffen iſt, ſind die Gruͤnde unſeres Begriffs vom Raume, der vor aller Empfin⸗ bnng durch die aͤußern Sinne dunkel iſt, wie in der gegenwaͤrtigen Abhandlung Nr. a. ift bewieſen worden; und daher erſt durch Empfin⸗ dung und Abſtraktion muß klar werden. Es iſt alſo kein Widerſpruch zwiſchen den Saͤtzen: 1) die reinen Anſchau⸗ ungen, oder einfachſten Merkmale der Erkennt⸗ niß durch die Sinnen gehen vor allen Wahr⸗ nehmungen oder Em, pfindungen vorher, und ſie ſind davon abſtrahirt. philoſ. Mag. 4. €t. "Db Denn

FMMÉM 402. ^ev

Kantiſche "Brit. ber reinen Leibnitziſche Reit, ber tei»

Detnunft,

nem Dernunft. Denn al$ ounPele Be⸗ griffe gehen fie vorber, aí$ Flare finb fie von ihnen abſtrahirt.

9. Der Raum iſt fuͤr en 9. Das Nebeneinander⸗

aͤußern Sinn die ein: zige Anſchauung a pri- ori ; denn niemand kann a priori eine Vorſtel⸗ lung einer Farbe noch irgend eines Geſchmacks haben.

ſeyn der einfachen Oub⸗ ſtanzen nach dem Geſe⸗ tze der Staͤtigkeit kann ohne ihre Modifikatio⸗ nen und Wirkſamkeiten gedacht werden, ( Nr. 4.) und daher hat die Seele die Gruͤnde des Raumes in ſich, und kann einen dunkeln all⸗ gemeinen Begriff vom Raume ohne Farbe und Undurchdringlichkeit ha⸗ ben; ja, wenn das wirkliche ausgedehnte Ding kein ſichtbares und fuͤhlbares iſt, wie mehrentheils die Luft: ſo erkennt ſie den Raum durch ſeine ſichtbaren und fuͤhlbaren Graͤnzen.

So

FA^ 403 ^49 Rantiſche Reit. ber reinen Ceibuipifcbe Krit. der veis

Dernunft.

nen Dernunft.

So baíb ber wirkliche Raum ſichtbar ift: fann fie ihn nidjt ofne Far⸗ ben empfinben, Da bíe Farben burd) bíe Gin: wirkungen auf das Ge⸗ ſicht empfunden wer⸗ den: ſo koͤnnen ſie auch nicht ohne ein ausge: dehntes Ding empfun⸗ den werden; denn Thaͤ⸗ tigkeiten muͤſſen ín Subſtanzen und Kraͤf⸗ ten ſeyn, und deren ſtaͤ⸗ tiges Nebeneinander⸗ ſeyn, wenn es empfun⸗ den wird, iſt der objek⸗ tive Grund der Erſchei⸗ nung der Ausdehnung. Das iſt der Grund, war⸗ um zwar Ausdehnung ohne Farbe aber nicht Farbe ohne Ausdehnung kann vorgeſtellt werden.

ro. Der Raum unb bie xo. Die Bilder von

Seit ift eine Oíníóau; Raum unb Zeit finb Dd 2

in

404 «wu

Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche it. ber veis

Vernunft.

nen Vernunft.

ung, bie urſpruͤnglich in ihren Gruͤnden

in der Seele.

von ihrem Urſprung an in der Seele. Da ſie abet Erſcheinungen (inb, fo ſind fie nidt ín dem Verſtande urſpruͤnglich in derſelben, daß ſie nicht aus etwas, das nicht Raum und Zeit iſt, erklaͤrbar waͤren; ſenſt waͤren fie qualita- tes occultae. Sie (inb Phaenomena bene fundata, námlid ge: grünbet (n bem Einfa⸗ djen, womit bie Seele erſchaffen it, unb das fie in fif fefb(t am; ffaut; aus biefen ein; faden Gruͤnden ſind dann die Bilder des Raums unb bet Zeit erklaͤrbar, und daher koͤnnen ihre allgemeinen Begriffe nidt$ ut: ſpruͤngliches fen.

Die

f^AvY^ ^ 405 às»

Die biéferige Gegeneinanber(tellung ber Leib⸗ ni&ifden unb Santifdyen Kritik bet. reinen Vernunft, ift beſtimmt, bem Leſer bie Entſcheidung zu erleichtern, welche Theorie, bie Leibnitziſche ober ber kritiſche Ide⸗ alismus, uns am befriedigendſten uͤber ben Urſprung uuſerer Erkenntniß belehre.

Ich bemerke zu mehrerer Erlaͤuterung nur noch folgendes: Die Kantiſche Vern. Krit. ſagt oben S. 394. 395. 9t 3. „dasjenige, welches macht, bap ba$ „Mannichfaltige ber Grfd)einung angeſchauet wird;, vollſtaͤndig heißt es in der angezogenen Stelle der Kri⸗ tik: „in gewiſſen Verhaͤltnißen geordnet angeſchauet „wird. S. 398. N. 6. bet Leibnitziſchen Vernunft⸗ krit. heißt e$ durch einen Druckfehler: Dieſe niedri⸗ gern. Dinge koͤnnen :c. das muß fo geleſen werden; Die hoͤhern Dinge koͤnnen ohne die Beſtimmung der niedrigern gedacht werden, die unter ihnen enthalten ſind; in der Subordination der Dinge ge⸗ hen daher die hoͤhern den niedrigern vor. Damit ſcheint H. Kant Krit. b. v. V. 4te Antinomie ín ber Anmerk. uͤbereinzuſtimmen. Die Leibnitziſche Theorie ſetzt e$ deutlicher auseinander unb giebt ben. Grund davon an.

Db3 II.

II. Berichtigung eines Urtheils in ber allgem. gitt, Zeitung.

e. bet alígem. Litt. Seitung (Stt. 3. 1789.) fiv bet fid) eine Stecenfion ber Sragmentarifd)en Beytraͤge zur SDeftimmung unb Deduction be$ Begriffs unb Grundſatzes ber Caufalitát von Hrn. Flatt. Nicht leicht werden die Luͤcken, die dieſe Beurtheilung ent⸗ haͤlt, dem Auge eines aufmerkſamen Beobachters verborgen bleiben. Schon dem allgemeinen uͤber die Flattiſche Grit gefaͤllten Urtheil fehlt nicht menig an der gehoͤrigen Buͤndigkeit. Sie ſoll dem ungemei⸗ nen Tiefſinne ihres Verfaſſers Ehre machen (S. 18.) und doch ſoll dieſer Hrn. Kant durchaus nicht verſtan⸗ den haben, ſondern bloß widerlegen, was Kant nicht behauptet (S. x9.) unb endlich ſollen alle feine An⸗ griffe auf das Kantiſche Syſtem auf eigentlichen Wort⸗ ſtreit hinauslaufen (S. 21.). Dieſer tiefſinnige Mann ſoll alſo nicht zwey Worte geſagt haben, die eine Be⸗ herzigung verdienten!

Auf

fef 407 ^44

Auf bie Pruͤfung ber vom Hrn. Flatt gefüfrtem Beweiſe laͤßt fid) ber Jor, Recenſent nicht ein, ſondern glaubt dieſelben dadurch abfertigen zu koͤnnen, daß et Hren. Flatt eines doppelten Mißverſtaͤndniſſes bes ſchuldigt.

1) Einmal ſoll Hr. Flatt den Kantiſchen Aus⸗ druck Categorie der Urſache nicht verſtanden haben, unb vorzuͤglich deswegen (S. 19.), weil er Hrn. Kant beſchuldige: er habe den reinen Verſtandesbe⸗ griff der Cauſalitaͤt ſo unbeſtimt gelaſſen, daß nach ſeiner Entwickelung kein Unterſchied zwiſchen Urſache und Wirkung uͤbrig bliebe. Dieſe Beſchuldigung, meint ber Hr. Recenſent, habe Hr. Flatt durch ſol⸗ gende Stelle beweiſen wollen (Grit. b. r. V. n. X. €. 301.): „Vom Vegriffe ber Urſachen würbe id, wenn id) bie eit wegließe, in bet etas auf etwas ane ders folgt, àj ber reinen Kategorie nichts weiter finbert, als bag er etmaé fep, roorau$ fid) auf ba$ Daſeyn eines andern ſchließen laͤßt, unb e$ wuͤrde baburd) Urſach unb Wirkung gat nicht von einanber untet; fdjieben werden fónnen, ,, Allein (fagt ber Hr. Rec. €. 20.), $ant befauptet keinesweges, baf ber Un⸗ terſchied zwiſchen den Begriffen von Urſache unb Wirkung von der Zeitbedingung abhange, ſondern er zeigt nur, daß ohne bie Zeitbedingung (ohne Succeſ⸗ ſion) die Anwendbarkeit der von einander verſchiede⸗

Dd 4 nen

Kuh 408 ac

pen. Begriffe von Urſache unb Wirkung auf einen gez gebenen Stoff unbeftimmt bleiben müfte, inbem man, menn nicht ba$ eine be gegebenen vorherginge unb ba$ anbre folgte, nicht unterjd)eiben koͤnnte, wel⸗ d$ bet Grund unb welches bie Solge waͤre. Allein

8) fat bet Hr. Recenſent ben ganzen Gedanken nicht in. ſeinem Zuſammenhange dacrgeſtellt, unb widerlegt, was sr. Slatt nicht bes bauptet bat, Es i(t rn. Flatts Abſicht nidt, bie Unbeſtimtheit des reinen Verſtan⸗ desbegriffs ber Caufatitát nad) Santé Syſteme burd) bie angefüfrte €telle aus ber Grit. b. t. 98. zu beweiſen, fonbetn er fübrt biefe Stelle bloß an aí$ einen Ginmurf gegen bie Beſtimmtheit oes Leibnitziſchen Des griffs bet Urſache; wie er (C. 8.) au$; druͤcklich fagt.

b) Es folgt aud) au$ ben Kantiſchen Behauptun⸗ gen allerdings, bag ber Unterſchied zwiſchen ben Begriffen von Urſache unb Wirkung von bet Seitbebingung abfange. Denn font wuͤr⸗ be ber Begriff von Urſache, mie nad) bem Leibnitziſchen Syſteme, obne bie Qeitbebin: gung, hinreichend feyn, ba$ barunter zu fub:

fumi

K"vf^ 409

ſumirende vor bem zu unterſcheiden, was ur ter ben Begriff der Wirkung ſubſumirt wer⸗ den muß; es wuͤrde alſo die Anwendbarkeit ber Begriffe von Urſach unb Wirkung auf ci nen gegebenen Stoff beftimmt feyn, inbem man, ofne baf das eine des Gegebenen vor; Derginge unb das anbre nachfolgte, unter; ſcheiden fónnte, welches der Grund unb. vel: ches die Folge waͤre; wie es in dem unendli⸗ chen Verſtande verſchieden ſeyn muß. Wenn in dem einen Begriffe der Urſache weiter nichts iſt, als daß er etwas ſey, woraus ſich auf das Daſeyn eines andern ſchließen laͤßt (Gr. b. v. V. a. a. O.); fo enthaͤlt ec nidjté weiter, als was in bem reinen Begriffe bet Wirkung auch iſt, und unterſcheidet ſich von biefen nicht.

€) Der Hr. Rec. fat demnach durch dieſen Com mentar uͤber den angefuͤhrten Kantiſchen Satz keinesweges widerlegt, was Hr. Flatt uͤber die Begriffe von Urſache und Wirkung (S. 7. xc.) uͤberhaupt unb aud) gegen orn. Kant geſagt hat.

2. Das zweyte Hrn. Flatt aufgebuͤrdete Miß— verſtaͤndniß foll bem Ausdruck Ding an Dd 5 ſich

fr^ 410 4-245

(db betreffen. Hr. Flatt behauptet, unb unterſtuͤtzt dieſe Behauptung mit ſcharfſinnigen Gruͤnden: daß der Satz des zureichenden Grundes, der Begriff von Veraͤnderung u. ſ. w. auch auf Dinge an ſich (außer dem Gemuͤth exiſtirende Gegenſtaͤnde) angewandt wer⸗ den koͤnnen. Um das Kantiſche Syſtem zu verthei⸗ digen, leugnet der Rec. dies alles, weil, nach ſeiner Meinung, jede Vorſtellung eines Dinges an ſich ein Unding iſt (S. 22.). Dies glaubt er ſo beweiſen zu koͤnnen (€. 21 22.): Soll der außer bem Gemuͤ⸗ the vorhandne Gegenſtand, eine Vorſtellung in dem⸗ ſelben werden, ſo muß er die Form der Vorſtellung annehmen, bie bem vorſtellenden Subjekte durch das Vorſtellungevermoͤgen angehoͤrt; denn dadurch kann er nur zur Vorſtellung werden. Dieſe Form aber kann er außer dem Gemuͤthe nicht haben; denn ſonſt ware er eine Vorſtellung getefen, ef et etwas vorſtellte. off mun alfo das Ding an fido felbft, ín wiefern ed aufer bem Gemuͤthe vorhanden ift, feine bloße Vorſtellung feyn, fol ber ifm in bet Vorſtel⸗ (ung entfpredjenbe Stoff nicht eine. Vorſtellung ohne die Form einer Vorſtellung ſeyn, ſo muß alle Vor⸗ ſtellung des Dinges an ſich ſchlechterdings unmoͤg⸗ lich ſeyn.

Ein Gegenſtand, ſofern er außer dem Gemuͤthe vorhanden iſt, kann freylich nicht die Form einer Vor⸗ ſtel⸗

FER AY 6

ſtellung haben, infofetn fic Form einer Vorſtellung ift; aber wenn daraus folgen ſoll, daß jede Vorſtel⸗ lung deſſelben unmoͤglich ſey, ſo wird dabey voraus⸗ geſetzt: daß keine Beſtimmung deſſelben mit irgend einem Praͤdikate uͤbereinkommen koͤnne, die ihm im Ge⸗ muͤthe unter der Form der Vorſtellung beygelegt wird.

Dieſer ohne Beweis angenommene Satz ift deſto unzulaͤſſiger, da Hr. Flatt gerade das Gegentheil: daß die nothwendigen Denkgeſetze mit den Geſetzen der Dinge außer der Vorſtellung uͤbereinſtimmen, aus Gruͤnden behauptet.

Jedes endliche Vorſtellungsvermoͤgen hat Schranken Ceine Form), unb kann fid) daher bie Dinge nicht im hoͤchſten Grade deutlich vorſtellen, nicht vollſtaͤndig fo, role fie an ſich, außer bem Ge: muͤthe, unb ín bem unenbliden Verſtande finb, (nid)t anber$ a( unter. ber. ihm angehoͤrigen Form). Einige *Drábifate, bie baffelbe ben Dingen zuſchreibt, finb ín feinen Schranken gegtünbet, unb fommen daher nidjt mit ben. Beſtimmungen ber Dinge, wie fie an fid) finb, voͤllig überein. Da aber nicht alle fDrábifate, bie ba8 endliche Vorſtellungsvermoͤgen ben] Dingen beylegt, nothwendig in ben Schranken deſſelben ihren Grund haben, ſo koͤnnen auch einige unter ihnen ſeyn, die mit den Beſtimmungen der

Dinge,

FXMT^ 412. "A

Dinge, wie fie an fid) unb in bem unendlichen Ser; ftanbe (inb, vàllig ü6ereinftimmen. Su. bjefen fani aud) das Praͤdikat des zureichenden Grundes 1t. ge⸗ hoͤren. Folglich wenn wir uns von den Dingen an fid) vorſtellen, daß fie einen. zureichenden Grund far ben :c.; fo ift dieſe Vorſtellung nicht nothwendig ein Unding. Man vergleiche hiemit, was in dieſem phil. Mag. St. 2. S. 154. 165. 166. und St. 3.

Q. 304. 305. vorkommt. m.

|

III.

FMAVER A18 uc 9099729729779 7-979 7297.9 29729779 III.

Cinige merkwuͤrdige Aufklaͤrungen fiber bie Unruhen ber Proteſtanten in ben Sevenni⸗ ſchen Gebürgen.

Aus ten Eclairciffemens hiftoriques für les caufes de la révocation de l'Edit de Nantes, et fur l'état des Proteftans en France de- puis le commencement du regne de Louis XIV.jusqu à nos jours. 1788. Seconde partie, Chap. V. p. 277.

$5. ſchrecklichen Scenen der Cevennifden Unru⸗ hen ſind in den Annalen der Intoleranz ſo beruͤhmt und durch ſo viele beredte Federn geſchildert worden, daß ſich daruͤber wenig oder nichts neues mehr ſagen laͤßt. Wenn man auch nur dasjenige geleſen hat, was Vol⸗ taire bavon ín bem Siécle de Louis XIV, Tome 21. C. 338. u. ff. Gotf. Ausg. erzaͤhlt, fo fann man fid) fdjon von ben Greueln, welche auf einer Seite ber Blutdurſt des Verfolgungsgeiſtes, unb auf der andern die Wuth der verzweifelnden Unter⸗

druͤck⸗

—44 5S

bruͤckten verurſacht Bat, einigermaafen. eine Vorſtel⸗ lung madjen. ín deſto groͤßeres Geheimniß Bat Bins gegen bisher bie gebeimen Triebſedern bebedft, mel; che an bem Hofe Ludwigs be$. XIVten biefem bluti⸗ gen Schauſpiel berr erſten Anſtoß gegeben. unb c6 fo [ange in Bewegung erfaíten haben. Der. unpartepis ſche unb wohl unterrichtete Verfaſſer ber Eclairciffe- mens hat, wie uͤber den ganzen Gang der Religions⸗ verfolgungen unter Ludwig bem XlIVten, fo audj uͤher biefen Theil berfelben ein großes Licht verbceitet. Wir glauben daher nichts uͤberfluͤſſiges zu tfun, menn wir die Entdeckungen, die er uͤber die Maaßregeln des Hoſes gut Unterdruͤckung ber Sevenniſchen Unru⸗ hen im Jahr 1703, gemacht hat, unſern Leſern mit⸗ theilen. Es wird daraus erhellen, wie große Uebel die Giferfud)t der Miniſter, bie Cabalen ber. Guͤnſt⸗ linge und der Verfolgungsgeiſt der Geiſtlichen unter einem ſchwachen, verbleudeten unb, andaͤchtelnden Koͤnige anrichten koͤnnen.

