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11ARVA^Ö

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IN C OMME MOR. VT ION OF THE VI SIT OF 1IIS ROYAL HIGHNESS

PRINCE HENRY OF PRUSSIA

MARCH 8IXT11 , 1904

ON BEHALF OF HIS MAJESTY

THE GERMAN EMPEROR

-:SKNTEDÜYARCHIBAr,D CARY COOLIDGE PH.ll ASSISTANT PROFESSOR OF IIISTORV Q

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ft.

Sranffuuter

3eitöemdfe ^rof^uren.

^er«uS(|e0«6en

Dr.

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|t r u e J d l 0 f.

Sati» I.

cSranffurt am Main.

93 e r i a fl o o n 9(. fjf o e f f e r. 1880.

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“T i£o,\.a.

;p; r-nrcc jip.RARY

oo r 7- v. .

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Sfitr

1. ©oetpc’g gauft a!3 äBnljr^idjfn tnobtrnet 0'nilnr poh Dr. ^kut

ftflffntt 1

2. $)er f&arn>ini§mu§ eint fleiftig? Spibunit Don Dr. ©, jfreitierrn

Pon foertlinfl 41

3. S)ie 9?QlioiiaIftiftungen be8 beuHtftcn 33oIfeg in 3tom Pon

Dr. % be Sani 26

4. lieber {Roman unb SRomanenlectüre Pon fteintid) Sone . , 107

5. ©räfin 3bn frofriffoaljn Pon Dr. Sftaul igaffnci . . 133

6. ffaijtr ftricbridj II. Pon Dr. *Dlatl). ^>5t)ter 167

7. Freimaurerei unb SBiifrnc Pon ^3f). SDSafferburg 203

8. 'Bie ©djul« unb Kinberfefte im TOittdalter Pon granj galt 229

9. Sfiomag Port %quin unb bie europäifd&e (SiPilijation pon

Dr. gr. fttttiitfl« 249

10. $)er Socialigmug im ßcitaltcr ber Seformotion Pon ffrt. 36ad) 282

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töoet \)tfz loun

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2Baljv§eiiJ)cn mobernev ßuttur.

Sßon Dr. ^attT

I. »Jur CSinfiiljrung.

SBenn bic nocf)ftef)enben Stätter fid) mit ®oetf)e’« gauft befd)äf» tigen, fo wirb bie Sßafjl be« ©egenftanbe« «inet Rechtfertigung faum bebütfen; roof)l aber wirb notljrocnbig fein, ben @efid)t«puntt $u crflären, unter roeldjem berfelbe Ijier jur Darfteüung fommen fotl.

£>a§ mir in ®oetf)e’« gauft ben £>öljepunft ber neueren poetifcfien Literatur £eutfd)lanb« oor un« Ijaben, bürfte oon 9?iemanben be* ftritten merben. SBal immer an ber (gdjmclle be« 19. ^afprljunbert« bie gang ungemöljnltd), um nicht gu fagen feltfam, erregte bidjtcrifd)e $f)antafie an großen ©ebanfen unb glänjenben Silbern erzeugte : ba« meitgebeljnte S53erf, meld)em ber begabtefte ber beutfdjen ^Dichter bie Arbeit feine« Ceben« mibmete, Bereinigt Sille« unb überragt Sille«. Obgleich in feiner Slnlage mie in feiner Sluöfiifjrung unBollenbet, ift ber ©runbttjpu« ber mobernen Ißoefie unb Ijat bem ©eift unfere« Sötte« fitf) unaudlöfchlich eingeprägt.

Sein onbere« (Srjeugniß ber beutfdjen Literatur f)at eine fo Biel* fettige Sef)nnblung gefunben. (Sin immer auf« 9?eue burcbfurdjte« gelb tjiftorifdjer, äfttjetifdjer unb pfjilofopfyifdjer Unterfudjungen ift ®oetbe’« gauft gemiffermaßen jum äBafjrjeidjen ber mobernen (Suhtr unb ber beutfehen Silbung in«befonbere gemorben, gum *n bem bie

©eifter fich finben unb fdjeiben.

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Dr. $ a u l § a f f n t r.

Slucp uns ift er biefeS. 9iic^t ®oetpe unb ©oetpe's ©er! allein ift eS, maS mir fucpen, unb maS für uns ein fo eigentümliches 3ntercffe pat. G8 ift ber ©eift ber neuen 3eit unb ber mobernen Gultur bcr beutfcpen Nation, ben un8 biefe« merfroürbigc Drama in prägnanten 3ügen cor äugen füprl. Die Spiegelgemalt, meltpe ein finniger 8iteratur«$iftorifer ber ©egcnroart a[8 ba8 eigentliche ©cpetmniß be8 ©enie’S unfere8 Dichters bezeichnet, hat fiel» gerabe in biefem ©erfe in ihrer ganzen grifepe unb Schärfe erprobt. 3n ©oethe’8 gauft finbet ba8 Diingen unb Streben toie ba8 Slagen unb Serjroeifeln be8 mobernen ®eifte8 feinen tief ergreifenben SluSbrucf. ihm ift mit unoerroufttieper Schrift bie Sragöbie bc8 SDlenfcpenlebenS niebergefchrieben, jene« SebcnS näm* lieh, roetcpeS non ber Sahn ber göttlichen ©afjrpeit abgebrängt, in ruhelofem Streben in8 Unbegränjte fich oerliert.

©enn mir oon biefem culturgefchichttichen unb ethifchcn ©eficptS» punft geleitet an ©oethe’8 gauft herantreten, fo müffen mir un8 felbft« Berftänblich oerfagen, bem Dichter in bem allmäligen ©erben feiner ärbeit ju folgen. Sicherlich märe es oon popem 3ntereffe, bie ©ege aufzufutpen, auf melchen ©oethe bie 3been unb Silber fanb, bie er in bunter SBlenge in feinem gauft nieberlcgte. Gin folcher ffierfuth mürbe fich naturgemäß ju einer Siograppie bed Dichters felbft erroeitern. gauft ift mit ©oethe großgeroaepfen unb mit ihm gealtert; er bitbet ben $intergrunb aller poctifcpcn Gonceptionen, mit melchen ber ©eift be8 DicpterS feeps 3oprzepnte pinburep fiep be= fcpäftigte. 3m 3“pr 17G9 juerft oon bem zwanzigjährigen 3üngling erfaßt, fanb bie Dichtung ihre erfte ©eftaltung in bem erften Speile, melcper im 3aPre 1790 unb bann mit einigen Grmeiterungen 1808 erfepien. Son ba an aber mürbe fie opne Unterlaß meitergefüprt, unb fein 3“pr ging oorüber, opne baß er ipr irgenb etwas pinjugefügt pätte. Serfönlicpe Grlebniffc, gefchicptlicpe Grcigniffc, Sritifen unb Stubien, Sclanntfcpaften unb Streitigleiten unb Stiles, maß an ber Seele be« DicpterS oorüberzog, fanb in irgenbmelcper ©eife auch in bem gauft feinen ißtap, bis ber 82jäprige ©reis turj oor feinem lob (1831) bas ÜJlanufcript beS zmeiten SpeileS unter Siegel legte.

Ob eS ©oetpe’S äbfiept mar, in gauft bas Silb feines eigenen ©eifteS unb in bem Kampfe gauft’S ben Sampf feines eigenen ßebenS zu zeichnen, mag bapingeftetlt bleiben. Daß tpatfäcplich in biefer Dichtung alle Strömungen feines DenfenS unb Dichtens münben unb alle äbfepnitte feiner Gntroicfelung fup abbrüefen, ift unoerfennbar. ©er eS oerftept bie einzelnen $üge zu fammeln, roirb unftreitig einen tieferen

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@octt)t'« Sauft al« Sabrjeidjen moberner Sultur. 3

(ginblid in ©oetbe’e innere« ©efen erhalten, al« fold)en bie breit unb ftadj gejeidjncte ©elbft*©iograpbie gewähren fann, welche ber Dichter unter bem litet „©abrbeit unb Dichtung" unb weiter au«greifenb in „©Ubelm SDieifter" t)intertie§.

©enn mir biefe pfric^otogi|'c^«^iftorifd)e ©cbeutmtg be« gauft, wie fdjon bemerft, ju uerfolgen un« oeriagen miiffen, fo fann nod) weniger unfere Aufgabe fein, in bie (ginjelljeiten ber bramatifdjen dompofition einjuge^en unb mit bem fritifcben ©tief be« Sfycoretifer« ju prüfen, ob Siebt unb ©(batten richtig oertbeilt, ob jebe einjetne gigur oollfommen gezeichnet, ob jebe« ©orte« unb jeber £>anbtung ü)2a§ ben Regeln ber Äunft entfprechc.

Die formalen Sttängel unb ©orjüge treten jurütf, wenn ein Drama üor un« ftefjt, beffen Aufgabe in fo weiten ©renjett fi<b au«* bebnt, wie fie ber Dieter mit ben ©orten be« Prologe« anbeutet: So ((breitet in bem engen ©retterbau«

Den ganzen Ärti« bei Schöpfung au«,

Unb roanbett mit bebäCbt'ger Sdjnette ©om §immel butdj bie SBelt jur £>öttc !

II. $tc ©runbibcc be« gauft.

Fimmel, ©eit unb $ölle! giirwabr, ein weiter ©eg! $?ein anbere« Drama, welche« Ooetfje un« binterlie§ , hurebmifit folcbe 9iäumc. Die Jpelben, welche er in (Söfr oon ©erlicbingen .unb (Sgmont un« oorfübrt, haben einen befdjränften, biftorifcb gegebenen, nationalen ©oben ;*) ift eine particuläre 3bec, bie politifebe unb religiöfe grei* beit, ber $ampf gegen Unrecht unb ©croalt, bie fie oertreten; unb ber ßinbruef, welchen ihr tragifeber Untergang bEroorruft, erfüllt unfere Seele nur na<h einer ©eite bi»; ba« ©efdjicf, ba« fie erbulben, bat nur ein inbioibuelle« ©epräge. ©eibe Iragöbien hoben eben« barum nur ein oorübergebenbe« 3ntereffe, wie bie >}rit be« ©türme« unb Drange« nabelegt, in ber fie entftanben.

(Sbenfo »erbält fid) mit ßlaoigo unb £affo. ©enn un« bie erftere formell mißlungene IragöbiTTäf©ilb ber harafterlofen Seiben*

*) fann an bie(er Stellt nid)t bie 9t6fid)t fein, übet beit materiellen ffiertf) biefer Dramen ju (preßen. 9iur im Sorbeigeben (ei barauf aufmerf*

(am gemad)t, baß bie f)iftoriid)en Jbatfadien in ben(elben auf« empftnbtidjfte T

gefälfdjt ftnb, unb baß ben roirflid)eu Sfjarafteren be« ©ö(j wie be« (Sgmont (djwcre ©eroalt angetban wirb, wenn ©oet^e fte ju Sertretern ber 3beale madit, roetefje ber (Seift bt« 18. 3<>btbunbert« fnf) gebilbet.

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Dr. $aul 5>ajfiur.

fd^aft oorführt, toetchc fid) fetbft wie bem ©egenftanb ihrer C'icbe gewattfamcn Untergang bereitet, fo ift bicfe« ein Stüc! aHenfdjentebcn im engen, um nid)t 51t fagen fimftücfj gemachten iKaljmeu. ©enn ferner bie melobifchcn, tabetloö fließenben ©erfe Saffo’S un« in bie uncr* grünblithe liefe bet (Stnpfinbungen eine« Dietere einführen unb beffen ©ebnen unb Stagen, ben Stampf ber 3beate mit her ©irflichfeit be« Üeben«, ben ©iberftreit mafjtofer Öeibenfdjaft mit ber oon ebtem grauenfinn bewahrten Sdfranfe ber Sitte oor Slugcn ftcüen, fo ift aud) biefe« nur ein particuläre« Sitb, eine pfptbotogifdje 3eid)nung, welche munberfd)ön im ßinjetnen, bocb nur ein gregment be« Seelen* leben« unb Scelenteibcn« bietet, unb beren fingulärer ßfjarafter nur in engem Steife ©erftänbnifj finbet.

2tudj Qpbigenie tritt au« bcm Nahmen eine« einjclnen 8eben«bi(be« nicht heraus ; bie tief ernfte ;Jbee ber Schulb unb Sühne, wcfthe ©octhe ber griechifchtn Iragöbic entnimmt, um fie in ben jerfloffenen garbcn ber mobernen Humanität wiebequgeben, fommt nur in einem befdjränt» ten Sreife jur ©ettung, unb Iphigenie fetbft, wie ihr ©ruber Oreft finb bei alter unb griffe ber 3««hnung bod) im ©efenttichen

unbebcutenbe ©eftaßen, welche mit attfeitigem fjntercffe un« nicht ju feffetn oermögen.

©anj anber« oerhält fich mit gauft : ben ganjen Srci« ber Sdjöpfung fott er au«fd)reiten, folt mit beböchtiger Schnette wanbern oom |)immel burch bie ©ett jur fpöUe. Sticht ein Stile! bc«

SDtenfchenteben« fott er un« oor äugen führen, fonbern ba« SOtenfchen» leben in feiner ganjen ©eite; nicht biefen ober feiten Sampf um

biefe« ober jene« 3beal, fonbern ben Sampf ber SDtenfchenfeete überhaupt; nicht irgeitbroelche Strt oon tragifchem ©efehief, fonbern bie Jragöbie be« attenfchenleben« at« fotefjen. ÜJtit einem ©ort: gauft

fott ber SDtenfch fein, niefet ein ÜJtenfd), fein Scben fott ba«

ÜJtenfchcnteben al« fotche« roieberfpiegetn, unb feine ©ahn bie ©ahn ber SJtenfchheit überhaupt barftetten.

ffia« btt ganjen SDtcnfdjhtit jiigttbtiü ift, ffiitt id| in mtintm innttn Stlbfi genießen,

Hiit mtintm (Stift ba« Jpödjjf unb litffit greifen,

3br Sohl nnb ffitl) auf mtintn ©ujtn häufen,

Unb fo mtin tigtrt Selbfl ju ihrem «Selbft erweitern,

Unb, reit fit fefbp, am Snb’ auch ich jerfchtitent fo fpricht gauft, nachbcm er mit ÜRepfjifto ben $act gefchtoffen, unb gibt eben bamit in ganj unoergteichtich fchöner ffieife ber ®rö§e ber 3bee ätuSbrud, welche in ihm jur ÜJarfteltung fommen folt.

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ßoetfif’S gauft at» 2kf)t}tt(f)fn tnobtrn« Suttur.

&

2D?it je größerem ^ntereffe wir bte 3 b e e erfaffen, roeldje in gauft ißren Sluebrud finben foü, um fo näljer roirb uit« bie grage liegen: au? melier Duelle fc^öpft ber ®icf)ter ba« 25erftänbni§ be« ÜRenfdjenlebcn«, ba« er in feinem großen ©ilbe jufammenfaffen will? Um 511 biefem ©erftänbniß ju gelangen, genügt nic^t, bie grogc unb fleine SDienfc^enroelt fid} anjufeßen, welche in bunter 2Rannigfaltig» feit fidj un« norftellt. Die äußere ©eobadjtung füfyrt ni$t in ba« innere gefjeimnißoolle geben ber 9Renfd)enfeele, noef) eiet roeniger Der» mag fie bie bunfetn SBege ju entßüllen, reelle bem URenfcfjcn in ber Gmigfeit fitft öffnen. Ser ba« geben ber 3Renfd)en barftellen will, muß im Sid)te jener Sille« bdjerrfdjcnben Sffiat)rt|eiten erfaffen, welche ba« fittlid)e unb religiöfe ©ewußtfein aller SBölfcr au« ben Slnfängen ber menfdjlid)en ©efd>id>te bewahrt, unb roeldje al« ÜRit* gift ber natürlichen ©ernunft wie al« iibernatürlidje ®abe ber Offen» barung Don @otte« ©orfeßung in ben 3Q^i'l)unberten bc« Slltcrtljum« behütet würben, um fie in ber ßefjre be« Gljriftenttium« jur Dollen fllarl)eit ;u führen.

Dtefe fittlid)»rcligiöfcn Sattheiten allein enthalten bie Sdjlüffel jum Serftanbniß be« SRetifdienleben«. $nbem fie un« ba« ®e= heimniß ber göttlichen ©eredjtigfeit unb Siebe oor Slugen ftellen , ba« ©eßeimniß ber Sdjulb unb Slil)ne, be« Seiben« unb ber Grlöfung, gießen fie ein Ijelle« giefjt über ba« Streben unb SRingen be« üRenfdjen. Selbft in üCunfel gefüllt unb be« ÜRenfdjen ©erftanb iibcrragenb, finb fie, wie ©a«cat fagt, ba« fternenreidje girmament, in welkem ber 9Renfd) allein .giel »mb Söeg feine« geben« erfennt.

Sluf biefe großen, Sitte« tragenben unb Sille« umfaffenben Saßr* feiten mußte ©oetlje bliefen, wenn er in feinem gauft ba« Orama be« 2Renfd|en fdjaffen wollte, unb in bem SRaße, al« iljm ge» geben war, ftar unb tief unb ernft auf fie ju fefjauen, in eben biefem ©iaße mußte fein gewaltige« Sßerf gelingen. SDiefe« ©laß ber f larljeit, ber liefe unb be« Grnfte« ju beftimmen, wirb ber ©erlauf unferer Gr* örterung nicht oerfeljfen. ^unächft aber müffen mir baran erinnern, baß ®oetf)e nicht ber Grfte ift, welcher bie Slufgabe übernahm, ba« ®rama be« ©lenfd)enleben« ju fdjaffen.

Sille ßutturDölfer be« SUtert^um« Ijaben biefe Slufgabe, jebe« in feiner Seife, erfaßt, unb alle ©oefic hat in berfetben ihren 3lu«gang unb itf le|te« ,3iel.

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Dr. ©aul $ offner.

m. Sie »orbilbtr beS ^ouft.

Um nicht in bcn fernen Orient uns ju oerlicren, roerben mir oor 2111cm ber griec^ift^cn Oidftung bit Slnertennung febutbig fein, baß fie mit tiefem (Srnfte an bem großen Silbe gearbeitet bat, roefdje« ©oetbe im gauft uns ju geben oerfpriebt. Sit finben baS ®rama beS SWenfc^cnteben« in bem gebeimnißoollen aWrjt^uS beS Prometheus, welchen 2tcfc^t)lo6 in einer Iritogie bramatifdj barftellt.

Prometheus erfefteint un« bi« als ein bämonifebes Sefen, als ^albgott, welcher gegen ,3eu$ fi<b auflcbnt, auch bie SÜJenfcben jur Sluflebnung oerfü^rt unb ißnen baS Porred)t ber ©ottbeit, baS geuer, jur Grrbe bringt. 3n unbänbigem Jrofc fpriebt er ju ,3eu8:

fahre nieber bein ©tif} jünbenber Strahl,

Sie weiß geflügelte* Sdjneegcjlöber,

bonnernbem Srbhe&en fehwietbenb Stürje ba* 2(11 ringsum gemilcht;

Sr iofl mich bo<h nicht beugen.

Prometheus bU§t feinen titanifeffen Uebermutb unb erfebeint an ben ÄaufafuSfelfen gefdjmiebet, wo ihm ber ©eier an ber Scber frißt, als Silb ber fcbulbbelabenen teibenben üftenfebbett; barum ruft ibm ber fibor 5U:

Siehfi bu nicht, bu fjaft gefreselt;

Sie gcfrettelt, ba* ;u lagen

3ft mir leine greube, Summer bir!

9tun finb’ Srlöjung irgenb bir Don biefer Dual.

Prometheus b“t bie Hoffnung auf Srtöfung. 6r beantwortet 3o’S, ber ftbmerjenreitbcn Tochter beS 3nad)o8, grage:

Ser wirb bich aber tdfen roibet 3m*’ ®ebot? mit ben bebcutungsoollen Sorten:

Selbft einer beiner ©(troffen ifi baju beftimmt.

Unb biefe Hoffnung beftätigenb, oerfünbet ibm tpcrnteS:

Xiiefer iDiühfal $>ei( erwacht bir nimmermehr,

S* erfcheine benn, al« beiner Dual Vertreter,

Sin @ott, bereit herabjufieigen in bit 9iad)t be* §abe«,

3n bt* lartaru« finflere Siefe.

®aS große ©ebeimniß ber Scbulb unb @übnc, ber Ouat unb Süße, ber ©eretbtigleit unb ©arm^ergigfeit, welches in SlefcbhluS’ Sxilogie »nie am bunden Plorgenbimntel aufleucbtet, fteßt in oollem ©lange über ben tbriftlidjen 3abrb»nberten unb tnirb in biefen attcb poetifib in ber mannigfaltigften Seife bargeftellt.

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gauft als SBaijrjtitljcn moberner Kultur.

7

©o fcf)ilbert un« bie finnige (Rönne $ro«witl)a (f $68) in einem au« bem ©riedjifchen überfommenen ©ebidjte „JfjeophiluS", ba« gingen eine« SRenfthen, meidet bie Rodung unb bie Berfuchung be« Teufel« überwunben, um in Gtjriftu« ben Stieben ju finben.

3lu«fiif)rtid)cr unb pfpdjologifd) reifer entwicfelt (teilt un« biefen flampf BJolfram non ©fd)enbad) (c. 1200) in feinem „(ßarjioal" bar. ^Jarjioat ift ein (Ritter, meiner ben ^eiligen ©rat fud)t. 3n mannigfacher ^rrfa^rt unb fittlid)er Verirrung oerloren, nach man» nigfadjen Kämpfen mit feinem greunb ©aman unb feinem $alb« brubcv Seirefij , finbet er burd) innerfidje Buffe am ©Karfreitag bie geiftige (Reinheit roieber unb gelangt fo ju bet ©raiburg, wo er SBeib unb Äinb unb fönigtidje ©hre finbet. ^ßarjiuat ift ber Gerben« pilger überhaupt, ©aman bie weltliche Suft, geirefij ba« ipeiben« tlpim, bie ©raiburg ift bie Bereinigung mit ©ott.

ßbenfo pfpdiologifcf) fein, aber nod) plaftifcher (teilt un« bie gro§e 3bee be« 3Renfcf|enleben« ©alberon (f 1681) in feinem el magico prodigioso bar. ©pprian, ein junger Ijeibnifdjer Bh>t°f°Pb, ringt im Sampf mit einem al« ©aoalier getleibeten Dämon nach bet mapren ©rfenntnijj ©otte«. Der Dämon unb er felbft tönnen ber 2Rad)t ber BJafjrheit nicht wiberftehen. Da tritt bie finnliche Suft bajmifchen, ©pprian fdjlie&t einen (ßact mit bem Dämon, um 3>uftina ju gewinnen. Diefe wirb oon bem Jeufel oerfud)t, aber fie fiegt, unb ber Jeufel bringt ©pprian ftatt ber 3“n9ftau ein ?hantom/ welche« er al« Seiche crlennt, worauf er felber fid) betehrt unb Gihrift wirb.

©eine ©Unben werben ihm oergeben, ber Dämon flieht, ©pprian unb 3uftina fterben al« URärtprer für ben ©lauben.

Bon bem buntein aber tieffinnigen SRptlju« be« (Prometheus wie oon ber flaren unb warmen Segenbe be« üRittelaltcr« fpecififd) oerfchiebeit ijl bie ©age, in welcher bie neuere B«'?« bie 3bee be« menfchlichen Sehen« barftellt, bie fogenannte Sauftfage.

3ht Urfprung ift bie gäprenbe 3E*t be« IG. 3ahrhunbert«, jene <, 3eit ber SRenaiffance unb (Reformation, in welcher älldjpmie unb (JRagie wie üppige« ©eftrüpp au« geborftenem ©emäuer hcroortreibt. ©ine« Bauern ©ofju ju Snittlingen in Schwaben geboren, ftubirt Sauft in BSittenberg, fpätcr in 3ngolftabt Jheologic, wirb bann ÜRagifter unb führt mit feinem Saniulu« UBagner (au« JBafferling) unb mit $iilfe be« üRephiftophele« *), mit bem er auf 24 3ahrE einen ?act gefchloffen,

*) angeblich gebilbet au« ur;-<pcDt;-rpiXo<;, btr Südjtfepeue, Stufet, ma&r- {dltinlicp Don mephitis, @tf]tt>efelbunft.

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8

Dr. ©aut ^offner.

allerlei fünfte au«. Sr trinft in Saljburg bem S3if«^of ben Äcller au«, rcgalirt bie Stubenfen in geipjig mit ©ein, fegelt ju Ulm auf ber £)onau, citirt in ber Jjumaniftifdjen Unioerfität Srfurt bie §elena, mirb aber nach 24 3a^ren pünftfidj SRacht« 12 Ufpr ju SRimlich oom / Seufet geholt. ^

Oiefe« bie ursprüngliche gauftfage. *)

gange mar Dr. gauftu« eine giebling«figur be« beutfdjen 93olf«theater§ unb mürbe halb ernft halb launig bejubelt; morüber Sreijnach un« aubführticf) berietet.**)

Slud; in Sngtanb finben mir bie Sage jur ^eit ^^afefpcarc’« bramatifch bearbeitet.

$>en erften fragmentarifdien 33erfud), bie gauftfage fünftlerifch ju bchanbeln, machte in Oeutfdjlanb öeffing (1773). folgen

ein halbe« (Jahrhunbcrt ^inburdt uor, neben unb nad) ©oettje’« Slrbeit eine 2Rcnge oon bramatifchcn 33erfuchen, oon benen nur fummarifd) hier genannt joerben folfen: genj (1772), 3)Jater SDlüller (1776), Älinger (1791), e^amiffo (1804), Stein« (1804), Schön (1807), Älingemann (1815), ®rabbe (1829), genau (1836). Slud) in oer« fchiebenen Opern mürbe gauft bargeftellt.

fann unfere Aufgabe nicht fein, aud) nur einigermaßen feft* juftellen, ma« ©oethe au« biefen früheren airbeiten gefchöpft ober fpöteren überlaffen habe. 3n formeller $inficht fmb fle mit ©oetbe’6 Schöpfung !aum ju oergleichen, unb auch tyr innerer ©e^alt fteljt an SReichthum, mie an Schärfe ber 3e'4nung roeit hinter biefer juriicf.

Sohl mögen bei bem Sinen ober Slnberen, namentlich bei genau, einjelne tiefere 3been fich finben, meldje ©oethe fehlen : im ©anjen hat ©oethc unftreitig in feinem gauft ba« Sitb be« ÜRenfchenleben«, mie folche« fich auf bem Stanbpunft ber tnobernen ßultur ergibt, in ber reichften gülle unb jugleich in ber abgerunbetften gorm gejeichnet. Sie mannigfaltig unb bi«parat auch bie ® eenen finb, in roctchc ba« ©anje fich fcheibet, bie Sinheit ber ©runbgebnnfen geht niemal« oer» Ü loren. Oicfe Sinheit ber Sompofition ift ganj befonber« flar in bem erften Jfjeile ju ertennen ; aber auch ber jroeite hat trofe ber SRannig« faltigfeit feiner Oetait« eine mohl burchfichtige ©lieberung.

*) Sine ipätere grobe ®er»ecfj«lung ift e«, wenn bie oben gefdjifberte ^erfon be« gaufi mit bem Crfinber ber ©udjbrudertunfl ibenttflärt roirb. ®iefer ebrenfefle ©otricier be« 15. galjrfiunbert«, 3oljannt« gufl, bot mit bem SKagiter be« 16. teinerlei Sent>anbtid)aft.

**) ©er(uct) einer ®e(cf)id)te be« ä3olt«f<baufpiel« norn ®octot gauft.

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©oetbe’* gaufi oIS Wahrjeiebcu moberner Siiltur.

9

IV. Sit (Siniljftlung bt« gaufl unb btr Prolog.

Verfudjen wir äunöchft, bie ©lieberung unfere« äöerfc« im Slllgemeinen anjubeuten. Der Dichter eröffnet ben erften Iljeit be« ffauft mit einem Vorfpiel auf bcm SCfjcatcv unb einem Ißrolog im $immel. Obgleich biefer 2t)eit in Siete nicht gerieben ift, fo lägt er fid) bod) mit Ceidjtigfeit in fünf £>auptacte [Reiben: 1. bie Einleitung be« 'fjacteg mit bcm Jeufel; 2. bie Einführung Rauften« in bie Sahn bc« finnlithen f?eben«genuffe« ; 3. bie Verführung üftargarethen« ; 4. SDiargarethen« Sdjulb unb ?eib ; 5. ba« (Bericht über SMargaretha. Der jweite Streit ift Don ©oetlje fclbft in fünf Siete cingctheilt. Doch ift es ungleich fd)wieriger, ihren 3nljalt mit Seftimmtheit anjugeben. 3Bir fehtn, wie $auft 1. am £)ofe be« Jlaifer« erfchejnt, um ©elb, Ver= gnügen unb Eh« ju fchaffen ; 2. bann tiefer ftrebenb bie Helena, b. i. ^ellenifdje Silbung fucht; 3. fie finbet unb fich mit ihr oer* möhlt, aber auf« neue fie oerliert; hierauf 4. ju prattifcher philan* thropifcher S^ätigfeit ftd) wenbet; 5. in bitfer ftirbt, bem Jeufet ent« fommt unb jum $immet fteigt.

Der turje Stbrig, ben wir jur Orientirung hi« ooranftellen, genügt ju jeigen, welchen überreichen Stoff un« ber dichter bietet. Die Detailbetrachtung mug fich felbftoerftänblid) auf bie $auptftii<fe befd)ränfen.

^unächft intereffirt un* ber Prolog im f)immc(.

9iad)bem bie Stengel Otaphael, ©abriet unb 9Dii<hael in erhabenen ©efängen be« Schöpfer« boße 5Berte gepritfen, erfcheint SDfephifto oor ©otte« Jh«n.

3n btr eigentümlichen SOJifchung eine« Schalt« unb Jeufeie beginnt er ju fprechett:

®trjrib’, ich fatm nicht hob? Worte machen,

Unb wenn mich auch ber ganje Jtrei* oertjöhnt, ajtein ^iatho« brächte hieß gewiß jum Sachen,

Jpätt’fl bu bir nicht ba* Sachen obgewöhnt.

S?on Sonn’ unb Wetten weiß ich nicht* ju lagen,

3cß {ehe nur, wie ftch bie SRenfcßen plagen.

9tad)bem fid) üJtephifto atfo am Jßrone ®otte« eingeführt, fd)il-- bert er be« ÜJienfdjeu 8tben mit bo«hafter Ironie:

Sin wenig beffer wflrb’ er lebtn,

$ätt’ß bu ihm nicht ben Schein be* §immet«licbt9 gegeben;

Sr nennt’« SJernunft unb braucht’« allein,

Kur tbicrifeßer als jebe* Xbier ;u fein.

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10

Dr. Paul §affner.

Stuf bie grage beS |jerrn: Äennft Du ben gauft? fdjilbcrt tr beffen geben:

gürroaljrl ft biftit rud) auf beionbre ffitiif. fJlicht itbüd) ifi be« lijotfu Iranf noch Speife.

Sbn treibt bif ®äf)rung in bie gerne;

Cr ifl fiep feiner loöbeit halb beraubt :

Som $immel forbert er bie fdjönfien Sterne,

Unb Don ber Crbe jebe f)öd)ftc i’uft,

Unb alle Jtäf)’ unb ade gerne ©efriebigt nicht bie tiefbewegte ©ruft.

hierauf erhält SDlepljifto bie ffirlaubnijj, gauft ju oerfudfen:

@o fang er auf ber Crbe lebt,

@o lange fei bir’8 nicht Derboten.

irrt ber fDtenfih, fo laug er ftrebt !

ÜJJep^ifto bebanft ftd) fjierfiir, ber $err aber zweifelt nicht, ba§ fjauft befiele :

Cin guter fNenfch in feinem bunleln ®range 3b fich bt« rechten SBcge« raoht beraubt.

hiermit fdfliefjt bie Unterhaltung nach einer nicht fe^r correcten Ph*fof0Ph>t üb« ben 3wecf be8 Jeufels mit bem SluSbrud ber 3U’ friebenheit Dort Seite be8 (extern :

S3on 3tit ju 3eit feh’ ich ben alten gern,

Unb hüte mich, mit ihm ju brechen.

ifi gar bübfd) non einem groben £>errn,

®o menichfich mit bem £eufel felbft ju fpredjen.

Der Stoff biefcS ‘Prologs ift bem Such 3ob entnommen, welches gleichfalls in ber gornt eines ©efpräcffS jtrifchcn ©ott unb bem Jeufel bie SBerfudfung 3ob’8 einleitet; aber bie erhabenen ©orte biefeS | ehrmürbigen ©udfcS erfcheinen in ©oetfje’S Prolog als frioole Jraoeftie.

Der ewig fertige ©ott wirb in einen österlich philofophirenben Pabagogen beS 18. 3flhrhunöcrt8 oertoanbelt, ber fogar bem Jeufel faßt:

3eh habe beine« ©(eichen nie gehabt,

ber Jeufel aber in einen ffeptifch boshaften Sthalf, ber mit ©ott auf famerabfchaftlichem gu§e fteht. Die geiftreiche gorm, in welcher beibeS gefchieht, foll nicht unterfchäfct werben; bie perfiflage beS üftenfeffen namentlich ift einjig in ihrer Srt: bem <5rnft einer Jragöbie, in welcher be8 2Jfenfchcnleben« IRSthfel feine Söfung finben foll, ent« fpridjt biefer Prolog nicht. 3°, tr oerräth un8 im 58orau8, bajj bit ethifchc ©runbanfehauung ©oethe’S einer folchen göfung im o ollen

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©oethe'* gauß al« ©ahrjeicßtn mobtrner Cultur.

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(Srnft überhaupt nid)t fäfjtg ift. ^ßrincipteü «gibt fic^ biefe« befonber« au* btn ©orten, roetrfje ber Dieter bem §errn in ben SfJfunb legt:

C* irrt ber SKenich, fo lang er ßrebt,

trab:

Sin guter üÄtnjtf) in feinem buntein Drange

3 fl ftcf) be« rechten ©ege« wohl bewußt.

3n biefen beiben ©orten ift bie ©runfcanirffauung ©oetße'« im 33orauS ongebeutet: Die 3laturnotf)roenbigfeit be« 3rrtl)um8, alfo bie ßeugnung ber fittlidjen ©djulb, bie naturnotfjroenbige ©üte be« ÜDfenfdjen, alfo ba« ©elbftgenügeti be« natürlichen ■Kcnftfjen ju <£rreid)ung feine« 3ide«-

Diefe beiben ©ebanfcn jiefjen fid) wie jruei (eitenbe gäben burtf) bie ^Dichtung, um enblicf) in bem festen ©ebanfen fid) ju Derfdjlingen :

©er immer firebenb i i d) bemüht,

Den tönnen mir erlöfen.

33erftel)en mir biefe ©äße recht, fo fantt un« fein ^weifet bar* über fein, ba§ ©oetlje ba« SWenfdjenlcben, beffen 3bee er in feinem gauft barfteüen roill, unter gan, anbere begriffe fteQt, a(« biejenigen finb, welche ba« ljeibnifdie ältertffum unb ba« Gljriftentljum un« bietet. Der Segriff ber ©ünbe, roie ber ©nabe unb ßrtöfung ift im SSorau« au«gefd)lof fett. Stile« ift 9?atur: bie ©ünbe, roie bie ©nabe, unb ebenbarum auch bie (grlöfung. ©ie ©oetlfe perfön* lieh }u biefen Gegriffen gelangte, ift hier nicht ,$u erörtern.*) muß

*) ©oethe’« Sehen (1749—1882) fiel in eint 3“1« in welcher bie rcligiöfen Clement, welche bie proteßantijebe ®i(bung au« ber faiboliicfjett Vergangenheit ftcf) bewahrt hatte, “nt* m>t biefen aud) bie alte Strenge filtlidjec 3ucßt bereit« fthr morfd) geworben war. Schon al« ffitabc fließ er auf bie rationa(ifHfd)e Sin= wtnbung, welche ben ©lauben an ®otte« Vorfehung unb bie 2Rad)t be* ©ebete« erfch&ttert unb ba« pofttiue Chrifienthum oeräehtlid) macht, ffienn er botf) mit ber ©ibel fich juweilen befcljäftigte unb bie Deißen haßte, fo war biefe« mehr ©efehmaef al« Ueberjeugung. Sr war be« ©tauben« baar, aber Bor bem Stepticiemu« bang. Die pfjilofop^ifdß- theolofliicfjen Stubien, welche ©oethe fpäter machte, führten ihn bureß bie tnannigfaltigßen ©ebiete : erft jur ‘Äldjhmie be« Dhtophraß unb jum fKeuplntotiimu« be« ©ruito, bann ju ben Stationalißen Spinoja, ©aple unb Sejfmg, in ber fpäteren ©eviobe aber ju jenem feltiam oerworrenen 3Khfüci«mu«, welcher im II. Iß»! be* fjauß fich ablagert. Sine beßimmte ?ln> ießauung gewann er niemal«, ausgenommen bie negative, baß er mit Boiler Snt* feßiebenheit ben roßen 2ÄateriaIi«mu« haßte, wie er Bon beit gratijoieu breitgetreten würbe, aber auch ebtnjo entfehieben ben übernatürlichen, auf Offenbarung gegrlln* beten djrißlirfien ©lauben Berwarf.

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12

Dr. 'Paul §affner.

unö genügen ju conftatiren, baf* bev “ißrofog, mit meinem bcr Dieter fein ©erf einleitet, bicfelben mit Doller ©dfärfe in« 2id)t fteßt. Slber feljen mir, mic er burdjfütjrt.

V. 2)er ipnct mit bem Teufel.

Der erfte Skt fü^rt unö in gauft einen ©eift oor, melier mit ungeftümem ©treben ber ©iffenfdjaft fid) ergibt, aber unbefriebigt unb angeelelt Don ifjren 3?efultaten ber ©tepfi« fidj überläßt.

§abe nun, ad)! $f)i!°iopt)if,

3utifltcti uub ÜMebicin

Unb, teiber! and) Eheologie

Eurd)au3 flubirt, mit heißem Bemübu.

Ea flti)’ id) nun, id) armer ttbor!

Unb bin fo ttug, als tote jubor,

fo beginnt gauft feinen SDtonolog unb roenbet fitf) hierauf $u ber SDiagie :

Er um bub' id) mid) ber SBiagic »geben,

Ob mit burch ®eiflefl Straft unb ÜRuni Stiebt manch @ef)timniß mürbe (unb.

Der ©eift aber rocift ißn mit ben ©orten jurücf:

Du gleich ft bem ©eifl, ben bu begreif fl,

Sticht mit!

211« frfjarfer ßontraft gu bem ungemeffenen ©treben bc« gauft erfdjeint fein gamulu« ©agner mit bem djarafteriftifdjen Attribut be« ©djlaftocf«, ber 'Jiac^tmüge unb 8ampe, um fein armfelige« öüdfcr* miffen mit p^ilifter^aftem ©enügett breit ju legen:

BJtit ffiifer bab’ ich mid) bet Stnbien befliffen;

3 mar roeiß ich »iet, bod) mödjt’ ich «Be® miffen, fo fpridft ©agner; gauft aber, nur nod) meljr angeelelt Don biefem „föaalcn 3CU0/ überläßt ftc^ auf« ’Jteue feiner maßlo« itberfdjäumen* ben unb jugleid) Derjroeifelnben ©timmung unb greift julefct nad) bet ‘ißffiole, um fid} ju Dergiften. Die Ofterglocfen unb ber Gljor ber 3ünger unb ßngcl galten iljn jnrütf.

(Shrifl ift erfianben! greube bem Sterblichen,

Een bie oerberblichen,

Sd)fcid)enben, etblicheit Stängel ummanben.

Obmo^l er fagt:

Eie »otfehaft hör’ ich mof)!, aBein mir fehlt bet ©taube.

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©oetbc’« jjauft als 2ÖQf)i'5cid)tn mobetner (Sultur.

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fo ift bocf) bie <briftticb<frommc ©rinnerung in i^m ju mächtig:

Srinnrung fjält midj nun, mit tinbliebem @efül)le,

33om lebten, trnfim Sdjritt jurücf.

O tünet fort, ibr fügen $>immet«licber !

$ie ©bräne quillt, bic ®rbe fiat mitf loiefcr!

®iefe Scene ift aftfjetijd) ein ÜReiftertoerf. 2lucfj pftjc^ologifd) ift fie oon einiger 2lrt. $>örf)ft roof)ttfiuenb tritt aurf) bie Uttacbt ber ^Religion ^eroor. Ood) ift nidft ju überfefjen, ba§ im ©runbe bocf) nur ein nerfcfpomnteneS ©efiibt, eine Ougettberinncrung ift, eine Sotfdjaft, melier ber ©taube fefjtt.

2ln biefe erfte an 3b«ti toie an ^>anb(un0cn oorjügtidj reidje Scene fdbtiejjt fief) at« peite ber Spaziergang, toetefjen gauft mit SBagner am Ofterfeftc macht; oon reijenber Sd)önbeit at« 33ilb be« frifdien 8eben«, ift biefe Scene jugteid) ba^u beftimmt, un« gauft’8 jerriffene Stimmung ju enthüllen:

3«iei Stelen mobilen, ad) ! in meiner Srufl,

Sie eine mit! ftd) oon ber anbern trtnnen.

Schließlich bient fie at« Sinteitung zu bem SeufetSpact, benn auf biefem ©pajiergang gefeilt ftd) ju gauft ber gebeimnifjootte ^Jubet, au« welchem fief) ÜReptjißopbete« enthüllt.

Oie erfte öegtgming mit ÜRcpbifto erfolgt aber fjödjft ebarafte* riftifef) in bem Stugenbtidf, ba gauft mit ber f)t- ©djrift fief) befdjäftigt, freitief) nicht at« bemiittjiger öefer unb Schüler, fonbern at« pt)itofopt)ifcf) freier Ueberft^er unb (Syeget:

üJlid) brüngt’«, bttt ©runbtejrt aufjuidjlagen,

’Diit reblidjtm ©efübl einmal

®a« heilige Original

3n mein geliebte« ©eütfd) ju übertragen.

Ob ©oetlje fo gebaut unb gewollt, ober nicht: ift ein meifterljafter ^ug, baß er be« Stufet« ^act mit ber freien iBibetforfdjung in fo enge ©ejiebung bringt.

Unterbeffen bat ber fnurrenbt 'fJubet fitb entpuppt. ®urdj öe- [chroörung genötbigt tritt ÜRepljiftophele« in ber ©eftatt eine« fahren* ben Schüler« beroor unb ftettt fitb Sauft fofort mit böcbft oerbätbtiger ^5^itofopf)ic oor, at«

©in ©feil oon jener traft,

$ie ftet« ba« ©bfe roitf unb fiel« ba« ©ute fefafft.

34 bin ber ©tifl, ber ftet» oerneint!

Unb ba« mit fReeft; benn alle«, toa« entfielt,

* 3 fl roertf), bag ju ©runbe gebt.

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Dr. *JSaut ©offner.

ÜRit oerbäcgtigtr ^gilofopgie, fagen wir, benn fit gebt bie perfönlidjc wie bie fittlicge 'flatur beö Stufet« auf, um ein unperfön* liege« fo8mifcge® fßrincip an beffen ©teile ju fegen.

®a8 ift nicgt bie c^rifttic^e, fonbern bie pantgeiftifcge 3bee be« Söfen, eine 3bee, wclcge befonber« claffifcg in $egel’8 ©gftem igren 3lu«bru<f gefunben gat.

Slber galten wir un« gierbei nicgt auf. üftepgiftopgeleö fommt wieber, gauft fpricgt igm feinen ganjcn Sebenöüberbrufj au«, er flucgt »llem:

fffudi (ei ber Hoffnung! gfud) bem ©lauben!

Unb Sind) oor allen ber ©ebulb!

£>a« ift fegr pfpcgologifcg gewiigtt— ber ÜKoment, in welcgem ber Üeufel igm ben ^3act anbietet:

©Br’ auf mit beinern ©rarn 51t fpielen,

25er, wie ein ©eier, bir am Seben frißt !

Eie fcgtecgtege ©efettfigaft lägt bid) faßten,

Eag bu ein ffitnjd) mit SDtenfcgen bifi.

3tg miß inid) gier }u beinern Eieng nerbinben, auf beinen ffiin! nttgt tagen unb nidjt rugn ; ffienti wir uu« b r a b e n wieberftnben,

©o jogg bu mit ba« ©leicge tfjun.

SBorauf gauft:

Ea« Eriiben tann midj wenig tüminem;

©cblägg btt erg biefe SSeft ju Erümmem, ,

Eie anbre mag barnadj entgegen,

3Jiit biefen ©orten wirb ber knoten gefigürjt. 93on gotß* miitgigem ffiiffeneftolj gleidjjeitig jur IDiagie unb jur ©fcpfis geleitet, ber SBernuttft unb bem ©lauben entfagenb, galb leben«burftig, galb oer- jweifelnb, übergibt ficg gauft bem ©Öfen. fföepgifto aber fpricgt über ign ba« prognoftifcge Urtgeil, inbem er fagt:

3gm gat ba« ©cgidfat einen ©ritt gegeben,

Eer ungebänbigt immer norwärt« bringt,

Unb beffen übereilte« ©treben Eer Srbe (freuten überfpringt.

Een fcglepp’ id) burd) ba« wilbe Seben,

Eurd) gaege Unbebeutengeit ;

Sr (ott mir sappein, garten, Heben,

Unb feiner Unerfättlicgteit

©ott ©pei« unb Iran! Por gierigen Sippen fegwebett,

Sr wirb Srquidung fteg umfong ergegn,

Unb gätt’ er fttg aud) niigt bem Eeufel übergeben,

Sr mügte böig gu ©runbe gegn.

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Sottet’« gauft al* SBabtjtidjen moberner Suttur. 15

Sie triigerifcfje Seben8roei8heit, mit welcher üfteppifto ben mafjlo8 ftrebenben unb im Streben ermübeten ®eift be8 gauft att fi<h 511 feffetn Dcrftefft, finbet einen fjödtft originellen tüommentar in bem fomifch» ernften ©efpräch, welches er, in ba8 lange Steib beö gauft gehüllt, mit bem Schüler führt unb in welkem er fein Urteil abgibt über bie oerfd)iebencn ©iffenfchaften, ^3^ilofopt)ie, 3uri8prubenä, Serologie unb üftebicin. geine Ironie oerbinbet fid) mit falter SfepfiS, um fchtiejjlich ber Sinnlichfeit ba8 lefctc SBort ju laffen. 2Ba8 SQ?ephifto oon ben gacultaten unb Don bem Unterricht fagt, ift gleich fefjr eine Satyre, wie ein Programm ber ©iffenfchaft, welche ba8 Sicht be8 ©laubenS unb ber Sittlichfeit oerloren f)at- Eritis sicut Deus, scientes bonum et maluin. Siefe ältefte Seoife ber Verführung fchreibt 2J2ept|ifto bem Schüler in8 Tagebuch unb ruft ihm hämifch nach:

gofg’ nur bem alten ®prud) unb meiner 2J!uf)me, ber @dflange,

®ir wirb geroiß einmal bei beiner ®ottäf)nfid)Wt bange!

S8 wirb hiermit aufs neue ber ©runbgcbanfe beS ganjen erften 2lcte8 unb bie ©rnnblage beS Srama’8 überhaupt auSgefprochcn, ber ©ebanfe nämlich, baf? ber SDienfch in ftoljem Streben über bie ©renjen feiner DJatur jur ©ottähnlichfeit fich erpebenb in bie ©ewalt ber Sinn» lichfeit hemieberfalle, um in ihr nach furjer ßuft bittere $ein ju finben. Siefen ©ebanfen hot 5er Sichter ber cfjriftlichen Srabition entnommen unb wenn auch nicht in Dollem Crrnfte, fo boch mit frifchen unb fcharfen .ßügen au8gefüljrt; bie ©runbanlage unfereS Srama’8 rupt auf bemfelben. Ob er mit Doller (Sonfcquenj ihn feftgehalten, werben wir fpätcr fetjcn ; junächft haben wir ben jweiten Slct in« Sluge 3U faffcn, welcher baju beftimmt ift, bie Segierlichfeit in gauft ju wecfen unb bie geffeln ber Sinnlichfeit um ihn ju Werfen.

VI. Ser neue ficbcnSlauf.

3wei oerfchiebene ©ege finb cs, auf welken ber fdjalfhafte, büftere SDleifter feinen Seljrting au8 ben ibealen ^topen in bie Siefen ber Sinnen luft einführt.

34 muß bid) nun vor allen Gingen 3n luftige ®efeUfcf|aft bringen,

Xamit bu fcctift, rote leidjt fidj’s (eben läßt.

ü)2it biefen ©orten führt 3J2ephifto gauft in SluerbachS Seiler. Sie Scene, welche ©oetpe hi« ebenfo plaftifch berb al8 farfaftifch fein

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16

Dr. “baul §ajjner.

entwirfelt, ßat btn 3rof<*> bi* 8uft ber roßen ©innlitßfeit in itjrcm Junior wie in ißrer ©eftialitiit barfufteüen.

Un« ifl ganj fannibafifcC)

Ul« roit fünfßunbert Säuen!

fo fingen bie 3ecßer, unb 3Jlepßifto bemerft baju mit trefflicher Ironie: Da* Soll ifl frei, fefjt an, wie woljl’« itjm gebe! wößrenb er gauft, btt abjufaßren begehrt, mit ben ©orten feftßält:

@ib nur er(i Udjt, bie Beflialität Sirb fuf) gar btrriirf) offenbaren.

Da« gefchieht in bet bcfannten ©pufgeftßicßte, weliße ba« mun* tere SBilb abfcßließt.

©eiten bürfte einem Düßtcr gelungen fein, mit fo wenig ©triißen ein fo ßeitere« uitb ernfte« pfgcßologifcße« ©ilb ju jeicßnen, wie eS uns in Stuerbach^ Seiler oorliegt. @8 bietet baSfelbe jcboch nur eine ©eite beö neuen Lebenslaufes , welken Sföepßifto feinen ©cßlißling führt. Sin bie laute unb wilbe 8uft ber 3ct^et fließt fih ber geßeimnißoolle 3au&er ber Jpejrenfüchc an.

Die bizarren Sinjelßeiten, welche ©oetße in biefer ©eene fte würbe erft fpäter auf ber italienifcßen 9?eife gebietet un« oor* führt, follcn h^r nicht oerfofgt werben. ©a« bie üJiecrfaßen unb bie $eje an rounberlidjen ©prüfen juin ©eften geben, ßat im ffiefent» ließen boeß feinen anberen 3®ecf, o(« baß ÜHepßifto fieß erlauben barf, ben ©tauben in bem Aberglauben mit ben ©orten ju oerßößnen :

Sin »offfomntnet Sibcrfprudj

SIfibt gleitf) gebeimnifwoff für Sluge wie für Dßorat.

Wein grrunb, bie jfunft ifl alt unb neu.

$6 war bie Art }u affen 3e*ten,

Durtf) Drei unb Sin«, unb Sin« unb Drei 3rrtf)um fiatt SBafjrtjt» ju oerbreiten.

Dßne ^weifet fpritßt üJiepßifto ßier ganj im ©inne be« Dicßter« ; aber wa« foll benn überhaupt ber ©puf? ©a« will ©oetße mit bem 3<tubcr? 3ft er ernftgemeiut, ober allegorifcß, ober ffeptifcß, ober gar fatßrifcß? biefe grage wirb un« wieberßolt fieß aufwerfen. ©ietleicßt Alle« jufammen. ©atan unb £>cjen liegen ©oetße allju tief im ©inne, al« baß er fidj oon benfelben ganj lo«ma(ßen fönnte. Die Aufttärung feiner 3eit unb nicht minber ber ßeutigen 3e‘t »(reinigt mit materialiftifcßer ©fepfi« ben craffeften Aberglauben. Au<ß in ©oetße fehlte biefe fDiifcßung nicht- Die §ejen finb, wie ÜRepßifto fetbft, ßalb ©tßerj, ßalb firnft.

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©oetße’« Sauft als Jöat)tjfid)en mobtnitr Suftur. 17

unb ift fdjroer, baß £)oppelfpiel ju fdjeiben. 35ie crnftc ©eftalt beß Jeufelß wirb ftetß mit buntem ©djerj maßtirt:

Sud) bte Kultur, bie affe Seit belectt,

§at auf ben Grufti ftd) crfirecft ;

®arum bebien’ idj mitf), mit mancher junge 'JJtann,

©eit Bielen 3<>b«n folfdjer Saben.

3cf) bin ein Saoafier, mie anbere KaBaliere,

fo roifcelt Diepfjifto, um alßbalb roieber in tiefem ßrnfte ju bemerfen, bafj mit ber äbfdjaffung beß alten ©atauß bie 2J?enfd)en nid)t beffer baran feien:

Sen ©bfen ftnb fit Io«, bte ©Öfen ftnb geblieben.

©o ^aben mir in ber §ejenfüd)e felbft ein oermorreneß ©ilb: ©taube, ^ptjitofop^ie, 3®eifel unb ©alp« begegnen fid); ber ©runb* gebanfe aber, metdjen ber Didjter in biefer ganjen ©eene oerfotgt, ift fotgenber: fall in ffiauft bie ©egierlidjfeit erregt merben, bamit er in finnlidjer Ciebeßfuft bem geiftigen ©treben entfage. Daju mirb ihm in bem 3fluberfpiegel baß ©ilb ber $elena gejeigt unb bann ber 3au&ertranf gereicht.

Äaum ift biefeß gefdfefjen, fo führt üßeptjifto iljn fort mit ben Sorten :

®u mußt notßroenbig tranfpiriren,

Somit bie Straft burcf) 3"n* unb beugte« bringt.

Sen eblett SDiüßiggang lebt’ idj bevnacb bid) fdjäßcn Unb halb empfinbtft bu mit innigem Srgöfjtn,

Sie fid) Kupibo regt unb bin unb mieber ipringt.

Sauft: Saß mitf) nur fdjnet! noef) in ben ©piegel ((bauen!

Sa« Srauenbilb mar gar ju fd)ön! fKepßifto: fRein! nein! Su fotffl ba« ©hifter aller grauen 9tun balb leibhaftig Bar bir feJjen.

Su ßebft, mit biefem Srant im Seibe,

©alb geleiten in jebem Seibe.

VII. $aufl unb üRargarttlja.

$n unmittelbarem 2lnfd)lufj an bie eben angeführten Sorte folgt bie Segegnung beß Sauft mit ÜJlargaretha unb in biefer ber Slnfang beß britten Slcteß beß erften Jßeiieß. 5Der Didjter tritt ^icr auß bem philofophifdjen ate auß bem mpftifchen ©ebiet oollftänbig herauß, um unß ein ganj concreteß Sebenßbilb oorjuführen, eine 8iebeßgefd)id)te, mie ffe Heben unb Qidjtung taufenbfad) bieten, mie fie aber rooßt nirgenbß mit gleicher 3Jleifterfd)aft gejeidjnet mürbe.

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18

Dr. ®a«l f>affntr.

aßit SRedjt würbe bemerft, baß biefer 9lct mit ben beiben fol« genbeit für fich allein ein ©anje« bitbe, unb baß man in benfelbcn baß SDfeifterwerf eine« bürgerlichen Jrauerfpiele« habe. 2lHe8 zeigt bie h^fa gormoollenbung , bie jartefte ©eelenjeidjnung , eine lebenbfrifche ©eftaltung, an ber lein Strich }u Diel unb feiner ju wenig ift. SSknn im Allgemeinen richtig ift, baß (Soethe grauen beffer ju Zeichnen oerftanb, als SDiänner, fo befonberb h<er-

SDlargaretha ift ein unoergleichliche« Stlb. Streng erjogeu, naio unb non §erjen fromm jeigt fie fith erft in oollfommencr 3*iihti0fcit unb tSefcheibenheit :

SBin retber gräulein, roebtr fc^ön.

Rann ungeleitet nad) $aufe gehen.

Salb aber fchleicht (Sitelfeit fich ein :

<5r fah g treib reiht reaeftt au«,

Uno ift au« einem eblen §au«,

unb mit ber Gltelfeit bab Verlangen nach bent Schntucf:

21 m ®otbe hängt/ fRach ®oU>e brängt,

®od) alle«, ad), mir armen!

®aju fömmt grau SOiartha:

Qjin SBeib mit aueerleftn

3um Rupplcr- unb 3i9fu»erroejen.

Unb SDfargaretha’b $erz ift gefangen in jener Suft unb ^ein, welche fich tn bem claffifchcn Siebe oerrätf):

ülitine 8tuh’ ift bin, fDtein $erj ift ichmer;

34 finbe fie nimmer Unb nimmermehr-

9Ucht ohne @runb h“f bie bitbenbe funft biefe bidjterifchc Schöpfung Ooethe’« zu ihrem Sieblingbgegenftanb erwählt. Sie finbet hier eine ooUcnbete 'Tiaturroahrheit, in welcher ba« gbcal mit ber ©irflichfeit bc« SDienfchen=Seben0 in hinein Silbe jufammengefaßt ift.

(Sin oiel unbcüimmtere« fflitb ift unb in gauft gezeichnet. ®er Ungeftüm unb bie Seibenfdjaft, roelcbe in geiftigem Streben ihn inö Sttaßlofe fortgeriffen, geht in ber finnlichen SD3eich^eit nnb in ber Siebcbtänbelei, ber er fich überläßt, teinebwegb unter. ipalb ebel, hfllt> egoiftifch erhebt fich fein <35cift immer wieber jnm ernfterem Streben. (Sr flieht in ffialbebeinfamfeit, in ber er ben @enuß ber ^Betrachtung

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Ooetfje'a gauß a(« SBaljrjeichen moberner Sultur. 19

feiert, über ben ©efährten {lagt, ben if)nt ber ©eift gegeben, wie über ba« roitbe Seutr- ba« er in feinem iöufen fühlt, unb fehmerjä soll au«ruft:

So tauml' id) »an ©egierbe ju ®enufj Unb im (Senuß otridjmncht’ ich nach ©egierbe.

Sllebalb aber finbert mir ißn tsieber in ©efeHfthaft SBiargaretha’«, welche ihn über feine religiöfe Slnfcfjauungen erforfefft. 33on biefen foglcid). 3unäd)ft mliffert wir ba« fcfjwanfenbe unb unfreiere ffiefen beamten, welche« ber Siebter un« in Sauft sorftedt. ßinen „finnlidj* überfinnlithen freier" nennt iljn ÜJiep^iftoptjele^, in bem er mit bämo* nifd)em Spott feine unfid)et roed>felnbe Seelen*@timmung jergliebert. ®aa ift fef)r tief unb wahr. ®ie Seibenfchaft gibt bem ©eifte niemal« SRufje, fic bringt SCüeö in« Schwanten, unb ba« ©efülft biefe« ®diman!en« ift iljr bitterfter Stapel.

Um aber }u ber Unterhaltung über Religion juriiefjufehren , fo werben wir biefetbe formell al« eine ber reijenbften unb feinften Arbeiten be« dichter« anertennen mitffen. 35a« gläubige f>erj be« SDiiibcfjene, welche« beit 2Jfephifto nicht ertragen (ann, fühlt, baß Sauft ber {Religion entfrembet ift. Sie fragt :

SBie haß ®u’« mit ber üHeligton ?

Otaubß 5>u an (Sott ?

worauf bann bie Antwort lautet, welche ba« unübertroffene ©hm&°lum ber {Religion ©oetlje’« unb feiner ebenbamit ber {Religion be« mobernen ©eifte« bilbet:

gauß: SWein Siebdjen, rotr Darf jagen,

3 d) glaub’ an Sott?

2Ragß ©rießer ober ffiJeife fragen,

Unb ihre Slntmort fefteint nur @pott Ueber ben grag'er ju fein.

ßflargaretba: ®o glaubß bu nicht?

8auß: afttfjf)Br’ mid) nicht, ®u halbe« Sngeßdjt!

SBer barf ibn netmttt?

Unb »er betennen:

3d> glaub’ ihn?

SBer empßnben Unb ftdj unterminben,

3u fagen: 3d) glaub’ ihn nicht?

®er JUlumfaßer,

®er SUlerßalier, gaßt unb erhält er nicht

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20

Dr. 'Paul ^offner.

3)id), mitfi, ftd) felbft?

9ienn'« (Sind! §erj! Siebe ! ®ott!

3d) fjabt feinen -Vamtn ®afiit! Offübt ift ade«;

9tame ift @diatt unb 9iaitdj,

Umnebrlnb §unmelägfutl).

fiin ©pmbolum bcr ^Religion ©oetbe’S unb feiner 3«t> fo nannten wir biefe ©orte, öS wäre unfdjmer, ihnen eine 9?ei^e anberer ©teilen an« ben poetifeben unb profaifdjen ©erfen beS 35icbter8 jur ©eite ?u ftcllcn. Stber einen präciferen SluSbrucf für biefe Dieligion beS fjumaniftifdjen Pantheismus bürfte wobt feine berfetben bieten. 3tb 0taube an @ott, aber ich befjafte mir oor, ibn anjubeten in allem Schönen : biefe profaifeßen ©orte, welche ®oetbe einem greunbe febreibt, unb welchen er in feinem ganjen ßeben entfprad), finben in ber mit binreijjenber grifebe gegebenen ßrgießung Sauft« ben berebetften ßommentar. ßS ift in berfetben aber nicht bloß ©oetbe’S retigiöfe Stnfcbauung auSgcfprocben, fonbern bie allgemeine ®runbanf<bauung bcr ganjen ^eriobe : bie ffcptifcb-mpftifcb aufgetragene oerfebwommene 3bec einer in Statur unb SDienfcbengeift fiep offenbarenben ©abrbeit, ®üte unb ©cbönbeit, wetebe ebenfo finnticb wie iiberfinntid) genoffen, niemals aber in einem nernünftigen fflegriff erfaßt wirb. £>iefe 3bee febwebt Seffing in feinem tfiatban bem ©eifen, wie in feinen tbeotogifeben Slbbanbtungen oor; an ibr arbeitet $crber in feinen poetifeben wie profaifeben Schriften; fie ift bie ©umme aller ©eisbeit für bie gan$e moberne Pjilofopbie; ©cbtciermacber, giebte, ©cbetling unb §egcl butbigen ibr. deiner oon allen biefen Scannern aber bat ibr eine fo aufrichtige unb fugleid) io tiebenSwürbige Raffung gegeben, wie ©oetbe in feinem Sauft. 5Die paar SBerfe, wetebe foeben an* geführt worben, haben barum auch eiet mehr gewirft, als ©unberte oon SBortefungen, welche bis jur ©tunbe benfetben ©iberfinn unb bie* fetbe umnebetnbe §immct8g(utb in miffenfcbaftlicber S°rm breit treten.

$5er Siebter unterläßt nicht, baS Sßerbättniß biefer Sfetigion beS ^umaniftif^rn Pantheismus ju bem pofitioen ßbriftentbum iur fReftepion ju bringen, unb ;war in ber attertiebenSwürbigften unb boSbafteften Slrt. ÜRargaretba erwiberte auf Sauft’S bitbprambifebe ßrgießung :

®a« ift alle« redjt fdjän unb gut;

Ungefähr fagt ba« ber Pfarrer and),

Diiir mit ein biedjen anbern ©orten.

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©oetbe'S gauft als SBahrjetchen moberner (Suttur.

21

Vorauf Sauft:

®s fagen’s aller Orten

9tUe perjen unter bent tjimmlifctjen Sage,

3tbe8 in {einer Sprache;' fflarum nicht id) in ber meinen?

{Diargaretija: SBenn man’S (o ^ört, mödjt's leibtid) fdjtinen,

Steht aber bodj immer fdjief barum;

Senn bu tjaft fein Cbriftentbum.

ÖiebenS»ürbig=boShaft fürwahr ! ©oethe oerfteht es meiftcr^aft, bcr pljilofophifthen [Religion bie ©infalt beS ©laubenS gegenüber ju [teilen, im ©runbe aber boef) nur ju bem ,3l»C(t< ü&et biefelbe fid) hinwegjufefcen. beburfte faum ber roiberlid) gemeinen 9tuötaffungen, mit welchen 2Jiept)ifto bie „&ated)efe" perfiftirt, welcher Sauft fid) unterzog, um un8 Har ju matten, baj? ber Dichter beö gauft mit ben Ijeiligften ©ebanfen ebenfo fpielt mie mit ben niebrigften. Die einen wie bie anbern finb Silber ober ©tatuen, benen er in feinem ©eift unb in feinen Dichtungen einen “tßtafe anroeift, mie e8 eben ber Saune beb Slugenblitfe« entfpricht. 3lber man hüte fid) ju meinen, bajj er nach ber einen ober anberen ©eite mit lleberjeugung [ich neige.

3d) halte feft« aber roerbe nicht feft gehalten; biefer berüchtigte ©pruch, »eichen ber ^ßt)Uofopt> Slriftipp mit ber Suhterin Saib theilt, ift ber ©runbjug ©oethe’b unb ber ©ruttbjug ber gefammten ©eifteb* richtung, roeld)e in ihm ihren Mittelpunlt hat. *)

VIII. ©tf)ulb unb iptin.

Stlljulange Dieüeid)t hat bie retigiöfe grage, »eiche ber Dichter mit launiger greifjeit in bie Siebebtdnbelei feine« gelben t>erflod)ten, unb aufgehalten. ®b ift 3eit, f>e 3U taffen, um Margaretha in ihrer ©chulb unb ^}ein $u begleiten unb bie ernften Silber ju betrachten, in »eichen unb bie grüchte ber Sünbe oor Slugen gefteüt »erben.

SBir fehen, roie Margaretha im ©efpräd) mit ihrer greunbin »on bem Semufjtfein ihrer ©chulb erbrüeft »irb. SSBir finben fie flagtnb unb meinenb oor bem Silbe ber mater dolorosa, wir finb

*) (5$ ift siet über bie grage oerbanbelt movben, roie ©oethe ftdp ju bem Sbriftentbum unb namentlich ju bem ftatboliciSmuS oerbatte.

jEtjc°togiict>e Stubien ju machen, war ©oettje niematS oetgönnt. Slber auch im Sehen blieb ihm bas (Shriftenthum fremb. SBöhtenb er mit rationatiftifchen protefianttiihen ©eiRlidjen unb bereit gamilien gern »ertehrte et Ipridjt fleh bariiber in „Bkbrheit unb Sichtung* aus roareit ihm SRSnncr ooit ffiifer,

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22

Dr. ® a u 1 §affn er.

3cugcn ber fürd)terlid)en ©emalt, mit welcher bie ®eroiffen«biffe unter bcn Jönett ber Orgel unb bem ®efange be« dies irae ba« unglücf» lid)e Opfer ber 33erfiifjrung foltern. Slüe biefe ©eenen be« oierten Stete« finb oon erfdfütternber ©irfuttg, unb bürftt, ©bafefpearc au«> genommen, feinem anbern Dieter gelungen fein, mit folefjer ÜJJeifter* fd)aft bie SKadjt bc« ©ewiffen« unb bie 3J?ajeftät ber filtrieren 3bee ju jeidjnen. 5£a« un« befonber« intereffirt, ift ba§ ber 2>id)ter bi« fo ganj in ben ©cift ber fatbolifcben Slnftbauungen fiib oertieft unb biefelben mit einer Sebcnbigfeit unb griffe entfaltet, melcbe Oante unb Salberon gleidjfömmt. SBir miffen, bafj fie in bem ®cifte beß (Dichter« nur al« ©über fteben, ohne SEuqeln ju ftblagcn. mufj un« aber bod) al« ein bebcutungSoolle« Reichen für bie 2Babrb«t ber fatbo* liftben SReligion erfreuten, ba§ ®oetbe unb in ähnlicher Seife auch ©cbitler, $etne unb Slnbcre mit untoibcrfteblitb« ©emalt ju ibr ficb bingejogen faben. SBie weit fie aud) perföntid) ber fatbolifcben Sluf* faffung fern fteben mögen, ibr poetifdjer ©inn jmingt fie, fi(b auf biefen ©oben ju ftetlen, auf welchem allein beß SDienfdien Seele in ihrer natürlichen roie übernatürlicbcn ©röfje fiib barftellt.

Slmb in ber tragifeben ©eene, melcbe ben Job ©alentin«, be« braoen ©olbaten, bem ber galt ber ©cbmefter baß $>erj briebt, bar* fteüt, begegnet un« eine tief fittlidfe unb ädjt cbriftlicbe Sluffaffung. (Sbenbarum ift fie oon erfebütternber ffiirfung.

Slber bamit mir nid)t oergeffen, melden ®eifte« Äinb unfer Dichter ift, merben mir fofort in eine anbere SBelt geführt, jur 2Bal* purgi«*9iacbt nemlicb.

mit SaBater, auf« emicfciebenflt jnwiber. Sfltit ber fatboliW&en Sirifte unb fatholifdjen 'ßrieflern tarn tr wenig in Strüijrung. 3n einem ®ricf au* bem ©djwcijtr ÄaBujinepÄlofter jprid)t tr mit Achtung t>ou bem CrbenSlebect, fügt aber bei, er fühlt fUß boct) at* Stacßfomme ftriebrid)« be* ©roßen. Und) bat tr einjelnt Sehren, wie j. ®. bie Sehre Bon ben (»eben ©acramenten ben ®rotrftantcn gegenüber pft^ologifdb gerechtfertigt. Sine tiefere Äcnnmiß oon ber Äirefje erhielt er niemal«, unb namentlich feint QjrlelmifTt auf ber italienijcpen Steift haben ihn, fo fehr fte ihn in ben fDlarft be« italienifchen Seben« unb bie JBelt ber antiten Runft cinfflhrten, ber Rircße nicht näher gebracht.

®itgrage ber ©eligfeit hat ©oetfje niemal« ©arge gemacht, ffir mar, mit er lurj oor feinem lob an bie ©räfin ©tolberg fdjreibt, wegen ber 3uhmft nnbe* tümmert. Um fo ftichtrr mar ihm ba« Seben, um jo fchrantenlofer ber ©tnuß, ben er füh gewähren tonnte. Der ©ott, an welchen ©oetht glaubte nnb ben anjuer* ftnnen, wo unb wie er fich offenbart, tr al« bie ©eligteit auf Srbtn bejeichnet, mar bie fchönt heitert ®tenfd)liebfeit, unb biefe ift tolerant genug, um felbfl ba* wilbefte Stben ju gehalten.

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®ot!t)t’8 ganfi ata SBaijrjridien mobtrner Sultnr.

23

Oie ©alpurgi«»9ta<ht ift, roie ba« ihr angefügte 3ntermegjo, Oberon« £)ochz«it, erft fpäter oljnc nähere Slnfnüpfung eingeftfjoben worben. Oie oerfdjiebenen £)eyen, welche ber Oichter in iofer ©rife grup$>irt (bie 2robc(-^)eje , Schöne, Ute unb 3unge u. f. ro.) foroie bie anberen ^erfonen, welche er betn ßeben entnimmt (barunter »orjugSroeife ber unter bem Xitel “ffroltophantaemift auftretenbe trefflich gezeichnete 2lufKärung«*@eneralpächter ©ucfjhänbler Stifolai) fchroafcen planlo« bnrdjeinanber, roalfrenb SDtephifto al« £>err unb @e« bitter in 3<>ten unb Sentenzen fi<h ergeht. Oie (Sinzeinheiten ju be* trachten liegt unferer Aufgabe ferne.

Oer ©ebanfe, welcher ben Oichter in biefem Spuf»@eraälbe leitet, ift offenbar berfelbe roie bei ber fjcjcntüche. <S« ift ihm ©ebürfnijj, au« bem natürlichen unb roirflicfjen ?eben in bie übernatürlich« unb jenfeU tige ©eit hinüber ju greifen, um bie lefctere al« fpintergrunb be« erfteren zu zeichnen, al« tpintergrunb, in welchem bie fittlichen ©egen* fäpe be« »irflichen flehen« in mafjlofer Verzerrung fich karfteilen.

Ob biefe« ©ebürfnif; lebiglich ein äfthetifche« ift, ober ob ben Oichter babei eine tiefere 3bee leitet, ift, roie fdjon oben bemerlt roorben, fchroer ju entfeheiben. ©arum füllte ©oetfjc nicht mit ber chriftlichcn Irabition unb ber Srabition aller Böller in oollem flfrnft ben bie«* fettigen Kampf be« ©Öfen unb ®uten auf tinen fenfeitigen Kampf iurürfführen? ©arum nicht ben ©orten be« Slpoftel« folgen, „ba§ roir nicht bloß mit gleifct) unb ©lut ju ftreiten haben, fonbern roiber bie Obcrherrfchaften unb SOfachte, roiber bie ©ehtrrfchet ber ©eit in biefer ginfternifj, roiber bie Seiftet ber ©o«h«it in ber fcuft." *)

Oie Sprache be« Oichter« ift nicht feiten tief unb erhaben genug, um un« glauben ju machen, baß ihm an ©erftänbni§ biefe« @e* heimniffe« nicht fehle. 816er immer roieber Hingt bajroifchen ber fchrille Son ber Sattfre unb ber Slepfi«. Oie ©alpurgi«*9lacht auf bem ^ ©lod«berg bietet biefen <Son traft in wahrhaft peinigenber ©eife. ift, al« ob ber Oichter recht eigentlich barauf au«ginge, ben ßrnft burch Spott unb ben Spott bureh €rnft ju foltern. Oa« ift roohl jehr launig, bie ernfte Iragöbie be« ÜJtenfchenleben« aber gewinnt baburch Sticht«. Stoch weniger bietet ihr ber ©atpurgi«nad)t»Iraum , welchen ber Oichter eben nur bajroifchcii fchob, bamit bie Keinen fjapierfchnihel, auf bie er feint Keinen bo«f)aften ©ilbchen oon bem Crtfjobofcn, bem fJuriften, Oogmatifer, 3bealiften, Stealiften, Super*

*) ©rief an bie Spieler 6. 12.

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24

Dr. <ßaul ^offner.

naturaliften, Sfeptifer u. f. m. gejeupnet, nicpt oerloren gingen. 3um Jpeil wart eb mirflitp Sipabe barum. 2lber warum mußten fie benn gerabe in bem 2lugenbli<f ftc^ bajwifdien brängen, ba mir SÖtargaretpa, bab unglücflitpe Opfer ber Xkrfüprung, im bitterften Seiben oetlaffen paben, erfd)üttert non ber gewaltigen Stimme beb ©emiffenb, erbriieft unter ber üaft ipreb Stpulbbemußtfeinb?

IX. SRargaretpa gerietet unb gerettet.

3öir werben ju bem armen tinbe burd) gauft fetbft jurüdf* geführt.

3m ffilenb! ©erjroeifelnb! örbärmlicp auf ber Erbe lange oerirrt unb nun gefangen! St« Wifletpäterin im Jterfer ju entfeplicprn Dualen ein« gefperrt, ba* polbe, unfelige ®efcpöpf! 8i* bapin, bapin . . .

fo flogt gauft feinen ©en offen an, unb ber Ungcftiim feiner ßeiben» frpaft tritt um fo gewaltiger peroor, je niepr üJceppiftoppeleb ipm bie erbarmungblofe Saite beb leufelb entgegenftellt. Seltfam ift, baß ber ®i<pter gauft fagen läßt:

©rofjer, perrtieper ®eip, ber bu mir ju erftpeinen »iirbigtefl, ber bu mtin $trj fenneg unb meine ©tele, roarum an ben Stpanbgefetten mi(p fepmieben, ber ft cp am «epaben roeibet unb am Serberbeit ft£p lept?

$at benn nicpt gauft felbft biefem SdjanbgefeUen bie $anb ge» boten? Oab füllte ber ©iepter niept oergeffen. äBenn er eb bennoep pier, wie an anberen Stellen oergißt unb ben $act mit bem Teufel alb eine Siotpmenbigfeit ober pöpere gügung barftellt, fo jeigt fid) pierin eben bab miebtrpolt angebeutete Scpmanfen jmifepen cpriftlitper unb pantpeiftifrper änfepauung.

3n ber folgtnben Scene finben wir SDiargaretpa im fi'trfcr. 3ion ber fflacpt beb ffiapnfinnb umpüllt, fingt fie ein fcpauerlicp Cicb. gauft, ber fie ju befreien fommt, wirb oon ipr erft für ben genfer gepalten, bann erfannt, mit SBärme umarmt unb mieber geflopen.

Weint Wutter pab’ iip umgebtaept,

Wein Äinb pap’ ttp ertränft,

SÜBar nidjt Pir unP mir geftpenft?

Sir au<p! Sn bifl’«! i(p glauP’ faum.

®ib Seine $onb! C* ift fein Sraum!

Seine liebe §anb! Hcp, aber fte ip feudjt ! ffiifcpe pe ab! wie miep Päucpt,

3P ©lut bran.

ütep ® ott ! wa« paP bu gttpan!

©tede ben Segen ein,

3<P bitte bid) brum!

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©oetf)c’8 gauft als SBatjraeicfjen mobeiner (Suttur.

@o flagt SDJargaretha , immer roec^fetnb jroifdjcn ben Silbern ber Siebe unb greube, bie in ihr auftauchen, unb ben Silbern ber ©ünbe, ©djulb unb Sein. Die 3ci£^nun9 if* oon hinreifjenber ©c* »alt, unb man roirb roof)( fagen biirfen, bafj, Äönig 8ear abgerechnet, bie ganje Siteraturgefdjichte feine fo tief erfd)iitternbe Darftellung be« Sahnfinne« hat- ®ie h^fte ©pannung aber erreicht unfere ©eene in ihrem ©d|lu§. gauft brctngt üJiargaretha, mit ihm ju fliehen. 2)Je= Phiftophele« mahnt:

Suf! ober ihr ftib Bcrlorcn.

Unnfipf« 3°8tn> 3aubtrn unb Klaubern!

Seine 'Pitcbc fchnubein;

®er Sorgen bämmert auf.

ÜKatgaretha: Sa« geigt au« btm S3oben herauf?

Scr! ber! SdjicT ihn fort!

Sa« »itl ber am heiligen Ort?

Sr will mich!

gauft: $u fotlfl leben!

Sargoretha: @erid)t ® otte« ! 3>ir tjab’ ich mich übergeben !

SephiPophele« (ju gauft): Äomm’! tomm’! 3<h laffe «ich mit ihr im Stich-

Sargaretpa: ®ein bin ich, ®ater! Stette mich!

3hr Sngcl, ihr heiligen ©djaaren,

Sagen euch umher, mich ju bewahren!

Heinrich! Sir graut’« oor bir.

SephiPophele«: ©ie ip gerichtet!

Stimme (»on oben): 3P gerettet!

SephiPophele« (ju gaup): §et ju mir!

Stimme Sargaretha’a (oon innen): ©einrieh! Heinrich!

Die tragifche SDiajeftät, roeldje biefer ©eene inneroohnt, bie @in« fachheit, mit ber fie bie geroaltigften ©ebanfen barftellt, ba« roarme lieben, ba« au« ihr fpridjt, ift nicht genug $u bemunbern. Die fitt- lidpreligiöfe 3bee ber ©erccfjtigfeit unb Sarmherjigfeit ©otte«, roetd)c ba« (Shriftenthum ber Seit enthüllt hat tritt in ihr mit unoergleüh* lieber ©eroalt heroor. tDfargaretha büßt unb bereut; fie glaubt unb

hofft; fie hat fid) bem ©erichte ©otte« übergeben unb ift gerettet.

Da« ift, roie gefagt, herrlich. Dennoch fragt fid), ob biefe ©thlufjfcene bie Sragöbie in ihrem ooüen Umfang jurn 9Ibfd)tu§ bringt.

Die Dragöbie ber armen Sfargaretha finbet ihren Slbfchluß aller* bing«. ©ie ift gerichtet unb gerettet. Slber Siargaretha ift bod) nur eine 9iebenperfon, unb ihr ©efehief ift nur eine ßpifobe in bem großen Drama, beffen $elb gauft ift. Sie fteht mit biefem?

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26

Dr, ißa ul ©affntr.

©ie immer ber Dichter feinen gelben foffen mag, er mu§ in ü)m entmeber bie ©ered)tigtcit ober bie Söarmfjer jig * feit ©otteß unß barftellen. Der ^act mit bem Üeufel muff erfüllt ober gcbüfjt »erben, gauft muß gerietet ober gerettet werben.

(Sine folche Gntfdjeibung wäre, freilich nicht in oollftönbig be» friebigenber ©eife, erfolgt, wofern bie ©orte beß (Diephiftophtlcß „£>er ju mir!" ben SPolljug beß fJartee bebeuten mürben. Sltlein bem ift nicht fo, gauft fährt nicht jur ftölle. ßr lebt unb wenbet fid), wenn auch erfdjüttert, boch nicht befehrt, in ©efeUfdjaft beß ©Öfen ju neuen ©ebieten beß Sebenß. Die Jragöbie finbet ihre gortfe|ung in einem ^weiten 3:^cile.

X. Uebergang sunt ^weiten XfytH brr Jragobie.

3ft eine foldjc gortfc|ung motioirt? 3ft fie möglich, nü(jli<h ober nothmenbig? Dtefe grage brängt fich unß bei bem Uebergang $um ^weiten Iljcile beß gauft unabweißlich auf, unb wir fönnen fie nicht unbeantwortet (affen.

Dag ber Dichter felbft urfprünglich einen streiten EljeU nicht profectirt hattc> fleht aufjer Zweifel. Die erfte Anlage beß Drama’ß mar offenbar barauf berechnet, ba§ gauft mit SWargaretha fein Sd)icf* fal errege. Durch einen foldjen Slbfcbluf? hätte bie Sragöbie an (Sin« heit unb Klarheit roefentlich geroonnen.

3lud) in materieller £>inficht märe burchauß angemeffen ger mefen, wenn gauft mit ÜJlargaretha fein geben abgefchloffcn hätte. Die tief fittlidje 3bee ber ©ufjc unb ©erfölfnung, »eiche in ÜRnr* garetha’ß Rettung fich offenbart, märe mächtig gehoben morben, menn ber Dichter ihr tn bem Untergang beß gauft bie 3&ce ber föertd)tig= ,feit unb Strafe gegenübergefteüt hätte. beburfte hierzu feineß grofjen Slpparateß; jebenfallß mürben mir nicht barauf beftehen, baß ber leufel ben gauft in offener Scene hole. ßß würbe genügen, wie fchon bemerft, baß ber Dichter ben ©orten „$er su mir!" bie ©ebeutung eineß ©olljugß beß fjacteß mit bem Seufcl gegeben hätte, ©ir hätten bann in gauft ben ©eg beß SOicnfchen gejeichnet, ber in feinem ibealen Streben ipthtnüthig fich überftitrsenb in bie ©emalt beß leufelß fällt unb Bon biefem in ben geffeln ber finnlichen ©e« gierlichfeit fortgefchleppt wirb, biß bie grucht ber Sünbe gereift unb baß ©ericht oollsogen ift.

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@orthe'* gaufl al« SEPairjci^m mobttncr <Su(tur.

27

Dennoch |prirf)t 33icfeS bofiir, baß bab große Drama beb Sauft nicht mit bem erften SE^eile feinen älbfcßluß finbe. Der ©eg, »elcßcn ber $etb in biefem jurücflegt, ift feinebroegb bab ©an je beb äRenfcßenlebenb, unb eb fonnte fuß ber Dieter mit bemfetben in ber Üßat nicht begnügen, wenn eb feine Stbficßt »ar, bab SDtenfcfjcn« leben in feinem gangen Umfang, in ieber Segießung unb unter ben bikbften ©efidhtbpunftcn barjuftellen.

Daß bieb aber mirflicß feine Slbficßt »ar, fjabcn mir fcßon oben ben ©orten beb Sauft entnommen :

2ßo6 ber gonjen SRenfcbheit jugetbeilt ift, fiBifl id) tn meinem Innern 8tfbft genie&tn,

ÜJlit meinem ®rifl ba* pöchft’ nnb Itteffle greifen,

3br 2öot)i unb ffid) auf meinen ©ujen häufen,

Unb fo mein eigen Sclbfi ju ihrem Selhft erweitern,

Unb, wie fte felhfl, am ®nb’ auch ><b jerfdjeitern.

Diefem prometßcubartigcn Programme cncfpricßt ber erfte Jßeil, melier fid) ju einem bürgerlichen Jrauerfpiel oerengt, in ber 21) at nicht. ©oUte eb oolljogcn »erben, fo mußte Sauft in neue Sahnen geführt »erben, Solche aber eröffnen fich in mannigfacher Mittung.

(5b lag oor 3lllem bie ÜJtöglicßfeit oor. Sauft, nachbem er bit öift unb $ttn ber Sinnlich feit empfunben, nun auch bie Suft ber Slugen unb bie ^cin ber $of fahrt genießen ju taffen, unb eben bamit bie große Üragöbie menfdjticßer Segierticßfeit ju erfchöpfen. Die Sauftfage bot hierju ben Stoff.

(5b lag ferner bie URöglicßfeit nahe, bie fingicte “perfon beb Sauft mit tfiftorift^en Silbern ju umftellen unb ihm bab ge= »altigc Gingen gum fjintergrunb gu geben, in »elchem jpeibentßum, (Sßriftentßum unb fRenaiffance einanber gegenüber ftehen. 31 ueß bagu lag in ber Sauftfage reicßticheb äJfaterial.

(Snblicß, unb bab ift bie ^wuptfaeße , mußte eb bem Dichter naheliegen, bie 3bee beb ©Uten unb Söfen aub ber Unbeftimmtbeit ober aub bem ^ncognito ^crDorjugie^en, roelcßeb ber erfte Jßeil ißr gelaffen hatte. Die übernatürlichen üRäcßte, welche |)ejenfüche unb ffialpurgibnacßt nur fpielenb anbeuten, mußten in notier ©irttießfeit fieß geigen, pimmel unb pölle gur Dollen ©aßrßeit »erben.

Der Dichter nÄr gu feinfühlig, um biefe Sorberung nicht gu empfinben. ©ir »erben fogleicß feßen, baß er fich in jeber ber angebeuteten SRicß» tungen oerfueßt, unb eben barin bie Slufgabe beb g »eiten S^eited erfennen, baß in bemfelben ber Sampf ber fDtenfcßenfeele in einem

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28

Dr. $aul $ offner.

weiteren IRaßmen auf ßiftorifeßem £>intergrunb unb unter meßr übernatiirließem ©efießtspunfte bargeftellt werben foltte.

ffiir werben aber auch fofort erfennen, baß ber Dießter an biefer Slufgabe ertabmte, unb baß ißm nur eine IRuine ju bauen Der» gönnt war, welche junäeßft ein Denfmal feine« gealterten ©eifte«, jugteieß aber aueß ein 3eid»en Dßnmacßt moberner üultur überhaupt ift.

©oetße fonnte uns bie ©lutß ber 8eibenfeßaft, bie 9Jaeßt beS Unglaubens unb bie teilte beS ^weifet« feßilbern. @r fonnte ba« ©ilb beS nad) (Srlöfung biirftenben, bocß ber Hoffnung baaren ©eifteS oorfüßren. @r fonnte uns Don ber Qual erjäßten, roeleßc ber ©ott entfrembete ©eift in ben geffeltt beS ©Öfen finbet. Da« Silles ßatte er ja felbft erlebt unb war er felbft; baS ftellte feine .geit in großen feigen ißm bar; baS war ber ©eift ber ©efellfcßaft, in beren SDiitte er fiißlte unb bießtete.

©lud) bie ©ilber ber Unfeßutb unb ©eßwädje, wie ber SReue unb Ergebung, weteße in ber ©efeßießte äRargaretßa’S uns begegnen, fonnte ©oetße erlangen. <5r fanb fie in ber djriftließen ©ergangenßeit unb jum 2ßeil aueß in ber ©egenwart Dor; er burfte ben ©eßaß nur ßeben unb ben (Sbelftein nur faffen. Unb er tßat biefeS mit foldjer ülReifterfeßaft, baß man faft glauben tönnte, er ßabe fieß biefe eßriftließe 3bee ju eigen gemadjt.

Dem ift aber nießt fo. TOargaretßa ift ein ©ilb wie anbere ©ilber aueß; fie ift feine 3>bee, weteße ber Dießter mit Srnft erfaßt.

935ar es bem Dicßter ernft mit ber cßriftließen Sluffaffung ber Jugenb, ©cßutb unb ©üßne, weteße er in bem ©ilbe ÜRargaretßa’S uns oorfüßrt, fo mußte er fie aueß in gauft jur SBirfung bringen unb bie ganje Dragöbie ißrem ©efeße unterorbnen. gauft mußte, wie 2Rargaretßa, in IReue unb ©uße ©erfößnung ober in ber ©ewalt beS Deufet« fein ©erießt finben. Diefe gorberung ift unbeftreitbar. ^u ißrer ßrfiiliung aber fann ein ©oetße fi(ß nießt erßeben. Da« geftattet bie ^Religion ber Humanität nießt. Da« «erbieten bie ©runbfäße, weteße uns bereits ber Prolog erflärt ßat.

Die etßifiße SSeltanfeßauung, weteße ©oetße bort auSgcfprocßen, weiß nießt« oon einer fittüeßen ©cßutb, weteße bureß SReue uub ©uße gefüßnt, Don ©ott Derjießen wirb. ©ie weiß nft oon ©erirrungen unb Jäufcßungen, weteße Derlaffen unb überwunben werben unb au« weteßen bie ÜRenfeßennatur bureß eigene firaft unb eigenes ©treben fieß erßebt. Diefe auffaffung ber naturatiftifeßen £mmanität$»^ßitofopßic

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®oetbe’« gauft at« SBJatjrjticfjen mobcrner fiuttur. 29

{^ä(t ©oetbe in bem ©ilbe bcö gauft burebau« ftft. Hier gan^e trflc 2beil jeigt utt« in biefem niemaf« aud) nur bie teifefte ©pur djriftlidfen ©inne«, unb gerabe in ber ©djlujjfcene mufj bie f?alte auffaöen, mit ber er ÜRargaretba’« ©laubensmärme gegenüber ftetjt. 9tod) Diel

beutlidjer aber fommt bie §umanität«--^ilofop^ic im jroeiten Steile bc« gauft jur ®urd)fii^rung.

XI. §aufi am §of be8 ftaiferS.

Sluf blumigen SRafen gebettet, ermübct, unruhig, ©djlaf fudjenb, finben mir gauft mieber. ©in ©eifterlrei«, anmutige deine ©eftatten umfdjroeben ißn.

ariet (na^et i^m):

Äteiner Ctfen ©eifiergrößc

(Eitet, tto fte Vifen leimt;

Ob er heilig, ob rr 65fe;

3nmmfrt ftc ber Ungtficfsinann.

hierauf:

©efänftiget be« tperjen« grimmen Strauß, entfernt be« SJormurf« glübcnb bittre Pfeile,

©ein 3nn’re« reinigt Don erlebtem ®rau«.

©o lautet ber Sefebl.

Unb er mirb Dolljogen: roäbrenb gauft fd)tummert, mirb fein Onneres oerroanbelt.

@r öergigt ba« Opfer feinet ©erfübtung , feine ©eroiffenöbiffe fdjminben, fein ©orlcben ift ausgelöfdjt au« ber Srinuerung.

gauft erroadjt neuerfrifc^t bei aufgang ber ©onne mit Doller öuft

3um f)öct)ften Dafein immerfort )u jlteben.

Sr übcrfd)aut bie ©rbe, blidt jur ©onne unb oerroeilt ftbließlicb im anblitf bc« ffiafferfalle« :

Der fpiegett ab bo« menf<f)tict)e ©eftreben ;

, 3bm ftnne naef), nnb Du begreift genauer:

?tm farbigen Ülbgtanj ßaben mir ba8 lieben.

35a« ift ebenfo lieblich al« anmutbig; aber roo ift bie fittlidfe 3b ee? Oft ©dflafen unb ©ergeffen genitgenb bie üftenfcbenfeele au« ber Jobeenadft ber ©ünbe ju erbeben? Oft ©Ifengcfang Don aeolö« barfen begleitet in ber ISTgot im ©tanbe, bic Saft ber ©dfulb Don bem ÜJfenfcbcngeift binrneg ju bou^”. gibt ein ©erjeiben ohne

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30

Dr. ^a»l $ aff net.

innere fittlicß ernfte Umfeßr? 3mmer auf# neue müffen mir biefe grage an ben Sinter unb fein Serf ftetlen.

3unacßft aber wollen mir gauft auf bcr ßaufbaßn folgen, bie er nadj äffargaretßa’« (Seridjt beginnt.

Hier 3n^a(t ber fünf Siete ift bereit« in Äüqe angebeutet worben.

3m erften Slct erfc^eixrt gauft mit IDfepßiftopßele« am £of be« ßaifer«. iftaeßbem ber leßtere fi(ß at« Storr eingefüßrt, übernimmt er bem St’aifer (Selb ju feßaffen nümlid) 'tßapiergetb worüber großer 3ubet entfielt. Hann aber foll er im SSerein mit gauft aueß Vergnügen f (Raffen ; baju bient ein großer ÜJto«tenball, in meldjem aller möglidje alte ^Jlunber jur Harftellung fommt, ber jebod) mit ber Sacße felbft nießt« ju tßun ßat.

Gfnbließ aber foll gauft, wie er oerfproeßen, bem Äaifer $etena unb ^ari« befeßmören. £>ierju oerweift ißn SDiepßiftopßelc« an bie 3Rutter, meleße

(Söttinnen thronen hehr in ©nfamleit,

Um fit fein Ort, ttod) roeniger eine 3eit,

Hie 2Diüttcr ! ÜJlütter! fagt gauft, ’8 Hingt fo munberließ! um fo meßr begehrt er nadj ißnen unb öffnet fid) mit bem Seßlüffet ben Seg, in« bem er oerfinft.

Ser ftnb bie SDiiitter? (Soetße felbft bat feinem Secretär ßefer* mann bie Srflörung oerweigert unb nur bemerft, baß er ben Flamen bei ^lutareß gefunben. Soju un« alfo mit einer Srllarung plagen? Senn fieß ber Hießtcr babei überhaupt etwa« iöeftimmte« baeßte, fo fönnte er bamit nur bie ewigen ^Srincipien bcr Hinge bejeießnen. Ha« finb bie 3been unb bie Ütatßfeßlüffe in (Sötte« (Seift. @8 würbe fomit gauft fid) auf’« neue ben Slbgrünben $u wenben, toeleße er eßebem oergcbließ bureß Siffcnfeßaft unb bann bureß äJtogte fid) ju öffnen bemüht mar. Slber man begreift nießt warum ber Hteßter an biefer «Stelle fo weit au«bolt. £>anbelt fuß ' ja botß nur um ^clena’8 löefit}. ftelena ift baö Spmbol ber Seßönßeit, beren 3&e«t Me griedjifeße ^Joefie unb Swift erfaßt ßat. Senn gauft nitßl« Slnbere« fueßt al« biefe«, fo braueßt be« geßeimnißoollen Spule« faum. Ha« griccßiftße Scßönßeit«ibeal ift ja längft bureß iRenaiffance unb .&utnani«mu« in bie moberne öilbung übergefüßrt worben, unb alle Seit fann fieß bequem baran erlaben. Sille Seit aber weiß woßl aud), baß be« üJtonfeßen (Seift in ißm bie Seligfeit nießt ftnbet. Slber wie gefagt, forftßen mir nießt.

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Sauft al« 3Baf)t}tict)tn mobcrner Suttur.

31

Vermittelft ber SDlütter gelingt gauft, $elena unb Vari« bem fritifch gaffenben £>ofe oorjuführen. SBä^rettb er aber weiter bringt, um feften guß ju faffen in bem tKeich ber üttütter unb Helena, bie er als Srfdjeinung oorgeführt, ale 2BirtIid)fett $u ergreifen, ba ftürjt er ohnmächtig jufammen, unb Stile« geht burch ©yplofion in Dunft auf. Stucp hi« wollen mir un« mit ©rforfchung ber Sache nicht aüjufehr befchroeren. Der Dichter liebt e«, ber Seit ©eheimnijjoolleö oorju» legen. Senn ber IheottTeffect ßfptofion überhaupt eine öebeutung hat, fo fattn bamit nur (ähnlich wie Schiller in bem oerfchleierten ®Ub Don Sai« thut) angebeutet werben wollen, baß ber URenfch im Streben nach ben höchften ©rünben unb höchften gbealen- oon beren Unergrünblichfeit unb SDJafeftät erbriüft wirb. Diefe« ift etn alter unb tiefer ©ebanfe ber djtiftlichen Seit. ge ift aber fchwer ihn in ber Verhüllung, in welcher er hi« erfcheint, wieber ju erfennen.

Sa« gauft in feinem Ungeftüm oerfehlte, foll ihm fpäter boch bcfchieben fein. ®r finbet Zutritt ju ber griechifchcn Seit in ber claffifchen Salpurgienacht, welche ben Inhalt beö jmeiten Siete« bilbet.

XII. 2>te claffifdjc Salpurgienacht.

Der jmeite Slct nimmt feinen Slnfang in benfelben Diäumen, in welken mir gauft im SSegintt bce erften 2heileö fattben.

3n feiner alten, engen, gotlfifchen Stubirftubc würbe er ohn* mächtig oon SDieptpfto niebergelegt mit ben Sorten :

Jpitr lieg’, Unfetiger! »erfiiijrt 3u fdjwer gelöftem Üicbtebanbc! ffltn Jpetcna paralpjirt,

®e r tommt fo ffidjt nid)t ju SBcrflanbe.

Das ^immer ift unoeränbert; auf ben ^ug ber ©locfe erfcheint ber alte Diener; auch her Schüler, ber ba« erfte 2Äal oon ÜJtepffifto be- lehrt worben jefct ale Vaccalaurcu« ju einem fouoeränen ©enie gereift erfcheint. Slachbem üfiephifto mit tßeiben ein an Sattjre reiche« ©efpräch über bie Siffenfchaft geführt, bringt er in ba« Moratorium, in welchem ber alte gamulit« Sagner eben befchäftigt ift, unter ber Retorte ben lang gefuchten ^»omunculu« ju erjeugcn. Der Heine üftann erfteht wirtlich in ber ’P^iote unb lägt fich fofort mit SWephifto in ein altfluge« ©efpräch «in, welche« bamit enbet, bajj er biefen ncbft gauft auf bie Vharfa^f4en gelber 31t ber claffifchen Salpurgienacht führt.

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32

Dr. -ßauf §af fixer.

Sa« ift ber pomunculu«? Selche Stelle nimmt er in ber Iragöbie ein? Sie pngt er mit ber claffifchen Seit jufammen, welche in ber Satpurgi«nad)t ficfj auffdjfiegt ?

'JJacf) ber geroö^ntirfjen Slnfidjt ber Srllärer ©oetlje’ö Ejaben mir in bem $omuncu(u« ba« ©gmbol be« fchulmaßigen $umani«mu« ju erfennen, ben ©egriff, melchcn bie Siffenfchaft non bem claffifchen 3beal fünfitich unb, mü^eooll {id} erzeugt, bie Literatur, metdje auf ba« hellcnifche Seien Ijinmeift, felbft aber oor biefem Seben oerfchroinbet. Slber folgen mir gauft ju ber claffifchen Salpurgi«nad)t.

Diefefbe ift unocrfennbar ein Seitenftücf ju ber im erften SUjeile gegebenen norbifchen uitb bietet un« ein ebenfo bunte« ©ernirr antifer ©eftalten. l£« begegnen un« bie ßridjtljo, fchnarrenbe ©reife, Slrimafpen, Sphinje, Sirenen, Samien, ®rt>aben, Sjovlpabcn, Oreaben, Treiben, Jritonen, ^}^iIofop^cn„ ©ötter, fperoen unb Heroinen u. }. m. Sa« Sille« im Sinjelnen an feinen unb geiftreidjen Slnfpielungen, SWegorien unb 2t)pen babei fi<h finbet, tann an biefer Stelle nicht oerfolgt roerben. Sa« bie claffifdje Salpurgi«nacht überhaupt foll, ift Har; fie foü gauft in bie gricd)ifd)e 9Belt Einfuhren , in ähnlicher Seife mie bie $eyentüdje unb bie norbifdie Salpurgi«nacf)t ihn in ba« finnige Seien einfüljrte. 3um »ollen unb roirflidjen ©efifc be« ctaffifdien Sd)önheit«ibeal« aber gelangt gauft crft im britten Siete, in melchem Helena ju iljm flüchtet unb mit ihm [ich oermälftt.

XIII. 2>te ^odjjeit ber Helena.

©erfuchen mir ben 3nl>alt bicfe« Siete« in Äürje ju fd)ilberit. Sir finben Helena oor bem ‘fjalaft ihre« ©emafjl« ju Sparta, ©eleitet oon ÜJfephiftopljele« in ber ©eftalt ber fJfjortpa«, oon einem ßljor umgeben nimmt fie oon ihrem $aufe ©efifc, flieht ober oor ihrem ©cmahl in bie gotl)ifd)e ©urg be« gauft.

3)iefe Partie, früher felbftftänbig al« eine in ber Sfyd foftbare Slachahmung ber grie<hif(hen Iragbbie au«gearbeitet, ift poetifeh meiiterhaft, magooH, jart unb lebenbig gejeid)net. Csbenfo bie folgenbe Scene, in meldjcr gauft in ritterlicher $offleibung be« SDiittelalter« §clena empfängt unb fich mit ihr oerlobt, momit bie 93erbinbung be« claffifchen $untani«mu« mit ber germauifdpcbriftlichen Söilbung be« SDlittelalter« gefeiert mirb.

Slu« biefer ©erbinbung aber geht Suphorion heroor, bie allegorifche ®arftellung ber mobernen Slomantit.

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©oethe’e gaufi al« gBnEjrjetdjen moberner (Suttur.

33

Gtupljorion fpringt unb fliegt in« Ungcmeffene, bt« enblicfj {ein ÄörperlidjeS oerfdjwinbet unb nicht« tncfjr übrig bleibt, als fileib, SOtantcl unb 8tjra. 9Cbcr audj Helena oerfdjwinbet unb läßt Sauft nur ftleib unb ©Fleier juriicf, worauf äJtepfjifto«‘'ßfjorf>)aS juifjmfagt:

$alte ftb!

®te ®6ttin ifl’® nidjt mehr, bie bu oertorft,

®od) göttlich ift’«. Schient biefj ber hoben,

Uitfchäpbac’n @unji unb hebe bidj empor! es trägt bi cf) über affe« @emeine rafdj 2im Sctljer h<n, fo taug bu bauern tanuft.

SSir fef)tt uns roieber, weit, gar weit oon hier.

ffitttn mir biefer Slnbeutung folgen, fo roerben Wir mofjl oer* fielen, was ber Dichter oon ber claffifdjen ©ilbung hofft. @ie trügt über bas ©emeine am 2lctfjer (jin. Db fie baS mirflicfj tljut, toollen wir bafjingefteflt fein laffen. SKepIjifto felbft fügt bei: „f o lang bu bauern fann ft." Daß aber bamit nidjts gewonnen ift, baß baS große SJlätljfel bcs SKcnfdjenlebenS bamit nidjt ge t oft, baS ftrebenbe $erj nidjt befriebigt, ber (Seift nidjt ge* fättigt ift, bas ift flar ; ber ©efifj fpelena’s ift für fjauft ebenfomenig ein bauernbeS ©liicf, als ber ©efifc SDtargaretlja’S. ©in wefenlofeS 3beal fjat bie ©teile eines oerroeslidjen eingenommen. Das ift9ltleS.

9lrmer Sauft ! 9lodj ärmerer ©oetfje ! Denn ©oetfje, ber Dieter, ift es, an roeldjem biefeS ©djicffal fich erfüllte! Unb nidjt bloß ©oetlje. Die ganje moberne ©ilbung trägt biefeS Sdjicffal. ©in wefenlofeS 3bcal foll fie über baS ©emeine tragen, „fo lang fie bauern fann.“

3a freilich, »fo lang fit bauern fann." Söir miffen, wie es bamit fidj oerfjält. 2lber folgen mir bem Dieter weiter. SBielleidjt finbet er für feinen gelben borfj nodj ben rechten ©kg.

XIT. Cierter Ärt: fjaufl auf politifdjcm ©ebiet.

Der oierte 9lct fütjrt uns Sauft auf einem ganj neuen ©ebiete oor Slugen; er ift ein 'fßolitifer geworben:

®iefer Svbeufreia

®eroährt noch 9taum ju groben Xbaten.

CrftauneusroürbigeS fott gerattjen,

3dl fühle Straft ju fühnent gleiß.

3

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34

Dr. ?5aut ^offner.

. @0 fpridjt er, worauf SDiephiftophele« :

Unb atfo roitff} ®u SRubm »etbienen?

SDtan metft’S, bu fotnmfl oon $etotntti. gauft: §trtic&aft grTOinn’ i<h, (Sigenttium!

®if $b<« ifl adta, nichts btr Rui)tn.

3J?it biefer ^öc^ft practifd)en ©eftnnung bietet gauft fid} bem Äaifer an unb hilft ifjm burd) 9Jtephifto’« ©efellen unb geheime fünfte eine Schlaft gewinnen, worauf er oorn ffaifer mit einem Banbftrid) belehnt wirb, oon bem au« er feinen 'ßtan au«füf)rt:

®aS f)trtiid)t SWter Born Ufet au«jii(d)Iitfjfn,

®er fendjttn Srtitt ©tänjtn }U Bfuitgtri Unb, m fit hinein, fte in fuf) (elbft ju bringen.

®ie Silber, welche biefer Stet un« oorfü^rt, ftnb eben fo mannig« faltig al« lebenbig. Offenbar will ber 3Didjter ^ier eine ©chitberung i be« potitifc^en Beben« überhaupt geben. SJiit bitterer ©at&c wirb ber Grfjrgei; unb bie $abfud)t gefd)ilbert unb babei namentlich auch bie Strebe in bem Crjbifdjof, welcher ben Zehnten forbert, übel mitgenommen.

35ie (Sinjelnljeiten biefer jurn Sljeil launige«/ jum ST^eil auch fehr bo«haften Satire fönnen hier nicht oerfolgt werben. Un« intereffirt bie Hauptfrage, bie wir auch bei biefem Siete ftellen müffen : 3ft biefe Shötigfeit, welcher gauft fich nunmehr ergiebt, eine fiöfung ber ©runb* frage ber Ütagöbie, eine ©iihnung bet ©djulb burch fitt* liehe Urnfehr?

J?eine«weg«. gauft wirb um mobern ju fprechen : Oirector einer fianb=Urbarmachung«*2lctien«®efellf(haft. 211« folcher ftirbt er im fünften Stet.

XT. Sab unb Himmelfahrt.

gauft erfdjeint h»chbetagt. ©ein SSBerf tft gelungen. (Sr blieft jufrieben auf ba« gewonnene Banb, ben $afen, ba« reiche Beben. Mur ba« ©löcfchen einer ÄaptUe unb eine £ütte, oon armen Hirten bewohnt, ärgert ihn ; er gibt 23efet)l fie gütlich oertaufchen, unb SWephifto jerftört Äapelle unb $ütte burch 8«uer, in welchem bie armen Beute oerbrennen.

Mun beginnt fein ©lüct ju fchwinben; bie Sorge, welche in ^Begleitung oon ÜJtangel, ©chulb unb Motlj fein $au« umfchleicht, ftnbet (Singang bei ihm. -Mitten in raftlofcm ©efdjäfteeifer erblinbet gauft. (Sr befiehlt einen neuen ©raben ju jiefjen, um ba« Banb ju

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®oft§f’S gauft ale SBabpeidien mobemer Sultur. 35

entmäffern, aber, mä^reub er an ben ©raben benlt, graben ßemuren fein ©rab.

ÜDie Steile ift bodjhebeutenb, unb wir tniiffen einen äugenblicf jurücfblicfen. 211« Sauft ben fJact mit bem leufei gefc^foffen batte, fprad) er ju i^nt :

SBerb’ idb jum augenbtide fagen:

Seemeile bod) ! bu big fo id)im!

Dann magg bu mich in geffeln fd)lagen,

Dann will id) gern jn ©runbe gehn !

Dann mag bie Dobtenglode fallen,

Dann big bu beine» Dienge« frti,

Die Ubr mag geljn, ber 3f’gtr faßen,

<&» fei bie 3«< für mid) oorbei !

ffiorauf Ufieptjiftop^eleß ermibert:

Sebent’ mobil mir roerben’* nidjt Bergenen.

£)aju mar bi« jefct titelt gefommen. 3n feinem langen ßeben batte S““ft ben fRubepunft nod) nic^t gefunben, ber ibn jum äugen« bticf fpredjen lieg :

Sermeife bo<b, bn big fo fcbön!

SBeber SDiargaretba noeb $elena ballt genügt; nicht be« Saifer« ©unft, nicht fReichthum unb SBefife. äuch feine jefcige ärbeit nicht, ßrft in bet ,3ulunft fucbt er bie ©efriebigung, inbem er ficb Dorfteilt, roie fd)ön fein merbe, roenn auf bem Don ihm ge« monnenen ©oben eine giücflicbe ©eDölferung mobne.

2ln biefem jufünftigen äugenblid bängt fein äuge unb oerlangt fein $erj :

©oleb’ ein ®emimme( möcbt’ tdj febn,

Suf freiem ®runb mit freiem Sötte gehn.

Sunt augenbtide bürft’ ieb fagen:

Seemeile bod), bu big fo fd>ön !

tann bie Spur non meinen (Srbentagen Siebt in aeonen untergeben.

9m Sorgefttbt oon fotebem hoben ®lild öeniefj' id) jept ben bötbüen augenblid. 3J?epbiftopbelc« macht bicrju ben Kommentar:

3bn fättigt teine fiug, ibm g’nügt fein SIfld,

6o bubtt er fort nadj mecbfelnben ®egatten;

Den lebten, fdjledjien, leeren augenblid,

Der ärme roiinfdjt ibn fegjubalten.

Der mir fo triftig miberganb,

Die 3eit wirb perr, ber ®rei* hier liegt im ®anb.

Die Ubr gebt giß.

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36

Dr. 'Paul $affner.

(Sfjor: ©teljt fiiH! ®ie fdjweigt roie 2Hittcrnad)t.

Etv 3eißer fällt.

'KtcpbißopljeleS: Sr fällt! ifl poflbvadjt;

<£ljot; ift »orbfi!

DiepbiflopljcltS: Vorbei! ein tmmmeS ffiort. ffiarum oorbei?

®orbei unb reine« 3?id)t«, »odfommne« einerlei!

SEÖaS foll un« benn ba« ero'gt Sdjafjeu !

©efeftaffene« jn nidjt« !|imutgjiiraffen !

„$a ifi’* uorbei!" Sa« ifi baran ju lefen?

ifl fo gut, al« mär’ nicht gemefen,

Unb treibt ftd) bod> im Ävei«, al« wenn märe, liebte mir bafilr ba« ©roigltm.

Die ©egenfäfec, lueldje bet Dichter und in biefettt Dialog oor» füljrt, finb oon erfchütternbem ßrnfte.

£>ier ber IDienfcf), ber bttt Slugenblicf, ben lebten, flechten, leeren Slugenblicf feft^aCten möchte.

Dort btv Deufel, mcldjer, ber Slugenblicfe fatt, fidj ba« ßwig< Seere wiinfeht.

Der atugenfatief unb ba« ßwig=&ere! 2öa« anbere« bleibt ben ©eiftern übrig, toctcfjc oon bem ßrnigen unb unenblichen ©Uten, oon ©ott fief) to«gefagt haben? Die <ßh<fofoph>e &eö Seufel« ift meifterfjaft. Unb bod) genügt fie nicht, um bie grofje Dragöbie be« SDlenfchen* leben« abäufd)liefjen. (Sitten Slbfdjlug fantt biefelbe, loie wieberijolt heroorgefjoben tourbe, nur in bem ©erichte ©otte« finben, mag ein ©eridjt ber ©eretfjtigfeit ober ber Söarmfjerjigfeit fein, eine ßntfdjeibung barf nicht fehlen.

(Sitte foldje abfchliejjenbe ßntfdjeibung bringt ber fünfte 2lct, in* bem er un« ben $ampf bet ßngel mit bett Teufeln, bie Sntführung ber Seele be« Sauft unb beffett Aufnahme itt ben $immel barfteüt. SEBir werben bcmfelben gcwif? mit Ijödjfter Spannung folgen unb ganj befonber« bafür intereffirt fein, baß ber Dichter am Sdjluffe ber Dragöbie un« fo ganj auf djriftlidjen ©oben jurücffiihrt unb fogar bie SKpftif ber fatfjolifdjcti Sirene fid) aneignet.

äber baO wir un« nid)t atljuoicl oerfpredftn. SBa« un« ber Didjter in feiner Scfflufjfcene bietet, ift mehr eine launig fromme ßomöbie, al« eine ertifte Darftellung be« ©cheimniffe« ber göttlichen 30armberjig!eit.

SQlephifto ruft bie Deufel auf, um gauft $u bewachen unb fein au« bem 8eib entweichenbc« Unfterblidje« ju faffen. Dante’« Rollen*

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©ottfje’S gauft al« 2Baf)i'äcicben moberntr öuttur. 37

bitber lia^o^menb ober öielmeljr traüeftirenb, lägt er babei alle ntög* Itdjen ©eftatten erfd)cincn: £)ö(lenvad)en, Dicfteufel com furjen graben £>orn unb ®ünnteufet oom langen frummen £orn; bie ©irfung ift mehr fornifd), al« fürchterlich.

Huf ber anbereit Seite erfcfjeinen non oben bie f)imm(ifd}en §eerfd)aaren, (Sngel, ßf)öre. 3iofen ftreucnb naljen fte flcfj ffauft unb brängcn bie Jeufel jurfuf.

‘J?it ben fdpoebenben Diofen fid) Ijerumfd)lagenb unb mit lüfternen ölicfcn bie Sngel begaffenb, roirb aud) ■SD'lepljiftoplielc« immer weiter öon ffauft abgebrängt, bi« ber Slugenblicf fommt, ba beffert Unfterblidje« non ben Grngeln entführt wirb.

SBäbrenb ber betrogene Jeufel fein 2Jii§gefd)icf beflagt unb fich fclbft ber Jfjorbeit befdjulbigt, roirb $auft öon ^eiligen Jlnadjoreten empfangen. Pater ecstaticns, Pater profundus, Pater Seraphicus unb felige Snaben, gulefet Doctor Marianus erfdjeinen; folgen ®üj?crinnen: Magna peecatrix, Mnlier Samaritana, Maria Aegyp- tiaca, julefct Una Poenitentinm, fonft ©reichen genannt. ®ie Mater gloriosa fd)toebt einher, jn if)r flehen bie ISiljjerinnen für gauft:

Sie bu groben Sfiitberiimen Seine Sttäb* nidjt »erroeigerfl,

Unb ein büjjrnbes ©ewinnen 3n bie Smigteiten fieigerf),

©önn’ ouef) biejer guten Seele, (?)

Sie (t<f) einmal nur t>ergeffen,(?)

Sie nicht ahnte, ba§ fte lebte, (?)

Sein Beleihen angemeffen!

©retdjen aber fleht:

9leige, neige,

Sn Dbnegleidjr,

Su Strabtenveicbe,

Sein TtntliQ gitäbig meinem ©fiitf !

Ser früh ©etiebte,

9lirf)t mehr @etrfibte,(?)

Sr fommt juvücf.

Doctor Marianus, auf bem 2lngefid|t anbetenb (sic!), fleht:

Sungftau, ©tutter, Königin,

©öttin, (!) bleibe gnäbig!

unb ber Chorus mysticus fdjlifjjt mit ben äöorten:

Sille« Sergängtube nur ein @leidjni6;

Sa« Uujutänglidie

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38

Dr. $au[ $ offner.

$ier roirb'e Sreignifj;

Da« Unbf|djreiblid)f,

$icr tft gctßan;

Da« (Sroigroeibticbe 3«f|t un« f)inan.

3Refjr eine ßomöbie als eine ernfte Darfteltung be« ©eljeintniffe« ber göttlichen ©armljerjigfeit ; fo fügten wir im (gingang ber eben eoü* enbeten Säuberung be« fünften Stete«, unb ber aufmerffame Cefer wirb un« in biefetn Urzeit SRedjt geben.

SBir motten uns nid)t an ben Sleußerlidjfeiten ftoßen. Daß ber fßroteftant ©octße bie Sprache ber fatfjolifcfjen $irdje mit frembem Stccent fprid)t, baß er bie SRutter ©otte« anbeten lägt unb iljr ba« ^Jräbicat ©öttin gibt, ift ja, jumat auf bem Dßeater, wof)l tterjeifjlid).

Slud) ba« oiet erforfdjte unb immer nod) unerforfcptitfje IRätfjfel be« „(Smig«35)eiblid)ni'‘ fott un« nicht aufljalten. Die grage, bie un« allein bcfdjäftigt, ift bie etljifdje grage: meldje un« burd) ba« ganje Drama begleitet, ob in gauft ba« große ©eßeimniß be« ÜRenfcßen« leben«, ba« ©eljeimniß ber ©eredjtigfeit unb töarm^erjigfeit erfüllt ift?

I Diefe grage muffen wir entfliehen oerneinen. gauft ßat audj im jroeiten £l)eil ben ßampf, ben ifjm ber Dichter oorgefdjrieben, fittlid) nicht entfliehen.

Stn ber Seite be« Jeufet« Ijat er bie ßuft ber (grbe, ber Sinn» liefert, be« Dieic^tßum«, ber <gf)re genoffen.

6r bot mit iljm in bem claffifch* humaniftifchett 3>beale gcfd)mclgt, welche« jwar über ba« ©emeine trägt, aber fein innere« &ben gibt.

ßr b“t julefet in rein materieller irbifdjer Üßätigfeit fich oertoren.

Stber ju ©ott Ijat er fih nidjt gewenbet unb oon bem leufet nod) weniger fich loägemadjt. 2Ba« folt ba ber ßngel ©efang?

ffler immer flrtbenb fuß bemüht,

Den fBitnen mir ertöten.

Sill bamit gefagt werben, baß bem ORenfdjcn bie tgrlöfung ju 2f)cil werben fönne, fo tätige er nicht aufhört, nad) (grlöfung ju »er* fangen? fo lange er glaubt unb hofft unb liebt? fo fange er felbft nach ©ott ringt unb ftrebt? ba« wäre ein fdjöner unb tiefer ©ebanfe; ein ©runbgebanfe ber djriftlicßen ^Religion.

Stber biefer ©ebanfe liegt ©oetfje fern. . gauft Ijat nad) Slllem geftrebt, nur nicht nah bemjenigen, ma« be« ÜRcnfdjen letjtc« unb höchfte« 3iet ift; fein Streben war unb blieb ein ungemeffene«, un« ftete« unb eitle« Streben; unb in biefem eiteln Streben ftarb er.

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@octf)t'« gaufi al« SBatjrjtidjtn mobtrtur <£ultur. 39

3ft bem aber fo, fehlt gauft burdjau« an fitt(idjer Umtehr unb an Streben natf) ©ott, bann ift aud) bie Srlöfung feiner Seele burdj bie ^immlift^en Staaten eine rein äu&erlidje Somöbie, welcher febe innere Soweit fehlt. Sine Srlöfung oljne innere U m f e f) r , ohne inneren ©lauben, ohne innere Siebe ju (Sott ift un« möglich.

SBenn gauft im Schlafe t>on ben Slfen gereinigt wirb, wenn er bann fpäter im £obe Don ben Sngeln emporgetragen wirb, fo ift ba« eine fef)r bequeme religiöfe 9lnfd)auung, eine älnfdjauung, rceldjc ganj ber mobernen Humanität entfpridjt; aber fittlich ernft ift fie nicht unb barum auch nicht tragifd), fonbern, wie bereite gefagt, fomifdj; eine SBariation, fo fagt Sidjenborff, be« befannten Siebe«: Suftig gelebt unb feltg geftorben!

Die fo Diel betounberte 3{*4nun9 ber fyimmtifdjen ©ruppe unb ^immlifc^en ©eftalten macht bei ernfter ^Betrachtung ben peinlidjen Sitibrud einer SWummerei. fehlt bem $immet ©oetlje’« leiber bie £>auptfad)c, ber breieinige ©ott nämlich unb 3efu« Sfjriftu«, ber Sr» löfer. Sin beffen Stelle fungirt bie mater gloriosa, ju welcher ber Doctor Marianus auf bem Slngefidjte anbetenb, fpredjen muß:

©liefet auf jum Ötetter&licf,

Me reuig garte».

(Sud] ju ftfigem Oefc^ict Sanftnb umjuartfti!

©erbt jeber beffre ©in«

3)ir jum Ditnfl ctbötig!

3ungfrau, iDiutter, Königin,

©öttin, bleibe gnäbig !

ift gewiß ein fdjöner ©ebanfe be« Dieter«, ba§ er feiner Iragöbie einen religiöfen Slbfchluj? geben wollte.

©orte« mag 9ied|t haben, wenn er in feiner ©allfahrt Don Jrier Don gauft fagt: „So f)at aller heibnifdje Apparat julefct nur ju einer $ulbigung ber ©atjrheit hingefiihrt, unb wa« ber ÜJiunb bcö Dieter« ein ganje« bewegte« Seben h'ttburth oerfchroicgen, ba« Ijat fein ©erf oerrathen. ©öttje tjat eingefeljcn, bag ber gauft nicht ofjne fiirt^e ju Snbe fomme."

aber mit ebenfooiel fRedjt fagt SRolitor im Slnfchluß an Sicken* borff« ©emerfung, ba§ ©oethe’« fjoefie eine 'Jiaturpoefie in höherem Sinne fei: ,,©enn fid) biefe fSoefie oermijjt, ba« ©ebiet be« lieber« natürlichen ju betreten, fo oerftimmt fich ihre Harmonie ju SOfiß: Hängen, ber fonft fo gewählte ©riff ber faitenfunbigen £>anb wirb ju

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40 Dr. tßaul §af(ner, ®oet&t'8 gau(l at8 SBtttjrjtidicn nioberntr Suttur.

unfidjerem Jaften, bie ©gmbolil gefugt, bic bid)terifdjen SKittef er* fünftel!, mit einem ©orte, feljlt bann biefer ^oefie ber Soben ber ©afjrljeit unb bie Eingebung bc« SMdjtcr« an fie."

©ir muffen moljt beibe Urteile jufammen faffen, um ©oetljc’8 Sauft mit poltern SBerftänbnijj ju bemeffen.

<58 fteUcn fic^ in bem fcltfnmen ©erf jmei entgegengefefcte 8eben«*anfd;auungcn gegenüber: bie d)rifttidj«fittli<f)e, tvelc^e ©oetfje in bem Sdjoofje bc8 bentfeffen 3?olfe8 at« Erbgut oergengetter feiten oorfaub ; unb bie naturaliftif(^=fceptif^e, me(d)e er aus ber ^tptofopfpe be« 18. 3Ql)rtjunbert« fe^opfte. 3ene ift biefer untergeorbnet ; barum wirb fie jmor in üftargaretfja al« ein liebliche« Silbdjen, al« (5pifobc, bargefteflt; gauft ober, ber £>e(b ft eilt un8 bie pt)ilofopt)ifd)e 8eben«* 3lnfd)auung bar freilitf) nid)t ofpte ©djmatrfen. Diefe« £>in= unb $>erfd)»anten ift bie fpecififdje <5igcntf}ümlid)feit unferer Sragöbie.

©ir oernefjmen in i()r ben ©<f|merjen«ruf be8 SlJfenf c^en» geifte«, ber, abgetrennt uon feinem t)öd)ften ©ut unb jerriffen in ber Cuat ber 8eibenfd)aft, örtöfung fud)t in bem tjimmtifdjen Grrbarmen. äber e6 »eljt un8 aud; ber matte falte £obe«atljem be« 2Kcnftf)en an, ber ben if)tn bargebotenen Setter t)immlifd)cr ©nabe oon ftd; geftojjen fjat, um in bem ©taub eine« glauben«iofen 9?aturati«mu6 fic^ gefdjäftig ju oergraben. 3roe> Steile f)at ©oetlje feinem Sauft gegeben; aber er f)Bt feibft gefüllt, ba{? er jum <5nbe nid)t gefommen. „auffötuß,* fo fdjrcibt er, nad)bem er fein 2J?anufcript oerfiegelt, „auffd)tu§ erwarten ©ie nid)t, ber ©eit« unb 3D?enfcf>engef c^idtte gleidj enthält ba« gule^t aufgelöfte Problem immer ttieber ein neue« auf* gutöfenbe«."

anffdjtuß finben mir in ber üfjat in Sauft nidjt, fottbern nur Probleme, bie fid) immer auf« neue oerroirren. auffd)tuß über ©eit* unb üßenftfjenleben gibt nur bie c^riftlitfje 3bec ber Grrlöfung.

®iefe 3bee blieft un« au« ^romet^eu« entgegen, »ie eine jarte ©tüttje, meldet bie oerfdjtoffene Sno«pe fprengt.

$)iefe 3bee enthüllt fit^ mit füßem £>ufte in bem farbenreidjen leben«frifd^en ‘’ßarjioat.

©oetlje’« Sauft aber bewahrt fie nur at« eine leben»matte <5r* innerung, ,,at« SBotfc^aft, bet ber ©taube feljlt," äifntid) »ie bie Dom ©urm buvcbbobrte ©turne unter ifjren ©tattern nod) einen Steft oon Sari»* unb «inen $aud) oon ©of)lgtrud) bewahrt ejnen fdjmacfpn matten §aud), ber nur mit ©eßrautl) un« erfagK^W .

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cSiterflrif^er Jlnjeiger.

SQr“ 9Wc in finb Dorrötfjig bei

biefent üterarifcficn Slnjeiger aufgenommenen ©crfe

9L ftoeffef, ■Söücf)* unb ßunftfjanblung in grauffurt a. 3)?.

"f erlag m petcc lßrütf\ « Titxcnibnrg,

. »>• VI»

(fnricqnt. ^rop^etifdfje Stimmt n 1 20

greintuth- Eae mobttnt beutfdje ftatftrreid) unbtbit Äatljolifcn ... 1 60

Eos ntoberne 9iedbt unb btt Sntholifen 2

Eit fntbolifthe ftivefet unb btt mobtrntn Staatsmänner . . . 2

Dr. £>oufic. Eie ftatatomben 1

^ntfraationalf, Etc. SIBo gamntt ftt btr? Sa« ifi ftt? SöaS »in pe? 30

Rutturlamfef, Xer, cor bttn SRitfetergubl feiner eigenen ©tiefet ... 1 60

Multurfampf, Eer, feerausgegeben von einem ultramontanen ‘Äitifterifiti» 2

Saifer. 2BaS ift bit SÄtligion für btn ärbtittr 15

Sänger. SBa« madjt bie heutige ©efeEtfdjnft fo Irant? Sie ig ifer ju

helfen? 40

Saffcrrc. SDtonat ajiariä Unfern lieben grau »on Sourbes 2 40

äftaRberfefjeib. ©egen »a« prottpirtn bie fffroteganten ? 60

Sclrolog btr Sfer». 3Jlntter ülnna, gtb. Klementine »on Safautj . . 1

Sur lein SdjtDinbcl. @in Erinffferud) , ber nie gehalten »orben, aber

gut ju batten rofire 30

Xafepcrt, P., Eer beit. Bruno, Stifter bt« Rartbäufer»Orbtit«, in feinem

Men unb SBirleu 4

S. Thomae Aquinatis Summa theologica , diligenter emendata Nicolai Silvii, Billuart et Drioux, notis ornata, 8 vol.

in 8”. (ermäßigter ißrei«) 25

®attr nnfer, Xa8, unb feint Btbeutnng fßr ba« Itfete Biertel bc« neun*

jtfenttn 3«bfbunbtrt» 50

SBegmeiftr für bie Äatbolifeit »on einem jtatfjoliteu 50

®arncr, £au$. Berlin ober 9tom 6o

3tn unjerem Berlage erftfeeint unb ip in allen Butfefeanblungcn ju haben:

(Sffdfidjte btr trfitn firbnt 3at|re bts prtuftifdjrn dultur- hampfra oon $r. £ Spulte, Pfarrer in Erwitte.

EaS 9Betl erfefeeint in jwei ffiänben reffe, ca. 8 ßieferungen unb jwar btr erßt Banb „Eer flampf um bie Stfeule" in ca. 3 2iefc= rungen, wooon bereits jtoti erfdjienen; ber jmeife Banb „ßircfjf unb Staat" in ca. 5 Lieferungen, frei« ber Lieferung 1 3»arl 25 Sßfg.

Pit JOidjIigkeit bes JBerkr» liegt in bem Segenflande, btn t* behandelt.

W'n gfrebeßtuf & <&oetmt.

JSeitgcmäße Irofdjürctt.

Inljrgnng I Y.

Qn^altöoerseic^niB-

Jahrgang I. 5riebri<$. 3of>ann, Dr., 3ofcann $ud. Gin Scbendbilb. ttrffe glbtbcilung. Jriebricb, ^opann, Dr., ^otjaun £ud. Gin vicbendbilb. äb*

tpeilung. Hergenrötber, Dr., IJJrofcfTor, ©ie f5rangöfif<$*Sarbintf<$e Ueberein* funft oom 15. September 1864. 3anffcn, 3o$., Dr., ^Jrofeffor, JRufclanb unb Violen oor bunbert 9Jofen, G^r. €>rm., Dr. (Balileo ©altlei unb bte römi- (

f<$c Hcrurtbeilung bcd fopermfantfcbcn Spflernd. Hägele, 3®f* W., ©er moberne Sortftbtitt unb bie arbeitenbm Piaffen. !Re i<$cndperg er. Sluguft, Dr., ©ie Punft, Jebermanttd Sa<$e. 3anfjen, 3®b* Dr., ®uftau Slbolpb in ©cutfc&lanb. Haffncr, Dr.. ©er moberne SRaterialttmud. SKofibac&, 3®$* 3oi., Dr., ^nbuflrl« unb $l?rtftent^um.

Jahrgang II. iRontalembert, G$., ©enerat La Moricf&re. ßfinric$,

, 3- Dr., ©ie Plöfter in ber ®ct$id)te. Petteler t., söifc^of bon SKaing, 3f* bad ®efe$ bad öffentliche ®ewiffcnt -- SJofen, iE^xiflian Hermann, Dr., Polping'd ©efellrnberein in feiner focialcu lOcbeutung. SJlolitor, SBil^clm, Dr., ©ad Idealer in feiner 85ebeutung unb in feiner gcgentotirtlgen Stellung. ffiinbcl, Part, Dr. ©raf ftriebri# SJeopolb Stolberg. ®olterd, iNaurud, P., ©ie römijc&en Pata« (omben unb ihre üebeutung für bie taibotiftibe fie^re bon ber Pinfcc. Offenbar, ßcinrttty, Dr., ©er Streit ©regord VII. mit $einridj IV. ® olter d, 3üauru«, P., ©ie r6mif$en Patalomben unb bie Saframente ber fail?oltf<ben Pirt$e.

| Jahrgang III. #einri<b, 3- ®-* Dr., ©ie Plöfter unb ihre ©egner.— lieber* f maper, ©ad Goncilium in Baltimore. b. Stcari, Hermann, Grjbifipof bon ftrciburg, ©ad 'flapfitpum in ber ©efdjicptc. Hol Jammer, 3* ®-* Dr., ©er bibliföe ( Sdjöpfungäbericpt. He* nri c&, 3* Dr., 3of<pl? bon ©örrcd. Sd? ec ben, W., Dr., Die Hetligfcit ber Pirc^e. golombel, Die $erbiitbung ©eutfdjflanb* mit Italien. ' 3«nffen, 3ob.. Garl ber ©rofje. 9Heberntaper, 31., ©te Streiter für ben apofiolifd?en Stu$l im 3a&re 1867. Holgamm er, 3. ©., Dr., ©er 3Renfcp unb feine Stellung unter beu organif^cn ®cfcn.

Jahrgang IV. 2B eherner, H., flrofeffor, ©ie fiiteratur unb bie $rtftU$e 3ugenb* bilbuitg. Hagclütcn, ft. 81., Dr., ©ie roelt(i$e !Ha<$t bed iJapfted. 3*11, (Sari, Dr., ©ie moberne beutfcfce ftolfdf<$ule. ® er n cf e. ©., Dr. ©ie Statifttt freiwilliger Hanblungen unb bie menfcplitbc ffiiflenSfrcibeit. Pleutgen, 3., P. b. ®. 3., ©ie 3beale unb iljre toapre SJerloirflid&ung. off mann, €., ©ad ®eltfpftem be« 9lia>* lau« Popernifud. - 3anffen, 30&., Der Papujiner granj iborgiad. Praud, tJranj Xab., Dr., ©ie Punft bei ben alten C^rifUn. £ogelfl!en, 91-, Dr., ©ie moberne Grjieigung unb il?rt folgen.

Jahrgang V. 3bacb, 3- ®tabtpfarrer. ©ad beborfie|enbe Goncil. fl eit, ^pilipp, lieber bie cbriftlicfce Punft. j^abn, Dr. med. ©ie Hoffnungen ber falljolifiben PirCbe iitGbina. Hüldfamp, %*., Dr., ©ie ©eneraloerfammlungcn ber fatbc!ifd?en Cercine ©eutfeplanbd. Hagele, 3- W-# Seoolutton unb bie moberne ©efeUfc^aft. Sdjueiber, Knbread, Hßriefter, ©er Plofterfturm in Oefterreicfi. Ha0<lü*«n^ «. SCIej., Dr.. ©ad Drienter unb bad acgenträrtige Gontflium. Streben, ?rof. Dr., ©er Yapft unb feine neueftcn Serlaumbcr.

\

Preid pro loljrgoitg: 1 Math 50 Pfennig. Preis ber (friwelbrofdjiire: 20 Pfennig.

£ianltfurt a.

X loejfer.

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sJka

ecd)fUr Jahrgang 1880. 8!on Cd. 1879 btd Cd. 1880.

pie Ausgabe in 26o4<nntttnm<rn Rodel pro Quartal 1 28 ft. 80 ?*f. Pie .ÄusgaSe in 18 ßeften i 40 ^f. pro llaüroattg 7 £88. 20 3ff.

311 le ©ucbhanblungen u. Loftan Halten f ii breit Ce jl eil ungen au{ biefe 3 e * 1 1 d) r i f t au«.

Der „Teutfd)f $au«id)at}' ifl bie fibönftc , inball* unb umfang» reidjfle utib oertiältmbmägig auch bie iiDigflt illuflrirte fatljolifcbe Unter* f)altmtg«3citjd)rift in beutfiber Spradje. »ein anbere« itluftrirtetjyamilienblatt Dom gleiebeit Umfang unb greife bietet eine folrtie groge Anjafjl btbeulenber unb Dorjöglidier 31Iuflrationeii, wie ber „Xeutfdje §au«fd)a3}".

®ie Slitarbeiter be« „$eut(d)en $au«fd)n3)e«" jäRlen tiad) $unberteit. Siemgemäg ift berfelbe auch iu Bejug auf iKeiebbaltigfeit unb JRantiig» ialtigteit bc« Xepte« unübertroffen. 91ur außtrlefene Nomone, Wodellen, €>umorc6fen, ©ebid)te u. f. ro. werben im ,®eutf<ben §au«id)ab'' oer= öffcntlidjt.

3u ;abfreid)en tlebenBbefdjreibungcn mit liinftlerifib auegefiibden Silbniffen beroorragenber Äatbolifen fteüt ber .®eutfd)e §au«jd)ab* bem taiRoliidjen ’i*o(fe tble unb erhabene ?!orbilber auf.

3n Doltblbümlidi bargeflellten, aber quellenmägig bearbeiteten biftorifdieu Aujfäben werben ö'ejd)id)t «lügen unb ©eidjidjto* fäll cf) ungen enttarnt unb wiberlegt.

®er (öcjunfibdtepflege wibmet ber „Xeutjdje §au«jd)a|}' größere Sorgfalt al« irgeub ein anbere« Sainiliettblatt. (Sr bringt nid)t nur eine Rüde ärjllitfier Ctlebrungen, fottbern tritt befonber« and; bem mebiei* nifiben (Bebcimmittelfebwinbel unb ber ürbenemiltelfälfdjnng Duvd) Auf* tläruug unb fflantung entgegen.

Xer »®eut(d)e $au«id)atj* bietet jablreidte belebrenbe Auffäße au« bem Bereiche ber iRritllidltn llunfl, ber fRaturtuiffenfibaften, ber Slänbtr« unb üSölfctfunbe; feiner inteceffante SHeifcbeftbreibungcn mit erläuteuiben 3üuprationen.

Cr gibt in jrörr llununer eine ileberliibt ber inlerrflTnntellrn 05nl* bedtungen unb Jorlfdiriitr in bem wiffenfdjuftlidjcn, UttiifttrrifdjeK unb Praktiken Feien überhaupt.

911« Urämie erbalten bie Abonnenten 31t biefem neuen 3ahrgange auf auibrfleflitbe« Verlangen nttb gegen bie geringe 9facb;ablimg Don 1 3Rf. 20 ^>f. ein wirflidje« ftunftblatt in Del färb enbrutt mit ® 0 1 b 9 r u u b : P3:

(tfbristns im ^djaosse ÜTariens ra^tnb mit 3ut)aiines null llngitaimn).

91ad) bem ®emä(be be« genialen Steifler« ^Jrofeffor Mein in Wien.

(4t Gammelte tjod) 31 Gentimctec breit.)

fienbaut 311 bem früher ccfebienenen unb mit bem grögteu SPeifatt aufge« nommenen Äunftblattc „ialDartcngrnppc" beefelbeu iüieifter«.

^ip ifcrlagslisnillung:

iyviitnid) duftet in ^eacnälnu'a.

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Sm Vertage be§ UnUrjeidfneten crfc^icn :

®dtgcfd)id)tc

OOtt Dr. ft. ft. J&olsttw*«).

1. bis 26. Lieferung ober Sitonö 1 bis 4.

8°. gef). ^rci§ per Cieferung 60 fßfg.

'Die gortfe^mig biejeS 3Derfc§ cricfjcint je^t regelmäßig unb Jattn in Sicherungen ober baubiucife bejogen werben.

mr dinfianitoctfeii a 90 $fg.

ÜUJoinj, im Sluguft 1879.

gfrattj ^ird^eint.

3m Serlage »on ftran} in DRainj ift erjebienen unb bur<b a<Ie

Suebbanblungen ju bejieben:

jStonalrr ^aterijisimm.

©runbjügc

frer flef <Uf d)aftlid)cn Otbttuitn

in

^emeinbe, $taat mtb Birdie

non

JUtljur oon Doljcnücrg.

8. 10 Sogen geh- SteiS SJZ*- 1. 36 Sf-

S)aS 10 Sogen fiorle Schrift eben -entwirft in circa 1000 furjen, fcEjarf beftimmten, metbobifcb an einanber fub reibenben fragen unb Antworten bie ©runbjilge ber gcfefljtbafllicbm Crbnung unb fteOt bie »erfebiebenen ©tufen ber= felben (fjamilie, ©tamme3=@emeinfcbn}t, ©ewerb5.©enof|enfCbaft, ©emeinbe, Staat unb fiircbe) in ihren wejentlitben ©igenfdjaften, wie in ihrem 3ufammenbange bar. 9Me ©runbfragen be5 focialen CebenS werben nach ben ^rincipien beS SaturrecbteS unb ben Lehren beS ttbt'fttntb>nnS mit befonberer Sejugnabme auf bie Serbältniffe ber ©egenwart in ebenfo prägnanter als einjebneibenber SDeife bebanbelt. ®a§ göttliche ©efet) als ©runbtage beS fRecbteS, ber greibeH unb Autorität barjufleKen : baS ift ber leitenbe ©ebante beS flatecbiSmuS. 3nbem er benfelben mit unbeugfamer Gonfequenj buribfttbrt unb bie Schablonen be» mobernen Liberalismus, wie bie SQufioncn ber ©taat6«Mma(bt grilnblicb jerftövt, wirb er bei allen benfenben 3R finnern lebhaftes Jtntereffe finben.

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IJerlag mn ($tbx. §. & |t. gtfnjigrr

in gtnßebefn in bet

jux Mnterljaltumj unö Meljrung.

XIV. ^aQfgang 1880.

®rp£ UluHrtrte kattjaltfdje ^Eitfdjrift.

MtfiJi 18 fcflt cei& iffttftrict in gc in k 40 flffl. otL 50 &l«.

Pit pradjtuoller (Delfarbenbrmk - ©ratte- JIrämte:

„Angelus Gustos“

, bc«

„^tnbes 2? cfjttfcencjcC“.

44 Cent. Ijo rfj utib 31 Cent, breit.

3u btjie^cn butd) alle ©ucbbanbümgeit, ^ßoftjeitunaS-'Syjebitionen, fotoie audj Dort ber ScrlngS&nitblung birect.

|MT $cft 1 bereits (rfdjicneir nub auSgegcbeu.

3m Vertage non %. Jaumaitn in IliUmcn erje^iert :

3Utc Jöaljrfcitcn in neuem (öetuanbe. 1. ße$ret ane »ök«.

3eitgttnäBe (SriDiigungcn für ('(jriilen aller SUnb«. $rciS 60 ißfg.

Sickinger, Pfarrer, 5ie &unß, braue $inber }u er- liefen« ®n 8olfBbu<& für eitern, ®eiftlt$e uttb fiterer. 'Preis 1 iffiatf.

Sidjerer JBeg |u einer gliidilidjen (fffe. $«!§ eo <pf.

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§eßr empfcßfen$roertfic Blätter! i?

tägftCÖ erl$tintnb Stanbbunlt If (5- IvUtlUvgjUlVf ficntrum brinflt fafi tägli^i

^rigiitaf-^eitartißcf, ^SSt" x*($ unb 䮫- Mtf^,3‘i tefrgrapßifö, SuJ'*,* ptomttstelTat

«n» roßafen fHiM-MÄ?'

^eutffriott fpannenb "g,™ ftttfirß tritt, ««»«teut: j? ^ifß. £<$tt>arj.

^rri$ pro guartaf ttttr 1 1R& 50 1£f.,

mit tBtPtDflelb 1 9JM. 90 $f.

®tt „Ctborlu§.®ot{" gröstr« unb ßiet tf)eurcte 3ttturtgen.

^VfVrt £ottttfag$ßf<ttt für bas T»rof, J)r. tSfßßert.

&*Vy lat^otif^e Solt. »ebactfur: ® f

®°S 25 StcVauf“16 20,000 abonnenten 6ebrad,t.

3?rris pro ^uarfof ttttr 40 jiff., ",lt55®ff“0db

3um Bbonnemtnt labet ftcunbli^ft ein

^nbtrborn. Säonifaritts-Prttiftmi.

* Verlag von P. Hauptmann in Bonn. *|

Dir (todjtrr

Irr

ko^piclrrö.

(L.tliüllUH.

SlooeHe

5Rooeßc

Don

M. Ludolff.

toon

M. Ludolff.

©tegant brodjirt.

©legant brodjirt.

ar ^rris 2 38arft.

mr IJfrris 2 £8ar&.

_iJl ' k-

| HERDER'sdie Verlagshaiiälüng in FBEIBDRB (jaden), j

bejieljtn butd) aßt ©udjbanMungen:

Berber’ s ffonBtrfations -cfexilon. 3rctite gänjlicf) um ge« arbeitete Sn flogt. ©oUftänbig in 4 ©änben gr. 8°. ä 5Dif. 6.25; geb. 2Ji. 8. ober in 50 $eften ä 60 ©f. £>eft 1—47 ftnb erfdjienen.

.Gonait) ptäfentiet fi<4 ba» §erber'f4e Gcm>etiotionl*S!t{ifon in feiner neuen Qeftalt all ein Söerf, ba8 ftdj an SHtic&haltiftfrit mit vielen feiner beleibteren ©rüber recht mo^l mtffen fann, an praftifdjer ©raucfcbarfcit aber unb innerer ©oflcnbung unbedingt bie bisher oorhanbenen übertrtfft* I (Sitetarif (feer Qanbmeifcr. 1879. *Rr. 938.)

| fanden, J«, ^efeßtifiie bes öeutfdjett ^offies fett bent .Ausgang bes SCittefarters. 3n circa 6 ©änben gr. 8°. (Srfrfjtentti ftnb: I. 8attb. ®rutfd)(<mb« allgemeine 3»flänbc beim AuSgang 1 be« SKittelafter«. günfte Auflage. (XXIII u. 615 @.) I 5Rf. 6.60; eleg. geb. 2Ji. 7.80. II. ©anb. ©out ©eginn ber | politifd) * firdblidjen SReoolution bi« jum AuSgang ber focialen | SRepotution oon 1525. (XXVIII u. 587 ©.) SK. 6.30, eieg. geb. 3Rt. 7.60.

$er tSerfaffee hol fub feil beinahe jmaniig 3abren mit eiltet ®e(4i<tle I be» heutigen Sollt» oom Stulgang bet Mittelalter» bi» jum Unltrgang be» SRtitht» befibäftlgt. (Sin groRet Ib'U btt gorfHungen , befonber» für bit lit*li*:poliliid)tn Certjältnige, bet uftt auf no4 ungebrochen attbioa- ltflben CutOett. 3ebet Sanb bet Sbetltl mitb eine btfiimmte Beriobe | umfaffen unb einjeln ISuflidj fein.

^Biffionett, 3>ie Rfttüofifdien. 3ttuftrirte SKonatSfdfrift. 1879. ©reis per 3af)tgang ®!t. 4.

«Stenn el Slotb thut , baff mir bei unteren Itaucigen inneren Serbält« nifftn unfern Slutb ftäblen uttb beleben, fo lann biefe» für 3ung unb Sit inum beifet gtf<beb<n. a(» burdj ben erbebenben (jinblid auf bie idjrotttn I Rämpft unb bie glSn|enben Biege ber flirdje in ben DHfflonen. SBir ] empfehlen boju . Ute !ait)oIij<ben Mifjlonen* au» märmftem Qerjen unb für bie meiteflen ftreife al< fatbolijtyf gamilienblatt.'

(Rölmfdje Stollljeilung.)

Sammlung ?iflorl(<fi« SSifbnifTe. I. Serif. 12°. (XXXIV unb 1668 ©.) SKt. 12; in 3 ©änbe geb. ©tf. 15.

3 n I) a 1 1 1 1. BbiUpp fciorontb. 2. Ute bl. ütoba. 3. J in«). 4. Brini Bugen.

5. Barl bet fflrofit. 8. 32 ie bL ölifabetb. 7. gx. fi. Bon Stolberg. 8. ®ie bl. ftebroig. 9. fjriebri* uon Spet. 10. Siitu» V.

n. Serie. 12°. (LXXII u. 2014 ©.) SKI. 15; in 3 Sünbe geb. 9J». 18.

3nl>alt: 1. Uaniel C’GonneU. 2. Sbarita« Bltlbeimer. 3. flaifer Seopolbl.

4. Cbetljacb im Bart. 5. Raifer gtiebtitb I. 6. Sultan bet abtrünnige.

7. Seginalb B°t<- 8. Sofebb II. 9. Snbrea» fjofet. 10. 3labeHa bon Oaftitlen unb getbinanb uon arngonien.

HI. Serie. 12°. (LX n. 2184 6.) SK. 16; in 3 ©bc. geb. 9Rf 18.

3 tt h a 1 1 : L flapft Klettert bet III. 2. Sec bl. Ott«. 8. (fürftabt Martin ©erbert. 4. ürjbetiag Magimtllan. 5. Tet Batbinal he Gbcoeru».

8. u. 7. 3«jepb Bon Öätte*. 8. angtlu» Gilepu». 9. Rurjiirft Slaptmtlian I. bet (Srope. 10. 3L S). 31. Bugin.

©on ber IV. Serie fmb bi* je(}t fofgenbe 7 ©änbdfen eridjienen :

L fialeflrtna. W ‘PI. 2. 3. »eilet »on Ba»fet»berg. Bll. 1.40. 8. Sophie Smetipine. Bll. 1.80. 4. Drlanbul he Uaffu». 80 !ßf. 5. Sola bi Dlienii.

60 Bf. 8. 3. S. be SajaBe. SU. 1.80. 7. S. be lal 6afa4. TOI. 1.60.

Jiiefe Sammlung mitb fortgeiefL^Sehei Sa.hibrn iS einzeln kinllia.

glimmen ans 5Baria-^aaeß. fiatfjotif^e ©lütter. 3al|rgang 1879.

Atle fünf Soeben erfdjeint ein epeft «on burdjfcfjnittl. 7 ©gn. günf $efte bilben einen ©onb (Semefter). 3eber ©anb fofiet ftlif. 5.40.

Die „Dtintmtn ant Oiarie .e«»*“ |inb bie na4 Keiehhiltigketi onb Berbreitnng htroorrogenhSc »oliiiflh-reiijiäre 3eitf4eift fit b. »thilb. tatbollken Dentfälanb».

H r

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JJerlag ber $of. Sofel'fdjni BndjIjanöUmij in Bempten.

3u bejiehen bur# alle SBu#hanblungen beS 3n= unb ®u§IanbeS.

ober in» beginne beb 4. 3abrbunbtrtb. (l *■ niHv Hon Avv. Salvator« Martini Butorijtrtc lieber* fetjnnfl non Slarie ». Mittler. 8®. gef). 4!rcis 3 ®l. 60

©iejcS ©u# jitjilbert in anjiehenber unb ergreifettber ®eife baS geben unb Seiben ber Cfjriften jur 3<it bev Serfolgungtn unb ifl ein würbigcS Seiten: ftltd ju ®i[cman’S berühmter „gabiola". ®ie Seftüie beSfelben wirb nidjt blofc belebten, fonbern au# erbauen unb erbeben. $ic Ucberfeljung (auS bem 3ttalienife^cn) itt flicfjtnb, bie ttluSftattung eine forgfältige. ®a§ 35u# wirb allen tfteunbeit #riftli#er 'Jtouetliftit eine ho#roilllommene ®abe fein.

nffirilim Hpflinrtnriim iuxta Rituale romanum nna oum

Ulliuum UC IlllilrlUI Ulli absolutione ad t umbaut pro majori utantium commoditate. Cum permissu episcopali.

4“. Oiotb* unb Sdjwarjbrutf mit Uj^oral-fBoten. ©reis geb- 1 ÜX.

Xicfe j#Bne SluSgabc empfiehlt fi# namentli# jur Hnj#affung für grbfjete ßit#en unb &ir#en=Sb6re, wirb aber au# Heineren »egen ihrer flom* penbiofität wifllommen fein.

Orrln CpnplipnHi “d“1*08 et parvulos una cum absolutione ad l/l UU oCfJCIlCIlUI tumbam (Libera) pro majori utentium com- moditate. Cum permissu episcopali.

H. 8°. 91otb* unb S#marjbrucf mit Cf)oral=9tuten. ©reis geh- 65 ©f. 6i:t bequemem ßompenbiunt bei Seetbigungen fowobl für ®eiftli#e alb fiebrer, S^orreßentcn unb Sänger.

3n meinem ©erlag crf#ien foeben:

JJarbetti, Dr. ©omfapttular, JJius ber

(Srofje, SmmorfeUenhränfe auf brn Sarkopljag JJapJl Pius IX. 2. Auflage. fßreib cteg. gef>. 5 üttarf 40 «ßfg., in eleg. fkacf)tbattb 7 2)jar£ 20 $fg.

$aS treffliche SOerl beb bebeutenben Autors hat bie wohlöerbiente Bnerlennung in jahlrei#en itiecenfionen politif#cr 3eitungen unb litera» rif#er ©lätter gefunben unb ift allgemein als wahres ©leiftcrmerf aner* tannt worben.

Seine $ciligltit ©npft 2to Xlil., her Saifer »on Deftcrrei#, bie Stöniflin=9Wiittcr pou ©aicrn, ber Itcrjog Pott ©arrna u. f. n>. haben bab üßeel ber bnlboollften Slunabme gcioiirbigt. ®ie ho#w. Herren ©if#öfe bon «t. ©aDcn unb ßimburg haben ihre Ueberjeugung babin auSgefpro#en, „baf bab ©u# beu gläubigen gewiß jur Sr* bauuug gereithen uub bas Slnbenlen beb großen ©apftcb ehren werbt." 3-ranftfutl a. 2B. ^oeflfer*

Unferc beliebten über 120 ©änb#en enthaltenbcn

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3?t>ni5- Uttb 3ugenbfißrifteu-3erfag (Cito ffllanj) iSegensBurg.

Prud »on SRaljlau & Saibiebmibt. granfiurt a. OT.

Per lartmnwtmi*,

eine

geizige d p i t> c m i e.

SBon Dr. 0. gfretljerr t»on ^ertftttg.

®ic @cfd)id)te crjäfjtt oon ßpibemien, lüctcf>e urp(öfclid) auf treten b fitfj mit ©tifeeöfd)netle über weite gänber oerbreiten, jeber Sßorfidjt, jebem Heilmittel fpotteit, laufende ergreifen; bann aber, nadjbem itjre ^eit erfüllt ift unb ihrer unheimlichen 5D?ad)t Opfer genug gefallen finb, wie oon felbft mieber erlöfdjen unb ebenfo rdthfelfiaft oer* fdjminben, wie fie gefommen finb. Slber nicht nur lörperlid)c &tanf* feiten bedrohen in folcher Seife ba« geben ber SBölfer. gibt auch geiftige gpibemien, feltfame ober furchtbare Skrirrungen be« Denfen« unb Smpfinbcn«, mellte mit ben förperlichen Seuchen in ber anfteden* ben Äraft unb ber (Srfolglofigfeit ber ^peiloerfuefje übereinfommen.

' Slpf bie Schaden be« fchwarjen lobe«, ber ißeft, bie in ber SDJitte be« oierjefjntcn ^ahrljunbert« bie gänber Europa’« bie hinüber nach 3«lanb oermüftete, folgten bie Sdtaaren ber ©eijjelbriiber, bie oon Stabt *u Stabt, oon ganb ju ganb jogen, ©ujjlieber fangen unb fich mit ®eif?eln gingen. Slu« ber 3leu|eit würbe in«befonbere bie ®cfd)ichte bc« norbamerifanifchen Seftenwefcn« ©elege genug bafür liefern fönnen, wie Slbergtaube, Sahn unb bumpfe jerftbrenbe geiben* fdjaft oon cinjclncn SDfittelpunften au« engere ober weitere Greife ju ergreifen unb ju allen 3:^orI)citcn, allen gaftern fortjureifjen im Staube finb. £>od) mag ftatt beffen lieber an ein Ijarmlofcre«? Seifpict er* innert werben. Sic lange ift h«r, bajj bie gebilbete ©efellfdjaft l

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Dr. ®. greiberr Bon §>ertling.

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bieSfeit« unb jenfeit« be« Dcean« fic^ um höljerne lifdje brängte, bie, mie man oorgab, burd; einfache« gianbauflegen in breljenbe unb tanjenbe ©emegung gerätsen unb mittel« 2luffd)tagen be« gufje« 2lnt» mort auf bie an fie gerichteten fragen ertheilen foöten? ©entt man bie mci.c Verbreitung, roe(cf)e bie« fogenannte Üifchrücfen fanb, unb bie Örrnftljaftigfeit, mit ber oielfach betrieben mürbe in ©etracht jieljt, mirb man geneigt fein, in ihm eine, gtücftichcntjeife halb er» lofehene, geiftige Sranf^eit Don anfteefenber Jettbenj ju erbtiefen.

Vielleicht erfcheint als ein aUpfiifjne« ©agnijj, aud) ben Darmittiöntu«, melcher feit mehr at« einem falben ülienfchenalter in fteigenbem 9Jla§c nicht nur bie roiffenfdjaftlichen, fonbern barüber hinaus roeite Äreife ber gebilbeten ©eit ergriffen hat, biefett geiftigen (Spibemien jujujählen. Jlllein bei gri'mblicber unb umfaffenber Vr*l* fung, mie fie namentlich in iiiugftcr ,3eit angeftcllt mürbe,*) biirftc faum mehr eine anberc ©ejeichnung übrig bleiben. (5« foH oerfucht merben, h*crf*ir *m Slachftehenbeit menn auch nur in aller $ürje ben ©emei« ju erbringen.

©a« ift ber Darroini«inu«?

Urfprünglich eine ^ppothefe, mic bie ©efdjichte ber ©iffenfdjaften bereit Diele aufjnmeifen bat, ja mic fie jum gebeihlidjen gortfdjritt ber ©iffenf (haften unentbehrlich finb, eine £>t)pothefe, aufgeftetlt oon bem englifchen 9iaturforfd)er ßhatle« Darwin, um eine Sieihe uralter gragen ber Siaturbetracptung in einer ben mobernen natur» miffenfdjaftticben Jliifchauungcn unb Erfahrungen entfprechenben ©eife ju löfen; eine ^ppotbefe, melche barum gleich allen anberen ^ppothefen, um ©eftanb ju gemimten, um bem gefieberten ©efipthum ber ©iffen» fchaft einnerleibt ju merben, ber umfaffenben miffenfchaftlichcn ©e* grünbttng, ber forgfältigften fritifchctt Prüfung beburft hätte.

Stber gerabe hieroon pflegt bei beit Darroinianern am menigften bie Siebe ju fein. Die Oebanfen be« ju europäifdjer ©erübmtbeit gelangten englifchen gorfdjer« gelten ihnen (äitgft nicht mehr al« Probleme, melche noch erft ber entfeheibenben geftftellung bebiirften, fonbern al« bie glorreiche ßntbccfung einer überau« merthoollen ©aljr*

*) Statt affe« 2tnbern (ei auf ba« beroorragenbe fflerf Bon Dr. 2t. SSHganb, ©rofeffor ber ©otanit in Slarburg, bütflenaiefen : Ser SamjiniSmu« unb bie 9tatnrforid)ung Slemton'« unb Cuoier«. 3 ©be. ©raunfibiueig 1874—77. Sie ©auptgebanten besielben hat ber ©erf. (elbft in bie fteinere ©eprift jufammen- gebrängt: Set SartBini«mu« ein 3t<cbrn ber »Jeit. §ei(bronn 1878 (§eft 17 unb 18 ber .»Jeitfragcn be« ctjrifltidjen ©olfeleben«*).

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©er ©arroiuiemu®, eine setftigc Spibemif.

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heit. 3hrE umfaffenbe toiffenfchaftliche ©egrünbuitg unb ben ©ewei« ihrer 9?ic^tigfeit fdjeinen fie bagegen für etwa« $u fjattcn, worauf erft in jweiter Cinie anfomme, wa« red)t rool)l nod) nad)träg(id) bei« gebracht werben ttnue. 3a man getjt noch einen Schritt weiter unb bezeichnet al« einen SWanget an Senntniffen ober an ßinficht, heut ju Sage noch fotc^e ©eweife forbern ju wollen.*) 3ebe äcujjerung jweifelnbcr Sritif aber gilt al« ba« ^eit^cit nicht nur einer ?uriid« gebliebenen ©ilbung, fonbcnt einer in finbifdjen ©orurtheilen be» fangenen (gefinnung, unb ber fcrupellofen Kühnheit be« ©ehauptett« unb ©erheijjen« tann ber gewohnte ßrfolg, bie ßinfchiichterung ber Schwachen unb Sleingläubigcn nicht fehlen.

3n bichten Schaaren hulbigen bem Darwinismus namentlich bie jüngeren 9laturforfchcr, ©otanifer, Zoologen, Paläontologen; einzelne (gelehrte ha&en ihm bereit« eine Stelle in ihren Sehrbüchern att« gewiefen, in ihr fomit auSbrüdlich einen integrircuben ©cftanbtheil ber Siffenfchaft anerfannt; anbere oerfehlen wenigften« nicht, wenn bie (gelegenbeit ficb bietet, ihre Ucbereinftimmung mit bemfelben au«* jufprcchcn. Sein ÜBunbcr barum, wenn er in ber populären tiatur* «aiffenfcfjaf tfidjen ober naturphilofophi|d)en Citeratur gcrabcju al« bie hcrrfchenbc 2tnfid)t auftritt. Sein SBunber, wenn man enblich oerlangt, ba& « al« „ber bebcutenbfte £>ebel ber fortfehreitenben ßrfenntnifj", al« ,,ba« wichtigfte ©ilbung«mittel ber 3ugenb" auch in ber Schule feinen ßinflufj geltenb machen miiffe.**)

©ei biefem Sad)öerhalt wirb man nun glauben, ßineö al« ganj felbftoerftänblich ooraubfefcen ju follen. Plan wirb erwarten, bajj ber angeführten (glaubenSjuoerficht auch ein ganj beftimmte« ©tauben«* befenntnijj cntfpreche, baß ba«, wa« fo einftimmig al« ba« wichtigfte ßrgebnifj ber mobernen ffiiffenfchaft angefüitbigt wirb, fid) auch in beftimmte, überall in gleicher ffieife angenommene wiffenfchaftliche Sehrfähe werbe faffen taffen, ©reifen wir aber nun feft 311, fragen wir bie ßinjefnen, welche mit fidjtbarcr (gcfliffentlichleit fid) felbft al« Anhänger be« Darwinismus einführen, wa« fie bc« Näheren mit jenem tarnen bezeichnen wollen, ober wie fie fleh bie £>hP°thEf« Darwin’« jured)t gelegt haben, fo treffen wir auf eine iiberrafchenbe Shatfache. ©0 feft gefchloffen ba« Jpeer ber Darwinianer fcheint, fo

*) @rnfl $aeefel, ®ie tjfutige ®nttoicf(ung«tef)re im ®«bä(tnifft jur ®t(ammtrot(fenfchaft. ©tutlgart 1877, ©. 6.

**) ffibcttba, 6. 15.

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Dr. ®. grrtberr »011 §ert(ing.

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einftimmig fie in ber ©erherrlichung bes üfteifterS nnb feiner ©nt» bccfung ftnb, {oft ebenfofeljr gefjcn ihre '.Meinungen, ge(jen namentlich bie Meinungen ber heroorragenben Häupter über ben Inhalt ber Selfre auSeinanber. ©erabe öon ben $auptpunften ift feiner, ber nicht oon ©inern ober bem Slnberen, ber a6er barum b o rf) nach wie oor jur gähne beS Darwinis- mus fdjmört, als unhaltbar aufgegeben märe; unb man fann fageti, baß bie Darminiaiter felbft am beften bie ©Überlegung beb Darwinismus beforgen, wenn man fie nur in ber richtigen ©Seife 51t ©orte fommen läßt. Sann eS bann aber wohl einen befferen ©elcg für bie oben- auSgcfprodjcne ©efjauptung geben, baß ber Dar» winiSmuS feine ©fahrfjeit, feine glaubwürbige Sfjeorie, baß er faum mehr ein wiffenfchaftlichcS Problem, fonbern eine culturgefcßichtliche ßrfdjeiuung, eine geiftige ßpibetnie ift? Sllfo junädjft:

©Sas lehrt Darwin felbft?

@r lehrt, baß bie fämmtlichen gormen ober Strten ber heute ooihaitbenen ©flanjen» unb £hievme(t bis hinauf jurn ÜRcnfdjen unb biefen mit eingefdjloffen, fo wie fie finb, nicht oon Slnbcginn ba gewefen, nicht urfpriiuglid) erfchaffen worben feien, fonbern (ich erft allntälig, im Saufe uugejähtter 3ahrtaufenbe burd; einen natürlichen ©roceß aus einfachen gormen entmicfelt hätten.

3n biefer Sillgemeinheit ift bie Sehre nicht neu. 3n ber rohen gorm jmar, in ber fie bereits bas griechifche Sllterthum fannte, mag fie nnS heute faum mehr als ein Sächeln abgewinnen, im Slnfangc biefeS 3a^rhunbcrtS aber hatten bie franjöfifchen Maturforfchcr Satnarcf unb ©eoffrop ©t. $ilaire, wenn auch int ©injetnen oon einauber abmeidjenb, ben ©runbgebanfen erneuert. 9Jeu unb eigenthiimlich ift bagegen bie Slrt unb ©Seife, wie mir uns naef) Darwin ben ^iroceß ber ©ntwicflung unb bie in iljrn mirffamen Sriifte oorfteücn follcn. Men unb djarafteriftifch ift bann namentlich and) ber SluSgangSpnnft, oon bem aus er jenen ©roceß unferem ©er-- ftänbniß naher ju bringen unternimmt.

:pier tritt uns in bem englifdjett SRaturforfdjer zugleich ber eng» lifche Sanbmirtlj unb Jh'erjüdjter entgegen. Die ©arietätenbilbung in unferen ©arten, bie für bie Sanbmirthfdjaft fo überaus wichtig gewor- bene Züchtung befonberer 2f|ierraffen muß beit Schtüffel hergeben, ber uns in baS ©erftänbniß ber oftmaligen SluSgcftaltung ber gefamnt» ten 'ßflanjett« unb Sh*etwelt einführen foll.

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®n- 35arn>ini«mu8, eine geifiige Spibemie.

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355er ^atte nid;t fd)on bie reiche SDtannigfaltigfcit bliiljcnber ^icr* pflanjen, ber SKofen, ber Steifen u. f. w. bewunbert? Unferc ©ärtner aber wiffen hier unb bei anberen Vflanjen beftimmte (Sigcnthümlich* feiten ber gönn, garbe ober Zeichnung, ®ie eben ©efehmaef ober SDfobe c$ öerfangen, feftjuhalten unb ju fteigern. @o finb DicCfeidjt an einigen (Sjemplaren einer urfprünglid) weiß blühenben Vflaitje einzelne rotfye glecfe aufgetreten. Der ©ärtner wählt nun biefe auö unb fät ausfd)ließ(id) ihren ©amen. Unter ben neuen pflanjen, bie barau« ^eroorge^en, mirb nicht nur eine größere Jlnjaht oou Vlüihen bie @igentf)iuniid)feit ber rotheu fünfte unb gieefen jeigen, fottbern bie cinaefnen werben in oerfchiebenem ©rabe baoon betroffen fein. Der ©ärtnft fährt in feiner Sluslcfe fort unb nimmt jur weiteren 2lu«faat ftete ben ©amen beteiligen gjemplare, beren Vliithen am ftärfften in« Stothe hinüberfpielcn , unb burch bie fortgefefcte 2lu«lcfe gelingt es ihm, am <§nbc eine einfarbig roth bliihenbc ©pielart heröor* jurufen.

©anj ebenfo gedieht es bei unferen £iauSthicren. Stuch hier treten non felbft Variationen auf, unb fofern barunter fofehe finb, welche für irgenb welche ,31Decfe ber SBirthfdjaft fich befonberö oor» theithaft erweifen, beftimmt ber Uhierjücfiter bie banon betroffenen Smbioibucn auSfchließlidj jur Stachjudjt unter öefeitigung aller anberen, unb cS gelingt ihm mit ber 3c‘t eine neue Stoffe ju erjieten, in weldjer bie befonbere Sigcnthümlichfeit in wiinfehenswerther SluSbilbung iich befeftigt hat.

28ie nun fo unter ber $aub beS SDteufchen unb barum in bc* fchränfter, in üerljältnißmäßig furjer ,3cit neue formen ober Varie* täten entftehen, welche nicht feiten non ihren ©tammformen burch bie auffaUcnbflen Unterfchiebe getrennt finb, fo, nimmt Darwin an, habe fich in ber ungeheuren Vergangenheit unfrer (Srbe, gegen welche bie hiftorifchc ^5criobe ju einer furjen ©panne jufammenfdjrumpft, bie ganje g-ormenmannigfaltigfeit ber lebenben 'Statur allmälig burdj langfame Umgeftaltung einfacherer Urformen herauSgebilbet. Vleibt bie fünftliche Züchtung bei ber Vilbung bloßer Varietäten fteßen, fo führte ber in unoergleichlid) Diel größerem SDtaßftab fich oolljiehenbe natürliche ßntwicflungSproceß ju ber Slusbilbung non neuen, fcharf gegen einanber abgegrenjten Slrteu ober ©pecieS. Da aber hiermit bie Variabilität feineswegö ihr (5nbe gefunben hatte, foitbcrn inner* halb ber entftanbenen 3lrten immer wieber neue Verünberungen auf* traten, welche bie barunter gehörigen 3nbioibucn nach ganj oerfchicbtnen

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Dr. @. 8frti(|«rr »on §crtling.

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9?id^tutigen auSeinanberführten, fo «weiterten fief) bie arten ju ©attungeu, bie jafjtreiche arten, bie ©attungen ju gamilien, bie jaht* reiche ©attungen unter fid» befaßten. Unb wenn bie ffiiffenfdjaft non einem «Stiftern beS ©flanjen* unb Styerreidjc« fpridjt, wenn fie in bas unüberfeßbare ©ewirre baburd) Orbnung bringt; baß fie nach bem SUlaßftabe größerer ober geringerer Sleßnlichfeit ber gormen engere unb Weitere Üreife jufammenftettt, bie fie als arten, ©attungen, gamitien jufammenftellt, fo geht fie bentenb bem großen Stammbaume nach, ben bie beute Icbenbe SBelt tljatfächlich aufjuweifen bat.

3weier(ei ift hierbei junächft oorausgefefct, beibe« ber Seobachtung ber fttnftlic^en ©arietätenbilbung entnommen.

©inmal bie ©ariabitität ober bie ©eränberlid) feit, als eine allgemeine ßigenfdjaft ber Organismen, an ben abfömmtingen ein« gemeinfamen Stammform treten Sigen* tbümlitbfeiten auf, welche fie fowobl oon einanber als »on ber gemeinfamen Stammform unterfebeiben. Sßie fie entfteben, ift bamit freilich nidjt gejagt, unb wer eine mirflicbe ßrflärung beS ^uftanbe* tommenS ber ltb*er' unb ©flanjenwelt erwartete, wirb gleich h'er eine flaffenbe Cücfe ntterfettnen miiffen. (Jnbeffen, gerabe bie analogie mit ber fünftlichen Züchtung, oon ber ausgegangen würbe, tonnte nicht weiter führen, benn auch ber ^fyierjiic^ter ober ber Jfrutftgärtner ift ja nicht im Stanbe, beftimmte ©igenthümlichfeiten millfürticb herBors prüfen, fonbern nur bie ohne fein 3utf)un, bie oom Stanbpunftc feiner ©rfenntniß aus ju fällig entftanbenen, fann er auSlefen unb fefthatten. immerhin bleibt Shatfache, baß fotche abänberungen ent* fteljen, unb fo mag man es bem gortfehritt ber ©Jiffenfchaft über* taffen, bie Urfachen aufjufinben, bie ißr ©ntftehen im einzelnen gatte nötljig machen unb in ber ©ergangeuheit nöthig gemacht haben. 9lach einer anberen Seite aber geht SDarmin in feiner ©rflärung beS natürlichen ©ntwicflungSproceffeS über bas, was bie fünftliche ©arie* tätenbilbung thatföchlid) aufweift, fehr beträchtlich hinaus.

£>ie ©arietätenbilbung nämlich bewegt fich in ganj 6eftimmten ©renjen. SBie auffallenb auch bie ©cfonberheiteit ein« neuen Schaf* ober 9tinber*9iaffe fein mögen, ber allgemeine dfjarafter bes Schafes, beS SRinbeS bleibt, niemals wirb aus jenem eine 3iege, au® biefem irgenb ein anbereS 2h>cr ein« wirtlich neuen art. Unb auch bie ©eränberungeit, bie tßatfächlich auftreten, begehen fich nicht ohne Unterfchieb auf bie oerfchiebcnen £t)«lr, gunftionen unb gormen beS Organismus, foubern fie bewegen fich fttM in einer ganj beftimmten

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®tr ®arroini«mB«, eine gtifHgt Sinbcniit.

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Stiftung. Darwin bagegen bebarf einer fct)Iecf)terbingö unbegrensten unb einer oöllig rid»turtg«tofen Variabilität, weit nur unter biefer VorauSfefcuttg aus einer ober aus roenigen einfachen Urformen bie ganje gormenmannigfaltigfeit ber organifdjen SBelt {(eroorgeljen fonnte. ®a§ er bamit etwas UnmöglidjeS oorausfefsc, foll nidft behauptet, wol)l aber oor bem 3rrt^um gewarnt mcrben, als ob bie blofje leere 3Jiög(id)feit in ben Sbatfadjen eine ©tü^e fänbe.

Das jweite ©efcp, weldjeS Darwin ben Vorgängen ber fünft= litten 3ild)tung entnimmt, ift bas ber rb ticf)!eit, ber e r blidjen Uebertragung neu erworbener (Sigenfdjaf ten auf bie Stacbfommcn. 3‘ner ganje Vorgang beruht ja eben barauf, bafj bie an ben StammorganiSmen aufgetretenen Veränberungen mefjr ober minbcr auf itjre Stadjfommen übergeben. SUIein bie ©rfaljrung jeigt uns nitf)t„ nur bie erbliche Uebertragung ber aufgetretenen Veränbe* rungen, fie jeigt uns in weit fjöfjerem IDtafje bie ©rblicbfeit beS all» gemeinen £t)pus ber Gattung unb 3lrt, ber, wie fd)on $uöor bcmerft, foweit nur irgenb unfere ©eobadjtung reicht, als etwas burdjanS gefteS unb QonftanteS erfdjeint. 3a nod) mefjr, bie ©rljattung beS älrtdjarafterS bilbet teineSwegS bie ®renje für bie erfahrungsmöjjig beftefjenbe Denbenj ber Organismen, iljre ursprüngliche gorm ju be» wafjrcn. Die H)ieriüd)ter wiffen baoon ju erjählet^ wie bie ur* fpriinglid)e gorm ber Stoffe nad) einer Steife oon ©enerationen immer wieber binburdjft^lagt, unb fie fefyrt oöllig jurücf, wenn bie fünftlidjc SluSlefe auf hört. 3n bem fogenannten SBermilbern ber fid) felbft iiberlaffenen Spielarten unb Staffen behauptet bie jurücfgebrängte Stammform fiegreid) baS gelb. @o läfst ftd^ nid»t leugnen, bafj unter ber |>anb Darwin’s bie SorauSfefcungen, bcren er fid) be- bient, eine anbere ©eftalt gewinnen, als in ber fie oon Staturbeob* ac^tung unb praftifcher (Srfatjrung an bie $>anb gegeben werben. Der ©acboerhalt wirb gerabeju umgefefjrt. „SBaS in SBahrljeit flüffig unb oorübergehenb ift: bie Variation, wirb in ber Iljeorie conftant, unb was in Söaljrfjeit conftant ift: nämlich bet ©pecieSdjaralter, wirb in ber Sljeorie fllifftg gemadjt."*)

Doch laffen wir biefe ©ebenfen auf fid) berufen, wie fefjr fie aud) geeignet fein mögen, ben miffenfdjaftlidjen Sljaratter ber fo laut angepriefenen ü^corie in jroeifelhaftem Siebte erfdjeinen ju laffen. „Sfleinfte Schritte unb ungeheure 3eiträume" mit

*) Söiganb, 35er 35artpim«nnt« tin ä'idltn ber 3«*. ©• 17.

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Dr. ®. gretftetr Bon §trtlinfl.

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biefet Zauberformel meinen bie Darwiniaiter alle Zweifel bannen, ober bod) bie ©chwierigfeiten in wünfchenbwerthem Dunfel üerbergen ju fönnett. ©in Umftanb aber harrt noch ber ©rflärung.

Die öitbung neuer Spielarten unb Waffen, auf welche bie £>gpo* tljefe fid) ftüfct, öolljieljt fich nur unter fortgcfefeter äluffidjt, burd) ©af)l unb Slubtefe oon ©eiten beb 2J?cnfd)en. ©ich fctbft übertaffen pflegen bie neu entftanbenen formen wieber ju oerfchwinben , fie fchtagcn, wie fc^on gefagt, in bie urfprüitglidje ©tammform 3urü(f, aub Wetter bie fünfttiche ©arietätenbilbung fie fjeröorgeijen ließ, ©eiche ©eranftaltung in bcr freien Watur weiß nun Darwin auf» jujeigen, bie in bem großen ^ßroceffe allmälig fortfdjrcitcnbcr formen* geftattung biefe (Gefahr beb 33erwilbernb bcfeitigt? ©ie läßt fid), ent* fpredjenb jener fünftlidjen 3uc^traa^ unter ber $anb beb 2Jienf<hen, eine natürliche Zud)ln>ahl oorfteüen, welche ohne jebcb ©ingreifen Don außen, tebiglich burch bab gefefcmäßige ^ufammentreffen ber Watur* fräfte wirtfam ift?

3tn biefem fünfte führt Darwin bie ©orftellungbweife ein, welche mehr alb alle« Slnbere feine Jhcor‘e populär gemacht hat, bie Sehre Don bem ftampf um 8 Da fein ober oon bem naturnoth* wenbigen Ueberlebcn beb ißaffenbften bei ber allgemeinen Goncurrenj ftammoerwanbftr gönnen um bie ©ebinguitgen beb Scbenb.

33on Sllterb fjtr war eb ein beliebte« SDJotio ber Dichter, ben ftillen grieben unb bie reine Jparmonie ju feiern, welche bab un* geftörte ©irfen ber Watur offenbaren. Darwin will bie entgegen* gefegte Sluffaffung alb bie allein berechtigte an bie ©teile ber früheren gefegt wiffen. Dab Seben unb ©alten ber Watur ift ein unaub* gefegter Sampf, ein $?ampf auf Seben unb Job, ein Äampf jebeb ©in* jelnen um fein Dafein. Die llrfacßc biefeb St'ampfeb aber ift, baß mit ber fteten Vermehrung ber lebenben ©efen, mit ber in jeber (Generation aufb neue auftretenben Ueberprobuction an ©amen, ©iern, lebenbigett Zungen, bie Vermehrung berjenigen ©lemente unb ©ebin* gungen nicht gleichen ©djritt hält, auf welche bie Derfd)iebenen Or* ganibmen für bie erfte ©ntfaltung unb bie weitere griftung ihreb Sebenb angewiefen finb. Wicht immer ift’b ein tampf im eigentlichen ©inn, wie ba, wo Ih'tr niit Dhier um bie ©eutc ftreitet. häufiger ift eb eine furchtbare Goncurrenj, bei welcher bie aubfchließliche ßrhal* tung auf Äoften ber äWitbewerbcr ben ijkeib beb ©iegeb bilbet. Um Sicht unb Suff unb geudjtigfeit unb bie nährenben ©eftanbtheilc beb ©obenb lampfen in folcher ©eife bie ^flai^en gegen einanber. Deut*

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2>tr Darwinismus, eine gtifligt (Spibeniie.

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lieber wetteifern bie art«Derwanbten I^itre um ben ©ewiun ber beften unb reid)lid)ften Saljrung, fte - wetteifern in bcr SBermeibung bcr ge« meinfamen ©efafjrett in bcr möglidjft wirffamen Sicherung ihrer ®rut. 'Sicht nur -äSuSfetfraft unb tBcljenbigfeit unb 8ift, auch bie ffärbuitg bcr Oberfläche in ihrem 23erf)ältniß $ur Umgebung, ober irgenb welche @igentbümlicf)tcit ber Organifntion fdnitcn, je nach beit befonberen Umftänben, ben 9lu«fd)lag geben. Sur bie beit jedesmaligen töebin« gungen am beften angepaßten formen fönnen fich bei ber unerbittlichen (Soncurvenj auf bie Dauer erhalten, bie minber Dollfommen au«« geriifteten Derfiimmern, werben oerbrängt, fterben enbtich au«. Da aber bie @oncurren$ bei jeber ©eneration ftch erneuert, fo erneuert fich auch unb fteigert (ich ihre SMrlung ; unter ben Sachfommen ber früheren Sieger entbrennt ber gleiche Jfauipf; bie Sigenfchaften, welche ba« frühere 9M ben Sieg gewinnen ließen, finb nach dem ©efefee ber (Srblichfeit auf alle übergegangen, jefct fommt wieber barauf an, ob irgenb ein befonber« begünftigter Slbfömmling nach irgenb einer Seite bie anbern an 25ollfommen^eit übertrifft, ob er wieberum au« irgenb welchen ©riinben beffer al« bie auberen ben ^Bedingungen be« Cebenö angepaßt ift. So wirft ber Sampf um« Dafein wie ein Sieb, ba« nur beftimmten (formen Durdjlaß gewährt. Da« (Srgebniß jener unaufhörlichen ßoucurrenj ift eine ftetig fortgefefete 2lu«lefe in ber Satur. Slu« ihr erwächft eine natürliche 3uc^tn>a^t« weit erfolgreicher al« bie fünftliche unter ber Ipanb be« Sfenfchen.

Der ©ebanfe h«t etwa« 3}erführerifd)e«. Seine anfteefenbe Sraft liegt nicht aöeiu barin, baß er eine überau« einfache (formet $ur grfläntug Ijöchft oerwicfelter ©rfcheinungen an bie £>anb ju geben fcheint, fie liegt weit mehr in ben Slnflängen, bie er im ©emüth be« Sfenfdjen wadjjurufen geeignet ift. Denn gerabe ba« wirb ja 5itm bewegeuben jfactor im ©ntwicflungeproceß ber organifdjen Seit erhoben, wa« nur ,ju fehr auf bem SDfarfte be« Sehen«, im Sett« betrieb Dott Sagen unb ©rwerben ba« treibeube StotiD ju fein pflegt : bie rücffichtslofe ^Behauptung be« eigenen 3ntereffe«, ber naefte, haare, faßle ©goiemu«. Slber man fießt auch leicht, wie burch bie Aufnahme ber Sehre Don ber natürlichen ^uchtwafjl ‘m ^“i'ipf um« Dafein, ber fogenannten Selection«hhPothefe, bie Darwinsche SlbftammungS« ober Defcenbentleljre erft bie nöthige ©rgänjung erhält. Sie foll un« Sluffdjluß geben, wie bie uorausgefebte unbegrenjte Umänberung«fähig* feit bev Organismen Don ber Satur felbft, blinb unb mechanifch in eine beftimmte Saßn gelenft wirb. Denn, meint Darwin, unter

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Dr. ®. grtil)trr oon $crt(ing.

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beit ja^tiofen Umgeftaltungen, welche nad) allen ^Richtungen hin bie im UmbilbungSproceß begriffenen gormen erlitten, mußten ja bod) felbftoerftänblicf) immer einzelne fein, welche ben baoon betroffenen irgenb einen 93ort^eiC im Äampf um« ©afein gemährten. Unfein» bar im Anfänge crwie« ftd) itjve au«fd)laggebenbe ©ebeutung im Ablaufe ber einanber fotgenben (Generationen. 9?ur bie oortheilhaft abgcänbertcn 3nbioibucn erhielten fith, bie anbern gingen ju (Grunbe. ©ie unbegrenzte ©ariabilität liefert ba« ÜRaterial, ber fiampf um« ©afein geftaltet barau« bie auffteigenbe ©tufenreiße ber organifcßen Seit.

ß« wirb bemnädjft Gelegenheit »erben, auf biefen btenbenbften 2^eit ber Öefyre zurüefzufommen , unb bie barin enthaltenen ©orau«= feßungen am SDiaßftabe ber Üogif »ie ber ßrfaljrung ber unerläßlichen Prüfung ju unterziehen. ©ergegenmärtige man fid) juerft im oollen Umfange, »a« bie ^Qpothefe oerfpricht, ober »a« bie SChcorie leiften mürbe, wenn wir fie wirtlich für fo glaubhaft halten bürften, al« fie im üRunbe ihrer begeifterten Apoftel erfdjeint.

Stuf einen '’jjunft würbe bereit« hingemiefen. ßr oorzüglid) h“l ber ^hpotßefe bie Geneigtheit ernfterer gorfdjer jugejogeit. ©efannt« lieh pflegt man in Zoologie unb ©otanif oon oermanbten 2h'er' unb ^flaitjenformen ju fprechen; man oerfteht barunter gormen, bie eine größere ober geringere Aehnlicf)feit unter einanber zeigen, unb ift ba« ©eftreben ber Siffenfcfjaft, bie fämmtlichen gormen nach bem (Grabe ihrer Acfjnlichfeit ju claffificiren, zu einem Spftem jufammen« juftellen. Nehmen wir nun ©armin’S Ceßre an, fo wirb ba«, wa« bisher ein leerer 9lame, ein bloß bilblicher Ausbrucf war, bie ©er« wanbtfchaft ber gormen, jur Sahrßeit. ‘©ie gefammte organifchc Seit foll ja ber genealogifche ^ufammenßang gemeinfamer Ab« ftammung umfaffen, bemgemäß größere ober geringere Aeßntichteit aud) wirtlich bie golge unb ba« Anzeichen näherer ober entfernterer ©lut«« oermanbtfcßaft fei. ©ie feßon immer üblichen ©ejeichnungen oon Art, (Gattung, gamilie, ßlaffe, mürben alfo in ^utunft befageit, welchem Seitenfproß unb welchem Aft unb welchem $aupt* ober iKebenftamme in bem großen Stammbaume ber Organismen ba« einjelne Seien angehöre.

Sie hach wir inbeffen aud) biefen (Gewinn anfdjlagcn möchten, ift feftjuhalten, baß er nicht oon © a r m i n’S ßrflärungSmeife ab« hängig ift. ßr ocrlangt ja nur ba« Allgemeine, baß bie ganze organifdje Seit in ihrer breiten ÜRannigfaltigfeit au« wenigen ober

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$tr ®anuini«mu«, eine gcijligt Spibrmie.

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äuleßt oielleicßt aus einer ^emeinfamen Ur* unb «Stammform ßeroor* gegangen fei. Oie befonbere 2lrt Unb ffieife aber, in ber man ficß biefeS £>eroorgeßen benft, läßt ißn unberührt. Oer miffenfcßaftlitße ©eminn bliebe unoerringert, wenn mir beifpielSmeife jene ricßtungSlofe SSariabilität, jenes bloße SUßoeränbernlönnen ber Organismen, mas bann ebenfo leicßt jurn SBortßeil, mie jum 9iacßtßeil ausfcßlügt, mit einem SBorte, menn mir ben Zufall, melcßer fcßließlicß boc^ bas oberfte ©lieb in ber ©ebanfenreiße Oarmin’S bitbet, erfeßtcn burcß bie Slnnaßme eines mirflicßen, non einem ißlone getragenen unb einem ©efeße beßerrfcßten ©ntmicflungSproceffeS ; menn mir alfo unter ®e* feitigung jenes ganjen überflüffigen Materials oon unüollfommenen formen, melcße bas Sieb ber natürlidjen ^udjtroaßl mißt burcßließ, oielmeßr anneßmen motlten, bie erften Organismen feien fo oeranlagt gemefen, bag fie unter bem bet äußeren ©ebingungen

in ißren iftacßfommen in beftimmten IRicßtungen auSeinunbergeßen mußten, unb bas gleiche innere ©ilbungsgefeß, baS ißnen oon Stnfang an inne gemoßnt, ßabe alimälig bie planoolle unb einftimmige organifcße ffielt aus iljnen ßeroorgetrieben. Sind) bieS märe eine OefcenbeHjßppo* tßefe, unb aucß fie murrte ben oermanbtfcßaftlicßen ,3ufammenßang ber oerfcßiebenen formen. Oie cßarafteriftifcßen SBorauSfeßungen ber Oar< min’fcßen Sßeorie aber mären babei aufgegeben.

ferner : Oie 91atur jeigt eine auffteigenbe Stufenreiße ber leben* ben SBefen. ©etracßten mir beifpielSmeife bie $aupttppen beS Sßicr« rcicßs, bie 3nfufotien, Straßltßiere, Sßeicßtßiere, ©liebertßiere, SBirbel* tßiere, unb innerhalb ber SBirbeltßiere bie gifcße, Slmpßibien, SReptilien, 93ögel, Säugetßiere, fo folgen ftets auf bie nieberen, einfacßeren, in matßfenber SMfommenßeit bie ßößeren jufammengefeßteren formen. Oie Stnßänger O a r m i n’ S oerfeßlen nicßt, autß biefer Sßatfacße gegen* über ben Striumpß feiner Ceßre 3U oerfünben; in ber (Sonfeguenj ber notürlicßen ^ucßtmaßl liege ja eben biefeS Sluffteigen gu immer größerer Sßollfommenßeit. Oabei iiberfeßen fie freiließ ein OoppetteS. ©inmal, baß jene ßonfequenj baju füßren müßte, auSfcßließlid) bieooll- lommenften formen im 8eben ju beiaffen, unb baß ein Üiebeneinanberbefteßen oon formen ungleicher 35ollfommenßeit unter gleichen SebetiSbebingungen, glcidjen flimatiftßen 25erßültniffen unb gtei* tßeit '.Kitteln ber ßrnößtung, mie bie mirflidje ffielt bieS aufmeift, mit ber angenommenen unauSgefeßten ffiettbemerbung fieß nicßt oereinbaren läßt. Sie überfeßen ferner, baß bie fteigenbe SBollfommcnßeit, ju roclcßer bem ©ebanfettgang ber $ppotßefe jufolge ber Sumpf ums Oafein ßin*

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Dr. ®. grttfjttr Bon $rrtling.

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führen mürbe, in einer fiel« oollfommenen Änpaffung an bie Ccbenö* bebingungen befielen tönnte. ü)?it ber ^ierau« fich ergebenben gteichfam gerablinigen Steigerung in ber einen Wichtung fteta oollfommnerer Stn- paffung ^at jebod) bie juoor ermähnte auffteigenbe Stufenfolge ber 5t^ier* unb ©flan|enformen, öott benen jebe ihren ?ebcn8bebingungcn relatio üollfommen angepaßt ift, gar nichte gemein, ©eroiß ift ber ©iber ein oollfommnerea, b. h- ein ^öl)er organifirte« 2f)ier ala bie ©ienc, aber mer roollte behaupten, baß nic^t auch bei ber teueren eine oollfommene Uebereinftimmnng jmifchen ber ©efehaffenheit ber Organi» fation unb beit befonberen Cebcnabebingungen ftattfinbe? ©ei ber juoor befprochenen grage erroieö fid) bie $ppothefe non ber natürlichen 3ud)tmal)( ala entbehrlich für ben erhofften miffenfdjaftlichen ©emintt. ©ei ber foeben betjanbetten mürbe c8 neuer $t)potf)efen bebürfen, um fie mit ben Ifjatfadjcn in Einflong ju fefecn.

®od] ea ift ^eit ben ©unft ine 2luge ju faffen, on bem ber SDieinung ber ®arroinianer jufoige bae eigentlidjc unb große ©erbienft ber 8ef)re liegen fotl. 3in ber £ljeorie ber natürlichen 3uchtmahl im Sampf um8 ®afein foll bae üJtittel gefunben fein, bie ,3meefmäßigfeit, melche une befonber« fprcdjenb in ber S^ier« unb ©flanjenmelt entgegentritt, auf rein natürliche SBeife ju ertlären, ober oielmehr richtiger gefagt, ben 3mecf im Bollen unb eigentlichen ©in ne aue ber ©eit ju b ef eitig en.

©ettn mir bie ftaunenamerthe Harmonie betrachten, melche überall jmifchen ber ©rganifation ber cinjcliten ßebemefen unb ber bejonberen iärt ihrer llebcnabcthätigung befielt, bie biirtbgüngige Uebereinftimmung ihrer SEBaffen unb ©erfjeuge unb Sebenagerooljnheiten mit ber Nahrung, bem Ätima unb ber gefammten ©efdjaffenheit be6 Scbauplaheö, auf roetchem ihr Sebeu fich abfpielt, fo merben mir una ganj uitmitlfiirlid} unb immer mieber getrieben fühlen, barin bie ©irfung eines ber Wofür ju ©runbe liegenben ©laue«, einer Dorbebad)ten Einrichtung ju erblicfen, melche bie einjelnen Steile bca großen ©anjen ju einaiibcr unb für cinanber orbnete. Ea ift bieS bie ©eltanfchauung bca unbefangenen unb ungetrübten ©emußtfeina, jitgleid) aber auch biejenige, melche in alter unb neuer ,3eit üon größten unb erleudjtetften ©eiftern ge*

theilt mürbe. 3ln bem lauten Einfprudje, melchen bie organifche ©eit bagegen erhob, fcheiterten bisher bie ©erfuche beS SD2ateriati8mu8, bie ©efammtheit ber 35inge als ein bloßes ©robult blinb mirfenber Kräfte hinjuftellen, fdjeiterten namentlich auch bie ©erfuche ber Waturforfchung, auafchließlich mit ben ihr ju ©ebote ftehenbeit üftitteln eine abfchließenbe

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®er ®fltroim»mu«, eine gfiftige epibtmif.

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Erflärung bet un« umgebenben Erfdjeinungeu ju liefern, Erft btt ©electionößßpotßefe fo oerficßern menigften« bic Slnßänger fdjafft hier Dlatß.

3n bem 'Entfteßen jmecfmäßiger löilbungen unb 33eranftaltungen follen mir barum nicht länger etwa« befonbcr« ©taunensmürbige« erbtirfen unb oeteßren biirfen, meil ja mit unb neben bem ^ntecfoollen aud) jaßUo« biet ,3mecflofe0 unb ^roecfroibrige« entftanb. greilid) fennen mir bie llrfacßen nicht, bie ba« (Sntfte^en oon biefem mic oon jenem notßmenbig machten, muß un« genügen, baß ba« ©efeß ber Saria* bilität parteiloö, oßne ©unft unb Sßaßl, ba« eine mie ba« anbcre auftreten ließ. Slber ermatten btei6en fonnte nur ba« ^medmäßige, ba« Slngepagte, ba«jenige, ba« oor bem Slnbent oortßeilßaft jur ®e* tßätigung unb Entfaltung feine« Sebeu« au«gerüftet mar. Unb menn nun fjeute bie organifc^e ©eit eine ganj allgemeine .ßmerfniäßigfeit, eine ganj allgemeine Slnpaffuitg ber lebenben ©efen jeigt, fo ift bie« bie einfache Eonfequenj ber natürlichen 3uc^,ma^^ roeldje alle anbereu miuber oollfommenen gormen ju ®runbe gehen ließ. 25on Dorbebad)ter Slnorbnung braucht barum nicht länger bie Diebe ju fein, auch in ben Erfdjeitiungen ber lebenben Diatur haben mir nur bie Ergebtiiffe eine« btinb unb mecßanifch uerlaufenben 'ßroceffe« oor un«.

Sroßbem mar ®armin felbft urfprünglidj) nicht ber SDleinung, bag feine $t)potßefe barum, meil fie bie SDiöglichleit einer rein me= djanifcßen Erflärung ber fcheinbar oorbebndjten 3mecf mäßigfeit in ber organifdjen ©eit biete, nothmenbig $um 2)tatcriali8mu« führe ober ben 9JJatcriali«mu« befiegele. Sluf ber lebten ©eite feiner erften, epodjemacßenbeu ©chrift über bie Entftehung ber Sitten prie« er oielmeßr al« eine großartige Wnficßt, baß ber ©djöpfer ben Seim alle« ßeben«, ba« un« umgibt, nur einigen ober nur einer einzigen 8eben«form eingeßaucßt habe, unb baß, mäßrenb unfere Erbe nach bem ftrengen ©ejefe ber ©cßmerlraft fid) im Greife brcßt, au« fo einfachem Slnfangc fich eine enblofc Dfeiße ber fcßönfteit unb munberoollften gormen entmicfelt ßabe unb tiocß immer entroicfle.

Sillein gerabe bie eifrigften Slnßänger maren Don oornßerein an« berer Sltificßt. ©chon ber erfte beutfdje lieber feßer ber genannten ©cßrift, £). ®. töronn, erßob ©iberfprucß. ©obalb an irgenb

einem fünfte, unb menn auch nur für bie niebrigfte gorin be« Scben« eine Schöpfung angenommen merbe, madje man bie ©ebeutuug ber ^ßpotßefe iüttforifdß. £)ie ®efcenbenj(eßre anneßmen unb babei an einen fcßöpferifd)en ©ott feftßalten, ßcißt nacß £)«far Sdjmibt „bie

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54 Dr. greiljtrr oon $ertling. 14

grucßt bcr erfannten ©aßrßeit roieber aus bcn $änben gleiten taffen.* Unterroerfung unter eine höhere Offenbarung ober Sltierfennutig ber SlbftammuitgSlehre, fo tautet nach bemfetben (gelehrten bic grage, um bie es fid) hobelt. Der ©taube an eine ©djöpfung beS gebeubigen aber ift mit ber gorfcßnng unoerträglicß ; nur mit ©egnern, bie bas ©unber principietl ntgiren, ift, toie ein anberer Darminianer meint, ein roiffenfchaftlicßeS DiSputiren möglich. Unb Jgtaecfel, ber tautefte ©timmfüßrer atter Slnßänger Darmin’S, bejeießnet bie uralte, t>om @hriftenthum uerftärte ßeßre, meldje in ber ©eit ein SHJerf ber gött- lichen ©ei8ßeit fiet)t, als bie SJorfteüungSroeife einer nieberen, tßierifthen QrntmicflungSftufe beS menfcßlicßen Organismus.

Steuerungen biefer tefeteren Strt gegenüber wirb gunäcßft an bie befanntc SBahr^tit ju erinnern fein, baß beteibigenbe JfraftauSbriirfe nod) lang feine ffleroeife finb. 3ur ®o<ße aber bteibt es immerhin wichtig genug, baß bie §ßpotßefe, fo toie fie junädjft bon ihrem Ur« hebe r gemeint mar, biefe Sonfequenj nicht enthielt. Diefelbe fottte ja nur bas ^uftanbefommen ber oerfeßiebenen heittc oorßanbenen Slrten, nicht aber ben testen Urfprung ber organifeßen 9?atur überhaupt er« Hären ; fie fottte jeigen, mie aus menigen einfadjen gornicn burch einen attmätigen ümmanblungsproceß bie ganje giille oietgeftattigen 8ebenS entftanben fei, bie fterfunft jener erften gönnen fam babei noch gar nicht in grage, ihre ©jifteng mürbe oorauSgefcßt.

Darum mußte im ©inne ber Darroinianer bie ^tßpotßefe nach biefer ©eite hin erroeitert, mußte über Defcenbeng* unb ©etectionS* lehre nocß hinausgegangen unb bie oon beibcit ihrem eigentlichen 3n* halte nad) oöflig unabhängige töeßauptung ßinjugefügt merben, baß fchon jene erften gormen bureß einen mecßanifchen ^Jroceß, burch ein rein äußerliches 3“f amtnentreffen oon Umftänben aus ber tebtofen Ußaterie heroorgegangen feien.

hiermit fam man auf bie Annahme einer fogenannten Urjeu« g u n g (generatio aequivoca) juriief, bie freilich oon ber neueren ©iffenfeßaft meßr unb mehr oertaffen morben mar. SDießr unb mehr hatte bie Ueberjcugung ©aß gegriffen, baß überall ba, mo ?eben tßat« fächtich auftritt, es aus einem Äeime entftehe, ber fetbft oon einem oorßer oorßanbenen gebemefen ßerftammt. Der DarminiSmnS, b. ß. bie Denfroeife, melcße fieß im Slnfcßtuffe an Darmin’S Ifßpotßefe in ißren fanatifdjen Slnßängern feftfeßte, brachte biefe Ueberjeugung fofort roieber ins ©eßmanfen. 9iicßt freilich, baß irgenbmo neues, für bie Slnnaßme einer Urzeugung bemeifenbeS SJfateriat beigebracht morben

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Srr Sarroinigmu«, eint Beißige Spibemie.

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»äre. 2lber ba« ift nad) ber Meinung ber £)arrainianer aud) gar ttic^t nötpig. 35a« Sntftepen ber cinfadjften ?ebewefen an« unorganifcper SDiaterie ift nad) O. ©djmibt ein *Poftulat be« gcfunbcn 5Dienfd)cn* öerftanb« ; ®. ©eiblifc fagl: ift ein notpwcnbigc« ^Joftulat bc« logifcpen Denfen«. SDfit betn Satppbiu«sUrfd)leim, in bcm man eine 3eitlang gehofft Ijotte , biefe« einfad)fte ßeberoefen tpatfächlid) auf* weifen gu fönnen unb ben man cbenfo anfdjanlid) als auferbauenb gu befcpreiben raubte, raar jroar leiber nicht«, SDa« „fRicfenmoner* raurbe nach furger griff a(« ®pp«fd)(amm crfannt.*) 9lber mag aud) bie ffiiffenfcbaft non berartigen „blo§ au« $rotopla«ma beftetjeuben" Urraefen, bie „bie ©ritcfc groifcpen bem SRcid) be« Drganifcpen unb beö Utiorganifcben fcpfagen," jur 3fit fcbltcbterbing« niept« raiffen, bie 3«oerficbt ber ©arrainianer wirb baburcb nid)t im minbrften erfcbilttert, ©ie finb feft übergeugt, bafj „auf rein cbemifcbem SBege," burcb eine gtücflicpc syerfettuitg ber Sltome ba« crfte £eben entftanben fei.

9?ocp an einem anbercn 'ßiinfte glaubten bie ©tbiller alebatb über ben 2Keifter pinauögepen gw ntüffrn. £>arwin batte in feiner crften (Schrift noch feine Slnbeutung bariiber gegeben, ob er in ben allgemeinen dntwicflungSprocejj ber lebenben ffiejcn aud) ben ÜJlenfcpcn mit einbegriffen raiffen wollte, ©eine Anhänger gogen fofort aud) biefe donfequeng. $ ufl e p in dnglanb eröffnete ben Zeigen, ihm fcbloffen ftcb bie ©eutfepen : dar! Sogt, Dfolle, © ü cp n e r an, unb aud) bi« *>or 2lllem |jaecfcl. SBiet fpclter erft folgte üDarroin felbft nach. Unferen bisherigen ^Betrachtungen unb 2lu«füprungen, fagt £5. ©djmibt, „würbe ber Slbfcptup mangeln, follte ber SDJenfcp au«« gefcbloffen fein." Natürlich! ber SDJateriafiömu« barf nicht bulben, bag bei bem Urfprunge be« SlÄenfcpen ba« dingreifen einer ^ö^ereri SWacpt anerfannt bliebe. 92icpt ®ott alfo bot ipn gefcpaffen, gcfchaffen nach feinem Silbe, er ift Pielmebr bie lepte ©tufe, bi« gu welcher ber sßrocefj natürlicher ^ü^tung bingefübrt pat, ber glücflid)e dmpor* fömmting au« einem ®e)d)led)tc affenäpnlid)er ©orfapren !

Sine auögebebnte Literatur ift feitbem beftrebt, bie 3Jienf(pen gu übergeugen, bag fie oor bem Stpiere wenig ober niept« oorauspaben, ja bag fie in mancher ©egiepung pinter gewiffen Spieren gurüefftepen. Stuf bie hierbei gu Jage geförberten dpniSmen unb Slbfurbitäten fann unb fott im dingeinen pier niept eingegangen werben. gn biefem

*) Bergt. ®er tBatf)t)&wg--Urid)(eim. Sin Stefrotog. $tßorifdj>polit. Blätter, »b. 76, ©. 832 ff.

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Dr. ®. 8*tif)trr don Renting.

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Slugcnblicfe berieten bie öffentlichen ©lättcr, bag ein befonber« frud)t* barer ©djriftfteller ber bejeid)netcn 9iid)tung, @. 3äger in ©tutt* gart, welcher bisher fchon bemüht mar, üJforal unb Religion auf thierifdje Striebe jurüefjuführen, cublid) bahin gelangt fei, bie (Seele in ben ©erud), ober oielmeljr in bie oon SDienfchen unb 2f)ieren au«= ftrahlenben Düfte ju fe^cn. ©leichjcitig roirb berichtet, bag bie 9iatur* forfcheroerfammlung, bei melcher ber (Sntbecfer biefe neueften SEßeiö^eit unter bem charaftfriftifchen 3J?otto : „SBiffcnfchaft ift ßourage" jum Söeften gab, empört über baß SDiaß be« Unfinnß, ben Stebner an ber ffleenbigung feine« ©ortrag« burch laute 3eid)en be« Unmillenß »er* hinberte.*) Sftödjte biefer ©orfali roeiten greifen eine SD?ahnung fein, mohin unter bem Sinfluffe beß Darminißmuß eine angeblich miffen« fchaftliche fHichtung bereit« gelaugt ift.

Slu« ber urfprüttglichen, in beftimmter roiffenfchaftlicher Slbfidü aufgeftellten £>t)pothefe ift fomit etroaß ganj Slitbere« gemorben. Sie hat ben Slnftoß gegeben ju einem neuen SSerfudj, ben ÜWaterialißmuß mit £iilfc ber mobernen 3iaturforfd)ung ju einem oollenbetcn ©pftent abjufd)lic§en, unb bie Anhänger feiert gerabe in bem SBerthe, ben fic ber ^ppothefe hierfür beilegen, beren eigentlidjfteß ©erbienft. SBie jmeifclhaft freilid) jitr ,3eit noch um bie ©egriinbung ftefje, ift be* reitß mehrfach htroorgegobett rnorben unb mirb noch weiter aufg^eigt werben. Die Darwinianer fclbft, wo fie ehrlich finb, miiffen ju* geftcheu, baß fie taum bei ben Anfängen einer wirtlich miffenfdjaft* liehen ©eweißführung angclangt finb.

Slber wenn fich anbei« »erhielte, wenn gelungen wäre, bie grunblofen ©ehauptungen in glaubhafte Sinnahmen ju »erwanbeln, würbe bann wirtlich bie Cc^rc Darwin’« ben SDiaterialißmuß be* fiegcln unb baß Dafein eine« perfönlichen ©otteß entbehrlich machen?

Diefe gragc ift, allen gegen th eilig eit ©erfiche* rungen ber Darwinianer 3 um £ro|}, mit 9iad) brud ju o e r n e i n e n.

Sßenn bewiefen wäre, bag au« bem bloßen ^ufammentreffen oon fiohlenftoff unb SBafferftoff unb anbern (Elementen baß erfte Pcben entftanb, wenn cbenfo bewiefen wäre, bag in eben jener Slrt, wie bie ^hpotgefc Darmin’ß oermeint, auß fo bürftigett unfcheinbareti Slnfängen, wie wir unß bie burd) Urjeugung entftanbenen (Stammformen beß Pcbcnbigett »orjufteden ha&cn, burd) ©ariabilität unb erblid)e

*) grantfurtcr 3titimg 3! o. 269, dom 26. ©f»t. 1879, Sötitage.

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Str Sammiiamu«, eint geiftige ffipibemie.

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Uebertragung utib natürliche 3üd)tung t>cr ganje SKeit^t^um organifcher ©ebilbe entftanb, ber feilte unfre Erbe fehmüeft, wie fam es benn, baß jenes erftc Öeben ju einer beftimmten 3e'4 auf ber @tbc auftraf, bn es junor nicht Dortjanben mar?. SelcheS mar bie Urfache, bic bie erftmalige, fo unenblid) folgenreiche Verbinbung ber Elemente be* mirfte? Ser Darwinismus ^at hierauf feine Slntmort. SaS pro« blem ift in Safjrijeit nur weiter jurücfgcfchoben. Söar baS Auftreten beS Gebens oielleicht »uieber nur ein ©lieb in bem nad) blinben unb notfjroenbigen ©efe^cn öcrlaufenbcn Vroceffe ber allgemeinen Seit« bilbung, fo ftefjt eben bod) am Anfänge biefes proceffeS bic fchöpferifche £hQt ©ottcS, ber beu Proceß fo einriditete, ber beit (Ele- menten biefe Üiatur, ihrem ffiirfen biefe ©efe^c gab, fo baß bic Seit, wie fie fid) geftaltet hot, als bie notljipenbige $otge baraus peroor= ging. Das ift nicht blos eine mögliche Sinnahme, welche auch neben bem Darwinismus beftchen fann, baS ift ein nothwenbigeS Ergcbniß, ju welkem baS logifdjc Denfen hinführt. *)

Sine anbere grage ift allerbings bie, wie fich mit ber Darwinschen IphPotpefe ber biblifche Bericht über bie Erfchaffung ber- uhter* unb Pflanzenwelt oereinbaren laffc. SDiandje Slpologeten haben geglaubt, bie weiteften ^ugeftänbniffe machen ju follen; oon einer ©eite ift fogar ber Verfuch gemacht worben, bie thierifche Slb* ftammung beS üJJenfchen -feiner leiblichen ifiatur nach mit ber Er* jählung ber ©enefis in Harmonie ju fe^cn. Dies heißt nun ohne 3weifel oiel ju weit gehen. Slber bie ganje grage fann hier auf fich beruhen, finb ja bie Darminianer felbft längft über bie Verwerfung ber Schriftauctorität hinausgcfchritten. 3h«en gegenüber gilt es, imtner toieber unb mit aller Veftimmthcit ju betonen, bap auch burd) eine enbgiiltige Vemährung ber $>t)pothefe bie iJiöthigung ber Vernunft, eine höchfte einheitliche Vklturfacpe, einen fdjöpfcrifchen ©ott anju* erfennen, nid)t aufgehoben fei. gür biefe Slnerfcnntnip aber oerfdjlägt es zunüchft nichts, ob mir uns weitet benfen, ©ott habe bic fämmt* liehen Slrten beS organifchen 9ieid)cS unmittelbar Ijeroorgebracht, ober aber, er habe in bie oon ihm gefchaffenen Elemente foldjc Äräfte hin» eingelegt, bap fie in naturgemäßer Entfaltung baS Uebrige aus fiep entmicfeln mußten. Schon bei ben ^irchenoatern wirb ber 2lbftam= mungSlehre in bem lederen Sinne als einer möglichen Sluffaffung ge*

*) Ütr.it. § ert l i ng, Ucber bie ©renjrn ber mcdjanifdjen Staturertläning- 3uv SSibertegmig ber matcrialifitjdjcit SSettanfidjt. üonn 1875.

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Dr. ®. grei^trr oon §crtting.

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bat^t, unb man fann fonad) mit gug unb SKcdjt behaupten, ba§ bie Defcenbenjthcorie für fiep allem mit ber ©tateriali«mu«frage gor nid)t« ju t^un habe.

ßcioa« anber« ftefjt bie Sache mit ber ®elcction«fheorie. $ier finbet eine ©erührung infofern ftatt, als bie iDiffeufdjaf tlidjc ßrhärtung ber Seljrc oon ber natürlichen 3uc^tn,a^I un® 600 nächftliegenbe, ältefte, glanjenbfte Argument für bie ßpiftenj eine« weifen Schöpfer®

alteriren mürbe. Denn al«bann würbe bie 3lüCcfmäBigreit ber orga* nifchen iiatur niebt mehr unmitteibar für ba« ©orfjanbenfein ber ihren ©eftaltungeu ju ©runbe liegenben göttlichen jgbecn .geugniß oblegen, fie wäre Bielmehr junächft al« bie nothmenbige SBirtung eine« blinb unb tnechanifd) Bcrlaufenben ©roceffc« ju begreifen. 9Ul}ul)od) wäre inbeffen biefer ©erfuft nicht ai^ufchtagen. Denn, baß wir trofc De* tcenbenjs unb Selectionötheorie non ber Slnerfenntniß eine«, om Sn» fange ber gefammten ©Jeltenttoicflung ftepenben fchöpferifcf)en ©otte« nicht loSfommcn, fteljt feft. 9l(«bann aber wirb eben jener ©rocejj mitfammt bem Kampf um« Dafein, ben er al« einen feiner erfolg* reichften ©eranftaltungcn einfchließf, jule^t nur wieber al« ba« groß* artige ©fittel fid) barftellen, burch welche« bie göttliche gmeefthätigfeit ihre ewigen 3been in ber geit öermirflid)te.

3ft alfo wahr, ma« |)aecfel behauptet, ba« ganje ©erbienft ber oon Darwin reformirten 8lbftammung«lef)re liege in ihrem ©krthe für bie ©egrünbung be« naturwiffenfchaftlichen Atheismus, fo muß gefügt werben, baß alle Slrbeit, bie er unb feine ©efinnung«* genoffen auf bie Sluebilbung jener Sehre oermanbt hoben unb noch oermenben, fid) al« oerlorenc Siebe8müf)e charalterifirt.

üJfan muß aber noch einen Schritt weitergehen. Diejenige ©Jiffen* jehaft, welche nicht gewillt ift, bem üBachtfpruche ber ÜJJateriatiften fid) ju unterwerfen, unb nicht anjuerfennen oermag, baß abfichtlich $ur Sdjau getragene ©ottefileugnung ein unentbehrliche« Dfequifit ber gorfd)ung fei ober gar ben Decfmantel abjugeben tjermöge für un- wiffenfchaftliche« ©erfahren, pat bem Darmini«mu« gegenüber wahr* haftig nicht nöthig, in ber Defenfioe ju oerharren. Unter bem erften gewaltigen ßinbruefe, ben ba« ©ud) be« englifd)en 9faturforfd)er« nun einmal fjeroorrief, unb ber für fünftige ßulturhiftorifer ein beachten«» werthe« Spmptom be« allgemeinen geitgeifte« bleiben wirb, tonnte in apologetifd)cm gmtereffe jWectmäßig crfcfjcincn, tebiglicß ba« ßine ju marfiren, baß ber ©laube an bie fdjöpferifche 2Jfacf)t be« perfön* liehen ©otte« auch burch bie neue Dheorie nicht erfchüttert werbe. Da«

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35er ©attoimSmu«, «ine geiftige Spibemie.

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reiche naturroiffenfrfiaftüdje Detail, über wett^c« Darm in üerfügte unb bad er gefc^idt in bie Darlegung feiner $hpotf)efe ju oermeben Wußte, ba8 grappante unb babei fdjeinbar (ginfne^e ber angewanbten (Srflärungbgriinbe mochte wirtlich oielfacf) bie ernfte ÜJteiuung erroeefen, baß f)ier eine neue ©af)n ber gorfdjung eröffnet unb bie Cöfung hoch* wichtiger Probleme im ‘JJrittcip in ber 21)“* gefunien fei. §eute, nad)bem jroei Decennicn oerffoffen finb, nachbem eine ungeheure 8ite* ratur entftanben ift, nachbem über alle £>aupt* unb fftebenfragen bie ®i8cuffion oor ber Ceffentlicf)feit ftattgefunben hat, gift cö, jur Sadje felbft Stellung ju nehmen, Demgemäß fragen wir fefct;

SBie fteht e8 mit ber theoretifdjen Durchbilbung ber $t)pothefe unb ihrer wiffenfdjaf tlidjen ©egriinbung, wie fteht oor allen Gingen mit ben ©emeiSmitteln, burd) welche biefe ©egriinbung allein oorgenommen werben fann?

Sehen wir ju, welche 2lntmorten bie Darminiager auf bie be* ftimmtcu gragen ju geben wiffen, bie wir nach ben bejeichneten 9?idjtungen nothwenbigerweife ju ftellen haben.

Daß ber behauptete allmcilige ßntmicflungöproceß ber 'Pflanjen* unb Sh>frarten nicht unmittelbar in ber (Erfahrung aufgejeigt werben töune, leuchtet ein. (Er gehört ber Vergangenheit an, unb wir fönnen im beften gälte auf ihn, ber in ber bereite abgelaufenen Seltpcriobe fid) oolljog, au8 feinen Srjeugniffen jurücffd)ließen. *) gti biefen (Sr= jeugniffen alfo, ba8 ^et§t in ben ©Übungen ber heute oorljanbenen fßftanjen* unb Ülperroelt, müffen 21nfjalt8punfte aufgejeigt werben, welche ju bem Schluffe nötigen, bie oerfd)iebenen gormen feien burd) bie £hatfad)e gemeinfamer Slbftammung mit einanber oerbunben unb au8 einfacheren Urformen allmälig heroorgegangen.

$u biefem Schluffe aber un8 geneigt ju machen, gibt e8 nur ein ÜMittel. SBo jwei heute »orhanbene gormen be8 21)'«' unb ‘PflanjenreidjeS burd) bebeutfame, fogleich in bie Slugen fpringenbe Unterschiebe oon einanber getrennt finb, fommen mir nicht leicht auf bie Vermuthung, baß bie eine fief) au8 ber anbern entmicfelt habe, ober beibe au8 ben Ummanblungen einer gemeinfamen Stammform entftanben feien, ffienn e8 bagegen gelingt, jwifdjcn bie (Extreme eine 9teilje oon SDZittelgliebern einjufchieben, welche in auf» unb ab*

*) Sergf. e r t f i n ii , 35ie §ppotl)efe Stannin’« mit ®erücfficbtigung neuerer Sarftettutigen geprüft. äHürjburg 1876.

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Dr, ©. gvtifjtrr Bon ^ertting.

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fteigenber Scala bic 2tef)nlid)feiten mit Uittcrfc^iebcn unb bie 216« Weisungen mit übereinftimmenben SDierfmafeu oerbinben, fo bag bic oergfeicfjcnbe ©etrad)tung ganj alltnälig oon einem ßitbe 311m anbern f)inübergcfiibrt wirb, fo fängt nun fdjon efjer jene ©ermutljung an, glaubhaft ju werben, giir unfre ©orftellung werben bie UebcrgangS* glieber einer folgen fijftematifcfjen ^nfammenftellung feiert ju ®urd)= gaugSpunften eine« wirffief) suriicfgefegten UmwanblungSproceffe«. (Sin ftrifter ©emei« ift jwar bamit nid)t erbracht, benn fönnten ja boc^ ebenfogut alte biefe formen in biefen ©erfjältniffcn einer abgeftuften 2(c()n(id)feit oon ©ott urfpriinglid) gefdjaffen fein. 2lud) ift bisher nidjt gelungen, eine gormenreilje, wie fie Ijier angenommen würbe, oon irgeub meldjer 2(u«bet)nung unb ©ebeutuug mirflid) sufammensufictlen. 3ebenfall« aber gehört bie 2(uffaffung, wonach bie fpftematifdjeti ©e> jieljungcn größerer ober geringerer 21el)nli$feit, wie fie bie oerfd)iebenen gönnen tljatfädjlid) aufweifen, auf bett genctifcf)en 3ufammcn^aiig näherer ober entfernterer ©lut«oermaubtfd)aft ju beuten ift, ju ben midjtigften ©eftanbtfyeilen ber ganjen Slfeone. Sie ift ba« gmtba« ment, worauf allein ber 2lufbau eine« ©eweisoerfudp:« unternommen werben fanu.

Unb boef» ift fetbft biefe funbamentate 2Juffaffung nirf>t unbeftritten. (£. 2(Sf ettaf ß,*) ber baritm bod) feinesweg« gewillt ift, fid) in principiellen ©egenfals jum ®arwini«mu« ju ftelleu, fotibertt nur an einzelnen fünften feine abtoeidjenbe Dieinung geltenb madjt, beftreitet, baß 2leljntid)feit auf gemeinfanter 2lbftammung beruhe unb baß ba, wo für oerwanbte ©ruppen tijatfüd)ticß ein gcmcinfd}aftlidfcr Urfprung angenommen werben muffe, biefer ber ©runb ber bei ifjncn fid) finben« ben Uebereinftimmuug fei. ©eftefjen aber feine Sittmcnbungcn ju 9fed)t, tonnen ubercinftimmenbe ©Übungen oöllig unabhängig oon einauber auftreten, unb oertragen fid) umgcfcf)rt tiefgreifeitbe 21bweid)ungcn mi rnepr ober tninber na()em genealogifdjem ^ufammenljange, fo ift bamit oon oornljerein icbe SDiöglidifcit abgefdjuitten, im Sinne ber ijnjpotljefc einen Stammbaum ber Organismen mit annäljeruber Sicherheit unb ©oüftänbigfeit ju conftruiren. Oie 2leljn(id)feitSbe$icf)ungen allein finb ja, an bereit £>anb wir bie einzelnen gornten ju ©ruppen oerbinben unb 31t ber 21nnaljme einer auf genteinfamer Slbftammuug beruljenben ^ufainmengehörigfcit gelangen tönneu.

Umgctcl)rt müßte bie confcgucnte 'Durchführung bc« ©runbfaßeö,

*) Sei SBigaitl), ®tr ®aroim«mu«. 33t>. 3, ©. 78 ff.

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®tr ®arroini«mue, eint geiftigt (Sgibtmit.

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bag olle Uebercinftimmung auf gemeinfomer Slbftammung beruhe, ju bei- Sinnahme eine« fd»ted)tl)in einheitlichen UrfprungeS für bas gefammte organifdje {Reich Ijiitfüljren, weil alle Organismen jutefet in getoiffen allgemeinften SJeranftaltungen , wie bem ^elletibau, übereinftimmen. Ober weldjer miffenfdjaftlicf) haltbare ©runb liege fid) bafilr anfül)ven, bog jener ©runbfalj nur bis ju einer beftiminten ©renje ©eltung ^aben folle, mäfjrenb bariiber hinaus bie in beu früheren gormen oorauSfidjtlid; bod) weit größere 9lehnlid)leit nicf)t mehr auf genealogi» fd)en .^ufammentiang gebeutet werben bürfe ? Slber felbft ipa edel, bem eS hoch fonft an vüdfidjtslofcr ©onfequenj nicht fehlt, fommt über ein fortwührenbeb ©chroanfen pifdjen „monophhletifcher" unb „polhphgletifd)er" Slbftammung, Slbftammung oon einer ober Slbftammung oon mehreren formen nicht hinaus. 3u einem nnb bemfelbcn Sage fprid)t er oon „ber Einheit ber gefammten Biologie," oon bem „ein» jigeit unb gemeinfamen ©runbe für ben tiefen .gufammenhang ätoifd)en ben ©rfd)einungSformen in ben oerfchiebcnen ©ebieten ber orgonifdjen SBelt", nnb lägt er bod) jugleid) bie äRöglichfeit einer Slbftammung „aus mehreren abfolut einfachen Stammformen" offen.*) 3)abei fagt er freilid) nicht, wie mir uns biefe mehreren, abfolut einfachen unb hoch 3ugleid) ocrfchiebenartigen Stammformen borftellen follen!

Ob i r d) o 10 ju ben Oarwinianern geregnet loerben bürfe, ift bei feiner principicllen Slbneigung gegen jebe mit bem Stnfprudje auf roiffcnjd)aftlid)c ©laubroürbigfeit anftretenbe Spftembilbung unb ber oft proclamirten , wenn auch leineSroegS immer feftgehaltenen ©in» fdjränfung ber SBiffenfchaft auf baS ©ebiet unmittelbarer ©rfahrung allerbingS jweifelljaft. Seine guriiefweifung j,er £>aecfel’fd)en ©ytra» oaganjen auf ber üRiindjencr Jlaturforfcheroevfammlung ift oielfad) als eine Slbfage ber ganjen {Richtung gegenüber aufgefagt worben.**) ^mmer* hin preift auch fr in früheren Schriften „ben nicht genug ju fd^en* ben SBerth ber 3;hc°rif oon ber natürlichen Zuchtwahl für unfere philofophifche, ja für unfere moralifdje SluSbilbung." JDie üDefcenbenj» theorie, „obwohl an fid) unbewiefen unb in ihren einzelnen Slufftellungen oielleicht oielfach irrig," erfdjeint il)m „nic^t nur als ein togifcheS, fonberu auch als ein fittliches ißoftulat." „9?id)t als ein neues »Dogma, fotibcrn als eine 8eud)te auf bem bnntten Sege weitergehenber gorfchung," werbe fie „ber üRcnfchheit reichen Segen bringen."***)

*) a. a. D. 6. 248 f.

**) ®gf. $trtling, ®arit)in, ^atcfel u. S3ird)oro. «Sin SSortrag. ftötn 1878.

***) Siganb, ®ev ®arn>iiii«mu«, ®b. 3, ®. 163 ff.

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Dr. ®. gretberr »oh §ertliug.

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©a« aber bie gute^t berührte fpecieße grage betrifft, fo will SS i r dj o tu jebcnfall« feinen gemeinfamen 9lu«gang«punft für bie Snt* roidlung«rcißen jugeben, toeldje angenommenermaßen ju bcr fjeutigen organifcßcn ©eit geführt ßaben fotten. ©enn roirfliiß eine fort* fcßreitenbe ßntroidluug Don nieberen 9lu«gang«punften ßer ftattgefunben ßabe, fo ßabe fie jebenfafl« in üerfcßiebener SRidjtung unb ocrfcßiebenen Steifen fiiß ooßjogen, unb bie Urjeflen, Dort beiten bie üerfcßiebenen ßerftatnmen, feien $roar rooßl äßnlid), aber nicßt ibentifd) geroefen. Unb 9?ägeti, bcr angefeßene SDlüncßener ©otanifcr, ber, oon üDarwin felbft mit $lu«jeidjnuug bcßanbclt, in ber 3aßt [feiner Slnßänger eine felbftänbige unb ßeroorragenbe Stefluttg einnimmt, 9iägefi crftärt auöbrüdlidj, bie Sntroidlung bcr Dtcicße ßabe ftet« oon 9?euem begonnen, , unb bie auffteigenben ©tufenreißen, roeldje beifpiet«roeife ba« ^ftanjen» reicß in feiner jcßigen ©eftalt jeige, feien nicßt etroa roirflidjc ©enera* tionSreißen, iu bencn atfo jebeömat bie niebriger fteßenbe gorm bie ©tufe bejeidjiieit mürbe, burd) roetcße bie ßößcr fteßenbe bereit« bunß* gegangen ift, fonbern fie mürben gebitbet burd) bie ungleicß ßoßen Snb* glieber mehrerer nebeneinanber ßergeßenber Sntroidlung«reißen .*) ©on einem genealogifcßen ^ufamtnenßange be« gefammten organifcßen fReitße«, mie ißn bie Sonfequenj be« Defcenbenjpvincip« oertangen müßte, ift ßier nicßt meßr bie Diebe.

Sine folcßc Unfifßerßeit Über bie Jragmeite eine« ©rincip« ift menig geeignet, ©ertrauen in feine roiffenfcßaftlicße grucßtbarfeit ju erroeden. 3nbeffen macßt ba« ^rincip, ba« ja aucß Don Slnbern auf* gefteßt mürbe, in feiner abftracten Slßgenteinßeit nocß nic^t ba« Sigcn*

, tßümlicße ber $>arroin’fcßen $ßpotßefe au«, ©eit fernerer muß barum in« ©eroicßt faßen, rocnn mir fcßcn, mie aud) über bie beftimmte 2lrt unb ©eife, in roeldjcr ba« 9lbftammung«princip burdjgefiißrt unb begrünbet merben fofl, bie oermeintlicßcn Slnßänger unb ©efinnung«* genoffen SDarroin’« fid) roeit Don ißm mie oon einanber entfernen.

SDie funbamentafe ©ebeutung, roe(d)e für SDarroin bie Sinologie ber lünftlidjen ^üeßtung befißt, mürbe gleich Slnfang« ßerDorgeßobcn. ©eine ganje Jßeorie berußt mefentlicß barauf, baß ba«, ma« au« jenen im ©ereieße ber Srfaßrungen liegenben ©orgängen fitß ableiten läßt, auf angenommene ©orgänge in ber freien 9?atur übertragen mirb, roetcße felbft niemal« ©egenftanb unmittelbarer Srfaßrung merben fönnen, roeit fie ju ißrem ©erlauf ungeßeure 3f>tröume in Slnfprucß neßmen.

•) (8benb. 5G.

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£<r ItommiiemuS, eine geifiifle Spi&cmic.

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Um fo beadjtenSwerther ift eS baljer, wenn äBallace, gewiffermafjen ein Darwinianer Bor Darwin, fofern er furje 3eit oor biefem in jroei {{einen äluffä^en fowohl bas Defcenben,^ wie baS ©electionS» princip aufgeftellt hatte, bie ^Berechtigung biefeS 2lnalogicfd)luffcs beftreitet unb bamit baS einjigc Söanb jerreißt, weldieS bie Jpbpotfjefe mit ber Srfaljrung oertnüpfen feilte. äBallace behauptet, jroifchen ben bomefticirten Hj>ercn unb benjenigen im wilben ^wftanbe bcftetjc ein wefentlidjer Uuterfchieb, ja ein förmlicher ©egenfaß. Die bomefti« cirten St^icre, fagt er, finb „abnorm, unregelmäßig, tünftlid), fie finb älbweidjungen unterworfen, welche nie im natürlichen ,3uftanbe oor= fommen unb nie oodommen fönncn."*)

gerner: Darwin nimmt an, baß bie Iransmutation ber gormen in fleinften «Schritten burd) allmdlige Häufung geringer ©erfcßiebenheiten oon Statten gehe, unb fefct babei eine DöUig fdfranfenlofe SBariabilU tat ber Organismen nad) ollen {Richtungen hin oorouS. Bebiglid) auf bem ©runbe biefer SBorauSfetjung erwächft bie hohe ©ebeutung, welche bem fiampf ums Dafein beigelegt wirb. {Regellos unb ohne Sffiahl noch ©orjug entftanben bie oerfhiebenften ©arietäten neben einonber, erft nachträglich worb burd) bie natürliche Zuchtwahl 'n bas wirre ßßaoS unaufhörlid) umgewanbelter gormen mit ber SluSlefe aud) eine beftimmte {Richtung fortfchreitenber ©eroollfommnung unb auS= fchließlichet tlnpaffung hereingebracht.

älber oon einer foldjen allmäligen unb langbauernben Häufung urfprünglid) geringfügiger iubioibueller Abweichungen will {Rügeli, bem fich barin Hsfenofp, 333. $ofmeifter, g. 21. Bange u. 21. anfdjließen , nichts wiffen.**) Sin bie ©teile einer ricfjtungS* unb grcnjenlofen ©eränberlichfeit fegt namentlich ber erftgenannte ©eiehrte bie SBirfung eines beftimmt gerichteten IriebeS, eines in ber {Ratur ber einzelnen organifd)cn gorm begrünbeten ©efefceS. hiernach alfo würbe fich bie angenommene Umwanblung oon Bornherein in einer be» ftimmten {Richtung oolljogen haben ; fprungweife erhoben fich bie Or* ganismcn ju immer größerer ©ollfommenheit.

{Run wirb hierburch allerbings ber ^ufall befeitigt, welchen, wie früher bereits h«roorgeboben , Darwin in feiner urfprünglidien Iheorie an ber entfdjeibenbetk Stelle fiepen ließ, wo eS fid) um bas erftmalige dntfiepen ber 2lbänberungen panbclt. Slber bie ©ebeutung

*) (Sbenb. &. 22.

**) Sbtnb. B. 41 ff. 3. 76. ®. 96 ff. ®. 214.

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Dr. ®. RreUjerr oon ^erütns.

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be« Kampfe« um« Dafein wirb eben baburefj auf« ftärffte erfd)tittert. £>aben mir ben Organismen auf @runb ihrer urfprünglichen Anlage f<hon eine fotche SierBoHfommnungStenbenj jujufdprciben, fo tritt bie natürliche 3mJjtroa|j{ jn pje jweite Cinie juriief. Sie ift e? bann jeben» falte nicht mehr ober nicht mehr allein, bie bie auffteigenbe Stufen» reilfe ber ovganifdjen SBJelt erflärt.

2Beit mistiger aber nod), Weil nic^t fid) griinbenb auf eine wei* tere ^ppot^efe, fonbern uon einer oöllig burtf)ft^lagenben (Srwägung eingegeben, ift eine zweite (Sinfdjränfung, weldje, wie 9?ägeli mit 9ied)t oerlangt, ber Söirffamfeit ber natürlichen 3udjtwahl gefegt wer* ben muß.

^adj ber Gonfequenj Bon Darwin’« eigenem ©ebanfen fann al« bie SBirfung berfelben an ben Organismen nur baSjenige an» gefeffen werben, wa« mit bem Kampf um« Dafein bircct ober inbirect im 3ufammen^anflc fleht biejenigen (Sigenthiimlid)feiten atfo, welche bewirten, baß bie einzelnen Cebcmefen ihren jebeSmatigen i'ebenSbebin* gungeu angepafit finb, nicht aber auch etwaige anbere, welche mit ben gcbcnSbebingungen überhaupt nicht« ju tljun hoben. Um in ber Sprache ber 28iffenf<haft 311 reben, fo erflärt bie Selection«hhpothefe allenfalls bie phhfiologifdjen, nid)t aber bie rein morphologifdjcn Gharaftcrc oon 'ßflanjcn ltnb SThiercn- 06 bie obere glitgelflädje eine« DigeSfchmet* terling« biefe« ober jene« Detail in garbe unb 3fid)nuil9 aufweift, ob eine ‘’fJflanje gegeniiberftehenbe Slätter hot ober fpiralförmig georb* nete, tann offenbar feinen 3?ortf}eil ober 3tad)theil für ba« betreffenbe 3nbioibuum gegenüber anberen , mit ihm auf bie gleicfjcn Gebens» bebingungen angewiefenen ^nbioibucn begriinben, ba« gehört tebigtief) 311 feinen morphotogifchen GigenthümlidjEciten. Äuf alle biefe tann fid) barum bie burd) ben Kampf um« Dafein »ermittelte 2lu«tefe nicht erftreefen, nicht nur ihre (Sntftehung, fonbern auch ihre Erhaltung ift oon bem Kampf um« Dafein unabhängig. *)

Dem ©ewidjte biefer (Srwägung h“t fith © arwin nid)t entjogen. (Sr h“t auöbrücftich anerfannt, burd) fie ju ber <Sinftd)t geführt worben ju fein, ba§ er früher ber natürlichen 3uchtwahl ju Biel jugcfchricbcn habe, unb will nunmehr bie SBirfung berfelben auf Die „abaptioen," b. h- hie für bie Snpaffung an bie SebeuSbebingungen fich northeil* haft erweifenben SBeränberungen be« Körperbaues befchräntt wiffen.

änfdjlicjfenb hieran meint and) ber betannte ^Berliner ‘Phhfi°f°8t

*) Sbenb. @.41.

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®tr Starmimsmut, eine geifiiflf Spibemif.

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Du ©oiS*9tetjmonb, ber im Uebrigen gerabc bie Selectionslebre «iS ben „heften Jfjeil ber neuen Srrungenfehaft'' bejcrcfjnet, baß für alles, was an ben Organismen nicht eigentlich jroecfmäjsig fei unb baljer nicht als ein ‘•ßrobult natürlicher 3iid)tung im Äampf umS Dafein angefc^en roerben fönne, „organifdje ©ilbungSgefe^e" auf$u* tommen Ratten.*)

So wirb allmälig aus ber urfprünglichen Iljeorie etwas ganj / SlnbereS. Sin Stelle ber unbegrcnjten richtungStofen Variabilität, unter öeren Srteugniffen ber $ampf ums Dafein SluSlefe hält, tritt eine allgemeine VeroollfommnungStenbenj ber Organismen unb treten fpecielle organifdje ©ilbungSgcfefee, unb aus biefen neuen VorauSfefcungen fallen je^t ber Slufbau unb bie ftjftematifdjen 'Xppen bcS organifdjen jKeidjS erflärt werben.

Slber bamit finb nod) nicht alle Sdjwierigfeiten befeitigt. ©enn baS SelectionSprincip bie pljtjfiologifdjen @igenthiimli«i>fcitcn, bie ©affen unb ©erzeuge unb bie gefammte Harmonie jmifchen ber Organifation unb ben äußeren ?ebenSbebingungen erflären, unb wenn jugleidj, wie Darwin wenigftenS annimmt, bie Slrtenbilbung eine ganj allmälig fortfdjreitenbc fein fall, fo mußte in jebem einjelnen galle, ber Slnsbilbung jeber pljtjfiologifch wichtigen ßinridjtung, jebeS eingelnen oovtheilhaften Organs eine jebc (leine Umgeftaltung, bie barauf ab* hielte, jeber fleinfte Don all ben Schritten, bie bis jur oölligen SluS* bilbung burdjlaufen werben mußten, an f ich felbft fdjon Dortheil* haft, felbft bereits ben ÜebenSbebingungen angepafjt fein. iJlur unter biefer Vorausfehung mar es ja bem ©runbgebanfen ber $i)pothefe jufolge möglich, baß biefc für bie fpätere Slusbifbung un» erlntilidjen einzelnen Umgeftaltungen ihrerfeitS ©eftanb gewannen. 9Jur wenn fie felbft fdjon jmecfmäfjig waren, tonnten fie ben f’ampf umS Dafein fiegreich überbauern, tonnten fie barum auch Don ben fpäter auftretenben Variationen weiter auSgebilbet unb Derfeinert werben. 9iie* niaitb aber wirb eine berartige VorauSfetfitng machen wollen. 3n ©ahrheit tonnten bie erften Schritte, mit mcldjen Darwin bie (Snt* ftchung beginnen lagt, (einerlei Siufcen gewähren. „Deuten wir uns bie tDiildjbriifen bes SäugetfjiereS, bie 3ahnbilbung, baS ©eweif) beS jpirfdjeS, ben Saugrüffet beS Sdjmctterlings, bie gliigcl beS Vogels als taum wahrnehmbare Slnbeutungen bei ber allererften Variation, wo foft bie natürliche ^udjtwabl einen Slngriffspuntt finbeit, um biefe

**) Darwin versus Oalliani. Sevtin 1876.

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Dr. ®. greitjerr oon $ertfing,

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böflig nugfofen Anfänge im Kampf um« Dafein ju erhalten unb fortjubifben?" *) »Sie affe gaben bem Spiere, an betn fie auf» traten, feinen Sßortfjeif im Kampf um« Dafein, fie fonnten barunt auch feinen töeftanb oor ber riicffi<ht«fofen Sichtung ber natürlichen Zuchtwahl gewinnen.

tftacfjbem a(fo juoor fid) bereit« fjeranSgeftellt ^atte, baß ber Kampf um« Dafein ba« ganje @ebiet ber morpfjofogifdjen (Sigenthüim fidjfeiten nicht erftäre, jeigt fid) nunmehr, baß er auch non ben fo» genannten 2lnpaffung«charaftercn im beften gaffe nur ba« erffären fönnte, wa« fofort bei feinem erften Sluftreten unb ebenfo in feber einjefnen 'JJfjafe feiner gutwirffung oort^eiffjaft angepaßt war.

ÜJian wirb biffig jweifefn mfiffen, ob gälte biefer Slrt in ber 9fatur irgenbwo ftd) werben auf,$eigen (affen, unb bie« um fo mehr, at« fa bie angenommene fortfcßreitenbe SJereofffommnung eine pa* ratfef bamit geßenbe 2fbänberung ber äußeren tfeben«* bebingungen oorau«fcgen würbe. Denn erfjaften fonnten fid) jebe«mat bie früheren fßhaf{n, toclche oon ben fpäteren oorau«* gefegt werben, nur bann, wenn fie oortheiffjaft ober ben Sebingungen angepaßt waren, eben barum aber fonnte auch ihre fortfdjrcitcnbe Slbänberung auf jcber Stufe nur be«f)afb wieberüm angepaßt fein, weit jene öebingungen fid) gteichfafi« oeränbert Ratten. 9Ser atfo etwa behaupten wolfte, ber ©augrüffef eine« 3nfeft« h°be erft aff- mätig, auf bem ©ege natürlicher ^üeßtung feine heutrge Sänge ge= Wonnen, ber müßte annehmen, baß parallel bamit auch bie SUithe. au« bereu Saft ba« 3nfeft feine iRafjrung $ief)t, unb jwar in bem gleichen lempo fortfdjreitenber Slbänberung, ihre heutige ©eftaft ge’ Wonnen habe, weif Don bem fid) bitbenben Organe auf jeber Stufe ber gntroiclfung oerfangt würbe, baß fang genug fti, um in ba« ■Jieftariunt ber iBfütfje hi«finjurcid)en. Daju fommt noch, baß aud) jwifchen ben oerfchiebenen Seiten eine« unb be«felben Orga- ni«mu« ein SBerhäftitiß ber Sfnpaffung ftattfinbet, ba« heißt, baß jebe«maf ber eine nur unter SBorauäfeßung be« Sorhanbenfein« ber anbern bem Organi«mu« oon sJiugeit fein fann. ©a« hütfe t)em Dfaubthier ba« jwecfmäßigfte ®ebiß, wäre fein 33erbauung«fhftem nicht für gfeifchnahrung eingerichtet? ©o war nun ber 2lnfang, wo ba« erfte ©lieb in ber Kette, an welche bie- übrigen ftd) anfehtoffen? 3c mehr bie ^Betrachtung nach biefer Dichtung in« (Sinjefnc geht, je

*) SSigattb, $er ©arwinibmu« ein 3<><b<n ber 3f>(> ©• 56-

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Xtc ®anoiui«mu«, eint gtifiigt (Sptbemit.

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weniger wirb man geroint bleiben, bem ©electionSprincip noch weiter eine ernftljafte Sebeutung unter ben ^rincipien ber Daturerflärung beijutegen.

Völlig oerfcf)iebcn oon ber Meinung Dägeli’S unb feiner ©eifteSoerroanbten, aber in ihrer Sonfequeitj niefjt minber oerbevbtid) für bie @runbabfid)t ber $gpotljefe ift bie Suffaffung ^aecfel’S, *) beb eigentlichen Slpoftel« beS Darwinismus in Deutfcfflanb.

Sei Darwin bebeutet Slnpaffung fo oiel al« Slugepagtfein, unb bag bie heute oorljanbenen gormen ben SebenSbebingungen angepagt finb» ift feiner SWeinung nach bie gotge ber natürlichen ^uchtmaljl, bie alle nicht angepagten gormen ju ©ruube gehen lieg. Die« war bie Sluffaffung, welche auch für bie bisherigen Erörterungen bie mag» gebenbe war. $ a e cf e l bagegen Derfteht unter Slnpaffung ben Vroceg fetbft, in unb burch welchen bie Organismen ben SebenSbebingungen angepagt werben. Diefer fSroceg aber ift ihm nicht« Stnbere« als bie Einroirfung ber Slugenwelt auf ben Organismus, woburch berfelbe abgeänbert wirb, unb jwar fo abgeänbert, bag er bamit jugteich ben SebenSbebingungen angepagt erfcheint.

Ob bie Erfahrung hinreichenbe Slnhaltspunfte für bie Sinnahme eines berartigen EinfluffeS auf bie ©eftalt ber Organismen barbiete, mag hier ununterfudjt bleiben. $aecfet nimmt al« erwiefen an, bag alle inbioibuelle unb nationale Verfchiebenljeit, j. V. bie ungleiche geiftige unb förperliche Sntroidlung zweier Sörüber, bie Sntftehung ber oerfchiebenen Daffen oon §unben unb Sulturpflanjen, bie Unterfchiebe jwifchen Snglänbern unb Ehinefen u. f. ro. lebigtich auf bie Der- fchiebetten Einfliiffe oon Nahrung, ©arme unb Sicht jurüefjuführen fei.

hiermit ift junächft roieberum, wenn auch iu entgegengefefcter Dichtung, ber Darwinsche Vegriff ber Variabilität umgebogen. Die» felbe bebeutet nun nicht mehr bie Eigenfdjaft ber Organismen, aus fich fetbft nach allen Dichtungen hin ju oariiren, um fo ber Datur* auSlcfe ba« iDaterial barjubieten, fonbern ber Dame bezeichnet ein rein paffioe« Verhalten ber Organismen, ihre gäljigfeit gleich fnet» barem Ifjone unter bem Einflug ber Slugenwelt ju beftimmten gormen umgeprägt ju werben.

Slber auch ba« '©electionSprincip unb bie ffiirffamfeit ber natür- lichen Zuchtwahl für bie SluSgeftaltung be« organifchen Deiche« ift aufgegeben. ©aS bebarf ber letzteren noch, wenn nicht blog bie

*) JBiganb, ®er $arotm6mu«, 8b. 8 @. 236 ff.

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G8

Dr. @. gretbcvr 0011 S>trtltng.

28

©crfd)icbcnl)cit ber Organismen, fonbern and) bie Slnpaffung bcrfelbcn an bie 2lußenroett bem birecten (Siitfluffc eben biefer Außenwelt ju» gefdjrieben roerben barf? 9iid)t bev Slantpf um« Dafein atfo ift eS, aus bem mir, menn and) nidjt baS fljntfteljen, fo bod) bie ausfdjtiej?« lidje @rl)altung ber ^wertmäßigen ©ilbungen ju erflären haben. Die tfebenSbcbingutigcn felbft befi^cn bie fDfad)t, fo üerfidjert uns ber eifrigfte unter allen ©emunberern Dar min ’S, bie Organismen nid)t nur überhaupt abjuänbern, fonbern jebeSmal fo, bajj baS ßrgebniß fid) äuglcid) als ein jmerfmäßigeS barfteUt. (Sine fid)tenbc Goncurreni jroifdjen nabeoermanbten formen fann aisbann aber gar nidjt^in« treten, meil bie gleichen äußeren (Sitifliiffe, welche baS eine 3nbioi* bitum nmgeftalten, bie anbern mit ifjm auf biefelben CebenSbebinguugen angemiefenen fämmtlid) in ber gleiten Seife treffen, ber gall a(fo auSgefd)loffen ift, bafj baS eine oort^eitfjafter wie bie anberen für ben Äampf ums Dafein auSgeriiftct märe.

Die Ummanblung fiemenatljmenber 2lmpljibicn in lungenatlj* ntenbe miiffcn mir uns nach« bem urfprünglicbeu Oebaitfengangc ber Ifjcorie fo Dorftellen, ba§ bei einer ©eränberung ber 8ebenSoerf)ä(t« niffe, mcldje bie erfteren jmang, fortan auf bem 8anbc $u ejriftiren, cinjelnc 3nbioibuen oorijanben waren, bie auf @runb ihrer inbioi* buellen Organifation biefen SEßecfjfet überbauern tonnten, unb bafj bann unter ben 9iad)fommen biefer (enteren ber ftampf nmS Dafein folangc HuSlefe ^ielt, bis nur nod) ben oeränbcrteit ©erljältniffen oöllig cntfpredjenbe, alfo lungenathmenbe gönnen übrig waren. Diad) ipaertel gefdjaf) bie Ummanblung unter bem birecten (Sinfluffe ber oeräuberten ?ebenSmeife. Seil bie liiere aufgehört Ratten , im Soffer $u (eben, oerfdjmanben bie Stiemen nnb machten bem 8ungcn* apparate ^ßlafe.

üftag baher $aedet gleidj ben übrigen Darroinianern baS Sort Dom Sfampf umS Dafein unjätjtige SDlale im SDtunbe führen, bas Sort ift bcbeutungSloS geworben, bie {Wertmäßigen ©ilbungen im ©ftanjen* nnb 2^ierreicf)e, bie fogenannten 9lnpaffuug8erfcheinungcn, finb aus jebem 3ufammenhangc mit ber £>i)pothefe non ber natiir« liehen 3u^tiua^t getöft. ©ei aller ©erfd)icbcuhcit ber 9luSgangSpuntte wie ihrer gefammten IJiaturauffaffung fommen bod) $acrfcl unb 'Jtägeti barin überein, bajj fie bie ©electionSlehre tljatfädilid) über ©orb werfen.

Dagegen fjat ^jaerfel einen anbern ©eftanbtfjeil ber Dfieorie, melden Darwin mehr gelegentlid) unb jur ©tü^e ber übrigen Der«

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29 ®er ®arvuini«inu«, eine geiftige Spibeinie. 69

wertet hatte, berort in beit Borbergrunb geriieft, ba§ berfetbe in feinen 'Darftellungen tnef)r unb mehr atö ber eigentlidie Sern bc« ©an^cn erfefjeint. *) 9BeiC uätnlicf) bic höheren J^iere nidjt fofovt in ihrer (Subform in« 2)afein treten, fonbern eine längere ober fiirjere (embrt)oiia(e) Grittwicffung burd)(aufen, fo wirb behauptet , bafj fie barin bie ©efchichte ihre« Stamme« recapituliren. (Sd Ratten nämlidj bie früheren formen nic^t nur bie Beränberungen felbft, bie fie er* litten, auf bie sJiad)fommen oererbt, fonbern ba« @efe(} ber <5rblid)feit foö cS aud) mit ftef) bringen, baß bie 23eränbcrutig gcrabe in ber 'fßeriobe auf bie '3Jacf)fommen übergetjt, in melier bie Stammform baoon betroffen mürbe. Der gatije <ßroce§, in bem fo in d)rono= logifrfjer ^Reihenfolge alte Umgeftaltungen ber Borfahren mieber auf* treten, fei bann aber auf bem üöege natürlicher Züchtung, burd) Sin* paffung unb Vererbung, in eine möglichft furje grift jufammettgebriingt morben. 3Beil ferner einzelne ^jj^afen in bem (Sntmitflungsproceij ber Ijö^eren Organismen eine gemiffe 9le^nlid)feit mit ben blcibenben gönnen niebriger ftefjenber ober auch mit geo(ogifd) älteren, au« ocr* fteinerten Ucberrefteu befannten gornten ber gleichen ©attung ^aben, fo wirb weiter behauptet, burd) eben biefe gönnen l)abe fiel) in ber Bcrgangenf)eit bic Stamme«gefd)ichte ber betreffenbeit ?lrt hinburch- bernegt. SDie« ift ba« oott $aecfel fo genannte „biogenetifdje ©runbgefch," ba« ©efefe oon-ber 3bentität jwifcheit ber inbioibuellen ßntroidlung („$eitue«gefd)id)te," „Ontogenefe") unb ber Stamme«* gefdjidjte ( „^5hht°9enefc" ) c*ne® fhftematifdjen Sppu«. SBefentlid) mit §illfe biefe« angeblichen ©efe^e« h<ü er bann bie ausführlichen Stamm* bäume be« 2t)ier* un*> ^ßflan^enreicheö jufammengeftellt, welche feine Serfe füllen.

Bon einem roirflidjen ©efe^e im Sinne ber methobifchen iRatur* roiffenfdjaft ift inbeffen hier überall nicht bie SRebc.**) @3 finb lebig- lid) Behauptungen, bereu oöllige $altlofigfeit burd) bie öon tpa ecf el erfonneiten gelehrten iRanten nidjt oerbeeft wirb. 9iod) meniger frei* lieh burd) bie ebeufo erfonneneit, burch feincrlei 2lnhalt«punfte in ber 9fatur geftiifcten ©lieber, bie er an wichtigen Stellen feinen Stamm* bäumen einfticht. Slm beutlidjfteit aber erhellt bic gan^e Bobenlofig* feit bc« Verfahren« ba, mo bie „$eime«gefd)id)te" bc« igtibiuibuiuuö

*) SSigaub, ©et ®anDiui«i!m6 ein 3f*<b<n ber 3eit, ©• 44 ff-

**) Bergl, ©ertling, lieber bie ®ren)ert ber med)nnifc6eit ütalurerftärimg Seite 64.

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Dr. ®. gttifjtrr oon Smrtling.

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mit ber „©tammeSgefcbicbte," wie § anfei fie auf ©runb anher* weiter (Srmägungeit glaubt jufammenfteüen ju follen , n i d) t über* einftimmt, unb nun behauptet wirb, in folcben gdllen fei bie $^plo* genefe in golge befonberer Slupaffungen in ber ©utogenefiS gefdlfcbt.*) DiefeS ©erfahren ift bejeicbnenb. ©eil bi^^er nicht gelingen wollte, in ber lebenben Dlatur ober in ben foffilcn Uebcrreften früherer ©evioben bie Ucbergangsformcn aufjufinben, welcfjc uns ben behaupteten all* mällgen Ummanblungsprocef? erft glaubhaft machen fönnten, ergehen fich bie Darroiniancr in gelehrten (Srörterungcu, marum jene lieber* gangsformen notbwcnbig ju ©runbe gehen mußten. **) ^aecfet aber weiß fee noch ju übertreffen. ©eil bie in ber Dlatur toirflich oor* hanbenen 2hatfachen ber ^artnäefig feftgehaltenen £>gpothefe miber» fprcdjen, erflärt er, bie Dlatur habe bie Urfunben gcfdlfcht, anbernfallS hätten fie für biefelbe 3?ugniß ablegen müffeu.

Dlod) auf einen lebten ©unft foll enblich hingeroiefen roerben. Äaum ein anberer ©ah aus bem Darminiftifcben ©laubenSbefenutniffe ift in fo weiten Steifen befannt geworben, wie bie ©eßauptung non ber tljierifchen Slbftammuug beS ÜJlcnfcben. '5T>iefe ©eßauptung ipricht inbeffen nur einen alten Lieblingögcbanfen aller ÜNaterialiften aus. Daß oon einer ©egrünbung nicht bie Diebe ift unb nicht bie Diebe fein tann, braucht faum erft heroorgehoben ju werben, ffiäre ber SDlenfcb mit (Sinfcbluß feiner geiftigen gäßigfeitMt nur baS tehte ßrgebniß beS natürlichen 3ü<btungSproceffeS, fo fönnten bie tefetercu nur folcheS auf* weifen, was mit bem Sarnpf umS Dafein im 3ufammen^an9* roaö im Dienfte ber Lebenserhaltung ftänbe, fo wäre es bie größere ©er* fchlagenheit unb Lift unb bie ftärfere ©egierbe, was ihn oor ben ndchft höheren linieren auSjeicbnet. Die Serantagung ju SBiffenfchaft unb Sunft, ©flitbtbemnßtfein unb DlechtSgefiihl unb enblich bie Dletigion hätten oor ber unerbittlichen DlaturauSlcfe feinen Slnfprud) auf (Sr* haltung erheben fönnen.

9lber befteht bann wenigftens eine miffenfchaftlich präeifirte ©or* ftellungsweife? ©ie höben mir uns nach Darwin unb feinen Sin* bangem bie ©efcbidjte unferer thierifchen #erfunft beS Dläheren ju benfen ? *♦*) $ier ftoßen wir fofort auf bie größte Unficberljeit, ben

*) SBiganb, o. n. O. ©. 51.

**) $frtlinfl, Dit §i)pott)tfe Darwin’«. ©. 28 ff. ***) SBiganb, ®er ®am)ini«mu«. ®D. 8. ®. 308.

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$tr jDarroiniemu«, eint gtifiiflt Qpibcmit.

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ooltenbeten Siberfprur ber SDteinungcn. ©olt ber ©tammoater be« SDJenfrengefrtert« eiii roirHit^er 2Cffe gewefeit fein, wie @art ©ogt früher annagm, ober finb beibe, SD?enfr unb äffe, bie äbfömmfinge einer gemeinfatnen ©tammform, wie fegt feine SReinung ju fein fdjeint ? Unb foüen wir in biefem galle beibe al« bie ©nbglieber jweier fron lange gefpaltener, ftete weiter auöeinanber getretener Linien anfegen, ober mit Darwin unb $aedet eine nähere 93ermanbtfc^aft an« nehmen?

Unb wie fag unfer würbiger ägngerr au«? „©egaart," fagt Darwin. „Offne £>aare," fagt Sallace. Unb wo gefdjal) e«, bafi juerft ein bcoorjugter ©pröjjling ber Dgierwett ben epo<f)emad)enben ©prung jum menfrgeitlügen Sefen madjte? äud) hierüber fönnen bie ©atboerftänbigen fir nngt einigen. 9?acf) Darwin gefrag in äfrifa, nar SD?, Sagner in (Europa, nar ©piller in ben Sßolar« gegenben unb Vorgebirgen, nad) ^>aecfel, wenigften« nar feiner früheren änprt, in ©üb«äfien ober in Semurien, einem fiibtir oon äfien im inbif^en Ocean oerfunfenen Kontinent.

©o fc^lägt ftet« ein ©infall ben anbern au« bem ftelbe, unb über ein ©pftem oon ©infätten, oon fubjectioen ÜReinungen unb er« bauten SDlöglirteiten fomtnt Seiner ginau«. Sa« Darwin'« urfprüngtire e befagte, tagt fir präci« an«

geben, für bie ©egauptungen feiner ä n g d n g e r ift eine gemein fc^aftttc^c gormet niegt ju finben, fobatb über bie ganj attgemeine ©orftellung einer gemein« famen äbftammung ber ©gier« unb Sßfanjenwelt gi na u «g eg an gen wirb.

©je nennen fir nar Darwin unb ftegen nitgt an, feine an« geblidjc Sntbecfung ber ©ntbeefung be« ®raoitation0gefegeö, biefe« wid)tigfteu ©lieb« unferer heutigen äuffaffung oom Settgebäube, weld)e SRewton’« SRameit für alle 3e‘tcn unfterbtid) gemärt gat, an bie ©eite ju fegen. äber ba«, Wa« Darwin eigentgiimlir ift, bie be« ftimmte ännagme über bie ärt unb Seife, in ber ba« organifre fReir fir entwiefett gaben foll, feine ©egriffe oon ©erünberlirteit unb Umformung unb änpaffung, gerabe bie« wirb oon ben Senigften einftimmig oertreten. SRamentlir ift ba« ©electionSprincip, wetre« bie ÜRögtirteit gewägren follte, bie jmecfmäfjigen ©rfreinungeti rein merouifr ?u erflären, oon ben DRciften birect ober inbirect bereit« wieber aufgegeben.

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Dr. j^rn^ctr oon igertliiig.

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Der Darwinismus liebt es, fid) als Boüenbung bes KfaterialiS« mit« einjuführeu. Slber bas, was fchliefjlich allein nod) als lodere« Banb bie biocrgirenben Kleinlingen feiner Anhänger jufammenhält, bic Behauptung einer gemeinfamen Ülbftammung ber 2^ier» unb Pflanjen* weit, Ijat mit bem KfatcrialiSmuS als foldjcm fdjlechterbing« nichts SU fdjaffen.

SDian prcift ben Üriumpf) ber Siffenfcfjaft, bem ber DarwiniS* tnuS entgegenführc, in ©afjrljeit aber bebrotjt er fie mit bem tiefften Berfall. tfeere äbftractionen, miDfürlidje ßrfinbungen, im beften galle bloße Kföglidjfeitcn finb feine Kfittel, beren eine mettjobifc^e gorfdjung fid) ju bebienen hat. gür bie Klüngel ber Begrüitbung, ja nur einer präcifcn gormulirung be« Probleme ift es fein Crrfah, wenn in ben meifteu Darftellungen ber ephpothefe ber ©laube an bie (irfdjaffung ber Derfdjiebeticn Slrten burdb bie £>anb 3ehooa’S ober bie biblifdje ©rsät)lung oon ber Slrdje 9loah jum ©egenftanb wenig gefchmacfoollcr Sißeleien gemalt werben.

55er Darwinismus ift fein ©hftem, fein feftgefügteS l'ehrgebäube, er ift ein iSonglomerat oon mehr ober minber jufammenljängcnben, mehr ober minber oerfd)iebcner 2lu«beutung fähigen Behauptungen über bie £)erfunft ber lebenben jlatur. Senn wir bann aber bebenfen, welche Sluebefjnung er in ber gebilbeteu Seit gewonnen hat, wie wiber» ftanbblo« bie einzelnen 3bcen, aus benen er fich jufammenfeht, in ben oerfd)icbenen ©ebieten ber Katurforfdjung , in Botanif, Zoologie » Paläontologie, ja felbft in Gfheniic unb Slftronomie ©ingang gefunben haben, wie 'Jlationalöfonomen unb 3uriftcn, phitofopljen unb £)i|torifcr ihnen hulbigeit, bann bleibt jur ©rflärung einer folchen ©rfcheinung nur ber ©ebanfe übrig, ber an bie Spi^e biefer furjen 55arlcgung geftellt würbe, bajj wir Ij'tr mit einer geiftigen ©pibcinic -,u thun haben.

Unb auch bic Jiranfheit« «©attung, ber wir ihn einjureihen haben, ift nidjt fchwer ju beftimmen. 35er Darwinismus, wie er fid) im 3lnfthluffe au bic tpppothefe Darwin« ausgeftaltet hat, ift baS franf= hafte JKingcit ber oor ©ott fliehenben Bcrnunft, mit §ülfc ber mobernen 9laturmif}cnfd)aft bie ©puren 511 oerwifchcn, welche ber allweife unb allmächtige Sdjöpfcr unauslöfchlid) feinem ©ebilbe eingeprägt hat. 2luS bem ©lanjc, ber bic moberne 9?atnrwiffenfd)aft umgibt, fchöpft er bie Hoffnung beb ©elingen«, unb in biefer Hoffnung eb ift furchtbar ju fagen liegt feine anfteefenbe ©ewalr.

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2>er DariointäBiuä, fine geifiige (äpibemie.

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Die J^torie Darwin’«, faßt Da»ib ©trauß,*) ift „unftreitig noch unDoUftänbig; fic laßt unenblid) ©iele« unerflärt, unb zwar nicfjt blo« Siebenfachen, fonbern rechte £aupt* unb (Sarbinafpunfte; fie beutet mehr auf fünftig mögliche l'öfungen hin, al« baß fie biefe felbft fchon gibt. 2tber mie bem fei, es liegt etwa« in ihr, ba« Wahrheit«« (?) unb freiheitöburftige (geifter unmiberftehlidj an fid) jieht. Sie gleicht einer nur erft abgeftccften (Sifenbahu : welche Slbgriinbe werben ba noch au«« jufiillen ober ju überbrürfen, welche ©erge ju burchgraben fein, wie manche« ^ahr noch »erfliegen, ehe ber _3ug reifeluftige äRenfdjen fchnell unb bequem ba hinaus beförbert! 9lber man fie^t hoch bie SKichtung fchon: bahin wirb unb muß gehen, wo bie gähttlein luftig im ©inbe

flattern ©ir ©hilofophen unb fritifchen Ideologen haben gut reben

gehabt, wenn mir ba« ©unber in Abgang becretirten; unfer 2)tad)tfpruch »erhallte ohne ©irtung, weil mir nicht entbehrlich $u machen, leine Slaturlraft nachjumeifen wußten, bie an ben ©teilen, wo bisher am meiften für unerläßlich galt, erfc^en foitnte. Darwin hat biefe Slatur» fraft, biefe« iRaturDerfahren nacfjgewiefen (?), er hat bie £hür geöffnet, burd) welche eine gli'tcflichere Sfachmelt ba« ©unber auf Slimmermieber« lehr, hinauswerfen wirb. 3eber, ber weiß, wa« am ©unber hängt, wirb ihn bafür at« einen ber größten ©oljlthätet be« menfchlichen ®efchled)teS preifen."

(iharalteriftifche SRebemcnbung! ©o pric« ba« Slltcrthum ben ßpitur, weil er jwar bie Scaturereigniffe nicht auSreichenb unb »oll« ftänbig $u erftären »ermochte, aber bodj bie ©ege angab, wie man fie »iefleidjt erftären lönnte, ohne ber (götter ju bebiirfen. ©o heißt heute »on Darwin’« Dheorie: bahin wirb, bahin muß gehen! Denn gibt fie in ©ahrheit auch nur eine 21 ubeutung „fünftig mög= lieber Söfungen,* fo bezeichnet fie bod) ba« „Sfatumrfaljren,* ba« un« be« ©unber« unb mit bem ©unber be« ©djöpfer^ entrathen läßt!

Daß nun ba« Vettere thatfächlid) nidjt ber Ball unb bie Jpoffnung be« (gelingen« eine eitle ift, foll nach bem, wa« $u micbcvholten Skalen hier geltenb gemacht würbe, nicht abermal« ausführlich heroorgehoben werben. <S« war bie erfte Aufgabe ber miffenfdjaftlichen firitif, nach« juweifen, baß burch bie Darmin’fche Theorie ber SRaterialiSmu« nicht enbgültig befeftigt unb ber (glaube an bie ©chöpfermacht (gotteö nicht befeitigt werbe. ift nunmehr »on Sebeutung, mit allem Slachbrude

*) r alte un« ber neue (Staube, <S. 180 f.

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74 Dr. gretfitvr ». Bertling. 5Drr ©anolntSmu«, eint gcifligt Spibemit. 34

barauf hinjuweifen, baß allein in ber Hoffnung, es werbe bieg bennoch gelingen, bie treibenbe Jenbenj beS Darwinismus liegt unb baSjenige, was bei bent Streit ber IDfeinungen über ben SSkrth ber einzelnen J0eftanbtl)ei(e unb bei bem 3öed)fel, ben biefelben gröfetcntljeil« j^rent 3n” halte nach bereits erfahren hoben» in ben älugen ber Darwinianer ben SBerth beS miberfpruthSDoUen, lüctenhaften ©anjen auSmacht.

üftödjte aud) hi« bie (Sinficfjt in ben tiefften @runb beb Uebels baS 'JDJittel $ur Teilung fein.

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/

Die

Jlntional|tiftun0cn bcs bcutfdjen Volkes in $om.

Sßori Dr. b c 12ß a a f ,

>Rector Qtti Campo sauto.

5)iom ift boß 3icl £>cutfd)en gemefen, eßc ftc baß Gifjriftcn* tljum fannten ; batnalß fanten fic bortßin, um Sdjäfce ju rauben unb ben Äaifertßron ber i&kltbeljcrrfdjer ju jertrümmern. Diom ift baß ^ief ber ®cutfcßcn gemefen, feitbem bie iöoten beöfetben ißnett baß liidjt beß ßoangcliumß brachten ; unb nun famen fic, bie milben, trofcigen DJiannen, um an ben (Gräbern ber ^»eiligen ju beten unb Sd|ilb unb Sdjmert bem üDienftc ber giirftcn auf bem Sßrone s}5etri ju rocitjen. £>cn Stauen aber folgten bie Sößue, bie ßnfet, non ©cfdjledit ju ©cfd)led)t, Don Ijalpßunbert ju 3®f)rf)itnbert, an ißrer Spifcc bie fiaifer beß {(eiligen SHötnifdjen 9fcid)cß beutfeßer 9lation, bie großen Jöifdjofe , bie leudjtenben ^eiligen , bie berühmten ©eleßrten , bie frommen SßJaüfafjrcr au« allen (Sauen beß sßaterlanbß: fein SJolf fjat ju allen 3^° e'nen folgen 3ug unb £)rang nad) 9iom bemaßrt, mie baß beutfdjc; feine» aud) fjat, im ^rieben, roie im Kriege, fo tief in bie ©efeßiefe ber Stabt unb beß ißapfttßumß eingegriffen, mandjmal im tflöfen, meift ju $eil unb Segen; feineß enblid) genoß in fo tyoßem Söiaße bie oäterlidje gürforge unb 3une*0un9 &cr 9iad)folgcr fjetri.

£oß 3ttlcß aber Ijat jufammengemirft, baß in ber emigen Stabt für unfer SBolf bie mannidjfaltigftcit nationalen ^nftitute entftanben, meldjc burd) baß l&SoßlmolIcn ber ^ßiipfte, burd) fromme Sdjenfungctt ber tfanbalcutc ober faifcrlid)c 2)iunifiecn$ gegriinbet, burd) ©naben unb 2$orrcd)tc oom Ijciligen Stuhle außgejeidjnet, burd) reidje ©oben auß ber £>cimatl) geförbert unb, mo tftotl) tljat, burd) ben na* tionalcn, oom (Sßriftcntßum getragenen ©eift erneuert mürben.

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Dr. 'S. be fflnal.

2

Üftancbe biefev Stnftalten unb Stiftungen finb im Caufe ber 3^ ?u ©runbe gegangen unb faunt noch biefc ober jene gerichtliche Äunbe ift uns über fte beroabrt roorben ; anbere haben je nach ben ueränberten geitoerbültniffen neue ©erroenbuttg gefunben; anbere blitzen noch beute, roefentlid) mit ber ©eftimmung unb Stufgabe, bie ihnen bei ihrer ©riinbung jugeroiefen mürben.

3n fjotge ber junebmenben ©erflachung unb 95crfUid)tigiing beS firrf)(icben ©eifteS in SDcutfdjlatib feit bem (Silbe beS oorigen 3°br* bunberts but man fi<b in ber tpeimatb um biefe untere römifebeu Stnftalten immer meniger gefiimmert; bem ©Mebercrroachen beS religiöfen ßebenS im beutfdjcn ©otfe ift jujufebreiben , roenn bas ^ntereffc an unferen nationalen Stiftungen mieber allgemeiner ift, menn biefe felber feit einem ©tenfcbcnalter neuen Sluffcbtmtng genommen buben, bürfen mir erroarten, ba§ ber freunbliibc Öefer mit SBoblroollen uns auf ein Stünbdjen jufebanen roirb, roenn mir ibm in freilich flüchtigen £ügcn unb leiebt aufgetragenen garben ein ©ilb unterer nationalen 3nftitute in ber emigen Stabt ju jeidjnen oerfueben.

§ 1.

Stiftungen älterer 3eit.

Söenn. Start ber ©rojje bem fernen ^erufalem feine Sorge ju» manbte unb bort Stnftalten für feine Unterteilten ins Heben rief,*) bann bürfen mir bas oon ibm nod) mehr für iRont erroarten, jumal bereits bamals StuSgeroanberte aus ben oerfchiebenen Hänbern feines groben fräntifchen Reiches eine anfetjntidjc fftieberlaffuttg in ber einigen Stabt bilbeten. J)iefe nun ju einer einbeitlichen Crganifation jtofammen ju fügen, unb bamit jugleicb ben nach 9iom lommenben SBallfabrern aus feinem Weiche eine Stätte $u fdtaffen, roo fie unter HanbSleuten ©e* friebigung ihrer leiblichen roie gciftlichen Stnliegen fänben, baju grünbete Karl im ©unbe mit fSapft Heo III. im oatilanifchen ©ebiete auf ber Siibfcitc oon St. Sßeter bie fogenannt« Schola Franco- rum. ©S mar bicS ein mit ©räben umfchloffenes ©ebiet, beffen Zentrum eine ältere, bem ©rlöfer gemeinte Kirche (Sancti 8alvatoris) mit ihrem griebbofe bilbete; um biefen ÜJtittetpunft gruppirten fich bie ©ebäuliebteiten für ©eifttichteit unb Dier.erfcbaft, bie Verberge für

•) @9 befiatib bort rin oon ibm gegrünbete« Wonnenttoficr, unb auf bem Oelberge ein $>ofpi} unter Seitung oon ©enebittinevu. (Sergl. de Rossi, Bul- lett. 1865, pag. 81 ff.)

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Sic SJatioitalfliftuitgen bc* beulten ®olfe« iii 9tom.

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bie ^ßilgcr, b ©pitat für bie Giranten unb bie ©5of)nungen bev nun» mehr ^ier^cr oerpflanjten fränfifdjen Slnficbler, unb fo entftanb neben ©t. ©etcr ein in fid) abgegränjte«, eigen*nationale6 ©emeinbemefen, nad) bem ÜRufter ber älteren, angelfächfifchen Diicbcrfaffung, ber fo» genannten Schob Saxonum, unter bem ©thu^e ber ©afilifa be« Slpoftelfiirften, unb tjimoicberum biefer }tt gcioiffcn Veiftungeu oerpflidjtet.

