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Stanford University Libraries

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Unterhaltung und des Willens

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Jahrgang 1910. Erſter Band

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Inhalts⸗Verzeichnis.

Seite

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Mannigfaltiges: Der Verlobungsring 214 Die Bedeutung des Errö tens. 216

Neue Erfindungen: I. Der Handlöſcher „Alpha. . 219 Mit 2 Bildern. II. Stopfapparat „Magie Weaver“. . 220 Mit Bild. In der Zerſtreut heilt 222 Königin Viktoria von England als Klavierſchülerin 225 Entſtehende Sonnen . 224 Mit 2 Bildern. Gerichtlich anerkanntes Geſpenſt. 227 Erdbeben auf Befehl! 228

4 Inhalts-Verzeichnis. 2 ET .

Seite Immer derſ elde 229 Ruſſiſche Bären jade 230

Mit Bild. Schiffſpuren auf dem Meere . 2351 Eigenartige Wette . 233 Sprechende Kanarienvogel. 2234 Sprengung eines Schiffswrack. 254

Mit Bild.

Amtlich oder außeramtlic hh . 236 Moderne Amulette . 237 Die TafelprobktlMlud . 237 Diplomatenſchli cht 238 Wie die Völker lachenNmd‚ .. 239 Die Waldrre 32

Ein Haſe zum Kelbſttoſtenpreis ae fe ZA

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OSTSEE

Willſt du dein Herz mir ſchenken

Roman von Georg Hartwig (Emmy Roeppel). V (Nachdruck verboten.)

Erſtes Kapitel. D e Jagd war zu Ende. Sechshundert Haſen

und etliches Raubzeug waren zur Strecke

gebracht. der Förſter und ſeine Gehilfen ſchritten, die friſchgeſchoſſene Laſt ordnend, zwiſchen den Leiter- wagen hin und her, während die herrſchaftlichen Equi- pagen mit den geladenen Jagdteilnehmern in hurtigem Trabe Buſch und Bruch verließen und auf glatten, windgefegten Wegen dem gaſtfreien Hauſe zurollten, deſſen Beſitzer unter all den plaudernden Inſaſſen der vergnügteſte war.

Der Himmel hatte ein grauſchwärzliches Nopember- kleid angelegt, und von Nordweſten her brandeten ſcharfe Windſtöße an die Waldecken. Dünne Nebel- ſchwaden dunſteten von Stamm zu Stamm und feuch— teten den Boden.

„Fertig!“ rief der Förſter, ſich auf den letzten Wagen ſchwingend. „Vorwärts!“

Die Wagen rumpelten davon. N

Quer durch den Hochwald ging ein natürlicher Graben, ein breiter und tiefer Spalt, der ſich im Lauf

6 Willſt du dein Herz mir ſchenken 2

der Jahre mit Haufen vermodernder Blätter halb gefüllt hatte. Dichtes Buſchwerk wucherte zu beiden Seiten zwiſchen den hohen Stämmen, deren Schutz es feine üppige Entwicklung verdankte. Senfeits des Grabens zeigte ſich in einer Lichtung ein ſchilfumſtande- ner Waſſertümpel, zu dem das Wild früh und abends, feinen Durſt zu ſtillen, aus dem Walde herauszutreten pflegte. Deshalb eignete ſich dieſer Ort für den Jäger vorzüglich zum Anſtand.

Gegen dieſes Buſchwerk zu kam, als die Dämmerung Nacht ward, und der Nebel ſeine grauen Schleier immer tiefer über Weg und Steg ſenkte, ein Menſch dahergejagt wie ein gehetztes Tier. Keuchend ſtürzte . er vorwärts, blieb ſtehen, horchte zurück und jagte beim leiſeſten Geräuſch wieder weiter. Sein fahles Geſicht erſchien um ſo entſtellter unter dem buſchigen Haupthaar, als es trotz des kalten Windes von Schweiß- ſtrömen überflutet war, mit ſchmutzigem Schweiß, den er zuweilen mit rauher Hand aus den Augen wiſchte.

Am Grabenrand angelangt, ging ihm der letzte Reit Atemkraft verloren, die höchſtgeſpannten Muskeln verſagten jäh, und im Fallen beide Arme von ſich ſtreckend, ſtürzte er vornüber in den Graben hinein.

Im Herrenhaufe von Barnekow waren alle Fenſter erleuchtet. Herr v. Warnulf, der Beſitzer und Jagd- herr, hatte in gewagten Reimen und mit ſchallender Stimme ſeine Gäſte willkommen geheißen und ein Hoch auf den Jagdkönig ausgebracht.

Laut klangen die Gläſer gegeneinander, bis der Gefeierte, ein ſchlanker Mann mit glänzend ſchwarzem Haar und trotz der Tafelfreuden bleichem Antlitz, ſich anſchickte, den Spruch des Gaſtgebers dankend zu er- widern.

0 Roman von Georg Hartwig Emmy Roeppel), 7

Da ward’s ſtill. Graf Brankowan ſprach von der erleſenen Gaſtfreundſchaft, die auch dem Fremden und Ausländer die Tore des Hauſes weit geöffnet habe. Von den landſchaftlichen Reizen einer Gegend ſprach er, in die der Zufall ihn geführt auf Einladung ſeines Reiſegefährten Lichtenberg, einer Gegend, die ihm, dem unſteten Wanderer, der ſo viel geſehen, aufrichtige Bewunderung abgenötigt habe, und die er nur mit Bedauern in etlichen Tagen wieder verlaſſen werde.

Die Rede klang in den Worten aus: „Ein Hoch auf den Beſitzer von Barnekow! Herr v. Warnulf lebe hoch hoch hoch!“

Jetzt war nichts mehr zu verſtehen vor Scharren und Gläſerklingen. Saßen doch die Herren allein bei Tiſch, denn die Hausfrau fehlte ſchon ſeit Jahren auf Barnekow. So gab's keinen Zwang.

„Hör, Warnulf,“ ſagte der Nachbar des Hausherrn, der Amtsgerichtsrat Müllbrich, eine mittelgroße Per- ſönlichkeit, deſſen Züge Offenheit bekundeten, „tun wir nicht des Guten ſchon zu viel?“

WVarnulf gab ihm einen ſcherzhaften Stoß in die Seite. „So jung kommen wir ja doch nicht wieder zuſammen! Haſt du denn heute einen ganzen Haſen zur Strecke gebracht?“ ſetzte er mit gutmütigem Spott hinzu.

„Zwei ſogar,“ ſagte der Rat, der, trotzdem er ein richtiger Sonntagsjäger war, eine heftige Leidenſchaft für das Weidwerk beſaß. „Und ich werde auch morgen in aller Frühe auf den Anſtand gehen, um einen Rehbock zu ſchießen.“

„Ich gebe dir den guten Rat,“ fiel Warnulf ein, weinſelige Tränen über den Eifer ſeines Freundes lachend, „leg dich lieber in die Klappe. Wenn du dir

8 Willſt du dein Herz mir ſchenken 2

aber nach dieſer Sitzung durchaus die Beine in den Leib ſtehen willſt, habe ich auch nichts dagegen. Hoffentlich,“ wandte er ſich nach ſeiner anderen Seite, „haben wir Sie nächſtes Jahr wieder hier, Graf Brankowan?“

„Höchſt wahrſcheinlich nicht, mein ſehr verehrter Herr v. Warnulf. Ich bin Nomade, und wenn auch mein Freund Lichtenberg jetzt von mir abfällt und ſich hier anſäſſig macht, mich treibt's doch wieder weiter durch die Welt.“

„Sagen Sie mal,“ rief der Rat intereſſiert, „wo iſt denn eigentlich Ihr ruhender Pol?“

„Mein ruhender Pol,“ lächelte Brankowan, „waren einſt unſere Beſitzungen in der Walachei, in der ſchönen, ſchwermütigen Walachei. Zetzt iſt, wie Sie ſehen, nicht Stadt noch Land vor mir ſicher.“

„Ja ja!“ ſeufzte der Rat, der kurzen Fuß- touren in feiner Jugend gedenkend und der wenigen Badereiſen, für die er mühſam genug das nötige Klein- geld zuſammengeſpart. „Na, ſchließlich iſt ſchon die Sehnſucht allein etwas Schönes.“

„Du bleibſt doch,“ fragte ihn Warnulf, „noch morgen wenigſtens zum Katerfrühſtück hier? Wirſt doch kein Froſch ſein!“

„Tut mir ja ſelber leid,“ ſagte der Rat bedauernd, „aber ich habe tatſächlich zu viel zu tun. Deshalb will ich ja eben die paar Stunden in der friſchen Morgenluft noch ausnützen. Die Treibjagd heute war gewiß eine herrliche Sache, aber ſo ein Alleinſein auf Anſtand iſt ür mich der höchſte Genuß. Witten in der er— wachenden Natur, jede Sehne vor Erwartung geſpannt, das iſt für einen Aktenmenſchen —“

„Hören Sie den Schwärmer, Graf Brankowan!“ rief Warnulf lachend. „Auf der Lichtung beim Waſſer—

1 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 9

loch, da kannſt du dir wenigſtens den Rheumatismus holen, wenn auch ſonſt nichts anderes. Na, denn alſo geſegnete Mahlzeit, Herrſchaften!“

Das Zurückſchieben der Stühle verſchlang jedes weitere Wort.

Im Nebenzimmer reichten die Diener Kaffee und Liköre herum, während der Hausherr feinen Gäſten mit gutem Beiſpiel voranging und ſich eine Zigarre an- zündete.

Der Amtsgerichtsrat leerte ſeine Taſſe mit Behagen. Er fühlte ſich außerordentlich wohl hier. Seit etlichen Monaten war er in die Stadt verſetzt, in deren Nähe das Gut ſeines Schulfreundes Warnulf lag, mit dem er ſtets Verbindung unterhalten hatte. Die Folge war, daß er nun, ohne ſelbſt eine teure Jagd pachten zu müſſen, nach Erſtehung eines Jagdſcheins in den prachtvollen Barnekower Forſten ſeiner Paſſion nach- gehen konnte, ſo oft es ſeine Zeit geſtattete.

Während er in der angrenzenden Bibliothek die Zeitungen zur Hand nahm, hörte er mit halbem Ohr nebenan einen Vorſchlag fallen, dem ein lachender Beifall entgegenkam.

„Müllbrich,“ rief Herr v. Warnulf in die Tür tretend, „tuſt du mit? Wir wollen leichtſinnig ſein und ein kleines Tempelchen bauen.“

„Danke, ich ſpiele nicht. Aber ein Weilchen werde ich noch zuſehen.“

„Na, denn zwei Spiele Whiſtkarten, Fritz!“ befahl Warnulf. „Wer nimmt die Bank? Na, Graf Brankowan, wie wär's? Als junge Kraft —“

„Ich ſtehe ganz zu Befehl.“

Zu beiden Seiten des Bankhalters und um den Tiſch herum zog ſich die dichte Gruppe der Spielteilnehmer zu einem Halbkreis zuſammen. Das Zimmer war durch

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Petroleumlampen erleuchtet, deren gelbliches Licht in den Rauchwolken zu verſchwimmen ſchien.

Und in dieſem vertrübten Schein ging der Amts- gerichtsrat, die Hände auf dem Rücken, behaglich auf und nieder, bisweilen kopfſchüttelnd ſtehen bleibend, wenn die Höhe der Einſätze über das Ziel einer antegen- den Unterhaltung weit hinausſchoß.

„Herr Amtsgerichtsrat,“ ſagte Graf Brankowan lächelnd, als die Schritte hinter ihm immer wieder er- klangen, „wenn Sie die Güte haben wollten, nicht ganz ſo laut hinter meinem Stuhl zu ſein, wäre ich Ihnen ſehr verbunden. Ich werde etwas nervös, wie ich ſoeben merke.“

„Var in der Tat nicht meine Abſicht, Sie zu ſtören.“

„Iſt denn kein Stuhl da für meine Hulda?“ ſang Herr v. Warnulf mit krächzender Stimme. „Ihnen iſt wohl die Kehle trocken geworden, Graf?“ fragte er Brankowan, der den Kopf ſeitwärts nach einem flaſchenbeſetzten Nebentiſch wandte. „Einen Augenblick Geduld! Sie ſollen gleich haben!“ Er goß ſelber ein Glas Wein ein, um es dem Grafen, der ſich halb erhob, hinüberzureichen.

Brankowan zog, indem er ſich dankend wieder ſetzte, ſein Taſchentuch aus der Bruſttaſche und betupfte ſich damit leicht die Stirn.

Varnulf goß ſich ſelbſt ein Glas Wein ein und winkte den anderen Herren einladend zu. „Na, Herr- ſchaften, die Quelle fließt bitte! Müllbrich, alter Zunge, komm an die Krippe!“

Der Rat, im Begriff, ſich zu nähern, ſtreifte bei der Wendung die Rechte des Grafen, an deren kleinem Finger ein Brillant wundervoll funkelte, als ſie das weißſeidene Tuch in die Bruſttaſche zurückſchob. Plötz— lich blieb er ſtehen, als hätte er ein Geſpenſt geſehen.

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 11

Sein Herz tat einen ſo gewaltigen Schlag, daß er kein Wort der Erwiderung fand.

„Na, Alter,“ rief Herr v. Warnulf ungeduldig, „wird's bald?“

„Ich danke,“ ſagte Wüllbrich haſtig abwinkend.

„Fang nur nicht wieder deinen Dauerlauf an. Graf Brankowan hat bis jetzt reichlich Pech gehabt, um nervös werden zu können, auch ohne dein Rennen.“

„Es pflegt ſich zu beſſern, wenn ich dazwiſchen getrunken habe,“ meinte der Graf, den Inhalt ſeiner Brieftaſche durchmuſternd. „Ich bitte die Herren, zu ſetzen.“

Der Rat ſtand hinter ihm, ohne den Blick zu wen- den. Er ſah, wie nach einigen Abzügen plötzlich ein anderer Geiſt in die Karten zu fahren ſchien.

„Bube und Dame —“

Brankowan zog die auf dem Buben ſtehende Summe gleichmütig ein. Die Karten ſchlugen bei hohen Ein- ſätzen jetzt faſt dauernd zu ſeinen Gunſten um.

„Ich wußte es vorher,“ ſagte er ſcherzend. „Es iſt mein Schickſal, zu gewinnen. Sonſt müßte ich längſt daheim meinen Kohl bauen.“

Der Rat ging haſtig auf Warnulf zu. „Wir ſehen uns morgen noch. Ich habe dann noch das Vergnügen, Ihnen, Herr v. Lichtenberg, einige Worte zu ſagen.“ Er drückte ſeinem Freunde die Hand.

„Willſt du wirklich noch nach dem Waſſerloch gehen?“ fragte Warnulf kopfſchüttelnd. „Na wenn du einen Rehbock ſiehſt, ſag, ich laſſ' ihn grüßen!“

Müllbrich trat aufatmend aus der ſchwülen Rauch- luft des Spielzimmers. Der Diener ſchritt mit bren- nender Kerze leuchtend vor ihm her den Gang hinauf zu den Fremdengemächern.

„Heute haben ſie in der Stadt den Kerl erwiſcht,

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der in Warnow die Windmühle in Brand ſteckte, Herr Amtsgerichtsrat,“ ſagte er, das Licht auf dem Nacht- tiſch anzündend und Wüllbrich beiſtehend, ſich des ſchwarzen Anzuges zu entledigen. „In einem ver- rufenen Wirtshauſe haben fie ihn feſtgenommen. Er ſoll ſich wütend gewehrt und einen Poliziſten mit dem Meſſer ſchwer verwundet haben.“

„So ſo!“ antwortete Müllbrich, zerſtreut nach der Uhr ſehend. „Es iſt wirklich ſchon ein Uhr vorüber. Das Niederlegen lohnt faſt nicht mehr.“

„Anfer Förſter hat ihm ſchon ein paarmal auf- gelauert, denn er iſt ein ganz gefährlicher Wilddieb. Aber er iſt ſo geriſſen, daß ihn keiner erwiſchen konnte.“

„Der Halunke!“ ſagte Müllbrich, ohne dem Wort- ſchwall des Dieners Beachtung zu ſchenken.

„Die Hintertür bleibt auf. Herr Amtsgerichtsrat haben vielleicht nachher die Güte, beim Vorbeigehen ans Fenſter im Dienerzimmer zu klopfen. Ich komme dann ſofort.“ 5

„Ich brauche Sie nicht mehr,“ ſagte Wüllbrich, feinen warmen Fagdrock anziehend. „Haben Sie vielleicht einen Briefumſchlag zur Hand? Sch möchte ein paar Worte ſchreiben.“

„Hier im Schreibtiſch find welche. Sch glaube übrigens, die Herren brechen unten auch ſchon auf.“

Eilfertig verſchwand er.

Allein geblieben öffnete Müllbrich ſeine Brieftaſche, ſchrieb haſtig mit dem Bleiſtift einige Zeilen, riß das Blatt heraus, ſteckte es in einen Umſchlag, kleidete ſich dann fertig an, warf die Flinte über die Schulter und ging aus ſeinem Gemach bis ans Ende des Korridors. Dort öffnete er die Tür eines der Gaſtzimmer, legte den Brief auf den Nachttiſch neben den Leuchter und ſchritt dann eilig, als habe er eine drückende Laſt ab-

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 13

geſchüttelt, die Steinſtufen der Hintertreppe hinab, die in einen Seitenhof führte, von dem er direkt ins Freie gelangte. |

Tief aufatmend verfolgte er den ſtillen Weg über das Feld in den Wald hinein.

Die Nacht ſang der ſchlafenden Natur ein feierliches Schlummerlied. In langgezogenen Orgeltönen ſtrich es längs der Baumkronen hin, ſchwoll an und ver- ſchwebte in ächzendem Seufzen. Bisweilen, wenn das Käuzchen dazwiſchen ſchrie, klang es wie fernes Weinen, von ſchrillem Lachen übertönt. Das Nacht- getier huſchte durch Buſch und Moor. Der Nebel war geſunken und verkroch ſich in dünnen Schwaden tief am Boden. Wolken und Sterne ſtritten um die Herr- ſchaft und kämpften, bis der Mond ſein ſilbernes Licht ſieghaft dazwiſchen warf.

Müllbrichs Sinne nahmen die Reize dieſer Nacht- einſamkeit mit wonnigem Behagen in ſich auf. Schöne Bilder gingen durch ſeine Phantaſie, während er den breiten Graben durchkletterte, um das Buſchwerk jenſeits zu erreichen, vor welchem ſich die Lichtung mit dem Waſſertümpel ausbreitete. Das Bild eines blondhaarigen, hübſchen Frauenkopfes erſchien ihm. Wie lange hatte er dieſes anmutige Antlitz ſchon im Herzen getragen! Als er nichts hatte und nichts war, liebte er's ſchon. Aber da war ein anderer gekommen, ein reicher, herzenskalter Egoiſt, dem war ſie überliefert worden und hatte ihm treulich angehört, bis ſie der Tod wieder geſchieden hatte. Dann war ſie endlich ſein geworden.

Und neben ſeiner blonden Frau tauchten die beiden kindlichen Geſtalten vor ihm auf, die ſich an die Mutter drängten, Harda, die braunlockige, die ihm dieſe mit in die Ehe gebracht, und der er ein zweiter Vater war,

14 Willſt du dein Herz mir ſchenken .

und Liska, die jüngere, blonde, fein eigenes viel- geliebtes Kind. Wie leuchteten ſeine Augen im inner- lichen Betrachten dieſes ſeine Seele ſo ganz erfüllenden Bildes!

Doch jetzt hatte Müllbrich den Platz, auf dem er ſich zum Anſtand aufſtellen wollte, erreicht. Ein dicker Eichenſtamm nahm ihn in feinen Schatten. Geſpannten Blicks, geſpannten Sinnes, die Büchſe ſchußfertig in der Hand, horchte der Rat auf das Brechen jedes Aſtes.

Dabei überhörte er, wie hinter ihm, aus der Blätter- fülle des Grabens, ſich eine Geſtalt langſam in die Höhe richtete. Die bleierne Erſchöpfung, die den Mann auf ſeiner Flucht wehrlos gemacht, war einem grimmen Fröſteln gewichen, das ſeine Glieder erſchauern ließ. Er lauſchte kein Laut in weiter Runde!

So ſtieg er mühſam zum rückwärtigen Grabenrand hinauf und ſchlich eine Strecke ſeitwärts durchs Unter— holz, als ſei er in dieſem Revier mit Weg und Steg wohlbekannt.

Die Mondſichel neigte ſich zum Untergang. Schon lagerte hie und da ein Streifen helleren Lichtes über der Waldblöße, als der Flüchtling ſich neben einem Ameiſenhügel geräuſchlos auf die Kniee niederließ und leiſe Moos und Zweige fortzuräumen begann. Ein Gewehr kam zum Vorſchein. Er hob es ſorgfältig aus dem Verſteck und befreite es von der ſchützenden Hülle. Dann ſchlich er hinter Müllbrichs Rücken der Lichtung zu.

Der Nat, das Geräuſch eines knackenden Aſtes auf- fangend, wandte ſich zur Seite.

Im ſelben Augenblicke fiel ein Schuß.

Der Pulverblitz hellte das Dunkel zwiſchen den Stämmen flüchtig auf, und donnernd hallte der Knall, von allen Seiten ein Echo weckend, durch den ſtillen Wald.

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Roeppel). 15

Jetzt ein Schurren und Trappeln ringsum aufgeſcheucht huſchte das Wild erſchreckt davon. Ein Flügelflattern in der Höhe dann alles ſtill.

Die Turmuhr in Barnekow ſchlug die vierte Morgen- ſtunde an, da wurde der Gutsinſpektor durch lautes Pochen gegen ſeine Tür aus dem Schlafe gerüttelt.

Ein reitender Gendarm hielt auf der Straße draußen und bearbeitete mit ſeinem Pallaſch die Haustür.

„Was iſt los?“ fragte der unliebſam Geſtörte durchs Kammerfenſter. „Was gibt's denn?“

Er bekam aber einen Heidenſchreck, als er den Hüter des Geſetzes im Zwielicht erkannte.

„Munter, munter, Herr Reichert!“ rief der Gendarm hinauf. „Der Förſter und die ſämtlichen Taglöhner müſſen ſofort alarmiert werden. Riedel iſt beim Transport aus dem Zuge geſprungen. Wir ſind ihm auf der Spur. Er kann ſich nur im Barnekower Forſt verſteckt halten.“

„Das ſoll ihm übel bekommen,“ brummte der In- ſpektor, verdroſſen das Fenſter zuſchlagend.

Der Förſter, der raſch auf den Füßen war, wußte ſofort, wo der berüchtigte Wilddieb und Brandftifter zu finden ſei, wenn er überhaupt im Forſt war. „Wenn Riedel ſich im Wald verſteckt hat, iſt er beim großen Graben zu finden.“

Und dann begann die Razzia nach dem Verfemten.

Der Morgenwind blies friſch über die Felder hin bis ins Herz des Waldes hinein, und der letzte Nebelreſt verwandelte ſich in weißen Reif, in den das junge Saatengrün ſich fröſtelnd hüllte. Die Sterne blinkten blaß am Himmel. Ein ungewiſſes Dämmern ſpann ſich wie ein grauer Flor um Buſch und Baum, um Veg und Steg.

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Mit möglichſt wenig Geräuſch vollzog ſich die Um- zinglung des Waldreviers, in dem ſich der Geſuchte längſt nicht mehr ſicher wähnte, das zu verlaſſen er aber auch den Mut nicht gehabt hatte.

Er kniete, ſorgſam Umſchau haltend, am Boden, als ihm ein Brechen der Zweige das erſte Zeichen der nahen Verfolger zutrug. Flink wie der Hirſch, alle Muskeln vom Selbſterhaltungstrieb geſtrafft, fuhr er auf und ſtürzte nach dem Graben zurück.

Zu ſpät! Die Hunde des Förſters, von der Leine gelaſſen, hatten ihn gewittert und folgten laut bellend ſeiner Spur.

„Da iſt er dort läuft er!“

Er hörte die Worte hinter ſich her ſchallen und wechſelte die Richtung im Fliehen. Doch wie er auch laufen mochte, der Lärm, die Zurufe, hinter ſeinem Rücken und nun auch vor ihm, kamen immer näher. Durch das Buſchwerk raſchelten die Hunde und waren ihm ſo dicht auf den Ferſen, daß er ihren heißen Atem zu verſpüren glaubte.

„Halt!“ ſchrie der Förſter. „Steh, oder ich ſchieße!“

Er wandte ſich noch einmal, um den Hund, welcher ihn an der Hoſe gefaßt hatte, mit einem Kolbenſchlag niederzuſtrecken. Es war ſein letztes Werk für lange Zeit. i

Im nächſten Augenblick ſchon war ihm das Gewehr entriſſen, Feſſeln klirrten an ſeinen Armen.

Des Schweißes ungeachtet, der ihm von der Stirn rieſelte, ſah er auf die finſteren Geſichter um ſich her mit verbiſſenem Trotz. „Ich denke, ihr ſeid mit mir allein noch nicht fertig,“ ſagte er mit keuchendem Atem. „Es gibt noch 'ne andere Überrafhung für euch.“

„Elender Kerl!“ rief der Förſter, ihm mit der Fauſt drohend. „Möchteſt uns wohl auch den roten Hahn

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 17

aufs Dach ſetzen? Der arme Feldmann iſt wahrhaftig faſt hin.“

Durch die ſcharfe Luft glitt ein unheimlich win- ſelnder Laut. 5

„Merkt ihr was?“ fragte der Gefangene höhniſch. „Das Vieh hat mehr Verſtand als ihr.“

Das Winſeln ließ nicht nach. Es wurde zum lang- gezogenen Heulen.

„Was hat nur der Köter?“ rief der Inſpektor, Riedel den ſicheren Händen des Gendarmen über- laſſend und dem Förſter in der Richtung auf den großen Graben nachgehend. „Hierher! Kuſch dich kuſch!“ 5

Das Heulen nahm kein Ende. 8

„Du Vieh!“ ſchrie Reichert, nach einem Stein ſich bückend. „Willſt du wohl —“

Im ſelben Moment ſtieß der Forster einen lauten Ruf aus. „Hierher hierher um Gottes willen!“

Sie ſtanden, die Köpfe geneigt, fahl und ſprachlos im erwachenden Frühlicht.

Da lag, neben einer ſtarken Wurzelknolle, die ihm als hartes Kiſſen diente, der Amtsgerichtsrat tot. Aus der Seite war ein ſchmaler roter Streifen gefloſſen, der erſtarrt war. Die Jagdmütze lag einige Schritte entfernt neben dem abgeſchoſſenen Gewehr, deſſen Laufmündung der Herzwunde zugekehrt war, als ſei es dem Verſtorbenen aus der Hand geglitten.

Auf ſeiner kalten Stirn durchſpielte der Wind das Haar und huſchte um die Schläfen, als wolle er ein neues Leben wachpochen. |

„Erſchoſſen von dem Kerl!“ flüfterte der In- ſpektor, das traurige Bild mit gefalteten Händen be- trachtend. „Was wird der Herr ſagen?“

„Verheiratet iſt er auch,“ murmelte der N

1010. I.

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den Goldreif an der erſtarrten Hand bemerkend. „Wir müſſen ihn hier liegen laſſen.“

Es war noch dunkel, als Herr v. Warnulf aus tiefem Schlaf durch ſeinen Diener geweckt ward.

„Nanu!“ rief er, ſich die Augen reibend. „Biſt du verrückt, Fritz?“

„Gnädiger Herr,“ ſagte der Diener leiſe, indem er das Licht anzündete, „es iſt ein furchtbares Unglück ge- ſchehen.“ ö

Warnulf fuhr im Bett in die Höhe. „Menſch, wie ſiehſt du denn aus!“

„Der Herr Amtsgerichtsrat liegt tot im Walde.“

Der Gutsherr ſprang mit beiden Füßen zugleich auf den Boden.

„Der Förſter hat mich ſoeben herausgeklopft. Der Gendarm iſt die ganze Nacht hier geweſen auf der Suche nach dem entſprungenen Riedel. Zn unſerem Forſt, am großen Graben, haben ſie ihn aufgeſpürt und gefangen. Dabei haben ſie die Leiche vom Herrn Amtsgerichtsrat gefunden.“

Warnulf antwortete nicht. Das Blut ſchoß ihm ins Gehirn, daß er taumelte. Dazwiſchen, während er ſich mit unſicheren Händen ankleidete, ſprudelten ihm einzelne Sätze zwiſchen den Lippen hindurch.

„Er wollte nicht hören! Armer, armer Menſch! 3 hätte es ihm nicht geftatten N Die Frau, die Frau —“

„Ich glaube, die anderen Herren ſind auch ſchon munter geworden durch den Lärm.“

„Pferde heraus! Angeſpannt!“ rief jetzt Warnulf aus dem Zimmer ſtürzend. „Vorwärts! Zum Amts- vorſteher! Zum Arzt! Eine Tragbahre! Meine Herren,“ rief er, den Gang zur Hintertür hinunter

0 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 19

eilend, wo ſich erſtaunte Geſichter zwiſchen den halb- geöffneten Türen zeigten, „ich bin faſſungslos. Mein guter, alter Freund Wüllbrich liegt erſchoſſen im Walde —“

Fort ſtürzte er, von dem männlichen Hausperſonal begleitet und gefolgt von ſeinen Gäſten. Eilig glitten ihre Schatten im Frühlicht über das zerkniſternde Weiß des Rauhreifs und verſchwanden im düſteren Dickicht des Waldes.

Der Arzt, der Amtsvorſteher, alle, die gekommen waren, das Ungeheure zu ſehen, umſtanden und um- knieten die Stelle, wo ein braver Mann ein jähes Ende gefunden. Herrn v. Warnulfs Augen floſſen über. Er machte ſich die heftigſten Vorwürfe, ſeine Einwilligung zu dieſem nächtlichen Gang gegeben zu haben. Dazwiſchen bemächtigte ſich feiner eine grenzen loſe Wut gegen den niederträchtigen Mordbuben, der gefeſſelt zwiſchen dem Gendarmen und dem Förſter an der Unglücksſtätte ſtand.

Mit finſterem Trotz blickte Riedel vor ſich nieder. Ein hartes Lächeln grub ſich zuweilen in ſeine Mund- winkel ein und verzerrte ſeine vor Erſchöpfung und Hunger farbloſen Züge.

„Anfinn!“ ſtieß er haſtig hervor, als man ſich an- ſchickte, den Toten vom Boden aufzuheben. „Glaubt's oder glaubt es nicht. Wie der da liegt, ſo liegt keiner, der von hinten oder von vorn feinen Denkzettel be- kommen hat.“

„Mund halten!“ ſchrie ihn der Gendarm an.

„Einen Augenblick!“ ſagte der Amtsvorſteher, ſich aufrichtend. „Was will der Menſch damit ſagen?“

„Daß ich dort ſtand! Da, hinter dem Stamm!“ ſtieß Riedel rauh hervor. „Daß der hier es iſt nur ein Schuß gefallen.“ ;

20 Willſt du dein Herz mir ſchenken u

„Das jagt der Wächter auch,“ fiel ein Diener ein. „Er hat nur einen Schuß gehört von dieſer Gegend her.“

„Und dieſer Schuß —“ rief Herr v. Warnulf, die Hand des Toten in der ſeinen drückend. „Schafft mir den Halunken aus den Augen, oder ich vergeſſe mich.“

„Unſinn!“ ſagte Riedel wieder, „der da hat ſich —“ Er ſchwieg, und ſeine Stimme klang noch heiſerer denn zuvor, als er langſam fortfuhr: „ganz allein aus der Welt geſchafft. Es hätt's niemand beſſer machen können, als er's ſelber gemacht hat.“

„Mund halten!“ ſchrie der Gendarm von neuem ingrimmig.

„Was will der Kerl damit jagen?“ fiel der Amts- vorſteher wieder ein.

„Daß der da mich gehört hat, als ich auf einen dürren Aſt trat.“ Er räuſperte ſich ein paarmal. „Ge— hört, will ich ſagen, und ſich danach umgeſehen hat. Da, wo er liegt, iſt er dabei über die Wurzel geſtolpert, und im Fallen hat ſich das Gewehr entladen. So iſt's geweſen was ich geſehen hab', kann mir nie- mand abſtreiten.“

„Halt 's Maul!“ ſchrie der Gendarm entrüſtet. „Vorwärts jetzt!“

„Na, es wird ſich ja finden,“ ſagte Riedel, ſeine trüben Blicke noch einmal in die Runde ſchickend, als wolle er Glauben oder Unglauben aus den Geſichtern herausleſen. „Meinetwegen brauchte der hier nicht zu liegen.“

„Sie werden dir ſchon auf die Sprünge helfen, Bürſchchen!“ ſagte der Förſter mit drohender Fauſt. „Wir kennen dich.“

„Vorwärts marſch!“ kommandierte der Gendarm,

2 Roman von Georg Hartwig Emmy Koeppel). 21

gab Riedel einen Rippenſtoß und brachte ihn fo zum Ausſchreiten. Gleich darauf verſchwanden ihre Ge— ſtalten zwiſchen den Stämmen.

Das Haupt feines Zugendfreundes emporhebend, befahl Warnulf, den Toten auf die Bahre zu legen und ins Herrenhaus zu tragen. Dann folgte er dem traurigen Zuge inmitten ſeiner Gäſte, die einen ſolchen Abſchluß ihres fröhlichen Zuſammenſeins tief be- klagten.

„Graf Brankowan,“ ſagte Warnulf, durch den grauen Novembermorgen hinſchreitend, „ich bin voll- ſtändig gebrochen. Es tut mir leid, Zhret- und aller anderen wegen. So wird uns in alle Freuden ein Wißklang vom Schickſal geworfen kein Menſch ahnt, was herauskommen wird. Sie ſehen auch miſerabel aus kein Wunder. Wenn es nur erſt der Frau beigebracht wäre! Das ſchlägt mich vollends nieder. Der gemeine Kerl verdiente, auf der Stelle aufgehängt zu werden. Die arme Familie!“

„Es iſt mir verſagt, mich jetzt darüber zu äußern,“ erwiderte Brankowan, ſein Taſchentuch hervorziehend, um ſich die Stirn zu betupfen. „Ich konnte meinen Gefühlen nie Ausdruck geben.“

„Zah immer zu viel,“ ſagte Herr v. Warnulf melan- choliſch. „Ich machte nie aus meinem Herzen eine Mördergrube. Verzeihen Sie, lieber Graf es iſt ſo ein altes, dummes Wort, hat gar keinen Bezug auf Ihre Kunſt der Selbſtbeherrſchung, die ich bewundere, beneide. Ach Gott, nein! Warum ſollte ich jetzt nicht ſagen, daß ich mich völlig zerſchmettert fühle?“

„Der Verſtorbene ſtand Ihnen ja auch ſehr nahe,“ ſagte der Graf, ihm ſeinen Arm bietend.

„Danke, ich komme ſchon ſo nach Hauſe. War ſo ein guter, prächtiger Menſch! Immer fidel mit

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nichts in der Taſche. Die Frau, die arme Frau! So ein hundsgemeiner Mordbube! Sch werde nun ſogleich zur Stadt fahren müſſen ich kann der Frau doch nicht die Leiche ohne weiteres ins Haus ſchicken. Vielleicht hilft mir einer ſeiner Kollegen oder eine der Damen dabei.“

„Sie geſtatten, daß ich mich ſogleich Ihnen empfehle, Herr v. Warnulf,“ ſagte der Graf, „mit dem herz- lichſten Dank für Ihre Gaſtfreundſchaft und dem innig- ſten Bedauern, daß dieſelbe einen ſo beklagenswerten Abſchluß fand.“

„Von Dank kann gar keine Rede ſein. Leben Sie wohl, lieber Graf! Wenn ich jetzt doch dieſe Fahrt nicht zu machen brauchte! sch möchte den anderen Herren auch gleich Lebewohl ſagen ich bin ſo ganz außer Gaſtgeberſtimmung.“

Er drückte allen die Hände.

„Dort ſtehen die Wagen, meine Herren. Der Kaffee wird fertig ſein. Lieber Graf, trinken Sie ein paar Kognake hintereinander, Ihre Hände ſind ja eiskalt. Adieu! Adieu, meine Herren!“

Er wandte ſich ab und ſchritt ſchneller aus, bis er ſich allein hinter der Bahre ſeines Freundes befand und keinen Zwang mehr nötig hatte, um die Tränen zu verbergen, die ſich hin und wieder zwiſchen ſeinen Wimpern hervorſtahlen.

Zweites Kapitel.

Blumen, Blumen nichts als Blumen! Ein Begräbnis ohnegleichen! Beinahe wie zu einem Freudenfeſt war die geſamte Bevölkerung des Städt- chens auf den Straßen, an den Fenſtern und auf dem Friedhof verſammelt, den impoſanten Leichenzug zu

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Roeppel). 23

ſehen, der da endete, wo die Vergangenheit ſich auf- tut in ſechs Fuß Erdentiefe.

Die blaſſe Sonne hatte ein freundliches Lächeln für dieſen letzten Pilgergang. Sie ſpendete es bis in die Gruft hinein und erhellte ihr harrendes Dunkel. Gehüllt in Licht und noch einmal umfangen vom weichen Winde ſank der Sarg hinab aus dem Sein ins Vergangene, aus dem Schaffenden ins Ver- nichtende.

Vier Perſonen ſtanden zunächſt dem Grabe, Erit- berechtigte, um ein paar Hände voll Erde über die dumpf erklingenden Bretterwände zu ſtreuen, ein hoch- gewachſener, wohlbeleibter Herr in tadellojer Haltung zwiſchen zwei Damen in hochmoderner Trauerkleidung, an deren Seite ein vierzehnjähriges Mädchen ſichtlich unbehaglich in ihrer ſchwarzen Gewandung und mit geteilter Aufmerkſamkeit den Schlußworten des Geijt- lichen lauſchte.

Als der Moment des Aufbruchs gekommen war, verneigte ſich Herr Sebaldus Kniebel mit würdevollem Dank gegen die Verſammlung, drückte dem Prediger verbindlich die Hand, reichte ſeiner älteſten Schweſter Eliſabeth den Arm und verließ mit ihr die Trauerſtätte, mitten durch die gaffende Menge, deren beifälliges Murmeln nicht ungehört an ſeinem Ohr verhallte.

Hinter ihnen, Hand in Hand, ſchritt Fräulein Ro- ſalie Rniebel neben ihrer Nichte Harda, einem hübſchen Backfiſch, deſſen braune Haarzöpfe ſich kaum bändigen ließen.

Schon öffnete Sebaldus Kniebel den Vagenſchlag für ſeine Begleiterinnen, als, im Sturmſchritt hinter- drein eilend, Herr v. Warnulf ſeinen Namen rief.

„Einen Augenblick bitte zu warten, Herr Kniebel!“

Sein noch immer ſonnenverbranntes Antlitz war

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ſtark gerötet vor Erregung, und die Haſt, mit der er ſprach, ſtand in ſchroffem Gegenſatz zu der abwarten- den Ruhe des Angerufenen.

„Ich ſtehe zu Oienſten.“

„Ich wollte nur fragen, ob es auch jetzt noch un- möglich iſt, Frau Müllbrich die Hand zu drücken. Sie können ſich denken, daß es mir ein unabweisbares Be- dürfnis iſt.“

„Ganz unmöglich!“ rief Fräulein Eliſabeth hinter ihrem Kreppſchleier hervor. „Wir haben alle Mühe, ſie überhaupt nur aufrecht zu erhalten.“

„Ach Gott nur keine Tröſtungen!“ ſeufzte Fräu- lein Roſa, abwehrend die Hand ausſtreckend.

„Sie hören ſelbſt!“ ſagte Herr Kniebel mit kühler Verbindlichkeit. „Ich könnte es nicht verantworten, den Willen meiner Schweſtern zu mißachten.“

Warnulf murmelte etwas vor ſich hin, während er zurücktrat. „Dann bitte ich wenigſtens, mich Frau Müllbrich empfehlen zu wollen,“ ſchloß er.

Herr Kniebel verneigte ſich und ſtieg feinen Damen nach in den Wagen, der alsbald fortrollte.

„Gott ſei Dank,“ ſagte Fräulein Eliſabeth, „daß dieſer Akt vorüber iſt. Wer weiß, was Mathilde in- zwiſchen wieder angeſtellt haben wird! sch habe nie eine ſolche Faſſungsloſigkeit, ein ſolches ſeeliſches Darniederliegen erlebt.“

„Meine Nerven ſind geradezu auseinander,“ ſeufzte Fräulein Roſa, ihre Nichte Harda an ſich drückend. „Armes Kind in deiner erſten Blüte ſolchen Sammer!“

„Wenn Mama ſo fortfährt,“ ſagte Harda, mit geröteten Wangen aus dem Wagenfenſter blickend, „werde ich elend.“

„Erbarme dich, Harda!“ rief Tante Eliſabeth mit beſchwörender Stimme. „Das tuſt du uns nicht an!“

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppeh). 25

„Wir werden Rat finden, liebe Lilla, und Ein- ſpruch tun,“ ſagte Sebaldus Kniebel mit unantaſtbarer Zuverſicht.

„Ja, Kind, hätteſt du jetzt deinen Onkel nicht!“

„Es iſt nur gut, daß ihr gleich gekommen ſeid, als ich telegraphierte. Mama war wirklich geiſtesgeſtört, und Liska benahm ſich wie eine Verrückte.“

„Dieſes ſchreckliche Mädchen!“ wiſperte Tante Roſa unhörbar in ihr Taſchentuch.

Der Wagen rollte weiter und hielt endlich vor dem Trauerhauſe, kenntlich durch das zertretene und ver- ſchrumpfte Grün, über welches der Sarg hinweg- getragen worden war.

Alle vier ſtiegen ſchweigend die Stufen hinauf zu einer Korridortür, die ſich wie von ſelbſt öffnete.

„Na?“ ſagte Fräulein Lilla, als erſte eintretend, zu einem kleinen, blondlockigen Mädchen. „Wie ſteht's?“

Die Kleine antwortete nicht, ſie ſchluchzte nur.

„Dieſelbe Geſchichte!“ ſeufzte Tante Roſa, ihren Kreppſchleier abnehmend. „Aber Liska! Wir müſſen uns doch fügen. Sollen wir denn murren? Lernſt du das in der Schule, Kind? In der Religionsſtunde, Liska?“

Da abermals keine Antwort erfolgte, öffnete Fräu- lein Lilla die Tür zum Wohnzimmer.

Drinnen ſchienen die letzten Sonnenſtrahlen durch zugezogene Vorhänge gleich freundlichen Grüßen vom friſch geſchaufelten Grabe her. Ein paar Roſen, die Frau Wüllbrich dem Toten aus den Händen genommen und zum Andenken behalten, durchdufteten das Zimmer.

In dieſem ſchwermütigen Dufte ſchritt die hübſche blonde Frau ruhelos auf und nieder. Liska eilte ſtürmiſch an ihre Seite zurück und ſtreichelte die herab- hängende Rechte.

26 Willſt du dein Herz mir ſchenken 2

„Nun, meine liebe Mathilde,“ ſagte Herr Sebaldus Kniebel, in korrekteſter Haltung auf ſie zugehend und ihr beide Hände mehr mahnend als tröſtend entgegen- ſtreckend, „haben wir dich und die Kinder ins Auge zu faſſen. Wir haben uns ſchon einmal jo gegenüber- geſtanden,“ fuhr er bedeutſam fort, „damals, als dein erſter Gatte, mein lieber Bruder Artur, geſtorben war. Ich dachte nicht, daß es ein zweites Mal ge- ſchehen würde.“

Frau Müllbrich zuckte zuſammen.

„Gott weiß es!“ ſeufzte Fräulein Roſa.

„Was der Menſch ſich ſelbſt erwählt hat,“ fagte Fräulein Lilla nachdrücklich, „muß er auch zu ertragen wiſſen. Es wird dir wohler werden, liebe Thilde, wenn fie dem Mörder erſt den Kopf vor die Füße gelegt haben.“

„O nein nein!“ rief die Rätin. „Was kann uns ſein Tod nützen!“

„Gerechtigkeit iſt nicht Sentimentalität,“ ſagte Herr Kniebel mit unanfechtbarer Beſtimmtheit. „Die Hauptſache iſt, daß du dich darein findeſt, dein Kreuz mit Ruhe und Würde zu tragen und ſo deinen Kindern gegenüber vorbildlich zu wirken.“

„Harda iſt ruhig,“ flüſterte die Rätin. „Es war ja auch nicht ihr Vater. Aber Liska —“

„Ich denke, wir ſprechen Liska demnächſt ins Ge- wiſſen,“ ſagte Tante Lilla mit verſchärfter Stimme. „Kinder haben die Pflicht, ihre Eltern zu erheitern, aber nicht die Aufgabe, ſie zu quälen.“

„O, ſie quält mich nicht!“ rief Frau Müllbrich, das blondlockige Kind an ſich ziehend. „Sie teilt meinen Schmerz, wenn ſie auch nicht faſſen kann, was ſie in ihrem Vater verlor.“

„Und was mußte vor Jahren Harda?“ fragte Herr

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Sebaldus mit ſtrengem Nachdruck. „Mußte ſie nicht damals dasſelbe erfahren und tragen? Stand ſie anders da in jenen Tagen, als ihr Vater, mein lieber Bruder, das Sterbliche von ſich tat? Hat ſie nicht mit beiſpielloſer Selbſtbeherrſchung bis auf dieſen Tag und dieſe Stunde den Verluſt ſtill in ſich getragen, ohne irgend jemand mit Tränen und Jammer zu beſtürmen?“

„Sie hat euren Charakter,“ flüſterte die Rätin, während dieſes liebevollen Zuſpruchs ihre Tränen tunlichſt verſchlucftend. „Sie hat nichts, gar nichts von Leopolds Weſen, während Liska —“ f

„Jetzt weiß ich wirklich nicht, meine liebe Thilde,“ fiel Tante Lilla mit ſtaunendem Kopfſchütteln ein, „wie Harda Kniebel zu Leopold Müllbrichs Charakter- eigenſchaften kommen ſollte! Sie iſt eine Kniebel und keine Müllbrich. Wenn es ſchon traurig genug iſt für ein ſtarkgeiſtiges Kind, einen Fremden in die Rechte ſeines Vaters eingeſetzt zu ſehen, ſo darf es ihm doch nicht zum Vorwurf gemacht werden, die angeſtammten Anlagen ihrer eigenen Familie in ſich aufgenommen zu haben.“

Die trauernde Frau, wenig auf dieſe wohltuende Tröſtung hörend, barg wieder ihr Geſicht in beide Hände und ſchluchzte laut. „Wie ſoll ich's nur ertragen? Wie ertragen?“ |

„Du biſt ſchon einmal im gleichen Fall geweſen,“ ſagte Fräulein Lilla, dieſe erquickende Tatſache ſcharf betonend, um ja keinen Zweifel daran aufkommen zu laſſen, „ſchon einmal, meine liebe Thilde, und haſt es überlebt und ertragen. Nicht ein graues Haar iſt dir darüber gewachſen. Weshalb wollteſt du jetzt ver- zweifeln? Zetzt, da du zwei Töchter ſtatt der einen haſt?“

Dieſer rückſichtsvolle Hinweis auf das, was fie

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glücklich gemacht, ließ die Rätin abermals zuſammen- zucken und in tiefſter Seele nach dem verlorenen Mann und Beſchützer aufſchreien. Aber ſie faßte ſich, trocknete ihre Tränen in den blonden Locken ihrer Züngſten und flüſterte ihr mit zitternden Lippen zu: „Lauf, Liska! Sag Harda, daß der Kaffee kommen ſoll!“

„Wir haben,“ begann Sebaldus Kniebel, als die Tür ſich ſchloß, „dir den Mann, der ſich Müllbrichs Freund nannte und auf deſſen Grund und Boden das Unglück geſchah, mit aller Energie ferngehalten. Die Umftände waren nicht dazu angetan, Sympathie für ihn zu erwecken. Nach einem wüſten Feſt iſt der Deritor- bene —“

„Nein, o nein!“ rief die verwitwete Frau mit ſchmerzlichſter Abwehr. „Leopold war ſo mäßig, ſo durchaus mäßig.“

„Jedenfalls hat dieſer Herr v. Warnulf deinen Mann auf dem Gewiſſen,“ fuhr Sebaldus Kniebel unter dem zuſtimmenden Nicken ſeiner Schweſtern fort „durch Schlemmerei und Völlerei. Ob nun Mord oder Unfall vorliegt, ich würde es für unchriſtlich halten müſſen, wollteſt du dieſem Herrn Zutritt zu dir geſtatten.“

„Wenn du glaubſt,“ ſagte die Rätin erſchüttert, „dann gewiß nie. Aber Leopold hing an ihm, hing ſehr an ihm. And er war ſo glücklich —“

„Na ja, wir haben geſehen, wohin dieſes Glück führte,“ entgegnete Fräulein Lilla, ihrem Bruder zu— nickend. „Wir tragen noch alle reichlich daran.“

Auf allen Punkten geſchlagen, drückte Frau Müll- brich ihr tränenfeuchtes Tuch wieder gegen die Augen. „Ich möchte ſein Grab aufreißen laſſen und mich mit hineinlegen,“ flüſterte ſie halb erſtickt von Angſt und Schmerz.

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„Unſere Abſicht war, verſtändig mit dir zu ſprechen,“ ſagte Herr Kniebel mit dem Bruſtton gekränkter Würde, „ohne in ſündhafte Ungeheuerlichkeiten zu geraten, die auch den beiten Willen ermüden müſſen.“

„Sprich, bitte!“ ſagte die Rätin, die naſſen Wimpern trocknend. „Ich will mich gewiß zuſammennehmen, ſolange ich kann.“

„In dieſem Falle alſo,“ fuhr Sebaldus Kniebel fort, ſie korrekt zum Sofa führend und an ihrer Seite Platz nehmend, „darf ich dir ſagen, daß nach unſerer Anſicht deines Bleibens hier nicht ſein kann.“

„Nicht hier?“ rief Frau Müllbrich aufſpringend. „Nicht bei ſeinem Grabe? Wo denn?“

„Gib's auf, Bruder,“ mahnte Fräulein Lilla mit betrübtem Kopfſchütteln und entſagendem Lächeln. „Gib's auf!“

„O, habt doch Geduld!“ bat die zitternde Frau. „Denkt doch, was ich verloren habe. Ich will ja euch und eurem Rat folgen, ſo unſelbſtändig wie ich mich fühle, ſo haltlos —“

„Deshalb eben,“ fiel Herr Kniebel zuſtimmend ein, ſeine wohlgepflegte Hand ausſtreckend, als wolle er damit jede weitere Unterbrechung abſchneiden, „des- halb eben halten wir für nötig und im Hinblick auf deine Menſchenunkenntnis geradezu für geboten, dich mit den Kindern in unſerer Nähe zu haben.“

„Nach Berlin ſoll ich ziehen?“ rief Frau Müllbrich ſtarr vor Überrafchung.