* * *

Was iſt alío ber wahre Urſprung dieſer Unruhen geweſen? Es war zuerſt bie Abweſenheit bet Seel⸗ ſorger, unb bann das Unzuſammenhaͤngende bet bei⸗ ben Syſteme ). Die Seelſorger, butd) harte Edikte

und

*) Naͤmlich ber Gelindigkeit unb bet Haͤrte in ber Be⸗ —— der Proteſtanten, mit denen der Hof mehrmals wechſelte.

KMOT^ 415 wide

nnb ſchreckliche Todesſtrafen zur Flucht gezwungen, hatten zu ihrer Gemeinde geſagt: „Der Geiſt des „Herrn wird bey Euch ſeyn; er wird eher durch den „Mund ber Kinder unb der Weiber reden, als daß „er Euch verlaſſen ſollte., Dieſe Ungluͤcklichen hiel⸗ ten alle Regungen ihrer Wuth gegen die katholiſchen Prieſter fuͤr Eingebungen des heiligen Geiſtes. Aber, wenn wir dieſen wilden Bergbewohnern vorwerfen, daß ſie ſich einer ſolchen wahnſinnigen Wuth uͤberlaſſen haben, duͤrfen wir aud) dabey vergeſſen, daß man ihre Kirchen niedergeriſſen, ihr Land der Frechheit der Soldaten uͤberlaſſen, ihnen ihre Kinder genommen, die Haͤuſer derer, welche man die Widerſpenſtigen nannte, geſchleifet, und die Eifrigſten unter ihren Seelſorgern geraͤdert hatte? Man war dabey nachlaͤſ⸗ ſig geweſen, ſie in unſerer Religion zu unterrichten, und in der ihrigen hatten ſie nur unſinnige Propheten zu Leitern. ey der erſten Nachricht dieſes Auf⸗ ruhrs warf ſich eine jede den beiden Parteyen, die den Hof theilten, der andern vor, die Urſach davon geweſen zu ſeyn. Wenn die Gewaltthaͤtigkeiten waͤ⸗ ten fortgeſetzt worden, ſagte bie eine, ſo haͤtte es keinen Aufſtand gegeben; wenn die Gewaltthaͤtigkeiten gar nicht waͤren gebraucht worden, ſagte bíe anbere, wenn man allezeit bey bem Syſtem ber Bekehrungen den Unterricht und die Gelindigkeit gebraucht haͤtte, ſo waͤren keine Unzufriedene geweſen.

Seit

(avr 416. Rñ⸗

Seit bem. Jahre 1686 fatte bet. Herzog von Noailles bie Nothwendigkeit eingefefen, einen Theil von biefen 9Bálfern aus ihrem Vaterlande gu vertreis ben; et fatte ben Vorſchlag getan, ,,baf man biet: » jeniaen Bergbewohner aufgreifen ſollte, bie, voie ec »fagte, feinen Handel trieben, unb benen die Rauh⸗ » eit ber Himmelsgegend, unb bie Beſchaffenheit » bet Luft einen milben Geift einflóéten.,, Bavilles Briefe beroeifen, baB, ſeit der Widerrufung des Cbifté von Nantes, eine Art von kleinen Kriegen beſtaͤndig in den Sevenniſchen Gebirgen geweſen ſey, wovon man nie geſprochen fatte, unb wovon man nirgends als in ſeinen Briefen eine Spur findet. In einem von den⸗ ſelben, bet vom 29ften October 1703 datirt iſt, ſagt er: „Wir hatten in dem letzten Kriege nur acht „ſchlecht eingerichtete Bataillonen, und feiner von ben „Anfuͤhrern durfte ohne Auftrag etwas vornehmen. Der Hof wurde bep dieſer ſcheinbaren Ruhe betro⸗ gen, unb als das Syſtem ber Regietung veraͤndert wurde, die Truppen ſich zuruͤckgezogen hatten, der Intendant ſeine Macht verlohr, fuhr einer von den Vorſtehern der Miſſionen fort, dieſen Bergbewoh⸗ nern ihre Kinder wegnehmen zu laſſen, unb behielt fie in ſeiner Wohnung, bis daß (ie in Nonnenkloͤſter aes bracht wurden. Wir haben, ſelbſt zu unſern Zeiten, das ruhige Volk in Paris, bey dem bloßen Geruͤcht

eines gegebnen Befehls zur Aufſhebung unvorſichtiger und

417 4A

unb gefaͤhrlicher von einigen Knaben auf ben Gaſſen getriebener Spiele, unb bloß auf bie geáuficrte Angſt einiger Muͤtter in bem. letzten Auflauf, ín Hitze ger rathen, einen von benen, bíe biefen Befehl vollyoaen, umbringen, unb ín bem Andgfall eíner. aufrüfrifdoen Wuth bie Hauptſtadt unb ben Hof ín Schrecken ſetzen geſehen. Die Bergbewohner drangen in das Haus ihres Verfolgers, riſſen einige von ihren Kindern aus ſeinen Haͤnden und brachten ihn ums Leben. Als fie wegen dieſes Verbrechens verfolgt wurden, verthei⸗ digten fle fi. Die Mordthaten und Brandſtiftun⸗ gen verſetzten alle die Laͤnder, die dieſes Gebirge um; geben, in eine ſehr große Furcht. Die Truppen, bie fid) zuruͤckgezogen hatten, famen in. ſechs Mona—⸗ ten nicht wieder; und indem das Uebel von Tage zu Sage ſtaͤrker wurde, wollten die beiden Parteyen, die ben Hof theilten, auf gleiche Weiſe dieſes Unaluͤck dem Koͤnige verbergen. Dieſenigen, die ihn uͤberre⸗ bet hatten, daß eine allgemeine Bekehrung geſchehen unb es feinen einzigen Blutstropfen koſten wuͤrde, rans ben fid) auf eine ſchreckliche Art betrogen. Diejeni⸗ gen, die der Meynung geweſen waren, daß man von der Strenge nachlaſſen und die Truppen zuruͤckberu— fen ſollte, mußten ſelber einſehen, daß ſie in mehr als einem Stuͤck gefehlt hatten, weil ſie auf der einen Seite, indem ſie aus ihrer Nachſicht ein Geheimniß machten, die Leute nicht beruhiget hatten, vielmehe

philoſ. mag. 4. St. Ee ben

FXAMEM Arg ^w

ben Cifet bet. Verfolger zu beſtaͤrken geſchienen, unb weil auf ber andern Seite bie vorherigen Grauſam⸗ keiten den Koͤnig in die betruͤbte Nothwendigkeit ver⸗ ſetzt hatten, gegen ſeine Unterthanen ſtets die Waffen zu gebrauchen. Was war in dieſer Verlegenheit zu thun? Man mußte bem Koͤnige bie Groͤße unb Staͤr⸗ ke des Uebels zu verbergen ſuchen; und die Frau von Maintenon, welche den beiden entgegengeſetzten Meynungen wechſelsweiſe beygeſtimmt hatte, war für dieſen letzten Entſchluß.

„ESs iſt nicht noͤthig (ſagte fic), bag ſich bet „Koͤnig mit ben Uniſtaͤnden dieſes Krieges beſchaͤfftige; „das wuͤrde bas Uebel nicht heilen, unb wuͤrde im » feft fdjaben. ,,

Als man ben. Marſchal von Montrevel abſchi⸗ cken wollte, um ben Krieg in dieſem Gebirge zu fuͤh— ren, fo ſuchte man Vorwaͤnde, bie ben Koͤnig qu bie: fer Crnennung bewogen, ofne baf er bie mabre Ur⸗ faf bavon mutfmafen konnte. Der Herzog ou Maine ließ fid) au dieſer ift aebraudjen, unb ver⸗ lanate als eine Cbrenbegeugung einen Marſchal von Frankreich, um in der Provinz zu kommandiren, wovon er Gouverneur war. In der Rathsverſamm⸗ lung, zu der Montrevel gelaſſen ward, wurde von einigen Unruhen geſprochen; man ſagte aber, es waͤre

ein

Fo»Y^ 419 On»

ein blofes Strohfeuer. Der Kriegsminiſter ſchrieb an den Intendanten der Provinz: „Nehmen „Sie ſich in Acht, daß Sie nicht dieſer Sache den „Schein cines. ern(t(id)en Srieged geben.,, Und wird man nicht burd) bie Vergleichung dieſer vet: ſchiedenen Befehle, beren einige nod) nidt óffentfid) bekannt finb, das fonft unauflósbare Raͤthſel von ber langen Unthaͤtigkeit des Marſchal von Montrevel erklaͤren koͤnnen?

Er gab den unter ſeinen Befehlen ſtehenden Officieren nicht die geringſte Gewalt. Er hielt, die etwas unternehmen wollten, zuruͤck. Gr ſagte, daß „die Refſormirten unſichtbare Geiſter waͤren, daß e$ „vergeblich ſey, ſie aufzuſuchen, und daß dieſer Krieg „mit Klugheit und nicht mit dem Degen gefuͤhrt wer⸗ „den muͤßte. »

Sf8enn ein. Officiet, von ben Widerſpenſtigen anr gefallen, einen Sieg über. fie etfielt; fo ſchrieb ihm bec Marſchal, gut Antwort auf feine Nachricht, einen Brief voller $Sormürfe, unb mar nur batauf bebadjt, ihm Stillſchweigen zu gebieten.

Die proteſtantiſchen Schriftſteller konnten dieſe lange Unthaͤtigkeit nicht begreifen; es war fuͤr ſie eine Begebenheit, worin etwas wunderbares lag. Die

Ee 2 Berg⸗

(FH UC 420 ^ac

Bergbewohner fafen Diet offenbar ben Schutz, momit ber Himmel über ire Waffen radjte, unb alle Weiſ— ſagungen ihrer Propheten erfüllt. 26er fobalb man au Verſailles aufaefórt fatte bie Wahrheit gu verheh⸗ len, erhielt Montrevel einen. beynah entfdyeibenben Sieg.

Endlich wurde der Marſchal von Villars nach dieſer Provinz geſchickt, und in den Nachrichten dieſes großen Mamnnes, die oͤffentlich bekannt ſind, wollen wir nur dieſe zwey Dinge bemerken; das eine iſt dies Geſtaͤndniß: „Was die Neubekehrten anbetrifft, ſo „habe ich von vernuͤnftigen Leuten, von Geiſtlichen, „Großvikarien u. b. m. erfahren, bag unter zehntau⸗ „ſenden vielleicht nicht zwey geweſen ſind, bie wirk⸗ „liche Bekehrte raren;,, bas andre, baf er die Ru—⸗ he in dieſer Provinz wieder einfuͤhrte, indem er die ſtrengen Marterſtrafen aufhob, fein Verſprechen un: verbruͤchlich hielt, mit den Widerſpenſtigen ſich dahin verglich, daß ſie in die Koͤniglichen Armeen uͤbergehen und dabey ihre Gewiſſensfreyheit genießen ſollten. Das, was Ludwig der XIVte ſeit der Widerrufung des Edikts von Nantes, einigen wahnſinnigen Bauern bewilligte, welche die Waffen gegen ihn fuͤhrten, konn⸗ te dies wol zwey Millionen getreuer Unterthanen vet; ſagt werden, die in vielen ſchwierigen Lagen, worin ber Staat fid) befunden, allezeit ihre Liebe für! ben Koͤnig und das Vaterland bewieſen haben?

Da

FM 42r "us

Da biefet Vergleich nicht zu €tanbe gekommen war, wegen ſolcher Umſtaͤnde, bie nicht von bem Wil⸗ len Ludwig des XIVten abhingen, fo oͤffnete Villars denjenigen Bergbewohnern, die ihr Vaterland ver⸗ laſſen wollten, die Grenzen des Koͤnigreichs. Die Auswanderung war wenig zahlreich, ſo wahrſchein⸗ lich iſt es, daß, wenn man zur Zeit der Widerrufung nicht mit eben ſo vieler Unvorſichtigkeit als Ungerech⸗ tigkeit das Edikt gegen die Auswanderungen erneuert haͤtte, das vorher in einem ganz verſchiedenen Falle war gegeben worden; wenn man nicht die Proteſtan⸗ ten im Koͤnigreich einzuſchließen geſucht haͤtte; wenn man ihnen das Recht ihren Glauben und ihr Vater⸗ land zu waͤhlen gelaſſen haͤtte; fo waͤren bie Aus—⸗ wanderungen weniger betraͤchtlich geweſen. Wir wol⸗ len noch ein paar Worte hinzuſetzen. Ich will nicht verhehlen, daß ſie unſere Kirchen entheiligten, um die Zerſtoͤhrung ihrer Gotteshaͤuſer ju raͤchen, daß fie un: ſere Prieſter die ſchrecklichſten Quaalen ausſtehen ließen, um ben elenden Tod ihrer Seelſorger gu. và: chen, daß ſie einige hundert katholiſche Kinder ums Leben brachten, um den Raub ihrer eigenen Kinder zu raͤchen. Dieſe Wiedervergeltungen erwecken Schau⸗ der, was aber dieſen Abſchen verdoppelt, iſt, daß man fid) von beiden Seiten auf gleiche Art der nt: heiliqung, bet Gottloſigkeit, der Wuth unb ber ófr...t lichen Raͤuberey beſchuldigte. Iſt es nicht ſeibſt ein

€e3 wenig

FAM 422. ^v

wenig ungerecht, fid) nue ihrer Wildheit zu erinnern? Und, um dieſe traurige Betrachtungen mit einer angenehmern Bemerkung zu beſchließen, will ich eine Stelle aus einer Schrift des Herrn von Malesher⸗ bes anfuͤhren, welche er noch nicht herausgegeben bat. „Ich geſtehe,„ (fagt er, indem et von if; rem Oinfüürer tebet,) „daß dieſer Held, ohne je » -Dienfte getban zu baben, ein großer Feldherr ward, » lof. durch feine natuͤrlichen Anlagen, daß dieſer Cas „miſard, ber einſt e$ wagte, (n Gegenwart eines. wil: » ben Haufens, ein Verbrechen zu beſtrafen, welches Tur durch aͤhnliche Verbrechen beſtand; daß dieſer » ungebilbete Bauer, ber. ín feinem zwanzigſten Jahre »ín eine Geſellſchaft gut gebifbeter Perſonen aufge: »nommen, ihre €itten annafm, unb ifre Liebe unb „Achtung fid) erwarb, daß dieſer Mann, ber eine uns » ruhigen Lebens gewohnt war, unb ber mit Recht auf » ſein Gluͤck ſtolz ſeyn fonnte, bod) genugſame natuͤr⸗ „liche Philoſophie hatte, um fünf unb dreyßig Jahre „hindurch eines ruhigen unb. einſamen Lebens zu gt; „nießen, mir einer von ben ſeltenſten Charakteren »fdeinet, ben je uns bie Geſchichte geſchildert fat.

WAVE 423. ^wacy CNIPSIPSIPSI PPSIPSQPSDQUSUASU PX PÉXPSJISKJPIPSPS JÁS IP JS JP) IV. S etubíg unu g. (n Theophron.

GC. bann endlich, endlich ausaefampfet, Stiefenfampf bet. 3meifelnben 9Bernunft !

unb ihr Ceelen(türme ſeyd gebámpfet,,

vor ber Ruhe fanften SBieberfunft.

Schon ju lang' entfloh fie biefem Herzen,

das ſo zaͤrtlich die Natur erſchuf,

unb vergebens horcht' id) unter Schmerzen banger Sehnſucht ihrem ſanften Ruf.

Wie ein Kind, das ſich im Wald verlieret,

wenn ein finſtrer Abendſturm ergrimmt,

und es jedes Rauſchen irre fuͤhret,

nicht ber Mutter leiſen Laut vernimmt ;

alſo ſchwaͤrmt' ich traurig und alleine

leitungslos, und ohne eigne Kraft,

lang' in falſcher Weisheit dunklem Haine

unter Stuͤrmen raſcher Leidenſchaft.

Ee 4 Ach!

feu»f^ 424. "AY

Ach! weraebens rief au& beſſern Seiten

mir bíe Dolbe muͤtterliche Ruh Ruͤckerinnrung (rüber. Seligkeiten aus der Kindheit Roſenlauben au. Denn bie Warnung ihres ſuͤßen Mundes floh vor jedem Hauch des Zweifels ſchon, und das Laſter kraͤnkte oft mein wundes Jugendherz durch Spott und Hohn.

Suͤße Ruͤckerinnrung jener Zeiten, da der Kindheit ſchoͤnes Blumenkleid ſelbſt ben fruͤh sum Summer eingeweihten Geiſt des Denkers taͤuſchend noch erfreut; da der Gluͤckliche noch nicht empfindet, daß ein Licht, womit er froͤhlich ſpielt, einſt in ſeiner Bruſt die Glut entzuͤndet, die des Herzens Ruh durchwuͤhlt.

Suͤße Ruͤckerinnrung jener Tage, die der Unſchuld Blumenfruͤhling kroͤnt, ba ber. Seelenleier feine Klage fehlgeſchlagner Hoffnung nod) enttónt ; ba, geſtimmt zu Lieb' unb. Mitgefuͤhlen, jede Saite noch von ſelber ſchallt, wenn ber Freude Zephyrn fie umſpielen, die von allen Huͤgeln wiederhallt.

Ach!

KMAMFA 425 "uc

Ach! ba Freude mod) ble ecften cime freyen Denkens aud. ber. Seecle (oct, beren (eid)ter Saft erft in ber Baͤume ſpaͤtem Stamm durch Zweifelkaͤlte ſtockt, wenn die Luͤftchen, bie beym Morgenlichte noch den Sproͤßling ſchmeichleriſch umwehn, Stuͤrme werden, die des Wipfels Fruͤchte, nur vergebens oft, um Schonung flehn.

Holde Ruͤckerinnrung! deiner Freuden ungetreue ſuͤße Schmeicheley wuͤnſchte seem getaͤuſcht, bep ſpaͤtern Leiden, oft zum Troſt mein Buſen ſich herbey; wie ſich gern das Auge wieder ſchließet, wenn es ploͤtzlich einem Traum entwacht, ber des Lebens Wermuth uns verſuͤßet unb uns froher als bie Wahtheit macht.

Doch umſonſt! die Taͤuſchung kehrt nicht wieder, die dem Geiſt Genuß und Hoffnung gab, und es ſinkt auf unſre Augenlieder oft ſtatt deß ein finſtrer Traum herab, lange kaͤmpfen wir dann mit den Schrecken einer eingebildeten Gefahr, wachen weinend auf, und ſpaͤt entdecken wir, daß Taͤuſchung nur die Angſt gebahr.