3n biefer granfeitfdjule nun fanben bie SBallfahrer au« bem farolingifchen 9icidje ©erpflegung unb Unterricht, bie ßrfraiifenbeu äqtliche |)ü{fc, bie ©terbenbeu eine le^te Sluljeftätte in unb bei ber Sirdje beö Slllerheitigften (Srlöfer«. Ueber ben maunichfaltigen ©tamme«ocrfd)iebenl)eiten fc^ruebte bie (Sinheit be« SReichSgebanfctt«, ber bie 2lnfieblcr, wie bie ©ilger öon ber 9?hone u"b *>om 9fhe>n, oon ber ©eine unb ber Donau, oon ben ©tjrenäen unb oom ©dparjroalb in bem (Sitten gemeittfamen Daheim al« ©rüber »er« einigte. £ur Unterhaltung ber ©chola mar eine jährliche ©teuer in ben oerfchiebenen ©rooinjen be« DJeidje« aubgefchrieben.

Die Gotonic erfreute fich ber herrlichften ©liithe, al« im 3afjre 866, faunt fünfzig 3aljre nach ber ©riinbung ber ©chola, ber (Sin* fall ber ©ara^enen erfolgte. Die toilben 9taubhorben biefer oricntalifchen ©arbarett ergoffen fid) über ba« oaticanifdje ©ebiet, roo bie granten bie elften toaren, toelche ihren ©d)Werteru erlagen; bie Slnfiebctung teilte mit ber ©afilifa ba« ©efehief rohefter ©lünberung unb ©er» müftung. Den ©atifan für bie ,$ufunft oor ähnlichem Ungtücf jtt betoahren, unternahm ©apft £eo IV. im ©unbe mit Sfaifer Lothar im ^ahre 847, ba« ©ebiet bi« jur 2iber mit ©tauern ju umgeben (bie fogenannte Leonina). Die grauten, fooiele ihrer bem ©lutbabc entgangen waren, legten unoerbroffen mit^anb an bei bem ©Jerfc; ihnen würbe für immer ein mächtiger geftungathurm jur ©ertheibigung iiberwiefen, ber fich in unmittelbarer 9?äl)e ber ©chola erhob unb oon welchem fortan bie ßirche be« hci^9ften ©rlöfer« ben tarnen Saucti Salvatoris in turrione erhielt. Durch jene ©efeftigung würbe nun juglcich ba« ©ebiet ber ©chola beftimmter begränjt, infofern im ©orben bi« an bie ©eter«!ird)e reichte unb im ©üben burch bie ©tabt* mauer abgefd)loffen war, währenb im 0ften an eine attberc nationale ©tiftung, bie ber Songobarben, unb im ©Jeften an bie Ganonicate* Wohnungen be« Gapitcl« oon ©t. ©eter ftiejj.

©erberblicher für bie granfenfchule, als bie ooriibergehenbe ©turnt* fluth be« farajcnifchen iSinfalle«, mar ber ^roiefpalt, her nach bem Dobe Sari« be« ©roßen ba« fränfifche 9ieid) jerrig uttb unter

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Dr. fl. bt ©aal.

4

mannidjfaltigcn tföedjfelfällen halb in jwei, balb in brei Stücfe tßeilte, halb wieberum oorübergchenb unter ein ©cepter Bereinigte, bie fid) enb* lid) bie baucrnbe Sdjeibung in ein weftfränfifd)eö ober franjöfifche«, unb in ein oftfränfifdje« ober beutfd)eö iRcid) ergab. (5s tonnte nid)t fehlen, baß ber £>aß unb ^wiefpalt in ber tpeiinath feinen ©iberfjatt in ber granfenfdjule ju 9tom fanb, ebcnfo, baß theilweife bie Subfibien ausblicben, weldjc ju ihrem Unterhalte bisher au« ben Derfchicbenen Srooinjen gefloffen waren. Sei bem Uebcrgcioid)tc, welche« ba« beutfdje (Slement feit ben Ottonen fid) in tRom errang, mürben jmar bie granjofen allniählid) au« ber Stiftung oerbrängt unb tuarb bie* felbe au«fdjließlid) beutfdje« (Eigentum; allein oon einer befonberen Sorgfalt, welche bie ßaifer berfelben jugewenbet hatten, ift une feinerlei Dladjricbt erhalten morben. Sielmefjr belehrt uti« eine Sülle be« beutfdjen ‘papftec fco IX. uom 3ahre 1054, baß ba« ßapitel oon St. ißeter nicht nur ausgebchnte tpohcitcredjte über unfere Stiftung befaß, fonbern baß aud) ihr griebljof jum allgemeinen gremben* f rieb ho f für 9llle oon jenfeit« ber Sllpen, unb jugleid^ ber befonbere ©otteSacfer für bie Semoßner ber feonina gciuorbcn mar. Somit crfdjeiut alfo ber nationale ßljaralter ber Stiftung nicht wenig ab* gefchwädjt, unb bie« ift in ber golge noch weiter cntiuicfclt worben.

Serbaufte bie granfenfd)ulc ihren Urfprung itarl bem ©roßen, fo entftaub in ihrer nächften SRäßc unmittelbar nadj bem (Sitifall ber Sarajcncn burd) bie grömtnigfert fricfifdjcr firiegeleute eine lanbe* mänuifdje Stiftung, bie schola Frisomim. 2luf einem ber Ausläufer bcö Daticaniichen Jpiigct«, näher bem gluffe ju, waren in ben unter* irbifchen ©ewölbcn antifer Sauten au« ber ,gcit bc« fiaiferö fRero bie im Sumpfe gegen bie Sarazenen gefallenen bcutfdjcn Stieger, welche Saifer fotßar bem ^Japft ju $iilfe gefanbt hQtte , beftattet worben. 'Dieben ihrer SRuheftfttte bauten friefifdjc Solbaten eine Sird)e unb Der* banben bamit ein $ofpij jur Slufnahme ber Pilger au« ihrer tpcimatf). Sie Sircßc, allerbing« umgebaut unb mobernifirt, befteht nod) heute mit ihrem fdjönen romanifd)en ©locfenthurm; ber nationale ISßarafter ber Stiftung ift feit 3ahrl)uubcrten oerloren gegangen.

2Bcnn un« jebe 9Iad)rid)t fehlt, baß bie beutfehen Saifer fid) ber granfenfd)ulc befonber« angenommen hätten, fo erhalten wir Sunbe 'über eine Stiftung, weldje Saifer Ctto III. um ba« ^aßr 1000 in ber ewigen Stobt in« feben rief. 3U ßßren bc« ^eiligen ÜRarthrer« 31 b albert uon ‘iß rag erbaute er nämlich auf ber Sberinfcl eine prächtige Sird)c, wohin er auch bie ©ebeinc be« Slpoftel« Sartholomäu«

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5 3)ie Kationalfiiftungen be« beutf<beu $oIfe« in SRom. 79

übertrug.*) Dctnfclben ©fartprer war aucf) eine $ird)c mit anftofien* bem Slofter auf ber SRücffeite oon S. SOiaria ©Jaggiore gercciht, unb menn biefelbe auch crft unter SJ?apft Sponoriu« IV. (1285) ’,um crften SD?at ermähnt roirb, fo unterliegt bocf) rool)l faum einem .groeifel, bQ& Otto III. ber ©rünber aud) bicfer Stiftung gcmefen ift. Sirene uub ßonoent beftanben bi« jum 3ahre 1673, roo fie unter Siemen« X. abgebrochen mürben. £)ajj beibe Schöpfungen, fotool)! bie auf ber liberinfei, a(« auch bie bei S. ÜNaria üftaggiorc, einen nationalen Shoraftcr getragen höben, menigften« infofern bie bortigen ©ciftlichcn unb Orbenbleute Ocutfchc fein füllten, barf mit ©runb angenommen merben ; allein burd) bie Ungunft ber feilen firtb alle bicöbcjüglichen Urlauben 5U ©runbe gegangen.

2Ra n barf oermuthen, baß jumal unter Saifcr Heinrich bem ^eiligen unb ben beutfehen köpften in ber erften Ipälfte be« 11. 3ahrhunbert« bie beftebenben Stiftungen bereidjert, ermeitert unb neue ihnen f)i»3ugefügt roorben feien; bod) fehlt unö bariiber menigften« an beftimmten '.Nachrichten. ®a§ nod) mehr beutfdjc Stiftungen in 9iom gegeben höbe, oon benen längft jebe Spur oerfchrounben ift, ergibt ficb 3. 33. au« ber Nachricht, ba§ ber heilige 8co IX. bei feinem Slutenthalte in ®eutfd)(aub 1048 ben Srjbifdjof ^ermann oon Söln 311m Srjfai^ler be« Jlpoftolifdjeu Stuhle« ernannte unb ihm 3U IHom bie Sirdje be« heiligen 3ohanne« oor bem (ateinifchen 2h°te über* mie«, „bamit, mie ']Sctrue ihn jum Äanjlcr habe, fo 3°ho»ne« ihtn bie Säiohnung gebe."**) Surj oorher hotte ein anberer beutfeher ^3apft, Slenun« II., ben Siebten oon gulba im Oeccmber 1045 burd) 2lpo= fiolifche« öreoe ba« Sloftcr be« heiligen SInbrea« 3U 9tom gefchenft, bamit fie, menn fie bie einige Stabt befuchten, bort ein SDaljeim hätten.***) 3n gleicher S53eife holten bie ©ifdjöfe Oon STrier burd) Sdjenfung be« ©apfte« ©enebict VI. im 3ahte 975, beftätigt burd) 8eo IX., ihr Slbfteigequartier im Älofter 311 ben „©ier ©etrönten. f ) S)iefe ©cifpiefc aber biirften nicht einzig baftehen ; Üftatn3, Saljburg unb anbere ©iÄtpiimer merben ^öcf)ft mahrfcheinlich ähnliche ©efifcungctt unb ©crcchtigungen in ber eraigen Stabt gehabt hoben.

*) ®aburd) bat im Saufe «er 3«t ba« ®otte«bau« feinen urfprflngtitbtit. Kamen mit bem be« Stpofie!« (San Bartliolomeo in isola) oertaufcf)t.

**) $8fler, bie beutjd)eii köpfte, II. 81.

***) $öfler, a. a. O., I. 251. f) SBattenbad), G-esta Treviror. I, 109.

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Dr. 31. fct Saal.

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£a« 12. unb 13. ^a^r^imbcrt mit itjrcn Sümpfen puifißen ijjapft unb Saifer tonnten bcn nationalen Stiftungen in 9?om unb ben Pilgerfahrten nad) ber einigen Stabt um fo weniger giinftig fein, al« jugleid) bie Sreujjüge ba« gefammte 3utereffc be« Slbenb* lanbe« bem Orient jutnanbten. Slber fnrj nad) ^Beilegung be« Sampfe« jtoifeßen Sircße unb fReicß, unb bem gatle non ptolemai«, be« testen feftcu ptaßc« ber Stiften in paläftina, trat ein (Sreignijj ein, mclcßeS mieber Saufenbe unb laufenbe non pilgern au« allen Sänbcrn nad) SKotn führte, nämliiß ba« erfte große ^ubelja^r non 1300. ®a« folgenbe 3ubclja^r non 1350 fab nod) nie! größere Sdjaaren non SBallfaßrern nad) ber ewigen Stabt jießen, fo jwar, baß man non ®eiß* nadjten bi« Dftcrn bureßgeßenb« eine SffliUion Pilger in 9iom jäßlte. ®amit war ber Slnftoß ju neuer Jßätigfeit auf jenem ©ebicte ber djriftlidjen ßßarita« gegeben, wctdje« fid) ber Seßerbergung ber grem* bcn wibmet.

3n ber $ßat weift un« ba« 14. 3aßrßu>'&ert nicf)t weniger al« brei neue £ofpije auf, bie in iHom non ben £)eutfdjen gegrünbet würben. Oae war junäcßft bie pilgerßerberge ju Unferer Sieben grauen in Campo santo neben St. Peter. ffienngleicß bie

schola Fraucorum mit ißrer ftireße unb ben fie umgebenben ©ebüulidp feiten allmüßlid) ganj in ben S3efiß be« Kapitel« non St. Peter über* gegangen war, fo oerfannten bie ®omßerren bod) feineeweg« ba« ßifto* rift^e 2inrcd)t ber beutfdjen 'Jtation auf bie alte nationale Stiftung; fie malten baßer feine Scßroierigfeit, al« einige Sanböteute unter» naßmen, innerßalb be« ©ebietc« ber Scßola, aber näßer auf St. Bieter pi, ein neue« £>ofpij mit Sirdje ju bauen, rooju ißnen waßr« fcßeinlicß oom ßapitel iRefte älterer ©ebäulitßfeitcn überwiefen würben. ®aß £>ofpij würbe unter ben Scßuß ber ßciligeu 3unßfrau flefteHt ; Bon bem Sirtßlein befteßt uoeß ßeute ber (Sßorabftßluß. Seiber feßlett un« genauere 9?acßrid)ten über biefe neue Stiftung ; wir erßalten über fie Suube einjig au« einem Srcoe be« Papfte« ßalliftu« III. oom 3aßre 1454, ba« un« fagt, baß oor gar langer $eit (plnribus citra temporibus deenrsis) beutfeße Pfänner in ißrer gürforge für ißre Sanbßleute (quae natiouis sunt, provide attendentes) ba« ^ofpij gegrünbet ßätten.

gällt bie Stiftung biefer pilgerßerberge in ben änfang be« 14. 3aßrßunbert«, oieüeicßt in ba« 3uMjaßr 1300 fetber, fo 'entftanb in bem barauffotgenben guMjoß« ei« pneite« beutfeße« $ofpi} im 3ntiern ber Stabt, gegrünbet Bon einem Saien, ÜJamen« 3»ßan"

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7 ®ie Slntionalfliftungen be« brutfdjrn üßolft« in Siorn. 81

Meters au« SDortred)t in §ollanb, unb feiner ©attin (Satharina, bie 9lnima.*)

Daran ftloß fit um bas 3aßr 1368 eine britie Stiftung mit bcgränjter ffiirtfamteit , bae böhmiftc §ofpij, inbem ffaifer fiavt IV. auf feiner weiten SRomfahrt ein eigenes ^itgerbau« für bie Untertanen feiner (Srblänber ©Öhmen, SDiähren unb 9?ieber|d)lefien ins Sehen rief.**)

Sille brei ^nftitute frifteten für beti Anfang ein fümmertiteS Dafein, teils weil eS ihnen an Grinfilnftcn fehlte, tfjeits meil bie mit bem 3aljrc 1305 begonnene Ueberfiebclung ber köpfte Bon 9iom nat 9loignon bie materielle unb fociale Sage ber etoigen Stabt immer trauriger geftaltetc.

Das Uliaricnhofpij in Campo santo neben St. Ißeter mar im ©eginti beS 15. 3af)rf)unbertS fton ganj in ©erfüll geratf)en. Meters richtete jroar im 3ahre 1386 fein £>ofpij infofern bcffcr ein, als er feine brei |jäufer in ber 9lrt mit einanber oerbanb, baß bas mittlere jur fiapetle unb bie bciben oufto§enbcn für bie getrennte Aufnahme ber männlichen unb ber weiblichen Pilger eingevidjtet würbe. Slllein wie befteiben bas Sßerf gewefen fein muß, ergibt fit baraus, baß bei einem heftigen ©türm faft ber ©efammtbau einftürjte. DaS böhtnifclje £)ofpi; enblUtj war am meiften Don Anfang an ein fiet* geborenes ftinb. Schon feine ©rünbung entfprat weniger einem ©c* biirfniß bie ©<jt)mcn hoben fid) nie burd) große ^ßilgerreifen nach 9iom hernorgethan, als ber grömmigteit unb bem engeren ©atrio* tiSniuS beS Saifcrlicßen Stifters, unb jubem umftanben allerlei un= giinftige ,3eitDerhältniffe bie ©Siege ber jungen Stöpfung. Sari felber erlebte bas 3u!’tQnbcfommen beS ©Serfes nicht; in feinem Suftrage würbe Don bei« brei ©rübern ©eter, Ulrich unb 3of)anneS oon Stofen» berg bas £>ofpi$ unter bem Stußc beS ^eiligen ©ßenjel im 3aßre 1371 mit 160 ©ulbcn Silber***) jährlicher ©infünfte eröffnet; 1380 erfolgte bie jtöpftlidje ©eftätigung, währenb fit in ber ipeimatf) bereits bie 'gewaltigen Stürme Dorbereiteten, weite unter $us unb ben $ufiten {Religion unb ©Soßlftanb beS boßmiften SanbcS fo tief unb bauernb ftübigen follten.

*) ©o beißt es auSbrücflid) im '.Br»berfdjoft«6ud)e ber flnima: in Jubileo anno 1360 pritoo hospitale fuit inceptum.

**) Sergtcidje nufere ®efchici)te b3f)mifd}cn Stationnltjoepiä. Stegen«» bürg 1873.

***) Stach gegenwärtigem SUifinjfuß.

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Dr. H. bf SBaal.

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T>a§ bie bcibcn anbent Stiftungen nach langem $infränfcln fid) bod) fcbließltcb ’,u einer heftigen ßntmicfclung unb Stütze entfalteten, tag cor altem in ber für tRom, mie für bie beutfefje Sirdje ^eran* breebenben neuen 3eit, foraic in ben ungemein innigen unb mannigfaltigen Schiebungen, in roeldje bie Deutfdjen feit bem Grube bes 14. ^abrljunberts ju IWom unb bem heiligen Stuhle traten. 3nSbefonbcrc mar cS bie jährlich madhfenbe ^aßl PanbSleute au« allen Stänbcn, $anb* roerfer unb Saufleute, Paien unb gelehrte ©eiftlicbe, bie ficb in SRom nieberließen, hier ju großen 9?eid)tbümern nnb tu nod) größerem Grinfluß gelangten unb fo in ber emigen Stabt eine (Kolonie grünbeten, bereu ©liitbeperiobe über äroeif)unbcrt 3oßee gebauert hat- Somit beginnt feit bem Grnbc be# 14. 3ahrljunberts eine neue ©podje in ber ®e- ftbidjte unfercr nationalen Stiftungen, mie mir fie in golgenbem näher ju fdjilbtrn oerfueben mollen.

Äufjtbroung ber nationalen Stiftungen im 15. ^abrljunberi.

Da« oon bem 'Xieberlänber 3 0 ß a n n ^ e t e r S unb feiner ©attin Katharina gegrünbete ''ßilgerfjauS erfebeint in bem fefjon ermähnten ©reoe beb ‘fJapftcS ©onifaj IX. unter bem 'Jiamen Beatae Mariae animaram; cS mar alfo unter ben Sd)ub ber feligften 3ung= frau, ber jfürbitterin für bie armen Seelen, gefteilt. üöahrfcbeinlitb betam es biefen 2itel erft , als Meters 1386 bas mittlere ber brei Käufer jur Sapelle eiuritbtete. (Sine mefentlicbe fförberung ihre« Unternehmens erhielten bie frommen Stifter, als ber befatmte 3:hco' boricb ton 9Jiem ober Geheim aus bem ©aberbörn’fcbcn , ber unter fünf köpften baS 2Imt eines SecretärS ber päpftlicben Äan^lei betlei« bete, ficb ber Sache annahm, bem £)ofpij fieben Käufer, einen SBcinberg unb anbere ©iiter fdjenfte, bie Statuten beSfelben entmarf unb bie päpftlidje ©cnehmigung uon ©onifaj IX. bureb ©ullc Dom 9. Oloocmber 1399 erroirfte. fließt rhinber giinftig mar bem Sluf* febroung ber jungen Stiftung junäcbft baS anßerorben Hieße Jubeljahr, meldjeS ber ‘ßapft im 3°ßre 1390 auSgefcbrieben bQttG foroie nitbt minber bas barauf folgenbe 3ubiläum oon 1400, roeldje beibe eine große 3aßl »on ‘•ßilgern, 3lrtne, aber auch fürftlicbe ^ßerfonen, nach 9tom führten, ©enoffen fo bie Grincn bie Segnungen beS neuen ßn* ftitutS, fo fud)ten bie Slnbcrn im ©unbe mit ben in iRom anfäfjtgen Prälaten unb reichen Panbsleuten bie SWittel ju mehren, rcclcbe jur

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2>if ’Ralionalfiiftungtn be« bcutfdjen Sollte in Siotn.

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^flcflc bcr Hrnten unb bcr ^Jvc§^aftfii unter ben SSattfabrern crfor« bertid) waren. 3U tiefem ^weefe bitbete fid) eine befonbeve ©ruber* fdjaft in bev Stapelte bc« ^>ofpi^ce , unb batb würbe SRcget, baß alle oornebmen Deutfdjen, bie nad) 9tom (amen, fid) in biefetbe ein* fdjrieben ließen, ©o mehrten fid) auf biefe Steife, fowie burd) jal)t= reiche ©d)enfungen unb ©ermäebtniffe , bie (Sinfünfte ber ©tiftung, wäbrenb ihr anberfeit« 3nnoceig VII. mancherlei wichtige ^Jrioilegien unb Hbtäffe ert^eilte, welche oon <5ugen IV. unb anbern ©äpften nod) erweitert würben. Die ©öbmen waren oon ber ©ruberfd)aft an«* gefcbloffen, wie fie benn überhaupt aud) faum je etwa« für bie ©tif* tnng ber Hnima gctljan tjaben, ba fie it>r eigene« 'ißilgcrbaue batten.

Die fteigenbe ©ebcutunj), welche ba« §ofpi$ jufebenb« gewann, oerantajjte fdjon unter ben Zapften iDtartin V. unb trugen IV., atfo in ben breipiger 3af)ren beö 15. 3a^rÖln,^rte, bie ©ergröperung bcr Stapelte, inbem bie ©eitenfjaufer, atfo bie btößerige Sotjnung fiir bie männtidjen unb weiblichen ©itger, ?u berfetben ßin^ngejogen unb fo eine breifd)iffige Stircfjc gefdjaffen würbe. Darau« ergibt fid), ba§ ber ©runbbefib um bie urfprüngtid)c Slntage fid) bereit« fo erweitert buben mufste, bafj bie ©ergröjjerung ber Sirdje, unbefd)abct bcr Pilger* wobnungen, mögtid) war. Diefcr ©runbbefitj mebrtc fid) bann in ber gotge fo, baß bie Hnima 1484 jmeiunbjmanjig Raufer befaß, oon beneu bie 93Iictb«wobnungcn ibr einen jiibrlitbcn (Ertrag oon 60 Dufatcn einbracbteti.*) ©ei biefem pmebmenben 9Jcid)tbum bcr ©tiftung tonnte man nun febon batb an einen oötligen Neubau bcr Sircbe benfen, um fo mehr, ba bei bem bamatigen Huffd)n>ung ber retigiöfeu fiunft unb befonber« bcr Hrdjiteftur ba« bisherige ®otte«* bau« fid) Weber mit ber, unterbeffen neu erbauten Stirdje oon Campo Santo, nod) mit ber um biefetbe ,geit fertig gcftctlten fpanifeben fftationaltirdje meffen tonnte, ©o würbe benn im 3ubctjabr 1500 burd) ben in 9?om weiteuben( anfjerorbcnttid)eu taifertid)en ©efanbten, ben ©ifcbof SWattbäu« Saug, fpäteren (?arbinat*(§r$bifd)of oon ©alp bürg, bcr ®runbftein ju bem 9?euban gelegt. Hm 23. 9?ooember 1511 würbe bie $irdje feierticb eingeweibt ; bod) $og fitb bie ©otlcnbung be« SBerfe« noch bi« in ba« 3<ibr 1519 b'nau«. Der fd)öne brcifdjiffige ©au ift in bem ebetn ©tite ©ramante« aufgefübrt; bie jfraejabe gebärt ju ben trefftichften ber ewigen ©tabt; ber teiebte fd)lanfe ©tocfentbnrm

*) 93ergt. übet biefe uub Sbnliebe 9laef)ricfjtfn Sttidjbaumtr, ®ef<f)id)te bt« beutftben 9tationolf)ojpi}e« ittninia.

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Dr. 21. be Staat.

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mit feinem bunten 3<e8e^ac^e fommt teiber in ben engen ©affen , welche bie Äirche umgeben, ju gar feiner ©cltung. Ursprünglich batten bie genfter gotbiftbeö 9Dtaf;roerf; ba« tpauptfenftcr im Mittel* fdfiffe roar mit einem ^errlitften ©la«gcmä(be be« gra ©ui leim o bi SDJarcillat *) gefebmiieft. 3)er fange, weite Spor ber fiircbe ftbien eher für ba« großartige tSeremoniell einer päpftficben fDfeffe, beim für bie fcfjlichteren gormen be« ®otte«bicnfte« einer ^Jrioatfircbe berechnet ju fein. Sin bie fiircbe ftiefj ba« fßitgcrbau? , fein rcgel* mäßiger ©au, fonbern mehr ein (Konglomerat au« oerfcbiebencit Käufern, bie man ju bem befonberen ,3roe<fe mit einanber Pcrbunbcn batte.

SBenben mir nunmehr unfere ©liefe bem ©atifan unb bem bor« tigen SJtarienbofpi} ju. 35ie rafcb junebmenbe ©ebeutung ber Sfnima feit bem ßnbe be« 14. ^abtbunbert« lief?, mie febeint, bie Oeutfcpen ibre alte nationale Stiftung neben St. ©eter gan$ Oer* geffen. SBobl machte unter Slicolau« V. um ba« gahr 1450 ber Sütticber Prälat ©ottfrieb oon SKapa ben ©erfud), bie granfen* fcpnle au« ihrem Schutt unb ©erfüll, in ben fie nunmehr ganj oer* funfen roar, ju erbeben, inbem er nicht nur bie Srlöferfircbe oon ©runb au« neu baute, fonbern auch weitere ©ebäube nebenan auf» führte unb bie Umgebung mit ©artenanlagen fdjmiicfte. Slllcin er batte bie ßrlaubnifj baju nur unter ber ©ebingung erhalten, bajj nach feinem Sobe Sille«, roa« er gefdjaffen, an bie ©etcr«fird)e jurücffallen follc, unb troff be« ©oblroollen«, roclcbe« ipm Siicolau« V. juroenbete, roar ipm nicht möglich, bie alte Stiftung ber Station jurücfju* gewinnen. Salb barauf oerfdjroinbet felbft ber Slame ber granfen* fchulc. feilte epiftirt noch , b’neingebaut in ben ^Salaft ber gnqui* fition, bie oon ©ottfrieb neu aufgcfiibrte Äirdje; allein fie bient nicht mehr bem ®otte«bienft, fonbern wirb al« ©ferbeftall benufft.

Unterbeffen roar ba« ÜJlaricnbofpis mehr unb mehr in ©erfall geratben. ®er weite ®otte«acfer, ber ring« umgab, lag frei unb offen, beftimmt jutn ©egräbnifj aller gremblinge, foroie ber Sin* roobner ber Seonina. Unb fo roüfte fab im Slnfange be« 15- gabr* bunbert« im oatifanifchen ©ebiet au«, bajj SBölfe burd) bie cingeftürjtett ©tabtmauern fich be« Stacht« bi« auf ben griebbof wagten unb bie Ceichen ber bort ©eftatteten au«gruben unb oerjebrten. Ob bei ben beiben 3ubiläen 1390 unb 1400 ©ilger noch Slufnabnte im SDfarien«

*) Slrrflf. über ipn: ©runner, bie ftimflgenoffen ber ftloftrrjeOe, @.200.

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$ie Wationalfliftungcn bt« bfutfdjfn üolfe« in 9tom.

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^ofpij finbtn tonnten, ober ob eb boju ft^on ju fegr oerfallen war, barüber festen unb nähere Nachrichten. 35ie erfte erfreulichere $unbe tommt unb aub ber ,3eit ©ugen b IV., too ein ®cutfd)er, Namenb griebrid), ben ©ottebacfer mit einer Plauer umgab, ein $aub nebenan baute unb fein gaujeb' Permögeti jur Pcrfchönerung beb grricbljofb neraubgabtc. JMefeb $aub tag einen guten Stcinwurf oom Pfarienhofpij entfernt, näfjer auf St. 'Peter ju; warum griebrid) nidjt lieber bab $>ofpi* wieber ^erftellte, lägt fid) bei ber Diirftigleit ber 9iad)rid)ten nicht ermitteln, (Sine wcfcntlich neue Sebeutung er* hielt bie Stiftung, alb in bem Unglüdbfahre oon 1448, wo bie Peft in Nom wutbete unb ber (Srnft ber feiten b'e ®*tnütljer mächtiger oom Qrbifdjen auf bab (Ewige (enfte, ber bamalige beutfdjc Scidjtoater in St. Peter, ^offanneb ©olbcrer oon 'Nürnberg, aub bent Orbcn ber 3luguftincr>(Sinfiebler, bie ßanbbleute täglich in ber Sapelle unb auf bem ftriebhofe $u ©ußprcbigten um fid; oerfammelte. Um bie augerorbentlicben Erfolge, welche feine ©orte Ratten, bauernber tu machen, ftiftete er mit anberen hcroorragcnbcn ftmbbleuten in ber Äirche beb Plarienhofpijeb eine Sruberfdjaft, bie bib auf ben heutigen Jag beftept, unb ber wir bie (Erhaltung unb ßntwicflung unferer Stiftung oon Campo santo hauptfäd)lich ju oerbanten haben. ®a bab Äird)lein fcljr oerfallen war, fo würbe eb grünblich reftaurirt, woju befonberb bie Pilger beb 3ubiläumbjat)reb 1450 beifteuerten.

®ie Sruberfchaft nahm einen fo rafdjen Sluffdjwung, ba§ fthon halb bab fleine ©ottebljaub nid)t mehr für fie aubreichte unb bereitb im 3“hre 1475 ber ©runbftein }u einem größeren Neubau gelegt würbe. Nach bem urfprünglichen plan follte eb eine fireuj* fircge werben mit @horabfch(u§ an jebem ber oier 2lrme ; im Perlaufe beb fid) arg in bie Ninge jiehenbeu ©erleb feboch ift ber anfängliche Sauplan Dielfach oeränbert unb fo eine breifehiffige Sirche gefchaffen worben, beren t)ot)er, fchlanter Sau mit feinen eblen Perfjältniffen einen ungemein mürbigen (Sinbrud macht, 2lm Qiefte ber unbeflecften ßmpfätignig 1501 würbe bab neue ©ottebljaub feierlich eingeweiht.

©enige 3at)re fpäter, 1509, warb auch bab IDJarien^ofpij neu aufgeführt, unb jroar mehr nach @t. Peter ju, ba bab alte ©ebäubc beim Sau ber fiirdje hatte fallen tnüffen. Seim 2lbbruch bcbfelben hatte man oon ber füapelle bie (Eljornifchc hefteten laffen, unb bicfelbc ift unb noch heute erhalten, intereffant burch bie SKeftc oon Plalereieit aub bem Slnfang beb 14. fYahrhunbertb unb burch fpätere ©emätbe aub ber ©rünbungbjeit ber Sruberfchaft. J)iefe felbft nahm burch ben

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Dr. H. bt SB na!

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^Beitritt 5afjtreid)fv tiaubaleute, jumal aua bem 2Xbct unb ber Prälatur einen folgen Stuffdpoung, bafj $apft ®regor XIII. fic bereit« im 3af)rc 1579 jur grjbrubetfcbaft ergeben fonute. Sie ftc^t unter bem Sdpt^e ber fd)tner;t)aften SDfutter (Santa Maria della Pieta); ihre befonbere Aufgabe ift bie Stnbadjt für bie armen Seelen unb bie miirbige SBeftattung ber Verdorbenen, pmädift ber Öanbaleute, auf bem $otteaacfer ber Sonfraternitctt. Ungemein rcirf) finb bie 2lbläffe unb Vrioilegicn, melche bie ‘ßäpfte im Saufe ber 3^ ber 83ruberfd)aft lugemanbt haben.

'JJeben ben beiben Stiftungen ber 2lnima unb oon Campo sauto fab baa 15. ^abrbunbert neue nationale 3nftihite in« Sehen treten. Durch StiftungSurfunbe oom 2. Sluguft 1410 fdjenfte ein 15riefter ber Diöcefe (bulm, Wcolaua Henriei, jur Aufnahme non ^it« gern jroei Käufer; Siobannc« XXIII. beftätigte bie Stiftung burd) Volle oom 3at)re 1413. Anfänge führte ba8 $ofpij ben tarnen be8 1). 'Jiicofaua, fpäter oon St. Ülnbreab. Sliicotaue toar ßaptan au ber Äirdje be8 h- Laurentius in pauisperna ju 9tom, mo er auch bei feinem Dobe am 6. Slnguft 1412 in ber bortigen Unterfird)C begraben tuurbe , unmittelbar neben ber Stätte , mobin bie Irabition ben Ort beb SDIartbriuma be« fj- Saurentiue oerlegt. Der ©rabftein, mit bem SöitDniffe beb Verdorbenen in priefterlidjer Sleibung, ben Seid) in ber Jpanb, ift noch erhalten. Die 2lnfange biefer Stiftung berechtigten $u ben beften Hoffnungen. Denn nicht nur ermarb baa Stift fur$ nach bem £obe Henrici’8 jtoei meitere Häufet, fonbern auch ber erfte bafelbft angeftellte (gaplan , Slubreab Sllani, ein Qrnglänbcr, er« baute auf feine Soften bei berfelben eine Sapelle. 91Ucin fdjon halb barauf muß bie Vermattung Veranlagung pt manchen Slagctt gegeben haben, unb fo lief; ‘ßapft 6 eigen IV. bie Sache burdj ben Vifchof 3ohannee unterfuchen unb oereinigte bann mittel« Vreoe oom 24. Sluguft 1431 bie Vermattung beb St. Slnbreaaftiftea mit ber« jenigen ber Slnirna, unter ber Verpflidputtg, bie fiapelle im Staub pt bemahren, bei berfelben einen ©eiftlidien pi unterhalten unb bie au8 Deutfchlanb fommenben Pilger burch eigene tjierju angeftellte Seutc aufpinehmen. ©ie fid) au« einer 9Jotii im Vruberfdjaftabudje oon Campo santo ergibt, beftanb baa Spital unter einem eigenen Vorfteffer ober ©uarbian noch im 3«hre 1586; nach unb nad) iebod) ift e8 ganj mit ber Slnima oerfchmolpn roorbeit. Alljährlich aber mirb noch ein Annioerfarium für fliicolaua in ber Sieche ber Anima gehalten.

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®ie Siattonalfliftungen 6e« beotidifii Sollt« in 9tom.

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gibt un« einen befferen ^Begriff oon bev ©cbeutung unb ©rößc ber beutfeben 91ieberlaffung in fh'om mäl)reub be« 15. unb 16. 3at)rbunbert« # al« t,ie Sltjatfadic , baß nidjt nur bie beut- feben ©d)ufter bafclbft eine eigene ©ilbe bübeten, bereu ©tatu* teil burd) (Sugen IV. im 3<*f)re 1439 beftätigt mürben, fonbtrn baß felbft bie beutfd)en ©äcf erfncdjte firf) ju einer eignen Innung oerbinben tonnten. Da« ©tatutenbud) ber ©dufter, au« bem önbe * beö 15. , ift un« nod) erhalten, auf Pergament ge=

fdjriebcn, in funftreidjer 21u«ftattung. $dn« foll) non |)eilpronnrn, JMarj: oon d)ommt)n (jElamin?), £tüiit}r ntfdfranhe oon ber nüoorn |lab (llctiflabt), Jjenrid) grümjjolbeln oon roilbtpt rnerben al« bie .anfengener" ber ©ruberfdjaft bejeidjnet. Da« ältere 5JJ?itglieberoer* jeiebnifj, bie ju ISnbc be« 15. 3QlJV^unbcrt0 reidjenb, jäljlt nidjt meniger ale 1120 9iamen, benen fid> bann bie jurn Oabre 1531 roeitere 1291 Ijinjugefellen, fo ba§ fidj alfo binnen einem 3abrs bunbert über 2400 beutfd)c ©djufter ju fh'ont in bie ©ruberfdjaft cingefdjricben haben. ©ie hatten i(K eigene« ©ilbenbau« mit Üapellc ju CStjren ber ^eiligen förifpiuu« unb ßrifpinianu« ; nod) beute trägt ba« ©teingefimfe über ber 2f)üre bie in ben ©teilt gehauene 3nfd)nft : Sutoruin vere germauicorum, $au« ber edjten beutfeben ©djuftcr.

Sföit ben ©tbuftern metteiferten bie ©öder an $01)1 unb ©e= beutung. Die ©{enge ber in 9fom feßbafteu beutfeben ©ieifter mar nod) im Slnfange be« 16. 3abvl)unbert« bei meitem gröber, ale bie ber italienifd)en ; mit cinanbcr bilbeten beibe eine fog. Unioer* fität ober ©ilbe, an bereu ©pi(jc jmei (Sonfuln, ein beutfeber unb ein italicnifcbcr, ftanben. Slber baneben batten bie ©efcllen, bie „Reefen» fncdjte",. eine befonbere ©rubcrjdjaft unter fidj in« Seben gerufen, rneldjc in ber Üirdje ber Slnima eine eigene ftapclle mit einem eigenen fiaplan befaß, ©om 3ahr 1425 batirt eine Uebereinfuuf t , welche jmifdjen ben SDieiftern unb Sncd)ten betreff« ber Slrbeit unb be« 8obuc« getroffen mürbe, ©pater oerbanben fid) beibe jur ©riinbung einer eigenen ,,©d;nle" ober eine« ©ilbetjaufe« bei bem fiirdjlcin oon ©t. ©lifabetf), mo fie fortan jur ©eratbung ber gemeiufamen 3uter* effen, mie jum ©ottebbienftc jiifammenfamcu; fie batten bafclbft auch ein eigene« ©pital eingerichtet, ©ei ber ©ebeutung be« ©actcrtjaub- mert« unb bei bem 31nfeben jumal ber beutfeben ©ieifter, bie unter ben ffanböleuten ftetö eine beroorragenbe «Stellung eingenommen Ijabcn, mußten fid) biefelbcn Don ben ©äpften eine ©Jengc oon ©rioilcgicu für ihre Innung, mie für ibre Jtirdjc, ju erroirten unb fid) ber Ueber*

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88 Dr. 31. be ©aal. 14

griffe ber italienifdjen Staitbc«genoffcn feit ber üRitte be« 16. 3af)r* Rimbert« mit (Srfolg ju crrocbren.

Sitte gattj eigenartige nationale Stiftung entftanb in ber ÜRitte be« 15. 3ai)i'f)unbcrt« , näntlid) ein graueuftift »on beutfeben Tonnen oom britten Orben be« b- granci«cu«. Sie rourben bei bett l'anb«tcutcn, wie bei ben tRomern, balb fe^r beliebt unb geadjtet; (entere nannten fie bizzoccbe, ©etfdjroeftern (im guten Sinne). 3m 3abre 1465, unter ber Regierung f3aur« II., fdjenfte ber ©ifdjof Do» nt i n i c u 6 oon ©rijen iljnen jroei Raufer in ber fRäße ber Äircbe be« 2Rarcu« at« Stlofter. Die ©efibungen beffclben rourben burd) teidje tltmofen, roeldje bett Sd)rocftent au« ber tpeimatb, roie au« SRom, jufloffen, rafd) Dcrmebrt, fo baß fie im 3a^rc 1501, unter ber Dberin ©arbara oon Siebenbürgen, einen großen Weinberg um 100 (Solbbufaten, unb im 3af)ft 1509 einen anberen um 84 Du» taten taufen tonnten.

311« in golge ber ^Reformation unb ber Dielen Kriege in Deutfd)» lanb immer roeniger Sdjrocfterit fj$ jur Slufnaßme mclbeten unb fo bie 3af)l 5er Tonnen ftet« geringer rourbe, befd)loffen biefe , i(jre ($enoffenfd)aft aufjulöfen. Sie traten baljer tn ©crbanbluttgen mit bem ©orftattbc ber 3lnima, unb enblid) rourbe ein Slbfommen $roifd)en ber bamaligcn ÜRutter 31 g a t b a unb bem ©crroaltungäratlje jener Stiftung getroffen , roottad) jene ba« Ällofter bei ber fiircfje bc« b- üRarcu« nebft ben (Sinfünften au« einigen anftoßenben Raufern unb au« ben Weinbergen ber Slnima überroie«. Sollte in 3u^UHft Scbroeftern äbnlidjer iWegcl fitb roieber in SRorn in b'nrt't5fn5n' ^abl finben , fo folle ißnen ba« $au« juriiefgegeben »erben. Dicfe« Uebereinfotnmen rourbe oon ^Japffipaul IV. unter bem 26. üWai 1555 genehmigt unb neuerbing« burtb ^3iu« IV. 1565 burd) ein ©rcoe beftätigt. *)

*) Sine Derwanbte Stiftung btt mir b«r utdjt unrrumtjnt lafftn tooBen, entjlanb im 3abre 1720 ju äffift, inbem SWaria Stegina ©djidjtlin Don Stein» firtben in 'Rieberbatjern mit ihren brei Stbtoefleru nabe beim ®rabe bt« b- ffranci«cu« ein ftlöfierdjen grünbeten. 31!« fid) ihnen mehrere Sanb«männinnen anfdjloffen, nahmen fit bie Stege! ber ftapujinerinuen an. Ci« }um 3°bre 1794 betrug bie 3abl ber eingefteibeten Sdjmrftern 66. ©eim 3tu«brutb ber ftranjofen» bcrrjrfjaft mußten bie Rönnen ihr Stofter Dertaffen ; jmar tonnten fte, 12 an ber 3abl fdjon balb »ieber jurüeffebren unb Rapoleott erböbte (ogar ihre ©enfionen; allein ber Ratbrourt)« fehlte unb fo febien ba« beutfibe Älöfterdien ;um 31u«fterben beftirn mt, al« 1826 eine ffienbmtg jum ©effern eintrat, inbem feit biefetn 3abre fub ftetig neue Sljpirantinnen melbeten. Sie Suppreffion ber SttSfter in 3talien

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Sit 'Jtationalftiflungen be« beutjdjcu Sollt« in tKom.

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*Kcbcn ben genannten Stiftungen unb Söruberfdjaftcn fei nod) be« ®e nt fd) sOrben« f)anfe0 (ärmä^nung getfjan. ÜRit ber fRitcf* fetjv ber ‘tßäpfte oon Sloignon nad) {Rom fiebeltc aud) ber ißrocurator bet beutfehen {Ritter bortljin über, wo ber Drbeu einen eigenen 'fJalaft, in ber {Rühe be« ©atifatt, nahe bei ber ehemaligen griefenfchule, er» warb. 911« ©ertreter be« ©rojjmeiftcr« nahm ber {ßrocurator jebeS» mal an bem feierlichen Stuf juge Z heil , in welchem ber neue IfSapft oon ber lateranifchen ©afilifa ©efip ,$u ergreifen pflegte; er trug babei bie gähne ber ÜRutter @otte«, ber Patronin be« Orben«, unb hatte feinen ©lap unmittelbar nach bem ©annerträger ober ©onfaloniere ber Stabt {Rom. *)

§ 3.

2>a« (SoDegium ©crmanicum **) unb ocrnmnbte Jnfiituie.

Die neue Sliithe ber beutfdjen Kolonie in {Rom , oon welcher un« bie im ©orhergehenben gefc^ilberten 3nftitnte unb ©ruberfdfaften in ihrer (Snlmictlung 3eu9n*6 ablegten, hing wefentlid) jufammen mit bem gewaltigen Sluffdjwung be« fachlichen ©eifte« in Deutfchlanb feit ber jweilen §>älfte be« 15. 3ahrt)unbert« .***) ffienn fid) ber {Riicffchtag, ber mit ber {Reformation erfolgte, nicht fofort fühlbar machte, ba bie Deutfchen in ber ewigen Stabt fogar noch währenb be« ganzen 17. 3ohr* fjunbert« eine Stellung einnahmen unb einen (Sinflufj genoffen , wie feine ber übrigen nationalen Kolonien, fo hatte ba« wefentlich feinen ©runb in bem treuen gefthalten eine« großen Ihtil® unfere« ©olf« an feinem alten fatljolifchen ©lauben, fowie in ben Kämpfen, welche berfelbe für feine {Religion ju beftef)en hotte.

batte im 3at)te 1868 jroat and) bie beutfdjen Stonnrn »ertrieben ; bod) gelang ib»en 1878, ein anbere«, gflnfliger gelegene« §au« anjufanfen. Sor 1807 bi« jept jinb 70 Sdjroefltrn eingetleibet worben ; bie augenblicflidje 3aljt beträgt 24, mit »iet fRottijen unb einer ©ofhtfntion.

*) Set Dtnfjm ber Unioeifttät Bologna, toie bie öirlfadicn ©ejiebungen ber beutfdjen jpumnniftcn ju ben ttalienifd)en, machten jene fDlufenftabt jum 3>ele ber Sebnfudjt aller ©tubenten be« 15. nitb 16. 3<ibrbunberta. ©alb emftauben bafelbft eigene nationale Stiftungen ju ©unften beutfiprr ©tubenten, bie ton ben ©äpften buvd) eigene ©allen beftütigt unb fanctiouirt würben. ©Ja« mag au« biejen frommeu gunbationen untere« ©olle« heule geworben fein? Unb ©ologna war niept bie einjige $od)fdjule 3ta1ien«, wo fotdte bcutidte Stiftungen beftanben.

**) ©ergl. oon beutfdgen abfjanblungen Ibeiner, ©eiftlidte ©ilbung«anftalten, S. 84 ff., unb ben bejiiglidten Tlrtifel in Sepe unb SB et t er’« Sirdjenlcgiton. ***) ©ergf. 3anfftn, ®efd)id)tc be« beutfdjen ©olle«.

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Dr. 31. bt Söaat.

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Sföäfjrenb fid) ba« im 3fll)r 1545 nach SErient berufene all- gemeine Goneil »ergeben« bemühte, bie ^roteftanten roiebtr in ben Schoojj ber Äirdje äuriiefjufü^ren, mürbe bie ©iebergeminnung Oeutfd)* lanbö für ben $att)olici«mue auf einem anberett SäJege angeftrebt burch bie com fj- 3gnotiu« oon Sotjola im 3atjre 1540 geftiftete @e« fcüfdjoft 3cfu. 9Iid)t äufrieben mit bem, ma« bie 'Jiieberlaffungen bc« Orbeu« jumai in ©aijern unb Ocfterreid) burd) Unterricht unb ÜJliffio* nett für bie ©efeftigung ber Üatholifen in ihrem ©lauben unb für bie SRütffüfjrung ber irregeleiteten in ben ©d)ooj} ber fiircf)c traten, faßte ber h- 3gnatiue ben fchönen ©ebanfen, in 9£om eine Sin« ftalt, ein Kollegium , in« Sehen ,$u rufen, mo begabte Jünglinge au« allen beutfehen Sanben eine grünbiiehe SluSbiibung itt ber Shcoiogie erhalten unb fo, mit tiefer SÖiffcnfdjaft unb Srömmigfeit auögel'tattet, in bie ^cimath $ur Sln«übung ber Seclforge guri'uffehren follten. 5Der bem Zapfte 3nliu« III. oorgefegte ©lan fanb bei biefem, n>ic bei bem GarbinalScollcgium, freubigften ©eifall; ber sßapft tuie« au« fei« item eigenen Vermögen ber jungen Stiftung bie jährliche Summe oon 500 Seubi ju, bie Garbittälc fteuerten in frommem Wetteifer baju bei, unb fo fonntc itn 3“hre 1552 ba« Kollegium in« Scbcu treten.

3nt October trafen bie erften ^bßlinge, jmeiunbimattjig an ber in 9iom ein ; im foigenben 3ahre belief fid) i^rc ^ahl bereit« auf fünfunbfiinfjig. SDiit 3l'liu« III. metteiferten gerbinaub I., ber ^erjog Sllbred)t oon ©apern, fomie ber beut)d)C (Sarbinal Otto oon Slug«burg in ber Sörberuug unb Unterftiifcung be« ßollcge. Siber fo günftig unb erfreulich bie Slitfänge maren, fo bradjen bod) feit bem 3iegierung«antritt ©auT« IV. unb in golge ber friegerifdjen .gcitDer» hiiltniffe foldjc Stürme über bie junge ißftanjung herein , baß ber ganjen (Sncrgie ihre« Stifter«, bc« h- 30natiuö, beburfte, fie oor bem Untergange ju bemahren. S)a bie freimiüigen ©eiträge rafch ucr» fiegten, fah fich berfelbe genötigt, bie Sllumnen in bie oerfchiebenen iSollegicn feine« Orben« 31t oerttjcilen. 9lod) fdjlimmer geftaltete fich bie 3lu«fid)t, al« ber ^eilige am 1. 3“li 1556 bie Slugcn fchtojj unb im £>crbfte beafclbcn 3“!)™$ «hnt and) ber elfte SRector grufiu«, in« ©rab folgte. Siber gerabe, al« bie junge iffflangftätte, bie 3U fo herrlichen tpoffnungen berechtigte, bem Untergange gemeiht fd)icn, l'tanb ber Zag ihre« Sluffchmung'e« fetjon oor ber Zhürt- Oer im 3ahr 1572 auf ben Stuhl ©ctri erhobene ©apft ©regor XIII. mürbe burd) ben ßarbiuaf Otto oon Slugöburg unb ben bamat« gerabe in th'om meilenöen ^atcr iSanifiu« fo fe^r für ba« (Kollegium ge*

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$ie Shtionaipiftunfltn bt« btutfcpcn ®olfc8 in Dtom.

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Wonnen, baß er, auf ©runb ber ungemeinen ©unftbcjeugungen, bie er bemfelben fortan juwenbete, als ber jioeite öcgrünber betrachtet wer* ben fann.

©eiche ©ebeutung baS (Kollegium erlangte, ergibt fid) barauS, baß aus bemfelben oon ber ®riinbung im ialjre l*r>52 bis ju ßnbe beS 17. 3ahrhunbert8 Dierjefjn Gtarbinäle, fünf (S^urfürftcn, oierunb* jtoanjigßribifchöfe, naheju jweif)unbert ©ifd)öfe unb eine große 3al)l Don Siebten, Dompröbften unb anberen höheren ©iirbentrügern ßerDorgcgangen finb. ©iS jum ialjre 1673 ^hlte baSfelbe 3913 Zöglinge beutf^er unb ungarifcljer Nation, ju welchen bann noch eine nicht geringe ^aßl fog. Sonoictoriften , jumat italienifcher Slbftammung, h>näu tonten. 3u festeren gehörte auch ber fpätere ©apft ®rcgor XV., ber im iaßre 1621 ben Stußl ©etri beftieg.

Der Segen, ben bie in bie £>eimath jurüdgefehrten 3öglinge, ju» mal toäbrcnb unb nach ben Stürmen ber ^Reformation , unter ihren Canbsleuten Derbreiteten, ift ein toahrhaft unermeßlicher gewefen; fünf unter ihnen finb getoiirbigt worben, ihr ©lut für ihren ß- ®lauben nergießen ju bürfen. 3hrt grünblichen theologifchen Äentitniffe, ihre grömmigfeit, ißre 2lnhänglid)feit an ben h- ©tußl machten bie au« bem beutfehen (SoUegium her°or9ehtnben ©riefter |U einem Sauerteige, beffen ßinwirtung fich @lerus unb ©ol! nicht jn entjiehen Dermodjten. „Das beutfehe Kollegium," fo urtheilt ©ater Üljeiner, ,toar bie ©flanjfchule ber auSgejeichnetftcn ©Jänner. gaft alle großen Talente, welche Deutfcßlanb tn Sirdje unb Staat (toähtenb beS 16. unb 17. iabrßunberts) aufgtweifen hat, waren ßiergebilbet worben, ©kn geräth ob beren ©Jenge in großes Staunen unb wirb unmill« fürlich oon einer Slrt ftummer ©ewuttberung für bie eblen Leiter einer Slnftalt ßingeriffen, welche fo Diel ®roßeS, fo Diel SbleS im ©ebiete bcS Staates unb ber fiirdje leiftete. Der greunb ber ©aßrßeit fragt fich hier mit tRecßt, wie Deutfchlanb fich «neu Slugenblicf Derge;',fett tonnte, bem ©ahn ber 3eit ju ^utbigen unb in beffen geffeftll bic Ceiftungcn biefeS inftituts mit (altem Werten unb ßodjmütßig1',,: ©tiene $u igttoriren.*)"

Sollte baS ©erntanicum bie ©riefter fcßaffeit, welche,, jurücffefjrenb in bie tpeimatß, für bie ©efeftigung beS ®laubcnS bei; btn Äatßolifen unb für bie ©iebergewinnung ber Don ber Äirdje Slb^efallenen baßettn ju Wirten berufen waren, fo bot eine anbere Slnftalt folchen irrgläubigen,

*) Ißeiner, geiplicbt SilbungSanftatttn,. 10K

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Dr. ä. be SBaal.

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welche in ben Schoß ber Äivdjc juriitffehren wollten, in 9fom felbft Gelegenheit, fid) in ber ©afjrfjtit unferer h- Religion ju unterrichten. £>iefe« 3nftitut oerbonft feine Sntfteljung bem Garbinal ©aftalbi, ber im 3ai)re 1G85 einen ^?alaft in ber fRäße ber ^ßeteröfirdie ol« Gon* Dertenbenhau« teftamentarifd) oermadjte. ^Tort follten biejenigen, welche au« ber ^ärefte jur SBa^vftcit bc« fatljolifdfen ©tauben« äuriiefjufe^ren luünfchtcn, abgefdjieben oon ber Sffielt, bnrd) eigen« hierzu ungeteilte Gafe* d)iften Unterridjt unb Anleitung finben ; bebeutenbe, ber Slnftalt $u* geiuiefene SReocniien crmöglidjten ißr, bie Gonocrtenben wäfjrenb ber ganzen ihre« Unterrichte« im $aufe unentgeltlich ju oerpffegen. 2(n erfter ©teile war ba« 3nfUtut für i'utbcraner unb Galoiniften au« Dcutfch* lanb unb ben fRieberlanben, weiterhin auch für franjöfifchc Hugenotten unb für Slugtifaner beftimmt; für jebe biefer ^Rationen foüte tiad) bem Sßillen be« (Stifter® ein eigener Gatedjift berufen werben. Gin fRector würbe an bie ©pifce be« Haufe« gefteüt; bie gelammte innere unb äußere Verwaltung lag in ben.Hänben einer Gonimiffion, beren Hai*pt ber jebe«malige Major domus ober Hau8|tteifter be« päpftlicßen ^Jalaftcö fein follte.*)

*) Unter beit beutfepen ffiatecfjiflen oerbient befottbrre Ermäbtiung ber au« Süren in ber Gcrjbiöceie Sötn gebürtige 'Peter Sahnten. SSir befipen eine 9tn}af)t amtlicher ^Jeugniffe über ibn, bie ihn at« einen roabrbaft beiligmäßigen SUann frrtttjeidjtren- 3m 3abre 1786 geboren, fam er, 19 3abre alt, nach 9tom, mo er 1801 bie b- ©rieftermeibe empfing unb bann in bie Sougregaiioii für bie dJliffioneit eintrat. SSenige 3<>brc barauf mürbe er trop feiner 3ngenb fd)on jum Superior gemäblt. 9tom mar bamal« in ben £*änbcn ber ftranjofen; lieber* fdireemmung ber Siber unb tpungersiiotb trieben bas ßfenb in ber Stabt au ben $öi)epunft. Sabinen mürbe nicht mübe, bie jtranfen in beu Spitälern, bie ©cfaitgenen in ben Rerfern ju befiidjen, ben Srmeti jebe $ÜIft ;u bringen. Sit fran)öftfd)e ‘Regierung palte bie ÄuSmeijuug aller fremben ^rieftet oerfugt, tvop* bem blieb er ; feine unerfdjöpflicbe Siebe, bie er insbtfonbere aud) beu Uranien in ben franjöfifdjeii Hiilitärfpitälern, fomie ben ©alerrenflräflingen unb anberen befangenen btrcie«, erroarb ihm bie Sichtung ber franjöftfchrn ©tarnten, rnetebe if)m enblid) oode Freiheit in ber Ausübung feint« frommen Suite« beleidigten. Sabei fanb er 3cit, über hutibert ©roteftanteit unb Ungläubige in ben Sdjooß brr RirCpc jurüefjufübren. 3m 3abtt 1814 mürbe Som ©ietro, mit man ipn gtmöbn* ließ nannte, jum <5oted)iflen im fionoertenbenbaufe ernannt, unb er Ijicr CO 3abre lang unter fünf päpflen tpätig geroefen. SBie ftd) au« ben 9tegiftern be« $aufe« ergibt, b«t er in biefer »feit gegen taufenb fßroteftanten befebrt. Saneben mar er oon unerfdjöpflicber Siebe gegen bie fRotpleibenben unb ©ebürftigen, japlte ihre aRietpe, taufte armen ©anbroerftm bie notbroenbigen ©erätbfchaitrn u. f. m. St mar oon einer fo erbauenben ftrömmigteit, baß bie Äirche bie Subädjtigcn nicht faßte, meint er ©leffe la«. papft ©regor XVI. {epapte ipn überaus poch; unan*

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Sie fltationalftiftungcn be« beutfdjen Solle« in 9iom.

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ift befannt, bag in ©t. ^cter unö im Lateran eigene 39eid)t’ üätcr fiir bic »crfdjiebenen Nationen angcftelit finb. 35iefe Ginrichtung ift eilte fe^r alte; in ber ®efd)id)te be« Campo santo Ijaben mir bereit« utn bie SDiitte be« 15. Oaljrhunbert« als ©cidjtoatcr fiir bie 35eutfcf)en ben 3ot)anne« ©olbcrer fennen gelernt. 35urdj ©reue oom 3a^re 1570 betraute ber ^Japft 'piuS V. für ©t. ^Jeter bic 33äter ber ©efellfchaft 3efu mit biefemSlmte; unter beit jmölf jucrft Slngcftclltcu war berjenigc für bie beutfdje Station ber berühmte Ghnftoph Gtaoiu«. SU« ber Drben aufgehoben luurbe, übcrroic« Giemen« XIV. 1774 bcn Söeicfjtftn^l in ®t. ^ßctcr feinen Crben«« genoffen, bcn SDIinoritcn. 55a bie Oberbeutfdjen unb bie 92ieberbeutfd)cn in ihrer ©prad)e tuefentlid) oon einanber abmeichen, fo mürben für biefclben jtoei ©ätcr bcorbert, einer pro liDgua Germanica superiore ber attbere für bie niebcrbeutfdje ober flanbrifdjc Sprache. 35er berühmte unb gelehrte ?uca« £>o(fteniu« oerfügte in feinem Ucfta* mente oom 3<>hrc 1659 über eine anfc^nlidje Summe, au« beren 9?c=> oettücn bic beutfrfjcn ffleichtoäter alljährlich ^u Dftcrit ben nach SRotn fommenben armen beutfdjen pilgern eine Unterftiifcung geben füllten.

SUaren bic oben genannten Slnftaltcn unb Ginricf)tungen für bie gefammte Nation beftimmt, fo cjiftirten befonbere gunbationen für bie Singehörigen ber oerfdpebenen firchlidjcn Orben. Unter anberem ge« nehmigte ißapft ']}aulIV. burd)©ullcoom 3ahrc 1555 bcn £)ominifancrn, bafj biefclben ein eigene« £>ofpi$ bei ihrem Älofter oon St. Maria sopra Minerva erbauten, mo bie au« bcn oerfdjiebenen Säubern nach 9iom fommenben Orbcnbbriibcr gaftliche Slufnahme unter ber 3luffid)t bc« CrbenSgeneral« finben follten. 3m 3Qf)rc 1609 griinbete bann berGarbinal Gafanata ebenbafelbft ein internationale« Gollegium oon fech« Theologen be« Drben« au« ben oerfch.iebenen Nationen ; berjenigc ber beutfehen Nation foflte feine ©tubien an ben Uniocrfitäten Göln,

grmelbet burfte tr btt ißm au« unb eingthen; jweimal bot ber klopft ißm ein ©i«lßum an, aber beibe SRaTe lehnte ® ahmen ab, um nur ganj feinen ffiomtet« tenben, ben ftranftn unb armen ju leben. Safür machte ©regor ihn ju feinem geheimen aumonier, unb fo groß war bae Sertrauen, welche« er bei ©r. §>eilig= feit genoß, baß, fo oft er (Selb für bie armm beburfte, ber $apft ihm feinen ©chtan! offen (teilte, bamit er nehme, fo üiel er nothmenbig hohe. ®ie festen 3ahre feine* Sehen« war er bureß ftraufheit an ba« §au« gcfeffelt; bort hotten Wir fetbfl wieberholt ©etegenheit, feint große @tbulb unb Srgebung ju bewutibern. ©ahnten jiarb, 90 3aßre alt, am 31. aprit 1874, am ©ieuftag in ber Spar» Woche, SWittag« 3 Uhr, unb würbe am abenbe be« folgenben Sage« auf beut ffriebfjof Bon Campo santo feierlich beigejeßt.

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Dr. 9(. be Saal.

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Sßjieit ober Srafau gemalt, bie theologifdjen ©rabe erworben unb eine ‘fkofeffur betteibet haben.

Die granjisfaner ber norbbeutfeßen OrbenSproBinjcn fonbten feit bem 3°hve 1639 einen eigenen ©ertreter ihrer Angelegenheiten nad) Nom, wo fie für iljn unb einen ©efährten eine eigene ©ofjnung im ©eneralShaufe oon 9tra (Soeli erbauen ließen unb gcmeinfchaftlich bie Summe auswarfen, welche jum Unterhalte ber ©eiben erforberlidj waren. Der erfte Agent ober »sollicitator in Curia Romana pro proviuciis Germanicis et Belgicis« war AlejiuS be 3onge; fein Nachfolger feit 1644 war £>abrian Huberts, ber im 3>aljre 1648 bie Approbation ber neuen (Einrichtung non bem bamatigen ^rotector beS granjiScanerorbettS, bem Carbinal © a r b e r i n i , ermivfte. Acljn« lidjc (Einrichtungen haben jweifelsohne für anbere Orbett beftanben; boef) fehlte cS uns an .geit, h>erl‘&er Qenauere Nachforfcßungen anju» ftellen.

(Snblid) h^ca wir noch über eine Stiftung 511m ffleften einer einzelnen Diöcefc, ber (Srmlänbifchen ju berichten.*)

3 0 h a n n oon freuet, feit 1593 Domherr in grauenburg, ©erwanbter beS (EarbinalS £)ofiuS, machte nicht nur feine Stubicn in Nom, fonbern lehrte auch 1627 unb abermals 1629 bortßin jurücf, bas leßte SNal um einen langgehegten ©lan, bie Stiftung eines Collegium Warmiense, für bie Diöccfe (Erntelanb, ins 8eben ju rufen. Als ßintünfte wies er bcmfelben bic jährlichen 3<nfen aus einer gunbationSfumme doh 10,200 Scubi ju, auSreichenb, um fünf bis fedjS 3ö9*‘n9E iu unterhalten. Die ©ermaltung würbe bem ba= maligen ©räfcs beS römifeßen Norbertiner = CEollcgS, P. Cornelius $ancgrao unb beffen Nachfolgern übergeben. 3roar ßi*§ b>c Aus» führung beS fficrtcS nach ‘preucl'S im 3ah« 1631 erfolgtem $obe auf mancherlei Schwierigteiten; bod) erfolgte am 19. 3uli 1634 burch Urban VIII. bie päpftliche ©eftätigung. 3l,9^c*c^ Derfügte ber ©apft, baß, wenn aus Preußen feine ober nidjt fo Diele Alumnen, als bie gunbation erheifche, fid) präfentirten , ber jebeSmalige Gräfes beS NorbertincrftiftS bie Uebcrfchüffe für Solche oerroenben biirfe , welche, aus bem Norbcn fommeub, fich für geiftlicße ©irffamfeit in norbifchen ©egctiben auSbilben wollten. UebrigenS erlitt baS StiftungScapital burch allerlei ungiinftige 3Eitu«hältuiffe unb Umftänbc gleich anfangs eine fo bebeutenbe (Einbuße, baß bie 3mfen nurmeßr für einen ober

*) Setflt. bert Sluffat} oon SDomfapUnlar Dr. Sidjborn in bet »Jeitfcbtiit für bie ®efd)id)te nnb SHtertbumSfunbe CSrmtnnb’«, 6. 271 ff.

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$ie Walionalftiftungen be« beutfcbtn Sßolfc« iu 9tom.

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jroei Zöglinge auSrtichten. Da« ^Jräf entation«red)t Ijatten bie nächften tßerroanbten be« 'Stifter«, nach bereu Huöfterben cS auf ba« lüapttel oon Orauenburg überging. Der erfte StlumnuS, roelc^er in ben ©e« nuß ber Stiftung eintrat, roar ber nod) oon <ßreucf fetber ernannte Sltbert ^rofittS, ein 35erroanbter beS befannten GarbinalS*)

§ 4.

tßerfafl unb äßicbergeburt ber nationalen Stiftungen.

Die JIriegSfatfel, burd) vuetc^e bie franjöfifdje Dteoolution unb ber erfte Napoleon über ganj Gsuropa jenen Söranb entjünbeten, beffen gtammen }o niete alte unb cfjrroürbige Hinrichtungen ocrnidjteten, ift an unfern beutfchen Stiftungen in SWom nicht fdjabloS Boriibcrgegangen. 3)a8 Hoüegium ©ermanicum tjatte fdjon burd) bie Hufhebung ber ©efcllfcfcaft 3efu im 1773 feine bisherigen erprobten Leiter Ber* toren; batb barauf Berbot eine faifertiche Verfügung ^ofeph’S II. ben ©efterrcidjern baS Stubinm in jenem Solleg unb birigirte bie Stubi* renben ber Iheologie in bie non ihm ju fßaoia ins 8ebeti gerufene Slnftatt. ßnblidj erfolgte bie franjöfifche 3noafion unb bie Schließung beS Hotlegium« im $af)rc 1798. DaSfelbe 3al)r fa^ am 20. 3J2ai bie geroaltfame ©ccupation ber Hnima. Da« gefammte ÜKobitiar, ber fiirche, 3We8, loa« an filbernen unb golbenen ©efäßen Borljanben mar, felbft bie ©loden mürben confiScirt ; bie herrliche löibtiothef, be* rühmt burd) ihre mufilalifchen ^anbfehriften, mürbe oerfchteubert ; bie fiirdjc in ein £>eumaga$in, bie Safriftei in einen ^ferbcftall oermatt* beit. Da festere an ben Sffiänben unb ber Dede mit Studoerjierungen in feljr reicher Sßcrgolbung gefchmüdt roar, fo rourbe ben gegen löejahlmtg einer Summe ©ctbeS bie ^Bewilligung ertheitt, baS ©olb abjufrahett; fie haben es fef)r griinbtich gethan. Schon im

*) Stwähnung mag hier eine, wenngleich nicht in 9tom i>ef)et)cnbe National* fliftung ftnben, bie feit bem 3®hre 1583 in Neapel gegrünbet rourbe. $ie bort anfälligen $eutjcf)en Bereinigten fith bamal« ju einer Bruberfcbaft, welche ju ihren gotteSbienfllicben Snbaditcn junädjfl einen Ättar in ber RapeUe ber h- SWargaretfja »om &rjbifcbof bet Stabt jugtroiefen erhielt. Später hauten bie 3>eutfdjen bie« felhe }u einer eigenen Rirdje um, ber fie ben Warnen Sta Maria dell Anima gaben. 3m 3°hrt 1622 (ebtofj ftcb bie Bruberjcbaft an bie beutfehe Srjhruber* fdjaft an Campo Santo ju 9tom an, um bereu Slhläffe unb Bribifegten theil* haftig ju roerben. 8ird)e unb Bruberfdjaft heftehen noch heute; ber ffiorflaub ber» felhen hat bie Berroaltung ber fämmtlicbeu, nicht unanfehnlichen Sinftliifte ; für biefelhe ift ein eigener Wector augeftetlt.

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Dr. 31. be Söaaf.

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oorljeigehenben 3ahre 1797 mar bie Äirdje unb Stiftung ber ©äcfer bei St. Slifabetf) oon ber franjöfifchen Regierung mit 4öefc^tag belegt worben; was in bcm bortigen Spital an ©ctten unb anberm SDfobiliar ftdj oovfonb, nmrbc in ba« grojje Sranfenhau« della Consolazione überführt; bie fiirdjc warb jum ©ctreibemagajin gemacht. Sind) bie Stiftung be« Campo santo mar ber Suppreffion oerfallcn, unb ma« bort nid)t niet* unb nagclfeft gemefen, mar geraubt morben. Doch Ratten bie ©rüber nod) bei feiten SWnnche« gerettet, unb ihren eifrigen ©emiihungen glcid) nad) ber ©efepung Noms burtp bie Neapolitaner am 30. September 1799 gelang e«, oon bcm Giommanbanten Nafeßi bie ^urücfgabc ber Äirdje unb ihrer ©ütcr ju ermüden. So fonnte bereit« im griit)ling be« folgcuben 3al)res roieber ©otteSbienft in ber Äirdje gehalten merbeit. Dod) mar ber erlittene Schaben ein enormer, wenngleich oerhültnijsmäjjig nid)t fo grofj, mie bei ber 21nima, , wo man i^n auf nafjeju 24,000 Scubi berechnete.

211« ber corfifdje ©emaltfjaber gcftürjt mar unb Sßiuö VII. in feine Sicbcnhügelftabtjurücffehrte,&c]tanb bie beutfe^c (Kolonie, bie im Saufe be« 18. 3afjrf)unbert« mehr unb mehr jufammeugefchmoljcn mar, au« einer fleinett 2lnjaf|l nteift bebürftiger ^aubmerfer; in ber Jjjcimath baepte faum ^ernatib baran, nadj Nom ju wallfahren, noch roeniger, fich bort nieberjulaffen. So fam es, baß bie Äirdjc oon St. ©lifabctl} jmanjig Oaljre gefdjloffen blieb ; benn beutfehe ©ärfermcifter fanben fich nidjt mehr in Nom, unb bie paar ©defergef eilen, bie noch 0£ü£n mochte, roaren italianifirt. Deutsche Schufter säf)lte man nur jmei ober brei, welche gemüthlich bie jährlichen Sinfünfte ber alten Stiftung unter fid) ocrthciltcn.*) Die ©ruberfefjaft oon Cantpo santo mar auf ein {(eine« Häuflein jufammengefchrumpft, wobei ba« Italien if che ßlcment mehr unb mehr überwucherte. $n ber ®eneral=93erfammlung im 1804 crfchienen beifpietsroeife nur 24 ©rüber, oon benen 10 Italiener, bie anbern aber oormiegenb Dcutfche ^weiter unb britter ©eneration waren, oon benen daum Uriner ein ffiort Deutfeh oerftanb. 3n ber 2lnima hattc jroar &i£ öfterreidjifche ©otfehaft iu 21uö* Übung be« Staif erlichen ißrotectorats bie oberfte ©erroaltung in bie $anb genommen; allein baburch erfolgte nun bort bie Umgeftaltung ber Stiftung in ber UBeife, bajj fie feit bem 3aljre 1823 al« au«*

*) 'Siefetbe tonr ohne 3 weifet ebenfalls oon ben ftrantofen fortgenommen morttn, aber unter fßiu« VII., rote bie übrigen frommen Stiftungen, ihren urfprünglttben Sefipcrn jurüdgegeben ; bod) ftnb bie fammtlidjen betreffettben StctenfiUde oertoren gegangen.

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3)i e SJationoIjliftuiifltii bc« bemfrfjtn S3olft« tu 8tom.

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fdjließlid) öfterrcid)ifcf)e Anftalt aufgefagt mürbe. So gölten benn fortan bie Untertanen ber übrigen beutjdjcn Sättber, foroie bie ber Pieberlanbe für außgcfdjloffen oon berfetben, tnäfjrenb bie Ungarn unb bie Angehörigen anberer nicht»beut)d)en Prooinjen JOeftcrrcirf)® in bie Stiftung eingeführt mürben, obfdjon biefe nie ba« ©eringftc für fie gethan, auch feinerfei 9iccf)t«titcl auf biefelbe fith erroorben Ratten. Sollte ein Sßitgcr au« töaiern, Preußen u. f. m. Verberge itn f)ofpi$ genießen, io mußte er fid) juoor bie ßrlaubniß baju auf ber ©otfdjaft cinholen. Sie aber gleichfalls in ber Anima ba« italienifdje Element jur §err« fdjaft gelangt mar, ergibt fich fd)on au« bem Umftanbe, baß ielbft bie £au«orbnung für bie Pilger in italienifchcr Spradje oerfaßt, ber iHector unb bie ßaptäne „in (formanglung oon beutfefjen prieftern" 3taticncr roaren.

So traurig eb alfo mit bem nationalen ßharatter unferer beutfe^en Stiftungen in ülom auSfat), fo mar hoch bereite eine befferc^eit itn Anjug. Unter Piub YII. unb feinem großen Staatöfecrctar Sott» falöi, mie unter 2eo XII. marb 9iom oon 3aßr iu 3aht mehr ber PJagnct , ber bie ijremben , oor Allem bie £>eutfd)cn unb jumal bie Sünftler unb @clet)rtcn an (ich 50g. 3m 3ahre 1816 hatten fchon griebrid) ©oerbeef aub Pubetf, peter oon Sorneliu« au« ©üffelborf, Philipp SBeit unb Silhelm Sd)aboro aub ^Berlin im Aufträge beb bamaligen prcußifchen ©eneralconful« tBarthülbt) in feiner Sohnung itn Palafte >$uccari bie @efd)id)te beb agt)ptifd)en 3°fcPh^ gemalt; bie gefammte Siebergeburt jumal ber d)riftlid)cn Äünfte in ®eutfd)lanb h>ng roefentlid) mit bem römifeßen Aufenthalte ber jungen Pfcifter jufantmen, betten fid) hier eine neue, unenblid) lmtitberbare unb reiche Seit erfeßfoß. Ueberall, in ben &ircf)en, in ben Plufeen, in ben antifen fHuinen, in ber ftiücn ©ebe ber Sampagna begegnete man beutfehen Zünftlern. Piandjc oon ihnen ließen fid) bauernb in Pont nieber, mie ©oerbeef, Ahlborn, oon 9?o^ben, , SQ?olf, Achtermann u. A.; nicht gering mar bie 3ahl ber proteftanten, mclche an ber ^aub ber chriftlidjcn fiunft in ben Scßooß ber Plutterfircße jurücf» geführt mürben. P2it ben Äünftlern metteiferten bie ©elcßrtcn an 3ahl unb fflebeutung; mir nennen nur bie Pamen Piebuhr, Papen- corbt, plattier u. f. m. ; baju famen beutfdje Acrjte unb ©cfcßäfte* leute, mie Dr. Alerß, ftöbel, Spitßöoer, bie bauernb Pom mit ber ^eimatß oertanfehten. fiurj, feit ben jmanjiger 3af)ven nahm ba« beutfdje Element in Pom einen ungeahnten Auffchmung ; bie ^aßl ber PanbS* leute, jum 2he>l in ben geadjtetften Stellungen, mehrte fid) jufehenb«,

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Dr. S. be SBaat.

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unb bie rafcp auf cinanber folgenben -Söefucfjc gefrönter £)äupter, wie bc« Äaifer« granj I. mit ©emaplin unb Softer 1819, be« fiönig« Ülfaf oon ©aiern, be« Honig« non Preußen u. f. m. brauten bie beutfepe Nation bei ben SRömern ju waepfenbem Slnfcpen. 35a« 2We« fonnte nicht ohne ©irfung auf unfere nationalen Stiftungen bleiben; unmillfürlicp lenfte fiep bie Slufmcrffamfcit ber Sanböleute auf fie unb meefte ben 9?uf nach iReorganifation berftlben.

Unb ba ift nun peroorjupeben , baß ©apft ©ict« VII. mar, ber, folcfjcn ffiünfcpen juoorfommenb, bereit« im 3oprf 1818 ba« Collegium Germanicum micber in« Sebcn rief. Sllferbingö be» gann bie Slnftalt mit nur jmei Zöglingen, benen fiep in ben näcpft* folgenben 3aP>*n ac^t^e^n »eitere jugefellten. Slnber« bagegen »urbe mit bem 3QP« 1825, »o ©apft £eo XII. bem Kollegium feine fämnitlicpen ©cfipungen jurüefgab, mit SluSnapme ber Sircpe oon St. Slpollinari« unb ben umliegenben ©ebäuben, »ofiir jeboep fpäter ba« ehemalige Seminargebänbe im ©alaft fflorromeo erhielt. So traten benn im 3aljre 1825 fieben, im folgenben 3oh« acptjepn neue Zöglinge ein. ©on ba ab bi« jum 3«h« 1848, »o bie Stürme

ber fReoolution ba« Kollegium Dorübergctjenb bem Untergange nahe brachten, jäplen »ir 216 Alumnen. ©on bcnfelben finb jmei, SKeifat^ unb $ergcnrötper , Sarbinäte, fcch« ©ifepöfe geworben, unter ihnen Stahl oon ffiiirjburg, Seneftrep oon fRegenSburg , Jeonrob oon (Sicpftäbt unb Malier, ffieipbifcpof oon @pur. Slnbere würben ©rofefforen unb ©omperren, ober erwarben fiep burd) ihre fchriftftellerifche ^^ätigfeit einen Flamen.

©on ben anbern nationalen Stiftungen erlebte juerft bie oon Campo sauto ipre ©iebergeburt, inbem bie japtreiep in bie Grrjbrubcr» fepaft eintretenben 35eutfcpen fid) an ben neuen ßarbinal * ©rotector Scpmarjenbcrg unb an ben öfterreitpifepen ©otfepafter ©rafen ?üpom wanbten unb burep fie beim heiligen Stupfe eine fogenannte Sacra Vi.sitatio ermirften, beren SRefultat bie Statuten oom 3aPrc 1848 waren, ©on bem neuen burepau« beutfepen ©crwaltungäratpe in Campo santo ging bann bie Anregung jur ^Regeneration ber beiben Slnftalten oon St. ©lifabetp unb ber Slnima au«. 35ic erftere Stiftung mar jwar b'ereit« im 3°Prc 1818 ben beutfepen ©äefergef eKen jurücf» gegeben worben ; allein bie überaus geringe 3aPl berfelben ließ ba« alte 3nftitut ju feiner neuen Öliitpe gelangen. 9luf »ieberpolte 3ln* träge ber ©äefer felbft mürbe St. (Slifabetp im 3«P*t 1857 burep ©erfügung be« Sarbinaloifar« oon 9iom am 21. 3«l> mit Campo

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$ie Äotionalfliftunflfii be» beutjd)cn SJolfe« in 9iom.

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santo Bereinigt, wie bereit« 1836 bie ©ebufterftiftung oon ©t. Krifpinu« unb Krifpinianu« ber beutfeben (Sräbruberfc^aft oom SBatifan über» miefen worben war.

3n ber Slnima war bie (Erneuerung eingeleitet worben bureb bie (Ernennung eine« beutfeben ^rebiger« im 3af)ie 1827, woju bie Anregung bereite im 3aljre 1819 beim ©efudje be« $aifer« granj I. Bon Öfter» reid) gegeben worben war. Oie burd)|d)(agenben ©(dritte jur SRegenert* rung gingen oon Sllotj« glir au«, ber am 28. ©eptember 1853 311m ijSrebiger unb SRector ber ©tiftung ernannt würbe. 3n bemfelben 3a^re würbe auf ©runb ber alten Statuten ber ©efeblujj gefaßt, neben bem Ciector oier Kapläne anjuftelleu, benen bie befonbere ©orge für ©otteebienft, (Empfang ber Pilger, Deconomie unb bie ©ibliotbel überwiefen würbe. <E« war eine gliicflidje giigung, bafj einer ber neuen ftaptäne, ÜRatbia« £irc i) au« Äöln, ba« alte ©ruberfd)aft«bueb wieber entbeefte, welche« bie unjweifclljaften ©e* weife enthielt, bafj bie Slnima iljrcr ©tiftung tiad) teinebmeg« eine au«= feblicjjlieb öfterreiebifdje, fonbern für bie gefammtebeutfd)e Nation beftimmtc Slnftalt fei. Sluf bie oon glir naeb ffiien gefanbten ©criebte, welche burd) bie Anträge ber in IRom lebenben Oeutfcben bei ber ©otfdjaft itadp brüeflid)ft unterftü^t würben, ergriff bie öftcrreid)ifd)c ^Regierung bie 3nitiatioc unb beantragte im 3abre 1854 bei bem bamaligen ©taat«» fecretär, (Earbinal Slntonelli eine Sacra Visitatio, ähnlich ber früheren für bie ©ruberfebaft oon Campo santo. Oiefelbe begann am 1. Sluguft be« genannten 3“brt® ihl'e Arbeit.

glir’e unermüblicbe STbätigfeit, im ©unbe mit bem (Eifer be« an bie ©pi|e ber (Eommiffion berufenen (Earbinal« SReifad), benen ber neue ©otfebafter ©raf (Eolorebo energiftb jur ©eite trat, brachten nad) langer unb ernftlicber Slrbeit bie neuen ©tatuten ju ©tanbe, bie am 15. üRärj 1859 burd) ^Jiu« IX. approbirt würben. Oabureb warb bie Slnima unter bem ^rotectorate be« ffaifer« Bon Defterreid) wieber= um ber gefammten beutfeben Nation, unb ibr au«feblie§lieb , jurücf« gegeben. Oie ©erwaltung würbe einer Kongregation oon fünf bi« ficben ißrooiforen unter bem ©orfifce be« IRector« überwiefen; mit bem $ofpij für bie Pilger follte, fobalb bie (Sinfünfte geftatteten, ein ^riefterconnict oerbunben werben, beffen SKitglieber auf ^räfentation ber beutfeben ©ifeböfe 00m Karbinal-^rotector $u ernennen feien. Oer SRector, beffen ©«halt jur $ä(fte bie öfterreidjifebe ^Regierung bejablt, follte jebe«mal burd; ben Äaifer ernannt werben.*)

*) ©enauere« unb ©ugebenbere« fietf« bei 8erjet)bauiner ©. 67 ff.

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Dr. H. bt SEBaal.

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©o fjattc benn bie beutfche Nation itjre brei großen Slnftaltcn in 9fom micber jurütfgemonnen. Und) bas ^reurfianum war burdj löunfen’S ^Bemühungen im 3ohl'C 1830 micber ins lieben gerufen roorben, inbem biefer bei ©regor XVI. bie ©iitcr bcSfetbcn rcöinbicirt fjatte. Ser ßrfte, roelcher bie Stiftung benufcte, roar Dr. Selip ‘fiapeucorbt au« ber Siöcefe ißaberborn, ber im 9)tai 1836 in 9iom eintraf; itjm folgte im £>erbfte beS nächften 3af)re« 3ofepf) (SaroluS, feit 1861 Somcapitutar in j$raucnburg. Daneben entmicfelte baS (Son= oertenbenljauS bei ber june^menben $ahl ötr Seutfd)cn in 9iom unter bem trefflichen ßatedjiften Bieter ©aljmen eine fegensreidje ffiirffamfeit, roic baS Onftitut fie feit feiner ©riinbung mof)l laum auSgeiibt hatte.

§ 5.

Ser heutige ©tanb nuferer nationalen Stiftungen in fRotn.

$n ber Slnima mar nadj glir’S lobe 1859, nach einer @r* (ebigung ber fHectorftelle roährenb naljeju brei 3al>ren, SDtichael ©offner ernannt roorben, bem 1873 ber gegenmärtige 9iector Äarl 3aenig folgte. Sin 9feifa<h’s ©teile trat nad) beffen Höbe im 3aljre 1869

als ßarbinal^rotector ber Slnftalt ©e. ßminenj, Garbitial be Öuca, ehemaliger 9funtiuS in SDtünchen unb Sßien. ÜJ?it feiner ©enehmi* gung mürbe oou bem S$erroattungSratf)e junädift bie 9?eftauration ber Sirdjc in Singriff genommen; unter ber Leitung unfcreS trefflichen SDteifterS Süubmig ©ci(j, mürben bie ©eroölbe in ben brei ©Riffen neu auSgemalt, bann bie alten greScogemülbe reftaurirt, bie genfter er* neuert, baS ^jauptfenfter unten im SDiittelidjiff mieber mit einem pxäch* tigeu ©laSgcmälbe, einem ©efdjenf beS SaiferS oon ©efterreich, gefdjmiicft, ba bas alte foftbare ©laSgemälbe oon fDfarcillat bei einer fehr unglü<flid)cn SKejtauration ber Sirene im 3abre 1842 in unbegreiflichem 93anba(iSmuS jerftört morben mar. Sa8 ^ofpij unb bie SBoljnuiigen ber ^Jriefter mürben mefentlid» oerfdjönert; bie 3°hl ber ©eiftlidjen, tbeilS ßapläne, theilS ßonöictoriften, marb 3a^r um 3aljr oermehrt, fo baff gegenmartig über jmanjig ißriefter in ber Slnima mohnen, beren mcfentliche Slufgabe mährenb ihres äroeijätjrigen StufenttjaltS in ber ©efchäftigung mit oornehmtid) canon iftifd)cn ©tubien befte^t. Sie jährlichen Sinfünfte ber Slnima belaufen fidj auf ca. 125,000 Sire, aus meldjen bie Sluslagen für ben ©otteSbienft be* ftritten, bie ßapläne unterhalten unb mannigfaltige Sllmofen an be- bürftige Nationale öertheilt merben. Sic Pilger finben mäljrcnb brei

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Sie StationalfHftungen 6(0 fcrutfdjfn SÖolfe« in SRom.

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Jagen Slufnahme unb Serpflcgung im £)ofpij; hintängtidje Dfäumlid)* feiten werben $ur Scherbergung non Jöifcf)öfen, wie oon einfachen ^rieftern gegen eine mäßige Sejafjlung für SSlohnuitg unb Scföftigung bereit gehalten, gür bie meiften beutfdjen unb öfterreichifchen Si«thümer werben bie (SSefdjäfte, welche biefelbett beim ^eiligen ©tuljle haben, burd; bcn 'J{ector unb einige (Sapläne beforgt. Segensreich wirft bcr ©t. Sincen$oerein, ber feit einigen 3aljren bei ber Stnitna jur Unter* ftüfcung ber armen in diont anfäifigen Öanböleute in« l'ebcn gerufen worben ift unb ber au« wohltätigen Seiträgen jährlich über ca. 3500 Cire $u oerfügcn hat.

©eit brei 3Qhen ift ba« ^reucfianum, welche« ein eigene« ipait« in fRom nicht befifjt, in bie Sinima iibergefiebelt. Die jährlichen (Sin* fünfte, au« welchen jwei ©tnbirenbe unterhalten werben fönncn, be* - laufen fich auf etwa 4000 8ire. Da« ißrotectoratevecht, wie bie (Sr* ttennung hat ba« (üfapitel oon (Srmelanb, währenb bie Serwaltung be« Vermögen«, ba« theil« in ©taat«actien, theil« in anbern dienten* fdjeinen befielt, in ben §änben ber preufjifdien Sotfdjaft liegt. £war hat bicfe in legter 3«* bie Hbminiftration bem beutfdjen ßonfulat Uberwiefen; bod) muß ber febe«malige Auftrag jur SluSjalflung be« ©ehaltc« oon ber Sotjcfjaft erfolgen, ©eit bem 9lu«brud) be« (Sultur* fampfe« ift and) über biefe ©tiftung bie ©perre oerhängt.

9l(s ännejcum ber Sfnima erfcheint hüte ferner ba« böhmifche £>ofpi$. Da feit bem 9lu«bruch ber £)uffitenfriege SBaUfaljrer au« ben gänbern Sari« IV. immer fcUtncr würben, fo fanben mehr unb mehr bie fßolen, welche fein eigene« ^ilgcrhau« in (Rom befaßen, im $ofpi} Aufnahme. ^}iu« V. wie« im 3°he 1570 bie jährliche ©umme oon 200 ©olbgulbcn auf bie (Einfünfte ber ©tiftung an, bamit oier 3ö0ftnge böhmifcher Slbftammung in ba« (Sollegium ®er* manicum älufnahme fänben, auf welche« Söhnten bi« bal)in feinen änfprud) gehabt hatte.*) 3m 3aht 1588 würben burd) ©iytue V. au« ber ©tiftung jährlich weitere 300 ©olbgulben bem Slrmen* ©tubentenhaufe ju ijjrag jugeroenbet; wa« an ßinfünften noch übrig blieb, würbe bem |)ofp4 oon ©t. Sföaria in (Sapella ju Seherbergung böhmifcher Pilger überwiefen unb bamit ba« ^jofpij al« foldje« ge* fchloffen. 3nnocen? X. enblid) oerfdjmolj 1654 bie (Sinfiinfte beiber

*) SEod) jdjeint biefe S(rfiigung batb roieber außer Straft getreten unb ben etroa nach 9tont fommenben Stubitenben Söobming im §ofpij gegeben roorbtn ju jeln. Sie beute ftnb bie SBbmeu oom ©ennanicum auegcjcfjloffen.

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Dr. H. ic SB aal.

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Stiftungen mit benen beb großen ‘ßitgcrhaufeS ber Trinitä. Dabei ift es geblieben bis auf bie ©egenwart, wo es Sr. ©minenj bem ßarbinal Sc^roaijenberg im Sunbe mit ben übrigen ©ifchöfcn fflöhmenS unb Mährens imb unter wefentlicher SDiithülfe ber öfter» reichifdjen ©otfdjaft gelang, im 3aljre 1872 bie ©inliinfte unb tie- genben iöefifeungen beS $ofpijeS für fflöhmen ju reoinbiciren. Die jährlichen Renten ber Stiftung mögen gegen 10,000 Cire betragen, auf welche hin junädjft oier ‘flriefter aus ben ehemaligen Territorien liarls IV. jur ftortfefeung i^rcr Stubien, fotoie etwaige Pilger oon bort Aufnahme unb fjerberge in ber Anima finben.

Das Collegium Germanicum, an beffeu Spifce feit 1867 ber SHcctor P. AnbreaS Stcinljuber ftef)t, jäljlt gegenwärtig 90 Alumnen. Schuhpatron beb Kaufes ift ber felige CanifiuS, jroeiter S<hu(jpatron ber heilige Heinrich, oon welchem bas fiirchtcin bete ßollegiums einen Arm beftfet, ein ©cfdjenl beS ©arbinals SReifad). Der Aufenthalt ber Zöglinge ift auf flehen 3at)re fefigeftcllt, oon benen brei ben philo« fophüdjcn, bie oier lebten ben tljeologifehen Stubien gewibmet flnb. Da« erfte 3ahr gilt als eine Art 8?ooijiat; am (Snbc ber erften fedjS 3J2onate I)ot ber Alumnus ben 6ib auf bie ßonftitution abjutegen, rnoburd) er fid) oerpflichtct, bie Statuten treu ju beobachten, in leinen Orben ;u treten unb nach löeenbigung feiner Stubien fofort in bie Ipeimath jurücfjulehren. Das Schuljahr beginnt mit achttägigen

©yercitien, welche bie ^öglitigl auf ihrem Canbfifee bei San Sßaftore in ber 9Iäl)e oon 'ißafäftrina abhalten; bamit fdjließen jugleich bie jweimonatlichen gerien, bie oon ben Alumnen auf ber genannten Sßitla oerlebt werben. >$u ihrer roiffenfdjaftlichen Aitsbilbutig befud)cn bie Zöglinge bie Sßorlefungen im Collegium Romanum, wo neun Sßrofefforcn bie philofophifchen gächer, jefjn Theologie, brei Kirchen» recht bociren. Dreimal in ber 3öod)e finben gemeinfchaftliche 9?e« Petitionen ftatt, wobei einer ber Alumnen 'einen jufammenhängenben 33ortrog über bas in ben Sßorlefungen ©ehörte ju galten unb bie ihm gemachten ©inwenbungen ju beantworten unb ju . wiberlegcn hat. Aujjerbcm oercinigen fleh an jebem Donnerstag bie ^öglinge ju einem miffenfcbaftlicben £rän$d)en mit 93orträgen in bcutfdjer Spradje über Dogmatil, Literatur u. f. m.; an ben Sonn« unb gefttagen aber hat wäljrenb ber üRahljeit einer ber Alumnen eine •JJrebigt ju halten, bie nachher einer allfeitigen firitil burd) ben Sßro« feffor ber geglichen ®crebtfamleit unterjogen wirb, ©ie für ledere, fo finb auch für Di'hetoril, ßirdjengefang u. f. w. regelmäßige Sßorlefungen

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®if 9!otionaIfhftuiijitn fct« bfutfdjcn Solle« in SRom.

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unb Uebungen angeorbnet; cS ift eine befannte 2^atfad)e, bajj in ©e= treff be« mürbigen 2Utorbienfte6 unb beö echten fircblitben ©efangcö fein attbercö Gotlegium in 9tom ftef) mit bem beutfe^eu meffen fanit. 'Dfit ber geiftfiefjen Leitung ber 3ö9^*n9c W £>n eigenei- «Spiritual, jefct P. ffiertenberg, betraut, um bie jungen 8eute ju regten unb mürbigen 35ienern beb 2tltare8 aubjubilben unb fie immer tiefer in ben magren ©eift beb 'ßriefterttjumb einjufübreu. Ueber ber roiffenfcbaftlicben unb retigiöfen Stubbiibung roirb bie Sorge für bab törperlidje 9Bo^fbefinben ber ^öglinge feiuebmegb außer Sld)t gelaffcn. Xie jährlichen ßinfiinfte ber Stiftung belaufen fid; auf ungefähr 160,000 Cire, 3U beren ©ermaltung ein eigener Oefonom angefteüt ift. S5om 3a^re 1848 bib je|t finb 295 Alumnen in bab §aub eingetreten.

©eben mir nunmehr ju Campo santo über, fo mürbe bie in böcbftem ÜRaße notfymenbige SReftauration ber firtfje im 3af;re 1871 burd) ben bamaligen jRector begonnen, burcf) feinen SRacbfofger, ben Schreiber biefer iölätter, fortgefefct unb oolleubet, inbem bie baju er» forberticben SDfittel tbeilb oon ber faiferlitben gamilie ju Sicn unb ‘Prag , tijeilb bureb anbere SSÖobltfjätcr gefpenbet mürben. 91atbbem

ber £)ad)ftubl eine neue ßonftruction, bie gtur einen äRarmorbeleg erbalten battc» &<£ ebematigen genfter in ben Seitenfdjiffen mieber eröffnet unb ber gefcbmacflofe 3<>Pf» fomeit fidj nicht um SDetif« melier banbette, entfernt morbett mar, mürbe baö ©otte«bauö burd) jmei junge Sünftler, Glaufing unb Slmberg, aubgemalt, mäbrenb bie SReftauration oon fecb^ ungemein roertboollen ©emätben einem in biefem ga<be beftgerübmten römifeben ÜJteifter anoertraut mürbe. So fonnte bentt bie tird)e am 23. 3UI|> 1873 roieberum feierlidj bem ©otteäbienft juritefgegeben merben. ®er griebbof ba,tc tut} oorber neue StationSbilber ttacb ben 3e*(*>nun9en öon Ooerbecf erbalten. Später befam ber Sacramentöaltar ein ‘JRarmorrelief ber Sluferftebung ßbrifti oon Slcbtcrmann; bureb Sd)enfungen auö ber ^ciniatb mürbe bie $ird)e an ‘Paramenten unb b- ©crätfjen mefentticb bereichert. £)aS mit ber Stiftung oerbunbene £>ofpij jur Aufnahme ber ffiallfabrcr marb in ber golge in mannicbfacber Seife oerfebönert unb oergröfiert; bei ben jährlichen ^Jilgerjügen, roelcbe aus Deutfcblanb ju ben feftlidjen fireigniffen im Ceben ‘|3iu$ IX. nad) 9fom tarnen, mar Campo santo ber regelmäßige Sammelpunft für ben Sßcfud) be8 SPatifan«, mlc ber Slatafomben. Um bann ber Stiftung einen meiteren ffiirfungöfreiö für bie ^eimat^lic^cn Diöcefett ju eröffnen , rief ‘Piu« IX. auf Slntrag beS Garbinal » ^JroteetorS Scbmarjenberg unb

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Dr. SI. be ffloat.

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be« beseitigen (Sarbinot-SSifitator© $oljcnlohe burd) apoftolifdje« SBrebe tjom 21. SJioDember 1876 bei ber Sirdje Don Carapo sauto ein sJJriefter=ßolle8ium in« 8cfjcn, beffen UJtitgliebcr fid) Der Slllem mit gorfdjungen in ber DQtifanifdjen Söibliothcf unb mit bem Stu« binm ber Sird)enge[d)id)te , fowie ber Äatafomben bcfd)äftigeit follten. Durch ©riinbung Don gwei Spiuö-Gaplaneien, beren eine Don ber Diöccfe ^abetborn geftiftet worben ift, fowie burd) reiche ©aben, bie oon allen Seiten , jumat au« ber Diöcefe SDtünfter , jufloffcn , würbe jährlich ficbcn Gaplänen in Catupo santo mögtid) gemacht, fid) wei« teren Stubien in ber ewigen Stabt ju wibmen. Da« junge Gölte« gium fanb in feinen wiffcnfdjaftlidien SBcftrebungen nicht wenig än« reguttg burd) -(Mehrte au« ber £>eimath, bie auf einige 3)}onate SBoljnung im £>ofpi$ nahmen, fowie burd) jat)treid)e ‘Bricfter au« ben hcimifchen Diöcefen, wcldjc al« Pilger gaftlithc Aufnahme im Jpaufe fauben. Der gortbeftanb unb bie Gntwidlung bc« jungen ^riefter« Collegium«, beffen fegen«reid)c SBcbcutung Don ben ©ifdjöfen ber £>eitnath einmüthig anerfannt worben, beruht Dorläufig wefentlid) auf ber Untcrftütjung fernerer 3öot)ltl)äter in ber £)eimatl). Denn bie (Sinfiinftc ber Slnftalt felbft belaufen fid) auf nur 20 bi« 25,000 8irc, au« welchen bie Soften für ben ©otteSbienft unb für ba« 'ßitgerljau« beftritten unb eine bebeutenbe Summe ftiftung«mät?iger Unter« ftü^ungen an bie bebiirftigen 8anb«leutc gebeeft werben miiffcn , fo baß bie jährlichen Ueberfd)itffe für ba« ^riefter-Gollegium nur fchr unbebcutenb finb.

Die mit Campo santo oereinigte Stiftung Don St. Glifabetl) würbe für bie nationalen 3ntereffen fruchtbringenber gemacht baburch, bajj bei ihr im Qaljre 1870 ber beutfehe fatholif che 8 c fc« SB er ein in« 8eben gerufen würbe, beffen fegenbreidje ©irffamfeit, jumal in ben fingen ber SJMlgerjitge , allgemein anerfannt ift.*) ^wei Qahre nad) ©rünbung be« 8efe*SBerein« fiebelte aud) ber ®ef eilen« SB t rein nach @t. Cslifabetlj über, ba er bi«l)cr fich mit einem be«

*) ©eit einiger 3«t geht öerfelbe mit bem 'Clane um, ein eigenes Vereins« haus ;u bauen, welches ber gejeUige ®itteU'unft für bie in ber ewigen ©tabt anfäjftgen brutfdjen £atf)otifen, wie ber ©ammeiort für bie nad) 9fom fontmenben CanbSleute fein foU. ®ie Susffihrung bes ohne Zweifel böchfi nüplidjeti Unter« nehmen» bängt wefentlid) »on ber §UIfe unb ^örbermig ab, welche baSfelbe in ber §eimath finben wirb. ®ie einleitenben Schritte finb bereits getban; iiapft Seo XIII. hat bem fflerfe feinen apoftolifdjen ©egen uerliehen; es begreift (ich aber, bajj ein folches Unternehmen nur mit äufjerflet Umftdit fortgeführt werben fattn.

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t Stationalftiftungeu bf« btutfdjfii SSotfe« in 9tont.

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fcheibenen ih'aume in bcr 2lnima hatte begnügen miiffen. 3ft aud) bie ©urchfchnittSzahl bcr biefem SBerein augehörigen ©efellen in 9fom fribft eine geringe, fo beruht ber Segen unb bie löebeutung beweiben roefentlid) barauf, ben jahlreidjett £>anbrocrf«burfd)en, bie au? beu heimifd)en Vereinen nach 3talien roattbern, eine 3uflud)t«ftätte ju bieten unb i^ncn in bcm frcmben ?anbe möglichft in alten ©cjiehungen be* hülflid) ju fein, ©er ^ßräfe« be« 33reinS ift gewöhnlich einer ber ßaptäne be« Campo Santo. 3in 3a(jre 1878 ttmrbe für beibe Vereine ein anberrocitige« , wenngleich prooiforifcbe« Unterfommen in ber Slnima gcfunbcn, um nunmehr in St. (glifabeth ba« Spital für erfranfte ?anb«leutc, unter Leitung ber SJreuzfchroeftcrn , einjurichtett. ©cnn obfchon bie römifd)en Spitäler ohne Unterfdjicb ber fftationa* (ität unb Dicligion alle ßeibenben aufnehmen unb inSbcfonbere auch betreff« ber Scclforge für bie ber italienifrfien Spradje nicht mächtigen Uranien oorgefehen ift, fo liegt hoch auf ber £>anb, wie überaus rooht bcm Slrmen auf feinem Schmerjettölager tput, wenn ein 2lrjt unb eine barmherzige Sdjmefter ihm jur Seite ftefjen , benen er in feiner SNutterfprache feine Reiben, feine ©ünfdje auöfpredjen fann. So ift benn ba« bereit« feit breißig 3“^en geplante beutfdje Spital eublich fertiggeftellt worben.

©amit hätten wir in aller $ürje bem ?efer ein öilb unferer nationalen fftieberlaffung unb ihrer Stiftungen älterer unb neuerer >}eit oorgelegt. IS« finb nur einige roenige Diotijen, htrauSgenommen au« bem reichen SDiaterial, an roelchem mir feit 3“hren für eine aus* fiihrliche ®efd)id)te biefer Stiftungen fammeln. ©ic be« bötjmifchen $ofpize« ift bereits 1873 erfdjienen; bie be« Campo santo, über 400 Seiten SDianufcript, ift nahezu’ brueffertig.

©ir glauben nicht ju irren, menn mir annehmen, baß man in ber ^eirnatf) Uberrafcht fein roirb über bie SDfenge unb öebcutung unferer nationalen Sdjöpfungen in IRom, oon benen bisher nur bie eine ober anbere, unb faum mehr at« bem ')?amen nad) belannt mar. IKun, roie mir ©cutfdjc, fo haben alle anberen SBölfer ähnliche unb jum Jhcil noch großartigere Stiftungen in biefer Stabt, bie (itf) gerabc babnrd), roie feine anbere, al« ber firchlich internationale Mittels punlt für bie gart j e chriftliche ©eit au«roeift. ©aju fontmt bann aber noch eine gütle ber mannithfadpiett unb fegcnörcidjften änftalten, Welche jumal bie Sjiäpfte oon 3a^rljunbert zu 3ahrhu,,bert bafclbft gefdjaffen haben, für pflege ber ©iffenfehaften unb Sänfte, für Unter* ftiifcung ber Slrmen, $>ülf«bebürftigen unb firanfen , für ©erte ber

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106 Dr. H. bt Saat. 82

9iadjftenlie6e jegtit^cr SIrt, Slnftalten, non benen bei weitem bie wenig* ften auSfcbließlid) für bie Seoölferung ber ©tabt unb ihrer Umgebung befiimmt finb. ©o erfefjeint fRom, bie $auptftabt ber (S^riften^ctt, jugieid) auch al« IRepräfentantin jener göttlichen Siebe, bie in G>briftu8 SDienfcfj würbe, bie unftcrblid) fortfebt in feiner f). Äircbe, jener Siebe, bie alle ©eiten , alle Schiebungen beö 2Renfd)en unb beS menfdjli^cn Sehen« berüeffiebtigt unb umfafjt, bie unerfd)öpflid) reieft für Slße ift, für Slein unb ÖSro§, Ungebilbete unb ©elebrte, Settier unb giirften. tiefer ganj eigenartige Sbavafter iRom« ift non greunb unb geinb n>iberfprucb«lo« auerfannt. £)abunb ift 5Rom jur großen internatio* nalen ffieUljerberge geworben, wo äßen äße« gehört, bie Sircbcn, bie ©pitöfer, bie ÜRufecn, bie Sibliotbefen, bie Sißen, bie IRuinen; wo 3eber baljeim ift; wo oor Slßem ber ©oljn ber fat^olifd^en fiirdje fid) in feinem SRutterbaufe fühlt; non wo jRiemanb ftheiben fann, ohne ein ©tüd feine« §erjcne juritef julaffen, ba« ihn mit ftetem ©ebnen beim» hiebt nach ber ©iebenljügefftabt, nach bem ewigen, bem einzigen IRom.

Trurf Bon lf aljlflu & fflo[b|4mikt. 3ran(ftttt o. 3».

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Kfber Somatt utti> ÄomanfnUctürc.*)

93on Aeintidi >Sone.

31n ben tarnen 9t o man hat fich mir um gleich meinen perfönlidfen ©tanbpunft fjier oorjufehrtn tjeut^utage ein üöllige« Stäthfel gelnüpft. gab eine 3«* unb bie wirb wohl noch bei gar SJieten in Erinnerung fein wo eS Dom retigiöfen Stanbpunfte geroiffermafjen ju bem fogenannten ©cichtfpiegel gehörte, ob man einen Vornan gelefen. Unb ^eutjutage? 3a, ba gibt faum noch eine tägliche 3c‘tun9 » faum not^ einen fpecifxfrfj djriftlic^en , gefchweige anberartigen fwu«falenber, wo nid)t oor aüem bafür geforgt roirb, einen Vornan, einen fpannenben Vornan ju liefern, ober im oorau« jur Empfehlung anfünbigen ju Ibnnen. 3U melier Ehre, jebenfaHe ju welcher Unftfjulb erfe^eint ba ber 9tame Dioman emporgefticgen ! f>at man etwa früher unoerftänbig ober ungerecht geljanbett gegen bie fKomane? Ober ift oielleidjt ein tölliger Umfchroung mit ihnen Dor» gegangen unb ettoa« ganj 9teueS baran« geworben?

Ohne 3rot*W wirb ber 3nhaIt ober bie lenbcnj bei benfenigen Dfomanen, bie fich fpecififch $um «Sittlichen, jnm Ehriftlidjen befennen wollen , aud) etwa« ober Dielmehr fehr Diel Derartige« mit fich füh» ren, wa« jenen bunllen @emiffen«fchleier roeifj färben foU ; aber

*) Sa« oorfiehenbe Iftcma hat ber ©erfaffer bereit« früher in münbliihcm ©orttage behaitbelt, ;u njflrfjem 3roede »on bem betreffenben Somit« a(« be= ionber« jeitgemäjj bejeiehnet roorben mar. Unter ber(el6en ©cjeichnung mürbe auch bon ber iRcbaction ber ©rofehüren bie ©eipredjung bt« ©egnifianbe« jur ffirrBfientlidjung geroünfeht. 3ch war im 3IBeifeI, ob ich nunmehr bie erroeiterte gornt einer eigentlichen "Äbijaribtung mahlen foüe, ober ob ich mich toeientlich an bie frühere gotm eine« ©ortrage« halten bürfe. 3<h habe ba« fiepte« oorgejogen, weil baburch einerfeit« ber für eine ©rofdjüre gemeffene 9taum nicht Übertritten roirb unb anberfeit« eine belebtere, freiere Mu«brud«mtije geflattet unb manche« 3nbit>ibncKe motimrt unb entfchulbigt bleibt.

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108 Jptimicf) ©one. 2

ift folche SSeränberutig bodj uicf)t jo neu uitb tnaßgcbenb gerocfcit, baß aud) ein neuer iRame bafür unb barau« erroachfen wäre. SUfo nrirb auch rooljl oon Geift unb Haltung ein gut Iheil geblieben fein. Unb ba« ftbeint man auch allgemein mit augenfälliger Gewißheit heraus« gefiiljtt ju haben. Denn trofc ber Ehren unb SQJürben , bie bem Flamen SRoman cingeräumt worben, will’« immer nodt nicht au« ber SBelt, baß man nicht gerne oon 3emanb fagt ober hört: „er ober fie lieft SRomane, lieft gerne Romane, lieft niete SRomane, ift ein SRomanlefer ober eine SRomanlcferin." gür Spüler ober (Schülerinnen mürbe ba« (ebenfalls nicht al« gutes 3tu9n*& aufgenommen roerben unb für Erroachfene fchroerlid) al« Empfehlung in §au8 unb Stanb hinein gelten. 3a felbft bie 35er f aff er non SRomanen roerben fid) roohl nicht gerne in Gefellfchaftcn ober bei norfommenbeu Gelegen« heiten mit ber iöejeichnung „Oiomanfchteiber" oorftellen taffen. Unb fo hat man auch oon berjenigen ©eite, non welcher unfer 2hema al« befonber« jeitgemäß bejeichnet unb in änfprud) genommen rourbe, geroiß nicht bie Erwartung bamit nerbunben , baß ich SRomane unb SRomanenlectüre al« preiSroürbig auf ben feuchter ftellen, fonbern Diel* mehr eine Feuchte heranbringen mürbe, um ben Gegenftanb in nollem 8id)te ju befchaucn unb ba« öebenftirfic ober Gefährliche beefelben in ernfte Erwägung ju jiehen. Denn nicht wegen üRangel« an SRomanen, fonbern wegen Ueberwucherung berfelben roirb jeitgemäß fein, ju fragen, ob nicht gcrabe bie Ueberwucherung jugteidj auf einen bem gatijen Gcroäcßfe innewohnenben Eharalter oon Unfraut hinbeute, ba ja ba« wahrhaft Gute nicht (eicht ju überwuchern pflegt.

Darum gehe ich aber auch noch weiter unb fage, baß nicht meine Slbficht fein fann, über ba« 35erberblid)e ber eigentlich fchlethten, mit fittlicher gäulniß unb greoelhaftigfeit behafteten SRomane ju fprechetc, worüber fchon fo oft unb fo 35iele« gefagt unb gefchriebeu worben, baß unwürbig roäre, wenn ich hier oon folgen Dingen reben wollte, bie fchon burch fich felbft oor bem fittlichen l'eben«ernfte al« gebranbmarft baftehen; fonbern in einer engeren Umgränjung unb in näherer Sejicljung ju ben 3ntentionen, bie ber ganjen 9Ser- anftaltung unfere« lörofchürencpclu« ju Grunbe liegen, fönnte ich bem Jhema bie fchärfere Raffung geben: „Ueber ba« Eharafteriftifche be« SRonian« al« eigentlichen Siteraturjroeige«, unb über ba« Sebenfliche ober auch Gefährliche ber SRomanenlectüre felbft bei ben anfdjeinenb religiös = fittlicftcn SRomanen." 3tttmerhin alfo werbe ich, felbft nach 3lu8fcheibung be« eigentlich ©itttiehfchlechten, bie SRoHe eine« Sin«

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lieber Montan unb dtomanenlectüR.

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tliiger« überneßmen. 2tbcr man wolle in meinen Slnflagen gewiffer* maßen eine literarifcße Slmtlicßteit, eine 9lrt oon literarifcßer ©taat«* procuratur erblicfen , wobei eS alfo oor 2l(lem barauf anfommt, bic ßöcßften ^rindpien ber literarifcßen ®e feg ließt eit ',ur ($runb* tage $u neßnten unb als SDiaßftab an$u(egen. 9?ur fo werbe icß gefeßüpt fein gegen eine äuffaffnng, als wenn icß bod) woßl SRnucße« mit ju großer ©cßärfe oor ©erießt jöge. 2öeiß id) ja gewiß 511 wlir» bigen, baß einerfeit« bie Siomanenliteratirr eine gütte oon ®eift unb Darfteilutig mit fiel) füßrt, ja baß woßl faum einen namßaften fRoittan gibt, in welcßent nießt glitnjenbe ißartieen unb ßöcßft preis* mitrbige 3becn oortommen wie würben folcße ©iießer fonft ju 9iuf gelangen? unb baß anberfeit« ein @ebiet oon Romanen aufgefom* men ift, bas menigften« au« ebelfter, ia re(lgiö«*fittlicßer Jlbficßt an* gebauet wirb. Äurj mit ber ganzen Oiicßtung unferer ■Darlegungen foll nießt auf bie einzelnen, concret oorliegetiben Sfomaue, unb gewiß am allerwenigften auf 'ßerfönlicßfeitcn gejielt fein, fonbern nur ßßa* ratteriftifeße«, allen meßr ober minber ©emeinfame« foll in« 9luge gefaßt werben, unb jwar junäcßft foltßcn liefern gegenüber, wie fic iiberßaupt ber ®eift ber IBrofcßiiren als feine befreunbeten in 9lu8* fießt nimmt.

Stad) biefer einleitenben SBerftünbigung würbe nun junittßft Siebe fein tonnen oon bem begriffe eine« SRoman«, oon feinem Urfprunge unb feiner (Sefcßicßte, feinen oerfeßiebeneit Wirten unb formen, unb waö fonft über bergleicßeti 2lrtifel in Citeraturgefeßießte unb 'ßoetif jur Spratße fommt. Da« mürbe aber einerfeit« pi weit füßren unb anberfeit« nießt ju bemfenigen ©tanbpunfte geßören, ben bie gejeicßnetc Stufgabe in Stnfprueß nimmt; ba« Gßaratteriftifeße felbft aber, ber eigentliche Stomanengeift , ben wir meinen unb bem mir entgegen* treten, wirb fitß im Verlaufe unferer Darlegung flar genug ßerau«* ftetten. Daßer gleießfant jum Ucberfluß nur einige wenige ßiftorifeße öemerfungen.

Der St a m e Stoman fnüpft fieß an bie SluSbilbung ber romanifeßen 3So(t«fprad)c in Jranfreieß, alfo an ba« ältfranjöfiftße, weleße« au« bem münblicßen 'Plattröntifd) , ober auch ^(attlatein ber römifeßen bort ftationirten Legionen ßeroorging. Die ©cßriftfpracße ber eigcntließen liiteratur in ©atlien ßatte fieß in ber lateinifdjen ©praeße fortgefeßt. 3m 12. 3aßtßunbert waren befonber« bie

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$ciiiti<ij "3ont.

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^5roocttcQtif{f)cn DroubabourS unb norbfranjöfifchen Srouoereb, welche in der' atlmählid) emporgclommenen romanifchcn Volfbfprache ihre lieber unb ßrjäfjlungen oortrugen ; unb folc^e ßrjdhlungen, bichterifche wie profaifdje, erhielten ben 9Jamen fabulae Romaneusee, Romane, SRomanjen. ßb waren mcift ßrjdhlungen ober oiefmehr Sagen oon IRitterabenteucrn, jum Jljeil aus bidjterifchen DarfteUungen in profaifche aufgelöft. Von granfreid) aus oerbreiteten fiep foldje SRittergef (pichten auch nach ben benachbarten Cänbcrn. $n Deutfdjlanb empfingen fle burd) bie ritterliche Äunftpoefie eine höhere poctifchc, funftooll gegliebcrte epifdje ©eftaltung, bie [ich bann fpäter, befonberb im 15. 3aprhunbert, wieber in ^rofa äerfepte, woraus bie fogenannten alten VolfSbiidjer heroorgegangen. Sieben ben tRittergefchichten gab es bann auch allerlei VolfSthümlicheb oon Schelmen unb luftigen ©rübern. Doch alles baS bewahrte wefentlid) ben (S^arofter oon eigentlichen Sagen, oon überlieferten ©efdjichtcn, wunberbaren SKärdien, unterhaltenbeu ^»iftorchen, Späffen unb Schelmereien, Satiren nnb üRoratien, wie eS fich frifd) unb frei im SDlunbe beb Volles umhertrug, allmählid) aber, befonberb nach ßrfinbung ber Vuchbrucferei, immer mehr alb eigentlich litcrarifcher Stoff oerwerthet würbe. Dem ßparalter nad; haben folche ßrjäljlungen, bie ja bei jebem Volle ihre oolle Verecbtig» ung in ftd) tragen, wenig gemein mit bent, wab man peutjutage in engerem Sinne Dioman, ober auch bei einiger ÜRobification iRooelle nennt. Die Slnfänge beS eigentlichen IRomanS fallen erft in bau 15. Qahrhunfcert, unb jwar hauptfächlich in granfreid), wo oorjugb* weife tarnen fid) mit Slbfaffung oon SRomanen befdjäftigten, bie ja audj peutjutage in biefer Vrandpe ihre geber gu bewegen wiffen. Slucp in Deutfcplanb fanben fic um biefc ^eit alsbalb ihre 93er- breitung, gewannen aber ihre eparafteriftifepe gortn erft im 18. 3apr= hunbert, jumalnacpbem cingclne ßnglänber(wie SRicharbfon) ihre ÜReifter* hanb barangelegt hatten, ßb tag in ber Statur ber freien Vhantafie, folchen DarfteUungen Steig unb Spannung gu geben, unb immerhin mochten StnfangS auch ehreuwerthe Denbengen bamit in Verbindung treten. 3n welche floaten aber gulept ber IRoman mit feiner ungebundenen greipeit piuabgeftiegen unb was für ein gabrilbartifel er geworben, gumat in granfreiep, unb mit rafch anwachfenber Ueberflutljung auch in Deutfcplanb, ift befannt. Doch naep folchen fich felbft branb* marfenben Seiten hi” haben wir hi«, wie bereits gefagt, unferc Vlitfe nicht ju richten, ©emig, ber Stoman alb fotchcr hat fich «in felbftftänbigcb ©ebiet ber fogenannten „frönen Literatur" erobert, hat

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lieber Sfotnan unb iKomantnfectürt.

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fich ba« Sappen ber ©oefie angeeiguet unb fid) al« Ootlberechtigte« Äinb ber epifdjen ©tufe betrautet, itnb hat feine fperrfchaft ftofflid}, formal unb tenbenjiö« nad) ben oerfchiebenften ©eiten hin erweitert, ©ibt ja außer ben alten fRitter=, fRäuber* unb yiebe«romancn auch hiftorifche Romane, IWcife» unb ©eeromane, ethnographifd)e, politifche, religiöfe, pljilofophifche, fatirifdje, fomifcf)C unb J?unft»}Romane. Unb welche glutheit alljährlich oon neuen ütomanen unb 'Jtooetlen ! Sie grogartig ftrömen ba bie Duellen ber „fdjöneit Literatur!" 3a, fdjöne Literatur! SDiit biefem Sorte ift ^eit, einen ^öl)eren Schwung ju nehmen unb einjutreten in bie eigentliche Aufgabe, bie un« oorliegt.

©erfetsen wir un« im ©eifte auf eine fyoijt literarifche ©erg* fpifce, oon wo ,wir bie 9lu«ficht hätten auf bie gefammte Literatur aller ©älter unb 3c'tcn» ringe um uns au«gebreitct wie bie ?änber, benen fie angehören: fo wirb biefe« große literarifche Panorama fofort jwei wefentlich oerfchiebcne Stcmente hcroortreten laffen, ba« Element ber © r o f a unb bae Slcment ber © o e f i e. 3<h Wtü oerharren in biefem gewählten ©ilbe, unb barf bann fagen: ce werben oor uns liegen weite frmfjtbebetfte tfanbfchaften, bie ba angebauet finb oon ben Seifen be« eigentlichen Siffen«, bee tiefgehenben t) e n ! e n 8 unb be« einbringenben Sollen«, mit bem ftrebfamen Steiße unb ber befonnenen Slbfidjt ber ©rofa, nach ihren brei oerfdjiebenen ipaupt* formen unb ©toffen: Serfe oon ^iftorifern, ©hilofophen (ich meine natürlich im weiteren Sinne) unb fWebnern. 3roifd)en liefern an* gebauten (Srbreid) werben aber auch entgegenfehimmern bie freien beweg* liehen Saffer ber ©oefie, bort al« mächtige Ströme, an benen bie ©älter [ich fammeln, hier al« oerborgene Salbbächlein, bie nur bem $irtenfnaben befannt finb; aber ob Strom ober ©ach, immer mit bem Pidjtgtanje feine« eigentümlichen QHemente«, immer heroor* fprubelnb au« heiligem Duell ber Jiefe, ben ber ÜRenfch mit allem gleiß unb ©innen nicht fehaffen tann. 3°< mir 8anb unb Saffer feheibet fich ©rofa unb ©oefie. So bie ©rofa innere« lieben in fich tragen foll, wo fie eigentlich barftellen unb in ba« ©ebiet be« ©d)önrn eintreten will, ba ift fte aUtrbing« innerlich oon bem belebcnben ölemente ber ©oefie burchbrungen, wie fruchtbare« ßrbreid) oon bem (Elemente be« Saffer«; aber jur ©oefie ©rofa gefchüttet macht trübe unb unerquidltch, wie wenn ßrbftoff in flare« Saffer fich mengt.

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§eiimd) ©oiu.

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®o<h, »erlaffen mir bie ©ilblicßfeit ; genug, bic ©efnmmt* titeratur oller SSölfer »on Slnbeginn verfällt in bie jwei Elemente ber {ßrofa unb ipoefie. ©ab ©efcn ber {ßrofa ifi ©ahrßeit unb ©irflich»' lid)feit. ©er int gewöhnlichen Umgänge beb ?cbcnb feinen ÜRunb öffnet, um unb burd) bie «Spröde etroab mitjutfjeilen, non bent erwarten unb »erlangen wir, baß er uttb ©aßrbeit gibt, ©ab ift ber cbenfo natürliche olb heilige ©eruf ber fpradjlidjcn üRittßeilung ; bab ift bic Slufgabc ber frofa, alb ber natürlichen Sprachform für ben gegenfeitigen ©erfeßr. Um biefeb ©rincipb ber ffiahrßeit willen hat ber {ßrofaifer alb folcher nicht bab {Recht, öon 3emanb ju fagen: „er bachte" biefeb unb jene«, „er fühlte" fo unb jo,

wenn biefe ©örter nicht fo Diel bebeuten follen, alb: fein £>anbeln unb feine äRienen ließen foldje ©ebanfen, folche ©ewegungen feine« £>ergenb mutmaßen. ©enn inb innere beb ÜRenfcßrn fteigt fein

rnenfcfjliche« Slugc ohne bie ©efaßr, ungerecht unb unwahr $u werben, ©o bie ©ibel in ihren hiftorifchen ©iteßern bab ©enfen unb 6m» pfinben ber ©erfonen enthüllet, wab feiten gefdjießt, ba fniipft eb fieh au unmittelbare Sleußerungbweife btrfelben, ober fie genießt wesentlich beb i'tbern atürlidjen öicßteb, oor welchem auch baö 3>nnerfte beb

©fenfeßen offen liegt. 3m llebrigen, wie gemeffen fchreitet bab heilige ©ud) ooran mit Sncinanberreihung non Srijatfar^c an 2f)at« fache, unb wie treu ber menfchlichcn ©ahrhafligfeit läßt eb bie {ßerfonen fid) felber aitbfprecheu, ftatt non ihnen ju berichten, wab fie fühlten unb bachten. \

®ie ©oefie aber erfcßließt bab {Reich ber © i t u n g , bab {Reich

ber 3beale, im (Stoffe wie in ber gorm. {Rieht alb fönnte fie mit

ihren eigentümlichen formen nicht auch Qn SBafjr^eit unb ©irflicß= feit fich anfchließen; im ©egenteil, fie t^ut bab gerabe am liebften, hat eb immer gelßan, wo fie in ihrer ftraft unb ©lütbe war. {Rieht materielle ©idjtung, nicht phantaftifche ©rfinbung oon {ßerfonen unb ^Begebenheiten meine ich, wenn ich ber ©oefie bab {Reich ber ©ichtung alb ißr öigenthum jufpredje; aber ihr Sluge fefjauet im dichte einer anberen Sonne, bab fich >n anberen garben bricht, unb barum malet ihre $anb anbere ©eftaltcn mit anberen färben, alb bie h^'^greif- liche ©irflichleit fie erfennen läßt, unb eb ift jroar immer wieber bie allherrfchenbc ©ahrßeit, aber eine anbere ©ahrbeit, bie ben ©eftalten ber ^Jocfie, alb bie, welche ben ©eftalten ber ©irflichleit ©efen unb ©erlb gibt. 3n bemfelben ©rabc aber, wie ber 3nßa(t, fo oerfefet auch bie gorm ber {ßoefic inb {Reich beb 3bealb, inb {Reit ber

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lieber SKoman ltnb SHoiiiaiicitlcctüre.

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Dichtung; ober DifCmetjr, wie bic ‘ßoefie fid) ci« btfonbere«, if)r eigene« 9?eidj ber ©ahrfjeit fferau«niinmt unb borin gleid)fam mit $ftad)toollfommenheit frfjaltet, jo hält fie jugleicf) feft am (ßrincip ber ®ered)tigftit unb (egt fttf) felber (Befchranfung auf; fchmiebet fic^ fetbft eine geffel burcf) bie gorm unb jügelt ihre greilfeit; fie binbet fid) burd) SSerömaß unb (Rf)htbtnu8, burtf) fprad)lid)en Slubbrucf unb funftoolle ©eftaltung. <5e ^at nod) feine 'ßoefie, bei feinem (öolfe, gegeben, bie nicht eine gebunbene gorm an fiel) trägt, fei 33er« ober (Reim, .gaf)! ober ÜRaß, fflucf)ftaben* ober Sal}«‘'ßaral(e(i«mu«. (Rur wenige ©orte, nur ber erften &t\Un beborf e«, um fofort ju oernehmen : h<tr bewegen mir un« in einer anberen ©eit, in bem (Elemente ber ‘ßoefie; f>ier werben mir oon einer Strömung gefaßt, bie ihren befonberen ©ang ßat, bie uns trägt auf ihren ©eilen, wie ber Strom, ber in feinem feften ©ettc, unb bod) fo frei bie (Ebene burdjmallet.

Vielleicht ßat!« gefdjienen, at« wenn icf) bodf gar ju weit für unfer £f|ema au«f)olen wollte; aber ift mir gerabe öarum ju tlfun, gunäc^ft eine einjige, einheitliche gbee ?u ©runbe ju (egen, um, bei ber öorgefdjriebcnen föirje möglichft §u concentriren, llnb bat) ©efagte genügt feßon al« äRaßftab, um bamit an ben (Roman unb feine« @leid)en heranjutreten. (Der (Roman nimmt alle greifjeit ber ßoefie in (ttnfprud), offne fief) beren ©tfefcen unb Vefdfränfungen in gorm unb ©ef)a(t $u unterwerfen. Ireffenb fagt Schiller, wo er einmal oom (Roman rebet: „Die greipeit be« Dichter« wirb eine b(o« oeräc^tlidje ßicenj, fobatb fie nicht au« bem £>öd)fteu unb (Sbelften, ma« ben Dichter au«macf)t, fann abgeleitet werben." Die 1 waljre ß r o f a ift gebunben bitrd) ben Stoff, burth bie Jfjatfache unb ben ©ebanfen ; ihre Aufgabe ift, bem Stoffe gehorfam ju fein, ihm ju bienen mit ©aprheit unb Klarheit ; bie ed)te ß o e f i e binbet fich freiwillig burch ftrenggefcfelic^e gorm unb fdjöne Sitte; fie ift eine (Republif im ibealften Sinne; ber (Roman aber unb feint« ©(eichen ift wie eint (Republif, worin bie tble ©efefclidjfeit unb ber hol)«. ft«h felbft beherrfchfnbe Sinn fehlt; unb ba weiß geber, wie halb bie greiheit ju gormlofigfeit unb 8lu«gelaffenheit hinüberftifjrt, bi« fpuab jur Verwilberung unb Schamlofigfeit. Vergleichen wir bie gebunbene gorm ber ßoefie, Ver«maß unb ma« fonft ihr eigenthümlich ift, nur einer fileibung, einer gcfe^lidien StanbeSfleibung, fei eine mili« tärifche ober aud) dericale, wer weiß nicht, welch eine ©emalt

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$tiurid) 35one.

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in foldj einem änjuge befte^t, nid)t etwa bto« in bcv SMrtung nadj aufjen, fonbern roie aud) ba bie gefef}lid)e ©ebunbenbeit ber gorm ben Dräger fctbft binbet, iljn immer mieber maltet unb Ijält, um nicht abjugleiten in Unmürbige« unb ßntebrenbe«. Darum fdjon allein ba« ® e m a n b be« SRoman« genügt, um if)m nom Stanb* punfte ber ^ßoefie au« $u fagen : „.fjinroeg mit bir, bu l)aft nicfjt ba« t)od)}eitli(f>c Sleib ber ^ßoefie an, ju ber bu bid) gefcllft.“ Unb ba« haben biefenigen Sßötfer gefügt, bie mir at« SRufter ber fprad)licben Darftellung unb literarifcben (Srjeugniffe oerefjren, hoben bie claffifcben SBöfler be« ältcrtbum« nicht etwa gefagt, baju mar nicht einmal 93eranlaffung fonbern tbatfäd)li<b beroäbrt in ben feiten i^rer geiftigen Sraft unb ©liitbe. Denn ba beißt e«: entmeber frofa, mit Skbrljeit ber £bötfache< mit Slarbeit ber ^Belehrung, unb mit ßnergie ber Ueberrebung (alfo im £>iftorifd)en, Dibaftifdjen, Dra= torifdjen), ober {|3oefie mit ihrem freien Schmunge, aber aud) mit bem 3i>gd ber gebunbeneu gorm. 91id)t« mufften bie ©riechen, nicht« bie SRömer non bem ©ernäd)«, ba« mir SRoman nennen. (Srft im 4. ^abr^unbert nach ß^riftu«, ju ST^cobofiu«’ feiten, lommen in griecbifcher Sprache profaiftbe Stählungen non Liebe«aben» teuern oor, bie man gelegentlich beim 2lrtilel fRoman, alfo in ffiabr* beit eben nic|t ju feiner Sbre, (iterarbiftorifcb in Srmäbttung jiebt; unb non ©eiten römifeber Sdjriftfteller roeijj man ju biefem ^meefe geroöbnticb nur bie ®efcbid)te be« golbenen Sfet« non bem lateinifd) unb grieebifeb fe^reibenben äfrilaner Slppuleju« (im 2. 3abrbunbert) anjufiibren, bie firf) aber nur mit allerlei munbcrlicben SBermanb* (ungen befdjäftigt, mie aud) ber Skrfajfer fein Leben in unftäten ffianberungen unb abenteuerlichen ÜJibftericn betrumgetrieben batt£*

Unb roefentlitb nicht anber« mie bei ben ©riechen unb {Römern fteben aud) bei anbern SJölfern, namentlich auch bei ben Deutfdjen in ber mittelalterlichen fBliitbejeit, bie mabren Iräger unb Vertreter ber böberen Literatur ba. Scheinbare 2lbmeid)ungen, foroie bie einfache Srfdjcinung, bafj gro§e ©eifier auch in ber gorm eine« fRoman« ihre ©röjje betbätigen, mie umgefebrt Unberufene unb Ungemeibete ficb mit ben gormen ber ^Joefie, etma nur mit 33er« unb SReim, umbängen, brauche id) faum anjubeuten ; bie Sache fetbft liegt in ben majfgeben« ben Serien ber Literaturen 5U offen nor Slugen. Sin Schiller, ber gelegentlich ben iRomanfchreiber „nur einen ^albbruber be« Dichter«" nennt, fonnte feinen begonnenen ©eifterfeber nidjt ju Snbe führen, unb ein ©oetbe burfte feine fRatbabmer benn fRacbabmer in bet

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lieber Vornan unb Äomanenlfctüte.

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fiunft ocrfte^ctt gewöhnlich am wenigften ben tieferen Sinn beS SßeifterS gewiffermafeeu ihrem eigenen Selbftgeridjt iibcrlaffen. Unb wenn wir abfefjen oon bem eben nidjt fefjr erbaulichen ©orfpiel im frangöfifchen 3Jlitte(alter unb non jener Operation, bafe man große Did)terwerfe in ©rofa auflöfete unb aus bem ©ebiete ber ibealen Äunft gu biofeen £)iftörd)en für bie grofee ÜHaffe feerabjog, was ja immerhin feine ^Berechtigung haben mag, »ft bereits barauf hin» gewiefeii, bafe bas Unwefen ber eigentlichen IKomancnliteratur erft feit ber ^Seriobe ber neueren 3C*1 batirt, jumat feit ber giortfehritt ber ©uchbrucferei es möglich gemacht, bafe bie fiiteratur fich nicht mehr aus eigentlichen Serien aufbaut, fonbern, wenn auch nur als Spiel ber flüchtigen 3e‘J» alles 'n fi<h aufnimmt, was in ©uchftaben unb treffe gebracht werben lann. Unb was ift bann leichter falls man überhaupt gu fdjriftlichen Darftellungen befähigt ift , als ins ©eite unb ©reite eine (Srgähtung gu behnen, felbft mit pifanten Spannungen unb ©erwictetungen ? @8 bebarf nur ber Routine,

©on jebein Spagiergang, jebem ©efudje, erft recht oon jeber Dieife bringt ber Sftooellift ßabungen oon Stoff mit fich, bafe man fich fdjeuen möchte, mit einem folgen an Crinem Sifdje gu fifcen, um nicht feinem ©ufto gu beliebiger Unterlage gu bienen.

Üflan benle fich, 3£manb wolle ©oetfec’S ^ermann unb Dorothea, nicht etwa in eine einfache profaifche ßrgäljlung umfleiben, fonbern in einen mobernen IRotnan umwanbeln, was für ein ©allaft oon Diebenbingen, oon Scenen unb Scenchen, Schilberungen unb (Spifoben Würbe ba berangefchleppt werben fönnen , um ein gweibänbigeS SRomanwert gu Sage gu förberti. Umgelehrt aber, man gebe bem ©erfaffer eines groeibänbigen 9?omanS, infofern er glaubt, ben Dichter* geift in fich ju tragen, einmal . auf, feinen Stoff in ©erfe gu bringen, in ein <5poS’ gu oermanbeln! ©ie wirb ba gufammengetehrt , gefäu« bert, gefiebt unb gefichtet werben müffen! wie wirb ba alles um* gefchmolgen werben miiffen, fchon allein um ber Sprache willen, bie ber 3fhhtIJmu® klangt! Unb was bann enblich gu Sage lommt, in ben meiften gälien, glaube idj, wirb es leinen ßefer mehr finben, gleich als wenn baS ©erSmafe, bas boch feinem ©erufe nach bie fchöne Sföufil ber Sprache fein foll, nunmehr gu einem Slbfchrecfungsmittel geworben wäre. Daoon wiffen bie ©erleger gu fpredjen. Denn fo tief finb wir allerbingS oielfach gefüllten, bafe ntan fich fürchtet oor ber Öectiire oon ©erfen, erft recht, wenn fie etwa, wie eine filopftocl’fche Obe, gugleich iiberbacht fein wollen, freilich wirb ber tiefere ©rimb

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$einrid) 9?oiu.

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in bem ÜRangel an echter floefie lügen; bab ift aber gerabe eine üSeftätigung beb ©efagten, bajj ©eßeinpoefie in fie^ feCbft erfiieft, ohne Lefer 311 finben unb ffiivfung $u üben, roätjvenb (Romane fdjon allein wegen beb materiellen 3nljaltb unb Verlaufes, man (amt fagen Der* fcßlungen werben. Unb wab fittb benn bab für ©roßen, welche jeßt jumeift bie fogenannte Unterhaltungslectüre beßerrfeben, bie ba mit (Romanen unb Üiooellen ßeranfcbmimmcH unb ftätige Ablagerungen galten?

„Vor bie lugenb haben nach altera ©pruebe bie ©ötter ben Schweiß geftellt." (Riebt anberb i(l eb mit btr Äunft. ©ab (eine Äraft unb (eine Anftrengung ber Kraft ge(oftet, barin Derbirgt fid) irgenbwo ber ©urm ber Unwiirbig(eit. ÜRan überjeuge fid), wie bie wahren ©rößeu unferer Literatur gearbeitet unb gefeilt haben ; wie ein Klopftocf fünfunbjwanjig 3aßre für feinen ÜReffia« brauchte; welche Stubien unb ßorrefponbenjen ein Sdjiller (man lefe Mob feinen Vriefwechfel mit törner) für eine einjige ©allabe oerweubete, unb frage fid) bann, ob eb nicht ein £>oßn für bie Lefer ift, wenn ein öiterat oielleicbt wäßrenb feine« förperlicßen grithftücfb tagtäglid) ihnen ein geuilletomgrühftücf für ben folgenbeu äRorgen bereitet. (Run ja, eb finbet fchon Lefer, wenigftenb für langweilige Stuuben Aber nichts entfpridjt fid) auch fo fel)r, alb (Roman unb Langeweile; fie tractiren fich gegenfeitig unb eineb lebt Dom anbern. 3<h wieberhole babei gerne, bafj wahre ©rößen in jeber gorm fich geltenb erhalten unb baß manche, in ©aijrheit mehr bibattifche alb erjaßlcnbe ©er(e burch gorm unb (Rame eineb (Romaitb noch nicht ju bem (Roman alb foldjem gehören, wie foldje Sd)riftftelier auch nicht (eicht ju eigentlichen (Romanfcbreibern werben, fonbern eb meift bei bem einen ober bem anberen ©erfe bewenben taffen, worin fie gewiffertnaßen ein ©efammt* bilb ihre« eigenen Seins unb ®en(enb nieberlegen. $ier tritt mir ber gewaltige ©octße oor Augen, beffen ÜReifterfchaft fich auch im (Roman bewährt hat. Aber ich fage babei: feine (Romane, fo Der* fänglid) unb bcbettdich fie für bie Lectüre fein mögen, finb (eine (Ro- mane in ber gcwöhnlid)en Vebcutung beb ©orteb. Sic liegen nicht alb ©reigniß, $anb(ung, ßntfaltung außerhalb feiner ^Jerfön liebfeit, fonbern fie liegen in ihm felbft; eb finb feine eigenen inneren unb äußeren ©rlebniffe, Affectc, Verirrungen, Leibenfehaften, Kämpfe, $er* ,3enb* unb Scelcnjuftänbe; Verbältniffe ju Anbern, wirtliche ober leichtmöglidje, feimenbe unb gereifte, bleibenbe unb jerriffene; unb nicht minber geiftige ©rwerbniffe, gewonnene Anfief)tcn, ©runbfäße.

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lieber 9?omoii un& iWoniaiienfectiire.

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Uebcrjeugungen unb 3weifel, atfo eigentlich immer getragen oon innerer fubjectioer ©ahrfjeit, wie er ja and} oon feinem erften Vornan „©ertherb Reiben" fetber aubfagt, ba| er burd) bic Slbfaffung beb« felben nur ähnliche ^uftänbe non fid) felbft ^abe «bfd)üttcln mollcn. Der eigentliche SHontanftfjvciber aber fu<f)t nach einem entfpredjenben, ganj aufjer ihm liegetiben Stoff unb oerarbeitet ihn alb foldien gewiffcrma§cn faltblütig nach SRafjgabe feiner ^3^amafie unb feiner Intentionen; unb ba tritt benn bei roachfenber gertigfeit unb Schreib» luft sulcht (eid)t babjenige ein, roab man fabrikmäßig nennt, jumal wenn bab Sdjreiben fid} alb ergiebige (SrwerbbquclJc erweifet.

Unb nun bab ©eben fliehe unb SB erb er bl idje ber SRomanen« literatur unb SRomanenlectiire. 3d) fpreche nicht oon folchen SRomanen, bic fchon burd) Inhalt unb Jenbenj bem Unfittlidjen unb Unreinen SBorfdjub leiften, obgleid) man wirflid} baran jumeift benft, wenn oon SBerberblid)feit ber fRomanenlectiire bic SRcbe ift; benn eb ift, wie nicht atibcrb ju erwarten mar, früf)jeitig bahin gefontmen, bafj b ab in ber gorm ©erfefjrte aud) böfen Stoff erzeugte, baß in ber gefehlofen SRcpublif beb SRomanb auch Sittenlofcb unb Sdjamlofeb aufmud)erte, fo baß eb Dielfad) wie eine Cafe in ber SBiifte anjufeljcn ift, wenn einmal oon einem SRomatt gefagt werben fann: barin ift nidjtb Sin« ftöfjigcb, nichtb Unlautereb; ber fann, mab ben Snljalt angelt, un= bebenflich gelefett werben. Slber oon bcrgleichen Dingen, bereu tätlicher Un werth fich felbft richtet, fpredje ich hier rtic^t ; ich fpredje junächft oon bem Söebenflidjen unb in mancher SBejiehnng gerabeju iberberb: liehen, bab bic SRotnanc alb folche, burch ihren Gharaftcr unb ihre gorm in fich tragen, felbft wenn fie in ihrer Jenbenj unb ihrem (SJefammtinhalt fogar für bie fReligion, für bic Üugenb auftreten.

Der fRomanendjarafter, ber SRomanengeift, ben ich meine unb ber im golgeuben fich noch flarcr heraubftelieu wirb, fann aud) in bie fcheiubar unfehulbigften Srjählungen hinüberfpicten, macht fid; oft nur in einzelnen Situationen, ©efprädjen unb Spannungen geltenb, loätjrenb bab ©anje eineb ©udjeb alb preibwiirbigeb ÜReiftcrftütf ber @rjäl)lung, ja alb SBcrf ber genaueften hiftorifchcn ober aud) pfhd)o» logif^en SBahrljeit bafteht. Sollte ich folche SBerfe namhaft machen, fo würbe ich felbft bie befannte, gewifj in ihrem SBefentlichen mit 9icd)t gefeierte „gabiola" in ihrer jweiten $älfte nid)t ganj frei fprechen oon fo(d)cm Stnhaud), wie fchon in ber erften §ä(fte bab ©erlaffen beb d)rouologifchen ©obenb für b'ftorifcfje Sßerfonen mehr alb bebenflid) erfcheint, ja in 5B?a^rf)eit ju bebauern ift. Unb follte

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Jpfinvicf) ©oiu.

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3emanb an bic unantaftbaren „Verlobten", bcn fjerrlidifn Vornan Don üRanjoni, beulen, fo roctß ich jroar nicht meßr, Don roem, aber ich glaube, aus jUDerläffigfter Cuellc Dernommen ju haben, baß SDlaujoni über bie Slbfaffnttg biefeS {Romans [ich fpatei* felbft bebenflidi geäußert habe. Doch, wie gefagt, ith will mich an beftimmten ein« jelnen ©erfen hier nicht »ergreifen ; es tomint mir barauf an, all« gemeine ßaltpunlte aufjuftcücn. Unb fo will ich junäcßft eine {Reiße Don ÜRomenten aufjäßlen, bie mir bei ber {Romanenlectiire tßeils burchgcßetibs, tßeils ucreitijelt als befonberS (ßarafteriftifcß unb fchäblich erfcheincn. 3tß rechne baju :

1. erftenS basjenige, roas ich bisher als ©runbibee jur t5tjaraf= teriftif bes {Romans anfgeftellt: baß nämlich ber {Roman unter ber 0orm, man lönnte fagen unter möglichft materiell abpinfelnber gorm ber ©aßrßeit loSgelaffen im llnroaßren ßerumfchiDeift. ©erabc bie Sprache ber fßrofa hält ben Cef er roie auf ßiftorifeßen ©oben ber ©irflicßfeit feftgebannt; er wirb nicht, roie bei ber Dollgültigen {ßoefie, feßon bureß ben {Rßptßmus, bureß bcn elften ©erSflang, in eine anbere ©eit, in bie ©eit ber fifnnft unb ber 3beale entrüeft, fonbern er lieft unb lebt in ber Sttmofpßärc einer leibhaftigen ©irflicßfeit; unb fo befinbet er fich in einem ©iberfprncßc, ber rooßl ein ©erfeßr mit bem ©eifte ber Cüge genannt roerben lönnte. Der ©egenfaß roirb biefeS betulicher ntaeßen; icß frage 3tben, roie ganj anberS es ißm ju ÜJlutße roirb, roeun er bei einer profaifeßen @r;äßlung (bei einer poe* tifeßen, bei Epos unb Drama, fällt ißm biefe {Reflexion gar nicht ein) baS gcroaltige ©*ort oernimmt: „ES ift bas alles bie reine ©aßr*

ßeit.“ ©ie roeit treibt es aber ber {Roman! ©ibt es ja fogenannte gef eßieh fließe {Romane, roelcßc fieß förmlich baS ©rioilegium ßerauS- neßmen, auf bem heiligen ©oben ber ©effßießte bie ©aßrßeit mit ber llnroaßrßeit in Eins ju fcßmeljen. Oft genug ßört man bie ©attung ber gefcßicßtlicßen {Romane iogar als bie roiirbigfte preifen, na- mentlich als Spiegelbilber ißrer 3c't unb als Entfaltung ber ßßaraf« tere, roie man fie auf rein ßiftorifeßem ©oben nicht oorfüßren föttne; icß möcßte fie aber gerabe ju ben gcfäßrlicßften unb fcßäblichften mit« jäßlen. Denn roelcß ein ©ebiet ber Entftellung, unb jroar einer bureß bie Äunft ber Darftellung bem 8efer fieß tief einprägenben Ent« ftellung liegt ba offen! ffio bleibt ba baS ©eltgericßt, roelcßcS bie ©eltgefcßid)te fein foll? unb roo bleibt -baS eigentlich ©irtfame bes ßiftorifeßen, roeun man fieß am Eitbe fagen muß: baS ift alles reeßt gut unb ftßön; aber eS ift nicht ber ©aßrßeit entfpreeßenb. ©lancße

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Urfaer Cornau mit iHomantnlcctUrc.

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@efd)id)tfd)rfiber machen cb frcUirf) oft uidjt Diel beffcr ; fie werben aber fetbcr bab (Gericht erfahren, bitfe (S}efcf)ic^temadjer. 3Bie gart* fiifjlenb waren bagegen bie claffifdjen ätten! Selbft für i^rc Iragö* bien oerfd)onten fie rein t)iftori|d)e Stoffe 1111b hielten fid) an bie alten thpifdj geworbenen Sagen.

2. 3enc fdjcinbare ©irflidjfeit, oon welcher bcr tiefer umfponnen wirb, ift nun aber in ffialjrfjeit nicht etwa eine bloße Schichtung oon 2Birflid)feit, fonbern fie ftefjt in ihrem (Grunbwefeu im ffiiber« fprud) mit ber ffiirflid)feit, eben weil bab poetifche Stemcut, meld)eb bcm th'oman antlcbt, bie (ifjaraltcre unb Situationen ibealifirt, bie (Sfjaraftere alb fold)e, b. ()• als 3beale nad) ber jebebmaligen ein« gefdjlagenen IRicßtuug hin, beljanbelt unb bun^iifiifjren fudjt, wälfrenb bab wirtliche Sebcn ber gnbioibuett fo wenig ein ibca(--conftanteb Sebcn ift, alb ein ßidjbaum auf Srbeit eine 3beal<Sid)e, fonbern ein gn» bioibuum ift. Diefer 3ro‘elPa^t roirb >n ber echten ‘iJocfie bnrd) il)re ganje ibcale ©efefelidjfeit ber gorm, fcf)on bei bcr erfteit .geile burd) l<erb unb Dfhhthmub, aubgeglicheit, abgefchen oon all bent llebrigcn, roab jum fficfen ber wahren 'ßoefie gehört unb über bcu ültaßftab ber materiellen ffiirflicßfeit emporträgt. Darum liegt eb aber aud) nafje( baß bcr SRotnanlcfer, juinal ber jugcnblidje, in Alteration mit bem Sehen gerate unb am ßnbe fid) felbft unb bie 'ßcrioneu, mit benen er in (Berührung fommt, nad) Deuten, ömpfinbcn unb Raubein ,öom iHomanftanbpnnltc aub betrachtet, unb jutefct, wie man ju fagen

pflegt, felber Dioman ipiclt, in feinem inneren unb äußeren Sehen, im Smpfinben unb Dieben unb ^anbetn gormcn nadjäfft, bie nur burd) bie fdjeinbare aSßirflicßfeit beb Diomaneitftoffeb il)n bctßört haben. 3n biefcr $infid)t möchte id) bie alten Stäuber» unb Diitterromane eben baburd), baß fie fo Diel gernliegenbeb unb ffiunberbareb in fic^ auf« \ nahmen, für nic^t fo bebenflid) Ijalten, alb bie mobernen, bab wirf« liebe Sehen fcf)einbar getreu abpinfelnbcn unb baburd) mit ihrem (Gciftc fid) inb $erj einfd)teid)enben Dtoocllen unb (Romane, worin für alle möglichen täglichen Situationen gebredjfelte ^h^fan erlernt werben, bib jit bem „Dieb ißätcrchen", „Sieb ÜRiitterd)en", womit bab fiinb feinen Sigenwitlcn ober aud) feine tRafemeibf)eit umflcibet.

3. Diefer 9iomanen«Stanbpunft offenbart fieh nun aber wab id) alb britteb djarafteriftifcheb SRoment heroorhebe, unter anberm ganj befonbtrb in einem übertriebenen gergliebern unb Detailliren, wo nur immer (Gelegenheit baju ift; oft bei ben alltägliehften (Gegcnftänben unb SBorfommniffen, bei ben unbebeutenbften iitnern unb äußern Sr»

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£>ctnrid) ®otu.

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(rbniffeit. Da wirb jebe Haltung beS Körper«, jebe ©ewegung eine« jarten gingerleinS, jeber ffieebfel in ©lief unb SDiiene oorgefii^rt, als bürfe man feinen iDienfeben an ficb oorbeifaffen ober mit ibm ju« fammenfomtnen, ohne ibn bis ins iperj hinein ju pf)otograp^iren unb $u ftubiren. Um $u einem ©ntfebluffe ju fommeu, etwa ob eine ffiinfabung ium 5^ce angenommen werben foll, wirb ein ganjer ©allaft oon ©ftjcbologie unb üftoral, ©ionolog unb Dialog oerwenbet. llnb ge{)t’S gar jum ©all wie wirb ba jebeS gärbeben unb gältebcn, jebeS SräuScbeit unb Sträußeben, jebeS feefe gebereben ober befebeibene ©eilten am Sopfpub in ©eadjtung gezogen, felbft wenn ba« ju ©a(( ©eben at« ein gefjorfam bcmütbigeS fDii'tffen einer frommen Seele oorgefiifjrt wirb. 3a, als foftfje ©itelfeitsfcbulen erweifett fid; oft fromm febeinenbe fttomane. Unb nun gar empfinbfame $erjenS* juftänbeben, unb wären fie aueb in ät^eriftfje grömmigfeit getauft was fiir eine würgenbe ittotb b«t cS ba oft mit Dingen, bie ber ftifdje Snabc, bas frifc^e ÜJiäbcfjeu faum ju ©ewußtfein nimmt. ©as füllte aus ber ©eit werben, wenn im gamilienleben bei beliebigen ©orfommniffen folcfje ©ontemplationen angeftellt würben, wie fie in Di'omancn öorbictirt werben? DaS.fiibrt ju bem

4. oierten fünfte, ben icb bfrt>orf}ebe. ©s ift baS 'Jieflectiren über fid) felbft, über jebeS ©mpfinben unb $anbeln, jebeS greubd)en unb fceibeben, jebeS geblereben unb ©orjügelcben, was burd) bie jRomanc geförbert unb gelehrt wirb. Sie fd)ön ift ein frifctjeS, unmittelbares ^anbeln! wie fcfjön ein ©lief, ber offen in bie ©eit fieljt, unb fieb nicht nach innen fdjrumpft, um fieb felbft ju befebauen! ©er fennt fie nicht, biefc ewig an fieb felbft nagenben ober bätfebclnben Naturen, bie ein gefutebeS, ©ort faum oertragen fiJnnen? Da wiffen

rnanebc fieb in einer ©eife anjuflagen, als wären fie bie bemütbigften Selbftforfeber ober ©elbftforfeberinnen, aber webe, wenn jemanb ihre Selbftanflage billigte, ober es auch nur unterließe, benfelben ju wiberfpreeben unb fie in Sorjüge ju oerwanbeln! ©in befonberer SluSwuebS biefeS SelbftbereflectirenS bot fieb früher erwiefen in bem fogenannten ffieltfebmerj, oerwanbt mit bem Spleen im öanb ber gepriefenften Diomane. ©s würbe jur Somit bienen, wenn es niebt in ben golgen boeb oft ju ernft würbe, wie fo ein frifcbeS junges ©efett fieb jum Unglücfliebften ber Sterblichen träumt unb meint, fein üffenfebtnfinb tönne naebempfinben , was ibm baS $erj jerpreffe. ©ertber’S Reiben, ©crtber’S Sentimentalität unb SOJelandjolic, Selbfttäufebung unb Selbftapotbeofe finb noeb immer im Schwang,

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Ucbec Stoniau unb tKoniaiienlrctUct.

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unb ber SRoman mit feinte ®(eid)en ^ilft oorjugSweife an biefer

Bucht.

5. 3ur <S^arafteriftif be« Vornan« h'be ich fünften« fjeroor

jene« £afcben nach (Sffect unb Spannung, womit er feine Sefer 511 fetten fuebt. Danon roei§ bie cd) te ^3oefie nicht«. Sieber fünbigt fie

im oorau« an, ma« ba« »©cbicffal" für bie Bufunft oerfügt bat, at« bajj fie für gemeine 'Jieugier nad) bem Sluegang ifjre gormen fdjraubt. ■' @ie bot auf jeber ©tufe ihren ©ertb in fief) felbft unb mag, ja foll unb will, roieber unb toicber getefen werben, wäbrenb ber fRoman fetten mehr a(« einmal feinen ßffect übt. 3®. man ?ann wobt fagen, baf aud) poetifdje ©tiiefe, $. ®. ba« SRagajin unferer fogenannten ©allaben, in bemfetben ®rabe an echter ißoefie ärmer finb, at« fie auf Spannung unb Ueberrafdjung antegen. Dem SRomanenlefer aber ift biefe ©pannung gerabe ber fiigefte 9feij, unb ber fRontanen* febreiber banbclt ganj ftug, wenn er feinen SRoman juitäcbft in genil» leton5« mit woblberccbneten fpannenben ?lbfä|}en anjubringen fuebt, ba= mit nicht etwa bie Seferin, wenn fie gleich ben ganjen Vornan oor ficb liegen ba(» ben Verlauf ber ®efd)id)te (oielleicbt nur mit ber grage: „friegen fie ffcb?") bunbblättert unb bann ba« IBucb beifeite legt unb jugleieb bei SJl^eegefpräc^en bocumentiren fann, bajj fie ba« betreffenbe neue SBerf bereits getefen. 6ben barum ift aber auch eine befannte ©acbe, unb eine ber nacbbaltigften Übeln golgen Don 5Ro« manenlectüre, bafj ber ©inn für ernfte, belefjrenbe, fowie für wahr* baft poctifcbe Seetüre bureb nicht« fo febr abgeftumpft wirb, al« bureb bie pifante, nemnfibetnbe ©peife ber fRomane. Damit bängt

6. ein fedjfter ißunft jufanimen, ben ich aber trob feiner ffiicbtigfeit nur furj berühren will, weil ich ihn nur ju nennen brauche, um fofort feine ©ernalt unb ^errfebaft oor Stugen 3U ftellen. (5« ift ba« Uebel ber Sefefuibt, bie au« ber fRomanenlectüre wie ein fülle« ®tft ficb einfebteiebt unb in ähnlichem ®rabe junimmt, wie bureb pifante ©peifen unb ©etränfe ber ®aumen immer nach fßifan* terem oerlangt. ®ibt ja Seute, beren ganje« Iagc«gefcbäft, bi« in bie fRadjt hinein, in fRomanlefen befielt- 3a, man fann fagen, ba§ Sefefucbt al« foltbe erft bureb bie SRomane aufgefommen ift, bafj fie eine moberne Seibenfcbaft ift, wie ber SRoman eine moberttc Siteratur. Sei wahrhaft b«lfomer unb würbiger Seetüre ift bie Sefefucbt faum benfbar. SSa« alle« aber unb' namentlich bei ber 3ugenb im ©efofgc biefer Seibenfcbaft ift, baoon wiffen gamilien unb ©d) ulen 31t erjäfjlen ; gamilien, wenn fie hinterher erfahren, baff ba« eine ober anberc ftinb

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$ t i n r i d) ® o n f .

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bergleidjen Sucher be'ml“h im ©erftecf gehalten; ©djulen, wenn fie bei einzelnen Schülern fchon au« beit unftäten jerftreuten ©liefen bas 9?ocf>mirfcn jener langfam betöubenben Cefcfäfte erfenneu. 3d) will eine anbere (Srfatjrung mittheilen. (Sine wahrhaft fromme Dienftmagb, bie an (Sonntagen in beit freien Stunben nichts anberee fanntc, als ©ebctbuch unb Sieben ber ^eiligen, fanb nicht etwa burd) fid) fetbft Gelegenheit, fottbern rourbe, um fie ju erfreuen, oeranlajjt, eine gut» gemeinte, jumal religiös oerbürgte Feuillctonönooelie ju tefen, unb febr halb jeigte fiib haft'9cö Verlangen nad) betn nächftfolgenben Feuilleton, unb fie mürbe wohl ficber allmählich jum Iperbeinafchcn oon unb 3U jener 'Sucht nach fpannenbeit (Stählungen gefomntett fein, »enn fie nicht mit ©JiüenSfraft fich jeitig baoon abgemenbet hätte. 3)aburd) hahc id) auf einen befonberen höchl’t wichtigen ©unft

hingebeutet, ber oon ber Sefefud)t untrennbar ift: ift bie ©er»

febtoenbung oon ^eit, bie ihr junt Opfer gebracht mirb. 2>aS mag

3eber berechnen, ber auch nur mäfjig mit fRomanenlectilre fich befchäf»

tigt, ober fRomanen«2efer unb ßeferinnen beobachtet h«t.

7. üßit altem biefem ftef)t nun in enger ©ejiehung ber fiebente unb lebte ©unft, ben id) Ijeröorhebe. <£s ift bas ©erberbnij? beö reinen äfthetifchen ©cfdjmacfs, ber wahrlich unb baS ift nicht ju unter» f (haben fo gewiß mit $erj unb Sitte in enger ©erbinbung fteht, als eS eine 2batfache ift, baß aud) bei ganjen ©ölfern reiner @e« fehmaef unb cble Sitte jufammen gehen. SRun weiß man aber, wie fo ein rechtet IRomanfabrifat gewöhnlich }U ©änben anfd)ioillt, unb ber SRomatifchreiber ganj nach ©ebarf ber ©erleger unb ber Feuilletons heute babinfd)reibt, was morgen Seber unb lUrucfcr in Shätigfeit halten muh- Siegt es ja in ber Form beS JRomanS, ba§ ganj nach ©elicbcn Scenen unb ,3mif<henfällc, liebreijenbe ©efchreibungen, färben» reiche Schilberungen unb langgejogene Gefpräche eiiigefügt werben tönnen. (SS gibt jroar manche Gelegenheit , wo etwas rafd) abgefajjt unb gteiihfam brueffertig gemacht werben mujj; aber ba hanbelt es fich meift um beftimmte fachliche ©erljältniffe; ber SRoman aber nimmt baS Gebiet beS äftfjetifcb Schönen, ber fchaffenben Sunft in Slnfprud) ; unb ba will gefeilt fein; ba gilt bie geiftige ©otbwage.

(Sin wefentlicher ©unft beim ©ielfdjreibcn ift bie ©elbfache. SRun gefchieht es feiten, bafj ein SHoman bie jmeite ober gar britte Sluflage erhält; es gilt alfo, gleich beim erften <5rfd)einen bie ©ewinnquelle auSjubeuten; benn für’S erftemal fefct fchon ber fRcij ber iReuheit unb baS ©ifaitte ber Uenbenj bie üageSblatter unb Seihbibliotljefen in ©e*

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lieber ßioman unb Womatimbctflcr.

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wegung unb lägt btn f)ot}en s|$vti8 mit burchfdjleppen. Unb nun beadjte mau, welch großer, fplenbiber Drucf heutjutage in Woinanbänbett gewöhnlich angewanbt wirb, mit wenig feilen auf einer Seite, ja, wie oft fiir ein „3a" ober „Wein" ober fonftige alltägliche SBerfehrSlaute eine ganje 3eile in Slnfpruth genommen wirb; bie 3(ite roirb ja befahlt, bem Sßerfaffer , unb nicht minber bem ©erleget bei feiner ©efammtrechnung. ÜWan beachte ferner, in welch gebehnter töritge gewöhnlich bas wenige factifcge, bie £>anb(ung wahrhaft fortfiihrenbe filement fjerumfdimimmt, mit welcher Schnelligleit man ein lageS» feuilleton ober gan^e Seiten eines WomanbanbcS überblicft hat. Unb wie wohlfeil folche Schreibfunft ift, bation lann id) ein ©eifpiel an= führen.

3d) hatte einmal einen Schüler, id) glaube einen Ober- fecunbaner, beffen beutfdje Sluffäfee wahrlich nic^t }u ben beften ber filaffe gehörten, fonbern recht fefjv ber Äritif beburften; er war im Uebrigen redjt orbentlidj unb trat nur wegen befonberer ©crfjältniffe au«; unb fiefje ba, gar halb nachher war in einem redjt beliebten öffentlichen ©latfe eine Wooelle oon iljm $u lefen. 3«, eS wirb nicht leicht eine UnterhaltungSjeitfdjrift auffommen, bie nicht fehr halb bein Ueberflufj oon jugefanbten Wooellen unb Womaneu ju begegnen hätte. SBer erinnert fich nidjt an bie ber Älofterromane, bie aus bem Ubrif»Scanbale ober oielmehr llbrif*5Romane heroorbrad):' iJJiufjte ja ein Womanoerleger jule^t an fein ©ureaufdfalter anfdjlagen, baß Citeraten mit ftlofterromanen fich nur unangemelbet wieber entfernen möchten.. Wun wer in folgern ©allaft, wo oft ein ganjeS SageSfeuilleton nur ein breitgetretenes, manierirteS, geljattlofeS Utjee* ober Salongefpräd) bilbet wer in foldjem ©allaft, foldjer ©riihe oon Stil fich her« umbewegt, beffen äfthetifcher Sinn wirb nicht minber bcfubelt unb abgeftumpft werben, wie bie Sitte in ungefitteter ®efellfd)aft.

2llS Stilregel, etwa fiir Schüler jur änfertigung eines beutfdjen äluffaheS, barf gelten, baß man, ege man ju fchreiben beginnt, juoor irgenb eine oorjügliche Stelle aus einem üorjiiglid)en Schrifftefler fich laut oorlefe. DaSfelbe SWittel biirfte $u empfehlen fein, wenn man etwas Weites, jumal im (Gebiete ber fcfjönen Literatur, woju ber Wornan fich rechnet, ju lefen ober auch nur $u burchblattern beginnt, unb man wirb alSbalb erfennen, in welch feidjtem ©ewäffer fidj bie ge» wohnlichen UageSromane bewegen, um balb hier halb bort ein brbeut* fames ©eplätfeher ober einen fchillernben Schaum ju erregen. 5Ser lönnte, wenn er ben erften SDionolog oon ©oethe’ö 3Ph‘8enie fich wr»

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$tinticf) Sone.

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lieft, ober auch, um in unterem jefcigen ©ebietc ju »erharren, wenn er in ©oethe’8 befannter Diooelle blättert, bie tr gleidjfam als üJiufter-* nooelle einfach blo« „Diouelle" betitelt unb bie ihren bebeutungsoollen

Schluß finbet in ben ©orten:

„SStmt btr (Sro’ge fierrfdjt auf (Srbfii, lieber fflteere tjerrfefit fein SBIid;

Vönen foQen l'ämmer nierben,

Unb bie SBette jdjwontt juriid.

Slaittc« Gdjtbtrt erflarrt im $iebe;

®laub’ unb Hoffnung finb erfüllt;

SQunbertbätig ifl bie Siebe,

®ie ftcl) im ®tbet fntfjüllt.'

toer fönnte nad) fotcher Vectüre fid) noch gebulben, toenn j. 93. in einer namhaft geworbenen preisgefrönten Feuilleton- Dlonelle, bie mir gerabe jur $anb liegt, ein SBater bei feiner abenblichen Dfücffehr, in» bem er beim 3Tiftf)e feine Sodjtcr nicht trifft, ju feiner grau fagt: „Slber wo ift litldjcn?" „Sie hat heftige Äopffchmerjen unb läßt bir gute Diacßt roünfchen." „Sfopffdjmer^en? bie fnnnte fie bo<h bi« jefct nicht, ©arft bu bei ihr? @8 wirb wohl nicht« Schlimmere« fein?" „Sieb was," fchnitt fie feine Diebe ab; „morgen wirb fie fchon wieber munter fein; ift am heften, man lägt fie in Diul). ©er hat nicht juweilen Üopfmeh? Se^e bich jefct ruhig hin, unb laß un« effett; bu wirft miibe unb hungrig fein."

®odj genug oon ber CSharofteriflit be« Dfomanengeifte« ! 34 bin baoon ausgegangen, feine Diichtberechtigung, feinen inneren Äern ber SSerfehrtfjeit wefentlich ju concentriren auf bie (Sine 3bce, baß er fidj bie Freiheit ber Dichtung anmaße, ohne jugleid) ba« hod)= Seitliche ©ewanb ber ÜDidjtung anjulegen, ohne ber ©efefclichfeit ber fchönen F»tm fich ,?u fügen, ber fd>önen Form, beren äußere ärrfdjei» nung allerbing« 93er« unb 9?bt)tf)mu« ift, beren ©efen aber in ber liefe liegt, worau« ber Dtypthmu« gleichfam al« ßarmonifthe« 93ebürfniß entquillt, töefanntlich hatte ©oetße feine Iphigenie juerft in 'ßrofa bearbeitet; wer aber biefe ihre F°ttn fennt, weiß, mit welcher ©ewalt fich auch ba ber Dfhhthtnu« gelten« gemacht hat, fo baß, wo nicht ber jambifche Dihhthmu« fdjon oollftänbig lheroortritt , oft nur geringer 93erfefcungcn bafiir bebarf. -liadj folcher ßoncentration nun ift ^eit, einem (Sinwurfe ju begegnen, ber ebenfo concentrifch nieber^ufchlagen fcheint, wie ich concentrifch aufgebauet habe. 3Jian

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19 Ui6tr Vornan linb 9tomamnlfctiive. 125

wirb fagen : „Dann fällt ja bte ganze reiche Literatur ber in ißrofa gefchriebenen erbichteten (Erzählungen, fallen am (Sitbe gar alle bie @efdjid)ten, womit wir bie liebe gugenb befchtnfen unb ganz anftänbig bie gamilien erfreuen."

gür« erfte barf id) t)ier, ohne eigentliche SRiicfberoegungen ju machen, entfehieben fagen, ba§ fo ein (Erzähldjen, worin eine Gebens« unb «Sittenregel anfchanlich gemacht wirb , baf Keine lehrreiche ©efdjidjtchen, Parabeln unb gabeln nicht« gemein Ijaben mit bem gezeichneten Siomanengeifte, barf ferner fagen, baf fogennnnte üRärd)en fdjon burch ba« tjan bgreiftid} ©nnberbarc (Unfittliche« unb Un* geziemenbe« laffe ich ja immer beifeite) auch banbgreiflid) in eine anbere Seit oerfepen unb feine Alteration mit ber wirtlichen Seit in fich tragen; barf noch weiter gehen unb h«oorhcben, baf ber 9i'eid)thum alter Sagen, eben weil bie ©eftalten berfelbeit, ähnlich ben Jpomerifchen Sagen, im 9Runbe be« Bolle« wie in ben alten Boll«» büdjern einen feften unb gewiffermafen tQpifdjen (Eharafter ange* nommen hoben, eine Berechtigung be« Siebererzählen« mit fich führet; ja, ich brauche, ohne SRücfbewegung zu machen, hi« nur ju wieberholen, baf ja immerhin Serie gibt, bie in ber fcheinbaren gorm eine« 9iomane« ein große«, tief burchbachte« ©ebanfengebiet offen legen, ober au« wahrhaftigem gnnern entquollene« Seelen* gemälbe entwerfen, ohne in jenen mobernen Diomanengeift einjugehen, wie er fich h“uptfäd)lich im 17. unb 18. 3ahrhunbert lo«gewicfelt unb, burch Siebe«* unb SKäuberromane pinburth, jule|t für alle« Mögliche fich in förmliche gnbuftrie* unb gabrif«thätigfeit gefegt hat, reich an Kanälen, um nach aßen ©eiten hin feine unfoliben Saaren ZU oerwerthen. Aber ich habe ja überhaupt gar nicht oon (Erzähl* büchern al« folgen gefprodjen; weif gar wohl, baf fcfion beim Slinbe mit bem eigenen Sprechen auch ba« Verlangen nach Erzählung erwacht, baf ba« (Erzählen ein naturgemäfe« (Element be« Boll«teben« ift, unb faft jebe« Dorf feinen beliebten (Erzähler befipt, habe alfo gewiß nicht biefe immer frifch fprubetnben münblidjen Duellen für fchriftliche Darftellungen eerfcpliefen unb oerfehmen wollen, fonbern ich habe immer ben fpecififch gezeichneten Dtomanengeift oorgefehrt; unb ba möchte ich ju augenfdjeinlicher flärung hinzufügen: ber Ber* faffer eine« SRoman« möge einmal ben Stoff beöfelben im greife ber ©einigen ober cor ehrenwerten greunben unb 3uf)örern mün blich erzählen, unb ich bin fidjer, baf ba gerabe baöjenige, wa« ich fRomanengeift nennt, wie Spreu fich hinmegfieben würbe. Doch

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.fteiimdj ®out.

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bebarf faum ber genannten einfachen Sluanaljmen unb ÜNobificationen, um bie aufgefteOte 3bee über 9?omane unb fRomanenlectüre in großen Sanken feftjuhalten.

SDScnn aber bennod) ©eforgniß übrig bleibt, baß bann ja eine« ber größten ©ebiete oon Unterhaltung«lectüre fallen mürbe , bann mödjte ich confequent fagen: „3a, lajfen mir fallen mir merben feinen ©d)abcn nehmen; feinem $aufe unb feinem $inbe, feinem 2J?eifter unb feinem ©efellcn, feinem ©ebilbeten unb feinem llngebilbeten roirb baburd) ein fonberlidje« ©ut entzogen merben. ©Jir preifen, um biefeö nod) einmal {jeroorjuljeben, bie alten ©rieten unb fRömer in ihren ©Jerfen unb in ihrer öilbung ; mo ift benti ba eine profaifdjc Literatur oon erbid)teten Stählungen jur behaglichen Unter» haltung in langroeiligen, ober auch, woran fie fo reich waren, in otiöfeit ©tunben? Da ftehen bie großen oollenbeten Dicßterroerfe mit ihren ibealen formen, worin 3un9 unb 3llt fid) gehoben fühlte, unb baneben bie ©rofaroerfe ber ernften ins* lieben eingreifenben ®ahi'heit; ba h£'ßt c«: fich erheben in bie $öl)e, ober arbeiten auf bc« ©cifteö ©oben, ©eibeb wirb feine Ceibenfchoft. Unb mir haben ba« ©ud) ber ©ücber, an bem ba« ©oll ©otte« fid) t)iclt unb nährte ; ba fjtißt e$ gleidjfall«: ©oefic bc« ©chmungc« mit poetifefjer gorm, ober ©rofa mit bem feften ©oben ber ©Sahrljeit unb ©Mrflichfeit ; ich fagte ©oefic; ja ©oefie im ©uch ber ©iicher; aber nicht bie menfchliche ©lufe gab ©Ijantafie unb Gmpfinbung, fonbern ber roai)r> haftige ©ott gab 3nfpirotion, ©ifion unb Slffect; ber ©eift ©otte« fingt in ben ‘»Pfalmen. Die .geit fetbft übt ©ericht! SBo finb bie jahüofeu SRomane, bie feit ein paar 3alFhun&£rten bie ©Seit übet- fchmemmt haben? ©ie tauchen auf in ihrer 3cit wie ©il}e, unb bann liegen fie oermobert. ©elbft ber cblc große Roller, um bod» ein wiirbige« Öcifpiel aujuführeu, miberftanb nicht ber DJomanenform, um barin feint männlichen ©taatbibeen ju oerförpern; aber feine 3ugenbpoefie ift e«, bie ihm Stellung gibt in ber neuclaffifchen Literatur ; feine brei Dfontane, bie hoch nur eine ftaat«männif<he Dar» legung ber brei Dfegicrungeformen beßanbeln, roo finb fie $u haben?

D, ift etwa« Äoftbare« mit ber ©Jähheit, etwa« JJoftbarc« mit (Srjiehung unb ©inn für bie ©Jähheit ! ©Me leuchten bem Siinbe bie Slugen, wenn man ihm einmal bei einer Grjähtung fagen faun : „Unb ba« ift mirflich fo gefchehcn;“ unb wie wenig fühlt fid) ^u feinen lehrreichen ©cfchichtchen hingejogen, wenn babei benft, baß fie nur ihm jn 9?uh erfunben finb! Unb mit Grmachfencn nicht anber«.

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lieber :)foman utib IRomautnltctflrc.

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8(1« ich (oor langer 3e‘0 fi‘r ‘ine Socalbibliotljef bic ©üdjer an* jufchaffen ^atte, glaubte id). um frfjncü bie Veutc bafür ju gewinnen, recht niete unterhaltenbe Griäf)(ung«bucher bieten ju muffen. (5« trat natürlich al«balb jene« ©runbübel fotcher Seetüre ein, baß eine gewijfe Sucht bar* nach entftanb. 3<h lehrte um unb hirit tnich an ©iograpljifche« unb ©ahrfjaftige«, unb al« nun einmal ber Sinn bafür fich befeftigte, inbem eben nicht« anbere« 9ieue« mehr geboten würbe, ba mochten gar manche Sefer nicht« mehr wiffen non ben erbidjteten Dingen unb begehrten lieber ein unb ba«felbe biographifdje Such jweimal unb breimal. Da jagte ein ©äuerlein, al« ich if)m einmal roieber ein 6rjähtung«buch geben wollte: „31ch nein, wiffen Sie, n i d) t fo

üBücfjcr, bie nicht wahr finb.* 3a wahrhaftig, ein finabe, ber an gefchichtlichen ©eftaltcn, an wahrhaftigen ©egebenheiten fein SBiffen unb ©ollen, feine ©egeifterung unb ©hottafiebilber erjiel)t, ift ein gan$ anberer, al« ber, welcher in rü|reube, fpannenbe (Srjählbiicher fich bi« jur 92ad)tjeit oertieft, unb wären biefelben am ßnbe auch noch fo tugenbfelig. 3ener wirb auch jur ^eit mit Suft fich emporheben laffen an ben h°hen 3Reifterwerten ber echten IjJoefie; biefer bagegen wirb in poctifchen SEBerfen nur bann fein ©eniigen finbeu, wenn fie gleichfalle nach Spannung unb 9ieij haften; unb ba« finb eben nicht bie SDleiftev werfe.

hätten wir nur einen Dieichthum profaifcher ©erfe oon ber 8lrt, wie ich fit meine! Da« große, uufchähbarc ©ebiet ber ®efd)id)te, ber weltlichen unb ber heiligen, ©iographiecn unb ÜNonographicen ; baneben Segenben (aber feine willfürliche Dichtung, auf biefem geheiligten ©ebiete !), Sagen unb ÜKärchen ; ba« große ©ebiet ber '.Natur*, Sänber* unb ©ölferfuube, ber Gntbecfungen unb Grfinbungen fteht bafür offen. 8(ber ju bebauern ift, baß bergleichen ©iidjer, bi« in bic Schulen hitein, Dielfach nur troefne Gomprnbien geworben finb, ober blo« ein gelehrte« SNaterial anhäufen, ober fich in Sefleyionen unb troefnem ^ragmatiömu« bewegen, ©lieber, bie bei all ihrem ©erbienfte, feine $örer, wie ber griechifche tperobot, feine Sefer, wie ber römifchc Sioiuö erwarten fönnen. Unb hoch, wie Diele barftetlenbe Talente gibt nod) ! 3a, wie Diele ber Dioman* unb 'JioDeüenfchrribcr, ber geuilletoniften unb 2age«literaten würben, wenn fie attber« jugleid) bie rechte ©efinnuug für Dtgenb unb Dieligion tragen, unfere £>au«* unb 3ugenblectüre mit fräftiger, weil wahr* Ijaftiger Nahrung bereichern fönnen. ©a« für gunbgrubeit oon mannichfaltigem, realem unb ibealem ©efjalt (ich meine gewiß nicht

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$(inrict) ©one.

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etwaige« ©ittenprebigen) tonnten namentlich bie 0euilleton« fein, unb, ba fie täglich in £>au« unb ipaub tommen, wie mirffam unb fruchtbar tonnten fie werben! Csmporheben au« bem Sltltag«* gefchmacf, nicht aber fich felbft ju ihm tjerabfatlen taffen, ift bie eble 31 uf gäbe für bie JageSliteratur.

Slber freilich, ba« mürbe nicht, wie ich früher fagte, bei behaglichem grüfjftücf gefächen fönnen, fonbevn ba bebürfte ©tubiurn für ben ©toff, unb oor allem geile für bie gorm. barf nicht oerfannt werben, ba§ auch wirtlich feit einer 9ieit)e oon fahren nach ber genannten 9tid)tung h>" bie Siteratur fich auf’« ßrfreulichfte bereichert hat, namentlich im $>iftorifd)en, S0iographiftf)en unb befonbcr« in öiichern über 'Jiatur« unb ffunftgegenftänbe, tfänber» unb Söblfer* funbe; (eiber hoben fich biefelben, oon gemiffen ©eiten her, nicht rein gehalten oon 3lu«müchfen retigiöfer unb confeffioneller geinb» feligfeit, womit benn, wie immer, auch ba« fittlicfje Zartgefühl in engfter ©erbinbung ftefjt. ©elbft ber fo fchön angelegte, jefct fo au«gebehnte ©erlag ber ©pamer’fthen Suchhanbluug in i'eipjig hat fich nicht fo beharrlich bagegen gefchüfct, al« man Anfang« erwarten burfte. 15« ift, al« wenn ber böfe geinb, wo etwa« gebeten will, fofort bei ber $anb wäre, um fein Untraut ^inein^ufäen. Daß neben biefer beffern 9iid)tung ber ilfomanengeift nicht gefdjlafen, fon= bern wahrhaft mit £>ampfmafchinen gearbeitet hat, weiß (Jeber, ber periobifche Sölätter unb ©iieheranjeigen jur £>attb befommt. Unb wa« für JBaare habet ju Jage tommt, baoon bürfte wohl al« ©röb« chen genügen eine ©uchhünbleranjcige au« granffurt, worin hit§ : „günfjehn ©änbe gute 9fomane für 1 glorin." ©ei ©otlaf in Hamburg flingt oft noch oerjweifelter unb „beifpiellofer".

Slber, wirb man fagen tönnen: ba« ift Sille« gut unb beachten«* merth; allein wir tommen bamit nicht burdj! £>ie 8iomane unb 3iooeüen finb nun einmal eine ÜJtacht geworben; will gelefen werben, unb ba mu§ man ähnliche ßrjählungSbücfier entgegenftellen mit fittlichem unb religiöfem ©ehalte ; fonft wirb man ju fchlcchten ©üdjern greifen. ®iefer ©runb ift gewiß beachtenswert!), unb man tann ihm ©iele« einräumen unb ju gute halten, unb bie ©erfaffer folcher Sücher finb gewiß in ihren 3tbfid)ten unb ©eftrebungeu aller Silierten uuttg würbig. Slber ber Ucbergang in ben eigentlichen SRomanengeift unb feine ftiü eiufchleichenben ©Mrfungen, wie mir fie nachgemiefen haben, liegt babei immer nahe, ;umal auf bem SBege ber immer 9ieue« oerlangenben l(efefud)t. Unb wenn ^ei§t :

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lieber 9ioman unb 9?omanentrttiirf

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„man wirb nad) f<hled)ten ©üdjern greifen,“ fo barf man com fittlichen Stanbpunft boc^ aud) mofjl fagen : „bie baß tljun, roerbeit fchmerlid) nad) ben guten greifen, wenn fie aud) fjaufenroeiie neben beit fd)ted)ten baoon umlagert mürben.“ Daß ©bfe reifet; baß ©ute l)ört meift auf, gut ju fein, roo ju reijen beginnt. 3d) fegne jene 3eit, mo t*. mit id) gleich Gingangß anbeutete, für bie 3ugtnb, ja für ermachfenc fjugenb nod) alß unerlaubt, ja atß Sünbe galt, einen 'Jioman gelefen ju haben ; fo gebranbmartt mar biefer •'tarne. Unb maß bie etmaige pofitio htüfonu ffiirfung folt^er fittlid) intenbirten SKomane angelt, fo möchte id) in biefer £>infid)t lieber mit ben SBJorten eineß beutfdjen Did)termeifterß fjnltcn, ber ba jagt:

.Sa bil&et

9tur baß Üfbcu beit Wann, unb wenig bebeuten bie Sorte.

@an$ oergebenß ftrebfl bu baijin, burd) Sdjrifttn be« Wtnfdjtn ©dion ent{d)iebenett $ang unb feine 9leignng ju »enbett.“

Die oerehrten Beterinnen merben itjrerfeitß nicht mi§oerftet>en, fonbern nur bie Spi^e einer angreifenben $bee erfennen, roenn id) oon betnfelben Dichter ift aber ©oetf)e fjinfidjtlicf) ber £öd)ler bie sÖ?ortc anfüt)re:

„Saf)riid)' »Ären mir nur ber ÜJJnbdjrn ein Xupenb im Jpauje,

31icmal« mär’ idj oertegen um Arbeit; ftt madjen fid) Arbeit Selber genug; fotlte fein ©ud) im t'aufe be« Jabre« lieber bie Sdjroeffe mir tommeu, oom ©üd&ftwrlei&fr gefenbet."

2Jom Sücheroerleiher ! atfo, mie $eber meifj unb benft, junächft iRomantnbücher anß &il)bibliothefen; freilid) mag auch inand)eß Slnbere babei eingefchloffen fein, maß beffer ungelefen bliebe unb mit meiblid)er Slrbeit rertaufd)t mürbe. §infid)tlid) beß pofitio £>eilfamen alfo mache man fich feine fonberlichen Srmartungen oon foldjen fittlid) intenbirten jRomanen. Sirft hoch baß Sfjeater mit all feinen Sffectcn im 9?eid)e beß ©Uten nicht Diel anberß, alß folche für baß ©ute unb (Sble hoch affectionirtc Stomane. Da fifcen fie, fo manche ^ufdjauer unb meinen Jhränen Uber bie ber Sugenb unb beß ©belmutljeß, entfe^eu

ftd) nor ben Prägern beß Schlechten unb ©emeinen, beß Bieblofen unb Ungerechten unb fommen nach $aufe unb finb biefclben roiber- roärtigen Baunenmenfdjen, bie fie oorhin maren, nielleicht noch ärger. Denn baß Dheater=2ltnüfcment fteht ^eutjutage fo pemlid) al pari mit bem 9iomanen=9tmlifement. (5ß bürfte bemerfenßmerth fein, baß gleichjeitig mit ber 2lußbreitung beß SRomanenroefenß auch baß Drama feine poetifdje Sürbe oerfannte unb ftatt ber ibealen rhptljmifchen Sprache fich in bie Sllltagßformen ber 'ißrofa fleibete. ©ie roenig in

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$cinriiij Sont.

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folgern ©ewanbe fid) ber Did)tergeift ®oett)e’« juredjt fonb, f>aben wir fd)on oben an feiner erften öearbeitung ber 3pljigenie hcroorgeljoben, wobei er gleichfam unfreiwillig fic^ in rhhthmifcher Spaltung bewegte.

Soll nun aber ja bie Untevf)altung«lectüre oou ronianeuartigen ßrjäljlungen ft^on ba« ffiort „Unterhaltung“ weifet in biefer löe« beutung barauf hin, baß man eben nicht« ßrnfte« ju thun hat; unb ba« ift fchlimm aber foll eine berartige l'cctürc unb Literatur al« ein Strom anerfannt werben, in welchem man mitjufdjwimmen habe unb wobei nur Sorge ju tragen, bag beffere SDJaffer hineinfommen ; }o bewahre man ihn nach Äräften oor allem bem, wa« im engeren Sinne jenen SKomanengeift charafterifirt, wie id) ihn gefchilbert habe. Unb bamit bin id) 5U einem befonbern Drnbenjpunfte meiner Dar« legung, aber auch jum Slbfdjluffe berfetben gefommen. iS« ift bie Slnflage, bag fich unfere fpecififd; fatholifche ßr$ählnng«(iteratur, bei aller gewiß trengemeinten Slbfid)t, nicht genug bewahrt hal »or jenem Womanenbunfte, ber al« Duft wirten foll. Schon bie groge gabrif«« tfjätigfeit auf biefem (Gebiete jeigt, in welcher Wegion mir un« befinben; unb ich fage babei : ift ferner unb faum möglich, baß ein Schrift« fteller, ber fich einmal mit Iricb unb latent ju folchen ßrjählung«« abfaffungen wenbet, oor jenem Womanengeifte fid) bewahrt; ja fchwer, nicht mieber barein jurücfjufallen, mtnn er fich einmal bemf eiben ent« jogen. ß« will ba immer gerührt, gefpannt, gereijt, gefchaubert fein, unb ba fanu nicht au«b(eiben, baß auch ber 3nhQ(t felbft feine gebührenbe Weinheit unb ©ürbe opfert, jumal, ba ja faum nod) ein Vornan gebaut werben faun, worin nicht 8iebe«gefchichteu ben au« famntcnhaltenben gaben bilben, baß in ben geuilleton« ben Jödjtern be« Jpaufe« gewiffermaßen Unterricht in l*iebe«gefafel ertheilt wirb, wa« bann oft auf bie fittlich » religiöfen 2lrtifel ber Leitung felbft wie ein höhnifcher filabberabatfchblicf au«fieht. Woher barauf einju« gehen unb an ßinjelnem nachjuweifen, ift überfliiffig.

Slber erlaubt möge mir fein, menigften« (Sine Wichtung nain« haft ju machen, bie mir befonber« gefährlich fcheint. ß« ift bie beliebte Sdjilberung be« Schlechten, SJerfehrtcn, £afterf)aften, mit ber Intention, baoon abjufchrecfcn unb äbfeheu ju erregen. Cb ba.am ßnbe bie ffugcnb unb Religion ben Sieg baoon trägt unb in ©lorie ftrahlt, bamit ift wenig gewonnen, weil fid) von felbft oerfteßt; ba« ift nur ein $urpur(äppchen auf ein jehmufcige« Jtleib. ß« ift ber gorm nad) nicht oiel anber«, al« wenn man fein lieben barauf anlegte, juerft ben ©eg be« tfafter« ju gehen, um am ßnbe in lieber«

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lieber Vornan unb SRotnanenlectüre.

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fättigung beb Söfen ein grommer su werben. 3<h habe oor 3c^tcn einmal einem berartigen @d)riftfteller, alb er mir oon feinen 3«genb= erjä^lungen jufd)i(fte, gerabeju geantwortet, ba§ fold)e ©i'idjcr, tvofe all ihrer fittlidjen ÜTenbenj, für bie 3u9cn& unter 'Schloß unb Stiegel, ober einfach in ben Ofen gehörten. Sem füllen fie benn gelten, biefe ©djilberungen oon Srunfenbolbcn unb Süftlingen, biefe Vorführung oon ehelichen ,3miften unb haublidjen 3errüttungcn, oon Steligionb» fpöttern unb Vcrjmeifelten, mit all ben wüften Slubbrücfen unb 9lad)= äffungen beb gemeinften Sebcnb? Unb bab fogar in Siidjcrn für bie liebe 3u0cnb, ober in $aubfalenbern, welche ber 3ugenb füglicb nic^t oerfd)lof}en werben fönnen ! ©ollen fie etwa gclefen werben in ga* milien, wo griebe unb grömmigleit wohnt, mo bab Kinb faum ahnet, bafj ein Vater unb eine fDlutter fid) fdjimpfen ober gar miffhanbeln tonnen? 3$ benle benn boc^, bag man foldje gamilien, unb bamit benn audj bab ganje eblere ^ßublifum, entehret burd) 2lnbietung foldjer Seetüre. Ober Jollen fie folgen Süftlingen unb Jruntenbolben, wie fie ba gefd)ilbert werben, felbcr gelten? Die werben fid) hüten oor fold)er Seetüre ! Unb eine fDtutter, bie bab Safter beb ÜJtanneb würbig erträgt, unb ein ffinb, bab ben trunfenen Vater nod) ehrt, feinen ^uftanb jwar fürchtet, aber taum baran benft, i^rt fünbljaft unb lafter* haft $u nennen ich möchte foldjc SDtütter unb Kinber, ja gerabe fie am meiften, bewahrt wiffen oor folgen ©djilberungen. Denfen mir unb bie fd)auertid)e «Situation, wenn, währenb ber 2J2ann alb folch ein Üruntfüchtiger, etwa an einem ©onntagc, nod) fpät Slbenbb ba braufjen weilt unb feine ülntunft baheim erfehnt, aber faft nod) mehr gefürchtet wirb wenn unterbe| bie ÜJlutter unb Sod)ter fid) mit ber Seetüre einer Äalenbernooclle erbauen fotl, worin bib jum Kleinften bab ©djeufalbportrait eineb trunlfüdjtigen SSatcrö gefdjilbert, unb !pöllengerid)t über ihn gehalten wirb! Seifen wir hoch fold)c | Sucher birect in bie Kategorie ber ®el)eimniffe oon ^arib, unb be*

, bauern wir jugleid) bie Sitte, ba§ bie 2lffifengräuel unb @erid)tb=

oerhanblungen fo rücffichtblob ben Sagebblättem anoertraut werben bürfen! Ipödjfteb ^rincip einer chriftlidjen Unterhaltungblitcratur fei unb bleibe eine 9teinf)eit, unb ©ürbe, bie ein gemeinfamcb

Vorlefen in einer eblen, jartgebilbeten gamitie geftattet unb werthooK i mad)t. Dabei wirb nicht aubgefchloffen ©^erjhafteb unb $umori«

ftifd)cb, ebenfo wenig, wie eb bei münblichen Unterhaltungen aub*

gefd)loffen ift. 3U üebauern ift nur, baff bergleidjen fo feiten fid) frei hält oon Derbheit unb Sßtattfjcit, ja oon ©emeinljcit unb fittlicher

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.§tinrtri) ©onf.

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Slnftößigfeil. Das bürfte btfonberS ’,u beamten fein für SBollSfalenber, roorin fo manche änefboten unb ©iße ftrfj mie ^arobie ausnehmen $u ben fittlidjen unb religiöfen Intentionen.

Unb nun tiod) ein ©ort jum Stiicfblicf auf alles ©efagte. Sollte id) hin unb mieber bie Saiten ju fd)arf gefpannt, bie greife bcS Jöcbenflidjen ju roeit gejogen, ober irgenbioie rin gegriinbeteS 'Ktiß* oerftänbniß »cranlaßt haben (obgleich ich itad) innertn Drange oft Diel fefjärfer hätte fprcd)en mögen): fo roolie man ben Stanbpunft bebenten, ben id) gleid) anfangs angefiinbigt habe, baß id) nämlich gemiffer« maßen bie IK'olle eines öffentlichen änflageminifteriums, einer »itera» rifdjen Staatöprocuratur übernommen Ijabe unb gerne nad) einjelncn Dlidjtungcn t)in Üiaum für Gntgegnungcn beiaffe, fomte id) anberfeitS nod) einmal f)eroor^ebc, baß ich nicht bie einjelnen beliebigen Diomane, fonbern baS Gharafteriftifd)e bcs 'JiomanengeiftcS, gleichfam in ab- stracto, als ©egenftanb ber änflagc oor äugen gehabt habe, unb baß ich feljr ®oh* ®eiß, ®ie manche Sagestenbcna fich in ber gorm eines IKomanS am ficherften faffen unb oor ben Spiegel ber ©atjrfjeit ftellen laßt, ©as ich gefagt habe, mürbe ich ganj frcunbfd)aftlid) auch mit bem 25erfaffcr eines Uiomans, roenn er oon roahrßaft eblcm Streben erfüllt ift, freimüthig befpredjen fönnen, unb öabei jum Schluffe oiellcidjt fagen: „'Kleine ‘jßhilippifa mirb both toenigftenS, wenn Du micber einen Vornan fdjrcibft, nicht ohne heilfamen Ginfluß bleiben.“

Unb fo null ich benn aud) $urüc!f ehren in baS Sötlb, roooon ich ausgegangen. 3$ erhebe mich mieber auf bie literarifche töergfpifje unb fefye bie Literaturen ber 25ölfer oor mir ausgebreitet. Da fefje ich bie fruchtbclafteten gelber ber roahren 'ßrofa, unb fehe bie leben« bigen Ströme unb ©äd)lein ber echten ißoefie mit ihren anmuthig einfcßließenben Ufern; ich fehe aber aud) Sümpfe unb faulenbe ©e* mciffer, unb barunter oorjugSmcife fRomane unb ihres ©leidten. galten mir uns an bie gruchtfetber unb an bie LebenSmaffer! Unb oor allem, feheuen mir uns nicht, bei ©efeUfchaftcn oortommenben gallcS frifd) unb offen ju befennen, baß mir oon biefem ober jenem Schriftftellcr, beffen Romane oielleicht gerabe alle Salonsgefpräche entjiiefen, gar nichts gelcfen haben. Diefer Klutl), ja biefer Kluth. thut noth- Die ©ahrheit ift cs, roonach ber (Seift hungert, unb bie maljrc, reine Schönheit ift es, monad) bas £er$ buVftet, mie bie ©e* rcdjtigfeit es ift, monad) bie Seele hungern unb bürften foll.

Itud oon TOaljlnu & ailalbfdjmlbi. ^cantfurt a. M,

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(Srafiti |ba $al)n=ljaljn.

Sine t>ft)d)oto<;ifd)e ©Mbit ton

^a»f ^offner.

5ätn SJforgen be« 14. 3mtuar 1880 würbe auf bem Äird)bof ju ÜRairtj (Gräfin 3ba $abn-£>abn begraben. Dem bef4eibenett ©arge, wel4en fe4« arme ©tfjroeftern au« ber Kongregation be« bi. granci«cu« trugen, folgten aujjer bem Neffen ber Verewigten, (Strafen Jerbinattb £>abtt, fomie einer 9lnjabt Drben«frauen unb ©eift* lieben, bie ÜHitglieber ber frommen Vereine, bereit 5öof)lt^äteiin fie feit breifjig fahren war. ©tiü fe^Iog fitf) bie Srbe über bem ©rab, in welchem ein lange« oielgeftaltige« ?eben fein ,3ie( gefunben.

„34 bin gepilgert oon einer ©renje untere« Sßelttbeil« jit

ber anbern oon ben fiataraften be« ??it« $u ben ©rotten oon

©taffa oon Kintra’« £>ügeln naeb ben ©ärten oott Damaefu«

über 2llpen unb Vbrenäen unb Libanon über ÜJleere unb bureb bie arabiftbe ffiüfte oon ben Ufern be« ©bannon im grünen Krin ju ben Ufern be« Seifigen 3orban; itb bin ju $aufe gewefen unter bem ,3elt be« ©ebuinen unb in ben ^Jaläften ber haute volee oott Suropa; id) habe gefannt, wa« mir an Derfcfjiebenen ©tünben unb Verf)ültniffeti, Völfcrn unb UJfenfcben nur irgenb erreichbar war; in ben größten ßontraften b«b’ ich mi4 bewegt! in flonbon 3. V. ging ich 00m rag fair jur Vorftellung bei 3- £>. ber £>erjogin oon fient. S)ie

$öben> unb liefpunfte ber ßioilifation, bie oeridjiebenen Kulturftufen ber Völler, ben 3ufammenbang ber ©ilbung mit Religion unb Volföebaralter, mit ffunft unb ©itten, bie ganje ©efebiebte ber aSenfebbdt in lebenbigen ©ilbern wollt’ ich oor Slugen feben, oon Slngefiebt ju Slngefiebt wollt’ i<h ba« Oeben ber 5Ülenfd)beit febauen.

34 wollte oerfteben unb erfennen ja, wa« benn fo eigentlich?

Dtn 3Jfenf4en! fpra4 i4 mir felbft. V?abrf4einli4 wollt’ i4

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©aul $affntr.

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niicß felbft oerftefjen lernen; aber ba« mar unmöglich, benn fein pofitioe« ©efeß ftanb feft genug bei mir in Äraft, baß mir hätte $ur iRicßtfcßnur unb $um SDfaßftab werben fönnen, um bie (Sr* ftßeinungen unb ©emegungen in mir unb außer mir fidjer unb un* befangen ju beurteilen."*) ÜKit biefen ©orten hatte bie öerftorbene ©räfin oor breißig faßten ben erften Jßeil ißre« Üebcn« betrieben, welker mit bem Uebcrtritt ju ber fatßolifcßen Sirtße feßloß.

®en jmeiten ftßilbert fie nidjt minber treffenb, inbem fie ein 3aßr fpäter ftßreibt:**) „®er fatßolifcße ©taube ift bie SDJagnetnabel, weltße ber Seele ißren ©eg fießer weift unb fie in feinen anberen $afen als in ben ber ewigen Seligfeit fiißrt. ©oßl jittern alle ÜKagnetnabeln, wenn ein 9?orblitßt mit feinem pßantaftifeßen unb blcnbenben Scßein am jpimmel aufjießt. So treten bie großen Üeiben« feßaften an bie Seele ßeran mit ißrem Stßimmer oon SRofeit unb Purpur unb ©lut, unb bie SDiagnetnabel jittert, weil bie Seele gittert; boiß ftanbßaft weift fie ben reißten ©fab! mit ißr ift fein SDfarften, fein geilfcßen, fein 3lbfommentreffen mögliiß. ©eteß eine un» ermeßließe ©oßttßat, oor jeber Spiegelfecßterei mit un« felbft bewaßrt ju bleiben ! *

Selten biirften fo große ßontrafte in ein SDienfcßenteben fitß tßeilen, wie ßier. ©er $u feßilbern oerfutßt, wirb fitß woßl bie grage aufwerfen, ob benn überhaupt in einem ©ilbc fitß \u- fammenfaffen (affe? Unb faft mötßte man biefe grage oerneinen. 3ßre literariftße Sßätigfeit in«befonbere ift tßatfätßliiß jwei Slrten oon Literatur »©efeßitßten anßeim gefallen, weltße 8ob unb Jabel con* trabictorifcß oertßeilen unb beren jebe oerfeßmeigen ju müffen glaubt, wae bie anbere feiert.

Dennotß gehören bie beiben Hälften innerlich jufammen, unb gerabe barin ßat ba« lieben ber ©räfin ißr fpecififtße« gntereffe, baß in eine große breite gragc unb eine ftitle einfache Slntmort fitß ftßeibet. (Sine große breite grage ift ba« unruhige oielgeftaltige ffieltleben, weltße« alle ©egenfäße ber religiöfen SDieinung, alle Stufen ber focialen ©er« ßöltiüffe unb alle Strömungen ber 3cit erftßöpft , um enblid) ben Seifen ju finben, weltßer ißm Stüße gab. Unb eine ftifle einfatße Antwort ift ba« jurütfgejogene bemütßige unb emfte lieben, weltße« ©räfin §aßn natß ißrer ßonoerfion fiißrt, ein lieben, nitßt frei oon Äampf, aber frei oon 3ene grage unb biefe Antwort, fo

*) „©on ©abtjlon natß 3trufalem", 0. 25.

**) „*u* 3«nlatem*, 6. 173.

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©räfin 3ba §af)n*§alin.

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oerfdjieben auch i^re äußeren ©inbrücfe fein mögen, fielen bod) in einem innerlichen pfgdjologifchen 3ufammenhang. „ÜKir fam oor, at« ob meine Seele eine fchlafenbe .fatholüin geroefen fei," fagt bie ©räfin nach ihrer ©onoerfion; fie hätte auch oon fich fagen fönnen, roa« fie auf ba« ©rab eine« greunbeö fdjrieb: ich fchlafe, aber mein $erj macht;" benn in ihrem $erjcn arbeitete oon Anfang an eine mächtige ©eroegung, beren ©runbrichtung einem unbefangenen ©eobadf* ter nicht entgehen fonnte unb welche ein eminente« pfh<hoIogif<be« (Jntereffe hat. Unter biefem ©efichtspuntte foll in ben nachftehenben ©lättern ba« t'eben ber ©räfin (Jba £ahn*£>ahn in einer {leinen ©ftjje jur DarfteUung fommen.

Da« t'eben ber ©räfin ift oor unb nach ihrer ©onoerfion in 3eitungen, 3£ttfcf)riften unb ©üchern oielfach befprocheit worben. Die Witter oom ©eifte haben fich mit Vorliebe be«f eiben für Feuilleton* ©tubien bemächtigt, währenb protcftantifche ©aftoren unb ©rofefforen, wie j. 19. ©brarb unb 91ippolb, juni ©orwurf polternber ©uff» ©rebigten wählten, ©ine annähernb objectioe, jebcnfatl« wohlwollenbe Darftellung gibt eine ehemalige ©efannte ber ©räfin (eine $ofbame ber oerftorbenen Königin oon ©aeßfen?) 1869 unter bem 9iamen ÜJiarie ipelene. „Sich wenn man mich boch in fKuße liehe,"

fagte bie ©erftorbenc, al« fie biefe« ©üdflein ju Rauben befam, „ober wenigften« meine ©Item!" Diefem SBunfche folgenb, jerftörte bie ©räfin in ben lebten (Jahren eine Slnjaljl oon iftotijen, welche fie über ihr t'eben nach ber ©onoerfion niebergefchrieben hatte. Sind) an anberen papieren, 9Jotijen, ©riefen unb bergigen übte bie ©erftorbene ein graufamc« ©ericht. Me«, fo ocrorbnete fie, folle oernichtet werben, ausgenommen ihre ©orrefponbenj mit ber oerftorbenen Königin oon ©aeßfen, welche in bem Fantilien*Slrchio niebergelegt werben folle. 3a!)lfofe ©riefe finben f«h in ben weiten greifen ihrer ©efannten. Sie ju fammeln mürbe ben Mfichten ber ©erftorbenen fchmerlicß entfprechen. *) „(Jcß hQffe bie 9iacß(afj»@bitioHen", fprach fie in ber lebten 3£>l ihre« fieben«, „ich will nicht, baß man bie großen ©ienfeßen oerfleinere." Senn ber ©erfaffer biefer 3£*t£n f,(h trofcbem erlaubt, einige ©rinnerungen au« bem teben ber ©erftorbenen mit jutheilen , fo

*) Sine Sorreiponbenj mit btm dürften 'ßflälfr- Hiuätau murbt »on Üitb- tniOa Stffing in btm fRadjIaffc bc» gürften otrontntlittjt. 35it Critfe g«tid)tn btr ©räfin ftf)r jur ßEjrt nnb ragtn bod) üb« bie ©tfeflfdjaft btroor, in roetdjer ctjd)tinen.

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faul baffncr

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gefd)icf)t bieS in bcm 33ertrauen, ba§ es roeber zur SJerfleinerung noch S3ergröfjerung bienen, roohl ober jur jRiebtigftelJung ihres ©ilbeS oon 9Ju(}en fein biirfte.

I. Cor ber ßonoerfton.

©räfin 3 b Q mürbe am 22. 3uni 1805 ju Jtefforo in üJtecflem bürg geboren. 3hr Vater war ®raf ßarl $aljn, zweiter ©o!jn beS Sanb-gcbmarfcfjallS ©rafen gtiebrid) §ahn, welcher fiib in beroorragenber Seife mit aftronomifchen unb pbilofopfjifdjen ©tubien beschäftigte unb mit ben meiften ©clehrten feiner Z*it auch $ e r b e r, ©crbinbung gepflogen hatte. 3b« Butter mar ©ophie, Holter beS SanbeS^DirectorS oon ©ef)r auf Dänin in ©thmcbifcf) Sommern, eine beftbeibene, ftille, tugenbbafte ffirau. Das b°4ariftofratifd)e £>aus zu SRemplin, in roeldjem ©räfin 3b a unb bie ihr natbfotgenbcn fönber (®raf ßarlgerbinanbunb jroei ©chweftern) aufmucbfen, erfreute fub feineSmegS eines ungetrübten ©liicfes. Die (Sjcentricität beS für bas Jbeater paffionirten ©rafen führte jit mannigfatber Zerrüttung t,er g$ti> bäftniffe, unb bie Srjiebung, roe(d)e baS oou Anfang an hochbegabte, leb« hafte unb feinfühlige Äinb empfing, mar nichts roeniger als harmonifch.

©elbftoerftänblich fehlte eS nicht an pflege ber Sllluren, meltbe in einem abeligeit $aufe haimifcb finb. Sind) eignete bie ©räfin fitb bur<h öectitre frühzeitig eine SDtenge oon fienntniffen an. Durchbilbung unb Leitung ihres ©eifteS aber fanb fie nicht, namentlich nicht in reli* giöfer £>infccht. ©in tiefes religibfeS ©efüljl erfüllte mohl ihr £>erj oon Slnfang an. „SllS $inb," fo erzählt fie fel6cr,*) „glaubte ich, roenn ber Slbcnbminb bie ffiipfet ber uralten Sinben fanft umbog, bie fid) in langen ültleen burch ben ©arten ftreeften, bajj ©ott auf btefen Sipfcln einher manbele, unb eine namenlos feierliche 2lnbad)t erfüllte bann immer mein Heines $erzd)en, baS gewiß bereitroillig bie fDiufdjel gemefen märe, um ben htntmlifcben 21)““ beS ©laubenS in fich aufzunehmen unb ihn zu einer ächten ^erle auSjiiarbciten." Diefes ©efiihl ber 'Mfje ©otteS follte ihr aber erft fpäter flar roerben. 3bre bamalige Umgebung mar nicht geeignet, es zu entmicfeln. Sohl erhielt fie mit 16 3ahrtn einen ^Religionsunterricht zur Vorbereitung auf bie ©onfirmation ; aber ber gute alte VQftor fanb mit feinen tutherifchen ®laubenS*grag« menten ben Zugang zu ber „oerfchloffenen SDiufcfjel" nicht, uttb oon bem ganzen ^Religionsunterricht blieb ber jungen ©räfin nichts in <5r*

.*) „Su« ^erufalcm", S. 46.

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©räfin 2tbo §aljn*5>abn.

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innerung, al« bie grüne garbc be« 3>nitncr0 unb bie tabafsbumpfe 8uft, in meiner ber ^aftor mit bem weißen £>aare uttb bem ©ammt* fäppeffen uor ißr faß. Slutf) ben £eft ber ©onfirmationSprcbigt be= ^lett ftc: „Sleibet in meiner Siebe" ;*) einen eigentlich tiefen ©inbrud aber (ieg bie (Konfirmation in ihr nicht jurücf.

ü)?it 21 fahren tourbe ©räfin 3b a mit bem nür ein 3af)r älteren ©rafen grtebrid) $af)n auf IBafeboro oermählt. ffir mar at« ihr 83etter (©efch»iftcr*tinb) Oon 3ugenb auf mit ihr befannt, unb bie ©he tourbe ohne befonbere3uneigung, aber auch ohne SBiberioiflen auf Sfor* fchfag ber gamilie gefchloffen. ©lücflich toar fie leiber nicht. Die junge grau, welche at« eine äu^erft anmuthige unb frifchc ©rfeßeinung gefchilbert wirb, gab fi<h aufrichtig 2J?üt)c, ihrem ©ernahl fich ju fügen, unb bemerfte fehr fchön in jenen 3ahrtn einmal, „bie grau ncu§ ihrem SJianne, auch wenn er ihr Unrecht thut, niemals jürnen, bamit ihr 3ont fich nicht jroifchen ihn unb ihr ©ebet ftelle." **) Der ©raf aber fcheint jie mannigfach unb fchwer gefränft unb ohne ihre ©chulb fchon im britten 3flhee bie Sluflöfung ber ©Ije betrieben ju haben.

©äßrenb ber ©hefdjeibungS » ißroceß im ©ang war , gebar bie ©räfin 1829 eine lochter, welche förperlich gelähmt unb geiftig unent* micfelt blieb, obgleich fie unter forgfamer pflege 26 3°hre lebte. Die arme grau empfanb biefeS Ungtücf auf« tieffte, unb war ihr eine harte Dual, bah fit »on ihrer SEonh, bie fie in öerlin einer oor* trefflichen pflege übergeben unb bei btr fie alljährlich einige ffiochen oerweilte, fein anbere« 3e'^cn be« SJerftänbniffe« erlangen fonnte, als ein nnbeftimmte« fächeln, welche« bie ebenmäßigen aber geiftlofen 3tige flüchtig belebte.

9iachbem bie ©djeibung „gefe&lich" oolljogcn mar, jögerte ©raf griebrich nicht, eine anbere ©he einjugeljen. ©räfin 3ba aber feierte junächft ju ihrer Sßfutter jurücf, welche gleichfalls oon ihrem ©emahl getrennt unb fchwer gebriieft an oerfchicbcncn Orten, juleßt in ©reif«* matbe fuh aufhielt. Diefe 93eri)ä[tniffe hier ju berühren, mußten wir un« woßl geftatten, ba burcf) fie ber ifebenSgaug ber ©räfin erft recht oerftänblich wirb, ©ine ho^begabte unb elaftifche ©tele, fahre* lang gebrüeft oon ber fchwerften Unbill unb ßränfung, jweifach lo6= geriffen oon ber $eimath, ftanb ©räfin 3ba mit ber ganjen greiheit, welche ber ^SroteftantiSmuS einer geriebenen grau gibt, Inmitten

*) „Son Sabtjlon nad) 3emiatent,* 6. 13.

**) StbenSbilb oon SOtarit ©. 15.

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^aul $affncr.

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einer SEelt, bie fie bi« jefct nur in bem engen ®efidjt«roinfel eine« ariftofratifdjen $aufe« betrachtet hatte. Daß bie Ürjclufioität ber ÜRcdlenburgifchen ®efellfcf)aft fie nicht tu feffeln oermochte, ift begreif« lieh. @it fehnte woW nach n*Ufn unb größeren Greifen, beren ßinbriiefe bie bitteren ßrlcbniffe nerwifchen tonnten, bie ihren @eift oeröbet unb ihr $>erj jerriffen hatten ; unb fie oerlangte gleichzeitig ift bie« nicht minber pfqchotogifch naheliegenb ben $off« nungen unb ßnttäufchungen 3tu«brucf ju geben, in welchen fie ftd) umljergemorfen fal). (Reifen unb Schreiben ! Schreiben unb pfeifen ! ba« finb bie beiben fcheinbar fo entgegengefefcten unb boch au« einer Quelle ftammenben Jhätigfeiten, in welchen ©räfin 3&“ bie folgcnben jwei Oohrjehnte (1829 1849) ihre ©cfriebigung fucht. „3umeilen war ein $eroi«mu«,* fo fchreibt fie, „baß ich mich hiuf'fcte unb einen (Roman fchrieb. ffiar er fertig, fo machte ich eine (Reife, ftam ich heim, fo betrieb ich fit-"

golgen mir ihr junächft auf ihren (Reifen. Sßir finben fie 1835 in ber Schweij, bie fie nach allen (Richtungen hin burd)lrcutt, 1836 1837 in Defterreich, inSbefonbere in SBien, 1838—1839 in Italien, 1840—1841 in granfreid) unb Spanien, 1842 in Dänemart unb Schweben, 1843 1844 im Orient (ßonftantinopel, ßleinafien, Sprien, ^aläftina, äegppten), 1847 in Italien , hierauf in ßnglanb unb 3rlanb unb bann wieber in Italien, bi« fie enblich 1848 in Ore«ben fich niebequlaffen befchließt.

SBJ bie ©räfin in bie weite SBelt getrieben, fcpilbert fie poch« poetifch in bem fchönen ©ebiept, in welchem fte fich felfaft mit bem wilben ©ergfluß in Iprol, ber (Rofane oergfeicht:

SBäpnt nicht, Sporen, mid) }u patten,

Jtimtner fepr’ idj petmatptoärte ,

©Hütfiidjtn mögt ipr gebieten,

Srei gept bunt) bie Seit ber gdjmer}.

Daß ihr ba« Keifen aber in ber Iljut nicht blo« ifinberung be« Scpmerje«, fonbern h°hc 8uft gemährte, ergibt fich ou« allen ihren ©riefen. Sehr launig erinnert fie in einem ber orientalifchen ©riefe *) (§mp ©räfin Stoiber g baran, baß ihr in ber 3ugenb au« gemiffen l'inien in ber ^anbfläcpe prophezeit worben fei, baß fie niemal« ein $au« befommen werbe. Sie hätte bamal« ihren ®efchmiftern, welche fichere Käufer „in ben $änben" gehabt, bagegen oerfichert, fie werbe

*) ®anb U, 5. 13.

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©räfin 3ba §abn*$«hn.

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wolfl nicht rin $au«, aber rin Schloß btfommen ; nun aber fei es ißt flar, ma$ ißr an ber Siegt gefungen worben: nämlich ba§ fie ein 3ett btfommen follte! „Sie freut id) mid), ba§ ba« Sdjicffal fKecpt bemalten fjat, benn hätte id) rin £>au« ober Schloß, fo wäre id) ja nimmermehr bis ju meinem ,3elt ouf äem Libanon gelangt, fonbtrn müßte feftfifcen, mit 3hr 9tüe in (Suren Käufern unb Scßlöffern. Die Stimmen an unftrer Siege fdjitft ®ott, ber unfert merbenbe Seele fennt."

äJiit einer ungewöhnlichen ©efunbljeit, aber auch mit ungemöhn« lieber (Energie in (Srtragung ber Strapazen auSgeftattet, fanb bie CReifenbe ftets 2Ruße, an Ort unb Stelle ihre ßinbrürft niebtrjufchreibtn. Senn auch fpäter eine Utberarbeitung biefer ‘Jiotijtn ober ©riefe ftattfanb, fo machen fie bod) ganj btn Ginbrucf ber unmittelbaren Sonception; unb biefe ift ebenfo frifch unb originell, mag es fich um eine ©djilberung Don Sanbfchaften hanbetn (wie 3. ©. bie Stifte non Sorrent, bie $öhen be« (Sarrnel, bie Fracht ber ©(ttfeper), ober um bie ©efeßreibung unb ©eurtßeilung non Sunftmerfen (wie 3. ©. bie Schöpfungen ST^ornjalbfen’« in Kopenhagen). Slutf) bie Schilberung beS ©olfSlebenS ift menigfftnS in einseinen ihr befonberS fpmpathifchen Partien non herrlicher grifdjt unb Stnfchaulichfeit. prächtig jeichnet fie ihre Lieblinge, bie ©ebuinen unb bie Spanier, bie 3Wei einjigen Slrten non äRenfcfjen, in welchen fie „bie ©efdjöpfe @otte« frei non bem firniß ber ßinilifation mieberfinbet." SDiiuber gelingt eS ihr, bas einfache flanbleben ober gar ba$ ftäbtifeße Treiben 3U fchilbern, bafür fehlt ihr nicht an Sinn unb ©tftißl, wohl aber an Ob» jectinität.

Unter btn iReifebefcßreibungen ift befonber« 3U nennen: bie italienifche „^enfeitS ber fflerge" 1840, bie fpanifchen „fReife« ©riefe" 1841, bie „Schwebifche fReife" 1844 unb enblich bie „Orient talifchen ©riefe" 1844. Die letztgenannten ©riefe 3. ©. finb non wahrhaft claffifcher Schönheit.*)

Such in ben SRomanen ber erften unb jweiten ^Jeriobe finb bie SReifeeinbrücfe, welche mit unoerwiiftlicher grifeße wiebergegtben werben, ba« eigentlich claffifche (Slement, unb bie 9iaturfehilberungen gaben auch bi« in baS fpätefte älter ihrer Unterhaltung einen feltenen

*) ,‘fltau tann mir leinen größeren ©efatten tßun, at« wenn man äße meine früheren Schriften »ernidpet, ohne fte ju lefen," fo fagte bie Serftorbene öfter« in ihrem fpäteren Sehen. ®ie orirntnlifdjen Briefe tierbienen biefe« hatte Urtheil fuherlid) nicht- Sie haben einen bleibenben Serif).

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©aut ©offner.

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(Reij. Stpr mit tH'ecpt burfte fie an i^re 'iftutter Treiben:*) „Dtr (Seift wirb burcp bie iöefanntfc^aft mit bem Scpönften niept gegen ba« Sepöne gleichgültig, fonbern nur gegen ba«, roa« niept ift. Unb jroeiten« t)abe icp ba« ©lüd, ba§ mein ßopf eine Strt non Spiegel beherbergt, ber immer ganj btanf ift, um ben äußeren Sin* brud ju empfangen, fo bag barauf nicht ba« kleine non bem ©rogen erbriidt, nicht ba« Einfarbige non bem buntfarbigen nerbunfelt wirb."

9Rinbcc fcparf unb blanf mar ohne Zweifel ber Spiegel, welcher ba« innere ihrer Seele tnieberfpiegelte ; fie felbft nennt ihn einmal einen jcrbrocpenen Spiegel. 92id)t al« ob ihr an tiefer (Smppnbung gefehlt hätte. Solche jeigt fiep namentlich in ben Iprifcpen ©e« bicpten,**) welche grögtentpeil« in ben erften 3apren nach tprcr Scpei* bung entftanben, 1835 („Slftralion" unb ein iöänbcpcn ©ebiepte) er* fchienen. Slber biefe acht poetifepe Empfinbung oerräth oielfaep eine Efcentricität unb Unruhe, welche aufregen, aber niept anfpreepen tann. 3n noep höherem SDiajj gilt biefe« Urtpeil oon ben S3enetianifcpen Mächten".

Den Reifen unb fReifebefcprcibungen ftepen, wie oben bemerft, al« jroeite Serie oon Schriften bie (Romane jur Seite, welche in rafeper golge oon 1838 bi« 1848 erfepienen. ÜRan fann fie al« ibeate (Keifen unb IReifebefcpreibungcn bezeichnen unb in ihnen ben Serfucp erfennen, bie Slbgrünbe unb §öpen ber Seele ju burep* wanbern unb bie bitteren wie fügen Strömungen ber Ifeibenfcpaften ju ergriinben. Slber man mug fofort bie ^Bewertung pinjufügen, bag biefe fReifeeinbrüde in jeber ,3eile oerratpen, bag ein jerbroepener Spiegel fie aufgefagt pat, unb niept blo« jerbroepen war biefer Spiegel ! 9Ba« er bietet, ift niept feiten ein ^errbitb, in welchem bie Linien ber (Ratur unb ffiaprpeit in wirren ©eftalten untertauchen unb wieber auf* fteigen unb wieber untertauepen.

Die genannten belletriftifcpen Scpriften finb: ,,Äu« ber ©efetl* fepaft" 1838, „Der SRecpte" 1839, „Ulricp" 1841, „©röfin gau* ftine" 1842, „SigiSmunb gorfter* 1843, „Eecil" 1844, „3wei grauen“ 1846, „Elelia gonti“ 1846, „Die ©ibplle" 1847, „lleuin' 1848. 2Reift jwei bi« brei ©änbe umfaffenb, paben fie alle in 9lorbbeutfcplanb wie in allen anberen beutfepen Oänbern bei ber arifto» fratifepen unb fepöngeiftigen ©efellfcpaft einen reigenben Slbfap ge*

*) Orient ©riefe, ©b. I, 6. 14.

**) 8m befannteften if) ba* auch burdj feine SRelobie beliebt geworbene Sieb : .8th wenn bn toärfl mein eigen."

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®räftn 3*>ü §afsn‘$af)n.

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funben unb erfdjicnen 1851 bei £>uncfer in geipjig at« ©efammelte Serfe unter bem Sitel „2tus ber @efellf4aft."

@egen bie (entere Slu«gabe l)at bie unterbeffen conoertirte ©räfin öffentlich proteftirt. Sa« fte früher non bieieu ihren Arbeiten badjte, finben mir rooljl am beften in ben ©orten au«gtfpro4en, mit roeldjen fie bie ifjr oon £>errn oon ©ternberg gemiinftf)te 2(nnäf>erung an bie berühmte SBerfafferin oon ©obroie 6aftel, oon ^aatjoro ablef)nte: „Uebrigen« mitl i4 (eine ©cfjriftfteüerin fein, roa« man fo nennt. 34 fdjreibe meine ©lit^er, mie anbcre öeute f parieren gehen, um guft ju fchöpfen. 34 lege feinen Sevtf) auf meine @4tiften. fpiitte i4 etwas Slnbere« gefonnt unb gehabt, roa« bie l!eere in meiner @pi» ftenj ausfüllt, i4 ffätte ni4t jur geber gegriffen." Dajj bie 5?er* fafferin auf ihre ©4riftnr, fobatb fie gef4ricben roaren, feinen Ser 4 legte, jeigte fte au4 babur4, baß fie, fpäter roenigften«, niemal« eine ffritif la« unb fi4 l)ö4ften« boran amiifirte, baj? gerabe jene 9feb*c» tionen, me!4e fie am ecrbinbli4ften um Arbeiten für if)r geuifletott erfu4t Ratten, na4bem fie abf41äg(i4 bef4ieben roaren, am tjeftigften ihre „ariftofratif4en", „cfcentrif4en", „emancipirten" u. f. ro. Salon* SNomane, fritifirten.

Sa« un« betrifft, fo wollen mir bie Jobten ihre Stobten be= graben laffen. ®a« Urteil, roel4e« iüngft oon Söonc*) über ben Vornan überhaupt gefpro4cn rourbe, bürfte ben ßefern biefer 3riten ni4t unbefannt fein. (Sr fjält ben IHoman für eine entartete 2)iufe, roel4e al« ÜJlif4ung oon 'Jirofa unb f|3oefie ber Saljrfyett beiber entbehrt. 3lu4 bie Diomane ber ©räfiu fallen unter biefe« Urteil, namentli4 biefenigen ber erften ‘periobe.

$ierna4 fann rooljl an biefer ©teile nicht oon 3ntereffe fein, bie genannten Schriften na4 SulpM unb gorm ju prüfen unb mit ben Literatur «§iftorifern barüber ju re4ten, ob bie ©eelengemilbe unb Öebenfloerroicfriungen , bie .äentjnung ber gelben unb ^elbinnen, bie ßntroicfelung ber Sriump^e unb Dlieberlagen ber 8eibcnf4aft, roel4e Ifift in bunter roirrer ÜJZenge fi4 bringen, ben ©efefcen ber Sleftfjetif entfpre4en ober nicht. 9?o4 weniger fann unfere Slbfi4t fein, bie ©efefce ber ÜJioral an biefe Üiomangeftalten anjulegen, um ber 35er- fafferin ba« gefammte JHegifler ber ©ünben unb 35erbre4ett 3U im- putiren, roe!4e ihre gelben unb $elbinnen auf bem fJapier begehen. $>afj ber ®i4tet für bie fittli4e lenbenj unb bie fittli4e ©irfung

*) „granffurter ätitfltmäfje Stofdjürtn" 91eut golge. »b. I, $«ft 4.

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142 ?5au! $affner. 10

feiner Serie oerantroortlid) ift, foQ wahrlich nicht b eftritten werben, unb ba§ bie ©erfafferin be« StomanS „®er Siebte" unb „Ulrich" u. f. m. fid) biefer ©erantwortlicbfeit nicht entjiehen wollte, bejeugt ber ernfte Siberruf unb ©roteft, mit bem fie biefelben fpäter oerwarf. Slnberererfeit« gehört aber bod) wohl bie ©efchmacflofigfeit eine« ein* feitigen ©öfterer« ba$u, um mit ©rofeffor Sbrarb*) alle«, wa« in ben Siomanen ber ©räfin etwa ©ittenwibrige« ju lefen ift, ihr auf ba« Scbulbbud) bc« eigenen Ceben« ju fdjreiben. sJ2od) weniger fcheint un« gerecht, alle Säge unb Ü^eorien, welche bie Romane enthalten, ihr al« bamalige Ueberjeugung ju imputiren. Sollte man biefe«, fo Würbe man eben au« bem einen erbidjteten Vornan einen jmeiten machen, unb ift boch wirtlich an bem erften genug.

Sine ©erwanbtfchaft jwifdjen ben Schöpfungen ber $hantaÜe unb ber Sirflichfeit be« perfönlichen 8eben« ift freilich bei ben Romanen ber ©räfin nicht $u oertennen. Sticht mit ber Strenge ber 2Re* moiren, wohl aber mit ber greiheit oon Sahrpeit unb Dichtung reflectirt fich bie Seelenftimmung ber SBerfafferin in ihren SRomanen jener 3eit, unb ein ©runbjug geht in mannigfacher Variation burch alle ©eftalten pinburch, welche fie bamal« oorfiihrte.

Diefer ©runbjug ift bie bittere, unoerföhnliche Älage über bie Spe, in welcher ba« liebebebürftige SBeib bie Duelle be« ©lüefe« erhofft, um bie Duelle ber Dual ju finben. Sbenbarum eine halb mit milbem Uebermuthe, halb mit wehmütigem Schmerz ausgeführte Schilberung ber 8eibenf<haft, welche ber Schranten fittlicher Orbnung fpottet; fchlieglich immer ein tragifche« Snbe, fei in ©erzweiflung ober in Siefignation ober in hartem ©efehief. gn mannigfachen Stüancen wechfeln bie grauenbilber : jwifchen ber hbchften ©luth ber Seibenfcpaft, coquettem Spiel unb tiefem Reiben ; glücflich, befriebigt unb harmonifch ift feine. Unter ben Scannern begegnet un« in erfter Stelle ba« ©ilb roher Sinnlichteit unb fehwaepen Sharafter«, baneben auch geiftreiche Icibcnfdjaftlic^c Staturen, welche gewaltfam untergehen. 3»ei SDtännergeftalten finb bemerfenSwerth- Die Sine blenbetcb aber unruhig gezeichnet in bem reich begabten aber maglo« ftreben* ben SigiSmunb gorfter, bie Slnbere in bem gelben ber gauftine ©aron Slnblau, welcher mit ben Sorten gefeiert wirb: „ÜJteine Seele blühte auf oor feinem fächeln, meine träume würben wach ®or feinem ©tief, bie Seit fchlug für mich ba« äuge auf, wenn ich in

*) ift CübtlY Stnbjdjtttbfn an bi« ©räfin Sripjig. 1852.

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®räfm 3>>a §af|n « §al)n.

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bag feint flaute, in biefeö ernft bentenbe 8luge, bag forfdjenb, prü* ftnb, mägenb auf ben ©egeitftänben ruhte unb ihnen ©krtl) unb ©e» beutung $u geben ft^ien, je nachbem eg nach ber Prüfung mehr obtr weniger befritbigt war, unb bag bei wir allein bie gorfchung oergajj, um in ^eüer greube $u gtänjen."

ORarie $etene (in bem mehrerwähnten gebengbilb ®. 75) finbet in bem erften ©ilbe Heinrich Simon gejeichnet, welchem bie (Sräfin im 3abre 1836 in ©reifgmalbe begegnet war unb welchem fie oorübergehenb ein lebhafte« 3ntereffe gefcpenft hatte; in bem festeren aber ©aron Sbotph 0on ©hftram, einen pochgebilbcten, an 3abren oorgerücften Grbelmann au« (Surlanb, welcher nach bem frühen Job feiner grau, ber er oerfprocpen batte, nicht mehr ju bei rat ben, auf fein SÜiajorat oerjichtete unb in Drcgben mit ber (Gräfin halb nach ihrer Scheibung befannt geworben mar. 9BaS bie ©räfin in ber Üb“* für ihre bicbteriftben 3bea(e au« bem wirtlichen geben entnahm, unb roa« umgefebrt Slnbere aug ihren Dichtungen in bag roirfliihe geben übertrugen, fotl non ung nicht unterfucht werben. beiden SRi<h* tungen hat bie ©pantafie ihr üRöglicpfteg gethan.

Diefe ©eftalten ber ^5t>antafie aber fönnen ung, mit bemerft, nicht ernfttich befcfjäftigen ; auch bie ©runbfäfce nicht, welche gelegent* (ich in ben SRomanen $ut ©eltung (ommen. <äef)ört eg ja hoch eben ^u ben ©orjügtn ber SRoman»giteratur, ober beffer ju ben SRachtheilen berfe-lben, wie wir betonen möchten, bag man in berfelben alle mög« liehen 3beale unb ©runbfäße anbeuten (ann, ohne fich mit Doller filarljtit ju benfelben ju beftnnen ober nicht ju befennen. ©räfin £>ahn hat in ber erften Serie ihrer SRomane biefen ©or» unb SRadj» theil fich in reichftcm üßafje ju eigen gemacht.

<£in gemiffer gortfehritt läßt fich jeboch immerhin bemerftn. ©ährenb bie erften SRomane, namentlich ber „äug ber ©efellfdjaft", mit ftürmifcher Jpeftigfeit ber focialen unb fittlichen Orbnung gegen« über bie inbioibuellt greiljeit unb bie Autonomie beg menfdjlicben $erjenS betonen, lenftn bie fpäteren (wie „©täfin gauftine* unb „Sigigtnunb gorfter“) augenfällig in eine ruhigere Huffaffung über, bie (e^te SReilje ober, welche mit ber „Sibptle" 1846 beginnt, geigt beutlich bag ©erlangen nach einer ©erföhnung mit ben Jrabitionen ber @c« fellfchaft, eine romantifepe Sepnfucht nach bem in bem äßittelalter gegebenen SReid)thum ber ©oefie unb fiunft, ja fogar eine unoerfenn» bare |>ochf£häfcung ber (atholifchen Sird)e. Die „Sibplle", welche mit

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^out §affntr.

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ben ©Sorten f rfjticgt : fons pietatis, salva me, (Quell brr ©arm* herjigteit, f)ti(e mich) gab noch niepr al« bit orientalifchen ©rief« ju btr Meinung Slnlajj, bie ©räfin fei fatholifch geworben. ®ajj fie auf bem SBeg mar, ju werben, tonnte man bie ©nabe ©otte« oorauägefeht bamat« in ber 2^at behaupten.

II. 2)te (f onorrfion .

©Sa« führte bie grau, welche ein ^a^qepent tjierbure^ ein jerriffene# unb bod) fo ftotje« ;)dj ber weiten wirren ©Seit, ihren ©enilffen unb ©djranfen, itjrer fociaten unb fittlidten Qrbnung gegenüberftellte, ju ber Unterwerfung unter eine objectibe Qrbnung beb 3)enfen« unb Sehen« unb ju einem unbebingten ©eijorfam gegen bie Autorität ber fatljolifchen Birdie?

I)iefe grage ift nad) bem bisherigen ©ang ihre« Gebens ni(ht aliju fthwer ju beantworten. 3ba £>ahn»£>ahn würbe tathoiif(h, weit fie mit einem ernften ©inne für ©Sahrheit eiue unbeugfame ©elbftfiänbigtcit beö Urtheileö unb einen energifcben ©Sillen oereinigte.

©ie hotte, a(« fie ber Seit entgegentrat, nichts ^Sofctioe« in ihrer ©eete a(« jenen innerlithen ernften ©inn für bie göttliche ■JJlajeftät, Welcher at« SKitgift ber ©eete allen üHenftijcn eingepftanjt ift. Die ISebljaftigteit, mit ber fie in ihrer 3ugenb biefem ©efühl fich hwgab, fdjeint fie niemal« oerlaffcn ju ^aben. Cr« war bie ©runbfraft ihrer ©eele, jener ©eele, welche, wie Sertullian fagt, non 91atur au« chriftlidj, ober wa« ba«felbe, tatholifch ift.

^ierju fam ein unau«töfchliche« ©erlangen nach bem ©lief in ba« innere be« SDJenfchenleben«. glach unb äußerlich ®ar fit niemals, mochte fie auch mit allen 21)orheiten be« Cupt« fich umgeben unb alle 2änbe> leien ber oorneljmen ©efellfchaft theiten. Ohne 3weifel tonnte fie mit notier ©Sattheit non ftch fagen: „Stuf bie ^nnerlichfeit ging ich immer au«; bie ©eeten wollte ich wiffen; wa« fie gehört unb gefeljen, war mir oolltommen einerlei, wa« fie babei gebacht unb empfunben, feljr wichtig; bernrafen wichtig, bajj ich ganj bamit erfüllt war, wenn jemanb mit mir non innen hfr°u® fprad). Äber (eiber finb bie äWenfchen fo wenig baran gewöhnt, ba« fie feiten thun. Dann war mir ach wie oft ju ÜJluth, at« müßte ich fit in bic $anb nehmen unb fchütteln, bamit bie ©hr°ftn »on ihnen abfieten unb wir jur gnnerlicpfcit gelangten, ©Sie mit einer unfidjtbaren ©SUnfchel* ruthe ging ich burch bie ©Seit, um burch fie ©Safferquellen ober ©olb 3U fhtben."

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©täfln 3ba §ahn ■•Stahlt.

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üDiefer Sinn für ba« 3nntrltc{)e tjal feine Spifce aber in einem ernften, unbeugfamen »Sinn für ©ahrheit:

Sie bu bifl nnb roa« bu giebft,

Sie bu benfft unb roa« bu fibft,

Senig fei’b, gering unb dein, ätber »ahr, ba« mu& eb fein.

35iefe ©orte liebte fie in 2llbum« ju f ^reiben, unb ihr ganje« SGBefen jeigt biefeit Sinn für ©ahrheit in einer Schärfe unb Schnei* bigfeit, welche ntc^t feiten Dertefjenb, ja fogar herauSforbernb unb ab* ftofcenb fitf) geltenb mochte, ober auch in biefer ©eitbung nicht ju oerfennen ift. „Klarheit be« 35erftanbe«," fo bemerft eine ihr nahe fteffenbe grau, „mar ein ausgeprägter 3U0 >hrtr ^crfbnlidffeit ; nie begegnete man einem oerfchmommenen ©ebanlen, felbft jeber 21u«brucf mar prägnant, treffenb in feiner Kraft. Slud; ru^te fie nicht, bi« fie jur Klarheit burdjbrang, fei nun, bajj man ihr mit rechten gbeen, ober mit bem confufen £>afbgebanfen entgegenfam, wie eS Dielen , ' eigen ift. 5DZit grauen unb Schwächeren überhaupt mar fie nadjfichtig.

3m (äefpräch mit begabten ÜJZännern fonnte fie oft unerbittlich logifch roerben unb im geiftigeu (Gefühl bie blanfe ©affe fo grünblich brauchen, ba§ fte Siegerin blieb, oft nicht ohne ©unben ju fdjlagen.*

fßermöge biefe« natürlichen Sinne« für ©ahrheit, 3nnerlic^feit unb göttliche SBZajeftät proteftirte bie (Gräfin gegen ba«, roa« fid? ihr at« fittliche, fociale unb religiöfe Orbnung entgegenftellte, in ©irt* lid)feit aber nur Safcung menfchlicher ©illfür mar; unb infofern mar fie eine ächte *}5roteftantin, eine fjjroteftantin im mähren Sinne, roofern bie Sichtung Dor ber ölefchichte geftattet, biefem ©orte über* haupt einen folchen Sinn ju geben. *)

35er Sachlage gemäjj mu§te biefer ächte ^roteftantißmu« eine jroeifadje ^Richtung nehmen. Sr mar rabical gegen jegliche JOrb*

*) ®er Dame ^rotefiant t)flt befannttich feinen f)iftorijd|en Urfpnmg auf bem SReieh«tng ju Sprper ert)nlten. IS« protefHrten bafetbfl bie ettangelifcben 8feich«furften gegen ba(> Serbot, ihre Untertbanen jur Deformation mit Sewaft* mittcln ju jtotngeit. XaS Sort ,'JJrotefianti«mu*’ ift atfo tjifiorijd) gleich* bebeutenb mit bem Snfprndj auf ®e»iffrn*3itiang. Settjamer Seife ifl biefe Sebeutung bt« Sorte« ganj oergefftn morbeu. Senn man heute in bem „tßro* teftami«niu«' bie Sreifjeit be« Seifte« feiert, mefdje feiner menfehlichen Slutorität in Slanbeiwfragen fiel) unterwirft, fo hat ba« Sort in ber U}at eine wahre nnb ebte Sebeutung. Solche fßroteftanten aber muffen notbwenbig fathotifch »erben ba nur in ber tatholifchen Kirche bie oon Sott befleflte Untorität mit <Hu«tef)(ufe jeber menfchtichen entfeheibet.

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*}Jaul $affner.

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nung, welche ficg al« äußere, hogle, menfchlicge ßonoention ober ©agung ober ÜJZeimmg ertöte«. <5r war conferoatio ju ©unften ber magren, natürlichen, ewigen, oon ©ott gegebenen Drbnung.

Der StabicaliSmu«, mit welchem bie ©rüfin nicht blo« gegen bie fteifen, leeren, Ijoljlen gormen ber fogenannten ©efeüfchaft, fon= bern gegen bie Schablonen ber ßioilifation überhaupt, in«befonbere gegen bie alle« beoormuttbcnbe unb reglementirenbe ‘fjolijei fieh an«* fprach, ift ebenfo beißenb ol« reijenb.

„Europa ift ein Ireibljau« ", fchreibt fie in ben orientalischen ©riefen, *) „ba« fegr intereffante unb ocrfchiebene ^flanjen fünftlid) erzeugt unb bie ^robucte oon ©eift, <2rfinbung«fraft, gorfchung, ©tubium, Organifation«fraft, meiftertjafter ©erechnung be« 3ufammen* wirten« ber Äräfte unb noch Jaufenberlei meßr aufjuweifen hat; folglich geht oon felbft barau« geroor, baß ben ©oben nicht hat,

auf betn bie eine ftorfe iJflanje ber greiljeit gebeiljt unb nur fie.“

ü)2an hat oiel baoon gesprochen, wie eine fo aviftofratifche grau al« greunbin ber greigeit fug barftelle. Dagegen läßt fie eine

ihrer §etbinnen fogar begaupten, „nur Slriftofraten tonnen wagrgaft liberal fein". Do« ift nun wogi ein wenig 9?omanftg(. Doch ift bejeicgnenb genug, um un« ju erinnern, baß biefer i!roteft gegen bie (Sioilifation unb bicfe« $ochfd)ägcn ber greigeit unb 9}atürtichfeit nitgt« mit ber greifinnigfeit gemein gäbe, toelcge ou« ber franjöfifchen 9?e- oolution geroorgegangen ift unb oon bem mobernen tfiberali«mu« fortgepflanjt, in bem bemofratiftgen ©ociali«mu« ber ©egenwart blügt.

ffiogi ocrfolgte fie biefc Strömung, wet<ge eben in ben

Diesiger hagren neuen Slnlouf nagm unb in $einrid) ©imon ihr befonber« naljc trat, mit ongoltenbem 3ntereffe; fie la« bie «Schriften unb oerfehrte wogi autg mit einzelnen ‘fjerfonlichfeiten, welcge in ihr ouftauegten. ?lber fortgeriffen war fie oon berfelben niemal«. Da» oor behütete fie nicht bie oriftofratifdje Irabition igre« Bornen«, biife wäre fie wogi ju opfern im ©tanbe gewefen, fonbern ihr ©inn für ffiagrgeit. 3<h ftubirte", fo fagte fie, **) „communiftifthe unb focia* fiftifthe ©gfteme, um au«finbig ju machen, ob in ihnen ber flern ent« halten fei, um welchen eine neue ©eftaltung ber ©eit füg organifiren fönne. Slllein ich fanb nicht, baß fie organische ffräfte, fonbern nur mechanifche in« ßeben riefen; fanb feine ßinljeit, fonbern nur Sinför*

*) 8b. U, ®. 278.

**) .8on Skbtpon nod) 3tru|a(eni', 3. 149.

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IG

(Stäftn 3ba $af)n»$aljn.

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miqfcit; fein fc^öpferifc^e Xßatfraft, fonbern nur jerfefcenbe gäßigfeit; feine oerbinbetibe, fonbern nur atomifirenbe ©erneute, mit einem ffiort: feine ^Befähigung jum geben gefd)weige jum ewigen geben." ©iefe« Urteil über liommuni«mu« (oft an Startzeit nicht« ju münfcf)en. Slnbererfeit« fprad) bie ©räfin fid) ftet« mit Dotter ©it* fd)iebenf)eit für bie ßrblidjfeit ber (Rechte au«: „3d) liebe fie au«* ncbmenb," fagte fie, „fie gibt eine gemiffe (Ruße, bie ba« ßrroorbene unb ©langte nicht gibt. Stolj fann fie machen, eitet nie." SJer« möge biefer äd)t conferoatioen ober, wenn man witt, ariftocratifchen ©efinnung wcnbet fie fid) aud) mit fd)arfen Sorten gegen bie dürften, „welche ben Sbel ruinirten unb, nadjbem er erfcfjöpft unb nerarmt ift, ibm bamit banfen, baß fie mit ben (Bürgern coquettiren".

Den atlerbeftigften Slbfdjcu aber oerrätl) bie ©räfin gegen ba« ©urgeoi«*Sönigtbum, welche« 1848 mit fo oiet Schmach jufammenfiel, unb gegen ba« 3lbDOcaten*SRegiment, welche« nach ber SReoolution non 1848 aud) in ©eutfchlanb namentlich in £>olftein fitb breit machte, wäbrenb fie (Rabeh lt)’8 Siege mit ben ©orten begrüßt: „Sllter £>elb, wie erquiefft bu meine Seele; in einer 3(ü- ®° bie Sreutofigfcit an ber lageborbnung ift, baft bu bie Ireuc Ijeroifd) ju @)ren gebracht."

Sic in ben fitttidjen unb potitifeben gragen, begegnet un« auch in (Begießung auf bie (fragen ber (Religion in ben Äeußerungen ber ©räfin ojn Infang an eine Uuabbängigfeit be« Urtbeil«, welche« über alte SBorurtßeile fiegreid) nottjmenbig ju (fünften ber fatbotifeben Saßrheit au«faUen mußte.

3n welcher Seife fie bie natürlichen Sahrßeiten ber (Religion erfaßte, ift wieberbolt angebeutet worben. Saren ihre begriffe oon göttlichen ©ingen nicht befonber« gefebärft, fo fehlte hoch, wie fdjon erwähnt, jebenfall« nicht an einem tiefen unb ernften Sinn für ba« ©öttlidje. lieber bie pofitioen ^Religionen urtheilte fie rü<ffid)t«to« fritifch, bi« fie ben (Begriff erfaßt, auf bem allein eine pofitioe (Religion feftgehalten werbe, ben begriff eine« auf göttlicher ©nfeßung be* ruhenbeit unfehlbaren gehramte« be« geoffenbarten ©laubene. (Bi« baßin waren ihr logifd) nothwenbig aud) alle pofitioen (Religionen gleich wertßDoll unb mertblo«. 3ebe ift bie einjig wahre für ihre $eit unb infofern auch »<>n @ott burd) Offenbarung gegeben.*)

äße biefe '(Religionen, namentlich aber biejenigen be« orientalifd)en Hltertßum«, hatten etwa«, wa« fie mit gebßaftigfeit erfaßte, ©ie

•) ©o äußerte fit fid) wieberbolt unb erinnert bamit an Seffin«'« .(Stjitbung be» SRtnfcbengefdiledite«.*

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®a0t $afftur.

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3ncarnotionen ©rapma’8, ba« i?icptrei<p be« 3oroaf<tr« bfr SWptpu« oon 3fi« unb Ofiri«, mie bie föunber be# Sitten Jeftamente« unb bi« adjt ©etigfeiten ber ©ergprcbigt. Slber feint oon bieftn Religionen ^atte in ipren äugen ben Slnfprucp, at« mapre Retigion allein anerfannt / ju ©erben. „ÜJieine Religion," fo fagt fie im Oapre 1844, „ift bie Religion be« 3nbioibuum«, mein ©taube ift mein (glaube, unb ift gleichgültig, ma« be8 ÜJlcnfcpen ©taube ift, menn eben nur fein ©taube ift. $)er ©taube rnaept felig, fprad) tShriftuS, unb gan^ unb gar nicht biefer ober jener ©taube."*)

©o weit fie biefem ©ubjectioi«mu# putbigte, mar ipr fetbftoer- ftänbtid) bie fatpolifcpe ßirepe burepau« unoerftänblidj. -Die ©tauben#- befinitionen ber ©oncilien erfepienen ipr al« Slnmaßung unb ©eroalt« tpätigfeit, unb 3tngefid)t8 ber Meinafiatifepen ©täbte Sppefu«, Ricäa ©palctbon, in roetipen fotepe gepatten mürben, entfeptüpft ipr ber ©cpmtrjen«ruf : „©« ift uncrpbrt, ma« bie Jpeologie ber Religion

für ©epaben getpan hat. " **) Roch »iet anmaßenber unb gematttpütiger erfdjeint ipr bie fubjectioe ©ibetau«tegung , nebft ber auf ©oncorbien* fformetn gefüllten Ortpoboyie be« $roteftanti«mu«. 9ficpt« finbet fit unnatürluper, at« ba§ man burep ©ibetlefen jum mapren ©tauben gelange, unb baß man burep biefen ©tauben felig merbt, „gleicpoiel ob Jpaten be« fftuepe« ober be« ©egen« ipm jur ©eite ftepen.* ©int 3«t lang intereffirte fiep bie ©räfin für bie mpftiftpen ©epriften ©me ben» borg’« (namentlüp bie neue Jpeotogic, rocltpe inber©ibptte tine Rolle fpiett). Slber batb erfannte fie, baß fie pier feinen feften ©oben ge- winnen fönnt, unb baß fubjectioe ©gftemc, mie fie ber ©roteftanti«. mue in fo üppiger gillte peroorbringt , ipr feint ©efriebigung ge- roüprtn fönntn.

©epon 1844 in ben orientatifepen ©riefen***) fagte fie: „3<p pabc eine große ©orliebe für ben J?atßolici«mu8, barum meit er fpriept : ich gebe bie 8epre, mit fit feit atptjepn 3ahrhunberten oon ben SBeifeftt« unb $citigften oerftanben, erftärt unb fortgepftanjt ift, unb mie fie bi« jum (Snbe ber Jage fortbauern mirb. 3n biefem ©eroußtftin liegt äutorität für Slnbert, üebenJfraft für ipn; unb er pat fie be»

roitfen SlUe anbertn ©tauben#tepren, juerft bie armtniftpt, bann

bie grietpiftpe, bann bie jepnfatp jerfpattenen ber ^Reformation finb

*1 Orientaliffpe ® riefe, ®. I 6. 810.

*♦) a. a. 0., «. 1 ©. 310.

*»*) a. a. 0., Sb. II, e. 260.

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@röfiii 3bn £>af)tt«$a[)n.

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ftet8 aus einem ©egenjafc jum j?atholici8mu8 ^eroorgegangen ; er felbft aber Ijat feinen anberen Urfprung als bie a(te ©inheit. ©eine Autorität roirft magnetifch, anjiehenb unb beru^igenb, fo ba§ i ä) ben fathotifchcn 3tu8brucf: bie ffirche fei a(8 eine ÜJJutter ju betrauten, bei ber feinen roirflidj roahr finbe."

Dicfe ©orte, wcfdjc ©räfin 3b a in einem Sörief an ihren Sruber au8 bem Orient fchreibt, oerbienen unfere ganje Wufmerf« famfeit. 68 toirb in ihnen ba8 erfte Äcnnjeichen ber magren Äird»e, bie Slpoftolicität, mit einer Klarheit erfaßt, roetdje nid)t8 ju roünfdjcn übrig lügt.

Sluch ba8 fiennjeichen ber ©inheit unb ßatholicität finbet ju gleicher jjjeit ihr tiefe« 3Serftänbni§. ff tir mich, liebe 6m 5," fo fchreibt fie an ©räfin ©tolbcrg,*; „ift e8 ein Un» gtücf, baß ich nicht im fiatholici8mu8 geboren bin, unb hätte ich nicht einen fo ftarfen ©tauben, nämlich meinen ©tauben, ein Äinb ©otteö ju fein, bem bie Sirenen ju eng finb, fo märe ich Hobt !thon längft übergetreten. 2lber üJlenfchcn mit einem folcheit inbioibuellen ©tauben treten nicht über . . . Dennoch gibt c8 äugenblicfe, roo man ben 3lu8brucf eine« innerlichen 33erbanbe8 mit brr SDienfchheit auch äufeer= lieh barftellen möchte, unb ba roenbe id) mid) immer bem ©eifte beö Äatholiciemuö ju."

©ae ihr aber ganj befonberö einleuchtet unb ma8 n>of)t ba8 eigentliche -Biotit) ihrer Hinneigung jum $att)olici8mu8 mar, ift ba8 Sennjeichen ber H«ltgfeit, roeld)t8 bie fatholifd)e fiird)e in ihrer Öef)re, in ihrem lieben unb namentlich in ihrem Orbtneleben an fief) trägt. Die ©hrfurcht oor bem flöftertiefjen Sehen fcheint in bem $erjen ber ©räfin, obgleich fie bemfelben in ihrem ganjen ^ugenbleben abfotut ferne mar, bod) fchon in aller ffrüf)e ermacht ju fein. „Sföeine alte Siebe jum Älofter macht mieber auf, unb ich benfe: ©elig, roer hier menigften8 ooriiberjiehen barf, feliger, roer hi« bleiben barf," fo fchreibt fie 1844 ängefid)t8 be8 filofterS 6armet. 3mmer unb immer fomrnt fie auf bie guten granciöcaner-lDiönche ju fprechen, metche im Orient in Dama8cu8, Qerufalem unb auf bem Libanon ihr begegnen, ©ie fritifirt fcharf ihre ©igenthümlichf eiten unb ©chmächen, aber ba8 Orben8leben, bie Hingebung für bie Pilger, firanfen unb Strmen er* füllt fie mit tiefer ©hrfurcht. 3n8befonbere jeigt fie ein tiefe« ®er* ftänbnijj für ba8 jungfräuliche Sehen ber ^rieftet unb Süiiffionäre.

*) Orient, »riefe, «b. II, 6. 128.

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'(Jaul ^offner.

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„Die ^roppeten Ratten feine gamifie," fepreibt fte, *) „unb bie Bpoftel auep niept, unb icp benfe, wenn fie eine fotepe gehabt hätten, fo wären fte Wopt nimmermehr ^roppeten ober apofiel geworben. Daju gehört eine auefd)(teglic^e unb unbebingte Selbftentäußerung be« ganjen irbifepen URettfcpen. "

alle biefe aeußeruttgen ftnb um fo bemerfen«mertper, ot« fte ju einer 3eit geft^ricben würben, in weither bie ©räfin noch gar niept baran baepte, jur fatpolifcpen Äircpe überjutreten, fonbern fogar immer mieber barauf podjte, bog fte ^Jroteftantin fei, an ber {Religion be« 3nbi» oibuum« ober an bem Subjectioiämu« feftpalte.

©enn tropbem bie Sennjeitpen ber wahren Äircpe in ihrem

©eifte mit folther Eoibenj fith einbriieften, fo erprobt fiep ihre Sraft in ganj befonberem ÜRaße. 3n btt orientalifepen {Reife, welche bie ©räfin im 3flhre 1843 machte unb in ber mehrermähnten Schrift befeprieb, ift aber ein ÜRoment oorjiiglicp beacpten«mertp : ipr äufent* palt auf bem Serge Earmel nämlicp. Dort, fo fepeint e«, pat ihrer Seele eine munberfame Sepnfucpt naep bem ©lauben ber Äircpe

fiep bemäeptigt, welche niept mepr oerwifept werben follte. {Ritpt blo« bie pcrrlicpe {Ratur, metepe fte umgab, auep nicht bie großen pifto» rifepen Erinnerungen, bie fie pier maep rief, waren e«, wa« fie fo tief ergriff. „Ave Maria," fo fepreibt fie, „ba läuten fie ben lag jur {Rupc. ©ie feierlich flingt ba« ©löcfcpen, ba« mit feiner pellen Stimme in ber Einfamfeit ber Serge unb am raufepenben 'JOiecr ebenfo gut bem großen ©ott ba« abenblieb ber Seelen juträgt, wie giutp unb ©inb ipm ba« ber {Ratur ausfpreepen. Ave Maria ift ein ©ruß be« grieben«, unb biefen rufe icp 3pnen ju, meine Emp, 3Pnt” unb allen ben {Keinen, notn Earmet naep bem fernen Europa unb reept in« $erj oon Deutfcplanb hinein .... $)ier ift ©ott unb

feine ©öfcen neben ipm Erquicft wie icp, muß bie arme ÜRufcpel

fiep füplen, bie einmal fiep geöffnet pat, um einen Üpautropfen }u

empfangen. Sin ben Libanon werbe icp meiner Lebtag benfen, 3$toel, ju beinen 3tHtn!!“**)

Da« ift munberfepön gefeprieben unb offenbar geftprieben, wie im $erjen empfunbett. Sollte man nitpt fagen biirfen, fte pabe auf bem Earmel in bem abenblieb ber Seelen bie Stimme ber {Kutter be« Erbarmen« öernommen, weltpe feit Soprpoubfrien bort ipre

*) Otient. ©riefe, 99b. II, @. 180.

♦♦) Critnt. »riefe, ®b. II, S. 135.

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©räftn 3ba $«bn < £>ofjn.

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gnabenreiche ©oßnung hat? Sieben 3ahrt maren »erfloffen, al« bie ©räftn biefer Stunbe auf bem Sarmel in ihrer Schrift „SBon Sabplon nach ^trufalem"*) mieber gebaute. Da ftf)rieb fte mieber: „3«rat(, ju beinen gelten !" aber nicht nuijr mit ber unbeftimmten Spraye ber Sehnfudjt, fonbern mit ber Dollen Älarlfeit ber Ueberjeugung.

Daß fieben 3“hrc oerfließeit mußten, bi« ein fo flarcr SJerftanb unb ein fo entfdjloffener Sille jur Sntfdjeibung fam, fönnte in 58er« rounberung fe^eri, wenn man nic^t müßte, mie ferner fid) eine 9Kenfd)en> Seele au« all’ bett taufenb gäben lo«löft, mciche ©eburt unb ©efeü* fchaft, ©eroohnljeit unb geibenfefjaft um fie fähigen. 3lber auch bie Srlebniffe biefer 3ahrc finb reich an tföchft intereffanten Momenten. Äurj nachbem bie ©räfitt au« beni Orient jurüdgefehrt mar, begann in Deutfchlanb bie religiöfe gjeroegung, meldje bie bebeutung«Dolle 23orgefd)ichte ber Politiken fein follte. Sine 2JJillion Äatßolifen pilgerte im Sommer be« 3aßre« 1844 nach Irier, um in leben« bigem ©lauben ben göttlichen Srlöfer ju belennen, beffen Äleib ba» felbft bemalt roirb. Dagegen erhob fid) bie häßliche Äuffläridjt«« Somöbie, welche fid) an ben fog. Deutfd)*Satl)olici«mu« unb ben apoftafirten Ißriefter 9i o n g e (nüpfte. ©räfin a p n mürbe Don biefer üDianifeftation be« fatljolifchen ©lauben« tief ergriffen. „Ob berfelbe !Kod ift," fdjrieb fie bamal«, „roeiß ich nicht; aber ift berfelbe ©laubc, ber einft ba« tränte Seib oor Shriftn« nieberroarf, um nur ben Saum feine« Äleibe« jtt berühren unb baoon ju gefunben."

3m 3ahr 1847 mar fit etft in 3totien, bann in 3rianb. ift eigeuthümlich, baß ba« religiöfe geben in ben tatholifchen gänbern, namentlich in 3*alien ihr fremb geblieben mar, in bem pribnifchen Orient aber unb in bem proteftantifchen Snglanb ben tiefften Sinbrud auf fie machte, ober, mie fie fich au«brüdt, ihre Seele au« bem SDlur» meltpierfdjlaf medte. S3on bem erfteren fjaben mir fchon gefprochen.

lieber 3rfonb fagt fie:**) „Da fah ich bie Sirdje mieber in ihrer Schönheit, in Hrmutl), Unterbrüdung, 'Dfärtprertpum unb in ihren fSrieftern heiligmäßige SJJänner, ttoll apoftolifcher giebe unb Söarmperjig« feit . . . Da« 93olt mit allen gicht» unb Schattenfeiten be« celtifdjen Stamme«, mit ©rajie unb geichtfinn, mit großer Äraft jum gieben unb Raffen auSgeftattet , liebt feine ^riefter unb feinen ©lauben al« bie Sonnenftraplen in bem tiefen Slenb feine« geben«.* iöefonber« un«

*) ®. 33.

**) „2?on 33atqton nad) 3erufal«n,* 1"6.

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■Ca ul $ offner.

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öergc§Iitf) war i!jr ober bie ©ctanntfchaft jweier prieftcr, bie fie bort machte be« 'pater 3Rathew unb Sirbp in Dublin. „3n biefem üJianne", fagt fie,*) „ging jum erftenmal gleidjfatn ber Schatten be« einigen guten $irten, be« feelenfuchcnben unb rettenben, an meiner Seele nor» über unb machte fie fo erbittern in ihrer Slrmutfj unb ihrer Per* laffenheit, baß fein grüne« ©arteten non Olioe Httount ihr heimifchet oorlam, al« bie fdjöuften pari« unb CEottage« non ßnglanb. ©arum? weil ba bit hintmlifd)t Siebe tnohnte."

Pon ber englifeben 9?eifc jurücfgefcl)rt, al« eben bie Stürmt ber SReoolution non SGBeften herüber brauften, faßte ©räfin Ha*)n ben gntfdjluB, fich in Dre«ben nieberjulaffen, unb miethete bafetbft ein be= fcheibene« ftill gelegene« £>au«, welche« fie einfach aber gefcfjmacfnoll einrichtete unb in welchem fie eine fleinc gewählte ©cfetlfchaft ju fehen pflegte. 3h« 3e'1 wibmete fie ernften Stubien. Sie la« bie Propheten 3efa*Q® unö Seremia«, einigt Schriften bt« Äugu* ftinu«,**) bie ©efchichte unb ©efehlüffe be« Jrienter Soncil«; baneben auch wieberholt bie Schriften Suther’«. 3hre Hinneigung jum fatf)o= lifd)en ©tauben war unter biefer Öectüre immer fefter geworben unb fie begann nunmehr, auch bit h^ SDtteffe, ber fie bi« jefct in einer eigcnthümlichcn SDtifchung oou Sehnfucht unb Scheu fern ge- blitben, regelmäßig ju befucf>en. Die oerfdjloffene Plufchel begann fnh ju öffnen unb ber himmlifchc £hau nahete ihrer Seele. Sie fühlte, baß fie ber ©nabe***) bebiirfe, unb betete. biefer Seelen» ftimmung machten jwei ©orte ber hi- @<hrift einen befonber« tiefen (Sinbrucf auf fie, ba« ffiort be« 3eremia« : Pf it ewiger Siebe liebte ich bief), barum erbarmte ich ntieft beiner unb jog bidj ju mir,” f) unb ferner ba« ©ort be« 3tfoio«: „ÜDiachc bich auf, werbe Sicht, 3trufalem ! benn fommt bein Sicht, unb bie Hcrrlichfeit be« Herrn geht über bir auf. “ft)

*) „Sin Büchlein ootn guten Wirten, * S. 3.

**) 3n bem Buth» .Sem 8abt)lon rtad) 3trufalem" ©. 86 fogtt ft» oon Hugu fiimte : ©ein» ffiorte tnagnttifmen mir gleichfam btt Seele unb marterten mich jurotilen, weil ich <n ihm Sttie« fanb, ma« ich auch mottte unb nicht mottle, gerabe mit erl

***) ©ehr eigentümlich ifi, baß fit fchon 1844 mit großem ffirnfl bie SRacht ber ©nabe über ben Bütten betonte, (Orient. ©rieft 9. 1), freilich, mit fie fetbfl bei» fügt, Bon einem ganj Unflaten Begriffe au*g»benb. t) 3ertmiae 20. 3. tt) 3'faiae 81. 1.

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©räftu 3ba $>af)ti = $af|n.

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3ti eben biefe 3«it fallt tin fchmerjlid)c« ßreigniß, melche« - wo 1)1 nicht oßne ßinfluß auf bie Seelenftimmung ber nad) ßr* löfung rufenben grau mar. Sie battt fidj im 3al)re 1848 bei einer an fid) unbebeutenben Operation an ben äugen eine heftige ßntjünbung jugejogen, welche fie fünf ©ionate lang ju ©erlin in ootl* ftänbigem Ounfel ohne jebe ©eidjäftigung ju Derweilen jmang unb fchtießtid) mit 3erftörun9 &c8 cinen enbete. Slud) bie äußeren

ßreigniffe, bie iKeoolution, welche oor ihren Slugen Ore«ben oerwüftete, unb ba« erbärmliche ©arteigetriebe , meines Oeutfdjlanb fd)änbete, berührte fie fdjmerjtid).

Stufe neue ftubirte fie in biefer 3eit bie ßontrooerfen bc« ©tauben«. 3u ßnbe bee 3aljre« 1849 mar ber ßntfdjluß gefaßt. Sie wollte, wie fie fid) auebriuftc, ber Schwalbe gleich, bae baufällige $au« Der* taffen unb bie ©ruthfiiide bee ©roteftanti«mu« mit bem Dollen unb ganjen ßeben ber Sirene öertaufdjcn. „21m 1. Januar 1850 fd)rieb id) ju ©erlin an ben (Sarbinat * gürftbife^of Don ©reelau, um il)n ju bitten, mir jum ßintritt in bie Sirche behülflid) p fein. Unb er war ee;" fo berichtet fie furj . in ber Schrift ,,©on ©abplon nad) geru* fatem." 3öir fönnen une nicht Derfagen, biefen ©eridjt p ergäben, ba er eine tjödjft merfmürbige gügung oerfchmeigt.*)

©räfin §ahn hatte ben ©rief an ben gürftbifdjof Don Sreetau getrieben, nachbem fie ben Sag juoor in einer ©efellfchaft einen $errn gefehen hatte, welcher ihr ate giirftbifchof bejcichnet mürbe, ß« mar biefe« ber gürftbifdjof Don Seblnifäft), welcher 1840 refignirt hatte, fpäter fogar pm ©roteftanti«mu« überging unb fein au« fatho* lifchem ßirehengut gewonnene« ©ermögen einem proteftantifchen Se* minar hinterließ. Sin biefen h“tte fie in Unfenntniß über feine ©erfon fid) unter ber äbreffe „an ben gürftbifchof Don Sreölau" gemenbet. Diefer ©rief aber würbe oon ber ©oft nach ©re«tau gefanbt unb fam in bie Ipänbe be« wirtlichen gürftbifdjof«, Oiepenbrod.

Oicfer antwortete ihr in einem unoergleichlich fdjönen ©rief unb empfahl ihr, ftd) an iperrn Don Settel er p wenben, welcher Dor Äurjem ©topft in ©erlin geworben mar. Oer teuere, welcher bie ©räfin perfitalidj juoor nicht gefannt unb auch non ihrer litera* rifchen Jljätigteit taum s32otij genommen hatte, war nicht wenig über*

*) ©ergteidje ©rieft beS ©ifdjof« oon üHainj oon Dr. SJait^, @. 188 ffv

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3?aul $affner.

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rofd)t, in ber oon ber $errlid)feit unb bem Sultu« ber mobcrucn ©eit umgebenen I>ame eine fo feft begrünbete Ueberjcugung oon ber latljo* lifd)en ©aßrljeit ju finben. $n ben wenigen Gonferenjen, welche er it)r gewitzte,*) mar e«, fo erjäßlte er fpüter fetbft, fein einjige« ©e* müßen, bie göttliche Ginfefcung ber 3el)r*91utorität ber Äirdje Har ju ftellen; unb bie ©räfin erfaßte biefe« ^rinjip mit fo großer Gnergie, baß fie erwiberte: „9hm bebarf id) {einer anbrren Grllärung; fagen Sie mir nur, ma« bie 8eßrc ber Sirene ift, id) glaube, wa« »bie ff irdje glaubt.*

Sud) in fpäteren 3Qbrtn fprad) fie mieberfjott biefen ©tbanfen au«. 911« man einmal in ißrer ©egenmart über bic oerfd)iebcnen ©ege fprad), meldjc jur Gonocrfion führen, unb allerlei nannte: bie Ccctüre eine« bebeuteitben 8ef)rbud)e«, ober ben Einfluß einer bebeu* tenben 1)erfönlid)!eit ober bie filarftclhtng einer GontrooerSfrage u. f. m., Hörte fie einige ^eit fdjroeigenb ju, rief bann aber in tieffter lieber* jeugung: ,91d) nein, ift nid)t biefe« unb nid)t jene«, bie Tlcmutf), bie Unterwerfung unter bie gbttli^c Autorität, biefc« allein füfjrt jur Äirdje". Diefc« ©efenntniß ift um fo bcmerfen«mcrtf)er, ba eine grau ift, welche mit fo großer ©d)ärfe ba« inmrfte ©e* Ijeimniß be« fatßolifdjen ©tauben« Ijier auöfpridjt.

9lm 26. üHitrj 1850 legte fie iljr ®(auben«belenntniß in bie $anbe be« untevbeffen (am 15. ÜJiärj) jum fflifdjof oon fDiainj erhobenen tropfte« ber ©t. £iebmig«fird)e nieber. Giner fRedjtfertigung birfe« ©djritte« beburfte e«, nad)bem ißre ©djriften feit fieben 3flf>rtn bie ©ege, auf melden fie $ur itirdje gefommen, fo beutlid) geoffenbart Ratten, laum. brüttgte fie aber bennod), i^rer Ueberjeugung unb Gmpfittbung einen befonberen 91u«brud ju geben in ber geiftooll unb jünbenb, oielleicßt etwa« ju erregt gcfdjriebenen ©djrift : ,,©on ©abplon nad) 3erufalem" (1851), fomie in ber in bemfelben 3aßr crfdjicnenen ©d)rift: „9lu« 3eruia(em." ©cibe ©Triften, auf meld)c wir unten jurüdfommen werben, machten in ber !atf)olifd)en wie proteftantifd)en ©eit große« 9luffeljen. **)

*) $ie Sporte, mit retftfjtn ber tropft oon Berlin bie erfie erbetene <£on* ferenj jufagte, lauten: ,15a jebe Seele für mich ben fflertij be« ©lute* 3e|u öbrifli bat. löttnen ®ie verfüttert fein, baß id) au* ganjtm perlen bereit bin, Obren äüünjdjen ju entfpretben, fotoeit id) mit @otte* ©nabe vermag. (a. a. O. 6. 192.)

**) Silbe ein Heferat von ®uibo ©orte« in ben £>ifiorijd)-poIitijd)tn ©lättem, ©onb 28. ©. 801.

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®räfin 3&a $al)n'§af)n.

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5)ajj IReformjuben , fRitter Dom ©eifte unb ganj 3ung*X>eutfch* tonb über bie cf)tbetn trofc i^rer ariftofratifc^cn £>öf)e auch in biefem ärei« gefeierte Schriftftellerin fofort unbarmherjig ben Stab brachen unb a(«balb fie ju ben titerarifd) Stobten, roenn nicht gar ju ben ber SSergeffenheit ©eweiljten jahtten, ift für 9?iemanben überrafchenb, ber bie 9?aturgef<hicf)te biefeö ©efchlechte« lennt. (Sin Heine« 9iad)fpiel ber bamaiigen theil« flachen, theif« gemeinen 9ß3ifeeteien über bie „neue SUJagbalena“ gaben bie geuitleton« ber testen SBocfie, unter welchen al« ganj befonber« unglit etliche geiftung eine Stubie ber „granf* furter 3e*tung“ unb eine Oithprambe be« „©erliner 'Oeutfdjen SDJon* tag«=©latte« ju oergeic^nen ift.

(Sine (Srwiberung auf biefe Angriffe gab ©räfin $af)n fo wenig, al« fie früher in irgenb welche ^olemif fich eingelaffen hatte. Sillen Slrten oon Seurtljeilungen, welche ihr ju Styil würben, hat fie im ©orau« entgegnet, inbem fie am Schluffe ber Schrift „©on ©abplon nach 3erufalem" bie djarafteriftifchen SBorte fchreibt:

„9iun fage mir, o bu unbefannte Seele, bie bu mir bi« ^ter^er ge= folgt bift, fage rna« benfft bu? SDenfft bu etwa : bie grau ift eine Schwärmerin? Slber bu finbeft in biefen ©lottern feine Spur Don unbeftimmter (Syaltation. Ober: fie fagt nicht bie SÖahrheit! Slber be* benfe, . . . . bafj man mir niemal« ben ©orwurf ber Unaufrichtigfeit hat machen fönnen. Ober: ift ein ftarfer ©eift be« Söiberfpruch« in ihr! 35a« ift richtig! ich wiberfprach fo lange, bi« ich ba«jenige fanb, wa« jeben SßMberfprmh befiegt: bie objectioe göttliche SBahrljeit; ba unterwarf ich mith auf ber Stelle unb bebingungelo«. Ober : fie ift ariftofratifch, be«halb fagt ihr ba« conferDattoe ^rincip ber fatf|0= lifchen Äirche ju ! 3a, bin ariftofratifch, unb barum (affe ich mein ?ebcn nicht beftimmen Don bem, wa« mir eben pajjt unb jufagt, fonbern Don tiefen unb heiligen Ueberjeugungen."

III. $ad| ber ßonoerfion.

Oafj ber Uebertritt ber ©räfin fpaf)n jur fatholifchen Kirche ein SBerf Doller innerer Ueberjeugung war, beweift ber tiefe fittliche (Srnft, mit welchem fie bie ©ollfommenheit be« chriftlichen lieben« er* fajjte. Sine ©eltbame im gewöhnlichen Sinne war fie nie. 3hrf fileibung fchien eher burd) (Sinfachheit al« burd) Ueberfluß auffallenb, unb bie ©ohnnng, welche fie julefct in ®re«ben fich gewählt hotte, war, wenn auch mit (Somfort aubgeftattet , bod) feineaweg« luju*

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Daul §affntt.

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riö«. 3mmcrl}in roar fie gewohnt, über bie igr tgeil« au« bcr gamilie, tgeil« aus ißrer literarifc^cn Jgütigleit rcid?tic^ juffiegcnbcn IDiittrl mit großer greitieit ju oerfügcn unb fid) all« jene 2lnneßmlid)feiten ju geroägren, weiche Damen igre« ©tanbe« nügt entbegren.