„In unſeren Schutz.“

„Lieber Sebaldus,“ fiel Fräulein Lilla ein, „du biſt zwar Hardas Vormund und von ihrem Vater zum Verwalter ihres Vermögens beſtimmt, aber wir können doch nicht daran denken, Mathilde uns und unſeren Schutz aufzunötigen. Wenn fie glaubt, allein

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beſſer fertig werden zu können, oder Gründe hat, die letzten Beziehungen zu unſerer Familie abzu— ſtreifen —“

„Aber Eliſabeth,“ fiel die Rätin erſchreckt ein, „wie darfſt du ſo etwas denken und ſagen!“

„Ich hatte die Abſicht,“ fuhr Herr Kniebel fort, ſich vorbeugend, um ſeiner Befriedigung über dieſen Ausruf ſeiner Schwägerin noch mehr Nachdruck zu geben, „mich auch als Vormund für deine Tochter Liska anzubieten. Wir haben dann beide allein die Ver- antwortung für ſie in Händen wie die Sorge um ihre Zukunft.“

„Nun, Thilde!“ rief Fräulein Roſa, mit dieſem Ton vorwurfsvoller Güte das überraſchte Schweigen der Rätin als undankbar kennzeichnend. „Was ſagſt du dazu?“

„Ich danke dir, Sebaldus,“ ſagte Frau Müllbrich haſtig, unwillkürlich einen Blick voller Beſorgnis nach der Tür werfend, wo Liska mit Kuchenteller und Zuckerdoſe und Harda mit dem Kaffee erſchienen. „Es iſt ſo ſehr gütig —“

„Wenn du die Kinder noch etwas draußen be- ſchäftigen könnteſt, liebe Mathilde,“ bemerkte Herr Se- baldus und ſchenkte ſich eine Taſſe Kaffee ein, „ſo würde ich noch einen letzten Punkt mit dir erörtern.“

„Harda, nimm Liska mit dir,“ ſagte die Rätin er- geben, während Eliſabeth und Roſa Kniebel den be- trübten Widerſtand der Kleinen mit ſcharfem Räuſpern als angeborene Widerſpenſtigkeit kennzeichneten. „Geh, Liebling geh! Schließt die Tür.“

„Im Laufe der Fahre,“ begann Sebaldus unter dem beifälligen Nicken ſeiner Schweſtern, „iſt uns die Überzeugung geworden, daß Harda durch dich „WMüllbrichs gedenken wir in dieſer Beziehung nun

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nicht mehr die richtige Wertſchätzung nicht erfährt, welche Arturs Tochter für ſich in Anſpruch nehmen darf, um nicht zu ſagen, liebe Mathilde, welche wir Geſchwiſter für unſere Nichte beanſpruchen dürfen. Hardas glänzende Vermögenslage von väterlicher Seite her kann beanſpruchen, daß ihre Erziehung auf die höchſte Stufe der Vollkommenheit gehoben wird, und daß man ſich die Mühe gibt, ihre Charaktereigen- ſchaften parteilos zu entwickeln, was —“ hier ſchnitt er einen mütterlichen Einwand rettungslos ab „bei deiner Vorliebe und Schwäche für Liska nicht wohl geſchehen kann. Deshalb ſchlage ich als Hardas Vor- mund vor, daß ſie zu Oſtern, bevor du nach Berlin ziehſt, in eine erſtklaſſige Penſion für junge Mädchen eintritt und dort drei bis vier Jahre verbleibt.“ „Leopold würde nie darein gewilligt haben,“ flüſterte die Rätin, während ihre Tränen vor Über- raſchung und Schreck verſiegten. „Er ſagte, die Mutter ſei die beſte, die einzig gute Erzieherin der Töchter.“ „Es iſt uns ja ſehr intereſſant und nicht minder be- lehrend,“ erwiderte Fräulein Lilla mit hochgezogenen Brauen, „dieſen Ausſpruch zu vernehmen. Indeſſen auf Arturs Tochter möchten wir doch lieber unſere eigenen Grundſätze angewendet ſehen ſelbſtverſtändlich mit deiner Zuſtimmung. Wenn du aber nicht der Über- zeugung fein kannſt, meine liebe Thilde, daß alles, was wir tun und vorſchlagen, zu eurer aller Beſten gedacht iſt, ja, wenn du ſo weit gehen willſt zu glauben, wir wollten Zank und Unfrieden zu euch tragen ſtatt Erleichterung und Wohlbefinden wenn du noch weiter gehen ſollteſt, unſere herzlichen Abſichten zu beargwöhnen oder zu bezweifeln, dann tun wir beſſer, aufzubrechen und dich deinem Schickſal zu überlaſſen.“ Fräulein Lilla ergriff, zum Zeichen des bevorſtehen⸗

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den Aufbruchs, energiſch ihre ſchwarzen Glacéhand- ſchuhe, als die Rätin ihre bebende Hand reuig auf die Rechte ihrer Schwägerin drückte. „Laß, Eliſabeth ich bitte dich! Sprich weiter, Sebaldus!“

„Ich habe nichts weiter hinzuzufügen, liebe Ma— thilde,“ ſagte Herr Kniebel mit verzeihender Nachſicht, „als daß du die Güte haſt, dich mit meiner Wahl ein- verſtanden oder uneinverſtanden zu erklären.“

„Es wird mir ſehr, ſehr ſchwer werden,“ flüſterte die Rätin, ihre heißen Wangen in den Händen verbergend, „gerade jetzt. Aber ich will mich an den Gedanken ge— wöhnen, mein Kind —“

„Harda, davon bin ich überzeugt,“ fiel Fräulein Lilla erhobenen Hauptes ein, „wird nichts unterlaſſen, dir die Trennung zu erleichtern. Wenn du es wün- ſcheſt, bereiten wir ſie darauf vor.“

„Tut es!“ ſeufzte Frau Müllbrich erſchöpft. „Nun aber bin ich mit meiner Kraft zu Ende und muß allein ſein.“

Sie ſtand auf und ging langſam aus dem Zimmer in ihr Schlafgemach, wo neben dem ihrigen des Ver- ſtorbenen Bett ſtand, dem er an jenem Unglückstage ſo froh und rüſtig entſtiegen war und in dem er nie wieder Schlaf und Erholung finden ſollte. Sie ſetzte ſich auf den Bettrand nieder, die Hände im Schoß faltend und das blonde Haupt tief darüber neigend.

Die Dämmerung war weit genug vorgeſchritten, alles im Zimmer mit ſchwärzlichem Grau zu um- ſpinnen, es in anſcheinende Ferne zu entrücken und ſeine Formen aufzulöſen. Ringsum verlor ſich jedes Ge- räuſch. Der Wind allein rauſchte in den Zweigen der Gartenbäume. |

Und in dieſem Dämmern, in dieſer Stille ging die Rätin ihren Lebensweg zurück, weithin bis in die

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Kinderjahre, wo ihr Vater, mehr Tyrann als Haus- herr, jedwede Selbſtändigkeit als Ungehorſam und Auflehnung gegen feinen ſelbſtherrlichen Willen ver- pönte.

Damals nahm ihre ſanfte Schüchternheit als ſelbſt⸗ verſtändlich hin, was in Wahrheit alle jungen Seelen triebe knebelte und band. Das große entſcheidende Ja und Nein, welches über allem hing und waltete, führte auch die Stunde herbei, welche ihren ſchlum- mernden Hoffnungen eine unerwünſchte Überrafchung bereitete. Der reichſte Mann der Stadt, Beſitzer einer Tuchfabrik, Sohn eines Großinduſtriellen, warb um die Hand des hübſchen, aber armen Mädchens.

Ein ſtattlicher Mann war Artur Kniebel. Doch ſchon die erſten Stunden im Kreiſe der Kniebelſchen Familie gaben ihr die Überzeugung, daß unter dem Übermaß Kniebelſcher Unfehlbarkeit nur noch die Ein- ſicht des eigenen Unwerts gedeihen konnte. Höchſt unzufrieden mit ihres Bruders Wahl, ließ das Ge- ſchwiſterkleeblatt nicht nach, ſich der Unerfahrenheit ſeiner Braut als Lehrmeiſter aufzunötigen, bis auch der leiſeſte Verſuch, das Joch abzuſchütteln, unter- drückt war. So trat ſie in die Ehe ein mit einem Mann, der aus der zärtlichen Gefügigkeit feines Weibes nichts anderes ſchöpfte als verſtärktes Wohl- befinden. Von früh bis ſpät im Geſchäft, verabſcheute er daheim jedwede Störung, jeden Anſpruch auf Stimmung und Laune, ſo daß die junge Frau, auch nachdem ſie ihm Harda geboren, in Angſt ſich dieſem Zwang unterwarf und nie mit einer Klage, nie mit eigenen Wünſchen, nie mit ihrem Innenleben ſich her— vorwagte. Dann trat die Kataſtrophe ein. Kaum war die Fabrik infolge eines ſchweren Leidens ihres Beſitzers in ein Aktienunternehmen verwandelt, als

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Artur Kniebel für immer die Augen ſchloß, jedoch nicht ohne zuvor mit den Geſchwiſtern in Abweſenheit ſeiner Frau ſein Teſtament aufzuſetzen. In dieſem war ſeine Tochter Harda zur Univerſalerbin des eine halbe Million betragenden Vermögens unter der Vormundſchaft des Onkels Sebaldus eingeſetzt, der Witwe aber nur der Pflichtteil hinterlaſſen .

Die Dämmerung war Nacht geworden. Noch immer ſaß Frau MWüllbrich mit gefalteten Händen auf dem Bettrand und ſtarrte vor ſich nieder.

Es ging ein Stern in ihrem Leben auf: die Liebe eines anderen Mannes, eines Mannes, den ihre ganze Seele mit ſeligem Glück umſpannte, der es verſtand und verſtehen wollte, ihr Tun und Denken ſelbſtändig wiederherzuſtellen, eines Mannes, dem es aber nicht gelungen war, ſich feiner Stieftochter Herz zu ge- winnen, noch die Familie Kniebel mit ſich und ſeiner Ehe zu verſöhnen, der ſein eigenes Töchterchen Liska vergötterte und als ein Bankzuſammenbruch das Vermögen feiner Gattin verſchlang, es ſich an- gelegen ſein ließ, ſie mit ſeiner Liebe über den Verluſt hinwegzutragen.

Heiße, heiße Tränen entrollten den Augen der Trauernden.

Wenn in jenen glücklichen Tagen noch etwas in ihr nachſchmerzte, ſo war es das Bewußtſein, durch ihre zweite Ehe den Kniebelſchen Zorn auf ſich gelenkt zu haben, der niemals aufhörte, dieſen Schritt als Verirrung zu betrachten, als unmütterlichen Verſtoß gegen die Tochterrechte Hardas.

Ein heller Lichtſtrahl fiel ins Zimmerdunkel. Harda ſtand in der halbgeöffneten Tür, die brennende Kerze in der Hand.

„Warum kamſt du nicht, Mama, den Verwandten

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Lebewohl zu ſagen?“ fragte ſie mit gedämpfter Stimme, aus deren Unterton verſteckte Mißbilligung durchklang.

Die Rätin fuhr erſchreckt auf. „Sind fie fort?“

„Ja. Wir haben lange gewartet.“

Wie fie jetzt näher ſchritt, die hagere Backfiſchfigur ſteif aufgerichtet, das Geſicht mit den dunklen Augen und der ſcharf hervortretenden Naſe grell beleuchtet vom Flackerſchein, ging ein Wehgefühl durch Frau Müllbrichs Seele.

„Komm her, mein Kind! Haben ſie dir's geſagt?“ fragte ſie leiſe, die Hand ausſtreckend und Harda an ihre Seite ziehend.

„Ja!“

„Und du?“ fragte die Rätin noch leiſer. „Du willſt. fort von uns?“

„Ich will nicht fort von euch, Mama,“ ſagte ſie, ruhig in das verweinte Antlitz blickend, „ich will nur tun, was für mich am beſten ſein ſoll.“

„Wird dir dein Herz denn nicht ſchwer, gerade jetzt, wo du uns ſo ſehr, ſehr traurig weißt?“ fragte die Rätin, die dieſe Verſtändnisloſigkeit bitterſchwer auf ſich laſten fühlte. „Es wäre doch natürlicher, wir ſchlöſſen uns nun eng zuſammen und blieben in Liebe beieinander.“

„Du behältſt ja Liska, Mama. Das iſt, wie Tante Lilla ſagt, ein vollgültiger Erſatz.“

Da war's der Rätin, als müſſe fie die Finger ihrer Tochter umfaſſen und aus tiefſter Seele rufen: „Ver- gebt mir doch mein kurzes Glück —“ aber fie ſtrich nur ſanft über Hardas Wangen. „Das ſollteſt du nicht denken, daß jemand imſtande ſei, der Mutter ein Kind zu erſetzen. Was mich allein tröſten könnte, iſt der Gedanke, daß ich dein Beſtes wollte, als ich nachgab.

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ich ſelbſt werde nur ungern mit Liska nach Berlin gehen, denn hier habe ich doch das Grab —“

„Meines Vaters Grab liegt ja auch allein,“ unter- brach fie Harda raſch, und ihre junge Stimme durch- klang der nie verblaßte Vorwurf. | Als habe fie einen Stich ins Herz erhalten, ließ Frau Müllbrich ihre Hand herabgleiten.

Nicht lange dauerte es, da kam die Nachricht, daß Onkel Sebaldus ein erſtklaſſiges Penſionat in Brüſſel als ſchicklich und den Verhältniſſen entſprechend in Ausſicht genommen habe, und er knüpfte zugleich die Bitte daran, bei Hardas Eintritt daſelbſt von fernerer Trauerkleidung abzuſehen.

And dann traf die Ausſtattung ein, eine Unzahl duftiger, aufs vornehmſte gearbeiteter Toiletten, dar- unter allein ſechs weiße Tanzſtundenkleider mit Lack- ſchuhen, Fächern, Schärpen und Fichus. Dazu kamen franzöſiſche Seifen von wunderſamem Duft, des- gleichen Parfüms für Taſchentücher, ſelbſtverſtändlich von Roger & Gallet in Paris, für Leibwäſche, ſelbſt für die Hutkoffer, die Hardas Zimmer durchhauchten und ſie immer mehr in die Sphäre einer höheren Lebensberechtigung entrückten.

Einige Tage ſpäter erſchien Tante Lilla als Reife- begleiterin Hardas, deren Aufbruch nun unmittelbar bevorſtand.

Als fie am Teetiſch ſaßen, die Rätin voll Kummer und Trennungsweh, voller Sorge um das trauliche Band, welches fremde Hände gegen ihren Willen nun zwiſchen Mutter und Tochter löſen würden, zerteilte Fräulein Kniebel die allgemeine Spannung, indem fie vorſchlug, mit den Taſſen auf eine glückliche Reife und auf einen glücklichen Umzug anzuſtoßen.

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„Was die Reiſe anbelangt, liebe Thilde,“ ſagte ſie, „ſo habe ich dir die Mühe und die Koſten der Beglei- tung gern abgenommen. Auch erbieten wir uns, dir in Berlin eine Wohnung auszuſuchen.“

„Ach, laßt es mich lieber allein beſorgen.“

„Selbſtverſtändlich, liebe Thilde,“ erwiderte Fräulein Kniebel, ihren Hals reckend, um den Kopf abweiſend gegen die Seſſellehne drücken zu können, „überlaſſen wir dir die Mühe gern. Du braucht nicht zu fürchten, daß wir dir läſtig fallen mit unſerer Fürſorge.“

„O Lilla!“ ſeufzte die Rätin. „Ja gewiß ich danke euch.“

Fräulein Kniebel beantwortete die Dankſagung mit einem gnädigen Nicken. „Aber,“ ſprang ſie auf ein anderes Thema über, „was ſagſt du dazu, daß dieſem Schurken Riedel nicht der Kopf vor die Füße gelegt worden iſt? Er hat ſich reingewaſchen, der Lump.“

„Ich weiß, ich weiß —“ flüſterte Frau Müllbrich abwehrend.

„Wir hatten ſicher auf eine Anklage wegen Mords gerechnet,“ fuhr Fräulein Lilla nachdrücklich fort, ver- mutlich um die Charakterfeſtigkeit der Witwe zu ſtählen. „Wir haben alles in den Zeitungen Punkt für Punkt verfolgt. Und da rückt dieſes Ungeheuer in der Vor- unterſuchung mit ſeiner unabgeſchoſſenen Flinte heran, pflanzt ſich vor dem Unterſuchungsrichter auf und ſagt: ‚Mit dem Finger ſchießt man keinen tot!“ Und fo konnten ſie ihm wegen dieſer Sache nichts an- haben.“

„O Lilla, warum erzählſt du mir das alles?“ ſagte die Rätin, ihre Serviette gegen die Augen drückend. „Ich bitte dich! Es iſt ja troſtvoll, daß der Menſch nicht ſo frevelhaft war, troſtvoll, daß Leopold durch einen unglückſeligen Zufall ums Leben kam. So iſt es eben

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ſein Schickſal geweſen, als die Stunde für ihn ſchlug, die ja für uns alle kommt.“

„Du geſtatteſt, meine liebe Thilde,“ warf Fräulein Kniebel mit ſanftem Tadel ein, „zu bemerken, daß auch wir nicht daran denken, ewig zu leben. Was uns in deinem Intereſſe aber nicht abhält, abhielt und abhalten wird, zu beklagen, daß man dieſem Geſellen nur ſechs Jahre Zuchthaus wegen Brandſtiftung aufgebrummt hat. Wenn du dir die Mühe geben willſt, darüber nachzudenken, daß es nach Verlauf dieſer Zeit noch viele Häuſer zum Anſtecken geben wird, fo kannſt du dir vorſtellen, was die Richter für ein Kunſtſtück fertig- gebracht haben.“

„Das ſteht in der Zukunft,“ ſagte die Rätin, ſich erhebend, um aus dem Bereich dieſer prophetiſchen Stimme zu kommen. „Ich möchte dieſe letzte Abend- ſtunde noch mit Harda allein zubringen. Wir iſt, als gäbe ich ſie für immer fort.“

Drittes Kapitel.

Die große Weide am Tiergarteneingang verſtreute ihr Laub. Die Sommerluſt klang in die müde Herbft- färbung aus.

Was ſich da rot und goldigbraun am Uferrand im blauen See widerſpiegelte, was ſeine bunten Blätter ins Gras ſtreute und flatternd im Winde flog, das glitzerte, vom Nachtreif angehaucht, ſilberſatt auf Weg und Steg, bis des Winters rauher Pinſel darüber hinfuhr und jede letzte Unterſchiedlichkeit weiß über- tünchte.

Fünf Fahre waren raſch dahingefloſſen, kaum Atome im Begriffe Zeit, da kehrte Harda Kniebel als ſtändiges Mitglied der Familie in ihr mütterliches

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Heim in Berlin W zurück, darin fie ihre eigenen, modern eingerichteten Zimmer bewohnte.

Die nunmehr Neunzehnjährige beſaß trotz aller Schlankheit weiche, ſchmiegſame Glieder. Sebaldus Kniebel und ſeine Schweſtern hatten darauf gedrungen, daß ſie nach dem Verlaſſen des Brüſſeler Penſionats noch ein Fahr in Montreux zubrachte, und dieſer Auf- enthalt in der reinen Luft des Genferſees hatte ihre zarte Geſundheit gefeſtigt und geſtählt. Tadellos in ihrer Haltung, war das Charakteriſtiſche an ihr die Kopfbewegung. Es mochte nicht leicht ein junges Mädchen geben, das ſo viel Selbſtbewußtſein und hohe Selbſteinſchätzung mit jeder Bewegung ihres Hauptes zur Geltung brachte, als Artur Kniebels Tochter. Das Brüſſeler Penſionat der Damen Levaſſeur wurde vorwiegend von Töchtern des engliſchen und belgiſchen Adels beſucht, zu denen ſich dann noch junge Mädchen alter deutſcher Geſchlechter, ſowie der Berliner Hoch- finanz geſellten. Hatte auch Hardas Familiendünkel dadurch anfänglich eine merkliche Abkühlung erfahren, ſo hatte ſich doch ſpäter ihr Selbſtgefühl wieder deſto höher emporgereckt, als ſie ihr wachſendes Verſtändnis lehrte, daß ſie in ihrem Reichtum hinter keiner ihrer Mitpenſionärinnen zurückſtand.

Noch immer war ihr Teint von mattem Weiß, aber dieſes Weiß war jetzt ſchmelzend zart es er- innerte an ein Lilienblatt. Die etwas volleren Wangen benahmen der einſtmals ſcharf hervorſpringenden Naſe das ſtörende Zuviel. Es lag Charakter in dieſem kühnen Bogen unter ſchwarz gezeichneten Brauen, wie auch der Mund mit ſeinen ſchmalen Lippen und das feſtgeformte Kinn viel Willenskraft und Unnachgiebig- keit verrieten.

Wirklich ſchön in dieſem Antlitz wären die dunklen

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Augen geweſen, fofern fie etwas Wärme aus fich herausgeſtrahlt hätten, etwas von jener Herzensglut, die da weint und lacht, nur weil ſie jung und töricht iſt. Und doch beſaßen fie viel Ausdruck. Sie ſprachen ihre eigenſte Sprache, die oft ſchärfer und ablehnender klang als Worte. Nur ganz zuweilen verſchleierte ſich ihr tiefes Braun, als glitte eine Frage darüber hin, die ohne Antwort blieb und verſchwand.

Das eine aber, was unzertrennlich an Hardas Er- ſcheinung haftete und die Tanten zur Bewunderung hinriß, war jene weltgewandte, vornehme Sicherheit, für die es weder Hinderniſſe noch Zweifel gibt.

Mit ihrer Heimkehr begannen die Tanten ſofort, ſie an ſich zu feſſeln. Sie gaben in ihrer prunkhaften Wohnung in der Tauentzienſtraße Feſte über Feſte, um den Stern der Familie darin glänzen zu laſſen und Bewunderung für ihn einzuheimſen. Aber es blieb ihnen verborgen, daß ihre Kreiſe, dieſe gut bürgerlichen Kreiſe, die nach äußeren Ehren Dürſtende viel mehr abſtießen, als anzogen. Harda nahm, ſoweit es ſich tun ließ, den Umgang mit Bekanntſchaften, die fie in ihrem Penſionat angeknüpft hatte, auf, vornehm- lich den Umgang mit jungen adeligen Damen. Denn dort allein konnte ſie finden, was ſie mit Eifer ſuchte.

Die elektriſche Straßenbahn hielt an der vorge- ſchriebenen Halteſtelle vor dem Kaufhaus des Weſtens. Ein halbes Dutzend Harrender, die ſich die Füße im zerfließenden Schnee kalt geſtanden hatten, drängten ſich auf die Plattform und, ſoweit Platz vorhanden war, in den feucht durchdunſteten Wagen hinein. Als letzter ſtieg ein junger Mann die Stufen hinauf, als plötzlich, während der Schaffner bereits die Leine zog, um das Abfahrtſignal zu geben, über den ſchlüpfrigen

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Aſphalt eine weibliche Geſtalt dahergejagt kam, das Pelzbarett weit aus der Stirn geſchoben, und ſich mit unvorſichtiger Haſt und mit einem kühnen Satz auf den in Bewegung geſetzten Wagen hinaufzuſchwingen verſuchte. | |

„Ich muß mit

Über den Arm des ala ſtreckte fich in dieſem kritiſchen Moment die Hand des jungen Mannes energiſch aus. Ein Griff, ein Sprung, da war die Gefahr beſeitigt, die doppelt beſtand, da im ſelben Augenblick ein Automobil mit Schnellzugsgeſchwindig⸗ keit unmittelbar neben der Straßenbahn vorüber ſauſte.

„War das unvorſichtig! Wie kann man nur —“ Er ſagte es unwillkürlich laut und mißbilligend.

Liska errötete noch tiefer, als ihre Eile es ſchon zu- wege gebracht. Sie ſtrich ſich die Haare aus der Stirn, ſchob das Barett an ſeine richtige Stelle und ſah halb verlegen, halb befriedigt auf ihre Notenmappe. „Ich mußte unbedingt mit.“

„Aber doch nicht mit Gefahr des Lebens!“ ſagte der junge Mann noch immer tadelnd, ohne ſich deshalb von einer Muſterung des jungen Mädchens abhalten zu laſſen.

Einen reizenderen Backfiſch hatte er nie geſehen. Wie allerliebſt ihr die ſchweren blonden Zöpfe über die Schulter fielen, indes ein Kranz natürlicher Löd- chen die Stirn umrahmte. Darunter leuchteten zwei tiefblaue Augen, von dunklen Wimpern ausdrucksvoll beſchattet. In feingebogenen Linien zogen ſich die Brauen darüber hin, wie gemalt auf der roſigen Haut des Geſichtchens. Nichts Hübſcheres als das Lippenpaar mit ſeinem Zahnſchmuck dahinter, der gar nicht anders konnte, als glänzen. Dazu ein

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zierliches Näschen mit etwas keck geſchweiften Flügeln, ein liebliches Oval und ganz beſonders kleine Ohren, die ſich der Form des Kopfes wahrhaft kokett an- ſchmiegten.

„Ich ſagte ja ſchon, daß ich nicht zu ſpät kommen darf,“ erwiderte fie, als der Schaffner aus dem Wagen- innern wieder auf die Plattform trat, um auch von ihr den Fahrgroſchen zu erheben. „Ich darf wirklich nicht.“ |

„Etwas früher fortgehen,“ ſagte er unvermindert ernſt. „Oder etwas länger warten.“

„Das ſtimmt!“ Liska nickte beipflichtend, während ſie in die Taſche griff, ihr Geldtäſchchen hervorzuholen. Irgendwo mußte es feſtſitzen. Alſo riß ſie haſtig den Handſchuh von der Hand und fuhr von neuem überaus kräftig in die Taſche. Plötzlich deckte eine tiefe Schar- lachröte ihr Geſicht. „Ich hab's beim Laufen ver- loren oder zu Hauſe vergeſſen. Bitte, laſſen Sie mich abſteigen,“ flüſterte ſie verlegen.

Ohne ein Wort zu verlieren, zog der junge Mann einen Zehner aus ſeiner Taſche und gab ihn dem Schaffner. „Sie geſtatten, mein Fräulein,“ ſagte er, ihr den Fahrſchein überreichend. „Bitte!“

„Aber das geht doch nicht,“ flüſterte Liska über die Maßen beſchämt.

„Was geht nicht?“ fragte er lächelnd, ihre heiße Nöte wiederum höchſt allerliebſt findend. „Wollen Sie den weiten Weg zu Fuß laufen? Ich denke, Sie dürfen nicht zu ſpät kommen?“

Sie nickte eifrig. Ach, du lieber Himmel, wenn das Harda erfuhr! Und die Tanten! Onkel Sebaldus war auch nicht zu verachten. Gegen ſolches Quartett kam ja keine andere Stimme auf. „Sch weiß bloß nicht —“ ſtammelte ſie ganz gegen ihre Gewohnheit ſcheu.

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„Vielleicht treffen wir uns noch einmal im Leben,“ ſagte er beruhigend. „Oder Sie geben den Groſchen einem Armen.“

„Ja, das geht!“ Sie ſah ihn mit ihren leuchtenden Augen ſchon halb und halb getröſtet an.

Der Wagen hielt plötzlich, nachdem er ſchon einige Zeit zuvor nur ruckweiſe vorwärts gekommen war.

„Was gibt's denn da, Schaffner?“ rief der junge Mann ungeduldig.

„Auf dem Lützowplatz iſt ein Vagen entgleiſt.“

„Wie lange wird's dauern?“

„Eine Viertelſtunde mindeſtens.“

„Dann gehe ich,“ ſagte Liska, kurzerhand ab- ſpringend. „Bis in die Lützowſtraße komme ich ſchon.“

„So haben wir einen Weg.“

Es war ganz natürlich, daß ſie beide zuſammen auf dem Pflaſter ſtanden und auch zuſammen über die Straße nach dem Trottoir ſchritten. Ob es aber auch natürlich und ſtatthaft war, daß fie ſelbander weiter- gingen? Liska legte ſich plötzlich dieſe Frage mit beunruhigendem Herzklopfen vor, indem ſie ihren Begleiter zweifelnd anſah.

„Studieren Sie Muſik?“

Auf eine ſolche Frage konnte ſie doch nicht ohne Antwort davonrennen. Aber die Tanten! Wenn ſie jetzt hier vorbeikamen und dieſe Begleitung ſahen!

„Ich klimpere etwas,“ erwiderte Liska, im ge- heimen Umſchau haltend.

„Suchen Sie etwas?“ fragte er ſtehen bleibend.

„Nein. Sch habe nämlich Verwandte, die plagen mich mit Muſikſtunden,“ ſagte fie haſtig, und ein aller- liebſter Schelm ſpielte um die roten Lippen. „Sonſt, na

Er betrachtete ihre zierliche Geſtalt, die wie eine

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Bachſtelze elaſtiſch dahinſchritt. „Verzeihung be- ſuchen Sie noch die Schule?“

„Die Oberklaſſe,“ verbeſſerte ſie, lachend zu ihm aufſehend. „Ich bin jetzt in der erſten, aber nicht die Erſte. Kennen Sie vielleicht den Nürnberger Trichter?“

„Leider nicht. Aber mir wäre er auch ganz zu— träglich.“ |

Nun lachten beide.

Sie hätte gern etwas Näheres über den Fremden erfahren, aber da ſie in dieſem Augenblick vor ihrem Ziele angelangt war, blieb ſie ſtehen. „So, hier geht's los mit Pauken und Trompeten.“

„Na, da wünſche ich viel Vergnügen,“ entgegnete er, noch einmal das reizende Geſicht betrachtend. „Ich gehe nun auch ins Bureau.“

Sie ſpitzte die Ohren.

Aber er ſagte nur noch: „Auf Wiederfehen hoffentlich!“ |

Das war ſehr wunderbar. Noch wunderbarer war es, wie er dazu kam, ihr die Hand zu reichen. Aber da es nun einmal geſchah, und er ihr doch den Groſchen gegeben und ihr aus einer großen Verlegenheit ge- holfen hatte, hielt Liska ſich für verpflichtet, ihre Rechte tapfer hineinzulegen.

„Auf Wiederſehen! Und vielen Dank!“

Er grüßte lächelnd und ging ſeines Weges.

Ebenſo luſtig, wie ſie die Stufen hinaufſprang, hüpfte ſie anderthalb Stunden ſpäter die Treppe zum Hochparterre empor, wo die Rätin für ſich und die beiden Töchter eine geräumige Wohnung innehatte.

Der Ruck, mit welchem Liska die Glocke zog, war kräftig genug, einen Aufſchrei im Wohnzimmer hervor zurufen. Im Nu ging die Tür auf, und Fräulein Lilla Kniebel, die mit ihrer Schweſter Roſa der Rätin

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einen Beſuch abſtattete, beförderte die Nichte in den Flur.

„Wer anders als die liebenswürdige Lis ka hätte 11 der guten Tante Roſa einen ſolchen Todesſchreck einjagen können! Die Füße trittſt du dir wohl nie ab?“

„Nein! Ich bin keine Watſchelente,“ lachte Liska, an ihr vorüberſtürzend mitten ins Zimmer hinein, wo die Rätin neben Fräulein Noſa auf dem Sofa ſaß, während Harda auf dem efeuumrankten Fenſterſitz im grünen Schatten lehnte und auf die Straße hinabſah.

„Mutterchen Harda Tante! Was ich erlebt habe!“

Ohne ſich Zeit zu gönnen, das Barett vom Kopf zu nehmen, die Mappe lebhaft hin und her ſchwenkend, berichtete Liska ihre Lebensrettung und die Groſchen- geſchichte. Eine Erzählung, in deren Verlauf Harda entrüſtet aufſtand, und Fräulein Lilla zum Zeichen ihres Entſetzens ihr Armband abnahm und nahdrüd- lich auf den Tiſch legte.

„Mathilde, ich bin baff! Einfach baff!“

„O Lilla,“ ſagte die RNätin mit weicher Innigkeit, „ich bin glücklich, daß Liska geſund vor uns ſteht!“

„Mädchen Mädchen,“ ſeufzte Tante Nofa, „was wird man an dir noch erleben!“

„Was iſt denn nur los?“ fragte Liska mit hellem Lachen. „Alle Tage kommt's nicht vor, daß einem ſo aus der Patſche geholfen wird.“

Harda legte ihre Hand um Liskas Arm. „Einen ſchönen Begriff wird er von dir bekommen haben dieſer Menſch!“

„Er iſt kein Menſch,“ fiel ſie glühend ein.

„Nicht? Was iſt er denn? Ein Pferd?“

„Ganz ehrlich, Thilde,“ ſagte Tante Lilla, indem ſie ihr Armband energiſch wieder an der gehörigen

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Stelle befeſtigte, „alles, was recht iſt! Der Höhepunkt iſt erreicht. Ich denke, wir übergeben nun das weitere an Sebaldus.“

Über Liskas Wangen rannen plötzlich Tränen. Sie ſtürzte zur Nätin und drückte ſich, ohne Tante Roſas Sitzanrecht zu beachten, neben Frau Müllbrich in die Sofaede und umſchlang ihren Hals. „Mutter, du ſchiltſt nicht. Dir bin ich ebenſo lieb wie Harda nicht wahr, mein gutes Mutterchen?“

„Aber gewiß doch! Du biſt nur noch ein rechtes Dummerchen. Der Groſchen braucht dir aber keine Sorge zu machen.“ Sie ſtreichelte liebevoll die feuchten Wangen.

„Ich will ihn lieber gleich an die Ecke tragen, wo die alte Frau mit den Streichhölzern immer ſitzt. Übrigens, Mutterchen,“ bat fie dann ſchmeichelnd, „nimmſt du mich heute abend mit zu Kroll in die Wohltätigkeitsvorſtellung? Bitte bitte!“

„Du haſt ja nichts anzuziehen, Herzchen,“ ſagte die Rätin ſchwankend.

„Harda ſchenkt mir ihr kurzes weißes Wullkleid. Das machſt du mir noch ſchnell zurecht. Nicht wahr, Harda, du gibſt es mir?“ |

„Meinetwegen,“ ſagte Harda achſelzuckend.

„Denn ſiehſt du,“ fuhr Liska erregt fort, „es iſt

gar kein Vergnügen, immer allein zu Hauſe zu bleiben. Meine Freundinnen werden auch mitgenommen. Bloß zum Konzert, Mutter. Nachher holt die Guſte mich ab.“ „du wirſt doch nicht fo ſchwach fein, Thilde,“ ſagte Tante Lilla kopfſchüttelnd, „das Kind, deſſen Zukunft ganz von ſeiner Ausbildung abhängt, ſo nutzlos zu zerſtreuen. Ich bitte dich, was wird Sebaldus dazu ſagen!“ |

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„Die paar Stunden!“ fiel die Nätin überredend ein. „Morgen wird ſie deſto fleißiger ſein.“

„Mit verſchlafenem Kopfe!“

„Mit meinem Kopfe werde ich ſchon kurzen Prozeß machen, Tante,“ rief Liska, aus der Stube ſtürmend. „Jetzt wird gebüffelt wie toll!“

Als die Tanten ſich mit Harda zurückzogen, ſaß Frau Müllbrich in Gedanken verſunken ein Weilchen still. Dann ftand fie auf und ging in das Neben- zimmer, wo Liska mit einem Buch in der Hand laut lernend um den Tiſch rannte.

„Ich möchte etwas Ernſtes mit dir beſprechen, ganz allein,“ ſagte die Rätin, ſich in die Fenſterecke ſetzend. „Komm, Kind!“

Liska ſchleuderte das Buch beiſeite und ließ ſich vor Frau Müllbrich auf die Kniee nieder, ihren Blondkopf in den mütterlichen Schoß ſchmiegend. „Das iſt ſchön, Mutterchen. Die anderen reden immer ſo viel da- zwiſchen.“

„Sieh, Kind,“ begann die Rätin leiſe, die weichen Wangen liebevoll ſtreichelnd, „du wirſt ſchon bemerkt haben, daß zwiſchen dir und Harda ein gewiſſer Unter- ſchied beſteht.“

„Natürlich,“ ſagte Liska beifällig. „Sie iſt ja ſchon eine Balldame.“

„Nun, die Sache liegt noch anders,“ fuhr die Rätin bewegt fort. „Hardas Vater war ein reicher Mann, während dein guter Vater nichts beſaß als ſein Gehalt. Demgemäß befand ſich Harda als reiche Erbin immer in einer glänzenderen Lage als du. Das Vermögen, weelches ich von Hardas Vater erbte, ging durch fremde Schuld verloren. Sch habe wenig, ſehr wenig mehr als meine Witwenpenſion. Wenn Harda heiratet und die Penſion, welche Onkel Sebaldus jetzt für ſie zahlt,

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mir verloren geht, dann heißt es für uns beide, von meinem Einkommen leben. Das ginge ja auch ganz gut, wenn —“

„Sehr gut wird's ehe Mutterchen,“ e Liska eifrig bei.

Frau Müllbrichs Hand liebkoſte das blühende Ge- ſichtchen immer zärtlicher. „Solange ich lebe ſchon. Aber ſieh,“ fuhr fie fort, „Harda kann ſich jeden Tag verloben und heiraten. Sie iſt reich du biſt arm. Deshalb wollen wir ich meine Onkel Sebaldus und die Tanten dich für alle Fälle auf eigene Füße ſtellen.“

Liska blinzelte zaghaft unter den dunklen Wimpern aufwärts. „Mutterchen, du glaubſt alſo nicht, daß für mich auch einmal eine Verlobung abfällt?“

„Nein, Kindchen, das glaube ich nicht,“ ſagte die Rätin lächelnd. „Ich könnte dir höchſtens ein Dutzend Taſchentücher mitgeben.“

„Na. dann laß es eben laufen, wie es laufen will.“

Die Rätin küßte die Stirn ihrer Füngſten und ging befriedigt und erleichtert aus dem Zimmer. Ach, wenn dieſes erwärmende Gefühl, dieſe glückliche, belebende Mutterfreude ihr doch auch in Hardas Nähe gegeben wäre! Sie konnte nicht anders, trotz allen Ringens, als in Artur Kniebels Tochter etwas ihr ferner Stehen- des zu ſehen als in Leopold Müllbrichs Kind. Tauſend- mal hatte ſie ſich ſelbſt und ganz allein die Schuld daran zugeſchrieben und danach immer wieder verſucht, durch noch mehr ZInnigkeit und Fürſorge dieſes läh- mende Gefühl zu zerſtören und ſich tiefer in Hardas Gedankengang zu verſenken. Aber wenn ſie ihrer Betrübnis ganz ehrlich nachging, dann mußte ſie ſich mit der Wahrheit abfinden, daß niemals ein kindliches Anhänglichkeitsſehnen, nie ein harmloſes Sichanſchließen

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die einſtmalige Kleine von der jetzt Erwachſenen unter- ſchied.

„Meine liebe Harda,“ ſagte ſie, in deren elegant eingerichtetes Wohnzimmer tretend, „wenn du mir jetzt das Kleid für Liska geben willſt —“ ä

Das junge Mädchen ſtand vom Schreibtiſch auf. „Du haſt zu wählen, Mama.“ Aber ihre Gedanken waren nicht bei der Sache, und ihre Stimme verriet kein Intereſſe.

„Du glaubſt doch nicht,“ fragte die Nätin, „daß die Tanten es im Ernſt übelnehmen werden, wenn ich Liska ins Konzert mitnehme?“

„Sicher, Mama ſehr übel. - Willſt du keine Schärpe?“

„Gewiß. Ich habe es ihr doch nun einmal ver- ſprochen, Harda,“ verſetzte die Rätin, in ihre altge- wohnte Zaghaftigkeit verfallend. „Ich ſtehe immer zwiſchen zwei Feuern —“

Es klingelte an der Flurtür, ſanft, aber nach- drücklich.

„Ich kann dir wirklich nicht helfen, Mama am wenigſten deinen Standpunkt begreifen.“

Herr Sebaldus Kniebel war ins Wohnzimmer ein- getreten. Frau Wüllbrich, trüber Ahnung voll, be- mühte ſich, ihn zuvorkommend zu empfangen. Er hatte ja feine bisherigen Verſprechungen tadellos ge- halten, indem er Liska auf ſeine Koſten die Schule beſuchen und ihr ſehr teure Muſikſtunden geben ließ, damit freilich auch zugleich ſeine Vormundſchaft wie ein Siegel auf die Unmündigkeit der Heranwachſenden drückend.

„Liebe Schwägerin, um dir eine weitere Mühe zu erſparen,“ begann er, der Rätin Hand ergreifend, „möchte ich einige Worte mit Liska ſprechen.“

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1910. I.

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„Liska!“ rief die Rätin, beſorgt nach der Tür eilend.

„Was iſt denn los?“ antwortete die helle Stimme nebenan. „Ah, guten Tag, Onkel Sebaldus! Haſt wohl ſchon gehört, was ich heute verbrochen habe? Na, Schwamm drüber!“

Die korrekte Haltung des Herrn Kniebel verlor nichts an Würde, als er Liskas Finger ſozuſagen erziehend in ſeiner Rechten feſthielt.

„Ich habe alles gehört, mein Kind, und ſcheue den Weg nicht —“

Die Rätin raſchelte wie unverſehens mit dem Schlüſſelkorb, für Liska ein Zeichen, ſich angemeſſen zu verhalten. |

„Das iſt wirklich hübſch von dir, Onkel,“ fagte fie beſcheiden.

cch denke wohl. Mein Kommen hat zunächſt den

Zweck, dir ein ſolches unüberlegtes Gebaren, wie du dir heute haſt zuſchulden kommen laſſen, ein für allemal ſtrengſtens zu unterſagen. Es könnte ſonſt leicht geſchehen, daß ich dir die Beihilfen, die du von mir zu genießen das Glück hatteſt, entziehen müßte.“

„Nanu! War denn das ſo ſchlimm?“ ſchlüpfte es Liska erſchrocken über die Lippen.

Die Rätin raſchelte wieder bedeutſam.

„Deine Mutter wird mir beipflichten,“ fuhr Herr Kniebel mit peinlicher Güte fort, der Rätin ermunternd zunickend, „wenn ich ſie auf eine gewiſſe Anlage zur Leichtfertigkeit in deinem Weſen hinweiſe.“

„O, lieber Schwager bei ihrer Jugend!“ warf Frau Müllbrich dazwiſchen.

Herr Sebaldus räuſperte ſich vielſagend. „Ich bin gern bereit, meine Vormundſchaftsrechte einem anderen

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abzutreten, ſofern ich mit meinen Anſchauungen läftig falle.“

„Niemals niemals!“ rief die Nätin völlig ein- geſchüchtert. „Wie kannſt du nur daran denken!“

„Gut,“ ſagte er, und die ihm eigene ſalbungsvolle Milde tränkte ſeine Worte reichlicher. „Dann will ich zu dem zweiten Grund meines Kommens übergehen. Ich erachte es für angebracht, endlich einmal zu dir ſelbſt über deine weitere Erziehung ernſtlich zu ſprechen. Sie haben, liebe Schwägerin, Liska wohl noch nicht in unſere Pläne für ihre Zukunft eingeweiht?“

„Nur angedeutet,“ erwiderte die Rätin, ſich ge- troffen fühlend, „nur im allgemeinen.“

„Nun alſo. Unſere Erziehungspläne, liebe —“

„Sage bloß, Mutter,“ rief Liska, einen roten Kopf bekommend, „wie viele Leute erziehen mich eigentlich? Ich dachte immer, du wärſt's allein.“

Der Schlüſſelkorb raſchelte wieder.

„Keine Sorge, liebe Schwägerin,“ ſagte Herr Kniebel abwehrend, „ich will nichts gehört haben. Anſer Plan geht dahin, mein Kind, dich einer ver- mögensloſen Unficherheit zu entreißen und ſelbſtändig als ein nützliches Mitglied der menſchlichen Geſellſchaft hinzuſtellen. Zu dieſem Zweck ſollſt du bis zu deinem neunzehnten Fahre wenn du recht fleißig biſt, könnte das Ziel auch eher erreicht werden das Seminar beſuchen, um das Lehrerinnenexamen zu machen. Ich werde dafür ſorgen, daß du dann ſo bald als möglich eine Anſtellung erhältſt und durch weiſe Sparſamkeit allmählich ſo viel zurücklegſt, dich für deinen Lebensabend in ein friedliches Damenſtift oder Feierabendhaus zurückziehen zu können.“

Liska war dieſer Auseinanderſetzung mit immer größer werdenden Augen gefolgt. Das Raſcheln büßte

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dabei ſeine Wirkſamkeit vollſtändig ein. Ihre ganze zierliche Geſtalt geriet in Aufruhr, und wie aus der Piſtole geſchoſſen fuhr es ihr über die Lippen: „Mit Altjungfernſtift und Feierabendhaus ſoll mir niemand kommen, wo ich noch nicht einmal die Weisheitszähne habe! Mutterchen, willſt du mich denn durchaus los ſein?“

„O, Liska Herz!“ bat Frau Wüllbrich, die Schluchzende in ihre Arme nehmend. „Mein Leben dauert ja nicht ewig.“

„Aber ſolange es dauert, bleibe ich bei dir!“ rief Liska mit zitternden Lippen, die ſie immer wieder auf der Rätin Wangen drückte. „Vielleicht ſterben wir raſch zuſammen. Schick mich nicht weg, Mutter! Was die anderen wollen, iſt mir ganz egal, ich höre nur auf dich und will alles tun, was du willſt. Meinetwegen kann ich ja bis zu Methuſalems Alter weiter büffeln, aber von dir gehe ich nicht fort. Denke nur, was der gute Vater dazu ſagen würde!“

Herr Kniebel räuſperte ſich kurz und energiſch. „Wenn das der Anfang iſt —“

„Lieber Schwager,“ fagte die Rätin, von dieſer Berufung bis zu Tränen gerührt, „Liska wird deinen Anordnungen Folge leiſten. Laß ihr nur erſt Zeit, ſich damit abzufinden. Heute m wird fie jedenfalls zu Haufe bleiben.“

Sie nahm ihre Tochter und führte ſie aus dem Zimmer.

Als es Abend wurde, und das elektriſche Licht in Hardas Gemächern aufflammte, trat Frau Wüllbrich in ihrem ſchlichten Geſellſchaftskleide ein, um ihrer Tochter beim Ankleiden behilflich zu ſein. Es war das erſte Mal, daß ſie mit Harda in eine große Geſellſchaft ging, aus Pflichtgefühl, obwohl die Tanten, denen es

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 53

weiter keine Schwierigkeiten machte, die teuren Ein- trittskarten zu erſtehen, ſich heute gleichfalls zu dem Wohltätigkeitsfeſt einfinden wollten.

Eine reizende Toilette aus roſa Libertyſeide glänzte ausgebreitet auf den Seſſeln. Daneben lag ein koſt⸗ barer Fächer, ein weißer Abendmantel, eine Berler- kette und andere Schmuckfachen.

„Ich wollte dir helfen,“ ſagte die Rätin erſtaunt. „Ich ſehe, du biſt noch weit zurück.“

Harda warf einen Blick auf ihre Uhr. „In der Tat!“ Sie war bleicher als fonft und der ſprechende Zug um ihre Lippen merkbarer.

„Wie haben ſich die Zeiten geändert!“ ſagte die Rätin kopfſchüttelnd. „Wenn ich daran denke, wie ſelig mir vor einem ſolchen Vergnügen zumute war. And wie beſcheiden war alles gegen jetzt. Mein erſtes Tarlatanballkleid koſtete keine zehn Mark.“

„Ich bitte dich, Mama,“ entgegnete Harda unge- duldig, „nicht gerade jetzt unmögliche Vergleiche an— zuſtellen. Es tut mir leid, daß wir überhaupt zu dieſer Borſtellung gehen ja, ſehr leid!“

„Weshalb denn?“ fragte die Rätin ſtaunend. „Wir bleiben ja doch auch zum Ball dort.“

„Zum Ball!“ ſagte Harda achſelzuckend. „Sehr gut! Wir bezahlen eben alles.“

„Du willſt es doch nicht geſchenkt haben?“ fragte die Rätin noch erſtaunter.

Harda klappte den koſtbaren Fächer einige Male nervös auf und zu. „Nein, allerdings nicht. Zuſehen darf ich, aber mitzuwirken im Konzert oder bei den lebenden Bildern dazu hat mich niemand auf- gefordert, obwohl Anne Grottfuß in meiner Gegen- wart förmlich dazu gepreßt wurde, und die Exzellenz, die aufforderte, aus meinen Bemerkungen heraus-

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gehört haben mußte, daß ich ſofort bereit geweſen wäre —“

„Aber Kind,“ fiel Frau Müllbrich beſänftigend ein, „Geheimer Kommerzienrat v. Grottfuß! Das iſt doch etwas anderes. Die Familie iſt übrigens immer liebenswürdig zu dir.“

„Ich will gar keine Liebenswürdigkeit,“ ſagte Harda, die Perlenſchnur umlegend, „die nach Herab- laſſung ſchmeckt. Ich habe ſelbſt Vermögen genug. Nur adelig müßte ich ſein, dann hätte die Exzellenz ſchon Augen und Ohren für mich gehabt.“

„Adelig!“ ſagte die Rätin beinahe ſprachlos vor Erſtaunen. „Das iſt ja unmöglich!“

„Warum? Mein Vater hätte ſich ebenſogut den Adel beſorgen können wie dieſer Grottfuß,“ warf Harda mit ſchroffer Beſtimmtheit ein. „Hoffentlich zweifelſt du nicht daran. Meinſt du nicht, daß ich das ſimple Fräulein Kniebel herausfühle, wenn ich bei Lilli v. Ek- hoff, der Baroneſſe Erlach oder der Komteſſe Bentheim bin, die mit mir im Penfionat Levaſſeur waren? Nur die reiche Penſionsfreundin bin ich für ſie, zu ihnen ſelbſt gehöre ich nicht.“

„Dann würde ich den Umgang mit den Baroneſſen und den anderen jungen Damen lieber aufgeben,“ ſagte die Rätin.

Harda erwiderte nichts. Ihre Toilette war beendet, ihre Erſcheinung tadellos.

„Das Kleid ſteht dir jo gut!“ bemerkte die Nätin bewundernd.

Die ſchlanke Figur hob ſich reizvoll aus der matt- farbigen Faſſung, die auch der blaſſen Hautfarbe einen roſigen Schimmer verlieh. Das reiche dunkle Haar, einfach geordnet, rahmte das ſchmale Geſicht wir- kungsvoll ein.

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 55

Die Rätin, dieſes Geſamtbild voll mütterlichen Stolzes betrachtend, legte ſanft die Rechte um Hardas Schulter. „Ich möchte dich ſo gern froh und glücklich ſehen, aber ich weiß nicht, wie dein Glück ausſchauen müßte. Mir iſt manchmal bange darum, ob du das Richtige finden und treffen wirſt.“

„Ich hoffe es, Mama, aber ich gebe mir in dieſem Augenblick keine Rechenſchaft darüber.“

Wie ſie daſtand, das Haupt ſelbſtbewußt erhoben, die Augen ruhig in die Ferne richtend, erfaßte die Rätin eine unbeſtimmte Angſt. „Wenn ich nur wüßte, ob du dir ſelbſt gegenüber offen und ehrlich biſt.“

„Mehr als zuviel,“ ſagte Harda lächelnd. „Sch meine immer, du habeſt nie Grund gehabt, dich über Anaufrichtigkeit zu beklagen.“

„Aber es gibt innere Vorgänge, es gibt Hoffnungen und Wünſche, die zur Selbſttäuſchung verleiten, die man für Glück anſieht und zu ſpät als das Gegenteil erkennt.“

„Beunruhige dich nicht, Mama,“ fiel Harda un- geduldig ein. „Ich gehe meinen Weg, einen ganz beſtimmten Weg.“

„Wenn ich nur wüßte, daß er dich nicht zu Außen- dingen führte.“

„Was nennſt du Außendinge?“ fragte ſie raſch. „Venn Außendinge den inneren Menſchen befriedigen und die Baſis ſeiner Zufriedenheit ſind, dann ſind es eben keine Außendinge mehr, ſondern Lebensbedin- gungen. Und Lebensbedingungen falſch oder richtig zu nennen, geht nicht wohl an, ſolange Charakter und Geſchmacksrichtungen nicht über einen Kamm geſchoren werden können. Das „Glück im Winkel“ iſt nicht mein Fall, deſſen mußt du dich verſichert halten. Du haſt

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die Welt nicht geſehen die große, ſchöne Welt. Darin etwas zu ſein, Mama, etwas, das nicht ſo leicht überſehen wird, etwas, das für die Neugier, meinet- halben auch für den Neid etwas bedeutet, das iſt —“

Sie brach haſtig ab und griff nach ihrem weißen Abendmantel.

Die Rätin, dieſem Bekenntnis ratlos gegenüber- ſtehend, lenkte ab. „So will ich mich von Liska verab- ſchieden.“ Sie ging raſch ins Wohnzimmer zurück, dem eine wahre Katzenmuſik entquoll.

Ihren erſten heißen Schmerz zu betäuben, verſetzte Liska bei jedem falſchen Griff den Taſten einen voll- gültigen Hieb, ſo daß ſie wie gepeinigt aufſchrillten.

„Was machſt du denn da, Herz?“

„Ich verwichfe jemand in Gedanken,“ ſagte ſie, hurtig mit dem Zopf über die Augen fahrend. „O, wie nett ſiehſt du aus, Mutterchen! Dein Staatskleid alle Wetter! Na, amüſiert euch gut!“ Sie küßte der Rätin die Hand und legte fie geſchwind einmal über ihre rebelliſchen Augen.

„Im Schränkchen,“ flüſterte Frau Müllbrich zärt- lich, „ſtehen zwei Apfelkuchen für dich diesmal mit Schlagſahne.“

„O, Mutterchen!“

„Ja. Und in der Küche iſt ein Töpfchen Schoko- lade für dich warmgeſtellt.“

„Biſt du eine ſüße Mutter!“ rief Liska begeiſtert. „Gute Nacht! Recht viel Vergnügen, mein allerliebſtes Mutterchen!“

Fort rollte die Drofchte über den glitſchigen Aſphalt. Der Wind wehte zum Fenſter herein und vertrieb den muffigen Geruch des Innern, welcher Harda diesmal unerträglich auf die Nerven fiel.

Je näher ſie im Tiergarten der Querallee kamen,

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 57

und je tiefer ſie in dieſelbe einbogen, um endlich über den Damm hinüber vor den Eingang zu gelangen, deſto mehr verſtärkte ſich der Zufluß herrſchaftlicher Automobile und Equipagen. In langen Reihen, ſchrittweiſe vorrückend, ſtanden die Gefährte noch, als Frau Müllbrich und Harda ſo glücklich waren, aus der Garderobenbedrängnis in den Theaterſaal einzutreten, wo bereits eine glänzende Verſammlung ſich ein- gefunden hatte.