€t5 eo

F^ 426. ^um

So entſchleicht, Theophron! aud) ter Knabe oft der Flur, die ihn als Kind empfing, wo er lang', geſtuͤtzt vorn Liljenſtabe ſuͤßer Schwaͤrmerey, fo gluͤcklich ging; ſtuͤrzt fid) bann, nod) fern von ber geraden Bahn ter Wahrheit, vor Begierde blind, ohne Ariadnens Zauberfaden, in des Forſchens Labyrinth.

O bet Zeiten, ber id) ohn' Erſchuͤttern meines Innern nie gedenken kann, da auch ich, nicht ohne Furcht und Zittern, dieſen bangen Seelenkampf begann; ach! als Dunkel meinen Pfad umhuͤllte, der ſich durch des Zweifels Dornen wand, und kein Troſt den Durſt nach Wahrheit ſtillte, ben mein ſchmachtend Herz empfand.

Hingewelkt ſchon waren alle Bluͤthen meiner fruͤhern Kraͤnze, lange Zeit ſtand ent6iattert von des Nordes Wuͤthen jede Laub' ertráumter. Sicherheit. Aengſtlich traut' ich nicht den falſchen Wegen unbeſorgter Jugendfroͤhlichkeit, wo zu ſpaͤt, vom ſchnellen Sturm betrogen, einſt der Segler ſeinen Wahn bereut.

Sorg⸗

F^w*f^ 427 way

Sorgſam fpáft id) brum nach ſichrer Wahrheit im umnebelten Ideenland, aber mich betrog durch Afterklarheit manches Licht, das fruͤh im Sumpf verſchwand; Traurig ſah' ich jede Stuͤtze wanken, die mir einſt der Hoffnung Rechte lieh, und der Pfeil der forſchenden Gedanken traf das Ziel der Wahrheit nie.

Ernſt und furchtbar, wie Gewittergrauen, waͤhnt' ich lang" ber Gottheit Heiligthum, kniete knechtiſch, ohne Herzvertrauen, nur vor ſeiner Allmacht Schreckensruhm, opferte mit Seuſzern alle Freuden meiner Jugend dem Allguͤtigen, ach! und waͤhnte mich durch Buß und Leiden ſeinem Dienſt zu heiligen.

Bittre Taͤuſchung! o wie durft ich waͤhnen, daß des Herzens Quaal den Gott gewinnt, deſſen liebſte Opfer nur die ſchoͤnen Freudenhymnen der Geſchoͤpfe ſind?

O wie durft ich durch erpreßte Zaͤhren duldender, verlaßner Zaͤrtlichkeit einen vaͤterlichen Schoͤpfer ehren, bet durch Güte jeden Wurm erfreut?

Zwar

fuut 428. ^nm

Zwar ein Gott, vor bem bie Crbe bebte, war ber Donnerer auf. Sinai, und der Liebe ſanfter Hauch umſchwebte Aarons ſtrenge Suͤhnungsopfer nie; Unerbittlich ließ, nach Prieſterwahne, ſelbſt der Dulder auf Morias Hoͤh'n *), gegen Freunde bec 33ernunft die Fahne wuͤthender Verfolgung wehn.

Doch der Gott, den die Natur verkuͤndigt,

liebt als Vater ſein verlaßnes Kind,

wenn es auch kein Opferblut entſuͤndigt,

unb ihm keine Marterthtraͤn' entrinnt,

aber dieſen Gott der Liebe birget

der bethoͤrten Seele Menſchenwahn,

und des Aberglaubens Schrecken wuͤrget

Lieb' und Hoffnung, die ihm kindlich nahn. Truͤb' und traurig, wie umwoͤlkte Naͤchte,

ſcheint die Weicheit, wenn uns troſtentbloͤßt

einſt des Aberglaubens Rieſenrechte

iu den Abgrund der Verzweiflung ſtoͤßt.

Selbſt die Tugend winket dann vergebent

in der Freude roſigem Gewand;

und die reinſten Blumen unſres Lebens

morden wir mit eigner Hand. Weh

*) Der Huͤgel, worauf bee. Temel ſiand, vorzugsweiſe überbaugt ſtatt Judada's Hoͤhen geſetzt.

—429 ^X

Weh bem femen! ber mít heißer eefe fruͤh im Sampf nad) Wahrheit unterliegt , für ibn roitb bie SfBelt jut. Syammerbófte , unb jum Fluch bie Weisheit, Ne ibn trüat. Selbſt ben Dolch in eignes Blut gu tauchen, ruft ifm oft bie falſche Hoffnung gu, benn ben Gei(t in Martern auszuhauchen ſcheint im leichter Sauf ber Seelenruh.

Langſam ſchlich auch meines Denkens Sorgen truͤb umhuͤllt unb blumenlos vorbey; dennoch waͤhlt' ich gern der Tugend Sorgen vor der Wolluſt ſuͤßer Schmeicheley; Muthig wollt ich nur den Kranz erſiegen, der aus traͤgem Schlaf den Forſcher weckt, oder muͤßt' ich kaͤmpfend unterliegen, doch von keiner ſchnoͤden Furcht befleckt.

Zwar der Spoͤtter rief: „was iſt die Tugend? ein Phantom, das Menſchentrug erfand, eine Goͤtzin leichtgeruͤhrter Jugend, eine Puppe in des Kluͤgern Hand, eine Buhlerin, bie alle Freuden dieſes Lebens dem Betrognen raubt, deſſen Haupt ſie fuͤr gewiſſe Leiden mit ber Zukunſt Taͤuſchungskranz umfaubt, ,,

» Waͤhnſt

Fur 430 4wà4*»

„Waͤhnſt bu, baf ber Nerven Florgewebe deiner Seele Wirkung nidt befd)rántt ? unb baf bier erfparter Caft ber Rebe bid) im Paradieſe wieder traͤnkt? Hoffſt du, daß der Liebe Schaͤferſtunden, die der Wirklichkeit Genuß umſchlingt, hier aus Thorheit unbenutzt verſchwunden, eine friſche Jugend mieberbríngt. ,;

» taf. ben frommen Wahn bethoͤrten Schwachen, baf Genuß burd) Pflicht umgraͤnzet fep ; auf ber 9Bollu(t leichtgebautem Nachen ſegle kuͤhn, von Vorurtheilen frey ; benn ba$ Alter naft, bie Sráft" erinatten, in. ber Adern Bach gerinnt bas 95(ut, unb verficgen wird bey Abendſchatten bald auf ewig deine €ebenóflut).,,

Doch der Reue troͤſtungsloſes Stoͤhnen aus ſo manches Frevlers Felſenbruſt, und der hingewuͤrgten Unſchuld Thraͤnen, nach verrauſchter kurzen Sinnenluſt; ach! der Freude fruͤh verwelkte Bluͤthen, wenn des Laſters wilder Sturm ſie trifft, und des Spoͤtters innre Furcht verriethen bald mir dieſer Lehre ſchnoͤdes Gift.

Spaͤt,

Weavf^ 431 ^"uc»

Cát, nad) mandem Irrgang, kehrt ich wieder

auf der Einfalt bluͤthumſtreute Spur,

und vergnuͤgter toͤnen meine Lieder

jetzt im Mutterſchooße der Natur;

Sie, die alle Weſen eng verbindet

und durch jedes Veilchens Lieblichkeit

Gott als milden Schoͤpfer mir verkuͤndet,

ſchenkt von neuem mir Zufriedenheit.

Ja der Gott, dem uͤberall die reine Herzens andacht ihren Weihrauch ſtreut, die zu Tempeln alle Fruͤhlingshaine, alle Huͤgel zu Altaͤren weiht, dieſer Gott, der die erhabne Seele eines Klopſtock Engeljubel lehrt, aber auf ſein und der Philomele Lied mit gleicher Vaterguͤte hoͤrt;

Deſſen Huldigung in enge Schranken duͤſtrer Hallen Menſchenwahn verſchließt, da er doch in keimenden Gedanken ſchon die Hymnen ſeiner Kinder lieſt: dieſer Gott, den alle Weſen meinen, wenn ſie froͤhlich Blumenopfer weihn, oder iflavifd) (tomm vor Bildern meinen, dieſer Gott nur fol ber. meine feyn,

Nicht

FA^ 432. ^w

Nicht vergebens ei ich au& ber Ferne der Verirrung Seinem Tempel zu, denn hier winket mir vom hoͤchſten Sterne bis zum Veilchen alles Troſt und Ruh; jeder Saft der hingewelkten Bluͤthe traͤnkt' unendlich friſches Gras und Laub, und mein Geiſt, der Aushauch Seiner Guͤte, ſtuͤrb auf ewig mit bem Staub?

Nein! in dieſem Thale nur begonnen, waͤhrt mein Leben bis zur Ewigkeit, wo zur Frucht des Gluͤcks, durch Edens Sonnen, jeder Erdentugend Keim gedeiht; wo zur Perle jede bange Zaͤhre wird, die hier vom Aug' des Dulders rinnt, jeder Dorn zum Palmenkranz der Ehre, den der Tugend Held am Ziel gewinnt.

Wie, ofn" ihre Ordnung zu verletzen, Welten fid) um ferne Welten drehn, werden auch nach ewigen Geſetzen,

Gluͤck und Tugend in Verbindung ſtehn; nuc damit die Hoffnung jenes Lebens unenthehrlich werde, winkt der Lohn fruͤher Edelthaten, nicht vergebens!

ſpaͤt erſt an der fernen Gottheit Thron.

Die⸗

CMT 493 wo

Dieſer Gíaube (ert uns edel handeln unb ber Sugenb unfer Herz zu weihn, nidt um hier auf Blumen fdon gu wanbetn, ſondern nut des Giles werth zu feyn; dieſer Glaub' erleichtert ſanften Seelen, wo Entſcheidung gilt, durch Einen Blick in bie beßre Zukunſt, oft das Waͤhlen zwiſchen Seelenruh und Außengluͤck.

Seelenruh! des Himmels ſchoͤnſte Gabe] Zwillingsſchweſter der Zufriedenheit! (eit aud) mich an deinem Liljenſtabe ungeſtoͤrt nun durch die Lebenszeit; laß mich keinen Sterblichen beneiden, dem Gott Hoheit, Gold und Witz verliehn doch vielleicht nicht jene ſtille Freuden, melde mir in beinem Schatten bluͤhn.

Zwar den Kummer andrer zu verſuͤßen, flog fuͤr mich des Reichthums Fuͤlle nicht, doch mir ward ein Herz, das jeden Biſſen eignes Brod den Armen froͤhlich bricht.

Zwar nur wenig laute Freudenſcenen

ruͤhren meine ſanftgeſtimmte Bruſt,

bod) ber Lieb' unb Freundſchaft ſuͤße Thraͤnen lohnen vielfach dieſen Scheinverluſt.

Philoſ. Mag. 4. Gt. Ff

Alſo

FMFRM 434. ncm

Alſo waͤgt ſchon unſerm Erdenleben Gott nach Weisheit alle Guͤter zu, und des Forſchers redliches Beſtreben nad) Gewißheit kroͤnt ble Seelenruh; heiter leb' auch ich durch ſie die Stunden, die ich ſonſt bey bangem Gram verlohr, denn ſeit dieſe Daͤmmrung hingeſchwunden, bricht die Hoffnung lieblicher hervor.

Otufjig leb' id) nun, bis einſt ein Engel

meines Lebens Fackel untertaudjt,

ſinke ſanft bann, wie ein Blumenſtengel, den ein Abendzephyr niederhaucht:

jedem Edlen, der in Zweifelnaͤchten

meiner Seele frommer Fuͤhrer war,

will ich bann nod) Dankeskraͤnze flechten, und den ſchoͤnſten um Theophrons Haar.

fef 435 «ic» t4 4946040 4409049469444?

V. Grundſaͤtze ber. reinen. Mechanik.

X.

En Koͤrper im Allgemeinen iſt ein ausgedehntes wirklich vorhandenes Ding.

In der Geometrie iſt ein Koͤrper bloß der Be⸗ griff des Ausgedehnten, ohne Daſeyn, alſo nur ein innerer Gegenſtand unſerer Vorſtellungekraft. In der allgemeinen Naturwiſſenſchaft und insbeſondere in der Lehre von der Bewegung kommt zu dem Begriffe ber Ausdehnung nod) ber Begriff des Daſeyns, voor durch der Koͤrper ein aͤußerer Gegenſtand unſerer Vor⸗ ſtellung wird. Die Wirklichkeit der Koͤrper nehmen wir an, ohne uns um einen Beweis fuͤr dieſelbe zu bekuͤmmern. Wer ſie auch leugnen wollte, muͤßte doch den Schein zugeben, und es koͤmmt alsdann nur darauf an, bie Geſetze des Scheins richtig zu entr wickeln. Es kann ſehr wohl ſeyn, daß die Ausdeh⸗ nung nichts Selbſtſtaͤndiges, ſondern nur ein nach gewiſſen Geſetzen beſtimmter, ín nicht ausgedehn⸗ ten. Dingen gegruͤndeter Schein (Phaenomenon bene fundatum) iſt; allein dem ohngeachtet ſehen

552 voir

Fav 436 dm

toit ét der Naturwiſſenſchaft die Ausdehnung als eine Grundeigenſchaft (qualitas primaria) der aͤußern Dinge an, welche wir durch die Sinne wahrnehmen koͤnnen. Ausdehnung ift nun einmal bie Form, ur; ter welcher wir alles, was wir unmittelbar wahrneh⸗ men, uns darſtellen. (fe übrigen ſinnlichen Wahr⸗ nehmungen verknuͤpfen mit mit bem Ausgedehnten, als demjenigen, worin ſie gegruͤndet ſind, oder woran ſie ſich zeigen. Der Begriff der Ausdehnung iſt ein reiner Verſtandesbegriff, der ſich nicht durch die Er⸗ fahrung, ſondern mit der Erfahrung entwickelt. Er iſt ein weſentliches, ſehr wichtiges Stuͤck der Aus⸗ ſteuer, welche unſer Geiſt von der Natur erhalten hat. Weil der Begriff der Ausdehnung ganz rein und frey von allen innern und aͤußern Beſchaffenhei⸗ ten ber wirklichen koͤrperlichen Dinge ín ber. Geome⸗ trie gedacht wird, ſo iſt dieſe dadurch von der Erfah⸗ rung ganz unabhaͤngig. Sie betrachtet bloß die For⸗ men der Groͤßen und ihrer Zuſammenſetzung aus gleich⸗ artigen Theilen, welches alles Producte und Opera⸗ tionen des Verſtandes ganz allein (inb, Nun ſetze tan zu bem Begriffe ber Ausdehnung nod) ben Be⸗ griff des Daſeyns, fo wird un$ biefed ein. neues $elb von Unterſuchungen eroͤffnen, bie gleichfalls von bet Crfabrung unabhaͤngig ſeyn müffen, voenn wir nuc vermógen aud bem allgemeinen Begriffe von Da⸗ ſeyn richtige Folgerungen ju ziehen, unb biefe mit

ben

FAY 437 ^"

ben Lehren der Geometrie unb Analyſis zu vetr fnüpfen. 2. Daſeyn (wotfanben ſeyn) ift fortbauern, umb Wirkſamkeit, bie Diet zugleich mit Leidensfaͤhigkeit verfuüpft it, beſitzen.

Den Begriff von Sertbauer. erfjalten mir burd) innere Erfahrung, ba wir uné unſerer verſchiedenen Suftánbe bewußt (inb, unb bíefelben al$ gufammen: Dángenb in einem Subjecte befinblid) erkennen. Die: fen Begriff tragen wir auf aͤußere Gegenftánbe. bet, unb faffen bey Sórpern die Beſtimmung des Bewußt⸗ feynà weg, fo ba Fortdauer ein Sufammenfang vott Suftánben eines Subjects ift, ofne baf eine güde pber ein Sprung zwiſchen inen gebad)t wird. Die SBerfnüpfung biefer Suftánbe ift ein Werk unfeter Vernunft; bod) mug bie Sábigfeit, aus einem Su(tanbe ín ben folgenben uͤberzugehen, in bem Koͤrper gegruͤn⸗ bet fepn. Der Segriff von Fortdauer ift von bet ſinnlichen Erfahrung gang unabfángig. Er iff ba$ abſtracte Merkmal des Daſeyns, welches unſere Vernunft den Dingen außer uns beylegt.

Der Begriff von Wirkſamkeit iſt nichts anders, als ber Begriff von Urſache, auf bie Koͤrper ange: wandt. Die 93orftellung des Verhaͤltniſſes zwiſchen Urſache unb Wirkung iſt eim reiner Verſtandesbegrifß

$í3

438 «3

zu deſſen Anwendung die Sinnlichkeit nur den Stoff

giebt. Wir muͤſſen ben Koͤrpern irgend eine Wirk⸗ ſamkeit beylegen, ſonſt waͤren es entweder bloß ſub⸗

jectiviſche Vorſtellungen, oder es muͤßte alle Veraͤnde⸗ rung des Zuſtandes durch Kraͤfte, die nicht koͤrperlich ſind, erfolgen. Dieſe waͤren entweder Vorſtellungs⸗ kraͤfte, oder von einer unbekannten Art. In dem letztern Falle muͤßten wir alle Unterſuchungen uͤber die Veraͤnderungen der Koͤrper gleich aufgeben, eben da⸗ Der, weil bie Urſachen der Bewegungen unb. Veraͤn⸗ derungen ganz unbekannt waͤren: in dem erſtern Falle aber eben fo gut, weil bie Geſetze vorſtellender Kraͤſte unb ber Sórpet gang unafeidjartig (inb, unb weil wir beide erſt ihrer innern Natur nad) kennen muͤßten, um zu beſtimmen, wie durch Vorſtellungen koͤrperliche Veraͤnderungen hervorgebracht werden. Es moͤgen Bewegungen durch Vorſtellungskraͤfte gewirkt werden

koͤnnen, aber ſolche Bewegungen ſind kein Gegenſtand der Mechanik.

Wir muͤſſen die Urſachen aller Veraͤnderungen in ber Koͤrperwelt ſelbſt ſuchen, wenn wir einen Zu⸗ ſammenhang derſelben entdecken und ihre Geſetze entwickeln wollen. Wirkt ein Koͤrper auf einen an⸗ dern, ſo iſt dieſer letztere einer Veraͤnderung faͤhig, unb daher muͤſſen wit im Allgemeinen das Vermoͤgen, Veranderungen ju leiden, mit bem Vermoͤgen, Ver⸗

aͤnde⸗

439 ^w

aãnderungen feroorgubringen , verknuͤpſen. Cin Koͤr⸗ pet, bet blog wirkte, ohne ju leiden, waͤre von einet gang anbern Art, aí8 bie leibenéfáfigen, Hier ift aber von ben. Sórpern überfaupt bie Rede.

