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Ankü di aller Art, soweit sich dieselben zur Aufnahme eignen, gelangen

n gungen zum Preise von M. 1.— für die gespaltene Nonpareillezeile zum

Abdruck. Aufträge auf ganze und halbe Seiten nach Vereinbarung. Annahme von Anzeigen durch die Union Deutsche Uerlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.

Anion Oeutſche Verlagsgeſellſchaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.

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Der Siegeslauf der Technik.

Ein Hand⸗ und Hausbuch der Erfindungen und techniſchen Errungen— ſchaften aller Zeiten. Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner und Gelehrter volkstümlich dargeſtellt und herausgegeben von Max Geitel. 2000 Seiten Text, 2036 Abbildungen, 50 Kunſtblätter. Vollſtändig in drei eleganten Leinenbänden. Preis 36 Mark.

Kaum ein Jahr nach dem Erſcheinen des erſten Bandes liegt bereits das abgeſchloſſene Werk vor uns. Was der erſte Band verſprochen, das haben die beiden letzten gehalten. Ein wirklicher „Siegeslauf der Technik“. Faſt auf allen Gebieten wird hier geſchildert und ſtets iſt die Darſtellung anregend und auch dem gebildeten Laien verſtändlich. Es würde zu weit führen, wollte man alle Kapitel der beiden umfangreichen Bände aufzählen; es möge genügen, daß das Werk eine Art Technolexikon im beſten Sinne des Wortes darſtellt. Das am Schluß des dritten Bandes beigeheftete Regiſter erleichtert das Auffinden des Aud höchf während die betreffenden Artikel ſelbſt eine z. T. ganz ausführ⸗ liche und höchſt intereſſante Beſchreibung nicht einzelner Maſchinenteile, ſondern des ganzen in ſich abgeſchloſſenen Gebiets geben. Man müßte ſchon gar kein Leben he für unſer heutiges, in ſo hohem Maße von der Technik beeinflußtes Leben aben, um nicht mit großer Spannung Aufſätze wie z. B. die über Textil⸗ induſtrie, Verkehr und viele andere zu leſen.

Da ferner auch die Ausſtattung und die zahlreichen Abbildungen ſehr gut ſind, ſo kann ich das bei der Beſprechung des erſten Bandes Geſagte nur noch erweitern und alle drei Bände ſowohl dem Laien wie auch techniſch gebildeten Kreiſen, die ſich über ihnen ferner liegende Gebiete unterrichten wollen, aufs wärmſte empfehlen. f (Frankfurter Zeitung.)

2 Der Fünf er Welt.

Zu haben in allen Buchhandlungen.

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Bibliothek der Unterhaltung und des Willens

92

Zu der Erzählung „Ein Wiederfinden“ von Walter Kabel. (S. 90) Originalzeichnung von A. Wald.

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ibliothek der oO

Anterhaltung und des Wiſſens

Mit Original- Beiträgen der hervorragendſten Schriftſteller und Gelehrten jowie zahlreichen Illuſtrationen

Jahrgang 1910. Neunter Band

Union Oeutſche Verlagsgeſellſchaft :: Stuttgart, Berlin, Leipzig :

Druck der

Union Deutfche Verlagsgefellfhaft in Stuttgart

Snhalts-Berzeichnis.

Der rote Merkur. Kriminalroman von A. Groner

(Fortſetzung) . u

Ein Wiederfinden. Erzählung von Valter Kabel Mit Bildern von A. Wald.

Königskinder. Von R. Zollinger Mit 14 Bildern.

Das blaue Herz. Eine En Geſchichte von Al- win Römer R Die Waldenſerdörfer in Württemberg, Ven

Arnold Kurtz Mit 5 Bildern.

Senor Hacindo. Ein Phantaſieſtück von M. v. Loga Aus den Tagen der Saurier. Von Th. Seel mann Mit 5 Bildern. Mannigfaltiges: Der Prophet Müller e e ee Neue Erfindungen: I. Kombinierter Küchen- und Auſwaſchtiſch.

Mit Bild.

II. Verſchließbares Likörſervice „Tantalus“ , Mit Bild.

„Und je 0 * 0 0 * 0 0 0 9 0

Etwas von der Rörperfülle Belohnte Redlichkeit ..