Frau Müllbrich, deren Platznummer ſich in einer der mittleren Sitzreihen befand, hielt ängſtlich Umſchau nach der Familie Kniebel, während Harda, obwohl geſchmeichelt durch das ſichtliche Aufſehen, welches ihre Erſcheinung in der nächſten Umgebung machte, voll ungemilderter Bitterkeit nach dem Vorhang ſchaute, hinter dem mittätig zu ſein der höchſte Wunſch ihres Lebens war.

Wohin ſie hörte, gab's Exzellenzen, Gräfinnen und Baroninnen. Aus den Logen nickte die Hof- geſellſchaft Grüße herab. Durchlauchtige Namens- träger und exotiſche Gäſte bewegten ſich in großer Anzahl unter der Menge.

Wer dachte da an das Fräulein Kniebel trotz ihrer halben Million! Auch die Tanten und Onkel Sebaldus erſchienen ſoeben in großer Toilette an der zugigen Tür Herr Kniebel leider ohne jeglichen Ordensſchmuck auf dem ſchwarzen Frack, während ringsumher ganze Schwärme von Sternen nieder- gefallen zu fein ſchienen. Was Harda aber aufs tiefſte verletzte, war, daß die Exzellenz, welcher ſie kürzlich von Anne v. Grottfuß in aller Form vorgeſtellt war, von ihrem genau abgepaßten Gruße, der geſehen wer- den mußte und ſollte, nicht die geringſte Notiz nahm, ſondern geſchäftig als Vorſtandsdame einer hohen

58 Willſt du dein Herz mir ſchenken 1

Perſönlichkeit entgegeneilte. Und wie hatte fie auf dieſen Gegengruß gewartet und gerechnet!

Mochten die muſikaliſchen Vorführungen und die lebenden Bilder auf der Bühne noch fo ſtürmiſch be- klatſcht vorüberziehen, mochten die Mitwirkenden noch jo ſtrahlend ihren Dank knickſen, Harda achtete faſt nicht darauf. Eine neue Frage beſchäftigte ſie ausſchließlich: Wo ſoll hier ein Tänzer für mich herkommen? Aus- genommen einige junge Bankbeamte, die im Kniebel- ſchen Haufe verkehrten und die reiche Erbin eifrig um- ſchwärmten, kannte ſie niemand.

Ja, die Gardeoffiziere mit den tönenden Namen! Anne v. Grottfuß tanzte ſchon mit einem feſchen Huſaren lachend davon.

Wie ſie ſich zur Seite wandte, fiel ihr Blick auf eine Männergeſtalt, die, in verbindlichſter Weiſe von den älteren Damen begrüßt, ſich jetzt mit liebenswürdigem Lächeln der jungen Welt zuwandte.

„Graf Brankowan —“ hörte fie eine Stimme neben ſich ſagen.

Harda ſah ſchärfer hin, und ein ſeltſames Gefühl kam über ſie beim Anſchauen dieſes Mannes, deſſen Außeres aus der ihn umgebenden Menge wunderſam hervorſtach.

Das Deckenlicht milderte die gelbliche Färbung ſeines Geſichts in ein wächſernes Weiß, von dem das tiefe Schwarz des Bartes für den erſten Moment befrem- dend abſtach. Die ſchmale, energiſch gewölbte Stirn mit den eingedrückten Schläfen und der über ihre Mitte fallenden Haarwelle konnte klaſſiſch genannt werden. Nicht aber die ſcharfgebogene Naſe, die dem Geſicht etwas Hartes und Grauſames verlieh, das indes unter dem einnehmenden Glanz dunkler Augen und der Wirkung geſchmeidiger Bewegungen wieder verloren ging.

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 59

Harda ſchwankte noch, ob ſie dieſes Antlitz ſchön oder häßlich finden ſollte, als ſie einen plötzlichen Ruck ſpürte, der ſie unwillkürlich einen Schritt vorwärts zog. Ein paar Tanzſporen hatten ſich beim Vorbei— walzen in ihren Saumrüſchen gefangen und riſſen ſich wieder los.

In der nächſten Minute ſchon ſtand ein Offizier vor ihr, deſſen karmeſinrote Beinkleiderſtreifen ihn als Generalſtäbler kennzeichneten.

„ich bitte tauſendmal um Entſchuldigung,“ fagte er, die ſchlanke Mädchengeſtalt nicht ohne Bewunderung überfliegend. „Es war eine bedauerliche Ungeſchick— lichkeit meinerſeits. Gnädiges Fräulein geſtatten, daß ich mich vorſtelle Hauptmann Hartleben!“

Sie war freudig errötet. „O, bitte! Was macht das weiter?“

„Dann dürfte ich vielleicht hoffen, daß mir durch eine Extratour völlige Verzeihung wird?“ fragte er lächelnd.

Sie nickte. Ein halbes Dutzend Ballkleider hätte ſie für dieſen Moment hingegeben.

Er legte den Arm um ſie und hielt ihre Hand in der ſeinen. So flogen fie hin, mitten in den Wirbel hinein.

Wie oft, wie oft gedachte fie ſpäter dieſer Stunde!

Hartleben ſchien's mit dem Tanzen nicht ſehr eilig zu haben, als er Harda auf ihren Platz zurückgeführt hatte. Nachdem er ſich Frau Wüllbrich vorgeſtellt, blieb er im Geſpräch neben beiden ſtehen. Ob ſie ſich gut unterhalte? Ob ſie fremd in Berlin ſeien?

Sie bejahte alles, und das befriedigte Lächeln, welches zwei Reihen glänzender Zähne hervorſchimmern ließ, gab ihren Zügen einen höheren Reiz.

„Für mich iſt es immer ein Genuß, wenn der Winter mit allen ſeinen Vergnügungen abgetan iſt,“ ſagte er.

60 Willſt du dein Herz mir ſchenken 2

„Man kommt fich jo überflüſſig vor. Für junge Damen hingegen,“ fügte er verbindlich hinzu, „iſt dieſe bewegte Zeit die Zeit der Herrſchaft.“

Nur nicht für eine ſchlichte Kniebel in dieſem Kreiſe, dachte Harda, ihren Fächer bewegend. Laut ſagte ſie: „Es kommt darauf an, ob man ausreichende Gelegen- heit hat, dieſe Herrſchaft auszuüben.“

„Gnädiges Fräulein tauchen nicht oft in den Stru- del unter?“ fragte er, ihrer Altſtimme mit Intereſſe lauſchend,

„Selten. Wir find noch fremd hier. Ich muß mich erſt an die Berliner Geſellſchaftsluft gewöhnen. Meine Erfahrungen in dieſer Beziehung ſtammen aus ganz anderen Gegenden.“

„Gnädiges Fräulein ſind viel gereiſt?“

„Das heißt, ich habe mich ſeit meinem vierzehnten Lebensjahre im Ausland aufgehalten,“ ſagte ſie, etwas wenn auch nur verſchleiert Hochfahrendes in den leichten Unterhaltungston miſchend.

„Penſion wohl?“ fragte er ſcherzend.

Sie nickte.

„Ich habe auch ein bißchen in andere Länder hinein- geguckt, weniger zu meinem Vergnügen, als um Nutzen für meinen Beruf daraus zu ziehen. Zum Beiſpiel war ich vier Monate in Rußland, um die ruſſiſche Sprache zu erlernen, ebenſo in Frankreich und Stalien. Zede Sprache, die man ſich aneignet, iſt ja ein Schatz. Auf dieſe Weiſe,“ fügte er lächelnd hinzu, „kommt man ſchließlich zu Reichtümern, die weder Motten noch Roſt freſſen.“

„Was für Zinſen bringen dieſe Reichtümer?“ fragte Harda mit einem leiſen Unterton Kniebelſchen Geldſtolzes.

„Ich hoffe, daß ſie mir neben der Anerkennung

D Roman von Georg Hartwig (Emmy Roeppel, 61

meiner Vorgeſetzten auch den Vorteil einer etwas beſchleunigteren Beförderung einbringen werden. Aber dieſe Dinge,“ fuhr er ſcherzend fort, „liegen Ihrem Intereſſe ſo weit ab, daß es ſehr unbeſcheiden von mir iſt, damit läſtig zu fallen. Funge Damen find immer Vorgeſetzte.“

Sie lächelte geſchmeichelt. „Man muß uns doch erſt fragen, ob wir das Kommando übernehmen wollen.“

„Gnädiges Fräulein find ja erſchreckend unmili- täriſch,“ ſagte er, die Hände im Scherz zuſammen— ſchlagend. „Kommando ablehnen gibt's ja gar nicht. And das wollen fie ich meine die jungen Damen ja auch gar nicht,“ ſetzte er ein wenig leiſer hinzu, „ſonſt hätten wir heute nicht ſo viel Schönheit und Anmut hier zu bewundern.“

Unwillkürlich ſenkte ſie die Augen. Es wehte ihr etwas Fremdes zu, das ſie für einen Moment in ſich ſelbſt unſicher machte. „Ich kann ſo viel Schönheit und Anmut hier nicht ſehen, wie Sie behaupten,“ erwiderte Harda, den Kopf zurücklehnend, um den Blick langſam und hochfahrend im Saal umherſchweifen zu laſſen. „Aber ich will es auf Treu und Glauben annehmen.“

„Sehr gütig! Ich ſtütze mich in dieſem Fall auf eine Tatſache.“

Das Wort „eine“, deſſen wärmere Betonung ihr aufs neue jenes fremde Etwas zuwehte, ließ ſie abermals die Augen ſenken.

„Wenn ich jetzt noch um einen Rundtanz bitten dürfte?“

Sie erhob ſich. Willig oder nicht mußte ſie ſich eingeſtehen, daß ſie verwirrt war, als Hartleben ihre Hand abermals ergriff.

62 Willſt du dein Herz mir ſchenken D

An ihnen vorüber glitt ein wirbelndes Paar.

„Kennen Sie dieſen Herrn?“ fragte Harda, der Geſtalt des Tänzers nachſchauend.

„Graf Brankowan? O ja! Salonlöwe und Damen- verzug!“ |

„Wunderbar!“ ſagte fie kopfſchüttelnd. „Man ſollte es kaum glauben.“

„Doch ein ſehr intereſſanter Kopf! Und dann,“ ſetzte er ſcherzend hinzu, „Sie wiſſen ja, als Ausländer wird man immer intereſſant gefunden.“

„Iſt er Ausländer?“

„Sehen Sie ihm das nicht an? Die Brankowan find ein altes Grafengeſchlecht in Rumänien. Zetzt iſt aber Raum für uns. Raum für alle hat die Erde, aber nicht dieſer vorweltliche Saal.“

Er legte den Arm um ſie, und feſt und ſicher führte er ſie durch die ſich verſchlingenden und wieder löſenden Paare.

„Ein ſehr netter Mann, dieſer Hauptmann,“ ſagte die Rätin, als das Feſt zu Ende war, und ſie mit den Kniebels und Harda in der Garderobe ſtand. „Wie nannte er ſich doch? Man verſteht Namen ſo ſchwer.“

„Hartleben.“

„Er hätte die Höflichkeit haben können, ſich uns gleichfalls vorzuſtellen. Sebaldus erwartete es be- ſtimmt,“ ſagte Fräulein Lilla ſehr ſpitz. „Es wäre eigentlich deine Pflicht geweſen, dies zu veranlaſſen, liebe Thilde.“

Harda wandte ſich ſchweigend ab. Das fehlte noch, die ganze Familie Kniebel vorzuſtellen! Onkel Sebaldus erſchien ihr in dieſem Augenblick im auf- geſchlagenen Pelzkragen, die Mütze tief über die Ohren gezogen, zur Vorſicht noch einen Reſpirator vor dem Munde, ſo unpräſentabel wie möglich.

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 63

Die Treppe herab kam Hartleben, den grauen Mantel um die Schultern gelegt, leichten Schrittes neben Brankowan. Als er Harda erblickte, grüßte er verbindlich. Dieſen Gruß bemerkend, wandte auch der Graf den Kopf und, ohne zu wiſſen, wem der Gruß galt, lüftete er gleichfalls den Hut.

„Wer iſt das?“ fragte Tante Lilla haſtig.

„Graf Brankowan,“ fagte Harda, und es tat ihr wohl, es ſagen zu können.

„Haſt du dich auch ſo gut amüſiert?“ fragte Anne v. Grottfuß, die am Ausgang mit ihren Eltern wartete, bis der Diener das Automobil herbeigerufen.

„Ausgezeichnet!“

Selbſt wenn ſie ſich tödlich gelangweilt hätte, um den Preis des Lebens hätte ſie es dieſem Stern des Abends nicht eingeſtanden.

„Meine liebe, verehrte Frau Amtsgerichtsrat,“ ſagte Frau v. Grottfuß mit großer Freundlichkeit, „das eine müſſen Sie mir verſprechen: wenn wir unſeren Ball geben, kommen Sie mit Ihrer Fräulein Tochter zuſammen.“

„Ich weiß doch nicht —“ ſagte die Rätin zaudernd.

„Wenn wir aber ſehr bitten —“

„Das tun wir in der Tat,“ fiel der Geheimrat ein, der die ſanfte, liebenswürdige Frau gleichfalls ſchätzen und um ihres traurigen Geſchickes halber achten ge- lernt hatte.

„Sie ſind ſehr gütig, ſo an mich zu denken,“ ſagte die Rätin, Frau v. Grottfuß dankend die Hand drückend. „Dann darf ich allerdings nicht nein ſagen.“

Das Auto rollte davon. Da bemerkte Frau Müll- brich erſt, daß der Platz, wo die Verwandten zuvor geſtanden, leer war.

„Ich glaube,“ ſagte ſie erſchreckt, als Harda die

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Droſchkentür hinter ſich zuwarf und mit innerem Wider- willen auf dem verſchoſſenen Kiſſen Platz nahm, „ich glaube, Kind, Onkel Sebaldus und die Tanten haben es wieder übelgenommen, daß ich ſie Geheimrats nicht vorgeſtellt habe, und ſind deshalb ohne Abſchied verſchwunden. Aber hier iſt doch wirklich nicht der Ort dazu.“

„Feder muß ſehen, wie er fertig wird in der Welt,“ erwiderte Harda, den Pelzmantel feſter um ſich ziehend. Was kümmerten ſie die Wünſche anderer! Sie ſchleppte an den ihren ſchon ſchwer genug.

Der Nachtwind wehte ſcharf gegen das Verdeck des Wagens, den der dampfende Droſchkengaul in eiligem Trabe davonzog den weiten Weg zum großen Stern hinunter. Mit einſetzender Kälte ging der Froſt über die Bäume hin und färbte ihr Geäſt weiß. Ein pradt- voller Rauhreif durchflirrte den Tiergarten in dieſer mondhellen Nacht, die nur noch belebt wurde durch das klappernde Geräuſch der Hufe und das Vorüber- ſauſen der Gefährte, die ihre Inſaſſen nach dem Weiten zurückbeförderten.

In dieſe magiſche Helle ſah Harda mit tiefem Schweigen. Sie ſpiegelte ihr das verlaufene Feſt wunderſam klar zurück. Und in dieſem bunten Bilde tauchte eine ihr bis dahin fremd geweſene, jetzt ſeltſam vertraute Geſtalt auf ein Antlitz, das wie eine Frage vor ihr ſchwebte, auf welche ſie keine der ihr geläufigen Antworten zu geben wußte, und die deshalb unbeant- wortet blieb. Wenn ſie ihn auch nie wiederſehen ſollte, das Empfinden, welches er zweimal in ihr aus- gelöſt hatte, würde fie nicht vergeſſen.

„Wenn in einigen Tagen gute Eisbahn iſt,“ ſagte die Rätin, deren Gedanken bei ihrer Füngſten weilten, „könnteſt du mit Liska nach dem Neuen See gehen.“

a) Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 65

„Vielleicht, Mama.“

„Sie hat heute eine fo bittere Enttäuſchung ge- habt.“

„Wer hat die nicht?“

Allein in ihrem Zimmer warf ſie Mantel und Schleiertuch ab. Da gleißte die Ballpracht wieder auf. Mit ſeltſamem Lächeln trat Harda vor den Spiegel, prüfenden Blickes Muſterung über ſich ſelbſt zu halten.

Hartleben hatte ihre Perſönlichkeit aus der großen Maſſe hervorgehoben, alſo war fie etwas Beſonderes. And hinter dieſer Beſonderheit ſtand ihr Erbe und die Hinterlaſſenſchaft der drei Geſchwiſter Kniebel.

Perſönlichkeit, Reichtum und Rang. Das letztere war's, was ihr fehlte. Nang, Namen danach lechzte ſie. Sie wollte dafür einſtehen, daß ſie ihren Platz ausfüllte, gleich gut und noch beſſer als ihre hoch- geborenen Freundinnen. Vielleicht kam doch eine Stunde, wo auch ihre Schleppe über das Parkett des Weißen Saales im Königlichen Schloß rauſchte.

Hardas Wangen röteten ſich. Sie ſah ſchön aus in dieſem Moment phantaſtiſcher Erregung, ſchöner noch, als Erich Hartleben fie zuvor geſehen.

Fortſetzung folgt.)

1910. I. 0

Wie man heiratet.

Humoreske von Friedrich Thieme.

Mit Bildern von oo Adolf Wald. (Nachdruck verboten.) 1.

Mit achtzehn Jahren. a aron Dagobert v. Weltſtetten reichte dem B Freunde mit betrübter Miene die Hand. „So ſchwermütig, Dago?“ ſpottete dieſer. „Und aus welcher Urſache?“

„Ach, laß das!“

„Aufrichtig, alter Zunge iſt der Wein oder die Liebe daran ſchuld? Denn daß es ſich um eines von beiden handelt, iſt ſelbſtverſtändlich.“

Dagobert verzog ſein friſches, hübſches Geſicht zu einem düſteren Lächeln.

„Alſo die Liebe!“ fuhr ſein Freund lächelnd fort. „Der Wein läßt einen gewiſſen Galgenhumor zurück, ſolche Wolken auf der Stirn erzeugt allein die Liebe natürlich die unglückliche, verſchmähte, troſt; und hoffnungsloſe. Du liebſt wirklich hoffnungslos?“

„Wer ſagt dir denn das?“ brauſte der Baron heftig auf. N

Sein Freund, der Freiherr Alexander v. Bilſing, klopfte ihm liebenswürdig auf die Schulter. „Weiß ich nicht, daß du die kleine Sandow liebſt? Geſtern liebteſt du ſie noch mit Hoffnung, heute womöglich

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 67

ohne folglich haft du ihr deine Liebe erklärt und biſt abgeblitzt.“

„Du haſt recht, „murmelte Dagobert, indem er dem Freiherrn einen veilchenduftenden Brief übergab. „Lies dieſes Schreiben!“

Alexander las: „Hochgeehrter Herr Baron! Wohl weiß ich die Ehre zu würdigen, die Sie mir erzeigen, auch bietet mir Ihre Perſon die Gewähr für die Erfüllung berechtigter Erwartungen, aber die hohe Vorſtellung, welche mein Herz von den heiligen Emp- findungen hegt, die Sie mir ſchriftlich zu Füßen legen, beſtimmt mich doch, auch ferner dieſe Empfin- dungen ungeteilt in dem Innern meines Herzens ver- ſchloſſen zu halten. |

ghre ergebene Gertrude v. Sandow.“

„Iſt das nicht teufliſch?“

Der Freiherr lachte laut auf.

„Was du lachſt noch?“

„Ja, beſter Dago, haſt du denn etwas anderes erwartet?“ fragte ſein Freund, ſich gleichmütig eine Zigarette anſteckend.

„Etwas anderes erwartet?“ rief der Baron erſtaunt. „Na da hört denn aber doch verſchiedenes auf. Du vor allen anderen weißt doch, was ich ſeit Monaten für dieſe ſchlanke blonde Gertrude empfinde, daß ich ohne ſie nicht leben kann, daß ich ſie anbete, bewundere, gleich einer Heiligen verehre, daß ich der Meinung war, auch ſie betrachte meine Werbung, die ſie kommen ſehen mußte, nicht mit ungünſtigen Augen. Ich bin doch ein ſchneidiger Burſche, vermögend, von Familie. mit guten Ausſichten vor mir ich könnte die Hand

nach einer Grafenkrone ausſtrecken —“

„Stimmt, ſtimmt, ſtimmt!“ beſtätigte Alexander.

68 Wie man heiratet. 2

„it es alſo nicht teufliſch?“

„Mindeſtens recht unangenehm.“

„Unangenehm? Hätte bald was geſagt!“ ee der abgewieſene Freier unwirſch. „Ich habe einen Korb erhalten, einen regelrechten, ganz gemeinen Korb und weiß nicht, warum. Zch hegte die zu- verſichtliche Hoffnung auf Erwiderung meiner Liebe.“

„Mit vollem Recht,“ beſtätigte der Freiherr.

„Ja was iſt dann aber in die ſchöne Gertrude gefahren? Iſt mir ein anderer zuvorgekommen? Hat plötzlich eine andere Leidenſchaft von ihrem Herzen Beſitz ergriffen? Ich bin ſtarr ratlos außer mir.“

Alexander ſchwieg einige Augenblicke, dann las er nochmals das parfümierte Schreiben, ſtarrte wieder eine halbe Minute vor ſich hin, bis er plötzlich ſagte: „Reg dich nicht auf, Dago du wirft geliebt, du wirft auch noch erhört.“

„Im Briefe ſteht das Gegenteil.“

„Im Briefe ſteht, was ich dir ſage. Du verſtehſt ihn nur nicht zu deuten. Die Schuld, daß er nicht anders ausgefallen iſt, trägſt du allein, denn du haſt die Sache falſch angefangen.“

„Wieſo?“

„Erſtens haſt du ihr deine Liebe ſchriftlich erklärt. Warum das?“

Der Baron errötete. „Du kannſt dir doch denken die Erregung, die Furcht vor einem ablehnenden Be— ſcheid, die Verlegenheit —“ ſtammelte er.

„Verſtehe ſchon. Das war der erſte Fehler, aber er war nicht der entſcheidende. Aus ihrer Antwort klingt eine gewiſſe Gereiztheit heraus, eine Verletzung ihrer Gefühle. Die Urſache dafür muß in der Art und Weiſe des Antrags liegen. Haſt du vielleicht eine Abſchrift deines Schreibens?“ n

1 Humoreske von Friedrich Thieme. 69

„Selbſtverſtändlich. 3% habe ſogar mehrere —‘

„Zeig her!“

Alexander überflog das Geſchriebene. „Dacht' ich's doch!“ rief er. „Und ſo eine Stilübung wagſt du einem jungen achtzehnjährigen Mädchen zu bieten? Das iſt gemeinſte Proſa, Menſch, das iſt nüchterne Beweis- führung, eines Juriften würdig, aber keine Romantik, keine Poeſie!“

„Aber ich bitte dich —“

„Nein, ich bitte dich! Wie kann man einer Achtzehn-

jährigen gegenüber mit derartigen Redensarten an- rücken? Allerdings iſt am Anfang von Bewunderung, Liebe, Verehrung die Rede, aber nun kommt eine ausführliche Darſtellung deines Charakters, deiner Ver- mögensverhältniſſe, deiner Ausſichten. Das wirkt ja wie Eis auf ein glühendes Mädchenherz. Wer ihr ſo ſchreibt, kann ſie nicht lieben, iſt überhaupt einer echten erhabenen Liebe nicht fähig. Was fragt fie nach deinem Rang, deinem Vermögen, deinen Aus- ſichten? Raum iſt ihr jetzt noch in der kleinſten Hütte für ein glücklich liebend Paar‘. Wahrhaftig Dago, das haſt du arg verfahren!“

„Du könnteſt recht haben, Alex.“

„Natürlich habe ich recht.“

„Schade nur, daß das Unglück nicht wieder gut— zumachen iſt.“

„Warum ſollte es nicht wieder gutzumachen ſein?“

„Du meinſt wirklich?“

„Unter allen Umſtänden.“

„Soll ich ihr einen zweiten Brief ſchreiben?“

Alex winkte ungeduldig ab. „Um des Himmels willen nicht wieder ſchreiben, mein Lieber! Dann wäre alles aus für immer. Nein, nicht in Buchſtaben mußt du deine Werbung wiederholen, ſondern in Worten

70 Wie man heiratet. | 8

und Taten. Gertrude iſt dir zugetan, das beweiſt ihre Antwort. Sie iſt tief verletzt durch die anſcheinende Kälte und Geſchäftsmäßigkeit, womit du eine ſo heilige Sache behandelt haſt. Du haſt mit ihren innigſten Empfindungen ihrer Meinung nach ein frevelhaftes Spiel getrieben, ihr blutendes, glühendes Herzchen zertreten. Auf die Kniee hätteſt du dich vor ihr werfen müſſen!“

„Warum nicht gar!“

„Du ſiehſt das natürlich nicht ein, du Strohkopf, der du biſt! Gertrude ſprüht noch in allen Flammen unverfälſchter Romantik und Poeſie. Sie erblickt die Männer im Glanze des Ritter- und Heldentums. Wie gejagt: auf den Knieen hätteſt du ihr deine Liebe er- klären müſſen, ein brennendes Gedicht von Heine oder Geibel herbeten oder die Liebeserklärung Mortimers an Maria Stuart —“

„Da hätte ſie mich einfach ausgelacht.“

„Wie wenig kennſt du die Frauen und vor allem die jungen Mädchen! Wit Selbſtmord mußteſt du drohen, wenn du nicht erhört würdeſt! Was ift ihr denn ein Mann. der ſie nicht ſo raſend liebt, daß er lieber ſterben, als ohne ſie leben will?“

„Kann ſein kann ſein,“ murmelte Dagobert nachdenklich.

„Worin beſteht denn das Geheimnis der ſo— genannten Don Zuans anders als in der Dorfpieg- lung einer alle Begriffe überſteigenden, verzehrenden Leidenſchaft? Einer ſolchen widerſteht ſelten ein ideal veranlagtes weibliches Gemüt. Daher das ſeltſame, anſcheinend ſo widerſpruchsvolle Naturſpiel, daß ein an ſich völlig unſchöner Mann wunderbarerweiſe die ſprödeſten Damen gewinnt.“

„Was rätſt du mir alſo zu tun?“

2 gumoreske von Friedrich Thieme. 71

„Ich rate dir, ihr zu zeigen, was du fühlſt. Du fühlſt heiß und leidenſchaftlich ich weiß es. Veg alſo mit aller Befangenheit und Zurückhaltung! Schüch- terne Liebhaber erreichen ſelten ihr Ziel, die Mädchen ziehen die ſtürmiſchen und heißblütigen vor. Setz dich her ich will dir mein ganzes Programm aus- einanderſetzen.“

Die Freunde ſaßen wohl eine Stunde in angelegent- licher Unterhaltung beiſammen. Als ſie ſich endlich erhoben, lag auf Dagoberts Geſicht ein frohlockendes Lächeln.

Gertrude v. Sandow weinte oft ſeit einigen Tagen. Die Meteorologen des Herzens verſtehen ſich auf die Tränen der jungen Mädchen vorzüglich. Sie wiſſen, daß Sonnenſchein und Regenſchauer in keiner Jahres- zeit des menſchlichen Lebens häufiger wechſeln als im Frühling Gertrude befand ſich in einer Regenperiode, nur mit dem Unterſchiede gegen frühere ähnliche Er- ſcheinungen in ihrem lichtvollen Knoſpendaſein, daß die diesmalige Periode weit ſtärker und anhaltender ge- nannt werden mußte. Beweis genug, daß die Zeit der grundloſen Tränen vorüber war: jede dieſer kriſtal— lenen, blitzenden Perlen beſaß einen Kern, unſichtbar zwar, doch darum nicht weniger wirklich und bedeutſam. Jede bildete den Ausdruck eines wehen Gefühls. Die Kammerzofe ihrer Mutter behauptete ſogar in der Küche, das Fräulein verſteige ſich zuweilen ſo weit, ihre wehen Gefühle in Worte zu faſſen. Sie wollte abends, als ſie an des Fräuleins Zimmer vorüberging ſie ver— ſchwieg, daß ſie dabei einige Augenblicke in gebeugter Haltung am Schlüſſelloch ſtehen geblieben war den Stoßſeufzer vernommen haben: „Er hat mich eben nie geliebt!“

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12 Wie man heiratet. a

„Und das ſprach fie mit einer Stimme,“ fuhr die Zofe mitfühlend fort, „mit einer Stimme gerade als wenn ein ſterbender Schwan ſeine letzten Emp- findungen in eine ſchmelzende Melodie aushaucht.“

Marianne nannte ein gefühlvolles Herz ihr eigen und tat ſich viel zugute auf ihre Bildung. Übrigens war Marianne ſo neugierig, wie Gertrude reizend war.

Als ſie ihrer Herrin an einem der nächſten Morgen das goldblonde Haar flocht, erkundigte ſie ſich in der vertraulichen Art begünſtigter Dienerinnen, wer denn der ſchöne junge Herr geweſen ſei, der das gnädige Fräulein geſtern abend im Theater ſo unverwandt an- geſtarrt habe.

„Angeſtarrt? Mich? Ein Herr?“ fragte Ger- trude errötend.

„Haben das gnädige Fräulein es nicht bemerkt?“

„Nein,“ erwiderte Gertrude, aber ihre Verwirrung bewies, daß ihr der Umſtand doch vielleicht nicht gäny- lich entgangen war.

„Er ſaß in der rechten Seitenloge des erſten Ranges auf einem Eckplatze, beinahe Ihrem Platze gegen über.“

„Und er ſtarrte mich an, ſagſt du?“

„Er verwandte kein Auge vom gnädigen Fräulein. And fo bleich ſah er aus, als ob er ſich innerlich ver- zehrte.“

„Was du immer phantaſierſt, Marianne! Wenn er mich übrigens wirklich e hat, jo iſt es unver- ſchämt genug von ihm.“

„Das ſage ich auch, gnädiges Fräulein. Es war eine unverzeihliche Zudringlichkeit, eine Indiskretion!“

„Was weißt du von zndiskretion! Laß mich zu- frieden mit deinem Geſchwätz!“

Marianne lächelte verſchmitzt in ſich hinein. Sie

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 73

wußte, das Fräulein würde bald genug ſelber wieder von der Sache anfangen, und ſtellte ſich ihrerſeits, als ſei ihr die Sache ebenfalls völlig unintereſſant.

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Nicht eine Mi- nute war ver— gangen, ſo hub die junge Dame in gleichgültigem Tone wieder an: „Du haſt dich ſicherlich geirrt, Marianne. Es kann gar nicht anders ſein!“

„Worin, gnädiges Fräulein?“ Marianne tat, als verſtünde ſie nicht, was man von ihr wollte.

„Ach, tu doch nicht ſo! In deiner Beobachtung mit

74 Wie man heiratet. 1

dem Herrn, meine ich. Welcher Mann von Stand und Bil- dung wird denn nein, jo etwas iſt gar nicht anzunehmen.“

„Gnädiges Fräulein haben recht ich fürchte auch, daß ich mich geirrt habe.“

„Er war blaß, ſagſt du?“

„Totenbleich wie eine Leiche. Und die Augen hatten einen ſo düſteren, ſchwermütigen Ausdruck.“

„Totenbleich? Das iſt mir nicht auf—“ Beinahe hatte ſie ſich verraten. „Nein, wahrhaftig, gar nicht aufgefallen iſt er mir. Kannteſt du ihn denn?“

„Ich konnte ihn vom vierten Rang aus nicht deutlich erkennen; aber wenn mich nicht alles trügt, war es der Herr Baron v. Weltſtetten.“

„Warum ſollte denn der —“

„Gnädiges Fräulein haben ihn doch ſo grauſam behandelt. Der Schlag ſcheint ihn bis ins Innerſte getroffen zu haben.“

„Dazu halte ich ihn für viel zu alltäglich. Er er weiß ja gar nicht, was wahre Liebe iſt, er fühlt nicht tiefer als ein ein Elefant.“

„O er tut mir wirklich leid, der arme Herr!“

„Ach was!“

„Immerhin war es eine Dreiftigkeit, Sie derart i ins Auge zu fallen und ſo in einem fort. Ein Benehmen eines jpvornehmen Herrn in der Tat nicht würdig. Ich —“

„Urteile nicht zu hart, Marianne!“ fiel ihr Gertrude haſtig ins Wort. „Wenn ein Fremder ſich das erlaubt hätte, möchteſt du recht haben, aber in ſeinem Falle war es wohl mehr das unbewußte Tun eines verſtörten, verletzten Gemüts. Er hat doch mehr Gefühl, als ich glaubte. Das das freut mich von ihm!“

Marianne lächelte. Sie hatte beabſichtigt, das Fräu- lein auszuholen, und das war ihr glänzend gelungen. Sie wußte jetzt, womit ſie ihrer jungen Herrin Ver—

u ——

2 Humoreste von Friedrich Thieme. 75

gnügen zu bereiten vermochte und ſie würde das nach Möglichkeit benutzen. Nach dem Frühſtück ging Gertrude wie alle Morgen

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im Garien ſpazieren. Den ſchöngepflegten Garten ſchloß ein elegantes Eiſengitter gegen das Nachbar- grundſtück und gegen eine ſchmale Seitenſtraße ab, eine

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16 Wie man heiratet. 2

kunſtvoll gearbeitete Tür führte nach letzterer hinaus. Dieſe Tür trug oben zur Verzierung zwei vaſenartige Gefäße, und als Gertrude vorüberging, erblickte ſie zu ihrem Erſtaunen in einer der Vaſen einen großen koſtbaren Roſenſtrauß. Es war im April, und Noſen zurzeit noch ein koſtſpieliger Artikel.

„Wie kommen die herrlichen Roſen hierher?“ fragte ſich das junge Mädchen.

Im ſelben Augenblick überfloß Purpur ihre Wangen. Für wen, wenn nicht für ſie, konnten ſie beſtimmt ſein? So wertvolle Blumenſpenden ſchickt man keiner Dienerin. |

Verlegen ſchaute fie ſich um, ob jemand ihr Be— ginnen gewahre, dann ſprang ſie gewandt auf die Stange der Wegeinfaſſung und erlöſte den Strauß aus ſeiner einſamen Haft.

Wie köſtlich er duftete! Tief ſenkte fie ihr Näschen in die wunderbaren Blumen.

Da ſah fie ein roſa Zettelchen verborgen darin ſchimmern. Sie zog ſich haſtig hinter eine hohe Taxus— wand zurück und entfaltete das zierliche Billett.

Verſe! Ihre Vergißmeinnichtaugen erglänzten unwillkürlich, denn ſie liebte alles Poetiſche ſo ſehr. Mit leiſer, aber trotzdem allen Empfindungen der wenigen Zeilen Rechnung tragender Stimme las ſie:

„Eine Liebe ſo groß,

So grenzenlos

Wie die meine, beut nie ſich dir dar.

And blickten die Engel auch noch ſo ſcheel,

Sie trennen doch nicht meine Seel’ von der Seel Der Maid mit dem goldigen Haar.“

„Kein Zweifel das bin ich!“ liſpelte die junge Dame mit verklärtem Blicke. „O, wer mag es ſein,

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 77

der mir dieſe fo poetiſche, zarte und romantiſche Huldi- gung darbringt? Ich komme mir vor wie eine Prin- zeſſin in einem verzauberten Schloſſe.“

Heimlich, ganz heimlich brachte ſie den Strauß auf ihr Zimmer, wo ſie ihn einer zierlichen Porzellanvaſe anvertraute, auf welcher Dornröschen im Zauberſchloſſe gemalt war. |

„Sein Duft mag dich wecken, kleines Dornröschen!“ nickte ſie der ſchönen Schläferin zu. „O, wie berauſchend er iſt er dringt bis in die Seele!“

ʒ— ———

Die ſchöne Gertrude verwunderte ſich durchaus nicht, als ſie am nächſten Morgen an derſelben Stelle wieder einen Strauß fand. Sie hatte im ſtillen ſo etwas er- wartet.

Natürlich ſteckte wieder ein roſa Blättchen darin. Natürlich ſtand wieder ein Vers darauf. Sie küßte den Zettel und las die Verſe:

„Aus verſchmähter Liebe Gründen, Von des Herzens Gram bedrückt, Könnt' ich doch die Rettung finden, O wie fühlt' ich mich beglückt!

Dort ſchau' ich der Treue Spiegel, Augen, die wie Veilchen blühn Hätt' ich Schwingen, hätt' ich Flügel, Zu den Augen zög' ich hin!“

Wer nur der geheimnisvolle Spender der köſtlichen Blumen, der herrlichen Verſe ſein mochte?

Am dritten Tage empfing ſie die Aufmerkſamkeit bereits als etwas Selbſtverſtändliches, holte fie gewiſſer⸗ maßen als Zoll ein. Diesmal waren es weiße Roſen,

und in dem beiliegenden Begleitreim ſchwärmte der

78 Wie man heiratet. 2

romantiſche Geber ſogar davon, ſein höchſtes Glück ſei,

mit ihr nach einer einſamen Inſel zu fliehen und ganz ausſchließlich ihrer Liebe zu leben.

| „Wer es nur iſt?“ ſprach fie erglühend zu ſich ſelbſt.

„Gewiß ein Künſtler wohl gar ein Dichter! So heilig, erhaben und flammend zugleich kann nur ein

Dichter empfinden.“ |

Tag und Nacht beſchäftigte fie die Frage nach der Herkunft der geheimnisvollen Gaben, und der Spen- der ermüdete nicht, ihre Aufmerkſamkeit rege zu er- halten. N

Jeden Tag überraſchte fie irgend eine neue Huldi- gung. In den Kahn, den ſie jede Woche ein paarmal zu’ einer Ruderpartie zu benützen pflegte, ward vom Ufer aus von unbekannter Hand ein Sträußchen ge- ſchleudert, das in ſeinem Innern wiederum einen von feuriger Anbetung zeugenden Spruch umſchloß. Selbſt in einem Veilchenſtrauß, den Gertrude einer kleinen Straßenverkäuferin abnahm, der ſie manchmal etwas abkaufte, fand ſich eine poetiſche Erklärung an ſie. Immer waren es dieſelben Schriftzüge, aber die junge Dame kannte fie nicht, da die Handſchrift offenbar ver- ſtellt war.

Bis in das Heiligtum ihres Mädchenſtübchens reichte die magiſche Kraft des Unbekannten. Von ihrem Vor- mittagsausgange zurückkehrend, erblickte fie den Strauß, den ſie im Garten diesmal vergeblich geſucht, auf ihrem Tiſche. Der bebarrliche Ritter mußte mit jemand von der Dienerſchaft in Verbindung ſtehen. Was für Zeit, Mühe und Geld er es ſich koſten ließ! Was hatte er denn heute für ein Verschen gewählt?

Mit holdem Lächeln griff ſie nach der Einlage, doch zu ihrem großen Befremden ſtieß ſie auf das ſeltſame Zitat aus Bürgers Lenore:

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 79

„Und außen, horch, ging's trapp, trapp, trapp, Als wie von Roſſes Hufen

Und hurre, hurre, hopp, hopp, hopp Ging's fort in faufendem Galopp... Auf deine heißen Fragen Will es dir Antwort ſagen!“

„Das wird ja immer rätſelhafter!“ murmelte Ger- trude beglückt.

Da vernahm ſie plötzlich Pferdegetrappel auf der Straße unter ihrem Fenſter. Welch merkwürdiges Zu- ſammentreffen mit dem Text des heutigen Gedichts! Sie eilte ans Fenſter, um hinunterzuſchauen, denn in der ſtillen Straße bekam man ſelten einen Reiter zu Geſicht. Wirklich: ein Kavalier ſtürmte auf feurigem - Rappen daher, im Vorbeigaloppieren ſchwenkte er ehr- erbietig den Hut.

Sie grüßte flüchtig. Der Reiter war der Baron Dagobert. 20:

Da beugte er ſich noch einmal zurück, in halber Körperwendung, ſo daß ſie ſeine Bruſt ſehen konnte. Was leuchtete an der? Eine herrliche Roſe derſelben Art, aus welcher der Strauß auf ihrem Tiſche beſtand.

Bis über die Stirn errötend, zog ſie ſich haſtig zurück.

Er war es er! Dagobert v. Weltſtetten!

Ob ſie es nicht geahnt hatte!

Er war alſo doch nicht ohne Sinn für Poeſie. Und ein Leben ohne Poeſie niemals! Ein hohes Ideal lebte in der jungfräulichen Bruſt. Sie lief ſogleich zu ihren Roſen hin, drückte ſie an ihr Herz und an ihre Lippen. Freilich tat es ihr leid, daß der Ritter von den duftenden Nofen, wie fie ihn bei ſich getauft, fein Viſier ſo raſch gelüftet hatte das Geheimnis war intereſſanter als die Enthüllung.

Mas würde er aber nun beginnen? Würde er nun

80 Wie man heiratet. 2

ſofort wiederkommen und noch einmal um ſie werben? Das hoffte ſie nicht. Zwar ſeinen proſaiſchen Brief hatte ſie bereits halb vergeben, aber ſo leicht war ſie nicht zu gewinnen. Gertrude v. Sandow nicht! Da— bei richtete ſie ſich ſtolz empor, und ihre Augen nahmen den Ausdruck eines Ritterfräuleins aus ihrem Lieb- lingsroman, Fouqués Zauberring, an. Eine Gertrude v. Sandow wollte heiß umworben ſein!

Am liebſten hätte ſie das Zugeſtändnis ihrer Liebe an einige heroiſche Bedingungen geknüpft, ihrem Be— werber ſchwierige Aufgaben geſtellt, die er erſt erfüllen mußte; aber ſo etwas war ja nicht mehr möglich in

unſerer troſtlos nüchternen Zeit. Gertrude ftampfte ärgerlich mit dem kleinen Fuße.

Als fie nachmittags mit ihrer Mutter im Park fpa- zieren ging, erblickte ſie ihn nochmals auf demſelben Rappen, mit derſelben Roſe an der Bruſt. Auf dem Reitweg kam er daher, wieder grüßte er ehrerbietig und mit einem unendlich traurigen Blicke, dann ſpornte er ſein Roß zu einer Reihe von halsbrecheriſchen Kunſt— ſtücken, bei deren Anblick Gertrude Hören und Sehen verging. Was für ein Reiter er war! Jeden Augen- blick fürchtete fie, er würde ſtürzen. Unwillig ſchüttelte ſie, doch unmerklich für ihre Mutter und alle anderen, den Kopf gegen ihn, daran erkannte er, daß er ver— ſtanden worden ſei; er lächelte trübe und preßte ſchwer— mütig die Hand aufs Herz, als wolle er ſagen: Was tut's, wenn ich ſtürze? Dich, Grauſame, kümmert es ja doch nicht!

Abends im Theater waren ſeine Augen wieder auf ſie gerichtet kurz überall, wohin ſie auch ihre Schritte lenkte, trat ihr der Baron mit ſeinem blaſſen Geſicht, feinem traurig vorwurfsvollen Blick in den Weg. Manch-

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mal erhaſchte ſie im Vorbeigehen ſogar einen ſeiner ſtillen Seufzer.

Um dieſe Zeit war es, daß ihr Bruder Kurt einen Freund vom Regiment mit nach Hauſe brachte, den Rittmeiſter Leo v. Fröben. Ein ſchneidiger, ein ſchöner Mann! Und obendrein hieß er Leo ein Name, für den ſie ſchwärmte. Trotzdem mochte ſie ihn nicht. Er erſchien ihr zu geziert und blaſiert. Aber feinem Um- gang konnte ſie ſich doch nicht entziehen. Die Ge— ſchwiſter leiſteten dem Gaſte Geſellſchaft, unternahmen mit ihm Ausflüge, auf einem Balle beim Geſandten tanzte ſie mehrmals mit ihm. Natürlich überhäufte er ſie mit Aufmerkſamkeiten.

Der arme Dagobert nahm mit umflorten Augen von dieſen Vorkommniſſen Notiz. Immer düſterer wurde ſein Blick, zuletzt drohend.

Nichts iſt leichter gefunden als eine Urſache zum Streit, wenn einer dem anderen an den Kragen will. Ein kleiner Wortwechſel, man fordert Entſchuldigung, der gibt die Beſchuldigung zurück und weigert ſich, ein Vort gibt das andere bald genug iſt eine Beleidigung aus irgend einem Munde gefallen und die Forderung

iſt fertig.

Warum war wohl die ſonſt ſ0 heitere Marianne heute ſo aufgeregt und beklommen, als ſie ihrer jungen Herrin die goldenen Flechten ſtrählte?

„Wie ungeſchickt du heute biſt, Marianne!“ ſchalt Gertrude empfindlich. „Dreimal haft du mich ſchon gerauft! Was iſt nur mit dir? Haſt du N aus- geſchlafen?“

„O gnädiges Fräulein!“ ee Marianne vor- wurfsvoll.

Der klagende, dumpfe Ton, fait dem vergleichbar,

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1810. I.

82 Wie man heiratet. 1

mit welchem manche Leute Geſpenſtergeſchichten vor- leſen, veranlaßte das Fräulein, ſich nach der Zofe herumzudrehen. Betroffen ſchaute ſie ihr ins Geſicht.

„Du biſt ſo bleich, Marianne! Was fehlt dir? Biſt du krank?“ fragte ſie ſanfter.

„O, wenn es nur mich beträfe, gnädiges Fräulein!“ ächzte Marianne, plötzlich in Tränen ausbrechend.

„Wen ſollte es denn ſonſt betreffen?“

„Daß er ſterben ſoll ſo jung und fo ſchön! Es iſt ſchrecklich!“

„Ver ſoll denn ſterben? Dein Schatz?“

„Ach, wie werd' ich ſo ungebildet ſein und dem gnädigen Fräulein von mir reden! Nein von ihm ſpreche ich! Wie entſetzlich wäre es, wenn der Herr Rittmeiſter ihn im Duell tot ſchöſſe!“

Gertrude erblaßte. „Der Herr Rittmeiſter? Wen? Doch nicht

„Jawohl!“

Sie verſtanden ſich, ohne daß der Name ausge— ſprochen wurde.

„Wie kommſt du auf dieſe Idee, Marianne?“

„O, unſereins hat ſeine Beziehungen, gnädiges Fräulein,“ murmelte die Zofe ſelbſtbewußt. „Hat der Herr Rittmeiſter denn nicht einen Burſchen, und macht mir dieſer Burſche nicht den Hof? Hört ein Burſche nicht manches, was eigentlich nicht für ſeine Ohren beſtimmt iſt? Und die Vorbereitungen zu einem Zwei— kampf, ſo geheim fie auch betrieben werden —“

„Mein Gott, wann ſoll denn das Duell ſtattfinden?“

„Morgen früh um halb fünf.“

Gertrude ſprang erregt von ihrem Toilettenſtuhl in die Höhe. N und bin ich ich die Ur- ſache?“

„Sie ſagen zwar, eine Beleidigung wäre der Grund,

2 gaoumoreske von Friedrich Thieme. 83

aber niemand iſt im Zweifel, daß dieſer Grund nur vorgeſpiegelt iſt.“

„Wer iſt der Herausforderer? Baron v. Welt- ſtetten?“

„Der arme Herr Baron, der ſo freigebig ja, er o wie leid er mir tut! Sein Gegner iſt doch Offizier und muß wohl viel beſſer ſchießen können als er und er iſt ohnehin immer ſo traurig und ſchwermütig! Sch fürchte, er legt es direkt darauf an, ſich totſchießen zu laſſen denn ſein Herz iſt gebrochen, weil die Welt jo grauſam und ——

„Mit der Welt meinſt du natürlich mich?“

„Gnädiges Fräulein —“

„Schon gut, ich verſtehe deine Anteilnahme und verſtehe noch manches andere, was mir bisher ge- heimnisvoll erſchien. Geh jetzt laß mich allein!“

Marianne entfernte ſich ſchmollend, aber doch im ganzen von ihrem Erfolg befriedigt. Sie hatte dem Fräulein ihr Geheimnis offenbart mehr wollte ſie ja gar nicht.

Gertrude war in der Tat im höchſten Grade erregt. Nicht ausſchließlich unangenehm, wiewohl ſie ſich das Gegenteil kaum geſtehen mochte, und doch vermochte ſie im letzten Grunde eine Art Triumphgefühl nicht zu unterdrücken.

Ein Duell um ihretwillen! Shre Bruſt hob ſich in wonnigen Atemzügen. Wie intereſſant, wie roman— tiſch, wie poetiſch! Dazu ein Ritter, der um ihretwillen den Tod ſuchte! Der lieber ſterben, als ohne ſie leben wollte! |

Aber wenn er wirklich fiel? Oder auch der andere? Jeder von beiden tat ihr leid, denn ein Mord um ihret- willen niemals! Ihr kleines Herz begann auf ein- mal laut zu klopfen, und eine Stimme in ihr, mächtig

84 Wie man heiratet. Oo

und klar, rief mit immer ſteigendem Nachdruck: „Nie- mals darf das geſchehen! Wie könnteſt du je wieder innerlich ruhig werden? Armer Dagobert er hat ſich ſo treu, ſo echt ritterlich erwieſen! Er darf nicht ſterben!“

Nein, er durfte nicht! Aber was ſollte ſie tun? Der Tag verging in ratloſer Überlegung. Nachmittags ging ſie in Begleitung Mariannes aus in der Hoffnung, ihm irgendwo zu begegnen umſonſt. Der Abend kam näher und näher bald war es zu ſpät.

Die Not löſte endlich einen ſchweren Entſchluß in ihr aus, ſchwer, aber doch auch wieder äußerſt roman— tiſch, und ſie kam ſich in ſeiner Ausführung unendlich wichtig und intereſſant vor.

Mit fliegender Feder warf ſie folgenden Satz auf ein Blatt: „Dagobert kommen Sie heute abend um neun Uhr nach dem alten Ahornbaum im Schloßpark. Kommen Sie bei allem, was Ihnen heilig iſt! Sch befehle es Ihnen! Ich bitte Sie darum!“

Wohl zehnmal las ſie ihre Beſchwörung, ſie ſchwelgte in dem romantiſchen Inhalt. Marianne oder der Diener hätten ohne jedes Bedenken das Briefchen an feine Beſtimmung befördern können, auch würde niemand etwas dagegen einzuwenden gehabt haben, wenn ſie den Baron ſtatt in den Park in die Wohnung ihres Vaters beſtellt hätte, aber das erſchien ihr der Wichtig- keit und Beſonderheit der Lage nicht entſprechend. So leichtfertig behandelt man in ihrem Alter Geheimniſſe nicht. Nein, ein ihr unterwegs begegnender Junge mußte gegen ein Trinkgeld den Boten abgeben, und abends im Dunklen an geheimnisvoller Stätte mußte die Unterredung ſtattfinden.

Und ganz nach Art der Heldin eines Senſations- romans verfuhr ſie bei der Zuſammenkunft. Marianne

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allein wurde in das Vorhaben eingeweiht. Kopf— ſchmerzen vorſchützend begab ſich Gertrude frühzeitig auf ihr Zimmer. Dort warf ſie einen ſchwarzen Schleier über, zog ihn tief über das Geſicht und beſtand ſchließ—

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lich darauf, daß Marianne, die fich mit Leib und Leben an dem Abenteuer beteiligte, eine ähnliche Vermum— mung anlegte. Dann verließen beide das Haus heim— lich durch das Hinterpförtchen im Garten.

Schlag neun Uhr ſtand Gertrude an dem bewußten

86 Wie man heiratet. | u

Ahornbaum, Marianne wenige Schritte von ihr ent- fernt im Gebüſch.

Baron Dagobert war natürlich ſehr pünktlich, er wußte, wen er zu erwarten hatte.

Eine ſchwarze Geſtalt näherte ſich ihm, und eine verſtellte, erregte Stimme begann halblaut: „Sind Sie es, Baron?“

„Ich bin es.“

„Ich weiß alles, Baron Dagobert.“

„Alles?“

„Ihr Geheimnis ward mir enthüllt. Aber bei Fhrer Liebe zu mir Sie werden ſich nicht ſchießen!“

„Gnädiges Fräulein, was bleibt mir übrig? Meine Ehre —“

„Wählen Sie zwiſchen Liebe und Ehre!“

„Fürchten Sie nichts für den Mann Ihres Herzens. Er ſoll nicht ſterben. Ich ſuche nicht feinen Tod —“

„Sie ſuchen den Fhrigen, ich weiß es. Das eben will ich verhindern.“

„Wie, gnädiges Fräulein, Sie nehmen Anteil an einem Unglücklichen?“

„Um meinetwillen ſoll kein Mord geſchehen. Wollen Sie mein Gewiſſen für immer mit einem Schatten belaſten, der nie wieder weichen kann?“

„Vas ſoll mir ein Leben ohne Liebe?“

Einige Augenblicke ſchwieg Gertrude, dann hauchte ſie mit Anſtrengung: „Wer ſagt Ihnen, daß ich ihn liebe?“

„Meine Augen —“

„Ihre Augen haben Sie betrogen. Er iſt der Freund meines Bruders, kann ich anders als höflich und zuvor— kommend gegen ihn ſein?“

„Sie Sie lieben ihn nicht?“

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 87 Te

„Nein.“

„Und auch keinen ö

Keine Antwort.