Unmittelbar nad) ifjrer ßonoerfion aber legte fie fid) bie fdjroer* ften ©eftgränlungen auf unb faßte ben lärntfigtuß, fid) öon SlUem ju* riidjujiegen, roa« fie mit ber großen ©eit oerlniipft gatte. ©ie oer« lieg Dre«ben, um nad) einem turjcn Aufenthalte bei ihrer üJiuttcr unb ©cgroefter, mit melden fie ftet« aud) nacg ber ßonoerfion in innigftem ©ergältniß ftanb, in URainj ihren Aufenthalt ju nehmen. Dort blühte unter bem am 25. 3«li 1850 inftallirten öifcgof ba« fatgoliftge Ceben fraftig auf, unb fammclten fid) megr unb megr geroorragenbe flatgolilen auß allen Steilen Deutfcglanb«.

3n einer befcgeibencn ^rioatroognung, in ber sJ?äge be« Dome« lebenb, beftgäftigte ©räfin £>aßn in SÜfainj fich mit ber ©riinbung eine« fl (oft er« oom guten Ritten, loofür fie nicht nur ihre eigenen üliittel oerroanbte, fottbern aud) Sllmofcn fammclte. ©ie gatte fug für biefen Drben , welcher fid) mit ber Rettung gefäßrbeter üJJäbdjen befegäftigt, »ie oben erroägnt, auf ihrer Dieife in 3rlanb intereffirt, unb lag ihr ia roogl aud) ganj befonber« nage, in ber Stiftung biefc« für bie ©(gaben ber feiten fo überau« geilfamen Drben« ein Sßerf ber ©armgerjigfeit unb ein 3eid)en igrer eigenen Umfegr ju fegaffen. Die ©egeifterung, mit bcr fie biefen Drben erfaßte, finbet in bem ©(griftegen Slucbrucf: „(Sin ©ütglein oom guten Jpirtcn" iDhinj 1853. biefem fegilbert fie mit großer 3nnigleit ben 3»ed be« Drben«, beffen Stiftung burdj P. (Subeö, fomie bie SBirffamfeit oenuanbter (Kongregationen. 3m 9tooember 1852 reifte bie (Gräfin nad)

Singer« in ba« bortige ÜJZuttergau« ber grauen ootn guten Wirten, um bie Ueberfiebelung einiger ©egmeftern ju bemirlen, unb im grii« ling 1853 roar fie in ffiien, roofelbft fie flaifer granj 3 o f e P ^ eine Denfftgrift überreitgte, welche baju mitroirfte, baß al«balb bie ©trafanftalt ju 9ieuborf bei ©ien ben ©egroeftern übergeben würbe. Unterbeffen roar ba« £>au« in SDtainj oollenbet unb im 3flg« 1854 oon einigen ©(groeftern au« Singer« bejogen roorben.

3n biefen Drben perfönlicg einjutreten, fonnte bie Abficht ber Oräfin nicht fein, fie rourbe niemal« 9ionne, noeg weniger übernagm fie bie Leitung be« fllofter« in 2Rainj.

Die lugenben einer Drben«frau ju üben, roar aber allerbing« ba« ©erlangen ber eblen grau, ©ie erbat fieg barum in bem fllofter

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(Stäfm 3ba $abn-$al|n.

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Dom guten Ipirten ein Keine« Jimmercben, groß genug um einen lifd) unb Stußl unb Sett ju foffen, unb lebte ba breißig 3a^re. Jbre SReoenüen au« bet gamilie, wie ifjre literarifeben ßinnabmcn ftellte fie aub|d)lie§(icf) ben n>ot)ttf)ätigen ©Jerfen jur Verfügung, für welche man ißre §ülfe in Slnfprudj na^m. Dabei mar iljr ein ©er- langen, nicht bcm eigenen Killen ju folgen.

Daß ba« Sille« nicht ohne Selbftberleugnung unb auch nicht otjne inneren Äampf gefcbaf), lägt fid) ja roobl ermeffen, unb roer bie rafdje felbftänbige 9iatur ber »i(len«ftarlcn grau !ennt, mirb roobl glauben, baß ba« ?eben, ba« fte nunmehr begonnen, niebt eine Spielerei frommen ®efüt)(ee, fonbern eine Sbat ernfter Ueber» winbung mar. borgen« 5 Uhr, fpäter 6 Uljr, fab man bie

@räfin ©Jinter roie Sommer in ben Dom geben, roofelbft fit bi«

7 Utjr bet b^ SD2cffc aniöobnte; ibr ÖieblingSaufentbalt mar oor

einem alten Sreuj in bem nörblicben Seitenflügel. Slucb in anberen Äircbtn, namentlich bei gcftlicbleiten unb ben Slnbaebten ber Stabt» tirdjen, fanb man fie immer, ©ejeiebnenb ift, baß fie eine befonbere ©orliebe für bie alten Slnbatbten unb frommen ©ercine an ben Sag legte unb biefe befonber« eifrig befugte, bagegen öfter« ficb gegen biejenigen auefprad), welche immer neue Slnbaebten unb ©ereine trfinnen &u müffen glaubten.

©efonbev« eifrigen Slntbeil naljm fie an bem (Slifabetben- ©erein, roeleber im Jahre 1848 t>on ©iainjet grauen gegvünbet mürbe. Sie befugte mit anberen grauen bie firanfen in ber Stabt unb naßm ficb ber Slrmen liebeooD an; ba mar in ber

Sßat nicht« Don ber Diel befproebenen Slriftolratie ju [eben, roobl aber

eine recht begliche ©üte. Slueb arbeitete fie jebe ©$od)e einen ©ad)» mittag mit ben grauen be« ©aramcnten»©erein«. Die liebenSrourbige unb geiftoolle Unterhaltung, namentlich bie herrlichen ßrjüblungen, mit melden fie ben ißr in ben l'ebenöDerbältgiffen jum fe^r fern ftebenben grauen unb Jungfrauen bie Jeit ber Slrbeit Derfürjte, finb im beften Slnbenleti. Slucb an bem ©erein ber cbriftlicben SKütter, fomie an bem mit ©riinbung einer fatbolifeben Unioerfität befd)äf* tigten ßatbarinen»©erein , bem ©laria*$ülfDerein für tbriftlicbe Dienftboten u. f. ro. naßm bie eble grau ben regften Slntbeil. ©Jo immer irgenb ein lircblicbe« ober roobltbätige« ©Jert in ber Diöcefe unternommen mürbe, ba mar man ihrer fDfitroirlung geroiß.

Den roeltlicben Streifen ber Stabt blieb bie ©rüfin, eine einige fatbolifebe gamilie ausgenommen, ferne. ©Jenn ißre ®e*

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faul $>affner.

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fchmifter fid) in SKainj aufhielten, oermeilte fie bei biefen in ber @c» fellfdjaft. 5öeiud)e empfing fie freunblicf) in bem Sprechjimmer be« Slofter«. äud) ging fie jumeilen auf Keifen. SSon Slnfang an nahe befreunbet mit ber £>erjogin oon ©raganja, nahm fie faft all« jährlich ihren Slufent^alt in bem anmutigen Schfofj aber Älofter ©rombad), in meldjcm biefe hohe grau mit ihrem ©cmaht unb ihren Äinbern nad) ber Kcoolution it)re ^ufluc^t gefunben Ratten, öbcnfo mar fie in ben fürftlidjen Rufern körnen ft ein »Kofen ber g unb 3fenburg«©irftein ein roillfommener ©aft. 2ßit ihrem ©ruber, bem ©rafen gerbinanb $ahn»Keuf)au« unb beffen ©emahtin, rnelche beibe am 16. 3uni 1858 ihr in ber Küdfeljr jur fatho« lifdjcn ßirche nadjfolgten , mar fie ftet« in regem ©erfef)r unb brachte aud) jumeilcn, jule^t 1878, im Sommer einige ©lochen mit benfelben auf bem ©Ute Keuljaue in $olftein ju.

Slud) auf ber Keife nach Korn fct)to§ fie fid) roieberholt ihrer um fie ftet« beforgten gamilie fln unb brachte mit biefer aud) ben ffiinter 1869 auf 1870 bafclbft ju. 5Da« bemrgte Ceben, roelcf)e« fid) bamal« an bae (Soncil anfd)lojj, hot fit nid)t befriebigt, unb bie Sluf« regung, mit mclcher bie theotogifchen gragen nicht blo« in ben Con* gregationen, fonbern aud) in ben Salon« befprodjen mürben, hat auf fie mie auf manche anberen grauen, einen abftojjenben ©inbruef ge» madjt. Dod) nur oorübergehenb. Sic brachte audj ben ©Sinter 1873 in Kom ju, unb oerfchiebene Heinere Slrbeiten au« jener ^eit. (j. ©. ©ine “flfarrfirdje, Äatholif 1873) geben baoon ^fugnijj, mie fef)r bie ©räfin an bie emige Stabt unb ben hl- ©tufjl anhänglich mar. Slud) ?eo XIII. fchenfte fie bie innigfte ©f)rfurd)t unb mar glücflid), oon ihm einige Jage oor ihrem Job ben Segen ju erhalten.

2)a« bcfcheibcne, mahrhaft fromme unb tugenbhafte Seben, meldje« ©räfin $ a h n ad)tunb}ioanjig 3al)re I)inburc^ in ber Stabt SKainj führte, bie Selbftoerleugnung, bie fie babei übte, unb ihre in ber 2f)at un« ermübliche SBSohltfjätigfeit *) ift ber feinen SBclt, melche ehebem fo Diel mit ihr fich befchäftigte, natürlich unoerftänblich geblieben, unb roenn man ba unb bort oon ihr Kotij genommen hQt» fo gefdjah meift nur, um fidj über bie „Könne" ju moquiren.

*) 9toct) in ben lepten Sagen ihre* Ceben* »ertbeilte fie ihr @etb an bie Derfd|iebenen rcof)(tf)ätigen tSnflalten unb Sercine unb widette ade* in ^äddjen. ,9tun habe id) über nid)t* mehr ju »erfflgen,* fagte fie ju einer befrennbeten S>ame. »IBenn ich cor bem 1. 3«li fterbe, mufe mein ©ruber für mein @rab forgen.*

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©väfiii 3bo ,§ot)n >$al)n.

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Slebnlid) Derzeit fic^ auch bie titerarifc^e ffielt, in welcher bie Serfafferin ber einunbjroanjig Sänbe „2Ju« ber ©efcüfcf)aft" ebebem eine fo bohr ©teile einnabm, ju ben frfjriftftellerifc^en Arbeiten, welche nach ber Gonoerfton in rafc^cr golge erfcbieneit.

T)ie latbolifdje Literatur ber ©räftn jerfüllt, roie i^re frühere, in jroei oerfdjiebene ©ruppen.

Gine berf eiben ift un« bereit« in ben oben erwähnten Gönner» fion«»©cbriften begegnet. ®ie ©djrift „Son ©abplon nadj ^erufalem" enthält eine febr febarfe Zeichnung be« proteftantifdjen 'Deutfcblanb« unb eine 5Dienge oon apologctifcben ®efid)t8pun!ten. £)ie ©ebrift „Su« 3erufalent" gibt oon bem Grnft 3tu9n'ß, mit »eitlem fid) bie Ser« fafferin in bie ©efjeimniffe be« fatbolifeben ©tauben«, in«befonbere bie ©ebeimniffe be« ^eitigften 2lltar*©acramente« einlebte. Gine roabr* baft herrliche Grörterung über bie fatbolifebe Sebre oon ber Gbe bilbet ben ©cbtu§ ber ernfteH ©ebrift. Sin biefe reibt fid) (1852) ba« gleitbfalf« fc^on ermähnte „Sücblein oom guten Ritten," unb ba« jroei« bünbige ©ebrifteben „£>ie Viebbaber be« Äreuje«" an. Sefcterc« fann man roobl al« eine 2lrt ßird)engefcbicbte im Sichte be« Äreuje« be» 3eicbnen. Wirb gejeigt, roie bie $ir<be in allen 3«brbunberten mit bem ©lauben unb ben SBerfen be« fiteuje« bie 2Mt überrounben, unb roie biefe ftegreicbe ÜJ?ad)t fi(b ganj befonber« in ben ^eiligen ber fiinbe offenbarte.

Son btmfelben ©ebanfen geleitet begann bie ©räfin nunmehr 1856—1859 bie $ircbengefd)id)te in einzelnen Silbern barjuftellen, unb erft bie Säter ber SQJüfte, bann bie 5D2ärtt)rer unb bie £ird)en= oätcr in bem bi- Sluguftinu« ju fdjilbern. Unfere« Grasten« finb bie 1862 in jroeiter Auflage erfebienenen Silber au« ber Sird)engefd)icbte ba« Sefte, roa« bie ©räfin nad) ihrer Gonoerfion geftbrieben. Gine glänjenbe ©ebilberung ber äujjeren Umftänbe Gereinigt fi<b mit innig frommer Sluffaffung be« cbriftlidjen ?eben«. Sille« ift roabr unb ju» gleich mit plaftifcber Slnfcbaulicbfeit gef<bilbert. ©ie fd)ön roäre e«, wenn fie bie ganje Sircbengefebiebte in folrfjen Silbern gejeiebnet hätte. Seiber gefebab biefe« nicht. 9iur einige fleinere $eiligcnbilbd)en febrieb fie, welche gleicbfall« nicht abgefcbloffen finb. ßinige 3eit roar ihr 3ntereffe augfcbliefjlid) oon ber gro&en Grfcbeinung ber bi- 2: ^erefa gefeffett. ©ie begann eine Ueberfefcung ihrer ©ebriften, oon welchen 1867 ba« „Sieben ber bl- Sberefa öon 3efu«, Don ibr fetbft be* febrieben", unb 1868 bie „J?toftergrünbungen" erfd)ienen.

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Vaul $affner.

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(Sin ,3tu8ntä für ^fn ®rnft ihrer ©tubien wie für btn (Sifer, mit bem fie ältleb »erfolgte, bietet bie Heine Schrift „©eu ©aoib, ein $^an* tafie=@emälbe oon (Srnft IRenan" (1864).

SDen hiftorifcb*apotogetif(ben Arbeiten ber ©räfin ftebt eine poetifcfjc unfc beüetriftifcfje Literatur 3ur ©eite, welche an Umfang unb ^alfl ber ©änbe bie oor ber Gonoerfion erfdjienenen wobt übertrifft, Gb erfdjienen 1851 bie ©ebicbte „Unfcrer lieben grau," 1854 bab „3abr ber Sirdje" ; jmet ©ammlungen Igrifcber ©ebicbte, welche ber tiefen Gmpftnbung 9lub* brud geben, mit welcher bie Gonöertitin bie ©eljeimniffe beb cbriftlicben ©laubenb erfaßte, fRamentlicb bie ©ebiebte, wetebe bie in ber Saureta« nifeben Sitanei enthaltenen Attribute ber h^ 3>mgfrau jum ©egen» ftanb haben, jeugen non tiefer unb jarter äuffaffung unb ftnb größten* theilb auch in ber gorm ootlenbet. ©efonberb merfmürbig ift bab Sieb Virgo fidelis, in welchem fie, an ein in ihrem ©tamnifdjloß fReuljauö feit ber SReformation noib erhalteneb SWutter» ©ottebbilb ficb wenbenb, bie fRüdfeljr ihrer gamilie jum fatholifeben ©lauben erfleht:

(Wodjtefl bu breihunbert 3abre Stiegt bent roflfien Ort entfliehen,

O, fo tog jrtjt gum 2Uiare,

Sag ben alten @!auben jieben.

Diefe ©itte ift, wie fdjon oben bemerft worben, in Grfüllung gegangen.*)

3m 3ahft 1860 lehrte ©räfin $afjn auf. bab ©ebiet beb fRomanb jurüd, auf welchem fte Bor ihrer Gonoerfion ein 3“briehent hinbureb mit fo ungewöhnlichem Grfolg tljätig mar. Gb erfebitnen rafcb nach einanber fofgenbe „Grjäblungen aub ber ©egenmart:* SDtaria fRegina 1860, £)oralice 1861, 3wei ©cbweftern 1863, fperegrin 1864, Guboyia 1866, ®ie Grbin oon Gronenftein 1869, ©efcbidjite eineb armen gräuleinb 1869, £)ie ©lödnerbtochter 1871, ®ie Grjäblung beb ^ofrathb 1872, ©ergieb unb unfere ©<bulb 1874, fRirwana 1876, Sine reiche grau 1877, üDer breite äßeg unb bie enge ©trage 1877, ©abl unb gübrung 1878. §ierju fommen noch eine SReilje Gr jäh» lungen, fRooellcn unb bergleicben, auch eine funfthiftorifebe ©h<mtafie über bie fReftauration ber 2Ruttergotteb=Äapclle im Hßainjer ®otn.

*) 2>ie gamilie btr ©räfin hatte fdjon in ben beiben erflen oorauSgegenben 3ahrhunberten fidb in eingeinen 3rofifltn Jum lathofifcben ©lauben gurilcf ge* roenbet unb gum Xgeil gro&e Verfolgungen bafür erbulbet. Seiber trlofchen bie» (eiben reiebev.

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OSräftn 3 ba $af)n»$abn.

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3m Durchfchnitt 30 ©ogen fiarf, gufommcn wohl 400 ©ogen füüenb, bilben bitfc fRomane für fid) allein eine ©ibliothcf, weither an Um» fang meber bie ffierle gonrab« oon ©otanben, noch Slbalbert Stifter’« gleich fommen. gaft möchte man eine fotc^e grud)tbarfeit ber 3mo* gination, jubem in fo oorgeriidtem Slltcr, für unmöglich halten. Un* gewöhnlich unb pfpchologifch mertwürbig ift fie um fo mehr, al« in ber 2hat ber gonception an 2J2annigfaltigfeit burchau« nicht fehlt, unb auch folthe ©eftalten, welche fid) wieberholen, wenigften« immer irgenb welche Nuance zeigen. ,,3d) hQ&c einen Ofoman im ffopf," fo bemerfte fie einmal, „foll id) ihn fehreiben? 3d) werbe baju etwa brei ffiochen branden unb jum 20. Sluguft bamit fertig fein." Unb richtig, er war fertig. Da« ÜJJanufeript, welche« fie faum bnrehfah, war immer glatt, ohne bah ein SBörtd)en geftrichen ober ein Sah geänbert war. 5Dte Dar» ftellung unb Sprache ift aber auch in ber 2f)“t muftergiltig, mag fid) um Schilberungen unb gelungen, ober um Dialoge, ober um mehr monologifche grörterungen über eine religiöfe ober ethifche gragt hanbeln. Unb biefe ganz einzige grifche unb Heichtigfeit ber Dar» ftellung ift in ben 9?omanen ber 60 unb 70jährigen grau ganj bie» felbe, wie in jenen ihre« jugenblithen Sitter«. Sluch Sille«, wa« an ber Literatur ber erften ‘fjeriobe al« heroorragenber ©orjug anerlannt wirb, finbet fid) in berjenigen ber zweiten in ungefchmälerter ffieife wieber.

Die Schilberungen ber 9!atur finb oon blenbenber Schönheit, bie Seelcngemülbc bi« in« Detail hinein fd)arf, frifch, plaftifd). Sine inbioibuatifirenbe ©chanblung ber Sccnerie gibt ben ©erfonen wie ben $anbtungen ein lebenbige« 3«tereffe. Da« ©ebcet, auf welchem fich bie @rjäf)lungen bewegen, ift ziemlich unbegrenzt, ba bie h°he ©efellfchaft, welche ftet« im ©orbergrunb fteht, in allen Hänbern ju §aufe ift; auch bie gragen, welche jur Di«cuffion fommen, finb ziem» lieh umfajfenb. ÜJian befinbet fich in jebem {Roman mehr ober weniger in allen Hänbern unb auch in allen ©ebieten be« menfihlithen Heben«. Sin Slbwechfelung unb Spannung fehlt barum auch leine«mcg«. ©enn man wie wohl ein nicht unbebeutenber £l)eil ber Hefer unb ber Heferinnen oljnebie« ju thun pflegt bie etwa« au«gebefjnten grörterungen oon politifdjen unb religiöfen fragen überfchlägt, fo hat man eine gro§e üftenge unterhaltenber ginbrüdc.

Die lenbenj biefer zweiten Serie ift fetbftoerftänblich ber erften ganj entgegengefefct. Sin bie Stelle be« ©türmen« unb Suchen«, be« milben Schmerze« unb ber mächtigen ©eljnfucht ift nunmehr eine fiebere, fefte, tlore äuffaffung be« UJlenfchenleben« getreten, in

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93 aut $ offner.

SO

melier jwei große ©egenfäfce jur ©eltung fommen: bie ibeale Drbnung, roetcffe ba« mcnfc^lid»« &ben au« ber djriftlichen Religion empfängt, unb bie moraüfdje ßorruption, welcher burc^ ben Un» glauben unb bie oon ißm entfeffelten 8eibenfd)aften anheimfällt.

Huf ber erfteren Seite begegnet un« eine SReifje wiirbiger ^riefter, leiben«ftarter üftütter unb f)froi|d)er Jungfrauen, welche fid) ©ott meinen ; aud) einzelne Weltmänner oon Jöieberfeit, ßbelmuih unb SKefignation. Stuf ber anberen Seite aber treten un« in weit größerer iölenge üHänner entgegen, welche al« Sclaoen ber foibenfehaft, ßgoiften ober Schwäch» linge fid; barftellen, coquette. falte, ftolje Weltbamen oor, in unb noef) ber ßlje uon jeglicher tlrt in ßolorit unb Zeichnung. ®o« grap» lidjfte ift fieonilla in ber Nirwana.

Jn beiben Weihen ftnb bie ßjtreme in oolier Starte au«gebilbet, bie höchften Jbeale ber ßntfagung unb bie tiefften Schotten ber 95er* jweiflung breiten fich oor un« au«. Sin ÜJfittlcre« b. i. ba« ©tlb foldfer Werhältniffe, in melden man au«ruf)en unb Oon ber Huf» regung fid) erholen fann, finbet fich nicht. Die ©eftalten, welche hieju etwa beftimmt fein mögen, finb offenbar Diel ju unbebeutenb, al« baß man fid) babei erfrifdjen fönnte.

Diefer Mangel ift oft fferoorgeljoben unb meift bamit ertlürt toorben, baß ba« l'eben ber Werfafferin felbft in ben Grjrtremen fid) betoegte, welche fie fdjilbert. ß« bebarf aber biefer ßrflärung nicht.

Der Woman al« foldfer forbert ba« ßftreme, toeil nur ba« ßytreme fpannt unb feffelt. Wenn bie fortfdjreitenbe ßioilifation bem üRomane auf bie ftarfen ßinbrücfe ju oerjichten geftattet, toelche abenteuern unb Wiefen»Jtämpfen, Wäuber» unb $clben»@efthichten, OJforb» Unb S<hauer*Scenen eigen finb, fo muß er fith toenigften« baburch ent» fchäbigen, baß einerfeit« recht ((bäuerliche ©cifte«oerirrungen uttj» fieibenfdjaften, anbererfeit« recht geheimnißooüe Seelenftimmungen unb^ Opfer oorgemalt toerben. Wa« ba$roifd)en liegt, fann ßöcbftene al« ' §intergrunb bienen unb nebenfächlich beljanbelt werben. SBJoüte bie \ ©räfin fich be« Woman« bebienen, um ißre tief religiöfe unb hoch erleuchtete 8eben«anfd)auung jur ©eltung ju bringen, fo mußte fie bem Woman fein Wecht (ober Unrecht) geben unb fie hot ißm ba«felbe s auch »ollen Umfang gegeben.

Die neuen Womane fämmtlich bei £ir<hhfim ju ÜJJainj, theil« weife in jroeiter Huflage erfchienen fanben nicht in gleichem üJfaße in jenen Sreifen ßingang, in welchen bie früheren fo hoch willfommen waren. üJtodjle bie ßonoertitin auch biefelbe plle oon ^}hflntafie

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©tafln 3t»a $at)n«ic>atin.

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unb Sdjarffinn aufbieten, um ihren (Stählungen ben ©lanj unb Dieij ju geben, welket ehebera iljr bie ©emunberung ber Slriftofratie wie 3ung»Deutfd)lanbb erroorben: bie lioneerfion gab jebem ©latt, bah fie fchrieb, einen antipatljifdjen Obeur, meiner ben „gebilbeten" öefer oerfdjeuc^te.

Um fo mehr fanben bie neuen 9iomane in bem fat^oltfc^ett

Deutfcf)lanb ©erbreitung unb mürben ^tcr namentlich anfangs*) mit großer ©enugthuung begrüßt. Später freilich minbertc fitf) ba« 3ntcreffe, unb malten fidj auch jene ©ebenlen gettenb, melcfje

gegen ben Vornan überhaupt fid) ergeben, ©efonberS mürbe gol* genbeb beitagt: (iS erfdjeinen in ben ßrjä^l ungen ftet« aud) geiftüdje ©erfonen unb jroar neben ben mürbigen ©farrern unb jugenblidj*

ibeaten Herren aud) einfältige unb ungefdjidte S^loßcopläne, ja

fogar einer, ber abfällt unb fid) oerfjeiratljet. Das ift roo^l nicht nüfclid), hoch mag e$ ^ingc^cn. ©Ja« aber in h°hent 2ßaj?e bebenf* lieh erfcheint, ift bie breite Sd)ilberung be« ©erbad)teS ber Unfittlid)« feit, melier in ber @löcfnerStod)ter auf ben mürbigen ©farrer fällt, ober bie minutiöfe Darftellung ber ileibenfchaft unb ber ©erführungs* funft, als beren ©egenftanb ber freilich perfönlid) gaHj tabellofe Gaptan in ber 9iirroana erfcheint. Solche ©über ju jeichnen ift für fatholifche ßefer oerlegenb unb peinigenb, für anbere beluftigenb unb reijenb. X>ie ffiürbe ber ©rieftev oerlangt, baß man fie oor ber ©erüfjrung mit jebem unroürbigen ©ilbe beroahrt. grcilid) fann man baö aud) D°n ber Söi'trbe ber @he unb ber ©Jürbe beb jungfräulichen .£>er$en« fagen unb ebenbamit überhaupt 3rotifel erheben, ob man ber Sugenb mehr nü^e baburd), baß man bas Caftcr ihr entgegenftellt, ober baburch, baß man oon bem öafter fchmcigt.

Die ©räfin mar offenbar in ber ebelften äbftcht ber erfteren Meinung gefolgt. Sie fchrieb ihre fatholifd)en Romane in ber nung, mit benfelben bie Obeen beb ©lauben« in ftreife ju tragen, roelche einer anberen Literatur oerfd)loffen finb. Sie mollte bab ©ift jum ©egengift machen. Ob ihre Ibfidjt fich erfüllte, mag bahingeftellt bleiben, ©eroiß ift, baß fie ©ieleb nicht getrieben, menn fie oorauS« gefehen hätte, baß ihre SRomane folchen ©erfonen in bie $anbe fallen, metchen bie ©über ber 8eibenfd)aft gefährlich finb. „34 )d)rcibe nicht für bie 3u9tnb," fagte fie mieberholt. 3n bem testen 3Qh« «hielt fie einen ©rief, in meinem eine junge Dame mit überfchroenglidjem

*) SScrgl. $ißorif(f)>poUtiid)t ©fätter, 1860

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$nal $affner.

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gntjiitfen oon ben früheren SKomanen „gauftine" u. f. w. fprach; fit ließ berfclbcn jurücffd) reiben: „Ör« freut mich, wenn ©ie in ben non 3hnen angeführten JRomanen ein paar gute ©ebanfen gefunben haben; fie finb übrigen« feine Seetüre für junge üKäbchen, benn fit erregen bie <ßhantflfic unb bilben Weber ©eele noch Gfljaraftcr, unb auf biefe beiben festeren fommt an int Seben. ÜJfögc ba« 3hr'8c rin gtücftiche« fein!" ffiir irren wohl nicht, wenn wir biefe« treffenbe Urtheif nicht b(o« auf bie Senbcnj ber früheren SRomane bejiehen, fonbern at« eine Slrt tcftamentarifche Verfügung ber ebfen grau conftatiren, baß aud) ihre fathofifthen fRomaneoon jungen ÜJfäbchen nicht g tiefen werben follen.

Die unermübtiche Ihütigfeit, mit welcher ©rägn $ a h n arbeitete, fanb einen hurten Damm in ber in ben testen jefjn 3«hrcn junthnicnben Schwäche be« einen 2luge«, ba« ihr nach ber Operation oon 1848 geblieben war, unb über welche« fte bamat« munter an ihre ©efchwifter au« Italien fchritb: „Da« fann ich ®u<h oerfichern, baß ich bie SBJelt mit einem Singe eben fo ftf>ön finbe, wie mit sweien." Sie mu§te in ben lefjten fahren geh oorleftn taffen unb bictiren, wobei ihr außer ben ©chmcftern oom guten $irfen, ein gräulein oon SDfainj treulich $u Dienftcn ftanb. Obgleich ihr biefe llmftänblichfeit fthr tägig war namentlich brüefte fie, baß fie nicht mehr fchreiben fonnte, unb ge frifcelte, fo lange ging, noch mit btm ©leiftift fo blieb fte bod) tebt)aft intereffirt für alte literarifche (Srftheinungen, poctifchc fomofjl,*) at« hiftorifefje. ^olitifcße Slrtifet perhorrc«cirte fie, obgleich ge an ben potitifchen Grreigniffen, namentlich an btm fMturfampf innigen Hntljtit nahm, bie f. g. nationat4iberale 'ßotitif mit tiefftem ßrnfte Der« urtheitte unb bie ©ertheibigung bt« ©tauben« im 9?ti<b«« unb Sanbtag freubig begrüßte. 3ßr ©eift war lebhaft unb frifcf) bi« in bie testen fflodien, in welchen eine Abnahme be« ©ebächtnige« fich jeigte.

3m 3°hr 1877 mar fte jum testen ÜRale mit ihrem ©ruber in 5Rom. Dort fah fie auch ben fetigen ©ifdjof oon SDfainj, welcher auf ber Dfücfreife ftarb, jum lebten SWalt. ©ie brauchte eine Sur gegen ba« rapib mathfenbe Slugenleibcn. Den theilnehntenben ©rief eine« ÜRainjtr $trrn erwiberte fie bort mit ben feßr cf|arafteriftif<hen föorten: „3ch glaube feft, baß ©ott in feiner Slltmacht unb ©ei«heit nach

*) 3n ben lebten 3af)ren ließ fie fich unter anberen bie $bäbra be* ?rin}en ©torg oon Preußen oortejen unb freute ftch ungemein, baß e* bedj audb noef) Strinjen gibt, meldje für 'üoefte Sinn haben.

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Oräftn 3bo .£>af)n -.pafm.

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feinem Soblgefallcii burcg beliebige bittet Sunbcr mirfcn fann; id) glaube aber gar nid)t, baß er mir mein Reiben gefcgicft l)at, um mid) in übernatürlicher Seife baoon ju befreien. Bielmegr glaube id) ftgr feft, baß er burcg biefeb Sreug meiner armen Seele ju igrem ewigen !peile oergelftn will. 3b11 bitten, mir biefeb ffreug abgunegmen, bloß beogalb, weil eb mir unbequem ift, fann id) unmöglich- 3<h bin ber ßroigfcit allgu nabe, um ^rbifegcb lu erbitten. Bollfommene Bereinigung mit feinem Sillen, unb ein glücffeligeb Ste-rbcftiinblein, < bab ift mein geißcb ©ebet, unb bamit, bab weiß ich, bin ich in »oller Uebereinftimmung mit bem glatte feiner Siebe, bie mein gangeb Seben fo wunberbar gelenft bot- 3$ tonn unmöglich ihn um eine Sunber^ tbat bitten, cb fei bentt um ©egorfam."

Bon SRom gurücfgefegrt , fanb fie bie $)iöcefe üJJaing bermaibt. Um fo treuer mar fie in ber Unterftügung ber mogltgätigen Slnftalten, welche ber ©ifcgof gegrünbet gatte. Gine Seignad)tb*©efcbterung,

welche jener alljährlich in feinem £>aufe armen Sfinbern oeranftaltet batte, fefete fit in bem St. Stepganb-^farrgaub fort, unb alb fie bereitb bem Sterben nab? mar, befcgäftigte biefe ©efcbeerung, nebft ber Ugeilnagtne an ben Ueberfcgwemmten, ihre Seele aufb Sebgaftefte. gür ihre Berfon war bie ©räfin faft bebürfnißlob. 3brc Einrichtung blieb bib gu ihrem $obe fo armfelig, alb nur immer möglich- Sab fie fid) an Äleibern felbft machen fonnte, bcforgte fie felbft. Studj bie ©riefcouoerte machte fie fid) felbft, wenn eb ging, unb bib in bie legten Soeben ibreb Scbenb waren ^anbarbeiten ihr täglidjeb Serf.

Sebr fdjmerjlid) fiel eb ihr, baß fie in bem legten 3abre nifht mebr geben fonnte. üftit üftüge fcgleppte fie fid) in bie benachbarte Äircge oon St. Stephan, in bereu Sreuggang fie im Sluguft beb oerfloffenen 3#'^ fegt ungtiidlich fiel. 3m ®ecember bilbete fid) eine ^erjerweiterung in bebeuflicher Seife attb unb führte igren Job am 12. 3anuar herbei. I>ie Scgweftern unb anbere grauen, welche bie ©räfin in igrer Sranfgeit umgaben, legen oon ber ©ebulb unb Ergebenheit 3eugniß ob, mit ber fie bem lob entgegen füg. 2Hb bie Oberin fit fragte, wab fie ber $erjogin oon ©raganga, weldje fich nach igf erfunbigt, erwibern füllte, fagte fte: „Sfun, fegreiben Sic igr, itg fei am üeibe ooll ßlenb, an ber Seele ooll greube." SUb igr 3emanb bie Sorte oorbetete: „Dein ßrlöfer fommt," wiebcrgolte fie bitfelben unb bemerfte: „O, ba möchte ich bie £)änbe fcglagen! mein ßr* löftr fommt!" unb alb man igr enblicg fagte, baß eben bie gl. SWcffe für fie gelefen werbe unb baß bie Scgweftern um eine glücffelig

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$au( ^offner.

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©terbeftunbe beten, fpratf) fie mit inniger ©etonung, „O ja, eine glücf* felige ©tunbe, eine glücf felige ©tunbe."

£)iefe Keinen 3“9e BOn betn Sterbebett ber ebeln grau jinb, roie unb fcfjeint, mehr alb eine weitere Gfontronerbfchrift geeignet, in bie tiefe ^nnigfeit, mit ber fie in bem fatfjotifdjen ©tauben lebte, einen (Sinbticf ju gewähren unb jugleich barjutfjun, ba| fie in ihm in ißjahrheit ben grieben gefunben hat, melden fie fudjte.

Senige üJienfchen haben in it)rem t'ebeu roie in ihren ©Triften fo weite SRäume burd)taufen, roie biefe ungewöhnliche grau. Stuf ihr ®rab fann man mit notier Wahrheit bie Sffiorte fchreiben: „In bis omnibns requiem quaesivi et in bereditate doinini niorabor." „3n Ellern höbe ich th'utje gefucht unb in ber (Srbfchaft beb tperrn will ich oerbleiben." (©irath 24. 11.)

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loifrr frie&rid) II.

Sine 2eben§» linb Sfiara fterffi ye

Don

Dr. SWatt^iae göljlcr.

Icnbcnjiöft ©efd)i<f)tfd)reibung fjat es fertig gebracht , bafj man { baS Zeitalter bfr $of)enftaufen oielfad) als einen 8id)tpunft inmitten ber fogenannten mittelalterlichen ginfternif? betrachtet unb namcntlid) in Saifer gricbrid) II. ben ©orfämpfer ber greifjeit unb Saf^rit I

gegen Aberglauben unb Htjronnei Derf)errlid)t, feinen Untergang aber h als ein Unterliegen ber ebelften menfd)lid)en ©eftrebungen bettagt.

®em gegenüber fjaben oorurtfjeilsfreie gorfcher, wie $ öfter,

©ö^mer, $ergenrötljer, Seifju. A. auf ©runb ber 2fjatfad)en nadjgeroiefen, bajj.bie „greiheit",' welche man non biefem ftaufifdtcn ifatfer ocrtljcibigt wähnt, in Sirflid)feit nichts anbereS geroefen, als ein iSäfariSmuS, eine taifertidje OeSpotengewalt, wie fie nur bei ben Ijeib« nif^en 3tnperatoren beS AbenblanbeS unb ben mufjammebanifdjen fialifen beS Orientes gu finben mar. 9tad) bem ©rgebnig ihrer ©tubien hat bie chriftlidje Seltorbnung, welche jebe Sitlfiir ber ©orgefefcten gegen ihre Untergebenen oerwirft unb nicht in bem Sillen ber $errfd)er, fonbern in bem beS allmächtigen ©otteS, wie er f i d) in ber Offen» barung burcf) GfjriftuS unb feine Äirche funbgegeben, baS fjöc^fte ©efefc auf örben ertennt, feinen erbitterteren ©egner gefunben, als gerabe griebric^ II., ber fid) nid)t gefreut, als feine oberfte 9icgierungS= majime ben@rnnbfah ju proclamiren: „SDer^aifcr ift nad)ßäfaren» weife Don alten ©efe^en frei." ©8 war barum auch ganj natürlich bag fid) jwifdjen if)m unb ben oon ©ott gefegten Gütern ber chrift» liehen Seltorbnung, ben Jßäpften, ein fiantpf entfpann, ber doii beiben ©eiten mit Aufbietung aller pl)t)fifdjen unb moralischen SIräfte geführt

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Dr. SDlattfjia« $ofjltr.

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würbe unb nur mit ber Vernichtung beS einen 2f)eMe8 enbigen fonnte. Die Sirene fiegte ple^t, aber brei köpfte mußten [ich im Streite mit bem ftaufifc^en Despoten aufreiben, efje bem oierten 3nno= cenj gelang, bie gähne bes KrcujeS fiegreid) auf ben Krümmern aufju» pflanjen, welche ber breißigjährige Kampf gefchaffen hatte.

3ft bie eingeßenbere Betrachtung biefeS riefenhaften WingenS nun an unb für fidj fefjon für leben Denfcnben hochintereffant unb bebeu* tungSooll, fo wirb fie es in unferen lagen um fo mehr fein, weit wir feit 3ahren bie 3uWaucr unb ^^eUne^mev eines ähnlichen Kampfes finb, in welchem eS fich gleichfalls um bie Vertheibigung ber greifjeit unb ber Segnungen bes (S^riftent^um^, nicht fo fefjr gegen ben Slnfturm Ginjetner, als gegen bie 9ßiberfad)er bcSfelben ins* gefammt fjanbett.

3wed ber folgenben Blätter ift es, ben Kampf beS £>of)en» ftaufen gegen bie chriftliche Freiheit unb ffieltorbnung in einer furjen Sfijje feines Gebens unb GfjarafterS ju fchitbern.

Jfrtebrich Q- unb gnnocenj QI.

DaS Streben nach einer Seltfjerrfchaft war allen ^ofjenftaufen eigen. 3n bem römifchen Kaiferthum, wie es mit Gart bem ©roßen wicbererftanben, lag biefe 3bee ebenfalls ; aber bie ibeal chriftliche Sin* fchauung, nach weldjer ber Kaifcr nur ber höthfte weltliche Schirm» herr ber Ghriftenljeit fein füllte, würbe oon griebrich I. unb noch mehr oon Heinrich VI. unb griebrid) II. in bas Streben nach einer §errfchaft, wie fie bie altrömifchcn 3mberQtoven befeffen, ocr» lehrt, bei welcher bem geglichen Dberßaupte ber G^riftenfjcit , bem römifchen Zapfte, nur mehr bie Wolle eines erften $ofbifdjofS ju fpielen übrig geblieben wäre. Den Kern biefer SBettherrfdjaft follte ein ihrem Söillen abfolut unterworfenes Weid) bilben, bas fich oon ber Worb= unb Dftfee bis jum jonifchen unb tprrhenifchcn ÜHeere unb oon ber 9?honc, fDIaas unb Scheibe bis jur Ober, ben Meinen Kar» patfjen unb ben Dftalpen crftrccftc unb fo, baS Gentrum oon Guropa bilbenb, ihnen geftattetc, nach allen Wichtungen h<n angliebernb borju» fchreiten. Den bebeutenbften Schritt jur Bcrwirflithung biefer 3&ee madjte griebrich I. Barbaroffa, ba er, nachbem feine eigenen Slnftrcngungen, Ober* unb SDiittel=3talicn fid) gan^ ju unterwerfen, gefcheitert, feinen Sohn unb Wathf olger , $einrid) VI., mit ber fijilifchen Grbtodjter

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ftaifer gritbridj U.

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(Sonftanje Dermählte ; moburch er bemfelben nicht nur ben ©eflfc oon Unter* 3talien oerfd>affte, fonbern iljn auch in ben Stanb fefcte, Dom korben unb Süben au« jugleid) bic Angriffe auf ben noch unabhängigen £he*l ber Jpatbinfel ju erneuern.

$einr«h oerftanb feinen 93ater unb ging auf beffen Sahnen weiter. Slachbem er ficf» unter entfe^tidjen Oraufamleiten im fljiti* fchen »eiche feftgefefct, bemühte er fich feinem $aufe auch in ®eutfch* ianb bie (Erbfolge ju fithern. Slllein hi« f®nb « Siberftanb. 6in 2hfü ber Sieichöfürften wollte oon ber förmlichen Ummanblung be« SafjlreicheS in ein erbliche« ffönigthum nicht« roiffen, unb ba« ßinjige, rooju fic fich auf bem Reichstage non fjrantfurt 1196 Derftanben, mar, ba§ fie ben jmcijährigen Sohn Heinrich«, griebrid), jefct fdjon 511m Stönigc mahlten unb ihm 2reue fchrouren. 'JJiit neuen ©länen im $erjen lehrte Jpeinrich VI. nach Italien jurticf, ftarb aber fcfjon im September be« folgenben ^afjre«, erft 32 3a!jre ®lt, äu SOJeffina ; unb mit ihm fanf ba« ©ebäubc, ba« er bereit« errichtet, in Jrümmer. 3n Deutfchlanb erhoben fich jroei Könige jugleid), ber Seife Otto IV. unb ber ©ruber be« oerftorbenen ^oljenftaufen, Philipp- 2ln ba« ftinb griebrich bachte man faum mehr. Rieht genug. 3n Sijilien regten fich gleichfalls mächtige ©egner, ihm auch biefe ftrone ju ent* reihen , unb baten , ba Sijilien Sehen be« päpftlichen Stuhle« mar, ben im 3af)re 1198 jur Regierung gelangten ©apft 3nnocenj III. um ©elehnung mit biefem Reiche an Stelle Biebrich«, beffen ÜJiutter ßonftanje fich gleichfall« für ihren Sohn um £)ülfe unb ©elehnung nach Rom manbte. ^nnocenj erhörte Gsonftanjen« ©itten; in feier« lichem ©ertrage mürben bie SeljenöDerhältniffe oon Reuem georbnet, unb griebridj bann al« fiönig oon Sijilien Don ihm anerfannt. Äaum mar ba« gefchehen, fo ftarb auch (Sonftanje (27. Rod. 1198), nachbem fie noch in ihrem leftamente ben grofjen ©apft jum ©or* munbe ihre« Sohne« eingefefct unb biefen fo bem Sdjufce ber Äirdje anoertraut {^atte. Onnocenj nahm bie ©ormunbfehaft an unb forgte nicht nur in mahrhaft Däterlidjer Seife für bie (Srjiehung feine« ©lünbel«, fonbern fchüfcte ihn auch, felbft mit Saffengemalt, in feinen Siechten auf Sijilien, fo bafj er, at« er münbig geroorben, bie Regierung unbehinbert antreten tonnte.

3n jDeutfdhlanb bauerte injroifchen ber Äampf jmifchen Otto unb ©hilipp bi® jut ßrmorbung be« Sefcteren (1208) burd) ben ©falj* grafen Otto oon SittelSbadj fort, roorauf ber (Srftere allgemein an* erfannt, unb nachbem er fich wieberholt eiblich jum Schule ber Jfirch«

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Dr. Tßau^ia* $Si)ltr.

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unb jur Schaltung bet Integrität be« f inbenftaate« ocrpftic^tet batte, non ^nnocenj (1209) jum faifer getränt rourbe. 2118 er aber bann in fdjnäbefter Bertebung feiner Sibe ber ffirebe einen Sanbftriib nach bem anbern ju entreißen begann unb, bamit nidjt jufrieben, aud) noch in ba« Seid) griebrid)ä einfiel, bet fid) foeben mit Sonftanje. oon 2tvragomcn oermäblt hatte, belegte it>n ber B<M>ft mit bem großen f ird)«n. banne, erllärte itjn ber faiftrfrone für oerluftig unb entbanb feine Untertanen oom ßibe ber Ireue gegen ü)n. hierauf erflärten ihn and) bie bcutfd)en gürften für abgefe^t unb fanbten Boten an griebricb, um il)m bie erlcbigte frone anjubieten.

3nnocenj III. mar mit biefem lederen Borgebtn nid)tö meniger at« cinoerftanben. f)n ber Bereinigung ber fronen oon Deutfd)tanb unb Sijiüen auf einem tpaupte tag bie größte (Sefafjr für ba« Oberhaupt ber f irdje, oon einer fo umjdjtieienbcn SSad)t erbrürft ju roerben. Ratten Deshalb fdjon ^nnocenjen’ö Borgänger bie Berbinbung be« f<bmäbif<bcit §aufe8 mit bem normännifiben nur mit Sorgen gefe^en, ohne fie jebod) binbeni ju fönnen, fo erftürte ficb biefer fegt offen gegen bie SBaf)t be« fönig« oon Sijitien jura beutfe^en fönige. griebridj er* fannte fofort, baß -ißm feßr ferner galten mürbe, gegen ben sßMüen be« jum ^iele ju gelangen, unb fud)te benfelben baßer burd)

Besprechungen für fid) ju geminnen unb tjinfidjtliib ber ^ufunft ju beruhigen.

Der junge IX^ton canbi b at oerjicbtete demgemäß, mie fc^on feine SDiutter ßonftanje getfjan, im gebruar 1211 in förmlicher, mit bem gotbnen Sieget oerfeßener Urtunbe auf alle Seihte, roetche bie früheren fönige Sijilien« in tird)* lieben 2Ingctegenbeiten, namentliih bei ben ©aßten ber Bi* f cböf e gehabt, Derpflid)tete fid), bie f ird)en bafelbft frei oon jebmeber Seiftung ju taffen unb erftärte ba« fönigreith felbft für ein oom apoftotifeben Stußle empfangene« Sehen; für ba« er fid) gleich feiner SWutter jur fährlithen Zahlung eine« Seßenajinfe« oo'n 1000 Oolbftücfen ocrbinbliih maibte. Dann tarn er im 2tprit be«felben ^aßre« nad) Som, leiftete 3nnocenj III. unb feinen Sacbfotgern für Sijitien unb 21pulien ben Seßengeib unb oerfprad), baß bie fronen non Deutfihlanb unb Sijiüen nie auf einem |)aupt Der eint g t merben füllten. Damit gab fiih Onnocenj jufrieben unb beftritt niibt nur bie Untoftcn oon griebridj« 21ufenthalt in Som, fonbern gab ihm auch nod) Sathfchläge, @mpfefjlung«briefe, @elb unb einen Bertrauten

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Äaifer griebrid} II.

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al« Segaten mit auf bie SHeife nach ®eutfd)lanb. iRath tnchrmonat* lidfan, burd) bie Dtachfteöungen feiner geinbe erzwungenem äufenfljalte in Ober>3tatien gelangte nun griebrid) ®nbe September nad) Safel, mo fid) fd)on niete dürften unb ^öifrfjöfe um iljn als König fammelten; am 2. ©ecentber tnurbe er in SDtainj jum Könige gewählt unb am 9. «Deeember getränt. Sille« fiel itjm ju. 3n 6ger hielt er atöbann am 12. 3uti 1213 einen grofen durften tag, fprad) ^nnocenj III.- „feinem SBohlthäter unb öefchüfcer, burd) beffen SDliihewalten unb Sorg- falt er ernährt, befdjirmt unb erhöht worben fei," feierlich feinen 4>anf au« unb oerf)ie8 in einer mit ©olbbnlle oerfehenen llrfunbe bem Zapfte unb beffen fatholifthen fRachfotgern, fowie ber römifthen Kirche ©ehorfam unb (g^rfur c^t ; ferner fieberte er ju, bafj bie 3öaf|l ber Prälaten frei unb tanonifch burth bie Kapitel gefächen unb bie Stp pe ( * tationen frei unb ungeljinbert an ben römifthen Stuhl gelangen follten; er oerjidjtete auf baöSpotien« reiht unb oerfprach mirtfame $ülfe jur Stu«rottung ber ffeherei unb Sth uh unb $ütfe jur ffiieberertoerbung be« Kirchenftaate«, beffen ® eftanbtheile er einjetn mit ber ßrflärung aufjäfjlte, ba§ bie römifthe Kirche biefe Sanbe mit 3“ri«biction unb $errlichfeit befi^en fotle, fowie baj? er al« treuer Sohn unb al« tatljolifcher gürft Reifen werbe, ihr bas fReitf) Sijitien unb wa« ihr fonft rechtlich gehöre, ju erhalten.**) 3m nächften 3ahre erlangte er in golge ber Schlacht bei ®o»ine« oolfftänbig ba« Uebergewicht über feinen @egner Otto IV., ber fleh in feine ßrblanbe jurnefjithen mußte, mo er am 19. ÜJtai 1218 oerfdjieb. SRnn war griebrith unbeftrittener König in Deutfchlanb.

3njwifchen mar bie Sage ber Ghriftro im ÜRorgenlanbe immet bebrangter , ihr $ülferuf an ba« äbcnbtanb immer bringenber geworben. Seit bem 3ohr£ H87 mar nämlich 3£rufatem wieber in ben £änben ber Jürfen. Ü)et britte Krcttjjug, bei welchem griebrich« ©ro&oater, Sarbaroffa, in ben Sellen be« Kalpfabnu« feinen 2ob gefwnben, ^atte nur Äffort m ben ®efih ber (Shriften gebracht unb ju einem brerjöhrigen Saffenftillftanb $raifrf)en ffticharb Soweit* herj oon ßnglanb unb Salabin geführt. 35e« oierten Kreujjuge«

*) e i 6, Sehrbuth ber S3tltgefd}ict)te. III. ®anb. 2Kittfta(ter II. S$ril 1. $>atfte, SBien. SJraumüBtr. 1868. @. 240.

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Dr. TOattl)«#*

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SRefuttat roar bie Stiftung be« lateinifdtn Kaifertbutn« ju Gonftantinopel, momit ben (S^riften im ^eiligen i'anbc ni$t geholfen mar, unb ber abenteuernde Kreujjug ber Kinber braute nur mafjtofe Irauer über ba« Slbenbtanb. ©o fam e«, ba§ man jefct oon alten ©eiten auf ben neuen beutfden König mit ber Hoffnung blidte, er »erbe ba« Zeitige 8anb mieber au« ber ü)iacf)t ber Ungläubigen befreien. Da ber $obenftaufc . nie mit ©erfpredungen targte , wenn er bamit im Stugenbtid ctma« erreichen ju fönnen glaubte, fo hatte er fid) and; ba;u bereit erttärt unb fd)on am 26. 3uti 1215, bem Zage nach feiner jroeiten Krönung 5 u Fladen, mit Dielen dürften unb ©rätatenba« Kreujgelübbe gemadjt..

3efct l^atte ber junge gürft in feiertidfter ©eife eine oierfatfjc ©flidt übernommen: JL 91iemal« bic Kronen oon Deutfdlanb unb ©ijitien auf feinem ober eine« feiner ©btjne Raupte ju Bereinigen, 2. bie ©efifcrcdte be« ^eiligen ©tubte« auf ben K'irdenftaat unb beffen OberlebenSredte auf ©ijitien SU adten unb ju fdiitjen, 3. fid n id t in firdtid1 Singe» legenbeiten ju mifdjen unb namenttid bie ©abl ju ben geifttidjen 2lemtern frei ju taffen, 4. einen Kreujjug SU unternehmen.

Uebcr bie Erfüllung biefer tesfteren ©flidt, melde non Sag ju Sage bringenber mürbe, fotlte juerft ber ©treit gmifden itjm unb ber Kirde entbrennen, sät« man griebrid mahnte, ben getobten Kteuj* jug rafd angutreten, antmortete er juerft, ba§ er, fo tange fein ©egner, Otto IV., nod lebe, ba« fReid nidt mobl oertaffen lönne. 2iadbem er fo bie ©ade b*nau«gefdoben , manbte er fid mit ber ©itte um bie Kaiferfrone an 3nnocenj III., roobei er urtunbtid Berfprad, foglcid nad (Erlangung berfetben feinem ©ohne Ipeinrid ©ijitien ju befonberer Regierung 3 u über* geben unb baburd jeber Einigung ber beiben SReide für immer ju entfagen. ©ie ernft ibm aber mit biefem ©et* fpreden mar, bemeift bie Sbfl,f°de, ba§ er fdott oorber ohne ©iffen be« ©apfte« bie beutfden gilrften jur eibtiden ^ufiderung oermodt bQtte, feinen bereit« jum König oon ©ijitien getränten ©obn e i n ri d nad dm jum Könige ber Deutfden

ju mäbten. *) 3l>nocenj, unbefannt mit biefen geheimen 3n‘

triguen griebrid«, mar geneigt, feinem ©unfde ju mittfabren.

*) $öfttr, ftaiftr griebrid) II. 2Jtiind)rn, lit. anfioft. 1644. S. 17.

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Satjcr Rritbridi II.

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ftarb aber fd)on am 16. 3uli 1216 gu ‘Perugia. Sein Job mar ein fthwerer Schlag für bie Kirche unb ba« 9?cid); benn mit ihm fiel ba# legte ipinbernifj für ben J£)ofjenftaufen, mit ber ©erwirtlichung feiner auf ben ©rud) aller feiger befdjroorenen Pflichten abjielenben plane offen ju beginnen.

^riebriih II. unb $onoriue III.

3luf 3nnocenä III. folgte ber milbe, greife $onoriu# III., ber ba« 3uftanbefommen eine« neuen Kreujiuge« mit einer faft febroär« merifeben 3nn'9fc<t at® ba« erfte unb roiebtigfte 3iel feine« ffiirfenS auf bem Stuhle Petri in# 2luge fafjte. 811« baber im 3abt£ 1218 Otto IV. ftarb, wanbte er firf) fofort mit ber inftänbigen Plabnnng unb ©ittc an griebricb II., nun ungefäumt ben 3U9 }utn b£il'9cn Vanbe anjutreten. Der junge König erflärt fid) a(#batb bereit baju, forbert fogar ben Papft auf, er möge alle befreiten gürften unb Prälaten, unter Slnbrogung be« ©anne#, jum ©eginnc ber £>eerfabrt bi# $um näcbften 3obanni#tag anfjalten unb bie# unb jene# ttjun, bamit nid)t burd) feine Scfjulb ba« heilige Unternehmen oereitclt werbe. 3n ber 2ljat aber benugt er, mäfjrenb £>onoriu# in aller $erjen«> freubc feinen ©Jünfdjen millfabrt unb ben ©cginn be# Kreu$iugea nun feft enuartet, bie liftig gewonnene grift ftatt ju energifeben Lüftungen, lebiglicb baju, bie ©5abl feine# Sogne# ^cinricb jum beutfdjcn König bei ben 9feicb#fürften gegen bie ©erlcibung gewaltiger Gonceffionen unb pri« oitegien feinerfeit« burdjjufegen. Die Kunbe bitroon brang natürlich nad) 9fom, unb §onoriu« erinnerte i^n uugeiäumt an fein eibliche« ©er« fpredjen, bie beiben Kronen niemal# oereinigen $u wollen. ©Ja« antwortet griebrid)? Der Papft möge fid) ja nid)t beunruhigen, wenn fein Sogn feiernd) etwa jum römiftben Könige gewählt werben follte; benn ba« gefebebe nicht, um bie beiben Kronen ju oereinigen, fonbern bamit in feiner Slbmefenbeit beffer regiert werbe, unb im galie feine# Sobe# feinem Sohne leichter falle, ba# gamilienerbgut $u > erhalten! Srog be# offenbaren ipobnee, ber in biefen ©Sorten lag, antwortete £>onoriu# milbe, um ja nicht# ju tbun, wa« griebrich Jur Unterlaffung be# fo ^eig erfe^nren Kreujyuge# einen ©orwanb geben fönnte, unb geftattete ihm fogar, für ben gall, ba§ $einrid) ohne Grbcn unb ©rüber oor igm fterben follte, beibe Reiche auf £ebcn«ieit ju oerwatten. Damit nicht« weniger al# jufrieben, brang ber Staufe weiter barauf, $onoriuö möge ihm Dcutfdjtanb unb ©ijilien ohne biefe ©ebingung leben#länglid) überlaffen, allein tiergeben#. Der papft

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Dr. ÜRattljia« Qof)(er-

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ocrmeigerte bie« unb mahnte gritbrich bringenb, ben oon iljm felbft gefegten lermin jum ©eginne be« Kreusjuge« einju^altcn.

Der König lieg jefct für ben äugcublid biefe Angelegenheit rubtn, um feine fficmühungtn, bie beutf(f)en gürfteu für bie SBJa^l feine« ©ohne« £>einrid) ju gewinnen, beflo eifriger fortjufeijen. XBirflid) würbe and) ber je^njäijrige Knabe, ben er fefjon früher (1216) nebft feiner üßutter nad) Deutfdjlanb fjatte fommen (affen unb 3 um $erjoge oon Schwaben unb Statthalter oon ©urgunb ernannt hatte, auf einem allgemeinen $oftage $u granffurt im April 1220 311m beutft^en Könige gewählt. Die erfte eiblid) befebworene ©flid)t mar in fdjnöbefter ffieife oerle^t. 9inn galt e«, ba« ©orgefallene 9(om in möglichft harmlofem Sichte ijinjufteKen ; unb fo berichtet benn gritbrich bem Zapfte am 13. 3uni (3uli?) au« Nürnberg, er bQ&e jwar früher mit allem Geifer , aber »ergeben« an ber Erhebung feine« ©ohne« gearbeitet; baß biefelbcaber je^t boch ftattgehabt, fei in feiner Slbmefcn* heit unb ohne fein SBiffen gefächen. (!) £)onoriu« möge fid) aber ja nicht barüber beunruhigen. „6« fei ferne, baß ba« Kaifertljum mit bem Königreiche etwa« gemein h°be, ober bei Gelegenheit ber 35>ahl unfert« ©ohne« oereinigt werbe; oielmehr ftreben wir mit allen Kräften, eine folche Bereinigung für alle feiten Ju berhinbern.* *)

Da« mar ein ©d)lag in« Angeficht. Aber $onoriu« trat auch je(}t noch nicht gegen ben eibbrüdjigen gürften auf, fonbern beharrte auf feinem SfiJege ber 3J?ilbe unb nahm bie o.olljogene ffiahl al« gactum hin, in ber Hoffnung, baß griebrich nun menigften« erfüllen werbe, wa« er fchon oor fünf fahren gelobt unb am ©chluffe feine« ©riefe« oon 9feuem auebrüdlid) mit ben SSorten oerfprochtn: „3ebt aber, nach ©efeitigung aller biefer (ooraufgehenb) auf g cjä!)(ten £>in= bernifft wollen wir ohne allen meittren ©erjug auf» brechen, wie unferen unb eueren Sßtinfdjen gemäß ift." Da« hcuchlerifche Treiben griebrich« unb bie übergroße 9?ad)giebigleit bc« $apfte« fönnen aber erft oolltommen gemürbigt werben, wenn man weiter in ©ctrad)t jieht, baß ber ©taufe, a(8 er $oneriu« um bie Kaiferlrönung gebeten, bie bereit« 3nnocen] III. gegebenen ©er= fprechungen erneuert unb atn 10. gebruar 1220, alfo jur nämlichen 3cit, wo er über bie ©aßl Heinrich« jum beutfehen König mit ben &iei<h«fürften oerhanbelte, unb jwti ÜRonate oor ber 2Baf)l felhft, an ben ©apft oon §agenau au« gefchrtcben hotte: er werbt , fobalb er bie

*) 3t qu m er, ®fjd). Oer $>of|euflaitfen III. @. 187.

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ftaifcr griebrid) II.

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faifertiepc ßron« erlangt [>afae, feinen Sopn .fpeiuricp au« ber öäter- liepen ®e»att entlaffen unb ipm ba« tReitp S^itien übergeben, um oon ber römiftpen Äirtpe }u fielen ju tragen, wie er jept trage; bergeftalt, bafi er Don ba an Äönig non Sijitien weber fei nod) ge= nannt werbe, oietnupr biefe« 9teicp nad) bem 95E?of)tgefatIen be« ‘fjapfte« bi« jur SBoUjäprigfeit feine« Sopnc« burcp eine geeignete ißerfon regieren taffe, bamit bie ©etrenntpeit biefe« $önig«reicp« Dom Saifcr* reidfe am Jage tiege.*) So Diete ©orte, fo oiete Öügen. ffriebrüp fommt naep Jtatien, wirb am 22. fflooember 1220 mit feiner ®e* ntaplin in fRom Don £»noriu« jum Äaifer gefrönt, nimmt abermat« ba« Äreuj, oerfpridjt feft im Suguft be« fotgenben 3apre« nad) bem peiligcn t'anbe aufjttbreepen unb jiept at« Äönig in ba« aputifepe fReicp, um bort feine »eiteren f}ntereffen ju oerfolgen, opne ju ber »erfprotpeiten Uebergabe be«fctben an feinen Sopn ober feinem Stuf» brudje nad) bem Orient aud) nur bie minbeften Slnftalten ju treffen.

»Ile ÜKapnungen be« Zapfte« blieben umfonft. £)a« ßinjige, »a« ber Äoifcr tpat, war, ba§ er an bie ßombarben einen pprafen» reiepen Aufruf ritptete, nad) bem peitigen ßanbe ju jiepen, unb, at« ba« fnrj oerper Don beutfepen Sreujfaprern eroberte witptige Datniette fepon in pöipfter ©efapr ftanb, rnieber »ertoren ju gejen, 40 Stpiffe au»fanbte, bie natiirlicp ju fpöt tarnen, am SO. Huguft 1221 fiel Damiette ben Sürfen in bie $änbe, unb alle Opfer ber €priftenpeit waren uergeben« gebraept. Stpwer gebeugt ftprieb £>onoriu« nad) Smpfang ber Jrauerfunbe an ffriebriep einen ©rief, um ipm ba« Ungtild in feiner ganjen ©roge unb bie Stpmaip, bie über ben eprift* tiepen 9iamen gefommen, ju fepitbern. aber wa« tag bem Staufen batan! SBiit eiferner Stirne oerlangte er neuen auffepub, um feinen “plan, Sijitien Dom peitigen Stupfe ganj Hnabpängig ju maepen, unb bie oon ipm mit boppeltem unb breifatpem Sibc frei- gegebenen ©apfen ber Prälaten in feine $anb 3U befommen, mit fDlupe au«füpren ju fönnen. 3n Sijitien angetangt, begann er fofort ben Stampf gegen alte biejenigen, rnetepe ipm niept treu genug ergeben ftpienen; ©ro&e würben iprer ©efipungen beraubt, anbere bamit belepnt, neue ©efepe ertaffen, Mnb meprere ©ifepöfe, weit opne feine ©enepmigung gemäptt, genötpigt, ipreaemternieberjutege n.**) $onoriu« erinnerte ben Staifer ernft

*) ©eiß, 1. c. 6. 341 u. ff. *•) 9taumer, I. c. III. ©. 209.

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Dr. 3Rattfcia$ §il)(tr.

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unb liebeooE jug(eid) an bie eiMid)tit SSrrfprccben, bic tr itjm unb feinem Vorgänger barüber gegeben, ba§ er fid) nicht in bie ©rülaten* tragen cinmifchen woEe. griebrich antwortete auSweichenb unb wußte ben ©apft bei einer perfönlic^en ^ufammentunft ju 35 e r o l i fo ju umgarnen, baß berfetbe fich auf« 91eue mit ©erfpreepungen abfinben ließ, beren firfüflung oon bem (iftigen Staufen ebenfomenig ernft gemeint war, wie bie ber früheren. So oerftrid) bie lefcte grift für ben ©eginn bc« Srcuj',uge« (üßärj 1223) abermal« unbenüfct; unb griebrich brachte ben ©apft auf ber 3ufan,mtn^unft äu Seren tino trotj alle« ©orgefaüenen oon ißeuem baju, feiner 3ufa9c' nun ouf Johanni 1225 ben Äreujjug antreten ,u wollen, (glauben ju fchenfen.

9iur mit pcinlicben ©efüblen (ann man ba« Schreiben lefen, bureb welche« §onoriu« in arglofer greube ben gürften unb 93öl!ern Europa’« oon biefem neuen lügenhaften ©erfprechen Sunbe gab unb fie mahnte, nun mit 23fad)t ju bem bcabfichtigten, großen fireujjugc ju riiften, ba fein ©olf bieömal jurücfbteiben bürfe. Um inbeffen ben fiaifer bauerttb für ba« Zeitige £anb -,u gewinnen, be* förberte ber ©apft auf« Sifrigfte beffen ©erlobung mit 3olanthe, ber lodjtcr be« in gerentino anmefenben Königs Johann oon 3<* rufatem, ba ßonfianje 1222 geftorben war. Die ©erlobung fanb auch wirtlich ftatt. Slllein anftatt nun ernftlich für ben Jtreujjug ju rüften, teerte griebrich ruhig in ba« unteritalifche «Reich jurücf, erhob neue Steuern, ftetlte fisfalifdie Untcrfuchungen an, jerftörte ßelano, baute ßitabeüen in ben Stabten, betriegte bie Sarazenen in Sizilien, unb al« fo abermals bie gelobte grift für ben Sreuyug oerftrichen war, wanbte er fid) wieberum an ben betrogenen ©apft, um ihn um weiteten Sluffchub ju bitten, mit ber ©crficherung, er wolle nun ganj gewiß im Sluguft 1227 in« he>t>9e -anb jiehen. Unb ba bie« ©erfprechen nach io unerhörten Xäufchungen feinen ©tauben mehr ju finben fehien, b efefj wor er baef elbe am 2 5. 3 ul i 1 2 25 in St. ©er man o, mit bem 3ufflhe» baß er ohne ©eitere« ber ßjcommunication oerfatlen wolle, fall« er fein ©elöbniß abermal« nicht Ratten werbe. 3<fe* Der* mcihlte er fich auch mit ber ßrbin oon 3erufotem, machte aber biefe« greubenfeft fofort ju einer Cuctle oon ©itterfeiten für 3<>fantht unb ihren ©ater, inbem er ohne ©eitere« ben litel eine« ÄiSnig« oon 3tmfalem annahm unb ba« ©erlangen ftellte, ba§ 3°hann M °on nun an biefe« $itel« enthalte unb nicht nur anerfenne, baß alle Rechte bezüglich be« ^ierufalemitanifc^en Reiche« nun auf ihn, ben Kaifer, übergegangen feien, fonbern auch bie 50 000 2Rarf Silber , bie '

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Äoifer ijriebrid) II.

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BhifiPP 2luguft oon granfrciep in feinem lefiamentt für baS ^eilige Öanb beftimmt, igm jegt fcgon ausliefere. Der &önig wie« natürlich biefe ^umut^ungen entfliehen ab unb 30g, um bie nötigen 3ubfiftenj= mittel ju haben, als Statthalter beS BapfteS in ben Sircgenftaat.

Diorf) mehr häuften fidj bie •Schwierigfeiten , als griebrich, wortbrüchig wie immer, fünf Dom Zapfte im fijilifchen Reiche ernannten Bifcgöfen fjartnäcfig bie Slnerfennung oerfagte. hierbei eerCieß aber felbft ben nachgiebigen $onoriuS bie ©ebulb; er richtete ein crnfteS Schreiben an ben Saifer, in weichem er ign an feine befdjmorene Pflicht erinnerte unb ihm feinen fchnöben Unbanf gegen bie

Singe, ber er hoch allein feine ®rö§e oerbanfe, Dorhielt. Unb griebrich jeigte fich nun auch wirtlich nachgiebig, aber nur Weil er anberSwo ber ^jülfc beS ^apfteb beburfte. Denn unbetümmert um ben immer näher rütfenben legten Sermin für ben ßreujjug, hatte er fich bereits mieber in neue Schwierigfeiten geftiirjt, inbtm er ben Berfucg machte, bie lombarbifchen Stabte Dollfommen feiner $errfcgaft ju unterwerfen. 3U biefent <5nbe hatte er Dorerft einen allgemeinen Reichstag nach Sremona entboten unb nicht bloS bie beutfehen gürften fonbern aud) bie fijilifchen Barone borthin gelaben, um in feier* lichfter ©eife oor ben Slugen ber gangen ©eit bie Bereinigung ber Sroncn Don Deutfchlanb unb Italien unb bamit ben Bruch feiner wieberholtcn eibtidjen 3uficherungen 3U bocumentiren. Slllein bie Combarben, auf ihre greigeit eiferfüchtig, waren burdjaus nicht gewillt, fich oor ihm ju beugen; fie erneuerten fofort ihren früheren Bunb auf 25 3ahrc unb fperrten bem ftönige Heinrich unb ben beutfehen gürften bie Sllpenpüffe, wogegen griebrid) ohne fficitcreS bie SReithSacgt über fie auSfpracg. <5in neuer blutiger Srieg fchien ouSbrecgen ju follen. ©renjenlo« mar ber Schmers beS greifen ißapfteS, als er fo burd) griebridjS ^errfchfucht ben Sreugjug abermals in ungemiffe gerne geriieft faf), unb fofort bot et Silles auf, um jmifchen ben ftreitenben Parteien ju Dermitteln. ßnblicg gelang es igm, ben Saifer jur Aufhebung ber 9teicbSacgt unb bie üombarben 311 bem Berfprccgcn 3U bewegen, jwei 3ahre lang auf ihre Soften 400 Leiter sum Sreuj-’ 3ug 311 ftellcit unb bie fachlichen unb faiferlichen ©efege iu beobachten.

. So fchien nun ber Sreu3sug nach unfäglichen 3ftügen gefiebert. 2luS allen Steilen Europas gogett Sricger burch 3*alien nach Slputicn, um fich bort ju fammeln unb eingufchiffen. Da ftarb £onoriuS III. am 18. üDtärs 1227, ohne feinen geifjeften ©unfeh erfüllt 3U fehen, unb erhielt fegou am fotgenben Jage in bem GEarbinal Ugolino, ©rafen

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Dr. SRattfjia« $8ijler.

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oon ©egni, af« ©regor TX., einen Nachfolger. üJfit biefem ÜRattne fefjrte bie geftigteit ^nnoccnj’ III. auf ben päpftlid)en ©tuljl jurüd. „®rcgor IX.", fagt SBei§ (L c. ©. 346), „war ein ©rei« oon naiieju 90 Oafjren; eine reiche, reine Sergangenlfeit tag hinter ihm; er war einft ber ©efchiifcer beb ^eiligen granj oon Slffifi, unb biefer foll ihm bie ®efteigung beß päpftlichen Stufte« ooraubgefagt ^aben ; nnter bem weifen £>aare war ©laubenegluth, wie ba« geucr unter bem Schnee be« Sletna ; obfdjon ^ocbbetagt, bewährte (Gregor ein jugenbfrifche« ©ebädjtnifj unb babei eine f diene ftenntnifj beibrt Ned>te, eine finreifcnbe Jöerebfamfeit ; fdbft griebrid} bejeichnet if»n als einen Sßann reinen l'aufe«, ijeroorleudßenb burd) gtömmigleit, unbefcholtenen tfebenSwanbel, f)öd)flc aBot)trebent>eit unb auSgejeidjnet burdj SBorjüge btr Jugenb unb SJiffenfchaft."

griebrid} II. unb ©rrgor IX.

©d;on am 23. SDIärj mahnte ber neue ‘ißapft ben ßaifer an ben äreujjug. ®od) gviebrid) (äßt bie ©paaren, welche in Unter*3talien feiner Darren, ruhig warten, bis bie gliil)cnbe ©onnenlphe anftedenbe Äranffjciten unter ihnen erzeugt, welche Jaufcnbe riiftiger ©treiter*) bahtn* raffen. Grnbtidj erfefteint er im Sluguft in Srinbifi, wartet abermals geraume 3eit, f trifft fid> bann am 8. ©cptcmbcr ein, unb feljrt nach brei Jagen wieber an« Hanb jurüd, um fid) fürtranf ju erttären unb itt bie Säber oon ^ojjuoli ju begeben. Seftürjung unb SRat^tofigfeit oerbreitete fief) überall; bie treujfahrer, bie noch am geftlanbe weilten, gingen aufleinanber; Diele, bie fchon in« fettige Üanb oorauSgejogen waren, fe^rten in bie §eimath jurüd, unb Sille«, wa« gefdjehen, war abermal« umfonft gemefen.

ffiäre felbft griebrid)« Sranfljeit nicht fingert gewefen, wa« aber Siele, auch ber Ißapft, befonber« nad) ben oorauSgegangenen Jäufchungen, burdjau« glaubten; fo war, wie £>öfler unb Söljmer richtig bemerfen, jcj)t für ihn ber Slugenblid getommen, wo er mit feiner eignen S«fon einftehen muffte, jumat Jaufenbe, auf fein Sßort bauenb, ihr lieben eingefe^t unb fchon eingebüjjt. 5Dann aber hfltle er burch fein unocrantmortliche« Jägern a^c 3ro*fäenf&Ne Schulb auf fid) geloben, jumat er in ©t. ©ermano ertlärt, baff er

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*) ®arumtt roar auch ber Sanbgraf fubroig oon Jb&ringen, ber @emaf)l btr heiligen Siifabett). 3m ®anjen follen an 40 000 ©olbaten btr Spibemte ttltgtn fein.

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ftaiftr grifbtid) II.

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mit 3tu«fd)luj} jeber (Sntfc^utbigung unb ^ögerung, ohne fficitere« bcm Sanne anheimfalten mode, nenn et ben Sennin non 'Jieuem unbenii|t oerftreic^en laffe. (Sin narret Sturm ber Gntriiftung ert)ob firf) überall, rooljin bie Äunbe non biefem abermaligen fd)macboollen Sfflottbruche be« „oberften Schirm« berrn ber (S^riften^eit" brang. Da«, roa« nun gefe^c^cn, öerlangte gebieterifch eine öffentliche Sühne. Unb fie erfolgte.

31m 29. September fproch ©regor IX., feierlich ben Sann über ben mcineibigen gürften au«, inbem er bie ©efanbten beefctben, roelche feine neuen 31u«flü<hte aubeinanber fe|en foliten, gar nicht oov fich tic§-

Unb ber Äaifer? pfct marf er bie feither jur Schau getragene SDfa«fe ber <5t)vfurdjt gegen $apft unb Kirche ab unb richtete Schmäh« unb Droh) djr eiben miber fie an bie gürften unb Sölfer Guropa«, nie fie bie ftaunenbe Seit au« ber £>anb eine« fich chriftlich nennenben ftaifer« mol)l noch nie erhalten; unb hoch mären nicht etwa Schreiben, roelche blo« bie ßcibenfchaft be« Slugenblid« bictirt, fonbern fotche, in welchen fich, »ie griebrich« Sertfjeibiger Diaumer offenherzig eingefteht, bie Ueberjeugungett au«fprachen, bie fich atlmälig in ihm gebilbet unb befeftigt hatten unb bie im geraben 2öiberjprud)e mit ben ©runbfähcn ber Äirdje ftanben. „Da« ift bie römifchc Seife," fagte er unter Slnberm in einem Schreiben an ben fiönig »on Gnglanb, „roelche auch ich erlannt h“^ hinter roiberlichen 5Reben«arten, roo Jponig über £onig, Del über Öel jur ajfeljrung ber Süßigfeit unb üJiitbe aufgetragen ift, oerbirgt fich bie unerfättliche Slutfaugerin, unb roährenb fich ber römifche Jpof, at« fei er bie roahre Sirche, meine ÜJlutter unb meine Grnährerin nennt, übt er ftiefmütterliche ShatE” unb ift ber Urfprung unb bie Surjet aller Hebel." Dann nannte er bie Legaten be« ^eiligen Stuhle« in Schaf«« fteiber gehüllte Sölfe unb pieben«ftörer, befdjutbigt bie Zapfte, ba§ fie bie ganje Seit in Serroirrung brächten :c. unb fließt enblich »örtlich: „De«halboe reinige fich bie g an je Seit jur Ser* n i d) t u n g biefer unerhörten Üprannei, biefer all« gemeinen ©efafjr; beim ÜRiemanb roirb bem Untergang entrinnen, welcher einem roiberrcdjtlid) Sebrängten beijuftehen unterläßt unb oergißt, bafj fich, trenn ba« geuer fdjon be« Machbar« Sanb ergriffen hatT um bie eigene Dfettung hanbelt." Da« roar alfo „ber ®c* horfam unb bie Ghrfuvcht," bie ber $oljenftaufe „bem 'ßapfte unb

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Dr. ättattfjias $8bler.

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beffen fot^olifc^en iftachfolgern, foroie ber römifchen Äirdje," auf bem gürftentag ju ßger getobt; bie« ba« SBenehmen, welche« er $onoriu« oerfprochen, bamit „bie fiirdje mit 92ed)t fid) freuen tönne, einen fotzen ©oljn gejeugt ju haben." *) ©eine Sranbrebcn gegen ben Sapft Ratten inbejj, roie er batb »afjrnafjm, burdjau« nicht ben geroünfdjten Srfolg, bie Seit ju ber Stnficfjt ju bringen, baff ber Samt gegen itjn unrechtmäßig, unb er frei oon ber Schmach be« (Sibbrudie« fei. De«f)alb bcfcptoB er, etwa« für ba« Zeitige l'anb ju ttjun, um fein arg gefuntene« 2tn)t^en roieberherjuftellen. Slnftatt fid) aber mit ber Äirdje oorerft auajufö^nen unb bann feine Unternehmung ju beginnen, gab er jefct ber chriftlichen 9Be£t ba« unerhörte unb feanbatöfe ©chaufpiel, baß er, mit bem Sanne ber Sirche betaftet, im 3uni 1228 in« Zeitige 8anb jog, unb jroar nicht wie ein Äaifer an ber ©pipe eine« $>eere«, fonbern roie ein abenteuernber Diplomat mit 20 ©Riffen unb 100 SKittern, um mit bem ©uttan Stlfamit, bem Don oerroanbten ©ara* jenenfürften hört bebrängten momentanen Sefifcer Don 3erufa(em, über bie Verausgabe ber he^'9en Stabt in freunbfd)aft(i(hfter Seife ju unterhanbeln. Unterroeg» (anbete er aber erft in ßppern, lub ben minberjährigen Äönig biefer 3nfel, Heinrich, foroie ben für ihn regie* renben ;Rcich«oerroefer, Johann oon 3be(in, jur Jafel, nahm beibe roährenb ber 5Dialjfjeit plöhlid) gefangen unb jroang. fie, bie fd)on uon feinem Sater angeftrebte Oberhoheit be« taifer« über ßppern anju« erfenncu, bie ßinfünfte be« Öanbe« bi« jur ©roßjährigfeit bee Sfönig« ihm abjutreten unb Scirut oon ihm at« gehen ju nehmen. 92ad) biefer Velbenthat fuhr er roeiter, betrat am 28. September in Slffon ba« h«itige ganb 'unb ftanb halb im Dertrauteften Sertehre mit bem ©uttan; roährenb bie Gfljriften be« ÜDJergenlanbe« fid) fern oon ißm hielten. ©efdjenfe rourben au«getaufd)t, roiffcnfcßaftlidje Deputationen abgehalten, furj ein SBcrtehr jroifdjen ihm unb ben ©arajenen ge» pflogen, ber für <hriftlid)e Slugen ein unerträgliche« ©djaufpiet roar.

©o (am benn am 18. gebruar 1229 ein Sertrag ju ©tanbe, wonach Slltamil 3erufa(em unb v52ajareth nebft bem 8anb jroifchen biefen ©täbten unb 3oppe unb Sltfon, foroie 2pru« unb ©ibon jurücfftellte. 2tber unter welchen Sebingungen! Die ©ara* jenen blieben bie Säcßter ber heiligen Orte unb be* hielten 81 n t h e i 1 an bem ©otteSbienfte in 3 e r u f a l e m , nur follten fie nicht mit Soffen in bie Stabt tommen unb (eine

*) 3. 9taumer, 1. c. III. @. 187.

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Äaiitt grifbridj II.

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geftungSwerfe mehr anlegen, rcäfjrcrb bcn (Shriften baö fKecht ju* gefprochen mürbe, bie $auptpunfte beb abgetretenen 8anbe® tnieber ju befefiigen. So jog griebrich am 17. Pfärj in Jetufalem ein; an feiner Seite ein farajenifther giirft, ber ©mir Schemfebbin ; unb a(« biefer ben mufjatntnebanifdjen ©eiftlichen nerbieten wollte, bie gegen “bie Triften gerichteten SSerfe be« Soran« oon ber Pfofcfjee abjufingen, to ehrte ihm ber £>ohenftaufe, inbeni er ba« für ein Unredjt erflärte unb bie abenblänbifchen 3 11 ft ä n t> e be< bauerte, bie ihm in feinen Staaten nicht geftatten würben, gegen bie Sara jenen fo gefällig ju fein; „ich wäre nicht fo weit gegangen," äußerte er, „wenn ich'! nicht alles Slnfetjen im 335 e ft e n ocrloren hätte.“

Unter folgen Perhäftniffen fonnte bie ffiiebergewinnung ber heiligen Stabt, wenn man baoott überhaupt reben fann, in feinem wahren ßhriftenherjeit greube erregen. Sein Prälat wagte ben @e* bannten 31t frönen, fein priefter oor ihm bie fjeitige Pfeffc ju lefen. ^Deshalb fegte er ftch am 18. Pfärj nach bem ©ottesbienfte felbft bie feinem Schwiegerüatrr entriffene firone auf« §aupt unb oerließ Jerufalem noch am nämlichen Jage, um nach neuen ©emaltthaten gegen bie Johanniter, Sempler, granjiSfaner unb 'Dominifancr, fowie gegen ben Patriarchen oon Jerufalem, auf beffert Scfehl bie Seifigen Crtc mit bem Unterbiete belegt worben waren, in« Slbenblanb jurüefjufehren. hinter ftch ließ er Sille« in folchcr Unficherheit, ba? fchon im fol* genben Jahre bie Sarajenen, über ben griebcnSfchluß Sllfamil’S er* bittert unb oon ihren gafirs erfjiht, mehr als IOOOO chriftliche Pilger auf bem ®ege nach Jerufalem erfchlugen, bie ^eilige Stabt überfielen unb eine Pfenge (Steiften ertnorbeten. *) „So würbe ber ßaiier," fagt $Öfler,**) „welcher Piittelpunft aller Parteien unb Leiter aüer Unternehmungen hätte werben follen, llrfachc noch größerer 3ern,ärf* niffc unb ber Schänbung ber heiligen Stabt felbft, in welcher juglcich bas

©efefc Piohammeb« oerfünbigt würbe So warb an geheiligter

Stätte bem Snbjwecfe ber ftreujjügc felbft §ohn gefprochfn, welche unter ben Slufpicien ber Kirche unb im ©ehorfam unter berf eiben ben Sieg über ben JSlam erftrebten, nicht aber eine ©leichfteDung be« GhrifteuthuntS mit bemfclben beabficf)tigten, wie fe^t hauptfächlich burch griebrich« Vertrag mit bem Sultan oon ©abplon in SSetreff Jerufalem« an ben Sag trat."

*) 2Beiß, l. 0. ©. 350, 51 *ub 62. ••) 1. c. 0. 37.

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Dr. SMatt^io* §öt)ter.

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SDamit roar inbeffen fce« Unrcdjtc« nod) n it^t genug gefächen. ffiährtnb btr Slbroefenljeit griebrid)« hotte fein iReufjSoicar, ber £>erjog SRainalb non 2poleto, ben er, um feinen ber Äirrfje gefthtoorenen gib unotr* legt ju taffen, auch in Jöefigungen be« ^eiligen Stuhle« ju feinem Statthalter eingefegt, offene geinbfeügfeiten gegen ben ßirchenftaat be* gönnen. ©regor IX. tuar nicht ber SWann, folche gelonie eine« Sehen«* oafaüen benu ba« mar griebrid} al« Äonig Don «Sizilien ihm gegen* über ruhig ju ertragen. Sr entbanb griebrid)« fijilifdje Unterthanen Dom Eibe ber $reue gegen ihn unb lieg jroei pöpfttie^o $ecre in ba« Äönigrcicfj einrücfcn. iÄainalb gerieth in große iöebrängniß. ®a erfchien ber Äaifer, au« bem Orient ^eimfe^renb, auf bem gelbe unb trieb bie 'ßapftlichen rafcf) jurücf, begann aber halb im ©efüljte ber ^altlofigfeit feiner Sage griebenäunterhanblungen mit bem Zapfte, roelche enbtidj am 23. f)uli 1230 jum grieben oon ®t. ©ermano führten, gviebrith oerpflidjtete fi(h barin, 'DIiemanb roegen be« früher ©efthehenen $u beunruhigen ; bie au«gefprochcnen Siedlungen unb fonftigen Urtheile juriiefjunehmen, feine Eroberungen im Äircfjenftaate herauSjugeben, nic^t mehr in benfclben einjufallen; bie bi«her jurücf* geroiefenen Prälaten ju ihren- Sigen jujutaffen, bie ßterifer. Don ber Eiüilgerid)t«barfcit frei jit holten, flirren, filöfter unb geiftliche ^Jer- fonen nic^t mit Sluflagen ju behelligen unb bie ffiahlfreiljeit berfelben nicht ju beeinträchtigen, hierauf mürbe er am 28. Sluguft 1230 roieber in bie fiirdje aufgenommen unb hotte am 1. September eine ^ufammenfunft mit ©regor IX., melche bie h^flcfttUte Eintracht gu befiegeln fchien. SUIein mit einem Iperrfdjer Dom EharQftcr be« Roheit: ftaufen roar ein bauernber griebc unmöglich.

Die nächfte ä£r äußeren Dfuhe nach bem grieben Don 2t. ©ermanoüerroanbtc griebrich baju, in feinem Erbreiche bie bereit« früher begonnene Umgeftaltung ber ©efeggebung ju oollenben, inbem er am 22. Sluguft 1231 ba« oon feinem berühmten ©roßrichter, ißeter be 23inei«,*) Derfaßte ©efegbnch ju ÜJWfi publijirte. 2Bie überall, fo

*) 3>iefer af« 'Htdjtegtlfljrtfr unb folittfet roeithtn betannlt 3J?aitn, ber bie meiften öffentlichen Runbgebungen gricbrid)8 II. concipitte unb bemfetben mit einer Eingebung ohne CSteidjen bi« in fein Sitter biente, mürbe nach ber an* gtüdlidjen ©c^Iac^t bei tjhrma, nach bem allgemeinen Urtheile ber 3fitgcnoffeu, unfdjutbigerroeife eine* S3ergiftung«Berfud)e« gegen ben $ohenftaufen befihutbigt unb auf beffen ©efeht. geblenbet, morauf er ftd) in SJerjmeiflung an ben SBänben feine« ß eilet« in ißifa ben Äopf jerfdjettte.

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Roif« Jritbrid) II.

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gerftörte er aber auch tjier roieber mit ber einen £>anb ba« ©utc, »eiche«' er mit ber anbern aufgebaut. Uliemanb tonnte zweifeln, baß bin SKtcbteficherhrit, bie er bem Öanbe oerfefjaffcn wollte, eine grogc SBotjttfjat war. Allein inbem er habet oon bem teitenben ©runbfafc aueging; baß lein iftedjt in feinem 9frid)t eyifttre, außer fei mm feinem Süden gcfdjaffen, mußte er notyroenbig eine Unfumme Don 3?eöht8t>ergeroaltigungen an benen begehen, bereu feit unbenflidjen feiten erworbene diente feinen neuen ©efe^en im Sfflege ftanben. Da« galt namentlich oon ber QJetftlie^feit, beren Immunität oon ben weltlichen ©erichtcn er, obwohl et fie foeben erft im Stieben ton ©t. ©trmano befchrooren, in feinem ©efefcbudje roieber Dodftänbig oernichtete.

löalb barauf; erntete er übrigen« bie erftc bittere Sru^t feiner Irenlofigfeit gegen bie» Kirche. ©ein eignet Sogn 5>tinridj erhob im September 1234 offen bie gagne ber Empörung gegen igu, um fid) in Deutfdrfanb unabhängig Don igm ju machen. griebrid)« i'age mar fritifdj ; ftanb fülle« auf bem Spiele. Da trat ©regor IX., ba« früher Vorgefallene ebelmütljig Dergeffenb, entfegieben für ben Saifer ein unb befeftigte bie geiftlic^en unb weltlichen 9feid>flfürften in ber Ir tut gegen ifpx, fo bag ifwt gelang, ben Slufftanb rafd) nieberju* merfen. Heinrich mußte ftth ergeben unb roarb, a(« er fid) meigerte, bie ihm auferlegten Vebingungen ju -erfüllen, unb einen gludjtDerfuch machte, nach Slpulien in bie ©efangenfdmft gebracht, mo er 1242 ftatb ; mie gleichzeitige ©thriftfteßer berichten, al« ©elbftmörber. 3m 3uli 1235 Dermählte fich Stieb rieh, ba feint ,meite ©emahlin Oolanthe fchon 1228, bei ber ©eburt feine« ©ohne« Sonrab, geftorben mar, mit 3labella, ber ©chroefter König Heinrich« III. oon önglanb. Dag er bamit ba« früher bem Könige Don gronfreieft oertrog«mößig ge- gebene Verfprechen, nie mit Gfnglanb in nähere Verbinbung ju treten, brach, ffiramerte ihn nicht. Von Sorm«, mo bie Vermählung ftatt* gefnnben, ,$og er nach ÜKainj, um bort auf einem überau« glänjcnben 3ieich«tage michtige ©efefce über ba« ©ericht«mefen, ben @otte«frieben/ ba« Souftrecht unb einen allgemeinen l*anbfrieben ju erlaffen unb ben alten Streit jroifchen ben Seifen unb $ohenftaufen jum enbtiihen Slbfdjtuffe ju bringen. 3tht h“^ er Sine §errfd)aft in Deutfchtanb unb Unter»3t<>lien für fo befeftigt, bag er an ber 3<Ü erachtete, jur Verroiröithung be« ftaufifchen ^au«programme« ben Verfud), auch bie ßombarben jur Untermerfung ju bringen, ju erneuern. Daher brach er im 3“ni 1236 Don Slug«burg roieber nach 3toüen auf unb fchrieb für 3nwl>i 1236 einen 9ieid)«tgg nach V'accni° au8 > jur Slu«rottung . }i u.b /t. 14. J. •- ^'/j . ^

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Dr. SDIattf)iaä §öljltr.

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ber Üegerei in 3*alien, $ur Sieformirung ber iRcc^tc bee SReieheb u n b btt Kirche unb jur ©ieberherftellung beb griebenb in jenem 8anbe.

Seltne Siebte er beanfprudjte, hatte er flar in einem Sdjreiben an ben ‘ißapft mit ben ©orten aubgefproepen : .Italien ift mein, unb bab ift ber ganjen ©eit befannt." Diefelbe abfoiute ©ematt, bie er in Sijilien aubiibte, foilte ißm olfo aud; in £>ber*3talien $u* fiepen; bann mar er auch bea ©apfteb jperr, ben er in eiftrner Umarmung erbrüefen fonnte. 2Rit ber greipeit ber oberitalifepen Stabte mußte ber leptc Scpufcroall beb ‘fytpfttpumb faßen, naepbem eb biefem riie^t gelungen mar, Sijilien ber ällgemalt beb Äaiferb ju entrüden. Dab erfannte griebrich ebenfo gut, mie ©regor, unb beb« palb fepeti mir biefen auch baib auf Seite ber ßombarbeit , mie llejanber III. im fflunbe mit benfeiben gegen griebrid) ©arbaroffa geiämpft. ©inen entfehlidjen ©erbiinbeten fanb ber Kaifer feinerfeitb in bem blutbürftigen ßombarbenfürften © jjelin oon ÜRomano, bem er feine natürliche Uochter Seloaggia »ermäplte, unb beffen unmenfd)» liehe ©raufamfeit halb bie ©eit mit Scpreden erfüllte.

Die Combarben, roelche fchon 1235 ihren ©unb erneuert haßen, rüfteten unb rüdten griebrieh entgegen. Der Kampf begann alabalb unb führte na<h längerer Unterbrechung (Krieg beb Kaiferb gegen £erjog griebrich »on Defterreiep unb ©al)t feince Sopneb Konrab jum beutfehen König in ©ien) am 24. ‘Jiooember 1237 ju ber entfeheibenben SRieber« lageber oerbünbeten Stäbte bei ßortenuooa. äberftattmeife 2)?ü§igung malten ju laffett, trieb griebrich hie ©efiegten burdj bab ©erlangen ber Uebergabe auf ©nabe unb Ungnabe ju oerjmeifeltem ©iberftanbe unb beraubte fich felbft baburch ber grüchte feincb ©rfolgeb. ©rebeia oertheibigte fiep über jroei üJIonate lang fo tapfer gegen ihn, bafj er am 9. Dctober 1238 bie ©etagerung aufheben mußte; fofort erhoben fich auch ©tnebig unb ©enua roiber feine ^errfepaft, unb am 2 4. üßär j 1 239 »erhängte ©regor IX. abermalb ben ©ann über iljn.

Deb Staufen ©eroaltmaßregetn gegen bie Kirepe mären »on 3apr ju 3aljr fdjreienber gemorben. Die IRömer haß« er jurn äuf« rußr gegen ben ißapft getrieben , im füblichen granfreich einen päpft* liehen Legaten burch feine ©afallen feftnehmen taffen; trofc feiner mieberpolten eiblichen ©egenoerfpreihnngen haß« er fiep in bie firdj* liehen ©aplen in Sizilien gemifeht unb auch in anbern fünften bie lirtpliepe greipeit fchmer »erlebt, ©eiftliehe inb ©efängnijj unb aufb Sehaffot gefchieft ; jroanjig ©ifchofaftühl« hielt ft unbefept; ben Sieffen beb Könige »on Dunib, ber nach 9iom mollte, um fich bort taufen ju

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Jtaiftr gtifbridi II.

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laffeit, ^itU er mit ©ewalt in Sijilien jurücf; Sanbfdjafteu , bie ber fiircbe gehörten unb »on ihm au«brü<fticf> alb folcbe ancrfannt waren, batte er in ©efifc genommen; fiircben unb fitöfter in Sijilien nicht nur mit Steuern belegt, fonbern and) eine« Steile« ißrer Seft^ungen gerabeju beraubt. Seine bie fiircbe fo ferner oertefcenben ©efefce (f. o.) batten eben jefet eine SReibe non fahren Ijinburd) bie riicffidft«* tofefte praftifcbe Slruucnbung gefunben. ©en testen äußeren @runb ;ur Verhängung beb Vanneb mochte bann toobl ber neue ßibbrucb fein, ben griebricb beging, inbem er im Saßre 1238 Sarbinien, bab fcbon feit langer 3eit im Slbbängigfeitboerbältniffe jum päpftlicben Stubte ftanb unb beffen 3ugeijörigfett jur fiircbe er früher befcbworeit batte, bem Zapfte entriß unb feinem natürlichen Sohne ßnjio alb fiönigreicb oertieb- gricbrich battc au« ben miebcrbolten SDfabnitngen beb Vapfteb gefeben, baß berfelbe ju biefen ©ebruefungen nicht feßroeigen werbe, unb ihn bebßalb noch atu 20. ÜJJärj 1239 burch ein Schreiben an bie ßarbinäte mit ber ©roßung eiujufchüchtern gefucht, baß er ficb coentuetl nach ärt ber ßäfaren rächen werbe, wobei er auf eine blutige Verfolgung ©regorb unb ber Seinigen blutete. ?lber ber greife Vapft tannte feine ftureßt.

^Mitten im fRaufcße glänjenber geftlicßfeitcn , welche ißm ju ßßren in Vabua gegeben würben, erhielt ber Äaifer bie 9iadjricbt »on bem ©annfprueße unb gerietb nun außer ficb »or 3orn- Veter be Vineib mußte ißn albbatb in öffentlicher SRebe ju Vabua »ertbeibigen ; er felbft aber rief abermatb in einem maßtofen Schreiben alle dürften Curopa’b gegen bie fiircbe ju $iilfe, appellirte an ein allgemeineb (Soncil , »or welchem er ficb rechtfertigen wolle, befchulbigte ben VQpft ber Ifirrjcbfucßt u. f. w. hierauf antwortete biefer in einem (Jrlaffe, in welchem er griebrießb ganjeb feitberigeb Ceben burcßgiitg, feine zahlreichen ?ügen unb ßibbrücße branbmarfte unb jugleicß auch auf bie gottebläfterlichen Sleußerungen ßinwieb , bie bem $>oßenftaufen allgemein in ben ÜRnnb gelegt würben, ©a fannte bie ©ulb bebfelben feine ©renjen meßr; in einem neuen Schreiben »erftieg et ficb bib jur Vergleichung beb VaPfteb mit bem apofalßp* tifdjen Ungeheuer unb nannte ihn ben Slnticßrift; bann aber begann er nach jwei Seiten bin jugleich ben fiampf mit ben ©affen. ßr felbft wanbte ficb im 3“li gegen ÜRailanb, wäbrenb fein Soßn ßnjio in ben fiirchenftaat einfiel, unb feine ©eamten in Sijilien einen wahren Vernichtungbfampf gegen Sille , bie ber fiircbe treu blieben , begannen. Vermüftungcn bejeichneten ben SRarfcß feiner Gruppen, beren fiern,

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Dr. 3Ratti)tae $St)ter.

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toi« immer, ou8 Sarajtntn beftanb. Dod) fam im Jahtc 1239 noch nic^t jU entf^tibcnben 3m folgenbin grühialjr aber

rtirfte er felbft in ben Äirchenffaat ein. ®rtgot IX., beinahe 100 Jahre alt, entfaltete eint ftaunen«»erthe Ifyatfraft ; ®etuu> unb üenebig ftanben cnergifc^ jn ihm; öon granfreid) Urnen itjm Snbfibien ; non Spanien Aufmunterung. AHfin Aßt« umfonjt; griebrid) brang jiegrtid) bi« »or SRom; brr 'ßapft freien oerloren. Da begeifterte berfetöe burd) eine feierliche ^roceffion mit ben SReliquien bet Äpoftelfürften bi« SRömer bergeftalt für feine Sache , bafj Alt unb Jung ju ben Soffen griff, unb ber Äoifer bin Angriff auf bie Stabt nicht mögt«. Dafür roütljete er um fo unmenfdjiich« gegen bie Sinniger ber Sieche, beren er im ganbe habhaft »erben fonnte. ©ifdjöfe »urben oertrieben, oerbannt, in« (Slenb geftogen: ihre Angehörigen oerfolgt unb getöbtet; "ßriefter unb Drben«leute gehängt, (ebenbig oerbrannt, erfäuft ; grauen unb Jungfrauen entehrt; Sirdjen, heilige ®efäfje gefchänbet unb geraubt; Älöfter geplünbert; Alle, bie ihm irgenbmie oerbäcfytig »urben, in ber unmenfthliehften Seife jertreten. : .

Da griff ber flapft, ju bem iffiittet, »eiche« ber Jtaifer felbft oerlangt hatte, unb fchrieb auf Dftern be« folgenben Jahre« ein all- gemeine« lioneil nach bem gatcran au«. Allein gritbrich mußte roohl, bah er nicht« mehr ju freuen habe, al« eine genaue Prüfung feiner 2 baten oor unparteiifchen Richtern. Daher erflürte er fofort, baß er ba« goneil mit allen SDiitteln oerhinbern »erbt. Seiue ©eamten

erhielten ben ©efelfl, alle jur Spnobe SReifenbcn ju wrhaften unb ihr ®epäcf al« ©tute ;u behalten; bie, »eiche fid) habet au«;eichnen robrben, follten notf) befonber« belohnt »erbet». (Sin Schreiben ging in bie Seit, »orin griebrich unter ben ärgfttn Schmähungen gegen ben IJJapft, al« ben ©ergc»a(tiger aller ihm untergebenen ®ciftlichen , bie ©ifchöfe oom ©efuche be« ßoncit« abjuhalteu juchte. Ai« fich aber tro|bem viele an«wärtige Prälaten unter bem Schuh« einer genuefifchtn gtotte im fpafen oon @enua einfehifften, lieh er fit am 3. SDlai 1241 burch feine oon Gnjio befehligten (Galeeren jmifchen iDielcria unb ber Jnfel ©tglio angrtifen. Drei genuefifche ©alteren murbtn in ben @runb gebohrt, 19 fielen ben gtoiferlidjen in bie Jpänbe; 4000 ©tnuefen »urben gefangen, 2000 Prälaten, ^riefter, Solbaten unb üRatroftn fanben in bin Sellen ben 2ob. lieber 100 ©ijehöfe, Prälaten unb Ißtocuratorcn berfeiben , bie ©oten ber lombarbifchen Stttbte unb brei Sarbinallegaten »urben gefangen unb im Triumphe bureh Oftalien in bie fferfer Apulien« gefchleppt.

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Steifet Stiebti* II.

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grotjlodeub pries bet ©taufe biefen Sieg als ein Urteil ®otte$ für bie ©erechtigleit feiner ©«dje unb ritcfte unbetiimraert um ben SWongolenftunn , ber gegen SDc»*tfc%Ccmb i*x änjuge war, im $uni » abermals gegen 9?om, wo (Öregor IX. ungebeugten üßutfje« au^^arcte.

©chon Dermiifteten gciebrichS £>orben bie Umgebung ber ewigen ©tobt; ba erlag ber faft 1 OOjä^rige (örei# ber römiffben -giebesluft unb fchtoß am 21. Süiguft 1241 bie Singen.

9?un ging ber Saifec, um ben ©tfjein ju nerbretten, als ob fein Kampf nur gegen Gregor perföntief) gerietet geroefen, newf) ©ijilien, allein ohne bie gefangenen ^rülalen frei ju taffen. SBergebenS flehten bie fransiSfiftJjen örjbifchöfc ihn für iljre SDiitbrüber an; erft als fesbwjg IX. brofyte, mürben fit (ob gef affen ; gar manche waren tnbefj ingwif^en febon ben Dualen beS KerftrS erlegen.

gmbricb II. unb IV.

8lm 16. Dctober 1241 mähten bie jehn in 9iom befinblichen Cfarbttiäle (Söleftin IV; berfetbe ftarb aber fd)on nad) fiebge^n Sagen.

Sinn wußte griebrid) unter fortmäfjrenben 23ermüftungen bcS Kirrem ftaateS, wobei e$ if)m jebodj nicht gelang, fiel) 9IomS gn bemächtigen, bie neue ^apftroahl bis gnm 3al)re 1243 hingubalten, irebetn er ben in» feiner (öewalt befinblichen Carbinälen nicht geftattete, fiih mit ihren löritbem in 9iom, beren 3a()l burd) SobeSfälle außer ft gering geworben, gur ©ieberbtfcfcimg beS apoftoUfchcn ©tuhleS ju vereinigen, ©attiit aber nicht juf rieben, futhte er auth noch , als bie Klagen ber ihres öbrt> haut1 1 es entbebrenben thriftlichen ffielt immer lauter würben, alle ©djutb baran bem heiligen Kollegium aufjubitrben, beffert SSitglUber er in einem ©chreiben ootl biabolifdjen pofjneS unter .Slnberm „Sinbcr Seliate, ©tfwfe ber ^orftreuung, Sh**« ohne $«upt" nannte, in beren SDHöe nicht ßhriftuS, fonbern ©atan fifce u. f. ro.; jboch erreichte .er mit foldj' pöbelhaften ISefthimpfungen feineSwegS feinen 3)WC* ; iw ©egentljeite, fein Verfahren rief in ßnglanb unb granfreid), namentlich aber in ©eutfdjtanb eine ftetig madjfenbe (Erbitterung gegen ihn fjerpor, welcher cqglifibe ©efanbte entfehiebenen SlnSbrutf gaben, wäheenb ber Srjbifchof non lÖlainj, ffiitber feine träftigfte ©tüfce, fich offen gegen ihn etflärte.

©a gab er enblich bie gefangenen SarbiniUe gegen ©tellung non ®eifetn für ihre Gefleht, frei unb nun würbe am 25. 3uni 1243 ber Carbinal ©inibalb gieSco, ©raf oon Öaoagna, ju Änagni ein« ftintmig als gnttoceng IV. gum Zapfte erwählt. Sßie ju erworten war, betrachtete ber tpohenftaufc ben 'Jieugeroäfjlten, tro^bem berftljbe

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Dr. 'Ulattijia« Qößfer.

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ißm früher bcfreunbct gewefen, mit SDIißtrauen unb oerfueßte juerft fein alte» Spiet triigerifdjer gricben«Derßanblungen mit ißm, um ißn äßnficß wie iponoriu« III. ßinjußalten unb ju iibtrliftcn. Sittein halb mußte er fieß ju feinem Slerger überzeugen, baß er bamit bei bem« fetben abfotut nießt« auerießte. 3nnocenj IV. »erlangte oor Stttem fategoriftß bie oolle Verausgabe be« Äircßenftaate«; unb baoon wollte eben ber tänbergierige Saifer nichts miffen. Da fiel ba« mäeßtige 33iterbo non biefem ab unb bradjte ißm bei bem ißerfueß, es wieber ju erobern, eine fo empfinblitße ©eßlappe bei, baß er bie Belagerung aufßeben mußte. Da« önberte bie Sachlage; gebemiitßigt unb eingeengt fudjte griebrief) jeßt oom Banne frei ju werben, ber ißn immer niefjr ßemmte, unb fo ließ er bureß feine ©efanbtcn am ®rünbonner*tag 1244 ju 5Rom alte gorberungen be« Zapfte«: Verausgabe ber occupirten Streite be«Äir(ßenftaatce,8o«laffung ber ©efangenen, ©djabenerfaß jc. bewilligen unb befdjwören, in ber Hoffnung , gtinocenj werbe fiel) mit ben feßöneu Berßeißungen begnügen unb ißn atsbatb wieber in bit Äireße auf« neßmen. Da ßatte er fuß aber gewaltig oerrecfjnet ; unbeugfam forberte ber fßapft bie oorßerige Grrfüllung ber befeßworenen Bcbingungen; bann erft fönne oon ber Slufßebung be« Banne« bie 9?ebe fein. 3eßt erfannte ber treutofe ©taufe, baß biefe« Spiet oertoren fei, unb fudjte baßer 3nnocenj ptrfönlicß in feine ®ewalt ju befommen, um ißn jur Dtaeßgiebigfeit ju jwingen. Stilein aud) tiefer Verfließ feßtug feßf, benn fobatb er feine baßin jietenben Bewegungen gegen Diom begann, ent« floß bet ^apft in alter ©title nadj feiner Baterftabt ®enua, unb langte bort, oon ber Bürgerfdjaft mit lautem 3»bel begrüßt, am 7. 3«li 1244 im ipofcn an ; faifertieße Leiter, au«gcfanbt, ißn gefangen ju neßmen, (amen $u fpät. Da« war ein gewaltiger ©ißtag für griebrieß, unb ber ©djrecfcn, mit weltßcm ißn bie 9Iaeßrießt oon ber glutßt be« fjapfte« erfüllte, jeigte beutlitß, mie ridjtig er bie Bebeutung biefe« ßreigniffe« erfaßte. $eßt ftanb er entlarbt oor ber ganjen ©eit al« Sirdjen« oerfolger ba.

3nnocenj IV. blieb inbeffen, obwoßt gefäßrlicß erfranft, nitßt in ®enua , fonbern ließ ließ afsbalb weiter natß lipon bringen, wo er ft<J> oor griebrieß« 9todjftellungen fießer wußte unb unabßängig oon feber äußeren ®ewa(t feine« Slmte« walten tonnte, ©eine Gnt* feßfießungen waren gefaßt. Slm 30. Januar 1245 erließ er an alle gürften, griebrieß nießt au«genommen, unb Prälaten bie Sabung, am naeßften 3oßanni«fefte in Sßon ju einem allgemeinen (Soncile ju erfeßeinen, ba« über bie Sage be« ßeiligen Sanbe« unb be« lateinifeßen

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Äaifcr gritbrid) II.

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Äaiferthum«, bie SDiongolen unb ben jroifibeuftircbc unbÄaifer fchmcbenben Streit beraten folle. Sljc jebod) bort ju ber entfchcibenben Ver= hanblung tarn, oerfucgte ber Papft normale bcn fflcg ber ©üte unb ließ bem tpoljenffaufen burd) ben Patriarchen oon Antiochien Aufhebung beb Vaitne« unb Verjeiffung für alle« ©efdjehene anbieten, roenn er jefct menigften« bie oon feinen ©efanbten befchroorencn Stipulationen erfülle. Vergeben«! Unter neuen Au«flücf)ten oercitelte ber oerblenbete Pionard) aud) biefen testen ftriebenaoerfud), *) unb forgte außerbem bofür, baß au« allen feinen Staaten, mit Ausnahme be« Stjbifchof« oon Palermo fid) tein ffirdjenfürft in ßpon einftnben fonnte. SBeldjen 3®ecf er babei oerfofgte, roerben mir fpäter fefjen. Am 28, 3uni 1245 eröffnete 3nnocen$ IV. in feierlichfter ©eife ba« ßoncil, ba« brei* $ef)ntc allgemeine. 140 @ribifd)öfe unb Vifdjöfe, an ihrer Spifce bie Patriarchen oon tionftantinopel, Antiochien Unb Aquiteja, waren er= fdjienen. Außerbem batten fid) nod) eingefunben: Äaifer ©albuin oon ßonftantinopel, bie ©rafen oon prooence unb Xouloufe unb bie ®e* fanbten ber meiften 2Käd)tc. griebrid) Ijatte fid) nach längerem Sdpoanfen ebenfall« jur Vefd)icfung ber Spnobe entfd)loffen unb Xpabbäu« oon Sueffa nebft mehreren ^Begleitern abgeorbnet, um nochmal« fein alte« Spiel ju oerfudjen. Piit einer Unoerfrorenfjeit, bie an« Unglaubliche grenzt, lieg er gleich in ber 1. Sifeung burd) Xh^bäu« bie bereit« früher befebtoorenen grirben«ftipulationen, beren Ausführung er noch lurj juoor oerroeigert, unb außerbem nod) gar §ülfe gegen bie 3Jton* golen, £>erftellung be« lateinifchen faiferthum«, Befreiung be« b*il'9tn 8anbe« it. anbieten, ^nnocenj horte ben rebefertigen ÜRinifter ruhig an unb ertlärte ihm al«bann für* unb bünbig, bag mit folgen neuen Verheißungen, für beren Ausführung er nicht bie minbefte ©ürgfefjaft habe, Siicmanben gebient fei; nicht Verfprecf)ungcn oerlange er, fonbern Spaten ; ber Saifer folle einfach bie befchworenen VertragSbeftimmungen erfüllen , bann fei ber ganje Streit beigelcgt.

S)amit mar S^abbäu« entmaffnet unb bie erfte Verfammlung mürbe gefchloffen. 3" ber nächften Sifcung am 3. 3“!* erhob fid) ber papft ju längerer Siebe , in melcher er fid) , napbem er über bie ©efafjren gefprochen, bie ber Sirdje oon ©eite ber ÜJion* golen, ©riechen, fiefcer unb (ShomareSmicr im ^eiligen Canbe brohten, gegen ben Saifer manbte unb ber Verfammlung beffen fchmachoolle, unaufhörliche Verlegungen ber befchmorenen Verträge, feine ©ctoalt«

•) Siatimer, 1. c. IV. ®. 100

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Br. 93iattf)iaS

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tljätigfeittn gegen Prälaten, ftirc^en, Ätöfter, ©eiftlühe unb ©rbeneleute, bie er unter änbrolfung bcr fjärtcften ©trafen gelungen, *or ihm, bem ©«bannten ©otteSbienft ju fjalten; feine Schmähungen gegen bie köpfte; feinen fcanbatooüen Sjerfetjr mit ben Ungläubigen; feinen fittenlofen Skbensreanbcl mit farajenifctjen Sängerinnen u. f. re. twr äugen führte. Sobtenftiße fjerrfdjte in ber reeiten Strebe, ate er am ©bluffe feiner non tiefftem ©chmerje getragenen 9iebe bie Don ftriebritf) auSgefteßten , besegelten unb befdjroorenen Utfunben mit ben Sorten in bie §ölje ^ielt: „raetche oon biefen feierlitf) auSgeftellten Urlauben ift irgenb geartet, welcher C^rie ben«fc^ru§ uon ihm nicht übertreten, roetcher Öib nicht gebrotzen worben?" fllie gaaje Serfammlung rear auf« Sieffte erfdjüttert uitb entriiftet. SB ergeben« bemühte fid) S^abbäu« oon ©ueffa, feinen

$crrn ju rechtfertigen; :bie Shatfadjen waren ju notorifdj, ba« »er» übte Unrecht ju fdfreienb, griebrich« 'JJerftbie ju empörenb. ätitf) »an anberen ©eiten mürben bie fchroerften ärtffagcn gegen ihtt erhoben, uttb bie Slbfefcung märe DicUtidjt je^t fcf)on auegtfprochen roorben, wenn ^tmtocenj nicht gegen ben föilien ber meiften <5oncilSmitglieber aaf •Sitten ©ueffa’« fomie ber englifchen unb franjbflfchen ©efatibten bie (Sntfcheibung bi« gum 17. $uti oerf (hoben hätte. Söolter non Ofra, einer ber ©efanbten ^ritbrich«, eilte nach Surin, too biefer injreifiben angelangt war, um neue 3nftructionen ju holen. §ätte ber ©taufe •mit ber thatfadjlichen Srfüüuitg ber befchmorenen ^ufogtn auch nur begonnen, ber brohtnbe gjpmch wärt nicht erfolgt. Mein er blieb bei feiner ©eigerung; bie grift Derftrich, unb bie entfdjeibenbe ©tunbe brach an, ohne bafj neue ©efartbte erschienen waren.

3nnocenj hatte injwifcbm afs ^eilige ®»roiffen«pfl«ht betrachtet, nochmals btt gaigc Sachlage in täglich ftattfinbenben Kongregationen ju prüfen ; ja, er hatte mehrere ßarbinäle eigen« beauftragt, babei bie ©erthetbigung be« Äaifer« ju führen, unb bie Sifthöfe einjeln jn SRatlje gejogen.; Silier Urt^eiX rear aber einftimmig ba«felbe: bem unmürbigen Streiben be« raeineibigen dürften burth bie bem Zapfte nach bem batnai« allgemein anerfannten ©tantsrechte juftehenbe feierliche äbfefcimg ein Enbe ja machen, ätß fefet bie änreefenben bie Uff un ben über bk äfahte unb Scfifcungen beS tömifchen Stuhle«, roelche ffritbrich emft felbft anterfchrieben nnb befchworen, anf ©erlangen Qmwcroj’ ihrer« feit« ju unterjeichnen begannen, machte ©ueffa, ahnenb, roas fommen foßte, ben lächerlichen ©erfuef», feinen £>errn baburch ju retten, bag er bie ©erfammluttg, reeit fo Diele ©ifdjöfc fehlten, für inrompetent

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ftaif« ftrirtriA u.

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»{(arte uni) an ehte allgemeinere, unpartetifcgctc unb gnr an einen Inoftigrn ©apft appellirte. 2t 11 ein 3ttnoceng braute it>n mit ber futgen ©tmerltmg gum Scgmeigen, bag alle Prälaten gur ©erfanunlung ge« laben raorbtn unb biejentgen, roelcge feglten, nur burtg griebrttg« Sgnmttei gurücfgegalttn feien. 35amt gägfte er notgmal« bie SJ ergeben be« ^ogenftaufen auf, begriinbete «on 9ieuetn in ithergeugtnbfUr Seife feine &la gm unb ftglcfj mit ben Sorten:

Segen btefer sielen flurgmürbigtn greoel unb ©Hffetgaten gaben «wr naig rtiflitger unb forgfättiger ©eratgung mit unfern ©rübern, beit ßarbinäfen unb ber geiligeit .fiircgtnDtrfatntnlung jenen dürften, ber fteg be« Haifertgum« unb ber Königreiche, ber fitg aller Serben »nb (Egren miraiirbifl gegeigt gat, ber feiner Ungereegtigfeit unb Ser« toetgen galber non ©ott oermorftn ift, aller feiner Siirben unb Sgrtn entfegt. Slüe, bie igm bnreg liibe ber »treue, ober auf irgtnb eine Seife oerbunben ober oerpftiegtet ftnb, entbinben unb befreien mir für immer non biefen Pflichten unb ffiiben unb gebieten au« apoftoliftger SBIatgtoollfoiitmengeit ftreng unb beftimmt, bafj Innftig 3iiemanb mrgr igm a(8 König ober Äaijer gagonge. Ser biefen ©efegl oermgtenb aber «mgegenb, igm notg gegongt ober mit Üiatg unb Sgat beiftegt, ift baburtg bera Hircgenbanne oerfallen. $n £>eutf<glanb mögen bte gur Sagl beretgtigttn giirften leinen König ermäglen; über ba« jigitifige Stetig imerben mir mit bem Statg nnferer ©ritt«:, ber Sarbinäle, ba« Stittgige feftfegen." 150 ©rälatcn untergeidjaeten biefe« Urtgeil unb löftgten bann igre brennenben gaefetn am ©oben au«.

©«mit mar ber Äampf formen für bie Hinge entfdjiebeu. 9lari) bem gelteuben Staat«* imb Hingenretgte tonnte «in ber ßaifetmürbe oerluftig erflärter unb gebannter gürft oom ©apfte ober einem allgemeinen tioncile aueg be« fiönigtgum« non Deutftglanb ent fegt merben. Stuf ®runb eine« folcgen püpftlügen Urtgeil« gegen Otto IV. mar griebrrtg felbft Honig unb Saijer gemorben unb gatte ba«felbe ft et« at« reegtj«» gültig anertannt; a(8 Gbertegenbgerr be« figilifigen Dieitge« gatte ber ©apft in golge be« £egen«recgte« bie ungmeifelgafte ©efugnijj, nad) Sülem, tt>tt« gricbrtig gefreoett, ba« liegen für erloftgcn unb an ben apofto« liftgen Singt gctmgtfatten gu erilären; tein ©ernünftiger, am aller» naenigften aber griebrid) felbft, tonnte alfo bie 8te<g tut« fügtet unb Stagtälraft be« Urtgeil« begmeifcln ober anfeegten. Srogbem aber lieg er fug al« igm ba«felbe betannt mürbe, faft befinnung«(o« oor .gorn, feine ÄrDnen bringen, fegte fteg eine auf« |>aupt unb tief: „’Jiocg gäbe itg meine ftronen, unb tein ©apft, feine ßmgenoerfamntlung füll fie

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Dr. üJiatti)ine $8()(cr.

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mir otjne blutigen Mampf rauben, {Beld)’ jämmerlicher Stolj, meid)’ fredje Anmaßung, mid), bem (ein gurft ber <Srbe gleich ftefjt, Dom ©ipfet faiferlicher Roheit mit leeren {Borten ber {Billfür perafafturjen ju wollen. Dod) ber Papft bat meine Stellung Derbeffert, er ^at fitf> al« ungerechten dichter, als graufamen geinb gegeigt; fegt bin ich frei oon ber ihm fonft fdjulbigen Siebe unb Verehrung, jefct bin ich be* redjtigt, nur mehr geljbc unb $afe gegen ihn ju führen." .äunädjft liefe er 'nun ein wüthenbc« Schmähfchreiben gegen 3nnocenj IV. in bie {Belt geben, in welchem er abermal« bie dürften (Europa« jum Kampfe gegen benfelben aufrief, unb begann bann fofort bcn Mampf in ber Sombarbei.

Der wicbtigfte Sheil bt0 Streite« gegen ihn mußte inbeffen in Deutfcblanb entbrennen, wo ein anberer Mönig $u wählen war. Ratten fich aber bort bie meiften geiftlichen 9Jeich«fürften unter (Gregor IX., burch grofee ßonceffionen auf Unfoften ber Stäbte Dom Äaifer gewonnen, pflichtoergeffen auf beffen Seite geftellt, fo traten fie jefct, nach bem ermuthigenben {Jorgehen be« Srjbifchof« Don Plainj um fo entfdjiebener für bie Mirdje ein unb wählten (1246) ben Banbgrafen Heinrich oon Ihüringen jum beutfchen Mönigc, worauf griebrich« Sohn Monrab fogleich ben Mrieg gegen benfelben begann unb mit wechfelnbem ©liicfe bi« jum lobe Heinrich« führte, ber fchon am 17. Februar be« folgenben 3at)re« auf ber {Bartburg erfolgte. Da« war für ben Slugenblicf ein fchwever Sd)tag für bie firchüche Partei, beffen folgen fich fofort fühlbar machten. 3n Thüringen entfpann fich unter bcn (Erben be« {Jerftorbenen ein oerheerenber Succeffion«frieg ; £>er$og Otto Don Wägern, fchon ha^> für bie fachliche Sache gewonnen, wanbte fich wicber ber hohcnftaufifchen Partei ju; ber päpftliche Vcgat Philipp, (Srjbifchof Don Diaoenna, mußte flüchten ; firchenfeinbliche Selten erhoben ftch unb fuchten bei bcn Anhängern griebrich« Schuh, unb biefer felbft fünbigte in einem ©rief an feinen Sohn, unter argen Schmähungen auf ben papft unb bie (Earbinäle, triumphirenb feinen ©ntfd)lufe an, nun .mit fräftiger $anb unb au«geftrectten Slrmen augjujiehen, um ben feinblichen Stolj ju bänbigen; unb wa« be« Papfte« ®e» müth oerlefcen fönne, wolle er befto fdjärfer berühren, auf bafe er nicht wieber gegen ba« heilige jReid) unb be«

Maif er« Perfon feinen S0?unb auf thue." Unb biefe Drohungen blieben nicht unau«geführt ; benn oon nun an oerfolgtc ber $of)en* ftaufe nicht nur mit befonberer ©raufamfeit bie Sermanbten be« .papfte«, beten einige fchon in ber Seefracht bei SDMoria in feine

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Äaiffr grifbrid) 11.

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$änbe gefallen roaten; fonbern förieb and) ©riefe über ©riefe an bie gürften unb ©ölfer ßuropa«, um bie unfinnigften Vefdjulbigungen auf Onnocenj ju ßäufen unb benfelben fogar ju bejic^tigen , baß er SDiörber gegen ißn gebungen'; babei geftanb er benn auch, baß er felbft roirllid) oon Vertrauten öfter« aufgeforbert morben fei, ben Vapft bei Seite fd)affen }u taffen, roa« er ftet« juhirfgeroiefeti. ©idjtiger al« bie« aber mar, baß er jefet, Dom Uebermaße be« 3°rnt# f°rt‘ geriffen, ber erftaunten unb entrüfteten ©eit ba« ©eljeimniß feiner innerften $läne enthüllte, roe(d)e auf nidjte ©erittgere« al« auf eine Döllige 3«ftörung ber ßiftorifd) gemorbenen Organifation unb Stellung ber ftird)e ßinau« liefen. ätlein er erreichte bamit ba« gerabe ©egen» tfjeil oon bem, roa« er beabfidjtigte ; Sille«, roa« nod) einen gunfen oon ©lauben unb ©efiiljt für bie Äird)e ßatte, manbte fid) nun Don ißm ab; bafilr rächte fid) freilich griebrid) im Vunbe mit feinen änßängern nad) „©eife ber (fjetbnifdjen) Säfaren," unb miittjete bermaßen gegen bie änßünger ber ßird)e, unb namentlid) gegen bie Angehörigen ber Drben ber granjibfaner unb S5ominifaner, bog Diele feiner 3«*' genoffen ifjn für ben Vorläufer be« äntidjrift« ju galten begannen, unb man ißn baran erinnerte, baß er boch auch oon SNenfdjen geboren fei.

Sld fein Hoben mar inbeß umfouft; ging unauffyaltfam mit iljm ju tSnbe. 3n ganj (Suropa mürbe ba« Äreuj miber iljn geprebigt; überall erroudjfcn ißm bie ©egner roie au« bem Soben, unb gulefct ftanb faft bie halbe ©eit gegen ihn in ben ©affen. 3n ®eutfd)lanb mähten bie dürften nad) Heinrich» Hobe einen neuen Sönig in ber ^Jerfon be« ©rafen ©ilfjclm Don imllanb, unb in gtafien traf ihn ein Sdjlag nad) bem anbern. 3m 3ot)« 1 247 fiel ba« wichtige fjarma oon iljm ab unb gab bamit ba« Signal jur allgemeinen Sdjilberßebung gegen iljn. 3roar gelang it)m, einen Slufftanb in Unter*3talien mit blutiger ©raufamfeit ju Voben ju merfen; allein VQnna fpottete aller feiner Slnftrengungen jur ffiiebereroberung, bei melden er in feiner ©utlj fomeit ging, baß er eine 3«* lang täglich einigen ©efangenen oor ben äugen ber Ve= lagerten bie S?Öpfe abfdjlagen ließ, bi« iljm feine italienifd)en Ver; bünbeten entrüftet erflärten, fie rootlten rooßl al« Solbaten, aber nicht al« Jpenfer iljm beifteljen. So tarn ber 18. g^bruar 1248 Ijeran. Um fich oon einer überftanbenen Sranfßeit ju erßolen unb ju jerftreuen, begab griebrid) fid) mit feinem ©efolgc au« bem Säger jur galfenjagb, »äljrenb feine Solbaten fich forglofer SHuße überließen. H)a brachen plöfelid) bie ^Belagerten mit gemaltigem Ungeftilm au« ber Stabt Ijeroor unb fdjlugen ba« überrafd)te £>eer fo oollftänbig, baß fid)

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194 Dr. TKoitbia« $#bler. 38

halb tu wilber rcgeüofer §lud)t auflöfte unb grkbrich felbft bi« (Sreouma mit fortgeriffen würbe. Sein ganger £w«m unb feine Hconfleinobien nebjt unernwjjlichec anberer iöeutc fiel ben Siegern in bk $änbe ; bie non ihm oor ^arma, ba« bent ßrbbobtu glckhgemacht werben füllte, neu angelegte Stabt ißittoria ging in glommen auf unb 2$ab> bau« non ©tieffa würbe gefangen unb in Stüde genauen. -83 alb

barauf traf ben Äaifer ein uodj härterer ©chlag, inbera fettji liebfter ©oljn öngio am 29. 3)1 ai 1249 non ben töotognefern bei goffalta gefchlageu, gefangen unb allen feinen töittcn unb »Drohungen jum Srofc gu ewigem geriet oerurtljeilt würbe. Diachebürftenb eilte griebridj nad) Slpulten, tun ueue Lüftungen gu treffen ; ba würbe er gu girenguola oon einer Tii^rartigen firanfljeit ergriffen unb ftarb am 13. SDecember 1250 im fedjbunbfiittfjigften gabre feine« lieben«, gm 2obc erft »erlangte er nach 3lu«fö(fnun0 mit bcr Äirc^e. fir ocrmadjtc 100 000 ©olbungtn für bk ©aclje be« ^eiligen Üanbcs^oerorbncie, baß bem ronüjd)en Stuhle ba« (geraubte gurücfgegcbcu unb allen Suchen unb ftlöftevn dfrc Siebte fowie ben Templern bie mit 23efd)(ag belegten (guter erftattet werben fällten, gn ©igtlien aber folle 2lücö in ben ©taub guriitfgebracht werben, wie. unter Äonig ©ill)eltn II. gewefnt. hierauf nahm ihn bcr firgbifefcof Bon Palermo wicber in bie ftirche auf unb fpenbete it>m bie ©terbefacramentc. ©ein natürlicher ©oiju SDlanfreb ftanb ihm im Jobe bei. 8tUein felbft hier blieb er noch bem oerberbtnoollcn Programme feine« $aufc« treu, inbem er in feinem lebten ©Ulen feinen ©ol)n Stonrab gum Könige non ©igilien unb 2)eutfcblanb ernannte unb ihm fo ben unfeligen Kampf al« ßrbc hmterließ, in welchem er felbft uutergegangen war.*)

©arageiten geleiteten ftine Reiche na<h Palermo, wo er ntben feinen filtern begraben gu werben geroünfd)t. 811« man im gai>re 1763 ben fßorphhrfarg öffnete, in-, welchem fein Körper ruhte, fanb man benfelben im Kaifermantel noch wohl erhalten.

fjritbritfj« II. Charatter.

©enn wir e«, na<h bem öorftebenben .Ueberblide über ba« lieben griebrich«,IL oon .^ohenftaufen jefet »er{ud>«t, in Kürge ein döilb feine« fibaraftee« gu entwerfen, fo fühlen wir un« gebrangt, bie öemerfung

*) ©öfter: 1. c. ©. 280; SBer|:Jl. c. ©. 894 u. 805. Säumer: TV. ©. 209 u. 210.

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Adrifrt Srtfbrid) II

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Dorau«juf<hicfen, ba§ ber ©tanbpunft, btr bobei einjig majjgebtnb unb berechtigt ftt» löwn, ber be« fatljolifchen Mittelalter« i ft.

Nicht«- ifl oerfehrter unb leibet ®otte« häufiger, at« baß man an btf Beurtheilung oon Verfetten unb Berhältniffen jener 3eit mit bem Maßgabe ber ftaattidjen unb ftaatbfiri^i^en Stnfdjauungen unftret Sage h'rantritt, reelle bot^ jener Sfkriobe abfolut fremb unb wiber* ftrtbeiib flnb. Die Berf)ältni|fe, in welken ein bebeutenber ÜRann lebt, fmb ein S^dl unb jroar ein fdjr wefentlicher S^eil be« ©anjen, al» welche« er fid) bem Beobachter barbittet. Durch fie erft empfängt fein lieben unb SSirftn bie richtige Beleuchtung, weil fie nie ohne 6infiu§ auf feint Den!» unb $mnblimg«roeife bleiben unb fid) ebenfo feiner (Sinwirlung nicht entziehen fönnen. ffier griebrich II. richtig roürbigen will , muß fief) alfo ooll unb ganj auf ben Boben be« fiatholiji«mu« fteüen, wie berfelbe al« baä alle Berljältniffe beä öffentlichen unb prioateu geben« burchbringcnbe unb beherrfchenbc Element im Mittelalter oon bet Sird)e oerftanben wirb, in welcher ber hohenftaufifche Hat) er geboren würbe, bie er äußerlich befannte unb in btr er auch ftarb. Unb ba erhebt fief) junächft bie wichtige grage, wie gricbrich fich ju bitfer. feiner Religion in feinem geben unb SBJirfen geftellt. , ,

©roße unb fernere Wnftagen miiffen in biefer $inficht gegen ihn erhoben werben, ©chon ©ttgor IX. warf ihm oor, baß man ihm beftimmt bie Jleufjerung nachweifen fönne: brei Betrüger hätten bie ganje SBielt getäufcht, SDtofe«, ßfjriftu« unb ÜJiuhammeb; jwei baoon feien in Öhren, SM»« aber am Srcu* geftorben; auch hQ&e tr laut alle biejenigen Sh9«0 genannt, welche glaubten, baß ©ott oon tiner Jungfrau habe geboren werben fönnen. gtrntr wirb in jwei oon $öfler juerft publijirten Nccht«gutacf)ten gegen ihn au« ber 3*it be«

Ögoner lionetl« btriebtet, baß er in feinen Brieftn erflärt habe, er fürchte bie öjcommunlcationbe« Zapfte« nicht, obwohl bie heiligen lianone« ben für fefcerifch erllärten, ber bie ©chlüffclgemalt be« Nachfolger«

‘fjetti leugne; nach bem glaubwürbigen ^eugniffe feiner |>ofleute unb oieler Äatholtten, bie in oerfcfjiebenen Sänbern oertrauten Umgang mit ihm gepflogen, habe er bie Unfterblichteit btr Seele geleugnet; biejenigen, welche bie firchlichen Siebet auf bie Mutter ©otte« gefangen, in ben Äerfer werfen (affen , au« btr Saufeapelle in ber ©tabt Slmeria nach Serftörung ber Altäre ein Bacfhau« gemacht, unb nicht gehinbert, baß feine ©arajenen ftreuje unb $eUigenbilbcr an bie ©chweife ihrer 2h*ctE gebunben baherfchleppten, auf jenen mit ©ilrjefn

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196 Dr. 9Ratt(ia« $8*1«. 30

fpiettcn unb bie Altäre profanirten. Slnbere 3e^8enoffen berieten, ba§ er, als er fi d) $u Sfocera bei ^agani auf einer ©efifcung ber öon ihm fo Ijart oerfolgten Jempler unb |)obpitafiter einen fßalaft baute, einen S^ei( ber ftatf)ebralfircf)e baju oerwaubte unb an bem Orte, wo früher bab ^eilige äßeßopfer bargebracht worben, bie Äbjugb« canäle für ade Unreinlidjfcit beb ©alafteb anbringen tief u. f. to.

Stile biefe ©efd)utbigungen ermatten aber erft bann ihr oolleb ©ewidjt, wenn man feinen fcanbatöfen Umgang mit ben ©arajenen unb fein oben berichtete?, für ben chriftlichen Manien fo fchmach* oolleb Verfahren bei feinem Aufenthalte im heiligen Sanbe bamit ju* fammenhäit. Seiter fommt h*er in ©etradjt, nicht nur bie entfehiidje ©raufamfeit, mit welcher er gegen ben ©lerub miit^ete unb allen !ir<hlichen ©efefcen £rofc bietenb ©ifdpjfe unb ^ßriefter |um tpohne gefeffelt burch bie ©täbte mit fich fchleppte unb auf bie fchimpfliChfte Seife umbringen lieg ; fonbern auch bab wahrhaft unerhörte ©piel, welche? er mit ber bei allen chfiftliihen ©ölfern fo h°$ gehaltenen §eiligteit beb ©ibeb trieb, ©b wirb unb gewiß Dliemanb ber Ueber* treibung befchulbigcn fönnen, wenn wir behaupten, baß eb in ber Seltgefchidjte faum ein jweiteb ©eifpiel eine« bem ©hriftenthum äußerlich angehörenben 0ürften gibt, ber in folcher Seife, wie ber ipohenftaufe griebrid) II. ohne Unterlaß feine feierlichften ©ibe ge-- brodjen. Sab wiegen folchen Staaten gegenüber feinen ©erficherungen, baß er rechtgläubig fei; wab bie äußere ©hre, welche er im 2J?ai 1236 ben ©ebeinen ber Zeitigen ölifabett) erwieb, beren ©emahl burch feine ©chulb ltmb tkben gefommen; wab enblidj bie lächerliche 0arce ber „Prüfung im ©lauben,“ ber er fich nach feiner Abfefcung gu l’pon oor mehreren ©ifchöfen feineb üReicheb unterjog? Äonnte eb ihm, bem SWeifter in ber ©erftellungbfunft unb tfüge, ber fein Peben burch fo Diele ©ibbriiehe beflecft, auf eine Wige mehr anfommen, wenn fie ihm für bie ^ntereffen feiner ©olitif bientid) fehlen ? Sann bod) felbft föaumer, fein eifriger ©ertheibiger, nicht umhin $u befennen, baß „feine Anficht ber Kirche oon ber päpftlichen, unb fein ©hriftentljum »on bem römifchcn fehr oerfchieben war."*) Seldjer Art aber auch fein „©hriftenthum" gewefen, bab beweift am beften fein fittenlofeb geben, oon welchem feine größten greunbe befchämt eingeftehen, baß eb ooü» ftänbig bab eine? SDfuhammebanerb gewefen fei.

*) 1. c. lll. ®. 325.

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Äaifer Sritbrid) II.

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$)ie Statur ber ©adje geftattet nic^t, hierbei länger )u oer* »eiten ; mir muffen an« neben ber »ieberbolten Erinnerung on fein frioote« ©piel mit ber $eitigfeit be« Eibe« auf bie IBemertung befdjränfen, ba§ fein $of ganj bem eine« ©uttan« gtid); nic^t btofj »egen ber jabtreidjen farajenifdjen Söeiber, bie er f)ielt , fonbern binfidftlid) ber ©itten, bie er einfübrte, unb über welche feine @e< mabtinnen, bie er nad) orientatifdjer 9trt burdf Eunuchen bemalen tief?, fiep oft taut bettagten. ®er Stuf, in »eltfjen er jutefct ba«

burd) gerieft), mar berart, bafj eine beutfdje gürftentodjter , bie Stiebte griebrid)« I. non Defterreicb, ©ertrub, fidj offen »eigerte, einem fo fittentofen dürften bie $anb -jurn efjctidjen Sßunbe ju reifen. Unb ein fotdfer ÜJiann, ber burd) ©ottlofigfeit unb ©acri* (egien alter ätrt, burd) iüige , ilReineib unb Uujud)t, mie faiim ein anberer oor ihm, ben erhabenen Saiferttjron gefdjänbet, unb mit Leuten, roie SSatajo« oon Siicüa unb Etia«, bem entarteten ©otjne be« (fertigen granji«fu« in engfter SBerbinbung ftanb ; ber battc trofc attebem bie ©time, fic^ oor ber ganjen ffiett at« ben ^Reformator ber Äirdje unb ihrer SDiener ^injuftetten unb in ben SJranbbriefen, »eld)e er nad) bem ßoncit oon %m an alte fiönige, §ür* ften unb Öarone ber Efjriftenfyeit , fo»ie an feine Beamten fdjrieb, ju oerficbern: ©ein ©emiffen fei rein, bc«batb fei aud) ©oft mit ibm, beffen 3eu8n*§ er anrufe. S)enn immer

fei feine 2lbfid)t gemefen, bie ©eifttid)en jebe« Stange« unb befonber« bie 23ornebmften auf ben 3uftanb ber primitioen S?ird)e jurüdjufübren, »o fie ein apoftotifebe« Öeben führten unb bie £)emutb be« £errn nadiabmten .... 35abin fottten atfo arte Äönige gemein- fam mit ibm ftreben, bamit bie ©eifttidjen arte« Ueberftüffige abtegten, I fidf mit 2Rö§igem jufrieben gäben unb ©ott bienten. *) griebrid) II. oon f»benftaufen ber fBrebiger ber @otte«furtbt unb ©ittenrein« beit! 2t(8 er bann, oon feiner ®3utb gang fortgeriffen, bie ©eifttidjen, bie ibm in bie §änbe fielen, jurn geuertobe oerurtbeitte , ertränfen, an bie ©dpoeife oon ^Jferben binben unb ju ÜEobe fd)leifen tiefj, ba erfannte bie d)rifttid)e Söett noch beutlidjer at« früher, metebe« feine »obren Slbfid)ten gegen bie £ird)e feien, unb töfd)te er fetbft, »ie ein ßbtonift bemertt, fdfamto« unb unttug jugteid) ben testen gunfen oon 2td)tung oor feinem SbQrQfter unb feiner Sei«beit au«, ben er uotb im SJolfe befaß.

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') $5ffer, 1. c. ®. 207.

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Dr. 3JJatti)ta« Jpöblcr.

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£atte bo nid^t Onnocenj IV. baö collfte (Recht, in feine» 2lb* roet>rfcfyreiben gritbriri) btn geinb ®ottc£ unb ber üftcnfcljcn $u mn» nen, beffcir §aitb gegen 21(1 e erhoben fei unb beffen Schreiben einen (Seift ati; treten, wie oott einem ©ohne unb Vorläufer bt£ Slntidprifte?

®en , ©djlüffcl jit all beit, traurigen (5rf Meinungen , roeld)c mir int 2$orfhf)enben befprodjen, liefert inbeffen erft bie ®etrad)tung ber ©runbfäge unb flläue, bie ben ©taufen bei feiner f)errfd)ertl>ätigfeit leiteten, ©eint obcrfte (Regierungemajintc ^at er fefbft, rote wir fdjan in ber Einfettung bemerft, nach bem Urteile non 8pon in btn Sorten auSgefprotfjen : ridicaiose subjicitur legi, qui legibus orn nibus imperialiter est solutns: 1 öd) er lief) ift c8, ben al8 bem ©efege untertuorfen ju behanbeln, ber nad) Eäfaren* roeife non allen ©e fegen frei ift -3n fteter SBerfofgung bitfee ©runbfagce roar feine ganje (Regierung weiter nichts, als ein beepotifegee ©elbftljcrrftben, ba« beu faiferlichen Sillen ale btt Quelle unb bcu 2{u8fluß aClcS Diente« betrachtete , jebeß Siberftreben gegen betreiben ale eine (Rebellion gegen ©ott. felbft, jeben mtittbli.chtn Sibtrfprutft baroiber als eine „®la«pljcmie" branbmarfte, unb ein (Rcdjt, bae ohne if>n ober gar gegen tljn ju ©tanbe gefommen, gar nicht fannte. ®ie golge baoon roar, baß er mit einer Siüfür ohne gleichen alle S3erf}ä(tniffe feiner t'änber, namentlid) ©ijilitna, bureg* einanberroirbelte unb bei all’ bem ®u(tn, roeldje« ein großer Sljeil feiher ©efege nicht nur bqroedte, fonbern auch an ficb ju fdjaffen fähig war, bodj foniet Unheil anrichtete, baß bae fijilifchc (Reich julegt in eine roafjrfjaft bemitleibeneroerthe Sage gedeih- „ÜHau barf nicht über be« ftaifer« Urtfjeilefprüche, (Befdjlüffe, Einrichtungen unb $anb* lungen bieputiren," fagt Sciß bezüglich be8 grieberirianifchen ©eftg* buchte für ©ijilien, *) „ebenforoenig bariiber, ob berjenige roürbig fer, ben er in ein 2lmt eingefegt, benn bae ift einem ©acrilegium gleich4 juaegten. ®arnm bilrfen EleruS, Slbet unb ©täbte nicht mehr als fetbftänbige Körper in bie ©taategcroalt eingreifen, ben ©täbten roirb bie Saht eigner Obrigfeiten bei Sobe«ftrafe unterfagt, ber Seifer fegt ben (Beamten, ben (Bajulue, ber (Recht«* ‘■ßolijei* unb ©teuer* beamter in einer ^Jerfon ift" jc. Sill man ba« Einfchneibenbe bie* fer ©efeggebung, bie im Ontereffe ber ßentralgeroalt ffriebriche (einen ©tanb unangetaftet ließ, richtig roürbigen , fo barf matt: freilich btt heutigen ftaatlidjen 33erhältniffe nicht ale ilRaßftab einer guten 93er*

*) 1. c. S. 379.

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Raifre {Jriebridj II.

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mattung anlegett , fonbern muß unoerrüdt int Sluge bemalten , baß im '.Kittelalter eint berartige ©efeßgebung nießt nur ganj unb gar fremb, fonbern aueb in ißren testen folgen abfotut un^cilooll fein mußte. ®enn bie Kütfficßt«lofigfeit, mit melcßer ber Raifer alte« ßiftorifeße Kecßt über ben ipaufen marf, tonnte nur bie natürliche Gntmidelung bev 93erßältniffe , namentlicß bejüglidj be« fo mistigen Stabte« toefen« gemaltfam unterbreeßen unb mußte überall eine Spannung unb ©äßrung ßereorrufen, bie fieß nacßßer in ^afjrßunberte langen ©ürger* triegen unb (Gräueln oßne Gnbe Cuft machte. 3n Sizilien ging bie ©anbtung für« Grrfte noeß jtemlicß rußig ab. £)e« Saifer« eifer- ner Slrm hielt jeben offenen ©iberftanb nieber, unb fein entfeßließ brüdenbe« Steuerfßftem, oerbunben mit bem für ben faiferlicßen 0ie* cue monopoliftrten #anbet in Dielen ber mießtigften in« unb au«länbi* feßen Gulturprobucte unb ber ßeillofen ©arojenenmirtßfcßaft, maeßte ba« ßanb allmälig fo arm unb roiberftanbelo«, baß nur noeß ber "Papft al« DberleßenSßerr für bie greißeit unb bie Kecßte ber Unterbrildten ein^utreten roagte. SBJaßrßaft trfcßiittcrnbc Sorfommniffe aber lüfteten boiß juroeilen ben Scßleicr äußerer 9tuße, melcßer über bem Sanbe tag, unb jeigten, moßin bie Saften, toelcße griebrieß ißm aufgebiirbet, cs gebraeßt.

3«teßt ertannte biefer freiließ felbft, toelcße« Unßeil et mit feiner öon teueren fo feßr gepritfenen fijilianifeßen ©efeßgebung an» gerichtet unb faß fieß baßer, äßnlicß mie im oorigen 3aßrßunberte 3ofepß II., auf feinem Sterbebette genötßigt, Sille« toieber in ben frü* ßertn 3uftan^ juritdjuoerfeßen unb bamit felbft über fein Söerf ben Stab ju bretßen. ®a« (Selb aber, toelcße« er au« feinem Grbreicße erpreßte, biente ißm jurn Kampfe roiber ben ^Japft unb bie Sombarbcn, bie beiben ©egner, toelcße ber SBcrroirflitßung feine« $lane«, au« ®eutfcßlanb unb Italien ba« ßernreieß einer Sßeltmonarcßie ju matßen, unerfcßittterlicß entgegenftanben. ®ie ©irren, in toelcße ißn biefer für ißn unb fein £>au« jurn SJerberben au«fcßlagenbe $lan ftürjte, ben er mit allen SKitteln ber ©ematt unb be« Scßreden« fein ganje« Scben ßinbureß oerfolgte unb felbft im 2obe nicht aufgab, betoeifen, mie maßr 3nnoccnl ni. gefproeßen, at« er bei ber Kacßricßt, baß bie beutftßen dürften griebritß jum Könige müßten mollten, ißm offen erflärt, fromme ißm nießt, ba« Saifertßum ju erlangen. <£« maeßt einen tief fcßmerjlicßen Ginbrud, menn man iiberbenft, melcß’ unfäg» ließe« Gtenb bie ßaiferfrone, jum ©oßle unb Scßuße ber ßöcßften 3utereffen ber cßriftlicßen ©eit gefeßaffen, auf bem Raupte biefe«

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Dr. 9ftattl)io« §öfe(tr.

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$obenftaufen über bie ßbriftenheit gebracht. ©abrljaft grauenoötl fittb bie ©cbilberungen ber Sbroniften »on bem ßtenb, in metdjem namentlich ba« unglücflicbc 3totien, fonft ber ©arten Europa’«, am @nbe ber {Regierung be« ^otjenftaufen fr^mad>tcte. 9lo<b jefct leben bie ©räuel im üKunbe be« SBotfe«, mclcbe bie ©lutmenfcben Sliberid) unb Grjjetin non {Romano oerübten, »01t benen ber geltere allein an 55 000 SOienftben, barunter feine neideten ©ermanbten, um« Sehen gebraut bat- »®8 wäre nicht möglich gemefen," fagt $öfler feljr richtig bei ©efpreebung biefer entfeblicben 3uftänbe, „bag fotdje furcht* bare ©lutf eenen, roie in ©abua, ©erona jc. hätten oorfatlen fönnen, mürben bie ©ebretfenämänner jener 3e'f nic^t bureb bie ^uftimmung be« ffaifer« fid} in ihrem fdjanbbaren Jreiben geborgen gefühlt haben.“ ©a« biefer felbft aber in lefcter 8inie bamit beabfiebtigte, bag er ben Äinbenftaat unb mit ihm ben ^Japft fo t>artnäcfig in feine ®e= malt ju bringen fwbte, baö fpriebt er unoerbüüt in einem ©riefe an ©regor IX. au«, ben $öfler im Anhänge feiner oortrefflidjen ©djrift ©. 335 u. ff. publigirt hat. „Daher motten mir beibe, heiliflfter ©ater," beigt barin unter anbertn, „bie mir ein« genannt merben unb ge- nug eine unb bie nämliche ©efinnung haben, ba« $eil be« gemein* famen ©lauben« einmüthig beförbern, bie unterbräche greiljeit ber Äircbe mieber he^fteüen unb bie {Rechte ber $ir<be fomohl, al« be« Äaiferthum« mieber ^erftcüenb , bie un« annertrauten ©cbmerter gegen bie ©erberber be« ©laubeit« unb bie {Rebellen

miber ba« taiferthum ftbärfen ©teige hinauf auf ben

©erg, ber bu ©ion ba« Groangelium oerfünbigft, unb trage fein öebenlen in belne apoftolifdje {Rechte ba« öanner Unferer ©ertbeibigung ju nehmen, bem ba« ©cbmert ber erhabenen ®e; malt »om $immet burrf) bie gehorfame §anb be« ©telleertreter« ©etri übergeben morben, »on meinem (©cbmert) nicht angenommen merben barf, bag irgenbmo feine fiülfe »erfagen roerbe; ba im ©egentfjeil überall ba bereit fein mirb, mo gilt, bie ©rböbung unb ben {Ruljm be« cbriftlidjen ©tauben«, bie ©hrf ber allgemeinen $?ir<be, unb bie 3ntereffen be« fiaiferthum« ju mähren." @6 mar ber nämliche ©lan, roelcben in unferm 3ahr^unbcrte Napoleon I. »erfolgte, al« er ©iu« VII. feiner Staaten beraubte unb ihm bafür ©ari« jur {Refibenj anbot; bie uni»erfate geiftlicbe ©emalt be« ©tatthatter« ßbrifti fotlte in bie engfte 3lbbängigfeit«»erbinbung mit bem Äaiferthum gebracht merben; men ber Sfaifer mit bem ©ebroerte feiner meltticben ©emalt befriegte, ben follte gleicbjeitig auch ber ©apft

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ftaif« grifbridj II.

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mit allen ©Jitteln feiner geiftlid)cn ©Jacht bcfämpfen ; bie Äirdje füllte jur Dienerin be« geplanten Seltreicbc« ju einem ©olizei<3nftitute be« Staate« werben; bann, aber auch nur bann fotlte ihr griebe, Sdjufc ltnb ®lanj oom Äaifer werben mit einem Sorte, bie in anberer gorm wieberbolte ©erfudjung Satan«: „bie« Sille« will id) bir geben, wenn bu oor mir nieberfätlft unb mich anbeteft."

Sieberbolt nabte ber Staufe ben köpften mit foldjen Sin» erbietungen, unb fo lange er fidj in ber trügerifdjen Hoffnung wiegte, biefetben mit 8ift umftriefen ju tonnen, trieften feine ßrlaffe unb ©riefe oon ©etbeuerungen ber jdrtlit^flen ßrgebenfjeit unb Unter* tbänigfeit gegen feine ^eilige ©lütter, bie Stirne, ber er ftet« ein banf* barer Sohn fein wolle. 311« aber bie ©acbfolger ©etri biefcit Rodungen immer gewaltiger unb madpooller ibr »nou possumus« cntgcgenfe(jten unb griebricb fid) überzeugte, ba§ auf frieblidjem Scge nicht« ju erreichen fei;' ba brach fein 3°rn um fo furchtbarer lo« unb begann er einen fiampf bi«iur©ernid)tung gegen bie ©äpfte um mit ©cwalt ju unterjochen, wa« ihm gutwillig ficb nidjt beugen wollte. Daß er für biefe feine ©eftrebungen unter ben ntoberncu Anhängern ber Staatetomnipotcuj, welche ber fiirdje bie nämtidje 8?ot!e ingebaebt, Stpupatbien unb ©ertljeibiger gefunben unb immer nod) finbet, wen möcbtc ba« wuu bern? Ser aber noch Sinn unb ©efübl für bie Sfiidjc befifct, wie Sbriftu« fie gegiftet unb wie fie einzig ihre weltumfaffenbe göttlidje Slufgabe löfen fann, ber muß ben köpften jener 3eit <n tieffter Sette banfbar fein für ben £>elbenmutf), mit welchem fie ben Äampf gegen ben <5äfari«mu« aufgenommen unb zur ©ettung nidjt blo« ihrer eignen Unabbängigfeit, fonbern auch ber greibeit ber ganzen djrift* lieben Seit ftegreidj burchgclämpft haben. Diefen wcltbiftorifcbcn Kern-, punft mu§ man bei ber ©etraebtung jener ©iefenfämpfe unoerrüdt im Sluge behalten, wenn man ihre einzelnen ©fjafen richtig beur* tbeilen will.

»Zum Schluffe möge un« geftattet fein, bie Sorte zweier ©Jänner anzufübreu, welchen ©iemanb bie ©efäbigung zu einem richtigen Urtbeil abfpredjen wirb. „Selten ober nie," fdjreibt £>öf (er, befaß ein gürft fo ausgezeichnete gäbigfeiten mit einer fo gtänzenben äufjeren ©Jacht, al« griebrich II ; feiten ober nie warb ein folcfjer ©crein fo gänzlich zu fetbftfüdjtigen 3ro«frn mißbraucht, al« oon ihm. Sille @aben be« ®eifte« unb be« Kerzen«, bie einem ©Jattnc bie Webe unb ©ewunberung ber Seinigeu ocrleiben tönnen, waren über ihn au«* gegoffen. <Sr war Dichter unb fdprieb über bie ©ogeljagb; er war

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Dr. 3Rattt)iag £>öl)Ier.

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benmubert in beit ©prachen beö Oriente«, wie be« Occibente«, mußte bie gelehrtefteu SDMnner um fi<h ju jieheti, liebte unb fdjäßte fiünfte unb 2öiffenfcf)aften." „©eine fäolitit aber," fagt SiSljmer, „(unb et mar mehr '»ßolitifer al« trieger) war wie biejenige feiner Sanb«leute SßiacchiaDeüi unb IBonaparte, orientalifd) gewaltfam unb nur auf per* fönlichc 3roe(*e gerietet, Sr erftrebte SJorjug unb SBürbe nur al« SKittel für anbermeitige ißläne, erfüllte aber nidjt bie baran getnüpfte 'Pflicht. Darum mürbe jeber iöeruf, febc ©abe beö ©djidfal«, auch

bie berrlidjfte, mell in feiner felbft jüdjtigen $anb Da« mäch*

tigfte SRcidj wollte er bauen; gleichgültig gegen bie Mittel, gewährte er ba« wibrige ©djaufpiel, al« ©tarier ben Heuchler ju fpielen, mieb 'er weber Irug noch ©eroalt. Slber am Snbe war boch Sille« oer* geblich; nicht« war oon bem erreicht, wa« er erftrebte; aber wa« er

befeffen halte, war terfpielt Sr, an beffen 3ugenb bie 33ölfer

fo große Hoffnungen gelnüpft hatten, war julefct nur noch ber ©djrecftn unb bie ©eifjel berer, bie er erreichen tonnte, bec ©chwachen nämlich, über bie er nun Staub unb fflranb unb Slenb aller Slrt häufte. Sr felbft, ^irtgegeben jenem hartnädigen Sigenfinn, ber ihn einft oor gaenja unb ißarnia feftgehalten hatte, war erbitterten ©emütlje«, jerfallcn mit ben greunben unb (betreuen feiner frü* heren $ahre, oertaffen Dom ©lüde. Ob er im ©terbeit gegen fid) felbft gemüthet, wie ein ®(eich$citiger erjäljlt, mag bahingeftellt fein; an ber Seranlaffung jur Steue unb jur SBerjweiflung fehlte ihm nicht, wenn er rüdmärt« auf fein ?eben fchaute. Da« Urtheit ber Folter 3talien« fprach fich au« in ihrem 3ubel bei ber SRiidfef»r be« Zapfte«, beffen Steife oon ÜJtailanb bi« Neapel ein Üriumphjug war; beim ber Jprann, ber SlUe unglüdlich. gemacht hatte, mar nun tobt unb war wieber Hoffnung auf beffere 3eiten."

Htud »oit TOaljlau * TOa!bl4mlbt. jjrontfurt a. TO.

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freimflurmi und Büljne

ton

g}§ilit>|) JBafferburg.

£u ben rneifl beiprocßenen gragen bet neueren ,3eit gehört bie grage über ben ©influß, ben bie greimaurerei auf alle ©ebiete ber menfcf)tid)en ©efcUfißaft äußert. 2D?an fü^rt bie roießtigften ©reigniffe auf baö planmäßige SSJirfen ber greimaurerci jurücf unb bringt fie in allen gingen in ©egenfatj ju ber fatßolifcßen Jtircße.

3<ß möcßte einer berartigen allgemeinen Sluffaffung entgegen treten. ÜDJan geßt gen>iß barin ju roeit, baß man, wenn ein unb biefelbe ^Jerfon jugteieß ©egner ber Sircße unb greimaurer ift, in ber greimaurerel an fieß fofort baö ‘princip feiner ©egnerfdjaft ertennt. 3n t>er SKegel wirb oielleießt baö Umgefeßrte ber galt fein, unb in ber ßiftorifißen ©nttuicflung ber 3)inge im ©anjen ßat feßon ber 9?atur ber Satße nad» ber umgefeßrte 'projeß ftattgefunben. 3n ber ‘Prajiö fommt freilief» fo jiemlicß auf einö ßerauö, ob (Einer greimaurer roirb, roeil er ein ©egner ber Sirene ift, ober ob ©iner ein ©egner ber Rircße getoorben, weil er greimanrer ift; aber jur Beurteilung ber Sacße ift baö oon großem Belang. 2Ber bie Be- beutung einer ©efeflfeßaft ober einer ‘Partei gerecht unb roaßr be- urteilen roill, barf fie nitßt naeß jufälligen Berßältniffen unb äußeren Umftänben bemeffen, ober gar mit oorgefaßten Meinungen an fie ßeran treten. @r muß fie in ißrern innerften (ißarafter, nad) i^ren bleibenben unb toef entließen ©runbfäßen ju oerftef»en fueßen.

Stellen roir barum oor Slllem bie grage, toorin baö SBefen ber SDiaurerei befteßt, roaö fie bejrocdt, roaö fie leiftet unb bermag.

I. $aö Säcfcn ber ^Freimaurerei.

Senbe i(ß mid> jur greimaurerei unb frage itß miiß, u>aö fie benn eigentlitß will, fo fteße ieß oor einem ungelöften JRätßfel. 2Bo ift baö ‘Programm ber greimaurerei? T>aö weiß fein SJlenfcß; baö

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v .

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tßtptipP SBafferburg.

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wiffen bie Freimaurer fetbft nicht. SDiait fagt jwar, ißr Programm ift ba« ecraser l’infame; aber wo ift ber ßonftitution«paragrapb, ber ba« fagt? SDlan fagt, fie wollten bie Jerone ftürjen, man fagt, fie wollten allgemeine Dicpubtif, fie roollten ben ßommuni«mu«, für} man fagt allerlei. SBenn icf) aber nad) ben ©elegen frage, fo »erben mir allerlei 3eitung«artifel , allerlei oon Freimaurern Ijerriiljrenbf ©Triften oorgetegt, unb ba bat’« biefer ober jener ©ruber gefagt, unb nicht bie Freimaurerei.

SJian bat allerbing« auch einige bochgrabige ßibe oeröffentlidjt; aber barüber fc^ruebt ein mqfteriöfe« Dunfel. Diefe ßibe finb nirgenbrco als ju Diecfjt befte^enb anerfannt worben; fie füllen fid) jubem auf ©rabe beließen, beren ÜJiitgtieberjabl fjödjft befc^ränft ift. Sie follen ft<h außerbem nid)t einmal auf bie ganje Freimaurerei, fonbern nur auf einjelne Spfteme bejieben, unb im ©runbe weif) eigentlich fein 2J?enfd), wa« baran ift.

<$rft in neuerer 3eü finb in ©erfammlungen Don Cogenbepu* tirten officieller ffieife heftige Debatten über ©egenftänbe geführt worben, bie einen antireligiöfen ßljarafter tragen, unb gerabe bieft Debatten beweifen, baß bie Slnfidjten barüber in ben l?ogen weit au«* einanber gingen. Die SDfefjrjaljl wollte ber Freimaurerei nicht ben Stempel be« SltljeiSmu« aufbriiefen. £>öd)ft waljrfdjeintid) waren bie ßeute über bie Leugnung ©otteö einig ; aber welche perfönti^e Slnfi^t auch fie batten, fo wollten fie nicht, baß bie Freimaurerei bie ©er* fünbigerin, bie Vertreterin biefer Stnfidjt fei.

Von allen großen ©leinen, oon allen 3®«*«! ber Freimaurerei bleiben nnr jwet übrig, bie fie felber jugeftebt unb worüber alle ihre SDfitglieber einig ftnb.

Der eine biefer 3®e<fe ift ein ibealer, fie will bie ©ienfehbeit 51t einer höheren Stufe ber 35?ei«beit unb lugenb beranjieben. Fragt man aber, worin beftebt biefe ffiei«beit ber Freimaurerei, fo antwortet barauf eine wahrhaft babplonifcbe Obecnoerwirrung ; benn ba förbert jeber feine eigene S&eisbeit ju läge, ßin ©Jei«beit«bucb ber Frei* maurerei giebt’8 nicht, ^ödjften« negatio läßt fich in ben mannigfachen IReben unb Schriften ber Freimaurer etwa« ©emcinfame« conftatiren. ß« ift bie Verwerfung be« confeffioneöen Dogma« unb ber £ebr= autorität ber Sirdje. ffienn fich aber um ein pofitioe« ©efennt* niß banbeit, fo fchwanfen bie Stimmführer ber SDiaurerei jwifchen craffem 9iationali«mu« unb unbeftnirbarem SDlpftictömu« hin unb her, unb ift unmöglich auch nur einen flaren Sah feftjuftellen.

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gteimauwret un6 ©iifjnt.

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tölicft man aber auf bie £ugenben, welche bie Maurer üben wollen, fo fommen grogent^eild biefelben natürlichen Sugenben wie im C5^riften= tt)um jum SJorfdjein. Slber ba« ßhriftenthum ^at in ber £eitigfeit Oottee, in bem Sorbitbe 3«fu Gljrifti unb in ber ewigen Seftimmung be« SDienfdjen ein retigiöfe« ütfotio, welche« bem SDienfchen bie 9?otf)* wenbigfcit ber Uebung biefer Sngenben fetbft gegen feine Neigung ein» leuchtenb macht. Die Freimaurerei bagegen meiHt noch eine Stufe höher fteigen ju follen unb will bie 2Wenf<hen bie £ugenb um ber Sugenb willen üben taffen. Da« Hingt fchön. betrachten mir un« aber biefe angebliche ^ö^ere Stufe ber SDJoral näher, fo wirb fie un« al« eine eitle 3Uufion erfcheinen.

Die Jugenb ift allerbing« um ihrer fetbft willen ju üben, fie ift an fich etwa« Schöne«, ®ute«, töeget)rung«merthe«. Die menfeh* liehe Sugenb ift aber fchön unlf gut eben bc«hatb, weit fie bem Uftenfcfjen bie SJotüommenhcit giebt, bie ihm ©ott oorgefdjrieben hot, burch welche er ®ott ähnlich unb fähig wirb, an ©otte« ewiger •©tücffetigfeit £l)eit Su nehmen. SDian !ann barum bie Dugenb nicht oon ber fflejiehung ju ®ott trennen; unb wer biefe« bennod) thun will, ber oerjichtet barauf, bie Sugenb in ihrem wahren SBefen ju oerftetjen unb fie in Dollem 3)k§e ju fdjähen.

trennt man, wie bie 2Jiaurerei oerlangt, bie 3Jlorat oon ber Religion, fo belichtet man aber auch praltifch auf ba« mächtigfte unb allein wirffame SDfotio jur Uebung ber 5£ugenb. 9?ur wer bie

Uebung ber Jugenb al« eine bon ©ott fategorifch gegebene Pflicht unb al« abfolute öebingung ber ewigen ©lücffeligfeit erfennt, wirb fie unter alten Umftänben pflegen unb allen Ceibenfehaften gegenüber ihr treu bleiben.

ift bafjer nur eine blanfe ißljrafe, wenn bie üDiaurer ihre ÜJioral al« eine höhere unb reinere ber chriftlichen unb auf Religion geftüfcten HZorat gegenüberftetlen.

Da« ibeate ®eftreben ber ÜKaurerei, bie SDlitgtieber ju einer angeblich ^öljeren ©ei«heit unb Jugenb ju führen, mürbe aber wenig ©rfolg h°6en/ ®enn nicht mit einem anbern, fetjr realen oer* bunben wäre.

Die Freimaurerei oerfolgt nämlich jmeiten« ben ^rneef, ihre 2Jiit* glieber, welche fie unter gebeimnißoollen Formen ber ®efellfchaft ein* oerleibt, ju gegenfeitiger Unterftüfcung im Öeben ju oerbinben. ©egen* feitige Unterftüfcung ift gewiß eine loben«werthe «Sache unb fann baljer gewiß nicht al« etwa« Slntichriftliche« bezeichnet werben. 2cwa« ganj

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fb't'PP SaffJtbntg.

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anbere« aber ift c«, wenn biefe Unterftityung ficb in ba« ©eheimniß einer ejclufiüen ©efetlfe^aft hüllt. Da« gibt ifjr einen bebenf(id)en CS^araftcr. 3a mir ftefjen nicht an ju behaupten, ba§ bie ganje unb $war ungeheure ©efaljr ber Freimaurerei in bem $injutreten ber Form $u bem an fief) loben«mertljen 3mt(*e liegt.

Der ©runbjug biefer Form ift ba« ©efjeimniß. Der eigentliche 3nl)alt be« ©efjeimniffe« ift ben Freimaurern gerabe fo oerborgen wie ben profanen, hinter bem ©eheimniß fteeft immer »ieber ein neue« ©eheimniß, unb fo öiele Soleier auch bem Eingeweihten ge« hoben »erben, nie fommt ba« Söilb oon @ai'« jum SBorfdjein, fonbern immer »ieber ein neuer Schleier. Schon ba« SRituale ift Doll oon folgen ©eheimniffen. So hot j. ©. ber Slufjuneljmenbe jeben Schritt fo tlfun miiffen, baß bie Füße in Form eine« rechten ©infei« ftanben. {Rachbem er einen feierlichen Gib gefeiftet, bei ®ott, bem Saumeifter ber ©eiten, alle ©eljeimniffe treu ju bewahren, »irb ihm ba« ®e* heimniß biefer Fußftellung offenbart, unb »a« Furchtbare« glaubt roohl ber geneigte Cefer, bag bahinter fteefe? Daß alle Schritte ber neu Slufjunehmenben orbentlich unb gerecht fein müßten.

Diefer geheimnißoolle SrimSfram« geht burch Sille« burd}.- Ent» »eher finbet er eine folche höchl’t banale Söfung, ober bie Söfung ift ein neue« ©eheimniß, welche« eine fpettere tföfung in äueficht ftellt.

{Run hat aber ber ÜRenfd) einen 3“8 äum ©efjeimnißoollen, einen tiefen 3U8 ium @»igen, ba« ihm, fo lange er auf Erben weilt, ju fdjauen oerfagt ift, unb biefe« 3U8E® fonn fich fein ÜRenfd} er« wehren. Die Folge baoon ift, baß bie Freimaurerei, inbem fie biefem 3ug mit einem {Raffinement fonber gleichen in ihren Einrichtungen {Rechnung trug, bie üRitglieber mit faft unzerreißbaren Setten an bie Onftitution unb bamit unter fich »erbanb.

SDiit biefem feften, burch ben {Reiz eine« beftänbigen ©eheimniffe« ftet« unterhaltenen öanbe löfte fie aber ihre ÜRitglieber gleichzeitig oon ber übrigen ®efetlf<haft lo« unb fchuf jwei fcharf gefchiebene 2htile ber ÜRenfcfjheit : Eingeweihte unb profane, unb unter biefem l'id}te gewinnt bie gegenfeitige Unterftiifcung auf einmal ein ganz anbere« Sttnfehen. Die Eingeweihten finb eine Safte, ber ba« profane 9?olf wie eine au«jubeutenbe Jpeerbe gegenü6erfteht. ©ir hoben einen feft gefchloffenen öunb oon Leuten, bie {Riemanb fennt unb bie fich gegenfeitig in bie |>öhe treiben. honbelt fich ba nicht mehr um Untcrftühungen im Foü ber {Roth, fonbern um Unterftüfcungen jur Erreidjuny fine* ®er Kaufmann finbet Erebit, {Referenzen,

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grtimauwct un6 ©üljne.

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Au«fünfte, flunbfSaft, bcr ©cantle gortfommen, bet ©elehrte Unter* ftüfcung in feinen ©tubien, Anpreifung feiner SDBerfe ; man geroinnt fieute non fDlaSt, um ben einmastigen 232ad)t ju gewähren, man fSiebt bie (Eingeweihten in öffentliSe ©teilen, in ©ertrauen«poften. $)iefe ungeheuren ©ortheile, biefe giiüe t>on ÜJtaSt unb Anfehen fommt wieberum bem (Eifer ju gut, womit bie SJiitglieber bcr ge* ieimen ©efellfSaft bienen.

Oafj nun eine folSe ©efellfSaft, mit einer folSen ÜWad)t be* tleibet, eine ©efahr werben fann, ba§ fie, burS bie ©anbe eine« unbebingten ©ehorfam« oerbunben, je naS ben perföntiSen (Eigen* fSaften ihrer unbefannten Leiter ©roße« fowoht im ©uten wie im ©Summen leiften fann, ift einleuStenb.

$)ie tatholifSe ÄirSe ift fotSern geheimen Ireiben uon jeher geinb gewefen. ®a« ©ute brauSt niSt ba« 8iSt be« Jage« ju fSeuen, unb wenn anS gewiß eine fehr fSönc ©aSe ift, im ©cheimen ©ute« ju thun, fo ift bas aber boS etwa« ganj anbere«, al« wenn fiS eine geheime ©efellfSaft ju angebliS guten 3n)e(*tn jufammenthut. Oie ÄirSe ^at be«halb bie ST^eilna^me an folgen geheimen ©efellfSaftcn, ganj abgefetjen oon beren Jenbenj, Derboten. Oie Folge biefe« ©erböte« war, ba§ bie treuen Äatljolifen au«traten, unb nun war allen firSenfeittbliSen dementen in biefer geheimnißoollen mäStigen Organifation ein Süfittelpunft gegeben, in rnelSem fie ihrt ©läne ungeftört burS profane ©liefe reifen taffen tonnten, ©o ift bie Freimaurerei ju einer ©egnerin ber fatholifSen SirSe heran* gewaSfen.

Oie Freimaurer felbft beftreiten ba«, unb namenttiS bie URaffe bcr Freimaurer jweifelt niSt, baß ber ©unb in biefem ©eftreiten IReSt habe. 9Han fagt ja niSt, rnetSe ©läne oorliegen, man leugnet fogar bie ßpiftenj fotSer, unb giebt eine ©ienge Freimaurer, bie ganj gute Satholifen ju fein behaupten. Oie guten Ccute bewerten in ihrem eingclultten 3u!tanbe niSt einmal, bafj ber blojje ©eitritt ju biefem Orben bereit« eine Auflehnung gegen eine flare firSliSe Anorbnung ift, unb baß man boS niSt gleiSjeitig ein treuer ©ohn ber SirSe fein unb ihre Anorfcnungen mit F^tien treten fann.

©ooiel über bie Freimaurerei an fiS- Oie ©efahr berfelben liegt unmittelbar, wie wir erfehen, feine«weg« in ben ©rincipien be« ©unbe«, fonberti oielmehr eine«thei(8 in ber ©crfönliSfeit ber SDiit* glieber, welSe biefen ©unb an oberfter ©teile bitben, unb anbererfeit« in ber Organifation biefe« ©unbe«, welSer biefen SDtitgtiebern eine

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23a|ftr6uvg.

&

gan$ unberehenbare ©emalt in bie $anb giebt , um iljre rabical firdjenfcinblidien Slnficfjten auf allen ©ebieten bc« öffentlichen f'eben« $ur (Weitung $u bringen.

©reifen mir au« biefen ©ebieten be« öffentlichen 2tben« bie ©üfjtie ljerau«.

II. 25ie SNaifjt ber ©üljne.

3h erachte al« eine ber be!lagen«roertljeften Ifjatfadjen int Sulturlampfe, b. t). nicht in bem preufifdjen ßulturfampfe, fonbern in jenem ntirflichcn Kampfe, weihen bie cuttioirenbcn unb ciüilifirenben SDIädjte gegen ba« rofje ober raffinirte ©arbareutljum führen, ba§ bie fiattjolifcn im allgemeinen ber Süljne gegenüber in gteidjgiltiger Jpaltung oer^arren unb fo biefen mähtigen gactor im Kulturleben bc« ©olle« bem ©egner preiegeben. SDiciner Sfafidjt nah ift Pflicht ber Äatt)olilen, nirgenbwo ju fehlen, wo ein feinblidjer Sinflujj fich geltenb mähen fann unb will, unb überall ba« ©egengeroiht ber fatholifchen Slnfhauungen in bie SBagfhale ju werfen. (5« ift ja möglich, bafj mir trofc aller ©egenmefjr auf einem ober bem anbem ©ebicte gefhlageit werben; oernichtet werben mir nie, unb unfere Sin* mefenheit, unfere nie rufyenbe Äritit Werben immer bem ©egner gemiffe ©hranten auf legen.

®ajj bie ©iiljne tfjatfählih ein mächtiger gactor in unferm Kulturleben ift, wirb mofjl faum eine« ©emeife« bebürfen. ffiir brauchen nur auf bie Kntfteljung ber ©ütjne fjinjuroeifen, fo feljen wir in ©riedjeulanb, bafj fie fich Qu8 retigiöfen Slnfängen entwicfelte. Cefen mir bie griehifhen Iragifcr, fo burdjmeljt jebe« ©tüd ein gemiffer religiöfer Schauer. Unb ber Sinflujj ber griehifhen ©üljne war jugeftanbener Sftafjen ein eminenter.

©ei ben Siömern artete ba« in ©haugepränge au«, unb an ba« I^eater fhlofj fi«h fo eng ber Kirfu«, bafj faft ba« Sine in ba« Slnbere überging, gragen mir aber nah ben §auptfactoren, weihe ba« gan$e fpätere römifhc ©olfeleben motioirten, fo tönen un« bie beiben SBorte entgegen: ©rob unb Kirluöfpiel, unb unter biefen Kirfu«fpielen nahmen mit pompöfem ©hwulfte au«geftattete Idealer* auffüfjrungcn eine feincSmeg« geringe ©teile ein.

3m SWittelalter war gerabe bie Sirdje, weihe bie ©üljne au« bem ©hutte ber ©ölfermanberung mieber au«gegraben. ®ie fyofjen gefte oornel)mIih würben burcf) Sluffüljrung geiftliher ©haufpiele

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Srtimautttfi unb ®übnc.

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Dcrt)crrtid)t, bie fpäter fogar theilroeife in ber $ird)e ftattfanben. ü? e ( d) e Richtung aurfj bie ©üf)ne einfdjlagcn mochte, ba« fjat ißr nod) Riemanb bcftritten, ba§ fte junädjft bas ©robuct ber fjtrrfchcnbcn 3lnfchauungen be« 93otfe«5 ift unb fobann umgefehrt in »eite Sreife hinaus für ben fie be^errfdjenben ©eift eine mächtige ©ropaganöa macht.

SCBir beftagen bcö^atb, baß bie ßatholifen, als biefer (Seift fdjtirmn }u merben anfing, feinen ober wenigften« feinen energifdjen ©erfuch machten, ihm bie ©üßne ju entreißen. ©Jir begrüßen, baß in neuerer 3«* borin eine Keine ©Jenbung cingetreten ift, unb baß bie Satljolifen, wie überhaupt, fo auch hicr- etwa« unummunbener aufgetreten finb; eine Sefferung läßt fich ba nicht oerfennen, unb gemiffe Repcrtoirejugftücfe, bie gerabeju auf bie ©erungtimpfung ber fatholifchen Kirche angelegt waren, merben nicht nur feltener gegeben, fie merben auch fiihler aufgenommen, ©}ir benfen hi« j. ©. an „Oute Rad)t, HänSchen", an ben „©farrer oon Äirchfelb". Slnbere, bei benen früher bie Üenbenj bie ^auptfadje abgab, merben jefct mehr nach ihrem angeblich fünftlerifchen ©Jertlje beurteilt, j. ©. „Rathan ber ©Seife", ober auf bem ©ebiete ber Dper bie „Hugenotten“, bie „3übin" unb anbere. Da» ift ein gortfehritt, freilich nur ein gan$ Keiner, unb beherrfcht mirb ba« Repertoire immer noch oon ©tücfen, bie um beSmillen gefährlicher al« alle bie angeführten finb, meil beren lenbenj nicht fo flat ju Jage tritt. Dahin gehört faft bie 'gan?e beutfehe ßlafficität.

Der (Einfluß ber ©üfpte fennjeichnet fich inbeß nicht allein burch ihre Oefchichte, fonbern Diel mehr noch burch *hre (Erfolge; man braucht in ben Crten, in welchen Djeiter fich befinben, nur in irgenb welche ©efellfchaft fog. gebilbeter Greife ju gehen, um fofort bie gBahruefjntung ju machen, baß ba« Sweater einen ber ootjügltchften Oegenftänbe aller Unterhaltungen bilbet, unb jmar befpricht man nicht blo« bie fünftlerifchen Seiftungen, fonbern überhaupt alle«, roa« brum unb bran hängt. ÜJiati unterhält fich mit ©orliebe mit fjunbert pifanten Slnefboten, an welchen ba« ©ühnenleben fo reich ift. SDfan mirb feiten fehl greifen, wenn man ben fittlichen ©tanb biefe« ©ublifum« nach bem Repertoire be« Iheotera bemißt. <£« ift ein 3rrthum, anjHneljmen, baß ba« Jhrotcr in erfter Sinie an ber ©ittenoerberbniß ©chulb trage; conftatirt biefelbe, inbem bem ©efehmaefe be« ©ublifum« entgegenfommt, unb bann in jmeiter Sinie allerbing« wirft wie ber Dünger auf bie ©flanje; er erzeugt biefelbe nicht, wenn er fie aber oorfinbet, entmicfelt er fie.

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210

$f)Uipp SBaf jerbutg.

8

ß« ift "auch nic^t anber« benfbar. Jöie (einem anbern Sünftler, fo ftefjt bem Jh£“terbid)ter ba« ^ubtifum willenlos jur SBerfügung. ßr (onn für feine Slnfdjauungen ^Jropaganba matten, inbem er ba« dublifum ju lebenbigen geugen 00n 2^atfad^en unb ßontrooerfen macht, bie er erfinbet, um feine änfehauungen ju belegen, ohne bafj bem ^ßublifum 3eit bleibt, bie fRid)tigteit unb Äraft ber Dorgefüfyrten Selege ju erwägen. Sffienn ich ein gebruefte« SBerl oor mir habe, (ann ich bei jebem ©afce, ber mir gewagt fd|eint, $alt mailen unb meinen ©eift (14 in ©peculationen nach allen Dichtungen hin Der* tiefen taffen. Sei ber Sfieateroorftellung hat auch ber geiftig de» gabtefte (eine $eit jur Ueberlegung. ßr wirb in bem ©ebanfengange be« Dichter« mitgefdjleppt wie in einem ßifenbaljnjuge. Sei ber dorftellung be« „Dathan" erfdfeint bie berüchtigte gäbet oon ben brei Gingen al« ein fefte« logift^cö ©efüge, gegen welche« fich gar nicht« einwenben lägt, ©ie captioirt ben 3u^örer» wäljrenb, wenn man fte nüchtern unb (alt in ihre 2^eitc jerlegt unb ihren ,3ufammen* hang prüft, fie at« ein wahrer Dattenlönig oon hinfenben dergleichen ©ott dater wirb at« ein fchmadjer ©impel bargeftetlt Drug* fchlüffen unb gefliffentlichen $eroorf)cbungen oon ßinwänben, auf bie gar nicht antommt, fich barftellt. Daju (ommt, ba§ ber Dichter feine Gharaftere jeidjnen (ann unb feine Slnfchauungen ben oorjüg* liehen Gfjarafteren in ben SDlunb legt, unb ba§ biefe Gharaftere nicht in tobten duchftaben oor unferm ©eifte, fonbent finntich wahr* nehmbar unter paffenber SDlaSfe, unter ben ergreifenbften Umftänben, gehoben bur<h plaftifcfje 2Jiimit unb fchwungootle Dectamatiou oor unfern Slugen erfcheinen. SSelchen ßrfolg mu§ ba« auf bie Denf* weife ^aben, wenn 3>emanb brei ©tunben hinbunh feine ©ebanfen in fo braftifcher SBeife, ohne SBibertegung ju fürchten, oor einem jahlreichen, au« allen ©tänben gemifchten dnbtitom oortragen (ann? Unb wenn bie« dublitum, nicht jufrieben mit biefen brei ©tunben, feinen willenlos aufgenommenen ©efammteinbruef in weitere greife trögt, unb bie« nicht etwa einen Jag, fonbern 3af)r au«, 3ahr ein?

Daju (ommt enblich noch, bag an ber ßjiftenj be« ^fjeater« eine SDicnge anberer ßyiftenjen hängen, welche alle fammt ihren gamilien oon bem am Ih£ot£r höngenben ©eifte imprägnirt werben. SDian (ann, ohne ber Uebertreibung bcfchulbigt ju werben, oon einem Ih'Oter mittleren Dange« behaupten, ba§ jweihunbert Familien in ben Ärei« feiner Shätigfeit jieht, abgefehen oon bem oiet größeren Greife feiner ^uhörer.

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9

greimaurerei nnb Sühne.

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2)aß bie« nun natürlich ein gactor im 33olf«leben ift, brauet * banad) nicht weiter auSeinanbergefegt ju werben.

Seifen mir nun, wie bie greimaurerei fid) biefe« gactor« bebient, um benfelben ben antireligiöfen 3been ihrer SRitglieber bienftbor ju machen.

111. Sie ©iiljnc im Sienfte ber Freimaurerei.

Sein SSerniinftiger fann beftreiten, baß bem 2Jlenfd)en bie ®otte«* tbee innemohnt. (Sie ift ißm angeboren, unb er tann fid) betfelben nid)t enttebigen. Der ganje SltheiSmu« ift Diel meßr fßraf)lerei al« hinter ißm fteeft; man fann bie ©ottcSibee nur Derbunfein, in unbeftimmbare gormen oerhüllen, aber man fann fie nicht an« bem SBlenfchen hinaußbringen. Sluf bie grage nach bem legten SSJarum fagt ber ätfjeift, ba« wiffe er nicht; aber er weiß recht gut, baß ein legte« SBarum ba ift; nur wa« ift, ba« will er nicht wiffen. Sluch bie greimaurerei fprießt Dom Sßkltcnbaumeifter unb überläßt eS 3ebem, fid) barunter Dorjuftellen, maß er will.

So ift auch ba« SEljeater nie atheiftifd) gemefen, weber in feinem Repertoire, noch in feinen Darftellern, noch in feinen Zuhörern. SBirb auch wohl bann unb wann ein Sltfjeijl gefefjilbert, fo repräfentirt er hoch gewiß nicht biejenigen 2lnfd)auungen, bie ber Dichter bem ‘ißublifum oortragen will. 3a, man macht oft fonberbare Sprünge, um ba« bem ^ubtitum ftar ju (egen. Reßmcn mir einen ber befannteften Sltßciften, Schiller’« Stalbot in ber 3un9N« üon Orlean«. Derfelbe ftirbt mit folgenbem philofopßifchen Gf cur« :

„83alb ifi'e »orüber, unb ber (Erbe geh’ ich,

2>er eto’ge» Sonne bie Sttome tuieber,

Die fich ju Schmerj unb ?uft in mir gefügt

Unb »on bem mäd)t’gen Sialbot, ber bie SBett SRit feinem Srieg*ruhm füllte, bleibt nicht* übrig,

211« eine §atib »oll leichten Staub*. So geht 'Der ÜJtenfcb ju (Snbe unb bie einjige 2lu*beute, bie mir an« bem ßampf be* Sehen*

SBegtragen, ift bie ©nficht in ba* Sticht*,

Unb hcrjlicfte Verachtung alle« beffen,

SBa* un« erhaben fchien unb münfehenäroerth-

Da« ift boch ber nadte 8lthei«mu«, unb jmel Auftritte fpäter geht berfelbe Italbot al« ©efpenft über bie ®ül)ne unb entwicfelt

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Philipp SBajjerburg.

3beett, roeldje bit 6jiftetij ©otte« als unbebingte SJorauSfefcung Ijaben. @o fagt tr:

StKir

3(1 nicht beflimmt, oon fcfintr $anb jh fatten.

6r glaubt alfo an eine IBcftimmung, bie otjne ©otteSibce ein abfoluter Unfinn wärt. Unb am ©djluffe feines ©cfpenfterroaUcnS fagt er:

,$öbte, roa« ficrbUch iß.*

ßljtie ben ©ebanfen ber Unftcrbüdjfcit, ben ftfjott fein eigenes Eafein als ©efptnft iüuftrirt, roäre baS ein Unfinn.

3n äljnltdier fficife ließe ftdj nod) ÜWattdjcS attfüljreti. Eagcgett finbet fid) in Slllem, roa« mit bem Ulster jufammen^ängt, bie ©otteSibee in jenen unbeftimmten Umriffen, bie wir auef) an bem Sffieltenbaumeifter geroafjren, jener Unbcftimmtfjeit, bie in ben fallen ber greimaurerei gepflegt unb genährt toirb, unb rotltfje in politifdjer $cjtef)ung ifjre 'ßerfonification im mobernen Liberalismus l;at. Der Liberalismus ift bie politifdje SDJanifcftation ber greimaurerei. EaS moberne Sinter mödjtctt roir bie fociale üJlanifeftation bcrfelben nennen. ‘)

Ea§ ber Sinfiug ber Loge auf bie ffliiljne tiidjt ba« $irngefpinft eines ättgftlidjcn IräumerS, fonbern eine fefjr reale Jljatfadje fei, läßt fidj bereits au« ber oon unS entroicfelten Stellung ber ffliifjne im focialen Leben roenigftenS ocrmutfjett. 68 roäre gcrabejtt un- begreiflich, roenn bie Loge, bie überall gu§ ju faffen fudjt, bieS roirffame unb bequeme lerrain iljiem 6influffe ju unterroerfen nicht beftrebt gemefen. 2lbcr mit einer folgen $$crmutljung roäre nit^t«

') loir hier unb in bem gotgenben un* ber fliirje mitten be8 2tu«>

bruef* greimaurerei btbienrn, fo meinen wir bamit nidjt bie Srineipien bet Frei- maurerei ; roir f)abrn barüber bereit* oben untere ©ebanfen niebergetegt. Unferer itnfidtt nach bat bie greimaurerei überhaupt feine t<rincipien, (onbern, abgefebtn oon ihrem b8<hß pretären Unterftflfcung«jwecfe, nur eine Organifntioit. Sie ifi ein ©efäß ohne 3nhalt. ©itfen 3nhatt geben Bittmehr bie gtiftigen Seitcr ab. welche mittet* biefer Organifation ihre eigenen 3betn, nicht bie 3been ber Frei- maurerei, jur ©ettung bringen, ffi« wäre ja fouft unerffärtich, wie bie Per* fchiebenen Sogen oer(chiebene Stellungen tinnebmen. 3n bem großen Streite jwifchen ber franjäßfchen SRepubtif unb ber Commune flanben hüben unb brühen Stüber. ®en beutfehen Sogen wirb man faum antibtjnaßilche Seftrebungen Borwerfen lönntn, unb noch biet weniger ben englifdjcn ; in Setgien ifi ein Xf)tif rabicat. ®a* wäre unmöglich, wenn e* ein gtmeinjame* maureri(chce (ßrincip gäbe. 92ur gegen bie tatholijehe Äirche ftnb ftt einig.

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0Trimaurtrci unb Sttbiu.

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gefügt; mit muffen anbetc ©rünbe haben, als bie Unbegreiflichfeiten bet Soge, beoör mit bcrartige Behauptungen aufftellcn.

Unb biefe anberen ©rünbe haben n>ir auch. Betrachten mit uns nor Slllem bie Seiter bet Bühne, fo gehören biefelben größten* teils bcr Soge an. Bielfach, meun auch nicht fo allgemein, ift btc« auch hfroorragenben barftellenben Zünftlern bet gaö.

Sichtiger noch ift es, roenn mir bie Bühnenliterotur in Betracht jiehen. Selche Dinge roerben bem Buö(i(um geboten? Da« ift bie grage, auf roelchc es bei Beurteilung ber Sirffamfeit ber Bühne anfommt, unb menn mir uns f)i« fa8cn oiüffen, baß mir ganj bie 3been, roelche oon ber Soge oertreten merben, mieberfinben, bannjtnb mir mohl berechtigt, anjunehmen, ba§ hi« eine Sechfelmirtung ftattfinbet.

ßs mürbe ein Buch erforbern, um auch nur bie $aupt» erfcheinungen ju befprechen, mir fönnen hi« nur allgemeine Slnfichten auSfprechcn unb biefe burch Beifpiele belegen.

ßs ift ein fehr roahrcS Sort, baff im tiefften ©runbe aller großen gragen eine religiöfe grage liegt; benn am ßnbe mirb boch bas gauje Denfen, güljlen unb $anbeln eines Btenfchen oon ben Slnfchauungen beftimmt, melche er fi<h über ©ott unb fein Ber= hattniß jur ©ottheit gebilbct hat. Die Seibenftoft mag auf Slugen» blicfe ben ÜRenfchen fomeit oerblenben, baß er alle biefe 9tnfchauungen oergißt; ftetS aber fommt er roieber auf biefelbcn jurücf, unb oor TOern bilben biefe Slnfcfjauungen ben ÜRaßftab, roonach er felbft feine eigenen $anb(ungen beurteilt. Sir hoben alfo, um ben ßinftujj bcr Soge ju conftatiren, ju fehcn, mie fich bas ^Repertoire ju ben religiöfen änfdjauungen ocrhätt.

Unb ba fehen mir, baff allenthalben biefetben oerfchmommencn SCnfnhten ju Jage treten, mie in ber Soge. Sir mögen hinbticfen, mohin mir roollen, fo tritt uns auf ber Bühne baS religiöfe ßlement fehr höufig entgegen, aber überall ift es bie fogenannte ^Religion bcS braoen ÜRanneS, melche 3eben glauben läßt, maS er mill, unb nur forbert, baß er feinem SRebenmenfchen gegenüber gut hanble. ßs mirb in ber oerführerifchften Seife bargeftellt, ba§ baS roirflich möglich fei, unb alle gelben, bie mir auftreten fehen, finb aufgeflarte Seute, ehren» roerthe ÜRänner im meiteften Sinne beS SorteS, bie aber um ©otteS* »Dillen feinen pofitioen ©tauben, fonbern, menn fic fich überhaupt über göttliche Dinge äußern, öerfcfjroommene 3been ju Jage förbern.

Sir ht&nt hi« nur baS HJiufterbilb biefer ärt religiöfen Dramas h«nor, „91athan ber Seife", melcher in ber gäbet ber brei

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^fjitipp Safferbutj).

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SRinge biefe SUlermeltSreligion clafftfc^ oerherrlidjt ^at ; ober er ift burdjauS nicht ber ßinjige. ®a ift aud) ©uhlom’S „Urict Slcofta-, unb baljin gehören mehr ober weniger faft alle Benebif’fdjen Cuft* fpiele wenn wir nidjt irren, war SRobericf) Benebi? ebenfalls grcimaurer. Benebtp fc^ilbert bie moberne ©efellfdjaft, unb wo ba Gelegenheit ift, in religiöfen ©efüljlen ju „fdjwärmen," ba t^ut er eS redjt gern; baf? er aber je einem gelben ein pofitioeS SReligionSbefenntnifj als (Sljaralteriftif gegeben, ift uns nidjt befannt.

3nbe§ tritt biefe ätlermeltSretigion in pofitioer SSJeife nur feljr wenig heroor. ffis ift baS natürlich, man überfielt biefe Stellen, weil fie inoffenfit) finb, allgemeine pijrafen, bie gerabe *n ihrer Äll* gemeinbeit baS retigiöfe @emlith nicht oertefcen.

SlnberS oerljält es ficb mit ber negatioen ©eite, bas Reifet mit ber Beantwortung ber grage, was wollen wir an ber Religion nicht? Unb biefeS 9?egatioe ftellt erft baS Pofitioe, baS bC£§t Beantwortung ber grage, wie sollen wir bie Religion haben? in bie richtige Beleuchtung. Ss ift eine wahrhaft infernale SSJutb, womit bie bramatifdje Literatur gegen bie Gonfeffionalität ju gelbe äiefjt. Sowie bie Religion in bie SBelt ber ßrfdjeinung tritt, wirb fte ßonfeffion, unb bie ßonfeffion befämpfen wollen, hei&t nichts anbereS, als bie SReligion aus ber Seit ber ßrfdjeinung oerbannen wollen. SSenn bas gelungen, bann haben wir allerbings noch einen 9?eligionSbegriff, aber leine Religion mehr. 3n biefer oerftecften BJeife führt bie Bühne ben ßampf gegen bie ^Religion, unb ba fie babei ganj bie $been entwicfelt, welche wir im potitifdjen geben ben giberaliSmuS oertreten feiert, unb welchen wir auf jeber Seite in bett Sßerfen maurertfdjcr Sehriftftctfer begegnen, fo biirfen mir hoch wohl biefe auffutlenbe, allenthalben ju läge tretenbe Uebereinftimmung nicht einem blofen 3ufalle jujufdjreiben haben, müffen oielmehr biefetbe auf ben gleichen Urfprung jurüdfüljrcn.

SBSir wollen jur Unterftüfcung nur einige Belege anführen. $n oorberfter SReifje lönntcn mir auf ben Gfjarafter beS Patriarchen in ßeffing’S „Nathan" h*ntocifen ; aber wir brauchen babei burcfiauS nidjt ftehen ju bleiben. Nehmen wir Schiller, mir fönnen hier faft fagen, eon Anfang bis ju <5nbe. äBeldj erbärmliche SRotle fpielt ber Pater in ben „DJäubern,“ in „ftabate unb Siebe" muß baS aller« heitigfte Sacrament beS ältarS fid) jur Berheimlichung eines Buben« ftüdeS hergeben ; bie Äapujinerprebigt in „BMenftein’S Säger" wirb burch bie beliebte Darftellung jur grafce, unb bie fdjtedjteften Subjecte

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grtimanttrti unb Süijnr.

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im §cer werfen fiep jur Sßertpeibigung be« auf. Sogar im

„©ilpelm Jell," ber fiep oon SRcltgion ganj abfeit« pälf, fpielt botp IRöfelmann, ber Pfarrer auf bem fRütli, unftreitig bie fipledjtefte D?oIIe, unb Stauffacper beruft fid) in feiner begeifterten Slnfpracpc auf einen Sd)enfung«brief, ben ba« ßlofter ßinfiebeln erfc^tidjen pabeti foD. 3n „ÜRaria Stuart* werben bem ÜRortimer, einer ©lanj* Partie, bie fdjeußliepften Dinge über fatfjotifc^e Sinricptungen in ben SOfunb gelegt. Sticht nur erjäplt er, ba§ ipm Slblafj für alle Sünben, bie er begehen mürbe, um SWaria }u befreien, erteilt morben fei; er oerfidjert auch, ba§ er biefe 3nbulgenj bapin au«nüpen mürbe, baß er feinen O^erm, ber ifjn an ßinbeSftatt angenommen, erbolcpen unb nötpigenfall« auch bie Königin burepbopren mürbe: benn ba« Sille« habe er auf bie $oftie gefeprooren. Dabei ift biefer glüpenbe ßatpolit oon einer lüfternen Säegier nad) ÜRaria ergriffen, unb naipbem er fcpließticp felbftmörberifd)e §anb an fid) gelegt, ftirbt er mit ben ©orten : „^eilige ÜRaria! nimm mid) auf in bein emig 2eben.* ÜRaria Stuart felbft, bie at« fromm ergebene ßatpolifin gefd)ilbert wirb, enthüllt in ber ©eiepte oor iprem Job ein roaprpaft ruepfofe« Vorleben. 2lm roeiteften läßt ftc^ Stiller in feinem „Don Cinrlo«" gefjen. ^Jofa erfepeint pier als ber SRepräfentant einer confeffion«» lofen ^Religion, mäprenb fiönig Spilipp ben ftarren GonfeffionaliSmu« oertritt, unb bem ®roßinquifttor in ber großen Siplußfcene än> fepauungen einer angeblicp fatpoüftpcn ‘ßolitif in ben ÜRunb gelegt werben, bie Sille« an Sdjeußlidjfeit übertreffen : „ÜRenftpen finb für Sie nur Nullen;" „Den blutigen SopneSmorb will id) oertpeibigen, foroeitman ba« Äreuj oereprt;" „Seffer ber Serroefung gcfammelt, al« ber greipeit!" Da« mären Sape eine« fatpoliftpen Äirepenfürfteu !

S3on ®oetpe füpren mit gauft an mit feiner ÜRaffe oon Sla«» ppemien, ®öp oon Serliipingen, ber bem fiatpoliri«mu« gegenüber al« 33ertpeibiger einer pöperen reineren ^Religion auftritt. ©ie er« ftpeinen im <5gmont bie latpolifepen Spanier gegenüber ben proteftan» tifepen IpoHänbern ! unb fo ließe fiep biefe fReipe auep pier no<p oer» oollftänbigen.

Jtommen mir ju bem Sdjaufpiele unb bem Suftfpiele, fo finben mir pier allerbing« wenig ^ofitioe« gegen bie fatpolifepe Äirdje; aber auip pier finb bie Slngriffc gar niept fo feiten, namentliep in ben ©irtp=Sßfciffer’fcpcn SRüprftücfen. Da erfepeint fepon ©uttenberg al« oon ben Pfaffen oerfolgt, unb ba« feplängett fiep burtp bi« jur ©rille, in mclcpcr bie fanatifipen Säuern bie alte gäbet für eine £>cfc palten.

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216 ©fjilipp ©afferburg. 14

31m ärgften unb unoerbolenften tritt biefc '.Richtung in bcn fo* genannten Sotlbftüden 3U 2age, in SDi ofent^al’ö „©eborab", in „®ute 91ad)t, Häubchen" oon Arthur SRüller, im „Pfarrer non ffircbfelb* uott Slnjengruber, roelcbe beibe lederen überhaupt alb confeffionötofe Gberubim mit geuer unb Schwert auf bie tatbolifcbe Jtirche ljauen unb einer reineren ^Religion bab ©ort reben.

kommen mir jur Dper, fo finbcn mir bort bie Hugenotten, Eempter unb 3übin, SRienji, Jannßäufer, 3ü&in, unb anbere.

SDlan tann nun freilich fagen, baß bie bicbterifche grei^eit ge« ftattet, bie <ßerfonen mit beliebigen djarattcriftifäen Siennjeicben aub* jurüften, unb baß auch ba, roo bie ©efcbidjte bie ftabel beb poetiftfjen ©erleb liefert, ber Siebter fid) nicht an biefelbe ju galten braucht. 91id)tb lann richtiger fein, ©enn aber ber ^Dichter mit einer geroiffen Slubftaffirung unb Stenberung nur feine Ißerfonen charafteriflren unb fein Shema entroicfeln mi(l, aber burchaub leine ffiühterei gegen bab Sircbentbum bejroecfte, fo ift boeb erfiebttieb, baß biefe Sücnberungen ebenfo gut mie nach ber einen, fo nach ber anbern SRicbtung gefdjeben müßten.- Gb müßte bann auch ein ^iftorifcß fcblecbter Gbarafter, bet Satbotil mar, juroeilen in einen oorjügtidjen ÜRenfcben umgeroanbelt roerben ; eb müßten boeb auch latbolifebe ffirebenfürften auftreten, rcelcbe BRufter aller lugenben mären, bab ftnbet man aber nirgenbb. So« balb nur bab geiftticbe ©eroanb auf ber Sühne erfebeint, ift lein üRenfcb barüber jmeifetbaft, baß eb einen Schürfen beeft. Gb finb mir nur jroei Stüde belannt, in melden bieb nicht ber galt ift, nämlich in Scbiller'b „3ungfrau oon Orleanb" ber Grjbifcbof oon iRbeimb unb in „SRutterfegen" ber Pfarrer. Ceßterer bat jubem eine böcbft unbebeutenbe iRolle.

ÜJlan tann babei nicht fagen, baß eb feine Stüde tatbotifeber 2enbenj gäbe. Gb giebt bereu genug, unb mir feben, baß foldje bei 21benbunterbaltungen tatbolifeber Sereine überall oon {Dilettanten auf« geführt roerben. Sie finb alfo ba, unb mir brauchen für bie neuefte 3eit nur auf bie bramatifeben ©erle beb Garbinalb ©ifeman unb beb 3)omcapituIarb SRolitor bintumeifen. Gin üRann, beffen Glafficität 9?iemanb bejmeifeln mirb, ift Galberon; aber bie Pforten unfrer Süßne bleiben ißnen oerfcbloffen. *)

*) SBae Gatberoit antangt, (o (lebt mir eine interrffantr Stctelbote jut ©erfiigitng, bie id) ben Sefern nidjt oorenitiaden will.

©ei ber 2Jiainjtv ©üfjnr ift eb iibticb, baß in jebem Sinter ein Crptra« Abonnement ctaffifdjrr ©orftetlüngen eröffnet wirb, unb roirb ba* Repertoire ber«

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Jfteimaurerei unb ©iif)ne.

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IV. $)ie Religion ber Scßaujpieler.

Diefe religiöfe 83erfcßmommenßeit beS 9?epertoireS, roelcße nur im Kampfe gegen bie CSonfcffionalität pofitio toirb, finbet i^re natiir« ließe unb babei bejeießnenbfte SBirfung in ber SKeligion ber Scßau* fpieter. ift ja ißr flebenöberuf, alle biefe Gßaraftere in fieß auf» guneßmen, fie grünblicß burcßjuarbeiten unb ber Intention be» Dicßt^ gemäß gut Darftellung gu bringen. 2lucß wenn ber <2cßau* fpieler nießt befcßäftigt ift, wirb er fieß allabenblicß im Üßeater ein» finben, unb fo ift er benn berfenige, toelcßer am meiften ber beab* fießtigten SBirfung aubgefeßt ift. Gr gehört gubem ber gebiibeten Giaffe an unb ßat non ü)Iatur unb burdj Uebung ein rafeße« unb leb» ßafte« äuffaffungboermögen, unb ba ift eb feßr intereffant gu beob* achten, roelcße SBirfung ber beftänbige Umgang mit ben en vogue befinblicßen bramatifeßen Grgeugniffen aubübt. 3In ißtn fann man bab ftubiren; benn an ißm tritt biefe SBirfung um Diele« auffallenber ßeroor, atb am Sßublifum. Dort toirb fie groar ebenfalls oorßanben fein; benn biefetben Urfacßen bringen biefelben SBirfungen ßeroor aber ba bie Ginroirfung eine fpärlicßere, ba neben ißt and; noeß anbre (Strömungen fieß geltenb tnaeßen, fo ift biefe SBirfung nießt fo fießtbar uttb äußert fic^ nur feßr aümälig, fo baß berjenige, toelcßer berfetben unterliegt, in ber Sieget felbft toenig baoon merft.

föetracßten mir barum ben Scßaufpieler. Gb ift eine meit oer» breitete Sltificßt, baß bieb leichtlebige Sßölfcßen retigiöfen Slnroanblungen überhaupt nicht gugänglid) fei. Stießt« ift aber irrtümlicher, alb biefe Slnficßt. ©er fie auefprießt, ßat eben niemalb ©elegenßeit gehabt, näßer in Scfjaufpicfcrfrcifcn gu oerfeßren. Der geroößnlidje äußerliche SSerfeßr macht allerbingb ben Ginbrucf beb 3nbifferenti«mu$; aber roorüber fprießt man aueß mit folcßen Leuten? Ueber ÜDIufif, ©cfang, Scßaufpiel nnb roenn’b ßoeß fommt über Siebebaffairen, ©üßnen» Intriguen unb anberroeiten perfönlicßen ßlatfcß. Da fommen natürlich bie religiöfen SDIomente nießt gum SUorfcßein.

f eiben oorljtr öffentlich betaruxt gemadjt. Sa« gefefjat) nud) in tiefer Saijon, unb ouf bem Repertoire befanb ftd) Don Salberon bie ,Iod)ter ber Suft,* ein burd) unb burd) djriftlidje« Srama. ®ic« Srama nun tourbe (päter Don bem Reper* toire fleflridjen unb burd) ein anberc« relißiöS»inbifferentee ®rama .ba« {eben ein Jraum" oon bemfelben SSerfaßer erfept. Ratlirlid) tooflte Riemanb ben ©ruub tn bem fpecifß'd) cbrifilidjen Sparalter be« erfieveit finben. ®ie Ibap'adje aber gebt fefl, unb toeldje 3dj[fi(fe ich barau« jieße, meine @adjc.

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fßilipp SBafitr&urg.

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@6 wäre aber eine ßöeßft eigentßümließe Jßatfaeße, wenn ÜRenfcßen, bet benen gerabe bas ©efüßl in beftänbiger Anregung fid) bcfinbet, baö religiöfe Moment unterbrücfen tönnten. ®a8 ift auch burcßauS nießt ber gatl. £>ie barftellenben fiünftler finb bureßweg religiös; aber um ©ottcSwitlen barf man ißre Religion in feine ber befannten, in ber ©efeßicßte unb ber ©iffenfeßaft fid) entwicfelnben Anfeßauungen über ©ott unb bie ©eit ctaffificiren Wollen. (58 ßaben ba alle ißr ganj befonbers tiefes religiöfeS ©efüßl, aber bas äußert fi<ß bei 3ebem in feiner ©eife. ®ie (Religion braut fid) bei ißm aus allen SRollen, bie er fpielt, jufammen. '£>a8 ©erßängniß beS OebipuS, bie Druiben* ßaine ber 9?orma, bie <tß^i(ofop^ie ÜRatßanS, ber gaitatiSmuS ber brei SRöncße in bcn Hugenotten unb nod) gar oieleS Anbere muß alles jufammenfteuern, unb giebt am (5nbe einen oollftänbig unbeftimmbaren ©rei, aus welcßem baS ^öd)fte ffiefen ßerauSbeftillirt wirb. 3n ber Siegel paart fid; ba ein bunflcS ©otteSgefüßl mit einem aufgeflärlen ©elbftbewußtfein unb bem craffeften Aberglauben. (5s ift ganj bie Religion, wie fie bie greimaurerei oerfünbet unb brauet.

liefet Aberglaube äußert fid) in ber oerfeßiebenften ©eife. ®ie feßr ungläubige „granffurter 3eitung" ß«t fi<ß bi« banfenswertße SRüße genommen, allerlei ©orten biefeS Aberglaubens ju fammeln, unb oon einjelnen fiünftlern unb Äünftlerinnen reeßt braftifeße 3üge ju crjäßlen.

$a finben wir j. ©., baß bie $bce beS fofratife^ert £ämon jiemließ oerbreitet ift; aber man geßt oielfad) weiter unb ftellt fieß unter biefem SDämon nießt einen reinen ©eift oor, fonbern ber ®ämon lebt in einem Jßiere, uttb wenn bas 2ßier nießt ba ift, ßat ber 2)ar* fteHer Unglücf. ©o wirb oon einer berüßmten Äünftlerin erjäßtt, baß fie eine SDlauS im ©ufen trug; bie ©ine mußte ein Hünbdjcn, bie Anbere eine Äaße ßaben, unb wenn biefe Ißicre nießt auf einem beftimmten $laße ßinter ben ©ouliffen faßen, war’S aus mit ber Contenance.

Autß in anberer ©eife äußert fitß baS ; man beßängt fid) mit Talismanen unb Amuletten, weleße alle oor Unglüef feßüßen f ollen, ©in mir perfönließ befannter ©eßaufpieler beßauptete, baß baS Alles Unftnn fei unb nießts ßelfen fönne; was ißn anlange, fo betrete er nie bie öüßne, oßne oorßer ein ßreuj ju maeßen. X)aS war übrigens fo jiemließ baS einjige pofitio ©ßriftließe, was icß bis jeßt an bem ÜRanne bemerft ßabe.

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Freimaurerei unb 8üf)iu.

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liefet Aberglaube ift inbefj feincSrocgS auf Deutfdjlanb befdjränft. ßr ^errfdjt ebenfo in ßnglanb. fjaeffon erjäfjlt in feinem Suche: The History of the Scotish Stage, baff in einem .gauberftücfe jwölf £ö(lcngeifter einen Danj aufjufiiljren Ratten, mitten im Janjen erfchien ein Dreijeljnter, unb bic Zwölfe gerieten cinftimmig auf ben ©ebanfen, ba§ bieS ber Satan felbft fei, unb brannten nad) allen SRidjtungcn burd), nad) ben ©arberoben unb theilweife auf bie Straffe.

Diefer craffe Aberglauben f)inbert jebod) nidjt jene« ftolje Selbft* beroußtfein, womit ber Ungläubige als ein Aufgellärter auf ben ©läu* bigen, alb einen Slinbcn unb Dummen herabblicft. Nebenbei bemerft, beweift er für unb bie allenthalben beobachtete ßrfcf)cinung, baff ber ©taube an eine höhere Jßelt bem 2)2cnfd)en angeboren ift unb nicht aus feiner Seele htrauögcriffcn werben fann, unb baff ihm nur bic 35}af)t bleibt, feine irrenbe Vernunft bem oon ©ott geoffenbarten ©tauben ju unterwerfen, ober eine Seute beb oerrücfteflen jammerlichften Aber* glaubenS ju werben. Sin Drittes ift nicht möglich-

©ir haben gcfchen, baß ber ©runbjug ber retigiöfen Anfchau* ungen ber Freimaurerei in ber Unbeftimnrtfjeit unb Serfthwommenheit befielt, unb biefen ©runbjug finbet man bei ben barfteüenben Sühnen* mitgliebern wicber. lieber bem Aberglauben, wetdjer ber ©eifterwclt tieferer Diegionen entnommen ift, fcfjnjcbt als unbeftimmtcS ßtwaS ein höchfteS Sefcn, bas fo fe^r oon allen confeffionellen Seimifchungen entfernt ift, baff ich noch niemals einen Sthaufpieler habe bewegen fönnen, irgenb einen logifchen Schluß auf bie ßjiftenj biefeS höchften SffiefeuS ju bauen. Der Segriff ift fo unbeftimmt, baff er über baS bloße Dafein nicht hinauSfommt.

Sß3cnn wir biefe rcligiöfe Anfdjauung auf baS Siihnenrepertoire juriiefführen, welches biefelbe-burchfäuert, fo greifen wir gewiß nicht fehl, unb in welchem Scrhnltnijf baS Sühnenrepertoire jur Freimaurerei fleht, haben wir bereits oben genügenb erläutert.

3Bir befifcen inbejf aud) einen haubgreiflidjen ScroeiS, baff bie Freimaurerei miffentlid) unb abfidjtlich bic Sühne für ihre ^weefe aus* nufct, unb biefer ^anbgreifüche ScweiS liegt in ber „.gauberflöte."

V. Die Scrherrltihung ber ÜJlaurerti in ber gaubrrftöte.

Den Jeyt biefer Oper fdjrieb befanntlich Schifanebcr, ober oiet* mehr ©iefeefe, bie SKufit ÜJlojart; alle brei waren Fre>maurcr. werben uns in bem Fai9cnben etwas ausführlicher mit biefem Opuß

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'JJbitipp 2Ba jfevburg.

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befaffen; bcnn eigentlich bilbet baSfelbe bcn Sdpfiftein ju bcm ®e» wölbe, baS wir aufjufüljrcn un8 beftrcbt. JBir hoben bie Iljatfotbe conftatirt, ba§ bie meiften SBii^nenfciter unb fjernorragcnben Darftcüer Freimaurer finb unb bag ba$ Uljeaterrepertoire unter Seifeitcfehung pofitio religiöfer ©tücfe für freimaurerifcf)c 3&een ^ropaganba macht, eine ^ßropaganba, bereu oolltommenften Grfolg wir in ber Sfctigion ber SBühncnfiinftler gezeigt hoben. ^aS alles aber wären nur ($nbicien. ®icfe 3nöicicn werben aber SeroeiSlraft erhalten, wenn wir jeigcn, baj? non Freimaurern ein <Stücf getrieben würbe, auSfchliefjlicf) jur aSerfyerrlidjung ber Freimaurerei unb ju bem 3tt)e<fe, bcrf eiben Gin» gang ju ocrfd^affen ; unb ba§ biefcS Stiicf auf allen Sühnen Gingang fanb, wo cS heute nod) faft 3<>f)r um 3afjr gegeben wirb, nadjbem im grogen ^ublifum feine eigentliche Sebcutung tljeilS nicht erfaßt, theilS wicber ocrgeffcn worben ift. T>enn bicfer Stejt, ber fid) als Slöbfinn barftellt, ift nur Allegorie, bent SJiffenben fenntlich unb bcm» jenigen erfcnnbar ju machen, welchen man für bcn Freimaurerbunb ju gewinnen fud)t.

Urfprünglich hotte bie „3ouberpte" burchattS nicht bcn 3n)ecf, welchem fie fpätcr bienen füllte; eS honbeltc fid) babei einfach um ein 3ug» unb S?affenftücf Schitaneber’S, an beffett Sühne in SBicn neben ber $offe oucf| ©pettafelftücfe, namentlich 3aui,crP°ffcn Gegeben würben. Unmittelbar norher war Oberon aufgeführt worben, unb fjotte bie glänjenbe Aufführung einen burchfdjtagenben Grfolg gehabt. 3n ahn» lieber aßeife füllte bem Oberon bie 3oubcrpte folgen, unb Sd)ifaneber nahm bcn Ücjt aus ©ielanb’S Dfchinniftan. Wad) biefem leftc war bie £od)tcr einer Fee «cm einem böfen 3oubercr geraubt worben, unb bie Fee beftimmte ben Sohn beS PnigS con fioraffan, nach bem Schlöffe beS alten böfen 3flubererS ju jiehen, wo es ihm nach allerlei <5ä^rlid)feiten jule^t mit Jpilfe ber guten Fee gelang, bas 9)iäbd)cn ju befreien, Wäljrenb ber böfe 3ouberer in ein Uhu oer* wanbeit würbe.

OaS war bie urfpriingliche 3bce beS StiicfcS, unb ein 2hcil war bereits fertig, als plöhlid) baS Bcopolbftäbter Theater ein Stiicf auf» führte „Caspar, ber Sogelfrämer" unb fpäter „SaSpar, ber Fogottift ober bie 3ßUberjither," welches ganj bcnfelben Stoff bchanbelte. Schifaneber war mit feiner „3aubcrpte" ju fpät gefommen. £a aber fchon einmal ein großer Iheil fertig mar, fo würbe ber 2ejt rafch umgemobelt, unb ju bicfer Ummobelung gaben ihm bie Serhält* niffe einen fefjr praftifchen Fingerzeig.

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grtimaurcrti unb ©übue.

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Schifaneber unb SDfojart waren, wie bereit« oben bcmerft, bcibe enragirte Freimaurer. Unter bcr ^Regierung 3ofeph« jj. (1765—1790) hatte biefer Sunb bei ber betannten Denfung«meife beö Saifer« in ben öftcrreichifchen ßrblanben einen erheblichen 2luffchmung genommen. Da« änberte fid) mit bcm 9fegierung«antritte Seopolb« II. Diefer wollte oon ber Freimaurerei nidjt« wiffen, unb ba namentlich in jenen patriarchatifdjen feiten persönliche 3uneigung ober Slbneigung be»

§errfcher« in ben oberen (Schichten be« Solfc« für beffen Spaltung noch um oiele« au«fchlaggebenbcr mar, al« heute, fo roirfte bie perfön« liehe Slbneigung außerorbcntlich hewmenb unb lähmenb auf bie Frei* maurerei.

mar bat)er oon höchfter SBichtigfeit, irgenb eine Form ju ftnben, in welcher man bie Freimaurerei im bcfteehcnbften liidjte unb umgeben oon bcm ganjeu SReij be« ©eheimnißuollen bem Äaifcr pcrfönlich oor» führen fonnte. Daju mar nun bie „gmiberflöte" fehr geeignet, wenn inan baran bie nöthigen Gorrecturen oornahm. ß« würbe be«halb au« bem böfen 3Quberer unb feinen Unfjolben eine eble priefterliche ®e« noffenfehaft gebilbet, welche in ber §iille ber egtjptifdjen SDipfterien Dugenb unb SciSfjcit hegte unb pflegte. $n biefen egpptifchen 2Rpfte= ticn fonnte man bann ganj gut ba« Salbung«ootIc unb an alle» gorifdjen ißbrafen reiche ©cbal)ren bcr Freimaurerei auf bie Sühne bringen.

Die« gefchat), unb bie Fflbel be« Stüde« lautete nun folgenber« maßen:

Saraftro, bcr eble Seife, hattc ba« oon ihrer ÜRutter, bcr Königin ber SRacf)t, in ewiger Uumiinbigfeit gehaltene Äinb Sflutina geraubt, um in Dugenb unb Scibfjeit ju erjiehen unb bann bem $u geben, bcr ber Dugenb unb S\?ei«heit würbig unb geeignet gefunben wäre, in bie ©ehcimniffe be« JDfiri«* unb $fi«bienftc« eingemeiht ju werben. Die Königin ber 92ad)t aber oerlangt Wieberum nad) ihrem Äinbc; fie fteht im Slnfeljen bei ihrer Umgebung unb oerforgt ben naioen fRepräfentantcn biefer Umgebung, ben Sogelfteller 'ßapageno, mit feinen leiblichen Sebürfniffen, wofür er allcrbing« geiftig nieber« gehalten unb am ©ängclbanbe geleitet wirb. Sie finbet ben Damino, einen 'ßrinjen, meldjem fie, ba er oon einer ftpbra bebroht würbe, ba« Sieben rettet, unb bafür oerlangt fie oon ihm, baß er ihr Sinb bem Saraftro entreiße. Domino macht fich, begleitet oon Spapagcno, auch baju auf, wirb aber oon Saraftro aufgcflcirt unb entfchließt fich, um ben Stfi« Soutina« fich ber priefterlichen ©enoffenfehaft attjufchließen.

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l'tyiüpp SBafftrburfl.

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ßr muß fic^ ju biefem ©cljufe mit feinem ©efäßrten allerlei Prüfungen unterwerfen, bie er überminbet, mäfjrettb fein ©cfätjrte bieö nicf)t ju ©tanbe bringt. Samino wirb unter bie 'JSriefter aufgenommen, er* E)ä(t ifjamiita jum fficibe, unb 'fßapageno erljält ein feiner OnbioibuatU tät cntfpredienbeS beßaglidjeS Dafein.

©ei einer fo griinbtidjen Stenberung beS jmeiten ÜfjeileS ber ur* fprünglidjen gäbet mußte aud) offenbar ber erfte Djeil ber gäbet im ßßarafter ber ifJerfonen eine gewiffe Umwanbtung erteiben. ß8 war baßer nidjt meßr bie 9tebe oon einer guten gee, bie um ben ©efiß ißrer geraubten Softer trauert, fonbern es mar bie fternenflammenbe Königin ber 92acf)t, ein unfjeimlicßeS SBefen, ba8 aber ooll SWajeftät auftritt unb ba8 auf feine Umgebung einen materiell moßttßätigcn, aber geiftig umnadjtenben ßinflufj übt. Oft ja bod) bie 92arf)t gugteic^ bie 3eit beßagliißer iRuße unb ber ginfterniß!

Damit ift bie Allegorie fertig, unb wir braunen je(jt nur ben jiemtid) burd)fid}tigen ©djleier ju ßeben, um ben wahren £eft ber ^aubcrflöte oor uns 3U fjaben. ß$ ift folgenber.

Die fat^otifcfjc Äirtfjc, bie fternenflammenbe Königin, ßat oon bem ©aumcifter ber SKclt bie föaßrßeit erhalten, um fie jutn ®(iicfe ber üWenfcßßeit ju entwicfeln unb fo ber ©efammtßeit nußbar ju madjen. ©Ie ift alfo ißr Sinb, baS fte aud; in ber 2ßat erjidjt.

21ber es fällt ißr nic^t bei, bieS ßinb ßinauSjulaffen, fonbern fie nüßt biefe ©aßrßeit in eigenem fclbftfiicßtigcn Qntcreffe aus. ©ic bc* bient fieß berfetben ausfcßlicßlitß, um ißre eigene ®röße, ißre eigene ÜHajeftät ju begriinben; fo ermeift fie fid) ber großen üJJaffe atlerbings als Sßoßltßatenfpcnberin, aber fie ßält fie geiftig in oollftänbiger Uit* miinbigfeit unb Slbßängigfeit; ftatt fie emporjußeben, weiß fie biefclbe nur ju oertßieren. Diefe unter ©ormunbfdjaft gehaltene SDfaffe ftellt uns ^apageno oor. ßr giebt alles ber Sirtße, was er oerbient, unb empfängt oon ißr, was er brauet, ülber über baS 92äcßftlicgenbe hinaus wirb er in abfoluter Unfcnntnifj gehalten, ßr ßat oon nichts einen fflegriff, als wie man SSöget fängt; biefe ©ögcl bringt er feiner fternenflammenbeu Königin, unb fie oerlciljt ißm bafür beS C'cbenS iJJotßburft; unb ba er unartig ift, wirb ber in ewiger Sinbßeit ®e= ßaltene mit Äoftentjießung unb einem ©djloffe oor bem SD2unb be* ftraft.

Die Poge fann biefen ©räuel niefjt länger meßr mit anfeßen, unb ©araftro, ber große SOZcifter oom ©tußl, entreißt ber Sirene bie cigent*

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gmmaurcm ur.b SBü^ixt.

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tidjc SSahrljeit, ba« maljre G^rifttnt^um; er nimmt es für fid) «nb bie ©einen in auSfchließtidjen Slnfprud).

Ca« fann bic Äird|e nid)t jugeben, unb fie menbet fid) be^tjatb an ben dürften, ben fie eben au« bringenber ©efaljv gerettet, ba§ er ba« nidjt bulbe, ba§ er eine ®efellfd)aft nicht ejiftiren taffe, roefche für fid) 2lnfprüd)e ergebt, bie nur ber Sirene rechtlich äufommen. Sie oermeift il)n babei auf bie ©ohtfatjrt unb bie geiftige Söefdjeibenheit beb S?otfe«, ba« mit ihm fei. Unb in ber £ljat macht fid) benn auch <ßapageno mit Camino auf, um ^arnina, bie 2£ahrt)eit, ben Stauen ber Soge ju entreißen, refp. biefe fetbft ju oernicfjten.

Cie« ift ber erfte £t)ei(.

3tn jmeiten tritt bie Soge auf. Sie entmidett ihre ®e* brauche bie« geht fo meit, baß fogar in ber SDiufif bie brei be* fannteu 'Pofaunenftöße, mctche ba« Mafien Camino’« ber 23erfammlung anfiinbigen, benfetben Catt hoben, roie bie brei Schtäge an bic Pforte, roomit ber einfüßrenbe töruber ben SJeuaufjunehmenbcn anfünbigt. Sie entmidett ißr SBirfen, ihre ©runbfäfce; fie entmidett aber noch meit mehr fiir ihre propaganbiftifdjen ^roede; fie oerfprid)t bem giirften, ber fid) ihr roibmet, jene SBahrheit at« <j3rci8, bie feinen Siamen groß, fein Slnbenfen gefegnet macht.

Unb in ber Chat, ber giirft greift ju. lieber bie 5D?affe be« SBolfe« erhoben, Derfteßt er ju miirbigeit, ma« er hier finbet ; Ißapagcno tiebt feine S3rodcn unb ift glüdtich über feine fapagena. Cer gürft aber ftrebt nad) höherem, er ftrebt nach jenem erhabenen ®ute, ba? ihm nie bie fternenflammenbe Sönigin, fonbern bie Soge gemähren roirb. Unb im Streben nach biefem höhnen ©Ute ficht er fid) batb nerein« famt. ^apageno ift jurüdgcblieben, aber er ftrebt oor, er erreicht ba« ,3iel unb am Sd;tuffe ertjätt er in ber Chat t>ie S83ahrt)cit at« fein Gigen. Sin biefem £>amen ber Sitelfeit fottte nicht bto« Camino, fonbern Seopotb II., unb nach ihm bie anbern gürften ber Grbc gefangen merben.

ift in größeren Sreifen unbefannt, baß © o e t h ebenfalls ein enragirter greimaurer, einen jmeiten Cljeil jur .gauberftöte gefchrieben hat, ber aber gragntent geblieben ift. Sr ftctjt im achten öanbe ber Gotta’fdjen oierjigbeinbigen StuSgabe. Cie« gragment jeidjnet fich in einem fünfte burd) eine etma« größere Ungenirtheit au«. ift fd)on nicht mehr bto« non tJJrieftern ber 3f>? unb be« Ofiri« bie SRebe, fie finb fd)on im ^»anbumbrehen ju Sörübcrn gemorben, unb gteid) im

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224 <pf)ilipp äöaffetbut 9. 22

Anfang rebct fogar SÖfonoftato«, ber SDiofjr, oon bem brüberlidjen Orben, „ber ftiü in fid) gefegt bie Sei«ljeit lcf)rt ttnb lernt. *

Gr« ift nodjetwa« Slnbere« {jeroorguljeben: Domino, ber fürftlidjc üKaurer, ift an ©teile Saraftro’0 gum prften ber 'Dtaurer geworben. Senn biefer ffiinf mit bcm ©djeunentljor nid^t tf)atfäd)tid) ad usum Delphini getrieben würbe, fo wollen wir un« beweiben, in’« Künf. tige auf alle Kritif ju ocrgidjten.

ift ber pfjalt biefe« groeitcn Steile« ebeufo aüegorxfcfjcr Slatur, wie ber erfte. Senn ein prft in bem oollcn J0eft§ ber Satpr* Ijeit fid) befinbct, wenn er fid) it)r fo gang fjingiebt, wie ber (Satte ber (Sattin, wa« faitn barau« entfpringcn? 9Jid)t« Slitbere« af« bie waljrc pflege be« 5ßotf«mol)lc0, Sluftlärung, (Sefcfclidjfeit, peifjeit, furg alt ba« Sd)öne, wa« man in bcn einen 2lu«brucf ber Humanität gufammen* fagt. 3n ber Dl)at Ijaben aud) $amina unb Domino ein Kinb be* fommen, unb mir werben mol)l nid)t fetjt greifen, wenn wir bie« Kinb» lein „^mmanita«" nennen. Da« ärgert aber natürlich bie fterncn* flammenbe Königin, bie Kirdje. pre fd)Wargen ©enblinge, „ber SDiofyr Wonoftato« unb feine SDfoljren", fjaben gu ©tanbe gebracht, bie« Kinblein in einem golbnen ©arge gu bergen, unb wollen ber fternen* flammeitben Königin bringen. Slber ein 3au^crfPruc^ ©fltoftro’«, ber, wie fdjeint, trofe be« fürftlidjen Üftaurer«, immer nodj bie erfte SSioline fpielt, l)at biefen ©arg fo fdjwcr gemadjt, bafj bie fdjwargen ©enblinge iljn nid)t weiter bringen. ©0 bewachen fie iljn mit allerlei Seftien, bie il)nen ^ilfreicf) gur ©eite ftcljcn, bamit ba« fiinb wenigften« nid)t bem ©arge entfomme.

Domino untergieljt fid) gang benfelben 'Prüfungen wie früher, ßr achtet mit 'ßamina nid)t Saffer unb puer, um bie Humanität, bie oon ber fatljolifd)en Kirdje im ©arge gehalten wirb, gu befreien; ba ergebt fid) bie Kird)c felbft gegen if)n, unb al« bie Sädjter weiten wollen, ruft fie au«:

3br ffiSdpcr, fein Srbarmen,

©ebauptet Suren 'J3(ap!

Der ©d)lujj ift rcd)t begeidjnenb. Die Königin ber 'Jtodjt wirb nidjt oon Damino iiberwunben, bie Kirdje nid)t oon bem Staate. Senn gut Kataftroplje fommt, fingt ein unfidjtbarer ßfjor:

9lur ruhig! (d)läfet Ser Jtnabe nicht mebr.

Cr fürchtet bie fiäroen Unb Sperre nicht febr ;

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Sreimaurerei unb 33üf)ne.

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3&u fialten bie ©riiftc Olidjt lange me!jr auf,

St bringt iu bie fiüfte üJiit geifligem §aud).

Drauf fpringt bcr Dcrfel beS ©arge« Don fclbft auf, unb cS fteigt ein ©eniuS aus bem ©arge empor, auf ben fid) bie 2Bäc^ter ftiirjen, mäbrcnb fie jugleicb 'Pamina unb Jamino ',urücfbrängen. Slber bcr ©eniuS ruft:

3n Staaten gebortn

3m btrrliefjen $>aus (nämlid) in btt Sogt)

Unb reicher otrlortn

3n Kälten unb Orau« (nämlid) iu bem Don ber fatbo- lifcfjcn Äircfje bereiteten Sarg),

68 brofjrn bie Sperre,

Sie grimmigen 9tadjcn,

Unb broljten mir §eere Unb brofjteit mir Sradjcu,

Sie haben boif) alle Sem Knaben nidjts an.

JPäbrenb bann bie ffiäd)tcr tiit ben ©piefjen nad) bem ©eniuS fielen, fliegt biefer baoon.

ßigenttid) ift bamit mcljr gefügt, als oiclleicbt bei bem .groeefe PiefeS jraeiten 2^eile8 }u fagen gut mar. Dicfer ©djluf ift bod) eigentlid) nid)t au8fd)lic§licb eine Drotjung an bie Sird)cj er ift auch ein Slppcll an bie fiirftlidjen SDtaditljabcr, beneu bamit äiemtid) unoerbliimt gefagt roirb, baß bie Soge aus eigener Sraft roirfe, unb baf jener ©etiiuS ber ÜJienfcbbeit, ber einmal aus bcr oon bcr Soge berbeigefübrten 33erbinbung bcr Diadjt mit bcr SBaljrfjeit b«Dor* gegangen, aus eigener Sraft umoibcrfteblid) fortroirfc. öS ift bas ein mit einer leifen Drohung gemifd)ter 2JppclI an bie ÜNacbtbaber, ber Soge beijutreten ; bemt trofc ber Jpecrc unb bcr Drachen liefen fid) ihre Jßirfitngen nirfjt mehr aujljalten.

Das ift im allgemeinen ber ©ebanfengang, welcher ber „Räuber* flöte" ju ©runbe liegt. Das fdjale gaubermäreben m‘t feinen ‘Paufenbonnern unb Sotopboniumblihcn, feinen ülffcn, 'Papageien unb Söroen, feinem grünblauen unb grcllrotben c(cftrifd)en Sichte ift nur bie $ülle, über welche fid) bie Scfudjcr ber ©allerie ergäben unb bas blafirterc 'Publifum oornebm bie 9iafc rümpft; bcr tiefere Sern fteeft brin unb bient ber maurerifdjen 'Propaganba. Die Soge geft ja nicht auf ben offenen SDfarft. ©ie jucht nicht bie IDfaffe in ihre 2J?t)fterien einjufübren, fie greift fid) ihren lamino heraus, bem

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ISbilipp SBafferburg.

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fic bic ©inbe ein wenig lüftet, ober fit läßt ben ßinjelnen, an ftd) herantommen; immer aber befaßt fic fic^ mit bem ßinjelnen, unb biefer ^injetne weiß bann, um welche Dinge es firfj bei ber »3QU6er’ flöte" banbeit. 'JJur ihre ©runbfähe, ifjre 3lnfd)auungen wirft bie Soge auf ben üJiarft unb prägt biefelben mit ber ganzen 92ud)t einer ©efellfd)aft ein, welche burd) ein gebcimnißoolleS ©anb ju Unterftüfcuug unter fiefj unb 511m (Üefjorfam gegen unbefannte Oberen oerbunben ift.

Daß bic „,3auberflöte“ freimaurcrifchcn 3njccfen biene, bot nidjt nur feine innere ©egrünbung, fonbern wir berufen uns auf baS umfaffenbe ffierf oon Otto 3°bn über ÜRojart.

3 a b n behauptet jwar, bah er felbft bem Orben nicht angehöre, aber er jeigt fief) benn hoch fchr cingcweiht, fowobt in bie fjcrfonal* als in bie SHealoerhältniffe ber 92iener greimaurerbünbe. ßr hebt namentlich hcroor, baß aud) IDlojart bem ©unbe angehörte, ba§ er auch felbft bann noch bemfelben angehörte, als mau ben ©unb mit großer Antipathie betrachtete. Die Soge mußte fid) bamalö in baS ©rioatbauS eine« gewiffen 8 0 i b l* flüchten unb unter ben bort nod) tagenben üJiitgliebern befanb fich auch SRojart. ßr gehörte ber Soge bis ju feinem £obe an, unb wir hoben noch bie Sraucrrebe, welche bie Loge auf ihn gehalten.

„Dem ewigen Saitmeifter ber 92elt," fo beginnt bicfclbe, „gefiel e$, eine« unfercr gcliebteftcn, unfercr oerbicnftoollften ©lieber au« unferer fflrubcrfette ,$u reißen. 92er fannte ihn nicht? 92er fd)ähte ihn nicht? 92er liebte ihn nicht, unfern ©ruber üftojart? Saum finb einige 92od)en oorüber unb er ftanb nod) h>£r in unferer 2)Iitte, Dcrhcrrlidjte noch burch feine jauberifdjen 2üne bic ßinweihung unfereS ÜtaurertempelS."

lieber bie maurcrifchen SDiotioe fpeciell in ber „,3auberflöte" läßt fich 3°hn ebenfalls aus (©anb IV., Seite 002). ßr finbet bie Urfad)c in ber 92enbung, welche bic Dinge feit ber ^Regierung Seopolbs II. genommen. Diefcr $aifer fd)critte ber greimaurerei nicht nur leine ©unft, fonbern fie würbe fdjon bamals als bie eigentlich treibenbe $raft bcS Liberalismus aufgefaßt. 3“hn läßt nur bahingcftellt, ob ber Orben felbft bie 3&cc gegeben, ober ob bie* fclbe in bem Äopfe Schifanebcr’S ihren Urfprung genommen. ÜRöglid)crweife fönnte auch ©iefeefe, ber ©earbeiter beS „Oberon", ber ©ater bicfeS ©ebanfenS fein ; bie teftlidjc Ausführung gehört ihm unjmcifclhaft. Denn Sd)ilaneber beforgte baS nicht felbft, fonbern

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Freimaurerei mtb Silljnt.

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gefcfjaf) unter feiner 9luffid)t unb mit feinen Eorrecturen; barauf tfjat er, al« ob er ber ©erfaffer fei. Sludj ©oethe fennt redjt gut bie ©ejiehungcn ber „3auberflöte" jur Freimaurerei. 3n feinem ©efprädj mit Ed ermann fagt er bejügtid) feiner „Helena": „SBenn cS nur fo ift, baß bie SDlenge ber 3ufchaucr Sreube an ber Erfdjeinung hat ; bem Eingcmeif)ten wirb jugicicß ber höher« Ginn nicht entgegen, wie ja aud) bei ber „3auberflöte" unb anbereu ^Dingen ber gaü ift."

(SS märe nid)t fdjmer, biefe 3ei,9n‘lfc Ju ocrmc^ren. 2Bir haben inbeffen f)ier fo etaffifefje 3eugen, baß einer ©erntehrung nid)t bebarf. ©Sir hoben meiter ben 3nljalt ber „3auberflöte," an fiel) betrachtet ein cntfcfclicher ©löbfinn, metd)em nur bieSDZufilSDiojart’« unb bie für bie bamatigen 9tnfpriid^e fabelhafte Slusftattung Eingang oerfchaffte; unb biefer ©löbfinn jeidjnet bei aüegorifrfjer ^Deutung bie Sümpfe, bie ©runbfäfce, bie ©ebräudje ber Freimaurerei, natürlich oon ihrem eigenen ©tanbpunlte au8. Unb ba« märe Sille« ber pure 3ufall?

©Sir hoben, um bie Nüchternheit nnfere« Urtf)eil« ju belegen, bereit« barauf hingemiefen, baß ber Freimaurerei gegenüber bie Furcht burchau« leine fiunberüefenbe ©Sirlctng auf nn« iibe. Unb ba« ift ganj richtig, foll aber burdjau« nicht bie ©cbeutung hoben, baß mir ber Freimaurerei gegenüber bie £änbe in ben Gd)Ooß legen bürfen. Die 3e>(hen ihre« ©erfülle« geben fid) in ber Enthüllung ihrer ©eheimniffe unb fclbft ihre« ©erfonenbeftanbe« unb in ben inneren 3roiftigleitcn, fomie in ber ©ioergenj ber Derfdjiebenen politifchen unb focialen 3*ele, roelchc bie einzelnen gogenbättbe »erfolgen, ju erlernten. Slber noch immer einigt fie ein roenn auch negatioe« ©anb, ihre Slbncigung, ja man lann fngen ihr £>aß gegen bie tatho* lifche Kirche. ©Sir roollen nicht non jebein Einzelnen behaupten, baß er ba« fühlt unb fid) biefe« ©eflthl« bctmtßt ift. ©Senn mir aber bie antifird)lid)C Literatur betrachten, fo finben mir ba biefelben Namen, benen mir auch m bem SDlitglieberDerjeidjniffe ber goge be* gegnet finb. Betrachten mir un« bie liberalen Eomite’8 unb ©er* tretungen, fo finb ba« mieber SNitglieber ber goge. ©So hoben fich bie geute lennen gelernt? 3n ber goge. ©Ser »ermittelt ben perfön* liehen ©erfehr nad) außen? ®ie goge.

SBenn mir fo überall im politifchen, im communalen unb focialen Seben ber Soge unb ihren Singehörigen begegnen,- menn mir feiert, baß fie überall ihre ©runbfäße geltenb ju machen fudjen, baß fie überall.

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'{Hjilipp Saijftbui'fl.

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fclfaft bei anfdjeiucub ganj fjarmfofen Gingen, wie beim Sfjeater, fcficn gujj gemimten motten, fo ift ba feine 3cit für uns, bie .ftättbe in ben ©cßoofj ju Itgen. 3m ©«gtntfjeil, ob aud) frei oou Furd)t, gelernt es uns boc^, ju matten unb $u fämpfen.

9Bie aber motten mir fämpfen?

SJie fämpfen benn bie Freimaurer ? ©ie crfd)cincn überall auf bem fjtan unb fudjen it)rc l'cutc iiberatt einjufd)lcbcn. 33Jcun mir atfo ctmaS errcidjen motten, muffen aud) mir iiberatt auf bem $(an erfd)cincn unb itjrc cingcfcf)obencn i'cutc micber {(inaußfdjicbcn. 3öir fabelt bie Jaftif, bie ©efafjr meiben unb bie Verfudjung ju fließen, in feljter^after 25?eife auSgebeljnt ; gemifi tjat biefer ©afc feine 5Bcrcd)tigung; aber mer immer fließt, oertiert ftet« ' Ücrrain, unb barum gitt es aud) jumcitcn jufammenjuftc^en unb uidjt ju fließen.

Unb bas Öefttcrc gitt ttamentlid) oon ber Sütjne. ®er Grinftufj ber Freimaurerei mad)t fid) ba nur um beSroiltcn in ber ‘ßerfon ber 5Biif)ncnteiter unb im '.Repertoire fo breit, mcit er fein @egcugeroid)t finbet.

XJiefeS ®cgengemid)t mirb aber geboten mcrbcit, menn bie Äatßotifen mutßig unb einig finb; menn fic feine Verlegung ißrer 9?etigioit auf ber iöiitjnc ungerügt taffen; meiut fic if)re SKcd)te atS töürger aud) bem öffenttidjen Jßcatcr gegenüber gcltcnb maefjen. ÜJJan fage nid)t, cs f)ilft ttidjts. 3J?an muß fid) nur bemußt merben, roet* c^cn ßinfluß treffe unb communale mie politiftße Vertretung ändern fann, unb menn man fid) ungefcßcut feiner ÜRacßt unb feines SRcdjtcS bebient, fo müßte es mit fonberbaren Gingen ,$ugct)en, menn man nidjt fdjließtid) ein {Repertoire ju ©tanbe brächte, meteßes ber rctigiofen Uebcrieugung unb fireßtidjen ©cfinnung {Rechnung trägt.

Üxttt »on TOatlau * ijtanlfurt o. TO.

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flie SdjuU unb Btttdrrfefte im Mittelalter

t>on

Sranj 5 o I f.

Unter »erftänbnißöollcn grcunben unb ÖeEjrern btr 3ugenb be- geht (ein ^weifet darüber, baß Spiele unb heitere gefte ber iftatur beS ÄinbcS entfprecßen. Slucf) maltet unter (5rjief)ern fein ©ebenfen, baß baS ©emütf) beS ßinbeS ebcnfo ber pflege würbig unb bebürftig ift, als ©erftanb unb SöiUe. (58 tjieße ber 9?atur beS ÄinbeS nicht geregt »erben, wollte man ihm in ben fahren ber ßrjiehung unb beS Unterrichts bie feinem ©emiithSleben entfprechcnben freubigen Jage oorenthaltcn.

Demgemäß wirb es fid) wohl auch &er ÜRiihc lohnen, in ber Vergangenheit ^unädjft bcs beutfehen VolfeS naefj^uforfefjen, ob unb in wieweit fie bem fiiitbe unb feiner iHatur gerecht geworben, ob jene 3eit auch für baS ©emiitf) ber kleinen etwas übrig hatte, ßinen guten UJiaßftab jur ©euvtheilung geben bie Sinberfefte im ©iittelalter ab, in foweit folche oon ber ©efammtheit ber Schule ausgingen. Die Spiele bcS einjelneit ÄinbeS aus jener 3eit fin& flth gleichgebliebcn bis auf ben heutigen Jag, wie Lingerie in einer forgfältigen Unter» fwfjung fo fchön bargetljan ; ') fie fallen hier außer ©etracht.

Der Nachweis wirb gelingen, baß heitere Stunben bie Jage ernfter ßrjiehung im SDiittelalter angenehm burchbrachen, baß baS $inb auch für feinen Drang nach Cuft unb greube, nach gingen unb Springen, ebenfofefjr baS Verftänbniß ber Seßrenben fanb, wie für ftrenge 3ucf)t beS VerftanbeS unb VMllenS.

’) ®a8 btutfebt Sinbtrfpiti im 3HitteIa(ter, in ben ©itjmtflSbtridjten btr laif. afabtmic btr ffiiffenjdjafttn, ptjit.*bifl. Stoffe 1868, Sb. 57, ©. 119—169; 3an|fen, Otfctj. be« t>rutfcf)cn Sollt«. 6. Sufi. Sb. I. &• 195.

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grnnj galt.

3

Dem geneigten Cefer muß jtdj bei Durcbfid)t ber nad)folgenben 3ei(en t>on fetbft bie Ueberjeugutig aufbrängen, ba§ biefe Sinberfefte inSgcfammt ganj im 2lnf<bauung«freife ber 3“9tnb tagen, feineöroegb in ein @ebiet Übergriffen, für weldje« ba« $ittb nod) nid)t bie Steife befifct. 3ener $eit Ia9 e6 fwne, ju nationat«patriotifd)en ©efübten etwaiger Deutftbtbiimelei mit ©etbftüberbebung unb ©eringfdjäbung Slnberer ju begeiftern unb ju entflammen, wie fie aud) nidjt bie Äinber« hätte, biefe gefätjrlidje Slu$gcburt bed 19. 3atjrljunbert« auf bem ®e= biete ber Sinbererjietjung, fannte. äSietmctjr erfahren mir, baß bie gefte ber Sinber in engfter töcjie^ung ftanben mit ber Sirdje unb ber ^Religion, roctdje bem bamatigen gefammten 23olf«tcbcn ats gebeifp tid)e ©runbtagc biente, bag fie fid) an bie mit bem Äinbe in S?er« binbung fte^enben 'perfonen anfdjtoffen, an Celjrer, (Sttcrn unb Por» gefegte geiftlidjctt wie weltlichen ©tanbe«, gür anbere gefte bot bie Otatur unb ber ©ed)fet ber 3abre«jeiten eine ermünfd)te ©etegenfjeit fid) auejutoben unb mutljwillig ju fein, wie ju alten feiten unb bei alten Pötfern, beren <5igentt)ümtid)feiten nod) rtic^t oor ber Sitte« ntoetliren» ben ®efetje«mafcbine oerftbmunben finb.

Die bem SPlittelalter eigene 8cben«^eiterfeit tarn aud) ber lieben 3ugcnb ju gute, ©eben wir jur Darfteflung ber einjetnen gefte über.

Obenan ftanb a(6 geft alter gefte ba« in ber ganjen Triften» beit oom jebnten bia jum ad)tjcbntent3abrbunbcrt begangene

jene« ©piel, wetd)e« fid) an ben ©djulbifdjof, Snabenbifdiof, ©d)utabt, anfd)to§. 93Sie ging’« ba ju? gotgen wir bem Slugen* unb Ob«njeugen granj Slnton Dürr non ÜRainj, $ofrattj unb Profeffor, meltber ba« Sifdjoffpiel noch fab1) unb barüber bie 8tb= banblung de episcopo puerorum, vulgo oom ©d)utbifd)off ju ÜRainj im 3abre 1755 oeröffentlidite.*)

l) 3n Irier erlieg ffirjbifdjof (Siemen« JöenscSlau« 1785 eine8etorb= nnng gegen ba« 8ijd|offiel. ®gl. 3t olf u«- 9i fifltr, 9teal«<Sitct)Hopäbie befl (Sr« jief|ung«n>efen«: 3d|iit« unb ÄinberfePe. gilr Siiln »erbot ba« gtft 1651, @0>t. 26., brr Grjbifdjof fDtafimilian Ipsinrid). Yinitor, comp. sacr. rituum. Cot. 1648. 3n SJtain; tjörte ba« @d)ulbifd)ofjpiel 1779 auf, mit ffiürbtroein, de stntionibus p. 73 9?ote ** angibt.

’) 3. 19, cap. III de episcopo puerorum. 3>ürr'? Slbljanblung tr» fuhr einen 9tad)brud in Üeipjig unb roarb aufjerbem aufgenommen inSCßmibt, dissertatt. juris ecclesiastici III, 58 83. $eibeI6. 1774, mit einem 9iad)= trage b'e« Sierfaffer«.

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©ie ®d}u!« unb Jtinberfefle im TOttelalter.

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„£>ier in ÜJlainj cor bcm gtfte beS fjeiligen DfifotauS ernennt ber Selber ber Jxioialfdfule am SDorne au« ben ©dfülern ben ©cffulbifdiof ; berfelbe wirb mit bifd)öflid)en ©eroänbern befteibet, mit üKitra unb ffrummftab öerfefjen. ®a bem ASifdjofe fird)lid)eS reic reeltlidjeS (Sfjrengelrite gejiemt, fo gibt man ifjm aujjer Bannerträger mehrere SRittcr, jreei Äapläne nebft äreei Rebellen bei.

5Der neugeroäblte Bifdjof erfdjeint mit feiner ganjen Begleitung in ber erfteit unb jroeiten BeSper, foreie bei bem ^odjamte beS ©t. SfiifolauSfefttagS im ^o^en (£f)orc (©liftSd;ore) ber ^omfirdje, reo für ifjn ein ©effet bereit ftcfjt ; l) mit ber Bcfifeergreifung foll fein Regiment beginnen. Bon ba an bis jur erften BeSper beS gefteS ber Unfdjulbigcn Sinber fiefjt man ifjn nicf|t in ber SUrdje; er madft nämlicfj in ber 3ö,if<f}e«3e>t ftine Äufreartungen unb äroar beim Äur« fürften, ber ifjn jur Slubienj juläfjt, bei ben JlomftiftSljerren unb ber übrigen Stobilität, reobei bie Gfyorfnaben (chorauli) foroofjt im für» fürftlidjen §ofe als in ben anberen SBofjnuttgen ben $pmnuS fingen : Jam taum festum, Nicolae Dives,

More solemni recolit juveutus,

Nec tibi dignas, sacerdotum caesar, promere laudes,

Tu, puer, quantum pueris dedisti Nobile exemplum pietatis atque Integrae vitae, tibi nil placebit

praeter honestum.

Ergo te recte aoboles virescens,

En coetum, constat columen tuorum,

Te sacerdotum pariter senatus

jure celebrat. *)

*) ®a« Stituale be« ®otne« fagt @. 181: Episcopus puerorum habet euam sessionem apud summum altare versus chorum cum suis capellanis. *) ©örtlich überfept:

©ein geft o reicher SHfoIau«

©egeht in feierlicher SSBeije bie 3ugenb;

®od) nicht rottrbige« l'ob, o gürfl ber friefler,

®arjubringen (eermag fle).

®er bu al* Jtinb ben Äinbern gegeben Sin ebte« ©eifpiel ber grömntigfeit Unb reinen Sieben«, bir roirb gefallen Sticht« aufjer tua§ ehrbar ifl.

SBohl barum bie hetanmachfenbe 3ngenb,

6iehe ben Urei«, er fleht eine Stühe ber ©einen

Unb in gleichet SBetfe btr ©riefler Senat 3Rit Stecht bich feiert.

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granj galt.

4

Der Slufwartung folgt bie (Sinlabung be« ©iftbof« unb feiner ©rgleitfcbaft feiten« ber mit ©efutb beehrten hoben ^errfdjaften, ober aber fällt ein ©efd)enf ab für ben Cubimagifter (Sebrer), weither au« ben ©efebenfen oerft^iebene bei biefer Geremonie entftanbene Slu«* gaben beftreitet.

Die erffe 33e«per eom Unfe^utbigen f inblein* Jag feiert roieberum ber Heine ©ifcbof im f3farrcf)ore be« Dome«. Die gfjorfänger fingen bie 33e«perpfalmen unter Crgetbcgleitung, ba« ©iftböflein aber fingt bie Dration oom Sag, bie 9?efponforien unb gibt bem ©olfe bie ©ene* biction, wobei bie Kapläne jur gegebenen 3eit ib« Dienfte im Stuf* unb Slbfefeen ber SDZitra gemiffen^aft oerric^ten. Sluf Unftfjulbigen* Kinber* Jag felbft wof)nt ber ©ifdjof mit feinem £>offtaate bem §odjamt bei unb hält bie jrceite 93e«per wie bie erfte; ba« ©leitbe gefc^iefjt am Dctaotage. Sin ben eben bejeidjneten Jagen, wo ber ©ifcbof pontificirt, wirb in feiner Kirche ber ©tabt oon ber ©eiftlitbfeit ßbor gebalten." ©o weit Dürr.

Der beim ©piele ^errfdjenbe luftige ©inn liegt auch in ben babei gefungenen Cieberxt. Gin in Pfeiffer’« ©ermania XVII. 186 au« einer Cübecfer jpanbftbrift oeröffentlicbtc« gemiftbte« ?icb ju (§brtn be« ©tbulbiftbof« jubelt:

grotoe (freue) bitfj turba scolastica lag etingen bie fuffe musica ad presulis honorem, mit jpringen uttb fingen in iubilo, pellens cordis merorem.

.«»ab ortup (urlcnb) ars grammatica,

Donatus et rbetorica,

ntjnmnt fnl mehr flubiren,

nam sensus ledunt frigora,

man mu« bereiten firm (bisweilen feiern,'.

3iacb 3'^ unb Crt fonben allerlei Slbweicbungen ftatt. ©o ge* febab in ©t. ©allen, beffen ©efebitbte ba« geft bi« in« neunte 3flbr,! bunbert juriidf iibrt , bie 2öafjl am ©onntage Bor ©t. Katharina (25. 9?oo.), ber Patronin ber ^bilofopben. £>ter aber unb anberwärt« wählten oor ihrem Sfector bie ©d)üler, unb nicht ber Lehrer, ben brao* ften SDUtfcbüler au« ihrer SDfitte jum ©ifebofe, bejieljunggmeife jum Stbtc, ©djülerabt. *) Unb ba« gehört fitb boeb eigentlich, bag bie

’) Sine f4öne €tf|ilbemng be« RinberfefttageS ju St. (Satten gibt Staubiger, Sängerjdjute ®. 64—67; pgt. glbefont oon Slrj, (Stfdj. be« (SantonS St. (Satten, III. 260.

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Sie ®d)ut» unb Äinberfefle im SRittetalter.

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jungen freie Slbt«roal)l ober ©ifd)of«mal)l üben; faf>cn fie ja oft genug im Stifte ober filoftcr, wie bie Gonoentualen itjren SBorftanb erforen. ©ir ^bren aud) nic^t , bafj oon irgenb einer Seite ein ftaatlidje« Veto UJlijjtöne in bie ©aljt ber fiteinen roarf ober bie öureaufratie bie persona ingrata auf ber ßanbibatcnlifte ftridj.

3n St. ©allen fangen bie fiinber beim ßinjuge bor Un« fdjulbigen Äinbtein»2ag:

Sieff, o SCater unb ®ott, fingt $ir ber ßljor biefer fttrinen,

®cr ba mit ?ob äum Sorau« feiert ben fommenben Sag,

So eine Rinberfdjaar einem feligen lobe ftd) meiste,

Unb mit ber ^alrne getränt jag in ba« tjimmtijdie sHettf).

®cr Sdjülerbifdjof, ber in 2Jfain$ fid) eine« feljr langen 3tegi« ment« erfreute, fc^loß fid) an ben Diafonen« unb fßriefterbifcf)of. Slm jtoeitcn ©eif)nad)t«tag , bem gefte be« ^eiligen SDiafon« Stepljanu« nämtid), mahlten bie Ziafonen, unb am britten, bem Sage be« heiligen Johanne« ßoangelifta, bie trieft er ihren öifdjof. S)attn fam ber Sifdjof ber Cfjorfdjiiler, beffen Regiment am Zage ber Un* fdjufbigen fiinblcin begann.

Zier burd) ba« ganje ÜHittelalter ffinburd) geljenbe mächtige £ug äum ßorporatioen , jum SelfgoDernmeitt, brang bi« hinunter in bie fircife ber fileinen.

®en Sdjülcrbifdjof ju 3H9 in ber Schroeij begleiteten unter Slnbern mehrere jum bifdjöflicben £au«ftaat gelförenbe Dfficierc; iljncn folgte bie 8eibroad)c mit Zrommeln unb ftahnen. ©äljrenb ber döife^of ben Segen erteilte, gaben fie SDJuSfetenfaloen.1)

3n g r a n f r e i d) fe^en mir ba« 5öi|d)offpiel, Gveque des enfants, mit bcnt 9larrenfefte, festum stultorum, in SSerbinbung. ß« gab j. ö. einen oon ben SSicaren geroäf)lten pape des fous, mie jn Slntien« unb Sen«; einen patriarche des fous ju 8aon, einen roi des fous ju Ulotjon; Slrle« rühmte fidj eine« arcbeveque des fous, welcher ber abbesse folle ju St. ßlaire feine Slufroartung machte, unb jmar be» gleitet Dom ganjen £>ofc.*)

®ie Statuten be« St. ®ionhfiu«ftifte« ju 8üttid) in Belgien be» ftimmten, baj? ber $ulct}t in ba« fiapitel aufgenommene Stift«ljerr bie 3lu6=

') Sdjrocijer äRnfeunt 1796, @. 800.

’) D&cheux, Un rdformatenr cath. ä la fin du XV. sibcle, Geiler de K. p. 5960 9lote. ißiccarb be(d)rei6t ba« fteft ju JRoutn nach Quellen bt« 11. 3aljrf)unbert». ®d)u&iger @. 67 9lote 2. $a« tRarrenfefl ju Stouen in tJtief, Sie $of» utib Bo(f«narren. Stuttg. 1861, 11. 397.

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234 gran3 galt. 6

gaben für ben ©d)ülerbif<hof be« Slufnahmejahrc« gu beftrcitcn habe. *)

3n ßnglanb finben wir bie ©eroänber unb ben ©chmucf bc« ©chulbifdjof« geroiffenhaft in ben ©djahDerjeichniffen ber 5)omfird)cn anfgejä^it. ©o fennt ba« Verjeichnij) ber ßatljebrate ju 9)orf nod) 1530:

3tem eine Heine üflitra für ben finabenbifdjof ; item ein 9ting= lein für ben Änabenbifcfjof.*)

' SJür ßidjftäbt fcnnen mir bie ßinftellung be« Sifchoffpiete«, Iudi

episcopales, burd) Sifchof 9ieimboto unter ©träfe beb Sanne« be* reit« itn ^afjre 1282. s)

üJZanchmal fef)en mir bcm ©c^ulbiftfjofe ba« 2lmt etroa« ferner unb fauer gemacht. ßr mußte nämlid) eine Si)thof«prebigt geroöijn* lief) in Serfen, einftubiren.

Slain Dille in feinem Stcifemerfe IV. 416 erjä^lt/ mie er ju Sologna unb Sfarfeille foldjen firdjlidjen SWebei'tbungcn beigeroohnt, in bem einen goßt mar ber prebigenbe Änabe feth« 3afjre, im anberen , gar nur oier 3al;re alt unb lonnte faum beutlid) fprechen.4) SDarau« geftaltete fiel) frühzeitig ba« fogenanntc Oratorium ber ©djulfinbcr.

®ajj bei aller ÜHunterfeit nid)t an ßrnft fehlte, ergibt fid) au« bem ©ebrauchc, baß in ber Äirdje ein roirHicfjcr ißrebiger eine ©djulprcbigt ^ie(t, roetd)e ben Sinbcrn ba« 9Zöthige für bie 3eit ihrer Äinbljeit an« Jpcrj legte.

3n ber Oeutung be« gefte« fonnten fich bie ©eiehrten nicht ganj einigen. SßMrb nicht in ber chriftlidjen Slnfchauung be« ÜJZittelalter« bezüglich be« Sinbe« bie ?öfung liegen? 3enc glaubcn«treue unb g(auben«frohe 3cit fannte bie ©teile ber h*il- <2d)rift, in melier ber Äinb geroorbene ©ohn ©ottc« fagt, ma« ihm ba« Sinb fei, nämlich ba« SDZufter ber ^)eqen«einfalt für bie ßrmachfenen: „ffienti ihr nicht merbet mie bie JZinber, fo roerbet ihr nicht in ba« Jpimmelreid) eingehen, " ba« oor jeber Verführung fichcr ju fteüenbc fdjuhbebiirf« tigfte Sefen: „©er ein folche« ßinb iro meinem 9Zamen aufnimmt,

nimmt mich auf; w*t bagegen eine« Don biefen kleinen . . . ärgert, bem roäre beffer, baß . . . er in bie liefe be« ÜDZeerc« oerfenft mürbe."6)

’) Hugo, Saer. antiquitatis monumenta III. 442.

’) Monast. anglic. III. 169: inventar. orunmentorum eccl. Eborac.

*) Regesta 629.

*) 9iod)f)ot3, SHtmaimtidje« Sinbftlirt. S. 502.

*) aKottf). 18, 3. 5. 6.

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®ie Sdjut* unb Äinbtrfefle im TCittelalter.

235

Stinnern mir unß IjierOei beffcn, tuaß (51. ©rentano Don ber SEürbc unb bcm Sertf)C beß Üinbeö fingt:

2Be(d)’ ©etjcimnifj ift ein Sinbl ®ott ift audj ein Sinb geroefen;

SBeit mir ®otte« ftinbcr finb,

Sam ein Sinb, uns ju erlßfen,

SEBetd)' ®tt)(imnig ift ein ßinb!

2öer bie« einmal je empfunben,

3fl ben Sinbetn turcf) bas Sefntinb oerbunben.

3n bem ©dfulbifchofe will baß SUJittelalter, baß in ber firtfie feinen geiftigen ©amtnel» unb 3)iittelpunft gefunben unb geliebt, baß oon ®ott geehrte Sinb ef)ren, min umfleibet fehen mit ben hödjften Sürben beß geifttiefjen ©tanbeß, alfo beß ©ifchofß ober, mo nur ein Slofter mit 3lbt mar, biejeß Slbtß (©djülerabt *). Unb baß baß ben Snaben gefiel, roer möchte baran einen Stugenblid jroeifeln?

üJfit biefer retigiöfen füitfchauung Dermifdjte fid) ein päbagogifdjcß fDiometit. Sie mußte fid) bie 3ugenb auf baß ©ifchoffpicl baß trodene ©tptljap über, baß bamalß feine geriet! fannte, gefreut pben ! Sie mußte ber £inn>eiß ber ßltern unb Seper auf bie Ü)iöglid)feit ber Saßt jum ©ifcßofe ober jur ^Begleitung baß jugenblidje ©treben rege gehalten unb gefpannt ffaben!

Der heutigen 3ußenb fehlen foldje Jage ber (5pe unb greube. Die ganje .geitrießtung fl“! bie Sinber für bergleidfen ju gefdjeibt ge» mad)t. „Die ©ernünftigfeit unb ber ßrnft fing fdjon im 15. 3aps

ßuflbert an aufjugeßen, unb ftanb im 16. alß büftere ©trenge beß ßaloinißmuß im SDfittagc," fagt §ortig im $anbbud) ber Sircßen» gcfchicßtc 1. fflanb, 2. 21btßeilung ©. 313.

Die 3efuiten im richtigen ©erftänbniß ber Sinbeßnatur famen toieber auf ocrlaffene unb unterbrochene Hebungen jurüd. ©o hielten fie mit ben Sinbern 1622 ju Süqburg eine „Satecßißmuß*©ro$effion," welche ben ganjen fated)etifcßen SKeügionsunterricßt in tebenben ©itbern barftellen follte.*) 2llß 1705 eine ttnjäßlige SWenge Sinber ju ©hin} unter Leitung ber 3efuiten in einem geftauf^uge bie freien fünfte

') ®ie 8mftef)ung btö ©<ftnfbift^of«ftfle« mit ffieper-SelK, Streben» tepifon IV. 754 burib ftonrab I. 912 in ®t. Satten entfteben gu taffen, er» tauben bie Duellen ni<bt.

*) ÄatedjiSmn« in auSertefenen Stempeln bunt) P. ©eorgium tBoglerum bet ®oc. 3efu SJriefttm. SBürjburg 1625; Sirdjenfdiimuf non ?aib unb Sdjroarj, 1863, ©. 44.

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236

granj Ralf.

8

unb ©iffenfdjaften, Religion, (sarbinaltugenben, §aimon«finber bar* ftcütcn, !am ber englifche SReifenbe SlainDille baju, bcm mir bie 9Jad)« ric^t über ben geft}ug Derbanfen. Sie erfd)ien in bcffcn 5Wrifcbefd)rci* bung burdj Deutfdjlanb, ©d)roeij u. f. m. Dom 3al)re 1705, in beutfdjer ©pradje 1764 ju gemgo.1)

3d) lann mir nicftt oerfagen, b*tr einer onbercn (Srfdjeinung im geben ber Äinber be® aJüttefafterö ',u gebenlen. Die l)of)e Meinung bc® Mittelalter® Dom ßinbe teuftet auch in bem, alierbing® Der« ungliidten £inberlrcuj|uge burd). Die fdjroadien Äinber foflten in ßinfalt unb Unfdjutb erteilen, ma§ bcn Sreujfahrern mit ©ematt unb Sunft nicht gelingen rooßte. Die eitern ließen bie Äinber jicben. Der ©utmiitljigfeit jener ftanb bie SJcrfdjmi&bcit gottlofcr Mengen gegenüber, roeldje au® ben unebelftcn ©emeggrünben ju biefem Sittber« freujjuge ben ©ebanfen gaben, bie £>anb boten unb bie $inber fd)lic§« (id) in® ©erberben brachten.*)

Stber jur @hrt ber kleinen roollen mir fjicr oerjeichnen, ba§ fie ‘Jiaumburg a. ©. oor bcn unter ©rofop anftürmenben £>uffitcn gerettet. f~ Die Äinber, Don ihrem gchrer geführt, baten im gager ber geinbe um Rettung, bie auch gemährt roarb. Die fiinber trugen roeifje ©terbe*

- gemänber, in ber Siebten eine Zitrone, in ber ginfen einen grünen .grceig ; } / mieberljolt maren fie in ber ©tabt feierlich gefegnet morben. ©rofop lief? bie Keinen griebenSocrmittler fogar mit Kirfd)en erfreuen. Daher ba® fRaumburger ßirfchcnfeft.9) (sin auf ba® (Ereigniß ge* bidjtete® gieb ^at folgenbe ©tropfe :

äl* bie 9totl) nun fiteg jum ®i()fe(, gafjt bie Hoffnung man beim 3'Ptet- Unb ein ftfjrtr non ber Sdjul ©ann auf fRtttung unb nerfut Cnblict) auf bie ftinber, u. f. ro.‘)

Da® gactum gefchah am 28. 3“K 1432. ®anj merfroürbig unb notf) nicht aufgeKärt geftaltete fid) im gaufe be® 15. 3aljrfjunbert® ber £ug ber Sinbcr jum ©allfahren, roie er jenem 3eitabf<hnittc überhaupt eigen mar. ©ir rooßen an bie fiinbermaßfahrten nach bem merfmürbigen @t. Michelsberg am Meere in ber 91ormanbie erinnern

’) älutpiu«, Surioptäten VII. 276.

*) ©gbel’« hißor. 3titfd)rift 1876, §eft 3.

*) Sauftjifdje aRonatfd)rift. ®6rtn 1797, S.84; 5K o 1 f u « = i P er , 9tcal- Sncgflopäbie: @d)ut- unb Äinberfepe.

*) Ueber 8anb unb äße« 1872.

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9

®if ©d)ul* unb Rmbttfeflr im ©litttlalttr.

237

(Mont S. Michel sur mer), wohin 1458 au? $all in Sdjroabtn 400 oon einem tfchrer unb Grfel begleitete Äinber $ogen, 400 finaben oon 8 3a^ren au? nic^t näher faejcicfjneter ©egenb, 1117 fiinber burd) ffleißenburg jiefjenb, 1 00 au? ftrtujnad), anberc au? 5Regen?burg. l)

ßbenfo allgemein al? ba? ©ehulbifdiofsfeft unb häufig jufammen* fallenb mit bemfelben feierte bie liebe 3ugenb ihr

(Sregoriuefeft,

welche? in ba? grüfjjahr fiel, auf ©t. ®regoriu?tag (12. SDiäq), ober auch au?nahnt«weife auf einen benachbarten Sag.*)

Die ©d)iiter gingen unter Anführung ber l'ehrcr paarweife in ber ©tabt umher unb fangen ein alte? Sieb ju ßhren he« hl* ®rcgo« riu«, mehrfach unter Begleitung oon SNufif. hierauf oerfammelten fie fid) mit ben äJläbdjen in ber ©chulc unb erhielten Born ©tabt» rathe einen fteinen ©djmau«. ©o gefchat) noch 1784 im gürftett» thum gulba am 12. SDlärj, wofelbft ber lag ben tarnen Curarum, oietleicht au? Choralium entftanben, trug. Sludj in 3 e n a fanb bi« in biefetbe 3'*! hfrflh ftatt.3)

3n ber ^arjgegenb, j. B. ©ernigerobe, wählten fie beim @rcgoriu?feft ihren ©chulbifchof unb ^tuci (Steriler, benen beim geft* juge unter Begleitung ber &hrer eine 2lrt SBJa«fen^ug folgte, inbem bie ©d)iiler in ber ffieife ihrer fpäteren Beruf?ftellung, al« ©eiftlidje, SOlagifter, fiünftler unb $anbroerfer gefleibct mitgingen.'*)

Die erfinberifchen Stopfe ber finaben gaben and) hie»' wieber bem frohen Sage ben Dieij ber Stbwechfclnng. Der SRanm biefer ©chrift geftattet nicht, alle bie Berfchiebeitheiten aufjufiihren, befonber« erftreefte [ich biefe Variation auf ba? befolge, auf ben Stnabenjug.

©o waren fie hier unb ba gefleibct al?©ngel, Ülpoftcl, ^riefter, ßbellcute, Darren, Reiben. Dem Bifdjofe trugen fie jwei SDfaien, 3ucferbäume unb ©fangen mit Örehein unb öänbern oor. Slbenb« gab ber öifdjof ober Bielmehr fein §err Bater einen ©chmau?, unb ba« war fef)r wichtig, •') beim in ber Sünbljeit mu§ immer etwa« für

*) ©tötin, ffiirt. ®c{d). III. 748; 3anjfen, ®efd|. be* beutfd). Sollt« I, 259 Hott 1; ©tont, »ab. Streb. ©.210. 243; Sfanntn jtbmib, ®tmianifd>t Smte* ftfte S. 444. 456.

’) 3n »ulpin«, (Juriofttätcn III. 517 ftnbct fub eine mit Jiteraturangabe gut otrjebent Bbbaubtmtfi über ba« geft.

*) 3ournaI ooit u. für Bcutfcblaub 1784. I. 412.

*) 3f'tfcbriit bt« $arj:»trtin« 1868. I. 106.

*) Srimm, Sinber» unb §au«märd)tn 2. »6.

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238

(?tanj gfotf.

10

bae Süßtnäulcgen gerauSfommen. ©ieber anbere SSerffeibungcn fteütcn bie ißerfonen bet jufünftigen fianjler, 9?dtf)c , Rectoren, Scgul* mcifter u. f. m. bar.

2118 aber Samtene, Sob, Seufel jur Darftellung tarnen, trugen bie jungen Herren fctbft Scgulb jur Slbfdjaffung be8 gcfte8.

68 gab eigene ©rcgoriuSUeber; fie bilben ganje Sammlungen, fo befifeen mir nocß au8 fpäter >$cit unb au8 nidjt fatgoliftger ©egenb: 3. ^etermann, cf^rifttic^e ©cfänge auf ba8 allentgalben be> fannte ®rcgoriu8=geft, tateinifcf) unb beutfcg. Dresben 1654. ©eget, nom ®regoriu8fefte unb Siebern al8 93orrebe ju SJtiiller’S Hymnologia sacra. Stömgilb 1733.

6inen Sgeil ber Sieber in SDtufif ju fegen, gielt ber große Son* tünftler 6ccarb, Scgüler beS Drlanbo Saffo, fiapellmeiftcr in $önig8« bcrg, geftorbcn 1611 $u ©erlitt, nicht unter feiner SßSürbe.

Der Sieberbicgter Subroig Helmbolb oerfaßte ein folcgeS Sieb, mcftgcS 1596 in ber Crepundia sacra erfdjien:

§öret, iljr ffitlern, Sbriftu« jpridjt,

Xtn ftinbtrn folt jtjv roegrnt niefjt ©onbern fie Ioffen ju jljm fenm $aß fie von i&m roerbn aufgenomn.