3. Der natuͤrliche Koͤrper, im Gegenfate gegen ben geometriſchen, ſey ebenfalls ein zuſammenhaͤngendes, gleichartiges Ganzes, wie der geometriſche, ſo lange von dem Koͤrper uͤberhaupt die Rede iſt. Er koͤnnte freylich Zwiſchenraͤume haben, bie mit einem fremden Stoffe angefuͤllt waͤren, welcher Fall aber in bie be⸗ ſondere Naturlehre gehoͤrt. Es koͤnnten auch die Zwi⸗ ſchenraͤume ganz ohne etwas Wirkliches gedacht wer⸗ den, wenn die herumliegenden Theilchen ſich gegen⸗ ſeitig hinderten, in den leeren Raum einzudringen. Doch hat dieſe Vorſtellung ihre Schwierigkeiten, und

wuͤrde durch ihre Unbeſtimmtheit unbrauchbar ſeyn.

4.

Man kann alſo in einem Koͤrper, ſo wie wir

ihn hier betrachten, keinen Theil angeben, der nicht Wirkſamkeit haͤtte. Dieſes gilt von den kleinſten ſinnlichen Theilen, und auch von ſolchen, die nicht mehr empfunden, ſelbſt nicht einmal durch ein noch ſo kleines Verhaͤltniß zum Ganzen angegeben werden koͤnnen, das iſt, den Elementen des Koͤrpers. Die $f4 er(ten

FA^ 440. "va

erſten Grünbe der Wirkſamkeit eines Koͤrpers (inb freylich fein Gegenſtand ber. Erfahrung; durch feine Theilung, felbſt nicht durch eine intellectuelle, kann man auf dieſelben kommen; der Koͤrper wird nicht aus ihnen zuſammengeſetzt, ſondern entſteht aud den⸗ ſelben. Inzwiſchen muͤſſen wir dieſe erſten Gruͤnde bec Koͤrper auf irgend eine Art uns anſchaulich ma; chen. Anſtatt der Monaden, wie dieſe erſten Gruͤn⸗ de nach Leibnitz heißen, nehme man die Graͤnzen der koͤrperlichen Theile oder die Elemente des Koͤrpers. So entſteht die Wirkſamkeit des Ganzen aus ben. wirt; famen Elementen, wie ber Inhalt eines geome⸗ triſchen Koͤrpers aus den Graͤnzen ſeiner Theile ge⸗ funden wird, wenn man gleich die Groͤße dieſer Theile nicht angeben kann, ſondern nur. Verhaͤltniſſe derſel⸗ ben, ohne auf die Quantitaͤt zu ſehen, angiebt. Man bedient fid auch in ber Geometrie des Ausdrucks, Element, wenn von den letzten Verhaͤltniſſen der Un⸗ terſchiede zweyer Linien, Flaͤchen ober. Koͤrper bie Re⸗ be iſt, weil man dieſe Unterſchiede nicht als Puncte,

Linien und Flaͤchen anſehen kann, wofern die geome⸗ triſche Ausdehnung ein ſtetiges Ganzes bleiben ſoll.

5.

Man kann auch jedem Puncte der koͤrperlichen Ausdehnung eine Wirkſamkeit, freylich eine ohne alle Graͤnzen kleine, zuſchreiben. Denn, ſo wie die Wirk⸗

ſam⸗

Vu» qqjr 69

famfeit des Koͤrpers burd) feine gange Ausdehnung vetbreitet iſt, ohne bag man auf fe&te wirkſame Theile fommt, fo (inb aud) innerhalb des koͤrperlichen Raums unenbíid) viele Puncte aebenfbar, aus welchen bet 9taum afier nicht zuſammengeſetzt wird. Wir fón; nen daher die Puncte, ob fie gleich nut. abſtracte 35er griffe ſind, mit bem Begriffe von Wirkſamkeit vet: binden, und dadurch die Wirkſamkeit des Ganzen innerhalb der ganzen Ausdehnung auf eine anſchauli⸗ che Art verbreiten. Insbeſondere wird dieſe Vor— ſtellung dazu dienen, daß die Wirkſamkeit des Gan: zen als in einem gewiſſen einzigen Puncte vereinigt ſich wird anſehen laſſen, welchen man nun fuͤr den Koͤrper ſelbſt nehmen kann. Dadurch wird bie 2n: wendung der Geometrie und Analyſis auf die Lehre von ber Bewegung ſehr erleichtert. Wo dieſe Ver— tauſchung eines wirklich vorhandenen Koͤrpers mit ei⸗ nem Puncte deſſelben, welcher immer eine. BloSe Ab⸗ ſtraction iſt, zulaͤſſig ſey, muß jedesmal gehoͤrig be⸗ wieſen werden, oder die zufolge dieſer Vorausſetzung gefundenen Saͤtze leiden noch einige Einſchraͤnkung.

6.

Die Wirkſamkeit der Koͤrper iſt theils eine ge⸗ genſeitige ber Elemente derſelben, theils eine aͤußere, wodurch fie in andern Koͤrpern Veraͤnderungen Der; vorbringen. Durch die erſtern ſind die Beſtandtheile

$f5 bet

PMSTR 442. A

bet Koͤrper ju einem beſtimmten ober unbeftimmten Ganjen mit einanber verfnüpft; aber wir fónnen von dieſen Sráften, worin ber 3ujammenfang ber koͤrper⸗ lichen S eile, ihre ſpeciſiſche Beſchaffenheit, oft aud) ire Geftalt gegrünbet iQ, aus blofen Begriffen nichts erfennen, C$ fommt (ebigfid) auf Grfafrung am. Wir fónnen , um bie Urſachen ber. Crfdjeinungen uns finntid) 3u madjen, einigen Elementen eine. anziehen⸗ be, anbern eine zuruͤckſtoßende Straft beylegen ; wir fónnen bie Grabe dieſer Wirkſamkeit unb. bie Groͤße be$ Wirkungskreiſes auf mancherley Art abgeánbert gedenken; voit. fónnten audj, um etwas beſtimmteres zu ſetzen, bie zuruͤckſtoßenden Kraͤfte bloß ben gleich⸗ artigen Elementen gegen einander, die anziehenden den ungleichartigen Elementen beylegen; allein es fuͤhrt uns alles dieſes hoͤchſtens nur ſo weit, daß wir in unſere Wahrnehmungen Einheit bringen, und es zu einem Regulativ gebrauchen. Ein Philoſoph wird hieruͤber ſo, ein anderer anders denken. Eutſcheiden⸗ de Gewißheit iſt hier nicht moͤglich, ohne Nachtheil fuͤr die Lehre von der Bewegung, weil hier die Koͤr⸗ pet, fo wie fie ſund, genommen werden, bie Gruͤnde ihrer Zuſammenſetzung aber unbefannt bleiben koͤnnen.

7. Die Wirkſamkeit ber Koͤrper auf andere außet ihnen aͤußert ſich entweder durch Veraͤnderung in der Zu⸗

FM 443. mz»

Sufammenfe&ung ber docile, ober durch Bewegung be$ Ganzen mít ober ofne eine. Veraͤnderung ber 3us fammenfe&ung. Von bet er(tern Art toerben mir bloß butd) bíe Grfabrung belehrt, unb mógen ju bet Cr; klaͤrung ber Erſcheinungen bie Begriffe von anziehen⸗ ben unb zuruͤckſtoßenden Kraͤften, Verwandtſchaft und Fremdheit gebrauchen, ohne darum etwas mehr zu leiſten, als viele Erſcheinungen auf Eine zu brin⸗ gen, welches aber in der That genug iſt. Es moͤgen auch bey ſolchen Wirkungen der Koͤrper auf einander, wodurch ihre Zuſammenſetzung veraͤndert wird, Kraͤfte in den Elementen entbunden oder gebunden werden, ſo daß neuer Stoff entſtanden oder der vorher beobach⸗ tete vermindert zu ſeyn ſcheinen kann. Alles dieſes gehoͤrt in die beſondere Naturlehre.

8.

Hier iſt bloß von der Wirkſamkeit der Koͤrper auf einander die Stebe, fo fern fie einer ben andern án Bewegung ſetzen, oder ihre Bewegungen gegen⸗ ſeitig aͤndern, ohne andere Veraͤnderungen in einan⸗ der hervorzubringen, als etwa locale Veraͤnderungen in ber Zuſammenſetzung der Theile, wie z. B. bey dem Stoße elaſtiſcher Koͤrper oder bey der Bewegung fluͤſſiger Koͤrper. Die Bewegung geſchieht entweder durch unmittelbare Beruͤhrung oder durch irgend ein verknuͤpfendes Mittel (z. B. ein Seil, einen Stab),

oder

KT 444, ma

ober burd) eine auferfat& des Koͤrpers auf anbete Koͤrper fid) erſtreckende raft.

9.

Das Vermoͤgen bet Koͤrper, Bewegungen in andern hervorzubringen, kann ſehr verſchieden ſeyn. Iſt es in einem Koͤrper fuͤr jeden Theil von einer ge⸗ gebenen Groͤße daſſelbe, ſo iſt der Koͤrper in allen ſeinen Theilen gleichartig; im gegenſeitigen Falle iſt er ungleichartig. Wenn zwey Koͤrper von gleichem Inhalte unter einerley Umſtaͤnden ungleiche Bewe⸗ gungen hervorbringen, obet uͤberhaupt ungleiche Wirk⸗ ſamkeit aͤußern, ſo beſtehen ſie aus verſchiedener Ma⸗ terie. Es iſt naͤmlich Materie das Reale des $t: pers, wovon beffen Wirkſamkeit in Ruͤckſicht auf Be⸗ wegung anderer Koͤrper abhaͤngt. Dieſes iſt etwas, das ſich unmittelbar weder zaͤhlen noch meſſen laͤßt, ſondern was bloß aus den Wirkungen erkannt wird. Es wird darauf ankommen, ob man die Wirkungen auf eine beſtimmte und allgemeine Art wird meſſen toͤnnen. Alsdann wird bie Menge bet Materie in einem gegebenen koͤrperlichen Raume den Wirkungen

proportional ſeyn.

10. Maſſe eines Koͤrpers iſt gleichfalls an ſich we⸗

bet zaͤhlbar, nod) meßbar; abet bod) ift fie in bem jw fau:

(f^ 445. ^"

ſammengeſetzten Verhaͤltniſſe der Materie in einerg gegebenen Raume und des koͤrperlichen Inhalts, wenn wir die Materie durch eine Groͤße auf irgend eine Art darſtellen.

11.

Der Ort (die Lage) eines Punctes wird in der Geometrie am einfachſten durch bie Groͤße ber "Det; penbifel beſtiumt, welche von demſelben auf drey ſich einander ſenkrecht ſchneidende Ebenen gelaſſen werden. Der Durchſchnittspunct dieſer drey unveraͤnderlichen Ebenen iſt unveraͤnderlich, unb ein feſter Punct, auf welchen jeder andere Punct bezogen wird.

Man kann auch den Ort eines Punctes durch die Entfernung deſſelben von einem feſten Puncte und durch die Lage dieſer Entfernungslinie gegen eine beſtimmte Ebene angeben. Die Lage einer Linie AP gegen eine Ebene wird durch zwey Winkel beſtimmt, beren einer derjenige iſt, welchen eine in. ber. Ebene durch den feſten Punct gezogene gerade Linie mit der Durchſchnittslinie der Ebene und einer durch die Linie AP auf dieſelbe ſenkrecht geſtellten Ebene macht; der andere der Winkel der Linie AP mit dieſer Durch⸗ ſchnittslinie iſt. So wird in der Aſtronomie der ſchein⸗ bare Ort eines Weltkoͤrpers in Abſicht auf die Ebene des Aequators durch Rectaſcenſion unb Declination,

in

f^vF^ 446 ^ue

in Abſicht auf bie Gfliptif durch Laͤnge unb Breite, unb ín Abſicht auf ben Horizont burd) Azimuth unb Hoͤhe angegeben, San fónnte ben Ort eines Punctes nod) auf anbere Arten beftimmen; aber jene beiben Methoden finb bie bequemften.

Bey einem eimelnen Puncte iſt noch von feinem Orte bie 9iebe; aud) bey zwey Suncten. nod) nidjt, als welche bloß eine Entfernung haben. Von brey Puncten wird ber Ort ober bie. Lage des einen P in Abſicht auf bie beiben anbern A, B, burd) bie beiden fDerpenbife beftimmt, welche, in ber Ebene bet brey fpuncte, eines auf bie Cinie durch A unb B, das att bere auf bie durch A ober B geaen bie €inic AB fenf; tete gefaͤllt werden. Ober. man 6efttmmt bie Linie AP un^ iren Winkel mit AB. Sind mehr als brey Puncte in einer. Ebene vorfanben, fo genügt e$ füt jeben an zwey Perpendikeln obet. emet. Cntfernung& linie unb. bem Winkel berfeíben mit einer. gegebenen Linie in der Ebene, ín welcher bie Puncte befindlich ſind.

12.

Die Bewegung eines Punctes iſt in der Geo⸗ metrie die ſucceſſive Veraͤnderung ſeines Orts, wenn er in allen Puncten einer begraͤnzten oder unbegraͤnzten Linie, die als Spuren ſeines Weges bleiben, nach einander gedacht wird. Die Linie kann man entweder

durch

FXPYR 447 5

durch die Bewegung be$ Punctes entſtehen laſſen, oder man gedenkt ſie ſich vor der Bewegung des Punctes auf derſelben, und unterſcheidet bey der Be⸗ wegung den ſich bewegenden Punct von den Puncten der beſchriebenen Linie.

I3.

Die relative Bewegung eines Puncts ift bie fGeránberung ber. Groͤßen, wodurch fein Ort. gufofge 6. rir. beſtimmt wird. Abſolute Bewegung ift ber Weg be$ Punctes felb(t, ſowol ber Groͤße nad), ale aud) mít Ruͤckſicht auf bie Richtung in jebem Puncte be$ Weges. Dieſe abfolute Bewegung deutlich bar: zuſtellen und zu zergliedern, dienen die zuſammenge⸗ hoͤrigen Veraͤnderungen der Groͤßen, wodurch der Ort des ſich bewegenden Punctes in jedem Puncte ſeines Weges beſtimmt wird. Bey jeder dieſer beſondern Veraͤnderungen ſetzt man die andern bey Seite, und

erleichtert ſich dadurch die Vorſtellung der abſoluten Bewegung.

14.

Die Zerfaͤllung der Bewegung eines Punctes iſt die Beſtimmung der relativen Bewegungen aus der abſoluten. Die Zuſammenſetzung der Bewe⸗ gung iſt bie Beſtimmung ber abſoluten aus ben te: lativen. Bey ber Zerfaͤllung unb. Sufammenfegung

ber

(T^ 4489. ass

ber Bewegung, wird gewoͤhnlich der Ort burd) drey Perpendikel auf drey gegebene Ebenen, oder wenn die Bewegung in einer und derſelben Ebene geſchieht, durch Perpendikel auf zwey gegebene gegeneinander ſenkrechte Linien beſtimmt. Die abſolute Bewegung wird alsdann durch die geradlinichte Bewegung dreyer oder zweyer Puncte, mad) gegebenen. Richtungen, dargeſtellt.

15.

Das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten in je zwey Puncten einer krummlinichten Bahn, iſt das letzte Verhaͤltniß der von dieſen Puncten aus beſchrie⸗ benen Wege, wenn der zu dieſen Wegen gehoͤrige relative Weg nad) einer. gewiſſen Richtung unveránr derlich iſt.

Die Geometrie und Analyſis wiſſen nichts von Zeit. Denn wenn gleich bey der Bewegung, ſo weit ſie in der Geometrie betrachtet wird, eine Succeſſion iſt, ſo folgt doch nicht, daß mit derſelben der Be⸗ griff der Zeit nothwendig verknuͤpft ſey. Bey bloß intellectuellen Vorſtellungen von Groͤßen und den For⸗ men ihrer Zuſammenſetzungen, auch der ſucceſſiven, kann keine beſtimmte Dauer gedacht werden; alſo muß, eben wegen ber Unbeſtimmtheit, die Dauer gang

entfernt werden. Dagegen geben mir bern. 2Beor, wel⸗

A49 ^"2cv

welchen ber Punct nad) einer ber. relativen Bewegun⸗ gen beſchreibt, durchaus gleiche Theile, ober laſſen das Perpendikel, welches ſeinen Ort nach einer ge⸗ wiſſen Richtung beſtimmt, immer mit gleichen Thei⸗ len zunehmen oder abnehmen, indem die andern bei⸗ den Perpendikel (bey der Beziehung des Ortes auf drey Ebenen) und der Weg des Punctes ſelbſt mit un⸗ gleichen Theilen ſich veraͤndern. Wir vergleichen den abſoluten Weg mit jenem relativen ſich gleichfoͤrmig veraͤndernden Wege, unb nennen dieſes Verhaͤltniß der abſoluten und relativen Veraͤnderung des Ortes das Verhaͤltniß ber abſoluten unb relativen Geſchwin⸗ digkeit; daher auch das Verhaͤltniß ber abſoluten We⸗ ge, die zu gleichen relativen gehoͤren, das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten heißt. Nur muͤſſen hier, weil die Verhaͤltniſſe ſich mit der Groͤße der Wege aͤndern, die letzten Verhaͤltniſſe genommen werden, die von ber Groͤße der Wege unabhaͤngig ſind *). Die *) Folgende Stelle aus Newtons Methodo fluxionum wird dieſes ſehr gut erlaͤutern und beſtaͤtigen. Er ſagt, es komme bey dieſer Methode auf zwey Pro⸗ bleme an, deren eine heißt: Longitudine deſeripti ſpatii femper (i. e. quovis Temporis momento ) data, invenire velocitatem motus Tempore pro- pofito ; ba$ andere: Velocitate motus femper: data, invenire longitudinem ſpatii defcripri Tempore propofito. Sun fügt biefer grofe Mathematiker pbilof. t1jag. *. Gr. Q 3 bin:

f^. 450 ^w au.