„Keinen anderen, gnädiges Fräulein?“

„Schonen Sie mich!“ rief ſie leiſe.

Ein unterdrückter Zubelruf entfloh feinen Lippen. ergriff entzückt ihre Hand.

„Gertrude darf ich, darf ich Ihren Herrn Vater um dieſe kleine Hand bitten?“

„Wenn Sie mir ſchwören, dieſen unglückſeligen Zwiſt zu vermeiden.“

„Wie kann ich das, wenn mein Gegner —“

„Ich werde mit ihm reden. Das Duell darf nicht ſtattfinden oder wir wären für immer getrennt, Dagobert. Wollen Sie meine Bitte erfüllen?“

„O, was mich anlangt von Herzen gern. Ih ich bin der ſchuldige Teil ich werde den Rittmeiſter um Entſchuldigung bitten, erklären, daß ich mich im Irrtum befunden habe. Wenn Sie ihn vermögen können —“

„Er wird Ihre r annehmen. Ich ver- bürge mich dafür.“

„O, ſo iſt alles gut ich —‘

„Schwören Sie ich a feinen Augenblid zu verlieren. Schwören Sie bei Fhrer Ehre als Kavalier und Edelmann!“

Er kniete nieder, hob beteuernd ſeine rechte Hand empor und ſagte feierlich: „Ich ſchwöre!““

Sie reichte ihm zum Abſchiede die Hand. Er ſtand auf, drückte dieſe heftig, dann zog er mit raſcher Be- wegung die ſchwarze Geſtalt an ſich und preßte einen Kuß auf den Schleier.

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*) Siehe das Titelbild.

88 Wie man heiratet. | 2

„Dagobert laſſen Sie ſprechen Sie mit meinem Vater!“ Im nächſten Augenblick war fie verſchwunden.

Baron Dagobert gab am nächſten Morgen ſeinem Gegner die verlangte Ehrenerklärung. Der Rittmeiſter, ſchon vorbereitet, nahm fie gerne an. Er durfte es ohne Bedenken, da das Ehrengericht, das nur mit Überwindung ſeine Billigung zu einem Zweikampfe aus ſo nichtigen Gründen ausgeſprochen, den Verſuch einer gütlichen Beilegung zur Bedingung gemacht hatte. Die Gegner ſchieden völlig verſöhnt.

Der Baron verließ mit ſeinem Sekundanten, ſeinem Freunde Alexander v. Bilſing, zuletzt den Platz. „Ich danke dir, Alexander,“ erklärte er, „dein Rat hat mich glänzend zum Ziele geführt.“

„Das Duell war eigentlich nicht in dem Plan ein- begriffen.“

„Was konnte es ſchaden? Wir hätten uns wahrlich nicht die Hälſe gebrochen. Der Rittmeiſter iſt ein mife- rabler Schütze, und ich nun, ich hätte ganz beſtimmt in die Luft geſchoſſen.“

Zwei Tage fpäter, am 6. Mai 1890, legte Gertrude mit glückſeligem Herzen ihre Hand in die des Verlobten.

2. Mit ſechsunddreißig Jahren. Es war an einem herrlichen Sommertage im Jahre

1908.

Freiherr Alexander v. Bilſing blickte der ſtattlichen Frau mit wohlgefälliger Miene nach.

„Wie ſchön ſie noch immer iſt!“ murmelte er vor ſich hin. „Und wie gut und edel! Sie würde meinen Kindern eine vorzügliche Mutter ſein!“

i Humoreske von Friedrich Thieme. 89

Nachdenklich ſchritt er die Promenade entlang. Schon ſeit Monaten liebäugelte er mit der Idee, in Frau v. Weltſtetten ſeinen Kindern eine zweite Mutter zu geben. Gertrude war gleich ihm ſeit einigen Jahren verwitwet, zwiſchen beiden beſtand eine herzliche, auf langer Bekanntſchaft und gegenſeitiger Verehrung be- gründete Freundſchaft. Auch war ſie ihm ſtets mit jener Liebenswürdigkeit begegnet, die nicht bloß auf Achtung, ſondern auch auf ein Wohlgefallen an der Perſönlich- keit ſchließen läßt, und ſeine Kinder liebte ſie, die ſelbſt kinderlos geblieben war, geradezu zärtlich.

„Freilich,“ wandte er ſich mit bedenklicher Miene ein, „iſt ſie auch eine ſtolze und romantiſche Natur. And ſchwer zu gewinnen. Aber iſt es durch meinen guten Rat meinem armen Freund Oago feinerzeit ge- lungen, ſie zu gewinnen, ſo hoffe ich für mich ſelbſt nicht weniger glücklich zu ſein. Ich muß es nur ſo klug anfangen wie damals Dagobert. Ich werde die Be— lagerung beginnen.“

Der Freiherr begab ſich, ſtill vor ſich hin lächelnd, nach Hauſe. Er entwarf ſeinen Feldzugsplan und war damit zufrieden. Er wußte, Gertrude trank ihren Tee jeden Morgen in der Jasminlaube ihres Gartens. Ent- ſchloſſen trat er unterwegs in einen Blumenladen, in dem er feine faſt lediglich auf die zeitweilige Aus- ſchmückung ſeines Knopflochs abzielenden Bedürfniſſe nach kunſtgärtneriſchen Erzeugniſſen zu befriedigen pflegte. |

„Ich brauche morgen früh um ſechs Uhr einen Noſenſtrauß, aber von den ſchönſten Roſen, die Sie haben,“ wandte er ſich an die Verkäuferin. „Laſſen Sie möglichſt alle edelſten Arten darin vertreten ſein. Mein Diener wird ihn abholen.“

Daheim nahm er ſogleichſeinen treuen Joſeph beiſeite.

90 Wie man heiratet.

„Joſeph, wir find zwar mitſammen ein paar Phi— liſter geworden,“ ſagte er zu dem ihn verdutzt an- ſtarrenden Diener, „aber ein bißchen von der alten Schneidigkeit iſt uns doch hoffentlich noch geblieben wie?“

„Wie Sie befehlen, gnädiger Herr.“

„Du weißt doch, wo Frau Baronin v. Weltſtetten alle Morgen Tee trinkt?“

„Jawohl, gnädiger Herr.“

„In der Jasminlaube direkt am Zaun —“

„Weiß ſchon, gnädiger Herr.“

VE, Getrauſt du dich, ohne daß dich jemand ſieht, einen Roſenſtrauß vom Zaun aus auf den Laubentiſch zu legen?“ |

Joſeph machte ein äußerſt pfiffiges Geſicht. „Wenn's weiter nichts iſt —“

„Es handelt ſich um einen Scherz, Joſeph ver- ſtehſt du?“

Joſeph machte ein noch pfiffigeres Geſicht.

„Du denkſt wohl gar was Arges he?“ lachte der Freiherr. „Was du für ein verdorbenes Gemüt haſt, alter Knabe! Du gehſt alſo vor ſechs Uhr hier weg und holſt den Strauß in dem Blumenladen ab, wo wir immer hingehen, dann bringſt du ihn mir, ich werde ein Briefchen darin verſtecken, dann beförderſt du ihn nach der Laube. Vor ſieben Ahr kommt die Frau Baronin nicht heraus, du haſt alſo Zeit.“

Der Freiherr lachte vergnügt in ſich hinein, wenn er ſich die Überrafchung und das Entzücken der Baronin ausmalte. Das Verschen, das er darin verbergen wollte, verurſachte ihm freilich Kopfzerbrechen, denn er war ſeit langen Jahren nicht mehr in Poeſie tätig geweſen, wie er es nannte, aber er konnte ſich Zeit nehmen, und unter Anlehnung an ein bekanntes Lied

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 91 ———— —— F

brachte er endlich folgende poetiſche Huldigung zu- ſtande:

„Gertrude, meine Sonne, wie biſt du ſo ſchön,

Nie kann ohne Wonne deinen Reiz ich ſehn!

Schon in meiner Jugend ſah ich gern nach dir,

etzt iſt dieſe Tugend ſtärker noch in mir.

Und ich denk', ſeh' ich dich lieblich vor mir ſtehn,

Möcht'ſt du mir allein doch auf- und untergehn!“

„Das iſt etwas nach ihrem Geſchmack!“ lobte er ſich ſelbſt, nachdem er das Gedicht wohl zwölfmal geleſen hatte. Er konnte die Zeit gar nicht erwarten, bis er den Strauß nebſt Inhalt in ihren Händen wußte.

Gegen neun Uhr ging er, entgegen feiner Gewohn- heit, ſchon aus, denn es drängte ihn, zu ſehen, ob ſein Geſchenk verſchwunden ſei.

Garten und Laube waren verlaffen, er konnte ruhig bis dicht an den Zaun vordringen. O weh, der Strauß lag noch da! Sollte Gertrude gar nicht herausgekommen ſein, oder hatte ſie ihn verſchmäht?

Wehmütig betrachtete er das prachtvolle Gebinde von Künſtlerhand, da fiel ihm auf, daß etwas wie ein Zettel über die Roſen emporragte. | „Was iſt das? Das iſt doch nicht mein Gedicht!“ brummte er voll Unruhe. „Es hat ſich alſo doch jemand mit dem Ding zu ſchaffen gemacht!“

Vom Zaun aus konnte er mit einiger Anſtrengung ganz gut hinüberlangen, denn der Strauß lag, als habe man ihn abſichtlich für Verſuche wie den ſeinigen hin- gelegt, ganz am Rande des Tiſches. Er griff jedoch nicht nach der Spende, ſondern nur nach dem heraus— guckenden Zettel. Den entfaltete er und las darauf die flüchtig mit Bleiſtift geſchriebenen Worte:

„Fremdling, du mußt im Irrtum fein, Ich habe ja gar kein Töchterlein!“

92 Wie man heiratet. D

„Wie beſcheiden, ſinnig und rührend!“ dachte der Freiherr. „Sie glaubt nicht, daß die Huldigung für ſie beſtimmt iſt! Sie erwartet, daß dies deutlich aus- geſprochen wird. Nun, ihre Hoffnung ſoll ſie nicht täuſchen.“

Das wahrhaft köſtliche Veilchenbukett, welches Joſeph am anderen Morgen nach der Laube bringen mußte, wäre in jeder Blumenausſtellung eines erſten Preiſes für würdig erachtet worden. Weniger vielleicht der gereimte Gruß, der inmitten der berauſchenden Düfte ſich beſcheiden verbarg und der in der Form manches zu wünſchen übrig ließ, obgleich der Freiherr der Anſicht war, er mache ſich recht hübſch, wenn er nur mit der nötigen Betonung vorgetragen würde.

Und er ſelber trug ihn mit dieſem innigen Ausdruck ſeinem Spiegel wie folgt vor:

„Dieſe Veilchen bedeckt' ich mit Küſſen,

Aber die Küſſe gelten nicht ihr,

Nicht der Tochter, die nimmer geweſen, Sondern der Einzigen, Gertrude, dir! Dieſe Düfte find flammende Gluten,

Feurig lodernd im Herzen mir,

Und dieſe Gluten und dieſe Flammen Brennen und glühen, Gertrude, nur dir!“

Es verſteht ſich, daß er auch diesmal um die neunte Stunde in höchſteigener Perſon an Ort und Stelle erſchien, um ſich von der gnädigen Annahme ſeiner wahrhaft koſtbaren Gabe zu überzeugen. Aber wieder hatten die Lieblinge Florens ihren Platz behauptet und wieder lugte ein Zettel über die blauen Köpfchen, und als er ſich deſſen bemächtigte und den Text las, knirſchte er zornig mit den Zähnen. Dann zerknitterte er den Zettel und ſchob ihn in die Taſche feiner blüten- weißen Sommerweſte. Die Botſchaft aber, die er

1 gumoreske von Friedrich Thieme. 93 darauf gefunden, murmelte er auf dem Nachhauſewege immer von neuem vor ſich hin:

„Der Affe ſehr poſſierlich iſt, Zumal wenn er die Veilchen küßt.

Quäle nie ein Tier zum Scherz, Pegaſus fühlt auch den Schmerz!

Zu löſchen deine innre Glut, Borg dir die Feuerſpritze gut!“

„Hm,“ brummte er, „die Feuerſpritze möchte noch gehen, aber der Affe nein, nein, das iſt nicht Ger— trudes Werk, da treibt ein infamer Spaßvogel fein Un- weſen! Zch will es einmal auf andere Weiſe verſuchen. Was hat ihr damals vor allem imponiert? Die feurigen Ritte Dagoberts an ihrem Fenſter vorüber. Nun, ich bin ein vortrefflicher Reiter, ich werde die ganze Romantik der Jugend vor den Augen ihrer Erinnerung heraufbeſchwören.“

Der Freiherr ließ zeitig am nächſten Morgen ſeinen Schimmel ſatteln und galoppierte um die Zeit, da er Frau v. Weltſtetten im Garten wußte, mit Donner- gepolter vorüber. Mit jugendlichem Schwunge ſchwenkte er im Vorbeireiten den mit grünem Laub geſchmückten Hut und gab ſich Mühe, ihr die Nofe zu zeigen, die er auf der Bruſt trug. |

Gertrude ſchaute auf und erwiderte lächelnd feinen Gruß, aber im ſelben Momente brauſte ein Automobil daher, der Schimmel ſcheute, bäumte ſich, und Alexander, der gerade die Zügel losgelaſſen und ſich im Steigbügel emporgerichtet hatte, um zurückzuſehen, taumelte im Sattel und hatte Mühe, ſich auf ſeinem Sitze zu be— haupten.

Doch es gelang ihm dank feiner vortrefflichen Reit

94 Wie man heiratet. U

fertigkeit. Er ſchaute hinüber, um einen bewundernden Blick von ihr einzuernten, aber er ſah nichts auf ihrem Antlitz als innige Heiterkeit und leiſen Spott. Argerlich ſprengte er nach Hauſe. Unterwegs aber faßte er den Ent- ſchluß, keinen Au- genblick länger zu warten, ſondern ſeinen Wunſch dem Papier an- zuvertrauen. Das

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% war geduldiger als ein Pferd und würde ſich nicht

bäumen, wenn er auch die wildeſten Federſprünge auf ihm ausführte. Und er ſattelte wie dereinſt Vater Wieland den Hippogryphen zum Ritt ins Land der Romantik und ſtrömte eine Glut von Empfindungen in die rötlich ſchimmernde Tinte, daß er ſelber ſchier

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 095

im Tiefſten gerührt wurde und mit voller Überzeugung des Erfolges die flammende Epiſtel ſeinem treuen Diener zur perſönlichen Überlieferung an die Adreſſatin übergab.

Ungeduldig harrte er des Erfolges. Er brauchte auch gar nicht lange auf der Folter zu liegen, denn ſchon am Nachmittag brachte ihm die Poſt ein elegantes Briefchen, deſſen Text zu leſen kaum eine Minute erforderlich war.

Die Baronin ſchrieb: „Mein lieber Freund! So ſehr ich die Ehre Ihres Antrages zu würdigen weiß und in Ihrer Perſönlichkeit alle Bürgſchaft für ein gedeihliches Zuſammenleben erblicke, ſo fürchte ich doch, die Voraus- ſetzungen, unter denen Sie mir Namen und Hand bieten, nicht erfüllen zu können. Unſere Begriffe von der Ehe und den Anſprüchen der Ehegatten aneinander gehen offenbar zu weit auseinander, als daß wir uns gegenſeitig eine Enttäuſchung bereiten ſollten, deren Folgen nur ſchwer wieder von uns e werden könnten.

In aller Freundſchaft und Wertſchätzung

Ihre ergebene Gertrude v. Weltſtetten geb. v. Sandow.“

Schmerzlich enttäuſcht warf der Freiherr das Schrei— ben vor ſich auf den Tiſch.

„Was ſoll das bedeuten?“ rief er ärgerlich. „Sie gibt mir einen Korb!. Und ich glaubte mich ihrer fo ſicher! Ihr ganzes Verhalten ermutigte mich zu dieſem Schritte und nun gegen alle Erwartung dieſe ſchroffe Abweiſung! Was fällt ihr nur ein mit ihren „Vorausſetzungen, die ſie nicht erfüllen kann“? Warum ſollten denn unſere Begriffe von der Ehe ſo weit ausein— andergehen? Ach was!“ unterbrach er ſich haſtig. „Am beſten iſt's, ich gehe ſelbſt zu ihr und frage ſie.

96 Wie man heiratet. 2

Wir ſind ja keine Kinder mehr und Gertrude eine offene, ehrliche Natur. Aus ihrem eigenen Munde will ich erfahren, was ſie gegen mich einzuwenden hat. Ihr Gatte, mein alter Freund, iſt ſeit ſechs Jahren unter der Erde, Kinder beſitzt ſie nicht, auf welche ſie Rückſichten zu nehmen hätte. Oder ſollten vielleicht meine eigenen beiden Kinder das Hindernis bilden? Scheut ſie die ernſten Pflichten der Mutter? Unmöglich, denn niemand hat ſich ſehnlicher Kinder gewünſcht als ſie, und ſie war ja auch meinen Kleinen von jeher die zärtlichſte Freundin, die man ſich denken kann. Oder“ ein neuer Gedanke zog ihm durch den Sinn „fie will ſtürmiſcher gewonnen ſein? Warum nicht. Ich will den Verſuch unternehmen.“

Gertrude ſaß in ihrem Lehnſtuhl am Fenſter und blätterte in den neueſten Journalen, als ihr das Mädchen den Freiherrn v. Bilſing meldete.

Die junge Witwe blickte verwundert auf. Doch ſagte ſie mit ruhiger Miene und ohne jede Spur von Erregung mit freundlicher Stimme: „Iſt willkommen,“ und in der Tat begrüßte fie den Eintretenden ohne jedes An— zeichen peinlichen Empfindens.

Gertrude war trotz ihrer ſechsunddreißig Jahre noch immer eine ſchöne und reizvolle Frau, der Ausdruck der blauen Augen ohne die ſchwärmeriſche Beimiſchung der Jugend, die Formen üppiger geworden, das Haar noch immer glänzend, wenn auch nicht mehr mit dem blendenden Schimmer von ehemals.

„Nun, lieber Freund, was verſchafft mir das Ver- gnügen?“

Ihre Liebenswürdigkeit beſtärkte ihn vollends in ſeiner Meinung. Nachdem er ſich überzeugt, daß ſie ganz ungeſtört waren, ließ er ſich zu ihrer Aberraſchung plötzlich auf ſeine Kniee nieder.

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 97

„Gertrude, heißgeliebtes, herrliches Weib!“ begann er ſtammelnd. Aber beſtürzt hielt er inne, denn er mußte ſehen,

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wie Gertrude plötzlich in ihren Stuhl zurüdfiel und in

ein lautes, herzliches Lachen ausbrach, in ein Lachen,

ſo anhaltend und überſtrömend, daß er voller Empörung 1810. I. 7

98 Wie man heiratet. DO

wieder auf feine Füße ſprang und in zornigem Tone, ſich haſtig nach der Tür wendend, ausrief: „Nun wohl ich ſehe, daß ich nichts mehr zu ſagen habe, als: leben Sie wohl, Frau Baronin!“

Das Lachen verſtummte. Sie erhob ſich ſchnell. „Alexander,“ rief ſie, „warten Sie doch!“

Der liebe Klang beſtimmte ihn, ſich zögernd von neuem nach ihr hinzuwenden. „Frau Baronin,“ ſagte er gekränkt, „dieſer Empfang —“

„Aber beſter Freund,“ unterbrach ſie ihn lächelnd, „was machen Sie auch für Geſchichten?“

„Geſchichten? Zit es jo lächerlich, wenn ein Mann der Auserwählten feiner Seele feine heiligſten Emp- findungen —“ |

Sie winkte ihm mit dem Finger Schweigen zu. Dann ergriff fie lebhaft feinen Arm und führte ihn vor den großen Stehſpiegel. Seite an Seite ſpiegelten ſie ſich in der glänzenden Kriſtallfläche.

„Für wie alt halten Sie mich, Alexander?“ fragte ſie ruhig.

„Für wie alt? O Gertrude, Ihre Schönheit —“

„Ohne Phraſe, Alexander! Sehe ich aus wie acht— zehn oder wie ſechsunddreißig? Der Wahrheit die Ehre! Und Sie ſelber, für wie alt halten Sie ſich? Haben Sie nicht auch ſchon —“ fie tippte lächelnd auf ſein bereits etwas dünn gewordenes Haar.

„Alſo ich bin Ihnen zu alt? Deshalb Ihre Zurüd- weiſung?“ fuhr er auf. 5

Sie ſchüttelte den Kopf. „Deshalb nicht, Herr v. Bilſing. Sie möchten für eine Frau von fehsund- dreißig eher zu jung als zu alt fein. Ich habe Ihren Antrag reiflich überlegt. Bitte, nehmen Sie Platz mir gegenüber, ſo und ich mußte ihn, fo viel Sym- pathie wir füreinander haben, abweiſen, um Ihnen

2 Humoreske von Friedrich Thieme. 99

und mir keine Enttäuſchung zu bereiten. So ſtürmiſche Empfindungen, wie Sie für mich an den Tag legen, kann ich nicht erwidern. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Ihre Bukette, Ihre Verſe und nun gar Ihr Kniefall kann ich da etwas anderes tun, als lachen?“

„Aber ich verſtehe Sie nicht, Frau Baronin. Gerade mit ſolchen Huldigungen hat ſich doch Dagobert ſeinerzeit Ihr Herz erobert. Deshalb habe ich dieſen Veg ja gerade eingeſchlagen.“

Die Baronin lachte von neuem. „Beſter Alexander wiſſen Sie, daß ich damals achtzehn war? Und jetzt bin ich ſechsunddreißig!“ fügte ſie mit freundlicher Ruhe hinzu. „Man verheiratet ſich mit ſechsunddreißig Jahren eben etwas anders als mit achtzehn. Gewiß damals hätte ich meinen lieben Dagobert auf der Stelle erhört, wenn er in ſeinem Antrag Worte ge— funden hätte wie Sie in dem Ihren, und heute hätte ich ſicherlich Zöre Werbung angenommen, wenn die— ſelbe in Ausführungen, wie er ſie mir zuerſt brieflich unterbreitete, gekleidet geweſen wäre. Alles am rechten Platze, mein Freund! Die Schwärmerei iſt ein Vor- recht der Jugend. Ich ſage Ihnen ganz offen: ich habe meinen Gemahl wahrhaft geliebt und aufrichtig be- trauert, aber meine Ehe, hat mir die Mutterfreuden verſagt, mein Sehnen ward nicht ganz erfüllt. Ich bin alſo doppelt Witwe, und mein Herz verlangt nach einem Wirkungskreis, nach Anſchluß und Liebe.“

„Das alles hätten Sie doch bei mir gefunden, Gertrude!“ rief der Freiherr bewegt.

„Davon bin ich überzeugt, Alexander. Ich habe Sie auch ſehr gern und öhre Kinder ſo lieb wie eine wirkliche Mutter. Ich weiß gewiß, das tägliche Zuſammenſein und die Vertraulichkeit der Ehe würden

100 Wie man heiratet. 2

mit der Zeit meine Sympathie zu einer innigen Zu- neigung verſtärken, aber Sie haben den falſchen Weg eingeſchlagen. Mein Gemüt iſt nicht etwa oberfläch- licher geworden, ſondern im Gegenteil erfahrener und ernſter, aber die Leidenſchaft der Empfindung iſt einer vertiefteren Betrachtung der Dinge gewichen, und der kritiſche Verſtand macht feine Rechte in bezug auf die Beurteilung des Lebens geltend. Ein Entſchluß wie der, den Sie von mir fordern, iſt in meinem Alter das Ergebnis einer eingehenden ernſtlichen Erwägung, einer genauen Selbſtprüfung und aufmerkſamen Würdigung des anderen Teils. Wären Sie zu mir gekommen, um in dieſem Sinne mir Ihren Wunſch zu unterbreiten, jo wäre wahrſcheinlich meine Antwort anders aus- gefallen.“

Alexander erhob ſich freudig. „Dank für dies Wort, Gertrude, denn ich bin ja durchaus der gleichen Anſicht. Nur in der Form habe ich gefehlt, weil ich mir töricht ſchmeichelte, ein feiner Kenner des weiblichen Herzens zu fein. Aber glauben Sie mir, meine Liebe zu Ihnen gründet ſich nicht auf einer romantiſchen Leidenſchaft, nicht auf bloßem Wohlgefallen an Fhrer Perſon, ſondern auf allen vernünftigen Erwägungen eines gereiften Mannes und Vaters. Nicht eine Geliebte begehre ich in Ihnen, ſondern eine treue Gefährtin, eine Vorſteherin meines verwaiſten Hauſes, eine liebevolle Mutter für meine Kinder —“

„Das find andere Worte, und jedes iſt zehn Sträuße, zehn Kniefälle und zwanzig Paraderitte auf dem beſten Renner Arabiens wert. Wenn Sie mir die Leidenſchaft erlaſſen, die ich nicht fühlen kann, und mich ſelber darüber beruhigen, daß Sie als gereifter Mann und nicht als „Ritter von den duftenden Noſen“ um mich werben, ſo bin ich über die Befriedigung, die ich

DD . HYumoreste von Friedrich Thieme. 101

meinerſeits in Ihrem Haufe und an Ihrer Seite finden werde, völlig beruhigt. Wenn Sie alſo nach alledem noch entſchloſſen find —“ |

In jubelnder Aufwallung ergriff er ihre Hand, die ſie ihm nicht verweigerte. „Gertrude Sie wollen die Meine werden?“

„Sofern Sie meine Hand im vollen Bewußtſein meiner ſechsunddreißig und Ihrer ſechsundvierzig Jahre begehren —“

Er ſprach kein Wort, ſondern zog die ſich nicht mehr Sträubende zu ſich heran, drückte ſie an ſeine Bruſt und küßte ſie freudig bewegt auf die Stirn.

„Alſo doch mein!“ flüſterte er mit bebender Stimme.

Am engliſchen Königshofe.

Von Alexander Cormans.

Mit 11 Bildern. (Nachdruck verboten.) E iſt bekannt, daß die verſtorbene Königin Viktoria

von England, die Mutter des jetzt regierenden Mon- archen, durchaus keine Freundin fröhlicher und zwang- loſer Geſelligkeit war. Nirgends in der Welt konnte es ſteifer und langweiliger zugehen als bei den Empfängen und Hoffeſten während ihrer langen Regierungszeit. Die Beobachtung der teilweiſe recht altmodiſchen Etikettevorſchriften war bei dieſen von der vornehmen Geſellſchaft mehr gefürchteten als geſchätzten Veran— ſtaltungen ſo peinlich gewiſſenhaft, wie es dem eigen— artigen Weſen und dem ſtark ausgeprägten Majeſtäts- bewußtſein der Königin entſprach. Außerdem waltete bei allem durch eben dieſe Etikettegeſetze vorgeſchriebenen äußeren Pomp namentlich in bezug auf die Bewirtung eine ſo weitgetriebene hausfrauliche Sparſamkeit, daß man gewöhnt war, einen Empfang der Königin oder einen Hofball viel eher unter die unvermeidlichen Ubel als unter die Annehmlichkeiten des geſellſchaft— lichen Lebens zu zählen.

Charakteriſtiſch für die Anſchauungen der gekrönten Dame iſt die Anekdote, wonach ſie einem jungen Offizier, der an der Hoftafel beim Geſpräch mit ſeiner Nachbarin ein leiſes Auflachen nicht unterdrücken konnte, in verweiſendem Tone erklärte: „Man geht nicht zu

*

Nach dem großen Empfang: Der Koͤnig und die Koͤnigin.

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104 Am engliſchen Rönigshofe. 2

Hofe, mein Herr, um ſich zu amüſieren.“ Und wenn dies Geſchichtchen auch vielleicht nur zu den gut er- fundenen gehört, war es doch jedenfalls ſicher, daß niemand, der mit einer Einladung zu Hofe beehrt wurde, ſich Hoffnung auf irgendwelche angenehme Unterhaltung zu machen hatte.

Von einer Beteiligung an dem geſelligen Leben des Hochadels war ſeit dem Tode ihres Gemahls für die Königin nicht mehr die Rede. Die Pflichten der Repräfentation nach dieſer Richtung hin überließ fie ganz und gar ihrem Sohne, dem damaligen Prinzen von Wales, und man weiß, daß der äußerſt lebensluſtige Thronerbe einen nicht geringen Teil ſeiner heutigen Popularität der ſehr weitherzigen Auffaſſung dieſer Pflichten zu verdanken hat. Ein Prinz aber iſt für den engliſchen Ariſtokraten durchaus nicht dasſelbe wie ein König oder eine regierende Königin. Wie herzlich auch die Sympathien ſein mögen, die man ihm ent— gegenbringt, und wie gern auch immer man ihn als einen bevorzugten Gaſt in feinem Haufe willkommen heißt, ſo hoch ſchätzt man ſeine ſoziale Stellung doch nicht ein, daß man den ganzen Zuſchnitt des gefell- ſchaftlichen Lebens durch ihn beſtimmen ließe. Der Prinz von Wales mochte zu Lebzeiten ſeiner Mutter tonangebend fein für die Mode in Hüten, Kra— watten und dem Schnitt der Beinkleider, auf die Geſtaltung der vornehmen Geſelligkeit aber konnte er wenig oder gar keinen Einfluß gewinnen. Erſt dem Augenblick ſeiner Thronbeſteigung war es vorbehalten, durch die Schaffung eines glänzenden Mittelpunttes wieder einen großen und einheitlichen Zug in dieſe zerfahrene und zerſplitterte Geſelligkeit zu bringen.

Sobald die Schatten gewichen waren, die der Tod der Königin und der unſelige Burenkrieg über das

0 Von Alexander Cormans. 105.

höfiſche Leben geworfen, gaben die engliſchen Majeſtäten bekannt, daß ſie geſonnen ſeien, fortan auch feſtliche

Veranſtaltungen ihrer vornehmſten Untertanen mit ihrer Gegenwart zu beehren. Damit war das Zauber—

Erſte Vorſtellung bei Hofe.

106 Am engliſchen Rönigsbofe, D

wort geſprochen, das die Tore zahlreicher Adelspaläſte, die bis dahin nur den Angehörigen eines kleinen, ex- kluſiven Kreiſes geöffnet geweſen waren, für eine Geſelligkeit großen Stiles erſchloß. Die altengliſche Gaſtlichkeit, die durch die Bildung zahlreicher, gegen- einander ängſtlich abgeſchloſſener Zirkel faſt zu einem Mythus geworden war, feierte eine glorreiche Auf— erſtehung, und die ſagenhaften Feſte vergangener Tage, von deren verſchwenderiſcher Uppigkeit man ſich allerlei Wunderdinge zu erzählen wußte, erfuhren eine faſt noch glanzvollere Wiederholung.

Der unermeßliche Reichtum der meiſten engliſchen Adelsfamilien und die gewaltigen Vermögen, die durch die Heiraten amerikaniſcher Milliardärstöchter mit britiſchen Ariſtokraten in das Land gekommen waren, geſtatteten dieſen Bevorzugten ja eine Luxusentfaltung, wie ſie in anderen europäiſchen Ländern nur einigen wenigen möglich geweſen wäre. Eine nicht geringe Anzahl der unter Beteiligung des Königspaares ab— gehaltenen Feſte, von denen die geſellſchaftliche Chronik der letzten Jahre berichten kann, werden an Pracht wohl kaum von einer Veranſtaltung vergangener Tage übertroffen oder erreicht worden ſein.

Konnte das Königspaar den offiziellen Hoffeſtlich— keiten aus mancherlei Gründen nicht dasſelbe üppige Geprãge geben, ſo konnte es ihnen doch durch mancherlei Neuerungen wenigſtens zum Teil den langweiligen Charakter feierlich ernſthafter Staatsaktionen nehmen, der ſie ſo lange zu einem wahren Schrecken namentlich für die junge Welt gemacht hatte. |

Die erſten Verſuche zwar, die nach dieſer Richtung hin gemacht wurden, erwieſen ſich nicht als ſonderlich glücklich. Als dann aber auf Anordnung und unter lebhafter Anteilnahme des Königs eine ganz neue

tach dem großen Empfang: Der Prinz und die Prinzeffin von Wales.

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108 Am engliſchen Königshofe. | ‚o

Ordnung für Empfänge und Hofbälle ausgearbeitet wurde, nahmen auch die höfiſchen Feſte eine Geſtalt

Copyr. W. & D. Downey.

Prinzeſſin Alexandra und Prinzeſſin Maud, Koͤnig Eduards Enkelinnen.

an, die das geflügelte Wort der Königin Viktoria von dem Ausſchluß des „Amüſements“ auf eine für die Be— teiligten recht erfreuliche Weiſe zuſchanden machte.

Von Alexander Cormans. 109

Die ehernen Schranken der Etikette freilich durften nicht durchbrochen werden, und hinſichtlich der Zu— laſſung zu den großen Empfängen, den ſogenannten

Copyr.

79 | zer W. & D. Downey. Fark 2

Die Herzogin von Buccleuch, Oberhofmeiſterin der Königin.

„Drawing-rooms“, ſind ſie ſogar noch erheblich enger gezogen worden. Dieſe Empfänge dienen nämlich in der Hauptſache

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110 Am engliſchen Königshofe. D

der erſten Vorſtellung jener Damen, die nach ſtrenger Prüfung als „hoffähig“ anerkannt worden ſind, und die durch dieſe Vorſtellung einen Anſpruch auf Ein- ladung zu den Hofbällen oder zu den Gartenfeſten des Königspaares erlangen. Im Gegenſatz zu der ſonſtigen Strenge ihrer Anſchauungen war die Königin Viktoria in bezug auf die Zulaſſung zu dieſer Vorſtellung höchſt. weitherzig. Es genügte, wenn die zu präſentierende Dame eine der Hofgeſellſchaft angehörige „Patin“ ge- funden hatte, die in einem an den Lord- Kammerherrn gerichteten Briefe ihren Schützling empfahl und damit die Bürgſchaft für feine Würdigkeit übernahm. Daes jeder zu ſolcher Empfehlung überhaupt Berechtigten freiſtand, ſo viele Damen bei Hofe einzuführen, als ihr beliebte, ſoll es ſich ereignet haben, daß etliche ärmere Ariſto— kratinnen aus der Übernahme derartiger „Patenſtellen“ ein recht gewinnreiches Geſchäft machten, zumal es in London niemals an reichen Amerikanerinnen fehlt, denen kein Opfer zu groß iſt für die unſchätzbare Ehre, ſich vor einem gekrönten Haupte verbeugen zu dürfen und eines huldvollen königlichen Lächelns gewürdigt zu werden.

Die neue Hofordnung hat durch weſentlich ver— ſchärfte Beſtimmungen dieſen lohnenden Erwerbszweig abgeſchnitten. Um den Reiz der Hoffeſtlichkeiten für die Eingeladenen zu erhöhen, ſollte die Auswahl der Gäſte fortan eine ſtrengere und ſorgfältigere ſein. Zu dieſem Zweck wurde verfügt, daß jede „Patin“ einen von dem Lord-Kammerherrn verabfolgten Fragebogen auszu- füllen hat, der über Herkunft und perſönliche Verhält— niſſe der Bewerberin allergenaueſte und erſchöpfendſte Auskunft verlangt. Außerdem aber darf keine Dame der Hofgeſellſchaft öfter als einmal die Rolle einer Patin übernehmen, es ſei denn, daß es für ihre eigenen Töchter oder Schwiegertöchter geſchähe.

2 Von Alexander Cormans. 111

Hat eine mit großer Gewiſſenhaftigkeit vorgenommene Prüfung der auf dem Fragebogen enthaltenen Angaben die Hofwürdigkeit der Aſpirantin ergeben, was neuer—

A 8 Copyr. Lafayette. Lady Londonderry, Hofdame der Koͤnigin. dings durchaus nicht immer der Fall iſt, ſo werden der

Glücklichen zwei Karten zugeſtellt, von denen ſie am Tage des Empfanges die eine am Fuß der Treppe

112 Am engliſchen Königshofe. 2

des Buckinghampalaſtes abzugeben und die andere dem

Lord-Kammerherrn einzuhändigen hat, damit er bei der

Vorſtellung vor den Majeſtäten ihren Namen ableſeir kann. Mit der Zeremonie der Vorſtellung hat die Dame alsdann das Recht erworben, ſich ohne befon- dere Einladung zu jedem „Orawing- room“ einzufinden und innerhalb einer Zeitſpanne von je drei Jahren einmal die Einladung zu einem Hofball oder einer „Gardenparty“ Gartenfeſt zu erwarten. Dieſe Einladung erfolgt jedoch nur dann, wenn ſich die nach Hofluft Dürſtende pünktlich am 1. Januar des von ihr gewählten Jahres zur Vormerkung meldet. Ausnahmen zugunſten bevorzugter Perſonen werden nur auf aus- drücklichen Befehl des Königs gemacht.

Natürlich iſt für die Vorſtellung eine beſondere Toilette vorgeſchrieben, und unter der Regierung der Königin Viktoria ſoll es ſich gar nicht ſelten ereignet haben, daß die eine oder die andere Bewerberin zu ihrer tiefen Beſchämung vor Erreichung des heiß er— ſehnten Zieles umkehren mußte, weil ihre Kleidung vor dem ſtreng prüfenden Blick der Herzogin von Buccleuch, der Oberhofmeiſterin der Königin, nicht zu beſtehen vermochte, wäre es auch nur inſofern geweſen, als der einzig hoffähige runde Taillen- ausſchnitt nicht die unverbrüchlich vorgeſchriebene, für magere Perſonen oft recht verhängnisvolle Tiefe hatte. Zwar waltet die Herzogin noch immer als eine der gefürchtetſten Perſönlichkeiten des Hofſtaates ihres verantwortungsvollen Amtes, und fie gilt mit Recht als eine unbeugſam ſtarre Vertreterin der „konſerva— tiven“ Richtung, aber die geübte Praxis ſoll auf Wunſch der Königin doch eine etwas mildere geworden ſein.

Während der Viktorigepoche des engliſchen Hof— lebens war mit dem letzten Knicks der letzten Debü—

2 Von Alexander Cormans. | 113 tantin das von einem „Drawing-toom“ zu erwartende Vergnügen völlig erſchöpft, und ein Anlaß zu irgend welcher Bewirtung war nach der Meinung der hohen

* Lallie Charles.

Ae.

Herzogin von Sutherland.

Feſtgeberin um ſo weniger vorhanden, als ſie es liebte, dieſe feierlichen Empfänge in den frühen Vormittags— ſtunden abzuhalten. König Eduard aber hat ſie wieder

1910. I. 8

114 Am engliſchen Rönigshofe. am

auf den Abend verlegt, und er bietet den Erſchienenen nach beendigter Zeremonie eine Fülle ausgeſuchter leiblicher Erfriſchungen, die in drei Sälen des Palaſtes ſerviert werden, und bei deren Einnahme es um ſo heiterer und zwangloſer herzugehen pflegt, als die Damen ſich dabei der Wiedervereinigung mit ihren Vätern, Gatten oder ſonſtigen Kavalieren erfreuen dürfen, denen bei einem „Drawing; room“ lediglich die beſcheidene Rolle des Begleiters zufällt.

Das „große Ereignis“ der Londoner Geſellſchafts- ſaiſon iſt in der Regel der erſte Hofball, der faſt immer zu Ehren eines beſonders hohen Beſuchers veranſtaltet wird. Sein Schauplatz iſt der große Feſtſaal im Buding- hampalaſt, der im verfloſſenen Jahre vollſtändig neu hergerichtet wurde, und der mit ſeinen weißen, nur durch zwei Gobelins von nahezu unſchätzbarem Werte geſchmückten Wänden, ſeinen Kriſtallkronleuchtern und ſeinen vergoldeten Sitzmöbeln den denkbar vornehmſten Rahmen für eine im größten Stile gehaltene Feitlich- keit abgibt. An der einen Schmalwand befindet ſich die Galerie für die königliche Muſikkapelle, und ihr gegenüber erhebt ſich eine Eſtrade mit den rot ge- polſterten Goldſeſſeln für die königliche Familie und ihre erlauchten Beſucher. Nachdem ſich um elf Uhr die geladenen Gäſte verſammelt haben, hält unter Vorantritt eines Herolds das von dem großen Hofſtaat gefolgte Königspaar ſeinen Einzug, um nach huldvoller Begrüßung der Anweſenden auf der Eſtrade Platz zu nehmen. Unmittelbar darauf wird der Ball mit einer Quadrille eröffnet, an der nur die vornehmſten von den erſchienenen Ballgäſten teilnehmen außer der königlichen Familie und ihren Beſuchern in der Regel nur die am britiſchen Hofe beglaubigten Botſchafter und Geſandten mit ihren Damen und die öIntimen

A Von Alexander Cormans, 115

des Königspaares, als die zurzeit etwa die Herzoginnen von Sutherland, Portland und Weſtminſter, ſowie die Ladies Londonderry, de Grey und Londesborough zu nennen ſein würden. Auch bei einer ſo hochoffiziellen und feierlichen Ak- | tion, wie es dieſe Staatsquadrille iſt, ſollen ſich zuweilen kleine Menſchlichkei- ten ereignen, wie zum Beiſpiel vor gar nicht langer Zeit bei dem Beſuche des franzöſiſchen Präfi- denten Fallieres, dem die hohe Ehre zugedacht war, mit der Königin zu tan- zen, und der in eini- ger Verlegenheit auf die Annahme die— ſer Gunſt verzichten mußte, weil er, wie er ſagte, noch nie in feinem Leben ge- tanzt habe und ſicher⸗ lich nur aller Welt im Wege fein würde. Mit der Beendigung der erſten Quadrille iſt der Tanz ohne jede Einſchränkung allen Anweſenden freigegeben. Die Damen der königlichen Familie werden natürlich, ebenſo wie an anderen Höfen, nicht aufgefordert, ſondern wählen ihre Tänzer ſelbſt und laſſen ſie durch Hofbeamte von der ihnen zugedachten Aus— zeichnung in Kenntnis ſetzen.

. Copyr. Lafayette.

Herzogin Marlborough.

116 Am engliſchen Königshofe. 2

Von dem beſtrickenden Glanz des Bildes, das die auf einem ſolchen Londoner Hofball vereinigte Gefell- ſchaft darbietet, kann man ſich unter bloßer Zuhilfe— nahme der Phantaſie nur ſchwer eine Vorſtellung machen. Die von den Damen des engliſchen Hoch- adels zur Schau getragenen Juwelen repräſentieren an ſolchen Abenden ein Kapital, das jeder Schätzung ſpottet. Verfügt doch manche Her- zogin oder Gräfin aus altem Ge-

ſchlecht über einodien, die in jedem Kron- e ihre Stelle Wh finden könnten. 5 Schon der. bril- lantenfunkelnde kronenartige Kopfſchmuck, den ; je nach ihrem 5 | en 3 Copyr. Lafayette. Range verſchie— ady de Grey, Ks eine 181 5 der Konten, 6 ſtokratinnen bei derartigen Gelegenheiten tragen, ge— währt im Lichte der zahlloſen elektriſchen Lampen einen geradezu märchenhaften Anblick.

Auch dieſe elektriſche Beleuchtung ftellt übrigens eine Neuerung dar, zu der ſich die Königin Viktoria ſchwerlich jemals entſchloſſen haben würde. Zu ihrer Zeit gab es im Ballſaal des Buckinghampalaſtes nichts als Wachskerzen, deren warm goldiger Schein auf ein künſtleriſch geſchultes Auge wohl vornehmer und er— freulicher wirken mochte als die blendende Helligkeit

2 Von Alexander Cormans. 117

von heute, die aber in dem ſchlecht gelüfteten Saale, namentlich bei Feſten, die noch in die mildere Jahres- zeit fielen, ſchon im Verlauf der erſten Stunde eine

kaum erträgliche Hitze und Luftverderbnis zu erzeugen pflegten.

Übrigens muß zugeftan- den werden, daß auch die Herren der Schöpfung viel zu der maleriſchen Gejamt- wirkung des lebendigen Ge- mäldes beitragen. Nicht nur die goldſtrotzenden, ordengeſchmückten Unifor- men der Diplomaten und Offiziere ſind es, die ſtarke und kräftige Töne in das farbenreiche, glitzernde Ge- woge bringen, ſondern auch die maleriſchen National-

trachten, denen man ähnlich

bei den Feſtlichkeiten ande- rer Höfe nur ſelten begeg- net. Einige indiſche Fürſten in fabelhaftem Zuwelen- ſchmuck machen ſich beinahe

jedesmal durch ihre auf-

fallende Erſcheinung be— merklich, wenn ſie ſich auch zumeiſt in der Rolle würde-

voll zurückhaltender Zu-

ww

Copyr. H. Walter Barnette.

Lord Archibald Campbell.

ſchauer gefallen und am Tanze nicht teilnehmen. Eine

Ausnahme macht der bei

den jungen Damen der

engliſchen Ariſtokratie in hoher Gunſt ſtehende, glut-

118 Am englischen Königshofe. 2

äugige Maharadſcha von Katſch-Bihar, der ſogar den ehrenvollen Ruf des beſten Walzertänzers bei Hofe genießt. Etliche Herren des ſchottiſchen Adels, wie Lord Archibald Campbell, Lord Kinnoull, der Herzog von Atholl und andere, lieben es, in ſchottiſcher Hoch- landtracht zu den Hoffeſtlichkeiten zu erſcheinen; und wo immer die Etikette es ihm geſtattet, legt König Eduard ſelbſt die Oberſtenuniform feines Hochländer- regiments an, die ihn vortrefflich kleidet.

In weniger prunkendem, aber deſto reizvollerem natürlichen Rahmen entfalten ſich die von dem Königs- paar in Windſor gegebenen Gartenfeſte, von deren lebhaftem Treiben man ſich einen Begriff machen mag, wenn man erfährt, daß mitunter fieben- bis achttauſend Perſonen dazu „befohlen“ werden.

Der von hervorragenden Mitgliedern der Geſell— ſchaft veranſtalteten Feſte, auf denen der König und die Königin als Gäſte erſcheinen, iſt ſchon oben Er— wähnung geſchehen. Hier feiert freigebige und liebens- würdige Gaſtfreundſchaft ihre höchſten Triumphe. Der in Marlborough-Houſe reſidierende jetzige Prinz von Wales freilich hat es bisher nicht verſtanden, ſich im geſellſchaftlichen Leben die Rolle zu ſichern, die einſt ſein Vater in demſelben ſpielte, wie überhaupt der jetzige Thronerbe an Beliebtheit hinter dem einſtigen weit zurückſteht. Auch die Damen der königlichen Familie treten, mit Ausnahme der Königin ſelbſt, wenig hervor. Von den Enkelinnen des Königspaares würde Prinzeſſin Alexandra, die älteſte Tochter des Herzogs von Fife, in dieſem Jahre das große Ereignis ihres Eintritts in das geſellſchaftliche Leben zu ver— zeichnen haben, aber ſie iſt von ſo zarter Geſundheit, daß ſie vorerſt wahrſcheinlich nur in den kleinen, intimen Zirkeln befreundeter Familien anzutreffen ſein wird.

5) Von Alexander Cormans. 119

Für eines der gaſtlichſten Häuſer gilt das der ſchönen Herzogin von Sutherland, deren bezaubernde Anmut und Liebenswürdigkeit eine Einladung zu ihren Feſten für jeden damit Beehrten zu einem ganz be-

Copyr. W. & D. Downey.

Der Maharadſcha von Katſch-Bihar.

ſonderen Vergnügen machen. Hier findet ſich wohl auch der König am häufigſten und liebſten ein, während die Königin eine erklärte Vorliebe für die einfacheren Veranſtaltungen im Hauſe der Lady de Grey, ihrer vertraͤuteſten perſönlichen Freundin, hat. Eine Be— ſonderheit der großen Soireen und Bälle im Palaſt

120 Am engliſchen Königshofe. 2

der Herzogin von Sutherland iſt es übrigens, daß die Herren, den König inbegriffen, dort eee, nur im Frack erſcheinen. i

Das größte Wohlgefallen an dieſer neu eingeführten Sitte hat vermutlich der Botſchafter der Vereinigten Staaten von Nordamerika, der in ſeinem ſchlichten und republikaniſch ordensloſen Geſellſchaftsanzuge bei allen anderen Feſtlichkeiten unter den goldbetreßten und beſternten Uniformen eine durch ihre Einfachheit auffallende Figur macht. Bei Hofbällen ſtatt der langen Beinkleider Kniehoſen, ſchwarzſeidene Strümpfe und Schnallenſchuhe anzulegen, hat allerdings auch dieſer „Sohn eines freien Landes“ bereits über ſich gewonnen.

Die Hand der Barbara Ath.

Novelle von F. C. Oberg.

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(Nachdruck verboten.)

ir ſaßen in der großen Veranda mit den bequemen Korbmöbeln.

Aus der Tiefe des benachbarten Zim-

i mers, von der Dede herab, aus den Wand- niſchen heraus ſpann ſich das Dunkel und wob feine wallende Schleier um uns.

Die großen Verandafenſter ſtanden wie dunkel- blaue, durch das Dämmern mit mattem Leuchten ſchimmernde Vierecke in der weichen, ſtumpfen, ebenen Dunkelheit der Wände.

Die Umriſſe unſerer Geſtalten waren kaum er— kennbar, nur die Kleider der jungen Mädchen und die zarte helle Geſtalt der jungen Frau vom Haufe leuch- teten ganz matt.

Wir hatten von allerlei geheimnisvollen Geſchichten, aufgeklärten und ungelöſten, geſprochen. Eingeſponnen vom Reiz des Übernatürlihen und vom Zauber der Dämmerung ſaßen wir nun ſchweigend und nachdenklich beieinander.

Wie um den Bann zu brechen, hob die Hausfrau die Hand zum Lichthebel.

Da hielt eines der jungen Mädchen den erhobenen Arm zurück und ſagte bittend: „Liebe gnädige Frau noch kein Licht! Es iſt ſo reizvoll ſo, und ich möchte

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ſo gern, daß noch mehr Geſpenſtergeſchichten erzählt würden.“

Einen Augenblick lang antwortete niemand, dann ſagte Fräulein v. Caub, eine Dame in der Mitte der Vierzig etwa, eine ſympathiſche Erſcheinung, deren kluges, lebhaftes Geſicht und deren beſonders klangvolle und weiche Altſtimme für mich von vornherein von Intereſſe geweſen war: „Geſpenſtergeſchichten! Das iſt ein Ausdruck, den ich gar nicht mag. Es liegt Gering- ſchätzung und Unglaube darin, und doch meint man Dinge damit, die meiſt bitter ernfthaft find.“

„Heißt das, liebes Fräulein v. Caub,“ nahm die Hausfrau das Wort, „daß Sie an ſolche Geſchichten glauben? Sind Sie etwa eine Anhängerin des Ok- kultismus?“

Fräulein v. Caub antwortete nicht direkt. „Vielleicht haben Sie gemerkt,“ ſagte ſie, „daß ich mich vorhin gar nicht an Ihrem allſeitigen Gedankenaustauſch beteiligt habe. Ich konnte es nicht. Heute morgen bekam ich einen Brief, der mich aufs tiefſte erſchüttert hat. Sch ſtehe den ganzen Tag unter dem Eindruck dieſer Nachricht, die endlich, nach mehr als zwanzig Fahren ein Geheimnis gelichtet hat, deſſen Löſung ich in gewiſſer Weiſe zwar ahnen, aber doch nie wirklich erraten konnte. Sie fragen mich, ob ich an Erjchei- nungen oder um Fhren Ausdruck zu gebrauchen an „Geſpenſtergeſchichten“ glaube? Die Antwort iſt einfach ich habe ſie erlebt!“

Sie hatte mit ſteigender Wärme geſprochen, und wenn jene verhaltene Erregtheit ihre ſchöne Stimme durchzitterte, bekam ihre Art zu ſprechen geradezu etwas Hinreißendes.

„Erzählen Sie uns das doch!“ bat eines der jungen Mädchen ſchüchtern.