Die Vogelkatzen Mit 2 Bildern. Der grobe Käſtnntne

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Snhalts-DVerzeichnis. 2

Seite

Ein Minifter, der fein eigenes Todesurteil unter- zeichnete 2 Dauerblütige Sömiterelimen . e Gute Lehre. 22

Ein antikes Feſtmahl in 1 der Rokoko zeit 228 Der Moltkefelſen auf dem Donnersberg. . 229

Mit Bild. Kampf zwiſchen Löwe und Pferd.. 231 Ein Schmugglerſtreic h „2381

Von der Bürſte und den Bürſtenbindern e 202 Der Unverſtand des Sohnes und die Weisheit des

Vaters . e ee 2 Ein beſtrafter Geſandter e et ar OR Ein Apatfchenhalsband. . » 2 2 235

Mit Bild.

Die wirkſamſten Hausmittel zur Blutftilung . . 237 Ein kleiner großer und ein großer kleiner Mann. 239 Der Reifrock 32239 Der geizigſte Volksſtam m. .. 240

Der rote Merkur.

Kriminalroman von A. Groner.

. (Fortſetzung.) (Nachdruck verboten.)

die Augen der alten Frau ſchoſſen Tränen,

und unwillkürlich falteten ſich ihre Hände.

„Ja,“ ſagte ſie bewegt, „ich bin ſeine Mutter, und das iſt mein Glück und mein Stolz, denn mein Uli iſt ein guter, ein ſehr guter Menſch. Ich wollte, es wüßten es alle und namentlich aber eine, wie gut er iſt, trotz der Kühle, die er zuweilen zur Schau trägt.“

„Eine? Was wollen Sie damit ſagen? Liebt Ihr Sohn unglücklich?“ ö

Weit vorgebeugt ſaß die Beſucherin da und ſchaute der alten Frau aufmerkſam in die Augen, und als dieſe nicht ſogleich antwortete, ſetzte ſie raſch hinzu: „Sie müſſen nämlich wiſſen, ich bin Braut, da intereſſieren mich ſolche Sachen ſehr.“

Da antwortete die alte Frau. Sie tat es, indem fie ſich erhob und damit zu verſtehen gab, daß die Unter- redung zu Ende ſei. „Mein liebes Fräulein,“ ſagte ſie, „ſolche Geſchichten erzählt man, ſelbſt wenn man ſie genau wüßte, nicht jedermann. Entſchuldigen Sie mich jetzt ich habe zu tun. Übrigens danke ich noch einmal für das Vertrauen, das Ihr Verein in mich ſetzt. Wohin ſoll ich die Mitteilung über die Verwen— dung des Geldes ſchicken?“

6 Der rote Merkur. 2 „Oh, wir wollen gar nichts davon wiſſen. Und, Frau Malten, ich war taktlos verzeihen Sie mir.“ „Sie ſind jung und lebhaft. Da braucht es keiner Verzeihung,“ entgegnete die alte Frau freundlicher und geleitete das junge Mädchen hinaus.

Oben ſtand Doktor Malten am Fenſter und ſchaute nachdenklich in die Weite. So pflegte er immer zu tun, wenn eine Idee ihn ausſchließlich beſchäftigte.

Da hörte er unten die Tür gehen. Eine junge Dame lief durch den Vorgarten. Natürlich wußte Malten nach dem erſten Blick, wer da ſo eilig davonlief. Er dachte zuerſt, daß in der Villa Romana jemand ſeiner bedürfe, aber da hätte wohl ein Diener ihn geholt und nicht Simonetta. Was hatte ſie nur gewollt?

Doktor Malten lief eilig zur Tür. Dort aber machte er plötzlich halt und ſagte laut: „Wir ſcheint, ich bin ein Eſel!“ Dann tat er aber doch die Tür auf und ging langſam hinunter.

Auf dem Treppenabſatz kam ihm ſchon ſeine Mutter entgegen. „Denk dir,“ rief fie ihm zu, „ſoeben hat mir eine junge Dame, die ſich nicht nennen wollte, im Namen ihres Vereins eine Menge Geld gebracht zur Unterſtützung von Frauen, die viel arbeiten müſſen und ſich nichts gönnen und ſich nicht ſchonen können.“

„Nun,“ ſagte Malten, der auf dem Treppenabſatz ſtehen blieb, „das iſt ja ſehr löblich von dem Verein.“

„Weißt du was, Ali?“

„Was denn?“

„Ich glaube, es ſteckt gar kein Verein dahinter.“

„Nicht?“

„Die junge Dame hat ſich einmal verſchnappt. Ich glaube, ſie allein gibt das Geld her.“

