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Snhalts-Verzeichnis. 2

Seite Ein guter Rae. 222 Die Ohnmachtzie gen .. 223 Ein intereffa ites Buch.. 225 Warum iſt der Durſt ſchwerer zu on als Ber Hunger? er Be ee u GE VER}.

Frühchriſtliche Altertümer e A2L Mit 2 Bildern.

Die Mutter Mac Mahonns . 229 Die K.age des Prügelmeifters . . 2 . 250 Churros und Bunuelo s 231 Ein alter Brief May 233 Denkmal zur Erinnerung an n die Schlacht bei Seine

müngftebt x. = 0.2 0x su. #8 4a. 2383 Mit Bild.

Ein unaufgeklärtes Geheimnis . 235 Die Roſe in der Küche . . 235 Das Wörtchen „machn ns. . 238 Der Brauch des Vielliebcheneſſens. 239 Ein Haus aus einem Stein erbaut . 239 Ein Mittel gegen Halsſchmerzen . . 240

Willſt du dein Herz mir ſchenken

Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel).

(Fortſetzung und Schluß.) V (Nachdruck verboten.)

ch habe mit den Kniebels nichts mehr zu jchaf-

fen,“ ſagte Frau Müllbrich, ihre Tränen

trocknend. „Sie haben mein Kind von mir l geriſſen immer, immer. 3b ſtehe jetzt allein —“

„Nicht allein und nie mehr allein!“ rief Warnulf.

Eines nur hatte die Rätin unerwähnt gelaſſen: Hartlebens einſtige Neigung zu Harda. Sie erſchien ihr angeſichts der unſauberen Brankowanſchen Machen- ſchaften ſo rein, ſo heilig, daß ihre Angſt davor halt machte.

„Sie werden Ihre Tochter tröſten und aufrichten,“ ſagte Warnulf mit warmer Herzlichkeit, „das übrige wird meine Sorge ſein. Vorerſt laſſen wir Liska nichts davon wiſſen. Ich habe ihr verſprochen, einen Brief von Ihnen mitzubringen. Bevor ich abreiſe, ſpreche ich alſo nochmals vor.“

Sie nickte. Aber über ihre Freude kroch abermals die düſtere Furcht. „Ich möchte Liska ſo gern in meine Arme ſchließen,“ ſagte ſie, ihr verweintes Ge— ſicht von ſeiner Schulter aufrichtend. „Aber wie kann ich? Harda iſt elend an Leib und Seele. Sie könnte

6 Willſt du dein Herz mir ſchenken a

ein ſolches Glück jetzt nicht in ihrer Nähe ertragen und Liska ſoll nicht ſo viel Tränen mit anſehen.“

Er umfaßte ſie herzlich. „Iſt denn mein altes Haus nicht groß genug für Sie und Harda? Glauben Sie mir, das Beſte, was Sie ihr bieten können, iſt Veränderung und Ruhe. Kommen Sie zu mir, ſo— bald Ihre Tochter reiſefähig iſt.“

„Wie ſoll ich Zhnen danken! Aber ich fürchte, ihre Nerven ſind ſo zerſtört, daß ſie einer anderen Heilung bedürfen. Sie kann nicht weinen ſie zittert nur fort und fort am ganzen Körper.“

„Arme Frau!“ ſagte er haſtig. „Dieſem Aben- teurer werde ich die Maske abreißen. Er ſoll den alten Warnulf kennen lernen. Schreiben Sie jetzt an Liska. Sind Sie damit einverſtanden, daß mein Junge noch ein Jahr im Dienſt bleibt, und die Hochzeit erſt dann gefeiert wird, wenn er den Abſchied genommen hat? Denn in der nächſten Nähe wollen wir die Kinder doch behalten wie?“

Sie lächelte glücklich. „Ich kann es immer noch nicht ganz faſſen.“

„Jetzt habe ich noch einen Gang zum Hauptmann Hartleben zu machen, den ich perſönlich von ſeiner Tante zu grüßen verſprochen habe,“ ſagte er, ſich ver- abſchiedend. „Dann hole ich mir den Brief.“

Er ſchritt hurtig die Treppe hinunter und über die Straße. Seine innere Entrüſtung trieb ihn vorwärts. Um Zeit zu ſparen, ſtieg er an der nächſten Ecke in ein Automobil und fuhr nach Hartlebens Wohnung.

Die drei Treppen wurden ihm nicht leicht, aber er kletterte ſie ſtramm hinauf und läutete.

Niemand kam.

Er läutete wieder und wieder.

„Es kommt niemand,“ ſagte eine Stimme hinter ihm.

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Roeppel). 7

Er wandte ſich erſtaunt um.

Auf dem Treppenabſatz zum oberen Stockwerk ſaß eine Geſtalt auf den Stufen, den Kopf in die Hand ſtützend. „Der Burſche iſt auch nicht zu Hauſe,“ fuhr der Mann fort. „Es nützt Ihnen nichts. Ich warte ſchon lange.“

5 He!“ Warnulf trat einen Schritt vorwärts. „Es kommt mir jo vor, als ob —“

Er konnte nicht ausſprechen. Der Mann war ſchon aufgeſprungen, hielt ſich am Geländer feſt und ſtarrte ihn an.

„Riedel du biſt's!“

Sofeph Riedel ſtand unbeweglich. Über feine un- geſunde Bläſſe ging ein flüchtiges Rot.

„Vas machſt du hier?“ fragte Warnulf ſtreng. Als er das Ringen und Zucken des hageren Körpers ge- wahrte, fragte er gütiger: „Wollteſt du um Hilfe bitten? Wäre es nicht beſſer, du ſuchteſt dir ehrliche Arbeit, ſtatt zu betteln und wieder auf Abwege zu geraten?“ ö

Riedel packte den Stock, den er in der Hand hielt, ſo feſt an, daß der Griff auseinanderbrach. Dann warf er den Reſt auf den Boden und drückte die Hände gegen die Augen.

„Es war doch ſchlimm genug,“ ſagte Warnulf milde.

„Ich finde als Zuchthäusler keine Arbeit mehr,“ ſtieß er rauh hervor. „Ich wollte deshalb fort und drüben in den Kolonien ein ehrliches Leben führen.“

„Die Überfahrt wollteſt du frei haben?“

Er nickte ſchweigend.

„Wäre es nicht richtiger, du verdingteſt dich auf einem Schiff als Heizer? Oder ſuchteſt ſonſt ſelb— ſtändig hinüberzukommen?“

„Wenn mich niemand nimmt —“

8 Willſt du dein Herz mir ſchenken 2

„Du ſcheuſt dich alſo nicht vor der Arbeit?“

„Vor keiner, gnädiger Herr. Ich will ja ein anderer Menſch werden. Heute morgen war ich noch mal ein Lump jetzt aber nie mehr. Ich —“ Er hielt inne. „Herr v. Warnulf gnädiger Herr! So wahr ich lebe, ich will mich beſſern, wenn ich nur eine Hilfe fände.“

Warnulf ließ ſekundenlang einen ſcharfen und feelen- kundigen Blick über ihn gleiten, dann gab er ihm die Hand. „Na, wenn es ſo ſteht, dann ſoll's mich freuen, dann ſoll's an der Hilfe nicht fehlen.“

Da ging's dem anderen wie ein Schlag durch die Glieder. Er ſtampfte auf und packte Warnulfs Hand, als wolle er ſie zerbrechen wie den Griff ſeines Stockes. „Ich will reinen Tiſch machen vor Ihnen,“ ſtieß er hervor. „Ich habe etwas zu ſagen mit hinüber— nehmen kann ich's nicht. Ich bin kein Mörder, ich habe den Amtsgerichtsrat Müllbrich nicht erſchoſſen ſo wahr mir Gott helfe. Aber ich kenne den, der's tat. Ich habe ihn geſehen, wie er —“

Warnulf preßte ihm die Linke auf den Mund. „Sei ſtill! Du haſt dir Feinde geſchaffen, du willſt dich rächen. Davon will ich nichts hören.“

Riedel ließ ſeine Hand nicht los. „Machen Sie mit mir, was Sie wollen, gnädiger Herr es muß aber heraus. Jahrelang habe ich geſchwiegen, weil ich mir eine Zukunft ſchaffen wollte —“

Warnulf ergriff den Schwankenden beim Arm. „Komm mit mir. Der Ort hier taugt nicht. Wenn du was auf dem Herzen haſt, ſag's aber nicht hier.“

In ſeinem Hotelzimmer ließ er Wein kommen, goß Riedel ein Glas davon ein und zwang ihn, es zu leeren.

Was dann geſchah, nachdem ein paar kurze Sätze an Warnulfs Ohr gedrungen, war dieſem Manne von altem Schrot und Korn niemals zuvor geſchehen. Er

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verlor die Kraft, aufrecht zu ſtehen, und ſank ſtarren Auges, wie vor den Kopf geſchlagen, in einen Seſſel. Riedel ſtand vor ihm, neben dem Tiſche, die Blicke zu Boden richtend, die Hände zu Fäuſten ballend.

Minutenlang ward kein Laut hörbar als die Atem- züge der beiden Männer, von denen der eine ſich ſo erleichtert fühlte wie der andere zum Umſinken beſchwert.

In ſeinem Hauſe! Von ſeinem Tiſch hinweg! Sein älteſter, beſter Freund! Warnulf drohte das Herz ſtill- zuſtehen. Mit dem Mörder an einer Tafel er, Müllbrichs Jugendgenoſſe!

Die Gedanken brauſten ihm durch den Kopf. Aber in dieſem Brauſen kam ihm plötzlich eine Erleuchtung fo hell, daß er aufſprang, als könne er dieſe Kette von Begebenheiten jetzt mit den Händen greifen. Alles, was ſich als Legende, Aberglauben und Geſchwätz um die Kataſtrophe zu ſchlingen ſchien Wahrheit war's, Tatſache.

Und jener Brief, der nicht zu enträtſelnde Brief? Brankowan war ein Spieler, ein Abenteurer, alſo auch gelegentlich ein Falſchſpieler. Wüllbrichs verſtörte Laune, ſeine finſtere Stimmung plötzlich er allein hatte nicht geſpielt er hatte beobachtet, geſehen

„Gnädiger Herr —“ ſagte Riedel ſcheu, als er die Wirkung ſeiner Mitteilung erkannte.

„Müllbrich Müllbrich!“ ſtöhnte Warnulf. Er konnte es nicht ertragen. Keine Vorte gab's für das, was gegen Brankowan in ihm tobte.

„Gnädiger Herr —“ ſagte Riedel noch einmal.

Sobald Warnulf ſeiner Stimme wieder mächtig war, ging er auf Riedel zu und faßte ſeinen Arm mit eiſernem Griff. „Ich will dir helfen, aber du ſchwörſt, daß von dem, was hier geſprochen worden iſt, niemals

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10 Willſt du dein Herz mir ſchenken Oo

und zu niemand ein Wort über deine Lippen gebt. Schwöre das bei Gott im Himmel! Schwöre es auch bei deiner Ehre, die du wiedergewinnen willſt!“

„Ich ſchwöre es,“ ſagte Riedel erſchüttert, „jo wahr ich ein beſſerer Menſch werden will.“

„Gut!“ Warnulf, ſeine Energie wiederfindend, gab ihm, was er zur Überfahrt nach Südweſt und zur Erwerbung einer Tätigkeit bedurfte. „Geh mit Gott, und vergiß nicht, daß du ein Barnekower Kind biſt, und was Paſtor Hartleben dich einſtmals lehrte. Zu danken brauchſt du mir nicht. Geh! Danke nicht. Ich muß jetzt allein fein.“

Mit raſchen Schritten ging Warnulf im Zimmer umher. Nun war er ganz allein verantwortlich dafür, daß die Rätin und ihre Kinder nie eine Ahnung be— ſchlich, daß die unglückliche Harda nie erfuhr, wen ſie als Gatten an ihrer Seite gehabt hatte,

Nur eine Gewißheit wollte er ſich noch verſchaffen er mußte Müllbrichs Brieftaſche nochmals genau an- ſehen. Es war etwas in ihm, das unabweisbar auf dieſe Notwendigkeit hinwies. Wenn nicht anders, ſo mußte er ſich die Brieftaſche durch irgend einen Vor- wand für kurze Zeit erbitten, wenn er jetzt ging, den Brief für Liska abzuholen.

Wenn je ein Gang ihm ſchwer geworden war im Leben, ſo war es dieſer, und nur der Gedanke ſchaffte ihm Erleichterung, den Hinterbliebenen mit doppelter Liebe und Freundſchaft zu erſetzen, was ihnen in feinem Hauſe durch Hinterliſt und Meuchelmord genommen worden war.

Die Rätin hatte ihr ganzes Mutterglück, ihre ganze Liebe in den Zeilen an Liska ausſtrömen laſſen und trat Warnulf mit dem fertigen Schreiben beſeligt ent—

gegen. |

0 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 11

„Sie muten ſich zuviel zu,“ ſagte ſie, ſeine Bläſſe bemerkend. „Ich hätte dieſen zweiten Gang zu mir nicht annehmen dürfen.“

„Ich bin nicht müde.“ Er blickte hinauf zu Müll- brichs Bild und wieder hinab auf feine Witwe und ein grimmiger Haß gegen den Zerſtörer ihrer Ehe packte ihn hart an. Aber er bezwang ſich. „Venn Sie mir noch einmal geſtatten wollten mein Diener behauptete neulich, das Blatt, auf welches Müllbrich damals geſchrieben, ſei bräunlich geweſen, was aber nach meiner Erinnerung nicht ſtimmt. Darf ich die Brieftaſche noch einmal anſehen?“

„Gern.“ Bereitwillig öffnete ſie das Fach des Schreibtiſches. „Ich darf inzwiſchen wohl nach Harda ſehen?“ |

Allein gelaſſen, ſchlug Warnulf haſtig die Stelle auf, wo das Blatt herausgeriſſen war. Mechaniſch blätterte er dann weiter. Da fiel nach dem zweiten Blatt, das er umwendete, ein blaues Stück Papier in ſeine Hand Pauspapier offenbar, wie es ſo vielfach zum Kopieren verwendet wird, und nun ſah er plötzlich auf der nächſten Seite deutliche Schriftzüge. Ganz bequem las er jetzt: „Graf Brankowan, Sie haben durch falſches Spiel ge- wonnen. Sie wechſelten die Karten. Damit ſind Sie für die Geſellſchaft erledigt. Wenn Sie nicht bis früh acht Uhr Barnekow verlaſſen haben, mache ich den Herren in Ihrer Gegenwart Mitteilung. Müllbrich.“

Wie ihm das Herz auch klopfte bei dieſem traurigen Vermächtnis, das ſo niederſchmetternde Folgen nach ſich zog, Warnulf riß mit raſchem Griff das Blatt heraus, faltete es zuſammen und verbarg es in ſeiner Bruſttaſche.

„Liebe Frau Müllbrich,“ ſagte er, der wieder Ein- tretenden entgegenſchreitend und die Brieftaſche in

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ihre Hände zurückgebend, „ich glaube nunmehr, daß die ganze Briefgeſchichte eine Fabel iſt. Mein altes Faktotum wird ſchwankend in ſeinen Ausſagen. Wir dürfen annehmen, daß Müllbrich lange vorher ein Blatt zu anderen Zwecken herausnahm. Laſſen wir die Sache auf ſich beruhen.“

„Ich habe es immer nicht recht glauben können,“ ſagte die Rätin ſichtlich erleichtert. „Nur in eines kann ich mich noch nicht hineinfinden, daß Brankowan, dieſer herzloſe Heuchler, niemals, weder zu mir noch zu Harda, ſeine Bekanntſchaft mit Leopold erwähnte. Es iſt gar zu unnatürlich.“

Er verbiß, was ihm das Herz bei dieſen Worten durchfuhr, und ſchüttelte den Kopf. „Solch Glücks- ritter! Was verlangt man von ihm! Dafür befigen wir ja gar keinen Maßſtab.“

Sie nickte.

„Und Harda?“ fragte er ſchonend.

„Sie liegt mit offenen Augen und zittert bei jedem Wort, das ich zu ihr ſpreche. Ich wage nicht, unſeren Arzt zu rufen aus Schonung für ſie,“ fuhr die Rätin verängſtigt fort. „Es wird zu viel offenbar. Außerlich möchte ich für ſie retten, was zu retten iſt.“

„Ich will Ihnen etwas vorſchlagen,“ fiel Warnulf mit herzlicher Dringlichkeit ein. „Ich veranlaſſe einen mir bekannten Nervenarzt, zu Ihnen zu kommen. Und was dieſer Mann Ihnen rät, das tun Sie nicht wahr?“

„Sie find unfer guter Engel,“ flüſterte die Rätin. „Wenn Leopold —“

„Ach ach —!“ Da ihm bei Anrufung dieſes Namens das Wort im Munde erſtarb, nahm er ihre beiden Hände und hielt ſie feſt umſpannt. „So ſoll es ſein. Und jetzt habe ich e ein Geſchäft bei Bran- kowan.“

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 13

Er machte ſich frei. Es trieb ihn fort.

„Tauſend Grüße an meine Liska!“ rief Frau Müll- brich ihm nach. „Und an Gerd!“

„Schon gut! Werde alles beſtellen.“

Der Nervenſchlag, welcher Brankowan zu Boden gefällt, erſchreckte den eintretenden Diener dermaßen, daß er zitternd die Kammerfrau herbeirief und mit deren Hilfe es fertig brachte, den bewegungsloſen Kör- per des Grafen auf das Ruhebett zu legen, bevor man ſich anſchickte, der Gräfin Mitteilung zu machen.

Die Annahme, daß Harda noch der Ruhe pflege, erwies ſich als falſch. Das Schlafzimmer war leer. Nichts erinnerte daran, daß hier ein zerſchlagenes Herz die Nacht in Gram und Zweifel durchrungen.

Die Mittel, welche der herbeigerufene Arzt an- wandte, wirkten. Das halb entflohene Leben kehrte zurück, der Geiſt ſammelte ſich, Gedächtnis und Er- innerungsvermögen ſtellten ſich langſam wieder ein.

Ein inſtinktives Grauen vor dem Bett ließ Bran- kowan die Lagerſtatt auf dem Diwan nicht wechſeln. So lag er ausgeſtreckt, mit tief umſchatteten Augen, die Zunahme der Lebensfähigkeit in ſich belauſchend und berechnend.

Zuweilen, wenn ihn die Energie dieſer Beob— achtungen ermüdete, ſtachelte ihn das Bewußtſein wieder an, die drohende Gefahr mit umgekehrter Vaffe tot gemacht zu haben.

Nun war es tot, endlich tot, was immer wieder ſich an ihn ſchlich. Er hatte es heute morgen von ſich gehöhnt, verlacht, verjagt.

Einmal fragte er nach SR Die verlegenen Geſichter ſagten alles.

Ein hartes Lächeln ging über ſein Antlitz. Warum

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weigerte fie ſich, denſelben Strang mit ihm weiterzu- ziehen? Was kümmerte ihn die Scheidung! Nur leben, leben wollte er noch einmal, nicht ſchon jetzt hinab- ſteigen

Der Diener meldete die Ankunft Warnulfs.

„Sagten Sie nicht, daß ich leidend ſei?“

„Jawohl, Herr Graf. Der Herr beanſpruche nur wenige Minuten.“

Die Einſamkeit um ihn her und das, was immer noch Beängjtigendes in feinem Zuſtande war, ließen ihm eine Ablenkung zweckdienlich erſcheinen.

„Hereinlaſſen!“ befahl er kurz.

Kaum hatte er es geſagt, durchſchüttelte ihn ein froſtiges Unbehagen, Er wollte den Befehl zurück nehmen, aber ſchon wurde die Tür geſchloſſen. Mit einer haſtigen Wendung griff er nach der Glocke, aber ſeine Hand erreichte ſie nicht mehr.

Seine überſpannten Gehörnerven hörten Schritte, die ihm wie Donner das Trommelfell erſchütterten, daß er zurückſank die Augen nach der Tür richtend. Es packte ihn ein Drang, aufzuſpringen, aber ſeine Füße waren ſchwer wie Blei.

Warnulf ließ den Türvorhang niedergleiten, bevor er ſich dem Lager näherte. Finſterblickend blieb er ein paar Schritte entfernt davon ſtehen, als ekle es ihn, dieſelbe Luft zu atmen, die den welken Lippen Brankowans mit hörbarem Geräuſch entſtrömte.

Das Bild ſeines manneskräftigen, lebensfriſchen Freundes ſtieg vor ſeinen Augen auf, als er dieſe zerſtörte, vermorſchte Geſtalt überflog, und eine neue Schärfung des Haſſes benahm ihm das erſte Wort.

Eine Sekunde dieſes Schweigens wirkte auf Bran- kowan wie ein Opiat. Die Gedanken taumelten ihm durcheinander, und die Geſtalt vor ihm ſchien ſich zu

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zerſplittern und zu vermehren. Er ſah die Bewegung, welche Warnulf machte, um das Blatt Papier aus ſeiner Bruſttaſche zu ziehen, ins Ungeheure wachſen, ſah die Streckung des Armes wie eine Lanzenſpitze auf ſich zuſtoßen. Er fühlte ſie gleich einem Stich mitten ins Gehirn.

Eine Stimme, die ſich in ihm ſelbſt loszulöſen ſchien und ihn umſchwirrte wie das Brauſen des Sturmes in den Baumkronen, rief ein Wort: „Mörder elender Mörder!“

Er ſchrͤckte davon auf und ſtarrte das Blatt an. Er ſah nichts als das Weiß aber ein gleiches Blatt geſellte ſich dazu, das begann zu rauchen, zu züngeln, zu flammen. Mit einem hallenden Schuß ſtäubte es auseinander.

„Nein nein!“ Er mußte ſchreien, die Beängſti— gung in ſeiner Bruſt preßte es hervor.

Warnulf war verſtummt. Der Tod ſtand zwiſchen ihnen und hob die Hand.

Brankowans Schläfen ſanken ein. Sein Auge, das langſam verlöſchende, hing noch ſtarr an den Bildern ſeiner Schuld, als plötzlich ein neuer Aufſchrei der Qual über ſeine Lippen fuhr.

Der Tod ſenkte die Hand.

Fünfundzwanzigſtes Kapitel.

Hauptmann Hartleben hatte, vom Dienſt zurück— gekehrt, ſeinen bequemen Hausrock angelegt, um einen längſt begonnenen Brief an ſeine Tante zu vollenden, als, dem anmeldenden Burſchen auf dem Fuße fol- gend, Warnulf ins Zimmer trat, ihm ſchweigend die Hand drückte und, ohne eine Aufforderung abzuwarten, ſich in einen Seſſel niederließ.

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Den Kopf auf den Arm ſtützend, ſaß er, nachdem der Burſche das Zimmer längſt verlaſſen, ſchweigend, tief in ſich gekehrt, bis er, die Stille um ſich her be- merkend, den Blick erhob und Hartleben zunickte. „Ver- zeihen Sie, lieber Freund —“

„Kann ich Ihnen in meiner Zunggeſellenwirtſchaft mit irgend einer Erfriſchung dienen?“

Warnulf ſchüttelte abwehrend die Hand. „Setzen Sie ſich einen Moment zu mir weiter nichts.“

Verwundert und aufs höchſte gefpannt folgte Hart- leben dieſer Aufforderung und nahm an Warnulfs Seite Platz.

„Ich habe Dinge erlebt in dieſen paar Stunden, von denen Sie ſich nichts träumen laſſen. Brankowan iſt tot!“

„War er waren Brankowans denn in Berlin?“ Vor Überraſchung hatte Hartleben Warnulfs Hand losgelaſſen. Zetzt erfaßte er fie von neuem. „Er iſt tot? Seit wann?“

„Ich komme von ſeinem Sterbelager. Niemand war da nur ich.“

„Wo iſt ſeine Frau?“

„Bei ihrer Mutter ein elendes, zerſtörtes Weib.“ Er riß ſich mit Gewalt von dem ſchaurigen Bilde dieſes unſeligen Sterbelagers los. „Es kann Ihnen nicht ver- borgen bleiben, der Sie bei Frau Müllbrich aus und ein gehen. So will ich ihr auch dieſe Laſt abnehmen und Sie klarſehen laſſen. Vor der Welt wird ſich eine Lüge ja wohl haltbar erweiſen. Hören Sie!“

Er beugte ſeinen Oberkörper weit genug vor, daß das, was er ſagte, nur zu Hartlebens Ohren drang. Den ganzen jammervollen Niedergang der ſo ſtolz be— gonnenen Ehe, ihre Silbermannſche Begründung und ihre Auflöſung durch Hardas Flucht zur Mutter fchil-

D Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 17

derte er dem ſprachloſen Zuhörer, der ſich zuweilen fragend an die Stirn griff, ob das, was er hörte, Wahr- heit und Tatſache ſei oder nicht. |

Es stieg ihm gegen feinen Willen ein Erinnerungs- bild auf, wie er unter der rotbeſchirmten Lampe allein und unbelauſcht Hardas Hand an feine Lippen ge- drückt.

Sein Herz feierte keinen Triumph es empfand nur tiefe Trauer für die ſo tief Gedemütigte. „Der Elende!“ ſtieß er haftig hervor. „Ein törichtes Mädchen mit ihrer eigenen Torheit zu hintergehen! Was aber fängt man mit den Kniebels an, die nichts getan haben, um ſich dieſen Abenteurer vom Leibe zu halten im Gegenteil, der Rätin zum Trotz, ihn für Harda an ſich heranlockten und begünſtigten?“ Er vermochte nicht an ſich zu halten bei dieſer Vorſtellung und ſchlug mit der flachen Hand auf den Tiſch, daß Warnulf aus ſeinem Nachdenken auffuhr.

„Nichts gar nichts! Die Brücke iſt abgebrochen. Das wußten Sie ja, als Sie Liska zu Ihrer Tante ſchickten.“

„Und nun?“ rief Hartleben, erregt auf und nieder ſchreitend. „Was wird nun?“

„Ich wollte Sie bitten,“ ſagte Warnulf ſich er- hebend, „daß Sie als Freund der Familie und in die Verhältniſſe Eingeweihter ſich der Rätin und auch der kranken Frau annehmen.“

Hartleben zuckte zuſammen.

Warnulf bemerkte es nicht, als er fortfuhr: „Ich muß leider heute abend noch zurückfahren, da ich morgen einer wichtigen Sitzung beizuwohnen habe. Ich muß die Nacht zu Hilfe nehmen, um noch zu rechter Zeit hinzukommen. Aber Sie, der Sie in der Nähe bleiben, können da viel tun. Der Anſtand muß gewahrt werden

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im Intereſſe der Familie. Die Begräbnisangelegenheit, die Anzeigen nicht wahr? Wer ſoll das tun? Frau Müllbrich iſt fo unerfahren —“

„Hinter dem Sarge dieſes Mannes gehe ich nicht her!“ ſagte Hartleben feſt entſchloſſen.

„Nur dafür ſorgen ſollen Sie, daß er mit äußerem Anſtand unter die Erde kommt. Und noch eines. Ich habe einen mir bekannten Nervenarzt gebeten, morgen nach Harda zu ſehen. Wenn, was ſicher ge- ſchehen wird, die Kranke in ein Sanatorium e werden ſollte, tröſten Sie die Rätin.“

„Gern,“ ſagte Hartleben erſchüttert.

Wie lächerlich, wie frevelhaft töricht erſchien ihm das Zerwürfnis auf dem Balle, welches das fein- gewobene Band zwiſchen ihnen zerriß und dieſes un- ausſprechliche Elend hinter ſich herſchleifte.

„Und nun auch etwas Erfreuliches,“ ſagte Warnulf, ihm die Hand zum Abſchied drückend. „Liska und mein Junge wollen ein Paar werden. Na, das freut Sie auch! Schönen Dank! Die Kleine wird nun wohl zurückkommen, wenn die kranke Schweſter fort iſt. Alſo hilfreich, lieber Freund nicht wahr? Ein bif- chen Sichtung auch, was noch an Geld übrig und vor- handen iſt.“ Er ging nach der Tür, drehte ſich aber noch einmal um. „Ihre Tante grüßt Sie vielmals des- halb war ich eigentlich zuerſt auf dem Wege zu Ihnen.“

„Verbindlichſten Dank! Und wieder Grüße zurück.“

Als die Tür ſich geſchloſſen hatte, ging Hartleben zu ſeinem Schreibtiſch, ſtützte beide Arme auf die Platte und legte die Stirn in die Hände.

So ſaß er lange, lange.

Er wußte ja am beſten, was die letzte Unterredung mit Harda, über welche die Werbung des Grafen ſchon ihre Schatten warf, ihm an Ruhe und Frieden geraubt,

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was der Zorn, das beleidigte Ehrgefühl und die tief- verletzte Liebe ſeinem Herzen angetan. Aber ſo hart und ſo zerſchmetternd hatte er ſich auch in begreiflicher Empörung Hardas Schickſal an dieſes Abenteurers und Spielers Seite nie ausmalen können.

Es ſchlug ihn mit nieder, nun er ſie zu ihrer Mutter Füßen um Vergebung, um Schutz bitten ſah. Was mußte über ſie gekommen, was in ihr zerbrochen ſein, bevor die Reue ſie zu dieſem Schritte trieb!

Die Welt erfuhr nichts anderes, als daß Graf Brankowan, längere Zeit leidend, plötzlich geſtorben ſei, und ſeine Gattin, nervenkrank durch Schreck und Schmerz, nach ſeinem Begräbnis eine Heilanſtalt habe aufſuchen müſſen.

Am Nachmittag, als die Rätin, aus dieſer Anſtalt zurückkehrend, tief gebeugt ihr Zimmer betrat, ſtreckten ſich ihr zwei Arme entgegen, und mit laufend Küſſen hing Liska an ihrem Halſe. N

„Mutterchen! Mein geliebtes Mutterchen da bin ich wieder!“ |

Es klang ihr im Ohre wie eine Engelsſtimme nach all dem Bitteren, das ſie in dieſen Tagen gehört. Sie drückte ihr glückliches Kind an ſich, ihr bräutliches, liebreizendes Kind.

„Warum haſt du mich nicht kommen laſſen,“ ſagte Liska, ſich an ihre Seite ſchmiegend, „damit ich dir und Harda beiſtand? Ich hätte auf dem Sofa geſchlafen oder unterm Tiſch, wenn ich dir nur helfen konnte.“

„Hartleben,“ fagte die Rätin, nach ihrer Gewohn- heit Liskas blondes Haar ſtreichelnd, „hat mir treu zur Seite geſtanden. Ich kann es ihm nie genug danken, was er für uns getan hat.“

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20 Willſt du dein Herz mir ſchenken a

Nun kam der Lenz mit Macht. Die jungen Triebe und Knoſpen verdufteten ihren Wohlgeruch. Tulpen und Hyazinthen waren ſchnell verblüht, Aurikel und Narziſſen prunkten um die Wette, und insgeheim be- ſtockte ſich der Flieder mit Knoſpenſträußen.

Oft, wenn die Sonne das friſche Laub durchſchien, noch öfter, wenn ſie zwiſchen roten Wolken ſank, ſah man im Anſtaltsgarten eine ſchlanke, ſchwarzgekleidete Frau die Gänge auf und nieder ſchreiten.

Ihr Antlitz war jo weiß und zart wie ein Lilien- blatt, und ihr Auge dunkel wie das Haar, das ſich in reicher Fülle zum Knoten ſchlang. Nie ging ein Lächeln über dieſe ernſten Züge, nie ſtahl ſich eine Träne in ihre Augen.

So ſchritt ſie ſtundenlang abſeits von allen anderen auf und nieder und ſann und flüſterte mit ſich und drückte die Hände an die Lippen im Sturm der Er- innerungen.

Sie war weder körperlich noch geiſtig krank, nur ſchlaflos und von verſargten Tränen gequält. Es ſchwemmte nichts fort in ihr, es haftete alles feſt. Sie mochte mühſam die Gedanken ablenken, der nächſte Atemzug riß ſie von neuem in den Wirbel des Ge— ſchehenen hinein. Selbſt in die Wirkung der Schlaf- mittel drängte es ſich in ſchweren Träumen und ließ ihr beim Erwachen die ganze Laſt zurück.

Brankowans Tod erſchütterte ſie ſchwer. Wäre er am Leben geblieben und hätte ſie an ſeiner Statt vom Schauplatz ihres Elends verſchwinden laſſen! O, wäre er zwei Jahre früher geſtorben! Daß ſie noch einmal ſo glücklich wäre, ihn nie geſehen zu haben, daß alles, was an jenem Ballabend geſchah, nur Phantaſie- geſpinſt geweſen wäre!

Dann zuckte es wie ein Schnitt durch ihre Bruſt.

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Ein Unrecht und Verſehen einzugeſtehen, das litt ihr Hochmut damals nicht, das bauſchte fie zu einer Ehren- kränkung auf, zu einer Kriegserklärung gegen den, der ſich von ſeiner Liebe, nicht durch Berechnung zu ihr führen ließ. |

Je tiefer ihre Gedanken ſich in dieſe Erinnerungen verſenkten, deſto öfter und klarer trat Hartlebens Bild neben das des Toten und deſto deutlicher durchlebte fie den ſtillen, erſten Roman ihres Herzens noch ein- mal zunächſt nur, um ſich des Grauens vor der Zukunft zu erwehren, ſodann, weil er die angehäufte Bitterkeit in ihr verſüßte und endlich, weil ſie nichts anderes mehr denken konnte und mochte.

Sie hatte im Heim ihrer Mutter Hartlebens Stimme im Nebenzimmer gehört. Trotz aller Scham klang fie ihr fort und fort im Ohr, und immer, wenn das Bewußtſein ihrer Torheit ihr die Bruſt zuſchnürte, flüchteten ſich ihre Gedanken zu dem, was ſie dereinſt in ſeiner Nähe empfunden.

Da, die Rätin ausgenommen, ſich niemand in den pſychiſchen Heilungsprozeß eindrängen durfte, erfuhr Harda nichts von einem vergeblichen Beſuch der Tan- ten, die aufs äußerſte empört dieſe Abweiſung hin- nahmen.

Nach einem gediegenen Familienrat, dem auch die zukünftige Frau Sebaldus beiwohnte, entſchieden ſich die Geſchwiſter dafür, Harda einen jährlichen Zuſchuß von dreitauſend Mark zu ſtiften. Mit dieſer Botſchaft, obſchon der Stachel der letzten Unterredung noch leb- haft in ihnen nachwirkte, begaben ſich die Schweſtern ein zweites Mal ins Sanatorium. |

Im Vorzimmer stießen fie auf Frau Wüllbrich, die auf Wunſch des Arztes zum erſten Male Liska verjuchs- weiſe mit ſich genommen hatte.

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Mit blitzenden Augen betrat Fräulein Lilla alfo- gleich den Kriegspfad. „Du wirſt begreifen, daß wir auf die Verlobungsanzeige hin ich gratuliere dir übrigens, Liska nicht zu euch kamen. Ebenſo wirft du aber auch begreifen, daß wir uns hier nicht ruhig abweiſen laſſen, wenn du zu Harda Zutritt haft.“

„Ich bin die Mutter,“ ſagte die Rätin mit ſchlichter Würde. „Dies iſt die Schweſter. Wollte Gott, ich hätte mich nie durch euch von meinem Platze fort- drängen laſſen.“

„Ich bitte dich, Lilla!“ flüſterte Fräulein Roſa mit gefalteten Händen.

„Wir ſind von jeher an dir gewöhnt geweſen,“ ſagte Fräulein Lilla mit ſcharfem Nachdruck, dabei die vor ihrem Bruder Sebaldus Geflohene mit mikächt- lichem Blick muſternd, obwohl Liska wie der blumige Frühling ſelbſt neben der Rätin ſtand, „ich wiederhole es, gewöhnt geweſen, auf kraſſen Undank zu ſtoßen. Aber daß dieſes Erbteil nun auch auf Harda über- geſprungen iſt, das verletzt uns auf das tiefſte. Sie ſoll es dem Andenken unſeres Bruders Artur danken, daß wir demungeachtet ihr N dreitauſend Mark ausſetzen —“

„Sie bedarf eurer Hilfe nicht,“ fiel die Rätin ein, „und nie ſoll fie von dieſem Anerbieten etwas er- fahren, ſo wie ihr weder jetzt noch ſpäter in ihr Leben eingreifen dürft. Gebt euch mit dem zufrieden, was ihr an ihr erreicht habt es iſt traurig genug.“

„Erbarme dich, Lilla!“ hauchte Fräulein Nofa, fügte aber ebenſo ſpitz und ſcharf, wie zuvor ſanft, hinzu: „Sieh doch um Gottes willen etwas beſcheidener aus, liebe Liska! Ein Ring am Finger iſt doch kein Welt- wunder.“

„Du genierſt dich alſo nicht,“ ſprach Fräulein Lilla

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppeh). 23 Fe EHER ͤ —-—ñ½ ——eẽ . ˙˖—ꝙ—s̃ —— . —-—

würdevoll zur Rätin, „uns hier ſtehen zu laſſen und ſelbſt hineinzugehen? Gut! Wir haben auch andere Dinge im Kopf. Sebaldus' Hochzeit ſteht vor der Tür. Komm, Roſa!“

Es war das letzte Schleppenrauſchen dieſer Art, das Mutter und Tochter langſam verklingen hörten.

„Donnerchen noch mal!“ ſagte Liska, die Rätin umarmend. „Dieſe Kratzbürſtigkeit müßte eigentlich ausgeſtopft werden.“

Aber wie ſcheu und mitleidsvoll wurde ihr Geſicht, als ſie der bleichen Schweſter gegenüberſtand, die ihr ſo fremd, ſo verändert und durchgeiſtigt erſchien, daß ſie kaum wagte, ihr die Hand entgegenzuſtrecken.

Harda öffnete die Arme. Mochte ein flüchtiges Neidgefühl, ein Reueſturm durch ihre Seele ziehen, weder das eine noch das andere haftete. Sie zog ſie zum erſten Male in ihrem Leben an ihre Bruſt und küßte fie, bis Liska die hellen Freude und Rübh- rungstränen über die roſigen Wangen rollten.

„Du wirſt glücklich ſein,“ ſagte Harda mit bebender Stimme. „So glücklich, wie ich unglücklich ward durch meine Schuld!“

Liska ſchlang ihre Arme feſt um den Hals der Schweſter und drückte ihre Lippen zärtlich auf die blaſſe Wange. „Laß ſein laß ſein! Mutterchen weiß für alles Rat. Es wird noch alles gut werden nicht wahr, Mutterchen?“

Die Rätin nickte. Aber das Herz tat ihr weh.

Ganz außerordentlich geſtaltete ſich der Hochzeits jubel im Kniebelſchen Haufe und wenn je, ſo leuch- tete des Herrn Sebaldus’ Würde wie ein Juwel an der Seite ſeiner Auserkorenen an dieſem Tage.

Dieſe Dame entwickelte aber ſchon in nächſter Folge-

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zeit ein ungeahntes Geſchick, die Zügel der häuslichen Regierung aus den erprobten Händen des Herrn Knie- bel in die ihrigen gleiten zu laſſen, ihm dabei alle Selbſtherrlichkeit wie Schmetterlingsſtaub von den Schultern ſtreifend.

Vor allen Dingen ſetzte fie den mitſprechenden Schweſtern Lilla und Roſa in allen Meinungsver- ſchiedenheiten den Stuhl flugs vor die Tür. Beide mußten es von fern mit anſehen, wie ihr großer Bruder in ein Pantoffelregiment verſank, darin er kaum noch zu wünſchen wagte.

Ja, fie mußten es erleben, daß zur ſchönen Sommer- zeit Frau Sebaldus Kniebel das gemeinſame Gut ganz allein mit ihrem ehelichen Opfer bewohnte, nachdem der erſte Verſuch des Zuſammenlebens mit Knalleffekt und Kataſtrophe geendet.

Im Herbſt kehrte Gerd v. Warnulf nach Barnekow zurück. Sein Vater hatte ein Nachbargut erworben, das dem jungen Paare als Wohnſitz dienen, und worauf Gerd ſich die landwirtſchaftlichen Sporen unter An- leitung ſeines Vaters verdienen ſollte.

Die Rätin und Liska, von Warnulf herumgeführt, konnten ſich gar nichts Schöneres denken, als ſich hier, mit ernſter heißer Liebe im Herzen, zur Nützlichkeit und Brauchbarkeit zu erziehen, in Glück und Frieden. Nur der Gedanke, daß ſie ihr Kind ſo weit von ſich geben ſollte, bedrängte die mütterliche Freude und goß einen Wermutstropfen in den ſonſt überſchäumen- den Kelch.

Warnulf, dieſen Schatten bemerkend, faßte die Hand der Rätin. „Frau Müllbrich, liebe Freundin, ich bin ſo unbeſcheiden, in dieſem Kinderglück auch etwas an meine Behaglichkeit zu denken. Wie wäre es, wenn

u Roman ron Georg Hartwig (Emmy Koeppel). 25

Sie mir altem Einſiedler eine Hausgenoſſin würden? Mein Haus iſt groß genug für Sie und Harda. Ich hätte dann eine liebe Geſellſchaft, und Sie hätten die Kinder in der Nähe. Machen wir es ſo! Was wollen Sie in der ſtaubigen Stadt leben? Führen Sie ein bißchen mein Hausweſen als treue Freun- din ja?“

Die Rätin war einen Moment ſprachlos vor Über- raſchung. Ein lichter Strahl ſank ihr ins Herz. Und jetzt waren keine Rniebels da, die mit Anſtößigkeit und ſonſtigem Unſinn drohten.

„Soll ich ſoll ich wirklich?“ fragte ſie, glücklich zu ihm aufſchauend.

„Nun natürlich!“ ſagte er ſcherzend. „Das iſt doch das einfachſte. Für Harda iſt's geradezu geboten. Mit Sack und Pack ſiedeln Sie über.“

„Es kann gar nicht anders ſein,“ flüſterte die Rätin bewegt, „Leopolds Segen iſt über mir, iſt über uns.“

Er nickte. „So hoffe ich.“

Liskas Freude bei dieſer Nachricht überſtieg alle Grenzen. Ihr Mutterchen würde ſie auch immer in nächſter Nähe haben. „Jetzt aber bin ich ganz, ganz glücklich!“ rief ſie, dem alten Herrn mit elementarer Gewalt um den Hals fliegend.

Nicht eher, bis der Umzug nach Barnekow vollendet war, ſollte Harda die Heilanſtalt verlaſſen.

Gerd ſaß bereits auf feinem Gut und mühte ſich nach Kräften, Mitwiſſer aller landwirtſchaftlichen Ge- heimniſſe zu werden.

Nur ein paar Tage zum Weihnachtsfeſt kam er nach Berlin „herübergerutſcht“, wie Liska ſtrahlend bemerkte, und brachte den dringenden Wunſch ſeines Vaters mit, die Hochzeit in Barnekow gefeiert zu

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ſehen, woſelbſt nicht alles auseinander liefe, ſondern hübſch beiſammen bleibe.

Gern und dankbar gab die Rätin ihre Einwilligung, und nach Neujahr widmeten ſich Mutter und Tochter der angenehmen Beſchäftigung, die Ausſtattung der jungen Braut zu beſchaffen.

Inmitten dieſer Beſchäftigung wurden ſie eines Vormittags durch den Beſuch Hartlebens überraſcht, für den Frau Müllbrich neben Warnulf die tiefit- gegründete Hochachtung hegte.

„Ich komme,“ ſagte er, die Anſammlung von Stoffen aller Art heiter betrachtend, „um mir Ihren Glüd- wunſch zu holen. Seit vierundzwanzig Stunden bin ich Major.“

Sie ſah auf feine Schulter. „O, herzlichen Glüd- wunſch, mein lieber Herr Major! Zch ſehe eine ſchöne Zukunft ſich für Sie öffnen. Nur dürfen Sie uns nicht vergeſſen.“ N

Er küßte ihre Hand. „Das wiſſen Sie ja wohl beſſer.“

Als ihm Liska freundlich die Rechte ſchüttelte, fragte er ſcherzend, auf die Näherei deutend: „Soll ich hel- ſen?“ Er ſetzte ſeinen Helm beiſeite und rückte ſich einen Stuhl zurecht. Wie ſie ſo traulich plaudernd beiſammen ſaßen, ward draußen die Glocke gezogen.

„Laß nur, Kind!“ ſagte die Rätin abwehrend. „Die Aufwärterin iſt ja noch da.“

Leiſe ging die Tür auf.

Im erſten Moment war es Hartleben, als drücke ihn etwas mit eiſerner Gewalt auf ſeinen Stuhl in der Ecke nieder. Er vermochte ſich nicht zu erheben.

Die Rätin aber ſprang mit einem lauten Ruf wie elektriſiert in die Höhe und eilte der Eintretenden bis zur Tür entgegen, alles vergeſſend in dieſem Mo-

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppeh. 27

ment, was ihr gleich darauf ſo unſäglich peinlich werden ſollte.

Auch Harda ſah nichts als das ſanfte Geſicht ihrer Mutter, zu der die Sehnſucht aus ihrer Einſamkeit ſie ſo mächtig hierher gezogen hatte, daß der Arzt ſich Gutes von dieſer Seelenregung verſprach. Sie drückte ſich feſt an Frau Müllbrichs Bruſt.

„Ich hatte ſo große Sehnſucht nach dir und Liska —“

Die ſtand ſchon mit heller Freude neben Harda und ſtreichelte ihr abwechſelnd die Wangen.

„Wenn es ginge, bliebe ich am liebſten wieder bei euch,“ ſagte Harda leiſe. „Ich hatte in den letzten Tagen Heimweh und wußte nicht, was es war. gebt weiß ich es. Geſtern nacht konnte ich zum erſten Male von ſelbſt einſchlafen und hatte keine ſchweren Träume, nur einen glücklichen —“ |

„Mein liebes Kind,“ fiel die Rätin mit zärtlicher Haſt ein, „ſo wird es immer, immer beſſer werden.“

„Mir träumte“ Hardas Stimme verlor ſich in unſicherem Flüſtern „daß alles nur Einbildung ge- weſen ſei alles. Du haſt keinen Begriff, wie leicht mir da zumute wurde, wie wohl —“

Hartlebens Säbel verurſachte ein Geräuſch.

Harda ſchrak auf und blieb wie angewurzelt auf der Stelle ſtehen. Nicht einmal die Augen vermochte ſie von dem Gegenſtand ihres Erſchreckens abzuwenden.

Er ſah in das ſchöne, bleiche Antlitz, das von ſo vielem Leid und Gram erzählte. Er ſah die Röte der Scham, die ſich immer glühender darüber hinbreitete, das ängſtliche Zucken ihrer Wimpern und den ſich ſtetig verſchleiernden Blick ihrer Augen. Ihn ſelbſt erfaßte ein Gefühl der Angſt. Für ſie? Für ſich?

Die Rätin, in tödlicher Verlegenheit, warf ihm einen flehenden Blick zu.

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Da griff er mit äußerer Faſſung nach ſeinem Helm. „Ich will nicht ſtören —“

Harda ſtand immer noch und ſtarrte in die Ferne, wo die Träume des Vergangenen vor ihren Geiſtesaugen auf und nieder ſchwankten. Sie ſelbſt ward von dieſer ſchaukelnden Bewegung ergriffen. Sie wankte.

„Um Gottes willen!“ rief die Rätin entſetzt. „Sie fällt.“

Hartleben ſtand ſchon neben ihr und fing die Be- wußtloſe in ſeinen Armen auf.

Als er die Straße wieder betrat, mußte er einen Augenblick ſtehen bleiben und tief Atem holen. Er glaubte nur Mitleid zu empfinden, aber dieſes Mitleid krallte ſich tief in ſein Herz.

Sechsun dzwanzigſtes Kapitel.

Seit der Überfiedlung der Rätin nach Barnekow hatten die Päonien im herrſchaftlichen Garten ihre mächtigen Knoſpen bis zum Erſchließen gefüllt. Der Goldregen vertropfte ſeine gelben Trauben über dem kleinen Gewimmel zu ebener Erde, wo Maiglödchen und Narziſſen die Beete wuchernd ſchmückten.

Die Droſſel ſang laut in den jungen Birken, und aus dem großen Teich heraus erſcholl allabendlich das Hochzeitslied der Fröſche.

Venn etwas die Schwermut heilen konnte, ſo war es die frohe Stille auf dem Lande. Wie ſehr Harda am Glück ihrer Schweſter auch teilnahm, ging ſie doch ſchweigend ihre eigenen Wege.

Die unvermutete Begegnung mit Hartleben hatte ihre Gedanken einer Bahn entriſſen, in der ſie nutzlos und entkräftet irrten, und in ein anderes Feld ge

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy Koeppeh). 29

rückt, auf dem fie einen friſchen und treibenden Nähr- boden fanden.

Als ihr die Sinne ſchwanden bei feinem Anblick und bei dem, was ſich mit ihm verknüpfte und auf ſie eindrang, hatte ſie in ihre Ohnmacht einen Traum oder eine Ahnung mit hinübergenommen, als ſänke ſie in tiefem Sturz an ſeine Bruſt.

Es konnte ja nur Traum geweſen ſein, und nie war eine Frage über ihre Lippen gegangen. Doch ruhte es in ihr wie ein Geheimnis, das zu enträtſeln ſie vereinſamt ſtille Wege ging.

Das Trauergewand, das ihr fo ſchwer zu tragen geweſen, war abgelegt. Sie hatte auch den Trauring vom Finger geſtreift. Nichts nichts ſollte ſie an das erinnern, was ſie dem Wahnſinn ſo nahe gebracht hatte.

Unter einer mächtigen Linde am Parkrand, die über eine ſchlichte Holzbank grüne Schatten warf, ſaß ſie oft ſtundenlang und ſchaute mit verträumten Blicken in die Frühlingswunder ringsumher, in die Wunder, die zu ihren Füßen blühten, die droben in der goldenen Bläue wie weiße Silberſchatten ſtill vorüberzogen.

Einmal fand ſie die Bank beſetzt. Da glitt es ihr wie Purpur über die Wangen. Der Spott, den ſie für die „Paſtorenbaſe“ gehabt und das „Kätnerhaus“, in dem ſie lebte, kehrte nun ſeinen Stachel gegen ſie ſelbſt.

Wie ſie deſſen gedachte und zugleich des Traumes, der ihr im Herzen ruhte und wirkte, blieb ſie grüßend ſtehen. „Fräulein Hartleben?“ fragte ſie.

Das alte Fräulein, dem der Gram ihres Neffen die ſchlechteſte Meinung von dem inneren Wert Hardas beigebracht, ſah mit zunehmendem Staunen ſtatt einer übermütigen und ſelbſtbewußten Frau ein zartes, junges

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Weib mit tiefen, ernſten Augen, dem ſich ihr Intereſſe willenlos zuwendete.

„Die bin ich,“ ſagte ſie, ihren Strohhut von der Bank nehmend.

Harda ſetzte ſich neben fie. Die Hände über die Kniee faltend, ſaß ſie lange ſchweigend. Wie anders war es gekommen! Was fie einſt mit Spott zurück- wies, mit zitterndem Verlangen zog es ſie jetzt zu ihr hin.

„Sie kennen mich?“ fragte fie leiſe. „And ver- abſcheuen mich ich weiß es.“

Der leidende Klang ihrer Stimme, das Beben ihrer Hände erfüllten das warme Herz des alten Fräuleins mit Erbarmen. „Nicht doch. Einſtmals grollte ich Ihnen ja —“

„Und jetzt noch,“ ſagte Harda mit fliegendem Atem, als preſſe ſie das in ſich zurück, was ſich hoch in ihr aufbäumte an Erinnerungen. „Ich habe mehr darum gelitten, als Sie in mir verurteilen können. Ich habe an meinem Irrtum getragen, bis ich darunter zu— ſammenbrach. Das iſt,“ fuhr ſie fort, über ihre Stirn ſtreichend, als wiſche ſie Schreckbilder von ſich ab, „kein Grund für Sie, ich weiß es —“

„Doch,“ ſagte das alte Fräulein, den abgewandten Blick Hardas mitleidsvoll ſuchend. „Wir wollen einan- der nicht anklagen.“ |

Von jäher Herzensregung ergriffen, nahm Harda die Hand des alten Fräuleins in die ihre und hielt ſie feſt umſchloſſen. „Sagen Sie Ihrem Neffen, daß er mir doch nur eines, nur eines verzeihen möge, nichts ſonſt, nur dieſes Eine. Das Letzte, was ich zu ihm ſprach an jenem Sonntagvormittag. Er weiß es. Er wird es nie vergeſſen haben und kann es vielleicht auch nicht verzeihen. Nur wiſſen ſoll er, wie es mich gequält hat und immer quälen wird.“

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„Mehr als bereuen kann ein Menſch nicht,“ ſagte Fräulein Hartleben bewegt. „Sie dürfen getroſt an das Rechtsgefühl meines Neffen glauben.“

„Dann danke ich Ihnen von Herzen.“

„Sie wiſſen, daß er zur Hochzeit Ihrer Schweſter hierher kommen wird?“

„Ja,“ ſagte fie raſch. „Und er kann ruhig kommen, denn ich werde bei dem Feſte nicht erſcheinen. Ich werde ihn nicht ſehen und er nicht mich.“

Das alte Fräulein nickte. „Wenn drüben alles Freude iſt, dann kommen Sie zu mir.“

Und Freude war im Übermaß im alten Herren- hauſe.

Der Hochzeitstag Liskas war gekommen.

Am Abend zuvor traf Hartleben bei ſeiner Tante ein und mit ihm eine Schar Logiergäſte des Herrn v. Warnulf. Bis unter das Dach war jeder Raum beſetzt. Treppauf, treppab es ſummte wie im Bienenkorb.

And herrlich, herrlich brach der frohe Morgen an.

Mit Frau v. Selbitz teilte ſich die Rätin in alle Anforderungen. Ihr hübſches Geſicht war von innerer Freude wie durchleuchtet.

Nur jetzt, als ſie mit Hardas Hilfe das Brautgewand zu Händen nahm, um die ſelige Braut damit zu ſchmücken, als ſie die grüne Myrtenkrone mit den Lippen berührte und ſie der Tochter ſegnend auf das Blondhaar drückte, da füllte das Andenken an einen anderen Hochzeitstag ihre Augen mit Tränen.

Sie wandte ſich um und zog Harda mit Liska zu- gleich in ihre Arme.

Froher und befriedigter war keiner als Herr v. War- nulf, als er der Schwiegermutter ſeines Sohnes nach

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der bürgerlichen Trauung den Arm reichte, um hinter dem Brautpaar her den langen Feſtzug zur Kirche zu eröffnen.

Die Glocken klangen, und die Winde raunten und über alles goß der Maitag ſeine Himmelspracht.

Im großen Saal war nichts als Jubel, nichts als Bewunderung der holdſeligen Braut, die ihren Gerd kaum von der Hand ließ und alle Huldigungen mit verſchämtem Liebreiz hinnahm.

Doch als das Licht aufflammte, und der Tanz bi gann, da entwich Harda dem lärmenden Haufe und ſchlug den Weg zum ftillen Blumenhäuschen ein.

Weder Mutter noch Schweſter ließ ſie ahnen, was in ihr vorging an dieſem Tage der Erinnerung, was ſie durchkämpfte im Anſchauen ungetrübten Glücks. Es war eine Flucht vor ſich ſelber, die ſie zur Treppe und hinunter in die duftende Mainacht trieb, während das Sternennetz ſich über ſchweigſames Keimen ſpannte, der Liebesodem der Natur ruhevolle Negſamkeit durch- wehte.