Die SDerpenbifel, wodurch ber Ort eines fid) be totgenben *Duncte$ an jeder Stelle feine. Weges 5e; flimmt roitb, finb bie Coorbinaten ber krummen Linie, welche ber Punct beſchreibt. Die Differentialen ober Fluxionen der Coordinaten und des Weges verhalten fid) wie bie relativen Geſchwindigkeiten nad) ben Rich— tungen ber Coorbinaten unb bíe abfolute Geſchwindig⸗ feit auf der Bahn felb(t. Das Differential einer bec Coorbínaten iſt unveraͤnderlich, unb vertritt bie telle ber Seit. Gin Differential muß immer unveraͤnderlich genommen werben, roenn man die Differentiale einer

Groͤße

Ding: Cum autem hic Tempus tantum conſide - randum veniat, tanquam expofitum «t menfurt* tum aequábili motu locali, et praeterea, cum folae quantitates ejusdem generis invicem comparari valeant, ut et velocitates, quibus augentur aut minuuntur: Idcirco in iis, quae fequuntur, Tem. pus formaliter non confidero, fed fuppono, quod una.ex fuppofitis Quantitatibus homogenea cum aliis crefcat aequabili luxu, ad quam ceterae, tane quam ad Tempus referantur, quae ideo per Anz- logiam non inconcinne dici poteft Tempus. Quo- ties igitur Tempur in fequentibus invenierur (eam autem faepiufcule uſurpavi perfpicuitatis et diítine &ionis caufa) hoc verbum fumendum eft, non quafi Tempus intellexiffem in fua forma/i fignifica- tione, fed tanquam fignificans Quantitatem | illam a Tempore diverfam, cujus aequabili incremente «el Fluxu Tempus exponitur et meníuratur.

mA 45r ^34

Groͤße (n ihren verſchiedenen Zuſtaͤnden vergleichen will. Bey der geradlinichten Bewegung braucht man in der Geometrie alles dieſes nicht. Dieſe iſt, wenn man ſie in der Geometrie betrachten wollte, gleich⸗ foͤrmig.

16.

Die Richtung der Bewegung iſt, wenn bet Punct eine gerade Linie beſchreibt, dieſe Linie ſelbſt, nach der Gegend, wohin er ſich bewegt; wenn der Weg eine krumme Linie iſt, iſt die Richtung die Be⸗ ruͤhrungslinie in dem Puncte, wo ſich der beſchreiben⸗ de Punct befindet. Wenn die Bewegung in einer und derſelben Ebene geſchieht, ſo wird die Richtung durch die relativen Geſchwindigkeiten nach den be⸗ ſtimmten Richtungen der zerfaͤllten Bewegung eben ſo beſtimmt, wie durch die Differentialen der Coordi⸗ naten. Bieibt der Punct nicht in derſelben Ebene, ſo wird ſowol die jedesmalige Lage der Ebene, in wel⸗ det fid) zwey naͤchſte Elemente ber Bahn befinden, als bie Nichtung (m dieſer Ebene durch bie relati⸗ ven Geſchwindigkeiten oder die Differentialen der Coor⸗ dinaten nad) ben Richtungen dieſer Geſchwindigkel⸗ ten beſtimmt.

x7. Der Ort eines Koͤrpers wird durch elnen fes

ner Puncte auf dieſelbe Art, wie der Ort eines Punctes Gg4 in

Fre 452 wa

in bet Geometrie angegeben. Es kommt babey fcey: lich nod) auf mefrere "Duncte des Sórperé an, um feine Lage vállig zu beſtimmen. Sn fer. vielen Faͤl— len genügt eó, wenn ber Ort beéjenigen Punctes angegeben wird, ín welchem bie ganje Wirkſamkeit vereint gedacht werden fann.

Dieſe Beſtimmung ift ganj geometrifj. Sm Allgemeinen (inb bie Ebenen ober bie Cinien, auf mels che ber. Ort des Koͤrpers bezogen voítb willkuͤhrlich. Hingegen in der Natur ſelbſt ſind uns die Koͤrper ge⸗ geben, und die Ebenen oder Linien, wodurch wir ihre Oerter beſtimmen, ſind nicht willkuͤhrlich, weil man ſolche waͤhlen muß, die zu den Beobachtungen atm bequemſten liegen, ober bie ſonſt Vottheil für die Berechnung unb Meſſung verſchaffen.

18.

Die Bewegung eines Koͤrpers iſt ebenfalls die Veraͤnderung ſeines Orts, der auf einen feſten unveraͤnderlichen Punct bnrd) eine ber geometriſchen Methoden bezogen wird. Hier iſt bloß von der fort⸗ ſchreitenden Bewegung die Rede, bey welcher alle Puncte nach parallelen Richtungen fortgehen. An⸗ dere Bewegungen, als die drehende um eine Axe, die ſchwingende Bewegung geſpannter Saiten ober bet Lufttheilchen, die Bewegung fluͤſſiger Koͤrper in Roͤh⸗

ren,

K*u»f^ 453

tem, 65 fie afeid) aud) aus allgemeinen Grundſaͤtzen Detgeleitet roerben koͤnnen, follen Diet bey Seite gt; ftt. erben.

Die Bewegung eines Koͤrpers, unb eines geome⸗ triſchen Puncts oder einer Linie, ſind darin unter⸗ ſchieden, daß die letztere bloß etwas Subjectives ent⸗ haͤlt, und nach irgend einer bloß mathematiſchen Vor⸗ ausſetzung oder Bedingung geſchieht; dagegen die Be⸗ wegung eines Koͤrpers durch aͤußere Urſachen, nach beſtimmten Geſetzen, hervorgebracht und veraͤndert wird, alfo auch, wenn keine aͤußere Urſache vorhan⸗ ben iſt, ganz ungeaͤndert bleibt.

Der feſte unveraͤnderliche Punct kann der Haupt⸗ punct eines Koͤrpers ſeyn, ben man als unbewegt an; fleht. Freylich laͤßt es ſich durch Erfahrung nie Ber weiſen, daß ein Koͤrper ruhe. Wenn aber ein Sy⸗ ſtem von Koͤrpern mit einem unter ihnen eine und dieſelbe Bewegung nad) einer gewiſſen Nichtung Dat, indem ſie zugleich, dieſen ausgenommen, ſich wie es ſey, bewegen, ſo ruhte dieſer Koͤrper in Beziehung auf die andern. Dieſes fuͤhrt uns auf den Begriff vom abſoluten und relativen Raum.

19.

Raum iſt bie abſtracte unbegraͤnzte Ausdehnung, worin allenthalben ein Koͤrper vorhanden ſeyn, ſich be⸗ wegen, und auf andere Koͤrper wirken kann.

G83 In

Syn ber. Geometrie ocbraud)it man den Raum, wenn man. (fn nótfía finben follte, nut, um barin Linien zu ziehen, Gbenen ju legen, Koͤrper fid) zu gedenken und neben einander zu ſtellen. Aber man kann ſich Linien und Ebenen gedenken, ohne den nach allen Seiten und Richtungen ansgedehnten Raum dabey mitzunehmen. Bey der Erzeugung eines Koͤrpers, z. B. eines Kegels, gedenkt man ſich keinen andern koͤrperlichen Raum, als den durch bie Kegelflaͤche bes graͤnzten. Wenn man Koͤrper neben einander ſtellt, um ſie zu vergleichen, z. E. zwey verſchiedene Pyra⸗ miden von einerley Grundflaͤche und gleicher Hoͤhe, ſo iſt es ganz gleichguͤltig, wie ſie neben einander geſtellt werden, außer daß ſie nur zwiſchen denſelben paralle⸗ len Ebenen liegen Euklides gebraucht den Begriff des Raums zur Stereometrie nicht. Syn ber Me— chauik hat man aber den Begriff des Raums noͤthig, weil wirkliche Koͤrper einen durch aͤußere Urſachen be⸗ ſtimmten, nicht willkuͤhrlichen Ort haben, und als wirkend in Abſicht auf andere betrachtet werden. Eine andere Urſache, warum ber Begriff des Raums nó: thig wird, ift ber im vorherg. $. angegebene Fall, wovon gleich in der Folge.

Im gemeinen Leben ſagt man, es iſt Raum fuͤr einen Koͤrper da, wenn es moͤglich iſt, daß er in einer gewiſſen naͤhern Verbindung mit andern Koͤrpern

vor⸗

455 Tun,

vorhanden ſey. Oder: der Koͤrper hat Raum ſich zu bewegen, wenn andere Koͤrper es ibm nicht unmoͤg⸗ lich machen, ſeinen Ort zu veraͤndern. Hier iſt Raum die Bedingung der Moͤglichkeit des Daſeyns und der Bewegung. In der allgemeinen Mechanik wird man den zuerſt gegebenen abſtraeten Begriff einer. uns begraͤnzten geometriſchen Ausdehnung am brauchbar⸗ ſten finden.

20.

Der Raum fann entweder leer gedacht tverben, wenn nichts vorhanden iſt, was die Bewegung eines Koͤrpers aufhalten oder veraͤndern koͤnnte, außer den Urſachen, die als Bedingungen ſeiner Bewegungen angenommen werden, naͤmlich andere beſtimmte Koͤr⸗ per, die auf gewiſſe Art auf jenen wirken, z. E. die Sonne und die Planeten, in Abſicht auf die Erde, wenn aud) ſonſt der Himmelsraum ganz frey ift.

Oder ber Raum wird mit einer fluͤſſigen Ma— terie angefuͤllt gedacht, die zwar allenthalben dem be⸗ wegten Koͤrper ausweicht, aber doch ſeine Bewegung durch ihren Widerſtand aͤndert.

2I. Der abfolute 9taum iſt berjenige, in welchem

ein Punct unbewegt iſt; der relative Raum, in wel⸗ 884 chem

fF 456. "wc?

dem fein Punct ruhet, obgleich in demſelben eim Punct vorhanden iſt, oder ſeyn moͤchte, welcher in Abſicht auf die in dieſem Raume bewegten Koͤrper ruht.

In dem Falle, daß ein Syſtem von Koͤrpern fich um einen Punct bewegt und zu gleicher Zeit nach einer gewiſſen gemeinſchaftlichen Richtung getrieben wird, gedenke man ſich den Theil des unbegraͤnzten Raums, in welchem das Syſtem ſich befindet, von dem uͤbrigen abgeſondert, und gebe die gemeinſchaft⸗ liche Bewegung der Koͤrper allen Puncten dieſes ab⸗ geſonderten Raums, nad) derſelben Richtung, fo laſe ſen ſich die gegenſeitigen Bewegungen der Koͤrper des Syſtems ohne die gemeinſchaftliche Fortruͤckung aller betrachten. Dieſe Bewegungen ſind aber wirklich nur relative, mit welchen man die Bewegung des abge⸗ ſonderten Raums verknuͤpfen muß, um die abſoluten Bewegungen zu erhalten. Es wird vorausgeſetzt, daß alle Koͤrper des Syſtems dieſelbe gemeinſchaftliche Bewegung nach einer gewiſſen Richtung haben; ſonſt wird der Fall zu ſchwer, als daß man ſich durch die Abſonderung des bewegten Raums von dem undbe⸗ wegten helſen koͤnnte.

Auf der Erde hat man ein Beyſpiel an den Be⸗ wegungen auf einem Schiffe; am Himmel an den Bewegungen der Sonne, der Planeten und der Ko⸗

meten,

CO&AVf^ 452 ^34»

meten, welche Koͤrper zuſammen eine gemeinſchaftliche Bewegung nach einer gewiſſen Gegend des Univerſums haben. Der Mond und die Erde machen ein Sy⸗ ſtem aus, worin aber beide nicht auf gleiche Art ge⸗ gen die Sonne getrieben werden.

22.

Die Theile des von einem Koͤrper beſchriebenen Weges ſind Merkmale ſeiner Fortdauer. Die Fortdauer zerfaͤllt auf aͤhnliche Art in Abſchnitte, wie ber beſchriebene Weg in Theile. Wenn auf ben be; wegten Koͤrper aͤußere Urſachen wirken, ſo geben die Theile bed beſchriebenen Weges nicht allein Merkmale der Fortdauer, ſondern auch des in Abſicht auf die Bewegung veraͤnderten Zuſtandes ab. Sie ſind alſo nun nicht geſchickt, die Abſchnitte der Fortdauer zu meſſen. Zu dem Ende muß der Koͤrper ganz frey von allec aͤußern Einwirkung gedacht werden.

23: Die Seit ift ein Abſchnitt in ber gortbauer eines von aller aͤußern Einwirkung ftepen bewegten Koͤrpero, und proportional dem beſchriebenen Wege.

Ein ruhender Koͤrper giebt feine. aͤußere Sect: male der Fortdauer; ein bewegter Koͤrper, welcher der Wirkung einer aͤußern Urſache ausgeſetzt iſt, auch

G85 nicht

FMOTR 259. «wa

nit ($. 22.); wird aber bie Bewegung bird) feine áufere Urſache veránbert, fo ift fie gang allein. eit Merkmal ber Fortdauer des Koͤrpers in. bem Zuſtan⸗ de, worin er ſich befindet, ſo fern wir dieſen Zuſtand bloß als etwas Inneres anſehen, das durch bie Ver⸗ aͤnderung des Orts nicht veraͤndert wird. Die Ab⸗ ſchnitte des Weges ſind alfo reine Merkmale ber Ab⸗ ſchnitte der Fortdauer oder der Abſchnitte der Zeit, und daher ſind die Wege den Zeiten proportional.

24.

Die Bewegung eines Koͤrpers ift gleichfoͤrmig, wenn keine aͤußere Urſachen auf ihn wirken. Sie iſt alsdann auch geradlinicht, weil jede krumme Linie in jedem ihrer Puncte eine beſtimmte, veraͤnderliche ober unveraͤnderliche Kruͤmmung fat, bie Bep einem wirk⸗ lichen bewegten Koͤrper von einer aͤußern Urſache ab⸗ haͤngen mnf.

25.

Wenn aͤußere Urſachen auf einen. Koͤrper toitfen, ſo wird entweder bloß die Laͤnge des Weges geaͤndert, welchen er ſonſt, ohne jene Einwirkung, in irgend einem Abſchnitte ſeiner Fortdauer wuͤrde beſchrieben haben. Die Bewegung bleibt geradlinicht, iſt aber ungleichfoͤrmig. Oder die Richtung wird bloß ge⸗ énbert, nicht aber ber Weg, ber in einer gewiſſen

gerit

FRAYTM 459. ^w»

Seit nad) bet geraden Cinie beſchrieben waͤre. Die Bewegung bleibt nun gleichfoͤmig Ober es wird ſowol die Laͤnge des Weges als bie Richtung deſſelben geaͤndert, und die Bewegung iſt krummlinicht und ungleichfoͤrmig zugleich.

26.

Die Selten. werden bloß durch Zahlen ausge⸗ druͤckt, welche fid) wie bie gleichfoͤrmig beſchriebenen Wege verhalten. Wir koͤnnen ſie nicht anders als durch Zahlen darſtellen, wenn wir fie von ben 28e: gen ſelbſt unterſcheiden, da der Begriff von Zeit nichts Sinnliches iſt, welches unmittelbar gegeben werden koͤnnte. Die Einheit der Zeit iſt voͤllig willkuͤhrlich, wie jede Zahl⸗Einheit. Man nehme einen willkuͤhr⸗ lichen Theil des gleichfoͤrmig beſchriebenen Weges, und nenne bie Seit, bie ber Koͤrper dazu gebraucht, bie Einheit ber 3eit, fo giebt jeder andere Weg dieſes gleichfoͤrmig bewegten Koͤrpers, dividirt durch jenen feſtgeſetzten Weg, die Zeit. Und der Weg, dividirt durch bie Zeit, giebt bie Einheit fuͤr den Weg.

27.

Man mufi fid) alfo einen Koͤrper A gedenken,

der ſich gleichfoͤrmig bewegt, um durch die Wege deſſelben die Zeiten zu meſſen. Bey der Be— wegung eines andern Koͤrpers B, es ſey nun einer gleich⸗

^" (460 "em

oleichfoͤrmigen ober. ungleichfoͤrmigen, wird bie Zeit butd) ben Weg des Koͤrpers A, ben dieſer mit B gu, gleich beſchreibt, vermitteljt irgend einer Einheit für die Wege als eine Zahl dargeſtellt.

In der Natur haben wir zweyerley Einheiten fuͤr die Zeit, die wir auch beide gebrauchen, die Zeit einer. Umdrehung bet Erde um ihre Axe, unb die Zeit eines Umlaufes derſelben um die Sonne. Die Umdrehung der Erde ſehen wir als gleichſoͤrmig am, ſo daß ein Punct des Aequators oder eines Parallel⸗ kreiſes auf der Erde die Bewegung, die er hat, ohne aͤußere Einwirkung fortſetzt. Wenigſtens ſetzen mit den Einfluß des Mondes, den dieſer etwa haben koͤnn⸗ te, bey Seite. Nun nehme man den Umfang des Aequators oder irgend einen Theil deſſelben zur Ein⸗ heit des Weges, ſo iſt ein Tag (Sterntag, nicht Gonnentag) ober die bem angenommenen Theile pror portionale Seit ( Ctunbe, Minute, Secunde,) bie Einheit bet Seit, Die Seit be$ lmlaufe$ um bie Sonne, aí$ Einheit betradjtet, ift ein Syabr. Wir nehmen bie Jahre gleid) groß, wiewol hier eine gang kleine Ungleichheit Statt haben moͤchte. Nur ſind hier die Abſchnitte des Weges nicht den Zeiten pro⸗ portional, ſondern, wie die Aſtronomie lehrt, ſind bie Flaͤchenraͤume um bie Sonne ben Zeiten propor; tíonaf , bie kleinen Abweichungen wegen ber. Cinmir:

kung

"vr. 46r s

fung ber dirigen Himmels koͤrper nicht geredjnet. Da⸗ her müffen die Abſchnitte des Syabré durch Umdre— hungen ber Erde unb Theile derſelben ausgedruͤckt werden.

28. Das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten bey gleichfoͤrmigen Bewegungen iſt das Verhaͤltniß ber Raͤume, die in gleichen Zeiten beſchrieben werden.

Wenn der Weg eines Koͤrpers A durch s, die Zeit burd) t, ín Beziehung auf eme gewiſſe Einheit, bezeichnet wird, fo it ber ín ber Zeit ; Cinfeit beſchriebene Weg.

Wird der Weg eines andern Koͤrpers B durch S, bie Seit durch T ausgebrudt, fo iſt für dieſen

S q der in ber acit ; Ginfeit beſchriebene Weg. Alſo derhalten fid) bie Geſchwindigkeiten mie * : . Der

Kuͤrze wegen nennt man den Quotienten TE ſchlechtweg bie Geſchwindigkeit, welche alsdann nichts anders als der in einer beſtimmten Zeit gleichfoͤrmig beſchriebene Raum iſt, aus deſſen Groͤße bie Geſchwin⸗ digkeit erkannt wird.