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„Ich will es gern tun,“ ſagte Fräulein v. Caub, „obgleich ich weiß, daß Sie mir vielleicht nicht glauben werden. Aber gleichviel, ich bin weit davon entfernt, Sie beeinfluſſen zu wollen. Ich war in meiner Jugend ſo wie Sie von fröhlicher Zweifelſucht erfüllt, und ich überlaſſe es Ihnen auch jetzt noch gern, das, was ich Ihnen mitteile, zu glauben oder nicht. Was ich damals erlebt habe, habe ich nie vergeſſen, dazu war es zu gewaltig, aber ſeit jener Brief heute morgen mich plötzlich über alle Zuſammenhänge, die zwiſchen einer erſchütternden Tragödie eines längſt vergangenen Jahrhunderts und meinen eigenen Erlebniſſen beſtehen, aufgeklärt hat, iſt mir, als ſeien alle jene Ereigniſſe erſt geſtern geweſen. Noch zittert die Erregung von heute morgen in mir nach, und vielleicht iſt es mir ſelbſt eine Wohltat, wenn ich Ihnen die Geſchichte erzähle. Eine ganz kurze iſt es freilich nicht, und ich weiß nicht, ob es Ihnen nicht vielleicht zu lange dauern wird —“

„Vir haben Zeit,“ gab die Hausfrau der allſeitigen Meinung Ausdruck, „und ich will Beſcheid geben, daß wir ungeſtört bleiben.“

Fräulein v. Caub ſchwieg, wie um ſich zu ſammeln. Dann, als die Frau vom Hauſe zurückgekehrt war, begann ſie. |

Sie erzählte durchaus nicht ungeftört, ſondern mit manchen freiwilligen und unfreiwilligen Unterbrechun- gen: Ausrufe, Fragen, Pauſen all das verſteht ſich bei einer Erzählung wie die des Fräuleins v. Caub von ſelbſt; aber es würde nur den Zuſammenhang unnötig zerreißen, ſollten alle dieſe Einzelheiten wiedergegeben werden.

„Eine Zugendfreundin von mir, die wie ich einer holſteiniſchen Familie entſtammte, hatte ſich nach Lübeck verheiratet. Der einzige Sohn aus einem Patrizier—

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geſchlecht hatte fie vor etwa einem Jahr in das alte Haus feiner Väter und Vorväter im Herzen der Stadt heimgeführt. Ich war in der Zeit vor der Verlobung und in der Brautzeit viel mit den beiden zuſammen geweſen und hatte ehrliche Zuneigung zu dem liebens- würdigen jungen Konſul Baering gefaßt. So ſchwer die Trennung von Marig mir auch wurde ich wußte, daß ihr ganzes Glück an der Vereinigung mit Gerhard Baering hing, denn es war eine echte Neigungsheirat ſo hatte ich mich in dies Scheiden eben finden müſſen.

Nachdem ich eine Zeitlang nichts von Maria gehört hatte, bekam ich unerwartet einen Brief vom Konſul Baering aus Holland, in dem er mich bat, ſeine Frau in Lübeck auf längere Zeit zu beſuchen. Maria erwartete ihr erſtes Kind. Es war dem Konſul ſehr ſchwer geworden, ſie in dieſer Zeit allein zu laſſen, aber die Geſchäfts— reiſe war unaufſchiebbar notwendig geweſen, und um Maria, die fo wie jo zu Grübeleien neigte, nicht völlig ihren Gedanken zu überlaſſen, bat er mich, zu ihr zu reiſen. Maria, die früh verwaiſt bei Verwandten aufgewachjen war, war eine verſchloſſene, ſtille Natur, und Konſul Baering mochte wohl wiſſen, daß ihr gerade in dieſer Zeit nur die Geſellſchaft eines ihr wirklich vertrauten Menſchen nützen konnte.

Freilich, weder Maria noch irgend jemand ſonſt im Haufe Baering wußte von meinem Kommen, weil der Konſul vorausgeſetzt hatte, daß Maria in jener mutloſen Müdigkeit, die mit ihrem Zuſtand zufammen- hing, nichts von Gäſten und ſeien es noch ſo nahe- ſtehende hätte wiſſen wollen.

So reiſte ich denn meiner vielleicht etwas fonder- baren Aufgabe, der ich mich mit einer faſt ſchmerzlichen Innigkeit hingeben wollte, entgegen.

Meine Ankunft in dem Baeringſchen Hauſe war

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zuerſt ganz fo, wie es fo oft mit klüglich ausgedachten und falſch zuſtande gekommenen Überraſchungen zu gehen pflegt.

Das alte Familienhaus ſtammte aus der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts, der prachtvolle, ſchlicht⸗ geſchweifte Giebel trug die Jahreszahl 1665. Trotz mancher baulichen Anordnungen hatte das Haus ſeinen urſprünglichen Charakter bewahrt. Durch die Haustür und die gleich darauf folgende, mit großen Glasſcheiben verſehene Zwiſchentür kam man auf eine rieſige, mit großen Steinflieſen gepflaſterte Diele. Hier ſah es bei meiner Ankunft ſchrecklich aus. In den beiden großen Fremdenzimmern, die rechts und links vom Eingang zu ebener Erde lagen, wurde der Fußboden aufgeriſſen und neu gelegt, weil man Schwamm ent— deckt hatte und dieſen natürlich ſofort beſeitigen mußte. Das war erſt ſeit zwei Tagen im Gange, und ſo hatte der ahnungsloſe Konſul ſelbſt keinen Begriff von der Unruhe, die dieſe Entdeckung in das Haus getragen hatte.

Die beiden Fremdenzimmer waren die einzigen Wohnzimmer im Erdgeſchoß, das außer der großen Diele nur noch die Küche, Vorratsräume und Mädchen- kammern enthielt. Die Kontorräume des Konſuls Baering lagen in einem Seitenflügel, der mit feinen breitbogigen Fenſtern und ſeinen verwitterten Mauern einer noch früheren Zeit entſtammte. Wie ich erfuhr, war er als verwendbarer RNeſt eines früheren Stamm- hauſes der Baerings etwa von 1540 oder 1550 her bei der Errichtung des jetzigen ſtehen geblieben und als Seitenflügel benützt worden. Jetzt brauchte man nur das Erdgeſchoß zu Kontorzwecken; der erſte Stock dieſes Flügels war völlig unbewohnt. Der vordere, ſehr große Saal, den er, ſowie ein kleineres dahinter

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liegendes und nur durch dieſen zu erreichendes Zimmer, enthielt, war ſogar beſtändig verſchloſſen. Die Familie Baering, die nie ſehr zahlreich geweſen war, fand ja hinreichend Wohn- und Schlafzimmer in den übrigen weiten Räumen des erſten Stockes, da man den zweiten Stock des Haupthauſes ſowohl wie des Seitenflügels ganz und gar zu Lagerzwecken benutzte..

Verzeihen Sie mir,“ unterbrach ſich die Erzählerin, „daß ich Ihnen mit dieſen wohl etwas langen baulichen Erörterungen komme. Aber es iſt nötig, daß Sie einen ungefähren Begriff von den räumlichen Verhältniſſen des Hauſes haben, aus deſſen Geſchichte ich Ihnen ein ſo ſeltſames und ſo erſchütterndes Kapitel erzählen will. Hören Sie weiter.

Marias anfängliche Beſtürzung über meine uner- wartete Ankunft verwandelte ſich zu meiner Beruhigung ſchnell in herzliche Freude.

Zwiſchen Lachen und Weinen hing ſie an meinem Hals. ‚Daß du es biſt! Daß du es biſt!“ wiederholte fie immer wieder. „Das macht mich ja fo glücklich!“ Gleich darauf rief ſie mit heller Stimme in den Flur hinaus: „Valborg! Valborg!“

Die Gerufene, die ſchnell herbeikam, war eine matronenhafte Frau, die vor vielen Jahren mit des Konſuls Großvater aus Dänemark gekommen war und nun ſchon ſeit Jahrzehnten den Baerings in treuer Anhänglichkeit diente. Auch jetzt war ſie, ſozuſagen als Verwalterin, der jungen Frau eine treue Stütze, ja faſt eine mütterliche Vertraute.

Ich kannte dieſe Valborg aus Marias Briefen, ſogar ſchon aus Gerhard Baerings. Erzählungen von der Brautzeit her, und ſtets hatte man ſie mir als Muſter aller menſchlichen Tugenden im allgemeinen und aller weiblichen Vorzüge im beſonderen geſchildert.

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Zu meinem Bedauern wurde mir aber nun ein merklich zurückhaltender Empfang von ihrer Seite zuteil. Sie ſah mich mit ihren hellen Augen, die ſo ſonderbar jung und klar in dem vollen, freundlichen, von vielen

Falten durchfurchten Geſicht ſtanden, ſehr prüfend an

und begnügte ſich mit einer knappen und ziemlich undeutlichen Begrüßung, die in ſonderbarer Weiſe die Mitte hielt zwiſchen Zurückhaltung und pflicht ſchuldiger Freundlichkeit.

Maria ſah ſie einen Augenblick lang ganz betroffen an, dann ſagte ſie lächelnd: Valborg, haſt du denn Wirtſchaftsſorgen?“ Dann, zu mir gewandt, fuhr ſie fort: „Schrecklich das mit dem Schwamm nicht wahr? Aber ſei ohne Sorge, auf die Straße brauchſt du deshalb nicht, wenn ich dich auch leider nicht in einem der Fremdenzimmer unterbringen kann. Da iſt ja noch der Seitenflügel. Das Zimmer entſpricht dem Hauptkontor unten, iſt alſo ſehr groß das wird ſich gut einrichten laſſen.“ Das letzte hatte wieder Valborg, die mit einem ſonderbaren Ausdrucke von Undurchdringlichkeit daſtand, gegolten. Nun wandte Maria ſich mit einem halb verlegenen Ausdruck mir wieder zu: ‚Es iſt ja komiſch, aber du mußt wiſſen, Hedwig, daß ich das Zimmer ſelbſt auch noch nicht kenne. Es iſt immer verſchloſſen; ich habe Gerhard verſchiedentlich gebeten, es mir zu zeigen, das ſollte auch immer mal ſein, aber, wie's zuweilen ſo geht, weißt du, einmal war der Schlüſſel fort, dann waren wir monatelang auf Reiſen, kurz und gut aber, Valborg, jetzt muß das Zimmer aufgeſchloſſen und für Fräulein v. Caub zurechtgemacht werden.“

Valborg war auf Maria zugetreten und hatte mit einem Ausdruck von zarter Mütterlichkeit den Arm um ihre Geſtalt gelegt, und ſo die junge Frau halb wider

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Willen vom Vorflur ins Wohnzimmer zurückführend ſagte ſie freundlich mit ihrer däniſchen Ausſprache, die die S-Laute fo ſcharf, das A jo trübe, das R fo aus der unterſten Tiefe der Kehle zu holen ſcheint: „Frau Maria, ſeien Sie unbeſorgt! Es kommt alles in Ord- nung. Überhaupt, es iſt ja unten alles bald wieder zurecht, und für einige Tage nimmt Fräulein v. Caub wohl fürlieb. Sie ſollen ſich jedenfalls nicht aufregen und ruhig im Zimmer bleiben. Zch ſorge für alles.‘

gch erinnere mich noch heute des Befremdens, mit dem mich die Szene erfüllte. Ein Zimmer, das die Frau des Hauſes nicht kannte, obgleich ſie vor einem vollen Jahr als Herrin hier eingezogen war? Ein Zimmer, das, obgleich es bequem gelegen war, beſtändig verſchloſſen, alſo nicht nur unbenützt, wie ich zuerſt geglaubt, ſondern völlig kaltgeſtellt war? |

Da kam ſchon Valborg, die Tür ſogleich hinter ihrer Herrin ſchließend, auf mich zu. „Ich habe Frau Maria geſagt, ſie ſei jetzt zu erregt und müſſe Ruhe haben. In einer Stunde oder einer halben können Fräulein v. Caub mit ihr ſprechen.“ Dann, mir vorausſchreitend, ſagte fie kurz, aber freundlich: , Kommen Sie mit, bitte. Hier wohne ich,‘ fuhr fie dann fort, vor einer Tür ſtehen bleibend, ‚und hier“ fie zeigte auf eine Tür, die der Kontortür unten entſprach, alfo den Eingang zum Seiten- flügel, den man rechts an die Rüdfront des Haupt- hauſes hatte anſchließen laſſen, ausmachen mußte „hier iſt das Zimmer, in dem Fräulein v. Caub wohnen wird.“

Einen Augenblick lang blickten ihre klaren Augen wieder ernſt und forſchend in die meinen.

Dann fuhr fie in gewöhnlichem Ton fort: „Ich werde alles zurechtmachen, aufſchließen und lüften, und Fräulein v. Caub wird Beſcheid geben, daß das

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Gepäck heraufkommt hierher, auf den Vorplatz. Für das übrige ſorge ich.“

Ich wollte gehen. Da ſchien fie einem unſchlüſſigen

Schwanken ſchnell ein Ende zu machen, öffnete mit großer Beſtimmtheit ihre Zimmertür und bat mich, bei ihr einzutreten, was ich mit einigem Befremden auch tat.

„Fräulein v. Caub,‘ ſagte Valborg ernſt, ‚es iſt nicht gut, daß Sie gerade jetzt kommen, da niemand unten wohnen kann, denn dort‘ fie machte eine Bewegung mit dem Kopf kann auch niemand wohnen. Das Zimmer hat eine Erſcheinung.“

Ich hätte beinahe aufgeſchrieen nicht vor Schreck, ſondern vor Freude. „Heißt das, daß es dort umgeht, Valborg?“ fragte ich eifrig. O, dann muß ich entſchieden dort wohnen! Was für ein Glück!“

Valborg unterbrach mich. „Sie glauben nicht daran?“ fragte ſie.

„Nein, ſicher nicht, Valborg!“ ſagte ich fröhlich. „Venigſtens nicht eher, als bis ich die ſogenannte Erſcheinung ſelbſt geſehen habe, und das kann lange dauern, denn ich gehöre nicht zu den Leuten, die befähigt ſind, Geſpenſter zu ſehen. Ich ſehe keine Dinge, wo keine find.‘

„Ich auch nicht,“ erwiderte Valborg mit demſelben ruhigen Ernſt. „Aber dort ſind wirklich Dinge, die man ſieht, obwohl man ſie nicht greifen kann. Ich wollte darum vorſchlagen, daß Fräulein v. Caub nur zum Schein dort“ wieder die Kopfbewegung ‚wohnt, und in Wirklichkeit hier bei mir. Es darf's aber niemand wiſſen, außer uns beiden. Frau Maria weiß es nicht überhaupt niemand im Hauſe, daß jenes Zimmer die Erſcheinung hat das wiſſen nur Herr Gerhard und ich. Darum iſt das Zimmer verſchloſſen, und Frau

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Maria darf es nicht ſehen nie, niemals, am aller- wenigſten jetzt. Wir müſſen ſehr, ſehr vorſichtig ſein, daß ſie ohne es zu merken verhindert wird, in Ihr Zimmer zu kommen.“

„Valborg,“ ſagte ich freundlich, wenn auch wohl ein wenig von der Höhe meines aufgeklärten Stand- punktes herab, „Maria darf in keiner Weiſe beunruhigt werden, das iſt richtig. Darum will ich tun, was Sie ſagen. Was aber mich ſelbſt anbetrifft nun, ich bin nicht ſo haſenfüßig und bin ſchrecklich begierig, die Bekanntſchaft eines richtigen Geſpenſtes zu machen.“ Valborg wollte etwas entgegnen, aber ich fuhr, ohne ſie zu Worte kommen zu laſſen, fort: „Ich will gar nicht wiſſen, ob das Geſpenſt männlich oder weiblich iſt, ob es lacht oder weint, ſondern ich will ganz einfach in mein Geiſterzimmer einziehen, und ich bin höchſt ge- ſpannt, ob ich etwas ſehe oder höre von einem Be— ſuche aus dem Zenfeits.‘

Valborg ſchien mir nicht mehr zugehört zu haben. Gedankenverloren ſah ſie vor ſich hin und murmelte: „Gerade jetzt, gerade jetzt!“ und dabei rannen langſam zwei helle Tränen über das alte Geſicht.

„Aber Valborg!“ ſagte ich betroffen.

Sie ſah mich aus den feuchten Augen ernſt an und ſagte: „Gott ſei uns allen gnädig!“

Halb beſtürzt, halb ärgerlich über ſolche Geſpenſter— furcht ging ich hinaus.

Maria war abgeſpannt und lag den ganzen Nach- mittag auf ihrem Ruhebett. Ich war bemüht, ihr eine fröhliche, unbefangene Geſellſchafterin zu ſein. Als ich ihr endlich Gutenacht ſagte, wollte ſie mich durchaus in mein Zimmer bringen, weil ſie doch ſehen müſſe, wo ihr lieber Gaſt denn eigentlich ſchlafe.

„Lieber heute nicht, Maria,“ bat ich ſie. „Du weißt,

. Norelle von F. C. Oberg. 131

Valborg ſorgt für alles, und du ſollſt dich ruhig verhalten.“

Maria fügte ſich denn auch, vielleicht, weil fie wirk- lich müde war, vielleicht weil alles ſo kommen mußte, wie es kam. |

Am Eingang meines Zimmers wartete Valborg auf mich. Ich empfand in dieſem Augenblick ihre beſtändige Fürforge wie etwas Überflüffiges, faſt Anmaßendes.

„Es iſt alles in Ordnung,“ ſagte die alte Frau, und der traurige Ausdruck ihres Geſichts rührte mich ſo, daß meine Ungeduld wieder verflog.

„Alſo gute Nacht, Valborg, und Dank für alles!“ ſagte ich herzlich, und mit der Wärme, in der zwei vertraute Bundesgenoſſen verkehren, fuhr ich fort: Wenn mir graulich wird, komme ich zu Ihnen.“

Mit einer Entſchloſſenheit, die gerade durch die Art, in der ich fie betonte, wohl eine gewiſſe ängjtliche Aufgeregtheit verraten mochte, klinkte ich die hohe weiße Tür auf und ging hinein.

Das Zimmer war außerordentlich geräumig.

An der Längswand, links von der Tür, die etwa die Mitte der vorderen Querwand einnahm, waren zwei hohe, große, weitbogige Fenſter, die jetzt mit prachtvollen, dunklen Vorhängen verhängt waren. An derſelben Wand, tiefer im Zimmer und mit dem einen Ende ſchon die hintere Querwand berührend, ſtand das mächtige Bett. Ihm gegenüber, alſo an der rechten Längswand, befand ſich ein Sofa mit einem großen, ovalen, mit dunkelgrüner ſchwerer Decke überhängten Tiſch, der zwei ſchöne Handleuchter trug, deren brennende Kerzen den weiten Raum mit nicht übermäßiger, aber lebendiger Helle füllten.

Seitlich von Tiſch und Sofa, an der rechten Längs- wand etwa dem einen Fenſter in ſchräger Richtung

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gegenüber hing ein herrlicher alter venezianiſcher Spiegel, wundervoll facettiert und mit reicher Glas- rahmung. Ein ſchmales, ſchlankfüßiges Rokokotiſchchen ſtand darunter.

Ich war nicht geſchult genug, um beurteilen zu können, ob die einzelnen Teile der Einrichtung zu- einander paßten; ich glaube eigentlich, daß die Erzeug- niſſe verſchiedener Jahrhunderte hier zuſammengefügt waren. Zedenfalls war der ſchöne Marmorwaſchtiſch, der wieder rechts ſeitlich vom Spiegel ſtand, aus einer ſpäteren Zeit wie das Tiſchchen unter dem Spiegel, der ſeinerſeits wohl, wie etwa das Bett und die Leuchter, das Vorrecht im Alter beanſpruchen konnte.

Die Ecke der rechten Längswand und der Querwand, in der die Tür war, wurde breit und wuchtig durch einen großen Kamin ausgefüllt, deſſen grüne Kacheln und ſchönes Schmiedeeiſen wohl manches kunſtliebende Auge hätten feſſeln mögen. Neben dem Tiſch, am Fenſter und neben dem Koloſſalbett ſtanden einige hochlehnige, breite Stühle.

Einen anderen Ausgang als den, durch den ich hereingekommen war, ſchien das Zimmer nicht zu beſitzen. Gab es aber dennoch eine Tür zu einem weiter hinten liegenden Raum, ſo mochte ſie durch Möbel verſtellt oder durch Wanddekorationen verdeckt ſein. Ich habe das nie unterſucht, weil es gänzlich ohne Bedeutung war.

Es iſt mir noch gut erinnerlich, daß die Wände halbhohe, ſchlichte Panellierung beſaßen und oberhalb dieſer mit einer ſtark gedunkelten lederartigen Tapete bekleidet waren. Decke und Fußboden waren ſchlicht, aber ſehr ſchön ausgelegt. N

Natürlich überſah ich all dieſes nicht ſofort, und wenn mir jetzt der ganze Raum im Geſamteindruck ſowohl

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wie in den Einzelheiten ſo deutlich vor Augen ſteht, iſt das wohl mehr der Summe vieler nach und nach gewonnenen Eindrücke zu danken.

Das Zimmer war entſchieden aufs beſte gelüftet,

aber war es nun die Höhe und Weite des Raumes, die Geräumigkeit der Flächen, die ſelbſt durch die großen, ſchweren Möbel ſo wenig beeinflußt wurde, war es das mir ſo ungewohnte Bild der ganzen Ein- richtung ich glaubte, eine befremdliche, beklemmende Luft zu atmen, ich fühlte mich unfrei und benommen und ſuchte vergebens nach dem fröhlichen Mut, der mich noch vor zwei Minuten erfüllt hatte. So ſtand ich nun beklommen in der vorderen Hälfte des Raumes und ſah mich mit ſcheuen Blicken um. Wie, wenn ich Valborg doch erſt lieber nach näherer Erklärung gefragt hätte? Dann aber beſann ich mich eines Beſſeren. Das wäre ja ſo gut wie überzeugter Glaube geweſen, wenn ich mich ſchon jetzt beſiegt gab. Ich ertappte mich da auf einer ſchreienden Inkonſequenz, und wenn ich jo weiter machte und mich in Furcht- ſamkeit hineinredete, würde es mir wohl nicht ſchwer fallen, wirklich Geſpenſterdinge zu ſehen und zu hören.

ich lachte mich ſelbſt aus, nahm meine Beklommen⸗ heit von der komiſchen Seite und fühlte mich nun wieder frei. Vergnügt und wie erleichtert, geradezu von einer Art dankbarer Begeiſterung über die Romantik, in die ich ſo unvermutet verſetzt worden war, erfüllt, begann ich meinen Koffer auszupacken.

ich hing meine Kleider in einen großen Schrank, der neben der ins Zimmer hineinſchlagenden Tür an der vorderen Querwand ſtand ein Schrank, ſo groß wie ein Haus, aus prachtvollem Eichenholz und mit wertvollen Schnitzereien und herrlicher Orechſlerarbeit

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geſchmückt. Die ſchweren Türen ließen ſich nicht ganz leicht regieren und quietſchten in den Angeln.

Der große Teppich, der faſt den ganzen Boden in der vorderen Zimmerhälfte bedeckte, machte hier meine eigenen Schritte unhörbar.

Ich packte meine Gebrauchsgeräte zum Teil in die tlefen Schubladen des Waſchtiſches, zum Teil in die kleine Lade des Rokokotiſchchens. Dorthin wollte ich auch jetzt meine Kämme legen, die ich gerade aus dem Koffer genommen hatte; ich ſtand einige Schritte rechts vom Spiegel und muſterte feine Rahmung mit Ent- zücken, da

Im Spiegel ſah ich plötzlich eine ſchlanke ausge- ſtreckte Hand, die mit einer Bewegung des Zeigens, Hindeutens in die Tiefe des Zimmers gerichtet ſchien.

Wie ein glühender Schlag ging es über mich hin.

Ich wendete den Kopf und ſtarrte in das Zimmer hinter mir es war leer, kein Menſch war zu ſehen, nichts als die leere Weite des großen Raumes.

Ich ſah zurück in den Spiegel klar, glatt, eine ſpiegelnde dunkle Fläche mit ſchimmernden Reflexen in der Facettierung und im Rahmen ſo hing er vor mir. Von jener Hand, die ſich noch vor ein paar Herz- ſchlägen dort gezeigt, war nichts mehr zu ſehen.

ich ſtand wie betäubt. Wie mit feurigen Wellen zitterte die Erregung über mich hin, und dann überkam mich ein kalter Schauder.

Eine Täuſchung war ausgeſchloſſen. Meine eigenen Hände hielt ich noch jetzt ſo wie in dem Augenblick, als ich die Hand im Spiegel ſah. Überdies trug ich Armel, die bis aufs Handgelenk gingen, während jene Hand im Spiegel ſich bis knapp vor dem Ellbogen aus der rechtsſeitigen Rahmung herausgeſtreckt hatte und völlig unbekleidet geweſen war.

1 Novelle von F. C. Oberg. 135

ch griff an meine Stirn, ſtrich mir über die Augen

Und als ich den Blick wieder hob, ging es von neuem wie ein elektriſcher Schlag über mich.

Schlank, weiß, den Zeigefinger leicht vorgeſtreckt ſo ſah ich wieder die Hand im Spiegel, unbeweglich, aber klar und deutlich, ja von einer geradezu über- ſtarken Plaſtik und Lebendigkeit ... Ich ſah die Finger- ſeite, den Daumen alſo nur zwiſchen den leicht geboge- nen anderen Fingern hindurch. Der Zeigefinger war vorgeſtreckt, die letzten drei Finger zur Fläche geſchloſſen und leicht in die Handhöhlung hineingebogen. In dem ſchmalen, zarten Gelenk war die Hand etwas geſenkt, während die Richtung des Armes anſteigend war.

Es war eine entzückend ſchöne Bewegung. Hätte das Grauen nur irgendwelche Freude an der Schönheit aufkommen laſſen. Zugleich lag es wie ein Befehl, wie eine grauſig unerbittliche Forderung in dieſer ſchönen Hand.

Mit jagendem Atem und fliegenden Pulſen ſtarrte ich auf die Erſcheinung.

Was war das am Ringfinger? War es ein mit einem dunkelroten Stein geſchmückter Reif?

Ich wollte die Art des tiefleuchtenden roten Flecks am Ringfinger ergründen da mit einem Schlage war die Erſcheinung fort.

Das Glas war wieder ganz gleichmäßig dunkel, und die Hand war ſo urplötzlich verſchwunden, wie ſie erſchien.

Mir war, als würge mich etwas im Halfe, die Tränen maßloſer Erregung ſprangen mir in die Augen, und ich glaube, ich wäre gefallen, wenn mich nicht zwei Arme ſorglich umfaßt hätten. „Valborg!“ ſchrie ich faſt ſchluchzend auf. Ohne daß ich es gemerkt hatte, war ſie hereingekommen, gerade zeitig genug, um mich

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vor dem Fallen zu behüten und mir über dieſe erſte ſchreckliche Erregung fortzuhelfen.

„Armes Kind!“ ſagte die alte Frau gütig und führte mich hinaus.

In Valborgs Zimmer, in einem großen Lehnſtuhl, vor mir den kleinen gemütlichen Raum, vom Schein einer Petroleumlampe mit weißer Kuppel traulich übergoſſen, mir gegenüber der Alten mir plötzlich ſo lieb vertrautes Geſicht da verſuchte ich, wieder zu mir ſelbſt zu kommen.

Während mich noch die Erregung in wilden Stößen ſchüttelte, ſah ich, daß Valborg ganz ruhig ſchien, nur der Ausdruck einer erſchütternden Traurigkeit lag auf ihren Zügen.

„Sie haben ſie alſo geſehen, die Hand der Barbara uth?‘

‚Die Hand der Barbara Uth?“ wiederholte ich, während mir ſelbſt auffiel, wie verändert, wie klanglos meine Stimme war, ‚Erzählen Sie, Valborg,“ bat ich, ‚erzählen Sie alles, was Sie von der Hand wiſſen!“

Die Ruhe der alten Frau war wohl nur erzwungen geweſen jetzt weinte ſie leiſe vor ſich hin.

„Thomaſine, arme, liebe Thomaſine!“ klagte ſie ſchluchzend.

Ich begriff nicht. Valborgs Art ſteigerte meine Erregung aufs äußerſte. ,‚Valborg,“ ſagte ich, ſelbſt faſt weinend, ‚um Gottes willen, fo erzählen Sie doch! Wer war Barbara Uth, und wer war Thomaſine?“

Valborg zwang ſich wieder zur Ruhe. ‚Thomaſine war Herrn Gerhards Mutter,“ fagte fie, ‚und ihr hat die Hand der Barbara Uth das Leben gekoſtet. Barbara Uths Hand erſcheint dort im Spiegel, an derſelben Stelle und in derſelben Haltung, ſolange das Geſchlecht der Baerings hier lebt, ſo lange wenigſtens, als die

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Aufzeichnungen der alten Familienurkunden, Hand- ſchriften oder Chroniken, was weiß ich, zurückreichen

„Van hat dieſe Urkunden noch?“ unterbrach ich ſie lebhaft. „Wer hat ſie, und wo ſind ſie, kann ich ſie nicht ſehen?“

Valborg ſchüttelte den Kopf. ‚Die Urkunden hat Herr Gerhard in ſeinem Schreibtiſch eingeſchloſſen, die kann niemand ſehen.“

„Und wenn ich ihm fchreibe?‘

„Das iſt unmöglich,“ ſagte Valborg mit großer Ent- ſchiedenheit. „Herr Gerhard darf in dieſer Zeit nichts wiſſen von allem, was hier vorgeht, von dem Schwamm ſo wenig wie von den daraus entſtandenen Folgen, nämlich daß ich das Zimmer, in dem die Hand erſcheint, habe aufſchließen müſſen. Ich habe Frau Maria ſchon unauffällig dahin gebracht, ihrem Mann die Schwamm- geſchichte nicht mitzuteilen, wüßte der arme Herr Konſul, wie hier die Dinge liegen, er würde in der Ferne in Angſt und Sorge um Frau Marias Leben vergehen. Denn ich ſagte es ja ſchon ſeine Mutter, die arme Thomaſine, hat bei ſeiner Geburt ihr Leben gelaffen, und das kam nur, weil fie ſo grenzenlos unter der Hand der Barbara Uth gelitten hat.“

In mir erwachte ſchon wieder fo etwas wie Zweifel- ſucht. ‚Valborg,“ ſagte ich, ‚kein Menſch kann doch wiſſen, ob Herrn Gerhards Geburt glücklicher verlaufen wäre, wenn ſeine Mutter gar nichts von der Hand der Barbara Uth gewußt hätte.“

„Der Zuſammenhang iſt zu deutlich,“ antwortete Valborg. „Herr Gerhard iſt wohl auch nicht der erſte der Baerings, der wegen der Hand mutterlos aufwachſen mußte, denn die Hand iſt immer erſchienen, wenn eine junge Frau des Hauſes ihr erſtes Kind unter dem Herzen trug. Sie brauchen nicht zu bedauern, daß Sie die

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Arkunden, die etwas über die Hand der Barbara Uth melden, nicht ſelbſt ſehen können. Ehe Herr Gerhard heiratete, habe ich noch einmal alles mit ihm zuſammen durchgeleſen und alles behalten. Es iſt ja auch nicht viel. Zuerſt meldet ein Gaſt der Familie Baering, der in dem Zimmer mit dem venezianiſchen Spiegel wohnte, die Erſcheinung der Hand. Das Schriftſtück trug die Zahl 1704, und der Schreiber war ein Gaſt des Herrn Auguſt Julius Baering geweſen. Auguſt Julius Baering iſt ein kluger, aber ſehr ſtiller Mann geweſen, der in feiner Jugend großes Leid durch den Verluſt ſeiner erſten Frau nach kaum zehnmonatlicher Ehe erlitten hat. Sein Vater, ein prachtliebender Ratsherr, hat das erſte Familienhaus, von dem ja der alte Seitenflügel ſtammt, bauen und einrichten laſſen von Auguſt Zulius’ etwaigen Ehrenämtern hört man nichts, er ſoll ſeinen Studien, abgezogen von der Welt und gleichgültig gegen ſeines Hauſes Wohlſtand, gelebt haben. Sie wiſſen ja auch vielleicht, Fräulein v. Caub,“ ſchaltete Valborg ein, „daß die Baerings erſt ſeit etwa hundert Jahren, alſo in der vierten Generation, Kaufleute find. Die früheren Baerings waren meiſt Gelehrte. Aber jo ein Wechfer hängt wohl mit dem Blut zuſammen, und es iſt ja nun gut, daß Herrn Gerhards Vorväter oft eine Frau von außerhalb hatten, ſonſt wäre das Geſchlecht wohl kaum ſo lange lebensfähig geblieben.“

„Aber die Hand?“ warf ich ein, um auf das eigent- liche Thema zurückzukommen.

„Von jener erſten Beſchreibung aus dem Jahre 1704 an fehlen in keinem der erhaltenen Berichte Nachrichten über die Erſcheinung, wenn auch der nächſte ſoweit ich mich erinnere erſt vom Zahre 1720 ſtammt. Es iſt ja möglich, daß das Zimmer wenig oder gar nicht gebraucht wurde, oder daß die Hand ſich nur ſelten

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zeigte ich weiß es nicht; dieſer zweite Bericht jeden falls ſtammt aus der Zeit nach dem Tode des Herrn Auguſt Julius, und er belegt, wie auch alle anderen Beſchreibungen, die Erſcheinung ſchon mit dem Namen ‚die Hand der Barbara Uth“. Von nun an folgen die Aufzeichnungen in ununterbrochener Kette, und in jeder ſpielt das Vorhandenſein der Familienerſcheinung mehr oder minder eine Rolle. Die Art der Mitteilungen bleibt ſich aber merkwürdig gleich mit wenigen Abweichungen ſchildern alle das gleiche.“

‚Wie aber erklärt ſich der Name?“ forſchte ich.

‚Das erzählt das Schriftſtück von 1720. Man be- hauptet, die Hand im Spiegel als die der ſchönen, ſtolzen Barbara Uth, der Tochter eines vornehmen Hauſes unſerer Stadt, wiedererkannt zu haben. Barbara Ath war bekannt wegen ihrer Schönheit, doch auch wegen ihres unſagbaren Stolzes. Sie hat wunderbar ſchöne Hände gehabt, um fo mehr iſt darum an ihrer —“

„Verzeihung, Valborg, aber vor allem: wann hat Barbara Uth gelebt?‘

„Im Jahre 1702 foll fie geſtorben fein. Mit ihr verlöſchte das Geſchlecht der Aths. Sie ſoll mit einem angeſehenen und vermöglichen Ratsherrn unſerer Stadt, dem Magiſter Chriſtoph Rochus Entling, vermählt geweſen fein.‘

‚Entling Entling, ſagen Sie, Valborg?“ rief ich bebend vor Erregung, während ich fühlte, wie mir alles Blut zum Herzen ſtrömte.

„Ja, Entling,“ wiederholte Valborg, verwundert über meine Erregtheit. ‚Die Entlings ſind ſpäter, noch vor Barbaras Tode, glaube ich, alſo etwa um die Wende des ehen Jahrhunderts, ins Preußiſche gezogen.“

‚Dort find fie unter König Friedrich I. von Preußen

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in den erblichen Adelſtand erhoben worden; ein Herr Rochus v. Entling hat ſehr verdienſtvoll im ſpaniſchen Erbfolgekriege gefochten. Jahrzehntelang haben die Entlings glänzend gelebt, ſpäter im Verlauf des neun- zehnten Jahrhunderts in einfacheren, aber guten und geſicherten Verhältniſſen auf einem Landſitz in Holitein, bis endlich der letzte Nachkomme der geraden Linie ein Mädchen war und das Gut an eine Seitenlinie kam, an das Geſchlecht der Edlen von und zu Ruttorp —“

Ein halblauter Aufſchrei Valborgs unterbrach mich. „Ja, Valborg,“ ſagte ich, ſelbſt meine Erregung nur mühſam meiſternd, „Maria iſt nicht die Tochter, ſondern die als ſolche adoptierte Nichte des Barons Ruttorp. Sie iſt eine geborene v. Entling, ſie iſt alſo der letzte Nachkomme der Barbara Uth.“ Ich hatte immer leiſer und leiſer geſprochen, das Aufregende dieſer Entdeckung nahm mir faſt die Stimme.

Es dauerte eine ganze Zeit, ehe Valborg ſich gefaßt hatte. Sie kämpfte beſtändig mit den Tränen, und wie ſchon einmal an dieſem Tage ſagte ſie: „Gott ſei uns allen gnädig Gott ſei der Frau Maria gnädig!“

Ich nickte ſtumm.

Ruhiger geworden fuhr Valborg fort: „Herr Gerhard wird das wiſſen, aber er hat mir nie ein Wort davon gefagt.‘ |

‚Der Konſul,“ fiel ich ein, ‚wird es auch erſt erfahren haben, als er bei dem Baron Ruttorp um Varia, die allgemein als ſeine Tochter galt, warb. Auch ich habe Marias eigentlichen Familiennamen, den ſie mit dem der Ruttorps vertauſcht hatte, früher nur einmal durch Zufall erfahren. Maria war eine WVaiſe von drei Jahren, als ihr Onkel, der Erbe des Entlingſchen Familiengutes, ſie an Kindesſtatt annahm. An dieſem

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Onkel hängt ſie mit großer Liebe, zu ſeiner Frau aber, die bald nach Marias Verlobung ſtarb, hat ſie nie in beſonders gutem Verhältnis geſtanden. Als Maria heiratete, war die Rede davon, daß die Vorfahren ihrer Familie aus dem Lübeckſchen ſtammten.“

„Ich begreife jetzt noch mehr als früher Herrn Ger— hards übergroße Sorge, daß Frau Maria etwas über das Rätſel mit der Hand erfahren könne,“ ſagte Valborg. ‚Es gab jo vieles Aufſehen und Gerede bei feiner Ver- heiratung, und jetzt ſcheint es faſt —“

Sie ſprach den Satz nicht aus.

ich kam auf die Erſcheinung zurück. ‚Sie haben noch nicht alles von der Hand der Barbara Uth erzählt, Valborg.“

‚Es iſt nicht viel mehr,“ antwortete fie. „Man hat in der Erſcheinung nicht nur die Hand der Barbara Uth an ihrer ſeltenen Schönheit, ſondern mit um ſo größerer Sicherheit noch an einer eigenartig geformten Biß narbe wiedererkannt, die an gleicher Stelle und in gleicher Form die rechte Hand der Barbara Uth ver- unziert hat. Freilich „verunziert“ ſei kaum der rechte Ausdruck dafür, ſagt der Briefſchreiber von 1720; wenn man von Barbara Uths ſchönen Händen geſprochen habe und dieſer Narbe Erwähnung tat, ſo habe man ſtets geſagt: ſie iſt nichts weiter als ein Zeichen mehr von Schönheit, bringe ſie doch durch den Gegenſatz das Edle der Formen und die Zartheit der Haut nur um fo mehr zum Ausdruck. Der Briefſchreiber ſelbſt verdankt dieſe Nachrichten mündlichen Überlieferungen älterer Leute. Das Erkennen der Erſcheinung war um ſo leichter möglich, und ein Irrtum war ausgeſchloſſen, weil Barbara Uths Hände eine förmliche Berühmtheit geweſen ſein ſollen. Sie ſelbſt ſoll ſehr ſtolz darauf geweſen ſein, aber merkwürdigerweiſe hat ſie nie auch

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nur den einfachſten Schmuck, nicht einmal den Trauring daran gelitten.‘

„Aber an ihrem vierten Finger

Ich kam nicht zu Ende, denn Valborg fiel mir ins Wort: ‚Das Sonderbare iſt, daß der Stein allgemein auffällt und auch von allen Berichterſtattern erwähnt wird. Aber der Ring haben Sie den Ring ge- ſehen?“

Ich war ganz betroffen. Wo ein Stein war, war doch ſelbſtverſtändlich auch ein Ring. Aber den Ring erinnerte ich mich nicht

„Das iſt auch eine der Vnerklärlichkeiten,“ fuhr Valborg fort. ‚Einige der von früher her überlieferten Berichte ſprechen ganz deutlich von dem Ring mit dem roten Stein, und das einzige iſt, daß ſie über die Art des Edelſteines nicht recht klar ſind, während zwei ſogar ſo weit gehen, von einem Granaten oder Rubin zu ſprechen. Die Bedenkſameren unter den Beobachtern geben zu, daß der Stein auffallend ſichtbar, der Reif aber kaum bemerkbar ſei, es ‚fcheine‘ ein ſchmaler, ſchlichter, blaßgoldener Ring zu fein. Ich ſelbſt das kann ich beſchwören habe wohl den Stein, nie aber den Ring geſehen und immer den Eindruck gehabt, als hafte der Stein ohne alles weitere am Finger.“ Sie ſchwieg einen Augenblick, dann ſetzte ſie zögernd hinzu: ‚Einer der Briefſchreiber oder Chroniſten nennt ihn einen geronnenen Blutstropfen.“

ch ſchrak zuſammen bei dieſer Bezeichnung, vielleicht weil fie gar jo zutreffend war. ‚Und verſucht niemand der Chroniſten, den Zuſammenhang zu löſen?“ fragte ich.

‚Man weiß nichts, als daß es die Hand der Barbara uth iſt, die dort im venezianiſchen Spiegel erſcheint. Auch das wurde wie gejagt erit feſtgeſtellt, nach- dem die Erſcheinung ſchon einmal vor faſt zwanzig

2 Novelle von F. C. Oberg. 143

Jahren beobachtet worden iſt, ohne aber richtig erkannt zu werden eben von jenem Gaſt, der wohl kein

Luübecker war und wohl ſchwerlich etwas von der damals

ſchon aus Lübeck fortgezogenen und nachher veritor- benen Barbara Uth und ihren Händen wiſſen konnte. Vielleicht hat er auch die Erſcheinung nicht oft geſehen, denn wie ich ſchon ſagte fie zeigt ſich nur dann fo häufig, wenn man im Hauſe das erſte Kind erwartet. Als ich hierher kam mit Herrn Gerhards Großvater, und deſſen Frau auf der Durchreiſe in Kopenhagen krank wurde, da war Herrn Gerhards Vater der ſpätere Senator noch unverheiratet. Damals iſt, wie überhaupt immer, das Geheimnis ſorglich gehütet worden, und ich, die ich ſchon oft in dem nicht ganz ſo vorſichtig wie jetzt verſchloſſen gehaltenen Zimmer mit dem Spiegel geweſen war, ſah die Hand der Barbara Uth zuerſt, als des Senators junge Frau Thomaſine Mutter werden ſollte. Je weiter die Zeit vorſchritt, deſto häufiger zeigte ſich die Hand o Gott, warum gelang es uns damals nicht, es der jungen Frau zu verheim- lichen! Sie erfuhr alles, ſie hat ſelbſt die Hand oft geſehen und grenzenlos gelitten unter dieſem uner- klärlichen Rätſel. Der Senator bat ſie, das Zimmer zu meiden; er hielt es verſchloſſen, er unterſagte ihr aufs ſtrengſte jeden Verſuch, dorthin zu gelangen, doch wie mit Zaubergewalt zog es ſie ihrem eigenen Grauen zum Trotz immer wieder dorthin. Sie wußte ſich den Schlüſſel zu verſchaffen, ſie beſaß ſchließlich einen Nachſchlüſſel, und mehrere Male, be- ſonders in der Zeit kurz vor der Geburt, haben wir die arme Frau in dem unſeligen Zimmer vor dem Spiegel bewußtlos zuſammengebrochen gefunden —“ Valborg konnte vor Weinen nicht weiterreden. Auch ich war tief erfchüttert von der düſteren Tragik,

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die in ſo unmerklicher Form auf dem IT der Baerings laftete,

Endlich fuhr Valborg fort: ‚Die letzte Zeit vor der Geburt war Frau Thomaſine zu elend, um ihr Schlaf- zimmer verlaſſen zu können. Gleich nach der Geburt iſt ſie geſtorben. Von da an iſt die Hand nur ſelten wieder zu ſehen geweſen. Herr Gerhard, dem man die traurige Geſchichte ſeiner Mutter ſpäter mitteilen mußte, hat ſelbſt, halb aus gewiſſen Zweifeln und in dem Glauben, ſeine Mutter könne an krankhaften Vorſtellungen gelitten haben, halb aus dem erklär- lichen Wunſch heraus, Licht in das Dunkel zu bringen, monatelang in dem Zimmer mit dem Spiegel ge- wohnt. Aber er hat die Hand in all der Zeit nur dreimal, immer nach großen Zwiſchenräumen, ge- ſehen.“

„Melden die Handſchriften auch ſchon von früheren Frauen der Baerings das gleiche Schickſal wie das von Gerhards unglücklicher Mutter?“

„Von einer im Beginn unſeres Jahrhunderts, der Frau Magdalena Baering, die 1807 die Geburt ihres Sohnes, des Großvaters des Herrn Gerhard, mit dem Leben bezahlte. Es iſt aber, als ſei von jeher ein Unſtern über der Nachkommenſchaft der Baerings geweſen, und es ſcheint wie ein Wunder, daß das Geſchlecht noch lebt, hat es doch oft genug, wie auch jetzt, nur auf zwei Augen geſtanden.“

Mir war es wie ein Troſt um Marias willen, an Gerhard Baerings kraftvolle Fugend zu denken. Er war ſicher nicht wie der letzte Sproſſe eines fluch- beladenen Geſchlechts. Ich wollte und mochte nicht anders denken, als daß ſeine und Marias Ehe eine gute Zukunftsverheißung ſei.

Mit ſchwingendem Schlag zog vom Flur der Klang

2 Novelle von F. C. Oberg. 145

einer großen alten Standuhr durch die nächtliche Stille des Hauſes.

Ich zählte die Schläge nur zweimal durchklang der ſonore Ton die Räume. Erſchrocken ſprang ich auf: „Zwei Uhr ſchon?“

Valborg ſchüttelte den Kopf. ‚Die Standuhr hat ein großes Schlagwerk und ſchlägt wie eine Kirchenuhr; es bedeutet halb eins.

„Immerhin es iſt ſpät,“ ſagte ich. „und wenn wir

wohl auch ſchwerlich Schlaf finden, ſo wollen wir wenigſtens etwas Ruhe ſuchen nicht wahr? Maria ſoll morgen keine übernächtigen Geſichter ſehen. Gute Nacht, liebe Valborg.“

Die alte Frau ſah mich betroffen an: „Sie wollen Sie wollen doch nicht in das Zimmer zurück?“

„Ja, Valborg,“ antwortete ich feſt. Zwar ehrlich geſtanden, es hatte mich einen ernſtlichen Kampf gekoſtet, zu dieſem Entſchluß zu kommen, aber ich hatte mir mein Wort gegeben, nicht vor der Erſcheinung davonzulaufen. Damit war mir's jetzt ebenſo ernſt wie vorher: ich mußte die Hand der Barbara Uth ertragen, ich wollte es wenigſtens verſuchen. Unklar hegte ich auch ſo etwas wie eine Hoffnung, der Löſung des Rätſels näher zu kommen.

Valborg hatte meine beiden Hände gefaßt. „Sie müſſen ſelbſt wiſſen, was Sie tun, liebes Fräulein,“ ſagte fie ernſt. ‚Einmal erzählen die Handſchriften von einem jungen Mädchen es iſt, glaube ich, in der Zeit der Magdalena Baering geweſen das auch dort im Zimmer ausgehalten hat.“

„Valborg, ans Leben kann einem die Hand der Barbara Uth doch nicht greifen?“

„Nein. Aber die, von der ich ſprach, hat ihre nn

1910. I.

146 Die Hand der Barbara Ath. 2 TTVTPTPTVFVUVFP—————!.!.!... .. ne keit mit etwas nicht minder Koſtbarem bezahlt mit ihrem Verſtand.“

Ich fühlte, wie ich zuſammenſchauderte, doch ich faßte mich. „Ich bin ſtark und geſund, Valborg. Ich danke Ihnen für Ihre treue Fürſorge, und ich verſpreche Ihnen, mich ſelbſt in ſcharfe Kontrolle zu nehmen. Wenn ich merke, daß es zu viel für mich wird, dann gebe ich nach, ehe es zu ſpät iſt.“

Damit gingen wir auseinander.

Die Kerzen brannten auf dem Tiſch, der Raum war groß und fremd, in der Luft lag ein feiner Duft von Stearin das war der Eindruck, den ich bei dem Eintritt in mein Zimmer empfing.

Das Zimmer war genau wie in dem Augenblick, als ich es zum erſten Male betrat. Und dennoch, mir erſchien es ſo anders. Es beſaß eine Vertrautheit für mich, die mir halb tröſtend, halb grauenvoll war.

gch zwang mich, den Spiegel mit meinen Blicken zu meiden, und ſetzte mich in einen der großen Lehnſtühle, die alle, wie ich jetzt mit einem gewiſſen Gefühl leichten Gerührtſeins bemerkte, ſo geſtellt waren, daß man von ihnen aus den Spiegel nicht ſehen konnte.

Ich wollte nicht ſofort ins Bett gehen. Ich haßte es, mit ruheloſen Gedanken im Dunkeln und in der weichen Wärme des Bettes zu liegen, ich wußte, man verdarb ſich auf dieſe Weiſe den letzten Reſt der Ruhe. Nein, ich wollte mich erſt zwingen, Klarheit in die vielen aufregenden Eindrücke zu bringen, die in den letzten Stunden auf mich eingeſtürmt waren. Erſt, wenn ich ſelbſt in gewiſſer Weiſe klarer und ruhiger dachte, würde ich Stellung nehmen können zu der Erſcheinung, ich wollte mir ſozuſagen einen Standpunkt erobern, von dem aus ich wie etwa von einer Feſtung dem Überfinnlichen ſtark und kühl gegenüber-

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ſtehen konnte, ich wollte die Hand der Barbara Uth nicht nur ſehen, ich wollte ſie genau betrachten können.

Ich dachte an das, was ich je über überſinnliche Erſcheinungen gehört hatte. Ein Wunſch, eine Schuld das iſt es, was die Seelen der Verſtorbenen zuweilen nicht frei werden laſſen und ſie in eine Erſcheinungsform bannen ſoll, die dann unſeren Sinnen von Zeit zu Zeit wahrnehmbar wird. Ein Wunſch, der ſie im Tode ſo beherrſcht, ſo ausſchließlich erfüllt hatte, daß er ſtärker als der Tod weiterlebt, irrend, ſuchend, ſehnend bis zur erſt vielleicht nach Jahrhunderten ſchlagenden Stunde der Erfüllung. Oder eine Schuld, ſo grauſig, ſo troſtlos ſchwer, daß ſelbſt im Sterben die Seele nicht frei werden kann, ſondern ein ruheloſes Zwifchen- leben führen muß, eine grauſame Oaſeinsloſigkeit, bis endlich, endlich die Schuld geſühnt und der Fluch ge- löſt wird. Was iſt alſo eine ſolche Erſcheinung? Ein Vermächtnis einer längſt Verſtorbenen an die nach ihr Lebenden, der Ausdruck für einen Wunſch, für eine leidenſchaftliche Forderung vielleicht, ein Raum und Zeit beſiegender Wille, der ſein Werkzeug ſuchen muß unter denen, die noch in dem Leben ſtehen, aus dem die heimatlos gewordene Seele gehen mußte, ohne abgeſchloſſen zu haben. |

Fit ſo eine Erſcheinung nicht der Ausdruck für das glühende Verlangen einer in eine troſtloſe Zwiſchen⸗ welt verbannten Seele, die nicht das ihr wie allen Seelen beſtimmte Los erreichen kann, wie es der völlige Tod oder ewiges Leben iſt? Wer kann das ent- ſcheiden?

Ich ſaß mit geſenktem Kopf und gefalteten Händen in meinem tiefen Stuhl und fühlte, wie mir das Blut mit ſchwerem Schlag durch die Adern ging bei all

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dieſen Gedanken Gedanken, die ich ſonſt in meiner Vorſtellungswelt kaum geſtreift hatte. Jetzt taten ſich mir Weiten auf, die ich nie geahnt hatte, und vor denen ich zuſammenſchauderte, ſo ſehr es mich auch ihnen nachzugehen drängte. Halb bedrückt, halb be- freit, in einem merkwürdigen Zuſtand grübelte ich ſo, während mich zuweilen ein Gefühl überkam, als brande das Leben, das Leben mit ſeinem kleinlichen Alltag, mit ſeinen täglichen Erbärmlichkeiten, tief, tief unten unter mir, und als ſtünde ich auf einer Höhe, die mich einen Ausblick gewinnen ließ weit über Leben und Sterben. Da unten lag die Straße, auf der wir alle wanderten, viel mehr, mitten in Staub und Lärm, viel ärmer an Glanz und Licht, an Erkenntnis und an Zielen, als uns in der Haſt des Wanderns bewußt ward. Was mir ſonſt groß und ſchön erſchienen, wurde nun nichtig und bedeutungslos, und was ich für klein an- geſehen und kaum beachtet hatte, begann zu wachſen. Auffaſſungen ſtürzten zuſammen, und Probleme rich- teten ſich auf, wurden größer, immer größer und ge- wannen unendliche Bedeutung. Wie ein Wechſeln und Wachſen, ein Zugrundegehen und Neuerſtehen, ein Heranbrauſen und Fortrollen, ſo brandeten vor meiner ſuchenden Seele die Wogen des Daſeins.