Licht ſchimmerte aus dem Fenſter zwiſchen den Klematisranken, wie ein heller Teppich lag es auf der dunklen Straße hingebreitet.

Die Haustür ſtand geöffnet. Ein Lämpchen flim- merte im Flur. Da kam ihr ein Gefühl der Freude, daß ſie erwartet ſei. Nicht gleich beim leiſen Anpochen ertönte das feine Stimmchen des alten Fräuleins. So öffnete ſie die Tür.

Sie ſchloß ſie nicht wieder und trat weder zu— rück noch vorwärts, ihre Hand blieb auf dem Griff liegen.

Neben ſeiner Tante ſaß Hartleben. Er hatte die heißen Feſträume vorübergehend verlaſſen, die friſche Nachtluft genießend. Auf dieſer Wanderung ſprach er

2 Roman von Georg Hartwig (Emmy KRoeppel). 33

im Blumenhauſe vor, um die Ereigniſſe des Tages zu berichten.

Bei Hardas Anblick ſprang er auf. Er wußte ja, daß ſie unſichtbar bleiben wollte. Nun ſtand ſie da vor ihm.

Was ſich in überwältigender Haft durch ihre Ge- danken wand, das drängte ſich auch in ihm zu einer Kette ſchmerzlichſter Erinnerungen zuſammen.

Sie ſahen ſich beide wieder im Krollſchen Saal zum Tanze antreten, ſie ſahen ſich die ſpiegelnde Bahn des Neuen Sees entlang gleiten, daheim im traulichen Schimmer der rotumſchirmten Lampe ſahen ſie ſich ſtehen, die Blicke ineinander verſenkt.

Fräulein Hartleben war aufgeſtanden und zu Harda getreten. Mitleidig zog ſie das bleiche junge Weib an ſich. „Kommen Sie bitte, kommen Sie! Es iſt Zufall N

Sie ſchüttelte das Haupt. Eher wäre fie nieder- geſunken, als einen Schritt vorwärts zu tun, ob es ihr auch vor den Ohren brauſte und in den Schläfen pochte.

Sie ließ den Türgriff los und wandte ſich zum Gehen.

Die Fliederbüſche verſtreuten ihren Wohlgeruch. Fernab, vom Walde her, wo der Bach murmelte, er- ſcholl das Liebeslied der Nachtigall.

Harda war es, als träte ſie in einen Zauberkreis voll magiſcher Gewalt.

Noch zitterte der Schreck in ihr nach, da hörte ſie Schritte hinter ſich.

„Sie dürfen allein jetzt nicht zurückgehen. Ich bitte um die Erlaubnis, Sie zu begleiten.“

Ihm verſagte die Stimme. |

Sp ging er neben ihr im une deſſen .

1910. VII.

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ten breit und ſchwarz von den Dächern fiel. Er dachte daran, wie ihm einſt der Wunſch im Herzen brannte, ſie an ſich zu ziehen und feſt an ſich zu ketten. An alles, was er Glückliches und Seliges in dieſem Wunſche empfunden, dachte er.

Da blieb ſie ſtehen und ſah bittend zu ihm auf. „Vergeben Sie mir den niedrigen Verdacht. Ich wußte nicht, was ich tat.“

Kaum zu verſtehen war es. Aber es ſchlug ihm ins Herz.

„Es ſoll Sie nicht quälen. Es iſt vorbei ver- geſſen. Ereigniſſe verlöſchen. Sie haben mich ver- kannt.“ Er wollte mehr ſagen, aber die Worte ſchienen ihm leer. „Vergeſſen Sie auch.“ Seine Stimme klang erregter, als er ſie die Hände vor die Augen drücken ſah.

Es wühlte in ihr wie ein erlöſender Schmerz, als wollten alte Tränen lebendig werden und auf- ſteigen.

„Ich bitte Sie,“ ſagte er, und die nie entſchlafene Liebe entraffte ſich der Unterdrückung, dehnte ſeine Bruſt aus und weitete ihm die Seele. „Weinen Sie nicht, Harda!“

Sie ließ die Hände ſinten. Ein unermeßliches Ver- langen kam über fie, jetzt laut aufzuſchluchzen. Jede Fiber in ihr rang nach dieſem jahrelang verſagten Labſal.

Er ſah ihre Erſchütterung und erfaßte ihre Hand. „Sie wußten nicht, was Sie taten,“ ſagte er tief- bewegt. „So ſoll es nicht geweſen ſein. Nichts nichts ſoll geweſen fein ich ſchwöre es Ihnen. Ihr Leid iſt darüber hingegangen.“

„Meine Reue —“ flüſterte ſie mit zitternden Lippen.

Das Mondlicht ſtreifte ihre Geſtalt. Auf ihrem ge-

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ſenkten Antlitz ruhte es wie ein bräutlicher Schleier. Sein Herz ſchlug hoch auf. Er fühlte die Sehnſucht ihrer Gedanken, die Scheu ihrer Seele an dem eigenen Drange. „Wir wollen zurückkehren,“ ſagte er gepreßt. „Noch einmal —“

Er hatte ihre Hand nicht losgelaſſen. Sie lag bebend in der ſeinen.

So gingen fie den Weg wieder zurück in Flieder- hauch und Birkenduft.

Das Zimmer im Blumenhaus war leer. Noch brannte das Licht auf dem Tiſch, auch der Mond goß ſeinen Glanz durch die Scheiben. |

Hartleben ließ Hardas Hand aus der feinen gleiten. Das, was er aufs neue an ſich ſchließen wollte, hob alles, was dazwiſchen lag, weit über dieſe Stunde und über alle kommenden hinaus.

Er ſetzte ſich nieder und, tief verſunken in ſein neu- erſtehendes Glück, legte er die Hände, wie damals, auf die Taſten des Klaviers.

„Willſt du dein Herz mir ſchenken, So fang es heimlich an.

Daß unſer beider Denken Niemand erraten kann —“

Nicht weiter kam er. Eine zitternde Hand berührte ſeine Schulter.

Er ſah auf und ſprang vom Sitz empor.

Hardas Bruſt atmete gewaltſam, ihre Wimpern zuckten. Er ſah ihre ganze Geſtalt erbeben.

Angſtvoll zog er ſie in ſeine Arme. Und jetzt, wie freigeſprengt und entſiegelt, rollten die Tränen über ihre Wangen. Sie quollen, ſie ſtrömten, ſie riſſen los und ſchwemmten fort. Unaufhörlich ſtürzten ſie hervor. Sie ſchluchzte laut in feinen Armen, das Ge-

36 Willſt du dein Herz mir ſchenken

ſicht gegen ſeine Bruſt gelehnt. Sie weinte, als ſolle alles in ihr mit dieſen Tränen hinfließen.

Er umſchloß ſie feſt und feſter. Aber er ſprach kein Wort, um dieſe Linderung nicht zu zerſtören.

Ihre Arme ſanken um ſeinen Hals. „Vergib mir, o vergib mir doch!“

Da hob er ihr Antlitz ſanft empor und küßte ihre

flüſternden Lippen. Ende,

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Der rote Merkur.

Kriminalroman von A. Groner. V

Erſtes Kapitel.

in häßlicher, naßkalter Tag war der letzte Tag des Novembers. Vor einer Buchhand- lung in der Wiener Ringſtraße ſchritt ein —— junger Mann fröſtelnd auf und nieder, ein recht hübſcher Menſch. Eine große Ungeduld und eine peinvolle Unruhe ſchienen ihn immer wieder auf und ab zu treiben.

Wie oft hatte er ſchon die Uhr gezogen, wie oft war er ſchon im Begriffe geweſen, die Buchhandlung zu betreten!

Endlich ſchlug es zwölf von den Türmen, und gleich darauf traten drei Herren aus der Buchhandlung auf die Straße heraus.

Merkwürdigerweiſe zog ſich der ſo ungeduldig War- tende jetzt unter den nächſten Torbogen zurück. Er ließ die beiden vorderen vorbeigehen, erſt den dritten, eine große und ſchlanke Geſtalt, rief er leiſe an.

„Otto,“ wiederholte er, „komm mit mir. Wir gehen gleich hier durch.“

Der Angerufene ſchaute den Vartenden kopf ſchüttelnd an und ſagte: „Was bringt denn dich hier- her? Und wie ſiehſt du aus? Es iſt doch hoffentlich nichts geſchehen, Fritz? Iſt der Mutter etwas zu- geſtoßen? Haſt du ſchlechte Nachrichten von daheim?“

(Nachdruck verboten.)

58 Der rote Merkur. 4

Otto Falk faßte ſeines Stiefbruders Arm feſt und zwang ihn ſo, ſtehen zu bleiben. Seine Augen ſuchten jedoch vergeblich des anderen Blick.

„So rede doch!“ drängte Otto. „Was iſt geſchehen?“

„Daheim iſt nichts geſchehen. Es iſt wenigſtens kein Brief gekommen. Aber mir iſt etwas paſſiert.“

„Was?“

„Ich habe mehr Geld verbraucht, als ich hatte.“

„Du haft alſo mit anderen Worten Schulden ge-

„Was heißt das? Fritz du haſt eine Kaſſe unter dir. Du wirſt doch nicht —“

Otto Falk, der redliche Menſch, der, ſeit er ſeinen beſcheidenen Gehilfengehalt bezog, jede Krone nicht einmal, ſondern zehnmal umdrehte, ehe er ſie ausgab, war ſehr blaß geworden.

„Schüttle mich doch nicht ſo!“ murrte der Jüngere, ſich dem Griff des anderen entziehend. „Damit kom- men die achthundert Kronen, die ich erſetzen muß, nicht wieder in meine Kaſſe, und ſie müſſen doch morgen früh daſein, ſonſt zeigt mich Prantner, der alte Schnüffler, der dahintergekommen iſt, daß ich nicht ganz korrekt —“

„Nicht ganz korrekt —“

„Gebucht habe,“ vollendete Fritz, „beim Chef an. Was danach kommt, kannſt du dir ausrechnen. Ich warte es jedenfalls nicht ab. Ich bin heute den ganzen Vormittag herumgerannt, um das Geld zu beſchaffen. Aber mir leiht niemand mehr etwas.“

„Und da kommſt du nun zu mir, den du ſonſt nie- mals findeſt!“

„dich bitte dich, Otto, ſei nicht ſentimental! Hilf mir lieber! Sonſt muß ich Na, mir täte es dann nur um unſere Mutter leid, denn die überlebt das nicht.“

2 Kriminalroman von A. Groner. 39 Otto, der ſchon nach ſeines Stiefbruders erſten Morten ſtehen geblieben war, mußte ſich an die Mauer lehnen. „Nein, ſie überlebte das nicht!“ wiederholte er bitter. „Ihr Liebling darf nicht zugrunde gehen, wenn die alte kranke Frau noch weiter leben ſoll. Du wirſt alſo keine Dummheiten machen. Das heißt, wenn ich es verhindern kann, daß du ins Zuchthaus kommſt.“

„Otto!“

„Ich glaub' gar, du willſt noch den Beleidigten ſpielen!“ N

„Noch iſt die Sache nicht bekannt.“

„Nur Herrn Prantner und mir und dir. Aber wenn auch nur du allein wüßteſt, daß du ein Dieb biſt, müßteſt du es ſpüren, daß du nicht mehr zu beleidigen biſt.“

„Ach was, laß doch die moraliſchen Bedenken! Sag mir lieber, ob du mir helfen willſt.“

„Wollen? Nein! Aber ich muß wohl.“

„Du haſt immer ſolch liebenswürdige Manieren gehabt.“

„In liebenswürdigen Manieren biſt du mir über. Solch glatte Burſchen, wie du einer biſt, die machen ſich raſcher beliebt.“

„Du beneideſt mich um meine angenehmere Gtel- lung, meinen höheren Gehalt. Was kann ich dafür, daß ich es weiter gebracht hab' als du?“

„Ja, weiter haſt du's gebracht!“ ſtieß Otto hervor, warf ſeinem Stiefbruder einen verächtlichen Blick zu und ging dann raſch weiter.

Die Zähne zuſammenpreſſend, folgte ihm Fritz. „Wie ich dieſen Tugendprotz haſſe! Und nun muß ich ihm wie ein Hund nachlaufen!“ ſtieß er zwiſchen den Zähnen hervor und bohrte den tückiſchen Blick ſchier in den Leib deſſen, von dem jetzt ſein Geſchick abhing.

40 | Der rote Merkur. 2

Ihr nächſtes Ziel war nach etwa zehn Minuten erreicht. Vor einem gemütlichen Hauſe, nahe dem Theater an der Wien, blieb Otto, der ſehr ſchnell ge- gangen war, ſtehen und hieß den hinter ihm herkeuchen- den Fritz einſtweilen auf ihn warten, dann eilte er in das Haus.

Nach wenigen Minuten kam er ſchon wieder zurück und ging, ohne ein Wort zu verlieren, weiter.

„Was haſt du denn vor?“ erkundigte ſich Fritz. „Könnte ich nicht irgendwo auf dich warten? Ich habe außer dem Frühſtück heute noch nichts im Leibe.“

„Ich auch nicht,“ erwiderte Otto ſchroff, ſetzte aber nach einer Weile weniger unfreundlich hinzu: „Es hat in der Tat keinen Zweck, daß du mitrennſt. Ich habe im Freihaus“) zu tun. Erwart mich in dem kleinen Reſtaurant, das dicht daneben liegt.“

Dann ging er eilig davon.

Fritz ließ ſich jetzt Zeit. Ein höhniſches Lächeln machte, daß ſein hübſches Geſicht augenblicklich recht unangenehm wirkte.

Er ſaß ſehr lange in dem Gaſthauſe, bis Otto, ficht- lich abgehetzt, eintrat. |

Mit einem ſchweren Seufzer ließ er ſich in der tiefen Fenſterniſche nieder, in der Fritz einen kleinen Tiſch in Beſchlag genommen hatte.

„Nun?“ fragte der Wartende.

„Laß mich nur zuerſt zu Atem kommen,“ erwiderte Otto, wiſchte ſich den Schweiß von der Stirne und beſtellte bei dem herzueilenden Kellner Suppe und eine billige Fleiſchſpeiſe.

Nach einer Weile ſagte er: „Du haſt, wie ich ſehe, einen Haſenrücken verſpeiſt?“

) Eines der weitläufigſten alten Zinsgebäude Wiens.

2 Kriminalroman von A. Groner. 41

Fritz überhörte dieſe Anzüglichkeit. „Alſo was bringſt du?“ fragte er noch einmal.

„Einhundertfünfzig Kronen habe ich ſchon. Ein Bekannter hat fie mir gegeben. Ih ließ ihm einen Schuldſchein und mein Poſtſparkaſſenbuch, das auf ſo viel lautet.“

Fritz war offenbar ſehr wenig erbaut über den ge- ringen Betrag. Er zuckte nur die Schultern.

„Haſt du denn gar nichts, das du hergeben könnteſt? Wie ſteht es denn mit deinen eleganten Kleidern? Und Schmuck haſt du doch auch und Uhr und Kette.“

„Wird alles heute noch verkauft.“

„Ich kann dir einen Händler ſchicken, der dir das Fell nicht zu ſehr über die Ohren ziehen wird.“

„Es werden kaum hundert Kronen bei der Ge— ſchichte PEN u

„So!“

„ch glaube, ich habe dir ſchon angedeutet, daß ich ſo ziemlich bis an den Hals in Schulden ſtecke.“

„Mußt ſchön gelebt haben!“

„Na, wie ein Bettelmönch freilich nicht. Man iſt nur einmal jung.“

„Auch ich bin jung, aber —“

„Aber du warſt immer ein Knauſer.“

„Wie genau du das weißt! Ein Knauſer alſo! Ja das war ich. Heute wirſt du vielleicht Gott dafür danken, denn hoffentlich kann ich dir gerade meines ſoliden Rufes wegen das Geld beſchaffen. Man hat mir Hoffnung gemacht.“

„Nur Hoffnung?“

„Glaubſt du denn, die kleinen Leute, aus denen ſich mein Bekanntenkreis zuſammenſetzt, brauchen nur jo in die Taſche zu greifen, um die Hunderter heraus- zuziehen?“

42 Oer rote Merkur. N

„Warft du ſchon bei der Schubert?“

„Bei der Tante meiner Braut? Was fällt dir ein?“

„Die Frau hat doch Geld.“

„Wie du nur auf dieſe Idee kommen kannſt!“

„Daß ſie Geld hat? Auf dieſe Zdee haſt du ſelbſt mich gebracht.“

„89°“

„Ja. Du haſt einmal gejagt, daß die Alte eine Heimlichtuerin und daß ſie mißtrauiſch iſt. Womit ſollte ſie denn heimlich tun? Weshalb ſollte ſie denn mißtrauiſch ſein? Da iſt doch Geld dahinter.“

„Da kann es ſich nur um ihr bißchen Erſpartes, um ein paar Kronen handeln.“

„Das glaube ich nicht.“

„Alſo glaub, was du willſt.“

„Nein, was vernünftig iſt. Deine Anna trägt ja Diamantohrgehänge.“

„Woher weißt du denn das?“

„Ich bin euch einmal nachgegangen.“

„Und da haft du dieſe wunderbare Entdeckung ge- macht? Warum haſt du mich denn nicht angeſprochen?“

„Weil ich auch nicht allein war und überdies weiß, daß du mit mir keinen Umgang haben willſt. Die Ohrringe ſind mindeſtens ſechshundert Kronen wert.“

„Haſt du ſie ſo gut abgeſchätzt?“

„Die Dame, die ich begleitete, kennt ſich in Schmuck- ſachen aus.“

„Nun, die Ohrringe könnten ja auch falſch geweſen ſein.“

„So altmodiſch geformte Schmuckſtücke ſind nie falſch. Damals dachte ich gleich, daß deine Heirat nicht nur eine reine Liebesheirat ſein wird.“

„Meinſt du? Nun, dieſer rautenbeſetzten Ohrringe wegen brauchſt du dir keine Gedanken zu machen.

D Kriminalroman von A. Groner. 43

Allerdings hat Frau Schubert fie Anna geſchenkt, aber die alte Frau hat ſie nicht gekauft, ſie ſind ihr auch geſchenkt worden. Von einer jungen Dame hat ſie fie bekommen, bei der fie zwölf Jahre hindurch Mutter- ſtelle vertrat.“

„Mutterſtelle bei einer jungen Dame, die ſolche Geſchenke machen kann! Da wird dieſe zwölfjährige Mutterſtelle der Alten ein hübſches Geld eingetragen haben.“

„Laß dieſes ganz zweckloſe Rechnen. Denk lieber an deine eigenen Verhältniſſe, in die ich jetzt leider auch mit hineingezogen werde, und unter denen ich bitter leiden muß, denn natürlich iſt jetzt meine Heirat weit hinausgeſchoben. Mit Schulden heirate ich näm- lich nicht, ſo weit wirſt du mich kennen. Und da ich jetzt gezwungen bin, deinethalben nein, unſerer kranken Mutter wegen Schulden zu 1 muß ich noch lange auf Anna verzichten.“

Die Traurigkeit, mit der Otto das ſagte, rührte ſeinen leichtſinnigen Stiefbruder denn doch ein wenig. Er ſtreckte Otto die Hand hin und ſagte haſtig: „Ich verſpreche dir —“

Sein Stiefbruder nahm die Hand aber nicht und fiel ihm bitter ins Wort: „Daß du dich von nun an einſchränken wirſt, um dieſe Schuld zurückzuzahlen? Verſprich lieber nichts, denn halten würdeſt du es doch nicht. Ein Genußmenſch, wie du einer biſt, kann ſich ja doch nichts verſagen. Auch ſagte ich es ja ſchon, nicht dir, ſondern nur unſerer alten Mutter, die, ehe ich einen Stiefvater und dich dazu bekam, ſo ſehr gut gegen mich war, bringe ich dieſes ſchwere Opfer.“

Fritz antwortete nicht und ſah jetzt wieder recht finſter vor ſich hin. „Wenn dir die Schubert das Geld leihen würde —“ fing er dann wieder an.

44 Der rote Merkur. 1

„Die alte Frau laß endlich in Ruhe!“ ſagte Otto ſcharf. „Ob ſie viel oder wenig hat, geht uns nichts an. Dich ſchon gar nicht. Aber du gehörſt ſchon zu den ganz nichtsnutzigen Leuten, die es als felbitver- ſtändlich anſehen, wenn ſie mit dem Gelde anderer Leute rechnen.“

„Ich bitte dich —“

„Still! Haſt du nicht mit dem Gelde anderer Leute ein Lotterleben geführt? Haſt du nicht Doch was helfen jetzt Vorwürfe!“

„Das denke ich mir ſchon lange,“ lachte Fritz und ſah dann gleichmütig zu, wie Otto haſtig zu eſſen begann.

Er war bald fertig damit, bezahlte ſeine Zeche und erhob ſich. „Du kannſt ſpäter zur Paulanerkirche gehen,“ ſagte er. „Ich komme gegen drei Uhr hin.“.

Fritz ſah dem eilig Davongehenden zornig nach. „Wie einen Schuhputzer behandelt er mich!“ murrte er.

Schon vor drei Uhr aber ſtand er vor der Paulaner- kirche und wartete voll fieberhafter Ungeduld auf Ottos Erſcheinen, allein es wurde vier Uhr, ehe dieſer auftauchte. Schon dämmerig war es, denn der Nebel lag faſt auf der Erde.

Fritz wußte beim erſten Blick in das Geſicht ſeines Stiefbruders, daß deſſen Bemühungen erfolglos ge- weſen waren. Er wagte keine Frage, er ſah Otto nur angſtvoll an.

„Vierhundert Kronen habe ich jetzt beiſammen,“ war die Antwort auf dieſen Blick.

„Alſo achthundert Kronen iſt dein gerühmter guter Ruf doch nicht wert!“

Otto Falk erwiderte auf dieſe Frechheit mit keinem Wort. „Zetzt gehſt du nach Haufe. In einer Stunde iſt der Händler bei dir,“ ſagte er kalt. „Ich komme mit ihm zu dir.“ |

0 Kriminalroman von A. Groner. 45

Fritz wollte auffahren.

Ein Blick Ottos brachte ihn zum Schweigen. Ohne Gruß verſchwand er im Nebel.

Sein Bruder wendete ſich der inneren Stadt zu. Der Bekannte, der ihm die letzterhaltenen zweihundert fünfzig Kronen verſchafft, hatte ihm die Adreſſe eines Geldverleihers gegeben, der zuweilen ſo viel Gemüt in ſich entdeckte, auch ſolchen Leuten Geld zu borgen, die, wie zum Beiſpiel ein Buchhandlungsgehilfe, kein großes Einkommen haben und auch keine anderweitige Deckung geben können.

Otto fand den Mann nicht daheim, wartete eine Stunde lang auf ſein Kommen, traf ihn dann bei ſchlechter Laune und mußte unverrichteter Dinge gehen.

Von Fritz hörte er, daß der Händler ſchon fort- gegangen ſei und alles in allem nur neunzig Kronen dagelaſſen habe.

Otto ſank auf einen Stuhl und ſtarrte wortlos vor ſich hin. ö

„Geh doch zur Schubert!“ ſagte Fritz. „Es bleibt uns jetzt nichts anderes übrig.“

Otto antwortete lange nichts. Dann erhob er ſich und ſetzte ſeinen Hut wieder auf. „Es bleibt mir in der Tat nur noch dieſer letzte Ausweg. Aber ich fürchte, auch dieſer Gang wird umſonſt ſein.“

„Es handelt ſich doch nur noch um dreihundert Kronen. Die Kleinigkeit, die dann noch fehlt, wirſt ja du ſelbſt dazulegen können.“

„Nur noch um dreihundert Kronen!“ wiederholte Otto bitter. „Ich habe es bis heute nicht gewußt, daß es für einen ehrlichen Menſchen ſo furchtbar ſchwierig iſt, Schulden zu machen,“ ſetzte er hinzu.

Dann ging er langſam aus dem Zimmer.

Auch Fritz brach auf, ſchloß ab und folgte ihm.

45 Oer rote Merkur. 2

Das Zimmer, das Fritz bei einer alten Witwe ge- mietet hatte, war vom Gang aus zu erreichen. Er hatte es ſo einzurichten gewußt, daß niemand das Kommen und Gehen des Händlers bemerkt hatte.

Kurz vor halb ſechs Uhr kam Otto bei Frau Schu- bert an, die im fünften Stadtbezirk wohnte.

Sein Stiefbruder betrat dicht hinter ihm das Haus, kam aber bald zurück und wartete an der nächſten Straßenecke auf ihn.

Otto blieb etwa eine Viertelſtunde aus, dann kam auch er, ſichtlich ſehr erregt, zurück.

„Wieder nichts?“ rief fein Stiefbruder ihm ent- gegen. i Otto antwortete nicht. Raſch und ſchwer atmend ging er weiter.

Fritz blieb dicht neben ihm. „Hat fie dich ab- gewieſen?“ fragte er.

„Ja.“

„Daß ſie ſo armſelig wohnt!“

„Kennſt du denn ihre Wohnung?“

„Ich bin dir nachgegangen. Ich wollte dir noch etwas ſagen, hab' dich aber nicht mehr erreicht, ſah dich nur noch durch den Hof gehen. Alſo ſie gibt nichts her?“ |

„Nein. Sie wurde ſehr zornig.“

„Was jetzt? Dieſe Frau war meine letzte Hoffnung.“

„Die meine noch nicht. Gerade, als fie mich ab- gewieſen hatte, iſt mir eingefallen, daß ich zu meinem Firmpaten gehen kann. Freilich, wenn der auch nicht hilft, dann —“

„Dann kann ich mich morgen erſchießen. Meinen Revolver habe ich ſchon zu mir geſteckt. Ich brauche alſo deswegen nicht einmal mehr in meine Wohnung zu gehen.“

Kriminalroman von A. Groner. 47

A

Fritz war es jetzt ſicherlich ernſt mit dieſer Rede. Sein Ausſehen und das Beben ſeiner Stimme bewieſen dies. „Es wird doch nicht zu einem Bruch mit deiner Braut kommen?“ fragte er bedrückt.

Der andere ſchüttelte den Kopf. „Frau Schubert verſprach mir, über die Sache zu ſchweigen.“ Dann fuhr er ziemlich ruhig fort: „Erwart mich um neun Uhr im Kaffeehaus neben dem Theater an der Wien, Ich gehe jetzt zu meinem Paten und dann Anna ent- gegen. Nachher komme ich zu dir.“

Fritz wollte ihm die Hand reichen.

Otto ſah ſie nicht, oder wollte ſie nicht ſehen.

So gingen ſie ohne Gruß auseinander.

Zweites Kapitel.

Die vollen, ernſten Glockenklänge vom Turm der Stephanskirche kündeten die ſiebente Abendſtunde an. Einige Minuten ſpäter traten aus einem Hauſe der Kärntnerſtraße etliche junge Mädchen. Sie alle hatten es ſehr eilig. Es waren Schneiderinnen, die im „Salon Srene“ täglich acht Stunden lang hübſche Toiletten für andere machten und froh waren, wenn die abend- liche Freiheit anbrach. Daher ihre Eile. Sofort waren ſie im Gedränge verſchwunden.

Eine der jungen Arbeiterinnen, die etwas ſpäter das Haus verließ, eine hübſche, beſcheiden und doch ſehr nett gekleidete Brünette, war vor dem Tore ſtehen geblieben. Nach rechts und nach links ſchaute ſie ſich um, aber der, der fie fait allabendlich hier erwartete, war heute noch nicht da.

Anna Lindner trat wieder in den Hausflur zurück und wartete. Sie mußte über ſich ſelbſt lächeln, über die Ungeduld, mit der ſie heute ihren Arbeitsgenoſſinnen

48 Der rote Merkur. 2

nachgeeilt war, was ſie ſonſt doch nie tat, denn ihr Verlobter konnte ja im beſten Falle erſt zehn Minuten nach ſieben Uhr zur Stelle ſein. So lange brauchte er mindeſtens, um von ſeiner Buchhandlung bis zu ihrem Geſchäftshauſe zu kommen.

Aber zuweilen verſpätete er ſich auch. Dann wartete ſie, wie jetzt, im Hausflur auf ihn, denn in der gerade um dieſe Zeit ſehr belebten Straße könnte ſie ihn verfehlen, wenn ſie ihm entgegengehen würde.

Eine Viertelſtunde verging. Das Mädchen wurde ungeduldig. Gerade heute hätte Otto pünktlich ſein ſollen. Sie wollten doch in der Rotenturmſtraße bei einem Ausverkauf einige Wäſcheſtücke für ihre künftige Wirtſchaft kaufen. Wenn Otto nun nicht bald kam, wurde jenes Geſchäft geſchloſſen.

Er kam nicht.

Als es ſchon nahezu halb acht Uhr war, ging Anna ein bißchen geärgert und ein bißchen beunruhigt nach Hauſe. Gerade auf den heutigen Abend hatte ſie ſich ſo gefreut.

Zu ihrer ziemlich am äußeren Ende des fünften Stadtbezirks gelegenen Wohnung brauchte ſie faſt drei Viertelſtunden. Sie legte dieſen Weg früh und abends zu Fuße zurück, was bei ihrem ſitzenden Berufe geradezu eine Notwendigkeit für ſie war. Ihr Mittageſſen nahm ſie in einem beſcheidenen Gaſthauſe ein, das in der Nähe ihres Geſchäfts lag. So erſparte ſie mittags den weiten Heimweg und gewann eine Arbeitsſtunde mehr, für die fie ſelbſtverſtändlich beſonders entlohnt wurde.

Es war alles ſehr genau eingeteilt im Leben dieſer kleinen Schneiderin, in dieſem ſo einförmigen und ſo beſcheidenen Leben, darin es ſo viele Plage und ſo viele Entbehrungen gab. Freilich auch viele Freuden, denn Anna Lindner war eine große Lebenskünſtlerin.

D Kriminalroman von A. Groner. 49

Sie verſtand es, ſich Freude zu machen. Zeder ſchöne Tag war ihr ſchon eine ſolche, und mußte ſie durch Regen und Sturm, dann freute ſie ſich ſchon im voraus auf ihr warmes Plätzchen im Geſchäft oder im Heim ihrer alten Tante, bei der ſie, die Waiſe, ſchon mehrere Jahre lebte.

Auch über die feinen Toiletten, bei deren Anferti- gung ſie mit tätig war, freute ſie ſich; ſie hatte eben ein Intereſſe an allem Schönen, das an ſie herantrat.

Und wie glücklich wurde fie durch ihre Liebe, durch dieſes herzliche, innige Verhältnis zu ihrem Verlobten gemacht! Sie kannte ihn ſchon ein ganzes Jahr. Seit dem Sommer war fie ſeine verlobte Braut und ſchwamm ſchier im Glück.

Freilich ein Schatten lag doch darauf. Tante Thereſe war nicht ganz einverſtanden mit dieſer Braut- ſchaft. Otto Falk hatte ja noch keine ſichere Anſtellung. Sonſt hatte ſie nichts gegen ihn einzuwenden.

Und Anna ſelbſt? Nun, die hatte überhaupt nichts gegen ihn einzuwenden, die liebte ihn eben und war bereit, bis an ihr ſeliges Ende ihre Nadel zu gebrauchen, wenn ſie nur Ottos Frau werden konnte.

Gerade heute ſehnte ſie ſich ſo ſehr nach ihm und mußte nun den weiten Weg allein machen. Die Augen wollten ihr naß werden.

Aber ſie bezwang ſich. „Er hat halt eine Abhaltung gehabt,“ dachte ſie bei ſich und ſchritt tapfer aus.

In dieſem Augenblick tauchte aus der dahinhajten- den Menge der Leute Otto vor ihr auf, bemerkte ſie aber noch nicht.

In ihr ſtieg ein Schrecken auf. Wie blaß er war! In düſteres Sinnen verloren ſtarrte er vor ſich hin und ſah das Nächſte nicht, denn ſoeben ſtieß er wie ein Blinder an einen der Vorübergehenden an.

1910. VII. 4

5) Der rote Merkur. 7

Ein ärgerliher Ausruf des Mannes brachte ihn zu ſich. Er fuhr ſich über die Augen und murmelte mecha- niſch eine Entſchuldigung.

Das waren die Vorgänge weniger Sekunden. Dann ſtand Anna dicht vor ihrem Verlobten und ſagte, ihre Hand auf ſeinen Arm legend, beſorgt: „Aber Otto! Was iſt dir nur, und woher kommſt du jetzt erſt? Ich hab' nimmer gemeint, daß ich dich heut noch ſehen würde.“

Sonſt ſah er fo glücklich aus, wenn er ihrer an- ſichtig wurde. Heute ſeufzte er, drückte ihre Hand lange und feſt, zog ihren Arm in den ſeinen und machte kehrt.

„Grüß dich Gott!“ ſagte er wie ſonſt, aber ſeine Stimme hatte keinen Klang, ſein Auge keinen Glanz.

In Annas Herzen wuchs die Sorge. „Du kommſt ſpät,“ ſagte ſie gepreßt.

Er nickte und erwiderte: „Ich hab' ſchon gefürchtet, ich verfehle dich.“

„Was er nur hat?“ dachte ſie. Laut fragte ſie: „Woher kommſt du denn?“

Sie erhielt nicht ſogleich eine Antwort darauf. Endlich ſagte er: „Einen Geſchäftsgang hab' ich ge- habt.“

„Und nicht gut iſt dir,“ bemerkte fie, verſtohlen fein Geſicht betrachtend, das ihr heute merkwürdig verändert, ſo ſpitz, ſo verfallen vorkam.

„Stimmt. Es iſt mir ziemlich übel,“ gab er zu. „Schon ſeit Mittag befinde ich mich körperlich recht unwohl. Du mußt es mir ja anſehen.“

Das Wort „körperlich“ hatte er beſonders betont. Seiner Begleiterin war das aufgefallen. Eine eigen- tümliche Scheu hielt fie aber davon ab, weitere Fragen zu ſtellen. Sie ſagte nur: „Es wird dir gut tun, wenn

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Kriminalroman von A. Groner. 51

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du bei uns zu Hauſe eine Taſſe heißen Tee trinkſt. Es ſchüttelt dich ja förmlich.“

Ganz beſtimmt hatte er Fieber. Auch übelgelaunt war er. „Es wäre mir lieber, wenn wir in ein Kaffee- haus gingen,“ meinte er kurz und heftig, um gleich danach hinzuzuſetzen: „Weißt du, ich bin heute ſehr reizbar. Man hat ſchon ſolche Tage, da bin ich lieber mit dir allein. Geh, komm hier herein. Da iſt's ge- mütlich.“

„Gemütlich!“ dachte Anna, hinter ihm in das Kaffee- haus tretend. „Heute wird es kaum gemütlich werden!“

Ein paar Minuten ſpäter ſaßen ſie in einer Ecke, und jedes hatte eine Taſſe Tee vor ſich.

Otto ſtürzte die heiße Flüſſigkeit gierig hinunter, Anna trank in kleinen Schlucken, denn ſie wurde immer beſorgter, ſeit ſie ſein Geſicht in heller Beleuchtung ſah. Es ſah aus, wie das Geſicht eines Menſchen ausſehen kann, der erſt kürzlich etwas Aufregendes erlebt hat, etwas, deſſen er noch nicht Herr geworden iſt.

Jetzt ſetzte er die geleerte Schale klirrend vor ſich hin. Er konnte ſie offenbar in den zitternden Händen nicht halten.

„Jetzt ſprich, Otto! Was iſt geſchehen? So wie heute hab' ich dich noch nicht geſehen.“

Da neigte er ſich ihr entgegen, ſtreckte ihr die Hand hin, und ſein Geſicht glättete ſich, ſeine Augen verloren die Düſterkeit. „Die Hauptſache iſt, daß du mich immer gern haſt,“ ſagte er, und ſein hübſcher Mund zuckte.

Jetzt fiel alle Angſt von ihr ab. Sie lächelte und flüſterte zärtlich: „Aber Otto, wie kannſt du denn daran zweifeln? Selbſtverſtändlich hab' ich dich immer gern. ach wüßt' gar nicht, wie ich es anfangen ſollt', dich nicht gern zu haben. Denk' ich doch ſchier den ganzen Tag nur an dich und an die Zeit, in der wir immer

52 Der rote Merkur. 2

beiſammen ſein werden. Und wenn die Tant' Reſi unſere Hochzeit auch hinausgeſchoben hat, einmal wer- den wir einander ja doch heiraten, und bis dahin mußt halt du auch Geduld haben.“

„Freilich, bis dahin muß ich auch Geduld haben,“ entgegnete er bitter, „denn ſie hat das Geld und kann Bedingungen machen, die ſich ſo ein armer Teufel, wie ich einer bin, eben gefallen laſſen muß.“

„Otto!“

„Ja, ja, ich bin ſchon wieder ruhig. Erlaube mir nur, es lächerlich zu finden, daß ſo eine alte Frau, die es längſt ſchon vergeſſen hat, was Liebe iſt, wegen der viertauſend Kronen, die fie dir verſprochen hat du haſt ſie allerdings noch mit keinem Auge geſehen, dieſe verſprochenen viertauſend Kronen —, daß alſo ſo eine alte Frau es ſich herausnimmt, zu beſtimmen, wann zwei Leute, die ſich gern haben, miteinander glücklich ſein dürfen.“

„Aber hat ſie denn nicht recht, bei deinem kleinen Einkommen und meinem noch viel kleineren Verdienſt, um unſere Zukunft beſorgt zu ſein? Sie meint es ja nur gut mit uns.“

„Gut meint ſie es? Und mit uns? Nein, Anna, mit mir meint ſie es ganz gewiß nicht gut. Glaubſt du, ich ſpüre all die kleinen und großen Bosheiten nicht, mit denen ſie dich und mich zum Auseinandergehen bringen will? Sie hat mir's ja doch mehr als einmal angedeutet, daß ich dich noch einmal unglücklich machen werde. Nun, ſie hat vielleicht recht!“

„Otto! Aber nein, heute biſt du nicht für deine Reden verantwortlich. Du biſt ganz einfach krank. Deine Hand iſt ja eiskalt, und ſchon deine ganze Laune ſagt, daß dir etwas fehlt. Es iſt halt ein verlorener Abend. Nicht der erſte iſt es, und es wird nicht der

2 Kriminalroman von A. Groner. 53

letzte ſein, den du uns durch ſolch eine Stimmung ver- dirbſt. Ach, wie hab' ich mich gerade auf den heutigen Abend gefreut! Meine ganzen Erſparniſſe hab' ich mitgenommen ſiebenundvierzig Kronen. Ein Dutzend Handtücher habe ich mir kaufen wollen, ſolche mit Ein- faſſung, weißt du? Und zwei Tiſchtücher und ein Dutzend Servietten. Dazu hätte es gerade gelangt. Ich hab' mir alles ſchon ausgerechnet, wie ich heut mittag auf einen Sprung in der Rotenturmſtraße geweſen bin. Ich hätt' ja da gleich alles kaufen können, aber ich hab' mir's ſo ſchön vorgeſtellt, daß du dabei ſein ſollſt. Na, da kann man halt nichts machen. Werden wir alſo die Freud' ein andermal haben.“

Wenn ſie auf ihr Geplauder eine Antwort erwartet hatte, dann hatte ſie ſich geirrt. Ihr Verlobter war wie- der in finſteres Nachdenken verſunken und fuhr erſt aus ſeinem Sinnen empor, als ſie aufhörte zu ſprechen.

„Ja, ja, freilich gehen wir ſpäter einmal mitein- ander einkaufen,“ erwiderte er zerſtreut und ſtürzte ein Glas Waſſer hinunter.

In Annas Augen ſtiegen Tränen auf. Allein ſie war ein tapferes Mädchen und faßte ſich gewaltſam. In der Überzeugung, daß heute nichts mehr zu ändern ſei, forderte ſie Otto auf, die Zeche zu bezahlen und mit ihr wenigſtens bis zu ihrem Hauſe zu gehen.

Er war dazu bereit. Nach wenigen Minuten gingen ſie wieder die nebligen Straßen weiter.

Otto zog Annas Arm an ſich und ſagte allerlei Liebes und Zärtliches. Ja, er forderte ſie ſogar auf, noch einen Umweg mit ihm zu machen, und ſo kam ſie faſt eine Stunde ſpäter als ſonſt vor dem Hauſe an, in dem ſie mit ihrer Tante wohnte.

Da nahm Otto Falk raſch Abſchied, und Anna be- trat den nur ſpärlich erleuchteten Flur.

54 Der rote Merkur. 2

„Warum er es nur jetzt plötzlich ſo eilig gehabt hat?“ dachte das Mädchen. „Er hat wirklich Launen. Damit wenigſtens hat die Tante recht.“

„Grüß Gott, Fräul'n Anna!“

Die kleine, rundliche Hausmeiſterin hatte es geſagt. Sie war aus dem kurzen Gang aufgetaucht, in den die Treppe mündete.

„Guten Abend, Frau Grübl! Na, wie geht's denn Ihrem Tonerl? Huſtet ſie immer noch ſo ſtark?“

„Dank der Nachfrag'! Beſſer geht's ihr. Der Tee, den uns die Frau Schubert angeraten hat, iſt halt doch gut.“

„Ei freilich. Die Tant' iſt ja ein halber Doktor!“ lachte Anna.

„Und eine ganze Einſiedlerin. Zch hielt's nicht aus, von früh bis abends ſo ganz allein zu ſein. Aber freilich, wir einfachen Leut' ſind ihr halt nicht gut genug.“ |

Das kam einigermaßen biſſig heraus.

Anna hob unwillkürlich den Kopf und entgegnete kühl: „Da irren Sie ſich. Die Frauen hier im Haufe ſind der Tante keineswegs zu einfach. Sie iſt nur gern für ſich. Gute Nacht, Frau Grübl!“

Die kleine, dicke Frau ſchaute ihr mit einem lauern den Blick nach. „Was hat ſie nur damit ſagen wollen?“ murmelte fie. „Und wie hochmütig fie plötzlich darein- geſchaut hat!“

Dann ſchickte ſich Frau Grübl an, mit ihrer Laterne und dem Kohleneimer nach dem Keller zu gehen.

Anna war ſchon im Hof verſchwunden. Die Dunkel- heit, die allabendlich hier herrſchte, falls nicht das klare Mondlicht dem einzigen armſeligen Laternlein bei ſeinem Geſchäfte half, war heute noch vertieft durch den dichten Nebel, der ſchon ſeit Stunden über der Stadt lag.

2 Kriminalroman von A. Groner. 55

Anna ſah nach ihrer Wohnung hin. „Warum hat ſie nur heute kein Licht?“ murmelte ſie. „Oder hat ſie die Laden ſchon geſchloſſen? Das tut ſie doch ſonſt erſt vor dem Schlafengehen.“

Vor der Tür der ebenerdigen Wohnung blieb ſie ſtehen und ſchob den Schlüſſel in das Schloß, das ſie bei ihrem Gehen und Kommen ſtets ſelber zu ſperren und zu öffnen pflegte.

Aber heute konnte ſie letzteres nicht tun, denn es ſteckte von innen der Schlüſſel. Die Tante hatte alſo vergeſſen, ihn abzuziehen.

Anna ging wieder hinaus auf den Hof zum nächſten der Zimmerfenſter und pochte daran. Dabei gewahrte ſie den zarten Schein des Lämpchens, das ihre Tante allezeit vor einem Marienbild brennen ließ.

Die hölzernen Fenſterladen waren alſo nicht ge— ſchloſſen, ſonſt hätte man das Licht, das in dem roten Glaslämpchen brannte, nicht ſehen können.

Anna lauſchte. Nichts regte ſich.

Wieder pochte fie an das Fenſter. „Ich hätte nicht fo ſpät kommen follen,“ dachte fie. „Über dem langen Marten wird ſie eingeſchlafen fein,“

Mit dieſem Selbſtvorwurf ging Anna wieder zur Tür, ſicher erwartend, daß ihr zweites, ſehr ſtarkes Pochen die alte Frau geweckt haben müſſe. Aber noch immer rührte ſich nichts.

Jetzt legte die ſchon ungeduldig Wartende, ohne ſich dabei etwas Beſonderes zu denken, die Hand auf die Klinke.

„Ah!“ rief ſie unwillkürlich aus, denn die Klinke hatte dem Oruck nachgegeben, und die Tür wich zurück.

Anna trat zuerſt in die Küche, fand ſofort die Zünd- holzſchachtel, die zugleich mit einem Leuchter ſtets auf dem Speiſeſchrank ſtand, und zündete die Kerze an.

56 Der rote Merkur. D

„Grüß Gott, Tanterl!“ rief fie durch die offen- ſtehende Tür in das Zimmer hinein.

Keine Antwort.

gebt wurde ihr nun doch bang zumute. Sie war ſchon im Begriffe geweſen, die Tür, die in den Hof hinausführte, wieder zu ſchließen, aber ſie ließ es jetzt ſein.

Zuerſt zögernd, dann ſeltſam haſtig machte ſie, den Leuchter in der Hand, die wenigen Schritte zum Zim- mer hin und leuchtete hinein.

Im nächſten Augenblick gellte ein wilder Schrei durch die nächtliche Stille. Anna, wirr vor Entſetzen, taumelte bis an die Wand der ſchmalen Küche zurück.

Drittes Kapitel.

„Was war denn das?“ ruft die Schuſtersfrau, die auch eine Hofwohnung hat und eben dabei iſt, die Betten zu machen. Sie wirft das Kopfkiſſen hin und haſtet in den Hof hinaus. Dort trifft ſie mit der Grübl zuſammen, die mit dem Kohleneimer und ihrer Laterne aus dem Keller heraufkommt.

„Haben Sie's auch g'hört?“

„Freilich hab' ich's g'hört.“

„Da iſt was geſcheh'n.“

„Bei der Schubert war's.“

Die beiden Frauen laufen auf die offenſtehende Tür der Schubertſchen Wohnung zu.

In den oberen Stockwerken werden die Fenſter aufgeriſſen, überall kommen Köpfe zum Vorſchein, ängſtliche Fragen werden heruntergerufen.

Dann rennen Leute die Treppe herunter, und eine Minute ſpäter iſt der Hof voll von Menſchen.

Der penſionierte Feldwebel Dengler vom zweiten

5 Kriminalroman von A. Groner. 57

Stock hat ſeine Pfeife noch in der Hand, die hübſche kokette Frau Wichl, die die große Eckwohnung hat, iſt mit ihrem Dienſtmädchen heruntergerannt; fie ſieht jetzt gar nicht hübſch aus, denn ſie hat ſchon ihre falſchen Zähne abgelegt, und ihre Friſur iſt nicht wiederzuerkennen. Alles redet und flüſtert und drängt zur Tür hin, hinter der ſich offenbar etwas Schreckliches zugetragen hat.

Der Feldwebel und der Schuſter betreten zuerſt die Wohnung der alten Frau Schubert. Erſterer nimmt der ganz erſtarrten Anna das Licht aus der Hand und leuchtet damit ins Zimmer hinein.

„Tun S' die zwei Weiber hinaus,“ ſagt er dann zum Schuſter, „und es ſoll ſofort jemand zum Kom- miſſariat laufen. Da iſt ein Mord geſchehen.“

Dengler betritt das Zimmer, auf deſſen Boden die alte Frau Schubert liegt. Er faßt ihre Hand. Sie iſt ſchon kalt und ſteif. Der großen Blutlache, die ſich auf dem Fußboden ausgebreitet hat, hält ſich Dengler vorſichtig fern.

Anna iſt auf die Küchenbank geſunken und hat das Geſicht mit den Händen bedeckt.

Der Feldwebel wendet ſich zu dem faſſungsloſen Mädchen, tiefes Witleid drückt ſich in ſeinem faltigen Geſichte aus. Er ſtellt aber keine Frage an ſie, ſchwei⸗ gend bewacht er die Tote im Zimmer und die vor Schreck wie Gelähmte in der Küche.

Es vergehen nur wenige Minuten, bis der Kom- miſſar mit drei Begleitern eintrifft. Nun wird das Tor geſchloſſen, und die Parteien des Hauſes werden erſucht, ſich in ihre Behauſungen zurückzuziehen.

Vier Paar Augen ſind es, die mit ſcharfen Blicken das zitternde Mädchen ſtreifen, das ſich langſam erhebt.

58 Oer rote Merkur. 2

„Wer ſind Sie?“ fragt der Kommiſſar.

Sie kann nicht ſogleich antworten, ihre Zunge iſt wie gelähmt.

Statt ihrer antwortet der alte Feldwebel, der, die Pfeife in der Linken, die Rechte ſalutierend erhebend, ganz vergißt, daß er längſt keine Uniform mehr trägt.

Der Schein eines Lächelns verzieht die Geſichter der Beamten über das Komiſche, das durch das Aus- ſehen des wackeren Mannes, der im Schlafrock und in geſtickten Hausſchuhen ſeine Meldung abſtattet, in das Tragiſche der Situation gebracht wird.

„Und wer ſind Sie ſelbſt?“

Dengler ſtellt ſich vor und erklärt haſtig, daß er nur hier geblieben ſei, um zu verhindern, daß irgend etwas an dem Tatort verändert werde.

„Sehr gut!“ ſagt der Beamte und wendet ſich zum Arzt, der neben der Leiche kniet. |

Eine genaue Unterſuchung des Zimmers wird vor- genommen, und bald darauf herrſcht wieder Ruhe in dem Haufe, das heute der Schauplatz einer ſo un- heimlichen Tat geworden iſt.

* * *

Der Staatsanwaltsvertreter Doktor Lauterer, ein noch junger Beamter, der erſt vor kurzer Zeit ſein Amt angetreten hatte, galt jetzt ſchon dafür, daß er ohne Anſehen der Perſon ſeines Amtes walte, und ſeine Vorgeſetzten hielten ihn für einen ſehr tüchtigen Zuriſten.

Als man Anna Lindner zu ihm ins Zimmer führte, war er ſoeben dabei, das Protokoll, das noch in der vergangenen Nacht aufgenommen worden war, zu prüfen.

„Anna Lindner iſt hier,“ ſagte der Amtsdiener,

D Kriminalroman von U. Groner. 59

als er die Zitternde über die Schwelle ſchob und dann die Tür wieder ſchloß.

Lauterer ſchaute auf, und als er das Mädchen ängſt⸗- lich neben der Tür ſtehen ſah, ging er ihr entgegen und führte ſie zu dem Stuhl, der neben ſeinem Tiſche ſtand.

„Vor allem, liebes Fräulein,“ begann er, „müſſen Sie ſich beruhigen. Es gilt, einen Anhaltspunkt zu finden für unſere Nachforſchungen. Damit Sie uns dabei behilflich ſein können, müſſen Sie zu ruhigem Denken kommen, müſſen Sie ſich bewußt werden, daß vielleicht Sie allein imſtande ſind, Angaben zu machen, die uns auf die Spur des Mörders bringen. So und nun wollen wir miteinander über die traurige Sache reden.“

Ein Blick in die todestraurigen Augen des Mädchens hatte ihn bereits über ihren Anteil an dem Fall auf- geklärt. Er hatte zuerſt vorgehabt, das Protokoll, das mit ihr aufzunehmen war, durch einen feiner Unter- gebenen ſchreiben zu laſſen, aber er fand es jetzt doch für beſſer, ihr alles zu erſparen, was ſie noch verſtörter machen konnte, als ſie ohnehin ſchon war.

So notierte er ſelber ihre Perſonalien und fuhr dann fort: „Alſo, Fräulein, in welchem Verwandt—- ſchaftsgrad ſtanden Sie zu der Toten?“

„Sie war die Schweſter meiner Mutter.“

„Ihre Mutter iſt ſchon lange tot?“

„Seit faſt acht Fahren. Mein Vater ſtarb vor zehn Jahren.“

„Seit wann wohnen Sie bei Ihrer Tante?“

„Im nächſten Frühjahr werden es ſieben Fahre.“

„Da find Sie alſo nicht ſogleich, nachdem Sie ver- waiſt waren, von Ihrer Tante aufgenommen worden?“

„Nein, denn ſie lebte damals in Graz. Sie war

60 Der rote Merkur. | 0

im Haufe des penfionierten Generals Labriola Wirt- ſchafterin. Ein halbes Fahr nach dem Tode meiner Mutter bat ſie den General um Entlaſſung, denn ſie war kränklich geworden und wollte hier mit mir zu- ſammenleben.“

„Sie war eine Wienerin?“

„Ja. Auch ihr verſtorbener Mann war ein Wiener. Als junge Frau hat ſie mit ihm in derſelben Wohnung gewohnt, in der jetzt das Schreckliche geſchehen iſt.“

„Sie war wohl nicht lang verheiratet?“

„Kaum drei Jahre. Als ſie Witwe wurde, hat ihre erſte Herrſchaft ſie an den General empfohlen. Sie war nämlich ſehr zuverläſſig, und eine ſolche Frau brauchte der General, der Witwer war, für ſeinen Haushalt und für ſeine Tochter.“

„Ihre Tante war alſo eine ſehr verläßliche Frau. Sie hat dem General lange die Wirtſchaft geführt?“

„Siebzehn Fahre lang, und dabei hat fie faſt zwölf Jahre lang die Baroneſſe Simonetta wie eine Mutter behütet. Dann iſt die Baroneſſe in ein Schweizer Inſtitut gekommen, und meine Tante hat noch fünf Fahre dem General die Wirtſchaft geführt.“

„Um dann Ihretwegen nach Wien zu kommen?“

„Ja. Sie hat mich ſehr gern gehabt,“ antwortete Anna ſchluchzend.