®a« .ftimt(rfid) fein (Silbe nimt,

Earein un« 3bd«8 Sbriftu« bringt Eurd) {eine Üefjr: bnju Sr mit,

Enfj mon bie ftinber fettben fot.

©efjotdjet it)tn. Bringet fie (jer,

$aß man oon 3«9mb ouff fte lefjr 3n ber Äirdjen unb in ber ©djut,

3m (Stauben ®ott erfennen toot.')

©011 Söln gören mir im 3agre 1524 au8 bem „©ebenfbutg bc8 Hermann SßeinSberg," roelcges S. ©nneit in ber 3c*tf£^r'ft für beutfdje flulturgefcgicgte I. 47*) Deröffentlicfjt gat, golgenbcS:

„21nno 1524 auf St. ©regoriitag in ben gaften gingen bie Sigiiler Don St. 3atob unb St. ®eorg runbum bureg ba8 Äirtgfpiel oon |»au8 ju $au8, fragenb, ob autg Einher oorganben mären, bie man auf bie Scgule tgun rooüte, unb a(8 fte Dor ©einberg (Her- manns elterlicgeS Haue) tarnen, bereinigten meine 61tern, baß fte mieg mitnagmen. 2l(fo tarn itg' biefe8 $agr juerft auf bie Scgule St. ©corg ; id) ging in mein fiebenteö (Jagr . . . 2lnf biefer Stgule

') Söacfernaget, EaS beutidje ftirdjmlieb IV. 686.

’) §annot>er 1874.

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Eit @d)u(» unb Äinbttfcfic im Mittelalter.

239

l)abe id) juerft angefangcn ftill fißcn unb fdfmeigen ju lernen, aud) ba« a b c ju tefen unb ju fdjrciben, ebenfo ba« pater noster, ave Maria, benedicite, gratias, Donat, Grammaticam Alexandri, evan- gelia et sequentias, poeniteas cito u. bgl., tjab aud; cantum choralem gelernt, mehr ex usu als ex arte."

Jjofjann ©upbadf, .geitgenoffe be« 21bt« Sritljemiu« unb ^Jrior ju 2aad), gibt in feinem ©anberbüehtein an, bag aud) er am ©vegoriu«* tag jur Sdjule gefommen fei. „311« id) in« fcd)fte 3Qhr fam(1484), lieg bie Üttuljme mid) bie Schute ju PJiltenberg am Pfain befugen . . . gür« erfte mad)tc fie mir greube an ber Schule, inbem fie mich mit ©regeln befdienlte ; mar nämlid) gcrabe gaftenjeit unb jroar ba« geft be« 1)1. $errn ©regoriu«, an roetdjera Sag nad) alter Sitte bie Ä'inber jum erften üMe ber Sd)ute übergebest tnurben. So tfjat fie mir anfang« fdjön, nad) jenem ©orte be« |)oratiuS (Sat. I, 1, 25): „Den Knaben geben freunblidjc tfefjrcr erft ©regel, bamit fie roitlig lernen bie 2lnfnng«grünbc be« ©iffen«.1)"

©i« in unfere Sage hinein fabelt fid) Srümmcr be« ©regoriu«« fefte« ju erhalten gewußt. £>eutc nod) bringen ju lieber* ^eimbad), bem ©renjorte be« Piainjer ßrjftift« unb Sturftaat« unterhalb ©ingen, bie Sd)ut=(Srftlinge jebe« fo Diele ©regeln, al« &bcn«jal)rc jöf)lt, jur Sdjule unb taffen bann ‘Pfarrer unb 9cl)rcr „jiefjcn." Der Sag heißt ©rcgelgtag.2)

^u ßibingen im IRljeingau nercljren bie bie Sdiule oerlaffen* ben ftinber immer nod) ihrem $errn 'Pfarrer eine große ©reget, aud) ftnbet in ber ^irc^e (Sfjoralamt ftatt.

©elchrte, welche über ben Urfprung be« gefte« gefdjricbcn, ' fdjroanften bejüglid) be« Umftanbe«, toie ba«felbe mit bem Flamen ©regor’8 in ©erbinbung ftefje , unb boef) bietet ba« Ifeben biefe« für bie ©etd)id)te be« liturgifdjen ©efangc« epodjcmadjenbeit papfte« 3tnf)alt0punfte jur ßrflärung genug, ©ar er ja, welcher bie ju feiner 3cit gebräuchlichen Sirdjengefange cigenfjänbig in ein Anti- phonarium Ceutonem fammelte, bie fchon oorljanbenen berichtigte unb mit neuen ocrmefjrte, fit nad) bem 3ahrt^chcfu8 orbnetc unb mit Sonjcidjcn oerfa^. Zugleich ftiftete er ju 9iom eine Sänger*

') Sbronica, cd. ©eder 2. 4. 6. 7. 9ttgrn«b. 1869.

*) Soblenjer So(t«jtg. 1880 Bom 14. SDlarj. Jiacf) bemfetbeu ©latt Bern 19. Mai braute in btn 20tr 3al)ren jcbeS ftinb ju Münflrrmaifelb auf @rtgoriu6 jtoti ©regeln mit, rooBon btr Scbrtt tine unb ba« fiinb eine erhielt, nadjbcm Borger btr Sefjrer mit «cm ßinbe gejogen ^atte-

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240

gtaitj galt.

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fdjule, oon bem ättcftcn Biographen „Orpljanotrophium" genannt, wefdjer er jmei Raufer mit reichen ßinlünften unb Üehrerbefolbungen ju= wie«. I)em großen Zapfte lag bie pflege be« fird&tidjen ©efangea fo fcljr am §ergcn, baß er fich fogar zuweilen mit bem (Sinüben ber Sing« fdjiiter befdjäftigte, felbft jur 3el( otä i^n ijjobagra an« Bett feffette. 3af|r^unberte lang geigte man in 9iom ben Stab, womit er oon feinem Sifce ^crab beim Unterrichte ben Schülern brohte.1) ©regor I. ftarb 604, Btärj 12. SSBa« Sßunber, wenn bie fiivche biefen 'fjapft al« Lehrer unb greunb ber Sinber empfahl! ®a alle Stänbe im SDfittelalter einen Patron (Schuhheiligen) oerehrten, warum follte er ben kleinen in ber Schule fehlen?

©ie wir gehört, fielen Schulbeginn unb ©regoriuötag jufammen, unter greube unb ©efang begann bie neue ^eriobe im Sinberteben, bie Sern« unb Schuljcit. $ie ben fiinbern bei bem geftaufguge oer« abreichten ©efdjenfe bilbeten an manchen Orten ben f?eben«uuterhalt ber Selfrer, wa« wohl für bie lange Beibehaltung be« gefte« be« ftimmenb gewefen fein mag.

9iid)t minber bebcutfam al« biefe beiben in 2lrt unb Urfprung rein fachlichen gefte, Sdptlbifchof«« unb ®regoriu«feft, erfcheinen bie rein weltlichen, welche un« nunmehr befdfäftigen follen.

BirgatutmÖefjcn.

£)a« SDilittelalter wußte nicht anber« al« : Schläge muß fein ! Unfere 3c*l ma9 fid) in Unterfuchungen über biefe flfubrif ergehen, gragen mir nur, wa« jeber Bater mit feinen 3ungen tl)ut, wenn alle frieblidjen üftittel erfchöpft finb?

2lu« ber 3'*! bcr ©iegenbrude Robert fid) mehrere ©erftein ge« rettet, beren £)otjfd)nitte ba« 3nne« ber Schulen be« fünfzehnten 3ahrh»nöert« micbergcben. ©egenüber ben Schülern feßen mir ba ben f'ehrer auf bem Rillte fi^cnb, aber nicht ohne einen feljr fid)t« baren Baculu«.8) Ufod) luftiger fehen fi<h bie Sd)ulfiegcl an. Bor

’) Scpubiger, $ic ©ängeridiule St. ©allen«. ffiinfiebeln 1858, ©. 1; SRolfite-'Dfifler, 9teal«Snct)flopäbie: ©regoriu«.

*) 3anffen, ©eieft. be« beutfd)en Solle« I, 25. 63. lieber ben Uifprung, be« SHutfjenfefte« in 9taoen«burg, wobei bie 6 oberflen Sdjüler al« gäbnbridje unb be«gl. Sdjiilcrimten al« Königinnen ernannt werben, weiß matt nid)t« 6t* flintmteS. Siolfue-ipfifltt, SReal-Cäncpf lopäbie : Stbul« unb Äinberfefte. g t d>t er , ®rid). be« Stbulwefen« in Safel bi« 1689, ©. 28: Sdjulbieciplin u. ©cpulfefie.

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13

Sie ©ihul* unb Äinbrrfrflt im 2Jiittefalter.

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bem ^ßräceptor in langem ©eroanbe fnict bemüthig ber fdjulbige Sünber, unb in weitem 3uge f^®ingt jener bie wuchtige SHutfje.

Sin Dielen Orten fanb jährlich im Sommer btr fogenannte SRutpengang, ba« 25irgatnm«@e^en ber Sdpiljugenb ftatt. Unter 5'ü^rung ber ße^renben jogen fie in ben ©alb, wo ber nötige Scbarf an iRutljen gefdjnitten warb, l'uftig tummelten fidj bie kleinen nach getaner Strbeit im ®rünen herum, führten allerlei Spiele auf, auch fehlte nicht an IBewirthung feiten« ber Gltcrn unb Hehrer. iBei ben fiinbern geht’« einmal nicht ab ohne gffen unb Irinfen. ©er roei§, ob nicht ton baljer ba« Sprichwort rührt : er hat fitf) bie SRutlje auf ben eigenen Jiücfen gebunben. Unter ©efang unb Scher* lehrten bie fiinber Slbenb« in bie Stabt juriicf, belaben mit ihrer eigenen ^Jlagc. *) So in ber baperifchen Oberpfal*, ber beutf^en Schweij, in ©apcru unb Schwaben.2) (Sin bei biefer ©elegenfjeit gelungene« fiinbertieb termodjte [ich burch bie ber Grljaltung Don fiinberfachcn niemal« giinftige «u retten.

3f)t Sättr unb ihr Mütterlein,

5lun iffjenb, mie wir gehn herein,

, Mit Sirfenholj belaben,

SBftdje« un« rooijl bienen tann 3u 32np unb nit ju Sdjaben.

Surr äDitl’ unb @otte« Ocbot Uns bnju getrieben fjot,

£afs mir jefct unire Slutbc lieber unjrrm eignen Scib fragen mit teidjtem Mutbc.

So fang man noch 1565 in ber fßfalj. 3n ®afcl holle f'th ber SRuthenjug noch nach ber ^Reformation erhalten; erft 1770 wirb beffen Slbfchaffung für bie URäbchen bafelbft befchloffen,*) in SUcgen«* bürg 1554, wo er wieber auflebte unb bi« in unfer Oialjrhunbert anhielt.4)

Gin meitoerbreiteter alter SReint lautet:

D bu gute ißirfenrutb,

Su madift bie böjen fiinber gut.

') 3an[feu, a. a. C. 0. 63.

*) SRocbjboIj, SMetnanu. Sinberlieb ©. 529; lßfeiffer’8 ©ertnania I. 147. ’) Sechter, ®e|ch- be« ScpuftDrfen« in Cafel bi« 1589. I. 30; 392 a 6 mann, greint. 3ahrb. VI. ©b.

*) Äriegf, Seutidje« ©ürgertfjum. SJeue golge 6. 99.

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gratis galt.

14

3anffen bemerft in ber ©efc^ic^tc be« beutfrijen ©olfe« I. 64 ^icrju :

„ÜRan fiel)t, trofc be« Sdfrecfen«, ben JHutfjc unb Stotf bei ber 3ugenb oerbreiten mosten, l)frr)'d)te boc^ anbererfcit« in ben Schulen ein (Seift bjarmlofer Buftigfeit unb ungetrübten grohfinn«. ,Au8 biefem (Seifte gingen bie jaljlreichen Schulfefte h'roor ; bie häufigen tljca« tralifchen Aufführungen, ba« ®regoriu«fefi ober ©ifdjofBfpicl, ouf gaft« nacht, auf Anbreä, am 'Rifolau8tage ober ju ©Jeihnachten, gefte, bie in ihrer Unmittetbarfeitunb griffe be« 8eben«gcnuffe« moljlthuenb berühren."

®em bürfte noch ber ©ebanfe beijufügen fein, roie bem Sro^e unb gngrimm, melthen bie befchämenbe Strafe in mamhen Sfinber« her.jen h^Dorjurufen geeignet ift, gerabe biefer Speftafel ba« ©(eich’ gewicht hält- Denn greube unb 8uft, 2 ff etc unb Printen fiegen ob beim Äinbe.1)

Unter Abt ST^ieto oon St. ©allen 933—940 nahm ein Slofter« fchüter, bem bie Schulauffeljer befahlen, SRutljen ju feiner ©eftrafung auf bem Speicher ju ^otert , untermeg« geuer oom Ofen mit unb jiinbete bamit Schule unb Stift an ; biefe gingen in glommen auf. 35a« oermag ©roh unb (Rachfucht in golge non oerlchenber unpttba* gogifcher Strafe!

®a« 3Rittelalter muß benn hoch eine böfe finftere 3“t flewefen fein, muthete fogar ben armen ©üben ju, ben ©Jinter tobtju« fthlagen, bamit grühling unb Sommer ?u $errfchaft gelange. £)a« nannten fie nach bamaligem gelb* unb 2Rorbgef<hrei Stali aus, ftab aus!

$at ber ©Jinter bie ^üpfenbe 3ugenb monatelang jur unfrei« willigen ©efangenfehaft nerurtheilt unb in bie Stuben feftgebannt, bann päppelt’« an ben Äleinen, oor bem Unterricht unb nach bemfelben, auf bem ©Jege jur Schule unb Kirche unb wieber juruef, fobalb ber erfte Sonnenftrahl bie ©Jett erfreut. Sie ein Käfig mit ©ögeln, bie ftch an ber Sonne luftiren, finb fie geworben.

(Siebern wagte cB bafi fleine ©off, biefen böfen ©Muter förmlich tobtjuf plagen, bamit baB ©Jieberfommen feiner unb feine« ftrengen (Regiment« ihm ficher oergehe. ©)ie flinber thaten’« überall in IDeutfch« tanb, noch bi« in unfere $eit mufften fid) einige, oon ben ({Reiften

*) SRotbbolj, ®ie Ütutfjc füflcn, jur ©cid). ber Sotfepäbagogif in beffen aleut. ftinbertieb ®. 513, unb Pfeiffer’« Germania I. 134.

’) Stab au« oon aubfUuben, im ®ialeft: ausflaben, beifit tüchtig reinigen, {äubem. 3«fct notb fagt man am ÜRitteltbein im UnruiUen : geh’ ober itb flab* bidj!

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®ie @d)ii(= unb Ähiberfffle im SWittelalter.

243

unoerftanbene 9tefte jene« ßinberfefte« ju ermatten. “Cie Ginen führten ihren Speftafet auf Sonntag Dculi, bte Slnbercn auf Bätare, immer aber früh in ber 3at)re«jeit au«.

3u Oppenheim jmifchen SRainj unb SBorm« gefchap ba« Spiet atfo. Schon am Vormittag tiefen bie Knaben mit tteinen meijjen Stäben tjcrum, auf beren febem eine mit ©ättbern oerjierte fjaftcnbrepel befeftigt mar. Sie fangen babei:

Stab au«, flab au«,

©d)tagt bem SBinter bie Jtugen au«!

Dlachmittag« jogen fie, bie Stäbe in ber $anb, einen fjötjerneu Degen an ber Seite, nor einer großen SDfenge 3ufdjauer auf bcn ÜRarft, mo bc« gefte« $auptperfonen, Sommer unb SBinter, einen öffentlichen ^meifampf begannen. Die £>elbenrolIen übernahmen jmei crmachfene Surfthen, ber eine oon fiopf bi« ju gu§ in Stroh, ber anbere in Gpfjeu getteibet. 9tach bem ©efcdjte mit Stäben fommt ber SKing* fampf. Gnblid) mufj fiep ber SBinter übcrroinben unb fein Strohfleib im Triumph jerreijjen taffen, hierauf begibt fich bie ganje Schaar unter Stnfüfjrung be« Sommer« mit ber h«hen @Phcumi,fcc 00r bie SBohnung be« ©iirgermeifter«, mo ein jeber ber Säbetträger einet) Semmel empfängt. So gefchaf) noch 1784.1) 3n ben 70et 3nf)ren fah ich fttbft in SB o r m « auf Bätare fiinber mit Stäben, moran ©repeln unb ©erjierungen fingert , freubig burcf) bie Stabt gehen. Sicher geht ba« geft in bie fathotifcpe 3eit jurücf.8)

3n Speper trieben fie auf Sonntag Ocuti, roetcher bem Sonn* tage Bätare oorhergeht, ben SBinter au«; fo noch 1775 unter ©e* tpeitigung oon 3un0 unb SUt, mie ein Stugenjeuge berichtet.8)

SCBir finben ba« $obau«trciben bei ben Staoen, in Schiefen, in §of, in ©apreuth, mir fönnen fagen überall, fcpon bie SRömer feierten bicfc« grüf)ling«feft.4)

3ur Seite ber überall gebräuchlichen Sinberfcfte, mie bie Por* ftehenben roaren, treffen mir oerfchicbene ffinberluftbarfeiten oon mehr tocater 9?atur. Der bunte SBecpfel bietet gleichfalls 3nttreffe-

*) 3outnat »on u. fQc ®eutfd)tanb 1784 ®. 282, ogt. ©. 47. 412.

*) 3n granffurt a. 'Dt. erjdjien 1773 : $<ftorijcpe Srläuterung bei alten @e= roobnpeit auf Sätare tobte ©itber perumjutragen. Ein Spemptar beftpt bie bortige ©tabtbibliotbe! ; ft liegt, 25eutfd)e« 8ürgent)um ©. 451.

*) ®eutfdje« DJut'eum. Seipjig 1778. ©b. 2. ©. 362 unter SDlittpeitung be* Siebe«: ®ra, ri, to bet ©ommer, bet ift bo u. f. rc.

4) Sauftjifdje ©tonawfcprift. ©dttij 1795. 2. ipeit ®. 346.

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244

granj galt

16

SO? a i n j Ijielt bie 3u9enb im oicrgc^nten 3af)rf)unbert ben

gloramontag,

oon iptldjcm Sobmann in bcn r^etngauifc^cn 9lltertf)ümern S. 673 1 ) ju beridjtcn roeiß: „©er oerfdjworene SDlontag, ber fonft aud) ber

oerlorene, iitgleic^en ber gloramontag f)iefj, mar ber älfontag nad) bem fjeifigen ©reitönig«fefte, melier im SDiittclalter bei un« am SRfjein* ftrome in ben Stabten foiool)! al« auf bem ßanbe überaus fröljlid) begangen marb. ß« mar bie« ber Jag, too bie 3ugenb ju ÜJiainj ba« befannte Königs fpiel Ijielt, rueldje«, weit fidj im 3afjre 1381 and) bie Gütern barein mifdjten unb baburd) ein gräulidjeö SBlut* oergiejjen anridjteten, oom SKatfjc oerboten roarb. fftadj bem alten Oanbbraudje erhielten an biefem Jage ber Sdjultfjei« unb bie Stoffen non ber ©emcinbe Sdjeppel, ba« ift ®(umenfträufje, roofür fie bem Soten eine (leine SBcrefjrung, bie ©an« genannt, ocrabreit^en mufften.*

ßeljrerfangen.

3n St. ©allen, roo ber llnterridjt in bem großen fenfionatc, mit 3ntcrncn unb ßfternen [dion friitjjeitig fo fe^r blühte, mag’« ben gefallen fjaben, befonber« am Unfd)ulbigcn*fiinbcr*2age, benn ba ftanb iljnen ba« Di'edjt ju, jeben, roeldjer bie Sdjule betrat, ge* fangen $u nehmen.

911« nun töifdjof Salotno, roeldjer in bcn 3ä^rcn 891 920 auf bem $irtenftufjlc 511 ßonftan^ faß unb gerne St. ©allen bejudjte, ba« {efjtc 'JDial bie 3Beiljnad)t6tage bafclbft jubradjtc, befugte er am 28. ©ecember bie Sdjulc. 2ludj ifjm gegenüber tnadjten bie Stubenten iljr SRedjt geltenb ; fie umgaben bcn iöifdrof at« ©efangenett, beljanbeltcn iljn jebotfj babei nidjt al« 9lbt, fonbern al« tSifdjof, unb festen iljn auf ben Stutjl iljre« ßefjrcr«. ©arauf fagte Salomo : 3£enn iljr mid) al« ßefjrcr beljanbctt, fo ljabc idj audj beffen ©ctoalt, mad)t eud) je&t einmal ju ber Siutfjeuftrafc juredjt. Sie traten fjurtig, baten aber um bie ßrlaubnijj, jicfj oon ber IRutljenftrnfc (o«(aufen ju bürfen, roie bie ßeljrer iljnen geftattet Ratten. Salomo gab ba« ju. ©a fingen bie fileinen an, au« bem Stegreif lateinifdjc Säfccfjcn Ijerju» fagen ; bie ©rößeren fpradjen 3ieimDcrfc, bie ©rügten ricfjtiggcmeffene ©ebidjte; SSiele aber gelten in berfclben Sprache ganje Seben an bcn

') 8 0 b m a n it »mutig auf Altemade, Displegtigheden, D. I, CI. 163; 01. Yrediuä, Hist. Flandr. II, 847, nieuwe bydrag. tot opbow der vaderl. ledderk. I. St. 4, 81. 498; Haitaus, Caleud. p. 41.

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Sie ©djul» unb Ätnb«vfepe im ©littelalttr.

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Sifdjof. i»itfer, Ijö^lid) erfreut über bie gortfdjrittc im Semen, fdjloB fit freubig unb battfbar in feine ärme unb nerorbnete, ba§ fie an bcu oon faifer Äonrab I. gemährten «Spieltagen gleifefjfpeifen befommen foliten unb febem au« ber Süd)e be« 3lbt« brei ©peifen nebft Iranf oerabreidjt mürben.1)

fjafhia^tfpiel.

3u Strasburg fangen bie Sdjulfrtaben unb üftäbdjeti ein Sßectjfet* lieb, unb jroar in ben gaftnadjustagen. Sie jogen babei oor bie XBolp nungen iljrcr Server gciftlidjen Stanbe«, roclc^e fie jum Soßue mit Sßerabreidjung non St&tudjen, mellitae crapellae, unb mit £>onigtorten, honizatae tortellae, erfreuten. <5$ fjat fid) noch ein im 3afjre 1393 aufgefebriebene« Sieb erhalten.

Cantilena camisprivii, anno 1395 Argentorati. *)

Pueri: Venite studeutes! Pueri: quam digne petenda

adite canoutes nobi« reverenda

puollae: vicinae domni: puellae: hujua clementia

pueri: clerum revereutes pueri: perstat et tolleoda

muuera petentes verum excolenda

puellae: simus, ut roonui. puellae: sie providentia.

pueri: bic stat praepositus pueri: date uobis, date

mire coelificus large uobis late

puellae: cunctis veneratus : puellae: honizatae tortellae!

pueri: adest scolaribus pueri: dantibus sic grate

mite munificus grates eint relntae,

puellae: clero benegratus. puellae: mellitae crapellae.*)

*) ton 31 rj, ©ejtß. be8 Cantonl ©t. hatten. 1. 124; Sfodjßotj, 3tle* manniftßes Äinbertieb 501.

,*) 3n ruörtlicßer Utberjetjung :

©dang brr „Saßnatßt im Jaßr jsgc 30 Strafeburg.

Knaben: Kommet, ©tubenten! Knaben: Sie «Artig attjufleben,

Bloße t Sud), Sänger für uns jn oereßren

ülläbtßen: bem 9tad)bar<$au«. Släbdjcn : ßeßet beffen Dtilbe;

Knaben: Sie ©eißließfeit eßrenb, Knaben: unb ßotß ju erßeben,

©efeßenfe begeßrenb maßrßaft ju preifeti

SBiabeßen: feien mir, mie id) gemaßnt. ®läbdjen: feiefl bu, »orjeßutig.

Knaben: §itt fteßt ber 'ßrobß Knaben: ©ebet uns, gebet

umuberbar ßimmlifcß fcßiSn, reießlitß uns unb nie!

HHäbtßen: oon allen oereßret, äHäbdjen: Sorten mit $onigl

Knaben: ßtßet ben ©tßfllem bei, Knaben: Sen gütig fo ©cbenbeu

ntilbe, freigebig. San! fei erftattet!

Wäbcßcu: ber ©eißlidjfeit rooßl geneßm. Wäbeßen: Stapeln mit $onig!

*) 3tu* einer ©traßb. $anbi<ßrift in ÜJlone, ©djaufpiele II. 372.

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grauj galt.

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2Benn bi« liebe 3uflcnb frb^tic^ tf)ut unb mit itjrcn &f)rern gut ftetjt, warum füll fit ipnen ni$t in grölftidjfrit £eb* unb Jponigfudjcn ablocfeit ?

Saloefinger.

3m fünfjefjnten 3<tyf>uubert fommtn oerfd)iebene 3lnbad)ten oor, rodele wir aub ben bafür gemalten «Stiftungen tennen, fo bie Tenebrae- 3lnbad)ten, bie Salve-?lnba(f|ten. SBJie jefct nod) an oielen Orten auf bem 2anbe Stbenbb am Sambtag jur Gffjre ber Sttuttergottcb eine lurje in ©ebet unb ©efang abroed)felnbe 2lnbad)t mit ber Slntipffon Salve regina, mater misericordiae, ftattfinbet , fo im Slubgangc beb 2ßittefalterd.

ber ©egenb am £ars tag ben ßinbern in ber gaftenjeit bab Saloefingen

ob, womit eine Stiftung oon Saloefemnteln in ©erbinbung ftaub. ‘Die änfängc fperoon werben fogar auf ben Sinbcrfrcunb, ©ifdjof öurcfiarb II. oon £mlberftabt, geftorben 1088, juruefgefityrt. $err* frfjaftlicpc Slmtbredjnungen oom 3Q^{ 1508 gebenfen ber Slubgaben für Saloefingcn.1)

3n ©opparb gab eb Saloefinger an ber Öateinfcftute ber granjibfancr; fle trugen eigene iWäntcl oon befonberer garbe. Die ©opparber 3u0tnb mu§te jubem beim jährlichen @ren^«öegängni§ (@aug um bie ©renje beb ftäbtifeben ©kidjbilbb) jugegen fein; bei jebem ©renjfteine betamen fic eine Ohrfeige unb einen SBccf. So behielten bie~.3ungen am beften im ©ebächtniffe, mieoict Steine unb an welken Orten fie ftanben.

ftinberfönigin ju SRuffad).

ffiir fennen ben mit bem Sthulbifdjof unb ©regoriubfeft ju» fammnthängenben ©ebraudj ber flinber $u iKuffacp unb (Elfafgabrrn, eine Königin $u lodeten, aub bem ©erböte oom 3at)fc 1386 im bortigen änpioe:

3tcm bie Sunigiti, fo bie ftinber iaprlicbb uff ©fingften unb ju anberu »Jiten uff ben ©affen tjobcnb fipeii, bic l'üt umb ©elb anlaufenbe unb barnatt) bie grauen mit Gehrung (ju einem (fiffen) jufammen fummen, foll hinfiir bei ber ©ene (Strafe) oon 5 Sd). ®. nit me gebrudjt (gebrawbt) werben.' *)

') i^eiefdjrif t bf« .?mv}=i«fuin« I. 103.

') SDtone in bei' f. @efd). bes Obmbeint XX. 78.

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®ie ®diul> unb Äinberfeftt im TOittetalteE.

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©er ©fingfttag al« greubentag für 3un9 unb 2lft fpiette im üftittelalter eine gvo§e SHoUe, ba« ergibt fid) au« beit ©fingftweiben, ©eibepläfcc, wo auf ©fingften ba« QJolf feine gefte feierte. So finbet fid) bie ©fingflmeibe ju granffurt a. TO. 1300, bie iu ^ieber^ngel- beim 1388 unb bie ju 'J?ieber’Sd)opfbeim 1487 erwähnt. ©amit oerbanb fid) für bie 3ugenb ber

IßftngfHummtl.

©ie SBeibebuben nämlich wählten einen unter fid) unb fleibeten ihn mit SRcifig unb Sd)ilf. ©iefer, ^fingftliimmcl genannt, ritt auf ©fingften non ber Sffieibe in« ©orf, natürlich $um ©aubium aller 3ufd)auer. l)

ffiie arm ift unfere 3e>* an 93olf0freuben , ©ebräudjen unb ©itten geworben. Sarurn foU ba« Sott nicht eine unbefangene greube haben? Statt ben ÜDIijjbraud) ju befeitigen, f>at mau ben ©raud) jelbft mit oerborben, wie ba« fo oft gefdjiefjt. SDJan fann ä?olf«fitten abfehaffen, aber nicf)t machen. 2llle, welchen ©erftänbnij? für ba« Soll unb feine ärt innewobnt, beftagen ben Söcrluft ber ©oll«» unb Sinberfefte, ohne fid) burd) ben £inroei« auf fDiifjbraud) irremadjen ju taffen, ffiie wat)r fpricht in biefer Ipinfidjt 3can ©aul oom fatbolifchen SWittelalter : s)

„©iefe« (einen Spafj oerfteben unb Derselben) Dermag bie fatbo* tif d)e fiirdje leid)ter al« unfere. ©crabe in bie anbiid)tigften 3e>,En fielen bie Starren« unb ©felofefte, bie ÜJIt)fterienfpiele unb bie Spa§= prebiglen am erften ©ftertage, blo« weil ba« (S^rroUrbige nod) feinen weiteften Slbftanb oon biefen Jrabeftirungen behauptete, wie ber Jeno-- Pbontifd)e Sofrate« Dom SJriftopljanifdjen. Späterbin oerträgt bie 3n>eibeutigteit bc« (Frnfte« nicht mehr bie Annäherung be« Sdjerje«, fowie nur Sßerwaitbte unb greunbe nid)t aber geinbe einanber oor ben fomifdjen {wblfpieget führen bürfen."

©tit bent gefammten ©olfe leibet natürlich aud) bie arme Sitiber- welt. 3m Anfd)tufi an bie Abftbaffung be« @regoriu«fefte« flapt im 3abrc 1813 ber nicht genannte ©erfaffer ber oben angejogenen Abbanbtung über ba« ©regoriuSfeft in ben (Suriofitäten III. 521: „©ei allen 'Jlationcu ^abeti bie $inber gefte gehabt unb bei Dielen haben fie nod) welche. (£« bienten unb bienen foid)c geierlicbteitcn

’) TO o it e a. a. O.

’) $orti(), ftirdjengefdj. ©. 311 ber 1. ?lbil). br« 2. Raubes.

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gronj 5«tf.

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nicht fetten boju, bie Sinber aufmerffam auf fid) felbji, beherjt, frei» müti)ig, gef djicf t unb f(ug ju machen. Unb foli beim bie $ugenb gar feinen erfreulichen, allgemeinen ©paff ^aben? fflJotten mir lieber bie Äinber ber (Stilette unb bcm s3iad)bcnfen fogleicf) in ber früjjeften 3ugenb übergeben? ©ollen fie gleich fo geregelt unb nadjbenfenb oor un« fte^cn, wie mir oor nn« felbft unb oor unfern öefannten?

„SÜfit ben feiten fortfebreitenb, fonnte biefc« ©djulfeft neue 9Cn= orbnungen unb Sßerbefferungen erhalten unb ber erfreuten 3ugenb ifjr ©pajj gelaffen werben, ©ie 9Üten unb Sef)rer brausten fich in bie 3üge ber muntern 3ugenb gar nicht eiujumifdjen unb fonnten ifjr ihnen jugebachte« ©ratial bennodj erhalten, ©ie 3ugenb ber ©rieten unb SRömer hätte ba« nicht ju befürchten gehabt, benn bie Cltern, Serwanbten unb Sehrer erfreuten fid) felbft über ba« SBergnügcn ber Sfinber, bie mit fo Stetigem oorlieb nahmen, unb (wenn fie nicht öer> jogen werben), fo ganj ofjne Slnforberungen finb, ba§ eine jebe gern gegebene &leinigfeit ihnen greube unb Vergnügen gewährt.

„@enug, man bat ben fiinbern ein jährliche« Vergnügen genommen, welche« reibt fein hätte mobificirt werben fönnen. ©er Ougcnb ift bureb ebrfilcbtige Sfectoren ein greubenfeft geraubt worben, bei welchem ihre orbilifdje ^otenj fid) nicht imponirenb genug jeigen fonnte. Cinen fogenannten Sifdjof, Sänber, Slumen, Saume, Sacfmerf, frohe Sieber tc. nahm man ber greube fröhlicher ©djulfinber, unb welchen Cr fab b“6en fie bafür erhalten? Cincn it)ee 'n einer fteifen ‘Pcnfion. Cin Crbbeerfuchen in einer hotbnothpeinlicben Crjiehung«anfta(t. Cin frioote« SheQtei’cl^nianach« * ©<baufpiel jum Cinftubiren unb $ur Aufführung oor aftflugcn ©peftatoren. granjöfifdje SBofabeln, bleiche ©efichter, ©chlaffheit, ba« päbagogifcbe Clenb in allen Cden, unb eine greiljeit, bie fie ju ©ttaoen all ihrer eigenen Sejdjränftbcit unb ber ihrer Selfrer noch baju macht. Ite, cives, lacrymando celebrate exequias I“

Xntd oon Watjlau & ©ollfdjmibt. 3mttlf«tt a. R.

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ftljomos tum Jlquin und Me europöifdje ftioilifötton.

Bon

gftaiii Bettingen

I. flehte Cilbung; tyre toefcntltc^rtt ßleratnie.

£)ie Ueberfdjrift bicfer ®lätter 2b°ma« o. Stquin unb bie euro* päif<^e Gioilifation bürfteÜJiandjem unfererfiefer befrembenb erfcbeuten. £boma« o. 2lquin, ber in ber öinfamfeit feiner armen 3elle &‘e $3üd)er be« 2lriftotele« ju beuten oerfud)t, ber SDiöncb im Domini* canergemanbe, ber in bem entarteten, reijtofen, jum I^eit barbarifchcn fiatein be« breijeijnten ^abrbunbert« unb in einer, mie fcfjeint, trocfnen, einfeitig fubtilen Dialcctif feine ©cbanfen barlcgt, ober im etftatifdjen Cntjücfen in Döüiger SBeltoergeffen^eit oor bem SUlerljeiÜgften fnieet, toa« bat biefer mit unfern ßioiiifation gemein? Ober foütc ber litel unferer ©^rift nicht oiet eher ben ©egen fab beieiebnen jmifchen ibm unb ber mobernen ßioiiifation, unb nadjweifen, baß unb warum wir mit Boilern 9?ed)t feine unb ber ©djoioftif geffefn gebrochen hoben?

Üiicht hoch; nicht einen ©egenfafc biiben fie, fie fteben oieimebr in tebenbigftem, urfäcbticbem 3ufammcnbang. £b°ma« o. 2(quin ift einer ber bJrt>otragenbften Srciger ber europäifeben ßioiiifation, biefe felbft weift gerabe in bem ßbeiften unb ffleften oon SUiem, wa« fie bat, auf ihn bin, oon bem mie iaurn oon einem 3n>eiten e*n mächtiger änftoß au«gcgangen unb in bem fie einen fo bttrlidien Stuffchwung ge* nommen bflt. <5r ftebt, mie ßrbmann fagt, mit feinem fiebrer Jtlbertu« bem ©roßen wie ein iweiter ©ottfrieb o. Souiiion an ber ©pifce be« geiftigen Jfteujjuge«, ber ba« fianb ber SBiffenfchaft unö erobert bot. ßr b“t bie ÜJiünje geprägt, ber mir un« in unferem geiftigen SBerfcbr bebienen; bie pbilofopbifchen $unftau«briicfe, wie fie ßant gebraucht, mie wir fie ?ur ©tunbe nod) ba&tn, ftammen größten* tbeii« oon Ib°ma« unb 21 1 ber tu«, Unb warum bie« 2Ule«?

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granj §ctttngcr.

2

£)a8 lägt ficf) mit wenigen SBorten fagen. £h ont aS o. Slquin mar . ein ^eiliger, unb feine 2Biffenfd>aft mar eine heilige; barum ift er, wie SBcnige mehr, ©ater ber europäifchen ©ilbung geworben.

35aS frfjeint gar SDiandjem nun eine unoerftänbige Siebe. (Sin ^eiliger! ja, bieS SBort haben wir oft oernommen, ba wir Äinber waren; bag wir felbft uns ^eiligen foüen, bag unfere Heiligung ©ottes SBiüe ift, baS waren bie erften SDfagnungen, bie bem ffinbe geworben. Unb in lebenbigen ©eftalten traten in unferer Äinbgeit unb Qugenb bie 3beale ber $eiligteit oor unfere Seele hin; bie Sieinheit in einem SlloifiuS oon @on;aga, bie ©ottesliebe in bem feraphifcgen granciScuS, bie Siäcgftenliebe in einem tü- ©incentiuS oi>n ©aulo. Qmmer hotten biefe ©ilber ber ©efthichte einen tiefen ßinbrwf in uns ginterlaffen, fei C0, bag bie SDiutter aus einer oer* gilbten Segen be über ihr Sehen bem ßinbe oorgelefen, ober, bag wir in reiferen 3ahren burch bie 2)arfteüungen ber ©cfdjicgtfchrciber mit ihnen befannt würben.

£as 2IüeS fann man als Anregungsmittel für ©gantafie unb ©emutg beS jugenblicgcu Alters gelten taffen unb barum ihm auch eine gewiffe ©ereegtigung in ber (Srjiegung gufdjreiben. Aber wie weit ift es both noch oon ba bis jut eigentlichen ©ilbung, wie foüen hier* mit bie Seime unb §ebel ber (Sioilifation einer ganjen SBelt ge» geben fein? $n ber 2hot, als wir eintraten in bie Schulen ber SBiffenfcgaft, ba fchlug ein anbereS SGBort an unfere Ohren; ©ilbung hieg cS, aüfeitige (Sntmicflung unb AuSbilbung unferer geiftigen gägig» feiten. Anbcre ©ilber tauchten icfct oor unferem ©eifte auf; eS waren bie Irager ber (Suttur, bie grogen SDiänner in SBiffenfchaft, ©oefie, fiunft. ffiie fcglägt bei fotchen SBorten nicht bas $erj beS 3üng* lingS; ba ift feiner, in beffen ©ruft nicht baS ©erlangen mächtig wirb, mit üoflen, tiefen Riegen aus ben Oueüen $u trinfen, aus benen SBiffen- fchaft unb ©ilbung fliegt.

©fügten ba nicht bie ©eftalten ber ^eiligen oietfaefj in ben hinter« grunb treten unb in ©ergeffengeit geratgen, Wie fo manches Anbere, was baS ©emüth beS SinbeS befchäftigt, worauf aber ber reifere 2J?ann halb lächelnb, halb bebauernb jurücfbticft? Heiligung ruft bie Singe, ©ilbung forbert bie SBelt; unb fügt nicht fo mancher ®e» bilbete mit ©eringfcgäfcung herab auf ben Sohn ber ffirege, ber ihr ©ehör fegenft , unb in ©ebet unb Sacrament bureg Oemutg unb ©elbftoerläugnung feeg ju heiligen beftrebt ift? Unb wiebet: $ält niegt fo mancher gromme bie ©oben unb ©(gäge ber ©ilbung für

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Xijomag sott Stquiu unb bie cuvopäifdje <Ji»tIi|atioit.

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gering, für weniger notfjwenbig, ja frfbft für fröhlich, weil er in ihnen nur bie grüßte be« ffieltgeiftc«, ba« ©trf eine« ber heiligen ©otte«liebe fremben Streben«, eine Währung be« £)ochniutbt« unb Serfuchung ju eitler ©elbftgefälligfeit, wenn nicht ju noch Diel @e» Jährlicherem unb Serhängnifjoollerem erblidt?

@o rft oielfach in ber DJleinung unb Slnf<hauung«weife ber SWenfchcn, ober fo follte nicht fein, unb fo ift auch nicht in ©irflichleit unb an ftd). Silier ©egenfah jwifchcn $eiligfeit unb Sil* bung, ©laube unb ©iffenfchaft, Autorität unb Freiheit, Irabition unb gortfchritt ift nur ©chein unb beruht nur auf Schein; wo bcibe nach ihrer wahren 3bee aufgefafjt werben, ba löft biefer feheinbare ^wie* fpalt fuh auf }u einer großen, erhabenen, rein geftimmten Harmonie. ®er gromme, ber nach wahrer grömmigleit ftrebt, wirb ge« tabe burch biefe jur Silbung pingemiefen unb empfängt alle Glemente achter Silbung; unb ber Silbungeburftige, ber nach achter Silbung ftrebt, f obalb er in bie Siefe geht, finbet ba (Sott unb (ich felbft in ©ott.

©erabe ba« ift e«, wa« fchon bie äu§ere t5rfdjeinung be« hl- £h°ma6 un« fagt. Siet oerbreitet unb befannt ift eine bitbliche ®arftellitng be«felben, wie er, oon feinen Suchern umgeben, im ©ebete »erfunlen oor bem ©efreujigten tnieet: SDu haft gut oon mir gefdjrieben, Spotna«, »Bene de ine scripsisti, Thema,« ruft ber 3)iunb be« tperrn ihm ju, welchen Sohn oerlangft bu oon mir? »quam a me petis mercedem?« Seinen anberen, $err, al« £)id), »Nullam aliam, Domine, nisi Te!« antwortete ber ^eilige. ©ott felbft gibt feiner ©iffenfchaft ba« 3cu9n>&« ©ott allein nur will ber ÜWann ädjtcr ©iffenfchaft jum Sohne, ©o geht bie ächte ©iffenfchaft oon ©ott au«, führt wahre Sit bung ju ©ott hin, um im Sichte feiner ewigen ©ahrljeit Sille« ju erlennen, unb in bie wanbetlofe Siefe ber ßwig« feit bie gunbamente einjuftnlen, auf benen ber Sau ber menfchlichen ©efittung ruht.

©o foH fein, unb fatin nicht anber« fein, wenn bie ©iffen* fchaft ju wahrer Silbung, Sitbung unb ©iffenfchaft ju ächter Sioi» lifation führen fotl, welche bie Söller tief, allfeitig, bleibtnb erhebt unb beglüdt, bie au« einer gefunben ©urjcl herau«gewa<hfen ift unb nicht in einem erlogenen ©cheine glänjt, ber bie innere Seerheit nur oerhüllt unb un« in unferem Jiefften arm unb leer lägt, ©iffen ift Silbung, ruft man un« ju. ©opl ift Silbung nicht möglich ohne ein beftimmte« ÜJIafj oon ©iffen, aber ©iffen allein ift noch

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granj $cttinger.

4

lange Hießt ©itbung. Selbft bet dichter1) läßt barum feinen Reiben eingemeißt werben in alle ©eßcimniffe ber SBiffenfCßoft unb nacßbem bie« gefcßeßen , ift er gerriffener, unglücflicßer ate je guoor. SBäre bie«, bann wäre ber Jeufel, biefe freiwillige ÜRißgeftalt ber Kreatur ©otte«, ber gebilbetftc unb wieöiete Jeufel giebt nicht in ÜRenfcßengeftalt, auSgeftattct mit reifem SBiffen, aber mißbraucht oon ißncn ju ißrem unb ber SBelt ©erberben. ber Jßat faft fcßeint e«, al« ßütte ber iReicßtßum be« {Raturmiffen«, auf ba« unfer (Jaßrßunbert fo ftolg ift, unb innerlich ärmer gemacht; ba« Sluge, nur ju ©oben gerichtet, hat bie .gielpunfte oerloren. Diefe SBiffen* fchaft hat barum oielfacß ihren ffiiitgang unb ihren ilnSgang oergeffen unb ruft wie oergmeifclnb burd) ben ÜJinnb eine« ihrer §eroen : „J)aS gange Seben ift ber größte Unfinn, unb wenn man acßtjig 3aßre ftrebt unb forfcht, fo muß man ftcf) hoch enblidj geftcßcn, baß man nicht« erftrebt unb nicht« erforfcht hat. SBiißtcn mir boch menigften«, warum mir auf biefer SBelt finb, Slbet Sille« ift unb bleibt btm Genfer räthfelhaft, unb ba« größte ©lücf ift noch ba« als glaeßfopf geboren gu fein."*) So fteßt benn, trofe alle« SBiffen«, unfere 3e>t oor einer SReiße oon gragen; bie {Reformation hatte bie Kirche in grage geftellt, ba« p^itofop^tTc^e ^aßrßunbert hat Sßriftu« in grage geftellt, unfere 3eit hat Sille« in grage geftellt ©ott unb «Seele, greißeit unb Jugenb, Staat unb ©efeüfchaft; unb bie in rafeßem Scßritte guneßmenbe .giigellofigfeit, IRoßßeit unb ßntfittlicßung im ©olfe, troß bem reicheren URaße oon ©Jiffen, ba« ißm geboten wirb, ba« ift ein Sßmptom fo beunrußigenber Slrt, baß felbft bie bisßer ©leicßgültigen erfeßreden unb auf Reifung biefer Uebtl finnen, unb autß bie im ©ewußtfein ber mobernen Srrungenfcßaften fid)

felbft bemunbert ßaben, weil „mir boeß fo ßerrlicß weit gebracht," nidjt meßr leugnen fönnen, baß mir neue SBege einfchlagen müffen.

SBiffen allein ift nicht im Stanbe, un« {Rettung, ßrßebung, äeßte ©ilbung tu bringen. Slucß ©rieeßen unb {Römer waren woßl er* faßten in aller SBiffenfdjaft; in ben Künften be« Seben« ftnb fie nießt bfo« un« gleich, fie fteßen oielmeßr ßoeß über un« at« unfere äReifter unb unübertroffene ©orbilber. Slber bennoeß finb fie unter* gegangen; an bem läge, ba ba« SBiffen fieß gelöft ßatte oon bem ©emiffen, mar ißr gall entfeßieben. 35a« ©emiffen, ba« fütlicße ©rincip, in bem ber SRenfcß fteßt, ba« 3iel ba« ißm oorfeßmebt, bie

') @5tbe im gauft.

’) St. d. $um6olbt in feinen SDltmoiren.

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5 2§oma« Don Stquin unb bi« turobiiidjt Gioitifotion. 253

-fUtCid^e Sraft, burcf) welche er fähig wirb, baafelbe nach allen feinen Sichtungen unbßoitfequenjen bunhjufiihrtn, ba«ift e«,roa» ben SDlenfchen, bie ©efellfchaft unb bie Nationen erft wahrhaft bilbct. S)a« ©emiffen ober empfängt feine gorm unb Sorm, Inhalt unb SD?otio oon ©ott, Dom ©lauben, Don brr Seligion. £)a« fittliche Beben ift nur bie (Sr* fcfjeinung unb ©etfjätigung be« religiöfen ©ebanfen«; in ©ott allein finbct e# feine Dolle ©Jahrfjeit unb feinen ganjen ©Jertlj.

@o führt unb benu bie grage nach ©ilbung jur Setigion hin. Unb fo finb wahrhaft gebilbete ©öltet immer auch religiöfe ©ölfer; majores noetri religiosissimi mortale» (unfere ©orfaßren mären bie frömmften Sterblichen) fpridjt Salluftiu« oon ben Sömern. ©ilbung ift Heiligung ; fie breitet bie ganje Sdjöpfung au« oor unferm ©liefe, roie ein auf geflogene« Such, in bem mir bie $err(ichfeiten ©otte« lefen, feine ®rö§e, ©iite unb eroige Schönheit. Sicht um un« }u Derlieren in ber ÜDlannigfaltigfeit ihrer ßrfdieinungen, unb fo ihren Urfprung ju oergeffen unb ihr 3>el, betrachten wir bie ©Jelt in ben »evfehiebenen ©ebieten unb ^meigen ber SJiffenfchaft , fonbern baß biefe unb Stufen baue, auf benen mir ju ©ott auffteigen. Unb bem ©lict be« ©eifteöauge«, ba« nach oben fith hebt, folgt ba« ©erlangen ber Seele, bie hinburdjgcht burch bie mannigfachen ©uter be« Beben«, nicht um fich bei ihnen nieberjulaffen unb bie «peimath ju oergeffen, fonbern um an« bem geraffenen ©ute eine Ahnung ju gewinnen, wie unan«fprechlich groß bie ©Jonne fein wirb, wenn wir ba« un* gefdjaffene @ut, ©ott felbft bereinft befißen.

3a, in biefer Harmonie jwifchen ©Jiffen unb ©Jollen, in biefem Ebenmaße aller Steifte ber Seele, welche bie ^errlidjteit be« Groigen ertannt, unb wa« fie erfannt, in Siebe begehrt, unb in biefer ihrer Siebe ihre ©efeligung gewinnt barin befteht bie ächte ©ilbung. Sie feßließt bem ©eifte ein Seich oon 3b*en auf» fa oerleiht bem ©emiitße 3nnigfeit unb ©Jarme, fie giebt bem SJitlen mächtige 3ms pulfe, fie ftellt be«wegen ben Ginjelnen wie bie ©efcllfchaft auf einen erhabenen ibealen Stanbpunft. Unb biefer 3beol>«niu« ift nicht ba« ©ebilbe oon ©hantofa unb ©efiihl, ba« oergeßt unb nur bie ßnt» täufchung unb innerfte ©erbitterung jurücfläßt ; er faßt fießer wie ein un* bewegter gel«, benn er ift gebaut auf ben feften ©ruitb ber reli» giöfen Sßatfachen, bcö djriftücßen 9?eali«mu«.

So fallen benn bie ©ebenfeu, welche oon oornßerein ber moberne ©eift gegen unfere Sluffallung erheben fönnte. 5lUe ächte Gultur ift «hriftlich, unb ba« ßljriftenthum fdjließt in fich ben fruchtbaren Seim

254

granj frttingcr.

6

aller magren Sultur, ein ©ebanfe, ben fcfjon bte ©äter in ihrer Sin* fdjauungemeife au«gcfpro<hen, wenn fit fagten, „e« f^ien, al« feien ent* Weber alle ^ilofopfjen Stiften geworben, ober alle Chriften feien “^fjilofoplien."

II. Z^otnaS b. Vquin nnb feine Seit.

Üljonia«, i. 3. 1227 auf bem Stammfchloß feiner Säter }u SRocca ficca bei Slquino, nidjt weit oon ÜJionte Safino geboren, ftammte au« bem longobarbifdjen ©efdjlechte ber ©rafcn 0. Slquino; in feinen Slbem rollte ba$ ©lut ber ebelften ©efdjlccfjter Deutfdjlanb« ünb 3talien«; er mar ein ©roßneffe Saifer griebricßs I., üieffe Heinrich« VI. nnb ©etter griebricf)« II. ; ©apft $onoriu« III. mar fein laufpat^e. Diefe Slbftammung be« ^eiligen fdjeint ben liparafter feiner miffenfchaftlicßcn J^ätigfeit ju erflären, ben lieffinn ber beutfdjen Üiatur, ber in rounber* barer ffieife mit bem gormenfinn unb ber Slarljeit be« romanifdjen ©eifte« fidj paart.

©ei ben üJiönchen oon ÜJionte (Safino, fomie an ber Uni- eerfität ju Uieapet empfing ber ^eilige feine erfte ©ilbung; im ficb- jebnten Lebensjahre (1243) trat er in ben bamal« mächtig aufblfihen* ben Orben bc« hl- Dominicu«, beffen fegensoolle« SEirfen „bem ©ießbach gleich, ber tiefem Spalt entquillet" bet Dichter ber ©ötttichen Äomöbie in unfterblidjer Siebe gefchilbert hat-1) 2rofc bc« ©Mberfprud)« feiner ©ermanbten, bie ihn burch ©emalt unb böfe Lift oon feinem ©orhabcit abbringen wollten, bleibt er ftanbljaft; er entflieht nächtlicherweile, inbem et ftd) in einem Sorbe 00m genfter ber ©urg h«“bläßt, in bie man ihn eingefchloffen h“tte, unb legte halb barauf $u Neapel bie feierliche DrbenSprofeffcon ab. 3U ßöln unter bem großen Silbertu« begann ber fchmeigfame unb befchcibene Schüler feine theologifchcn Stubien. ©eine üJiitfchüler nannten ihn barum ben ftummen Dchfcn au« Sicilien;*) bod) fein ÜJicifter Sllbertu« hatte ihn erfannt. „Diefer ficilianifchc Ddjfe," ertfärte er, „werbe noch bie ganje Seit mit feinem ©cbriille erfüllen.“ ÜJiit breiunbjwanjig fahren befteigt er ben Lehrftuhl juerft ju ßöln, bann ju ‘pari«, ©ologna, ©ifa, Neapel. Seine Lehr* unb fchriftftellerifche Ühätigfeit (in fiebjchn goliobänben) Derbreitet fid) über ba« ©efammtgebiet ber ©hilo* fophie, ber Ih{°l°9'{ unb bie h*- ber Aufgabe feine« Drben«

') Paradi«. XII. 36.

’) 3m 'JJUttclalttr jugltid) Sübitalicn bqcidnitnb.

s

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7

Ifjoma» »on Hquin unb bie tutopSifrfit Simlifation.

255

gemäß roirfte er jugleitp überaU al« berebtet 'ßrcbigtr. 3nt December 1273 legte er bie geber niebcr, mit ber er fein $auptroerf, bie tpeotogifcpe Summa bie jur 90. Cuaftion bc« britten Jpeile« bargeftellt patte, um ganj fiep ber Vorbereitung auf feinen Job $u roibmen. Jrop feiner Scproäcpc begab er fiep ßnbe 3“nuar 1274 guß, bem ©unfdje beS 'fpapftc« @regor’« X. entfpretpenb, auf ben ©eg natp ifpon, roopin ein allgemeine« ßoncit berufen worben mar. äber er mar faum bi« goffanuooa, einer Siftercicnferabtei unweit lerracina, jroei lagereifen uon Neapel getommen, als ba« gieber ipn auf ba« Kranfenbett warf. $ier erflärte er ben ipn barum bittenben ÜNöncpcn einen Jpeil be« i>open Öiebe«. Vei ben ©orten: Jöepter Don ^erufalem , faget meinem ©eliebten, baß i<p oor ifiebt fterbe," überfiel ipn eine große Scpmäcpe; Don ba an rebete er faft nitpt« mepr, ftill in ©ott Der* funfen. 31m SDtorgen bc« 7. 2Jlärj 1274 gab er feine große Seele in bie §änbe feine« ScpöpferS jurücf.

Da« mar Ipoma«o. 31 quin. So ftept er oor un« al« ber ebelfte SRepräfentant bc« ÜRittelalter«. ß« ift bie friftpe, unoer* brauepte Kraft be« germaniftp*romanif(pen 33olf«leben«, roa« in ipm pulfirt; naep rfidroärt« gemenbet beperrfipt fein äuge ben mefentlidjcn 33ilbung«fcpap be« claffiftpen ältertpum«, aber Sille« ba« ift geläutert, oergeiftigt, Derllärt Dom i'itptc ber djriftlüpen Offen* barung, be« fatpoliftpen ©lauben«. Stpelling1) oerlangte „eine parappraftiftpe, jur Dollfommenen Darlegung bc« Sinne« unb £erau8* arbeitung be« oft oerborgenen ^ufammenpange« unentbeprlitpe lieber* fepung be« äriftotele«." Da« pat 2poma« für feine 3eit geleiftet; er unb fein 3Jleifttr ätbertu« paben natp bem llrtprile ®. fRitter’« ben äriftotele« b e f f e r oerftanben, al« .unfere großen VP'fo* logtn, unb fo in ber ßrflärung unb löeritptigung bc« „^ßilofoppen*, in roeltpem bie gefammte alte VP'iofoppic ipren $ößepunft unb 3lb* ftpluß erreitpt pat, ba« ßrgebniß ber gorfepung auf allen ©ebieten be« menfipliipen SBiffen« ber ßpriftenpeit oermittelt. ©emaltige Kämpfe waren Dorau«gcgangen, ßuropa patte gebebt unter bem gingen jmeier religiö«*politif(pen ^rincipien, jroeier jum ßntfcpeibungSfampf fitp per* au«forbernbcn ÜRäcpte, bie um bie SWeinperrfcpaft, um bie Seltpen» fepoft ftritten be« 5Uiopammebani«mu« ber Ärabcr unb be« ßpriften« tpum« ber fränliftpen Könige, ßinc 3C‘4 *an9 föi<n cö* 06 &tr Sieg jrocifelpaft märe, bi« Karl ÜJiartell’« ftarler 3irm ju Jour«

*) SB. SB. L 6. 384.

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256

gtanj ©ettingec.

8

rtacf) fieben tägigem, angftootlem, lange mit roechfelnbem Oefc^ief hin unb Ijerroogenbrm Kampfe bie 2lüeS überfluten ben ©paaren ber MoS* (emin gum Stillftanb jroang unb ein löollrcerf gegen fie aufridjtete, bas fie fortan nicht mehr überleiten füllten. 2tber ber Sieg roar hiermit nur jur $älfte errungen.

(Sine geiftige 3noafion bebrohte iefjt baS dfriftlicht Guropa non Spanien her. ba8 bie Domäne ber arabifchen 'P^itofop^ie getoorben war ber SloerroiSmuS. Mnnentlith baS fpätere Mittelalter fprad) in biefem Sorte bie Summe alles Unglaubens, §affe6 unb Spottes ber geinbe beS chriftlichen öelenntniffeS aus, fo baß Orcagna in feinen greSfen auf bem Gampo Santo ju ^Jifa neben Mof)ammeb unb bem äntidjrift ben arabifd|en P^ifofoppen unb Gommentator beS äriftoteleS, äoerroeS (3bn»9iofcf)b, gfft. 1198) ftellt,1) roährenb bie greigeifter unb iReligionSfpötter beS Mittelalters in ihm ihren Meifter erblicften.*)

3n ber I^at, bie ©efaljr roar jefct nicht minber groß, größer noch als bamalS, ba baS Schroert beS granfenführerS bie $eere Slbberrah« man’S nieberfchlug. SDie SSibel ift ben Jüngern biefer Schule nur ein Probuct beS unreifen MenfcheitgeifteS ; bie Schöpfung ber Seit unb beS Mengen, ©otteS fBorfeljung, Freiheit, ber Stele Unfterb* licfffeit, roie bie Suferfteljung ber Hetber rourbe in gleicher Seife in Slbrtbe geftellt, roährenb bie Slufforbcrutig ju heiterem HebenSgenuffe cm ©etoHfjtfein, baß boch mit biefem Heben für ben Ginjelnen Stiles aus fei, ben fdjneibenben ©egenfaf} ju bem Gruft ber chriftlichen Sittenlehre bitbete.*)

®iefeS oom StoerroiSmuS auSgehenbe, auch in thriftlidje ffreife immer roeiter ftch oerbreitenbe ©ift, baS alles wahrhaft philofophifche, <hriftti<he unb fittliche Heben ju burchbringcn ftrebte, btffen Ginflug roir am $ofe ffriebridjS II. in Sicilien nur gu beutlich erlernten, bem bie im Mittelalter Dielfach genannte ©laSphemie entflammt, „bie Seit fei Don brti öetrügern getäufcht roorben, Don 3efuS, MofeS unb Motjammeb"4) baS roar es, roas bie europäifcht unb chrift« liehe Gioilifation in ihrer innerften Surjel auöguborren brohte. ®er ÄoerroiStnuS roar für baS fo herrlich unb mächtig aufbtiiheube Slbenb*

*) Ampöre, Voyage Dantesque, p. 219.

*) Sgl. 9t e u t e r, ber Sufflörung im ©tittelattcr, ü. @. 166 ff.

*) ®fl(- bit cenfurirten @äpe bei ® u ( e i f i 8 b’ätrgentrd, 1.199 sq.

4) Huillard-Fröbolles, Hist, dipl., V. 1. 327 sq. Sorte beS Papfte« ©regor’S IX. in feiner ßncqdica o. 3. 1239 gegen ftaifer griebrid) H.

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9

Stomas Bon Stquirx unb bi t europäifdje Sioiltfotion.

257

lanb eine gonj aufjerorben fliehe ©efohr, für bie fchwadjen ©eifter bie l)öd)fte SBerfuchung. 355er mag ermeffen, ober auch nur an* nityernb ftd) oorflellen, melden ©ang bie Seltgefd)ichte genommen hätte, »aS au« öuropa geworben märe, ^ätte er ben Sieg er* rungen? lieber ben Irümmern ber fatholifdjen Äirche hätte ein neues S^olifat fein eiferucs Scepter gef<h»uugen, unb mit bem chriftlidjen ©laubcn märe djriftlidje greiheit, ßfjre, Sitte unb 3U(hl Su Qteid^er 3eit non ber ßrbe üerf<h»unben.

3 n biefem entfdjeibenben 21 u g c n b l i cf e tritt ber hl. J^omoS auf ben Se^rftu^i. Seine Grfcheinung ift in hödjfter SEBeifc eine prooibentielle, in ät)n(id>em unb nicllcidjt irbcf) Oberem Sinne, als es bie ÜJiiffion beS OrigeneS gegen CelfuS, 2lthanofiuS gegen bie Slriancr, 2luguftinuS gegen SOianidjiiiSmuS unb 'ifklagianiSmuS, beS hl- ®ernt)arb gegen äbälarb mar. Sie ein ißb“™# fleht er ba in bunfler 3fil unb beleuchtet, »eit h'nai1® bo8 feine« ©eiftes fenbenb, bie 'pfabe ber Sohrheit. SRicht fo lange 3eit, »ie feinem Cefjrrr 2llbcrtuS, ift es iljm gegönnt, ju leben unb ju lehren ; ober er hat in biefem furjen 3f>lraume feiner ßehrthätig« feit eine Saat auSgeftreut, bie oon Suhrhuubtrt i“ ^ta^r^unbert mächtig ljeranreifenb, bie reidjften griiehte getrogen, on benen »ir unb bie fommenben ©efchlechter uns nähren. Unb je weiter bie 3ahrhunberte uns oon ihm entfernen, je länger bie ^ßerfpectioe »irb, in ber »ir ihn flauen, befto gewaltiger tritt feine ©eftalt heroor, befto gröfjer »irb er. <£r fchuf, mit ©enu(jung ber Arbeiten feiner Sßorgänger, oon ^JJetruS ßomborbus an bis ju SllbertuS, befruchtet oom ©eifte ber hl- 35ätcr, befonberS beS hl- SluguftinuS, ein um« foffenbeS, auf ben Safjrheiten ber 9iatur unb beS ©loubens ruhenbeS, feft in fich gefchloffeneS, funftooll unb hoch fo »unberbor einfach gcglieberteS Spftem ber fotholifchen Siffenfchoft. Sie biefeS ?

UL Sohrer unb folfdjer ÄrifloteleS. Seien unb Seife ber raenjdjlichrn ßrfrnntnijj.

3uerft galt es, bie gunbamente ju legen für ben Slufbau ber ächten Siffenfchaft. 35ie orabifche ‘JJh'lofophie unb befonberS ber SotrroiSmuS ift, um mit ben Sorten £>egel’S l) su reben, „teine ^htl°foph’e» fonbern Sanier;“ SDiofeS SDioitnonibeS fugt baher

*) @(id)icS)ic bet i3biloiopl)ie, UI. p. 125.

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253

granj $ettingtr.

10

mit SRedjt oon ißr: „Sie öerroechfett bit ffjantafie mit bem ©er« ftanb."1) Dem tarnen nach rootlte fic nicht« änbere« raiebergeben, al« bie ©ebanfcn be« Äriftotele« ; aber unter ihren §änben unb unter bem ©orroanbe, ben großen ‘Pßifoi'opfjen ber ©orjeit ju com« mentiren, ßatten ihre (Jünger i!jre eigene Sett« unbPeben«» anfdjauung i(jm unterfteHt ; ein ©lief in bie ächten Serfe be« Äriftotele« unb bie Darftellungen ber arabifefjen ©ßitofophie genügt, um atabatb ben fremben ®eift ju erfennen, ber bie Sorte be« 2)f elfter« nad) feinen 3b«“ beutet, roa* um fo leichter mar, al« bie roid)tigften ©lieber be« Stagiriten erft auf bem Ummege einer ftjrifdjen ©erfion burrf) neftorianifeße Gßriften am $ofe be« iSfjatifeu oon ©agbab*) in ba« Ärabifcße übertragen morben roaren, unb oon ba au« in« Pateinifcße überfefct mürben, ©ei bem großen Slnfeßcn, ba« Äriftotete« mit 9fecßt in ben Schulen genoß, mußte feine Autorität ben ©egnern entriffen, Slriftotele« fitf) felbft mieber gegeben merben.

Ißoma« mar oorilllem beforgt um $erftellung eine« fritifeßen Seytc« unb befferer Ueberfefcung; barum fanbte er feinen Crbeu«« genoffen UöiHjctm o. SJloerbcfe nach ©rietfjenlanb, um bort bie beften 2J?anuferipte ju geroinnen. „3“ einer eigenthümlicßen unb neuen Seife,* mie ^ßtolomäu« oon Pucca fagt,s) erflärte er nun ben ^fjiiofopljcn Saß für Saß, feinem ©ebanfen batb juftimmenb, halb ißn näher erffärenb, halb bericfjtigenb. Csr hielt an feiner Autorität feft au« inneren, fachlichen unb äußeren ©rünben; benn Seiner hat fo oerftanben, mie Striftotete«, ba« ©ebict unb bie Slufgabe ber ^Jßitofopbie ju beftimmen. (Sr ßat bie Pogif geraffen untf bie Siffenfcßaft bc« ©ebanfen« begrünbet, berart, baß naefj einem Sorte Sant’« fte feitbem feinen Stritt mciter oormärt« getßan ßat. !£ie 3Retaphhfif märe beroafjrt geblieben oor manchem 3rrthum unb ^ätte meniger an Ächtung bei ber ÜJicnge oerloren, hätte fee immer bie meife 3urücf^attung be« Stagiriten beachtet unb fo genau mie er ißr ©ebiet umgrenjt.4) So führte Sfjoma« bie Pefjren be« ÜJfeifter« auf ihren roahren 3“b®lt juritef unb befämpfte mit beffen Siffen* fchaft unb feinem unbeftrittenen Änfefjen bie Äraber, mctche unter ber

’) Ä. a. O., p. 26.

*) Cfr. Renan, De philosopbia peripatetica apud Syros. Par. 1852, p. 51 sq.

’) Ap. Muratori, Scriptor. rer. ital. Toi. XI. 1153.

4) Rarthblemy Saint-Hilaire, Pr«face k la Mbtaphyaique d’Aristote. 1879.

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11 Xljomo* »oit Äquin unb btt europäifdu «ibilifation. 259

Stegibe be« 2lriftotele« i^re moteriatiftift^en unb ungläubigen Staren oerbreiteten , ubcrroanb er ben fallen, entfteflten 8lriftoteCe« burd) bie Oarftcßung be« wahren. ®enn „eS erhob fidj Übermütig baS roinbigt unb anmahenbe ©ol! btr äraber unb rühmte fiep nicf)t minber ber 3U* ftimmung be« Sriftotele«, als ber Eroberung Spanien«; wagte fogar ju praßten, bie e^rifttid^e Religion fönne mit ÄriftoteleS unb mit ber wapren ©pilofoppie nicht beftcpen.“1) So betont er benn juerft ba« 91 e d) t ber Siffenfcpaft. „3tüen SDienfcpen ift oon SRatur au« ber SiffenStrieb angeboren," leprl er mit feinem ÜJieifter. *) (Jr erttftrt un« ba« Sefen ber wahren SEBiffcnfc^aft ; jie ift eine „(Steigung be« erfennenben @eifte« mit ben Oingen;"8) ihre Stuf gäbe fann baher feine anbere fein, als eine geiftige SReprobuction bet wirtlichen Seit, fo ba& bie Seele in gewiffem Sinne „tin Spiegel be« 8116“ wirb.4) Oocp: 3ft biefe Siffenfcpaft für ben ÜRcnfcpen möglich? S5S i e gelangt ber üßenfd) jur Siffenfcpaft?

GS ift bies bie grage, welche ber ®eift, ift er nur jum ©c« wuütfein erwacht, fich oon Anfang an geftellt hat, welche fiep ffon t fteöte fiinfhunbert 3apre nach Spoma«, als eS galt, ben SfepticiSntu« unb SenfuatiSmu» ju überwinben. 5Tt)omaö ift gelungen, was ßant; inbem er ben ÄreiS bloS fubjectioer ©orfteüungen nicht ju burd)* brechen oermochte, nicht gelungen ift. 3nbem Ipoma« oudgc^t oon ber e r f a h r u tt g, gewinnt er einen fieberen objcctiocn ©oben btr Crfenntnijj mittelft ber SinntSwahrnehmung, burd) welche bas finn* liehe Object iit immaterießer Seife oom Sinnesorgan aufgenommen wirb.5) ülber baS finnliche Object ift ein jufälligeS, oercinjelte« ; bas Object ber Siffenf<haft bilben bie allgemeinen unb nothmenbigen 3been unb ® cf ehe aßet Oinge.8) Sie erfenne ich biefe? Offenbar nicht burd) bie Sinne, ba biefe nur bas finnlich Sahrnehmbare auf* nehmen, bie 3been aber übcrfinnlidjer fRatur finb. 'JDurcp ben @eift, antwortet Stpoma«, ber ein höheres als ba« feelifdj-leiblicpe Sinnesoermögen ift, bas ©ermögen näutlich, baS SUlgemcinc unb Siotpwnibige ju erfennen.7) ®tr @eift ift barum ein oon ben Sinnen

* ) Mau ras, in Aristotel. praef.

’) In Metaphjsic. I. 1.

*) Summ. I. 10, q. a. 1.

4) Aristotel. de anim., III. 8. Thom., 1. c. I. q. 79. a. 8. C. Gent. II. 53.

*) De Ver. q. 2. a. 2. 5. Summ. I. q. 12. a. 2.

*) In Metaphys. XIII. 10. I. 1. S. I. q. 15. a. 1.

’) S. I. q. 57. a. 1. C. Gent. II. 66. De anim. III. Lect. 4.

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260

granj $ettiitger.

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oerpbitbene« Sßermögen, wie fc^on au« btt SJerfdjitbenfjtit btr beiber« feitigtn 2^ätigfcit btroorgtljt. *) Diefe ficbtbaren Dinge aber pnb nad) ewigen, göttlichen 3been gefd)affen unb beten Slbbilb;*) biefe« 3bea(e, 3ntttligibite, bab in ben gingen oerförpert erfd)tint, ertennt bet ©ei ft burd) Slbftraction, inbem er eb betrautet, abgetöft oon ben finnlid)rn ^ufättigfeiten btr 3t*t< bt« Orte«, btr ©röge u. f. f *) nie bie 3bee ber SDienfdj^eit in betn ©injetmenfcben, beb Sein« in btm (Sinjetfeienben u. f. f. ©o erfajjt ber ÜJienpb burd) angeborene ©eiftebfraft bab ffiefen ber Dinge, burd) bie Stugenmelt angeregt unb bie ©innebroabrnebmung befruchtet; fo beginnt alte (irfennt* nig mit ber ©inuebwabrnebmung, ootlenbet fiep aber im ©eifte.4) Unb auch ben ©runbirrtbum Sant’«,4) meiner ein ßieblingbgebanfe btr ©egenwart geworben ift, a(b ob unfer ©rfennen fid) nur auf unftre fubfectioen ©mppnbnngen erftreefe, barum unb über bab eigenttiibe ffieftn btr Dinge in Unwiffcnbeit tiefe, bat 2bomab lange oorber febon fignatifirt unb wibcrlcgt. Ällerbing«, bemerfte er, pnb bie Stugenbinge nicht fo, wie fit finb in fid), in ihrem materiellen ©ein in unb; wobt aber erfenuen wir biefetben burd; ein immaterielleb iöilb, bab in ber ©innebwabmebmung bab ßinjelbing, in ber intellectuaten ßrfenntnig bab SBefen beb Dinge« in feiner Slbftraction oon ber finnPcben örfdjeinung barftetlt.6) Die 3bee ift junäcbft im ©eifte, aber bureb fie tritt babSlugen- bing oor ben ©ei ft b‘n unb wirb non ihm erfannt, in äbn« lieber SBSeife, wie bab Iöilb im Spiegel erfdjeint, aber ein ätbbitb beb ©egenftanbe« wirb, ber in ihm fid) fpiegclt. ©o ift unfere (Srtennt* nig ein fubjectiner Vorgang, aber jugteid) oon objectioem 3"bnltf» wie 2boma« bfroor^ebt. 7) $ätte Sa nt, bemertt mit 9ied)t töar* tbetemp ©aint«f)itaire, ben äriftotele« unb Ibomab beffer gefannt, fo hätte « oon ihnen ben gaben empfangen, an bem er au« bem Sabprintb rein fubjectiner Sßorftcllungen ficb hätte retten

*) Contr. Gent. II. 66. S. I. q. 75. a. 5.

*) S. I. q. 15. a. 1.

’) S. I. q. 84. a. 7. I. 9. 57. a. 2. Opusc. 55.

4) S. I. q. 84. a. 6.

s) Allgemeine ©emerfungen }ur trantcenbentalen Atflfjetif. Jfcitif bet teinen ©ernunft. 2. Stufl., S- 383.

•) 8. I. q. 86. a. 1. 2. De Ver. q. 2. a. 2. q. 8. a. 11. C. Gent. I. 53.

f) S. I. q. 16. a. 1. 2. 8. De Ver. q. 2. a. 6. C. Gent. I. 72. Opusc. 141. Est tanquam speculum, in qno rea cernitur (ifl gitidjfair. ein Spiegel, in n>eld)em bie <Sadje erfannt wirb).

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Ifjoma« son Sqnin unb bic «uropäifd^e SiDtlifation.

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tonnen, unb ßätte nitßt be« fioftulate« ber praftiftßen ©ernunft bcburft, um bem Slepticiemu« ju entgeßen, ber bie notßwenbige golge feiner „SDietopßpfit ber 3u!unft* Silben mußte. fWatßbem fo baa Sietßt unb bie Jfraft ber menftßlicßen ßrfenntniß begriinbet mar, fonnte ber engliftße Seßrer nun baran geßen, un« mit fixerer $anb bie fReitße ber ffiaßrßeit ;u entßüllen, Sa« ift ©ott? ma« ift ber ÜW e n f ? bie« ift bie ftrage.

IV. Sie ®otte«leßre btö Stomas t>. «quin; fein ftnmpf gegen SWateriolismuB unb $antßei«mu«.

3n feinem ßommentar jur spf)i)fif bt8 Slriftotefe« ßatte Jßonta« einen ©litt geworfen über baö ©efammtgebiet ber fitfitbaren Seit. Da entfaltet fitß oor feinem Sluge ein SKcitßtßum Don Sräften, eine unermeßlitße güüe Don ©iitern.1) Soßer bie Seit, woßer biefe ©iiter alte ? ffticßt au« fitß ; benn bann müßten fie rußen in fuß, unb in fitß ißr ©enügen finben. Stber fo ift nicßt ; 9Klc« ftrebt natß ©eroollfommnung ßin, 2Ule« oerlangt natß einem ßößeren ©ute, ba« greie unb ©cwußte in freier unb brroufjtcr, ba« Unfreie unb ©ewußtlofe in unfreier unb unbewußter Seife ober naef) $ößerem unb ©efferent ftrebt 21llc« ßin.*) Darum ift ee nitßt an fitß gut, empfängt feine ©Ute nur burd) üftittßeilung unb Sßeilnaßme an bem, mefeßer ba« @ut an fitß, bo« ßbtßfte ®ut ift. So beweift t^ie 35? e f t ba« Dafein ©otte«; geßt ein Strom ooti ßötßfter, notßwenbigcr Siebe bureß alle Sefen; ©ott liebt Sille« , wa« lieben fann. „®ott lieben über Sille«, ift etwa« fRatiirlitße« . . . für febe ßreatur, nießt allein für bie oernunftige,

fonberu für bie Dernunftlofe unb fogor für bie unbelebte, natß

ber Seife ber Siebe, mclcße jeber Grcatur jufommen fann."5) Unb bie geftßaffene 3ntfüi0tnj, gerate inbem fie in fitß ba« ßötßfte aller irbiftßcn- ©iiter, bie Grtenntnißfäßigfeit, erftßaut, feßnt fitß unb Der* langt natß einer unenblitßen 3nteüigenj, bie übet ißr fteßt, Don ber, wie ba« pßpfiftße Sitßt oon ber Sonne, alle« geiftige Sitßt auöftrömt.4) Unb fo ftßaut unfer forftßenber Sölitf ßinein in biefe wunberbor ge*

■) S. I. q. 5. 6.

*) S. I. q. 6. a. 1 ad 2.

*) S. I. II. q. 109. a. 3.

*) C. Gent. I. 43. S. I. q. 16. a. 6. 7. 8. a. 6. ad 2. Veritas prima

est major anima. (Sie erfle SBaßrßtit fteßt über ber Seele.) Cf. De spirit. creatura a. 10.

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262 granj ^ettinger. 14

ftaCtete ©eit, nicht um in ihr fidj gu nerlieren, fonbern um ba bie ©ege ju erfennen, auf benen btr ©oft aufwärts ftrtbt, fid) übet bie ©eit unb fldj ftlbft ju ©ott ergebt. Denn ba jebc ©irfung ihre Urfacbe offenbart, fo erfdjeint aud) in btr ©eit ©ottc« ©efen unb ©alten. Der ©anberer erfennt an ben gufjfpuren im ©anbe, bafj ein Slnberer oor iijm gegangen; fo flauen auch wir im ©taube ber ©d)öpfung bie ©puren ber giifje ©otte«, ber barüber bin* gewanbett.1) 35er menfcblicbe ©eift aber, welcher bie 3bee be« ©a^ren unb ©Uten in fid) trügt, welcher benft unb fid) benfenb feibft erfaßt, ift ein Stbbilb ©otte« fetbft. *) Dod) nicht blo« fueben unb oeriangen foü ber SDknfcb nach ©ott, wie bie Reiben ; •) Stroma« nimmt un« an ber Jpanb unb fii^rt auf fünf ©egen4) un« ju ©ott bin. ©eine ©eweife finb unerftbiitterlitb ; unb je mehr 3gno* ranj, Geologie unb ©feptici«mu« feit fecb^imbert 3abrtn baran gerüttelt ^aben, befto mäibtiger ^at ihre firaft ftcb bewährt; ja $ant ftlbft unb bie epacte gorfebung, bitfer ©tolj nnfere« 3abv* Ijunbert«, lonnten nicht umhin, ihnen ihre Stnerfcnnung ju jollen. ©ott ift. Die ©ewegung weift auf ihn h'O, ben ßrftbewegenben ; bie ©irtungen weifen auf ihn bin, bie oberfte Urfacbe; ba« Zufällige unb Mögliche in ber ©eit weift auf ihn hin, ben 9iotbmcnbigen unb äbfoluten; bie unoollfommenen ©üter weifen auf ihn hin, ba« bMlft' ©ut; bie Drbnung unb Harmonie in ber ©eit weift auf ihn hin, ber ba« oberfte ^Jrincip ber Orb* meng ift.

Doch, w a 8 ift ©ott ? Da« ©efen ©otte«, wie ift, tann ber menfdjlicbe ©eift nicht febauen ; benn fo lange er hier lebt, ift er in 8cben«einheit mit bem materiellen Seibe oerbunben, unb ift bemnacb ber entfpreebenbe ©egeitftanb feiner ßrfenntnifj nur ba«, wa« in ben finnticb'Wabniebmbaren Dingen erfebeint. 3a, ift gleich ©ott in böcbfter SEßcifc ertennbar, weil in höcbfter ©eife wahr unb bit ©abrheit ftlbft, fo fann er bennod) auf natürlichem ©ege oon feinem, auch nicht bem fjöcbfKn gefebaffenen ©eifte ertannt werben, Wie er ift. ßr überragt eben bie (Srlenntnißfraft eine« jtben ©eifte«, wie ja auch bie ©onne, bieft Ouelle bc« üicbtcfl in ber

') S. I. 9. 45. a. 7. Repraesentatio vestigii. (CSint DaifteBung btt gujjfpur.)

*) L. c.

') apoflefgcfdi. 17, 27.

*) S. I. q. 3. a. 8 : Quinque viis probari potest. Cf. C. Gent. I. 13.

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liioma« Bon Äquirt unb bie turopSifdje tfioilifation.

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materietlen SBelt, oon unferem Sluge nicht geflaut werben fann; nur ba« Unenblic^e ift ein abäquate« Organ für bie Grfenntnifi be« Unenbtidjcit. *) Slber bennoch oermag bie natürliche Bernunft ©ott }u erfennen, hoch nur unoollfommen unb gleichnijjroeife ; benn au« bem ©efdjöpfe erfennen wir ben Schöpfer; *) ba aber bie Greatur in einem unenblichen Slbftanbe non ©ott entfernt ift, fo erfennen mir ifjn nur nach Sinologie bc« Gnblidjen, b. h- unnollfommen. *) Unb fo fann unfer ©eift burdj bie Betrachtung ber ©efchöpfe auf breifachem SBege jur Grfenntnijj ©otte« gelangen. 3uerf* QUf bem SEBege ber U r f ä <h l i ch f c i t ; benn bie Greatur ift manbelbar unb mangelhaft, barum meift fie hin auf eine lefcte Urfadje, ber fie entftammt, bie unneränberlich ift unb oollfommen. ©obattn auf bem SBege ber Stile« iiberragenben ©röfje; benn ba biefe lefete Urfadje Urfache non Slllem ift, ma« ba ift, fo mu§ fie alle geraffenen ©iiter in unenblicf) nollfommeucr Sß}eife in fief) tragen. Gnblich erfennen mir ©ott auf bem Biege ber Berneinung; benn ba er alle gefdjöpflichm Oinge in unenblicher Söeife überragt, fo fann »hm nicht« jutommen, ma« ber Greatur at« fotdjer jufommt, b. h- nicht« Gnbliche«. *) ©o erfennen mir benn burth bie Betrachtung ber ©chöpfung bie Ginfjeit unb Ginfachheit, bie Unenblichfeit unb abfotute ©üte be« göttlichen ffifefen«. 5)

$ier fefct nun 2homa« ben $ebel an, um ben SDiateria« liöniu« unb $anthei8mu« in feinen oerfdjiebenen Sonnen au« ben Singeln ju heben- 3ener erhebt bie SDfaterie ju feinem ©ott, benft ihn förperlich, aber ein Körper fann ©ott nicht fein; benn fein Körper bemegt, er fei benn juerft beroegt; ©ott aber ift bet erfte Beweger. 5) er Körper trägt an fid) bie SUiögtidjfeit ju jeber Ber« änberung ; am Slnfang ber ®inge fteht aber nicht bie SDiöglichfeit, - fonbern bie ©irflichfcit, fonft fäme *u nicht« SEBirflithetn. Söäre ©ott Körper, fo müßte er ein lebenbiger Körper fein, ba biefer ebler ift al« ba« 2obtc unb ©ott ba« Gbelfte ift unter bem, ma« ift. Der (ebenbige Körper aber ift biefer nur burcf) bie ©eete. Darum ift ©ott fein Körper. “Oer Körper ift manbelbar, ©ott aber un* manbelbar; ber Körper ift nothroenbig begrenjt, ©ott aber unbegrenjt;

•) S. I. q. 12. a. 3. 11.

*) L. c. a. 12.

*) L. c. a. 5. I. q. 13. a. 2.

' 4) In Ep. ad Rom. Lect. VL

») S. I. q. 3-12.

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Sranj $ettinger.

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barum ift ©ott fein Körper. *) Der Körper ift jufammetigefefet^ alte« 3u|ammengefefcte forbert ein jufammenfefcenbe« ©rincip; barutn ift ©ott fein Körper. *) hiermit finb Demofrit unb ßpifur fo gut wie geuerbad) unb 2>iolefebott roiberlegt.

©ei beginn unb am Schluffe ber neueren ^ifofop^ie ragen her* oor al« Vertreter be« ©antbeiömu« ©arudj S p i n o j a im fecb* zehnten, Scbelling unb $egel im neunjebnten ^a^unbert. 3bt gemeinfatner ©runbgebanfe ift ber Sab, baß 3lüc«, ma« ba ift, feiner Subftan} unb ffiefen^eit nadf nur Sine« unb Da«felbe ift, alle Dinge in ber Seit nur formen, Attribute, Offenbarungen be« Sinen Unenb* litten finb,3) mit Aufhebung ber roefenbaften ©erfdjiebcubeit oon SDlenfdp unb Dßier, 34 unb Du, Körper unb ©eift , ©ott unb ©eit. Der $antf)ei«mu« ocrmeltliebt ©ott unb oergöttliebt bie ©eit.

SDJit ß i n e m S a 1} c trifft ber englifebe 8cßrer bett ©antbeiSmu« in’« §>erj. ©ott bat ba« Dafein au« unb burd) ftd) felbft; fjätte er oon einem Slnberen, bann märe nidjt er ©ott, fonbern biefc« 2tnbere. Darum fallen in iljm 3^« unb ffiirflidjfeit, ffiefeu unb Dafein tufammen;4) ebenbrum befiel er mirflid) alle möglichen ©ütcr ; ebenbrum ift er I)öd)ft oollfommcn ofjne jegli^e Unoollfommtn« beit, *) lautere ©irfliebfeit ohne jebe 3Jfög(id)feit, bie erft burd) ein. ©irflidje« jum ©irfticbcu «erben muß, b. i. reiner, böcbft Doll» fommener ©eift, *) oon allem Unoollfommenrn, Snblicben, Körper« li4en, ©anbeibaren gerieben. Darum ftebt ©ott, ba« ©oll» tommene, a(« Urfadje am Snfang ber Sntroicflung aller Dinge, nicht aber ba« ßfjao«, ba« Unoollfommcne, bie SUfaterie, 3nbifferen$ oon fliatur unb ©eift ; 7) gtrabe festere ©ebauptung ift ber eigent* liebe ©runb, warum auch bie ibeatften pantbeiftifeben Sbfteme febliefj* lieb boeb im Sumpf bc« 2Kateriali«mu« untergingen.

„Doch," antmorten un« Spinosa,8) Siebte, §eget, Schleier* maeber, Strauß, „wenn ibr ©ott näher beftimmen wollt al«

’) S. I. q. 8. a 1. C. Gent I. 23.

*) S. I. 9. q. a. 7.

a) Conc. Vatican., De fid. cathol. Cap. I. Can. 3 5.

‘) C. Gent. I. 21. S. I. q. 3. a. 8.

‘) S. I. q. 4. a. 2.

•) L. c. q. 3. a. 7. 8 (gegen ben $t)lojoi»tnu?, iämolrict) Bon ©ena unb X>asib Bon ®inanto).

T) L. c. q. 4. a. 1. 2.

') Omnis determinatio est negatio. Ep. 60. (3ebe ©eflimmung ift ®er= neinung.)

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Xboma« von Stquin unb btt europäifche iSivilifation.

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ein befonbere« ©efen, unterfdjieben oon btm untnblitfjtn SM, habt if)r il)n nid)t ebenbaburd) Dtrffeinert, ocrenbfidjt, begrenjt, bcfd)ränft, b. h- bie 3bee b e S Unenblidjcn ftlbft aufgehoben? Srägt barum ber ©ebanfe eint« perföntiefjen, oon btm 9(11 gef (hieben en ©otte« nicht einen ©iberfprud) in fief) als eines Unenblich fein foUtnben unb bod) ßnblichen?" ,3f)r (eget ®ott(* fagt 3- Sichte, *) „(ßerfönlichfeit nnb ©croußtfein bei. ©a« nennt iljr beim nun ^Jerfönlichfeit unb ©ennigtfein? ©od) n>of)t nur baSjenige, toa« iljr an euch felbft gefuttben, an cud) felbft (ennen gelernt, unb mit biefem tarnen bezeichnet habt ? j!a§ ihr aber biefe« oljue ©efthränfung unb ßnblichfcit nicht benfet, r.od) fdjled)tcrbings benfen fönnt, fann euch bie gcringfte Slufmerffam* feit auf bie ßonftruction eure« ©egriffe« feeren. Ohr machet fonaef) biefe« ©efen burd) bie ©citegung jene« Ipräbifat« ju einem enblid)tn, ju einem ©efen eure« ©teidjen, unb ihr habt nicht, »ie ihr toolltet,'- ©ott gebacht, fonbern euch fetbft im Renten ocroieffältigt." Sibfoiute $erfönlid)feit, fährt er fort, fei barum ein oollfommener ©iberiprud), bei roetdjem (ich nickte benfen täjjt.

ß« ift peinlich, ju fefjen, mit jene graction ber mobernen ‘fSfjrto« fophie, »eiche bem (ßantheiSmu« nicht oerfallen ift, einem i'aofoon gleich in oergeblichem (Ringen ftd) btn Umflricfungen ber pantheiftifchen ©ophiftif ju entziehen beftrebt. Xhoma« hat fie längft gefannt*) unb ebenfo grünblich- al« lichtooll gelöft. ßr unterfcf)cibet eben z»ifd)tn bem allgemeinen ©ein unb bem göttlichen ©ein; jene« ift nicht« anbere« al« ba« ffrobuct unferer äugerften Slbftraction oon ben Grintelbingen, ohne jebc ©eftimmuug be« 3nhaltcS, ausgenommen ber Negation be« fRidjtfein«, ba« barum nur in ber $bee befteht, unb Slllem {ufommt, toa« ba ift.8) SDiefc« bagegen ift nicht blo« ein

') 3n Richte’* unb SHethhammer’« 3ournal VIII. 1. (Cfr. auch 8 chl eiet mach er, (Reben über bie (Religion. ®. 107. 8. Stuft.)

*) Quia id, quod commune est, per additionem specificatur, wl indi- viduatur, aestimaverunt, divinum esse, cui nulla fit additio, non esse aliquid proprium, sed esse commune omnium. (SBtil ba«, toa» allgemein ifi, burch Beifügung einer ©eflimmung ein ©efonberc« ober 3nbivibuetle« roirb, fo »äffnten fte, ba« göttliche ©ein, »c!d|cm nicht« heigefügt »erben fann, fei nidjt etwa« Sigentljütnlithe«, fonbern ba« gemeinfame Sein von Ment.) C. Gent. L 2<i.

*) L. c. multo ergo minuB ipsum esse commone est aliquid praeter omnes res existentes, nisi in inteilectn solo. (Um fo roeniger ift ba« allgemeine ©ein, al« iofdje«, ein neben alten eyiftirenben Singen SPcftchenbe«, aujjer in bem Btrflanbe allein.)

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granj £>ettinger.

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ibtalc«, nur im ©ebanlen beftefjcrtbeS, fonbern ba« allerrcalfte Sein, unb feinc«»eg« eine blo§e .^tjpoftaftrung be« allgemeinen, ibeaten, abftracten, beftimmungäloftn ©ein« beb f}antbei«mu«. ©eil bie bödjfte SBoüfommenfjeit, bie unbegrenzt Sülle beb ©ein« felbft ift, ift ebenbaburd) ergaben unb oerfdjieben non jebem unooUfommetten unb begrenzen ©ein; weil uuenblid) bod) über biefem ftcfjenb, unb Urfacbe alle« enblicben ©ein«, ift non biefem untcrfdjieben unb beftimmt. ’) Unb fo ift ©ott ein perfönlitbe«, b. b- ein an unb für fid) beftebenbe«, non ber SSelt, feiner ©cböpfung, eben baburd; Der» ftbiebene« ©efen, beffen Sehen »tr in 3f efjntic^f eit be« menfdj* lieben ©eifteSlebcn« mit ftteebt un« Dorftellen, ohne be«toegen unfere Gngenfd)aft«btgriffc gleicbmertbig auf ©ott unb bie Kreatur antoenben ju »ollen.8)

©o »aren ÜWaterialiemu« unb f}antbei«mu« Ubermunben; bod) Stboma« b“«e biennit feine Aufgabe nur jur fpdlfte erfüllt. Dtt ffijelt ift nicht ©ott; aber »ober bte 2öc ft? Die fDJaterie ift ewig, bie Seit ift bemnaeb non Sroigleit, ba« ^robuct einer emigen notb*

*) Individuatio primae causae est per pucan bonitatem ejus. (®ie erfte Uriacße inbimbuirt bmeß ißre reine ®lite.) S. I. q. 8. a. 4. Ex boc ipso qnod additionein non recipit nec recipere potest, concludi potest, quod Deus non sit esse commune sed proprium. ((Eben barau«, baß er feine Beifügung erhält, nod) erhalten taim, tann geidjloffett werben, baß ®ott nicht ein allgemeine« ©ein, fonbern ein eigenthfimlicße« fei.) C. Gent. I. 26. Esse ejus est ipsa ejus natura dirina subsistens, quod in nulla alia re con- tingit, nam quaelibet alia res habet esse receptum et sic limitatum, et inde est, quod essentia divina ab omnibus distinguitur per hoc, quod est in alio non recipi .... Patet ergo, quod essentia divina non est quid generale in essendo, cum sit ab omnibus aliis distincta. (©ein ©ein feine für ptß befteßenbe göttliche 'Jlatur ; wa* hei feinem anberen 2>inge jntrifft, benn jebr* anbere I'ing hat ein aufgenommene« unb fomit btgrenjteS ©ein; unb hieran« ergibt fuß, baß bie göttliche Söefenßcit »an allen anberen ba» bureß unterfthieben wirb, baß fie nicht in einem Anberen aufgenommen werben fann. (58 alfo flar, baß bie göttliche ffitfenßeit nicht etwa« allgemein* ©eienbe« iß, ba fte oon allen anberen unterjeßieben ift.) Quodlib. a. 26. q. 2. n. 8.

*) S. I. q. 27. a. 1. Cum Deus sit snper omnia, ea, quae de Deo dl- cuntur, non Bunt intelligenda secundum modum infirmarum crcaturarum . . . sed secundum similitudinem supremarum, quae sunt intellec- tuales substantiae, a quibus ctiam similitudo accepta deficit a rep raesentatione divinorura. ($a @ott über aüe« iß, fo ba«, wa« t>on ®ott gefagt Wirb, nicht }u oerßeßen nach ber Ärt ber uttterßen ©efeßöpfe . . . fonbern nach ber Sleßnlicßfeit brr höcßßen, welche geißige ©ubftanjen ßnb; auch bie Bon biefen entnommene äeßnlichfrtt ReHt ba« ©öttlicße nießt BoUfommen bar.)

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Stomas »ott Siquin unb bi« europäifd)« ßiotlijation.

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roenbigen Bewegung, bie Don ®ott auSgeht; fte ift baßer nothmenbig fo wie fie ift, tann nicht größer unb nicht Keiner, nicht Dollfommener unb nkßt unDollfommener fein. Sine Borfeßung gibt es barum nicht; ma# bie ©laubigen Borfeßung nennen, ift nur bie allgemeine Vernunft, nach beten ©efeßen bie ewige ÜJiaterie ft <h nothmenbig entmicfelt hat. Die« bie ©runbjüge ber arabifc^en ^bilofopbie, bie, geftüßt auf Slriftotele«, bie cßriftliche ffieltanfcßauung belämpft. ffiir fcljen, auch in biefen fragen hat ber ntoberne Unglaube nichts 9teue« geboten. $at bocß juleßt noch ©trauß‘) über ben Urfprung ber Dinge nid)t8 Beffere« Doqubringen gemußt, als bie |>t)pothefe Don einer Urmaterie, unb über ben Bertuft be« BorfeßungSgtaubens un« baburcß ju tröften gefugt, baß bie 9?othmenbigfeit, mit welker bie Urfadjen in biefer ©eit Wirten, „bie Vernunft felbft ift,“ für welche er „gerabe fo Diel SJJietät forbert, als ber gromme alten ©til« für feinen Sott.“ Üljoma« bcfämpft feinen ©egner mit ber ganzen ©ucßt feiner Dialectif, ber ©eite feine# Bticfe«, ber ßlarßeit unb ^Jräcifion feiner Darftellung; bie $ßpotßefcn einer ewigen SDtaterie,*) bie geugnung ber Borfeßung,*) bie behauptete Unmöglichfeit ber ©d;öpfung werben unter bem fmmrner feiner ffritit gerabeju oer* nicktet, ©ein Gommentar jum achten Buche ber Slriftotelifchcn ift faft ganj ber ©ibertegung be# SJoerroeS gemibmet. 3Rit wenigen ©orten faßt er beffen Beweisführung jufammen: „©erben heißt fi(h peränbern ; ma# fid) neränbert, fefet ein Object ber Beritnberung DorauS ; alfo ohne Object, b. i. ohne ewige 2J?aterie (ein ©erben ber ©eit.“

•Gr leugnet ben Ob er faß. Die ^eroorbringung be# 31118 burth ©ott ift webet eine Bewegung noch Beränberung, fonbern eine einfache Gmanation.4) ©ohl ift ®ott ewig, bemerft er gegen baS ©ophiSma be8 Sloerroe« Don ber 92otbmenbigfeit einer ewigen ©eit, aber wenngleich er Don Groigfeit ben Killen hQ,te> bic ©eit ju fchaffen, fo fchuf er boch barum nicht eine ewige ©eit. ©ohl fcßt bie natürliche Urfächlichteit eine SDJaterie DorauS unb be= thätigt fich in ber 3e*1/ aber ®ott bie ober fte allgemeine Urfache alles ©ein# fchafft bie gorm mit ber ÜWaterie unb bie 3eit felbft mit ben jeitlidjen Dingen.5)

') $«t alte unb neue (Staube. @. 878.

*) S. I. q. 44. a. 2. q. 46. a. 1. 2.

*) C. Gent. I. 50. S. I. q. 22. a. 1. 2. 3.

4) In VIII. Physic. Lect. 2.

5) S. I. q. 46. a. 1 ad 6.

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Sranj §ettingcr.

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Sdjelling l)at tinmat gefagt : „Der Schöpfung«begriff ift ba« Äreuj beä ©erftanbe«.* (Sr ftet>t eben auf bem Stanbpunft bcr alten ©hilofopheti, beren Afiom, wie Slriftotcteö berietet, mar: „?lu« 9Iid)t0 wirb Glicht«.* Da« 3rrtge biefed Stanbpunfte« f)at Ifjoma« bargethan; biefe betrachteten eben immer nur bie einjelnen ©ir» lungen in intern ©erhältniffe jn ben einjelnen Urfadjen; in bcr grage naef) bem Urfprunge ber ©clt haben mit* bagegen ba« „f)öcf)fte uub allgemeine, nicht ba« nächfte unb einjefne ©rincip in« äuge ju faffeti."1) 3ft aber bie ©eit oon ©ott, fo ift alle« ®ut, ba« in ber ©eit ift, oon ©ott; bie ©eit ift aber nur biefe ©eit burdj bie Orbnung, bie in ihr ift, ünb befonber« burd; ihre £>in* orbnuug ju ihrem testen 3i£lf, barum gibt eine ©orfebung, welche biefe Orbnung gefefct bat, unb jebei ©efen in ihr unb fo Sille« bem lefcten 3*^ }ufiif)rt.1)

V. £ic Anthropologie bcä cUjomas oon Aquin; fein ©ud) gegen

AbcrroeS.

©a« ift ber SDIenfd)? ba« ift bie jroeite gragc. Die ÖÖfung, wie fic bie gefuube ©b<lofDPbie unb ber ©lauben gegeben, war in grage gefteflt, auch auf biefem ©untte bie djriftlidje ffieltanfdjauung bebroht. f)a, ift laum eine ®d)anptung ber neueren materialiftifchen Schule, bie nicht oon Dfoma« bereit« angebeutet uub wenigften« im ^rincip wiberlegt worben wäre. £at er boch nicht blo« bem ©e« banfen, fclbft bem ©orte nach bie ©inwenbung fich oorgelegt, bie mir heute bei $ätfcl, ©üchner, 35og t, ©urmeifter, ©irdjom, sJJiolefd)ott lefcn, baß bie Seele nur ,,al« Gomplej ber 3u* fammenwirfung oicler mit Kräften unb ©igenfdjaften begabten Stoffe ju faffen fei," inbem er fich fragt, ob bie Seele nicht al« Diefultat ber Säftemifd)ung (complexio) oorgeftellt werben fönne.3) ÜJiit Dicdjt fagt barum ©apft Seo XIII.*) oon ihm: ©r b“t Pie 3rrtl)ümcr früherer 3eiten fämmtlich befämpft unb jur ©ibevleguug jener, bie immer mieber auf« 9Ieue in ber 3ulunft auftauchen, bie unbefieg« barften ©affen geliefert.

3wei ©arbeiten bilben befonber« ben ©egenftanb feine« ©e* weife«: bie menfchliche Seele ift geiftig, bie mcnfdjlicfjc Seele ift un*

’) S. 1. q. 45. a. 2 ad 1.

*) S. I. q. 22. a. 1.

*) C. Gent. II. 62.

4) Encycl. d. d. 8. Aug. 1879.

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21

Itjoma» »on Stquin unb bic furopätfc^, Stoiltfatioii.

269

fterblid). Daß namentlich Dom £>ofe gricbiit^e II. au« üppige ©innen* ruft unb epifuräifeße Seben«anfcf)auungen über 3talien unb ©üb* granfreid) h>n fid) Derbreitet Ratten, beroeift Dante’« $ölle, in beren fed)«tem Greife in gliifjenben Särgen

bat ifjve ®ra6e«flätte 'Jiit (Spicuritä feine gaitje ©tpulf,

3)ie mit btnt Körper läßt b ie Stete fierOen.1)

2>tit mehr beim laufettb lieg’ itb äflbter; bür «'rinnen ift ber jroeite ftriebrid).

Die ßinfadjljeit unb ©eiftigfeit ber menfdjlichen Seele, ifjre Un* abhängigfeit oon beut Seibe in ihrer ©ctljätigung uub ihrem ©ein be* roeift Jbont“® au« ber iftatur be« ßrfenntnißobjccte«; benn bie meufd)lid)e ©ecie benft unb erfaßt im Denfcn ba« Mgemeine, SJothroenbige , Ueberfinntidje , * ma« in ber ©innenroelt a(« folchc« nicht erftfjcint, ja feibft ba« Sinnliche erfaßt unfer ©ebante in iiberfinnlidjer ©eife.2) ©r bemeift bic« ferner au« bem ©efett be« Crrfenntnißacte« ; benn ba« ßrfenntnißoermögcu föunte bie allgemeinen 3been nid)t aufneljmeu, hätte nicht bie Hraft, ba« Allgemeine ju erfennen, ba ber Sinn nur ba« ©efonbere unb ßinjetne aufjufaffen' oermag.9) Au« ber ©etljätigung eine« ©ertnögen« aber ftf)Iießen mir auf beffen fJJatur unb ©ebeutung. Außerbcm benft ba« Denfen auch über fid) feibft, erfennt fo fid) feibft unb feine eigene Shcitigfeit, ma« ba« ©inne«Dermögen nirfjt uermag. Da« ©elbftbemußtfein ift ba« ©iegel be« ©eifte«.4) Die ©ittne ermüben bet fortgefefcten ©inbrüefen, werben gcfdjäbigt burdj 3U mäd)tig mirfenbe ©egenftänbe ; bie ®eifte«freube fteigert fid; bagegen bei erhöhter SJr^ätig« feit, unb roirb unfer Denfoermögeu burd) ba« ^ö^erc Sicht ber ©afjr* heit nur noch mehr jur 2t)ötigfcit angeregt1')

©a« aber unabhängig oon ben finnlichen Organen fid) be* tljätigt, ba« cyiftirt aud) unabhängig oon ihnen. Darum ift bie mcnfdjliche Seele geiftig. 6) llttb roie fic erfennt, fo ocrlangt fie;

’) Infern. X. 13.

*) S. I. q. 75. a. 2.

’) L. c. a. 5. Omne, quod recipitur in aliquo, recipitur in eo per modum recipientis. (ade«, roa« in einem 9tnberen aitfgenommeti roirb, roirb in ihm aufgenommen nach ber Söeife beb atifnrfjmrnben.)

*) C. Geut. II. 29.

*) De anim. III. Lect. 4. C. Gent. II. 66.

*) S. I. q. 75. a. 2.

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270

gtanj J£>ettin0er.

22

ift ba8 2lllgemeine, ßwige, SJotljwenbige ©egenftanb ihrer ßrfenntniß, fo ftrebt fie auch nad) biefcm ^in, unb jroar nic^t wie bie Sinnlich« feit in blinbem Jriebe, fonbern in freier ©illenbthat, ba nur ba« unenblidjc Out ben ©itlen ju nötigen oerrnag. *) ßben barum aber, weit einfach unb für fid) bcftehenb, fann bie Seele au« unb burcf) fid) nicht untergeben ; nur Oott müßte fie oernidjten. Dod) bie «Seele ift in fid) ihrer Unfterblidjfeit gewiß, ba ba« Verlangen ihrer Statur fie nicht täufcßen fann. Oott aber Dernicßtet fie nicht, ba er in ber Schöpfung unb ßrßaftung feiner ffierfe feine äJJadjt unb ©üte offenbart, nicht aber in beren Vernichtung. *)

Stuf biefcn ‘Principien nun baut ber cnglifcße Sthrer ba« 9teid> ber ©iffenfdjaft unb ber Sitte auf. Stber ein mächtiger ©cgncr ftellt fid) ißm in ben ©eg ; wieber ift 21 o e r r o e «, ber biebmal mit fo gtänjenbem Scheine fein Spftent $u begrünbcn oerftcfjt, baß felbft Viele unter ben ßßriftcn juftimmen, ihm, „ber fein Veripatetifer war, fonbern nur ein Verberber ber pcripatetifchen Vßito* fophit," 3) unb „obgleich fie Ghriftcn finb, bennod) fo unehrerbictig oon bem chriftticheu ©lauben reben." *) Seine Sehre ooti ber Sin* .heit bc« ^ntellect« für alle SDtenfchen hatte jur nothwenbigen golge bie Seugnung ber inbioibu eilen U n ft er blich feit, ©äh* renb fein erfter ©runbirrthum, bie Sehre oon ber öroigfeit ber SJfaterie, ©ott entwiirbigt, leugnet biefer jweite ben tiefften ©runb alle« religiö0*fittlid)en HJffnfdjcnlcben«, bie Seetenfortbauer.

<5« muß ein gewaltiger Räuber gtweft« fein, welcher bie Sehrt be« 2loerroc« umgab, baß fie eine fo große ©efaßr für Europa werben fonnte ; auch ber Dichter ber ©örtlichen Somöbic fann nicht umhin, ihrer ju erwähnen :

Mein, wie’« au« bem Xhier jum äüenfdjen werbe,

Siehfl bu nod) nid)t; bie« ift ein ‘ßunft, ber irre cSitift t i n e n ©eiferen al« bid] geführt Jjat,

So baß in feiner Sehr’ er oon ber Seele ©efdj leben ließ ben mBglidjen ©erflanb fein,

©eil fein Organ er faß, ba« biefent eigen. *)

>) S. I. q. 60. n. 2.

’) C. Gent II. 55. De anima a. 14. C. Gent II. 31. sq. IV. 79. 3. I. q. 104. a. 4.

*) Thom. in VIII. Physic. Lect. 2.

*) L. c. Sine SQnflration biefe» Sape« bilben bie Born ©ifefjof Stephan Xempier »on tari« i. 3. 1270 oermorfenen breijtfjn Ihcfen, weldje bafelbfl nawentlid) in ber 21rtiflenfacultfit gelehrt würben.

*) Purgator. XXV. 61.

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28 Itljoma« Don ®quin unb bic wroyäijtbf <Sioi(ifation. 271

9M) üDieldior ß a n u « im fed«jdnten 3£d'dunbert fpridjt oon ülnljängern be« Sloerroc» in 3tatien, melde bie Unfterblidfeit ber Seele leugnen. l) SRad Säoerroc« ift jroar bie SDienfdfjeit mit 3ntetligenj begabt, aber bicfe ift nidt wefenljaft bem ©injelnen geeint, fonbern ftefjt außer unb über dm ; mie bie Sonne biefe fidtbare SKelt, fo crleudjtet ein 3nteüect er ift bcr niebrigfte unter ben äftralgeiftern, melde bie nerfdiebenen Sphären befreien bie ©efammtf)eit unfere« @efd)led)tö, ba« in unb burd if>n erfennt. Da« 3nbioibuum mirb at« folde« nur bcftimmt burd bie finnige Seele; ba biefe mit bem Seibe jngleid untergeljt, fo gefjt aud ba« 3nbioibuum unter, nur bie ©attung, reelle ber 3ntcücct immer» fort erleuchtet, bleibt eroig.

©egen biefe Iljeorie, auf eine fatfde 2lu«legung be« Stagiriten gebaut, *) roenbet nun IljomaS bie ganje ßraft unb Sdjttrfe feiner Dialettif. 3" ftinem Kommentar über bc« Slriftotele« 3öer!e oon ber Seele, in feinen beiben Summen, in feinen Unterfudjungen über bie Seele, befonber« aber in feinem ©uefje : „93 on ber (Einheit

be« 3”tctlect0 gegen Sloerroe«" Ijat er ba« $öd)te ge» leiftet unb jugleid) im 55orau« bie in unferer 3fit mteber oon nam» haften ©elefjrten oorgebrad)te Iridotomie roiberlegt. *) Unfer Gr= fenntnißoermögen, führt er au«, ift bem Seihe geeint al« beffen 0orm, b. b- ber ü)?enfd roirb SKenfd burd feine Seele, melde in dm öegetirt, empfinbet unb benft. Die« befagt fdon ba« gemeine Semußtfein, melde« bem (Sinjelmenfdcn ba« Denlen in gleicher Uöeife jufdreibt mie ba« Smpfinben. Die 9?atur eine« jeben UBefen« erfennen mir au« feiner Ifjätigfeit; ba« Denfen beftimmt ben ÜJien» fden unb unterfdeibet dn al« folden oom Iljiere, ebenbarum ift bie 3nteüigenj bie $öefen«form be« SDienfden, unb nidt« außer dm SBleibenbe«. SEBüre ber 3ntellect nur (Einer, bann mären fßlato unb Sofrate« nur (Ein ßrfennenber, nur ©in ffiefen. Slber unfer ©iffen ift nidt ba« SEBiffen be« änbern, unb mir felbft finb e«, bie burd Slbftraction bie 2Biffen«fdäfce erringen.4) 933ie Spin o ja au« bem Scgriffe ber Subftanj ben $antf)ei«mu«, fo fudt Sloerroe« au« jenem be« 3nfeHect« beffen (Sinjigfeit ju begrünben. „2ltle SJien« fden," bie« ift ber $auptberoei« be« arabifden <ißljilofopf)en, „fommen

') Loc. theolog. X. 6.

’) Sef. De generat. anim. II. 3. De an. I. 4. IV. 5.

•) S. I. q. 76. a. 4.

4) S. I. q. 76. a. 2. q. 79. a.5. q. 117. a. 1. q. 118. a. l.C. Gent. II. 78.

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272

grau} ^ettingtr.

24

überein in fcen elften Settfprincipien ; aifo ift in allen nur Sin

3nteücct.* ®en Dberfafc gibt Ifjorna« ju; aber er leugnet bie

Schlufjfolge; ^ierau« folgt nur, bajj eine ^ ö ft e ^ntelligcnj geben muß, roeldje ber menfd)(icbtn Seele oon ihrem 8id)te einen

Sin t heil otrlieljcn t>at unb immerfort in ifjr t^ätig ift, barum

heifjt beim ^Jfalmiften : *) S)u ^aft un«, o £>err, bejeidjnet mit bem fiid)te beine« Stngefid)te«.

Seine Söiberteguug tjat S)ante roicbcrholt :

©dltiefi’ auf btr SBatjrfjtit, bie ba tommt, beti Stufen,

Unb mifft, bafe, fobalb bem Embröont Sie ®liet>enmg bt« kirnte ift Dolltnbtt,

3bm 3U fid) ftijrt ber Urberocger fröfjlid)

Ob folctsen Äunftroerf« ber Statur, unb neuen,

ÜJtit ffraft «füllten Seift bann ein ibut haitdjet,

$er in fein Siefen aufnimmt, rca« er Sistig’«

Sort trifft, unb fo wirb eine e i n j’g e Seele,

Sie lebt unb füf)lt unb nad) fid) felbfi fid) menbet.’)

Gliarattcriftifd) ift ber Stylus feine« föud)e« gegen Sloerroe« : „SSenn einer rutjmrebig ob feiner fälfr^ltc^ fogenannten SBiffen* fd)aft gegen ba«, raaö mir gefdjricben h“ben, etma« oorjubringen tjat, fo foll er reben, aber nid)t in SBinfeln unb oor Änabeit, roeldje in folgen fchroierigen fragen fein Uribeil fjabcit, fonbern er foll gegen ba«, roa« gefdprieben ift, fdjreiben, unb er mirb nicht nur mid), fon* bern nod) oiele Slnbert fittben, bie feinem Srrthume entgegen treten roerben.“

VI. Vernunft unb Offenbarung. dljaraftrr ber Sljeologie br« Xffomng oon Stquin.

So gibt bie SBiffcnfdjaft Slntroort auf bie jroti großen, inljalt* fdfroereu grngen : 2Ba« ift (Sott ? SBa« ift ber 2)ienfd) ? £)o<h nicht bie le^te Slntroort. „(S« gibt nämlich," belehrt un« 2^oma«, „eine breifadje ©ottcecrfenntnif; ; bie erfte gemimten mir baburch, ba§, oon bem natürlichen t'idft btr Vernunft erleuchtet, mir au« ber füetrad)tung ber Schöpfung jur ' <5rfenntni§ (Sötte« auffteigen ; bie jroeite finbet baburd) ftatt, baß bie göttliche üBahrheit felbft fid) un« offenbart, aber nicht fo, rote fie an fid) ift, fonbern im Tuntel be« ©lauben« ; bie britte unb höchfte SBeife ber @otte«erfcnntnifj mirb bann fein, toenn

') Ps. 14, 7. Op. 70 sup. Bobth. De Trinitate.

*) a. a. O. 67.

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Ifjomaä »cm 'üquin unb bit turopäijdjt (lioilijation.

273

mir ba«, wa« wir jeßt im ©tauben feftljalten, ootlfommen fchauen bürfen." l) ©ie bafl (Stjriftent^um tc^rt, ermöglicht ©ott bem 2)ten« fdjen bitfe fjöd)fte ©tufe ber Gjrfenntniß, wie fie nur immer ber creatürlichc ©eift erfchnen fann, bie Slnfcßauung ©otte« fetbft, ber erften ffialjrtjeit. *) ©enn barum ba« (Stjriftcnttjum ben ©aß oer* fünbet, baß bie (Seligen bereinft ©ott flauen werben, wie er ift, fo t)at nur einen ©ebanfen auSgejprochen, bem aud) bie fopßie ihre 3uft‘niQ1UI19 nicht otrjagen tonn. 5luf natürlichem ©ege fönnen wir allerbing« bortf)in nid)t gelangen ; benn ©ott flauen übcrfchreitet bie Äraft einer feben creatiirlidjen Anteiligen} ; barum bereitet ber ©taube ßier auf ßrben, ben ©ott in unfere Seele au«* gießt, un« ju biefem erhabenen .gicle öor- *) 3“. gcrabe ba« ift ba« äuejei^nenbe ber mcnfdjticßen ©ecte, ba§ fie wegen ihrer ©eiftigfeit gottoerwanbt ift;4) ©ott aber, in feiner uubegrenjten Hiebe, will ben SDtenfdjen nod) rnctjr }u fieß ßeranjießen, it)m Stnttjeit geben an feiner eignen Seligfeit;9) barum gießt er linjerer Seele bie ßeitigmadjenbe ©nabe ein, bie nicht« Slnbere« ift al« ber fietm, ber im fenfeitigen Heben jur grudjt ber Seligfeit fid) entfaltet ß) unb bie Seele felbft über ihre natürlichen ©ebingungtn erhebt. Der ©taube ift nur bie auf bem ©ebietc unfercr Anteilige^ fid) oolljirtjcnbe Erhebung unferer ganzen 9Jatur, ber un« ein 9teid) ber ©ahrheit auffcßlicßt, ba« unferem natiirticfjen Serftänbniffe für immer wäre uerfdjloffen gewefen. 7)

©äre jebod} aud) biefe fjöc^fte Scligfeit in ber Slnfdjauung ©otte« nicht unfer ,3*^; bennod) ift eine göttliche Offenbarung un« nothmenbig, .unb muß fo ber ©laube ergänzen, wa« ber ©ernunft* erfenntniß mangelt. Denn oljne @ottc«erfenntni§ fönnen wir felbft unfere natürliche ©eftintmung, bie in ©ott ift, nicht erreichen; in ben gragen über fftatur unb ©efen ©ottc« ift eben unfere ©ernunft äußerft fdjwach, wie bie« bie ®efd)ichte ber tßhilofophie oon Stnfang an beweift ; unb märe fie bie« auch nicht, fo mürben wir auf bem ©ege ber natürlichen gorfefjung, welche oicle anöcre ©iffenfehaften oorauöfeßt, nur feßr fpät jur ©otteSerfcnutniß gelangen ; außerbem

') C. Gent. IY. 1.

*) S. I. q. 12. a. 1. a) De Yer. q. 14. a. 3.

‘) S. I. II. q. 1 10. a. 4 : Est in speeie intellcctualis creatura. *) L. c. q. 27. a. 6 : Consortera divinae naturae.

®) De Yer. L c.

’) C. Gent. III. 152.

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274

g r q n j $tttingcr.

26

finb bie allerrocnigften SÜJcnfc^en im Stanbe, tbeit« au« ©elftes« fcbroäcbe, tbeit« wegen auberroeitigcr 33cfd)äftigttngen, tbeit« auch au« SErägbeit, burdj eigene gorfdjung ©oft ju ertennen. ®arum ift es notbroenbig, baß auch über jene ©abrbeiten ber SWenfd) oon ©ott burcb Offenbarung belehrt wirb, welche bie Vernunft au« fi<b er« fennen faun. *)

®iefe Offenbarung aber ift uns erfefjienen in ÜJfofe« unb ben ißropbetcn, in lebtet unb Dotlfommenfter ©eife in Sljriftu«.

(46 ift ^ier nicht ber Ort, bie ©runbjiige ber erhabenen Sipo» logetif baräutegen, welche ber engtifdje Setter in feiner Summa „23om tatbotifeben ©tauben gegen bie Reiben (SDlobam« mebaner)" in fpftematifdjer ©eife entroiefett bat. ßr mehrt ben 8lu«ftbreitungen naeb jroei Seiten b*n» betont bie {Rechte ber SSer* nunft ebenfo tuie jene be« ©tauben«, unterfebeibet jroifeben bem, wa« ber einen unb bem anbercit jufommt, unb lägt beibe, wie ber b£iti0£ ©ater t?eo XIII. fagt, jenen greunbfd)aft«bunb fe^tie§en, bureb ben ©iffen wie ©tauben fid) gegenfeitig ftü^en, ftbiibeu unb ju böb«£r ßntmieftung förbern.

©ir Stettcre erinnern un« noch wobt ber ®'r 5U ^tn pßen oon tfebrern ber ^Sfjilofopfjtc faßen, auf metebe mit Dottern 9iedjt ba« ©ort bcö Siebter« feine Stnwenbung fanb:

®a tritt ter 'ßbilofopf) tjrrein,

93ft»ti)tt eudj, müßt’ io fein ;

Tai ®rf$c jo, Pas 311,{',c f°>

®arum bas ®ritte uitb Slitttt io.

©ir gebenfen nod) wobt jener b°ffarttrun^,,en ffiiffenfdjaft, wcldjc mit .'pegcl bie ©eit unb ifjre ©efebiebte a priori conftruirte, fo baß bie Sbcologcn mit 3a co bl unb Sd)teiermad)er ficb bintet ißr „retigiöfc« ©efübl" flüchteten, ba« mit ber notbweitbig gottlofen fb>tofopb'e nicht« Ju tbun habe unb rein auf ficb fribft ftebe. 3£bt aber ift meßr at« eine allgemeine ßrnüdjtcrung eingetreten; ein naefter SD?ateriali«mu8 bei ben DunbfcbnittSmenfdjeu, troftlofe Sfepfi« unb $effimi«mu« bei fo Dielen tiefer iDcnfenben ift bie Signatur uttferer 3eit. 2Ran tefe nur bie Scbtußbemertungen St. tfange’6 in ber testen Stuf tage feiner „©efebiebte be« 2Rateriali«mu«," gefdjricbtn furj oor feinem Xobe, ober blättere in SRaintänber’« „fbilofopbie ber ßrtöfung.*

’) S. I. q. 1. a. 1. II. II. q. 2. a. 4. C. Gent. I. 4. De Ver. q. a. 14. a. 10.

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ifjomo« Bon 2lquin urb feie curopäifctje Cioilifation.

275

„34 f)a&c nur noch einen ©ebanfen, ber feftfteljt," ha* neutief) etn berühmter Ce^rer ber SJlaturroiffenfchaften gefagt, „ber ©ebanfe ber ©flicht;" „aber,“ mürbe ihm bewerft, „wenn Sille« mauft, worauf rut)t benn bann bie ©flicht?"

lijoma« fcunt bie lanbläufige ^f)rafe, wit welcher ber üJicnfd) feinen Unglauben unb 3nbifferenti«mu« ;u betfen pflegt. „34 biene ©ott na4 ber ®infi4t meiner Vernunft." @r weift bem gegenüber auf bie übernatürf i4c Öeftimmung be« ÜJfenfdjen hin, bie Sin« f4auung ©orte«, burd) welche ber ÜRenfd) feine hö4P unb leßte ©ollenbung empfängt; ben ffieg ju ihr aber bifbet ber ©laube.*) „34 glaube nidjt, ma« i4 ni4t begreife," fährt ber oberpthlpe 9?ationo(i«musS fort. Slber, entgegnete £h°ma«, ni4t bein ©eift ift ba« 3)?af3 ber Sßiafjrbcit, fonbern ber göttliche ©eift, ber bie erfte SJafjrfjeit, barum ©runb unb ©faß aller ffiaßrheit ift.*) Unb nun fpri4t er einen Saß au«, melier ein überau« fruchtbare« ©rincip für bie gefammtc Slpologetif geworben ift. „Der ©fenfef) mürbe nüfjt glauben, menn er nicf)t feßen mürbe, baß er glauben foll, entmeber roegen ber <5oiben; ber 3e‘4«n ober wegen etwa« Slef)n» liebem.- 3) Die eoibente ßvfenntniß (Sehen) ber ©laubroiirbigfeit«» motioe unb ®lauben«pflid)t ftellt er bem Dunfel bc« ©lau ben «acte« gegenüber. Die Djatfadje ber Offenbarung mie ihr geheimnißooller 3nhalt ift un« ni4t eoibent; aber eoibent ift, baß bie möglpf» 3nje‘fct unoernünftig fein mürben. Daß mir aber, roo nur folchc Zweifel übrig bleiben, jene 2hatfacf)e mit 6ntf4iebenheit anerfennen, unb folglich auch ben 3nfjalt ber Offenbarung @otte«rocgen für wahr Ratten müffen, ift nicht minber eoibent.

Seinen ©ebanfen hat ba« (aoncil oom SBatican4) aufgenommen; bie ©laubroürbigfeit ber Offenbarung nennt eoibent, bie ©eroeife für bie Ihatfo4e bet Offenbarung bagegen finb ihm nicht eoibent, fonbern nur „hMtf* 0e®iß." *So ift ber ©laubc ein freier unb bo4 „oentunftgemäßer ©ehorfant," ben mir ©ott leiften; fein energif4e« ©rincip bilbet bie ©nabe.5) ©un märe tohnenb, an ber $anb ber theologif4tn Summa mit Ih°ma« hinabjufteigen in bie liefen ber ©cheimniffe be« ßhriftenthum«; bod) bie« mürbe un«

■) S. I. q. 16. a. 1.

*) S. IL H. q. 2. a. 3.

*) L. c. q. 1. a. 4. ad 2.

4) De fid. cathol. c. 3.

») S. U. II. q. 6. a. 1.

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276

granj $>fttingtr.

28

»eit über bie ©renjen hinauöführcn, bie unfcrer Darftellung gejogcn ftnb. Die theologifche ©umma bitbet bas reidjfte unb reifftc ©er! beS Slquinaten; gefdjrieben am Slbenb feines Sehens uitb barum nicht oollenbet, bietet es uns bie (Srgcbniffe ber gorfdfungen feines ganzen ScbenS; bie philofopljifchen, patriftifchen unb theologiichen Arbeiten ber SBorjeit fowie feine eigenen »a^treic^en ©Triften' bienten nur baju, um biefe in ihrer Strt einzige fpftematifche Darftellung beS ©efammt* gebieteS ber ^J^itofop^ic unb 2ht0*°fl'f Ju ermöglichen. SttS Stufgabe hatte er fidj gefegt, bas ©pftem ber hl- ©Iffenfchaft bar;uftellen, mefche oon ©ott hanbelt, fotoo^t infofern er an fi<h ift, ats infofern er ‘ßrincip unb ^iel «Her Greatur, bcfonberS ber oernünftigen ift. Demnach jerfätlt fein ©erf in brei $>aupttheile : 1. 93on ©ott;

2. oon ber ^Bewegung ber oernünftigen ßreatur ju ©ott hin; 3. oon <5!>riftu8, ber nach feiner menfdjlichen 9iatur ber ©eg ift, um ju ©ott ju gelangen.

3rren »ir nicht, fo finb eS befonbers brei SBorjüge, »etche ber theologifchen ©unimo bie Unfterblichlcit fichern. 3unäd)ft ift es bie »unberbare Slrdjitef tonit beS fhftenmtifdjen SlufbaucS mit ihrer reichen unb hoch fo einfachen, flarcn unb burchfichtigcn ©tieberung, bie in ben SWünftern ber griihgothif, in beren fallen er gebetet hatte, ihr fichtbareS Stbbitb gefunben hat. ©obann erfdjeint burdjmcg bie gorm bem Onhatt, ber StuSbrucf bem ©ebanten congruent; 3bee unb ©ort beden fich ootlftänbig, unb eS ift fanm möglich, feine Sehren anbers, fürjer unb beffer wicbcr;ugcben als mit ben ©orten, in benen er felbft fie auSgefprochen hat. Drittens unb ganj befonberS ragt er eor allen ©päteren h«rt>or burdj bie weife ütta&ljaltnng in ber SluSwaljl wie in ber (Sntwicflung beS ©toffeS; bie £>hper* fpeculation, bie wie ein üppiges ©chlinglraut bie ©runbformen beS ©hftemS überwudjernbe unb faft bebeefenbe üJienge unfruchtbarer Quäftionen unb Diftinctionen, wie fie fd)on hei feinem 3?ebcnbuhler Duns ©cotuS unb noch mehr jur 3C*4 finfenben ©cholaftif erfcheint, fennt er nicht. 3n grofjen 3iigen, oon SWeifterljanb entworfen, ftellt er baS ©hftem ber chriftlid)en ©ahrheit hin; jebe grage fafjt er in ihrem innerften fterne, führt fie bis ju einem gewiffen fünfte, lägt fie uns in ihrer ganjen Diefe unb Jöebeutung ertennen. Dann aber feljrt er ju bem ©ort ©otteS in ©chrift unb Drabition jurücf, baS allein uns über ben göttlichen ©illeuSentfchlug ju belehren oermag.1)

■) S. III. q. 1. a. 3.

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Jijoma« »on 3Tquin un6 bif europfiifdjc Cioilifaiicm.

277

Unb bei aßebem immer tief, groß, gebanfenooß. 5B?an oerg(eid)e nur einmat feine Sarfteßung1) ber ßongruenj ber fieben Sacraniente mit ber unftreitig geiftreidjen Gntwidclnng beSfetbcn ©egenftanbe« bei ©ötfje; biefer tjat bic Darfteflung be« englifd)en Setjrer« nidjt ge« fannt, aber oud) nidjt erreicht.

VII. Sit Sittenletjrc be« Storno« nun Äquin. Staat unb ftirdje. Sie djrifttirijc ttiiufi.

3nbem Sljoma« ©ott ul« ba« 3iel *>e« SWenfcfeen barfteflt, ju bem biefer unb aße Grcatur fjinftrebt, roarb er ber ©egriinber ber roiffenfdjaftlidien SJioral. Mcrbing« waren bic fflaufteine be« Stjftcm« oor if)m oonben ©fitem an bi« auf Sllcjanber oon^ale« unb St Iber tu« b. ©. gefummelt unb jubercitet; ober er war c«, ber au« ifjncn ba« großartige Scfyrgebäube Ijergcfteßt bat, ba« ebenfo erfjaben in feinen ©runbanfdjattungen wie correct unb forgfiiltig burd)« gearbeitet in feinen einzelnen ©liebem bic ©cwunberung feiner 3eit« genoffen erregt unb bi« auf bic lebten feiten fjerab &er Sfadjwelt 9tiei)tfd)nur unb ©orbilb geworben ift. 9?ur mit wenigen Stridjen fei un« oergönnt, eine Sfijse berfelben ju entwerfen.

©ut ift, wa« Slßc begefjren ; aber nur ba« ift ba« fjödjfte @ut, wa« unfer ©erlangen oollfommen fättigt. T)a« ift ©ott allein, 3U bem Slßc« fjinftrebt, oom Staub«9ltom bi« 311m Scrapf;, burd) ben Stße«, wa« ift, feine Setigfcit finbet, bic ocrulinftige Grcatur febodj aßein in Grtenntnifj unb Siebe, oor3ug?weife aber in ©otte«, ber ewigen ©Jafjrljeit, Slnfdjanung; benn bie Onteßigeitj ift be« IDtenfdjen ebelftc« ©ermögen, barunt ruljt in ifjrer Sefeligung oor Slflcm unferc Seligfeit.*) So jiel)t eine mädjtige, uuau«tilgbare, tieffte Siebe aße Greatur 3U ©ott tjin at« ju i()rcm ^icle. Sille«, wa« liebt, liebt nur it)u, wiffenb ober nidjt miffenb. Die SKoralität ber §anbtung befielt barum eben barin, bafj ber ÜKenfdj bortfjin ftrebt, wo fein 3<fl aßein ift; alte $ci(igfeit ift barum mdjt« Slnbcrc« al« bic oon ©ott gewoßte unb in unferer Slatur unDerroiiftlicfj angelegte Drbnung ber Siebe; bie ©erirntng ber Siebe ift bic Siittbe. ift eben bie Seibenfdjaft, bie ba« Sluge bienbet, bafj in bem irbifdjen ©ute ba« Ijödjfte ©ut 31t erblicfen glaubt.4)

*) C. Gent. IV. 58.

*) S. I. II. q. 1. a. 1. 2.

*) S. I. U. q. 8. a. 4. D.

*) S. I. II. q. 19. a. 4. 5.

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278

gtanj $(ttinger.

30

Gin jroetfadjeä $rincip ifi es, au« bem bi« einjetnen fitt* licken Danblunge« be« freien SDJenfc^en beroorgeben; ein innere« unb ein äußere«; jene« bitbet ba« ©eroiffen unb bie natürliche unb über* natürliche £ugcnb, biefe« ba« ©efeb unb bie ©nabe. 3m ®t* roiffen urteilt ber SDJenfch über bie fittlicbe fßatur ber einjetnen £>aitb* tung nad) ben 9fegeln feiner ctt)ifd)en ©runbanfcbauung;1) bie Jugenb ift bie ftertigfeit (habitns) unferer (Serie, Weld)e ben fittlicbcn Stet er* tnöglidjt unb erleichtert.*) Sie erfdjeint in ben tfyeofogifdjen lugen ben, infofern itjr unmittelbare« Object ©ott ift, bem ber fDhnfd) in ©taube, Hoffnung, Siebe entgegenftrebt ; in ben moral ifdjen, welche bie praftifche Vernunft unb ben Sitten beftimmen. SU« erfte bezeichnet er baßer bie $ lugt; eit, ju biefer jä^tt er bie ©eredj» tigfeit; jene bifbet bie Siegel für bie fittlicbe £>anbtung, biefe ooöjie^t bie fittlicbe J^at ; ba aber Suft unb Stbmerj ber Ausführung be« ©Uten fid) roiberfeben, fo bitben 3)2 äjjig feit, welche bie nieberen Triebe beßerrfebt, unb Starfmutb, welche oor feinem ü)2übfat jurücf weicht, mit ben oben genannten bie nottjwcnbigen Jugenben be« fittlichen Seben«, auf welche, als auf ißre Slngelpunfte, alte übrigen Üugenben hinweifen, Darum beißen fic Garbinaltugenben.

Da« erfte ber äußeren $rincipien ift ba« ©efeb- Da« ©efefc ift eine „Orbnung ber Vernunft, jum allgemeinen ©ute bin, oon bem oerfimbet, welchem bie Sorge für ba« Sltlgemeine obliegt."3) 92i(fct SBillfiir, nicht rohe ©ewalt, nicht ba« gemeine 92üt}ficbfeit«princip follen als gcfebgeberifdje SDfädjte matten; „maö nicht gerecht ift, ift fein ©efeß, unb nur infoweit ift ein ©efefc re<ht«fräftig, al« gerecht ift.*4) Siorm für bie ©erechtigfeit aller menfchtichen ©cf ehe bitbet ba« 92aturgefeb ; ,,wa« ihm wiberftreitet, ift nicht ©efefc, fottbern ^erftörung be« ©efe^e«."5) Da« 92atitrgefeb felbft aber b“t fein Ur* bitb, feinen ©runb unb feine oerpflichtenbe Jhraft im ewigen ©efefc ©otte«; benn ©ott, ber alle Greatur ju ihrem ,3irie h^nl,eft‘mmt* ift ©efcfcgeber alter Greatur. Da« 9?aturgefetj ift barum nicht« Stnbcre« at« ber Dieftej be« ewigen ©efe^e« in ber »er* nünftigen Great ur, wobureb biefe ißre fittlidje Stntage unb ba« ©emujjtfein ihrer Seftimmung empfängt.8)

■) C. Gent. IV. 95.

*) S. I. q. 79. a. 13.

*) S. I. II. q. 55. a. 1.

«) S. I. II. q. 90. a. 4.

5) L. c. q. 95. a. 2.

«) L. c.

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31 Ihomaä »cn 2(quiit unb bi« europäifcf)« Sioilifation. 279

Da« erhoben jtc, fjcitigftc ©efefc ift ba« göttliche ©cfeh beS SUten mib 'Jitucn ©uubc«. Da bc« SDienfchcn 3iet «in übernatürliche« ift, barum leitet if)n ©ott außer burd) ba« Diatur« unb menfchlidje ©efefe ju biefem hin burd) eine SHegct, bie oon ihm felbft unmittelbar au«gcgangen ift;1) feine unfehlbare Slutorität läjjt feinen 3n,cife^ iu» unb fein ©cbot bringt bi« in baß 3nnerfte ber Seele.*) 3n Ijöchfter Sßkife aber ift ba« göttliche ©efefc ben ÜJienfdjen erfe^ienen in (S^rtftus. Pato feinte fid) nach bem Slnblitfe eine« fühlbaren 3beal« ber ©e» rechtigfeit ; wirb unö gegeben in ihm, ber bie 3Bei«heit be« Sßater« ift unb barum bie Quelle be« ®efe(}c« al« ©ott Don ©toigfeit in (ich trug, unb al« ©ottmenfeh burd) fein t'cben unb ßeiben fieljrer unb SSorbilb aller ©ercdjtigfcit geworben ift.3)

©o fehl ©ott ba« 3>el, fid) fclbft, ba« ewige ©ut ber ßrcatur;*) fo bereitet er ben Pcg ju ihm hi"; boch ba« ift noch nicht genug. SBie im Dieidje ber datier er ber ßrftbewegenbe ift unb bie ©eftirne ihre Sahnen führt, fo führt Sr burd) feine ©nabe in ber übernatür» liehen Orbnung alle ßrcatur, oor Slllem bie ©eele be« 9Henfd)en ihrem 3*ete iu-5) ®ie ©nabe ift ba« hödjfte pincip ber ©ittlichfeit, ein neue«, höhere« i?eben«princip, ^ineingcfenft in ben tiefften ©runb ber ©eele,6) bie mit göttlicher, fiegenber firaft, mit unb burd) unfere Freiheit7) ben SBillen $u ©ott hinführt, ba« fd)wad)e$erj ftählenb, allen SBiberftanb ber ©clt unb bc« Satan« iiberwinbenb. Son ihr ber erfte 3n>P“i® Jur guten £l)at» ’n ihr jeber gortfdjritt in ber ©erechtigfeit, mit ihr allein bie enbtidje Sollenbung.8) ©o ift ©ott ©egenftanb unb Urfachc aller Seligfeit ber Seligen, unb be* ginnt für un« in biefem Seben fchon bie ©eligfeit. $öol)l trifft jeit* liehe« 8eib auch ben ©«rechten, wie ben Ungerechten, aber biefem allein' ift ein Uebel, jenem nur ©egen, eine Strjnei unb £>anbweifung jum 3iete.9)

Doch ber Penfd) lebt nid)t blo« al« ßinjelrocfen; ihm ift natürlich, in ber ©efellfchaft ju leben; biefe bebarf baher einer

*) L. c. a. 4.

*) L. c. q. 91. a. 4.

*) S. III. q. 1. a. 2.

‘) S. I. II. q. 90. a. 1.

») C. Gent. III. 147.

*) S. I. II. q. 109. per tot.

’) S. I. q. 83. a. 1. q. 23. a. 6.

•) S. I. q. 114. a. 9.

*J S. I. II. q. 114. a. 10.

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280

granj §ctttnger.

32

Leitung 511 bem gcmeinfamen ©ute hin, ba8 nicht bloS ein wirthfdjaft» licfjeS, fonbern auch ein fittlicheS ift; barum ift nur jene« Regiment ein gerechte«, weldjeS bas ©emeinwohl bejwecft; ocrfolgt e8 Sonber* intereffen, bann wirb e8 Sprannei.1) ©eit ba8 Heben bed

2ßenfcf)cn burdj bie ©efellfdjaft bebingt ift, biefe aber eine Slutori» tüt forbert, fo ift ber ©efjorfam uns geboten burd) natürliches unb göttliches ©efel}.*) Doch alle ©üter, welche ber «Staat un8 bietet, finb nur bittet jum ^öcfjften unb tefcten 3'f*e ber

SDtenfchheit, bem ©enujj ©otteS; biefen erreichen wir nidjt burch ntenfch= lidjc Jugcnb, fonbern burch ©otte8 Sraft. Darum ntilffen bem, welchem bie Sorge für bad lepte 3>tl jufommt, (Jfjrifto unb feinem Stell* oertretcr, bem römifdjen ^apfte,*) burch welche wir jum ^immlifdjen geführt werben, auch jene untergeben fein, benen bie Sorge für bie nächften 3'^c ber SDtenfchheit juftef)t. Darum ift bie weltliche ©e* Walt an fid) unabhängig unb eon ©ott; aber fie fleht bennoch unter ber geiftlichen ©ewalt in $infid)t auf ba8, wa8 fid) auf ba8 ewige $eil bezieht.4)

Spornas fprach hiermit nur aus, wa8 ©uijot in unferm 3ahrhunbert befannt hat (Del’Eglise p. 167); Le caractere easentiel de l’esprit chretien est le respect de la regle et du droit, de tous les droits, les droits de Dien et les droits de l’honinie. Unb fclbft $ücf[er*sI»ht6£au geftanb: „Der fiampf ber $äpfte mit ben $ofjenftaufen ift üieUeidjt in feiner am tiefften liegenben 3b ee noch nicht gehörig erfannt worben, ffleftanb er nicht, non allen ju* fälligen, perfönlichen 3ntereffen gefotibert, hauptfad)(ich in ber 33er* fechtung be8 'ßrincipS Bölliger Unabhängigfeit aller religiöfen "Dinge oott ber Staatsgewalt? Cpne bie fatholifdje JÜrdje hätten wir heute weber wahren Liberalismus noch eine öffentliche 2)ieinung."5)

©ir finb $u ßnbe. $h 01,10 8 hat un8 enthüllt bie wunberbare Harmonie, ju welcher in woljlabgcwogcnem 33ta§e fid; jufammenfügen alle Slemente ber Schöpfung, alle Slfpirationen unferer Seele, alle $eiligthümer ber ÜRenfchheit, alle ©ege ©otteS auf (Erben: ©laube unb ©iffenfdjaft, ©nabe unb greifjeit, ©öttlidjeS unb SKenfchlicheS, Staat unb SUrche, |)immct unb (Erbe berühren, burdjbringen fich unb

’) De regimin. princip. I. 1.

>) S. U. n. q. 104. a. 1—6. I. II. q. 96. a. 4. 5.

’) De regiro. princip. I. 14.

*) L. c. In II. Sent. d. 44. q. 2. a. 3. .

6) Sriefiwdjfri 1873. I. *. 6. 330.

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33

Xljoma« von 'Jlqiiiu un£t bic europäijdje (Sisilijation.

281

bilbcn fo „jenen herrlidjen ßinflang bes UnioerfumS," ber »cm ©ott, bem Urbilbe aller Schönheit, ausgeht1) unb baS 9)2enfd)enlebcu ocr cbelt, uergeiftigt unb oerfetjönert. gr a 21 n geli c o ber 2)2alcr, Dante ber Dichter unb er f c 1 b ft in feinem, roie 9)2. ßarriere fagt, „praeptoollen" tppmnus auf bas allerbeiligfte Sacrament bilbcn nur ben Dieflej biefer ibealen äBeltanfdjnuung auf bem ©ebiete ber ft u n ft. Unb roaljrlidj, biefe ftunft barf fid) roofjl ben Serien unferer mobernen 9)2aler unb Dieter an bic Seite ftcllen.

So ragt JhomaS fjinait« über baS gewohnte 2)2aß menfdilidjer ©röjje, ift er einer ber Ijeroorragcnbften ®egriinber unb Jrägcr ber europdifepen ßioilifation geworben.

Doip, entgegnet man uns noch einmal, Jollen mir bemnad) jurütf um Jeeps 3Qbrl)Ut'berte?

Die SKürftcpr $u ben ißrincipien bcs 1)1. Stomas ift gortfepritt, fein IRiicffdjritt. Denn roer bic 3rrrocgc oerläßt, bie er bisher ge« gangen, ftrebt oorroärtS, niept riicIroärtS; unb mer bie emig mapren ©runbfäpe erfannl pat, ber pat ben ipfab gefunben, auf bem er nun fidjeren ScpritteS oorroärtS bringen mag. 21ud) ift ber 92npmen, in roelcpem bas ppilofophifdHheologifcpe Shftem bes Slquinaten fiep uns barftcllt, weit genug, um alte gefieberten fRefultate feitljcriger gorfepung, namentlich auf bem ©ebiete ber Spracp= unb 21ltertl)umSroiffenf<paft, ber efacten sJ2aturforf cpung oott ßopernifus an bis auf Seccpi unb oon 2>2apcr, ber oerglcicpenben IKeligionsroiffenfcpaft unb SDötferfunbc in fid) aufjunepmen. £>at bod) er felbft, ber alles SEBiffen feiner ,3eit umfaßte, uns bas ©eifpiel raftlofen gorfepertriebes gegeben, unb ber 1)1. 33ater 8eo XIII. uns ermatjnt, „bereitwillig unb banfbar 2UleS aufjunepmen, roaS immer 92üp(icpeS in neuerer ^eit erbadjt roorben ift."*)

Sterbenb Ijat ber ^eilige bas £>ope Cieb, bas i'ieb ber erhabenen ©ottesliebe erflärt; feine Siffcnfcpaft pat ihn ©ott erlernten gelehrt, unb feine Seele hat ihn geliebt mehr unb mel)r. Das ift ber füfjefte tfopn, ben ächte Siffcnfcpaft unb Söilbung ihren Jüngern bietet ; benn bie „©ottesliebe i ft bie 2)2 u 1 1 e r aller g r c u b e. 3)

') S. II. II. q. 145. a. 2.

’) Enr.ycl. il. d. 8. tlug. 187t).

») S. II. II. q. 82. a. 4.

Ttud non 'Ulaljlan Jt UÜaloidjniibl. »}vaulfurt a. ‘1Ä.

jf

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fct Sßfiölistnu0 im 3fitolter brr Hrformation,

Son

Jf r. 3 8«$.

©ie ©eroegungen, rcelcbe in bcr ©egenmart auf eine tiefgreifenbe Umgcftaltuug bcr ©efellfchaft abjielcn , finb feine®mcgö neue ßrfthei* nungen. Sie geben in i^ren Anfängen »iele 3af)rbunberte ^uriief, unb ift niefit ferner itjre ©ntmicfelung au® bem allgemeinen Um* fchmung ju erflären, melier bie fog. neue 3eit begrünbet bat.

So b“t auch ber ^eutjutage beroortretenbe Socialiömu® feine Anfänge unb feine ©runblagen bereit® in jenen Jagen gefunben, in melchcn ba® SDJittelalter einer neuen 3eit ju meinen im ©egriffe mar. ©er Slnfatig be® 16. 3abrbunb®rtö f^atte ben Samen all* gemeiner Unjufriebenbeit unb focialiftiftb geftaltete 3been fo reicblicb aubgeftreut, baff fd;on batnalö ber 2lu®brucb einer focialen SHeüolution ju fürchten mar. ©en jünbenben Junten aber in bie üflaffe be®

angebäuften ©rennftoffe« bflt bie SHcformation gemorfen. Sie mar eö, bie ben feitber nur auf bem ©ebiete be« natürlichen 8cbcn® fich bemegenben focialiftifcben 3t>fen eine rcligiöfe ©runblage unb bamit eine ungeheuere, nicht geahnte ©fpanfionSfraft gab, ßinbeit unb Sbftem in ba® ©fjao® umftürjenber 3bcen brachte unb ihnen hiermit &ben«fäbigfeit für 3abrbunt>eete oerlieb.

ÜHancherlei SDfobificationen haben bie 3been, melchc ba® 16. 3abr* bunbert erzeugte, erlitten, bie fie in bem heutigen SocialiSmu® ihre legte ©ntmicfelung fanben. ©iefe gortbilbung aber, melche bie focialiftifcben 3bcen oon jenen Jagen an bi® ju unferer 3c‘t genommen haben, ift mehr nur eine äußerliche unb formelle, ben ©ebürfniffen ber 3e't entlehnte, mäbrenb bie ißrincipieu, ©runblage, 2lu«gang unb 3icl biefelbcn geblieben finb. £>eutc mie bamal® ift ihr ©runb unb 2lu®gang bie ßeugnung unb ©efeitigung jeglicher Slutorität im geiftigen mie im politifchen unb focialen tfeben unb bie Stellung be® ©{etlichen nur auf fich felbft. ©amal® mie beute füllte ber

l

*

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284

«r. 3bad).

2

23rud) nüt ber 23 c r gan g e n ß eit ein rabifaler fein. SDJit ber rfjriftticfjen S?erganflent)cit follte oollftänbig gebrodjen, gefdjktlke 9?ed)te uitb ßnttoidelungen auf retigiöfem, Politikern wie focialem ©cbicte oollftänbig unberiidfid)tigt bleiben unb 2lllcb auf neuer ©runb» luge nufgebaut werben. Damatb wie fjeute würbe unb wirb in förm= lid) organifirtcr 23erfd)wörung baran gearbeitet, bab Unterfte ju oberfl ju lehren unb auf bem ©ege ber ©eroalt burd) 23 1 u t unb Iri'tm* mer eine neue 23ertßeiluug ber Crbcngüter ooräuneßmen, bie politifcße SDiac^t aub ben £)änbcn ber feitßerigen ÜKacfttljaber in bie Jpanbe beb als fouoerän erflärten 23olfcS ju legen unb über ißm feine üftad)t meßr anjucrfeniten.

liefen inneren gekktlken unb logiken 3ufamnien^an9 heutigen ©ocialibmub mit ben focialiftifdjen 3been ber 9feformationb* jeit flar unb iiberjeugenb bargelegt ju ßaben, ift bab 23erbienft bcr neueren, auf griinblidjem Quellcnftubium unb auf karffinniger firitif berußeuben @cfd)icl)tfd)reibung, wie fie oor ÜlUetn in bem nid)t genug ju cmpfeßlenben ©erfe beb ‘jßrof. Qanffen: „©efdjidjte beb

Deutfdjen 23olfeb feit bem Slubgange beb SDiittelaltcrb" oertreten ift. 3attffen ßat eb oerftanten, aub bem tiefen ©dsadjte oieler feit* fjer grö§tentt)eilö unbefanntef Duellen bie ©affer ber ©efeßkte unb wieber lebenbig fprubeln ju laffen. Cb läßt oergangene 3a^rtjunberte alle bem, wab fie belebte unb alb gcßcimfte Äraft in ißnen wirffam war, aub fid) felbft rebenb unb jeugenb wieber an unb oorüf>er$iel)en, mit einer ©aßrßeit, Irene unb Cbjectioität, alb ftänben wir felbft mitten unter ben 3e>t9e',offen, ßörten ißre ©pradje unb arbeiteten mit am ©erfe ißrer Cntrokfetung. ®ab eben matßt 3anffenb ©erf fo lefjv« reid), aber aueß fo fiegreieß unb unüberroinblitß.

3wed biefer 3c'ten 'ft» an ber $anb biefer unb aßnlitßer, ben ©orialibmub beb 16. 3a^^unbertb unb bcr 3eßtje>t bcßanbelnber ©Triften im Cinjctnen ben 3latßwcib ju liefern, baß bie umftiirjenben 3b een beb ©ocialibmub unb beb mit ißni unjertrcnnlitßen Communibmub auf bem ©ebiete ber $o(itif, ber fociaten Drbnung, ber 9ieligion feßon in ber focialen 9ieoolution beb 16. 3"Wl"tbertb ißren Slubbrud gefunben, baß bie reoolutionären ÜJJittel jur Durtßfüßrung berfelben bei beiben biefelben finb, bab 3“f unftb = 3&f“l t>«bcr fk gleitßgeblieben, unb baß bie feßredtieße Cnttäufcßung, bie auf bie focialc Crßebung ber 9feformation gefolgt ift, aud) alb gingerjeig für bie 3cßt.icit unb 3ufunft gelten fann.

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3

Xtx SocialiemuJ im Zeitalter bet ^Reformation.

285

I. Ter ftampf gegen bie 9tuteritnt at« Slusgangepunft ber jocialen

Webotution.

91(8 ©runb unb 9lu«gang aller rcoolutionären 3&mi be« 16. 3t>Wu"b£i't® müffen roir ben Sampf gegen bie Stutorität erfennen. üttit ber Serroerfnng ber Sirdje at« ber Uc-n ©ott

felbft cingefefeten, in aßen Sadjcn beS ©tauben« unb be« djriftlidjen Sittcugefetjc« entfdjcibcnbcn Stutorität unb mit ber Stellung be« Sfcnfdjcn auf fein eigene« llrtljcil in allen gragen be« iibernatürlidjen roie natiirlidjcn Scbcn«, mar ber Sampf jnr Scfcitigung aud) jeglicher anbeten Stutorität im rcligiöfcn, focialcn roie potitifdjen Vebcn begonnen. Ijalf nid)t«, bie Zeitige Sdjrift nt« bie einjige unb roaljre Stutorität fjinjuftcllcn, benn tfutljer felbft untergrub mie fein Slnberer ba« Stnfetjcn ber fjeiligen Sdjrift, iubem er halb ba« eine, balb ba« anberc Sud) au« berfetben entfernte. „Ta« ift ber rcdjte ‘•ßrüfftein : alleSiidjcr jn tabetn, roenn mau fietjt, ob fie Gfjriftum treiben ober nidjt", fdjrcibt er in feiner Sorrcbe jur Sibcliiberfc^ung. So alfo tuill er ben Srief be« fjeiligen 3afobu8 nicf)t Ijabcn in ber Sibct in ber 3at)t ber regten £> a up t b iidj er. Cb ber Srief be« tjeiligen Paulus an bie «pebräer ed)t fei ober nidjt, „ba liegt aud) nidjt« bran." llnb oou ber Offenbarung be« tjeiligen fagt er:

„£)e(fe jeber baran, maß ifjm fein ©eift cingibt; mein ©eift tann fidj in ba« Sud) nidjt fdjicfen.“ Tie Stutorität ber fjeiligen Sdjrift fotlte alfo nur infomeit anerfanut raerben, nie fie mit „bem ©eift“ eine« 3£t>£n übcreiuftimmtc. „Grinem 3f9t>d)cn gcbiifjrt," fdjrieb Sutfjer an ben fRatfj ber Stabt Stttenburg, „511 urtfjeilcu über iljre (ber bortigen ISanonifcr) Sefjre unb bie JBölfe ju erfennen, benn ein 3egtidjcr muff für fidj felbft glauben unb miffen, roa« redjter unb unredjter ©taube ift.“

©itt aber roeber bie Stutorität ber Sirdjc, nodj bie ber tjeiligen Sdjrift, bann gilt nodj oicl meuiger bie „m c( 1 1 i dj e O b r i gf c i t". ©ott felbft Ijat alle Oberteit unb ©eroalt aufgetjoben, too fie roiber ba« ßoangetium jubelt, fagt er in einem Sricfe an ben fädjfifdjen Sur« fürften, unb in feiner Sdjrift gegen Garlftabt : „©0 (Sljriftcn fjcrrfdjen, ba folleit fie feine Oberfeit anfefjen, fonbern frei oor fidj umbauen unb niebenoerfen, ba« roiber ©ott ift, auefj ofjne ^Jrebiger." ©a« fjier oou ber Stutorität in rcligiöfcn Tingcn gemeint mar? fattb fefjr balb.autfj feine Stnroeubung auf bem politif djeu ©ebiete, unb iiberbieten bie Singriffe Öutfjer« auf bie ©eroatt ber giirftcn faft alle«, roa« rebolutionärer ©eift je gefdjriebcn Ijat.

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ge. 3 bad).

4

®cr Saifer felbft unb bic gürfteu finb ihm Jtjraunen unb er brofjt ihnen „mit bem Schwert beS ©ürgerfricgcS über ihrem Raupte". $cr}og ©eorg ift il)m eilt Lügner, fchänblidjer öfterer. Unb als man ifjrn über eine foldjc Sprache Vorwürfe mailte, antwortete er für}: „öS ift i(»t eine anbere 3^*» baß man bie großen ^äupter oorfjin ungewohnt, antaftet unb maS ©ott im Sinn fjat, wirb man febn ju einer anbern 3cit." Sin einer anbern 'Stelle fdjreibt er: „Sdjänblidj laut’s, baß Äaifcr nnb giirften öffentlich mit Sägen um* gehen," nennt bie Jilrfen jchnmal flüger nnb frommer als unferc giirften, unb forbert alle frommen (Sljriften auf, „baß fie fi<h über foldjc tolle, thörichte, unfinnige, rafenbe, wahufinnige Darren erbarmen." „s}}idjt bloß g ei ft (ich, foubevn auch weltlich '«Regiment muß bem öoangclium weichen," fdjreibt er an ben Äurfürften uon Sadjfen, „es gefdjehe mit Sieb ober 8eib."

ffieldjeS Verftänbniß eine foldje Spradje gefunben, bas jeigen mehr wie jur ©eniige bie cntfchlidjen Scencn beS unter l'utljer’s Slugen ausgebrodjeuen ©auernfriegeS. Shoma® ÜWitnjer oerftanb eS, Sut^er’S Verachtung ber ©brigfeit in wilbe Verfolgung berfelbett }u überleben, wenn er bic „djriftlidjeu ©rüber" in örfurt jum Vcr* nichtungSfampfc „wiber bie Sprannen unb großen §anfen" aufforbert, „unb in einem Senbfdjreiben ben 2)?orb ber giirften unb Herren prebigt." „®ran, brau, öran," fchreibt er, „weil baS geuer heiß ift. tfaffel nur Schwert nidjt falt werben oom ©lut. Sdjtnicbet 'JJinfepautS auf bem ülmboS 'RimrobS, werft ipm ben Sljurm }u ©oben. öS ift nicht möglidj, weil fie leben, baß ipr bie mcnfdjlidje gurdjt (öS fein foUt."

®cn glcidjen Jiampf gegen alle Autorität, fei fie firchlich, fei fie weltlich, führt in unfern Jagen bie Socialbemofratie, auch fie hat mit bem ftampf gegen bic (Religion begonnen, um h'fl'mit bic ganje ftaatlidje unb fociale ©rbnung }u untergraben, ©ebet ^at bieS im ®cutfdjcn '«Reichstag am 17. (Juni 1872 beutlidj genug aus* gefprodjen: „Oft erft einmal," fpridjt er, „bie hitnmlifdje Autorität untergraben, bann Ijört uatiirlidj fehr balb auch bie irbifdje Autorität auf, unb bie gotge wirb fein, baß auf politischem ©ebicte ber iRepubli* faniSmnS, auf öfonomifdjem ber SocialiömuS, unb auf bem ©ebiete, bas wir jept baS religiöfe nennen, ber Atheismus feine tolle V3irf» famfeit auöiibt." Hub wie grüublidj autoritätslos bie focialiftifche VJcltaufdjauung ift, crflitrt baS officielle Drgan berfelbeu, „ber ©olfs* ftaat" (1873, 33) in einer '«Recenfiou beS Oögerfdjen ©udjcS „®er moberne SocialismuS." „2Ser fjat benn biefe großen ©runbfäfce

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Dtr Sociatiamu» im 3f*ta^ter &fr Ätformntioit.

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be« SRefye« unb ber SDiorat gefdjaffen?" fragte er, „wenn uidft jene SDieljrijcit in ©erbinbung mit beit ^ödjftfte^cnbcn ©erföntidjlciten. SSarum folf nun nid)t, ma« bie eine ©ietfrtjcit gefdjaffen tjat, bie anberc miebcr abfdjaffen biirfcn? fann bod) jebe« 3c'ta*,er niir über fid) felbft bi«poniren unb uidjt über bie fiinftigen ©efdjtedjter! Äein ©runbfafe be« „9ied)te8" unb ber „üRorat," ber un« oon ben * Sinnen iiberfommen, ift biubenb fiir un«. ffiir föuneu it>rt acceptiren ober nidjt, je nadibem ba« fociale ©ebürfnifj ertjeifdjt" tc.

iDieicn tfjeoretifdjen Erörterungen, bie in jafjtreidjen ©djriften ftd) finben, jur ©eite getjt eine roiifte unb mitbe ©oefie be« $affe8 unb ber Stuf« reijung gegen bie giirften unb ©emattfjaber, ganf roic in beu lagen be«

1 6. Zftfjrtjunbert«, bie fief) bi« jur Slufforberung 311m giirftenmorb fteigert, menn ber ©erfaffer be« „JBintermärdjenS" (©efang XX., ©. 25) fdjreibt:

»Dort (ht Per £>öfli') i»itt td) liegen uub marteu unb nitjen, .

®i« anb’re 3f'*en getournten;

58i« bit Deutfcpen ifjr ©ebteffat mit fräftiattn Xfjun Sclbfltigeu jur §anb genommen!

33i« fte mit tjeitiger aornebgtutl)

3n Repeit bi* Jerone gefdilageu, llnb fte bie ganje Dtjrannenbvut 3uv Quillotint getvngcn.

Si« ber »erpeftete briitfdjr Sumpf

Con ^entern unb §tucijtern nnb Sirotdjen,

3ft nubgerobet jum (epteu Stumpf 33lit Rnflppelu unb üJttffern unb Doldjen.*

Slian ift in ber Üfjat oertegen, toem 001t beiben man ben ©or* jug geben fott, ob ber Storno« ©iünjerfdfen blutigen ©rofa ober biefer fociatiftifdjen ©uittotinenpoefie.

Stber nidft btojj in Kämpfen gegen jegtidje Stutorität ftefjen bie ©ociatiften beS 16. unb 19. 3af)it)unbertS auf gteidjem ©oben, fonbern ntcfjr nod) in bcin rabifaten Umfturj bc« ganjen „SRedjt«« juftanbe«". $ia« Demagogcntfjum erftört, fo fpridjt fid) ber „9?eue ©ocialbemofrat" (1872, 47) au«, „ben beftefjenben ©ertjättniffen ben J?rieg biß auf« ÜReffer" roie bie öffentliche üReinung immer be« Rauptet, unb toid nur nieberreifcen unb nicht aufbauen, üftit ber erften §ä(fte biefer ©etjauptung finb mir ootlftnnbig einoerftanben, ja mir fjaben ben beftefjenben ©ertjättniffen ben $rieg erftärt unb toerben fo tauge fämpfen, bis biefetben jertriimmert finb." Unb in biefer Zertrümmerung aller gef^idittidjen unb fjcrfömmtidjen, atfeS göttlichen mie menfdjlidjett 9?ed)te« unb alter bi« jeljt beftetjenben Zuftänbe arbeitet bie ©ociatbemotratie mit ebenfotdjer ©ef)arrtid)!eit

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gr. 3bad|.

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unb ßnergie, mie feiner 3e>t bic Deformation an ber 3ertriimmerung beb gongen mittelaltcrlirfien, auf bem cfjriftlichen ©laubeit gegrünbeten ',///' Dettfjbauftanbeb gearbeitet l)nt. „'T'aö ganje geiftfiehe Ded)t erflärt Cutter in feinem Senbfdjreibeu an ben Slbel beutfdjev Datioti, oou bem erften ©udjftaben an bi» jnm testen, muß oon ©runb au« ' anbge tilgt merbcit, fouberlidj bie £>ecretalcn." Damentfid) mar eb feit bem ©onnfer Deidjbtag flar gemorben, baß bab Unternehmen Cutljerö unb feiner Anhänger einen oötligen Unifturj bco gonjen bib« fjerigen Äirdjenmefenb unb hiermit jugleid) aller beftcljcnbcu Ded)tb= juftünbe bejroecfe. Selb ft £>r paffen muß jugeftcljen : „<5b

l)at nie eine Deoolution gegeben, bie tiefer aufgemiil)It, furdjtbarcr jerftbrt unb unerbittlithcr gemiithet hätte. SSJic mit einem Sdjlage mar Sllleb gelöft unb in gragc geftelit, juerft in ben ©ebanfeu ber ü)?eufd)en, bann in reipenb fcfjitcllcr golge in ben 3llftänbeu, in aller 3udjt unb JOrbnuug." So gibt.futljcr fdjou in feiner 1523 Der» öffent(id)ten Untermeifung jeber ©emeiube bab Dedjt, Lehrer ju be» urtheilen, Achter unb Scclforger ein« unb ab$ufegcn.'iK „Um ÜJienfchetu gefeg, Ded)t, alt Ipcrfommeu, ©rand), ©emohnheit, habe man fiel) gar nidit ju fümmern, fei eb aud) ooni 'JJapft ober Saifcr, oon giirften ober Öifcf)öfen gefegt, habe eb bie halbe ober bie ganje ©eit alfo gehalten, habe cb ein ober taufenb 3aljre gemährt." 3" gleichem Sinne fdjricb SDartin Suger an feinen greunb Sapibnb: „ffijenn mich nicht allcb täufdjt, fo ift eine große unb allgemeine Umgcftaltuug ber ®inge oor ber 2hür, meldje jene beforgten Diicffidjilcr nicht lange fragen rcirb, ob fie motlen ober nidjt.“ Unb in ber 2h°t fing ganj balb Kjomab fDfiinjer an, mit rabifalcm Umftnrj adeb ©eftchenbcu |'i(h ein neueb Deid), ueueb Ded)t, neue ßrbuung ju griinbeu, unb näherte fich in fehrißietembem ibealen 3ufunftbftaatc ber Socialbcmofratic unfererJagc.

(Sine foldjc totale Umfchr beb ganjen Dcdjtbjuftanbcb mußte felbft in 8utf)er 3ruc*fc^ unb ©emiffenbäugftc hci-D°rrufen. »Sille geifttiche unb meufd)(id)c Orbnuitg roiber aller ©fenfehett ©er« nunft ju oerättbern unb Slubere ju einer foldjcn 3lenberung ocran* taffen," erfdjien ihm hoch „alb ein gar nt c r f l i cf) groß £)ing." Unb in ber Jljat, bie total rcoolutionären gbeen oon ber milltür» liehen Umgeftaltung alleb Dedjteb fanbeu einen nur ju fruchtbaren ©oben unb erjengten balb d)aotifd)e 3l>ftänbe, bie in roilbeu ©ruber» (rieg unb Slufftaub aubarteten.

©alb tauchte unter ben fränfifdjeu ©auern eine „Orbnnng unb Deformation“ auf, roonad) ein ©ollbparlament in peilbrotm

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3>tr Socialismus im 3'itßltn bet '.Reformation.

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eine neue 9i'eid)«orbnung ine 8eben führen füllte. Sie bcjroedtc unter fd)einbar gemäßigten ©orfeblägen bie Slufriibtung einer bemofrotifdj focialen Dicpublif mit einem ben Planten Äaifer. tragenben Ober» Raupte, unb fanb an ©riemapr einen cnergifdjen Vertreter unb ©orfämpfer. Sclbft £>egej_ fanb in biefer „Orbnung“ bie rcootu» ttonare Stiftung auf Slieberroerfung unb ©leicbmacbung ber gegebenen 3uftänbe unb (Sinridjtungen fdjärfer auSgcbriidt ale in irgenb einem ber neueren 3$ e r f a f f u n g 0 e n t tu ü r f e. Sind) taffen fid) in bem im $uli 1524 $u Speier abgetjaltenen Stäbtctag unb feinen ©cfcbliiffen nid)t untlar bie ©runbjüge ber f ocia l i ftif djen (5 om mu ne erfennen. Siod) beutlicber fommen bicfclben in ber non Ufjomae iDliinjcr orgaitifirtcn ©emeinbe jum ©orfdjeine, nadfbttn fdjon oor^er üJiidjael ©ribmatjr in feiner „d) r i ft lidjen Soßung" »erlangt batte: „Die Sinnen füllen nidjt allein mit (äffen unb Irinfcn, fottbern audj mit Sleibuug unb aller Stat^burft »erfeben roerben, unb bierju foll 3eber außer bem .ßcbnten bas nöttjige Sllmofen treulich bar= \ reichen. Unb märe beß SDtangcl, fo foll »om ©infommen »öllige (Srftattung gegeben merben. Sille ©orredjte," »erlangt fie roeiter, „finb ju befeitigen, alle Diingntauern ber Stabte, beegleidjen alle Sdjlöffer unb ©efeftigungeit beä lianbc« niiiffen niebergebrodjen roerben unb f)infiir nimmer Stabte, fonbern Dörfer fein." Denn ee biirfe „fein Untcrfdjieb ber ÜKenfdjen" fein. Seiner biirfe tjö^er unb beffer fein ale ber Slnberc, fonbern muffe im i'anb eine gau$e ©leidjbeit fein." Ü)iel)r roirb audj bie focialiftifdje (Sommunc ber ^ufunft faum »erlangen.

©Me ee mit ber Sichtung »or ber Obrigfcit in biefetn Staate auefeljen follte, erljcllt fdjon baraue, baß febc ©cineinbe unb L'anbfdjaft ba« JKedjt Ijabctt foüe, fid) iljren £>errn ju f e 4 e n unb abjuje^en.

3ebe erbliche Cbrigfeit fei fdjablidj bem gemeinen Staren. ©om ©olle muffe bie Cbrigfeit nur auf beftimmte >}cit gewählt roerben. Der ©räfibent © a 1 1 b a f a r £ u b m a i e r fdjmäbte aufe ^öc^fte ©apft, Saifer unb liönig unb frug, „roer fie geheißen habe, dürften ju fein.“ (5r fing an ju lehren, „roie baö gemeine ©olf eine Cbrigfeit ju fcfcen unb ju entfern habe unb nidjt fdjulbig fei, .ginfen, 3fbnten, ®e” fälle unb bergleidjen ju geben. " eigentlich roollte er gar feine Cbrig« feit, fonbern bie ©eroalt follte bei Sillen fein, roie bann aud) bie Slufftänbifdjen in granffurt a. 5DJ. 1525 erflärt buben, fie braud)ten feine DtatljSberren, fie felbft feien Diatb, ©iirgermeifter, ©apft unb Saifcr. Sfud) bie Oberallgäuer Säuern erflärten, baß fie inbfiinftig ihren $errn in feinem Dinge mehr geborfam fein, überhaupt feine

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getreu mefjr paben wollten. 5>e«gleid)en teerten auef) bie jßräbifanten in Utjüringcn, man fei nidjt fdjutbig, ber Cbrigfeit gehorfam 311 fein.

(Sine abfolutere Volf«fouocränität unb Verkeilung ber ©eroalt auf StUe wirb aud) ber focialiftifche ©taat mit feinen Volfbbeamten, Mffeljcrn unb Verwaltern faum erreichen fflnnen. 21 ber auch ba« anbere ©pecificum beb focialiftifchen ©taatbwefcnb, bie 9? e t= fprcchung tebi glich burch bab 33 0 1 f mit Vefcitigung alle« getriebenen Stechte« unb ber ©efehgebung, Icbigtid) nach Vernunft, Jjpertommen unb freiem (Srmeffcn, finbet fiel) in ber reforma* torifdjett Steoolution. ©cf)on 6b erlitt belehrte int 3afjre 1521 bie Vauent: „Me alten faiferlid)cn unb ^}faffeurecf)te tl)un mir ab.

3eglid)cr foll gemeine Stedjtc miffett auf bafj jeglicher tu t ff e fein ©illige« unb Unbillige«, ßein Qurift, fein gilrfprechcr foll fiirber fein." 2luch fdjon ber ©ttnbfdjuf) hotte bie Sorberung aufgeftellt, bafj jebe ©emeine fid) fclbft ridjten unb redjtfpredjen folle, roie benn aud) bie „flanbeborbnuttg oon iÜtidjael ©ribmapr“ forberte, baß bab S)ted)tbwefen lebiglid) ootn Volte beforgt werbe. 3fbc ©t» meine wählt jährlich einen Dfidjter unb ad)t ©efchworene, welche ben ©erichtbjwang »erfehen. SDiit SWedjt flogt baher (Sari p. Vobmann, Öuther h°be' bereit« fo uiel angerichtet, bafj feiten in einem .'paufc ßinigfeit fei. Daju höbe er alle getriebenen 9ted)te uerworfen, unb wolle, baß man alle« Stecht bent ©ewiffen nad) fprechen foll unb nicht nad) getriebenem orbeittlichen fJicdjtc. „©0 fann man leicht» lieh auch abnehmen, bajj bann fein Stecht wirb fein, benn wo einem mab entgegengefproeben, fo macht er fid) felber einen Verftanb nach feinem ©ewiffen unb fprid)t: bie Mbcrn hoben Unredjt gefprochen. Unb alfo fomntt Siietnanö jum Stecht unb wirb alfo fein Stecht fein.“

J)er § 5 bc« befannten focialiftifchen frogrammb ber 2lrbeiter« Partei ®eutfchlanbb mit feiner „Stcdjtfprcchung bnrd) ba« Volf, unent* gcltlidje Sted)t«pflege" ift alfo nidjt« Stcuc«, unb hot in ber Stefor* mationSjeit fein muftergiltigeb Vorbilb.

II. 35er itampf gegen ßigentljum, (frbred)t unb Kapital.

Stoch mehr aber alb auf bem ©ebiete bc« politifchen Sehen« erweift fich bie fociale Vemegung be« 16. 3af)rhunberte alb Vor* täuferin beb heutigen ©ociali«mu« auf bem eigentlich focialen @e« biete, b. i. auf bem ©ebiete be« gefellfchaftlichen, wirthfdjoftlichen, gernerb» liehen Iteben«, fowie ber ©djule unb ber Sßiffenfchaft. SDtit Stecht fagt in biefer Vejieljung 3anffen (S. 93): Unjählige h»*rgcn Sutfjer

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$>tr €ociaIi«mu* im 3c>talur bcr tHcformation.

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an, nicht an« Vorliebe für feine bogmatifd)en 31nfid)tcn, fonbern wie 2)ieland)thon cingeftcfjt, lebigtid) beSwegen, weil fle ibn als ben ffiieberher ft etter ber „|5 r c i ^ c i t" betrachteten, unter welcher Freiheit 3t&£1' bie ifikgräumung beffen oerftanb, was ihm im tBJegc war, unb bie ßrlangung ermiinfehten ©liicfe«. ©iele ber 2lnt)änger hatten es nur abgefehen auf „wilben Umfturj." 3n ©ort unb Schrift untergruben fie jur ©rfdiütterung ber ©cfellfchaft bas ©er* trauen Sitter auf bie allgemeine Sicherheit, auf bie burd) Dcligion unb ©ewiffen aufgerichtetc innere Sdjranfe unb auf bie äußere Sd)raufe bcS ©efe^eS." 2lud) Dr. ißaftor liefert in feinem oerbienft» liehen Sföcrfe „'Die 9ieun io nSbeftreh ungen ©arls V." ben eclatanten DachweiS, wie wenig bei bem ganzen DeformationSwerfe auf Dogma unb Uebergeugung anlarn, fonbern wie faft burd)get)enbS bie materietten Qntereffen ben 2luSfcf)tag gaben, was oor Sittern wieberum iDlelandjttjon in bitterer SBeife erfahren mußte, fo bajj bie gange bamatige ©ewegung mit Dedjt beit tarnen focialc 9teoo* lution öerbiente. 31,8befoitbere war eS Jütten, ber mit ernft* lieber ßttergie für biefen fociaten Umfturj thätig war, unb bem ber gange bogmatifihe Äampf fowie fein eigene« äBiitfjen gegen bie S?ird)e nur üJlittcl gewefen ift, um ben fociaten Umfturj unb fein 3&tal fchranlenfofer Freiheit ju erreichen.

2Jor 21ltem nun erlitt ber ©egriff be« ©igentfjumS unb bie Sicherheit beSfetben burd) ben oon ber Deformation organifirteit Sturm auf baS &'ird)engut einen empfinblid)tn Stojf, wie fdjon ©raSmu« am 10. ü)lai 1521 an 3uftu® 3onaö fcfjrieb. Cr erfannte . fehr richtig, bajj „nichts oerbrecherif^er unb nichts für bie öffeutlidje Duhe unb Sicherheit oerberblidjer fei, als bie ©injiehung ber ©iiter ber Sird)c unb ißrie|'ter", beim bann fei Weber ben ©ärgern, nod) ben giirften irgenb ein ©cfih mehr gefiebert. 3unä$ft lehrte man, baß ber ©eiftlidjfeit ber 3el)I'te, ©ilt unb 3>nftn nicht mehr ju be* jatjten fei, unb fdjritt ftufeuweife bis jum Pollen Daub beS (ird)(id)en ©igentbutn« oor, auf ben jule^t bie ^erftörung oon Äircheu unb filöftern folgte, welche fobann in oolter ©oufequcnj bie 3erftörung ber Schlöjfer, ©urgen unb bie ^(iinberung oon Stabt unb Canb jur golge ^alte. ©efonberS tjaubette es fief) für Luther barum , bie „größten SBölfc, nämlid) bie ©ifchöfe aus bem Schafftalle ju nertreiben" unb er forberte im 3abrc 1522 in einer befonberen Schrift „SBJiber ben falfch genannten gciftlirfjen Stanb bc« ißapftc« unb ber ©ifchöfe" „alte lieben Äinber ©otteS unb rechten ©hriften" ju

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einer fotzen ©ertreibung einbringlidjft auf; wiiljrcnb fein fdjwärme» rifdjer Anhänger granj o. «Siefingert ben fiaifer aufforberte, gegen ben ©apft 511 tjanbeln mit all feiner Üttadjt als gegen einen Abtrünnigen, Sieger unb AntidjriftuS. jpicrju möge brr Äaifer „bic antid)rifttid)en ©iitcr, bie jcgmib geiftlidje ©üter genannt werben, gebrauchen.“

SEL'a« ber Äaifer oerfäumtc, follte ©iefingen ins SBerf fegen. „Als beutfdjer 3'®fa follte er fidj mit ©cwalt unb SDiorb ber geift» liegen ©üter bemädjtigen, als ein neuer ©rutuS mit ber 2tjraunci ber gurften unb ©ifdjöfe aufrännttn." 3Kit SKedjt madjt ßodjliius fiutljer ben ©orwurf: „Cu roillft bie ©eitler unb Carbtofen rcid)

madjen burd) ben ©unbfdjulj, roillft igneu am meifteu in ben ®acf geben alle Stifte, ausgenommen ber ©betleute, alle Stlöfter, gelb» firdjen unb '-Eöallfaljrteu. giirwatjr, gerätl) ignen ber Sdjanj, fo werben fie wogl eine gute ©eutc baooubringen." Ciefer Abfidjt gan$ entfpredjenb ift c«, wenn ber ©räbicant öberlin oon ©ünjburg lehrte : „Cie ftirdje ift bas uidjt oou ©ott, foubern oon ber ©emeinbe ju igren djriftlidjen ©erfammlungett beftimmtc £)aus; fo einer ©e« mcinbe nidjt megr gefallt ein foldjes §autf, mag man es wogl fiirgin gebrauchen als ein ÄaufgauS, ©abgauö, ©robgauö, gleifdjgaus, ogne alle Scrupcl. " Augcficgts foldjer Aeußerungeit bi'trfen wir uns über bic ©reuet oon fiirdjcnfegiinbuugcn, ^erftörungeu unb ©erwüftungen nidjt wunbern, bie überall gefegagen, wo bie neue Scgrc ©lag griff.

Äcin ©unber aber audj, baß bei biefer ©reisgebung beS firegtidjen (SigcntgumS baS ©rioat*l£igentgum nodj weniger «Sdjug fanb unb bic Cgeilungögelüfte ganj allgemein würben. Cer artuc, gemeine SDiann, fo wirb an ©rjgcrjog gerbinanb bcridjtet, fei alleutgalbcn begierig, frei ju werben, feine Abgaben megr $u jafjlcn unb mit ben ©ermöglichen $u tgcilen. Cer (5r,iger$og möge einen reiftgen 3U9 fdjicfen, bamit man nod) bei feiten, ege ber ^ulauf beS Röbels über» ganb negme, geriiftet fei. 3n Stornos ©üinjer’s neuem ©otteS= reiege follte „bie Ggriftengeit gleidj werben, alle ©rbengüter foOten gemein fein unb einem 3eben nach fftolgburft unb ©clegengeit aus* geteilt werben.“ Cicfe tnl)ftifdj«communiftifcgcn i'egren ©iünjer'S fanben bei bem gemeinen ©iaitn fegr ftarfen ©eifall, befonbcrS in Saufen.

Audj in ber adjwcij fanb biefe auf „innert id) er, gött* lidjer Auslegung ber Sdjrift" begriinbete Segre oon -bem neuen ©ottcSreidje mit feiner ©iitergcmeinfdjaft unjäglige Anhänger. 3n ifjm follte „fein- Untcrfdjieb ber üftenfdjen, aueg uidjt in ^>ab unb @ut fein, unb follt man ausbrennen alle filöftcr unb Sdjlöffer

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$er Socialismu« im 3f*taItcr ber Reformation.

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unt tobten alle, bie wiberfpenftig jinb bem ©otteSreiche," fo bafj ber Spredjer ber fattjolifdjen Kantone ficb fdjott im 3al)vc 1624 auf ber Jag* fa($ung äußerte : „Durch bie religiöfen Neuerungen werbe bas ©otf fo un* ruhig, bafj es fief) tueigere, ^infen, ^elfnten unb anbere ^eiftungen ju ent* ridjtcn, unb babei im ©tauben ftefjc, cS folle Stiles gemein fein, cs üevad)tc bermaßen bie Cbrigfeit, baß ber Untergang ber edpeij entftcfjen föune."

Dicfe im 16. ^aijrtjunbfrt ju Jage getretenen rabifatiftifdjen unb communiftifdjcn ©eftrebungeu hatten allerbingS bereits ein 3at)t’ hunbert früher mit ©icteff unb £)u§ begonnen. 3>l ©JieteffS „eoan* gelifchem 3ufunftSftaate foltte fein ©rioateigenthum tnef)r oor* fjanben, fonbern SUleS ©e me ingut fein, wäfjrenb £>uß (ehrte, bafj bie ©iiter ber ©eiftlidjcu „®üter ber Slrnten" feien, burd) wetdie biefe ernährt toerben fotten, bie Slrmuth fei überhaupt nur ein oon ©ott gcbutbctcö Uebcl, an luctehent bie Neichen Sdjulb trügen. Nur bie ©täubigen hätten Ncdjt auf ©cfifs. 3n einer (Jingabc an ben ©rager Natt) ftcllte eine tpuffiten*©artei 12 Slrtifet auf, in welchen fle unter Stnberem üertangte: ,,'JUlc 2lb* gaben unb Haften, aller Unterfd)ieb ber Stänbe, alle SlbfjängigfeitS* oerhättuiffe fotten aufhören. SUlc fotten unter cinanbcr ©rüber, unb feiner folt betn anbern unterthau fein." Stnbere Parteien forberten bie Einführung eines Döttigeu Kommunismus: „SlltcS fotltc Stilen gemein fein, Niemaub ein @onb er eigen t hum tcfi^cn ; wer ein fo(d)eS befi^e, begehe eine Dobfiinbe. Stile ^errfdjaft fotle au baS 33 o ( f , an bie Stusermählten fallen; alte «Stabte, Dörfer unb ©urgen müßten oermüftet unb Derb ran nt werben." Diefelbcn ©runbfähe würben Don £>ans ©öhm, bent Sarfpfcifer im Jaubergrunbe geprebigt. 3” feinem neuen ©otteSreiche werbe feber Unter* fchicb ber Stäube aufhören unb unter alleu Nfenfchen briibcrtidjc ©teidjheit herrfdjen. „Die giirften, geift(id) unb wett(id), traben fo oiet, hätte bas bie ©emcin, fo hätten wir alle gteid) genug, unb bicS -muffe gefchehen."

Das (Sptrem fociabcommnniftifdjtr 3&ecu, wetdjcS im ©cfi^c beS '^riuatcigenthumS ein ©erbredjeu finbet: „Eigentum ift Dieb* ftaht" h«t atfo bereits im 15. Sahdjunbert feine würbigen ©or» täufer, unb bie ganje focialiftifd)*communiftifche ©emeguug ber Neu* jeit, fo meltftitrmenb unb führt fie ausficht, ift nur ein abgcfd)Wächter Nachtreter ber unter retigiöfer gähne fanatifch einherftürmenbeu fociaten ©ewegung beS SReformationSjeitatterS.

Slber nicht btoS bie allgemeinen ©runbfätje über ©efif} unb Eigenthum finb in beibeit Neootutionen biefetben, and) über bie ein*

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gr. 3bad>.

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je Inen 21 r tcn bcS ©cfi^eS, über ©rutibbefifc ttnb Kapital, fotoie über £>anbcl unb ©e werbe, finbet fid) eine mcrltoiirbige llebereinftimmung $»ifd)en bem gocialiSmtiS bc$ 16. unb 19. 3aljr= tiunberts. @leid)»ie ts ein ^auptbeftreben beS heutigen gocialiSmuS ift, ben ©runbbefih au« ber $anb bcS (5 in. 5 einen in bie ber Kommune ju legen unb ihn jur gemeinsamen 92ahrung8quelle 2111er ju machen, fo ging aud) baS ©eftreben ber reformatorifrfjen gocialiftcn mit Energie bat)in: ©Rtlb, ©affer, ©eibc unb ©ilb

3ebermann ’,u utibefcf)ränftev ©enuputig 51t überlaffett, unb miiffe e8 bal)in fonimcn, baß dürften unb £>errn um einen Jaglohn arbeiten müßten. £»lj unb gelb biirfe nicf)t mit ©amt belegt »erben. 6$ fei 2lrmcn unb SWeidjcrt gemeinfam. Siner ber 12 $auptartifel ber 2(ufftänbifcl)en oon 1525 lautet: „21((e ©iefen unb 2lccfcr, »debe nidjt rcd)t(id) erlauft »erben, müffc an bie ©etneine äitriidf allen," »0* mit oor allem alle gdjcnfungeii getroffen »erben füllten. 21ttd) ,bie anberc gorberung lautet cd)t focialiftifd): „2Ule gdjmclj^ütten unb ©erg »eile, »eiche bem 2lbel unb auSlänbiftfien Äaufleittcn ober ©efellfdjafteu angeboren, müffen ju gemeinen 8a tt bebljänben cingejogen »erben, ba bie bisherigen ©efifeer burd) ©udjer it»r ©cfifcrecht oertoirlt habfn- ßin oberfter gaftöv hat J11 gemeinem 3?u(}en beit gefammten ©ergbau ju leiten."

©on nod) größerem 3'>tereffe für bie Steujeit ift jette gorberung ber 12 2lrtifel, »etdje fid) gegen bie Uebermadjt bcS Kapitals richtete. Die großen ^anbclSgefcllfdjaften, »e(d)e 2lrnte unb Dieidjc burd) »tlllitrlid)e geftfefcung ber ©reife gleidjmäßig bcfchwcrcn, finb ttad) iljncn f n nt m 1 1 i d; auf julj e b e tt. ©eber einem ©injeltten, nod) einer ©efetlfcßaft barf fortan erlaubt fein, über jefjtitaufenb ©ul ben als ©ctriebsfapital ju üenuenbcti. ©er meßr als biefe gunime im Raubet fteden hQt, feil baS £>auptgut unb bie tpälfte oon bem Ucberfd)itß an bie DfeidjSfammer oerlieren. Der Kaufmann, welcher über jchntaitfenb ©ulben reich ift, möge nach ©cfallen 31nbern fiirftreden, leihen unb cbangelifd) hclfen-" fann baS ©elb bei bem fRathe ber gtabt ju oier 00m £>unbert hinter* legen unb biefer es ju fünf ootn $unbert an ärmere ©iirger ^u befferer ©etreibung ißreS ®efd)äft3 barftreden. Sille ®elb»ed)felgefchäfte fittb bei fchmerer gtrafe ju oerbieten. Den Sfrämertt itt gtäbten, »eiche mehrerlei ©aaren feilhalten, barf man nur (Sine ©aare julaffen.

Unter ben ©roßhänblern ber „großen $anfen" muß eine Crb* nung gemacht »erben, bamit auch bie Heineren Saufteute ihre SRahrung

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£tr igccinlteinu« im 3eitalter brr dlejoriiiation.

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Ijabcit. 3fad) ber ÖanbeSorbnung »on SDtitfiael ©ciömatjr foll fortan „im 8anbe '3iiemanb ntefjr Sauf mannfdjaft treiben," auf baß fid} mit ber Siinbe be« ©ud)er« 'Jtiemanb meljr befterfe, foll für ben Verlauf »on ©aareit ein beftimmter Ort beftimmt, bort unter Sluffidjt be« Slintmann« Me« angefertigt unb nur jum Stoftung«* preife ocrfatift werben.

Mer and) in löetreff be«- $ a n b n> e r f $ unb @ e w e r b e 6 treten fdjon friifßcitig focialiftifdje iöeftrebungen Ijeroor.

Sdjon in ber ooii einem juffitifdicn ©ciftlidien um baß 3af)r 1438 abgefaßten Sdjrift: „Die Deformation Staifcr Sigicnuunb«," wirb bie Mfdjaffung ber fünfte »erlangt; 3cbermann biirfe nur fein eigen ©ewerf unb Ipanbwcrf treiben, fein jweite« baneben, bie greife ber iicbcnbmittcl untj bie ^anbwerf«* unb Saglöljne müßten burd) beeibigte IBertreter be« Jpanbwcrt« feftgefc^t werben, aud) müßten in ben Stabten alle ® in ge gemein fein, greif) eit unb ©leid)* f) c i t miiffe burd) bie St leinen auf (Erben eiugefüfprt werben."

©anj unb gar aber für ©eift unb £>er$ unfercr heutigen So» cialiften gemalt ift bie „9tcuc Orbnnng weltlidjcn Stanbe«," wcldje 3ot)ann Sberlin im 3af)re 1521 entworfen fjat. Steine eßrtidjc Sir« beit, fo tjeißt c8 in iljr, ober Üiaßrung foll fein, benn ber Slcferbau; feine fremben ©aaren außer ju großer 8eibe«notlj bürfen cingcfiifyrt werben, feine faufmiinnifdje ©enoffenfdjaft, weldje meßr al« brei SDtitglieber ^ät)U, bürfe gebnlbct werben, ©ewilb, 23ogcl unb gifd) foll 3c&criHann gemein fein, für feine 9totß ju fafjen, wa« er uerrnag, Spolj foll 3ebermann gemein fein ju ffaueu. giir einen falben Pfennig foll man fo oiel Sörob geben, al« ein ftarfer SDfaitn auf einen 3mbiß effen mag. (Ein ÜRaad ©ein foll um einen Srcujcr gefauft werben, unb ba« Ü)taa« foll fo groß fein, baß jwei iDJcnfdjen auf einen 3mbiß genug ßaben, bie »crni'mftig trinfen wollen, ©er unter ßunbert ©nlbcn bcfi(jt, ßat feine Steuern ju jaßlen, wer meßr ßat, jaf)lt febe ©cd)e einen geller. 3n ben Stabten barf mit Slnbnaßme ber jum allgemeinen Dtu^en beftimmten ©ebäubc fein übermäßig föftlid) :pau« gebaut werben. 3cbcx*, wefdjer überfliiffiger jcfyrt, al* fein Vermögen geachtet wirb, foll man bei einem (Sib ben Obern aujeigen. giir öffentliche Slnftalten barf Die» rnanb etwa® in feinem Jcftamcntc »ermatten. ÜDic wcltlidjc Cbrig« feit beforgt bie Slrmeupflege unb führt einen jwangepflidjtigeu unb unentgeltlichen Sei) ul unterricht ein, unb äugteid) ent* wirft fie für biefen ben wunberlid)ftcn Sdjulplau, ber Sille« iibcrbictct,

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gc. 36a d).

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wa« bcr ©ilbungöfanatiSmu« bcr Sieu^cit an SRöglidjcm unb Un> möglichem gclciftct Ijat. 3anffen referirt ißn <2. 186.

©teilen mir neben biefcS focialc Programm be« Zeitalter« ber Deformation ba« Programm ber focialiftifchcn Arbeiterpartei ©eutfchlanbs, fo wirb fid) ergeben, baß einerfeit« bie ©runbfapc bicfelbcn geblieben unb fie nur in ©etreff ber gorm, gegenüber bcr heutigen Probuctiousrocifc unb ber größeren Gapitalmacpt, eine Aenberung erlitten haben, unb baß anbrerfcitS ber bamafige ©ocialie* mtiS ben heutigen an itiil)nl)eit unb Gonfcqucn} nod) übertroffen l)at. ©er § 1 beS mobernen Programm« lautet: „©ie Arbeit ift bie Quelle alle« SReidjtljum« unb aller Gultur, unb ba allgemein nuß* bringenbe Arbeit nur burd) bie ©efellfcpaft möglich ift, fo gehört bcr ©efcllfchaft, b. !)• allen ihren ©liebem, ba« gefammte ArbeitSprobnft bei allgemeiner Arbeitspflicht, nad) gleichem 9?ed)t , 3ebcm und) feinen oerniinftigen ©ebürfniffen. ©ic ^Befreiung ber Arbeit erforbert bie Perwanblung ber Arbeitsmittel in ©etneingut ber ©efellfd)aft unb bie genoffenfdjaftlicbc Siegelung ber ©cfammtarbeit mit gemcinnüpigcr Perrocubung unb gerechter Pertfjeilung be« Arbeitsertrag«, ©ic röc* freiung ber Arbeit muß ba« 3i?erf ber Arbeiterflaffc fein, ber gegen* über alle anberen Älaffcn nur eine reactionärc SDZaffe finb." lieber* fc(jt mau biefett Paragraphen be« Programm« unb feine folgenben in ocrftänblid)eS ©eutfd) unb $rrgliebert mau bie allgemein nolfsroirtb* fchaftlichen Pejeid)nungen, fo hat berfclbc folgenben ©inn:

1 . Alle A r b e i 1 8 m i 1 1 e t , atfo © r u n b unb iöobcit, $>äufcr unb Ptafdjinen, ©erzeuge unb JRohftoffe foroic fiaufmaun«* guter aller Art werben ©taatSeigenthum, Priüatcigenthum hieran gibt nid) t. ©a ber ©taat allein ba« jur i'cben«notl)burft Gr* forbcrlithe ju ocrabreidjen hat unb ber allgemeine ßrnäßrer ift, fo fommtaueß ©elb unb jebe« üaufdjmittcl in 35? cg fall, hiermit fällt aud) ba«Grbrecht, ober befthräuft fid) ßöchfienö auf bie Pcrcrbung beffeit, wa« man oon ieinem täglichen Unterhalte an Speife ober Kleibern erübrigt hat.

2. ©er Staat beftimmt, wa« mit ben gemeinfd)aftlid)eu Arbeitsmitteln in ben ©taatöwcrlftätten probucirt werben fotle. ^cber arbeitsfähige SDlenfd), cinfdjließlid) bcr grauen, ift arbeitspflichtig unb muß biejenige Arbeit ocrrid)tcn, bie ihm oom Staate angewiefen wirb, prioatfabriten, Prioathaubwerf, prioat* lanbwirthfehaft, aller ©roß» unb Äleinljanbcl ber Prioaten hört auf. ©er ©taat allein probucirt, Dermertljet, Dcrfauft nad) Außen unb hat allein ben preis aller 95?aaren 511 beftimmett.

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16 £<v <2ocia!i*nm8 im *>ft SHtfovmatio«. 297

3. £)cr ßrtrag ber Slrbcit roirb nad) älbjug bcr ^Betrieb«» foften für 2111 e glcidjmäfjig oerroenbet, ftcfyt tljeilö 9lüen 5«r gtmeinfamen IBenufcuug offen , tfjeil« roirb er an bie Ginjelnen oerttjeilt je nad) ©cbürfnijj. SScnn aud) auf biefe SßJcife ba« graffe „Steilen" oermieben ift, fo ift ber Sociali«mu« in feiner 2lu«= fiiljrung bennod) purer Gommuni«mu«, roie aud) ber 93olf«ftaat " (1871, 80, ©eilnge) einfach jugefteljt: Der S oc iali « m ift bie Örage, auf roelcpc ber Gomntuni«mue bie tlntroort gibt. 3encr fragt: SBie? Diefer antwortet : „So". 3cner ift bie Itjeoric, biefev bie ^Jraji«. 333er roafjrljaft Sociatift fein roill, muß Gommunift fein. 5Da« Güte ift bie jroingenbe golge oom 2lnbern. 3m 3Qf)re 1873, 25, fdjreibt er: 35er heutige Socialiömu« ift communiftifd). Sociali«mu« unb Gommuni«mus Ijabctt fid) fo weit genähert, baj? iljrc Unterfdjiebe beinahe öerfdjrounbeit finb.“ 3)er Gommuni«mu« ift nid&t« 2lnbere«, at« bie lefcte Gonfequenj be« Sociali«mu«, ober mit anbern SSBorten: ®cr Gommuni«mu« ift bcr burdjgc führte Sodaliemu«. 23a« alfo ber heutige Socialibmu« oor bem bc« Zeitalter« *>cr Deformation oorau« fjat, ift nur bie met)r f qftematifdje ®urd)füt)rung, er l)at eine 2lrt roiffen» fd)a ft lidjer gönn unb Spraye angenommen, roiiljrenb jener auf bem Söoben faffd)er religiöfer 2lnfd)auungen naturroüdjfig fid) entroidelte.

III. 2>tc Stellung bcr focialen (Bewegung jur '.Religion.

Gin aubere« feljr reidje« ©ebiet für 23erglcid)ungen jroifd)en bcr focialen SReoolution bc« 16. 3al)rf)unbert« unb ber 3ctJtäc*t bietet ifjre beiberfeitige Stellung jur Religion. fjicr fluf biefem ©ebiete liegen bie tiefften unb lejjten ©rünbe ber beiberfeitigen ferneren SJerirrungen. £)enu fo gewiß al« bie fociale IBeroegung im 16. 3a()rr ljunbert burd) bie totale Umgeftaltung be« religiöfcn ©tauben« unb Gebens Ijeroorgerufen rourbe unb burd) bie Heug= nung jeglidjer Slutorität auf bem ©ebiete bc« ©tauben« roie be« fitt(icf)en Heben« notfjroenbig ju einer djaotifdjen Verwirrung auf allen Heben«: gebieten führen muffte: fo nimmt and) ber Sociali«mu« ber 3^1*1* feinen 2lu«gang«punft au« feiner abfoluten g ein bfetig feit gegen jebe geoffenbarte (Religion, au« ber Heugnung jeg* lieber tion ©ott gefegten Drbnnng be« focialen Heben« unb au« bem (ßrincip, ba« ganje geiftige unb fociale Heben auf rein mcnfdjlidjer ©runblage aufjubauen. fRur barin befteljt

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gr. 3 6 «4

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ein Unterfdjieb, ba§ bie focialc SHcoolution beß 16. 3af)v^unbert6 fid) fdjeinbar allerbingß auf „göttlichcß Sort unb ©efefc" ftii^te , biefem jebodj eine öon jeglidjer Autorität entflcibetc, rein fubjcctioe, mcnfdjlichc, millfiirlicbe Slußlegung gab unb ben benfbar möglichftcn UNifsbraud) mit i^ui trieb, mnfjrcnb ber Socialißnmß bev 3e^tjeit biefen Dctfmantcl lelifliöfcr formen unb göttiidjer Autorität gänjtid) bei Seite legt unb feine Setzungen unb £ef)ren al« obfotut mcnfd)liche, ohne jeglichen £intergrunb göttlidjer Autorität proflamirt, unb hiermit ben IBorjug ber Shrlidjfcit unb ber Sonfcqucn$ für ftdj in älnfpruch nimmt, ffiir miffen bei ifpn, mit wem mir $u tbun ^abeti, unb menn aud) l)ie unb ba uon bcu gütigen Socialiftcn eine Anlehnung an chriftliche 3bcen uerfud)t tuorben ift, um fd)macf)e ©eifter in bie 3rrc $u führen, fo ift bod) ganj batb uon competenter Seite baß energifefje Dementi erfolgt unb bie ganje Sache beß Socialißmuß micber mit »oller Sl)r= lidjfeit flar geftellt unb febe Slccommobation jurüefgemiefen morben.

ÜBenn baß ®otf)aer Programm oom 25. SD?ai 1875 er* Märt: Die (Religion ift ^riuatfache, fo ift biefc Srflärung bod) nur ein nottjbiirftigcß fDiänteldjen jur 93er^üUutig ber graffeften ©otteßleugnung unb ber tiefften gcinbfd)aft gegen olle (Religion. Denn fie Ijcifit junödjft: Der focialiftifdje Staat fennt feine (Religion unb rcfpectirt feine (Religion, bleibt roeber oor einem d)rift(icf)cn Dogma nod)« einem djriftlid)en ©efefj fielen." Sr mill uic^t einmal baß SIBort „(Religion“ ^öreu, bentt er fefet an bie Stelle ber (Religion bie „Humanität, mcldje auf ber Srfcnntuiß beruht, bafj nur in ber focialcn br üb erlitten Sfr beit, in ber ötonomifdjen ©emein» fd>aft ber Srlöfer lebt, ber unß Dom leibhaftigen ©Öfen, ber (8uß* beututig burd) ben Sapitalißmuß, befreien fann." (gr. 3. Diepgen: (Religion ber Socialbcmofratie. günf Sanjctrebcn. 8eip$ig 1875.) Die c u 1 1 i D i r t e menfd)lid>c ©efellfdjaft i ft baß 1) ö d) ft c 2Befcn, moran mit glauben; auf ihrer focialbcmofratifchen ®e* ftaltung beruht unfere Hoffnung, fie erft mirb bie Ciebe jur Sahrf)eit machen , für me(d)e bie rcligiöfen ©hantaften bißher nur gefd)marmt haben.“ „Die Religion ift ^rioatfachc h^B* ferner: Die Social* betnofratic fann eß. nicht hebern, bafj ber Sinjclnc in Sad)ett ber (Religion benft, maß er mill, öffentliche ©eltung bafür aber barf er nicht oerlangen , barf alfo bem Staate gegenüber fich nicht auf feinen ©tauben, fein ©efef}, fein ©emiffen berufen. Der Socialiß» muß macht auß feiner geinbfdjaft gegen alle göttliche Autorität gar fein £cf)f, unb feine Schriften ftroheti oom $affe gegen alle (Religion,

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$tr @ociali*nm8 im btt 3(f jormation.

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rochen Manien immer fie trogen möge. 211« man opportun fanb, mit feinen innerften Senbenjen herauöjutreten unb gegen bie ©erliner (Sfjriftlich’ Socialen gront ju machen, ba ttmrbe bem (Sfjriftenttjum ber „Srieg bi« auf« üReffer“ erffört, jum SDiaffenau«tritt au« ber 8anbe«* fircf)e aufgeforbert unb fctbft Slbänberung jene« Paragraphen be« ©otfjaer Programm« geforbert, ber bie (Religion af« ©rioatfache gelten (affen will.

$n biefem au«gefprochenen Sltheiömu« unb ber oölligen 8o«» reißung oon allem Ueberfinnlidjen, ®öttlidjen, oon oder Sranfcenbenj unb aller außermenfchlichen Autorität unb (Dlacht liegt ba« treibenbe ©rincip unfere« heutigen ©ociali«mu«. (Rad) ißm muß fiel) ba« ganje fociale unb politifdje lieben geftalten. 3ft ber SRenfcf) nic^t für ein 3enfeit« gefdjoffen, nic^t für eine aufjertoeltlidje ©eeligfeit: nun gut! Dann muß bte ßrbe fein §immel fein, unb toenn fie nicht ift, fo muß fie toerben, menn nicht gutmütig, bann mit ©e»alt. 3ft er oon jeber göttlichen Autorität lo«geriffen, bann muß ber «Staat bie hödjfte unb ein» jige Autorität fein unb hat er bie Aufgabe alle geiftigen unb leiblichen ©ebürfniffe ihm ju beliebigen, er muß ihm bie ©teile ©otte« unb feine ©orfehung oertreten.

Da« alfo ift bie Stellung be« heutigen ©ocialiamu« jur (Religion, ©eben mir nun $u, »ie ju allem bem ba« 3citalter ber (Reformation ben ®runb gelegt hat.

©cf)on ßraSmuS oon (Rotterbam, ben 3anffen mit (Recht unter bie ©etter unb rocjcntlichften görberer ber (Reformation jählt, mußte fich »egen feiner Singriffe auf ben ©tauben, ba« ©apftthum, auf bie ©acramente, bie Liturgie, bie Orben Oon Sllbertu« ©iu«, giirft oon ßarpi ben gerechten ©orrourf machen laffen: „£>aft bu nicht baburch bei fehroaeßen unb leichtfertigen 3Renfcf)en ben ©ebanlen enegt, alle biefe Dinge feien ohne ©Jerth unb hätten feine ffraft, haben fie nicht burdj folch leichtfinnige Steuerungen bie« Sille« oer= achten gelernt?" ©eine ©prache fiel burch leichtfinnige ©ermifthung be« ^eiligen mit bem ©emcinen in grioolität, fclbft in ©laSphemie unb feiner hat, roie ihm felbft ber ßnglänbcr ?ee jurn ©ormurfe macht, einen folchen ©ibetfpott auögeiibt, Seiner fich über bie ©erfaffer ber heiligen ©driften in einer jebe« chriftliche ©efiihl fo oerlefcenben SBeife au«gefprochen, »ie er. ©ogar ein ©ebet be« £>errn machte er feinem bla«phemifd)cn ©potte bienftbar. Qn feiner ©djrift „lieber bie ©erachtung be« ©obe«" billigt er ben ganj heibnifchen ©runbfah: „Um tieften ift nicht geboren »erben, ba« (Rdchftbefte, fo fchnell

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gr. 3f>atfi-

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wie möglich au« bem tfeben 511 oerfchwinben," unb rühmt 00m Sobe: „SBcnn er bie einen ätljerifchen Urfprung bcfi^enbe Seele au« bem groben .gucht* unb 2lrbcit«tjaufe beS Äörper« ertöft, fo ift benen ©lücf ju miinfchen, reelle au« bem Sehen gefdjicben unb $u jener gtüdfeligcn fyrei^eit jurücfgefehrt finb." ©on G^riflu«, bem Spenbet be« einigen Sehen«, unb oon ber auf it>n gegrünbeten Hoffnung ift in ber Stbljanbtung feine Siebe. 'Tie ßrjieljung ber Qugenb läuft nad) feinen ©runbfähen wefentlich auf ben ßrroerb einer feinen, inteUcc* hielten ©itbung, auf Befolgung ber $Rath)d)lägc be« gefunben SDicn« fchenoerftanbe«, auf Sinmenbung aller SDiittet menfe^tie^er Klugheit hinau«, unb entbehrt jeglicher wirtlich c^riftüc^cn ©runblage. ®ie auö biefer Schute hcr°orgegangenen $umani|ien oerbieuen ooll* ftänbig ben 2abel be« ßoehtäu«: „3h« Sitten finb, um nicht mehr ju fagen, locfer unb fred), Sichtung oor bem ^eiligen unb ßhrwürbigen trifft man bei ihnen fetten; ftarf finb fie nur im Sefdjimpfen unb SBerljöhnen alle« ©eftcljenben, unb wer nicht mithetfen rnilt, um biefc« über ben Raufen ju ftürjen, ift in ihren Slugen ein ©arbar.‘

©(hon einen bebeutenben Schritt weiter auf bem ©ege jum Unglauben traten bie Erfurter fmmaniften, oor allen üflutian. ßr faßt bereit« ba« (Stjriftent^um al« ba« jum 2)iofai«mu« im ©e* genfah ftetjenbe, oon alten ©ffcnbaruugSthatfachen unabhängige reine SDienfdienthum auf. Setbft feine begriffe oon ber ©ottheit fangen an ju manfrn: „ß« ift nur ßin ©ott, h«ißt in einem ©riefe, unb ßine@öttin. Stber es gibt oiete ©eftatten unb niete 9?amen: Jupiter, Sot, Stpiotto, Ptofe«, ßfjriftu«, 3uno, ßerc«, Proferpina, leltu«, SDfaria. mber hüte bich, ba« au«jubreiten. Pfan muß in Schweigen hütten, wie eteufinifche Ptpfterien." Podj weiter wagte fich ber cijnifche Ulrich oon Jütten in feinen oerfchiebenen Pam* Phteten, oor Stil cm in ben epistolae obscurorum virorum, beren eigentliche« ,3iel Weber bie ©egner Steuchlin’« noch bie ßötner, fonbern ba« Papftthum fetbft unb bie firchtiche Autorität finb. 3" wahrhaft fchmäfjtuher unb freoefljafter Steife wirb in ihnen mit ber heiligen Schrift Spott getrieben unb bie perfon ßfjrifti burd) fchmachootte ©ergteiche ^erabgeroiirbtgt. SDajj alte firdjlidjen 3nft*tut»onen mit Schmach übergoffen werben, oerfteht fleh bei Jütten oon fetbft. Seinem burchauS reootutionär angelegten (Steifte entfprad) bie SaScioität unb wüfte 2lu«gelaffenheit feine« Gebens, feine triebe jur ©ewaltthat, getjbe, raub« rittcrtichem SBefen unb feine witbe Poefie be« §affe«. ßin fotdjer P?ann war in ber Itjat ein muftergüttige« prototpp be« heutigen Unglauben«.

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®cr Socialismu« im 3citalter brr Dteformation.

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Slber aud) bic Steilung, welche 8utl)er fetbft jur Strebe unb jurn (Sfjrifteut^um einnahm, mußte ben Unglauben mastig förbern. Obwohl er al« Grfenntnißquelle be« ©tauben« bie ^eHige Schrift fyingeftetlt hatte, fo untergrub er fetbft bod) mieber ba« Slnfe^en biefer Zeitigen ©üd)cr auf bgö Gmpfinbüchfte, inbem er bie Gchtßeit unb Uned)tljeit berfetben oon feinem perföntidjen Urtljeile abhängig machte, unb in ihrer ^anb^abung unb 2lu«legung jegliche Autorität jurüefmie«. ©ereit« am 16. Olooember 1521 wie« ^erjog ©eorg oon Sadjfen in feinem Schreiben an ben Äurfiirften griebrief) barauf hin : Die Dinge in Saihfen nähmen feine« fflebiinfen« eine ©eftalt an, wie bei ben Böhmen, gegen welche bod) ihre ©orfaf)ren um be« ©lauben« willen bi« auf ba« ©tut geftritten Ratten. gäbe fogar fdjon (Einige, welche gar fein ^Religion mehr hätten unb bie Unfterblichfeit ber Seele leugneten. Sille« ba« fließe au« 8uther’6 8 ehre, Sille« fei in Seften gefpalten, ber ©laube faft erlofchen unb in Sllt« weibermärdjen oerfehrt.

3a 8uther felbft geftef)t in feiner ©Jiberlegung Garlftabt’« ju, baß au« bem ©runbfahe freier SluBlegung ber ^eiligen Schrift enbtofe ©ermirrung unb Unglauben ßeroorgehen. SDian werbe fe£>ett, fagt er in bangem ©orgefiihle, baß biejenigen, welche bie Schrift mit ber fopfjiftiichen ©ernunft unb fpifcen Subtilitäten meffen unb meiftern wollten, halb baljin foinmen mürben, baß fie auch leugnen werben, Ghriftu« fei ©ott. „Du follft Sunbcr fe^jen, wie fing bie ©ernunft fein wirb, fonberlid) im tollen ©öbel." Unb wahrlich, 8uther ^attc nur ju feljr 8icd)t. Slu« feinem ©rincip mußte ber Unglauben folgen. Der iWatf) oon Oiürnbcrg hatte fief) fchon im 3«^e 1521 in bem ^rojeffe gegen brei bortige 9ttaler, bie burd) bie©rebigtcn Dfianber« jur ©erjweiflung an aller SBaljrheit gelangt waren, oon biefer golgerung iiberjeugt. Sluch hatten gläubige Schriftftellcr ber

bamaligen 3eit frühjeitig barauf aufmcrlfant gemacht, baß eine Doll« ftänbige rcligiöfe Slnardjic bic gofge ber „chriftlichen greiheit" fein werbe, fo wie Sutljer fie oerlange. Unb fchon im 3abre 1525 war foweit gefomnten, baß 8uther felbft fich ju bem ©efenntniffe genöthigt fa^ : „Diefer will feine Saufe, $ener leugnet ba« Safra= ment; ein Slnbercr fefct noch 'int ©eit jmifchen biefer unb bem jungften Sage; etliche lehren: Glfriftue fei nicht ©ott; etliche fagen bie«, etliche ba«, unb fcfjier finb fo Diele Seften unb ©lauben al« ÄÖpfe."

war eine oollftänbige Stnardjie bc« ©lauben« eingeriffen unb infolge beffen hatten fich auch bie munberlichftcn focialen Spfteme

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8r- 36fl*.

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außgebaut, alle gegrünbet auf biefelbe heilige Schrift, bie 3«bermann ju Söillen fein mußte, äud) Erjherjog gerbinanb fchritb in feinem Berichte an ben Saifer im 3aßre 1524, fchon fei ba« gcfellfcfjaft* licf)eSeben tief erfdjüttert burch bie herrfdjenb geroor* bene religiöfe Slnarcbie. ©ange ©orge befalle ihn bei feinen täglichen Erfahrungen um ba« mit ber SReligion ftet« innig oerfniipfte ©emeinroefen, unb um bie mit ihrem Untergang bebrohte Deutfche Nation; auf ba« Stieffte fei er betrübt, nicht bie ©Uttel ju hefihen, um jum ©of)le ber Sljriftenheit fo aufjutreten, wie ber unfeeligen, alle« menfchlichen unb göttlichen grieben« oerluftig gemor* benen 3«* SRoth tßue. Ober ma« anbere al« Anarchie tonnte au« ber Sehre folgen, bie Suther in feiner Unterroeifung im 3ahre 1523 oeröffenttirfjte: B®arum laffen mir ©ifd)öfe unb Soncilien fchliefjen unb fagen, ma« fie mollen, aber mo mir ©otte« ©ort für un« haben, foü’« bei un« flehen, unb nicht bei ihnen, ob« SR echt ober Unrecht fei, unb fie follcn un« meinen unb unferem SB? o r t ge* horchen. Sille ©ifchofe, ©tifte, Slöfter, hoh* Spulen, bie ba« Urteil ber Seßre ben ©thafen unoerfchämt genommen, feien niefjt« anbere« al« 2D2 ö r b e r unb ÜDiebe, ©ölfe unb abtrünnige Ehriften.*

3n augenfällig feljr fonberbarer ©cmeisfiihrung folgerte Suther au« ben ©orten Ehrifti: „$ütet euch üor falfchcn Propheten,“ ben ©ah: „©o tann ja fein falfd)er ©rophet fein unter ben 3uf)örern, fonbern allein unter ben Sehr er n." £)arum follcn unb müffen alle Selfrer bem Urtheile ber 3uhörer untermorfen fein mit ihrer Sehre, nicht«, feine Sehre, fein ©ah bi'trfc gehalten merben, fei benn oon ber ©emcine, bie höret, geprlifet unb für gut erfannt." ®a jeber Ehrift oon ©ott gelehrt unb jum ©riefter gefalbt fei, fo gehe bie ©ifcf)öfe unb anbere geiftliche ©orftehcr, bie an bc« Jeufeie ©tatt fihen unb ©ölfe finb, ba« ©rebigtamt unb ©eelforge ju beliefen cbenfooiel an al« bie Jürfen unb bie 3ubcn. „Efel follcn fie treiben unb £>unbe leiten. Jprannen finb unb ©üben, bie mit un« hanbeln mie be« Jeufclß äpoftel felber."

ffia« ©unber, roenn bei biefem totalen Umfturj aller Orbnung in ber fiirche ber Umfturj auch auf ba« fociale unb potitifch« ©ebiet übertragen mürbe, unb man fich babei mit ganj gleichem SRecht auf biefelbe heilige Schrift ftühte, auf bie Suther mit feiner religiöfen SReoolution fich geftüht hot. ©ie leicht gemefen, auch für ben tollften Umfturj unb hintmelfchreienbe ©eroaltthat ba« 3eugnijj ber

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$er SocialiSmu» im 3e*ta^tfr *»**■ Steformation.

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^eiligen «Schrift unb bet SWctigion für fiel) ju befommen, ^abcn bie ©reuet beS BauernfriegeS nur ju fehr gezeigt.

©er Unterfdjieb jwifdjen biefer in bem flotter ber Deformation fid) Solljiehenbeti SReoolution unb bem Unglauben be« heutigen SodatiS» muS ift nur ein grabueller. ©er 93olf«ftaat (1873, 14) fchreibt: „®ie Deligion ift feit unbenflichen 3e'ten unb bei allen SBölfem baS ljauptfäiblidifte SluSf üljrungS* unb SluSbeutungSmittet gewefen. Einerlei ob bie ‘ßriefterfchaft felbft bie (Staatsgewalt in ben §änben l)atte, ober ber Staatsgewalt biente, ftetS ift fie für ben Dücffcgritt unb bie Barbarei eingetreten."

©em SocialiSmuS ft eff t jebe Dctigion im ©ege, weil jebe Deligion einen, wenn auch noch fo oerfümmerten ©otteS* glauben ^at, unb weit jeber ©otteögtaube bie ©tucffeligfeitstheorie beS SocialiSmuS burdjfreujt. @in focialiftifcher Parteiführer erflarte offen unb falt: „©ir ©ott für ein Slfgt ber ©ummljeit;

wir betrachten ©ott als baS größte liebet in ber ©eit unb barum erflären wir ©ott ben ffrieg." Slucg fie oer< fteljen fo gut wie bie Deformatoren ben Sturj ber geiftlidjen Slutorititt mit ber weltlichen unb focialen SReoolution in Berbinbung ju bringen. So fcfjrcibt ber Botfsftaat in einem Slrtifel: Ueber SltljeiSmuS unb ©hdSmuS (1872, 103): „ÜRit bem legten (Eljriften wirb auch

ber legte Sttaoe frei werben. ®ie ^ufunft muß bem StgeiSmuS gehören, nur in ißm ift baS £>eil für bie SDfenfchheit, bie ihre guten Dedjte fo lange für einen ©aßn oerfdjadjerte, ju finben." Unb an einem anbern Drte (1873, 91) feßreibt er: „3a bie SReoolution ift fatanifd) rem ©efen nach, wenn ©atan baS- Sinnbitb bes ©eifteS ber (Empörung ber 3H e n f ch h e i t gegen bie © ö 1 1 e r , flriefter, bie Könige, gegen alle Vertreter berSluto« rität unb alle Bereinigung beS SRecßteS ift."

IV. ©erßältniß ber focialen Bewegung $u ber fire^lic^en unb fittlichen Crbnung.

SDiit ber totalen ^erftörung ber religiöfen ©runb*2tnfcßauung geht fetbftoerftänblicß $>anb in £anb §aß unb BerfolgungSfudjt gegen bie ganje hierareßifeße ©rbnuitg unb beit SleruS. 3Rit fteftigfeit griff Sutßer bie ©ifeßöfe an. „(ES ift fein Botf auf (Erben, baS ©ott mehr .entgegen fein fann, als biefe ®ößen> unb ©ifchofstaroen; biefe ungläubigen, undjrifttidjen, ungelehrten Stffen, Söwen, ©unbet beS gorneS ©otte«. ©arum wollteft bu benn fie

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gt. 3 b a di.

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fürchten, ober oor iljtten crfc^rccfen, «nb nidjt oielnteljr fie für eine üJiafet unb ©eflecfung ber ganjeu Srbc Ratten, als fie 23etru$ nennt, mit alt ifjren ©efefcett, öügen, prangen, «Uten unb @emof)ttl)eitcn." 2ltt anberer Stelle forbert er gerabe3U ju 9)?orb unb 2obfd)lag berfclbcn auf. $n jmeiter ?inic gatt Cutter« £>a(i beit Orben. So prebigt er „(Sine gemeine SUerftörung non Stift unb filöftern märe bie befte fNcformatioii". Der 3rrtf)um ber tfetjre oou ben guten ©crfeti, (ct)rt er, fei fo eletib unb jäntmerlicf), ba§ es beffer wäre, baß matt alle fiircfjen unb Stifte in- ber ©clt au«wurjetet unb ju 'ßuloer oerbrennet, wäre aud) weniger Siinbe, als aud) 3emanb auö greoel tl)ät, benn baß eine einjige Seetc in faldjent 3rrt^um ocrfiiljrt unb oerberbt würbe. Um ben 3rrtf}um aubjutilgen, märe gut, baj? man ade Sircfjen einmal in alter ©clt um» teeret, unb in gemeinen Raufern ober unter bent $immet prebigte, betet, taufet, unb alte djriftlidje 'ßflicfjt übete. $ier jietyft btt, warum ber Donner genteiniglid) in bie Sirenen für atte attbern Raufer fdjlägt, bag ifjtten ©ott feinber ift, als allen anbertt, barum, baß in feinen 3)? orbgruben, in feinem graue nljau«, foldje Siinbe, fotdj ©otteSläftern, fold) Seetmorb unb Sirc^enoerftbruttg gcfdjieljt, nod) gefdje^cn mag, al« in biefett Käufern, ©enn ber geiftlidje Stattb nid)t gelje auf bie ©eife, wie er geteert fyabe, fo wollt idj,“ fagt er, „nid)t allein, bajj biefe meine Ccljr Urfadje wäre, filöfter unb Stifte 3 u jerftöreii, fonbern i d) wollt, fie lägen fdfon auf einem Raufen in ber Jlfdjen." ‘) 91ur ju pünftlicf) würbe biefe 8ef)re Sutljer’ö befolgt. Der eittjige föaucrnfrieg oon 1525 Ijat nte^r Äirdjett, Älöfter, Stifte, Äunftfd)ä|}e, fflibliotlfefen äerftört, al« je eine fKeoolution, unb als oielleidjt je ber SocialiS» mu« ber ©egenwart jerftören wirb. 2lu« ber Sluöfaat grimmigen $affe« gegen ben Steril« ift bie blutige Srntc ber SDZe^eteien unb $infcf)lad}tnngen oon ©eiftlidjen unb ^errett Ijeröorgcgangcn, wie bie ??eu}eit faum 2tel)nlid)e8 bietet, ba ber £>a§ gegen bie Sinen auf bie Slnberen übertragen würbe.

Da§ bei einer foldjen prebigt beS SoangcliuntS oon cfcriftlidjcr CicbeStljätigleit unb guten © e rf e n nidjt bie Siebe fein fonnte, ift teid)t begreiflidj, uttb ihitljer felbft flogt unjäljligetnat über bie 23er» fjartung ber ^terjen. „Unter bem ißapfttfjum," fc^reibt er, „waren bie &ute tttilbe unb gaben gern, aber jefct unter bem Soangetio gibt Oiiemanb meljr, fonbern einer fd) inbet nur ben ‘T&üijer’i jämmtlidjc ©trte 7, 121, 181, 222, 223, 330.

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23 &fr ®ocia!t«muS im ber SReformation. 305

anbcjn unb ein jegließer ro i 1 1 ade« allein ßaben. Unb je länger man ba« goangetium prebigt, je tiefer bie Scute er* faufcn in @ e i 5 , £>offart, 'ßraeßt, eben al« follte ber arme 33ettelfacf ewig fein bleiben." {Ratürließ, wo bie guten Serie nichts nußen unb oerpönt finb, fann nur ißr ©egeutßeil jum 33orfeßein fommen. „Dem lieben goangelium ju Danf," fc^reibt er an anberer ©teile, „fein bie Öeute aifo feßänbließ böfe geworben, baß fie nun nießt mefjr menfeßließer, fonbern teufließer Seife unbarmßerjig, nießt genug baran ßaben, baß fie gleicßrooßl be« goangelii nod) genießen, baoon fett werben mit {Rauben unb ©teilen ber Äireßcngüter, fonbern muffen aueß benfen, fo oiel an ißnen liegt, ba« goangelium ganj au«ju= ßungern." Sarum aud) follte man nod) opfern unb ©tiftungen maeßen, wenn £utßer felbft 511m ^erftören unb ginjießen berfeiben aufforberte.

Slber nüßt genug, baß bureß fiutßer’« ifeßre bie Uebung guter Serfe unterblieb,' felbft ber llnterfeßicb jwifeßen ©ut unb 33ö« mußte bei ben fataliftifeßen Slnfeßauungett ßutßer’« unb feinen Seßren 00m „fneeßtifeßen Sillen" oollftänbig feßwinben unb ba« 33öfe ebenfo al« ein Ser! ©otte« erfeßeinen, wie ba« ©ute. ©elbft bie Vernunft, leßrt ßutßer, miiffe befennen, baß „fein freier Sille fei, Weber in ©ott nod) im 2Renfeßen. Die allmäcßtigc ©ewalt unb bie g ö 1 1 ( i d) e 33 0 r f c ß u n g tilgen ju ©runb allen freien Sillen." garlftabt fuc^t felbft au« löibelfprueßeu bar» jutßun, baß aud) bie ©iinbe in ©otte« 31 11 gen gut fei, weil fie gefdjaffen fei unb alle« ©efeßaffene gut fei. Die ©ünber oollbringen mit ißren fünbigen Serien ©otte« Sillen. ÜRit bem Sillen ©otte« würben llnjueßt unb anbere 3*erbredjen befdjönigt. „{Ricßt er," fagte einer ber fßräbicanten, „begeße 3?erbrecßen, fonbern ©ott ber 23ater wirfe fie bureß ißn." ©elbft bie entwiefeltfte ©ocialbemofratie tönnte auf ißrem atßeiftifeßen ©tanbpunlte bie eßrift« ließe üRoral nießt grünbtießer jerftören, al« mit biefen ©äßen bie {Reformatoren getßan ßabeit.

Sie ber reoolutionöre ©eift 8utßer’« fieß über alle ©tßranfen einer oon ©ott gefeßten Autorität in ©aeßen be« ©lauben« ßinweg* feßte, fo feßte er fieß autß über bie ©ebote ©otte« mit gleidjer Ceieß» tigfeit ßinweg. 3" feiner ©treitfeßrift „Siber bie ßimmlifdjen ^ro» pßeten" will er SRofeö Weber ßören noeß feßen. äueß finb ißm bie 10 ©ebote nießt pofitio göttließe ©efeße, fonbern fie werben nur bc«wegen geßalten unb gefeßrt, „weil bie natiirließen ©efeße nirgenb fo fein finb oerfaffet." Slueß bie ©onntag«feier entbeßrt naeß ißm

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gr. 3&adj.

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ber göttlichen Slnorbnung. „3U 5e‘cr t>Eß ©onntag«,* erftärt er in berfelben (Schrift, „ift 9?iemanb oerpf lid) tet. '35ai man öen ©abbatl) ober ©onntag feiert, ift nicht Don nötfjen, noch um SDlofe« ©cbot willen, fonbern ba§ bie OJatur auch gibt unb lehret, man miiffe je juweilen einen Sag ruhen, bafj SDJenfd) unb S5ieh fich erquiefen,* teer alfo ber Diuhe nicht bebilrfe, mag ben ©abbath brechen unb an einem anbern lag ruhen. Ber ©onntag war nach ßuther'« Hnficfit nur eine äußerliche unb barum unwefentliche Drbnung. 5Jtan feiere nach ihm ben ©onntag nicht um ber oerftänbigen unb gelehrten ßljriften roillen, benn biefe bebürfen ihn nicht, fonbern man feiere ben ©onntag um leiblicher Ur fache unb 9iotf)burft teilten für ben gemeinen tpaufen, Snedjte unb IDtägbe. ,,ß« liegt nicht« baran," fagte er über ben ©onntag in ber Stublegung be« 3. ©ebote«, „ob roir feiern ober nicht, bie ©ewiffen finb frei. 355er nicht teilt feiern, ber arbeite immerhin, mir rootlen ihn nicht fcheltcn noch »erjagen. fteljt in unfer ©lacht unb Sill« !ür, ob teir wollen feiern ober nicht."

Baß bei einer folgen lüljnen ^inmegfefcung über göttliche ©ebotc unb ^nftitutionen oor allem bie Gehe nid)t unberührt bleiben tonnte, ift leicht ju begreifen. Unb in ber Shat hat gcrabe biefe göttliche 3»- ftitution, bie ©runblage be« ganzen focialen ?eben«, burch bie 9tes formation bie allerempfinblichfte Begrabation erlitten.

feiner ©chrift „25on ber babtjlonifchcn ©efaitgenfchaft ber fiirchc" ftcllte Sutfjer zugleich ein neue« ßbcredjt auf, worin er bie ßlje nicht nur ihre« faframentalen (S^arafterö beraubte, fonbern auch bie Sßerbinbung jroifchen (Sh r i ften unb Glicht Triften befürwortete unb bejüglich geroiffer SBerhältniffe bc« ehelichen Scben« ©runbfäfce auSfprad), bie wahrhaft unerhört finb. (cfr. 3anffen, ©.112 9lote.) ßr nahm bie ßße “1$ eine rein äußerliche leibliche 25erbinbuitg an, »eiche mit ber Religion eigentlich gar nicht« ju thun höbe, al« eine bloße menfehtidje $anbtirung, ber jebe moralifchc Öebeutung abginge. einer ißrebigt Dom ehelichen ?eben au« bem 3°hrc 1522 gibt er at« bie juläffigen (S^efc^eibutig^gcünbe 3mpotenj unb ßhebrudj an, unb fügt bann hinju: „Sirb eben 3cmanb bie« anfechten unb fagen : bamit werbe 8uft unb SRaum gegeben allen böfen UJlännern unb ©cibern, Don einanber 3U laufen unb in fremben Cänbern fidj ju Deränbern. Antwort: Sa« fann ich baju? ß« ift ber Dbrigfeit ©chulb, warum erwürgt fie bie ßljebrecher nicht? 311« britte Urfache jur ßhefcheibung gibt er an : wenn fich ßin« bem änbern felbft beraubt

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$tr ©ocialiSmuS im 3e*tattcr ber SReformation.

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unb cntjeueßt. Die ©teile fetbft läßt ficß nicßt mittßciten. ©ie fißließt: „£>itjmuß roeltticße Dbrigfeit ba« 955 e i b jroingen ober um bringen. SBo fie ba« nidjt tßut, muß ber 2Rann benfen, fein 9Beib fei ißrn genommen oon Räubern ober umbraeßt unb n a einer onbent tracßten."

©efannt ift Butßer’« ^nbufgen^ in ©etreff ber ©igamie oon Reffen, unb auf ©arlftabt’ß Ratß fdjvicb Cutter im 3&ßre 1524 an ben fäcßfifcßen Kanjter ©rücf : „34 gefiele in ber £ßat, baß i cf) eßnicßtßinbernlönnte, wenn 3*niflitbmeßrere grauen eßeließen rootte, aucß wiberftreite bie« nicßt ber ß eiligen ©cßrift." 2tber er ßictt für ärgerlich, wenn bie« unter (Sfjriften oortäme, bie aucß ertaubte Dinge untertaffen müßten.1) ©iel roeiter al« 2utßcr ging üRelancßtßon in feinem Urtßcil über bie ©ietrociberei. 3" tinem über bie ©ßcfadje be« König« $einricß oon ©nglanb abgefaßten ©utaeßten forberte er ganj offen unb mit auöfüßr« ließet ©egriinbung jur ^3o(ßgamie auf unb fpraeß jebem gürften ba« Recßt ju, in feinem ©ebtete bie ißotßgamie einjufiißreu. Unb teiber mürbe biefe 2eßre fetbft oon ^Jräbicanten befolgt. Slucß ©arlftabt empfaßt bie ©ictroeiberei.

Daß bei foteßer Seßre über bie ©ße bie c^riftUc^e SInfcßauung oon bem 2Bertße ber Keufcßßeit oerungtimpft unb in ben Kotß gejogen merben mußte, ift felbftocrftänbticß. 3n einem «Sdjreibcn an ba« 9?cicß«regiment oom 3°ßrc 1523 fagt Butßer: ©eliibbe ju ßaltcn fei unmöglich- „©er will boeß gliegen geloben roie ein ©ogel unb ßalten, fei benn ©otte« ©unbcqeicßcu ba." „'Run ift ebenfooicl, menn ein SRann«» ober ©eiböbitb Keufcßßeit ge« tobet, benn ift ja nidjt jur Keufcßßeit gefeßaffen, fonbern roie ©ott fagt: SBacßfet unb meßret cueß." Den Jorgaucr Sürger Üeonßarb Koppe, ber auf feine ©eranlaffung neun Rönnen au« bem Klofter Rimptfcß „bc= freit" ßatte, nannte er baßer einen „fecligen Räuber". Sitte bie mit ©ott ßatten, »iirben ben Ronncnraub für „ein groß grummen preifen," auf baß ißr geroiß feib, baß ©ott atfo oerorbnet ßat.

SB5ie biefe Slnfcßauungen oon ber ©ße unb Kcufeßßeit firfj ju benen ber ßeutigen ©ocialiften ocrßatten, mögt man au« folgenbcn Daten ermeffen: Düßring forbert at« weitere ©onfcqnen$ ber gcfetlfcßaftticßen Umgeftattung bie ootlftänbige ©teießbereeßtigung ber ©efeßleißter unb bie Slufßebung ber mit bem bür* gertießen ©igentßum auf« ©ngfte oerroatßfcnen ©ße

*) cfr. 3anffen a. a. C. ©. 291 Stote unb S. 375 Stole.

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gr. 3 b a d).

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in ihrer heutigen gorm. 8icbfnerf)t, ber ben ©ocialiemue gegen ben Bormurf ber Seibergcmeinfdioft ju oertheibigen fid) bemüht, gibt einige (Srflärung ^ierju. „3tun! bie freie Siebe, ja mir rootleit fie. Sir motten bie Siebe befreien Don ben geffeln, metdje bie heutige ©cfetlfchaft iljr angelegt hat!" (Sr nennt jebe Bereinigung Don Btann <

unb 33?eib, bie Siebe gcfd)toffen tjat, and) menn fie Dom ^3ricftcr nid)t gefegnet ift, eine mahrhafte ßf)t- 2lud) Raffet mann fagt in einem Bortrage (9t. ©oc. -- Demofrat 1872, 18): Die ©acf)e Derfjalte ficb einfach fo, baß bie ®efd)lechter im ,3ufunft8ftaate nicht mefjr auf fold)c Seife jufommengefeffett merben, mie ^eute. Diefc gragc merbe burd) ben entmiefeften focialiftifd)en ober ridjtiger eommuniftifcljen ©taat ganj oon fetbft geregelt ic. |>eute brauche bie grau nicht mehr aue Öfiicfficht auf itjre fiinber an einen Blann juriftifd) gcfeffelt ju merben.

Der Bunb ber ©cfc^ledjter merbe jebenfatt« ein moralifcf)er fein, unb bann fönne ein foldjer Bunb, menn bie ßtjaraftere nicht harmoniren, getöft merben, maß jcbenfalte fittlicf)er fei, ale ein geftörter @hc' fricben, mie er je^t nur ju oft oorfomme."

Die heutige ©ociatbemofratie läßt eigentlich nur bie ge merbe* mäßig geübte fäuflidje B r o ft i t u t i o n ate U n j u d) t gelten, unb ift gegen bae außereheliche ^ufammenleben ber ©efdjlechtcr äußerft tolerant. Dagegen Dehnt fie auf ber anbern ©eite ißren Unjud)t8* begriff roeiter aue, unb ftellt fogar unter gemiffen Borauefchungen bae eheliche ^ufaxnmenfcben ber Brofti tution Dötlig gleich. ^mifdjen ber mobernen ßße unb ber Broftitution gibt ee nad) ißr leinen ibeaten, fonbern nur einen juriftifdjen llnterfd)ieb.

„(Sin Btäbchen," feßreibt ber Bolfeftaat, „bae in fRudfid)t einer gefieberten ßfiftenj ober angenehmen Sebenefteltung fich einem reichen ungeliebten SDtanne ocrmählt, thut ganj babfetbe, mae jebe beliebige anbere Dirne tßut, bie an irgenb einer Straßenecfe auf bie Borübcrgeßenben lauert.“

Bei ber im focialiftifdjen ©taate Döliig burdjgcführten ßmancipation ber grauen leben bie ©efd)led)ter nur um ber gortpflanjung millen ju* fammen, ohne herbei meber Dorher nod) nachher an irgenb eine Drbnnng gebunben, ober burch irgenb eine Bfli^t befitftigt ju fein.

Bon einem gamitienleben fann fomit gar feine Dfcbe fein. Die ßinjelfamitie Dcrliert fid) in bie gelammten gamilien, unb mie einft ber franjbfifche ©ocialift ßnfantin bie ©riinbung einer foldjen großen gamilie mit gemeinfamem ^aueßalt Derfucht tjat, h°fft au4 btr „3t. ©ocialbemofrat", baß ba6 gamilienleben fich burch greunbfehafte* bunb in foldjer Seife auebeßne, baß bie ffinbercrjiehung unb Bflegc gleichfam in einer großen gamilie fich Doll$iet)e.

'v I

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Ift Sociolisnms im 3e*tntt(r «ec Sicformalion.

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V. Die ffltittel jur Durchführung ber fotialen Debolution.

(Sine anberc 2lehnlid)fcit jmifthen bem Sociali«mu« be« 3t‘t* altevS ber Deformation unb bem heutigen SocioliSmu« bietet enbtief) bic 955 a f> I ber SDiittel. Sefanntlid) ftanb bem bamaligen, toie bem heutigen SocialiSmu« oor Srlajj be« Socialiftcngefe(jes, bie treffe in auSgiebigffcr Seife jur tßerfügung ; bem erfteren in gorm uitjä^ltgcr Srofdjüren in 'JJrofa, Werfen unb begleitenbem Sbilbmerf, legerem in ber Drganifation einer, Unjahl oon JageSblattern unb gachjeitungen, mit ber er bie gauje Slrbeitcrmelt umfponnen hält. „Stile«, ma« man ifcunb ju lefen befonimt," f)ei&t in ber „Stage eine« einfältigen Sfoftcr» bruberß", „richtet fid) auf Slufrufjr, SDlorb unb Durdjädjtung geiftlidjer unb mcltlicher Dinge." „Do« gemeine Stabt» unb bäurifdje Sßolf," flagt Gochlau« im 3al)re 1523, „rnenn aud) uie^t aufgeforbert mürbe, >8üd)fe unb Sarft ju Rauben ju nehmen, jujuhauen unb $u jerftören, fo un= jäblig finb bie Sd)mäl)büd)lein unb tfäfterrebeu, bie unter ba« 33olf aus« gehen miber geiftlid)e unb rocltlid)e Obrigfeit, miber Stile, bic 5D?ad)t unb Deicfjtljum tjaben unb nid)t abfallen mollen oom ©laubcn ihrer Später."

Damals mar ber 3mecf biefer ja^Wofeit Schriften unb Jage«* blättcr nicht, Stufflärung unb Belehrung über bie eigentlichen ^ielc bei bem 33olfc ju verbreiten unb mit vernünftigen , überjeugenben ©riinben für ihre Sache ‘■ßropaganba ju machen. 2)tan betradjlete vielmehr al« ihre Slufgabe, unter möglichfter 33erf|üllung be« mähren 3mecfeS burch eine alle« üJiajj überfchreitenbc abfällige Äritif ber herrfchenben 3uftänbe unb ber ©runblage ber beftehenben Orbnung ber Uujufriebenheit neue Daljrung 5U geben unb ®cift unb £>er$ auf ba« Sleufjerfte ju erbittern.

®anj ebenfo verfährt bie heutige Sociafbemofratie. Obglcid) fte unleugbar vielfadjen ®runb ju ernften ISefchmerben über ba« herrfefjenbe ßlcnb, über Slrbeiterbrud unb Doth hQt« U|1b bie Erörterung biefer ^uftänbe mahrtich fchou genügen mürbe, um iljr greunbe jujufüljren, fo ift ihr hoch oor Sltlem brum ju tf)un, burd) majjtofe lieber« treibungen bie öeibenfehaften aufjuftacheln unb ju einem ruhigen Urtheil gar nicht foinmen ju laffen. 93or Sltlem verficht fie e«, ba« arbeitenbe Sßolf ju ©enüffen heranjujichen unb ju gemöhnen, um bann mit bem Scheine be« Dedjtö rufen ju fönnen : Doch immer fein S3rob! noch immer fein Sörob! lörob ober ölei! Stuf bic grage aber, ma« fie benn unter iörob verfiele, erhalten mir oom „S3olf«= ftaate" (1873, 61) bic friöole Slntmort: „Unfere Üofung ift, unb mir fagen

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St. 3&a<$-

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eS frifdj), frö^fit^ unb frei : Gifjampagner, Slaoier unb S inber* roagen unb bic fonftigcn fdjöncn Dinge biefer Seit für ba« ar* beitenbe SB ot f unb bem SBoCfe ber 9iicht«tl)uer ba« 3U! ^ t) e n! Ser Don ihnen Vergnügen baran hflt, mag unfere Sinberroagen fchieben.“ ©a« ^ungertud), ber ÜJJaffenmorb burcf) $un> gern, ber $ungertt)phuS fpieten in ihren Sölättern eine $aupt* rolle unb jebe« gactum eine« herrft^enben 9Jotf)ftanbe8, jeber ßinjelfall eine« Ungtücf«, ba« einen Arbeiter getroffen, wirb in unoerantmort« lieber Seife einfeitig übertrieben unb ba« ganje herrf4cnbe ©tjftem bafiir Dcrantaortlid) gemacht, ©ie focialiftifchen Leitungen haben feiner 3eit in <ßocfie unb ißrofa eine mibcrliche Slufibeutc hicroon geliefert.

Slud) ba« anbere fpejififcf) reDolutionäre SDiittel, bit öqeugung eine« unDerföfjnlichen Älaffenhaffe« finbet fich in ben Jagen ber [Reformation fo gut wie bei bem heutigen ©ocialiSmu«. ©ie roüthen» ben Sluefätle Öuther’S unb aller [Reformatoren gegen ben fatholifchen ßleru«, Dom Ißapfte beginnenb bi« jutn lebten ÜRöndj, haben <hrc blutigen griiehte getragen, unb als ba« cntfeffelte SBolf an ihnen nie^t« mehr ju Derberben fanb, übertrug benfclben Slaffenljaß auf bie „großen Raufen", Don ben [Rittern unb ©chloßbefifcern beginnenb bi« Ijetab ju Sillen, bie etroa« befaßen, ©aoon ift bereit« oben bie [Rebe gemefen.

©aß aber in £>änben bc« ©ocialiSmu« ber Slaffenhaß eine« ber Dorjügliehfien SlgitationSnüttcl ift, bebarf mahrlieh menig SBeroeifc«. ©er ©ocialbemofrat lennt nur ^raffen be unb 9lotl)leibenbe, eine mittlere ©djicht, bie meber praßt noch nothfeibet, lennt er nicht, ©ie fociatiftifche ^reffe hat hierin mahrhaft Unglaubliche« geleiftet unb läßt fürsten, baß, rnenn biefe geuerfaat aufgeht, fie alle« ©agemefene übertrifft. „3a roohl," fagt ber IR. <Soc.*©em. (1872, 40), „mir prebigen ben $aß, ben Staffenßaß, unb ba« tßun mir, inbern mir un« ganj unb üoü auf ben ©oben ber SD?cnfd)enliebc [teilen, ©o lange noch Staffen in ber ÜJfenfchheit gibt, fo lange toirb nimmermehr bie SOtenfcfjenliebe auferfteljcn." „Die antireligiöfe, bie oernünftige SRächfienliebe perhorreScirt nicht ihren ©egenfah, ben $aß, fonbern fließt ißu ein, al« ein ftellenroeife nothtuenbige« unb barttm ^eiliged ÜRittel." ©a« löefenntniß £>erroegh'8: „Sir haben lang genug geliebt unb mollen enblich h°ffen" »f* aM> ba« ber ©ocialbemofratie.

(Sin folcher infernaler §aß aber fann fein blo« theorctifcher bleiben, er muß nothmenbig ju Jhatcn, Jur ©eroaltfjat, jur [Resolution unb geroaltthätigem Umfturj brängen. ©o in ben Jagen ber [Refor*

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I

29 j!tr ®ociati«nui« im 3t*<®*ter btr bicformation. 311

mation, fo in unfern lagen. lag ganj im 6ßarafter Sutßcr’S, bem au Energie unb ©eroalttßätigfeit außer fiuof fein Reformator gleicßgcfommen ift, feiner Sadje mit allen Mitteln jum Siege ju oerßelfen. 6r felbft faßt, baß fein 6oangelium oßne <ßre* bigt unb Slufrußr nießt oerbreitet werben föitne. 3n einem im 3aßre 1522 ocröffenttidjten Sermon fpridjt er oon bem Sibcrfprueß jroifeßen bem göttlidjen unb menfcßlidjen Sort, unb faßrt bann fort: „Darum muß rumort fein, roo ba« Soangclium ift unb ba« ©efeuntniß Sßrifti, benn floßt Sille« auf ben Äopf, roa« nießt ber Slrt ift. So wenig al« Sßriftu« nidjt ßßriftu« ift, fo wenig fann ein ÜJJöncß ober 'JJfaff 6ßrift fein. Darum roo fie jufammentreffen, fo muß ein geuer angejünbet fein unb fanit oßne 6m* pöruttg nießt jugeßen." Seine leibenfeßaftlidje, ju ©eroalttßatcn brängenbe Spraye fennt oft feine (Srenjen. „Die ganje Rotte ber römifc£)cn Seßinber," feßreibt er in feiner Sluölegung ber Sülle Coena Domiui oon 1522, „bie allergetreueften Slpoftel be« ^apftc«, bie 6ar* biträlc, 6r$bifeßöfe, ©ifeßöfe unb Siebte fönne man nidjt alle aufjäßlen, ja ber Rßcin wäre faum genug, bie ©üben alle ju er* trauten." „Der gemeine Sftann ßabc enbtieß Urfacße, mit Siegeln unb Selben brein ju f plagen, roie ber Sarftßan« bräuctc."

So ettergifcß feßon Cutter ju (Seroalttßat aufforberte, fo überboten ißn bennodj feine greunbe unb Radjtreter. So trafen am 27. Dezember 1521, am Stage naeß Garlftabt’« Verlobung, bie „^ßropßcten", meift angeßenbe sfJrebiger au« bem ^anbroerferftanbe ein unb bcleßrten ba« ©olf, roie alte Pfaffen follten erfdjlagen »erben, ob fie fdjon Seiber näßmen, item baß in fiurjem, in ungefäßr 5, 6 ober 7 $aßren eine foltße Slenberung in ber Seit «erben folle, baß fein unfrommer Sünber foll lebenb überbleiben. Stnbcre fagten bereite auf ba« 3aßr 1524 eine große Siinbflutß an, bureß bie Sille« roa« auf 6rben ift, werbe oeränbert unb oerfeßrt »erben, unb jroar werbe bie ©erfdjroörung nidjt „gegen 6inen £crrn, fonbern fdjier gegen Sille fein." Qm blutige ©aßnen lenfte bereit« ber roiifte §>utten unb Sicfingen ba« Serf ber Reformation. „Sa« wir oorßaben," feßreibt Jütten, „roirb nidjt oßue SDlorb unb ©tutoergießen gefeßeßen. Die allcrßeftigften flranfßeiten pflegt man audj mit ben allcrßeftigften ©fitteln ju ßeilen. So roirb audj ßier gefdjeßen, weil nidjt anber« fein fann. „6« bleibt," meint er, „gegen bie römifeße Stjraitnci nidjt« übrig, at« Saffcngcroalt ju gebraudjen unb bie ftinfenben ffeießnante rocgjuroerfen

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Sr. 3badj.

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unb ju oernidjten." ©leiche ©pradjc führte and) granj non ©idingen, noch wilber <S6cr(in unb iDUinjer, biö bann in ber »üben SReDolution Don 1525 bab gefd)lirte geuer ju, einem entfefclidjen 2tu3s brücke fam, unb Cutter ju fpät bereute, wab er getljan ^atte.

Sllb ßorrelat ju biefer Sprache ber 9ieformationb*3eit genügen wenige ©täte au« bem reifen ©djah ber heutigen ©ocialiften*Citteratur.

©o fdjrcibt ber „93olf^ftaat" (1874, 50): „Die focialbemofratifrfje Partei ift eine reoolutionäre Partei, (Entfernen mir unb Don bem rcDolutionäreu Urfpritng unb SEßcfen unfercr Partei, ocrlieren wir nur einen Slugenblid bie güf)lung mit bent reüolutionären Voll", fo fielen wir in ber Cuft unb werben gleich jenen liefen beö ?l(tertl)umb ohne ©nabe erbrüdt."

„;pat bie machthabenbe Älaffe," fo fdjrcibt ber „9?eue ©oc.*Dem." (1871, 54), „fo lange bie friedliche, gcfe&tidje fociale 9icoolution Der* jögert, bann wirb, wie Ca falle anfiinbete, bie fociale SReoolution ge Walt fam I>crcinbret^en, mit wilb wehendem Coden* haare, eberne ©anbalen an ben g ü § e n " .

Um leinen 3weifef ju laffen, in welchem ©cift biefe 9?eoolution aubgefiihrt werben foll, febreibt $affc(mann in feinem „91. ©oc.*Dem. (1872, 100)": „Die Srbeiterpreffe foll ihre Aufgabe erfüllen, fo gut, wie irgenb je bie ^reffe eb getban! Unb wenn alle SEßelt oor ffiutlj berften möchte, „wir fdjreiben a laMarat." ©pater wirb biefe Verfichcrung mit ben SEßorten wicbcrbolt: „9Bir appelliren ä la Marat an bab Volt, unb wir laffen unb nidjt ab^alten mit ber gröfjten SRiidfichtblofigfeit ä la Marat unfere ©ache ju o erfechten." Unb erft in ben lebten lagen wicbcrbaKte ber ßieichbtag non ber focialiftifchen Drohung, bajj bab parlamentarifche ©efd) weife nun aufhören, unb nun Ahnten folgen miiffen. Die focialiftifchen ^Bewegungen beb 10. unb 19. Gabr* hunbertb fteben alfo auch in Stufefeung ihrer üllittel auf gleichem Voben. 3ticht Ucberjcugung, nicht bie burch fid) felbft mirtenbe ©iite ber ©ache ift bie entfeheibenbe Äraft in beiben, fonbern bie ©ewalt führt in beiben bab lefete entfeheibenbe ffiort, nachdem ßntftcllung, Ciige, Verführung, $ajj unb Ceibenfchaft ben ©oben jum Umfturj bearbeitet hoben.

Die fociale jReoolution brach im 3ah“ 1525 mit ungeahnter £>eftigfeit lob, gürften unb Herren ftanben gröjjtentheilb rath* unb lopflob ihr gegenüber ober wagten leinen cnergifchen SEßibcrftanb. Viele oom 2lbel fpmpathifirten mit bem allgemeinen llmfturj, weil fie ju gewinnen hofften, andere Ralfen thätig mit, wie ©idingen, Jütten, ©öfe Don Verlicfeingen, bab geuer beb 3lufruf)rb ju Derbreiten. ©o

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$tr Socialisuiu« int 3eüatter bei' Deformation.

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ftanb binnen Satjrefifrift ein großer unb jrnar ber gefegnetftc 2tjeil Deutfd)tanb8 in ben wilbcn glommen eine« oon religiöfem ganatis* mit« genährten, baS ßoangelium oorfebübenben focialen 31 uf» rußrS, ber an |)cftigfcit unb- ©raufamfeit feineSgleichen in ber ©efehiebte fuebt. Deutfdjlanb boi in allen ©ebieten, wo bie fReoo» lution gemütbet batte, einen grauenhaften Slnblicf bar. lieber taufenb Slöfter nnb Scblöffer lagen in 8lfd)c, ^mnberte oon Dörfern waren oerbrannt, bie gelber ungebaut, bie Sldergerätfje unb alle fabrenbe |)abe geraubt, oernidjtet, baS SJieb niebergemaebt unb meggefiiljrt, bie SBittmen unb Sßaifen oon meßr als ljunbertfünfjigtaufenb (erfdjlngenen im tiefften ßlenbe. Sille© war total umgeteljrt gefommen, als man bem armen oerblenbcten SJotfe oorgefebroinbett Ijatte. Denn bie tReoolution, welche bie ganje lleberlieferung ber tbriftlidjen SSorjeit unb mit ißr ben gefammten ftaatlidjen unb gefeltfcfjaftlidjcn ^uftanb Deutfd)lanbS ju oerniebten gebrobt batte, warb eben beSljalb, weil fic in ihrem llebermaß baS Unmögliche wollte, unb «Sinn unb SSerftanb oerloren batte, mit ebenfoldjer ©eroalt unb ©raufamteit nieber» geworfen. Vernunft unb Diecbt mußte wieber bie Oberbanb befommen, unb nun würben bie lebten Dinge unb bie iReaction ber ©emalt oiel fcblimmer als bie erften.

ÜDiit SRecbt flogt baber Sorenj grieS in einer ^Betrachtung über bie golgen biefer fociaten tteoolution beS 16. SahrßunbertS : „Du ungetreues, falfdjeS ®tücf, bu oerblenbeft ben Untertanen bie Slugen ihrer $erjcn, baß fie nit [eben mosten, was göttlich, ehrlich unb reblid) war. Du maleft ihnen oor, fie follen aller •Öefcbroerben frei, erlebigt unb felbft Herren werben, unb fo fie barauf folgen beineu falfcben unchriftlichen S3ormenbungen folgen, maebft bu nid)t8 anbei« aus ihnen, benn Sclaoen unb Unechte, nimmft nit allein ihre 33efcbrocrbcn nit oon ihnen, fonbern wo bie oor ge» ring, leicht unb einfach gtwefen, bie maebft bu jefcunb jmiefad), breU fach ja zehnfach fchrocr unb untrüglich. Du bilbeft in fie, fte follen ohne fonber große SRiibe unb Slrbeit merftich junebmen, unb reich werben, unb fübreft fic in oerberblicb leibig Strmutl}, Rammet unb ßlenb. Du treibeft fie baßm, baß fie ber gilrften, $crrn unb anber Dbrigfeit ißre Schtöffcr unb Raufer jerftören, oerbrennen unb oerwüften, unb fießeft nun ju, baß fie fie mit faurer Slrbeit unb ©eßweiß beffer, btnn fie juoor geweft, ober mit ®etb bärtig« lieh bejahten unb baju bie geleerten Siften unb Seiler wieber füllen muffen. Du täffeft ißnen ihre Steingärten jerreißen, ihre

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gr. 3fcatf.

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erbeuteten grüdjte vertreten, iEjre $iittcn »erbrcnnen, it)re fflaarfd)aft, Sleinobien, Kleiber unb £>au«0eräth plünbcrn, beuten unb au« bem fianbe führen" jc. Sr fabelt bann mit [(halfen ©orten, bajj man biefem ganjen roüftcn unb heibnifdjen Treiben einen chriftlichcren tarnen gegeben unb auf S^riftu« geftiifct habe, „©er hat etwa« ge* roonnen," fragt mit [Recht Sod)läu« in ber ©chlufjrebe feiner ©chrift über ben ©auernfricg, „in ad bem unfägliche'n ©(haben?" „Da hat," fthrcibt ber ferner CS^ronift n @ ^ e ( m , „bie eingefponnene Sauernfchaft auf erlittenen ©chwcijj erft noth müffen fdjwihcn einen falten ©d>wci§, ben 2ob ober langwierige Äranfljeit, nämti(h um tpranuifche tudje £>anbtung eine thrannif^e rurfjc [Rechnung."

Iber ni(ht nur ber arme, gebriicfte Sauer hat feine „ruehe [Rechnung“ ju bejahten, auch ba« ganje öffentliche unb fociale 8eben mußte infolge ber nunmehr jur ©eltung gefommenen ©runb* fäfce empfinbliih [Roth leiben unb bie ©aihe ber Freiheit unb bc«

9i c ch t e e unter fchwerem Drude feufjen. SMartin fflufccr fdjeute fieh nicht, eine mafilofe (Gewalt ber ©brigfeit fogar in ©achen be« ©tauben« unb ©cwiffen« ju befürworten. URan müffe, fagt er, jeher ©brigfeit gehörten, ohne Unterfehieb, b e n n wo bie ÜJJ a i) t fei, fei aud) ba« 9? e cf) t. Selbft wenn bie ©brigfeit Sefehle ertaffe wiber ba« ©ebot ©otte«, müffe ber Untertfjan gehorfam fein. Der ./

©brigfeit ftehe auth bie ©orge für bie [Religion ju, unb mit unb ©(hwert bürfe bie ©brigfeit biefenigen auörotten, bie eine falfdje Religion befennen. ©elbft bie ©eibev unb bie unfd)ulbigen Sinber unb ba« S3ieh bcrfelben bürfe man erwürgen. „Sin $ebcr glaubt," flogt ©eba ft ian granf, „ber ©brigfeit ju 8iebe, unb muß ben 8ajtbe«gott anbeten." „dürften unb Herren," fagt Qanffen richtig, „traten ein in ba« ßrbe ber SRcoolution. "

©enn bie ©cfehidjte überhaupt eine 2ehrmeifterin ber 3uf“nft unb fein foll, fo möge fie in biefem {täglichen 3lu«gang ber gewaltigen focialen fReoolution bc« 16. 3>af>rbun&ert3 fein. ©ollten auch ®ir Sruptionen be« fociatiftifchen 33ulfan« erleben müffen, ihr ßnbe wirb fein anbere« fein, at« ba« ber [Reoolution im 3e'talter ber [Reformation: 2lUe werben oertieren, [Riemanb gewinnen, unb bie testen Dinge werben fthlimmer fein al« bie erften.

Iruif von OTatlmi & SDJa:b?*mibt. 5ran(|urt a. V!.

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Sranffurter

5dt#ema§e 25rof4mren.

^erouSgegebcn

tton

*

Dr. g’aiif .J&aflfaet.

ilettc folßc.

»ati& II.

cSranffurt am {Haiti.

93 erlag Don 91. goeffer Dlac&folge r. 1881.

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Seite

1. ©oettje’ä ®icf)tungen nuf Jittlidjen ©eljatt geprüft, öon Dr. Spaut

^offner 1

2. lieber ben IßeffimiSmuS, öon Dr. Engelbert Soren, } QFifd^er . 33

3. $)a§ Te Deum öon £>einridj S3one 71

4. Warplanb, bic Söicgc bc§ ffatijoIiciSmuij unb ber fjreiljeit 91orb=

3Jmerifa8, öon Dr. Otto 3orbetti 111

5. ©djule unb @ociaIi§mu§, öon Sofepl) ficriquc .... 143

6. ®cr Sobtentanj, öon SBil^etm ©äumfer 175

7. Xoteranj unb gntoleranj, öon Slotfer §oufer ....’. 207

8. §amlet, öon Dr. Crbmunb §arbp 243

9. ®ie Ijeilige SJlufif, öon Litton Sßalter 279

1 0. ®a§ SBolfSfdjultöefen im Wittelalter öon Dr. !jj. g. ©djmijj 303

««=

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(Soctlje’ö pidjtimgnt

auf fittlicfjcu Schalt geprüft.

3?on

Dr. ^attf .Äaftner.

I. Sin Jßarjd)(ag oan Sabib ©traufj.

,,2ll« ofa man fid) nur in einer Äircfjc fammeln, nur in einer ^rebigt erbauen fitnnte! $n einer 3eit unfe &*> einem ©ilbung8= ftanbe, wo fo Diele anbere ergiebigere Quellen bev geiftigen Anregung unb fütlichen Kräftigung ftiegen. Warum ba fefthalten an einer »er* alteten ausgelebten gortn .... 5Kan follte boch nicht meinen, baf Seffing'« Diathan ber SBSeife unb@oethe’8 ^»ermann unb ©orothea fernerer ju ncrfteljcn fei unb weniger £)eil8roal)rf)'eiten, auch weniger golbene ©prüche enthalten, al« ein ^aulinifcher törief ober eine 3ohan»

nifepe ßhriftu«»Diebe

©ie rechte unb ooUe (irbauung quillt un« in unferen ©idjtern, ben SBätern unb @ro|öätcrn unferer heutigen ©eifte«» unb ©emitth«* bilbung, beren weifen unb fyolben ©efängen banfbar ju laufeben, wir billig fein Grnbe finben" . . .

©o fepreibt ©aoib ©trau§ in ber oor einigen Qapren oiel genannten Schrift ,ber alte unb ber neue ©taube", welche bie grage aufmirft: ©inb wir noch G^riften? pobm wir noch SReligion? beibe fragen aber im Di amen bcs beutfepen 33olfe6 nerneinen ju blirfen glaubt. *) iDiit welchem 3?ed)te ber nun »erlebte JSBibelftürmer unb ßpriftit«* leugner überhaupt im Diamen betS beutfefjen Sßolfe« ba» Wort führt, fotl hier nicht unterfucht werben. ©aj? er in ber angeführten ©teile einer unter ben fog. ©ebilbeten weit oerbreiteten Slnfchauung tluSbrucf leiht, ift nicht $u beftreiten. 3n japllofen greifen ift bie Seetüre ber ßtaffifer in ber Il)at an bie ©teile bcs chriftlichen Unter» richte« unb ber frommen Scfung getreten, ©ie leicht gefcpürjte SDiufe ber mobernen poetifepen Literatur h<ü bie ernften Wahrheiten be« ©oangelium« in ben ©chatten gebrängt unb bie Sehren bc« f?atecpi«mu« werben einem itfthetifchen (SntfjufiaSmuS geopfert, welcher mit he*§cr

*) Der alte unb neue ©taube S. 298.

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?aut $affner.

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Schwärmerei für bie IDieifterwerfe ber großen Dichter beginnt, um fc^Iieg» tief) in brm breiten ©pütwaffer be« Momente unb ber Sonette JU oerfüljlen.

@0 tjat biefe ©eifteSrichtung im Saufe be0 3af)rhunbert« immer weiter, aber auef) immer platter unb faber fic^ au«gebi(bct. Urfprüng* lid) auf eine gewiffe <5tite ber ©efetlfchaft befdjräntt, ift fie nun- mehr Dant ber beifpiello« billigen unb entfpredjenb ft^ledjten 3?ottS* auSgaben beutfdjer ßlaffifer in bie weiteften Äreife ber fogenannten ©ebilbeten oorgebrungen unb felbft manche Dachftübchen haben fiefj mit Seffing’G unb Söielanb’«, ©öthe’S unb ©chitler’0 Kerfen gefchmücft.

vUudj bie h<>h« unb l)öt)ere ^äbagogif hat wefentlid) baf)in gewirft, burd) SJeftljetif {Religion unb 2Rorat $u erfefcen. Um nid)t oon ben $ochfd)ulen ju reben, bie ©ilbungö-Snftalten, welche bie finaben unb SRäbdjen ber „gebilbeten" ©tänbe guerjiehen beftimmt finb, haben längft ben religiöfen Unterricht auf ba« engfte 2Ra§ befcfjränft ober gänzlich au«gefchloffen. Um fo üppiger aber blüht an ihnen neben ber Slnbetung ber ßntbectungen unb (Srfinbungen im ©ebiete ber förper» liehen {ftatur ber Sultu« ber mobernen claffifthen foefie. Kenn unfere ©tjmnafien ehebem, oon bem ©eift beS alten §umani«mu« beherrfcht, bie gro&en ©ebanfen be« ©tauben«, welche bie djriftliche 3ugenb au« bem ©djooß ber gamitie mitbrachte, in ben bürftigen ^hitofophenien Sicero« plattbrücften, unb ihr $erj ftatt mit ber erwärmenben Siebe <St)rifti mit ber 8eben«flugheit beö $oraj nährten : fo boten fie boch noch einige (Elemente natürlicher ©ittlicfjfeit unb menfchlicher ^bealität; unb wenn fie auch bie 3bea(e be« (Shriftenthum« nicht oerftanben, fo tag ihnen boch eine birefte $o(emit gegen ba« ßhriftenthum ferne. Die in bem alten |>umani0mu6 erjogene 3ugenb hattc wenigften« noch ben Stltar beö unbefannten ©otte«, auf ben fie ihren (Srlöfer ftetlen tonnte, unb e8 war ihr wenigften« bie Freiheit getaffen unter ber officiellen formet ,,be« Kahren, ©Uten unb ©d)önen" auch chriftliche Wahrheiten unb Dugenben ju fubfumiren. Slnber« in ben gegenwärtigen ©d)ulen. $ier hat ber moberne $umani0mu8, welcher fid) °°n ben beutfehen ßlafftfern nährt, im ©unbe mit bem Darwinismus bie Duellen chriftlidjer ©ilbung natjeju oollftänbig oerfchüttet. Käljrenb bie moberne naturwiffenfchafttiche ©ilbung ber geiftigen unb übernatür- lichen Drbnung bas lefcte ^lähdjen ftreitig macht, führt bie moberne Slefthetif unb Siteratur bie chriftlichen ©ilber nur in ärmlichen 35er- jerrungen oor, um fie jum ©egenftanb beö SDiitleibenS ober bcS

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©ottfc’« Sichtungen.

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Sbfcheu« ju machen. Ba.ift benn in btr £{>at ertlärlich, baß man ben SJcrfud) macht, bie (Soangelien burdj 'Jiatfjan ben Seifen unb bie ©riefe be« älpoftel« burd) {»ermann unb Borot^ea ja erfegen.

©legr unb mehr beginnt berfelbe ®eift aber auch unfere non ber Staate-SUlmadjt geleiteten ©olt«fd}ufen ju beherrfcljen. ß« fte^t für liberale Ce^rer ja längft außer ^roeifel, baß ber religiöfe Unterricht mofjl entbehrlich ift unb baß bie ©Übung beb ®cifte« Diel beffer gepflegt roerbe, wenn man ftatt ber orientalifchen unb romanifchen {»eiligen ben Knaben bie beutfehe ©eftalt eines ®ög »on ©erlichingen oorfteüt, bie SDiäbchen aber roomöglich fthon in frühen fahren in bie jarte Stimmung oon {»ermann unb Borotgea ein* führt. 3ft ba« richtige ©erftänbniß unferer clafftfchen ©oefic einmal in bie Borffchule gebrungen, bann mirb eS nur noch eines legten Schritte« bebürfen, um ben ©farrer unb Küfter für immer ju penfio* niren. ©Jan barf nur bem Bgeater, welche« fegon Seffing al« bie tänftige ©ilbungSanftalt ber Nation bejeiegnete unb welche« unter* beffeu befanntlich an fittlicher Sürbe rapib jugenommen hat, bie entfprechenbe ßntroicfelung geben. Senn einmal febe« Borf eine «nftiinbige Sruppe befigt, roelcge ifjr Schiller’« Zauber unb ©olge’« ßgmont fpielt bann nun bann mirb un« in Sachen ber ©ilbung nicht« mehr ju münfdjen übrig bleiben.

Boch um nicht ju fegerjen. Selchen Sinn hat überhaupt ber ffiorfchlag, ben Baoib Strauß mit ber ihm eigenen Offenheit macht unb melden unfere moberne ©äbagogif unter bem ©eifall be« gebilbeten ©ublilum« fo eifrig in’« Serf $u fegen begonnen hat? Oft bie ©oefie in ber Bljat eine Quelle geiftiger Anregung uttb fitt* licger Kräftigung unb ift fte auch bann, wenn fie fi<h oon ben Safjrheiten ber SRrfigion (oSfagt? Kann eine folche ©oefie für bie fittlicge, retigiöfe ©ilbung, roetdje un« bie cgriftlithe Kirche bietet, einen ßrfag gemähren? Um biefe fragen ju beantmorten, müffen mir un« erlauben, fie junäcgft auf allgemeine ©rincipien jurüefjuführen.

II. $ie fittliche 3bce al« oberfie« @cfcg ber ©iegtung.

Baß bie ©oefie eine Quelle roahrer fittlicher ©ilbung fein fann, fein foU unb fein muß, mofern fie überhaupt ihre« tarnen« fid> roürbig machen mill, mirb oon un« ficgerlicg nicht beftritten merben, unb alle mähren greunbe ber Bichtung merben hierin mit Baoib Strauß in Uebereinftimmung ftehen.

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$auf ^offner.

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3n bcr 2f)at fefytt aber nid)t an Sleft^etifcrn, roctdjc bicfer 9lnfid)t nicht finb. Schon bei Seffing begegnen mir bem Sage, weldjcn bic beutfehen 9lcftt)etifcr mit Vorliebe »ariiren, baß bie foefie mit bcr 2)2 oral ttidjts jn (Raffen ^abe. £)cr Siebter, fo fagt man, ift fein 2J2oralift; er hQt nic^t moralifchcn Unterricht jn er« theiten, no<b fol( er ben Sittenrichter machen, am aUerwcnigftcn barf man non ihm »erlangen, ba§ er n u r fittliche ©eftalten, Jugenbt)elben unb 2ugenb=2numphf un« oorfüfjre. $Da8 Object be« ®id)ter«, fo fagt man ferner, ift bie Schönheit. (Er ift berufen, ba« Schöne barjuftellen, in ber Seit ber fförper unb ber ©eiftcr, in 2?atur unb 2)2enfchen* leben, unb jroar in bcr ganjen oollen Sßirflichfcit be« lieben«. 3n Ausübung biefe« IBcrufe« ift er nicht an bie engen SBorfdjriften bcr 2)2oral gebunben; ftcht ihm frei, ba« Schöne auch in bem ©ebiet ju fuchen, welche« bie SJioral bem 2Mcnfchcn oerwehrt; ja gcrabe biefe« ©ebiet barf ihm am wenigften endogen werben, weil gerabe hier bic fdjönften 9fci§e oerborgen liegen.

Ob unb inwiefern bem Unfittlichen unb Siinbljaften überhaupt Schönheit jufomme, wollen wir nicht be« weiteren unterfuchcn. £)a« Unfittliche ift ale folche« unb an unb für fid) häßlich; an ber Schön« heit fann efi nur in foweit 2hcil hoben, al« felbft an bem Sittlich ©uten 2f)eil ßot; b. i. fofern in ihm ba« Sittlich * ©ute al« SBorau«* fefjung nadjleud)tct, ober fofern auf biefe« al« feinen ©egenfah hinbeutet, ober enblid) fofern burch ba« Sittlicß«©ute überwunben wirb. Oiefe relatioc unb inbirecte Schönheit hot ba« Sittlich>S(hte<htc gan,$ gewiß, cbenfo gewiß, wie in biefer relatioen , inbircctcn äßeife auch ein ©ute« hat. £)er 3orn ift fd»ön unb gut, fofern in ilp eine an fid; gute $raft, bie (Energie be« ntcnfchlichen äßillen«, jur (Erfcheinung föntmt, ober fofern er bie 8ieben«würbigfeit ber ©ebutb unb 2)2ilbe $ur (Erfcnntnifj bringt, ober un« bie HJfadjt ber Selbft« bcherrfchung unb SUerföhnlichfeit in« l?id)t ftettt.

fott eben bc«hatb ben £)id)tern nicht oerwehrt fein, ßaftcr unb Siinben un« oorjuführen unb jwar alte Öafter unb alle Siinben, welche bcr lugenb fid) entgegenftellen. Slber fotl ihm and) in (Erinnerung gebracht fein, bafj bie £>arftellung be« I?aftcr8 nur fd)ön ift, wenn fie unb inwieweit fie ber £ugenb jur Sßerhcrrlichung gereicht. 2)ie Verherrlichung be« Öafter« al« folche« ift immer häßlich unb ebenfo gewiß unäfthetifch al« unmoralifdj. 92ur ba, wo bie fittliche 3öec über ba« Schlechte in irgeitb einer SSeife triumph'rt, ift ein $>audj ber Sdjönheit ; wo ba« Sd)led)tc al« 3beal Ijcrrfdjt, ba mögen

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®oetf)e'« 3)i<$tun0tn.