Und dann wieder verlor ſich völlig das Gefühl des Aufderhöheſtehens, und mir war, als hätte mich der Strudel des Lebens gepackt, als ſtände ich darin, mitten darin, und müßte mich wehren und müßte ringen, verzweifelt ringen, um nicht zu Boden geworfen zu werden. Die Vorſtellungen verwiſchten ſich, die Begriffe rannen ineinander, die Klarheit ward zur Verwirrung

Als ſchon der erſte fahle Tagesſchein durch die hohen Fenſter, durch die Spalten der ſchweren dunklen

2 Novelle von F. C. Oberg. 149

Vorhänge fiel, da erwachte ich und erkannte, daß die körperliche Müdigkeit mich übermannt hatte, daß mein heroiſcher Verſuch, durch Überlegung zur Überlegen- heit zu kommen, ſchmählich mit einem unbequemen, unerquicklichen Schlaf in dem großen Stuhl geendet hatte.

Verſtört ermunterte ich mich.

Graue Dämmerung ſchlich durch das Zimmer. Auf dem Sofatiſch in den hohen Leuchtern ſchwelten noch die niedergebrannten Kerzen. Alle Romantik war ver- flogen in dieſem Trübgrau der Morgenfrühe. Die Luft war ſchlecht, dunſtig, ſchal, widerwärtig. Ein Blick ſtreifte den Spiegel übergewaltig überkamen mich die Erinnerungen an das Geſehene, Gehörte, Gedachte. Die ſeeliſche Gedrücktheit wurde verſtärkt durch eine große phyſiſche Ermattung, eine müde Troſtloſigkeit und ein körperlicher Ekel faßten mich in verzweifeltem Aufſchluchzen brach ich zuſammen und grub den Kopf in die Polſter des Stuhls.

Das rückhaltloſe Weinen tat gut. Es war wie eine Befreiung, wie eine Wiedergewinnung meines alten Selbſts, und meines gewöhnlichen geſunden Denkens. Plötzlich war ich ſo wach, daß ich ſekundenlang ein eigenartiges Zwiebewußtſein erlangte. Ich hörte mein eigenes Weinen und konnte zugleich über dieſes Weinen lächeln.

Ich beſann mich. Valborgs Mahnungen und meine Verſprechungen fielen mir wieder ein. So durfte es nicht weitergehen.

Ich löſchte die Kerzen aus, zog die Fenſtervorhänge zurück und ſtieß eines der Fenſter weit auf. Weiche graue Nebel hingen in der Luft; es war noch Dämme rung, und zu erkennen war nicht viel.

Taufeuchte, kühle Luft drang herein.

150 Die Hand der Barbara Uth. 2

Ich ging zum Waſchtiſch und kühlte mein brennendes Geſicht durch kaltes Waſſer.

Dann ſtieg ich ſchnell, ohne mir Zeit für Sehen oder Beſinnen zu laſſen, aus den Kleidern und kroch in das große, weiche Bett.

Müde, erſchöpft, doch frei und in einem Zuſtand matter, glückſeliger Geborgenheit ſchmiegte ich mich in die Kiſſen das Gebet meiner Kindertage auf den Lippen.

ach ſchlief einige Stunden den köſtlichſten, erquiden- den traumloſen Morgenſchlaf.

Als ich erwachte, war es voller Tag, ein trüber, melancholiſcher Herbſttag.

Die monotone Melodie des Tropfenfalls, die ich im letzten leiſen Schlaf ſchon vernommen hatte, ſetzte ſich fort, unaufhörlich ſchlugen die Tropfen auf und zerſprangen praſſelnd auf dem Geſims der Fenſter es goß troſtlos.

ch beſann mich auf alles Vorgefallene erſt allmählich. Was mir da meine Erinnerung vormachen wollte, ſchien mir ungeheuerlich, wie ein unklarer, wüſter Traum lag alles hinter mir.

Erſt das Bewußtſein meiner Umgebung, der Anblick des Spiegels belehrte mich, daß ich erlebt hatte, was ich viel lieber für einen Traum angeſehen hätte.

In dieſem Augenblick vernahm ich die Schläge der alten Standuhr, und ſonderbar war es, wie dieſer Klang mir mit einem Male meine nächtliche Unter- redung mit Valborg in allen Einzelheiten urplötzlich ins Gedächtnis zurückrief. Ich zählte die Schläge der Uhr.

Neun!

Da ſchlug die Scham über ein ſo langes Schlafen

2 Novelle von F. C. Oberg. 151

alle Bedenken, alle Betrachtungen zu Boden. Wie der Wind war ich aus dem Bett und begann mich an- zukleiden.

Mit einem faſt kindlichen Eifer und in ſtürzender Eile lief ich im Zimmer herum, um möglichſt raſch fertig zu werden. Ich vergaß die Eigentümlichkeit meiner Umgebung; ich war weit entfernt auch nur von der Idee, Beobachtungen anzuſtellen ich war ganz einfach weiter nichts als ein zwanzigjähriges Mädchen, das bis zur Atemloſigkeit haſtete, in die Kleider zu kommen.

Eben wollte ich mein Haar ordnen, ich hatte es ſchon gelöſt und hielt den Kamm in der Hand, als mein Fuß ſtockte. Es gab nur einen einzigen Spiegel im Zimmer, und ohne Spiegel ging es bei mir nicht ab.

Dies war die erſte Gelegenheit, um zu erproben, ob mein Heldenmut, der in der Nacht ſo ſchmachvoll zu Träumen und Tränen geworden war, jetzt bei Tageslicht und nach dem erfriſchenden Ausſchlafen beſſer vorhielt.

Ich wollte tapfer fein, und ich ſtellte mich mitten vor den Spiegel.

Wieder ein dumpfer Schlag.

Die Uhr draußen zeigte ein Viertel nach neun an.

Das Gefühl meines verſpäteten Aufſtehens be- täubte jetzt alle Gedanken an die Erſcheinung, flink und fleißig friſierte ich an meinem braunen Schopf herum.

Ich war faft fertig und einige Schritte vom Spiegel zurückgetreten, da war's mir wieder, als ſetze mein Herzſchlag aus. Die Hand der Barbara Uth zeigte ſich deutlich im Spiegel.

Leuchtend, ſchlank, fein. So körperhaft und plaſtiſch wie nur möglich.

Ich ſtand mit ſtockendem Atem.

152 Die Hand der Barbara Uth. 0

Aber ich zwang mich zu dem, was ich mir vorge- nommen hatte. Sch betrachtete die Hand. Es war dieſelbe Haltung, und die Hand erſchien auch an der gewohnten Stelle des Spiegels.

Valborg hatte von der rechten Hand der Barbara Ath geſprochen. Ich zwang mich zu ſcharfem Über- legen. Abgeſehen von der Bißnarbe, die ich jetzt auch bemerkte, gab es keinen zwingenden Beweis dafür, daß dies eine rechte menſchliche Hand ſei. Denn und als mir dies klar wurde, fühlte ich das Grauſen wie einen körperlichen Kälteſchauer mir den Rücken entlang rinnen wer konnte ſagen, ob das, was ich ſah, das Bild einer Hand oder nur die Spiegelung einer Er- ſcheinung, die ich unmittelbar nicht zu ſehen vermochte, war? Entweder es war das Bild ſelbſt, und dann mußte es eine linke Hand ſein, oder es war ein Spiegelbild im gewöhnlichen Sinn, und dann zeigte es die rechte Hand eines Menſchen, der mir parallel ſtand.

ich fühlte, wie mir ſchon wieder vor Erregtheit das Waſſer in die Augen ſprang.

Da mit einem Schlage war die Erſcheinung verſchwunden, und ich konnte mich ſammeln, um auf meine Erwägungen zurückzukommen.

Aber irgend ein geringfügiger, vom Hausflur her mein Ohr treffender Laut erinnerte mich an meine nächſtliegende Pflicht als Gaſt, und ſo beeilte ich mich, ſo ſchwer dieſer Zwang auch wurde, völlig fertig zu werden.

Mein Verſchlafen war nicht ſo ſchlimm, wie es mir ſelbſt erſchienen war, weil Maria in dieſer Zeit auch oft erſt ſpät zum Frühſtück kam.

Heute war ſie erſt wenige Minuten vorher ins Eßzimmer gekommen.

Sie ſaß in einem großen bequemen Stuhl und ſtreckte

2 Novelle von F. C. Oberg. 153

mir mit etwas müder Freundlichkeit die Hand ent- gegen.

Jch ſchrak beim Anblick dieſer ſchlanken weißen Hand zuſammen. Es war wohl eine begreifliche Nervoſität, aber ſelbſt heute noch, nun alle jene Ereigniſſe ſchon ſo weit zurückliegen, kann ich beim Anblick ſchöner zarter Hände, die mich an die Hand der Barbara Uth erinnern, eine momentane Erregtheit nicht unter- drücken. Marias zarte ſchlanke Rechte erinnerte aber auch ganz auffallend an die ihrer Urahne.

Maria hatte mein Zuſammenzucken bemerkt und ſah mich halb verwundert, halb beſorgt an, was mir wiederum ein helles Rot ins Geſicht trieb.

„Verzeihe, liebſte Maria,“ ſagte ich, um meine Ver- legenheit zu überwinden, ‚ich ſchäme mich jo, mich verſpätet zu haben.“

Wie du ſiehſt, ſchadet es gar nichts,“ antwortete Maria. „Ich hoffe, es iſt ein Zeichen, daß du gut geſchlafen haſt. Haſt du behalten, was dir träumte? Hoffentlich etwas Angenehmes! Nur darfſt du dann nicht darüber ſprechen, ſonſt erfüllt es ſich nicht.“

Ich antwortete irgend etwas Belangloſes, während mir mit Schrecken bewußt wurde, was für Tage ich vor mir hatte. Ich würde Lügen und Liſten ohne Unterlaß erſinnen müſſen und durfte mich doch bei keiner ertappen laſſen.

So wurde es auch. Faſt kann ich ſagen: glücklicher weiſe war Varia ziemlich leidend. Sie war ſelbſt ſchweigſam und liebte ſchweigſame Geſellſchaft. Wenn fie ſprach, hatte es immer etwas Müdes und Müh- ſames.

Wir hatten unſer Frühſtück gemeinſam, faſt wort- los verzehrt; Maria ſtützte den Kopf in die Hand und ſah traurig und träumeriſch vor ſich hin.

154 Die Hand der Barbara Uth. U

„Ich habe immer ſo dumme Träume,“ klagte ſie, endlich das Schweigen brechend. „Ich weiß gar nicht, was es iſt. Ich muß immer ſuchen und ſuchen, ohne daß ich ſelbſt weiß was. Oft iſt's mir, als ſollte ich irgend etwas tun, aber ich habe nichts als dieſen quälenden Drang. Was er bedeuten ſoll, wozu ich kommen ſoll, weiß ich nicht. Es ſind ja nur Träume, nichts als Träume, aber oft, wenn ich aufwache, ſtehe ich noch ſo unter dieſem Eindruck, daß ich gar nicht davon loskommen kann und mich erſt beſinnen muß, daß ich nur geträumt habe, und in Wirklichkeit nichts verſäume, wenn ich ſtill und vernünftig lebe. Ich habe ſeit Wochen nicht mehr gut und erfriſchend ge- ſchlafen,“ fuhr ſie fort. „Immer wache ich ſo gequält und verhetzt auf und bin womöglich müder als am Abend.“ Sie weinte leiſe. „Ich weiß gar nicht, wie es werden ſoll,“ ſchluchzte ſie, ich muß es doch noch eine Zeitlang aushalten, und oft iſt mir, als wäre ich ſchon gang am Ende meiner Kraft. Sch liebe das Leben ſo ſehr, wenngleich ich faſt zum Sterben müde bin. Ich mag, o Gott nein, ich kann noch nicht ſterben! Gerhard, Gerhard! —“ Sie weinte troſtlos.

Ich verſuchte ſie zu tröſten, ihr Mut einzureden, ſie auf andere Gedanken zu bringen; aber mir war ſelbſt ſo verzagt, ſo haltlos zu Sinn, meine Gedanken wanderten beſtändig denſelben Kreis, an dem kein Anfang und kein Ende, kein Ausweg und keine Hilfe zu finden war.

Als ich Valborg ſah, erſchrak ich. Sie ſah über- nächtig, ja faſt verändert und wie um Fahre gealtert aus.

Von draußen klang melancholiſch das Fallen des Regens, das Licht war grau und trübe.

2 Novelle von F. C. Oberg. 155

Maria weinte immer noch. Sie war zu müde, um ſich beherrſchen zu können.

Mir war, als ſeien wir alle eingeſponnen in einen dunklen, traurigen, unentrinnbaren Zauber. Ein namen- loſer Groll packte mich gegen die Hand der Barbara Uth, Mir war, als ſei auch fie ſchuld an Marias Müdig- keit ich glaube, ich habe mich nicht geirrt. So ſinnlos es war ich wollte, ich mußte gegen dieſe dunkle Gewalt vorgehen! |

Sobald Maria ruhiger geworden war, verließ ich fie und ging in mein Zimmer. Ich trat dicht vor den Spiegel.

Dort ſtand ich ſtill und ſchaute erwartungsvoll in die dunkle glatte Fläche des Glaſes. So oft ich die Hand geſehen hatte, war es von dieſer Stelle aus, ein wenig rechts vom Spiegel ſo daß ich mein eigenes Bild nicht ſah geweſen.

Nun unterſuchte ich, was ſich von hier aus von der Einrichtung des Zimmers im Spiegel zeigte. Ohne ſelbſt zu wiſſen weshalb, überkam mich eine jähe Be- troffenheit: ich ſah gerade die Ecke mit dem großen Bett.

In dieſem Augenblick ſchrak ich aufs neue zuſammen.

Ich ſah die Hand der Barbara Ath klar und ſcharf vor dem Dunkel des Spiegels.

Mir war, als ſei mir das Fordernde in der Bewegung der Hand noch nie fo zum Bewußtſein gekommen als jetzt und urplötzlich erkannte ich es: Barbara Uths Hand zeigte auf das Bett.

Zugleich aber machte ich eine ſeltſame Entdeckung. Wenn ſich die Hand im Spiegel zeigte, verlor die ganze übrige Spiegelung an Deutlichkeit. Es war nicht nur, wie es mir nach den erſten unkontrollierten Eindrücken vorgekommen war, das erregte Sehen auf dieſe rätjel-

156 Die Hand der Barbara Uth. 2

hafte Erſcheinung, neben dem man alles übrige überſah oder einfach vergaß, ſondern jetzt, nun ich mich zu kühlem Beobachten, zu objektivem Betrachten zwang, bemerkte ich deutlich, daß alles übrige im Spiegel unklar und verſchwommen und gar nicht erkennbar erſchien. Ich machte einige Schritte nach links, ſo daß ich unter normalen Umſtänden mein eigenes Spiegel- bild hätte ſehen müſſen: nur ein matter, ovaler, heller Fleck ließ mich ahnen, daß er etwa die Spiegelung meines Geſichts hätte ſein können; die Umriſſe meiner dunkel gekleideten Geſtalt zerrannen, ſobald ich mir Mühe gab, ſie zu erkennen.

Die Hand der Barbara Uth aber ſtand, durch meinen veränderten Standpunkt unbeeinflußt und auch von hier das gleiche Bild bietend, hellleuchtend vor meinen Blicken. Nur als ich noch ſchärfer achtgab, erſchien es mir, als ſei die Richtung, in die ſie deutete, in die Ecke mit dem Bett, ſtets einerlei, von wo man die Erſcheinung betrachtete die gleiche.

Es war wenig Schatten auf den hellen, lebenswarm, aber weißlich getönten Flächen der Hand und des Armes die Richtung einer direkten Lichtquelle ließ ſich nicht angeben; ſie war voll beleuchtet, und die leichten Schattentöne ergaben mehr eine weiche Model- lierung als eine ſcharfe Zeichnung.

3h mußte wieder denken, was ich ſchon beim erſten Sehen empfunden hatte: Barbara Uths Hand war von ſeltener Schönheit, aber dennoch grauenvoll. Mir wurde bewußt, daß ſie trotz aller Ahnlichkeit ſo ganz anders wie Marias geliebte Hand ſei. Dieſe Hand oder richtiger, eine lebende Hand wie dieſe würde man nie lieben können, denn dieſe Hand war grauſam, unbeſchreiblich grauſam.

Und ſtärker als mein Grauen vor dem Uner-

2 Novelle von F. C. Oberg. 157 klärbaren loderte jetzt plötzlich der Haß gegen dieſe Hand, die fo viel Leid verſchuldet hatte und noch ver- ſchuldete, ja die vielleicht in jenem rätſelhaften roten Fleck das Kainszeichen einer ſchrecklichen Schuld trug, in mir auf.

In dieſem Augenblick war die Erſcheinung ver- ſchwunden fo ſchnell, fo jäh, daß mich dies Ver- ſchwinden faſt ſo erregte wie ihr plötzliches Erſcheinen. Aus dem wieder deutlich ſpiegelnden Glas ſah mir mein eigenes Geſicht entgegen totenblaß, farblos der halbgeöffnete verzerrte Mund und in den Augen ein Ausdruck von Haß und Angſt, der mich vor mir ſelbſt erbeben machte.

Erregt und erſchöpft ſetzte ich mich in den Stuhl am Fenſter.

Rieſelnd rann der Regen.

Melancholiſch, dumpf, gleichmäßig klang der Tropfen fall. Durch das aufgeſtoßene Fenſter herein zog die kühlfeuchte Regenluft, den Duft von moderndem Laub mit ſich bringend. Mir war, als könne ich faſt körperlich empfinden, wie der Niederſchlag der Luft feucht und froſtig an den Vorhängen hing.

Ich hatte den Ellbogen auf die Armlehne, den Kopf in die Hand geſtützt, und mein Blick fiel unbewußt auf meine mir im Schoße liegende Rechte.

Ih fuhr zuſammen.

Meine nervöſe Überreiztheit war fo groß, daß ſchon der Anblick irgend einer weißen Frauenhand mich erregte. Der Anblick meiner eigenen Hand quälte mich. Sch zog fie fort, mit einer Art machtloſer Bitterkeit feit- ſtellend, daß es zwecklos ſei, im Augenblick gegen meine über die Maßen empfindlichen Nerven anzukämpfen.

In meinem Kopf begannen ſchon wieder die ſelt⸗ ſamen, am Unerklätlichen rätſelnden Gedanken zu

158 Die Hand der Barbara Ath. 0

kreiſen. Vorſtellungen und Sdeenverbindungen er- wachten von neuem, die mir die Sinne taumeln zu machen drohten.

Da fiel mir wieder Valborgs Mahnung und mein Verſprechen ein.

Kurz entſchloſſen ſtand ich auf, ging aus dem Zimmer und ſuchte Beſchäftigung. Sch wollte mich meinen Gedanken nur hingeben, wenn ich mich ſtark genug fühlte, ſie kontrollieren zu können.

ich habe in jener Zeit mit Aufwand all meiner Energie meine Nerven ‚trainiert‘. Und das war nötig.

Aus der perſönlichen Erregtheit kam ich kaum heraus, und die ganze Stimmung im Hauſe war derart, daß fie wie ein dumpfer Druck auf uns allen laſtete. Und doch ſollte ich Maria weder eine erregte noch eine niedergedrückte, ſondern ja gerade eine heitere, fröhliche Genoſſin ſein. Da war es nötig, daß ich mich beherrſchen

und zuſammennehmen lernte. Zumal da ich immer

mehr ſah, wie Marias körperliches Befinden ſowohl wie ihr Gemütszuſtand mit jedem Tage beſorgnis- erregender wurden, und da der Kummer, die Aufregung und Angſt auch Valborg förmlich krank machten.

Es waren ernſte Tage für uns alle, einer fo düſter wie der andere, alle eingehüllt in das farbloſe Trübgrau regenſchwerer Novemberſtimmung; und vom Morgen bis zum Abend erklang jeden Tag immer die gleiche troftlofe Melodie vom Rauſchen und Rieſeln des ruhelos rinnenden Regens.

Nur in einer Hinſicht war es ja ganz gut, daß Maria ſo matt und intereſſelos war: den Wunſch, mein Zimmer zu ſehen, ſchien ſie ganz aufgegeben zu haben. Im übrigen wachte Valborg, daß niemand als ich und ſie das Zimmer betraten.

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2 Novelle von F. C. Oberg. 159

Die Hand ſah ich oft. Zu allen Tageszeiten. Bei Kerzenlicht, wie bei Tageslicht und in der unheimlichen Unklarheit und Halbheit der Dämmerung. Einmal auch, als ich ſpäter als ſonſt zum Schlafen ging, ſogar im matten Licht des Mondes. Das war dann wieder ſo einer von den Momenten, in denen meine Nerven mich ſchmählich im Stich ließen.

Gegen Abend hatte der Regen nachgelaſſen, es war Wind aufgekommen, der mit wilden Lauten um das Gemäuer des Seitenflügels herumfegte. Große dunkle Wolkenfetzen jagte er über den Nachthimmel, und als ich mein Fenſter ſchließen wollte, riß er mir's faſt aus der Hand. Ich weiß nicht warum ich wandte mich um und blickte in das noch nicht erleuchtete Zimmer hinter mir. Mein Blick traf den Spiegel in ihm zeigte ſich die Hand, grauſiger und fremder als je in dieſem ungewiſſen ſilbrigen Licht.

Mit bebenden Fingern riß ich die Fenſtervorhänge zu. Ich verzichtete darauf, erſt Licht zu machen, ſondern wie gehetzt und mehr ſeeliſch als körperlich erſchöpft kroch Ei in müder ZN ins Bett.

gch habe ellen gehört, daß h häufig von on derſelben Perſon und unter ähnlichen Umftänden wahrgenommene Erſcheinungen nach und nach für den Beſchauer das Grauenvolle eingebüßt haben und ihm in gewiſſer Veiſe vertraut wurden.

Das habe ich nicht empfunden. Die Hand der Barbara Ath war mir ja bekannt, bekannt in jeder Umrißlinie, aber fie iſt mir immer wieder grauſig erſchienen. Ze öfter ich ſie ſah, deſto dringender, ja quälender empfand ich das Fordernde in der Bewegung. Abgeſehen davon, daß das Unfaßbare, Unerklärbare in der Erſcheinung mich immer wieder bis zum Übermaß erregte, begann

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der Befehl, dieſe wortloſe, mir unverſtändliche For- derung in der Bewegung der Hand mich grenzenlos zu peinigen.

Es war für mich auch ſo ſchrecklich, daß ich ſo viel wie nichts über Barbara Uth wußte. Ein paar armſelige Daten und Namen und die Nachricht, daß ſie ſo ſchön und ſo ſtolz geweſen ſei das war alles. Ihr Ausſehen, ihr Charakter, ihres Lebens Erlebniſſe alles waren Dinge, die ich trotz allen Grübelns nie wiſſen, erkennen und ſehen würde. In welcher Beziehung ſtand ſie zu dieſem Hauſe? Welcher Wunſch, welche Schuld ketteten ſie an dies Zimmer? Hatte ſie gelebt in dem Bewußtſein einer Schuld, das um ſo grauenvoller, wuchtiger und lebensgewaltiger wurde, je näher der Tod ihr kam?

ich zergrübelte mir faſt den Kopf und fand doch nirgends Aufſchluß.

Nach meinem Sinn wäre es geweſen, das Zimmer, ja das ganze Haus von oben bis unten aufs gründ- lichſte nach einem Anhalt zu unterſuchen, der ſich ja doch unbedingt finden laſſen mußte. Aber natürlich ſtieß ich mit ſolchen Plänen auf harten und unter den gegebenen Umſtänden auch berechtigten Wider- ſtand bei Valborg.

Ich beharrte aber eigenſinnig darauf, ich begriffe nicht, warum man denn ſolche Unterſuchung nicht früher, etwa vor Gerhard Baerings Verheiratung, vorgenommen habe.

Valborg zuckte die Achſeln; ſie ſagte, daß man wohl lieber darauf verzichtet habe, um nicht in die Gefahr zu kommen, auf dieſe Weiſe das Geheimnis einmal unvermutet preisgegeben zu ſehen.

So ſind die Menſchen! dachte ich erbittert. Sie gehen den Dingen feige aus dem Weg, ſtatt ſich gegen ſie zu wehren, und ſchließlich iſt es ihre Schuld, wenn

2 Novelle von F. C. Oberg. 161

die Sache bleibt, wie ſie war, und fortgeſetzt Unheil bringt.

Valborg erzählte mir, daß Gerhard mit Marja, ſeit

er wußte, daß ſie Mutter werden würde, auf Reiſen habe gehen wollen weit fort und für lange. Aber Maria habe ſich energiſch gegen den Gedanken gewehrt, und ſo ſei alles beim alten geblieben, und man habe in all der Zeit auf nichts weiter ängſtlich achtgehabt, als daß der Zugang zu dem Seitenflügel dauernd feſt verſchloſſen ſei. VAls ob das Unheil Türen brauchte!“ ſtieß ich bebend vor Unwillen und Erregung heraus. „Was denken Sie denn von Marias Zuſtand, Valborg? Wenn alles normal zugänge, dann wäre Marias Gemütsverfaſſung und demzufolge ihr körperliches Befinden ſicher nicht ſo arg herunter. Was Maria durchmacht, iſt doch keine Krankheit es iſt doch im Gegenteil die Höhe des Lebens, das Wundervollſte, was eine geſunde Frau erleben kann. Wenn ſie auch in der letzten Zeit körperlich zu leiden hat, ſo könnte das nie und nimmer ihr Gemüt ſo furchtbar beeinfluſſen und fo völlig jedes doch wahrlich allzu natürliche Glücksgefühl töten. Zch kenne doch meine Maria und weiß, was ihrer Gemütsveranlagung nach am natürlichſten wäre. Die Maria, die ich hier gefunden habe, iſt mir oft wie eine Fremde. Etwas Weſenloſes, Ungreifbares quält fie, eine gegenſtandsloſe Angſt hetzt ſie von Tag zu Tag und macht ihr die Nacht noch qualvoller als die Tage.“

Mit wachſendem Erſchrecken hatte Valborg meinen erregt hervorgeſprudelten Worten zugehört. Jetzt ſtürzten die Tränen unaufhaltſam über ihr altes Ge— ſicht, und mir ward plötzlich klar, daß es unbedacht und rückſichtslos von mir geweſen war, der guten Frau all meine Vermutungen mitzuteilen.

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162 Die Hand der Barbara Uth. a

„Ich fürchte, ich fange an, Zuſammenhänge zu erraten, die ich bisher nicht ahnte,“ ſagte Valborg unter Tränen. „Vielleicht iſt Frau Marias feſtes

Beſtehen auf dem Hierbleiben, das ſie allen ihrem Mann und dem Arzt zum Trotz durchzuſetzen wußte, noch mehr als ein freilich begreiflicher Wunſch

Sie hielt zögernd und in trauriges Grübeln ver- loren inne.

„Vermutungen nichts als Vermutungen!“ ſagte ich bitter vor mich hin. Ich hatte das Gefühl, daß die Rätfel, ftatt ſich zu löſen, uns nur immer feſter um— ſpannten.

Dieſe Unterredung war am fünften Tage nach meiner Ankunft.

Unten im Erdgeſchoß wurde eifrig gearbeitet, aber immerhin war doch keine Ausſicht, daß eines der beiden großen Fremdenzimmer vor Ablauf einer Woche wieder bewohnbar ſein würde. So lebte ich denn ganz im erſten Stock und fo viel wie möglich in Marias Gefell- ſchaft.

Maria ſaß oder lag viel am Fenſter ihres kleinen, nach hinten und neben dem Schlafzimmer gelegenen Zimmers. |

Die großen vorderen Räume waren ihr in ihrer müden Ruheloſigkeit zu weit.

Von dieſem Fenſter aus ſah man in den kleinen, altınodifh angelegten Grasgarten, der aber jetzt in der trüben, regenſchweren Spätherbſtſtimmung wenig Anziehendes beſaß.

Die Schwere der Naturſtimmung und der Stimmung im Hauſe laſtete auf uns allen, und ich ertappte mich zuweilen auf einem Gefühl, das faſt ſo etwas wie die Sehnſucht nach einer erlöſenden Kataſtrophe war.

Ich wußte nicht, wie bald alles ſich ändern ſollte.

11 Novelle von F. C. Oberg. 165

An dieſem Abend wollte Maria früh zur Ruhe gehen. Wir hatten zuſammen an dem auch bei der Lampe ſehr gemütlich hergerichteten Fenſterplatz ge- ſeſſen, und es war mir endlich gelungen, Maria etwas heiterer zu ſtimmen.

Sie behauptete nun faſt fröhlich, tatſächlich einmal in geſunder Weiſe rechtſchaffen müde zu ſein, und wollte dieſe Chance benützen, um ſich, wie ſie ſich ausdrückte, etwas ordentlichen Schlaf zu ſtehlen.

Sie ſtand aufgerichtet; ihr liebes Geſicht, das in feiner zarten Bläſſe nur noch holder war und die Schön- heit ihrer großen dunklen Augen zu heben ſchien, war vom gedämpften Licht der Lampe matt übergoſſen und erſchien mir zum erſten Male mit einem Aus- druck von ſtillem Glückshoffen hinreißend, rührend ſchön.

Mit Innigkeit küßte ich ſie. Sie ſchlang ihre beiden Arme um mich, ſo feſt, als wolle ſie mich gar nicht laſſen. Ich hatte das Gefühl, daß ſie mir etwas ſagen wolle.

Aber ſie ſchwieg, und ich ging von ihr, ſchon wieder ganz in Sinnen und Sorgen eingeſponnen.

Mechaniſch zündete ich in meinem Zimmer die

Kerzen an. | | Ich fette mich grübelnd in einen der großen Stühle. Ich war nicht müde genug, um ſogleich zu Bett zu gehen, und wieder zu müde, um noch etwas Beſtimmtes vornehmen zu mögen.

Wie lange ich fo geſeſſen habe, weiß ich nicht es mögen Stunden verronnen ſein.

ch mied den Spiegel, ich ſaß, ihm den Rücken kehrend, und meine Gedanken 1 und kreiſten.

Plötzlich ſchrak ich namenlos zuſammen.

164 Die Hand der Barbara Uth. 2

Ohne daß ich den geringſten Laut gehört hatte, ſchob ſich plötzlich eine ſchlanke weiße Hand von hinten her über meine Schulter.

Sh fuhr herum, und der Schrecken, den ich nun empfand, war womöglich noch tiefer. Hinter mir ſtand Maria in ihrem weißen Nachtkleid, das ſchwere dunkle Haar niederhängend, das blaſſe Geſicht erhoben faſt wie eine Erſcheinung.

„Maria!“ ſtieß ich in grenzenloſer Beſtürzung heraus, während mir voll Angſt bewußt wurde, daß ich an dieſem Abend vergeſſen haben mußte, meine Tür zu ver— ſchließen. i

„Verzeihe mir, wenn ich dich erſchreckt habe,“ ſagte Marias liebe Stimme, die ſo ſeltſam traurig, haſtig und verhetzt klang. „Aber heute wußte ich mir wirklich nicht mehr zu helfen. Ob ich geſchlafen habe, weiß ich nicht die Angſt, dieſe grauenvolle Angſt, daß ich etwas ver- ſäume, und ich weiß doch nicht was, hat mich bis zur Sinnloſigkeit gemartert. Zch verliere den Verſtand, wenn das jo weiter geht —‘

„Maria,“ ſagte ich ſanft, doch ſehr beſtimmt, indem ich meinen Arm um fie ſchlang, „komm, wir wollen in dein Zimmer gehen.“

Aber Maria wehrte ſich mit befremdlicher Energie. „Nein, nein! Sch halte es nicht mehr aus, ich halte es nicht mehr aus!“ ſagte ſie faſt weinend und einige Schritte ins Zimmer hinein machend.

„Maria!“ ſchrie ich auf.

Sie ſtand gerade eben rechts vor dem Spiegel, das Geſicht ihm zugewandt, und ich fühlte, wie die Angſt in glühenden Stößen über mich herjagte.

Es war zu ſpät.

Die Hand der Barbara Uth erſchien im Spiegel, weiß, deutlich, fordernd und grauſam.

2 Novelle von F. C. Oberg. 165

Marias Kopf fuhr herum, ihre überweit geöffneten Augen ſuchten nach dem Original der Hand im Spiegel, und als ſie es nicht fand, ſtarrte ſie in ſtummem Entſetzen von neuem auf die Erſcheinung.

Ich war ſekundenlang wie gelähmt. Ohne eingreifen zu können, ſah ich Marias blutloſes Geſicht von der Seite mit dem Ausdruck namenloſen Grauens.

Da ſchrie ſie auf, oder eigentlich war es nur mehr ein Stöhnen, ein Laut, der Unendliches an Angſt und übergroßer Not auszudrücken ſchien und den ich nie werde vergeſſen können. Marias Geſtalt wankte, ſie ſchien zu fallen. |

Da kam endlich wieder Leben in mich. Zch ſprang zu und fing Maria auf. Sie war ohnmächtig. An das, was nun kam, habe ich keine klare Erinnerung mehr. Ich bin wohl ſelbſt halb bewußtlos geweſen.

Was ich weiß, iſt, daß zuerſt Valborg kam, daß ſich dann das Zimmer ſchnell mit Menſchen füllte. Der Arzt kam auch. Alle waren mit oder für Maria beſchäftigt, die man in mein Bett hatte bringen müſſen.

Nie iſt ſo viel Angſt, Sorge und Erregung bei der Geburt eines Kindes geweſen, als nun, da Maria um das Leben ihres erſten Sohnes litt.

Ich ſelbſt lehnte in halber Betäubung an einem der Fenſter. Eine begreifliche Scheu und das Gefühl, gar nicht von Nutzen und darum nur überflüſſig und hindernd zu ſein, hielt mich von Maria fern. Niemand hatte acht auf mich, ſelbſt Valborg nicht, die blaß und wortkarg, bei all ihrer niedergezwungenen Erregtheit aber mit Sicherheit und Entſchloſſenheit dem Arzt zur Hand ging und von den Mädchen das Nötige in ruhiger Weiſe forderte.

Aber ich hatte auch eine Aufgabe, das fühlte ich deutlich, und ich war dankbar, ſie ſo ohne Aufſehen

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erfüllen zu können. Mein Platz war dem Spiegel ſchräg gegenüber, und ich beobachtete ihn ſcharf. Ich hatte das inſtinktive und untrügliche Gefühl, daß alle dieſe Vorgänge kein Spiel des Zufalls ſein konnten es war das Ende einer langen Kette, einer Kataſtrophe, vielleicht einer befreienden.

And was ich dann ſah, war nicht ein Spiel meiner er- regten Nerven, nicht ein aus unklaren und unzufammen-. hängenden Erinnerungenzuſammengedichtetes Märchen.

Denn ſobald die Hand wie ich es erwartete im Spiegel erſchien, fühlte ich eine Art Verantwort— lichkeit auf mir laſten, die mir meine Ruhe und Beobach- tungsfähigkeit wieder ganz zurückgab.

Immer wieder erſchien die Hand, länger als ſonſt und ſo klar wie möglich, aber ich war die einzige, die es ſah. Alle anderen waren zu eifrig beſchäftigt.

Mit einem Male empfand ich es wie etwas Selbſt— verſtändliches, daß die Hand dorthin zeigte, wo der Arzt und Valborg in heißer Sorge um zwei Leben an Marias Bett ſtanden.

Dreimal kam und ging die Erſcheinung in gewohnter Meife, das heißt ſie erſchien jo urplötzlich, wie fie verſchwand. Nur daß ſie länger ſichtbar war als ſonſt und ſich zugleich ſo ſchnell von neuem zeigte, war ungewohnt und ſeltſam.

Jetzt erſchien ſie zum vierten Male, wie immer ſchlank, ſchön, grauſig.

Meine Augen folgten ihren Linien, den mir ſo wohlbekannten Formen, den ſchlanken, leicht gebogenen Fingern mit den roſigen, gewölbten Nägeln. Am vierten Finger leuchtete der rätſelhafte ‚geronnene Blutstropfen“, deſſen Faſſung und Reif auch ich nie hatte ſehen können. Was aber war mit dieſem roten Stein? Ließ er plötzlich ab, in ſeinem tief—

2 Novelle von F. C. Oberg. 167

dunklen ſatten Rot zu leuchten? Ich trat näher hin- zu. Wahrhaftig das rote Mal wurde zuſehends matter, es war kaum mehr ſichtbar. Der letzte rote Schein verlöſchte vor meinen Augen.

Wenige Sekunden ſpäter ſah ich die mir jo wohl- bekannte Hand der Barbara Uth gänzlich ohne jenes ſeltſame Merkmal am vierten Finger. Das war vor meinen Augen langſam zerronnen, und der vierte Finger unterſchied ſich durch nichts von den übrigen ſchlanken weißen Gliedern der Hand.

Einige Herzſchläge lang ſah ich die Hand fo feſt und klar wie je nur ohne jenes rote Zeichen. Dann ſchien mir auch die Hand ſelbſt nicht mehr ſo deutlich.

Erregt ging ich einige Schritte näher, und von neuem faßte mich unheimliches Staunen. Die Hand, deren Lebendigkeit und Plaſtik mich ſo oft gepackt hatte, ſah ich jetzt nur wie durch einen zarten Schleier, im ganzen wohl erkennbar, doch im einzelnen leiſe verwiſcht.

Bebend vor Spannung ging ich noch näher. Immer undeutlicher ſah ich die Hand. Zuletzt hing's ſekunden- lang noch wie ein zarter Hauch über dem Glas des Spiegels. Matt, ganz matt in ihrer charakteriſtiſchen Form erkennbar, aber verrinnend, verblaſſend ſah ich die Hand. Sie war kaum wahrnehmbar. Doch ich vermochte ſie noch zu ſehen. Nein, nun nicht mehr alles war verlöſcht, verſchwunden, der Spiegel ſelbſt hing wie immer glatt, hell, mit gleißenden, blitzenden, durch die Kerzenflammen geweckten Lichtern in der Facettierung und im Rahmen vor mir.

In dieſem Augenblick wurden meine beiden Hände gepackt. Valborg ftand vor mir und ſagte mit einer Stimme, die vor Bewegung ſchwankte: ‚Es iſt ein Sohn! Es iſt ein Sohn! Und für Mutter und Kind iſt alles aufs beſte verlaufen!“

168 Die Hand der Barbara Uth. 2 War ich nicht mehr aufnahmefähig oder erſchien

mir dieſe Glücksbotſchaft nun mit einem Male ganz

natürlich ich war ganz ſtill, ruhig und glücklich.

„Barbara Uths Hand iſt verlöſcht,“ ſagte ich nur.

Valborg ſtarrte betroffen in den Spiegel. Der ſpiegelte unbefangen und getreu wie jedes andere harmloſe Spiegelglas, was vor ihm war, und zeigte uns beiden jetzt zwei Geſichter, ein altes und ein junges, beide blaß, aber beide glücklich.

‚Die Hand der Barbara Uth wird man wohl nie wiederſehen,“ ſagte ich ernſt und beſtimmt.

Und ich habe recht behalten.

Maria genas ſchnell. Das Kind war, obgleich etwas zu früh geboren, kräftig und geſund, und es war, als ſei nie ein dunkles Geheimnis über dem alten Hauſe geweſen, ſo völlig war der Bann gebrochen.

Die Hand hat kein Menſch mehr geſehen, und das Zimmer mit dem Spiegel hat nicht mehr verſchloſſen werden müſſen, um ein düſteres Rätſel zu hüten.

Das Geſchlecht der Baerings ſteht jetzt nicht mehr nur auf zwei, ſondern auf acht jungen hellen Augen, und all dies junge Leben iſt wohl mehr als ſonſt etwas danach angetan geweſen, alte düſtere Geſchichten ver- geſſen zu machen.

Julius, Gerhard Baerings älteſter Sohn, iſt jetzt ſchon zweiundzwanzig Jahre alt. Von ihm, der die Geſchichte ſeiner Geburt natürlich längſt kennt, iſt der Brief, den ich heute morgen erhielt und der mit einem Schlage Licht in das letzte Dunkel wirft.

Er iſt knapp gehalten und teilt nur Hauptſachen, keine Einzelheiten mit. Darum kann ich Ihnen auch des Nätjels Löſung nur in großen Zügen geben. Auf dem Grundſtück neben dem Baeringſchen Hauſe wird gebaut, und durch die Rammarbeiten hat ſich der alte

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Seitenflügel geſenkt, ſo daß man ihn hat niederreißen müſſen. Beim Abbruch nun hat man in einer vielleicht ſeit Jahrhunderten unentdeckt gebliebenen Wandniſche auf dem Boden eine Anzahl alter Bücher aus der letzten Hälfte des ſiebzehnten und aus dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts gefunden, unter anderen eine Bibel, die aus weit wichtigeren Gründen als wegen ihres Alters das Intereſſe der Baerings feſſelte. Sie trägt die Jahreszahl 1702 und war der Inſchrift nach Eigentum des Herrn Auguſt Julius Baering, ihm geſchenkt nach letztwilliger Beſtimmung aus dem Nach- laſſe der im Preußiſchen verſtorbenen Barbara Entling, der geborenen Uth.

Alle Bücher ſind arg verſtaubt und mit Schimmel überzogen geweſen, und als man ſie die Bibel natürlich zuerſt zu reinigen begann, hat ſich deren Einbanddecke gelöſt, und man hat darin ein langes Handſchreiben von Barbara Ath an Auguſt Julius Baering gefunden, deſſen Inhalt in erſchütternder Weiſe alle Lücken in den Zuſammenhängen ausfüllt.

Der Brief iſt in leidenſchaftlichen, packenden Aus- drücken ein Schuld- und Liebesbekenntnis Barbara Aths. Sie hat Auguſt Julius Baering namenlos ge- - liebt ohne Erwiderung zu finden, und für ihren Stolz iſt es ein tödlicher Schlag geweſen, als Auguſt Julius, obgleich Barbara ihn nun ihre Liebe zu ihın hatte wiſſen laſſen, ſich mit einem holden Mädchen, das er liebte, verheiratete. Dieſe Eliſabeth Baering iſt plötzlich nach ſcheinbar gutem Befinden kurz vor der Geburt ihres erſten Kindes geſtorben. Erſt Jahre darauf hat Barbara Ath mit ihrem Manne, dem Magiſter Chriſtoph Rochus Entling, die Heimat für immer verlaſſen unter dem Bewußtſein einer entſetzlichen Doppelſchuld. Sie hat Eliſabeth Baering

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ermordet vergiftet wohl, da bei der Todesurſache niemals an ein Verbrechen gedacht worden iſt. Barbara Uth hat ſtolz und aufrecht gelebt, in Kraft und Schön- heit, und ſie iſt geſtorben, ohne je irgend jemand anders als dieſem ſo ſorgſam verborgenen Briefe ihre Schuld zu verraten. Ihr heißeſter Wunſch aber iſt geweſen jo meldete der Brief daß einſt ein Weib aus ihrein Geſchlecht den Platz einnehmen möge, um den ſie in ſo große Sünde geriet. Wenn dieſe dann ihrem Manne das erſte Kind an jener Stelle ſchenken werde, an der Barbara Uth Eliſabeth Baerings Leben und das ihres Kindes vernichtete dann werde das eine Sühne für Barbaras Schuld fein.“

Fräulein v. Caub ſchwieg erſchöpft. Es war ganz, ganz ſtill in dem ſchon lange völlig dunklen Raum. Durch die großen Verandafenſter ſah man die Baum- wipfel aus dem Garten wie regungsloſe tiefdunkle Silhouetten gegen den metalliſch glänzenden Abend— himmel ragen. Einzelne Sterne zogen ihre ſtille Straße.

„Haben Sie Dank, vielen Dank, liebes Fräulein v. Caub,“ ſagte die Hausfrau gepreßt.

Dann ließ ſie kurz entſchloſſen das elektriſche Licht aufflammen.

Wir ſaßen alle und zwinkerten mit den Augen.

„Vir müſſen uns erſt wieder an das Helle gewöhnen,“ ſagte irgend jemand.

Hinter Gitterfenſtern.

Von M. Elsner.

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Mit 11 Bildern. Nachdruck verboten.) Di! Freiheitsentziehung als Strafmittel für be-

gangene Verbrechen oder Vergehen iſt eine Ein- richtung, die weder das Altertum noch das Mittel- alter kannten. Unterſuchungs- und Schuldgefängniſſe freilich gab es auch ſchon bei den Alten; der überführte Verbrecher aber, ſofern er nicht in mehr oder weniger barbariſcher Weiſe an Leib und Leben geſtraft wurde, ſühnte ſeine Schuld zumeiſt durch Sklaverei, Geld oder Verbannung. Auch die drakoniſche Juſtiz des Mittel- alters konnte meiſt der Strafgefängniſſe entraten. Auf die Mehrzahl der Verbrechen gegen Perſon und Eigen- tum des Nächſten ſtand der Tod, und Vergehungen von minderer Schwere wurden in der Regel durch körper- liche Züchtigung geahndet. In ſüdlichen Ländern gab es daneben auch die Galeerenſtrafe, das heißt die Verwendung von Verbrechern für das Rudern von Schiffen. Eine Nachahmung dieſer Strafart war es, als man im nördlichen Europa für nicht todeswürdige Verfehlungen die, Ketten- und Karrenſtrafe einführte, indem man die gefeſſelten Miſſetäter zur Arbeit an Feſtungs- und Wegebauten zwang. Hierin und in der Einrichtung von Zucht- oder Beſſerungshäuſern für Landſtreicher, Bettler und anderes fahrendes Volk ſind die Anfänge des modernen Gefängnisweſens zu

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ſuchen, deſſen von vielen Seiten begehrte Umgeltaltung gerade jetzt wieder eine ſehr lebhaft umſtrittene Frage bildet.

Noch in den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts war in faſt allen europäiſchen Ländern

Photo: Bulbeck.

Ein Gefaͤngniskorridor.

die Beſchaffenheit der Strafgefängniſſe und die Be- handlung der unglücklichen Gefangenen eine allen Geboten der Menſchlichkeit hohnſprechende. Schriften wie die des Engländers Howard entwerfen wahrhaft erſchütternde Bilder von Roheit und Unverſtand auf der einen wie von entſetzlichem Elend und namenloſem Sammer auf der anderen Seite, und es iſt nicht daran zu zweifeln, daß überdies die ſchlimmſten der hinter verſchwiegenen Kerkermauern verübten Greuel der

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Offentlichkeit verborgen blieben. Zu den kulturellen Errungenſchaften des neunzehnten Jahrhunderts iſt alſo auch die Reform des Gefängnisweſens zu zählen, die allerdings nicht mit einem Schlage, ſondern nur Schritt für Schritt unter dem ſtarken Oruck der öffent- lichen Meinung erfolgte, und die ſelbſt bis zum heutigen Tage noch nicht mit allen Übelftänden hat aufräumen können. n

Die Entziehung der Freiheit auf kürzere oder längere Dauer iſt heute in allen Kulturſtaaten das Hauptitraf- mittel, welches das Kriminalrecht kennt, und die für die Bemeſſung dieſer Strafe je nach der Schwere und Gemeingefährlichkeit der Verfehlung geltenden Grund-

Photo: Bulbeck. Das Scheren neu eingelieferter Straͤflinge.

ſätze weichen bei den einzelnen Völkern nur wenig voneinander ab. Viel größer aber find die Verſchieden⸗ heiten im Vollzuge der erkannten Freiheitsſtrafen, denn von den mancherlei Syſtemen, die ſich namentlich im Lauf der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete des

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Gefängnisweſens herausgebildet haben, konnte bisher kein einziges den einmütigen Beifall der Kriminaliſten, der Gefängnisſachverſtändigen und der Philanthropen gewinnen.

Das deutſche Strafgeſetzbuch unterſcheidet bekannt—

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N bote: Bulbed. | Feſtſtellung des Koͤrpergewichts bei der Aufnahme.

lich vier verſchiedene Arten von Freiheitsſtrafen, die Zuchthausſtrafe für ſchwere und ſchwerſte Vergehungen, die Gefängnisſtrafe, die Feſtungshaft und für Über- tretungen leichteſter Art die einfache Haft, bei der die bloße Freiheitsentziehung ohne alle erſchwerenden Zutaten den ganzen Inbegriff der Strafe ausmacht.

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Die Verurteilung zum Zuchthauſe kann auf Lebens- dauer oder auf beſchränkte Zeit erfolgen. Die Strafe iſt mit Arbeitszwang verbunden, und die Sträflinge können nach dem Ermeſſen der Verwaltung, unab— hängig von ihrem eigenen Willen, ſowohl innerhalb wie außerhalb der Anſtalt beſchäftigt werden.

Die Dauer der Gefängnisſtrafe, die über einen Schuldigbefundenen verhängt werden kann, wechſelt

Photo: Bulbecd. Neu eingelieferten Straͤflingen wird die Hausordnung vorgeleſen.

nach den Beſtimmungen des Reichsſtrafgeſetzbuches zwiſchen eintägiger bis fünfjähriger Dauer. Die Ver— urteilten können nach dem Ermeſſen der vollitreden- den Behörde und müſſen auf ihr Verlangen in einer ihren Fähigkeiten entſprechenden Weiſe beſchäftigt werden. Eine Verwendung außerhalb der Anſtalt darf jedoch nur mit ihrer ausdrücklichen Zuſtimmung erfolgen. |

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Die Feſtungshaft beſteht in Freiheitsentziehung mit Beaufſichtigung der Beſchäftigung und der Lebens- weiſe des Verurteilten. Ihre Verbüßung braucht aber nicht notwendig in Feſtungen zu geſchehen, ſondern kann auch in Gefängniſſen oder anderen von der Voll- ſtreckungsbehörde beſtimmten Ortlichkeit erfolgen. Am meiften umſtritten iſt aus naheliegenden Grün- den das zweckmäßigſte Syſtem für den Vollzug der Zuchthausſtrafen, denn abgeſehen davon, daß es ſich hier um die Behandlung von Leuten handelt, die nach der Art ihrer Verfehlungen mit verhältnismäßig we- nigen Ausnahmen als beſonders gefährliche Feinde der geſellſchaftlichen Ordnung angeſehen werden müſſen, zwingt auch ſchon der Umſtand, daß die meiſten einen Lebensabſchnitt von beträchtlicher Dauer hinter den Mauern des Zuchthauſes zuzubringen haben, zu ernſteſter Erwägung der Frage, wie einer vom Straf- geſetz ſelbſtverſtändlich nicht beabſichtigten gejundheit- lichen oder moraliſchen Schädigung der Sträflinge vor- zubeugen iſt.

Eine einheitliche, von allen oder den meiſten Staaten anerkannte Norm hat dafür, wie ſchon er- wähnt, bisher nicht gefunden werden können. Von der urſprünglichen Gepflogenheit, alle Verbrecher ohne Anterſchied zuſammenzuſperren, iſt man freilich längſt abgekommen, aber die Frage, ob dem nach beſtimmten Geſichtspunkten geregelten Gemeinſchafts- oder dem Iſolierſyſtem der Vorzug zu geben ſei, iſt noch ungelöſt.

Beide Arten der Strafvollſtreckung haben unzweifel- haft ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Die in einigen deutſchen Zuchthäuſern ſtreng durchgeführte Iſolierhaft, bei der kein Gefangener den anderen ſehen darf, kann inſofern von günſtiger Wirkung fein, als die Einfam- keit den Verbrecher leichter zu reuiger Einkehr bewegt,

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und der ausſchließliche, ungeſtörte Umgang mit dem Beamtenperſonal und dem Seelſorger bei angemeſſener Behandlung beſſere und fruchtbringendere Eindrücke hinterläßt als die Geſellſchaft von in der Mehrheit moraliſch ſehr tief ſtehenden Genoſſen. Anderſeits ſind der Anwendung des gſolierſyſtems gewiſſe Schran- ken gezogen durch den Umſtand, daß fie von jugend- lichen, kränklichen und nervös reizbaren Perſonen nur unter ſchweren Nachteilen für ihre geiſtige und körper-

Photo: Bulbeck.

In der Backſtube.

liche Geſundheit ertragen wird, und daß ſelbſt wider- ſtandsfähige Naturen, auch wenn ſie im Anfang mit ihrer Abſonderung durchaus einverſtanden waren, nach Ablauf einer längeren Zeit unter der bis an die äußerſte Grenze des Möglichen durchgeführten Iſolierung ſchwer zu leiden pflegen.

Das Königreich Belgien dürfte denn auch der ein- zige Staat in Europa ſein, der ganz allgemein und für alle Strafarten von dem Zellenſyſtem Gebrauch macht, mit der einzigen Einſchränkung, daß die Sfolie-

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rung einen Zeitraum von zehn Fahren nicht über- ſchreiten darf.