„Und Sie haben ſie auch lieb gehabt?“

Anna nickte nur und preßte die Hände zuſammen, dann brach ſie in Tränen aus und ſagte: „Sie hat es einem freilich manches Mal ſchwer gemacht. Sie war ja gewiß ganz gut gegen mich, aber ſie konnte auch ſehr heftig ſein und ſehr mißtrauiſch.“

„Wie hat ſich denn das geäußert?“

„Sie hat mit faſt niemand im Hauſe geſprochen und niemand in unſere Wohnung gelaſſen. Ehe ſie

2 Kriminalroman von A. Groner. 61

aufgeſperrt hat, iſt ſie immer erſt zum Fenſter gegangen und hat geſchaut, wer es iſt, der herein will. Und wenn ſie ſelber fortgegangen iſt ich bin nämlich faſt den ganzen Tag außer Haus da hat fie ſogar ein Vor- hängeſchloß vor die Tür gelegt.“

„Sie wird halt gewußt haben, daß bei ihr was zu ſtehlen war.“

Anna zuckte die Schultern. „Was kann ſie viel gehabt haben!“

Lauterer lächelte, als er einwarf: „Ja, wenn Sie das nicht wiſſen, wer ſoll's dann wiſſen! Tatſache iſt jedenfalls, daß man ſie beſtohlen hat.“

Wieder zuckte Anna die Schultern. „Ich weiß nur, daß ich, wenn ich heirate, viertauſend Kronen von ihr bekommen ſollte. Auch hat ſie in einer ſchwarzen Holzkaſſette Schmuck aufgehoben, Geſchenke von den Herrſchaften, bei denen ſie gedient hat. Ein Paar ſehr ſchöne Ohrgehänge hat ſie mir ſchon geſchenkt zu meinem letzten Namenstag und weil ich die Tante vorher in einer ſchweren Krankheit gepflegt habe. Die Ohrringe ſollen ſechshundert Kronen wert fein.“

„Solche Geſchenke hat fie Ihnen gemacht! Und dabei hat ſie Sie als Nähterin gehen laſſen?“

„Nun, daß ich in die Arbeit gehen mußte, das war ſchon recht. Wann ſoll man ſich denn plagen und etwas lernen, wenn man's nicht tut, ſolange man jung iſt?“

Lauterer nickte ihr freundlich zu. „Mußten Sie Ihrer Tante etwas für das Wohnen bezahlen?“

„Dreißig Kronen habe ich ihr monatlich geben müſſen.“

„Und wie viel verdienen Sie?“

„Im Monat neunzig Kronen. Ich habe alſo noch ganz gut mein Mittageſſen und Wäſche und Kleider

62 Der rote Merkur. a

kaufen können. O, Herr Doktor, jetzt erſt werde ich es wiſſen, wie gut es mir trotz allem gegangen iſt.“

„Hat Ihre Tante von ihren Erſparniſſen gelebt?“

Anna ſchüttelte den Kopf. „Nach dem Tod ihres Mannes hat fie eine kleine Penſion gehabt. Sechs- hundert Kronen. Der Onkel war Magiſtratsbeamter. Und auch der General hat ihr monatlich dreißig Kronen geſchickt. Es war ihr von ihm ſchriftlich zugeſagt worden, daß ſie dieſes Geld bis an ihr Lebensende erhalten ſoll. Es war alſo auch ſozuſagen eine Penſion.“

„Da hat die Frau ja ganz nette Einnahmen gehabt.“

„Das ſchon, und ſie hat auch gut gelebt und hat mich auch ein bißchen verwöhnt, was ich jetzt bitter ſpüren werde.“

„Womit verwöhnt?“

„Sie hat mir immer ein ſehr gutes Abendeſſen gegeben. Und für die Inſtandhaltung meiner Wäſche und Kleider hat ſie auch geſorgt. Mir ſelbſt wäre das ſchwer geworden, denn ich muß um ſieben Uhr morgens fort und komme abends erſt gegen acht Uhr heim. Ach,“ ſetzte ſie aufſchluchzend hinzu, „nun habe ich kein Heim mehr, bis —“

„Bis?“

„Bis ich heiraten werde.“

„Sind Sie verlobt?“

„Seit dem Frühling. Und jetzt tut es mir doppelt weh, daß die Tante mit meiner Brautſchaft nicht recht einverſtanden war.“

„Nicht recht einverſtanden? Was hat ſie denn dagegen gehabt?“

„Otto iſt nämlich auch arm, und ſeine Stellung iſt nicht ſicher. Und es iſt ja wahr, daß er oft recht heftig iſt. Aber ich hab' ihn halt gern, und darum war ich auch lang bös auf die Tante, weil ſie unſere

Oo Kriminalroman von A. Groner. 63

Heirat immer hinausgeſchoben hat, und das bereue ich jetzt.“

„Sie find doch mündig und hätten alſo ihre Ein- willigung gar nicht gebraucht.“

„Ich mußte aber doch wegen des Geldes auf ſie hören. Womit hätten wir uns denn ohne die vier- tauſend Kronen einrichten ſollen?“

„Richtig die viertauſend Kronen!“

„Wir hätten ſehr ſparſam gewirtſchaftet und hätten uns vielleicht die Hälfte für alle Fälle in die Spar- kaſſe legen können. Es wäre ſicher keine leichtſinnige Heirat geweſen. Sie aber hat nicht wollen, und dar- über waren wir beide natürlich nicht ſehr erfreut. Otto am wenigſten. Geſtern noch hat er ſich darüber ge- ärgert.“

„Wann waren Sie denn zum letzten Male mit Ihrem Verlobten zuſammen?“

Es war bei dieſer Frage ein Ausdruck großer Auf- merkſamkeit in ſeinen Augen.

„Geſtern abend.“

„Da waren Sie alſo noch vergnügt beiſammen, während Ihre arme Tante ſchon ermordet war.“

Kopfſchüttelnd ſagte ſie: „O nein, geſtern waren wir gar nicht vergnügt. Otto hatte ſeinen ſchlechten Tag. Er holte mich nicht wie gewöhnlich ab, und als wir uns dann unterwegs trafen, war er ganz anders als ſonſt. Ganz elend hat er ausgeſehen, und ſo in ſich verſunken war er, daß er gegen die Leute anrannte. ich bin nicht darauf gekommen, was ihn fo aufgeregt hat. Aber vergnügt waren wir alle beide nicht. Und mit zur Tante hat er auch nicht kommen wollen.“

„Nicht?“

„Nein. Ich bin in großer Sorge um ihn, er muß krank ſein, war es gewiß geſtern ſchon.“

64 Der rote Merkur. a

„Woraus ſchließen Sie das?“

„Weil er heute noch nicht bei mir war, und er müßte doch ſchon wiſſen, was geſchehen iſt.“

„Wo wohnt denn öIhr Verlobter?“

„Im ſechſten Bezirk, in der Magdalenenſtraße. Gleich neben dem Theater an der Wien.“

„Wie heißt er?“

„Otto Falk. Er iſt Gehilfe in einer Buchhand— lung auf der Ringſtraße. Wollen Sie etwas von ihm?“ |

„Er hat Sie wohl bei Ihrer Tante öfters beſucht?“ x

„Oft gerade nicht.“

„Immerhin gehörte er alſo zu den wenigen, die allenfalls eine auf die Tante bezügliche Ausſage machen können.“ |

Lauterer erhob ſich. Anna tat desgleichen. Sie ſchaute ihn fragend an.

Er nickte ihr zu. „Nun, Fräulein,“ ſagte er, „Sie können jetzt gehen. Ich darf wohl annehmen, daß Sie mir nichts mehr zu ſagen haben?“

„Ich weiß nichts mehr, Herr Doktor.“

„Alſo guten Tag, Fräulein!“

Anna grüßte ſtumm und ging. Mit ſchwerem Herzen ging ſie, und während ſie dem Hauſe zu— ſchlich, in dem ſie ſeit Jahren ſo friedlich gewohnt hatte, und das jetzt zu einem Ort des Schreckens geworden war, ſchickte Lauterer Poliziſten in Falks Wohnung und nach der Buchhandlung, in welcher der junge Mann angeſtellt war, und während Anna weinend in einem Winkel der Wohnung ſaß, las der Unterſuchungsrichter aufmerkſam das Protokoll, das der Kommiſſar geſtern abend an dem Tatorte aufgenommen hatte.

Der Schlag der Wanduhr ließ ihn endlich aufſehen.

2 Kriminalroman von A. Groner. 65

Es war zehn Uhr. Zu gleicher Zeit kam einer der Geheimpoliziſten zurück, welche er ausgeſandt hatte.

Der Mann berichtete, daß er nur mit Falks Quar- tiergeberin hatte reden können. Die Frau hatte ihm erzählt, daß Falk geſtern knapp vor Torſchluß nach Haufe gekommen und heute viel früher als ſonſt wieder weggegangen ſei. Auf die Frage, ob er vielleicht über Unwohlſein geklagt, habe die Frau gemeint, geſagt habe er darüber nichts, aber ſchlecht genug habe er ausgeſehen. Dann hatte fie noch das Kaffeehaus ge- nannt, in welchem Otto Falk ſein Frühſtück zu nehmen pflegte. Der Detektiv war auch dort geweſen, hatte nach Falk gefragt, aber erfahren, daß dieſer heute nicht gekommen ſei.

Noch hatte der Mann nicht ausgeredet, da traf auch der zweite Abgeſandte ein. Er konnte berichten, daß Falk ein wenig verſpätet ins Geſchäft gekommen ſei, eine Weile gearbeitet und dann eine Zeitung zur Hand genommen habe. Gleich darauf habe er, furchtbar aufgeregt, den Chef um die Erlaubnis gebeten, fort- gehen zu dürfen. Er habe durch die Zeitung erfahren, daß die Tante ſeiner Braut ermordet worden ſei.

Lauterer zündete ſich, nachdem er die beiden Be- amten entlaſſen, eine Zigarre an. Während er die erſten Züge tat, ſchrieb er zwei Worte auf einen Zettel, den er zu dem Protokoll legte.

Es war ein Name Otto Falk.

Dann trat er ans Fenſter und ſah eine Weile dem blauen Rauchgekräuſel feiner Zigarre nach.

Da öffnete ſich die Tür. Der eintretende Ge— richtsdiener meldete: „Herr Otto Falk.“

Lauterer legte die Zigarre hin. Intereſſiert ſchaute er zur Tür.

Auf deren Schwelle ſtand ein ſchlanker junger Mann.

1910. VII. 5

66 Der rote Merkur. 1

2 ͤ unn

Viertes Kapitel.

Otto Falk und ſein Bruder Fritz hatten ſich ohne Gruß getrennt. Otto begab ſich zu ſeinem Taufpaten, um von dieſem das noch fehlende Geld zu erbitten. Es war ihm ein ſehr ſchwerer Gang, aber die gute Stimmung, in welcher er den ſonſt ein wenig mür- riſchen alten Herrn traf, kam ſeinem Anliegen zuſtatten. Er brauchte nicht einmal viel zu reden, und die drei- hundert Kronen lagen ſchon vor ihm.

„Ein leichtſinniger Burſch biſt du nicht, das weiß ich. Wach alſo keine ſolche Zammermiene, Das. Leben iſt teuer, und da haſt du halt einmal mehr gebraucht, als du einnimmſt. Bedank dich nicht lange und zahl zurück, wann du kannſt. So und jetzt geh! Für heute kann ich dich nämlich nicht zum Bleiben ein- laden. Wir fahren ins Theater. Der Wagen muß ſchon unten ſtehen.“

Das war alles, was der alte Herr auf Ottos Bitte geſagt hatte.

Ganz verwirrt ging der junge Mann die Treppe hinab. Heißes Dankgefühl und einige Reue regten ſich in ſeinem Herzen. Reue darüber, daß er zu dieſem einzigen Menſchen, der außer Anna in dem großen Wien zu ihm gehörte, ſo wenig Zugehörigkeitsgefühl gehabt, daß er ihm bei den ſeltenen Beſuchen, die er ihm gemacht, nicht einmal ſeine Verlobung mitgeteilt hatte.

Der größten Sorge ledig, ſchlug er ganz unwill- kürlich einen Weg ein, der ihn Anna entgegenführen mußte, obwohl er annahm, daß er ihr, da es ſchon ſpät geworden war, nicht mehr begegnen könne.

Nachdem er eine Weile gegangen, wurde er wieder recht düſter geſtimmt, denn es war ihm abermals ſo recht

0 Kriminalroman von A. Groner. 67

zum Bewußtſein gekommen, welch großes Opfer er mit dem heutigen Schuldenmachen nicht ſeinem leichtſinnigen Stiefbruder, ſondern feiner herzkranken Mutter gebracht hatte, die ganz ſicher an der Schande ihres Lieblings zugrunde gegangen wäre. Sie liebte ja ihn ſelbſt, ihren einzigen Sohn aus erſter Ehe, auch, ebenſo ihre jüngſte Tochter Hanna, aber der Fritz war ihr Sorgenkind, der war ihr ans Herz gewachſen.

An manch Vergangenes und an das heute Ge— ſchehene denkend, vergaß Otto Falk der Leute zu achten, und ſo konnte es geſchehen, daß er ganz unverſehens ſich ſeiner Braut gegenüberbefand. Sie erblickend, fiel ihm blitzſchnell ein, daß fie von dem Daſein feines Stiefbruders nur eine flüchtige Kenntnis hatte, daß er, ſich ſchämend, weniger zu ſein als dieſer, ihr nie geſagt hatte, daß Fritz auch in Wien lebe; und ſchnell überlegte er, daß er erſt ruhig geworden ſein müſſe, um ihr von den heutigen, auch für fie ſelbſt jo folgen- ſchwer gewordenen Vorkommniſſen zu berichten.

Das war der Grund, weshalb er über das Vor- gefallene geſchwiegen hatte.

Nachdem er ſich von Anna verabſchiedet, traf er bald nach neun Uhr mit ſeinem Stiefbruder zuſammen, übergab ihm in nicht gerade liebenswürdiger Weiſe das ſo mühſam herbeigeſchaffte Geld und verließ ihn gleich danach wieder.

Es wäre über ſeine Kräfte gegangen, mit dem ihm heute geradezu verhaßt gewordenen Fritz länger bei- ſammen zu bleiben.

Er kam todmüde heim und legte ſich ſofort nieder. Aber der Schlaf ſtellte ſich erſt gegen Morgen bei ihm ein, und doch wurde er trotz aller Müdigkeit wieder von ſeiner Unruhe aus dem Bett getrieben.

Faſt eine Stunde vor der gewöhnlichen Zeit ver-

68 Der rote Merkur. a)

ließ er feine Wohnung. Er hatte vorgehabt, heute eher zu frühſtücken und dann vor Fritzens Geſchäft auf dieſen zu warten, denn er nahm als ſicher an, daß Fritz ſich dort heute auch früher als ſonſt einſtellen werde, um die Kaſſe in Ordnung zu bringen, noch ehe ihn jemand dabei ſtören konnte. Allein Fritz hatte es gar nicht eilig.

Aber der alte Buchhalter Prantner war ſchon da und zeigte ſich nicht weniger ungeduldig als Otto. Und nun warteten ſie beide auf Fritz, und Otto fagte dem alten Mann, was er geſtern durchgemacht, um Fritz das Geld zu verſchaffen.

Eine Viertelſtunde nach der anderen verging immer noch kam Fritz nicht.

„Der iſt imſtande und lieſt jetzt noch die „Fliegen“ den“,“ knurrte Prantner.

Otto zog die Uhr, biß zornig die Zähne zuſammen und ſagte: „Ich muß jetzt gehen, nicht eine Minute mehr kann ich warten. Alſo, Herr Prantner, Ihr Wort habe ich. Da der Schaden gutgemacht iſt, wird keine Menſchenſeele etwas von Fritzens Lumperei erfahren. Und nicht wahr Sie ſchicken mir jemanden ins Ge- ſchäft? Ich möchte doch fo ſchnell als möglich durch Sie ſelbſt erfahren, daß alles in Ordnung iſt.“

Er drückte des alten Mannes Hand und eilte in ſein Geſchäft. Trotzdem kam er faſt eine halbe Stunde ſpäter, als er ſollte. Die Unruhe, die in ihm war, mit Gewalt niederkämpfend, machte er ſich ſofort an die Arbeit. Dabei hörte er ſeine Kollegen von einem Mord reden, er achtete aber nicht weiter darauf.

Doch da ſank ihm plötzlich die Feder aus den Fingern.

„Ein Raubmord iſt's. Da ſteht es ja. Die ganze Wohnung der Ermordeten iſt durchwühlt, und wenn Frau Schubert —“

2 Kriminalroman von A. Groner. 69

Weiter hörte Otto nichts. Es ward ihm plötzlich ſchrecklich heiß im Kopf, vor ſeinen Augen flimmerte es, und in ſeinen Ohren rauſchte es.

Er mußte ſich ſetzen. Ein fürchterlicher Gedanke hatte ihm plötzlich alle Kraft genommen.

Endlich hatte er ſich ſo weit gefaßt, daß er ſich die Zeitung ausbitten konnte. Er las nur wenige Zeilen, dann ſank er auf den nächſten Stuhl.

„Was haben Sie denn?“ „So reden Sie doch!“ drangen die Kollegen auf ihn ein.

„Die Ermordete iſt die Tante meiner Braut,“ murmelte er und wiſchte ſich über das blaſſe Geſicht.

„Da werden Sie fort wollen. Ich ſag's ſchon dem Prinzipal, wenn er kommt,“ meinte einer, brachte ihm eilig ſeinen Rock und Hut, ſagte ihm noch ein paar teilnehmende Worte und drängte ihn zur Tür hinaus.

Da begegnete ihm noch im Hausflur ein Burſche mit einem Brief in der Hand.

„Wo treffe ich hier Herrn Falk?“ fragte der Bote. Er trug eine Mütze mit der Firma des Geſchäftshauſes, deſſen einer Kaſſier Fritz war.

Dieſen Namen ſah Otto, und erleichterten Herzens nahm er den Brief entgegen, denn er wußte ja, daß Prantner ihm darin mitteilen würde, nun ſei alles in Ordnung.

Auf der Straße ſprang er auf den nächſten daher- kommenden Straßenbahnwagen, löſte ſich einen Fahr- ſchein und lehnte ſich an eine der Wände der Platt- form. |

gebt erſt öffnete er den Umſchlag und las den Brief, den Prantner ihm geſandt.

Da wich das Blut wieder aus feinen Wangen, ſeine Augen wurden ſtarr. Prantner meldete ihm, daß nicht Fritz, ſondern nur ein Brief von ihm ge-

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kommen ſei, in welchem der Elende ſchrieb, daß er in der letzten Nacht wieder geſpielt habe, um das Fehlende noch zu gewinnen, daß er aber Unglück gehabt habe, und da er nun das in ſeiner Kaſſe fehlende Geld doch nicht ganz erſetzen könne, ziehe er es vor, zu verſchwinden, und zwar für immer.

Dies berichtete Prantner und ſchloß ſein Schreiben mit den Worten: „Nun, zu ängſtigen brauchen Sie ſich nicht weiter um ihn. Einer, der keine Spur von Ehre mehr hat, tut ſich ſo leicht nichts an.“

Kaum hatte Otto den Brief geleſen, als er vom Wagen ſprang und nach Fritzens Wohnung eilte.

Dort erfuhr er, daß Fritz erſt nach Mitternacht nach Haufe gekommen und gegen fünf Uhr ſchon wieder gegangen ſei. Er habe hinterlaſſen, daß er verreiſen müſſe, und habe feinen Reiſekoffer mit- genommen.

Die Wirtin wollte wiſſen, wer er ſei, doch gab ihr Otto aus guten Gründen darauf keine Antwort, ſondern fragte ſeinerſeits, ob Herr Fritz Stegmann denn Verwandte in Wien habe. Zu feiner Erleichte- rung erfuhr er, daß Herr Stegmann darüber nicht geſprochen habe.

Sich mit Gewalt zu ruhiger Überlegung zwingend, nahm er ſeinen Weg wieder auf. Er ſehnte ſich, bei Anna zu ſein, denn er fühlte, daß in dieſer ſchrecklichen Zeit ſein Platz neben ihr war.

Aber er fürchtete ſich auch vor einem Wiederſehen, denn er Hatte ja nun ein Geheimnis vor ihr. Sein Geheimnis war ein Verdacht, der ſich wie eine Berges laſt auf ſeine Seele wälzte.

Als er in das Haus kam, hörte er, daß Anna zum Anterſuchungsrichter Doktor Lauterer vorgeladen worden war, und daß er ſie vermutlich dort noch treffen könne.

. Kriminalroman von A. Groner. 71

Fünftes Kapitel.

„Setzen Sie ſich, Herr Falk,“ ſagte Doktor Lauterer zu feinem Beſucher und wies auf den Stuhl, den ſo— eben Anna Lindner verlaſſen hatte.

Otto ſetzte ſich. „Ich dachte —“ begann er.

Lauterer unterbrach ihn: „Sie ſind gewiß Fräulein Lindner begegnet, und dieſe hat Sie hierher geſchickt?“

„Nein, ich habe Anna nicht geſehen, aber ich wollte —“

„Sie haben heute ungewöhnlich früh Ihre Woh- nung verlaſſen?“

„Woher wiſſen —“

„Sie ſind ſpäter als ſonſt ins Geſchäft gekommen und gingen bald darauf wieder. Sie haben dort durch die Zeitung die Ermordung der alten Schubert er- fahren?“

Falk ſchaute ſichtlich betroffen auf. Dann fragte er ein wenig ſchroff: „Warum hat man mich geſucht? Wie komme ich dazu?“ |

„Wir intereſſieren uns jetzt für jeden, der mit Frau Schubert bekannt war, der über ihre Verhältniſſe Aus- kunft geben kann und —“

„Das kann ich wohl kaum. Ach habe dieſer Frau ziemlich ferngeſtanden. Sie hat mich wenig leiden können, und Leute, die man nicht mag, weiht man gewöhnlich nicht in ſeine Verhältniſſe ein.“

„Sehr richtig. Aber iſt Ihnen nicht durch Ihre Braut einiges davon bekannt geworden?“

„Anna hat nur davon geſprochen, daß ihre Tante eine rechte Heimlichtuerin ſei, ſonſt weiß ich nichts.“ Es klang das ein wenig gereizt, und noch gereizter war der Ton, in dem Otto ſchloß: „Übrigens werden Sie das meine Braut wohl ſchon gefragt haben.“

12 Der rote Merkur. 2

„Habe ich auch,“ erwiderte Lauterer trocken. „Sch bitte jetzt um Angabe Ihrer Perſonalien.“

Falk gab Namen, Geburtsort und ſeinen Stand an.

„Bei Trautenau alſo ſind Sie zu Hauſe? Dort iſt es ſehr hübſch. Als ich noch bei meinen Eltern lebte, habe ich mit ihnen drei Ferien im Rieſengebirge ver- lebt. Da habe ich auf meinen Wanderungen auch Ihre Heimat kennen gelernt. Haben Sie noch Ver- wandte dort?“

„Meine Stiefſchweſter, bei der unſere Mutter lebt,“ entgegnete Otto und ſetzte raſch hinzu: „In Wien bin ich ſeit drei Jahren.“ |

„Das haben Sie ſchon angegeben.“

„Warum werde ich eigentlich über die Verhält- niſſe der Schubert gefragt? Es ſteht doch alles in der Zeitung.“

„Nicht alles.“

„Was denn nicht?“

„Der Betreffende hat auf dem Tatort etwas zurück- gelaſſen.“ |

Zauterer nahm, einem augenblicklichen Einfall folgend, aus einem Fach ſeines Schreibtiſches einen kleinen Gegenſtand und legte ihn vor Otto Falk hin. Es war ein vierblätteriges Kleeblatt aus mattem Golde. Auf einem der Blätter lag wie ein Tau— tropfen ein Diamant. Die Öfe, in welcher der feine Stiel des hübſchen Schmuckſtückes auslief, war aus- geriſſen.

„Das alſo hat der Mörder zurückgelaſſen?“ rief Otto. Er ſah dabei aus wie einer, dem etwas Gutes, ſogar etwas ſehr Gutes widerfährt. Seine Augen flammten auf.

„Das Schmuckſtück iſt echt. Der diamantene Tau- tropfen iſt allein über zweihundert Kronen wert.“

1 Kriminalroman von A. Groner. 73

Lauterer ſagte das, faſt mechaniſch die Worte deſſen wiederholend, der ihm das UAhranhängſel übergeben hatte.

Otto Falk achtete gar nicht auf die Worte. Seine Augen hingen noch immer an dem ſchönen, auffallenden Anhängſel, aber feine Gedanken waren höchſt wahr- ſcheinlich nicht an dem Ort, an welchem ſein Körper jetzt weilte, denn in Amtsſtuben ſolcher Art pflegt man nicht ſo zu lächeln.

Lauterer war einigermaßen verwundert. Obgleich er wußte, daß das Schmuckſtück in der zufammen- geballten Hand der Ermordeten gefunden worden war, fragte er: „Haben Sie das Ding ſchon früher gelben? Gehörte es vielleicht der Schubert?“

„Ich weiß nicht, ob es ihr gehört hat. Ich weiß nur, daß dies etwas ganz Modernes iſt, und daß Annas Tante nur altväteriſchen Schmuck beſaß. Woher ſollte fie denn dieſes Uhranhängſel auch bekommen haben? Hat es Anna ſchon geſehen?“

„Man hat es ihr ſofort gezeigt. Sie hat es nie vorher geſehen.“ |

„Dann hat es wohl fiher der Mörder verloren,“ ſagte Falk mit großer Beſtimmtheit.

Einen Augenblick betrachtete ihn Lauterer ver- wundert. „Warum find Sie eigentlich hierher ge- kommen?“ fragte er dann raſch.

Otto ſtand auf, überlegte noch einen Augenblick und ſagte dann: „Weil ich etwas zu melden habe.“

„Was denn?“ Lauterer ſchaute höchlich inter- eſſiert auf das hohe Erregung verratende Geſicht Ottos.

„Geſtern, zehn Minuten vor ſechs Uhr, hat Frau Schubert noch gelebt.“

„Woher wiſſen Sie das?“

„Weil ich zu dieſer Zeit von ihr weggegangen bin.“

„Sie ſind geſtern abend bei ihr geweſen?“

74 Der rote Merkur. | 0

„Ich ſagte es ſoeben.“

„Und können beweiſen, daß Sie ſchon vor ſechs Uhr von ihr weggegangen ſind?“

„Beweiſen kann ich das nicht. Ich habe doch nicht ahnen können, daß mir das notwendig werden würde,“ entgegnete Otto voll Bitterkeit, aber mit ſteinerner Ruhe Lauterers forſchenden Blick aushaltend.

„Setzen Sie ſich nur wieder, Herr Falk,“ ſagte Lauterer freundlich, „und ſagen Sie mir, was Sie geſtern bei der Schubert zu tun hatten.“

„Ich ging zu ihr, um ſie zu bitten, unſere Hochzeit nicht länger hinauszuſchieben.“

„So!“

„Sie ſchlug mir's ab.“

„So!“

Weiter hatte ich bei ihr nichts zu tun. Ich war im ganzen kaum mehr als eine Viertelſtunde bei ihr. Als ich ging, ſchloß ſie hinter mir ab.“

„Und um mir das zu erzählen, ſind Sie hierher gekommen?“

„Ja.“

„Ihre Braut hat mir nichts davon geſagt, daß Sie geſtern bei Frau Schubert waren, und Sie ſprachen doch geſtern, nachdem das geſchehen war, noch mit Fräulein Lindner?“

„Jenen Beſuch verſchwieg ich ihr abſichtlich.“

„Warum denn?“

„Ich wollte ſie nicht unnötig aufregen.“

„Das war ja ſehr rückſichtsvoll!“

„Belieben Sie öfters ſo zu ſcherzen?“

„Zuweilen.“

„Daß Sie es jetzt tun, ſagt mir, daß ich ein Tor war, als ich hierher kam, um Ihnen von meinem Be— ſuch zu erzählen.“

0 Kriminalroman von A. Groner. 75

„Zuweilen fühlt man einen inneren Drang, ſolch einen Weg zu machen.“

„Dieſen Drang hatte ich in der Tat. Es geſchah nur aus, wie es ſcheint, übel angebrachter Gewiljen- haftigkeit, wenn ich Sie aufſuchte,“ entgegnete Otto dem Beamten ſcharf, um dann ruhiger hinzuzuſetzen: „Ich meinte zur Bequemlichkeit der Behörde feit- ſtellen zu müſſen, daß Frau Schubert zehn Minuten vor ſechs Uhr noch gelebt hat. Sch ſchaute nämlich, als ich aus dem Haus trat, zufällig auf meine Uhr, und ſo kann ich die Zeit meines Weggehens genau angeben.“

„Gegen halb ſieben Uhr iſt vor der Tür der Er- mordeten ein großer, ſchlanker Mann geſehen worden,“ ſagte Lauterer trocken. „And als gegen neun Uhr die Kommiſſion an den Tatort kam, war bei der Er- mordeten ſchon die Totenſtarre eingetreten. Die Tat iſt alſo etwa drei Stunden vorher begangen worden.“

„Die Totenſtarre tritt, ſoviel ich weiß, unter ver- ſchiedenen Umſtänden in verſchiedener Zeit auf,“ ent- gegnete Otto.

„Auch Doktor Herbig weiß etwas über dieſe Dinge,“ warf Lauterer, der wieder recht ironiſch lächelte, ein.

„Nun, mir kann es gleich ſein. Ich ſage Ihnen auch noch, daß ich geſtern zu meiner Braut entſchieden ge- reizt über Frau Schubert geſprochen habe.“

„Das weiß ich ſchon.“ |

„Durch Anna? Wie kam dieſe dazu, über mich zu ſprechen?“

„Sie ſind ſchon wieder gereizt. Ihre Braut kam im Verlauf unſerer Unterhaltung ganz von ſelbſt darauf zu ſprechen, daß ſie mit Ihnen einen Teil des Abends verbrachte, und dabei äußerte ſie, daß ſie fürchte, Sie ſeien krank, da Sie ſonſt doch ſchon durch

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die Zeitungen wiſſen müßten, was geſchehen ſei. Sie ſeien aber heute noch nicht zu ihr gekommen. Bei dieſer Gelegenheit ließ ſie durchblicken, daß ſie beide der Tante wegen des Hochzeitsaufſchubes ſchon längere Zeit zürnten, und daß Sie geſtern noch eine harte Bemerkung über Frau Schubert machten.“

„Ich ſagte das ja ſchon ſelbſt.“

„Warum find Sie denn während Ihrer Geſchäfts- zeit zu Frau Schubert gegangen?“

Otto ſtutzte einen Augenblick, dann ſagte er: „Ich war geſtern nachmittag überhaupt nicht im Geſchäft. Es war mir ſehr übel, und da habe ich einen Dienſtmann mit einer Entſchuldigung hingeſchickt.“

„Abends ſind Sie aber doch ausgegangen?“

„Ich bin überhaupt nicht daheim geblieben.“

Lauterer nickte. „Nun ja. Warum denn auch nicht,“ meinte er, drehte die Daumen ſeiner im Schoß liegenden Hände umeinander und ſchaute Otto feſt in die Augen.

Aber wiederum begegnete dieſer dem Blick mit großer Ruhe, ja es umſpielte ſogar ein Lächeln den hübſchen Mund des jungen Mannes, obgleich er jetzt genau wußte, was für ihn auf dem Spiele ſtand.

Und gerade während er ſo lächelte, gefiel er Lau- terer ganz beſonders, denn dieſes Geſicht zeigte eine große Ruhe, und aus den Augen blickte die Furcht loſigkeit.

Die beiden Männer ſprachen nur wenig mehr mit- einander, dann wurde Otto Falk entlaſſen.

Er ging aufrecht und gefaßt. Nichts Scheues war mehr in ihm.

Anna war erſtaunt, ja erſchrocken, als er bei ihr eintrat und ihr ſagte, daß er offenbar in Verdacht gekommen ſei, da er um die kritiſche Zeit bei ihrer Tante

2 Kriminalroman von A. Groner. 77

geweſen war. Aber ſie begriff auch, daß er es ihr nicht ſofort geſagt hatte, da ihn ja die alte Frau ſo rauh abgewieſen hatte. Sie ſollte der Tante, der ſie ſo viel verdankte, nicht neuerdings zürnen.

Sie wußte aber auch ſofort, was ſie nun zu tun hatte.

Doktor Lauterer wollte eben zum Eſſen gehen, als Anna Lindner wieder bei ihm eintrat.

Er ließ ſie gar nicht erſt zu Wort kommen, ſondern ſagte lächelnd: „Mein liebes Fräulein, beruhigen Sie ſich, ich weiß, weshalb Sie kommen. Aber ſtatt aller Auseinanderſetzungen leſen Sie hier, was ſoeben die Schuhmachersgattin, Frau Holzinger, zu Protokoll gegeben hat. Hier dieſe Stelle leſen Sie:, Ein großer, ſchlanker Mann in einem hellen Überrod und hier: „Die Tür war ein bißchen offen und es war Licht in der Küche und hier: „Es war gegen halb ſieben, ich habe gerade Feuer gemacht in meiner Küche —. Sehen Sie, der ‚helle‘ Überrod überhebt mich jedes Gedankens, der Ihrem Verlobten zu nahe treten könnte. Der Mann mit dieſem Überrod war der letzte Beſucher Ihrer Tante. Das iſt auch durch die Ausſage des Bäckergeſellen Meißl erwieſen, der in der Einfahrt Ihres Hauſes ſchon vor ſieben Uhr auf ſeinen Schatz wartete. Es freut mich ſelbſt, daß ich Sie jetzt vollſtändig beruhigen kann, und daß Herr Otto Falk unbeläſtigt bleiben wird. Er hat mir nämlich, ob- gleich ihn ſichtlich etwas bedrückt, ſehr gut ge— fallen, Ihr Verlobter. Es iſt Ihnen beiden zu gra— tulieren.“

„Daß einem ein ſchwarzer Winterrock ſo heraus- helfen kann aus einer Klemme!“ entgegnete Anna mit einem halben Lächeln. „gebt bin ich ordentlich

78 Der rote Merkur. u

froh, daß ſich Otto aus Sparſamkeit keinen neuen Überzieher gekauft hat. Ich hab' ihn ſchon verleiten wollen, ſich was Helles zu nehmen. Es iſt ja heuer ſo modern.“

„Na ſehen Sie, wie gut es iſt, wenn man nicht immer mit der Mode geht,“ meinte Lauterer lachend.

Fortſetzung folgt.)

Brigittes Hochzeitsfahrt. Novellette von F. Carla Schneider.

Mit Bildern von oo A. Wald. Nachdruck verboten.) 1

mich! So laß mich doch!“

Brigitte v. Gartinger, die dieſe Abwehr ihrer fie gar zu kräftig umarmenden Freun- din lachend zurief, ſtand mitten auf dem winterlichen Bahnſteig und öffnete die Augen und Ohren dem Leben, dem funkelnden, blitzenden Leben um ſie her.

Die Glocken der ſechs pelzgefütterten Schlitten, die nebeneinander auf der Anfahrt vor der Lützenlunder Bahnſtation hielten, läuteten in das Stimmengeſchwirr der vielen jungen Menſchen hinein, des Wintertags Klarheit ſtand ſonnenfunkelnd über dem farbigen, lebensfrohen Bild, alles war von Licht und Leben geradezu überſprüht.

„Es iſt zuviel!“ ſagte Gitta noch einmal atemlos. „Hilde, erbarm dich und laß mich los! Ich bin da aus dem Zuge herausgekommen, ich weiß nicht wie, und jetzt u a

Hildegard Römer lachte. „Du wäreſt wohl faſt vorbeigefahren? Aber nun verſuch, ob du begreifen kannſt, was ich dir erzähle. Schau, es geht ſo zu. Hier wir alle nämlich das ganze junge Gemüſe von der Hochzeitsgeſellſchaft wir haben heute, da es nun

80 Brigittes Hochzeitsfahrt. 2

doch geſtern den ganzen Tag und noch dazu die ganze Nacht ſo herrlich geſchneit hat, ausgemacht, daß wir erſt eine wundervolle Schlittenfahrt hinaus nach dem Forſthaus machen. Da wird gefrühſtückt, und dann geht's erſt zur Trauung zurück nach Lützenlund.“

„Das iſt ja herrlich!“ rief Gitta, während ſie mit Intereſſe die ſchon im Einſteigen begriffene Geſellſchaft muſterte. „Ich war ja einfach ſtarr, als mich plötzlich zwanzig Leute auf dem Bahnſteig in Empfang nahmen. Ich hatte nur auf dich gerechnet, und nun iſt ein ganzer Teich ausgebrochen, um mich abzuholen !“*)

„Na ja,“ gab Hilde beluſtigt zu, „gerade ſo hatten wir es uns ja auch vorgeſtellt. Darum kamen wir alle mit den Schlitten heraus. Übrigens müſſen wir jetzt gleich losfahren, ſonſt reicht uns die Zeit nicht. Hoffent- lich biſt du nicht zu abgeſpannt, Gittalein? Mama hat mir ein kleines Freßpaket für dich mitgegeben, daran ſollſt du dich im Schlitten ein bißchen ſtärken.“

Gitta lachte. „Deine gute Mama! Ich bin aber ſo vergnügt augenblicklich, daß ich mich auf die Schlitten partie mächtig freue auch ohne Freßpaket!“

„Ja, es iſt ein feiner Spaß! Und dieſes herrliche Wetter, nicht? Nett für Thea, unſere Hochreiterin, und noch netter für uns. Wir fahren übrigens vom Forit- haus gleich ins Hotel und nicht erſt nach Hauſe, denn Karlshag liegt von Lützenlund in der entgegengeſetzten Richtung als das Forſthaus. Papa hat uns Mädels im Europäiſchen Hof Zimmer genommen, damit wir uns da umziehen können. Auch der Friſeur aus Ohlbeck iſt dahin beſtellt und —“

„In Lützenlund gibt's wohl keinen?“ meinte Gitta lachend.

*) Siehe das Titelbild.

2 Novellette von F. Carla Schneider. 81

„Ach, du lieber Himmel! Lützenlund und ein Friſeur! Man braucht doch einen, der anſtändig aus- ſieht und was kann. Auch der Europäiſche Hof iſt das einzige geſcheite Hotel in Lützenlund. Mama war übrigens ganz einverſtanden, denn nun iſt ihr doch in Karlshag der ganze Trubel aus dem Wege. Sie iſt furchtbar aufgeregt, die gute Mama. Thea ſiehſt du nun allerdings erſt in der Kirche ach und der Polter- abend geſtern war ſo nett! Zu dumm, daß du erſt heute kommen konnteſt wegen deiner Tante Dine Geburtstag! Ich finde, ſo was bringen auch nur Tanten fertig, die E- ber—har— di- ne heißen.“

Die lebhafte Hilde plauderte noch während des Einſteigens immer weiter. Der Kutſcher wickelte ſie in die Pelzdecken, und gleich darauf glitten die Freun dinnen im letzten der Schlitten hinaus in des Tages friſchgeſchaffene weiße Wunderweiten.

Klingende Stunden verſtrichen, hell wie Winter- pracht, leuchtend und lebensfriſch wie junger Schnee. Wie im Fluge ſchwand beiden die Herrlichkeit dahin, und gegen Mittag ſtob das Wintergepränge der ſechs Schlitten über den Lützenlunder Marktplatz bis vor den Europäiſchen Hof.

Dieſer Name und ein Oberkellner, der die An- kommenden empfing, waren entſchieden das Stolzeſte an dieſem Hotel, das fo recht ein Muſter enger Klein- ſtadtverhältniſſe abgab.

Mit fröhlichen Zurufen löſte ſich der Trubel des Aus— ſteigens, und die jungen Damen eilten in den erſten Stock binauf, in dem für ſie Quartiere bereitet worden waren.

Oben am Treppenkopf ſtand die „goldene“ Emma, äußerlich zwar im ſchwarzen Kleid und weißem Schürz- lein, aber in der Tat heute eine nicht mit Gold auf— zuwiegende Hilfe für die Mädchenwelt.

1910. vn. 6

82 Brigittes Hochzeitsfahrt. D

„Na, Kinder, ihr wißt ja eure Zimmernummern,“ rief Hilde. „Fünf Minuten vor zwei Uhr müſſen wir fertig ſein. Emma, wo iſt der Friſeur?“

In plötzlicher, ſchrecklicher Ahnung richteten ſich ſämtliche jungen Augenpaare auf Emma.

„Der iſt nicht da,“ ſagte die.

Ein Schreckensſchrei aus ſieben Kehlen.

„Was Wüller iſt nicht gekommen?“

„Nein, gnädiges Fräulein. Er muß den Frühzug aus Ohlbeck verpaßt haben, und der nächſte kommt erſt um drei.“

Wieder ein einziger Weheſchrei.

2 Novellette von F Carla Schneider. 85 pm —— ͤ —2 an ea na a ——

„Brüllt doch nicht fol“ gebot die praktiſche Hilde. „Man hört es ja durch das ganze Hotel, Emma, Sie helfen, ſo gut Sie können, und im übrigen müſſen wir eben allein fertig zu werden verſuchen.“

Emma hatte bereits die Tür zu dem für Hilde und Gitta beſtimmten Zimmer geöffnet. „Gnädiges Fräulein,“ begann fie jetzt, als die beiden jungen Mäd- chen eintraten, „wo iſt —“

„Wo iſt —“ rief Gitta gleichzeitig.

„Ja, wo ſind Fräulein v. Gartingers Sachen?“ fiel Hilde ein, indem ſie mit Feldherrnblick zu erforſchen ſuchte, wo der erwartete zweite Hügel aus Chiffon, Seide und Spitzen ſich befinde.

Auf dem kleinen Ständer hatte Gitta jetzt ihren Koffer erkannt. „Da iſt er ja,“ rief ſie, und mit zwei Schritten ſtand fie davor und ſchlug den Deckel zurück.

Zitternd ſank fie aber auf den nächſten Stuhl. Obenauf in dem Koffer lag, leicht gelockert, doch nicht herausgenommen, ein Frack ein ſchwarzer Frack mit ſeidenen Aufſchlägen.

„Gitta was bedeutet das?“ ſtammelte Hilde, die zuerſt Worte fand.

Gitta war zunächſt ſprachlos, dann aber tat fie das einzige, was ſiebzehn Jahren angeſichts einer ſolchen Kataſtrophe übrig bleibt ſie brach in Tränen aus.

„Ja, iſt das denn nicht dein Koffer?“

Gittas tränenſtrömende Augen richteten ſich mit Märtyrerausdruck auf die Fragerin. „Er ſieht genau ſo aus,“ ſagte ſie ſchluchzend, „aber daß es meiner nicht ſein kann, das ſiehſt du doch. Ich brauche doch keinen Frack!“

„Gnädiges Fräulein,“ begann nun Emma, „ich brachte zuerſt alles in den anderen Zimmern für die jungen Damen in Ordnung; als ich dann etwa vor

84 Brigittes Hochzeitsfahrt. 2

einer Stunde hierher kam und Fräulein v. Gartingers Koffer, den der Hausdiener doch ſelbſt in Fräuleins Gegenwart an der Bahn in Empfang genommen hatte, auspacken wollte, da paßte der Schlüſſel nicht. Ich dachte mir gleich, das gnädige Fräulein hätte ihn ver- tauſcht.“

„Menſchenskind!“ Hilde flammte vor Aufregung. „Gitta, du Unglücksrabe! Wie haſt du denn das 05 fertig gebracht, daß du —“

„Ich weiß es auch nicht. Ich es muß

Die Turmuhr ſchlug.

„Viertel nach eins! In vierzig Minuten müſſen wir fertig fein! Gitta, um Gottes willen, du biſt Braut- jungfer und haſt kein Kleid!“

Gittas inzwiſchen mühſam errungene Faſſung über— ſchwemmte nun wieder ein Tränenſtrom.

Hilde begann verzweiflungsvoll mit Umkleiden. „Alle ſechs Brautjungfern ganz gleich,“ murmelte ſie ratlos, „und du —“

„Und mein ſchöner Vergißmeinnichtkranz!“ Es war, als läge alles Leid der Welt in dieſem einen Vort.

„Ich wußte mir durchaus keinen Rat,“ begann wiederum die goldene Emma.

„sh verſtehe es auch nicht,“ ſagte Gitta. „Er muß vertauſcht fein, das iſt klar, aber wie das möglich war —“

Bilde, eben fertig friſiert, ſprang auf, mit ſpitzen Fingern hob ſie den Frack aus dem Koffer und hielt ihn vor ſich hin. „Gitta,“ ſagte ſie, „wenn du eines anderen Koffer haſt, dann hat natürlich auch ein anderer deinen Koffer! So ein Frack iſt doch ganz offenbar ein Kleidungsſtück für eine hochfeierliche Ge— legenheit. Dem glücklichen Eigentümer wird alſo dein Vergißmeinnichtkranz dieſelben Dienſte leiſten müſſen wie dir ſein Frack.“

2 Novellette von F. Carla Schneider. 85

Gitta war nicht imſtande, den Humor dieſer Anrede zu würdigen. „O, hätte ich doch nicht geſchlafen!“ klagte ſie. „Ich mußte freilich ſo ſehr früh aufſtehen. Ich wachte erſt genau, als der Zug in Lützenlund hielt, wieder auf. Irgend ein netter alter Herr half mir beim

Ausſteigen mit dem Koffer. Er wird doch nicht aus Verſehen feinen eigenen Koffer —“

„Dieſer Frack,“ ſagte Hilde mit Entſchiedenheit, „iſt ein junger! Ich meine, er gehört einem jungen Herrn. Gitta, beſinn dich, wer fuhr denn ſonſt noch mit?“

„Ich hab' keine Ahnung!“ entgegnete Gitta. „Keinen Schimmer habe ich! Ich muß faſt zwei Stunden geſchlafen haben, und ich weiß nicht, was ee vorgegangen iſt!“

86 Brigittes Hochzeitsfahrt. - 2

„Pack den Koffer aus!“ rief Hilde. „Vielleicht kann man wenigſtens herauskriegen, wem er gehört.“

Zögernd fing Gitta an. Eine tief ausgeſchnittene Weite, die ſorgfältig zuſammengelegten Beinkleider

„Weiter packe ich nicht aus!“ ſagte ſie.

„Ich dächte auch,“ meinte die goldene Emma. „Im übrigen iſt es doch am wichtigſten, daß Fräulein v. Gartinger überhaupt irgend etwas anzuziehen be⸗ kommt. Hier in Lützenlund iſt freilich kein einziges Kleid aufzutreiben, denn die jungen Damen logieren ja alle in Karlshag und haben nur das Nötige mit ins Hotel genommen.“

„Da ſoll einer nicht wild werden!“ ſagte Hilde. „Mir iſt ſolch eine blödſinnige Sache noch nicht vor— gekommen.“

„Fräulein v. Gartinger wird nicht zur Trauung —“

Gitta zuckte wie unter einem vernichtenden Richter- ſpruch zuſammen. „Meine erſte Hochzeit!“ ſchluchzte ſie.

„Na, Gitta, hoffentlich nicht deine einzige!“ tröſtete Hilde.

Emma fuhr fort: „Fräulein v. Gartinger wird alſo nicht zur Trauung kommen können. Aber ſofort, wenn alle Herrſchaften in der Kirche ſind, fahre ich nach Karlshag hinaus, bügle ein Kleid von Fräulein Tilly aus und bin vielleicht ſchon in einer guten Stunde wieder da. Wenn dann auch ſchon zwei oder drei Gänge des Eſſens vorbei find, kommt Fräulein v. Gar- tinger doch noch zurecht, und alles Unglück iſt vergeſſen.“

Gitta ſchüttelte traurig den Kopf. Gleich darauf unterbrach ein Klopfen an der Tür alles weitere. Die Wagen fuhren vor.

Hilde flog Gitta um den Hals. „Halt die Ohren ſteif, Gittalein! Eine männliche Vertrauensperſon muß das Ding nachher auspacken, um einen Anhalt

D Novellette von F. Carla Schneider. 87

zu ſuchen. Hauptſache iſt, daß du nur überhaupt zu einem Kleide kommſt. Verlaß dich auf Emma!“

Und weg war fie. Ehe ſich noch alles begreifen ließ, fand Gitta ſich allein allein in einem fremden Hotelzimmer, allein mit ihrem Schmerz.

Glockengeläute klang durch die Winterklarheit her- über von der ziemlich entfernten Kirche in die Stille des Hotelzimmers.

Gitta ſtand am Fenſter. Wie hatte ſie ſich gefreut, mit welchem Vergnügen hatte Onkel Tom, ihr Pflege- vater und erſter und älteſter Verehrer, wie er ſelbſt zu ſagen pflegte, fie in der myſtiſchen Abfahrtzeit des Frühzuges, heute morgen kurz nach fünf Uhr, an die Bahn geleitet, um fie ihre Hochzeitsfahrt doch nicht fo verlaſſen antreten zu laſſen, wie fröhlich und glänzend war dann dieſer Hochzeitsfahrt us die ſchöne Schlittenpartie, geweſen!

Und nun?

Da barg ſich der blonde Kopf in den Händen, und die arme Brigitte weinte und weinte und weinte.

2:

„Na, alſo! Laß dich anſehen, Mohr! Gut erhalten, wie mir ſcheint! Nette Reiſe? Schön. Hier ſind wir ſchon am Hotel. Paula und ich wohnen auch hier im Wettiner Haus. Hier bitte rechts, Haupt- treppe!“

Der Sprecher, ein eleganter Vierziger mit ſeinem Begleiter, der etwa zehn Fahre jünger fein mochte, bog in die Empfangshalle des Hotels in Ohlbeck ein, und die beiden Herren ſchritten die breite Treppe hinauf.

„Da wären wir alſo. Paßt dir's mit dem Zimmer ſo? Paula und ich haben das nebenan. Mach dir's

88 Brigittes Hochzeitsfahrt. 2

jetzt bequem, dann poch bei Paula an und ſag ihr guten Tag.“

„Machen wir!“ ſagte Hans Moritz Müller, ſeinen Aberzieher ablegend. „Wir haben doch noch Zeit? ga? Na, ich will lieber doch gleich auspacken.“ Dabei machte er ſich daran, ſeinen Koffer aufzuſchließen. „Na nu,“ rief er, bemüht, den Schlüſſel herum— zudrehen, „ich glaube gar, das Ding hat einen Knacks gekriegt!“

„Brich den Schlüſſel nicht ab!“ warnte Herrmannſen. „Iſt es denn auch der richtige?“

„Warum ſoll er's denn nicht ſein? Willſt du wohl? Na endlich!“

Das Schloß war offen. Befriedigt klappte Hans Moritz den Deckel zurück und löſte die inneren Riemen— ſchnallen.

„Jetzt da hört doch aber alles auf!“

„Was iſt?“ fragte Herrmannſen, da er zu ſeiner Verblüffung gewahrte, wie fein Vetter ſchier erſtarrt vor dem offenen Koffer ſtand. |

„Die reinſte Hexerei!“

„Wieſo?“ Herrmannſen kam heran. Seidenpapier bedeckte die Kofferöffnung, glatt und ſorgſam zurecht- gezupft. „Sit dir was geſtohlen? Es ſieht doch alles ganz unberührt aus!“

Hans Moritz lachte ärgerlich. „Unberührt, in der Tat! Aber das iſt nicht mein Koffer, oder ich bin nicht Hans Moritz Müller!“

„Ja aber, Menſch, mach doch vorwärts und ſieh nach! Du kannſt —“

Hans Voritz zog vorſichtig das Seidenpapier von zwei Ecken weg kniſternd flatterte der Bogen in die Höhe, etwas Weißes, Zartes, Duftiges entſchleierte ſich, obenauf ein Kranz von Vergißmeinnicht.

2 Novellette von F. Carla Schneider. 89

„Glaubſt du's jetzt? Oder meinſt du, ich will dies Frühlingsgewölk anziehen und einen Vergißmeinnicht- kranz aufſetzen?“

„Ja, um Gottes willen, wie haft du das bloß an- geſtellt? Haft du den Koffer vertauſcht? Du haft ihn

doch ſelber dem Hausdiener gegeben an der Bahn! Iſt er denn nicht gezeichnet? Warum biſt du aber auch ſo rückſtändig! Das tut man doch! Und eine Leibbinde gehört herum!“

„Zu dienen!“ entgegnete Hans Moritz. „Meine großen Koffer haben ſelbſtverſtändlich ihre Leibbinden! Grünweiß und große H M M alle miteinander! Aber dies Ding hab' ich mir geſtern erſt gekauft, fo 'n handlich⸗

90 Brigittes Hochzeitsfahrt. 2

elegantes Ding, gerade paſſend für einen guten Anzug. Ah, jetzt dämmert's!“ unterbrach er ſich und lachte. Dann zog er ein Skizzenbuch aus der Taſche, ſuchte blätternd in den Seiten und hielt es dann ſeinem Vetter aufgeſchlagen hin.

Eine fein und reizvoll ausgeführte Zeichnung war's mit jener eleganten Prägnanz, die allen Freunden von Hans Moritz Müllers Stift wohl bekannt war der Kopf eines fchlafenden jungen Mädchens, ſehr lieblich- reizvoll aufgefaßt. |

„Das iſt das Geſicht, das von Rechts wegen unter dieſen“ er tippte an den Koffer „unter dieſen Vergißmeinnichtkranz gehört!“ |

„Du kennſt fie alſo!“ ſagte Herrmannſen erleichtert. „Na, dann iſt's ja nicht ſo ſchlimm. Das Telephon wird das Unglück raſch kuriert haben.“

Hans Moritz ſah noch immer auf ſeine Zeichnung, dann klappte er das Buch zu und ſagte: „Nein, ſondern es iſt noch viel ſchlimmer! Denk dir, dieſe holden ſechzehn oder ſiebzehn Jahre, die, mit einem Ver— gißmeinnichtkranz gekrönt, ſich an irgend einer feierlichen Sache beteiligen wollen! Denk dir's, bitte! Und kennen tu' ich ſie nämlich durchaus nicht, ich weiß nur, daß ſie ſo ungemein lieblich iſt, und deswegen iſt mir's ſchrecklich, ſie ſo in der Klemme zu wiſſen. Ich kann mir die Sache nicht anders erklären, als daß dieſe junge Dame beim Ausſteigen meinen Koffer ſtatt ihres eigenen erwiſcht hat und —“

„Du kennſt fie nicht? Wo iſt fie denn ausgeſtiegen? Erzähl doch im Zuſammenhang, Mohr! So iſt ja gar nicht daraus klug zu werden.“

„Was ſoll ich erzählen, wenn ich ſelbſt nichts weiß? Als ich einſtieg, fand ich dieſe holde kleine Perſon ſchlafend vor; ich zeichnete ſie ab, nicht ohne von einem

2 Novellette von F. Carla Schneider. 91

alten Herrn der Unverſchämtheit geziehen zu wer- den.“

„Hatte ganz recht, Malersmann!“ warf Herrmannſen trocken ein. „Wozu habt ihr Pinſelgeſindel eigentlich die Weltpacht auf Unverſchämtheit?“

Hans Moritz lachte, und ſein markantes Geſicht mit den hellen Augen ſah faſt bubenhaft froh aus dabei. „Ja, man gehört nun einmal zu den Leuten, die ſich alles, was ſchön iſt in der Welt, auf ihre Art abſchreiben dürfen. Iſt es unverſchämt, ſo tut's mir ja ſehr leid, aber ein Stück Schönheit, ob's nun ein Landſchafts- antlitz oder ein Menſchengeſicht iſt, davon nehm' ich mir allemal die Abſchrift, ohne lange zu fragen. Sc ſtehle ſozuſagen von klein auf. Übrigens iſt das ein fcheuß- licher Zug, dieſer Fünfuhrzug und ſo ſchlief ich ſelber mir nachher noch ein Stück meines verkürzten Schlafes zuſammen. So dunkel erinnere ich mich, daß das kleine Ding irgendwo ausſtieg. Als ich mich nachher, kurz vor Ohlbeck, ermunterte, da war nur noch eine alte Dame mit mir zuſammen, die gar kein Gepäck hatte.“

„Das iſt ja wirklich glänzend verbuttert! Weißt du denn nicht wenigſtens, wo ſie ausſtieg?“

„Nichts weiß ich. Auf irgend einer der kleinen Zwiſchenſtationen jedenfalls.“

„Ja, dann weiß ich nichts anderes, als daß der Koffer hier ausgepackt werden muß,“ entſchied Herrmannſen. „Man braucht nicht gerade Sherlock Holmes zu ſein, um ſich zu ſagen, daß die einzige Möglichkeit, etwas zu erfahren, hier drinnen liegt. Oder willſt du vielleicht dein Konterfei von der kleinen Schönen erſt drucken laſſen und einen Steckbrief verſchicken? Bis dahin iſt die Vergißmeinnichtkranzſache lange vorbei und alle Liebesmühe vergebens.“

92 Brigittes Hochzeitsfahrt. 2

„Aber du denkſt doch nicht im Ernſt, daß ich dies Frühlingsgewölk anfaſſe, von den weiteren öndis— kretionen ganz abgeſehen! Zc vertraue mich da lieber deiner Frau an.“

„Die werden wir gleich haben,“ meinte Herrmannſen und ging, um ſeine Frau zu holen.