„Um ſo ſchöner.“

„Jedenfalls kennſt du ſie. Sie iſt reizend.“

o Kriminalroman von A. Groner. 7

„Ich kenne mindeſtens ein paar Dutzend reizender junger Damen.“

„Prachtvolle Augen hat ſie braune.“

„Ich werde künftig auf ſolche beſonders achten.“

„Ja und Braut iſt ſie.“

„Ich kenne auch eine Menge Bräute.“

„Alſo kannſt du dir wirklich nicht denken, wer es war?“

„Hm 5 hm.“

„Sie ſchwärmt für dich.“

„da wirft du dich aber irren, Mutter.“

„Ganz gewiß ſchwärmt ſie für dich natürlich, wie eine Braut halt noch für einen anderen Mann ſchwärmen darf. Ein liebes, herziges, reizendes Mädchen iſt's!“

„Alſo kann ich wieder hinaufgehen?“

„Warum biſt du denn heruntergekommen?“

„Ich na, ich hab' halt reden hören und meinte, ich werde geholt. Eſſen wir bald?“

„Ich werde gleich in die Küche ſchauen.“

„Und der Reis ſoll recht körnig ſein.“

Frau Malten ging in die Küche, ihr Sohn ſtieg wieder die Treppe hinauf.

Als er die Tür ſeines Zimmers hinter ſich geſchloſſen hatte, blieb er ſtehen. Lange gab er ſich ſtillen, frohen Gedanken hin, dann ſagte er laut, aber ganz langſam: „Die viel arbeiten müſſen und ſich nichts gönnen und ſich nicht ſchonen können —“ |

Dann ließ er ſich an feinem Schreibtiſch nieder und griff nach ſeiner langen Studentenpfeife, die er vorhin weggeſtellt hat. Er ſog am Rohr und ſiehe, ſie war noch nicht erloſchen. |

Mit Abſicht qualmte er darauf los. Das Rauchen follte ihn, wie ſo oft ſchon, wieder ins Gleichgewicht bringen. Aber feine Seele pendelte ja ſchon nicht mehr

8 Der rote Merkur. a

zwiſchen unerfüllbarem Wünſchen und ſinnloſem Sehnen hin und her. Er war ſchon wieder ganz ruhig. „Nun,“ ſagte er laut vor ſich hin, „dem Eck gönne ich ſie. Denn der iſt ein lieber Kerl!“

Dreizehntes Kapitel.

Anna Lindner war die Hausgenoſſin des alten Detektivs Müller geworden. Als ſie am zweiten Abend heimkam, begleitete Otto ſie nur bis zum Tore. Er wußte ja, daß es ihm geſtattet worden war, ſeiner Braut in ihrem neuen Heim Geſellſchaft zu leiſten, und daß allabendlich ein Gedeck für ihn aufgelegt ſei, aber einſt⸗ weilen konnte er von der freundlichen Einladung keinen Gebrauch machen. Er ſchämte ſich ſeines Stiefbruders und war voll Unruhe über den Verdacht, in welchem Fritz außerdem noch ſtand.

In ſolcher Stimmung war es ihm peinlich, mit Fremden zu verkehren, und ſelbſt Müller war ihm ja ſchließlich ein Fremder, wiewohl er ſich ihm jetzt ſchon zu Dank verpflichtet fühlte, weil der alte Detektiv ſich Annas ſo rückſichtsvoll angenommen hatte.

Anna ſaß alſo auch heute nur mit Müller und ſeiner Wirtſchafterin zu Tiſche. Als gegeſſen war, forderte Müller das Mädchen auf, noch ein Weilchen ſitzen zu bleiben, denn er müſſe ihr noch allerlei Fragen vor- legen.

Er zündete ſich eine Zigarre an und ſagte dann: „So, liebes Kind, jetzt wollen wir einmal über die Heimlichtuereien Ihrer Tante reden. Sie ſagten mir auch letzthin, daß Frau Schubert ſich vor Altersſorgen gefürchtet hat?“

„Ja, das hat ſie. Dann hat fie zu verkaufen an- gefangen. Einmal hat ſie einen Trödler kommen