Viel mehr Fürſprecher findet im allgemeinen das mit dem Schweigegebot verbundene Gemeinſchaftsſyſtem, deſſen erſte Vorausſetzung allerdings eine ſorgfältige Verteilung der Gefangenen nach Geſchlecht und Alter, Art des Verbrechens, Bildung, körperlicher Leiſtungs- fähigkeit und ſo weiter bildet. In der Schwierigkeit einer ſolchen Verteilung liegen die hauptſächlichſten Nachteile dieſes Syſtems. Auch iſt das Sprechverbot bei gemeinſamer Beſchäftigung an und für ſich etwas jo Unnatürliches, daß es ſtändige Zuwiderhandlungen und damit eine übergroße Zahl von Diſziplinarſtrafen notwendig immer im Gefolge haben muß.

Immerhin ſind es heutzutage noch die meiſten Strafanſtalten, die ſich dieſes Syſtems bedienen, und die große Verſchiedenheit der erzielten Refultate erklärt ſich wohl vornehmlich aus der größeren oder geringeren Eignung der leitenden Perſönlichkeiten für die An— forderungen ihres ſo überaus ſchwierigen und verant— wortungsvollen Amtes.

Als eines der beſten Zuchthäuſer gilt das von Wormwood-Scrubbs im Nordweſten Londons, und an der Hand einer Anzahl von wohlgelungenen Auf— nahmen gewähren wir darum unſeren Leſern einen Einblick in das dem Auge der Öffentlichkeit ſonſt ent- zogene Innenleben dieſer Strafanſtalt.

Eine mit der unerläßlichen Strenge ſehr wohl ver- einbare Humanität iſt der oberſte Grundſatz für die Be- handlung der Sträflinge von Wormwood - Scrubbs. Sie widmet dem leiblichen Wohlbefinden der Gefangenen eine beſondere Sorgfalt. Jeder von ihnen wird bei der Einlieferung, nachdem er von anderen Sträflingen geſchoren und rafiert und mit der Gefängniskleidung

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verſehen iſt, einer ſorgfältigen ärztlichen Unterfuchung unterzogen. Auch ſein Körpergewicht wird feſtgeſtellt, um in gewiſſen Zwiſchenräumen durch erneute Wä- gungen nachgeprüft zu werden. Da ergibt ſich denn allerdings faſt ausnahmslos eine ſehr beträchtliche Ab- nahme, der vorzubeugen bisher nicht gelungen iſt, obwohl die Ernährung abgeſehen von dem ſehr empfindlichen Mangel an grünen Gemüſen eine unzulängliche kaum genannt werden kann.

Die Gefangenen erhalten morgens einen Napf voll Haferſchleim und ein ausgiebiges Stück guten Brotes, Mittags Fleiſch, Kartoffeln und Brot und abends Brot und Kakao, ſind alſo beſſer verſorgt, als ſich's in London eine große Anzahl freier Arbeiter zu leiſten vermag.

Die hellen und luftigen Zellen, in denen die Sträf- linge während der Nacht iſoliert werden, liegen an langen Korridoren, die ſo in den Stockwerken verteilt ſind, daß von einem Punkte aus die Zellentüren ſämtlicher Stockwerke gleichzeitig überſehen und beob- achtet werden können. Den Zugang vermitteln eiſerne Galerien, die vor den Zellentüren hinlaufen. Da in Strafanſtalten von dieſer Bauart die Gefangenen ſehr geneigt ſind, Selbſtmordverſuche durch Hinabſtürzen in die Tiefe zu unternehmen, wenn ſie über dieſe Galerien geführt werden, hat man in der Höhe der einzelnen Stockwerke Drahtnetze ausgeſpannt, die Ver- letzungen ernſterer Natur bei einem Herabſtürzen faſt unmöglich machen.

Wie in allen Strafanſtalten, werden die Häftlinge auch hier zu ſtändiger Arbeit angehalten, und es ſind je nach ihrer Leiſtungsfähigkeit und Vorbildung die verſchiedenartigſten Beſchäftigungen, denen ſie ſich unterziehen müſſen. Einer beſonderen Beliebtheit bei

2 Von M. Eisner. 183

den Gefangenen erfreut ſich die Schneiderei, einmal, weil ſie an den Körper keine zu hohen Anforderungen ſtellt, vornehmlich aber, weil ſie nach der Verſicherung der Sträflinge beſſer als jede andere Tätigkeit geeignet iſt, die Gedanken zu beſchäftigen und von unerfreu- lichen Betrachtungen abzulenken.

Photo: Bulbeck.

Straͤflinge in der Kirche.

Geradezu als eine Vergünſtigung jedoch wird die Beſchäftigung in der Backſtube oder in der Küche an— geſehen, ſchon deshalb, weil das Schweigegebot hier nicht mit derſelben Strenge durchgeführt wird wie in den Werkſtätten. Ein beſtimmtes tägliches Arbeits- penſum iſt überall für den einzelnen vorgeſehen. Von dem, was er über dieſes allerdings nicht ſehr knapp bemeſſene Penſum hinaus leiſtet, fließt ihm ein

184 Hinter Gitterfenſtern. 2

Verdienſtanteil zu, der ihm bei der Entlaſſung aus- gehändigt wird, den er aber teilweiſe auch zur Ver- beſſerung ſeiner Koſt durch allerlei außergewöhnliche Zutaten, ſowie zur Beſchaffung von Schnupftabak verwenden darf. f

Die Beſtimmungen der Hausordnung, die allen neu eingelieferten Sträflingen vorgeleſen wird, wobei ſie behufs beſſeren Aufmerkens ihr Geſicht nicht dem vorleſenden Beamten, ſondern der Wand zukehren müſſen, ſind naturgemäß ſehr ſtreng und mit einer nicht geringen Zahl von Strafandrohungen geſpickt. Die Diſziplinarmittel beſtehen ebenſo wie in den feit- ländiſchen Zuchthäuſern in Dunkelarreſt und zeit- weiliger Herabſetzung der Beköſtigung auf Waſſer und Brot. Grobe Widerſetzlichkeit und andere ſchwere Verfehlungen gegen die Anſtaltsdiſziplin aber werden noch immer mit Prügelſtrafe geahndet. Der „Triangel“, ein Gerüſt, das eine gewiſſe fatale Ahnlichkeit mit einer Guillotine aufweiſt, iſt die von jedem Sträfling weidlich gefürchtete Vorrichtung für den Vollzug der körperlichen Züchtigung. Eine Abſtufung gibt es auch hier noch inſofern, als leichtere VBergehungen mit der Rute, ſchwerere aber mit der auch auf unſerer Abbildung ſichtbaren „neunſchwänzigen Katze“ ge- ſtraft werden, die bis in die jüngſte Vergangenheit hinein auch den engliſchen Rekruten und Matroſen gar wohl bekannt war.

Zu den „Vergnügungen“ in Wormwood Scrubbs gehören der tägliche Spaziergang, den die Sträflinge in genau vorgeſchriebenen Abſtänden auf einer afphal- tierten Gehbahn des Gefängnishofes abzumachen haben, die Sonntagslektüre, der Schulunterricht, der ſich naturgemäß auf die Elementarfächer beſchränkt, und der regelmäßige Kirchenbeſuch.

186 Hinter Gitterfenſtern. 2

Sowohl für den Spaziergang, wie für die Schule und die Kirche iſt das Gemeinſchaftsſyſtem beibehalten,

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Photo: Bulbeck.

Vorrichtung zum Vollzug der Pruͤgelſtrafe.

das heißt die Gefangenen brauchen weder eine Ge— ſichtsmaske zu tragen, noch in kleinen, käfigartigen Einzelverſchlägen zu ſitzen, die, wie in vielen deutſchen

1 Von M. Elsner. | 137

Zuchthäuſern, jedem von ihnen nur geftatten, den Lehrer oder den Geiſtlichen zu ſehen, während der Anblick ihrer Mitgefangenen ihnen auch in der Schule und in der Kirche entzogen bleibt. |

Es mag eine offene Frage fein, inwiefern die eng- liſchen Einrichtungen des Strafvollzuges vor den unſerigen den Vorzug verdienen und in welchen Punkten ſie hinter ihnen zurückſtehen. Eine britiſche Einrichtung aber, die bei uns unbekannt iſt, wäre unter allen Umftänden der Nachahmung wert, die Beſtellung eines Generalinſpektors nämlich, dem die Kontrolle über die einzelnen Strafanſtalten obliegt, und dem das geſamte Gefängnisperſonal, vom Direktor bis zum letzten Wärter, unterſtellt iſt. Allen Übergriffen und Pflichtwidrigkeiten einzelner Anſtaltsleiter, wie ſie in anderen Ländern bei der faſt unumſchränkten Gewalt dieſer nicht immer von dem rechten Geiſte erfüllten Herren des öftern vorkommen, kann dadurch in wirk- ſamer Weiſe vorgebeugt werden.

Die unheimliche Braut.

Humoreske von Hermann Roemer.

(Nachdruck verboten.)

. klapperte meine Papiermühle am raufchen- den, erlenumſäumten Bach, anmutig breiteten ſich die zaubergrünen Wieſen in dem von felſigen Höhen begrenzten Tale aus. Droben auf den Hügeln rauſchten im leiſen Abendwind die dunklen Tannen, und zwiſchen ihnen ſchaute die Abendröte mit glühenden Augen herein in den ſchattigen Grund.

So lieblich alles, ſo idylliſch! Und doch blickte ich, als ich unter einer Linde vor meinem Hauſe lag, recht wehmütig in die Abendglut. Was half mir das reiz- volle Bild ringsumher, der Anblick der grünen Flächen, der rauſchenden Tannen, der Beſitz der klappernden Mühle, wenn mir wie das Schwert des Damokles die Gewißheit über dem Haupte hing, daß alles mir entriſſen werden würde, ehe drei Monate ins Land gingen? Die Mühle war ſchon vom Urgroßvater her Eigentum meiner Familie. Ich hatte ſie erſt vor zwei Fahren vom Vater geerbt, aber durch Auszahlung mehrerer Geſchwiſter und zwei kurz aufeinander folgende Bankerotte großer Abſatzfirmen ward ich der Mittel zum rationellen Weiterbetriebe beraubt und ſah mich bald in der ärgſten Klemme. Was nun anfangen?

Nicht wahr, das fängt keineswegs wie eine Hu- moreske an? Aber der Humor kommt ſchon noch, das heißt er kam an jenem Abend ſchon in der Perſon

2 | Humoreske von H. Noemer. 189

eines alten Bekannten, des Förſters Brunner, der, behaglich ſeine Pfeife ſchmauchend, gerade vorbei- ging.

„Na, lieber Roemer, ſchon wieder ſo griesgrämig?“ redete er mich gemütlich an.

Er hatte gut gemütlich ſein mit ſeinem behaglichen Dienſt, ſeinem feſten Gehalt und ſeiner Penſion.

„Muß wohl, Herr Förſter,“ gab ich ihm zur Ant- wort. „Die Zuſtände ſind danach.“

Er blieb ſtehen, tat einige beſonders mächtige Züge und meinte dann: „Müffen’s doch nicht fo tragiſch nehmen! Donnerlüttchen, Mann, Sie ſind doch jung und ein ſchneidiger, kräftiger, adretter Kerl! Werden ſchon anderswo was finden!“

„Leicht geſagt, Herr Förſter! Es iſt das Erbteil meiner Väter, die Papiermühle mir bricht das Herz, wenn ich mich von ihr trennen muß!“

„Die Mühle kommt alſo wirklich unter den Hammer?“

„Kann's nicht verhindern. Vollte ich's abwenden, jo müßte ich wenigſtens fünfzigtaufend Mark haben. Woher die nehmen und nicht ſtehlen?“

„Hm hm.“ Er qualmte eine volle Minute wie ein Fabrikſchornſtein. „Warum heiraten Sie nicht?“ fragte er dann plötzlich.

„Heiraten?“

„Na ja Frau mit Geld hilft ſich mancher damit.“

Ich lächelte ſpöttiſch und erwiderte: „Die Frauen mit Geld ſind nicht ſo häufig wie Ihre Bucheckern, lieber Förſter, und auch nicht ſo verſeſſen auf ruinierte Fabrikanten und Kaufleute. Wenn ich Ihren guten Rat auch wirklich befolgen wollte, wo ſollte ich eine reiche Frau hernehmen?“

Er qualmte wieder geraume Zeit, bevor er mit ſeiner

190 Die unheimliche Braut. | 2

billigen Weisheit herausrückte: „Setzen Sie doch ein reelles Heiratsgeſuch in die Zeitung. Frau mit Kapital, häuslich und gut erzogen und ſo weiter geſchieht ja ſo oft, und wer weiß, vielleicht beißt doch was an.“

Wir ſprachen noch mancherlei, ehe Brunner weiter- ging, ſein Vorſchlag aber hatte in meinem verzweifelten Herzen Wurzel geſchlagen. Ich hatte mich bisher wenig um das ewig Weibliche bekümmert, nur einmal als Einjähriger einen leider ziemlich unglücklich ausgehenden Liebeshandel gehabt. Mein Herz war frei, die Ver- ſuchung groß. f

Schon zwei Tage ſpäter ſandte ich das Inſerat unter Beobachtung aller möglichen Vorſichtsmaßregeln an die Expedition einer der größten Zeitungen der Hauptſtadt.

„Wird wohl niemand ſo dumm fein, darauf herein zufallen!“ dachte ich bei mir.

Aber ſchon wenige Tage danach hielt ich fünf Offerten in den erwartungsvollen Händen. Drei davon konnte ich allerdings gleich zerreißen, die vierte legte ich vor- läufig zurück und wandte meine Aufmerkſamkeit ernſtlich der fünften zu.

„Sehr geehrter Herr! Auf Ihr hoffentlich ehrlich gemeintes Inſerat hin wäre ich nicht abgeneigt, mit Ihnen zu gedachtem Zwecke in Verbindung zu treten. Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, völlig unabhängig, beſitze zweihunderttauſend Mark Vermögen und glaube auch ſonſt ſo übel nicht zu ſein. Erbitte Antwort unter E. S. 100 an die Expedition.“

Das war kurz und erbaulich. Wahrhaftig e Zweihunderttauſend Mark Vermögen und erſt dreiundzwanzig Jahre alt!

War das menſchenmöglich?

Wenn es umgekehrt geweſen wäre zweihundert⸗

2 Humoreske von H. Roemer. 191

tauſend Jahre alt und dreiundzwanzig Mark Vermögen, ja dann aber ſo!

Es war Anſinn, konnte ja gar nicht fein! Ein junges Mädchen mit zweihunderttauſend Mark braucht keine Heiratsgeſuche zu beantworten. Sicherlich waren hier ein paar Schreibfehler untergelaufen.

Oder es erlaubte ſich jemand einen Alk mit mir.

Letzteres war das wahrſcheinlichſte. Kein Zweifel ein fauler Witz!

Aber die zweihunderttauſend lockten und blendeten,

Wenn doch vielleicht! Hm wenn ſchon, denn ſchon! Iſt's ein Alk, ſo läßt ſich's eben nicht ändern, koſtet ja nur einen Brief.

Hingeſetzt, geſchrieben! Nicht abgeneigt bitte um Photographie oder perſönliche Zuſammenkunft ſtrengſte Diskretion Ehrenſache und ſo weiter.

Die Antwort kam umgehend.

„Freitag in der Abendkühle,

Wenn die Glocke ſieben ſchlägt,

Werd’ ich bei der Weidenmühle,

Wo die Linde Beeren trägt,

Eine weiße Roſe an der Bruſt, Zangfam wandeln, Ihrer Näh' bewußt.“

Dies Verschen beſtärkte mich zwar in meiner Über- zeugung, daß man mir eine Falle ſtellen wollte, ich beſchloß aber trotzdem, das Abenteuer zu beſtehen. Der Ort der Zuſammenkunft war nur eine Stunde entfernt, und die bezeichnete alte Linde kannte ich ganz genau. Der Blitz hatte vor langen Jahren den mäch- tigen Stamm zerſplittert und einen gewaltigen Aſt abgeſchlagen. In dem ſo entſtandenen Hohlraum hatte ſich Erde angeſammelt, und darauf grünte kreuz- fidel ein Stachelbeerſtrauch, der ſogar Beeren trug. Die Schreiberin kannte die Linde und die Weidenmühle

192 Die unheimliche Braut. 2

aber auch und das ſtimmte mich wieder etwas nach- denklich. Aber die e ſchlugen alle Bedenken zu Boden.

Freitag abend dreiviertel ſieben ſtand ich bei der Stachelbeerlinde, aufmerkſam die Allee rechts und links hinabſehend.

„Dreiundzwanzig Jahre zweihunderttauſend Mark,“ murmelte ich. „Wenn's kein Schabernack iſt, wird's wohl ein Muſter von Häßlichkeit ſein, einen Buckel haben oder einen Klumpfuß oder ſie wird einäugig ſein, oder o weh, o weh!“

Niemand kam, und ich ſetzte mich auf die Bank unter der Linde, um den äußerſten Termin wahr— zunehmen.

Da vernahm ich plötzlich ein helles Lachen hinter mir, eine melodiſche Stimme ſagte: „Guten Abend,“ und ich erblickte, mich umwendend nein, ich erblickte eigentlich nichts mehr, ich ſchwamm in einem Ozean von Wonne und Trunkenheit!

Vor mir ſtand ein reizendes junges Mädchen im weißen Sommergewand, blauäugig, mit vollem lichten Blondhaar, ſchlank und hochgewachſen, mit einem Worte ein wahrer Engel in Menſchen- oder beſſer in Mädchen- geſtalt, denn mit Männern ſind meines Wiſſens Engel bisher nicht verglichen worden.

Daß ſie es war, daran ließ die duftig weiße Roſe an der Bruſt keinen Zweifel.

Und verkrüppelt war fie auch nicht, weder budelig noch klumpfüßig noch einäugig!

Um fo auffälliger war es. Denn wenn fie es auf- richtig meinte, wirklich aufrichtig, ſo ſo mußte dann ein anderes Etwas im Staate Dänemark faul ſein. Gewiß trat dann der gefürchtete Schreibfehler in Kraft. Zweihunderttauſend vielleicht eine Null oder gar zwei

2 Humoreske von H. Roemer. 195

Nullen zu viel waren ihr aus der Feder gerutſcht. Doch dann war ſie eine Betrügerin und ſo ſah ſie nicht aus. Sie blickte ſo lieb, ſo aufrichtig, ſo vornehm ſonderbar! Ein Mädchen wie ſie hätte mit keinem Pfennig Vermögen ſicher keines Heiratsgeſuchs be— durft. Die Sache mußte doch einen Haken haben!

Allerdings war jetzt keine Zeit, ihn zu ſuchen. Ich befand mich auch gar nicht in der Stimmung dazu. Ich war wie berauſcht von dem ſüßen Geſchöpf, mit dem ich bald in ein anziehendes Geplauder vertieft war.

ich ſchilderte ihr offen meine Verhältniſſe. Sie nickte nur lächelnd und ſagte: „Wenn Sie mich lieben können, jo iſt Ihrem Unglück ja bald abzuhelfen. Ich bin reich und ſelbſtändig nur wünſche ich nicht, daß Sie mich allein um des Geldes willen heiraten.“

Ich beteuerte ihr, nachdem ich fie geſehen, hätte ich der Bedingung des Geſuchs ganz vergeſſen, ſofern mich nicht meine Wahrheitsliebe zur Darſtellung der Sach- lage gezwungen hätte.

Das ſchien ihr zu gefallen, und kurz und gut, wir wurden noch am ſelben Abend einig. Eliſe Selzer gab mir einen Kuß und ihre Adreſſe, ich begleitete ſie auf den Bahnhof und wankte dann wie ein Trunkener überſelig nach Hauſe.

Am nächſten Morgen kehrten meine Bedenken mit verdoppelter Wucht zurück. |

Ein ſo herrliches Mädchen, ſo reich denn die Beſtätigung hatte ich ja nun aus ihrem eigenen Munde und ſie antwortet auf Heiratsgeſuche, wirft ſich dem erſten beſten an den Hals!

„Venn ich auch nicht der erſte beſte bin,“ ſagte ich zu mir, „ſo doch immerhin ein armer Teufel in kritiſcher Lage. Die Sache muß einen Haken haben!“

Aber was für einen? Das liebliche Geſchöpf 1910. I. 13

194 Die unheimliche Braut. 2

ward mir unheimlich. Häßlich war ſie nicht, alt nicht, dumm nicht, ſie beſaß kein Gebrechen, war vielmehr die Anmut und Klugheit ſelber, und auch gutherzig offenbar da mußte der Haſe alſo wo anders im Pfeffer liegen.

So ſehr ſie es mir angetan, gedachte ich doch nicht ganz blind ins Unglück zu rennen. Sch fuhr nach der Hauptſtadt und zog Erkundigungen ein.

Ein Kunde von mir kannte ſie genau. Er ahnte übrigens den Zweck meiner Nachforſchung nicht.

„Wohl ein überſpanntes Ding?“ fragte ich. „Auf- geblaſen, eitel, gefallſüchtig?“

„Ganz und gar nicht. Ein reizendes, durchaus verſtändiges Mädchen!“

„Aber wohl mit etwas nun mit Vergangenheit?“

„Ich bitte Sie hochgeachtete Familie vom beſten Rufe!“

Die Braut ward mir immer unheimlicher.

„Wohl: viele Freier gehabt? Sfters verlobt ge— weſen?“ |

„An Bewunderern und Bewerbern kann es einem ſolchen Mädchen ja nicht fehlen, aber verlobt war ſie noch nicht. Sie ſcheint wähleriſch zu ſein.“

„Vielleicht unglückliche Liebe gehabt? Racheſchwur getan, den erſten beſten zu heiraten?“

„Wie kommen Sie nur auf fo ſchnuͤrrige Ideen? Ihre beſte Freundin verkehrt bei uns, daher ſind wir ganz genau unterrichtet. Keine Ahnung von ſo etwas!“

Immer unheimlicher wurde mir zumute. Ich ſtellte weitere Nachforſchungen an. Umſonſt! Es war kein Verbrechen in ihrer Familie vorgekommen, kein be- ſonderes Ereignis, nichts Geheimnisvolles.

Ich liebte ſie immer toller, je länger unſer Verkehr

2 Humoreste von H. Roemer. 195

dauerte, aber das Gefühl ihrer Unheimlichkeit ward immer größer in mir.

Zuletzt forſchte ich ſogar ihren Hausarzt aus. Ich ſagte ihm die Wahrheit und verſicherte mich ſeiner Verſchwiegenheit. „Sind in der Familie etwa gefähr- liche Krankheiten vorgekommen?“

„Niemals. Eltern, Großeltern kerngeſund.“

„Und Fräulein Eliſe iſt nicht etwa belaſtet mit Wahnſinn oder dergleichen?“

„Mit nichts als einem gewichtigen Geldſack,“ ſcherzte der Doktor. a

ich lachte und ging, aber meine Braut war mir von Stund an unheimlicher als je.

So war ich endlich glücklich und doch auch unendlich unglücklich! Der Haken ſtörte mich immer mehr.

Ich fragte fie ſchließlich ſelber, wie fie auf die Idee gekommen ſei, mein Geſuch zu beantworten, da ſie doch Männer in Hülle und Fülle hätte haben können, aber fie lachte nur, ſagte: „Das erfährſt du erſt nach der Hochzeit,“ und ſchloß mir mit einem Kuß den Mund.

Zwei Monate ſpäter ſtanden wir vor dem Altar. So reich, ſo wunderbar ſchön, ſo gut und edel und durch ein Heiratsgeſuch meine Frau!

„Der Haken, der ſchreckliche Haken!“ dachte ich. „Vielleicht iſt er jo groß, daß du dich gleich daran auf- hängen kannſt!“

Als wir uns allein befanden, war meine erſte Frage an ſie: „Nun, Eliſe, nun ſtille endlich meine Neugier. Warum haft du gerade mein Geſuch beantwortet? Oder war es nicht das einzige?“

Sie lachte errötend und erwiderte, ihren Kopf an meiner Bruſt bergend: „Natürlich war es das einzige, du törichter Mann! And mit voller Abſicht gerade

196 Die unheimliche Braut. 2

wählte ich deines aus, eben weil es das deine war!“ | „Aber du kannteſt mich ja gar nicht?“

„Meinſt du? War ich nicht während des vorigen Sommers zwei Monate bei Förſter Brunner in der Sommerfriſche? Da hab' ich dich oft geſehen und beobachtet. Du warſt fo fleißig und doch fo ſorgenvoll, und ein ſo ſchöner Mann! Walter ich liebte dich ſchon damals und konnte dich nicht wieder vergeſſen. Aber ich konnte mich dir doch nicht antragen, wußte ja auch gar nicht, ob du nicht längſt gebunden warſt. Da kam vor einigen Monaten der Förſter mit ſeiner Frau auf Beſuch in die Stadt. Die Rede kam auch auf dich. Da erzählte er von deiner Drangſal und daß er dir ein Heiratsgeſuch angeraten hätte. ‚Und denken Sie, Fräulein,“ rief er und lachte gerade heraus, ‚heut abend ſteht's wirklich in der Zeitung! Leſen Sie nur es kann niemand anders fein als er!“ sch las, und die ganze Nacht ſchloß ich kein Auge. Und am anderen Tag ſchrieb ich. Zürnſt du mir deshalb?“

Ich gab meinem Zorne mit einem Dutzend Küſſen gebührenden Ausdruck.

Von dem Augenblicke an war mir meine liebe, ſüße Eliſe nicht mehr unheimlich.

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Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport.

Von Rud. Hendrichs.

Mit 10 Bildern. Nachdruck verboten.)

Vor wenigen Monaten noch konnte es als unbeſtrit- ten gelten, daß der in Chile gelegene Akonkagua mit 6970 Meter Meereshöhe die bedeutendſte Er- hebung der ſüdamerikaniſchen Kordilleren ſei; einer unternehmenden und unerſchrockenen jungen Dame, der Amerikanerin Annie S. Peck, war es vorbehalten, ihm dieſen Rang zugunſten des Nevado de Huaskan oder Huaskaran in Peru ſtreitig zu machen und gleich- zeitig für ſich ſelber einen Weltrekord auf dem Gebiete des Bergſports aufzuſtellen, denn wenn es zutrifft, daß der Huaskaran nicht, wie die bisherige Schätzung lautete, 6721 Meter, ſondern ungefähr 7300 Meter hoch iſt, jo darf Fräulein Peck, die als das erſte menſch— liche Weſen ſeinen nördlichen Gipfel erſtieg, den Ruhm in Anſpruch nehmen, eine bisher noch von keinem an- deren erklommene Bergeshöhe erreicht zu haben. Der Inhaber der Bergfexenweltmeiſterſchaft war bis dahin ein Herr W. W. Graham geweſen, der es im Himalaja bis auf ungefähr 7200 Meter gebracht hatte, und wenn auch die Differenz, wie man ſieht, keine ſehr beträchtliche, die von Fräulein Peck ermittelte Höhe des Huaskaran überdies noch keine mit wiſſenſchaft— licher Unanfechtbarteit feſtgeſtellte iſt, jo darf doch der

198 Die Inhaberin der Weltmeifterfchaft im Bergſport. m

kühnen Bergſteigerin um der von ihr bewieſenen und bei einem weiblichen Weſen doppelt bewunderungs- würdigen Tapferkeit, Energie und Ausdauer willen der nachdrücklich beanſpruchte Lorbeer von Herzen ver-

Der Doppelgipfel des Huaskaran.

gönnt werden. Ein vergnüglicher Spaziergang näm— lich war die von ihr durchgeführte Hochtour ſicherlich nicht zu nennen, und ihre anſchauliche Schilderung der ausgeſtandenen Mühſeligkeiten und Gefahren läßt es begreiflich erſcheinen, daß ſie von einer früher unter— nommenen Beſteigung des Akonkagua mit einer ge-

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2 Von Rud, Hendrichs. 199

wiſſen Geringſchätzung als von einer gemächlichen Promenade ſpricht.

Nicht im erſten verwegenen Anſturm ließ ſich der bis dahin unbezwungene doppelköpfige Bergrieſe von der kecken Amerikanerin nehmen. Bis zum Jahre 1904 hatte Fräulein Peck nach ihrem eigenen Geſtändnis

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Indianerhuͤtte bei Matarao. überhaupt nichts von der Exiſtenz des Huaskaran geahnt. Sobald ſie aber gehört hatte, daß er dem Akonkagua wahrſcheinlich ebenbürtig, wenn nicht viel- leicht ſogar überlegen ſei, ließ es ihr keine Ruhe mehr, bis ſie ihn mit eigenen Augen geſehen.

Von dem Städtchen Vungay aus, das 2800 Meter über dem Meere maleriſch im Huailastale gelegen iſt,

200 Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport. .

genoß fie zum erſten Male den Anblick der beiden maje- ſtätiſchen Gipfel, die von den Geologen für die giganti- ſchen Kegel eines vor langen Zeiten erloſchenen Swil- lingsvulkans gehalten werden. Aber ihre mitgebrachte Zuverſicht, als erſtes menſchliches Weſen einen von ihnen zu erſteigen, kam bei dieſem Anblick bedenklich ins Wanken. Was ſich da ſchon mit bloßem Auge, noch erſchreckender aber durch das Fernglas an ſchroffen Felswänden und, höher hinauf, an ſenkrechten Eis- hängen, Schründen und von zahlloſen Spalten zer- riſſenen Gletſchern erkennen ließ, war wohl danach angetan, auch einen erfahrenen und erprobten Hoch- touriſten zu entmutigen, zumal auch die Vorausſetzungen und äußeren Umſtände, die für die Ausführbarkeit eines ſolchen Unternehmens in Betracht kommen, hier keineswegs ſo günſtig waren wie etwa in den europäiſchen Alpen oder ſelbſt in den Felſengebirgen Nordamerikas.

Darüber, daß fie eine Hochtour, die ſich voraus- ſichtlich über eine beträchtliche Reihe von Tagen aus- dehnen würde, nicht ohne zuverläſſigſte Begleitung unternehmen dürfe, war Fräulein Peck ſelbſtverſtändlich nicht im ungewiſſen, aber die eingeborenen Indianer, die allein als ſolche Begleiter zur Verwendung kommen konnten, vermochten ihr nur wenig Vertrauen einzu- flößen. Nicht daß es ihnen an redlichem Willen und an fonftigen guten Eigenſchaften des Charakters ge- fehlt hätte, ſie erwieſen ſich vielmehr durchweg als gut— mütige, willige und anhängliche Burſchen, aber noch keiner von ihnen war je bis in die Region des ewigen Schnees emporgedrungen, und ihre körperliche Lei— ſtungsfähigkeit ſchien ebenſo zweifelhaft als ihre Geiſtes- gegenwart und Zuverläſſigkeit in N Augen- bliden,

0 Von Rud. Hendrichs. 201

Trotzdem ließ Fräulein Peck ſich's nicht verdrießen, einige ernſthafte Proben mit ihnen anzuſtellen. Sie ſorgte für eine bergmäßige Ausrüſtung der ſchlecht gekleideten Leute und bemühte ſich, die kräftigſten von ihnen durch kleinere Abſtecher für die große Aufgabe zu

trainieren, die fie ihnen zugedacht hatte. Im Fahre 1906

Aufbruch der kuͤhnen Bergſteigerin von Matarao.

glaubte ſie mit indianiſchen Trägern die Beſteigung verſuchen zu dürfen; aber der Verſuch endete mit einem kläglichen Mißerfolg und nahm der jungen Ameri— kanerin auch den letzten Zweifel an der Richtigkeit ihrer ſchon früher gehegten Vermutung, daß die Be— zwingung bes Huaskaran nur unter dem Beiſtande von erprobten europäiſchen Bergführern möglich fein würde.

202 Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport. DO

Zwei Jahre ſpäter, im Juni 1908, verließ fie denn auch New Vork in Begleitung zweier aus den Alpen verſchriebenen Führer, die fie in ihrem Bericht merf- würdigerweiſe nur mit ihren Vornamen Gabriel und Rudolf bezeichnet. Am 25. Juli landete fie in dem kleinen Hafen von Samanco an der Küſte von Peru, und nachdem fie in zehntägigem Ritt die Küſten- kordilleren überſchritten, erreichte ſie am 3. Auguſt das wohlbekannte Tal von Huailas mit dem reizend ge- legenen Yungay, wo nach kurzer Raſt die letzten Vor- bereitungen für die geplante Beſteigung getroffen wurden. Unter den ihr bereits bekannten Indianern wurden alle, die ſich halbwegs bewährt hatten, als Träger angeworben, und am 6. Auguſt begann der Anſtieg mit einem Ritt nach Matarao, einer Goldmine, die ungefähr 600 Meter höher liegt als Vungay.

Ihre beiden Führer gaben Fräulein Peck von vornherein mancherlei Anlaß zur Unzufriedenheit, be- ſonders dadurch, daß ſie trotz des ihnen völlig unbe— kannten Gebiets ihre Anſichten und Erfahrungen immer über die der Amerikanerin ſtellten und hartnäckig ihren männlichen Willen auch da durchſetzten, wo einige galante Nachgiebigkeit gegen die Vorſchläge der jungen Dame dem Unternehmen zu weſentlichem Vorteil gereicht haben würde. Fräulein Peck ſetzt den unbe- friedigenden Ausgang des erſten Verſuches haupt— ſächlich auf Rechnung dieſes ſtarrköpfigen Beſſerwiſſens, und die Gründe, die ſie anführt, ſprechen dafür, daß ihre Auffaſſung in der Tat keine ganz unberechtigte iſt.

gedenfalls aber ſchien das Unternehmen von Anfang an nicht ſonderlich vom Glück begünſtigt. Der Trans- port des für einen vieltägigen Aufenthalt in den denkbar unwirtlichſten Regionen berechneten Gepäcks bereitete gewaltige Schwierigkeiten; während der erſten Nächte

0 Von Rud. Hendrichs. 203

hatte die kleine Geſellſchaft ſehr empfindlich unter dem eiſigen Sturmwind zu leiden, und nach zwei Tage— märſchen mußte Fräulein Peck überdies die unliebſame Entdeckung machen, daß ſie für ihren photographiſchen Apparat verſehentlich Films von einem falſchen Format mitgenommen hatte. Da ſie auf die photographiſchen Aufnahmen, die gewiſſermaßen den dokumentariſchen

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Führer und indianiſche Träger. Beleg für ihre mit Sicherheit erhofften Erfolge bilden ſollten, unter keinen Umſtänden verzichten wollte, wurde einer der Indianer nach Vungay zurückgeſchickt, um die richtigen Films zu holen, und die Fortſetzung der Tour erfuhr durch das Warten auf feine Rückkehr einen erheblichen Aufſchub.

Die außerordentlich dünne Luft der bereits erreichten Höhe begann während der unfreiwilligen Raſt bald ihre

204 Die Inhaberin der Weltmeifterfhaft im Bergſport. u

nachteilige Wirkung zu äußern. Fräulein Peck ſelbſt zwar hatte das unausbleibliche Unwohlſein ſchon am erſten Tage ſiegreich überwunden, der ältere der beiden Führer aber klagte mehr und mehr über unerträgliche Kopfſchmerzen, die den mitgebrachten Arzneimitteln ſo beharrlich Trotz boten, daß er ſich nach Verlauf eines

F Fi es. Lagerplatz vor dem Betreten der Schneeregion. weiteren Tages außerſtande erklärte, das begonnene

Unternehmen fortzuſetzen. Fräulein Peck mußte ihn nach Vungay zurückkehren laſſen und ihre Hoffnungen

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1 Von Rud. Hendrichs. 205

auf die größere Widerſtandsfähigkeit ſeines jüngeren Gefährten ſetzen, der ſich in ehrgeizigem Selbſtver—

Auf der halben Hoͤhe bis zum Sattel.

trauen bereit erklärt hatte, das Wagnis allein auf ſich zu nehmen.

Langſam rückte man etwas höher hinauf, bis der nach den Films ausgeſandte Indianer endlich wieder erſchien, mit erſchöpften Kräften, aber ſtrahlend vor Stolz auf die muſterhafte Ausführung feines Auf-

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206 Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport.

trages. Die Films, die er brachte, hatten denn auch das richtige Format, und ihrer Benützung ſtellte ſich lediglich der dem wackeren Indianer unbekannt ge- bliebene Umſtand entgegen, daß fie ſämtlich bereits zu photographiſchen Aufnahmen gedient hatten. Er hatte trotz der ausführlichſten Beſchreibung ein falſches Päd- chen erwiſcht, und da an ſeine nochmalige Entſendung nicht mehr zu denken war, mußte Fräulein Peck, wenn auch ſchweren Herzens, für diesmal wohl oder übel auf die bildlichen Belege ihres ſpäteren Reiſeberichts verzichten.

Mit größerer Energie als bisher wurde der Aufſtieg fortgeſetzt. Auf der halben Höhe bis zu der Einfatt- lung zwiſchen den beiden Gipfeln ſtürzte ein mit Fräu- lein Peck und dem Führer Gabriel durch das Seil verbundener indianiſcher Träger in eine Gletfcher- ſpalte, und als man ihn nach vielen Bemühungen unverſehrt wieder zutage gefördert hatte, erwies ſich, daß ſein Packen mit dem durchaus unentbehrlichen Kochapparat auf dem Boden der Spalte zurückgeblieben war. Es blieb alſo nichts anderes übrig, als den Führer Gabriel hinabzulaſſen, und man mußte es als ein großes Glück betrachten, daß ihm die Rettung des wich- tigen Gepäckſtücks gelang, da man ſich ohne dasſelbe in einer höchſt kritiſchen Lage befunden haben würde. Diente doch der erwähnte Apparat hauptſächlich zur Gewinnung des nötigen Trinkwaſſers aus geſchmolze- nem Schnee.

Ze mehr man ſich nun der Einfattlung näherte, deſto empfindlicher hatte auch der Führer von der dünnen Luft zu leiden, und weil ihr naturgemäß ſehr viel daran liegen mußte, ſeine Kräfte zu ſchonen, belud ſich die unermüdliche Amerikanerin auch noch mit einem guten Teil des ihm zugefallenen Gepäcks, eine

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Von Rud, Hendrichs. 207

Menſchenfreundlichkeit, die ihr nach ihrer Verſicherung durch allerlei verdrießliche Bemerkungen über ihr lang- ſames Vorwärtskommen gelohnt wurde.

„Aber ich konnte leider nicht ſchneller,“ fügt ſie

der betreffenden Stelleihrer Schil- derung mit rüh- render Beſchei- denheit hinzu. Die Zahl der erſchreckend ſtei- len Hänge, die nach mühſeligem Stufenſchlagen erklommen, der breiten und tie- fen Spalten, die auf meiſt ſehr unzuverläſſigen Schneebrüden überſchritten werden mußten, war nach dem Empfinden der kühnen Amerifa- nerin eine ſchier unendliche. Hie und da wollte an- geſichts der im-

Der Punkt der Umkehr beim erſten Verſuch.

mer neuen Hinderniſſe, die ſich drohend einem Weiter- kommen entgegenſtellten, ſelbſt ihr unbeugſamer Mut ein wenig ins Wanken geraten.

Viele der in Winkeln von 60 bis 80 Grad geneigten Hänge konnten nur durch Aufſteigen in Zickzacklinien

208 Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport. m

überwunden werden, und die Stufen waren oft fo weit voneinander entfernt, daß nach Fräulein Pecks Angabe ihre beiden Beine dabei nicht ſelten eine bei- nahe horizontale Linie bildeten. Namentlich ein letzter, nahezu ſenkrechter Hang unterhalb des Sattels bereitete den Aufſteigenden die entſetzlichſten Schwierigkeiten, und man mag ſich unſchwer vorſtellen, wie erleichtert die kühne Dame aufatmete, als es trotz alledem glüd- lich gelungen war, den Sattel zu erreichen, wo für eine kurze Raſt zum letzten Male das mitgeführte Zelt aufgeſtellt wurde.

Da der ſüdliche Gipfel nach der beſtimmten Erklä— rung des Führers abſolut unerſteiglich ſchien, mußte man ſich für eine Bezwingung des nördlichen entfchei- den. Die indianiſchen Träger, die ſich unter der ſach— verſtändigen Leitung des Führers bis dahin äußerſt wacker gehalten hatten, wurden auf dem Sattel zurückgelaſſen, und Fräulein Peck machte ſich dann allein mit dem Führer an die Überwindung des letzten und bei weitem ſchwierigſten Teils ihrer denkwürdigen Hochtour.

Ein paar Stunden lang leiſteten beide das Men- ſchenmögliche, dann aber begannen die Kräfte des Führers zuſehends zu ſchwinden. Nachdem er auf eine Frage ſeiner Begleiterin erklärt hatte, daß ſie noch mindeſtens zwei Stunden brauchen würden, um den Gipfel zu erreichen, fügte er hinzu, daß er für die Mög- lichkeit eines glücklichen Abſtiegs nach dieſer noch vor ihnen liegenden Strapaze keine Verantwortung mehr übernehmen könne. Sein Ausſehen ſprach noch deut- licher als ſeine Worte für den körperlichen Zuſtand, in dem er ſich befand, und da ſich Fräulein Peck ver- nünftigerweiſe ſagte, daß ſelbſt die Aufſtellung eines Weltrekords im Bergſteigen mit dem Opfer ihres eige—

2 Von Rud. Hendrichs. 209

nen oder eines anderen Menſchenlebens etwas zu teuer bezahlt ſein würde, erklärte ſie nach kurzem, ſchwerem Kampfe, daß ſie unter ſolchen Umſtänden bereit ſei, in

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beim Überſchreiten eines faft ſenkrechten Eishanges.

die Umkehr ſo kurz vor erreichtem Ziele zu willigen. In

der Stille ihres Herzens hegte ſie dabei freilich noch eine

ſchwache Hoffnung, daß längere Erholung in dem 1910. 1. 11

210 Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport. 1

auf dem Sattel wartenden Schlafzelte den ſchlapp gewordenen Führer befähigen würde, den Gipfel- aufſtieg noch einmal mit beſſerem Erfolge zu verſuchen.

Aber dieſe Hoffnung ſollte ſich nicht erfüllen. Die furchtbaren ſeeliſchen und körperlichen Anſtrengungen des Weges, der bis zur Wiedererreichung des Sattels in beſtändiger höchſter Lebensgefahr zurückgelegt wer- den mußte, brachten ihn der völligen Erſchöpfung ſo nahe, daß er auch nach vielſtündigem Schlafe einer Aufforderung zu nochmaligem Aufſtieg die entſchiedenſte Weigerung entgegenſetzte. Außerdem waren die mit- geführten Nahrungsmittel beinahe erſchöpft, und es blieb deshalb nichts anderes übrig, als ſich endgültig zur Umkehr zu entſchließen, nachdem man nicht weniger als neun Tage und Nächte auf dem Berge zugebracht hatte. |

In Vungay hatte man die allzu verwegene Berg- ſteigerin bereits verloren gegeben, da es nicht mehr möglich geweſen war, ihre Bewegungen mit dem Fern— glaſe zu verfolgen. Eine Rettungserpedition unter dem gleich im Anfang zurückgelaſſenen Führer kam ihnen auf dem letzten Viertel ihres Abſtiegs entgegen, und in dem freundlichen Städtchen herrſchte eitel Jubel über die glückliche Abwendung einer ſchon als ſicher angenommenen Kataſtrophe, die ſogar in Form einer feſtſtehenden Tatſache bereits in alle Welt hinaus— telegraphiert worden war.

Unter hundert Sterblichen würden ſicherlich min- deſtens neunundneunzig nach ſolchen Erfahrungen die Bezwingung des Huaskaran wenigſtens fürs erſte als ein ausſichtsloſes Unternehmen aufgegeben haben. Fräulein Peck aber war von vornherein feſt entſchloſſen, ſich nicht mehr als die allernotwendigſte Erholung bis zum Beginn eines neuen Verſuches zu gönnen, und

2 Von Rud. Hendrichs. 211

da ſie ſie bei ihrer Führerehre zu faſſen wußte, gelang es ihr, auch die beiden etwas beſchämten Führer mit ihrer Unternehmungsluſt anzuſtecken. Genau zehn Tage, nachdem fie wieder in Vungay angekommen war, machte ſie ſich mit einer inzwiſchen beſchafften

Das letzte Zeltlager auf dem Sattel unterhalb des Gipfels (6000 Meter).

neuen Ausrüſtung und einer vermehrten Träger— begleitung abermals auf den Weg.

Das Vorwärtskommen wurde ein wenig dadurch erleichtert, daß die beim erſten Aufſtieg geſchlagenen Stufen zum großen Teil wieder benützt werden konnten. Dafür aber gab es eine nicht geringe Anzahl neuer Zwiſchenfälle, die mehr als einmal das Gelingen des

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212 Die Inhaberin der Weltmeiſterſchaft im Bergſport. 1

waghalſigen Unternehmens ernſtlichſt in Frage ſtell— ten. Die eiſerne Energie der Amerikanerin aber half über alle Schwierigkeiten hinweg, und die bei— den Führer wußten glänzend die Scharte des erſten Mißerfolgs auszuwetzen. In erheblich kürzerer Zeit als

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Der Nordgipfel des Huaskaran.

bei dem erſten, fehlgeſchlagenen Verſuche wurde die Einſattlung und von ihr aus bei heftigſtem Sturm und wildem Schneetreiben auch die Spitze des nördlichen Gipfels erreicht.

Über die Maßen ſchmerzlich aber war es für Fräu— lein Peck, daß auf der Höhe trotz der mitgeführten vor— trefflichen Apparate genaue Meſſungen durch die Ungunſt der Witterung unmöglich gemacht wurden. Die Amerikanerin mußte ſich damit begnügen, feſtzu—

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1 Von Rud. Hendrichs. 213

ſtellen, daß der Boden der Einſattlung 6100 Meter über dem Meere liegt und daß die ziemlich ſichere Schätzung der Gipfelerhebung über dem Sattel für den Huaskaran eine Geſamthöhe von 7200 bis 7300 Meter ergibt, wobei ſie geneigt iſt, der letzteren Zahl als der wahrſcheinlich richtigen den Vorzug zu geben.

Auf dem Abſtieg vom Gipfel gab es den kritiſchſten Augenblick der ganzen Tour. Aus Furcht vor einem Erfrieren der Füße hatte man ſich nicht mit Klettereiſen ausgerüſtet, und es konnte darum geſchehen, daß der an der Spitze gehende Führer Gabriel ausglitt und die ihm folgende Amerikanerin über ein ſteil abfallendes Schneefeld mit ſich riß, bis das lockere Seil ſich in jähem Ruck ſtraffte. Dieſen Ruck hatte der den Beſchluß bildende Führer Rudolf allein auszuhalten. Aber wenn es ihm auch gelungen war, das Seil um den raſch in den Schnee geſtoßenen Eispickel zu ſchlingen, ſo hatte er doch das Unglück gehabt, zwei Finger in eine Seil- ſchlinge zu bringen, die ihm nun auf die ſchmerzhafteſte Weife gequetſcht wurden. Trotzdem hielt er aus, bis es dem erſten Führer möglich geworden war, wieder feſten Fuß zu faſſen, und feiner kaltblütigen Stand- haftigkeit allein hatten die beiden San ihr Leben zu danken.

Fräulein Peck ſpricht von dieſem Abſtieg wie von einem grauenhaften Traum, aus dem fie nie mehr zu einer glücklichen Wirklichkeit zu erwachen gehofft habe. Die Gunſt des Schickſals aber blieb ihr treu. Sämtliche Teilnehmer langten glücklich wieder im Tale an, und einzig der Führer Rudolf hatte das abenteuer- liche Unternehmen mit einigen erfrorenen Fingern und Zehen zu bezahlen, die ihm trotz der ſorgfältigſten ärztlichen Behandlung nicht erhalten werden konnten.

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Mannigfaltiges.

(Nachdruck verboten)

Der Verlobungsring. Der 1830 aus Braunſchweig vertriebene Herzog Karl war nicht allein der Beſitzer einer großen Diamantenſammlung, er hatte auch den Ruf, ein aus- gezeichneter Kenner dieſer edlen Steine zu ſein. Eines Tages traf der Herzog im Kurhauſe zu Baden- Baden mit einem Herrn zuſammen, an deſſen Hand er einen Ring ſah, der ſeine ganze Aufmerkſamkeit erregte, weshalb er ihn bat, den Diamanten an ſeinem Finger näher prüfen zu dürfen.

„Sie belieben zu ſcherzen,“ ſagte der Herr, „ich bin nicht in der Lage, echte Diamanten tragen zu können.“

„Ich verſichere Sie, daß ich Sie nicht beleidigen wollte, und Sie können mir glauben, der Ring, den Sie da tragen, iſt ein Brillant vom reinſten Waſſer.“

Der Herr zog den Ring vom Finger und ſagte, ihn dem Herzog reichend: „Überzeugen Sie ſich ſelbſt, mein Herr! Es iſt nur eine der täuſchenden Nachahmungen zum Bühnen- gebrauch und wurde mir von einer Kollegin, die hoffentlich bald meine Frau ſein wird, als Verlobungsring geſchenkt. Er koſtet zehn Franken, Herr. Ich ging ſelbſt mit ihr, um ihn zu kaufen, und wählte ihn aus hundert anderen ebenſo glän- zenden Ringen aus.“

Der Herzog hielt den Ring ans Licht, beſchattete ihn dann mit der Hand, unterwarf ihn allen gewöhnlich von Kennern angeſtellten Proben und ſagte: „Meine Meinung bleibt unver— ändert, und ich gehe für jede Summe eine Wette ein, daß ich recht habe. Dieſer Diamant iſt von großem Wert.“

„Mein Herr,“ erwiderte der andere, „ich bin nur ein unter— geordneter Schauſpieler und kann keine Wette bezahlen, wenn ich ſie verliere; aber ich will beweiſen, was ich Ihnen geſagt

2 Mannigfaltiges. 5 215

habe. Sie ſind mir unbekannt. Mein Ring, ſagen Sie, iſt von hohem Wert. Nehmen Sie ihn mit, unterwerfen Sie ihn Schätzungen anderer Kenner, und wenn Sie gefunden haben, daß mein Zehnfrankenring nur Glas iſt, ſo geben Sie ihn mir morgen um dieſe Zeit wieder, um meiner kleinen Quftine, meiner Verlobten, willen.“

Damit übergab er dem NER den Ring, machte eine kurze Verbeugung und entfernte fich.

Der Herzog hatte ſich aber nicht getäuſcht. Auch Louis Emanuel, der bekannte Diamantenhändler aus Hamburg, der ſich gerade in Baden-Baden befand, erklärte den Stein für mindeſtens zehntauſend Franken wert.

Der arme Schauſpieler erblaßte, als ihm der Herzog das Reſultat ſeiner Forſchungen mitteilte und ihn bat, ihm den Ring für zehntauſend Franken zu überlaſſen.

„Sie find ſehr gütig, mein Herr,“ erwiderte der Schau- ſpieler, „und werden ſich vielleicht eine ſchlechte Meinung von meinem Verſtande bilden, wenn ich zögere, Ihr Gebot an— zunehmen und zwar aus folgendem Grunde. Zch ſagte Ihnen, der Ring ſei das Geſchenk meiner Braut Fuſtine. Sie könnte mich tadeln, wenn ich mich ohne ihre Zuſtimmung von ihrem Geſchenk trenne. Wenn Sie mir erlauben wollen, an fie nach Paris zu ſchreiben und ihre Antwort abzuwarten, ſo ſoll der Ring, falls fie einwilligt, Ihnen gehören. Inzwiſchen heben Sie ihn auf und prüfen Sie, wenn möglich, Ihre Meinung, denn ich kann noch immer nicht an mein Glück glauben.“

Der Herzog willigte ein, Bewahrer des Ringes zu bleiben, nachdem er dem Beſitzer einen ſchriftlichen Empfangsſchein ausgeſtellt hatte.

Als dieſer des Herzogs Unterſchrift ſah, wurde der arme Menſch ganz überwältigt von der Ehre, die ihm zuteil geworden ſei, und ſtammelte eine Menge von Entſchuldigungen für die Freiheiten, die er ſich im Geſpräche herausgenommen habe.

Der Herzog entließ ihn ſehr gnädig, und der Schauſpieler verſprach, ſofort an feine vielgeliebte Juſtine zu ſchreiben.

In wenigen Tagen erhielt er bereits ihre Antwort, aber nicht durch die Poſt, ſondern durch die Vermittlung ihres

216 Mannigfaltiges. a

Großvaters, der ſelbſt von Paris nach Baden-Baden gereift war, um die Einwilligung zum Verkauf des Ringes zu über- bringen.

Noch an demſelben Tage klimperten fünfhundert gewichtige Louisdor in des Schauſpielers Taſche zum Austauſch für den Zehnfrankenring der kleinen Zuftine,

„Hier iſt auch noch das Etui, welches man uns mit dem Ring gab,“ ſagte der bisherige Beſitzer, indem er den Ring voin Tiſch nahm, ihn zärtlich an ſeine Lippen preßte und dann in das kleine Etui legte, welches er dem Herzog zurückgab.

Der Herzog klappte es zu und ſteckte es in die Taſche, in- dem er den Schauſpieler gnädig verabſchiedete.