Die beiden Herren ſtanden dann, die Hände in den Hoſentaſchen verſenkt, am Fenſter, während Frau Paula ſich mit offenbarer Befriedigung daran machte, die Indiskretion, zu der die Lage zwang, an dem „Ver— gißmeinnichtkoffer“, wie Hans Moritz ihn nannte, zu begehen.

„Was für ein reizendes Kleid!“ ſagte ſie jetzt, das Lenzgewölke mit emporgereckten Armen den beiden Herren hinhaltend.

„Hab die Güte, Paula,“ ſagte ihr Gemahl mit leiſer Gereiztheit, „und verſuche einzuſehen, daß es ſich hier nicht um ein Privatvergnügen handelt, ſondern lediglich darum, herauszufinden, wer die Eigentümerin dieſes Koffers iſt! Schnell und ſachlich alſo, bitte!“

„Ihr ſchrecklichen Zuriſten!“ ſagte Frau Paula geringſchätzig. „Ich bin übrigens mitten im Heraus- finden, wenn dir's beliebt,“ und während ſie die Weite des hohen Gurts prüfte, die Spitzen und die Chiffonroſettchen mit Kennermiene beſah, fuhr ſie wichtig fort: „Alſo, ihr Barbaren, hört zu: Sie iſt ſchlank, ſie hat Geſchmack und Geld, ſie läßt bei einer guten Schneiderin arbeiten, und ich bin überzeugt, dies iſt ein Brautjungfernkleid —“

„Paula!“

„Schon gut!“ beſchwichtigte die Gerügte, indem ſie das Kleid ſorglich auf zwei Stühle breitete und ſich dem Koffer wieder zuwandte.

„Jetzt kommt ein Reiſeneceſſaire, viel eleganter als

2 Novellette von F. Carla Schneider. 93

das meine, Wäſche, gezeichnet mit B. v. G. und was für hübſche ſchmale Füßchen muß ſie haben! Das ſind ja entzückende kleine Schuhe! Und dieſer nette kleine Fächer und hier natürlich ein Rückenkiſſen! Na, das hätte ich euch vorher ſagen können. Daß junge Mädchen Rückenkiſſen zur Hochzeit verſchenken, iſt fo ſicher wie das Amen im Gebet. Zch bekam bloß ſieben —“

„Wenn fie alle fo bübſch waren wie dies,“ ſagte Hans Moritz mit Anerkennung, „dann kann ich das durchaus nicht für ein Unglück anſehen. Da ſteckt ja eine Karte daran, Paula —“

„Deine Gitta,“ las Paula von dem Kärtchen ab, das an des Kiſſens Rückſeite befeſtigt war.

„Deine Gitta!“ ſtöhnte Herrmannſen. „Deine Gitta! Was ſollen wir damit anfangen? Mach doch weiter, Paula!“

Ein Jubelſchrei von Paula unterbrach ihn. „Jetzt kommt's aber wirklich!“ rief ſie und hielt triumphierend eine flache Lederkaſſette empor. Mit leiſem Knacks ſprang das Schloß auf. Das elegante Etui enthielt ein vornehmes Belegbeſteck für Fiſche und eine Karte in einem Umſchlag. „Er iſt unverſchloſſen,“ fuhr Paula erleichtert fort und holte ein Kärtchen heraus. „Medizinalrat Dr. Holzmann und Frau mit herzlichen und aufrichtigen Wünſchen,“ las ſie, dann hielt ſie das Etui triumphierend den Herren hin. Sn die eine Ecke des Deckelfutters war mit kleinen Goldziffern eine Datumsziffer hineingepreßt. „Seht ihr eine Hochzeit!“

„Und zwar heute!“ ſagte Hans Moritz, der das Etui in Händen hielt und ſich dann etwas notierte. Dann nahm er Hut und Überzieher und ſagte ſchon in der Tür ſtehend: „Tauſend Dank, Paula. Willſt du

94 Brigittes Hochzeitsfahrt. u

nun auch noch ſo liebenswürdig ſein, den Koffer wieder einzupacken?“

„Wohin willſt du denn?“

Hans Moritz war ſchon draußen.

„So ſag mir doch!“ ſchmollte Paula, ſich an ihren Gatten wendend.

Aber auch der war ſeinem Vetter gefolgt, und Frau Paula fand ſich allein mit der ſonderbaren Aufgabe, den Koffer einer Dame zu packen, von der ſie im Grunde nicht mehr wußte, als daß ſie ein Rückenkiſſen als Hochzeitsgeſchenk geſtickt hatte.

Von der Straße ratterte endlich das nervöſe Knattern eines wartenden Autos. Hans Moritz kam eilig die Treppe herauf, überreichte ſeiner Schwägerin ein rieſiges Bündel Veilchen, dankte ihr ritterlich und ſagte: „Gnädigſte aller Geheimpoliziſtinnen, es iſt jetzt zwölf Uhr vierzig, in fünf Viertelſtunden bin ich in Lützenlund, in ebenfalls fünf Viertelſtunden wieder hier, alſo rechtzeitig genug, um in meinem eigenen Frack und nicht in anderer Leute Vergißmeinnichtkranz Onkel Phils Trauung um vier Uhr beizuwohnen. Bis dahin alſo empfehl' ich mich. Vorläufig noch einmal meinen heißeſten Dank für deine ſcharfſinnige Unter- ſtützung. Ich werde Fräulein Brigitte v. Gartinger alle deine unbewußten Komplimente beim Auspacken ihres Koffers ausrichten, und —“

„Hans Moritz, erbarm dich!“ rief Frau Paula ganz erregt. „Woher weißt du? Was haft du gemacht, und was haſt du jetzt vor? Mir iſt alles ein Rätſel! Ein Medizinalrat und ſeine Frau tragen doch keine Vergißmeinnichtkränze!“

„Sehr richtig, aber mitunter ihre Nichten! Im übrigen: wozu kleben Goldſchmiede ihre genauen Firmenadreſſen in ihre Etuis? Vozu gibt's ein Reichs-

. Novellette von F. Carla Schneider. 95

telephonadreßbuch und einen reichsdeutſchen Fern- ſprecher? Wozu endlich gibt es Autodroſchken, die bei anſtändigem Tempo von hier bis Lützenlund nur etwa achtzig Minuten brauchen? Doch nur, damit man die zu gegenſeitigem Entſetzen vertauſchten Koffer noch rechtzeitig zu gegenſeitigem Entzücken wieder zurück- tauſchen kann!“

Sprach's, nahm den Unglüdstoffer und war ſchon wieder aus der Tür.

Gleich darauf ziſchte und ratterte unten das ab- fahrende Auto.

3.

Die Glocken hatten aufgehört zu läuten, und Gitta hatte aufgehört zu weinen.

Theas Trauungstag! Ja, das war das Leidvolle, das wirklich Schmerzliche. Aber von der verſäumten Trauung abgeſehen, war das Unglück wirklich ſo unermeßlich? Eigentlich eigentlich nicht. Sie über- dachte die Leute, mit denen ſie ja am Morgen lange genug zuſammen geweſen war, um einen Eindruck von ihnen zu gewinnen. Ihr Tiſchherr für heute abend, dieſe blonde Miniaturausgabe der Spezies Mann, der ſie ein bißchen ſchnoddrig und in ſeinem beſten Refe— rendardeutſch über irgendwelche gleichgültige Dinge zu unterhalten getrachtet, der lange Leutnant Ahling, deſſen unverhohlene Courmacherei ſie ſpöttiſch und abwehrend zurückgewieſen hatte und plötzlich ſtand Brigitte vor einem Spiegel, ſah ſich forſchend in das verweinte Geſicht und lachte.

Ganz laut und fidel lachte ſie in ihrer einſamen Haft.

Es gibt ſo manches Vergnügen, über das man ſich ärgern kann, warum ſoll es nicht auch einen Arger geben, über den man lachen kann, ſchoß es ihr durch den Sinn. Nun kühlte ſie ihre Augen, wuſch ſich die letzten

96 Brigittes Hochzeitsfahrt. a

Tränenſpuren vom Geſicht und verließ das Zimmer. Sie ſchritt die altmodiſche Stiege mit dem hellen Holzgeländer hinab, denn ſie wollte aus der Not eine Tugend machen und während ihrer unfreiwilligen

Haft ſich wenigſtens die Kuliſſen, das heißt alſo den Speiſeſaal und den Empfangsſalon, anſehen.

Im Begriff, die letzte Treppenſtufe hinabzuſteigen, ſah Gitta, wie ſich die Tür der Eingangshalle öffnete, ein ſchlanker großer Herr trat eilig ein und ſah ſich ſuchend um.

OD - Novellette von F. Carla Schneider. 97

Gitta hatte eine Idee.

Sie ging auf den Ankömmling zu und age „Sie ſind gewiß Herr Müller?“

Der Angeredete verbeugte ſich höflich. „Zu dienen, gnädiges Fräulein, ich heiße Müller.“

„Ich dachte es mir. Aber Sie kommen leider zu ſpät. Alle Damen haben ſich nun ſchon ſelbſt friſiert, und Sie können gleich wieder umkehren.“

„Gnädiges Fräulein geſtatten ich bin durchaus nicht in der Abſicht hier, jemanden zu friſieren, ſondern —“

Gitta ſah den Fremden, der gegen das Licht ſtand, erſchrocken und erſt jetzt genauer an. „Ja, ſind Sie denn nicht —“

„Wer ich nicht bin, weiß ich leider nicht,“ ſagte der Fremde lächelnd, „aber wer ich bin, weiß ich, und vielleicht erlauben Sie es mir, es Ihnen zu ſagen. Ich heiße Hans Moritz Müller und bin meines Zeichens ein Maler und kein Friſeur.“ Dabei machte er der faſſungsloſen Gitta eine ſehr höfliche Verbeugung. Dann ſah er ſie aus ſeinen hellen Augen lächelnd an und fuhr fort: „Darf ich nun einmal verſuchen, ob ich mehr Glück habe, wenn ich zu erraten ſuche, wer Sie ſind?“ e

„Aber, Herr Müller

„Sie, gnädiges 1 ſind Brigitte v. Gar- tinger, momentan kaltgeſtellte Brautjungfer, und —“

„Um Gottes willen,“ rief Gitta ahnungsvoll, „Sie haben doch nicht etwa —“

„Ich habe nicht! Diesmal ſtimmt's! Freilich anderſeits ich habe doch

„Meinen Koffer!“ Und nun lachte Gitta fo herzlich, wie Hans Moritz Müller un nie einen Menfchen hatte lachen hören.

1910. VII. N 7

98 Brigittes Hochzeitsfahrt. oO

„Ja, gnädiges Fräulein, ich bin mit dem Auto von Ohlbeck gekommen. Aber kurz vor Lützenlund haben wir eine ſo regelrechte Panne erlebt wie nur möglich. Da blieb mir nichts übrig, als zu Fuß hereinzukommen und den Mann bei ſeinen Wiederbelebungsverſuchen an dem Auto zurückzulaſſen. Zetzt wollen wir nun zuallererſt einen Hausdiener abſchicken, um Ihren Koffer zu holen nicht wahr?“

Wie gern gab Gitta ihre Zuſtimmung. Dann ſagte ſie: „Bitte, Herr Müller, wollen Sie hier eintreten. Das ganze Hotel iſt von oben bis unten voll von uns

Hochzeitsgäſten, und dieſer kleine Salon iſt zurzeit der einzig verfügbare Raum.“

Gleich darauf ſaßen ſie einander gegenüber.

„Sie müſſen mir ſehr verzeihen,“ begann Gitta, „es iſt mir ſchrecklich peinlich, daß ich dieſen Irrtum auf dem Gewiſſen habe.“

„Aber ich bitte Sie,“ wehrte Hans Moritz ab, „die Schuld liegt ebenſoviel an mir. Zch habe es einfach verſchlafen —“

„Verſchlafen?“ lachte Gitta. „Ich auch!“

Nun verloren ſie ſich in Einzelheiten und erzählten einander unter Scherzen und Lachen, auf welche Weiſe fie beide ihre Rollen in der Komödie unter der ſo vor- trefflichen Leitung des Zufalls geſpielt, und wie ſie ſich nun hier zuſammengefunden hatten.

„Ihr Onkel ſprach übrigens eine Vermutung aus, die ich erſt auch teilte, aber die ich nun zu meiner großen Freude nicht beſtätigt finde nämlich, daß ich Sie, gnädiges Fräulein, in Tränen finden würde.“

Über Gittas Züge glitt ein Lächeln. „Ein paar Tränen hat's ja zuerſt gegeben, aber nachher fand ich, daß das Pech ſich viel beſſer zum Belachen eigne als zum Beweinen.“

2 Novellette von F. Carla Schneider. EE

„Das finde ich jetzt auch,“ ſagte Hans Woritz nach- drucksvoll, und ſeine hellen Augen ruhten mit großer Wärme auf dem lebendigen Stück Schönheit, das er

heute morgen „abgeſchrieben“ hatte, ohne zu ahnen, daß er es ſo bald wiederſehen würde.

Da öffnete ſich leiſe die Tür, und plötzlich gewahrten fie die Geſtalt der Braut, ſtill und weiß wie eine Er— ſcheinung. Und kaum hatte die Braut die Schwelle hinter ſich, da ſchlang der Mann, der dicht hinter ihr gekommen war, ſeine Arme feſt um die Schleier—

100 Brigittes Hochzeitsfahrt. 2 —u'

verhüllte. Die ließ ſich willig hineinziehen, und die zwei Menſchen hingen aneinander in wortloſem Glück.

Gitta war aufgeſprungen, ihr Geſicht war ganz blaß. „Thea!“ ſtieß ſie hervor. „Liebe Thea!“

Weiße Schleierwogen umfluteten Gitta, und ein heißer Mund preßte ſich auf den ihren.

Die beiden Herren aber ftanden einander gegen- über und wünſchten einer den anderen und jeder ſich ſelbſt zehntauſend Fuß unter die Erdoberfläche.

Wieder öffnete ſich die Tür. Der Hausdiener keuchte herein. „Da iſt der Koffer, und der Chauffeur läßt dem Herrn ſagen, daß jemand kommen müßte mit Pferden und ihn und das Auto holen, denn das wäre von dem tiefen Schnee verdorben.“

Er glaubte eine böſe Botſchaft zu überbringen und erwarb ſich damit die Dankbarkeit von vier Menſchen.

Thea faßte des Malers Hand mit einer herzlichen Bewegung und fagte: „Der nächſte Zug nach Ohlbeck geht erſt nach ſieben Uhr. Sie ſehen alſo mitgegangen, mitgefangen! Wenn es Ihnen Freude macht, ſo möchte ich Sie alſo bitten, ſo lange unſer Gaſt zu ſein.“

„Sie machen mich ſehr glücklich, gnädige Frau!“ ſagte Hans Moritz merkwürdig ernſt. ö

Gittas Geſicht war ganz blaß, als ſie endlich in ihr Frühlingsgewölk hineinſtieg und den Vergißmeinnicht- kranz auſſetzte. |

Wie gut, daß Emma noch nicht zurück war, und daß auch Hilde nicht kam, daß ſie ganz, ganz allein mit ſich war! |

Aus ihrem blaſſen Geſicht ſahen die Augen gedanten- voll über ihr eigenes Spiegelbild. Theas Trauung, das Ereignis, auf das ſie ſich ſo gefreut hatte, hatte fie verſäumen müſſen, aber ihrer jungen Seele war

0 Novellette von F. Carla Schneider. 101

in einer einzigen leidenſchaftbebenden Sekunde eine tiefere, gewaltigere Predigt geworden und ſie hatte dieſe Predigt verſtanden, hatte ſie jäh und faſt er- ſchreckend gut verſtanden.

Hans Moritz Müller aber hatte, nachdem auch er ſehr gedankenvoll geweſen, plötzlich Grund, zwei Menſchen, für die er nie zuvor etwas empfunden hatte, aus vollem Herzen zu ſegnen. Das war erſtens der alte Herr in der Eiſenbahn und zweitens der Chauffeur des verunglückten Autos.

Und wie endete nun die Hochzeitsfahrt der jungen Brigitte v. Gartinger?

Endete ſie, als des Abends Tanz und Frohſinn verklang? Endete ſie, als Gitta und Hans Moritz gemeinſam zurückreiſten und einander lachend ver— ſicherten, jedes wolle des anderen Koffer in Obacht nehmen?

Es iſt ſchwer zu entſcheiden, wann und wo das eigentliche Ende war. Vielleicht war's erſt gar an jenem hellen Junitag, als die junge Brigitte eine andere Hochzeitsfahrt antrat; denn von dem Tage an war fie nicht mehr Brigitte Gartinger, und fo wird es wohl ſeine Richtigkeit haben, daß dies der eigentliche Abſchluß war von der Hochzeitsfahrt der Brigitte Gartinger.

Ein bürgerlicher Königshof.

Von L. Brenkendorff.

| Mit 8 Vildern. Nachdruck verboten.) Eine ſehr ruhige und unblutige „Revolution“ war es,

durch die am 7. Juni 1905 die ſeit langem durch mancherlei politiſche Mißhelligkeiten getrübte Ver- einigung zwiſchen Norwegen und Schweden aufgelöſt und der norwegiſche Königsthron erledigt wurde. Das Geſpenſt eines Krieges zwiſchen den beiden fkandi— naviſchen Nachbarreichen, das zum Unbehagen Europas für einen flüchtigen Moment aufzutauchen ſchien, war dank der auf beiden Seiten bewahrten ruhigen Über- legung bald wieder gebannt, und die innerpolitiſche Entwicklung des nun wieder zu voller Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit gelangten norwegiſchen Rönig- reichs konnte ſich ohne alle äußeren Stürme und Fähr- lichkeiten vollziehen.

Unmittelbar nach dem bedeutſamen 7. Zuni ſchon hatte die proviſoriſche norwegiſche Regierung dem Prinzen Karl von Dänemark heimlich die Thron— kandidatur angeboten, und als am 27. Oktober die völkerrechtliche Auflöſung der Union zwiſchen Schweden und Norwegen in aller Form erfolgt war, konnte der bis dahin in der Öffentlichkeit faſt gar nicht hervor— getretene Dänenprinz auch dem norwegiſchen Volke, bei dem die endgültige Entſcheidung lag, für die Er- hebung auf den Königsthron in Vorſchlag gebracht werden.

2 Von L. Brenkendorff. 105

Es war nicht eben viel, was man von dem da- mals Dreiunddreißigjährigen wußte. Er hatte in der dänischen Marine gedient, ſich als gewiſſenhafter, pflichttreuer Offizier erwieſen und durch feine ruhige, ſympathiſche Perſönlichkeit die Zuneigung aller ge— wonnen, die in nähere Beziehungen zu ihm getreten waren. Seit ſeiner im Jahre 1896 erfolgten Vermäh— lung mit der Prinzeſſin Maud von England, der

Das Koͤnigſchloß in Chriſtiania.

Lieblingstochter König Eduards, hatte er ſich faſt mehr am engliſchen als am däniſchen Königshofe aufgehalten, und ſeine einflußreichen verwandtſchaftlichen Ver— bindungen mochten nicht wenig dazu beigetragen haben, die Aufmerkſamkeit der leitenden Männer in Norwegen gerade auf ihn zu lenken.

Norges Volk bewies durch ſeine Abſtimmung, daß es in ſeiner überwiegenden Mehrheit mit dem vor— geſchlagenen Kandidaten einverſtanden ſei, und am 18. November 1905 beſtieg der bisherige Prinz Karl als Haakon VII. (ſprich: Hokon) den norwegiſchen

104 Ein bürgerlicher Königshof. 2 a a nn . —— Königsthron. Eine Woche ſpäter leiſtete er den Eid auf die Verfaſſung, die bekanntlich in noch viel weiterem Sinne demokratiſch zu nennen iſt als die engliſche, und am 22. Juni 1906 wurde er in dem altehrwürdigen Drontheim feierlich gekrönt.

Die wenigen Regierungsjahre, die heute erſt hinter ihm liegen, boten dem jungen König Haakon wenig Gelegenheit, ſich durch hervorragende Herrſchertaten auszuzeichnen, und aller menſchlichen Vorausſicht nach wird an ſolchen Gelegenheiten auch in der Folge kaum Überfluß fein. Denn die Grenzen für ein felb- ſtändiges Handeln ſind dem Staatsoberhaupt durch die norwegiſche Verfaſſung recht eng gezogen, und der eigenartige Volkscharakter würde allen abſolutiſtiſchen Gelüſten, jedem Verſuch eines „perſönlichen Regiments“ von vornherein einen ſtarken, unüberwindlichen Wider- ſtand entgegenſetzen. Darüber aber konnte König Haakon ja ſchon damals nicht im Zweifel ſein, als er ſich für die Annahme der Kandidatur entſchied, und ſo darf man getroſt annehmen, daß ſein Ehrgeiz von allem Anbeginn nur darauf gerichtet war, ſich durch hin- gebungsvolle Arbeit und treue Pflichterfüllung inner- halb der feiner Königsmacht geſteckten verfafiungsmäßi- gen Grenzen die Hochachtung, das Vertrauen und die Liebe des zu hoher. politiſcher Reife entwickelten Volkes zu gewinnen, das ihm die höchſte Würde in ſeinem Staatsweſen übertrug.

Man darf es um ſo eher annehmen, als das bisherige Verhalten des Königs bei den zuzeiten recht lebhaften innerpolitiſchen Kämpfen uneingeſchränkte Anerkennung verdient, und als erfreulicherweiſe bis zu dieſer Stunde auch nicht der leiſeſte Schatten eines Mißtrauens zwiſchen ihn und fein Volk gefallen iſt. Für die Erhal- tung vortrefflicher Beziehungen zu den europäiſchen

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106 Ein bürgerlicher Königshof. 2

Großmächten aber hat König Haakon durch das bereit— willige Einſetzen ſeiner perſönlichen Vorzüge und ſeiner verwandtſchaftlichen Beziehungen unzweifelhaft viel mehr getan, als es allein dem diplomatiſchen Geſchick der norwegiſchen Staatsmänner möglich geweſen wäre.

Seine häufigen Reiſen an auswärtige Höfe haben

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König Haakon in feinem Arbeitszimmer.

nach dieſer Richtung hin die beiten Früchte getragen, und ſicherlich iſt es nicht ihm zur Laſt zu legen, wenn einzig das Verhältnis zu dem grollenden ſchwediſchen Nachbarn noch immer ein recht kühles geblieben iſt, denn an Entgegenkommen gegen Schweden hat ſeine Regierung es gewiß nicht fehlen laſſen. Sie hat die Beſtimmungen der Karlſtader Übereinkunft über die

107

Von L. Brenkendorff. hrt und durch Stellen der Rabinetts-

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108 Ein bürgerlicher Königshof. 2

ſie immer bemüht geweſen, alle neu auftauchenden ſchwediſch-norwegiſchen Streitfragen durch Aberweiſung an ein Schiedsgericht friedlicher und gerechter Löſung zuzuführen, ſo daß angeſichts einer von ſo freundlichem und verſöhnlichem Geiſte erfüllten Politik wohl auf eine allmähliche Überwindung des im Grunde ja be— greiflichen ſchwediſchen Mißtrauens und auf eine Beſſerung der beiderſeitigen Beziehungen zu hof— fen iſt.

Was den König in der kurzen Zeit ſeiner bisherigen Regierung dem norwegiſchen Volke beſonders nahe gebracht hat, iſt neben ſeiner klugen Zurückhaltung im innerpolitiſchen Kampfe vor allem die Schlichtheit und natürliche Liebenswürdigkeit ſeines perſönlichen Auftretens; wie die Einfachheit und gut bürgerliche Innigkeit ſeines Familienlebens. Der Norweger will nicht durch äußeren Pomp und königliche Pracht ge— blendet werden, er will in feinem Landesherrn viel- mehr ein rühmenswertes Vorbild echter Bürgertugend ſehen können. Daß König Haakons Charaktereigen- ſchaften es ihm leicht machten, ſeine Aufgabe von Anfang an in dieſem Sinne zu erfaſſen, hat ihn über Erwarten ſchnell das richtige Verhältnis zu ſeinem Volke gewinnen laſſen.

Der königliche Palaſt in Chriſtiania ift bei aller Vornehmheit keineswegs ein impoſanter Prachtbau mit üppigem architektoniſchen Schmuck; er mutet viel eher ein wenig zu kalt und ſtrenge an. Aber dieſer Eindruck iſt raſch verwiſcht, ſobald man ſein Inneres betritt. Glücklicher iſt wohl in keinem euro— päiſchen Königſchloß alles prunkhaft Kalte und auf rein äußerliche Wirkung Geſtellte vermieden, glück— licher wohl kaum irgendwo der Charakter eines behag— lichen, von künſtleriſchem Geiſte erfüllten Heims mit

2 Von L. Brenkendorff. 109

dem unerläßlichen würdevollen Ernſt des Königſitzes gepaart.

Das Hauptverdienſt an dieſer anheimelnden inneren Ausgeſtaltung des Palaſtes gebührt unzweifelhaft der Königin Maud, die ſich mit ſicherem Verſtändnis und gutem Geſchmack ebenſo eifrig um alle Einzelheiten

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Der Koͤnig und die Koͤnigin beim Schilauf.

der Einrichtung gekümmert hat, wie ſie ſich um die Einzelheiten der königlichen Wirtſchaftsführung kümmert. Es iſt die gute hausfrauliche Schule der alten Königin Viktoria, die da in ihrer Enkelin dieſelben erfreulichen Früchte trägt wie einſt bei der Mutter des jetzigen deutſchen Kaiſers. Königin Maud, die am 26. No— vember 1869 geboren um drei Fahre älter iſt als

110 Ein bürgerlicher Königshof. 2

ihr Gemahl, iſt den Norwegern ebenſo ſchnell vertraut und ſympathiſch geworden wie dieſer. Je argwöhniſcher man ſich bei der ehemaligen engliſchen Prinzeſſin auf ſehr viel unnahbare Hoheit gefaßt gemacht hatte, deſto angenehmer fühlte man ſich von dem natürlichen Weſen

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Der Hofdienſt auf Schneeſchuhen.

dieſer zierlichen Dame berührt, die ſich der engeren und weiteren Öffentlichkeit viel ſeltener in ihrer königlichen Würde als in ihrer Eigenſchaft als liebenswürdige Gattin und fürſorgliche Mutter zeigt.

Von höfiſchem Gepränge iſt im Königſchloſſe zu Chriſtiania nicht mehr als das unumgänglich Not- wendige zu bemerken, und der Dienſt des Gefolges, der Adjutanten, Kammerherren und Hofdamen iſt

2 Von L. Brenkendorff. 111

wohl an keinem anderen Hofe jo leicht wie hier. Um neun Uhr morgens ſitzt der König am Schreibtiſch ſeines Arbeitszimmers bei der Lektüre der wichtigeren Tageszeitungen und der Durchſicht der aus den ver— ſchiedenen Reſſorts eingelaufenen Berichte einer Beſchäftigung, der der ganze Vormittag gewidmet iſt, ſofern ſie nicht durch die Erteilung von Audienzen

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Eine Ecke in Prinz Olafs Zimmer.

unterbrochen werden muß. Auch die Königin verzichtet bis zu dem nach engliſcher Sitte um die Mittagszeit ein- genommenen Gabelfrühſtück auf alle Dienſtleiſtungen von ſeiten ihrer Hofdamen und widmet ſich bis dahin, uneingeengt durch höfiſche Etikette, der Sorge für ihre

112 Ein bürgerlicher Königshof. DO ob

häuslichen Obliegenheiten oder für das Wohl ihres Söhnchens, an dem ſie gleich dem Vater mit größter und doch höchſt vernünftig betätigter Liebe hängt.

An der Tafel um ein Uhr mittags erſcheinen dann auch die Damen und Herren vom Dienft. Das Mahl iſt wiederum von gut bürgerlicher Einfachheit und nimmt demzufolge nicht eben viel Zeit in Anſpruch. Jeder, der einer Einladung zu dieſer königlichen Frühſtückstafel gewürdigt wurde, iſt voll Entzücken über den beiter- familiären Ton, der an ihr zu herrſchen pflegt, und über die gänzliche Abweſenheit alles peinlich ſteifen Zere— moniells.

Die Nachmittagſtunden gehören der Erholung auf einem von dem Königspaar unternommenen Spaziergang, der während der Wintermonate gleich- zeitig zu ausgiebiger ſportlicher Betätigung benützt wird. Sowohl König Haakon wie Königin Maud ſind ausgezeichnete Schiläufer, und ſie kennen kein köſtlicheres Vergnügen als das Rodeln von den ſchnee— bedeckten Höhen in der ſchönen Umgebung der nor— wegiſchen Hauptſtadt. Die weit über das Normal- maß hinausgewachſene ſchlanke Geſtalt des Königs und die anmutig behende Figur der Königin ſind niemals fehlende, wohlbekannte und allbeliebte Er— ſcheinungen bei allen ſportlichen Veranſtaltungen in und um Chriſtiania. Sie geben an Gewandtheit und Elaſtizität heute ſchon keinem geborenen Norweger mehr etwas nach, und ihre aufrichtige Vorliebe für die echt nationalen Vergnügungen hat natürlich auch nicht wenig zu ihrer raſch gewonnenen Volkstümlich— keit beigetragen.

Den Nachmittagstee nimmt der König regelmäßig in dem reizenden Zimmer ſeiner Gattin ein, wo ſich beide, ungeſtört durch läſtige Geſellſchaft, ganz ihrem Eltern-

2 I; Von L. Brenkendorff. 113

glück hingeben, denn die Zeit bis zu der Abendmahlzeit um acht Uhr gehört dem kleinen Prinzen Olaf, dem erklärten Liebling des ganzen Landes, der in der Tat ein rechter Norwegerkönig zu werden verſpricht. Am 2. Juli 1905 auf Schloß Sandringham in England ge—

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Das Spielzeug des Kronprinzen.

boren und urſprünglich auf den Namen Alexander ge— tauft, entwickelt ſich der kleine Kronprinz dank einer ausgezeichneten Erziehung in verheißungsvollſter Weiſe. Es wird darauf gehalten, daß er den größten Teil des Tages im Freien verbringt und ſich tüchtig aus— tummelt. Dabei wird er keineswegs ängſtlich von der unmittelbaren Berührung mit dem Volke ferngehalten, 1910. VII. 8

14 Ein bürgerlicher Königshof. a

und wenn der Norweger in König Haakon bei aller aufrichtigen Sympathie vielleicht noch immer den „Fremdling“ ſieht, ſeinen Nachfolger wird er ſicherlich einſt ganz als echten und rechten Landsmann betrachten.

Das Abendeſſen nehmen der König und die Königin faſt immer allein ein, und das Gefolge wird in der Regel Schon vor Beginn desſelben für den Reit des Tages entlaſſen. Eine Ausnahme bilden nur die be— ſonderen feſtlichen Veranſtaltungen, die ſich im höfiſchen. Leben aus Gründen der Repräſentation natürlich nicht ganz umgehen laſſen. Aber fie werden auf das Not— wendigſte beſchränkt wie in einem vom rechten Geiſte erfüllten Bürgerhauſe, darin der Schwerpunkt der Lebenshaltung nicht in der lauten und glanzvollen Geſelligkeit, ſondern im traulichen Genießen des Familienglücks liegt ein treffliches Beiſpiel, für das man vielleicht nirgends beſſeres und herzlicheres Ver- ſtändnis hat als in König Haakons Land.

Das verlorene Lachen. Novelle von F. C. Oberg.

(Nachdruck verboten.)

1.

ns line bunt flutende Menſchenmenge verteilte E ſich in der Flucht der feſtlichen Zimmer. Kommerzienrat Buſch gab den erſten ſeiner

Donnerstage“ in dieſem Winter.

Die weiten Räume boten das Bild ungezwungenſter Feſtlichkeit; matterleuchtete Räume, Tee- und Rauch- zimmer luden zu Plauderſtunden, zu genußpoller Muße ein, und von der von Kerzenhelle durchfluteten Vorhalle an bis zu den großen Salons und dem Tanz- ſaal, in denen blendende Lichtfluten über die feſtliche Menge hinſtrömten, herrſchte überall ein anregendes, wirklich weltſtädtiſches Treiben. ö

Doktor Wolfgang Evers ſtand am Eingang einer der Salons, ſchweigſam und ein wenig ungeſellig. Seine hohe Geſtalt lehnte läſſig am Türpfoſten, fein Blick ſchweifte über das wechſelvolle Bild hin mit. jenem merkwürdigen Ausdruck von Aufmerkſamkeit und Traumverlorenheit zugleich, der ſo typiſch für Wolf— gang Evers' Augen war. Das Geſicht des offenbar noch jungen Mannes ließ eine genauere Altersbeſtimmung ziemlich ſchwierig erſcheinen, denn die klar und an— genehm geſchnittenen Züge trugen einen Ausdruck von etwas halb Knabenhaftem, halb ſchmerzlich Gereiftem. Das Zunge, auf eine beſondere Art fo feſſelnd Liebenswürdige dieſes Geſichts ſprach haupt—

116 Das verlorene Lachen. 2

ſächlich aus den dunkelgrauen Augen, denen eine felt- ſame Beredtheit ebenſowohl wie eine ausgeſprochen abweiſende Verſchloſſenheit eigen ſein konnte; das Schmerzvollreife aber lag im Ausdruck des Mundes, deſſen ſcharfen Schnitt der kurzgehaltene, dunkle Schnurrbart erkennbar ließ. Wer Doktor Evers ſo ſtehen ſah, verſchloſſen und mehr Zuſchauer als Mit- ſpieler im fröhlichen Spiel des Abends, in feiner zurück- haltenden Schweigſamkeit, feine ganze Erſcheinung bei aller Eleganz bis zur Möglichkeit unauffällig gehalten, der mochte ihn weit eher für einen Fremdling halten als für das, was er war: ein Berliner Schriftſteller, deſſen Name in der literarifchen Welt guten, ſehr guten Klang beſaß. Zwar, Wolfgang Evers liebte es, in- kognito zu ſein, und er faßte ſeinen bürgerlichen Namen, ſeinen akademiſchen Grad, die Erſcheinung ſeines äußeren Menſchen als dieſes Inkognito auf, denn er ſchrieb unter Pſeudonym, und alles, was er als Mann und Perſönlichkeit bedeutete, blieb den vielen, die ihn als Doktor Wolfgang Evers kennen lernten, verborgen.

„Na, Doktor, ſo gelangweilt?“

Der Angeredete fuhr herum und ſah dem langen Menſchen, der ſich vor ihn geſtellt hatte, ein bißchen ſpöttiſch ins Geſicht. „Du ſollteſt ſo viel wiſſen, Bob, daß ich immer um ſo gelangweilter ausſehe, je beſſer ich mich unterhalte,“ ſagte er mit kurzem Lachen.

„Aha,“ machte der Lange, „du biſt in Laune, merke ich, du verſpritzeſt deinen Geiſt ſogar an mich! Alſo, du unterhältſt dich wenn auch nicht mit den Leuten, ſo doch über ſie was ich, nebenbei bemerkt, für Leute von deiner Zunft für ſehr rentabel halte. Alſo du unterhältſt dich? Freut mich freut mich mächtig!“

Evers machte ihm eine kurze, ſpöttiſche Verbeugung.

0 Novelle von F. C. Oberg. 117

„Meinen tiefſten Dank, gütiger Gönner,“ ſagte er lachend. Dann fügte er hinzu: „Im Ernſt, Bob, ich bin dir ſehr verbunden für die Einführung hier, vor allem aber dafür, daß du reinen Mund gehalten haſt. Denn das mit dem Unterhalten, das du mit großem Scharfſinn begriffen haſt, würde wohl nicht gut möglich ſein, wenn man wüßte Nun, man weiß eben nicht, und alles iſt im Lot. Im übrigen, ich habe da drüben in dem roten Zimmer beim Sekt ein paar von den Unſeren geſehen: den kleinen Stürmer und Struve, der beim Anzeiger jetzt Redakteur iſt, und noch ſo 'n paar andere, auch Maler darunter. Wußteſt du, die würden hier ſein?“

Robert Reininghaus, der Maler, ſtellte ſich neben den Freund. Hier am Eingang, wo der Schwarm be— ſtändig im Fluten war, ließen ſich mit gedämpfter Stimme am allerbeſten ein paar gemütliche Worte reden.

„Na, gewiß,“ antwortete Neininghaus auf Evers’ Frage, „ich ſagte dir doch, ſo eine ganze Zahl Unſeriger ſind meiſtens hier. Lieber Himmel, Evers, ſtell dir doch vor: dieſe „Donnerstage“ bei Buſch find für Leute wie unſereins einfach beinahe bares Kapital. Hier trifft man Leute, die, wenn auch kein Verſtändnis, ſo doch Geld für die Kunſt haben. Buſch kann enorm viel ausmachen. Wenn einer von uns Mode werden will, dann braucht er zweierlei: eine halbwegs an- ſtändige Zeitung, die ein bißchen für ihn trompetet, und einen Millionentommerzienrat, der mit feinem Anhang auf dies Getrompete und auf ihn ſelber 'reinfällt. Alſo kein Wunder, daß von den Unferen immer Leute hier find, Iſt es dir unangenehm, dieſe Leute zu treffen?“

Evers ſchüttelte den Kopf. „Ach nein,“ ſagte er gleichgültig. „Ich mag nur nichts anderes als Doktor Evers ſein, hoffentlich wiſſen das alle.“ -

118 | Das verlorene Lachen. a!

Robert, deſſen Vorname nach engliſchem Brauch oft in Bob verkürzt wurde, lachte. „Werden dich ſchon nicht entlarven, du unglücklicher Glücklicher,“ ſagte er mit leiſem Spott. „Du kannſt dir dein Inkognito ja leiſten; dich hat eben nicht bloß die Muſe, ſondern auch Fortuna geküßt. Freilich, wenn Buſch wüßte! Dann müßteſt du ſicher daran glauben!“

Evers lachte. „Glauben? Woran glauben?“

„Ach ſo!“ machte Bob lebhaft. „Siehſt du, gerade deswegen hab' ich ja meine Courſchneiderei bei der reizenden kleinen Mövies unterbrochen, um dich recht— zeitig zu holen. Alſo hör zu, Buſch hat eine Marotte, einen Spleen, weißt du, einen richtiggehenden. Er ſammelt nämlich Stimmen.“

„Stimmen?“ wiederholte Evers. „Wahlen —“

Bob lachte wie über einen guten Witz. „Wahlen Wahlen!“ lachte er. „Du biſt koſtbar, Evers! Nee, nichts von Wahlen, Buſch ſammelt lebendige Stimmen, menſchliche Organe, die Stimmen von bekannten, berühmten Perſönlichkeiten. Er hat einen ganzen Haufen Grammophone oder Phonographen, oder wie die Dinger ſonſt heißen und —“

„Ach ſo!“ ſchaltete Evers lächelnd ein. „Nun fange ich an zu begreifen.“ | „Alſo,“ ſagte Reininghaus gemütlich. „Komiſch

nicht? Alſo, hör weiter. Buſch hat von dieſen Dingern die beſten Exemplare, wirklich gute Apparate, die die Sachen mit einer Sauberkeit wiedergeben ſtaunenswert, ſag' ich dir. Nun iſt es ſein Sport, Leute von Namen in ſolchen Apparat hineinſprechen zu laſſen, auf ſolche Aufnahmewalze, weißt du von Wachs glaube ich, ſind die. Dann wird das gegoſſen oder wer weiß wie ſonſt auf eine der üblichen Hart-

DO Novelle von F. C. Oberg. 119

gummiplatten übertragen, und Herr Kommerzienrat Buſch kann, ſo oft es ihm beliebt, die Stimmen be— rühmter Leute, die irgend einmal in ſeinem Hauſe erklangen, immer von neuem reden laſſen.“

„Ein Bauer mit Geſchmack,“ murmelte der Schrift- ſteller. „Eine Marotte, die der Mühe wert iſt.“

Reininghaus war über dieſe halb beiſeite geſprochene Anerkennung des Freundes faſt verwundert.

„Na ja,“ ſagte er ein bißchen geringſchätzig, „von gewiſſer Seite hat es ja was, das iſt ſchon ſo. Ich finde es im übrigen ſpleenig amüſant iſt es aber auf alle Fälle. Buſch gibt ja auch außer dieſen ‚Donnerstagen‘ große Geſellſchaften, und bei dieſer oder jener Ge— legenheit ſieht er allerlei Leute von Ruf bei ſich: Bühnenleute, Königliches Schauſpielhaus ſo gut wie Reinhardt- und Leſſingtheater, na und auch von den anderen Bühnen, vor allem Oper- und ſonſtige Muſik— ſtars, Schriftſteller, Zournaliften, Maler, Bildhauer, auch gelehrte Weiber, wie zum Beiſpiel dieſe na, wie heißt ſie, ſo ein Fräulein Doktor, 'n bißchen an— gejahrt, die immer ſo Vorträge hält über Ehe und Volkshygiene —“

Ein beluſtigtes Lachen von Evers unterbrach ihn. „Schon gut,“ ſagte er, „die reine Blütenleſe von Berühmtheiten jeder Sorte harmloſe und weniger harmloſe, wie ich ſehe.“

In dieſem Augenblick ſchob Bob Reininghaus feinen Arm in den des Freundes und zog ihn mit ſich. „Komm,“ ſagte er, „die Sache ſcheint ſchon vor ſich zu gehen.“

Als ſie am Tanzſaal vorüberſchritten, durchzogen ſchmeichelnde Walzerklänge wie ein ſilberiges Strömen von fließenden Muſikwellen den Strudel der Geräuſche.

„Fledermaus!“ ſagte Reininghaus anerkennend. „Tanzeſt du nicht?“ | |

120 Das verlorene Lachen. 1

„Selten,“ war die ausweichende, gleihgültige Ant- wort.

Reininghaus ſah mit einem Ausdruck von forſchender Verwunderung auf den Freund, den er, obwohl auch Evers außergewöhnlich groß war, noch ein gutes Stück überragte. Dies war einer von den Augenblicken, in denen Reininghaus empfand, daß viel, vielleicht das Beſte in Evers’ Weſen auch ihm, der ſich ihm ſeit der gemeinſamen Schülerzeit in einer Kameradſchaft, die ſogar ſeit einiger Zeit zu etwas wie wirklicher Freundſchaft erwärmt war, verbunden fühlte, fremd und verſchloſſen blieb. Auf dem Geſicht des Schrift- ſtellers lag ein abweiſender Ausdruck, ein mühſames Verſchließen einer ach wie es Reininghaus vorkommen wollte.

Das Zimmer, in das die beiden Herren jetzt ein- traten, war offenbar eines der Zimmer des Haus- herrn. Der große Raum war dunkel, maſſiv und prunklos gehalten, nur gedämpft erleuchtet. Der Kommerzienrat, ein lebhafter, kleiner, ſtarker Herr, ſtand vor einem großen, aufgeſchloſſenen Schrank, aus deſſen tiefen Fächern die blanken Trichter der Grammophone hervorleuchteten. Auf einem Tiſch ſtand bereits einer der Apparate, und jetzt war Buſch eben damit beſchäftigt, aus flachen Schubfächern des Schrankes, die er geſchäftig auf- und zuzog, die Mappen mit den Platten herauszuholen, die er mit großer Be- hutſamkeit behandelte und auf dem Tiſch ordnete.

Das Treiben des kleinen Herrn war zugleich rührend und komiſch. Man merkte, hier war einer, der naiv wie ein Kind, voll Wichtigkeit und Beſitzerfreude mit den Sammelſchätzen umging, an die er einen Teil ſeiner Seele verſchenkt hatte.

Ob die Menge der Leute, die ſtetig wachſend in das

2 Novelle von F. C. Oberg. 121

Herrenzimmer eindrangen, etwas wie unbewußte Scheu vor dieſem Tun empfand, oder ob man ſich ſchweigend einem ungeſchriebenen Hausgeſetz unter- warf jedenfalls war die Unterhaltung leiſe und zurückgehalten, und der ganze, aus den denkbar ver- ſchiedenſten Elementen ſich zuſammenſchließende Kreis bewegte ſich mit der Vorſicht und Gedämpftheit wie etwa das feine Publikum eines Theaters, in dem die Ouvertüre einzuſetzen im Begriff iſt.

Zuweilen drang fern und gedämpft wie ein Licht- ſtrahl, der blitzend durch eine Ritze hindurch in kühles Schattendämmer hineinſchneidet, ein verlockend ſüßer Walzerklang in die erwartungsvolle Ruhe des Herren- zimmers.

Es war eigentlich verhältnismäßig ſelten, daß der Kommerzienrat gerade an den „Donnerstagen“ ſeine Sammelſchätze zu Klang und Leben rief, im allgemeinen behielt er fie ſich vor für einen kleineren, überein- ſtimmenderen und gewählteren Kreis als der, den jeder erſte Donnerstag des Monats in fein fo überaus gajt- freies Haus rief. Anderſeits beſaßen aber gerade dieſe „Donnerstage“ den begründeten Ruf, die zwangloſeſte Form der Geſelligkeit zu ſein, und alle die noch ſo extremen Elemente, die ſich an dieſen Donnerstags- empfängen vereinten, konnten, wenn ſie es ſich ſelber angelegen ſein ließen, finden, was ſie ſuchten: Anregung, Förderung, Unterhaltung.

Beſonders das letztere bot ſich in dem zwangloſen Tanz, dem in dem ſchönen, geräumigen Saal nach alter, ſtehend gewordener Sitte ſtets eine heitere Statt gewährt wurde. Seit mehr als drei Wintern gab der Kommerzienrat dieſe „Donnerstage“, für die er zu Beginn des Winters ein für allemal einzu— laden pflegte, und auf denen eingeführte Freunde

122 Das verlorene Lachen. 1

immer eine äußerſt zuvorkommende, wenn auch nur ein wenig flüchtig geäußerte Aufnahme fanden. Der Kommerzienrat pflegte ſeinen Donnerstagsgäſten zu verſichern, er wälze die Rieſenpflicht des Wirts, die feine Frau und ihn ſonſt erdrückte, von ſich ab und lade ſie ſtatt deſſen in Bruchteilen jedem einzelnen der Gäſte auf. Ein jeder hatte dem anderen und ſich ſelbſt gegen- über die Pflicht, aber auch das Recht, anderen und ſich den Abend nach Wunſch und Belieben zu geſtalten. Kleine, vornehm gedruckte Einlaßausweiſe, die nur der Kommerzienrat und ſeine Frau auszugeben pflegten, machten die ſonſt üblichen Förmlichkeiten überflüſſig und gaben zugleich die ſeltene Möglichkeit, den großen, nicht zu überſehenden Kreis einer Art Vertrauens- überwachung, einer ſtillſchweigenden Verantwortung der Einführenden zu unterziehen, die noch nie miß- braucht worden war. |

Daß trotz allem ein ganzer Stab von Deteltiven das große Haus des Kommerzienrats, deſſen Kunſtſamm— lungen und Hausratskoſtbarkeiten faſt ſprichwörtlich waren, an den „Donnerstagen“ vor allen Möglichkeiten ſicherte, wußten nur wenig Naheſtehende. Die Donners- tagsempfänge waren als Ganzes und in allen charakte- riſtiſchen Einzelheiten in der RNeichshauptſtadt wohl be- kannt und machten einen jener geſellſchaftlichen Mittel- punkte aus, in denen Kreiſe, die ſonſt völlig auseinander liefen, ſich berührten, und ſeit ihrem Beſtehen wurde jeder neue Winter den „Donnerstagen“ ein neuer Sieg, wuchs ſtetig ihr ſich beſtätigender Ruhm.

Der Kommerzienrat ſchien mit ſeiner Auswahl fertig, er hatte die letzte Mappe auf dem Tiſche ein- gereiht; jetzt ſchob er eine kleine, beſonders konſtruierte elektriſche Stehlampe näher heran und ſchaltete das Licht ein. Es fiel ſo, daß die Nadel und der ganze

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Mechanismus für das Einſchalten der Platten an dem Grammophon ſcharf beleuchtet, das übrige Halblicht aber im Zimmer nicht im geringſten beeinträchtigt wurde.

Dann richtete der kleine Herr ſich auf und wandte ſich dem großen Kreis der Gäſte zu, der ſich inzwiſchen eingefunden hatte.

„Darf ich bitten, die Türen zu ſchließen, ſagte er höflich, aber ein wenig mit dem Ausdruck eines Mon- archen, der gewillt iſt, die Unaufmerkſamkeit ſeiner Dienſttuenden ſo milde wie möglich zu rügen.

Man ſchloß die Türen, und der Walzertakt, der gerade hereingewippt war, erloſch wie abgeſchnitten.

Buſch hatte den Ausdruck des Verſtändniſſes auf einigen Geſichtern wahrgenommen, und er beeilte ſich zu ſagen: „Ich will allerdings keine Aufnahme machen, aber Sie wiſſen, für mich ſelbſt bin ich anſpruchslos und gönne niemand mehr als gerade meinen ver— ehrten Donnerstagsgäſten völlige Freiheit, jedoch für meine ‚Stimmen‘ fordere ich unbedingtes Schweigen.“ Ich laſſe jene da drüben walzen, ſo viel ſie wollen, aber dann ſollen fie auch mich ungeſtört „walzen“ laſſen!“

„Dieſen Witz macht er jedesmal,“ flüſterte Reining- haus boshaft.

Er und Wolfgang Evers ſtanden im Hintergrunde, und der letztere beobachtete das Treiben des Kom— merzienrats mit ſichtlichem Intereſſe.

Mit gedämpftem Schnurren begann die Walze über die Nadel zu rinnen. Dann erſtarb dieſes feine Geſumme, ein paar Töne Klavierbegleitung klangen auf, und mit plötzlicher, geradezu lichtvoller Klarheit trugen ſich die perlreinen Töne eines edlen Soprans aus dem Nichts empor. Ein einfaches Lied, in ſeiner

124 Das verlorene Lachen. | *

Einfachheit die überwältigende Schönheit der Stimme zu hinreißender Plaſtik formend.

Irgendwo wurde ein Name geflüſtert ein Name, der wie ein Echo ein verſtehendes Lächeln auf den Geſichtern weckte, und Buſch nickte glücklich und be— ſtätigend.

Das Lied war aus.

In makelloſer Reinheit verklang der letzte Hauch.

Das Klavier ſchloß beſcheiden zurückhaltend, wie es ſchien, von Meiſterhand gerührt.

Da plötzlich erhob ſich die Stimme, die eben ge— ſungen hatte, zum Sprechen, und wie Schelmerei, wie ein hörbares Lächeln klang es aus der Stimme, die leicht und graziös mit zarter Ausländerbetonung die Worte ſprach: „Ich danke Ihnen, verehrter Herr Kommerzienrat, für die Ehre, die Sie mir erwieſen, als Sie mich zu ſingen baten. Welch eine Freude für mich, Ihre Bitte zu erfüllen!“

„Schrum ſum ſum,“ machte die Nadel, und das Wunderwerk ſtand ſtill.

„So 'n Sums kommt immer hinten nach,“ flüſterte Reininghaus Evers zu. „Immer ſchlau, fo einer! So kann die Platte nicht geſtohlen werden, ſozuſagen Schutzmarke.“

Evers antwortete nicht.

„Sie iſt jetzt in Amerika,“ erklärte Buſch, der von Gäſten eng umringt war.

Eine Anzahl der Schriftſteller und Maler, die Reininghaus und Evers kannten, ſtand in einer Gruppe in einiger Entfernung. An Krawatte und Haarſchnitt verſuchten einige von ihnen die außergewöhnlichen Sterblichen zu heucheln; die Überzahl war, wie Reininghaus und Evers, zu vornehm für derlei und liebte unauffällige Eleganz.

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Eine junge Kunſtgewerblerin in einem ausnahms- weiſe ſchönen Reformkleide und mit einer, nach Reining- haus’ Urteil „ſüffiſanten“ Friſur fie trug Schnecken von Zöpfen auf ihren Ohren, was ihrem ſonſt ziemlich kindlichen und unbedeutenden Geſicht einen humor— voll wirkenden Stich ins Pikante gab eine ſolche junge Kunſtgewerblerin ſtrich mit geſchmeidigen Be- wegungen durch die Leute hindurch und ging auf den Hausherrn zu.

„Sie will eine Reklame für ihre Schmuckſachen, Wandbehänge oder Lampenſchirme, oder was für 'n Blech ſie ſonſt macht,“ flüſterte Reininghaus. „Paß auf, ſie iſt ganz hin, ſie möchte auch in ſo 'n Ding hineinreden.“

Die junge Dame, die Reininghaus dermaßen in Der- dacht hatte, ſchien aber harmloſer. „Welch ein Wunder!“ ſagte ſie, indem ſie kindlich ihre Hände faltete.

Reininghaus lachte. „Ach ſo!“ murmelte er. „Sie iſt alſo eine von denen, von denen man wunder denkt, was ſie wollen, und ſchließlich ſagen ſie etwas völlig Inhaltloſes und ſtellen ſich hin wie ein Kindergarten- kind. Sie iſt Typ was, Evers?“

„Es iſt fabelhaft! Ein Triunf der Techtnik,“ ſagte eine ältere Dame, eine Finanzfürſtin, deren Bildung bedauerlicherweiſe ſo viel zu wünſchen übrig ließ, wie ihr Vermögen an Überfluß aufwies.

Ein junger Muſikkritiker tippte mit der Spitze ſeines Fußes vernehmlich gegen das Parkett. „Fein!“ ſtieß er heraus, indem er das Wort ausſprach, als begänne es mit einem dreifachen „F“.

Buſch hatte inzwiſchen die Platte gewechſelt. Reſpektvolles Schweigen gewann den Raum. Die Nadel ſummte, und diesmal löſte ſich eine männliche Stimme heraus. Im Bühnenton, ein wohlgefettetes

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Organ, das im unverkennbaren Königlichen Schaufpiel- haus-Pathos ein Fragment aus einem klaſſiſchen Drama ſprach. Nach dem Schluß kam eine kleine Pauſe, dann die knappe, jedoch liebenswürdige Verſicherung: „Ich danke Ihnen, Herr Kommerzienrat!“

Evers ſchien das Intereſſe an der Sache verloren zu haben. Zerſtreut und gleichgültig war er auch während des nächſten Vortrages, des Tenorſolos eines ſehr bekannten Konzertlöwen, das, wie diesmal die „Widmung“ ſagte, der warmgefühlte Dank ſei für ein paar heitere Stunden. Als dann eine bekannte Berliner Ibſendarſtellerin mit ihrer, den meiſten Anweſenden wohlvertrauten, unbeſchreiblichen lyriſchen Stimme ein paar Bierbaumſche Tanzlieder ſprach, an die ſie nach kurzer Pauſe nur leiſe und zurückhaltend die Angabe des Datums anſchloß, ſchien das Intereſſe in Evers wieder lebhafter zu werden.

Der alte Herr hatte die letzte Platte herausgenom— men; es ſchien, als wolle er ſchließen.

Aber man bat um Fortſetzung.

Buſch ließ dieſe Bitte über ſich ergehen mit einem Ausdruck von ſtolzer Beſitzerfreude, dann wandte er ſich mit Lebhaftigkeit ſeinen Walzen und Platten wieder zu. Ihm ſchien die Wahl unter den ſauber etikettierten Käſten ſchwer.