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Oieije für fittulidje Segierlicf)feit unb für eitle Untergattung oortiegen; aber S<f)önljcit ift tjier nidjt. 92idjt bto« bie ernftc ©oefie unter» ftelft biefem ©efet}, aud) bie fomifc^e. Da« fiomifdje tjat feine Scf)ön« t)eit in bem Stampf ber Harmonie mit bent Siberfprud). Diefer

Stampf erweitert burd) bie Ueberrafd)ung. Sir ladjen über ben Siy ober bie mimifdie Sßoffe, weit fic bie Harmonie be« ©itbe« ober ©ebanfen« in überrafdjenber Seife ftört unb in cbenfo überrafdjenber Seife toieber tjerftellt. Diefe Störungen unb Sicberlferftcttungen ber Jpar* monie fmben ifjrc Slnwenbung aud) auf bie fittftdjen kaltblütigen ber SDienfdjen. Darum tömmt aud) füubf)aftcn $anbtungen, j. ©. ber ©efcf)icflid)feit eine« Diebe« ober ber ßiigentjaftigfeit eine« ©rat)* ter« u. f. ro. fomifcf)e Sdjönfjeit ju. 9tber aud) über bem S?omifcf)en muß ber Sriumpt) ber fitttidjen 3bce fdjweben ; ber Sit} ober bie ÜJtimif barf niemat« bireft unb au«brüdlid) gegen bie ®ittlid)feit fidj »enben. Senn er biefe« tljut, fo fcfjminbet fein äfttjetifcher fReij unb mad)t ber ®emcinf)eit ©tat}.

Diefe Dberljerrfdjaft ber fittlidjen 3bee, metc^e eine roefentlid)e ©ebittgung ber Sd)ön^eit ift, unb roetefic eben be«tjatb aud) in jeber poetifdjeu Schöpfung jur Slnevfennung fommen mu§, toirb felbftoer» ftänblief) ooit bem Dieter in anberer Seife gepflegt, at« oon bem SDforaliften. ßr ift nid)t ßetjrer, Düster unb ©abagog. Slbcr fein Sert muff 8e t>r e, ®ericf)t unb ßrjietjung fein. Da« ewige ©efefc ber Sitttidjfeit, weldjc« ©ott, ber ©Töpfer, in bie 'Jtatur be« SDienfdjen niebergetegt fjat, unb metefje« ©ottc« ©orfe^ung in bem ®attg be« ÜJ}enfd)enleben« jur Offenbarung bringt, inbem fic bie ©ertefcung berfetben räd)t unb bie 2td)tung berfetben erjloingt: biefe« ewige ©efet} niufj fid) felbft barftetfen unb fetbft »er t|errlid)eu in beit ©itbern unb ©eftalten, welche ber Dichter oorfütjrt. ß« ift barum in ber 2^at bie ©flicht be« Dichter«, bie fitttiefje 3bee überall unb immer ju otrlünben, unb er feljlt gegen ba« ©efefe ber Sdjönljeit, wie gegen ba« ber Sittlid)feit, wenn er ba« Unfittlidje, ba« Öafter» hafte unb ©emeine at« fotdje« oerfjcrrfidjt.

III. Sie retigiöje ©runblagc ber fittli^en fjbee.

Senn aber ber ©oefie wefenttid) eigen ift, im Dienfte bet fittlid)eu 3bee ju fielen, wenn fie in ifjr ba« oberfte ©efefc unb tefcte 3ift erlennen mufj, fo muff ber Dichter in gleichem Üftafje im Dienfte ber religiöfen 3bee ftefjen unb bie religiöfe Satjrtjeit at« oberfte« ©efeß unb tefjteö 3iel feiner Schöpfungen anerfennen. ß«

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Sßaut

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gibt feine Sittlichfeit ohne religiöfe ©runblage. 35a« ©ewiffen fc^öpft feine Äraft ausfdjfie&licf) unb unmittelbar au« ber Slnerfennung eine* perfönlichen ©otte« unb ba« fittliche $beal hflt nur ©ahrheit unb Äraft at« Slbbilb unb Umriß göttlicher ©oltfommenheit. ©a« immer bagegen bie $f)i(ofopf)en un« fagcn mögen, welche bie angebliche Un« abf)üngigfeit ber EDioral oon religiöfen ©orftellungen, bie Superiorität be« fittlichen Streben« über ba« religiöfe geben, bie fjößere {Reinheit einer oon ©ott abftratjirenben SDlorat un« rühmen : fie ftrafen fi<h felbft Öiigen, inbem fte enttoeber bie retigiöfe 3bce, bie fie leugnen, im ©eßeimen roieber prücf führen, ober aber, wofern fie biefe« nicht tl)un, beit ©egriff moratifcfjcr ©crpflichtung unb ba« 3beal fittticher ©otlfommenheit oollftänbig prei«geben, um unter bem {Ramen ÜJforat rohen ßubämoni«mu« ober Utilitari«mu« p pflegen. Slber wop mit beit ^5t)i(ofopßen fid) ftreiten. 3**8* benn nicht bie ©efdjichte aller ©ötfer unb 3citen, baß bie {Religion bie ®runbtage oder fittlichen Slnfchauungen ift, baß bie {Reinheit ber rctigiöfen ©rfenntniß ber {Reinheit be« fittlichen geben« entspricht, unb baß ©ottc«funf)t bie Seele aller Jugenb ift?

Diefe in ber @efd)id)tc alter ©ölfer unb 3e'ttn trPr»bte Un* jertrennlichfeit ber fittlichen unb religiöfen $bee wirb aber in feinem ®ebiete be« gciftigen geben« tiefer empfunben, al« in bem ber ©ocfie. 9?icf)t in ber Oebe pßilofopbifcfier Slbftractioncn unb noch weniger in ber ' flachen Sbene ber geben«=<5rfaf)rutig fchöpft bie Dichtung ihre fittfiche Äraft unb ihren ibealen Schwung. 3ßre $eimatlj ift immer unb überall bie {Religion. 3n bem ^eiligttjum ift fie geboren, unb in ifjm pr ßntwicfelung gebieten unb in ihrem Dienftc groß geworben.

Sülit 9Cecht ftellen bie Sitten ben Sänger neben ben ©riefter. Die ©oefie hat ihre tiefften $been au« jener geheiligten Cu elfe gefchöpft, au« ber oon Slnbeginn ber ©eit bem menfdjlichen ®eifte ba« Sicht ber ffialjrheit unb Äraft juftrömt. ©a« immer bie Dieter alter Sßötfer unb 3e*ttn on flroßen $been unb erhabenen 3bealen un« boten, ba« haben fie au» ben religiöfen Jrabitionen gefchöpft, welche in jerftreuten Strahlen auch über bie htibnifchen ©öfter fich ergoffen unb welche in ber djriftlichen fiirche in Doller unb ganjer gälte fich barftetten. Unb wa« etwa ihre ©orte in ben ©eiftern unb £>erjen wirften, ba« wirften fie nur oermöge ber Klarheit unb ffiärme, welche retigiöfe Srjiehung unb Ucbung ber grömmigfeit bem 3Jicnf<hen allein p gewähren oermag.

ift eben be«halb ein burchau« unoerftänbige« ©ebatjren, in äfthetifcher ©ilbung unb poetifchen ©enüffen einen Crfafc be*

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©tdjtungen.

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relteiöfcn Unterrichte« unb bet retigiöfen grjiebung ju fudjen; mit gleichem SRec^t fönnte matt in ber 2J?orgen> unb Slbenbröttje einen Crfafc beb «Sonnenlichte« finbett. 3ft eb ja bocf) eben bicfe« Sicht, meinem bie pcbtigen SJßolfen bie garbenpracbt entlehnen, mit bcnen fie unb entjücfen. Sagt bie ©onne untergeben unb wab bleibt, ift nur ein Ialter, feuchter Dunft, ber jur ßrbe gefallen, unferen gu§ befdjmnbt. ®enau fo oergätt eb fid> mit ber Dichtung, roetche non bem $immelbticbt bunbglübt, unb wunberbar erhebt ohne eb aber in ben ©cbmut} ber ©innlidjfeit unb h<nabjieht.

2lUe ©oefte bat fooiel Oehalt, atb fie fittlichen ©egalt bot, unb fie bat fooiel fittlichen ©ebalt, alb ftc retigiöfen (Schalt bat, unb fie bat fooiel retigiöfen (Sebatt, atb fie ber Duette nabeftebt, aub welcher bab ÜRenfchengefchlccht non feinem Urfprung bib jur ©egenroart bie mape, fiebere unb (ebenbfräftige fisrfenntnig ©otteb feböpft.

Diefer Duette n erbauten bie grieebiftben Iragifer bie großen, inmitten pibnifeben Dunfetb fternenbclt leudjtenben Qbeeit ber fittlichen Crbnung, bet ©ebulb, ber SBergeltnng unb ©üb««, bureb welche fie bab grieebifebe ©olt in ber Spt fitttidj b°&cn unb geiftig oerebetten fo tange biefeb fetbft bem retigiöfen Seben nicht erftorben mar.

2tub biefer Duette feböpfte bie cbriftlicbe ©oefie beb ÜJttttetatterb ihre jarlen ©tütgen unb ihre ftotje ßrone. Slub ihr finb Dante’«, ©etrarca’b, Jaffo’8, ßatberon’b unb Sopej be ©ega’b SCßerfe erwachten. 'Hub ihr, aub ber mit Ruinen iiberfebütteten, aber immer noch tebenefrifchen SDßurjet beb tatgotifeben ©taubenb entlehnt auch ber britifebe Dichter ©batefpeare bie erhabene ©röge ber fittlichen SßJettanidjauung, welche Uber ber bunten SJieuge feiner bramatifeben ©cböpfungen mie ein ewige« girmament ft<b wölbt, ergreifenb unb er« bebenb für alte ©eifter, aber auch nur für bie ©eifter, welche fetbft aub beb Dichter« Duette ju fdjöpfcn oerftehen.

Unb unfere beutfehen Dichter? bie ©äter unb ©rogoater unferer heutigen ©eifteb* unb ©emütbbbilbung? Seffing’« Nathan unb ©octbc’b Hermann? 2ludj Bon ihnen gilt babfetbe ©efefc. SGßir werben fie ja gern atb Duette fittlicbrr Silbung anerfentien, aber erft bann, wenn wir unb barüber flar pb, in welchem Umfang fie fetbft aub ber Duette gefeppft b°6tn» in beren gebeimnig* oottem ©cbooge atte fittlichen 3beate oerfebtoffen finb. ©on ber ßntfcpibung biefer grage wirb unfer Urtbeit über ben SBertb ber mobernen Slaffifer überhaupt wefenttich bebingt fein unb eb fdjeint um fo_ bringenber notbwenbig, fie in oottem ßrnfte

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^SfluI $affner.

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ju ftcUen , al6 man nur aUjufebr geneigt ift, ob ber @d)önf)eit ber 0orm bie Schälung beö inneren ©cbalte« ju oergefftn eine Ser* füfjrung, roetdjer unferea ©raebtenä bie ÜJtebrjaljl unferer Literatur* gefehlten berfaücu ift auch bie fatffolifcben mit fettenen 2lu«natjmen.

©erfolgen mir biefe Slufgabc, inbem mir un8 eingebenber mit bem SDlanne befdjäftigcn , melcbcn Daoib Strauß neben öef fi ng una befonber« empfohlen bat unb ben er empbatifd), boeb nicht ganj mit Unrecht „bab llrgcbirge nennt, ba8 unferen ^mrijont beberrfcht unb burd; bie it)m entftrömenben Quellen unb Seiche roeit^in unfere gturen tränft."

©eitles ift bie fittlid)e 3bec, bie un8 ©octbc’8 Dichtungen barbieten? Su8 melier Quelle fchöpft er feine fittlidjen 3bcale? ^n meldjcm^Kafee übt bie Dichtung ©oetbe’8 eine fittlicbe ffiirfung au$?*)

©enn mir mit biefen fragen an ©oetbe’e Dichtungen uns menben, fönnen mir füglich non feiner ißerfon abfe^en. 9?id)t um bie perföntic^en Slnfdjauungen, meldje ber Dichter in feiner »ielgeftaltigen ©ntroicfclung in fid) aufgenommen unb in feinen man* nigfadjen Schiebungen au8gef proeben bat nicht um biefe ^anbett c8 fid). ©benforoenig, glüdlidjer ©eife, um Scftimmung ber fittticbcn $öbe, auf mclcber ©oetbe’8 ©rinatlcben ficb bemegte. hierüber ift in alter unb neuer 3”* oiel gefproeben morben unb ift mobl auch nidjt ganj 3U oermeiben, barüber ju reben. Den in SBeintar« 3ürftengruft litngft begrabenen ©ebeimeratb oor ein lobtengeridjt ju forbern, mürbe mobl 9?icmanbcn jitr greubc fein. ©enn aber unfere an ^eiligen mie an £>eroen oerarmte 3C*4 nrmfelige Siebeatänbelcien bee Dicbtera jum ©egenftanb einer Slrt oon ©ultua macht unb offen* funbige Serlefcungcn ber Sittlidjfeit al8 marfante G^aroftcr.^ügc ber ©eifteSgrö&e feiert: bann muß e8 mobl geftattet fein, baß man auch oon anberer Seite im tarnen ber URoral ein ©ort fpriebt unb ba« ?eben be6 oergötterten 5Btannc8 mit bem SOfaßftabe mißt, meldjer

*) (Sincit beft^ttbtnen Serjud) in biefec 9ti<btung bat ber Schreiber biefer 3eilen in ber erften '-Hroidjüre be« Dorigen Jahrgänge« gemacht, inbem er ©oetbe’« gauft einer Stnatpfe untcrfletite. Sie freunblidje Sufimbme, roeScbc biefer Serfucb in befreunbeten Greifen gefunben bat, unb noch nie fjr ba« SJiiijbehagen, mit welchem er in anberen aufgenommen mürbe, ermutbigt ibn, biefelbe roeiter au«ju> bebnen unb auch bie anberen Sichtungen O 0 e t b « « in* Singe ju faffen. mirb eine bleibenbe Stufgabe unferer SSrofcbüren fein, bie moberne beutfdje etafftfebe Eiteratur im Siebte ber fittlicben Segtiffe unb ber religiSfcn Sabrbeiten ju be* trachten. Safj ©oetbe hierbei ben $ ortritt bat, roobf ganj in ber Drbnung.

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©octijt’« ©idjtungeu.

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für alle 'Sterblichen Siiltigfeit pat.*) 3)ocp mir, wie gefagt, nehmen bicfeß Stint beß Sittenrichters, Soetpe’ß ißerfon gegenüber nicht itt Slnfprucp. 9iur feine SßJerfe ertauben mir unß einer Prüfung ju unterbieten. Unb and) hier legen mir unß eine Sefcpränfung auf.

2öir fehtiegen bie profaifchen SSerte beß Dicptcrß oon unfere Prüfung aus. ßß fann nur oerroirren, menn man ber mit behaglicher Imagination breit gebogenen ®arftcllung fotgt, mclcpc © o e t h e in „Sßaprpeit unb Dicptung" oon ieinem ^ugenbteben giebt; cbenfo Der* hält fid) mit bem Potpourri oon Scpaufpietcr=2:cinbelei, ’päbagogif unb Cebensphitofophie, rodepeß unter bem 9iamcn „SBilpetm SDieifter* bufammen gegoffen mirb. Stuch ffitrtper’ß Öeiben unb bie SßaphiBcr» roanbtfcpaften oerfagen mir unß bu befprechen. üDian tieft ja bie elfteren faurn mepr unb oon ben tepteren pöcpftenß einbetne -SBtätter, beren 3npatt fiep fetbft rieptet.**)

töteibenb unb tief greifenb aber roirten auf unfere beutfepe Sitbung bie poetifdjett SÖcrte ©o c th e S ein unb jroar ganj befonberö bie tprifchen Sebiipte. 30iit biefen haben mir unß juerft ju befdjäftigen.

IV. 5>ie (prifepen ®rbid)te ©oetpe’ß.

ßß liegt in ber sJlatur ber Sprit, bag fie am treueften bie Sn* fepauungen roie Stimmungen bcS 2)id)terß miebergiebt unb ebenbarnm am fcpiirfften bem Seifte Stnberev fid) cinprägt. 2tncp Soetpc pat in feinen tprifdjen Sebicpten ben fitttid)*rcligiöfen Slnfcpauungen, wettpe in feinem Seift fid) feftftellten, ben epacteften Slußbrucf gegeben. ÜJiannigfattig iprern llrfprung nad), jumeift an jufättige ßrtebniffe unb perföntidje Scjiepungcn beß tCicpicrß antnüpfenb , auep naep gönn unb Stoff oerfdjicbenartig, tpeilß auß fremben Greifen gefepöpft, tpeitß auß peimifepen, bitben Soetpe’ß Sebichte eine bunte Stfeipe, mclcpc mit menigen Stricpcn ju eparafterifiren eben nicht leicht ift. Sie aber auf ihre retigiößsfitttidje Srunbanftpauuttg ju prüfen ift nicht atljufcpmer;

*) Sine ähnliche Aufgabe flettt fid) ©. A. ©aumg arten in ber jüngP erfepienenen Schrift: ffloetpc’« 3ugenbleben (©cigabe ju ben „Stimmen Don SWaria 2aad)*, gerbet 1880). ©ie auf forgfättigen Unterfudjungen rupenbe boepft mofsootte ©arPettung pat nicht »erfeblt, im ßager ber @oetbe*2Jtfinner fuvctjt* bare Aufregung beroorjurufen. ©er tiefte SerueiS für ipre ©ebeutung.

**) <5« ift bejeipnenb für unfere heutige ©Übung, bafc uon Soetbe'« Schriften bieienigeu am meipen getefen werben, welche an obicönen Stetten am «tippen fmb. ©a« Aeufjerpe in biefer ©ejiepmig bieten bie ©riefe au« ber Stpweij. Sben biefe werben ober unter bem Xitel „(Soetpe’S Xagebucp* in ©olt«'Au«gaben majfenpaft Derbreitet unb eine biefer Auegaben bat im tcrpoffrncti 3#ptc }ur prbenteu Anflage gebraept.

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^nul ^offner.

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benn biefe bleibt fid) in allen ©attungen unb gormen fcer D>id)tung, wie in allen Pcriobcn be« Dichter« gleid). Sir finben fie unreflcctirt ausgefprochen in bcn Siebern unb Sonetten, welche in SiebcSluft unb ©efclligtcit ben Sinncngetiujj feiern. Sie begegnet unb plaftifd) in ben ernften unb ^eiteren ©ilbern, welche bie ©allaben un« »erführen ; fie fpric^t fid) bibattifd) au« in ben Parabeln unb (Epigrammen, in melden ©oetbe feine Seben«roei«l)cit nieberlegt. Den ooUfommcnften SluSbrucf finbet ©oetbc’S religiös * fittlicbe ©runbanfibauung aber oljne 3meifel in ben ©ebic^ten, bie er felbft unter bem Flamen „©ott unb Seit* jufammcnftellt.

Da« „Proömium* beginnt mit einer 'Definition ©otte«, welche in allen garben be« Pantheismus fcbillert, ben ©egriff be« persönlichen ©otte« aber mit fdjarfer Ironie als pfbchologifth« 3ma0>nation bar* ftellt. ©ott erfdjeint als

„ber fid) felbft erfdiuf,

Son Stoigfeit in fd)affenbem ®eruf.

3f)it jiemt’8 bie Seit im 3nntrn ju bewegen, Statur in fi<b, fid) in fßatnr ja ^egen.

3m 3nnereit ift audj ein Unioerfum, ®afcer ber Sollet löblidjer @ebraud)

®ap jrglidjer ba« Sefir, tta« er tennt,

Sr ©ott, ja feinen (Sott benennt.

3hm glimmet unb Srben übergiebt,

3bn jürdjtet unb too möglid) liebt.

Diefe t^cologifdjc ©ntn&anfdjauung, in meiner bie toiberfinnigften ©orftellungen bem eleganten gtu§ ber Sorte fid) fügen muffen, mirb weiter anSgefiibrt in ben folgenben ©ebicf)ten „(SinS unb 9üleS" unb „baS ©ermächtnijj", welche ©ott als Seltfeele feiern unb fein Seben als ewigeu Kreislauf jwifdjen Nichts unb Sein barftellcn.

„Seltfeele, fomm’ un« ju burdjbringen,

®enn mit bem SBeltgeifl felbft ;tt ringen,

©irb unterer fträftt £>od)beruf.'

,®a« Sroige regt fid) fort in allem, ®mn ade« mufj in 91id)t« jerfatten, Seim e* im Sein beharren n>ifl."

„Äein JBefen fann ju Siidjt« jerfadett, $a* Steige regt ptf) fort in adern, am Sein erhalte bidj beglüdt.*

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Äoetbe’* ®id)tintqtn.

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ättf bicfer ©runbanfdjauung be« pantbeiftifdjen ©ettproeeffe«, bcren inneren ©iberfinn fid) ®oetbe cbcnfowenig Har matzte, als bie ^itofop^en, benen er fic entlehnte, baut fid) bic Stuffaffung oon ber fHatur auf, »ebbe ©oetbe in ben jwei ©ebicbten „SHeta* morpbofcn" ber ^flanjen unb Jt^irre nieberiegte. @ie berührt fid) unmittelbar mit ©cbet fing’« fRaturpbilofopbie; jugleitb ift fte, wa« in unferen lagen befonberb ebrenb ^croorgeboben ju »erben pflegt, eine poetifdb’ibealiftifcbe Slnticipation ber fpätcr realiftifd) aubgebilbetcn Defeenbenj^bfori* Darwin’«. ©ir bQbcn an biefer ©Hfl* Hin 3ntereffe, bie Gongenialität ©oetbe’« unb Darwin’« ju feiern; nur barauf foü ^ingebeutet »erben, ba§ ber {entere feine ©rfolge ebenfo wie ® o c t t>e ber ßiibnbeit oerbanft, mit ber er eine $ppotf)cfe, welche bie ^tiantafie erfinbet, al« erwiefene Üt^atfadie barfteüt.

Die fWetamorpbofe befcfjränft fic^ aber in ©o et ^e « ©eit* anfdjauung nicht auf f}flan;en unb Spiere. tlucb bic Sflenfcbenfeete unterftebt ibr. <£o belehrt un« ba« formell unoergleicblicb fdjönc, bie ‘ßbontafie tief anfpreebenbe, in ©abrbeit aber auch tief oerwir» renbe, wiberfinnige ©ebidjt: ber ©cfang ber ©eiftcr über bem ffiaffer. ®t* Sienfdjtn Sette gleidjet bem SBaffer,

8om $im ntf! fommt t«, jum $>immet geigt e«,

Unb raieber nieber jttr Srbt tmijj

Sroiq rotdjfttnb

Stete bt« 2Jitnjd)tn, mit gttidjft bu bem SBafftr,

Sdjictfut bt« ÜJtenfdjen, rote gtcidifl bu bem SBinb.

Die bi£t angebeutete 35orftellung finbet eine Crgänjung in bem ©ebiebte „©rängn ber fDlettfcbbeit', welibe« bie ©d)mädje unb 23er* güngUtbfeit be« 2Menfd)en ben „©öttern" gegenüber ^eroorttebt :

®tmt mit ®6ttern Sott ftd) nid)t mefftn,

3rgenb ein SWenjdj.

3Ba« unterfdieibet Sötte r Bon 9Ren|djtn?

®afj tjiele SBtHett 8or jenen roanbetn,

Sin troigtr Strom!

Un* bebt bie SBtHe,

Serfdjtingt bie ffitHt Unb roir oeriinfen.

ßbenfo finben »ir biefen ©ebanfen »ieber in bem „©angmeb", in welchem ein unbeftimmtc« 23erlaugen beb üftenfdjcn jur $öbe unb jur Eingabe an bie fftatur ficb au«fpricbt:

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'{laut $ a f f n e t.

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„SufmärtS, auf märt«,

jd)we6rn bie Sollen,

9l6märtS bie Sölten Sletgen ftdj ber feffnenben Siebe Mir, mir,

>»u Chirem ©cfjoofje,

Umfangen, umfangen,

9lufroärt8 au Seine ©ruft,

9lH(ie6enber ©ater.*

Die jerfloffenen Silber, in melden ©octbe ficb b*er bewegt, (affen, wie fdjou bemerft, eine mehrfache Deutung ju. ©anj gewiß aber treffen wir beS Dichter« ernftlicbe Meinung, wenn wir feint ^3ft)d}ologie unb <5tbif mit bcr pfjgfifdien I^corie ber SDietamorpbofe in enge Serbinbung ftellcn. £iet wie bort fliejjenbe Silber unb fliejjcnbe Segrifft. Sin SluSfluß ber Seele aus ©ott, ein 3erftiefjen beS ©eifteS in bie 9iatur, ein Diitcffließen ju ©ott unb jur Ürwigfeit! Das giebt in ber Jfjat ber ^antafie einen unoerglcicblidfen Spielraum; eine ernfte SDiorat leiber ljat ^icr feinen '$lafj; benn es fehlt bieftr Sin* fefjauung gtrabe bas, worauf alle Sittlidjfeit ficb aufbaut : ber Stgriff oon fittlicber Serpflidjtung, fittlidjcr Sdjulb unb oon gerechter Ser* geltung beS ©Uten unb Söfen. 3)?au mag alle lt;rifd)en ©rgüffe ©oetbe’S burcbblättern, oon biefen Segriffen wirb man faum eine Slnbentung finben, ausgenommen eine foldje, bei ber ber Dichter fclbft ficb mit oornebmer fi eilte ober oerborgener Ironie juriicfjiebt.

greilid) wirb oon Jugcnb, ßbelmutb unb o:tbercr menfd)licben Sollfommenbeit gcfprorfjtn, fo gaitj befonbcrS in bem ©ebiebte „baS ©ältliche“, welches beS Üftenfcben Sorjitg oor ber 9fatur in bem ßbelmutb erfennt:

Sbet fei ber SQlenfdj, $ülfteidj unb gut,

Senn baS allein Unteridjeibet ifjn Sou alten Sefen, Sie mir leimen.

Mein nur oon menfeblicber Sollfommenbeit ift b*cr ^>'c unb febe Sc$iebung ju ber göttlichen Sollfommenbeit ift auSgefd)(offen. sJ?ur eine Sorftellung unferer ^fjantafie ift es, wie ©oetbe ju oerfteben gibt, wenn wir

Berefjren

Sie Uujlerblidjen,

911« mären fte fDJenfdjen,

Späten im ®ro&en,

Sa« ber ©efle im Äteinen Sl)ut «ber mötl)te.

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®oetbe'8 ®idjtungen.

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Die Unfterblidjcn ! fagt ber Dieter unb trifft als SDiaun beS 3af)rl)unbertS bamit offenbar ben Unflerblid)en , welchen wir als ben etoigen ©ott, ben Herrn §imtntl« unb ber Srbe anbeten.

«Sollte über bic Üragtoeite biefer Sluffaffung ein Zweifel befielen, fo giebt uns bas ©ebidjt „«Prometheus" hierüber ericfjbpfenbcn Sluffdjlu§. 3n ber mtjtfjifdjcn ^crfon beS Halbgottes wirb ber mobernc Atheismus gefeiert, in ^ni« unb ben ©öttern ©riedjenlanbs bic 3bee beS perfönlic^en ©otteS ber 33eradjtung prciSgcgeben, bic 33or* fetjung geleugnet, Dpfcr unb ©ebct oerfpottet unb baS ©elbftgeniigen beS SDtenf^en Derherrlid)t. Das ®ebi$t ift allbefannt unb bilbet ein ftefjenbeS SRepertoir ber DcclamationSübuugen an ©gmnafien unb höheren ©tfjulen.

ßinige SBerfe fotlen aber bod) Ijier i^rc ©teile finben.

©ebecfe ®eiuen 3n>8

Slit SBottenbung

Unb übe bem ffnaben gfeidj,

®er ®igeln topft,

8n Sieben ®id) unb ©trgeSböben.

©lu&t mir meine Srbe ®od) taffen geben.

Unb meine §ütte, bie Sn ni$t gebaut,

Unb meinen §erb,

Um bcffett Oliitb ®u mid) bencibeg.

®a id) ein äinb mar 9iidjt mufjte, rco an« mo ein,

Äebrt’ itb mein ocrirrte« 'Äuge 3ur 6omie, alb roenit briiben mär Sin Oljr, }u bören meine Jttage,

Sitt §erj, roie mein’«

6id) beS Sebrättgten ju erbarmen.

3d) ®id) ebrenV SUofür, pap ®it bie Sdjmerjett getinbert 3e br8 Setabenen?

Pag ®u bie ®bränrn gegißet

3e bee ©eängpigten?

pat nicht mid) 311m ©lanite gejd)micbel

®ie attmädjtige 3e't

Unb ba8 emige @d)idfat,

©leine Herren mtb ®eitte.

DaS ©ebidjt tjat fdjon bei feinem erften (Srfdjeinen 3luffeheit erregt unb war and) ©cgenftanb einer benfmlirbigen Unterhaltung

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$aut $affntr.

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gn>if(f>en (Jacob i unb fieffing !urj oor be« lederen 2ob. ®afj ©oetpe bann feiner eigenen ©efinnung 2lu«brucf geben unb bafj er nicht blo« ben antifen 3tu* unb ben Sultu« bcö ^etbnifc^en älter« tpum« bamit treffen wollte, bezweifelte bamal« iRiemanb unb wirb wohl auch heute nicht bezweifelt werben. $)er Vrometpeufl be« älter« tpum« würbe ber Srfte fein, welcher eine folche Sprache oon fi<h ab« lehnen würbe. Sr hat 3'u« gesagt unb ihm gebropt, aber er pat Weber bie göttliche URajeftät oerhöhnt noch Opfer unb ©ebet Der« leugnet. ®a« ift betn mobernen §umani«mn« oorbehaltcn, auf ihn paffen bie Starte:

,§ier fit}’ ich. formt SDtf nfc^en

91ad) mtintm 8itb.

ffiin ©tfdjtecbt, ba* mir gltith fei,

3u Itibtn, ju meinen,

3u gemcjjtn unb ju frtutn fuf)

Unb ®tin nidjt )u achten,

2Bie id)!'

Unb nur ju fehr ift biefe« Start bc« mobernen ^rometpeu« jur Spat geworben. 25er §umani«muS pat lange genug 3'^ gehabt ÜRenfcpen ju formen, beren einzige ©ottpeit ihr eigene« 3cp ift unb welche in ber Verachtung bc« ©öttlichcn ihre ®eifte«gröjje fuepen.

Sta« ©oetpe oon ben pofitioen {Religionen unb iprer gefepiept* liehen Sntwicfeiung benft, pat er in bem ©ebiepte auagefproepen, welcpe« er unter bem litcl „©epeimnijj* fepon früp, 1786, begann, unb 30 (Japre fpüter (1816), naepbem at« Fragment erfepienen war, fetbft erflärte. 2)ie oerfeptebenen {Religionen werben pier in bem Silbe oon 12 {Rittern bargeftellt, welcpe auf mannigfachem Siege in einem £>eiligtpunte jufammentreffen unb bort unter bem Vorfifc eine« eprroürbigcn SRanne« $umanu« fiep ju einer pöperen Stufe jur {Religion ber Humanität erpeben, fcplieBlicp aber oon biefer felbft (oon bem fepeibenben §umanu« nämlicp) einem neu pinjugefommenen güprer übergeben werben. ift ber ^ilger 2Rarcu«, welcher, wie ©oetpe erftärt, opne au«gebreitete Umficpt, opne Streben naep Uner« reiepbarem, burep Demutp, Srgebenpeit, treue 2pätigleit wopl oerbient, einer woptwollenben ©efellfcpaft, fo lange fie auf ßrbtn oerweilt, oorzuftepen.

„Stare ba« ©ebiept bei feiner Sntftepung 1787 oollenbet erfepienen, fo würbe ber 3cit niept wenig oorau« geeilt fein,“ fo fepliefjt ©oetpe feine Srllärung niept mit Unrecpt. enthalt in poetifepem Sleibe bie 2pcorie be« pumaniftifepen {Rationalismus, welcper in ben testen Dcccnnicn be« oorigen (Japrpunbcrt« oon üeffing unb § er ber au««

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®id)(nngtn.

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gebilbet, im beginne biefc« 3QWunbert« in ber beutfehen Vh'lofaPh'e eine fo mannigfaltige gortbilbung fanb.

©er in biefer Jfjeorit bie iötütlje theologifcper 2öei«heit finbet, ber wirb aüerbing« © oethe Danf rniffen, baß er fie, nod) d)t fit roiffen» f$aftli$ entroicfelt mar, in bid^tcrifctje gorm gefüllt, an« gid)t brachte.

gür un« ift fie in poetifcßer mie in miffenfd)aftli<her gorm gleich unbefriebigenb. SDSir fennen bie tebenbige ©rfcheinung ber chriftlichen Äirdje, roeldje, im Slnbeginn ber SCBett gcgrünbet, im alten öunbe net» borgen mirfenb, feit achtzehn «galjrhunbcrtcn mit ben falfdjen Religionen fämpft unb bie oon ®ott geoffenbarten emigen Siafjrfjcitcn ben man« belnben 3rrthümern, bie oon ber ©nabe erzeugten Sugenben ben Haftern ber gottoerlaffenen SBelt gegenüber ftellt. $n biefen ffiatjrfjeiten haben mir ben SBeg be« menfthlichen geben« mit Haren ginien oor» gezeichnet unb in biefen Dugenben finbet unfer §cr$ bie Votlenbung alle« Verlangen« unb aller Hoffnung. $ier, in bem religiöfen geben ber in alten 3ahrhunberten uni* “u<h in ©oethe’ « Sahrßunbert, leben«» frifcf) maltenben chriftlichen Sirene finbet ber Ungelehrte, Sdjmache unb Sirme eine ©eifte«» unb ®emüth««öitbung, oon beren Reiththum unb ©lanj in ben Verfen ©oethe’« auch nid)t einmal ein «Schimmer fidj finbet. SSaö follen bem menfthlichen Verftanb bichterifche ^^itofo* Pheme, melthe bie ©runbroahrheiten ber Vernunft, ben fflegriff be« tebenbigen ©otte«, ber Schöpfung unb Vorfefjung, ber Unfterblichfeit unb Vergeltung in fceptifchem Spiele auflöfen, um an beren Stelle bie jerfloffene $bee eine« Urgrunbe« ber Ratur ober eine« ßroigen ju fe(jen, roelcpee Sille« unb Rieht« ift? 2Ba« fotl bem mcnfchlichen ^erjen eine enthufiaftifdje Sd)roärmerei unb ein unbegrenzte« Sehnen nach einem Unenblichen, oon bem man nicht roeiß, ob ©eift ober SBolfe ober Rebel ober blofe V*)rQfe ift ? 3Sa« foll bie flache unb leere 3&ee einer fith felbft genügenben Humanität, bie Riemanb im ©eifte ju faffen unb Riemanb in SSirflichfeit ju finben oermag ? Unb hoch befteijt, mie mir gefeiert haben, eben h*er'n ber ganje religiöö* fittlichc ©ehalt ber Iprifchen «Dichtungen ©oethe’«, welche Daoib ©trauß un« al« ergiebige Quelle ber ©eifte«» unb ©emüth«»öilbung empfiehlt.

Y. Die epifchen Dichtungen ©oethe’«.

Daß mir aber nicht länger bei ©oethe’« fleincn ©ebidjten oer« meilen. „£>ermann unb Dorothea" h“l un« Daoib Strauß befonber« einbriuglich empfohlen. (Ss ift gejiemenb, baß mir barauf auch befonber«

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13 aut §affntr.

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ju fprcdjen fommen. Die übrigen epifdjen Dichtungen werben mir faum ju beachten haben.

Der ©toff, welchen Ooetlje in „^ermann unb Dorothea" be* arbeitet, ift bcr ©efchichte ber Emigration ber fiutfjeraner au« bem ©atjburgifchen entnommen. Der Dichter fanb bie Anefbote in ber oon ©öping ocrfaßten ©efdjidjte biefe« Ereigniffe«, weiche« an fidj un« bebeutenb unb, im Vergleich mit ben oon proteftantifdjen gürften ihren fatfjotifcfjen Untertanen auferiegten ßeiben, geringfügig

ift, oon bcn proteftantifdjen ©efdjidjtfdjreibern aber mit allen ©trabten be« ÜRarttjrium« au«geftattct ju werben pflegt, „©eich föftlidjen ©chah er bamit gehoben," crfannte ber Dichter erft währenb ber Slrbeit, welche Bon 1796—1797 in ungewöhnlich rafdjem gluße öoit ©tatten gegangen war. Der htfforifdje ©toff paßte aber auch un* mittelbar in bie $eit ber Aufarbeitung unb biefe fefbft war burch ein ähnliche« Ereigniß, bie ©anberjiige ber franjöfifchcn Emigranten oon 1795 nämlich, oeranlaßt. Eben barin liegt ber 9?eij be« ®e* bichtc«, baß bie 3>btjlle eine« fleinen Greife« auf bem $intergrunbe mcltbewegcnber Ereigniffe barftcllt, ober um ©oetlje felbft f preßen ju taffen: „ich höbe ba« rein 3)ienfchliche ber Syiftenj einer fleinen ©labt in bem epifdjen ©chmeljtiegel non feinen ©djtacfen abjufdjciken gefudjt unb jugleidj bie großen ^Bewegungen unb ©eränberungen be« ©elttfjeater« au« einem fleinen ©piegel juritef ju werfen getrachtet", ©a« ®oethe feinem «Stoff oerbanfte unb wa« biefer mieberum burch ®octhe!« Äunft gewann, foll nicht erörtert werben, ©djil« ler erflärt „^ermann unb Dorothea“ für ben ®ipfel bcr ©oetlje* fdjen unb ber ganjen neueren fiunft, inbem er befonber« auf bie Enge be« ©cfjauplahe«, bie ©parfamfeit ber giguren, ben furjen Ablauf ber ^anblung anfmerffam macht. wirb in bcr 2hQt jugeftanben werben müffen, baß bie neuere bcntfdje Literatur fein anbere« ffierf hat, weite« burdj Feinheit unb Klarheit bcr gorm feinen einfachen Stoff fo crfdjöpfenb unb befriebigenb jur ffiirfung bringt.

©enn wir biefer formalen Roheit be« epifdjen SKeifterwerfe« gejiemenbe |jufbigung barbringen, fo wirb un« eine etwa« fritifche Analtjfe feine« inneren ®ehaltc« um fo weniger oerwehrt werben wollen, ba ©oethe felbft bemerft, ,,e« fomnic barauf an, ob man unter bem mobernen Eoftüme bie wahre ächte 2J?enfchenproportion unb ©lieberform anerfennen werbe."

©ie muß wohl anerfannt werben, wofern man eben nicht« anbere« fudjt, a(« ein rein natürliche«, alltägliche« ijnb gewöhnliche«

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©ortfc’« Sichtungen.

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ÜRenfchenlebcn, mit folche« in bem engen, aber behaglichen Greift einer ehrbaren gamitie unb eine« befcheibenen bürgerlichen ©emerbe« fid} entfaltet. Diefe SDfenfchenproportion hat ®oetl)e ungleich beffer unb flarer gejeidjnet, al« SB o § in feiner }o miberlich oerfchmaltten nnb oerjueferten <j$farrhau«*3b»)lle. Senn bie ^bpHe „Hermann unb Dorothea" ben jmifcfjen lünftlicher Steifheit unb ebenfo fünftlicher 'Jiatür« tichfeit fchmanfenben ©efthmaef ber »JtU nicht gänjlidj abftreift, fo ift fte boch „Souife" gegenüber ein 3beal oon roahrer ÜJienfdtenform.

Die UJaturmafjrheit in ber $eichnung ber Eltern roie be« ©ohne« oerbient alle ©erounberttng unb ganj befonber« ift ba« SBilb Dorothea’« ein üRciftermerf epifdjer gunft, flar unb f«htict)t, reich tritt ibeaten ,3ügen gefchmücft unb boch in feiner SBeife au« bem Nahmen be« gewöhnlichen Sehen« hinauöroachfenb.

fDlinber natürlich ift mof)l ba« ©ilb be« falbung«ooll fehäefernben ißfarrherrn, welcher mit bem „mifpernben" Slpothefer unb bem „mür* bigen 9tid)tet" in ber ^bplle “1$ Icitenber unb oermittetnber @eniu« erfcheint. ©ohUhucnb unb oon ©oethe’« übrigen Serien, 3phi= genic au«genommen, oortheilhaft abftechenb, ift bie fittliche SRein* heit, welche, wenige Sorte abgerechnet, hier ^errfdjt. Slud) ift bie ©runbtenbenj ber 3bplle unzweifelhaft oon fittlichcr Sirfung. ift eine ©erherrlichung be« feften unb mutigen ßharaiter«< ber linbtichen Cffcnljeit unb Sieblichfeit, ber Sreue unb Eingebung, welche in bem Sf)ebanb gefeftigt, fieberen £>alt in ben ©türmen be« Seben« gemährt.

Sefto fejter (et bet ber allgemeinen Sridjutterung Dorothea ber ©unb. JBir motten batten nnb bauern gefl un« batten unb fe(t ber fdjönen ©fiter ©efitjlbum;

Senn ber 9Jienid), ber }ur fdjwanfenben 3«t aud) fchwanfenb geftnnt ift, Srr oermebrt ba« Uebet unb breitet weiter unb weiter.

9lid)t bem Seutfcfien gejiemt e«, bie fürchterliche ©ewegung Sortjufeitcu uitb auch ju Wanten bierbin unb bortbin.

3n biefen Sorten, mit welchen §ermann ben Ehering nimmt, gipfelt ber Einbrucf be« ©anjen unb in ihnen empfängt bie 3bp(le fogar eine nationale ©ebeutung, ma« ihre Sirfung namentlich in unterer .geit befonber« p erhöhen geeignet ift. Sein Sun ber bavum, ba§ „^ermann unb Dorothea" p einer 2lrt oon Ipeiligthum geworben ift , welche« oon allen Slrtcn ber Äunft wicbergegeben, in allen greifen gefeiert, ber 3ugenb al« SDtilch, ben älten al« Sein empfohlen, mit befonbercr ^nnigfeit aber al« jarte« Erbauung«buch oon heirath«fäl)igen jungen Seuten begrüßt wirb.

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$aut $>affntr.

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Ob Sdjilter in formaler 33ejiehung SRed)t hat, „fiermann unb Oorothea" al« ©ipfelpunft ber neueren Äunft ju bejeichncn, mag bahinfteljen. SJiit iRiirffidjt auf ben 3nßalt barf biefc« nicht behauptet werben; benn bei allen guten ©igenfdjaften, welche mir neiblo« unb ehrlich anerlannt haben, ift bod) ber ibeate ©eljalt auf fehr mäßige ©renjen ju bemeffen. Oie 3bplle hat weber liefe noch f)ölje; fte ftellt nur bie äußere gläche eine« engen SJtenfchenteben« bar, ohne un« in bie inneren Quellen bliden ju laffen, au« benen feine firaft unb SBärme empfängt. Oie SBohlthätigfeit, mit welcher bie fianbtung fid) einleitet, wie bie ©rgebung in 9loth unb Reiben, welche gefchilbcrt wirb, entbehren jeben höheren SBJotioe«. 3n ben fieirath«* plänen, welche bie ©Item machen, wie in bem Schluß ber ©he felbft, erfdjeint ber ©unb ber ©he nur in jener äußerlich praftifchen 33e« beutung, bie er für ba« irbifche, natürliche, bürgerliche Seben hat. Selbft bie ibeale flöhe, ju welcher bie Siebe $mifd)en fiermann unb Oorothea emporgehoben wirb, hebt ftd) nur um ffienige« Bon biefem SRiocau ab. Sollte in ber Oßat unfere beutfdje ®eifte«= unb ©emüth«» bilbung über biefe« SRioeau nicht h'nauefteigen? follte wirtlich unfere Qugenb ju feiner höheren Seelenftimmung angeleitet werben, at« ju berjenigen, welche bei ber ©infüljrung Oorothea’2 in ba« elterliche flau« fiermann’« fid) offenbart? ÜRüffen mir in ber ficherlich nicht ju oerfchmähenbcn grieblidjfeit unb Sehäbigfeit eine« mohlgeorbneten flau«« ftanbe« ba« lefcte unb höchfte 3>el alle« menfchtichen Streben« erfennen?

fcheint fo, wenn man bie Sobfprüche hört, mit welchen unfere Siteratur=f>iftorifer unb ^äbagogen un« bie 3bplle preifen, unb wenn man baju bie abfälligen Urttjeile nimmt, mit welchen berfelben bie Schöpfungen ber chriftlichen ‘■ßoefie früherer 3ahrhuuberte gegenüber» gefteüt werben.

28a« un« betrifft, fo möchten wir alle Schönheiten ber

©oethe'fchen Oichtung in ©hren bod) behaupten, baß ein einjiget 33er« ber oielfach poetifch bearbeiteten Segenben, welche ba« ÜRittelalter un« hinterließ, unöergleidjlich Biet mehr fittliche Straft unb geiftige ©rßebung barbietet, al« alle neun ÜRufen fie über „fiermann unb Oorothea" au«jugießen oermochten.

Oer anbermeitigen epifchen arbeiten ® o e t h e # genügt an

biefer Stelle wohl, furje ©rwähnung ju tpun. Oie Stchillei«, welche eine SRorgen * SJerfammlung fchilbert, in ber bie ©ötter fich über ben beoorftefjenben Stob be« 3ld)ille« unterhalten, Ijat

wenig in unfere beutfehe @eifte«bilbung eingegriffen unb hätte

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* ©oetfjt’« ©iiptangen.

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n>of)( auf nift, wenn fie mehr al« Fragment wäre. Bebcutenber ift bie ©irfung be« fatptiffen Grpo«, in meinem ®oetbe ben alten tiel bearbeiteten Stoff oon IReinecfe guf« miebergibt. ©er reiche berbe £wtnor, roclf er b«r in funftreifef gorm geboten wirb, fifert biefer Arbeit ein bleibenbeb ^ntereffe. Ob e8 ® oet^e obne

Beffäbigung beb Stoffe« tnirtlid) nid^t möglif mar bie gröbften Dbfcönitäten ferne ju galten, mollen mir in grage taffen. ©a§ aber SReinccfe guf 8 , mie nidjt feiten oorfömmt, in ©pmnafien al* Unterrif t«gegcnftanb gelefen unb erffärt mirb, ba8 ift bof ronbrlif ber päbagogiffcn Ungenirfeit ju oiel. Sittliche Kräftigung unb ©emiltljabilbung finbet man mo^l überall beffer, al« in IReinetfe’* ©eneralbeifte.

TI. Sie religiös s fitilif e 3bee in ©octbe’S Sramatiffen Stiftungen.

©a« ©rarna ift bie Bollenbung aller poetiffen ©arftcllung. <58 ift ba8 tebenbig geroorbene fif felbft bemegenbe <5po8 unb bie Bereinigung ber 8prit ju einem bannoniffen @anjen. §>ier tritt barum auf bie fittlif»religiöfe 3bee, melfe bie [griffen ©ebifte in einzelnen EKomenten auSfprefen unb ba8 (5po8 in einfafen ©eftalten barftellt, al« eine im Ceben fief) felbft barftellenbe, ba8 Beben beberrffenbe Sftaft btroor. UBenn mir ©oetbe als Ö^rifer unb (Spifer prüften, fo merben mir ibm mit um fo größerem 3ntereffe in feinen bramatiffen Sföpfungen folgen, um ju feben, melfe 3beale er un6 b‘er oorlegt, melden 3been er bie |>errff aft juertennt unb meltbe Söfung in ihnen bie große grage be8 EKenffenleben« finbet?

©ie ©tarnen ©oetbe’8 fmb öon ungleifem Söerfe, unb tann nift unfere Aufgabe fein, fie alle einer Slnalgfe ju unterftellen. ©a8 größte SBerf, bie Jragöbie be« gauft, ift in bet oben ermähnten Broffüre befonber« fae^anbelt morben.

©a« bort ©efagte mirb aber eine mefenttife ©rgänjung finbw, menn mir auf bie anberen ©eftalten ber bebcutenberen ©ramen be« ©ifterS in« Sluge faffen. Sie oerbatten fif ju gauft mie gragmente ober mie Borftubien unb Stilen, bereit einzelne 3üge ju bem in gauft gefuften Bollen unb ©anjeit je einen Beitrag bieten füllen.

©en Zeigen eröffnet „®öb oon Berlif ingen", melfern „<5gmont" ergänjenb äur Seite ftebt. Beibe Stüde mollen ben Sam^f reblifer SNänner gegen Unrecht unb ©cmalt barftellen. Sie finb Sinber ber Sturm» unb ©rang-Beriobe unb feilen mit Sf iller’8 „Siöubern" unb

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$au( $ a f f u e 1. *

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«ßabafc unb Siebe" ben reoolutionärcn Choralter, welcher ihnen in ihrem 3*itattcr im ©oraub ‘Popularität fieberte. 3m ©egenfal} gu Seiner aber l)at ©oetlje auf eine frühere ,3eit juriiefgegriffen.

©öy oon ©erlichingen*) oerfefet unb in bie mächtigen Kämpfe, mit welchen bab 16. 3“^§unbtrt beginnt. ©Mr feljen, mie bie Drbnung beb beutfd)en SReidjeb in egoiftifdjenrStreben ber 'Stäube, in ©ewalt* ttfätigleit ber dürften unb Witter, in Selbft=Cpü(je ber ©auern erfd)üttert wirb. 3m $intergrunb erfdjeint bab ©ilb ber retigiöfen Kämpfe, welche Bon ber SRenaiffance eingeleitet in ber SReformation jur oollen ©Mrfung famen. Die @runb*3bee ber $anblung felbft ift wie ge* fagt bab IRingen beb e^rüd^en, Iräftigen, uneigennüfcigen tpelben mit Unreif, ©errate unb Schwäche. Urfpriingticf) «feinem greunb" bem Kaifer oertrauenb unb ber rechtmäßigen Autorität bienenb, [teilt fidj @öf; halb gegen bie beftefjenbe Drbnung beb römif<h*beutfd)en SReicfjeb über= ljaupt unb erfdjeint mit Sidingen oerbiinbet gulefct an ber Spifce ber Hufriihrer; bod) fagt er fidj oon biefen unb ihren ©räueltljaten wieberum tob, um, im Kampf untergefjenb, mit bem feljnfud)tbDoIlcn IRufe nach greifjeit ju fterben. Die ßonccption ift an fidj äd)t tragifdjer 2lrt.

Der $etb oerwidett fid) in urfpriing(id) gerechtem Kampfe in Sd)ulb, er blifjt fie, inbem er untergeht, ber aber bleibt geiftig ber Sieg. SBorin aber beftefjt biefe 3bec? ©ab ift eb, wogegen @ö£ anfämpft? ©Me ift bie greifjeit gu oerftefjen, bie er biebfeitb fudjt unb fterbenb im 3fnftÜ® erhofft? Um biefe gragen gu beantworten, mliffen wir bie anbern ©eftalten in« Stuge faffen, mit welken ©öfc umgeben ift, unb hinter wetdjen er, man barf rnoljt fagen allgufefjr, in ben hinter* grunb tritt. Diefelben bilben groet einaitber gegeniiberfteljenbe ©ruppen.

Huf ber einen Seite geicfjnet unb ©oetlje in bem ©ifdjofbljof gu ©amberg bab ©ilb ber geiftlidjcn, in bem iReidjbtag gu Hugbburg bab ©ilb ber weltlichen SDiadjt, auf welcher bie Drbnung beb beutfehen fReidjcb ruhte, ©ab er Don ben elfteren bietet, ift eine berbe Gfarricatur Doll ber allerfchlimmften 3gnoranj unb Jenbeng. iRidjt jufrieben, in bem Klofter* bruber SRartin bab ftöfterliche Sehen alb wibcrnatiirlichen ©räuel fjerabgumiirbigen, ftellt er an bie Seite beb ©ifdjofb bab nichtbwnrbige SEBeib 2lbelljeibe, welche mit ihrem Diener buhlt, unb ben djarafterlofen ©eiblingen, welcher in beb ©ifdjofb unb Kaiferb Dienft ein uneljrlicheb

•) Oortfje bat ben Stoff nid)t aus gefc^it^tlic^eu Duetten, [onbem aus einer flanj untergeorbneten 2cbene*93r ictjreibung aus bem 3af|t 1731 ßefc^öpft unb feinen gelben uidjt nad) ber JBirftidjfeit gejeidjnet, mie ausführlich oon ©auuiftarl nadigereiefen mirb. (Stimmen oon SDlaria ?aa<b 1879.)

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©oetlje’« ©cfctungtn.

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©piet treibt. Die faiferlite unb biftöflite Autorität erfteint fomit umgeben mit ben fdjtedjteften ßlementcn, of)ne aut nur eine« einjigen ibeafen ,3uge« f,(f) lu erfreuen.

Stuf ber anberen ©eite ftetjen ©öfc jroei eble Frauengcftalten jur ©eite, ßtifabeth fein ©eib unb SJiarie feine ©twefter, gu weiten ber treue finappe ©eorg , §>an« Don ©Mifc unb ber felpr ibealifirte ©klingen fömmt. Stuf biefer ©eite ift überhaupt Stle« ibealifirt unb fetbft bie Sauernanfüljrer finb im ©erglcit mit ihren ©egnern unoerfennbar mit Siebe gemalt.

3nbem ®oethe bie in Slction tretenben ©erfonen atfo gruppirt: alle ©t^lec^tigfeit auf ©eite ber Autorität, alle 9?ebli^feit auf ©eite ber Freibeuter unb ©mpörcr, faßt er gwei gang auSeinanberliegenbe ©egenfäfce gewalttätig gufammen , ben politiften ßatnpf jwiften beftehenber JDrbnung unb neu oufftrebenber Freiheit unb ben fittlkhen fiampf jwiften Unreblidjleit unb Diebticbfeit. Der ledere finbet eine wahre, naturgemäße, äd)t tragifte (Sntfteibung, inbem ©eiSlingen, burth fein ©eib unb beren Suhlen oergiftet, feine Unreblitfeit mit ftmählitem Untergang büßt, äbetßeib’e, feines ©eibeS, ©erbrechen ober oon ber ©ehme gerichtet merben: wöhrenb bie fchwer gefränfte SDiarie burch großmütige Siebe bas ihr angetane Unrecht oergilt, ©öfc aber, friebtich fterbenb, oon feinem eblen SEÖeibe getröftet, nach ber Freiheit bc« Rimmels fit fehnt.

SDiit biefer (äntfteibung ift aber ber im $intergrunb beS ©angen ftchenbe tampf gwiften politifter Drbnung unb {Jrei^eit nitt ent« ftieben. Die Drbnung hoi äußerlit gefiegt unb ©öfc ift äußertit unterlegen. Stbcr ber Freibeuterei unb ber ©mpörung bleibt ber innere moratifte ©ieg. SUlerbing« wirb bie SRohh»* ber Säuern oon ben ©ewaltthätigfeiten, weite ©öfc unb ©iefingen oerüben, unter* ftieben, unb erfterer nennt fit, wie bemerft, fogar einen Freunb unb Diener bcS ffaifer«. $n ©irffitfeit aber ift ©ö(} bot nur ein Freibeuter, ber fit mit bem 9?amen bc8 ffaiferS betft, unb feine ©ate ift ebenfo unberettigt, wenn aut weniger blutbeflecft al« bie- fenige ber Säuern.

©aS immer baljer ba« Drama on fittliten ÜDfomenten bot, wie ftön bie 3beale fein mögen, bie in ben SKebengeftalten, namentlit in (Slifabeth unb SDiarie, uns oorführt, wie tiefergreifenb bie ©träfe beS ©erbretenS in ©eiSlingen unb Slbelheib ftilbert: in feiner ©runbanlage ift einfeitig unb in feiner ©efammtwirlung oerfchrt, weil in ber ©tlettigfeit eingelner ©erfonen

Jf'

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$au( £>affner.

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bie rechtliche Orbnung ber Oefetlfc^aft ocrurt^citt unb in ber fittlidjen £ugenb feiner Reiben unb beffen ©enoffen bie Empörung unb Freibeuterei feiert.

Sin 3®iß>n8*bruber be« „@ö(j non ©erliebingen " ift ba« 1788 beröffentlicpte ürauerfpiel „Sgmont". ö« foü bie religiöfe unb politifdje SReoolution cerperrUcben unb ben mit bet fatfjofifcfjcn Religion oer» biinbeten ttbfoluti«mu« oerurtbeilen. Da(j ©oetbe, wie fpäter Schiller, ficb ben Stoff ^icrju au« ben gewaltigen Sümpfen feböpft, welche ben Slbfatl ber Ricberlanbe jur Folge batten, ift nabeliegenb. ©efebicbtlid) treu aber bat er hierbei noch weniger t) erfahren, al« bei (Sog. *) Die fpanifdje $errf<baft wirb in ber fdjwadjcn aber bodj je* (otiföen Regentin SDiargaretba oon fSarma unb mehr noch in bem gewiffenlofen unb ^erjlofen 2((ba mit ben febwärjeften Farben ge- jeid>net, welche bureb ben ©egenfafc ber milberen ©eftalten be« @e-- beim-Secretär« ÜRacbiaoelli unb Ferbinanb« (älba’ö Sohn) noch oer* tieft werben. Dagegen erfebeinen Oranien unb Sgmont al« Vertreter ber religiöfen unb politifeben Freiheit; ber eine al« fluger, oorfidj* tiger Parteiführer, ber anbere aber al« forglofer, ebelmiitbiger, lieben«* würbiger Gaoalier. ©äbrenb ber erftere im $intergrunb bleibt, wirb Sgmont jum gelben au«gewäblt. ©a« wollte ©oetbe bamit? ©arurn maepte er gerabe biefen farblofen unb fcbwacben, wenn auch ibeal ge* jeiebneten Cbaracter jum Vertreter ber Reoolution, welche gegen ben tatbolifiben Sbfolutiämu« fämpft? ©arum ftellt er SUba’« Staat«* lunft biefe rein pafftoe Figur gegenüber, biefen SWann, ber wie ein 9?a<btwanbler feinem Scbitffal juläuft unb trop aller ©arnungen bem Serfer unb Scbaffot ficb prei«giebt? SBielleicbt wollte ©oetbe gerabe baburtb bie Freiheit feiern, ba§ er fie al« rein paffioe« Opfer ber ©ewalt bem 2lbfoluti«mu« überliefert? ©enn er ba« wollte, bann hätte er aber bod) biefe« Opfer mit wahrer, fittlicber Roheit au«ftatten unb ihm wenigften« einige ebeln aRartprium« beifügen muffen.

©enigften« hätte er un« bie (milbe gefagt) febr jweifelbafte unb jweibeutige Öiebeegefdjicbte mit Slärcben erfparen lönnen, welche ba« 3ntereffe fo oorwiegenb in änfprutb nimmt, ba§ man ben poli* tifeben $intergrunb ber Üragöbie faft ganj ocrgijjt. Die ftttlicbe ©röjje be« gelben, ber für bie Freiheit lümpft unb ficb leibenb für fie opfert, gewinnt abfolut 'Riebt« baburdj, baß er ficb mit $üffe einer fauberen üRutter ju einem armen 2Räb<ben fcbleicbt unb ihr fepr

*) Wan Bergteicbe $ot)»artb, Äbfatt ber Siiebevtanbe.

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@ottfc’* ©idjtungen.

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fopffiftifdj Rar macfft, baff er niifft ©raf (Sgmont, „ber groffe (Sgmont fei, ber fo Diel Sluffeffen maifft, oon btm in ben 3e'tun9tn fte^t, fonbern iffr (Sgmont, ber ruffig, offen, gUicRicff geliebt unb gelannt ift oon bem beften ^erjcn" u. f. ro. 2turt( bie 3bee ber religiöfen grei* ffeit gewinnt an ibealem SGßert^e tftiifft« baburcff , baff fic mit ben 3“0cn beb armen (Ständen erfiffeint, welcffe« im ©cffmerje um ben fterbenben ©eliebten fiiff oergiftet Rat. SBäre al« Sweater» (Sffect nicRt allju rüffrenb, man möchte bariiber löiffetn, wenn (Sgmont fid) unb feine ©acffe fetbft perfiflirenb nacff ber (Srfcffeinung fpridjt :

„©u fcRörte« ©ilb, ba« 8icfft beb Jage« ffat bid) oerfcReucRt, ja fie waren’«, fie warnt uereint, bie beiben fiiffeften greuben meine« §er$en«, bie göttlidje greiffeit, oon meiner ©eliebten borgte fie bie ©eftalt, ba« reijenbe 3J2äbdjen Reibete ficR in ber greunbin ffimrn* lifdje« ©ewanb, ju einem ernften Stugenbtid erfeRcinen fie oereinigt, ernfter at« üebticR."

©ie Stufnaffme, welcffe (Sgmont fanb, mar gleidj Anfang« eine geteilte, unb gewiifftige ©timmcn unter iffnen in erfter fiinie ©Ritter, erRärten ba« SEBerf für gän^ticR oerfeRtt. Untcrbeffen Rat aber bocR oon ben ©tüden ©oetffe’8 faft am meiften (Sffect gemalt, weit fo rübrenb ift, ba« fcRöhe (Stürzen lieben unb fterben ju feRen unb in bem fiffönen fiinb fiiff bie füffe fanfte greilfeit ber retigiöfen unb potitifcffen SReoolution oorjuftellen , jene fanfte füffe greiffeit, welcffe freilicff in ben 'Jtiebertanbcn, wie überall in SBirflitfffeit niifft« anbere« mar al« brutale ©ewalttffätigfeit, SRnub unb 3crflörung.

S3en oben befproiffenen ©ranten, welcffe, au« ber ©türm* unb ©rang*3eit fferoorgegangen, bie fociale unb religiöfe SReootution Der* fferrlitffen, fteffen in woffltffuenbem (Sontraft Jaffo" unb „3pffigenie" gegenüber, welcffe bie IRenaiffance unb ba« Slltertffum ju feiern be* ftimmt ftnb.

©er ©iiffter Jorquato Jaffo, roetcffer am §ofe be« $er$og« oon gerrara fein „©efreite« fjerufatem" Dollenbet, täfft fidff, ben Hbftanb ber ©eburt oergeffenb, Don teibenfcffaftticffer Neigung ju ber ©tRroefter feine« ©önner«, ^ßrinjeffin (Sleonore, fortreiffen, wirb aber Don biefer mit ebter ©ittigfeit jurüdgewiefen, unb entfernt ficff in fcffmerjDotler SRefignation. ©iefe gang innerlitffe Jragöbie be« £er* jen« wirb un« Don bem ©iiffter in wenig |janblung aber in fferrlidj flieffenben Monologen unb ©ialogen Dorgefüffrt, in welcffen neben ben tiefen (Smpfinbungen be« unglücftitffen ©iiffter« unb ber ebeln @e* finnung be« wofflwollenben gürften, feiner ©emafflin unb nament-

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$aul ^offner.

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lid) feinet geiftooüen Schroefter (Eleonore bie ber 3‘if entfprecfjenbe ©thmärmerei für ctaffifdje ftunft unb ©iffenfd)aft fid) au«fprid)t. Diefe bitbet benn aud) ben ©runbton beö ganjen ©erfcö, beffen 3ntereffe nicht unmef entließ babureß erfjöljt wirb, baß in bem ®e* fpräc^e äwifdjen Stntonio unb bem $erjog (IV. äufjug) auch bie Stellung be« Papfte« ju ber IRenaiffance mit großen, jum £f)eit freitieß einfeitigen, 3ü9«n gejeießnet roirb.

Sftit biefer freier ber iRenaiffance oerbinbet © oetfje in „Saffo" aueß bie Perßerrlicßung ber grauenmürbe.

Sing bu genau erfahren, mag fid) jitmt,

@o frage nur bei ebten grauen an,

®enn ifjtten ijt am meiflen bran gelegen,

®afj Sfle« roofjl ftd) jieme, roa* geliebt,

$ie ©d)idtid)feit umgibt mit einer fDtauer ®a» jarte, leitet uerlefelicbe ®tfcßlfd)t,

SBo ©ittlidjfeit regiert, regieren fte,

Unb nio bie gredjbeit berrjdjt, ba jtnb fte nidjt«!

jDiefe ©orte ber Prin^effin, beren Schönheit fRiemanb bie Pe* tounberung oerfagt, finben in ber (Sntroicfetung be« Stüde« ißre Polle Peftätigung. ©elcße flraft unb luefche« Porbilb biefe ©ittigteit ber grau begrünbet, tjat ©oethe in feinem laffo nießt angebeutet. £>ie iRenaiffance, wie bie antife Philofopßie unb Äunft ift nidjt, unb »enn ©oetße in ber Prinjeffin (Eleonore bie Schülerin piato’« feiert, fo tjat er unö nießt oerratßen, baß er bat) feßönt Pitb, ba« er in ifjr gejeießnet, in ©irtlicßfcit ber djrifttidjen Sitte oerbantt.

©anj ähnlich öerßält fieß mit 3Pßigfnif/ welche in antiter ©eftalt ein 3t>eat oorfiißrt, roelcße« feine n>aßrhaft feßönen ,güge bem (Sßriftenthum entlehnt, biefetben aber leiber mit fentimentater Humanität übermatt. „3pfjtgenie auf Jauri«", urfprüngtieß in Profa . gefeßrieben, 1787 aber in fjerrtidjen Perfen au«gearbeitet, tjat bie gteieß* namige Iragöbie be« ßuripibe« jur Portage. 3pt)igenie, bie Jocßter be« Slgamemnon, roelcße jum Opfertob beftimmt, oon Oiana gerettet wirb unb at« Priefterin in lauri« tebt, finbet ihren Pruber Oreft roieber unb wirb oon biefem, naeßbem bie Perbrecßen be« $aufe« ber Sltriben gefügt, in bie ^eimatß juriidgefüßrt. <S« fällt bei einet Pergteicßung ber Porarbeit unb ber Ueberarbeitung ber ©egenfafc jroifeßen antiter unb moberuer Sluffaffung fofort in bie klugen. Pei (Suripibe« tritt bie ©ottßeit at« roirfenbe ÜRacßt auf, bie Sühne hat ben ßßarafter eine« Opfer«, unb bie Pefreiung 3Pß‘9tnien« beruht auf ber geheimnißoolten (Entführung be« ©ötterbilbe«.

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©oetbe’8 Sichtungen.

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Sringft bu bie S^otfltr, bit on’Sauri« Ufern 3m $tiligtbum miber Sitten bleibt, fJlach ©rieehenlanb, fo löfet fidj ber gtueb-

Da« ift ber ©d)icf falb« Spruch bei ßurtpibtb.

SBtr legten« Don Wpotto« @tb»tfter oh«

Uttb er gebaute bid). ®ie ftrengen 8anbe ©inb nun gelöfl, bu bi ft ben ©einen reicher ®u Zeitige gefdjentt. . . .

Da« ift bie ©eutung, bie ihm ®oethe giebt. üJian jie^t fofort: hier tritt bab ©ottiidje jurücf. 3pf)igenien« geflärter ©inn unb Jugenbf)ttftigfeit ift bab gan$e ®cf)timni§ ber 35trföf)imng, bie @e= fchroifterliebe unb in ber gerne roenigftenb wirb eb angebeutet bie Siebe beb ‘ißplabeb bewirft bie örlöfung. Sb ift ber Iriumpb ber eblen Jungfrau über bie ®eroafttf)ätigfeit unb fRo^eit htibnifcher ©itte, welche in 3pl)igenie unb oorgefüljrt wirb. ffiarunt fodten mir unb biefeb Jriumpheb nicht freuen? ffiarunt nicht bereitwillig aner* fennen, bajj unb in Opljigenie bie fferrlidfften Silber jeglicher ©ugenb begegnen: ber grömmigfeit:

@8 fürchte bit ©öfter ®a« 3Heniehen«®eiebl«bt Sie batten bie ©errfchaft 3n troigen §änben Unb tonnen fte brauchen Sic’« ihnen gefällt.

beb ©ehorfamb:

Son 3ugenb auf hah ich gelernt gehorchen ffirft meinen ©Item unb bomt einer ©ottheit,

Unb folgfam fühlt ich immer meine Seele,

Slm fchünflen frei.

ber Sßahrhaftigteit:

Sich ich fef)’ wohl, ich muh mich leiten taffen mit ein Äinb, 3eh habe nicht gelernt }u hintertifien,

91o«h 3emanb etwa« abjuliftett; mth,

D totb ber Süge! ©ie befreiet nicht

Sie jebe« anbre reahrgefprochene Sort

®ic ©ruß, he macht un« nicht getroft, fte ängftigt

©en, ber fte heimlich fchmiebet, unb fte lehrt

©in loSgebrüdter Ißfeil »on einem ©ott

©troenbel unb serfagenb, geh juriid

Unb trifft ben ©chüpen.

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$anl $affner.

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©ie fdjön ba« Sine« aber im Sinjelnen fein mag, bie 3bet be« Drama« geht in biefer mobernen Sluffaffung oollfommen unter. Die einige ©credjtigfeit, roclcijc al« majeftätifctjcS Firmament Uber bem antifen, wie bem d)rifttid)en Drama ruht, welcher Sühne gebührt unb welche in ©nabe fid? roanbelt, ift oerfchrounben, um einem liebreijenben iDiäbdjen fßlah ju machen, welche« ©ötter unb SWenfcheH bcjaubert.

»hierin jeigt fi<h", fagt (Sichenborff in feiner ©efdpchte ber poetifchen öiteratur Deutfcfjlanb«, „bie alte ßrbfünbt ber Deformation, bie $eiligfprerf)ung ber fubjectioen ©igenmacht, bie mora(ifd) jur t)od)- müt^igen Seibfttäufchung, in ber ‘fJoefie unb namentlich im Drama jum fallen 3beale führt".

„Die antile Iragöbie fpU allerbing« ebenfalls ibealifirt, aber ftreng innerhalb ber alten religibfen ©runbanfehauung. Do« ÜJienfdj* liehe tourbe, wie äußerlich burth bie l'aroe unb ben Kothurn, fo auch geiftig erhöht unb oerftärft. Slber ber $e(b blieb rein menfchlich unb ber höh***" SDJacht unterworfen, ma« eben ben furchtbaren tragifchen Sonflift erjeugte. Unb in birfem (Sinne ift Shafefpeare oollfommen antif. Die moberne Jragöbie bagegen will ihren gelben jum Selbftgott machen unb al« folcfjen oon aller göttlichen giihrung ernancu piren. Da« ift aber an fid) eine unwahre Stellung unb weil fie eben unwahr ift, muß h‘er bas Dein * üDfenfchliche nicht etwa, wie bei ben Sitten blo« potenjirt, fonbern beftänbig erft fünftlich conftruirt werben. M

TEf. „§auft" als 3nbegriff ber ftttli^sreligiBfen «nfchauung ©oethe’6.

©efentlich unb in jeber $infid)t oon ben erwähnten Dramen oerfchieben ift bie grojje Uragöbie be« SUlenfchen „al« folchen", welche ©oethe im „Sauft* oerfucht. 3nbem mir. wie fchon bemerft, auf bie an anberer Stelle au«geführte ©rflärung*) ber einzelnen Momente biefe« gewaltigen SSÖerfe« oermeifen, foll nur beffen Sßer« hältniß ju ben bramatifchen Schöpfungen ©oethe’« überhaupt hier in« Slugc gefaßt werben.

,SBa« btt ganjen TOenfcbheit jugetljeilt ift,

©itl id) in meinem 3nnem fefbft genießen,

2ltit meinem ©eifl bat $öehfi’ unb lieffte greifen,

3ht 2Boi)t auf meinen Cufen häufen

Unb fo mein eigen Setbjt }u ihrem Selbfl enoeitern."

*) Öoethe’8 gauft atl ffiahrjeichen moberner Suftnr oon Dr. flaut $affner. S. goeffer, grantfurt a. 3ßt. 1880.

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®oet(){’« 2>id)tnngen.

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Dag ber Dichter flcg biefer aufgabe, bic er in bem erftcn fJrolog bem fjauft ftellt, ftcg oon Anfang an berougt geroefen, ift nicht ju bejmeifeln. 3nbem er un unter brodln fein ganje« Ceben gin« burcg mit igm befcgäftigt roar, unterfcgieb er biefe« ©erf mit Doller ©chärfc oon ben anberen bramatifcgen arbeiten, rnelcge in ben oer» fcgiebenen ‘'Perioben entftanben. ß« mar eben ba« Drama unb bie Dragöbie nicht ein Drama unb nidjt eine Dragöbie, bie er gier f Raffen miß.

ßbenbarum fliegen auch in ber Jragöbis^be« gauft aüe 3been gufammen, roetdje in ben anberen ©Köpfungen oerfotgt merben: bie metaphhfifcgen unb etgifegen anfegauungen, rnelcge bie ©ebiegte au«» fpreegen, bie 3bglle oon „Hermann unb Dorothea", bie ^ßcrfiflage ber menfcglicgen ©efellfcgaft in „iReinecfe gucgS*, namentlich ba« äugere SRingen mit bem ®ef triefe, rnelcge« in „©ög" unb „©gmont“ bargeftellt, roic ber innere ©eelenfampf unb ba« ©eelenleiben, roelcge« in „Daffo" unb „3pf)igrnie" gefegilbert mirb : oon altem bem ftnbet in gauft unb ÜJtargaretfja fieg etroa«. aber bie einzelnen £üge oerlieren fi<g im ©aujen unb erhalten ein allgemeineres ©epräge. Da« bunte unb überreiche ®eimerf, rnelcge« au« ber ©eiftermett, rnie au« ber ©eltgefcgicgte jufammengetragen mirb, gtbt gauft über ba« gemögn» liehe SRenfcgenteben hinaus unb gibt igm ben ßharaftcr eine« @pm* bol«, eine« £gpu«, einer mgthifegen 'perfon möchten mir fagen, mie fie bie grieegifege Dragöbie in igren mit itbermenfcglicger ©röge au«» geftatteten Halbgöttern befag. auch bie Hanblung, rnelcge in gauft fich entmidett, roäcgft, bie 3Jlargarettjen=(5pifobe abgerechnet, über ba« ÜJiaajj eine« einfachen menfchlichen 8ebjn« hi*1““« unb buregmigt namentlich im jroeiten Slgeile ®{*t auSeinauberliegenbe ©ebiete, rnelche ßin -äRenfcgenleben niemals in fich fagt.

au« allebem folgt aber auch, bag in „gauft" bie fittlidj-religiöfen anfhauungen, rnelche in ben ©ebichten unb ben übrigen ©erfen jerftreut liegen, mieber aufgenommen unb jufammengefagt merben. Die ÜRonotoge be« gauft, feine ©efprücge mit ©agner unb SDiepgi* ftophele«, bie ^Belehrungen, rnelche ber (entere bem ©egüler gibt, ftttb eine nageju fhftematifche auSeinanberfegung ber ©ettanfegauungen» rnelche in ben übrigen ©erfen be« Dichter« in einzelnen ^iigen auögefprocgen mirb. ©ir finben hier bie ganje Unruhe be« ©eifte«, rnelche bie religiöfen ©egriffe in ffeptifegem ©piele auflöft, um bann mieber in pantheiftifchen pgantafiebilbern ober gar in ^auberfpuf einen ßrfag ju fuegen. ©ir fegen gier, mie bie pfhcgologifcgen unb

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$au( §affntr.

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etßifchen Kaßrheiten bcr llnfterblichfeit unb beb ©ericfjtcb pt)i(ofop^if<^ geleugnet unb bann bod) wieber mit erfdjütternber ®emalt jur prat> tifchen (Rettung gebraut werben. Kir finben inbbefonbere in bem Schluß beb @anjcu jenen 3wiefpalt jmifchen bem oben Siationalibmub, welchem fcßließlid) fein anbereb 3beat me^r bleibt, alb ©obencultur unb Qefonomie, mit ber tieferen Stimmung ber (Seele, welche auf eine ewige ©lücffeligfcit nicht »erlebten will. Dab Süleb, wo« in

ben anberen Arbeiten beb Dichterb jerftreut unb oereinjelt fidj finbet, bab ift in bem großen, gewaltigen Kerfe, welches mir gewiß mit 9ie<ht a(b SSBaf)rjcit^ett ber mobernen (Sulfur überhaupt bezeichnen bürfen, in großen 3“9ctl jufammengefaßt.

VIII. $>ie Quellen ber fittltdjmligiBfen 3bee ©oet^e’fi.

Kenn mir mit Sauft unferc Prüfung ber religiöS-fittlie^cn Sin» fchauung ©oetfje’b befcblitßen, fo bebarf eb einer noebmatigen 3»* fammenfaffung beb Sfefultateb berfelben nicht. Soweit eine flüchtige ©efprechung, wie fie unb bi« geftattet war, ein Urteil ju begrünben oermag, finb mir woßl im Staube bie im (Eingang biefer Schrift geteilten gragen ju beantworten, Kir fennen jebenfalib ben fittlid)« religiöfcn ©eßalt ber Dichtungen ©oethe’b genug, um ben ©orfdjlag oon Daoib Strauß ju beurtbeilen. ©eniger geniigenb oielleicht haben mir bie weiteren gragen behanbelt: aub welchen Quellen ©oetlje gejdjöpft unb welchen fittlichen (Sinbrucf feine Dichtungen auf unb machen. (Sb wirb aber nur weniger Körte bebürfen, um bab geljlenbe nachjutragen.

Kenn man ©oetlje’b Dichtungen auf ihren fittlichen ©ehalt prüft, fo läßt fi<b nicht oerfennen, baß biefelben aub brei oerfchiebenen Quellen fich nährten. Die erfte ift bie ^3^ilofop^ie unb S^eologte (wenn man fo fagen fann) ber 3f*t, <n weither ber Dichter aufge* wachfen, bie anbere ift bab concrete ©ilb ber SDienfchennatur, welcheb er ber ®efd)i(hte entnahm, bie britte aber ift fein eigeneb (Erleben unb firmpfinben.

Die erfte biefer Quellen fommt oorjugbmeife in ben bibactifdjen Sähen jur ©eltung, welche in ben ®ebichten unb namentlich in ben Dialogen beb gauft fich finben. Der Dichter gibt bie ^3^itofopt)ie feiner 3e>t toieber; er gibt fie alb feine Ueberjeugung; wenn auch nicht alb feine ganje unb aubfchließliche Ueberjeugung.

Der ©hi(of°Ph>' aber ftellt fich bab tfeben entgegen ; bab concrete wirtliche ?eben, wie eb fich <hm ber Vergangenheit unb ©egenwart

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oorftellte; unb ©oetße fjatte bie ©abe, biefe« Seben in Doller ffialjr* heit auf^ufaffen unb wieber ju geben. 3n biefem Seben fanb er bie ibealeit Silber ber Jreue, Siebe unb Feinheit, welche bie djriftlidje Gultur in ba«felbe niebergelegt ^atte, unb roctdje feine <JJf)itofopI)ie au« ißm ju entfernen oermochte. $öie ber Strom, ber au« bcn Sergen in ba« Jjjal fid) ergießt, bie ©olbförner, bie er bort aufgewühlt mit fid) fU^rt, fo ^aben in ©oethe’« Dichtung ber ©olbförner fid) oiefe abgefagcrt. ffiir erinnern nur an bie lieblichen Silber au« bem Seben üßargaret^en«, an 3Ph’0en'e unb bie ebeln grauen in ©öfc. finb Silber au« einer anberen SBelt, welche bie ffiärme bc« Gfjriftenthum« erfüllt, unb über welchen ba« 8idjt be« ©lauben« gefeuchtet hatte. Solche Silber fonnte ber Dieter tneber au« feiner ^Ijilofopljic con» ftruiren, nod) au« feiner ^antafie erfinben, er (jat fie geflaut unb nach ber Statur gcjeichnef, oielleid)t fi<h felber unbewußt, wo er fie gefunben.

Sine britte Duelle aber, bie wir mit gleichem 9?echte rooljf auch al« erftc bezeichnen fönnten, ift ba« perfönliche Grieben unb Gmpfinbcit in ber langen Weiße non Jagen, welche bem Dichter befcfjieben waren. Diefe Duelle oerrnag weber ^^ilofopßie nod) gefd)id)tli(^e Grfafjrung ju oerfchütten, Dielmehr erfdfeint fie beiben gegenüber al« in mtljr al« einer $infid)t bominirenb. Äniipft ja bei ©oethe 2lUe« an fein perfönliche« Seben an! ffiarum nicht aud) feine fittlid) «religiöfe 3ln* fdjauung? änbere Stübtd)cn anbere aJiäbdjen, fo heißt in bem befannten Sieb, welche« ©oethe’« Seben am wenigften Stigen ftraft. ffienn eben in @oetf)e’8 Seben ©retten, Äatljarina, griebe« rite, Sili, grau Don Stein unb Gßriftiane Sulpiu« u. f. w. mit fo leidjtem guße fich ablöfen, warum follten nicht auch bie fittlidjen 3bea(e ©eftalt unb Umriß wedjfeln unb bie Seben«phi(ofopljie nach bem Seben fid) geftalten. Den ©ebanfen anjubeuten, tonnten wir un« nicht Berfagen, if}n im Ginjelnen au«jufüf)ren, oerbietet bie im Gin« gang gejogene Sinie.

Die eben abgebrochene Setracßtung führt un« aber auch iu einer Semerfung, welche nicht blo« ©oethe, foitbern ba« innerfte ©efen ber neueren Dichtung trifft.

IX. fRefuttat unferer Prüfung.

Sergleicht man bie poetifche Siteratur, welche in ben abgelaufenen huubert 3aßren in Deutfchlanb erwachfen ift, mit ben anberen Gpod)eit unb ©ebieten ber poetifchcit Siteratur, fo wirb fid) in ber erfteren eine

y<ioogIe

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$an( ^offner.

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©igentbümficbfeit finben, roetcbe fit fpecififcb Don offen übrigen unter» fdjeibet.

Die Dieter Onbien« unb fjerfien«, mit bie Dichter ©rieten» fanb« fdjufen ifjre Sieber, i^re epifeben ©ebid^te unb Dramen unter ber $errfcbaft einer beftimmten, ffaren, feften, refigiöfen Stnfcfjauung.

©ie fc^öpften au« ben fittfidjen ©runbfäfcen ihre« ©otfe« unb mären bie^erolbe be« fittficbcn ©eroujjtfein«, ba« fie in beffen @cboo§ Dorfaitben.

3n noch böbfrcm üJiaajje mar biefe« ber 0afl mit ben tbrift« liiert Dichtern, ©offram Don ßfebenbaeb, ©öfter Don btt ©ogelmeibe unb ^ermann Don ber 2fue, gfeicb affen anbern '

Dieben beb beutfdjen SDiittelalter«, batten, einem Firmament gfeidj, '

Uber fid) bie ©abrbeiten beS djriftficben ©tauben« unb ber cbriftficben ©ittenlebre. fftiebt 3been batten fie $u futben, fonbern nur Silber, um ihnen ©eftalt ju geben; ihre fittliiben unb religiöfen ©egriffe maren biejenigen ihre« ©otfe«, au« beffen üJlitte fie famen, in beffen SKitte fie fiib nieberliefjen. Die ausgeprägtere unb abgerunbetfte

Darftelfung ber fittliiben Drbnung bietet unö Dante, in beffen Dichtung bie ©b'fofopbie unb Serologie ber Sircbe unb ber cbriftficben ©eft ficb reflectiren. *)

Slucb bie efaffifeben Dichter ©panien« unb 0ranfreicb« unb fefbft ©bafefpeare**) haben noch biefe« unoergfeiebtiebe ®ut, eine fefte beftimmte Slnfcbauung be« ©tauben« unb be« fittlicben Seben« über ficb 3U haben, eine ©eftanfebauung, beren emigen ©efefjen fie ficb untermerfen unb auf beren emigen ^Srincipien fie ihren gujj ftellen.

Slnber«, ganj anber« Derbült ficb mit ber neueren poetifeben Siteratur Deutfcbtanb«, meltbe im ©efentlicben unb im ©anjen auf bem ©oben be« in 9tationafi«mu« aufgetöften ©roteftantiSmu« ftebt.

Diefer ©roteftantiömu« bat feine pofitiD feftftebtnbe ©eftanfebauung, fein Dogma, feine bureb Autorität behütete Orbnung be« flieste« unb ber ©itte, rcelcber ficb Sltle« mit innerlichem ©eborfam beugt, ©ein ^rincip ift ber ©ubjectiDiSmu« , b. i. bie fubjectioe ©fauben«* meinung, ba« fubjectioe ©efübf, bie fubjectioe ©timmung. Stuf biefem ©oben manbeft unb meebfeft äffe«. (Sin jeber fu<bt ficb

feinen ©eg, feinen ©tanbpunft, fein ,3ief. ©obf gibt ©trö*

mungen, aber ©trömungen finb fein feftcr ©oben, ©obf gibt

*) 83rrgtei<be ®ante’« göttlid)! Comöbte Don gr. $>f ttingor.

**) Ob ©b«f'fpeare Satljolit roac ober nid|t, er bat 0anj bie Änfibauung be« fatbolifeben ©tauben« in feinen £>i<btungen au*fjefprodjen. Cergteidje 3tio, ©bafefpeare. £>afler, Sorrebe ju ber Ueberfepung ©bafefpeare’*.

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31 @otti)t's Didjtungtn. 31

gemein) ame Slnfidjten, ober gemeinfame Slnfidjten ober öffentliche ■Uieimingen finb leine girmamente. ©o füllen bit Dichter l)ier ihre 3b een unb ihre 3beale fieh fuehen ? <5s ift Har, ba§ ihnen nur übrig bleibt, fotche fid) felbft $u wählen je nad)bem ©efchid be« Seben« unb eigene 9?atur fie it)nen barbietet. Die ^Dichtung muß ben C^arafter ber ^ilofop^ie anncljmen, reelle fragt unb fucfjt, ruffelo« ihre Spftcme bilbet unb ihre Schulen aufroirft, um fie immer auf« neue ber Sfepfi« ju überlaffen. Unb jcigt nicht in ber Jljat unfere neue beutfdje Literatur biefen ß^aratter in Dollem SDlajje? Sie ift ber Dieflef ber neueren ^^ilofop^ie, rnie bie <ßl}ilofopl)ie ber SJieflef ber neueren Geologie ift. Sie ift Sturm unb Drang Don Anfang ju ßnbe, mag aud) ba« Stürmen jumeilen tocniger brängenb unb ba« Drängen minber ftttrinifch fein.

Diefer ruljelofe Sturm unb Drang ift benn aud) ber Schlüffe! ju ber fittlid) . religiöfen ©ürbigung ber Dichtungen © o etlje «. Der <ßroteftanti«mu«, in beffen »JerfefcungSprocef} ba« grö§te poetifche ©enie unfere« 3ahrhunbert« geboren unb ben ju burd)bred)en it)m nicht befchiebcn roar, lonnte ihm nur gragmente einer religiöfen unb fittlichen Snfdjauung bieten, gragen unb Probleme, SSerfuche unb Anläufe nach allen Seiten ; munbern mir un« nicht, ba§ mir in feinen Dichtungen nicht« anbere« feljen. ß« ift eher ju ftaunen, unb eben barin erfennen mir ein 3eu9n‘ß für bie STOacht ber chrifttichen ©ahrhttt, mie für bie liefe be« Dichter«, baß ber ©rudjftüde fo Diele fid) bei ihm ftnben.

Diefem Derroorrenen CEharafter ber religiöfen unb fittlichen 3been entfpredjcnb lann aber auch bie ©irlung, meldje ©oethe’8 Dich5 tungen auf bie ©eifte«* unb ®emiith«bilbung auöüben, nur eine feljr jmeifelhafte fein.

©ir hoben un« an bie ßeltüre unferer fog. beutfchen ßlaffiter gemöhnt, unfere ganje öilbung unb Unterhaltung fteljt unter bereu ßinftuß. 2lu<h bie fatholifchen Schulen unb bie latholifdjen töilbung«: freifc fönnen fid) bcmfelben nicht oollftänbig entziehen. 3* nach ®eifte«ftimmung unb ßljarafterbitbung mirb bie ßinmirlung biefer üfthetifchen Sltmofphöre mehr ober minber gefunbheit«f<häblich fein. Kräftige ©eifter, mit Haren ©runbfäfcen auögeftattet unb in ben ©aßr* heiten be« chrifttichen ©lauben« roof)l unterrichtet, rocrben fleh bie guten ßlemente, roelche flöh fragmentarifch in biefen poetifdjen Stopfungen finben, tljeilroeife aneignen, ohne Don ber in Sinnlichleit unb pantheiftifcher Schmännerei Derljütlten Slepfi« angegriffen ju

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'Paul $affner.

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»erben. Sie »erben fogar juroeilen au« ihnen apologetifche SDio* mente für bie ©afjrljeit fcf)öpfen. Die jerfloffenen unb unflaren ©ilber be« Dichter« fönnen in ber £l)at, tiefer gebeutet unb fchärfer gefaßt, jum 3lu«brucf ^ö^erer ©efieimniffe fid) eignen.

Diefe SUJenfchen, »eiche bie ©olbförner au« bem «Strome fifchen, bilben aber bie SluSnaßme. Die immenfe ÜJteljrfjelt berer, »e(dje bei ©oetlje unb oer»anbten Dichtern ihre ©emütfj«* unb ©eifte«* bilbung ft^öpfen, »erben fid) oon ben (Elementen nähren, »eiche oben fd)»immeit, unb nod) mehr oon jenen, »eld)e ben fdjlammigen ©oben* fafc bitben. Sie »erben bem Dichter bie frönen Serfe entnehmen, um bamit ihre Ceibcnfdjaften ju fcf)mücfen unb ben Jriumph ber Sinne ju -feiern. 3hntn »irb ©romctheti« bie ©orte ju jener Stirn* mung ber SelbftgefäDigfeit unb Unbotmäßigfeit bieten, »elc^e jeber 2lrt oon Unfittlichfeit jur Berechtigung bient. Sotten ©eiftern »irb ©oettje’« ^bilofop^ie in ihrer ganjen Unflarheit unb ©ermorrenheit a(« »illfommene« (Mittel erfcheinen , fich über bie Hnföauungen be» Äatecßi«mu«, »ie über bie ftrenge 3uc*?t bt® chrifttichen geben« bin»eg* ju fefcen.

©5a« folgt au« ädebem? ©or SUiem, baß man bem Sd)»inbel entfagen muß, meiner in ber neueren poetifcben Literatur Deutfcßlanb« bie erfte Quelle geiftiger unb fittlidjer ©ilbung feiert unb ihr in bem Unterricht ber ^ugenb eine fo exorbitante Stellung einräumt.

3»eiten«, baß man bei ber geftüre ber (Slaffifer ben üJiaßftab ber djriftlichen ©runbfäfce aUejeit mit Dollem ©rnfte jur Snmenbung bringen unb »eher Don ber ßleganj ber formen, nod) ber ©er* fdiroommenbeit ber 3been fich täufchen (offen muß.

/ ( L-) - Dritten« aber, baß roir un« unb namentlich bie 3u8£n& » bie un« anoertraut ift, an bie großen Schöpfungen ber fatholifdjen Dich* tung erinnern unb jene SBerfe jur ©eltung bringen müffen, »eldje bie Schöpfungen ber neuen geit ebenfo ßodj überragen, al« bie ©au» »erfe be« chriftlichen (Mittelalter« über bie fd)Wad)en ©erfuche ber ©egenroart fich erheben.

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Heber ben pefftmi0mu0

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Dr. gngefßert <£otenj

&ein philofoppifcheS ffierf fjat in ber 9ieujeit gröfeeren öätm gemadjt unb rafcheren läbfafe gefunben als 6b. Don lpartmann’8 „^ilofop^ie bcS llnbewufeten." Mit 2orb Spron fann er {preßen: »I awoke one morning and found myself famons.« 2luch ein 3eicpen ber 3«*! Sorten mir nach bem ©runb biefer 6rfcheinung, fo wirb man finben, bafe Don ^artmann ein echtes ßinb ber mo» bernen 9lera ift. 6r fennt ihren SiealiSmuS unb Weife ifem 9lcch= nung ju tragen. 6r Derläfet baper baS ausgefallene ©eleiS ber gang unb gebenen ©djutpfjilofophie, burcpfchreitet mit „©iebenmeilenftiefeln" bie bürte &eibe ber fallen 9(bftra!tion unb macht lieber einen lüfenett ©triff inS frifdje, faftige fiebert, eingeben! ber ©oetpe’fchen fioofung:

©reift nur hinein inS »oDe TOenfäenteben! . . .

Unb »o ipr’S pacft, ba ift’S intereffant.

2)urch einen leisten, burfdjifofen Son oerftept er feine <Sacpe intereffant ju machen unb bur<^ pifante Beimifcpungcn ipt einen haut-goüt ju geben. §atte bisher baS grofee tßublifum burä» eine unberbaulidje, überfpannte ©petulation fiep ben 5Ragen Derborben unb faft allen ©efdpmacf an ppilofoppifcpen Betrachtungen Detloren, fo würbe burd) biefe jiar! gewürjte $ojt bie Sufi nach 6Da’S 9lpfel wieber geregt unb eS bewaprpeitete ftd) auch pier baS Sßort: L’appetit vient en mangeant.«

$o<h all baS war nicht ber ipauptgrunb für ben auffallenben erfolg beS ^artmann’fcpen ©ebanfenS. $cr narfotifcpe 30Uber feiner tßpilofoppie lag unb liegt Dielmepr jicherlich fiir bie SJleprjapl ihrer Sefer in ber Don ipm mit ©eifi unb Höife Dertretenen peffi*

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34 Dr. Grtgelbert Sorenj gij^tr. 2

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m i ft i f <h e n Seben#anfchauung unb beren a t fj e i ft i f <h e r ©runblage. 0tjne ben lebten 9lbfd)nitt hätte ffin Such rooljl nie biefen 9lnflang gefunben. $er SESeltfchmerj liegt ja heutzutage rote ein SliaSma in ber Suft. Unb itibem £>artmaun, burcp Gleganj unb „attifche Reinheit*, gepaart mit mephiftophelifchem Säcpeln, feinen Seljrer Schopenhauer noch überragenb, ba# ©lenb be# Dafein# mit bem P)ilofopheiimantel umfleibete, pat er atle liebes* unb leben#* Iranfe ^erjen mit ©inem SGöurf erobert.

3a, bie ganje Schaar mit feiblicher unb geijtiger 3mpotenj ge« fdjlagener Slafirter, alle nerüöfeit „StoHuSfenfeelen", alle bertrachten ©jijienjen, alle fc^roar jgalligen ^ppo^onbrijtcn, alle jerrtffenen £»er§en, alle mit fidj unb ber SBelt zerfallenen 3nb'°U>uen, alle am ©lauben unb ber HJtoral banlerott geworbenen ©emüttjer, alle mißglüdten ©enie# unb »anges tombes« griffen natürlich mit gieriger tpanb nach bie* fern neuen ßtonngelium, ba§ ihnen mit }o fpinpatpifdien Xönen ba§ Jfflagelieb bom 3ammer be§ Sehen# fingt unb glüdlidje ©rlöfung im Utirwana bereifet. Daher jum größten Dßeil ber fabelhafte Srfolg ©b. bon Startmann’ S. ©eftetjt er ja felbjt ju: „2Bir ftnb weit entfernt )u beftreiten, baß eine geroiffe Älaffe ber Sefer unb Käufer ber Sßpilofoppie be§ Unbewußten fiel) au§ ben Greifen ber blaftrten SJtoue# retrutire, bie nur mit cßmfdjem 3ntereffe um mancher utiber* meiblichen tpaffage über ©efd)lccht#berljältni|fe toillen ba# Sud) burcp* blättern, gleichwie e# leiber ©otte# Btenfchen giebt, welche bie anato* mifdjen SJtufeen blo# befugen, um an geroiffen ^Präparaten berfelben ipre abgeftorbenen 9lerbcn ju galöanifiren." 3" bei ^hat, bie tßhtlofophie be# Unbewußten unb ipr reißenber Slbgang ift ein merl* roürbige# ©hmptom für bie ^pat^ologte unferer 3f't- Ober wie? ift bielleicht ber 5JMf<mi8mu# leine franthafte ©rfcheinung? Stagen wir junächft bie ©efdji elfte!

I. ©rfd)iihtlithe8.

3m Saufe ber Saljrhunberfe treffen wir wopl ba uitb bort peffi* miftifch gefärbte Stimmungen unb tiefmeIan$olif<he 9(nwanblungeu, aber ben eigentlichen SeffimiSmuS, b. i. bie Serjweiflung am ©lüc! im Die#* unb 3enfeit§, nur äußert feiten unb jwar ftet# nur ba, wo bie ibealen ©ütcr be# Sehen# unb insbefonbere ba# religiöfe Se* wußtfein erftorben finb. So zeigen bie ältefteu ©ulturbölfer, bie

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lieber bei! SeffimiSmuS.

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SJegppter unb Sabplonier natp SluSmciS ihrer $enfmöler itnb ber Jfeilfchriften burthgängig eine frolje 9iatur* unb SebettSauffajiung, bie auf bem fcjien ©tauben an bie ^clfenbe, hulbnolle ©ottljcit fujjt. 3)ie alten Ißerfer ferner Ijatfert jmnr nach bem 3fU9niffe beS Wöepa ben ni<ht ju teugnenben 3roiffpoll in SBelt tiefer empfutt«

ben unb beStjalb ein gutes unb böfeS Sßrincip angenommen, aber bo<h fann man nid)t fagen, baß fie peffimiftifc^ gefinnt geroefen. 5)enn fie pegten, analog ber SBibel, ben ©lauben, bafs bie «Schöpfung beS 9lljura*2)lajba anfangs nollfommen , ohne Seiben unb Pagen unb 2ob geroefen unb erjl fpäter burd) Sgra*mainpu3 tljeilroeife üerberbt morben fei, ohne baß jebodt) beS fieberen übler ßinpuß in ber SBelt baS Uebergemidjt erlangt ^ätte. 3>a, om Schluffe beS SBeltprojejfeS, hofften fie, merbe bie 3)ta<ht beS böfen $ämon$ ganj gebroden unb ber erroartefe, liinftige ©rlöfer QaoShßan?, ber t)on Open h” fotnme, merbe ein 9teid) be§ »ollen ©liicfeS unb griebenS grünben, mo bie lobten mieber auferpeljen, bie Unperblid^feit roicber perrfchcn unb bie SBelt regenerirt merbe.

SBa§ bie alten Snber betrifft , ip irrig, roenn Sergfon behauptet, bap ber pjfimiStnuS ju ben öltefteu pljilofophifcben Sin- fdiauungen ber Btenfdjbeit gehöre unb fdjon in ben Sieben, biefer frfiljeßen Urfunbe beS 3J?enj<hengefihM)t3, fi<h öorpnbe. *) Sie $>bmnen beS 9tig=93eba befunben im ©egentheil eine lebhafte greube an ber bon ©oft ffiaruna mit SWroeisheit gefdjaffenen SBelt. MuS einer reidjen 3Q^I bon Biebern möge menigPenS eines juin Selege bienen :

1. ®ie SBelt SIbitjaS, beS weifen ßönig«,

er fdfott’ unb walte mächtig Uber aOeä.

3<h ftrebe wiirbig Saruna )u preifen, ben groben, ber be9 ®eten§ liebftes

3*el iP-

2. 3n beinern $ienfle lab uit* glücftich leben

unb banlbar bir, o Saruna, lob- Ttngen

2Rit jebet litten Slorgenröthe ftom- men,

wie fSglieh unfere Opferffamme lobert.

3. Cab uns in beiner Obhut fieher weilen, bu SBeifgebieter , fjflbm tej^ an |

3br Söhne Sbiti’S, ihr unberütfte, nerftattet unS ben ®unb mit euch iu fefttiefeen.

*) öerhanblungen ber ph>I°f0Ph- ®efeflf<haft ju ®ertin, Ceipjig 1879, ©. 64.

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Dr. Engelbert Soren§ gifther.

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2M)I trugen auch bie alten 3nbet baS bittere ©<butbbcrouj?tfei»t tn bcr 23rujl, aber if>re ©ottinnigleit fanb auc^ bie Duelle beS Sal* fam§ für bie brennenbe SBunbe:

5. SBie »oit betu Stritt entlaffe mit^ bet Sünbe:

beS frommen Sinnes Duelle will ich öffnen ;

68 reifee nicht bet gaben meinet »nbacht,

eS breche nicht ju früh bet Stab beS SBcrfmannS,

6. Bewahre mich, o Baruna, oor Schteefnig,

in ©naben ftef) mich an, gerechter ÄBnig,

6tI5je mich 6en Ütoih, toie’S flalb boin Banbe;

in beiner §anb fteht meines flugeS Swinten.

7. Bidjt treffe uns bic SDaffen beiner Boten, bie jeben Sdjutbigen, o ®ott, beftrafen; BochmScht' ich nicht oom Sichte flbfchieb nehmen, oernichte meine geinbe, mich (ab leben! ')

5lf|o feine pejfimijtifche SSerjtueiflung, noch jammerbotlen 2eben§=^ ilberbru§! Unb in jenem fdjönen £üpnu§ an ben göttlichen Mittler SJtitra Ijeijät eS:

2. ®er Stetbliche fett im ©enujfe leben, ber ftch geborfam reinig bir 6e= leiget»

3n beinern Schufte trifft ihn feine Blage,

fein Schaben, nicht 6on nah unb fern BebrSngnifc.

3. frifchet ScbenStuff gefunben SeibeS

unb fejien gufjeS auf bem Srben* runbe

Sei unS bergbnnt in SJlitra’S SReich ju wohnen,

bet (Snabe ftbitfaS uns ju erfreuen. ’>

3in ber »ebifchen 3C** Jfigt F«h ülfo feine ©pur Don $ejfimi§= mu3. Söoht aber brechen in ber fpäteren ißeriobe be5 33taijmani8mu3 bei einzelnen Steifen ßlagetöne Über bie Süufton bc3 ®afein§ httbor, benen ber ißbilofoph Sancara3) in ben jarten elegijchen JBorten 9lu§brinf gab:

Sin tropfen , ber am SotoSblatte jittert,

So ift baS flüchtige Sehen batb 6er> wittert ;

ficht Urgebirge nebft ben fiebtn Bleeren,

®ie Sonne, wie bie ®6tter felbff, bie hehren,

Sich, mich, bie SBelt bieS SlDeS wirb jertrümmern

t>ie 3<it warum benn noch um irgenb was ftch fümmern?

‘) fRig-Beba IL 28.

’) B. a. O. III. 59. SMhereS in meinem ,§eibenthum unb Offenbarung'. SRairtj, ftirchheim 1878.

*) Bei 3oh- §ubet, ber BefftmiSmuS. 6. 6.

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Heber ben 'PejfimiSnuiS.

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6rft im 5. 3ap*punbert ». gpr. trat ber erfle fpftematifdje ipeffimifi auf ber inbifd^e ÄönigSfopn Safpa*muni. Utaip einem üppigen SBoplleben mürbe er in feinem 29. (ober 30.) $apre burdp ben Slnblid eines ©reifes, eines SluSfäpigen unb eines SeicpnamS bom Semufjtfein ber $>infä(Iigfeit unb Stieptigfeit alles 3rbifd)en fo ergriffen, bap er fi<p bom SBeltgetriebe in bie ©infamfeit jurütfjog unb pier foll ipm unter einem Feigenbäume bie re<pte grlenntnifj aufgegangen fein, baper fein 9lame Shtbbpa, ber „©rleudptete". ©en ftern feiner Slnfcpauung bilbet ber ©cbanfe, bap baS ©afcin, ja bie ganje SBelt bom Uebel fei unb beSpalb miiffe baS Verlangen nad) bem Seben burcp 3lirüd}iePun9 aus bemf eiben, burip Slsfefe abgetöbtet merbcn. 6rft im Stirroana, im „SSerroepen" unb (Srlöfcpen beS SemufjtfeinS fomme man jur bellen ßrlöfung bom @lenb, jurn magren Frieben. fturj, im ©afcin liege baS Unheil, im Sticptfein baS 4?eil. 25aS lepte 23ort auf feinen Sippen mar: „SWeS ifi eitel!“ SBopI fanb ber 33ubbpiSmuS befonbcrS burcp bie Slufpebung ber fo briitfenben $aflenunterj<piebe unb fein ©ebot ber allgemeinen SBefen* liebe japlreidje Slnpänger unb jäplt peute no<p nacp 300 400 SJtiKionen ; aber märe falfdj, menn man alle SSubbpifien für eingefleifdpte ^ßeffimiften piette. ©aS 23olf als foIcpeS ift im ©egenfap ju ben möncpifcpen SlSceten bem peffimifiifipen ^ßrincip fern unb pat auS bem Utirmana ein peitereS ißarabieS gefipaffen.

©ap ferner bie 3f ^aeltt cn, tropbem eS ipnen oft fepr fcplecpt ging, fid) leineSmegS bem 5ßef fimiSmuS in bie Sinne marfen, mirb allgemein jugeftanben. aud^ baS 33u<p 3ob unb Popelet ein

f<pattenrei<peS 2filb bont Seben, fo bringt bo<p burcp baS büftere ©eroölf ber licpte, uerllärenbe ©trapl ber Hoffnung.

SJtocp mcpt aber faxten bie fdpönpeitstrunleuen Hellenen baS Seben non feiner peiteren ©eite auf. ^beal bon $au8 auS angelegt, burcpbufteten fie bie ißrofa beS STafeinS mit bem poetifcpen $aucp iprer unfterblicpen ©(pBpfungett. Unb biefer jugenbücpe Fropfinu iprer J?unftgebilbe marf feinen milben SBiberfcpeiit aucp in bie $pifo* foppie. iflptpagoraS, SolrateS, Ißlaton, SlriftoteleS mareu leineSmegS griesgrämige Ißeffimiften bon ißrofeffion. ©oip ben bunllen 6 (patten beS UebelS unb beS Sßfen tonnte aucp ber lebenSluftige Hellene nicpt ganj berfcpeucpen. ©aper jener melancpolifcpe SluSbrud in ben ftöpfen feiner ©tatuen, „mo ber ©ebanfe beS SobeS mie eine fcpmarje Söolfe fclbft auf ben ©eficptSjügen ber eroigen ©ötter- jugenb fcproebt." ©aper jener ©cpmerjenSfeufjer aus ber betlommenen

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Dr. ßngelbftt ßorenj gif^cr.

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Bruft bot Sragifer, ben SopljollrS in feinem CebipuS auf GolonoS in ben SEÖorten auSjlößt:

5Ri($t geboren ju fein, o ÜJienfdj,

3t[t haS böchflt, ba8 befle CooS;

®o<b wofern bu baS liidjt erbüift,

'Ädjt’ alb 3®eüe5, babinjugefi'n SBieber, bon wannen bu famft, in SJSlbe.

$)aher jene büfieren Sprühe bei GuripibeS unb KefchpluS unb bog ergreifenbe orpfjifdje SQJort:

StuS beinern Öäe^eln, o 3<«5/ baff bu bie ©etter geniadjt Unb auS ben Spänen bie SJlenjtbtn.

35od) biefe bercinjelten fiwermüthigen Stimmungen berfieinerten fidf &ei i^nen ju boQenbetem ^effimiSntuä, noch weniger ergriffen fic bie Blaffen. SEBie bei ben ijpeHenen mar auch bei ben Körnern baS ©runbpathoS, fofange fie ihren 3bealen treu blieben, optimijiifi f gefärbt, ©rjl mit bem Kiebergang ber Keligion unb Bürgertugenb, mit bem Berfumpfen alles höheren StrebenS im gemeinen Sinnen* raufd) uttb GgoiSmuS, befällt ber ffatjenjammer beS SßeffimiSntuS bie taumelnbe, alternbe Koma unb maiht fie fied) unb tobtfranf.

!Ca tritt 3efu§ GhriftuS auf. 2Bie fein Knberer fühlte rt baS moralifthe unb phhfifie Slenb beS Blenfien. Unb bodj wäre es bie reinfte Blasphemie unb bie craffefte Unwahrheit, ihn in bie Kategorie ber ipeffimiflen ju fleden. £>atte ja fein ganjcS Oafein nur ben 3wed, bie flaffenben SBunben ber Blenf<hhf>t ju heilen, beit großen Kiff jmifchen Grbe unb J^immel ju Überbrüden, baS berlorene ißarabieS wieber §u gewinnen, ben Sdmterj unb bie SEragif beS SebenS ju oerflären, baS Seiben ju berfüßen, bie S)iffouanjen ju löfen, furj burd) bie ©rlöfutig bem IßeffimiSmuS ben Boben unter ben Süßen megjujichen. Blit ber SfepfiS, ber Berjweifelung unb ber nadten Selbftfucht hatte bie alte Bklt gefchloffen; mit bem ©lauben, ber Hoffnung unb ber Siebe begann in GljrifluS bie neue. Unb biefer ©runbjug ber Berföhnung mit bem Seben unb bem Üobe beherrfdite bie ganje <hrijHi<he Kera. @S ift burdjauS falfth, wenn Blanche hmt* jutag baS Btittelalter mit feinem Blönd)Smefen unb befonberS bie chrißlichen ^eiligen peffimiftifch anftreichen wollen. So wenig wie ©hriftuS waren bie ^eiligen SBelthaffer, fic waren bielmehr bie größten unb wahrften greunbe ber Sfflelt, inbem fie jum 2Bof)le ber Blenfchheit bie fd)Werjien Opfer brauten. Buch bereiteten fie feines» wegS bie Schönheit ber Katur, fonbern berfefjrtcn mit ihr in trau«

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Ueber btn $<|ftmUmui>.

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teftem Umgänge. Unübertrefftid) fjat bie§ ®örre§ Born $1. Sranj Bon Sffifi gefd)ilbert: „©o roanbelte ber fromme Stann in ber 9tatui= weit unb mo fein fjuß (jintrat, toor augenblidlidj ber alte §(ud) Bon ber ©rbe roeggenommen. 3n bem Stimmer, ber iljn fetbft umgab,

Berflärte fid^ ber bunffe gited, mie bie trübe Sßolfe im Storgenrotfj ; Bertraulid) umfpielteit iljn bie Spiere, unb bie Sfumen faljen ju i()m mit liebenben 'äugen hinauf, felbji bie ©lernente crfjoben fdjlaftrunten bie ^äupter aus ifjrer bunffen Traumwelt unb blinjten Benounbert in ben ungewohnten ©lanj, ber fie ertoecft patte, ©ebunben Bon ber höljeren magifcpeit ©ottcSfraft, bie Bon itjm auSjtrömte, traten alle millig fein ©cpeip, unb erft »nenn er oorübergegangen unb ber legte Strahl Berglommen mar, behauptete bie Serroünfchung iprc alten Stellte mieber; ba§ ißarabieS Berfanf, baS Seben Berbarg fidj aufs Scue hinter ber garten 9tinbc, unb ber mit bem glammen[<hroert abroehrenbe ©fjerub trat Bon feuern in bie Pforte. " *)

©o lange baS cpriftlicpe Semufetfein lebenbig puifirte, mar ber 5ßeffimi§mu§ tobt; mit bem äbfierben jenes ftanb biefer aus bem ©rabe auf. ipume, Soltaire, ‘Diberot, b’ärgenS fmb (eben* bige Seifpiele. äudj bei ©oet^e, menn er audj ben 'Sämon mit oder ffraft ju bannen fucpt, übermicgt bie peffimijtifdje ©timmung unb merfmürbig ift fein ©ejlänbnifs bei ©dermann, bajj er in feinen 75 3a(jten feine Bier SBotheit eigentlicpen SehagenS Berlebt ^abe. ©(hillcr’S ibeater “irieb bagegen ergebt i(jn immer mieber mie ein lichter ©eniuS über bie fiernentofe Üiacpt ber £>offnung3lofigfeit.

änberS bei Spron! ©in jmeiter (ßrometheuS jcrfleifcpt ihm ofjne Unterlag ber ©eier beS 2Be(tfdimerjeS bie arme ©ruft. %cx große OOMrfprer ber ©oefte pafcpt beftänbig nach ben golbenen IHepfeln beS ©lüdeS unb immer entroei^en fie feinen £>ünben. ©in ftür* mifdjeS SDfeer, auf beffen ©runb Ungeheuer unb foftbare perlen jug(eid) ruhen ein madenber, fochenber Sudan ein jerriffeneS, b(utenbe§ $erj irrt ber (Bieter friebe* unb freubeleer burcpS Seben, baS jammerüode 5Bafein Berroünfchenb :

Cotlnt o’er the joys tliine hours And know , whatever thou hast

have seen, been,

Count o’erthydaysfromanguish free, Tis something better not to be. *)

’) ©örreä, Ser bl- Sronj ». ein Sroubabour. S. 28.

’) Sie Öreuben jfiple beinev Stunben,

Sie Sage jS^le, frei öon ^Jein Unb n»iffe, »aä $u auib gefunben,

ift bocb befier, nicf)t ju fein.

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Dr. ßngctbert ßorenj giji^et.

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Doch ben 9lbenb feine» unglüdlidfen SebeitS berflürte ber purpurene ©djimmer ber SJerföljnung. 9ti<St bloß raffte er fid; auf jur Selben* mütfjigen ^Befreiung ©ried)enlanbS au<$ bie Siebe ermatte wiebet für $rau unb Äinb unb wa§ nod) mel)r ift bet erflorbene ©laubc unb bie Hoffnung. ©enige Dage Oor feinem Snbe fprad) er mit feinem greunbe ^ßarrt) mit großer 9tul)e über ben Dob unb fügte bei: „9tidjt mein, fonbern ©otteS ©ifle gefthelje!“ „DaS ewige Sehen", feßte er Sinju, „ber ©ebanfe ber luferfteljung ift große ©onne. Ueber ben Ißunft, ©ott fei gebanft, ift mit wolfl unb teid)t: ßliemanb als ©ott fann biefe großen ©eljeimniffe löfen: auf ibn ftefle i<S meine 3nberfid)t.“ r)

^einrid) £eine fiirbt nicht fo. Der große ©eltriß, ber nach eigenem ©eftänbniß mitten burd) fein $erj ging, heilt* in ihm nie jufammen. Dem entfpredjenb fpiegdte ft <h in feinem oerjerrten 3n* nern bie ©eit audj nur als 3errbilb:

34 ft^aur but4 bi« fteinern i)ar*frt 8tinb«n

$«r ÜJ}enf4«nl>äuftr unb btr 3J!«nf4cn: S«rjen,

Unb {4a“’ in bcibtn ßug unb trug unb Stenb.

Hub j}roljcnbilber nur unb fi«4« @4utt«n

©«&' id) auf bicjer ßrbf, unb i4 toeife ni4t,

3ft ft« «in totlbauä ober Rranftn* baut.

©ar fein jwar reid) angelegtes Scbeit boll §oljn, berjog fidj nod) fein fterbenber ©unb jur ©rimaffe: »Dieu nie pardonnera, c’est son metier.c flud) Seoparbi’S unbSenau’S £mrfe ifl peffimiftif<S gejtimmt. Seßterem gleißt bas Sebcn jerftiebenben 5Rau<$* wolfen, bie ber große Unbefannte aus ber pfeife beS ©enfdjenfd)äbelo blöft tmb fie bann megmirft, glcicSbiel ob er ©lüd ober Uttglüd in bie Suft geblafen.

9lnber§ als bie ißoefie urteilte jebod) bie ^ß^ilofop^ie am 6nbe beS oorigen unb im erften Drittel biefeS 3a^r^unbert3 über ben ©ertS ber ©eit unb bc5 SebenS. ipulbigten Seibnij unb feine ©tfjiinger einem auSgcfprodjenen Optimismus, fo waren Jtajtt, 0fid)te, ©(Selling, £>egel minbeftenS feine ^Jefflmiften. 3war finben fuß aud) in ihren ©driften einzelne büftere Üleußerungen,*) aber

■) Sbriau, ßorb SJijron« SIBerfe. I. If). ®- 308.

’) Sgl. bi« lKucfl« S4«ift 6. b. ^artmann’8: Sur ®«f4>4i« unb 35e* grünbung beS ißtffimiSmuä, 1880. @. 1 ff., bi« im golgtnben ni4t m«br be< rUdft4tigt »«eben tonnt«.

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lieb« ben ^JeiftmiänmS.

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?

in ipret ©efammtanfcpauung fudpen fie bie Diffonanjen ju löfen. Unb bocp enthält Hegel’S optimipifcper Pantheismus ben frudjtbaren Äeim be§ ißefpmiSmuS. 3a, jebeS pantpeipifdje ©pffem mup fd^licfe» Iicp bapin filmten. Denn ift bie 2Mt nichts anbreS als bie rupelofe ©elbpentmidlung unb ©eibpgebärung beS Slbfoluten ober be§ 9?atur= geiffeS, ber ftd^ in unwilligen 3nbibibuen ju bermirllidjen fud)t, aber in feinem pcp boüffänbig finbet unb beSpalb biefelben als berpfufepte ©ebilbe roie ber jornige Dßpfer roieber jerfcplögt unb megmirft: fo fann eS bei biefer unerquidlicpen Arbeit roeber bem fdjaffenbcn Diatur* geijl noch ben ©efr^öpfen mopl ju 2J?utp fein. 3*nem nicpt, weil er in feinem ewigen ©ocpcnbeite eine ©affe ©ipgeburien ju Dage bringt unb in intern ßlenb fein eigenes ©elbft empfinbet , biefen nicpt, weil fie nadj lurjem fcpmerjenreicpen Dafein !aum ge« boren mieber jertriimmert roerben unb be^palb wopl beffer baran ge* mefen mären, gar nicpt jur ©eit gefommen ju fein. Der „®ott" beS fflantpeiSmuS pplägt fiep fonacp burdj bie ©ellfcpöpfung felbft ans ffreuj, gleidjcnb bem ©olocp, ber feine eigenen Rinber frißt. Die ©eltgefcpidjte ift, mit pantpeipifcpem 9luge betrautet, (Sin langer Gparfreitag, bon bem man nidjt weiß, ob unb mann ifjm ein Offermorgen folgt.

©dpopenhauer’S negatibeS 33erbienp iff eS, biefe lepte (Son* fequenj gejogen ju haben. ©it beiben §üpen auf pant^eifiifd^em SSoben fte^enb, ift auch ihm bie 2öelt mit ihren japllofen CEinjelmefen eine notpmenbige (^Entfaltung be§ 5lbfoIuten. 9lber er fajjt biefeS Slbfolute nicht mie Hegel als bie pcp entroidelnbe 3bee, fonbern als „blinben ©illen", beffen Objectibation bie ©eit iff. Slinb, unbewußt, ja bumm muß nad) ©djopenpauer ber fdjaffenbe 2QiUe beSljalb gewefen fein, weil bie bon ihm perborgebradjte ©eit „bie fcplecptefte unter ben möglichen iP; fie ift nur fo eingerichtet, mie pe fein mußte, um mit genauer 9?olp beffepen ju lönnen; wäre fie aber nocp ein wenig fcplecpter, fo fönnte pe fcpon nicht mepr be= fiepen." *) 3<i bie ©eit ift bie Hölle unb ba§ erbärmlicpfte ©efcpöpf barin ber ©enfdj. Denn „baS Seben, mit feinen pünblicpen, täg= liehen, wöchentlichen unb jährlichen, Meinen, gröpern unb großen ©iber* märtigfeiten , mit feinen getäufepten Hoffnungen unb feinen alle Se* reepnung bereitelnben Unfällen, trägt fo beutlicp baS ©epräge bon etwas, baS uns bevleibet werben fod, bap eS fcpwer ju begreifen iff.

*) ®ie ©eit alb aDBiCte unb ®orfteflun(j. 3. Stuft. II. 3J. ®. 667.

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Dr. (Sngelbert 8orenj 3U<her.

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roie man bie« hfll berfennen lönnen unb fid) überrebcn (offen, fei ba, um bantbar genoffen 311 nierben, unb ber SKenfd), um g(üdlid> ju fein, ©ttüt boc^ bielmefjr jene fortmährenbe $äuf<hung unb ßnt» täufdjung, roie auch bie burchgängige SJefchaffenheit be« 2eben§ fic^ bar, al« barauf abgefehen unb berechnet, bie Ueberjeugung ju er» roerfen, bafj gar nicht» unfereS Streben«, Treibens unb Singen« roerth fei, bajs alle ©üter nichtig feien, bie 2Belt an allen Snbert bantrott unb ba« 2 e b e n ein © e f dj ä f t , ba« nichtbie fl offen bedt; auf baß unfer SEßide fidi baoon abmenbe.“1) „®a3 2ebrn jebe« Sinzeinen ift, roenn man im ©anjen unb 9111* gemeinen überfielt unb nur bie bebeutfamften 3üg« ^erauS^ebt, eigentlich immer ein Srauerfpiel ; ober im Sinzeinen burchgegangen, hat ben Sharatter be» 2uftfpiel«. ^enn ba« Treiben unb bie ffBlage be« Stage«, bie raftlofe Sederei be« 9lugenblid«, ba« Söünfcheit unb 5i>rchtf>i ber ffloche, bie Unfälle jeber ©tuube, mittelft be« ftet« auf ©d)abernad bebauten 3ufaö3, fiub lauter flomöbienfeenen. 'Jlber bie nie erfüllten 2Bünfd)f, ba« bereiteltc ©heben, bie bom ©chidfal unbarmherzig zertretenen Hoffnungen, bie unzähligen Srrthttmer be« ganzen 2ebcn§, mit bem fteigenben 2eibett unb 2obe am Schluffe, geben immer ein Srauerfpiel. So muß, als ob ba« ©chidfal 311m Jammer unfere« $)afcin« noch ben Spott fügen gemoüt, unfer 2eben alle Söehen be« 2raucrfpie(« enthalten, unb mir babei bo<h nicht einmal bie SBürbe tragifcher '^erfonen behaupten fönnen, fonbern im breiten SBetail be« 2eben« unumgänglich läppifche 2nftfpielcharattere fein."*) „Unfer 3uftanb ift alfo ein fo elenber, bafj gänzliche? 9tid)t* fein ihm entfdfieben oorzuziehen märe."

®ie ©chlußfofgerung ift baher, ben Sßillen zum fEsafeiu 311 ber* neinen, aufzuheben, unb ba« einfachfte fDJittel ^ieju märe offenbar ber ©elbftmorb. 9lber bazu hatte ©chopenhauer boch feine 2uft, erber*

’) «. a. O. II. S. 655.

’) I. S- 380. Sicherlich malt grau in @vau bas 33ilb beS 2ebe»3 3 0 h- Schert: ,®ic fogen. 9Rcnf<bengcfd)id)t« ift roeber ein Srauerfpiel noch ei» Cuft« fpiel, fonbern bielmehr ein murftljafteS (Semcngfet, ein grellbunter fWijchmafeh, ein mehr ober weniger appetitlicher Schmarren, ein ShafeipeatifcheS Stücf, aUtoo, mährenb ein 9)tacbeth hinter ben Souliffen morbet, ein befoffener 'Pförtner auf ber Sühne hafelirt, ober bem erhabenen SBahnfinn eines fiear jur Seite ber Starr bie Senlenjen gemcinplntjiger SlBeisheit feil hat ober in bie SluSftrbmungen bon

3ulia’S SiebeSanbacht eine ffi bon ?Imme ihre Sotten hineinreiht, flurjum

bie fogen. SBeltgef Richte ift entichieben eine IragifomSbie.* SOtenfchl. ®ragi* tomöbie, 1874. I. ®orr. $g(. 3oh- §ubcr, ^SefftmiSmuS. S. 83.

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lieber ben ^efflmÜrnuS.

4S

pönt bfnfclbcit. 2Bofjt feljnt fid} ißm gemäß ber SDeife nach bem lobe unb hegt nid)t bie geringjte ffurd)t bor bemfelben, benn er ift ber Srlöfer; allein ©djopenljauer feßeint bod^ einige „VJoreS" baoor gehabt ju hoben. Denn entftanb in ber IRadjt, erjäfylt fein Biograph, Särm, fo fuhr er bont Sette auf unb griff nad) legen unb ißifiolen, bie er beftänbig gelaben Jjatte. Vic beriraute er fiel) bem ©djeer« meffer eine» VarbierS an. lie ©pißen unb Äöpfe feiner labalS» pfeifen naßm er nach jebeSmaligem ©ebraudje unter Verfcßtuß. lie i5urd,t bor ber Gpolera trieb ißn aus Berlin nach fjfranffurt am Vlain, ba§ er für „cßolcrafcft" hielt. 91(}o bie ©ehnfueßt nad) bem lobe fd^eint bei ißm nid)t fo ftarf getbefeu ju fein. Uber aud) fonft bat ber ^b<l°fo^ bon Sranlfurt bie »Verneinung beS 2BiHenS jurn Seben" nießt arg getrieben, lenu feine Säkrtßfacßen hielt er bergeflott ber» ftedt, baß troft ber tnteinifdjen Slnmeifung, bie fein leftament baju gab, SinjelneS nur mit VHiße ju finben mar. Um fid) bor lieben ju feßüßen, mäblte er täufißenbe 9tuffcßriften unb bermnhftc feine 2Berth= papiere, in benen er troß ^p^itofob^ie unb SBeltberacßtung eifrig fpefu* lirte, als Arcana uiedica, bie 3in5abfcßnitte befonberä in alten Briefen unb fRotentjeften, uub fein ©olb unter bem lintenfaß im ©djreib* pulte *) eine Sfluftration ju ber bon t^m geprebigten „VSlefe, b. i. bie borfäßlicße Srecßung be§ SEBiflenS bureß Verfügung beS 9tn» genehmen unb Utiffut^en beS Unangenehmen, bie felbjtgeroäbtte büßenbe SebenSart unb ©elbfllafteiung , jur anßaltenbfn Vtortification be§ SEBiflenS.“*)

Sin 3beal für biefe ©elbftlreujigung beS SBiflenS finb jene inbifeßen ^eiligen, bie immer ruhig bofiPien uub unbermanbten Süds contemplatib auf ihren Dtabel ober ihre fflafenfpiße flauen unb un» abläffig Dm, Om murmeln. Slber ein noiß beffereS Vtittel ijt nach ©cßopenßaucr ba§ freiroillige Verhungern.3) locß au<h biefe Sur überließ er mohtroeiSlich Slnbcrn, mährenb er ftc^’& felbft bortrefflid) fcßmecten ließ, ^ßroftifc^ hielt er baßer für ba§ gefcßeibtefle, fid) au§ biefer bureß unb bureß jerlumpten, berteufelten SBelt, bie leinen ©cßuß ^ßutoer mertß ijt, fo biel als möglich ju retiriren unb bon feiner einfameu Soge aus burd) ben Dpernguder ber Vhilofophic mit mitleibigem Cäd^etn unb fouberäner Verachtung

’) 3#njfen, 3**1* unb SebenSbilber. 51ufl. 8. ®. 231. SScrßl. ©minner, Sibopenfjoucv'a Sehen. Stuft. 2.

*) St. a. C. 1. 163.

') öhenfi. I. 474.

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Dr. (Sngclbtrt fionnj Sij^er.

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bie gafdjingSnarren bon $)!enf<ben „auf ben Brettern, welche bie SEöelt borftetten*, aequo animo ju betrauten bis ba§ immer fdjwäc&er werbenbe 2i<btlein bc3 2eben§ ganj ertifdjt unb er eingebt in baS reine „unberftaufutirte Hiebt«. "

Huf ben ©(buttern ©djopenbauer’ä jtebt @b. b. £>artmann, ber befannte ©bo^füb^er ber blutigen tpbitofopb'e beS SJetlf^merjeS. (Sr gab bem tpefjimiämuS eine inbuctibe Unterlage, eine meitere (Snt= Widlung unb in man<ben ©tiidten eine beachtenswerte Uutbitbung. 9ta<b Hartmann ift baS tßrincip ber Uöelt baS „9tH«(5inige Un- bewußte." DiefeS enbält jwei burcbauS bon einanber berfäiebene Vermögen : bie unbetoujjte Borftettung unb ben btinben SSBiDen. (Srfiere ijt berniinftig, te^terer bie Unbernunft fetbjt, „baS Diimmfte, was man ftdb nur beulen lann." (Srftere enthält, junädbft in fomnarn« bülem 3uftanb, bie 3been ober bie ffformen für bie julünftigen Dinge; teuerer ifl leerer, blinber Strang jum 2eben. Urfprünglid) waren beibe tßermögen in bem Hfl-(Sinen nur in ber $otenj; aber eines fd)önen DagcS erhob fub ber potenjielle SffliKe juin wirlliiben SEBoüen unb infolge feiner unenblicben 2eere unb Oebe fcbmatbtete er na<b Gr* fütlung. Daburcb erwedte er bie bisher ebenfalls latente, fdjlaftrunlcue SBernunft jur wirfticben, aber nod) immer unbewußten SSorftettung unb benujjte fie ju feiner Befriebigung. Behufs biefer ©etbflbefrie* bigung fcbafft ber blinbe 2BiHe an ber tpanb ber Borftettung bie 2BeIt. Sener fe^t ba§ „Saß" ober bie Gjrijtenj, biefe baS „SBaS" ober baS SDefen ber Dinge. Hber inbem ber unvernünftige SBitle in feinem nimmerfatten Drange fitb in jabltofen Snbibibuen berwirftidjt, erreicht er baS gerabe ©egenthfil oon bem, wa§ er erftrebt. Btit Heißhunger fud)t er nämtiih burib bie ©tböpfung nach Erfüllung unb ©lüdfelig- leit, erlangt aber in Söahrheit namentofen ©djmerj unb (Stenb. Denn bie SBett ifl, fo jmedmäfjig fie auch burdj bie bei ihrer Herbor* bringung mitmirfenbe unbewußte Bernunft eingerichtet ijt, bo<b beim regten 2iebt betrachtet eine Heimat unfäglicber Uebet, inbem bie Un* tuft, baS Seiben in ihr weit bie 2uft überwiegt. tffiohl fte^i baS ber blinbe, unbernünftige Stöifle nicht ein, benn biefer ftrebt in feiner Dummheit nur immer in§ Blaue hinein, jebo<b fühlt unb erfennt eS bie im 2aufe beS SßeltproceffeS allmählich ftufenweife jum Scwußtfein fommenbe Vernunft, bie im Blenfcben fitb iur 3nteHigen§ erhebt. 3nbem nun biefe baS Glenb be« DafeinS unb bie Unfetigfeit beS SBoüenS immer mehr erlcmit unb „bahinter fommt, baß HlIcS nichts ijt", reißt fie ficb nach unb nach öom SOßiden los, bem fie bisher un«

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Heb« ben $tfümi$muS.

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bemugt gebient hatte, unb menbci ifjre SBaffen gegen ihn. „63 läßt jtd) ein tief eingreif enber Antagonismus jmifdjen bem nach abfoluter ©efriebigung unb ©lüdjeligfeit jlrebenben ©Men unb ber burd) ba§ ©ewufstfein bom 2riebe mehr unb mehr ficb eman* cipirenben Sntetligenj nicht berlennen ; je höh« unb botlfommener baS ©ewujjtfein im ©erlaufe beS SBeltprocejJeS ficb entwidelt, beflo mehr emancipirt eS ficb bon ber blinben ©afaHenherrfdjaft, mit welcher eS anfänglich bem unberniinftigen SBiflcn folgte, beflo mehr burch* fcbaut eS bie jur ©emäntelung biefer Unbernunft bom Triebe in ihm erwedten Jllufionen, befto mehr nimmt c8 gegenüber bem nach pofitibem ©lüd ringenben ©Billen eine feinbfelige Stellung ein, in welcher e3 ihn im hißorifcben ©erlauf Stritt für Schritt belämpft, bie ©Bälle ber ^llujtonen, hinter beiten er ficb öerfdjanjt, einen nach bem anbern burchbricht, unb nicht eher feine lebte Confequenj ge* jogen haben wirb, bis eS ihn böllig ber nicht et ^at, inbem nach 3erftöruug jeber ^tlufron nur bie 6rlenntnig übrig bleibt, bag jebeS ©Boden jur Unfeligleit unb nur bie Entfagung ju bem beftcn erreichbaren guftanb, ber Sdjmernlofigfeit führt."1) 63 ifi alfo bie ©eftimmung ber burcb bie fortfcbreitenbe ©Biffenfibaft immer heller aufteucbtenben ffiernunft, ba fie ben Rammet beä $afeiu§ unb bie SHufion alles StrebenS nach ©lüdfeligleit mehr unb mehr jum ©ewugtfein bringt, ben thörichten SBiflen §um Sehen ju überwinben unb ihn Bin3 Nichts jurüdjufchleubern*.

Soweit flimmt tjpartmann in ben ©runbjügen mit Schopen- hauer überein. Aber nun Jommt ber borjüglichfie Unterfchieb jwifchen beiben. ©Bäbtenb Schopenhauer meint, bie ©ernichtung beS ©BidenS lönne unb fotle ber 6injelne burcb Slsfefe, b. i. burch möglicbfte 3«* rüdjiebuitg bon ber ©Bett unb bem Sehen bewerffiedigen, ^äft baS §>artmann für „tböricbt unb nujjloS, ja noch thörichter als Selbft» morb, weil es langfamer unb qualboller hoch nur baSfelbe erreicht; benn wenn auch baS einjelne ^nbibibuum untergeht, fährt ber ©Id* 6inige ©Bide nad) wie bor mit ungefdjmächten Kräften, mit unber* minberter Unenblichfeit utib Unerfättlicbteit beS SebenSbrangeS fort, baS Sehen ju paden, wo er baSfelbe finben unb paden tanit ; benn 6t* fahrungen machen unb burch Erfahrungen Ufiger werben, fann et ja nicht, unb einen quantitatiben Abbruch an feinem ©ßefen ober feiner Subftanj !ann er burch 3urücfä>rhtn einer bloS einfeitigen SetbätigungS*

’) ^hUofophie bf* Un&enmbltn 1878. 8b. II. ®. 394.

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4t» Dr. gngttbert fiorenj S i f e r. 14

ricbtung cr(l red^t nid)t etleiben . . . SBaS l)ütfe eS j. SB., toenn bie ganje SDtenfcbbeit burd) gefdjledjUidbc ßntfjdtfamfeit aßmäblicb auS* jtürbe, bie SBelt als folc^e bepänbe ja bod) roeiter unb befänbe fidj in feinet mefentlid) anbetn 2age als unmittelbar oor bet 6ntftebung beS erjten SDtenfdjen auf 6rben; ja fogat baS Unberoußte mürbe bie näd^fte ©elegenfjeit benagen miiffeit, einen neuen 'Wettfdjen ober einen öbnlidicn SlppuS Ju fd>offen< unb ber gaitje 3ammer ginge bon borne an." ‘)

$SeSbalb pojtulirt £artmann flatt ber inbibibuellen SBiflenS* aufbebung ©(bopenbauer’S, bie ja botb nidjt jum 3>fk führe, eine uniberfale SBißenSberneinung. $)aju aber (ei jeßt bie SDtenfcbbeit nod) nid)t reif. Vorläufig müjfe beSßalb ber 6injelne feine ganje Sßerfßnlidjftit an ben SBeltproceß um feines 3'f^» ber allgemeinen SBclterlöfung mißen, Ijingeben, tnüffe unnerbroffen im ©d)roeiße feines 9tngefid)t8 ben SBeltfarren roeitcrfd)ieben bis baS Semnßtfein ber Sülenfdjfjeit bon ber Stßorbeit beS SBoüenS unb bent 6lenb alles SSafeinS fo burd)brungen ift, baß biefelbe eine liefe ©eljnfudjt nadj bem ^rieben unb ber ©djmerjlofigfeit beS SRidjt* feinS erfaßt fjabe.1) $ann erfl ifl bie glüdlidie 6rlöfungSftunbe ge* fommen, mo bie greife ’Dlenfdibeit efroa auf einem großen Goitgreß ben gleidijeitigen gemeinfamen SBajoritittSbefdjluß faßt, einen allgemeinen SB eit ft rite ju machen, b. b- gänjlid) ben ifkoceß ber jämmerlichen 2ebenSarbeit einjufleßen, fidj unb baS 91Ü mit einem ©djlag ju ber* nic&ten unb ins SRirmana jurüdjufinfen. $)aS alfo ift baS große 3iel ber SBelt* unb SDlenfdjbeitSgefcbidjte : Untergang unb 6rlöfung im SRidjtS!

SRadjbem mir nun ben SßeffimiSmuS in feinem gefd)icbtlid)en ©erlauf mit einem Ueberbfid bis ju feiner ©piße berfolgt habe»/ brängt fi<b bie grage nach feinem SBaljrljeitSgeijalte QUj $ebuf3 Söfung ber* felben merben mir uns im fjfofgcnbeu an feinen gegenmärtigen bor* jüglicßflen Settreter, 6b. b. ^artmann bdten, ber ja, roie bemerft, im SBejentlidjen mit ©diopenbauer übercinftimmt unb no<b bon ftinem SSnberu überholt mürbe. SBaS für ©rünbe bat alfo bie sppilo* fopßie beS SBeltfibmerjeS für ftdj? Unb ftnb biefelben fticßbaltig?

*) 7t. a. 0. II. ©. 399.

*) «fcenb. II. @. 402. 406.

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lieber ben ^ejfimlsniuä.

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II. Sturtfjcilung.

£>artmann unb ßonforten bcurtljeilen ben SBerth beS 2eben« unb bcr Söelt nur Dom cubämonologifchen ©efichtspuufte auS unb woden auf ©runb brr (Erfahrung beroeifen, baß bei ben empfinbenben SBefen bie (Summe ber Unlujl größer fei als bie ber 2uft, unb beS* halb baS Safein unb bie SDÖelt nichts roerth fei. 3raar fucfjt* Schopen* datier bicfen Sa& auch logifdj, nämlich au§ bem Scgriff ber 2uji unb Unluft objuieiten, inbem er behauptet, bie 2uft fei überhaupt nichts SReale«, nichts ißofitibeS, fonbern nur bie Aufhebung ober Ser* minberung beS SchuterjeS; bloS bie Uniuft fei real. Sagegen hat fid) aber £>artinanu unb jiuar mit SRecht erhoben mit bem §inroei3 auf bie ©enüffe beS SBohlgefchmacfeS, ber flunjl unb Söiffenfchaft, toeldje boch offenbar ohne Dorljerigen Schmerj entftünben unb fich über ben ÜJuflpunft ber (Empfinbung erhöben, toährenb 3. §. 0. ffirdj* mann barauf hinbeutet, ba& überhaupt ein rein dtegatibeS gar nicht ejiftire unb boch bie 2ujl in ber (Smpfinbung roirflicp fei. (SS giebt alfo pofitibe 2uftempfinbungen. 9fad)bem fomit ber bebucti be 93e* loeiS Schopenhauer’«: baß baS Quantum ber Unluft in ber 2Belt baS ber 2uft iiberiuiege, unhaltbar ijt, bleibt nichts SlnbereS übrig, als benfelben inbuctiö ober auf erfahrungSmäftigem SQJege ^u liefern, unb baS hat fich £artmann jur Aufgabe gefleflt.

9lber wie? ifi baS möglich? Sie (Empftnbung ijt ba§ Subjedibfte unb glüchtigjte in ber Seit wie fann man biefelbe in Millionen non SBefen objectio fajfen, ejad meffen unb fummiren? Äann ber (Sinjelne in ben Sufen bet Wenfchheit, ober gar in baS 3nnere aller 2eberaefen flauen unb über beren ®(üd ober Unglücf ein jutreffenbe? llrtheil fäden?

dticht einmal fann mau fein eigenes 2eben nach bem Waß* ftabe ber 2ujl ober Unluft mit einiger ©cnauigfeit abfc^ä^cn, noch taufeubmal weniger alfo baS oder Slnbern. Sinb ja biefe ©efüf)le nicht adein bon zahlreichen äufseren UrfadEjen, fonbern noch mehr bon ber inneren (Empfänglich! eit unb ber momentanen Stirn* m u n g be§ (Einzelnen abhängig unb beSfjalb fo loedjfelnb unb ge* mifcht, bajj, roa§ heute (Einem fjreube bereitet, morgen ihn gleichgültig läßt. „68 erfcheint beShalb beinah fomifih, wie ein einjelner Wann, fei eS felbft bcr fcharffinnigjle iph'kfoPh/ fid) aufroirft unb behauptet, bie Summe be§ SchmetjeS in ber Seit übcrtoiege bie Summe ber Sufi. (Sin folcher SluSfpruch tbid entfcheiben über bie 2uft, nicht

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Dr. gnflflbert ßorenj 5 i f e r.

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bloS in feiner 3eit unb in feiner Umgebung, fonbern auep über bie Sufi aller Btenfcpen auf ber 6tbe , aller 3?'ttn naep Vergangen* peit unb 3u^imfi' unb fclbft über bie Sujt ber 2piere bau bem ebelflen bis ju bem SEurine unb bett 3nfuforien. Sei ben oben bar* gelegten ©eproierigfeiten einer folgen Slbfcpäßung erfd^eint bicfelbe in biefer 5Äu5bepnung als eine fo offenbare Unmöglichen, baß man bielmepr fiaunen muß, roie fdjarf finnige Sitänner überhaupt baju fommen tonnten, ein folcpeS Urteil ju fällen." *)

$>ocp fepen mir ju, roie ber Spüofopp beS Unbewußten auch baS Unmöglicpe möglicp ju machen fuc^t. 93or Mein leitet er fol* genbe fünf allgemeine ©äße aus ber (Srfaprung ob.

1. „Sufi »ie ©cpmeri greifen baS Sterbenfpflem an unb bringen baburep eine Slrt Srmübiing perbor, roelcpe bei ben pöcpften ©raben ber Sufi jur iöbtlicpen (Srfcplaffung roerben fann, biefe Sterben* ermübung aber berminbert bie Sufi jebeSmal, roäprenb fie ben ©cpmerj fieigert." SCBopl ijl eS roapr, entgegnen roir, baß eine fepr fiarte Sufi bie Sterben überreif unb beSpalb abnimmt, ja fogar in ©cpmerj überfcplogen !ann. 5Hber eS ifl auep nic^t ju bergeffen, baß ein fe£>r großer ©cpmerj ebenfalls bie Sterben abjiumpft unb baburd) roeniger fühlbar, ja felbfi unempfinblicß roirb. Salfcp jeboep ifi jener ©aß bei ber mäßig fiarlen unb mäßig bauernben Sufi unb berart finb ja boep bie meifien ©enüffc. $uri^ folcpe roerben bie Sterben niept ermilbet, fonbern in i^rer gunction erpöpt, jumal roenn Slbtuecpfelung babei ifi, benn variatio delectat.

2. „$er bei roeitem größte Üpeil ber Sufi in ber SBelt fei ittbireci, b. p. burep Slufpören eines ©cpmerjeS, entjianben unb pabe beSpalb festeren jur SorauSfeßung , fo baß alfo auep bon biefem ©eficptspuntt aus fiep ein Ueberjcpuß bon Unluft in ber SEBelt ergebe.“ $5aß eS fepr biele inbirecie Sufi giebt, ifi einjuräumen; ob aber ber größte Ipeil nur folcpe ifl, erfepeint mepr als jroeifelpaft ; benn fiepet genießen bie SKenfcpen fepr biele ffreuben, bie niept auS naep* faffenben ©epmerjen, fonbern aus pofitiben ©ütern enijiepeit. $aß ferner „bie burep Mfpören ber Unlufi entflepenbe Sufi fepr biel geringer ifl als jene Unlufi", ifi ntinbefienS niept allgemein ju* ireffeub. 2Ber fiep j. 58. japrelang einer bortreffliepen ©efunbpeii erfreut, roie außerorbentlicp glüdlicp füplt ein foleper ft<P» wenn er auep nur ein furjeS Seiben überflanben pat!

') fliupmann, Berp. b. ppit. @tf. i. SBerC. 1879. S. 79.

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Utber btn «ßeffimUmuS.

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3. „Der bei weitem größere Dßeil ber SBiüenSbefriebigungen gef)t bem ©eroußtfein Derloren, roäßrenb bie flticßtbefriebigungen um Derfürjt empfunben roerben," alfo auch infofern ein 2Reßr Don Unlufl als Sufi im 2eben. freilich roenn man mit £>artmann uub Schopenhauer unter bem SBillen jeglid^en, bewußten ober unbewußten Naturtrieb Derfteßt, bann liegen Diele ©efriebigungen unter ber Schwefle beS ©eroußtfeinS, beifpielsroeife unfere organifcßen ffunctionen. desgleichen tommen aber auch Heinere Nicßtbefriebigungen, geringere Äörperflörungen unb Diele ^ladereien be§ 2ebenS gar ni<ßt ober bod) nur fcßroacß juni Seroußtfein. Saßt man aber ben SBillen, mie eS gang unb gebe ift, nur als bas be mußte «Streben, fo ift natürlich jener Saß ganj falfch- SBenn man ferner fagt, baß „mir bie ©efunb* beit unfereS ganjen Selbes n i d) t fühlen, fonbern nur bie Heine Stelle, roo uns ber Schuß brüdt," fo ift ba§ roieber ju Diel behauptet. Sühlt man auch nicht jebeS einzelne gefunbe ©lieb für fid), fo rnirft bod) ber gefammte, normal f!<h betßätigenbe Organismus einen JReflej ins ©eroußtfein, ben mir als beßagtidjeS ©emeingefüßl ober aufgelegte Stimmung empfinbeu. ©an§ befonberS aber fcßäßen mir baS hohe ©liid ber ©efunbßeit nad) einer übetfianbenen Itranfßeit ober beim Slnblid anbrer fcßroer 2eibenber. Sclbft fcßon menn man nad) burcßgemad)ten Strapajen eine Nadjt gut gefcßlafen hat , mie erquidt unb erfrifcht fühlt man beS ©torgenS feinen Körper! ©S ifl alfo nicht maßr, baß mir bie ©efunbßeit gar nie als ©ut empfinben.

4. „Die ©efriebigung ober bie Sufi ift nur Don turjer Dauer, nur menig meßr als ein auSHingenber Slugenblitf, roäßrenb bie Stießt* befriebigung folange als ber actuefle SBifle mäßet, alfo ba eS launt einen ©Joment giebt, mo nicht ein actueller SBifle Dorßanben märe, fo ju fagen eroig ift unb nur allenfalls limitirt burcß bie ©efriebigung, welche bie Hoffnung gemährt." Diefer Saß ift roieber nur jum Dßeil ridßtig. 3^ je finnlicßer unb niebriger eine 2uft ift, befto flüchtiger ifl fie; je geiftiger unb ibealer bagegen, befto bauernber. Nber auch felbfl bie finnlicße 2uft hinterläßt leicßte Spuren, angeneßme Nacßflänge in ber ßtinnerung, bie burcß bie Ntacßt ber ißßantafie bis ju einem ßoßen ©rabe Don 2ebenbigleit gefteigert roerben löitnen. ffolglicß ift aueß jene Dierte Seßauptung beS SßefflmiSmuS miitbeflenS nießt ganj roaßr. Unb roaS bie Nicßtbefriebigung eines StrebetiS ober DriebeS betrifft, fo ift fie rooßl am Nnfange feines (SrroacßenS fcßmerjlid), aber teitieSroegS immer fortbauernb unb füßlbar. Denn

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Dr. gngetbert Soren) 8rif<$er.

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ber Stieb, audj Wenn er nidjt gefHCft wirb, fdjläft aflmäfjlid) mieber ein, freilich um bei bet nächften ©elegenljeit mieber ju ermaßen.

5. „Sie Sufi muß bem ©tobe nach merflid) größer fein als eine gleichartige Unluft , wenn beibe ftd) für baS Bemußtfein fo aufraiegen foBen, baß man ihre Berbinbung bem SuBpunft ber ©mpfinbung gleich fefit." Senn, »wenn id) bie 33af)( habe, entroeber gar nichts ju hören, ober erft fünf Stinuten lang Btißtöne unb bann fünf Slinuten lang ein f^öneS Sonftüdf; roenn ich bi« 2öa^l habe, entmeber nichts ju riechen, ober erft einen ©efian! unb bann einen Söohlgeruch . . . fo toerbe id) mich auf «He tJäBe ju bem 9tid)tS* £>ören, «Siechen entfcheiben." Sud} biefeS läßt fi<h nicht afl* gemein zugeben. 3Ber ein befonbereS 3ntereffe an einem Sonftücf hat, achtet rneber £>iße noch Hätte noch fonftige Unbequemlidjfeiten be§ ©oncertfaaleS unb noch weniger borauSgeljenbe 2)2ißtöne, um jenes zu genießen. 2öaS nimmt man, roie bie tägliche ©rfaljrung Zeigt, nicht 9tfle5 in ben Häuf um einer Sufi roiBen!

Ueberblicfen mir baS Bisherige, fo finben mir noch nirgenbS einen feften Sln^aliSpunlt für bie behauptete Shotfo^e be§ Ueber* miegenS ber Unluft gegen bie Suft in ber 2ßelt. Sach biefen aB* gemeinen Betrachtungen geht Ipartmann ju ben fpecieBen Beweis* grünben fiir ben BefftmiSmuä über, inbem er bie ipauptrichtungen beS inbioibueflen SebenS ber Seflejion unterzieht. Sie ©inen fucßen nach ihm ihr ®Iüc! im SieSfeitS unb jroar auf ber jeßigen ©nt* midlungSftufe ber SBett I. ©tabium; bie Snbern fuchen eS im 3enfeitS II. ©tabium; unb enbtid) roieber Snbere in ber 3utunft burdj ben fffortfdiritt ber ©ultur. Sber aBe brci feien ©tabien ber 3Bufion.

(frfteS ©tabium ber SBuftan.

1. ©efunbheit, 3ugenb, Freiheit, auSfömmliche ©riftenj unb 3ufriebenheit, bemerft £>artmann, werben meifienS als bie höchfleu ©üter beS 2ebenS betrachtet; gleichwohl gewähren fie burchauS feine pofitioe Sufi, außer wenn fie burd) Uebergang au? ben ihnen ent* gegengefeßten Unlufizuftänben foeben erft cntftehen, fonbern fieBen nur ben Bauhorijont bar, auf bem erft bie ^u ermartenben ©enüffe beS 2eben3 errichtet werben foBen. Semnach fdjreibt £)artmann biefen ©üteru nur pribatiben ßljarafter zu* aber mit ber ©infdjränfung : „außer wenn fie bur<h Uebergang auS ben ihnen entgegengefeßten *) «. a. D. IL ©. 655.

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liebet ben ^tffimiSmuä.

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Unlufhujtänben Soeben erft entfteßen.* Srofglicß gemäßren fie bocß aucß oft pofitibe 2uft. ln bet ©efunbßeit ßaben wir eS bereits oben gefeßen. 9lber aud) bei ber 3«genb ift es bet Saß. 2Jtan benfe nur an fpielenbe ffnaben unb tanjenbe TOäbcßen ! 9ticßt ift eS fo fafi baS Spiel unb ber 2anj , ba§ ißnen bie unbänbige 2ufi erjeugt, als bielmeßr bie jugenblidße flraft, bie fiep babureß auStobt. Slud) bie 5 r ei ß eit bereitet uns oft mehr als bloS negatibe 2uft. ißräißtig feßilbert ja Wart mann bon fi<ß felbft bei einer anbern ©elegenßeit biefeS ^o^gefüfjl, wo er bon feinem Abgang bom ©pmnafium fpricßt : „?IIS i<ß mit meinem 3euP'6 in ber 2!af<ße na<ß ^)aufe ging, feierte icß biefleidßt bie glüdlidßfie Stunbe meines 2ebenS; war mir fo unenblid) leidet unb frei ju üJlutße, baß icß bem immer unerträglicher empfunbenen Scßuljroang nun entronnen mar. SEöie oft ift nießt bie SBemertung gemaeßt, baß unfere quälenbjten träume uns in bie Situation beS befeßämten Scßullnaben jurfidfüßren ; lann es eine fdßlagenbere Sfritif be§ ScßülerbemußtfeinS geben? 5Jlir war fo moßl, als wenn icß aus einem folcßen jahrelangen marternben Traume ermatte, ober bielmeßr noeß taufenbmal moßler, benn i<ß mußte ja, baß eS eine ganj reelle SBirllicßfeit mar, bon bet id) mieß nun auf immer erlöft fafj."1) ®emnacß gemährt alfo bocß bie gfreißeit unter Umftänben einen colojfalen ©enuß.

®aß bie auSfömmlidje Qssijlenj ober baS ©efießertfein bor Uiotß unb ©ntbeßrung ben Wenfcßen nießt allein befriebigt, ift maßt ; beSßalb fueßt er baS 2eben auf irgenb eine Sßeife auSjuföKen, am geraöhnlichften bureß bie Arbeit. SEßenn aber W artmann fagt, „baß 9?iemanb arbeitet, ber nießt muß* unb baß „bie Arbeit beSßalb ein Hebel ift," fo ift eS fießer übertrieben. 3>ie Arbeit an fieß ober baS Jßätigfein ift ein ganj natürlicßeS Sebürfniß beS ÜJienfe^en unb barum innerhalb ber naturgemäßen ©retijen eine Quelle ber 2ujl, nießt bloß weil fie bie 2angemeile berfdßeucßt unb anbere ©üter als 2oßn im ©efolge ßat, fonbern au<ß inbem fie bureß bie Sedung beS SelbfigefüßlS ber eigenen ffräfte innere Sefriebigung gewährt. ©§ arbeitet baßer aus eigener 3nitiatibe feßon baS Ifinb in feinen Spielen, burd) bie eS bie 53efd)äftigungen beS 2ebenS in iDtiniatur »icbergiebt. ^reilicß ift nicht ju leugnen, baß an feßr bielen Arbeiten ber faure Scßmeiß ßängt. Dodj aud) bei jenen 91rggeplagten finbet fieß nicht feiten §umor unb Weiterleit. Qenn was maeßt nicht ÜltleS ©ewoßnßeit ifnb 9lccommobation !

’) Stubien u. Sufjäje. 1876. 6. 22.

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Dr. Gnfltlbert Soienj giftet.

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2. 3w>ei ber (iörfjlen 3:riebfebern ber Platur finb nach £art* mann ber u n g c r unb bie Siebe. Slber auch fie fotlen »eit mehr Schmctj all ©enup gewähren. „$ie meijien ber 1300 TOiflio- nen Srbbemohner haben enterbet eine (ärglidje, unbefriebigenbe 5tab* rung, ober fie leben eine 3fitlang im lleberpuß, »obon fie (einen übermiegenben ©enufj h°&en, unb mttffen eine anbere 3f>t roirllich barben «nb 9tafjrung§mange( leiben . . . Äann bie ©öllerei bon taufenb Schlemmern bie Dual eine! berfjungerten URenfchenlebenl aufmiegen?" $5ie HJlagenfrage ip in ber Spat bie brennenbfte unb hier hat ber ifkfPmilmu! ein fruchtbare! Qfelb $ur ’Kuäbeute. Som Stanbpunlt ber inbibibueKen, pnnlidjen Sup mag er auf biefem ©ebiet (Recpt haben; ober nicht, »ie ftartmann felbp gepefjt, bom ethifchen ©e= fidplpunft aul. Unter biefem bie Sache betrachtet, ip baS ÜtahtungS- bebürfniß ein hochbebeutfamer jjattor für bie Snteidlung bei Sin* jelnen »ie ber ©efammtheit.

©anj ähnlich berhält el p<h mit jener anbern mächtigen Xrieb* feber ber 'Jtatur : ber Siebe. Auf biefem Serrain feiern bie ©effi* mipen einen »ähren ^eienfabbaifj. 2>ebe Siebe ip ihnen im ©runb genommen ©cfdpechtlliebe. $>ie ©efchlechtlliebe aber fei ba! punctum saliens in ber Söelt, inbeni biefelbe, »ie Schopenhauer fagt, „bie Hälfte ber ffräffe unb ©ebanlen bei jüngern ^he*Ieö ber ©lenfchbeit fortmährenb in 9lnfpruch nimmt, bal lejjte 3W faft jebel menfchli^en SßePrebenl ip, bie ernftljaftePen ©efchäftigungen ju jeber Stunbe unter- bricht, bil»eilen felbp bie größten Äöpfe auf eine SJÖeilc in 33er* »irrung fegt, p<h nicht fdjeut, jmifdjen bie ©erhanblungen ber Staat!* männer unb bie fforfchungen ber ©elehrten pörenb mit ihrem Punber einjutreten, ihre Siebeibriefchen unb ^aarlöcfchen fogar in minifteriette prtefeuille! unb philofophijche iDtanufcripte einjufchieben berpepf, nicht minbet täglich bie oerroorrenften £>änbel anjettelt, bie raerth* boüften ©erhältnijfe auflöp, bilmeilen Seben ober ©efunbpeif, bil= »eilen tReicptpum, 'Jtang unb ©lüd ju ihrem Opfer nimmt, ja, ben fonft Keblicpcn gemijfenlol, ben bisher freuen jum ©errätper macht, bemnach im ©anjen auftritt all feinblicher 3)ämon, ber Mel ju ber* (ehren, ju berroirren unb umjumerfen bemüht ift; ba »irb mau beranlapt auljurufen: SBoju ber Särm? @1 hanbelt p<h ia blol barum, bafs jeber $an§ feine ©tefhe pnbe.“1)

516er bi! er pe pnbe im ©unb ber Spe, bauere er ber»ünfcht lange, »äprenb bal Suchen ober ba! 6r»a<hen bei ©efchlechtltriebel fchon ’’) $i7~aBtit o. sb. u. ». n. s. eos.

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lieber ben SPcfftmiSmuS.

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fo frühe beginne. Unb nod) boju werbe legerer heutzutage immer eher unb mehr gewedt burdj bie moberne ©itte ober Uitfitle. ^ämifdj weifen bie tßeffimifien h’n auf bie Später unb Söffe unb ben erftaunlichen SStangel an öffentlicher ©chamhaftigteit in ©ort unb SSilb, wie er fi<h an affen ©chaufenftern, ©fraßen, SJJärften unb £unjtauSfteffungen breit macfit unb gerabeju jum fafbionabten #abitu§ unferer auf ber $öhe bet 3e*t fte^en moffenben ©täbte gehöre. $a= burch werbe bie ftnntidEje ©luth immer fiärfer angefacht, währenb auf ber anbem ©eite mit ber fortfcfireitenben (Sulfur bie 3{'t ber Ser« heirathung ber S)tänner immer höh« hinaufrüde. S5ie folgen biefeS SDtißDerhäliniffeS lägen auf ber lj)anb.

£ier hot ber 'fkffimiSmuS unfireitig Stecht. Stber nicht bie Statur ift fchulb baran, fonbern bie ffriDolität unferer 3eit. ©ehr wahr bemerft baju G. ^fleiberer: „©enn eine tfabrit fiinlenbe ober vergiftete ©affet ins ffreie liehe, wenn bie armen lobten baS ©runb» maffer unb bie Suft inficiren, welch’ ein ^affofj gegen biefe gemeinfdjäb* liehen Ginflüffe auf bo§ ©ichtigfte, wo nicht gar mobetn gerebet Jjpeiligfle, wa§ ber SJtenfch hat, feinen fieib unb feine ©efunbljeit! ©enn aber moralifdje ©chlammfiröme in ©ort unb Silb fich breit burch bie ©traßen unb ba§ ißublilum ergießen, fo ift bagegen nichts ju fagen noch ju machen ; benn lönnte fid) ja babei nur um bie fogenannte ©eele hanbeln unb um ©üter, bie ein ©acrilegium ober einen Gingriff in« Slfferheiligfte ber mobernen ©eit, in bie abfolute greifjeit nicht lohnen.*1)

ferner weifen bie tpeffimijten h'u auf bie Dielen gebrochenen SiebeSfdjwiire, bie bitter enttäufdjten .$erjen unb bie geringe ^ßrocent- jahl Don SiebeSberljältniffen, bie wirtlich in ben £>afen ber Ghe ein» liefen. Son biefem geringen 2heile aber erreichten wieber nur fehr

wenige eine glüdlidje Gfje. Sluch ba fei lffe§ ^ffufion. „$er Siebenbe hotte gewähnt burch ben Sefiß (ber ©eliebten) gleichfam Don ber Grbe in ben fiimmel berfeßt ju werben, unb er finbet, baß er in feinem neuen 3ußanb ber Sllte unb bie ^piadereien be« Sage« bicfelben geblieben finb; er hatte gewähnt, an ber ©eliebten einen Gngel ju erwerben, unb finbet nun, wo ber Strieb fein Urtljeil nicht mehr wie früher entflefft, einen SDtenfdjen mit affen menfchtiihen tjfehlern unb Schwächen . . . flurj er finbet, baß Stiles beim älten ift, baß er aber in feinen Grwartungen ein großer Starr war. Seffing habe nicht fo Unrecht, wenn er fagt :

*) 35e«tj(fie 3eit' unb Streitfragen. $eft 54 unb 55. 1875. S. 37.

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Dr. Sngelberl fioren} f$if<$et.

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„Sin eittjig 66je8 SBeib ßibt’S bSdiftenS in bet SBelt,

Stur [$abe, bofe ein jebet eS fUr bnä feine

Deshalb feien oerftänbige Ceute gewöhnlich gan§ Hat barüber, bag bom rationellen ©tanbpunft beS inbioibueden SffiohtfeinS Sticht* heiraten beffer fei als £eirat()en." l)

Stun was ifi ju biefem ©enrebilb ju fagen? Unleugbar enthält biete mähte 3ü9e unb 'f* unter bem ©efichtspunft bet blo8 finnlicf>cn 2ujt im ganzen jiemlic!) getroffen. Slber glüd* lidjertoeife ^egt bie SJtetjriaht ber gewöhnlichen 3J?enf<hen fd^ott boit DornIjerein nicht jene romanhaften, überfe^roenglidjen ©rmartungen bon ber ©he, weshalb auch bie ©nttäufchungen burd) bie Sßrofa be§ CebenS nicht fo zahlreich unb empfinblich finb. Unb bann ift auch roofjl ju beachten, bafj bie ©he einem grofjen Steile bon SJtenfchen gotttob noch immer etwas mehr als eine bloße Duette phhftfcher Befriebigung ift. Unb bom ethifchen Siebte bur$brungen, mitbern fich tljeils, theilS fchminben bie tiefen ©chatten ihres DableauS. »Stur bem ganj in tRohheit unb ©emeinheit berfuufcnen SJtenfdjen ifi bie gefchledjtliche Ciebe nur ein Körperlicher ©enufj; überall fonft berbinbet fich, auch abgefehen bon alten 3bealen, bamit ein geifiiger SluStaufdj, ber in feinem Sttoment ertifcht unb baS Sinnliche babon erft burch feinen .fpinjutritt ju jenem ©rabe oon ©enuß erhebt, welcher ben Berfeljr ber ©efchtedjter in alten Bejahungen beS gefeüfchaftlichen SebenS burchbringt unb ju einer unerfchöpflichen Quelle ber feinjlen, nur leife an baS Sinnliche anflingenben ©enüffe macht."*) 3a fogar unfer tpeffimifi ftartmann felbfi liefert au fich einen eclatantcn Beweis, baß eS boch nicht überall fo jämmerlich um ba§ fffamilien* gtücf beftettt fein muff, inbem er fich ua<h eigenem ©eftänbniß in feiner 6l)e ganj wohl befinbet : „Die tiebenbe ©attin, bie öerftänb* nißboöe ©enoffin meiner ibealen Beftrebungen, maltet in meiner be* fcheibenen aber freunblichen £>äu3li<hfeit, in einer SOohnung, bie bem parfartigen botanifchen ©arten Berlins gegenüber gelegen, bie Sin* neljmlicbfeitcn ber SBinter* unb Sommerwohnung in fich bereinigt. 3n unferer 61k bertritt fie baS peffimiflifche Slement, inbem fte fich bem »on mir »erfochtenen ebolutioniftifchen Optimismus gegenüber jfeptifch »erhält . . . SJteine 6ltern unb Schwiegereltern fomie ein erlefener gfreunbeSfreiS forgen für geijiige Slbmechfetung unb gemüth* liehe Anregung, unb ein pfjitofophifcher jjreunb äußerte fürjlich: „wenn

*) $4il. »• Unbett). II. 6. 313 ff.

*) Äirdjmann, a. a. O. S. 80.

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Utbft btn ftjjimiSmuS.

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man roieber einmal jufriebene unb heitere ©efichter fefjen mil(, fo muß man ju ben Iftcjfimifien gehen!"1) San fieljt, baß unfer Berliner iphüofßph {ich bej feinem ißcffimiSmuS bjerjli^ roohl befinbet, baß alfo ber Seltfchmerj bei ihm mehr eine theoretifdje 2iebl)aberei als bren* nenbe Sir!li<hfeit ift; fonft mürbe e$ ihm auch bergehen, baS <5Ienb beS DafeinS mit bet öergnügteften TOiene Don bet Seit in ffapiteln unb Slbfchnitten inS Steile ju malen.

3. Sie baS Familienleben, fo fohunen in bet peffimiftifdfen Shüofophie audj F*eunbfd»aft unb ©efelligfeit fehlest roeg, iitbein amh fie rnebr Unluft als Sufi mit fid) bringen foHen. Denn boS fo gepriefene ®lüd bet Freunbfc^aft beruhe tbeilS auf ber mcnfcb* liehen 6<hmad)b«tl im ßrtragen ber Steiben, roie beim aud) fefjr ftarte ß^araftere am roenigflen ber fjreunbfc^aft bebürften, tljeilS auf Set* folgung eine» gemeinfamen 3'^. mit einem Sorte auf ©leidet ber Sntereffen, rooher auch bie fdjeinbar unjertrennlichften Fwunb* ('(haften fid) löfeten ober im Sanbc jerrinneten, menn in bem einen 2ljfU bie leitenben ^ntereffcn roechfeln. 3a, bnS SlUcS märe hübfd) roal)r, menn nicht bie ^auptfadje falfdj märe. Die Qfrcunbfc^aft, bie yartmann flijjirt, um ihren Staßengolbcharafter nadhjumeifen, ift eben nur ein 3en&ilb ömr 3rrcunbf4)aft , mie ungefähr auch ein flrämet gegen feine flunben gut Freunb ift, ober roie bie Diplomaten fi<h nicht feiten järtlich bie £>anb brüden unb babei eine firolobilStljtäne imterbrüden. Die roahre F«unbfchaft beruht bagegen gerabe n i d>t auf h«nbgreifli<hen Sntcrcffen, fonbern auf ber harmonifchen 3ufammen* ftimmung ber ©emütfjer foroie auf bem aflgemeiromenfchlichen £>erjen§* brange, fich mitjutheilen. Sticht baS peinliche beS einfam ertragenen ÄummerS ift eS ^auptfä^ttdh, ma§ uns jur fjreunbfdhaft treibt, fon* bem noch mehr baS Sebürfniß, auch für unfere greuben einen Dbfü* nehmer ju hoben. Denn einfam unb allein genoffenes ©Ifid ift halbes ©lüd, mie umgefehrt geteilter ©chmerj halber ©cbmerj ift. Senn aber £artmann meint, baß „bie Sllitfreube burch ben Steib, roeldjer amh bem bejten F^eunbe gegenüber unbetmeiblid) ift," ge* f^roächt roerbc, fo fann baS eben nur bei einem soi-disant F«unb ber Faß fein.

4. Siel eher Stecht hot ber IßeffimiämuS bei einer meiteren feljr frequentirten Duelle beS ©lüdeS, nämlich bem ©^rgei j, ber Stuhm* unb £)errf<hfucbt. Daß biefe, jur Seibenfchaft auSgearteten «Stre- bungen mehr Unluft als 8uft bereiten, ift jujugeben. Denn ber ©hr*

’) @tj. Siubim u. Sluff. S. 40.

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Dr. (Sngclbttlfj fiorenj gilbet.

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geij ifl einer Don jenen Trieben, „nach benen man, wie nach Salj* roaffer, um fo burftiger roirb, je mehr man trinft." SEreffenb jagt beSljalb $ artmann: „Sohin man auch Ijört, fo wirb man bie ftereothpen fflagen bcr Seamten unb Offiziere übet 3»tüdfehung unb fd^ted^te§ Dlbancemeut, bie ff logen ber ffünfticr unb ©eiehrten über Unterbrüdung burd) Dteib unb ßabale, überall ben Dietger über bie unberbiente Seborjugung Unroütbiger berneljmen. Dluf tjunbert ffränlungen beS @h*geijeS tommt laum eine Sefriebigung; erftere merben bitter empfunben, ledere als längjt berbienter 3°H bet ®*‘ rec^tigfeit Eingenommen, roo möglich mit bem SBerbruß, baff fie nicht früher gefommen." DaS ift Dille« nur ju wahr; aber baran ift wahrlich nicht bie Seit unb noch biel weniger unfer Herrgott Sd)ulb, fonbem balb bie Ungerec^tigfeit unb ©chlechtigteit, balb auch bie ©elbft* Überfettung ber ®?enfd)en felbft. ©erabe baS ewige Ueberfichftlbft» hinauS*Sol!en ift ein bie heutig* ©efeHf^aft fcbarf dharafterifirenbeä ff rebsübel: „©leid^wie bie mobifche SilbungSbame ba§ Unmögliche ju ©tanb bringt, ihres SeibeS Säuge eine 6Üe jujufejen, inbem fie mit Schleppe unb £>adentothurn unten unb mit babpfonifchem Gh'gnon* Dfjurmbau oben ber jurüdgeöliebenen Diatur nachhilft» fo bie ganje mobifche DJilbungSmelt. 9tur mehr fein als man ift, ober ba bieS leiber eine metaphpfifche Unmöglid)feit enthält, nur um jeben 5|3rti8 wenigftenS mehr fcheinen, ftatt ruhig auf feinem ^lah ju bleiben, wo ji<h bodj in ber Utatur wie in ber ÜWenfchenmelt DlHeS am beftcn aus* nehmen unb jugleich am wohlften fühlen mürbe. Der britte ©tanb ift im Sauf beS berfloffenen 3ob*hunbertS gewaltig emporgelommen; aber bie fatale Schwunghaft treibt i£>n noch weit über baS UJJajs unb 3>el hinaus. 3eber möchte juft bie Stelle über ftd) einnehmen, ftatt mit ber eigenen jufrieben ju fein, unb quält fich unter allerlei be* fdhönigenbctt Diteln , feinerfeitS Situationen unb SBerfjältnijfe ju fopiren, für bie er nun einmal bon fiauS aus ju futj ift. Dies beftänbige Stehen unb ©eben auf ben 3ehen, bieS unauSgefepte fich Streden unb Dehnen muh nothwenbig eine peinliche TOuSfelfpaunung unb ©ntjiinbung erjeugen."1) Da& biefeS Sdjattenbilb bollftänbig auf bie Sefctjeit paßt wir lönnen nichts bafür. Ser an ber frei» willigen ©elbjtquälung ein tpiaifir finbet, habeat sibi.

Dlber wenn auch ber nimmerfatte ©fjrgeij unb bie (iberfpannte Selbftüberhcbung über baS 3ift h*n°u§fc^ieBt unb eine peinliche Danaibenarbeit ift, fo ift bocp baS mit Vernunft unb bcSljaib mit ') qjfleibertr, a. a. O. S. 29.

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Utbei ben ‘pejfimiSmaS.

3iel imb Wag gepaarte ©Ijrgefüljl mit jenen nid)t in ©inen 2opf ju werfen, wie £>artmann tljut. 2e|}tereS ift nidfp nur ein ebler ©porn jur regfamen Uljätigleit, fonbern gewährt aui$ in feinen mit fllugljeit unb be3fjalb um fo größerer ©idjerljeit crjielten ©rfolgen einen ljopen ©enuß, ber bie borauägegangenen Slnprengungen meljr al9 aufroiegt. ?Iefjnlidf) berfjält e! pdfj mit bem ©rwerbätrieb, beffen nädjPe! 3’el ba! make money ift, ba§ aber bon ben Weiften bodj nur als Da8 Wittel für eine Waffe anberer ©eniljfe benufct roirb.

5. „Stoß bie ©rfjebung be§ religiöfen ©efüljlS in ber 9Inbad)t unb ©rbauung eine fo bolje Scfeligung ju gewähren im ©tanbe ift, baß fie über ade ©rbenleiben tjinwegfefct," gibt £art= mann ju. 9Iber er meint, einerfeits feien biefe poljen ©rabe ber ßrpebung feiten, anbrerfeitS fei aud) fie mit großen Opfern ber* bunbcn unb fo fommt er aud) auf biefem ©ebiete ju bem ©djlufj:

„Me! in Mem wirb pdf) Sufi unb Unluft aud) beim religiöfen ©efitbl jiemlid) auftoiegen." JZB a3 ba! Srpere betrifft, baß bie Ijofje

Sefriebigung au! ber religiöfen Wnbadjt nur feiten fei, fo ift ba! einfad) ju ncgiren. £>ier fe!)lt offenbar unferem ^Berliner ipijilofopfjen ber weite unb unbefangene 8Iid in! Beben. ipeute, wo icp biefe§ fdireibe, ift Opern. $a benle id) unwiflfürlidf) an bie Wiflionen Meluja!, bie au» WiOionen gottbegeificrter d^rifilic^ier tperjen bringen ; biefe finb ein laute!, weitl)infd)affenbe! Dementi für ben 8cfPnii!mu!.

Wie monier ^p^tlofop^ mag Ijeute einfam, melandjolifd) in feinem ©tubirjimmer pfcen; wie männern mag e! beim Slang ber Oper* gloden wie einem Qfauft um! fperj fein! Wenn audl) ber ©laube feljlt, bürfte bo<$ mandjem im berborgenPen SGßinfet feine! £)erjen! unwiflfürlitf) eine fülle Wepmutl) ob be§ berlornen ^parabiefc§ auf*

Peigen. $>aß übrigen! Ipartmann bie Wad)t ber ^Religion Diel ju gering anfdpägt, ip nic^t ju wunbern; pe ift eben für iljn terra incognita,

, ffietm ifjt'S nit^t fü$U, ibt merbef« ntc^t erjagen.*

Um aber ben 3au&er be§ ©öttlidjen ju füllen, baju gehört fein befonbere! Ingenium wie bei ber flurift unb Wipenfdjaft, ba! bermag felbp ba! einfältigfte ©emiitp. Wie ber ©ternenljimmel feinen milben Stimmer in jebem Sluge fpiegelt, wenn e! nur ungetrübt p$ if)m öffnet, fo prafjlt ba! Bidljt unb bie Wärme ber Religion in jebeS Jperj, ba§ unbefangen pd) ipr erfd^Iiept, unb lichtet bie tiefen ©Ratten, bie ba! ©rbenleben in e! wirft.

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Dr. öngelbcrl Cortnj Silber.

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6. Doch 6inen freunblidjien Sonnenbfid in bet 9?acht beS (SlenbS nimmt auch bie überall fchmarjfefjenbe ^3f)ilofop£|ic wahr, unb ba$ ift ber roiffenfchaftliehe unb ßunftgenuß. Sffiijfenfchaft unb SJunjt füllen bie einigen begfüdeuben Oafen in ber SBüfte beS SebenS fein. Aber leibcr, taum ift baS ißarabicS entbecft, oerfinft eS fe^on mieber faft ganj ins Duntel. 'Senn nur roenigen ijJriDilegirten fei geftattet, bie golbeuen Aepfcl oom Saume ber (frfenntniß ju pflüden. *2teneS effiatifche (Sntjüden (j. 33. über eine Stufilauf* fiihrung, über ein 33ilb, eine Dichtung, eine phifofopbifchc Abljanb* lung) ift ja etwas feljr Seltenes ; fd)on bie fjäfjigfeit baju ift nur begnabigten Naturen berlichen, unb auch biefc werben ficf) nicpt all* jubieler jolther Momente in intern Sebcn ju rühmen haben." Aicht bie lautere Siebe ju ifunft unb SÖiffenfdjaft befeele bie SOiefjrjapf, fonbern mehr S^rgeij unb Broberwerb. Daher bie große Schaar ber Dilettanten, benen bie ffünfie nur als bunter Slittertanb bienten, um ihre liebe ^Perfou bamit auSjupufcen. Darauf nur gebe auch bie moberne ©rjiehung, bejonberS ber Wäbcheit au«: „(Sin paar

Salonpiecen für ßlabier, einige Cicber, ein wenig S9aumfd)lag=3fid)nen unb Blumen »Alalen, einige neuere Sprachen plappern unb bie literarifeben Subelcien beS DageS lefen, bann finb fte ooDlommen. 3Ba§ ift ba§ anbereS als fpftcmatifdjcr Unterricht in ber ßitelfeit nach allen Bebeutungen beS BJorteS? Unb bei biefem ©aufelfpiel füllte man an fünftlerifchen ©emiß glauben? An fünjtlerifchen 6tel höchftcnS, ber fich auch fofort nach ber ^oc^jcit offenbart, wenn bie (Sitelteit nicht länger bie Bequemtichfeit überwinbet. Btit bem Knaben geht eS nicht biel beffer, auch fie müffen um ber ©itelleit ber ©Iteru (unb and) Anbeter) willen bilettiren." *) Diefe Äritit ber mobernen Bäbagogit ift leiber nur ju berechtigt. SBenn aber ^artmann weiter ben Sd)Iuß jieht, bafe beihalb bie pflege ber Söiffenfchafi unb ffunft nur wenig jum ©lüd in ber 2Bclt beitrage, fo ift baS wenigftenS auf bem Don ihm betretenen eubämonologifchen Stanb* punlt falfch; benn auch ber Dilettant ift, wie fd)on ber Aame anjeigt, fclbft in feinem Dilettantismus häufig gliidlich, unb ebenjo erjeugt bie Sefriebigung bei ©hrgeijeS unb ber ©itetleit ober bie drlangung eines glänjenben Honorars fepr oft unftreitig eine hohe 2uft.

Da§ ©efammtrefultat feiner bisherigen Betrachtung fafet £>art* mann in bie ©orte jufammen, „ba§ gegenwärtig bie Unluft nicht nur in ber Seit im Allgemeinen im hohen ©rabe überwiegt, fon = ■) 9hil- b. U. II. 6. 341.

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lieber ben ^JtjfimiSnniß.

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bern and) in jebem einjelnen 3nbibibuum, jelbft bem unter ben benfbar güiijtigfien Berbältnijfen fiebenben" (II. 352). DiejeS fummarifche ©rgebnijj fönnen mir na<b bem BorauSgebenben burcbauS nicht jugeben. Senn abgefeben Don ber Unmöglichfeit beS roiffenfcbaftlichen BeroeifeS b*cfür, haben mir einerfeitS bei faft allen Soften mehr ober minber grofie KecbnungSfebler gefunben unb anbrer* fcitS iji toobt ju beachten, bajj roenn auch bie in Betracht gezogenen ©üter, ob jectiü genommen, Söufionen mären, fie boeb fubjectib, b. b- int ©efiitjl unb Beroujjtjein ber Btajfen als roabre ©lücfSgüter bisher gegolten hoben unb immer noch gelten. Unb ba§ ijt bei ber eubämonologifcben Betrachtung boeb bie §auptjüd)e. §>ier gilt 2öie» lanb’8 SEÖort:

(Sin SBafjn, ber mich btglücft,

3ft fine ©atfrijeit »ert$, bi« mich ju Sobtn briidt.

Smeiteß unb Drittes Stabium ber 3Dufion.

1. ©ine meitere klaffe Bon BJenfchen jucht nach §artmann ihr ©lüd in einem jenfeitigen Sehen nach bem Dobe, unb baß fei ber ebrijilithe Stanbpunft. Iber auch biefe Hoffnung fei 3öufion ; beim gebe feine inbiBibuelle fjortbouer ber Seele unb folglich feine Seligfeit jenfeitß.

Heber bie Dummheiten, bie Ijpartmann in bie ©oangelien b<»fins bittet, müjfen mir ber gebotenen $ürje halber binmeggeben. Sßenn er $. B- au» ber Off. 10, 5 6: „Unb ber ©ngel .... fchrour bei bem Sebenbigen Don ©roigfeit ju ©migfeit . . . ., baß hinfort feine 3 e i * mehr fein f o 1 1", foroie auß 1. ®or. 13, 8: „Die Siebe hört nimmer auf, fo bo<b bie Söeijfagungen aufbören merbett unb bie Sprachen aufbören unb bie ©rfenntniß aufbören roirb" ben BeroeiS liefern miH, baff felbfl nach ben 9lpojteln jenfeitS ade» B e m u ß t f e i n unb alle Beränberung, folglich bie 3 n b i D i b u a I i t ä t aufböre, fo ijt bie Sopbijtif einer folgen ©regefe boeb ju plump, als baß man ein 2Bort Darüber ju berlieren braucht. Denn begreift ber Bbilojobb bc§ Unbemußten nic^t, ba& b<tr unter „©rfenntnifj" nur baß bißliirfibe Denfen Dcrftahben fein fann, ba ja ^ßaultiS fonji jo flar unb entfliehen bon einem „Schauen" ©otteS, alfo Don einer unmittelbaren ©rfenntniß ©otteS jenfeitS fpriebt, jo ijt ihm ein» fach nicht ju b*lf«n.

Doch ba§ nur nebenbei ! 3ur eigentlichen DbefiS ift ju bemerfen, bafe es menigjtenS nicht ganj richtig ifl, baß nach cbriftlicber 3ln=

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Dr. (Sngtlbftt Cotfnj giftet.

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fdjauung bal ©lüd erfi jenfeitS erhofft werbe. SBoIjt erwartet ber Gfyrift bie Dollfommene Seligfeit erp in btr ewigen Sfnfdjauung unb Siebe ©ottel, abfr ein 'Sbglonj berfelben fofl ipm f$on im 2)ieSfeitS ju üEljeil werben, wenn er im ®eipe bei ©bangeliumS lebt. 3>ie ©rlöfung, bie baS ©fjripcntpum bietet, bolljietjt p<$ ja ni<$t erft im ftimmel, fonbern fdljon auf ©rben. ©IjripuS ber^eijjt benen, bie ifjm nac^folgen, fdtjon ^ i e r ©rquidung unb Triebe für itjre Seelen: „Sernet Don mir, weil i<§ fanft bin unb bemüttjig bon §erjen unb ifjr roerbet ©rquidung finben für eure Seelen/ Statt!). 11, 29; „griebe ben Stenfdjen auf ©rben, bie eine« guten 2BiIIen§ finb," 2uc. 2, 14. Unb jaljllofe gläubige ©fjripen Ijaben bie SBaprljeit biefer SGBorte fd)on Ijier in ber Sßelt empfunben. ©8 ifi fona$ falfd), roenn £)artmann meint, ba8 ©fjripentljum biete nur .einen SÖedbfel auf baS 3enfeit8, welker für bie Stifere bei S)ielfeit§ fdjablol Ratten fotl nein, fcpon im $ie8feit3 finbet bie %ilroeife ©inlßfung ftatt.

$od) freilid) liegt ber ©rabitationSpunft für baS ©fjripentljum in ber ©wigfeit unb bie inbibibuefle gortbauer ber menfcfjlic^en Seele bilbet bie SßorauSfefiung. fiebere aber ijl eben nacfi £>artmann „Süupon, unb bamit iji ber ^auptnerb ber djtifHidjen Serljeifjutigen burc&fcpnitten *unb bie d)riplid)e 3ibee flbetrounben. * *) 5Jlan fieljt, unfer ^ß^ilofop^ madfjt pd) mit ber Sieberroerfung be« ©Triften» tpumS feljr leicht: er leugnet einfad) bie Unjlerblidjteit ber Seele unb bamit fällt IBflcS jufammen. 3)a roirb man aber rnofp erwarten, unfere ^Sefpmipen rnüpten bod^ feljr fdjroetmiegenbe ©riinbe Ijaben, bap pe aud) biefert lejjten Tlnfcr bei ©lüdeS fafjren Iapen. Dal ip jebod) burdjaul nirtjt ber gatt. 5tidf)t einen einzigen neuen ©ruitb fonnte tparlmann gegen bie atlgemeiiie mcnfdfpicfje lleberjeugung bon ber Unperblidjteit ber Seele auf bie Seine bringen nid)t§ all ba§ 9lflbefannte bei gemeinpläjjigen PRaterialiSmul. 3roflr >P « fonp fein Staterialip, ja er fagt aulbriidlid) : „Stau fann jroar bie Seele all an unb für pd) feienbe pfbd)ifd)e Subftanj betrauten, all fold)e ift pe aber nidljt inbibibueü (warum? barum); man fann pe aud) all pft)cf)ifd)eS gnbibibuum betrauten, als joldjeS aber ip pe bon bent Äßrper nidjt loSgelöp ju benfen, an welkem erp pe pdf) inbibibuiren fann;*) er leugnet alfo nicfjt bie Seele, aber benno<$ läpt er pe mit bem Organilmul pd) auflöfen. SSJir lönnen Ijier natürlid) nid)t

') m b. u. II. 6. 363.

*) «. a. C. I. 6. 130.

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Utbet ben ^ejpmiSmu!.

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näfeer auf bic f5ro8< fingeren; ab« bemerfen maßen mir roenigfienS, bafe bamit £>nrtmann gerabe gegen bie ^ßrincipicn bet moberuen Ütaturroiffcnfcfeaft Derflößt- 5)enn giebt er ju, bafe bie See(r eine an unb für fufe feienbe Subfianj ift, bie niefet butefe ben Organismus erft erzeugt roirb, fo fann fie auefe Bon bemfelben, ebenfo roie jebeS 3tom Bon bem Äörper, beffen SLfeeil eS bilbet, fiefe ablöfen unb für fiife fortbauern, 3a nadj bem naturroiffenfefeafiliefeen ©efefe ber ©r* Haltung ber ffraft unb Materie ober ber Subfianj, raufe bieS analog fogar ber Saß fein.

2. Sßaferfeaft tomifd) aber ift e§, roenn $ artmann ben Un* fterblicfefeitSglauben mit ber Semertung auS ber ÜBelt fcfeaffeit miß, berfelbc berufee auf ©goiSmuä unb man barf boefe fein ©goijt fein! (II. 363). 36er ftolj freiliefe barf man naefe Jpartmann fein, benn „ber Siolj, bie eigene £>oefefcfeä|uing ift," roie er anberSmo fagt, „eine beneibenSroertfee ©igenfefeaft, gleiefeBiel ob bie Sefeäfeung mafer ober falfcfe ift, roenn man fie nur für riefetig feält" (II. 330). SBeife benn unfer ^feilofopfe niefet, bafe überafl mit bem UnfterbliefefeitSglauben auefe jugleicfe bie Qfurefet Bor einiger Strafe Berfnüpft ift? SOaferliefe, roenn es auf ben ©injclnen felbft anfäme, ob feine Seele unfterbliefe ober fterblicfe Jei, bann mürben unfereS ©raifetenä bie TOeiften gerabe roegen biefer gurefet ba§ Sefetere roäfelen! 36er trofebem feat bie ßJienfdfefeeit Bon jefeer (unb roofel ge» merlt, niefet erft feit bem ©ferijientfeum) bie Ueberjeugung Bon ber Unfierbliefefeit ber Seele feftgefealten, ein IBeroeiS, bafe biefer ©laube auf gatij anberen ©rünben als auf ©goiSmuS bafirt ift. 3a um* gefefert, gerabe baS Seugnen ber Unfterbliefefeit inoolnirt meiftenS einen craffen ©goiSmuS: bie 3ngft Bor ber ßroigfeit! SBenn Jparttnann fagt: „$em Selbfllofen erfdfeeint bie ©arantie einer enblofen Selbft* bejafeung niefet bloS roertfeloS, fonbern unfee im liefe unb grauen* erregenb, fo ift ba§ roofel nüfet bei bem roirfliefe Selbfilofen ber fjaß, aber fiefeerliefe beim ©ottlofcn. 3rteiliife bem ©ottlofen mufe ber ©ebanfe an bie perfönliefee Sortbauer unb 23crantroortung jenfeitS „unfecimliife unb grauenerregenb" fein, roeSfealb er 'ifen mit aßet möglichen Sopfeiftif nieberjufefelagen fuefet.

3ber roirb er ifen beSfealb au§ ber ÜJtenfcfefecit fefeaffen? £)artmann feofft e§. ©r meint, bafe ba§ ©feriftentfeum in rapibem ßtiebergang begriffen fei unb ifem in niefet ju ferner 3e’* e'nc »umferiftlicfee, rein roeltliefee Ißeriobe' folgen roerbe. „Sicfeer gewinnen," fagt er, „bie roelt* liefeen Sefirebungen tägliife an IDtaefet, 3uSbefentmg unb ^ntereffe.

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Dr. Cngetbert Säortnj

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fidhtbar greift ber 2t ntidjrift weiter unb weiter um fidj, unb halb wirb baS Khriftentljum nur noch ein ©Ratten feiner mittel* alterlidien ©röße fein, wirb mieber fein, wo? eS im Kntfteßen au§= fchließlich war, ber leiste 2rojt für bie SIrmrn unb Klenben."1) Stun, erwibern mir, ba „bie Firmen unb Klenben" nadj bem eigenen ®e* ftänbniß beS ^effimiSmuS nicht bfoS überhaupt, fonbern auch für bie 3ulunft baS größte Kontingent in ber Söelt bilben werben, fo hat bemnacb auch für bie goigejeit baS Ktfriftenthum noch immer bie hohe SJiiffion, für bie SJtehrjaljl ber SJtenfchen bie fro^e Sotfdiaft ju fein, unb mit ber Don ^artmann prophejeiten „unchrijtlichen, rein weit* licken ißeriobe" hat eS noch gute SBege. 3a, fie wirb gar nie fommen. flenn felbft abgefeljen bon ber göttlichen SSerfjeißung für ben Seftanb be§ KhriftenthumS, ift bie ‘.Religion nad) SluSmeiS ber ©efchichte Don Saljrtaufenben ein fo mefentlidjeS Sebürfniß für bie SJtenfdiheit, baß, wie ei bis jeßt noch feine „reine weltliche*, b. h- religiotiSlofe ^Jeriobe gab, e$ auch in ber 3ulunft leine geben wirb. 5)aS räumt bei einer anbern ©etegenheit auch felbft £>artmnnn ein, inbem er fagt: „©enu eS auch nwfjr ift- baß bie erften ©ötter ftetS bie abergläubifche ffurcht ber SJtenfdjeu fchuf, fo würben bod) unmöglich bie ^Religionen ju allen 3eiten ein integrircnber Seftanbtbeil be§ Kultur jujtanbcS ber 5ßöller gemefen fein tonnen, wenn nicht ein tieferer ©runb in ber menfchlidien Statur läge, welcher, bei ben Jnbioibuen als ftärtere ober fchmädjere Einlage oorhanben unb burd) Krjiehung ju terftärten ober abjufchmächen, bod) niemals ganj feßlenb, bie IReligion aus einem Sebürfniß be§ ftopfeS unb iperjenS forberte.“*) Slber wie ftimmt bamit bie „rein weltliche Sßeriobe," bie £>artmann erwartet? ©oll Dielleicht in ber 3l|lunft bie Statur beS SJtenfchen fich ganj umänbern? floch gehen mir über biefen ©iberfpruch hinweg unb hören mir weiter!

3. Kine britte Itlaffe Don SJtenfchen fud)t baS ©lüd in ber 3ufunft burchben gortfdjritt ber Kultur ju erreichen, fliefe haben ben jenfeitigen .§immel aufgegeben unb träumen Don einem fommenben IjJarabieS auf Krben. f5aS ift ber ©tanbpuntt unferer moberuen Kulturfdiwärmer, nad) £>artm ann baS britte ©tabium ber ^llufion, auf beffen ©chwetle unfer 3ahrhunbert fid) befinbe.

') «. a. C. II. ®. 368.

’) ®ef. Stubien unb Buffäße. ©. 430.

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Utbtt ben ^effimigmn*.

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9lun toie fleht eS mit biefen ^»offnungSfcIigcn ber 3ulnnft? Serben fie bas erfebnte ©Iborabo erringen? Vichts als 3llufion! ruft ihnen bet ^ßeffimiSmuS ju, Sfet lebt Don Dufel ju $ufel unb tröflet euch über bie Sifere ber ©egenroart mit einem glänjenbeit Utomanfchlufe, ber ober immer ©inbilbung bleibt. Sie weit aucf> bie Senjdjheit fortfdjreitet, nie rnirb fie bie größten ber Seiben Io» roerben ober auch nur Derminbern: ifrantljeit, Filter, Vbfjängigfeit Don bem Sillen unb ber Sacht Anbeter, Votlj unb Unjufriebenljeit. Sieoiel Sitte! auch gegen fhantheiten noch gefunben roerben, immer roadjfen bie ftrantljeiten, namentlich bie quiitenben leichteren d)ronif(hen Uebel, in fdhneüercr Vtogreffion a(3 bie £>eiltunft. Die jufriebenften IBölter fiitb bie rohen VaturDölfer unb Don brn ©ulturböttern bie ungebilbeten fflajfen; je weiter ihr baher, ihr ©ulturfämpfer, bie Silbung unter bie Voller Derbreitet, befto unjufriebener roerben fie, roie bie Erfahrung lehrt. 3h* täufdjt euch alfo, toenn ihr wähnt, burch bie ©ibilifation bie Senfehen glüdlidjer ju machen.

9Iuch mit eurer roachfenben ©ittlichfeit ift e3 nichts! Seift ihr auf bie ©reuelifjateu unb Rohheiten Dergangener hin, fo

Dergeffet nicht bie Vieberteii unb ©hrlidjteit, baS VifligteitSgefüfjl unb bie Sßietät Dor ber geheiligten ©itte jener einerfeitS, unb ben mit bet Kultur roachfenben Vetrug, bie gatfdjhfit, £>inter!ift, ©hitane unb SriDolität ber ©egenroart anbrerfeits! „Vciu, nicht gebeffert hot fi<h bi§ jefct bie töoS^eit unb bie ödes grembe jertretenbe ©elbftfucht ber Senfehen, nur fünfttidj eingebämmt ift fie burch bie Dftcfee be§ ©efefeeS unb ber bürgerlichen ©efeflfchaft, roeife aber ftatt ber offenen Ueberflutljung taufenb ©chleichroege ju finben, auf benen fie bie Dämme burchfidert. Der ©rab bcr unfittlichen ©efintiung ift berfelbe geblieben, aber fie hat ben Vferbefufe abgelegt unb geht im tfrad; bie ©a<he unb ber ©rfolg bleibt berfelbe, nur bie Sorm wirb eleganter. ©d)on finb wir ber 3fü nahe, roo Diebflafel unb gefeferoibriger Vetrug al§ pöbelhaft gemein unb ungefchidt Derachtet roerben Don bem geroanbteren ©pifebuben, ber feine Verbrechen am frembeu ©igentfeum mit bem Vuchftaben be3 ©efefeeS in ©intlang ju bringen weife. 3<h wollte mich hoch wahrlich lieber unter ben alten ©ermanen ber ©efaljr auSfefeen, gelegentlich tobtgefefetagen ju roerben, als im inobernen ©ulturftaat jeben für einen Schuft unb ©churten halten ju müjfen, bis id) ganj überjeugenbe Veroeife feiner ©hrlichteit habe. 9lu3 ber Analogie lönnen roir fchliefeen, bafe roenn bie Unfittlichteit auch in ber 3ntunft ifere gorm noch fo feljr Der*

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64 Dr. ßngefbtrt Corcnj SUdiet. 32

fcincrt, fie boc^ immer gfeitp unfittlidj unb unfufierwedenb für bie Summe ber Unretpileibenben bleiben wirb" (II. 377).

9?i<pt biel beffer fiept cS, i^t <Sulfur=6nthufiaften, mit eurer fo gepriesenen SBiffen f cpa f t unb ffunjt, bie bocp gonj befonberS alles £)eit unb ©lüd in ber 3u*unft bringen fofleit. Sie ©enieS »erben immer feiiener, bie fBtittelmäßigfeiten immer häufiger. 2öie bie ©efeflfipaft burip ben fcpwarjen 33ürgerrod nioeüirt ift, fo jteuern mir auip in geiftiger tBejiepung mehr unb mehr auf eine Dtioellitung pin. Sie gofge babon ijl, baß ber ©enuß ber mtffenfc^aftiic^cn $ro* buftion immer geringer wirb, inbent bie fDteijten fi<p barauf be* fcpränfen, an ben oerftpiebenen aufgetifdjten SBiffenSgericpten nur ju nippen bon Mem etwas, im ©anjeit 9?i<ptS unb gebanfenloS baS wiebetjufauen, wa$ Rubere Dorgebacpt haben.

SfepnUcp berpäft eS fid) bem ißeffimiSmuS gemäß mit ber ffunft. 9lucp in ihr werben bie probucirenben ®enie$ immer feltener, je mehr ber fDtenfdjpeit bie ^bcale ihrer 3ugenb jetrinnen unb bie praftifcpen 3ntereffen bie Oberhanb gewinnen. Sie flunft finit mit ber 3e'* mehr unb mehr bon ihrer erhabenen §öpe herab unb oerliert sufepenbS an ibeatem ©ehalt, wenn auch bie gorm infolge ber teipnifcpen gort* ftpritte boflenbeter wirb, Sie ift in ber 3u^unfl nicpt mehr bie hehre befeligenbe ©öttin, fonbern nur noch piup Hetäre, ober ein Mittel ber 3erftreuiin9 * f>>' Opiat gegen bie Sangeweife, eine @r= heiterung nach bem 6rnfte ber ©efdjäfte. „Ssie $unft wirb ber S3lenfd>^eit im SDianneSafter burdjjcpnittlicp etwa baS fein, was bem 23crlincr iöörfenmann beS SlbenbS bie Berliner ifJoffe ift.“

@ure Sethnil entmideft fiep jroar ungeheuer, aber wa§ leiftet fic für baS menfepliepe ©lild? 'JlieptS, als bafi fie bie Btögliepfeit ju focialen unb politifepen gortfchritten gewährt, unb bie Bequemlichleit unb nflcitfaflS auep ben iiberflüffigen SuruS erhöht, aber fein pofitioeS ©lüd.

Unb wie fiept cS mit eurem bis in ben £>imtnef gepöbenen politifepen gortfepritt? Sin bie Stelle beS nationalen SntpuftaSmuS ift füple Ernüchterung getreten. Unb fpecietf baS neue Seutjepfanb ins ?luge faffcnb, fragt ein ißeffimijl: „ob benn bie Summe ber ßinwopner be§ Seutfepen KeiepeS peute fiep wirfliep gfüdfieper füple, als bie Bewohner beS nämfiepen SanbeSgebietS oor jepn 3apren tpaten? Siefe gragc ß>i*b roopl 51ieinanb ben Btutp paben mit 3a ju beantworten." Unb bie 3utunft? Slcp , fie wirb uüptS BeffereS bringen. 3«, es mag oieflcicpt eine 3C'I fornmen, wo mau fiep

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33 Uefccr btn ^tffiniismuä. <35

wieber nad) bcn gleifd)töpfen 9legpptenS jutüdfeljnt: nad) bent alten SunbeStag u. f. tu.

SJaju tommt enblich/ meint bev fßeffimiSmuS, bei nicht ju unter: fchäfcenbe Umjtanb, bafe in ber golge jene geben8rid)tung , welche bisher bod) oielfad) pofitibeS ©llid unb 3ufriebenheit gemährt hot bie {Religion, bie grömmi gleit nämlich, coloffal abnimmt unb allmählich *u einem überwunbenen ©tanbpunlt roirb. S)enn, „bie 3eit ifl nid)t mehr ferne, mo ein ©ebilbeter fd)led)terbingS nidlt mefjr bem ©enuffe religiöfer Erbauung im bisherigen ©inne jugänglid) fein faun, fonbern ^öc^ftrnS noch aus bem 58cwu§tfein beS mtjftifc^en 3ufammenhongeS mit bem Meinen fid) eine 9lrt Don religiöfem ^rioatcultuS bilben lann."1)

$oS ift alfo bie fperfpeftibe , bie ber ^effimiSmuS in baS Don fo Sielen unferer 3f>t Dcrljeijkne „gelobte ganb" ber 3«funft fr* öffnet. 3n ber eine mörberifd)e Jlritil beS mobernen ßultur*

ßhöHbiniSmuS , unb jugleid), wenn and) unberoujjt unb ungewollt, eine glän^enbe Slpologie beS GljtiflenthumS ! 3a, wenn bie {Religion, wenn baS ßljriftcnthum in ber golgejeit au§ bem geben ber 6iiu jelnen wie ber ©efeflfehaft gänjlid) fcf)roinben, bann befommt ber ^effimiSmuS boflftänbig SRed)t; benn bann Derbletd^en unb berwefen alle Stoole, nacf)bcm baS Ijödjfie 3beal jertriimmert ift; bann wirb baS geben mit feinen taufenb plagen unb geibeit eine unerträgliche gaft; bann geht bie lugenb unb ©ittlid)teit mit {Riefenfd)ritten ab* wärtS unb aus ben leeren Tempeln werben gefüllte 3u<$tljüufcr ; bann Derfumpft bie Söiffenfc^aft in ber fchalett Staterie unb giebt bem aufwärts jtrebenben ©eifte leine Sefriebigung mehr; bann fenft ber ©eniuS ber Uunjt trauernb bie gadel, am @rabe ber ibealen üRufe toeinenb ; bann wirb bie ÜRenfdjljfit alterSfdjmad) unb lebenSmübe unb fehnt fi<h nach bem 2obe.

Slber jum ©lüd ruht biefeS btijtere 3»funftSbilb auf imaginärem ©runbe, auf ber noch unermiefenen ^ppothefe Don bem nicht fernen Untergang beS 6hnßfnthum8. HBoljl ift nic^t ju leugnen, bafj bie chriftliche ^bec in gewijfen Greifen Ijfute ihre SDJadjt Derliert. Slber war eS nicht ähnlich in ber jroeiten £>älftc beS Dorigen Safjrljunberis ?

Unb bod) ha* f»* P<h lieber nad) bem ©d)rcden ber SRebolution emporgefdjwungen. Söknn nicht alle 3f'<$en ber trügen, wirb wohl auch in ber golge eine fd)ou länger geahnte, noch gewaltigere,

>) $&it. *• U- U. 6. 379 ff.

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6G Dr. Snfltlbtrt Cortnj gtjf tr. 34

weil internationale Äatajtroptje ^ereinbre^en , bie bie ©eit mächtig erffüttert, aber fie autf) mieber jum SBetoufjtfein i()re§ einjigen $*ile# jurüdfüljrt.

4. ©oDiel fte^t feft, bem GfjaubiniämuS unferer mobernen ©ultur* ©ntSufiaften ^at ber ?PefjimiSmu3 ein jtarle# Doufebab gegeben ttnb iSn naf aßen Stiftungen jerfauft unb inbem er fif mit ifjnen auf ben antifrijilifen ©tanbpuntt fteßt, loinmt er $u bem Stefultat, bafj il;r erträumte# 3utunftS|)arabieS auf Gtbeti nur eine flnufenSafte SDufion i(t. „Stift ba§ golbene 3fitalter liegt bor un§, fonbern ba§ eiferne, unb bie Träumereien Don bem golbenen 3e**QI*er bfr Sulunft ermeifen fif al@ nof Diel niftiger, mie bie bon ber Ser* gangenfjeit. ©ie bie Soft bem Träger um fo ffmerer mirb, einen je tueiteren ©eg er fte trögt, fo wirb auf ba§ fieiben ber Dtenff* Seit unb ba§ SJemu&tfein itjreS ßleub# maffen unb toaffen bis in» Unerträglife. ©eSen mir bof, baß bie Stationen entjteljen, reifen unb bergeljen, finbeu mir bof auf an ber SJteitff Seit bie beutlifften ©Smptomc be§ 9lelter>©erben§ ; marum fällten mir bejmeifeln, baß uaf ber fräftigen SStanneStSätigfeit auf für fie einft baS ©reifen' alter fommt, roo fie jeSrenb Don ben praftiff en unb tSeoretiffen prüften ber SßergangenSeit, in eine '^eriobe ber reifen S3eff aulif feit cintritt, mo fie bie gatijen miift burfftürmten Seiben iSreS oergattge* neu SebenSlaufe# mit meSmiitSigcr Trauer in 6in§ faffenb iiberff aut, unb bie gaiije Sitelleit ber biS^ecigeit benneintlifen 3We Streben# begreift.“

3fi ober ba§ Seben eine tpöße tiub leuftet lein ©tern ber £ojf= nung mcber in ber ©egenmart, nof in ber 3u*unf*< nof 'm 3fn* feit#, bann ift ber Sieft SBerjmeifetnng an aflem pofitiben ©liicf unb bie Gonfequenj für ben ©injelnen ©elbftmorb! Quod non! ruft un§ jebof £>artmann entgegen, ber ©elbftmorb mürbe ja nift# näßen; beim ba3 „UnbemuBte" pacft ba§ 2eben, mo baSfetbe Iriegt, unb ff afft raftloS neue SnbiDibuen. Slber barauf ift }u erroibern: ©a# liegt benn mir baran, ob ba# Unberoujite an meine ©teße ein anbere# ©efen fetjt? Tu Saft ja felbft erft Dor» Sin behauptet, baß mit bem Tob ber inbioibuefle 2eib forooSl als bie ©eele aufSört. Tiefe# anbere ^nbiDibunm alfo bin nift 3f, fonbern ift eben ein Slitbere#. ©enn nur 3f bc# Gleub# loS bin! Slber ba# ift @goi#mu§, entgegnet §artmanu, Tu muf;t bif ber ©niroitflung be» ©eltprojeffe# mibmen, mußt „rüftig arbeiten im ©einberge be» £)errn" (II. 402). ©effen §errn? frage if. Der

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35 Utbcr bcn ®cjjimUmus. <37

'■ßeffimift antwortet: „$)e§ Unbewußten". Mer wn§ geht mich brnu ba§ Unbewußte an? Saturn h<U es mid) in btefeä jaminetooQe $a= fein gefefct? Ser Der pflichtet mich beim, jut ©rlöfung beS Un* bewußten beijutragen? tiefer bein unbewußter (Sott ift feine lßer}on, lann atfo feine ©ebote geben unb feine ©anction baran fniipfen. 3ubem giebt eS, wie $u fagft, fein ewiges 2eben. Soljer flammt aljo eine Pflicht für mich, noch länger mich in biefem 2jammerthal abjuptagen?

£>ier ifl bie MdjitleSferfe ber pofitiben ^ß^ifofop^ie tjjart* inann’S. Sol)l bflt er baS 23erbienft, baß er ben Schopenhauer’« fdjen DuietiSmuS troß beS peffimiftifcßen ©tanbpunfteS ju überroin* ben unb baS 2eben gleicpfam mit.bcm 2eben ju berfölpnen fudjt, inbem er als Aufgabe bc§ ginjelnen „bie bolle Eingabe ber ipetfön* lidjfeit an ben Seltprojeß um feines 3<ele», ber allgemeinen Seit* erlöfung wißen" prodamirt. Mer bie Serpflichtung Ijieju h<U unb fann er nicht auS feinen ^ßriitjipien ableiten. So ber perfön« liehe ©ott fehlt, hört eben alle Serantwortung auf.

Unb baju fomtnt no$, baß baS ©nbjiel, bem bie 3Jtenfd)beit nach $ artmann juflreben fotl, fo gering ifl, baß eS nicht geringer fein fann. 9lun, was benn? SDaS pure 9li<ht§, fßirwana! (II. 389.) ©o, baS ift baS ^)3orabie§ , baS ber SßeffimiSmuS uns Derljeißt?! 3)aS ift ber IfampfpreiS für alle plagen unb Seiben!

So Diel Arbeit um ein 2eicb<ntu<b?

3a, fagt ber ^Jeffimift, eine aitbere ©eligfeit ift nid)t ju er* reichen; mir müffen jufrieben fein mit bem 9ti<ht3. 'Uber mit bem fRihiliSmuS wirb fi<h nie bie SRenfchfjeit jufriebengeben ; benn erftenS enthält baS 9?ichtfein»SolIen, baS 9ti<htS«Srjtreben einen Siberfprueh, auf ben fdjon ber hl- MiguftinuS hingewiefen h«t; „®ßnj abfurb ift eS ju fagen: ich will lieber nicht fein als unglücflidj fein; benn roer ba fagt, ich will lieber biefcS als jenes, wählt ©troaS aus. $a5 9tichtfein ift aber fein ©troaS, fonbern ift eben fRidjtS, unb un* möglich tonn üernünftigerroeife ba gewählt werben, wo ber ju wäh* lenbe ©egenftanb nichts ift. 9J?an wählt immer bas Sejfere, allein, was nicht ift, fann unmöglich beffer fein. 5)aS Verlangen Mer, bie fi<h ben 2ob wünfehen, jielt baher nicht auf gänjlicheS 9ti<htfein ab, fonbern einjig auf Muße, Welches wieber ein ©ein unb jwar ein ootUommeneS ©ein ift.“ ')

’) ®«i §uber, ®t|(imiSmu§ S. 29.

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Dr. (Engelbert Sottitj gr i f <f> e r.

36

35odj nirfjt blofe abfurb ift biefeS peffimipifd)« Enbjiel, fonbern and) zweitens gar nic^t erreichbar- ®enn eS hanbelt fid) nicht allein barum, baß bic 2J?enfd)heit eines fd)önen 2age§ ben gemeinfamen Entfchlufj faffe, ben Höillen jum iVben aufjugeben unb ju perben auch baS ganje Uniberfuin foH ins 9tid)t§ baburdj jurüdgefdjleubert werben. Nehmen wir an, baß wirtlich einmal in ber 3u*unft bie gejammte SJtenfchheit fo lebenSüberbrüfpg werbe, baß pe auf einem allgemeinen speffimiftemEongreß ben üJiajoritätSbefchluß faffe, 3«ber müffe Don morgen an bie CebenSarbeit einfteUen unb ftch aus ber SBclt fepaffen; nehmen wir ferner an, biefeS internationale ©elbfl» morbgefep mürbe and) getreulich mit ober ohne ipolijei auSgcführt unb bie ganje TOenfcpheit lüge ei«e§ ülbenbS in ihrem Stute maS mitre bamit für bie ffielterlöfung gewonnen? SBürbett bcSljaib auch all« $bi«« unb ^flanjen unb Sltome fterben unb Dom Elenb be§ IDafeiitS befreit fein? 3>er fonft IjoffnungSlofe ißeffimiSmuS h°fft unb jeigt fid) h'er auf einmal wutiberbar DertrauenSfelig. 2Bem fällt hier nicht baS SSDort 9tapoleon’S I. ein:

®om Srfjabenen junt Siätberlidjtn ijl nur Gin Schritt?

Wit 9ied)t ruft über biefeS ©chluptabteau beS tpeffimiSnmS Subtoig SEBeiS Doll beipenben ©potteS auS: „$5ieS alfo bic Söfung ! ein allgemeiner ÜJienfchhaitSftrife ! SSeitn bie SBeiSljeit überall l)in= brang, wenn bie fernften 2?öller in Selegraphenberbinbung flehen, bann fpielt ber Telegraph nad) allen ©eiten: borgen PRittagS 12 allgemeine ?trbeit§einfteflung , mir wollen nicht mehr Wollen, wir wollen jurüdfefjren $u SÜiutter „UnbemupteS“, um ihr bie ffiuljc unb ben Trieben unb uns baS Wuffjören Dom üergcblidjen ©lüderftreben ju bringen! 'Der Telegraph fpielte, ber ©trile fanb Patt, unb was blieb übrig ? ffein ?D?enf<h, lein $unb, lein ©tramp, lein ©tein, nicht mal bie 2Jtau§, bie fonft baoonläuft, wenn ba§ TOärcpen au$ ift. ©croip, biefer SBeltfirile jur SBelterlöfung ip nodj toller, als jenes PHittel Don SDiündjhaufen, ber Dom TOoitb perabpeigenb feinen 3opf oben abfehnitt, um ihn unten wieber als fftetterftrid ju ge= brauchen.* *)

Iber auch felbp baS Unmögliche jugeftanben: ®ie ffielt lönne burch ben Sfefcplup ber üftenfepheit megbelretirt werben, wer garantirt beim bafür, bap ber blinbe, bumnte Söifle beS „Unbewußten*, ber ja nach Jgiartmann „burch Erfahrungen niept Uüger werben lann",

‘) 2(itli>'lRai(riaUämu5 S. III. @. 328.

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Uebet ben 'J3efftmi«mu9.

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in feiner Unerfättlichteit fidf) nicht abermals regt unb rnieber eine 2Belt unb ber alte Oanj nicht üon neuem beginnt? »fl ber abfolute Sille roirllich baS, als roaS ibn ber ißeffimiSmuS bejetfhnet, bann muß biefer fatale Qfall eintreten unb ber ©cplus beS SeltprojeffeS, baS 9}irmaua rnirb nie jur Sattheit. ©o gerät!) ber ^ßeffimiSmuS mit fid) felbft in unlösbaren Siberfpruch unb l)ebt fid) felbft auf.

Ueberbliden mir fchliefjlich im Srluge unfere Unterfliegung , fo fietlt fid) un5 folgenbeS Diefultat heraus.

ßrftenS, eS ift unmöglich, bebuctib ober iubuctio ben ^rnuptfa^ beS IßeffimiSmuS : baß bie Summe bet Unluft in ber Seit größer fei als bie Summe ber Sufi mijfenfchaftlid) ju beroeifett.

3tbcitcnS, in ben bis jefct besuchten töegrünbungen biefeS ©ofteS hot fie^ uns eine SReilje bon 9ted)iuing8fehlern unb Uebertreibungcn ergeben.

drittens, angenommen, alle bon beit ÜJlenfcfjen bisher als ©lüds» giiter betrachteten Objecte unb 2ebenSri<htungen feien, roie ber 'j3effi> miSmuS behauptet, StDufionen, fo gemäljren fie immerhin ttjatfächlich ber SWehrjahl ©enuB unb ffreube unb bleiben ©ütcr fürbaSfflerouist* fein, fo lange ihr iduforifdher Gharatter nicht burdjfchaut ift.

Viertens, gefegt ben gfaß, jener peffimiftifche £auptfag märe mahr, fo ift noch nichts baniit über ben Serth ober ben Unmerth ber Seit unb bcS 2ebenS entfliehen. Oenn eS ift hoch borher §u fragen, ob benu überhaupt biefiuft als hofftet unb alleiniger ÜJtafe* ft ab für baS 2 eben unb baS Unioetfum ju gelten hat. Oa§ ift eben ju beftreiten. Oer oberfte ©nbjmed alles ©eins, foroobl ber einzelnen ^nbibibuen als ber gefammten Seit lann gar nicht bie Sufi fein, fdEjon beShalb nicht, roeil eine coloffale 9tnjaht bon Sefen, mie bie Ißflanjen unb alle unorganifchen Körper überhaupt gar nicht, fäljig finb, Suft ober Unlufi ju empfinben. Oer höchfte Gnbjmed ber Seit ober ihr a b f o l u t e r Serth lann nur baS 1 b f o 1 u t e b. i. ©ott fein. OaS unfichtbare Unenblidje in jaljllofen enblichen (formen ju offenbaren, eine permanente Obeopbome barjufteüen baS ertennt bie Sernunft foroohl mie bie Offenbarung als baS erfte unb lejjte 3>el be§ ÄoSmoS.

9lber bie bieten Uebel in ber Seit! Oiefe finb theilS burch bie ©nblichleit ber Oinge unb bie Orbnung beS ©anjen bebingt, theilS

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Dr. Engelbert Sottrtj gi}<bet.

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bienen fie f)öfjercn 3roe^en» t^eüS pnb fie burcb bie greibeit ber Wenf^en felbft berfdjulbet. „®on ber ©jiftenj einer 2Belt, bie Orb* nun g unb 3 t eibeit jugleid» in fi<b trägt, ift baS Uebel als 93lög* lidjleit unjertrennlidj. Denn foQte bie fRaturorbnung jeben 9Iugen= blid ben ffiünftben ber 3fnbiöibuen fi<b fügen, fo biirften fie entmeber leine felbftänbigen JÜünfdje, alfo leine roaljrbafte (Sigenbeit unb grei* beit haben, ober bie Dlaturorbnung müßte bei bem 2Biberfpru<b ber «Strebungen ber ©injelnen auch jeben 9(itgenblid aufgehoben toerben unb flott beS .(foSmoS märe ein ßbaoS borbonben. So aber, inbcm bie Ulaturorbnung unberrüdbar ift unb ben Sinjelnen jur Untermerfutig jroingt, tonn fie ibn felbft jur Sittlid)leit ergeben. Ohne bie 9toib unb ben flampf um§ 2)ofein märe nämlirb ber geijtige unb morafifdje 3J?enfdf) nicht. Ohne fie mürbe er fi<b niemals feiner höheren PJaturanlage unb ber in ibr gegebenen Kräfte berficbern, bie reichten Sdbäße feines Innern blieben ungeboben, er täme niemals ju ftdj felbft als überftnnlicbeS unb moralifd^eS SGBefen . . . ®er Söiberfprud), bie fcbeinbare geinbfeligteit, momit bie Statur fo oft bem Wenftben entgegentritt, ift ber mädjtigftc $ebel für alle fjfortf^ritte."1)

Ülber, entgegnet ber ißeffimiSmuS, felbft alle biefe Sfortfdjritte ma<ben ben SJtenfcben nicht mabrbaft glüdlid). hiermit bringt er in ber 2:bat eine tiefe Sßabrbeit mieber jum Semußtfein, unb bi « rin liegt feine probibtntielle Sebeutung. ®er moberne 3fÜ9eifi ftidbt belanntlid» feinen Fimmel in ben irbifdjen pnnli<ben gingen unb natß bem er ben jenfeitigen ©ott aufgegeben, bergöttert et bie SQßelt. 9tun fommt ber ißeffimiSmuS unb ^ält eine mörberifcbe Äaßen* muftl auf biefen neumobifcben ©ott unb jerreißt mit mepbiflopbelifcbem $obn ben ftbönen SBaßn beS ©rbenparabiefeS. ’Jtoburcb aber trägt er mächtig bei jur SBieberbefinnung auf bie echten ©üler beS ßebenS unb Pellt bie fDlenf<ben bor bie leßte entfcbeibenbe 9tlternatibe : 91tbeiS* muS unb 93erjroeifelung an allem ©lüd ober ©btifüntbum, b. i. Sßerföbnung.

') Quber, a. a. C. 6. 103.

Xtutf con TOatjfau & SBalbfdjmtbt. ^tanlfurt a. 'JDi.

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Pos Te Deum.

25 on ä e i n r i <fj 34 o n e.

Ser weiß, mit oielfacf) über ben Urfprung unb bie Slutor« fdjoft bcß Te Deum in ber neueren 3eit gejmeifett unb gemuthmaßt worben, fönnte erwarten, baß wir gerabe biefe (frage oon oornl)erein atß Hauptaufgabe für unftr Sßema in ^Bearbeitung genommen. ®e* wi§ werben wir aud) biefe Seite nicht bloß berühren, fonbern auch näher inß 2luge faffen unb hoffentlich gemiffen geläufig geworbenen Meinungen eine jergliebernbe Schärfe entgegenbringen. Stber unfer eigentliches Stugenmerf war hoch urfprünglid) ein anbereß. Sir wünfcßtcn biefen roeltbcfjcrrfdjenben ©efang, beffen SInfangßworte Te Deum nur genannt $u werben brauchen, um fofort gleicßfam ©locfeugeläut $u uernehnten, womit er rings um ben örbbatl begleitet wirb, einen ©efang, ber in allen Selttljeilen oon ben latholifchen ©emeinben gefannt unb in feiner bie Herjeit emporreißenben SDIetobie mit horf)ffftticher Stimmung gefungen wirb, mir wünfdjten biefen ©efang auch im (Sinjelnen nach feiner fform unb feinem inneren ®ef)alte, nach fein« lirchlichen Stellung unb Sebeutung bem größeren 'rßublifum näher ju erfchtießen unb lebenbig ju machen, worüber oerhältnißmäßig nur Seniges gefcfjrieben unb in bie $änbe beß 23olfeß gefommen. Sir werben bemnach unfere Darlegungen in brei Hbtßeifungen oorführen, inbem wir fpredjen:

I. Ueber Urfprung unb 23erfaffer beß Te Deum.

II. Ueber 3nhalt unb (form beS Te Deum.

III. Ueber ben lirchlichen ©ebraudj beS Te Deum.

l

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$tinridj ©one.

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I. Utfcfr Urjpruttg unb ©trfafjer bts Te Deum.*)

Die alte, wir wollen immerhin fagen legenbenartige , aber baS gattje ÜHittelalter h*nbunh bewahrte Uebertiefcrung berichtet , bafj ber ©ejang oon bem Slmbrofiue unb SlugufttnuS, als biefer oott jenem getauft worben , wie aus göttlicher (Eingebung, ohne oor* Ijerige SBerabrcbung, oor ber ganzen ©emeittbe aus banlerfütltem £>er< ^ett ju ©ott erhoben worben. Das ältefte f d} r t f 1 1 i $ e 3eu9***B baS man bis jefct für biefe fpeciellen Angaben aufgefunben hat, ftcfjt in einer (5f)rontf oon bem SDiailänbifchen Sifchof DaciuS (DatiuS) aus ber erften $älfte beS 6. 3af}rhunbertS. Die (Sd)tt}eit biefer ©hron‘f hat man freilich in neuerer 3**1 angegweifelt unb ihre Sbfaffung fogar bis ins 11. 3af)rhunbert oerwiefen, worüber wir fpäter reben werben. ?tbgefef)en aber oon jenen befonbern Angaben über baS ßntftehen beS ©efangcS, fo oiel fte^t feft, bafj bcrfelbe oon ben älteften feiten her mit SlmbrofiuS unb WuguftinuS in Stferbinbung gehalten worben, unb baf bie ftirdje biefe STrabition in ihren 9iituS aufgenommen hat; benn in ben ©reoiarien heifjt ber ©efang auSbrürflich »Hymnus Ambrosii et Augustiui. 'Jt'un finbet fich aber weber in ben SSJerfen beS h- Slmbrofius, noch in benen beS h- äluguftinuS irgenb eine ßn wähnung beS ©efangeS, unb ebenfo nicht bei anbern gleichzeitigen ©djriftftcHern. Sin folcheS ßrmangeln oon berartigen ©djriftftelleii

*) $er lest beS Te Deums in btr jweiten Slbtbcilung angeführt- JjjinfiCbtliib ber Benennung beS Te Deum i(l bie ©ejeitbnung ,2t nt brofianifeber Sobgefang* uns SJeutföen geläufig, unb Jeher weiß, b«ß babei ber b- SlmbrofiuS als Serfaffer gebadjt wirb ; ber 'flusbrud entf priemt bem lateinifiben »Hymnus Arobrosianus«. 3n bem Sreoier hebt an bet betreffenben ©teile ber Slatutin »Hymnus SS. Ambrosii et Augustiui«, infofern naib a*,tr Ueberlieferung and) tluguftinuS ju ber Sbfafiung mitgewirft bat; in bem alpba’ betifiben ©erjeießniß am Snbe beS SreuierS finbet ft dl aber ba« Te Deum niebt unter ber füubrit ber §pmnen, jonbern unter ber Siubrif ,(i a nt i c a." 5)a8 SBort

ßjpmnuS bat nämlitb einen hoppelten fficbrautb, 1. für geiftlidje Sobgtfänge über* baupt, wie j. ©. baS Gloria in excelsis ber Hymnus angelicus beiß1! 2. im engem Sinne für bie na<b gleichmäßigen ©tropben in metrifeber gorm »erfaßten fit(blid)cn Sieber, ©lit bem ©amen Canticum werben junäibft biejenigen ©efänge btr b- ©<brift bejeiCßnet, bie nübt unter ben ©falmen porfommen, »om ®efang StofeS bis berab jum Magnificat unb Nunc dimittis. 5>tr ©ame §pmnu8 fommt alfo bem Te Deum nur in ber erfteren allgemeinen ©ebeutung ju; wegen feiner nießt metrijtben gorrn aber, unb befonberS Wegen feiner Stellung im SiituS wirb eS unter bie üiubrit Cantica gejeßt, worunter fiib außer ben biblijtben ©efängen nur nodß baS Spmbolum S. Athanasii befinbet.

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2)08 Te Deum.

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ift aber überhaupt nicht oon mafjgebenber Bebeutung, unb über anbere 2lmbrofianifcf)e ippmnen fdjmcbt belanntlid) ein ähnliche« fdjrocigfame« Dunfet.

Dagegen finbet ft cf) fdjon in ber £)rben«rege£ be« fj- Bene« bictu« au« bent crften Drittel be« festen 3o^r^uitbcrt«, atfo faunt fjunbert 3ahrc nach bem lobe be« h- Sluguftinu«, unfer ©efang al« ein bcfannter unb ganz gebräuchlicher Jphrnnu« in ben 9fitu« be« Officium« aufgenommen unb zrnar mit feiner oorgefchriebenen ©tel* tung, am <5nbe ber DJocturnen. 9lu« bem achten ^afgljunbert haben mir fogar fchon eine altbeutfche Ueberfe^uttg beäfelben, unb in einem foftbaren ^fattcrium , melcf)e« um 772 oon Sari bem ©roßen bem Zapfte .'pabrian gefdjenft mürbe unb [ich jefct in ber Saiferlidjen Bibliothef ju ÜBien befinbet, roirb ba« Te Deum im Slnfjange au«» brücflich al« $t)mnu« bezeichnet, ber oon Slmbrofiu« unb Sluguftinu« mechfelmeife (invicem) gemacht morben. (Sbettfo haben uralte (Sobice« be« ZUofter« üKonte ßaffino fchon bie bolle Ueberfchrift : »Hymnus S. Ambrosii et S. Augustini« unb »Hymnus, quem S. Ambrosius et Augustinus coraposuerunt.«

SBie alfo einerfeite ber SDJanget an gleichzeitigen

literarifchen 3cu8n*fTcn öen Urfprung be« $t)mnu8 ju oerhülleu fcheint unb Beranlaffung gegeben haG ihn halb einer fpäteren, halb aud) einer früheren 3e't 3Ujufchreiben , fo jlä§t bie uralte Trabition, oon ber nirgenb« nadjgemiefen roerben fann, bah fic fid) burch irgenb eine millfürliche Behauptung eingebrängt habe, feinen 3meifel, bah ber §pmnu« minbeften« in engfter Beziehung ju jenen beiben ÜRännern, bem h- Slmbrofiu« unb Sluguftinu«, geftanben habe. Denn ma« ift ba« bloße zufällige üJfangeln an gleich« Zeitigen fd)riftlid)en BeroeiSquellen gegen bie (ebenbig fortbauernbe ütfadjt ber Trabition? Unb mer füllte bettn zuerft geroagt haben, ber Äirdje al« Titel für einen foldjen alten, oon älter« tjer gebräuchlichen unb hodjgefeierten ©efang bie 9lamcn zweier heiligen $ird)enoäter zu octrogiren, ober bie UMlänber über ihren h- Slmbrofiu« etma« mei« ZU machen? Doch ba« Nähere über bie fritifche Seite ber ganzen grage roollen mir fpäter anfttüpfen.

^ebenfalls bürfen mir un« oorläufig auf ben Boben ber Tra« bition ftellen unb minbeften« an ber Berbinbung jener beiben Flamen fefthalten, mit melchen bie ZUrche unfern $tjmnu« gezeichnet hat. Darum liegt auch zunächft ob, biefe beiben Blänner al« Träger be« ©efange« näher oorjuführen. 2Ba« anber« aber oerbinbet ober oer«

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Heinrich ©one.

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banb bicfc beibcit großen ^eiligen fo innig in ihrem Sehen al« bic Äöefefjrung nnb bie barauf erfolgte Jaufe be« äuguftinu« burd) Slmbrofiu«? gefchalj biefe laufe bet ber großen lauftoeibe am Gharfam«tag beb 3al)re6 387. 2thr &olb « fld) ber Saufe »erließ Sluguftinu« ÜDiailattb, um mit feiner SWutter narf) bem htiniathlid)tn 3lfrita jurücfjufchrcn, unb oor ber laufe roar für Sluguftinu« feine SBeranlaffung gegeben jur ®etheitigung an unftrm £>t)mnu«. Dagegen ift oon einlcud)tenber Sebeutung für bie 3luffaffung bc« $pbmnuS unb feine« Urfprunge«, baß gerabe im 3aljre oor ber laufe ber ^falmen» unb £>tjmnengefang natb Slrt ber Orientalen burtb 3lmbro» fiuS in ber ÜMlänbifchett $ircf)e rounberbar fcbnetl eingefübrt roorben. Darüber fpricht Sluguftinu« in feinen Sonfeffionen mit riibrenbcr SBegeifterung, bie toie ein Schlaglicht auf unfern ^ßmnu« jurüdftrablt. 2Bir roollen bie Stelle roörtlicf) f^ier^erfejjen unb bemerfen nur, baß bie Slnrebe barin immer an ®ott felbft (nicht an Slmbrofiu«) gerichtet ift. Die Steife lautet:

„Wir feijt »einte ich (nämlich in ber Stirne ;u Diailanb) unter beinen §»mnen unb ©eiängen, ^eftifl eridjüttert Bon ben Stimmen beiner lieblich boflenben Kirche! 3n »eine Cfiien «gofjen fid) Jene Stimmen, unb (baute bie Wahrheit in mein §erj, unb es entbrannte barem» baS ©efiibt ber Slnbaebt, unb 3Tbiräiteii floffen, unb mir warb »obl babei. Ttocb nicht lange b” mar e«, bafe bie Utailänbifcbe Kirche biefe ?lrt beä ZrojteS unb ber ©rbauung in feierlichen ©efSngen eingefübrt batte, wobei bie trüber in großem barmonijtbem (Sinflange Stimmen unb Qerjcit Btr» einigten. (Sä war nämlicb erft ein 3abr, ober nicht Biel mehr (gegen Oftern 386), als 3ufiina, bie ‘Diutter beS jungen 3mberatotS Salenti* nianuS, beinen Wann ttmbrofiuS, unjetn Sifdjof, Berfolgte, au? Antrieb i^rcS 'Krianijcben 3rrglauben». Wachens barrete bie fromme ©emeinbe bie 9ta<bt über (mehrere ‘läge unb 'JiäcJjte) in bet Kirche (fie war mit Solbatcn umfteüt), bereit, mit ihrem SBifcfjof ju fterben. Such meine Wutter, beine 9Jlagb, eine ber Grften im Sorgen unb Warben, lebte bort bem ®ebete. Da warb ber ®efang ber htjmnen unb ^tfalmen eingefübrt. nach Sitte beS WorgenlanbeS, baß nicht baS ©oll Bon Jgarm unb Zraurig-. feit serfchmachte. Unb fo warb eS beibebalten bis auf ben heutigen Zag, unb fchon Biele, ja beinahe alle beine gerben auf bem (Srbhreife, folgen bem SBeifßiele."

ajcrgegenioärtigen mir un« nun näher iene jroei großen 1'idjter bei förtbc unb ben feierlichen IDloment, ber fie oerbanb, um roenig» ften« ein ©efiihl unb eine SBiirbigung für bie innere ©ebeutfamfeit jener alten ^Überlieferung oon bem Urfprunge unfere« ®efangc« $u gemimten.

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®a* Te Deum.

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Sltnbrofiu«, jener ©ifd|of, ber bem gewaltigen Saifer IbtO£ bofiu« bei beffen 2lnfunft in ©failanb ben Eintritt jur $ird)e wehrte, weil berjelbe furg oortjer in üt^effalonid) eine graufam blutige Sfacbe genommen, unb alb ber Äaifcr ju feiner Entfcbulbigung an bie Ver- gebungen be« Äönig« Saoib erinnerte, bie Antwort gab: „$aft bu gefünbigt wie Saoib, fo t^u’ aud) ©ufje wie S'aoib" unb ber ftaifer beugte fttf> unb unterjog [ich ber lang anbaltenbcn fiutbenbufje, welche bie bifcf)bflicbe SBiirbe ihm auferlegte Stmbrofiu« alfo batte bereit* breijebn 3abre lang auf bem Ceudjter ber üftailänbifeben 8ird)e geftanben unb burd) Viort unb @d)rift unb £bat bie ©ewunberung be* römifdien Väcltreidje« auf fid) gejogen, al* bie ©tunbe !am, wo Sluguftinu* bureb bie Saufe fein geiftlid)er ©obn , alfo ein Stirdjen* nater ber Vater eine* ftircbenüater* werben follte, welcben ©eruf bamal* freiliib nod) feiner »on beiben abnte.

Unb Sluguftinu« anberfeit«, bamal« in feinem 33. Seben«* jabre, etwa 20 3abre jünger al* Slmbrofiu«, welch ein Seben ber Verirrungen b°tte er hinter ficb! kannte ja feine heilige SDiutter IDionica nur Spänen unb ©ebet für ihren ©obn, bafj er enblid) eintreten möge in bie Feinheit ber fatbolifd)en Ccb^e unb be« fatbolifd)en Sehen«. Slber gerabe feine glänjenben Salente, fein unerfättlicf>er Surft nadj UBiffen unb ©iffenfdjaft, oerbunben mit unermüblidjem SRingen nach 9iubm unb Ehre, bie ihm überall, juntal al« Cebrer ber ©ereb» famfeit, reichlich ju Sbeii würben, ba« alle* festen ihn nur immer weiter oon jener bemiitbigen SEBiffenfdjaft ber bimntlifdjen ©abrljeiten ju entfernen, worin er fpäter ein fo unerreichter Vertreter, ein wahrer Slufbauer an ber ©tabt ©otte« würbe. Enblid) fc^tug bie ©tunbe ber ©nabe; er fam al« Sebrcr ber ©crebfamfeit nach SBlaitanb; feine ©ott oertrauenbe SDfutter folgte ihm; er bürte bie ^ßrebigten be« Slmbrofiu«; bie fchbne gorm berfelben feffelte ihn; er fam in näheren Verfebr mit ihm, unb wie hätte ein folcber ohne ftille Sinwirfung unb heiligen Slnbaud) bleiben fönnen? Slber wie einft ben Slmbrofiu« bie ©timme eine« fiinbe«, mit ben SBorten : „Slmbrofiit« foll ©ifchof fein" jur bifd)öflid)en SSMirbe berufen, fo follte wicber bie ©timme eine« Äinbe« fein, bie mit ben Söorten: „9limm unb tie« 1 " wie ein ©lib in bie ©eele be« Sluguftinu« fuhr unb burd) bie befannte ©teile hei ^Jaufu«: „Glicht in ©elagen unb Srunfenbeit ic." ben ^löblichen Entfcf)luj? 3ur oollen ©eelenerneuerung entjiinbete, bajj er fofort 3U feiner ÜJfutter eilte, um ihr bie Erbörung ihrer ©ebete, ba« Enbe ihrer 2br“nen $u oerfiinben. $n ber Einfamfeit bereitete er ficb bann

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$tinrid) Sone.

oom £>erbft (386) bi« in bie gaftenäeit (387) $utn ßmpfang bet !)•

Saufe oor, bie iljm am @f)arfam«tag jurn ©intritt in ben S©eg btr $eiligteit bet in ber £>ei(igfeit fd)on bemiitjrte Slmbrofiu«, bet Ijodj» gefeierte -S3ifrf)of non -Diailanb, bem fünftigen ©ifdmf oom 2lfrifanifd)cu £iippo, erteilen follte. 2Ötld) ein Moment für jroci tDiänner, oon benen töngft ber ©ine be« älnbern Slugcnmcrf gemefen! Sßeld) ein Moment, oon Slmbrofiu« fo lange erfefjnt, oon Stuguftinu« burd) ©otte« ©nabe fo munberbar erobert! meid) ein Moment, um au«« jurufen : (Mott Üob unb S)anf, Te Deum laudamus.

Unb nun meiter in beiben SDlännern meid; eine ©abe bc« SGßorte« ! Aöeibe fdnnungooll in ben ©ebanfen unb reid) in bem jebeemaf treffenben fpradjlidjtn 3tu«brud ! ein Slmbrofiu« an ber Spipe be« loteinifdjen Jppmnengefange«, ben er 3uerft in ÜDiaitanb einfiiprte, fo bafj faft alle lateinifdgn §gmnen jener 3eit, bie nod] jefet bie perlen ber fanonifdjen $tjmnen auSmadjen, Slmbrofianifcbe $gnmen bf*§tni unb ein Jluguftinu«, ber, roenit er auch nid>t mie Slmbrofiu« fid) birect mit poetifdien gornten befaßte, boefj in alten feinen Werfen oon einem poetifd>en ©eiftc, oon fjetlem '©djauen, tiefem ©mpfinben unb fdjmungooller Spraye getragen mirb; felbft ber öfterlidje ‘fjofauntm fjtjmmt« be« ßfiarfamStag«, jene« munberoolle Exultet jarn angelica turba, momit nad) ber geuerroeifjc ber ©icg be« neuen t'idjte« oer« fünbigt wirb, foll itpi, ber am St)arfam«tag getauft roarb, 3um S?er* faffer fjaben.

Renten mir un« nun biefe beiben Scanner mit foldier ©egabung be« ©eifte«, be« ©emütpe« unb be« lebenbigen äöorte« in jenem für fie beibe fo ergreifenben Momente ber t). Saufe: roem mirb nid)t natürlid) erfdjeinen, ba§ ein Slmbrofiu« feinem frof)lodenben Stufblid 3U ®ott einen tauten Zeitigen 9lu«brud gegeben, unb bajj ein Sluguftinu« au« ber gülle feine« §erjcn« mit eingeftimmt, unb baf; beibe, nidd etroa in bloßen @efül}(«ergüffen fid) begegnet, fonbern oor altem mit 3nbrunft jene @lauben«maljrfieiten umfaßten, morin fie fid) nunmehr Bereinigt füllten. Unb biefe ©tauben«maljrl}eiten im ©egenfoß« iu mannen bamaligen 3rr(ef)ren bilben gerabc ben mefentliditn Inhalt unfere« §pmnu«. Ob aber gerabe bie solle, abgerunbete un« oorfiegenbe gorm be« Te Deum gleid) bei ber Saufe ju Sagt trat, ober nur ber mefentlüfce ©eljalt, ber bann al«balb binttr^cr 0011 beiben, ober junädjft oon bem barin geübteren Slmbrofiu« in tintn eigentlichen, allgemein gültigen ©tfang au«gearbeitet murfce: ba« mag felbft auf bem ©oben jener alten Srabition, ben mir oortüufig an1

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T

J)o« Te Deum.

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genommen haben, immerhin nocf) eine offene grage bleiben, Sof)l aber bürfen mir für bab <£ntftef)en eine« ©cfangeb, ber im SRitub ben biblifchen ISanticib jur Seite gcftellt ift, and) an eine befonbere 2ftit* mirfung be« göttlichen ©eifteb erinnern.

3nbem mir nun ber Bollftänbigfeit wegen aud) auf bie fritifdje Seite ber Anzweiflungen nüfjer eingchen, müffen wir unb babei wol)l einige literarifche Stotzen ertauben, welche oielleid)t nur für einen engeren tfeferfreib non 3ntcreffe finb. ISb haben fid) bie Anzweiflungen nicht bloß über bie fpectelle Angabe oon bem p löblichen, unoorbereiteten (Sntfteffen beb ©efangeb bei ber Jaufe beb Auguftinub oerbreitet, fonbern aud) über bie gemeinfamc Autorfchaft beb Ambrofiub unb Auguftinub, unb felbft über bie .guriicfführung beb ©efangeb auf Ambrofiub allein, beffcn Stamen er Dorjugbtoeife trägt, fo baß man ihn jule^t fogar alb eine Bearbeitung ober gerabeju alb Ueberfegung aub bem ®ried)ifchen bat betrachten wollen. 3m SSerfaufe unferer Darlegung werben mir biefe oerfcfjiebenen Anzweiflungen nicht getrennt behanbeln, fonbern fich gegenfeitig burchfchlingen unb ergänzen taffen.

Sehr aubführtich unb mit prcibwürbiger Umfid)t ift bie $rage über Urfprung unb Berfaffer beb Te Deum in Daniel’b f)öd)ft oerbienftoollem »ThesanrusHymnologicus« befprod)en worben, Banb II S. 276 299, moju in Banb III ©. 292 noch einige .äufäfce bei« gegeben, ©ab frühere Citerarifche über ben Oegenftanb ift fehr forg» fällig bafelbft zufammengeftellt. &ab einzelne einzugehen, ift hier nicht ber 5Raum. Daher wollen wir, unter ^inmeifung auf Daniel, nur bie majjgebenbften SWomente her&orheben unb nach ih«m Serif) unb llnmerth furz 511 charafterifiren fudjen.

1. Sab junächft bie ßhron‘f be® ®aciub angeht, worauf wir tbingaitgb hinwiefen unb ber man bei ber Sache eine fo große Stolle Zugetfjeilt hat, fo hat bie grage über beren Schtljeit im @runbe wenig ober gar nidjtb mit ber grage über bab Te Deum ju fchaffcn. Stammt bie betreffenbe Stelle ber tihronif oon bem iDfailänbitdjen h- Bifchof Daciub aub bem 6. 3ahthunbert, fo fleht ber Angabe über bab Te Deum allerbingb nach fjerfon unb Alter eine größere Bürg* fchaft jur Seite; aber bie oerlangtc (Gewißheit würbe baburch nicht erreicht fein, fonbern weiterhin ber Anzweiflung anhcimfatlen. Stammt fie aub bem 11. 3ah''huabert, wohin man fie oerfefct hat, fo ift fie eben nur ein Beweib, aber aud) wenigftenb ein Beweib, baß bie be*

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78 $>«intid) Sou«. 8

treffenbe ßrjäßlung bamal« befannt war unb al« glaubwütbig erachtet würbe, ift aber gewiß fein ®ewei«, baß fit bamat« jjuerfl aufgefommen, unb ber Söerfaffer ber Gßronif fie roiüfürlicß au« feinen Ringern gejogen ßätte. Qa« wäre woßt ein feltfanter ßinfall oon ißm geroefen, einen fo alten, allgemein befannten, in ben 9iitu« ber ftireße auf* genommenen @efang plößließ in fo beftimmter unb ausführlicher Steift jwei befannten ßciligen Äirdjcnoätern jueignen ju wollen, unb ba« in einer ßßronif oon ÜJiailanb, wo ber ß. Slmbrofiu« bureß feine SHirf« famfeit unb ßinritßtungen in lebenbigem oereßrungSoollcm Slnbenfen geblieben. 3lu<ß läßt fiel) au« ber betreffenben ©teile felbft, bie nicht mit „e« foll, man fagt u. bgl." eingeleitet wirb, feßon ßerau«fiißlen ba§ eine fo genaue, ßiftorifcß objectioe Slngabc eine« gaetum« nicht momentan erfunben, fonbern au« anerfannter lleberlieferung ent« nommen worben.*)

2. ®a« in iDiailanb oorfinbtieße SDknuffript ift bureßau« nicht bie Quelle, woraus bie ßrjäßlung fiel) weiterhin oerbreitet ßat. Qicfe« SDfonuffript lag rußig in ber bortigen ©ibliotßef, war faum bem 9?amen naeß befannt; aber bie Srabition über ba« Te Deum ging lebenbig ißren 3Beg ; nirgenb wirb fief) bafür auf jene (Sßronil a(« Quelle berufen. 9lber man ßat ein ffikfeit barau« gemacht, al# ob oon ißr au« bie ganje ßrjäßlung ißren ?auf genommen. Unb bod) ift bie betreffenbe ©teile erft gegen ßnbe be« 17. 3aßrßuntlfrt* näßer befannt geworben, ©elbft Sutßer, ber in bem Te Deum eine ©laubenöformel (ein ©tjmbolum) erblicft, feßrieb noeß treu ber alten Srabition, oßne oon einer ßßronif be« üDaciu« ju roiffen : britte ©ßmbolum follcn ©t. äluguftin unb Stmbrofiu« naeß Sluguftini Saufe gefungen ßaben. Qa« fei alfo ober nießt, fo ift’« oßne ©cßaben, ob man glaube ober nießt; ift glcicßwoßl ein fein ©gmbolum ober öefenntnifj, wer aueß ber iDieifter ift, in ©angcSweife gemacht,

*) 3n Her ßßronit rnirb juerft ba« Sefanntwtrben be® VugußtnuS mit 'ÄmbrofiuS unb be® üeftfren (jinmirten auf ißn berichtet unb bann fortgefal)tfr' »Tandem nutu divino non post multos dies, sicut multis videntibus et sibi consentientibns palam observaverant, sic in fontibus, qui B. Joannw adscribuntur, Deo opitulante a B. Ambrosio cunctis fidelibus hujus urbis adstantibus et videntibus in nomine sanctae et individuae Tnnitati« baptizatus et confirraatus est. In quibus fontibus prout Spiritus sanctu? dabat eloqui illis, »Te Deum laudamus« decantantes, cunctis, qui aderant, audientibus et videntibus simulque mirantibus, in posteros ediderunt. quod ab uuiversa ecclesia catholica usque hodie tenetur et rebfPose decantatur etc.

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Im« Te Deum.

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nid)t allein bcn regten ©tauben ju betauten, fonbern auch barinnen ©ott ju toben." Unb fein »(eitgenoffe 3ob- Glich tooäu« befdjreibt in feinem »Elucidarium ecclesiasticum« (II. 55) ben Urfprung be« Te Deum bei ber Saufe be« äuguftinu« recht genau, ohne aud) nur in ber Saßl be« Slubbrucf« irgenb etwa« mit ber Ghroitif gemein ju haben. Sefonber« ift ju beachten, baß bei Glidjtooäu« bie atternirenbe 3lbmcch«lung jmifchcn ämbrofiu« unb äuguftinu« fdjarf t)eroorge^oben wirb, ma« in ber Gßronif gar nicht gefdjief)t. *) Uebrigen« wirb aud) oon 3)2 ab i (ton, ber bie ÜWaitänbifcße Gljronif bem äRailänbifdjen $iftorifer tanbulpßuö im Anfang be« 11. ^afprhunbcrt« jufchreibt anerfanut, baß bie 2tutorfd)aft be« Te Deum fchon ju be« ß- Daciu« feiten bem Stmbrofiu« unb äuguftinu« werbe jugefeßrieben worben fein.

3. SBa« nun aber bie genannte Gßronif betrifft, fo woUcn mir. Wenn aud) abfdjwcifenb Dom eigentlichen Te Deum, hier einige« Nähere barüber anfügen. 3n ber ©ibliotßef bc« 2)2ctropolitan*Dom* fapitet« ju üftailanb befanb fid) ein atte« üDianuffript einer Gßronif, bie ungejweifett a(« Gßronif be« b. Da ein« (Datiu«), Grjbifdjof« oon ÜJJaitanb (ftarb 553), gegolten batte, übrigen« faft in 5Hergeffcnßeit gelegen. Der Gifte, welcher gegen bie Gcbtßcit berfelben, jeboeß nicht im entfernteften mit iRiicfficbt auf ba« Te Deum, fonbern bei gragen über bie Salbung ber fränfifdjen Könige fid) entfehieben au«fpracß, war ber ©enebiftiiter £ugo SDfenarbu« (ftarb 1644). Da meß>

rere ©etehrte itjm bestimmten, mahnte fc^ott ber gelehrte 3efuit fiabbeu« (ftarb 1667), fie möchten nicht ju Saftig fein mit ber SBerurtßeilung einer Schrift, bie noch niemat« in Drucf erfeßienen unb bie feiner Don ihnen mit äugen gefeßen unb mit £>änben burefp blättert habe. 211« fpäter bei einer Streitfrage über bcn ©ebraud) be« ungefäuerten örobe« auch Slmbrofiu« au« ber Gßronif angeführt Würbe, manbte fich 2)2abillon (1632—1707) an ben Üöibliotfjcfar ju SDIailanb um näheren äuffcßluß über bie CS^ronif. Gr empfing bie briefliche fDftttßeilung, baß ba« ü)2anuffript bamat« nicht über 600

*) ®if Stelle Bei ßlicf)tot)üu§ lautet: »Hoc canticum a celeberrimis sanctae ecclesiae Doctoribus Augustino et Ambroeio dicitur esse compositum, quam hic illum sacris baptismi abluisset undis et post diutumas errorum tenebras ad verae fidei lumon reduxisset. Tune enim ambo in gratiarum actionem de suscepto divino rnunere dicuntur erupisse per boc divinae Majestatis praeconium et alternando vices, Ambrosio quidem inchoante et Augustino subsequente, ipsum a principio ad finem usque deduxisse. Unde fere ab omnibus incribitur Canticum Sanctorum Augustini et Ambrosii.'-

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.(peinrid) sBont.

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3aßre alt fein tonne unb oon oerfcßiebenen $änben gefcf)riebcn fei, nämlicf) ber crftc 2bci( oon C'anbulplju« senior, btr jweite oon Slr'nulphu*» unb btr britteoon i'anbulphu« junior, lauter SDiai* länbifcße Ipiftorifcr au« bcm 11. 3tt^r^unbert. Die ßhronif reicht oon ben erften 3«lcn ber SOiaitänbifcfjen Äircße bi« junt 3“hr 1067.

3U« Sitel finbet fid), oon jüngerer frnnb beigefdjrieben »Chronica Datii Archiepiscopi Mediolani nuncupata.« (56 tonn fid) alfo nur um bcnjcnigen Dfjeil biefer ßfjronit fjanbcln, ber bi6 auf Daciu« reicht. Unb bd liegt bod) gewiß ber ©ebanfe naße, baß bie urfprüng« ließe ßhronit bc6 Daciu« oon tfanbulpßu« wicber aufgenommen, roenn aud) mit einigen Slcnberungcn, unb baß bann bae Jöert weiter fort« geführt worben. SDtabitlon jebod), noch oerfdjiebene ßrwägungen heran» jießenb, glaubte ba6 ©anje al« ©eftßießtemert ben beiben llanbulphu« jufdjreiben ju bürfen, unb al6 foldje« ift e6 bann aud) fpäter oon iDf uratori in feinen »Scriptor. Kerum Italicarum« abgebrucft worben. 9Jod) oor bicfcm tlbbruef erßob fic^ aber ber äluguftiner ßuftacßiu« a S. Ubaldo in feiner Schrift »De Dei benedic- tioue etc.« (1695) mit aller Äraft für bie urfprünglicße ßjiftenj einer Dacifcßen ßßronit, bie man geläugnet hatte. ßr erfennt mit 2J?a« biüon an, baß ba6 oorfinblidje SDZonuffript nic^t bie urjprüng(id)e ßßronit be8 Daciue fei, behauptet aber, baß biefelbe eyiftirt l)abc unb baß größere SBeränberungen ober ,»)ufäfce burd) Canbutpßue babei nid)t oorgenommen würben. Seiner ^Jeweiefüßrung fügt er ein große«

Hcrjeidjniß oon üftännern unb föclegftellen hinju, al« mit feiner ÜJfcinung übereinftimmenb. 3n«befonbcre oertßeibigt er aud) bie uralte ßrsählung oon bem Urfprung be« Te Deum bei ber Saufe bc« Sluguftinu«. Daniel fetbft bcjeicfjnct ben ßuftacßiue alo einen eben fo fcßarfen, wie äußcrft gelehrten sUertßeibiger ber Dacifcßcn ßßronit. ^um Schluß aber fügt er ßinju, baß alle IBewciegrünbe be« Guftadjiu« entfräftet worben (collabefacta) burd) bie genaue unb gelehrte ßntgegnung be« SDieratiu« (f 1745), in beffen 9ioten »Ad Rubricas Gavanti.« Diefc betreffenben 9foten habe icß forg« faltig erwogen unb finbe ba nicht« oon fcßlagenber Straft, wooor ßuftadjiu« jurücfwcid)en müßte, iöci aller fidjtbaren Neigung, bem Datiu« eine ßhronit abjufpredjen, bringt er bocß, troß (anggejogener Darlegung, nicht weiter al« ju bem Sähe: »Semper itaque firmnm remanet, nihil certi statui posse super Datii chronico«, ^,e« bleibt alfo feft, baß nidjte ©ewiffe« über be« Datiu« ßhronicon ftatuirt werben fann"). Da« mag wahr fein; aber muß babei in iReeßnung

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2>a$ Te Di'um.

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gebracht werben, waS unb wie oiet einet »erlangt, um etwa« als gewiß anjuerfennen. 3n bet Slrgumentation beS SDJcratiuö fe^lt eS nicht an auffallenben Sprüngen; gleich im erften ©a^e erwähnt ©aoantuS bie ÜJteinung non ber Unec^t^eit ber Tacifchen ß^roni! mit bem befdjeibenen 3uta|e »wenn man ÜWailänbifchen ©eiehrten ju gtauben hat" (»si eruditioribus est credendum Mediolanensibus«) ; UttcratiuS aber redjnet ihn barauf h*n bei ben 'JJoten als förmlichen (Segnet ber iSfjronif (»aperte refragatur« ; »non admittit«); in ähnlicher Söcife macht er eS fpäter mit garbinal ©ona.

Dorf) in bas (Einzelne fönnen mir uns hier ntc^t eirtlaffeit , ba es ia nic^t oou entfcf)eibenbcr ©ebeutung für unfer Te Deum ift. gine Hauptfrage, bie fief) wohl $ebem aufbrängt, bleibt hoch wohl bie, woher benn überhaupt ber Diame Chronicou Datii entfprungen unb oerantaßt fei. 2l(S Antwort barauf wirb einfach gefagt, „ba§ fidj barüber nichts ermitteflt taffe unb baß man füglich barüber hinweg» gehen fönne." 3<h benfe aber, ba§ man, ftatt barüber h<nweg$ugehen, lieber bei bem trabitionellen T>atiuS fteheti bleibt, bis er unabmeislich befeitigt ift. 3m 14. 3at)l'hunöert fü^rt ©aloaneuS (Dominitaner auS ÜDtailanb) auSbrticflich ein Chronicon Datii an. Unb ©auluS DiaconuS im 8. 3ahrhunbert nennt ben öifdwf £>atiu« atS ®e= fchichtSguette für eine große Hungcrenoth jur 3eit beS ©apfteS ©pl« oeriuS, alfo auch jur 3£it beS DatiuS. T)a fich »on biefer Hmtfltt«' noth nichts bei ?anbulpf)uS finbet, fo hot man angenommen, TatiuS habe baoon oietteicht in einem Hirtenbriefe ober in einem brieflichen ^Berichte gefprochen. Slber bieS lönnte auch gerabe eine ©teile fein, bie CanbulpfjuS ju ftarf gefunben, inbem fie befagt, baß bie Hunget8< noth über bie ganje SB eit (per unniversam mundum) getjerrfcht habe unb fo ftarf gemefen, baß SDiütter bie ©lieber ihrer Äinber oerjehrt hätten. 3*benfallS hot Paulus »DiaconuS ein gefchichtliches JBert beS Tatius oor 2lugen. ©Me follte er auch ju einem ©riefe besfetben gelangen?

4. ©egen bie e jr t empor irte (Sntftehung beS Hhmnut* &ei ber Taufe beS SluguftinuS hot man befonberS heroorgehoben , baß Slugu» ftinus felbft in feinen gonfeffiouen, wo er feint Taufe befdjreibe, nichts oon fo wunberbarem ©organge ermähnt h°be. Iber tS ift eben nicht wahr, baß SluguftinuS oon feiner Taufe eine eigentliche ©efchreibung ober grjäf)lung gibt, greilich erjätjlt er recht eingehenb ben ©erlauf feiner ©efefjrung, aber oon feiner Taufe felbft unb bem ganjen Taufafte fagt er nichts weiter, als bie wahrhaft geheimnißeoU

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$>tinrid) Sone.

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wenigen ©orte: „Unb wir würben getauft"; gewiß ganj tntfpred|enb bcr (Erhabenheit unb Demuth, womit er bcn tjod^eitigen 2lft auffa&te. ßbenfo fönnte man aud) nod) gettenb machen, bafj im ^pmnub fetbft feine Slnbeutung oon ber Saufe fic^ finbe. Stber bab IJJerfönlichc Derfdjroanb in ber ©emeinfamfeit beb Sefenntniffe# , jumal bei ber allgemeinen öfterlidjen Sauffeier. ©öre urfprünglid) fo etwa« ^er= fönfidje« hincingcfommcn , fo fonnte eb hinterher für ben 3wccf &cr Slllgemeinheit wicber befeitigt werben. Die ^auptfadjc für Slmbrofiub unb äuguftinub war ber ©laubenbgehalt , worin fic burd) bie Saufe oereiitigt würben, unb bcn bab Te Deum fo froljlocfenb aubfprid)t.

©ab ober bab ©unberbare angelt, bab man in ber eyteim porirten Gntftef)ung beb Te Deum erblicft unb borum fofort alb gabelei djaraltcrifirt fjat , fo Ijat man in gewiffer Sejictjung ju Diel ©efenb baroub gemalt, inbem man ben Hergang aufgefagt ju haben fcheint, alb l}ätten bie ©eiben ben £>tjmnub fo’glcid) feierlich, etwa in bcr heutigen belanntcn ÜHelobie, angeftimnit unb btirchgefungcu. Die üDJelobic beb Te Deum fcheint Dielmeljr ein überlegte«, burchgearbeiteteb, mnfifaUfd>eb fiunftwerl ju fein; jebod) wollen wir bamit burijaub nidjt gefagt haben , baß Sltnbrofiub nicht aud) bie gaf)igfeit gehabt hätte, feinen herjentquollenen ©orten jugleid) eine melobifdj gehobene (Stimme ju leiden, jumal bei feiner bamaligen, oben befpsodjenen Sfjätigfeit für ben ftirdjengefang nach Slrt ber Orientalen unb unter jenem göttlichen ©eiftanbe, bcn wir für bab Te Deum überhaupt in ?(nfprucf) nehmen, ßntfpringt ja auch bab fc^önfte ÜMobifdje oft bem IDfomente. ©ab aber bie ©orte beb Te Deum angeht, fo werben wir biefe im britten Sljeile jn>ar oud) olb eine 8W con infpirirtem Äunftmerf oorführen; bie einjelnen Sä^c aber alb folche lagen für Jlmbrofiub unb Sluguftinub gleiihfam in $erj unb $anb.

Da wirb einfad) bab 8ob ©otteb aubgefprodjeit in ©erbinbung mit bem belanntcn Sanctub ber Seraphim aub 3efaiab; fofcann in ®e* meinfd)aft bcr ^eiligen bab chriftliche ©efcnntni§ ber h- Drcifaltigleit unb ber 3)ienfd)merbung Ghrifti, mit angefchloffener Sitte um bab ewige ^>eit ; alle« furj unb präcife; jum Schlug bann, wie gewöhn*

(ich, qanj geläufige 9iefponforien*S3erfifel aub ben ‘JSfalmeti. Da ift nieht« Don gemeffener Serb* unb Strophenform, nichtb Don poetifchem Sdjmucf unb ©ilb, nichtb non allem bem, wab man fi<h gewöhnlich Dorjuftellcn fdjeint, wenn man Don einer Grjtemporirung beb Te Deum alb etwab Unerhörtem fpricht, wäljrenb man both recht gut weif), wie weit bie ©ewanbtheit beb Gjtemporirenb fich oft im profanen ermeifet.

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13 2)cä Te Deum.

Unb menn (»orauf man feltfamcr Beife ®emid)t gelegt hat) Jötllav- min bem h- 21mbrofiu« im 2ltlgemeinen $hmncn abfprid)t, rooriit bie ÜJfetrif nicf>t gemährt fei, meil biefclbe bem 2lmbrofiuö burd)au« be« fannt gemefen (»in qaibns uön servatur metrica, quae Anibrosio uotissima erat), fo liegt fa fc^on in ben Porten be« iöellarmin, bag babei bie eigentliche SDletrif in ben nad) 25er« unb ©tropfen gebauten |)pmnen engeren ©inne« gemeint ift, roorin alfo Slmbro* fiu« feinen metrifchen Segler gemacht tjabe. Da« ^at aber mit ber gorm be« Te Deum eben fo menig ju thun, nüe mit ber ÜJfetrif be« Magnifieat unb ber übrigen Cantica. Äurj, man fann fagen wenn 3emanb bie 'Borte be« Te Denm einfach al« profaifche ®ebet«« form irgenbroo oorfnnbe, ohne fie al« Sobgefang mit sJ3iclobic ju fennen, fo mürbe er mof)l otjne roeitere SReflejion barüber hinmeggef)cn, ohne an $l)tnnuSform (u benfen. Unb genüg in manchen 'fkebigten unb feierlichen ßrgüffen reerben ähnliche ©teilen einem befähigten hoch* priefterlicfjen ®eifte entquellen, roie aud) Slmbrofiuö unb 21uguftinu« bei ber laufe genüg nicht ahnten, roa« für ein Uninerfalbpmnn« ber fircfie au« ihren Borten fid) bilben mürbe. Da« tfjut aber feinen Abbruch allem bem, ma« mir im brüten 5tf)eile unferer Sbljanblung über ben inneren ©cljalt unb ben poetifd) abgerunbeten s0au be« $t)mnu« au«fül)ren merben. Der Moment fchafft ja oft ba« 25or« 5üglid)fte, unb ber ®eift ift e«, ber ben ÜRoment bcfeelt; h>« ber (Seift oon oben.

5. -Jladjbem nun einmal int 9lnf<h(u§ an bie Sritif ber Qljronit aud) ber 3®eifet nnb bie Siritif über ben Urfprung unb bie Slutorfdjaft be§ Te Deum in ©eroegnng gefegt mar, ftellte fich auch a(«balb ba« IBeftreben ein, nicht blog ben Sluguftinu« mit feiner laufe, fonbern auch h- Stmbrofiu« felbft, aller uralten Irabition jum Stroh, ganj ju befeitigen, ohne and) nur eine anbere ißerfönlidjfeit ihm gegenüber^ ftellen ju fönneu. Denn auf bie unbefannten tarnen Slbunbu« unb Sifebut, fomie auf ben Jrier'fehen iBifchof üJicetiu« unb bie 3ueignung an ben h- £>ilariu« ift oon Dorneherein fein ®e« roid)t gelegt morben; finb eben nur Dereinjelte -Jiotijen, bie tängft al« merthlo« befeitigt morben (ogl. Daniel). 2lber mau fniipfte baran a(«balb ben allgemeinen 3lu«fprud), bie Slutorfdiaft be« Te Demn fei Döllig ungemig, mährenb boch nicht« näher lag, al« fo lange an ber alten unb allgemeinen Ürabition, minbeften« hmfid)tlid) be« Sümbrofiuö, feftjuhalten, a(« nicht Döllig bie galfdjheit berfelben nachgemiefen morben. Dagegen fd)ien faft, al« ob man lieber in ber grembe,

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§M!trid) Sen«.

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als bei unferer abenblänbifchen fiirche ben Urfprung ju fliehen beliebe.

3unäd)ft war eS ber fät^fifc^e fuftoriograph SB. ß. Stendel, welker gegen ßnbe bcS 17. 3ahrhunbertS in einst Slbfjanblung bie 9Cn* fic^t geltcnb machte, baß ber $hmnuS au« griedjifd)cn ©efängen her* juleiten, ja bireft wol)l aus bem ©riedjifchen iiberfefet worben fei. ßine fo neue Anfidjt fanb iljrc t'iebfjaber; einer fcheint fie bem anbem nadjgefprochen ju haben, fo baß fie nod) jefct faft burd)gefjenbS als bie wafirfdjeinli^e angeführt wirb. Unbegreiflicher SBeife fc^ließt ftc^ auch ®anict ihr wefentlicf) an. ßr fagt, inbem er jugleid) auf Senkel hinweifet: „«Soll ich meine eigene Anficht furj barlegen, fo fcheint mir, baß baS Te Deum, ähnlich wie ber englifche tfobgefang (Gloria in excelsis etc.), in ber orientalifchen Kirche entfprungen unb bann in baS Sateinifdjc iiberfefet worben." Unb bann, als fei baS bereits auSge* macht, fagt er weiter: „Bon ben üerfdjiebenen Ueberfefcungen fanb bie Bon AmbrofiuS ben meiften ^Beifall unb würbe, nachbcm fie urfprilng* lic| für ben SWailänbifchen ßljor beftimmt gewefen, hinterher Bon ber ganjen Sirche aufgenommen. 3SaS babei ben AuguftinuS angeht, fo hat biefer bafiir geforgt, baß ber £>tjmnu8 nach ber Ambrofianifdjen Bearbeitung in ber Afrifanifdjen Äirdje Eingang fanb, fo baß ber alte £itel »Canticum Ambrosii et Augustini« nicht gan*3 unge> hörig ift. äöafjrfcheintid) ift bas Canticum Bon AmbrofiuS $eiten an bei Bielen am (Schluß ber Biatutin gefungen worben." So Daniel, ber hoch wenigftenS bem AmbrofiuS ben gegenwärtigen lateinifchen Üert beläßt, wenn auch nur als Ueberfehung aus bem ©ricdjifchen, gleich alb märe eine iRöthigung ba, ihm ben £)ßtnnuS als fein Original abjufprechen , gegenüber einer allgemeinen, oon ber Kirche aufgenom* menen Srabition.

Unb boch ift feine Aufteilung eine rein problcmatifchc. Am* brofiuS hatte boch wahrhaftig bie gäfjigfeit, für feine ©emeinbe felbftftänbig in beren geläufiger Sprache ©efänge ju oerfaffen. (OaS geigen feine jahlreidjen mctrifchcn |t)mnen, unb baS jeigt fich au ber Schnelligfeit, womit er währenb jener angftoollen 9?äd)te im Jenipel, wooon oben gefprodjen worben, jum erftenmal BJechfelgefang beS Bolfes nach Art ber Orientalen einführte. ®a ift fein ©riedjifch gefungen geworben, unb fonnten auch feine UeberfehungSejemplarc burch eine Sdjnellpreffe jur Bertljeilung unter baS Bolf gebrueft werben. ßs waren ohne ^meifel ißfalmen nach ber alten 3tala, mit i/fefponforien, Antiphonen unb Berfifeln. Unb gerabe barin haben wir

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$u« Te Deum.

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einen 25ewei«, wie gcwanbt nicht bloß Slmbrofiu«, fonbern audi wie gelehrig ba« 33otf für melobifdjen ©efang war. 2)2an biirfte fid) Wunbern, warum man bei all ben problematifchen Meinungen, um ber unliebfamen Grptemporirung 31t entgehen, nicht auch auf ben ©ebanfen gefommen ift, bafj Slmbrofiu« infolge jener Mächte wahvenb be« taufenben 3af)rc« mehrere berartige (Mange uerfafjt habe, wooon ba« Te Deum bei ber nadjften öfterlidicn lauffeier, womit ja bie Saufe be« Sluguftinu« oerbunben war, angeftimmt worben. 2lber ba« würbe eben wieber nur eine problematifchri oon ber alten Srabition willfiirlich abweichcnbe Annahme fein, motu Weber 9Jötf)igung nod) Segviinbung oorläge.

6. Slber man hat aud) gefudjt, bireltc £>altpuntte für bic £)cr= leitung bc« Te Deum au« bem ©rie^ifdjen auf juftelten. Da finbet fith nun in einem alten Sllepanbrinifchcn (Sobep, beffen ?llter übrigen« nicht beftimmt ift, al« 2lnfd)tujj an ba« griechifche Gloria in excelsis eine ^ufammenftellung oon SScrfifeln, bic mit ben 25erfifeln 24, 25 unb 26 unfere« Te Deum beginnt, fonft aber gar nicht« mit bem- fetben gemein hat. Diefc .gufammenftellung nun hat man (unerhörter SEßeife!) aufgefajjt al« einen felbftftänbigen griec^ifdjen ©efang carmeu graecum. Selbft Daniel nennt hyrnuus matutinus, ja birelt Dbc (6^if) Man mu§ glauben, baß man biefe biblifchen 25crfifeln, wenigften« nicht alle, al« foldje erfannt hat; wie tonnte man fonft ju einer foldjen Söcjcid)nung fommen? 2Bir wollen batjer biefen ganjett fogenannten griec^ife^ett $t)mnu« unten nach öer tateinifdjen SBulgata mit Angabe ber fflibelftelten beifügen*). Dafj mit 25. 21 ber eigent-

*) Per 8ingulos dies benedicimus te et laudiimus nomen turnn in saeculum et in saeculum saeculi. Ps. 144, 2.

Dignare, Domine, die isto sine peccato nos custodire. (?)

Benedictus es, Domine, deus patrum nostrorum, et laudabile et gloriosnm nomen tunm in saecula. Amen. Daniel 3, 26.

Benedictus es, Domine, doce me justificationes tuas. Ps. 118, 12.

Domine, refugium factum es nobis, e generatione in generationem. Ps. 89. 1.

Ego dixi : Domine miserere mei, sana animam raeuam quia peccavi tibL Ps. 40. 5.

Domine, ad te confugi, doce me facere roluntatem tuam, quia Deus meus es tu. Ps. 142, 9 10.

Quoniam apud te est fons vitae, et in lumine tuo videbimus lumen. Ps. 35, 10.

Praetende miaericordiam tuam scientibus te. Ps. 35, 11.

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$>finrid| 8o»f.

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lidjc Criginalljpmnu« be« Te Deum feinen 2lbfd)luß Ijaf» unb ba« golgenbe, oon Salvnm fac populum an, au« angefügten ^fafmcn* oerfifeln befielt, werben wir im jroeiten Iljcile näf)er bcfpredjcn. '3Jur bie Sorte »Diguare, Doniine, die isto sine peccato nos custodire« finben fid) nidjt in bcn "ßfatmcn, unb weif nun biefe Sorte fid) aud) bei jenen gricc^tfdjen 2?erfife(n finben, fo fjat nton 011 biefen feibenen gaben bic gewaltige Öaft ber Verleitung be« Te Deum au« bem ©rird)ifd)en anfniipfen wollen. 23ieUeicßt war biefer Söerfifel fdjon ooit 2llter« ßer bei ©rieten unb Lateinern in ©ebraud): benn wa« fonnte bei einer üftorgenanbadjt (SOiatutin) näßer liegen, al« bie Sitte „Sewafjre un« feilte oljne @ünbe"? Daßer wirb biefer 23erfifel 26, in Serbinbung mit 23erfifel 27 unb 28, tagtäglid) oom 'Jkiefter and) wiebcr in ber ‘ßrim gebetet. 3a, wenn fid) etwa Ser« 16 (Tu ad liberandum etc.) mit feiner inbioibuellen 2lu8bruc!«meife in einem Borambrofianiicßen griecßifdjen ©efange fänbe, fo t)ätte ba« fdjon St* beutung, aber bod) aud) nid)t für bie Verleitung be« ganzen Te Deum.