29.

f^AYFR 462. ^n

29.

Bezeichnet man. für denſelben Sórper A irgend eine Seit butdy t, unb eine andere Zeit burd) t t At; beéaleid)en den Weg ín jener Seit durch s, ben Weg in biefer bur s t As, fo i(t bey ber gleichfoͤrmigen

AS Bewegung 47 —— bet Geſchwindigkeit. Bezeichnen As toit biefe durch v, fo ift Ato"

40.

Iſt bie Bewegung ungleichfoͤrmig, fo ift ble Ge ſchwindigkeit veránberlid), unb ín jebem 3eítabfd)nits te, er mag fo klein, als man will, genommen werden, von einer anberm Groͤße. Die Geſchwindigkeit in ſedem Puncte des Weges iſt ſo groß, als diejenige ſeyn wuͤrde, mit welcher er gleichſoͤrmig fortgienge, wenn bie aͤußern Urſachen von dieſem Puncte des Weger an aufhoͤrten auf ihn zu wirken. Dieſe Geſchwindigkeit

Às wird burd) ber Quotienden "i deſto genauer angeger

ben, je kleiner der Naumtheil As und bas dazu gehoͤ⸗ rige Zeittheil At iſt. Sie kann aber doch nicht voͤllig genau dadurch angegeben werden, ſo lange As und At noch endliche Groͤßen ſind, die ſich durch Maaß und Zahl darſtellen laſſen. Mm die Geſchwindigkeit voll

Font

FMOT^ 463 ^X

fommen darzuſtellen, muf man anftatt T bie Gráni t

ze fe&en , welcher fid) dieſer Quotient ofne Ende fert, je kleiner As unb At genommen werden. Dieſe

d wird butd) ^ bezeichnet, wo ds unb dt bie verſchwin⸗

benben Unterſchiede zweyer Wege unb Selten bezeichnen, auf deren Verhaͤltniß bie Groͤße derſelben keinen Cin; fluß hat. Die veraͤnderliche Geſchwindigkeit heiße v, fo iſt bie allgemeinſte Formel ber. Mechanik dieſe:

V

dt Ote gilt aud) für gleichfoͤrmige Bewegungen, tvo ble Geſchwindigkeiten eben. fo gut. burd) bie kleinſten ff8ege unb Seiten als durch groͤßere Wege unb Zeiten dargeſtellt werden.

3t.

fun ift bie rage, mo ble Urſache bet verá berten Bewegung zu ſuchen iſt. Wenn wir bie. Wir⸗ kung intellectueller Kraͤfte ausſchließen, ſo liegt ſie in den Koͤrpern ſelbſt. Was ſonſt ſie enthalten koͤnnte, liegt außer unſerm Geſichtskreiſe, und kann alſo in unſere Philoſophie und Rechnung uͤber Bewegung nicht hineingebracht werden. Wollen wir den Naum außer den Koͤrpern mit einer hoͤchſt feinen fluͤſſigen Mate⸗

⸗464 ^at

Materie ausfüllen, fo wird dieſe, wenn fie ſelbſt tut, bloß Bewegung vermindern, nicht beſchleunigen koͤn⸗ nen, und zwar nur nach der Richtung der Bewegung. Bewegte fie fid) gleichſfoͤrmig nach derſelben Richtung, fo wollen mir nod) nicht fragen, woher fie dieſe Des wegung babe, fonbern nut, woher bet Strom urn: aufhoͤrlich ſortfließe, wie c8 bod) ſeyn muf, menu wir barín cine Urſache der Bewegung fudyen vollen. Bewegt fid bíe fluͤſſige Materie ín einem. Seife obet fonft ín bie Stunbe, fo í(t wieder bie Frage, woher bie Ablenkung von ber geraben Linie, welche auf$ neue eine aͤußere Kraft bey dieſer flüffigen Materie vorausſetzt. I: Damit wird nidt bie Moͤglichkeit, felbft nicht bie Wahrſcheinlichkeit einer. folem Materie ges feugnet, nur das wird geleugnet, daß fie Urſache ber Veraͤnderung ber Bewegung anberé als burd) ben Widerſtand feyn koͤnne. Es wird ſogar in einem voll; ſtaͤndigen Syſtem der Mechanik nothwendig ſeyn, die Wirkungen einer ſolchen fluͤſſſgen, beweglichen, wider⸗ ſtehenden Materie zu unterſuchen.

32.

Die Fortdauer eines Koͤrpers enthaͤlt ben Be⸗ griff von etwas Unveraͤnderlichem, das aber mit vers aͤnderlichen Beſtimmungen verknuͤpft iſt. Ein innerer Grund bec Veraͤnderlichkeit kann nicht ín einem Koͤr⸗ per gedacht werden, man muͤßte ihn dann ſich als

ſelbſt⸗

K^AvYM 465 ^w

ſelbſtthaͤtig gedenken, wozu Vorſtellnngs⸗ unb Willens⸗ kraft gehoͤren wuͤrden, ober man muͤßte ihn aus un: gleichartigen auf einander wirkenden Theilen zuſam⸗ menſetzen, wovon bier nicht die Rede ift, ſondern erſt in der ſpeciellen Phyſik gehandelt werden kann. Hier im Allgemeinen betrifft alle Veraͤnderlichkeit bloß die Bewegung, nad) ihrer Richtung und Geſchwindig⸗ keit. Warum die eine oder die andere oder beide auf dieſe unb feine andere Art ohne aͤußere Urſachen ge⸗ aͤndert wuͤrden, laͤßt ſich aus einem innern Grunde nicht begreifen. Die Abweichung von der Richtung koͤnnte fo qut auf bie eine als bie andere Seite aer ſchehen, unter eínem grófern ober kleinern Winkelz die Geſchwindigkeit fónnte fif) mehr ober weniger veraͤndern, eben ſo gut zunehmen als abnehmen, oder ſo gut abnehmen als zunehmen. Es muß ein aͤußerer Grund der Veraͤnderung der Bewegung da ſeyn, und wenn der Koͤrper aus der Ruhe in den Zuſtand der Bewegung verſetzt wird, eine Urſache dieſer Bewegung. Sonſt koͤnnen wir uͤber Bewegung gar keine Betrach⸗ tungen anſtellen; alles waͤre willkuͤhrlich, wenn wir die Urſache des Ueberganges von Ruhe zur Bewegung unb bet Veraͤnderungen ber Bewegung in ber Koͤr⸗ per ſelbſt ſuchen wollten.

Wir ſchreiben alſo dem Koͤrper ein Beharrungs⸗ vermoͤgen zu, das iſt, eine Unveraͤnderlichkeit ſeiner Philoſ. Mag. 4. Gt. $5 Fort⸗

A466

Fortdauer in Abſicht auf Ruhe und Bewegung, ſo fern nicht aͤußere Urſachen auf ihn wirken. Zufolge dieſes Beharrungsvermoͤgens beſchreibt er eine gerade Linie gleichfoͤrmig, wenn er in Bewegung iſt, und alle aͤußere Urſachen einer Veraͤnderung entfernt met; ben. Das Beharrungsvermoͤgen ift nidt als eine Kraft anjufeben , als welche eine beſtimmte Urſache der in einem andern Koͤrper gewirkten Veraͤnderungen iſt. (Von Hervorbringung oder Zuſammenſetzung oder Entwickelung iſt hier nicht die Rede.) Ein Srpet braucht keine Kraft zur Fortdauer, obgleich Kraft erfordert wird, ſeine Fortdauer anders zu beſtimmen, das iſt, ſeinen Zuſtand in Abſicht auf Ruhe oder Be⸗ wegung zu veraͤndern. 33-

Inzwiſchen finbert ba8 Uwermoͤgen be$ Koͤr⸗ pers, feine Bewegung durch eine innere raft zu aͤn⸗ dern, nicht, daß er nicht in einem andern Koͤrper eine beſtimmte Bewegung hervorbringen koͤnne. Denn der Begriff des Daſeyns enthaͤlt nicht bloß den Begriff einer bedingten Unveraͤnderlichkeit, ſo fern aͤußere Urſachen bey Seite geſetzt werden, ſondern auch den Begriff von Wirkſamkeit. Jene bedingte Unveraͤnderlichkeit iſt nur der erſtere Grad des Seyns; die Veraͤnderlichkeit des Zuſtandes ſetzt wieder Wirk⸗ ſamkeit voraus, oder man muͤßte die Urſachen außer bec. Koͤrverwelt ſuchen. Ohne dieſe Wirkſamkeit,

als

fAvrA 462

als eine Folge aus bem Begriffe bed Daſeyns, koͤnnen wir gar keine Unterſuchungen uͤber die Bewegung an⸗ ſtellen. Intellectuelle Urſachen ſollen bier ausgeſchloſe fen ſeyn; ein fluͤſſgges Mittel, welches einige zur Gt; klaͤrung der Bewegungen gebraucht haben, fónnen mit, ohne einen Kreis in der Erklaͤrung ju becefen, auch nicht annehmen: es bleibt alſo nichts uͤbrig, als den Koͤrpern ſelbſt eine gegenſeitige Kraft beyzulegen. Freylich wird hiedurch nicht erklaͤrt, wie dieſe Wirk⸗ ſamkeit in den Koͤrpern gegruͤndet iſt; ſie wird nur fuͤr eine nothwendige Eigenſchaft derſelben erklaͤrt.

34

Die Wirkſamkeit beſteht entweder in einem Be⸗ ſtreben der Koͤrper ſich einander zu naͤhern, oder ſich von einander zu entfernen. Da wir den Grund der Wirkſamkeit nicht entdeckt, ſondern blog ihre Noth—⸗ wendigkeit eingeſehen haben, ſo koͤnnen wir fuͤr keine ber beiden Arten von. Wirkſamkeit entſcheiden. In—⸗ zwiſchen bleibt das Beſtreben der Annaͤherung das vorzuͤglichere, weil bey demſelben es moͤglich iſt, daß mehrere Koͤrper ein bleibendes Syſtem ausmachen, dagegen bey bem. Beſtreben fid) von einander zu ent; fernen keine wiederlehrende Bewegung Statt findet.

35. Man nehme affo, unb fep e$ aud) nur alt ben cingigen brauchbaren dall unter zweyen, bíe nur móg: $62 lid)

CAMERM 468. vues

lij (inb, att baf bey ben wirklichen Koͤrpern ein gegen⸗ ſeitiges Beſtreben ſich einander zu naͤhern Statt fin⸗ det. Dieſe Kraft wird in den Koͤrpern, ſie moͤgen ruhen oder fid bewegen, in jenem Falle eine Bewe⸗ gung, in dieſem eine Veraͤnderung der Bewegung, entweder bloß in Abſicht auf die Geſchwindigkeit oder auch in der Richtung, hervorbringen. Sn fo fern bie Richtung be8 Koͤrpers mit ber Richtung ber Kraft, bie auf ibn wirkt, uͤbereinkommt, ober einen ſpitzen Winkel mit derſelben macht, wird die Bewegung des Koͤrpers beſchleunigt, und die Kraft heißt daher eine beſchleunigende Kraft. Waͤre aber die Bewegung des Koͤrpers ber Nichtung ber Kraft entgegengeſetzt, vder machten beide Richtungen einen ſtumpfen Win⸗ kel mit einander, ſo wird zwar die Bewegung lang⸗ ſamer gemacht, allein dieſe Retardation iſt eine rela⸗ tive Beſchleunigung, ſo wie die abſolute Verminde⸗ rung einer negativen Groͤße eine relative Vergroͤße⸗ rung derſelben iſt.

( Der Schluß ín bem naͤchſten Stuͤcke.) Aluͤgel.

VI.

(vr 469 73 FSIPSIPSIASIA IISVPSUISqKQPSVHÀIASI PS) POPSIPSIPSQIPSVIPSUIPS(PR A JP VI.

Heber bie 9(ntinomie der reinen Ch ernunft.

Sn wir ben Sinn ber. tranófcenbentalen Aeſthe⸗ fif des Hrn. fant gufammenfafjen, fo ift er furg biefer: Ger reine Raum unb die reine Seit (inb bloße Formen unſrer Cínnlidjfeit; b. h. ber hinreichende Grund, warum wir die Dinge im Raume und in ber Zeit anſchauen, liegt lediglich im ber ſuhjectiven Beſchaffenheit unſres Gemuͤths; oder dieſe iſt der hinreichende Grund des empiriſchen Raumes und der empiriſchen Zeit.

Leibnitz dagegen lehrt: Raum und Zeit ſind zwar Erſcheinungen, und, als ſolche, in den Schran⸗ fen unſrer Erkenntnißkraft gegruͤndet; ihre Gruͤn⸗ de ſind aber auch objective, und in den wahren Dingen (den Dingen an ſich), außer unſrer Vor⸗ ſtellung, folglich nicht zureichend in der ſubjectiven Beſchaffenheit unfter. eingeſchraͤnkten Erkenntnißkraft anzutreffen.

Hh 3 Herr

PM 470. MP

Herr Sant fofgert aus feiner Theorie tveiter s ffüenn toit bie fubjective Beſchaffenheit unſrer Sinn⸗ lid)feit auffeben, fo verſchwinden Raum unb 3eit ; folglich aud) bet. Synbegriff aller Erſcheinungen ín bern: ſelben; unb bie ganze Sinnenwelt exiſtirt bemnad) nicht an ſich ſelbſt, ſondern nur in uns.

Die Leibnitziſche Theorie behauptet: Die Dinge, die wir im Raume und in der Zeit anſchauen, ſind Erſcheinungen. Zu einer Erſcheinung gehoͤrt etwas objectives, und etwas ſubjectives. Das Objective find an ſich ſelbſt exiſtirende einfache Kraͤfte, die nad) bem Geſetze ber. Staͤtigkeit wirken; das Cub: jective aber dabey iſt die verworrene und bildliche Vorſtellung individueller Beſtimmungen dieſer wirken⸗ den Kraͤfte, welche, als ſolche, in den Schranken unſres Erkenntnißvermoͤgens gegruͤndet iſt. Der Inbegriff der Erſcheinungen im Raume und in der Zeit, oder die Sinnenwelt exiſtirt demnach nicht bloß in uns; und wenn wir die ſubjective Beſchaffenheit unſres Ge⸗ muͤths aufheben, ſo verſchwindet zwar die bildliche Geſtalt derſelben; aber das zu ihr gehoͤrige Objective bleibt uͤbrig.

Daß Hrn. Kants transſcendentale Aeſthetik in unſrer Ueberzeugung noch einige Luͤcken uͤbrig laſſe, das haben wir in dem zweyten Stuͤcke dieſes phil.

Mag.

PRAMKR S ATYO àe»

Mag. (Nr. I.) un gu eroͤrtern Gemüft, unb ín eben biefem Stuͤcke (S. x69. 1€), wie aud) ín bem drit— ten (€. 248. :. unb Nr. IL), ift bie Wahrheit bec Leibnitziſchen Theorie vert(eibigt rootben, bie aud) $t. &ant íi Grunbe felbft anerfennt, wenn ec (Gr. b. r. V. a. Xf. €. 538.) fagt: „den Grfdeinungen müfje ein transſcendentaler Giegenftanb yum Grunde liegen, oec fie afe blofie Vorſtellungen beftimmce, ;,

Wir fónnten uns alfo hiebey Derufigen, wenn nidjt bem Leibnitziſchen Syſteme von einer anberm Seite fet durch bie Kantiſche Vernunfteritik bee Un⸗ tergang gedrohet wuͤrde. Aus einer dogmatiſchen Vorſtellungsart der Welt naͤmlich ſollen unvermeidliche Ungereimtheiten fofgen, die Vernunft ſoll fid) in noth⸗ wendige Widerſpruͤche verwickeln, wenn ſie voraus⸗ ſetzt, daß die Sinnenwelt an ſich ſelbſt, außer dem Gemuͤthe exiſtire (€t. S. 507.), und der transſcen⸗ dentale Idealismus dagegen ſoll das einzige Mittel ſeyn, dieſe Widerſpruͤche zu heben (Cr. d. r. V., d. Ant. õter Abſchn. unb €. 506.).

In ben Beweiſen des, nad) Hrn. Kant, viet; fad)en Widerſtreits der Vernunft uͤber bie cosmologi⸗ ſchen Ideen, ſtuͤtzen ſich entweder die Argumente fuͤr den einen der widerſprechenden Saͤtze auf ſinnliche, unb die für ben andern auf Verſtandesvorſtellungen,

Hh 4 oder

FMVERM 472. ^w

pbet fie gehen bey beiden widerſtreitenden Urtheilen von Erkenntniſſen der Sinnlichkeit aus. Im erſten Falle ſtreitet bie reine Vernunft mit ber Sinnlichkeit, im andern aber die Sinnlichkeit mit ſich ſelbſt. Da die Sinnlichkeit, wie Leibnitz lehrte, nicht bloß durch objective, ſondern auch durch ſubjective Gruͤnde, die ſehr verſchieden ſeyn koͤnnen, beſtimmt wird, ſo ſind beide Arten des Widerſtreits moͤglich. Hingegen kann reine Vernunft mit reiner Vernunft nicht ſtreiten; denn ſie wird lediglich nach objectiven Gruͤnden be⸗ ſtimmt (ſ. Phil. Mag. 3. St. S. 304.). Daher ſcheint uns zwar der Ausdruck: Antinomie der rei⸗ nen Vernunft nicht ganz bequem gewaͤhlt zu ſeyn; abet wir erkennen es mit Dank, daß Hr. Sant bie Widerſpruͤche, die aus der Verwechſelung der ſinnli⸗ chen mit der Verſtandeserkenntniß, beſonders in Ruͤck⸗ ſicht auf das Verhaͤltniß eines nothwendigen Weſens zur Welt, entſtehen, in ihr gehoͤriges Licht geſtellt hat.