Endlich öffnete er mit einem ſehr ſonderbaren Lächeln eines der Etuis, hielt die Hartgummiplatte einen Augenblick lang ſinnenverloren in Händen und ſchaltete ſie dann ſorgfältig ein.

„Nummer zwanzig, Herr Kommerzienrat?“ fragte eine Freundin des Hauſes lächelnd.

Der Angeredete gab einen freundlichen Blick des Verſtändniſſes und nickte; er ſprach nicht, wenn er an dem Apparat hantierte.

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Das Intereſſe, das bei der Gleichartigkeit, die dieſe Stimmenwiedergaben trotz ihrer Verſchiedenheit be- ſaßen, langſam ein wenig ſchwächer geworden war, ſchien durch dieſen kleinen Vorgang plötzlich aufs neue geſammelt; eine Stille, erwartungsvoller faſt wie die zum Beginn der Vortragswiedergaben, lag über dem ganzen Kreis, und auch Evers war mit vollem Intereſſe bei der Sache. N |

Leiſe ſummend fuhr die Nadel über die Platte. Eine Männerſtimme erhob ſich, ſcharf ſchnarrend, und mit einem Ernſt, der aber erſtaunlicherweiſe auf den Geſichtern der Lauſchenden nur den Ausdruck des Lächelns weckte, ſprach die Stimme ein paar an— ſpruchsvolle Balladenſtrophen. Man hatte das Organ eines bekannten Parlamentariers erkannt.

Mit ſchnarrendem „R“ ſprach die Stimme die großen, tönenden Worte. Sie hackte am Rhythmus, ſie trommelte mit den Verſen da, was war das?

Ein Lachen.

Ein Lachen, ſo wundervoll herzlich, ſo unbeſchreib— lich lebensvoll und klangerfüllt. Eine junge weibliche Stimme hatte gelacht. Wie eine Fülle von Klang, gedämpft und doch wundervoll unmittelbar war dies Mädchenlachen für die Dauer von ein paar Augen- blicken herübergeglitten über die ſchnarrend geſprochenen Verſe. Jetzt gingen die weiter, aber niemand achtete mehr darauf. Eine unbeſchreibliche Aberraſchung hatte das Lachen unter die Leute gebracht.

Buſch beobachtete die Wirkung mit unverhohlenem Vergnügen.

Verwundert aber hingen die Blicke von Bob Reininghaus an Evers, der während des Lachens emporgefahren war wie einer, der einen Ruf, einen wohlbekannten, langerſehnten vernimmt.

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Evers hatte den Ropf erhoben, der Ausdrud tiefiter Erregtheit ſprach aus feinen Zügen, und erſt jetzt er- kannte Reininghaus mit ſchmerzlichem Staunen, eine wie große Zurückhaltung von dieſem Geſicht herab- geglitten war wie eine Maske, wie für eines Herz— ſchlags Dauer ein Ausdruck ſo voller Sehnſucht, ſo voll freudigen Erkennens dies Geſicht zu einem neuen, einem unbeſchreiblich feſſelnden geſtaltete, bis Evers ſich im nächſten Augenblick die Beherrſchung mit An- ſtrengung zurückgewann.

And doch glaubte Reininghaus zu empfinden, wie jene Erregung in dem neben ihm N noch fortbebte.

Als der Vortrag, deſſen Wortlaut eau mehr gelauſcht hatte, zu Ende war, und als ſofort eine ſchwirrende Lebendigkeit, Rufen, Fragen, Außerungen ſich Bahn brachen, war Evers äußerlich wieder völlig Herr ſeiner ſelbſt.

Aber ein Ausdruck von Beherrſchung lag auf ſeinem Geſicht, der dem, der Evers kannte, verraten mußte, wie tief die Bewegung ſei, die ſo bewußt und mühſam gemeiſtert wurde.

Buſch wurde von Fragern umringt, und die Leb— haftigkeit ebbte erſt ab, als der alte Herr abgeriſſen mit einem komiſchen Gemiſch von Behaglichkeit und Ver- drießlichkeit Auskunft gab. Er wurde ſehr lebhaft dabei. „Abſicht? Witz? Nein, entſchuldigen Sie, das war kein beabſichtigter Spaß. Geärgert habe ich mich damals tüchtig geärgert! Vor reichlich drei Jahren war's, als ich meine Sammlung eben anfing. Na ich war eben noch nicht vorſichtig genug. Offene Türen, ſo eine Dummheit! Aber gelungen iſt, wie man's hört, daß das Lachen nicht im ſelben Zimmer iſt. Nicht wahr? Ja, na damals! Es war zu dumm.

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Aber was hilft es, die Nadel ſchreibt alles auf, und Ausradieren gibt's da nicht. Entweder ich mußte die Walze gießen laſſen, wie fie war, oder ich mußte fie fortwerfen. Na, dann natürlich lieber noch retten, was zu retten war. Und ſo ſitzt es feſt, für immer feſt, dies törichte Lachen,“ ſchloß der alte Herr.

Evers war auf den Kommerzienrat zugeſchritten, Reininghaus folgte. f

Eine kleine Gruppe der Schriftſteller und Maler war auch herangekommen.

Gerade in einer ganz kurzen Pauſe hörte man Evers mit ſeiner angenehmen, ſtets gedämpften Stimme fragen: „Ich bitte um Verzeihung, Herr Rommerzien- rat, wiſſen Sie, wer damals lachte?“

Es klang gleichgültig, nur Reininghaus empfand einen Unterton, der ihn faſt rührte.

Irgendwo im Hintergrunde flüſterte eine junge Dame ihrer Nachbarin zu: „Das ſind die erſten Worte, die dieſer ſchweigſame Menſch heute redet.“

Der Kommerzienrat ſah auf. „Wer da lachte, fragen Sie? Na, hören Sie mal, daß ich das wiſſen ſoll, iſt doch nicht gut zu verlangen. Geärgert hat es mich ja bodenlos, aber paſſiert war es ja nun mal, dann konnte das übrige mir gleichgültig ſein. Wer ſprach“ das Geſicht des eleganten kleinen Herrn ſtrahlte vor Stolz „das weiß ich wohl, aber wer mit ſeinem törichten Lachen dazwiſchen gefahren iſt, das habe ich nicht behalten.“

Auf Evers’ Geſicht lag ein leiſer Ausdruck ſchmerz— licher Ironie.

Der Kommerzienrat ſah den jungen Mann, der auf dieſe lange und lebhafte Antwort ſo ſchweigſam blieb, plötzlich aufmerkſan an. „Warum fragen Sie eigent- lich, Herr —“

1910. VII. 9

130 Das verlorene Lachen, .

Evers machte eine Verbeugung. „Doktor Evers,“ ſtellte er ſich höflich vor. N

Der Kommerzienrat ſtreckte ihm freundlich die Hand hin. „Freut mich!“ ſagte er. „Alſo warum fragen Sie, Herr Doktor? Kennen Sie die Dame?“ wieder- holte er ſeine Frage.

Über Evers’ Geſicht glitt ein Lächeln. „Ich kann ja das eben nicht feſtſtellen, aber eine Bermutung —“

Buſch lachte herzlich. „Ich verſtehe,“ ſagte er. „Ja, wie geſagt, nachdem das Unglück einmal paſſiert war, war mir's ja einerlei, wer von den jungen Gän —, Damen,“ verbeſſerte er ſich und fuhr humorvoll lächelnd fort: „Ich will doch weder das ſchöne Geſchlecht im allgemeinen noch etwa gar eine Bekannte von Ihnen beleidigen. Alſo ſagen wir ſchlechthin bloß: wer den Schaden angeſtiftet hat. Aber wenn Sie's beſonders intereſſiert —“

„Sehr liebenswürdig, Herr Kommerzienrat,“ wehrte Evers ab, „ich danke Ihnen, doch es intereſſiert nicht ſo ſehr, daß —“

„Hallo,“ dachte Bob Reininghaus, „das muß ja tief gehen!“

„Man könnte ja ſonſt,“ fuhr Buſch fort, „vielleicht meine Frau fragen. Freilich ſchwer zu ſagen, ſchwer zu jagen! An einem von den ‚Donnerstagen‘ iſt es geweſen, das erinnere ich mich, und Sie ſehen ja ſelbſt, ein wie großer Kreis —“

„Natürlich! Es iſt ja auch ganz nebenſächlich. Es war nur ein ſozuſagen pſychologiſches Intereſſe.“

Einer von den Schriftſtellern fiel ein: „Ich babe dasſelbe gefühlt. Ein ſo lebensvolles Lachen ruft Bilder hervor, und man möchte ſie beſtätigt wiſſen.“

Inzwiſchen hatte ſich Buſch daran gemacht, die Platte aus dem Apparat zu löſen. Vorſichtig legte er

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ſie nieder, als Struve, von dem Evers zu Reining— haus geſagt hatte, daß er jetzt beim Anzeiger Redakteur ſei, mit leiſen Fingern über die mit kreisläufigen Malen überritzte Platte glitt.

„Da ſitzt es,“ ſagte er lächelnd, „das Lachen. Aber wo iſt die, die es tat?“

„Wie geſagt,“ wiederholte Buſch, „fragen Sie fragen Sie, wen Sie wollen. Mir iſt, es ſei eine Große geweſen, dunkel und ſchlank, wenn ich mich recht erinnere.“

Er wandte ſich ſeinen Schätzen wieder zu und packte die Platte in das Etui. Er war übertrieben eigen mit ſeinen ſeltſamen Sammelſchätzen; jede Platte, jede Walze beſaß einen lederüberzogenen Raften, auf dem ein ſilbernes Schildchen die bezüglichen Merkmale trug.

„Packen Sie das Lachen wieder ein, Herr Kom— merzienrat?“ ſagte Reininghaus mit lächelndem Be— dauern. |

„Ich packe etwas noch Sonderbareres wieder aus,“ antwortete Buſch. „Sehen Sie hier!“

„Die Platte ſieht aus wie die anderen.“

„Ja,“ die Züge des alten Herrn wurden ernſt. „Aber ſie iſt ganz anders. Der, deſſen Stimme ſie aufbewahrt, iſt tot.“

Ein Schweigen entſtand.

Bob, der auf Evers achtgegeben Halbe, hatte ihn leicht zuſammenfahren ſehen. Zetzt ſah er ihn unauf- fällig dem Ausgang des Herrenzimmers zugehen.

Gerade als Buſch die neue Platte einſchob, ſchloß ſich auch hinter Reininghaus die Tür.

Evers mochte den Freund erwartet haben. „Pöbel!“ ſtieß er halblaut hervor.

„Ja,“ machte Reininghaus lakoniſch, „weißt du, was willſt du von ihm? Spleen, ſage ich.“

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Evers nickte. „Ich gehe fort.“

Reininghaus ſah betroffen aus. „Willſt du nicht fragen?“ ſtieß er überraſcht N

Evers zögerte.

„Dann frage ich!“ erklärte Bob. „Es intereſſiert mich,“ log er in dem Gefühl, Evers damit einen Ge— fallen zu tun, ohne daß der es ſelbſt gewahr werden ſollte.

In dem großen, blonden Hünen, dem man ein kriegeriſcheres Handwerk zutrauen mochte als friedliche Kunſtbefliſſenheit, lebte trotz des großen Hanges zum Spott, trotz ſeiner Neigung, ſeine Warmherzigkeit ſorglich zu verbergen, eine knabenhafte, große Wärme ein Zug, der bei der Verſchiedenartigkeit von Evers und Reininghaus dem letzteren in Evers Augen etwas unbeſchreiblich Anziehendes gab.

„Häng dich ins Schlepptau, Doktor!“ ſagte Bob, der einem der hellerleuchteten Säle zuſtrebte.

Evers folgte ihm langſam.

Bob, der bei der Frau vom Hauſe einen Stein im Brett hatte, ging friſch auf ſein Ziel los.

„Alſo wirklich nicht, gnädige Frau?“ hörte Evers ihn ſagen. „Und Sie erinnern ſich ſogar des Vorfalls kaum mehr? Das heißt, vor drei Jahren war es, das wiſſen Sie noch?“

Frau Buſch war eine üppige und, wie man ſo ſagt, eine wohlkonſervierte große Blondine, die zu ihrem lebhaften, weltgewandten kleinen Gemahl, der ein Mann von wirklicher Bildung und geſellſchaftlichen Talenten war, in ziemlichem Gegenſatz ſtand.

Bobs Auskunftshunger, der in der Dringlichkeit ſeiner Außerungen jedem Detektiv Ehre gemacht hätte,

ſchien Frau Buſch, die ſtets ziemlich zurückhaltend

war, ſehr erſtaunlich. „In der Tat, Herr Reininghaus,

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das iſt das einzige, was ich Ihnen darüber ſagen kann.“ |

„Ven könnte man wohl ſonſt fragen, gnädige Frau?“ ſagte Bob mit jener knabenhaften Zutraulichkeit, die er anzunehmen pflegte, wenn er etwas erreichen wollte.

Frau Kommerzienrat Buſch lachte. „Ich verſtehe, Sie haben ſich in dieſes Lachen verliebt,“ ſagte ſie. „Aber es tut mir leid, ich weiß wirklich weiter nichts.“

Da verabſchiedete ſich Bob mit jenem reizenden freien Anſtand, der ihn, den man als Spötter ſo wohl kannte, immer wieder ſo gewinnend machte.

„Ich wüßte auch niemanden zu fragen,“ hörte Evers die Dame vom Hauſe noch ſagen. „Es war ein Abend, an dem beſonders viel Fremde hier waren, und dann vor drei Jahren! Sie wiſſen ja, wie ſehr gerade der Donnerstagskreis von Jahr zu Fahr wechſelt.“

„Ich danke dir,“ ſagte Evers mit leiſer Fronie zu Reininghaus, als beide draußen ihre Überröde anzogen. „Der reinſte Sherlock Holmes!“

Reininghaus lachte. „Undant iſt der Welt Lohn!“ murrte er luſtig.

In dieſem Augenblick kamen noch zwei Schriftſteller und ein Maler, die auch im Fortgehen waren.

„Kurios mit dem Lachen nicht wahr, Doktor Evers?“ fragte einer von ihnen.

„Vollten Sie auf die Suche gehen nach dieſem Lachen, Evers?“ fuhr ein zweiter, der Evers näher kannte, fort.

„Dann rate ich Ihnen,“ miſchte der Maler ſich ein, „gehen Sie in alle Berliner Luſtſpiele und paſſen Sie auf, wie die Leute lachen.“

„Anfinn !“ ſagte der erſte Schriftſteller derſelbe, der ſchon vorhin Intereſſe für die Sache gezeigt hatte.

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„Zu erfahren iſt hier nichts, das haben wir ja geſehen. Aber daß man von außen herangeht, wie Sie, ver— ehrter Raffael, es vorſchlagen, iſt zwecklos. Von innen muß man entwickeln. Alſo zum Beiſpiel, Evers: ſtudieren Sie, wie gewiſſe Leute lachen, machen Sie ſich ein Syſtem von Kombinationen Sie werden Zu— ſammenhänge, die ſich immer wieder decken, finden, zu Folgerungen kommen und ſich ſchließlich ein ziem— liches Bild von der Erſcheinung machen können, deren Lachen da oben in des alten Herrn Schrank feſtge⸗ halten iſt.“

„Und wenn es, wie die eine der Stimmen, ſchon tot iſt?“ fuhr es dem Maler heraus.

„Na, hören Sie,“ ſagte einer der Herren, „wenn Sie aus der Klangfarbe des Lachens ſich allemal zum Beiſpiel den Farbenklang von den Augen der Leute kombinieren wollen —“

„Verbindlichſten Dank!“ wehrte Evers mit leichtem Spott ab. „Sie alle ſind offenbar erfinderiſcher als ich. Ich brauche es aber auch nicht zu ſein, denn das Lachen intereſſiert mich durchaus nicht.“

2:

Leichter, tauiger Schnee flodte hernieder, dunſtig und feucht war die Luft, die Nacht ſchien traumverloren und ſchweigender Geſtändniſſe voll.

Evers und Reininghaus hatten es abgelehnt, noch mit den übrigen Herren in ein Cafe zu gehen. Sie ſchritten jetzt durch die ſchweigenden Straßen dem Wilmersdorfer Weſten zu.

Die Straße, die an der Peripherie des Tiergartens entlanglief, lag in tiefer Stille. Hallend begleitete nur der leere Klang ihrer eigenen Schritte die Schweig— ſamkeit der Freunde.

2 Novelle von F. C. Oberg. 135

Endlich brach Evers das Schweigen. „Du er— warteſt eine Beichte, Bob?“

Reininghaus vergrub feine Hände mit einem Ruck noch tiefer als vorher in die Taſchen feines Überrods. Das war ein Ausdruck von Verlegenheit, den Evers an ihm kannte.

„Es verſteht ſich, Dichter, daß du nur ſo viel ſagſt, wie du magſt,“ antwortete er zögernd.

Es gab eine kleine Pauſe. |

Dann begann Evers halblaut, aber mit Betonung: „Ich kannte das Lachen. Ich habe es ſchon einmal gehört. Vor etwa drei und einem halben Jahre. In Frühjahr, Bob. Ich war in Dresden auf dem Haupt- bahnhofe, im Begriff, nach Norden zu reiſen. Ich kam von Wien damals, da hörte ich dies Lachen aus einem der abfahrenden Züge heraus, dasſelbe Lachen. Es traf mich. Es war ein Lachen ſo voller Verſchwendung des Edelſten, von ſolcher Heiterkeit des Weſens, ſolchem Reichtum der Seele und jung, ſo jung, ſo voller Lebensverheißungen!“

Er ſchwieg in Gedanken verloren.

„And dann?“ ſagte Bob nach einer Weile.

Evers ſah auf. „Und dann?“ wiederholte er. „Ja, das Lachen, das ich nur hörte und nicht ſah, reiſte nach Süden, es war der Vliſſingen —Wien-Expreß, und ich reiſte nach Norden. Das iſt alles.“

Bob blieb ſtehen und ſah den Freund verſtändnislos an. „Du willſt doch nicht ſagen, daß das daß das alles iſt? Ich erwartete einen Roman von vier Bänden, und dies iſt weniger als nichts.“

Evers lächelte. „Es iſt aber wirklich alles. Nenne es immerhin nichts mir war es viel, viel zu viel. Verſuche es zu verſtehen, Bob. Du kennſt mich genug dazu. Siehſt du die Frauen, die haben mir nicht

136 Das verlorene Lachen. u

gehalten, was ich mir von ihnen verſprochen. Die einzelnen einzelnes vielleicht. Einerlei. Für das Beſte, das ich an eine Frau zu verſchenken hätte, mein ganzes, lebenslanges Selbſt, habe ich nie eine gefunden, der ich es hätte geben mögen, und doch verlor ich den Glauben nicht. Ich hatte auch keine geradezu beſtimmte Vorſtellung. Aber ich empfand, ſie müſſe von reicher Seele und von ſchöpferiſchem Weſen ſein und von jener Vornehmheit, die ſich nie verleugnet und jung und geſund und —“

„Om,“ ſchaltete Bob leiſe ein, „du biſt nicht be— ſcheiden, Dichter.“

„Ich habe manches von dem gefunden, was ich ſuchte, Bob, aber nie das Vereinte. Damals nun, als ich von Wien kam, war ich in namenloſer Zerriſſenheit. Du kennſt das. Brücken hinter ſich abbrechen, Strich machen. Dann obendrein auf der Reife. Ich bin wohl nie jo gleichgültig gegen die Welt und mich ſelbſt ge- weſen als an dieſem Frühlingstag in Dresden. Darum darum traf mich jenes Lachen bis in die tiefſte Seele, bis ins Innerſte. Denn es enthielt alles alles, was ich ſuchte. Das war Leben! Junges, verheigungs- volles! Das war Seele, goldene lautere Herzens— vornehmheit! Das war Anmut und Holdheit, die alle Sinne aufheben ließ! Sieh,“ ſchaltete der Sprechende, deſſen Worte immer leidenſchaftlicher, hingeriſſener wurden, ein, „ſieh, es hängt wohl mit meinem Beruf, meiner Veranlagung zuſammen, daß mir manches geradezu übergewaltig an Ausdrucksfülle erſcheint, was anderen nichts ſagt, oder doch zum wenigſten nichts offenbart, ſondern ihnen im beſten Falle vielleicht nur wiederholt, was ſie bereits wiſſen; aber für mich reden die Dinge, und ſie erzählen mitunter Welten. Und was, ich frage dich, was iſt mehr eine Offenbarung der

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Seele als das Lachen? O Bob, wie wenige Menſchen ahnen, was ihr Lachen verrät, was ſie ſelbſt nur dunkel wiſſen, was ſie niemals anderen zugeſtehen würden Gipfel und Abgründe menſchlichen Weſens, das alles läßt ſich aus dem Lachen leſen wie aus nichts ſonſt. «

Bob hatte ſchweigend zugehört. „Ja, Dichter,“ ſagte er jetzt mit ſchlichtem Ernſt, „ich verſtehe dich ſchon; obwohl ſiehſt du, ich habe eben gröberes Hirn und plumpere Sinne.“

„Nun gerade damals!“ fuhr Evers fort. „Ich war fertig zum Verzicht. Ich wollte nichts mehr, weder von den Frauen, noch von der Welt, noch von mir ſelbſt. Durch ſolche Zeit kommt wohl jeder. Und nun dieſes Lachen! Nicht wahr, Bob, du kennſt es ja jetzt, es iſt von ſolcher Schönheit?“

„Ja,“ ſagte Bob, „es iſt hinreißend und liebens— wert. Aber, ſage mal“ wieder blieb Reininghaus ſtehen „biſt du deiner Sache ſicher? Du könnteſt dich doch irren.“

„Ganz ſicher,“ ſagte Evers ruhig. „Ich weiß nicht, wie ich dir's ſagen ſoll, aber bei unſereinem, Bob, da gibt's wohl auch ſo einen Sinn, der faſt ſo iſt wie jene Aufnahmewalzen: was uns einmal feſſelt, was uns an Geſicht und Sprache eines Menſchen ſeeliſch ein- mal beredt erſchien, das ſchreibt ſich ein, für immer ein, und wenn wir's wieder hören, wieder ſehen, dann ſpringt ſo etwas wie eine Nadel in die alte Spur ein, und es gibt das Echo in unſeren Gedanken, dem wir blindlings vertrauen können. Es iſt derſelbe WMenſch, dasſelbe Mädchen, das ich zweimal lachen hörte, glaube mir, Bob. Und“ diesmal blieb Evers ſtehen „ich ſage dir, ich glaube daran, wenn ich je in meinem Leben an etwas geglaubt habe! Es betrügt mich nicht, und

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es würde mir alle, alle Wunder halten, an die ich glaube wenn ich es fände!“

„Dichter Dichter!“ warnte Bob. „Es geht durch mit dir! Du willſt doch nicht ſagen, daß du es ſuchen willſt, dies verlorene Lachen? Dann hätteſt du damals gleich hinterherreiſen ſollen.“ |

„Das iſt es ja gerade,“ antwortete Evers. „Damals packte mich einen Augenblick lang ſo etwas wie ein raſendes Verlangen, hinterherzureiſen, gleichviel wohin, und mir das Mädchen zu fordern, deſſen Lachen mir tauſend begrabene, längſt geſtorbene und verloren— gegangene Lebensverheißungen aufs neue wiedergab. Aber ich war zu ſehr uneins, zu elend nach dieſer Wiener Geſchichte. Lieber Gott, das gab ſich ſchneller, als ich dachte; es war eine Enttäuſchung, die doch nicht viel tiefer ging als die anderen, vorher und nachher. Aber das Lachen, Bob, das vergaß ich nicht! unbewußt hab' ich's wohl mein Leben lang geſucht, und auch das erſte Mal, als ich es hörte, war es ſchon ein Wieder— finden.“

Es gab eine Pauſe voll ſchweren Schweigens.

„Ich glaube,“ ſagte Bob endlich aus tiefem Sinnen heraus, „du haſt recht.“

Dann nahm Evers den eigentlichen Gegenſtand des Geſprächs wieder auf. „Jetzt verſtehſt du, Bob, daß ich das Lachen ſuchen will. Ich habe es zum zweiten Male gefunden, und das iſt mir wie eine Verheißung: ich werde es endlich wirklich und völlig finden und feit- halten.“ = |

Reininghaus hatte ſich wieder gefunden. „Dichter,“ ſagte er lauter und lebhafter als ſonſt, „ſei kein Narr, mache nicht dich und erſt recht nicht andere vernünftige Leute, wie deinen treuen Freund und väterlichen Beiſtand Bob Reininghaus, zu Phantaſten, die das

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Leben als die Suche nach einem Phantom auffaſſen und darüber vergeſſen, es zu leben! Beſieh dir's bei Licht, und die Sache mit dem Lachen iſt eine reine Unmöglichkeit! Du haſt nicht ein Atom von einem Anhaltspunkt. Nichts. Oder hat deine Seele, die auch ſo 'n Art „Triunf der Techtnik'“ zu fein ſcheint, vielleicht ſo etwas wie 'ne Magnetnadel, iſt ſo eine Art Kompaß, nach dem du ſicher durch die ganze Welt einem einzigen Lachen nachſegelſt? Und weiter! Geſetzt, du fändeſt es, dies verlorene Lachen: was fändeſt du wohl ſonſt noch? Ich meine den Menſchen, der ſozuſagen die Attrappe, das unerläßliche Um und Bei zu dieſem Lachen bildet? Im allerbeſten Falle vielleicht eine Frau, die dir in der Tat etwas hätte bedeuten können, die möglicherweiſe aber ſchon einem anderen gehört, und es kommt nachträglich zu dem vierbändigen Roman, der aber nun ſchwerlich ein gutes Ende nehmen kann.“

Evers lachte, ein herzliches, befreiendes Lachen. „Lieber Getreuer!“ ſagte er voll fröhlicher Fronie. „Dir mache ich keinen Vorwurf, wenn ich nach der Stran— dung die Scherben meines Lebens, das an der Sehn— ſucht nach einem Lachen zerbrach, aufſammeln muß. Aber ſei ohne Sorge! Sch bin weniger verrannt und weniger auf Romantik erpicht, als du denkſt. Denn für mich iſt keine Romantik und keine Phantaſtik in der Sache, ſondern es iſt alles natürlich und folgerichtig. Das einzige, was ich mir vornehme, iſt ein fortwährendes Bewußtſein, jeder Spur, die ich finden ſollte, ſofort zu folgen. Dazu bin ich entſchloſſen. Was weiter kommt,“ wird ſich ergeben. Das Leben, davon darfſt du getroſt überzeugt ſein, iſt auf der einen Seite viel, viel einfacher als es erſcheint, und auf der anderen Seite liegt in feinen ſcheinbar nüchternen Dingen eine tiefe Myſtit,

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an der unſer rätſelnder Verſtand zerbrechen würde, wenn wir nicht jenes feine und verläßliche Ahnungs- gefühl der Seele, jenen Inſtinkt des Verſtehens, der jenſeits aller Vernunft ſteht, beſäßen. Dieſer In- ſtinkt iſt es, dem wir am meiſten folgen in unſeren beſten und unſeren erbärmlichſten Augenblicken gewiß.“

„Stopp, Doktor!“ ſagte Reininghaus, der ſtehen blieb. „Sogar ſtopp in doppelter Hinſicht du ſiehſt, ich kann auch in zweierlei Sinn reden und bin nicht ganz ſo unbegabt! Nämlich erſtens: ſtopp im räum- lichen phyſiſchen Sinne, denn du rennſt bereits an deiner eigenen Wohnung vorbei! And zweitens: ſtopp mit deinen galoppierenden Gedanken, die mir mein armes bißchen Hirn, das ich, ſo gut ich kann, immer ſchön in Ordnung halte, total kraus machen!“

Evers war lachend ſtehen geblieben und hörte Reininghaus weiter zu.

„Zu helfen iſt dir nicht. So nimm meine väterlichen Wünſche, die dir die Rettung aus deiner Verblendung erflehen! Hoffentlich gibt dir das Leben, das nach deiner Anſicht da einfach zu ſein ſcheint, wo ich es ſehr verwickelt finde, und da verwunderlich und ſeltſam, wo mir alles eben, glatt und gemütlich vorkommt na, hoffentlich gibt dir dieſes Leben ſelber die beſte Lehre, indem du nämlich in der ſeelenvollen Lacherin eine kleine dumme Kröte oder ſonſt eine heirats— mäßige Unmöglichkeit findeſt. Ich geſtatte mir, an allem zu zweifeln, und muß es ja leider allerdings dafür dir überlaſſen, an alles zu glauben! Alſo ſuche das verlorene Lachen, wie und wo du willſt, und erzähle mir das bitte ich mir aus nachher den Roman von vier Bänden, auf deſſen Mitteilung ich ja leider heute vergeblich gehofft hatte, ganz fach weil er ſich noch gar nicht ereignet hat.“

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„Vielleicht wird es nur eine Novelle, Bob, oder nur eine Anekdote. Wer leben wird, wird ſehen!“ ant- wortete Evers launig.

Als er aber die Treppen zu feiner Wohnung binauf- ſtieg, wich der Ausdruck der Laune. Wer leben wird, wird ſehen ging es ihm durch den Sinn. Za, war

er deſſen gewiß, daß das verlorene Lachen noch lebte?

| 3.

Es war ein ſehr merkwürdiges halbes Jahr, das Doktor Wolfgang Evers verlebte.

Nie hatte er mit einem Worte das verlorene Lachen erwähnt, ſeit jener Nacht, in der er mit Bob Reining- haus darüber geſprochen hatte. Auch Bob hatte nie wieder von der Sache angefangen er verſtand, daß ſie für ein oberflächliches Berühren zu tief lag; und anderſeits war weder er noch Evers ein Mann, der ohne Notwendigkeit Saiten des Innenlebens berührt. Dieſe ſeeliſche Feinheit in Bobs Weſen liebte Evers ſehr, aber dennoch ſtand er ihm nicht ſo wenig wie irgend jemand ſonſt nahe genug, als daß nicht ſeine Sehnſucht nach einem Menſchen, der ihn wirklich in jeder Hinſicht befriedigte, immer brennender wuchs, je ſchweigender und dauernder er ſie trug.

Es gab Tage genug, an denen er ſich ſelbſt die Un- möglichkeit ſeiner Hoffnung und ſeines Glaubens an das verlorene Lachen klarzumachen verſuchte. Dann erwachte der Wunſch nach Vergeſſen und Betäubung, und er ſtürzte ſich in eine ununterbrochene Kette von Zerſtreuungen. So wechſelten für ihn Einſiedlerleben und Weltgetriebe, und er wurde nur immer ruheloſer.

Er plante Reiſen und unterließ ſie wieder in der törichten und eigentlich durch nichts begründeten Furcht, mit dem Fortgang aus Berlin die letzte Möglichkeit des

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Auffindens einer Spur aufzugeben. War er früher empfindlich geweſen gegen die Beredtheit des Wort- loſen, wie er es nannte, ſo wuchs dieſe Empfindlichkeit jetzt bis zur Schmerzhaftigkeit. Unſchönes Lachen quälte ihn geradezu, und als er anderſeits einmal ein Kind, ein kleines, vierjähriges Mädchen, auf der Straße lachen hörte, ein holdes, ſpaßhaftes Kinderlachen, ſchnitt es geradezu in ihn hinein, und all feine Sehn- ſucht brannte ſchmerzend auf.

Er verſuchte, ſich über ſich ſelbſt luſtig zu machen, nahm ſeine Sehnſucht ironiſch und kam davon zurück, weil es ihm eine Unerträglichkeit war. Hätte er ſich nicht mit einer Selbſtbeherrſchung, die im Grunde nichts als Notwehr war, in eingehende kunſtgeſchichtliche Studien verſenkt, er wäre ſchwerlich auf halbwegs erträgliche Art über dieſen ſonderbaren Winter, über ſeine nur halb eingeſtandene hilfloſe Suche im Leeren fortgekommen.

getzt endlich der Frühling begann hatte er zum letzten Gewaltmittel gegriffen: er wollte fort. Seine Studien, denen er ſeit den letzten Wochen eine erträgliche Gemütsverfaſſung verdankte, weil er ſich mehr und mehr wirklich tief von ihnen hatte feſſeln laſſen, hatten den ſchon lange beſtehenden Wunſch, auf einige Zeit in ſein geliebtes Florenz zurückzukehren, zum Entſchluß gereift. Alles war geregelt. In ein paar Tagen würde er Berlin verlaffen und unter neuen Ein- drücken auf den Spuren großer Zeit verſuchen, ſich ſelbſt wiederzufinden. .

Einer jener blauen Vorfrühlingstage vergoldete das ſteinerne Berlin und hing über die grauen Faſſaden am Eingang der Leipziger Straße eine flimmernde Helle.

Wertheim begann Frühlingshüte auszuſtellen, und

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die ganze Welt ſchien Wolfgang fo ſehr eine einzige | große, alles durchdringende Lebensbejahung zu ent- halten, daß er mit einem Frohſinn und einer Friſche, wie er ſie ſeit langem nicht gekannt hatte, N Ein- käufen nachging.

Plötzlich fiel ihm eine Telephonbeſtellung ein, die er unverzüglich auszurichten wünſchte. Er war einer Verabredung leid und wollte ſie rückgängig machen.

Er ging in die ſogenannte Beſchwerdeſtelle im Wert- heimſchen Warenhauſe, jenen kleinen, vornehm vor— zimmerartig gehaltenen Raum mit den Ferniprech- zellen.

Er gab Amt und Nummer an, opferte vorgeſchrie— benermaßen ſeinen Nickel und wartete nun, den Hörer am Ohr, mit jener unduldſamen Eilfertigkeit, die einem modernen Großſtädter am Telephon ſozu— ſagen ſelbſtverſtändlich iſt.

Aus der Nebenzelle hörte er eine Frau ungebührlich laut in den Apparat hineinſprechen. Am Ohr ſummte und ſurrte ihm jene wunderlich undeutliche Geräuſch— welle aus den Drähten. Er drehte noch einmal an der Kurbel und horchte noch ſchärfer in den Hörer hinein. Das Geſumme hielt an, aber jetzt gab es jenes ſonder— bare matte Aufklingen der fernen Verbindungskurbel.

Was war das?!

Was was hatte er gehört?

Lachen!

Frauenlachen war an ſein Ohr gedrungen und ihm zugleich bis in die tiefſte Seele. Es gab nur ein Lachen wie dieſes in der Welt es war das verlorene Lachen geweſen.

Er war noch ganz betäubt von der Wunderlichkeit deſſen, was ſich ereignet hatte, als er jene Stimme, deren Lachen ihn ſo tief betroffen hatte, nun durch den

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Apparat hindurch auch ſprechen hörte. Zuerſt vernahm er nicht die Worte, ſondern nur den Ton ein weicher, ein wenig verſchleierter Alt. Wolfgang war, als höre er noch etwas wie einen Abglanz des Lachens hindurch. Dann unterſchied er auch die Worte,

„Hier Doktor Richter; wer dort?“

Nüchterne, ſinnlos erſcheinende Worte l worte!

„Ver dort?“ wiederholte Wolfgang aufgeregt in den Apparat hinein, mit einer Stimme, die die Erregung ganz verändert hatte.

„Hier Doktor Richter,“ ſagte die Stimme mit merkbarem Bemühen, gedämpft und doch deutlich zu ſprechen. Wolfgang beſaß nur einen Sinn in dieſem Augenblick: alle ſeine Sinneskraft ſtrömte in ſein Gehör. Er hörte, hörte, er trank die Stimme in ſich hinein.

„Wollen Sie Herrn Doktor Richter ſprechen?“ be— gann die Stimme wieder.

„Nein,“ antwortete Wolfgang inſtinktiv. „Wein- bauer, Motzſtraße.“

„Dann ſind Sie falſch verbunden.“

Die Fernkurbel klang undeutlich, und Wolfgang hörte nichts mehr als jenen verſchwommen ſummen— den Strom aus den Drähten.

Einen Augenblick lang ſtand Wolfgang wie ein Be- täubter. Als erwache er aus einem Traum, ſo war ihm. Jenes entſetzliche, ſchreckhafte Erwachen, weil man uns im Augenblick der Erfüllung ein lang und tief Erſehntes entriß. Ohne zu wiſſen, was er tat, hing er den Hörer an.

Ting-kling, machte der Apparat, und dies leiſe kleine Abläutezeichen gab Wolfgang die Beſinnung wieder.

Er ſchlug die Kurbel herum und riß den Hörer von

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neuem ans Ohr. Dann fragte er, als er dasſelbe Amt wieder am Apparat wußte: „Ich verlangte Sechs- neunundzwanzig zweiundfünfzig, Weinbauer Motz ſtraße; ich wurde aber ſtatt deſſen mit einem Doktor Richter verbunden. Bitte, welche Nummer war das?“

„Ich verbinde Sie jetzt mit Sechs- neunundzwanzig⸗ zweiundfünfzig,“ antwortete die monotone Stimme der Telephoniſtin aus dem Apparat.

„Nein!“ ſchrie Wolfgang in den Apparat hinein. „Das will ich nicht! Sch will wiſſen, mit welchem Doktor Richter ich verbunden war!“

„Mit welcher Nummer wollen Sie verbunden werden?“

„Gar nicht verbunden will ich werden! Sch möchte die Nummer kennen lernen, mit der Sie mich irrtümlich verbunden hatten Doktor Richter —“

„Es muß Doktor Richter, Augenarzt, Gentiner Straße, Telephonnummer Sechs - neunundzwanzig- dreiundfünfzig geweſen fein.“

„Ich danke ſehr. Bitte, noch einen Augenblick. Alſo Doktor Richter, Gentiner Straße, Telephon Sechs- neunundzwanzig-dreiundfünfzig?“

„Ja, ja.“

„Ich danke Ihnen.“

Wieder klang die Kurbel an, und als Wolfgang den

Hörer wieder anhing, erſchien ihm das Abläutezeichen wie Muſik.

Er mußte ſich erſt beſinnen, wo er war.

Dann war, als er aus der Zelle herauskam, ſein erſtes der Griff nach dem dicken Telephonadreßbuch. Kniſternd flatterten die Seiten. Dann fand er es: Doktor Richter, Gentiner Straße 56, Spezialiſt für Augenkrankheiten; Sprechſtunden 9 bis 10, 3 bis 4 Uhr.

1910. VII. 10

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Es bereitete Wolfgang eine Heine Genugtuung, zu ſehen, daß im Telephonadreßbuch unter den Adreſſen des Namens Richter nicht weniger als allein fünfzehn Arzte angegeben waren.

Wolfgang riß ſeine Uhr heraus. Es galt Eile, wenn er noch vor vier in der Gentiner Straße ſein wollte.

Erſt als die Autodroſchke ihn mit ſauſender Schnellig- keit durch die Potsdamer Straße trug, kam Wolfgang ſo etwas wie ein Bewußtſein ſeines Handelns und Vorhabens. Aber nichts als ein unbeſchreiblich frohes Lächeln hatte er ſich ſelber zur Antwort: es gab nichts zu überlegen und zu erwägen für ihn, er hatte eine Spur, und er folgte ihr.

Das Nächſte waren Vorgänge, ſo nüchtern und leer, ſo unbeſchreiblich belanglos, daß ſie Wolfgang ſozuſagen empörten. Mit dieſem Gefühl des Be— trogenſeins, der Empörung über die Inhaltloſigkeit des Geſchehens ſtand er nun in Doktor Richters Sprech- zimmer und mußte in einer Art ironiſchen Ingrimms Fragen beantworten, Vorſchlägen folgen, die doch nur töricht erſchienen, weil ſeine eigene Torheit ſie herausgefordert hatte.

Wolfgang war gerade vor Schluß der Sprechſtunde im Hauſe des Augenarztes angelangt, ein Dienſtbote hatte ihm geöffnet und ihn ins Wartezimmer geführt, und Doktor Richter war, da Wolfgang Dringlichkeit vorgegeben hatte, noch für ihn zu ſprechen geweſen. Ein älterer, etwas gewöhnlich ausſehender Herr hatte ihn ins Sprechzimmer gebeten, und nun befand ſich Wolfgang, ohne daß er beinahe ſelbſt wußte, wie, in einer Lage, die ihn geradezu fratzenhaft berührte.

„Nun,“ ſagte der Arzt jetzt, „ich kann mir nur vor- ſtellen, daß einerſeits das Leiden ein rein nervöſes iſt, oder —“

a Novelle von F. C. Oberg. 147

Dies „oder“ ſchien ewig unausgeſprochen bleiben zu ſollen.

Endlich fuhr der Arzt mit einem Anflug von Sronie fort: „Ein Fall, ohne Zweifel, deſſen Einfachheit ſeine Schwierigkeit ausmacht. Sie konnten alſo die kleinſte Schrift auf der Tabelle ohne Mühe leſen?“

„Ja,“ ſagte Wolfgang grimmig.

„Aber Sie behaupten, zuweilen Stechen, beſonders im linken Auge zu empfinden?“

„Ja, beſonders im linken Auge,“ log Wolfgang mit einer Ruhe, die ihm ſelbſt als bedenkliches Anzeichen eines bedeutenden Talents zum Lügen erſchien.

„Ich kann nur wiederholen, was ich ſchon ſagte,“ fing der Arzt wieder an. „Irgend eine Behand- lung der Augen iſt zwecklos, ſolange nicht beſtimmtere Symptome vorhanden ſind. Aber —“ und nun folgte eine Reihe von Vorſchlägen, die ſich auf allgemeine Geſundheits-, beſonders Nervenpflege bezogen, denen Wolfgang aber kein Gehör lieh.

Während er den aufmerkſamen Lauſcher heuchelte, dachte er in einem fort: Was ſoll ich jetzt tun? Was tue ich jetztꝰ

„Das einzige, wie geſagt,“ ſchloß nun Doktor Richter, indem er ſich von ſeinem Schreibtiſchſtuhl erhob, zum Zeichen, daß er die Unterſuchung als beendet be- trachte, „das einzige wäre, wenn Sie ſich nach Verlauf von vier oder acht Wochen oder einem Vierteljahr, Eile iſt vorläufig nicht geboten einmal wieder her- bemühen möchten. Vielleicht, daß ſich dann eher eine Handhabe finden ließe.“

„Zeit! Zeit! jetzt Zeit!“ So trommelten die Gedanken in Wolfgangs Hirn. Mit Zuvorkommenheit verabſchiedete er ſich von dem Arzt, um in der Nähe der Tür mit gut geſpielter Überrafhung vor einer

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kleinen Landſchaftsphotographie ſtehen zu bleiben. „Welch ausgezeichnete Anſicht von Edinburgh!“ ſagte er mit Intereſſe. „Sie kennen Edinburgh, Herr Doktor?“

Der Arzt muſterte den Patienten erſtaunt. „Ich war früher einmal dort,“ ſagte er kurz.

„Eine beſonders gute Aufnahme!“ bekräftigte Wolf- gang mit Wärme. „Nicht ſo das Übliche der Anſichten, die man alle bereits am zweiten Tage auswendig weiß, weil auf jeder von ihnen das Kaſtell ausſieht wie ein Seburtstagskuchen.“

Der Arzt war ganz ſchweigende Mißbilligung. Ein Menſch, der über eine Photographie zu ſchwatzen anfing, nachdem man bereits eine Viertelſtunde für ihn geopfert hatte!

„Dies iſt wirklich etwas ganz anderes,“ fuhr Wolf- gang fort mit jener harmloſen Beharrlichkeit, die mit- unter Kindern eigen iſt, die man zum Fortgehen ſtets erſt auffordern muß. „Dieſe Photographie gibt viel wieder von jener unbeſchreiblichen Stimmung, man kann faſt ſagen, von jener lyriſchen Dramatik, die über Edinburgh liegt. Haben Sie Edinburgh im Herbſtnebel geſehen, Herr Doktor?“ ſchloß Wolfgang, während er dachte: „Lieber Himmel, jetzt ſchleife ich ihn in Edin- burgh herum, und das wenigſte, was ich hätte tun können, wäre geweſen, das Geſpräch auf Rommerzien- rat Buſch zu bringen.“

Und mit Schrecken ward ihm bewußt, daß Edinburgh im Herbſtnebel und die Donnerstagsempfänge bei Kommerzienrat Buſch recht weit auseinanderliegende Dinge ſeien.

„Ja ja,“ wiederholte der Arzt mit einer geradezu bedrohlichen Gleichgültigkeit, „ich war früher ein- mal in Edinburgh und —“

Während dieſer Worte hatte ſich die Tür, neben der

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Wolfgang ſtand, geöffnet. „O Verzeihung!“ ſagte eine Stimme, und die Tür ſchloß ſich wieder.

Das Ganze war ſo bedeutungslos, wie ein ſolcher Vorgang nur ſein kann. Für Wolfgang hatte aber ſozuſagen die Welt in ihren Angeln geſchwankt. Die Stimme war es geweſen, die er gehört hatte, die Stimme des verlorenen Lachens.

Der Bruchteil eines Augenblicks war dennoch lang genug geweſen, Wolfgang erkennen zu laſſen, daß die Sprecherin eine ſchlanke, dunkelgekleidete Erſchei⸗ nung geweſen war, und von ihrem Geſicht war ihm der Eindruck geblieben, daß es blaß, ernſt und viel weniger jugendlich, als er erwartet haben würde, ſei, und daß graue, beſonders lebensvoll und feſſelnd er- ſcheinende Augen darin lebten. Waren ſie nicht hell und klar geweſen, aber mit dunklen Wimpern und unter ſchönen dunklen, edel und eindringlich gezeichneten Brauen?

„Ich komme ſofort, Zojephine,“ hörte Wolfgang wie im Traume Doktor Richter ſagen.

Mit plötzlicher Haſt verabſchiedete er ſich jetzt von dem Arzt. Aber als er über den Flur der Ausgangstür zuſchritt, fand er nichts mehr von der Geſtalt, die alle ſeine Sinne ſuchten.

Am Abend dieſes Tages geſchah viererlei.

Doktor Richter, Augenarzt in der Gentiner Straße, ſagte zu einer Dame, die er mit „Joſephine“ anredete: „Ich habe heute einen unleidlichen Patienten gehabt.“

Doktor Wolfgang Evers mietete ein möbliertes Zimmer in einer Familienpenſion, die im dritten Stoch des Hauſes Gentiner Straße 56 lag. Er mietete es auf vorläufig einen Monat, war von einer Unbeftimmt- beit in bezug auf die Dauer feines Bleibens und von

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einer Gleichgültigkeit gegen den Preis des Zimmers, daß die Inhaberin der Penſion, eine ſehr würdige Dame, tief bedauerte, nicht vierzig ſtatt zwanzig Mark aufgeſchlagen zu haben.

Doktor Felix Weinbauer in der Motzſtraße ſagte in großer Verſtimmung irgend etwas ſehr wenig Schmeichelhaftes über ſeinen Freund Evers, der ihn vergeblich hatte warten laſſen.

In einem der Telephonämter der Stadt Berlin aber wurde ein großer Strauß von Roſen, herrlichen Lafranceroſen, von einem der erſten Blumenbinder- geſchäfte abgegeben ein Strauß, an dem das Merk- würdige die Adreſſe war, die etwa lautete: „An jene Telephondame, die heute mittag kurz vor vier Uhr die Nummer 62,952 mit dem Anſchluß 62,953 verwechſelte.“ Ein Abſender war nicht angegeben.

Die Telephoniſtin, die von nun an die Bezeichnung „Nummer 62,952“ von ihren Kolleginnen erdulden mußte, fagte mit Überzeugung: „Der Menſch muß verrückt ſein!“

In Summa: es gab am Abend dieſes Tages vier ſehr unterſchiedliche Menſchen, die über einen und denſelben Mann aus ſehr unterſchiedlichen Gründen einer und derſelben Meinung waren: daß er entweder verrückt oder unleidlich oder beides ſei.

4. „Evers! Menſch! Mann! Dichter!“ ſtieß Bob Reininghaus hervor. „Biſt du es oder iſt es dein Geiſt?“ „Es iſt zwölf Uhr mittags, es iſt, wie ich feſtſtelle, höchſt profanerweiſe an der Bendlerbrücke in Berlin, es iſt, wie ich aus dieſen Umſtänden ſchließe, alſo nicht mein Geiſt, ſondern ich bin's ſelbſt!“ gab Wolfgang

lachend zur Antwort.

u Novelle von F. C. Oberg. 151

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Bob hatte ihn dieſe Worte reden laſſen, ohne da- zwiſchenzufahren, einfach weil ihm der Mund vor Staunen offen geblieben war.

„Evers, Menſch, ich denke, du biſt ſeit vier Wochen in Florenz! Ich gehe oft genug an deiner Wohnung in Wilmersdorf vorbei, ſehe, daß die Fenſtervorhänge zugezogen ſind, und wähne dich dort, wo die Zitronen oder dergleichen glühn! Und du ſtehſt jetzt hier!“ Dieſes letzte Wort ließ ſich an wie ein Gummiband, es wurde immer länger, wenn man noch ſo überzeugt war, nun ſei es zu Ende.

Wolfgang lachte. „Erſtens kommt's anders, zweitens als man denkt!“ antwortete er luſtig.

„Ja, Mann,“ beharrte Bob, „biſt du denn Detektiv? Oder was ſonſt, wenn ich fragen darf? Man hat doch nicht eine Wohnung von drei Zimmern, wenn man nicht darin wohnt, und man ſagt doch nicht zu ſeinen beſten Freunden, man geht nach Stalien, wenn man gar nicht hingeht!“

„Als ich ſagte, ich ginge nach Stalien, beabſichtigte ich, es zu tun,“ antwortete Wolfgang. „Aber komm,“ fuhr er fort, den Weg am Schöneberger Ufer einſchlagend, „haſt du Zeit, dann laß dir erklären, wie die Sache iſt.“

Da zeigte Bob Reininghaus ſich wieder in ſeiner eigenſten Liebenswertheit. Er blieb ſtehen und ſagte mit freundlicher Beſtimmtheit: „Erzähl nur los, Dich- ter; aber ſei überzeugt, du brauchſt keinen Ton von Erklärungen zu ſagen, wenn du etwa nicht magſt. Eine neugierige alte Frau bin ich nicht, und ich kann mich auch freuen, dich zu ſehen und zu ſprechen, wenn ich auch nicht weiß, woher und wieſo und warum ich plötzlich das Vergnügen habe.“

„Schon gut, Bob,“ gab Evers warm zur Antwort.

152 Das verlorene Lachen. Oo

„Ich weiß, du biſt ebenſo bange, andere Leute zu Indiskretionen zu veranlaſſen, wie fie ſelbſt zu begehen. Aber du biſt ja nun mal mein Beichtiger in der Sache, und wenn ich davon wieder anfange, ſo iſt's allerdings nicht gerade aus Beichtbedürfnis, ſondern eher aus dem Triumphgefühl heraus, dir beweiſen zu können, daß ich nicht ganz ſo hirnverbrannt bin, als du denkſt.“

Bob war aufmerkſam geworden. Er ſah den Freund aufrichtig überraſcht an. „Das Lachen?“ fragte er.

Wolfgang nickte. Es war ihm ſelbſt wohltuend, jetzt endlich wieder einmal über das zu ſprechen, was ihn ſo tief beſchäftigte, und was er doch mit niemand ſonſt teilte. So kam ihm dies Zuſammentreffen, das eine Erklärung, wenn nicht notwendig, ſo doch ſehr nahe- liegend machte, erwünſchter, als er ſelbſt erwartet haben würde.

So erzählte Wolfgang denn jetzt knapp, aber lebendig, was ſich in der Sache des verlorenen Lachens ereignet hatte, und Bob hörte zu, faſt ohne ein Wort dazwiſchen⸗ zuſagen.

„Alſo!“ machte er endlich, als Wolfgang ihm von ſeiner neuen Wohnung in der Gentiner Straße erzählte. „Das iſt es! Du toggenburgerſt in einer ſimplen Familienpenſion herum, während wir dich auf klaſſiſchen Pfaden, auf den Spuren großer Zeiten wähnen! Dichter, ſo etwas tuſt du? Aber weiter. Du biſt vier Wochen da, du wirft „Joſephine“ inzwiſchen ge- ſehen oder doch zum mindeſten über ſie gehört haben, wenn du fo lange in einem Haufe mit ihr wohnſt. Fit ſie die Frau dieſes Doktor Richter?“

„Scheinbar nicht,“ antwortete Wolfgang. „Aber laß dir nach der Reihe erzählen!“

u Novelle von F. C. Oberg. 153

„Ja, nach der Reihe!“ bekräftigte Bob ironiſch. „Es muß in Detektivgeſchichten immer nach I Reihe gehen,“

„Als ich das Zimmer in der Penſion Röding mietete, war's mehr im Impuls als in der Überlegung; aber ich ſagte mir dann natürlich gleich, daß ich deswegen nicht weniger frei ſei und nach Florenz noch immer gehen könne, wenn meine Spur ſich als falſch oder als nicht der Mühe wert erweiſen ſollte.“

Bob zog die Luft kurz und hörbar durch die ge- öffneten Lippen ein. „Phht!“ machte er. „Alſo doch eine Anekdote, Evers?“

„Meinſt du?“ fragte Wolfgang lächelnd. „Es mag immerhin noch ſein. Anekdoten kann man ja erzählen, wenn man der Pointe noch nicht ganz ſicher iſt, aber ein Roman, deſſen Ausgang man noch nicht weiß? Na, alſo. Du mußt wiſſen, daß das erſte Gefühl, das mich beherrſchte, nachdem ich jenen allzu flüchtigen Eindruck bekommen hatte, eigentlich nicht der Wunſch war, nun zunächſt zu wiſſen, wer fie fei, ſondern viel- mehr das Verlangen, ſie beſſer, deutlicher zu ſehen. Und darauf habe ich, nachdem ich dort eingezogen war, faſt eine Woche warten müſſen. Da endlich kam ich einmal mittags zugleich mit ihr und dem Doktor nach Haufe.“

„Enttäuſchung?“ fragte Bob, ohne allen Spott, ehrlich, leiſe. „Nicht jung und nicht hübſch?“

„Sie iſt weder das eine noch das andere, aber ſie iſt noch viel weniger das Gegenteil des einen oder des anderen,“ antwortete Wolfgang.

„Orakle das noch einmal!“ verlangte Bob, über deſſen Geſicht, ſobald er die Gewißheit empfand, daß es ſich um eine offenbare Enttäuſchung nicht handle, ſchon wieder helle Spottluſt flackerte.