3n einem Satifanifdjen (CSobey) fdjließt ba« Te Deum nad) 93. 21 mit bcn Serfifcln 24, 25, 22, 23, alfo oßne jene« »Diguare, Domiue«, nnb bann folgen nur nod) bic Sorte »Benedictus es, Domine Dens patrum uostroruru, et laudabile et gloriosum nomeu tunm in saecula.< llnb ba nun biefe Sorte aud) bei ben oben ge« nannten griedpfdfen Serfifeln uorfommen, fo meint Daniel, foldje eßrwiirbigc Sorte be« Slltertßum« feien ein fcßlagenber Scwei« für bie Slbftammung be« Te Deum an« bem ©riedfifcßcn. fdjeint il)m linbcfannt gcwefen ju fein, baß glcidjfall« biblifcße Sorte finb, nnb 3war non feinem 9?amen«genoffen, betn ^ropfjetcn Daniel cap. 3, 26. Uebrigcn« ift biefe Slbweicßung unb 2lbfür$ung in ben ®d)lußoerfifcln ein Seroei«, baß fie eben nur al« 3ufa& bem eigentlichen Vßmnu« fid) anfdjloffen.

21ud) nod) einige anbere oerfd)iebene ?e«arten finben fid) in alten Vanbidjriften be« Te Deum; barunter in S. 21 »munerari« ftatt »numerari«, wooon ba« erfte ba« ältere ju fein fdjeint, menigften« fchon ber altbeutfcßen Ueberfefcung 3U ©runbe liegt. Die wenigen übrigen Serfdjicbenßeiten finb fo unbebeutenb wie möglid), wenn man weiß, wie bei foldjen Van&för*ften oft au« bem ©cbädftniß ge* fdjrieben würbe (3. S. 23. 1 confitebimur ; 23. 5 unigenitum für uuicum; 93. 22 haereditatem ; 23. 26 ista für isto; 23. 29 nobis für nostri). Unb bod) ßat man au« biefen flcinen Serfcßiebenßeiten auf oerfdjiebene Ueberfeßungtn au« bem ©rietfjifcßen fließen wollen.

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io# Te^Deum.

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äßan ftefjt erftaunt oor folgen 3umuthungen an einen gefer, ber etmag oon Varianten toeig. ©er bag furje 35erjeid>ni§ berfetben bei ©aniel, <3. 298, anfeijen will, mu§ unmutig »erben, bafj eine foldje Schlußfolgerung barauS aud) nur benfbar ift. Unb fo ift benn in ©ahrfjeit nirgenb aud) nur ein fdjmacher §altpunft, woran »an bireft bie 3?orfteüung onfniipfen fönnte, bag Te Deum fei eine lieber« fefcung ober aud) nur eine 9lad)bilbung au« griec^ifc^em ©ejte.

lieberbieg aber ftellen mir ber ganjen SSorftellung , eg fönne bag Te Deum eine Ueberfefcung aug bem ©riechifchen fein, bie ein« fache, nieberfd)(agenbe grage gegenüber : ©o ift benn bag griedjifdje Original geblieben? wo ber griechifthe ©ejet unb bie ÜJMobie, unb wo ber gricdjifdjc ©ebraud) eineg fo mächtigen ©efangeg, eineg sptjmnug, ber einen Slmbrofiug jur Ueberfefcung begeiftert haben foll unb mit feiner ©ewalt bie ßrbe erfüllt hat? wo eine frühere ober fpätere <Srmäf)nung eineg griedjifchen Te Deum, ober irgenb eine Stnbeutung oon ber ©fiftenj eineg folgen? 9cirgenb eine Spur baoon ! währenb man für bie Slutorfdjaft beg Slmbrofing, ober beg Slmbrofiug unb Sluguftinug, benen ber ©efifctitel in ber ©rabition, man fann fagert über ein 3ahrtaufenb, gewahrt geblieben, fo hart« nätfig nach gleichseitigen Öemeigftellen oerlangt. 9J2an oerfudje lieber umgelchrt ben lateinifihen ©ejt einmal ing ©riechifche ju iiberfefcen, unb man wirb fchon hin unb wieber fühlbar bie latcinifdje Crigina« lität erfcniten. ©agegen wollen mir (wag wir noch nirgenb angeführt gefunben), ben griedjifchen 3ntentionen gegenüber aug bem echt« (ateinifchcn h- ßtjprian (löifcfjof oon Karthago, geftorben 258) eine Stelle tjicr ermähnen, ohne bamit fagen ju wollen, fie fei oon *

bort ing Te Deum übergegangen, ©ie Stelle lautet: »Illic (sc. in patria coelesti) Apostolorum gloriosus chorus, illic Prophe- torum exultantium nnmerus , illic Martyrum innumerabilis populns, ob certaminis et passionis victoriam corouatus etc.«

7. jpaben wir nun mit all bem ©efagten ben ftrilten Semeig geliefert, baff bie alte ©rabition oon bem eftemporirten Urfprunge beg Te Deum bei beg Sluguftinug ©aufe, ober auch nur oon ber Slutor« fchaft beg ^mbrofiug unb Stuguftinug unantaftbar fei? ©ewig nicht! eben weil wir einen folgen pofitioen Seroeig gar nicht einmal h«&rn unternehmen wollen ober auch nur fönnen, infofern man bafür birefte gleichseitige, oerbürgte ©elegftcllen oerlangt, bie oorläufig nicht ju haben finb. ©Bohl aber glauben wir nacfjgemiefen $u haben, bajj fein nöthigenber ©runb, ja nicht einmal ein birefter (pattpunft ba

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Jptinrd) SJone.

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ift, um bie alte Srabition über ben Urfprung be« Te Deum an* zweifeln, namentlich nicht hinfichtlich ber 2lutorfchaft be« Slmbrofiu«, wenn auch hinfichtlich ber befonbercn Angaben, befonber« be« ejtcm* porirtcn Sllterniren« jwifchcn ämbrofiu« unb Stuguftinu«, oerfcbtebene Stuffaffung unb SDJobalität offenftcI)t. ©er behauptet, ba« Te Deum flamme n i d) t non Slmbrofiu«, fteht ohne allen ©ewei« ba. ©er aber behauptet, flamme oon Slmbrofiu«, h“t ein wahre« ©ollroerl oon Srabition für feine ©eljauptung.

3um Sdjlufj aber wollen wir hinfichtlich bc« Te Deum nun auch unferem bcutfdjen 3ntereffe Rechnung tragen. 35afj wir bereit« au« bem achten 3Qhl'hunbert eine altbeutfche Ueberfefcung bc« Te Deum befifsen, ift bereit« bemerlt worben; fie beginnt: Thih cot lopemes, thih truhtnan gehemes. ipinfichtlidj be« Urfprunge« be« Oefange« hci§f cS *n bem gro§en, gereimten, beutfehen af- ft o n a t e (au« bem 13. 3ahrf)unbert) über bie Saufe bc« h- Slugu* ftinu«, mit welchem nebft Slnberen jugleid) fein oertrautefter fyreunb Sllhpiu« getauft würbe, folgenberntafcen :

Beide, Alippus und onch Er Entfiengen cbristenlich ir reht.

Ambrosius der gotes knecht Was dirre wandelunge vro,

Mit rebten truwen sprach er do:

»Te Deum laudamus«.

Do sprach ouch Augustinus.

Wand er in gotes glouben vur:

»Te dominum confitemur«.

Und ist mit rehter warheit Von den zwein also geseit,

Daz si do machten diaen sanc;

Wand sin begin und uzganc Wol zieret des gelouben kraft:

Alsus was vollenclich behaft Augustinus au dem rehten.

3n ähnlicher ©eife unb mit gleicher }weifcl«frcien ©eftimmtheit finbet fich ber Urfprung be« ©efange« in bem „Heiligenleben * be« ^ermann oon griff tar au«gefprochen, welche« berfelbe jwifchen 1340—50 abfa&te. 35a er bei biefer (Gelegenheit ben ganjen §pmnu« in Ueberfefcung beifügt, fo bürfte fdjon um ber tirchü^-beutfchen Sprache willen au« ber ^eit be« SDtittelalterS willfommen fein, bie lieber) e^ung hier mitjutheiten. 35ie ganje Stelle lautet:

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2)a« Te Deum.

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Ambrosius was der beste predier einer, den di Kristenheit hate. Diz muget ir hi bi prüfen. Wanne Augustinus was ein heiden, und do her horte sagen von der predie Sente Ambrosius, do quam her dare und wart zu hant von ime bekart ; wan Sente Ambrosius toufte Santuin Augustinum, und machten beide den gesanc den mau singet in der mettin. Iclicher machte ie einen vers und der ander den anderen : Wir lobin dich got, wir heizen dich einen herren. Du ewiger vater, dich erit alle di erde. Dir vorrufen alle di cngele und alle di himele und alle di gewalt. Dir rufit Cherubin und Scraphin mit einer luteren stimme : Heilic, Heilic, Heilic ist unser herre Sabaoth; hirael und erde sin vol der her3chaft einer gotlicheit. Dich lobit der erhalte Kor der aposteln. Der wissagen lobeliche zal lobit dich. Dich lobit daz blut der merterere. Dich lobit über alle di erden di heilige Kristenheit, den vater grozer mankraft, dinen crwirdigen waren ewigen sun und dorzu den heiligen geist. Du Kristus bist ein kunic der gotlicheit. Du bist dines vater ewiger sun. Du invorchtis nicht der megede lip, daz du die menschheit irlostis. Do du den tot vorwunden, do tete du den gloubigeu uf daz himelriche. Du sitzes zu der gerechten gotcs in dines vater ere. Man gloubit dich einen künftigen richtere. Dich bite wir, hilf dinen knechten, di du mit dinem turen blnte irlostis. Gip dinen heiligen di ewige ere. Herre behalt din volc und gesegne din erbe. Richte si und hebe si uf biz immer. Herre gewirdige uns an diseme tage zu behutene ane sunde. Gnade uns, herre, gnade uns. Dine gnade, herre, si über uns, alse wir getruwen an dich.»

II. lieber 3nl)a(t unb gorm beß Te Deum.

3$ fommc nun juin jwciten Steile meiner Aufgabe, jur näheren 59etrod)tung beß £t)mnuß felbft, nach 3nfjalt unb gorm. 3$ Ijabe babei, Dom Saienftanbpunfte auß, junädjft ben innern poetifchen Sau im Sluge, bic organifche ßntfaltung beß ©ebanfengehalteß mit bcr ifjn burdjbringenben ober gleichfam auß ihm ^crDorma^fenben gorm, alfo gewiff ermaßen bie eigentliche ftunftfeite, wie man biefelbe ja auch bei ben göttlid) infpirirten ‘Pfalmen in iBetracht Reifen fann. ®a fidj aber ber geiftige Schalt nicht trennen läßt oon bem ft off’ liehen 3nf)alt, fo toerbe ich nicht umhin fönnen, auch Dielfach in baß theologifdpbogmatifche ©ebiet ^inüberjugreifen, unb babei man« djeß'für ältanche gar ju Sefannte mit ^ercinjujie^en , wofür bie SThfoiogen oon gadj eine freunbliche 5J?ac^ftd^t nicht Derfagen werben.

SGßaß nun bie Äunftfeite überhaupt angcht, fo möchte ich al* bie beiben ^Jole ber Sunft bie Slrchiteftur unb bie SDtufit bezieh*

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§tinrdj 9Bont.

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neu; bie Ülrcfjiteftur, roetc^c an ben materiellften Stoff gebunben ift unb am wenigften grciljeit für Schwung unb ^Bewegung bev gormcn l)at; unb bie Tlufif, welche fo^ufagett gar feinen Stoff tjat, foiiberu, Wie ©oetfje fngt, nur gorm unb ÖSefjalt ift. Die fjocfie partici» pirt an allen, wie alte an iljr. 33on oornljerein will id) oon unfc* rem Te Denm fagen, bag eb einen mufifalifd)*ard)iteftonifchen (Sf>araf- ter trügt, nicfjt plaftifd; ober malerifdj, nicf)t in bilblidjcu 2lubbriicfen ober farbenreicher Sd)ilberung fich bewegt.

Dab mufifalifdje (Element füllt mit bem Iprifchen ju» fammen; Ctjrif unb SDlufif finb ihrem ©efen nach ber Slubbrucf ber ßmpfinbung, beb erregten ©cmiitheb. 3Bie jebeb mufifalifcfjc Stitcf, fo muß auch jebeb echt lt)rifd)e ®ebid)t einen einheitlichen @runb» afforb in fidf tragen, Diefeit Slfforb beb £>er$ctib, ber unferen .ppm* HU« bunhwogt, möchte ich furj mit folgenbeu ©orten bezeichnen: „ßb ift ?ob unb Dauf gu ©oft im 3u6elgefiihl beb rechten ©lau» bcnb"; gleichfam ein wie SJlufif aubhallenbeb, aub bem $erjen ftrö* menbeb, (prifcheb ßrebo; ein (prifcheb ßrfaffen beb einigen, brei* faltigen wahren ©ottcb nach allen Beziehungen feiueb Berljültniffeb, nach innen unb nad) äugen, inbbefonbere ju ben erlöfeten ©lüubigen, jit ber Äirdje. Daljer bie immer mieberfchreube ?lnrebe, um ben ßrfafjten gleichfam nicht (ob;ulaffcn; in allen gönnen: „15 u, ‘Dir, Dich" ,3uerft breimal Te Dich; bann breimal Tibi Dir, viermal wieber Te Dich, bann ftromweife fünfmal Tu Du; unb jule|}t wie* ber Te Did), wie im Anfang; aber hier bittenb »Te ergo quaesu- mus, Dich atfo bitten wir«, wie ßingangb lobpreifcnb. Dab ift bab mufifa(ifd)*lprifche ßlemenf.

Die architeftonifche Seite wirb gebilbet burdj bie fcharfe, gleichfam mit ^irfel unb ©infclmafj abgemeffene Zeichnung, 2h*'1 lutig unb ©lieberuitg beb bogmatifcheu Stoffeb, rein architeftonifch, ohne plaftifdjeb ohne malerifdjeb 3icr= unb Schmucfwerf. ffiir fön» neu jwar biefeit bogmatifcheu Stoff mit feiner architeftonifchen @lie* berutig anb bem Ippninub felbft aufbauen, wie febeb Äunftmerf feinen wahren ©eljalt aub fich felbft offenbaren muß. Slber eb gewinnt bab ßinjelne bod) aud) mehr Sebeutung, ich möchte mit abgenutztem ©orte fagen, mehr Ontereffe, wenn wir eb im Berljältniffe ju feinet ^eit, iu feinen befonberett Berantaffungen auffaffen. Unb ba finb eb benn in uitferem .phmnub oor;ugbweife biejenigeit ©eheimniffc beb ©laubenb, reeldjc bamafb am meiften oon ben $ürefieen befämpft würben, ßb hanbelte fich meiften« um bie ^eilige Dreifaltigfeit unb ben

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©a» Tc beum.

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meufchgewor beiten ©ohn ©otteß. $ur Ucberfidjt unb alß ©runblage für miferc ßrtlärung beß ßinjelncn will ich bic £aupt-- £arefteen, wie fie bamalß entweber erft aufgefommen, ober bodj nod) fc^r außgebehnten Stnljang Ratten, fuq jcichnen. ßß waren:

1. Der ÜRanichäißmuß, im Slnfdjlufj an ben früheren ®n oftieißmuß, beibc wcfcnllich f)eroorgegangen auß bem Problem, ben Urfprung beß ©Öfen in ber SBelt ju begreifen. Der Stifter beß ÜRanithciißmuß war ber Werfer SDZaneß, unt bie 3)iittc beß 3. Oaljrhunbertß. ©runblage war Slltperfifdjeß in ©erbinbung mit ßhriftlichem. ßß würbe ein boppclteß Urprincip angenommen, baß beß ©uten unb baß beß ©Öfen; Sicht unb ginfternijs. Daß ©öfc nun raubte Sicht, unb fdjuf in ©erbinbung mit ber ©iaterie ben SDienfdjen, Stbam unb ßoa. Der Sühttfjeil in feiner ©erbinbung mit ber SDlaterie, ber fogenannte 3efuß patibilis (ber teibenbe gerfptitterte fid) immer mehr, biß ber ooHfommene Si<hfgcift CF^riftuö einen Sdjeinförper annahm unb bie rechte Ce^re gegen bie {Jeffein ber ÜRaterie jeigte, unb jugleid; alß ben ©ollenber ben ©araflet (befanntlich 9lame für ben t). ©eift) oerfpratf), atß welken ÜRaneß fid) felber außgab. Slud) Sluguftinuß war oor feiner ©cteljrung in biefe, foöiei SRaum für fubjcctioeß Denfcn bietenben ^ilofop^eme beß 9Ranichäißmuß oerwiefett, an bie 8 biß 10 3afjrc lang.

2. Der © ab e 11 ian i ßmuß, gteid^eitig mit bem ÜRanidjäiß» muß, fjauptfädjlid) in Sleggptcn. ßr behauptete, bie brei ©erfonen* namen ber Drcifattigfeit feien nur oerfdjiebene SBirfungßmeifcn bet ßinen ©ottljeit, eineß einjigen perföntidjen ©otteß ober ßiner gött* liefen ©erfönlichfeit.

3. Der Sir ian muß. Die £>auptlchre war: Der ©ofjn ©otteß (ber Sogoß) fei ein ©efdjöpf ©otteß, baß erfte unb hödjfte, burch wetrfjcß bann bie Seit erfdjaffen worben. Diefer göttliche Sogoß oerbanb fich mit bem mirflichcn'SDfenfchcn 3efuß, ber aifo nicht ewiger ©ohn ©otteß war, aber burd) jene ©erbinbung mit bem Sogoß in ber ffiolifommenheit fo hoth geftiegert, baff er oon ©ott alß ©ohn aboptirt würbe. Daß erfte öfumenifd)e ßoncil ju 9?icäa (325) fprach gegen biefe 3rrlel)re bie wahre Sehre, bie ßonfubftantialität, auß, b. h- bie gleiche SBefenljeit beß ©ohneß mit bem ©ater. Slber bennoch bauerte bie ©erbreitung ber Slrianer fort, bie um fo mächtiger unb anmafjenber würben, atß fie einen befonbern Schuh in ber ffaiferin Quftina fanben. ©erabe ber h- Slmbrofiuß hatte bie heftigften Sin* griffe unb ©crfolgungen oon biefer ©eite ju leiben.

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.§eiitrid) 93 o n e .

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4. Oie 3trlchrc be« SOI aceboniu«, welcher behauptete, bcr tj- ©eift fei nicht ®ott, fonbern nur Oefthöpf, burcf) ben 8ogo« oor allen anbern erfdjaffen. Oaö ©egentheil würbe in’« Sicht geftellt burd) ba« sweite öfuntenifchc Goncil, ba« ju Gonftantinopel (381), alfo fünf 3ahre oor bcr laufe be« h- SKuguftinu«.

2llle biefe 3trief)ren, bic mit Slmbrofiu« unb Sluguftinu« in fo nahe iBerüfjrung gelommen waren, werben in unferm $>t)mnu« auf’« fchärffte bei Seite gcftogen ; nicht aber in ber gorm eine« fSrotefte«, nicht in Derurtljeitenber unb negirenbcr Seife, fonbern in pojltiDem ©etenntniß beS Sauren; unb wicber nicht in ruhig bogmatifcher (form, wie ba« Spmbolum eineöGrcbo, fonbern in hochgetragenen thrifdjett Sßfalmentönen ; aber bei allem Schwünge bennoch, wie gejagt, in einer architectonifch biäponirenben ©lieberung. Solche ©lieberungen laffen fi<h bei einem Sunftmerf, je tiad)bcm man ben Stanbpunlt nimmt, oft in oerfchiebenen formen nad) weifen. gilt unfern §pmnue aber glaube id) folgenbe brei Slbtheilutrgen jur Ueberfidjt aufftellen ju bürfen: I. 93on 9?. 1 bie 95. 13 (incl.): Oanfenber ^rei« be« ewigen

©otte«. Unb jwar

a. oon SB. 1 bi« SB. 6 (Te gloriosus) : f5rei« be« Groigen unb Einigen, bc« $errn unb SBater«, oon bem alle feine Serfe, $immet unb Grbc ^eugniß oblegen ;

b. Sßon SB. 7 bi« SB. 13 (Tu rex); ^Jrei« be« Oreifal* tigen; nicht unmittelbar au« feinen Serien, fonbern nur burd) bie Offenbarung erfennbaren ®otte«, oon bem bic Slpoftel, bic Propheten unb bie ÜKartprer al« bie bereit« SBerl|errlid)ten ber triumphirenben SÜrd)e, aber auch bie noch fortbauernbe ftreitenbe tirdje $eugniß ablegt im ©tauben an ben SBater, ben Sohn unb ben h- @eift, in jenem ®laubcn, ben Ghriftu«, ber menfehgeworbene Sol)n ®otte«, gelehrt. Daher Uebergaug ju

II. mit SB. 14 bi« 95. 26 (incl.): Sßrei« be« menfdjgeroorbenen

©ohne« ®otte«, be« 1) i ft o r i f d) e n ßfjriftu«, welker be jeidptet wirb

a. al« wahrer ®ott, ewiger Sofjn ®otte«, Gine« Sefen« mit bem SBater (SB. 14—15);

b. al« Wahrer 3ttenfdj bi« herab jur Gmpfängniß in ÜJJutter» fchooß (95. 16); baljer

c. al« @ott unb üWenfd), al« ©ottmenfd), in Girier f5erfon, nad) Dotlbraihtem Scrf oerherrticht jur SHed)ten be« 9?ater«,

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23

Xq« Te Deum.

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ju gleicher 23erl)errlichung bcr <5rlbfetcn, wenn fie befte^en im ©ericfjte. (25. 17 19). 2ln btefen testen ©ebanfen fdjlie&t fid) fobann:

III. mit 25. 20 (Te ergo): Die bemütljige 25itte um IBeiftanb, ju jener Jperrlicfjfeit be« ooraufgegangenen ©ottmenfdjen in ber triumphirenben Äirche ber Jpeiligen $u gelangen. £)er $pmnu« enbet eigentlich mit 25. 21 (Aeterna fac); alle« golgenbe (mit einer einjigen 2lu«nahme) finb 25crfifeln an« beit Halmen, wie fie oereinjelt auch in ben canonifchen ©tunbengebeten unb anberweitig öfter angefiigt werben; fie bienen Iper aber 3ut Fortführung unb ©rroeiterung be« erwähnten ©cfjlujjgebete« in 25. 20 u. 21.

£a« ift ber $gmnu« in feiner großen architectonifchcn ©lieberung.

2ßir fommen nun ju bem ©injelnen. 34 weif? woI)t, ba§ gefährlich/ öielleicfjt ein wenig oermeffen ift, einen fo heiligen ©efang auch bi« in bie einzelnen 2Borte ju jerlegen ; man benimmt ihm bie Unergrünb» tichfeit, inbem man fie ju ergrünben unternimmt; man tobtet gleichfom ba« organifche lieben, inbem man anatomifirt; man raubt ben T)uft ber $eiligfeit, inbem man bie ©lume unter bie Hupe bringt; aber wie ber SDialer hoch nun einmal auf jebett ©trid) achten mujj, ben bie H°nb unternimmt, fo biirfen wir auch ben einjelnen SßJorten unb 2Bort»erbinbungen wieber nachforfchen; unb wir SDJenfchen finb nun einmal fo befefjaffen, ba§ wir erft bitrch ba« ©injelnc un« be« ©anjen habhaft machen fönncit. 3<h gehe alfo, wie gefagt, ju ben einjelnen 25erfen über, bie ich jur 25erbeutlid)ung ber ©rfläruitg jebe«mot wieber beifügen werbe, wobei freilich bie Ueberfefcung nie ganj mit bem Ori» ginat congruent fein fann. T)a§ babei 3ur ^eranfchautichung auch bie Saufe be« t). Stuguftinu« al« Hinterlage bienen barf, ift oben im erften Sfjeile gerechtfertigt worben.

I. 23er« 1. Te Denm laudamus, te Dominum coufitemur „Sich ©ott (oben wir, bich Herrn befennen wir."

©« ift ein $u«ruf be« T>anfe«, be« banf erfüllten Herjen«, nicht Slufforberung jum 8ob unb $rei«; im festeren gälte mürbe Lau- date (lobet!), ober „?a§t un« loben; ich >»'11 loben" flehen. 35a«

Te (®ich) hat baher einen befoubern, gleichfam epclufioen 9tad)bruif, richtet unfere Sfugen unmittelbar ju ©ott empor, mit begeiftertem Slufblicf, ohne welchen mir un« auch ben 2lmbrofiu« in biefem Sugen« blief faum benfen fönnen. I>amit harmonirt, ba§ nach bem Te nicht

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$eiiuicfi S8ont.

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eine Hitrebe mit »Deus« (o ®ott) folgt, benn bicfe i|t in iettem 2tuf= blicf fcbon mit cingefd)loffen, fonbern ®ott alb ®ott wirb beroor* groben, baf? ©r allein eb ift, ber biefen SKoment bcrbeigefübrt, unb fein anberer (nicht etwa Slmbtofiue) ; bafjer alb Slppofition }u Te, T)i<b, ben einigen ®ott, loben mir. Dabfelbe gilt über Dominum „T)i(b bett $errn" ; benn „ber £>err ift unfer ®ott", mie eb an einer ^Jfalmenftefle beifjt;" 3l)r follt roiffeit, baß ber §err felbft unfer ®ott ift; er ift eb, ber unb gemacht bat, unb nicht mir felbft." £ab SÖJort Dominus (§err) briicft ben allgemeineren begriff „®ott" mehr perfönlidj unb inbioibucll aub (bcm altteftamentlichcn 3eb<>D“lj ent* fprechenb), unb baju ftimmt benn auch bab 2Bort confitemur (befcnnen), melcbeb mehr fubjectio aub ,bem ©efii^Ie beb Serbältniffeb ju ®ott, fpricbt, gleitbfam mit bemütbiger ©enfung ber Singen; baber eb in ber alten Segenbe recht treffenb bcm Sluguftinub in ben SDJunb gelegt mirb, alb juftimmenbe Slntroort ju bem mehr objectio tobprcifenben ®anf beb Smbrofiub in feinem £)inblicf auf ben burcb ®otteb ®nabe getauften äuguftinub.

S3erb 2. Te aeternum Patrem omnis terra veueratur „Turf) em’gen Sater ebret ber ganje ©rbfreib."

6b ift biefeb eine Fortführung unb ©Weiterung beb 1. Serfeb; eb entfprccben ficb bic SBörter „®ott, £>err, 93ater", fomie bie 93?örter : laudamus, confitemur, veneratur („loben, befennen, Bereiten"). £>ab SBort „Sater" gilt hier nicht alb bie erfte ^erfon in ber ®ott« heit; biefe ©djeibung gefchieht erft fpäter; fonbern eb ift ber oater* liehe ® ott alb folcher, ber Skater »on ©migfeit, ber Pater aeternus alb ber emige ®ott felbft (aeternus bezeichnet oorjugbmeife bab oon ber ©migfeit her ©eienbe, mie sempiternus bab immerroährenb fort* bauernbe); berfelbe ®ott alfo, bem fo eben alb bem £>errn bie ©hr-- furcht aubgefprochett mürbe, erfdfeint hier in feinem Bitter liehen 33erhü(tniffe ju allem Srfchaffenen, alb ©thöpfer unb ©rbalter unb liebenoller gürforger. Unb bem entfpricht bab veneratur, roctcheb ein religiöfeb Verehren bebeutet unb baber oft in bie Sebeutung oon Sitten unb Anrufen übergeht, burdjgebenbb aber eine göttliche Schiebung hat, mie auch burcb bab aeternus bei Pater öor allem ber emige ® ott gefiebert mirb. ®ab »omnis terra« umftbliejjt hier nicht bloß bie SDienfcben, fonbern alle fichtbaren ®efchöpfe, unb leitet über ju ben folgenben Serien, mo auch ber ipimmel fich aufthut, fo baß alfo bie ®efammtftelle fo Biel ift, alb „ßrbe unb Rummel ", mie eb unten in S. 6 noch einmal jufammengefajjt mirb.

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Te Deum.

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25erö 3 6. Tibi omnes Angeli, tibi coeli et uuiversae Potestates, Tibi Cherubim et Seraphim incessabili voce proclamaut : Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Deus Sabaoth. Pieni sunt coeli et terra majestatis gloriae tuae. Dir rufen alte Ginget, btr bie $immel unb aüe SMächte, bir bie Cherubim unb Seraphim mit unaufhörlicher Stimme: Zeitig, Zeitig, Zeitig ift ber $err ©ott Sabaoth (ber {tecrfdjaaren); Ipimmel unb firbe ftnb ootl non beine« tarnen» §errlichfeit.

3$ fagte fo eben, es tl)ue fid) mit 35. 3 ber £)immel auf; e? treten htr°°t bie CS^öre ber fcligen ©cifter, bie finget unb SDfädjte, bie G^crubitn unb «Seraphim mit ihrem unaufhörlichen Stufen : „ipeilig, heilig, Igilig ift ber £err ©ott Sabaoth". Der 2lu«brucf proclamaut ift fehr ftart, bebeutet ein fid) gleichfam iibertönenbe« iWufen, baher bei 3faia« ^eigt: „Unb erbebten bie ©chmeltcn ber Tiaren oor ber Stimme ber Diufenben". fie »erben junächft brei 2tbftuf ungen ber fetigen ©eifter genannt: bie finget, »etche ben 23erfehr mit ben SDJenfchen unterhalten, gteichfam ©oten finb, wie ihr 3?ame fagt ; bann bie Kräfte unb SÜtächte burch Coeli et Potestates, üon welchen festeren eS oorjugöweife htifjt, ba§ fic gegen bie böfen ©eifter anfömpfen ; unb julefct oon ben oier oberen 6l)ören hie heiben hödjften : bie üheru= bim, welchen bie tieffte firfenntnij), unb bie Seraphim, welchen bie gliihenbfte Siebe jugef ^rieben wirb. Die oier oberen fiböre finb nämlid) bie £>errfcbaften (Dominationes), bie £hrtmen (Throni), bie (Sgerubim unb Seraphim ; oon ihnen ^eigt in ber bogmatifcbcn Sprache »non mittuntur, fie werben nicht auSgefanbt", finb alfo immerbar bei bem $errn, unb finb ee alfo in ihrer firfenntnijj unb Siebe, in ihrer @hr* furcht unb Stnbetung, oorjugeweife, welche unaufhörlich) ben 9obgefang ber fiwigfeit „£eitig, htiüg, h*Mg" fingen bem §errn.

fie fommen biefe ©orte juerft bei bem Propheten 3faia« (6, 3) oor, welcher fie ben mit fedje glilgeln begabten Seraphim in ben üßunb legt. her Offenbarung 3ohanne« h'<&t oon ben oier (ebenben ©efen am Jhtone ©ottee: „3nmenbig waren fte »oller Slugen (ate Reichen her fchauenben firfenutnig) unb hatten feine SHuhe Sag unb 9?ad)t (alfo »incessabili voce« mit unaufhörlicher Stimme) unb riefen: Zeitig, Zeitig, heilig ift ©ott ber £>err, ber Allmächtige, ber ba war unb ber ba ift unb ber ba fommen wirb", ©ei 3faiaö ^eigt ber ^ufafc „bie ganje firbe ift ootl feiner £>err» lichfeit". Diefe ©orte »erben hi«, mit birecter £>inmenbung „beiner* $err(id)feit, im Anfchlug an 25. 2 erweitert in „§immel unb firbe",

igle

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96 Jpeintid) So nt. 26

unb ba« einfache tuae in »Majestatis tuae«, wobei jeboeß auch bie SBerbinbung möglich ift, „ÜJiajeftat beiner §errtid)feit", b. ß. bic®loric ift fo groß, baß fie burd) fief) felbft al« imponirenbe SOiajeftät erfeßeint. Diefe 2lnfcßauung oerfenft hier gleicßfam eine 3eitlang >n ftaunenbe« Slnbeten unb Jöetracßten, au« weitem fobann mit SB. 7 in eine neue Grfaffung be« göttlichen ffiefen« übergegangen wirb.

SB. 7 10. Te gloriosus Apostoloram chorus, Te Prophetarum laudabilis nunierus, Te Martyrum candidatus laudat exer- citns, Te per orbem terrarum sancta confitetur Ecclesia. Did) preifet ber glorreiche Gßor ber 9lpoftcl, bich ber Propheten prei«mitrbige 3®^. bidj ber SDfartprer glänjenbe .'peerfrfjaar ; bich befennt über ben Grbfrci« bie ^eilige Äircße".

'Jlacßbem mir burch ba« ©i«ßerige ju bem ^eiligen, unnahbaren, einigen ©ott unb $crrn emporgehoben worben, wie ihn feine ©lorie unb feine SSJerfe im $immcl unb auf Grben felbft erweifen, treten mir jeßt ju bem burch göttliche SBfittßeilung ben 2)2enfcfjen offen* barten ©ott, ju bem Dreifältigen, ber in feiner breifachen ’fJerfön- lichfeit ju ben Sttenfdjen in SBerßältniß getreten, unb fich burch Soten bezeugt hat- 3116 Drügcr biefe« 3eugniffc« werben bie Slpoftel, bie ‘Propheten, bie 2JJartprer unb bie noch fortbauernbe lebenbige heilige JUrcße genannt. 3uerft bieSlpoftel, bie auf Geben bie Offenbarung unmittelbar au« bem SDiunbe be« göttlichen Sohne« oernommen, unb jenfeit« am nädjften feiner ©lorie finb, fißenb auf ben jwölf Stühlen in ber Jperrticßfeit be« 3J?cnfd)enfohne«; baher »gloriosus chorns, ber glorreiche Gßor"; chorns bebeutet eine beftimmte, auäerlefene 3aht- Dem gegenüber werben bann bie Propheten, welche nicht wie bie Slpoftel, au« unmittelbarem !pören unb Sehen, fonbern oor* fchauenb 3cuön'B abgelegt, mit »laudabilis numerus» bejeießnet, eine unbeftimmte, aber, wie heißt, prei«roiirbige, alfo überreichliche 3aßl, gleichfam eine ffiolfe oon 3e»gen, »i* ber Slpoftel fagt, fo baß auch bie Ungläubigen nicht ju entfcßulbigen. finb nömlid) nicht bloß bie fogenannten oicr großen unb jwölf Heineren Sßropheten ge* meint, welche Sdjriften ßinterlaffen haben, fonbern alle bie oielen Propheten (man benfe nur an bie Propheten f cf} u ( en), bie oom .fserrn halb hier halb bort berufen mürben, unb mooon nur wenige tarnen belannt geblieben. Sffiar ja Daoib felbft ein propßetifcßer Sänger; unb welche Stellung nahmen Samuel, Glia« unb Glifeu« ein! wie Diele ber 'Propheten ließ bie rucßlofe 3ej®6el ßinmorben ! Die ©Jartprer fobann, bie ben $errn nicht gefeßen, fonbern ißr 3tu9ni6 burch ben

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$n« Te Deum.

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©tauben abtegten; ja fie finb eine eigentliche $eerfcf)aar (exer- citus), nidjt etroa b(o§ burcf) ihre unjählbarc fDienge, fonbern eine bfutige, bi« in ben Job fnmpfenbc tpeerfdjaar ; aber ihr 23tut ift weif? geworben itjx ®£ute beS i-amme«, fie ftrahten in fettem ©tanje, fie finb ein »candidatus exercitns«, eine weif; gefteibete ;peerfd)aar, fie fingen fiegreid) triumpf)irenb ihre Cobgeföngc unb tragen ihre Halmen.

3tn biefe triumphirenbe oerherrtid)te Äirdje fdfließt fich fobann in 25. 10 bie noch ftreitenbe $ird)e auf Crrbcn; bic »sancta ecclesia«, bie ^eilige , unberiitjrbare, alljeit reine unb auSerroähtte Sirdfc ; aber noch roanbelnb in ber Hoffnung, unb manchfachcn Ceiben auSgefcht; baffer ftatt be« jubitirenben »laudat« ber triumphirenbe« Äirche h<cr roieber, roie oben in 23. 1, ba« bemiithigere betennenbe »confitetur« eintritt. Da« ftarfe »per orbem terrarum, über ben ganjen (Srbfrei«" jeigt alterbing« jugteich hiftorifch, roie bamat« ba« Ühriftenthum fchon at« über ben ganjen ©rbfrei« au«gebreitet auf* gefaßt würbe, hebt aber befonber« ben oom ©tauben erfefjauten öeruf ber fiircfje fferoor, gemäß bem ^Jfattn „Laudate Dominum omnes gentes, tobet ben £errn, alle Reiben unb Nationen!"

23er« 11 13. Patrem immensae majestatis ; Venerandum tuurn verum et unicum Filium; Sanctum qnoque Paracletum Spiritum; Dich ben 23ater unermeßlicher fDiajeftät; Deinen anbetungeroürbigen wahren unb einzigen Sohn, roie auch ben Jröfter, ben h- ©eift.

Durch 23erfl 11 13 wirb nun ber bi« baf)in mit bem oier* fachen Te angerebete, in feinen beugen offenbarte ©ott at« ber brei* perföntidje in bem ©eheimniß ber Dreieinigfeit auügefprochen. .gutrft ber 23ater; benn hier ift 23ater bie erfte Sßerfon in ber ©ott* heit, nicht, roie oben, ber eroige Daterlitfjc ©ott at« fotcher; baß aber biefe erfte iJJerfon nicht ein getrennter fD^eiC ber ©ottljeit, fonbern ber einige eroige wahre ©ott ift, roirb burch 2Bieberaufnahme ber un* ermeßtichen SDiafcftät (immensae majestatis) heroorgef)oben. ÜRit gleicher Slbficht unb ©enauigfeit roirb fobann ber göttliche Sohn ge* äeichnet, ber hier noch nicht at« ber menfdjgeroorbcne, at« ber Ijiftorifchc (Stjriftue, fonbern at« bie jroeite fßerfon in ber ewigen ©ottheit auf* jufaffen ift; baher juerft »venerandum«, affo ebenfo göttlich ju oer* ehren, roie oben 23. 2 oom einigen, ewigen ©ott hieß »omnis terra veneratur« ; bann »verum , wahrer" Sohn , nicht aboptirt, nicht erfdfaffen (»genitum, non factum«, roie im Srebo he*SO J

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§einti<ft Sone.

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bann »unicuuic einziger Softn, otfo itt einem SBerftältnijj jum ©ater, woran fein anbcreß SBeftn participirt, atfo and) nid)t ju Dergleichen mit bem in biefer ^pinfitht nur bitbtieften Stußbruef „ein Äinb ©otteß".

Sitte biefe Slußbriicfe finb mefentticft gegen bie bamatijyn £>iirefieen h>nficf)t(ich ber Dreifattigfeit unb bcr göttlichen Softnfcftaft gerietet, wie idj fte oben aufgejäfttt Ijabe ; inßbefonbere gegen bie £>ärefie teS St riu 8, bie bainalß eine fo große SKaeftt unb namentticft aueft in SDfaitanb außübte. 3)tit bem göttlichen Softne wirb fobann unmittet* bar burd) »quoque« ber ^eilige ©eift oerbunben; benn quoque hejeichnet eine unmittelbare Stebeneinanberorbnung, eine innere ©teich* ftellung, nicht, wie »etiaui», eine gewiffe Stb> unb Stufftufung. Diefe ©teichftctlung fann fid) eben in bem ,3ufammcnftange hier nur auf bie mit bem Später unb bem Softne gleiche ©öttlichleit, auf jene gött* liehe $citigfeit, bie in bem Dreimalfteilig mit eingefeftloffeti ift, besiegen; atfo Stbweifung ber £ärefie beß üNaceboitiuß. Stoeft treffenber wirb ber 9)tauid)äißmuß burd) bie gewühlte SBortfteüung beß Paracle- tus beifeite gefeftoben. Paracletus bebcutet wörttieft fo Diel, atß »Ad- vocatus« (Sacftroalter, Reifer, ©eiftanb, Hröfter). Sllß ben uer* fprotftenen Paracletus gab fieft aber bcr Stifter beß IDfanicftäißmuß Ü)ta ließ felbft auß. $ier nun fteifjt gleieftfam: 9?i«ht 2)?aneß, fonbern bie britte ^erfon in ber ©ottfteit, ber fteitige ©eift , ift ber oerfprodjcue ißaraftet, ber hier atß unjcrtrennlieft, alß innertieft ein: gefefttoffen, jroifeften baß fonft jnfammengeftörige sanctus unb Spiritus gefeftt ift, waß mir im Deutfeften nieftt fo wiebergeben fönnen. So furj atfo biefe SBorte ooni ft. ©eift erfefteinen, fo bebeutfam unb ge* ftattoott finb fit, unb oerfenfen mit bent leftten SCßorte »Spiritum« wieber in ftitte Stnbetung, entfprciftenb ber fieft erft langfam ftin* jieftenben, unb bann rafeft fenfenben üttetobie an biefer Stelle. Denn im gläubigen (Srfaffen beß unergriinblieften ©efteimniffeß ber, mit bem ©eiftc fieft abfefttiefjenben , Dreieinigfeit gibt gteieftfam feinen aitbern tpattpunft, atß ©taube unb Stnbetung. Damit fcftliejjt ber er fte Sfteil beß £>pmnuß.

II. 3>erß 14 15. Tu Rex gloriae Christe, Tu Patris sempiternus es Filius. Du Äönig ber $>errtieftfeit, Gftriftuß, Du bift beß Slaterß ewiger Softn.

äber fo erftebt fieft ber in bie liefe oerfenfte ©eift wieber wer ftat nnß biefe ©efteimniffe beß ewigen göttlichen Söefenß ent* hüllt ? ift berfetbe, ber bie ©ottfteit, ja bie ©torie ber ©ott=

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Xn« Te Deura.

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heit in unmittelbare 25erbinbung mit ber 3Renfd)heit, mit ber menfdj» liefen iJJatur gtbrod)t hat; ift ber göttliche Sohn felbft; ift Shriftu«, ber l)iftorif^e ßfyriftu«, ber (Sottmenfd), auf ben jefet, im Zweiten I^eite be« $hmnu«, mit frotjtocfenber Slnrebe übergegangen roirb, unb jmar juniiebft angefdjaut in feiner nunmehrigen, nad; noll* brad)tem 2Berfc empfangenen ^enlidjfeit, fobann im glauben gefchaut a(@ ber ewige Sohn be« 23ater«, al« ber menfdjgcroorbcne Sohn ber 3un8frau / al« ber (Seftorbene, fiegreid) 2luferftanbene unb 2lufgefaf)rcne, in ber §errlid)feit, non ber er auögegaugen, unb al« ber fiinftige wiebrrfehrenbe dichter. Du, ja Du bift e8 (ich mache fdjon f)ier aufmerffam, baß mit biefem uachbru(f«Dollen »Tu« fünf* mal nadjeinanber feber 23er« beginnt) atfo bu hiftorifcher Gbriftu«, bu oon (Sott Derfjeißener, Don ben Propheten oerfünbigter (Sefalbter (2tteffia«), bu magrer Äönig ber $errlid)feit, bu bift jener einige (SotteSfoljn, ber ewige Sof)n be« ewigen 2?ater«. 5ür biefe Dollwiegeitbe 23ebeutung be« 2lu«brucf« »Rex gloriae« brauchen wir nur an jenen $fa(m (23) ju erinnern, wo ber ßinjug be« $errn in fein heilig* tfjum unb feine $errlicf)feit gefdjilbert wirb, in welche an unfrer Stelle Shriftu« bereit« eingegangen. Da heißt e«: „§ebet eure Jfjore, ihr giirften! erhebet euch ihr ewigen £horf* baß einjiehe ber Äönig her tperrtid)fcit ! 2ßer ift biefer Äönig ber $errtid)feit? Der $err ber ^eerfchaareu , biefer ift ber Äönig ber ^perrtidjfeit." ferner bie Stelle im SDaitgelium 3of)annc« : »®ir haben gefehen feine herrlich* feit, eine perrlidjfeit wie be« (Singeborenen nom 23ater." SDlit befon* berem 9lad)brucf wirb fobann ju »Filius« ba« »sempiternus« h<*t’ Zugefügt, beffen Unterfcfjieb oon »aeternus« bereit« bei 23. 2 an* gegeben worben; bezeichnet: „in alle Sroigfeit fortbauernb". Sllfo feine ÜJJenfdjwerbung hat ihn nid)t oom 23ater getrennt; er bleibt bie unoerfehrte zweite $erfon in ber <Sottf)cit, mit ber er bie menfdj* liehe 'Jlatur oerbunben hat. Diefe 23erbinbung mit ber mcnfchlichen 'liatur unb ihr 3mec* w’ri) nun *m folgenben 23er« 16 auf« fdjärfftc gezeichnet.

23er« 16. Tu ad liberaudum suscepturus hoiuinem nou hor- ruisti virgin is uterum. Du fjaft, um (alö ÜJlenfd)) ben ÜJienfchen ju erlöfen, nicht Derfchmähet ben Sdjooß her 3ungfrau.

Sine oollgiiltige ober auch nur möglidjft annähernbe lleberfehuttg ift faum möglich ; fo gewelkt unb bcjeichnenb finb ffiorte unb Son* ftruftion, wie fich au« ber Srflärung ergeben wirb. »Suscepturus«

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$einridf ©otte.

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(aufneßmen, an fid) neljmen) ift befanntlid) and) ba® 3Bort, womit bie Slufttaßme unb Slnerfennung eines neugeborenen Sinbe® bejeidjnet würbe, unb fo fd)ließt aud) l)ier außer ber Uebernaßme ber ßr* löfung jugleid) bie bolle, glcidjfam Däterlidje Slnfidjnaßme be® 2)2en= fe^en ein ; be® IDJenfdjen (homiuem), fdjöner Singular, nid)t at® 23ielf)eit gebaut (bie 2J2enfd)en), fonbern ben ÜWenfäen al® folgen, bie ganje Sßenfdj^eit ober bie menfd)lid)e 9Jatur, bie, wie ba® SBort »ad liberandum« (jum ^Befreien) fagt, unfrei geworben unb ge* fangen (ag. Unb um biefc ^Befreiung ju bemerfftetligcn, wollte weil nad) göttlicher ©eredjtigfeit fein anberer ffieg mögtid) war ber ewige Soßn ©ottcS fetber SDJenfd) werben, ja wahrer ÜJtenfth, nicht etwa in bloßer 2JJcnfd)engeftalt, nicht einmal al® plöfclid) fo ju fagett fertiger, erwad)fener ÜJtenfch, fonbern 23?enf<h oont erften Anfang an in 3DZutterf<hooß. SDaßer ber ftarfe 2lu«brud »non horruisti Virginia uterum«, woran oßne biefe geßeimnißoolle $3e* beutung fonft wol|£ 2lnftoß genommen werben fönnte; ift gerabe gegen biejenigen gerietet, meldjc eine iölenfcßmerbung be® aßmädjtigen, unenblidjen ©otte®, namenttid) bi® jur ßmpfängniß in 5D2utterfd)ooß, als ©otte® unroiirbig, bi® jurn horror unwürbig bemonftriren wollen. ÜNein, ber Soßn ©otte® ljatte leinen horror, lein ßntfefeen oor biefem, cud) fo ßorrenb biinfenben ©eßeimniffe. T>a® SBunberbare ber ßmpfängniß unb ber jungfräulichen 2)2utterfd)aft ift babei forgföltig burd) »virginis« ßeroorgefjoben. fDlon fönnte erwarten, baß fid) an biefc ßrniebrigung in ber Ü)2enfd)roerbung nun and) bie weitere ßrniebrigung bi® jurn ÄreujeStobe anfehlöffe ; aber nein ! wirb fofort übergegangen jum Siege, jur 23ollenbung be® ßrtöfungSmerfe® bi« jum wiebergeöffneten Fimmel.

33er® 17. Tu devicto mortis aculeo, aperuisti credentibus regna coelorum. ®u ßaft übcrwunbcti ben Stacßel be« £obc«, unb ben ©läubigen geöffnet bie 92eid)c ber £>immel.

©erabc jene ßrniebrigung in ber ßmpfängniß giebt ben lprifd)en Sdptmng ju biefem rafchen Ucbergang, unb mir bürfen nicht Der* geffen, baß wir bei allen biefen ©äfeen mit »Tu«, alfo aud) bei ber 2J2enfd)merbung immer ben bereite oerherrlichten Rex gloriae oor Slugcn ßaben, womit fie eingeleitet würben. Twßer wirb nur ber Sieg ermähnt, moburd) ber ßrlöfer in feine fwrrlidjfeit eingegangen. ®ie gorm be® Siege®, burd) ben blutigen ÄreujeStob, finbet erft fpäter ‘jJlaf) (33. 20). Unb wa® für ein Sieg ? »devicto mortis

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25a« Te Deum.

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aculeo«, Sieg über ben ©tadjel beS JobeS ! J)iefeS Söilb oerftcljt ber ©laubige aus ber ©teile, woraus es entnommen, aus bem Slpoftel Paulus, I. Gor. 15, 55. SPa heißt eS: „J)aS Sterbliche

hat angejogen bie Unfterblichfeit ; oerfdjlungen ift ber Job im ©iegi Job, rno ift bein ©ieg (beine 2)iadjt)? Job, roo ift bein ©tacfjel? J)er ©tad)el beS JobeS aber ift bie ©ünbe", bie ©ünbe, bie oon ©ott trennt, weit fie oom Jcufcl ausgegangen ; baljer eS an einer anberen ©teile fyeijjt: „J)ur<h ben 2ieib beS JeufelS ift ber

Job in bie ©eit gefommen“. Sllfo Job, ©iiubc unb Hölle finb befiegt in bem ©tadjel beS JobeS. Unb bie grudjt biefeS ©icgeS? GS ift eben bie hödjfte Uiollenbung beS GrlöjungSwerfeS : nidjt bloß bie ^Befreiung beS ÜJlenfdjen als fotd)e, nicht blojj bie Dfücfteljr in ein früher bereits innegehabtes 23aterlanb, fonbern bie Ginfcljr in ein neues oerllärteS 33atevlanb, ja in bie Dolle himmlifdje ©lorie, roie fie bunt) »regna coelorum«, bie Dieidje ber ijitnmel, fo umfaffenb auSgebrücft wirb. 2lbcr biefe Ginfehr ift nur ben ©laubigen »creden- tibus« eröffnet. Unfcr getttöljnlidjcr SluSbrucf „bie ©laubigen“ toirb im Cateinifc^en mit »fideles« be^eidjnet. Hier aber hat gerabe baS »credere« feinen Dlachbrucf; es ift ber eigentliche 21 c t beS ©lau« benS, bie gläubige 2lufnat)me ber offenbarten 2ßa£)tl)eit, glcidjfam ber Eintritt in bie ©emeinfehaft Gfjrifti, mooon eS heißt : „©er nicht

glaubt, fann nicht felig werben"; alfo h'cr zugleich mit einem mal)« nenben 3uruf an b'c 9iid)tglaubcnben.

SSerS 18 u. 19. Tu ad dexteram Dei sedes, in gloria Patris. Iudex crederis esse venturus. Ju fifeeft jur SKechten ©otteS in ber $errlid)feit beS 3?aterS, unb wirft, fo glauben wir, als 9tid)ter wiebertommen.

3ur ©icherung unb tBürgfdjaft für bie Eröffnung beS §immel« reiches wirb nun bie §errlid)feit bcs GrlöferS felbft, bie Grljöhung bes SDfenfchenfohneS nad) feiner Himmelfahrt, oor Slugen geftetlt, unb jwar *ur öefräftigung ber ©ahrheit mit ben typifchen, untrüglichen ©orten ber Sirdje in ihren ©taubenSbefenntniffen : im Grebo, im 21poftolifd)en unb Wcänifdjen ©hmbolum, unb ebenfo im ©loria ber h. Dleffe : »Tu ad dexteram Dei sedes in gloria Patris«, b. h- : $u, hiftorifcher ßhriftu0« an &£n w‘r glauben, bu wahrer IDIenfchen* fohn, fifceft nun als ftönig ber Herrtidjfcit jur Rechten ©ottes, in unmittelbarer SBerbinbung ber menfchlichen 9?atur mit ber göttlichen, unb jwar in jener Iperrtichleit, bie bu als ewiger ©oljn ©ottes

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.£> t i ii t i 4 8 o tu.

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beim 23 a t e v hatteft, oor allen feiten, 0011 ©»iflfeit. Unb fo ift erfüllt ba« ©ort be« föniglidjcn Propheten : ,,©« fpradj ber

$err ju meinem §errn: £e(je bich ju meiner 9tcd)ten." Der einige 23ater hat bem URenfdjenfohne If)ei( an feiner göttlichen Jperrfchaft gegeben. Slber berfelbe ©laube, ber h'{r ^en 3Ktnfdjenfohn jur Rechten ©otte« | (hauet, ba«felbe ßrebo (baljer fo bebeutfam »cre- deris«, b. i. eben fo feft unb fidjer, toie bie ooraufgehenben Dhflt* fachen, wie alle anberen unurnftöfslidjen ®lauben«wahrl)eiten) alfo ba«felbe Grebo erfennt in bem SDJenfchenfoljite auch ben dichter, ben dichter, ber ba tommeu wirb: »Iudex crederis esse venturus«.

3a, 9iid)ter! 3t« ®eri<f)tc muß man beftehen fönnen ! unb wer wirb beftehen fönnen oor bem üJfcnfthenfohne, ber felber al« iDfcnfd) ben 3i?eg ooraufgegangen, ben mir ju wanbeln hoben, um im ©erichte ju beftehen, ooraufgegangen fern oon Sd)u(b, nur ©Ute« mirfeub in fjöchfter söollfommenheit ! Da ift bie Stelle, wo beim ©efang be« Te Deum, entfprcdjenb ber sJDielobic, niebergefnict wirb, wo mir im 3lnfd}auen be« in feiner perrlid)feit fotnmenben Ofidjter« gleichfam oon Surcht unb Rittern ergriffen werben unb feinen anberen Droft hoben, al« biefeu felbeu Ofidjter für unferen ßrbenroanbel um ©eiftanb anjurufen. Da« ift ber llcbcrgang jum britten

X heile unfere« £>t)mnu«, jurn bemiithigen, aber auch oertrauen«« ooüen, ja bi« jur Grmartung ber f)imm(ifdhen ©lorie erljebenben ©ebete.

III. 2}er« 20 unb 21. Te ergo quaesumus, famulis tuis subveni, quos pretioso sanguiue redemisti. Aeterna fac cum Sauetis tuis in gloria numerari.

„Dich alfo bitten mir, leifte ©eiftanb beinen Dienern." »Te« Did) Gfjriftu«, Did) oerherrlichten SDfeufchenfohn, unfern Grlöfer (nicht etwa ©ott al« ©ott): »ergo (alfo)«, nach allen bem, wa« mir oon Dir glauben, unb wa« in bem SDorhergchenben oon bem gläubigen 2lugc gefchaut worben: »quaesumus«, nach bem tirchlichen ©ebrauche ba« eigentlich betenbe iöitten: »famulis«, bejeichnet im engeren Sinne Diener innerhalb ber gamilie (bagegen servus lebiglich bem $e rrn gegenüber), alfo innig unb fief) treu anfchliejjenb; bie ©läubigen gehören gleichfam jur Ofamilic (S^rifti, wie auch bie firchlithe ©emeinbe oft mit gamilie bejeichnet wirb; »subveni, fomtne ju ipülfe worin anber«, al« im iBMrfcn be« $eile«, in ber 2lu«übung bc« ©Uten unb in Slbwefjr alle« tßöfen; »quos pretioso sanguiue redemisti«, bie

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3)a« Te Dernn.

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bu mit beinern foftbaren ©lute, alfo um bcn ^öd)flen ^rei«, erlauft unb ertöfet haft. £>ier alfo erft, jur Gtinbringlidjteit unb tSrmutljigung be« ©itten«, wirb bie 21 r t bcr (Srlöfung, bie Eingabe be« ©tute«, ber Opfertob erwähnt, wofür oben (t>. 17) bei bcr froijlocfenben 2ln* fdjanung be« ©iege« fein ©(ap war, fonbern fofort »on beni ©cginn ber (Srlöfung, oon ber ©lenfchwerbung im ©djooße ber Jungfrau, jum Ueberwinben bcS @tad)cl« be« £obe« emporgeftiegen würbe. 3” ähnlicher ©eife aber führt hier ber 2!nb(icf ber tiefften ßrniebrigung, be« tirrlöfungStobe« am SJreuje, wieber empor jum 2lnblid ber ewigen himmlifd)en $errlid)fcit, unb jwar nicht bloß, wie oben, ber £errlid)feit bcS tgrlöfer«, fonbern jugleid) ber ßrlöften, bie fie ju erwarten haben, wenn fie fid) berfetben witrbig erweifen, würbig jur ^afjl ber 2lu«= erwählten gerechnet ju werben, was nur mög(id) ift burd) bcn ©eiftanb, burd) bie ©nabe oon oben. Da« alte« ift au8gefprod)en in ben Porten: »Aeterua fac cum Sanctis tuis iu gloria uumerari, ©ib, baß Wir in ewiger 6perr(id)feit ju beinen ^eiligen gejault werben« ; bie «aeterna gloria« ift eben wieber bie göttliche ©lorie, in bie ber SDIenfdfenfoljn eingegangen unb woran er feine ^eiligen gleichfalls üt^eil nehmen (affen will, ©a« bleibt nod) übrig nad) biefer allerljöchften öitte? (äigentlid) nid)t« mcf)r ! Die gläubige in Hoffnung unb tfiebe t)in- gegebene »Seele rußet bamit bereit« nad) einfad) (prifdjem ©rincip in bem ©orgenuß ber Scligfcit, mit ftiller Demut!) in ber ©efellfchaft ber ^eiligen. Unb in ©ahrf)cit ber eigentliche 21m* brofianifdje §t)mnuS Ijat hier feinen Schluß.

IV. ©a« tiod) folgt, finb wie bereit« bemcrlt ©erfifeln au« ben ©falmeit, wie fie auch anberweitig in bem fird)licf)en Diitu« oorfommen unb bamaf« auch bem ©o(fc belannt waren. Olur ©er« »Dignare Domine« finbet fid) nicht in ben ©falmcn, wohl aber anberwärt« jwifchcn ©falmenberfifeln, worüber im erfteu 2f)ei(e Diebe gewefen. ^ebenfalls aber ift fein groeifel, baß alle biefe ©erfileln nod) enge bem $bmnu« oerbunben unb mit ber ganjen ßompofition be« ©efange« »erwachfen finb, unb fomit im weiteren Sinne gleich* fall« 2lmbrofianifth genannt werben fönnen. Da« beftätigt fid) auch burd) bie älteften Ueberfepungen unb Diitualbiidjer. 2lber ebenfo flar fprießt fich burch biefen Uebergang in befannte ©falmenoerfifel eine ©enbung bc« £>t)mnu« au«, wie bie« aud) bie firchlidje ÜWelobie fo wirlfam füfjlen läßt, unb wie wir an« innern ©rünbeit bei ©er« 21 einen (prifchen 2lbfd)luß nachgewiefen haben. ©a« folgt, ift nicht mehr fo fubjectio Iprifd), wie bas ©orhergeßenbe, fonbern wenbet fiep

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$eiiuirf) ©oiu.

r.4

nad) außen, bef)nt ba« in 35er® 20 unb 21 meßr fubjectio au«« gefprod)ene ©ebet auf ba« ganje 95olf, auf bie gläubige ©emeinbe au«. 3d) mödjtc faft lagen, erbebe fid) Ijier Slmbrofiu« al« ©ifcbof wie ju einem ©egen«gebet für feine ganje ©emeinbe. ©er innige 3U" fammenbang aber mit bem unmittelbar ©orbergefjenben bleibt babei unberührt, unb fo wollen wir auch biefe ©erfifeln Ijier näher in Söetradjt jieljen.

35ie näd)ften 33er|e (22 unb 23) »Snlvum fac popnluin tuum, Iloinine et heuedic hereditati tuae; Et rege eos et extolle illos nsque in aeternum. ©ewabre bein 33olt, o $err, unb fegne bein ©rbtbeil; Unb regiere fie, unb ergebe fie bi« in ßmigfeit", finb bie Scf)lH§oerfe be« 27. ©falm«. Sie bilben Ijier offenbar einen ebenfo befräftigenben, wie erweiternben Stadial! für ben lebtöorfjergcgangetien ©er«, für bie Äufnabme ju ben ^eiligen in ber ewigen $errlid)feit ; befräftigen biefe boffuungStwlle ©itte gerabc baburd), bafj fie au« ben ©faltneit entnommen finb, alfo fiir bie djrift liebe Jluffaffung fdfon auf ben alten ©unb Ijinweifen. ©$a« «Daoib unb SDtofe« unb bie ißro« Pbeteu fangen mit biftorifeber ©ejiebung auf bie 3“ben al« ba« er* wählte 35olf ©otte«, ba« galt als ©ortgpu« bem wahren ©olfe ©ölte« im neuen ©unbe, bem 35olf ©otte« au« ollen Stationen, ben SDiit- erben librifti. 3m ißfalm beißt ber unmittelbar uorljergebenbe Ser« »Dominus fortitudo plebis suae, et protector salvationmn Christi sui est«, J)er $err ift bie ©tärfe feine« (im alten ©unbe erwählten) ©olfe«, unb ber ©efd)irnter (ber ©rotector) für bie §eil«mirfungen feine« ©efalbten (fiir bie CSljriften). ©ei bem 9lu«brucf »rege eos«, ber bem »plehi« entfpridjt, Ijat man ben ©anbei auf ßrben, unb bei »extolle illos«, bem »hereditati tnae« cntfpredjenb, bie ©ollenbung unb ©erberrlidjuitg ju benfen; baber ber bejeid)nenbe ©edjfel oon »eos« unb »illos«, wa« fief) im J)eutf<ben ohne miß« oerftänbfiebe Schärfe niibt wiebergeben läßt.

Stad) fo betätigtem, in bie Grwigfeit hin reidjenbcit ©ebete fiir bie ganje ©emeinbe, folgt nun gleidjfam al« Antwort uubal« 3ufage ber eigenen SMit* wirfung ein neuer Sluffdjwung jum täglichen unb immerwä()renben l'ob be« $errn: »Per singulos dies henedicimns te, et laudamus nonren tuum in saeculum et in saeculum saeculi; Jllle Sage (Jag für Jag) preifen wir bid), unb loben immer beinen 9tamen, ja immer unb ewiglich.« Cr« finb 3\5ortc au« bem 144. ©falm. ©a« faitn nad) biefent ©orfatse be« täglichen Vobc« beim Slbfdjluß ber 9)fatutin, wo ba« Te Deum feine Stelle I)ot, näfjer liegen, af« bie folgenbe

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£a« Te Dcum.

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Sitte, für ben neuen lag öor «Siiitbc bewahrt ju werben? S. 26: Dignare, Domiue, die isto siue peceato uos custodire. ffiürbigc bid), o $err, uu« an biefem Sage ohne Siinbe gu bewahren (nid)t au« ben ffatmen entnommen, wie oben im 1. Sljeile näfjer bef|>rod)cn worben). Diefe Sitte aber, für ben junäd)ft oortiegenbeu Sag oor ®iinbe bemafjrt 511 bleiben, fdjliegt fid) jugleicf) in frfjönfter, weil bemütfjigfter Seife an ba« Dorljcvgeljenbe ©id)eri)eitSgefüf)[ an, womit ba« tägliche nnb immermäljrcnbe t'ob ©ottes attgelünbigt wirb. Denn baju gegärt ©nabe oon oben, weil nur ein fünbenfreie« $erj ©ott würbig loben fann. Darum oerfenft fit^ aud) biefe« ©cfügl ber Dcmutl), faum für ben nödjften Sag fidjer ,*,u fein, in ben nodj bemütgigeren, fa $crfnirfd)ten Aufruf: „(irbarme bieg unfer, 0 §err, erbarme bid) unfer! Miserere nostri, Domine, miserere nostri« (Söovte au« bem 122. Sfatm). ®l«f« Aufruf um ben Stet bc« gottlidjcu ©rbarmen« ergebt fieft bann fofort ju bem Jpinblicf auf bic bem §errtt innewoguenbe (fiigenfdjaft ber Sarmgergigfeit, bie fid) fdjott fo oft beftätigt, unb auf ber allein fid) immer alle» $offen unb Scrtraucu gegrünbet gat: »Fiat misericordia tua super nos, quem- admodum speravimus in te«, Deine Sarmgerjigfeit, 0 Jpcrr, laß über un« fein, fo wie wir auf Did) gehofft gaben unb hoffen (©orte au« bem 32. $falm). Unb fo benn im feften ©tauben«» gefügt, bag ber £>err nimmer $u Scganbcn werben lägt bie« ienigen, welcge auf ign oertrauen, figlicgt ber gange ©efang mit ber eben fo wonnigen als bemiitgigen Lagerung in ber ^uoerfidjtli^feit ber Hoffnung unb igrer ©rfüllung: „Stuf Did), 0 $err, gäbe itf)

gehofft unb goffe id); in ßwigfeit werbe id) nid)t jn Stauben werben; In te, Domine, speravi, non confundar in aeternum« ; Anfang«» Worte be« 30. fJfalm«, welker ber Complet angegört, atfo gier bebeu« tungsooll ben SDforgen mit bem 2fbcnb oerbinbet unb fomit wagrgaft bas ,§trj in l)immlifd)c SHugc fenft, aber aud) am ©egluffe ber 9Joc» turnen, wo ba« Te Deum, wie gefagt, feinen canonifdjen '■Jilag ga!, auf bie nunmehr erfüllte Hoffnung, auf ba« angebrotgene SageSlicgt ginweifet, wctdjcS burd) bie Laudes mit t'ob unb Dant begriigt wirb.

-liaegbem wir nun aber bie Sorte be« Te Deum fo bi« in’« 3nucrfte gcrglicbert unb itjveu organiftfjcn ^ufammeugaug offcugclcgt haben, ^at bic grage, ob beim baö alle« auch in foltgcr Seife non bem Serfaffcr bc« ©efange« bebaegt unb gewollt fei, feine Scrcdj» tignng. änbere mögen wieber 2lnberc« im tSiugelnen crlcnnen unb tu entfalten wiffen. Da« gilt ja in ägnlitger Seife oon allen au«

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$tinvtd) 9?one.

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$er$ unb (Seift roaljrljaft entquollenen ©erfen. Unb ^ier l)aben mir e8 mit einem ©erfe ju tfjun gehabt, worin mir eine unmittelbare SDütmirfung ©ottcS, be8 @eift>Sd)öpfer8, fetbft oon bei* Äird)e burd) bie Stellung, bie fie bcmfelben in ihrem 9iitu« gegeben, al8 anerfannt haben betrachten blirfen. ©ie unerfdjöpflidj an immer neuen perlen ift nicht ber Slbgrunb ber Ijeiligen Schrift! Da wirb nie unerfüllt bleiben bas ©ort: „Suchet, unb ihr werbet finben."

3um Sdjluj? fönnte ich nun auch nod) fpredjeu oon bett oer* fchiebenen SBerfudfen, ba8 Te Deum in beutfdje gereimte Strophen ju übertragen. immerhin mögen baburdj anerfcnncnSmcrthe unb bei entfprechenbcr fdjwungöoflcr 3)klobic mirfung8oo(le Siebet entftanben fein, wie jene« oolltönenbe „(Srojjer (Sott, wir loben bid)"; aber ben ttjpifd) geheiligten (Seljatt be8 Original« mit feiner gchcimnigoolten ‘fßräcifion tonnen bicfelbcn nimmer wicbergcben.

£>aben wir nun aber bi8f)ct junächft nur bie ©orte be8 Te Denm al$ ©egenftanb unfercr iBefprcdjung ine 3lugc gefaxt, unb ber üftelobie, wooon bicfelbcn getragen werben, nur nebenher gebadjt, fo bleibt gcrabc bie Dtclobic, bie wahrhaft ju einer (Einheit mit ben ©orten ocrwadjfen ift, ein neuer ©egenftanb für cinbringlidje unb umfaffenbe iöchanblung, fomoljl t)infid)ttieb ihre« mufifalifdjen ßljarab tere, ihrer ©lieberung unb ihrer mit ben ©orten fo munberfam ljar> monirenbcit Variationen , als aud) hinffatylicfj ihre« Urfprunges unb ihre« Verhäftniffe« jur Stutorfdjaft ber ©orte. Daju gehören tiefe mufifalifdjc fienntniffe unb umfaffenbe b>|torifd)>mufifalifd)e Stubien; oictleicht, um concret ju fpiedjen, ein Aufenthalt in üDiailanb bei feinen Irabitionen unb oiclleidjt oerborgen rufyenbcn SDianuftripten. Sei bem heutigen lebenbigen unb erfolgreichen (Sifcr für !ird)lid)e fDJufif werben bie filänge bc« Te Deura gewiß nicht überhört werben, fon> bem ihren ©ieberljaU finben in einer allfeitig einbringenben Dur<h* forfthung berfelbeu.

111. lieber ben fird)lid)cn ©ebruurf) beo Te Deuiu.

Der tirdjliehe ©ebraud) be« TeDeum ift ein boppelter; 1. ein ftehenber canonifdjcr, 2. ein gelegenl)eit(id)cr. Der ftehenbe cano- n i f ch e ©ebraud) tniipft fich an bie fogenannten canonifdjen Stunben« ober DageSgebete, wie fie bem ‘’ßrieftcr im IBreoier oorgcfdjrieben finb. Diefe canonifchen Stunbcngebete bilben brei Abteilungen: 1. Die Sriibgcbetc: ©fatutiueu u. SaubeS; 2. bie Stunbengebete : r i m ,

Sterj, Se$t unb 9ion, geniäjf ber alten Sintheilung be« jwölf*

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®a 8 Te Deum.

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ftünbigcn logt« oon je brei ju brei Stunben; 3. bie Slbenbgebete: 33 e « p c r unb G o m p t c t.

25er wefentlidje SJeftanbthcil aücr biefer ©ebete finb (abgcfeljen oon ben befonberen t'ectioncn beb Sage«) bic ‘ßfalmen, tu SJcrbiubnng mit $htnnu« unb ßanticum, nebft beit firf) anfdjliefjenben Sbntiptjoncn, Sßerfiteln unb SKcfponforie«. 33on ben griihgebeten gehört ber cvfte Jljeil, bic 2)iatutin (in ber 2>olf«fprad)c bic SNetten genannt) bem erften fernen Dämmern bc8 neuen Jaget!, gleichfam bem erften toeefenben, unb im $>inblirf auf ^etru« jurn ©ebet maljneuben ^alfnen« fchrei, atfo eigentlich noch ben nächtlichen Stunben an, baher auch bie brei Slbtheilungen ber bafür beftimmten ^falmengcbetc ben 'Jiamen Nocturne n ('Jiachtgebete) haben, unb bie fog. büfteren IDietten in ber G^ornoocfjc bcfanntlieh fchon am Slbcitb oov bem betreffenben Jage gehalten werben. 211« Ülbfchlut ber SRatutin, nad) ber brüten 9?octurn, erfolgt fobaun unfer Sobgefang Te Deum laudamus, alfo gteichfam nach 33crfcheuchnng ber nächtlichen ginfternijj, beim gellen Gintritt bcs Jage«, jum Dant unb ©rufj für ba« neu empfangene ßi<ht, tooran fich bann fofort al« gottfefcung biefeö ^ochgefttljl« bie l'aubeö an« fchliefjcn, bic wie ihr 'Jiamc fagt, in £ob unb ^rci« fich ergießen, mit hothgehenben ‘«ßfalmen, auffteigenben Ganticum unb bem cigentlid^en (metrifchen) 2Jforgcnhhmnu« in feinen melobifehen Jönen. (Sine tounberbare ^oefie liegt in biefer, man fönnte fagen organifth oer« fd)tungenen Ginridjtung be« Sreoier«, fowie in bem ganjen SHitu« unferer heiligen Äirche.

Da« Te Denm nun aber al« ber t)oef)fcier(i(^e Uebcrgang au« ben bämmtrnben 9iocturnen in bie hcUcSRcgion ber l'aubee, übernimmt biefen feinen löeruf nicht an jebem Jage, fonbern nur an Sonn* unb geft tagen, wobei alfo ber neu ermadjenbe Jag nicht bloß ein Jag ber auffteigenben Gtbenfonne fonbern ijugteich ein Jag be« »Oriens ex alto«, be« Slufgang« au« ber $öhe ift, ein Jag, ber oom ewigen £id)te, oom wahrem dichte burchleuchtet iß, ein Jag be« $errn, ein ©ebädjtnijjfeft feiner ©naben unb SBunber, ober eine« feiner .^eiligen, in benen ber §crr oerhcrrlicht fein will.

93on ben Sonntagen felbft finb nun aber wieber au«genommen unb nicht mit bem freubigeit ‘ißretegefang be« Te Deum gezeichnet bie Bier Sonntage be« 91 bo c n t « unb bie neun Sonntage Bon Septuagcfima bi« Oftern; benn biefe« finb ja bie Jage, wo bie Äirche and) burch bie garbc ber ©ewänber jene Stimmung fennjeidjitet, bie al« im ©eftihl ber eigenen Unwürbigteit bemüthig oorbereitenbe

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§ ei u rief) i8ont.

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ftir bie fomincnbett ^bdiftcn gefreiten betn gtoljlocfen bte Te Deum nid)t entfpridjt. dagegen ift tu entfpredjenber 2Bcife bie gattje oft eilige ^eit glcichfam ein einziger fortbaucrubcr gubcltag be« perrn, wie ja auch ber 9tuferftel)ungstag felbft bem eigentlichen Sage beö penn, bent Sonntage (Dies dominica), ftatt ber Sabbatsfeier, feine Söebeutung unb geier gegeben h«t. llub fo wirb benn wätjrenb ber ganzen öfterlid)cn ^eit oon Oftcrn bis pimmelfahrt, alfo ber Sebeumslojeu gaftetijeit entfprechenb, bie eierjigtägige ^eit ^inburet), bie ber petr naef) feiner Sluferftchung nod) auf (Arbeit wanbeite, jeber einzelne Sag mit jenem Sd)rouitgf)t)mnu« bcs offenbarten (Glaubens begrüßt, jenes (Slaubens, ber in ber ftuferfteljung be« Perm feiu Siegel empfangen. 'Jiur ber SDfoutag in ber pitnmelfahrtsroodje ift ausgenommen, b. i. ber erfte ber befannten brei löitttage, bie gleich* falls fdjon burd) bie blaue garbe ber (Scrociitbcr bei beit eigentlichen 9?ogatiouSmeffctt iljictt aus ber öfter(id)cn Stimmung hcraustretenben £t}arafter bcs bemüttjigeu unb bußfertigen löittcns an bett Sag legen.

Unter bett gefttagen ber p eiligen nun aber, oon benett wir fagteit, baß jie gleichfalls mit bem Te Deum begrüßt werben, bilbet bie einzige Ausnahme bas geft ber Unfdjulbigen fiinber, am brüten Sage ttad) 2Beif)nad)tcn ; aber auch nur ber gefttag felbft, mäbrcnb ber gleichfalls feftlich begangene Octaotag wieber oom Te Deum getragen wirb. Sa« ift wieber fehr fchön unb bebeutungs» ooH. Slm Sage felbft, an welchem ba« pinfd)lad)ten ber unfchulbigett Äinber, ber „SDtarterblümelcin“ wie ber geftbhtnnu« fie nennt, ftatt* fanb, warb ja, wie aus bem Propheten Jeremias in bem (Stwn* gelium h«fü »ein ©einen gehört in SRama, ein ©erlogen unb (Scheut ; bentt SRadjcl beweint ihre Äinber unb will leinen Sroft, weil fie nidjt mehr flnb*. 2tber balb, am Octaotage, erhebt bie ffirche ihren Slicf ttad) oben, bott^in, wohin bie föinber emporgeftiegen unb wo fie nunmehr fingen: „Uttfcre Seele ift gerettet, wie ber Sperling au« bem (Same ber gäger, ba« (Sa nt ift jerriffen unb wir fittb frei! Bobpreifet ihr Sinber ben petrtt, lobpreifet ben Scanten be« Perm ! " So lautet ba« (Srabuale be« gefttages. Droben alfo in ihrer 93er» herrlichung feiern fie ba« Bob be« perrn in htnrmlifcfjen SB orten, wöhrenb fie auf örben, wie ba« Äirdjengebet fagt, nicht burd) ©orte, fonbern burch ben Sob ba« Bo b (Sötte« bclannt haben. Unb fo wirb benn ber Octaotag wieber freubcnooll mit bent Te Deum begrüßt.

3nbem ich nun aber bett ftehenben canon ifdjcn (Scbrauch be« Te Deum bargelegt habe, habe id) zugleich ben canonifd)en (Scbrauch

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39 3)a$ Tr Drum. 109

eine» anbern fivc^fid)c« gegeifigten Lobgefange«, moßon ba« TeDenm gfeiegfam ein gingejogencr, anfdjnjeUenber ©icbergall ift, mit ein* gefegfoffen. @b ift ba« ©foria in ber g. ü)?f|fe, ber »Hymnus

angelicns« genannt, weit angebenb mit ben ©orten, mornit bic (Sngel

in ben Lilften bie ftiCIe ©cbnrt beb £)ci(atibc# im ©tafle feierten. Sfn affen lagen nämfidj, mo bie SDiatutin beb ©reoier« mit bem Te Denm fdjfiegt, roirb in ber g. SDieffe ba# ©foria eingefegt ; unb umgefegrt,

too mir ben ^rieftet- am Jfftare ba# ©foria beten fegen ober anftimnten

gören, miffen mir, baff er ben Sfufgang bc# Sage« mit bem TeDenm begriigt bat* ®aoon finb nur jmei Soge aubgenommen, ber ©riin* bonnerbtag unb ber Ggarfambtag, an roefegen bei ber 2)?effe mogl bab ©foria, ober in ber üJiatutin niefjt ba# Te Denm ftatt- finbet. 'Dlatiirlitg, beim bie ©riinbonner«tag«*ü)f effe ift feine {Veriaf* ober ©erftagbmeffc ber gaftenjeit unb ber Leibenbmotge, fonbern fie Ijifft fid) mefentfief) mit Gpiftef unb Goangelium an bab ©egeinmig unb bie ßinfegung beb f). ?lbenbmagfe«, roägrenb bie canonifdjen ©tunbengebetc beb ©reoier« ben Leiben beb $errn gemibmet ftnb unb bie SDiatutin be« ©riinbonnerbtageb, jene fog. biifteren SDfetten, bie fdjon am 9)littmod) Sfbenb gegolten merben, bereit« in ben üfage* tönen ben Lamentationen bcö 3eremiab fidj bemegen. Unb in bem 1). aOießopfcr bc« Ggarfambtageb gören mir ja figon an bem breimaf angeftimmten unb immer göger fteigenben Slffefuja, haß bie Leibenbroodje i'tbermunben unb bie I). SDfeffe fng bereit« im öfter* ficken tRitu« beroegt; in jenem SRitu«, mie er urfpriingfitg in ber godifeierfidjen Dfternadjt gehalten mürbe, cingefeitet bitreg bie gegeimnig* ooffen ©eigen ber aflfeitigen, gfeidjfam elementaren ©rneuerung, bie jegt gfeidjfafl# fdjon am Ggarfambtag« * 9Rorgen bem g. SDiegopfer ooraubgegen, mo bann ba# ©foria mit oerboppefter Straft, unter ©e* gfeitung ber mieberfegrenben Drgef* unb ©fodentöne, ben Slnbrucg be« neuen Sag« be« £>errn oertiinbet. SMe üRatutin aber be# Ggar* fambtag«, bie am SXbeub be« Ggarfreitag« gegolten mirb, feufjt nodj bab fegte Äfagegcbct beb 3eremiab aub : »Recordare qnid acciderit nohis, ©ebenfe, o §err, ma# nn« miberfagren !", unb fann biefe« gemig niegt mit bem 3ubefftrom be« Te Denm oereinigen.

©ooiel über ben ft egen ben canonifdjen ©ebraudj beb Te Deum, moburd) baöfefbc einen tgpifegen Ggarafter empfangen, inbem mit ben eigentfidjen Ganticib ber canonifdjen ©tunben, mit ben au« ber ©ibef entnommenen ©efäugen, in ©cjiegung getreten, unter benen audj, mie gefagt, in ben SRegiftern bee Öreßier« mit auf-

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§ tintig Sone. ®a§ Te Deum.

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geführt wirb, obgleich es in feiner Ueberfd)rift ben Manien £)t)m* ntt« trägt.

©er jroeite ©ebraudj ift ein freier, gelegenbcitlidter; es ift berjenige, ber ben ?aien befannter, al« jener canonifdje ift, berjenige, woran ba« ganje 9?otf, bie ©emeinbe, S^eit $u nehmen pflegt, fei e$ in ber lateinifdjen ©riginalfpracbc, al« SOtutterfpracbe ber römifcf)en ^irtfje, ober in einer Ueberfctjung ber t?anbc«fpraebe ; ift ber ©e* brauch bei jenen ©elegenheiten, Wo für befonbere göttliche ©naben unb S3of)ttf)öten £ob unb ©an! jum ^>immet fteigt, unb jwar nicht al8 ftille« ©ebet, fonbern al« ^oc^feftlidjer ©efang, uom cetebrirenben ^riefter angeftimmt, unb bann fortgefiiljrt oom tS^or unb ©emeinbe in feiner wogenben üMobie, getragen oon ben raufebenben Jönen ber Orgel unb nach Umftönben oon febmetternben $ofaunen, unb begleitet oon ben in ben lüften fiel) au«ballenben Ätängen ber ©loden. Solcher Gelegenheiten gibt oerfdjiebenc; nach ber allgemeinen ^Bezeichnung bafür heißt e«: »Hujus Hymni solet in Ecclesia usus ease, qunm magno quopiam beneficio divinitus impertitur. 3?on biefem ijptjmmt« pflegt bie Sii-dje ©ebraueb ju macbeu, wenn fie mit irgenb einer grojjen Söofjltbat oon ©ott begnabigt toorben." 3>n«befonbere finben ficb oon älteften feiten als foltbe SBeranlaffuttgen angeführt: 3Q?al)l eine« ^apfte«, ISonfecration eine« Sifibof«, Srönung eine« S?önig«, 91bfcblujj fircblicbcr SBerfammlungen , SBertünbigung eine« grieben«f(bluffe«, ©ran«lation oon ^eiligen unb anbern bergleicben.

©ie ffirebe lebt aber auch in ihren einzelnen ©liebem, unb fo finbet ficb auch für jebe einzelne Pfarre bie eine ober anbere befonbere Gelegenheit, wo ba« Te Deum nach bem Sinne ber Kirche feine ©teile finbet. 2öo unb wann immer aber biefer gottlidje Pobgefang

öffentlich angeftimmt toirb, ba toiffen brinnen bie fallen ber ©ome unb Kapellen, unb braujjen bie auffangenben tfilfte, toie umoiberftehlich bie SBogen biefe« ©efangc« mit fid> fortreißen, toie Sille« cinftimmt, toenn heißt : »Te Dciun laudamns«, ober ettoa: „©rojjer ©ott wir loben ©ich".

Unb fo febtießen wir mit bem fehnficbeu SBitnfdje, bajj bie Äircbc, wie in ihrem fiegreicben ©lauben, fo auch bureb gefieberten Trieben ficb in allen l'anben geftimmt fühle ju bem £o<bgefangc Te Deum landamus.

Xtud von SRahlau St Stfalttjchniibt. j-rantfurt a. Di.

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JHartjlöttb,

öie IDiege öes Katljolijismus unb 6er Freiheit Horb * 2lmerifas.

Bon

Dr. @tto Sorbett».

äÄotto. r3«bcm ©tatrnne ber tnenf^li^en ftamilie ^at ber Gngcl ber »erfürtbung ber 9?cibe nach bic 93otf<haft be8 ^rieben* übetbracht unb ift aisbann weiter geschritten. ^ u r befHmmtenStunbeift er über bcn großen D|ean geflogen, bas Sin* tH| toe fttoirtfi gerichtet.

marfoal. .2)1« TOiffionen.*

Saltimore, bie §auptftabt oon üKarplanb in 9iorbamerifa, feierte Dom lebten 11. Octobcr an burd) mehrere Jage Ijinburf baS hunbertunbfünfjigfte anniDerfarium feiner ©rünbung. (Sin itluftrirteS 5tenj*2)orfer Statt »The daily Graphic« jeigt uns in ©egeniiber* fefcung zweier 3Uuftrationen, fowoljl ber anfiebtung Dom 3£frc 1752, als ber jefcigen SRiefenftabt am ^atapffoftuffe, bie rapibe (Sntwicflung beS amerifaniffen StcibtemefenS. gwei ^eroorragenbe SUionumente aber, treten jebem, ber bas $äufermeer ber jweiten ^Üuftration über« ff aut, fofort oor bas äuge, benn fie bominiren fo ref t eigentlich als SDenfmale unb Spmbole geiftiger, ibealer, geffiftlifer ©roßen über bie £>äufermaffen unb baS Jabprinf Don Straßen unb ißläfcen, weife bas materielle Streben unb Jreiben ber £>anbelsftabt burcfjtobt, mir meinen baS ÜJionument SöafhingtonS unb bie römiff* ta tljoliffe fiatfjebrafe beS jefcigen IßrimatenfifceS in ben Ser* einigten Staaten.

DiefeS leptere ÜRonument, welches jutn erfteren in gar manchen DertDanbtfchaftlichen Schiebungen fte^t, ift es, welchem bei Slnlaß beS Jubiläums ber Stabt Saltimore in biefen feilen einige Erinnerungen unb Schaltungen gewibmet werben follen.

S)er große Staatenbunb jenfeit« beS CceanS feffelt nach unb naf immer mehr auf bie aufmerffamfeit ber Äofolifen unb ber Deutff en. SDiit freubiger 2feilnabme fepen wir als ®eutffe ja

l

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Dr. Otto 3<xt>'tti.

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einerfeit« , befonber» im Seften Slmerifa«, im Sanbe „ber farbenen Saffer" bereit« ein neue» Deutfdjfanb im Serben begriffen ; anberfeit« lagt in unfern Sogen ber beutfdje Satbofif nur aUjugerne mit einem ©emifdj Don greube unb Sebmutb im $>eqen fein Singe über ba* große Saffer nad) Slmerifa fd)Weifen, wo er feine im baterfanb gefnedjtete, gefeffelte unb gefdjmäbte Sirene, frei, botbgf achtet , mit überrafd)enber Stbnelligfeit fid) entroitfefn, auabreiten unb befeftigen fußt. Der ©eift ©ott«, beffen Einfluß unb Sirffamfeit in SWitten ber angetfädjfife^eu 9?ace in unfern Sagen auf oft fo marfante unb frappirenbe Seife fjeroors tritt, wie in ßngfanb, fo auch im ftammDcrroanbten 'Jforbamerüa bereit« eine ©eroegung ju Sage geförbert, bie 'Jiiemanben mehr ent» geben fann. Die fatboliftbe Äirdje fJlorbamerifa«, fange ^eit in &ncdjtfd)aft gehalten , bat fid) feitber in nie gefebenem SDJaßftabe unb in alle ßrwartungen Uberfteigenber Sc^neltigfeit im Sanbe be« Sternen« bantur» ju einer @roßmad)t entroicfelt. Senn autb offideff noch beutjutage mit ben ßunbert oerfebiebenen Seftenfirdjen unb refigiöfen Denominationen auf eine Sinie geftellt, ragt fie in ihrer organifeben (Einheit, tabeffofen ©e|d)id)te, majeftätifefjen ©eftalt Uber ba« bunte ©emenge biefer SDfenftbenftiftungen ebenfo getoaftig berau«, toie ber weißmarmorne Dom über ba« Jpäufermeer 5Rew»9)orf«.

greifid) ift ben öffentlichen ©eridjten ber Journale na<b }u urtbeifen, bie erfte Stolle, wetd)e fatbofiftber (Einfluß in 3fnfieb(ung unb ßntwicflung 2)tart)tanbe fpiefte, in ben geftreben unb öffentfitben geierlicbfeiten ©altimor« febbn übergangen unb oon ben Sogen« unb Seftenblättern tobtgefdjroiegeu worben. parallel neben ber unioerfafen ©otteefirtbe wirft eben autb unb terbreitet fid) in Slmerifa ba« inter« nationafe ©etoebe ber greimaurerei ; jeigen fid) jumaf feit einigen * 3®bren *m öffentfitben Seben ber bereinigten Staaten Symptome oon einer junebmenben geheimen bereinigung gegen ba« Umfitbgreifen unb Satbfen fatboliftben geben« unb fiinfluffe«. 3nmiefern autb bie fefcte bröfibentenroabf bamit jufammenbSngt, wollen wir baßin* geftellt taffen. „2Jtag fein* , fd)reibt <J3- ©aumgartner ‘) feßr richtig, „baß bie Soge auch in Slmerifa mit bem Untergebenen broteftanti«mu« ju einem festen Sturme gegen bie fatbofiftbe Kirche fid) oerfdjmört, aber bann wirb biefer Singriff ebenfo febr auf ba« $ers be« boffe« af« auf bie Kirche gerichtet fein, ßr wirb auf ben

’) Siebe Baumgartner» treffliche Stbbanbtungen, Uber bie tireb lieben unb politifiben Berbitiniffe Ämcrifa« in ben „Stimmen au» SJIaria Saatb"

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8 äRanpanb, bie SBiege be« Äatfjofijiimu« ic. 113

fßroteftantiSmu« felbft jurücffalltn, er wirb oietleid)t bem StaatSleben felbft fairere Stunben fdjfagcn; aber er wirb bie Kirche nic^t com Kontinente oerbannen, rodele juerft in Slmerifa baran badjte, nicht burd) 3man9 unö Verfolgung, auch nic^t burd) grunbfahlofe greiljeit, fonbern burd) g(auben«fefte Siebe unb Dutbung bie (getrennten $ur ©inheit beS ©lauben«, ben Staat auf ben ©oben be« 6^riftent^um3 jurüefguführen."

£>ier finb wir bei unferm eigentlichen Thema angelangt. ffiir wollen au« ber retatio jungen ®cfchi<htc ber bereinigten Staaten ein ölatt au«heben, ba« wie wenige ölätter ber ®efd)ichte ini allgemeinen überau« intereffant unb lehrreich ift, unb ben tljatfächlichen Prolog ju bem Spiele ber Vorfeljung in biefem großen Staatengebiete iliorbamcrifa« enthält. Stegen hinter biefem mobernften aller Staatengebilbe uod) (eine Qaljrtaufenbe ber SBergangenfjeit, fo Ijat fcoch gemifferutaßen ein ($af)rf)unbert amerifa ein Ijeroifche« 3e^a^ter flegeben. au« ber ®e* fchichle ber erften anfieblung unb fchnetlen (Sntmicflung ÜJlarplanb« fpridjt jugleich fine frappirenbe apologie be« ßinfluffe« ber fatfjo« lifchen Kirche auf bie bürgerliche SBofjlfafjrt im allgemeinen. Sie be= ftätigt bie auf unleugbare berbienfte gegrünbeten anfprüd)e ber älteften aller ÜJlächte ber alten SBelt, auf anfeljeu, adjtung, greißeit unb @leid)bered)tigung mit ben übrigen Korporationen. „Die Katljo» titen ber bereinigten Staaten", fagt am anfange feiner treffliche« borlefung in ßleoelanb über ba« 2E)cma »The debt America owes to Catholicity« ber hodjroürbigfte bifefjof Di. ©ilmour1) „braunen burdjauo nicht jufricben ju fein bamit, baß man fie eben bulbet ober mit allem, wa« man ihnen etwa jugeftefjt. fReiit, benn biefe Katljo* lifen haben ihre beftimmten unb flar au«gefprodjenen 9?ed)te, bie 91ie* manb ihnen abfpredjen fann, wa« immer ba« borurtljeil unb bie ■ißarteigefd)icbte ba$u fagen mögen ; 9fedjte fowohl in ber phhftfd)en, al« moralifdjen Orbnung; 9?ed)te, welche enblich fo lange 9ied)te bleiben werben, al« amerifa, bie Staatöoerfaffung unb bie ®efej}e ber Sßereinigten Staaten ejiftiren." au« ber apologie für bie SJBaljr* heit biefe« auSfpruche« aber heben wir ba« ^auptfapitel heroor, tuen« mir oon ber ®efd)ichte SDJarplanb« unb ^Baltimore« reben. @8 ift biefe gmeifet«ohne bie merfmiirbigfte Partie ber gefammten freilich meift

*) »The debt America owes to Catholicity« Lecture by the Right rerd. R. Gilmour D. D. bishop of Cleveland. Delivered on April 4ih 1880.

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Dr. Ctto 3a*btttL

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biedfeitd bed Cceand noch unbefannten ©efdjichte oon Staat unb Strebe im nörbltdjen Jheile ber neuen Seit, ja cd »Ul und fdjeinen, baß »ir barin nid)t blöd eine gewöhnliche faftifdje Einleitung in bie ©efchichtc ber fat^olifd>en Sirche ittorbamerifad, nicht blöd eine un- wieberlegliche Apologie ihrer ©irffamfeit unb ifjred Einfluffcd auf biefem ganj fremben unb neuen ©ebiete, fonbern noch mehr, baß »ir barin ein ljellichimmernbed Bilb ber geheimnißDollen Slftion ber „fpielen» ben ©eidheit auf Erben" l) ju erfennen hoben.

©ie nicht blinber 3ufaH» fonbern bie gewaltige $anb ber Bor* fehung cinftend auf ber Bühne unfered alternben Europad Dom fernen Often her bie germanifchen Stämme »eftwärtd trieb, bid fie bie ?ofi» tionen einnahmen, in welchen fie ihre prooibentielle 9fo0e ju fpielen hatten, fo ift bad ftetige unb immer juttehmenbe $inübcrftrömen non jpunberttaufenben europäifchcr 2ludwanberer nach ämerifa gewiß nicht btinbem "Drange, wohl aber bem gewaltigen Stoßen ber ftetd bie ®e* fd)ichte nach ©eften oorwärtd brangenben £>anb ber Borfeljung juju* fdjreiben. „fJJad) ©eften fliegt bie ©eltgefdjichte unb bu ald perolb füt)n ooran", ift bad ber Biographie oon Ehriftoph Eolumbud gefegte SDiotto. ©ie ferner bamatd, ald bie Strömungen ber Bölferwanberung allmähtig ju ftoefen begannen, in SWitten einer neugebilbeten Orbnung fchon bie Anfänge ber fpätern großen unb prooibentietlen ^nftitution bed Saiferthumed beutfeher iJiation ju ers Jennen waren, fo fcheinen und in ber ©efehiepte Dfarptanbd in SRitten einer noch jungen unb neuen ©eltorbnung fchon bie ©äne ber ^ßro* üiben$ für Entfaltung ber Sirche ©otted in jenem neuen ©ebiete, ja felbft für bereit Einfluß unb Bedeutung bezüglich ber bürgerlichen Entwictlung het'oorjutveten. ©ie enblich ein ganjed ©ewebe prooi= benticller ,3üge, Tilgungen nnb 3ulaffungen ©otted bie ©efeijichte jener Stabt SRom bitbet, welche ber $err. jum Sentrum ber gefammten Sirche unb jum totalen Berührungdpuntte ber jwet oon ihm gegrün* beten Orbnungen, ber natürlichen unb übernatürlichen, erwählte, fo mtU und bie bisherige ©efchichte Baftimored unb 2Rart)lanbd ald eine beutlichcr benn anberdwo heroortvetenbe Slftion ber Borfehung oor« fommeu. $anbelt ed fich ja boch um Bildung unb ©runblegung bed „amerif anifchen 9fomd*, wie Baltimore auch genannt wirb, ber tatholifchen ÜJ2u tterfolonie 9lo rbamerifad, ald welche wir ÜRarplanb ju betrachten haben, bed firchlichen Eentrumd

*) Prov. 8, 81 «liulens in orbe terrarum«.

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ÜJJanjlattb. bi( Siege bsb Satf)0tiji«mu5 tc.

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her Drganifation btr fatholifchen Sirdfe in ben Ser* einigten Staaten.

SDtarptanb ift fefjon in ber politifchen @efd)ic^te ber Vereinigten Staaten mit ber Sfjrenbegeichnung »land of the sanctuary« au«* gegeicfjnet. Um unferer furgen Darlegung feiner bebeutung«oollen ®e* fehlte (Sin^eit foroof)l af« Orbttung gu geben, wollen auch mir non einer @efd)icf)te biefe« „tlanbe« be« $eiligthume«" reben, fo* fern toir ÜJtartjlanb im nod) höhc™ al« politifchen, im firchlichen, prooibentiellen Sinne al« „?anb be« $eiligtl)um«“, at« bie Siege be« ÄatfjoUciSmu« in ÜJlitten eine« nom Seftentljum überwucherten Sanbe« betrachten. Unfer beftheibene« O'cftblatt gum hnnbertunbfünf* gigften ännioerfar ber ©rünbung Saltimore« wirb bemnad) nicht bto« geigen, wie guglcid) bie Siege be« Satholici«mu« in ben Vereinigten Staaten mit ber Siege retigiöfer bürgerlicher greifet auf bem ©oben SDtarplanbe geftanben, fonbern auch bartffun, baß biefe greifet unb bie fatpolifdje Kirche, wie greifet unb Sahvheit überhaupt in urfach* lidjer Vegieljung gu einanber fteljen.

I. „Sa« ßanb be« £>citigtf|uin«" in feiner Vorbereitung.

„Die ©efchichte ber fatholifchen Kirche" fagt mit 9te<ht igoljn O’Äane in feiner »History of the Catholic church in the United States« „ift bie gotbene Sette, welche bie Sanbung non (ihriftopp Gotumbu« mit bem 3ubeltage be« Sentenar« gu Vh'IQbelphia im 3ahve 1876 oerbinbet". Sir fönnen ba« ©(eiche bejliglid) Saltimore« unb feinen fjubelfeften au«fagen. Scitbcm in ßolumbu«, beffen 9tame ©jriftoph ober tSfjriftußträger feine gange prooibentielle fföiffion au«* brüeft, ber erftc Äatholif biefe roeftliche $emi«pf)äre betrat, hat bie Sirtfamfeit ber fatholifchen Sirthe ununterbrochen guerft unter ben Ureinwohnern, bann unter ben erften Slnfieblern, enblidj unter bem bunten Völfergcmifch, ba« fich um ba« Sternenbanner fchaarte, bie herrlichften rRefultatc gu Sage geförbert unb pat bie Äircpe erft burdj ihre SHartprer, bann burch ihre Slpoftel, enblich burch ihre großen Vifcpöfe auch biefe« ferne 8anb unb Volf ftch oerpflichtet.

Sir haben in erfter Cinie bie „äJtartprer Slmerifa«" ge* nannt. Üeiber ift gerabe bie ©efchichte ber erften chriftlichen £>eroen, welche fomohl läng« ber amerifanifchen 3Dteere«füfte, al« weiter im Sanbe bi« hinauf gum ßorengoftrome ßanaba« unter bem Vtorbbeile ber IWothhäute oollenbet, oiel gu wenig befannt unb maprenb fchon fo

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Dr. Otto 3orb ettt.

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mandje ©lutjeugen ßfjinaß unb 3apanS bie ßßre ber SUtäre gefun« ben, tfl btefe noth feinem jener ®iener ®otteß ju SEfjeit geworben wellte ber neuen ©Jett 9(orbamerifaß bie ©luttaufe oermiitelten. SDJarp» lanb, baß oon ber ^rooibcnj beftlmmte ©tammlanb ber fathofifthen Äirdje in ben ^Bereinigten ©taaten Ijat nun aud) biefe ©luttaufe fdjon auf nitfit geroöhnlithe, fonbern außergemöhnlid) feiertit^c 9lrt erhalten, ©tutrotfj ift baß Titelblatt feiner ßirdjengefdjicbte. SQiie 9fom als ßentralftätte beß gefammten (S^riftcnt^umß in reid)li<hertn ©lute ber SDfarttjrer alß anbere ©täbte baju eingcroeitjt mürbe, fo »erlief auch ein t)öd)ft merfroürbigeß ÜKartprium thriftlidjer ©laubenßboten biefem fünftigen „Streßen floate" 9iorbamerifaß feine ©Jeißc, unb hierin eben möthten mir bie ©orbereitung biefeß „8anbeß beß ^eüigtljumö" er-- fennen. ßolumbuß mar ber erfte fireu’,eßträger in ?lmerifa unb feine glänjenbfte erfte ßroberung feierte er bei ber Taufe ber fecfjß erften 3nbianer ju ©arcelona. 9Jid)t £>anbelßintereffe unb ßroberungßfutht, fonbern religiöfer ßnthufiaßmuß fanbte Slmerifa bie größten, cinfluß« reithften unb fegenbringenben SDfänner. ©alb nath ßolumbuß ©Jett« entbedung feßen mir ein 91eß ton ÜJliffionßftationcn fid) Dom ©üben fängß ber Süfte beß Oceanß hinauf biß an ben Sorenjo unb Don bort roieber meiter ben großen ©een beß Ontario, ßrie, ipuron, unb ÜJiithiganfeeß entlang biß in ben SUorbroeften SDiinnefotaß unb bie Tßäler beß üJfiffiffippi fid» terjroeigen. üWeßr alß ein ßalbeß 3ahr* bunbert, beoor engtifdje Satholifen an ben Ufern ber (Sfjefapeafe lan« beten, um bie Kolonie oon SJfarßlanb ju begriinben, mar ftßon (S^riflen* unb Slpoftelblut gefloffeit.

(Sinige fpaniftße ©eeleute nämlitß, roeltße oon jUoriba auß biß in bie (S^cfapeafc fegelten unb biefe öutßt ftßon bamatß „@t. ÜJtarßß* nannten, fanben bafelbft einen 3>ibianerftamm anföffig, ber fuß „baß ©tammoolf ton Slyacan" nannte. @ie hatten fith in ber fSbfießt, Shriftenthum unb ßioilifation am leidjteften burch einjetne ctoilifirte ©tammglieber ber ©efammtheit ju termittcln, eineß ©ohneß beß bor= tigen £üuptlingß bemäihtigt, ißn nach ftloriba entführt unb ton ba auß auf ben 9fath ber bortigen ÜJiifftonäre , meltße in bem jungen 3nbianer fettene Talente entbeden mollten, nach ©panien jur rceitern ßrjießung unb ^jeranbilbung gefthidt. T)on ?ouiß, roie fith ber junge 3nbianer feit feiner Taufe nannte, erbat fith bann na<h einigen 3°hrtn ßrlaubniß jur SRüdfeßr, um, mie er terfprath, feinen ßinfluß auf ßßriftianifirung feineß SDlutterlanbeß außiiben ju fönnen. ßr lanbete in gloriba, gewann hier jurn apoftolifthen ©Jerfe ben angefeßenen

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9Jiart)tant, bic Siegt brt RatfioIijienniS ic.

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3efuitcn ©eg uro mit odjt übrigen oom (Sifer für ©erbreitung be« ßoangelium« glüfjtnben ©fitglicbern btffelben Orben«, fegelte mit ben» felben im 3al)re 1570 an ber fiüfte gtoriba« hinauf nach ß^efapeafe* ©ag, brachte tnblich fo in göttlicher 3ulaffung bem prooibentieß er» müßten Canbc nicht blo« feine erften Slpoftel, fonbern feine erften glorreichen ©lutjeugen! Die glaubenSmuttjigen SIpoftel hQtt«n eben nicht nermuthet, ba§ anftatt eine« üieubefeijrten, ber oorgab, ihrem Sifer neue ©ahnen ju eröffnen, ein 3uba« fie jum 3J?artprtobe führe, ©ie jogen unter Slnfüfjrung be« jungen !3Don 8oui« immer tiefer in« innere hinein ; glaubten erft ber oerrätfjerifchen Süge ihre« Führer« ber oorgab, feinen ©tamm ju ihrer Aufnahme oorjubereiten uitb tarnen erft nach langem fruchtlofem ©arten, ^ungern unb Umherirren jur Senntnifj, bog 8oui« fie nicht geführt, wohl aber auf gottlofe ©eife angeführt unb eerratben höbe. 3>n bunfler ©ilbnifj feierten fie noch auf einem oon rohen ©teinen errichteten SRothaltar ba« erfte heilige Opfer in biefem Sanbe. £)ie ©tunbe, roo SDiarptanb getauft toerben fodte, mar herongeriieft. 9iadh langer Slbmefenheit erfchien enbfich ®on Soui« an ber ©pige eine« lärmenben unb firiegölieber fingenben Raufen« al« SDiörber.

©ämmtliche ÜJiiffionäre fielen unter ber ÜDiorbajt ober ben 2J?orb« Pfeilen ber Biothhäute. Sin Qnbianerfnabe nur, ber fpäter in £>a* oanna erjogen mürbe, entrann, um ba« traurige, beffer gefagt glorreiche Soo« ber erften ÜNartgrer oon SBiarglanb jh oertiinbigen. ©lut aber ift ber ©ame ber (Shriften unb ber einzig folibe Äitt, ba« Sreuj be« $errn bauernb irgenbroo ju befeftigen. ©o biente aud) in SDfarg» lanb nur baju, ben jur ©iege be« ßatljolijiemu« unb ber Freiheit au«erroählten Ort für feint ©eftimmung oorjubereiten.

II. „5)a8 Santo be« £>eiligthum8" in feiner Srtoäljlung.

®a« ©lut biefer SDfarttjrer mar feit ungtfähr einem halben fjfahr« hunbert oertroefnet, al« bit herrlichfte ©aat be« (Shciftenttjmne bem fo geroeihten unb befruchteten ©oben entfpriegen follte. Stuf bem ®e* biete ber neuen ©eit hotten fi<h unterbeffen bie europäifchen Nationen ebenfall« neujubilben begonnen unb mir fehtn neben 5Reu«©panicn im ©üben, ein 91eu«$ollanb, ein 9?eu=@nglanb, ein 9ieu*granfrei<h ent* ftehen. ©ie aber einften« bie roilben Stämme, melche jur 3(it ber ©ölferroanberung oon Often her über ba« mittlere unb roeftlicht Curopa bahinflutheten, meift ber latholifeben Jrirche feinbfelig, ober al« Anhänger be« Slriani«mu« bie erbitterten ©egner be« ortgobojren

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Dr. Otto 3arbetti.

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©lauben« maren, fo warcti auh, bie franjöpfdjen unb fpanifdjen Sin» ficbfer abgerechnet, bie meiften ©inmanberer in ämerita fanatiftrte ©ectirer ©nglanb« unb biefe entroidelten nicht feiten erft in ber neuen Seit bie graufamen unb ba« (Scmiffen fnedpenben Sonfequenjen ihrer religiöfen Theorien- Unb bod) foüte in ber »Jufunft roeber ba« fpanifdjt nodj franjöfifcfje, fonbern ba« angelfadjfifhe ©lement in ber neuen Seit 9iorbamerita« map* unb tonangebenb merben. Unb bod) follte nah ben planen einer SUeo orbnenben Sei«l)eit auh auf bem immenfen Slcferfelbe, roorauf bie buntefte SBariation bes UnfrouteS roud)erte, ft<h ein ^läbhcn finben, roo juerft apoftolifdje ÜJlänner bie Slbleger be« wahren ©lauben« in bie ©rbe fenfen unb fo ben 9?iefenbaunt, ber je^t bie Union fdjon iibcrfdjattet, in feiner ^auptmurjel feftfcfcen fönnten.

3u biefem ^roeefe Ijattc bie SUorfefjung fhon bie 3nftrumcnte bereitet. 3" iRüdfiht auf ben oor 50 fahren gejaulten ^rei« be« S81ute8 fie im üMuttertanbe ber engtifhen ©olonien ben lünftigen Ipauptapoftel Ijerangebilbet. 3f)tn jum güfjrer gab fie biebmal einen ÜRann, ber in retrograber Öeroegung oon ben Segen ber Jpärefie in ben ©h°°ß fccv SDlutterfirhe ^urüdgefeljrt mar unb ©tauben, ßioilifation, 3?crfaffung, ja feinen eigenen fRamen ber «Stabt bringen foüte, ju beren Jubiläum mir fhrciben. 3" ba« jperj bee bic«maligcn $iiupt* ling« ber 3nbianer am ^atapffofluffe aber legte fie fhon oor Slnfunft ber gricbeusboten bie ©eijnfuht unb ba« Verlangen nah ber fronen löotfhaft. ©o roaren bereit« aüc gaftoren in Harmonie gefefct, roelhe bie ©rroäfjlung bcö im Slute oorbereiteten „ftinbe« be« £cilighum«" im Serie auf ©rben au«fübren foüten.

Eer jum Stpoftel Üllarplanb« ermäljttc ©otteemann mar mieberum ein @ot)n jener ©cfeüfdjaft 3efu, beren Sirlfamleit auf bem ©ebiete ber Union bie rufjmoollften aller ©puren gurlidgelaffen l)at, nämlih ber ©nglänber Slnbrea« Sljitc, geboren ju Bonbon 1579.

3n golge ber Slpoftafie ©nglanb« mar auh er gelungen mor« ben außer feinem 83atcrlanbe im berihmten ©oüegium oon ÜDouat) in grantreih feine priefterlidje ^eranbilbung ju fuhen, lehrte aber laum jum 'priefter gemeint unb 25 3^te alt nah ©nglanb juriid, um bem oerborgenen unb gefährlichen Slpoftolate inmitten eine« unglücllihen Canbe« obpliegen. £)oh aud) auf feinet ©time erfannte man ba« ÜDierfmal ber SRehtgläubigleit ©runb genug ju emiger äjerbannung. P. Sl)ite marb im gleichen 3aljrc, in bem ber 3efuit ©outtjmett unter fdjredlihen Torturen hingerichtet mürbe, mit Dielen feiner ©e» noffen lebenölänglid) oerbaunt, lehrte auf ben ßontinent jurüd, trat

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SRarptan«, bic Siegt be« Satljottjiamu« se.

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nadj snjcijä^rigem Slooijiat ju ßöroeu in bie ©efelifcgaft 3efu, teerte in biefer Sigenfigaft normal«, ein gottlofe« ©erbannung«cbift unb beffen bro^enbc graufame ©anftionen mit apoftolifcgetn ©tutge oeracg* tenb, nad) Suglanb surücf, mirfte gier er jegn miigeoolle 3<ig«» tiib ign eine Ernennung jum ügeologieprofeffor nad) ©panicn berief, fegrte aber pm brittenmale, mit bem ruhigen Öebeit be« ©ollegium« feinen apoftoliftgen Drang nngt befriebigcnb, nad) Suglanb jurücf. Unb bocg mar er niegt für Snglatib beftimmt, mögt aber fiir ben Slpoftolat feine« ftammoermanbten üanbe« jeufeit« be« Seltmeere«. *rft

ftglug feine ©tunbe, auf roeldje feine bi«gerige apoftolifcge ßaufbagn nur eine ©orbereitung«carriere gemefen. £>atte fein Orben«bruber Por 50 Qaljren mehrere ©enoffen jum Dobe unb aKarttjrium, fo follte nun SgUe neue Slpoftel jum apoftoliftgen tfeben unb Sitten ebenbagin führen, in fgmbolifcger ©ebeutung feine« eigenen tarnen« „Sgitc" bie ©eelen ber Stotggiiute meifj mafegen, nadjbcm ba« reini« genbe ©lut geflogen. $>ier bei feinem britten Slufemgalte in Sngtanb führte bie ©orfegung ben Slpoftel mit bem fpäteren politifegen ©rünber ©altimore« jufammen.

Diefcr jrocite für äßarptanb« ©griftianifirung au«crmägltc Ulann mar ©ir ©eorge ©atoert, erfter l?orb Don ©altimore. SK« ber ©ogn oon fieongarb ©aloert Pon jtjorffgire in ©nglanb, geb. 1580, gegärte er roie fein ©ater ber bereit« über ba« einftige fatgolifcge 8anb gin feflbegrünbeten Slnglitanifcgen ober ^otgfirdje an, ftubirte mit Slu«jeicgnung auf ber beriigmten 8anbe«unioerfität ju Offorb, roo er grabuirte, unb oollenbete feine $eranbilbung bnrtg eine Jour über ben europäifegen ©ontinent. 25 $agre alt egelitgte er üRijj SDtinne, meltge igm ben fpätern Slubfügrer feiner ‘©läne, feinen erften ©ogn „Secil" gebar, ©ein au«gejcicgneter ©garafter, unterftügt oon feltener ©egabung unb ©ilbung, fügrte igu nun in rapiber Slufeinanberfotge oon einem ©greupoftett jum anbern. Sr ergielt eine ©tetlung am $ofe, marb 1617 jum Stifter gcfcglagen, 1620 tönigt. ©egeimratg mit einer ©enfion non 5000 Dollar« pro 3agr, unb ÜJtitglieb be« »House of Commons.« SlUein ein Sgren» titel feglte notg ber be« Jtatgolifen, unb über bie gerrlicgen Statur« anlagen unb @eifte«gaben gatte bie ©nabe unb Sagrgcit erft ba« fegmatge 8itgt ber juoorfommenben ©nabe gegojjen. ©a!o«t’« eblem fterjen ftiegen 3roeifet auf über bic Sagrgeit feine« oiiterlügen ©efenntniffe«. Die Steligion Sllfreb« unb ©eba« be« Sgrroi'trbigen marb oor feinem betratgtenben Sluge immer ftraglenber. ©terfmürbig

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Dr. Ctto 3orbttti.

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genug aber braute eine ganj befonbere Sfjarafteriftif ber Sird)e ©otte« in feinen ftorfcpungen Klarheit unb gab feinen 3®eifeln ein Gcnbe. ÜRicht bic oon ben Jfjeologen angenommenen Bier Sferlmale ber mah* ren Sirene, fonbern ba« gerabe in feinen Stagen über ben ganjen Son« tinent bin, roie in Snglonb grell unb blutbrotb beleuchtete SDterfmat ber oerfolgten Kirche führte ben ©ohn eine« 8anbe« ber Verfolger jur Kirche jurüd. Senn, mie bie ganje ©chrift an jahllofen Orten betont, bie wahre ©raut be« $errn eine oerfolgte fein muß, fo fonnte, fagte ihm bie Soibcnj ber £hfl,fat*)en, nur bi« ölte rö' mifch*fatholif(he Kirche fein. Oer SWann, roclcbcr ben oerfolgten Kathofilcn unter ben amerilanifchen ©ectirern ein »home« unb Stfljl begriinben follte, warb in merfmiirbiger Seife oon ber Verfolgung felbft belehrt. Sieber ein frappirenbe« äRrrtmal be« Serie« ber Vor» fehung, al« welche« mir bie ©efchidjte fDlarplanb« bejeidjnet h^en- 3nt 3flfjre 1624 trat Saloert in ben ©cf)ooß ber ÜRutterlirdje jurttd, refignirte fofort, um mit feinem ©emiffen nie in bie Snge ju lommen, auf bie threnoolle ©tellung al« ©taat«felretär, warb aber felbft oon ^atob I. wegen feine« offenen unb noblen Sharalter« tro$ feine« Uebertritte« fo geehrt, ba§ er ihn jugleicf) mit Annahme feiner Dlefignation jum lcben«lünglid)en ©eheimrail) unb jum 8orb Saltimore, oon Saltimore in Qrtanb, ernannte. 8orb Saltimore lannte oon nun an nur mehr eine Aufgabe, welche ihm Har al« eine oon ©ott felbft ihm aufgetragene oorfchwebte. 3m Sefifce be« wahren ©tauben«, wollte er nun feinen ®lauben«brtibern, welche ber ftanati«mu« bic«< unb jenfeit« be« SUitere« oerfolgte, ein Slfpt auSfinbig machen, aber in ©otte« Leitung tf)at er mehr unb warb fo ber ©rünber be« ©tamm« lanbe« ber latholifchen Äircfje unb ber fpätern ©rimatialftabt ber Hierarchie in ber Union. Srft fegelte er 1626 mit feiner gamilie nach 9?eufunblanb, warb aber oom ungefunben Klima genötigt jurüdjulehren. 1628 fegelte er nach Sirginien, um bort oielleichl leid)t ju finben ma« er fuchte, aber ba er bie bortigen ©taat«eibe, welche fein ©emiffen oermerfen mußte, nicht fchmören wollte, er« lannte er, baß auch hier feine« Sleiben« nicht fei. Gnblicß fegelte er nach Ghefapeal«Satj, fanb ba« fchöne unb h°l$reiche ©etänbe feinem .gmede iefjr bienlich unb befchlo§ h*er eine neue Kolonie grünben, wo 3eber frei unb ungehinbert ©ott nach ben1 Orange feine« Herjen« bienen tönnte. 1628 lehrte er jurüd unb erbat ftd) oon Sari I., ber injmifchen 3afot> ouf bem eng« lifchen Iheone gefolgt mar, bie lönigtidje Urtunbe, welche ihm 2Nar9‘

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11 SJlanjlanb, bie SBtfge bt« Ratfjolijifimuä ic. 121

lanb al« Territorium juroenben follte. Tiefe erfolgte am 20. 3uni 1632, ober erft, nachbem ber ^otriort^ biefe« neuen 8anbe« fein 2lugc für biefe ^eitlichfeit gefcfloffen. (Sr toar bereit« am 12. Slpril biefe« 3af)re« geftorben. 211« ein SDiofe« be« prooibentiellen Sanbe« hatte er geflaut unb nicht betreten. 2lu« feinem gleifd) unb «tut aber roar ber 3ofua fthon gebilbet, ber in baSfelbe einjiehen füllte. Um biefe 3eit war e«, roo &te Sorfehung biefe jroei für ihre fünftigen Hauptrollen in SDlatplanb bereit« Borbereiteten SDlänncr, P. ffi?f)ite unb 8orb Baltimore jufammenfüljrte.

Ter Ce^tere roünfchte ficti al« geiftlidjen Leiter feiner (Srpebition ben P. 2Bf)ite. „Tie ©efellft^aft, melier ber Orben«mann angehörte," fagt D’Saue’s @efd)id)te, „ging freubig auf bie 21bfid)ten be« englifchen ?orb« ein, welche folch eine 6rroeiterung ber ®renjen be« Weiche« ®otte« Besprachen." SDlit ber neuen ßypebition aber beauftragte 6c eil feinen ©ruber ßeonharb 6aloert unb ernannte ihm jum ©ouoerneur ber neuen 6olonie, welche in 6rinnerung unb Verehrung ber fatfjolifcfjen Königin Henriette ÜRaria, SDfarglanb genannt mürbe. 2luf groei ©djiffen, genannt bie „Strebe" unb bie „Taube", fegeltc bie 2iu«roanberung«colonne, befteljenb au« ungefähr 200 ©ngtänbern unb 3rtänbern, welche beinahe fämmtlid) gute Sfatbolifen unb SWänner oon Stnfetjen unb Vermögen maren, oon ber $nfel SBigßt nach ber neuen Sielt ab. SDlit bem ©ounerneur ftanben P. SJ^ite unb P. 3<>hn Slltpam an beren ©pifce. „So fegclten mir, um mit bem 'Jfeifetage* buch P. SB^ite’« ju fprechen, „im 'Dlonember 1633 ab, um bem 6ng> lanb nerljeerenben ©eifte ber 3ntoleranj ju entfliegen itnb Slltäre ber Freiheit in ber SBilbni§ ju errieten. Unfere SRcifc unb ©djiffe aber Ratten mir unter ben ©djuf} ©otte« geftellt burch bie gürbitte ber feligften Jungfrau, be« heiligen 30nQt<u® unb ber ©thufcengel SDfarp* lanb«." „6e roar," fagt alle ©herrt), „ein große« Unternehmen, ßerüorragenb in ber @ntroicflung«gef<hi<hle ber SDlenfthen." Wad) Bier ftürmifthen Weifemonaten erft erblicften fie bie Ufer einer neuen Heimath unb lanbeten juerft auf ber 3nfel ®. 6lemen«. H>er feierten fie nad) P. ©hite am 25. SDlärj, an welchen bie fiird)c ba« geft ber erften frohen ©otfehaft an SHaria feiert, jum erftetimale ba« heilige Opfer, jogen bann, gemeinfam bie 8itanei oom heiligen Sreuj fingenb, ju einer Bom ©ouBcrneur bejeichneten ©teile unb errichteten bafelbft ein große« ffreuj Bon H°lj- 3cfct erftholl über bie ®egenb hin roenigften« bie ftumme ^rebigt be« ffreuje«: „©ehet ba ba« Äreuje«fjolj, fliehet, ihr feinblichen ©eroalten." ©o bebeutungeooll unb

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‘^2 Dr. Otto 3 arb etti. 12

feicrCit^ finft ber Slufzug eine« peiligen äuguftin geroefen, als er einft am Slnfattg ber cpriftlicpen ©efepitpte Snglanbö unter ©orantragung beb ßreujeS bern angelfäcpfifcpen König ßtpelreb entgegenjog, unb fo poepfeierlid) einft ber Ptoment roar, roo am 8(ii§ipen ©teinaep, am ptape, auf bent jept bic ©tabt ©t. ©allen in ber ©Anteil liegt, ein heiliger ©alluS, ber Slpoftel SlllemannienS, baS erfte Kreuj oon Hafelftauben in ber bamaligcn Silbniß erlistete, fo bebeutungSooll unb proppetifcp mar biefe „Kreujerpöpung in ÜKar planb." „Heil, l'eben unb Sluferftepung" entftrömte auep biefem ^eiepen btr ©rlöfung. Das barnalS bort errichtete Kreuj fepimmert nun auf ber primatialfircpe 'JtorbamerifaS unb ber unftät nerfolgte Katpolif ^at hier enblith 9tupe gefunben. Um fofort bie Ureinroohner »on ihrer eblen ©efinnung ju überzeugen, taufte ber ©ounerneur ben ^nbianern eine ©treefe Sanbes ab, nannte eS ©t. SDiarps unb begann barauf ben ©au ber ©tabt ©t. ÜJiarpS. SaS aber jum eroigen 9tupm biefer fatholifchen Slnfiebter fpricht, baS ift bie Harmonie, melthe einjig hier in SRarplanb jroifepen ben ©emohnern ber ©tabt ©t. Piarps unb ben fRotppäutcn in ihren Sigroams gelten) ^crrfcfjte. Säprenb es eine 3e'{ 8»b, mo unter ben Puritanern oon üftaffaepufetts „einen Solf ober einen ^nbianer fcpic§cn" gleichbebeutenb roar unb in th'pobe 3slanb ber arme Silbe gleich bem ©iepe oerfauft roar, ift nad) ü)fc©perrp „Ptarplanb bie einzige Slnfieblung, bie nid)t oom ©lute ber Ureinroohner gefepänbet roorben." 3n ber Jl)at aber roar aud) tjierin PtarplanbS ©efepiepte nur baS ©ilb ber Sirffamfeit fatpolifdjer Kircpe in ber Union im ganjen unb bie graufame ©ehanblung bes rotpen fDiannes non ©eiten ber englifepen (Sotoniften nur baS ©orfpiel ber pimmelfcpreicnben ©ernieptung ber SnbianerS burep bie $anfees.

Sir paben aber in iperoorpcbung ber prooibentiellen ,3üge 'n biefer Sttnfieblung auep bes ©egenfapes eines 3n^Qncr*)pauptlitig8 gegenüber bem ftpon ermähnten „rotpen 3>uba$" crroäpnt. 3n ber Spat patte bie ©orfeputtg ben (gifer ber neuen SSpoftel burep baS ©ft' langen eines ganjen ©tammeS naep ber ©otfepaft bes feiles beantworten laffen unb bie in ber laufe gefrönte Sefeprung bes roilben Häupt- linge ber paScatoroapSinbianer unb feines ©tarnmes oollenbet gtor» reid) biefe „Gvroäplung beS ÖanbcS bcS HeitigtpumS.'* Der 'Jiatne beS Häuptlings roar oorper (Spilomacon, fein ©tamm ber mäcp' tigfte unb gefüreptetfte ber iHotppäute biefer Küfte. Slls aber P. Sbde, beffen ^Mitarbeiter burep bie Slnfunft neuer Ptiffionäre, roie ber 3**

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3Jiart)Ianb, bie Söirflt be« Rai^olijismu« jc.

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fuiten 8 r o cf , ß o p 1 e t) unb g i f 6) c r , f omie jroeier Kapu jinerbriiber »erftärft mürbe, cor ihm crfdjien, empfing er ihn f)öd)ft freunblid), nannte beffen änlunft bie ßrfüllung micberljolter Iraume, unb mar enbfid), nadjbem ißn P. 9Bi)ite in einer gefährlichen Kranff)eit nod) geteilt hotte, doU ber Sehnfud)t nach bem 8abe ber SBiebergeburt. ®ie einft „ber ftolje Sigambrer", fo beugte nun nad) erteiltem Unterrichte auch ber „milbe @hifomacon* fein feberngefchmücfte« Jpaupt nor ber gehre unb bem Reichen Swuje«. 2Sie jener einft h«ib* nifche granfe auch feine Stammgenoffen jum ©lauben (Shrifti brachte unb „Derbrannte, ma« er junor angebetet hotte," fo nahm ber 3n* bianerhäuptting ein ©öfcenbitb, ftieg mit bem gute unb fprad): „Kinbifdjcr 2U>erglaube hflt lange unter uns geherrfcht. ift nur ein ©ott unb er ift ber große ©eift, ben ber Sdjroarirocf fennt. Sille« ift feiner §änbe ffierf." 2lm 5. 3uli 1640 fanb in einer ju St. ÜJiarh errichteten Kapelle unter &nroefenl)eit gorb 8alttmore’S unb aller heroorragenbcn Sotoniften bie laufe ber (öniglichen 3n» bianerfamilie flott, roeldje oon fjmibcrt anbern gnbianern noch erbeten mürbe. Der König erhielt ben tarnen Karl, bie Königin 2>faria unb beibe mürben nad) erhaltener laufe nod) feierlich nach fatholifdjcm DiituS getraut. .groar ft°rb &er Sönig balb, aber nicht, ohne oorher im geben mie auf bem 2öbbette noch ein herrliche« sBcifpiel mahrcr fflefehrung gemefen ju fein. Da« mar bie grud)t be« ÜWartgrblutc« unb auf bie Sßorbereitung mar bie (Srroählung be« „ganbe® be« ^eiligthume«" gefolgt. *

III. „2>a8 l'anb be« §ciligthum6" in feinem HuSbau.

SBährenb aber ßaloert unb feine SDiiffionäre fich ber SRotbbäute annaßmen, pflegten fie anberfeits bie Slnficblung, roeldje nad) ©otte« ißlan bie Söiege be« Kaffjoliciämu« im ©ebiete ber fpätern Union merben füllte, in ihrer fofortigen ©ntroicflung aber bie tt)atfäd)lid)e Slpologie ber Kirche unb Sffiahrtjeit al« SDfutter ber greiheit unb Joferanj mürbe. 2Ba« mir jefct oom 21 u « b a u b i e f e « „g a n b e « be« |>eiligthumö' melben, ift für alle gefer unb 3e'ten h^f* merfroürbig unb bemeift fchfagenb, mie greiheit unb Joleranj, gleich ben ©enieit ber Kunft, SBiffenfcfjaft unb jeber eblcn 8eftrebung, ftet« bem „ßngel ber frohen 8otfd)aft" ber fatljolifchen Kirche folgen. „£>ier in St. STlarg«", fagt D’Kane in feiner History of the cath. ehnreh in the U. S„ „fanb bie greiheit ein »home«, btnn bie fatholifchen Slnfiebler non SWartjlanb maren bie 8egrünber rcligiöfcr

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Dr. Otto äarbettt.

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unb bürgerlicher greiheit 9iorbamerila«,* unb »ab er J)ier fagt , be* ftätigt bie unroiberlegticbe ©efdjichte. SSoljl haben in neuer 3eit btt englifdje premierminifter ©labftone in feinem mit Ijiftorifdjen , »ie tbeologifchen ^rrtijümern gleich gefüllten ©uche „bie ©atifanifchen Defrete* unb auch einige tumultuöfe geftrebner unb paftoren beim lebten ©altimorer=3ubiläum bie „®lorie ber ©egrünbung ameritaniidjer religibfer greiheit" ben Satljolifen ftreitig machen »ollen , aber fie »erben bem einftimmigen , oft in paneggrifdjem ©ch»unge au«* gefprodjenen Urtbeile ber $iftorifer ©pnne, Dougfa«, ©oj» mann, Daoi«, ÜJtacScherrtj, ©ancroft, nicht ju »iber* fteben oermögen. 9lad) Plarplanb eilten alle be« (Glauben« »illen Verfolgten: Puritaner, Cuäder, proteftanten, um im ©chatten be« bort feierlich oerfünbeten ®otte«frieben« friebtich nebeneinanber ju (eben.

2öarb auch halb barauf biefe @roghtrjig(eit ber (atholifchen Slnfiebler benfelben in unerhörter ®raufamleit oergolten, al« 1642 eine Partei oon Puritanern, au« ©irginien oertrieben, in ÜRarplanb einbrang, ßaluert oertrieb, bie älltüre uieberriß unb bie SDliffioniire in (Sifen unb fflanbe legte, fo oergalten bie nach oier fahren jurüd* gelehrten fiatholilen ben Unbanf nur burch ®ro§berjigteit.

(5« »ar im 3ai)re 1649, al« auf Horb ©altimore’« ^Betreiben bie ©eneraloerfammlung bie berühmte Joleranjafte annahm, »eiche juerft Horb ©altimore unb nach ihm alle ©tattbalter fSlarhlattb« befdj»ören follten. ©ie bilbet bie ®runb(age ber nach bem Unabbängigfcit«friege prollamirten retigiöfen greiheit in ber Union- unb ift »ie bie Magna carta (gnglanb« ein hothroichtigeS Dolument jum ©eroeife, »ie bie latholifche Sirdje in ©Wahrheit nicht Inechtet, fonbern frei macht. ©Jäfjrenb alle anberen (Kolonien 3?orbamerila« fid) in retigiöfen Sümpfen fdjäbigten, formulirte ©altimore feine Joleraujalte folgenbermajjen : „®e»iffen«3»angin®lauben«* fachen hot immer, »o er geübt wirb, fchlimme golgen. Daher foll innerhalb ber®ren$en biefe« Hanbe« Diie* manb, ber an bie ®ottI)eit $efu glaubt, »egen feiner retigiöfen Ueberjeugung unb in ber freien Uebung ber chrifttichen Religion geftört, beläftigt ober beunruhigt »erben. Da« gefchieht, um Diuhe uubgrieben in biefer Prooinj unb um gegenfeitige Hiebe unb 3uneigung unter ben Sinttohnern aufrecht ju erhalten.* „Horb ©altimore", ruft hierbei ber ®efchid)tsfd)rriber ©ancroft au«, „oerbient unter bie roeifeften unb milbeften ©efefcgeber gejählt ju »erben.* Äu«

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äRarfllanb, bie Siege be# ftatfjolijibmu« rc.

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ber Sitte teuftet ebenfo fc^r bie ©iilbe unb Solerang, al« bie tief djriftlidje ©efinnnng, roelcbe bie greibeit mit bem ©lauben an ben ©of>n ©otteö begrengt. Zeitlicher @*9*1» «nb rafche« Smporblüben folgte biefcr 6cblu§nabme. fflancroft fagt hierüber, nacf)bem er fchon am Seginn ber Slnfieblung ©Jarplanb« behauptet hotte, baß in fed)« ©lonaten weiter fortgefdjritten fei, al« ©irginitn in oielen 3abren: „Unter ben milben Einrichtungen unb ber greigebigfeit ©altimore’« blühte bie traurige ©ilbniß balb mit bem regfamen tfeben unb ber Sbätigfeit glücflidjer Slnfieblungen. Die römifdjen Satbolifen, welche burcf; bie englifdjen ©efffce unterbrüeft mürben , mareu fieser, in ben ruhigen träfen oon Ebefapeaf ein friebtidjeö Slfpl gu finben, unb aud) ©roteftanten mürben bort gegen proteftantifefje ^ntoleranj gefcbüfct. Die« maren bie frönen Slufpigien, unter benen bie ©ro> Ping SDtarplanb in« Dafein trat. 3br* ©efdjicbte ift bie be« ©obl» mollen«, ber Dantbarteit unb ber Solerang." Denjenigen gegenüber aber, welche gerne leugneten, baß bie fatbolifdje ©abrbeit bem „8anb be« ^eiligtljum«' feine ©eibe gegeben, batten mir bie ©orte be« proteftantifdjen ©efcbichtfcbteiber« Daoi« entgegen, ber fo febött fagt: „Saffen mir bie ©roteftanten mit marmem §ergen bie« gugefteben unb ben Sribut ber Dantbarteit unfern fatboliftben ©oroätern goUen, ber ihrer Erinnerung in fo reifem ©Jaße gebärt. Waffen mir beren SS^aten in unfern $ergen eingegraben fein unb beren tarnen rcieber* Ringen in unfern Käufern. Caffen mir fie fanonifirt roerben burd) bie bantbare Hochachtung be« Slmeritaner« unb in lebenbiger Ueber* lieferung beren ©efd)id)te ber entfernteften ©achroelt oermitteln. 3*» einem 3*italter ber ©ottlofigfeit fochten fie al« mabre 3)1 an n er mit ^eroifc^em ©iutbe bie erfte große ©flacht für reli* giöfe greibeit unb ibr 9iubm, ohne fMücffidjt auf ibr ©efenntniß, ift je^t Erbtbeil nicht nur üftarplanb«, fonbern Slmerifa«."

©übrenb oon ben gmei prooibentietlen ©lännern für Entroicflung ©tarblanb« iforb ©altimore notb oor un« ftebt, haben mir ben Slpoftel bereit« au« ben Stagen nerloren. „Unbant ift ber ©eit &>bn", bat er mobl erfahren, aber bat ibn ba« nie gefebmergt, weil ibm ber ©eit Dant gu gering mar. ©ie Slmerifa« Entbecfer am Snbe feine« ßeben« bie Setten trug, fo marb P. ©bite bei ber erften ftürmifc^en Erhebung ber Puritaner 1644 in Eifen gelegt unb gur Dtücftrbr ge» nötbigt. ©übrenb anbere feiner ©en offen nach Slmerifa gurücffebrten, fab er beffen ©eftabe nicht mehr unb ftarb in ©erborgenbeit nach ber Bibliotheca scriptorum S. J. oon P. ©outbrocll am 27. Degember

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Dr. JDtto äarbftti.

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1656 int 78. ^a^rc feine« Gebens eine« ^eiligen Jobe«. $n feinem Seben ift beibe« fbmbolifirt, foroobi bic fatljofifdje ©enerofität, meid)« ihn bie Ernennung ot« Sßitglieb ber ©eneratocrfammtung au«fcblagett lief}, al« bie fectirerifcbe ©raufamfeit, bie ben Slpoftel unb ÜRitbegrünber ber fjrci^eit in Setten legte, ©ein ©ilb bilbet beefydb ben Uebergang jur neuen ^eriobe.

IV. „Jas ßonb bc« £ciligtljums" in feiner ©etnmfhmg.

SEöir bQbcn bereit« oon ber erften fReoolution inmitten be« frieblidjen Staate« gebärt. Silf 3abre nad) Slnnabme ber Joleranj» afte erhoben ficb bie Puritaner, beren granatiSmu« bei ber Sunbe oon ber Sjecution Sari« I. unb ber SDiftatur Sromroel« neu aufntac^te, roieberum. Sie triumpbirten mit $ülfe Snglanb« unb Beriefen 1654 eine ©eneraloerfammlung mit2lu«fd)lu§ ber Satbolifen, roetcbe bie Üoleranjafte jum etoig eoibenten ©eroeife, auf melier Seite bie loleranj in 3Ba^r^eit pi finben ift, jurucfnabm.

Sin proteftantifcber Slmerifaner, ißrofeffor SSalter« au« fJbifabetpbia ftbreibt felbft hierüber : „S« ift ein merfroürbige« unb

lehrreiche« Stbaufpiel, ju feiert , wie bie Puritaner ihre proteftan» tiftben ©rüber in 9?em«9)orf »erfolgten, tuie bie Spiffopalen Strenge gegen bie 'Puritaner in Sirginien anroaubten unb roie bie Satbolifen, gegen bie ficb alle Slnbern oerfebmoren, in üRarplanb ein £>eiligtbum bilbeten, in bem alle anbeten unb Seiner unterbriiefen roollte, unb roo felbft fßroteftauten eine 3uPu(bt oor proteftantifcber ©erfolgung finben fonnten. Slber biefe lefctere, burd) ihre Unbanfbarfeit noch mehr at« bureb ihre Ungerecfjtigfeit abfcbeulicbcn ÜRenfcben projeftirten nicht bloß bic ?Jbfd)affung be« fatbolifeben ©otteabienftc« , fonbern auch jeben Jbed jene« Spftem« ber 35ulbung, unter beffen Sd)ub fte im Stanbe roaren, ficb äu feinem Sturze ju oerfebmoren." Slllerbing« fefete 1660 Sönig Sartl. Üorb ©altimore mieber in feine SRedjte ein unb fant mit tbm mieber ber bei§erfe^me griebe, boeb nur oorüber* gebenb. SBilbelm ber Sroberer beflieg ben Ibron »on Snglanb; ein proteftantifcber ©ouoerneur marb nach SRarplanb gefanbt unb ein neue« ©efeß erlaffen, „um ba« Umficbgreifen be« f}api«mue (popery) ju hemmen."

Diefe« enthielt, jum eroigen Denfmat, roie ber ganati«mu« fatbolifebe ©eneröfität oergilt, folgenbc ©eftimmungen: 1. Satbolifcben ©ifeböfen unb '■ßrieftern ift unterfagt, SOfeffc ju lefen unb gunftionen au«5uüben. 2. Satbolifen finb, fei benn fie febmören ihren ©lauben

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2Rart)Ianb, tic SBiege btt ßactjoliäiemuS sc.

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ab, bfr bürgerlichen 9fed)tc beraubt. 3. fiatholifen finb oerpflidjtet jum Unterhalt ber anglifanifdjen ^odjfircfje mitjuftenern. 4. fiatf)oIifdje ftinber foüen nad) ßräften bem (Sinflufj beb ^Japismu« endogen merben. 5. fiattjo« lifdje SluSroanberer fönticn SDiarglanb nicht betreten u. f. m., ja felbft in gemiffen Slheilen ber ©labt burften fiatholifen fid) nidjt geigen. Der Vermüfter ftanb in ber Jfjat in SWitte bce $ei(igthumb unb behauptete 70 lange 3af)re fein ufurpirteb ©ebiet. „So hatten," jagt Vancroft roeiter, „bie Sluhänger ber fat^oltfe^en $ird}e in Slmerifa feine £>iilfe. ©ie allein blieben ber Unbnlbfamfeit unb Un» gerechtigfeit ihrer proteftantifchen SDlitbnrgcr auSgefefet unb mürben in bem fianbe als Heloten behanbelt, ba« fie burch ihre mahrhaft fatho* Iifd>c greifinnigfeit nicht nur für (ich, fonbern für alle »erfolgten SReligionSgefellfchaften jum Slfple umgefdjaffen hatten, unb jroar oiel früher, alb 'ßenn in ‘’ßennftjloanien feine ©croiffensfreiheit eingefiihrt hatte.* Die Slbfömmlinge ber fatholifchen ^ilgrime oon SDJar^lanb aber blieben in allen ©türmen bem ©lauben ihrer Väter treu. Die ©öhne be« heiligen 39notiu« nährten im Verborgenen ba« fjeifige geuer. ÜJfit ben fatholifchen Slbfömmlingen bilbeten fie ben gelfen, ben fectirerifcher ganatibmub mohl umtoben, bod) nicht ftürgen fonnte. Slu« ihrem Vlute bilbete bie Vorfeljung roieber bie jmei fDiänner, welche beftimmt roaren, ba« „Üanb beb ^eiligthumb" herjuftellen unb ju »erhealichen.

T. „Das fianb beS &eiligthutn8‘ in feiner ©iebrrljrrficllung unb Erhöhung.

SBäre, mie einft unter ben f)uten beb jerftörten 3erufalcm«, auch unter ben gefnechtetcn Satholifen SDiarplanb« ein Prophet auf« erftanben, fo hätte er mohl aud) biefen gebemiithigten Vemohnern oom „?anbe beb §eiligthumb" jugerufen, ba§ fchöner alb ber erfte, ber jtoeite Sempel, bah roieberhergeftellte £>eiligthum fein merbe. 3Bir oerftehen unter ©ieberherftellung unb ßrhöhung beb „tfanbeb beb 5>eiligthumb" bie SKücfgabe ber religiöfen greiheit an fDiarplanb, beren 2luSbei)nung über bie Union feit bem Unabhängigfeitbfampfe unb ©altimorcb Erhebung ju bem erften ^öifdjofs* unb üftetropolitanfihe ber fatholifchen Rirdje in ben Vereinigten ©taaten.

Daff eb fo gefommen, ift nun mieber ein ©erf ber Vorfehung, meldjc mir in üftarplanb« ©efchidjte fo hfü teuchtenb heroor* fchimmern fetten. -Mittel baju maren bie oon ihr Ijarmonifcb oer» einigten 3eitumftänbe, ßreigniffe unb ^Jerfonen. Sille biefe gügungen

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Dr. Otto 3art)ctti.

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in Sieberherftellung beS f?eiligtf)umS gipfeln aber in jroei SDiännern, welche wie P. SBljite unb Sorb Saltimore gleich gro§ unb mafeftätifch baftefjen, nämlich in 3°hn ßarolt Don Garollton, bem üRit* Unterzeichner ber UnabhängigfeitSerflärung, unb 3oljn ßarolt, bem erfteti ßrjbifdjof Bon Baltimore unb Patriarchen ber fat^otife^en Hierarchie SJorbamerifaS.

Hatte retigiöfer Fanatismus bie $atljolifen lange als Heloten betrachtet, fo trieb both baS Mljerrüden beS UnabhängigfeitSfriegcS unb bie hieju nothtnenbige Bereinigung aller Canbeötriifte ju allmählich fteigenber ÜRilbe unb „bie Bigotterie ber englifchen (Seroalthaber roarb Derächttid), als fie in (Seorg III. auftrat." Der (Sontinentallongrefj Bon 1774 prollamirte bereits eine auSgebchnte Soleranjalte. 1776 rourben bie Äatholifen 3Rart)lanbS, non benen bereits Diele angefehene ©teilen befleibcten unb burch SReichtljum Ijeroorragten, emancipirt unb in allen bürgerlichen Siechten ihren SRitbürgern gleichgeftellt.

Bor allem aber fielen bie Dielen unb grofjen Berbienfte, welche fich. bie ßatholüen in ben Bereinigten Staaten im Unhabhäng* leitslrieg erworben, in bie 2Bagfd)a(e, als cs fich barum hanbelte» ihnen legale ©eredjtigfeit unb Freiheit ju$uerlennen, roo immer baS Sternenbanner flattern follte. Die Äatholtfen hatten einftimmig unb mit Aufbietung aller phhfifchen unb moralifdjen Sräfte ben fiampf für bie Uitabhängigfeit beS BaterlanbeS aufgenommen unb fich als gefdjloffene bo<hpatrioti|d)e, muthige Phalattf ber Freiheit gegenüber ben englifchen ©ebriidern gejeigt. 3ol)n <5 a r o 1 1 Don ßarollton, auf ben roir nochmals jurüdfommen, roar ein eifriger Sfatholif ; ber Gommanbant ber erften Seefchlacht, 3eremiaS D’Brien roar fiatholif; „ber Bater ber amerilanifchen Flotte," roie er genannt würbe, 3°hn ©arrg roar eifriger unb praltifcher 5?atholif j ber mit Franttin nach Sanaba abgefanbte 3ohn ßarrol roar ber fatholifdje Priefter unb fpätere <5r jbif chof Don ©altimore; Oberft SR o plan unb anbere, hobt £h®r9cn befleibenbe Offiziere ber Unionsarmee waren fiatljolifen; roährenb baS proteftantifdje (Snglanb bie Union befämpfte, ftritten burch inbirefte Unterftüpung Spanien, in Daufenben feiner Söhne 3 r 1 a n b , Dor allem aber 3 r a n 1 1 e i <h , welches 10,000 ÜRann unb 300 SüRillionen Dollars ber Sache ber Union weihte, für bie Freiheit AmerifaS. Alles latholifche ^Rationen, anberen ÜRitroirfung ber Bater beS BaterlanbeS mit ben eroig benlroürbigen Sorten feiner Antwort auf bie ©eglüdroünfdjungSabreffe ber amerifanifchen Satljo* liten erinnert. @r fagt; „3ch erwarte, bajj 3hre SJIitbürger

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tDlanjlaitb, bte Siege be* Äatfiolijtäinub jc.

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bie patriotifche I^eitnabtne, welche ©ie an btr ©adje ber Unabhängigfeitunban ©rünbung be« grei floate« genommen, fowie bie wichtige Unterftüfcung oon ©eite einet Nation, bie fid) jum römifch'fatholifchen ©lauben befennt, nie üer= geffen werben."

. &uf fo Diele üßerbienfte geftü(jt, tonnten unb mußten in fRücfficht auf bie 3u*unft b'e Äatfjolifen noch mehr oerlangen, al« i^nen, wie fd)on bemertt, in ben 3aljren 1774 unb 1776 jugeftanben mar. JBaren fie aud) bereit« allerort« bezüglich Ausübung ihre« Sultu« frei ertlärt, fo bod) noch nicht bezüglich ©leicpftellung in ihren Rechten. Unb fie füllten nicht fein! 2)ie Sßttter ber religiöfen Üoleranj in SDtarplanb foüten faum in ber Union tolerirt fein! ©o muthig fie für bie ©ad)e btr Freiheit geftritten, fo muthig traten fie für ihre eigene Dolle unb ganje Freiheit in bie ©chranlen. ®er fpätere ßrj» bifchof 3ohn Earoll hott« biefem Amtete e*n üßemoriale au«» gearbeitet, welche« burch äBafljington’« ©ermenben freunblich aufgenommen, ju btm erften ämenbement ber Sonftitution ber ©ereinigten Staaten führte. SDerärtifel: „b a § ber Eongrejj leine ©efefce bejüglidj religiöfer ©efellfchaften machen ober bereit freie SWeli» gion«übungen h'nbern foll" war bte jute^te aufgegangene ©lüthe Dom greifjeitäbaume, beffen SBurjel bie fatholifchen "tßilgrimtne juerft in SDkrtjlanb« Erbe gelegt, ben ihre Siaihfommcn gehegt unb gepflegt, beffen tefcte Entfaltung wieber btm Einfluß nicht bloß eine« fiatholilen, fonbern eint« tatholifchen ©ifd)of« unb trieft er« juju» fchreiben ift. 3ener Slrtifel ber Eonftitution ift aber jug(eid) wieber bie SBurjel aller freiheitlichen Entmidlung in Slmerifa geworben. 3nbem mir aber ber iRefultate biefer biplomatifchen Kampfe gebeuten, bürfen wir ben nicht oergeffen, ber für bie Union gemiffermajjen geworben, ma« 8orb Baltimore für üHarplanb war, unb beffen ©emüfj* ungen bie Satholifen fo Diel Derbanten.

Diefer große, eble Sötann unb Eljarafttr ift 3ol)n Earoll non Earollton, ber Soufin be« genannten ©ifdjof« Earoll. ®e= bortn in Slnnapoli« inSDiarplanb im 3ahre 1737, war er btr ©of)n be« Äarl Earoll, eine« eifrigen fiatt)o(ifen, ber feinen ©ohn halb» möglichft einer 3efuitenfchute, bie ftch unbefchabet be« ©erböte« in SD?art)lanb erhalten tonnte, übergab. o ÜJlit 11 fahren warb er Sugltich mit bem fpätern Erjbifdjof Earoll ber 3*f“itenf<hule ©t. Omer in granf reich übergeben, wo er fed)8 3aljrc ftubirle; tarn bann in ein Eolleg be« Orben« ju ; ftubirte in©ourge«SiDilre<ht; ging bann

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Dr. Otto 3arbftti.

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nad) Sonboit, wo er weitere 7 3af>re ber 3uri«prubenj oblag unb fo ent» widelt unb fjod) gebitbet in fein ©eburt«lanb jurüdfehrte. ßaroll ent« fpraeß nun in glänjenb fid) eröffnenber Karriere otteu Hoffnungen, ju benen feine ©eburt, (Sqiehung unböilbung berechtigte. 1776 trat er im (Songrefj Don Ptarplanb für bie retigiöfe loteronj in warmer SRcbe auf. $)a«felbe tfjat er mieber 1775. (Sr bot allen (Sinfluß auf, fein SBaterlanb jur llnabljängigfeitet’adje ju bewegen unb unter» fehrieb alb 35eputirter 3Rart)lanb8 bie Unabpngigfeit8»(Srflürung, in« bem er, um 2$erwed)«lung feiner Perfon mit anbern ßaroll« ju Der» hüten, feinem tarnen beifügte: „Don ßarollton“. (Srft in feinem 63. 3ahre, nacf)bem er bereit« alle einem amerifanifchen ©ürger offen» ftehenben (Sfjrenpoften beflcibet batte, jog er fid; in« Prioatleben ju* rücf. 35er Sribut öffentlicher Pereßrung folgte ißm aber auch bahin. 1829 beehrten ihn fämmtliche am 4. prooiniialconcil Don iöaltimore anwefenbe Prälaten mit ihrem Pefuche. 311« am 4. 3uli 1826 bie Union ihr erfte« fünfjigjät)rige« 3u^tläum feierte, lebten neben ihm nur noch jwei, beren tarnen auf bem unfterblichen 55ofumente Derewigt finb; nämlich £h°ma® Oefferfoljn unb 3®hn Slbam«, ftarben aber halb barauf, fo baß tSaroll fie a(« ber ©injige noch 7 Qahre überlebte, Üoffing fpridjt Don „Pilgerfahrten, weldje alle ©uten unb großen Piänner jur Sßobnung biefe« ehrwürbigtn Patriarchen Slmerifa« unternahmen*, ©a« aber ßaroU’« ®röße bie Pollenbung gab, war feine tiefe fRctigiofität unb finbliche grömmigfeit. 35er große Politifer fniete oft oor bem Slltare feiner eigenen, in feiner jpc'Inatlj errichteten Kapelle. 35er Patriarch Slmerifa« biente bort bie heilig« üJfeffe. Seine lebten SBorte aber finb fo fchön, baß wir fie al« fein eigene« 35enfmal hier wiebergeben müffen. !£en Job oor Singen fprach er: „3$ hflbe 96 3ahr« gelebt; i<h war beftän big ge= funb; war gefegnet mit Dieichthum, ©lücf unb Slllem, wa« bie 25Selt geben fann, al« ba finb Sichtung, ©hmpatßie Don ©eiten be« Polfe«, (Snthufia«mu« aber wa« mich am meiften jefet tröftet, ba« ift ba« Peroußtfein, baß ich meinen religiöfen Perpfltcßtungen ftet« nadjgefommen bin." 3n ber Sljat ein große« SWort eine« großen Pfanne«. @o ein ©efchlecßt hatte oerbient, baß ber Herr au« feinem ©cblüte fich wie ben Patriarchen bar Union, fo ben Patriarchen ber fatho» lifcßcn Hierarchie in berfelbeu wählte.

Seoor wir aber bie perfbnlidjfeit be« anbern mit bem er$bifd)öf» liehen Pallium grfchmüdtcn (Sarotl in« Sluge faffen, haben wir noch

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2Rart)lanb, bte SBicge bt« ßatt)oti}i«nm9 ir.

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ju fef)en, roic jef}t in ber Sltmofphäre ber greißeit ber £eben«baum fatholifcßer fachlicher 93erfaffung auffproßte unb paraüet mit ber (Sntroidlung bc« Staatengcbilbe« ber Union, auch bie ewig junge unb bod) uralte (Eonftitution ber fatholtfdjen Streife in ämerifa ficf) entfaltete.

33i« baljin arbeiteten mofjl einige ^ßriefter, meift au« granf» reich profcribirte Diener be« §errn im unermeßlichen SJeinberg, unb ftanben unter ber 3uri«biftion bc« apoftolifchen Sitar« oon 8onbon, offne übrigen« mit ihm in regem 33erfef)r ju fteljen, aber bie politifche Unabhangigfeit Norbamerifa« legte auch ben SBunfch naßc, bie amerifa» nifche Sirdje unter eigenen Cberhtrten ftd) entfalten ju felfen. Unter Dielen IfochDerbienten ^Jrieftern mahlte Nom bemnach auf ben au«briicf» liefen ffiunfd) be« oerfammelten ßleru« ben tjodjro. 3olfn (Earotl, bi« jur bamaligen Aufhebung be« ^efuitenorben« felbft ÜJfaglieb beSfelbcn, ju beren Obern unb ernannte ißn jum apoftolifchen ^räfeften. Die Unterbanblungcn iDegcn (Errichtung eine« eigenen J0ifd)of«fif}e8 mürben bamal« in ‘ißari« jroifchen bem päpftlidfen Nuntiu« unb bem bort Der* meilenben berühmten granflin geführt. Sefcterer erflärte, baß Don ©eiten be« Staate« ber (Errichtung eine« fatljolifchen !Bi«tl)um8 im ©ebiete ber SBereinigten Staaten fein £)inberniß im 2Bege ftelje unb empfahl zugleich im (Sinflange mit bent Sunfdje be« (EleruS ben ihm befreunbeten, burch feine tarnen fd)on ganj Slmerifa empfohlenen 3of)n (Saroll jur (Ernennung auf ben ©ifd)of8ftuhl, ber nach be« (Eiern« SBunfch unb Nom« Urteil in SWitte be« ,,8anbe« be« $ciligthum«" aufgeftellt roerben follte. 1789, in bcmfelben gaßre, roo bie Neoolution in granfreief) Slltar unb Sifchofeftuhl jerfcßlug, warb ber erfte Sifdfof«fit} ju ©altimore creirt unb 3olfn (Saroü ju beffen Inhaber ernannt. 2lm 15. 2luguft, bem gefte flßariä fpim« melfahrt, empfing ber (Erwählte in ßulroortlf (Eaftle in gnglanb, au« ben £>änben be« Senior« ber apoftolifchen Sifare (Stiglanb« bie bifchöf* liehe S85eif)c. „ipatte ©rittanien,* fo rief beim feierlichen Slfte, roo ber erfte §lmerifanerbi]d)of in bie apoftolifche Nachfolge eintrat, ber geft» rebner P. Plomben au«, „Diele Serooßner ämerifa« mit bem grvthum angeftedt, fo ^aben mir both ben Uroft ju roiffen, baß aud) fein Satholiji«mu« Don un« herftammt. SBie wir in frlihern feiten &en ©lauben Don bem großen heiligen ©regor unb unferm Slpoftel, bem heiligen iÄuguftin erhalten halten, fo wirb heute, nach einem ^roifdjen* raume oon 1200 3affren, unfer ehrroürbiger Dberhirt, im Stuf trage be« Nachfolger« b*8 ^eiligen ©regor, ben erften Sater unb Sifdjof

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Dr. Otto 3atl>ttii.

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biefcr neuen fiirdjc confecriren, bcr beftimmt ift, wie mit juoerfichtlich hoffen, jene Segnungen ,$u erben, reelle bie ,3uerftberufenen unbanf* bar oon fich ftiefjen." 3ln jenem Sage roarb bie $itrarchie Slmerifad, jefct fdjon in mehr ald fünfzig erjbifchöflidjen unb bifrfjöftit^en Sifcen oerjrocigt, geraffen. Da« „Oanb bed $eiligtt)uni8" mar politifcf) unb firchlich nicht blo§ roieber tjcrgefteüt, fonbern marb in ber ©rijebung jur erften 2Netropo(itanfird)c auch erhöht unb oerherrlichet, ald unterm 8. Slpril 1808 piud VII. ben b if d)öf li ch en Stuf)! jnm üftetro« politanfifc mit ber Oberteil über bie Suffraganbidthiimer in Philabclphia, Softon, Nem«5)orf unbSarbdtomn erhob, ©d mar bei biefer feltenen geier, roo ber mit bem erjbifdjöflidjen Pallium befleibete 3®hn ßaroll bem neuernannten Sifdjof g taget oon Sarbdtomn bie $änbe auflegte, ald ber Sifdjof oon Softon, nochmaliger Sarbinal»©rjbifchof oon Sorbeauj , 3 o h n ßheoeruSS i>tn Patriarchen ber amerifanifchen fiircfje mit ben feierlichen ©orten grüfjte ald: „©liad bed neuen ©efefced, ben Pater bed ©lerud, ben güljrer bed $eermagend 3fraet« in ber neuen ©eit."

So fteht nun bad „8anb bed ^eiligthumd" oerfjerrüchct oor und. ffiie glorreich ift bie ununterbrochene ©efchidjtc ber fathoÜ|d)cn fiirche auf biefer ©rbe ÜKarplanbö unb melch gro§e ©haratterc roaren nach einartber beren Sräget! ©ie ftraljlen bie gügungen h<>hfrn ©altend au» allen ©ntmicJlungen unb Peränberungen irbifcher ®inge unb potitifcher Umftänbe! £)hne bed eigentlichen ffiirfend oon ©rj* bifchof ßaroll unb feiner Nachfolger noch *u gebenfcn, mad nicht in ben Nahmen biefed Sliajenbilbed pa§t, muffen mir bocfj menigftend ber Namen unb Nlitnner ©rmähnung thun, bie auf bem Primatialftuhl biefed §eiligthumd gefeffen unb oon bort aud über bie fiirche bed §errn hingeleuchtet, fo ba§ fich bad ffiort ermafjrte: «Sein 2hron

ift oor mir roie bie Sonne." (Pftam 88, 38.)

VI. „$«d fianb bed fteiligtljumd" unb feine ^eiligthumdmichter.

2)er Perfaffer biefer 3eilen ftanb Slnfangd 3“ni biefed 3ahred in ber ßatljebrale Paltimored. Sün einem ßfjorpfeiler finb bort eben* fooiele einfache, fchmarje ©ebenftafeln angebracht, ald firjbifchöfe oon Saltimore bereite ju ben Patern im Genfeitd oerfammelt finb. ffiie auf benfelben nur bie Namen mit bem lobed* unb ©cburtdbatum eingegraben finb, fo fönnen auch mir nur ermähnen, mad jum grojj» artigen Panegprifud fich entmicfelte, roollten unb tonnten mir ed nach

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äßarijlaitb, bit 2Bitgr beb JCartjoIijiSmu« ic.

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23erbienft ft^itbern. (Sine 9?ci^e großer SDfünner haben nach Garoü feine« ©tab geführt. ©ie teuften al« gürften ber ßirtbe ebenfofe^r, roic af« eminente Patrioten unb 3ter&en ber Union Ijereor. 3ur 33oll» ftänbigfeit beS ©fijjenbilbeö biefe« „Sanbe« be« §eiligtbum«" gehört menigften« beren Grroäbnung.

1. Den erften (Srjbifdjof ©altimore« haben mir bereit« ge» nannt. ift ber £ochroiirbigfte £>err 3oljn Gar oll. ©eboren am 8. Januar 1735, entfproßte er biefer t)orf)angefe^enen unb Der* bienten gamilie ÜJiargtanb«, trat nad) feiner Grjiehung bei ben 3efm*tK in biefe ©efenfdjaft im 3af)re 1753 fetbft ein; fam nach ber Don ihm tief besagten Aufhebung berfefben al« ^rieftet in fein ©eburt«* lanb juriitf unb mattete feine« ^eiligen Slmte« lange 3eit *m 33er* borgenen, bic fjeitigen ©e^eimniffe unterm Dache feine« österlichen $aufc« feiernb. -Diit 19 feiner frühem £)rben«mitglieber, ben ein* jigen ^ßrieftern im bamatigen w8anb be« ^eiligthum«" arbeitete er am §eil ber ©eeten, bi« ifjn bie üJiiffion nad) Ganaba ben Slugen ber Deffentlidjfeit unterteilte unb feine Ernennung jum erften Sirdjen* fürften ber Union auf ben Seudjtcr hob. SDßerfroürbtgerroeife bot fo bie ©efellfdjaft 3efu fftorbamerifa unb fpeciell SDlarglanb bie erften ÜRarttjrer, bie erften Slpoftel unb bie jmei erften G r j b i f d) ö f e gegeben, (Garoü’e 9?achfolger mar ebcnfall« 3cfu<* gemefen.) (Sin IDiiffionSbejirt oon 100,000 Quabratmeilen lag bei feinem Antritte oor feinem Sluge. Der Uebergröße feiner Sßerant» mortlid)feit entfprad) nur Garoü’« liefe ber Demut!) unb fRaftlofig» feit be« ©irfen«. 2Bie bet Grjbifdjof nach Slußen im Sltifehen ftanb, beroeift bie Ginlabung Don ©eiten be« Songreffe« an 3oIjn Garoll, bem Derftorbenen ©affjington am erften 3abre«tage feine« üobe«, am 22. gebruar 1800 bie Sobrebe ju halten, meld)er Ginlabung ber Grj» bifdjof auch entfprad). Gnblicf) bejeugt SÖJafhington’e SlboptiDfotjn Gufti« in einem löriefe: „Sßermöge feiner erhabenen ©tel* lung alc Diener ©otte«, feine« ftccfentofen Gfjaraf* ter« al« üftenfd) unb fe.iner ausgezeichneten Dienfte al« Patriot gelegentlich ber ©taatsummätjung ftanb Dr. Garolt I) od), f efjr hoch in ber Sichtung unb Siebe be« 23 ater« be« 33aterlanbeS." liefinnige grömmigfeit , ja bie §eüigfeit feiner ©eele ftrablte au« feinen 3iigen unb man erjäblt fich, baß einften« bie ebrroürbige DrbenSftifterin Glifabetf) ©eton Don einem Sinbc im fatechetifchen Unterricht um bie ®ebeutung be« SBorte« .©iite* befragt, biefem jur Slntroort gab : „©djaue ben Grjbifdjof

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Dr. Otto 3 a r b e tt i.

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Garoll an unb bu wirft au« feiner Haftung unb au« feinem Se* nehmen fernen $u oerftcfjen, wa« ©Ute ift." 2luf betn Soben fiegenb, unter ben Älangen be« ÜJiiferere, mit ber Serfidjerung, ba§ „affe feine Hoffnungen ft et« auf ba« Äreuj Gfjrifti gerietet gewefeu“, cntfd)lief ber ^atriarc^ ber norbamerifanifdjen ßirdje ben 3. SDecember 1815.

2. $er jweite Grjbifdfof unb fdjon be« erftcn ßoabjutor war ber hciligmäßige Seonfjarb 9?eale, geboren ben 15. Oktober 1746 in üffartjfanb unb ef}ebetn ebenfalls OrbenSmitglieb ber ©c* feöft^aft 3efu. Gr ^atte in ben feiten, wo eine htftifl* Gpibemie in fßfjifabefpbia ^errfc^tc, groben feine« apofto(ifd)en Gifer« gegeben, nachher btm ©eorgetown»Golleg oorgeftanben, bi« ihn Garoll 1800 in Saltimorc ,$u feinem ßoabjutor confecrirte unb enblid) fter* benb ihm, einem fdjon 70jäf)rigen ©reifen, ben H'rtenftab ^intertieg. Sine befonbere Sorgfalt für ben Orben ber Sifitatiou, bem er in Saltimore fein erfte« Hau« griinbete, jeidjnete ifjn au« unb fo würbe er auch nach feinem 2obe am 15. 3uni 1817 in ber OrbenS« lapelle ber 2öcf)tcr be« ^eiligen granj oon Sale« beigefefjt. „Sfnnecp in Saoopen', fdjreibt fein Siograpf), „h0* feinen ^eiligen. 3Bir wollen hoffen, ©eorgetown werbe ben Seinigen haben.*

3. Oer britte Grjbifchof war ber granjofe ütta'rfhal, ge« boren 1768 in ber Umgebung oon Orleans. Solge drängen« feiner gamilic warb er juerft troß feiner Neigung jum ’priefterthume Slboofat, trat bann aber hoch in« Seminar unb erhielt, burcf) bie Sieoolution oertrieben, noch am Sorabenb feiner Ginfcf)iffung bie $ricftermeif)e, wäljreitb er feine erfte SOfcffe bann erft in Baltimore feiern fonnte. Seine priefterfic^e SBirffamfcit war meift bem Unter* richte gewibmet, at« er $it gleicher Ibätigfcit nach Europa jurilcf« berufen würbe. Gin fcfjöner 2)Jarmoraltar in ber ßatfjebrale oon Saf* timore, ein ©efchetif ber einft unter feinet Leitung geftanbenen ‘JJricfter oon Slarfeille, erinnert an feine fegenereiche ffiirffamfeit in ben Gollegien oon ©t. gfour, üt)on unb äif SBieber nach Smerifa ju* riicfgefefjrt , entging er bem SRufe auf ben SifdjofSfit} nach befpfjia nur, um mit ber SWitra ba« Gallium ju erhalten. Gqbifthof 9ieale hatte ihn, nach Weigerung be« Sifchof« ßheoeru« oon Softem ben Sif} oon Saltimore einjunef)men, ju feinem Goabjutor oorge* fchtagen, aber bie Süllen trafen erft nach beffen lobe ein, fo ba§ er gleich jum Grjbifdjof oon Saltimore confecrirt würbe. 3n fein nicht

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25 SRarptanb, bie JBirgt fcc« Äatljolijismu*. 135

fturmlofeS 'gontififat fällt auch bcr oon iljm oollenbefe Vau bet nod) ftehenben Gathebrale unb bertn feierliche Seihe am 31. üfiai 1821. 3m felben 3<»h*e befugte er Nom unb 1826 Ganaba, bi« er am 29. 3<Jnuar 1828 felig im £>errn entfchlief.

4. 35er eierte Grjbifchof unb oon feinem Vorgänger bereits

jum Goabjutor erwählt, aber erft nach feinem Tobe confecrirt, mar 3ames ietb, ein im 3°h« 1770 in Bioerpool geborener

Gnglänber, welcher in weltlicher Stellung nach granfreid) fam, in Chon mit bem bamaligen ^Jrofeffor SNarfhal befannt unb befreunbet würbe, unb enblich fid) felbft jum 'ßriefterthume entfdjlofj. 35er fpätere (Sr.^bifthof Uftarffjal lub feinen greunb nad) ülmerifa ein, oerwenbete ihn in oerfchiebenen Stellungen, bis er ihn ju feinem Nachfolger aus* erfof). Gr warb oon Vifdjof glaget am 25. 2Jiai 1828 confecrirt. Unter feinem Gpiffopate entftanben bie auch für Slmerifa fo fegenS« reichen Serie ber Verbreitung beS ©taubenS unb bie Scopol* b inen*Stiftung in Sien. 2lm 4. Jüctobcr 1829 hielt er baS erfte Vrooinjialconcil in ^Baltimore unb befchäftigtc ftef) oiel mit ben SNiffionen unter ben Negern. Vom jmeiten Goncile, bem Shite* fielb präftbirte, befennt einer bcr 3 proteftantifdjen 3uv*ftet,< toelche bie Vifdjöfe eingelabcn unb um ein juriftifcheS ©utachten erfucht hatten: „Sir hoben fd;on oor hohen Tribunalen geftanben, aber nie waren mir mifjtrauifcher auf uns felbft, als beim ßintritt in biefe erhabene Verfammlung.* Sfjitefielb ftarb ben 19. Dctober 1834.

5. 35er fünfte Grjbifdjof war Samuel Gcclefton, ehe* mals ^Jrctjibent beS St. SNarhS=SeminarS, bann Goabfutor, mit bem Gallium befleibet ben 19. ßetober 1834. Gr war am 27. 3u*ii 1801 in üftarpfanb geboren, in grantreich gebitbet, fo begabt jumal als Nebner, baß er, noch junger ißriefter, bei ber Nationalfeier ju Valtimore am 4. 3“*' eingelaben würbe, bie öffentliche geftrebe ju halten. Sein Gpiffopat mar fehr glanjooll, benn er führte in 5 s|3to* oin|ialconcilen ben Vorfij}, erlangte für ben erjbifdjöflichen Si(} oon Valtimore bie ^rimatial mürbe unb gab feiner Negierung burd) mehrere fotenne Sunbgebungen, wie ju ©unften beS GrjbifchofeS 35rofte o. Vifdiering in fiöln unb burch eine Stjmpathieabrcffe an ben bamalS aus feiner Nefibenj oertricbenen ißapfl, ben er im Namen aller feiner bifchöflidjen Gollegen nach Slmerifa cinlabet, allgemeinen Slang. Gbenfo glanjooll war Gcclefton’S Vegräbnijj, nachbem er am 22. Hpril 1851 in ©eorgetown geftorben mar. 35er Seicpenjug in ber Sänge oon einer ÜJ2eile burchjog unter bem ©elöute bcr ©loden, bem ©efange

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Dr. Otto 3arbetti.

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be« Gleru«, unb begleitet Dom ©räfibenten ber bereinigten Staaten, feinem Sabinet unb bcm biplomatifcben Gorp« bie ©unbe«bauptftabt SSafbington.

6. Der fedjfte ©rjbift^of ift ber burdj feine ©eW/rfamfeit beroorragenbe grangiöfu« J?enrid, früher ©ifd)of oon ^bil“* belpbia. ^Ireirfje gelehrte 3Berfe oeretoigen feinen tarnen in ber ©efcbitbte ber Äircbe Slmerifa«. Gr eröffnete al« pöpftli^er 8egat am 9. ÜKai 1852 ba« erfte 91ationafeondl, mobnte ber Definition be« Dogma« ber unbefledten Gmpfitngni§ fKariä im 3<*btc 1854 ju fh'om bei unb uerroenbete fid) nadjbrücfltd) für ©rünbung eine« amerifanif d) en Golleg« in 9iom. Gr ftarb am 5. 3“li 1863.

7. Hl« fiebenter Grjbifcfyof gtänjte auf bem Sifce be« $eiligtbum« ber Dielgerübmte SDtartin 30ban” Spalbing. Gin geborener Slmerifancr, mar er burdj $eranbilbung unb Gntmidfung feine« brillanten Talente« ebenio fcbr Dfömer ber ©efinnung nad) unb Derftanb e«, nad)bem er Dom bifd)öfti<ben Si^e Don SouiSDille unter allgemeinen Slpplaufe auf ben ÜJJetropolitanftuljl Don Baltimore be« förbert worben, bie fatbolifcpe Ce^re ber Sluffaffung be« Slmerifancr« nabe $u bringen. 1865 proclamirte er furdjtlo« Dor aller ffielt ben SbUabu« ^Jiu«’ IX., eröffnete am 7. Dctober 1866 ba« jroeite ’plenarconcit, nahm enblicb, al« eine« ber beroorragenbften Üftitgliebcr be« ©efammtepiffopate« ber fatbolifeben fficlt, am allgemeinen Gon« ctle Dom ©atifan im 3abre 1869/70 Sbeit, nad) beffen Sdjlujj er halb nad) feiner fRiicffebr, am 7. gebruar 1872 ftarb.

8. Der ad)te Grjbifcbof fflaltimore« baJte ein Su Gpiffopat, al« ba§ fein Siame babunb at« bemerfen«mertb Ijeroorträte. 311« naher ©erroanbter ber im SRufe ber £>eiligfeit oerftorbenen SUiutter Glifabetb Seton, ber Stifterin ber »sisters of cha- rity« in ämerifa, festen 3. fRoofeoelt ©apleb, ebebem ©ifd)of Don DSewarf, für ben cqbifd)öflid)en Stubl befonber« empfoblen. ©alb nach feiner 3ntbronifirung aber erfranfte ber Grjbifcbof unb ftarb ftbon am 3. October 1877, nidjt ohne oorber in ffleftellung eine« Goabjutor« für eine fegenSreitbe fJJatbfolge geforgt ju babcn- Seine irbiftben Ueberrcfte ruben an ber Seite feiner ^eUigmäßigen Sante Glifabetb Seton.

9. Der neunte Gr$bifd)of Don ©altimore unb i e ^ t regierenbe ^rima« ber fatboliftben Äircbe in ben ©er« einigten Staaten ift ber b<”bwürbigfte $err 3omt8 @i&* bon«, Dor feiner ©eförberung am 29. SDJai 1877 ©iftbof oon

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ä)fart)!anb, bit Siegt bt* ftatf)o(iji«mii$.

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9iid)emonb, 2lpoftolifd)er sßifar oon 9Jorb*ßarolina unb enblid) ßoabjutor oon ßrjbifc^of ^aplt!}. ©ie [tfjr tiefer apoftolifdjc SDiatin auf ben ©tubl ber SDtutterfinbe Slmerifaß pagt, bevoeift fdjon bit in feinem ©erfe: »The faith of our fathers« bofumentirte Jpirtenforgfaft, weitst bit 33erirrten burdj griinbtidje ©elebrung jurn ©tauben ber 93äter unb in ben @d)oo§ ber SRutterfircbe juvücfjufübren fudjt.

Das ift bie gtoriofe fHeilje ber neun neiligtbumßmädjter im „Canbe beß Heiligtbumß“. ©ie ift ÜRarplanb fc^on Der^crrlicgt rnor« ben, roenn mir immer unb immer roieber alß ben 3$erfammlungß« ort oon 7 fJrooinjial* unb 2 fjlenarconcilien außertoren {eben ! Sßon ber paftorcllen Jbütigfeit biefer fJrälaten unb oom ©atbß* t^nm ber S'ircfje überhaupt buben mir geftbroiegen , roeil mir nur bie perfönlicbe ßrftbeinung berfetben in biefem ®efd)icbtßbitbe ffijjirtn ju fotlen glaubten, ßine ©d)lu§nabme ber im 6. fJrooinjialconcil Berfammelten SBäter nerlangt noch ihre -SBetratbtung.

TII. „2)a§ ßanb beß &ciligtbumß ber atterfeligfltn Jungfrau

Maria".

®aß „Sanb beß Heiligtbumß", baß mir in feiner Cntmieflung furj betrautet, nennt fub 311 a r b l a n b. Stlerbinge erhielt biefen 9£amen oon ben engliftben pilgern auß 33ercbrung für bie Königin Henriette üJiaria, aber mir bürfen nid)t »ergeffen , tag ftbon früher bie ©panier baß Sanb an ßbefupeate*$ab ©t. Diarpß tauften nnb am ßnbe in lefcter 3nftanj bod) ber glorreiche SRame ber $immelß= fönigin ift, meldjer biefem „Sanbe beß Jpeiligtbumß“ bleibenb gegeben roorben. ®er ßultuß ber allerfeligften 3un8ftaw tritt überhaupt in ber ©efdjicbte ber (Sntbedung unb Slnfieblung Slmerifaß beftänbig b er» Bor unb mir fönnen felbft bejüglidj ÜKarplanbß eine geroiffe ©rabation in ber ©eibt biefeß Sanbeß an Sßiaria nicht Bertennen. 3lm gefte

a r i ä SBertünbigung, ben 25. 3Jiärj, lanbeten bie erften ^il» grime in aKarplanb unb feierte P. ©bite jutn erftenmale im er» mäblten ^eiligtbume bie SWeffe; am gefte SDiariä Himmelfahrt, ben 15. äuguft, mar iöaltimoreß erfter föircbenfiirft ber apoftolifeben Nachfolge einoerleibt; enblid) mar Sföaria, in jener glorreichen unb oerberrlidjten ©eftalt, mie fie ^obonneß auf $atbmoß flaute, ftebenb auf ber ©eltfugel unb bem SOionbe, befleibet mit ber Sonne, baß HöuPt mit ©ternen umfränjt, welche bie SSäter beß 6. ^roBinjialconciteß feierlich alß bie ohne

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Dr. Otto 3 «rb etti.

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SDfatel empfangene jungfrä uliche ©otteSmutter $ur 'ßatro; nin ber fatbolifcfjen fiirtfjc in ben ^Bereinigten Staaten erroäblten. Sitte biefe feierlichen Hfte betreffen oorjugSroeife fDiarq* taub. Baltimore« ©rjbifdjof $enrid mar bann roieber bei ber bogma* tifchen Definition ber ßeljre non ber Immaculata in 9iom anroefenb. Der aber in biefer feierlichen Broftamation ber Qungfrau offne ÜJZalel officieü fanftionirte iSuttu« eines ©ebeimniffe«, baS bamats noch nicht als ©laubenSfcogma befinirt mar, ift atlju intereffant, als baf? mir biefeS ganj übergeben biirften. Unfer „?anb beS §eiligtbumS" im engern unb meitern Sinne ift eben ein inarianif dje« £>eiligtbum.

Schon baS Schiff, auf bem ßolumbu« ber neuen SBelt gifubr, nannte fich »La concepcion*. Die $roeite oon ihm entbeefte 3nfe( nannte er ebenfo. ßbamplain, ber ©ritnber oon Ouebecf, meibte ber mafeltoS empfangenen Jungfrau feine erftc Äapette. Die ^efuiten ber £>uron«miffion bebijirten biefe mieber: »Mary conceired without sin.« SBetd)’ intereffante Begebungen ber ßultu« ber ,3mmacutata" jur <5rforfd)ung bcs ÜJliffiffippiftromc« bat> ha&en mir in einem eigenen Schriftchen nicbcrgetegt.*) Die erfte Äirche ber SDfiffion in fiasfafia in 3ttinoiS rcarb roieber ber 3ungfrau ohne ÜJiafet geroeibt unb beute ift cS eine SBfcnge oon Äircben, bie nicht b(o§ ber 3ungfrau im Slttgemeincn, fonbern ber 3ungftau unter bem Jitel biefe« ©cbeimniffe« geroeibt finb. öS roar baber geroijj eine eigentbiimtichc giigung, ba§ ba« i?anb, roo ber SRateriatiSmu« in Bliitbc ift, gerabe biefem fo eminent ibeaten ©ctjeimniB geroeibt rourbe. ©ie einft beim 8. allgemeinen Soncil oon öpbefu« im 3abrt 431 bie oerfammelten Bätet im ftürmifchen Sfpplau« bie ©otteemutter* toiirbe ber 3UI19fcau protlamirten, fo proftamirten feierlich 1400 3°h« fpäter in einer neuen SBelt, roieber in einer üfteereS« unb ÜDiaria» Stabt Bifdjöfc berfelben Sirche am 10. 2Jiai 1846 „Sftaria ohne SJJatel ber ©rbfünbe empfangen jur B°tronin ber Bereinigten Staaten“ unb jroar, roie bie Sitten berichten: »Ardentibns votis plausn consensuqne unanimi«. Da« Sille« gefchab aber in ber §)auptftabt SDfarplanb« im „öanbe bt« heilig» tbum«". SQiöge bie 3u"gfrau auf ber Srbfuget ftebenb, auch biefe £>emifpbüre fegnen unb mit Sternen umfränjt ein gnäbige« Sluge bem Sternenbanner Stmerifa« juroenben. ©enn erft einft bie Biel*

*) Siebe: .©ieunbcfledteSmpfängnifiSManä unb bie Grforftfiung be8 9)Hjfi|fipbiftromeS." Sin Beitrag jum ßuItuS ber „3mmaeulota* «um Dr. O. 3- Sranffuri a. ®t., Soeffer 1880.

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OTanjIonb, bie SÖitgt bt« Äatljolijiemu«.

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beit bcr ©eftcn in ber Einheit be« ©laubcn« aufginge, fo märe bie ameritanifrfje Beoife im oollftcn ©inne erfüllt: »ex pluribus unum<. Ba« fann ober am leidjteften bie Patronin Slmerifa’ö ocr* »irflitben, »eldje nad) uraltem Sobfprmb: „oernicbtet alle 3rrtbümer btt SEBelt. **

TIII. „Bas öonb bcS £eiligtbum£" in {einem je^igen ÄuSfcben.

Bie ©tabt, »el<be al« ©Uttel» unb £>auptftabt ©iartjlanb«, ba« 150. ‘Jubiläum i^rer ©rünbung feierte unb ben ©amen ihre« et« babenen ©riinber« „©altimore" trägt, ift feit bem Jage, an roeldjem Sorb ©altimore an bet tSljefapeafe-5öai) feinen gug an« ?anb gefegt, ju einer mächtigen §aupt» unb |)anbel«ftabt f)erangetpac^fen. ©eit 1797 ift bie ©eoölferung oon 26,000 auf 325,000 ©eelen b<ran* geroaebfen. 3^* barf ©altimore in commerjielier fflejiebung füglich neben 92etü * g) orf , ©ofton, ©t. granjibfo unb ©ero»Drtean« geftellt »eiben. „6« ift", fugt £>effe < ©artegg in feinem „9?orb» Slmerifa", „ba« ©e»«?)orf be« ©üben«, wenn überhaupt angebt, ©altimore al« eine f Übliche ©tabt ju bejeidjnen.* ©altimore batte j»ci ©liitbejeiten, beren erfte Bor bem Unabhängig» feit«friege begann unb in ben .groanjiger 3abrtn biefe« 3abrbunbert« oerlief, beren jmeite erft »ieber feit j»ei Becennien angeboben. groifeben biefen j»ct ©erioben fdjien feine ©ebeutung ju finten, bie je^t »ieber mit jebem 3abre fteißt. ©einer Sage nach liegt malerifdj am nörblicben Ufer be« ©atapflofluffc«, 14 ©teilen oon beffen Griiunün* bung in Gbefapeafe*©ap entfernt unb 200 ©teilen nom atlantifdjen Occan. Bampfer oon 2 europ. ßinien ruben in feinem großartig angelegten $mfen, »äbrenb bie ©altimore:Qb>°babn ba« erfte ©er» febr«mittel in« 3nncre Canbe« bilbet. 3brer äußern ©bpfio» gnomie nach ift ©altimore eine fdjöne ©tobt mit breiten, regelrechten ©traßen, fd)önen ©lä^en, ^errlic^em oriftotratifd)em Quartier, au«» gebebntem ©arte unb einigen Benfmälern, oon benen bie ©tobt febon ben ©amen „©tabt ber ©tonumente" erhalten bat. Ber ©er* faffer bat fitb Bon bem großartigen au«, bem 3Bafbington»©tonument, einem b°ben« maffioen ©tein * Qbcli«len, ber eine ßoloffalftatue trägt, bie ©tabt überfdjaut. ©on beffen ©pifce au« ift ba« ©an» orama ber ©tabt unb ber öftlid? oon ihr fid) ou«bebnenben ©affer* flache überrafebenb febön. Bie große ©tabt mit ihren jablreidjen Sbürmen, ÜTaufenben Bon ©teinpaläften, ihren Bon ©läfcen unb ©du*

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men burcpjogenen Straßen, mit ißrcm prächtigen, non Dampfern unb Drcimaftern burcpfurcptcn ^>afen liegt ju unfern güßen, überfpannt Dom ewig blauen |)immet beb ©übenb, im Vleften Don fanft an« fteigenben, mit föftlicp grüner Vegetation bebecften §ügetn begrenzt, in bcren 9läpe fiep eine prächtige Vnrfonlage, bet Druib»$iH=V<*rf. aubbepnt.

Docp niept Dom erften ber anfangs genannten 2 ÜJlonumentc ^Baltimores, nictjt Dom 2Bafpington*5Dionumcnte wollen wir bie $anbetb« unb ©cltftabt in iprer ^5pgfiognomie befepauen, als oielmepr Dom ^weiten, unweit Dom erften entfernten ÜJionumente, ber römifep* fatpolifcpen Satpebrale aus, wollen mir unb bie jepige ^ß^yfiognomie ber ^auptftabt Dom 'Sanbe beb $eiligtpumb* anfepen. ©epon bas pügelige Serrain, baS fübtiepe fflima, bie Dielen Äuppcln unb Spürmc rechtfertigen etwas bie jmar füpne Vtjeitpnung „cmerüaniftpes 9Jom". Die SDleprjapl ber Veroopner ift fatpolifcp, ja eb gepört in ^Baltimore fo jiemliip jum guten Sone fatpoliftp ju fein. «Der ®ou* oerneur, wenn wirnicpt irren, notp ein ßar oll, ift ebenfalls tatpolif. Die Sinmopner finb nacp ©tangel’S1) fflotijen in 21 Vfarröen Der* tpeilt. Vufingpam, ber iDiarplanb oor 35 ^apren befucpte, fcpreibt: „Von allen religiöfen ©efellfcpaften, metdje ©altimore bib jept be« mopnen, ftepen bie römifipen fi'atpolilen, bie an ^apl unb ßifer jebe ©efte übertreffen, obenan. Der ßrjbiftpof unb bie Vnefterfcpaft finb gcleprtc unb tüeptige 2)länner. Unter ben barmperjigen ©epmeftem gibt eb Diele fromme grauen unb biefe mit ben ©entinarien fiipern nicht bloß bie gortbauer beb jepigen VorperrfcpenS ber Satpolilen an ^apl unb ßinfluß, fonbern aucp beb allmäplitpen 3unepntenS." 3n ber Spat ftepen um bab SRonument beb ÄatpoliäiSmuS, bie jwar nitpt gerabe lunftgereepte unb fepöne, aber immerpin impofantc fiatpebrale mit ben ©räbern ber Primaten ^Baltimores, einige mächtige Vollmerfe fatpo* lifcpen Gebens, wie bie $mei älteften Unioerfitäten ©eorgetomn unb ©t. fDiarps, bie §aupta n ftalten ber $efuiten ju ffioobftod unb ber Üiebcniptoriftcn ju fjllcpefter, japlreicpe ßöllegien, Älöfter unb eine ©roßjapt blüpenber Vfarrfchulen. ©egen biefeb Vollmcrl beb $atpolijiStnus in ben Vereinigten ©taaten richtet bebpalb im Vunbe mit bem ©eftenmefen bie Coge ipre ^auptangriffe unb eb mag richtig fein, was ©tangel aubfpritpt, baß nämlüp pier aucp ber ßnt* fepeibungbfampf jwiftpen ßpriflentpum unb fUeupcibcntpum beginnen

*) „Spajitrgang bur(p 92 orbametita* oon 6p. Stängel, gerbte. 1830.

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3>2art)lanb, btt SBtege bt« 8atf)oli}i8mu«.

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mirb. 2Birb mol)! bab „amcritanifche {Rom" auch in feiner Unüber» minblichfeit etroab oom gelfencharafter beb eigentlichen {Romb befifcen?

SBir glauben eb, roeil mir auf bem Soben 2Rarblanbb nicht bloß eine relatio grofje ©efdjichte in gro§en ßharafteren fich abfpielen gefeljen, fonbern tielmefjr weit mir auch in biefer ©efdjichte mehr alb menfchliche ©röjje unb Unternehmung, meil mir barin bie Slftion ©otteb felbft ju ertennen glaubten. 3n ber ©efdjidjte biefeb „Sanbeb beb $ei(igthumb" hoben mir gefehen, mie bie Sirthe fomohl gegenüber bem rotheu Ureinroohner, alb bem roeifjen Slnfiebler bie {Rechte ber Freiheit fdjühte, mie fie allein auch jenfeitb beb Dceanb ber ©efdjidjte bab Erhabene unb ISebeutungboolle gibt, mie fie enblich eben in biefem non ber borfeljung ermähnen Heiligtum ben Stab beb neuteftament* liehen Slronb für Slmerifa beponirt unb bie ßatfjebra SJiofeb errichtet hat. 2luch Slmerifa, bem man fo fchnell in oberflächlichem Denfen alle erhabene ©efdjidjte unb ibeate (Sntmidlung abfpricht, hQt je^jt frfjon eine grogartige 93ergangenljeit hinter fich, nnb fe mehr biefe ftubirt unb anb $ageblidjt ber (Segenmart gesogen mirb, befto mehr fpridjt fie jum {Ruhme ber fatfjolifdjen Kirche. Sffiir h°ff£n, bab fatholifche {Rorbamerifa merbe im 3aljre 1889 bab erfte Sentenar ber ©rünbung ber fatholifchen Hierarchie unb ßrganifation in ben bereinigten (Staaten fo jubelnb unb feierlich begehen, mie alle ätmeritaner bab ßentenar oon 1876 feierten. Der äRittel» punlt feneb fjefteb mirb bann mieber fein : Saltimore, bie $aupt* ftabt oom „8anbe beb Heiligthumb".

Xtai oon B!at|!au h ffialbjdjmibt. gfranffurt «. W.

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Srfjule tittb Socialtetnuö.

Sine focial«päbagogifd)e @ t u b i e

ton

^eriqttf.

®cnn nicht alle 3eichen trügen, fo fielen mir oor einer mefent» liehen Umgeftaltung be« ©efellfdjaft«» unb SSölf erleben«. S)er fociafe Drganiemu« leibet an einer acuten ffranfljeit unb ftellt eine unfjeil- oolle $rifi« in Sluefidjt. SDiefe Ü^atfadje bebarf nidjt erft eine« ©e» rneife«, benn fie liegt offen Dor ?lller Slugen. S)ie fodale grage tritt in unferen Sagen fo gebieterifcf) in ben Vorbergrunb be« öffent= lidjen 8eben«, baß bie anberen brennenben Brägen baoor gurüdfteljen unb erft burdj ihre ©egieljungen ju jener allgemeine« Qnte refft erroecfen fönncn.

Da« Uebel, rooran bie gegenmärtigc ©efellfdjaft leibet, madjt fid) mefjr ober meniger überall fühlbar, roo ßulturoölfer ejeiftiren ; ift im ©runbe allenthalben biefelbe Uranfljeit, menn fie audj in Der» fdjiebenen Öinbern üerfdjiebene Diamen trägt. 25ie ©ocialbemolratie in Sieutfdjlanb, ber ßommuniemu« in granfreich, ber 5Riljili«mue in 9iußlanb, bie 3nternationale in anberen Üänbern ftnb hoch eigentlich nur befonbere grfdjeinungen be« allgemein herrft^cnt,cn 'Jiotljftanbe«.

©erabe in ®eutfdj(anb Ijat in ben lebten 3afjren bie fociale ©emegung eine ©eftalt angenommen, reelle auch ben ©ptimiften gu beunruhigen oermag. @8 liegt ein beflemmenber ®rncf auf unferer §anbel8* unb ©efchäft«melt, frfjreienb ift ba« ©üßDerljältniß gmifdjen Kapital unb Slrbeit unb bie entfej}licf)ftcn ©egenfäfce Don auefchmei» fenbftem Supu« unb Don unerträglidjfter Slrmuth berühren gerabegu unheimlich- 3mar haben ju allen auch in unferem lieben

©aterlanbe bie unteren Volteflaffen Don ßlenb unb 9totfj gu er« gählen gemußt, benn: „2lrme habet ihr immer unter euch". 2lber felbft in ben trübften Sagen ber Vergangenheit ift niemale bie ÜJlaffenarmutlj fo furchtbar groß gemefen, nicmat« hat in ben SReiljen

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3ofepl) Sttiqnt.

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berjenigen, welche oon ihrer Hänbe Arbeit leben milffen, ber oon bem Bulgaren Sibera(i«mu« inaugurirte „Kampf um ba« Dafein" fo jaljl» reiche unb bejammernswcrthc Cpfer geforbert, al« in ber ©egenroart. ift gewiß nicht- 3ufnH, wenn heute ber gewaltige ©efetlfdjaftöbau auf allen ©eiten wanft. Ofjne ^weifet haben längere 3eit jerftörenbe ©lachte an ben ©runblagen gerüttelt, auf roclc^en bis baljtn ber fociale ©au gefiebert rußte, unb ba« ©leidjgewicbt feiner Steile in grage gcftellt. Die Urfadjen ber ßöcbft bebeulli^en roivt^f djafttic^en Krifi« wirten gewiß nicht erft feit geftern.

Daß ba« waeßfenbe Slenb ber unteren ©olfatlaffen aud) eine ftet« juneßmenbe Erbitterung biefer gegen bie Öefißenben, ju bereu 9?eid)tljum ja ba« 23olf bureß feine Arbeit beigetragen ßat, erjeugt; baß bie ucrjweifelte Sage bie SDlaffe ber „Enterbten" ju gewaltfamen iDtaßnaßmen gegen bie gan^e ®efellfcßaft«orbnung brängt, ift bie natürliche golge biefer unhaltbaren 3uftänbe. Slber fo feßr auch bie Seffcrung ber materiellen ©erßältniffe be« fogenannten oierten ©tan» be« eine unabmei«bare Slothwenbigfett ift, bie SUjßülfe wirb fttßer nicht burd) Serjweifelung unb Seibenfcßaft herbeigefiiljrt werben fön» nen. Da« würbe oielmeßr jum Umfturj alle« ©efteßenben, 511m Dtuin ber ©oeietät füßren.

Die ©eßauptung ber ©ocialiften, baß pefeineeweg« bie ©efell» feßaft jerftören, fonbern eine neue grünbcit wollen, welche auf gleicher ©ertheilung oon Slrbeit, Erwerb unb ©cfij} beruße, fteßt aber auf fehr feßwaeßen gießen, ba eine folcße rabifale Umgeftaltung nicht burchführbar ift, unb wofern bennoeß gewaltfam bewerfftelligt, bem Kampfe 3Wer gegen 2ltle glcicßtäme.

Damit ift aber feine«weg« beftritten, baß gerabe bem 2?otfe, welche« noch nicht mit ber cßrifttidjen ©eltonfcßauung gebrochen hflt> eine Hauptaufgabe bei ber focialen Umgeftaltung jufäüt. Jlber biefe Aufgabe wirb nicht barin beftehen tonnen, rabifal nicberjureißen, fon» bern cortferoatio aufjubauen. Zugleich aber muß ber regenerirenbe Einfluß jenen beiben üKäcßten überlaffen bleiben, welche bi« jefct in ber ©orietät unb für biefelbe, eine jebe in ber ihr oon ®ott juge« wiefenett Sphäre, wirtfam gewefen finb: ber Kirche al« ber ©er* mittlerin unb ©ehüterin oon Steligion unb ©itte, unb bem Staate al« bem ©ertreter ber 9?ecßt«orbnung. Die Urfach«n bet focialen Kranfßeit liegen ja nicht bloß auf materiellem ober wirth* fchaftlithem ®ebiete, oielmehr wirb man al« Haupturfacße bie Störung

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©cfjutt unb Socialibmu«.

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be« richtigen ©erljältniffeS jioifrfjen Staat, Sirene unb ©efellfdjaft bezeichnen muffen.

3>car roirb bie retigibS*fitttid)e ©fite bir grage noch lange nid)t auSreidjenb geroürbigt unb gcrabe in ben greifen nnterfdjäht, tätige hauptfachlith bie öffentliche ÜReinung repräfentiren wollen. 8lber fo otrfdjiebcn audj bie Slnfidjten über bie ©ntftehnng ber focialen Uebel* ftänbe {ein mögen, herüber finb boch alle Urtheil«fähigen im klaren, ba§ man ben @ociali«mu« nicht fich fetbft iiberlaffen biirfe, weil bann eine unljeitDode S'ataftropfje unoermeiblid) märe. Die 9iotf)menbigfeit ber ßöfung ber focialen grage roirb bemnad) oon allen Parteien an* erfannt, nur über ba« ©ie, b. 1). bie Mittel unb ©ege ju biefem 3iele, geben bie 2lnf<hauungen auSeinanber.

©ei aübem ift eine auffaüenbe Grrfcheinung , bajj forooljl bie ©ocialiften roie ihre ©egner hierbei ihr Slugenmerf auf bie Schule richten. Unjmeifelhaft h°t bie focialc grage eine materielle unb eine geiftige ©eite unb man ift aud) l)i« burdjau« berechtigt, ben geiftigen SBiomeuten eine höhCTC Sebeutung beijulcgen, als ben materiellen. Dabei braucht ja (einebroeg« bie Jfjatfadje unterftbä^t zu werben, ba§ ohne Hebung ber grofjen materiellen Uebelftänbe bie focialc Umgeftal* tung jum ©effereu nicht burdtfüfjrbar ift. Siber bie materielle 91b* hülfe roirb mehr ober weniger oon ber geiftigen bebingt fein, unb roenn eine bunhgreifenbe ©efferung ber ©ocietät erftrebt roirb, fo muff bod) an erfter ©teile SRüdfid)t genommen roerben auf bie geiftige ©erfaffung be« ü)ienfd)en, auf feine ©efinnung , ©itte unb Sharalter , ferner auf feine Äenntniffe unb gertigfeiten , bie ihn be* fähigen, ein nüfctidje« ©lieb ber menfd)lid)en ©efellfdjaft ju roerben.

©on biefem ®efid)t«puntte au« betrachtet, barf bie fociale grage gcroijj auch als eine grage ber ©olfsbitbung unb ©olf«* erjiehung aufgefafjt roerben. Da nun ©ilbung hauptfädjtich roie ba« inöbefonberc bie moberne Slufflärung betont burch bie ©chule oermittelt roirb, fo glaubt man gerabe ber Schule eine £>aitpt* aufgabe bei Söfung ber focialen grage juroeifen ju müffen. 3unä£^>ft roirb man nicht öergeffen bürfen, bajj auch nod} anbere unb wichtigere gattoren bei ber ©ilbung unb namentlich bei ber (Srjiehung be« ©ölte« thätig finb, al« bie Schute.

©ir unterfdjähen gewifj nicht ben ffiertl) ber ©olföbitbung für ben ©eftanb frieblicher unb gefieberter Sulturocrhältniffe, nur muß bie rechte ©ilbung fein. 8lud) finb roir überzeugt, baj? bie Schule recht Diel baju mitroirten tann, roenn eine fefte ©runblage für bie

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Serique.

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fociafe Drbnuug gefegt roerbeu folt, nur muß roieberum bie im rechten Sinne geleitete Schule fein. gügen mir fofort unbebenftich tjin^it, baß biejenige Vitbung unb biejenige Schule, roetdje oon bem tonangebenben fiiberaliömu« a(« bie „moberne" par excellence gefeiert roirb, nad) unferer Meinung nid>t ba« 3cug an fid> hat, un« au« bem Sabprinthe focialer 3rrung unb Verwirrung l)trau«juffif}ren. Sir motten oerfuchen, biefe Stnfidjt hier näher ju begriinben.

I. Sie tßürjel bre Socialismu«.

Senn matjr ift, baß bie Schule mitten im Sehen ftefjt unb für ba« Jeben wirft, obgleich in befrfjeibener ,3urücfha(tung oon bem öffentlichen Sdjauptahe be«felben, fo roirb aud) fie gegenüber einer fo bebeutung«Doftett grage, mie bie fociafe, Stellung nehmen müffen. 3 ft ja and) bie Schute au« ber Societät tjemorgegangen unb eben ba* rnm (Sigenttjnm ber Societät: in erfter Öinie ber Sird)e, fobann ber gamitie unb ber au« biefer erroadjfcnben ©emeinbe. s)?un fann aber roieber nicht Aufgabe ber Schute fein, ootf«roirttjfd)aft(idje gragen unb fociate äJerhältniffe oor ihr gorum ju jiehen unb über biefe Dinge, bie ja offenbar über bie gaffungefraft unb ben ©eficht«frei« menigften« ber Votfefcfjule meit hinauötiegen, ju oerhanbeht. Sol)t aber ftef)t unzweifelhaft ben Sehrern unb Seifern ber Schule frei, fief) barüber audjufprechen , inmiefern auch bie Schute itjrerfeit« jur Befeitigung ober Sinberung ber fociaten SDtißftänbe beitragen fann unb $u biefem 3«ete hin ihre fDiaßnahmen ju treffen. Senn man eine folche Berechtigung ber Schute, bejügt. ihren Vertretern jumeift, fo ift bamit ber allgemein gettenbe ©runbfaj}, baß bie gefammte Sßotitif unb ©efetIfd)aft6orbnung jenfeit« ber Sphäre ber Schute unb in«befonbere ber Volf«fd)ute liegt, nicht angefochten. Die Schute

ftef)t ber fociaten grage feine«roeg« birect gegenüber at« beftimmenbe unb umgeftattenbe ÜJfadjt, folt aber inbircct ein fräftige« Heilmittel bieten gegen ben graffirenben SocialiSmu«, infofern fie einjugreifen hat in Volf«bilbung unb ßrjiehung. Unb menn bie berufenen Senner ber Vo(f«roirthfd)aft barin einig finb, baß man ben $crftörenben fociatiftifdjen lenben^cn meit meniger burch äußere ©eroatt ober materielle 2J2ittet, at« burch geiftige unb moratifche Hiitf«« mittet nachhaltig entgegentreten fönne, fo roirb mau unter biefen geiftigeu ^cilemitteln auch bie Schute in Betracht ziehen müffen.

Die Sdjule hat atterbiug« nicht bie gähigfeit, ba« geftörte ©(eich* gereicht in ber bürgerlichen ©efellfdjaft unmittelbar irgenbroie he»

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@<f)ule uni» Socialisimiä.

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jjufteßen ober gefunbcre ^uftänbe im öolf«mirthfdjaft(id)en Sehen auf birecte SB e t f e ju fe^affen. giir bie materiefle Stttfbefferung ber SBerhattniffe ber arbeitenbcn Stoffe oermag biefctbe felbftüerftänblid) nid)t® ju ttjun. Slber burd) bie nötige in tettectuette unb moratifd)e ßinmirfung auf ben SUotfggeift oermag bie , ©d)ule fef)r oiet, inbcm fie auf biefem SBege berjenigen ©efinnung unb I^ätigteit beim SSolfe, metdje ein gefunbe® @cfcüfd)aft®feben er« forbert, mieber ®ettung oerfrfjafft.

Diefe Grinmirfung toirb oorjiigtidj barin hefteten muffen, baß bie Schule bie 3u0e”& jur mähren ®otte®furd)t, junt @ef)or«

fam, jur Slrbeitfamleit, ©enügfamfeit, Orbnung unb ©etbftoerteug* nung. $aben biefe Dugenbeu rechte ©urjet gefafjt in ben £>erjen ber 3ugenb, fo ift bamit an fid) fdjou für bie 3utunft ein Damm aufgerid)tet gegen bie gtutfjen jerftörenber ücibenf haften. 3e&tnfaU<* trägt auf biefe SBeife bie Schule ifjrerfeit® ein gute« ©tiicf baju bei, ba§ menigften® für baö fommenbe ©efchledjt beffcre ^uftänbe tjerbei« geführt merbeti.

Die retigiöfe unb morotifdje 93erfaffung beö SJotfötebenS ift oor SUlcm f)icr in« Stuge 311 faffeu unb baruni ift auch bie Aufgabe ber ©c^ulc fjievbei junächft eine retigiöfe unb ethtfdje, fcincbmeg® eine bto§ inteüectueße. So gering aud) biefer (Sinflufj SDlanchem erfchei* nen mag, er trifft bennod) toenn nur bie ©d)ute in ber rechten 2lrt tt)ätig ift ba« Hebet an ber SOS ur 3 et. fllian gebe fid) bod) barüber feiner Säufdjung hin« ®anj gcmifs ift ber focialc 3iotf)= ftanb mit f)evbeigefutjrt roorbeu burd) ben aujjerorbcnttichen Ums fd)wung ber potitifdjen unb inbuftrieücn SJer^ättniffe mätjrenb ber leh» ten jet)n 3ahrc/ ohne 3®e'fe* ^at &<e mirthfdjaftticije flrifi« ihren Urfprung mit in bem SDJangel an SJcrtrauen auf ba8 friebtiehe Sinoer« nehmen ber Golfer, rooburd) ber Unternehmuugggeift theitioeifc ge» tähmt mürbe, ßine offenbare gotge ber fogenanntett ©olbjahre mar bie oft fthaintofe Ucberfpefutation be« Sapitat® unb bie Ueberprobuftion ber 3nbuftrie. Unb mer moüte bie umgeftattenbe 3)iad)t ber neuen CSrfin* bungen auf ba® ganjeSBerfehrbroefen ber mobernen SBctt gering anfdjlagen.

Slber roetthe llrfachen man aud) auf politifdjem unb auf foria* tem ©ebiete 3ur Srftärung ber fo unerträglich gemorbenen fociaten SBertjättniffe anführen mag, ber tiefere ©runb baoon bteibt boch bie alten d) r i ft t i ch e n unb ibeaten 3 ' e t e n abgemanbte SOßettanfdjauung unferer Sage ber gottentfrembetc 9faturali®mue.

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3oftpt) ßcriquf.

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Unb in bev ©leicßgültigfeit unb geinbfeligfeit gegen Alle«, wa« pofitio djrifttic^e ©efittnung nnb 8eben«3wecf bcbcutct, ßabcn ftd) in ben lebten 3aßren nid)t bloß bie Anßänger ber ©ocialbemofratie, fonbern gerabe Diejenigen fjeroorgetban, weldje feilte oerblüfft unb ratßlo« bafferen oor bem focialiftiftßen ©efpenft, weldße« gegen fie felbft unb ifjr materielle« ©efißtßum gront madjt. Da« communiftiftße ®e» bahren be« oierten ©taube« ift bod) eigentlich nidjt« weiter a(8 bie praftifeße golgerung au« jenen ©runbfäßen, rnrltße non bem Sibera* iiemu« fo ßodj gehalten werben. Hub jeßt bewährt fich ber ©prueß „Die id) rief, bie ©eifter, werb’ icß nun nicht io«.*

©Jo in unferem lieben ©aterlanbe bie cßriftlidje Ueberjeugung bahin ift, ba finben wir bie ©efeüfdjaft angeftedt oon einer maßn= roißigen ©erßerrlicßung be« litben 3<ß unb einem ftßranfenlofen ßgoiemu«. ©erabe in ben Steifen ber ©ebilbettn ift bie ©otte«= furcht gewitzen unb mit ihr <tud) Dielfad) bie Adjtuug oor ben oon ©ott gefeßten Autoritäten. SSiele furchten nicht meßr bie ©ereeßtig* feit be« unbefteeßließen ewigen Siebter«, fie aeßten nid)t meljr ©efeß unb ©itte, fonbern freuen ßötßften« noeß bie ©trafgewalt, mit ber bie ^olijei befleibet ift. Unb wie äRautßer begeht ohne ©ewiffen«* biffe bie oerwerflicßftcu Jpanbluugeu, wenn er auf irgenb einem Stßleitßwege ©efeß unb Strafe ju umgeben weiß.

©eit ber ^Reformation ift ftet« oon ben Anhängern ber Humanität ol« eine ber größten grrungenfcßaften moberner ßultur oerßerrlid)t worben, baß bie neuere £eit ben ßinjelmenftßen oon bem engen ©ebunbenfein an bie ©efammtßeit , worin er wäßrenb be« Mittelalter« mit feinem ©ein unb ©treben gleicßfam aufging, befreit habe. Man glaubt, baß erft mit biefer 2S5anbelung ba« 3ubioibuum jum rechten ©ewußtfein unb ©enuffe ber greißeit gelangt fei. „©o lange uoeß ber (Sinjclne, „fo meint 8übfe,') „oom Sanne feiner gor* poration, feiner 3unft unb ©ilbe eng eingefcßloffen war, fonnte er fieß jur ©elbftänbigfeit unb greißeit ber Atifcßauung nicht erheben. 2ßo aber ba« 3'ibioibuum fid) fühn auf fid) felber ftellte, ba j er fielen bie morfeßen ©tßranfen, unb bie Auflöfung bc« Mittelalter« war unDtrineiblitß." liegt un« fern, ben föertß unb bie ©rbcutung ber greißeit be« ginjelncn ju untrrfcßäßcn ; aneß wiffen wir recht woßl, wie oiel ©tßöne« unb ©ute« auf allen l'eben«gebieten gerabe ber ©ejammtßcit burd) bie unbeßinberte Entfaltung brr ^nbcoibualt«

’) ©ranbriß ber Sunftgtfdjidjte, 7. Stag. II. ®. 85.

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€d)itle unb Socinlisntu*.

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töten ju geworben, älud) fällt es uns nie^t ein, bie mittel- i elterlichen 3u!tänbc als foldje jurüdjuwünfehen. Slber ebenfomenig wirb fidt ber aufmerffame SÖeobudjter ber ^eitgefdjic^te ber ©ahrne!)« mung oerfdjließen fönnen, baß bie unbefchräntte Befreiung be8 ©tn- jelnen Don ben töejietjuiigen unb ©cbiiiguugcn , unter welken er alb ©lieb ber ©tfcHfdjaft nun einmal ffiftirt, baß bie eigenmächtige ©eltenbmachung ber ^nbioibualität ohne Nüdficht auf bie ürabitionen ber Vergangen heit unb bie .guftänbe ber ©egenwart julefjt notf)Wenbig jur Äuflöfung aller focialen Orbnung unb jum Nuin ber ©ocietät führen miiffen.

Sitte Freiheit , welche nicht burch bas ^eilige ©efch ©otteS unb burch bie Nüdficht auf bie göttliche ©eltorbnung befd)ränft wirb, führt jur .gügellofigfeit. ©je 5tr ©efellfchaftstrieb bem SDienfchen angeboren ift, fo muß er fich auch ftets in feinem $anbeln bev un= lösbaren ^ufammengehörigfeit mit unb ber S3eiantwort(icbfcit gegen bie ©ocietät bewußt bleiben, ©teilt fich bagegen baS ^nbioibuum in hochmütiger ©elbftüberhebung nur auf fich felbft, wirb es bei feinem £h«n unb Soffen nicht mehr geleitet oon bem SBeroußtfein ber Äb» hängigfeit unb SBerantwortlichfeit ©ott gegenüber, fo hat auch bas ©efühl ber Pflicht gegen bie ®efcüfd)aft unb ben Nächften feinen rechten $alt mehr unb eS bleibt als einjige Norm bie Niicfficht auf bas eigene 3ntcreffe, bie naefte ©etbftfucht jurüd. Die naturaliftifche ©eltanfchauung unferer Jage hm eben biefen SgoiSmuS erjeugt unb groß gejogen, bev bie alte ©efellfchaftSorbnung aus ihren gugeu htben möchte unb wobei ein Stampf Silier gegen Sille unocrmeiblid) wäre. Die menfchlidje ©efeüfchaft ift nach göttlicher Slnorbnung in oer)d)ie= bene ©tünbe unb iBerufSarten gegliebert, fie ftellt einen Icbeubigett Organismus bar, in bem febeS ^nbiDibuum feine beftimmtc ©teile jur freien h&rmonifchen öethätigung feiner Strafte unb gäljigfeiten finben foll. Der heut'9e Naturalismus möchte bie ©efellfchaft jum Üftechaiüömuö herabwürbigen, in bem jeber Grinjelne nichts weiter ift, als bas willenlofc Nab in ber üDiafchtne. ©o berühren fich and) hier bie Sjctreme, baS jügellofe ©treben nach Freiheit enbet in ffla* Difcher ©ebunbenheit Die c^riftliche ©efellfchaft wirb burch bie Nädjftenliebe beherrfd)t unb jufammcngehalten, bie moberne naturaliftifche fennt nur ben egoiftifchen Stampf um bas Dafein, wobei ein 3tber rücffichtsloS nur für fich obenauf ju fommen trachtet.

©o man auf liberaler ©eite bie fiöfung ber fchwebenben grage in 3eitungen unb ©chriften jum ©egenftanbe ber Unterfud)ung macht.

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3ojcpt| Sevique.

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ba befchäftigt man fid) faft außfdjlie&lidj mit Abtragung ber materiellen gaftorcn oon Kapital unb Slrbeit, Angebot unb ffiachfrage, Sraft unb 3*<t u. f. m., ohne ein befonbereß ©eroidjt barauf ju (egen, wie man baß offenbar oiclfach gänjtid) oerloren gegangene c^rifttic^e tBemujjtfeitt beß Slrbciterftanbeß wieber ju ^eben ocrmöchte. Unb bod) ift gerabe baß ein $auptmoment bei bem ganjen focialen $eilungßproje§. 3)enn nicht bie furchtbare Dlotfj in biefen Streifen an unb für fid), fonbern baß nagenbe öeroußtein biefeß 9totljftanbcß, ber nicht mehr mie früher burd) chriftlidje ©ebulb, Hoffnung unb Selbftoerleugnung unb (eiber auch (ange nicht in bem üHafje, mie erforberlich märe, burch bie merfthätige Siebe ber fflefifcenben gemitbert mirb, eben biefeß oerjmeifelte Serouftfein ber Strmutt) bei ben Sefihlofen ift bie fociale ©efatjr.

Sffio in ben arbeitenben Jttaffen nod) ber chriftticffc ©taube (ebenbig ift, ba roirb bie Slrmutfj jmar auch bitter genug empfunben, aber man fügt fid) in baß Unoermeibliche in gläubigem ipinblid auf ©otteß 3iathfd)(üffe, unb finbet in ber Hoffnung auf bie Sergeltung unb ben enblichen Slußgteid) im Oenfcitß, jenen £roft, ber oor Ser* jmeiflung unb Sluflehnung bemahrt. |)at ja ber ©ottmenfd) fefbft ber Slrmutb ben Stächet benommen unb biefelbe geabclt, fo baf? unoerfchulbetc Slrmutb, roeit entfernt, ben SDtenfdjen ju entehren, ihn bem Saterfjerjen ©otteß näher rüdt. Unb wie bot bie chrifttiche Siebe fid) gartj unerjchöpfliche ^iilfßmittel ju oerfchafjen gemußt, um baß ©tenb ju Unbern.

giir alle« ba« hat bie moberne SKeltanfchauung faum mehr ein Scrftünbnijj. Sie fefct an bie ©teöe ber bemütf)igen ßhriftenliebe bie ftolje Humanität. SDiefe aber hot fi<h bißher alß unfähig ermiefen, ben ®ämon ber Setbftfucht im ÜJtcnfchen ju bannen unb fefbftoer* (eugnenb Cpfer für ben 'Jiächften ju bringen, ffiaß biefeß Pon unferen bebeutenbften 35enfern unb Richtern fo (jod) gepriefene ©d)o§finb ber moberueu SBeltanfchauung ju Stanbe bringt, baß hoben mir ja täglich oor Singen. 2Baf)re üftenfehentiebe fefet ftrengeß Pflichtgefühl meit mehr alß ben fategorifchen ^mperatio fiant’ß , unerfchiitterlidjeß 9ied)t0bcrou§tfein, ernfte Sclbftbeherrfchung unb Dpferfreubigfeit oorauß. Slber biefe ütugenben, benen ja auch ber $eibe feine Sichtung entgegen* bringt, motten nun einmal ba nicht gebeten, mo ber riidfid)tßlofe 3nbioibualißmuß ber Humanität feinen STljron aufgefchlagen unb mo ©ott unb Sugenb nur inforocit Slnerfennung finben, alß bie 3ntereffen beß lieben 3ch nicht barunter leiben. 35aß Sdjilter’fche: „Setb

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Sdmtf uub @oci«li«mu8.

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umfchlungen, iDiillionen, biefen Äug ber ganzen sBelt!" Hingt aller» bing« recht pathetifd) unb menfd)cnfreunblich, ber armen SRenfchhnt ift aber mit folcfjen Ißhrafen fieser nicht geholfen, roenn benfelben nicht auch bic Saaten folgen. Speicher ärt aber biefe Saaten finb, baoon erjählt gerabe bie ©efchidjtc ber lebten jeljn 3<*hre- 2öir

braunen nur an ba« ©rünberthum, ben ©ueper unb fonftige 2lu«* beutungen be« 23olfe« ju erinnern.

SDie traurige Sljatfadje liegt offen oor 2111er 2lugen, baß un* geartet aller Humanität ber ibeale Sinn, toorauf man früher gerabe in 3)eutfd)(anb fo ftolj mar, nunmehr in ganzen Schichten ber ©efellfdjaft faft oöllig gefchrounben ift. 2ltle« höhei'e Streben, alle ebleren »Jiele fommen uielfad) gerabe bei ben Chorführern moberner Humanität erft au lefetcr Stelle in ®etrad)t, menn ma* terielle 3”tereffen unb ©eniiffe gegenüber ftefyen. Selbft bie öffent« litten 21ngelegenf)eiten, ben ©ang ber politifcpen ßreigniffe fdjä^t man feljr oft nicht mehr ab nach ben rmigen ©runbfäfcen ber 2öa^r« heit, ©erecfjtigfeit unb greiheit, fonbern nach iDiaggabe ber ÜHadü unb bc6 äu§ercn ßrfolge«. SBunbern aber fann man fich über fold) erfchredenbe 2tbnai>me ibealen Sinne« nicht, menn man erroägt, mie bie Vertreter ber beutft^en 5B?iffenfd)aft unb freien gorfdjuug löngft mit unfehlbarer 5)reiftig(eit bargethan h°&£11/ h“g te mit bem @hriftentl)ume unb ber Vergeltung im 3cnfeito 9lid)t« fei, bag ber mittelalterliche 3ßpftici«mu« unb ber djriftlidjc Spiritualiömu« über* haupt ein leerer 2Bahn, ber SDlenfd) nur ein höher entroidelte« Il)i£r unb mit bem Sobe für ihn 2llle« au« fei. SBJcnn aber biefe 2ln« fchauungen, nach h£nen £3 hh£r£> üb£r beu Sr«3 ber irbtfdjen öeben«intereffen h>nau3 tiegenbe 3iele nicht mehr geben foll, oon ben ©ebitbeten bem nieberen Volte in populären Schriften jugilng* lid) gemacht merben unb bei „ben ßnterbten" immer mehr Söurjet faffen, fo ift fehr natürlich, menn bie irregeleitete, um ihr Seftc« betrogene üftenge jene miffenfchaftlichen £h£ovi£n in hie ^ßrafi« umfe^en möchte, roenn fie mit allen Äräften bahin ftrebt, fich in ben ©efifc ber ©üter ju fefcen, bie ba$u ocrgelfen, auch einmal bie ©eniiffe biefe« flüchtigen Grrbenbafein« au«jufoften, nöthigenfatl« mit ©eroalt unb burch Umfturj ber beftehenben ©efellfchaft«orbnung.

Glicht roegjuleugnen ift bie traurige Ü^atfadje, bag ber VolfSgeift öielfach angefteeft unb oergiftet mürbe oon ber glauben«lofen, natu* raliftifchen SBeltanfchauung. Unb ba fällt gemig auch ber Schule bie ernfte 2lufgabe ju, foroelt ihr möglich, auf bie 3“9£nb einju»

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Softpb Striquf.

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wirten, bamit btr IBoflsgeift, wenigftcns für bit .gutonft» toiebcr mit ibealen Hnfdjauungcn genährt unb burdjbrungen werbe. Di* Cueüe bes QbealiSmuS aber ift edjte SReligiofität, unb ba in 2Birflid)feit {Religion unb pofitioeS Sljriftcntljum fid) oöllig beefeube öegriffe ftnb, fo tann bie ©i^ute ben 3bealiSmuS nidjt wirffam pflegen ohne bie ©runblage d)riftlid)er Ueberjtugung. Offenbar aber tanu bie Schule bie Äraft ju biefem mistigen ©erft nur oon ber fiirc^e erhalten.

II. DaS Heilmittel bts SocialiSmuS.

@S ift ferner einjufehtn, wie bie Schule ohne Sermittelung ber ftirdje gerabe biejenigen Stäben ber ©efellfdjaft feilen ober ber 95er* breitung berjenigen 3rrthümcr bei ber $ugenb nachhaltig begegnen foü, welche offenbar aus bem Slbfalle oon ßhriftenthum unb ber Sirche batiren. Daß ber oulgäre Liberalismus, ber größtentheils oon btr Oppofition gegen bas pofitioe Sffriftent^um fein Dafein friftet, mit ber Schule als ©ilbungSanftalt allein operiren ju fönnen glaubt unb nad) feiner SDJct^obc für bie (Sefellfdjaft ©unber erhofft, fann nicht be* fremben. ©eniger begrciflidj aber ift ber Umftanb, baß auch in ben Greifen oielfeitig ber fittigenbe, ben SDJenfdftn umgeftaltenbe ßinfluß btr Sinfie unb feine -öebeutungen für bie Schule nicht in oollem 2Raße gewiirbigt wirb, wo man eine richtige ©erlhfchäfcung bod> ju* nädm erwarten bürfte. 'Dian ^ört jroar oft genug mit großem 'Jtad)« brude ertlären, baß man bit {Religion unter allen Umftänben aud) ber Schule erhalten wolle. Sin ber Slufridjtigfeit biefer ISrllärung ju jroeifcln, ift fein @runb oor^anbtn. Slbtr wer ben .groed u>iß. muß aud) bie entfpred)euben Drittel wollen. 9tun foll aber nad) ber äugen« blidlid) in ben maßgebenben Greifen berrfd)enben Slnfidjt bit ftirdje einen burcfjgreifenben, wcfentlidjen Einfluß auf firjiehung unb Unter« ric^t ber 3ugtnb, wie oorbem, nicht weiter geltenb machen bürfen. Slbtr wer ift benn, fo barf man woßl fragen ber oon @ott berufene I vager ber {Religion unb wie will man eine {Religion, bie wirtlich biefen {Ramen oerbient, ber 3ugenb in rechter ©eife oer« mittein offne bie &irdje? §at nidft gerabe bie fiirdje oon ihrem gött« litten Stifter bie auSbrüdiidjt ©cifung erhalten, bit SSölfet jum $tile ju führen, b. h- burd» Lehre unb ©eifpiet bas J^ier im 2Renfd)en ju bänbigen unb bem Ueberflutijen ber nieberen Leibenf haften über bie fonft fdjwadjen Dämme beS OeftfceS unb ber äußeren Orbnung mit übernatürlicher Äraft ju wehren.

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€d)iilt unb Socialiemu«.

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I)ie flirre mirb aber in <£rfiUlung ber i(jr jugewiefenen fchroeren Aufgabe fct)r behinbert, nenn mau biefetbe in btr ©d)ule nur alb eine gchorfame Wienerin herablaffenb bulbet, anftatt biefelbe alb junädjft berufene ßrjiehungbanftalt ju betrachten, beren SBirffamfeit ©taat unb ®efellfd)aft nicht entbehren fönnen unb mit ber in frieb* lieber ®nneinfd)aft gearbeitet werben mu§, um ben ^werten ber »Schule, jumal in erziehlicher §infid)t, ju entfpredjen. SDlan madjt fieh bei bem ©treben, ben „bominirenben" Sinfluß ber ßirdje auf bie Volfbfdjulc niogüchft ju lähmen, bod) einer fettfamen 3nconfequenj fchulbig. ©rfennt man nämlich an, baß bie (SrjieEjuug ber 3ugenb ju gottebfiird)tigen, gemiffenfjaften unb mora(ifd) tüchtigen Menfdjen bie pauptfadje, (Srjiefjuug aber ohne Religion unbeufbar ift, fo hat man mit biefem 3u9cftänbniffe aud) ftilifdjroeigenb bie 9tott)wenbigfeit beb firdjlidjen (Sinfluffeb in ber ©d)u(e jugegeben. Oie rechte 3Birf* famfeit auf bie 3ugenb aber fomt bod) bie Sirdje unmöglich aub* üben, wenn ihre Organe auf bie Stellung bloßer 3ad)lehrer befdjränft werben. <5b ift eine traurige Crrfheinung unferer liberalifirenben 3eitftrömuug, jebe freie Bewegung ber ßirche mit eifersüchtigen unb argwöljnifchen iöliden ju beobachten unb bei jeber Gelegenheit bab ©efpenft firdjlidjer fperrfebaft ju wittern. 2llb wenn nicht auch bit Äirchc einen ebenfo gültigen 9ted)tbtitel aufjuweifen hätte, auf ihrem Gebiete Jperr ju fein, wie ber ©taat auf bem feinigen. 3ft benn nicht, wenn aud) nicht aubfd)ließlich , fo hoch gewiß in ^Betreff ber religiöfen Wahrheiten gerabe bab Cehrgebiet Oomäne ber Äirdje, wie bab IKedjtbgebiet Oomäne beb ©taateb?

Oaruin follte in ber ©hule bie Äirdje alb oon Gott berufene Cehrerin in treuer greunbfdjaft mit bem fte unterftüfccnben ©taate wirten. Oiefcb 3»fnmuten wirten würbe, wie bab bie Vergangenheit gejeigt hat, nur jum Vortheile beb ©taateb unb ber ganjen bürgerlichen ©efellfchaft aubfhlagen. (Sb ift noch nicht gar lange her, baß bie oberften Veiler beb ©djulmefenb biefer Wahrheit officieDcn Slubbrucf gaben. @ie ertannten in bem einheitlichen 3l,fan,mtnn,'v^u Don Staat unb Kirche bie einjige Viirgfchaft für bie rechte eperanbilbung ber jungen Staatsbürger, unb ein preußifd)cr Sultubminifter nahm feiner ^eit feinen Sluftanb, offen ju erflären, baß man ben blüßenben 3uftonä ber Volfbfdjufcn Vreußcnb, beren erfreuliche Dtefultate auch oom Slublanbc bereitwillig anerfannt würben, nicht jum fleinften Sßeile ber treuen unb h>n0ebenben Wirffamfeit ber fir<hli<hen Organe für bie ^ntereffen beb Volfbunterrichtb ju oerbanfen habe. JSJährenb ber

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3o|cpf) Serique.

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testen 3afjrc hatte fid) an mafjgebenber ©teile eine galt} anbere, Bielfach entgegcngefejjte Slnfcfjauung oon biefem SBerhältniffe gcbilbet unb ©eltitng ucrft^aff t. 3n trauriger 23oreingcnommcnheit gegen bie Üirdje überfah man, ba§, wie anber«wo, auch in ber ©djule eine Schwächung ober ®eringfd)äfcung ber fird)li<hen Autorität nothwenbig aud) bie ftaatliche Autorität in ÜJiitleibenfchaft jleht. Unfere fdjeinbar liberale, iu SBirflichleit aber naturaliftifdje SBettanfdjauung f)at ben richtigen üflafjftab ocrloren, um bie ©ebeutung geiftigcr, in«befonbere religiöfer 2Räd)tc gegenüber ber rein pt)t)fifcf)en ©eroatt abjufdjäheti, aber barum ift bie Superiorität biefer 5Diäd)te notf) feine«weg« ge« fcfiwunben.

„<£« gehört", bemerlt in biefer $infid)t gufa«, *) „jur Stuf» flärung«mcthobc ber greigeifter aller 3c'tfn» ^ftigion unb Sirene al« etwa« UntergeorbncteS, 9?ebenfäd)Iichefl, oom allgemeinen öffentlidjen, jumal oont politifchen geben gänjlid) ©etrennte« 3U betrauten, al« etwa«, womit höher gebilbete ©eifter fid) gar nicht mehr abgeben, wa« man lebiglid) al« ^rioatfache bem ©efühl«bcbürfniffe, ber frommen Grinfalt ©injelner, etwa gar nur jenen Sinnen im ©eifte }u iiberlaffen hätte, berer nach bem ©Dangelium ba« Himmelreich ift. Slber ba« wirtliche geben wibcrlcgt biefe U^eorie ; e8 jeigt, ba§ bic 3b ee ber Dteligion unb iljrSluäbrucf in firchlid)cngormen ein unentbehrlicher, integrirenber ffleftanbtheil, ja ber Hailbtflrunb unb 3t»ecf ber gefammten mcnfdjlidjcn ©efittung in allen ihren ©e* jieljungeu ift.*

Die ^eidjen ber 3eit forbern aber gewif; mit gebieterifcher 9ioth* wenbigteit, ba§ man bie ber ffiirtfamfeit ber Sirdje entgegentretenben 5D?a§naf)men aufgebe unb ju ben bewährten conferoatiDeu ©runbfäjsen jurüctfehre. Der SBunfd) eine« jeben Patrioten, bem baß wahre SBohl feine« ©aterlanbe« am Herien liegt, fann nur ber fein, bie Hülfe ber Äirche nicht äuriiefjuweifen, ba fie allein bie ÜNadjt hat» hie entfeffelten böfen Mächte, welche bie gange @efellfchaft«orbnung unter* wühlen, wirffam ju bannen.

Doch wirb, rna« bie ©chule betrifft, bie (Erfüllung biefe« leb* haften ffiunfd)«« fo lange in bie gerne gerüeft bleiben, al« bic Sin* fichten berjenigen päbagogifdjcn 9ficf)tung, welche fid) mit Smpljafe bie „moberne" nennt, irgenbmic an mafgebenber ©teile ©eltung behalten, ffatholifche ©chulett werben oon ber mobernen fJäbagogif tro^bem

’) Ser Schulmeiper Bon Sabowa. SMainj, 3ird)fjfim. S. 40.

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Sd)iil( imb ®ocinli?mue.

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nicht fo balb oergiftet werben ; wie e8 ober anberSmo bamit auSficht, ba$ beweifen bie SBerlautbarungen biefer 3tid)tung auf ^ehreroerfamm» langen unb in 3e>tfdiriften. SßJohl ift auch hier im allgemeinen ein richtiges g?erftänbni§ für bie fociaten Uebetftänbe öorijanben, wie bei« fpielSweife folgenbe «Stelle aus einem Hauptorgane bejeicpneter Oiic^= tung bemeift: *)

„3)ie ganje ©efeüfchaft ift oon einer ungeheuren ©ährnug er» griffen; nirgenbö griebe unb tBehagen, überall Hlage unb $aber, ©chroanfen unb Stingen, Verlangen nad) Slenberung unb gurtet t>or bem, wa» fommen foll. Ueberall Untreue unb Hintcrlift, Säillfiir unb brutale (Gewalt, wilbed ©futoergie§en unb entfeßlidje ©reitet. Selbft im fleinften ©emeinmefen ein firirg Silier gegen Sille (?). 3n foldjem Umfange war noch nie ba« Unglücf über unfere ©efellfchaft uerbreitet, unb man fann tmeifelljaft fein, ob in ber heutigen ÜJtenfchheit mehr Humanität ober mehr Seftialitat herrfefjt. gn oergangetien feiten 9flb es gro&e Staatsmänner, welche als bas gunbament aller ^olitif bie öffentliche (grjiehung betrachteten uttb ohne biefe fein ©liicf ber 23ö(fer für möglich tfietten. «Die über» fingen Herren unferer Jage gehen über folche oeraltete 2T^orl)eit mit oornchmer ©eringfdjähuttg hinweg, um bafür bie ffielt mit glänjenben Slftionen ju beglüefen."

Slbcr ber djriftliche ^äbagoge fieht fich bitter enttdufcht, wenn er im S?erh<tltnlffe $u biefer richtigen ßrfenntuif? unferer gänjtich ger* fahrenen focialen ^nftänbe nun auch oon biefer ©eite bie ßmpfehlung ber richtigen Heilmittel erwartet hat- SBohl ift auch bie moberne ^Jäbagogif mit uns barin einoerftanben, bajj fie bie gegenwärtige Stich* tung im ©«hulmcfen nicht für ^eilfam unb eine Slenberung für notb* wenbig hält, aber fobalb bas „SBie“ bisfutirt wirb, fo gehen wieber unfere S5?ege gänjlicf) auSeinanber.

35a höret« wir nichts oon ber alten, feit Qahrljunberten bewährten ©ruitblage ber ßrjicfjung jum religiöS»fittlidjcn C'ebcn; anftatt auf ßhriftns unb feine fiirche oerweift bie moberne fßäbagogif auf f?ant unb bie rationaliftifcheu ^Philanthropen. ®te göttliche Offenbarung, bie &hre oon ber ßrlöfung ber gefallenen unb ber Cäuterung unb ßrtjebung bebiirftigen fDtenfchennatur hoben h*er {einerlei ©eltung

’) ^abagoflium. 2Ronat8j(hrift für (Srjiefjung unb Unterricht. §erauSgegeben unter SBlittoirfung fjeroorragenber «pabagogen Oon Dr. ftriebrid) $itte6. 1 §eft SBien 1879.

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3o(«pt) Seriqut.

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mtf)r. ‘Jiidjt baS @^rift«nt^um f;at mehr bic 2)fad)t ju Reifen, fon* bern oielmehr „ber ®laubc an bie ÜWöglid)fcit btr ©ereblung ber ÜRenfdjennatur." liefen ©tauben teilen bit chriftlidjeu ßrjitljer auch, ia fic finb nid^t blojj Don ber 2)iöglid)feit , fonbern non ber ©irflidjfeit einer folgen ©ereblung unb Heiligung fefi überzeugt. Slber mit aller ßntfd)iebenheit miiffen fie bie ÜJiittet oerurtheilen, welche bie ntoberne ©eltanfchauung ju biefem 3wede empfiehlt.

Die mobernt ffieisheit nimmt feinen Slnftanb, bie 2Renfd)ennatur an fit^ ju ocrgöttlidjen unb ihr bie gähigfcit jujuerfennen, fid) ganj aus fid) fetbft, bunt) bie in ifjr liegenben natürlichen gäljiflfeiten jur reinften unb ebelften Humanität ju cntwicfeln. ßs fpringt in bie Slugen, in meid)’ fdjneibenbem ©egcnfafee biefe Slnfthauungen ju ber chrifitlid)tn ©laubcnsleljre Don ber ßrbfchulb unb ber 9iotl)roenbigfeit ber göttlichen ©nabeitljiilfe ftefjcn. ©enn nun auch bie moberne ©eistjeit mit' fo ftarren Dogmen fich nicht befaffen mag, fo fann fie bod) unmöglich auf einer ©runblage ihr ßrjichungSwerf aufbauen wollen, bie tf)atfäd)Udj nicht oorljauben ift.

ßrftaunen aber mujj man über bie Unocrfrorenheit, mit ber man in unferen Jagen bie 3f)corie oon ber ®öttlid)feit ber 3Jienf<hennatur unb „ber ibealen SRidjtung beS menfehlichen ßulturfortfchritteb" oor= * jutragen bie Kühnheit hat, eben jefct, nio ber Slbgrunb fittlicher 33er- fommenheit unb 3ügellojtgfeit alle ßlemente focialer Orbnung unb ©itte ju oerfd)lingen broht. ©äre es nicht fo offenfunbig, toaS aus ber fich felbft übcrlaffeuen unb auf ihren ßgoiSmuS allein gefteüten SDienfchennatur ohne ben fieberen gührer beS pofitioen ©laubcnS an eine übernatürliche fficltorbnung unb an eine ©erantwortung öor bem ewigen Düster werben fann; mären nicht bie SBeifpiele für bie ©ahr« heit fo hanbgreiflid), baß bie ÜRenfchennatur bei biefer Jheneie humaner ©elbftentmicflung nicht behinbert wirb, in ©eftiatität auSjuarten, fo fönnte man bie beharrliche Cobpreifung ber humanitären ßrjief)ung8» fünft begreifen, weil biefelbe gewiß an fich für ben ^odjmutf) unb bie Ungebunbenheit beS üDitnfchen oiel ©erführerifcheS hat- Sber wo thatfäd)(id) bie fJäbagogif ohne ßlfriftenthum in ihren ßrfotgen fo furchtbar enttäufebt würbe, ba ift es bod) mehr als naio, jur Teilung ber focialen Sioth noch immer biefe humaniftifd)-naturaliftifihe SBiiftur anwenben ju wollen.

Die moberne fßäbagogif (eibet an bem ®runbirrtl)um beS frei« geiftigen 3nbioibualiSmuS. 9iad) biefem foll ber üJlenfd), bejfen datier grunbfalfch beurtheilt wirb, ohne 8Üicffid)t auf bie gorberungen

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Schul; unb 6ociali«mu«.

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be« gcfeÜfc^Qftlicfjcn nnb fird)licben Mene, nie baafelbc ftd) ^iftorifet) entnidett unb benährt hat, gleirfjfant ifolirt fjerangebilbet nerben. Die eigentliche Signatur biefer ^Richtung ift bie ^oebmiit^ige ©elbft« überfcbäfcung , metebe mitunter auf gebreroerfammtungen einen fo prägnanten 9lu«brud finbet. Die berliner „fireujjeitung“ machte ein» mal mit SRüdficbt auf einen folcben gebrertag bie febr treffenb« ©e* merfung: „3eber Sßerftänbige nirb fid) baoou überzeugt haben, ba§ biefe gebrertage iiberniegenb ber Jummelplab einer non Apocbmutb tollgenorbenen ©äbagogif finb."

Da« 3beal ber bejeiebneten iRidjtung ift natür(id) bie confeffion«* lofe ©cf)u(e, auch interconfefftonelle ©dptle genannt, ©Ja« man in jiingfter 3e‘(' um ber etma« gebäffigen ©ejeiebnung auSjuneiebcn, unter bem 9?amen „©imultanidjute" einjuriebten für gut befunben, ift ein ©pröfjling berfetben ffiurjel. ß« liegt nicht im ©ereile unfere« Ibcma«, aüfeitig unb grünbticb bie {Rotbnenbigfeit be« confef» fionellen ßbQraftcr« ber ©olfafcbule ju erörtern, ffiobl aber ift an biefer ©teile angejeigt, auf bie nefeutiiebften ®efiebt«punfte in biefer nichtigen grage aufmerlfam ju machen.

^unäcbft fiebt ficb ber ebrifttiebe ©äbagoge oerantafjt, ju erfiären, ba§ ihm ganj unerfinbiieb ift, nie man in ber ©olfafcbule einen nirfiid) befenntnijjlofen ©tanbpuutt behaupten nid. Die {Religion

foil ja unter alten Umftänben ber ©cbule, nie bem ©ölte erhalten bleiben, unb {Religion ift bod) ctroa« mehr, al« ein unbeftimmtc« ©otte«be»ujjtfein ober eine nafferige ÜRoral. ß« gebt b'crm't, nie mit manchen anberen norgefaßten üReinungen, nelcbe in ber bloßen Übeorie redjt febön unb ptaufibel erfebeinen, fofort aber in eitel Dunft jerrinnen, fobalb man biefelben auf concrete ©erbültniffe be« geben« anmenben nill. ©or 2U(cm muß bie Ibatfadjc conftatirt »er- ben, ba§ {Religion im nähren ©innej noch ju allen feiten unb bei allen ©ötlern nicht anber«, al« in einem mehr ober »euiger ftreng formulirten @laubcn«befenntniffe auftritt.

Da« ßbr*ftentbuin aber bat niemal« ohne ba« in feinen ©runb* lagen unoerönberlicbe, burebau« tlar beftimmte ©efenntnijj unter ben ©ölfern beftanben. Unb ba« ift ebenfofebr im ffiefen ber nähren {Religion, al« in ber fflefebaffenheit ber menfcblichen iRatur begrünbet. {Religion fcblechthin ift allenfall« in ber 3bee, in ber ©irfltdjfeit aber nicht anjutreffen. Die ©efferen unter ben mobernen SBeifen »ollen allerbing« unter biefer allgemeinen {Religion ben ©tauben an ein gött» liehe« Sßefen, an Dugenb unb Unfterblicbfeit oerftanben niffen. Slber

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3 o f t p ^ Seriqut.

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auch bicfe ®runbroal)rheitcn ber natürlichen SHeligion finben ihre llate unb beftimmte gaffung nur in bcr übernatürlich geoffenbarten SJeligion. 'Diefe aber fommt nur in bcr ?ef)re ber fiirdje jur concreten ®ar» ftellung, wie fie für ben «Sin^elnen fagbar unb auf bie S?eben«oerhölt- niffe anmenbbar ift.

CJo bie Societät ate religiöfe ©emeinfefjaft auftritt, ba weiß fie mit einer allgemeinen iNeligion fchledjterbing« nitfjt« anjufangen unb ba« eigentliche 33olf erft recht nicht, glir ben $odjgebi(beten mag paffenb fein, bie ©ruitb*3been ber SReligion fich philofopljifch jur ©ntroicfelung ju bringen. 35aß er mit einer foldjcn feine maßre SBe« ftimmung erreichen fönne, müffen mir allerbing« beftreiten, aber ba« ift ja lebiglid) feine Sache. £>a« 33olf hingegen , wenn ce treu unb unbeirrt an feinem diriftlidjen ©efenntniffc feft^alten miU, barf er« märten, baß aud; bie Slnfgeflärten unb greibenfer feine religiöfe lieber* Zeugung adjten unb unangetaftet laffen.

2)iit ber ©emiffenSfreiljeit fleht bod) fidjet nicht im ©inflange, roenn ber heutige Siberaliömu« bem 33olle feine tjumaniftifdjen unb naturaliftifchen Slnfdjauungett aufbrängen miß. SDa« geschieht aber unzweifelhaft, menn in ber Schule, in ber bie Qugenb be« 33olfe« herangebilbet mirb, nicht meljr ber ©eift be« pofitioen (i^riftentfjum« Unterricht unb ©rziefjung bureßbringen fotl. 3Jlan mag über bie gragc, mem bie 23olföfd)u(e gehört, noch fo oerfdjiebener üWeinung fein, ba« eine fteßt bod) feft, baß bie Srjießung ber Äiuber junä^ft Socfje ^jr ©Item ift, unb jroar nicht erft au« religiöfen ©rünben, fonbern einfach nad) bem sJJaturrechte.

©8 ift roiberfinnig ju behaupten, bie ©Itern hatten in ©ejug auf ben ©eift unb ba« innere SSefen ber (Schule nicht brein ju reben. Sie haben unzweifelhaft ein 5Red)t, ju oerlatigen, baß bet confeffioneße ©harafter, ben bie häusliche ©rziefjung trägt, aud) in ber Schule ftreng gemährt bleibe, bamit bie Schule nicht jerftöre, ma« ba« $au« auf« gebaut hat. SBir meinen, ber wahre l*iberali«mu« unb bie Toleranz beftänben eben barin, biefer unabmei«baren gorberung ber chriftlichen ©Item gerecht ju werben.

©ine confeffionelofe Schule ift aber auch praftifch ohne bie größten Uebelftänbe nicht bitrchjuführen. ©0 zeugt oon einem geringen S3er» ftänbniffe für bie 3ntereffen ber S3olf«fdjule, menn man fich über bie fatholifche Sprachlehre, bie tutherifdjc 9ted)enlunft u. f. m. luftig macht unb lüljn behauptet, baß bet richtige Stanbpunft eine« Schul» leßrer« ber fei, allen bogmatifchen Cehrfäfcen flug au«}uwei<hen unb

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©djute unb ©ocialiemu«.

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beim Unterrichte nur ba« ewig ©öttlidje in ber ÜJienfchennatur ju berücffichtigen. 35a« finb eben nur fdjöne grafen unb nidjt«fageube Theorien. 35a« religiöfe Sefenntniß greift ju tief in alle ©erfjältniffe unb 3:hätigfeiten be« ©ienfdjenteben« ein unb wirb fich auch beim Unterrichte überall geltenb machen, felbft bei ben ©egenftänben, welche auf ben erften ©lief feinerlei ©erül)rung«punfte mit Gfjriftentbum unb fiirdje barbieten. Unb wie fann man einem gläubigen Cefjrer ju» mnthen, eine folche bcfenntnißlofe Diolle oor ber 3ugcnb ju fpielen unb 35inge ju ignoriren, welche mit feinem ganjen Sefen innig ocrwachfen, ja im fdjönften Sinne be« Sorte« $>erjen«fathe für ihn geworben finb. 35aburcb bringt man ihn bod) in eine unnatürliche Stellung jur Schule unb in Siberfprud» mit ber h°hcu 3bee feine« ©erufe«.

35ie ©ebcutung ber innigen ©erbinbung ber Schule mit ber Sirche für bie Srjiehung ber 3ußenb wirb in ber jüngften geit auch oon conferoatiB’politifcher Seite in einer Seife betont, bie ben fiatf)o(ifen nur fhmpathifth berühren lann. Sehr djarafteriftifche unb jutreffenbe ©emerfungen biefer Slrt brachte oor Surjem ber „9ieiih«bote\ ©« heißt bort u. 81.: „55ie ©olfsfehute hot ben ßnjarafter einer ©efjütfin für bie gamilie, bie ftirche unb ben Staat an ber ©rjiehung ber 3ugenb. 35iefe brei gaftoren müffen fich in ber Schule bie £>änbe reichen, unb bie Schute hot bie fdjöne unb große Slufgabe, bie Sinber fo ju bilben unb ju erjiehcn, baß fie befähigt werben, fpäter in ber gamilie wie in ber Äirche unb im Staate ihre Pflichten jn erfüllen. 35iefe äufgabe fann bie Schule nicht in mechanifdjer Seife löfen. Wie bie confeffion«lofe Schule erftrebt, baß fie für jebeit biefer brei gaftoren ein paar Unterrichtsfächer jurecht macht, fonbern baburcf), baß fie in ben £jerjen ber 3ugenb ben guten, foliben ©runb flarer, fefter religiöfer, fittlicher unb focialer ®runbfä(je unb änfdjauungen (egt unb bie 3ugcnb jugleich mit ben im praftifdjen 8eben allgemein

unb unbebingt nothwenbigen Senntniffen auSrüftct Stuf

bem freunbtidjen £>anbsin>£>anbgehen oon Staat, gamilie unb Sirche in ber Schule unb auf bem 35urchbrungenfein ber gugeubbilbung mit ben feften Slnfdjauungen unb ©runbfäfcen ber chriftlichen Dieligion, ruht bie gebeißlidje ©ntroicflung oon Staat, Sirche unb Bo(f«thum. Serben biefe gaftoren in ber Schule au«einanbergeriffen unb bie Schule etwa einfeitig bem Staate jugemiefen, unb al« ihr giel bie Gerjiehung jum ©atrioti«mu« hingefteüt, fo wirb bie ©olf«bitbnng einfeitig unb oerliert ben feften, tragenben, fittlichen ©oben, ©erabe für ben Staat ift oon ber allergrößten Sichtigfeit, baß feilte ©ürger

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3ofH>f) Sftiqne.

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in erfter Cinie treue ©lieber ber gamilie, ber ©emeinbe unb ber Kirche finb; bcnn auf ber Dreue gegen ©ott unb gegen ffieib unb Äinb beruht auch bie ecfjte StaatStrcue. ©ine ©ottsfchule, welche einfeitig unb lünftlid) jum Patriotismus ergießen wollte, würbe polttifdje Phantaften erjiefjcn."

8uf einen anbern ^rrtfjum muff nod) ^ingewiefen werben, ber gerabe fchwer ins ©ewidjt füllt bei ber grage, wie bie Schule jur abhülfe ber focialen Uebelftünbe mitjuwirfen tjat. @8 ift bie lanb« läufige ÜJleinung, ba§ man redete Sittlid)teit pflegen lönne, ohne bie ©runblage beS ©laubenS. Unb bodj lägt ein aufmerffamer ©lief ins 8eben fofort erlennen, bafj bie üRoral überall ba auf fehwachen güfjen ftef)t, wo fie nicpt oon einer tiefen, religiöfen Ueberjeugung getragen wirb. Unfere mobernc SBeiSfjeit nennt aber mit Vorliebe bie Sittlid)feit „eine felbftoerftänblicpe ©ntroidlung ber menf (blichen IRatur, bie ftdj aus ber «Stimme beS®ewiffenS ergibt.* Das inbiouelle ©ewiffen ift feineswegs an unb für fid) ein unfehlbarer, fonbern oielmelfr •ein felfr irrthumSfähiger SBegweifer jum fittlich ©Uten, wo er fid) nicht auf bie richtige, religiöfe Ueberjeugung ftüfct. Der pofitioe ©taube ift ber objeltioe Regulator beS ©ewiffenS; wenn biefcr fehlt ober irrig ift, fo rid)tet fi(h aud) baS ©ewiffen fubjettiö nach ben natürlühen Umftänben, Schwachen, i'eibenfdjaften unb ©ebürfniffen beS 3nbioibuum8.

$ieju bemerft 8utaS in ber oben citirten Schrift l): „Unter ben mobernen Dtraben unb Phrafen, um bie 3rreligiofität unferer ^eit ju entfchulbigen , gibt es leine tollere unb ber menfchlidjen SRatur wiberfprechenbere , als bie : eS tarne nicht auf ben ©lau« ben beS üRenfcfjen an, fonbern allein auf fein fitt(id)eS $anbeln. Denn wie fein ©lauben befdjaffen ift, fo ift auch fein ©ewiffen be* fchaffen unb bemgcmüB feine ÜRorat. 3ft fein Dogma an fich fchlecht, fo übt er auch bas an fich Schlechte, j. ©. ben ÄinbeSmorb, ohne ©orwürfe beS ©ewiffenS, wie bie ffleridjte unferer URiffionäre bejeugen. aenbert aber ber SDienfch feine religiöfen Dogmen, wie bie belehrten Reiben es tljun, fo wirb auch fein ©ewiffen ein anbereS. ffiaS er früher oerwarf, billigt er plöbfid) unb um» gelehrt ... ©r ift bann feinem gleifche unterworfen unb, ohne es ju wiffen, wirb ihm allmählich bie SBahrheit für £üge, baS ©ute für baS ©öfe, baS fRecht für baS Unrecht unb bie Stimme ber 8eibem fchaft für bie Stimme beS ©ewiffenS erfcheinen. Das (mitunter)

’) ®« Stbulmtiper Bon Sabotoa, 6. 36 ff.

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S^nle unb Sociafibmit«.

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anftänbige Setragen unferer Äufgeftürten änbert an ber SBahrljeit biefer Iljatfachen gar nichts. Dennoch flehen bie cibitifirtcn Söötfcr unter bem Sanne einer taufenbjäßrigen $errfchaft be« ß^riftent^ume ; bie öffentliche Sitte ßuropa« ift bie grudjt be« chrijtlichen Dogma« unb noch glauben Millionen feft baran. 5öo aber auch bie Sonne ber chrifttichen Offenbarung bereit« untergegangen ift, ba leuchtet noch ba« Slbenbroth ber Srinnerung unb Angewöhnung über ben Sergen."

Der Äampf für bie confeffionette Schule ift baßer in Söafjrheit ein Äarnpf für ben ächten ßulturfortfchritt ber ÜJJenfchheit, ber oon bem ÜJiaterialiämu« unb Slthciömu« unferer 3c'l f«h®er bebro^t erfcheint.

III. $it Schule als öilbungSqueHe be« Solle«.

Der 8iberali«mu« hol ^eutjutage auf allen ©ebieten be« öffent* liehen geben« bie ^errfeßaft ju erlangen gefugt unb gerabe am liebften möchte er in bie Schule hinein regieren. 9iun ift aber ber giberali«mu« nicht« weiter, ale eine unter bem Scheine ber grei* finnigfeit feef auftretenbe Dppofition gegen bie religiöfe unb bürger* liehe Freiheit unb überhaupt gegen bie au« bem ^^riftent^um er* wachfenen ^nftitutionen be« focialen geben«. (5« würbe nicht ferner fallen, bie mannigfachften SeriihrungSpunfte in bem Sbeengange unb ben 3*elen be« fiiberati«mufl mit bem oon ihm fo perhorreöcirten Sociali«mu« nachjuroeifen.

Ob ber 8iberali«mu« ftch biefer ®eifte«oerwanbtfchaft mit bem Socialiömu« bewußt ift, fommt babei nicht in Setracßt. Jßatfäcßlich gehen beibe Parteien in bem fchranfcnlofen Subicclioi«mu«, in ber rücffichtelofen fterrfchfucßt, in bem $affe gegen bie Äircße unb in ber fouoeränen Verachtung alteßrmiirbiger Ueberlieferungen ber Vergangen* heit ganj biefelben Sfficge.

Unb ba muß fich boch jtber SDtcnfcßenfreunb ernftlich fragen, wa« au« einer gugenb werben foll, bie ben Gsjperimenten be« 8ibera(i«mu« auSgeliefert mürbe. SBemi bie bejeießneten ©runbfäfce einmal bei ber 3ugenb recht VJurjel gefaßt Ratten, fo wäre eben biefe $ugenb oerloren. Die Votf«fcßule aber, beren SDJitwirfung man jefet mit ootlem Rechte in Anfprucß nehmen will, um bie ßle* mente be« Umfturje«, welche bie ganje bürgerliche Orbnung unb SBoßtfaßrt in grage fteUen, menigften« oon ber heranwachfenben

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3oi'epf| Serique.

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©cneration fern ju galten, würbe bamit bem SocialiSmuö toiber* ftanbloö preiegegeben fein. ©lüeflicberweife finb wir fo weit nod) nicht, oielmcbr unterliegt es nach ben erfreulichen Kunbgebungen oon majjgebenber Seite in oüerjüngfter 3eit feinem Zweifel, baß man bem Ucberflutfyen liberaler 9tnfd)auungen auf Spüler unb 2ebrer einen fräftigen Damm entgegenfefeen »erbe, um fo mefjr als bie ©olfsfdjule ber lebten ^fa^re fith in monier hinfidjt ber ^errf^enben, liberalen 3c‘tftröniung anbequemt batte.

3n ©ejug auf bie Schule b“t fid) mit ber mobernen ©Jett* anfebauung nod) ein anberer 3wtl)um feftgefe^t, ber mit ber oben be< fprodjentn Slnimofität gegen ben fird)li<ben (ginflufj in enger ©ejieljung ftebt, unb ebenfo bortnäefig oerfoebten unb ins Öeben übertragen roirb: eS ift bie tnofjlofe Ucberfcbäfcung ber ©eifteSbilbung unb beS UnterridjtcS gegenüber ber ©rjiebung. Die ©erfebrtbeit unb Unnatur biefer Sil* bungSfucbt uachjuwcifeit, ift um fo jeitgemäjjer, als auch folcfje Greife baoon ergriffen finb, in benen fonft noch tbriftlitbe unb conferoatioc ©ruiibfäfce ©eltung bo&tn.

©ilbung ift bas gofungsmort unferer ,geit unb bis in bie unterften «Schichten beS ©olfeS hinab ift biefer 3?uf gebrungen, fo ba§ ber ©ortturf, nicht gebilbet ju fein, meift bitterer empfunben »irb, als ber ÜKangcl fittlicber Kraft unb Südjtigfeit. Der Drang nach Öil* bung ift, an unb für fid) betrachtet, burcbauS berechtigt, »ofern man nur unter ©ilbung baS Süchtige oerftebt unb bie ©renjen achtet, »eiche bie ©erföntichfeit, bie CebenSoerbältniffe, Sin lagen unb noch Diele anbere Umftänbe für bie ©ilbung beS öinjelnen gezogen haben.

Slber baS Streben nach ©ilbung ift b*nt$utage jur franfbaften Sucht geworben, bei ber fowobl bas SBefen als bie Irag weite unb ber (ürnbjwccf wahrer ©ilbung oerfannt »erben, ©Jan legt babei ein* feitig ben £>auptnad)brucf auf baS Möge Siffen, auf bie fcbnelle unb bequeme Aneignung aller möglichen Kenntniffe, als wenn bamit Stiles ober bod) bie f>auptfacbe getban fei unb baS Uebrige, was jur ©il* bung gehört, fid) wie oon felbft ergebe.

@8 ift gewiß etwas ©rofjeS unb herrliches um bie Stöiffenfchaft unb für ben SDJenfchen eine ernfte Pflicht, nach SWafjgabe feiner Sin* lagen, ©erbältniffe unb SJlittel feinen geiftigen ©efid)tsfrei8 foweit als möglich ju erweitern unb neben ber immer gröberen ©ertiefung ber* jenigen Kenntniffe, bie ju einer gcbeiblichen ©Jirffamfeit in bem je* »eiligen fflerufe gehören, auch auf anberen ©ebieten beS SöiffenS fich

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©djule unb ®oci#li«mii*.

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infoweit orientirt ju galten, al« ber ©tanbpunft allgemeiner öit« bung erforbert.

Aber üöiffenfcßaft umfaßt nocß feineöroegö allein bie ganje fflit* buug, fo wenig al« bie 3nteüigen3 ben ganjen geiftigen DJienfcßen au«maeßt, unb man bürfte erwarten, baß fein (Sinjießtiger bie Aneig- nung oon bloßem Sßiffen aueß nur filr ben ßauptfäcßließen gaftor ber ©ilbung ßielte. Unb bennoeß ift biefe« ©orurtßeil aueß in ben Greifen ber UrtßeilSfaßigen fo ßeimifcß geworben, baß man fieß mit bem ©erfueße, bagegen anjufämpfen, ftßon ber ©efaßr au«feßt, für einen ©eräeßter ber Sßiffenfeßaft unb ©Übung geßalten ju werben. Dem ©erfaffer biefer feilen erflärte oor einiger 3eit ein ßotßgebilbeter SDiann : Die IRoßeit unb fitttieße ©erwilberuitg in ben unteren Staffen fei nur bie fjotge ber geiftigen ©efeßranftßeit unb ©erbummung biefer Seute. Kenn einmal bie Auflistung bei biefer unmiffenben unb be* tßörttn SDienge ©emeingut geworben, fo werbe fieß ba« moratifeße ©er» ßalten oon felbft beffern. Der üJiann ßatte woßl niemal« einen aufmerf» famen ©lief in bie ©erbreeßerftatiftit getßan, ju ber befannttieß gerabe bie ©ebilbeten einen fo erfeßreefenben ©eitrag liefern. Qrbcnfowenig ßatte berfelbe barüber naeßgebaeßt, ob ber befannte ©prueß: „3e ge* leßrter, befto öerfeßrter" gati; au« ber Cuft gegriffen fei.

Draurig aber ift e«, fo offenbare ^rrtßümer noeß erft al« foleße- naeßweifen ju müffen, unb baju mit ber unaugeneßmen ßmpfinbung, baß oergebtieße SDiiiße ift, au« gewiffen Söpfen gewiffe ©orurtßeile ju oertreiben. Au«gebreitete Senntniffe finb gewiß ein notßwenbige« (Srforberniß, ein bebeutenber gaftor ber ©ilbung, aber noeß lange ni<ßt bie ©ilbung felbft. Da« ift feßon allein au« ber Sßatfatße erfitßtlicß, baß eine ©tenge l'eute gibt, bie alle« SDiögtießc gelernt ßaben unb benen man troß ißre« oieten SBiffen« ba« ©räbifat moralifeß-tüeßtig oorentßalten muß. ©o ßalten fieß bie oielen ^albwiffer unferer Sage aueß für gebilbet unb boeß jeießnen fieß maneße unter ißnen nießt ge- rabe au« bureß eble ©efinnung unb ßßarafter, woßl aber bureß ba« ©egentßeil, fo untabetßaft aueß mitunter ißre gefetlfcßaftficßen Um« gang«formeu fein mögen.

SÜian wirb boeß nießt beßaupten wollen, baß ba« fittlicße ©ioment bei ber ©ilbung«frage oon geringerem ©elange fei, al« ba« intellectueße ? 3m ©egentßeil wirb jeber ßinfießtige, wenn er fieß oor bie Altcrnatioe biefer beiben Anforberungen gcftellt fießt, bei ber ©Jertßfeßäßung eine« 2Jtenfeßen unbebenfließ einen Ißeil be« ©Jiffen« prei«geben gegen ba« ßößere ÜJiaß moralifeßer liießtigfeit. Denn ©ilbung ift nießt blo«

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3oftpf) Striqu«.

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äu8ftattung ber ^ntctligcnj, fonbern Ijarmonifche Äu8geftaltung be8 ganzen geiftigen ©efene nach ben brei fHicljtungen be8 6rfennen8, ßmpftnbcn« unb ©otlen8. ©ilbung bcfteljt oor allem in ber geftigung be8 fittlidjen (i^arafterö burd) ©efämpfung unb ©efjerrfdjung ber nieberen ©innlidjfeit, in ber auöftffeibung ber fünbljaften ©lemente, au8 benen ber ÜJienfdj ertöft »erben foll. ©ilbung ift atfo feines- »eg« eine blo§ äußerliche Dreffur, fonbern ein umgeftattenber ©rozeß in ben liefen bc8 2J?enfd)enmefcn8-.

2Jiit biefer äuffaffung fteht auch im fdjönften ©inflange bie d)riftlid)e 8eljte ooit bem gefallenen 3uftanbe btr ÜRenfdjheit unb ber 9?otfjroetibigfeit göttlicher Onabenfjiilfe. So wenig auch bie

moberne ©Übung biefe Dogmen anerfennen will, fo bleiben biefelben bennoch bie erfte ©runblage für bie ©ilbung im ^ö^crcn «Sinne. 3m Oottmenfchen haben mir bas höt$ftt O^eal ootlfommener 2Jfen- fchenbilbung bor äugen unb jmar nicht al«- bloße 3b« ober 'Phanta« fiegebilbe, fonbern flarfaßlicf) als lebenbige ©irflichfeit. Diefcm ©or* bilbe fann ber SDfenfd) gläubig unb bertrauenb nachftreben, bicfe8 3beat foll in ihm immer mehr ©eftalt gewinnen unb fein ganzes ©efen burchbringen. ©er auf biefem ©ege jur ©ollfommenljeit ftrebt, ber erftrebt auch wahre ©ilbung, unb bie ©elt»ei8heit nerntag feinen ©rab oon Humanität au8jubenfen, ber auf bem genannten ©ege nicht ju erlangen märe. Da8 ßhrifttn^um forbert allerbingS ©elbft* entäußerung, ©efämpfung ber ©elbftfucht unb ©innlidjfeit, nermittelt aber bafür auch ©rfenntniß ber ©afjrheit, hö^erc greifet unb mora» (ifche ©ollfommcnheit.

Such alle biejenigen, welche nach bem traurigen ©efenntniffe non Daoib Strauß feine ©hriften mehr finb, werben anerfennen müffen, baß ba8 chriftliche 3&eal bi* ebclften, tnrfjtigften unb ooll« fommenften 3Wenf<hen gebilbet hot, unb baß ba8 ©rhabenfte, Dauer» haftefte unb 3Jfenfd)cn»ürbigfte, ma8 im Öaufe ber 3ahrhunberte zu ©tanbe gebracht worben, auf biefem ewigen gunbaraente aufgebaut worben ift. Den 92aturafiften, welche ba8 bezweifeln, fönnen mir ben gewiß unoerfänglichen 2Iu8fpruch ©oetbe’S entgegenhalten: „SBfag bie geiftige Sultur nur immer fortfdjreiten, mögen bie 9iatur> wiffenfehaften in immer tieferer unb breiterer SluSbchnung wachfen unb ber menfdjlich* ©eift fich erweitern,* wie er will, über bie Roheit unb fittliche ©itltur be8 ©hriftentfjumS wirb er nie hiiwuSfommen.*

68 fann nicht befremben, baß gcrabe bie hnrfchenbe liberale ‘Partei fich in außergewöhnlicher ©eife für bie „allgemeine ©ilbung*

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€d)ulc uitb «ociatiemue.

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unb SBoIfeaufflärang" intereffirt, aber aud) bie ©ocialbemolratie er« liebt überall ben 9iuf nach einer „©ilbung für 8Ule." 9ii<ht mit Un« recht hat man biefeS franffjafte Symptom ber 3eit „©ilbungs» fd>n>inbel' genannt. 3m ©runbe nämlich ift ber fdjeinbar fort« fd>rittliihe SRuf nad) allgemeiner ©ilbung eine golge ber c^riftu«feinb« licken, naturaliftifdjen Sßkltanfdjauung. ift eine gemiffe ©er» götterung ber menfdilichcn ©ernunft unb eine ©er^immclung beS ©MffenS gegenüber bcm ©tauben, unb bie jaljlreichen Anhänger ber mobernen ©ilbung glauben eben barin ben rid)tigen ©turmbod gegen baS fefte Sollwert ber &ird)e gefunben ju haben.

3n ihrem ibealen 3ugc nad) SSBafjrtjeit, Stecht unb greifet fteljt bie £ird)e biefen ©Mtoerbefferern überall h'mbernb im ffiege unb fie mijfen recht lootjt , ba§ eine au0|d)lief?lid)e £>errfchaft im (Sinne ihrer ©artei=3n Neffen nidjt burthfütjrbar ift, fo lange noch baS 6^r iftenttjimt in ber ©efinnung unb bem Leben beS ©olfe« wurjclt. Unb barin jeigt fid) tnieber fo augenfällig bie oben be;eid)nete ©eifteöoerttanbt« fdjaft jroifdjen bem Liberalismus unb SocialiSmuS. ©eibe finben ausgefprochenermofjen in ber allgemeinen üDtenjchenbilbung bas ge» cignetcfte Sftittel, bie angebliche ©erbummung beS ©olfeS burch bie Sirdje ju he^cn unb bie tirchtiche £>errfd)aft über bie ©ei ft er ju brechen. Der ©ocialiömuS oerfolgt offenbar ganj anbere

3iefe, als ber Liberalismus, oertoanbt aber finb bcibe in bem leiben« fdjaftlichcn tpaffe gegen ben chriftlichen ©laubcn. Das Dämonifche ber mobernen ©ilbung liegt eben barin , bag fie bie feften ©anbe löft ober bod) lodert, toelche ben SDlenfchen an baS (Steige nnb Ueber» natürliche tnüpfen, unb benfelbeu feiner eigentlichen $>eimatt) entfrembet. ©on biefer ewigen öeftimmung beS SDlenfchen ift bort nirgettb bie SRebe; all fein ©innen unb brachten foll nur gerichtet fein auf bie Erfüllung irbifcher LebenSjroecfe unb fo fteljt oor bem umflorten ©liefe beS geplagten ffirbenpilgerS baS 9iäthfel biefe« furjen grbenbafeinS in ungelöfter £>ärte. Unb für baS oerlorene ©arabieS finblichen ©laubenS foll ihm (Srfafc bieten bie moberne ©ilbung mit ihren ftoljen (Sin« bifbungen unbtühnen $>hpothefen. SUlerbingS ift ihm ein Sliaturgott geblieben, aber ber hat lein ©fitleib mit bebrängten $erjen.

9luS ber fo graffirenben ©ilbungSfucht hat ftrfj bann weiter bie moberne ©djitlnMth entmidelt, inbem man bie ©djulc als haupt» fächliche ©ermittlerin ber ©ilbung ganj nad) biefem neuen ih'ecepte reformiren möchte. 3linächft wirb man nicht oergeffen bürfen, bafj bie Schule unb befonberS bie ©olfsfchule eine abgefchloffene ©ilbung

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3ofepb fi e ri q u e.

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nicht ju geben oermag. ©ir fpredjett ja audj nic^t oon gebilbeten Sinbern, nicht einmal im wahren (Sinne oon gebilbeten 3>iinflt*n9en» fonbern erft im beften Sinne be« ©orte« oon gebilbeten Ü)2ännern. ©enn man bei ber ©olföfchule non ©ilbung fpric^t, fo fann barunter oernünftigermeife bod) nur bie für ba« Stinb unerläßliche (Srjie^ung in ©erbinbung mit bem nolhroenbigen ©lementarunterricht nerftanben merben.

Aber felbft bi« in bie ©olf«fd)ule ift bie ©hrflfe oon ber all* gemeinen ©olfebilbung gebrungen, unb bod) fann für bie ©olfsfdjute faum etroa« oerberblicher fein, alö bie ©hrafe.

Der übertriebene ©ilbungaeifer unb bie Schulfucfjt ftnb fdjon beflfjalb (eine gefunben ßebenSäußeruttgen, weil baburd) bie tl)atfäd)(id)e Organifation ber menfcf}(ichen ®efelifd)aft, itjre nielgcftaltige ©lieberung in Stänbe unb ©erufSarten in $rage geftellt erfd)eint unb anberer* feit« bamit eine Allgemeinheit geiftiger ©otenjen beim ©olfe oorau«* gefefct roirb, bie bod) in ffiirflichfeit nicht oorhanben ift. ©a« foll benn eigentlich eine ©ilbung für Alle? (5« wäre hoch ber üftühe tuerth, einmal biefe« Schlagtnort auf feinen mähren ©erth ju prüfen, unb ba mürbe man fetjr batb hcrau«fiuben , ba§ eine folche allgemeine ©ilbung ju ben Utopien gehört.

Die Anforberung allgemeiner ©ilbung fann roeber mit ber ©e* fchaffenfjeit ber geiftigen 92atur, noch mit ber bisherigen Drbnung ber Societüt in ßinflang gebracht merben. Da« märe eine Art ©om* muniamu« geiftiger ©üter, nicht meniger oerberblicf), al« ber materielle ©ommuniemu«. Ohnt fann niemal« Aufgabe irgenb

einer Schule fein eine „©ilbung für Alle' ju vermitteln, ba ber äftenfeh, inbinibuell betrachtet, in eine folche geiftige Allgemeinheit nicht hineinpaßt, ©ine folche Allgemeinheit ift eine Abftraction, ber üflenfd) aber, mit bem bie Schule ju tf)un hat, ift feiner geiftigen ©er* faffung nach feineSmeg« febem anberen gleich, fonbern efiftirt al« ein beftimmt ausgeprägte« Onbioibuum, unb biefe ^nbioibualität mirb meiterhin bei febem Stube noch f?hr beeinflußt burch bie Nationalität, bic ÜebenSoerhältniffe unb ben Staub ber ©Item. ift bod) offen* bar miberfinnig, jeben SD2enfef)en benfelben ©ilbungSgang ober biefelbe Schule burchmachen ju taffen, ©a« an Unterrtjhtsftoff für ein 3*ben ohne Ausnahme jmecfbienlid) unb erreichbar ift, befdjränft fich tjöcf)- ften« auf bie für ba« bürgerliche lieben uotljroenbigen Äenntniffe im liefen, Schreiben unb Diedjnen.

Um nicht mißnerftanben ju merben, mollen mir gleich erflären, baß auch mir ber Meinung ftnb, müffe auch bem Armen unb

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25 Sdjult unb Socialibmu«. 167

fiebrigen unoerwehrt bleiben, pd) bie Ijödjfte ©ilbung unb bie bamit oerbunbene gefellfchaftliche Stellung ju erringen. Daju gehören aber ©orbebingungen unb gäljigfeiten be8 ^nbioibuunte, bie roieber nur ale 3lu6nahme, nicht ata Siegel gelten fönnen unb bei feljr ©enigen jutreffen, wie ja befanutlid) roafjre Jalente ober gar ©enie’a $u ben Seltenheiten gehören. Die Slnforberung aber, baß ber hochbegabte Sohn bce Slrbeitera SDfittel unb ©ege finbe, um [ich auf bie höthften Stufen emporjuljeben, ift benn boep himmelweit oerfchieben öon ber abftracten gorberung allgemeiner ©ilbung, wie man fie in ben be« zeichneten Streifen ale Sieget betrachtet wiffen will.

, iDiau beriief fichtigt babei gar nicht, baß eine folche ©ilbung laufenben fdpechterbinga nicht beijubringen wäre, unb baff eine noch größere Slnjaf)! 8eute, wenn fie biefelbe auch notfjbürftig ftch angceignet hätten, bamit in ihren 8eben8oerf)ältniffen gar nichts anjufangen wüßten. (Sine ©ilbung, welche nicht auf bie Anlagen unb gähigleiten bea üJienfchen, auf feine ßebeneumftänbe, feine ©irffamfeit unb feinen Stanb berechnet wirb, ift gewiß nicht baju angetan, jufrieben unb glücflich ju machen.