Leibnitzens Theorie der Sinnenwelt koͤnnte frey⸗ lich ferner keinen Anſpruch auf Wahrheit machen, wenn es gewiß waͤre, daß ſie auf Ungereimtheiten, von irgend einer Art, umnvermeíblid) fuͤhrte; allein wir glauben uns übergeugt zu haben, baf in ihr oie bet bogmatifd)en 93orftellungdart ven ber Welt vots geworfnen Widerſpruͤche nid)t gegrünbet ſeyn, baf bier ſelben vielmehr theils auf einer Taͤuſchung berufen,

die

bie durch Leibnitzens Vernunftcritik zuerſt Gintánglid) zerſtoͤhrt iſt, theils aud) mit bem transfcenbentalen Idealismus zugleich megfaflen. Sollten wir fo atüdf: lid) ſeyn, von bem allen eine gruͤndliche Ueberzeugung àu haben, fo mürbe ber transícenbentale Sjbealismué nídjt bet einzige Weg ſeyn, auf bem mat vor ben ges

badjten Widerſpruͤchen eine ſichre Zuflucht fudjen duͤrfte.

Die ganze Antinomie der reinen Vernunſt ſoll, nach Hrn. Kant, auf der ſophiſtiſchen Beſchaffenheit des folgenden Vernunftſchluſſes beruhen (Cr. b. c. V. a. X. S. 497): „Wenn das Bedingte gegeben iſt, ſo iſt auch die ganze Reihe aller Bedingungen deſſel⸗ ben gegeben; nun ſind uns Erſcheinungen als bedingt gegeben; alfo 1€. ,,

Syn biefem Schluſſe, lehrt ber transfcenbentafe Idealismus (498 :€.), ift ein Sophifina figurae dictionis entfalten. Der Oberfag nimmt bas Be⸗ bingte (n tranéfcenbentafer SDebeutung einer reinen Categoríe; ber linterfa& aber ín. empirifd)er Bedeu⸗ tung eines auf bloße Erſcheinungen angewandten Ver⸗ ſtandesbegriffs. Wenn das Bedingte ſowohl, als die Bedingungen Dinge an ſich ſind, ſo iſt mit dem Be⸗ dingten zugleich die vollſtaͤndige Reihe der Bedingun⸗ gen, mithin auch das Unbedingte zugleich gegeben; denn jenes ift nuc durch dieſe Reihe moͤglich. Dage⸗

$565 gt,

474 a

een, toenn id) mit bloßen Erſcheinungen au thun far be, fo gilt das keinesweges. Erſcheinungen finb bloße Vorſtellungen, und daher gar nicht gegeben, wenn ich nicht zu ihrer Kenntniß (d. h. zu ihnen ſelbſt; denn ſte ſind nichts, als empiriſche Kenntniſſe,) gelange.

Wenn man demnach gegen dieſe Lehren des transſcendentalen Idealismus bewieſen hat: daß die Erſcheinungen nicht bloge Vorſtellungen, oder empi⸗ riſche Kenntniſſe ſeyn, ſondern daß zu ihnen auch et⸗ was Objectives, aufer unſerm Gemuͤthe exiſtirendes gehoͤre; ſo verſchwindet die ſophiſtiſche Beſchaffenheit des vorliegenden Arguments, mithin auch, wenn ſie hierauf beruhet ( Cr. S. 497.), bie ganze Antinomie der reinen Vernunft.

Ohne uns jetzt bey den Folgerungen aufzuhalten, bie ſich hieraus, verbunden mit bem, was uͤber Leib— nitzens Theorie der Sinnenwelt anderwaͤrts geſagt ift (f. Phil. Mag. 2. €t. €. 169 x. 3. €t. S. 248. €. u. &.); wollen mir gleid) zu einer naͤhern Sbetrad)tung ber Argumente fortgehen, womit ber tranéfcenbentale Idealismus bie Behauptung untetr ſtuͤtzt, daß fid) bie menſchliche Vernunft in nothwendige Widerſpruͤche uͤber die cosmologiſchen Ideen ver— wickele, wenn ſie die Welt, nach der dogmatiſchen Vorſtellungsart von derſelben, fuͤr ein Ding an ſich

ſelbſt

WAT 475. Ti

ſelbſt aeften (ágt; unb alſo (nad) ber Lehre des trans: fenbentalen Idealismus) einen eingebildeten und falſchen Begriff von derſelben zum Grunde legt.

J. Der erſte Widerſtreit betrift die Idee von der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Zuſammenſetzung des gegebnen Ganzen aller Erſcheinungen; unb ſolgende beide, in Ruͤckſicht auf dieſe Idee ſich widerſprechen⸗ de Saͤtze, ſollen gleich ſtreng bewieſen werden koͤnnen:

I) Die Theſis: bie Welt hat einen Anufang, in bet Zeit, unb iſt bem Raume nad) in Graͤn⸗ zen eingeſchloſſen.

2) Die Antitheſis: die Welt hat keinen Anfang und keine Graͤnzen im Raume, ſondern iſt, ſowol in Anſehung der Zeit, als des Raums unendlich.

Der fuͤr die Antitheſis gegebene Beweis lautet fe *): » San fe&e: bie Welt fabe einen 2fnfang. Da

bet Anfang ein Daſeyn it, wovor eine Seit vorher⸗ gebt,

*) Da es qut. Aufloͤſung des Widerſtreits hinreichend iſt, Gruͤnde gegen die Statthaftigkeit des Bewei⸗ ſes fuͤr einen der widerſprechenden Saͤtze anzuge⸗

ben; ſo beruͤhre ich nur die Argumente fuͤr die Antitheſis.

wav 476 Sup

geht, barín das Ding nidt i(t, fo muß eine Seit vot: Dergeganaen ſeyn, darin bie Welt nid)t mar, 5. b. eine (eere Zeit. Nun ift aber ín einet leeren Zeit kein Entſtehen eines Dinges moͤglich, weil tein. Theil ci: ner ſolchen Zeit vor einem andern irgend eine unter⸗ ſcheidende Bedingung des Daſeyns vor der des Nicht⸗ ſeyns an fid) hat (man mag annehmen, bafi fie von fid) ſelbſt, oder durch eine andre Urſache entſtehe). Alſo kann die Welt keinen Anfang haben, ſondern iſt in Anſehung der vergangnen Zeit unendlich.

Man nehme ferner an: die Welt ſey dem Rau⸗ me nach endlich und begraͤnzt, ſo befindet ſie ſich in einem leeren Raume, der nicht begraͤnzt iſt. Es wuͤr⸗ de alſo nicht allein ein Verhaͤltniß der Dinge im Raum, ſondern aud) ber Dinge sum Raume ange⸗ troffen werden. Da nun die Welt ein abſolutes Gan⸗ zes iſt, aufer welchem fein Gegenſtand ber Anſchau—⸗ ung, unb mithin fein Correlatum ber Welt, ange; troffen wird, womit dieſelbe im Verhaͤltniſſe (tee, fo wuͤrde das Verhaͤltniß der Welt zum leeren Raume ein Verhaͤltniß derſelben zu keinem Gegenſtande ſeyn. Ein ſolches Verhaͤltniß aber, mithin aud) bie Begraͤnzung der Welt durch den leeren Raum, iſt nichts. Alſo iſt die Welt, dem Raume nach, gar nicht begraͤnzt, d. i. ſie iſt der Ausdehnung nach unendlich.

Beide

F^A»f^ 477

Beide Theile dieſes Beweiſes (tü&en fi) auf bie Vorausſetzung, baf nan eine leere Seít vor ber Welt, unb einen leeren Raum aufer. ihr annebmen muͤſſe, fobaíb man fid) dieſelbe als enblid) im Staume unb in ber eit vorftellt. Denn aus dieſer voraufaebens ben leeren. Seit ift bie Unmoͤglichkeit eines Weltan⸗ fangé, unb au$ bem begrángenben leeren Staume bie

Unmoͤglichkeit, bag bie Welt im Raume endlich fty, abgeleitet.

Wer dieſes annimmt, dem wollen wir es zu ver⸗ theidigen uͤberlaſſen; Leibnitzens Vernunftceritik lehrt das nicht. Nach dieſer iſt uͤberhaupt nicht die Frage: ob eine unendliche leere Zeit die Reihe der Weltver⸗ aͤndrungen, unb ein unendlicher leerer Raum bie Men—⸗ ge der zugleich ſeyenden Dinge beſtimme, oder nicht; denn die Frage waͤre ungereimt; ſondern: ob die Menge der zugleichſeyenden Dinge und die Reihe der Weltveraͤnderungen endlich ſey, oder unendlich? Raum und Zeit ſind Erſcheinungen; ihre letzten Gruͤnde lie⸗ gen in bem Einfachen (Ph. Mag. 2. €t. €. 169 ꝛc.), welches bemnad) ber Grund (bíe Bedingung) ihrer Moͤglichkeit iſt. Sofern (ie Erſcheinungen ſind, wird ihr Grund auch in den Schranken unſres Erkenntniß⸗ vermoͤgens angetroffen.

"Eie haben daher uͤberhaupt keine abgeſonderte, fnt ſich beſtehende Exiſtenz, und ifr empiriſches Da⸗

—⸗478 ^w

Daſeyn ift ſogar zum Theil von ber fubjectioen Be⸗ ſchaffenheit unſres Erkenntnißvermoͤgens abhaͤngig. Mithin ſind ber leere Raum unb die leere Seit unger reimte Dinge, bie nicht außer unb vor ber. Welt an; getroffen werden, und die Endlichkeit derſelben der Ausdehnung und Succeſſion nach unmoͤglich machen koͤnnen.

Herr Kant iſt mit den Gruͤnden gegen die Moͤg⸗ lichkeit des leeren Raumes und der leeren Zeit zufrie— den (ſ. Anm. zur Ant.), behauptet aber dennoch, ohne einen Beweis hinzu zu fuͤgen: daß man dieſe Undinge vor und außer der Welt durchaus annehmen muͤſſe, wenn man eine Weltgraͤnze dem Raume und der Zeit nach annimmt.

Inzwiſchen ſcheint dieſes vielleicht nur durchaus nothwendig zu ſeyn, und iſt es in der That auch nur dann, wenn man ſich die Welt in ihrer bildlichen Geſtalt als an fid) unb außer bem Gemuͤthe exiſti⸗ rend vorſtellt; mithin Phaͤnomene, als ſolche, und wahre Dinge (Dinge an ſich) mit einander verwech⸗ ſelt. Bey dieſer Vorſtellungsart der Welt hat die Einbildungskraft keinen objectiven Grund, bey irgend einem Puncte des Raumes oder der Zeit ſtehen zu bleiben; ſondern fie geht uͤber jeden gegebnen Punct hinaus; und wenn alſo die Menge der zugleichſeyen⸗

den Dinge, und die Reihe der Veraͤnderungen, als end⸗

479 ux»

endlich angenommen werden, fo fe&t fie vor dieſe Rei⸗ fe eine (eere. Seit, unb aufer bem Inbegriff bet. et: ſtern einen leeren Raum.

Dieſen Betrug bec Sinnlichkeit fat Leibnitz gus erſt vollſtaͤndig aufgedeckt, und gewieſen: daß die Dinge in der Welt, die wir anſchauen, daß Raum und Zeit ſelbſt, Phaͤnomene, und, als ſolche, nicht Dinge an fid) ſelbſt ſeyen; daß bas Bildliche in unf rer Vorſtellung lediglich in den Schranken unſres Er⸗ kenntnißvermoͤgens ſeinen Grund habe, und außer dem Gemuͤthe nicht angetroffen werde.

Mithin folgt es aus Leibnitzens Syſteme nicht, daß man einen leeren Raum außer, und eine leere Zeit vor einer im Raume und in der Zeit endlichen Welt annehmen, und alſo zugeben muͤſſe: daß dieſe extenſive und protenſive Endlichkeit der Welt unmoͤg⸗ lich ſey.

Folglich ſcheint ber Widerſtreit ber Vernunft uͤber dieſe erſte cosmologiſche Idee gaͤnzlich weg⸗ zufallen.

Was ich hier vorgetragen habe, iſt auch nicht etwa eine unerlaubte Ausflucht, wodurch ber Sinnen⸗ welt irgend eine intelligible untergeſchoben wuͤrde, um bem; Raume unb. bet. Zeit aus bem Wege zu gehn; ſondern nur eine kritiſche Abſondrung deſſen, was in der

Sinnen⸗

FMAT^ 480. ^"

Sinmenwelt objectiv unb fubjectio ift, was alfo wirk⸗ lich aufer uns epiftírt, unb was von unſrer Sinn, lichkeit hinzugethan wird. Sollte aber bewieſen wer⸗ den: daß nad) Leibnitzens dogmatiſcher Vorſtellungs⸗ art der Welt ein leerer Raum außer ihr und eine leere Zeit vor ihr angenommen werden muͤſſe; ſo mußte auch der Begriff von der Sinnenwelt, den er lehrte, zum Grunde gelegt, und der gedachte kritiſche Unterſchied nicht aus den Augen geſetzt werden. Nicht das Bildliche in unſter Vorſtellung von ber Sinnen⸗ welt, ſondern die einfachen Kraͤfte, in denen die (es ten Gruͤnde aller Erſcheinungen liegen, mithin auch des Raumes und der Zeit, (welche demnach nicht um⸗ gekehrt die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſchei⸗ nungen ſind) exiſtiren, nad) Leibnitzens Doginatismus, an ſich ſelbſt, von unſrer Vorſtellung unabhaͤngig.

Wollte aber Hr. Stant bloß behaupten, daß die⸗ jenigen einen leeren Raum außer und eine leere Zeit vor der Welt, wenn dieſelbe endlich ſeyn ſoll, anneh⸗ men, unb folglich bie Unmoͤglichkeit einer Begraͤn⸗ gung ber Welt in ber Seit unb. im Raume zugeſtehen müffen, welche fid) bie &innenroeít in ihrer bildlichen Geftaít als an (id) unb aufer bem Gemütbe exiſtirend vorítellen, unb bem Raume unb ber Seit ein abfor fute$ Daſeyn zuſchreiben: fo fann ba$ jugegeben mets

ben; benn wenn bloß dieſe Vorſtellungsart von bet Welt

VMAMÉM 48r wu

Welt als widerſprechend unb unſtatthaft bargeftellt werden ſoll, ſo trifft das ſehr gut mit dem, was Leib⸗ nitz lehrte, zuſammen.

Was nun insheſondre ben erſten Theil bet 95e weiſes der Antitheſis anbetrifft; ſo ſey mir daruͤber nod) folgende Bemerkung erlaubt. Wenn voir. von bem, was bisher geſagt iſt, gang abſehen, unb ein: raͤumen: wenn die Welt einen Anfang haben ſoll, ſo muß eine leere Zeit vor ihr voraufgegangen ſeyn; und ferner: in einer leeren Zeit iſt kein Entſtehen irgend eines Dinges moͤglich: fo ſcheint die Wahrheit ber Folge, daß die Welt keinen Anfang haben koͤnne, doch noch in einem zweydeutigen Lichte zu ſtehen. Es ſcheinen naͤmlich vier Hauptbegriffe in bem gebrauch⸗ ten Schluſſe zu liegen, der foͤrmlich ſo lautet:

Was in einer leeren Seit entſtanden ſeyn muͤßte, das kann keinen Anfang haben (denn in der leeren Zeit iſt kein Entſtehen moͤglich);

Nun muͤßte, wenn bie Welt einen Anſang haͤtte, eine leere Zeit vor ihr voraufgegangen ſeyn; Alſo kann die Welt keinen Anfang haben.

So lange die leere Zeit vor der Welt dauerte, konnte freylich die Welt nicht entſtehen (denn der Philoſ. Mag. 4. St. Ji An⸗

"^AvT^ 482 nm

Anfang bet Welt madjt bie Fortdauer ber leeten Zeit unmoͤglich); aber baraus folgt nid)t, daß bas Cnt ſtehen ber Welt uͤberhaupt unmóglid) war. 9Benn dieſes folgen follte, fo muͤßte bewieſen ſeyn, baf das Aufhoͤren ber leeren Zeit vor ber. Welt unmoͤglich ge: weſen mate,

IL. Der zweyte cosmologiſche Zankapfel ift bie Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Theilung eines gegebnen Ganzen in der Erſcheinung. Die wider⸗ ſprechenden &age ſind:

1) Die Theſis: Jede zuſammengeſetzte Subſtanz in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und es exiſtirt uͤberall nichts, als das Einfache, und das, was daraus zuſammengeſetzt iſt.

2) Die Antitheſis: Kein zuſammengeſetztes Ding in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und e$ exiſtirt uͤberall nichts Einfaches in derſelben.

Deer Beweis des erſten Theils der Antitheſis lautet:

„Man nehme an: Ein zuſammengeſetztes Ding Aaf$ Subſtanz) beſtehe aus einfachen Theilen. Weil alles aͤußre Verhaͤltniß, mithin auch alle Zuſammen⸗

ſetzung

fe&ung aus Cub(tanyen nue im Raume moͤglich ift: fo muB , au$ jo viel Theilen das Sufammengele&te bes ſteht, aus eben fo viel Theilen aud) ber. Raum beftes ben, ben e$ einnimmt. Nun beſteht ber Raum nicht aus einfachen Theilen, ſondern aus S9tüumen. Alſo muß jeder Theil des Zuſammengeſetzten einen Raum einnehmen. Die ſchlechthin erſten Theile aber alles Zuſammengeſetzten ſind einfach. Alſo nimmt das Gin; fache einen Raum ein; und wuͤrde ein ſubſtanzielles Zuſammengeſetzte ſeyn, welches fid) widerſpricht.,

Hier, glaube id), kann man bie Theſis unb An— titheſis mit ihren Beweiſen zugeben, ohne deshalb etwas widerſprechendes zu behaupten. Denn in der Theſis wird bewieſen: daß oie Vernunft bie Ge; mentarſubſtanzen, als bie erſten Subjecte aller. Zu— ſammenſetzung, unb folglich vor derſelben als ein⸗ fade Weſen denken muͤſſe; ob mir gleich dieſelben nie außer ben Zuſtand ber. Verbindung ſetzen und ifo; liren koͤnnen (Cr. b. rv. V. Bew. b. Theſ.). Qa: gegen iſt der Sinn der Antitheſis bloß der: daß das Einfache nicht angeſchaut werden koͤnne, daß kein Theil eines Gegenſtandes der Sinne, als ſolches, einer Erſcheinung, als Erſcheinung betrachtet, ſchlecht⸗ bin einfach ſey (Qnm. zur Antith.).