Am nächſten Morgen lud der Herzog die Prinzeſſin A., die Komteſſe v. L. und den Marquis M. ein, feinen neuen Dia- manten zu begutachten. Als dieſer zum Vorſchein kam, ver- mochte der Herzog kaum ſeinen Augen zu trauen: der Ring war derſelbe in Größe und Faſſung, aber der Stein war Glas, reines Glas.

Der Herzog ſchickte ſofort nach dem Schauſpieler, aber dieſer war mit den fünfhundert Goldfüchſen des Herzogs jpur- los verſchwunden, begleitet von Juſtines ehrwürdigem Groß- papa.

Der Schwindel war klar genug. Der angebliche Schau— ſpieler und ſein Spießgeſelle hatten von der Leidenſchaft des Herzogs für Diamanten gehört und zuſammengelegt, um einen Stein von hoher Schönheit zu kaufen. Dieſen unter- ſuchte und kaufte der Herzog. Aber „Zuftines ehrwürdiger Großvater“ war mit einer genauen Nachahmung des nämlichen Diamanten zu Hilfe gekommen, und der angebliche Bräutigam tauſchte ihn bei dem zärtlichen Kuß, den er darauf drückte, gegen den echten aus. E. T.

Die Bedeutung des Errötens.

„Mit züchtigen, verſchämten Wangen Sieht er die Jungfrau vor ſich ſtehn. Errötend folgt er ihren Spuren

Und iſt von ihrem Gruß beglückt.“

2 Mannigfaltiges. 217

So preiſt Schiller im „Lied von der Glocke“ die unſchuldsvolle Schamröte der Jungfrau und des Zünglings in den Entwick- lungsjahren. Es iſt dies eine ganz natürliche Erſcheinung, deren Fehlen ſogar meiſt als ein ſchlechtes Zeichen der mora- liſchen Eigenſchaften angeſehen wird.

Das Erröten beruht auf einer plötzlichen Wallung des Blutes nach den Hautgefäßen. Erregungen des Gehirns durch Scham, Zorn, Schuldbewußtſein lähmen die Nerven, welche in der Wandung der kleinen Gefäße endigen, wodurch die Muskelfaſern dieſer Gefäße erſchlaffen, die dann infolge des Blutdruckes ſich ausdehnen und reich mit Blut füllen. Ver- bunden damit iſt meiſt Hitzegefühl im Geſicht, Herzklopfen und ſchnellerer Pulsſchlag. Auch künſtlich kann man die holde Schamröte hervorzaubern durch Einatmen von Amylnitrit oder ſalpetrigſaurem Amyloxyd, welches ſchon in geringen Mengen faft unmittelbar nach dem Einatmen durch Erweiterung der Blutgefäße ſtarke Rötung und Hitzegefühl verurſacht. Jedoch ſei vor dieſem Mittel gewarnt, da bei öfterem Gebrauch leicht Ohnmachten ſich melden.

In ſpäteren Jahren, wenn eine geringere Erregung des Nervenſyſtems und größere Ruhe gegenüber den Ereigniſſen des täglichen Lebens ſich einſtellen, pflegt Erröten nur ſelten einzutreten. Wenigſtens beim Manne bildet es dann ein Zeichen von Schwäche, Schüchternheit, Weichlichkeit. Man findet es beſonders bei Tuberkulöſen und Nervöſen.

Aber auch durch das ganze Leben hindurch kommt bei manchen Perſonen in krankhafter Weiſe aus nichtigen Gründen Erröten vor. Der bekannte Kriminaliſt Doktor Groß ſagt von ſich: „Ich ſelbſt gehörte nicht bloß als Kind, ſondern weit über die Studentenjahre hinaus zu den Unglücklichen, die auch ſchuldlos glührot werden konnten; ich durfte nur von irgend einer Schandtat hören, von Stehlen, Rauben, Morden, fo meinte ich, ein Anweſender könnte glauben, daß auch ich einem derartigen Laſter fröne, und ich wurde blutrot.“

Solche Leute ſind im Leben ſehr übel daran. Es geht dies am beſten aus folgender ärztlichen Schilderung hervor. Ein Herr empfand ſchon in ſeiner Jugend Furcht vor Erröten,

218 Mannigfaltiges. 2

wich jeder Geſellſchaft aus und ging allen Bekannten möglichſt aus dem Wege. Später ſtellte ſich das Leiden in verſtärktem Maße ein. Wenn er eine bekannte Perſon auf der Straße kommen ſah, bemächtigte ſich ſeiner ein eigentümliches Gefühl von Schüchternheit und Furcht, er könne bei der Begegnung rot werden. Deshalb blickte er ſeitwärts in ein Schaufenſter oder betrachtete irgend ein Gebäude. Aber es kam ihm vor, als ob die ſich nähernde Perſon ihn fixieren würde. Dann fühlte er um ſo größere Unruhe und wurde glühendrot. Deſſen war er ſich ſtets bewußt, aber trotzdem konnte er ſich der un- begründeten Furcht vor dem Erröten nicht erwehren. In der Anterhaltung fürchtete er ſtets, etwas Törichtes zu ſagen und ſich lächerlich zu machen.

Solche Perſonen grübeln dann über ihren Zuſtand nach, ärgern und ſchämen ſich und verfallen in melancholiſche Stim- mung. Oft nehmen ſie ihre Zuflucht zum Alkohol, der ihnen Mut verſchaffen ſoll. Weichliche Gemüter werden durch die unaufhörliche Wiederkehr des Anfalles förmlich zur Ver- zweiflung getrieben, ziehen ſich von aller Geſellſchaft zurück und denken ſchließlich ſogar an Selbſtmord.

In allen dieſen Fällen handelt es ſich um eine krankhafte Reizbarkeit des Nervenſyſtems, die durch unglückliche Lebens- verhältniſſe oder ſchlechte Lebensführung entſtanden iſt, aber auch durch Vererbung erworben ſein kann. So iſt ein Fall bekannt, wo dieſe „Errötungsfurcht“ ſich mit einer einzigen Ausnahme auf ſämtliche Kinder in einer Familie, ſowie auf den Vater und ſeine Schweſtern erſtreckte.

Man darf alſo im täglichen Leben dem Erröten nicht ſo viel moraliſche Bedeutung beimeſſen. So manches ganz unſchuldige Kind wird rot bei dem ſtrengen Verhör des Lehrers vor der ganzen Klaſſe oder bei den drohenden Worten des Vaters. Zu leicht heißt es dann zu dem eingeſchüchterten Kinde: „Du wirſt rot, dein Schuldbewußtſein verrät dich!“ Vor dieſem Trugſchluſſe müſſen ſich alle Erzieher hüten, denn er bildet eine pädagogiſche Verſündigung und ruft beim Kinde Trotz und Verſtocktheit hervor. Ebenſo verhält es ſich mit dem Erröten einer vor Gericht vernommenen Perſon. Namentlich Leute,

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die zum erſten Male vor Gericht kommen, erröten und erblaffen viel leichter als ſolche, die dies gewöhnt ſind.

Erzieher, Richter und Verliebte mögen dem Erröten alſo nie zu große Bedeutung beimeſſen! Dr. G. Th.

Neue Erfindungen. Der Handlöſcher „Alpha“. Auf dem Gebiet des Feuerlöſchweſens werden täglich neue Apparate aller Art konſtruiert, um a nicht nur den Herd des ausbredhen- den Feuers einzudämmen, fon- dern auch letzteres endgültig zu löſchen. Als eine hervorragende Neuheit bringt die Alpba-Appa- ratebau- und Vertriebsgeſellſchaft m. b. H. in Hamburg, Rathaus- ſtraße 2, einen Handfeuerlöfchap- parat in den Handel, der außer- ordentlich vereinfacht iſt. Viele alten Syſteme, welche auf Säureent⸗ wicklung beruhen, werden durch dieſen neuen Apparat weit in den Schatten geſtellt. Ein trockenes Löſchpulver, welches in Waſſer auf- gelöft wird, wird durch eine Kohlen- ſäurepatrone aus der Kapſel hervor- getrieben und genügt, einen großen Brand zu löſchen. Die Entla— , 5 dung iſt außerordentlich einfach Der Handloſcher und praktiſch, fo daß jeder Laie, „Alpha“. ſelbſt ein Kind imftande iſt, den Apparat zu entladen. Jeder Apparat iſt mit einem Metall- oder Gummiſchlauch verſehen, womit jede Höhe erreicht werden kann. Der Apparat iſt ſehr zuverläſſig und für jede Perſon ungefährlich.

Außer dieſem Alpha-Handlöſcher wird noch eine beſondere Spezialtype für Schulen, Erziehungsanſtalten uſw. hergeſtellt. Dieſe zeichnet ſich durch beſonders einfache Handhabung aus und enthält, um jede Unklarheit bei dem Gebrauch des Apparates von vornherein zu beſeitigen, in deutſcher Schrift ausgeführte

220 Mannigfaltiges. 2

Anweiſungen, die ſo kurz und trotzdem ſo klar abgefaßt ſind, daß jeder Menſch ſofort begreifen kann, wie der Apparat zu be— nützen iſt.

II. Stopfapparat „Magic Weaver“. Ver- zweifelt ſehen die vielgeplagten Hausfrauen auf den vollen Stopfkorb nieder, denn die mühſeligen, langweiligen und

Der Handlöfher im Gebrauch.

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zeitraubenden Stopfarbeiten wollen kein Ende nehmen. Hier ſchafft ein neuer Apparat die längſt erſehnte Abhilfe, da „Magie Weaver“ (Wunderweber), durch die Firma Richard Ackermann in Gößnitz S.-Altenb. in den Handel gebracht, für Mädchen wie Frauen von großem Vorteil und praktiſcher Verwendbarkeit iſt, ein höchſt rielſeitiger Heiner Apparat, mit welchem Strümpfe, Leinen zeug uſw. ganz ſelbſtändig, ſchnell und wunderſchön gleichmäßig wie neu gewebt wiederhergeſtellt werden können. Der zu ſtopfende Gegenſtand wird auf der flachen Seite des Stopf- holzes mittels des Ringes fo eingeſpannt, daß die be- ſchädigte Stelle die Mitte einnimmt. Die Appa- ratenteile werden ſodann, die Nadel ſeitwärts ge- nommen, je nach Bedarf der Größe der ſchadhaften Stelle in die Filzdecke des Stopfholzes einander ge- genübergeſteckt, und zwar 15 der mit B bezeichnete F Teil, „Webehaten“ ge- S nannt, nach oben, der AJ S

zweite Teil C, „Rontra- n

haken“ genannt, etwas Stopfapparat „Magic Weaver“. unter der ſchadhaften

Stelle. Wie webt man nun damit? Man drückt mit dem Daumen die Webehaken etwas in die Höhe und ſchiebt bzw. zieht die Nadel verkehrt genommen, damit ſich die Wolle nicht ſpalte, ſtets oben an den Webehäkchen zwiſchen die Kettenfäden durch, die Nadel gleichzeitig, bevor dieſe hinausgezogen wird, an den unteren Rontrahaten feſt anſchiebend, wodurch das Gewebe dicht wird; man befeſtigt den Faden mit einem kleinen Stiche an der Seite, wendet die Webehäkchen und fährt ſo fort, indem man nach jeder Fadeneinlage abwechſelnd die Häkchen umdreht, bis der Gegenſtand vollſtändig ausgefüllt iſt. Nachdem die Teile ausgehakt ſind, werden die Endteile in gewöhnlicher Weiſe,

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1. 1 HUN

222 Mannigfaltiges. 0

am beiten überwendlich, vernäht. Man erreicht mit dieſem „Magic Weaver“ -Stopfapparat Augenſchonung, Zeiterſparnis, Haltbarkeit, Schönheit und Gleichmäßigkeit der Arbeit in auf- fallender Weiſe.

In der Zerſtreutheit. Einer der Statthalter von Pa- läftina zur Zeit des römiſchen Kaiſerreichs war Salvius Flagellus, ebenſo bekannt durch ſeine Freude an den Wiſſenſchaften als durch ſeine Zerſtreutheit. Als einmal eine größere Anzahl Kriegsgefangene hingerichtet werden ſollten, ließ Salvius Flagellus dieſe auf dem Markte von Zerufalem in langer Reihe aufſtellen. Sie ſollten als abſchreckendes Beiſpiel durch eine Ab- teilung römiſcher Bogenſchützen erſchoſſen werden, doch hatte Flagellus vorher den Offizier, der die Bogenſchützen befehligte, verſtändigt, daß man auf ein Zeichen von ihm mit der Exekution aufhören und dem Refte der Gefangenen das Leben ſchenken ſolle. Zum Unglück der Gefangenen erregte die Sonne, die ſich in einem auf der Erde liegenden Glasſplitter mit ihren Strahlen brach und ein beſonderes Farbenſpiel abgab, die Aufmerkſamkeit des Statthalters, der der Hinrichtung beiwohnte. Er vertiefte ſich in Gedanken über die wunderbare Erſcheinung der Brechung des Lichtes und vergaß darüber feine Umgebung fo vollkommen, daß er es unterließ, dem Offizier das Zeichen zur Beendigung der Exekution zu geben. Erſt als ihm dieſer meldete, daß ſämtliche Gefangene tot ſeien, fand er ſich in die Wirklich- keit zurück und verließ nach einem zerſtreuten Blick au die Reihe der Leichen den Marktplatz.

Von dem franzöſiſchen Dichter Voltaire, dem Freunde Friedrichs des Großen, wird eine Geſchichte erzählt, die ebenfalls von der zeitweiſen Geiſtesabweſenheit des großen Franzoſen, aber ebenſo auch von deſſen berüchtigter Anmaßung ſpricht. Voltaire hatte die Angewohnheit, ſeine Gedanken, gleichviel wo er ſich befand, zu Papier zu bringen. Zu dieſem Zwecke trug er ſtets ein Büchlein bei ſich, in dem er beſonders klangvolle Reime und geiſtreiche Einfälle vermerkte. Bei einem Hoffeſte im königlichen Schloſſe in Berlin ſaß bei der Tafel rechts von Voltaire die durch ihre Schönheit und Anmut bekannte Fürſtin R., während zur Linken des Dichters der General

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v. Seydliß feinen Platz hatte. Voltaire, der ſich bis dahin ſehr lebhaft nach beiden Seiten unterhalten hatte, verſtummte plötzlich, zog ſein Büchlein hervor und begann zu ſchreiben. Minuten vergingen, und die neben ihm Sitzenden verhielten ſich aus Reſpekt vor dem berühmten Manne vollkommen ruhig, um ihn nicht zu ſtören. Schließlich dauerte dieſe Pauſe der lebhaften Fürſtin R. aber doch zu lange, und ſie wandte ſich wiederholt mit der Frage an Voltaire, was er ſich denn da aufſchreibe. Dieſer war aber ſo ſehr in ſeine Arbeit vertieft, daß er nichts hörte.

Da fühlte ſich Seydlitz verpflichtet, ihn aufmerkſam zu machen. Er ſtieß den Oichter leiſe an und flüſterte ihm zu: „Geben Sie acht, die Fürſtin ſpricht zu Ihnen.“

Voltaire ſchaute den General zerſtreut an und erwiderte laut: „Aber was geht das mich an!“

Erſt das ſchallende Gelächter der Umſitzenden zeigte ihm, wie ungalant er geweſen war.

Der Phyſiker Zſaak Newton ſaß an einem ſehr kalten Winterabend leſend in feinem Zimmer und fror ſtark. Er be- fahl daher zu heizen und rückte ſeinen Seſſel dicht an den Kamin, in dem eine Menge Holz aufgeſchichtet lag. Als ſich das Feuer allmählich immer mehr entfacht hatte und die Hitze den Ge- lehrten arg zu beläftigen begann, rief er nach feinem Diener, der aber erſt nach einer Weile erſchien. Newton war beinahe geröſtet. „Nimm den Kamin fort, du Faulpelz!“ rief er mit unge- wöhnlicher Gereiztheit und ſtampfte ärgerlich mit dem Fuße auf.

„Aber Herr,“ entgegnete der Diener mit leiſem Lächeln, „könnten Sie nicht eher Ihren Stuhl zurückziehen?“

„Auf mein Wort,“ ſagte Newton, jetzt erſt völlig zur Beſinnung kommend, und nickte dabei dem Diener freundlich zu, „daran habe ich wirklich nicht gedacht.“ W. K.

Königin Viktoria von England als Klavierſchülerin. Die Großmutter unſeres Kaiſers war eine begeiſterte Verehrerin der Muſik und ſelbſt ausübende Künſtlerin. Der berühmte Lablache war ihr Geſangslehrer und hat auch mit der Königin zuſammen verſchiedene Duette im engſten Geſellſchaftskreiſe geſungen. Alle bedeutenden Künſtler erhielten von der Königin

224 Mannigfaltiges. 0 Einladungen zu den Konzerten auf den Schlöſſern Windſor und Balmoral. Über alle Neuerſcheinungen auf dem Gebiet der Muſik war die Königin Viktoria genau unterrichtet, auch der Muſik Richard Wagners hat fie großes Intereſſe entgegen- gebracht. Bei einem Hofkonzert begleitete ſie ſogar bei einem Liede die berühmte Jenny Lind am Klavier.

Reizend iſt eine Jugendepiſode aus dem Leben der Königin, die in ihren Kinderjahren dem Üben am Klavier wenig Neigung entgegenbrachte. Als eines Tages die Prinzeſſin ihre Ton- leiter üben ſollte, konnte die Muſiklehrerin den Schlüſſel zum „Inſtrument nicht finden. Alles Suchen war vergeblich. End- lich fragte die Lehrerin ihre Schülerin nach dem Verbleib des Schlüſſels.

O,“ ſagte die Prinzeſſin, „der Schlüſſel iſt in meiner Taſche. Ich werde ihn aber auf keinen Fall herausgeben, denn ich habe jetzt keine Luſt, langweilige Tonleitern zu ſpielen.“

In ernſtem Tone erklärte die Lehrerin: „Prinzeſſin, Sie haben den Schlüſſel ſofort herauszugeben!“

„Fällt mir gar nicht ein! Einſt werde ich die Königin von England ſein, und darum werde ich tun und laſſen, was ich will.“

Die Lehrerin erklärte nun der Prinzeſſin, wie falſch ihre Anſicht ſei. Jeder Menſch habe die Pflichten zu erfüllen, die das Leben an ihn ſtellt, und je höhergeſtellt ein Menſchenkind ſei, um ſo größer ſeien auch die Pflichten, die es zu erfüllen hätte.

Da trat die Prinzeſſin an das Klavier heran, ſchloß es auf, klappte aber den Deckel des Inſtrumentes ſofort wieder zu und ſagte: „So, nun habe ich meine Pflicht erfüllt. Wenn ich aber einmal Königin bin, werde ich mich auch einer Pflicht erinnern, und zwar der, mein armes Volk nicht mit Klavierſpielen zu plagen. Davor werde ich es zu ſchützen wiſſen!“

Damit ließ fie die Muſiklehrerin ſtehen und ſprang da— von. A. M.

Entſtehende Sonnen. Nach der Theorie von Laplace ſind unſere Erde und die übrigen Planeten durch die Abkühlung und Verdichtung feuerflüſſiger Gasmaſſen entſtanden, nachdem dieſe von der Sonne ausgeſtoßen worden waren. Laplace

0 Mannigfaltiges. 225

ſtützte ſeine Theorie auf den gegenwärtigen Zuſtand unſerer Sonne, die, wie wir jetzt durch die Spektralanalyſe wiſſen, ja im weſentlichen aus ſolchen Maſſen beſteht, und er wies ferner- hin auf die Beſchaffenheit unſerer Planeten hin, von denen noch heute verſchiedene glühende Körper darſtellen.

Eine gewichtige Beſtätigung hat dieſe Auffaſſung durch die

Der Spiralnebel in den Jagdhunden.

erſt in neuerer Zeit verfeinerte Erforſchung der Nebelflecke ge- funden, die uns einen weiteren wichtigen Schritt in unſerer Erkenntnis über die Entſtehung des Weltalls tun laſſen. Denn dieſe ſchimmernden, wolkenartigen Gebilde geben uns eine Vorſtellung, welchen Entwicklungsgang unſere Sonne einſt vor unzähligen Millionen von Jahren durchlaufen hat. Nach dem neuen Generalkatalog von Dreyer und feiner Ergänzung wer- den jetzt 9569 Nebelflecke gezählt. 1910. I. 15

226 Mannigfaltiges. a]

Diefe Bereicherung unſeres Wiſſens über die Zahl der Nebelflecke verdanken wir der Photographie, durch die eine lange Reihe von Nebelflecken entdeckt wurde, die durch das Teleſkop überhaupt nicht oder doch nur unſicher wahrzunehmen ſind. Zugleich aber hat uns auch die Photographie über die Geſtalt und Bewegung der Nebelflecke nähere Auskunft gegeben.

Der Spiralnebel im Großen Bär.

Über ihre Zuſammenſetzung dagegen belehrt uns das Spektro— ſkop, das zeigt, daß ſie aus rieſengroßen, glühenden Gasmaſſen gebildet werden.

Im Gegenſatz zu den Sternen, die ſich in der Nähe der Milchſtraße beſonders dicht zuſammendrängen, find die Nebel- flecke dort ſelten. Am häufigſten vertreten ſind ſie auf der nördlichen Halbkugel im Sternbild der Jungfrau, während

a Mannigfaltiges. 227

fie auf der ſüdlichen Halbkugel eine dichte Maſſe in den foge- nannten Magellaniſchen oder Kapwolken bilden. n

Man unterſcheidet verſchiedene Formen von Nebelflecken. Die intereſſanteſten von ihnen ſind die Spiralnebel, die uns erkennen laſſen, daß ihre glühenden Gasmaſſen mit einer Aus- dehnung von Billionen von Kubikkilo metern in einer ſpiraligen Umdrehung begriffen find. Unter den Spiralnebeln iſt bejon- ders merkwürdig der in den Jagdhunden. Dr. Roſſe beſchrieb ihn nach dem Befund in ſeinem Spiegelteleſkop als ein leuch- tendes, ſchneckenartig gewundenes Tau, deſſen unebene Win- dungen im Mittelpunkt und nach außen hin von körnigen Knoten durchſetzt find. Die neueſten photographiſchen Auf- nahmen zeigen, daß die Spirale aus zwei Zweigen gebildet wird, von denen der eine weit nach Süden ausſchwingt und ſich an ſeinem Ende kugelartig zuſammenballt. Wir erkennen alſo ſchon an dieſem Spiralnebel an einigen Punkten das Beſtreben nach Verdichtung.

Eine weitere Stufe in dieſem Entwicklungsprozeß führt uns der Spiralnebel im Großen Bär vor. Auch dieſer Spiral nebel beſitzt noch zwei Zweige, aber der Mittelpunkt, um den ſich die Zweige drehen, iſt ſchon bei weitem dichter und ab- geſchloſſener. Wie ſich dann dieſer Entwicklungsgang fernerhin fortſetzt, darüber belehren uns die ſogenannten planetariſchen Nebelflecke. Sie erſcheinen im Fernrohr als matte Scheiben von geringem Durchmeſſer, die noch von einem feinen Nebel- ſchleier umgeben ſind. Dieſe letzteren Nebelflecke ſind demnach dem Zuſtand ganz nahe, in dem ſich unſere Sonne heute befindet, und fie bilden damit das Übergangsglied zu den Fix- ſternen, die bekanntlich nichts anderes ſind als unendlich weit von uns entfernte Sonnen. Th. S.

Gerichtlich anerkanntes Geſpenſt. Im Zahre 1688 be- langte eine Frau Booty einen Schiffskapitän Barnaby wegen Verleumdung ihres verſtorbenen Gatten. Der Kapitän war auf ſeiner letzten Fahrt mit mehreren Freunden auf der ita— lieniſchen Inſel Stromboli an Land gegangen, um Kaninchen zu ſchießen. Am Nachmittag ſah er zwei Geſtalten zu dem Vulkan der Inſel laufen und in Rauch und Flammen ver-

228 Mannigfaltiges. a

ſchwinden. Barnaby rief aus: „Gott ſchütze uns, der erſte „Läufer war der alte Booty, mein nächſter Nachbar daheim!“

Bei ſeiner Rückkehr nach England erfuhr der Kapitän, daß Booty genau zu der Stunde geſtorben ſei, als er die beiden ſeltſamen Geſtalten auf Stromboli zum Vulkan laufen ſah, und ſtellte die Vermutung auf, es ſei der Geiſt Bootys geweſen, der vom Teufel zum hölliſchen Feuer gebracht worden ſei. Dafür begehrte Bootys Witwe eine Buße von tauſend Pfund Sterling.

Bei der Verhandlung wurden Bootys zuletzt getragene Kleider auf den Gerichts tiſch gelegt, und die Freunde Barnabys beſchworen ohne Zaudern, daß ſie ganz genau, ſogar in der eigentümlichen Form der Knöpfe, mit den Kleidern des Mannes auf Stromboli übereinſtimmten. Auf den Richter machten dieſe Ausſagen ſolchen Eindruck, daß er die Klage der Witwe ab- wies und dadurch mittelbar zugab, daß der Teufel den verftor- benen Booty zum Höllenſchlunde getrieben habe. O. v. B.

Erdbeben auf Befehl. Daß es auch Erdbeben auf Be- ſtellung gibt, beweiſt folgendes Geſchichtchen, das der Geiftes- gegenwart der japaniſchen Diplomaten ein glänzendes Zeugnis ausſtellt. Vor einigen Jahren weilte der Herzog von Connaught in Japan und wurde dort von den Behörden und vom Hofe in prunkvollſter Weiſe aufgenommen. Als er eines Tages bei einem japaniſchen Diplomaten zu Gaſte weilte, wollte er feinem Wirt ein Kompliment machen und ſagte: „Das Pro- gramm, das Eure Exzellenz für meinen Empfang vorbereitet haben, iſt ſo großartig und umfangreich, auch ſo geeignet, mir alle Eigentümlichkeiten Ihres Landes vor Augen zu führen, daß ich ganz überwältigt bin! Eines natürlich,“ fügte der Herzog lachend hinzu, „ſtand nicht in Ihrer Macht in das Pro- gramm aufzunehmen, was ich aber gern der Wiſſenſchaft halber miterlebt hätte, nämlich ein japaniſches Erdbeben, die ja jo häufig fein follen.“

In demſelben Augenblick fing die Erde zu zittern und zu dröhnen an, ein dumpfes Donnergeräuſch wurde hörbar, und die Gläſer klirrten auf dem Tiſch.

Der Diplomat ſprang auf und ſich in devoter Haltung an den Herzog wendend, der ebenfalls erſchrocken vom Stuhle auf-

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geſtanden war, ſagte er, ſeinen Vorteil raſch erfaſſend und zugleich eine Schmeichelei ausdrüdend: „Das von Eurer Rönig- lichen Hoheit befohlene Erdbeben!“ O. v. B.

Immer derſelbe. Im Jahre 1775 lebte zu Nantes in Frankreich der frühere Advokat Delorme, der ebenſo reich wie geizig war. Kein einziger Diener hielt bei ihm aus; denn er forderte nicht nur Arbeit von früh bis ſpät, ſondern auch die ſeltene Gabe, hungern zu können. Hingegen verſprach er, in ſeinem Teſtamente ausreichende Entſchädigung zu gewähren. Aber ein Diener nach dem anderen ging ebenſo ſchnell wieder davon, denn ſie konnten die mehr als ſchmale Koſt eben nicht aushalten.

Der Geizhals begriff endlich, daß er ſich ſelbſt werde bedienen müſſen, wenn er nicht die Beſtimmungen ſeines Teſtamentes bekannt gäbe. Er verſprach daher dem nächſten Diener, der ſich bei ihm meldete, daß er dem, der ihm die Augen zu- drücken würde, nicht allein eine Summe von tauſend Franken baren Geldes, ſondern außerdem noch ein Landgut vermachen werde. Auf Grund dieſes Verſprechens, das teſtamentariſch feſtgelegt wurde, blieb der Diener in der Hoffnung auf eine beſſere Zukunft und ertrug Hunger und Durſt heldenmütig. Ob er es lange würde ausgehalten haben, iſt zu bezweifeln, da ſtarb zu ſeinem Glücke ſchon nach ſechs Monaten der alte Advokat. N

Die Erben eilten ſofort herbei, denn die Erbſchaft war groß. Dennoch fanden ſie es ſehr ärgerlich, daß dem Diener ein ſo anſehnliches Legat hinterlaſſen worden war. Einer der Vettern wollte das Teſtament ſehen. Es wurde ihm über— reicht, und als er die Worte las: „Ich ſchenke und vermache demjenigen Diener, der mir die Augen zudrücken wird —“ rief er plötzlich ſchadenfroh: „Die Schenkung iſt null und nichtig!“

„Wie, mein Herr?“ ſtammelte der erſchrockene Diener.

„Null und nichtig!“ wiederholte jener. „Mein Oheim war einäugig, folglich habt Ihr ihm nur ein Auge, nicht die Augen, zudrücken können.“

Vergebens ſtellte der Diener vor, der Verſtorbene habe unter dieſem Ausdruck ſicherlich nichts anderes verſtanden, als

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ſeinen Tod, folglich das Legat dem zugedacht, der bis an ſeinen Tod bei ihm bleiben würde. Der Vetter behauptete, der Erblaſſer habe ſehr gut gewußt, daß er einäugig ſei, und ſich folglich bloß einen Spaß gemacht, indem er das Legat an eine unmöglich zu erfüllende Bedingung gebunden habe.

Der Diener machte die Sache bei den Gerichten anhängig, und ganz Frankreich intereſſierte ſich für den armen Diener, der ſchließlich auch den Prozeß gewann. W. B.

Ruſſiſche Bärenjagd. In den ausgedehnten und nur ſchwer zugänglichen Waldungen Rußlands ſind die gemeinen braunen Bären noch ziemlich zahlreich vertreten. Die Zäger

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ſuchen fie in Rußland gewöhnlich im Winterlager auf. Zit das Winterlager eines Bären entdeckt worden, ſo wird das Dickicht, in dem der Bär ſchläft, auf drei Seiten von Treibern umſtellt, während die vierte Seite von den Jägern beſetzt wird. Einer der Jäger ſchreitet darauf mit mehreren Hunden auf das Lager zu, um den Schläfer aufzuſcheuchen. Beim Nahen der Hunde verläßt er zumeiſt ſogleich das Lager, zieht ſich in das Dickicht zurück und ſucht dort durchzubrechen. Bietet ſich ihm hier kein Ausweg, ſondern wird er durch das Geſchrei der Treiber zurückgejagt, jo richtet er ſich auf, hält einige Augenblicke Am- ſchau und geht nun wackelnden Ganges auf den Angreifer los, um ihn durch Umarmen zu erdrücken oder mit den Tatzen niederzuſchlagen. nz

Ruhiges Blut und eine fihere Hand find unerläßliche Er- forderniſſe für einen Bärenjäger. Denn Meiſter Petz muß durch einen einzigen wohlgezielten, unbedingt tödlichen Schuß erlegt werden, da er, wenn er den Jäger einmal angenommen hat, auch durch die mutigſten und biſſigſten Hunde nicht in die Flucht getrieben wird. Unter dieſen Umftänden iſt, ſobald der Schuß nicht ſitzt, das Weidmeſſer die einzige Rettung für den Zäger.

Der Sicherheit wegen nimmt denn auch ein einzelner Jäger nur felten den Kampf mit dem Bären auf. Hat er Jagd- genoſſen in der Nähe, ſo iſt der eine oder andere gewöhnlich in der Lage, den verwundeten Bären, noch ehe er den erſten Schützen anfallen kann, durch einen zweiten Schuß niederzu- ſtrecken. Aber auch bei einer größeren Jagdgeſellſchaft ſind Unglücksfälle nicht durchaus ausgeſchloſſen. Wie zahlreich die Beute bei einer in einem ausgedehnten Waldrevier abgehaltenen Treibjagd ſein kann, zeigt unſer Bild. Auf dieſer Jagd, die in den kaiſerlichen Forſten ſtattfand, wurden nicht weniger wie ſieben Bären zur Strecke gebracht. Th. v. W.

Schiffſpuren anf dem Meere. Ein Dampfer verläßt den Hafen und gleitet hinaus in die See. Die Wogen heben und ſenken ſeinen ſchwarzen Körper ziemlich heftig, denn es weht eine ganz nette Briſe. Doch hinter ſich läßt er eine glatte, glänzende Bahn. Sogar wenn von ihm nur noch ein ſchwacher Rauchſtreifen am Horizont zu ſehen iſt, kann man doch immer

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noch gewiſſermaßen feine Spur auf der weiten Vaſſerbahn verfolgen. Die Sonne ſpiegelt ſich in dieſer Spur noch einmal ſo hell, und ſie zeichnet ſich wie ein langer, erſt breiterer und dann immer ſchmaler werdender Streifen, der am Horizont zuletzt nur noch eine dünne gleißende Linie iſt, auf dem Waſſer ab. Stundenlang iſt dieſe Spur noch zu ſehen, dann erſt verſchwindet ſie langſam.

Hinterläßt ein jedes Schiff ſolche Spur? Nein, nur ein Dampfer, niemals ein Segelſchiff! Oft ſchon iſt dieſes maleriſch wirkende Phänomen dichteriſch verwertet worden, aber wohl nur wenige Leſer werden wiſſen, welche im Grunde ſehr einfache Erklärung dieſer als dichteriſches und maleriſches Stimmungsmittel ſo viel benützten Erſcheinung zugrunde liegt.

Sie ergibt ſich aus der Beobachtung, daß eben nur Dampfer dieſe Spur hinterlaſſen, und iſt recht unpoetiſch. Die glän- zenden Streifen find nämlich nichts als Olflecke, die der Oampfer hinterläßt, und die Spur dauert ſo lange an, weil trotz der geringen Olmengen, um die es ſich handelt, das Ol eben nur ſehr langſam vom Waſſer verdrängt wird.

Wo aber kommt dieſe Ölfpur her? „Aha!“ wird da mancher in dunkler Erinnerung an ein oft gebrauchtes Seemannshilfs- mittel rufen: „Das Ol goß der Dampfer aus, um die Wellen zu beruhigen!“ Das ſtimmt nun nicht ganz, denn eine ſolche Olſpur hinterläßt jeder Dampfer, ganz gleich, ob die See unruhig iſt oder nicht, und es fällt keinem Kapitän ein, Ol auf das Meer auszugießen, wenn ihn nicht ganz beſonders zwingende Gründe dazu treiben; denn das wäre ein ſehr teurer Spaß. Nein, dieſes Ol kommt aus der Maſchine. Der Dampf reißt naturgemäß bei ſeiner Entwicklung erhebliche Mengen Schmieröl aus dem Zylinder mit. Dieſes Ol wird im Kondenskeſſel mit nieder- geſchlagen und ſtrömt durch die Kondenswaſſerabflußröhren mit ab, verbreitet ſich nun ſehr raſch auf der WVaſſeroberfläche und bildet eine dünne Schicht. Große Wellen kann dieſe ſchwache Olſchicht freilich nicht glätten, denn dieſe haben zu große Kraft, als daß eine ſo ſchwache Oberflächenſpannung, wie fie die Olſchicht darbietet, fie beeinfluſſen könnte; aber die

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kleineren Wellchen, die ſogenannten Kräuſelwellen, werden plattgedrückt, weil die Olfläche nicht elaſtiſch iſt und ſich deshalb mit Erfolg ihrem Anſturm widerſetzen kann. Daher die glän- zende Glätte einer Dampferſpur. Weil nun aber in den großen Waſſermaſſen des Meeres nach und nach die kleine Olmenge nach unten geriſſen und verteilt wird, verſchwindet die glänzende Spur nach einiger Zeit. O. Th. St.

Eigenartige Wette. Auber, der Komponiſt der geift- vollen komiſchen Opern Fra Diavolo, Maurer und Schloſſer und ſo weiter, war wegen ſeiner witzigen und ſchlagfertigen Antworten in Künſtlerkreiſen bekannt. Da er durch ſeine Opern bedeutende Einnahmen hatte, ſo hatte Auber ſelbſt im hohen Alter noch den Wunſch, recht lange und recht vergnügt leben zu können. So manchen ſeiner Freunde ſah er ins Grab ſinken, er ſelbſt wollte nicht an ein baldiges Ende glauben.

Als man den Komponiſten Meyerbeer zur letzten Ruhe gebettet hatte, fuhr Auber mit dem ihm befreundeten Roſſini vom Kirchhof nach Hauſe zurück. Ernſt ſaßen ſich die beiden großen Komponiſten im Wagen gegenüber, und lange ſah der zweiundſiebzigjährige Roſſini den bereits über achtzig Jahre alten Auber an, um dann plötzlich zu ſagen: „Drei wirkliche Komponiſten lebten in Paris. Meyerbeer, Auber und ich. Nun iſt der erſte davon für immer von uns gegangen. Wen mag das Schickſal an zweiter Stelle abberufen?“

Lachend entgegnete ihm Auber: „Der zweite, den das Schickſal abruft, ſind Sie, mein lieber Freund Roſſini, ſo leid es mir auch tut, Ihnen dies ſagen zu müſſen!“

„Woher wollen Sie das wiſſen?“

„Ich weiß es eben und bin gerne bereit, mit Ihnen zu wetten, obgleich ich faſt zehn Jahre älter bin als Sie. Wollen wir alſo um tauſend Franken wetten? Zeder vermacht fie dem Überlebenden in ſeinem Teſtament mit der Bedingung, dafür ſeine Bekannten zu einem feinen Souper einzuladen! Sch werde Faſanen dazu beſtellen, denn die eſſe ich für mein Leben gern.“

Die Wette wurde abgeſchloſſen, und richtig konnte Auber ſeine geliebten Faſanen im Kreiſe der eingeladenen Freunde verzehren, denn Roſſini ſtarb 1868, während Auber ſelbſt noch

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die ganze Belagerung von Paris miterlebte. Er ſtarb am 15. Mai 1871 im Alter von neunundachtzig Fahren. A. M.

Sprechende Kanarienvögel. Seit einiger Zeit iſt der Rana- rienvogel in einer ganz beſonderen Eigenſchaft den Liebhabern ent- gegengetreten und zwar in einer Begabung, die man bei ihm ei- gentlich wohl am wenigſten erwartet hätte als Sprecher nämlich.

Die Fähigkeit, menſchliche Worte nachzuahmen, iſt bisher nur bei Papageien, Krähen oder Raben und Staren zu finden geweſen, bis ſie nun alſo auch beim Kanarienvogel feſtgeſtellt worden iſt. So erzählte die „Times“, daß zu Scraps-gate bei Sheerneß ein Schafhirte namens Mungeam einen Ranarien- vogel habe, der Worte und ganze Sätze deutlich ſpreche. Manch- mal ſchalte er einige Worte in den Geſang ein, dieſelben ſeien aber deutlicher, wenn er ſpreche, ohne zu ſingen.

Man iſt nicht darauf ausgegangen, den Kanarienvögeln das Sprechen anzulernen, vielmehr nur durch Zufall iſt man zu der Überzeugung gekommen, daß auch er ſprachbegabt iſt. So kannte ich eine Dame, die einen jüngeren Kanarienvogel gekauft hatte, der nach einer ſchlecht überſtandenen Mauſer für immer verſtummt ſchien. Die Beſitzerin des Vogels rief nun dem Vogel öfters zu: „Sing doch, mein Mätzchen! Wie ſingſt du? Widewidewit!“ Man kann ſich wohl die Uberraſchung denken, als eines Tages der Vogel die ihm vorgeſprochenen Worte nachplauderte. Sobald die Dame auf den Vogel ein- ſpricht, fängt er nun auch wieder zu ſingen an, und mitten in ſeinem Geſange ertönt es dann: „Widewidewit wie ſingſt du, mein Mätzchen?“ Immer und immer wiederholt er, und deutlich und klar kann man die Worte verſtehen. Er ſpricht übrigens nur zu ſeiner Herrin und iſt keineswegs zahm, ſondern im Gegenteil gegen jeden anderen recht ſcheu.

Natürlich bringt der Kanarienvogel dieſe Worte nicht mit menſchlichem Ton hervor, ſondern er webt ſie mitten in den Geſang hinein. So klingt ſein „widewidewit“ ganz harmoniſch und man hört und unterſcheidet es mit voller Beſtimmt- heit. K. A. Sch.

Sprengung eines Schiffwracks. gſt ein geſcheitertes Seeſchiff in der Nähe eines Hafens an ſeichter Stelle unter-

A. Renard in Kiel phot.

ffwracks.

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Sprengung eines Sch

256 Mannigfaltiges. a]

gegangen, ſo daß ein Zeil desſelben noch aus der Flut her— vorragt, oder treibt ein herrenloſes Schiff halbzerſtört, das nicht mehr das Fortgeſchlepptwerden mittels eines Dampfers lohnt, auf den Wellen, ſo bildet ein ſolches Wräck eine große Gefahr für die Schiffahrt. Ein ſolches Verkehrshindernis muß beſeitigt werden. Es geſchieht am beſten durch Sprengen mittels Dynamit oder anderer Sprengſtoffe. Unſer Bild zeigt einen ſolchen, oft recht impoſanten Vorgang. Es zeigt den Augenblick der Exploſion, welche die Luft mit himmelwärts geſchleuderten Balken und Brettern erfüllt. Auf der fpiegel- glatten See tritt die furchtbare Gewalt des Vernichtungs- werks beſonders ſcharf hervor. g. P.

Amtlich oder außeramtlich? Als der ungariſche General Graf L. im Jahre 18 19 zum Chef der Exekutivkommiſſion ernannt worden war, hatte man ihm eine fo unbegrenzte Macht ver- liehen, daß, wie er ſelbſt ſagte, er im Grunde der Dinge Vize- kaiſer war. Einmal entdeckte er in Verfolgung einer gewiſſen Spur, daß einer der geſuchten Flüchtlinge von Zeit zu Zeit dem berühmten Schriftſteller und Philoſophen G. einen Be- ſuch abſtattete. Gleich darauf machte ſich L. in eigener Per- ſon auf und ſuchte G. in ſeinem Landhauſe heim, aber noch ehe er Zeit gehabt hatte, ſich e hatte der Schrift- ſteller ihn erkannt.

unvermittelt redete er ihn an: „Ich weiß, Sie find Graf L. Kommen Sie in amtlicher Eigenſchaft zu mir heraus oder als Privatmann? Falls amtlich, ſo ſtelle ich Ihnen hier meine Schlüſſel zur Verfügung. Suchen Sie durch, was Sie wollen, öffnen Sie jeden Raum, jeden Behälter, der Ihnen verdächtig erſcheint. Es ſteht Ihnen alles frei.“

„Ich komme nicht amtlich, ſondern außeramtlich,“ erklärte ſein Beſucher.

„Ah ſo,“ war alles, was G. erwiderte. Nachdem er ſich aber einen beſonders handfeſten Knecht herbeigewinkt hatte, befahl er dieſem barſch: „Wirf einmal den Mann hier aus dem Hauſe!“

Der Bedienſtete führte den Befehl mit Kraft und Be— geiſterung buchſtäblich aus, ſo daß dem gefürchteten Chef der Exekutivkommiſſion weder Zeit noch Gelegenheit geworden

2 Mannigfaltiges. 237

war, etwas über ſeinen Zweck auszukundſchaften. Er hütete fi aber wohl, den greifen Schriftſteller deswegen zur Rechen- ſchaft zu ziehen, ſondern ſteckte die ihm widerfahrene Behandlung ruhig ein und machte, daß er ſortkam. C. D.

Moderne Amulette. Der New Yorker Schönen hat ſich wieder einmal eine neue Manie bemächtigt. Sie ſind zu der Überzeugung gelangt, daß es unmöglich fei, ſich den Ge- fahren des Großſtadtverkehrs anzuvertrauen, ohne einen Talis man bei ſich zu tragen. Ihre Wahl fiel auf die glückbringende Kraft allerliebſter Miniaturelefanten aus zart roſig getöntem Elfenbein; ferner auf fein gearbeitete goldene Statuettchen des Buddha und ſchließlich noch auf Steine, die von den my- ſtiſchen Waſſern des Nils ans Ufer geſpült wurden. Einen dieſer drei modernſten Glückſpender muß man unbedingt ſein eigen nennen. Aber aus Japan, Indien oder Agypten müſſen dieſe Artikel unbedingt bezogen ſein, wenn ſie wirklich Glück bringen ſollen. Außerdem muß der Talisman als Geſchenk von einer befreundeten Perſon kommen.

Die Miniaturelefanten als Amulette zu tragen, haben einige in New York lebende Japanerinnen eingeführt. Zede der ſchlitzäugigen Schönen iſt im Beſitz des bewußten Ele- fanten. Man trägt die zierlichen Dinger an feinem Gold- kettchen um den Hals.

Die Goldbuddhas aufzutreiben, ſoll ziemlich ſchwer halten. Die begehrteſten kommen, einzeln in winzige Sandelholz— käſtchen verpackt, direkt aus dem Märchenlande am Ganges. Man muß das duftende Etui eigenhändig ohne Zeugen öffnen, und das Statuettchen fofort um den Hals hängen. Kein pro- faner Blick darf es treffen.

Das koſtbarſte Amulett, an deſſen Wirkſamkeit die Aer niſchen Modedamen zuverſichtlich glauben, iſt jener unfchein- bare, leicht zerbröckelnde Stein, wie er dann und wann am Nilufer zu finden iſt. Ein Nilſteinamulett zu beſitzen, darin gipfelt die Sehnſucht aller vom Aberglauben umfangenen Damen New Ports. O. v. B.

Die Tafelprobe. Der Erztanzler Napoleons I., Cam- baceres, war wegen feines Geizes in ganz Paris berüchtigt.

238 Mannigfaltiges. 8 u

Eines Tages lieferte ihm ein Möbelfabrikant eine beſtellte Tafel für ſechzig Perſonen ab. Der Kanzler befahl, ſie im Speiſeſaale aufzuſtellen, und als dies geſchehen war, ſagte er dem Zifchler, fie ſei entſchieden zu klein ausgefallen. Er hoffte durch dieſe Bemängelung den Preis etwas herabzudrücken. Nach langem Streiten kam man überein, eine entſcheidende Probe zu machen. Sechzig Waurergeſellen wurden berbei- gerufen, die gerade auf dem Karuſſelplatz arbeiteten. Dieſe wuſchen ſich ſchnell Geſicht und Hände und eilten in den Palaſt. Hier wurden ſie in den Speiſeſaal geführt und um die Tafel geſetzt. Vor jedem Platz waren Teller, Meſſer, Gabel und Trinkglas, ſo daß die Leute annehmen konnten, ſie würden von dem Erzkanzler bewirtet werden. Alle warteten daher freudig der Dinge, die da kommen ſollten.

Allein ſtatt deſſen kommandierte Cambacöres plötzlich:

„Stellt euch, als ob ihr trinken wolltet! Tut, als ob ihr etwas auf dem Teller zerſchnittet!“

Die Leute taten wie befohlen, und der geizige Kanzler überzeugte ſich, daß die Tafel völlig ausreichend für ſechzig Perſonen war. Darauf wurden die Maurergeſellen wieder fortgeſchickt, ohne daß ſie auch nur ein Trinkgeld erhielten.

Für Cambaceres kam jedoch das dicke Ende noch nach. Napoleon hörte von dieſer Tafelprobe und, da er ſich ſchon lange über den unanſtändigen Geiz des Kanzlers geärgert hatte, befahl er dieſem, die ſechzig Maurergeſellen an derſelben Tafel in aller Form auf das beſte zu bewirten. Und da der Kaiſer ſich das Gaſtmahl ſelbſt anſah, ſoll es Cambaceres ein ſchönes Stück Geld gekoſtet haben. W. K. Diplomatenſchliche. Unter der Regierung des alt- chineſiſchen Kaiſers Shindſung war ein gewiſſer Wang- kuni lange Jahre hindurch erſter Miniſter. Er galt zu ſeiner Zeit für einen großen Diplomaten und erhielt nach ſeinem Tode den Beinamen „der Miniſter von drei Willen“, weil er nämlich ſtets ſowohl auf den vergangenen, als auf den gegenwärtigen und endlich ſogar auf den zukünftigen, noch gar nicht vorhandenen Willen ſeines Gebieters ſich berief.

Dieſe geſchichtliche Tatſache erinnert an den engliſchen

2 Mannigfaltiges. 239

Staatsmann Pitt den Züngeren, der über jeden Gegenſtand drei Meinungen beſaß. „Dieſes,“ ſagte er gewöhnlich, „iſt meine Privatmeinung, dieſes meine offizielle und dieſes meine öffentliche Meinung.“ M. L. Wie die Völker lachen. Darüber macht eine Pariſer Zeitung die folgenden Bemerkungen. Wo man am meiſten lacht? In Brüſſel. Am ſeltenſten? In Madrid. Am ſchönſten aber lacht man in Paris. Kein Wunder, hat es in der Seineſtadt doch früher ſogenannte Lachmeiſter gegeben, die nicht nur in der gefälligen Unterhaltung Unterricht gaben, ſondern ihren Schülern und Schülerinnen beibrachten, daß ein meckerndes, wieherndes oder ſonſtwie unangenehm tönendes Lachen ge- radezu beleidigend ſei. Der Franzoſe von heute lacht weniger als früher, manche führen das auf das Häßlicherwerden der Zähne zurück. Er lacht freundſchaftlich ohne Nachgedanken. Ahnlich auch der Oſterreicher. Sein Lachen iſt friſch und zeugt von Mitteilſamkeit. Ganz beſonders entzückend iſt das geiſtreiche Lachen der Wienerin mit den kleinen weißen Zähnen. Ganz anders der Engländer! Er lacht kurz, hart, trocken, gerade ſo, als ob er ſich durch dieſe Gefühlsäußerung zu feiner Umgebung herabließe. Mitglieder der vornehmen engliſchen Ariſtokratie lachen überhaupt faſt nie. Der Brüſſeler dagegen lacht unbändig laut. Die Brüſſeler Damen lachen in den höchſten Tönen, und einige waren ihres Lachens wegen geradezu berühmt, ſo Frau Bianka Duchanel und Mariette Sully. Das Lachen in ſeiner natürlichſten, reinſten und friſcheſten Form ſoll man bei dem Amerikaner finden. Sein Lachausbruch iſt urwüchſig, ungekünſtelt und darum fortreißend. O. v. B. Die Waldfee. Den beſtrickenden Zauber des Waldes, wie er vom Frührot übergoſſen wird, wie um die Mittagszeit ein geheimnisvolles Schweigen durch die träumenden Stämme ſchreitet oder wie das ſilberne Mondlicht Buſch und Schlucht erfüllt, zu ſchildern, werden unſere Dichter und Maler niemals müde. Immer wieder regen ſie die keuſchen Reize des Waldes zu neuen Schöpfungen an. Einem ſolchen künſtleriſchen Emp- finden iſt auch das Gemälde von W. Ebbinghaus „Die Waldfee“ entſprungen, das wir unſeren Leſern und Freunden in dieſem

240 Mannigfaltiges. 2

Fahre als Olfarbendruckbild darbieten. Auf ihm iſt die Poeſie des mondlichtdurchfluteten Forſtes in der jungfräulichen Waldfee verkörpert, die, in wallende, weiße Gewänder gehüllt, auf ſchneeigem Zelter dahinreitet. Ihr hat der Künſtler zur Ver- ſinnbildlichung der dichteriſchen Gefühle, die die Schönheit des Waldes in uns auslöſt, einen fahrenden Minneſänger gegenüber- geſtellt. Von der überirdiſchen Anmut der lichtumglänzten Erſcheinung entzückt, iſt der Sänger in das Knie geſunken und blickt verehrungsvoll zu ihr auf. Ihre Haltung verrät, daß ſie ihn mahnt, die Herrlichkeit des Waldes in Kun Liedern zu beſingen und zu preiſen.

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Ein Haſe zum Selbſtkoſtenpreis. Ein bekannter rheiniſcher Großinduſtrieller hatte auch eine Jagd gepachtet und wurde von einer verwandten Dame gebeten, ihr doch auch einmal einen Haſen abzulaſſen. „Und nicht wahr, lieber Alfred, zum Selbſtkoſtenpreis!“ fügte ſie bei.

Einige Tage ſpäter bekommt ſie den Haſen zugeſchickt und dazu folgende Abrechnung:

gagdp acht. . Mark 600.— Zagdaufſ eher 100.— Wildſchaden ; 3 50.— Patronen 60.— Schmerzensgeldee . 450.— I Mark 1260. Erlegt wurden 23 Hafen. Ich darf dich alſo wohl um den Selbſtkoſtenpreis von Mark 54.78 für das beifolgende Exemplar bitten. Weitere ſtehen zu dem gleichen Preiſe gerne zur Ver- fügung. Dein Alfred.“ C. T. Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, in Oſterreich⸗Ungarn verantwortlich Dr. Ernſt Perles in Wien.

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