Die oerfchiebenen Stänbe unb ©erufsarten finb jum ©eftanbe ber menfchlichen ©efellfchaft, wie fie nun einmal ift, fchledperbinga nothwenbig, auf biefer Drbnung unb Unterorbnung beruht bie wahre (Sultur ; h^t man willfürlid) biefca ©erpältniß auf, fo ftetlt man auch ©efittung unb Siechteorbnung in grage. Sticht Sille fönnen iperren, ea muffen auch Diener, nicht Stile fönnen ©eiehrte, ea muffen auch Ungelehrte, nicht Sille fönnen ©ebilbete, ea müffen auch Un* gebitbete fein baa wirb wahr bleiben, folange noch ber ©taube an eine oeruünftige ©eltorbnung befteht. Sehr richtig bemerft in biefer $infid)t 8ufa8: „(S8 muß ungebilbete 8cute geben, weit ea unent- behrliche ©erufaarten in ber ©eit gibt, welche einen gebilbeten Sftenfdjen unglücflich machen würben." (Sa ift überhaupt ein ©apn, einen SDienfchen über feine Scbtnefphäre hinaue bilben ober beffer gefagt, oerbilben ju wollen.

Slu<h bie ©olfefchule gerät!) heute immer tiefer h‘nem m bie oben Steppen' ber ©ielwifferei. Schon bie einfache (Srmägung, 'baß baa ©teidjgemicht in ben ©eifteafräften burch unmäßige Sluaftattung ber 3ntelligenj geftört werben muß, follte ben ©äbagogen oor ein- feitiger Ueberfchäpung be8 Unterrichte warnen. Unb gerabe beim fiinbe in ber ©otfefepute, wo burch Sitter, 8eben8umftänbe unb fpäteren ©eruf für ba8 ©iffen unb können fo beftimmtc ©renjen

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3ofepf| fierique.

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gejogen finb, wirft biefe Störung be« geiftigen ©leichgewidjte« um fo nachtfjeiliger. 2Ba« bie $Bolf«f<hule neben bcn nothwenbigen Elementarfenntniffen an allgemeinem Unterridjtöftoff noch beibringt, foU fich bod) ben Sinbern für bie 3u^unft “16 nothwenbig ober nüfcfid) ermeifen. Dagegen l)at bie PolfBfchule nit^t bie Aufgabe, auf Soften eine« auöreidjenben Unterrichte« im Ccfen, Schreiben unb ^Rechnen nod) einen ffiuft oon gefdjichtlichen, natuvfanblid)en unb geographifchen Senntniffen bei$ubringen, mit benen ba« Sinb be« Arbeiter« ober ganbmanne« fpäter nicht« anjufangen weiß, jumal biefetben gewöhnlich nicpt reiht »erbaut hat. (Sine fotd)e Erweiterung bc« Unterrichteplane«, ber auf bie ©ebürfniffe be« 23olfe« weniger, al« auf bie Pelleitäten liberaler Päbagogif Dfücffidjt nimmt, füllt bereit« unter ben oerfehrten -öegriff allgemeiner 35olf«bilbung unb ift nicht« geringere«, at« ein fociale« Uebel.

Die Ü3ilbung«f ucht hat auch jene Legion höherer Schulen in Sanborten unb Stäbtdjen heroorgerufen, worin bie Sinber be« ©ürger« ftanbe« eine fogenannte höhere löilbung erhalten follen, wobei aber gewöhnlich nur jum leifeften älnfluge einer fotchen gebracht wirb. ift ftatiftifch nachgewiefen, bafj nur ein ganj Derjdjwinbenber 2)ru<h* theil ber Zöglinge genannter Schulen ihre Stubien fpäter an ©put* nafien unb Unioerfitäten fortfepen unb oollenben. So bienen Jene Schulen oielfach nur ba^u, jene ben SigenbUnfel förbernbe $alb» bilbung in bie 93olf«freifc ju tragen, wo fie erfahrung«gemä§ nicht« ©ute« ftiften fattn. ©ewig haben biefe Schulen, wo fie einem wirf« liehen IBebürfniffe ihre Entfiefjung oerbanfen, ihr ©ute«, aber ba« Uebcrmafj ift Dom Uebel unb bie wudjernbe §albbilbung unferer 3eit eine Kalamität.

ffiic gro§ mag bie 3°hf Derjenigen fein, welche in einer befdjei* benen tfebensftellung ihr 2lu«fommen unb ©enüge gefunben hätten, nun aber in ihre oerquiefte Sage fid) nicht ju fd)icfen wiffen, weil fie in bem Söahn befangen finb, oermöge ihrer oermeintlichen Silbung ju etwa« ©efferent berufen ju fein. 2Jtan flogt über ben ju* nehmenben Sociali«mu« unb fieljt nicht ein, bah gerabe bie über» triebene Schul» unb iöilbung«)'ud)t biefer dfidjtung bie oerbiffenften Anhänger juführt.

Denn bie grofjc 3ah* berjenigen Stubirten, welche feine geben«* ftellung finben, bie ihren unbilligen änfprücfjen genügt, jerfallen julefct mit ber ©efellfchaftSortmung unb fteüen fi<h in bie Stripen ber Umftutjmänner. Diefe Proletarier be« ©eifte« haben Diele

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Sdjutt unb ®odflli*mu«.

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Schuten befugt unb allerlei gelernt, aber manche« nicht recht Der* baut; ihr ©elbftgefüljl ift franfljaft gefteigert, fie hohen gewöhnlich wenig Suft ju anftrengenber Arbeit, befto mehr 8uft aber, eine 9ioüe in ber JBelt ju fpielen. Da Diele unter ihnen auch «n Religion uub Sitte ©d)iffbrucb gelitten, fo bleiben fie gewöhnlich aller befferen ©nfidjt unb Belehrung unzugänglich unb finb berart in ihre Der* lehrten 2lnfi<hten Derrannt, bag fie nicht fict> felbft, fonbern bie be* ftehenbe fociale Drbnung für ihr Derfehlte« Dafein nerantwortlich machen unb barum ihren Dollen $ag gegen biefe lo«laffen.

<5ö ift ja auch £h®tfache, bag bie meiften Rührer ber focial* bemolratifchen Bewegungen neuerer ^eit, wenigften« in Deutfdjlanb, bem ©tanbe ber ©ebilbeten ober ©tubirten augehörten. Uebcrhaupt erweift fuh ba« Proletariat be« ©eifte« um Diele« gefährlicher, al« ba« eigentliche Proletariat be« fogenannten Dierten ©tanbe®. „©chufter, bleib’ bei beinern Seiften" gilt ohne Zweifel auch rüdficbtlidj ber ©chulbilbung. Die gepriefene „Bilbung für 9UIe" würbe, confequent burchgefiihrt, jule^t bie ©taHbe«unterfd)iebe Derwifchen, ba« Bürger» thum nioelliren, bie Bauern Derberben unb bie eigentliche Kraft be« Bolfeö lahm legen.

3n einer fofdjen Jänforberung liegt fchon an fich etwa« 9ie* oolutionäre«, ba biefelbe bie altbewährten unb gefdjichtfich geworbenen 3nftitutionen ber ©oeietät ignorirt unb eine geiftige ©leichmachung erftrebt, bie fich mit einer organifcheu ©lieberung ber ©efellf^aft überhaupt nicht oerträgt. Sfflan fieht h*erau« wieber recht beutlich, wohin ber liberale gortfehritt führt, wenn er lebiglich feinen 3llufionen unb Utopien folgt, ohne bie notljmenbigen Bcbingungen irgenb ju beriicfftchtigen, an welche jeber ächte gortfdjritt in ben äugeren Seben«oerl)ältniffen gebunben ift. Die ©rfafprung h«t längft erwiefen, bag ba« echte Solf«tl)um fteigt ober fällt mit ber ©rhebung ober (Sr* fchlaffung ber fittlichen Elemente be« Botf«leben«. ©ne Säuterung unb Erhebung ber fittlichen Kräfte wirb aber junächft nicht burch Bilbung unb Unterricht, fonbern burd; bie rechte ©jiehung bewert« ftelligt werben tönnen.

(Sine ber traurigften folgen be« liberalen Bilbung«eifer« ift bie, bag man nicht blog in ben höhnen Schulen, fonbern auch in ber Bolföfchufe ba« Hauptgewicht auf bie Slnfüllung be« jugenblidjen ©eifte« mit allerlei Kenntniffen legt auf Koften ber eigentlichen ©eifte«» cultur, ber ®emüth«bilbung unb moralifchen Kräftigung be« PJillen«. Ueberall ift bie Siebe oon Bilbung unb Unterricht, Don (Srjiegung

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3of():t) Serique.

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»irb faum, jebenfall« erft an jrotiter ©teile gefprochen, gleich a(« wenn biefe Siebenfache wäre.

©eseidjnenb für biefe jKidjtung ift bie unoerhültnijimäjjige Heber* bürbung ber ©olfafdjule mit fogenannten Realien, beren höchft ober* pd)litf>c Aneignung bem fiinbe für fein fpätere« lieben burchfchnittlich nicht« mißt. 35er Unterricht ift unbeftritten ein mächtige« unentbeßr* ticheö £iilf«mitte( bei ber ßrjießung, aber er ift nicht bie (Srjießung fclbft. Unb barum follen in ber ©djulc Unterricht unb ©rjießung in rechtem ©erljitftniffe fteljen. Sine Ueberbürbung mit Unterrid)t«ftoff ift an ftd) für jebe ©chule ein Uebet, in ber ©olf«fd)ule ein eigentliche« £)inbcrnijj für bie gebeißlidje Slttßbilbung be« Äinbe«. SSitl bie ©olf«* fchule wie ba« ja ißr Slame befagt in richtiger SBeife ben ©olf«* iutereffen unb bamit ber ©ocietät bienen, fo mufj ba« crjichliche 9JJo* ment bie £>auptfa<he bleiben ; b. h. bie 2tu«bilbung be« ßfjarafter« jum fittlich ®uten, bie ®e»öljnung an 3Bahrl)aftig!eit, ©ittenreinheit, ®e< horfam, gleiß, DrbnungSliebe unb fo manche anberen Jugenben, bie ben SDienfchen erft ju einem recht brauchbaren ÜJiitglicbe ber ©efell» chaft machen.

ÜDamit oertrügt fich recht gut, bem Äinbc jene ^enntniffe unb gertigfeiten beiäubriiiQen , bie feinen ©erhültniffen, feiner fünftigen öebenßftellung unb ben oerünberten ^eitanforberungen entfprechenb finb. ©Me auch ber ßlementarunterricht in hohem ©rabe für bie ßrjieljung nußbar gemacht »erben fann, ba« weiß unb oerfteht jeber tüchtige ßeljrer. ©on ber rechten ©erföntichfcit be« 8eljrer« höngcti ja bie <ät- folge ber ©chule jum größten Steile ab. ©ie ift ba« lebenbige ©ilb, »eiche« fich bem lebhaften ©eifte be« fiinbe« tief einprägt unb baburch au fich fehon bilbenb »irft. Unb hier bewährt fich, baß ©ilbung unb ©ilb bem ©egriffe nach fügt oetbunben finb.

©lücflich ift jene« Äinb ju preifen, »eiche« eine ©chule burch* gemacht hot, wo Unterricht unb ßrjiehung einem wahrhaft chrifttichen ßehrer anoertraut waren. 3)ie »ohlthütigen ©Mrfungen folcher ©chul* jahre wirb ber 3®9^n9 *m fpüteren ßeben recht an fich gewahr »erben. 3eber aufmerffame ©eobachter, ber mit bem Solfe oerfeljrt hat, wirb erfahren haben, baß auch unter ben fchlidjten ßanb* beroohnern 2J?enfchen gibt, bie ju einer Klarheit be« Urtheil«, ju einer Iheitnahme für alle« ©ute unb ©chöne unb ju einer geftigfeit in ©efinnung unb (S^arafter gelangt finb, »eiche man oft bei ben ®e* bitbeten oergcblid) fucht. Unb both haben biefe Ceute feine anbere ©ilbung genoffen, a(« welche ihnen ba« fchlidjte elterliche §au« unb bie einfache

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@d)ut( unb ©ocialismu«.

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Dorffdiute gu bieten oermochten aber £>au« unb Schule mären tief innerlich oon (ftrifttic^em ©eifte burdjbrungen. ©ab Einer nicht bat, fann er auch nicht geben, unb barum bleibt fefjr fraglich, ob bie nach ber Schablone ber ntobernen Päbagogif herangcbifbetcn Sichrer fähig finb, auf bie 3ugenb fo einguroirfen, roie bie mähren 3n* tereffen ber gamilie, ber ©emeinbe unb be« Staate« erforbern. Dag bie ohne pofitioen ©tauben oorgebilbeten Hehrer in ber Schute meit eher bem Sociati«mtt« in bie £)änbe arbeiten, at« ihm entgegen mir* fen, braucht nach ben obigen Erörterungen über ba« S3erf)ältnig ber ffirche gur Schute unb Societät moht nicht erft nadjgemiefen gu roerben. 35er roiffcnfchafttiche 2lnftrich, ben man ber päbagogifdjen Sluebilbung ber fiehramt«göglingc gibt unb ber 2fnftug attgemeincr ©itbung bieten gcroig feinen Erfah für eine tüchtige religiö«*fittlid)e Durchbilbung.

Sctbfl profcffor ©luntfchli1) fpridjt fich energifch gegen bie überfpannten gorberungen an bie Hehrer mit fotgenben ©orten au« : „Die Hehrer merben auf ben Setninarien mit ffenntniffen belabcn, metche fie in ben S3otf«f<hulen nicht brauchen fönnett ober nicht brauchen füllten.. Daburdj mirb ein gelehrter Dünfcl in ihnen gereigt unb gugleicf) ber ungcftitlte Dürft nach h°hercm SGBiffcn, ba« nicht in bie Sßotf«f<hute gehört. Piete Lehrer merben ungufricben mit ihrer natur* gemäg nieberen unb befchräntten, roenu auch noch fo ehrbaren SBeruf«* thütigfeit unb barauf hingeroiefen, an ben Staat unb an bie ©emeinbe fteigenbe Slnfprüdje git machen. ift eine hochwichtige Erfahrung, bag in oerfdjiebcnen Staaten ein gro§er Ühtil ber neuaufgefchoffencn Schullehrer gegen bie Äirche unb gegen ben Staat feinblich gemirft unb eine reoolutionäre Stimmung in ben unteren Polf«fd)ulen oer= breitet hot."

©äfjrenb ber testen traurigen 3>ahre fonnte man bagegen bie ^Beobachtung madjen, baß manche Schullehrer al« Pioniere für bie Eultur be« oulgären HiberaltSntu« fich oerroenben liegen. Sein SBer= nünftiger mirb beftreiten, bag ber Hehrer, menn er al« politifcher Parteigänger öffentlich auftritt, für bie Schute oerloren ift. fann ja faum etroa« ©iberfprudjoollere« geben, al« bag ber Polf«* fchullehrer, feinem Ehrennamen gumiber, mit ber henrfchenben Partei ben mähren ^Jntereffen be« chriftlichen Polfe« entgegenarbeitet. Der Hehrer lägt fich h'cr&e* >n bef(agen«merther Selbftüberfcf)ä&ung auf ein ©ebiet oerlocfen, auf ba« er foroohl oermöge feiner Stellung

') StantSrc^t II. 6. 343.

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3ofeplj Sfriqiu.

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al« and) feinet ©ilbungßgrabe« burebau« uid>t bingeßört. Daß bamit ba« Slnfeßen be« Ceßrer« beim ©olfe, in welchem er bodj rec^t eigcnt* ließ rourjeln foll, nie^t befaßen fann unb feine SBirffamleit (abm ge* legt ober in« Schlimme oerfe^rt wirb, liegt auf ber $anb. Doppelt erfreulich ift baber bie £batfathc/ baß in aüeriiingfter ,geit bie preu* ßifcße UnterrichtSbebörbe biefe« wiberwärtige potitifche ^arteitreiben ber Schullehrer für ba« crflärt bat, wa« in ber Jßat ift* nämlich für ein fociale« Uebel. So roirb in woßloerftanbenem ^ntereffe aller Sr* jießungSfaftoren biefem büntelbaften ©ebabren balb ein ^iel gefeßt fein. Daß ber !a»bolifche ßeßrerftanb weit weniger ber ©erfucßung, eine politifche Dioüe ju fpielen, unterlegen, ift ein fpreihenber Seroei« für bie fittliche firaft unb Säicßtigfeit bc«felben.

gaffen roir ba« Srgebniß oorftebenber Srörterungen jufammen. Die Teilung ber focialen ÜDfißftänbe erforbert neben ber materiellen Slbßülfe oor allem bie Umfebr ju ben ©runbfäßcn bc« Sbrifantbum«. Der SgoiSmu« ber liberalen Slufflärung ßal bie focialen ©egenfäße bi« jur Unerträglicßfrit gefcßärft; bie chriftliihe Siebe mu§ bie ©efell* fcbaft roieber au« bem Stbgrunbe be« materialiftifchen SgoiSmu« berau«* beben. Daju bebarf ber religiöfen unb moralifchen Sinroirfung auf ben ©olfSgeift unb ba« ift an erfter Stelle bie Stufgabe ber Sircße.

Die Schule foll an biefer geiftigen Umgeftaltung mitarbeiten, fann ba« aber nur in ber innigften ©erbinbung mit ber Kirche, ge* hoben unb getragen oon ihrer fittigenbeu 2Jfadjt. Die moberne, im ©eifte be« ©beraliSmu« geleitete Schule ift fchon be«balb außer Stanbe, ben Sociali«mu« roirffam $u befämpfen, roeil fie bie Sircße oon brr Schute trennen unb an bie Stelle ber chriftlichen Schiebung bie ^umanitätSbilbung feßen will. Die moberne öitbung ift aber überhaupt recht baju angetan, bie Söfung ber focialen gragc gu erfchroeren.

Unerläßlich ift baßer, baß ber Staat ber flircße mit Sichtung unb Vertrauen entgegen fommt unb ißr bereitwillig jenen burcßgrei» fenben Sinfluß auf bie Schute jurücf giebt, ber ißr al« ber oon ©ott gefegten Seßrerin ber SSölfer gebührt.

3um Scßluffe fei noch ein Umftanb erwähnt, ber befonbere ©e* rüdfteßtigung oerbient, wofern überhaupt bie oben bejeießnete Sin* wirfung ber Schule auf ben ©olfSgeift nicht illuforifcß gemacht ober boeß feßr beßinbert werben foll. Jjn ber ©otfsfcßule fißen bie ffinber

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©djute unb Socialiermi«.

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be« SBotfe« unb nicht jum fleinften Jljeile bie Kinber ber Armen unb ©ebrängten. 9?un ift aber bie materielle Sage ber filtern biefer JSinber oft berart traurig, bafj bie förperlicpe unb geiftige SBerfaffung berfelben unfäglich barunter leibet. Die (schule mag noch fo eifrig i^re ©chulbigfeit tljun, bie Kinber bleiben einem nachhaltigen crjiffj* licken fiinfluffe faft unzugänglich. Der beftcpenbe ©cljulzroang, ber fie zwar pbpfifch äum ©chulbefudje anhält, fann bod> au biefer be« flagenSroertpen Di«pofition ber Äinber nickte änbern unb erfdjeint gerabe ^ier a(« £>ärte. SDlan muß fotcfje ©erhältniffe felbft mit an» geflaut haben, um ba« filenb in feinem ganzen Umfange ju be» greifen.

2Bir laffen gerne in biefer Angelegenheit einem urtheilbfähigen Augenzeugen *) ba« 2Bort. Da§ berfelbe im Uebrigen nicht auf un* ferer ©eite fttfjt , fann ja ber Söafjrijeit feiner ©chilberung feinen 6 in trag thun. Derfelbe feffreibt:

„3n armen ©egenben unb in bebrängten feiten, wenn ©ater unb üffutter unb Kinber feine Arbeit finben, menn bie ©löfje nicht bebeeft, bie 2ßof)nung nicht erwärmt, ber junger nicht geftiüt werben fann, o bann fteht jebe fintwicflung ftid, ber zarte Körper be« Kinbe« oermelft unb bie ©ecle oerborrt. Die Armuth, bie 9iotl) ertöbtet jeben ©ebanfen, jebc« ©treben, ba« über bie uächften phhfifthcn ©ebßrfuiffe ^enanögefjt. ©anj natürlich! ÜJ2an mu§ fatt fein, man mufj nicht frieren, man mu| feine Schmerzen haben, wenn man für ©Übung unb ich fefce ba« mit Dollem ©ebacht hinju für gute ©itten Sinn unb ©efüffl ^aben feil, fi« ift auch eine Phhfif$e Unmögtichfeit für filtern unb Kinber, hierauf gerichteten Anforberungen genügen ju tonnen."

„SBahrlidj, man fann ben gebanfenlofen ©ehwäfcern nicht oft genug fagen, wie grojj ber ÜJiuth, wie mächtig bie Siebe fein mug, wenn arme filtern ihre oieüeicht nur halbgefättigten, burd) ihre Slcibung gegen Kälte unb liegen nur nothbiirftig gefchüfcten Sinber regetmäfjig jnr ©chule fenben, unb biefe ben Anfprüchen be« Sehrer« genügen follen. 3n ber ©chule fühlt fief) ein h«ng* rige«, ein armfelig ober mangelhaft gcfleibete« Äinb fehr un» behaglich, ©oldje Kinber habe ich immer traurig unb ftet« ein» fam gefehn, wenn fie nicht fchon bi« ju jener Frechheit gelangt waren, bie Heine unb grofje S charafterifirt. ©ie haben

') (Sbuatb 6 a cf, Unfete Schulen im Slienfte gegen bte grtihtii. S. 8 ff.

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3o{epb Seriquc.

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feine 8uft jur ©diule. ©ie fönnen ifjre häuslichen Arbeiten nicht machen ; benn baheim ift fein 8icßt , oießeicht nid>t einmal ein Jifcf). 3m Sinter ift’« roofjl fo'falt, bo§ bie fteifen ginger bie geber nicht ju galten, ba« weiche, biinne ©latt int Suche nidjt untjufebfagen oermögen. Sie muffen alfo gegen biejenigen fdjüter jurücfbleiben, bie fd>öne« Sicht, einen geräumigen Jifch unb ein warme« ^tmntcr hQ&en- ®>n srojjer S^eit ber auf bie ©cfjute nermenbeten 3c*t fl<ht *n ärmlichen ©erhöltniffen nerforen. Die armen Sinber begreifen ba«, fie fitzen bitter, ba§ ihnen bie fröbficbfte Sernluft nieste hilft, ba§ fie trofc bem beften Siflen nicht fleijjig fein fönnen. ©ie nertieren ben 2Jiuth, jie geben bie Hoffnung auf, ben anberen gleich tljun ju fönnen. örft finb fie barob traurig unb unmirfd), bann merben fie gleichgültig gegen Jabel unb ©träfe unb cnblicb , weil ihnen Unrecht geschieht, trofeig. 3«h weiß nie^t, ob gegen biefe fdjlimmen $inbemiffe einer guten ©olf«bilbung mit einigem (irrfolg fdjon jefet ober halb angefftmpft merben fann. fiier ftarrt un« in erfchrecfenber 9?acft» heit bie mit 9fed)t gefürchtete fociate grage entgegen."

3n ber Jf)at ift ba« eine flaffenbe Sunbe am focialen Körper, roelche nur bie chriftliche 9läd)ftcnliebe ju heilen im ©tanbe fein rnirb. Ueberhaupt märe mit ber Söfung ber focialen grage ein guter än* fang gemacht, roenn alle Diejenigen, »eiche ®ott mit zeitlichen ©ütern gefegnet h«t, mitunter fetbft bie Sohnungen bc« Slenbe« betreten unb fid) mit eigenen Slugen überzeugen wollten, »eiche« 3flwmerleben ihre gleichberechtigten SKitbrüber ju führen genöthigt finb. ÜJlanche« fonft gut geartete $erj würbe burch folchen Slnblicf fidler au« feiner trägen ©leidjgültigfeit gegen frembe ßfoth aufgerüttelt merben unb ju merfthätiger $ülfe fich bewogen fühlen. Da« wirb aber fo lange ein fdjöner Sunfch bleiben, al« man nicht überaß in ben Reifen ber Sohlhabcnben ju ben cbriftlicßen ©runbfähen über ben Sefifc unb ©ebrauch irbifcher ©Liter ernft unb entfehieben jurüeffehrt.

Xrud Von Dlolil«» & ©oIMinniM. gfiauffurt o. 2R.

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gcr SoMtntatt;.

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I. (Sinleitung.

6in Ariifel ber „Bleuen ^Berliner SDiufüjeitung" Dom 27. 9)ioi 1880 über „Sobtentänje", beginnt mit folgenber Auleinanberfeijung :

„Aberglaube unb 58olf§p^antafie finb bie (Sltern ber lobtentänje, bie 2ßönd)e unb Pfaffen be§ 2fiittclalteT§ mit iljrem finftern religiöfeit Scbminbel hielten barauf, baß ba§ getretene unb getnebelte 3?olf ba§ ®ie§feit8 Deradjten unb feine beffere 3u*unf* 'n bem, ihnen burdh bie ffuttenleute bereiteten 3enfeit§ etfennen lernen füllte; ber 2ob, beffeix flnodjengeftalt eine barnal« 6ilbli<$ Diel Dermenbete unb ber allgemeinen Anfdhauung fefjr tertraute mar, füllte beliebt roetben" u. f. ro. SDiefe roenig roijfenfdhaftlithe, aber fe^r moblfeile Art unb 2Beife, bie ßntftehung ber j£obtentänje ju erflären, mir rootlen Don ber jeber (JonDenienj in§ ©efic^t f^lagenben ©pradie ganj ab= fe^en braute uns auf ben ©ebanfen, in ber folgenben Abljanblung, mel<he fich auf bie beften Duellen ftüfct, ben Serfutb ju machen, eine ©efchichte be§ iobteninnjeS bein gebilbeten ißubtifum in möglicher ffürje barjubieten.

“Job unb Sanj, rotrb oielleie^t mancher Sefer erftaunt fragen, meid)’ eine merfroürbige 3ufammenjteHung? 55er 35ob, ber ba§ gänjliche Aufhören ber organifdjen SBeroegung be§ BJtenfchen ^erbeifü^rt, unb ber % anj, ber biefe '-Bewegungen lunftDoH geftaltet ; ber 3!ob, ber überall, roofjin er lontmt, Trauer unb Seib mit fi<h bringt, unb ber 2anj, baS Ißrobuft bcS erregten, freubigen SebenS, roa§ hoben biefe beiben ®inge miteinanber gemein? Raffen wir bie urfprünglidje Sebeutung beS SEorteS in’S Auge, fo fönnen mir babei an einen 2anj ber lobten, b. i. ber Abgeftorbenen beulen. Son biefem fpridjt bereits Slirgil,

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176 JBitljffm Bäumfer. 2

ber bie Hbgefchiebenen T'ngen unb tanjen läßt,1) ebenfo ift Sibußbet ba§ in ben elpftfchen ©efilbcit gefungen unb getankt merbe,*) unb auch SlnaJrcon ermähnt ben SReigentanj ber ‘lobten.’) Sa5 ©ort lägt ft<b aber auch erllären als Sanj ber Sebenben auf ben ©rcibern ber lobten, wie er bei unfern ^cibnifd^en Vorfahren in Uebung mar unb an manchen Orten, namentlich in fRujjlanb am 10. Sage nach Ofiern ^eute noch aufgeführt mirb. Seibe Deutungen foßen nicht ben ©cgenjtanb unferer Sarfleflung bilben, fonbern Diel* mehr ber Sanj beS SobeS mit ben Sebenben, mie er un§ in ber SollSpoefie, bem Srama, ber ©alerei unb tpiafti! beS Mittel* alterS entgegentritt. £ier führt ber Sob ©enfdjen jeben 9llter§, ©tanbeS unb ©efdjlechieS tanjenb mit ftd) fort in einem fchauerlichen Üteigen. Sluffaßenb mirb eS bem Sefer fein, baß baS ©ort Sob, meines, als abfiracter Segriff gefügt, einen Vorgang bejeichnet, in bet genannten 3ufammenfehung als ^krfon gebacht ift. ©ir roerben baher junächft, fomeit für unfern fpecieflen 3roc(* nothmenbig ift, un§ betnnnt machen m Offen mit ber tperfonification be§ SobeS.

II. fterfonififation bcs Snbes.

tBcreite im 'Hlterthum perfonificirte man ben ^Begriff „Sob", inbem man ihn in bie klaffe ßanbelnber ©efeit erhob, ihm Attribute jutheilte, bie man fonft nur Ißerfonen beilegte, ©o Reifet es im mitten Seftamcnte (Jeremias 9, 21): „Ser Sob fteigt burd) unfere genfler, bringt in unfere Käufer, um ju tilgen bie Äinber bon ber ©tra&e hinrneg, bie Siinglingc bon ben ^plägcn." 3n ben Halmen mirb er als §irt einer £>erbe bezeichnet, ber bie ©enfehen mie Schafe jum ©rabe auSfonbert (tßf. 48, 15). 3m Briefe beS h- 9lpoflelS IßauIuS an bie SRömer (Gap. 5 unb 6) mirb er als ein ffönig bargefleflt, ber bon 2lbam bis ©ofeS geherrfdft hat, aber nicht roeiter htrrfchen fofl. „Unb fiel)," hf'Bi «3 ferner in ber Slpofalppfe, „ein fahles SRojs, unb ber ba faß auf bemfelben, fein ßtarne iji „ber Sob", unb bie Untermelt folgte ihm" ($ap. 6, 93erS 8). SBei ben Sichtern ift cS ber blaffe, bleiche, fahle Sob, ber auf fchmarjen fflügeln umherftreift,4) ber mit bem tfrufje an bie Jütten ber Firmen unb Surgen ber ffönige

*) Aencis 1. VI. Vers 644 : Pars pedibus plaudunt choreas, et carmina dicunt.

’) Lib. I. eleg. 3: Hic. choreae cantusque vigent.

*) Ode 4.

*) Horat. Sat. II, 1, 58.

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®et lobttntanj.

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anflopft.1) Sr führt ein ©chroert*) unb fletfdjt ffungerige 3ä^ne,3> er reifet einen gierigen Kochen auf,4) er Ijat blutige Kägel, mit benen er feine beftimmten Opfer jeidinet,5) feine ©eftalt iji grofe unb un« geljeuer, fo bafe er ein ganjeS ©<hla<htfelb überf chattet,6) mit ganjen ©täbten baponeilt. 7) S9ei SuripibeS erf^eint er als panbelnbe Sßerfon im fchmarjen ©emanbe, in ber fpanb ben ©taljl, mit bem er bcm ©terbenben ba§ £)aar abfcpneibet unb ihn fo ben unterirbifdhen ©öttern meipt.8)

Sinben mir bementfpredjenb ben ©ott be§ SobeS (^IjanatoS ober WorS) in ber ©ejlalt eines „gemaltig grofeen, ramtibärtigen WanneS mit finfterem unb roilbem SluSbrud unb mit jmei grofeen klügeln cm ben Schultern" abgebilbet, fo gibt bodtj im ©anjen bie bilbenbe Stunft ber 5tlten biel lieblichere 'Sarftellungen. ®ie roirft gleichfam einen berljüflenben ©djhier über ben lejjtcn 3uftflnb be§ Wenfdjen. Sin fd^Iafenber Änabe, ein ©eniuS mit umgeftürjter, auSgelöfchter gadef, eine WaSle, jum 3e*chen' bafe baS ©dhaufpiel beS SebenS auSgefpielt fei, ein Schmetterling, baS Stilb ber bem Seihe entflogenen ©eele, ba§ ftnb ©pmbole, meldje bie lefeten S)inge beS Wenfchen anbeuten. ®ie Wien betrachteten ben 2ob als unbermcib* liehen Uebergang au§ biefem Stehen in’S Slpfium, unb ber ©ebanfe baran üerbarb ihnen nidbt baS SSergrtügen beS KugenblideS. $>a fie bom Sichte be§ ShrißentljumS nodh nidht erleuchtet maren unb feine fefie Korm für ihr tpanbeln fannten, fo legten fie ihren Seibenfcfeaften faum einen 3^9^ an. Sie fanben ftch bielmehr in S?ejug auf bie meiften Cafter mit ihrem ©etniffen leicht ab unb hielten fid) fchon für tugenbhafte Wenfdhen, roettn man ihnen leinen Staub, Worb, feigen ©inn ober SaterlanbSberratfj borroerfen lonnte. $er 2öeg jum Slpftum mar alfo nach ber allgemeinen Ueberjeugung beS KlterthumS nicht fdhmal, fonbern feljr breit. Ku§ biefem ©runbe mürbe auch her ben Slegbptern ju ben ©riechen unb Körnern herübergelommene 93rau<h, bei fejltichen ©elagen ein ©telett aus £>olj ober ©ilber auf ben 2ifch ju bringen, nicht als ein Wahnjeidhen jur Wäfeigung, fonbern als eine Kufforberung jum ©enufe angefchen.9) ©o erjählt j. St.

’) Horat. Od. I, 4.

* 8) ®iefe ®itate aus ©encca, ©taliuS, Curiplbeä finb bet 3l6hanblung Sefjing’g: „Stöie bie *1(6« ben Job gebilbet hoben", entnommen unb bott S, 38 auth bit Belege )u finben.

9) Peignot, G. , Recherches liistoriques et littdraires sar les Dauses des morts etc. Paris. 1826. p. 24.

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2ßil(|flm Cäutitfer.

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SßetroniuS (t 67 n. ß^riftttS) boit einem ©afimatjl, welches ber ©chmelger Srimaldhion gab : JS3äf)renb bie ©elfte ben ffreuben ber Üafel fröljnten, trat ein ©Habe herein unb warf ein ftlberneS ©felett auf ben 5tifd). ®iefeS toar fo lünftlid) gearbeitet, baß bie S8e* megungen ber menfd)lichcn ©lieber in tüufcfienbcr Slehnlichfeit roieber« gab. SOBäbtenb nun ber ©Habe biefen Mechanismus in Skmegung fefcte unb bie Stnroefenben burdj bie berfdjiebenartigften Manipulationen beS ©felettS amüfirte, rief $rimal<hion auS: C, ein wie minjigeS ®ing ift bod) ber Menfcb! SBie gebrechlich ifl bod) baS Sebeu unb »nie fdjnell bergest es! ©o werben mir alle nad) unferm 2obe fein! tfreuen mir unS beS SebetiS, fo lange blüht ! l)

?luS bem Mitgctheilten barf ber Sefer nictjt etwa ben ©djlufe jiefjen, bie 9llten hätten ben Sob perfonificirt burdj ein ©felett. ®a» ift nicht ber fSfaß. ©ie moHten burd) eine foldfje gigur nicht fomoljl ben lob, als bielmehr einen Slobten repräfentiren. Ibbilbungen bon ©leletten begegnet man bielfad) auf alten ©belfteinen. 3m floren» tinifchen Mufeum fleht man auf einem 2ldhat ein ©felett bargefteflt, bem ein fifcenber Filter auf ber $oppelflöte etwas borbläft.*) 3n einem altrömifchen ©rab bei Guniä mürben im 3<*hre 1809 brei SaSreliefS entbedt, auf benen ©felette ober bielmehr Mumien benn bie flnochen finb mit ben untern MuSfeln unb ©ebnen bebetft bargejlellt finb, welche bie Haltung tanjenber fßerfonen na<haljmen.s) liegen fich nodh mehrere foldher fHbbilbungen anführen; inbeffen ift jebod) jur ©enüge bargethan worben, bajj bie ©felette ber eilten nicht ben 2ob, wohl ober Üobte repräfentiren foHien.4)

9tad)bem baS Sicht beS ©hrifientljumS bie äöelt erleuchtet hotte, unb ber Menfch über feine SBejiimtnung, über feine Pflichten gegen ©oft, ben Mitmenfd)en unb fid) felbft unterrichtet worben mar; als ihm bei treuer ©rfüHung ber Pflichten eine glüdlidhe, bei SBernach* läffigung berfelben eine quatboüe ©roigfeit in WuSfidjt gefteDt mürbe, ba nahm auch ber 5Eob ein berfdhiebeneS UuSfehen an; ben ©uten jeigte er ein freunblicheS, bagegen ben Söfen ein fdjred* lid)eS ©efidht- ben erfien 3{>tfn beS aufblühenben ©hrifien» thumS führten bie 9leubefehrien ein fo mufterljafteS, ^eiliges Ceben, bag

*1 Saytrae. Berl. 1862. p 86.

*) Gori, Museum Florent. tom. I. pl. 91. nr. 3.

*) ö oetf)e , ®er Jänjerin <8rab, Bb&anblunB, ®ej. SBcrfe 37. 5)b., ©. 203.

*) SSergleid^e bie oben angefülitfe %bf|anblung Cef fing ’S unb Berber 'S .^ntiquariidie 'Äufjä^e*. Stultg. 1880. S. 193 ff.

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$ev XoMeiitait}.

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fie bem 2ob getroft ins Auge flauen fonnten. Skit entfernt, benfelben als einen ©egenfianb be§ SdjredenS anjufefjen, betvad^teteu fie benfelben bielmehr als baS 3'e^ ihtfr Sßünfche. $!er Stob roar fo für fie bie 2t)üre jur emig feligen ^errlidjfeit, ganj borjüglich bann, roenn fte benfelben als üftärtprer für ©brifluS erlciben mufeten.

Auf beit ©rabflätten ber h- äffärtprer, in ben ffatafomben finben mir beSpalb gar feine Abbilbungen unb ißerfonificalionen beS SlobeS. Sieljr als biefen Ratten bie erflen ß^riften bie Auferftchung im Auge; unb baS Symbol berfelben ift ber !}M}öni|, jener fabelhafte Sogei ber Aegppter, ber nach ber Sage ficb felbft öerbrennt, uub Derjüngt aus feiner Afipe toieber herborgeljt. .ferner begegnen mir auf ben ©räbern ber erfteu ßOrrften jaljlreichen $>arfteOungen aus bent Alten uub Seuen 3;eftaniente: bem ©leichtiifs bont ^ochjeitSmahle, ber Aufermedung beS SajaruS, GljriftuS bem guten Ritten, ber baS erlöfte Sd)äflein auf feinen Schultern jur hintmlif<hen £>eimath trägt u. f. ro.

Sicht immer übte jebod) ber ©laube eine folche ©emalt über bie Slenfdfien aus, mie in ben erjten d)riftlid)en Sahrljunberten. ©S fanten auch anbere, fchlimmere 3'iten. Als nach bem Serfchminben ber alt* claffifchen ©ultur im ©hao§ ber Sölferroanberung baS gauftrecht unb bie rohe ©emalt h*nfchenb geroorben maren, bie Saien faum lefen unb fchreiben fonnten, bie SBiffenfchaft nur in ber SlöndjSjcHe einen 3ufluchtSort fanb, mar bie ffirche, roelche bamalS überhaupt alles geiftigc Sehen in fid) abforbirte, mit Aufroanb aller Stittel bafür ihätig, bie ©laubenSroahrheiten bem menig gebilbeten Solle jum Se* roujjtfein ju bringen uub auf ©runb berfelben ein fiitlicheS Sehen )u erzielen, ©in fehr mächtiger Jpebel, baS Solf bon ber Sahn beS SafterS abjuhalten unb ju einem tugenbhaften Sehen anjufpornen, mar ' . bie Sehre bon ben lebten Singen: Sob, ©ericht, Ipimmel, £)öHe. Samentlich lieferte bie unerbittliche Sotljmenbigfeit beS SobeS für alle Slenfdjen, bie Ungemifiheit ber Stunbe beSfelben unb ber banach fommenben ©migfeit einen bortrefflichen ^Jrebigtftoff. ©eiftliche Schau* fpiele, Silber unb Sfulpturen mufeten babei, mie mir ^örcn roerben, bie iprebiger untcrftütsen.

So gingen benn bie oerfchiebenen Sorftellungen bom Sobe aus ber ^fJtebigt in bie bidjienbe unb barftetlenbe ßunft beS SolfeS über. ,,©r erfcheint entroeber mit meiterer Ausführung eines biblifchen Silbe* als Adermann, ber ben ©arten beS SebettS jätet unb eine Slume nach ber anbern bricht; ber über baS Schlachtfelb fchreitet unb mit Slut büngt, mit Schmertern furcht unb mit Seichen fäet; ober,

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Silljclm ®äumf«r.

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mit mehr Selbpünbigleit ber SBetgleichung, als ein gewaltiger ffönig, ber burd) bie ßanbe fä^rt unb feine £>eerfdjaaren, eben bie ©terbenben, fammelt ; ber feinen geinben, ben Wenfdjen, ben flrieg anfünbigt, ber gewappnet auSjieht unb pe gefangen nimmt, ber pe in fein gapiid>e8 §auS ober als dichter bor feinen 9tichterPuhl labet" u. f. m.1)

Bis in bas 13. ^aWunbert läfst fiep bie ßegenbe bon ben brei Dobten unb ben brei ßebenben (Li trois More et li trois Vis) ber* folgen. Diefe alte Sage erjä^lt in berfcpiebenen Sariationen, bafe brei Berfonen, bie in einem SOJalbe jagten, aufgehalten mürben burd) brei ©efpenfier, welche ihnen in ©cftalt bon Sabaoern erfcfjierien um ihnen borjufteflen : »ffiaS ihr feib, bas waren mir; roaS mir pnb, baS werbet ihr !' Daran fnüpft fiep bie Wohnung, hei ber ©orge für ba§ 3rbifche bie ©eele nicht ju bergeffen. Die Vers sur la mort par Thibaut de Marly auS bem 12. 3ahrhunbert bariiren in bem ©runbgebanfen bon ber gewaltigen §errfcpaft beS DobeS, welker fein Wenfcp fiep ju entjiepen bermag. *) 3n Deutfcplanb hohen Wir aus bem Snbe beS 14. 3ahrhunbert§ ein tßrofawerf „Der Slcfermamt aus Söheim" betitelt, welches eine Disputation enthält jwifdjen bem Dobe unb einem SBittmer, bem er baS SEßeih gerauht. Italien ip es Dante, ber in feiner „©öttlidhen ftomöbie* ben Dob in allerlei phan* tapif<h*gigantifdhcn Figuren uns borführt, mähreitb Petrarca unter anberenDriumppen (triofoui) auch einen foldjeti beS DobeS bichtete, ber hier als müthenbeS 2Beib in fchmarjem ffleibe erfdjeint. 'HÜmälig mar ju biefen poetifdjen Silbern in prengent ©tile ber §umor fjinjugetreten. Wan braute ben Dob jufammen mit ben fjreuben beS geftgelag’S: mit Wufif unb Danj. „grcibant fpricpt Bon einem Danje, ju welchem ber Dob bie Wenfdjen fammelt, ©ehaPian B r a n t bon Sprüngen, bie berfelhe lehrt, bon bem SReigen beS DobeS unb bem Bortanje baran; ein ÜRieberlänber beS 14. 3ohrhunbert3 bon einem SReigen, an ben ÜWe impfen, um p<h hinüherjupngen in ein anbereS ßanb".3) Die grage, worin biefe metfmürbige Kombination ihren ©runb hohe, beantwortet 3- ©rimm folgenbermapen : »Der Dob

würbe als Bote gebacht. Boten ju fein ppegten im Hltettpum giebler unb ©pielleute ; eS lag alfo nahe, ben Dob mit feinem ©epnbe einen

’) ffiüh- 28adernaflel, kleinere ®d|rifttn. ütipjig 1872. ®b. I. ©. 307, no auib bie OueQencitale heben.

*) Langlois, E. H. , Essai historique, philosophique et pittoresque sur les danses des morts. Rouen 1851. tom. I, 88, 72, 160, 278 n. 281.

SBa d ernagel, a. a. D. ©. 813.

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®er Sobtentunj.

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Steigen aufführen }u laffen".1) liefet Steigen ejipirte benn auch mir!* lid) nicht nur in bet Sßoefie, fonbern auch als Iird)li(h*bramatifche3 Solls* fpiel. 3)i e Söedjfetgefprädje, melche hierbei jiuifc^en bem Sobe unb ben einzelnen 9Jtenf<^en aller Stänbe geführt mürben, pnb mit ben Silbern, bie fpäter baju gemalt mürben, uns erhalten geblieben.*)

III. 2>tt Sobtentan} alb $rama.

2öir haben bereits oben barauf bingemtefen, bap baS geiftliche Scpaufpiel oon ber £ir<f)e eingerichtet unb gepflegt mürbe, um ba§ Soll ju belehren unb }u erbauen. So lange biefe Spiele, roeldje p<h ntfptünglich prenge an bie Siturgie anphloffen, ber tirdpidKn Auffafung genügten, fanben fie unter Setheiligung ber ©eiplichleit in ber ftirdje felbft Patt; fobalb aber bet lircplicbe ©^arolter mehr unb mehr in ben #intergrunb trat unb ber Sermeltlichung ^Map machte, mürbe ben ©eiplichen bie fDtitroirlung unterfagt unb ber Scpauplah außerhalb ber ßirdje berlegt. 3n manchen biefer Auf* führungen trat ber lob als Acteur auf, fo }. S. in bem franjöpphen Stürfe »Les blasphemateurs du nom de Dien«, in bem gaff* nachtSfpiele „grau ®utta" bon fy. IR of enblilt.*) 5n ben ^lafponS* fpielen bitbet er bis ins 16. Sahrhunbert, ja bis auf ben heutigen Sag bielfach eine pepenbe Sigur. 4) Sanebeu gab eS mieber anbere Aufführungen, in benen ©efang unb San} eine bebeutenbe Stolle fpielten, mie mir aus ben Serorbnungen ber Sifcpöfe unb ©oncilien gegen biefe aus bem $eibenthum übertommene Sitte fchliepen fönnen. *)

AuS ber oben citirten Semerfung ©ritnm’S erttärt eS pdj Ieicpt, bap man ben perfoniprirten Sob mit bem San} }u[ammenbra<hte unb ben Sobtentan} in bie 3apl ber lird)lichen SollSfdjaufpiele aufnahm. Ser

') 3at. ® r im m , ©eutfcfje Wptfjologie. 2. Sufi. 1844. S. 807.

*) Sgl. Stahmann, Siteratur ber Sobtentdnje. 1840. Sipe 5 er, lobte»' tanjfprüdte in bet ,®ermaniu* Bon Pfeifer. SBien 1867. ®. 284 ff.

’) fRaumann, 0f., ©er lob in allen feinen Schiebungen u.f. w. ©reSben 1844. 6. 89.

*) Stone, g. 3-, ®($aujpiele beS StittclulterS. Karlsruhe 1846. II., 419, feiner Solt8f$aufpieIe, in Supern unb Oefterrei<b*lliigarn gefummelt Bon S. Qartmann, mit SMobien Bon Sbete. Seipjig Sreittopf & $drtel. 1880. 6. 401 unb 537.

*) Statuta s. , Bonifacii a. 745 in Schannat et Hartzheim, Coucilia Germaniae I, 74; Synodus Ultrajectina a. 1293, IV, 17; Synod. dioec. Herbipoleuais 1298, IV, 75; conc. Eistettenee 1446, V. 381 unb unbcre.

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Silfjetm Säumtet.

8

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lob, ein Sote ©otteS, mußte SDtenfdjen jeben 9tlter§, ©tanbeS unb ©e* )d)kd)tc* cinloben, an feinem 'Jteigen fid) ju beteiligen. Slnfang« be« ftanb baS Donjen be§ DobeS mit feinen ©rforenen in einem einfachen ©inberjebreiteu, wie bei unfetev '-ßolonaife, unb batte einen feierlidj entften ©^aralter, fpäter^iit nabm ber Dob jebod) eine mebt fpringenbe Haltung an.

©ine folcbe Sluffüljrung fanb in ber flirre ober auf bem ftirb* bofe bor bem fog. Seinfjaufe ftatt unb batte folgenben ©erlauf.

Scbor ber Danj begann, pielt ein fDtön<b eine 6inleitung«eebe über bie Sebeutung be§ DobtentanjeS, ber bie ©ergängli<§feit alles ^rbifdjen barftetlen foöe. ©obantt fpredjen jroei, als „Dob" berfieibete 9Jtcnfd)en, bie bom 33ein^nnfe auSgeljen unb mit Drommel unb pfeife jum Dattj auffpielen:

$ier tid)t’ (Sott nndj bem Ächten,

Sie i&erren liefen bei ben Änfdjten.

9iun mertet hierbei,

S5er fterr ober Sbiedjt gewejen fei.

ober:

§ier liegen aljo unfere ©ebein’,

3u un§ ber tanjet grofj unb Hein !

Sie if)t jefft feib, bie waren wir,

Sie wir jetgt finb, bie werbet i§r!

©obann tritt ein al« „Dob" ©erfleibeter ju ben tßerfonen au§ ben berfcbiebenjten ©tänben, bom Zapfte angefangen bi« jum Settier berau, immer ©inen junt Donjen einlabenb. Der Slngerebete mad)t, jeber in feiner Slrt, feine ©inroenbungen, bellagt fein ©dpdfal unb fügt ficb fd)lie|(id) ins Unberineiblidje. Damit ber Sefer fid) eine Sorftcflung bon ber ©adje mailen fann, tbeiten mir im golgenben einige biefer 2Bcd)feIreben in möglid)ft getreuer Ueberfe&ung mit:

1. Der lob jum ^ßapftc :

§err 'Papft, mertet auf ber pfeifen Ion,

31)t i°0t batnad) jpringen fdjön ; •< . ■>

@3 tjilft bafUr tein Sispenfir’n,

Ser lob wiQ o urfj ben San} tjofir’n.

Slntroort bei fßapfteS:

3d würbe ein b'it’ger Pater genannt,

Sieweit id) lebte an guvdjt befannt;

91un werb’ id) gefü^rct freoentlid)

3um lobe, id) Webt' mid) üppigtid).

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Der lobtentauj.

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2. Der Dob gunt .Raifer:

(len ftaifer, eud) hilft nicht 6a» ©cbwert,

Zepter unb fircne finb f)itt unwert,

3<b bab' euch an bie (>anb genommen,

3bt mtiffet an meinen Seinen fommen!

Sntroort be» ßaifer».

3<b tonnte bag Seid; in bob*" Sbten 5DJit Streiten unb {Jetten Wohl Bermebren;

Sun b®t ber Dob übertnunben mich,

$a| itb bin webet ftaifer noch Dienftben flf(e)i<^.

3. Der Dob unb bie STnifcrin. 4. Der Dob unb ber Äönig. 5. Der Dob unb ber Garbinal :

©bringet auf mit eurem roten §ut,

§err Garbinal, ber Ion} ift gut.

3br babt gefegnet wobl bie Siaien,

3br mü|t mit an beg Dobeg Sci(b)en.

Snttoort be» 6arbinal§:

3<b war mit päpftlicber ißiabl Der heiligen ftitebe Garbinal.

Sun bin ich baju gezwungen gar,

$a| ieb tanje an beg Stobeg ©rbar.

6. Der Dob unb ber 5ßaitiard&. 7. Der Dob unb ber 6r$= bifdjof. 8. Der Dob junt £>erjoge:

(gäbet ibr mit grauen hoch gefprungen,

©toljer (erjog, ober wol gelungen,

Dag mUffet ibr an bem Seigen bitgen,

SBoI ber ! lagt cu<b bie Soten grillen.

Sniroort be» Spcrjog»:

3<b hob’ bie ebelen (girren wert

Stlg ein (lerjog regieret mit bem Schwert;

Sun werb’ icb in reifer ft leibet ®Ianj ©cjwungen ju beb £obe» San}.

4

9. Der Dob unb ber föifdjof. 10. Der Dob unb ber ©raf.

11. Der Dob unb ber Sbt. 12. Der Dob unb ber Sitter. 13. Der Dob gum 3uri(ien:

Dag Urteil ift alfo gegeben,

Da| i|r langer nicht joQt leben ; yerr 3unft, bag tput beg $obe» ftraft,

SUget ihr fo bewahren eure SReifterfcbaft.

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Silbelm Sfiumter.

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9lntroort be§ Surften:

Rein Slppetliren ju biefer Seit §ilft »or beS tobeS ^atttm Streit;

Sr überroinb’t mit feinem <8e|$led)t CaS geifUid)’ unb baS weltlich’ Steift.

14. “Der Dob unb ber Gljorberr. 15. Der Dob jurn Srjte:

§err 9lr jt, gebet euch felber 9iat 2Jlit eurer meifterlic^en tfcat;

3<b filmte euch ju beS tobeS ©ejeCen,

Cie mit euch bin tanjen wollen.

fäntroort bc4 SlrjteS:

3<b bob' mit meinem JBafferfcbauen ©efunb gemaibet 3Rann unb grauen.

SDer will nun machen miib gefunb,

3<b bin boeb jum lobe oermunb’t?

16. Der Dob jum ßbefmann :

Romrnet ber, ibr ebler Cegen,

3br miiffet ber Stärle Pflegen 3Jiit bem lobe, ber niemanb j<bont Unb euch mit folgern Schimpfe lohnt.

Antwort be§ SbelmannS :

3<b bQbe manchen äHann erfdjtedt,

Cer wobt mit §arnifcb war bebedt;

5hm erfebredt mich b>er ber tob Unb bringt mich in gar gro|e Jiot.

17. Der.Dob unb bie ßbelfrau. 18. Der Dob jum Äaufmann:

§etr Raufmann, wa§ hilft euer ©erben?

Cie Seit ift ba, ihr miiffet fierben.

Cer tob nimmt Weber fDiiete noch ®abe, tanjet ihm nach, er will euch hoben!

Tlntroort be§ ffoufmonnS:

3<b halt' mich ju leben oerforget mol;

Rifien unb Raffen waren ooH;

91un bat ber tob meine ©ab’ midjmäbt f“ Unb mich um 8eib unb @ut gebracht.

19. Der Dob unb bie ßlofierfrau. 20. ©er Dob unb ber ©eitler. 21. Der Dob unb ber &od). 22. Der Dob jum ©auem: Sfluetlein, mit beinen Schuhen grob,

Romm’ b‘r! bu muht erwerben ßob';

‘fln biefem tanj babinien,

Ca wiO ber tob bicb finben.

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11 $rr Xobtentauj. 185

9lntmort beS Spuer? : b°b' getobt »ifl Urteil grog,

®cr 6$rotifj mir butih Sie §out flog,

92o$ wollt’ idj gern betn lob entfliegen :

Sooft tob’ i<$ Dom ©lüde nichts hier.

23. $er lob jum ffinbe:

ftrcudj’ ter, bu mugt gier tanjeit lent(en),

3Bein' ober Ia<h’, ich f>6r’ bieg gern.

Qfttieft bu bie Jute in bem ÜJiunb,

tülfe bir nichts ju biefer Stunb.

9lntroort beS ff inbeS :

D »et, liebe SRutter m(e)in,

Sin jehttarjer 9J!ann jieljt mid) bnf|in.

SBie miflft bu mich alfo berla(jfe)n,

5Jiufe ich tanjen unb fann bod) nicht gehen (gan).

24. $er 5£ob unb bie 9Jlutter. ‘)

$en ©tlufi ber Aufführung bilbete roieberum eine $rebigt mit ber Aufforberung jur Sujje unb Sefefjrung. 2>ie urfprünglite 3a&l ber bei biefen ©pielen beteiligten ^erfonen betrug 24 ; itn Saufe ber 3eit toutbe biefelbe jebot ßermehrt, eine ©rfteinung, bie aut bei ben Abbilbungen fit gettenb matt.

SZBann folcE>e bramatifte $arflellungen in Seutftlanb juerft ftattgefunben haben, toiffen mir nitt ; eS fann jebot feinem 3roe*fet unterliegen, bafs fie früher ba mären, als bie Silber. $ie oben mit» geteilten 3w*e9ffPräte < roelte aut unter bie Abbilbungen gefegt mürben, roeifen bot trtm gangen 3nljalte nat auf eine §anblung hin. Aut ber Umfianb, bag berftiebene Üobtentanj b i l b e r im ijpintergrunbe einen ffirthof, ein SeinljauS, eine ffanjel aufmeifen, bietet einen fejten AnljaltSpunlt ju ber Annahme, bafe ben Abbilbungen bramatifte 2)arfletlungen auf ffirthöfen als Sorrourf gebient haben.

©enau baSfelbe behauptet 91. b. ©taef in Segug auf eine ®ittung ber alten fpaniften Siteratur : Dauza general de la muerte, en qne entrados los estadoa de geutes. „9)1 an fönnte groar muth* maßen," meinte biefer ©eiehrte, „biefelbe fei, roie mant* fpätere ®e* hanblungen beSfelben ©egenftanbeS, bie Seftreibung ober ©rflärung . eines ©emälbeS gemejen; hiergegen aber finbet ber ©inroanb ftatt, bafs man bisher feine fRatritt 0011 brr Ssificnj eines folten ffunfl*

') $ie Urteile bei Vtagmann, ff. 3-. X>ie ©ofeltr XobtcnUnje. 1847. Stilagtn.

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löli SBilfjelin Säumtet'- 12

merfeS in Spanien gefunben f)ot, bann, bog baS ©ebid)t bur<hau§ feinen fpecielleu Sejug auf ein fol<he§ enthält. SBeit natürlid^er er* flärt fiep ber 2>nf)alt bei ber Slnnahme, ba§ Stücf fei für einen t>er mimifcheu Jffirdjenaufäüße gefchrieben, roeldje unflreitig bie erfte 3bee ju ben bilblicf)en Darftcllungen beS DobtentanjeS gaben. SSon ben fonff befaiinten Dichtungen Derroatibten 3n^alt§ unterfcheibet fit!) biefe, infofern fie bie pfjantaftifche Wuffajfungsmeife ber £»infälligfeit be§ meuj^li^en SebenS nic^t in berb fjumoriftifc^en 3ügen, fonbern burch= geljenbS im ernften unb feieriirf)cn Kirchenftile au»fprid)i. Dem ©anjen gebt ein furjer Prolog in ißrofa Dorauf, toeld&cr ben ^nbalt be§ tffolgenben für} barfegt. 'Sann läßt ber Dob einen mabnenben 9iuf an alle Sterblichen ergeben, roorauf ein Sjirebigcr ju tugenbbaftem SebenSroanbel aufforbert; mieberum labet bann ber Dob alle @rb* geborenen }um iinoermeiblid)en Danje ein unb beginnt biefen fogleicb mit jtoei Jungfrauen ; bann wirb ber Steigen mit allen Stünben nach ihrer Wangorbnung oom ijkpfie bis jum SlcferSmaitn fortgefeßt, inbem ber Dob in ber einen Strophe immer ben, melden bie Steifje trifft, jiim Dan}e einlabet, in ber nächften aber ber Wufgerufene fein Sd^icffal beflagt. 9lin Sdhluffe fpred)en bie Sterblidjen ihre Ergebung mtb ihre frommen ©ntfchlüjfe auS."1) ‘Saß übrigens begleichen Darfteüungen in Spanien üblich toaren, beftätigt Ger Dantes in feinem »Don Quijote".

Jm liierten Kapitel beS 7. SucheS er}äplt er unS fjofgenbe^ : Don Quijote mürbe bon einem Sagen aufgehalten, ber quer über ben Seg fuhr. Doll ber mannigfaltigften unb mcrfraürbigften Serfonen unb giguren, bie man fich nur benfen fann. Der TOaulthiertreiber unb fjiihrmann mar ein fchenfjlirfjer Deufel. 9luf bem Sagen, ber gati} offen unb ohne alle Sebecfung mar, befaiib fuf) junä<hft bie ftigur beS DobeS mit einem mcnf<hli<hen Wniliße, neben ihm ein Gngel mit großen unb bunten klügeln ; auf ber einen Seite faß ein Kaifer mit einer Don ©olb fd)immernben Krone auf bem Raupte, unb auf ber anberen befanb fid) bet ©ott Gupibo, ohne Sinbe um bie 9lugen, aber mit Sogen, Köcher unb Pfeilen. Such ein Witter mar jugegen, Doflfiänbig gerüfiet ; nur trug er feinen ijpelm, fonbern einen * £>ut doH fjebern Don oerf<hiebenet garbe. 3“ biefen famen no<h anbere ißerfonen Don mancherlei Dra<ht unb Wnfehen. Diefer fo plöfcfiche Wnblicf bepürjte ben Don Quijote unb erfüllte baS £>er} beS

’) ©<t)a(t, %. fj. »on, ®e|d)id)te »er bramatifdben Literatur uit» ffunit in Spanien. 1854. ®6. I. ©. 124.

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$ct Xobtentanj.

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Sambo mit gru^t ; aber Don Quijote faßte halb SJtutb in bem ©tauben, baß ibm ^ier ein neues, furchtbares Abenteuer beborfteße. SHit biefem ©ebanfen {teilte er fid) üor beit SBagen unb rief mit lauter unb brotjenber Stimme : Sutjrmann, ffutfeber ober Deufel, ober maS bu fein magft, fagc mir augenblidlicb, mer bu bift, mobin bu gebft, unb mer bie Beute finb, bie bu bei bir auf bem SBagen ba, ber mehr ber Starte beS Gbanm «13 einem gemöbnlicben f5u^r= roerfe ähnlich fiebt.

hierauf antmortete ber Deufel, iithern er ben SBagen anbiett, ganj rubig : Sfiein £)err, mir finb Scbaufpieler bon ber ©efeKfcbaft Slnguto’S beS Söfeit. SBir haben bort im Dorfe, baS hinter jenem tilget liegt, am heutigen Dage, als am Cctabtage beS ffrohnleicbnam* fefteS, baS Stuto Don ber Hofhaltung beS DobeS auf* geführt. Stun moflen mir beute SIbenb in jenem Dorfe baSfetbe fpielen, unb meit biefeS fo nabe liegt, unb mir uns ni<bt bie Sltühe geben rootlten, un§ auSjufleiben unb bann mieber anjujieben, fahren mir in benfelben ßleibern bin, bie mir bei ber Sßorftellung gebrauten. Der junge SJtenfdj ba ift ber Dob, ber ba ber ©ngel, jene 3?rau, bie ©emahtin beS DirectorS, ift bie Königin, ber anbere bort ein ©olbat, jener ber Äaifer, itb ber Deufel u. f. ro.

Sludb in §ran!reicb mar ba» Drama beS DobtentanjeS übliib- 3Jtan nannte eS bort Danse macabre. Um baS SBort macabre ju erflären, bat man alle möglichen SI6teitungen oerfuebt. Die ©inen führen ben Urfpruug beS SBorteS jurüd auf einen beutf<ben Dieter Sftacaber, ber aber ganj unbefannt ift ; Stnbere auf einen probemjalifcben Dieter aus bem 14. 3abrf)unbert: 'DtacabruS mit Stamen. SJon biefem finb aber Dobtentanjgebicbte nid)t nacbmeiSbar. 30t. Dan spraet leitet baS SBort üon bem arabifeben magbarah, macbourah ober magabir = ©otteSarfer her unb meint , baS SBort fei bur<b bie Sltauren über Spanien nach 8?ran!reicb gefommen.1) SBir hotten baS SBort für eine franjöfifcbe Ueberfeßung beS lateinifeben Chorea Machabaeorum = Danse macabre. DiefeS he'ßt : Steigen ber ODtacbabäer unb bejiebt ficb aßet 3Babrf<beinticbfeit nach auf baS SJtartbrium ber ficben maebabäifeben Sfrüber unb ihrer Sltutter. Diefe lehrreiche unb ergreifenbe ©iftorie bot jebenfaÜS fdjon in benfrübejten diriftlicben 3eücn baS Sltaterial ju einem fircblicben S<baufpiel, um bem SSolfe ben „Dob ber ©ererbten" Dor Singen §u führen. Hierboit

*) ßanglotS, a. a. O. I, 90—115.

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©ilhtim ©äumfer.

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übertrug fi<h ber Aame auf alte ähnlichen $arflellungen, in benen ber $ob eine Hauptrolle fpielte, alfo namentlich auf bie Stobtentänje. $ramatif<he Aufführungen fanben ftatt §u S9efan9on i. 3- 1424, rote baS ^agebud) 6arlS VII. berichtet; ferner 1453 $u ijkriS, 1449 ju Srügge Bor Herjog bem ©Uten.1)

3n Italien hatte eine anbere Auffaffung Bon ber alles über- roältigenben „Wacht be§ 2obeS" bur<h 2)ante unb Sßetrarca in ber Siteratur fnh auSgebilbet. ®em entfpredfenb gefalteten fiep auch bie bramatifchen SDarjMungen. 93on einer folgen, bie im 3ahrf 1559 burch (JJiero bi (Sofimo in’8 Wer! gefegt rourbe, beftßen mir nähere Aachrichten. An einem Abenb ber GarneDalStage erblidten bie ©inrooljner Don fjrlorenj einen großen, fchroarjen Wagen mit roeißen ffreujen unb $obten!nochen bemalt, gezogen Bon Stieren. Am äußerfien @nbe ber $)eicf)fel faß ein (Saget mit ben Abjcidjen beS $obeS unb blieS auf einer tßofaune fchauerlidje Weifen, gteichfam um bie iobten au§ ihren ©räbern ju citiren. Auf ber Spiße be§ Wagens ftanb bie riefenhafte fjfigur beS lobeS mit ber Senfe in ber Jpanb, umgeben Don ©ärgen, aus benen ffnochen htröorragten. 3”1 UmfreiS beS Wagens fap man jugebeefte ©rüber, roetche jebeSmat, fobalb ber 3“9 inne hielt, unb ber bumpfe Son ber fßofaune erfüllte, fich öffneten. Wänner in fchtoarjen Kleibern, auf benen 2obtenfno<hen unb Schöbet abgebitbet roaren, fliegen heraus, feßten [ich auf ben SRanb ber ©räber unb fangen Dolor, pianto e penitenzia.

Schmerj unb Jammer, 9ieu’ unb SBufje peinigen unb immerbar;

$iefe tobte 93rüberft^aar 3iebt umher unb fdjreiet Söuße.

SBaren uormalS eures ©leichen,

Unb ihr werbet fein wie wir !

lobt nun finb wir feht bie 3ei<hen

Slfo werbet einfi auch ihr!

Sbet ift’S ju ©nbe hier,

§ilft lein Sleß’n, frommt feine ®uße.

2Bir auch jogen einft unb fangen Unf’re Sieb’ im ßarnebat,

Sch! unb häuften wahnbefangen ©linben XaumelS Dual auf Cual;

3ieh'n nun burch bie SBett jutnal,

3ieh’n unb rufen: Süße, ©ufte.

*) ®af. 119—123 unb 192.

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Der Jobtentauj.

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Slinbe Jboten! eitle SBrüber,

HQeS taufet btt Seiten 'Kiadjt!

Utleä gefet unb fefett niefet toiebet, fcofeett, Sfufein unb Gf)t' unb *lka<fet.

83i§ jiilefct beS ©tafeeb 9!ad)t SefeauerBotl unb mafent jur üufee.

$ieie Sitfeet, bit mit tragen,

Sefct bit gonje ©dt in Seife.

§8rt'S, Sebenb'gt ! fe5rt’§ mit Sfefleu- Strm' unb Dieidje, tuet ifer feib;

' Sfeet £immet§fetigfeit, lerntet, »et gefät mit tBufce.

3 ft Sefeen feodj nur Sterben ; ffienn bet 2eib in Staub jerfäHt,

3ft baS Sefeen ju erwerben, lifo feat’S ber §err befteBt.

Slflc müßt ifer ban ber ©eit;

$rum ifer Sttnbtr, Süße, ®uße !

®rofeen 3ammer, grobe Stfemerjen, ginbet, wer beS ®anf« entbefert.

Kur »er Siebe feegt im fcerjen,

3fi in unferm ®unb geehrt.

§abt einanber liefe unb »ertfe,

Sfe’ ber Sag erjtfeeint ber SSufje ! ')

SBor unb hinter brm SGBagen gingen SJlänner fdftoarj unb toeiß gelleibet, toelcße sJDia3fen bon lobtenlöpfen uttb Radeln in ben Jpänben trugen, um ben ganjen 3U9 in einem magifdjen Sidftc erf$einen $u laffen. liefen folgten gaßnenträger mit ben 3nftgnien be§ 3iobe§, fobonn eine Slnjaljl bon ißerfonen, als Üobte oerlleibet, auf ab= gemagerten ißferben. 3eber biefer SReiter ßatte bier mit Seid&entüdjern befleibete Wiener um fid), tueldje Radeln trugen unb große fd)n>arje galjnen mit tueiß gemalten ffreujen unb Sobtentöpfen. Söäfjrenb be3 UmjugeS fang bie ganje ©efedfe^aft mit jitternber Stimme baS Miserere.

„Sin belebter TOannigfaltigleit, an ßinljeit unb $unft," bemerlt feljr richtig SBadernagel, „übertraf biefer floreniinifdje graflnadjtä- jug ben Üanj ber lobten in $eutfd)lanb ebenfofeffr, toie ber f£ob ju fßifa bie Silber in 33a jel, Sübed u. f. tu. übertrifft." *)

’) ®eutjcfe oon ft. gferfler, feem Uefeerfejjer fee« iaffo. in Wau mann a. a. D. S. 89.

*) ©aifernagel a. a. D. S. 339.

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© i 1 1) e I m © ä u in f t r.

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Dramatifdjc Aufführungen bcS lobtentanjeS refp. bom Iriumplj be5 lobe§ Ija&en fid> übrigens bis in bie neuere 3fi* hinein erhalten, fo j. S9. ba§ Seumarlter ißaffionSfpitl, beffen SBorfpiel eine larflellung bom Iriumpf) be§ lobe§ enthält. Der Inhalt ift folgenber : ©ott ber ffiater erfdjafft bep Abam unb fii^rt ihn in’S ißarabieS ein. 9ia<h ber Auf* forberung ©otteS jlimmen bie Sögel ein höfliches (Soncert an, roährenb beffen Sbam in tiefen ©djlaf fällt, ©ott ber )perr bitbet au§ einer Sippe Sbamö bie 6ba, führt fie ihm ju unb gibt nun beiben ein ©ebot. 3e$t tritt bie ©Klange auf, unb finbet ein Dialog flatt jrcifdhen @ba unb ber Schlange. üe (folge babon ift, bafs bie erften 5Kenfd>en ba3 ©ebot ©otteö übertreten, ©ott fprid)t bie ©träfe über bie ÜJlenfifien auö unb bamit tritt ber lob in bie 5ß5elt.

ler lob (hier flönig ©feleton genannt), als Seljerrfdjer ber ffielt, fit>t in feinem Sei^e auf einem Ihrone nebft einer zahlreichen 33egleitf<haft, beren lobte al§ ^ofminifter fungiren. Unmittelbar unter bem Ihrone fifcen bie brei Ukrjen. ler lob fprid)t unter anberem :

34 bin ber bbädtc ©otentat,

Öin tgcrrjcfjcr aller ©rogcn,

'Än§ UbamS ©Unb’ unb fiaftert^at Der SBclt jur Straf’ entfproffcn.

Uitin’ SJtaäjt ift grob, grob mein’ ©crucilt;

Sftirmnnb fann mich befkgtn,

SBo i<h angreif’, ben Sieg erhalt’,

S>er SWenW mub unterliegen.

£en ftaifer, ftbnig, (Sbelmann,

®en (flirrten unb SieiihSgrafen tldjt' ich alb wie ben ©ettelmann,

Sinb ad’ beS lobeS Stlaoen.

3 efj f)ab’ fein* tlbfid)l ju bem Stanb, tb“’ feinen ülicnfc^en fc^onert,

SRiit) blenben nittjt Siubin, ®iamant,

31 uf groben Häuptern ftroncn.

3m raeiteren Verlauf beS HWonologS fagt ber lob, bafs er fetbjt ben menfchgemorbenen ©otteöfoljn nicht fronen merbe unb beauftragt bie ©öttin AtropoS, ihm ben SehenSfaben abjufchneiben, bie ©öttin Sachep foll fid) in Kühe begeben, unb Slotho aufhören, ben Sebenä-- faben ju fpinnen. ©obann wirb ber 2/linifter Mors optima (ber hefte lob) beauftragt, ben mähren ©otteSfohn au§ ber SBelt jur mohlberbienten ffrone ju führen; Mors bona (ber gute lob) muh ben guten ©chächer in’S IßarabieS geleiten, mährenb Mors mala (ber

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Xer lobtentanj.

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böfe 2 ob) beu unbußftrtigen ©d)äcbet ( unb Mors pessiuia (ber fdjfimmfte 2ob) ben 3l<baä in bie (pöfle abjufübren haben.1)

Sin anbereS 2)rama bat fic^> im fiebenbürgifcben ©acbfett bi§ auf ben gütigen 2ag erbalten. ^Serfonen be§ ©tücfeä finb: ein meijjgefleibeter (Sngel, ein S?önig im Ornat mit (Befolge, bcr 2ob in f<broarjer Äleibung ober im ßeidjentucb , mit Sogen unb Sfe'f ober <Senfe bewaffnet, neben ibm Spotbefer unb (Boctor.

Seim Seginn ber SorfteDung fünbigt ber @ngel bem Sublilum an, bafs im golgenben bie @ef<bid)te bon einem $önig, ber mitten auf bem Sfarfte Dom 2obe überrafdjt mürbe, aufgefiibrt werbe, ©obctnn tritt ber flönig mit feinem (Befolge auf; ber 2ob begegnet ibm unb ma<bt ibm bie Sfittbeilung , baff er fofort mitgeben muffe. €s entjpinnt fi<b ein 3lDic9cffjrä<^, worin ber Äönig ben 2ob $u bewegen fuibt, ibm Sufftbub ju geben; aber nicht eine ©tunbe fffrift fann er erlangen. (Ber Äönig ftirbt, unb ber 2ob entfernt ficb- 2)ie ©olbaten legen fobann unter 2rauergefängen ben fföitig auf eine Sabre. (Ba erf<beint plö&litb ber Sngel unb berührt mit feinem ©tabe ben ffönig. 2)iefer erbebt ftcb mieber unb ber ganje 6bor fingt :

©ein ift bie ßron', o §err ber Sffielt,

2fr alles tann unb unS ertjält !

SOaS ifl ber 2Jtenf<b? er ift nur Staub Unb j(f)netl beS XobeS ficEj’rer Staub, ftcin Stolj bejeiebne unjcrn Stanb,

©S ift fürnabr nur eitler Xanb,

O §err, führ’ unS auf btiner Bal|n Unb nimm uns einft in ©naben an.*)

Son folgen bramatif^en Sufffibrungett werben bie Äüitftler ben ipauptanftoß erhalten haben, bie 2obteniänje bilblitb barjuftetlen. SIS bie grofje (Jkft im 14. Sabrbunbert Suropa Derbeerenb burcbjog unb Diele Slenftben jeben SlterS, ©tanbeS unb ©efcbletbteS bmwegrnfftc, fonnten bie Suffübrungen unterbleiben, benn ba§ große ©terben mar an unb für ftcb $rama genug. Siebt unmabrf<beinli<b ift aber, ba| biefer gewaltige 2anj be§ 2obeä mit bett Sfenf^enfinbern, ben bie ffünftler jener 3*it au§ eigener Snfdjauung lannten, mit Seranlaffung gab,

*) Boüftanbiß bei tpartmann a. a. O. S. 473, julept aufgefttljrt im 3a$re 1772.

*) ®a§ .RBnigSlieb*, ein Beitrag jur ®ef djic^te beS Xobtentanje«. Btit« tbeilungen auS Siebenbürgens Borjcit unb ©egentnari. tpermannftabt 1857. Cita» aus prüfet, ber Xobtentanj in ber UJtarientiretje ju Berlin. Berlin 1875.

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" 1

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SBilbelm Säumftr.

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ben lommenben 3<it«n ein Snbenlen an bie $infälligleit alles Jftbifc&en unb jugleid) eilte Srmaljnung ju tugenbljaftem 2eben in ben lobten* tanjbilbern ju Ijinterlaffen.

IY. 2>er Zobtentanj in ber bilbenben Ännft unb in ber Knfif.

3)ie Malerei in beit etjlen $riflli$en ^aljrljunberten machte, roie mir bereits anbeuteien, ben 2ob nidft jurn ©egenfianb iljrer 5)ar* fteüung. $odj fiitben mir , baf? fc^ou im frühen Mittelalter bie ißerfonification beS SEobeS roie in ber ßiteratur, fo aud) in ber bilben« ben ßunft fiel) jeigt. ®ie Miniaturmalerei beS 11. IgaWunbertS ftellt ben 2ob bar als fdjmupigen ©reis mit jottigem §aar in zerlumpten Kleibern, aber als abgemagerte ©eftalt mit molligem £aat, ein geflügeltes Ungeheuer mit fed)§ ©forpiotten auf ben ©(bultem tragenb; in ben $änben ^ält er baS Ceidjentudj in gorm einer ©tola.1) *uf einem anberen Silbe (12. ^atjrlj.) fte^t er als ©egenftüc! ju einer gigur, bie baS 2eben barpellen foü, unter bem ffteuje mit ber* bunbenem Munbe unb jerbro^enen SBaffen : ©idjel unb Speer. $ur$ einen ©pro§ aus bem Saume beS JtreujeS roirb ifjrn eine töbtlic(|e ffiunbe in ber regten ©eite beigebrad^t, fobaji er oijnmädjtig ju= fammenftürjt.*)

Sßieber anbere Silber ftetlen ifjn reitenb bar, entmeber mit einem ^Pfeile beroaffnet auf einem Olafen, ober mit ©enfe unb einem ffödfer nebfi Seiten auf einem 2ömen. Sls ©enfenmann ftanb er auf einer gafpie ju Minben (1383). 3) 3°^re'^e ^DuPrationen ber 2egenbe bon ben brei lobten unb ben brei 2ebenben finben fidj bereits in ben $?anbfcl)riften beS 1 4. SaljrpunbertS, ferner im Gatnpo fanto ju ^3tfa, in ben $ird)en ju 2)itd)inf)am, Raftings, Srieg bei Mep unb Saben* meiler, bann aus bem 15. ^aljrljunbett in ber SauflapeBe ber$ir$e jum p. Martin in 3°tt * Sommel (Ipotlanb), in Sflri§ am Sortal ber $ircpe des Innocents, fobann auS bem 16. ^aprpunbert in ©aint=Siquier bei SlmienS, gontenap für Otne (Sormanbie), in Saris am Seinfjaufe ber genannten flitze, unb in 2ongpaon bei Souen.4)

’) TO ttller unb UJlotpeS, OiUuflrirttS anpfiologifdjcS 3B5rterbu<p btr ftunft u. f. tu. Stipjig 1878. Sb. II, 6. 925.

*) SBoltmann, O., ber TOalerci. Seipjig 1878. Sb. I, ©. 260.

*) SBoltmann, a. a. D. I, 351.

*) ®af. 389 unb Srüf*r a. a. O., ©. 25.

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©fr lobtfntaitj.

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Stngeregt burcß ® a n t e S göttliche Komöbie entfianbe it in Italien bie $arjteßungen bom Triumph beS 2obe§. $ie bebeutenbfie unter biffen ift bie ÜRalerei im Gampo fanto ju tßifa auS ber elften tpälfte beS 14. 3<>brbunbert3, früher fülfcßlich bem Drcagna jugefeßtieben, ein 93ilb bon ungemein großartiger Gonception. l) Obwohl ba§» felbe ftreng genommen nicht unter bie Sobtentanjbilber gejäßlt werben lann, woßen wir boeß, bamit ber fiefer einen Sergleicß mit ben leiteten anfteßen tann, eine turje Sefeßreibung beSfelben geben. 2int» ftnben wir junäcßft bie Cegenbe bon ben brei lobten unb ben brei Cebenben wieber. 9lu3 einer gelsfchlucßt Jomrnt ein glänjenber Jagbjug ; bann Könige, h°<ß $u 5Roß, mit jaßlreicßem ®efolge. ?JUötsIicb jteßen bie Sferbe ftifl, bie Seiler jefjen erfeßredt unb fragenb einanber an. Ginet bon i^nen hält fte^» um ben ihm entgegenweßenben SDiobergerucß ab» juroeßren, bie Safe ju. Unmittelbar bor fidj erbliden nämlich bie Seiter brei offene Särge, in welchen brei mehr ober minber in Ser» wefung übergegangene, mit Schlangen umgebene Seiber liegen. ®er mittlere trägt noch bie Krone auf bem Raupte, daneben fleht ein bom Slter gebeugter SDtöncß mit einem Sprucßbanb , baS bie Gr» Jlärung ber Segenbe ju geben feßeint: „2Ba§ ihr feib, baS waren wir, unb was wir ftnb, baS werbet ihr." darüber fteßt man auf

einer Jtnßöhe eine Kapelle unb in ihrer Umgebung biet onbere Slöncße, welche, abgefeßieben bon ber SQöelt, ein ibßflifcßeS Ginfiebler* leben führen. ®er eine melft bie ^irfeßtuß; ber anbere fdjaut ben Serg hinab auf bie ^agbgefeßfcßaft ; ber britte fißt bor ber Kapeße unb liest in einem Suche ; ber bierte, ein gebrochener Stann, ber auf Krüden (ich ftüßt, ergeht fich in ©otteS freier Satur. ®iefe ©efefl» fepaft bon Ginfieblern , bie bem Seben bereits abgeftorben ftnb unb beSßatb ben SEob nicht ju fürchten brauchen, bilbet ben reijenbften Gontraft ju ber erfeßredten ^agbpartie, bie unten im SLljale fich ht* friibet. Sluf ber entgegengefeßten Seite beS SilbeS feßen wir in einem SEBälbcßen eine ©efeflfcßaft bon ®amen unb Herren, bie erfteren mit Scßoßhünbcßen, bie leßteren mit galten, burch ®efang, Saitenfpiel unb gefeßige Unterhaltung bie 3eit fi<ß bertreibenb. Sie aßnen nicht baS fcßredlicße Serßängniß, welches über fie ßereinbtecßen foß. 3n ißrer näcßften Säße tommt ber Sob, ein geflügeltes SBeib mit fliegen» bem fpaar unb gefeßwungener Senfe ßerangeflogen. Gr ßat bereits eine reiche Gimte gehalten, benn unter ißm liegt ein ganjer Raufen

') (Sine Sbbilbung befmbet fidi brt SBoltmonn, I, 460.

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©äumfer.

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£eid)tn öon Btenfhen jeglidjen StanbeS: ©apft, ©ifdjof, Äönig, 3iitter, ©tönd) u. f. ro. ©etiler, ffrüppel, ©linbc, fiapme unb Slenbe all« $lrt fiepen neben biefen Seiten unb bitten infiänbigft ben Sob um ©rlöfung ; bo<h er hört fte nicfyt unb fliegt Darüber. Unterbeffen inanen fi<h bie Seufel, frauenhafte fliegenbe Ungeheuer, unb bie ©ngel bamit ju fchaffen, bie Seelen ber ©eftorbenen, welche in §fotm Keiner Äinber aus bem fötunbe fjerauSfommen, in Empfang ju nehmen. Sie Seele beS Säufers, bet mit einer Sonne befleibet baliegt, unb biejenige beS ©eijhalfeS, ber ben ©eutel nod) feftl)ält, werben fofort eine ©eilte ber Seufel; röähtenb ein ©ngel fid) ber Seele eines ©ifdjofS be* mädjtigt. Oben in ben Stiften entfpinnt fid) aber noch um einzelne Seelen ein heftiger Äampf jmif^en ©ngeln unb Seufeln. Sie Seufel (türmen ihre 93cute in bie Scplünbe feuerfpeienber Serge, mährenb bie ©ngel ihre ©c^ü^Iinge jum Fimmel emportragen.

Siefer Sluffaffung bom Stiumpl) beS SobeS hulbigen faft alle italienifdien SarfteDungen , hoch finben ftd) baneben muh einige Sobtentanjbilber. ©eibeS jufammen enthalten bie fffreScobilber aus bem 15. ^ahrhunbert an ber &ird)e della Misericordia ju ©lufone (©rooins ©ergamo) unb in ber $ir<he Madonna della Neve ju ©ifogne.1)

gfajt gleidhjeitig wie in Italien ber Sriumph beS SobeS, ge* langte in S>eulfd)fanb ber Sans beS SobeS sur bilblidjen SarjMung. 9US bie ältefte SDanbmalerei hoben wir bie im flreusgange ber Slugu* fHner*9tonnenfir<he Jflingentfjal ($lein*©afel) bejeid>nen. 3m 3aljre 1312 in grreSco hergefietlt, würbe baS ©ilb fpätcr 1439 unb 1517 erneuert. Sarauf mar es lange 3e't berfdjollen, bis eS 1766 mieber entbedt unb öon bem tunjlfinnigen ©äefermeifter 6 m. Öiichfl abgeseithnet mürbe. 3U Anfang fehen mir ein ©einhauS, aus roeldhem sroeiSobeSfiguten mit Sflöte, Srompete unb Srommet heraustreten, um ben fhauerlidhen 3t ei gen su eröffnen. Sobann folgen 39 ©erfonen geijl* liehen unb weltliehen StanbeS, welche uom Sobe sum Sanje eingelaben werben. Ser Sob, ber hier nirgenbS als Slelett, fonbern mehr als ÜJlumie mit aufgefeblif}tem Unterleib erfeheint, nimmt jeben ©inseinen bei ber £>anb unb führt ihn nolens volens mit fi<h fort. Unter jeber ©erfon finben fi<h s>°eimal 4 Steinbeilen: bie ©inlabung beS SobeS unb bie Untmort be§ Sebenben enthaltenb. Sie ^Reihenfolge bet ©erfonen ift hier folgenbe : ©apft, Raifer, Itaiferin, Rönig, ©at* binal, ©atriarch, ßrsbifdjof, Ipersog, ©ifhof, ©raf, 3tbt, Dtitter,

’) Vallardi, Gius, Triofono e danza della mortc. Milano 18ö9.

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Der Xobtentanj.

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Sfurift, gürfprecher, ß^orljerr, Arjt, ©bclmann, (Sbelfrau, Kaufmann, Aebtiffin, ffrüppel, SBalbbtubet, Jüngling, SBuc&erer, 3ungfrau, Pfeifer, Iperolb, ©djultheiß, ©lutbogt, Narr, ©egine, Slinber, 3ube, Üürfe, $?eibin, $od), ©auer, ,(finb unb Nlutter. Obtoohl bic ?$actur beS ©emälbeS im ganzen einförmig unb fieif erfcheint, finben fid^ boch biberfe charafteriftifd)e 3üge bor. $er Sob erfcheint ber ©bei« frau im ©piegel, als fie eben im ©egriff ift, fid) in bemfelben ju bebauen; bem Äriippel nimmt er feine ©tüße meg, bem Slinben ben ©tob unb bie ©djnur, an meiner ein Ipünbchen iljn führt. ‘)

An jroeiter ©teile hoben mir* fobonn ju nennen ben berühmten ‘iobtentanj aus ©roß*SafeI, ein ffreScogemälbe aus bem 3aljre 1439, bejfen Anfertigung man früher irrthiimlich bem £anS ipolbein jufchrieb. Nachbem baS ©itb bereits 1480 reftaurirt roorben mar, unternahm beinahe hunbert 3ahre fpäter (1568) ber Ntaler flluber , ba bie garben fepr berblichen maren, eine boBftänbige Nenobirung unb fügte bei biefer ©elegenpeit außer bem ©ilbniß feiner SJiutter aiuh fein eigenes ^in^ti , fo baß im ganzen 40 ißerfoneu ba maren, bie paarroeife mit bem $obe tanjten. 3m 3aljre 1616 mürbe baS ©emälbe nochmals aufgefrifcht; 1805 aber burch ben ©lagiftrat als „ftinberfdjred unb Seutefcheuche" nädftficberroeile jerftört. SDiefer Sobtentanj ift eine freie Nachahmung beS ßlingtntljalerS. $5ie §al* hing ber Figuren ift nicht fo fieif, fonbern biel natürlicher. ®er AuSbrud im ©<häbel unb bie ©rimaffen beSfelben finb h'er d)aralte= riftifd)er, ebenfo ift ber 2anj beS SobeS lebhafter, mehr fpringenb; nirgenbmo erfcheint aber ber Job in ©eftalt eines SlelettS als nur beim 25octor, bem er höh«if<h juruft:

Qm Xociot, b'jcbaut bie tlnatomeb Ttn mir, ob fie reefjt g’mocfjet ftp!’)

©obann märe ju nennen ber 2obtentanj in bet alten $>otnini* laner» (fpäter ebangelifdjen) flircßc ju ©traßburg, ber bem ©l artin ©chongauer jugefdjrieben roirb. $en Anfang macht ein 5/omini« faner auf ber fTanjel, ber ©etfonen aus allen ©tänben um fidj ber= fammelt hat unb ihnen eine Ifkebigt hält; fobann folgen berfchiebene ©ruppen Bon Ntenfdien, unb bei jeber ©ruppe eine SobeSpgur. Na<h= bem baS ©emälbe 1824 nach langem ffierfdfoflenfein mieber aufgefunben roorben mar, mürbe eS 1870 burch ben ©ranb ber ffirche jerjlört.

') Tlbbilbunfl bei ÜK aßmann: SHlaS ju bem Töerle: bie 99ajeler lobten* Xanje. ßeipjig 1847.

*) Siebe 40.

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ffiilljelm ©äumfer.

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55er Tobtentanj in ber Tobtenlapelle bcr 9J?arientird)e ju Sübecf (1463) hat 24 Sßerfonen, meldje auf einer grünen Söiefe einen Seihen« tana «uff üljren, in ber SBeife, baß je ein Sebenber aurf) einen Tob an ber §>anb bat. Urfprüttglith auf #olj gemalt, mürbe berfelbe im Saufe ber 3«* (1588 unb 1642) mehrmals reftaurirt unb im ^aljre 1701 oom SDlaler 8. SBortmann in Oelfarben auf Seinroanb übertragen. Sei biefer ©elegenljeit mürben bie alten nieberfädjfifdjett Seime burdj bie öermäfferten Don 9t. ©djlott erfefft. Sine Kopie ber urfprüngli<h«n Silber finbet fiep in ber Sicolaifircpe ju SeOal.V) Such bie Starienlirche in Berlin lyat einen Tobtentanj, eine greScomalerei auS ber SDtitte beS 15. 2iahrljunbert8, bie im 3aljre 1860 entbetft unb fpitter reftaurirt mürbe. 3U Anfang erblirfen mir einen granjiSfaner auf ber ffanjel, barunter jroei thierähnli<h< @e= ftalten, bon benen eine auf bem Tubelfatf jum Tanje auffpielt; fo« bann folgen 30 ^lerfonen, bie, jebe mit einem lobe an ber £>anb, ptocejfionSmeife Ooranfdjreiten. Unter jebem IjSaare finben fiep jmeimal 6 SReimjeilen, roeldje bie Tialoge enthalten. 3n ber 9Hitte beS ©anjen ift ©hriftuS am Iheuj mit 9Jturia unb Johannes bargeftefft; linfS babon hefinben fitf) bie ißerfonen geiftlicpen ©tanbeS: bom Zapfte bis jum itüfter, redjtS bie meltlidjen ©tanbeS: bom Äaifer bis jum 9tarren. Ter Tob erfd>eint überall, aufter beim Sopftb als SDtumie mit bem Seicbentuth, feiten macht er einen Snfafc jurn ©bringen. 9lfS $robe beS TejteS geben mir ben Tialog beS TobeS mit bem Säuern in Uebertragung :

Ter Tob jum Säuern:

§crr Seiler Sauer! bu mu|i alt mit Unb tanjen nnd) beiner alten Sitt'.

Deines Liters Arbeit if) all’ Derloren.

Hen bu über (Hott batte)t auiertoren.

Siege nieber bie Sflug|4at unb ben Hrcifcftotf,

Hu mufft pcber mit an bie Partie.

Ter Sauer §um Tobe:

*4 guter Hob, i4 »erfaumte SotteS lugenb,

Spare je|t no4 meiner Jungen ^ugenb Unb gieb mir immer bal erfte ju;

34 gebe bir flhmabr eine jette Äuf).

Ho4 i<b i'b' wobt, bu miQft barnaeb niftft fragen;

A4 hilf, 6brifte, e8 gilt mir hier ben Kragen. ’)

') Suhl, Her lobtcntanj in ber 2Rarien!ir4e ju ßübeef. He[. 1783.

J) 8 übte. Her lobtentanj in ber TOarientir4e ju Berlin, mit Abbilbnngen. Haf. 1861; fobann “Prüfer, t(|., Her lobtentanj in ber Warientirtbe ju Berlin.

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$tr Jobttnlanj.

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2)em 15. 3a§rljunbert gehört ferner no$ an ein gfreScogemäibe auf bem Ißfatrfirdjfjofe ju 2J?eini& in Äämtljen mit 25 ißerfonen.

9lu$ bem 16. Sfopr&wnbert finb ju ermähnen: ber STobtentanj in ber $)ominilanerfitd)e ju Sern, gemalt in gfreSco 1514 uon 9ticoI. SJtanuel, genannt SJeutfdj, mit 42 iperfonen; ferner ber auf Sefepl ©eorgS be§ Sättigen in ©anbfleinfiguren aus* geführte 2obtentanj in ®re3ben, ber fiep jefct auf bem Üieuftäbter ffirdpbofe befinbet. $>crfelbe jleHt einen Steipentanj bon 25 ^Jerfonen bar, in toeldiem bie 3figur be§ Sobe§ nur breimal oortommt.

9lu§ bem 17. Soprpunbert befifct bie ©labt Sujern jtoei iobten« tänje: ein Delgemälbe bon 3afob bon ©Ql (t 1G21), jept im ©tabtpaufe, unb ein ©emälbe auf |)olj an ber fog. 2;obe§brüde bon ftafpar Pflegling et. 9ln§ bem Anfänge beSfelben 3aprljunbtrt§ ftamrnt aud) ber 2obtentanj in ber Ißfarrfirdje ju Sroidjpaufen bei Unfel am 5R^ein, ein ©emälbe auf Seinmanb in pöljeruem Uiafjmen. 3n ber oberen SReipe jtnb bie roeltlicpen ©tänbe, mit bem $aifcr an« fangenb, in ber unteren bie geipdjen, mit bem ißapfte an ber Spifce, bargejteHt. Stußerbem 6cfa«ben fiep nodp Slobtentanjbilber in folgen« ben beutfepen ©täbten: Innaberg (£>auptlircpe), Hamburg (granjiS» lanetfirdje), ßonftanj ($ominifanerflojler), alle au§ bem 16. 3apr» bunbert, ferner )u gtifsen (PKagnu§!ircpe) mtb ÄududSbab in Söpmeti (#ofpital) aus bem 17. 3optpunbert ; fobann ju ßrfurt (’JBaifenpauS), greiburg in ber ©eproeij (granjisfanerflofter) aus bem 18. 3abr» bunbert. l)

PleuerbingS ift in einem ©ange ber PBopnung beS Sifdjof» bon ©pur «in Jobtentanjgemälbe entbedt morben, meltpeS fidp ober in einem befolaten unb baS ©rfennen fept erfeproerenbett 3uPa"bf be« finbet. s)

StraaS fpäter als in Deutfcplanb erfdpeinen in granfreiep bie Sbbilbungen be§ SobtentanjeS. S)ie ältefte, mit geuilgcnber ©iepet« beit bepimmbare, ift bie greScomaletei ju La Chaise Dieu in ber

$af. 1876. Sbbrucf aus ben .Berlin« Xenfntfftcrn*, erfepienrn in S. bon ®ede r’8 Dberpofbulpbruderei. ®erfflbe enthalt eine tutje, queHengetnäfee 3«" jammenftetlung ber tobtenlfinje, bie befte, ttel^e bis jeßt erfd)ienm. ®aS ©u<p enthält om 6<plufi eine nadj ppotograpbifäirn Sufnapmen gefertigte Sttpograppie bei ganjen Berliner SobtentanjeS.

') SRäpere Sluslunft über biefe gibt ©rUfer; ben ju ©roidipaufen bot er nidjt.

’) ^ublidrt bon 6. ©5 gelin in ben .SWiltpeilungen ber antiquarifdjen ®e|ellfepflft.' 3üri(p. ©b. XX.

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SBitfjelm Säumtet.

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Ülubergne au§ bet Witte beS 14. 3ahrhunbertS. 24 ißerfoncn führen, je ein Sehcnber mit einem Slobe, einen SReiljentang auf. ©obann er- mähnen mir noch bie Walereien gu ?ßariS an ber ßirchhofSmauer beS ÄlofterS Des Innocens (1425), unb gu 35ijon an bet Älofter* mauer St. Chapelle (1436) ; ferner bie $arjietlungen gu (Shetbourg (ßallfteinfiguren), gu Slois auf Sefeljl SubroigS XII. angefertigt (Walerei), gu (Rouen auf bem f?ir<hhofe beS Älofters ©t. Waclou (©fulptur 1526), ein ©lodenrelief gu ©Vereng unb ein 93a3relief tu jpolg gu 9lngerS; beibe auS bem 16. Jjahrljunbert. *)

SBeniger als in ®eutfd)lanb unb ffranfreich finben mir in ©ttg*

Ianb biefe $arftetlungen. ©(jemals befanb [ich eine foldje gn Sonbon an ber (Rorbfeite ber alten 5ßauISfir<i)e, bon Renten ßarpentier unter ber Regierung Heinrichs VI. in ffreSco gemalt; bann in ber Äatljcbrale gu ©aliSburp aus ber Witte beS 15. ^aljrljunbertS unb gu SDÖbitebaO im l)3alaftc beS ©arbinal Söolfep, auf Sefefjl Ipein* ri$’§ VII. angefertigt.2)

Slufeer biefen Walereien unb ©fulpturen gibt eS noch biele hanb- fd)riftli<he (Barjlellungen beS jEobtcntanfPS in beit Sibliol&efen gu Saris, Wünchen, Ipeibel&erg u. f. m., bie meiftenS aus bem 15. 3ahr= hunbert flammen, roahrfcbctnlich aber '3iad)bilbungen älterer ®arftel* lungen finb. ©chöne Wetaflfchnitte finben fict) in ben gu ©nbe beS 15. unb Anfang bc5.16.3ahrhunbertS in ipariSgebrudten Livres d’beares ober Horae, meldje in ben Officinen Pon ©imon 3? o 8 1 r e (1484 bis 1520), IhomaS fleeS (1511-1514), 3. «poiteDin (1503),

05. £>arboupn (1514) u. 91. m. etfdjienen. ©inen „(fcobtentang in ^olgfdjnitten beS 15. JjnhrhunbertS" theilt Waßmann in 9t&- bilbungen mit.3)

9lm bejten öermod)te £>olbein burd) feine Wintaturgeicb* nungen „Silber be§ jtobeS“ (Imagines mortis), fä(fcf)lid) lobten* taug genannt, einen äd)t bolfSthümlichen (£on angufdjlagen. Wenn mir biefe Silber, bereu £>olgf<hnitte Sil^elburger (1530) beforgte, mit ben früheren Üobtentangbilbern Dergleichen, }o finben mir, bafe bie 9luffaffung eine attbere geroorben ifi. 2)a bie bramatifchen Stuf» führungen meniger mehr in Uebuug maten, fo ließ $olbein ben Sang fallen, ober gcrlegte bielmehr ben Steigen, inbem er bie (Reihen-

*) 9!älj<re* herüber iit btn bereits citirten SBerfen eon $eign«t, Sianglois unb Prüfer.

’) Douce, F., The Dance of death etc. Sion bon 1888.

’) SIS anbnng ju bem in 9lr. 40 begegneten BJetfe. *\

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Stt lobtmtanj.

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folge nacp ©tänben bei6epielt, in feine einjelnett Ißaare, gruppirte noip anbere tfkrfonen unb berfipiebeneS Seimetf pinju unb fiupte fo bei jebem einzelnen Silbe, ba§ er ju einem in fiel) abgeftploffenen ©anjen »erarbeitete, baS £)ineingreifen be§ DobeS in’S Dolle HJienfcpen' leben jebeSmal in originellfter Auffaffung, recht brafiifcp barjufteflen. Die ©eftalt t^S DobeS, ber hier meijtenS als botlftänbigeS ©erippe ouftritt, fteht mit ihren (parafferiftifepen ©rimaffen in öiel fdpärferem ©ontrafte ju ben Cebenben, tote bie§ bei ben früheren Darftellungen ber tfrafl mar; mährenb bie fiebenben, roelcpe öom Dobe iiberrafdjt merben, ihre gepeiinften ©mpfinbungen auf ihren ©tfieptern tunb geben. Dabei Derratpen biefe miniaturpaften ©ipöpfungen einen großen SReicptpum an originellen Jbeen. Der feine, bisroeilen bittere £>umor, bie lei<pt pingeroorfenen fatirifdjen Aufbietungen auf iper» fonen unb 3eitumftänbe maepen fie befonberS intereffant.

Die ©inleitung ju feinen Darftellungen bilben: Die ©rfdjaffung be§ erften Sftenfcpen, ber ©iinbenfall, bie Austreibung aus bem ^ara« biefe unb ber glucp ©otteS.1) hiermit mirb baS ©intreten be§ DobeS in bie SQöelt motibirt. Diefer eröffnet bann alsbalb in ber Dobten* Äapelle mit feinem ©efolge ein fcpauerlidpeS ©oncert; fobann tritt er an bie ^Jerfonen ber oerfepiebenften ©tänbe heran. Dropenb ftellt er fiep neben ben p. Sätet auf bie ©Ulfen bcS DptoneS; bem üfaifer brüdt er bie ffrone in ben Slopf hinein; bem Könige, ber an ber reiepbefepten Dafel fcproelgt, reiept er ben DerpängnifiDolIen Dranl bar. ©rinfenb befiept er ben ©arbinat unter bem breiten Ipute. Der ßaiferin, bie mit iprem ©efolge jur Sircpe gept, jeigt er ba§ offene ©rab; bie eitle Königin, bie laut auffepreit, entreißt er, im Darren* gemanbe unb mit ©epellentappe, bem ffreife iprer Dienerfcpaft. Den 9if<pof entfüprt er ber $>cerbe, bie PoQ Drauer unb Sntfepen fiep jer* fheut; bem tfrütflen, ber Don einer armen SBittroe DergebenS um ©nabe ft$ anrufen läßt, gemährt auep er leine ©nabe mepr. 5J?it bem Abte, beffen URitra unb ©tab er fiep angeeignet pat, jiept er luftig Don bannen; bie Aebtiffin fann fiep §mar feproer entfeplieffen, muß aber botp mit. Die ©tärle feines ilnoipenarmeS jeigt er bem ©beimanne, ber fiep mit bem Degen mehrt. Dem Domherrn, ber mit einem tSfalfner burep ben Umgang jiept, pält er baS ©tunbenglaS bor Augen ; bem SRicpter, ber gerabe fiep befteepen läfet, nimmt er ben SRicpterjtab aus ben $änbeit. Dem AbDofaten japlt et prompt feinen ©olb unb

') Sergl. bie üeilogt.

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SBäumttr.

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bfm erbarmungSlofeit Keinen, bem ber Deufel bereits im Warfen fitjt, gemährt aurf) er fein (Erbarmen. Unbemerft belaufdjt er ben ffkebiger auf ber Mangel unb fejst bn§ StunbenglaS neben ibn b'n. Dem ißrieper, ber einem Sterbeuben bie le|te Dröpung bringt, gebt er als Safrißan mit ©lode unb Seudjte Darauf; mäbrenb er ben taut Phteienben Settelmöncb an ber Putte mit fidb fortreifet. Sei ber Wonne, bie, Patt gu beten, einem mupgirenben jungen Wanne gulaufebt, löfcbt er am Wltare bie Pergen aus. Höillig folgt ibm bie alte jjrau. Seim Wrgte fd)lei<bt er pcb mit einem Patienten ein unb ruft ibm böbnifä gu : Strjt, hilf bir felberl Dem Slftronomen, ber ben Sauf ber Sterne betrachtet, reicht er gur Selbftbetrarfitung einen lobten» fopf b'«- Schlimmer ergebt es bem ©eigbalfe. SJäbrenb biefer ba* mit befcbäftigt ift, fein ©elb gu jrtfelen, fommt ber Dob unb Preist bie gange §abe ein. Den Kaufmann überrafrf|t er in bem Wugen* blirfc, als biefer am ^»afenplafee feine eben angefommenen äöaaren in (Empfang nehmen will. Dem Schiffer jerbridjt er auf hob« See ben Waftbaum, ben '.Raubritter burrfibohrt er mit ber Sange unb achtet nicht, baff biefer mit bem Schmerle nach ihm auSboIt. Wit bem Skppenirfjilbe erfcblägt er ben ©rafen, mäbrenb er ben ©reis, ber gerne folgt, unter Saitenfpiel an ben SRanb beS ©rabeS geleitet. Der Sraut, bie fi<b gur ftocbgeit fchmlirft, bängt er ein ©efdjmeibe Don Dobtenfnorf)en um; ben Weubermäblten fpielt er, als Sorreigner jum Srautgcmacb, bie £)o<hgeit8trommel. Der grürpin, bie frfilafloS auf ihrem Säger beS ©alten harret, reifet er mit ©emalt bie Derfe binroeg unb fpielt ihr gum Dange auf. Urplöfcliih überfällt er ben Prärner auf ber Sanbftrafje; x) mäbrenb er bem pflügenben SauetS* manne bie Ißferbe gemaltfam antreibt, bamit berfelbe um fo eher bei ihm Seierabenb machen fönne. Der flagenben Wutter entführt er gemalt* fam ba§ Pinb, bem Prieger geigt er im SBettfampf, baß er ber Stärfere iß. Seim Spieler nimmt er ben Seib unb ber Deufel bie Seele. Dem Säufer fd)üttet er mit ©emalt ben lejgten Dmnl, ber ben müpen DurP für immer pißt, in ben offenen Wunb hinein- Den Warren jiebt er auf bem Dubelfarf fpielenb mit prf» fort. Den Wäuber erfafet er in bem Slugenblide, als biefer ein roebrlofeS SBeib überfällt, unb ruft ihm gu: 3m Warnen beS ©efeJeSl W1S Der* Tätberifcher gfübrer bietet er bem Slinben feinen Stab an ; *) mäbrenb er bem gubrmanne Wog unb Sagen jerfrfßägt. Wur ber ßlenbe

\ 1 -*) kie Stilage.

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$et lobtrntanj.

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feufjt öergeblid): 2Ber tnirb mich etlöfert Dom 2eibe biefr§ SobcSl ®en Schluß bilbeti: bie SDarjMung bcS jüngfteu ©ericbteS unb ba§ UobeSroappcn. ')

Sor bem 5£obe finb alle SBenfdjen gleich ; bor ifjm ejiftirt fein Unlerfdiitb jmifcben unb fiebrig, SReicb unb ärm, ©eifert unb Ungelehrt. SHn 'Me tritt er jur 3fit b*r«n; aber ben ©inen jeigt er fid) als greunb, als S3ote, ber fie in ein beffere» genfeitS geleitet, ben Mbem bagegen naljt er als SRädjer, fie einer fdfretf» litten GroigJeit überliefernd $a§ ift ber ©runbgebanle, ber burd) baS ©anje roie ein rotbet gaben fi<b binpebt-

Ttußerbem Derfertigte £> o 1 6 e i n noch einen SSobtentanj für eine ®o!cbf<bcibe unb ein 3nitialenalp!)abet mit Silbern bes lobe».

Sei bem großen Entlang, ben biefe ®arftetlungen fanben, läßt es fid) leicht erflüten, baß ber große Zünftler biele Gopiften unb SRadbabmer fonb. GS ejiftiren bis jefct über bunbert Ausgaben bon ben &o lbein’f<ben Silbern be§ ÜobeS. Son feinen SRad)abntern nennen mir ben Jhipferfiedjet £>. 2tl begreber auS ©oeft (tl562), SRubolf unb Gonrab SDteper in 3üricb (um 1650), 3. SR. ©djellen* berg in üöintertbur (1785), $. Gbobomiedi in Sünebutg (1792) u. *. *)

Sei ben £>olb ein'jeben Silbern mar ber alte Ücjt, ber bie bei bramatifd)tn Aufführungen gebräuchlichen 3,D»e9efPröt^e enthielt, fo febt in ber $intergrunb getreten unb fteüenroeife fo unbrauchbar ge* roorbeti, baß man fid> beranlafet fanb, $u biefen neuen Silbern and) neue Serfe ju bitten, ®o beftyt j. S. bie ßRüncbener Staats* bibliotbet ein 2obtentanjgebid)t aus bem Anfänge be§ 17. gabrbunbertS, meines Diefleicbt bie Grüärung bilbet ju ben SR e <f e r’fdjen SRad)» fcbnitten ber £>olbein’fcben Silber Dom Sabre 1542. $ie lieber* fcpriften lauten mie folgt: Dialogus ober ©efpräd) be§ SDJenfcben unb beS UobeS; Grfchaffung beS ÜRenfcben, MStreibnng AbamS, glu<bt be§ SERenfcben. ®iefe Segebenbeiten merben crjäljlt ; fobann folgen Dialoge beS SobeS mit folgenben Setfonen : Sofft» Garbinal, Sifdjof, ®omberr, Abt, ^Pfarrer, Srebiger, Stöncp, Arjt, flaifer, ffönig, £>ctjog, ©raf, Gbelmamt, SatbSberr, gürfprecher, SRidjter, reiiber SIRann , Kaufmann, SauerSmann, alter SIRann, Kaiferiti, Königin, £>etjogin, ©röfin, Gbelfrau, Aebtiffin, SRonne, altes SBJeib,

') Strgi. bie Beilage.

') StäljmS in üöejfetb, 3- <S., bie ©epalten be? tobte unb beS teufels in bei barfieHenben Stunft. l'eipjig 1876.

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SS it beim Säumfer.

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junges ,<tinb ; barnacp bie Ueberfdjriften : Srucifij , ©ebein aller

lobten, ba§ jüngfte ©eridjt unb bie Serbammten, Söappen beS 2obeS, Sefdjlujj. 2öie mir au§ ben Ueberfdjriften erfetjen fönnen, mar ba§ ©anje nidjt ju bramatifcher Aufführung beftiinmt , fonbern jur Begleitung 'bon Silbern.1)

AIS Seifpiel ber $ialo'ge führen mir folgenbeS an :

Der 5£ob jum ifkebiger:

®u ^rcbifler [ja ft männiglidi ®flef)tt, in $oD )u fdjidtn fuß ;

3djt »iß ict) jef)fn, ob bu autf)

Cemjtl6en rooßtft fommtn nad),

S)aS bu gemicftn anbern Stuf,

SSeil an bit biejtr Seit- her iprtbiger jum 2obe:

9Sie reb'ft fo gtimnt,

Aoinm per unb nimm ®fn ftbrper bin,

®enn idj bit bin Sotlängß üerpßidjt!

©in greub ßcfdf}ict)t BRit nur barob,

SBeil id; baburd) bal 6»ig’ ßab.

AeuerbingS hat 2. Sedjftein bie fpolbein’fchen Silber mit ganj neuen, äufjerfl pbaniaftifcpen Serfen iflujtrirt.

Cbgleid) ber Üitel „Stobtentanj" auf bie £mlbein’f<hen Silber unb ihre Aadjahmungen gar nicpt mehr pafste, fährt man bod) in ber neueren 3e’t fort, alle ähnlichen Srfdjeinungen auf biefem ©ebiete einfach als „Üobtentanj" ju bejeidjnen. ®ie Benennung „Silber beS 2obte§“, bie Spolbein felbjt gebrauchte, märe jebenfaüS jutreffenber, benit bon einem 2an§ ift in allen neueren ^ßublifationen feine 9tebe mehr. Unter ben lefcteren berbienen befonberS eine ©rroähnung : S)ie 3eichnungen TO erfel’S in^olj gef ^mitten oon Riegel, (2eipjig 1850). ®er Sobtentanj bon Alfreb ßtetpel, mit erflärenbem iejt bon 9t. 9tei« nid (1848) fpielf in baS politifdje ©ebiet hinüber. Der $ob feiert hier feine Triumphe als £)elb ber rotpen Aepublil. UebrigenS ftnb ©onceptioit mie 3e'£t)nung gelungen ju nennen; mährenb „9to<h ein Sobtentanj" (Serlag bon 6. 9t oller in TOüncben) eine mißlungene

*) SJubligirt Oon (j n 1 1 m a n u a. a. C. S. 426. Sgl. baju bie Steibmfoige btt bf Sedet in iDiafemann’« Saftler tobtfntfinjen. Stitage III.

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®tr loMrntanj.

203

'Nachahmung ber Netbel’fcben ©über repräfentirt. Die DobeSfigureit finb nichts als geifHofe Jfarritaturen.

SÖeiter mären noch rüljmenb ju nennen ber Dobtentanj in ©il= bern unb ©prüfen non ©occi (©tünchen 1862); bic Arbeit beS DobeS, ein Dobtentanj Dong. ©artb (©tünchen 1867), ferner bie ©über be§ DobeS im ftalenber für3eit unbßmigfeit non 9116 an ©tolj (1843 ff.); bagegen finb bie ^obtentanjbilbev Don S?aulbad): l.©apft, 2. König non 9tom, 3. ©faffen, 4. Slejanber non ^ncmbolbt, 5. Napoleon, frinol unb mehr Sarrifütur als Kunftprobulte.

NeuerbingS bat man auch mufllalifd^cn ©ompojttionen bcn Namen »Danse macabre« ober Dobtentanj" beigelegt, liefen 2üer(en liegt bie 3bee eines Donjen» ber Dobtcn ju ©runbe. 3un^P ijt eS ber berühmte KlaDierDirtuofe nnb ©omponift Saint Saens, ber einen Danse macabre componirt bat. Da mir noch nicht ©e* legenbeit hatten, einer Nuffübrung biefeS StücfeS anjumobnen, fo bringen mir baS Urtbeit eines befannten Krittlers, beS Dr. Dljeobor ipelm in Süien. Derfelbe fcbreibt: „Der (genannte) Danse macabre ift bie mufifalifcbe ^lluftration eine» im ©runbe recht banalen ®e= bicbteS, baS irgenb ein obfcurer franjöfifcber ©oet ncrfaßte ; geiftreicb concipirt, feffelnb burd) ben mufifalifc^cn tJluß unb bie contrapunftifcbe ©teifterfchaft in ber NuSfüljrung beS originell erfunbenen DanjtbemaS, reich an überrafcbenbeit Or^eftereffecten mannicbfacber 9lrt, bleibt ba§ ©anje noch mehr eine bijarre Spielerei, al» ein innerlich beroegenbeS Kunftmerf; nicht einen Nugenblicf gtaufig, unheimlich mirfenb, mie eS bod) in bern abjtchtlich gewählten ©ormurfe lag bereitet ber Danse macabre bern $>örer Dielmeljr ben ©inbrucf, als hätte fid) ber Oor= treffliche ©ompojiteur in einer Nrt ©bnmpagnerlaune mit uns ein Späßchen erlauben wollen. Dem ©ublilum ift aUerbingS mit Nichts fo rafch beijufommen, als mit berlei ©uriofitäten, befonberS wenn fie an bie Äarrilatur ftreifen. ’)

©ine anbere ©ompofition biefer 91rt ift: „Der Dobtentanj, ein charafteriftifiheS Dongemälbe für großes Orchefier" Don Submig £)ei« bingSfelb (Seipjig, Sreitfopf & Partei). Diefe ©ompofition, ton ber uns ein KlabierauSjug oorlicgt, f>ot ebenfo, wie bie © o e tb e fcbe ©atlabe „ber Dobtentanj", bie 2>bee Don einem nächtlicherweile auf» geführten Danj ber Dobten auf bem Kirchhofe jum ©orrourf. 3n

*) Sllufifnliidjt» ÜBocbtnbtatt. Scipjig. 1876. 8. 431.

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204

SBifijefm ©äumfer.

50

ber (Einleitung mitb uns bie fülle Ütufye be§ ffirthhofeS bot 3Hitternod)t gefchilbert. ^ßlöfclich fchlägt’S jmölf:

©a (egt (ich ein ®rab unb ein anbereS bann:

©ie tont men §erbor, ein iffieib ba, ein Wann,

3n meinen unb Jchteppenben §emben.

©a« redt nun, eS »iß (ich ergbfcen iogleich,

©ie ftn5d>el $ut 9tunbe, jum ftranje,

So arm unb |o jung, unb fo alt unb |o reich;

©och Ijinbern bie Schleppen am lanje.

Unb »eil hier bie Scham nun nicht »eiter gebeut.

©ie fchUttetn fit^ ?lfle, ba liegen jerflreut ©ie Qemblein Uber ben §Ugcln.

Sfefct orbnen fidj bie tpaare ju einem regelrechten 2anje in */< Statte (©. 8 be§ JNabierauSjugeS).

SCBir Jönnen ben (Einbrucf, ben bie ÜJtufil auf uns gemalt, nicht beffer miebergeben, als inbem mir mit © o e t f) e fortfahren:

Stun hebt ftch ber Schenfel, nun »acfelt bat ©ein,

Oeberbcn ba gibt e8 bertradte;

©ann flippert’S unb flappert’S mituntet hinein,

SU jchlUg man bie §öljlein jum Safte.

©och enblidj oerliert ji<h ©iefer unb ©er,

Schleicht 6in§ nach bem $lnbern gelleibet umher,

Unb hufd) ift et unter bem Safen.

Stuf bem ßirchhofe mtrb’S nun mieber fo füll, mie bor TOitter« nacht (S. 18). foH un§ freuen, wenn mir burdj biefen Set* gleich mit ber © o e t h e f<hen “Sichtung in ber ©^arafteriflif beS trefflichen StongemiilbeS baS Sichtige getroffen haben.

(Einen Stobtentanjfpruch, nach ben alten Sorbilbern gebietet bon EDI. (ElaubiuS, hot ber berühmte granj Schubert in 5Jiuft! gefegt unb bie SGßorte beS ®i^ter§ burch ÜJJelobie unb Harmonie §u einem erhöhten, feelenboüen 9lu§bruct gebracht. ®er Stert lautet: ®aS Stäbchen jum 2obe:

Sorüber, ach borüber, geh1, »ilbet Rnothenntann!

3h bin noch jung, geh’ lieber unb rühre mich nicht an.

35er ‘Job jum Stäbchen ;

Sieb beinc §anb, bu f<hbn unb jart ®ebilb,

©in greunb unb tomme nicht ju ftrafen.

Sei guten WutljS, ich bin nicht milb,

Soflft Janft in meinen Srmen Schlafen.

hiermit befchliejjen mir unfere Stubie über ben Sobtentanj. Sßollen mir einen SRüdblid roerfen auf bie (Ergebniffe unferer S)ar*

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31

2)tr loMtntanj.

205

fiellung, fo müffeu mir un§ fagen, baß bie SEobtentättje in brr 2ite= ratur, mie im Drama unb ber bilbenben ffunft ein ©rjeugniß be$ gläubigen 3Jtittelalter§ finb. Die Dgatfacge, baß bem fölenfcgen gefegt ift, einmal ju jterben, unb bie fiegre bon ber Unfterbticgleit ber ©eete bilben bie ©runblage. Slit ber bollen ©eroatt ber SJagrgeit bie in biefen Cegren liegt, mußten bie Dieter, bramatifcgen Darfteller unb bilbenben Äünfiler untoiberfteglicg ju mirlen. ©in Stauer beS ©ntfeßenä roirb bießeicfjt Slancgen überlaufen, ber biefe DarjteHungen jum erften Stale fiegt. 3nbeß ber Stiel beS ©lauben§ in ba§ 3en» feits gilft bem gläubigen Seobacgter über biefe fcgmerjlidjen ©efügle ginmeg unb läßt ign fdjließlidj einen äftgetifegen Äunftgenuß empfinben bei Setracgtung ber ©cgöngeit unb Originalität biefer Silber, ©o mar aueg bei ben alten ffünftlern. 3n ber Ueberjeugung bon ber Unfterblicgleit ber ©eele traten fie, tgeilmeife mit einem geroiffen §umor, an bie tüufilerifcge Darjtetlung be§ Dobe§ getan. Sur biefe Auf* faffung bergilft uns ju einem richtigen Serftänbniß biefer merfroiir= bigen mittelalterlichen ©rfdjeinungen. Son einem ©algengumor fann bei ignen nicht bie Sehe fein. Dafür mar ba§ religißfe Semußtfein boch ju pari. Die 3e'ten ber ^obtentänje finb ootübet. 3ene finb= liege Saibität, jene tiefreligiöfe Auffaffung, meldge un§ in ben bra* matifegen Aufführungen entgegentritt unb roetege bie bilbenben Äiinftler bergangener Sagrgunberte befeelte, baß fte, felbft bei ber UnboHfommen» geil ber ignen ju ©ebote ftegenben Aunfhnittel, fo unmiberfteglicg auf baS ©emütg ber Slenfcgen ju mitten bermoegten, finben mir in ben mobernen Silbern niigt tnieber. Siele arten in ffarrilaturen auä; bie übrigen ftnb megr ober minber gegliicfte Aacgaßmungen ber mittel« alterlidjen Silber, menn auch niegt in Abrebe geftellt merben foH, baß einzelne neuere Darftelluugen burdß ißre’ lünftlerifcge, originelle Auffaffung fieg auSjeiignen.

Diuit von Uiolilau & ti»alofd)mibt. Sranffurt a. St.

*

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tolerant uttö Intoleranz.

äSon

"^lotßer Aanfer.

„Sit Süaflt ktt IBafcrkfit tft Utbtrjtugung, . tic t<t Orrtkums ©ritoll.'

P. Oatotbairr.

I. Bottoort.

2)er berühmte ^cfuitcnpater SRotj erjäfjtt au§ feinem 3ugenb« leben: „$>a3 $orf, in bem id) geboren mürbe, liegt an bem ©nbe eines fünf ©iunben langen, feljr befchmerlid)en 9IIpenpaffe§. Stuf unferer ©eite ber Sttpenfctte ijt alles fattjolifdj, auf ber anbern ift einji burch Serner Gruppen atleS protefiantifd) gemalt roorben. SBeil mein SDorf noch ganj unb gar uncibitifirt ift, fo bot eS bis auf biefe ©tunbe roebet #otel noch SBirthSljauS, noch ©diente noch f?neipe. ffomrnt nun fo ein ultramontaner tprotejiant burd) unfer ®orf über ben S3erg bin ober ben 33er g ber, fo rnirb er bon bem erjten beften, ber ibn fiebt, inS £>auS gerufen, eine ©türtung ju fub ju nehmen.

6S ift fdjon öfter borgetommen, bafs Dtachbarn pcb um ben ®aft gejanft hoben. $em ®aft mirb reichlich aufgetragen unb bie £auS» teute fefcen fi<b ju ihm unb holten mit, bomit er fidf» Ja ni<bt genire. Stber deiner ift je burch biefe 3utraulidjleit fo frech gemorben, baj? er gefragt hätte, maS er fdjulbig fei. 6r bebanft fich h^jtich unb bedangt, baß man beim näcbften ©atige über ben Serg bei 9tie= manben anberS als bei ihm eintet)», unb geht mit ©egenSmünfdjen begleitet feines SBegeS. Sei fotdj’ einer ®etegenheit erfuhr id) nun jmei Steuigteiten, bie mich nicht nur feljt rounberten, fonbern befliirjt machten.

©in fotdher ©oft fagte, mir in unferem Sanbe feien boch fehr glücftich, bafs mir fo gute ©eiftliche hätten, bei ihnen ftünbe es bamit fehr fchlimm. DaS Sßort frappirte midj fehr; benn bis ba£)in hotte id) immer geglaubt, alle ©eiftlichen feien höh<« h*'l'9f SGßefert. 9tad)=

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91olfer §aufer.

2

bein fidj bet ©oft entfernt ^atte, fagte mein 93ater : eS ifi bodj 3aminerfd)abe, baß biefe Seute nid)t bie wahre SReligion hoben: fie ftnb fo gute, liebe Wenfdjen! S)ap auh eine falfh« ^Religion gebe, roor mir eine fonberbare ©ntbedung, bie mid) mit tiefer ©eb* mutb erfüllte unb mir gegen bie proteftantifhen Wahbarn ein recht innige« Witleib einflöfite. $>iefeS ©efü^I iji mit mir aufgeworfen unb wähfl no<* mit jebem $age. 2118 id) fpäter unter cibilifirte Wenfdjen lam, hörte unb las id) biel bon 5Eoleran§. ©o oft aber biefeS ©ort auf Wenfhen angemenbet wirb, erroedt es in mir einen unfüglidjen SDBiberwiHen, pacft mid; wie eiftg falt am fjerjen. SS muß geheimen £>aß, tüdifhen behaltenen ©roH in fidj bergen. Ssie grfaljrung §eigt eS aud). Qfort mit ber Soleranj ! ®u aber, gött= lid)e G^aritaS! weiche nie aus unferer 'Witte, ©iejje 2>u linbemben ©aljam in bie ©unben, weihe bie traurigfie aßet ©Haltungen unS Stilen gefdjlagen bot- Sanne ®u beit $aß unb wir werben mit ein« anber ruhig baS befprehen, was unS entjweit, unb ganj gewiß ber-- fteben wir bann einanber wieber."1)

©o ber felige P. 9toI), ber 3efuit. §eutjutage ifi biefe wahre Siebe beS eblen ©djweijerS unb 3efuiten 9tof) berloren gegangen unb man möchte bie berlorene Siebe einigermaßen erfefcen unb bie wirf* Iid)e 3®ietra<bt mit 2oleranj überfteiftern. Wan bflt bie Üoleranj als bie ljöd)fte Sugenb bingejiellt unb jebe 3nto!eranj als ©arbarei gebranbmarft. „Soleranj" unb „3ntoIeranj“ ftnb ju ©d)Iag-- wörterit ber 3eit geworben unb unter bem ©heine ber ©aljr» beit berfübren fie bie ©eifter. „Wan muß ben ©orten ihre ©ebeutung wiebergeben*, bat ©iuS IX. gefagt.*)

Sen ©orten „Soleranj" unb „^ntoleranj" ihre ©ebeutung jurüd-- jugeben unb jur ©rfenntnifj ber wahren Siebe, ber göttlichen ©IjoritaS unb bereu praftifher Ausübung §u führen, baS ift ber 3rot(* b«r folgeitben ©lätter. 6in jeitgemüßer 3med, benn mit feinem ©egtiff wirb mehr Unfug getrieben als mit bem ber SEoIeranj; ein notb* menbiger 3roed, benn nichts tbut in biefen Klagen beS £)ajfeS mehr notb, als bie Siebe, weihe baS aüöereinigenbe ©anb ber Wenfhen unter fth unb mit ®ott iß; bie Siebe, weihe bie ©erehtigleit iji, oon ber ber bl- ifranj bon ©aleS fagt, baß fie „bie fhönjte aller Sugenben, bie Sugenb in ihrer ©anjljeit fei, bie bom §immel bernieber*

') P. SRof), bie ©runbirrtbUmer unferer 3eit. ®. 61 unb 62. (4. Slujlage. gretbutg, Reiber.)

*) Sncgclica Dom 8. I)ec. 1864.

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3

iolttaitj unb 3ntolerartj.

209

gcfliegen unb aus ©ott geboren, ba§ Sanb ber SBelt, bet fjriebc ber Nationen, bie ©ttl&e be§ SaterlanbeS, ber $ort beS SolleS, bie ©tärle eines SanbeS, ber Schuft ber Schwachen unb ber Sroft ber fHnnen."

II. Sie Soleranj tot toasten unb fallen Sinne.

„«« mu| ben Sorten i$re löebcutung jurütfj gegeben toerbcn.* l) IX.

Unfere 3e<* fämpft einen Kampf auf Sehen unb Sob: ,,©S fitmpfen miteinanber," fagt SBolfgang üJienjel, „©hriftenthum unb #eibentl}um; benn ©oit hatte wie bei feiner erjien ©Köpfung be§ SJtenfchen, fo auch in ber jweiten, in ber ©rlöfung burch ben ©opn nur bie freiwillige Eingabe an feine SBahrheit unb feine ©nabe ge» forbert. SRiemalS fiat er bie Freiheit jum Söfen, §ur Siige auf« gehoben, ©o gefd^ab e§, bafe bie HJtenfchen auch nach bem ©rfcheinen beS ©rlöferS unb nach ber Stiftung ber lathofifchen Kirche wieber in baS alte ©etiijien unb in ben alten Srofc unb ^odjmuth berfielen, baf? bie ©djlange wieber auf bem Saume ber ©rlenntnijj fi<h geigte unb bie Wenfchhf'i in neuem Sabelbau ben §immel erftürmen wollte, unb fo entftanb eben ber wieberholte Kampf gegen baS ©hriftenthum, ' ber ftdj in heutigen Sagen gugefpifct hat in einen Kampf auf Sehen unb Sob.-*) 3n allen ©diäten ber ©efetlfchaft, unter ben ©e* bilbeten, wie unter bem Säbel, in ben Kabinetten ber dürften, wie in ben Jütten ber Arbeiter ma<ht fi<h bet böfe ©eift ber Serneinung unb 3erfiörung geltenb, h«M unb fchiirt unb reijt unb ftachelt unb „©eget fo ber ewig regen,

3)et Ijeiljam j<f»affenben ®ewatt 2>ie falte $eufel«fauft entgegen,

Sie fi<$ »ergeben« tUcfijcb ballt."

3n ben öerfdjtebenfien ©eftalten unb Sermummungen, unter ben üerfdjiebenfien Flamen unb ©pmbolen taucht ber grimme £>a& auf, ber bittere Kampf gegen ©hriftenthum unb Kirche, ©ine befonbere unb fruchtbare Strt beS Kampfes ift bie mit fogenannten Schlag« Wörtern, ©in fotcbeS 2Bort, baS nun bireft gegen bie latholifche Kirche gebraucht wirb, ift ba§ ber „Soferang". Solerang wirb, als eine ©rrungenfchaft bet neuen 3fit gepriefen, in beren ©egenfafc bie latholifche Kirche im Sichte lobernber Scheiterhaufen bargefteöt wirb.

*) 6nt»clica fiu«’ IX. Dom 8. ®eccm&er 1864.

*) SBolfgang SDtenjel, Jtrittf be« mobernen 3«itf>«»uStftin?, ®. 318 sq. (II. Auflage, granlfurt, §et)ber & Simmer.)

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fRatter Raufer.

4

23n§ berjteht man beim heutzutage unter Soleronj? Rötung, tRefpcft Dor ben fogenannten Ueberjeugungen Slnberer, Serjicht auf bie lieber» Zeugung Don ber SBafjrtjeit ber eigenen Religion. $>ie geinbe ber treffe „fliegen über Don Siebe, TOenfdjfitfreunblidjfeii unb Soleranj; in allen ihren Organen greifen jie biefen ihren ©eift unb flogen über bie Intoleranz ber Äatholifen, über bie Intoleranz ihrer 5Dogmen, ihrer ^priefter , ihrer ©ebräudhe, unb alle biefe angebliche Celeron j unb Salbung ift bodh nur Sflufchung, nur Schein mit bitterer Unbulb* famfeit, nur eine Toleranz ber Negation aller Religion".1)

Sichtung Dor ben Meinungen SInberer, Wie Derfteht man baS? $aS ift fo gemeint: Sijt $)u ein ffntfjolif, fo barfft 2)u bei Seibe nicht fagen: S)ie römifch=fatholif<he ßir<he fei bie allein wahre, ober gar allein feligmadjenbe flirre 3efu Eljrifti, baS wäre intolerant gegen bie Ißroteflanten. „353er ju behaupten wagt, außer ber Äirdje fei fein tpeil, foO au§ bem Staate geflogen werben",*) ^at bet Soleran}* erfinber SRouffeau gefagt. 'Du barfjt nicht fagen: 3fcfuS (5^riftu§ fei ber Don ©ott üerljeißene Srlöfer, baS Wäre ßöchft intolerant gegen bie lieben 3uben. $u barfjt nicht barauf befielen, baß Eh#«8 wahrer » ©ott unb ßönig aller Könige fei, baS wäre intolerant gegen bie 3üngerf<haft 33oItaire’S, ein Singriff auf bie Regierungen. 353itljt bu tolerant fein, wie es bie aufgeflärte ÜBelt Derfteht, bann mußt 3)u ehrer» bietig baS $aupt entblößen, wenn Earl Sogt in ©euf fagt: D>u feieft ein Sprößting ber Slffen. Refpect Dor biefer Dleinung ! SBenn ein SInberer meint, es gäbe feinen ©ott, baS Ehrijtenthum fei eine eitle gabel, ber SRenjch ein Üljier, bie ©eit ein Zollhaus unb jebeS 33er= bredhen erlaubt, fo barfjt 2>u jebenfallS feine gegenteilige SReinung äußern; baS wäre intolerant. So Derjießt bie moberne Söelt bie 2oIeranj. Sor 3lHem wir ßatholifen fotlen tolerant fein. Unb nad) ben gemalten Erfahrungen ijt bie Doleranz eine oieffadhe, bie man Don unS Derlangt:

1. „Sßit füllen uns SlfleS nehmen laffen, was mir nodj ha&en, unb baju baS Recht neuer Eroberungen in ben ffauf geben;

2. mit Jollen un§ alle mögliche Dinge anbichten ober untergeben unb uns fdjmähen laffen, fo Diel bie ©egner Suft hoben, ohne unS ju Dertheibigen ;

’) Retttier, ®ie öffentlitpe Seföimpfung btt falholij^en Rirdje auf ber SBüljne, ©. 16. (SRüinj, Rinpfnim, 1868.)

’) tRoujfeau, Oefeßfäaftäoertrag IV. 8.

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loltranj unb 3nt»(etanj.

211

3. mir foHen unfer ©cfteö tfjun, um unfere eigene ßtidje nidjt blo§ untergraben ju Reifen, fonbern fte felbjl einjureißen;

4. mir fotlen unfere TReltgion, bie fieljren unb ©ebtäudje unferer Jtirdhe lächerlich, abfurb, abergläubig finbeit; bann roirb man unS allenfalls tolerant nennen."

SaS ijt eben, mie fie SBife^of Setteler fo maf)r bejeidhnet hot, bie „Soleranj ber ütegation", bie bobenlofefte 3ntoIerauj gegen bie fatf)oIif<§e Jtirdje, gegen baS 6ljrijientf)mn; bie ^ntoleranj gegen alle überjeugungSbollen DteligionSbefenntniffe, baljer bie tooHenbete Un= bernunft. 3m nobelften ^olle ifl biefe Soletanj eine äußere Srtigfeit, eine Irt Sfafcenfreunblidhfeit, reelle Sir fdhön in« ©efidjt tfjut, aber für Sein roahreS SDßo^t fein Sntereffe, feine ©eredjtiglcit unb feine Siebe für Sief) fjot.

2Ba§ ift benn aber maf)?e Soleranj? SalmeS fagt: „Soleranj (Sulbung) im eigentlichen ©inne brücft bie 9ia<f)fi<$t gegen eine ©ache aus, bie man al§ ein Uebel anfieljt, aber au§ biefem ober einem anberen ©runbe nicht befämpfen miH. ©o bulbet man gemiffe Sergerniffe , man bulbet biefe ober jene 'Diißbräuche , fo baß mit ber 3bee ber Salbung ftetS bie Jbee be§ ©Öfen üerfnüpft ift. SaS ©ute bulben, bie Sugenb bulben, mären ungereimte 9lu§brücfe. Sind) auf bern ©ebiete beS ©ebanfenS fefet bie Sulbung ein Uebel borauS, nämlich ben 3rrthum. 63 mirb Dtiemanb fagen, bajj er bie Sßaljrbeit butbe.* *) „Sa§ Sßort Soleranj," fagt P. 9tolj, „heifef auf ®*utfdh einfach*11 ®ulbung. SaS 2Bort »Sulben« brauchen mir nur, menn bott StroaS bie SRebe ift, ba§ eigentlich nicht fein bürfte, nicht fein follte, ma3 mir gerne befeitigt hoben möchten."*)

3m engeren ©inne ift Sulbung nichts anbereä al3 bie butbenbe unb ertragenbe Siebe gegenüber bem fehlenben SDtitmenf^en, gaitj be* fonberS gegenüber ÜlnberSgläubigen. 91u3 biefem SBegriffe erhellt fo* fort, bajj eine hoppelte Soleranj gibt, eine Sulbung gegenüber bem fehlet, bem 3”thum felbfi, unb gegenüber ber fehlenben ober irrenbeit ^ßerfon. ßrftere nennt man religiöfe ober bogmatifche, ledere bürgerliche ober politifche Soleranj. Siefe beiben finb mefentlich bon einanber betrieben unb auf beren 33erme<hfelung beruht, mie P. ©Reiniger fagt: „aller Srug unb Humbug, ber mit bem SJorte

') Salme», ^JrotrftanUSmuS unb ftatboticiSmuS, 93b. L ©. 390. (Stegenä bürg, SDJanj, 1861.)

*) P. »ab, 1- c. @. 61.

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91 o 1 1 er §auj<r.

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2oleranj in btt religionäfeinblidhen Söelt getrieben wirb."1) $ie politifd)t ober bürgerliche SEoleranj ifi bie, fowo!)l bont «Staate, als bon ben ©injelnen gegen bie bejkljenben Seligion8genoPenfd)aften unb beren einzelne ©lieber geübte $ulbung in 3U* unb Snerfennung bürgerlicher Sechte. $iefe 2oleranj beruht auf bem poptibm tnenfdtlic^en Siebte. $on Seite be§ Staates lann nun biefe 5)ulbung entweber eine boflftänbige fein, ittbem alle im Staate bot* hanbenen SeligionSgenofienphaften gleiches 9ted)t geniefeen; ober nur eine tljeilmeife, inbem ber Staat eine ©onfefpon als bie feerrfdjenbe aiterfennt, ben übrigen aber nur bie Uebung ihres GultuS unter be* pimmten öebingungen gefeattet. SGßo immer folche Serfeäftniffe einmal rechtlich georbnet finb, forbern fte and; bon Sillen bolle Sefpeltirung, unb baS ift wahre Soleranj. 3ene Üoleranj aber, roie man fre eben heutjutage öerfie^t, welche nicht bloS bie ißerfonen achtet unb liebt, nicfet bloS ben 3ßerfonen if)r SRecht gibt, fonbern ben Sntfeum ber SEÖaferheit gleichPellt, ben 3rr^um nicht befämpft, ja bie SÖahrfeeit allein angreift unb ben 3rrtljum bulbet, pflegt unb bertfeeibigt , baS iP religißfe ober bogmatifdie 2oleranj: ein Unfinn unb ein Verbrechen, jugleic^ bie praltifdje Seugnung jeber Sßahrljeit unb Seligion.

UebrigenS foll eS unS nicht munbern, wenn ein Sebner auf einem beutf^cn Sat^olilentage baS Sßort „ioleranj" aus bem 5Börterbu$e geftridjen haben wollte. Hud) mir fagen mit P. Sol): „gort mit ber Xoleranj", pe ip ein unglüdlitheS 2Bort, baS einen tropfen Uöaljrheit unb einen ©imer 2üge enthält. „Unfere im ©lauben getrennten trüber," fagt Dr. ^offner, „haben bon unS mehr ju forbern als loleranj. Sie §o6en ©credpigfeit ju berlangen. ©erechtigfeit bin i<h allen Stenphen fdulbig. genügt ni<ht, pe ju bulben, nod) SffiiHlüt, Sachpdp gegen pe ju üben ober mit beliebiger SachPdP ju ertragen. Sein, i<h mufe ihnen SlleS geben unb lapen, woju pe ein Se<ht haben. Slänner bon ©eioiffett hoben beShalb nicht Soleranj, fonbern ©erechtigfeit für bie ^Serfonen, Sbpheu unb Verbammung aber

für bie ^rrthümer.*) 3rrenbe unb fehlenbe Stitmenfchen hoben

mehr ju bedangen als blofee SacfePdp unb Soleranj, wir pnb ihnen Siebe f^ulbig. $>ie Soleranj beruft pch auf ben ^eiligen Samen ber Siebe unb gibt pdj als eine grucht ber wahren Slenfchenliebe aus. bet $hat aber ip_ biefe Joleranj eine ©raufamfeit. gnbem pe bie

•) P. SdjUlningtr, ®er mobtrne Snbiffmntilnro* unb bt« »ubrt tolrranj. (®ßnfl«r 1871.)

’) Dr. !faul Qaffntr, ItuHcßt Shifflfirung, ®. 83 sq.

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Joleranj unb 3ntoleranj.

213

Jjrtenben in ben ©chlaf lullt unb ben ©rnfi ber religiöfen liebet* jeugung untergräbt, fpielt fie ein jdjänblicbeS ©piel mit ben ^eiligflen 3ntereffen ber Dtenfehenfeelen. Dian fpricht uon Siebe. SBoljlan, id) liebe bie ^ßroteftanten ; ebenbaruni geftattet mir , baf? id» ihnen bie SBa^r^eit fage, baß ich ihnen jage, baß fie baS Opfer grunblofer Sügen geworben ftnb unb baß bie Religion, bie fie üben, nicht bie* jenige ijl, welche (Sott gegrünbet Ijat. 5)ie Siebe ifi eS, bie wahre Siebe, bie mid) antreibt, ben 3rrtf)um in ben ^rrenben ju Perfolgen." ‘) tKlfo „gort mit ber Soleranj", ffampf gegen ben 3rrti)um, @e= red)tigleit aber unb Siebe, roafjrc d)riflliche Siebe allen 3rrenben!

III. 2>ie $riüattoteran).

„ffirt ift toleranter all Stani Bon Sale«, nj«t Intolerant», all 8eltai„?“

8aIo «!.*)

@8 gibt eine öffentliche unb eine priPate Soleranj. Severe ift bie Pon einjelnen ^erfonen gegen bie ©lieber Perfdjiebener 9teligion§= genofjenfdjaften geübte 35ulbung, beffer ©erechtigleit in 3U* nnb ®n* erfennung ihrer bürgerlichen Sterte ; bie wahre, aufrichtige unb wert* tfjätige Siebe gegen anberSgläubige. Oiefe Soleranj beruht, wie ber felige Sifdhof ffetteler fagt, auf brei ©runbfäfcen: „erftenS, baß wir allen im ©taate anerlannten ßonfeffionen ben Pollen ©enujj aller bürgerlichen SReChte juerfennen ; jmeitenS, baß mir Hillen, bie im ©lauben unb in ber religiöfen Ueberjeugung Pon un§ getrennt finb unb Pon benen mir beSfjalb glauben, bafj fie fiCh im S^hume befinben, auf* richtig Wohlwollen unb fie lieben unb jroar, nach ber Sehre ߣ)tifli, wie uns felbjl; unb brittenS, bafs mir, wenn mir auch ih«n 3rrthum befämpfen, babei baS rechte Dtafs djriftlither Siebe nicht Überfehreiten. " 3) Diefe 'Joleranj ju üben, b. h- biefe gerechte unb liebebolle ©efinnung gegen anberSgläubige ju haben, befiehlt jebem Sb*iflen baS ©Pangelium unb fdjreibt jebem Äatholifen fein ÄatedjiS* muS por. „ÜJlein latholifCher ffatedjiSmuS," erjählt P. 9toh, „hat mir gleich in ber ftinbljeit gefagt, ich falle, wenn ich feüg werben wolle, ©ott über SlleS lieben wegen feinet felbjt, unb aus Siebe ju ©ott meinen 9tä<hften wie mich felbjt. auf bie grage: Sffier ifi mein 9lä<hfter ? mürbe mir geantwortet : jeber DJenfd) er fei ftatljolil ober HJro* tefiant, 3ube, Dtohamebaner ober $eibe.*4) Den Dächften, felbft

*) Dr. Qaffner, 1. c. 6. 95.

’) SalmeS L c. «b. I. 6. 392.

*) Äetteler , 35le Seföimpfung ber tath- flirre auf bet SBflbne, S. 17.

•) P. Motb 1. c. S. 61.

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214

ftotfer Qaufcr.

8

unsere grimmigen geinbe ju lieben, nidjt blo§ „mit bem Worte unb ber 3un9e' fonbern in ber Sljat unb Wahrheit", ift nach ber Siebe ©otteS baS erfte unb größte ©ebot beS CS^riftent^umS. greilidj tmrb biefeS ©ebot ber Siebe gegen Me, aucf} gegen ^rrenbe unb ©ünber nid^t bon Sillen gleich bollfommen geübt, ober baron ift nicht bie fatljolifche ^Religion fdjulb, wie man behauptet, fonbern bie ©<hmadh= beit ber Wenfchen. 3ntoleranj b. h- Ungerecbtigteit unb Sieblojigfeit gegen EnberSgläubige, finben fi<h bei ißroteftanten unb Ungläubigen fo gut unb meiftenS mehr als bei ffatholifen. die mabre dulbfam* feit einer ißerfon gegen SlnberSbenfenbe, jene dulbung, bie nicf)t au« einer dfteilnahmlofigfeit für ©taubenSfachen entfpringt, fonbern ftd) febr roobl mit einem warmen Eifer für bie Erhaltung unb SluS* breitung beS ©faubenS berbinben läftt, beruht, wie ®alme« fo fd^5n auSeinanberfeftt, auf jwei ©runblagen, auf ber Siebe unb ber demuth-

„die Siebe beißt uns, Wohlwollen für alle UJtenfdjen, auch unfere geinbe hegen, flößt unS Wttleib für ihre gehler unb Sßerirrungen ein, berpflidjitet uns fte als Srüber ju betrauten unb bie unS ju ©ebote jtehenben SJlittel anjuwenben, um fte au? ihrem berberblichen 3uftanbe ju reiften, ohne baft eS un§ erlaubt wäre, ihnen bie $off= nung auf bie ©eligfeit abjufprechen, fo lange fte auf Erben leben.* „die demuth, flöftt unS eine tiefe Erfenntnift unferer Schwachheit ein, heiftt uns alles, was wir beftften, als ©efdtjenf ©otteS betrauten, biefe demuth, biefe gerabe in ihrer Emiebrigung fo erhabene dugenb, biefe, um mit ber hl- Xherefia ju fpredjen, „demuth ber Wahrheit " ift eS, mel<he unS Stad} ficht gegen Obermann einflöftt, weil fie uns leinen Mgenblid betgeffen läftt, baft mir bietleicht mehr als Me ber fRodjficht bebürfen."1)

diefe beiben dugenben aber lehrt wieberum ganj befonbetS ber fatholifdje ©laube fennen, lieben unb üben. Äommt ju biefen ®u- genben noch eine reiche Erfahrung unb eine gewiffe ©anftmütljigteit beS ©eifteS unb bie innere ftraft desjenigen h>nju, ber gefagt ha*: „Sernet bon mit, benn ict> bin fanftmütljig unb bemüthig bon #erjen" fo h“6t ihr einen ädjt toleranten Äatholilen , ber mit Dem geuereifer eines hl- Paulus bie fanfte ©tele eines Johannes ber» binbet unb Men alles ift unb bon Men ohne Unterfchieb ber Eon* feffion geachtet unb geliebt wirb, Solche ffatljolifen hot rt auch bor

*) 1. c. €>. 892.

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9 Xo(etan) unb 3ntoIeranj. 215

unb feit ber Deformation, bon Srtanj bon ©aleä 6i§ ^iu§ IX. biele gegeben unb gibt beute noch- SDDo immer ^roteftanten unter $a= tbolilen leben, erfreuen fie ficf» einer auögebehntefien Soleranj bon fatholifdjer ©eite, wie ^roteftanten in jüngfier 3e>t felbft gar oft bezeugten. Seiber ift bieS aber umgefebrt oft nicht ber §aH. Wan erinnere ftcb nur an gewiffe tfaftnachtSumjüge in ben proteftantifdjen ©täbten 3üncb, Sern, Safe! unb ©enf.

„Dbet bie ffatljolilen berbammen DnberSgläubige, ober halten fte für berbammt.“ ®a§ ift eine fcbon taufenbmal mibertegte Süge. 'Ser tntfjo(ifd)e ©taube berbietet un§ Semanb ju berbammen ober für berbammt ju batten, fo lange er lebt. „Dichtet nicht, fo roerbet ihr nicht gerichtet merben."1)

ffleber bie fatholifdje Kirche noch ein einzelner ffatholil ber» bammt jene, bie außer ber ffiräje finb. ®ie Äirche fagt nur, roa§ berbammt, nicht roer berbammt wirb. Dber: „Dußer ber ffirche ift fein f)eit" behauptet bet $athoIif unb IßiuS IX. bat im ©ßllabuS ben ©aß berbammt: eS fei gute Hoffnung ju hegen betreffs be§ ewigen Reifes aller berjenigen, bie fleh nicht in ber wahren Kirche befinben." (©aß 17 be§ ©ßflabuS bom Sabre 1864.) Wan höre, wa§ berfelbe SßtuS IX. ju biefetn ©aße fagt. Sn ber DUocution bom 9. Secember 1854 erllärt er feierlich : ,,®S fei ferne, baß wir ber göttlichen Samt» berjigfeit, bie imenblidj ift, ©chtanfen ju feßen wagen; eS fei ferne, baß wir bie geheimen Dathfd)lüjfe nnb Senate @otte§ ergrünben wollen, bie ein großer Dbgrunb finb unb bon feinem menf<bti<hen ISenfen burchbrungen werben fönnen. iff nach bem ©Iauben feft* juljaften, baß außerhalb ber apojtolifchen, römifchen ßirche Diemanb ba§ £eil erlangen fann, baß fie bie einzige Strebe be§ $eile§ ift unb baß wer nicht in fie eintritt, in ber ©ünbflutb untergeht; aber ift ebenfo für gewiß anjunehmen, baß bie, welche ficf) in Unwijfenßeit über bie wahre Deligion befinben, falls jene unbejwinglicb iff, beß= halb mit feiner ©<bulb bor ben Dugen be§ ^errn belaftet finb. Dun aber, wer fotlte ftd) fo biel anmaßen, baß er bie ©tenjen einer folchen Unwiffenßeit bejeichnen fönnte, nach Waßgabe ber berfchiebenen Ser« hitltniffe unb ber Wannigfaltigfeit bet Söller, ber ©egenben, ber ©eijter unb fo bieler anberer “Singe? 2Benn Wir einft bon biefen förderlichen Sanben befreit ©ott fdjaHen werben, wie er ift, werben wir fidjer emfeßen, mit wie innigem unb fchönem Sanbe bie göttliche

*) cf. SRattb- 7. 1.

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Aotler Qaufer.

10-

Sarmherjigfeit utib ©erechtigfeit öerbunben finb; fo lange mit aber auf ©rben meilen, bon biefer Äßrperlaft befchmert, bleiben mir feji babei nach bem fatljolifchen ©tauben, baß ©inen ©ott, ©inen ©tauben, ©ine Saufe gibt; roeiter noch im fjorföen botjubringen, ift nit^t geftattet. Aber fo mie eS bie tßftidjt ber Siebe bertangt, berrichten mir fortmäljtenb ©ebete, baß alle SBölfer aßermärtS ftch ju ©brifiuS betehren. ©o bienen mir bem gemeinfamen £>eile aller TOenfdjen nach unfern Kräften; benn bie Ipanb beS #errn iji nicht berttirzt, unb niemals roerben Senen bie ©aben bet himmlifchen ©nabe fehlen, bie, bon biefem Sichte erleuchtet ju merben, aufrichtigen .'perjenS ber* langen unb flehen."

©o tpiuS IX. SaS Hingt roahrhaft toleranter, als wenn Suther fagt: SaS foß mein SRuhm unb meine ©Ijte fein,

miß’S auch fo hoben, baß man bon mir hinfort fagen foß, mie ich botl böfet SBorte, ©d}eltenS, gluchenS über bie Sapiften fei. 3<h miß auch hinfort mich mit ben Söfemichtern jerflu^en unb jerfchelten bis in meine ©rube unb foflen fein gut fflort mehr bon mir hüten. 3<h miß ihnen mit meinen Sönnern unb öligen alfo jum ©rabe läuten, benn i$ fann nicht beten, ich muh babei fluchen, ©oß ich fagen: „©eljeiliget merbe Sein ßlame", muß ich babei fagen: „Ser* flucht, berbammt, gefdjänbet müffe merben ber Sopiflen tarnen" ic. SEßahrlich, fo bete ich ohne Unterlaß."1) Sie ©orte ^iuS’ IX. unb beS bielgefchmähten ©pßabuS Hingen audj toleranter, als menn ber „fanfte" Ulelanchtfjon bie Ausrottung ber SBiebertäufer berlangt, ober er bie Serbannung ©erbet’S als ein „frommes unb für bie 'ßadjroclt benlroürbigeS Seifpiel" erflärt, ober menn er feine ©egner „abgöttifdje unb fophijlifche Sluthunbe" nennt.

SBie tolerant gegen uns flatfjolifen Heinrich VIII., ©lifabeth bon ©nglanb unb bie franjöfif^en gelben ber SRebolution in Sßort unb Shat maren, erzählt bie ©reichte hinlänglich- Aber gleichmohl nennt man nur uns ffatfjolifen intolerant.

3n ber SageSpreffe führt man eine Sprache gegen unS, gegen unfere Sehren, unfere Snftitutionen, bah Suther noch tolerant er* fdjeint. Unfer £)eiligfte8 roirb bem ©efpötte but<h Silb unb 2Dort preisgegeben. Sriefter unb OrbenSleute merben öffentlich bethöhnt, bie IJefuiten jagt man aus Seutfdjlanb unb fagt: „Sieber bie ^ßeft als bie 3efuiten," bie barmherzigen ©chmeftern treibt man bom

’) futfjtr SR. ffl. »uSfl. XVI. 2085.

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tolfianj unb 3ntolcranj.

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Itrantenbette, bie ©cbulbrüber auB bcr ©<hule, 9We aus bem ®ater* lanbc; in freien ©chweij überliefert man ©otteSbäufer ben 9Ipofiaten, ftört man ben öffentlichen ©otteSbienft, »erbietet unb be= ftraft man bie ©penbung bcr bei Eigen ©atramente; unb weil mir baS 9llle§ ftiUfcbmeigenb ^inne^men, fd>ift man un§ intolerant nur bejj* megen, weil mir nod) ffatboliten bleiben motlen.

gibt öiele eble ®roteftanten, mel$e nie^t nur bie 3ntoleranj bieler ihrer ©laubcnSgenoffen gegen bie fatbolif<be Itircbe tief bebauern unb öerurtbeilen , fonbern auch felbft gegen un§ eine großherzige djriftlicbe Siebe an ben $ag legen. Sßir anertennen baS, aber bie eigentli<be ©djule ber Üoleranj, ber Siebe ijt nur bie fatljolifche ßiribe; fie bat jene ©eiligen erjeugt, mel<be ibt Seben bem JBoble bei 9tebenmenfchen ohne Unterfc^ieb bet ßonfeffion geopfert; fie fiat jene Orben geboren, welche ben trauten Stuben ober ®roteflanten mit ber gleichen Siebe pflegen roie ben Jtatbolifeu; fie bot jene ÜJliffiouäre grofj gejogen, welche ben Srrenben bie gröfjte SBobttbat ermeiftn, in* bem fte ihnen bie SDabrbeit miebergeben, oft unter Sßerluft beS eigenen Seben*. $>er rechte Uatfiolif ift tolerant, wie fein £>err unb TOeifter tolerant ift, ber getommen war ju fu^en unb felig ju machen, was öetloren war.

IV. fRtligiöfe Joleranj ober 3nbifferentiSmu$.

„ffler Damit anfSngt, ade 9)(tlgioncn für gltl<$ aut /> ju galten, Der gort Damit auf. alle Steiigtonen für 1 , gleiig Wiegt |u galten." j J

D. 9) a u m e r. j

3ti<ht umfonft forbert baS ^ahrhunbert eines neuen C)eibentbum§ Üoleranj, Dichtung, SRefpeft bor allen Meinungen unb ffieligionen ; beim biefe religtöfe ^oleranj führt jum SnbifferentiSmuS, jur 9teligionSglei<b* giiltigteit. SMefe ift, wie ©djleininger fagt: „bie grofje

©ärefie beS 25a^r^unbertS unb ber allgemeine ©umpf , in ben fcbliefjlidb alle glüffe, ®äcbe unbSclchlein be§ SrrtbumS einmünben."1) f)iefer JlnbifferentiSmuS ift ber größte geinb beS ©briPent^umS, „ber 2ob aller fluliur unb alles ©IaubenS" wie P. 'Dtac*6arthh fagt. TOan fchreit „Soleranj über alles." „(£§ fommt nicht barauf an, was man glaubt, wenn man nur recht banbeit." „9lfle 9teli» gionen finb gleich gut." „Sfflenn man fo einen tieffinnigen ©ah loSgelaffen bat, f^aut man fiegreicb um fid), tbut einen tiefen 3«g aus bem SBierglaS, benn ber Sßapft unb baS ^apfttbum liegen ju

') P. ©dileininger 1. c.

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91 o 1 1 e r fcaujer.

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©oben."1) „Rlle Religionen ftnb gleich gut,“ biefe bimlofe ^rafe ^ört man b'utjutage überall unb auf ©runb biefe? mobernen $>og* ma’ä bedangt man religiöfe Soleranj. SMefe $oleranj a6et if! ein ©elbjtmorb ber Vernunft, bie Serjtoeiflung an aller 2BaIjrI)eit.

2)iefer religiöfe ober beffer irreligiöfe 3nbifferenti3muS ifi ba? Äinb ber Reformation. 3Jtit ber freien tforfdjung in ber Bibel machte biefe ben TOenfcben jum Ritter in religiöfen Gingen. 3feber mürbe ein S)octor ber Rheologie unb bie Religion eine $i?J)utirerei ober ein ©efäjrofty. Bon bem ^alfre 1517 bi? jum ©nbe be§ löten Safjrljunbert? entftanben, roie 3cilflenofTe» berichten, nicht meniger als 270 ©eiten unb ©eltlein, unb e? gibt leinen ©elebrten, ber alle ©eftalten, meldje ber ißroteftantimu? bi? jur ©tunbe burchgemacht bat, aufjäblen lönnte. $iefe? emige Rütteln unb Ummobeln am

G^riflent^ume mußte jabllofen Btenfcben ba? (5briftent£»um felbft

jroeifelbaft erfdjeinen laffen. 6? iji begreiflich, wie bie ©inen an aller SHJabrbeit berjtoeifelnb praftifd^ gleichgültig gegen alle Religion mürben, bie Rnberen aber menigjten? eine grunbfäßliche ©leichgültigleit föufen, um troß ber religiöfen Setftfjiebenbeit bo<h leiblich al? Bürger §u* fammen leben ju lönnen. _@o ifi ber große ©hiflerifhe Unftnn ent* Rauben, au? lauter Religion (eine Religion |u haben.

2>er 3nbifferenti?mu? ift bie tieffte ©<hma<h, meld^e ber menfh* lieben Bernunft angetban merben Iattn; benn ma? ^eigt in ber Religion gleichgültig fein? 6? Reifet fi<h um SBabrljeiten, melihe

an ficb bie ebelften unb bem OTenfhen bie notbwenbigjten ftnb,

nieht? (ümmern. $er bloße 3'ue*fpl an biefen Höabrljeiten ift ber Job be? ©eifte?, aber bie ©leiehgültigleit gegen biefe Sabrbeiten ift etma? BerrüdteS. Rtan muß ju ficb fel&er fagen, baß nicht? baran liege, ©emißljeit barüber ju erhalten, ob mir eine unjierbli^e ©eele haben ober nicht; ob mir für bie 3ufunf* nicht? ober alle? ju befürchten haben; ob mir einjt ©enoffen ber Sngel ober ber Teufel ftnb, ober ob mir im allgemeinen SSieltjiaub aufgeben merben. 2>a? ift bie äußerfte Unöernunft unb jugleih eine ©otteöläfterung ; benn e? ift eine Seugnung ber göttlichen ffiabrbafligteit unb heilig* leit, ju meinen, ©ott tümmere ftch nicht barum, ob bie HJlenfhen ihn, ben mähren ©ott, ober falfche ©ötter 'anbeten, ob fte ihn auf bie rechte ober falfche SEQeife bereden, ob fie feine Offenbarung glauben ober bermerfen, unbetf aifdjt erhalten ober berbrehen. S)iefe religiöfe

') P. »ob. 1. c. ©. 58.

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Joterunj unb 3ntottranj.

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ioleranj unb biefer 3nbifferenti8mu§ ift Seugnung ß^rijli unb beS GhriffenihuntS, unb ShriffuS bot öon bornbetein fein BerwerfungS* urteil über biefe $oleran$ auSgefbrochen. „2Ber nicht für mich ift, ber ift wiber mich-"

6s gibt lein Mittel in ber ganjen BBelt, butch welches man fidlerer bie einzelnen Seelen oerberben, bie [Religion, ba§ ©briffenthum jerffören lann, als biefe teligiöfc Soleranj. ©benbarum b°t P* IßiuS IX. in feinen erhabenen (Sncljclifen bon ben 3af}ren 1861, 1862, 1846 unb 1856 beworfen unb berurtheilt. $5er bur<b ben ©bBabuS berworfene ©aß Reifet:

„®ie BRenfcben lönnen bei Beobachtung jeber beliebigen '.Religion ben 2Beg be§ ewigen £>eileS pnben unb baS ewige ipeil erreichen." (©aß 16 beS ©bflabuS.)

2)ie religiöfe Soleranj ift ein ju großer ffiiberfpruch gegen bie menfchliche Btatur, als bafs fie in 2Birflid)!eit große Verbreitung fänbe. [Rein, gibt nicht biele religiös ©leidjgültigc. ©S gibt ©injelne, bie jeitweilig fc<h bem 3nb'ffeTentiSmu§ h'ngeben; bie BRacbt ber [Ratur unb ber ^hatfadhen, bie ©ewalt beS fiebenS jwingt fie jebod) halb ent Weber jurücf ju ber befiimmten [Religion ihrer Sugenb, ober jur beftimmten Seugnung aller [Religion, jum [Religionsbaß, jur Ber*

* folgung jeber pofitiben [Religion, ©o ift bie religiöfe Soleranj ober ber 3nbifferentiSmuS ber burdjlöcherte BRantel, um ben £)aß gegen baS ©bripentbum etwas ju betbeefen. 3n bet Spat iP man im Staat, in ben ©efejjbüdjem , in ber ©<hule, im öffentlichen Sehen gleichgültig gegen alle [Religionen, nur nicht gegen baS ©bripentbum, mag eS pep nun noch im brotepantif(p*ortbobojen Befenntniffe ober in ber latholifchen JHrche offenbaren. BRatt fchreit „Stoleranj", man 1 gibt bor, 3eben nach feiner ^09011 felig werben ju laffen. 3a, nur nicht bie Hatpolifen. ©egen alles iff man tolerant, nur nicht gegen bie fatfjolifche SJirdje, biefe aber foB tolerant fein, ©ie foB fchweigen.

©ie foB nicht fagen, baff pe bie wahre Äinpe fei,- ba§ ift bie größte Beleibigung beS toleranten SaprljunbertS ; baff es eine SBahrpeit gebe, außer bie, welche bie Mfffärung jeweilen proclamirt, baS ift baS große Blergemiß ber erleuchteten neuen 3eit. 5)ie Äircpe foB einfach auch gleichgültig werben, b. p. P<h felbft aufgeben. Biber baS thut pe nicht, lieber Äampf unb BRaribrium, eben baruttt aber iff pe als bie 3ntolerante an ben ffkanger geffeflt. ©S pnb für oberflächliche Seute öerlocfenbe tßhrafen: „BRan lann in jeber [Religion felig werben," „Me [Religionen pnb gleich gut," »®aS iff bie bepe [Religion, wenn

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91 otftr §aujer.

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man nur recht b<inbelt," unb felbfi ßatbolifen haben fich burdf foldje «Sprühe fangen (affen. Sin dichter täfet ben Teufel fagen: Sr gebe taufenb $obfiinben unt eine einzige falfche 3bee. ijl baä eine tiefe fflabrbeit. $er fOJcnfcf> banbeit gewöhnlich, wie er benlt. (Datum fommt batauf an, waä man glaubt, b. b- roaä man für ©tunb* fä^e §at.

©ie bie ©runbfäjje, fo bie £>anblung. (Darum ifi bie tfälfdjung beä 93erflanbeS burd) fdjlecbte ©runbfätje baä tiefjie, weil am fchwerfien f heilbare SBerberbniü beä ©enfchen. $eäbalb geben auch ade 3ene, welche ihre ©itmenfcben öerberben ober beffern woden, bor adern barauf auä, ihnen fdjlecbte ober gute ©runbfäfce beijubtingen. Sin fchledjter ©runbfajj ift bie religiöfe $oleranj, unb biefer ©runbfafc bat fich bereits bei öielen ffatboliten eingebürgert; barum fcbweigen fie, toenn ihre (Religion berböbnt wirb, ober helfen fogar mit, barum (efen unb bejahen fie glaubenäfeinbliche 3eübugen, barum ftimmen fie bei ©ablen unb ©efefcen liberal, b. b- antilatbolifdb. ©erben biefe Ä?atbolifen toobl butch i^re Soletanj ben öeifafl beä Unglaubens fiep erwerben? ©it nieten! @oldj’ eine ÜRemme wirb überad berad)tet unb folcpe S^arafterlofigleit nur auägebeutet, um nachher in ben (Rumpelfaften geworfen ju werben. $arum fei eines jeben Jfatbolifen ( ©runbfafc ber beä eblen Seba ©eher: „dfteine 9lrt war bon jebet entftbieben: ben Teufel nenn’ ich Teufel unb Sbriftuä meinen ©ott unb ijjetrn."

V. 3)ie ftinbt politifch tolerant.

„Ba* ift bol grobe Botte^t bet flitdic auf Orten, pe taten nit$t beeoaftnet Unr«$t t$un."

Sacarbairc.1)

(Die latbolifcbe &ir<be refpeltirt gan$ unb bod bie Bürgerlichen (Rechte anberer Sonfefftonen unb ihrer ©lieber, fie jwingt (ßiemanben ju ihrem ©elenntnifje, fte bebient fiep im ftampfe nicht beä ©dj wertes bon ©tapl, fonbern nur ber ©acht ber Ueberjeugung. ©enn man biefe bifiorifche ©abrbeit auäjufptechen fi<h erlübnt, fo födt bie ganje liberale ©eit in „fittlicbe Sntrüfiung“ unb ba fpajieren bie ©eifter ffarl beä ©roßen, ©regor YII., SBonifaj’ VIII., fferbinanb II., (Dorquemabor’ä, (ßeter Slrbueä’ ic. auf, ba lobetn bie Scheiterhaufen ber fogenonnten 3nquifition, ba bampft baä (Blut ber Sartbolomauä» nacht unb als ©cprecfen oder ©cbrecfen erfcheint bet ©qdabuä unb

') Sacorbaire, ffonferenj VI. 1835.

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Xolerait) uni) 3nto(«ranj.

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bie gefürchtete ©nchclica. 2Jtan reißt Sfjatfadjen bon ber SBurjel beS gerichtlichen SobenS weg, fällst fo bie ©efchichte unb macht au§ ber fatholifchen $ird)e eine rafenbe gurte, unb gegen biefe betet man bann bie ©eifier auf.1) Unb bodj gibt hißoofch feine beffer begriinbete äöaljrheit, als bafe bie Äirche politifch tolerant ift.

©bdjtu§ unb fomit auch ber Äirc&e ift bie ^errfdjaft über bie ganje SBelt gegeben. ®ie Äirdje hat bie ^3fTicf>t unb ba§ Secht, alle Sölfer ju lehren *) unb alle Söller unb alle Slenfchen ^aben bie 5ßfli<ht, fie §u hören unb ftdj ihrer güljrung ju unterwerfen. ®a3 $aubtaugenmerf ber flirre ift baljet bor allem barauf gerietet, bie 3uben unb Reiben jum 6hr'fienthum ju belehren , aber nicht burdj 3»ang unb ©ewalt; bentt ber ©laube ift ein ©efdjenf ©otte3 unb jugteich ein 9tlt beS freien menf<hli<hen SöiHenS. 63 gehört nicht jur Seligion, jur Seligion ju jwingen; öertheibigt foö biefe werben, aber nicht burd) Jöbtung, fonbem burd) Eingabe beS 2eben§; nicht burch ro^e ©ewalt, fonbem burch ©ebulb; nicht burd) Unthat, fonbem burd) ben ©lauben, burd) ba§ geuer ber Sebe füllen bie Konten be3 3rrtljum§ in beS DSenfdjen Innern ju brennen anfangen unb bie ginftemiß ber geiftigen Sa<fjt erhellt werben. ®enn, fo wie er burd) eigene @d)u[b ber Schlange gehorchte unb fi<h ben Untergang bereitete, fo foH er auch auf bie ihn rufenbe ©nabe hören nnb fich burch Be« fehrung beS ©inneS, burch ben ©lauben retten.®)

®a§ finb bie ©runbfäjje ber fatholifchen ffirdje bezüglich ber Belehrung ber Ungläubigen. ®iefe hot ©IjrifiuS ber £err felbfi ge« geben. Sid)t wie wohlbewaffnete Sitter fehieft er feine Spoftel unter bie Bölfer, fonbem wie Sämmer unter bie SEÖötfe. ®iefe ©runbfäfce hat bie Jfirdje jtet§ geführt unb beobachtet. 3m fDtittelalter, jener „finftern" 3e't, wie fie unfer Sad)teulen»3ahrhunbert ju nennen beliebt, in jener 3e<t, wo man bie £ird)engemalt als eine unbefchränfte bar« (teilt, lehrte ber hl- ®h°tna3 bon 91quin: „®ie Ungläubigen, weldje niemals ben chrijtlichen ©lauben angenommen haben, wie bie 3“ben unb Reiben, bürfen in feiner SBeife jum ©lauben gezwungen werben, benn ber ©laube hängt bom freien SEBiöen ab.“4) Sogar bon ben gotteSbienfllidjen ©ebräuchen ber Ungläubigen lehrt ber hl- ®h°nta3, ba§ fie bon ber #ird)e unb ben fatholifchen Segierungen gebulbet

*) cf. hierüber SB atme 3, 1. c. ®. 387 sq.

*) cf. Stotit). 28, 18-20.

’) cf. Sßbinip’t ftinbenreebt, II. ®. 400.

*) SEbomaS, Summa tbeolog. III. I., 9. 10- Htt. 3.

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dotier Qaufer.

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werben follcn. „Obwoßl,“ fagt et, „bie Ungläubigen bureß ißre religiöfen ©ebräueße fünbigen, fo biirfen fte boeß gebulbet »erben, entmeber wegen beS ©uten, baS pe noeß immer an fieß hoben, ober wegen beS größeren ©Öfen, baS fonp entpeßen würbe." !) 3)a3 ifi muß bie Slnpcßt unb Sehre aller großen fotogen ju aßen 3e^cn- „$ie $ir<ße," fagt Äetteler, „ehrt fo feßr ©ewipenS* unb ReligionS* freibeit, baß pe jeben äußeren 3maiig ouf Jjene, bie ihr nicht an* gehören, al« unpttlicß unb öoQtommen unpatthaft abweift. "*) ©Senn tcbo<b oon ©ewipenS* unb Religionsfreiheit bie Rebe ip, muß man wißen, was bie ©ernunft allein unter biefen ©Sorten Derpehen fann. „Süe pttlidje greißeit ift nicht ein Recht jum ©Öfen , fonbern bie innere freie Selbßbeßimmung junt ©uten, Derbunben mit freier ©Saßl, mit ber TOöglicßleii beS ©Öfen unb mit ©uSfcßluß eines äußeren 3wangeS. 2sie freie Uebetjeugung ip an fieß lein Recßt jum ^rrtßum, jur Süge, fonbern bie freie innere Selbpbeftimmung $ur ©Saßrßeit oßne äußeren 3roang. ®ie ©Saßt beS ©uten unb beS ©Saßren ift jugleicß in bei ben Säßen eine spießt, unb jwar bie ßöcßpe, bie ber ©ienfcß ßat; bie ©Saßt beS ©Öfen unb ber Süge ba* gegen ©lißbraucß ber gewährten greißeit. Rur in biefem Sinne tarnt Don ReligionS* unb ©ewiffenSfreißeit bie Rebe fein." s)

gn biefem Sinne war bie ftireße ftetS politifcß tolerant felbp gegen 2>uben unb Reiben; in biefem allein Dernünftigen Sinne

refpettirt pe bereit ©ewiffenS* unb Religionsfreiheit, liefen ©runb* fäßen aber feßeint auf ben erften ©lief baS ©erfaßten ber Äircße . unb ber weltlichen ©ewalt gegen bie £äretifer im ©1 ittelalter $u wibeefpreeßen; ba feßreit man gleich Don graufamer ©erfolgung ber ffeßer, Don golterqualen unb Sdßeiterßaufen. ©S ip waßr, wie Dr. $efele in bem Seben beS Sarbinat XimeneS auSeinanberfeßt, baß ein tircßliißeS ©faubenSgericßt Don ©nfang an unter ben Gßrißen beftanben ßat. Ißäpße, Sßnoben unb ©oncilien haben tpäretifer be= ftraft, gewipe geipige ©üter ber ffireße ißnen entjogen; eS bePanb

fpäter eine fircßlidje gnquifition , eine ©ontrole über bie Reißt*

gläubigteit ber ©lieber ber ffireße; aber eS ip nidßt waßr, baß bie ffireße bie ffeßer mit geuet unb Sißwert bePraft ober jum taißolifißen ©lauben gezwungen ßat.

©IS feit ßonßantin unb ffatl bem ©roßen Staat unb ffireße in

') tfjoroas, Summa theolog. 1. c.

*) fletteler, greißeit, Autorität unb ftirCße, 2>. 145.

3) ffetteler, 1. c. S. 133.

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Xoteranj uni 3nto(eranj.

223

bie itmigfie 3?erbinbung gebraut unb bie dpriftlidje Steligion ©taat§* religion würbe, ba würbe bie £)ärefie , b. fj. baS ^artrtädige 33e* fielen unb ®efjarren eines gültig getauften ©fjriften im 3rrtpum (einer tom fatfjolifdjen ©lauben abweicpenben Sepre) nadj borpergegangenet pinreicpenber Unterweifung, unb ber partnädige SZÖiberfprut^ gegen bie Autorität ber Äirdje als ein 33erbred)en gegen ben Staat betraget unb 6epanbelt. Die Seftrafung ber ffetjer burc§ ftuSfipliejjung öon Remtern, bure^ Beraubung be§ ©rbfcpaftSredpieS, ja felbjt burcp ©e* fangenfdjaft unb Dob war eine politifdpe unb nicpt eine tirdplidje Dpat. Die ^ärefie al« bürgerüdjeS Sßerbredpen patte baper bie ffiinpeit beS ©laubenS jur SBorauSfepung unb ijl mit biefer jefct au<p au§ ben ©efepbücpern berfcpwunben. Die Äirdje unb ihre größten unb peiligften Seprer fpredjen fi<p fietS gegen bie DobeSftrafc ber ftejjer auS. Die ^nquifition, infofern fie ber ^rrlepre, ber Slpojlafie jum Subentpum ober jum Ueberwiefene mit Inmenbung

äußerer ©ewalt beftrafte, ift ein reines ©taatsinftitut, bie Äircpe pat ftetS gegen beffen RuSfcpreitungen proteftirt unb fann nic^t bafür ber* antwortlidp gemalt werben. Do<p, ba« 2WeS ift ftpon taufenbmal gefagt unb felbft in protejiantifdjen ©eftpitptsbüdjern ber ffiaprpeit gemäß bargelegt worben. Die fjeinbe ber S?ird»e werfen gleitpwopl mit berpaltencn Opren1) bie ©teine auf fie.

„Die fijen Jjbeen unb Sßorurtpeile unferer ©egner," fagt SBife^of ffetteler, „laffen fidj überhaupt Weber burtp Dpatfadjen, no<p burtp ©rünbe wiberlegen. * *) Das erfiept man befonberS aus bem 2Butp» geftprei, baS fie felbft gegen bie geiftigen ©trafen ergeben, weltpe bie flirre über fjeplenbe, bie i^rer ©ewalt redptmäfjig unterworfen ftnb, beringt. Die ßircpe pat zweierlei geiftige ©trafen: foldje,

bie bloS baS 3nnere beS Strafbaren, unb folcpe, bie auip fein äufeereS Serpältnifs jur ffirdje unb jum (priftlitpen ©taate be* rühren. Die erjte ©träfe ber Sirdje ift eine innere, ba§ freiwillige Selenntniß ber ©ünbe unb ©tptilb burcp bie Seifte. 3n biefem peiligen ©alramente übt bie ßircpe eine göttlicpe ©trafgewalt,

welcpe ben tfcplenben bemüßigt unb ergebt, fcplägt unb peilt. 3n biefer ©träfe ift alles enthalten, was Religionen unb ppilofoppifcpe ©pfteme je ©rofjeS unb ©rpabeneS bon ber ©traf« gewußt paben.

2Rit biefer inneren ©träfe berbinbet bie Äircpe eine äujjere: bie ©jcommunication, b. p. bie geringere ober größere ©ntjiepung ber

’) Ktt.^7, 56.

') Rettetet, Die Ratpotiten im Deuljipen Steife, Sottoort.

2

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■Rottet Raufer.

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geiftigen ©üter, über reelle bie ffirdje berfügt; bie ganje ober theil* weife au&fcpließung au$ ber ©emeinfcpaft ber flirre. auch toiefc ©träfe beruht auf göttlichem 3tecpte unb Ginfejjung burcp GprifiuS.1)

aber warum tobt man benn fo wiber bie Gjcommunication als Itt Ijbdjfter ^ntoleranj? SBeil Tie fine Offenbarung ebelfiet unb mäcptigfter greipeit ber ftirdje ift. 3)aS will unb !ann man aus purer Soleranj niept bulben. Sie ftircpe foö ©llabin ber Utenfcpfn unb ihrer 2eibenfcpaften fein, unb babutcp foll fie fiep felbft ruiniren. Sie fiircpe pot eine hoppelte Freiheit. Sie ffreipeit, ipre SJBabrpeit ju berfünben, ihre Opfer barjubringen, ihre ©aframente ju ber* walten, ihre Sugenben ju üben, ihre Hierarchie fortjupflanjen, unb fie hot bie Freiheit, bieS afleS unter gewiffen llmftänben nicht ju thun. Sieje Freiheit, nicht ju panbeln, ift noch mehr, als bie fjtei« heit, ju panbeln, fagt P, 2a c orbair e: „Gin SJienfcp fpricpt, man fann ihm bie 3unge auSreißen, er h<bt feine Hänbe jum ^>immel, man lann fie ihm abfchlagen, er geht um bie ©acramente ju fpenben, man fann feine ©cpritte hemmen, aber bon ihm ju bedangen, bah er panbelt, wenn er nicht will unb nicht barf, um ihm bie Söorte ber 2oSfprecpung ober ber SÖüeipe ju entwinben; ma§ wirb man tpunt SJtan Wirb ihn bielleicht töbten. aber gerabe baS ift fein Triumph, benn wenn man tobt ift, fo tfjut man nicht». Se r Sob hebt bie Freiheit ju thun auf, ber Sob heiligt bie §reipeit, nicht ju thun.“*)

Sa» ift nicht intolerant, baß bie $ircpe ^etnanben etwas berweigert, waS fie nicht fchulbig ift; aber intolerant ift eS, bon ber Äircpe etwas §u betlaugen, woju man Weber bor ©oit noch bor ben SJtenfcpen ein Stecht hot- Sie geizigen ©trafen ber flirre fcpließen abfolut feine ^ntolerauj in fiep, unb nie bis auf bie heutigen Sage, nie war fie politifcp intolerant. Gs ift beäpülb, wie ftctteler fagt, ein unwahres unb boshaftes Sreiben, wenn man bie tßroteftqnten glauben machen will, fie hätten bon ber Äircpe gewaltfame SBefeprung ju befürchten.

„Stach fircplicher auffaffung beftefjt bie SoSpeit unb baS ©trafbare ber Härepe in bem Süiberfprucp gegen bie rechtmäßige autorität ber Äircpe. 2Bo Paper feine Ginfi(pt in biefe autorität borpanben ift, fann bon einer ipärefie im ftrafbaren ©inne gar niept bie Siebe fein. SarauS folgt, baß ber Segriff {traf barer ©inne ber Äitcpe überhaupt niept auf Jene angemenbet werben fann, melcpe fiep niept felbjl bom ©epooße ber ffirepe getrennt hüben, jonbern

l) cf. räattb. 18, 15.

’) Sacorbaire, Gonferenj YII. 1835.

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Sottronj unb Sntolcranj.

225

Don folgen abflammen, bie langt borljtr öon bet flirrt abfielen. SBann unb mo bei i(jnen bann bet Irrglaube ©ünbe mirb, fann nur ©ott beurteilen, ber bie Jperjen burchforfdjt. Sfeu&erlidj ift e$ um möglich, biefeS fefljufteüen. Obgleich ba^er bie ßird)e alle diefe, fo* roeit fie gültig getauft finb, als ©lieber ber ©inen, beigen fat^alifdf>en ifirdje cmfre^t unb beSfjaib im ©runbe unb bor ©ott auch als ber firChlidjen ©eroalt unterroorfen betrautet, fo liegt ihr bod» ferne, bon ber fachlichen ©emalt gegen fie einen äufjeren, ftrafenben ©ebraudj machen ju moflen. 3finen gegenüber fann bie itirche in biefer f)in» fttht nur ben ©tanbpunft cinneljnten, bon bem aus fie itfr SBerbältnifj ju ben Ungläubigen betrautet."1) darum ift eg fatholifdje Wajime unb iflrajiS: wo anbere religiöfe ©enoffenfehuften nach bürgerlichem Siechte befiedert, ift ein fatbolifeber §iirft ihnen boßen 9te<bt*f<bu$ fchulbig, unb et mürbe burep äußeren 3!II(in9 9e9m bie ©runbfäbe feiner Jtirche berftojsen. ©o lehrt unb übt bie #ir<he unter ben notbmenbigen bon ber Vernunft febon geforberten 6mf<hränfungen roabre doleranj unb ächte SieligionSfreiheit, unb mit biefen ©runb* fätjen ftebt ber ©pflabuS feinelmeg«, mie mir gleich feh«t roerben, in SBiberfbrud). hingegen auf ba§ Stecht mirb bie Äircpe nie berichten, 3rrtf)um ^rrthum §u nennen, für bie Srtenben ju beten, ba§ SBort ber Wahrheit laut ju berfünben, unb diejenigen, bie ihren ©lauben berleuguen, aul ihrer Witte auSjuf^liegen unb ein machfame« Sluge auf bie Steinbeit ihrer Sehre ju haben; benn „bie fChlimmften geinbe ber itirche finb diejenigen, meltbe fi<h niept al* folche erllären, fonbern fiCh äußerlich an fie anfcplie&en, um befto fixerer gegen fte mitten ju föitncn ; ba§ finb reept eigentlich bie giftigen ©drangen im SBufen, bie nagenben Wäufe in bem Srobfncfe, bie glühenben Sohlen in bem ©etoanbe." *)

TI. doleranj, ©pflabuS unb (Sncpclica.

„35er Compaf;, bet auf ben cnblofen ftlätfcen be* öcean« ber brr* «erirren betbatjrt, ift niemali ein gefnb be» See* faxtet« genannt tooiben,"»)

„©ie läftern, ma» fie nicht berjiehen,"4) bie« apofiolifche Wort lägt fi<h ohne Sntoleranj auf 3ene anroenben, roelche über ben ©pflabuS

*) ßeiteltr, 1. c. ©. 149 sq.

*) cf. 3$büti)’3> Jtird)cnr«d)t II. 6. 390. *) Salme# 1. c. Sb. U. ©. 379.

4) cf. 2. fthr. 2. 12.

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91 o t f e r Q auf er.

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unb bie ©ncpclica fchmähen als einen SluSbunb lir^Iid&er 3ntoIeranj. 3)er 2iberaliSmuS nimmt gleich ben Sunb bofl unb fagt; „S)ur<h ben SpflabuS ift berbammt bie greiljeit wiffenfdjaftlicfjer gorfchung, öerbammt ©laubenS* unb ©ewifjenSfreiheit, berbammt bie Se<htSglei<hheit adet ©onfeffionen im Staate, berbammt jcber nicht römifch’fatholifche ©taube; mit ©eroalt wid ber t|Bapfl in jebem Staate bie fatholifche SReligion einführen." Sobiel 33erbrehungen als Sorte. ©8 ftnb eben bie Schlangen im Bufcn, bie alfo jifchen.

Sie h<i&<n benn bie Sä{je be§ SpdabuS, bie mit ber Uoleranj in Berührung fommen?

©inet lautet : 3n unferem 3ei*aI*er 'P eS nicht mehr

juträglich, bafe bie fatholifche Seligion als bie einjige Staate religion, unter Wu8f<hlufj aller übrigen SeligionSübungen gelte." (Safc 77 beS SpnabuS.) $)aS hatte ber fiiberalimuS behauptet^ biefeu Sah ganj allgemein genommen, hat ^iuö IX. al§ falfch berroorfen unb berurtheilt. Sber welches ift fein Sinn? SßiuS IX. hat gefagt, bafe man um bie einzelnen Süfce be8 SpdabuS ju bet» fte!jen, biefelben im 3ufammenhatig mit jenen päpfilichen ©rlaffen, aus benen fie genommen ftnb, betrachten müffe. $ie Sdocution nun, welcher obiger Sah entnommen ijl, hot ißiuS IX. am 26. Jjuli 1855 gehalten unb fie bejieht ftch auf Spanien. ber Segelung ber lird}lichen Berljältniffe in biefem Sanbe bom 3flhr 1854 war, wie ber hl- Bater fagte, »unter berfchiebenen Beftimmungen jum Schuhe ber fatholifdjen Seligion bor allem feftgeftedt, ba§ biefe Seligion mit SuSfdjlujj allet anberen SeligionSübungen als alleinige Seligion ber fpanifchen Station fortbeftehen unb beSljalb wie bisher im ganjen fpanifchen Seiche mit allen ihren Seihten unb Sßribilegien als folche erhalten werben foHe." ©inige 3abre fpäter würbe biefer feierliche Bertrag bom fpanifchen Staate einfeitig gebrochen, unb gegen biefe SechtSber* lehungprotejtirt 9ßiuS IX. in genannter Sdocution, welche unferenSpdabuS* fah enthält. Unb biefer hat feinen anberen Sinn, als bafj bie Behauptung, bag eS in unferem 3eitalter für f e i n 2a nb mehr angemeffen unb förberlict) fei, bie fatholifche Seligion als Staatsreligion mit SuSfchlufs aller übrigen SeligionSübungen anjuerfennen, irrig fei. „3ebe§ $iinau8« gehen über biefen Sinn," fagt Bifcfjof Sfetteler, ber in Auslegung beS SpdabuS ebenfo liberal als rechtgläubig ift, „liegt nicht in bem Sinne beS SpdabuS, unb bor adern wäre eS abfolut widfütlich, ihm ben Sinn jn unterfteden, als ob eS in ber Äbfidjt beS ^ßapfteS liege, bamit auSjufprechen, ba& in a 11 e n 2änbern bie fatholifche Seligion

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toleranj unb Sntoternnj.

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©taatSreligion fein Kläffe." *) ®ie ©ftnfefyaut unferet liberalen gelben ift baber fe^r finbifd unb berfriibt.

6in anberer burd ben ©pflabuS berurtbeilter ©a$ Reifet : „3n lobenSwertber SBeife ift baber in gewijfett Säubern Slflen, bie bort* bin einwanbern, gefejjlid garantirt worben, ba§ bie öffentliche Uebung ber eignen Religion Gebern jufiebe. " (©ab 78 beS ©pflabuS.) $)iefer ©ab ift ber 9lllocution bom 27. ©ept. 1852 enthoben unb bejiebt fid wieber auf ein ganj fatbolifche» Sanb, auf 'Ueu«@ranaba in ©iib’tlmerifa. Unter ben neuen ©efefceSbeftimmungen, weide, twn einem rabicalen Regiment bort aufgefteßt, bie latpolifde ßircpe böBig redtSloS malten, tabelte IßiuS IX., „ba§ Men eine unbefcbränfte ffreibeit gewährt' fei, jeben ©ebanfen unb aüe abenteuernden über* triebenen Meinungen burd ®rutf berbreiten unb fid fowobl im ^pribatleben, als öffentlid ju feber MeligionSübung, weide fie aud immer fein möge, belennen ju bürfen." Siefer ©pllabu3fa| fpridt alfo lebiglid au§, bafe bie unbebingte unb unbefdränlte ^Religionsfreiheit in 9teu*@ranaba leine lobenSwertbe üftoBregel fei, wabrlid nicht intolerant, ober bod nidt intoleranter, als ber ©taat $u aßen 3c'l«n mirllid war unb fein mufj; benn lein ©taat lann, wie wir nod feben werben, bei abfoluter ^teß* unb IReligionS* frei beit befleben.

©in britter ©a£ beS ©pflabuS, entnommen ber Mocution bom 18. ÜRärj 1861, berurtbeilt baS liberale $ogma: ,,^)er römifde

^ßapft lann unb mufi fid mit bem fogenannten gortfdritt, mit bem •SiberaliSmuS unb mit ber mobemen ©ioilifation auSföbnen unb ber* gleiden.“ 9tidt bie wahre ßibilifation berurtbeilt ißiuS IX. unb mit biefer iff aud leine «uSföbnung burd bie Äirde nötbig ; benn leb* tere ift aBejeit bie Patronin unb bie ©tnäbrerin ber wahren ßioilifation.

9lur gegen jenes Sügenfpftem, baS fid Sortfdritt nennt, in SBabrbeit aber ber Oiiidfdritt ift; baS fid Gibilifation fdilt, aber bie fdredlidfte SBatbareiiß, berfbahrt fid bet ißapft unb madt bie Jfatboliten aufmerf* fam auf baS beiUofe Sügenfpiel, baS mit ben SBerten getrieben wirb, bamit fte nidt ein ©pielbafl biefeS SügengeijteS werben.

öeleudten wir nod einige ©äfce auS ber ©ncpclica bom 3abre 1864; bort betmirft ber bl- $ater als gottlos ben ©ajj:

„®ie befte ©taatsform unb ber bürgerlide §ortfdritt forbem burdauS, bajj bie menfdlide ©efeBfdaft conftituirt unb regiert werbe ebne jeglide IRütffidt auf bie Religion. "

') Rette tet, Seutfälanb na<p bem Äriege »on 1866, €>. 138.

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91 o t f e t $auftr.

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6r bermirft meiter als irrig bir fieljre: „3ener Staat fei am bepen bePeßt, in welchem ber Segietung nicht bir ©pidp obliegt, ^Diejenigen, welche bie fatljolifche Seligion behäbigen, burd) gtfe^lidje ©trafen in ©dhranlett galten, als nur inforoeit bie» baS 3ntereffe ber öffentlichen Crbnung berfangt."

3m erPen ©a|e berurtpeilt ©iuS IX. nur bie ©ehauptung, bap ber „religionSfofe Staat" bie „bcfte ©taatsfora“ fei, unb fo intolerant, baS ju berbammen, roaren fdjon bie alten Reiben: Ißlato, ßicero, ©eneca; fo intolerant mar ©oltaire, ber gejagt fjat: „3hr mßget reben unb phreiben übet bie ©taatSberfaffung, ma§ iljr wollt ; mollt ihr aber einen TOarftflecfen regieren, fo müßt ifjr Seligion in ben* felben bringen;" fo intolerant mar felbft in jüngjten Sagen ber beutfdje Äaifer SB il heim, als er, umfauft bon ben ©chrotfömern Ipöbel’S, fagte: „@9 müffe bem SBolfe bie Seligion miebergegeben merben," unb ernftlict) jur Slenberung ber jefigen politifcpen Sichtung mahnte. Unb menn bie moberne ©efefifchaft biefe ^ntoleranj beS ©appeS unb beS ©pflabuS nitf>t ju ertragen bermag, menn fie baS friebliche peilenbe Siefjt ber ©ncpclica berfdhmäht, fo mirb fie nottj* menbig gejmungen merben, beim ©diente ber tfeuerSbrunP bie fdjrect- liö^c ßncpclica ber Sebolution unb ben mit ©lut gefdjriebenen SpflabuS beS ©ocialiSmuS ju lefen. 3n bem anbcrn ©ape bermirft tßiu§ IX. ebenfalls nur ben Unfinn, baß bie gänjlicfjc SedpSlopgfeit ber fatbo* lift^en Äird)e jum SBefen be§ bcften ©taateS gehöre. 3“ biefer in* toleranten Snftcpt ip auch ber broteRantifdie ßnglönber f$i{j*2Billiam, ein unbefangener ©eobadjter unb fäarfer Senfer, gefommen. 3n feinen „©Tiefen bon StticuS" erörtert er bie bcfte ©taatsform, unb inbem er bie Setigionen bom politif<hen ©tanbpunfte aus beurteilt, fommt er ju bem ©dßuffe: „®5 ip unmöglich, irgenb ent SegierungS« fpPem, meines bauern unb gebeipen tönne, ju bilben, eS fei benn, baß eS p$ Pil^e auf bie fatljolifdje Seligion.“

Saften mir nun biefe angeführten ©itpe beS ©pßabuS unb ber (Sticpclicn jufammen, fo ergibt ft<h nach Äetteler folgenbel Sefultat:

„Ser ©apft bermirft burcfcauS unb in aßen Gonfequenjen ben religionSlofen ©taat ; er bermirft in golge beffen eine gefrfclictie Orb* nung, roobutch ber ffirche ber aflgemeine SeehtSfchufj, ber jum SBefen beS ©taateS gehört, entjogen mirb; er bermirft bie Slnfupt, bafc für fein 2anb mehr juträglich fei, bie fatholifthe Äirche als aßeinige ©taatSreligion ju erflüren ; er bermirft fdjranfenlofe , öffentliche

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loltrnnj unb 3ntoteranj.

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DieligionSübung; or üerwirft bie 9lnficht, bafs fchranlentofe Freiheit, aflf« brucftn unb berbreiten ju bürfen, unfchäblich für bi« Sitten unb ©efinnung ber 33ö!fer ffi; er ertlärt, baß eS einen falfchen f^ortfd^ritt, einen falfchen SibtraliSmuS, eine falfdje moberne ©ibilifation gäbe, ber mit flatholifen nirfjt beifiimnttn bürften. Ka8 ift alle«, was bie ©ncpclica unb ber ©pllabuS in biefet Ipinficht als irrtümlich be« jeühnet." x) Ober wie ber belgifche fDtinijler KechampS in ber Srüifelet »Revue Generale« fidj auSfpric^t : „2Da§ btrwirfi bie 6nct)dica'?" fragt er. .'Ken 9taturali8muS, ben focialen Atheismus, ben religiöfen 2inbifferenti8muS , al§ ©runblage aller Sinrichtungen , bie allgemeine Säcnlarifation, ben allmächtigen Staat, ber ju ©ott gemacht roirb, bie geinbfehaft unb gegenfeitige 33etämpfung jwifchen ber religiöfen unb ber bürgerlichen ©efeflfehaft. Kie ffirche bermirft nicht bie grei« heit, fonbern ben mobemen SiberaliämuS unb bie Dtebolution; fie öerbammt ba§ Streben, ©ott unb bie Religion aus bem menfchlichen Kenten, aus ber ©efetlfchafi, au§ bem Staate, au» bem öffentlichen Unterrichte unb au§ ber Familie ju berbrängen; fte berbammt ben rationaliftifchen SiberatiSmuS, welcher will, bafs bet Staat bie flirre überrage unb berfdjtinge, baß bie Religion unb ber Sßriefier au§ bem ftaatlichen Seben auSgefchloffen, au8 ber Schule berbannt feien; bafs baS erhabene fheuj ©hiifti nicht mehr bie ©räber unfeTer geweihten ffitchhöfe befchatte; bafs bie ßultuSfreiheit jum 9tujjen ber Ungläubigen gegen bie ©läubigen gerichtet werbe; bafs bie $anb be8 Staates in bem fjseiligthum ber Äirche überall eingreife, nicht um §u fchüfcen, fonbern um ju unterbrücftn ; baß jlatt Uebereinftimmung unb 3U= fammenmirfen fteter ffampf unb erbarmungSlofer flrieg prüften ber ‘.Religion unb ber bürgerlichen ©ejettfehaft begehe: KaS ift ber @runb= gebaute ber ©ncpclica, wenn fie mit Sßernunft unb ^prlid)teit ertlärt wirb."

3fnbem ber ißapft fo ben Jrrthum berurtheilt unb für 2Bahr* heit unb bie hötffeb ©üter ber üJtenfchhfit eintritt, ift er wahrhaft nicht intolerant, ift er nicht ein geinb ber ©efeöftaft, fonbern ein rettenbet 3lrjt berfelben, was bie größten unb bejten TOänner ber ©eaenwart au§ allen Parteien immer mehr anertennen. Kit 3utunft m!ro baS S9ifb ^BiuS IX. unb feinen SpflabuS bon jeber TOatet ber 3ntoleranj reinigen unb im ©lanje Teinfter hdfenber unb fchüßenber Siebe ben SBölfern enthüllen.

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') üettele r, 1. c. g. 160.

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Ülottet Qauftr.

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VII. $tr 6^0a6ue unb bie Rarität.

„Rarität tfl ein !Be<$t*begriff. aber fkirtt&t ift feine Religion.* x>. 8erla$.V '

ÄtS «ine befonbere Ärt bei 2.oleranjübung wirb bie „Rarität“ betrautet. ®ie geinbe ber Äirdje fotbetn bon ber ßirdje Änerfemtung bet Rarität, unb baS ift nod) baS 2ot)aIfte, waS fie bedangen. Äflein biefe Rarität toirb, toie bie ‘Soieronj felbft, roieber in einem falfd^en Sinne aufgefaßt. *DaS ©ort „Rarität" ift in feiner tBejiehung auf baS SBerßättniß berfdjiebener 3teligionSgenoffenfchaften ju einaitber in einem babbelten. Sinne ju berftehen: im Sinne einet rechtlichen Rarität, ober im Sinne einer innern Rarität im ©eijte beS einzelnen ©enfchen.

3)ie erftere beließt ftch auf bie äußere fiaattidje SRechtS* ftettung bet Konfeffioncn unb enthält bie rechtliche ©leichfteltung ber* fetben ; bie leßtere enthält bie ©leichfteüung bcrfelben bezüglich meines UrtheilS über ihre SGÖa^r^eit unb mutzet mir ju, bon einanber ab* »eidjenbe Sehren für gleich »aßt unb gleich gut ju holten.’ 5>ie erftere forbert bon allen Staatsangehörigen bie Ächtung unb Än* ertennung ber politifc^en 9ted)te unb ein bem entfprechenbeS fflenehmen ben anberen Sonfeffionen gegenüber; bie teuere bagegen forbert oon allen Staatsangehörigen bie innere Änerfennung unb (Gleichberechtigung nicht nur bor bem StaatSgefeße, fonbern auch bor bem ©efeße ©otteS, bor bem Utichterftuhle ber ©ahrßeit.

Stach bem, rcaS mir über bie loleranj gefagt hoben, tann ber* nünftiger ©eife nur bon ber 9t ed)t? Parität bie Siebe fein, lieber bie 3t echte nun, »eiche biefe Rarität in fidj fc^lieftt , fagt bet beräumte Stecht?* lehrer ©alter: „“Duft Ißarität begreift biererlei: SrftenS baS gleich« Stecht ber freieren öffentlichen 3teIigionSübung, mit allen bem Kultus unb feinen Wienern julommenben Stüdfichten unb SBorredjten ; 3roe't«uä bie gleich« Slnerfennung jeber ftirdje als einer mit KigentßumSfäßigteit begabten Korporation; 'Dritten? bie gleiche gäßigleit ihrer SDiitglieber ju ben bürgerlichen unb ftaatSbürgerlichen Siechten, »ie bie öefleibung öffentlicher Äemter; BiertenS ben gleichen Schuß jeber ftirdje bon Seiten ber Staatsgewalt, bie gleiche ®eriidfichtigung ihrer SBebürfniffe unb ^ntereffen in ben Schulen unb anberen öffentlichen Änfiaflln.

$)ie Staatsregierung als folche muß gegen jebe ffircße bie Stellung einnehmen, als ob fie ju ihr gehörte. $n ber confequenten unb aufrichtigen ^Durchführung biefeS ©efichtSpuntteS liegt ba§ SRittel, jeber Konfeffion gerecht ju fein unb boch, ba jebe eine chrifiliche ift, bem

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lolcranj unb 3nioteranj.

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©taate feinen d^riftlidjen ©parafter ju bewahren." ') Sffiem eS nun roirfliep ©rnfl ift mit ^Parität unter ben dpriftliepen ©onfeffioneit eines eptißliepen Staates, ber mirb fid; mit biefen fjorberungen ber SRecptS* Parität juftieben geben mtiffen.

Saroopl, fagen unfere ©egtier in ber DageSpreffe , aber gerabe biefe Rarität Derroirft unb Oerbammt ber ©pllabuS, barurn ift et intolerant unb bie örutfiätte religiöfer gepben unter ben ßon* feffionen. Berurtpeilt unb oerbammt ja ber ©pllabuS ben 6ap: „Der tproteftantiSmuS ift nicptS anbereS als eine betriebene gorm einer unb berfelben mapren ipriftlicpen Seligion, in melcper gorm tbenfo möglich ift, ©ott ju gefallen, als in ber fatpolifipen ßirepe." {©ap 18 beS ©pllabuS.) £>ier fpriept bet ©pllabuS Don ber innem, niept bon ber äußeren recptlicpen Rarität. Der ©pllabuS geftattet bie ganje unb oolle gefeplicpe Rarität mit allen gorberungen, bie eine folcpe einfepliejjt, felbft wenn mir ju bem obigen ©ape noep bie oben fepon citirten ©äpe 77, 78 unb 79 pinjunepmen. DaS Sicptigfte pat piertiber audp roieber ber grofse Bifcpof bon ÜJfainj gefeprieben. @r fagt: Die bon IßiuS IX. in ©pllabuS unb (Sncpclica auSgefprocpenen SBaprpeiten piubern uns niept, unter ben gehörigen BorauSfepungen, anbere ©onfeffionen neben unS ju bulben unb ipnen in folgen gättett eine bolle gefepfidje ©leicpjiellung mit ber latpolifepen #ir<pe jujugefkpen; fit pinbern unS aber 1. eine Rarität anjuerlennen aus gnbifferentiSmuS, als ob eine Religion fo gut märe mie bie anbere, ober als ob leine in religiöfen Dingen bie bolle Söaprpeit gebe (©ap 15, 16 unb 17 be§ ©pllabuS); 2. eine Barü<U anjuerfennen im ©inne einer boDen Trennung beS ©taateS bon ber $tircpe unb ber Seligion, meil nicptS bon ©ott getrennt merben lann unb barf, meil auep ber ©taat in allen feinen ©runblagen eine göttliche (Sinricpiung, unb um fo biel boüfommener, als er mit ©ott betbunben ift (©ap 55 be§ ©pllabuS).

©pDabuS unb Sncpclica pinbern unS, eine anjuerfennen

3) aus ben ©rünben unb in bem Umfange, mie bie ©otteSleugner unb geinbe ber Seligion bieS tpun. ©ie pinbern unS 4. ben paritätifepen ©taat als bie bollfommenfle ©taatSberfaffung , als ben pöcpften gortfepritt unb beSpalb als bie allein juläfjige ©taatsform ju betrachten (©ap 77 unb 78 beS ©pllabuS unb ©ncpclica 1864); 5. bie BoriUU in bem ©inne ju nepmen, als ob ber ©taat leine Bflicpt pabe, bie ffirepe ju fcpiipen, al« ob er fiep rein niepiS um bie ßitepe ju fümmern pabe. Die Äircpe fann ber Bri°ütgifn, beS be*

') SB alter, ftuturrripi unb ^olitif, ©. 491. SBonn 1868.

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Kotier Raufer.

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fonbem unb auSfchließlichen, nicht ober be§ allgemeinen 9te<ht«fchujje3 entbehren. 6. SDBir biitfen bie Rarität nicht für olle möglichen Selten im Sinne unbefdjränfter ©emiffenSfreipeit forbem (Sat* 79 be3 SplIabuS).

Schon ber gefunbe 9D?enf<henberjtanb forbert, baß Selten, welche bie ©efejje ber Sittlichfeit berieten, ober ben ©louben an einen perfßnlichen ©ott untergraben, bom Staate meber im Sntereffe ber SReligion', noch im ^ntereffe ber Selbfterhaltung gebulbet werben bürfen. Die Freiheit be3 Serberbenä ift, wie ber hl- Auguftin fagt, ein Selbftmorb be3 Staate®. Dahlmann unterf Reibet in feiner ^ßolitif eine breifache klaffe bon Selten : fol<he, welche wegen ihrer unfittlichen ober bem Staate ganj wiberftrebenben ©runbfätje gar nicht ju bulben fmb; foldje, welche gegen ben Staat gleichgültig fmb, unb foldje, welche einjelnen gforberungen be§ Staate® wiberftreben , wie bie Ouäler. Ueber bie beiben leiteten fagt er: „ffieber bie 3“hl her ©leichgültigen, noch bie bei UBiberfirebenben barf im Staate ftart anwachfen; inbeß wirb beT Staat auch felbft ben (extern bebingte Dulbung in ber Hoffnung bergönnen, bah fich oben burd} bie Dulbung baS bulbungSroürbige iprincip weiter auSbilben, baS entgegengefejte aber allmählich einfchlummem werbe." SEBenn bie Kirche in ber Spat einer folchen Dulbung hnfbigt, fo thut fie nicht au5 biofeer Son* benienj, fonbern aus ©runbfafc, wie wir fcpon oben angebentet haben. SBenn ber SplIabuS bagegen ben ffatpolifen berhietet, eine falfche ^Parität ju üben unb anjuertennen , fo Ieiflet et bamit bem Staate unb ber menfdplichcn ©efeflfcpaft felbft ben größten Dienft jur Sr* haltung beiber.

3Bie a6er bie ffirche bie Rarität berftept unb praltifcp auSübt, babon gibt ber ffircpenftoat, jumal unter bem glorreichen ^ßontificat tpiuä’ IX. ba§ feerrlirf>fte iöeifpiel ; ein Seifpiel, baS all’ bie taufenb* unb raiflionenmal wieberholten Sorwütfe ber Jfntoleranj glänjenb wiberlegt. 3m fiucpeuflaate gab eS unter ipiuS IX. SRegieTung biele Altfatpolilen, 3«hen unb ^Sroteftanten. Unb lßiu§ IX. burfte mit Kecpt ju töifcpof Dupanloup fagen: „Ißroteftanten unb 3uben genie&en Freiheit unb 9tube in meinem Öanbe. Sie haben nichts ju bulben. fftiemanb greift in bie inneren Angelegenheiten ihrer Äircpe ein, unb bie Tribunale machen feinen Unterfcpieb äWifcpen Äatholifen, tproteftanten ober 3ubeit." tpiu? IX. felbft war boÜ perj* licper ©üte im Benehmen gegen ^roteftanten. sproteftantifcpe ©eiehrte würben immer in 9tom bon PuS IX. unb bon früheren ^päpften

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Jolttanj unb 3n*°Ifrflni-

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mit großer Seborjugung bebanbelt. ©oetbe befanb ficb, wie er felber fd>teibt, jebt wohl in tRom. SBilfjftm Don £umbolbt erfreute ber befonberen , ©unjt puS’ VII. unb fetnetroegen erhielten bie Sßroteftanten in 9tom einen eigenen griebbof. Se&t unter Seo XUI. hoben fie ihre eigenen Spulen unb flir<ben. SaS ift ber tbatfä<blicbe Eommentar ju bem SpHabuS.

VIII. Sit allgemeine Sulbung unb bie Regierungen.

„SBtbcrfianb ju triften , niefrt nur bem ©Öfen, fonbtrn bem Urtncip be« ©Öfen, rndjt blot ber iHu^cftöiung. fon* bern ben S*eibcnfd)aften unb 3been, toeltbe bie fRu^eftörung ertrugen, bai ift bie wefentlidje Uiiffion, ba# bie etfte Jeber Regierung."

& uijot.1)

2fn allen Sänbern, §u allen bis auf unfere Sage hot

man eS als unbejtreitbaren ©utnbfaß anerfannt, baß bie Staats* gemalt ba§ 3tee^t habe, gemiije £>anb!ungen unb Sehren ju berbieten, felbft auf bie ©efabr bin, baß bem ©emiffeu Einzelner mehr ober weniger 3roflng angetban merben fodte. Siefer ©runbfaß ift einfach eine Sömerung ber Selbjterbaltung beS Staates. SaS fiebt freilieb ein Sluftlitrling unferer 3«t nicht ein, ber nichts anbeteS als bie ffreibeit ber Siinbe lennt. SRit welchem Seihte, menbet mau ein, !a«n man einem SRenfcben berbieten, fid> ju einer Sehre ju betennen unb ge* mäß berfelben ju banbeln, wenn er überzeugt ift, baß biefe Sehre roabr fei, unb baß er eine Pflicht erfülle ober «in Recht ausübe, wenn er na<b berfelben bonbeit? 2Benn baS IBerbot nicht eitel fein fotl, fo muß eS bom Strafrecht unierftü^t werben, unb menbet man biefeS Strafrecht an, fo »erfolgt man einen SRenfcbeu, ber in feinem ©emiffen unfibulbig ift. Sie Strafgere^tigleit fefct eine Sibulb borauS, unb Riemanb ift fdjulbig, ber eS ni<bt junor in feinem ©eroiffen ift.

Soffen mir biefe Süße einmal gelten, bann fpringt fofort in bie Rügen, baß j. 93. politifibe 93erbre<ben ftrafloS auSgeben müßten. 9Q§ 93rutuS ben Solch in EäfarS örujt fließ, als 3ocob Element Heinrich III. morbete, als in unferem Sahrhunbert bie Attentate £>öbel*) unb Robiling3) ben pteußifeben ßaifer ffiilbelm in SebenSgefabr brachten, als ißaffanante*) ben Solch gegen Äönig §umbert erhob, als bie Schiliften 5) in Rußlanb baS Seben beS 3aren berniibteten, ba glaubten fie alle eine ^elbentljat ju botlbringen,

') öluijot, lieber bie Semofratie in 3ranlteicb.

*) 11. 2Rai 1878. •) 2. 3uni 1878. *) 25. Cctober 1878.

») 13. 2Rärj 1881.

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9i o t f «r Raufet.

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eine fflofjltfynt ber Wenfcbbeit ju erweifen. Sie banbeiten jumeift na$ ihrem fubjeciiöen ©ewiffen, aus innerer Ueberjeugung. Sber ftnb fte beS« halb ftrafloS auSgegangen? 5lllerbing§ berberrlicbt fk bie fReoolution als ÜJlärtprer unb forberte ihre ffreifpredbung, aber fie ftnb jum Uobe berurtbeilt worben unb mit 9te<bt ; benn wobin foHte eS fommen, bleiben folc^c politifd)e 35erbre<f>en ungeftraft? Umjlurj jeber 9te= gierung wäre bie notbwenbige golge.

Ülber fofl ein 23erbred)er, ber au§ ©ewiffenSantrieb gebanbelt bat, in golge allgemeiner SEoleranj ungeftraft bleiben, warum ni<bt auch ber gemeine Serbredber? Stit welkem Sedbt ftraft überhaupt ber mobeme Staat, ber felbjt über fiep feinen ©ott anerlennt, einen berbredjeriftben Sienfdjen, ber baS $afein ©otte§ leugnet unb be§^aI6 ftdb nicpt als fcbulbig erfennen fann? Das ©efejj, fraft beffen man ibn ftraft, bat feine ©eltung t>or feinem ©ewiffen, ber ©efepgeber ift in feinen klugen nic^t mehr als er unb bat fein Dtecbt ibm feine Freiheit ju befdbränfen. ÜKan fiebt, Strafloftgfeit aller Serbredpen, fomit Ttuf» föfung ber menfdblicben ©efeflfdbaft wäre bie unabwenbbare fffolge einer 2oleranj, einer ©ewiffenSfreibeit, bie ber Staatsgewalt ba§ Secbt abfpritbt, bem ©ewiffen unter Umfiänben ©emalt anjutbun.

®er SiberaliSmuS muff fidj felbft wiberfpredben. 3n ben mobernen Schaffungen bei&t eS : „@laubenS= unb ©ewiffenSfreibeit ift unberlefc« lieb-* „3)ie freie Ausübung gotteSbienftlicber $>anblungcn ift inner« halb ber Scbranfen ber Sittlidbfeit unb ber öffentlichen Orbnung ge« wäbrleijtet."1) 33?ürbe man nach biefen freifinnigen, ©efefcen eine fReligionSübung bulben, in ber Stenfdjenopfer öorfämen? ©ewijj nicht, baS ginge gegen bie öffentliche Orbnung. Slfo intolerant, alfo öefdjränfung ber SReligionSfreibeit ! 9lber fönnte ber Staat bie Serfünbigung einer folgen Seligion toleriren? SbermalS ui<bt, benn baS b>fBf nichts anbereS als ben fUJorb prebigen laffen. Sllfo abermals ^ntoleranj, Serlepung ber ©ewiffenS» unb ©laubenS« freibeit, ©efefct, es fämen Einige burdb baS freie Sibelforfcben ju einem neuen Gbriftentbum a la Jfnippetbofling unb Johann bon Sepben. SBürbe ber mobeme Staat berartige Cepren nngenirt ber» fünben laffen ? Sicherlich nicht. Slfo fdjon wieber ^ntoleranj, Ser« folguitg, Unterbriiifung nicht bloß bon £)anblungen, fonbern bon fiepten, fcpon wieber Sefcbränfung ber unbefcbränften SeligionS* unb SteinungS« freibeit.

') cf. §§ 49 unb 60 bet Berfaffunß ber ®(pwetj«rif<ptn Sibflenoffcnjipaft

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Jolcranj unb 3ntoltranj.

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SEBohin ip man alfo gelommen mit bem ©runbfaß ber all» gemeinen $)ulbung? Sie roirb allerbingS geforbert bon bet SRe* botution. Aber ber Staat fief)t fiep auf jebem Stritt unb Sritt genötigt, fein eigenes ißrincip ju berleugnen unb unbulbfam ju wer» ben bis jur SobeSftrafe. $er SfkotejlantiSmuS hot ein rebolutionäreS ^ßrincip auSgefprochen, als er bie ©ebanlen, bie 3been joHfrei unb ftrafloS etflärie. 6r hat bie fSfreiljeit beS ©eipeS mit ber morali» fd)en Freiheit berrcechfelt unb bie ©egriffe bon erlaubt unb unerlaubt aus bem ©ebiete beS ©ebanfenS berbannt unb baburch alle göttlichen unb menfttjtidjfn ©efeße als unnüß unb unberechtigt erllärt. Stllge» meine, unbefchränlte ©laubenS* unb ©emiffenSfreiheit, allgemeine SDul* bung SReuolution in ber ©ebanlen» unb ^beenwelt unb biefer muß naturnothroenbig bie SReoolution ber Sljaten folgen, ©leichraohl berlünbet ber moberne Staat biefe allgemeine Sßulbung, aber $anl ber chriftlichen Srabition, $anl ber SDlad)t ber SRatur unb ber 2ogil ber Shatfacfjen oermag er pe nicht }u ^anb^a6rn unb firaft fuh burch feine eigenen 5E^aten 2ügen. $ie ©efchichte lennt leinen Staat, ber bie allgemeine Dulbung praftißh burchgeführt hätte, fonbern immer unb überall ift bie SRegel ©u i j ot’S entroeber freiwillig ober gelungen befolgt roorben unb bie Uebertretung biefer SRegel hol P* olS richtig bemiefen.

„SEBiberßanb ju leiften nicht nur bem ©Öfen, fonbern bem ©rincip beS Söfen, nicht bloß ber SRuhejlörung, fonbern ben 2eiben* fchaften unb 3been, meldhf bie SRuheßörung erjeugen, baS ip bie mefentliche ÜJJiffton, ba§ bie etpe Sßpicht jeber SRegierung.* So fagt ©uijot, baS nun auch 8anä b'e Slnßcht ber latholifchen Kirche, baS ihre ganje Sntoferanj. Auch bie SRegietungen unferer Sage oer» folgen bie polpgamipifchen 3Rormonen in Amerita, bie focialißifcfjen 2eljren in SRußlanb unb ®eutf<hlanb, fie beportiren bie Sommuniften in grontreich, ße töbten bie Attentäter, fie berbieten getnipe 3eitungen.

Sine geroiffe Unbulbfamleit ip alfo ^eiligfleS unb notljwenbigßeS SRecfp jeber öffentlichen ©eroalt. freilich hoben bie SRegierungen biefeS SRedßt öfter mißbraucht als gebraucht, inbem pe pdj mit bem 3rrtfjum berbanben unb gegen bie SEBahrßeit tämpften, welche in ber latholifchen Äircße ip, unb es ßetlt pch heraus, baß bie ©efchichte ber latholifchen Äirche bie ©efchichte ber Soleranj, bie @ef<hid)te aller nicht latho» Tifchen SReligionen unb SRegierungen aber bie ©efchichte ber Sntoleranj ip. SEBaßr ip, was 2acorba i r e jagt: „Ser ftampf beS IJrrthumS

unb ber SEBaßrheit ip immer flain unb Abel, ffain fagt PetS ju

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©otter Qauftr.

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feinem ©ruber: fomm, mir moflen auf baS gelb ber Wahrheit, aber nur, um ifjn berrätljetifchet Weife ju töbten.*1)

IX. $>ie Joferanj unb ber ärrthu»1-

,,®fr 3nrt$um tri in *nti»$u*, Me 3i>a$r&eil flnb bit «attaMer."

£a«»rbaire.’)

Wan jeiljt bie Wahrheit ber 3ntoleran§ unb jprid}t gerne bon ber Holeranj als bon einem Sigenthum beS ^rrtbuin*. Äein ©or* urtljeil ift mehr Derbreitet, {eines miberlegt ficb aber aud) mehr burdj bie ©efdiichte unb bie ©etracbtung ber ©egenmart. Wenn eS eine biftorifdje Wahrheit gibt, fo ifl bie, baß ber Srrthum berfolgt, un* Perföhnlich unb graufam ift, unb bieS immer, mann unb mie er fann.

®a3 ^od^gebilbete Ültben mar intolerant gegen feinen größten ©obn, gegen ©olrateS. Sr mar angcflagt, baß er bie ©öfter, roolcbe ber @taaf anerfannte, Deradjte. irojj ber glänjenbjien ©ertpeibigung marb baS ©cbulbig über ©olrateS auSgefprocheu. Sr empfängt ben ®ob aus bem ©iftbecher, melden Stpen itjm reifte. ©tpcn mar intolerant, ba eS einen ©erecpten morbete, ber nichts als bie Wahrheit bortrug. SRom, fo biel gerühmt ob feiner ®ulbfamfeit, bulbete in feinen Stempeln meber bie ©öfter ber Slegppter, noch ben ©ott ber 3 üben unb ber Shriften. Unb bie ©e)d)idjte ber heibnifd)*römifchen J?aifer ift jugleicp bie ©lutgefcpicpte ber graufamften 3ntoleran$; fie ift bie ©efdiichte ber breibunbcrtjäprigen graufamen ©erfolgung beS Spritten* ipumS. Ster 3rrtpum berfolgt bis aufs ©lut, mo immer er tann.

SpriftuS, bie einige Wahrheit, ift baS Opfer beS ärrtpumS gemorben. Sr bertünbete bie Wahrheit, beftätigte fte burth fein Seben unb feine Wunber; ihm gegenüber ftanb ber berblenbete 3rrtpum in ben £>open* prieftern unb ©parifäern unb biefet fcplug bie Wahrheit ans ffreuj. ®ie ©pnagoge mar intolerant. ®aS gleite 2ooS fagte SpriftuS feinen Jüngern borauS. ®er ßneept ift nicht über ben Weiftet, haben fte ben Weiftet gepafft, um mie biel mehr bie SDienet., Sie rnerben geißeln unb töbten unb glauben ©ott einen ®ienft baburep ju ermeifen. ®ie IHpojtel prebigten Sefum ben ©efreujigten unb bie 3uben nahmen bie Spoftel gefangen, bebräueten fte hart unb befahlen ihnen, nicht

mehr ju irgenb einem Wenfchen ju reben in biefem ©amen.*) Unb

') Sac orbaire , (Eottferenj VII. 1835.

') Sacorbaire, fionftrenj VII. 1835.

*) ait. 4. 17.

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lolctanj unb 3nloletonj.

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ba fpracp Petrus ba§ ÄantpfeSroort ber SBaprpeit: „Ob’s redpt öor @ott ift, eudp mept ju geporcpen als ©ott ba$ urteilet felbft."1) Unb bo fie nicpt §u miberftepen oermocpten ber SBeiSpeit unb bem ©eifte, ber ba auS ©teppanuS rebete,*) ba fcfyrien fte mit lauter ©timrne, pielten fidp bie Cpren ju unb jtürjten eines ©inneS auf ipn loS, ftiefjen ipn jur ©tabt pinauS unb peinigten ipn.8) Sie Dpoftel flogen ju ben Reiben unb bie Reiben töbteten fie. 3uben unb Reiben waren intolerant.

SaS ©priftentpum berbreitete firfj ; bis auf (Eonftantin patte eS mit Sntoleranj ju ringen, ju tämpfen mit gfeuer unb ftotter, flerler unb Sob- Uub nicpt anberS mar eS bis auf ffarl ben ©ropen. Sie dprifflidpen ©eiten unb 3rrlepret brannten unb fengten, morbeten unb berftlimmelten. ©o bie 91rianer, bie Sonatiften unb anbere. TOan lefe ben pl. ^uguftin, rnelcpe ©räuel ber 3rrtpum an ben ffatpolilen berübte, unb bennocp pörte Suguftin nidpt auf, dürften unb Dicpter anjuffepen, bie ^rrenben nicpt mit bem Sobe ju beftrafen. Sie £)ärefie ber erften 3aprpunberte beS ©priftentpumS mar intolerant.

<5S fommt ba§ 3c'taltcr ber ^errfcpaft beS ©pripentpumS. ©taat unb Äircpe gepen £)anb in &anb, ber meltlidpe Slrm fcpüfct bie öraut ©pripi. <&§ fiepen 3rriepren auf, bie jugleidp £irdpe unb ©taat an* greifen, 3rrlepren, öon benen Sßllinger fagt: „©ie griffen @pe, Familie unb ©igentpum an; pittten fie gefiegt, ein allgemeiner Umfturj, ein 3urütffirtfen in bie ^Barbarei peibnifcper ^ucptlojigleit märe bie §olge geroefen." Ser dpriplicpe ©taat fap fiep in bie Sfcotpmepr ber* fept, et berfolgte unb beftrafte mit Dedjt bie Äeper, b. p. bie 3«fförer ber öffentlidpen unb pribaten Dtbnung.

Dber nun braep bie 3^ ber allgemeinen Sulbung an mit bet Deformation. 2öir mürben biefe 3«it gerne mit bem Stpleier bet Sßergeffenpeit beeten, mürbe man nicpt iagtäglidp baS laipolifdpe TOittel* alter als eine 3e>* barbarifeper ^ntoleraitj branbmarlen, mürbe man nidpt iffäpffe, 23ifcpöfe, ®rieper, bie tatpolifepe Jtircpe al§ genier ber SJlenfdppeit barfteHen. Dber Sutper mar nicpt tolerant, als er fagte: „©o mir Siebe mit ©trang, Sßörbet mit ©eproert, Äeper mit geuer ffrafen, warum greifen mir nidpt bielmepr an biefe fdpänblicpen Seprer beS SßetberbenS, als tpäpfte, ©atbinäle, ®ifcpöfe unb baS ganje @e* fepmarra ber römifepen ©oboma mit allerlei SBaffen unb roafipen unfere faänbe in iprem Stutef" 3Bir rooflen nicpt weitere gute

‘) «ft. 4. 19. - ») «ft. 7. 10.

•) «ft. 7. 56 unb 57.

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Kotier Raufer.

32

SRätlje ber Soleranj aufjätjlen, welche bie ^Reformatoren erteilten. SQBir motten bie Opfer nicht jäf)ten, welche bie Soferanj eines Säuern' ftiegeS, eines breifeigjäfjrigen ÄriegeS gepachtet , fte riechen nach Woher; bod) roer fi<h barüber etroaS genauer unterrichten will, ber hebe baS blutige Seichentudj ber Deformation nur an einet ©de in bie tpölje, ber tuenbe feine ©liefe nach Urlaub, nach bem grünen, bem hoffnungSOoQen ©rin, baS wie Don einem rothen ©trom mit Äatholifen» blut breit umfäumt erfcheint. „3a, ein ffriegSfcfjiff," fagt ein englifcher ©chriftftetler, „fönnte meilenweit in biefem Stute fegetn. Sngtanb ift ja auf biefem Stute unb mit ihm fein SßroteftantiSmuS hinüber» gefehifft, um bort ein Sott mit feinem ©tauben ju erfchtagen, ein ganjeS, grojjeS, h^^ciiniüthiigcS, biebereS Sol!." Sie Deformation war intolerant.

©S erfdjien bie SeDotution unb erhielt ihre Soletanjroeihe aus ber £>anb SobeSpierre’S. 3m Damen ber Soleranj ift bie Seligion abgefchafft, bie Scmpel Derwüftet, ^riefter unb Sol! ermorbet, ober jum Unglauben unb feinen Orgien gejwungen worben. 3m Samen ber Soleranj arbeitete bie ©uillotine Sag unb Sacht unb Dergop mehr Stut als alle Worbinftrumente beS WittelalterS. Sie btuttriefenben £>äube Warat’S, Santon’S, bie fchauertichen Kriege, baS Sechjen ber ©uillotine, baS ©töhnen in ben Werfern, bie herum» tiegenben $äuptcr Don dürften, Srieflern, Äathotifen aus allen ©tänben ftnb eine fchauerliche Seteuchtung ber Stiege ber allgemeinen $ulbung. Soleranj gegen SÜeS, aber 3ntoleranj bis in ben grau* famften Sob gegen ben ffattjoticiSmuS, war bie gtofje fioofung ber SeDotution. Unb biefe Seriobe ber SeDolution ift noch nicht ab» gefchtoffen, wir leben mitten in berfetben unb barum auch mitten in ber 3nMeraitj. 2Öir brauchen aus ber neueren ©efd)ichte nur einige Samen ju nennen; Samen, bie jebem ehrlichen Wenfchen bie ©chaniröthe inS ©eficht treiben, ob ber ©darnach, mit bet fie baS 3ahrhunbert bebeden. 2öetd)e Soteranj fnüpft nicht an bie Samen: ^Solen, 3*en, an ben fc^weijerifc^en 3ura, an bie Drben unb fllöjter alle? 3" welkem ©trafjlenglanje mitbefter Soteranj erfcheinen nicht bie Samen: ©äfutarifation, 3“ürebolution , ©aeta, ©aribalbi, einiges Italien, Sictor ©manuel, Sapoteon III., ©ommune, beutfehe Waigefefcgebung, StttathoticiSmuS, ©ambetta, 8?rere*Orban?

3)aS 3ubetgefchrei Don Sufftärung unb Sutbfamfeit im Dorigen 3ahrhunbert enbete in ^ranfteid) mit ber SeDotution, bie Wenfdjen» rechte unb Srübertichleit würben mit Stut gebüngt unb bie ftunft

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83

Soltranj unb Jntoleranj.

239

erfunbett, auS ÜJienfdjenhaut ßcber §u fertigen. Unb »er fottte glauben, man tjat in unfern Sagen jene jurüdge»ünf<ht unb.

bebauert, baß bieHeid>t bie öffentliche Bteinung bor ber £>anb noch ein £>inberniß hierfür fein möchte. 2öie man ^eutjutage Soteranj unb greifinnigleit Derftefjt, bariiber gibt ein belgifdje» liberales Statt, bie »Revue belgique«, nennenSmerthen 5luffdjluß. „SBenn »ir uns bem ©tauben hingeben mottten," fdjtieb biefeS Statt anno 1872, „baß ein freier StuStaufdj ber Meinungen genügen toürbe, um unS jum Siege ju führen, fo mürbe baS ein gefährlicher unb öctberbenbringenber Srrttjum fein. ßaffet uns burd) ben Serfud), unfere ©egner ju über* jeugen, leine 3*'* Verlieren. 2Bir glauben im Sftedjte §u fein unb baS tft genug. UebrigenS brid^t fid) baS Seftreben, bie greitjeit in bem focialen Kampfe als SunbeSgeuoffin au§ bem Spiele ju taffen, immer mcpt Sahn. 9iein, wenn bie ßiberaten SelgienS ihr Sater* lanb unb ihre $been retten motten, müffeti fie ju trüftigeren Stitteln ihre 3ufiud)t nehmen, ©emiß lann eS nid)t ber 3wed fein, SJärtprer ju fchaffen. Stber baS ©efängniß, bie ©etbftrafe unb bie Serbonnuitg finb gefefcliche SJiittel; »eSljatb follte man fi<h ihrer nidjt bebienen?

Sie Freiheit unt* Sutbfamleit, bie freie 9tebe unb bie tjormtofen

Spöttereien unferer Soltairianer »erben unS, »ir »ieberhoten e§, in biefem Kampfe um leinen 3°ü weiter bringen. 2ßir müffen eS Der* ftetjen, 3»angSmitteI anjumenben. Sie Söahrhfit ift baSjenige,* roaS mir baju machen; uns lommt eS ju, bie focialen Sebürfniffe fejtju* ftetlen. Stuf bie grage, roie? antmorten mir: burch ©emalt. Sie

©ematt allein bitbet in biefer 2ßett baS fdjaffenbe unb erhattenbe

ßtement; fie benimmt bie focialen Sebürfniffe unb bie ©runbfäße beS 9ted)teS. Senn ein tRecht, baS fich nicht auf bie SDiadjt ftüßt, ift ein leerer Schalt. 2Sa§ mat* auch fagen möge, bie ©ematt geht nicht bloS bem fRechte Dor »aS übrigens nidjt Diel ju bebeuten hohen mürbe—, fonbern bie ©ematt ift baS Stecht."

So bie liberale Stimme in Setgien.

X. Sir allgemeine Sole ran j unb ihre focialen golgen.

.Der Eo!)ti bei Sbanfleltumi, ber bem Sater nicht bienen Ir UI, tsirb baburcb nicht frei, fanbem »erfüllt ber RnecbtfSaft unb mufi bie unretnm Dhiere hüten.* üetteler.1)

Sie tnobernen Söffer in ©uropa finb Söhne beS ©bangeliumS, aber fie finb biefem ©Dangelium untreu gettorben, fie »ollen ©ott

') Kettelet, grei&eit, Autorität unb Kirche, 6. 180.

3 X

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240

Sotfer Qaufct.

84

if)rem SSater nicht mehr bienen, fie »etfünben allgemeine greifet, greiheit ber ©ottlopgfeit, aber pe roerben unb pnb nicht frei, fonbern elenbe ffnedjte. Sie belächeln baS SBort „Reiberei", Pe bedachen bie Sjcommunication, pe phmäljen ben d^riftlic^en Staat, pe »erfolgen jebe UeberjeugungStreue, pe prebigen tenf«, 5ßrep=, ©lauben§», ©eroipenS* freipeit, pe binben bem Staate bie <£)änbe gegen bßfe ^rincipien unb f<hled)te 3been; aber pe fefjen nicht ein, bap pe Anarchie unb '«Rebolntion prebigen, bap pe ftatt greiheit ffnedjtfdjaft ernten. „S§ liegt eine ungeheure Unfenntnip ber Statur be§ SDJenfd^en , " fagt ber geipreic&e ©uijot, „unb ihrer ©ephnPenljeit barin, ju meinen, bap bie menfdjliche greiheit, pdf felbp überlaPen, auf§ ©ute loSpeure unb ba auSrei^en fönne. ®aä ip ber Srrtpum. be& StoljeS, ein 3rrt^um, melier mit einem Schlage ber moralifchen unb Politiken Orbnung, ber innern Regierung be§ SJtenfcben unb ber allgemeinen Stegierung ber ©efeBphaft ben ÖebenSnctü abfdjneibet; benn ber ffampf ip ber* felbe, bie ©efahr ebeitfo britigüdj unb bie ^pülfe ebenfo notljroenbig in ber ©efeflfchaft, roie im einzelnen fDtenfdjen." Unfere liberalen Sßorlämpfer allgemeiner Stoleranj pnb eben Bon biefem ^rrt^ume be4 StoljeS öerblenbet unb Pe roiffen in ber tpat ni<$, roa§ pe tfjun, inbem pe für ABe3 allgemeine Jiulbung unb unbefchränfte greifet forbern.

Sffiofjlnn benn! SOßenn jeber ©ebanfe frei iP; wenn ^eber, ber ihn ju befcpränfen fucht, heilige Sterte berlept; menn ba§ ©eroipen feiner gcffel unterroorfen roerben barf ; roenn ungereimt unb roibet* pnnig ip, ben SJtenfcpen nötigen ju rooflen, gegen fein ©eroipen ju banbeltt, ober pd) ben Anregungen beSfelben ju roiberfepeti; roarum lapt ihr bann, ipr liberalen greiljeit§= unb toleranjmänner, roarum lapt ipr jene 5Dtenfd)en nid^t gewähren, roeftpe bie alte Orbnung um« jupürjen trauten? lud) bie gnnatifer ber franjöfifd)en Gommune, be§ ruffiphen 9tipili3mu§, ber beutphen Socialbemofratie hoben ©runbfäpe, furchtbare ©runbfäpe, auch pe haben Ueberjeugungen, entfepli^e lieber* jeugungen, unb pe forbern greiheit für biefe ©runbfäpe, greiheit für tfjaten nach biefeit Ueberjeugungen.

3a, reben unS bie ebelmütljigen toleranten ein: biefe

Ueberjeugungen, biefe thaten ber ©ommune, ber Attentäter pnb nicht ju entfdjulbigen. Aber bie Suren, ipr Herren? 2>ie Söibcr* fprüche, bie Söerblenbung biefer Seute ip erPaunlidj. 333er über aQe Seligionen fpottete, roer bie ©eifiigfeit, bie Unfterblichfeit ber ©eele leugnete, roer baS ®afein ©otteS berroarf, aBe Sittlichfeit öer^ö^nte.

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Xoletanj unt> 3ntoIttanj.

241

»er ifjre tiefßen ©runblagen unterP^Ite, ber »ar bet ihnen immer SU enlkulbigen, ja fogar als ein aufgellärter flopf, ein gort* gekrittener, ju loben. Rlit meiern Recht lann man aber fid) bann beflogen, menn baS ©igentbum, bie gantilie, bie gefeHkaftlicbe Orb» nung angegriffen »erben V $aS ©igentbum iff ^ciltg , aber ift bieDeid)t heiliger als ©ott? ©inb bie SBabr^eiten betreffs ber gantilie unb beS ©taateS t>5^crer 9Irt, als bie ©runbfäffe ber SDloral?

Sie Sogif bat ihre eifernen ©efeffe. ©ine falfche gbee, einmal au§ ber $anb gegeben, entmicfelt fk unaufbaltfam, bis bie Sbatfacben im 'Pftroleumikein ihre galfcbbfit bem blinben Rufgeflärten bor bie fünf ©inne jeknen. 9Ran bot bie gbeen freigegeben, bat fte bon ©ott, ber ffiabrbeit unb ber Pflicht loSgebunbeit, man bat bie 2üge ftrafloS erflärt. ßinff batte man »ilbe Sbiere freigelaffen, baff fte bie ©briffen jerreiffen ; beute lieff man Sbeen lo§, baff fte bie unfferbliche ftircbe töbten; aber fiebe, ba fte bie &cr<he nicht erreichen fonnten, fallen fte über ben ©taat, bie fociale Orbnung unb ihre Ur* beber ber.

Roch bQben bie europäifdEjen Regierungen baS moberne ptincip ber allgemeinen Soleranj nicht jur .^älfte tbatfäd)li<h burdhgefübrt unb k°« iff ib« ©Elften* nicht blo§ tbeoretik burd) Rufffeflung focialiffiker, communiftiker, reüolutionärer 2>been, fonbern burd) Sbatfacben bebrobt, unb menn fie bon biefer unglüdfeligen Sole« ranj nicht abfteben, »erben fte über Rächt über ben Raufen ge* »orfen fein. Sie Soleranj bat ben ©taat religionslos gemacht, eS lann lein ©taat ohne ©ott unb Religion ejifiiren, er muff ju ©runbe geben.

2BiH beSbalb bie tnenklke ©efeflfdjaft in ©uropa beffeben, fo muff bie greibeit ber ©emiffen »ieber befdjränft »erben burd) bie aBabrbeit unb bie Pflidjt. ©S kfint, als ob einige eutopäike Regierungen ju einer glüdlicben Igntoleratt* jurüdfebren rooHten. grantreich beftraft einen gelij ippat, ber ben JtönigSmorb proclamirte, Rufflanb beportirt jene Rtänner, bie bem Saren nicht günfiig ftnb, ins falte Sibirien, um ihr beifeeS ©lut ablüblen ju löuiten, Seutk* lanb kmiebet ©efeffe gegen bie 8iSmardS*§affer unb ftaiferoerächter; aber baS iff nur halbe Rrbeit, benn jene Riätinet auf ben ruffifchen, beutken, franjöffken, italienifchen Äatbebern, melcb« jene 2|been proclamiren bie ftch in ber .jpanb beS Proletariers in ftaiferfugetn unb StönigSbok« berroanbeln, »eiche jene falfche ©ebanlenfreibeit prebigen, aus bet baS arme 8oIf eine fatale Xbatenfreibeit folgert, biefe löfft

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242 Stotfer Raufer. 86

man frei, biefen öffnet man SEempel unb Sdjulen, biefen fperrt man bie 9tathfä(e ber Könige auf, in iljre &anb legt man bie ©efefcbücher. SDie Sertünber beS ©bangeliumS aber jagt man aus bem Sanbe. S)a mögt ihr einen £>öbel guiflotiniren, einen ^at eintertern, an ihre Stelle treten jeljn Rubere.

Sllfo fort mit einer Soleranj, n>eldf>e ben teufet in ber £)ölle loSbinbet! Sor bem ©eräufd)e ber SRebolution berfiummt ba§ ©efumfe bon Suibung, unb bie fatholifd&e Äirche mit ihren ©ruub* fätjeii für 3ted)t unb 2BafjrIjeit, für ©erechtigleit unb Siebe wirb unter ben europäifchen SBöltern ihre Stuferftehung feiern unb bie Dtetterin beS Staates unb ber ©efeüfdjaft werben ; aber höchP« 3f'* $ <*> bafc man bau ber tollen tp^rafe einer allgemeinen Soteranj abftehe, benn bie ©egentnart fchreibt eS mit feurigen 33udjftaben bor bie 9(ugen ber Könige unb Söettler: nicht Soleranj, fonbern ©erechtigteit unb Siebe, unb nicht bie ioleranj, fonbern

»bie SBahrheit wirb euch ftei machen."

$>iu<f t>iit Htaljlau & SöalbfdjmibK $Tauffurt a. TO

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Hamlet.

Sin tragifcpeS ßparalterbilb

Dort

Dr. (fbraunb §atbp.

€t)atefrcarc’« ffierfe finb nt<$t für bie Äugen t>c$ ßeibeö. (Soet^e.

SBenn fiep einem ® o e t p e nocp in fpäten Sapren „Hamlet" als ein „büflereS Problem" perauSfteüte, „baS, tnan möge fagen was man wolle, auf bet Seele lafte," unb aucp bis peufe, fo fept fiep bie flritil batan abgemüpt ljat, lein aüfeitig ficpereS Urtpeil erhielt mürbe, fo finb es nicht gerabe bie günftigften Slufpicien, unter melden biefe Heine Schrift bot ihre Cefer hintritt. Sie lann fiep jur SRecptfertigung ihres ©rfcpeinenS nur auf ben Umftanb berufen, bafj bie meitgepenbe Semunbetung für Spafefpeare borjugSroeife an feinen Hamlet gefnüpft ift, unb barum jebe neue 3ugabe, bie ben 3wecf haben foU, jur 93er« tiefung beS ben Sreunben beS S)iepterS bereits mehr ober ntinber flar* bewußten Sinnes für feine fafi unnahbare ©röße beijutragen, auch milber beurt^eilt werben bürfte.

So mannigfaltig aber finb bie ©eficptspunfte, bie fiep hier bar* bieten, fo reiep bie ßenntniffe, bie barauS gewonnen, fo ergiebig bie © e i ft e S m i n e n , bie hier bloßgelegt werben lönnen, baß Sefcpränfung oor Ülllem 9?otp tput. MeS reijt, unb uns gelüftet es, niept eine einjige oon allen ben Schönheiten unberührt ju laffen, ben nocp ge* jiemt e§, fiep mit SBenigem ju begnügen, um biefeS maprpaft ju ge* nießen. demgemäß belichten mit barauf, bie tiefere, für uns ge* peimttißbolle Sebeutung ju ergriinben, bie §amlet, äpnlicp wie Sauft für ©oetpe, für ben fieptet paben mochte, fo jwar, baß eS etwa möglich märe, fiep burep £>amlet jum innerften Seben unb Seiben, ®enleit .unb Süpten, hoffen unb Sürdjten, fangen unb Sangen Spafefpeare’S, wie feines 3e>talterS pinburepsuminben. 3Bir laffen auep bas Problem ", auf meldjeS ©oetpe anfpielt, botläufig menigfienS auf fnp beruhen in ber Hoffnung, baSfelbe gegen ©nbe, wenn niept ju Iöfen, falls eS überhaupt unlösbar fein follte, fo boep f^ärfer aufjufaffen unb gerechter ju mürbigen. ©S fei uns gleichgültig, ma§ für eine culturpiftorifcpe Tragweite $amlet pabe, einerlei, ob baS „©ebiept", wie © e r b i n u S (Spalefpeare III. 241) noep mit unberfenn» barem 2Bonnegefüpl bezeichnet, er feprieb 1849! „in unfer

l

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244

Dr. (Sbmunb §arbij.

2

neueres beutfcbeS Seben mit einer Snnerlidjfeit ber SBirlung ein» gegriffen unb ftcb Oermadjfen bot, wie lein anbereS," ben „einzigen" Sauft natürlich ausgenommen. Kur einem fünfte, ber eS freilich in hohem ÜJtaße oerbient, fei unfere Betrachtung jugewenbet, bem tragifchen 6baralter ber £>auptperfon in ber borliegenben Dragöbie.

©inb un§ ^ierbur«^ auf ber einen ©eite ©renjen gejogen, fo ift auf ber anberett auch ber bloßen Vermutbung unb folglich ber Un* fi^erljeit weniger Kaum gelaffen unb überbieS bodj be§ foljnenben ©ewinneS genug ju erwarten. Denn gleichwie baS ©tubium ber Äopfjeichnungen eines Kturillo ober ban Dpt äußerft genußreich ift, fo läßt fidj Don ber Betrachtung ber ßbarafterjei^nung, auSgefüßrt bon ber geübten §anb eines ©bafefpeare, minbeftenS ein gleicher, wahrscheinlich aber noch ein größerer ©enuß besprechen. ©ollen unS bie Borjiige bon ©bafefpeare’S bramatifdjer flunft jum Iebenbigen Bewußtfein werben, fo reifen „bie lugen beS CeibeS“ nicpt bin, eS genügt nicht, einfach ju lefen, alle feine SBorte müjfen oielmebr benfenb erwogen, baS geiftigeluge muß wobl gefdbärft werben für bie b&# fein, obwohl beutlidj genug marfirten 3% ber bon ibm gebilbeten ©barattere. DaS 3*el, baS wir erfireben, wäre bemnad), ben Sefer in ©tanb ju fepen, fi<b burch fachgemäßes, ber^anblung entfpre^enbeS 3ufantmenfügen ber innerhalb beS Drama’# notbwenbiger* weife auSeinanber, ober beffer nach einanber liegenben ©lieber beS bon ©bafefpeare mit unoergleichbarer ©orgfalt geplanten ßbaralterS ein getreues Bilb beS ©anjen, atfo beS ©efammtmenfcben na<b feiner inneren ©eite ju formen, mithin £amlet §u nerfteben. Da aber auch bie §anbtung als foldje tbeilS unmittelbar, tbeilS mittelbar in bem ^auptdbarafter wurjelt, gleichfam in ber Itmofpbäre bon ^amlet’S ©barafter fub bewegt, fo bürfte im richtigen Berftänb* niß beS ©baralterS jugleidb baS ber Dragöbie ihrer £>auptfache nach gefunben fein.

I.

(§be wir inbep ben Boben betreten, auf welkem fpamlet’S tragifdjeS ©cbiclfal gegrünbet ift, möge bie Srage nach ber Vergangen* beit beS ©barafterS, ben wir ju erfennen begehren, uns noch ein wenig in jenem ©tabium beS VJerbenS aufbalten, baS, jrnar außer* halb bes Drama’S gelegen, bocb als Vorbereitung für ba§ Begreifen beSfelben nid^t gut ju entbehren ift. ln eine bloße SBieberbolung beS in „ffiilbelm Vleifter’S Sebrjabren“ hierüber ©efagten benlen wir babei freilich ebenfowenig als an eine lang unb breit aus*

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3

Qamlet.

245

gefponnene Sefd)reibung. (Sine fold)e entpeflt eher, als baß pe ba§ ©ilb aufheßen mürbe, rooju pe gegeben mirb, unb felbfi unter © o e t fj e S gcroanbter 9?adhjeidhnung, bie jum erfienmal roieber bie 91ufmer!famfeit auf ben tjalböergeffenen 5DidE)ter be§ fandet Ienfte, tritt un§» gleidhrooljl £amlet nur in berblaßter ©ejialt entgegen. Ober miegen nid>t ein paar fiinien, ein paar Striae bei ©hatefpeare ganje ©eiten, biele SOßorte bon ©oethe’S fonji nid)t mit Unrecht gerühmter ©^arafterifti! auf? ffienn beifpielStoeife Ophelia über fjamlet auSruft, inbem fie niemals 5lCfe§ jufammenfaßt , maS pe üon ihm au§ ihrer eigenen IHnfchauung ober au§ ben WuSfagen Slnberer mußte:

O rottib’ ein tMtr (Seift ift b>er jerftärt !

$ie« tjofmannS Äuge, beS ©tlefirltn 3"nge,

$e§ ßrifflttS Srm, beS ©taateä Slum' unb Hoffnung,

S)er Sitte Spiegel unb bet Silbung Stuftet,

5)u5 SJtettjiel bet Setracbter: ganj, ganj bin! fo ijt bifS eben, bie 3ei<hnung, bie un§ aßein anfpridht, roeil fie ädjt fhalefpearifdj ift, meü Iper ein einziger ^uSbrud in bünbigfter ftürje bem Utadßbenlen eine fafl unerfdhöpfliche ©effaltfüflc crfdßießt, inbeß jebe anbermeitig berfuchte, fo feljr pe P<h üudj bem dichter anju» bequemen bemühte, meniger bie Ste^nlic^feit mit bem nadbgejeichneten $unßroer(e, als bie Äf unftfertigleit be§ 3eichnenben berräth- $er ©runb ift genau ber nämliche, roeSmegen auch ©emälbe nie burdh freie tRadbseidhnung boßftänbig getreu mieberjugeben finb. Unmißfürlich mirb ber ffünfiter bon bem ©einigen hinjuthun, alfo ba§ Original berberben, in ber Stbpdfit, originell ju fein. SOiefe ©efafjr bleibt ber» mieben, menn mir einfach nur unfer ©haralierbilb in ein ber ©eob* achtung bortheilhafteS Sicht fteßen. ©hatefpeare felbfi ift e§, ber un§ geroipermaßen ein fold^eS ©erfahren anbeutet, inbem er, natürlich in feiner SBeife, ohne bie Stetion irgenbroie aufjuljatten, un§ ba unb bort ■©(idle über ben ßtabmen beSfelben hinaus berfiattet, beren SBertlj um fo höher ju fräßen ip, je fpärlidher unb fürjer pe fein bramatipheS ©enie jumepen burfte.

2Bir meinen, £)amlet’S Serhältniß jum ©ater, bem ehe» maligen S5änen!önig, jur fDtutter, ju Ophelia unb iporatio, fomie bie ©eroanbtniß, bie mit ber Keinen fflbtij (©et 1, ©c. 2) habe, morauS erpdhtlidj, baß fjamlet auf ber fjodhfdjule ju W2Ö itteuberg“ geroefen. @5 mirb pehjeigen, mie hierburdh ein ebenfo bielfadß oerfd^iebeneS Sic^t auf £>amlet’§ ©horafter, be^en ©ilbung unb Sntroidlung, auf bepen pttlidfeS ©epröge fällt, unb barauf möge borerp unfere ^hfilnahme für ihn fidb befchränlen.

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246

Dr. dbmunb harbg.

4

6r war ein '.Kann, negtnt 'flßeS nur in fl Bern.

3cg werbe nimmer feines ®leicgcn feg’n

fogt ipamlet bon feinem SSater, unb fdjftner liege fid} mahrlid) faum fagen, roaS er fagen rooflte. 3a mir begreifen, roaS Hamlet am 33ater berloren haben mugte ; unb belehrt nicht ber Seeluft am befien über ben SBertf) be§ 33efifceS? ®er SSater mar $am(et um feiner fWannljaftigfeit jniBen jum 3beal geroorben, baljer boppelt treuer als SSater unb SSorbitb. SCSie biel läfet uns bod^ jene! eine „nimmer* in feinet Seele lefeit! 3fi nic^t roie SBehmuth mit Sitterleit, bie un§ barauS anmeht? 3ft eS nicht, als mürbe er un§ fagen, ba{j er bor ber 3eit fdjon auSgelebt ^abe, unb marum? SBeil er nur Sin SebenSibeal gefannt fjatte, unb biefeä ihm nun genommen mar. ©in ^eimroelj ^ö^erer 9lrt muff beSlfalb fmmlct anroanbeln, menn er oratio betrachtet, mit meinem er im reblichen «Streben, jenes- 3beal in fich ju bermirllichen, eine 3ugenbfreunbfd>aft gcfdjloffen hatte. 6b Hingt fürroaljr gleich einer 6legie in feinem fDlunbe', menn er an ^oratio gerabe biefeS rühmettb, bajj er

6in ÜJiann, ber Stöfc’ unb @a6tn »am ®cftgicl 2>iit gieic^tnt Dan! genommen unb geftgnet,

SBe&’ »lut unb Urtgeil jitg fo gut oermijegt,

®ab er jur pfeife ni<gt gortunen bient,

Sen Ion ju Spielen, ben igr Singer greift,

ju iljm fpricht:

®cbt mir ben SDJann, ben feine fieibenfegaft Stiegt mengt jum Sltoücn, unb ieg miß igit gegen 3m tpcrjenSgrunb, ja in beS (perjenS yerjen,

SBte ieg bieg gege.

Siebet fo bie Obcrflädjlicfjteit ? fiiinbigt fid) ©djroäche unb tJeigfjeit mit folgen SCQortcit an? 3ft biefeS öieHeidjt bie ©prad)e ber S3er* fleflung, be§ erfünfielten, tljeairalifchen SöefenS? Stein, mer hier in ber Unmittelbarfeit ber Sluffaffung etmaS anbereS ju Sören glaubt, al§ bie töeftimmtfjeit, bie gejiigfeit be§ Sinnes unb bie ungef$min!te SBa^rhaftigfeit, ber mag immerhin für fid) allein glauben, roaS er roifl, aber nie unb nimmer mirb er un§ glauben machen, bag feine Sluf» faffung noch eine unmittelbare fei. Unb bo<h, maS ift nicht 9lüe3 fdion berfudjt roorben? $a fotl Hamlet nichts meiter als fein bor* treffliches Schaufpielertalent jur Schau tragen, nichts meiter; roirflich ein erhabenes fDtotiu für eine 2ragöbic! 5113 einen Träumer, einen jur $hat unfähigen SDtenfcfjen foB er fi<h bemeifen, bamit bie Sebcutung beS ©egenftüdeS um fo beffer in bie %ugen trete!

%

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Qainlct.

247

SSon ba ab fehlte bann nic^t mehr bicl bis gum lebten fü^nfien Schritte, unb mit SiegeSgeroifsfjeit »arb hinausgerufen: Ipamlet ift 2>eutf<hlanb! ipamlet ift ber mobertie , beutfche 6 u 1 1 u r in e n f $ ! Aber, bafs ®ott erbarm; fod benn bcr dichter gar fo »eit gebaut haben, ober füll bie§ nicht lieber Auslegung fein? 3nbe& »a§ Derfd)Iägt eS? SDßir finb baS Solf ber Genfer!

„3a nur ein Ih'il<hen rtineS ädjten SinncS Jajipt nimmermehr jo ju."

Kein, nein, fittlich fdjroadje Wenigen brauchen feine 3beale, fie ftnb mit fiöh felbft gufrieben, fie hoben feine Ahnung baDon, baff S>cr ©ran non Sdjltcttcm jieht irS eblen '.Berthes ©ehalt tjerab in feine eifl’ne Sdjmad).

AuS ihnen fann AHeS eher, als ein tragifcher ßljarafter geftaftet »erben, Selbft ein Othello, obfehon fittlich nichts roeniger als mafefloS, lebt für ein ^beal. So aud) Hamlet, unb fein 3beal ift ber Wann.

SDBie ein rotljer graben burdjgieht baäfclbc fein Ueberlegen unb 33ef<hliejjen, unb noch gulejst, ba „ber graufe Scherge Sab" ihn aßfogleidj Der« haften foßte, »enbet er fid) an öoratio, ber at§ „ein alter Körner"

Wutf) genug gu haben glaubte, um an fein Sehen £>anb angulegen :

®o bu ein SJtann bift,

@ib mir ben Reich! ®eim Fimmel lab! ich will ihn! ijjamlet’S DianneSibeal ift nicht etroa ba§ ftoifch*heibnif<he, nein, baS <hriftli<h=fatbolij<he, baS 2>beal Dom Wanne, »ie eS Sfjafefpeare in feiner innerften Uebergeugung Dorfanb.

freilich hat Ijiamlet bie UniDerfität gu SEÖittenberg befucht. freilich! 2Ber in aller SBelt raürbe ober, gubem »enn er fi<h mit ber Art be» großen SBritten etroaS bertraut gemacht hat, in biefern ©orte „Derfledte Abfichten" Dermuthet, »er »ürbe eS nicht biefmehr genau fo aufgenommen haben, »ie etroa bie Halmen im Arbentten*

»alb (in „©ie eS euch gefäüt"), ^ötte fid) nicht erft bie Äritif be* müßigt gefunben, barauS in ihrer 2B e i f e etroaS gu machen?

Kun, ber Anachronismus groar bietet heute feinen Anftofj mehr, allein barum hat man noch lange nicht jener fleinlicfjen Cfnghergigteit ent* fagt, bie fief» »ieber unb immer »ieber mit fidjtlichfm SBehagen an bie hiftorif^e SJebeutung biefeS Ortsnamens anflammert, unb »ie Diel Spielraum ift bamit bodj für bie aDerroitlfürtichjten Deutungen gelaffen! SBoljl, Hamlet ift ein fiinb feiner 3e**< b. h- beS fecfjSgehnten ^ahrhunbertS, in humaniflifcher ©elehrfamfeit ergogen, baher auch feine SBorfiebe für SBcrfe, für geiftreiche Spielereien, feine

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248 Pr. Sbmuitb $arb9. ft

Schwärmerei für baS $|eattr. ©r ift bialeltifd) gefault, rbetorifcb grübt, bertrout mit pbilofopbifcben Unterfudjungen, wie foldje benr ©efcbmade bcr 3eit entfpredjen, etwa nad) ber SWanier eines ©iorbano Sruno, aud) eines ÜJlidjet ©ontaigne. Daß er aber ein befonber£ „pbilofopbifcber ©eift* gewefcn, wie Utrici (©batefpeare bram. ßunfi II. 431 ff.) at§ mabtfd)einli<b barjutljun fi<b bemüht, läßt ftd) aus ber Dragöbie wenigjtenS nicht entnehmen. Die ^P^itofop^ie ^atte jtnar als ©(ement ju feiner ©eifteSauSbitbung mitgefjolfen, teineSroegS aber bie .allgemeine ©runblage“ berfelben gebilbet. Siel lufbebenS ift {ebenfalls nid^t mit ^amlet’S ißlfilofopbemen ju machen, wenn man benn bocb als folcbe ©inigeS gelten taffen will. ©S fcbetnt uns im ©egentbeil mehr pbantafiereicber $?umor, als miffenfcbaftlicbe lieber* jeugung aus feinen naturpbilofopbifcben Sleußetungen }u fprecben, eine feine Ironie, bie fid) ©^afefpearc nirgenbS berfagen !ann, fo oft er audj nur leife bie jeitgenöffifcbe ^ilofopbie ju ftreifen Snlaß finbet. ©an lefe bie ftirdjbof ferne in unferm ©tüde (9lct. 5, ©c. 1) unb entfdjeibe, ob bie bort gegebene Uitterrebung ipamlet’S mit oratio über Dorfs ©diäbel etwas mit miffenfd)afttidjem ©rnfle gemein höbe !

9tber ffiittenberg wir tommen nun einmal nicht baran borbei SEßittenberg, „baS für proteftantifdje $erjen ben erbabenfien fftang fjotte," woran uns ©erbinuS (a. a. D. ©. 272) obenbrein ju erinnern für nötf)ig erachtet ! @S tann uns nie^t wunbern, baß biefer Warne, unb außer bem Flamen fanb man in ber SEfjat auch nichts im ganjen Drama, einer DorjugSmeife in proteftantifeben £>änben rubeuben ßritit als boügültiger Seroeis biente, was für ein pbilo* f opbifcbft flopf biefer Hamlet gewefen fein mußte. Watürlicb! ©balefpeare war eS ja auch in feinen Dichtungen einjig barum ju tbun, um bie £>ofgnabe ober um bie SoltSgunfl ju bubten! 6r tonnte baber felbftrebeub nur jur Serberrlid)ung beS ^JroteflantiSmuS bie „b°be ©ebul’ ju ©ittenberg" „fpmbolifcb" gebrauten, um bamit .bie bö#< Slütbc geiftiger Silbung ber 3c*t iu bejeichnen;" unb Hamlet wirb .mit bem Siebte ber neuen, großartigen, weltumbilbenben 3been erleuchtet" ! Daß i<b nicht müßte. Dod) fo hören wir Stof. Ipettn. U l r i c i in allem ©rnfte fagen. ©ie febr auch ber Se* fonnenjten ©iner fnb Don ber ®arteili<bfeit Derblenben taffen tann! (Sollte eS benn eine fo gänjlicb unbetanute ©aebe fein, baß jelbft SDlelancbtbon, als jenes „Siebt" feinen ©lanj bereits weithin Derbreitele, Don „©ittenberg" aus febreibt; „3$ lebe hier nicht anberS als in einer ©üfte. §?aft b°ö« ich mit Äeinem Umgang, als mit be*

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fcpränlten ©eifern, an rotlcpen icp auf feine Seife ©efaflen finbe; unb barum ppe i<p ju $aufe toie ein tapmer ©cpuper“? Sie! Hamlet pätte fonadj in Sittenberg unter „bejepränften ©eiftern" 9laprung ge* funben für feinen „über bie gemeine Sefcpränftpeit pinauSfirebenben ©eip?' ©5 ip Seitüertuft, pierbei länget ju berioeilen. UebrigenS fepeinen bie „neuen 3been" in £tamlet’§ ©eip nodj wenig aufgeräumt, mithin auep leinen fonberlic^en ©influp auf i&n auSgeübt ju paben. ®enn er pält nidjt blofj feft am ©tauben an eine übernatürliche Crbnung: gibt mepr ®ing’ im §immel unb auf ärben,

SIS eure SipultteiSpeit fic^ träumt, §oratio!

fagt er mit einem Hinflug Don UnroiHen über feines SfreunbeS 3roe'feU er glaubt aud) an ©eipeSerfcpeinungen unb pält ben ©eip feines SßaterS für ein „eprlidjeS ©efpenft". Seit bebenflicper noep ift §amlet’S Abneigung gegen ben mit bem tprottftantiSmuS Derfcproiperten PlaturaliSmuS. $!ie PJlenfepcn feiner 3C'*/ °Dn beren Kicptung bcS SJenlenS aud) er pep etroaS angeftedt füplte, bejeiepnet er, pep fetbP mit eingepptopen, als „Plärren ber Platur". HUleitt für ^tarntet ejifiirt, was ungleich wichtiger ip, ein fffegf euer, genau naep ber Prengen Sepre ber alten ftirepe, unb gläubig pörenb lägt er pep Dom ©eipe feines beworbenen SSaterS fagen:

3<p bin brinc® SaterS Seift:

SSerbammt auf eine 3<iil«ng, tflacptä ju manbern,

Unb ®ag8 gebannt ;u faften in ber Stulp,

®il bie Serbreipen meiner 3eiiHcpfeit §inn>eggeläutert finb.

Plicpt minber ift tarntet feft burepbrungen Don ber ü)?a<pt beS ©ebeteS unb ber peitigenben ftraft ber SReue, fotoie Don ben 6acramenten als f>eiIigungSmittel für ben PJlenfcpen. Um ipm, bem gläubigen ©pripen, ben reepten ^Begriff beijubringen Don ber ©röße beS 35er« brecpenS, baS an feinem 53ater Deriibt roorben, Derfäumt eS biefer ttiept, bei feinem näcptlicpen ©rfepeinen auep jenen näperen UmPanb in feine Älagc einjupeepten:

@o toarb id) fcptufenb unb burep tBruberpanb tBeppntttt um fieben, Ärone unb Scmapt,

3n meiner ۟nbenbttltpe pingerafft,

Dpn’ ftaiptmapl, ungebeieptet, opne Detung;

®ie Äedjnung niept geftploffen, inS Sericpt SRit alter Cdjulb auf meinem $aupt gefanbt.

2Jtan bemeife boep, roie biefe Hlufjäplung Don fämmtlicpen fatpolifdjen Sterbefacramenten mit ber 9tnnapme pep Dertrage, „baß fein

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Dr. Sbmunb §arbp.

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(Spafefpeare’S) ganjeS bicpterijcpeS 2cben nur in bem ebangetifcpen Be* fenntniff feinen 91tpein finbet," wie folc^es £>erm. b. ^riefen (Briefe über ©pafefpeare’S £amlet. ©. 312) als leineS ©eroeifcS bebürftige Spatfacpe uns aufbürben möchte, um fo auffaHenber, al5 berfelbe geehrte ©cpriftfteüer gerabe ber tKnjhpt entgegentriti, wel<pe Sittenb erg ju lieb in Ipamlet einen SRepräfentanten be§ ißroteftautiSmuS erfennen mit!! 3ft nid^t empörenb, ober jum 2acpen, wenn oor etlichen Sauren ein preußifeper @t)mnnfial=Cbcrlehrer ©ertp in ißuttbuS bie Seit mit ber ßntbeefung überragte, baß ©pafefpeare in einer tieffinnig erbosten Megorie (!) baS Sßrincip ber protejtantifcpen iReligion gegenüber bon papiflifcpen ^rrlepren unb Sreoeln pabe berperrlicpen wollen! darauf fenne icp feine bejfere Antwort al§:

(Sin lu'd), Srompeten! Srommelu, plaget Särm!

$(t Qiinmet ^bre nicht bie ®(pnitfidjtiß(!=4ß«ibev

Xes £>erm ©tjalbien läfiern : f4lßflt, (an1 '4-

(flöntg ftiebarb III., Ätt 4, Scrne 4.)

’Rein, ein Sichter ber Dppofition unb bielfncp auS Oppofttion, wie S^afefpeave eS war ift SRio’S Berbienft, bafür ben 'Racp* wei§ geliefert ju paben , liebt eS niept, ben Ohren eines ©troffen* pöbets ju {tpmeicpcln, ber in Snglanb bie genfer ber ißapifien be* flafdjte, am allermenigjten in einem fünfte, ber für ihn ber eigentliche Bcweggrunb jur Oppofition gewefen, nämlicp bie angcjtammte Religion oor ben Rnfeinbungen beS JpofeS fowopl als eines loSgelaffenen Golfes ju fdhüfeen- Ülngenommen aber, ©fjafefpeare höbe wirtlich mit 2lb* ficht ben £)eerb beS IßroteftantiSmuS als fjiamtet’S tpoepfepute namhaft gemalt, fo pütte er eS unferS GsracptenS getpan, um bie neue Bpilofoppie mit ihren jerfepenben Sehren in geeignete Sejiepung jur neuen Religion ju bringen, bie im principe bie gleiche Strömung im Bereiche beS Uebernatürlicpen, einer göttlich geoffenbarten Saprpeit unb eines göttlich gegebenen ©ittengefepeS begiinftigt. Senn wie faum ein 3roeiter hat ©hafefpeare bie geijlige Bewegung feiner 3eit bon feiner Sicpterpöpe herab in alle ihre Sinbungen hinein oerfolgt unb an berfelben in feinen Sragöbien wie flomöbien mit §ülfe ber Spatfacpen beS wirllidpen SebenS unb ber ©efepiepte eine Sfritil geübt, bie faft in allen Süllen ju einer oernichtenben fiep ge« ftalten muffte. Sie bem alfo auch fei, jebenfatlS ift bei ber Scheit, womit unfer Sichtet Beefonen* unb Ortsnamen für feine 3n>ccfe ber* wenbet, niept aUju biel Sertp barauf ju legen, baß ber B*wj bon Sänemarl gerabe in Sittenberg feine pöpere RuSbilbung empfangen.

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fyimUt.

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SBiefleicbt, baß er SEittenberg roäblte, roeil es bamalS oicl genannt mürbe, in Gnglatib felbft jebocb mehr in fjolge beS ©treiteS Ipeinricb’S VIII. mit fintier, als in (folge ber bon bort auSgebenben «Spaltung im ©tauben, bie für jenes 2anb ja iljre eigene Duelle batte, bieHcicf)t anberS; cS märe ttjöridit, biejen 9!amen tenbe^iöS ju bermertben.

II.

3n bem 2lugenblic!e, ba baS Drama fiep abjufpielen beginnt, ijt ftamlet raieber in £)elfingör, feiner norbifcpen ^cimatf). Gr bat bi« offenbar einen ftärferen ÜJtagnet gefunben, ^alS baS ©tubium auf ber Jrmtbfcbule für ibn fein tonnte, in Ophelia, bie er liebte. Heine anbere bon Sbafefpeare’5 fjraueugeftalten, 3lulia unb DeSbemona nid)t ausgenommen, bat in bem SBatertanbe be$ Dichters in gleicher Söeife baS tpublifum für fiep begeiftert. Gin mabrer Opbdia * 6ultu§ ift bort jur fDlobe geroorbeu, ber geroiffen Grfcbeinungen bei uns mürbig jur ©eite ftetten ließe; foH bocp ber alte Diecf fogar bon einem ihrer englifhen Anbeter für fein etroaS fcparfeS Urtbeil über fie geforbert morben fein. SBir brauchen roobl nicht erft ben Sefet ju berfichern, baß uns ein folcher GutbufiaSmuS für bie ©<böpfungen ber bidjterifcben fppantafie, roie unb roo immer er uns begegnet, pöihft läppifcp bortommt, mcnn mir auch in biefem concreten (falle noch nicpt einmal foroeit roie ©oetbe geben motten, ber bon Ophelia fagt : baß fie „boll ©inntichteit mar unb innerlich nicht biel taugte." Ueber Jpamlet’S Sßerbältniß ju ihr fönnen mir un§ jiemlich turj faffen.

Ophelia mar $amlet nicht ebenbürtig, iroßbem liebte er fie mit echter Siebe, bie jtoar bon jugenblichem Ungeftüm nicht frei, aber rein unb ebel unb bon ber heften tHbfidbt befeelt mar. Dafür fpricht fein eigenes ©eftänbniß:

3<b liebt’ Cpbetien; mtrjigtaufcnb tBrüfter hätten 9ti<bt meine Summ' eneidit.

Hub Ophelia gefiept ihrem argmopnenben 35ater einfach unb mapr: Qi bat mit feiner Sieb' in mich gcbrungen 3n aller Sf)r’ unb Sitte.

9lucb berbammt ja fßoloniuS, ihr Söater, fpäter ben 9lrgmobu, ben er toorber gehegt; ift übrigens ein fBJenfdj, ber fiep niemals ju einer höheren 9luffaffung erfchroingen lann, „ein fcpelm’fcber alter ©^mäßer", folglich nichts meniger ats ein rooplqualificirter 3*uge, auf beffen 9luSfage bie Serufung- erlaubt märe. Die Sebenfen, bie ftch über Ophelia erbeben, unb eS finb bieS nicht Icbiglicb Ginbilbungen ber

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Dr. ßbmunb §arbt).

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Äritifer, laffen jeboc^ btn fittlit^en Eharafter £amlet’3 unberührt, fei benn, baß man ihn erfi mit Sied unb Stnberen jum SJtitfdjulbigen ihrer ©innlidjfeit erniebrige, moju im Stüde felbft ein SlnfjaltSpunft nic^t gegeben ijl. Ophelia, eS ift roafjr, erfdeint burd)meg als geifiig unb fittlid) fdjwad), im 23ergleid) $u Hamlet bon nieberet Statur, bod) nic^t im Entfernteren als gefallen :

,Unb it)rer itpönen, unbtf leiten fistle 6nt|ptie§en Seilten !'

©^afefpeare hat jeben SluSbrud wohl erwogen, bulbet niemals, au<h nic^t im Slffecte ber Seibmfdaft, einen SSetftofj gegen bie SGDa^r^eit; unb fo habe eS bamit fein Semenben.

Es bliebe nod) über bie 5Dtutter ein 2Börtd)en ju fagen, benn ^amlet’S früheres ©erhalten ju ifjr ift für bie fpätere Stellung, bie er iljr gegenüber einnimmt, nicht ohne ©ebeutung. Siebte er fte? ©tan fage uns, weshalb er fie nie^t lieben foüte. einem Sohne, ber fo roie er bem ©ater sugetfjan mar, tonnte eine ©tutter nicht minber treuer fein, bie ihm nur für feinen ©ater ju leben fdjiett:

§ ing fle bodj an ihm,

«IS pieg ber SBadStljum iprer fiup mit bem,

S3a§ itjrc ftop mar.

3um ©rud)e jmifchcn ihr unb ihm !am eS eigentlich nie, fo gewiß auch Jjpamlet iljr nad) ber „S^at" anberS begegnete, wie jubor.

III.