Auch Leibnitzens Syſtem lehrt eben dies. In einer Erſcheinung, als ſolcher, kann kein Theil der Ji 2 klein⸗

FPMAVERM 484 eA

kleinſte feyn ; jeber Theil ift. wieder eine Erſcheinung, und folglich zuſammengeſetzt; wir koͤnnen durch die Sinne nie das Einfache erkennen (Pit. Mag. 2. €t. S. 146.). Aber daraus folgt nicht, daß es an ſich uͤberall nicht da ſey; denn das waͤre der Schluß: was ich nicht empfinde, das iſt nicht. Die einfachen, wir⸗ kenden Kraͤfte liegen der Erſcheinung zum Grunde, und werden von dem Verſtande, aber nur von dem Verſtande, nach ihren allgemeinen Beſtimmungen er⸗ kannt. Der Grund einer gegebenen Erſcheinung iſt

alfo für ben Verſtand nicht ins unenblid)e wieder eine Erſcheinung.

Ob alſo gleich in dieſen Behauptungen nichts miberjpred)enbeé liegt; fo fey e$ mir bod) erlaubt, zu dem Beweiſe der Antitheſis noch eine und die andre Anmerkung hinzu zu ſetzen. In dem erſten Theile deſſelben ſcheint mir entweder ein Schluß mit vier Hauptbegriffen zu liegen, oder das voransgeſetzt zu ſeyn, was bewieſen werden ſollte. Es wird naͤmlich

ſo geſchloſſen:

1) Jedes aͤußre Verhaͤltniß iſt nur im Raume moͤglich;

Die Zuſammenſetzung aus Subſtanzen iſt ein dergleichen Verhaͤltniß; Alſo ꝛtc. 2)

FAT 485

2) Was nut im Raume moͤglich ift, beffen Theile (fofern e$ ein aus Subſtanzen gu: ſammengeſetztes Gange ift, ober: deſſen aug €ubftangen zuſammengeſetzte Cbeile ef; men (eit Sujammenfe&ung aus Cubitangen nur im Raume móglid) ift) jeder einen Theil bes Raumes cin, ben ba$ Gange einnimmt 5

Nun ift ba$ Sufammengefe&te nuc im Stau: me moͤglich:

Alſo nemen alle Theile beffelben (aud) bíe ſchlechthin einfadjen) einen eil des Raumes ein, ben das Gange einnimmt.

Folglich mu aus fo viet Theilen ba8 Zuſammen⸗ gefe&te beſteht, aus eben fo viel Theilen ber 9taum befteben, ben es einnimmt.

Soll aber bie Form dieſer Schlußfolge ben Schein des Unrichtigen verlieren, fo muß ber Ober— ſatz in dem zweyten Schluſſe ſo lauten:

Was nur im 9taume moͤglich ift, deſſen ſaͤmmt⸗ liche Theile (auch die ſchlechthin einfachen, die es der Vorausſetzung gemaͤß hat) nehmen jeder einen Geil des Raumes ein, den das Ganze einnimmt.

313 Allein

F^ 486. ^

Allein biet kann nicht vorausgeſetzt werden; benn das iſt es gerade, was bewieſen werden ſoll, daß naͤmlich jeder Theil des Zuſammengeſetzten im Raume wieder zuſammengeſetzt fep, unb einen Theil des 9tau: mes einnehme.

In der Anmerkung zur Antitheſis ſucht Hr. Sant bie Theorie ber. Monadiſten von der nicht un: enbliden Theilbarkeit ber Sórpet nod) baburd) vetr daͤchtig ju machen, baf er inen bie Evidenz ber. mar thematiſchen Beweiſe, bie ba$ Gegentheil erhaͤrten ſollen, entgegen ſtellt, und es fuͤr ungereimt erklaͤrt, bie Unleugbarkeit der Mathematik wegvernuͤnfteln zu wollen, und anzunehmen, daß gaͤnzlich einfache, phyſiſche Puncte durch bloße Aggregation einen Raum erfuͤllen koͤnnen.

Inzwiſchen, da die Mathematik den Raum und die zuſammengeſetzten Dinge in demſelben bloß als Erſcheinungen betrachtet, unb bie unendliche Theil—⸗ barkeit derſelben, inſofern ſie ſolche ſind, erweiſet, ohne ſich um die letzten Gruͤnde zu bekuͤmmern, die eine Erſcheinung moͤglich machen: fo bleiben dieſe ma; thematiſchen Beweiſe von ben Monadiſten gaͤnzlich uns angefochten. Dieſe lehren, mie bie Mathematiker: daß kein Theil einer Erſcheinung, als ſolcher, der kleinſte ſey; ſetzen aber hinzu: daß jeder Erſcheinung

etwas

Four 487. ^e

etwas ſchlechthin Einfaches gum Grunde liege, das nad) feinen allgemeinen Beſtimmungen von bem 33er: ftanbe erkannt werde; unb durch feine Wirkungen nach dem Geſetze der Staͤtigkeit die letzten Gruͤnde des Zuſammengeſetzten im Raume, und des Raumes ſelbſt enthalte; folglich den Raum nicht durch bloße Aggregation evfüíle.

Hieraus ergiebt ſich endlich auch, warum man nicht den Raum fuͤr die Bedingung der Moͤglichkeit der Koͤrper, ſondern das dynamiſche Verhaͤltniß der den Koͤrpern zum Grunde liegenden Subſtanzen fuͤr die Bedingung der Moͤglichkeit des Raumes halte; und die Koͤrper nicht bloß als Vorſtellungen in uns, ſondern auch als außer dem Gemuͤthe, und an ſich exiſtirend annehme.

Da nun Hr. Kant eingeſteht (f. Anm. zur An⸗ tith.), daß ber Beweis ber Monadiſten fuͤr bie nicht⸗ unendliche Theilbarkeit ber Koͤrper, unter Voraus— ſetzung der Wahrheit der gedachten Theorie, guͤltig ſey: ſo giebt er dadurch ſelbſt zu, daß nach ihrem Syſteme uͤber bie vorliegende coemologiſche Idee fein Widerſtreit der Vernunft mit ſich ſelbſt ſtatt finde.

III. Der dritte Widerſtreit betrifft die Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Eniſtehung einer Er⸗ ſcheinung.

$i 4 1)

x) Die Theſis (autet: Die Gaufalitát nad) Ge fe&en ber Natur iſt nicht bie einzige, aus wel⸗ cher bie Erſcheinungen ín ber Welt insge⸗ ſamt abgeleitet werden koͤnnen; es iſt noch eine Cauſalitaͤt durch Freyheit zur Erklaͤrung derſelben anzunehmen nothwendig.

2) Die Antitheſis: Es iſt feine Freyheit, fons dern alles in der Welt geſchiehet lediglich nach Geſetzen der Natur.

Der Beweis der Theſis hat dieſe Geſtalt:

„Man nehme an: e8 gebe keine andre Cauſali⸗ taͤt, als nach Geſetzen der Natur, ſo ſetzt alles, was geſchieht, einen vorigen Zuſtand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zuſtand ſelbſt etwas ſeyn, was geſchehen iſt (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit geweſen waͤre, ſeine Folge auch nicht allererſt eutſtanden, ſondern immer geweſen ſeyn wuͤrde. Alſo ijt bie Cauſalitaͤt, durch welche et: was geſchieht, ſelbſt etwas Geſchehenes, welches nach bem Geſetze der Natur wiederum einen vorigen Zu⸗ ſtand und deſſen Cauſalitaͤt vorausſetzt, und ſo ins unendliche. Alſo giebt e$ feine Vollſtaͤndigkeit bet

Reihe auf bet Seite bec von einander abſtammenden Ur⸗

FXMT^ 489 wc»

Urſachen. Sun beſteht aber eben darin ba& Geſetz ber Natur: baf obne hinreichend a priori beftimmte Urſache nichts geſchehe. Alſo widerſpricht ber Caf, daß alle Cauſalitaͤt nur nad) Naturgeſetzen moͤglich ſey, fib ſelbſt im feiner unbeſchraͤnkten Allgemeinheit. Folg⸗ lich muß eine transſcendentale Freyheit angenommen toerben. ,,

Der vot ung liegende Beweis erfüllt, wie es uns deucht, feinen Zweck níd)t gang. (66 follte be: wieſen werden, baf e$ in oer Welt eine tranefcen; bentale Freyheit, ober Urſachen gebe, welche, obne burd) hinreichende Gruͤnde Geftimmt gu ſeyn, Wirkun⸗ gen hervorbringen. Denn wenn die Theſis bloß be⸗ deuten ſoll: bag man uͤberhaupt (nicht eben in ber Welt) eine Freyheit annehmen muͤſſe: ſo kann man dies ganz wohl einraͤumen, unb daneben mit oer An—⸗ titheſis behaupten: daß alles in der Welt nach Ge⸗ ſetzen der Natur geſchehe, und daß keiner Subſtanz in derſelben ein Vermoͤgen ber. transſcendentalen Frey⸗ heit beyzumeſſen ſey; welches, wie Hr. Kant ſelbſt eingeſteht ((. Anm. zur Antith.), gar nicht wiber: ſprechend iſt.

Nun erhellet aber aus dem gefuͤhrten Beweiſe, wenn man auch nichts dagegen einwenden will, in der That nur ſo viel: daß man uͤberhaupt ein Ver⸗

Ji5 moͤgen

W^A»f^ 400 4279

mógen annefmen müffe, welches, ohne burdj hinrei⸗ chende Grunde beftimmt gu feyn, Wirkungen fervor; brinat. 26er voir werben nicht übergeugt, baf citt dergleichen Vermoͤgen in oer Welt jugegeben. wer⸗ den muͤſſe.

Wenn aber Hr. Kant meint (ſ. Anm. zur Th.): Weil doch einmal das Vermoͤgen der Freyheit uͤber⸗ haupt bewieſen ſey, ſo ſey es nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verſchiedene Reihen, der Cauſalitaͤt nach, von ſelbſt anfangen zu laſſen, und den Subſtanzen in denſelben ein Vermoͤgen, durch Freyheit zu handeln, beyzumeſſen: ſo iſt es deswegen, weil es uͤberhaupt eine transſcendentale Freyheit geben muß, nod) nicht einmal méalid), daß dieſelbe einer Subſtanz in ber Welt zukomme; fie kann ein eigen⸗ thuͤmliches Vorrecht der außerweltlichen Subſtanz ſeyn; unb wenn man aud) bte Moͤglichkeit einràumen molte, fo folgt bod) daraus nicht, baf fie voirtltdj, unb nod) meniger, bafi fie nothwendig in einer Sub⸗ ftang in der Wat angetroffen werde.

Wenn aber hier ein Widerſtreit der Vernunft mit ſich ſelbſt ſtattfinden ſollte, ſo muͤßte dargethan ſeyn, daß dieſelbe eine transſcendentale Freyheit in den Subſtanzen in der Welt, und zwar nothwendig

annehmen muͤſſe. Sollte

wXMER 40r o AN

Sollte aber aud) tie Grifteng einer. aBfofuten Qpontaneitát uͤberhaupt mol burd) bie voraeíegten Argumente bemiefen (eyn ?. Ich alaube baran zweifeln au müffen. Wenn alleé ín ber Welt nad) bem. Cau: fatitátégefe&e ber Jiatur, ober durch hinreichend 6e; ſtimmende Grünbe geſchieht: fo giebt fein? Vollſtaͤn⸗ bigfeit der Reihe ber von einanber ab(tammenben llt: fadjen in ber Welt; fonbern dieſe ganye Reihe ſetzt nod) eine Caufolitat einer außerweltlichen Subſtanz vorau$. Sie Caufalitát aber dieſer Subſtanz ift nicht wieder etwas Geſchehenes. Denn die außerweltli⸗ che Subſtanz und alle ihre Handlungen ſind weder im Raume, noch in der Zeit. Ihre Cauſalitaͤt kann alſo nicht in der Zeit entſtanden ſeyn, und nicht einen vorigen Zuſtand vorausſetzen, auf den ſie nach einer Regel geſolgt waͤre, (welches doch ſeyn muͤßte, wenn man auf eine transſcendentale Freyheit derſelben ſchlie⸗ ßen wollte), ob ſie wol durch hinreichende innere Gruͤnde nothwendig beſtimmt wird; (nur die Sinn⸗ lichkeit, deren Bilder hier gar nicht eingemiſcht wer⸗ ben koͤnnen, ſtellt die beſtimmenden Gruͤnde als vot: aufgehend vor). Die Cauſalitaͤt der außerweltlichen Subſtanz wuͤrde demnach die Reihe der von einander abſtammenden Urſachen vollſtaͤndig machen, ohne noth⸗ wendig eine transſcendentale Freyheit zu haben.

IV.

FMT^ 492. ^w

IV. Der vierte eosmologiſche Widerſtreit geht auf die Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Abhaͤn⸗ gigkeit der Erſcheinungen ihrem Daſeyn nach uͤber⸗ haupt. Die hieruͤber ſich widerſprechenden Saͤtze ſind:

1) Die Theſis: Zur Welt gehoͤrt etwas, das entweder als ihr Theil, oder ihre Urſach, ein ſchlechthin nothwendiges Weſen iſt.

2) Die Antitheſis: Es exiſtirt überall kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, weder in der Welt, noch außer derſelben, als ihre Urſach.

Der erſte Theil der Antitheſis: daß in der Welt kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, als ihre Urſach, exiſtire, widerſpricht der Theſis nicht, ſofern dieſe das Daſeyn einer ſchlechthin nothwendigen Welturſach nur uͤberhaupt, als zur Welt gehoͤrig, verlangt; id) nehme ihn daher als bewieſen an.

Der zweyte Theil ber Antitheſis: daß aufer der Welt kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, als ihre Urſach, angetroffen werde, iſt ſo bewieſen:

Man

FMAUKM 403. ^ae

„Man nehme an: es gebe cine ſchlechthin noth⸗ wendige Welturſach außer der Welt, ſo wuͤrde dieſelbe als das oberſte Glied in der Reihe der Urſachen der Weltveraͤndrungen, das Daſeyn der letztern und ihre Reihe zuerſt anfangen. Nun muͤßte ſie aber alsdann auch anfangen zu handeln, und ihre Cauſalitaͤt wuͤrde in die Zeit, eben darum aber in den Inbegriff der Erſcheinungen, b. i. ín bie Welt gehoͤren, folglich fie ſelbſt, bie Urſache, nid)t aufer ber 9Beít fepn, wel; ces ber 9BorauéjeGung widerſpricht. Alſo ift fein ſchlechthin nothwendiges Weſen außer ber 9Belt (abet mit ihr in. Cauſalverknuͤpfung) angutveffen. ,,

Wenn fier 6efauptet wird, baf eine notfmen: dige 9Be(turfad), infofern fie Welturſach fepm folf, nicht aufer bet Welt ſeyn fónne; fo laͤßt fid) dies, nach Hr. Sante eigenem Geſtaͤndniſſe, aus bem Leibnitzi⸗ ſchen Syſteme nicht folgern. Hr. Kant ſagt zwar (&r. b. x. V. a. A. S. 559), daß, wenn die Cr; ſcheinungen Dinge an fid) waͤren, bie Bedingung ifs res Daſeyns nothwendig zu einer und derſelben Reihe der Anſchauung mit ihnen gehoͤren muͤſſe; aber er geſteht auch ein (S. 560.), daß im entgegengeſetzten Falle die Bedingung nicht eben nothwendig mit dem Bedingten eine empiriſche Reihe ausmachen duͤrfe. Da nun nad) keibnitziſchen Grundſaͤtzen Erſcheinungen und Dinge an ſich genau unterſchieden werden (Phil.

Philoſ. Mag. 4. St. Kk Mag.

FMMMTT 404. "act

Maq. 3. €t. €. 261): fo kann e$ aud) nad) ben: felben eine notfmenbige Welturſach geben, bie nicht in ber. Welt iſt.

Was ben vor uns fiegenben Beweis ſelbſt bey trifft: fo foll ber erſte Satz deſſelben entweder bebeu: ten: bie angenommene, ſchlechthin nothwendige Welt⸗ urfad) aufer ber Belt. müffe een letzten hinreichenden Grund von bem Daſeyn ber. SBeltveránberungen unb ihrer Reihe entfalten 5; ober: bie Handlung berfelbert, wodurch fie ote Weltveraͤndrungen unb ibre Reihe ferr voróríngt, müffe biejer oet Seit nad) voraufaeben.

Sym erſten Salle aber fann daraus nicht geſchloſ⸗ fe erben: baf bie Gaufalitat dieſer Welturſache in bie Seit geóre; benn baju, baf etwas ben binreis chenden Grunb von etwas anberm enthalte, gehoͤrt gar keine Zeitbedingung, weder ein Zugleichſeyn, noch ein Voraufgehen.

Im andern Falle wuͤrde in dieſem Satze nicht bloß bie Moͤglichkeit, ſondern auch bie Nothwendig⸗ feit deſſen, was bewieſen, unb aus demſelden herge⸗ leitet werden ſoll, ſchon vorausgeſetzt: daß naͤmlich die Cauſalitaͤt der außerweltlichen, nothwendigen Welturſach in die Zeit, und mithin in die Welt gehoͤre.

Wollte

WAu»f^ 1405 "49

Wollte man abet aud) dies letztere zugeben, fo ſcheint bod) daraus noch nicht zu folgen, daß die Ur— ſach ſelbſt nicht außer der Welt ſey. Denn was von einer Handlung, oder einem Accidens eines Dinges uͤberhaupt, gilt, das gilt deswegen nicht von dem Dinge ſelbſt, dem dieſes Accidens zukoͤmmt. Hr. Kant behauptet z. B. ſelbſt: es ſey nicht widerſpre⸗ chend, anzunehmen, daß die Cauſalitaͤt unſrer 3Bet: nunft in Anſehung ber Erſcheinungen empiriſch, fie ſelbſt aber ein bloß intelligibles Ding ſey (Ant. IX. Abſch.).

Dieſemnach laͤßt ſich nicht ſchließen: Wenn die Cauſalitaͤt ber außerweltlichen, nothwendigen Welt⸗ urſach in bie Seit gebórt,' fo gehoͤrt aud bie Urſach ſelbſt ín bie Seit, unb ift nicht aufer ber. Welt.

Maaß.

In⸗

Inhalt

des vierten Stuͤcks.

L1 Ueber den Urſprung bcr menſchlichen Erkennt⸗ nif, €. 369

II. $5erid-tigung eines Urtheils in ber allaem. Litt. Sdtung 5 4o6

II. Einige merfmürbige 9(ufflárungen über bie Un⸗ ruben ber Proteſtanten in. den Sevenniſchen

Gebuͤrgen. 413 IV. Beruhigung. An Theophron. 339

V. Grundſaͤtze ber reinen Mechanik, von H. rof. Aluͤgel. 4 VI. Ueber bie Antinomie ber. reinen. Vernun

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