2 Kriminalroman von A. Groner. 9

laſſen, der hat alle ihre Möbel einſchätzen müſſen. Sie war ganz entſetzt darüber, wie wenig er dafür bot. Und es ſeien doch ſo ſchöne Möbel! Der Herr v. Eck hat ſie ihr in ſeinem Teſtament vermacht. Vor ſechs Jahren iſt er geſtorben, da ſind ſie hergeſchickt worden. Die Wohnung, in der die Tante ſeinerzeit mit ihrem Mann gelebt hat, war zufällig zu haben, und ſo ſind wir da gleich eingezogen. Vorher hatten wir in einem möblierten Zimmer gewohnt. Später einmal hat fie eine eingelegte Schatulle um fünfundſiebzig Kronen verkauft. Das hat ſie mir erzählt. Aber auch Schmuckſtücke hat fie verkauft, mir aber verheimlicht, was ſie dafür bekommen hat. Auch korreſpondiert hat ſie oft mit jemandem, von dem ſie nie mit mir geredet hat.“

„Wie haben Sie denn das gemerkt?“

„Sie hat mich einmal heuer im Frühling war's gefragt: ‚Du, kriegt man viel für alte Briefmarken? Ich hab' einen, der ſolches Zeug ſammelt, herbeſtellt für morgen, da biſt du ja auch zu Hauſe. Allein mag ich mit einem ganz fremden Menſchen nicht fein.‘ Der nächſte Tag war ein Sonntag. Ich hab' alſo zu Haufe bleiben können. Nach dem Eſſen kommt ein Herr und ſtellt ſich als der Markenſamimler vor, dem geſchrieben worden iſt. Da hat die Tante eine alte Reiſetaſche aus dem Schrank genommen, in der ſie alle ihre Papiere auf— gehoben hat. Es waren auch eine Menge Briefe darin. Einen davon hat ſie ihm hingehalten. Er iſt ſchon ganz vergilbt geweſen. Der Herr ſchaut die Marke an, die darauf klebt, und ſagt: „Ja, die kann ich brauchen. Sie haben mir aber von vielen Briefen geſchrieben. Ich möchte fie alle ſehen.“ Da hat die Tante die Taſche auf den Tiſch ausgeleert, aber ſo, daß der Herr nicht zu den Briefen hat kommen können,

10 Oer rote Merkur. e

unter denen auch andere Papiere waren. Erſt hat ſie dieſe herausgeſucht und hat ihm dann die Briefe hin- geſchoben. Die Papiere es war qguch eine Zeitung darunter hat fie auf ihrer Tiſchſeite liegen laſſen. Der Herr hat Brief für Brief genommen und hat die Marken angeſchaut. Es waren auch ein paar aus- ländiſche dabei. Er hat ſich Notizen gemacht und hat dann erklärt, er nimmt alle Marken. Und auf einmal iſt er ganz aufgeregt aufgeſtanden und hat auf die Zeitung gedeutet. ‚Ein roter Merkur ein roter Merkur!“ hat er gerufen, hat ſich dann aber wieder hingeſetzt. ‚Ich nehme alſo alle Briefmarken, aber die Zeitungsmarke dort muß ich auch bekommen, hat er dann ganz ruhig geſagt. Der Tante war es recht. Sie hat den Umſchlag, auf dem die Marke war, von der Zeitung genommen und hat ihn dem Herrn hingereicht. Aber was haben Sie denn, Herr Müller?“

Der alte Detektiv war plötzlich aufgeſprungen, ſtarrte Anna ſichtlich aufgeregt an und tat dann das— ſelbe, was damals der Markenſammler getan hatte. Auch er rief: „Ein roter Merkur ein roter Merkur!“ Aber ſogleich war er wieder ruhig, ſetzte ſich, rauchte wieder und ſagte: „Weiter, liebes Kind, weiter!“

Da erzählte fie weiter: „Der Herr hat die Zeitungs- marke aufmerkſam betrachtet und dann vor ſich hin- gelegt. Und die Tante hat mich geheißen, die Briefe aus den Umſchlägen zu nehmen und wieder in die Taſche zu tun. Unwillkürlich zählte ich ſie und kam über die Zahl dreißig hinaus. Das weiß ich noch. Dann wurde ich fortgeſchickt. Erſt eine Viertelſtunde ſpäter iſt der Herr fortgegangen. So gegen vier Uhr hat mich dann die Tante zum Kaffee gerufen. Die Taſche lag leer auf einem Stuhl. Die Briefe und die