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„Ich ging hinter den beiden,“ ſagte Wolfgang, „und ich ſah ſie ſehr deutlich. Ich glaube, Bob, nicht das allergenaueſte Eintreffen meiner Vermutungen über ihre Perſon hätte mich ſo erſtaunen, geſchweige ſo feſſeln können als das, was ich fand: ſie weder erfüllt noch widerlegt zu finden. Sie iſt, wie's ſcheint, nicht jung, oder beſſer, ſie iſt es nicht im gewöhnlichen Sinne; dem eigentlichen Ausſehen nach könnte ſie ſo gut zwanzig wie dreißig Jahre fein. Es ſcheint belang-, los, denn alles Helle, du weißt, all das Ungelebte das iſt nicht mehr auf ihrem Geſicht. In den Zügen iſt es von großem Reiz und wundervoll jung, aber der Ausdruck —“

„Sie hat den Roman in vier Bänden, den du nicht haſt, alter Zunge,“ ſagte Bob ironiſch. „Wäre nicht mein Fall!“

„Ich könnte ſtatt deſſen mit vier Romanen in einem Band aufwarten,“ gab Wolfgang gut gelaunt zurück. Dann fuhr er ernſter fort: „Sie iſt auch nicht hübſch. Irgend etwas iſt an ihr, das zu gut iſt für dieſen Aus- druck. Sie gehört zu den Frauen, Bob, die ſchwerlich viele Bewunderer finden, weil ſie zu gut dafür ſind, die aber einzelne Männer tiefer hinreißen als viele, viele Frauen, die ihnen an Schönheit weit überlegen ſind.“

„Sooo!“ machte Bob. „Wie Figura zeigt.“

Wolfgang fuhr, ohne auf dieſen Einwurf zu achten, fort: „Ich hörte fie mit dem Doktor ſprechen und hörte, daß ſie ſich gegenſeitig ‚du‘ und bei den Vornamen nannten.“

„Mann und Frau!“ beſtimmte Bob. „Schade, daß fie ihren vierbändigen Roman mit ſo einem —“

Wolfgang lachte auf. „Falſch, du Heide!“ ſagte er vergnügt. „Ich hörte von ihr: „Ja, Rudolf, ich habe das damals meinem Manne geſchrieben“ ſagen.“

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„Iſt das beſſer?“ beharrte Bob. „Ein Mann alſo doch, und noch ein „damals“ dazu! Du ſollteſt wiſſen, daß bei einer Frau ein „damals“ immer zwiſchen zwei Gedankenſtrichen ſteht. Übrigens,“ fuhr er ernſter fort, „weißt du denn gar nicht, wie ſie heißt, und in welchem Verhältnis ſie zu dem Doktor Richter ſteht?“

„Ich habe das iſt das einzige, was ich in all der Zeit erreicht habe vor vier Tagen zufällig gehört, daß ſie Schneidecke heißt.“

„Schneidecke!“ rief Bob. „Joſephine Schneidecke! Erlaube, das iſt ja gar kein Name! Klingt ja greulich! Gib's nur zu, Dichter, wenn nichts ſonſt dieſer Name muß ein Stoß für dich geweſen ſein.“

Wolfgang lachte. „Ja,“ gab er zu, „es geht mir wie dir, ich finde, es paßt nicht zum verlorenen Lachen. Darin war eine Silbernheit und ein Rhythmus von anderer Art als —“

„Erlaube mal, du Sherlock Holmes,“ forſchte Bob lebhaft, „biſt du deiner Sache überhaupt ſicher? Ich meine, haſt du eigentlich irgend einen Beweis? Dresden? Kommerzienrat Buſch? Oder haſt du ſie wenigſtens in Perſon einmal lachen hören?“ | „Nein,“ geſtand Wolfgang.

„Na und dann glaubſt du doch noch?“

„Es iſt merkwürdig,“ begann Wolfgang. „Wenn ich an mein Gefühl an dem Tag des Telephongeſprächs und der Unterſuchung bei Doktor Richter denke, ſo war es eine ſo unerſchütterliche Gewißheit, war der flüchtige Eindruck, den ich von ihr hatte, ſo feſſelnd, daß ich mich ſozuſagen am Ziele glaubte. Dies ganze, ſeltſame Zuſammentreffen, daß ich das verlorene Lachen noch einmal hörte, ohne es zu ſehen, und daß ich trotzdem auf ſeine Spur geriet das alles ſchien mir zu wundervoll für einen bloßen, blöden Zufall,

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und ich hielt meinen Glauben an die Sache bereits für herrlich belohnt. Was dann kam, war nicht eine Enttäuſchung nichts weniger als das! Und doch ich bin ſeit Tagen daran und darauf, vor dem Ende dieſer Sache einfach davonzulaufen. Vorläufig mußte mich die Frage, ob die Frau frei oder nicht frei ſei, gleich- gültig laſſen, ſolange ich nicht das beſtimmte Gefühl hatte, daß ſie mir wirklich etwas bedeuten könne. Und das eben ift es, worüber ich nicht ins reine komme. Ich habe fie in den vier Wochen vielleicht fünf- oder ſechsmal geſehen, nicht öfter. Immer aufs neue nahm mich dann die Anmut ihres Weſens gefangen glaube mir, Bob, wenn ſie auch zehnmal Schneidecke heißt. In ihrem Weſen iſt nichts, was dieſem Namen entſpricht, er paßt nicht zu ihr, ſo wenig wie zu ihrem Lachen. Aber das iſt es ja ich habe ſie niemals lachen hören, und ſchlimmer als das ſie ſieht nicht aus, als ob ſie viel lache. Aber ich kann nicht fort, es läßt mich nicht los! Manchmal denke ich, ich kenne fie ſchon lebenslang, obwohl das töricht iſt, denn ich kenne ſie nicht. Vielleicht narrt mich eine Ahnlichkeit, von der ich aber auch nicht weiß, auf weſſen Koſten ſie ſein könne. So oder ſo, ganz gleich es iſt irgend etwas, und ich brauche ſie nur geſehen zu haben, dann packt mich, allen Widerſprüchen zum Trotz, faſt ſo etwas wie Gewißheit —“

„Evers,“ ſagte Bob ernſt, „verlier dich nicht! Hab doch ein klein wenig Mut und einen Tropfen kaltes Blut! Dann mußt du dir doch jetzt ſagen, daß die ganze Sache total haltlos iſt. Wirklich, ich begreife dich nicht! Ein ſcharmantes Abenteuer mit einer ſchönen Frau, das da abbricht, wo es eigentlich erſt anfangen würde das hätte ich von dir verſtanden; oder eine wirkliche Liebesſache mit einem Mädchen

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wie dem, von dem du ſo ein wenig geträumt haſt. Aber dieſe Sache, die ſo abſcheulich nüchtern und langweilig iſt! Siehſt du das denn nicht ein? Frau Zoſephine Schneidecke, im beſten Falle Hausdame, Schweſter oder fo was von einem Augendoktor in der Gentiner Straße! Evers, Menſch, wenn man dir das hätte vorausſagen können, du hätteſt jeden ausgelacht, der von dir erwartet hätte, du würdeſt ſo etwas noch ernſt nehmen! Pack deine Sachen zuſammen und geh nach Florenz!“

Wolfgang antwortete nicht. Es gab eine Pauſe. Endlich begann er wieder: „Denkſt du denn, Bob, ich habe mir ſolche Reden nicht ſchon ſelber gehalten?“

„Warum befolgſt du ſie dann nicht?“ gab Bob faſt ärgerlich zurück.

„Ja, warum —“

Das war ein Ton, der Bob überraſcht aufſehen machte.

„Ja, warum?“ wiederholte nun auch er.

Dann gab es wieder eine kurze Pauſe, in der ſozuſagen dieſe Frage immer noch nachklang.

„Kurz, Evers, ſei geſcheit!“ zerriß Bob jetzt das Schweigen. „Morgen fährſt du ab, und heute ſieh dir noch einmal an, wie viele ſchöne Frauen es in Ber- lin gibt. Heute iſt übrigens Donnerstagabend bei Buſch.“

„Das iſt es bei anderen Leuten auch,“ antwortete Evers ſpöttiſch. „Dank dir für all deine Mühe,“ ſetzte er freundlich hinzu. „Ich wollte ſelbſt, ſie hätte beſſeren Erfolg.“

„Alſo dann wie ſchon einmal meine beiten Wünſche, oder richtiger wohl: meine aufrichtige Teil- nahme. Frau Buſch werde ich fragen, ob ſie das Vergnügen hat, Frau Joſephine Schneidecke zu kennen. Ich freue mich ſchon auf ihr Geſicht.“

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„Flirte nicht zu viel mit der kleinen Mövies!“ riet Wolfgang wohlwollend.

„Ach die!“ lachte Bob. „Die iſt ſchon die dritt verfloſſene, Evers. Ich habe weniger Geduld als du, du Ritter Toggenburg von der Frau mit dem Feld- webelnamen!“

Dann gingen ſie auseinander, einer den anderen ſeinem Kopfſchütteln überlaſſend.

5.

„Dieſe Welt iſt die langweiligſte und unvoll- kommenſte, die denkbar iſt,“ dachte Wolfgang Evers, als er ein paar Tage ſpäter die Treppen zu ſeiner Wohnung in der Gentiner Straße hinaufſtieg. „Dieſes Haus brennt weder ab, noch ſtürzt es ein; Joſephine wird weder im Haus noch auf der Straße überfallen ja, das wenigſte, was man vom Schickſal verlangen könnte, ſcheint bereits zu viel: ſie verliert nicht einmal auf der Treppe etwas, das man ihr nachbringen könnte.“

Vor der Tür zur Rödingſchen Wohnung ſtand wartend ein ſehr eleganter junger Mann, der, ſobald er Wolfgangs anſichtig wurde, den Hut zog und höflich mit einer etwas ſchnarrenden Stimme fragte: „Ver- zeihung, vielleicht können Sie mir ſagen, ob Frau Nina Keller in dieſem Hauſe wohnt?“

Wolfgang wollte ſchon ablehnend antworten, jedoch Frau Röding, die würdige Dame, die Wolfgang deshalb ſtets ein bißchen ſcheel anſah, weil ſie das Gefühl nicht verwinden konnte, durch ihn um zwanzig Mark ärmer zu ſein dieſe würdige Frau Röding hatte inzwiſchen die Tür von innen geöffnet, und Wolfgang hörte ſie ſagen: „Sie ſuchen Frau Nina Keller? Za, meinen Sie vielleicht Frau Foſephine Schneidecke? Der

2 Novelle von F. C. Oberg. 159 Poſtbote ſagt nämlich, daß ſie eigentlich Frau Keller heißt, das heißt, eigentlich heißt ſie Frau Schneidecke, aber ſie ſoll ja vor kurzem geſchieden ſein, und ſeitdem heißt ſie nun wohl wieder Keller, wie das wohl früher der Fall war.“

Der Elegante wurde ſehr ſteif. „Ich ſuche Frau Nina Keller,“ ſagte er mit einer eiſigen Würde, als habe man eine Obſtverkäuferin etwa ſtatt der Königin von England für die Dame angeſehen, die er ſuche. Er lüftete ſeinen Zylinder mit der ſichtlichen Miene, dies tue er nur um ſeiner ſelbſt und nicht um ſo plebejiſcher Leute willen, und wandte ſich zum Gehen.

„Ja ja!“ rief Frau Röding ihrerſeits aufs tiefſte beleidigt hinter ihm her. „Frau Schneidecke, das ſage ich ja! Die wohnt bei Doktor Richter unten.“

Wolfgang, der nun eintrat, hemmte ihre Worte für den Bruchteil eines Augenblicks.

Kaum aber war er innerhalb der Tür, als Frau Röding, zu ihm gewandt, mit einer ungeheuer mora- liſchen Würde begann: „Es iſt doch zum mindeſten merkwürdig, Herr Doktor. Bis vor zwei oder drei Wochen iſt dieſe Dame ſie iſt mit dem Doktor Richter verwandt und führt ihm wohl das Haus Frau Schneidecke geweſen; und nun iſt die Scheidung voll- zogen, ſagt der Poſtbote, hat das Mädchen geſagt, und ſie iſt mit einem Male Frau Keller. Das iſt ihr Mädchen- name, ſagt der Poſtbote, hat das Mädchen geſagt.“

„Das pflegt man in ſolchen Fällen zu tun,“ ant- wortete Wolfgang ſo höflich, wie er konnte, indem er ſich Mühe gab, mit dem Ausdruck möglichſten Unbeteiligt- ſeins in ſein Zimmer hineinzugehen.

Frau Röding ſah ihm mißbilligend nach und wieder- holte im ſtillen jenes Urteil über ihn, das ſie bereits am erſten Tage über ihn gefällt hatte. |

160 Das verlorene Lachen. oO

Als Wolfgang die Tür feines Zimmers hinter fich geſchloſſen wußte, blieb er ſtehen und tat einen ganz tiefen Atemzug. „Nina Keller!“ ſagte er. „Nina Keller!“ Und das ganze Zimmer ſchien ihm ein Widerhall Nina Keller! Das war's! Das war derſelbe Rhythmus, war jener Klang und Glanz, der in dem Lachen lag.

Und plötzlich durchzuckte ihn eine Erkenntnis ſo jäh, ſo grell und doch ſo völlig vertraut.

„Nina Keller!“ jauchzte es in ihm. Ja, nun wußte er mit einem Male alles wieder und ſah alles wieder vor ſich.

Er war ein Junge, ein großer tolpatſchiger Junge von vierzehn oder fünfzehn Jahren, in jenem un- leidlichen Alter du lieber Himmel, wie lange das ſchon her war!

Sommer war's und in einem großen Garten. Seine kleine Schweſter gab eine Kindergeſellſchaft. Viele Buben und Mädchen hatte man eingeladen, und eine, eine ganz kleine, zierlich zarte, die hatte blondes Haar gehabt und hatte ſo viel gelacht. Und ſo viele bunte Spiele hatte es gegeben zuletzt ein Wett- laufen. Und er, Wolfgang, hatte die großen Zungen unter ſein Kommando genommen und ihnen geſagt, man müſſe die Kleinen für ſich laufen laſſen und die Großen auch für ſich. Die Kleinen zuerſt. Die Großen zogen zwei Striche in den Sand des großen Spiel- platzes unter den Kaſtanien, der eine Strich war der Start, und der andere ſollte das Ziel ſein. Wolfgang ſchickte die eine Hälfte der Großen nach unten, die ſollte am Start aufpaſſen, und er mit der anderen Hälfte ſtand am Ziel und wollte achthaben, wer ſiegen würde. Dann kamen ſie die kleinen Mädel, zuerſt wie eine große Wolke dann löſten die vorderen ſich eine,

a Novelle von F. C. Oberg. 161

eine ihnen bald allen voran, ſie flog wie ein Federlein oder wie ein Flöckchen da!

Wolfgang fing ſie auf.

„Nina Keller!“ ſchrie er, ſo laut und ſo tief er konnte. Seine Stimme war damals im Wechſeln geweſen, und ſie hatte zuweilen ſehr, ſehr tief geklungen.

„Nina Keller!“ brüllten die anderen Zungen am Ziel.

„Nina Keller!“ kam es dann auch von unten herauf, und die Startwächter trabten heran und wollten die Siegerin ſehen.

„Nina Keller!“ riefen die Mädchen. „Nina Keller!“ ſagten alle Kinder, tiefe und hohe Stimmen, laut und leiſe; der ganze Garten war voll von der Muſik dieſes einen Namens.

Wolfgang ſtand und hatte noch immer ſeinen Arm um das feine kleine Ding gelegt, als habe er teil an ihrem Sieg. Sie hatte blondes Haar, und in ihrem zarten Geſicht lebten graue Augen, helle graue Augen, die aus einem Grunde, der ihm nicht erinnerlich ge- blieben war, unbeſchreiblich feſſelnd und lebensvoll erſchienen. Sie waren hell und klar, aber unter dunklen Wimpern und unter eindringlich gezeichneten edlen dunklen Brauen.

Doktor Wolfgang Evers legte ſich die Hände gegen ſeine Stirn. Wie das lebte! Alles das von damals! Wie das lebte! Daß er das hatte vergeſſen können! Aber nein, er hatte es ja nicht vergeſſen. Sein Hirn wohl, nicht ſein Herz. Das hatte darauf geantwortet, immer wieder, wenn die feine ſilberige Spur jenes erſten frühen Erlebens ſein Leben wieder geſtreift hatte. Damals in Dresden zuerſt. „Wieviel klüger das Herz iſt als das Hirn!“ dachte er lächelnd.

Aber in dem großen Garten war das Wettrennen

1910. VII. 11

162 Das verlorene Lachen. on

weitergegangen. „Zetzt wir Großen!“ hatte Wolfgang geſagt. „Und alle Kleinen ſollen am Start ſtehen, an jeder Seite vom Start eine Hälfte, und aufpaſſen. Nur Nina Keller, die ſoll am Ziel ſtehen und ſehen, wer zuerſt kommt.“

Dann hatten alle die großen Zungen in einer Reihe geſtanden, und an den zwei Enden der Reihe wie zwei bunte Quaſten je ein ganzes Flöckchen der Kleinen. Von drüben aber leuchtete Ninas weiße kleine Geſtalt.

gemand von den Kleinen hatte das ſchrecklich ehren- volle Amt, zu zählen: Eins, zwei drei!

Noch jetzt erinnerte Wolfgang ſich des Gefühls, daß er damals gemeint habe, er hätte Flügel. So frei, ſo leicht, ein fo ſieghaftes Daherbrauſen war das Laufen geweſen.

Er hielt genau vor dem Ziel inne, und Nina ſchien auch gar nicht gefürchtet zu haben, er würde über ſie herrennen.

Sie ſtreckte ihm ihre Arme hin, den Kopf in den Nacken biegend und über dem ganzen Geſicht ein namenloſes Leuchten.

Und als ſeine und ihre Hände nun ineinander faßten, als zwänge ein Magnet ſie zuſammen da hatte ſie gelacht.

Dann hatte fie mit ihrer Stimme, die bei aller Kind- lichkeit ſchon wundervoll zart und beſonders in der dunklen Färbung voll merkwürdigen Klangreichtums geweſen war, ſeinen Namen gerufen.

„Wolfgang!“

Nur den Vornamen. Sie konnte nicht laut rufen, aber ihre Stimme trug dennoch wunderbar weit.

Sie hatte nur den Vornamen gerufen.

Doktor Wolfgang Evers ſtand noch immer mitten

1 Novelle von F. C. Oberg. 163

in ſeinem Zimmer. Was würde die würdige Frau Röding von ihrem Mieter, um deſſentwillen ſie ſich für um zwanzig Mark ärmer hielt, geſagt haben, wenn ſie ihn ſo, länger als eine halbe Stunde, regungslos in Hut und Überzieher in der Mitte ſeines Zimmers hätte ſtehen ſehen?

6.

Das Mädchen, das „gejagt hatte, fagt der Poſtbote“, öffnete die Tür und ſah auf Wolfgangs Frage, ob die gnädige Frau zu ſprechen ſei, ſehr unſchlüſſig aus.

„Eben war ſe nich zu ſprechen. Ich wer' mal ſehen,“ ſagte ſie zögernd.

Wolfgang gab dem Mädchen ſeine Karte und ſagte knapp: „Bitte, melden Sie mich!“

Gleich darauf kam das Mädchen zurück, auf dem Geſicht einen neugierigen Ausdruck des Erſtaunens. „Die gnädige Frau läßt bitten,“ ſagte ſie.

Das Zimmer, in das Wolfgang eintrat, war hell und einfach. Es war alles darin ſchlicht und von großer Klarheit. Wolfgang war es, als ſage der ganze Raum in einem fort den einen Namen: Nina Keller. Da kam Nina herein.

Sie trug ein dunkles Kleid, und das hob die zarte Helle ihres Kopfes merkwürdig. Auf ihrem Geſicht, in dem die Augen Wolfgang unbeſchreiblich lebens voll erſchienen, lag ein Ausdruck zurückhaltender Frage. In der Hand trug ſie Wolfgangs Karte.

Wolfgang machte einen Schritt auf ſie zu in der impulſiven Vorausſetzung, ſie werde ihm die Hand geben.

Aber das geſchah nicht.

„Gnädige Frau,“ ſagte Wolfgang nach einer ſehr förmlichen Verbeugung, „ich bitte um Verzeihung wegen

164 Das verlorene Lachen. u

der Kühnheit, Sie aufzuſuchen. Aber ich bin Ihnen, wenn es Ihnen auch vielleicht zuerſt ſo erſcheint, kein ganz Fremder, und ich komme, um Ihnen Grüße zu bringen —“

„Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Doktor?“ ſagte Frau Keller, die ſich geſetzt hatte.

Der Ausdruck müder Traurigkeit, den Wolfgang an ihr kannte, war von ihrem Geſicht gewichen; ſie ſah freundlich aus, und es ſchien Wolfgang, als verſuche ſie, ſich auf etwas zu beſinnen.

„Gnädige Frau,“ begann Wolfgang, als er ihr gegenüberſaß, „erinnern Sie ſich aus Ihrer Kinderzeit einer Freundin in Nortum ?“

„Nortum?“ wiederholte Nina. „Das war ja das kleine Städtchen in Norddeutſchland, in dem meine Eltern einmal einen Sommer lang wohnten, bevor mein Vater nach Hamburg —“ Sie unterbrach ſich, indem ſie die Beſuchskarte wieder zur Hand nahm, die ſie auf ein Tiſchchen, das ihrem Seſſel zur Seite ſtand, gelegt hatte, den Namen las und dann aufmerkſam und fragend zu Wolfgang hinüberſah.

Zedes Wort ihrer Stimme trank Wolfgang in ſich hinein. Es erſchien ihm faſt wie ein Traum, daß er jetzt hier vor ihr ſaß und ihre Stimme immerfort hören durfte.

„Meine Schweſter, Gertrud Evers —“ begann Wolfgang.

„Gertrud Evers!“ fiel Nina lebhaft ein. „Nun erinnere ich mich! O, natürlich! Das war ja dort, wo der wundervolle große Garten war —“ Sie ſtockte, und wieder ſah ſie Wolfgang in unbewußter Frage an.

Da vergaß Wolfgang alles. „Und das Wett- rennen —“ entfuhr es ihm.

Nina antwortete nichts.

2 Novelle von F. C. Oberg. 165

Sie nickte, unmerklich faſt und ſchmerzlich, und mit blaſſem, ernſt gewordenem Geſicht. Langſam ſtieg ein Rot ihr darin auf. f

„Das iſt ſo, ſo lange her,“ ſagte ſie endlich leiſe und einfach. „Mir iſt, als gehöre das gar nicht mehr zu mir, oder ich nicht mehr dazu ſo lange, ſo lange iſt es her.“ Dann gewann ſie mehr Ruhe und ſagte mit freundlicher Reſerviertheit: „Wie geht es Ihrer Schweſter Gertrud, Herr Doktor? Als meine Eltern aus Nortum fort- gingen, nahmen Gertrud und ich, die wir trotz des Altersunterſchiedes große Freundſchaft geſchloſſen hatten die tüchtige, ältere und praktiſche Gertrud war mir damals ſehr verehrungswürdig da nahmen wir alſo herzzerreißenden Abſchied. Wir verloren uns aber bald völlig aus den Augen und —“

„Gnädige Frau, meine Schweſter iſt ſeit drei Jahren verheiratet in Nortum mit einem Arzt, der meines Vaters Praxis übernahm. Sie wohnen jetzt im Hauſe meiner verſtorbenen Eltern, und Gertruds Kinder ſpielen jetzt unter den großen Kaſtanien.“

Nina lächelte. „Wir ſind alt geworden,“ ſagte ſie.

Wolfgang nahm alle ſeine Vorſätze auf einmal zuſammen. „Gnädige Frau,“ ſagte er entſchloſſen und mit Betonung, „erinnern Sie ſich noch des Wett- rennens?“

Nina ſah ihm in die Augen.

Er empfand, daß ſie ihn verſtand.

„Ja,“ ſagte fie offen und feſt.

„Als ich Ihren Namen erfuhr ich wohne in dieſem Hauſe —“ ſchaltete Wolfgang ein, und Nina nickte leicht, als wolle ſie beſtätigen, daß ſie dieſes wiſſe, „als ich heute durch einen Zufall Ihren Namen erfuhr, da ward jene ferne Kinderzeit plötzlich wieder Leben und Wirklichkeit, und Sie können ſich nicht vorſtellen,

166 Das verlorene Lachen. 2

was für ein ſonderbarer Gedanke es mir war, plötzlich mich einem Menſchen ſo nahe zu wiſſen, mit dem ich geſpielt hatte unter den großen Kaſtanien, in einer Zeit, die auch für mich ſo ferne liegt, als gehöre ſie gar nicht mehr zu meinem jetzigen Leben, oder dieſes nicht zu ihr.“

„Aber,“ wandte Nina impulſiv ein, „Sie waren faſt nie in Nortum, als wir dort waren. Zch erinnere mich nur des einen Males, als Sie bei dem Wett- rennen —“

„Das war auch das einzige Mal, gnädige Frau. Ich war damals auf dem Gymnaſium und nur ſelten zu Hauſe. So iſt es geblieben: ich bin noch immer, wenn man ſo ſagen will, auf dem Gymnaſium, das heißt irgendwo in einem Leben und mit einem Leben, das Nortum ſehr fern und ſehr fremd iſt. Aber zuweilen, in ſehr ſtillen Sommertagen oder zu Weihnachten, dann komme ich auf ein paar Tage wieder nach Nortum und in den großen Garten, und wenn ich auch ganz gewiß nicht meine, daß ich dort zu Hauſe bin, ſo habe ich doch dann jedesmal das Gefühl, als hätte ich irgend etwas verloren, das der große Garten fo lange für mich auf- heben wird, bis ich es finde.“

„Es muß ſehr ſchön ſein, mitunter einmal in einen fo großen Garten gehen zu können,“ fagte Nina ge- danken verloren. „Meine Eltern hatten niemals einen Garten ſo einen richtigen großen Garten mit alten Bäumen und großem Rafen. Irgend ſo ein ungemüt- liches grellbeſonntes Fleckchen wohl, deſſen ganzer Wert in einer „Laube“ gipfelte, ein muffiges, aus grünen Staketen gezimmertes und von Blättern über- wachſenes Ding. Später, in Hamburg hatten wir auch nicht einmal das mehr, und als meine Mutter ſtarb —“

„Gnädige Frau,“ ſagte Wolfgang ernſt, „ich hatte das beſtimmte Gefühl, daß wir beide, Sie ſo gut wie

a Novelle von F. C. Oberg. 167

ich, den großen Garten, jene eine Stunde längſt ver- loren hätten verloren, aber nicht ganz vergeſſen. Der Wunſch, das von Ihnen beſtãätigt zu finden, brachte mich zu Ihnen.“

„Es iſt ſeltſam,“ ſagte Nina, ohne ihn anzuſehen. „Ich denke, ich habe das geträumt alles das von dem Garten, in dem wir damals ſpielten. Aber da kommen Sie und ſagen, daß Ihnen dasſelbe geträumt hat.“ Sie ſah ihn voll und ruhig an. „Da muß es dann wohl wahr ſein. So kommt es, daß man fremde Leute eigentlich —“

„Daß man fremde Leute eigentlich beſſer kennt als viele bekannte, die einem ſtets fremd bleiben.“

Nina lachte leiſe auf ein klein wenig ſchmerzlich.

Es war nur ſehr leiſe, ſehr kurz geweſen, dieſes Auf- lachen, und doch ! Wolfgangs Blick hing leuchtend an ihr, und feine ganze Seele hatte dieſem leiſen, ſo namen- los holden Lachen gelauſcht. Jene ſprühende, glänzende Herzlichkeit, die hatte nicht darin geleuchtet; es war verſchleiert und verändert und dennoch dasſelbe Lachen das verlorene Lachen, das ihm gehörte, und das der große Garten ihm aufbewahrt hatte. „Wann werde ich ihr wohl von dem verlorenen Lachen erzählen?“ ging es ihm durch den Sinn. „Wenn ich es ganz wieder- gefunden habe, wenn es ganz mir gehört,“ gab er ſich zur Antwort.

Laut ſagte er: „Sie lachten ſo luſtig damals, als Sie am Ziel ſtanden und mich bewillkommneten.“

Nina ſchien alles lebendig vor ſich zu ſehen. Er empfand es daran, wie in ihren lebensvollen Augen ein ſo helles Erinnern aufleuchtete.

Und wieder lachte ſie, aber wieder leiſe, verſchleiert.

„Ich erinnere mich gut,“ ſagte fie lebendig. „Ich habe es zwar vergeſſen gehabt, aber jetzt weiß ich alles

168 Das verlorene Lachen. 2

wieder ſo merkwürdig genau, obwohl ich ſchwerlich älter als neun Fahre geweſen bin. Ich war ſo froh und ſo ſtolz, denn als Sie nun auf Ihrer Linie ſiegten, da meinte ich, daß ich ganz genau ſo viel gekonnt hätte wie dieſer große Junge.“

Sie ſahen ſich unwillkürlich an, und dann lachten ſie beide.

Und diesmal war von Ninas Stimme das Band geſprungen, das ihres Lachens volle Schönheit gefeſſelt hatte, und es klang ganz ſo, wie Wolfgang es kannte, wie er es lebenslang kannte.

Nina war wieder ernſt geworden. „Ich habe nie- mals wieder in einem Wettrennen mitgeſpielt,“ ſagte ſie. „Und ich fürchte, ich wäre auch niemals wieder Siegerin geworden.“

Volfgang ſah fie an. Und plötzlich empfand er, was Bob ſo ſchonungslos ausgedrückt hatte: daß dieſe Frau eine Vergangenheit beſaß, die zwiſchen Gedankenſtrichen ſtand. Er empfand es wie Raub. Ihm war, als wäre alles ein großer, nutzloſer Umweg, was dieſe Frau . ihn, was er ohne ſie erlebt hatte.

„Gnädige Frau,“ ſagte er aufſtehend, vich bitte Sie bitte Sie, weil ich es zu tun wage nur in dem Ge- danken an unſere glückliche Stunde in dem großen Garten: darf ich wiederkommen?“

Nina war aufgeſtanden. Auf ihrem Geſicht lag ein ſehr ernſter, trauriger Ausdruck. Sie ſchüttelte leiſe den Kopf und bot ihm die Hand.

Er nahm ſie und hielt ſie einen Augenblick feſt in der ſeinen.

„Es war ſo ſchön,“ ſagte Nina, „daß ich mich ganz unvermutet für ein paar Augenblicke in den großen Garten zurückfinden konnte. Aber gerade deshalb: ich möchte es ſo behalten. Und das könnte ich doch

2 Novelle von F. C. Oberg. 169

nicht, wenn Sie wiederkommen. Denn dann würden Sie ſchon das nächſte Mal der Herr Doktor Evers ſein, den ich gar nicht kenne, und nicht mehr der große Zunge, mit dem ich unter den Kaſtanien in dem großen Garten ſpielte. Und ich wäre für Sie nicht ach, gar kein bißchen mehr die luſtige kleine Siegerin von damals, ſondern ſchon bald eine Frau, die —“

Sie brach ab und ſchüttelte noch einmal den Kopf.

Dann aber, wie von einem neuen Gedanken gefaßt, ſah ſie ihn an eine Frage in ihren lebendigen Zügen. „Ich verſtehe noch immer nicht ganz, wie es überhaupt gekommen iſt,“ ſagte ſie. „Ihre Schweſter ſchickt Sie nicht. Sie würde ſich wohl auch kaum noch meiner erinnern. Sie kamen alſo, weil Ihnen mit dem Namen die ganze Geſchichte, die doch im Grunde überhaupt keine Geſchichte iſt, einfiel nicht wahr?“

„Es war der Name,“ ſagte Wolfgang einfach.

Nina nickte. „Sehen Sie?“ ſagte ſie. „Laſſen Sie den Namen mit der Geſchichte zuſammen. Das beides gehörte zuſammen. etzt können wir es nicht wieder lebendig machen. Wir müſſen es laſſen, dann bleibt es uns, und nichts Neues, Nüchternes kann es zunichte machen. Grüßen Sie den großen Garten, wenn Sie ihn wiederſehen. Ich danke Ihnen, daß Sie kamen.“

Sie gab ihm noch einmal die Hand das Zeichen, daß er gehen ſolle.

Wolfgang nahm die Hand, hielt ſie feſt und ſagte: „Es tut mir ſehr, ſehr leid, gnädige Frau, daß die Er- innerung an den großen Zungen und den Garten Ihnen ſo viel wert iſt, daß Sie fürchten, der Mann könnte Ihnen zu wenig ſtatt deſſen geben.“

Nina war rot geworden. „Sie hätten mich recht verſtehen ſollen,“ ſagte ſie ſchlicht. „Ich dachte nicht an eine Ernüchterung, die ich erleben, ſondern nur an

170 Das verlorene Lachen. 2

die, die ich bereiten würde.“ Als habe ſie zu viel geſagt, fuhr ſie, indem ſie ihre Hand aus der ſeinen zog und den Blick mit ſchmerzlicher Schärfe auf irgend etwas Gleichgültiges heftete, fort: „Ich lebe, ſeit meine Scheidung eingeleitet wurde es iſt jetzt ein Jahr her hier in Berlin bei dem Manne meiner ver- ſtorbenen Stiefſchweſter. Er iſt kein froher Menſch, aber ich danke ihm viel. Er war der einzige, der zu mir ſtand, der mir half. Mein Vater und ſeine zweite Frau haben mich verheiratet, als ich eben neunzehn Jahre alt war ein Kind, das ohne eine Ahnung war von dem, was man es tun ließ. Ich habe zwei Jahre in dieſer Ehe aushalten müſſen, bis ich wenigſtens auf Erfolg meines Scheidungsgeſuchs hoffen konnte. In ſo einer Zeit geht vieles in Scherben. Wenn man alle Lebenswerte erſt dadurch kennen lernt, daß ſie einem genommen werden —“

Sie hielt einen Augenblick inne, immer noch den gleichen ſchmerzlich geſammelten Ausdruck in den Zügen.

Dann hob fie den Kopf und ſah Wolfgang ruhig und ernſt an. „Von Nina Keller iſt nicht mehr viel geblieben, ja kaum der Name, denn der iſt ja auch nur ſcheinbar wieder der meine.“

„So bitte ich Sie,“ ſagte Wolfgang ernſt, „um etwas anderes als das, das ich mir zuerſt erbat. Jener kleinen Nina Keller, die ich nicht vergeſſen hatte, danke ich es, daß ich Sie, gnädige Frau, fand. Mehr will ich von der kleinen Nina Keller, die da am Ziele ſtand und lachte, als ich kam, nicht. Aber die, die ich durch ſie fand, von der erbitte ich mir die große Gunſt, wiederkommen zu dürfen, nicht als einer, der Altes wiederfinden möchte, ſondern nur als einer, der Neues ſucht, weil ihn das Neue noch viel, viel köſtlicher dünkt als das Alte.“

ao Novelle von F. C. Oberg. 171

Er hatte ihre Hand in die ſeine genommen, und ſie ließ ſie ihm.

Ein ſonderbarer Ausdruck lag auf ihrem Geſicht, das ſie wieder geſenkt hielt und in das langſam ein leiſes Rot ſtieg. „Kommen Sie alſo wieder!“ ſagte ſie einfach.

7.

Frau Rödings Mißfallen an ihrem Mieter, um deſſentwillen ſie ſich um zwanzig Mark ärmer fühlte, wandelte ſich plötzlich in eine jähe Sympathie. Der Grund hierfür war jedoch faſt ein ſchmerzlicher: Doktor Wolfgang Evers zog aus, und zwar bereits am nächſten Tage, aber er bezahlte, obwohl es erſt am Dritten des Monats war, den vollen Penſionspreis für den ganzen Monat.

Als Bob Reininghaus am nächſten Tage im Vorbei- gehen an den wieder blank blinkenden Fenſtern in Evers’ Wohnung erkannte, daß dieſer wieder dort ſei, fühlte er ſich verpflichtet, ihm einen Willkommenbeſuch zu machen.

Wolfgang empfing ihn ſehr aufgeräumt und ſehr vergnügt. Er erzählte lebhafter, als es gewöhnlich ſeine Art war, von allerlei unperſönlichen Dingen, während ſein Beſuch, ſeinerſeits einſilbiger als gewöhnlich, in einem der großen tiefen Klubſeſſel Bobs Stamm- platz vergraben ſaß.

„Schön, Evers,“ ſagte Bob endlich, als ſie eine ganze Zeitlang zuſammen geredet hatten, ohne aber nur mit einer Silbe die Gentiner Straße oder irgend etwas, das mit ihr zuſammenhing, erwähnt zu haben, „ich muß jetzt gehen.“

Wolfgang bedauerte dies ſehr höflich.

Schon in Hut und Überzieher blieb Bob noch einmal ſtehen. Mit einem unbefchreiblich ſpitzbübiſchen Ge-

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172 Das verlorene Lachen. 2

ſichtsausdruck ſagte er: „Ehe ich es vergeſſe: Frau Buſch bedauerte lebhaft, ſich durchaus nicht zu erinnern, je eine Frau FJoſephine Schneidecke kennen gelernt zu haben.“

Wolfgang lachte ſo luſtig, daß Bob geradezu beſtürzt ausſah.

„Frag ſie doch,“ ſagte Wolfgang, „ob ſie ſich er- innert, Nina Keller gekannt zu haben.“

„Nina Keller?“ fragte Bob geſpannt. „Wer iſt das?“

„Das iſt alles, was ich heute ſage,“ antwortete Wolfgang ausgeſucht liebenswürdig.

„Venig genug!“ murrte Bob.

„Schließ aus dem wenigen, wieviel ich verſchweige!“ gab Wolfgang lachend zur Antwort. Dann ſetzte er hinzu: „Nach Florenz gehe ich jetzt nicht, Bob. Aber aus der Gentiner Straße bin ich fort. Alles andere ſpäter; du weißt: Romane, deren Ausgang man noch nicht kennt —“

Bob drückte ihm die Hand. „Dichter,“ ſagte er warm, „ich wünſch' dir alles Gute!“

Etwa drei Monate ſpäter, als hellleuchtende Zuni- ſonne über Berlin ſtand, gingen ein Herr und eine Dame am Tiergartenufer entlang, draußen bei den Schleuſen.

Der Herr hatte eine ziemlich lange Geſchichte er- zählt, der die Dame, ohne ihn zu unterbrechen, zugehört hatte; jetzt war er gerade damit fertig.

Er und die Dame blieben ſtehen und ſahen ſich in die Augen. |

Aber die Dame antwortete auf die lange Geſchichte nur ein einziges Wort: „Wolfgang —!“

Da nahm er ſie in ſeine Arme und küßte ſie.

„Mein Geliebtes,“ ſagte Wolfgang, „ich habe dir

a Novelle von F. C. Oberg. 173

die Geſchichte des Lachens, das verloren war, und wie es gefunden wurde, nicht eher erzählen wollen, als bis ich wußte, daß es nun für immer mein ſein würde.“

„Es iſt merkwürdig,“ begann Nina, „ich erinnere mich der beiden Male des Lachens ſehr genau. Dresden! Mehr als vier Jahre iſt es her Wolfgang, mir iſt, als hätte ich ſpäter nicht viel mehr gelacht. Der Abend bei Buſch war im Herbſt darauf, in dem Herbſt, als ich mich dann kurz vor Weihnachten verlobte, oder wohl beſſer verloben ließ. Siehſt du,“ fuhr fie, ihre Er- regung mühſam bezwingend, fort, „die Reiſe über Dresden nach Prag und zurück durch die ſchöne Sächſiſche Schweiz, damals im Frühjahr, als ich achtzehn Jahre alt war o, ich war ſo jung und ſo glücklich! Drei Freundinnen waren wir unter der Obhut einer lieben alten Dame, die ſo gut und herzlich mit uns drei jungen Füllen Kameradſchaft zu halten wußte. Es war fo ſchön und meine erſte Reife, Zch fieberte damals faſt vor Dafeinsglüd und Lebenszuverſicht. Mir war, als ließe ſich das Glück, auf der Welt zu ſein, kaum ertragen —“

„Nina!“ ſagte Wolfgang ſchmerzlich.

Sie verſtand ihn und ſah ihn lächelnd an. „Mein Geliebter!“ ſagte ſie leiſe. „Ja, um alles das betrog man mich. Ich war ja ein Kind, ein unbewußtes, junges Ding, das von des Lebens Heiligtümern wohl eine inſtinktive Gewißheit, aber nicht Einſicht genug beſaß, ſie zu erkennen und zu verteidigen. Ich glaubte an mein Leutnantsſchickfal und war an dem Weihnachten eine ſehr frohe Braut des Leutnants Schneidecke. Hier in Berlin traf ich ihn zuerſt, zwei Abende, nachdem ich auf dem Donnerstagabend“ bei Buſch des alten Herrn Zorn heraufbeſchworen hatte.“ Sie lächelte in der Erinnerung daran. „Ich ließ mich wenig dadurch an-

174 Das verlorene Lachen. 2

fechten. Ih war damals meine Stiefſchweſter lebte noch bei Richters zu Beſuch, und noch damals war ich voll jenes Frohſinns und Glaubens. Mir iſt, Wolfgang,“ ſchaltete ſie ein, „als wäre all meine Lebenskraft zu leuchtend und klar geweſen. Darum ließ fie ſich fo leicht zertrümmern. Erft als du wieder zu mir kamſt, Wolfgang, da beſann ich mich darauf, daß ich noch jung ſei und zu glauben wieder anfangen könne. Und jetzt iſt mir, als hätte ich nur gelebt in jener glücklichen Stunde in dem großen Garten und ſeit du wieder in mein Leben gekommen biſt.“

Er hatte ſie bei den Händen genommen. „Wir haben viel nachzuholen, Nina,“ ſagte er leidenſchaftlich. „Ich habe ſo lange ſuchen müſſen nach dem verlorenen Lachen.“

Nina ſah ihm mit einem Blick voll tiefer Liebe in die Augen. Ein Lächeln lag auf ihrem Geſicht, aber in ihren Augen ſtanden Tränen. „Wolfgang,“ ſagte ſie innig, „nicht nur du ich ſelbſt habe das Lachen verloren gehabt auf lange Zeit. Und ich glaubte, daß ich es niemals zurückfinden würde. Mit dem Lachen zugleich verlor ich vieles, das ich auch nie zurück— zugewinnen fürchtete. Ich habe es wiedergefunden, alles das andere, und auch das Lachen durch dich. Darum muß aber alles, was du mir wiedergabſt, nun doch für immer dir gehören.“

Wolfgang küßte ihr die Tränen aus den Augen. „Daß ich es dir und mir immer, immer erhalten könnte, Nina!“ ſagte er mit großer Innigkeit.

EIL N 3

Bei den Bären

im Bellowitone-Nativnalparf. Von Th. v. Wittembergk.

Mit 7 Bildern. Machdruck verboten.) Wie ſich bei uns die Vereinigungen für Heimatſchutz

bemühen, die Naturdenkmäler vor dem Unter- gang zu bewahren, ſo beſtrebt man ſich auch in den Vereinigten Staaten neuerdings mehr und mehr, der rückſichtsloſen Zerſtörung der Naturſchönheiten und der Ausrottung der heimiſchen Tierwelt Einhalt zu tun. Der Anfang mit dieſen Beſtrebungen wurde bekannt- lich dadurch gemacht, daß man durch Kongreßbeſchluß ein umfangreiches Gebiet im Staate Wyoming, deſſen Hauptfluß der Vellowſtone River bildet, unter dem Namen Vellowſtone-Nationalpark unter Regierungs- ſchutz ſtellte. Infolge dieſer Verordnung iſt dem ganzen Gebiet ſein hochromantiſcher landſchaftlicher Charakter unberührt erhalten geblieben und zugleich den für Nordamerika kennzeichnenden Tieren eine ungeſtörte Zufluchtſtätte geſchaffen worden.

Zur Aufnahme der Beſucher ſind in dem ein Ge— biet ſo groß wie das Königreich Sachſen umfaſſenden Park vier Gaſthöfe errichtet worden. Wie der Park ſelbſt, ſo ſtehen auch dieſe unter der Aufſicht des Staatsſekretärs des Innern.

Die Bären, die in dem Parkgelände leben, ſind der

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176 Bei den Bären im Vellowſtone- Nationalpark. 2 . ———.—.. .

Schwarzbär und der gefürchtete Graubär. Der Schwarzbär wird bei einer Schulterhöhe von 1 Meter bis zu 2 Meter lang und hat einen ſchmalen Kopf mit ſpitzer Schnauze. Seitlich derſelben iſt er fahlgelb ge- färbt, während er ſonſt, wie ſchon fein Name befagt,

einen ſchwarzen Pelz trägt. Der grimmige Graubär

wird bis 2,5 Meter lang und erreicht ein Gewicht von 9 Zentner. Sein Schädel iſt etwas kürzer als der des braunen Bären, dagegen beſitzt er eine breitere Stirn. Seine ſtark gekrümmten, weißlichen Krallen

werden bis zu 15 Zentimeter lang. Das lange, zottige

Haar iſt dunkelbraun gefärbt, erſcheint aber an den Spitzen graubraun.

Die Bären bilden das Hauptgeſpräch der Hotel- gäſte, denen zudem die Kellner und Stubenmädchen die intereſſanteſten Geſchichten von Begegnungen mit den plumpen Rieſen zu erzählen wiſſen. Denn dieſe haben ihre urſprüngliche Wildheit mit der Zeit faſt gänzlich abgelegt, ſo daß von ihnen, wenn ſie nicht gereizt werden, kaum eine Gefahr zu befürchten iſt. Abgeſehen davon, daß den Tieren nicht nachgeſtellt wird, jo hat zu ihrer jetzigen Zahmheit viel der Umjtand beigetragen, daß ihnen die Küchenabfälle, die abſeits von den Gaſthöfen aufgehäuft werden, willkommene Leckerbiſſen darbieten. Die Bären ſuchen dieſe Ab- fallhaufen regelmäßig am Spätnachmittag oder gegen Abend auf und haben ſich durch die Gegenwart des Hotelperſonals und der Gäſte allmählich ſo an den Anblick der Menſchen gewöhnt, daß ſie ſie faſt gar nicht beachten.

Sowie der Ruf ertönt: „Die Bären kommen!“ leeren ſich die Speiſeſäle und Nauchzimmer, und die Parkbeſucher wandern in Scharen nach den Plätzen, wo ſich die Abfallhaufen befinden. Meiſt tritt zuerſt

2 Von Th. v. Wittembergk. 177

ein älterer Bär aus dem Wald heraus, der eine Zeit— lang Umſchau hält. Erſcheint ihm alles ſicher, fo trottet er gemütlich zu den Küchenabfällen hin, und als— bald folgen ihm fünf, ſechs und mehr andere Bären, um ebenfalls an dem Schmaus teilzunehmen.

ER

Parkbeſucher beobachten die Baͤren.

Es iſt erſtaunlich, wie nahe die Bären die Hotel- gäſte an ſich herankommen laſſen, und wie geduldig ſie ſogar Neckereien ertragen. Namentlich die Schwarz— bären zeichnen ſich durch große Harmloſigkeit aus. Anbedachtſame Beſucher haben ſchon wiederholt Schwarzbären erſchreckt und geſcheucht, aber die einzige Folge dieſer Unüberlegtbeit war, daß die Tiere ſich in

1910. VII. 12

178 Bei den Bären im Vellowſtone Nationalpark. 2

den Wald zurückzogen und einen Baum als Beobach— tungspoſten erkletterten.

Zuweilen ereignen ſich allerdings auch recht auf— regende Vorfälle. So lief gelegentlich ein Kind auf

die bei den Abfällen verſammelten Bären zu, um ihnen ein Stück Kuchen darzureichen. Kurz vor den Bären fiel das Kind zu Boden. Ein ſtarker Bär näherte ſich ihm, und mehrere andere trabten hinter ihrem Anführer drein. Den Zuſchauern klopfte bei dieſem Anblick das Herz. Allein die Bären machten alsbald halt, ſtreckten nach dem Kind die Köpfe vor, berochen es und kehrten darauf wieder zu ihrem Haufen zurück.

2 Von Th. v. Wittembergk. 179 Obgleich die Bärinnen, wenn ſie Junge haben, ſehr argwöhniſch ſind, ſo ſtellen doch auch ſie ſich mit ihrer Nachkommenſchaft bei den Haufen ein. Die kleinen wolligen Dinger tummeln ſich dann wie Rät- chen auf den Haufen herum, balgen ſich, überſchlagen ſich und necken ſich in überaus drolliger Weiſe. Allzuviel darf man den Bären indeſſen doch nicht bieten. So gutmütig ſie im allgemeinen ſind, ſo gibt

Schwarzbaͤren bei den Abfallhaufen. es immerhin auch für ſie eine Grenze. Vor einiger Zeit beſuchte ein Touriſt mit ſeiner Frau einen der

Plätze, wo die Küchenabfälle abgelagert werden. Es war weit und breit nur eine einzige Bärin zu ſehen,

180 Bei den Bären im Jellowitone-Nationalpart. 2

weil kurz zuvor andere Hotelgäfte die Zungen in den Wald gejagt hatten. Der Mann ließ ſeine Frau zurück und ging auf das Tier los, um zu erproben, wie weit er ſich ihm nähern könnte. Er war ungefähr noch

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Schwarzbaͤren, bei der Annaͤherung eines Parkbeſuchers ihre Mahlzeit unterbrechend.

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fünfundzwanzig Schritte von ihm entfernt, als es ein dumpfes Brummen von ſich gab. Aber der Mann beachtete dieſes Warnungszeichen nicht, ſondern ging noch näher heran. Da ſtürzte die Bärin plötzlich auf ihn zu. Jetzt wandte ſich der Mann zur Flucht. Doch die Bärin holte ihn ein, ſchlug ihn von hinten nieder und biß ihn mehrmals. In dieſem Augenblick eilte

* Von Th. v. Wittembergk. 181

die Frau mit anerkennenswertem Mut ihrem Mann zu Hilfe und bearbeitete das Tier fo mit ihrem auf- geſpannten Schirm, daß es endlich von ſeinem Opfer abließ und ſich zurückzog. Der Mann lag mehrere Wochen an den erhaltenen Bißwunden krank. Zuweilen werden die Bären ſo dreiſt, daß ſie in die Küchen und Ställe der Gaſthöfe eindringen, um ſich von dort Futter zu holen. So ſtellte ſich ein Graubär

Ein Baͤr auf der Streife.

regelmäßig des Abends in einer Hotelküche ein, in der ein Chineſe als Koch beſchäftigt war, und fraß alles auf, deſſen er habhaft werden konnte. Der Chineſe meldete dieſe Beſuche ſeinem Herrn, indem er trocken

182 Bei den Bären im Bellowſtone- Nationalpark. DI

hinzufügte: „Mich aber mag der dicke Bär nicht.“ Indeſſen mußte der Bär ſpäter doch auch auf den Koch Appetit verſpüren, denn als der Hotelinhaber eines Abends die Küche betrat, fand er wieder den Bären vor, der behaglich die Küchengeräte ableckte, der Chineſe aber, auf den er losgegangen war, hatte ſich auf ein breites Wandbrett, dicht unter der Decke, verkrochen. Durch einen wohlgezielten Schuß ſetzte der Hotelinhaber den Forſchungsfahrten des Eindringlings ein Ende. Sein Fell liegt jetzt als vielbewunderte Fußdecke vor dem Kamin des Speiſeſaals. Allzu dreiſte und bösartige Bären dürfen nämlich abge— ſchoſſen werden.

In mehreren Gaſthöfen werden junge Bären ge— halten, die man zufällig eingefangen hat. So befindet ſich beiſpielsweiſe im Springshotel ein junger Bär, der einem Aufwärter auf Schritt und Tritt folgt. Der Mann hatte ihn, vor Schmerz heulend, in der Nähe des Hauſes aufgefunden. Die Unterſuchung ergab, daß ſich das Tier ein Bein gebrochen hatte. Man legte ihm Verbände an, und nach einigen Wochen war es geſund und munter.

Im Canonhotel hält man zwei junge Bären. Ihre Mutter wurde unfern vom Haufe durch einen nieder- ſtürzenden Baum erſchlagen. Ein Parkwärter nahm die Jungen an ſich und brachte ſie nach dem Gaſthofe, wo ſich ein Stubenmädchen eines der niedlichen Tiere kaufte. Sie pflegt es jetzt bereits ſeit 18 Monaten und will es, wenn es herangewachſen iſt, in Freiheit ſetzen.

Nicht ſelten begegnen die Touriſten, die den Park durchwandern, einem herumſtreifenden Bären. Natür- lich ſind ſie zuerſt von dieſem Zuſammentreffen nicht gerade angenehm berührt. Aber die ſchreckhafte Über- raſchung beruht auf Gegenſeitigkeit, denn auch der

u Von Th. v. Wittembergk. 183

Bär ſtutzt und hält beklommen inne. Sobald er jedoch erkannt hat, daß ihm keine Gefahr droht, ſetzt er un- bekümmert um die Wanderer feinen Weg fort. Tou— riſten mit photographiſchen Apparaten benützen viel- fach den Augenblick, in dem der Bär in beobachtender

Ein Baͤr vor dem photographiſchen Apparat.

Stellung verharrt, um ihn abzuknipſen, und können auf dieſe Weiſe ihre Sammlung photographiſcher Auf- nahmen um ein ſehr wertvolles Stück bereichern.

Außerordentlich vertraut werden die Bären mit den Parkaufſehern. Einige der Tiere laſſen ſich ſtreicheln wie Hunde. Auch kommen ſie auf Anruf herbei und freſſen das Futter aus der Hand.

Im Frühjahr, wenn die Gaſthöfe noch nicht in Be—

184 Bei den Bären im Bellowſtone Nationalpark. 2

trieb geſetzt ſind, durchfahren die Aufſeher den Park mit Karren und laden an beſtimmten Stellen Futter ab. Dann geſchieht es oftmals, daß die Bären an den

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Karren herantraben und das Futter unmittelbar von der hingehaltenen Schaufel freſſen.

Wenn die Bären die Abfallhaufen bei den Hotels durchſtöbern, ſo kommt es mitunter vor, daß der eine oder andere mit der Pratze in eine der herumliegenden

Ein Baͤr frißt Futter von der Schaufel.

2 Von Th. v. Wittembergk. 185

Konſervenbüchſen hineingerät und fie nicht wieder her- ausziehen kann. Dieſes Mißgeſchick veranlaßt ihn zu einem jämmerlichen Geheul. Die Parkaufſeher werfen dann eine Schlinge über das klagende Tier, binden es an einem Baum feſt und ziehen ihm die Büchſe von dem Fuß herunter. Das iſt freilich etwas ſchmerz— haft, aber es befreit doch den Bären von dem läſtigen Anhängſel, ſo daß er, wenn man ihn losgebunden hat, frohgemut davonläuft.

Nur während der warmen Jahreszeit laſſen ſich die Bären in der geſchilderten Weiſe beobachten. Mit dem Eintritt der kalten Witterung beziehen ſie in einem hohlen Baum oder einem Felsloch ihr Winterquartier. Sie ſchlafen faſt ununterbrochen und zehren nur von dem Fettpolſter, das ſie ſich im Sommer zugelegt haben. Daher ſind ſie auch ziemlich abgemagert, wenn ſie mit Anbruch des Frühlings wieder zum Vorſchein kommen.

Karlchens Viſitenkarten.

Humoreske von E. Fahrow.

(Nachdruck verboten.)

Re Breunert war beinahe ſchon in der Gerta. Er war neun Fahre alt und mußte bei der nächſten Verſetzung in die großartigen Höhen der Gymnaſial— klaſſen aufſteigen, nach denen er ſich ſo heiß ſehnte.

Es muß aber hier zur Ehre der Wahrheit eingeſchaltet werden, daß Karlchens Ehrgeiz ſich weniger auf die Fülle der dann über ihn hereinbrechenden Gelehrſam— keit und Weisheit bezog als vielmehr auf den Titel des „Gymnaſiaſten“, den er dann führen würde.