9tun, nad)bem mir uns fandet boin Sicfitglanje ber Sugenb* ibeale umfloffen oorgefletlt haben, ifi an ber 3eit, ihn aud) in ben ffampf beS SebenS einjuführen, alfo, ba wir Beobachter eines tragifdjen EljarafterS unb bemgemäfj aud) eines tragifdjen SdjidfalS ju fein münfd)en, in ben ftampf ber inbioibueflen ©erfönlidjleit mit jener unwanbelbaren, unerforfdjIid)en ©tad)t, wie fit in ben Ijöljeren, göttlichen Rügungen ftcfj ihm anmelben, offenbaren wirb. ©Mr berlangen bon Sfjafefpeare, baß er feinen fandet in folche Situationen bringen werbe, bie uns in eine tragifche Stimmung berieten, uns in ©?itleibenfd)aft mit ihm jiefjen, uns mit gurdjt für ihn wie für uns erfüllen, bie unfere Seibenfdjaften reinigen löttnen. 23ir wollen aud) 3{U8e fein ber allmäligen §>inbemegung bcS hanbelnben unb leibenben Jjpelben §u bem feinem Raubein gefegten 3>ele unb ©bfdfluß, ber tragifdien Itataflropfje, eben jenem ©tomente ber f)öd)fien, ibeafen Führung unb Ergriffenheit.

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fjamlet.

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Unroiflfürlief) möchten mit ihm jurufen: ^)ilte bich, benn bu fiehfl auf geheiligtem Soben! Siehe ju, baß bu nicht feljlgehfi! ©otteS SGßiDe muß bein Scf)ilb unb beine SOBaffe fein!

2) er bläßliche, anfeheinenb ju fällige, in SBafjrheit burd) Sruber* tjanb hmkrlijligerroeife herbeigeführte 2 ob beS geliebten SSaterS unb berühmten flönigS reifet Hamlet aus feinen jugenblicfeen Schwärmereien, unb jum erfienmole im Seben fühlt er, roaS eS hf'B* SEßelt.

3) ie SBieberbermählung ber ÜKuitcr mit feinem Cheiin ßlaubiuS, beS SaterS leiblichem SJruber unb fattife^em ÜJlörber, hol bie lieber» tragung ber ffönigSfrone auf baS Haupt beS nunmehrigen 6he9emahl& jur tjolge. 9lbet biefeS Umgehen feiner ^erfon bei ber üteuroahl eines ßönigS roäre noch für Hamlet ju Derfdjmerjen geroefen, hätte nur bie ÜRutter nicht ifere Hanb ju einer ißerbinbung geboten, bie eben, je inniger et fie liebte, um fo mehr ihm roie ein 'Jtäthfel et* fcheinen mußte. 2>aß er fich boch berjenigen nicht hätte ju fchämen brauchen, bie nach beS 33aterS 2ob fein Stolj unb feine Stüße hätte roerben foüen ! So aber muß er fich ihrer f<hämen um beS UlnbenlenS feines theuren 93aterS roiOen, für bie Familie, beren 6h« f'e beflecft, für fie als ©attin unb üJlutter unb für fich felbft als ihren Sohn, ben fie auch jeßt noch ihren „guten £>am(et" nennt.

„Scbam, wo ift bein (Srröt&ent*

3a, biefeS, unb biefeS allein ift eS, roaS £>amlet innerlich fo fefer aufroühlt, maS ihm fo Diel ju benfen, ju oermuthtn gibt. „Wicht boch, mein §fürft, idfe habe ju biel Sonne," jagt er, unb roie roahr!

9J?an bilbe fich nur nic^t ein, baß Öamlet ber alleinberechtigte Thronerbe geroefen fei. Wein, Hamlet felbft fennt bie bänifdje 2hr»nfolgeorbnung weit beffer, als Diele feiner gelehrten fffreunbe, unb Jommt ihm barum burchauS nicht in ben Sinn, anjunehmen, baß ihm in biefer ^>infiefet ein Unrecht gefaben. @r hotte nur „Hoffnungen", geroählt ju «erben, jroifdjen roelche fich aflerbingS fein 0h<im» nunmehr jroeiter Sßater, „eingebrängt", roar alfo feines* roegS „ber rechtlos berbrängte Srbe beS 2hroneS," roie ©erbinuS (a. a. O. S. 246) annimmt. 3h« brüeft beSroegen and) etroaS ganj WnbereS, als ein berleßteS bpnaftifcßeS 3ntercfTf- 3rür bie richtige Wuffafjung unb ©eurtheilung feines HanbelnS aber ift eS nicht gleich* gültig, ob roir in ihm ben einjig legitimen Thronerben erbliden, ober nicht. fDlan roirb fcfetnerlich umhin tönnen, fein Verhalten $u ber* urteilen, roofern man fich auf ben einen, in fich jebodj unbegrünbeten Stanbpunft (teilt, man roirb baSfelbe hingegen boOtommen begreiflich

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Dr. 6bmunb §arbp.

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fiuben (ohne erft füufiliche ßhoralterconftructionen auSjufinnen), roenn man ben anberen, oon ©^alefpcare ihatfäehlidh allein anerfanntcn ©tanbpunlt behauptet. *)

$)ie Slufgabe $amlet’S muß fic^ mefentlid) banadj rieten, ob er al§ legitimer, roiberredftlich oerbrängter Surft einen Ufurpator ju ftürjen, ober ob er einem ©erbrechen bcijulommen ^atte, roelcheS äufjerft belicater 9latnr mar. ©S ift leicht, §u fagen, £)amlet’S ©fepticiSmuS fei bcr ©rnnb, roarum er feiner Aufgabe nicht ge* machfeit mar, er habe leinen feften ©oben unter feinen 3?üßen, nämlich feinen ©tauben gehabt. Sfnbeß, felbft angenommen, er märe ber glaubenSfeftefte 9Heni<h bon ber Seit gemefen, man hätte ihn aber in feine oeräroeiflungStmUe Sage gebraut, nicht mit ber eingebilbeten Segitimität im Äopfe, fonbern gerabe mie eS im ©tücfe Reifet, als „erftet $ofmann, ©etter, ©ohn," mürbe ihm bann rooljl bie fategorifche 6te flärung etmaS genügt haben: „3n ©ottcS Flamen m ü ff c er bie IhQ* Stäche, ber ©lutrache üben, er bürfe fich biefer Pflicht nicht entjieh<n!* innerlich jerrifjen Don tiefem ©ram , jeboch nicht tmn ber «rettungSlofejien ©erjroeiflung" (£»erm. b. Briefen, a. a. O., ©. 211), unb äußerlich berlaffen, ohne ju roiffen, mie unb mann fein Seib enben roerbe biefeS ift £>amtct’3 Seelenoerfajfnng, über meldje er fich im erjlen ©tonologe auSfpricht, fi<h felbft allein bem einjig baju befugten 3eugen feiner ©ebanfen :

O fchmbtje bo<h bieS ollju fefte Sleifch,

^erging’ unb IBfl’ in einen Xfjau fidj auf !

Ober hätte nicht bet Sro’ge fein ©ebot ©erichtet gegen Selbftmorb! O ®oti! o ©ott!

SDBie etet, fchaat unb flach unb unerfpriellich Scheint mir baS ganje Sreiben biefer Söell !

^5jui! pfui barüber! ’S ift ein »tlfter ©arten,

Ser auf in Samen fdjiefil; »crmotfneS Unfraut ©rfUQt ihn gänjlich. Saju muht' cS fommen !

’) Sticht SBenige ftnb hierdurch bebeutenb in bie 3rre gegangen, ©oeth* fchraanft, mafjraib unter ben Steueren ßarl SBerber in feinen Sodefungen übet Shafefpeare'S Qamlet (S. 33 ff.), nicht minber §crm. tt. g riefen (a. a- C. ©. 202 ff. ; ®. 220 ff.) richtig unb Har bie faljcht Slnficht betämpfen, burch »‘üb* fich, mie eS j$cint, 6 b. § Ul S mann (Sbalefpeare , jein Seift unb feine üöerfe, ©. 25 jf.) unb nach ihm auch ber unt bie Verbreitung »an Sbnfefpeare’l Sichtungen in chtiftlichen ffreifen ^oc^ticrbiente Srtbur £ager (ShaWü*01*® Söcrfe, I. S. 155) ju irrigen Schlüffen unb 'IWifjberflSnbniffen über ben 6hflrJ^fr tpamlet’S verleiten ließen, miemohl bie lanbUupge Äritil, auch ohne biefer Snfnht |u hulbigen, oft nicht Biel beffet gefahren ift.

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fandet.

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3roei ©onb’ erft tobt ! nein, nicht joniel, nicht jwei :

Sold)’ trefflicher ©onard)! ber/ neben tiefem ülpott bei einem Satyr; fo meine ©utter liebenb,

®afe er bc? §immel? Sßinbe nicht ju raub 3tyr Stntlife liefe berühren. $immet unb erbe!

©ufe ich gcbenlcn? hing fic boch an ifem,

%[§ flieg ber SBadjStfjum ihrer fiuft mit bem, äöa§ ihre Soft war. Unb boch in einem ©onb

2afet mich’? nicht benfen! Scfettacbbeit, bein 91om’ ift fficib !

6in furjer ©onb ; bebor bie Schuh »erbraucht,

SBomit fie meines SaterS Seiche folgte,

©ie 3iiobe, ganr Shränen f», ja fi* i O §immel! »Urb’ ein Sh'*1» baS nicht ®ernunft hat,

®ocfe länger trauern. ©einem Ofein »ermählt,

2; ent SBrubet meine? Bieter?, boefe ihm ähnlich,

©ie ich bem $erfuleS : in einem ©onb!

®e»or ba? Salj b'bchft freoelhaffer Sferätten ®er »unten Slugen äWtlje noch »erliefe,

©at fie »ermählt! O jehnöbe §aft, jo rafch

3n ein blutfchänberijcheS ®ett ju ftürjen!

e? ift nicht, unb eS wirb auch nimmer gut,

$0$ brich, mein ©erj! benn fchweigen mufe mein ©unb.

3ti ben beiben lebten 5&erfen eröffnet fid> bereits bie ^Jerfpeftioc auf bie nadifolgenbe £mnblutig. 3>n einem bunllen, nodß unbefiimmten Sßorgefüßle lägt fie uns ber Dieter aßnen. $>enn eben ber Sefeßt an fein £>etj, oor innerer Oual ju brechen, weil ber IDtunb fißweigen müffe, entßütlt uns ben inneren $am|)f in feiner ganjen $pöße unb Sliefe, einen Äampf, ber naturgemäß um fo heftiger werben mußte, je meßr eS fieß für £>amlet bis jur ©ewißßeit ergab, burdß was für eine $ßat er feinen Sater unb moralifdß wenigßcnS au<ß feine Htutter berlorcn.

IV.

$urcß weldßeS SDIittel aber fod fieß ißm biefeS fein unbeftimmteS ÜBorgefüßl jur überjeugenben ©ewißßeit erßeben ? $>urdj einen menfeß* Iidßen 3tu8eit? Snbeffen ber flJtorb, foHte er wirflidß borliegen, ßat nur ben Später felbft jum 3eugen, unb außer biefem ©otteS aflfeßenbeS 9luge. ®er $ßäter aber wirb fieß aus freien Stüden nießt felbft berratßen, jurnal wenn ißm feine Sßat eine $rone aufs .fpaupt gebrüdt. Unb ©ott ? 2Soß( wirb ©otteS ©eredßtigfeit f l i e ß l i 9tHeS anS Sicßt bringen, allein ©otteS SDßeife eS, fofern nidjt außerorbentließe ©riinbe ißn als Sinter ju einer Sleußerung über ber Sötenfcßen 2ßun ßernuSfotbern, fidß bis baßin in Sdjweigen ju ßüllen.

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Dr. 6bmunt> §atblj.

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©oWe ^ier nun aber IBrubermorb mit ffönigSmorb oerbunben fein, fo märe ja baS für fi<h allein fchon eine jum £)immel fchteienbe lljat :

,fie ftinft jum Cjjimmel.

Sie trägt ben erftcn, ütteften bet (JUictje,

Worb eine« SärubetS."

Soch gar im SBruber ben ftönig morben, bie gottgewollte Crbnung über ben Raufen roerfen, fjiefje baS nicht roa^rftaftig etwas Titanen« hafteS roagen, roerth, auch mit ber Sitanenfirafe gcaljnbet ju roerben ?

Ein Seift aus bem ffegfeuer £>amlet’S eigner Sater mufj baljer erfcheinen als Siener ber göttlichen ©erechtigteit, be» auftragt, £>amlet jene £unbe ju bringen, bie if)m tein irbifdjeS Söefen bringen tonnte.

Ser ©eift erfc^eint benn auch wirtlich; ober rebele fi<h Hamlet blofj ein, biefe Erfcheinung gefeljen ju hoben? Es ift inert* mürbig, lieber berfucht man, ber Sichtung eine Seutung §u geben, bie aller SBahrljeit £)ohn fpricht, als bafe man ftch baju berftehen tann, üon feinem rationaliftifdjen ©tanbpunft abjugeljen. Sie

erhifcte l)3hantafie, baS aUjeit bereite ©tedenpferb für berartige 33erfu<he, an übernatürlichen Srfdjeinungen ftch taf<b borbeijumachen, ohne fich in eine fachliche Prüfung berfelben einjulaffen, muß eS natürlich auch hi” geroefen fein, roelcher bie Erfdjeinung als leeres Srugbilb borfchroebte. „2Bie hß&*n wir nun biefe ©eifteS* erfcheinung aufjufaffen?" fragt Ipeinr. b. ©trübe (fpamlet. Eine Eharalterflubie. ©. 52) unb antroortet offne meitereS : „Sor allem ift eS felbftberftänblich (!), baß fte bom pfQ^otogifcfjen ©tanbpunfte aus nicht anberS als nur als &aUucination betrachtet roerben tann.* Unb nach einigen SBorten, »eiche uns biefeS plauftbel machen foflen, gelangt ber berehrte Jperr jtim folgenbcn Ergebnis : „2Bir feben alfo in ber Erfcheinung beS 93aterS nichts anbereS, als ben Seflej bon £>amlet’S eigener ©emütbSaufregung , unb roaS beS SaterS ©eift ju §iamlet fpricht, finb nur SBorte, bie £>amlet in beS SSaterS Utamen an fi<h felbjt richtet. ^amlet’S ©efpräch mit bem Sater ift nur ein ©elbftg efpräch-" 9tun bajj bie nämliche Erfcheinung borgeblich bon mehreren anberen Sßerfonen roi eher holt gefehen unb bon Hamlet mit feinen ^Begleitern ju gleicher 3 c * * wahr* genommen roirb, bilbet biefer borgefafcten Meinung gegenüber ebenfo wenig ein Siebenten, als bafs einer bon benen, welche bie Erfcheinung faljen, ber jweifelfüchtige, feitigebilbete unb gelehrte ^oratio war. S3ir fagen : SBenn ©hafefpeare in ber ©eene auf ber Serraffe nur

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JPwmlet

257

ein erregtes ©efbftgefpräcf) £mmlet’S fjätte miebergeben wollen, Woju ein fofdjer Apparat?

3nbem tarntet bom Seifte SöeS auf ben “Job be§ SSaterS, fowie auf „bie fdjeinbar tugenbfame Königin" ©ejügtidje erfährt, tuirb iljm bie ernfle ÜJIa^rtung ju Sifjeif:

Öal't bu Stillut in bir, io leib eS n icfjt ,

Sag ®än’martS töniglidjfä Sett fein Säger jjlit Slutfcganb’ unb Berrucgtc äSoÜuft fein.

® od), wie bu imntet biejc ®f)at 6etrei6{l,

Bejteif bein §erj niigt; bein ©emiitg erfinne Stifts gegen beine Wulier; fiberlag' fie ®em §immet unb ben ®ornen, bie im Sufen Sgr fted&enb »ognen. £ebe wobt mit eint:

Slbe! SIbe! $be! gebenfe mein.

5)er ©eift berfdjroinbet, unb nun muß fjamlet’S fittlid^e« ©efüljl, ba§ wätjrenb ber ®auer ber ©rfdjeinung fange genug mit 9totfj bon itjrn jurüdgeljalten würbe, unwifllürtid) reagiren, fid} Suft madten in 5IuSbrüd)en bc§ tiefften Unwillens über ba§ ©etjörte:

O §err beS Rimmels! 6rbe! 3Bad noig fonft?

Stenn’ iig bie §5!Ie mit? C pfui! (jpalt, ball, mein §erj!

3gr meine Segnen, altert nidjt jogleicg;

®ragt feft mieg aufretgt! ®ein gebenfen? 3a,

®u armer ©eift, jo lang ®ebäd)tnife gaufi 3n bem jerftärten ®aH gier. ®ein gebenfen?

3a, bon ber Xafel ber (frinnrung will iig Sötglbjtgtn alle tgbriigten ©efdiirftten,

SluS Süigern äße Sprücge, alle Silber,

®ie Spuren beS Sergangnen, rocltge ba ®ie Sugenb cinjcgrieb unb Seobaigtung ;

Unb bein @ebot fofi leben ganj allein 3m Suige meines fjirneS, unoermifigt SJtit minber toürb’gen ®ingen. 3a, beim ^immel.

©o bekräftigt ber ©djrour ben 3?orfnß, ju gebenten; ber ipimmef foU wijfen, baß itjm Srnft gemeint ijt. Sfber eS ift nidjt mögtid), über bem SBerbredjen bie beiben getränten 33erbredjer ju bergejfen, unb barum menbet fidj feine SSutf) juerft gegen feine SDtutter, tuar fie bod) auch bie erfte in ber ©ünbe geroefen:

C gäcgft Berberblitg 3öeib!

$od) ben Sßerfütjrer trifft bie größere ©djulb, baffer benn audf ein jtärferer SfuSbrud beS Unwillens über ifjn, ben Söfewidjt im ^arifäertteibe : C Sigurle ! Ifitgelnber, Berbammter Stgurle !

Sigreibtafel gtr, iig muß mir’S nieberfegreiben,

®ag riner tfirtjetn fann, unb immer lächeln,

Unb borg ein Sigurle fein ; jum roenigften 3Beig id) getoig, in ®fin'marf tann’S fo jein.

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Dr. (Jbmunb £arbb

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Ta Reljt ißt, Cijcim. 3ci;t ju meiner t'ojung !

Sie heißt: „'llbe! '2be! gebente mein.“

3td) t)at’S ge|d)»oren.

@ut, „gcbenfen" miß fandet, baS ffinjige, ma§ für beit Bugen* blid in feiner Blacßt fteßt. Symbol biefer ÜJiadjt, ober richtiger ju meiner ihn feine Sage berbammt, ift bie «Sd^reib- t a f e I unb ba§ Bieberfcßreiben nur mit bem Stifte gleicbfam fann er ben „Cheim" burchbofjren, ofjne fein £>erj ju bcfleden! bie eben für iljn aßein mögliche äußere ^ ^ a t , BfleS jufammcn* genommen mithin ber finnbilblidje BuSbrud feines UnmutljeS über biefeS fein unfreimifligeS Unbermögen. Senn er uns aber anfiinbigt, baß er mit Bßem, tnaS ihm bisher lieb unb treuer gemefen, unb hier fleht obenan jeift'.fiiebcSüerhältniß ju Ophelia brechen moße, fo fagt er unS bamit jur ©enüge, baß er feinen Beruf, bie Blifjion, mit melcßet ihn ber @eiß betraute, gar rooljl erfaßt, baß er ihre Bebeutung, 'aber auch ifjre Unausführbarst burdjfchaut hö&e. ©eigentlich fei hier an einen BuSfprud) bon@oethe erinnert. *$!ie geringfte Berlegenfjeit," fagt er, „bie aus einem leisten ^rrthume, ber unertoartet unb fdjabloS gelöft merben fann, entfpringt, gibt bie Bnfage ju lächerlichen Situationen. $ie £)öd)fte Berlegenßeit b'i* gegen, unauflöslich unb unaufgelöft, bringt unS bie tra* gif eben Biomente bar."

tarntet miß tßun, maS er fann, um bem Befeßle be§ ©eifteS gerecht ju merben. 25ocf) bieS jtebt iin ermähnten Btonologe erft in

jmeiter Sinie, ber eigentliche Inhalt beSfelben ift S d> m e r j , ein Seelenleib, fo groß, baß ihm fein größeres burch bie ©eroißbeit, bie er nun über baS Borgefaßene erlangt, hätte bereitet merben fönnen. ift fo gemaltig erfchütternb, baß er baro6 ben 2ag feiner ©efmrt ju Derfluchen fnh nicht febeut, ba er boch nur leben mußte, um Unmögliches äu fciften, um einjurichten, maS nun einmal ber einzelne Bfenfd) nicht einjurichten bermag :

Die 3c>t aus ben fjugen, o Btrfludjtf liictr.

Daß jemals ich geboren warb, ße einjurichten.1)

’) Da« Original gibt:

The time is out of joint: 0 cursed spite,

That ever I was born to set it right !

Die Schic gediehe Ueberiefcung :

.Die 3*it auS ben gugen, Schmach unb ®ram,

Daß ich iur SBelt, ße einjurichten, fam !* h'cr mehrfach ungenau unb irreführenb.

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Qantlet.

259

3n biefetn Sinne ift aUerbingS für Hamlet, wie itarl SBerber bewerft, „bie Offenbarung beS ©eifteS bie Serurtpeilung feines DafeinS."

$er ©eift hatte Hamlet bie SÜBafjl ber regten Mittel überlaffen ; „rächen" foDe er, bocß babei „fein £>erj nie^t beflecfen" ! 2öa§ t^ut ^amlet? Sr finbet ein „bienlicheS" 3Jtiitel bariit, „ein munber* liehe 8 SBefen anjulegen." darauf mod^e ihn feine Seelen* Derfaffung faft non felbft bringen: 3erflört ift fein inneres Seben, als ein jerftörteS foü eS benn auch nach außen fidj jetgen. 9lber bas Sleußere foü jugleidf baS innere berljüllen, tooju bementfprechenb, unb weil Hamlet fid) in feiner Seelennoil) nicht Döüig jurüdjufjalten bermod)te, nur ber SBafjnfinn paßte. 68 muß ihm Diel baran liegen, feine innere Aufregung gefchidt ju berfleLtn, um bie 'flnbern, •befonberS ben ffönig, Don ber wahren Urfadhe feiner inneren Ser» Wirrung abjulenfen, jugleidj um mittelfi biefer 33erfteHung baSjenige aus bem ffönig ^erauSju loden, weffen er noch belarfte, bie Selbft* an! läge beS SlljäterS. §amtet fonnte rüdjidjtslofer reben unb hanbeln, ohne baß ihm bieS jemaitb oerüblen burfte, fonnte fi<h gegen ben HJtörber unb bie HJtutter mit geringerer (Ehrerbietung benehmen, ohne baß biefe barin etwas SußerorbentlidheS finben mod)ten. gür feine eigene prfon brauste er überbieS einen gewiffen Schuß, unb fo foü ihm ber SBaljnfinn mit ber ÜJtaSte jugleid) ben Sihilb jur eigenen $edung liefern.

Ob Hamlet aber an EttfleS biefeS wirtlich badete *? Urfprünglich gewiß nicht, ba baä.föanje nichts weiter ift, als ein glüdlidjer Sin* fad, ber ihm burdj ben itopf fährt; bod) allmälig unb im SBerlaufe ber ^anblung allerbingS mopl, unb jmifchen bem „Dieüeicht* beS paneS unb ber wirtlichen SBerjMung liegt 3f** genug bafiir, baß ihm alle biefe einzelnen SBeweggrünbe flar bor bie Seele treten tonnten. Sicher mußte für ihn auch baS golgenbe, baS künftige Dom 3“ falle, Don günftigen ober ungünftigen Spancen abhängen. S)ieS wirb noch Derftänblicher werben, unb $amlet’S leßte Seußerung :

(®a§ faflt ihm), fammt Den gügungtn beS SufallS,

S)ie eS baljin gebracht,

empfängt baburch erft bie ihr gebüprenbe Seleucptung. ©enug, baß mir borläufig miffeit, baß fein SDJahnfinn Weber ein wirtlicher, noch reine Berjieüung mar. SS lag etwas in ihm Don §amlet’S innerfier Smpfinbung. SCBie Dorljer -bie Schreibtafel, fo ift jeßt biefeS gerabe ber naturgemäße SluSbrud feines Seelenfdjmerjea unb in gewiffer SBeife für feine Umgebung baS ©efpenft in jmeiter Auflage. „9US

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260

Dr. ßbrnunb £mrbg.

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läm’ er aus ber £>öße," fagt Ophelia, nachbem er fidlj ihr jum erflenmale in biefem 3wPfln^e präfentirt hatte. $enn nm§ bie 6r» Meinung be§ ©eijteS in ^amlet’S ©eift ^ineingeiragen, baSfelbe trägt nun er au§ fid» perauS, einem inneren Drange gepor^enb, ba fein SJtunb auch jej-ft noch fo gut roie früher jum Schweigen berurtheilt mar, fein £erj aber ben Derjetjrenben ©ram nicht ftiß in fid) berbergen fonnte. Streng genommen ifi eS bemnadh nicht £>amlet, ber Serjieflung treibt, fonbem feine Umgebung, unb ebenforoenig liegt eS in feinem ffllane, biefe über feinen SBaljnfinn ju täufchen er hätte fonft feine Stoße Iferjlidj fehlest gefpielt, bielmehr über feint3nnere§, über feinen ©h ara ft e r miß er täufchen. $er ffönig bermutljft baljer auch gar halb fo etroaS unb fpricht :

3|m WaS im ©emtltf),

SBorübcr feint ©djwermutt) brütenb fiCjt;

Unb, mie id; jorge, wirb bie ttuSgeburt @e>fi!)rtid) fein.

aflein hinter ben wahren Sachberfjalt fommt er nicht, bi5 er fic^ im „Sdjaufpiel" felbft berrathen.

V.

SSBir nehmen ben $aupt<harafter mieber ba auf, wo mir ihn nach ber ßrfcfjeinung julefct beobachteten. S)enn gerabe bie SBirfung berfelben auf ^amlet’S ©emütlj bejtimmte uns, feinen ©ntfd^luß, fi<h für mahnfinnig auSjugeben, genauer in§ Stuge ju faffen. 3m jmeiten Stete tritt biefer ffSlan inS Seben, nimmt eine faßbare unb greifbare ©eftalt an. spfpdjologifdf) mistig ift, baff nun aber auch baS 99c« bürfnijj nach Stufllärung über bie ©laubroürbigleit ber ©eifteS- erfdheinung bon Hamlet in bemfelben SKafce empfunben wirb, als er bie Sienlichfeit beS pon ihm gewählten SJtittelS ju erproben anfängt. Sludfj ein „ehrliches" ©efpenft berbient nidht auf’s ©erathemohl ©tauben:

©er ©eiß,

$en ic$ gefeiten, lann ein Stufet fein;

©er Stufet bat ©eroatt ftcfj ju tterfteiben 3n todenbe ©eßalt; ja, unb »ieüeic&t,

5Bti meiner S$mad)f)eit unb ft}tetan$olie (©a er jef)r mäd>tig bei fotzen Stiftern),

Sauj<${ er mi<b jum Serberben; id) mit! ©runb, ffier fub'rer iß.

Sidh’rer, fofern eS ein folcher ift, um welchen auch Slnbere aufjer ihm wiffen, mie bieä bei ber ©eijteSerfdheinung nidht ber ffafl gemefen bie ftch wohl ben ©liefen Sluberer gejeigt ^attc, jebodh ohne ihnen nur

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§nmlet.

261

baS ©eringfte mitjutfjeilen. ©o lange batjer fidj bie ©eifteSauSfage nitfff anberroeitig beftätigt, fonnie unb burftc £>amlet nidft fianbeln, unb fo blieb if)m, um moralifcff ju Raubein, fein anberer IHuSrocg offen, als abjumarten, eine giinjtige ©elegenfieit , eine jener „Rügungen beS 3ufafl§" toaljrjuneljmen unb jie jioedmäBig ju benujjen.

©ine @rf Meinung aus bem 33creic^e beS natürlidjen SebenS berljilft Hamlet ju biefem „©runb, ber fidf’rer iji," eine ©dfaufpielet* ©efellfdiaft, bie jufällig an ben Jpof Oon ^elfingör gefommeit mar. ■$)aS ©dfatifpiel, bap geraffen, wie ©ljafefpeare feinen fandet mciflertjaft fagen läßt, „ber 9tatur ben ©piegel bor« jupalten, ber Sugenb iljre eigenen 3ÖQG ber ©djmadj iljr eigenes Vilb, unb bem 3faljrl)unbert unb Äörper ber 3 e i * ben Mbbrud feiner ©eflalt ju jeigen,"

®a« Scbaujpiet fei bie ©iblinge,

3n bie ben Äbnig fein ©emiffen bringe.

SBeit entfernt bnfjer in ber SGßa^l biefeS Wittels ©nergielofigfeit p geroaljren, bemunbern mir im ©egeutljeil ^»amlet’S finge 3mtd‘ beredjrtung. 35arin ntadjen unS aud> nid^t bie Worte irre, bie ber $id)ter ifjn jtpifc^ert ber Vorbereitung unb ber Sluffü^rung beS ©iiideS fpredfen läfjt, ber britte Wonolog £>amlet’S. ©eroifs, Hamlet roüt^et in biefem ©efprädje gegen jtdj, befdfiimpft unb berfpottet fiel), aber roop bas? ©tma roeil er loirllicf) nidftS VeffereS berbient, toeil er fi$ audj barnad) angeftellt Ijat? 5tun benn, man pßre.

D toeldb ein @<burt’ unb niebrer ©ffaö' bin i<b,

3ft’* niebt erftaunfidb, baß ber ©fielet biet*

3Sei einer bloßen 3)itbiuug, einem ütraum ®er ßeibenfäaft, Dermodpe feine ©eefe 3!a<b eignen fflorftellungen fo ju jtoingen,

$aß fein ©efubt »on ihrer SRegung blaßte,

©ein Sfuge naß, SBeflütjung in ben fKienen,

@ebro$ne Stimm’, unb feine ganje Haltung ©efügt naeb feinem ©inn. Unb afleS baS um nichts !

Um Qefuba!

SBas ifl ibm £efuba, roa» ifl er ißr,

S>aß er um He foU meinen? fcätte er

$a§ fffierfmort unb ben SRuf jiir ßeibenf<baft

SBie itb: »a« müvb’ er tßun? $ie SJübn’ in Jbtfinen

©rtränfen, unb baS allgemeine Obt

fDtit graufet Dieb’ erjibüttern; bi« jum SBabnmiß

$en Stbutb’gen treiben, unb ben greien fdireden,

Unmiffenbe bermirren, ja betäuben

®ie gaffungsfraft beS tRugeS unb bei CbrS.

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Dr. gbmunb Qarbp.

20

Unb id).

«in M5ber, f$roa($gtmutf|tr Stburtt, f<$lti<bt Sie §an8 ber träumet, meiner ©adje fTemb,

Unb fann nid)t« fagen, ni<$t für einen flbnig,

Sn helfen ©igentbum unb teurem ßeben Serbomniter 9iau6 gtföaf). Sin itf) ’ne 'Kemme? ffier nennt mi$ ©d)e[m? Sric$t mir btn ftopf entjmei?

Kauft mit ben Sart unb wirft ipn mir ins Kntlig?

$n>idt an ber 32afe midj i unb ftrafi mid) littgen tief in ben QalS hinein? üßer ttjut mir bieS?

§a! nä^m’ idi’S eben bod>. (SS ifl ni$t anberS:

3d] fiege tnubenmutf), mir feblt'S an ©afle.

Sie bitter ma<bt ben $rud, lonft bätt’ icf> längft teS ^immetS @ei’r gcmäftet mit bem Ha«

©eS ©Haben. Slut’ger, tuppterifc^er Subt!

Qübllofer, falföer, geiler, fönäber ©ube!

Qa, »e(<b ein «fei bin ic^l trefflich brau,

©afj iib, ber Sofjn bau einem teuren Sater,

©er mir ermorbet warb, non Q&IT unb Qimmel 3ut iHaibc angejpornt, mit ÜBorten nur SBie eine §ure, muf mein §ctj entlaben,

Unb mi<b aufs fjluefjen legen, wie ein SDeibSbilb,

XBie eine ßUifcnmagb!

Sfui b’rüber!

$>a§ Reifet alfo, furj gejagt, icf) lann nidjt, roie idj toifl. fragt ft<^ nun, ob an btefem fßidjtlönnen ßlfarafter f <S) to ä $ e ober nid)t etroaä ganj StnbereS fdjulb roar. fitein, Hamlet ifl nur beSljalb »feiner ©adje frentb", weif iljm baS Sßorgefjen gegen ben fönig* licken fDtörber unmöglich ifl; er !ann nitfit »jagen,“ wie bie ©cfjau* fpieler, bie frei ftnb, toeii jte in f rem ber fßerfon ju agiren Ijaben, roäljrenb er in eigener ^ßerfon unb in ber troffen SÖMrtlidjfeit operiten fofl, wo gerabe i§m nodf) jeber ^anbgreif liebe (0etoei§ fest- er tann abfotut ni<f)t Io§bre<ben, unb bieS beroirft eben feine Qual, unb jroar aus Sßfli($t gegen ftd^ unb f eine © a d) e fann er nidjt. 5)iefe bittere fltotljroenbigteit, biefeö ©ebunbenfein bei feinet p e r f ö n I i <b e n Ueberjeugung, bie er über bie »Si^at“ geroonnen, ffioBte ©batefpeare uns b>er an biefer ©teile in §amlet’8 ©eele fo beutlieb wie nur möglieb lefen Iajfen. üJtan inerte nur ein roenig auf. SRebet ein 2Renf<b, ber feig ift au§ innerer ©ebroäebe, au« SJJangel an pofttiöen ©runbfä&en, fo roie ,j)amlet in ben ©eblujjroorten beS SItonoIogeS tljut? 9ln »©afle" fehlt e8 ifjm, ja roabrbaftig, ba liegt e8, aber ifl bie-3 biefleid)t ein 6fjarafterfet>ter? Unb roa« ifl leichter unb bequemer, jum $oleb ju greifen unb nieberjuftofjen, ober mit

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21 fcamlft. 263

oller ©eroalt be$ SBidenS anjufämpfen gegen bie jut 5ta#e geneigte Utatur? 2Borin offenbart ft# meljr ber tua^rc, ber #riftli#e £elb? §amtet fjat Sötutf) genug, unb bcroeift bieS au# überall, n>o er fann, er Ijat IDtutlj, fein §erj, fein ©emütl) felber preiäjugeben, nur um £err feiner felbft ju bleiben! 2Bem aßerbings Wutp glei#« bebeutenb ift mit jener SBrabour ber £lopffe#ter, ber mag über £>amlet ben Stab bre#en. SZB i r auf #riftli#em Stanbpunfte fennen einen #i#eren 3Butlj, ba§ ®ulben einer bielgeprüften Seele, baS 2lu§ljarren unter bem ©efeße ber tßfli#t, fei bieS nun S8eruf3pfli#t, religiöfe, fociale ober inbibibucBe !))f!i#t. lüber au# bie ©a#e rein praftif# «wogen, roaä pätte benn Ramtel anfangen foBeti, um feine 3#at ju re#tfertigen, um bie iinmenfe S#ulb be§ flönigb an§ 2.age§li#t ju bringen, na#bem er benfelben bur# blinbeS Utieberjtoßen ber Sorge enthoben, fi# ber 2Belt bon feiner maßren Seite ßer fenntli# j u tna#en? glätte er fagen foflen, er habe eine 6rf#einuttg ge* habt? SIber Hamlet ift bo# fein üfinb meßr!

®er ©onolog ift pfp#otogif# bur#ba#t, ein bemunberungtt* ttütbigeS Äunjtwert ber ^fh#ologie unfereS 2)i#ter§, unb infofern, ou# bramatif#, ftelle i# ißn höh« al§ ben weit befamtieren TOonolog „Sein ober 9li#lfein". 3n fol#en tßartieen ber 'JragÖbie gewinnt man ben re#ten SBegriff bon ber bramatif#en ©röße Sßafefpeare’S. 3n jebem ©orte füßlt man ba§ ©ienenfpiel unb belauf#t baS ©e* Ijeimniß be§ £)erjen8.

©ine Situation, in ber man nur mit ©orten fein £erj entlaben muß, wie unauSfteßli#! ©ir flnb beöroegen au# bur#au§ ni#t enttäuf#t, wenn nun tarntet, ftatt ben TOörber ju erwürgen, erßißt baju ift er fi#« genug, unb mären nur all bie SBorwürfe, bie er ft# ma#t, an bti Slbreffe biefeS 3nbibibuum5, Hamlet genannt, geri#tet, fo mürbe bramatif# ri#tig fein, ißm au# ben Dol# in bie £anb ju brüifen, na# feinem ßopfe greift, um etroaS auSjupnnen, aber ni#t ÜJtorb, blutige 3ta#e, fonbern, feiner Sage »ollfommen entfpre#enb, ein Spionirftücf:

ffrifdj ans Söftf, mein ftopf! §um, bum!

3# bab’ flebSrt, baß ßbulbige ©efißSpfe,

©ei einem Stbaufpiel fitjenb, bureb bie ftunft £>er ©ebne fo getroffen worben Hnb 3m innerften ©emittb, baß fie fogleid)

3u ihren SDlijfetbaten fi<b betannt:

Denn tttiorb, bat er febon feine 3unge, fpridjt 9Jlit wnnbernotlen Stimmen. Sie fetten wo§.

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2t)4

Pr. ßbmunP §nrbt).

22

28ic bic ßrmorbung meines SialetS, fpicten Sot meinem Cfetcm: id) »in (eine ®ltele S faxten, »tQ ifen bis in» t'eben prüfen;

Stufet er, fo Weife iefe meinen äöeg-

3n ber S^at, £>amlet weif; atSbann feinen 9B e g fo gemife als ber 5Ri<hter, wenn er fagen fann: »habemus confiteutem reum«,. ben 2Bcg jur Seftrafung be§ 9tngef(agfen gefunbett hat. ©djon -biefeS allein mitfe für £amlet biel Werth fein. 25arum ifi jejjt feine ^Jarofr baS ©d)aufpiel, wobei er als 25id)ter unb SRcgijfeur jugleith fungirt. 3wif<hen bem @ntfd)lnfs, bor bem Äönig ein ©tiirf fpielen ju taffen, weites, nur unter beritnberten 9iamen, bie SJergiftung feines 93ater§ unb bie tjjeirath ber TOutter mit bent TOörbet toiebergeben foB, unb ber SSoßjiehung beSfelben im 2Berfe fällt $>amlet’§ berühmter -Monolog »©ein ober 9ti<$tfein," fomie bie ftd^ baran unmittelbar an* fchliejjenbe Unterrebung mit Ophelia. SBir werben unS auf bie 93e* tradjtung beS TOonotogeS bekrönten.

VI.

25ie lefcte fllage fpamfet’S über baS Unerträglid^e feiner Sage leitet fachlich wie logifch hinüber ju einer mehr aUgemeineten fflage über be§ Sehens Saft unb fpiage. 3m ed^ten 2)rama finb inbejj auch bie 9teflerioncn £>anblung, alfo hier bie Betrachtung über ben 3Bertf> unb Unwerth beS menfdjliiheii ®nfciu§ Wirtlich unb wahrhaftig ftamlet’S 2jjat. 2)enn nicht ein metaptjbfifcheS Problem ju löfen, nicht abftractc (Erörterungen ja führen, bielmehr fich auSjufprechen feine einzige Möglichteit ! ijl £>amfet’S lefcter 3n>ecf hei biefem Monologe. 25er 35on beSfelben iji, im ©runbe genommen, ber nämliche wie beim früheren, nur bebeutenb ruhiger, ba auch nicht mehr £>amlet’S inbibibuetle iperfönlichfeit , fonbertt ade Menfchen, bie gefammte Menfchheit baS Mitteiglieb feiner ©ebaufenberfnüpfungen hübet. ®ie SJrage ift für ihn je^t nicht: 2BaS fann ich in meiner Sage unb was fann ich nicht, fonbern was fann bie ©efammtheit; baS ®e* fehlest, unb tuaS lann es nicht, infofern es eben Menfdjen, b. h- benfenbe Süefen ftub.

25er Monolog erhebt fi# fofort ju bet höchjten grage, welche ben Menfdjengeift am meiften feffelt, über feine SBejtimmung, fein Sehen nach bem 3erfaB beS SeibeS. 25er Menfch als folcher, an* gewiefen auf feine Vernunft allein, hat barauf jur Antwort nur ein 93 ie II eicht; er ahnt baS Stetige, aber um ju wiffen, mufe er glauben. 25iefeS 3Hjnen, biefeS hoffen unb fürchten eines 3<nfeitS

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23

§am!ct.

265

jroifchen bftn baS fRadjbenlen immer ^irt» unb Jjerfdjroanft, lägt bie Stage als furchtbar geroidhtig, als eine SebenSfrage, erfdjeinen :

€«n ober 9H($tfrin, baS ift bie [frage:

06’S ebler im ©emtttf), bie ^3feiX’ unb S<$ltubern ®e§ wüttienben ©tj^ids trbulbtn, ober 6idj »affttenb gegen einen See »an Silagen,

©utd) SBiberftaitb fi« enben. Stetben fälafen

9licf)tS »eitet! unb )u »iffen, ba§ ein S(§laf ©a* §erj»eb unb bie touienb 6t5fje enbet,

©ie unfetS Öleiföcs ©rbtbeit ’S iil ein 3>cl,

SlufS innigfte ju »Unfdjeit. Sterben {Olafen

Sdjlafen! SPietlcief)! au<f) träumen! 3a, ba liegt'*:

SffiaS in bem 8(b!af für Xräume tommen mdgen,

Sßenn mir ben ©rang fceS 3rb'jct)en abgeföüttelt,

®aS }»ingt un* füll ju ftebn.

®lit anberen ©orten, nidjt gerabe braufloS ju Raubein, rooju bie äugen« blidlidje 2uft hintreibt, fonbern oorerjl §u prüfen, ob eS nicht ratsamer fei, bulbenb auSjuharren, als geroaltfam eingreifenb ju enben.

©aS ift bie !Rüdfi(f)t,

©ie ©!enb lägt ju hoben 3äbren tommen.

©enn »et ertrflg ber 3«l*en Spott unb ©cifeel,

©eS SRScbt’gen ©rutf, beS Stoljen 'DUfibaitblungen,

®erf<f)mä£)ter Siete in, beS SHec^teS Sluff<buf>,

®en Uebermutb ber Remter, unb bie ©tbmad},

©ie Unmertb jdjweigenbem Serbienft erweift,

SSBenn er fiJj felbft in Siufjftanb jejcn ISnnte ÜJlit einer Slabet blofe ? SBet trüge fiaften,

Unb ftcljnt’ unb jd)»i|)te unter SebenSmüt)?

Sur bafj bie gur^t ror et»a* naif) bem Xob

©as uuentbcdte 2anb, Bon beb Sejirl fteiit SBanb’rer »iebertebrt ben SBiÜen irrt,

©ab »ir bie Uebel, bie »ir boten, lieber Ertragen, al* ju unbefannten fliefjn.

®er leibhaftige ©iSbrud Don ftamtet’S eigener Situation! Shm fommt eS ja nidjt im Sntferntejten in ben Sinn, bem fDlenfdjen barauS, bafi er allein Don allen irbifd)en ©efen Don ber 3bee eines unDergänglidjen CebenS, Dom ©ebanfen an SJergeltung beS ©Uten unb Söfen beherrfd)t toirb, einen iBorttmrf ju machen, gefchroeige bcnn barüber ju fpötteln. 31ber er felbft muß leiben unter biefer Südficht, er muß iljretroegen ben 2Jerba<ht ber Feigheit bei Dtit« unb 9tad)roelt erregen! ©ie billig ift baljer ber Snflug Don Ironie in feinen ©orten! $enn hoi Hamlet nitht thatfädhlid) beroiefen, bafe biefe felbe furcht ou<h feinen ©illen, baS niebere Begehren in

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266

Dr. gbmurtb Qarby.

24

iJjm geirrt hot, weites, bet güljrung ber Vernunft ent6u»ben, fich bod) ftetS unb attentt;alben in ben ®ienjt ber blinben Ceibenfd^aft be* gibt! Die« begatte man im Sinne, wenn man baS golgenbe lieft: So macht ©cmiRtn Jtige auS uns allen;

Xet angebomen gatbe ber (Sntfcbtitbung Söirb bc§ ®ebanfen5 ®läjfe angetrSnfelt;

Unb Unternehmungen öolt Warf unb 9tad)brucf,

£ur<$ biefe fRUcf fic^t aus ber Sahn geteuft,

Sterileren (o ber §anblung tarnen.

'BeS Nfenfchen h^fles Borrecht, feine Bernunft, t^eoretifd^c mit praftifche, Diac^benfen wie ©ewiffeit, tooburch er ben unbernünftigen 'i^ieren in mefentlid)em Untcrfchiebe gegenüberftefjt, ift baS $>inberniß, meines feine eigentliche Naturfarbe (the native hue) nicht heebor* treten, feine finnlichen Sriebe nicht ben Sion in ihm angeben läßt ■Sie Bernunft, baS ©eroiffen ruft ihm ein fräftigeS $alt entgegen, roenn er je fich bermeffen fotlie, fid) betn p iiberlajfen, was wohl bem 2£)iere in feiner natürlichen äBilbfjeit anfteht, nicht aber bem HJlenfchen, bem ©benbilbe ©otteS. 5)iefe ©ebanfenbläffe, biefer befonnene, gemäßigte im menfchlichen £>anbefn bemirft bann ollerbingS, baß nicht Alles, ma§ im Blenfchen ift unb ficb auch nach außen offenbaren möchte, feiner natürlichen ©ahn folgen lann (fo ba& eS oft ben Schein erwedt, als märe eS Schwachheit, Ohnmacht, Feigheit, feine $anblung), aber pm ßntgelt bafür berleifjt jie bem ©Jenfchcn jene ffiürbe, bie feine Bermanbtfchaft mit höheren ©eiflern beutlich befunbct.

2BaS anberS tonnte baher ben dichter p biefem Nlonologe beftimmt ha&en, als USitleib für feinen gelben p erregen um beS fchweren ffampfeS mißen, ben er innerlich burchplämpfen hatte; recht anfdjaulich bor bie Seele p führen, wie einjig unb aßein bie eine fRüdficßt auf baS §ö<hfte im Ntenfdjen, baS ©emiffen, ähnlich wie früher fd;on auf baS £>öchfte au feer bem Nlenfchen, „beS Sm’gen ©ebot", Hamlet jwingen lonnte, noch fernerhin p leben. $>a8 @e* wijfen fiegt, unb fpamlet’S natürliche ßnergie ift genöthiflt, ftch p (egen, muß fich’S gefaßen laffen, bon ber ©acht beS ©emiffenS „aus bet ©ahn gelenft" p »erben.

®aS Schaufpiel gelangt pr Aufführung, ©äljtenb beSfelben wirb ber ffönig bon Hamlet unb ^oratio fcharf beobachtet. 2ßa5 gefchieht? Sobalb einer ber Schaufpieler, welcher bie Oiofle beS NlörberS fpielt, ©ift in baS Ohr beS ©dßafenben gießt, fleht ber

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25

§amlet.

267

$önig auf uub eilt baöon, unb bet ganje $>of mit MSnahme bon Hamlet unb §oratio ihm nach- Sr hatte p<h für Hamlet üerratfjen. ©eine plöpliche Seßürjung mußte genügenb fein, ihn über ben 2hat* beftanb ju bergeroiffern, unb fie ijl es. Mer bie Umgebung beS ÄönigS, foflte pe gor nichts gemerft hoben? ©emerlt mohl, ober pe lonnte barauS nichts SeftimmteS entnehmen; pe befanb pd) jeßt ungefähr im felben ©tabium, roie f)amlet bor ber Srpheinung, b. h- im ©tabium ber argmöhnenben ßkrmuthungen, unb barum ip für pe bie Sage noch unberftnbert. M £>amlet liegt bie ©djulb biefeS Mangels nicht, am S/idjter ebenfomenig. 2)enn man fann boch nicht ettoa meinen, baS ©efolge beS ÄönigS hätte p<h bei f>amltt, bem „Sßahnpnnigen", in biefer ©aihe ßtathS h0^ foßen. ©o em* pßnblich roar baSfelbe im fünfte ber guten ©itte gerabe auch nicht, baß ihm bie Aufregung feines Iperrn befonberS biel ju fc^affen ge« macht hätte, ffrür einen leichtlebigen £>ofßaat bilbet bergleichen einen ■Jag bie Unterhaltung unb am folgenben toieber alles bergeßen. ©o auch Ip“. Mr ber eine ^oratio weif? jeßt um ,bie berborgene ©dhulb" beS ÄönigS, bo<h maS lonnte er aßein an ber Sachlage änbern ? Sr hot roeber ben Söeruf jur SEIjat, noc^ auch jenen §enferS» mutfj, ber nur aufs fßieberftechen auSgeht. SBenn übrigens biefeS Raubein fein fofl, bann aßerbingS hot Hamlet ben rechten Moment berpaßt, mährenb SlaubiuS, ber mehr Einlage ju jenen »Unter« nehmungen bon HJlarl unb fRadjbrud" bepßt, jeßt beit SJefeljl ausfertigt, Hamlet nach Snglanb ju überführen. SineS fchicft pch eben nicht für Me.

VII.

£mmlet begibt pch jur SRutter, bon ihr baju gebeten, bod) in pch felbß nichts festlicher als biefeS münfchenb.

9!un ip bi« mapte Spufjeit bet 'Jiaept.

fagt er,

5Be (Prüfte gähnen unb bie $5He (elbp

Pkft (jauctjl in bieje tOJelt. 9iun tränt’ ich wobt S'E Blut,

Unb thäi’ jolcp’ bittre Singe, bie ber Sag SJiit Stäubern jäh'-

?)0(h auf ber ©teile tuieber feine natürliche Suß nah SRorb bemeißernb : C C&erj, Betgip nicht bie 9taiur! 9iie bringe Sieb Stero’S Seel' in biefen feßen Bufen!

Sraufam, nicpt unnatürlich lafj mich lein;

9tur reben wiD itb Solche, teine brauchen.

©ein 5öeg führt ihn burdj baS Schlafgemach beS betenben ÄönigS. Hamlet hat ihn in feiner ©eroalt, baS weiß er:

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26B

Dr. firPmunb §art>p.

26

3ejfi IBnnt’ i<^’S tljun, bequem; er im Söeten,

3e|t min idb’8 tfjun unb fo gebt er gen $immcl, X ocb nein:

XaS tvfirc Solb unb ßBpnung, 9}a<f)e nidjt.

9Jein.

hinein, bu Scfjmert, (ei f(f)re<flidjcr gedurft !

SEBann er beraubt iß, fe^Eafenb in ber SButf),

3n jeineb ®ett'S blutfdjänbeiijdjfn greuben,

®eim Xoppeln, fjlutbert ober anberm XPun,

XaS feine Spur beS QeileS an ß<p tjat :

Xann ßofe iijn nieber.

Itlingt furdjtbar graufam ! aber toir milffen un§ mitten in bie 9tction berfejjen, um bie bolle Sebeutung biefer SBorte gu etfaffen. $ie ©ereiptigfeit forbert, baß ba§ fDlaafs ber Strafe bem ber Sdjulb entfpreipe. 6in ©erbredier roie ßlaubiuS muß baper f<ponung§' I08 bem ©erberben atipeimfallen, unb für ein Serbreipen wie ba§ feine, fann e# nur ein peillofeS SSerberben geben. 9?i<pt i^amlft, nein ber Äönig felbft überliefert fiep bemfelben burcp fein eigene#, peillofeS 3lpun, obfcpon fandet unb bie# macpt ben fllntpeil au§, ben er an bem göttlichen ©trafamte nimmt fandet ben ßönig bapin brängt. Unb bicfe# drängen ift nicpt im minbejien planlos, roie man meint, fonbern roopl beregnet mit SRüdficpt auf feinen ^auptgroed, nämlich baß ber Ifönig fidh burip gang unleugbare 2paten, bie ! 1 a r bor 9!ugen liegen, als jenen „©djurfen" ber e 1 1 »errate, für melden e r ipn bereit# genugfam fannte. 3uföllig, roenn man fo will, ift babei nur ba3 jebeSmalige Mittel. ©enug,

Xie SOfutlcr »arid mein:

Xieß foll nur 8 riß ben petzen tagen fein.

63 folgt bie Unterrebung £>amlet'S mit ber Mutter (91ct 8, ©c. 4). 2Iuf’3 äufjerfle erregt, tritt er inS 3'm,ner ber Königin. 6r will ipr „einen Spiegel geigen, worin fte ipr SnnerjleS erblide“ ; unb ba, erfcpredt burcp ben §ülferuf ber Königin, ruft 6iner brau§en hinter bem Slcppid) gleichfalls um Jpülfe, unb in feiner Stimme glaubt fandet bie Stimme be3 MörberS gu pören, bem er foeben nocp ©nabenfrif! berliepen , unb bon ber Ceibenfipaft Übermannt, giept er baS ©cproert unb flößt gu. @r roar im feften ©lauben ge* wefen, eS fei ber ftönig unb roar bocp nur ber gefcpäftige Höfling ©oloniuS, unb Hamlet patte ipn gemorbet! SEBir fepen ©lut an feinen $änben, ba§ äufjere 3ei<pen, wie bie äufjere ©träfe für bie ©lut* gebanlen, mit benen er nocp Jurg gubor allgu roagpalfig gefpielt.

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27

§am(tf.

269

34 nafim bidj für ’ntn §5ljtrn ; nimm b«n 2oo8 :

®u fiefjft, ju titl @tfd)äftigttit ifl mifelid),

logt tarntet unb biefe» milbert auch in bcr Sfjai feine ©<hulb. ^3oIo» niuS roar baS erjie Opfer bon .fjamlet’S Btiffion. 3hr ju lieb pat er baS ©chroert gejogen; unb batte ni<bt gerabe, um fie ju buribfreujen, jener fpofmautt für biefe ©tunbe bem Könige feine S)ienfie angeboten, unb galt eS nicht Hamlet, eben je^t ben erften Streit berfelben ju erfüllen, bie ©eele ber Wutter ju retten? Mein feine ©chulb fübtt barum bocb .ftamlet reiht gut, fomie, borauS* abnenb aud) baS über ibm feljmebenbe Sßerbängniß:

gür bitftn §mn

Ibut mir leib, ber §imme( Ijat gcmaltt,

Um mid) burdj bie§ unb bit§ burif) mid) ju ftrafen, log id) ifjut ©tttter muj unb Weigel fein.

6r roeijj, baff ibn ber §imme(, als er biefe Sb°i ttodbradjt, im ©liebe gelaffen, baß anbererfeitS aber auch für Blut mieber Blut fließen müffe:

Stblimm fängt an unb ®<blimm’re5 nabet fiib-

Mer feine ©adbe! 3a, er mar nabe baran getnefen, fie feiner befferen ßinfiebt juroiber grünblich ju berberben, märe eS ibm geglüift, ben Ä'önig mirflicb nieberjuftofjen, jefct, ba fitb biefer noch im Bott* bejifc feines töniglicben StnfeljenS befanb. 6r muß fid> nun oorfeben, meil er ni<bt barauf .rechnen famt, baß ibn nodfmalS fein guter ©tern aus einer ähnlichen Berlegenbeit befreie. $eSraegen fiebt fein Auftreten nach ber ßrmorbung bcS IßoloniuS (bie überbieS ben flönig in £>amlet’S Pan eingeroeibt hotte) foft aus wie eine biifiere Sefignation, ßrgebung in’S Unbermeibliche. $en!en mir unS einen Bienfcben, ber ftunbenlang bergan geftiegen ift unb nun auf einmal mahrnimmt, baß er eine berfeljrte Sichtung eingefchlagen habe, unb mir bürfen bann in feiner ©timmung ein Bilb ber ©eelenftimmung jpamlet’S erblicfen. @t fügt fich toiQtg barein, Sofenfranj unb ©ülbenfiern nach 6nglanb ju folgen. Siftig mar baS Unternehmen bon ©eiten beS ffönigS angelegt, baS ahnte er richtig, aber ba fonnte er f<hon ganj gut noch .ein ßlafter tiefer graben," um mit feiner 8ift bie föniglicbe ju pariren.

ßin IleineS 3ntermejjo £>amlet’S Begegnung mit ben Iruppen beS jungen ttormegifchen pinjett fffortinbraS, bie burch 2)ünemarl jieben, um ein „fjlecfchen" non ptlen ju erobern bat ber dichter böchft bebeutfam jroifchen bie Mreife bom gmfe unb bie ©nfebiffung

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270

Dr. gbmuttb fjarbo.

28

nach Snglanb eingefdialtet. Diefer 5ßtinj foD Hamlet jcigen, was er felber wäre, ohne ben Auftrag jur Sache, ber ihn einjmängt, ber ihn nicht ju gleichen fjelöentbaten gelangen läßt, ber ißm eine Saft aufbürbet, twn welker jener loS unb lebig tbun fann, ma§ tarntet nun einmal nicht tbun barf. Die Erbitterung barüber, f<h einbar gegen ftd) fetbfi gerietet, als gegen ben ju biefet traurigen Sage fcbmäblith Serbammten, hübet ben Inhalt feines fünften unb leßten SDtonologeS. Daß fytr wiebet nicht bie Pointe in bem Subjecte, in Hamlet liege, fonbern in ber Sache, bie er $u öertreten bat, wirb nicht bloß burd) ben ^beengang, fonbern burd) einzelne NuSbrücfe gerabeju be* {tätigt. Die Sache nennt fandet eine »träge", bejeidinenb genug für feine Sage, in ber eS nicht OormärtS lommen will; fein Seben ein Oiebif^eS, weil er „Denllraft unb göttliche Sernunft" ^abe, aber fte „ungebraucht fcbimmeln" laffen müffe. freilich bebenlt er „ju genau“ ben SuSgang, aber er muß cS; eS ift eine eiferne Notb» menbigfeit für ibn. Er lönnte gar Wobl, wenn er wollte, b. b- feiner Aufgabe untreu geworben, bloß feinem blinben Drange folgenb, lönnte auch „fein fterblid) unb tterleßbar Db'^* baS fandet ja „leine Nabel wertb“ erachtet „bem ©lüd, bem Dobe, ben ©e= fahren“ begeben, jumal er nicht „eine Nußfcbal* ju »erfechten, nein „Antriebe ber Sernunft unb beS ©eblüteS" bot, „feines SaterS unb feiner Ntutter ©d^anbc“'. Er lönnte loSfcblagen, unb baß er eS lieber tbun möchte, bejmeifeln wir nicht, aber baß er troßbem, um feiner Nufgabe gerecht ju werben, nicht tbun will, baS wiffen wir gewiß. 3n biefem Sinne ift ber leßtc Npbell an feine „©ebanlen" ju f affen:

O sott ber Stunb an trachtet Stach »tut, ©ebanftn, ober feib »erachtet!

Es ließe fid) gegen biefe Etflärung einweuben : Nun, Hamlet tbut eS ja bod) nod|! ©ewiß, unb barum tbut er eS, weil unb wann er muß, ebenfo fidter als et eS jeßt nod) nicht tbun fann, weil feine Sache ihm bieS ju tbun noch nid^t erlaubte. Die Scbwierigleit, foflte fie auch für ben Sefer ttorbanben fein, wirb fi<b fchon an rechter Stelle twn felbft löfen. £>ier fei nur barauf bingemiefen, baß mir ben Monolog (Net 4, Sc. 4) als einen weiteren wertbboBen Seitrag jur Sftjdwlogie beS inneren EonflifteS im SDlenfcßen jmif^en feinen ©ebanlen unb feinem Slut, jmifchen ©eijl unb gfleifch, Naturtrieb unb böserem ftttlicben Segebren begrüßen, ©tan mag fi<h weit unb breit umfeben, aber nirgenbs werben biefe feineren, wahren, bis in bie Diefen beS menfchlichcn ©emtttheS h'nabbringenben Seobachtungen ihres ©(eichen ftnben.

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29 Ramtel. 271

Sarin ift Shafefbeare einjig als Stagifer brr Seelenborgänge int SRenfchen. Sie Seele aber ifi ein ernigeS ©ebeimitiB, unb eine «Seele, bie ein folc&er fETieifler biente nb gefdjaffen, berfchmeigi baljer mehr roie anbere bon ihrem boffen ©ein unb enthält babon nur fobiel, als wir gerabe ju miffen brauchen. 2Ber aber lügen h<it ju fef)eti, roirb menigftenS fobiel gelernt haben, baß $?amlet’S tragifdjeS Seiben ein Seelenleiben ifi, entfprungen au§ ber 33erftanbe8einficht, bah bie Sache, ber SRarfjeact gefchehen miiffe, inbefe fich ihm nicht jeigen tniH, mit biefcS möglich unb ausführbar fei ; unb je^t jeigt fid) ihm biefeS am allertbenigfien. ßr führt nach ©nglanb, feinem ©egnet au§ ben lugen, feines CoofeS ungemig, eine Slutfchulb auf ber Seele, bie et jmar bereut, bitter bereut, aber berentmegen er einen fcblimmen luSgang befürchtet. SBom ©efütjl ber ©ottberlaffenheit beängjtigt, mill ihm all feinShun nun gar als fruchtlos erfcheinen, roährenb feine Statur ihn immerfort mahnt, um feine lufgabe unbefümmert, in 331 ut feine Sache ju er tränten, ober fte gänzlich aufjugeben unb feinen SSeruf in bie £>änbe beS Söerufenben nieberjulegen.

$amlet tommt auf bern Schiffe bur<h Sift in SSefij} ber f Ding- lichen 33oKma<ht, erbricht fie unb finbet .ein löniglicheS Subenftiicf", b. h- ben 33efehl, Hamlet baS ftaupt abjufchlagen, fobalb et auf englifdjer Hüfte lanbe. Iflfogleich }chrei6t er einen anberen luftrag nieber, beS Inhalts, bie Ueberbriuger, alfo lofentranj unb ©ülben- flern, „fchnetl junt Sobe ju förbern, felbft ohne ftfrift jum 39ei<hten." Sa er jum ©lücf beS SJaierS tfktfchaft bei ftch führte, fo tonnte et baS Schriftftücf roieber in aller Crbnung berfiegeln unb baS Weitere getroft ber 3u*«nft überlaffen. 3>n tpamlet’S lugen fchien bieS bit einjig mögliche Söfung ber Schmierigteit ju fein. 6s mar feine 3*it §u berlieren, roenn ber 33(an beS HönigS bereitelt merben foüte, aber auch bem SBoDftrecter beS föuiglicheit StrafurtheilS mar leine 3c't ju laffen, fich über ben Sadjöerhalt ju unterrichten unb etraa Don Sänemarf her ßrfunbigungen barüber einjujiehen. Sarum burfte bie S3eförberung jum Sob burch nichts, bie 33ei^t nicht ausgenommen, Der- jögert merben. Sa £>amlet ja auch nicht borauSroiffen tonnte, baff er gar nicht bie Hüfte ßnglanbS erreichen merbe, fo mochte er eS, als gerechte Siothmehr anfeheu:

©it rüfjtrn mein (Betmffen nicht; ihr jJaB

<$ntfpringt aus ihrer eignen ©nmijebung.

’S ift mifctictj, wenn bie fdjieibtm Statur

Sich {toifeben bie entbrannten Segenfpifcra

San mäibt’gcn ©egnern fteltt.

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Dr. etimunb §arb?

30

©ie gatten fid^ beibe, trog £>amtet’§ roiebergotter SSarnuitg, bom $önig $u feiner 2tuSfpionirung migbraucgert taffen unb babei jene ©cgroammnatur an ben Sag gelegt, „bie man," nacg be§ Sinter« treffenben SBorten, „nur brücfen barf, wenn man brauet, roa§ fte aufgefammett gäbe." ©olcge Dlaturen gaben nocg oor feinem gorum ©nabe gefunbcn. „BJeil tarntet," fagt Hart SEß erber (a. a. O. ©. 181),* unb wenn er juriflifcg au<g anfecgtbar märe, ber ©erecgtigfeit bient, unb roeil atofenfranj unb ©ülbenftern unb roenn fte juriftifcg aucg n i cg t anfecgtbar mären bem tprinjeti ent« gegen, bem Berbrecger bienen, miber ben ©ott, ber ign ber= folgt: barum falten fie mit 9t e egt." SiefeS Urtgeit lägt fug mit bem Borbcgatt unterfcgreiben, bag fandet burcg feine erfte leiben* fcgaftticge Sgat ben ©runb jum Untergang ber Beiben gelegt gat. ©ofern trifft atfo aucg ign bie ©cgutb, at§ er ficg fetbfi in biefe fritifcge Sage gebracgt. §ür biefeit erften Regler tt>irb er bager notgroenbig büßen müjfen. Ser eigentliche SKörbcr oon Stofentranj unb ©ülbenftern aber ift ber ftönig. @r gat fie geliefert, meit fte jubor ficg igm, bem (Stenben, auSgeliefert gatten.

fandet ift nicgt jroei Sage auf ber ©ee, als ba« ©cgiff mit ©eeräubent in Äampf gerätg, roobei er, als einer ber TOutgigften, juerft auf baS feinblicge Berbed fpringt, gier aber, bon ben ©einigen im ©ticge gelaffen, gefangen genommen roirb, toägrenb alle Uebrigen, aucg feine Begleiter, nacg ©nglanb roeiterfegeln. Sie Seeräuber fegen ipamlet auf bänifcger Stifte mieber an’§ Sanb, unb fo legrt er geim, tun eine (Srfagrung bereicgert. Siefe ©rfagrung befigt er fcgroarj auf meig, unb in igr ein fcgriftlidgeS 3eugnig für bie ©cgutb be§ flönigS.

VIII.

Sie Begebenheiten brängen ficg. 3®'f<gf« bie Slbreife unb Dtüdfegr fandet’! fällt Stet 4, ©c. 5 7. Opgetia roirb über ben Sob igreS BaterS roagnfiitnig unb ftirbt in biefem 3uftanbf- SaerteS, igr Bruber, oertangt für feinen Batcr ©enugtguung bom Äönig, ber bann aucg, bie igm eben angemetbete Stüdtegr $>andet’§ ju einem legten ©treiege gegen biefett benugenb, SaerteS ju feinem SRecgie bergelfen unb ficg fandet für immer bom £)al)e fdjajfen roill. Beibe, ber flönig unb Saerteä, berabrebeit fug, fandet ju einem SBettfampfe aufreijen ju taffen unter betn Borroanb, igm ©etegengeit ju bieten, feine Ueberlegengeit im ffeegten mit Saerteä ju beroeifen. Siefer bergiftet ju bem 6nbe mit beS @taubiu§ 3llßimmung fcine Äapiete

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Dr. 6bmunb §arbij.

273

unb ßlaubiuS mit beS SaertcS (SinDernehmen ben ©ecfeeT, auä »Deinem Ipamlet oermuthlich in ber Jpifee beS Kampfes ju trinfen begehre. fwmlet weife Dom Sobe Dphelia’S nod) nichts. <5r erfährt ba§ 2We§ wie bur<h 3ufDH «ft, a[§ ihn ^eimfebrenb feine ©dritte übet ben Äirdjhof führen unb plöfelidj bem offenen ©rabe feiner ©eiiebten gegenüberftellen. ®ie 5¥lage ihres iöruberS fammt bem glucke, ben biefer auf ba§ „£>aupt" ^erabruft, „befe’ Untbat fie ihrer finnigen ffiet* nunft beraubt," fefet ihn in wenigen fHugenbliden über Me§ in Jfenntnife. Sßon Sdjmerj über ihr 6nbe unb fold) ein ©nbe übertoältigt, unb Dor 3orn über ba§ Unrecht, baS man ihm nodj obenbrein ju feinem ©d)nterje anthut, feiner ganj bergejfenb, ftürjt er feetDor mit bem 9tufe :

©er ifl bet, befi cStam

So »ott Qmpbafe tönt ? $efj Sprud) bes ©ehe«

®er Sterne iiauf befdjttiert, unb madjt pe ftiQpebn ©ie phredbefangne $5rer? ®ie« bin ich,

Hamlet, ber ®äne.

Klagen barf hi« nur, bieS will er fagen, mer §ur Jflage berechtigt ijt. ßr ringt barauf mit SaerteS im ©rabe. $)iefe Ijjanblung ift wieber mtr ©fembol für bie ©efiitnung, hi« tttie fo oft in biefem unbergfeidjlidien $)rama. 33on perfönlidjem £>ajfe ipamlet’S gegen SaerteS ift feine ©pur ju entbeden.

H5tt hoch, §ert!

fagt er felbfi ju iljm:

©a« ip ber Örunb, bafe ihr mit fo begegnet?

3<b liebt' eud; immer.

Unb wie rü^renb bittet er ihn etwa» fpclter, ihm Sßerjeifjung ju gewähren.

$>er Ifönig, ber bodj auch bei biefem ?luftritte jugegen ijt, weife nur ju fagen:

6t ip oerrildt, SoerteS.

©eine ©ebanten finb ganj wo anberS:

PSalb werben wir ber Ptuhe Stunbe fehn,

Solang mufe Sitte« mit (Sebulb gephehn, bemerft er bem Saerteä, feinem jefeigen SBertrauten.

$och auch £>amt<t fud>t fine befreunbete ©eete auf, ^»oratio, unb wie er ifem bie Sotgange auf bem ©efeiffe unb ben Auftrag bc§ Königs mittheilt, mufe biefer unwiflfürlidj auSrufen: „28a§ für ein fiöitig!", aber als Hamlet nun weiter mit ber fjarbe h«ouSrüdt unb ifen fragt:

©n§ bünft bir, liegt’« mir jefeo nah S'nug ?

®et meinen ftdnig tobtphlug, meine TOutter Bur §ure machte; jtoifefeen bie 6traähIui>8 Unb meine Hoffnungen jich eingebröngt;

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274

fmmlet.

32

Sie ttngd warf nad} meinem eignen Beben 9Wit fallet §interlift: ifi 'S nicht sofl tommen billig,

‘Diit biefem '21 mit Sem ben fioljn ju geben?

Unb ifi cS nii^t Strbammnig, biefen ÄrebS Stn unferm 9?teifd) no<$ länger nagen Iaffeit? antmortet ^oratio nir^t: 2^ue e§! fonbern auSroeidjenb: mu§ non Cngtanb halb gemdbet »erben,

SBie bort bet Vuügang beb ®tjct)4fteS ifi.

9Ufo au<b boit biefer ©fite balb, unb fandet fügt bebeutfam bei: Salb mitb’S gefrfje^n ; bie Swif^mjeil ifi mein:

Sin Dienjdjcnlebtn ifi, ale }ät)lt man eins.

3 um SBettfampf aufgeforbert, läßt es ficb fandet „in ©otteS tarnen" gefallen. „©efdjietjt je&t," fagt er, „fo gef<biebt eS ni$t in 3u^unf* > e8 nicht in 3ulunft-, e$ je&t. @e=

fdfiebt je$t nicht, fo gefebiebt eS boeb einmat in 3ulunft. 3n ©ereitfd)aft*fein ifi 9UIeS.“

5)er Äampf finbet jiatt. fandet unb SaerteS festen. 2sie Königin min auf baS 2Bobl ibreS ©obneS trinfen, fefct aber irrtpmli^erroeife ben für fjamlet beftimmten bergifteten ©ed)er an ihre Sippen. 2)er Äönig merft eS, roagt es aber nicht §u binbetn. fiaerteS trifft fandet, ber inbe| ohne barauf ju achten, bafe et per* munbet raorben, ju tämpfen fortfäbrt, aber inbem er nun burdj ein gechtmanöber fte^ ber SBaffe feines ©egnerS bemächtigt, Perrounbet er bamit auch SaerteS. ©eim ©eginn be§ Pierten ©angeS flntt bie Königin um. „2ßaS ift ber Königin?" fragt tarntet, ficb felber noch immer Pergeffenb. „3<b bin Pergiftet," befennt itfm fterbenb bie ifönigin. ®a, nun auch feiner eigenen Sßunbe gemifs, fd^reit fandet laut auf:

D ©Überei! §a! tafet bie Spüren fdplie^en !

©erratf)! fuc^t, tto er fieeft.

fiaerteS fällt unb befennt, ficb felbft anflagenb unb ben ifönig als Urbeber aU biefer grauenerregenben ^piäne: „$e$ flönigS ©<bulb, beS ÄönigS!" ©0 ijt fein 3rof'ffI niebt für Hamlet, roaB ju djun: Sie Spi^e au<b Bergifiet?

So tbu benn, ©ift, bein ©er!!

3§m auch nod) ben ©iftbeeber aufnötbigenb, läfet er ibn „feineT ©futter folgen." SaerteS unb Hamlet roeebfefn ©ergebung unb fterben beibe, erft SoerteS, bann fandet, unb fein lefcteS Sßort, baS mir Pon ihm böten, ift: „52er SReft ijt ©ebroeigen." SBabr für ibn, aber aud) für uns. 2Bir flehen Por einem unergrünblicben ©ebeimnifj. ©JaS mir bi« lönren, ift febroeigen unb glauben.

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33

Qamlct

275

So Iöfi £)amlet, bem Dobe fdfjon geweiht, feine Dlufgabe, unb biefeS ifi ihre einzig tragifch mögliche Söfung, baS unausbleibliche Sftefultat oon £mmlet’S ßfjarafter, feiner Aufgabe als foldjer unb ber $anblung im Drama, bitfe als ein OanjeS betrautet.

Me bie gewaltigen ffrüfte, welche ber Dieter in Bewegung fefcte, bie unjid)tba"ren mie bie fidjtbaren, bie irbifdjen wie bie unierirhifchen, haben barin ihren Dölligen DlbfdjluB gefunben. 3a, unb einen folgen bur<h ben Dob, als HJiittel unb DBirfung jugleid), ber erhebt, inbem er erfd)üttert, beugt, inbem er aufridjtet ; unb Doll Staunen unb Serehrung Dor biefer triumpljirenben DJlacht beS DobeS fühlt fich baS fehmache ©efdjöpf ju ber §rage getrieben:

O ftoljer lob,

ffielct) fteft gebt »or in Deiner tto’gen 3'H',

Sab bu auf (Sinnt ©(Mag jo niete dürften ©o Mutig trofft?

Die Antwort barauf ruht in beS £)öct)ften ewigem Dtathe, unb un* begreiflich» finb feine @erid)te!

IX.

Der DluSgang entfpricht bem Berlaufe; töbtenb wie biefer, ift aud) jener töbtenb für Dille, bie irgenbtoie in baS unheilDode ©ernebe beS BerbredjenS hineinDerflothten waren. Der Sine, ber burchfommt, Ofril foll nur bie 91 rt erhalten, bie mibermärtige §öflingS< natur, bie eben nie auSftirbt unb, felbft wenn eine SDBelt jerfällt, fidf» no<h in bie neue hinüberrettet, mie Ungeziefer, gegen welches gfeuer unb SGQaffer DergebenS müthet. Diefer DobeShaueh, ber bie fjanblung Don Dlnfang bis ju @nbe burchaieljt, bringt fafi aus jeber Diebe unb Dlction bem aufmerfenben Betrachter entgegen, unb gewiß ifi gar manches ber £>auptperfon ungünjlige Urtheil ni<htS anberem, als biefem einen Umftanbe , weil in feiner bratnatifdjen Bebeutung mißDerftanben, äujufdjreiben. Dlber bie ljöh«e ©inljeit, baS binbenbe Slement beS ©anjen, als beffeti fbmbolifdjer DluSbrucf hi« ber Dob erfefjeint, ift ein tieffittlidjeS, ernfi religiöfeS, ift bie Sühne im thrifilidjen Sinne beS DBorteS. DiichtS bleibt ungeftraft. Ss waltet eine ©ere<htigf eit. ©otteS Dluge macht auch über baS geringjie Bergehen. 3ebe Sünbe Derlangt nach Sühne. Dille haben ben Dob ber bient, weil Dille gefünbigt haben. Der Dichter, beffeti Dlugen über bie engen ©renjen Don Dtaum unb 3e>* hinauSfchauen, jäßt uns bereits jenes ©ericht DorauSerleben , welches ber ©cfchichte Dlbfchluß, ber SDBelt

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276 §amlet. &4

Bollenbung, ber Beginn einer neuen SEÖettorbnung fein wirb, ba? SBeltgeriipt.

3n alle bie geheimen, wunberbaren 2Bege ber göttlidpen @e* re<^tigteit, bie nacp menfcplkpen Begriffen getabqu Umraege finb, er* öffnet ßip bem watpfamen Blide eine fo f urdjtbar überjeugenbe ©nficpt, baß 2febem, ber einigermaßen nadjjuempßnben oermag, roaS be? Sinters ©emütp juerft begeifert empfunben, ganj au? ber Seele gefprocpen iß:

Saßt uns einfepn,

Xaft Unbefonnenpeit uns manchmal bient,

©enn tiefe Sßlane fipeitertt; unb baS lebt' uns,

$afc eine © ottpe i t unfere 3»ecte formt,

©ie wir ße aud) entwerfen.

©idjer, unb barum, weil eine ©ottpeit opue un? über un? oerfügt, gefdjießt e?, baß fpamlet oor feinem 3><l^ ber fiöfung feiner Aufgabe ßept, opne e? ju roiffen, opne baß e? in feinem Blane lag- ba?fel6e gerabe auf biefe SGßeife unb ju biefet Stunbe ju erteilen. 2fe mepr er ßip aber bem entfcpeibenben Stugenblicfe niipert, unbewußt unb unbeabßcptigt, boip, Oon einer pöperen 2Radpt gefüprt, mit unmiber* ßeplicper ©etoalt bemfelben jußrebenb, um fo tobtenblaffer wirb feine Stimmung. Sicp felbfl abgeßorben, geißig tobt, ooUjiept er enblitp ba? 5£obe?urtpeil „in ©otte? fRameti", mäprenb bereit? bet pppßfdpe Üob ben Broceß in feinen ©liebem begonnen patte. Mer felbß biefer Stob pat füpnenben SBertp, er foü jene Scpulb tilgen, bunp weltpe aucp Hamlet bie SRatpe be?.jpimmel§ gegen fuß perau?geforbert, jwar gewiß nicpt bie gleiche, wie ber $önig, „benn in bem Bifbe feiner 0>e? Saerte?) Sacpe fep’ icp ber meinen ©egenftüd." ®e? ^3ofonitid i£ob, für öamlet an ftcp ein Oerpältnißmitßig Heiner tjepler, burfte niipt ungeapnbet bleiben, benn bie ibealc ©eredjtigleit unfere? Diopter? pat ein gar genaue? TOaß. ®a§ ©roße, ba? waprpaft übermältigenb ©roße aber iß, wie Me?, aud) ba? ftßeinbar fup am meißen ÜDiber* flrebenbe, Derwenbet wirb ju bem ©otte?gericßte, jur Offenbarung ooti ©otte? ©erccptigfeit. TOan lann wopl fagcn, bie? fei bie 3bee, ber leitenbe ©ebanfe be? 3)rama’?, ein SRefume ber SBelt* gefcpitpte, ein Borfpiel be? ffieltgericpte? :

Unb laßt ber ©eit, bie nedj nitpt weiß, mid) fasen,

©ie aBeS bieS gefipap: jo follt ibr pbren Son Spaten, jteiitplitp, blutig, unnatiirli(b,

3uiäBigen ©critpten, blinbem TOorb ;

Son loben, burtp ©etoalt unb Sift betoirlt,

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35

Dr. Sbmunb §arbl).

277

Unb planen, bit oerfebtt ^rüdßtfaflctt Stuf ber Qirfinber fjaupt: bit? ade? lanti id)

SRit JBaprbcit melben.

3n biefem fünfte liegt bie Srtlärung für bie ganj auBerorbent* liehe SBirfung bicfcä f^afefpcarifdjen StüdeS. ©S appetlirt einfach an baS Jjntereffe, welches ber SJtenfdj Don Statur aus am Sttenfctjen fjat, um i&m alSbann „bcn Spiegel Dorjuljalten", um „bem ^afjrbunbert unb Körper ber 3c'l“ »ben Slbbrud feiner ©ejtalt" ju jeigen; unb biefer Slppetl roirb alljeit Stntlang finben, folange ber Sinn für £>öbereS auf (Srbttt nid)t erjiorben ift.

2Bir finb Dom Sljarafter ^?am(et’3 auSgegangen unb am ®runb= gehanten ber Sragöbie gelaitbet. .Qann es anders fein, wenn Hamlet wirtlich ber §elb jener tragiföen Sühne ift, bie ihm bie ®ei|te3= ftimme gleich Eingangs aboerlangte, bie er aber nic^t leiften tonnte, bis baß er felber, an bie ©ren$f<heibe Don bieSfeitS unb jenfeitS geftedt, einen DöHig flareu SBlicf in bie ©eredjtigfeit feiner Sache geUfan, bie }u bertünben ihm gulejjt nur beSljalb erfpart rairb, «eil SlfleS um ifpt herum „SJtorb fc^reit“ ? Hamlet unb feine Sache finb nid^t ju trennen. Stur fie roirft in ihm unb er nur für fie. Stuch in biefer DarjteHung mußten fid) baffer beibe notfjraenbig bie .fjäitbe reichen : .... trtlüte mid) unb meint Sadje ben Unbtfriebißien.

dennoch gehört bie Spmpatbie, ber eigentlich tragifdje ©muß nur ihm an, bem UngltictSfinbe, bem fchwergeprüften» ljo<t)berufenen ©erzeuge ber eroigen ©erechtigfeit. Sein Sdjicffal ergreift uns un* gleich t'efer als baS eines Julius ©äfar ober $önig 2ear, aber fein ©nbe Derföhnt unS raieber mit bemfelben, weil mir raiffen, ba& biefe furchtbare Söfung für ihn @ r l ö f u n g ift :

®a bricht ein ebleS §erj. ®ute Stacht, mein Jjürft !

Unb ßugelidjaartn fingen bidj Jur SR u 6 !

@r hot enblich bie berbiente Stube gefunben.

SJtögen biefe SJemertungen im geneigten Cefrr baS ©efühl wach* rufen, mie unzulänglich eben Stiles ift, Wa3 fi<h über einen tragifchen ©barafter fagen läfst, welchem ein Shnfefpeare fo SSieleS mitgegeben.

$rud t>on Dt ab lau & töafofdjmito. Jranffurt a. W.

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Pie ijeiltge JHufth.

Son

sftnto« 39aftet.

55ie lQe§ bur^bringenbe 5D?ad)t eines bettelten 3eitgeifteS, einet fallen fubjedibirenben Sleftfjetit, einer berfchroommenen, un* Haren religiöfen Stiftung, bie in biogen ©efilfjlen unb Stimmungen Slnbacht unb Erbauung, b. i. Religion fudjte, hat feit einem 3a^r* fjunbert bie magren Slnfdjnuungen über Äirdjenmufil fafi ganj au§ bem Seroufetfein be§ SSotfeS gerijfen unb ben fo innigen 3uf°mmeu= hang ber ffircfjenmufif mit ber $?ir<he gelöjt. 5)ie Äirchenmufit rourbe ju einer bloS äfHjetifchen Sache erniebrigt unb neben ben Eoncert*, Kammer» unb Sheaierftit würbe ber fTirchenftil geftetlt.

©o ihrer wahren SBürbe, ihrer eigentlichen Scbeutung , ihrer, göttlichen Schönheit beraubt, rourbe bie Musica divina ju einer Musica profana, bie biofeen Wenfchenjroccfen biente, bie Musica sacra, bie gewählte unb geheiligte Wienerin beS Elitäres, ju einer Wienerin ber fünftlerifchen Saune unb ffiillfür. 9ticht bloS ffatholifen, auch Ißroteftanten unb 3uben benüfeten ben „HJtefetejt" als EompofitionS« material, um ihren fog. religiöfen ©efüljlen in ber SGBeife bc§ StljeakrS unb beS ©alonS IHuSbruct ju geben. 55ie 3- §ahbn’fche unb 5Jt o j a r t ’fcfje ßirchenmufif führte ju bem bielberounberten 3t o f f i n i » Stile. Unb fo fant bie Doflftänbig Oerroeltlichte Sirchenmufi! Don ihrem eigentlichen ScbenSgrunbe, ber ftirche unb ber Siturgie loSgeriffen, immer tiefer, fo bafe unfer ©örreS fie mit ben energifchen unb brajtifchen SSorten charafterifiren tonnte : „55iefe neue Äirdhemnujil mit ihrem frechen 3nftrumentenlärme, mit biefer Unjüchtigfeit in allen formen unb Bewegungen, mit biefer eitlen Jtofetterir, worin eine Partie bie anbere überbietet unb bamit ©otteS Sob ju fingen roähnt, gleicht einer S3ajabere, bie roiegenb unb tanjenb einem inbifchen ©otte ber unteren ©attung opfert. 55er ernfie ftrenge @^ora( hat leichten ©efeüen ^ßlafe gemalt, bie ihren 2umult unb ÜJiuthroillen an heiliger ©tätte treiben.“ 55er 3abibibualiSmu3, ber im 3eitalter ber 3tefor= mation feine 3etfeörung§arbeit begonnen, hatte auch bie alte Sonfunji jur Erbärmlichfeit unb Dotlftänbigen Entartung heruntergebrüctt.

5)a3 Simbament einer allgemein burchbringenben ftirdjenmufif» 3teform tann alfo offenbar nur baburd) gelegt werben, bafe man wieber

l

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280

Shiton SBaltcr.

2

über bie ^rinipijien liturgifd&er SRufif fi<h Kar wirb. Sa# muß jum allgemeinen Bewufjtfein gebraut werben, baß ber Sirchengefang ein Sheil ber feierlichen Siturgie ift, fo nottjwenbig ju ihr gehört, wie bie (Zeremonien unb alle gforbetungen be§ äußeren feierlichen GultuS, baß er alfo auch im ®anjen wie im Ginjclnen bem SDiDen ber ßirdje als bem erfien lirchen^mufifalifchen ©efeßgeber unb nicht bem belieben unb ber tünfilerifchen SBiöfür beS Ginjelnen unterfleht.

Bon biefem ©tanbpunfte au§ gehört auch bie erfreuliche Sljat» fache ber immer »oeitere Steife jiebenben firchen^mufifalifchen Reform* beroegung $u ben tröftlichen Grjcheinungen ber Dtegencrirung beS fatholifchen öebenS, be§ erftartten fir<hli<hcn Bewußtsein», welche# aDeS Unlautere, rationaliftifch 35erflachte unb humaniftifcf) Slbgeblaßte auSfdjeibet. 3U btt ftifehfn SebenSqnetle beS lirchlichen ©eifleS wollen wir, wie in ber Söiffenfchaft, fo in ber Sunft jurüdfeljren, mit ber Sirche wollen wir wieber benlen unb fühlen, beten unb fingen.

3nbcm toir nun baran gehen, Söefen unb Aufgabe, SBeih'e unb Söütbe ber fatholifchen Sirdjenmufit barjujletleu unb biefe bom ge= fdfichtlichen, etlichen unb liturgifchen ©tanbpunfte au§ betrachten, jage 9tiemanb, hQnble fi(h babei um eine fpejififch mujifalifch* Stage, bie in mufifalifchen Sachblättern ihre Sefprechung finben foH. 9iein, wir ha&en *8 mit einer wefentlidh bolfsthümlidjen unb tir<hli<hen Sache ju thun unb baS richtige Berftänbniß hierin foü auch bie Be» geijterung unb Siebe ju unferer heiligen Sirche mehren, unb uns in ein beffereS Sßerftänbnig bet Liturgie einführen.

I.

Sie Sonfunjl ijt unbeftritten unter ben fünften ber beborjugte Siebling ber SKenfchen. Söiebiel wirb boch in aßet Seit muficirt, gefungen unb geblafen, geftridjen unb getrommelt! muficirt mit Blunb unb £>anb unb S“6» auf großen unb Meinen 3nftrumenten, mit ben ©timmbänbern be» menfchlichen SehlfopfeS unb auf Orgeln, bereit Sölaäbalg Don einer Sampfmafchine bon 11 Bferbefräfien in Bewegung gefegt wirb! muficirt bom tiefjlen Sone an mit 16 Schwingungen in ber ©ecunbe bis hinauf jum hödjjlett Sone mit 4000 Schwingungen ! Slber eS liegt in bem realiftif^en, mate* tiellen 3uge unferer 30t, baß fie ben Bieijien nur ju Spiel unb Schetj, jur CebenSlujt unb Unterhaltung, ja 3erftreuung unb Unterhaltung bient. Um wie BieleS buchten bie 3llten ber Borjeit ebler unb er* habener bon jener ffunft, bie fte mit SuSjeichung bie üßufenfunft

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8 $ie heilige fDlufit. 281

nannten. Son ihnen wollen Wir borerft eine würbige unb eble 9tn= fcfjauung ber SJufif lernen unb bann, na$bem wir bon ber ge* möfjnlichen unb niebrigen Sluffaffung beS alltäglichen , SebenS uns gereinigt, in baS ^eiligthum ber liturgifcpen Stufif eintreten.

OaS ift bie allgemeine 91nfchauung, bie mir in ben Südjern ber Dorchriftlidjen 3fit finben: bie IDtufif ift ber ©ottheit ©abe.

Son Apollo Ijat Orpheus bie Seiet erhalten, mit welcher ber ©änger bie £>erjen ber Wenigen, ber Spiere, ber Säume unb Reifen, felbft bie unerbittlichen Mächte ber Unterwelt bewegt, unb bon ihm bie 3au^erSetDQ^ bfr Stimme, burch bie er 9(lle§ jur lifteube be« •Sehens hmführt.

2Ilfinou3 rebet ben £>ero!b bei bem geftmahle (Obpffee VIII.30) an:

„Studj rufe ben göttlichen Sänger

SemobecoS, benn wahrhaft ein Sott nur oerlieb ibnt bie ©abe,

Söelebe bie fjerjen beglüctt, ioenn ihn bie Söegeiftrung entflammet !*

9tach ber ©age ber neuen Ebba gelüftet Obin nach bem fojtbaren ©cha^e ber 3roer9c ber Erbe, welcher ber wunberbare 3<>ubertran! war, bie £>erjen mit ber 3)icE)tfunfl ju erfüllen. Er brang in bie fjöljle ein, fchwang fid) mit bem 3nnbertran!e mieber in ©eftalt eines 9tbler§ gum ^immel auf. Oort trän! er unb warb ber Erfmber beS ®e* fangeS. Sr oererbte biefe ftunjl auf Sragi, feinen ©ohn, unb ©aga, feine Tochter. Son biefen lam fie ju ben anberen ©öttern unb auch ju ben Stenfchen.

Srahma gilt als ©djöpfer ber ÜJtuftf unb fein ©ohn 3iareb als Srfinber beS UlationaMDtufitinftrumenteS, ber guitarreäljnlicheit Sina. 5Ule alten inbifdjen Stelobien werben auf göttlichen Urfprung jurüdgeführt unb bie Srahmen finb ihre natürlichen unb heiligen 2Bä<hter.

Sllfo bieStufif ber ©ottheit ©abe! Unb gottgefchenfte Stufif fotl auch bie gottgeweihte fein, mit Sorgug eine Wienerin ber Religion.

3n ber älteften ©riechenjeit hielt man fie fo feljr bet ©ottheit heilig, bafi fie felbft gurn Shenter nicht gugelaffen würbe; nur ber ©otteSOerehrung, bem Opfer, ber ^ugenberjiehung feilte fte bienen Cpiutarch). 9lu<h im alten SRotn hotte fie leine anbere Seftimmung, als gut Serehrung ber ©ottheit unb jur Entflammung patriotifcher “Jugenben. Amica templo, „bie greunbin beS SempelS," nennt fte beShalb ber römifche dichter. Sei ben ©alliern unb ©ertnanen waren bie iprießer auch ©änger, Sarben unb 2)ruiben. SEacituB in feiner „©ertnania* erjählt un§, wie fte in alten Siebern, welche bie einjige 3lrt oon gefchichtlichen Urlunben unb Ütnnalen feien, 2uiSco, ben ©ohn

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ftnton Salier.

4

ber @rbe, unb feinen ©ofjn, ÜJlannuS, ben ©tammnater be§ SolfeS feiern.

2Bie beritt fid) bie biblifd)e Urfunbe jur ©age unb Infcfjauung bet Söller?

fflie bie ©prad)e, 'ft offenbar auch ber ©efang ©otteä ©abe. Int Infange ber ©^öpfung, als bie ©rbe grunbgelegt mürbe, jaudjjten bie ÜJlorgenfterne unb fangen jubelnb alle ©öljue ©otteS (3ob 38, 7). 3n gleitet SSÖeife roarb mit ben’ glüdlidjen ©tammeltern in ben Sagen bc3 ^arabiefeS baS SBort beS Sobe§, ber Anbetung unb beä Sanleä jum heiligen Siebe, ba» mit bem fiinbereinen tppmnus ber unentwegten ©djöpfung fid) berbanb. Sie ©prache, bie ber ©djöpfet bem erften Slenfchenpaare fcf>uf, roarb in ber Siebe iljreä ©otteS jum Sobgefange öerllärt. Unb um auch lurj bon bem auSermählten Solle ©otteä ju teben, erinnere idj an ben 2Be<hfelgefang SJlofrä, SaronS unb HJtariaä ((5j. 15), an ben ©efang ber Ifinber 3frael§ an ben ©renjen StoabS (9lum. 21, 17), an ba§ Sieb Seboral)§ unb SaralS (3ub. 5), an bie @inri<f)tungen beS gotteSbienftlichen ©efangeS burd) ben töniglichen ©änger Saüib. 288 ©efangmeifter waren pr Unterroeifung non 4000 lebitifdjen ©ängerti angefteflt unb Ijier bärfen mir mof)I mit bem heiligen luguftinuä folgern: ©ott ber £>err ifi e3 geroefen, ber roie et nid)t nur ba§ ©eremonieH, fonbern aud) ben Sau be3 SempelS unb feine innere Einrichtung bis in ba§ Äleinfte orbnete, fo auch burep ©efejj unb 3nfpiration bie Irt be3 SempelSgefaugeS beftimmte.

Soch mir hätten nicht bie ganje Ehre unb 9ld)tung, welche btt Sonlunft burd) bie Sorjeit geworben, erwähnt, wenn wir niefjt auch bie Stufil als einen bebeutenben Sfactor beS ©ulturleben», in ifjrer etlichen unb päbagogifc^en Sebeutung bei ben Ilten trtS luge faßten.

©elbft bem nüchternen ©hinefen galt bie Siuftl als ein fo groß- artiger Sulturfactor, baß einer feiner größten SEöeifen, ©onfuciu?, ben merlroürbigen luSfprud) tljat: „SBoDt iljr roiffen, ob ein Sanb rooljl regiert unb gut gefittet ijl, fo hört feine Stufil."

3n Sejug auf ben Einfluj) ber Sonlunfi auf baä ßulturleben toagt ber betannte Srofejfor Safaulj in feiner HJh'lofoph« bet fchönen fünfte (©. 123) ben öiel fagenben, interejfanten ©aß: ff@e» fcßichtlich im Seben ber Söller ifi ein großer unb guter Shfü aHer leiblichen, geiftigen unb fittlidjen ©tjarafterbilbung non ber Sluftl äug- gegangen unb an ihre luSübung gelnüpft. Sie Htufif roar bie ältefte 2Dei§h«'t, baS SBijfen beS SMffenl."

Sod) hö«n roir bie Infchauung ber beiben Äorpphäen ber ^ßh'lofophie be3 ©riechcnthum», S^to unb IriftoteleS!

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$it fettige 'Dlufit.

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fßlato fügt über bie etlfifche Slufgabe berfötufif : „©teich ben andren fünften muß bie fötufif bem ©tantSjwecfe bienen; fie ift ber Jport beS ©taateS, an bem nicht gerüitelt werben form, offne bett 2?erfafl ber beftetjenben ©itten unb ©efetje herbeijufüffren. ®ie Snfictft, bafs iDtufif junt Vergnügen bienen, ber ©eete eine angenehme ©mpfinbung geben fülle, ift falfdj unb berwerflidj. 5)ie SBtufif fofl Siebe jurn ©uten, tpafi unb 2abe( bcS ©hielten einftößen. ÖtichtS bringt fo tief in bie ©eele unb haftet bort fo feft wie BtbpthmuS unb Harmonie, barum macht gute SJfufif ben £örer ebel unb gut, fdjledjte berbirbt iljn. 9luf bie SJiufif werben einfidjtSboBe Regenten bor SIflem ihr 9tugen* merl richten; fte werben nie in bie Sonfunfl einen fittenfofen^ unb berweid)Iichenben ©ffarafter einfdjleidjen taffen, ©ine neue Swnweife einführen, ift nichts anbereS als afleS ^Bisherige aufs ©f>iel fejjen. 2Ber bie alte üJtufif änbert, beränbert bamit ba§ Qrunbameut ber ganjen ©taatSorbnung, bie ©timmung ber ©emütljer, bie barauS eniflehenbe ©eftnnung ber 2)?enfchen. ©flechte fölufif ift gefährlicher als irgenb etwa? SlnbereS, weil fte bei leiblichem ©enuffe f (blechte ©itten lehren fann, wenn man fi<b baran ergöfct. 9lfleS menfchliche Seben bebarf ber ßurpthmie unb Harmonie. SfeSfjalb foB man f<hon bie Knaben mit ben beften SBerfen ber melifhen Dichter befannt machen unb in fDJuftf üben, bamit ffierburch ihre ©eelen an fötal unb SCßohforbnung gewöhnt unb tüchtig werben ju 2Bort unb 2bat. ®ie fötufit ifl barum ein wefentliche? SJitbungSmittet ber Sugenb, um ihr Siebe jum ©uten unb ©chönen einjufiößen, ba nichts fo leicht in bie noch Weiche unb garte ©eete einfliefjt als bie betriebenen Sonweifen, bie mit faft un* glaublicher SDta^t nah beiben ©eiten h<n oufjuregen fornoht als ju beruhigen bermögen."

Unb 2triftoteleS, ber föteifler be§ fritifeben DenfenS ! „Die fötuftl bient jur ©rffolung, jur fittlichen ©rjiehung, jur ftattfarfiS (^Beruhigung beS ©emüibeS), jum eblen, geiftigen ©enuffe. ®a§ SSergntigen, welches bie TOufif gewährt, ift an ficb nicht tabelhaft, fonbern jur ©rholung Don anftrengenber Strbeit fogar nothwenbig. Sber bie fötufit wäre ju tief gejleüt. Wenn man ihren fRu^en aufs SSergniigen aBein be* fchränfen moBte. Die BJtufif ifl geeignet, auf bie Dtgenb unb ben fittlichen ©harafter einjuwirfen unb lederen ju bejfern. 2Bie ber 9trjt ben fronten flörper bon benjenigen ©toffen befreit, weihe baS Uebet beranlaffen, unb bie Teilung bewirft, fo gibt eS §äBe unb ©eelen* ftimmungen wo bie ©eele bon bem einfeitigen tpatlfoS einer Seiben* fefjaft gebrängt, fidf nach ©rleidjterung fehnt, fei eS, ba| biefer SCffect

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?tnton SBalier.

&

nicberbriicfenb ijt, wie 2eib unb Kummer, wo bann bie UJtufif in tlagenbcn SDßeifen für jie gleidjfam baS HBort nimmt unb im 5luS- ftrömen ber 3Mobie baS Seelenleiben jugleicb auSftrömt unb in bet befreiten Seele baS ©efübl be3 SrojlcS jurüdbleibt; fei e§, baß ber Sffect ein fräftig antegenber ift, roo bann bie 3Jiuftf bie Uleufcerung beS 9lffectS ljer6eiftil)rt unb baju anregt, ben Slffect im Jräftigen Raubein ju betätigen. ®ie Üugenb befielt barin, baß man an bcm ©uten SBofjtgef allen unb an bem Schlechten Stißf allen habe. $ie SRufif ift bafjer eines bet beften unb roichtigfteu (SrjiebungSmittel unb fie ift umfomeljr, ba gerabe bei ber burd) baS mit ihr

(ber 2Jhifil) öerbunbene Vergnügen bie SBirfung nicht menig berftärft .wirb. $er junge Staatsbürger foH bur<h ben muftlalifcben Unter* riebt lernen, baS Schöne an HMobien unb 9t[)l)tbmen mit Har be- mühter Sinficht ju erfennen, §u empfinben, ju geitie|en unb auf foldje SSJeife ben wahren fittlichen 3tuj}en barauS ju jieben."

9tun benn ftnb baS nidjt großartige, ich möchte faft fagen unfere 3eit befebämenbe änfdjauungen über SEBefert unb Aufgabe ber ionlunft f

SDOir fragen: roarum foH beute nicht mehr gelten, roaS bamalS galt? ijt bie 3aubcrma<ht ber ©tuftf übet baS SJtenfcbenberj gebrochen? marum foHte eine Äunfl, metche anerfanntermaßen bie größte ©eroalt bat über ben üfienfeben unb bie tiefinnerften Saiten feines £>erjenS anjufdjlagen im Stanbc ift, eom SEöerle bet ©rlöfung unb Heiligung ber Wenfchen auSgefcbtojfen fein? Soll baS SBort beS ßulturbifloriferS SRiebl: „®ie ÜRuftf ift ein ebenfo geroaltiger ffaltor in bet ©c* fittung eines ©olteS mie ^3oefic unb bilbenbe Äünjte unb SSJiffenfchaft“ bloS Don ber ©rofan-iBhifi! gelten?

Unfere ^eilige ßitebe, bie (Srlöferin ber fünbebeflecften URenfcben, bie fie ju UBabrbeit unb ©nabe, ju ben eroigen ©ütern beS Rimmels empor führen foö, bot ben reinen unb lauteren, ben eblen unb er- habenen SBeruf ber ütonlunfl erfaßt unb nimmt fie in ihren Dienft jur @b« unfereS ©otteS, an beffen Altären bie ^eiligen ©efänge tönen, jut ßrbauung ber ©läubigen, auf welche bie IDiufit ihre

3auberlraft nicht öetloren höben fofl.

Seit jenem Slugenblicfe, ba bei ber EDlenfdjmerbung be§ eroigen SBorteS bie Zeitigen @ngel fangen (2uc. 2, 13) unb ba bei ber

©infejjung beS ^eüigften ©ebeimniffeS ber ©u^arijtie ber ©ottmenfeh felbft „ben JppmnuS fang" (HJtattb- 26, 30), begann im neuen

©unbe ber ©nabe ein neues Sieb, baS roieberbaüte nach ber SDiabnung beS SlpoftelS («pojtelgefch. 2, 47; Gol. 3, 17; Gpb- 5, 19) in

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$ie ijtilige SERufif-

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ben bunflen Säumen bcr Katafomben unb in ben weiten fallen bet ©otteSfjäufer, welche bie freie Kirche fich baute. Ja, an ben ©täten be# magren ©otteS, in ber Anbetung unb in bem 2obe beS euchari* ftif^eu ©oitmenföen hat bie ©uftf i^ren ljöd&jten Beruf, ilj« er» ^abenfie ©eipe gefunben. ^efct entfaltet fie fid> im SiebeStifer, ©ott ju bienen unb ber (Srlöfung feiner Kinber, bon Sahrljunbert ju 3apr* ijunbertl; fegt treibt fie bie ©unberblume beS grcgorianifchen 6^orate§, ben bie Sirene ju ihrem ©efange fid) ertoren; fie fügt auf bem üfunba» mente biefeS eigenartigen ©efangeS harmtmif<h ©ftobie ju ©elobie, bi§ naef) ben Uebergängen beS Organum, ber gaujbourbonS u. f. w., ber Kunftbau ber polQp()onen Harmonie ooüenbet ift; jejjt fteigt 511m $h™*te beS Merpöchflen baS Cab* unb Bittgebet ber Musica divina im ein* fa^eit lieblichen ©efange be§ unifonen S^oralcS unb im Kunftwerle ber ^ßolt)p^onie empor.

©ollen mir bet Kirche ©orge unb ^^ätigfeit für ihren Sichling unter ben Künjlen, ben ©efang, lennen lernen, fo fragen wir ihte liturgifcpen Bücher auf, ihre ©ijfalien, ©rabualien, Sntipponarien, Befperalien rc., in benen fie all ihr Beten §um ©efange Derllärt hat, in benen fie bie fojtbaren Beilen ihrer Siebet aufbemahrt; fo benfen mir an bie firchenmufifalifchen Bemühungen eines 3gnatiu8 non Sntiochien, StljanafiuS, BafiliuS, Ctphtem, ©nbrofiuS, SuguftinuS, ©regor beS @ro§en, Bitalian, BonifaciuS, 30hwineS XXII., B’uS V., ©regor XIII., Bau! V., Urban VIII., BenebictuS XIV., B<u§ IX. ; lefen wir bie Ijunbert Berorbnungen burd» ben ©unb ber BäPfte> bet Bifchöfe, ber allgemeinen unb B*oöin}ial'6oncilien, ©iöcefanfpnoben unb Orbinariate; feiert wir auf ihre Siebe, bie fie bem SRcformöereine ber ©uftt, nämlich bem (Säcilienoereine jumenbet burch ben ©egen beS päpjtlichen Brebe’S Dom 16. ©ecember 1870, bunh ben Batro*wt ihrer Bifchöfe, burch bie ftrchjlic^e Organifation in ben ©iöcefan*, BejitlS* unb Bfarr0cre*nen- 3n Sflein jeigt eS fid), baß bie ©on= tunft, ber Siebling ber ©enfdjen überhaupt, autf) in befonberer ©eife ber Siebling unferer ^eiligen Kirche ift.

II.

©oriit liegt nun für bie Kirche bie Bebeutung ber ©ufil? was hat biefe in bet fatholifchen Siturgie für eine Aufgabe?

©iefe fragen wollen wir uns aus bem ©eifte unb ©iUen ber Kirche hfrflu§ beantworten unb mir werben fehen, welch eine er* bärmliche Suffaffung unfere ©ufilanten mit ihrer „UnterhaltungSmufil"

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flnton SBolter.

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in bet $it<he bon bet Musica sacra haben, wie unfere fog. „elegante" unb „fd)öne" SDfuftf wie ein £o!jn auf bie göttlichen ©eheimnijfe bet Siturgie Hingt.

Sen ffern unb baS SSefen bet firdjenmuftfalifdjen grage fptidjt in wenig SBorten treffenb ein bifchöflicher ©rlaß bon SRegenSburg (16. April 1857) au§: „Sie $?ir<he hat ÜJliifif, weil fie ein Opfer hflt, weil ihr bie fffeier beS göttlichen Sobe§ obliegt." ©rörtern wir ben innigen 3ufawmenhang jmifchen Siturgie unb 3Rufif!

3n einer großartigen 93ifion fdjaut ber heilige ©bangelift Johannes (Apoc. 4, 5 u. 7) ben Abler, ber ju ben ewigen ©ehcimniffen) ber ©ottheit ft<h emporgefchwungen, bie Siturgie, wie fie in ben un« enblidjen Räumen beS Rimmels bor bem throne be§ göttlichen SammeS bofljogen unb gefeiert wirb. 3m Sichte ber Siturgie beS Rimmels leuchtet uns bie wahre grorrn unb ©eftalt ber irbifdjen Siturgie.

„Unb ftehe, ein ShT°n ftanb im Fimmel unb auf bem Sljrone mar ©iner, ber ba faß.

Unb ber ba faß, war bon Anfeljen ähnlich einem 3afpi§ unb ©arberftein unb ein SRegenbogen war rings um ben Shron' ähnlich bon Anfeljen einem ©maragbe.

Unb rings um ben Shr°n tüer unb jwanjig Sljrone unb auf ben Simonen bier unb jwanjig Aeltefte fißenb, angethan mit weißen ©emänbern unb auf ihren Häuptern golbene fronen.

Unb bon bem Sljvone gingen auS löliße unb ©timmen unb Sonnet unb fieben gfacfeln brannten bor bem SEhrone, welches ftnb bie fieben ©eifter ©ofteS.

Unb bon bem Sf)tone tbie ein gläferneS UReer, frpftaflähnlich unb in ÜJtitte beS SljroneS unb rings um ben 2hron bier Sebenbige.

Unb fie hatten feine Dtaft Sag unb Aacht, inbem fie fpraäjen: heilig, heilig, heilig ift ©ott, ber $err, ber Allmächtige, ber ba mar unb ber ba ift, unb ber ba fommt.

Unb wenn bie bier Sebenbigen tRuljm unb ©tjre unb Sanf gaben bem, ber ba fifcet auf bem Shrone, ber ba lebet bon ©migfeit ju ©migfeit, fielen bie bier unb jmanjig Aeltefien nieber bor bem, ber ba fifcet auf bem Sljrone, unb fprac^en:

ffliirbig ift ©ott, unfer fjerr, ju empfangen SRuhm unb Gifte unb SJlacht; benn bu ^aft alle Singe geraffen unb wegen beineS SBiHenS waren fie unb würben fie gefchaffen.

Unb bie Saufenbe bon ©ngeln tingS um ben Shron fingen:

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£it heilige TOuftf.

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SBiirbig ift baS 2amtn, ba§ gefdjiacfjtet roarb, ju empfangen bie 5D?ad)t unb bie ©ottbeit unb SBeiSljett unb Störte unb ©b« unb £errlicf)teit unb 2obpreifung.

Unb alle Kreaturen ftimmen in biefen ©efang ein mit beit SÖorten: Sem, bet ba fitiet auf bem SLfjrone unb bem 2amme bie 2obpreifung unb bie ©b« unb bie £>errlid)tcit unb bie Illacbt non ßmigteit ju ©roigteit.

Unb bie ganje Schaar ber ©ngel nebft ben ©ier unb jroaiijig rufen: 9Imen, ißreiS unb £errlicbfeit unb 2öei§f)eit unb Sant unb 61)« unb Stacht unb Stätte unferem ©otte in bie ©roigteit ber ©roigfeiten. 9Imen !"

2Bel<h ein rounberbar erhabenes 93ilb bet 2iturgie, wie fte bet berflärte ©ottinenfd), ba§ göttliche Opferlamm, »ber Opferpriejler im Ülllerbeiligften" (£>ebr. 8, 2) feiert! Sergegenroärtigen mir uns biefeg Opfer ber ^immtifc^en 2iturgie recht lebenbig, um bie ©roßartigteit ber irbifdjen 2iturgie einigermaßen ju begreifen!

Senn eben biefeS einige Opfer bc§ $imme(8 erfebeint in ber 3eit als Opfer auf unferen Slltären!

Somit nun aber in aller Stajeftät unb Erhabenheit, in ge« jiemenber unb miirbigcr gorm ber ©öttf ictie unter un§ erfijeine, unfer einiger ^opepriefter jur ßrbe fic& nieberfenfe, bamit aber aud) beS Slenfdjen ©eijt unb tperj leichter non ber ©rbe fiel) toäreiße unb bem ©örtlichen fi<h juroenbe, bat unfere ^eilige Stutter, bie ben irbifdjen Sinn be§ ÜJtenfcben weiß, bon ©otteS ©eift geleitet, bie geierlichteit ber 2iturgie angeorbnet. Sie umgibt ben Sßriejler mit einer Schaar heiliger Siener ; fie befiehlt ben ©ebraud) beS 93eibraud)c§ unb febreibt großartige, tief bebeutungSDotle ©eremonien nor. Unb auch bie Son» funfl, bie mäcbtigjte unb ergreifenbfte aller fiünjte, bot fie geroürbigt, cooperari in opere Dei, mitjuroirfen an biefem ©oiteSroerte be§ eutbarijtifdben Opfer§. Sßie in ben Säumen be$ IpimmelS bie ippmiten ber ©eifter unb ^»eiligen nach ber Sßifion be§ b^Uigen ©bangeliften unb bem 2amme ertönen, fo feiert aud) bie flirre ihre 2iturgie unter beit 2obgefängen ber ©emeinbe, in Halmen unb §pmnen. „*Dlit ihnen (ben ©hören be§ §immel$), mir bitten bidj, lajj auch unfere Stimme mit eintönen, bie tnir mit bemiitbigem SBefenntnijfe baä Srifagion fpredben." (^Jräfation.)

Ober mie märe eS anber§ möglich? Sie $ird)e bot ben Opfer« altar ber Siebe unfereS @otte§, ihr finb bie göttlichen ©ebeimniffe anbertraut, fie beroahrt bie Schäle ber ©nabe unb Heiligung, fie bat bie 93erbeißung ber 3e't unb ©roigfeit. 9lngefid)t3 biefer ©e*

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®nton 5EB alter.

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heimniffe unb foldjer Sohlthaten, maS für ©efüljle ber Danfbarfeit unb be§ ©laubenS, bcr Anbetung unb ber Siebe, ber tfreube unb Serounberung, be§ DriumpfjeS unb ber Hoffnung erfährt unb fühlt fte nicht! ©oll fie fid) begnügen, burdj ba§ einfache 2ßort fie aus* jubrüden? Stein, fie brechen mit Stacht im Siebe, ber eigentlichen unb lebenbigen Sprache beS ^erjenS Ijerbor unb in melobifdjen ©e= fängen fommen fie über ihre Sippen!

9IuS bem lebenbigen Quelle ber ©efühle unb ßmpfinbungeu ber Äirdje fliegen bie perrlicpcn ©efänge in ungezählter Stannigfaltigteit, in lieblicher Schönheit, in ergrcifenber Skljrheit, mie fte ih^e, bie liturgifcpen Südjer uns bewahren.

Betrachten mir nun bie ürdjliclje Stuft! als litürgifche im @in- jetnen nach Inhalt unb fjorm!

Die Siturgie ber fatpolifdjen flirre ift baS munberbare, h«£* liehe üöerf beS ^eiligen ©eifleS. (Sgl. ©ueranger, DaS SÜrdjcn* japr, Einleitung.)

2ßie ein gemaltiger ©türm unb jugleid) im bejeidjnenben Silbe feuriger 3un9en 'fl b£* h*'ltflf ©eift am ^Sfingfitage jur Äirdje ^er* abgejtiegen. ©eit biefem tlugenblide meilt er auch als ber Schöpfet ihrer Sprache, als ber Urfprung ihres SetenS in ifjr: er legt iljt ihre Sitten, ihre Sobgefünge in ben Staub, er erregt ihre Segeifterung, et erroedt ihre ©efjnfucht, er jubelt mit ihr, er trauert mit ifjr.

galtet bie Jtirdje jum ©ebete bie £)änbe unb öffnet fie ben fDtunb ju heiligen ©efüngen, bann fchöpft fie unter bem Seijtaiibe be§ göttlichen ©eifteS, ber fchon bie Sfalmiften unb Sr°P6eien &e* feelt, aus ben Süd)ern beS alten SotteS ©otteS ben ^nfjalt ihrer ©efänge, bann ftimmt fie bie Sieber an, bie in ben Südjerit beS 3?euen SunbeS Derjeidjnct finb, bann „lügt fie 9taum bem ©eifte, ber fie befeelt unb fingt ein neues Sieb." SJie bie Südjer ber Dejta* mente nach bem fathoLifcfjeu ©lauben ©otteS Sßort, infpirirt burd) ben heiligen ©eift finb, fo erachtet ber tatl)olifd)e ©inn auch baS als bom göttlichen ©eifte Übermacht, roaS im Saufe ber ^ahrfiunberte bem lebenbigen Semugtfein ber ftirche unb ber Segeifterung heiliger Stänner entftrömt, auSbrüdlid) in bie litcblid)e Siturgie aufgenommen morbeu ift, mie ^pmnen, ©equenjen, Sräfationen u. a.

Unb fo ift benn roirttid) an bem liturgifcpen Sorte 9ti<htS ge* roöhnlich, niebrig, alltäglich, profan, ?UIe8 erhaben, grogartig, ibccl, göttlich; eS ift bie überroältigenbe '^oefie beS heiligen ©eifteS. Die eigentliche ©prache ber ^oefie aber ift bie fDtuftt, bie fo jnr

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$ie heilige Uiufi!.

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tfjeierfprahe beS ©ultuS wirb unb jum AuSbrucfe bcr ©efüfjle unb ©mpfinbungen unferet ^eiligen Itirhe. Jie tnoSpenbe JRofc, gepflanjt in bet 2[orbanSnu bet Siturgie an ben ©ajjern bet ©nabe möchte ich ben Iiturgifhen Jejt nennen, unb bie Stofe entfaltet ftd) bie Dolle ©chönheit be$ lir<hli<hen SGBorteS ift ber Zeitige ©efang.

©ie mit fo nach biefer Anfchauung baS liturgifc^e ©ort in bet SBrofa beS Alltagslebens uns nicht beuten tönnen, fonbern nur im ßljarafter beS ©rhabeneit unb ©roßartigeit, beS wirtlich Ißoetifhen, fo muß fict) notljwenbig baS poetifdf)e ©ort jurn ©efange oertlitren; bet tiefe 3ntjalt beS göttlichen ©ebidjteS an ©efiiljten unb Gmpfin* bungen muß wiebertlingen in ben SDtelobien unb Harmonien ber Jon* funft. £>ier ^abeij mir ben tiefften, innerften ©tunb, warum bie ftitdje notfjmenbig bet SDiufif, beS ©efangeS bebatf.

Jod) nicht bfoS ©ort unb Jon, ifJoefie unb SHufit ift bie 2i* turgie, fonbern Dorjiiglid) aud) JEjat, welche ©ort unb “Jon begleiten ; fie ift baS etljabenfie Jrama beS Opfers ©tjrifti jum fjeile bet ©eit, bie Jljat bet ©rlöfung bet ©enfdjen aller 3ci*en- Hub biefeS Jrama ber tatEjolifchen 2iturgie Dofljieljt ftd) Jag um Jag, f$cft um I5eft int liturgifhen (Äit<hen*)3aljre, beffen ©ittelpunft unb ©nbe ©prifluS ift. 3lmmer unb immer miebet fü^rt bie ©utter im lebenbigen SBilbe ben ftin* bern bie ©roßtpat ber göttlichen ©rlöfung bor jurn ©eböd)inii3 ber ©aljr* heit, jur Vermittlung ber ©naben, welche an bie ©ahrljeit getniipft finb.

3efct bereitet fie burdj baS Vewußtfein beS SünbenelenbeS unb ber Stotljwenbigfeit beS SrlöferS auf ben ©ottgejanbten bor ; bann fniet fte bor ber ffrippc beS göttlichen jtinbeS, baS getommen ift, baS SReid) ber ©ahrEjeit unb ©nabe aufjurichten. 3e|t lebt fie mit ihrem gött« liehen ©tifter bie Jage bon SSettjleljem unb Uiajareth; bann begleitet fie ihn, prebigenb unb SBunbet mirtenb auf feinem ©ege burdh ^ßa* läftina. 3eßt jeigt fie baS fieiben beS llönigS ber ©artprer unb trauert bor bem ffreuje auf ©otgatha ; bann triumphirt fie mit bem ©rjlanbenen. 3eßt fiept fie ben ©ieger über ©üttbe, Job unb fj)öUe in ben fj>immel auffteigen ; bann jubelt fte übet ben ©eift ber ©afjr* heit unb ©nabe, ben ber göttliche ©ittEer fenbet. Unb wie fie in ihrem eigenen, bem Eiturgifcpen 3apre bem majeftätifchen ©ange ber ©onne, welche ift ©hTißu§/ folgt, fo fepout fte auch beflänbig auf ju ben lieblichen ©lernen, bie um bett Äönig ber ©eftirne gefepaart ftnb, ju bem freunbtichen ©orgenfterne beS JageS ber ©rlöfung, melier ift ©nria, bie heilig« Jungfrau unb ©utter, ju bett Gpörm ber Gngeln unb ^eiligen.

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91 n t o n üöalitr.

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m.

0 biefeS herrliche ©ilb unb Seben bet latholifd)en Siturgie! SiefeS ©ilb follen mir Sag um Sag ju unferer gfreube betrauten, mit biefem Seben Jollen mir erfüllt fein. Unb bo<h mie fremb ijl bie heilige Siturgie ber <hrifilid)en SBelt gemorben ! Gin ©ttd) räthfel« haften Inhaltes, beffen Spraye Bielfach nicht mehr öerfintiben mirb!

Sie mar eS in früheren 3eiten? wie foll eS tt>icber merben? tnaS hot bie Iiturgifdhe ©lufil als Wienerin be§ göttlichen SBorteS ba* bei für eine Aufgabe?

Sie Siturgie mar bie ©dfule beS übernatürlichen SebenS für ©oll unb ©rieflet. 2lu§ ihr hoben bie ©etter unb Seljrer ber Kirche Sicht unb ©egeiflerung gefd)öpft, in ihr bie ©lartprer, ©elenner unb Jungfrauen flraft gef unben. „tffloher nahmen, fagt Slbt ©ueranger, ber h0<h0erbiente Reformator ber Siturgie in §rantrei<h , bie heiligen Sehrer ber erften Jaljrbunberte, bie erhabenen ©atriarchen ber ©3üfte, ba§ Sicht unb bie ©luth, bie in ihnen lohte unb beren lebhafte ©puren fte in ihren Schriften unb ©3erfen unS hinterlafjen haben? ©3er gab bem feraphifcheit ©ernharb biefe munberbare Salbung, bie mie ein Strom Bon Jponig alle feine Schriften burch* fliefjt? bem Serfaffer ber Nachahmung Ghrifti biefe ©litbe, biefeS ber« botgene ©lanna, baS nach fo bielen Jahrhunberten immer noch feine Sraft behält? mer Subroig Bon ©Ioi§ biefe nicht roieberjugebenbe 3artheit, bie Jeben auf baS tieffte beroegt ? ©3er gab es ihnen, roenn nicht ber beftänbige ©erlehr in ber Siturgie, melche fte mit ihren ©e« fängen unb ©ebeten umgab, mie bie Suft, bie fte einathmeten ?"

„Sie Sifurgie ift für ©Ke ohne ©uSnaljme baS bortrefflichfle ©nbachtSbuch, bem lein Bon einem einjelnen ©lenfchen, mie hrilig unb hochbegabt er auch fein mögt, berfafeteS ©nbachtSbuch berglichen mer» ben tann. Jn ihr fiubet fi<h MeS für ©de. Sie ift bie unbergänglidje Speife ber ächten ©nbadjt, fte ift ba§ ©lanna, baS für jebe Seele ben ihr jufagenben ©3ohlgefd)ntad befitet. Sie prebigt mächtiger, lieb* lieber, mirlfamer als alle ©rebiger; fte lehrt anbäd)tiger, inniger, er« habener beten als alle anberen ©nbachtsbücher ; fte bereitet am beften auf ben miirbigen Gmpfang ber heiligen Sacramente Bor. Ju ihr tritt GhriftuS mit all feinen ©eheimnijfen unb ©naben unS näher als fottfl irgenbroo. Jn ihr ift unb lebt Gr in unferer ©litte; in ihr Weift am märmften ber §aud) feines ©eifteS. Jn ihr treten mir am fühlbarften in bie ©emcinfdjaft ber Gngel unb ^eiligen. Jn ihr leuchtet bie ©Jabrljeit ber göttlichen ©eheimnifje ber betenben Seele heller

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$it {(eilige SJlufif.

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ein unb enthüllt ftd) ihr bie SBiffenfchaft bcr ^»eiligen mit überjeugenberer Älarljeit. 3it if)r athmet Me§ ©lauben, MeS Hoffnung, 9Me3 Siebe."

Soch jener jerfejjenbe ©eift beS 9ief ormationSjeiialterS, ber baS Sanb bc§ glaubenSfreubigen ©ehorfamS gegen bie fi ird>e löjie unb ben Slenfdjengeifl frei machte bon ber Autorität, löfie auch bie innige Serbinbung mit bem lird)li<hen Sehen unb machte ba§ Slenfdjenherj frei Don bem Seihten ber flirre. 63 war ber ©ubjectibiSmuS be3 ^BroteftantiSmuS unb ber 3tationali8mu8, ber feine febtimmen Söirfungen auch auf bem ©ebiete be§ tirchlichen ©ebetSlebenS äujjerte. Sicht mehr mit ber flirre, mit ber Sprache be§ ^eiligen ®eifte§ wollte man beten, fonbern ipunberte Don IjkiDatgebetbüchern, welche im Saufe ber legten jroei 3tabTh“nberte erfchienen, faßten ba3 officiede ©ebet bet flirre erfegen- 2Jlan mäbnie in biefen tßrobucten be§ 9)tenfd)enberjen8 mehr Sicht unb ©arme, Sahtung unb görberung be§ geiftigen unb fitttichen SebenS ju finben at§ in bem ©otteSwerte »opere Dei«. 3e weniger man nun in biefer 3fit< »o ber 3n* bifferentiSmuS Sßrinjip geworben, an ben lir<hli<ben Officien ft<h be* tbeiligte, bem firchtichen ©ebete beim heiligen Opfer in feinen ber» änberlicben unb unDeränbertichen Sbeitcn folgte, je mehr man bie litur« gifchen Söüdjer weglegte unb tßrioatanbachten ftdj hingab, um fo mehr Derfcbwanb natürlich auch SSerftänbnijs unb Segeifterung für ben ©eift unb ba§ Sehen ber Siturgie; um fo rätbfelbafter würbe ber göttliche Kreislauf be3 mpftifchen SebenS ber Äirche in bem ßirchenjafjre; um fo uiibelannter unb unerwarteter würbe auch ber liturgifche 3>rt bei sacrificium unb officium.

2BaS nun bie Siturgie für baS tirchliche Sehen in früheren 3eitcn war, ba§ fod (ie in unferen Sagen burch ©otteS ©nabe wieber wer* ben unb gerabe Serfiänbnifi unb Segeifterung, enge Serbinbung unb inniges ÜRitleben mit ihr fann als ©rabmeffer be8 firchlichen SebenS bezeichnet werben.

Um biefeS liturgifche g übten unb Sehen in ber Äirche wieber ju realifiren, bie Siturgie bem Solle unb baS Soll ber Siturgie ju* rüdjugeben, gat auch bie wahre, ächte tirchliche Sonlunft eine Stuf* gäbe. Unb wahrlich nicht ber geringfte Sheit ber Arbeit iji ihr §u* gewiefen. ©ie löft fie ihre Stufgabe ? ©ie tf)ut eS bor Slllem burch ihren ©egenfajj mit ber weltlichen Slufit.

Sie Musica sacra hat leine einfdjmeiihelnben Sieber, leine an» fprechenben Strien, lein fröhliches, heiteres gormenfpiel, brainatifch leibenfchaftli^eS 6nfemble, lein theatralifcheS ißathoS. Sein, Stiles

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$nton SBaltet.

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an ifjr ift ernfi, leibenfdjaftloS, 2Me§ ebtl, iiberirbifh ergaben mie ber ©au be§ ©otte§^aufe§, mie bie ©pinbolil ber Zultgegenftänbe, mie bie Zeremonien unb ber StituS be$ feierlichen ©otte§bienfle§.

ÜSoher ba§ ? rooljer ber Srnft, bie meiheboKe Dtulje ? ©on ben §un* bamentalfäßen ber chriftlichen SSafjrheit. Der ffirdfjengefang iji ©ebet, ©otteSbienjt. ©ott aber ift ber £>err be4 Rimmels unb ber @rbe, bor bem bie heiligen ©paaren ber Zijerubint unb ©eraphim in Sob unb ©nbetung niebergeinorfen ftnb! ijt unfer ©ott unb Srlöjer, ber fidj im heiligen Opfer jur 6rbe nieberfenft. ift bie ©Jafjrljeit unb ber 6rnft be4 Unenblichen unb ©ßttli^en, toa§ baS Zeitige Opfer umgibt. 64 iji ber 6rnji ber Unfterblichteit ber ©eele, bie burch ba§ Opfer eriöjt föerben foö, ber 6rnft ber Zroigleit, ber hereinragt in bie 3e't- Daher bie heilige unb überirbijeh großartige Seihe, toeldje ben Kirchen* gefang berllärt. Unb fo führt bie Musica sacra jdjon burch ihren ©egenfaß mit ber profanen ©iufit in ben feierlichen 6rnft, bie er* Ijabene SBafjrheit ber fatijolifchen Siturgie ein.

£>ören mir j. ©. ein Siprie eleifon beim heiligen ©mte mit finnlich einfcpmeichelnber ©telobie, begleitet burch ein tänbelnbeä Crcpefter, burdj ba§ fröhliche ©aulelfpiel ber Siolinen, benen gleichfam broheub unb einfehiiehtemb jUr fixeren Zroberung ber ©otteöburg unb Zrjroingung beS ZrbarmenS bie Sßaufen unb trompeten beigegeben ftnb mo ijt ba ber 6rnft be4 ©chulbberoußtfeinS, be§ IReuejchmtrjeä? ©olcpe ?Diujt! Hingt mie ©pott gegen ben erjürnten ©ott unb Ijjierrn; athmet nicht bie SSaprheit ber fatholifchen Siturgie; ift ein ^robuct ber iph^afe unb ©lobe; ift nicht ©ebet unb ©otteSbienft. 6igenthümli<h ! man finbet ganj in ber Crbntmg, baß ber Ijkiejter bei ber heiligen ©tejfe nicht in ber profanen Jtleibung be§ DageS erfcheine, baß bie Zeremonien ber heiligen ©leffe anbere fmb als bei ber £)ofetifette. Daß aber auch bie Musica divina unb sacra einen bon ber roeltlidjen SJtufit öerfhiebenen Zharatter an fiep tragen muffe, miH man gar nicht begreifen. Die Slrien unb fflänge auf ber ©traße unb im Dfjenter luitl man auch in ber flirre hören.

Die ffirchenmufif löft ferner ihre liturgifcpe Aufgabe burch ihren ©ehorfant gegen bie fiircpengefeße.

©ehorfam? 3fi bie Äunft nicht frei? 3ft fie nicht freie ©chöpfung beS ©enieS? ©otl biefeS fiep binben laffen burch unjeitgemäße ©er* orbnungen? ©oH nicht im ungehemmten ffluge ber ffünjtfergeifl fepaffen, moju bie tirchliche 3bee ihn brängt?

9tun gut; fchauen mir un§ bie lircpliche Donfunft an, bie ftch

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Sie fällige üRufif.

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frei gemadpt; wie weit pat bcnn bicfe emancipirte ftirdpenmufif gebraut? 2Bie weit baS ©enie ohne ben ©eporfam? MerbingS ju fcpönem gormenfpiel, ju lieblidpen unb anmutpigen Harmonien, ju anfpredpcnber effectmacpenber Äircpenmufif ; aber ber ©eift ber tircp* licpen Söaprpeit unb ba§ Seben ber fatpolifdpen Siturgie ift nidpt in fold^er bloßen „©eniemufif". ES ift nur SpeaterpatpoS ober im beflen galle Oratorienftil auf bem Äircpencpore.

Unb bie Dii minorum gentium! ©ie paben Dotljiänbige 3err‘ bilber öon ßircpenmufil geftpaffen. gn ben Braöourarieit, Koulaben, Srillern, in ben füjjen, tänbelnben, braftifdp matenben SDlejfen unb SeSpern ber „eleganten," „frönen," „Salon"* Äirdpenmufif ift nidpt ber ©eift bet flirre, fonbern fie ift trop beS liturgifepen SejteS Musica profana am peiligen Orte, ^läufig finb fie nichts anbereS al§ roiDfürlitpe SRobulationen auf ber Orgel, beiten bet lirtplidpe $e^ unterlegt ift. Unb baS ift nidpt Äirdpenmufil Weber ftunft, noep firc^lic^e Äunft ; fonbern £anbwer!Smadpe, wie fte ber 9lnftreicper in ber Btalerei auep liefert.

S)a& ber ©eporfam gegen bie $inpe bie Entfaltung unb ben glug beS SalenieS niept pemmt, fepen wir an ben SJteifterwerfen bet Jircplitpcn Sonlunji beS XVI. ^opfpunberfS, bie für alle 3c**en ol8 3beale unb muftergültige, unerreiipbare ftunftwerle gerühmt werben müfjen.

3e geporfamer bie liriplicpe ffllufit ift, um fo freier ift fte bon ber ©innenluft ber Erbe, um fo fepöner, ebler, ibealer, umfomepr entfpridpt fie wie ipret 3bee, fo intern 3roe[ft* 3m ©eporfame wirft fie bie ©claoenletten ber roeltliipen iDiufil ab unb perrfept als Königin ber fünfte, befleibet mit bem 6<pmutf einer überirbifepett ©dpönpeit.

©eporfam nun, wie bie tirdplidpe Sontunft fein foö, fingt fie bei liturgifdpen geierliipleiten, j. 8. bei einem £>otpainte, bei ber BeSper, niept in ber ©praepe beS SanbeS, fonbern in ber ©praepe ber Siturgie, bem ernfien unb wütbeboHen Satein, boll bon Jllarpeit unb Beftimmt* peit, güHe unb BJopltlang. Berliert bie Äirdpenmufi! baburep? 9iein; inbem fie biefe bem aHtäglidpen Seben unb bem geroöpnlidpen Bertepr entriidte ©pradpe fingt, filmet fie in baS Bipfterium ber latpolifepen Siturgie ein. Ser feierliche lateinifdpe Uirepengefang erfdpeint wie ein heiliges ©ewanb, ein mpfiifeper ©^leiet für bie anbetungSroürbigen Opfergepeimniffe, welcpe mir pienieben nur im §albbunlel beS ©lau* benS ertennen unb beren unöerpütlte Snfepauung unS einft im £>immel als Sopn beS bemütpigen ©laubenS ju Speit wirb.

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Snton ©alter.

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Oie heilige Oieneritt am Slltare fmgt nur ben liturgifcben Oe^t unb ben ganjett Oert, roie Miffale unb SeSperale ihn oerlangen. Sic fürjt nicht nad^ ^Belieben, läßt nidjt aus, fügt nicht fiinju. »Stur ba3 liturgifdje SBort ber ftirdje unb baS ganje 5EBort !" baS ijt il)r ©anott.

Unb roenn baS firchlidje ©efefc ben gregorianifc^en ß^oral ge» bietet, roie j. 33. im Stboente, in ber gaftenjeit, bei Kequient, ober rote auch in biefer 3f't bi« Orgel oerbietet, }o geborgt fte in ber lebenbigen Ueberjeugung, bajj triftige ©rünbe bie ßird)e ju fotdjer Orbnung oeranlaßt haben. Sie fennt feine Offertorien für jebeS 2lmt, feine SBeSperpfalmen für jebe SßeSper u. f. ro. Stun benn, nicht roabr? roenn roir an bie Oujjenb unb Oußenb greibeiten bcnfen, tocldtje ftch bie freie ffunft ertaubt, feben roir gut ein, baß bie ßircbenmujtf oielfatb baS ©eborcben »erlernt bat unb bunb ben Unfug unb Mijj» brauch ihre 23ürbe unb Scbönbeit entfteüt.

IV.

Oie Jfircbenmufif löft enblich ib« liturgifcbe Aufgabe burcb ben ©eift unb baS innere Seben ihrer ©ompofitionen.

„3m ©efange bat bie Kirche bie Mittel, aud) bie allerinnerften unb unauSfprechlicben ©mpfinbungen auf baS jartejte oollfommen aus* jubrüden unb mitjut^eilen. 3m ©efange ftnb felbft bie 3uftünbe bei ©fjtafe noch erreichbar; roo fein tffiort mehr SiebeSgefübl unb 6r* leuchtung beS 3nnetn ju (tammein oermag, 6eroegt fnb noch leicht unb licht, tlar unb roabr ber Oon au» ber gehobenen Seele."

Unb biefe ^errlidbien Ströme ber reinften unb ^eiligftcn ©efüble ber ©ottcSbraut, welche nur burcb bie 3auberfraft ber Mufti er« f^loffen, nehmen roir auf in unfer 3nnereS unb ©eijt unb Seben, roie fte in ben liturgifchen Mclobien unb Harmonien tönen, Hingen roieber als ©cho ber Slnbetung unb ber Siebe unfereS böchften ©otteS. Ourch bie Macht ber Oöne lajfen roir uns aufwärts tragen $u bem, nach roelchem unfere Seele oerlangt unb in bem allein fte fefig unb glüdlid) ift-

2Bie febr bie ächte, roahrc ßinbenmujif im Stanbe ift, baS innerfte £erj mächtig ju ergreifen unb mit ben binunlijchen ©efübten ber ifirche ju erfüllen, baS müjfen roir Don jenen lernen, roeldje baS gebcimnißDolle Seben ber fiirdje erfaßt, bie Sinn unb £>er§ bafür haben, baß bie Melobien unb Harmonien roie Sicfjtfirablen einer anberen Söelt einftrömen unb bcfeligen. @S flingt uns roie bie mäßige Ob°t eines 3attberS unb hoch ift ba§ oft citirte Höort beS heiligen SlugujtinuJ

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®ie Eilige TOufif.

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ba? Ocrrlit^fte Socument ber ©rojimacpt be§ liturgifcpeit ©efange? nuf ba? Menfcpeitperj : „ffiie fepr meinte idj bei beinen Rinnen 1111b ©efängen, gemaltig bemegt burd) bic (Stimmen beiner in [iifeer £»ar« monie crflingcttben Klirre! 3eKe Stimmen braitgen in meine Opren nnb beine fflaprpeit träufelte in mein £»erj uttb borauS entflammten bie ©efüple ber fffrömmigfeit nnb e? floffen bie Spränen unb mir marb rnopl."

2öa? berieten un? bo<p bie Mufifgelcprten be§ Mittelalter» über bic Ma<pt ber Mufif ! ©in ©affiobor, 3fibor bon Scbilla, 9t e g i n o bon tpriim, 3°f)anne3 G o 1 1 o n i u ? , ©uibo bon 9lrejjo, tflegibiu? bon 3amora, lat(| etto bon tpabuo, Sopanue? bc Muri», 9Ibam bonfjulba! @? ifi un?, al§ hörten mir 93erict)te au? einem SEBunbcrlanbc mit einer gdu^ermnfif bon gepeimnijjboller •Qraft. (Sollten biefe Scpilberungeu nur Spiel ber ^ßpaniafie, lieber» treibungen ber Siebe, rpetorifd)e 9lu?fcpmiidungen fein ? Sicher nietjt ! 3m lebenbigen Sßerbanbe tnar bamal? bie Mufif mit ber Siturgie, au? ipr fog fie mapre?, fräftigeS, ergreifeitbe? Seben unb im Si<pte ber Siturgie mürbe bie Sonfunfl betrautet. Surdp ben moplberjtanbenen fflefaug roirlte bie Kirdje auf ba? gläubige unb liebenbe £>erj.

Unb in ber Spat, menn man e? al? eine SBirfung 93 e e t = poben’fd)er Mufif bejeiepnet, „ju reinigen unb ju berebeln, einen »weiten 93licf ju öffnen in geiftige £)öpen unb Siefen, fobaf, bie Seele frei mirb botn ©rbenelenbe, momit anbere Menftpeit fiep fepteppen" fo mirb man fiep über bie mäeptigen Sßirfungen ber Musica divina nie^t tounbern bürfen. „O unermcfjliipc Kraft ber Süffigfeit ber Mufti ! ruft ber gelehrte ©arbinal 93 o n a au«. Mit »Dclcp fünfter .^»errfe^aft übjt bu ©emalt au? über alle Kräfte be? Mifrofo?»nu?!"

greilidj muj? auep ba? fatpolifepe Soll e? gelernt paben, bie Spraye ber Kirdje in 2Sort unb Spmbol, in il)ren Geremonien unb Wnbacpten, in ipren mpftifepen Sage?» unb 3a^rc§jetten ju berfiepen.

Ob bie richtige 9lt»fcpauung über Kircpenmufif unb ipre

Söebeutung pat, jeigt fiep an feinem Urtpeile über beit römifipen Gporalgefang. Sa? ift ba§ Sepiboletp in ber Kirepenmufiffrage. Ser ©ine fagt : „3$ fepmätme für fepöne, ernfte, mürbige Kirepenmufif ; aber nur feinen ©poral! Sa? ift eine gfaftenmufit ! * ©r pat eine unrichtige &nfepauung oon Kircpenmufif! 6? gibt feine Kirepeitntuftl opne ©poral unb roer eine 9teform ber Kircpenmufif toiU opne ben ©poral, fiept meinetmegen auf bent Stanbpunfte ber Kunft, ber 'Äeftpetif ober fonft etroa?, aber niept auf bem ber ffirepe unb iprer

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Union SB alter.

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Citurgie. Der Btnbere jagt: „6§ ift fjfrci&eit im ©tile, mie in ber Blrchitectonif, fo auch in ber BRufif. Die ffirche tyat auch nic^t bor* getrieben, j. S3. im got^ifc^en ©tile ju bauen, Gljoral unb bie auf ihm aufgebaute BRufif pafft nidjt tneljr für ba§ D^r be§ 19. Sahrhunbert*. Die BRufif bot Qmrtfchrifte gemalt unb biefe§ 3rortf<hritte§ tann unb foB bie ftir$enmufi( {ich nicht entfchlagen.“

Sßerhält fich bie ©ache mirllicf) fo? £>at bie ,f?tr<he mirflid) aflen ©tilgattungen ber Donfunfi bei ihrer liturgifdjen geierlichfeit ißlafc gemährt? Unb fofl fomit bie Srage nai) ber mähren ßirdjen* mufif eine unnüfce fein, bie nicht beantmortet roerben fann ? 9tuf aüe fragen folgt ein fräftige» Blein ! Durch biete Setorbnungen läßt fi<h nachmeifen, bah bie Kirche ju ihrem eigenen liiurgifchen ©efang fi<h ben römifchen ^^oral gemähit unb in roeiterer Gonfequenj, bah biefer gregorianifcbe ©efang für aBe 3t<tfn Quefle unb gunbament ber lirdbtichen BRufif bleiben mtiffe.

Unb nur berjeitige, roetcher biefe Stnfi^t bon bem Gfjorale ho*# hat auch bie richtige Bluff aff ung ber Ä^ird^emnufit ; jebe anbere Bin* fchauung riecht mehr ober minber nach proteftantifchem ©emeinbe* gotte$bieuft, tiberalifirt mit bem ©efdfmacfe unb ber BRobe ber 3fit> hulbigt einer berührten Btefthetif unb gibt um ben ^ßrei§ be§ ©innen* fi£el§ unb be§ 9teije3 be§ Bingenehmen bie BBahrljeit unb ben Grnft ber Siturgie hin.

ift mahr: ber römif^e Ghoral unterfcheibet fich roefentlich bon ber tnobernen BRufif. Gr ift etma§ ganj anbereS al§ biefe. Der Ghoral* gefang ift ©pracljgefang; feine BRelobien finb harmonieloS; feine uiodi finb bie biatonifchen; fein SRhbthmuä ift ba§ Böort; feine Dhnamif ift ber ©eift beä Dejrteä unb be§ fir<hli<heu 3ohre»-

Btun benit maä BBunber, menn unfere ßirche einen anberen ©ang, ber in ber BBelt nicht Hingt, ber eigenen ©efejjen untermorfen ift, beborjugt? 2Ba§ BBunber, menn fie einen auffergemöhnlichen, auher* orbenttichen, frentbartigen gemähit?

3ft fie benn nicht bie boii ©ott gegrünbete $ir<he, bie jmar in ber Söelt, aber nicht bon ber BBelt ift, bie etroa? UeberirbifcheS an fuh trägt? bie eine eigene ©prache in ihren ©hmbolen unb Geremonien fpricht? beren Btituä unb Opferfeier etroaS fo 9lufjerorbentti<he§ unb BlufsergeroöhnticheS finb, bah fie mit rein menf<hU<hem Urteile nicht bemeffen merben bürfeti?

Unfere ^eilige $ir<he trägt in Blßetn baS ©epräge be§ $o<h* erhabenen, Ueberirbifcheu, ©örtlichen unb ihr ©efang foB profan, ge*

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Sie ^eilige SRuflf.

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wöhnlid), alltäglich, }o fein wie man auf ber Strafe Um fjört?!

So wollen wir benn im ßinjelnett ben ßfjoral als ber flirre eigenfteS Singen betrauten!

V.

3d) fürste, baf kandier 6eim Sffiorte ßforaf an jene« näfefnbe fcbnarrenbe, polternbe, fiofenbe Schreien unb Seiern benft, welches man nicht feiten beim Officium, am ©rabe, bei 2obtenoigilieu, SBeSpern k. hören tann. ßine foldje ßarilatur beS ©efangeS wagt man ßljoral }u lienneit, als hätte unfere göttliche 51 irc^e, ^>ie ©otteSbraut ohne fffebler unb iDtafel, ein fofc^cS ßompofitum Don 3)iffonanj unb fpäflichfeit, allen möglichen ©efangSunarten unb üblen ßigenfchaften als ihren eigentümlichen ©efang fich erforen! dagegen muff man im tarnen ber Xßahrbeit nnb ffunft protejtiren. ?luch ber abgefürjte, fpHabifd) jugeftufte ober ber proieftantifch fangfam gezogene ßljoral gehören nicht jiitn römifdjen, gregotianifrfjeri ©horol ; bleiben weit hinter biefem mit feinem reifen inneren Sieben, mit feiner fjrifche unb SlbwedjSlung jurüd. fjat man bod) unferen ßhoral als etwas fo SorjüglicheS an» gefcfen, baf man ber ßitigebung beS ©eifieS ©otteS felbft ihn jufchrieb. „©regoriuS, ber grojje Ißapft, betete ju betn £>etrn, bajj er ihm üoit oben bie rechte SEßeife bei feinem Singen gäbe, unb ftieg ber heilige ©eift in ©eftalt einer 2aube auf ihn h«ab unb erleuchtete ifm baS iperj unb feft erft fing er an ju fingen, inbein er fpradh: Ad to levavi! 3u bir erhebe ich meine Seele Melujn! (Gerbert, De caut. s. II. 2.)

ßs fann unb fotl hiec nicht auf bie eigentlich mufifalifcbc, te<hnifd)e Seite be§ ßhot°f§ eingegangen werben. 9tur barauf möchte id; noch» malS mit ein paar Sätjen juriidfommen, worin fein mefeutlicher Unter» fchieb boit ber mobernen, profanen HJtufil beftept. $)aburch wirb auch zugleich ein ßinblid in baS SBefeit beS gregorianifcheit ©efangeS ge» monnen unb feuchtet feine Sonbenienj für bie Siturgie ein.

Unfere mobetne 3J?ufi( ift harmonifd), b. h- fic baut ihre IDielobicn auf ber Harmonie, bem Slccorbe auf. $er ßljoral bagegen ift rein melobifdj unb jwar quillt ber unerfchöpfliche Schaf feiner reichten, maunigfaltigften HMobien aus ber lebenbigeu Sprache, aus bem liturgifdjeu SBorte, wie eS nach ffejt unb 3fefteSjeit üerfchiebenen StuSbrud forbert. ßr ift ber reiufte natürliche SluSbrud beS fatholifchen ©efüpleS, baS mit bem SSorte fid) öerbinbet; bie wahre $arjlellung beS liiurgifd)en legteS nach bem ©eifte ber ffirdje. „Singe wie bu beteft ! bas ift fein erfteS ©efef ber SRelobiebilbuitg.

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9tnton alter.

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Saljer if) aud) ber 9fht)thnw§ ber 9Relobie, b. i. ba§ URafc bet 33emegung in ber Wufeinanberfolge btt Sone, ber ÜRphthmuS ber Sprache. S8on Saft imb HJlenfur ift foinil im G^oralt nid)t bic 9itbc. Sie IRotcn leiten nur bie 9)tobulation ber Stimme, haben aber feine beftimmte, in gegenfcitigem SferljäitniÄ ineßbart 3c>tt>auer. ©«in 5Rhbthmu§, nicht ber metrifche, fonbent ber ovatorifc^e, ift ber SBechfcl oon Betonung unb Dtichtbetonung.

Ser Sfjoral bilbet feine fDfelobien auf bcr ©runblage ber biatonifdjen iounrt. SiefeS biatonif^e Spftem befielt barin, boft bie Sonleitcr üom ©runbtone aus bis ju feiner Cctaöe burch fieben Stufen auffteigt, oon benen jwei grofje ^albtöne, bie übrigen ©anjtöue fiub. ©trabe biefcS Shficm bient mit Sorjug $um 'iluSbrucfe bcS (Ruhigen unb SeibcnfchaftSlofcn, mäprenb fcf>on SfriftoteleS baS i$romatifd)e Son* gefdjledjt als leibenfchaftlich, finnfid) unb weichlich bejeidjuet. UcbcrbieS bietet gerabe ber ßhoralgcfang burd) bic Sieljaljl feiner Sonartcn eine (Dfannigfaltigfeit ber ©haraftcrifiriing beS liturgifchen SertcS, »ie fic bnn mobernen ©efattge mit feinen beiben Dur- unb Moll-Sonarten nid;t möglich ift.

2BaS Söunbcr alfo, baß bie ®fufiff<f)riftjMct unb iliturgifer Doll beS SobcnS unb '.Rühmens über unferen ©efang fiub. 'Dian müfjte ein 5Juch fd)reibeti, um biefe ßnfontien unb yobfprüche alle aufjujä^len. '31ur einige intereffantc 9luSfpriichc mögen pier folgen, itlbfidjtlid) wähle ich moberne Autoren, um baS liorurtpeil Don bem Söibcrfpruchc unb ber UnDerträglichfeit mit bem mobernen 01jre ju beleuchten.

Ser £>eibelberger 9tecRt»ge(cfjrte Sh i baut fdprieb 1825 ein ©üchlein „Don ber '.Reinheit ber Sonfunft." 6S IjciRt mit (Recht baS „golbeite" unb ift feitbem fd)on mehrfach aufgelegt loorben. Ser ißroteftant fotnmt barin Dom fünftlcrifchen Staubpuufte ju bcmfelbcn 3ielc, welches wir Dom fatlfolifchen unb Iiturgifrfjcn als baS richtige er» fennen. Gr nennt nun bie gregorianifchen ©efänge wahrhaft himmlifchc, erhabene Intonationen, welche in ben fchönflen 3e>ffn ber $ircf)c Dom ©enie gefchaffen unb Don bcr ftunft gepflegt, baS ©emiith tiefer ergreifen als Diele unfercr auf ben Gffcct berechneten neueren Gompofitionen.

gor fei, ein befannter, h°d)De|:bienter, proteftantifcher HRufif» gelehrter, fchreibt in feiner 2Rufifgefd)i<hte (II. 1(36): „Sie grego= rianifche ©efangweifc hat nun fchon Dolle jwölf ^ahrhunberte gebauert. Schon biefe lange Sauer ift ein ÜJJerfmal, bafs fie bie wahren, ju einem allgemeinen ©olfSgefang crforberlichen Gigenfchaftcn in fich fchlieRt. 3®aS fid; burch fo tauge Safjrhunberte unb gerabe burch

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©ie Ijeitige

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foldje, in weiten in ber &unft, ju weiset fr geregnet werben muß, bie mannigfaltigjlen tßeränberungen unb SBerbefferungen gemacht worben finb, unöeränbert erhalten fann, muff einen unjerfiörbaren SBertlj in fief) haben."

AmbroS, ber ßrjle unter ben 99?ufifhiflorifern, fagt im ^weiten tBanbe feiner 9Jhi[ifgffd)i<hte ©. 67: „Sen äBcrtf) bes gregorianifchen ©efongeö als ©eftanbtfjeil bes 9titu8 ju unterfuchtn, fann nicht Auf« gäbe ber ffunftgefd)id)te fein uub nur im Allgemeinen mag bemerft werben, baß ficR fnum eine allen Anforberungen beffer entfprechenbe, jmeef» uub fachgemäßere ©ingart bafür benfen läfjf. Sie ßunftgefchichte Rat bloS auf bie RaRe SBürbe, bie großartige (SinfacRbfit unb bie ein= bringlirbe firaft biefer 2Jlelobien Rinjuweifen. Sie innere BebenSlraft biefer ©efättge ift fo groß, baR fie au<b oRtte alle fparmonirung ficb aufbaS ^ntenfibfte geltenb macben uub nichts weiter pi ihrer bollcu Sebeutuug ju erbeifiben febeinen, wäbrenb fte boeb anbererfeits für bie reiebfie unb tunftnotlfte ^aemonifebe SöeRanblung einen nid>t ju er- jcRöpfenben ©toff bieten uub 2jabrRunberte lang einen ©cRaj} bilbelen, bon beffen AeiiRtbümern bie ffunjt jeRrte. 9lacR bem Rinreißenbften , ferapRifchen ©timmgewebc eines ftprie 00,1 ^aleftrina ergreift baS ganj einfache Gloria in excelsis mit bem Sone mojeftätifcRer (Sröße uub jugleicR eines jubetboden AuffcRwungeS, Wert!) ben SRuRm bes Allerl)ö(bften p bertünbigen."

Dr. Sfflitt, ber bebeutenbe 99lufiffenner unb ßomponift, ber l)o<bbcrbiente ©rüuber beS ßäcilienbereineS für alle Bänber beutfeber 3unge, fagt bon bem (fbotale: „6r ift bas RöcRfie unb ^errliebfte ISrjcugniß jener ÄunftepocRe, in melier man 'Blelobien erfatib ohne an iRre fparmonifirung ju benfen, er ift ein unbergänglicReS, ja un- erreichbares SJleifterwerf ber natürlichen ntufifalifcben Seclamation."

Uub fo tonnten noch bielc ©teilen au§ froste, SröRlid), 91 e u m a i e r u. a. angeführt werben. 91ur ber eine jebeufaÜS fefjr bejeicRnenbc AuSbrtnf SB. A. 991 o j a r t’S möge noch erwähnt werben. „@r würbe [einen ganjen AuRm Ringeben, wenn er ber (Somponifi einer einzigen Ijkäfation wäre."

9Jfait muß mit bem 33erfaffer bon „GRoruI unb Siturgie* ©. 70 übereinftimmen, wenn er über ben SBertR be§ (fRoraleS fagt: „99tan führe ben ßRoral auS, wie er auSgefübrt werben foll, unb alle (SefangeSbirtuofen mögen crfcbeiiten unb urtbeilen, ob fte auch nur entfernt ähnliches je gehört hoben, ob fie ein ähnliches JEBetf ju er- jeugen, eine ähnliche SBirtung Rerborpbringen je im ©tonbe finb!

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Slnton SBalttr.

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$ergleid> ju {einem erhabenen, göttlichen, mit Ijeiiiger ©emalt ergreifenbeit ©efange finb alle anbern ©efdnge eljet ffunfifiürfe, er allein ein tua^res Äunfiwer! ju nennen!"

^Freilich mujj au$ jenes anbere SCßort beS Senebidinermönd&eS bon 53euron (ßporal unb Cilurgie (Seite 51) ermähnt werben: „Um ßfjoral ju fingen, ift tnufifalifcfieS ©efjör, einige Hebung unb tedjnifhe Äenntnifj, öornehtnlich a6er tJröntmigleit erforberlidj; um gut ßfjoral ju fingen, muff bnS ©enannte in ertjötjtem ©rabe borljanbeu unb iibetbieS gepaart fein mit betn 93erftänbnip ber lateinifdjen Spradje unb fird)Iid)en Siturgie; um eublich boüfommen ßljoral ju fingen, bebarf eS ju allebem perfönlidjer .{jeiligteit ; beim ber ßf|oral ftammt bon ^»eiligen unb ift fetbft ein heiliger ©efang fowie eine utnbilbenbe IDfadjt, bie jur £>eiligfeit führt.“

S5.lettit nun auch bi* Kirche ben einfiimmigen gregorianifdjeu ©efang al§ ben eigentlich liiurgifdjeu bezeichnet, fo pat fie bod) audj bie par« monifche, meptfUntmige ^Bearbeitung biefeS ©efangeS jugelaffen unb nuep in ipren lifurgifdpeit SBücpern, innerhalb gewiffer ©renjen, ge« billigt. „‘Die meprftimmige 9Jlufi! muff, fo fcpreibtcS bet UBifle imfeter Jfircpe bor, mit ber Siturgie burdjweg jufammenftimmen; bie SBorte. müjfen bonfomnien unb beuttid) berftaitben werben; ber ©otteSbienft fall baburdj nicht ju fepr berliingert ober ju lange uitterbrocpen werben; bie Harmonie fall nicht irgeitb etwas 2eicptfinnige3 ober SaScioeS zeigen ober gar bie ©emütper bon bet Setracptuug ber göttlichen Ipanblung abjiepen, fonbern fie fofl aubäeptig, Kar unb üerftünblicp fein." .

Unter ben 3nftrumenten ift bie Orgel allein burep bie Sefiimmungen, wie fie in ben liturgifcpeit 53ii(pern enthalten finb, mit einem gemiffen liturgifepen Gparafter auSgejeidjnet unb für ben lirdpliipen ©efang als geeignet anertannt worben.

28aS nun bie fog. 3»ftimmentalmufif anlangt, fo erwäpnt aller« biugS bie $inpe aüjjer ber Orgel feines SnjlrutneuteS als jum ©otteS« bienfte juläfftg, bielmepr werben biefelben bielfach nlS unjuläffig er* Kürt ; allein fie bulbet in Btilbe unb Stacpficpt bie ^nftrumeutalmufit ober neuere ÜJiufif. 3fbo<P berbietet fie alle ^nftrumente, wclcpe einen tpeatralifcpen ßparatter paben, unb empfiehlt jene, bie geeignet finb, bie Stimmen ber fingenbett ju unterfiilpen unb ju berftärten; 9KIeS muff ferne bleiben, was ihrem 3wede nicht entfpriept, was nur jur '-Bergnügung beS 3upörerS, jur iöefriebigung ber Uteugierbe, jum eitlen Muptne ber ßompofiteure bienen !ann; berboten finb alle üJtotioe, weih« au bie 53üpne erinnern, alle allju lebhaften unb anftrengenben ®e«

s.

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$ie heilige ÜÄuftf.

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wegungen, ba§ tWccitatio, Opern-Ärien, lange 3ntrobuctionen uub ®rä(ubien fotoo^I für ba5 bolle Qrdjefter al$ für ©olo*3nftrumente.

©o wahrt nufere heilige Äird;e bei aller ©ebulb unb 9fad)fid)t bennoch ben ©rnft unb bie SBürbe be§ ®otte§bienfte§, fuc^t bie ©e* fahren su heben, welche in ber 3nftrumentalmufif liegen, entfernt alle? profane, Sljeatralifctje nnb 2öeicf)Iid)e. 2Barum wollen tatljolif^e Gomponijlen, ßfforregenten unb ÄHrd)ent>orftänbe bm Veftimmungen ihrer ffircfje nicht folgen? S5er 2Bi(Ie ber &irche hört nicht auf ber* pflidjtenb ju fein, fobalb fi<h um Citurgie unb liturgifdje Vhifit hanbelt.

9lu3 betn ®i$herigen ift uns flar geworben, baß bie ifirchenmufif als integrivenber Vejtanbtheil jur feierlichen Citurgie ber £ird)e gehört; baß ber SGßiflc ber Kirche bie erfte Dtorm ift, nach welcher ber Kirchen-- gefang fi<h ju rieten f>at ; baß bie ftirdjeumufil in einem innigen 3ufammenhange mit bem ßultleben ber ffirdje fteht, baß fie bie geierfprad)e ihrer Anbetung unb bie £)erjen§fpra<he ihrer Opferliebe ift ; baß fie unter ben fünften in einem befonberen ©rabe berufen ift, an bem 6rlöfung«wcrfe burdh Srbauung ber ©läubigen mit*

juwirfen; baß ber. gregorianifdje ©horalgefang ber Kirche eigenfter ©efang, ba§ gunbament unb baS Vtufter ber JTirchenmufi! unb baß jebe Äirchenmufif nur infoweit firdjlich ift, al$ fie mit bem ©eifte bei ßhoral» übereinftimmt.

ift baher eine Pflicht be§ fatholifchen GlerttS, a(§ be« 2öä<hter8 unb Ürägcr« ber Citurgie, fi<h über ftirchenmufif, ihre ®e* beutung unb Aufgabe in ber Kirche ju belehren, bie firdjlidjen ©runb* fdßc barüber ju Perwirflichen unb nicht }u bulben, baß ber Äirche unb ©otte§ unwürbige Vlufif aufgeführt werbe. Unb ba§ gilt nicht blo§ bon ber hohen ®omlir<he in ber ©roßftabt, fonbern auch bon ber fleinfien 2)orffir<he; bentt berjenige, berfich ba opfert, ber ift in ©tabt unb Canb berfelbe, 3efu3 ßhtiftuS, h°<hgelobt in ßroigfeit.

Skr ho^hwürbigfte £>err 93ifd>of Jbon 6i<hftäbt mahnt feljr f<hön: „3<h weiß wohl, baß ber herrliche Sau einer ffirdje, ber fReid)thuui ihrer ?lu§}<hinüdung, bie Fracht ber Slltäre unb lunftreich gefertigten ©ewänber einen unbefchreiblidhen Einfluß auf bie geierlichfeit be$ ©otte§bienjie§ auSüben; aber höhet ol8 alles biefeS fteht ber gotteS* bienfilidje ©efang. 9ltleS Uebrige ift nur Vorbereitung unb muß bollenbet fein, wenn bie heilige freier beginnt. Skr Iräftige ©efang bagegen füllt bie heiligen Slugenbticfe bei ©otteSbienfte« felbft au«; er ift baS feftliche ipracptgewanb, in welchem unfere ©ebete ober beffer gefagt, bie ©ebete ber ftird)e, biefe Vleijterwerfe bc§ heiligen ©eifieS, bor

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Snton SBalter.

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Dem 21jro»e ©otteS erfd)einen, ber liturgifche ©«fang gehört ju ben Ijeiligften Scrridjtungeit be§ ipriefterS imb fie^t beSpalb höh?* als baS fteinevnc ©ebäube, bie tjöljernen 'Altäre, bie golbeneii ©efäße unb bie [eibenen Paramente."

3a, möchte ber ©IcruS nicht bloS für Paramente, ©loden u. bgl. ©elb haben, fonbern auch für bie erhabene unb erhebenbe Masica divina ! Unb in gleitet SÖeife auch ba* fatljolifcbe Soll!

Höcnn bie Musica sacra einerfeit« baS ^üblen unb Smpfinben, baS ©laubenS* unb Siebeleben beS Solle# in feierlicher SBeife bor bem Elitäre feine* ©otteS auSbvüden unb anbcrerfeitS burch bie Kraft ihrer Stelobien unb Harmonien erbauen foll, fo lann hoch betn Solle nicht gleichgültig fein, was gefungen wirb. ©§ ift oielme^r auch eine heilige Pflicht beS Solle#, nach 2Diffcn unb Können, Seruf unb Kraft für jene flirchenmufit ju forgen, welche bie Seflimmungen ber Kirche forbern, unb alle Seftrebungen ju unterflüben, welche SDlijjbräuche auSrotten unb baS Kirchliche an bie Stelle fepen wollen.

Uöenn mir im geheimnigoollen Kreisläufe beS Kirchenjahre* bie förojdhüten ber ßrlöfung unb Heiligung im lebenbigen Silbe un# ^gegenwärtigen, wenn mir baS heilige Opfer feiern, im litcplichen ipflidjtgebete ben Allerhoop fien preifen, bei allen Anläffen grofjer Seierlichleit, in ber greube, in ber SEraner, jur Sitte unb jum Dante immer ift bie heilige Slufif unfere Segleitung, immer hilft fie un§ beten unb bitten, immer erhebt unb erbaut fte uns burch bie Kraft ihres Räubers. O biefeS heilige Singen ber Kirche, baS un* noch am ©rabe tönt, jur Drauer utib jum Drofte bie Unferigen mahnt, jum Slitleiben mit unferer armen Seele bewegt unb ben Sühne* gottcSbienft für unS feiert!

Da wir nun einen Serein lennen, ben ©äcilieitberein, ber fich auf bie Sahne getrieben : „Ade# unb nur ba§, waS feit jwei 3ahr= toufenben ©bleS, ©rofjeS, ßrljabeneS unb Schönes bie Kunjl gefchaffen, ju ben jjrüfjen beS ©roigen am Altäre beim heiligen Opfer nieber* julegen," fo gelte ihm unfere Segeifterung unb Siebe, unfer Opfer* Wille unb unfere Opferthai. 3eber in feiner ffleife, je nach Seruf unb Stellung förbere bie Sntereffen beSfelben! Aud} bie lleinfte ÜJlüpe, ba* tleinfte Opfer ift nicht umfonfi; beim eS ^anbelt fiep um ba§ große 3iel ber Verherrlichung ©otteS unb ber ©rbauung ber ©läubigen burch bie ^eilige Kunft.

Trud von 'JJfal^lau & üxJulbjdjiiHbt. J-raiitfurt a. 'JJL

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Pas Polhsfdjuluiefen im iltittdaltcr.

5?on Dr. ikrm. Sdjtnife.

I. Einleitung.

2tdeS, roaS baS 2Bohl unb SSepe beS ÄinbeS betrifft, muß für uns bon bem größten 3>ntereffe fein; für bie Ettern ift baS ganj febfiberflänbtich; für Sieben ift cS in bem Uiafee eine Pflicht , a(S er berufen ift, auf Stit= unb Sammelt förbernb einjuroirfen. $aS ffinb ift jo ber ©rbe unfereS materieden roie geiftigen 23efit$anbeS ; eS erntet unfere Saat ; es roirb SQohnung nehmen in bem geiftigen Sau ber Giuitifation unb ©efittung, ben mir aufbauen ; eS mirb fid) fdjmüden mit ben ©beljieinen, roeldje mir aus bem tiefen Schacht unfern iJorf(f)ungen gemimten. $ie ebetjte, roeil felbfttofe Siebe Berfnüpft uns mit bem flinbe ber ©egenmart, betn Stenfcpen ber ^ufunft.

Sber auch bie ©efctjic^te beS flinbeS bet 33ergangenpeit forbert unfer Sintereffe heraus. SSir jepren ja jejjt an ben grüßten, bie be§ ÄinbeS Singen unb Streben in ber Vergangenheit gejeitigt pat. ©in Süd* btid auf ber Sßäter fjfteiß, ber unfere £eimatp mit einem geiftigen Sinbentar auSgerüjtet unb roopnliCp gemacht pat, ift ^ietüt unb mirb uns mahnen, un§ ber Sitter mütbig ju machen. Stögen biefe menigen SSIorte bie Sßapt beS 2pemaS rechtfertigen, baS auch roopl heißen fönnte: »de majorum memoria pie colenda«, Born ehren» Boden Snbenten an bie Verfahren.“

So roenig »nie baS Äinb einer potitifchcn Partei angehören fann, ebenfomenig fodte bie S<pute jemals ber Stlcinbefiß irgenb eines (JactorS ber ©efedfChaft ober einer potiftfepen Partei merben. $a ift teine Siebe jum Äinbe, mo man um baS $inb roie um ein Streit* object lämpft unb bie Schute ju bem 3roede f örbert, bamif ber ©in* ftujj irgenb einer Politiken Partei für bie 3u*unft gefiebert fei. StferbingS gehört bem bie 3«lunft, bem bie 3ugenb gehört, roie nicht etroa erji ein 2öort ber ©egenmart, fonbern bereits ein SuSfpruCp

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Dr. §erm. 3oj. Sdimi^.

be§ SarbinalS ©ranbell ü. 3- 1563 lautet, allein Utiemanb ift bereinigt, biefeS SBort jur Sofung in einem Politikern Kampfe ju machen unb au§ ber ©cpulftage eine Stadptfrage §u madpen. ijt bemnadp jmeifefloS bie niebrigjie unb beflagenSroertpejie 9ln* fcpauung, nadp roetdjcr ba§ Äinb als ein Streitobject erfdpeint. Sine anbere Stnfdpauung lägt in bem Äinbe nur bie menfdptidpe Seite feines SöefenS erbliden, feine rein menfdplitpen SebenSbebingungen unb gor* berungen berüdfidptigen. Humanität unb f?umanität8*®ilbung fmb bie prunfenben iitel, unter benen man aisbann Äinb unb ©dpule ju beeinfluffen bejtrebt ift. Sine britte Sliikauung fuipt in ber jlerbli<pen ipülle be§ f?inbe3 bie gottgemeipte . Seele , liest in feinen klugen parabieftfdpe Unftpulb, glaubt feine fpülfloftgleit burdp SngelS ©dpufc bekirmt, fiept in bem ffinbe ben Siebling be§ Rimmels : ba3 ift bie dprijllidpe Ulnftpauung.

Sffielcpe Slnfcpauung mar nun bem ÜJiittelalter eigen?

3)er SBeantmortung biefer grage foll biefe ©dprift bienen.

©dpiden mir unä an, eine SGBanberung burdp bie ©dpulen ber Sorjeit anjutreten, fo merben mir meber japlreiipe, nodj fdparf perbortretenbe Sreigniffe ermarten biirfen. 3)ie ©{pule enijicpt fidp in iprem SBirfen ber Oeffentlicpleit ; fte kafft in ber Stille ber $er« borgenpeit, abgefdjloffen bon bem großen ffleltgetümmel ; baS ©dpul* roefen ift roefentlidp ein päuStidpeS; bie ©dpule roirtt, mie eine Stutter, nadp grauenart. fjat nun fdpon ein großer ©riecpe gefagt, baS feien bie befien grauen, non benen am menigjten gefpro(pen mirb, bann merben baä nidpt bie fcplecpteften ©(pulen gemefett fein, bon benen bie ©efdpidptsfdpreibung ffienigeS ber Sadproelt erjäplt. Stag bie SBelt* gefdpiipte uns mie burdp milbe ©ebirge auf fleilen ®faben füpren, menn fte un§ baS ftut^^eroegte Seben unb Treiben ber Söller jeigt, mie gleidp Saminen unb bumpfem ©erötl übereinanberftiir jt : ba§ Seben unb SBirlen ber ©dpule merben mit nur an jenen füllen ipiäpen ju finben paben, mo forgfame ©ärtnerpanb Saumfdpulen in Bitten beS ipaleS anlegt unb pflanjt. 31bmedpslung bietet natur* gemäß bie Sefitptigung berartiger Saumfdputen menig; menn bapet ba3 Sinförmige ber pijtorifdpen SBanberung bie ©ebulb be» Sefer* ermiiben foHte, bann roollen mir am ©dpluffe berfelben eine licpte tpöpe ju erreichen fucpen, bon mo mir Umfdpau palten, um bie Sicpenroälber, bie au5 jener ©aumfdpule perangemacpfen, ju betracpten, b. p. bie SRefultate ber ©dpule be» StittelalterS unb iprett SSJertp im Siidpte ber Sonne ber Sßaprpeit erörtern unb prüfen.

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3 S)a§ SoUiföulttefen im SRittelciIter. 305

mag ^ier noch eine orientireube Semertung geftattet fein. Stuf bet ©anberung burcfi bie ©hüten be$ SJtittelalterS »erben mir unroifltürlih bie Seobadjtung machen, bafj mir in bem ©Raiten einer ©eftatt roanbeln, bie ftet§ un5 begleitet; in ber Kätfe einer jeber ©hüte wirb fie auf eine ©tätie ^inmeifen, roo fie .felbfl ©otjnung genommen hat; fie mirb an ber ©htDetle einer jeben ©dfule un§ bie ©hlüjfet jur Pforte reifen; mie eine ebrroiirbige SHalrone roirb fie in ben ©hulfälen al§ mie in ihrem Gigenthum un§ führen, unb mätfrenb ihr ©eroanb fhlih* unb ihre £änbe Don rauher Arbeit jeugen, roirb fie Don ben fhnbern mie eine Königin Don ihren tojt* barften Äleinobien reben. 5Diefe ©eftatt ift bie Äirhe. ©ir mollen fie nicht fuhen, too fie nicht ift, aber roo mir fte fßen unb pflanjen fe^en, motten mir baS, roa§ geroahfen ift, ihrer ©orgc banfcn unb roenn mir auf bem geifiigen tHnilijj be» ßinbe§ im ÜDtittelatter bie 3üge ber flirre lefen, bann motten mir ifjr ba« ÜJJutterredjt nie^t ftreitig mähen.

II. fttofter; unb ©tiftbfdjuten.

2)ie Utiffionäre, benen 55eutfhlanb Dor Sitten bie StuSfaat be§ G^riftent^ume» Derbanft, maren ber Ijeii. SonifatiuS in Reffen, Düringen, 99aiern unb fronten unb ber heil. ©itlibrorbuS im nörb* tilgen grieätanbe. ©o biefc ÜJiänner bie Gentratjtätten beS ct)riftti<$en Seben» grünbeten, ft^ufen Tie and) eine ©iege für bie ©iffenfhaft; mit i^ren tltöjtern Derbanben fie bie erften ©hüten. ©o roarb unter 2tnberen Don ©türm, bem ©hüterbeä ^cit. 23onifatiu3, ba§ 5?Iofter unb bie ©hule in Sulba i. 3- 744 gegrünbet. ©illibtorb bereinigte an feinem 58ifdjof»fi]je Utrecht mit ber bortigen ©t. ©aloator*$ir<he eine ©tift§fd)ute, roelhe unter feinem Nachfolger ©re gor feit 739 Don Jünglingen aller ©tämme, Don ffranlen, Briefen, ©achfeit, SBaietn, ©cbmaben, Singeln befudjt mürbe. Sin ©d^flter ©regorS, ber ^eit. SubgeruS, brebigte ben ©adjfen unb Briefen, grünbete bie Sibtei unb ©hule ju ©erben unb mürbe bann Sifhof bon SDtünfter, mo er nach bem ©ufter ber Utredjter ©hule eine ©tiftsfc^nte für frön« tifcfie, rheinifd)e unb fähfifhe Jünglinge errichtete. Jti bem übrigen ®eutfd)Ianb maren bie erften ©hüten mit ben ältejlen Nieberlaffgngen ber Senebictiner Derbunben, fo in ©t. ©aßen 613, $irfau, SReihenau, (Sorbet) a. b. ©efer, SRegenßburg, ©eifjenburg, tpriim, 9Jtainj, SErier, ©labbah-

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306 Dr. §erm. 3 o f. ®<f)miJ|. 4

©tiftäfd&iilen im Unterfd^ieb bon itlofterfdjulen waren folc^e, an beneit 33eltgeiftli<$e unterrichteten, bic al§ Ganonici an einem $om ober einer Stiftsfirdje in einem abgefdjloftenen ©ebäube »mouasterium« nad) ber Siegel Gljrobcgangä, 3ifcfjof§ öon 9)iefc 742—766, wie e$- bie $ircf)enberfammlung ju Stndjeu i. 3- 789 allgemein Dorfd)rieb, ein gcmeinfameä Sebcn führten, offne inbeß jur 9lrmut berpflid)tet ju [ein.

Seit Gart bem ©rojjen nafjm .Qirdje unb Staat in $eutfd)lanb eine fefte ©ejtaltung an. 3n Bereinigung mit ben Bifcfjöfen unb IjerDorragenben Bläitnern “Wie ißaul SGßarnef rieb ($iaconu3), ben 6rjbifcf)öfen Seibrab unb Bgolarb förberte ber Äaifer mächtig bie befteljenben ßlößef» unb StiftSfdfjulen unb grünbete neue. Bor ?tttem Slcuin, früher Borftelfet einer Schule ju ?)orf, warb Don Garl Dem ©roßen für bie ipebung beS Scf)ulrocfen§ im gefammten Steife ge« roonnen ; er legte am £)ofe eine Blufterfcfjule, bie schola palatina, für bie Dorueffmften Söhne an; biefelbe jog mit bem Jpofe Garlä im Sieic^e unifjer unb mar halb in 9lad)en, balb in Sfponoille, in ÜÖormS, Blain}, 3ngellfeim, fjranffurt, SBürjburg, SRegensburg, ^3ari=. 3n ißaberborn unb OSnabriid mürbe Don Garl bem ©roßen eine Stiftä« fdjule gegriinbet, in legerer befonbcrS ba§ ®ried)ifd)e gepflegt. 3n fjulba roirtte ber trefflidifte Spüler SllcuinS, 9taljbanu§ ÜRauruS, feit 813 alä Borfieljer; er mar ber erjle Schulmann ,$eu'tfd)lanb3 unb führte bie Sdfule jur Ijödjftcn Slütlfe. Balb entjtanben auch neue iflöfter unb Spulen ju ^erSfelb, Sütticb, Bremen unb §ilbe4peim.

$ie Seitung ber JJlojter* unb Stiftsfdfulen mar eine rein Iird)li<f)e; ber Sbt übte fie in ber Älofterfcffnle, ber Bifdjof in ben Stiftafcfiulen entmeber perfönlid) ober burdj einen mit bem Sdjulmefen in ber ganzen $iöjefe betrauten Ganonicu?, Sdf)olajlicn§ ober Sdjolnfler genannt.

Älofler* unb StiftSfdjuIen Ratten in ©emüßljcit be§ Üladjener GoncilS D. 3- 816 jmei Sbtffeilungen, eine innere Sdfule für flterifer, eine äußere Schule, schola externa, für bie 2aienfd)üler, meld^e außerhalb ber Älofterfdjule wohnten. Oft mar bie äußere Schule ftärfer al§ bie innere befud&t unb nicht feiten Don ben ebeljlen Söbncn be3 2anbe§.

So fanbte ffaifer Heinrich I. feinen Dierjäljrigen Soffn Bruno auf 10 3afire nach ber Stiftäfdfule in Utrecht. $)ie ßatbebralfcbule §u Süttidp mar im je^nten 3afjrljunbert bie ^ochfdjule für baS ganje norbmeftlid)e Slcutfdblanb unb noch i. 3- 1145 Don 9 ffönig»föf)nen.

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5 ©a§ S3olfsjdf)ttltBcjen im Sütittdalt«. 307

14 ^erjogföpneit, 30 ©rafenföpnen, 7 greipetren unb Sittern befugt. SepntidpeS roirb oon ©fedpeln ^bcridptet, beffen ©dpule ju 6nbe bcS ©tittelalterS bie ^öd^fte ©lütpe erreichte unb unter ifjrcn Spülern 9 ÄönigSföpne, 24 gürftenföpne, 30 ©rafenföpne jäpttc.

©egenftanb beS nicberen UnterridptS mar in bcn fflofier* unb ©iiftsfcpulen Sefen, ©dpreiben, .Galenberrecpitung, ©rommati! unb ©e= fang. „Um ben raupen ©efang bcr fränfifdpen ffeplc ju ßerbeffern" patte 6arl ber ©rofje jmei ©änger bon Sorn fommen ta(fen, bon bencn ber eine tiadp ©lep, ber anbere nad> ©oijfonS gegeben mürbe. UingangSfpradpe ber ©dpule mar bie lateinifdpe, inbeffen mürbe audp bas SDeutfcpe gepflegt, mie bie ©oncilien b. 3- 813 ju ©tain}, griaul, SpeimS unb 2our§ einfdpärfeu; in gulba, Seicpenau, ©rüm, ©t. ©aßen mürbe eigener Unterricht in ber beutfcpen ©pradpe ertpeilt.

©egenftanb beS höheren UnterridptS bilbeten bie ficben freien fünfte ober SBiffcnfdpaften; bie brei erften, bie mäprenb be» 2:ribium§ geleprt mürben, ©rammatif, Spetorif, ‘üfaleftif bilbeten bie ßenntnijfe beS gebilbeten ©tanneS; bie bier roeiteren: 9(ritf;mctif, ©eometrie, ©tufif unb Sftronomie mürben mäprenb be§ OuabribiumS gelehrt unb machten ba» SSiffen be§ gelehrten ©tanneS auS.

35ie ©Zetpobe be» UnterridptS mar burep bie ©eltenpeit ber ©iiiper bebingt. häufig f;atte eine ©(pulllajfe nur ein einjigeS ©jemplar einer ©rammatil ober eine» fflaffiferS. S)er ©dpüler befajj an (Schreibmaterial nur ein Söach^täfclchen ; im Uebrigen bermittelte baS lebenbige 2Bort ben Unterricht, unb ber ©etiler eignete ftdp ben UnterriiptSgegenftanb burep fein ©cbädptnijs unb $enfübung an. ©tan bejog bie geroöpnticp benupten Sücper, moju bor Mein 2)onat, © r i § c i a n , 5) i o m e b , £) o r a j , © i r g i l , ©tatiuS,©allujl, ©oetiuS unb JirnäuS beS ©lato gehörten, häufig auS fernen ©egenben. ©o ließ ber pl. fiubgeruS eine SnjapI bon ©üepern für bie Mtei SBerben au» ßnglanb fommen; bon ipm rüprt audp bie aus bem 4. 3a^r&unbert ftammenbe foftbare £>anbfdprift be§ SBeftgotpifcpen ©ifepofS UlfilaS (f 388) per, meldpe auf purpur* gefärbtem ©ergament mit Silbertinte gefeprieben, unter bem ©amen »codex argenteus« befannt ift !

3n ber Segel üerbielfältigte man aber bie ©üdper burep Sb* fepreiben, roorin bie ©tönepe unermiiblicp maren. ©o mirb bon bem ©rämonftratenfer*Sbt 6m o (1204 1237) beridptet, baß er naep ber ©fette machte unb, mäprenb bie ©rüber fdpliefen, ©porbüeper anfertigte.

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308 Dr. §erm. 3 of. Scbmif. 6

@3 entftanben inbcffen bereits im 9. 3abrhnnbert auch Damenjtifte, meift ©rünbungeit be3 KbelS naä) ber Kegel beS heil- ©enebict, aber ofjne ©elübbe ber Krmut, mit einer äioeifacf>en Schule, ber interna nnb ejterna für weibliche 3öfl^*nSe- ®ct Sdjulpfan entfprach im ©anjen bem ber fllofterfcpule ; auch in biefen grauenflöftern mürbe bie lateinifche Spraye gelehrt unb gepflegt. Die Kebtiffin KoSroitha oon ©anberäheim Derfaßte im 10. Sfahrljunbert 6 geiftlidje ©omöbien unb mehrere Segenben in lateinifcher Sprache unb belang bie Dljaten ber Ottonen in lateinifdjen Berfen. Sine tiorjügli^e Be* fchüftigung biefer fllofterfrauen beftanb ebenfalls in bem K6?chrei6cn bon Büchern ; bie au3 Oornebmeit fränlifdjen ©cfdjlechtern jtammenben ßlofterfrauen $arlinbi3 unb KelinbiS haben biefe Äunft bereit? im 7. ^ahrhaabert in ihrem fflofter Klbenep! bei 2Raafet)t geübt unb biefelbe in ben Kieberlanben Derbreitet.

Der 2lu!auf oon Büchern erforberte hohe Summen; fo bejahte mau in Utrecht im 14. 3ah*bunbert für ein Btejjbud) 46 ©olbgulben unb im 15. Jjahrhunbert für eine Bibel fogat 500 ©olbgulben.

Ungeachtet ber Äoftbarleit unb müheüoflen fterfteUung ber Bücher legten bie Sflöfler bcbeutenbe Bibliotfjefen in lirdjlicben unb tlaffifdje SehriftfieHern an ; eS mar fprüchtoörtlich : „ein Älofler o^ne ©ibliotpA iji eine Burg ohne ütüflfammer." Bereits im 8. 3ahrfjunbert oerfah ber ©rjbifcbof §ilbebolb bon ©ölit (785—819) bie bortige Dom* fdjule mit einer auSerlefenen Bibliothef. SBerthOoHe Bücher befeftigte man an ßetten, fo fc^offte baS Stift Xanten ju biefem 3®e(*

16. 3a^rf)unbert 69 eiferne Gelten an; ein ipergamentcober in ber Slbtei ©jfen hatte ben Kamen ,baS ßettenbuch."

2fJit bem jtrengen Grnft beS StubiumS waren in bem Schadeten ber fflöfier unb Stifte bie he»*ercn Qfreuben ber 3ugenb gepaart. Sie eine Berroirllichung ber fühnften Drüume ber 3ugenb fmb bie jahlreichen Schulfejte in ben Berieten gefchilbert. ®S mag ja unfeter 3eit, bie an ceremonieden formen reifer als an SBaljrbeit iß, ijkofanation erfcfjeinen, toenn am fjefte ber unfcfjulbigen $inber, baS bereits im 12. 3afjrhunbcrt an ber Stiftfehule gu Strasburg ü6!ihe BifchofSfeft gefeiert mürbe, inbem ein ßnabe im bifdhöflicficn Snjug auf bifchöflichem Dhron im Dom BeSper hifU unb bann burch bie Stabt mit feinen ©enojfen als Bifchof gog; allein bie ginfalt ber Unfcpulb, melche Denfen unb Seben im' Btittelalter burchbrang, mit ^eiligem fpielen, ohne @inbuße an tßietät §u befürchten.

Sollen mir uns nach biefer Schilberung ber ßlofter* unb Stift*

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XaS Solfsf^ultocfen im ÜJiittelalter.

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faulen ba§ Sitb eines SdjüiertebenS borfüffren, fo I)at un§ SBalla» f rieb mit bem Seinamen Strabo „ber Sct)ietenbe“ burd) fein Dage* bud), roeld)eS er über feine Stubienjeit im Ätofter 9teid)enau ü. 2L 815 angefangen, oerfaßt tjat, in anfpredjenben 3üQf« ben Stubenten bor taufenb 3at)ren gejeic^net. 9ttS neunjähriger ffnabe trat er in bie Sdjute ein, mo er 500 3öglinge borfanb. 6r begann bamit, lateinifdje Sudjjtaben ju lefen, unb als er barauf ein beutfdjeS Südjlein erhielt, rounberte er ftd), mie man lefen unb baS ©etefene berftetfen tonne; bann übte er auf feiner SBadjStafet bie ihm ferner faHenbe -ffunft, bie Sudjftaben nadj)iuna$en, baS 'Schreiben ; er fanb aber reiche Gr= ffotung, als er roätjrenb ber Serien mit ben Seljrern nad) £>erjenSluft auf bem See fatjreti unb bie Obfilefe ber reidjbelabcnen Säume mitlfalten burfte. Dann flieg er ju einer ©taffe auf, bie ber heutigen Septa entfprad), flubirte in berfelben ©rammatit, unb rooljnte ber ©in* meipung ber fftoftertirdje burd) ben 9tbt Sifd)of fpatto bei; ba ftaunte er über ben ©fjor, ber bon 700 Srübern, IM 3ö8^ngen ber innern unb 400 ber äußeren Schute gebitbet mar. 3m britten Schuljahre, auf einer Stufe entfpredjenb ber heutigen Quinta, hatte ber ffnabe bereits ben ganjen Sfatter auSmenbig gelernt unb burfte jetjt an bem ©Ijorgefang Dfjeil nehmen. 3n ben fotgenben ©taffen unterrichtete er felbfi bie neu eintretenben 3ögtinge im ßefen unb Schreiben, mie bieS früher ittnbere an ibm getfjan, erlernte bie Stnroenbung ber Dropen unb ffiguren an ben Schriften beS StatiuS unb ßufanuS unb hatte fich am SatjreSfdjtuß einer Prüfung ju unterjieljen. Stande feiner* abeligen ÜJtitfd)üIer fdjloffen mit biefer Prüfung ihre Stubien ab unb traten aus ber Sdjute aus, um bann als Knappen ritterliche Uebungen ju erlernen.

@r felbft abfolbirte im fotgenben ^atfre bie tRIjetorif unb flieg barauf in bie ©taffe ber ßogil unb Dialeflit auf, in roeldfer er in pbilofoptjifdjer Disputation fid) übte unb bereits bie ©efeßbüdjer beS DljeobofiuS unb ber fatif^en unb ripuarifchen Sranfen unter Satto flubirte, ber, bon feinem Stufenttjalte am faifertichen fpofe in ber ipfatj fjer, zahlreiche ?Red)tSfäfle borjulegen berftanb. Die Uebungen ber beutfdjen Spraye roaren burd) bie $erjd)iebenljeit ber HJunbart ber Sdjüter feljr bet)inbert.

Dann ging SEßattafrieb burd) bie bier Stufen beS CuabribiumS. 3m Sertaufe beSfelben bottjog ft<h eine atlmälige 9tuSfd)eibung feiner fDlitfchüler jum 3rof<te bon Spejiatftubien. Die ©ineti gingen jur SutiSprubenj über, Slnbere mähten 9Raterei unb Sitbfjauerei unb

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Dr. Jpetm. 3°f. Scbmip.

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begaben fid) beStjalb in bie SBertftätten be§ &lofter§ ju prattifdien Ucbuugen ; ?lnbere roibincten fid) ber ©ebiciti; fie ftubirten in einem befonberen Speile be§ fltofterS unb in bem ©arten, ber für £ei!fräuter angelegt mar, bie Slrjneilunbe. @r felbft ftieg mit 20 berbleibenben 6d)ülern au§ ber ©taffe ber 2lritbmetit in bie ber ©cometrie, roeldje ©ermeffungen Don Stächen, ftörpern, ©ebäuben unb Stürmen, foroie bie Srbfunbe unter ©enußung jabtreidjer harten 5um ©egenflanb bei Unterrichts hatte. $ie fotgenbe ©taffe ber ©ufit führte in ba$ Stubjum ber 3°blenDerbättniffe ber 2öne, ber ©efeße mufifolifd)tt ©ompofitionen ein unb Derbanb bamit praftifeße Uebungen auf ber $arfe, gtöte, trompete, ©ofaune, ber $ettajitt)cr unb ber brci> feitigen Skier. ^eßt ftubirte SfiJaltaf rieb auch ba§ ©rtechi?<hc las §>omer au? einem SÖuchc , meldjc ber 2lbt einft at- ©efanbter in ©onftantinopel eingefauft batte. 9tad)bem er bann bie ©taffe ber SIftronomie nod) oollenbet batte, ging er als 19jäbriger Abiturient Dom ©pmnafium jum Stubium ber ^hUologie unb 5£beologic über, £>atte ber Änabe, mie er felbft erjäbtt, oft feine ©offen gemalt, ©itfd)üter geftört unb feine Strafe erbalten, fo bing er bod) mit inniger Ciebe an feinen Ccbrerit. AfS fein Seßrer fflettin ju Anfang be$ testen 'Schuljahres ftarb, gab fein banfbarc« ifpcrj Scbmerj unb Trauer in einem ©ebidjt mieber, in roeldjcm u. 2f. beißt:

„Sldj wa3 febreibe ich noch/ mubbent uns ber Schreiber geftorben,

©eichet bisher unfer her3 mit ben Scbätjen ber ©ciSbcit bercicbernb, SHet 3»brbunbcrte ®au ’,ur SSoflenbung ju führen beftrebt war,

Unwert waren wir wobt beS fo vortrefflichen fiebrerS.

©enn auch beä Rimmels ®cfijj ibm unbejweifelt geworben 3oUt unfer Suge ibm bod) beä SJerluftcS bittere Ibräne». ilber Bor Sßem gejiemt mir, bem tßermaiften ju jammern ©eil ich ben jfirtticben Sater Berlor

III. fßfarrfdfulcn.

Älofter* unb StiftSfchuIeu forgten in beit unterfien ©taffen für ben 61ementar«Unterricbt , allein ber großartige ©ebanfe einer all* gemeinen SBoIfSbilbung, toelcher fid) in jabtreidjen Spnoben unb 3feid)S* gefeiert be$ 8. unb 9. ^abrbunbert auSfpricht, erforberte bie AnTage Dort Schuten, roetebe ficb auf ben ©olteunterridjt allein befcbränften- $a§ ©briftentbum Derbannte ben beibnifdjen ©ebattfen, ©ilbung unb Söiffenfdjaft fei baS ©orredjt einjetner prioitigirter Stäube, aber nid)* ein Anrecht für ben gemeinen ©ann unb ben SttaDen ; ibm mar

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Solfäjt^ulratjen im iDiittelalter.

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jebe Seele gleich wert, barum begrüiibcte eS eine ©leichftetlung ber 9Kenfd)en unb berwirllid)te fie burdj allgemeine SBoIfSbilbung.

ISereitS ein SReidjsgefc^ b. 3- 789 befiimmte, baß Ganonifer unb 2)lönct)e nid^t nur ßinber ber greigeborenen, fonbcru auch ber Un= freien um fid) oerfammeln follen, um fic im Cefen, Schreiben, tpfalmen* ©efang unb ©rammatit ju unterrichten.

Schon borljer holle eine Spnobe ju fJleudjing im Grbinggau (^farrborf im Sanbgcridil GberSberg öftlid) bon fDiünchen), wäfjreub ber DiegierungSjcit SLaffilo’§, beS frommften £)erjogS ber kapern, im ^apre 772 fidf mit ber Schulfrage befd)äftigt. 3)ie bort berfammel* ten Bifdjöfe unb Siebte berorbneteit, „jeber SBifdfof fotle in ber Stabt eine Schule errieten unb einen weifen Selber aufftetlen, welcher nach ber römtfchen Ueberliefcrung unterrichten, Section geben, unb baS auch nicht ©efdfriebene lehren lönnc". 33ifd)of Sljeobulpb üon Orleans forberte in einem Dtunbfchrciben bom 3al)te 797 bie Pfarrer feines Sprengels auf „in Dörfern unb anberen Ortfchaften Schulen ju fallen"; er bedangt, baß ber Unterricht umfonft ertl)eilt werbe. „9Senn ^emanb unter ben ©laubigen, fo fügt er hinju, Such feine Äinber junt Griemen ber SBiffenfchaften anbertraueu will, fo weigert euch nicht, folche anjunehmen, fonbern ertheilt ihnen ben Unterricht im ©egentheil mit ber größten Siebe, ohne bon ihnen Sohn ju nehmen, ausgenommen, waS euch bie Gltern freiwillig barreichen." Oie SReforinfpnoben ju fötainj, ju StourS unb ju GhalonS i. 3- 813 betonen bie Serpflichtung, bie fiinber jur Schule ju fchiden. 2>ie ©eiftlidjen follen auf baS Grienten beS ©laubenSbefenutnijfeS unb beS SBatcrunferS ftrenge holten, unb bie, welche barin läffig finb, feien burch Saften ober anbere 3üd)tigungen ju beftrafen. 2ludj follen bie Eltern ihre ftinber jur Schule fchiden, cntweber in bie filöfter ober außerhalb ber« felbcit ju ben UlreSbtjteru (ipfarreru), bamit fie ben fa» tholifchen ©tauben unb baS SJaterunfer recht lernen um e S j u £) a u f e w i e b e r u m 91 n b e r e n lehren l ö n n c n ; wer eS nicht auberS tann, mag eS in feiner 5>tutter« f p r a d) e lernen." Uebcreinftimmenb hiermit fdjärfte baS Gapitulare bom 3«bre 802 bie Schulpflicht ein: „Seber muß feine flinber jur Schule fchiden unb biefe müffen bie Schule mit aller Sorgfalt fo lange befudjen, bis fie genitgenb unterrichtet finb." 9ll§ unter ber Diegierung beS nachfolgenben ÄaifetS Submig beS frommen bielfache 9la<hlüffigteiten im UnterrichtSwefcn ju beflogen waren, erttärten bie

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Dr. §erm. 3 of- Scbmitj.

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auf ber Spnobe ju fättignp i. 3- 822 oerfammelten Sifdjöfe iljre 39ereittt>iHigfeit ju einfchlägigen SSerbefferungen mit ben SDorten: „Sa ba3 <£>eil be3 53olfeS oorjüglid) Dom guten Unterricht abfjängt, fo fotteii überall gelehrte ©eifiliche borljanben fein. 'Sie Schulen wollen mir eifrigft Derbefferit. 2öer lernen will, foH barin tüchtige Se^rer finben, für ben Unterhalt ber Spulen aber haben bie ©Hern ober Herren ju forgen. 3n großen Siöjefen foflen mehrere Schuten gegrünbet werben. Sinb bie Sifchöfe nicht im Sefifce ber nötigen ©inlünfte, um fotche Schulen ju grünben, fo foflen bie ©ejifcer ber £>errfchaften bafür forgen." 5Bo nun bie ffräfte be§ Pfarrers nicht auSreichten, foflte ihm ein ©lerifer jur 9tu§fjülfe in ber Schule ge« geben werben. So befahl bie Spnobe ju Nantes i. 3- 895, „baß jeber ©eiftliche mit Seelforge einen ©lerifer bei (ich haben fülle, bamit biefer ihn bei Abhaltung be3 ©otteSbienfteS unterftüjje, Schule halte unb bie ißarochianen ermahne, ihre ffinber jum ©rlernen be3 ©laubenä jur Äirche ju fchicten, wo er fte felbft barin unterweife."

SQSie bie Sifchöfe be§ beutfehen SReidjcS in biefen 93erorbnungen, fo waren auch bie ^Bäpfle jtet3 eifrig barauf bebaut, bie Schulen in jeber SSeife ju förbern. Sie Shnobe ju 5Rom unter bem 33orji|e be§ lßapjle3 © u g e n II. im 3afjre 826 fprieht fi<h ju biefem 3roe* in ihrem 34. ffanon alfo aud:

„fflir Dernehmen, baß in einigen Orten feine Sefjrer ft<h befinben unb ber Unterricht Dernadjtäffigt werbe. Soffer befehlen mir, baß an allen 33if<hof3fitjen unb ben biefen unterteilten ipfarrgemeinben, fomie an anberen Orten, an welchen ft<h bie ttothroenbigfeit er« gibt, Seljrer unb Unterweifer angefledt werben, welche in ben freien .(fünften unb ben ^)eil§lehren fleißig unterrichten."

Sa§ elfte allgemeine Goncil ju SRom unter ^tapt 91 1 e j a n b e r HI. im 3ahre 1179 trug eine rüljrenbe, liebeDolle Sorge für ben Unterricht unbemittelter Äinber unb Derbietet fogar auf baä Strengfie eine 3?ee jahlung für ben Unterricht ju forbetn.

3n feinem 18. Jfanon heißt eä: „Sa bie ffirche ®otte§ forooljl fflt bie leiblichen als auch für bie geifligen tBebiirfniffe ihrer uitfie* mittelten ffinber, wie e3 einer guten TOutter jufommt, ja forgen gehalten ifi, fo Jot, bamit e3 ben Firmen, bie auf fite1’ liehe Unterfiütjung nicht rechnen fönnen, nicht an ®f‘ legenheit fehle, lefen ju lernen unb |5fortfdf>ritte J“ machen, an jeber ,(f atljfbralfirche bem fDlagifter, ber bie ©lerifer unb bie armen Schüler unentgeltlich Su un<tr‘

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®a§ $olt§j<$uhDcjm im ÜTJittelatter.

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rieten ljat, ein hinteidjenbeS ©eneficium auSgemorfeti werben, auf baß jo bie Sehrenben feine 9?otf> (eiben unb ben fiernenben ber SBeg jur (Erlangung bon Äenntniffen offen ftelje. 91ud) an anberen Äirchen unb in fflöftern foü baS (Etf orberliche bafilr gefdjehen. 3rür bie (Erlaubnis ju lehren aber barf feine (Bejahung ober Abgabe berlangt unb bie nachgefudjte (Erlaubniß §um Unterrichten feinem Süchtigen berfagt werben. 2Bet ficfj gegen biefeS ©erbot berfelflt, wirb feines lire^lic^cn (EinfommenS für berluftig erflärt." 3n gleicher SBeife fprach fich baS 12. allgemeine (Soncil im Sateran b. 3- 1215 unter ©apft 3nnocenj III. baljin au§, bag nicht bloß in jeber ffatljebraltircf)e, fonbetn auch in anbern flirren ein tüchtiger fieprer auSgemählt werben miiffe, welcher bie (Elerifer biefer Äirdjen felbft, fowie auch anbern umfon ft in ber ©rammatif unb in anbern ©egenftänben nach i^ren |>ä^igfeiten unter- richten fotle." 25a§ finb einige jener jafjlreichen SluSfprüche geiftlicher unb weltlicher Obrigfeit feit bem 9. ^a^r^nnbert, welche einen all- gemeinen ©olfSunterricht in profanen unb religiöfen ©egenftänben einfcfjärfen.

®ie 2lrt ber Schule wirb in biefen ©erorbnungen genau bejeidjnet ; eS finb Schulen, in benen ber Pfarrer unterrichtet, alfo ©farr» fchulcn, welche biefe allgemeine ©olfsbilbung »ermitteln follten. 2)ie ©eoölferung fiebelte fid) nämlich öor ^öem in ber Kläffe ber ©urgett ber ©bien unb ©runbeigentfjümer an unb ftanb ju benfelben im ©ert»ältni§ ber Klbfjängigfeit. 3n ^olge eines ©apitularS b. 3- 785 mar nun ber ©tunbljerr gehalten, einen $of unb 2 £>ufe SanbeS jur (Erbauung einer $ir<he herjugeben; ein ©riefter (©reSbpter) oerfah ben fir cf) liehen $)ienfi; halb entmidelte fich bie Klnfieblung burch 3ujug »an £>anbroertern unb ©emerbtreibenben ju einem georbneten ©emeinwefen; ber ©reSbpter würbe ©farrer ber entjtanbenen ©farrgemeinbe, ihm lag bie ©flicht auf, auch ®<hule JU halten. Jtriegerifche Sefjben, (Einfälle roher ©ölfer, wie ber Normannen, haben in ber nadjcarolingifchen 3e** bie ©ntwidlung aufgehalten; erfl im 12. 3ahthnnbert erfcheint baS ©farr- fpftem in Oeutfdjlanb üollftänbig auSgebilbet, unb erft auS biefer 3*'l liegen benn auch utfunbliche ©eiege für bie allgemeine (Einrichtung ber ©farrfchulen oor.

®ie feelforglichcn Obliegenheiten hinberten irtbeß halb ben ©farrer, felbft Schule ju halten ; er nahm fi<h baher für ben Schulunterricht einen ©ehülfen. tiefer ©ehülfe mar entweber ein (Elerifer, ober mar ber ©anfor, ber Efiifler, ber jugleich Schullehrer war.

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Dr. $irm. 3 o f. Sdjmiß.

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Die 93ifc^öfe Don Utre^t, bie cölnifcpen @rjbifc^öfe in beit tßro» binjial= unb Spnobab-Statutcn ö- 3- 1298, 1306, 1362 Dcrorbnen baljer, baß bie custodes unb campanarii fo Diel als möglich literati fein foHctt. 93ou befonbetem ^ntereffe ifi eine bie«bejügli<pe 33eftim* mung bet ©pnobe bon St. Omer Dom Sabre 1183: „ba bie

©(pulen jut ^eranbilbung aller berer’ bienen, roelcpcn einmal bie 2ei= tung ber rocltlicpeu unb geiftlicpen Angelegenheiten in Staat unb Äircpe obliegen foH, fo befehlen mir, baß in allen ©t übten unb Dörfern bie Sßfartfcpulen, mo fie jerf allen, mieber pergeftellt, roo fie noch erhalten finb, mehr unb mehr gepflegt merben. 3U bem (Snbe Jollen bie Pfarrer, SJepörbcn unb angefeheneit ©emeinbeglieber bafür beforgt fein, baB ben Seprcrn, rooju auf bem Sanbe bie ffüfter Derroenbet ju merben pflegen, ber nötpige Unterhalt Derfcpafft merbe. Die ©cpule aber foö in einem paffenben fiaufc in ber Aäpe ber ipfarrfircpe eingerichtet fein, bamit cinerfeit« bie Seprer Dom Pfarrer unb ben Aotabeln leidster bcauf= fieptigt, anbererfeit« bie ©cpüler in bie Uebungen ber Religion be* quemer eingefüprt merben lönnen."

6inc SSerorbnung be§ (SrjbifchofS Engelbert II. bon Göln D. 3. 1270 betrifft bie Äüfterfcpule be« SBeftfäliicpen Orte« Sigge unb läßt un« bie ganje ©inrieptung biefer SfJfarrfcpulen erfennen. peißt barin, baß ber üiifter Derpflicptet fein foK, auf Anorbnung bei 5}}farrer§ bie Sugenb bc§ ßivcpfpiel« im Schreiben unb Sefen im Sommer Don 7, im SBinter Don 8 Upr borgen« bi« 10 Upr, be« Aacpmittag« Don 1 bi« 3 ober 4 Upr jn unterrichten. Die (Singefeffenen follten bei Strafe Don 12 Atarf Derpflicptet fein, ipre fiinber jur Scpule ju fepiefen, bamii ba« noch in Dielen £>erjen glimmenbe £>eibentpum günjlicp erlöfdpt merbe. Der Pfarrer foHte ein Serjeicpniß ber fcpiitpfUcptigen Äinber au« ben laufbiicpern anfertigen. Da« ©cpulgelb fei auf jährlich 18 Scpib linge feftgefeßt. Der ©cpulmeifter pabe bie ififlicpt, monatlich e'nen fcpriftlicpen SBeridpt über ben fjortfepritt ber ©cpüler in ber cpriftlicpen Sitte, foroie im Schreiben unb Sefen bem Pfarrer einjufenben.

£iier haben mir ba« ganje Sepulfpftem gcfcpilbert. Allgemein« Scpulpflicpt, Seprer, Scpulgelb, Untcrricpt3gcgenfiänbe unb ber ©<puls Snfpector in ber Ißerjon bc§ Pfarrer« ftnb angegeben.

IV. ©tabtf (pulen.

Da« 13. unb 14. Saprpunbert mar auch bie 3«ü» in toelcbrr bie freien Stäbte in Deutfcplanb müeptig emporbliipten. Die 6innu>pncr

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Tas Soltsfcbulivefen im SJiittelalter.

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ber Htäbtc malten fiel) unabhängig Don bei früheren pörigteit ju ben Serritorialberren; fic mürben freie Söürger, erhielten eine eigene Stabte» Derfajfung, ihre eigene ©ericbt3barfeit, berlfjcibigicn felbft ihr lerrilorium, unb brachten burdi) gleiß uitb Sürgertugenb ju großem SSofjlfianb. ^luch in biefen Stabten roaren junöibft bie oon 9llter§ her beftehenben ^farrfdjulen, welche für bie Solfebilbung forgten. Sie ©efchichte ber Stabt 6öln Don ßnnen giebt bie im 15. 3abrbunbert üorbanbenen i}?farr}(f)ulen für bie einzelnen $irchenfprengel GölnS an; biefetben roerben ausbrüdlich al§ ?irchli<he Snftitute bejeidjnet.

Mein neben biefen tpfarrfchulen grünbete ber fDlagiftrat in ben Stabten fog. 8ateinfdjulen ober Stabtfdjulen, beren Unterricht bem be3 SriDium ber $lofter* ober ©tiftsfdjulen entfprad), alfo bie brei erften ber fieben freien fünfte ober 2öiffenf<haften umfaßte. Urfunblidh ftef)t bie Gjifienj biefer Stabtffhuten in ber 3*'* jmifchen 1272 1353 jeft für bie Stäbte perjogenbufcb, Sortrecbt, Srüffel, ©elbern, 9lrn= beim, ©och, ®enlo, 9leuß, Uevbingcn, SRbeinberg, Äempeit.1)

jfür bie weibliche 3ugenb mürbe in ben Stäbten bureb tjlriDat* unterricht geforgt. 3m 3abre 1497 leitete UlbelgunbiS Don porftmar in Xanten eine folcbe weibliche 6r§iehung«anftaft, welche Don 84 abeligen unb bürgerlichen Schülerinnen befuebt mar. fommen folcbe H5ribatmäb<benf<bulen feit 1300 in fDlainj, Speper, granffurt unb Ueberlingen Dor. Sobann III., perjog bon 33rabanf, Derorbnet 1320, baß ber Scholaftifer in Snijfel 4 Untcrlebrerinnen an ber bortigen ftübtifchen TOäb<henf<hule anfteUe, um bie Hläbcben getreulich in Heineren Sahen bis jum Sonat aber nicht weiter ju lehren.

würbe mieberbolt eingefchärft, baß ffnaben unb IDIäbcben nicht ein unb biefelbe Schule befnehen bürfen, fei benu, baß fic ©efchwifter ftnb.

SBübrenb bie IDlagiftrate ber Stäbte bie ißriDatmäbcbenfcbulcn förberten, juchten fie ^riüatfnabenfcf)ulen in jeber SBcjiebung ein» §uf«hränfen; fie befürchteten nämlich eine fcfjäbliche Goncurrenj üon ben* felbcn für ihre Stabtfdjulen. grt 'Seift, 2cpben, 9lmfterbam, 9111=

') 34 berütf fic^tige für bie 3tabtf4ulen Bor tlHem ben üticberrbem, toeil be jüglicb beleihen ein reiches urfunblitbe« SWaterial Dorliegt, todcbeS 9ifttc§brim in feiner jüngft erjebienenen tjöctjlt wertfjBollen Schrift: „®ie Schulen im hersogiljum ©elbern" oerbjfentlicbt bat; üb habe biefer Schrift bie meiften in golgenbem mitgetbeiltcn Taten entnommen unb will biefelbe auf baS SEBärmfte hiermit empfehlen.

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316 Dr. §erm. 3of- ®<bmiß 14

maar u. $1. unterfagte man biefe Vribatfchulen, in Dortred)i fogat bet ©träfe bon 5 Ißfunb, geflattete aber .fpöter, baß Änaben unter 7 fahren biefelben befugten. 3n 3ü©&en führte ber ©cßolafl perfönlicß bie ffnaben au§ ber beutfdjen ©cßule, toelche ber Äiifier bon SfflarnSfelb fid) anmaßte ju leiten, in bie Gapitelfcßule, aber e3 beburfte ber ©inmifcßung beS §er$og3 $arl, um fie gattj ju unterbrüden.

SSJeniger ftreng roar man in Hamburg ; bort geflattete ber ©cßola* fticuS bem SJlagijlrat bie ßrricbtung bon 4 ©eßreibftuben mit Sin* fcßränlung beS Unterrichtes auf $eutfcß, Sefen, Schreiben unb 9ted)nen ; in 2lrnljeim bejahte bie ©tabt 1425 bem Stector ber SBeifcßule fogar ein ©alarium oon 6 ©olbgulben.

2)ie Oberleitung über alle ©<ßulen ni<ßt allein über bie $ont*, Stifts* unb IßfarrJdjulen, fonbern aud) über bie ©tabtfcßulen unb bie an irgenb einem Orte errichteten . tpribatfcßulen führte ber SJifdjof , in feiner Vertretung ber ©cßolafticuS. 9iadj heutiger Stuffaifung lönnte bieS bifcßöflicße Oberleitungsrecht am meiften bezüglich ber ©tabtfchulen angejmeifelt merben, allein jcßon ber Umjlanb, baß bis Anfang beS 15. 3ahrhunbert3 ber Stector ber ©tabtfchule in ber Siegel ein ©eijl* lieber mar, fteüt biefeS bifcßöflicße OberleitungSrecßt außer grage. S)affelbe mürbe auch oft bureß Slnfteßung ber fießrer Dom Sifcßof aus* geübt, fo in Hamburg 1289 an ber SticolauSfcßule, in Srfijfel 1320 an aßen ftöbtifeßen Spulen ; ber ©choIajlicuS in 'Eüftelborf mar nicht nur Seiter ber bortigen StiftSfcßuIe, fonbern auch aßet anberen jläbti* fchen ©cßulen mit (Sinfcßluß beS ©pmnafiumS.

$er erfte Sifcßof oon Srmelanb Slnfelm übertrug 1251 bem iDeutfcßorben im DrbenSgebiete baS Stecht jur Slnfteßung unb Hbfeßung ber ©chulmeijler ; in ben übrigen SanbeStßeilen ber S)iöjefe beßielt er ftch felbft baffelbe bor. Urlunblich läßt fid) auch bie Sefeßung ber fießrerfleßen an ben Spulen ju JBreSlau, fiiegniß unb anberen fchleftfchen ©täbten bureh ben Sifchof nachmeifen. 2)a§ CberaufficßtS* recht beS SifcßofS mürbe auch barin anerlannt, baß man bei ©rünbung neuer Schulen bie Srlaubniß bom SDiöjefan*t8if(ßof ober im gafle ber ©ebiS*Salanj oom tßopfl einholte. 3>a3 gefchah in Sübed 1253, VreSlau 1267 unb 1293, Hamburg 1281, tßofen 1303, Siebniß 1309, ©tenbal 1320, Stettin 1390, Seipjig 1395, SBraunfcßmeig 1415.

Stan lann gegen biefen 9teißtSju|lanb nicht einmenben, baß ©cßulpatronate Oielfacß im Sefiß beS SanbeSßerrn, häufiger noch int Sefiß ber ßJtagijlrate unb bejüglid) ber tjSfarrfcßule im Sefiß ber ffireßenpatrone roaren. $aS ©cßulpatronat mar nämlich ein bon ber

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2saä 33oIfäj$ulrucieu im SJltrtelalter.

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flirdje felbft bem Srbauer unb Sörberer einer Sd)ule berlietjeneS ißriüilegium, alfo ein luSflujj fir^ti^en ÜiedjteS, meldieS im ®ienfte ber flirre auSgeübt mürbe. 3ebe§ ^atronat fdjliejjt als ißribilegium bie ©ejlätigung beS gemeinen firdjlidjen SRedpteS ein. 3u&em übte ber ©ifdpof audp an ben ©atronatfdpulen, müljrenb ber Patron bie

2el)rer anjlellte, fein Oberauffi$t»re<$t au§, namentlid) roenn unfitcblidje Xenbenjcn burd) bie Sdpule oerfolgt mürben.

T. $tr Sdjulmcificr.

$er Sdjnlmeifier ber niebrigen Sdpule mie bet Sd)ul*9tector ber Ijöljeren fiäbtifdpen 2aiein}dpule nafpm eine fjodpgeadptete Stellung ein; bielfad) mirb ber Sd)ul=3iector audp im Sefijp bet afabctnifdpen ©rabe angeführt, ©alt es eine Stelle an einer Sdiule neu ju be* fe&en, fo gab bie Stabt bem ßanbibaten, ber fidj perfönlid) Dorficllte, freie 3e$e unb &*i ber Slnfteüung auf Höften ber ©emeinbe ein

©elage, moran ©ürgermeifter, Sdlöffen unb Stätte Uljcil nahmen.

Das ginfommen beS 2elprerS beftanb fpauptfädptid) aus bem Sdpulgelb ber ffinber. 2)affelbe betrug 1253 in sperrt 10 Sdpillinge pon. jebem Schüler; mübrcnb beS 14. ^alprljunbertS in 3^p^en 6, in 2epben 16 ©roten, in 61/»* in Selbem 6 Rialen. $n Hamburg unb um baS 3a^r 1500 in 9iümberg 8 ©djiDinge, in 2anbau für bie unterfie Hlaffe ber 2ateinfd)ule 16 geller, für bie

folgenbe 8, für bie Ijötjere Hlaffe 21/* Shilling. 3ur ®d)ä&ung

be§ ©elbroertfpeS mag bienen, baß 1386 in Selbem ber 2aglofjn eines 3immermannä 5, eines JpoljfdpneibetS unb SPadpbetferS 4 ©rote betrug, feine tägige Selöftigung 21/*, ein ganjcS .Halb 18 ©roten loftete.

©ratzen epibemifdie Hranfljeiten aus, fo erfefcte ber Wagijtrat bem Sdjulmeiftet ben IHuSfafl beS S^ulgelbeS, mie 1453 in Selbem mit 5 ÜJlarf, in ©enlo mit 2 ©oflulat^Sulben.

Srft im 2aufe beS 15. 3o^e^unbert§ mürbe in ben Stäbten eine fejle ©efolbung für ben S$ulleljrer bejlimmt; fein Seipalt mar fo f iod ), bajj bie Srfdteinung beS Ijungemben SdpulmeijierS bem Witiclalter nnbefannt blieb. 3n 9lmljeim bejog ber Sdpulmeijlcr fo üiel mie ber ftübtififce 5lrjt, 20 ©olbgulben; in ©enlo 10 Solbgulbeu, mäfjrenb jeber ber beiben ©ürgermeifter, ber StabtmebicuS unb ber Stabtrentmeijter 6 bejog. 3n ©od) erhielt er allein an Kemuneration 8 ©olbgulben, mäfjrenb baS ganje Seijalt beS StabtfcfjrciberS unb Stabtboten 5 ©olbgulben betrug. 3u&fm erhielt ber Sdjulmeifter mie jeber ftäbtifdje ©eamte eine ©elbfummc jur 2lnf$affung bon

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Dr. $erm. Joj. Schmiß.

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2 Üucbröden; in ©elbern erhielt er 1386 ju biefem 3roc£tf 5 ÜJlatf, mäbrcnb ber SSürgermciftcr nur 3 unb ber Bote 2 !D?arf, ber Äubbirt jugleich für Sdjulje 7 ©rote erhielt. 2lud) freie Oienjlroobnung mar bem Sdjulmeifter gefiebert unb ein auSgebebnter ©arten ihm jur Be* nufcung angemiefen. £>ierju tarnen für ben Sdjulmeifter eine IDlenge jufäßiger ©innabmen, roie für i^eilita^me an gottcSbienftlidjen £>anb= Jungen, 9lnioerfatien, Mubacbten ; ©otteSfpenben jur ffirmeS bon {ebene Äinbe 1421 in ©eJbern */* jlamifch ^3Iad; SScinfpenben ju 2Beib* nachten; 2 Jterjen bon jebem Äittbe, baS bie Slbenbfchule bcfudjte; §od)jeit?gefct)ente in ?trnt)eim im Betrage bon 2 ff 16 Schillinge. 5ür bie geglichen [Rectoren mürben and) häufig eigene Schulbilarien gejliftet.

9Rad)te bie 3unfl^me ber Bebölferung eine Bcrtnefjrung be§ 2ebrerpcrfonalS nötljig. fo mürbe ber Scbulrector berpflichtet, fidj einen UnterJefjrer, einen ©efetlen ju batten, mie in Benlo 1417; in ©odi, ©elbern unb Galcar im 2aufe beS 15. ^abrbunbertS; er fclbft fteflte ben ©efeflen an unb tonnte ibu abfet)cn; er befielt baS [Regiment ber 3cf)ulc in feiner §anb.

9ln manchem Orte batte ber Schulmcifter jubem eine Jobnenbe [Rebcnbcfcbäftigung; in ber [Regel mar er Organijl unb beforgte auch bie Stabtubr; in SBefel 1477, in £mberroid 1548 mar er auch ftäbtifdjer 9lrjt; in ©elbern 1410 Stabtfcbrcibcr; in Kempen mar er 91otar; in Benlo batte er 1458 eine aflerbingS fehlest befuebte SBeinfchenle. [Ruch im gefeflfdjaftlicben 2eben mar feine Stellung eine fepr geachtete. 3n Uerbingen mar er 1311 unb 1336 Blitglieb beS Schöffengerichtes. 3n Söefel mürbe er al§ Oeputirtcr ber Stabt an geiftlicbe unb melb liebe Bebörben unb nach benachbarten Stäbten gefdjidt. ©in Bbcliger, SJB i I b e I m bonBrodhaufen, nahm teinen 9tnflanb feine Tochter bem Schulrector Gonrab ten £>aoe in ffempen jur ©attin ju geben.

Oie Sßerfon beS SchuImeifterS mar bejonbcrS gejcbüfct; mer ihn fchJägt, befchimpft ober flößt, foll gemäß bem teuren bon 9lm* beim ber Stabt 4 Bfunb entrichten. 3n SEBcfel batte 1466 Jjemanb ben Schulmeifter belcibigt unb mußte bafür 3000 3^e9c^Pe*nc 5um Baue ber ©illibrorbsfircbe liefern.

TI. Oit Schüler.

Oie 2iebe jur Schule, melcpe baS Btittelalter beberrfebte, manbte iljre Sorge nicht nur bem 2ebrer, fonberit auch bent Schüler ju; bor Bflem maren eS bie auSroärtigen Schüler einer 2ebranjlalt, roelche berfelben beburfien. BereifS feit 1158 mar bitrcb fjriebrich I. ben

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XoS Soltei^iulwtjen im SJlittelolter.

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reifenben ©tubenten ein ©chufcbtief jugefidjert unb bie Befreiung oon jeber anberen ©erichtSbarfeit, als bet ber ^rofefforen unb be§ SifhofS beS ©tubienorteS erteilt. Reiche ©penben gab man ben armen ©tubenten, wenn fic jeitroeife Don £)auS ju §auS fingenb jogen, um fich ©elb* mittel }u ihrem Unterhalt ju erbetteln. Der nachmalige SE^eologe in 3iiri(h Heinrich Su Hing er jog 1516 als Jüngling Don ber ©dpueij nach ber ©tiftSfchule }u ©mmcrich mit ber ouSbrücflic^en Rn* orbnung feines SaterS, fich toäfjrcnb ber ganjen ©djuljeit fein Srob ju erbetteln, bamit er lerne, fein ganzes Seben lang ben Firmen barmbeTjig ju fein.

Rrme ©filier mürben Dor RHem jum ©fjorbienfl fjerangejogen, um ipnen bie fachlichen ©porteln jujumenben. Söo^l^abcnbe Bürger nahmen ©tubenten unentgeltlich in ihre SSoljnung auf unb halb ftiftete matt für biefelben ©laufen unb Gonoifte. ©chmer mürbe es ben armen Spülern, fich bie nötigen Süd>er ju bef<haffen; nicht feiten mufften fie ihre ©tubien auSfeßen, bis jie baS nöthige Such Don einem anberen ©chüler leiljmeife erhielten. RnfangS beS 15. 3o^r^nnbcrt3 fchrieb ein fpäterer ©aplan Don ffempen flehentlich an feinen Cnlet 21 r n o 1 b ten R p t , er möge ihm leiljmeife Seither nach ©Mn fdjicffn, fonft müjfe et bie ©chule unb all feine Sehren berlajfen.

Der Unterricht begann in früher Rlorgenftunbe, im ©otmner um 5, im SPinter um 6 Uhr; in ber nieberen ©chule befchrönfte er fid) auf Sefen, ©^reiben, Rechnen unb ©efang. DaS ©chreiben mürbe jiierft unb bann bas Sefen gelehrt ; baher ein ©cf)ullehrer Schreib* unb Sefelehrer mar, ©chreibemeijter, Deutfcfjer ©djteiber, bie ©lementar* fchule, ©chreibfchule, ©chrcibunterricht genannt mürbe. Seim Rechnen bebiente man fich Rechenbretter, roie ein foIcheS Don bet ©tabtbehörbe ju ©oh 1452 für bie ©chule angefhafft mürbe; es mar eine höljerne Dafel, bie Don einem SRaler mit rothen Sinien berfehen morben mar. Der Unterricht ber lateinifhen ©tabtfhule entfprach bem Dribium ber Älofterfchule. Rn nieten Orten mußte ber ©chüler auch außer ber ©chuljeit Satein fprechen. fleißiges Stubium mar erforberlich, um in ben jahlreichen Disputationen unb Prüfungen bejlehen ju fönnen. Um fo freubiger mürben bann bie ©hulfefte als Derbiente ©rholungen gefeiert, geifltiche (Spiele, baS SaffionSfpiet um Cflern, baS gfrauenfpiel um Sichtmeß aufgeführt; um gaftnacht baS Saufen ber Äinber geübt; im SRonat 2J?ai bie £oläfaljrt mit lufligem Dan} im grünen 2Balb; im ©omrncr ber Ruthengang, auf bem jeber ©chüler bie Ruthe fich felbfl fdjnitt unb bem Seljrer brachte, um im Sauf beS 3aljreS bamit

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Dr. §erm. 3of. S($mi$.

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gejü^ligt ju roerbeit. 9lm gefte Sohanne? be? Säufer? roar ba? ©Ratten ber SRäbdien ; fo fdjatteten ober fingen fte mit einem ©eil in©clbero ben Iper jog Sßilhelm 1388 ein unb erhielten bon ihm 1 ©olbgulben. Stilolaitag unb llnfdhulbige ftinbertog braute ba§ Sifdhoffpiel, ju bem ber SJlagifirat in 2BcfeI Slepfel fpenbete, ber^ierjog eine ©elbfumme gab.

SEßie ©trabo über ba? ©dfjulleben ber ßlofierfdhule, fo hat un? ber fpätere Gßlncr 9lath?herr Hermann b. $>ein?berg ein Sitb be? ©tubienleben? an ber ©tabtfdjule ^interlaffen; fein Sagebud) umfaßt bie Seit bon 1531—34, allein bie gefdhilberten 3ujlänbe rocrben auch borget roenig betrieben geroefen fein. Gr roar ©djüler in ber ©t. Sllban Sßfartf^ule in Göln. 211? ein SJtitfdhüler nach ber 5ßarti!ulatfd)ule in £erjogenbuf<h abging, rourbe in ihm ba? gleite Verlangen roadh= gerufen, welche? er bittenb feinem SSater äußerte. Skr UJater berieth fie^ mit ben Srübern im filofler auf ber Söeibenbadh unb bef^loß, iljn nid)t nach Ijpetjogenbufdh, fonbern nach Gmmerich ju fd)iden, weil biefe ©tabt ju ©d)iff leister ju erteilen roar, auch 3e*tungen unb anbere Südher bortljin berfanbt »erben tonnten. 9lnt 24. 2tpril 1531 fuhr ber ©c^üler mit ffamerabcn ju ©dEjiff nach Gmmerich unb fanb Suf» nähme im bortigen Sraterfjau? unb erhielt eine eigene ©tube. „Sped unb ffleifd^i, fagte er, hatte id) bon §aufe mitgebradht, lochte felbß unb aß, roa? icE) hatte. Stein Sßater hatte mir bor meiner Slbreife in Göln einen efelSgrauen tßaltrod mit bielen Salten, weiße Jpofe, fjobe ©<hu!je unb einen fdhroarjen £>ut machen laffen; bie? roar meine geroöhnlidlje ftleibung, fo lange ich in Gmmerich roar, benn eine bejfere hätte mir nit^t gebient, weil bie ©djüler bort nicht auf Sänfen, fonbern auf bem Soben fijjen müffen. Sie leisten ©ommerfleiber, bie ich hotte, waren alt unb bon geringem SBert. Stach einem halben Saht fam i<b ju ben Srübern in bie $ojl ; e? wohnten ba 80 ©dhüler, worunter 10 Gölner. S<§ belam ba? ganje 3ahr leinen SBein in meinen 2eib, benn ber roar fehr treuer ; idh habe niemal? Schläge in ber ©dhule erhalten, wohl aber bon ben Stübern, al? ich ohne Grtaubniß mich in eine Iperberge in Gmmerich begeben hatte, um einen Stiffetbäter biertheilen ju feljen." Sn ber SBoche nach ^albfaflen jog er mit 4 Gölner ©tubenten nach fiaufe in bie Serien. Sa e? Saftenjeit roar, fo nahmen fte 2 SEöpfe $onig mit Steljl gefotten mit, roobon fie am Sage jehrten; am Slbenb lehrten fte in einem SBirthShau? ein.

3u Ipaufe llagte ber ©dhüler, bah e? fehr ftrenge im Sraterhau? fei unb erhielt nun bie Grlaubnijj, bei feiner Ütüdleljr nadh Oftern bei einem Sürget ju roohnen. Silit 10 12 ©<hülern bejog er nun eine Verberge,

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Sag 33olfgf(§u!»ejen im SJtittctalter.

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allein bie gröfjere grei£>eit tarn ihm nicht ju ©ute; in 3 Senaten ^atte er fein ©peef unb gteifd) berjebrt ; fein ©elb »erliefen unb ber= fdbwenbet. ®a fam für ihn bie 3e** gtofsen ©ungerS : „SSä^renb beS ©ommerS genoß ich roodpenlang ni<$t§ AnbereS als Aepfel, Simen, ffirfdjen, Pflaumen, biefe 9Jlild& unb tränt ßöaffer boju; idb lieb mir bon einem SBeinbänblet einige ©ulben unb gab ifjm barüber einen Ipanbfdbein, ben berfetbe an meinen Sater fonbte, melier bereits Don meinem berfdbwenberifdben Seben gehört batte."

Siod^bem er im Wcrnat Auguft in ben Serien gewefen, fiieg er nadf) feiner SRiidfe^r in bie Oniitta auf. mar ein ftrenger SBinter, fo bafeberStjein jufror unb Jjung unb 811t auf bem 6ife fpielte ; „idE> litt, fo fdjreibt er, in meinem Duartier blutige flälte, beim £)o(j unb lobten waren febr treuer; wir jlubirten im Sette fifcenb, idj wohnte mit bem tpater UrebirenfiS, einem febr gelehrten Manne; auf einer ©tube unb febtief in feinem Sette mit nodb einem anberen ©cbüler, einem Abetigen au§ ber ©egenb bon SBefel unb ftubirte febr fleißig-" 2fm ©eptember 1534 tebrte er nadb 6öln jurücf unb war jum ©taunen feiner ßltern, ©ef<bwifier unb beS ©efinbeS boll Ungeziefer. 3)er Sater metbete ibn nunmehr jum ©tubium in artibus an bem Laurentianum in ©öln an. „3<b bin bon ben ©tubenten gtcidb beponirt worben, fdbreibt ber ©tubent, benn folcbe ©ewobnbeit hoben fie an ben Surfen; ben neuen ©tubenten nennen fie beanum (Maultier), flößen ihm bie ^örner ab unb baS ©robe, baS foß bebeuten, baß man für bie groben unb rauben ©itten beffere unb jierlidbere annebmen foße."

TU. ©djäbtn unb Heilmittel.

ffienben wir nun unferc AufmertfamJeit einer ©(battenfeite beS ©dbutwefenS im Mittelalter ju. ®ie fabrenben ©dbüler, bie oft bon ber ©ewinnfudbt ber ©täbte angelodt, oft auch in ber Auflehnung gegen bie Orbnung ber ©«hüte auf SBanberung gingen, bradbten baS ©ibul* wefen halb in argen Mißcrebit. ßtottenweife jogen fie umher, übten als Saccbanten unb ©(büßen gegen einanber gewatttbätigen 2erroriS= muS, trieben fidb als Cuacffalber, Safcbenfpieler, ©dbaßgrüber unb ©änger auf bem platten 2anbe umher unb beruhten bie größten Se* trügereien. ßleruS unb Magiftrate traten mit energifeben Maßregeln gegen fie auf. 3n £annober würbe barum baS Sdbulgelb ber fremben ©dbüler breimal fo bodb angefeßt, als baS ber Sürgerlinber ; in SBefel unb anberen ©täbten befdbränlte man bie Aufnahme ber fremben ©dbüler auf eine gewijfe 3abl-

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Dr. §etm. 3of. Schmiß.

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tjfaji noch fdjäblichcr mar für bic gebeiblidje Sntroicfelung ber Schule ber häufige 2ct>rertt>cd^fef. Die Aufteilung eines SeljrerS erfolgte nie auf 2eben?jeit, bielmebr auf eine geringe 9tn}afj( oon Sauren mit Jurjen ÄünbigungSfriften. So ftetlte©o<b 1419 ben Schulrector nnr auf 1 3aljr an; in ^annobcr mirften roübrenb ber 65 fahren nach 1469 nicht weniger als 35 Sdjulmeifter ; in SEßcfel roä()renb 100 labten 229iectoren.

3ur Abroebr ber ©efabren, bie fa^renbe Sd)iiler berurfachten, unb jur Teilung ber Schöben be§ häufigen Sebrermedjfelä fd)uf bie fiel» fruchtbare um bie Schule beforgte ftirdhe bic ©enofienfchaft ber Brüber beS gemeinfamen 2eben§. Stifter roar ©erbarb ©roote ju Debenter 1384 ; im BolfSmunb mürben bie Brüber bie tJfraterberren genannt. Die ©enojfenfcbaft grünbete Käufer in 18 Stäbten ber lieber* lanbe, aber auch im norbrocjtlicbcn Deutfcblanb, roie in Smmerich, SBcfel, Säht, JJlünfter. Die Brüber führten ohne ©elübbe ein ge* meinfameS Seben, forgten für Abfehreiben ber Bücher, nabmen arme Spüler in ihre SSJobnungen auf, unterftu&ien jie burcb ©elb unb leiteten ihre AuSbilbung. Sin beftehenben Sebrauflalten nahmen bie ©rüber Sebrerfteflen an unb an bielen Orten gtünbeten fie eigene Schulen. Anfangs pflegten fie ben Slementar«Unterricbt mit befonberer Berücffichtigung ber beutfchen 2Rutterfpra<he, halb aber bebnten fie ben Unterricht auf baS Sefcn lateinifcher unb griechifcher ©laffiler aus unb mürben bie tbätigften, ^oc^taerbientcn Erneuerer ber llaffifdjen Stubien jur 3«il beS Jogenannten IpumaniSmuS in bem gefammteii Deutfdjlanb. 3b« ©(hule in £>erjogenbuf<h mar bie blübenbfie ber füblichen Aieber* lanbe unb jäfjlte 1425 gegen 1200 Schiller; ihre Schule in 3®°H 800—1000 3öglinge; unter ihrer SBirtfamfeit flieg bie S<bülerjab% in Smmcricb 1534 auf 2000; bie Sltcrn follcn bort bie ftinber, roenn ber Unterricht ju ßnbe mar, Don ber Straffe abgerufen haben, bamit biefelben nicht in bem ©ebränge ber eilenben Schüler Schaben erlitten. 3n AmerSfoort erhielten bie Schule ber graterberren fo auBerorbentlidje Sftefultate, baß bie Beamten Satcinifd) fprachen, bie ftaufleute ©riecbifd) berftanben, bie Döcbter unb Dienjtmäbdjen ber Bürger lateinifche Sieber fangen. Sine große Anjal}! burd) SBiffen unb Dugenb hofhberühmter 3Jlanner gingen au§ jbiefen Spulen b«bor, bon benen bi« nur ber eine Db<>m“8 bon ffempen, Serfaffer ber Aacbfolge Sb#'- ermähnt fei.

Außer biefen ffraterberrn haben fnh auch bie Crben ber granjiS* laner unb Dominifaner burd) Srrichtung bon Bolf»fd)ulen unb ©rün» bung bäh«« Spulen um BolfSunterricfjt unb ®iffenfd)aft im Mittel* alter hß(h öcrbient gemacht.

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£aS Sclfsji^ulweien im ÜJUttelalUr.

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YIII. Crr^ieljung bunh bie ©djule.

©u<heti wir na<h ber SS?anberung burd) bie Spulen be§ Mittel* alters eine £>öhe ju gewinnen, um fie felbji unb ihre Sciftungen ju wiirbigcn.

Die Aufgabe ber Schule ifl (Srjiehung ; ©rjiehung ober ijl ni<ht 2Siffenf<haft, fonbern Rnnfi; bie ©<hule hat bemgemäh ben ©filier nic^t fo feljr mit Söiffen auSjufiaiten, als jum können ju be» fähigen. Die mittelalterlid)e Schule hatte biefe Aufgabe erfaßt; fie war wefentlid) eine Runftanjialt, unb hierin liegt ber Unterföieb jWifc^en ber ©djule beS ÜJlittelalterS unb ber Dleujeit. Die ©djulmeijier üon beute wiffen mehr, bie ©djulmeifter beS 2JlitieIaItcr3 aber tonnten mehr. Der auSgeternte Spüler ber ©egenwart ifi berfudjt, jiih be3 SBiffenS ju türmen, ber beS TOittelalterS war mef)t beftrcbt, fein können ju jeigen. SGßenn aber baSSBiffen mehr als baS können bur<h bie ©djule angefirebt wirb, leibet bie ßtjieljung ©(haben. Die berühmte englifd^e SBierteljahreSfdjrift ber 2öf)ig*

Partei »The Edinburgh Review* tennjeidjnet im lebten £efte beS berftoffenen Jahres, »Germauy Present and Past« biefe ©(hüben be§ beutfdjen ©(hulwefenS ber ©egenwart, inbem fie gerne bem wiffenfdjaftlidjen ©inn unb Streben ber Deutfdjen h»h« ©erounbe* rung joflt, bann abef gefleht: *3ur f e 1 b e n 3 e i t finb wir ju ber Ueberjeugung gelommen, ba§ bie Deutfihen eine unpraftifdje Dtace finb fie unterrichten ausgezeichnet, aber erjieljen fläglith (abominably),"

Das ©ielwiffcn begünjtigt nicht nur bie ^mtbmijferei, ben ©egen* fah jeber ©eleljrfamleit, fonbern hinbert auch bie geijtig ftttli<he Durch* bitbung beS SDknf^en. Das geizige ©ewanb, ba§ auS Oieterlei SBiffen Wie auS buntfdjedigeit Sappen jufammeugefeht ifi, hat Weber ©hara*ter, no<h bie Rraft, um in ben Stürmen beS CebenS bie lofe gefügten Stücfe ju bewahren. SEßirb ber ©<hüler mit allerlei Sägern unb Sehrgegenfiünben Wie ein fjrachtwagen beloben, fo wunbere man ftd> nicht, wenn er fid) bem £>aufirergef<häft juneigt unb mehr auf prahlen als auf Stiftungen ftd) Oerlegt. 9tein, ber Söerth beS SJtanneS liegt nicht barin, bafe *t oiel weih, fonbern barin, bah er oiel tann. Da§

Rönnen aber fefct ein Ueben OorauS, ein ßrweden ber im ©eifte beS ©tenfdjen fchlummernben Rrüfte, ein £>erau8bilben beS üDtenfdjen aus ftöh felbji, ein Gultiöiren ber in ihm ruhenbeit Anlagen.

3ft eS nun Äunft, ben rohen Stein nad) 3)tah unb ©efefc ju

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Dr. §erm. 3of. ©djmiß.

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formen unb ju bilben, iljn gut Darftellurtg beS Schönen gu gejialten, bann iji eS ffunft unb groar höhere Äunjl, ben Mengen nach bem Maße be§ ©uten unb bem ©efetje ber SBahtheii gu formen, gu bilben, gur Darjlellung beS geiftig ©firnen gu cultioiren. Diefe Äunfi gu Ueben, baS iji bie SCufgabe ber ©dfulc.

Die mittelalterliche Schule roar bur<h bie äußeren Sßerfjältniffe fafi gegroungen, untoanbelbar biefen 2Beg ber ftunfi gu betfoigen. DaS Ueben unb ©ultibiren beS ©eifieS trat unS auf jebern Schritt unferer UBanberung burdj mittelalterlid^e ©dfulen entgegen. Ohne 23ü<het unb offne bequeme» Schreibmaterial mar ber ©efaljr, {idf im Vielerlei beS SSMjfenS gu berlicren, bon felbji borgebeugt. DaS lebenbige SBort als borgüglichjteS Mittel beS Unterrichts bebingte ja ein fort= roährenbeS Ueben beS ©eifieS für ben Schüler ; gunäcpfl mürbe fein ©ebäctjtnij} angeftrengt, aber ba eS galt, baS ©etjörte auch fofort gu berftetjen unb ohne bie £ülf3mittel beS ©Treibens roiebergugcben, fo roar eine noch geöjjere Uebung be§ DenfbermögenS nothmenbig. ^>ier ju Jam bie ©orgfalt, welche bem ©tubium ber Sogit unb ber DialeJtil in ber mittelalterlichen ©chule gugeroanbt mürbe. 3Qhlre><he DiSpu» tationen nahmen bie ©pannfraft beS ©cifteS nach aßen Wichtungen hin in fjöchjiem Majje in Slnfpruch.

Die 33enu£ung ber lateinifchen ©brache förberte nicht wenig biefeS Deuten unb ©ultibiren beS ©eifteS. DaS Satein bermittelt ja nicht nur bie römifch flaffifc^e Siteratur beS SllterthumS, führt baburch in bie DenfenSart ber größten Männer ber Sorjeit ein unb tfjeili baS gefammte Wefultat ber Silbung bet bord^riftlidhen SBelt mit; baS Satein ift nicht nur ein Sanb, baS für bie SBijfenfchaft ben 3?luch ber ©brachüerroirrung gu Sfabel aufhebt, inbem bie Männer ber SGßiffenfc^aft gu allen 3eüen bereinigt : ba» Satein iji mehr, eS iji an unb für fi<h Sprache beS ©eifieS, entrücft ben ©chüler ber

alltäglichen SebenSatmojphäre unb ihren 3erftreuungen , führt in bie SOßelt ber 3jbeeit ein, hebt ho<h über alles Materielle hinaus, eS ift eine ©eifleSfprache. lud) bie innere ©onftruction biefer ©prache iji bem entfprechenb ; burch ihre objectibe ©enauigteit, ihre fefien Wegein unb ©efejje, ihre logifdje ©onftruction erhält bie lateinifche Sprache ben ©chüler in bejiänbiger ©eijieSübung.

DaS Mittelalter hat biefen in ber Sefctgeit nur gu fehr bertannten tßorgug ber lateinifchen Sprache gang unb boH erfaßt unb barum auf ihre Wnmenbung JeineSroegS jum Wachtheil ber Mutterfprache, mie uns öicHeidjt irriger SBeife fcheinen mag, fo entfliehen gehalten.

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®ai Siclläf^ulfflejfn im SRiitelalter.

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SB im p^eling, geb. 1450, fieljrer ait ber Schute ju ©c^lcttfiabt, bie ^3crle beS ©tfajj, ein SRann ber um bie görberung bei Schul* mefenS im Sftittetalter fiel) fo Ijolje Serbienjle erroarb, bajj er ben ©hrennamen „©rjieljer SeutfchtanbS" erhielt, fprictü biefc ©ebanfen au§, roenn er baS fiatein ein öilbungS* unb UebungS* mittet ber 35 e n f t r a f t , eine © t) m n a ft i t b e S f e I b ft fiänbigett Urteils nennt.

So mar in ber mittelalterlichen Schute SllleS barauf angelegt, ben Schüler ju üben, feine Stntagcn auSjubitben, feinen ©eift ju» cultioiren, ihn felbft jum geiftigen können §u befähigen. Sie Schule roar eine .Qunfianftalt , in Welcher ber ©eift be§ SJtenfchen wie in einer SBerfftätte gehämmert, gefdhliffen, gefpiftt, bnreh ©ultiPireu junt können befähigt würbe. 35er ßirche, bie SReifterin ber Schute mar, erfchien ber ©eift beS UtinbeS als baS ebelfte Äunftmert bon ©otteS £mnb gebitbet, aderbingS burch Sünbenelenb entftetlt, aber immer noch fähig, burch ©rjieljung unb Schulung ber '«Roheit ber gormen enttleibet, in ben urfprünglichen 3ügen ber Schönheit wieber hergefiellt, nach ieuem SRufter, welches ©hrifiuS, ber fcf)önjle ber SRenfchentinber, bargcjieflt hatte, geformt unb gebilbet ju werben.

SBeil bie Schule ber ©eifteScultur biente, barum mar eS nicht jufätlig, fonbern golge einer gleichartigen 3:hätigleit, bap bie Kirche ba, wo fie ben rohen hornigen 93oben ber SBilbnijj jätete, bie in ihm rufjenbe $raft ber grud)tbarfeit entlodte unb übte, fo baß er ju üppigen Saatfetbern, ju wohtgeftegten SBiefen, ?um gtufjtfuchenben Stebengrunb geftattet, ein ©otteSgarten warb nun auch bie ©eijter in ber Schute fammelte, ihre hornigen RuSmitdjfe jätete, bie in ihnen }<hfummernbe ©eifieStraft entfaltete an ber ßutturftätte beS SobenS bie ßutturftätte einer geiftigen SBelt, ihre Schuten grünbete.

IX. Sie greitjeit ber Sdjute.

©ine anbere <harafteriftif<he ©igenthümlichteit ber mittelalterlichen Schule befteht barin, baß fie eine freie Schute war. 3)aS folgte eigentlich notljmenbig barauS, baß fte eine ßunjtanftalt war, benn bie ihwft ifi eine Königin, fie ift frei wie bie SBafjrheit, fie miß unb Jann nicht bienen. SBer fte bienftbar machen will, ber wirb ftetS er» fahren, baß nicht mehr bie Äunft, fonbern fünftel ei in feinem 35ienfle fleht unb ba« ift 53erfteüung unb fiüge.

Sie Schute beS SRittetatterS war frei, b. h- fte lebte unb wirfte im Sienfte ber SBahrfjeit nur für baS ffirib. Rieht atS ob bie Schute

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Dr. §erm. 3of. S^mitj.

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feine ©efefee uub formen gehabt patte; aup bie SDa^r^eit pat ipr @efe£ unb bie Äunfl ihre 2>?afee unb gormen ber ©pönpeit. So ijt für beS Menfpen ©eift bie ©rfenntniß ber Sßaprpeit an ©efetie be» 2)etilenS unb menfplipeS £>anbeln an beftimmte formen feines SäHflen« gefnüpft. $en ©eifi beS ffinbeS an biefe ©efcpe beS XeufenS unb feinen SBillcn an biefe formen ja gewönnen ifl Aufgabe ber ©pule; fte übt ju biefem 3roc£*c bie $)i§ciplin an bcm Siinbe au§; bie DiSciplin fotl bera ©eific beS ÄinbeS ©efep unb Maß berleipen, fein Segelten änbern, feinem 2BiHen ©pranlen jiepen unb ipm bie ©pönpeit be§ ßparatterS aufprügen.

3n bem Mittelalter erfpien bie $iSciplin bem ©pület perfoni* ficirt in feinen Settern ber Älofter* unb ©tiftSfpulen. $ie Mömpc unb ©anonifer waren Männer ber ißiSciplin; ©eporfam lenfte ipre Ipänbe, jebeS Sort ipreS MunbeS roqr burp Unterroürfigfeit geregelt, ipr ©eroanb mar bie 3upt. Meifter ber 3“$* im eigenen Innern geworben, traten fie als 3uP*meißer bor baS ftinb unb fenften Sinn für SiiSciplin in ben ©eiji unb ba§ §erj beS JfinbeS ein. Unb aup in ben übrigen ©deuten be§ Mittelalters roar bie SMScipliti ge* ftd^ert, benn bie ganje ©eifte§*9ltpmofppäre, in ber Spüler unb Sepret lebten, mar bie beS ©prificntpumS ; baS ©prijlentpum aber ifl bie Sepre ber ©iSciplin.

fflußer biefen, für jeben Menfpengeift notproenbigen SebenS* gefehen unb formen beS ®enfenS unb §anbelnS, fannte aber bie mittel* alterlipe ©(pule gar fein anbereS ©efep für ipr roiffenfpaftlipeS SBirlen, gar feine anbere Slorm für ipr erjieplipeS SBirfen, gar leine anbere ©ebanfen, bie ipr als ju berroirflipenbeS 3*e* >n bem Unterricpt bor* gefproebt pätte. $aS roar ipre greipeit.

®ie tSrreipeit nun roar eS, bie ber ©cpule bie Siebe beS SßolfeS fieberte, ipr bie ©püler in großen Maßen jufüprte unb bie Segeifte* rung für ©tubium unb SEBiffenfepaften im Mittelalter pop pielt. ©rfi als man an biefe Qfreipeit ber ©(pule £mnb legte, erft als man bie freie ffunftanflalt bienftbar mapte unb nipt mepr bie Jlunjt ber Gtjiepung allein in ipr trieb, fonbern allerpanb berffinjleltcS Sieben* roerf, ba roar bie roarme Segeifterung, roie grüplingSpaup bon raupem Slaptfroft berfpeupt, ba jiarb bie Siebe ab, ba fränfelte bie ©pule. ©3 roar junäpfi ein SRebolutionSgebanle, bann ein ©taatSgebanfe, bem bie ©pule bienftbar geniapt rourbe. SDen DiebolutionSgebanfen brapte bie 3^1 bfr ftirpenfpaltung in bie ©pule; bon ipr batirt bie fo» genannte tjJeriobe ber frei geworbenen öilbung. fffrei bon ber gelten*

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®aä 8oIfSj<$uIn>ejcn im SDiitielalter.

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ben O.rbnung, bon bem allein h«rjchenben c^riftlidjcn ©eijt, non ©e* fej unb ben ©Oranten ber ÜBafjrfjeit, war bie Schule frei geworben, wie ein ©arten, bem man Um$äunung unb Richtftäbe nimmt, wie ein Strom, bem man bie Ufer burdjfticht unb ben man öon feinen fchüjjenben 'Dämmen befreit. Die fo angeblich frei geworbene Schule würbe thatfädjlich bienftbar gemalt; fie foKte einer religiöfeu Neuerung bienen.

Die Reformatoren haben manches 2Bort jut görberung ber Schule gefagt, aber fic wollten nur Schulen, bie ben Reformation^* gebauten berwirflidjten. Darum mußten Jflofter* unb StiftSfdjulen, al§ ungeeignet ju folchem Dienji, jerftört werben; barum Jagte 5)te» lanchton über bie Sorbereitimg jur Reformirung be§ £>erjogthum§ Sülith 1539 auf bie scbolas foll 9td)t gehalten werben, bamit bie ftinber unb ©Item mehr Siebe ju ber rechten Seljre gewinnen ; barum ruft Suther bie Stagijirate gegen bie ffürften an, bei ©rrichtung neuer Spulen nicht ben Ruf alf ßefcer ju fcheuen ; barum miß er, bajj bie fürnehmfte Section in hoher unb niebriger Schule ba§ ©ban* gelium fei. Da§ ift ber ©ebante ber Reformation, bem bie Schule bon nun an bienen foll.

Snbeß laum gefeffelt unb bienftbar gemacht, oerfiel bie Schule in troftlofer SJeife.

„Umba§3ahr 1525“, fo fchreibt 2öibemann’§ Stabthiftoriter bon &of, „fingen bie Schulen an ju fallen, fo baß faft Riemanb mehr feine flinber in bie Schule fehiefte unb fiubiren laffen wollte." Suther fah mit eigenen Mgen an; „e£ miß bahin tommen", fchreibt er 1524, „bap Schulmeijter, Ißfarrherrn unb ^rebiger werben miijfen bergehen, unb {ich ju £>anbwerf ober fonft wegthun, baj; fte ba§ 2Bort fahren laffen unb fid; be§ §unger§ erwehren. SBäljrenb früher eine # Stabt bon 4 500 Bürger jährlich gegen 700 ©ulben für tird)li(he 3>oecte gegeben, lönne man jef)t taum 1—200 ©ulben für Schulen unb Ißrebigtftuhl aufbringen.' Sei anberen ©elegenheiten fchreibt er: „man tann nun nicht 100 ©ulben auf bringen, einen guten Schul» meifter ober Ijkfbiger ju bejteflen, ba man borher 1000 ja unjählig ©elb hot gegeben ju ffirdje, Stifte u. bergl."

Räubern man ba§ 3o<h ber SBafjrheit abgewotfen unb bie Schranfen ber DiSciplin burc|bro<hen, jog eine 3ügeßofigteit, wie ber ^umanijt bon ©rfurt 1523 fchreibt, unter ben Stubirenben ein, baj; fte unter Solbaten im ffelblager nicht größer fein tann. Me 3ucht, fchreibt ber Delan ber Erfurter ^S^itofop^ie » fjafultät im

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Dr. Jjjetm. 3»f- ©djmifc.

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fel&en 3al)re, ift unter ber ftubirenben 3ugenb berfhwunben, bocfj was UÖunber, bnjj foIc^eS ber Shule gef^if^t, ba nie^t einmal bie Seligion gegen Schmähungen gefront iji. " „2We -Bemühungen“, flogt OTeland^ton in SBittenberg, jur Hebung ber 2Bijjenfhaften fcheitem bie ©chulb ber Verachtung ber SBiffenfhaft fcfjreibt er ber Söitten* berger Sheologie äu-

?)a entoölferien fih bann bie Schulen, bie früher ben Vienen* färben wegen ber 3al)t ber Schüler berglihen mürben. Erfurt immatri* fulirte früher 300 Stubenten, 1523 nur 34. „3h lebe h*ee »»41 anberS als in einer SBüjle", flogt 51? el auch ton bon SBiftenberg. Softocf immatrifulirte früher 300, 1525 nur 15. Vrafel 1524 nur 5, Söln früher 2 300, nach 1527 nur 54, cS hotte aufgehört bie bielgepriefene Quelle unb Sunbgrnbe ber ©eleijrfamfeit ju fein; in £eibelberg waren mehr Sefjrer als Stubenten ; in §reiburg 1523 flagte ber berühmte SRedjtSleljrer 3 a f t u § , „er höbe nur noch 6 3U* hörer unb bie feien ^ranjofen." So mar eS wahr geworben, baß bie Schule wie bie fhmfl eher ftirbt, als jur Magb wirb. ßS h°lf nichts, bajj Sutljer bereits ben Sdjuljwang anempfahl; bie Schule läßt ftch nicht militairiftren.

3n ber fpäteren 3eit ift bie Schule bienjtbar gemalt worben bem StaatSgebanfen; auch hierin hat ber Sd>uljmang mitgeholfen. Sber mag man immerhin bon ihm bie! ©rofteS reben, bie Schule ifi Snjtalt für SBiffen, nicht mehr Snfialt für ba§ können, fie ifl nicht mehr wahre ßunftanjtalt im Qienfte beS StaatSgebanfenS geblieben. 68 iji nun einmal fo: Schule unb ßunft will frei fein, wie Sllpenrofe unb ßbelmeifj; mühfam ifi ber 2Beg bis jur ©etgeSböh’, wo ihre ®lüthe prangt, unb Freiheit für Sicht unb Suft unb Sonnenfchcin, baS ifi ihr Seben ; im 3wongSgarten be§ SreibhaufeS berfümmert bie SBlüthe ; in ber 3mangSja<fe ber 9tebolutionS=, beS SeformationS* unb StaatSgebanfenS berfäüt auch bie Schule.

X. ©hule unb $ird)e.

Soeh ein britteS gibt es, maS bie Shule beS ÜKittelalterS aus* jeihnet ; fie war ßunftanftalt unb als ftunjtanjlalt war fie niht nur frei, fonbern aud) h t i fi 1 i h- ®aS Mittelalter liegt wie ein ©arten hinter uns, ber Morgenluft aihmet; an jebem ©raSljalm perlt ber Shoutropfen ber ©nabe, bie Sonne beS ©htiftenthumS. mar bor Mem bie ©hule, ©hon weil fie einer fiunfi biente, war bie Shule hriftüh. benn bie Äunft bebarf jum ©ebeihen beS c^rifl-

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27 3Da8 2ol!3ji$utoefen im SJtiifelalter. 329

Itd^en ©laubenS; baS ifi anberS mit bet SEBijfenfäaft, bie mag ficb in Sftaifonniren unb ^ilofop^iren berlieren unb babei ungläubig fein, aber bie Sunft, fo fagte bereits ©ötfje, bebarf ju ihrem Seben beS ©laubenS. 2Bir haben bie Sirclje als bie PJlutter ber Schule, als bie greunbin ber Sebrer auf allen SQJegen unferet SBanberung gefunben; bie ßirdje gab als ihr ©rbe ber Schule göttliches unb menfci^li(^cS SBijfen jugleidj. So mar bie Schule trfi befähigt, roabreS Seben ben ÜDtenfcben ju geben, benn ber Wenfch muß Dergöttlicfjt roerben. 9tcligion ifi baS bö<hfte Seben, baS eigentliche Seben be§ Wenf$enleben§.

Wan giebt jt<b in einer bon bem Unglauben angehauchten 3e't fo leicbt ber 23orjMung bin, als ob SSiffen unb ©lauben nicht recht berträglich feien; als ob ber ©elebrte jum ©egner beS ©örtlichen merben müffe. Wan fanit baS Sorurtbeil nicht loS merben, bie Kirche habe fein Sßerftänbniß für bie llafftfdje Silbung beS ÖeibentbumS unb marne bor berfelben roie bor einer ©efabr für ben ©lauben. S>a3 ajlittclalter bat baS ©egentbeil bemiefen. Sonnte fcbon ein 3c'tgenoffe bon einem ber größten Schulmänner berSirche, ©regor b. ©., Jagen, man bö&c ben Sebtfaal beS apoftolifdjen Stuhles gejtüßt bur<h bie Säulen ber fteben freien Sünffe, fo trifft gleiches bon ber Schule beS WiticIalterS ju. 3n jener 3eit, mo bie llaffifchc Sitterotur beS Hilter* tbumS nach Sroberung bon ©onfiantinopel bem meftlichcn ©uropa jugängtich mürbe, ba bat bie Sircpe bor Hl Hem an ®eutf<hlanb gejeigt, mie flaffifcbe Silbung bem ©briftentbum bienftbar roerben fann ; bamalS bat bie Sircbe bie beibnifcbe ^J^ilofop^te eines HlrijioteleS unb bie Slaffifer beS HlltertbumS ju ^oljbauern unb HBafferträgern für ben HÖeltbau beS ©briftentbumS gemacht, ©crabe bie ächt lircblicben Spulen ber älteften §umamften, bor 3111cm bie Schulen ber gratet her ren haben fid» um baS Sßieberaufblüben ber bumanijiifcben Stubien bie größten Serbienpe ermorben.

®a ragt ein Dlubolf Hlgricola, ein Spüler beS ebrmürbigen SbouiaS b. Sempen, geb. 1445 in 3roDße' betb°r' *>er bie gan$e daffif^e Silbung feiner 3e‘t in fich aufgenommen batte unb hoffte, $eutf(f)lanb merbe eS ju fotcher Silbung unb ©elebrfamfeit bringen, baß eS Latium felbft an Latinitaet übertreffe. Wan nennt biefen Wann einen jroeiten 33irgil, unb ßraSmuS befannte, baß Htiemanb biefen roabrbaft göttlichen Wenden an roiffenfchaftlicher Söilbung übertreffe, unb bodj mar fein SebenSroanbcl fo heilig unb mäßig, baß man ihn im Sleibe beS bL granjiSfuS in ^wibelberg begraben bat. Hieben ihm ftebt ein Sllejanber $e3piuS, ber als

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330 Dr. fjetm, 3#1- 28

ficiter bcr ©dbule ju Gmmeridb unb jener ju Siebenter 1469 1498 bie Glafjtfet jum üHittelpuntt be§ SugenbunterricbtS erhob. (Sr war ein TOann, ber nach ber Sleugerung eines ©dbületS (SBujjbatb) wie eine glänjenbe Seu<bte burdj feine ffrömmigleit unb umfajjenbeS SSiffen ftrabltc unb ju 2200 Spülern reben fonnte. ©ein ©runbfats war, alle ©elebrfamfeit ijl berberbli<b, wenn fxe mit bem Serluft ber ffrömmig* feit erworben wirb; nid)ts Unterließ er als Bücher unb SleibungS* ftüde. $>a§ finb nur öereinjelte Samen, ju benen bie ganje ©d)aat ber gelehrten unb frommen 2BeftfaIert, Subolf bon Sangen, ber erfte gef^madboDe lateinifdbe Slidjter SleutfdblanbS, Subwig ©ringen* berg, Gonrab®ocleniu§, jlimemuSGamener,3of. £>or* leniuS, ju jäfjlen ift. 3n Xanten begegnet unS ein Gaplan Sbarn Rotten 1496, ber griedbifcben Unterricht gab, fidb täglich mit ben Ganonilern in ber ihnen geläufigen ^ebräifdjen ©pracbe übte, fpäter in Göln bei feinem Onfel ^robft bon ©ereon weilte; biefet trieb baS Metpiopif^e unb liefe baS erfte SEBer! in ättjiopifdjen Sucbftaben in Guropa bruden. SÖfit jwölfjäprigen Knaben la§ ber Gapian SirgilS Seneibe unb Giceronifdje Seben. $aS erfcpeint nid)t mehr aujfaflenb, wenn wir bon Johann Gd hören, eS fei ©itte gewcfen, 12 jährige Unaben in baS ©tubium ber 2;uriSprubtn$, ber ©efretalen, ber ißhilof oppie ein jufütiren. ©er Slathematif er 3 o p. 2JI ü I le r aus ÄönigS* berg in ffranlen ließ fid) mit 12 fahren an bet Uniberfttät ju Seipjig immatritutiren unbSopannSeudblin wie ©ei ler oon SJaiferS* berg begannnen mit 15 3Qpren ip« Uniberfität§*©tubien.

©o bat bie ßirdbe in ber mittelalterlichen ©(pule clafftfipe Sil* bung gepflegt unb ben SSotwurf wiberlegt, als ob menfdplidbe Sil* bung wiberfprecbenb ober weniger wiflfommen fei benn dpriftlicher ©laube. ©a§ apoftolifdpe SZÖort, „wir foHen nicht enttleibet, fonbern tibertleibet werben," bat bie ßirdje ihrer clafftfe^en Silbung ju ©tunbe gelegt. $i e menfcplidbe SMenbung mar ihr bie befte Sorbereitung unb Unterlage für ben dpriftlicben ©lauben. 9Bie baS ebelfte ©olb fiep jum perrlidbfien Äunftftüd eignet, fo fud^te bie $ircbe nach bem ©olb mcnfcbliCber Silbung, um eS mit göttlichen £>änben jurn Äunft* wer! ChriftliCber Soflenbung ju geftalten, unb wie ber Gbelftein ben Sing fcpmüdt, fo war ihr bie claffifdje SoHenbung ein ftetS gefugter ©tein, ben fie in ben Seif beS dbriftlidben ©laubenS fafetc.

©ie ©dpule beS StittelalterS mar eine .Gunftanftalt, mar frei unb mar chriftlidb. Sernen wir in ©emut bie Stiftungen ber ©dbule beS SlittelalterS anertennen; emancipiren wir un§ bon bem ^rdbum,

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®a* 33o!Uf$ulmt|<n im SHittetalicr.

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al§ ob bic $ir<he rote ein eiferfücf)tiger SBflt^ter ber Spefperiben oor bem BnrabieS menfc^ltt^er ©elehrfamteit 2Sa<he holte; unb ber ÜJlann ber 2Biftenf<^aft roie ein Hercules fei, ber roie ein $ieb ihre SEBaeh* famfeit Untergeben, ihre firaft überwältigen, ihre Sdjlüffel fte^len unb gegen ihren 2BiHen öerborgene Sehä|e entführen muhte; als ob jebe ©ntbeefung als ein Sieg über bie Äirdje gefeiert werben tönne.

9iein, bic Kirche geht ihren SBeliengang burch bie ©efdjicbte ber 3eit unb trägt mit ber fjacfel beS ©laubenS bie golbette Sehaale menfeh» liehen SBiffenS. 2Ber ihr mit bem Sichte beS ©laubenS folgt unb aus ihrer Sehaale trinlt, ber roanbelt mit ber SGBeiShcit gelabt in ihrem ljeHen Sehein unb feiert ben Üriumphäug mit ©hrifluS in göttliehem unb menf^lichem SQBiffen über ben Irrtum auf ©rben. prägen wir eS unS ein, baß baS Gfjrijienthum 5>eutf<hlanb groß gemacht, bie dEjrifltid^c Schule eine eeht nationale 6rrungcnfehaft®eutfeh* lanbS ift. 9tkf)t ülQeS ifi national, roa» als ÜageSmeinung roie SBollen norüberjieht, fonbern ba§ ifi national, roaS im geiftigen Soben beS 2?olleS roie fefte» ©eftein lagert, roaS roie eine heimifetje Saat im Seben beS Solle» ftetS geroaehfen unb gefruchtet hat- ©° ift bie ehriflliche Schule; fte ifi national roie ba» GEhriftenthum in unfern Slbcrn, baS gleieh einer SJtutter un§ genährt hat.

SSafjren roir bie ehrifttiche Sehule, fie ifi eine nationale @in« riehtung be§ beutfehen Bolle» ; ftellen roir fie als ftunfianftalt hin unb lämpfen roir für ihre grriljeit. 9tur roaS frei ift, baS lebt, unb nur achtes Seben ber Sehule bringt roahre Gulhir.

üDrud von üHat)Iau * ftranlfurt a. IR.

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3t! meinem Sertage erjtpicn:

3>ie §djuf-,Aera gtafß.

€itt Beitrag 3ur Sdjulgefdjidjte unb Schulreform

»oh ©rttjl Jleutfdjman«.

U- ftefl

7 Sogen. Slegant geheftet 90 Pfennige.

3npalt beS 3meilcn ©efte«:

SweiteS Kapitel: Mg. Sefiiramungcn rora js. (Pctober 1*72.

Stängel b. 5111g. Beftintmungen betreffs bet gortbilbungsfipule: 1. SUlrtblid; 2. ©cmerbl. gortbilbungäjipulen; 3. ßanbmirtpjipaftiitpe jjort« bilbungSjfpulen.

Stängel ber „Ktlg. Seftimmun gen* betreffs bet [Stittelfipule: 1. Setreffs ber Organifation ; 2. betreffs b«S fieprplaneS.

®ie „Ttllg. Bcftimmungen* unb bie ßcprmittel.

a) ®ie 6<pu(bfi<per«ßiteratur:

1. ®ie ßefebuepfrage ; 2. bie ßcitfabcnmaipe ; 3. ©ipulbu(p»erfaffer. ffiie Seranfepauliepung&Ieprmittel:

1. ®ie Sammlungen; 2. bie Apparate.

®ic 8eprmittel-'.BuSftellungen unb Sepul’Stufeen:

1. TtuSfteflungen ; 2. ©cpulmufeen.

„Tülg. Sefii mmungen* unb bie Stpulbureaufratie.

1. ®ie Stpulplamnatperei.

b) ®ie 6<pulreoifionen ; Huin unb Klage.

®ie Unfrudjtbarleit ber heutigen SolfSfipule:

1. Betreffs bet Siltliipfeit ; 2. betreff* ber Renntnifje.

9luf @runb unb unter Senuljung fämmtlüper ejiftirenben Duellen entwirft ber Berfaffer ein anfipaultcbeS Silb ber Sdjul 'ilera galt, inbem er auf gleidj unbarteiijdpe SBcife beren Cie^t« unb ©epattenfeiten »erfuhrt. Stpon ein SJIict auf »orftepenbes 3npalt» * Serjeupnif; jpriept für bie Sortreffliipteit beS BuepeS. ®aSfelbe ift ein Cuellenmetf im nabten Sinne beS HüorteS unb für jebrn Pädagogen unentbeprlid;. ®aS ganje 'löcrf mirb 3 bis 4 <jefte ä 7 Sogen umfaßen.

§eroorragtnbc Stänner, bie bei gleitet ((prifllicper) ßebenSanjcpauung boep uerftpiebener 'Änfidjt in ber ©tpulfrage pnb, paben obige Seprift als ein ,porp= nieptigeS päbagogijepeS unb patriotifipeS Söerf bejeiepnet.

granlfurt a. St. ?focffcr 9iac^fotger.

3n bet SerlagSbuippanblung »on SJ-oe(Ter Saipfolgcr in granffurt a. St. erfipien unb ift burtp alle Suippanblungen (auip bireci) ju bejiepen:

JUtöolf non Büöcsljctm,

5ärtfbifdjof txm Ceoant unb Breslau.

(Jin 2 e b e n § b i I b a u § bem 15. ^aljrljunbert,

jufammcngeüeOt »011 Jiun,

^fitUtOxm Mali) u. ^farrrr ;.t Äirtci^.

SreiS elegant brofipirt SOI. 1.

®iefeS auf fUipigcm ©tubium fupenbe SOcrfepen bepanbelt bie Berbienftc eines ber berüpmteften , geleprteften unb tpatfräftigften Äiripenfütflcn beS 15. 3aprpunbertS; ift Driginalarbeit , unb ift baS gleiipe Ipema unfereS SOiffenS noip nie »on anbeter gebet bepanbelt norben.

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2in meinem Serlage erfdjien focbeit ca. 10 Sogen fiat!, junt greife Don 50 ißfg. ber burc^ ganj borjuglii^cn 3nljalt au?ge§eid)nete unb mit Jflujirationtn reid) Oerf ebene

äftankfittier gelkskaienier *

für bas 3atjr ?$$i.

SRit einem SSilbe bcä

Stuifdjtn Kaufes ticbR bet Btutfdj=Wrö!nskirdje )u Jadjfenfjaufen

in Qol)j$nitt.

3nbalts . Uerjeidiniß.

(Prüfe ürü ffalenktrmanute.

BoUjtänkigto ftalenkarium mit proteitantijArtn unb jäbtjAem Halenber;

fämintiiAr jfeicrtage in Kotbbrtid.

BHtterungbberiAte naA bem lOOjaprigen flalenbcr.

Hprcnomt|Aet unk 4ronalogi|Atr ßaltnker. Xic neuen heutigen 'JJfafet unb öktuiAle. tSrnfee unk (finlnopurrgapl bet 5 (icbtpcUe; ffltöfec unb »coällttung turopüijtpet stauten. Starte bet fitere unb Älotten btt europ. TOädjte. (ftrbfle unb BtnSlferung bet Staaten beb OeutjAcn Sind)«. @intoopnct|apl bet gräfeten Stabte bei beutfAcn KeiAel.

(Pentnlagle ber europäijAeu Kegcntenpiulcr.

Clttgeidinif; ber 3aprmär(te unb TOefien.

(jbetoidite unk ttüngtakcllc. BcogcmbcrcAnung bon 3— 5°/o.

«BeltrunkjAnn.

St»ie nid) Xeuttdilanb c bemal# war van

Xa8 Ztftament kel üumpenjammlrr».

OtjtorifAe (grgiplnng non 'Pb. V’aicub.

Kt jpurdtt ber Hälfet unb ibm «tfrtggebet not ungeimpften fltnbtbcn tm 19. 3aprpunbert ; eint ftraftprobe bet Peiftungltäpigtett Pirjrl dabtbunnerli im Hbcralouben unb WlaubenSgionng (bin atabemtfAer Borttag gepalten natp ioo .lapirn. im 3aptt be* ficill IBM non Dr. med. Cibtmanu.

jn ken ftatalimbeu.

Xriekriip II. unk kie Epapcti.

Zcicenkengtpeiric. I

HuffAuk > Wut bem ttnglijAen non M. Baumgartner. S. J.

Ereic BJiftenitbait. |

opn unb Rapruttg btt beutlAeu *t beitet im 15. Sapepunbert.

Xtr keutiipe Orken unb kit SeutjA'Orkenltnuiiiifnkr gu SoAjenpaujen. fiier gu bat pratptoeU«. bei bet Keftauration bet Airtpe micbet aufgejunbmt unb non Prof. iiSeinmaper aul ‘Oliinipeu reilautitle SOanbgeiuiilSe, in fiol|i4nitt.

Slojlcr Barnpoftn non Dr. 3- fl. Plutp.

Xie Birfen.Hgiotage non fftnil KiAter (®ermanlcul).

hieran (Aliefjen fid) in bunter HiannigfalHgleit Heinere Huf|äpe ernjltten unb peitcren 3npaltl: Tie (DtifterfuliAc. Xe* lieben« palbtt lug’ i(p niipt.

SBie Xu mit, jo iip Xit. Tie Xante mit bem golbnrn Htmbanb tc. tc. (ftckiAtct Watten jonettt. 'BcipnaAllgriifee. Born wreug. Spriiete bet fei. TOaria 'Huna. Slul bem Soaniftprn.

{'utnariftifAts in rei After jpütle.

'Jiagenbe Jlluftrationen in bebentenbet Hnjapl.

Moment eprüAt uuk gekcnircgtln.

Kätpjet tc. tc.

^ranffurt a. ST.

%. Joflfcr 9?adjfolger, 23crlagSf)anblung.

Xrud non OTaplau U IBalbjAimbt. Jtanffurt a. TO.

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