Leider beſaß überhaupt Karlchen eine ſtarke Neigung für Äußerlichkeiten, obgleich fein Vater Landgerichts— präſident und natürlich ein ſehr tiefer, ernſter und innerlicher Mann war. Oder hat es etwa ſchon jemals einen deutſchen Landgerichtspräfidenten gegeben, der nicht alle dieſe Eigenſchaften beſaß?

In der Familie war es bereits eine ausgemachte Sache, daß Karlchen Leutnant werden würde. Der älteſte Sohn war ſelbſtverſtändlich Referendar, dieſer jüngſte aber hatte Soldatenblut in ſich.

Ja, die Leutnante waren Karlchens Ideale, und er hielt ſich auch ſchon ungemein gerade und konnte neben einer vom Exerzierplatz heimkehrenden Kom— panie bereits beinahe mitkommen. Mit hochroten Wangen und blitzenden Augen kommandierte er auch feine eigene Untertanenſchar, und wer genau zuhörte, konnte Kraftausdrücke von den ſchmalen Kinderlippen

2 Humoreske von E. Fahrow. 187

vernehmen, die des ſchnauzbärtigſten Feldwebels würdig waren.

So war Karlchen Breunert.

Es war ſeines Lebens tiefſter Schmerz, daß ſeine Mutter ihm noch immer einen Zungenſcheitel machte, während er doch fo gern einen bis in den Matroſen- kragen hineinreichenden „Hinterkopfſcheitel“ getragen hätte.

Überhaupt dieſe Eltern!

Nichts gönnten ſie einem, was ſie doch ſelber taten. Der Papa zum Beiſpiel, der wurde allemal merk— würdig kurzſichtig, wenn der Herr Geheimrat Bellheim vorbeifuhr oder ging. Den konnte der Vater nämlich nicht leiden, weil jener einen Orden oder ſo etwas Ahnliches beſaß, den er noch nicht hatte. Wenn aber Karlchen etwa den Geheimrat nicht höflich grüßte oder gar einmal von ihm als von dem „Dickwanſt“ ſprach ja, dann ſetzte es ſofort eine Ohrfeige, obwohl man ſo große Menſchen eigentlich nicht mehr zu ſchlagen hat.

Immerhin beobachtete Karlchen die erwachſenen Leute weiter mit ſeinen aufmerkſamen Eichkätzchen— augen, denen nichts entging; er fuhr fort, ihnen nach- zuahmen, wo und wie es nur immer anging, manchmal auch da, wo es eigentlich nicht anging.

Da gab es beiſpielsweiſe ſo eine famoſe Gewohn— heit, die ihm gewaltig in die Augen geſtochen hatte. Das war die Art, wie man ſeine Beſuche abſtattet.

O, Karlchen hatte es Dutzende von Malen geſehen, wie das gemacht wurde. Man nahm eine Taſche mit Viſitenkarten, zog los und warf überall, wo man Be— kannte hatte, ſeine Karte in den Briefkaſten. Wo kein Briefkaſten war, ſchob man ſie unter die Türſpalte. Das machten nicht nur die Leutnante ſo nein, das Kartenabwerfen war hier überhaupt durchaus Mode.

188 Karlchens Viſitenkarten. 0

Karlchen wußte, daß auch Mutter und Schweſter es nicht anders machten, und überdies befanden ſich in dem Briefkaſten der Eltern auch an jedem Sonntag mehrere ſolcher Kärtchen. Der Sonntag ſchien be— ſonders geeignet hierzu, denn auch das hatte Karlchen bemerkt, daß ſich an dieſem Tage nach der Kirche ge— wöhnlich die halbe Stadt unterwegs befand augen- ſcheinlich zu dem Zwecke, nur ja nicht daheim zu ſein, wenn es klingelte, ſo daß man Karten empfangen und abwerfen konnte nach Herzensluſt.

Oftmals hatte Karlchen eines ſeiner Ideale ſo an dem Briefkaſten der Eltern ſtehen ſehen noch dazu, ohne daß vorher geklingelt worden wäre. Schwapp glitt das Kärtchen hinein, und raſſelnd und ſtolz klirrte der Beſucher wieder die Treppe hinunter.

Endlich konnte es Karlchen aber nicht mehr aus— halten. Er wollte ebenfalls Karten abwerfen.

Niemand war daheim als die Dienftboten, Karl- chen nahm alſo eine alte Zigarettentaſche, die einſt Max, der ältere Bruder, fortgeworfen, und die Karlchen aufgenommen hatte. Jüngere Brüder haben immer noch ſo überaus nützliche Verwendung für alles mög— liche, was andere alten Plunder nennen.

Mit dieſem Ding ſchlich Karlchen in den Salon, nahm von der mitten auf dem Sofatiſch prangenden Marmorſchale, auf der marmorne Täubchen zu einem ewigen vergeblichen Picken an marmornem Weinlaub verdammt waren von dieſer wundervollen Schale nahm er ſechs oder ſieben obenauf liegende Karten, barg fie in feiner Taſche und ſchlüpfte wieder hinaus. Zum Glück beſaß er auch von den Eltern und der Schweſter einige Karten, die er ſich bei guter Ge— legenheit angeeignet hatte. So konnte er wohlaus— gerüſtet aufbrechen.

2 Humoreske von E. Fahrow. 189

Welches erhabene Wohlgefühl ſchwellte feine Septi— manerbruſt, als er, nachdem er ſich tüchtig geräuſpert hatte alle Leute räuſperten ſich nämlich, wenn ſie etwas Wichtiges vorhatten auf die Straße trat.

Mit weiten, würdevollen Schritten, ſo wie ſie der Vater nahm, marſchierte Karlchen eine Straße hin— unter und bog dann in die erſte Nebenſtraße ein, wo er einige Häuſer kannte.

Hier wohnten der Oberpfarrer, der Rechtsanwalt Veilenberg, der Oberſt v. Stettow und gleich um die Ecke herum der Geheimrat Bellheim.

In jedes dieſer Häuſer trat Karlchen ein, ſtieg die Treppe hinauf, nahm eine der mitgenommenen Viſitenkarten und ſchwapp da glitt ſie in den Kaſten hinein.

Die Sache ging glänzend.

Mit jedem Male wuchs Karlchens Mut mehr, und ſo erfüllt war er von der Rolle des flotten Herrn, die er ſpielte, daß er ſogar den leidenſchaftlichen Appetit auf Vanilleſpeiſe unterdrückte, der ihn beim Herrn Geheimrat auf der Treppe packte. Hier roch es doch immer ſo wundervoll es war peinlich, wieder hinuntergehen zu müſſen.

Indeſſen mußten noch drei oder vier Karten ab— gegeben werden. Karlchen kannte die Wohnungen der meiſten Leutnante, und er dachte, daß es am beſten ſei, wenn er bei dieſen wenigſtens ein paar von ſeinen Schätzen abgäbe. Brachten ſie doch ſo fleißig immer die ihren, da war es nicht mehr als recht und billig, wenn auch ſie einmal etwas in ihren Käſten vorfanden.

Schwapp flog die letzte Karte in den Kaſten des Oberleutnants v. Driſſel, der ſeiner Schweſter Käth— chen fo toll die Cour machte. O, Karlchen wußte das ſehr genau! Er war nicht ſo dumm, nicht zu merken,

190 Karlchens Viſitenkarten. 2

daß die beiden ewig etwas miteinander zu flüſtern hatten, wenn ſie glaubten, daß niemand es ſehe.

Erſt geſtern auf dem Tennisplatz na ja, er war ja nicht ſo gemein, etwas zu verraten! Sonſt, wenn der Papa es erfuhr, dann ſetzte es für Käthchen ordent— lich was, denn der Vater liebte die Leutnante wohl ſehr, aber ſo als Schwiegerſohn

Karlchen lächelte verſchmitzt, als er nun nach be— endeten Heldentaten heimwärts eilte. Er eilte ſogar ganz gewaltig, ohne noch die mindeſte Rückſicht zu nehmen auf den feierlichen Schritt, in dein man eigent- lich von ſolchem Beſuchsgange heimkehrte, denn es wühlte in ſeinem Innern die Sehnſucht nach wirklicher Vanilleſpeiſe; der bloße ätheriſche Genuß vorhin ge— nügte ihm auf die Dauer nicht.

Kurz vor dem elterlichen Hauſe traf Karlchen ſeinen Bruder Max, der merkwürdig zerſtreut war. „Kein Wunder!“ dachte Karlchen, denn er hatte vorhin ge— ſehen, daß Max einen tiefen Diener vor Fräulein Thereſe Bellheim nad hatte, die mit ihrem Vater ſpazieren ging. | Der dicke Bellheim hatte ſehr nachläſſig wieder- gegrüßt. Thereſe aber hatte nicht nur einmal, ſondern dreimal ganz zutraulich genickt. Komiſch ſo was!

Ahnungslos ſaß die Präſidentenfamilie bei Tiſch. So wie ein Erdbeben oder ſonſt eine Kataſtrophe ſich ganz in der Stille und im Dunklen vorbereitet, ſo war die unheilvolle Saat Karlchens noch im tiefen Schoße der Zukunft verborgen.

Aber langſam und ſicher ſproß ſie empor.

Zuerſt entſtand ein vielfaches Schütteln des Kopfes in der ganzen Kreis- und Garniſonſtadt.

Wie ſeltſam berührte es doch Herrn Weilenberg,

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2 Humoreske von E. Fahrow. 191

daß er die Viſitenkarte des Herrn Oberpfarrers in feinem Briefkaſten fand!

Wie gerührt war wieder der Herr Oberpfarrer, daß der Herr Oberſt, der ihn eine ganze Weile „geſchnitten“ hatte, weil er in einer Predigt eine Spitze gegen ſeine Perſon zu hören geglaubt daß dieſer Herr Oberſt alſo endlich geglaubt hatte, was ihm unzählige Male verſichert worden war: daß der Herr Oberpfarrer keine Spur von Spitze beabſichtigt hatte, ja, daß er zu einer ſolchen gar nicht fähig war! Und nun hatte der liebe Herr Oberſt ſeine Karte bei ihm abgeworfen das war nett und freundlich und prächtig von ihm!

Weniger prächtig fand es aber der Geheimrat Bell- heim, daß der Herr Präſident bei ihm eine Karte ab- gegeben hatte.

Eine einzige Karte! So etwas gehörte ſich doch durchaus nicht! Entweder man blieb auf dem eiſigen Fuße miteinander wie bisher was konnte denn er, der Geheimrat, dafür, daß die Regierung ihn eher aus- gezeichnet hatte wie jenen! oder man gab, wie es ſich gehörte, mehrere Karten ab, mindeſtens eine für den Herrn und eine für die Dame des Hauſes.

Aber natürlich dieſe Präſidentenfamilie, die glaubte immer etwas Beſonderes tun zu dürfen! Thereſe ſollte doch nur um Gottes willen nicht glauben, daß ſie nötig hätte, auf einen lumpigen Referendar zu warten. Geheime Kommerzienräte könnten ganz andere Leute zu Schwiegerſöhnen bekommen.

Thereſe ſchwieg ratlos. Ihr Vater hatte ſolch hitziges Temperament. Wenn man ihm widerſprach, wurde er Roch zorniger; und wenn man ihm nicht widerſprach, wurde er erſt recht wütend. Schließlich mochte er ſich nur auswettern, Thereſe tat ja doch, was ſie wollte.

Drei Tage ſpäter fand aus Anlaß des Stadtjubi—

192 Karlchens Viſitenkarten. 2 läums ein allgemeines Feſteſſen mit Damen im Rat- hauſe ſtatt, bei dem durchaus niemand fehlen durfte. „Vom Bürgermeiſter bis herab zum Künſtler“, wie ſich der erſte Stadtrat ſinnig bei feiner Tiſchrede aus- drückte, waren alle erſchienen, die ihrer treuen Ge— ſinnung Ausdruck geben wollten. Auch Herr Rechts— anwalt Weilenberg war von dieſer Geſinnung erfüllt. Er war ſogar von überfließender Liebenswürdigkeit gegen den Herrn Oberpfarrer, bei dem er ſich nach Tiſch für ſeine große Freundlichkeit bedankte und dabei zu— fällig erwähnte, daß er für das Diakoniſſenhaus in der Weberſtraße einen Beitrag gezeichnet habe.

Darauf bedankte ſich wieder der Herr Oberpfarrer ſehr.

Das Bedanken ging überhaupt heute wie am Schnürchen, fo daß es mehr verbindliche und ſtrahlende Mienen gab als ſeit langer Zeit.

Faſt wäre alſo Karlchens Originalarbeit fo aus- gefallen wie die Taten des Geiſtes, der ſtets das Böſe will und ſtets das Gute ſchafft.

Aber es geſchah noch etwas Unerwartetes.

Die Leutnante flüſterten untereinander, der Ober— leutnant v. Driſſel ward bald blaß, bald rot, und zuletzt entfernten ſich ein paar der Herren und gerieten in einem Nebenzimmer in einen heftigen Wortwechſel. Der kleine, hochblonde Leutnant v. Borcke, im Regiment nur der „Krakeeler“ genannt, hatte geſtern im offenſtehenden Briefkaſten des Oberleutnants eine Viſitenkarte liegen ſehen. Sie lehnte ganz in der Ecke. Er hatte ſie neu— gierig herausgeholt.

Es war die Karte des Fräuleins Käthchen Breunert!

So etwas konnte doch nicht totgeſchwiegen werden! Nein, natürlich nicht! Und ſo viel auch Herr v. Driſſel ſchwor, es müſſe ein Irrtum ſein, und das Fräulein ahne nichts davon, ſo beſtand doch der Krakeeler darauf,

1 Humoreske von E. Fahrow. 193

die junge Dame müſſe von nun an geſchnitten werden, denn zum mindeſten ſei das ein ſehr ſchlechter und ge- - ſchmackloſer und übermütiger Scherz geweſen.

„Zum Donnerwetter,“ rief Drifjel, dem die Stirn- adern anſchwollen, „jetzt ſage ich es Ihnen zum letzten Male, Borde, die Dame ahnt nichts von alledem! Ich verlange außerdem den ſtrengſten Reſpekt vor ihrem Na- men und ihrer Perſon, denn ſie iſt mit mir verlobt!“

Allgemeines ſtarres Erſtaunen. Eigentlich verſchlim— merte das nur die Sachlage das hatte Driffel in der Hitze des Gefechts nicht überlegt. Aber nun war es einmal geſagt, und nun mußte es bewieſen werden.

Der Oberleutnant eilte zum Referendar Max Breunert, zog ihn in ein Nebenzimmer und teilte ihm die Sache mit. Da eine halbe Stunde vorher Fräulein Thereſe Bellheim ihm die ſonderbare, einſame Karte ſeines Vaters „anvertraut“ hatte, ſo dämmerte dem Bruder langſam und undeutlich etwas wie eine Ahnung auf. Unterſtützt wurde dieſe Ahnung durch eine un- vorſichtige Prahlerei des Miſſetäters, der erſt heute morgen geſagt hatte, er laſſe ſich jetzt eigene DVifiten- karten zum Geburtstag ſchenken, dann mache das Kartenabwerfen erſt den richtigen Spaß.

Max war nicht umſonſt ein wachſender, blühender und gedeihender Zurift. Aus den jeweiligen Ergeb- niſſen mußte Kapital geſchlagen werden wer konnte wiſſen, wann ſie ſo günſtig wiederkehrten.

And jetzt war er es, der den Vater in ein Neben- zimmer zog und ihm zuflüſterte, er müſſe ſofort die Verlobung Käthchens mit Herrn v. Driſſel verkündigen. Sie ſei ſonſt unheilbar kompromittiert. Und er behalte ſich vor, nachher alles ins reine zu bringen.

Nun wäre an jedem anderen Tage eine ſolche Über- rumpelung bei dem Herrn Präſidenten vergeblich

1910. VII. . 13

194 Karlchens Viſitenkarten. 2

geweſen, aber heute hatte er Burgunder getrunken, und zwar vortrefflichen Burgunder, wie ihn die Stadt- väter nur ſelten zum beſten gaben. Wie konnte da ein Vaterherz ungerührt bleiben? Zumal, wenn ihm die Gattin, die teure, von der anderen Seite zuflüſtert, daß ſoeben der Geheimrat Bellheim bei ihr leiſe an- getippt habe, ob ſie eine Verbindung zwiſchen ſeiner Thereſe und ihrem Max nicht gern ſehen würde.

„Denke doch nur,“ flüſterte die Präſidentin, „ſolch ein ſchweres Goldfiſchchen! Da kann doch unſer Käthchen wirklich ihren Leutnant kriegen! Und er iſt ſolch ein prachtvoller Menſch!“

Erſtaunlich bleibt es, wie Mütter immer die Partei ihrer Kinder nehmen, ganz gleich, ob ſie zwei ganz entgegengeſetzten Richtungen zuſtreben.

Jedenfalls endete dieſes Jubiläumsmahl mit einer zweifachen Verlobung. |

Beim Nachtisch kreiſte die Geſchichte der Viſiten— karten um die Tafel, und zwar ſo, wie ſie ſich wirklich und wahrhaftig begeben hatte.

Dies war das Werk von Karlchen ſelbſt, der durch einen Magiſtratsdiener zu ſeinem Bruder ins Stadt- haus entboten und dort unter Androhung ſofortiger Einſperrung und ſpäterer Hinrichtung dazu bewogen worden war, rückhaltlos die Wahrheit zu bekennen.

Der Herr Oberſt hat lange nicht ſo gelacht, und weil es doch nun einmal das Schickſal ſo gewollt hatte, ſo verſöhnte er ſich wirklich mit dem Herrn Ober— pfarrer. Auch die übrigen Beteiligten ſtimmten in das brauſende Gelächter ein, das nach Vortrag der Tatſachen durch den Bankettſaal klang.

Bloß Karlchen war nicht zufrieden. Denn das Kartenabwerfen war ihm nun verſalzen auf ewige

Zeiten. 2

Tomatenkonſerven für den

Winter. Von M. Elsner.

g => Mit 7 Bildern. (Nachdruck verboten.)

E iſt noch nicht zu lange her, daß die Tomate, jene ſchön geformte, ſaftſtrotzende Frucht, die in ihrem glänzendroten Gewande einen ſo appetitlichen Anblick gewährt, ſich auch in der deutſchen, beſonders in der norddeutſchen Küche den ihr gebührenden Platz erobert hat. Vor wenig Jahrzehnten noch waren die in ſüdlichen Ländern und in Frankreich ſeit langem gebräuchlichen mannigfachen Verwendungsarten der aromatiſch ſäuerlichen, in rohem Zuſtande allerdings nur für eine kleine Zahl von Liebhabern verlockenden Frucht bei uns faſt ganz unbekannt, und ſie erſchien dementſprechend nur in geringen Mengen auf unſeren Märkten; heute aber, wo jede deutſche Hausfrau ge— lernt hat, den angenehm würzigen Geſchmack der Tomate ebenſowohl für Salat- und Gemüſeſchüſſeln als für vorzügliche Suppen und pikante Soßen zu ver— werten, iſt die Zufuhr eine ſo große und der Preis ein ſo wohlfeiler geworden, daß ſich die ausgiebigſte Verwendung auch vom praͤktiſchen Standpunkt aus empfiehlt. Solange ſie in friſchem Zuſtande erhältlich iſt, ſpielt die Frucht jetzt wohl in jeder beſſeren Küche eine ebenſo wichtige Rolle wie jedes andere Sommer- gemüſe, während der Wintermonate aber pflegt ſie

195 Tomatenkonſerven für den Winter. a

in den meiſten Haushaltungen aus dem einzigen Grunde vom Speiſezettel zu verſchwinden, weil die Köchin ſich

2

Man reinigt die Tomaten durch ſorgfaͤltige Abtrocknen mit einem weichen Tuche.

alsdann auf die erheblich koſtſpielige- ren Konſer- ven ange- wieſen ſieht, die noch da- zu in bezug auf Güte und Ausgie- bigkeit oft ſehr weit hinter der

friſchen

Frucht zu-

rückſtehen. Wir glauben uns darum den Dank unſerer Le- ſerinnen zu verdienen, wenn wir ihnen hier ein Ver- fahren mit- teilen, nach dem ſie ſich mit ganz ge- ringfügigem

Koſtenaufwande ſelbſt eine Tomatenkonſerve herſtellen können, die an Dauerhaftigkeit, Wohlgeſchmack und

Von M. Elsner. 197

leichter Verwendbarkeit nicht das geringſte zu wün- ſchen übrig läßt, und deren Vorhandenſein ſicherlich in

jeder Küche als eine große An- nehmlichkeit empfunden werdenwird. Es gibt der Konſer- vierungsar- ten ja eine ganze Menge. Man kann die To- mate eben- ſowohl in Salz, in Eſſig oder zu Mus ein- gekocht auf- bewahren. Den Vorzug vor allen die- fen Metho- den aber ver- dient unfe- res Erach— tens die Her- ſtellung ei- ner fertigen Tomaten-

Die harten Stellen um den Stielanfaß werden durch Ausſchneiden entfernt.

ſoße, die zu Rindfleiſch, zu Eiern, zu Nudelſpeiſen und zu vielen anderen Gerichten entweder ohne

198 Tomatenkonſerven für den Winter. 2

weiteres oder mit entſprechender Zutat von Fleiſch- brühe genoſſen und als Grundlage für eine würzige, allgemein beliebte Suppe verwendet werden kann.

In der zweiten Septemberhälfte, wenn große Mengen tadelloſer und ſchön ausgereifter Früchte zu billigen Preiſen auf den Märkten zu erſcheinen pflegen, iſt der geeignete Zeitpunkt für die Schaffung des überaus nutzbringenden Wintervorrats gekommen, und die Einfachheit des Verfahrens wie die Wohlfeilheit der erforderlichen Zutaten ſollte jede Hausfrau wenig- ſtens zu einem Verſuch beſtimmen, deſſen Erfolg ſie die aufgewendete Mühe gewiß nicht bereuen laſſen wird.

Wie bei allen anderen Konſerven iſt für das Ge— lingen eine ſorgfältige Auswahl des Materials uner— läßliche Vorausſetzung. Wer etwa in der angenehmen Lage iſt, die Tomaten aus dem eigenen Garten zu be— ziehen, der wähle zum Einkochen nur ſolche Früchte, die während einer Reihe warmer und ſonniger Tage raſch zur Reife gelangt find, die eine ſchön rote, durch keinerlei ſchwarze Flecken beeinträchtigte Färbung auf— weiſen und ſich überall gleichmäßig elaſtiſch anfühlen. Er vermeide es, ſie unmittelbar nach regneriſchen oder nebligen Tagen zu pflücken, halte vielmehr feine Ernte an einem ſchönen, trockenen Morgen, wenn die Tautropfen nicht mehr auf den Gräſern blinken. Wer die Früchte auf dem Markte kaufen muß, der ſehe darauf, nur voll ausgereifte zu erhalten, die auch um den Stielanſatz herum nicht mehr grünlich gefärbt ſind, und er gebe den großen den Vorzug vor den kleineren. Auch möglichſt kugelige Form iſt als Kenn— zeichen einer vollfleiſchigen und ſaftreichen Frucht anzuſehen.

Die Niedrigkeit des Preiſes wird der gewiſſenhaften Hausfrau geſtatten, noch im Beginn des Verfahrens

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Von M. Elsner. 199

alle Stücke auszuſcheiden, die ſich als nicht genügend reif, als hartfleiſchig oder wäſſerig erweiſen; denn

Früchte von ſolcher Art würden nur danach an- getan ſein, ihr durch den ungünſtigen Einfluß auf Gehalt und Geſchmack der Konſerve die Freude an dem fer- tigen Werke zu beein— trächtigen. Gekaufte Tomaten find forgfäl- tig zu wa- ſchen und zu trocknen, während bei friſch ge- pflückten die Reinigung mit einem ſauberen Küchentuche

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Die Zutaten werden hergerichtet.

genügt. Dann wird mit einem ſcharfen und ſpitzen Meſſer rund um den Stielanſatz herum ein Stück aus— geſchnitten, weil es hier faſt immer harte, faſerige und

200 Tomatenkonſerven für den Winter. 2

bittere Stellen gibt, die nachteilig auf den Geſchmack des ausgekochten Saftes einwirken könnten. Der Reſt der Frucht aber wird, je nach Größe, in vier bis acht Stücke geteilt, die man zunächſt in ein irdenes Gefäß tut, bis ſie in dem kupfernen Kochgeſchirr mit den vorbereiteten Zutaten gemiſcht werden können. Dieſe Zutaten ſind: einige kleine Zwiebeln, Peterſilie, Salz, Pfeffer und ſofern es ſich mit dem beſonderen Geſchmack verträgt ein wenig Knoblauch, den man in der franzöſiſchen Küche als nahezu unentbehrlich anſieht. Die Zwiebel- chen werden in möglichſt kleine Stücke geſchnitten und die Peterſilienbüſchelchen ſo von den Stengeln ab— getrennt, wie unſere dritte Abbildung es erkennen läßt. Auf ein Pfund Tomaten rechnet man vier oder fünf Stengelchen dieſes Küchenkrautes, während ſich die Hausfrau die Menge der beizufügenden Zwiebeln auf Grundlage der Vorſchrift berechnen mag, daß fünf- undzwanzig Pfund Tomaten mit etwa einem Liter Schalotten zu würzen ſind. Mit dem Salz braucht man nicht gar zu ängſtlich zu ſein; auf die Pfeffer— zutat aber wird man überall da, wo keine beſondere Vorliebe für beſonders pikante Soßen beſteht, ebenſo unbedenklich verzichten können wie auf den Knoblauch, gegen deſſen ſcharfen Geſchmack in manchen Gegen— den unſeres deutſchen Vaterlandes geradezu eine aus— geſprochene Abneigung vorhanden iſt.

Von großer Wichtigkeit für ein gutes Gelingen iſt die Wahl des Kochgeſchirrs. Den Vorzug vor jedem anderen verdient der Kupferkeſſel, deſſen man ſich zur Herſtellung von Konſerven und Konfitüren ausſchließ— lich bedienen ſollte, weil er nicht nur Früchten und Gemüſen am beſten ihre urſprüngliche Farbe erhält, ſondern weil auch die Gefahr des läſtigen „Anſetzens“ an den Boden bei dieſem Metall am geringſten iſt. Hat

DO Von M. Elsner. 201

man einen Kupferkeſſel nicht zur Verfügung, ſo wähle man ein emailliertes Kochgeſchirr, deſſen Inneres in- deſſen noch völlig tadellos ſein muß, denn überall, wo der ſchützende Überzug abgeſprungen iſt, würde ſich die Maſſe unfehlbar an den Boden anſetzen, und der dadurch erzeugte abſcheuliche Geſchmack würde den

Die zerkleinerten Tomaten werden mit den Zutaten in einen Kupferkeſſel gegeben.

ganzen Aufwand an Mühe und Koſten zu einem nutzlos vergeudeten machen. Einem Waſſerzuſatz behufs Ver— hinderung des Anbrennens iſt durchaus zu widerraten. Die Tomate mit ihrem überreichen Saftgehalt bedarf desſelben nicht, und der Gefahr, daß ſich Peterſilien- blättchen oder Stücke der Schale am Boden feſtſetzen, würde auch durch die Waſſerzufuhr nicht vorgebeugt werden.

202 Tomatenkonſerven für den Winter. 0

Um ihr zu begegnen, bediene man fich vielmehr einer anderen, wirkſameren Vorſichtsmaßregel, indem man vor dem Einfüllen des zerkleinerten und mit den Zutaten vermengten Tomatenfleiſches einige beſonders

Das gekochte Fruchtfleiſch wird durch ein emailliertes Sieb getrieben.

ſaftige, unzerteilte Früchte mit den Händen über dem Kochgefäß auspreßt, ſo daß der Boden desſelben mit dem Safte vollſtändig bedeckt iſt. Es wird dann nur noch verhältnismäßig geringer Aufmerkſamkeit be— dürfen, um jedes Anbrennen zu verhindern.

Will man größere Mengen einkochen, ſo geize man nicht mit der Zeit und laſſe ſich die Mühe nicht ver— drießen, den zu verarbeitenden Vorrat in mehrere Portionen zu teilen. Mehr wie zwanzig Pfund

Oo Bon M. Elsner. 203

Tomaten auf einmal follte man nicht abkochen. Man wird für den geringen Mehraufwand an Arbeit durch ein um ſo ſichereres Gelingen vollauf entſchädigt werden.

Das Kochen ſelbſt erfordert einige Sorgfalt in- ſofern, als es ſich nicht zu raſch vollziehen darf. Man bringe das Gefäß, das ſelbſtverſtändlich nicht bis zum Rande gefüllt ſein darf, deshalb auf ein nicht zu ſtarkes Feuer, das man erſt nach Verlauf von fünfzehn bis zwanzig Minuten, wenn die ganze Maſſe gleichmäßig

Der gewonnene Saft wird durch ein Haarſieb gegoſſen. vorgewärmt iſt, zu größerer Glut anfachen darf. So— bald ſie zu kochen beginnt, darf man das Gefäß nicht mehr verlaſſen, ſondern muß unter beſtändigem Um- rühren darauf bedacht ſein, ein gar zu ſtürmiſches

204 Tomatenkonſerven für den Winter, 2

Kochen zu verhindern, weil das von erheblichem Nach- teil für die Beſchaffenheit der Konſerve ſein würde. ge nach der Menge der einzukochenden Früchte bedarf es einer Kochzeit von fünfundvierzig bis zu ſechzig Minuten. Den richtigen Zeitpunkt, um die Maſſe vom Feuer zu nehmen, erkennt man am beſten

Einfuͤllen der fertigen Konſerve in Glaͤſer.

daran, daß die Schalotten ganz weich ſein müſſen. Nun treibe man die dickflüſſige Maſſe durch ein email- liertes Sieb, vermeide aber, ſich dazu eines metallenen Stößels zu bedienen. Ein hölzerner Stößel iſt am zweckmäßigſten. Da immerhin noch einige Kerne und Stückchen der Schale mit durch das Sieb gelangen werden, iſt es empfehlenswert, den gewonnenen Saft vor dem Einfüllen in die Gläſer nochmals durch ein

u Von M. Elsner. 205

nicht zu feines Haarſieb laufen zu laſſen, das alle unerwünſchten Beimiſchungen zurückhält.

Den abgekühlten Saft, der die fertige Tomaten- konſerve darſtellt, füllt man am beſten in Halbliter- gläſer, wobei man darauf bedacht iſt, einen Raum von ungefähr einem Zentimeter Höhe unterhalb des Randes leer zu laſſen. Die Gläſer werden in der üblichen Weiſe verſchloſſen und im Waſſerbade noch eine weitere halbe Stunde lang gekocht. Die Halt- barkeit der ſo gewonnenen, verwendungsfertigen To— matenſoße iſt ſehr groß, und man kann ſich jedenfalls des Genuſſes der beliebten Würze ſo lange erfreuen, bis wieder vollſaftige friſche Früchte auf dem Markte erſcheinen.

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5

Mannigfaltiges.

Nachdruck verboten.)

Ein ärztliches Honorar. Die Witwe des verſtorbenen Gymnaſiallehrers Sohrmann, Frau Hedwig, ſaß über dem Rahmen gebeugt und ſtickte in fliegender Eile Weißwäſche, die bis zum Abend fertig und im Geſchäfte abgeliefert ſein mußte. Zwar ſah ſie durch das viele Sticken noch ein wenig blaſſer aus als ſonſt wohl, aber wenn ſie nur noch wenige Wochen weiter ſo fleißig arbeitete, dann war das Ziel erreicht.

Einen Augenblick lang ließ Frau Hedwig die Nadel ruhen und ſchaute auf ihr Töchterchen, das vor ihr am Boden mit einer alten Puppe ſpielte. Ein trauriges Lächeln glitt über ihre Züge, als ſie mit zärtlichem Mutterglück die kleine zarte Geſtalt umfaßte. Von all dem himmelſtürmenden Glück, das ſie während kurzer Ehe an der Seite des geliebten Mannes empfunden, war ihr nur die kleine Hilde geblieben.

Der Gatte war tot, Nahrungsſorgen blieben ihr nicht er- ſpart, und die blauen Augen ihres Töchterchens, in deren reinem Kinderblick ſie Kraft in ihrem Leid hatte ſuchen wollen, waren am Erblinden.

Langſam, aber unaufhaltſam fortſchreitend hatte das Übel zugenommen. Zuerſt war es ihr aufgefallen, wie unſicher die Kleine nach den Dingen griff, und wie zaghaft das früher ſo muntere Kind ſich bewegte, bis ihr eines Tages mit kaltem Entſetzen die Ahnung kam: das alles liegt an den Augen!

Noch hatte fie im Anfang ſich verzweifelt gegen den Ee— danken gewehrt, ihres Kindes ſtrahlende blaue Augen ſollten das Licht des Tages nicht mehr ſchauen. Als die Kleine aber anfing, die Gegenſtände zu betaſten, anſtatt zu betrachten, ver- ſchwand die Selbſttäuſchung, und ſo nahm ſie eines Tages ihr Kind an die Hand und führte es mit ſtiller Verzweiflung im Herzen zum Augenarzte.

2 Mannigfaltiges. 207

Der hatte die Kleine lange und gründlich unterſucht und allerlei gelehrte Namen genannt. Der Sinn ſeiner Worte aber war geweſen, daß die kleine Hilde das Augenlicht wahr- ſcheinlich verlieren werde. Zwar ſei es nicht ausgeſchloſſen, daß eine beſtimmte Operation erfolgreich wäre, aber eben gerade dieſe Operation ſei außerordentlich ſchwierig, und er möchte bei der zarten Konſtitution der Kleinen nicht dazu raten. Auch würde er auf keinen Fall die Verantwortung übernehmen.

Als der Arzt bei feinen Worten den todestraurigen Blick der Frau auf ſich gerichtet ſah, faßte ihn das Mitleid, und in- dem er ſeiner Eitelkeit einen Stoß gab, nannte er ihr den Namen eines berühmten Kollegen, der allein imſtande ſei, dem Kinde vielleicht zu helfen.

So machte ſich alſo Frau Hedwig Sohrmann klopfenden Herzens auf zu dem berühmten Arzte, der im eleganteſten Villenviertel in einem palaſtähnlichen Hauſe wohnte.

Sie ſtieg mit ihrem Kinde die mit Läufern belegte Marmor— treppe hinauf und wurde von einem Diener in Livree in ein prunkvolles Empfangszimmer geführt.

Beklommen nahm ſie in einem der eleganten Seſſel Platz und überdachte ängſtlich, ob ihre Mittel reichen würden, die Rechnung zu bezahlen.

Endlich, nach qualvollem Warten kam ſie an die Reihe und wurde in ein Sprechzimmer gerufen, das noch weit üppiger als das Empfangszimmer ausgeſtattet war. Dort empfing ſie ein elegant ausſehender Herr, der mehr einem geſchniegelten Weltmanne denn einem vielbeſchäftigten Arzte ähnlich ſah. Doch verlor ſich dieſer Eindruck, als er die Kleine mit ſchärfſter Aufmerkſamkeit zu unterſuchen begann.

Für Frau Hedwig dehnten ſich die Sekunden zu Ewigkeiten, und während ihr Herz bis zum Halſe hinauf klopfte, preßte ſie die Fingernägel in die geſchloſſenen Hände, ohne den Schmerz zu fpüren.

Der Arzt war fertig mit der Unterſuchung. „Die Kleine muß einige Zeit außerordentlich gut ernährt und viel in die friſche Luft geführt werden. Kommen Sie in ein paar Mo—

208 Mannigfaltiges. 2

naten wieder ich hoffe zuverſichtlich, ihr dann durch eine Operation das Augenlicht zu erhalten.“

Mit einem unſagbaren Glücksgefühl im Herzen war Frau Hedwig mit ihrem Töchterchen aus dem Sprechzimmer ge— gangen. Sie merkte kaum, daß auf dem Flur die Frau des Arztes ſeidenrauſchend an ihr vorbeiſchritt und die einfache Geſtalt, die ſo wenig in den ſonſtigen Patientenkreis des berühmten Arztes paßte, verwundert muſterte.

Selbſt wenn die junge Frau die Gedanken der Frau Sani- tätsrat hätte leſen können, hätte ſie es wohl nur Weng ge- kümmert.

Ihr Kind, ihr Liebling ſollte nicht zu ewiger Finſternis verdammt ſein, die blauen Augen ſollten nicht erblinden!

Erſt zu Hauſe in ihren einfachen vier Wänden kam ihr die bange Frage: „Wovon das alles bezahlen die beſſeren Lebensmittel für das Kind und die Rechnung des Arztes?“

Die kleine Witwenpenſion reichte bei der größten Ein- ſchränkung nur fo knapp für das Allernötigſte, und Frau Hed- wig hatte deshalb ſchon öfters Stickereien für ein Ausftattungs- geſchäft übernommen, um ihrem Kinde auch manchmal eine kleine Freude zu gönnen.

Nun aber galt es, nicht nur hie und da einmal ein paar Monogramme zu ſticken, ſondern durch e Fleiß Geld zu erwerben.

Und mutig machte ſich die zarte, blaſſe Frau ans Werk. In den ſchönen warmen Stunden des Tages führte ſie die kleine Hilde in den Wald, und was ſie dadurch an Zeit zum Arbeiten verſäumte, holte ſie in den Abendſtunden, die ſich ihr jetzt bis tief in die Nacht hinein dehnten, wieder nach.

So hatte ſie es möglich gemacht, ihrem Kinde die beſte Nahrung zu verſchaffen und eine Summe für die Rechnung des Arztes zurückzulegen.

Freilich, wenn deſſen Forderung in die Hunderte ging was dann?

Was wog das alles aber im Vergleich zu dem, was für ihr Kind auf dem Spiele ſtand!

Und Frau Hedwig nahm emfig die Nadel wieder auf,

o Mannigfaltiges. 209

unermüdlich Stich an Stich reihend, bis die Wäſche fertig ge- ſtickt und das Penſum für heute erledigt war.

Die Operation war glänzend verlaufen. Wohl waren es für die arme Mutter bange Minuten geweſen, als man ihr Kind wegführte, während ſie im Nebenzimmer warten mußte.

Faſt wären ihr in dieſer Zeit die Sinne vor Angſt und Qual geſchwunden, und nur wankenden Schrittes hatte fie folgen können, als man ſie endlich an das Bettchen der Kleinen gerufen hatte.

Dort lag das Kind im verdunkelten Zimmer, zwar matt und mit einer Binde über den Augen, aber gerettet aus dunkler, drohender Nacht dem fröhlichen, ſonnigen Leben gerettet.

Da war Frau Hedwig, überwältigt von Glück, lachend und weinend vor dem Bett ihres Kindes in die Kniee geſunken.

Noch einige Zeit hatte die Kleine in der Augenklinik bleiben müſſen, endlich aber ſtand Frau Hedwig mit ihrem Töchterchen zum letzten Male im Sprechzimmer und fragte mit leiſer Stimme nach ihrer Schuld.

Einen Augenblick zögerte der berühmte Arzt. Die junge Frau ſchien ihm zwar in ſehr einfachen Verhältniſſen zu ſein, ſie ſah aber keineswegs danach aus, als ob ſie ſich gerne etwas ſchenken ließe. Auch war er ſelbſt durchaus nicht in der Lage, etwas zu verſchenken. Trotz ſeiner rieſigen Einnahmen war er kein reicher Mann, da er durch die großartige Lebensführung und die Anſprüche ſeiner Frau ſo ziemlich alles verbrauchte, was er verdiente. Zudem war die Operation der kleinen Hilde eine der ſchwierigſten Leiſtungen, die es auf dieſem Ge- biete gab, und er nahm ſonſt wohl ein paar tauſend Mark dafür.

Noch einmal überflog er die ſchlichte Erſcheinung der jungen Frau und forderte dann zweihundert Mark.

Erleichtert atmete Frau Hedwig auf. Wohl hingen viele mühſelige Stunden angeſtrengten Fleißes an dem Gelde, das ſie dem Arzte jetzt überreichte, aber immerhin ſie konnte es ihm doch geben und brauchte nicht um Stundung der Schuld zu bitten.

1910. VII. 14

210 Mannigfaltiges. 2

Mit herzlichen Worten des Dankes für alles, was er an ihrem Kinde getan, verließ Frau Hedwig das Sprechzimmer des Arztes. |

In der Tür begegnete fie deſſen Gattin, die auf den freund- lichen Gruß der jungen Frau nur vornehm nickte.

Frau Hedwig hörte noch, während ſie vor der Tür dem Kinde das Häubchen feſter band, wie die Frau Sanitätsrat zu ihrem Gatten ſagte: „Entſchuldige, lieber Mann, daß ich dich während deiner Sprechſtunde ſtöre, aber ich habe kein Toiletten- geld mehr und muß unbedingt einen Hut haben. Die Reichels- heim hat mir einen entzückenden Modellhut gezeigt, der trotz der zwei echten Federn nur zweihundert Mark koſtet.“

Der Arzt nahm die noch auf dem Tiſche liegenden zehn Goldftüde, betrachtete fie noch einmal nachdenklich und gab ſie dann ſeiner Frau mit den Worten: „Hier haſt du das Geld zu deinem neuen Hute.“ E. Behle.

Eine Heirat im Geiſterlande. Die ärgſte Tollheit, welche Spiritiſten je zutage gefördert haben, iſt wohl eine Heirat zwiſchen zwei im Kindesalter aus dieſem Leben geſchiedenen Geiſtern, die im Jahre 1869 geſchloſſen wurde. Der Vater der überirdiſchen Braut war ein ſehr angeſehener wohlbekannter Mann, Herr gſaak E. Caton, ein ebenſo eifriger als fcharf- blickender Politiker. Er glaubte aber ſteif und feſt an den Unſinn, der den folgenden Verlauf hatte.

Caton und ſeine Gemahlin waren ſeit langen Jahren gläubige Spiritiſten und ſtanden in fortwährendem Verkehr mit vielen „Medien“, vor allen mit Doktor Mansfield von New Vork und Profeſſor Mott von Memphis. Während eines Beſuches, den das Ehepaar im Hauſe des Profeſſors Mott abſtattete, wurde ihnen der Geiſt der vor zwanzig Jahren als dreiwöchiges Kind verſtorbenen Tochter Katie vor- geſtellt, welche unterdeſſen im Geiſterlande zu einer ſchönen Jungfrau herangewachſen war. Katie erſchien ihren Eltern häufig und unterhielt ſich viel und gern mit ihnen. Eines Tages teilte ſie mit, daß ſie mit einem Sohne des Präſidenten Pierce, der vor Jahren, als fein Vater zum Präſidenten er- wählt war, als zwölfjähriger Junge auf der Eiſenbahn ver-

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unglückt war, verlobt ſei, und daß die Heirat bald ſtattfinden werde. Sie gab ihnen Zeit und Ort an und verſprach, das Hochzeitsmahl mit ihrem Gatten gemeinſchaftlich im Haufe der Eltern einzunehmen, vorausgeſetzt, daß ihnen ein „Rabi- nett“ eingerichtet werde, wie es die Geiſter der Spiritiſten zu ihrem Verkehre mit den Sterblichen zu benützen lieben. Dies geſchah. Der beſtimmte Tag, der 20. Juni 1869, fand alles in Ordnung. Im Haufe der Eltern der Geiſterbraut war eine gewählte Geſellſchaft verſammelt, darunter Profeſſor Mott mit Gattin, Doktor Dooley, H. D. Mackay und andere Geiſterbeſchwörer. Mott und Dooley nahmen in dem Kabinett Platz, denn es erforderte bedeutende magnetiſche Kraft, zwei Geiſter zugleich zu „verkörpern“. In dem halbdunklen Zimmer nebenan war der Tiſch für das Hochzeitsmahl gedeckt. Die Gäſte nahmen Platz. Zwei Sitze waren für Braut und Bräu- tigam beſtimmt. Vor jedem ſtand ein ſchöner Blumenſtrauß, wie es die Braut gewünſcht hatte. Nachdem die Gäſte kurze Zeit gewartet, wurde die Ankunft des jungen Ehepaares im Kabinett angekündigt.

Einer nach dem anderen traten die Gäſte nun an die Off- nung des Kabinetts und unterhielten ſich mit den Geiſtern, die ſehr deutlich und ganz wie lebende Menſchen erſchienen. Dann traten beide Geiſter aus dem Kabinett, ſchritten durch das Speiſezimmer und nahmen die ihnen vorbehaltenen Plätze ein. Die Geiſterdame trug ein reiches Atlaskleid, blendend- weiß wie Sonnenlicht, den Brautſchleier und Orangenblüten in den Locken. Der Geiſterbräutigam war in elegantem ſchwar- zen Anzug mit weißer Weſte und trug eine vollblühende Rofe im Knopfloch. Nachdem das Paar die Glückwünſche der An- weſenden entgegengenommen und ihnen dafür alle Einzel- heiten über die Hochzeitsfeier im Geiſterlande mitgeteilt, ſtreifte es die irdiſche Hülle wieder ab und zog ſich in ſeine überirdiſche Heimat zurück, wenn es nicht etwa auf eine Hochzeitsreiſe durch das Weltall gegangen iſt.

Am Tage, nachdem vorſtehende Darftellung in einer Leaven- worther Zeitung erſchienen war, veröffentlichte Herr Caton eine Erklärung in derſelben, worin er nicht bloß für die Wahr-

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heit der obigen ſonderbaren Geſchichte einſtand, ſondern auch hinzufügte, er habe durch Vermittlung des Doktors Mansfield in New Vork folgenden Brief von ſeiner Tochter erhalten: „Teuerſte Eltern! Sch bin heute fo viel als möglich um euch geweſen und habe eure große Freude geſehen. Mein Gatte, Benjamin Pierce, feine teuren Eltern, Tante Sara ahne und Baſe Mary K. Zewett laſſen euch grüßen. Wenn ich mehr Zeit haben werde als jetzt, will ich mehr von mir hören laſſen. 3b umarme euch beide. Sara Katharine Caton Pierce.“ Dieſer Unſinn hat gewiß den Spruch des alten Ben Akiba, daß es nichts Neues unter der Sonne gibt, zunichte ge- macht. C. T. Neue Erfindungen: I. Elektriſche Nattenfalle. Die enorme Schädlichkeit der Ratten iſt bekannt, ihre große Vermehrung bildet eine ſtändige Gefahr, da dieſe Nager ja auch die Verſchlepper von Krankheiten bei Menſchen und Tieren

Elektriſche Rattenfalle.

ſind. Trichinöſes Fleiſch iſt bei Schweinen nur auf die Ratten zurückzuführen. Und wer iſt der Einſchlepper der Peſt? Die Ratte! Vorratskammer und Keller im Hauſe, Getreideſpeicher, Zuckermagazine, Lagerhäuſer, Schiffe erleiden großen Schaden dadurch, daß dieſe Tiere ungeheure Mengen von Lebens- mitteln verzehren, eine Unmenge davon verſchleppen und den Reſt durch Annagen oder Beſchmutzen unbrauchbar machen. Mit allen erdenklichen Mitteln rückt man ihnen daher zu Leibe:

u Mannigfaltiges. 213

von der gewöhnlichſten Falle angefangen, mit Gift, Ausgaſung und mit Hunden, jetzt ſogar mit Elektrizität, die in Wien und Charlottenburg ſehr günſtige Erfolge ergab.

Die Firma „Neuheiten-Induſtrie Pliff“ G. m. b. H., Char- lottenburg 5, Oranienſtraße 11, bringt eine elektriſche Ratten- falle in den Handel. Dieſe beſitzt zwei Eingänge; oberhalb der Köderhaken, woran die Lockmittel befeſtigt werden, iſt ein verglaſter Rahmen, der dem Tiere die Witterung zukommen und den Köder ſehen läßt, was den Reiz doppelt erhöht. Die Ratten, die ſehr mißtrauiſch ſind, gewinnen Zutrauen dadurch, daß ſie vor dem Eingange durch und durch ſehen können; hat das Tier die Falle betreten, ſo gibt es kein Entrinnen, das Tier ſchließt ſelbſt den elektriſchen Strom und iſt in wenigen Sekunden getötet. Bei dieſer elektriſchen Hinrichtung fällt jede Verunreinigung der Falle fort, da das Tier nicht der Todes- angſt, wie durch Schlageiſen, Schnappfallen uſw., ausgeſetzt iſt.

II. Meſſerputzmaſchine „Frauenſtolz“. Die in der untenſtehenden Abbildung veranſchaulichte Meffer-

Meſſerputzmaſchine „Frauenſtolz“.

putzmaſchine, von der Firma Louis Paul u. Co. in Radebeul- Dresden in einer Neuverbeſſerung in den Handel gebracht,

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führt den ſchönen Namen „Frauenſtolz“, womit angedeutet wird, daß mit dieſer Maſchine etwas Vorzüͤgliches geſchaffen iſt. Die Maſchine enthält zwei kreisrunde, weiche Sämiſch- lederſcheiben, ſie hat keine belederten Gummiringe mehr, denn dieſe ſind es, welche der Hausfrau Verdruß und Geldkoſten bereiten, weil durch Unachtſamkeit der Mädchen die Meſſer oft die Ringe zerſchneiden. Die Sämiſchlederſcheiben ſtehen den Gummiringen an Wirkſamkeit nicht im geringſten nach, über- treffen dieſe jedoch an Größe der Putzfläche.

Als beſonderer Vorteil muß erwähnt werden, daß bei der neuen Putzeinrichtung die Meſſer ſtets ſcharf erhalten bleiben und niemals ſtumpf werden, eine Erſcheinung, die bei Ver⸗ wendung von Gummiringen ſehr unangenehm empfunden wird. Die Maſchine ſchmirgelt ſelbſttätig und ſparſam, da der nicht verbrauchte Schmirgel ſtets in den Behälter zurüdfällt; fie kann ſowohl in der Mitte des Tiſches wie an den Ecken angeſchraubt werden, während andere. Maſchinen nur auf die Eckplätze angewieſen ſind, auch vermeidet ſie den leicht der Abnützung unterworfenen Winkelantrieb und iſt trotzdem kräftig im Triebwerk und billig im Preiſe.

Die böſe Sieben von Quesnitz. In dem bei Weißen— fels gelegenen großen und wohlhabenden Dorfe Quesnitz, dem Stammſitze der freiherrlichen Familie Bothfeld, lebte in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine Wirtin, die zwar gutmütig, häuslich und tugendhaft war, jedoch, wenn ſie gereizt wurde, ſogleich überaus heftig zu werden und von Scheltworten ſehr bald zu Tätlichkeiten überzugehen pflegte. Es waren Fälle bekannt, in denen die erzürnte Frau den von ihr Gemaßregelten ganze Bündel von Haaren aus— geriſſen und mehrere Rippen gebrochen hatte, und ſie galt daher für die gefährlichſte Frau im ganzen Lande und führte im Volksmunde den Beinamen , die böſe Sieben von Quesnitz“.

Die Wirtin war ſchon in jungen Jahren Witwe geworden und verwaltete als ſolche ihre Wirtſchaft ganz ordnungsmäßig, war auch im Verkehr mit Leuten, welche ihre Eigentümlichkeit kannten und ihr Verhalten gegen fie danach einrichteten, keines- wegs unhöflich, ſondern vielmehr entgegenkommend, freund-

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lich und gefällig und hatte nicht ſelten ſelbſt Proben von wirk- licher Herzensgüte und Wohltätigkeit abgelegt. Nur durfte man ſie, wollte man mit ihr auf gutem Fuße bleiben, nicht reizen und auch den gedachten Beinamen in ihrer Gegenwart nicht ausſprechen.

Eines Tages war der Herzog von Sachſen Eiſenach, da er auf einer Reife nach Leipzig von einem Unwetter überraſcht wurde, genötigt, auf dem gaſtfreien Ritterſitze des Herrn v. Bothfeld zu übernachten. Dabei wurde ſeine Dienerſchaft nebſt mehreren Kammerhuſaren im Wirtshauſe einquartiert und von der Wirtin freundlich empfangen und gut verpflegt.

Als die Wirtin ſich anſchickte, die Pferde der Rammerhufaren zu füttern, wollte ſich einer, der als Spaßvogel galt, einen Scherz mit ihr erlauben und bat ſie, doch den Hafer auch wirklich den Pferden zu geben und nicht etwa, ſelbſt zu ver- zehren, da ſie ja dafür bekannt ſei, daß ſie alles freſſe, was ihr zu nahe komme. Die Antwort der Wirtin beſtand in einer fürchterlichen Ohrfeige, welche den Kammerhuſaren zu Boden warf, worüber ſeine Kameraden laut lachten. ö

Wütend ſprang der Gezüchtigte auf und wollte ſich auf die Wirtin ſtürzen, erhielt aber von dieſer einen ſo kräftigen Fußtritt, daß er abermals zu Boden purzelte.

Da entfuhr ihm der Ausruf: „O du böſe Sieben von Ques- nitz!“ ö

Nun ſchickten ſich auch ſeine Kameraden an, ihm beizuſtehen. Die aufs höchſte erzürnte Wirtin jedoch ergriff eine in der Nähe ſtehende Dunggabel und ging damit den Hufaren zu Leibe, worauf dieſe zunächſt flüchteten, dann aber mit ihren Säbeln bewaffnet zurückkehrten und gemeinſchaftlich auf die wütende Hausfrau eindrangen. Der Tumult wurde nun ſo ſtark, daß einige Zuſchauer in die Kirche eilten und die Sturmglocke zogen, um Hilfe herbeizurufen, und der Herzog mit Herrn v. Bothfeld auf dem Kampfplaͤtz erſchien.

Die zürnende Wirtin hatte inzwiſchen mit ihrer Dung- gabel ſämtliche acht Kammerhuſaren in Schach gehalten, und ſelbſt dem Befehle des Herzogs, den Kampf einzuſtellen, bot ſie Trotz. Da beſchloß man auf den Rat des Herrn v. Both-

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feld, die rabiate Frau mit Lift zu überwältigen. Die Kammer- huſaren zogen ſich auf einen Wink ins Haus zurück, die Wirtin lief ihnen mit geſchwungener Dunggabel nach und konnte nun im Hausflur eingeſperrt werden.

Der Herzog ließ den Kammerhuſaren, der durch feinen ungeſchickten Scherz den Streit veranlaßt hatte, nach Eiſenach zurüdtransportieren und vier Wochen lang bei Waſſer und Brot einſperren, die tapfere Wirtin aber ſprach er wegen ihres ſo mutigen Verhaltens bei der Wahrung ihrer Ehre und ihres Hausrechts von aller Strafe und Verantwortung frei, ermahnte fie jedoch ernſtlich, ſich künftighin in ihrer Gelbft- hilfe mehr zu mäßigen. Sie ſtarb in hohem Alter im Jahre 1780. R. v. B.

Der Tod in der Volksſage. Der Tod, das ungelöfte Rätſel des menſchlichen Lebens, hat dem phantaſiereichen Gemüt des deutſchen Volkes vielfach Stoff zu Sagen und Märchen geboten, die in ihrer Einfachheit und Znnigkeit rührend wirken.

Ein müder Wanderer ſchreitet des Weges dahin, dem längſt verlaſſenen Vaterhauſe zu. Ein an Freude und Leid reiches Leben liegt hinter ihm, er ſehnt ſich nach Ruhe, und nur die unendliche Liebe zur Heimat gibt ſeinen müden Gliedern die Kraft zu dieſer letzten Wanderung. In einem dunklen Walde geſellt ſich zu ihm ein anderer Wanderer. In freund- lichem Ernſt ſchreitet er ſchweigend neben ihm her. „Sind wir bald daheim?“ fragt endlich ſehnſuchtsvoll der erſte Wan- dersmann. Der Fremde erhebt die Hand und zeigt auf ein nicht mehr fernes Haus mit hellerleuchteten Fenſtern. Sie eilen darauf zu und erreichen die Schwelle. Da wird dem müden Wanderer weh und doch ſo wohl ums Herz, er ſinkt zu Boden. „Wir ſind daheim,“ ſpricht freundlich der fremde Pilger, „denn ich bin der Tod.“

Eine hochpoetiſche Anſchauung tritt uns hier entgegen: der Tod ein Freund, ein treuer Begleiter der Erdenpilger, der fie ſicher ins Vaterhaus zurückführt.

Auch ſonſt betrachtet man den Tod als den Erlöſer von Erdenleid und Erdenlaſt, uud die Geſtalt Ahasvers, des ewigen

2 Mannigfaltiges. | 217

Juden, der ſich nach dem Tode fehnt, ihn aber nicht erreichen kann, warnt die Menſchen, den Tod nur als Bringer des Schreckens zu betrachten. Lenau hat dieſem Gedanken in ſeinem Gedicht „Ahasver“ ergreifenden Ausdruck verliehen. Ohne Ruhe und Raſt, ohne Friede und Freude, ohne Aus- ſicht auf Befreiung von den irdiſchen Feſſeln ſchleppt ſich der Unglückliche von Jahrhundert zu Jahrhundert und führt den an der Erde hängenden Menſchen vor Augen, daß das Leben nicht der Güter höchſtes ſei.

Das Volk kann nicht glauben, daß der Menſch dem irdiſchen Oaſein mit einem Schlage entrückt werde; es läßt darum die Verſtorbenen vielfach noch einige Zeit auf der Erde wandeln. Oieſer Volksglaube iſt uralt und ſtammt aus der Zeit, da noch der Ahnenkultus blühte. So iſt es in manchen Gegen- den unſeres Vaterlandes noch heute Sitte, Kuchen und Lichter für die umherirrenden Seelen auf den Weihnachtstiſch zu ſtellen, ein Brauch, der etwas Rührendes an ſich hat. Man glaubt auch, daß jeder Tote noch einmal in ſein Haus zurückkehre, ehe er für immer Abſchied nimmt. Dieſes Wiederkommen ſucht man ihm im Oſten Deutſchlands zu erleichtern, indem man ein Bund Stroh auf den Weg legt, damit ſich der Ent- ſchlafene auf ſeinem letzten Gang darauf ausruhen kann.

Sonſt gilt im allgemeinen die Wiederkehr der Toten als qualvoll für dieſe und unglückbringend für die Lebenden; des- halb gilt es, alles zu vermeiden, was ihre Grabesruhe ſtören könnte. Hierher gehört beſonders der altgermaniſche Volks- glaube, daß die dem Toten nachgeweinten Zähren ihn nicht zur Ruhe kommen laſſen. In der Edda bittet der begrabene Helgi feine Gemahlin Sigrun, die „ſehrenden Tropfen“ zu ſtillen, da ihm jeder derſelben blutig auf die Bruſt falle, ein Gedanke, der in einem ſchwediſchen Volksliede wiederkehrt, wo die Tränen der Braut das Herz des geſtorbenen Bräutigams mit Blut anfüllen. Auch das Märchen vom Tränenkrüglein erinnert hieran. Es berichtet vom Tode eines zarten Mägd- leins, dem die Mutter täglich viele Tränen nachweinte. Da erſchien ihr in einer Nacht die Tochter mit einem bis an den Rand gefüllten Krüglein; es enthielt die Tränen der untröſt—

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lichen Mutter. Flehend bat das Mädchen dieſe, ihrem Schmerz und ihren Tränen Einhalt zu tun, da es keine Ruhe im Grabe finden könne, wenn das volle Krüglein überlaufe. Und die Mutter weinte hinfort nicht mehr, um sn Frieden ihres Lieb- lings nicht zu ſtören.

So weckte auch Leonore in der Bürgerſchen Ballade durch ihre Klagen den in fremder Erde N Geliebten zu ge- ſpenſtigem Ritt.

Daß der Tod das Band zwiſchen zwei in inniger Liebe verbundenen Menſchen nicht ſofort zu zerſchneiden vermöge, iſt ein weitverbreiteter Glaube. Ergreifend find die Volks- ſagen von den Müttern, welche der unerbittliche Tod von den Säuglingen hinweggerafft, die der mütterlichen Liebe und Sorge mehr als andere bedürfen. So berichtet die Sage von einer Mutter, die allnächtlich aus dem Grabe aufſtand, um das Neugeborene zu verſorgen, und ihren Beſuch ſo lange wiederholte, bis ſie das Kind geborgen wußte. Eine andere Mutter entſtieg dem Grabe, um die Kinderwäſche an den Grabkreuzen aufzuhängen. Der herzloſe Türmer verſpottete das über das Grab hinaus ſorgende Mutterherz und hing ſein Taſchentuch zum Turmfenſter hinaus. Der gereizte Geiſt ſteigt an dem Turm empor, um den Übermütigen zu ſtrafen. Schon iſt er ihm nahe, da ſchlägt der Wächter angſterfüllt an die Glocke; bei dem Ton fällt das Gerippe herab und zerſchellt an den ſteinernen Stufen. N

Mag ſich auch mancher von ſolchen Geſpenſtergeſchichten abwenden, es liegt ein ſchöner und inhaltvoller Glaube darin, der Glaube an die nie aufhörende Mutterliebe, der nicht ein- mal der Tod ein Ziel ſetzen kann.

Zahlreich ſind die Sagen, nach denen der Tod den Menſchen vorher angekündigt wird. Zu den bekannteſten gehört die von dem ſpaniſchen Nationalhelden Cid. Auch von dem Kloſter Corvey an der Weſer berichtet die Sage, daß jeder Mönch drei Tage vor ſeinem Tode eine weiße Lilie auf dem Sitz ſeines Chorſtuhls vorfand. Er ging dann zu dem Abt, machte ihm Mitteilung von ſeinem bevorſtehenden Abſcheiden und erwartete unter frommen Gebeten ſeine Todesſtunde. Da

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trug es ſich zu, daß eines Morgens die Lilie auf dem Stuhl eines jungen, lebensfrohen Mönches lag, der zum Sterben noch keine Luft verſpürte. Er legte deshalb die Blume heim- lich in den Choͤrſtuhl eines hochbetagten Kloſterbruders. Der ſtarb jedoch nicht, denn der Tod ließ ſich nicht täuſchen; nach drei Tagen fand man den jungen Mönch tot in ſeiner Zelle. Aber die weiße Lilie ward ſeit jener Zeit nicht mehr geſehen.

Als Begleiter und Bote des Todes erſcheint häufig der Schwan. Eine ſüddeutſche Sage berichtet, daß einſtmals ein Knabe an den grünen Geſtaden eines Sees ſpielte, als ſich drei Schwäne näherten, deren leuchtendes Gefieder die Auf- merkſamkeit des Kindes erregte. Sie lockten es in die Tiefe. Wunderſchöne Jungfrauen führten den erſtaunten Knaben in einen prächtigen goldenen Palaſt, wo ſie mit ihm ſpielten, tanzten und ſangen. Nach einiger Zeit aber ergriff das Kind ein unwiderſtehliches Heimweh nach ſeiner Mutter, und es kehrte in das Elternhaus zurück. Doch ſchon nach drei Tagen ſtarb es vor Sehnſucht nach der in kriſtallener Tiefe geſchauten Herrlichkeit. So oft darum der Schwan erſcheint, verkündet er jemand den nahen Abſchied von der Erde.

Am Gedächtnistage unſerer Entſchlafenen tritt die Geſtalt des gewaltigen Todes mächtiger als ſonſt vor unſer Auge. Die Jahreszeit, in welche der Totenſonntag fällt, entſpricht der traurigen Bedeutung des Tages. Die Natur predigt irdiſche Vergänglichkeit, das Laub der Bäume liegt modernd auf dem fahlen Raſen, den Himmel verhüllen graue trübe Wolken, die Sänger der Fluren und Wälder ſind davongezogen, nur das heiſere Krächzen der Krähen tönt durch die neblige Herbſtluft. Vergänglichkeit predigen die langen Gräberreihen auf den Friedhöfen, zu denen wir wandern, um friſche Liebes- zeichen auf die ſtillen Hügel zu bringen. |

Da ſteigt wohl in mancher Bruſt die Frage auf: Was iſt uns das Leben? Was iſt uns der Tod? v. B.

Ein Frauenkenner. Die Königin Eliſabeth von England hatte eines Tages einen Fuhrmann nach dem Schloſſe Windſor beſtellt, um einen Teil ihrer überaus reichhaltigen Garderobe nach einem anderen Schloſſe bringen zu laſſen, da ſie ihren

220 Mannigfaltiges. 2

Aufenthaltsort wechſeln wollte. Als der Fuhrmann in Windſor anlangte, wurde ihm jedoch von der Dienerſchaft mitgeteilt, Ihre Majeftät habe ſich noch nicht darüber ſchlüſſig machen können, nach welchem Schloſſe die Sachen gebracht werden ſollten. Der Fuhrmann kehrte um und ſprach gegen Mittag noch einmal im Schloſſe vor; aber auch jetzt war die Königin noch zu keinem Entſchluſſe gelangt, und fo wurde der Wadere denn abermals mit dem Beſcheide abgewieſen, am Nachmittag wiederzukommen.

Als nun aber auch um dieſe Zeit ein Hofhedienſteter dem bereits ungeduldig Werdenden eröffnete, Ihre Majeftät wiſſe noch immer nicht genau, wohin die Fahrt gehe, da lief dem Fuhrmann die Galle über, und indem er kräftig mit der Peitſche knallte, rief er dem Lakaien ärgerlich zu: „Ich ſehe ſchon, die Königin iſt auch nicht anders als meine Alte, die weiß auch nie, was ſie will.“

Königin Eliſabeth hatte, an einem offenen Fenſter ſtehend, dieſe Worte gehört und brach nun in ein lautes Lachen aus. „Der Mann ſcheint die Frauen zu kennen,“ meinte ſie zu ihrer Hofdame und ließ dem Fuhrmann zur Entſchädigung für das lange Warten zehn Schillinge auszahlen. O. L.

Die Konſervierung der Weintrauben. Von den fran- zöſiſchen Fruchthändlern wird jetzt zur Konſervierung der Wein- trauben ein Verfahren geübt, das ebenſo einfach wie praktiſch iſt, da es die Trauben vom Herbſt bis zum Mai hinein friſch erhält. In einem froſtfreien Zimmer werden Geſtelle an- gebracht, die mit ſchrägliegenden Flaſchen beſetzt werden. Die Flaſchen ſind bis zur Hälfte mit Waſſer gefüllt. Die Trauben, die aufbewahrt werden ſollen, müſſen fo von den Reben ab- geſchnitten werden, daß an der Anſatzſtelle nach oben und unten noch ein handlanges Rebenſtück ſitzen bleibt. Bevor man das untere Rebenſtück in die Flaſche ſteckt, wird es noch einmal friſch beſchnitten. Alle Trauben ſind darauf zu prüfen, daß ſie keine fauligen Beeren enthalten. Auch ſollen ſich die Trauben auf den Geſtellen nicht berühren, damit fie ſich gegen- ſeitig nicht drücken. Von Zeit zu Zeit iſt Waſſer nachzufüllen. Das eingetauchte Rebenſtück ſaugt das Waſſer auf und gibt

Weintrauben.

kammer fuͤr

ſervierungs

Kon

222 Mannigfaltiges. D

es an die Trauben ab, deren Beeren dadurch friſch, prall und wohlſchmeckend bleiben. Th. S.

Ein guter Rat. Die Fälle, daß Leute vorübergehend ſich auf einen erhaltenen Auftrag, auf den Wohnort eines Freundes oder den Wortlaut einer Firma nicht beſinnen können, kommen häufig genug vor. Dann und wann ſoll es ſogar geſchehen ſein, daß einem ſein eigener Name entfällt, was auf ſchwere Erſchöpfung des Nervenſyſtems durch Nacht- wachen uſw. ſchließen läßt.

Vor kurzem iſt aber in Paris einem jungen Engländer das drollige Erlebnis paſſiert, daß er ſich in einem Gaſthofe ein- quartierte und dann den Namen des Hauſes vergaß. Er war am Morgen nach ſeiner Ankunft ausgegangen, um die ihm noch unbekannte Seineſtadt zu beſichtigen. Nachdem er Straße auf Straße, Boulevard auf Boulevard durchſtreift hatte, wurde er hungrig und müde, ſo daß er beſchloß, nach ſeinem Hotel zurückzukehren, um zu ſpeiſen und einen gründlichen Mittag- ſchlaf zu halten. Doch fo ſehr er ſich den Kopf zerbrach, er konnte ſich weder auf den Namen des Hauſes beſinnen noch auch auf die Straße, in der es lag. Die Kreuz- und Quer- gänge, die er beim Suchen vornahm, machten ihn nur noch verwirrter und ratloſer, brachten aber keinen Anhaltspunkt in ſein plötzlich verſagendes Gedächtnis zurück, an dem er ſich hätte zurückfinden können.

Unglücklicherweiſe konnte der junge Mann kein Wort Fran- zöſiſch ſprechen, jo daß es ihm unmöglich war, einen Vorüber- gehenden um Rat zu bitten. Er wußte buchſtäblich nicht ein noch aus, denn all ſein Gepäck ſamt ſeiner Barſchaft hatte er in dem Gaſthofe zurückgelaſſen.

Da entdeckte er auf einmal unter den Vorübergehenden einen, der auf hundert Schritte den Engländer verriet. Außer ſich vor Freude ſtürzte er auf ihn zu und klagte ihm die eigenartige Verlegenheit, in der er ſich befand.

Nachdenklich ſah der Engländer eine Weile vor ſich hin, denn unmöglich konnte er aus den dürftigen Angaben des jungen Mannes entnehmen, was für ein Gaſthof es war, worin dieſer abgeſtiegen war.

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Da hatte er einen klugen Einfall. „Haben Sie nicht viel- leicht von Ihrem Hotel aus ſchon einen Brief oder eine Poſt- karte an irgend jemand gerichtet?“ fragte er ihn.

„O doch,“ lautete die Antwort. „Ich habe an meinen Vater nach Neweaſtle geſchrieben und ihm meine glückliche Ankunft angezeigt.“

„Und Sie haben ſich dazu doch wahrſcheinlich eines Hotel- briefbogens mit Aufdruck bedient oder einer illuſtrierten Poſt- karte?“

„Allerdings, ich benützte eine Poſtkarte mit der Abbildung des Hotels.“

„Nun, dann telegraphieren Sie nach Hauſe und erkundigen Sie ſich, wo Sie wohnen,“ riet der Mann. „Ich führe Sie gern nach dem nächſten Telegraphenamt.“

Hoffnungsfreudig befolgte der Vergeßliche den Rat, wartete im Bureau gleich auf Antwort und ließ ſich, ſobald der Tele- graph ihm Namen und Adreſſe ſeines Gaſthofes übermittelt hatte, durch eine Oroſchke vergnügt „nach Haufe“ befördern. C. D.

Die Ohnmachtziegen. In Springhill im Staate Ten- neſſee der Vereinigten Staaten wird auf der Ewell- Farm ein eigenartiger Ziegenſchlag gehalten, der zurzeit etwa ein- hundert Köpfe zählt. Man nennt dieſe Tiere dort Ohnmacht⸗- ziegen, auch Schred- oder nervöſe Ziegen, weil fie zuweilen ſchon bei lautem Anruf plötzlich zu Boden fallen und in Rrämp- fen liegen bleiben. Man hält dieſe Ziegen als Haustiere in ſo großer Menge, weil ſie mit Vorliebe die jungen Zweigſpitzen abfreſſen und dadurch in der wirkſamſten Weiſe dafür ſorgen, daß der ungemein üppige Nachwuchs des Unterholzes und Strauchwerks nicht zur undurchdringlichen Mauer wird. Dieſe Ziegen haben überdies die gute Eigenſchaft, daß ſie leichter als ihre Artgenoſſen zuſammengehalten werden können, weil ſie die Zäune nicht zu überſpringen vermögen, ohne in Krämpfe zu verfallen. Die Ohnmachtziegen unterſcheiden ſich äußerlich kaum von den normalen Ziegen; ſie ſind bloß zarter gebaut. Wenn man dieſe Ziegen überraſcht oder erſchreckt, werden ſie vollſtändig ſteif und fallen bei dem Fluchtverſuche hin. Der Anfall dauert wenige Sekunden, worauf die Ziegen, wenn

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auch das Erſchrockenſein noch anhält, ſich bald erheben und davon⸗ laufen. Wenn ſie einmal wieder in Bewegung ſind, kann man ſie nicht leicht durch Erſchrecken wieder zu Fall bringen, da dies erſt nach Ablauf einer gewiſſen Ruheperiode wieder gelingt.

So weit aus den vorhandenen Beſchreibungen ein Urteil geſchöpft werden kann, handelt es ſich bei dieſer Erſcheinung um eine ſtark geſteigerte Schreckhaftigkeit, die von den ver- ſchiedenſten Sinnesgebieten ausgelöſt werden kann und einen allgemeinen Muskelkrampf herbeiführt. Da die Tiere das Springen vermeiden, muß eine Unluſtempfindung damit verbunden fein. Es kann aber dabei weder von einer Ohn- macht noch von einer Erſchöpfung die Rede ſein, weil der Krampf reflexartig eintritt, und die Empfindlichkeit für den Schreck bei fortgeſetzter Einwirkung des Reizes bald aufhört. Wiederholte Schreckſtarre ſcheint die Körperkräfte ſtark zu beanſpruchen, aber kaum, ſoviel bis jetzt bekannt iſt, zum Tode zu führen. Die abnorme Krampfneigung wird ſicher vererbt und ſchlägt bei Kreuzungen ſprungweiſe durch, geht alſo vermutlich nach dem Mendelſchen Geſetze auf die Nachkommen über.

Über die Herkunft dieſer Ziegen iſt nichts Verläßliches be- kannt. Sie werden auf der Ewell-Farm ſeit fünfzig bis ſechzig Jahren gezogen und ſind wahrſcheinlich aus Kanada nach den Vereinigten Staaten gelangt.

Übrigens ſcheint dieſer Fall von abnormer Schredhaftig- keit im Tierreich nicht der einzige zu fein. An der Oſtküſte Sumatras gibt es ein Eichhörnchen (ſchwarzrot mit weißen Schultern), das ſo nervös iſt, daß es, wenn viel Lärm gemacht wird, vor Schreck und unter Zuckungen betäubt vom Baume fällt und ſodann leicht gefangen wird. Die Malaien kennen dieſe Schwäche und nützen ſie aus. Auf der Zinninſel Banka gibt es ferner Waldhühner, die ſehr klein ſind, aber ſo große Eier legen, daß ſie nach dieſer Verrichtung in Ohnmacht fallen. In allen dieſen Fällen handelt es ſich wahrſcheinlich um die Stammesvererbung einer Entartung, die vielleicht mit den Sinnesſtörungen der Tanzmäuſe und der albinotiſchen tauben Tiere verglichen werden kann. A. E.

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Ein intereſſantes Buch. Jean Jacques Rouffeau, deſſen Werk „Emile“ von Goethe als das „Naturevangelium der Er- ziehung“ bezeichnet wurde, gab im Fahre 1759 ſeinen in der Eremitage, dem ihm von Frau v. Epinay eingerichteten Land- haus, angefangenen Roman „Die neue Heloiſe“ heraus, der gewaltiges Aufſehen erregte. Beſonders entzückt waren die Frauen von dieſem Buch. Seinen größten Erfolg hatte es jedoch am Hofe. Als ein Beiſpiel von der ungeheuren Span- nung, mit der es geleſen wurde, erzählt man ſich folgendes.

Ein Buchhändler ſchickte es der Prinzeſſin Talmont an einem Tage, an dem ein Ball angeſetzt war. Nach dem Abendeſſen ließ die Prinzeſſin ſich ankleiden, um den Ball zu beſuchen, und während des Friſierens begann ſie den neuen Roman zu leſen. Um Mitternacht ließ ſie endlich anſpannen, fuhr aber fort zu leſen. Man meldete ihr, daß der Wagen vorgefahren ſei, fie überhörte es. Um zwei Uhr ſagte man ihr, es werde wohl bald zu ſpät fein, um den Ball noch zu beſuchen. „Es hat noch keine Eile,“ entgegnete ſie, immer weiter leſend. Endlich klingelte ſie und fragte den eintretenden Diener, wie ſpät es ſei. Man gab ihr Beſcheid, daß es vier Uhr ſei. „Dann iſt es zu ſpät, um noch auf den Ball zu gehen,“ verſetzte ſie, „man kann ausſpannen.“ Um ſechs Uhr erſt legte ſie das Buch aus der Hand, denn jetzt war es zu Ende.

Heutzutage wird freilich wohl kaum eine Leſerin dieſes Intereſſe begreifen. A. Sch.

Warum iſt der Durſt ſchwerer zu ertragen als der Hunger? Nicht nur die freiwilligen Faſtenübungen der Hunger künſtler und die Erlebniſſe Verſchütteter beweiſen es, daß ſich für lange Zeit die Nahrungsenthaltung verhältnis mäßig leicht ertragen läßt, wenn es möglich iſt, den Körper mit Waſſer zu verſorgen, ſondern auch bei einer jeden anſtrengenden Wanderung oder Arbeit kann man die Erfahrung machen, daß der Hunger unſchwer zu unterdrücken iſt, während der Durſt immer heftiger quält und immer dringender ſeine Be— friedigung fordert. Woran liegt das? Oenn eigentlich müßte ja für den Körper die Zufuhr von Nährſtoffen, die er zur Auf- rechterhaltung der Tätigkeit ſeiner Organe und zur Umſetzung

1910. VII. 15

226 Mannigfaltiges. 2 —— T—ͤ—ͤäH— ͤ d— ö —̃— öb— . (———— in lebende Materie bedarf, wichtiger ſein als die Aufnahme von WVaſſer, das nicht zu den Nährſtoffen gerechnet werden kann. |

Die Beantwortung diefer Frage hängt mit unferer Rörper- konſtitution und mit den Aufgaben zuſammen, die das Waſſer im Haushalt unſeres Körpers zu erfüllen hat. Unſer Körper beſteht zu ſechzig Prozent aus Waſſer, während zum Beiſpiel die echten Eiweißſtoffe nur neun Prozent ausmachen. Schon dieſes Verhältnis erfordert eine reichliche Flüſſigkeitszufuhr. Das Wafjer aber, mag es nun ein Beſtandteil des Blutes, der Lymphe, der Verdauungsſäfte oder des Zellengewebes fein, iſt nicht nur das alleinige Löſungsmittel für die organiſchen Nährſtoffe, die in unſerem Körper kreiſen, ſondern auch ihr Transportmittel. Zede größere und andauernde Waſſer- entziehung muß demnach eine Hemmung in der Verarbeitung aufgenommener oder noch im Körper vorrätiger Nährſtoffe im Gefolge haben, und ſie erſchwert es zugleich, die Nährſtoffe an die Bedarfsſtätten zu bringen. Aus dieſen Gründen muß, wenn die Waſſerentziehung eine hochgradige wird, eine ſchwere Stockung im Stoffwechſel eintreten, die dann eine entſprechende Beeinträchtigung der Tätigkeit der wichtigſten Organe nach ſich zieht.

Dazu kommt noch, daß wir bei einer jeden anſtrengenden Körperleiſtung durch die Lungenatmung, die Hautatmung und die Schweißabſonderung ſehr bedeutende Waſſermengen abgeben. Wie ſehr die Tätigkeit unſerer Organe durch eine ſtärkere Waſſerentziehung geſtört wird, können wir am fühl- barften an unſeren Speicheldrüſen in der Mundhöhle beob- achten. Bei einer längeren Wanderung ſpüren wir eine läſtige Trockenheit und ein unangenehmes Kratzen im Munde. Es rührt davon her, daß infolge mangelnder Waſſerzufuhr und der hohen Schweißabſonderung, um nur dieſe zu nennen, die Flüſſigkeitsmenge, die den Speicheldrüſen zur Verfügung ſteht, vermindert iſt und darum die Speichelausſonderung beſchränkt wird. Ahnlich aber verhält es ſich mit anderen drüſigen Organen unſeres Körpers.

Die Aufnahme von Nahrungsſtoffen dagegen kann der

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Körper deshalb zeitweilig unſchwer entbehren, weil er im Fettpolſter, ſowie im Zellengewebeſaft ſtets einen größeren Vorrat von organiſchen Nährſtoffen beſitzt. Th. S. Frühchriſtliche Altertümer. Eine blühende Handelsſtadt war unter dem ägyptiſchen Herrſchergeſchlecht der Ptolemäer

Bronzenes Tuͤrornament.

im dritten vorchriſtlichen Jahrhundert Abdulis am Roten Meer. Es lag bei Zulah am jetzigen Annesleygolf. Hauptſächlich führte es Elfenbein, Felle und Sklaven aus. Eine zweite Blütezeit begann für Abdulis im zweiten Jahrhundert nach Chriſto unter der Regierung der Könige von Axum, die ihr Reich nicht nur über Abeſſinien, ſondern auch über große Teile Arabiens aus—

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dehnten. König Aizanes berief um 383 nach Chriſto die beiden abeſſiniſchen Apoſtel Frumentius und Adeſius, um das Chriften- tum im Lande zu verbreiten. Das Reich erlag im ſiebenten Jahrhundert dem Anſturm des Iſlams, und damit ſank auch Abdulis in Trümmer.

Auf der Ruinenſtätte find neuerdings Ausgrabungen ver-

Pbot. Paul Fepbſl. Goldkreuz mit Kette aus Abdulis.

anſtaltet worden. Man deckte zuerſt einen Sonnentempel auf, der der Frühzeit der Ptolemäer angehört, und dicht daneben eine chriſtliche Kirche aus der Zeit des axumitiſchen Reiches.

Unter den in den Reſten der Kirche aufgefundenen Alter- tümern ſind beſonders zwei Stücke intereſſant. Das eine iſt ein grotesker Kopf, der einen Ring zwiſchen den Zähnen

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hält. Der Kopf, der aus Bronze hergeſtellt ift, diente als orna- mentaler Schmuck der Kirchentür und war wohl zugleich ihr Griff, wie man ähnlich noch in ſpäterer Zeit Löwenköpfe mit Ringen als Türgriffe verwendete. Das zweite Stück iſt ein goldenes Kreuz an einer Kette. Es trägt die griechiſche In- ſchrift: Aron der Prieſter. Aron war vermutlich der Biſchof von Abdulis. Der Technik nach gehören die Funde dem fünften oder ſechſten Jahrhundert an. Th. S.

Die Mutter Mac Mahons. Im Jahre 1807 lebte in der Stadt Hannover die Witwe des kurhannoverſchen Haupt- manns Behne, in zweiter Ehe verheiratet mit dem engliſchen Maler und Sprachlehrer Arishol. Sie hatte aus erſter Ehe drei Kinder, eine Tochter namens Emilie, ein junges Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit, und zwei noch unerwachſene Söhne. Advokat Doktor Rautenberger, der Vormund, und Medizinalrat Hurlebuſch, der Onkel der Kinder, ſorgten für ihre gediegene Erziehung, und wie fie ſelbſt glühende Fran- zoſenfeinde waren, fo ſuchten fie den Haß gegen die Unter- drücker der deutſchen Nation in den jugendlichen Herzen zu erwecken. Als Emilie erwachſen war, nahm ſie der Onkel zu ſich ins Haus, und ſie ſtand dem Hausweſen vor.

Eines Tages kam franzöſiſche Einquartierung in die Stadt, und ein junger franzöſiſcher Kriegskommiſſär wurde der Gaſt des Medizinalrates. Der Franzoſe zeichnete ſich ebenſo durch artiges, gewandtes, rüdjihtspolles Benehmen, als durch Statt- lichkeit aus und verfehlte nicht, einen überaus günſtigen Ein- druck auf das Herz der ſchönen Wirtin zu machen, für die er ſelbſt vom Augenblicke der erſten Begegnung an eine ſchwär⸗ meriſche Neigung hegte. Was kommen mußte, kam: es ent- ſpann ſich ein ernſtes Liebesverhältnis zwiſchen den jungen Leuten, und ehe Onkel und Vormund eine Ahnung von der Sachlage hatten, waren die Liebenden ſchon miteinander im reinen und hatten ſich gegenſeitig das Gelübde ewiger Treue gegeben.

Aber bald trübten dunkle Wolken den Liebeshimmel, und ein furchtbares Ungewitter entlud ſich über dem Haupte der ſchönen Frevlerin, die das Gebot: „Liebet eure Feinde!“ gar

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zu wörtlich genommen hatte. Der Vormund hielt es für ge- raten, ſein Mündel heimlich aus Hannover zu entfernen. Emilie wurde in aller Stille nach Rinteln gebracht und dort in ein Penſionat geftedt. Der Franzoſe erfuhr aber bald, was geſchehen war, und kaum hatte er den Aufenthalt der Geliebten erkundet, ſo reiſte er ihr nach, und es gelang ihm, ſie zu ſprechen und ſie zu beſtimmen, mit ihm nach Frankreich zu entfliehen. Dort wurde Emilie Behne die Gattin des Kriegskommiſſärs Mac Mahon, dem zuliebe ſie Heimat und Vaterland aufgegeben hatte. i Ihr Gemahl, ein Abkömmling ſchottiſcher Clans, vergalt ihr durch treue Liebe die gebrachten Opfer. Der im Jahre 1809 geborene Sohn des Kriegskommiſſärs Mac Mahon und der Hannoveranerin Emilie Behne war der ſpätere Präſident der franzöſiſchen Republik, der Marſchall Mac Mahon, Herzog von Magenta. C. T.

Die Klage des Prügelmeiſters. Erasmus Niening, der Stock- oder Prügelmeiſter in Kroſſen in Brandenburg, ſollte penſioniert werden, wogegen er folgendes Geſuch einreichte: Allergnädigſter Herr Refrendarii! Zu meiner lebenslänglichen Bekümmerniß vernehme ich ſeit geſtern Abend, daß ich armer Invalide ſoll abkommen von meinem erlichen Stückchen Brot, und in die Marktmeiſterei ſoll employiert werden mit Verluſt meines treuen Dienſtes als Stockmeiſter ſeit zweiunddreißig Jahr und habe zuſehen müſſen, wie der Veltner heut Morgen die Exekution vorgenommen ohne Einſicht und Umgang mit die Menſchheit, daß es ein Gotteserbarmen. Daher ich gejagt: „Veltner, gieb mich die Peitſche, denn du kennſt nicht den Commang.“ Worauf ich den Menſchen nur dreimal angetippt, daß ſelbiger ſo laut aufgeſchrieen, daß einen das Herz im Leibe lachte. Und Veltner ſprach: „Siehe, du verſtehſt das Ding beſſer.“ Worauf ich kurz abſolvirt und die fünfundzwanzig aufgezählt habe, ohne daß einer gefehlt hat.

So wollte den Herrn Refrendarii gebeten haben um Mit- leid und Erbarmen mit einem alten Mann und Invalide ſeit dem Kartoffelkrieg, daß ſie mich laſſen mein einzig Bischen Vergnügen auf dieſer Welt, weil ich doch hoch in die ſiebenzig,

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und keinen hauen laſſen als mich, nach meine ſchwachen Kräfte, ſo lange Gott noch ſchenkt Leben und Geſundheit zu das ſchwere Handwerk mit die Peitſche oder Ruthen. Wobei ich verſpreche zu tun mein Möglichſtes, daß Keiner klagen darf und Alle zufrieden geweſen find und denken an mich alten armen Mann; nur Veltnern in die Marktmeiſterei zu ſetzen bitte ich und laffen mich in die Zuſtiz, wo ich gewohnt bin und jedem ge- geben habe das Seinige, ohne alles Murren, von Glocke zehn an des Morgens bis alle abgefunden geweſen ſind.

Ich alter Mann flehe erbarmungswürdig, mich nicht zu ver- ſtoßen, ſondern in Ruhe fahren zu laſſen in die Grube, ſo lange die Hand noch halten kann die Kantſchuh von Nr. 1 bis 7, wobei ich nach Gewiſſen ſorgen will für gute und friſche Ruthen nach Befinden eines Criminalſenats, wobei ich verbleibe, Croſſen, den 10. Juli 1823. Dero Invalide Niening. C. T.

Churros und Bunuelos (ſprich Tſchurros und Bunjuelos) ſind zwei Gebäcke, die den Morgenimbiß der meiſten Bewohner von Madrid bilden und beſtändig bis zum ſpäten Abend auf den Straßen ausgerufen werden. Die Churros beſtehen aus in Ol gebackenem und mit Zucker beſtreutem Mehlteig in Form einer Schlinge. Bunuelos find in Ol gekochte Wind- kringeln, die etwa die Größe eines Talers haben. Beide wer- den glühend heiß verzehrt. Der Arbeiter, der früh zur Fabrik geht, der Nachtwächter, der ſich zur Ruhe nach Hauſe begibt, die Straßenkehrer, die Zeitungsjungen, die Oroſchkenkutſcher, die Lumpenſammler, die Milchhändler kurz alle Frühauf- ſteher ſind ſtändige Abnehmer der leckeren Ware, die von ihnen zu einem Gläschen Aniſette verſpeiſt wird. Der be- häbige Bürger läßt ſich die Gebäcke ſpäter in der Küche auf- wärmen und verzehrt ſie zu ſeiner dickflüſſigen Schokolade.

Wer in aller Bequemlichkeit die Herſtellung der genannten Backwerke beobachten will, der gehe auf die „Beobana“. Es iſt dies eine Art Meſſe bei Fackel und Laternenſchein, eine echt ſpaniſche Beluſtigung, die an den Vorabenden aller hohen Feſttage veranftaltet wird. Wie auf einem FJahr— markt werden hier allerhand Waren feilgehalten, und Churros und Bunuelos ſind natürlich nicht vergeſſen. Den Buden,

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in denen dieſe gebacken werden, entſtrömen blaugraue Dunft- wolken, von dem ſiedenden Ol herrührend; für ſpaniſche Nafen iſt dies ein lieblicher Duft, während er den Ausländer zum Laufen bringen kann. |

Das Backen geſchieht auf folgende Weiſe. Neben dem ſiedenden Ölteffel ſteht ein mit gelblichem Teig gefüllter Back⸗ trog. Ein Mann in weißer Schürze nimmt ein nußgroßes Stück Teig, gibt ihm eine abgeplattete, runde Form, macht ein Loch in die Mitte und wirft es ins Ol, wo es nur etwa eine Minute auf und ab tanzt und hierauf als goldgelber Bunuzlo, an einem Eiſendraht aufgeſpießt, hervorgezogen wird. Es wird mit Zucker beſtreut und ſofort gegeſſen. ö

Die Churros ſind von demſelben Teig, aber ihre Herſtellung iſt eine andere. Der Bäcker hat ein Inſtrument, einer großen Spritze ähnlich; die Spritze wird mit dem dünnen Teig ge- füllt und dieſer in fingerdicken Strahlen in das glühende Ol geſpritzt. Die fo hergeſtellten Churros überſtreut man gleich- falls mit Zucker. Wer dieſe Gebäcke ſofort verzehren will, dem werden ſie, damit er ſich nicht die Finger verbrennt, auf eine Binſe gezogen überreicht.

Das Getränk dazu iſt ein ſtarker Schnaps, den ſelbſt Damen nicht verſchmähen, da ohne einen ſolchen die heiße Backware kaum zu verdauen wäre.

Churros und Bunuelos ſtammen wie die meiften ſpaniſchen Süßigkeiten von den Arabern. Man erzählt ſich da folgendes Geſchichtchen. Als Granada noch nicht von den dhriftlichen Herrſchern eingenommen worden war, lebte in der Alhambra- ſtadt eine Maurin, die den Ruf hatte, die beſten Churros und Bunuelos zu backen. Das raubte der Königin Iſabella den Schlaf, denn ſie hätte ſo gern von dem köſtlichen Backwerk gegeſſen, und mit allem Eifer beſchleunigte fie die Belage- rungsarbeiten, in der Hoffnung, bald der geſchickten Kuchen- bäckerin habhaft werden zu können. Aber ihre Geduld wurde auf eine harte Probe geſtellt. Einſt klagte ſie dem tapferen Gonzalo de Cordoba ihr Leid. Gonzalo, dem kein Unter- nehmen zu ſchwer war, ſchlich ſich am folgenden Tage, als Maure verkleidet, in Granada ein, und es gelang ihm in der

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Tat, die Kuchenbäckerin zu entführen und ins ſpaniſche Lager zu bringen. Sfabella ſoll darüber jo erfreut geweſen fein, daß ſie ihre Juwelen veräußerte und mit dem Erlöſe dem Kolumbus die Mittel zu feiner Entdeckungsfahrt nach Weft- indien lieferte.

So haben die Churros und Bunuelos, ohne daß die Welt eine Ahnung davon gehabt, eine weltgeſchichtliche Rolle ge- ſpielt. | O. v. B.

Ein alter Brief. In Marfeille liegt, noch geſchloſſen und mit dem königlichen Wappen geſiegelt, ein Brief, der vor 279 Jahren abgeſandt wurde und noch immer feinen Be- ſtimmungsort nicht erreicht hat. König Ludwig XIII. hat dieſes ehrwürdige Schriftſtück an den „ſehr hohen, ausgezeichneten, mächtigen, großherzigen und unbeſieglichen großen Kaiſer der Muſelmänner den Sultan Amurath, der überreich iſt an Ehre und Tugend, unſeren liebſten und vollkommenen Freund“, im Jahre 1651 abgeſandt. Der Brief war der Handels- kammer von Marfeille zur Beförderung anvertraut, die da- mals über die zuverläſſigſten und ſchnellſten Kuriere zwiſchen Frankreich und der Levante verfügte. Die Peſt, die in jenen Jahren die Stadt heimſuchte, hatte den Poſtdienſt indeſſen geſtört, und ſo kam es, daß der Brief unbefördert im Hauſe der Handelskammer liegen blieb. Man vermutet, daß Lud- wig XIII. den Sultan darin um die Erlaubnis bat, daß die Schiffe von Marſeille in den türkiſchen Häfen die notwendigſten Lebensmittel aufnehmen dürften. O. v. B.

Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht bei Hemming⸗ ſtedt. Das umſtehend abgebildete Denkmal iſt zu Ehren des alten Heldenruhms der Oithmarſchen errichtet worden, die im Mittelalter ſo lange gegen die Dänen ihre Selbſtändigkeit zu wahren wußten. Das Land Dithmarſchen umfaßt den weft- lichen Teil von Holſtein zwiſchen Elbe, Nordſee, Eider und Gieſelau und iſt durch Deiche vor Überſchwemmungen ge— ſchützt. Das fruchtbare Marſchland, durch viele Kanäle ent- wäſſert, iſt mehr zur Viehzucht als zum Ackerbau geeignet; die Kanäle und Oeiche erſchweren feindliche Angriffe. Hier hat ſich ein eigentümlicher, kraftvoller Volksſchlag erhalten, der

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im zwölften Jahrhundert durch die Vermiſchung der einheimi- ſchen Sachſen mit Koloniſten aus Friesland entſtand, welche der Biſchof von Bremen dorthin brachte. In dem Krieg des Dänenkönigs Waldemar II. gegen den Biſchof von Bremen und die Grafen von Holſtein «behaupteten die Dithmarſchen heldenhaft ihre Unabhängigkeit, die ſie erſt in der Schlacht bei

Denkmal zur erinnerung a an die Schlacht bei een in Dithmarſchen.

Heide einbüßten. Damals ſahen fie ſich genötigt, den König von Dänemark als Oberlehnsherrn anzuerkennen, und ſeitdem hat der frühere Bauernfreiſtaat das Schickſal Holfteins geteilt.

Vorher aber hatten ſie noch einmal ſiegreich einer ſtarken däniſchen Heeresmacht getrotzt. Über dreißigtauſend Mann führte der Dänenkönig Johann heran. Die Dithmarſchen zogen ſich vor dem erſten Angriff zurück, warfen bei Hemming- ſtedt eine Schanze auf, wählten einen ihrer Landesälteſten,

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Wolf Ziebrand, zum Führer und fanden in einer kühnen Zung- frau, deren Weſen uns an Jeanne d' Arc erinnert, mit Namen Telſe aus Hohenwörden, eine begeiſternde Trägerin für ihre Fahne. Nach dem feierlichen Schwur, zu ſiegen oder zu ſterben, gelang es ihnen, das feindliche Heer in die Moräſte zu treiben und hier durch Offnung der Schleuſen zu vernichten. Dieſer Entſcheidungskampf fand ſtatt am 17. Februar 1500.

Das Denkmal iſt auf dem Duſenddüwelswarf (Taufend- teufelhügel) bei Hemmingſtedt errichtet. Breite Stufen führen auf den kraftvoll aus ſtarken Quadern errichteten Unterbau, auf dem, von vier mächtigen Säulen getragen, ein gewaltiger Granitblock ruht. Dieſer Block, ein Symbol der Volkskraft, iſt von dem einige Meilen entfernten Gudendorfer Vierth dahin geſchafft worden. J. P.

Ein unaufgeklärtes Geheimnis. Wie Mark Twain einen Reporter in die Flucht ſchlug, iſt entſchieden nachahmenswert. Der Zeitungsmann war erſchienen, um den großen Humoriſten über die Einzelheiten ſeines Familienlebens auszuforſchen.

„Sind Sie das einzige Kind Fhrer Eltern oder haben Sie Brüder und Schweſtern?“ leitete er ſein Examen ein.

„Es iſt mir leider unmöglich, mich daran zu erinnern.“

„Wie? Hit jenes Bild dort an der Wand, das Fhnen fo außerordentlich ähnelt, nicht ein Bild Ihres Bruders?“

„Ach ja, jetzt geht mir ein Licht auf. Das iſt William, der arme William, der arme Bill, wie man ihn zu nennen pflegte.“

„Iſt er denn tot?“

„Gewiß, oder vielmehr ich nehme das an. Es iſt ein Ge— heimnis bei der Sache. Wir waren nämlich Zwillinge, der verſtorbene Bill und ich. Eines Tages wir waren kaum zwei Wochen alt vertauſchte man uns im Bade. Einer von uns iſt dann geſtorben, aber wir wiſſen nicht, wer es war. Die einen glauben, es ſei Bill, die anderen, ich ſei es geweſen. Aber jetzt will ich Ihnen ein weiteres Geheimnis ſagen, das bis heute noch nicht aufgeklärt worden iſt: Einer von uns trug ein ſehr ſichtbares Muttermal auf dem linken Handrücken. Das war ich, und dieſes Kind iſt geſtorben. Ich bin alſo gar nicht ich, wenigſtens weiß ich es nicht.“

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Der Reporter hatte bereits unauffällig ſeinen Hut genom- men und ſchlich ſich jetzt rückwärts zur Tür hinaus. O. v. B.

Die Roſe in der Küche. Die Roſe iſt ſeit den älteften Zeiten der Liebling der Völker geweſen, und faſt bei allen iſt die Königin der Blumen in das menſchliche Leben hinein- gezogen worden. Roſen ſtanden an der Wiege, Roſen ſchmückten die Jugend, Roſen umdufteten den Traualtar, Roſen bildeten den Schmuck der Feſte, Roſen wurden aufs Sterbelager geftreut.

Gegenüber dieſer poetiſchen Bedeutung iſt von ihrer praktiſchen Verwendung nur ſelten geſprochen worden, und doch hat die Roſe fogar in der Küche von jeher eine Rolle geſpielt. In Griechenland allerdings nicht, ſondern erſt im ſchlemmeriſchen Rom. Betreffs der römiſchen Kochkünſtler ſchreibt Seneca: „Der Ausfall ihrer Küchenkünſte hing von der Zufuhr von Roſen ab.“ Es gab Roſenpudding, Rofen- konfitüren, Roſenhonig. Beſonders aber wurden Roſenblätter dem Wein beigemiſcht. Vielleicht hatte ein Zufall zu dieſem Brauch geführt. Fanden in Rom die berühmten wie berüchtig- ten, fo oft geſchilderten Gaſtmähler ſtatt, dann wurde der Feſt— ſaal in verſchwenderiſcher Weiſe mit Roſen dekoriert. Roſen prangten auf der Tafel, Roſenkränze zierten die Gäſte, Rofen- blätter bedeckten Polſtern gleich die Flieſen und waren auf die Lagerkiſſen geſtreut, Roſen ſchmückten die Weinſchale, aus der man ſich zutrank. Sollte da nicht einmal ein heißblütiger Verehrer eine Blüte aus ſeinem Roſenſchmuck über dem Becher entblättert und dieſen auf das Wohl ſeiner ſchönen Nachbarin geleert haben? Könnte dieſer Scherz nicht Nachahmer gefunden haben und ſo allgemein Brauch geworden ſein?

Rofenwein war nämlich im alten Rom ſo beliebt, wie es bei uns der Maiwein iſt. Zedenfalls berichten die Chroniſten dieſes Landes, daß ein vornehmer Patrizier gelegentlich eines Feſtes, das er veranſtaltete, über vier Millionen Seſterzen für Roſenwein ausgab. Kaiſer Heliogabal, der große Schlemmer, ließ ſogar ſeine Fiſchteiche mit Roſenwein füllen und, nachdem er darinnen gebadet, jenen an das Volk verſchenken. Er rühmte ſich auch, Roſenwein durch einen Zuſatz von Pinienzapfen wohlſchmeckender gemacht zu haben.

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Über die Herftellung des Rofenpuddings enthält das Koch- buch des Schlemmers Apicius ein Rezept, das wir hier nicht unerwähnt laſſen möchten. Man nimmt gereinigte Rojenblätter, ſchneidet das Weiße am unteren Ende ab und zerſtößt ſie in einem Mörſer, indem man eine pikante Soße hinzufügt. Welcherart dieſe ſein ſoll, iſt leider nicht angegeben. Darauf preßt man den Rofenbrei durch ein Sieb, nimmt vier Ralbs- gehirne, die gut geſäubert ſind, ſtreut ein Quentchen geſtoßenen Pfeffer und Salz darauf und rührt den Roſenſaft, ſowie acht Eier, anderthalb Glas guten Wein, ein Glas Roſinenwein und einige Löffel feinſtes Ol hinein. Alsdann ſtreicht man die Puddingform reichlich mit gutem Ol aus, tut die Maſſe hinein und läßt ſie im Ofen backen. |

Auch das deutſche Mittelalter wollte die Roſe in der Küche nicht miſſen. Namentlich war es das Roſenwaſſer, das Verwendung fand. Es werden größere und kleinere Gaben davon Suppen, Ragouts und Soßen beigemiſcht, wie das Rebhuhn in Rofen- ſoße gebraten wurde. Auch wurden im Mittelalter Rojenblätter mancherlei Backwerk zugeſetzt, welcher Brauch ſich in Süd- deutſchland bis in unſere Tage erhalten hat, ſo im bayriſchen Roſenſchnitz, einem leichten Backwerk, dem weiße Roſenblätter eingemengt werden. Der Zuſatz irgend eines Roſenpräparates zu den Speiſen war übrigens ſo allgemein geworden, daß ein Schriftſteller des fünfzehnten Jahrhunderts, Arnold de DVille- neuve, es tadelt, Eeßwaren mit anderen Würzen als Salz, ein wenig Wein und Roſenwaſſer ſchmackhaft zu machen.

Heute findet Roſenwaſſer zu derartigen Zwecken, außer in China, wo man es zur Bereitung der Noſenbutter gebraucht, wohl nur noch Anwendung bei der Herſtellung von Rofen- bonbons und Rofenlitör. Von letzteren gibt es eine ganze Reihe, vom farbloſen bis zum roſenroten, ſo Créme de roses, Huile de roses, Rosa bianca, Créme de roses de Bassora, Créme de la rose mousseuse, Eau de rose, Breslauer Roſen- likör, franzöſiſcher Roſenlikör, Roses du printemps.

Der Roſoglio der Staliener hat mit der Roſe eigentlich nichts zu ſchaffen, obſchon man ihn fälſchlich Roſenlikör nennt. Er iſt eine Erfindung des Chemikers und Alchimiſten Aleardus

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von Villanova, der gegen Ende des ſechzehnten Jahrhunderts als Profeſſor in Barcelona lebte. Später wandte er ſich nach Stalien und deſtillierte hier aus dem Sonnentau (Drosera rotundifolia), früher als Herba Rosella offizinell, fein berühm- tes Goldwaſſer, das wider alle Krankheiten dienlich ſein ſollte. Als wohlſchmeckender Likör wurde es bald unter dem Namen „Roſoglio“ (ros solis = Sonnentau) bekannt und iſt heute noch in Stalien populär.

Im Süden wie im Morgenlande kommt die Rofe eben- falls nur noch in vereinzelten Fällen als Genußmittel in Be- tracht. Der von den Bienen aus den Blättern der in Griechen land wachſenden immergrünenden Roſen geſammelte Honig riecht angenehm nach Rofen und heißt deshalb auch Roſen- honig. Er wird als Seltenheit auch nach dem übrigen Europa verſandt; als Griechenland aber noch unter der Herrſchaft der Türkei ſtand, mußte aller Roſenhonig an das Serail des Sul tans abgeliefert werden. Aus RNoſenblättern und Sirup be- reiten die Griechen auch ihren Roſenzucker, der beſonders von großer Güte aus Agypten und Kleinaſien in den Handel kommt und eine der vornehmſten Konfitüren der Orientalen iſt, und einer der beliebteſten Duftſpender der Morgenländer iſt der Rofeneffig, der teils als Zuſatz zum Salat, teils bei Krank- heitsfällen und Ohnmachten als ſtärkendes und reizendes Mittel benützt wird. Er wird gewonnen, indem man ein Viertelkilo friſcher roter Roſenblätter mit einem Kilo heißen Eſſigs einige Stunden digeriert, darauf durchgießt und filtriert. Zum Schluß ſei noch erwähnt, daß die Roſe auch als Surrogat herhalten muß, da mit den Blättern der Teeroſe der chineſiſche Tee wohlriechend gemacht wird. C. Sch.

Das Wörtchen „machen“, das der Deutſche in der Um⸗ gangsſprache ſo überaus oft anwendet, gab dem ehemaligen Rektor Ilgen in Schulpforta Veranlaſſung zu folgender Probe: „Früh wenn es Tag macht, macht ſich der Bauer aus dem Bett heraus. Er macht die Kammertür auf und macht ſie wieder zu, um ſich an das Tagewerk zu machen, deſſen An- fang damit gemacht wird, daß man Feuer macht, um vor allen Dingen Kaffee zu machen. Das Weib macht indeſſen

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die Stube rein und macht Ordnung und macht ſich die Haare. Wenn ſie lange macht, macht ihr Mann ein böſes Geſicht. Daraus macht ſie ſich nun freilich nicht viel, aber gutes Blut macht es doch auch nicht, wenn einem immer die Bemerkung gemacht wird: „Mach, daß du dich fertig machſt; ich kann ſonſt vor Ärger nichts machen!“ Als er ſich endlich auf den Weg machen will, um auf den Buttſtädter Jahrmarkt zu machen, macht es ein ſo greuliches Schneewetter, daß er nicht weiß, was er machen ſoll und ſich ſchließlich auf die Beine macht und wieder heim macht. Ei, ſo macht doch, ihr Deutſchen, eurer ver- wünſchten Macherei ein Ende, es möchte ſonſt den Ausländern Freude machen, euch das Volk der „Gemachtmachenmacher“ zu nennen!“ C. T. Der Brauch des Vielliebcheneſſens ſtammt aus der Rhein- gegend. Hier war es um die Wende des ſiebzehnten Fahr- hunderts Sitte, daß in den Dörfern und Landſtädten am Sonntag Invokavit den jungen Männern die Mädchen als „Liebchen“ oder „Vielliebchen“ ſcherzweiſe zugeteilt wurden. Wenn dem Burſchen das betreffende Mädchen gefiel, ſo ging er am folgenden Sonntag zu ihm, um mit ihm die „Bretzel zu brechen“. Zuweilen brachte er ihm auch ein kleines Ge- ſchenk mit, und das Paar redete ſich einige Zeit hindurch mit Vielliebchen an. Als der Brauch gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts im Volk ausartete, wurde er polizeilich verboten. Dafür fand er jetzt aber in den feinen Geſellſchaftskreiſen Eingang. Zunächſt beſchränkte man ſich darauf, am Neu- jahrsabend in Geſellſchaft mit einer Dame die „Bretzel zu brechen“ und ſie dadurch zum Vielliebchen zu erwählen. Später trat an die Stelle der Bretzel der Doppelkern einer Mandel, und zugleich hielt man ſich nicht mehr an den Neujahrstag, ſondern das Vielliebchen auch bei anderen feſtlichen Ver- anſtaltungen. Th. S. Ein Haus aus einem Stein erbaut. In Höngg, einem Pfarrdorf im Kanton Zürich am rechten Ufer der Limmat, wurde im Fahre 1674 ein zweiſtöckiges Haus, welches fpäter dem Grafen Benzel-Sternau gehört hat, aus einem einzigen Stein erbaut. Es war dies der ſogenannte „rote Ackerſtein“,

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einer jener koloſſalen erratiſchen Blöcke, der „Findlinge“, welche in unvordenklicher Zeit durch Gletſcher an ihre jetzigen Fundorte befördert wurden und uns jetzt noch zeigen, wie weit ſich ehedem die Gletſcherwelt erſtreckte. Das erwähnte Haus trägt die Inſchrift:

Ein großer roter Ackerſtein,

In manches Stück zerbrochen klein

Durch Menſchenhänd' und Pulversg' walt,

Macht jetzund dieſes Hauſes G'ſtalt, |

Vor Unglück und Zerbrechlichkeit

Bewahr es Gottes Gütigkeit. C. T.

Ein Mittel gegen Halsſchmerzen. Der Bürgermeiſter eines amerikaniſchen Städtchens, zugleich eifriges Mitglied des Mäßigkeitsvereins, litt an Halsſchmerzen, und der Arzt gab ihm den Rat, einmal ein recht ſteifes Glas Grog zu trinken.

„Aber Doktor,“ meinte der brave Mann, „ich habe zeit meines Lebens der Gemeinde Enthaltſamkeit von geiſtigen Getränken gepredigt und ſollte ihr nun ein ſo ſchlechtes Beiſpiel geben!“

„Ach was!“ unterbrach ihn der Doktor. „Verlangen Sie doch einfach heißes Waſſer zum Raſieren. Den Rum können Sie ja vor der Haushälterin verſteckt halten.“

Der Bürgermeiſter unterwarf ſich nur ſeufzend dem Rat- ſchlag.

Nach einem Vierteljahr ging der Arzt wieder einmal am Haufe des Bürgermeiſters vorüber und ſah die alte Haus- bälterin mit kummervollem Geſicht in der Tür ſtehen.

„Nun, wie geht's denn Ihrem Herrn?“ fragte er.

„Ach, Herr Doktor,“ lautet die Antwort, „der iſt verrückt geworden!“ f

„Wieſo?“ entgegnete jener beſtürzt.

„Ja, denken Sie ſich er raſiert ſich jetzt täglich zehn mal!“ W. Sch.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, in Oſterreich-ungarn verantwortlich Dr. Ernſt Perles in Wien.

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