2 Kriminalroman von A. Groner. 11

Papiere hat ſie alſo anderswo aufgehoben. Wieviel ſie für die Marken gelöſt hat, weiß ich nicht, darüber hat die Tante niemals mit mir geſprochen. Aber wenig muß es nicht geweſen ſein, denn ſie war ſehr befriedigt über den Handel, und die Zeitung hat ſie mir gezeigt. Der Herr v. Eck, der Gutsbeſitzer, bei dem ſie zuerſt gedient hat, der hat ihr, wie ſie aus ſeinem Dienſt getreten iſt, nebſt allerlei anderen An- denken auch dieſe Zeitung geſchenkt. Sie war damals ſchon alt. Es ſtand ſeine Vermählungsanzeige darin.“

„So ſo?“ meinte Müller zerſtreut; denn das, was Anna jetzt erzählte, intereſſierte ihn gar nicht. Aber dann fragte er lebhaft: „Wie heißt denn jener Martenfammler? Wiſſen Sie das?“

Anna ſchüttelte den Kopf. „Ich glaube, daß die Tante ihn auf eine Anzeige in der Zeitung kommen ließ,“ gab ſie an.

„Auf eine Anzeige! Welche Zeitung hielt ſich denn Frau Schubert?“

„Das Tagblatt.“

„Und wann war der Mann da?“

„Im Frühjahr. So um Pfingſten herum. Warten Sie einmal, ich kann's Ihnen genau ſagen. Am Sonntag nach dem Pfingſtfeſt war's. Aber Sie ſind ja ganz aufgeregt, Herr Müller!“

Der alte Detektiv mußte laut auflachen. Dann ſagte er, noch immer ſchmunzelnd: „Ich bin nicht als Menſch aufgeregt, auch nicht als Detektiv, ſondern nur als Philateliſt.“

„Was iſt das?“ |

„Ein Markenliebhaber iſt's. Ein roter Merkur! Wiſſen Sie, was ſo eine lumpige Zeitungsmarke jetzt wert iſt?“

„Ich hab' keine Ahnung.“

12 Der rote Merkur. 2

„Etwa fünftauſend Kronen.“

„Aber Herr Müller!“

„Nicht wahr, die hat der Herr Zhrer Tante gewiß nicht gegeben?“

„Sicher nicht. So viel Geld hat ſie damals gewiß nicht bekommen, ſonſt wäre ſie wohl nicht ſo ruhig geweſen.“

„Na, der Mann wird zu finden ſein, und das weitere wird ſich dann auch finden.“ 8

Müller entließ Anna, holte ſein Markenalbum herbei und war bald in ſeine Schätze vertieft. Bedauernd brummte er vor ſich hin, denn unter ſeinen öſterreichi— ſchen Zeitungsmarken glänzte der rote Merkur durch Abweſenheit.

Am nächſten Morgen war ſein erſter Gang nach der Schulerſtraße im erſten Bezirk. Da befand ſich die Adminiſtration des Tagblatts. Dort ließ er ſich den laufenden Jahrgang zur Durchſicht geben und hatte bald gefunden, was er ſuchte. Er hatte ja nur die Nummern vom halben Mai bis zum halben Zuni zu durchblättern und hatte bald gefunden, daß unter den Buchſtaben K. F. während dieſer Zeit täglich ein Markenkäufer ſich empfohlen hatte. Auch wer der Betreffende war, erfuhr Müller in der Adminiſtration. Es war ein Markenhändler, der auch ein offenes Geſchäft mit Papierwaren hatte, Konſtantin Friebel hieß und auf der Hauptſtraße des dritten Bezirkes wohnte.

Eine Viertelſtunde ſpäter ſtand Müller in Kon- ſtantin Friebels recht beſcheidenem Geſchäft.

„Herr Friebel?“ fragte Müller den kleinen, ältlichen Mann, der hinter dem Verkaufstiſch ſtand.

Der Mann bejahte. „Womit kann ich Ihnen dienen?“ fragte er eifrig.

Kriminalroman von A. Groner. 13

„Sie ſind auch Markenhändler?“

„Ja. Wünſchen Sie —“

„Sie haben im Frühjahr ſich unter den Buchſtaben K. F. empfohlen?“

„Das tue ich noch immer.“

„So. Nun, das intereſſiert mich nicht. Am Sonn- tag nach Pfingſten ſind Sie zu Frau Schubert gekommen, die Ihnen auf Ihre Anzeige hin geſchrieben hat?“

Friebel wurde jetzt ſehr aufmerkſam, er wurde ſogar ein bißchen unruhig, denn er hatte natürlich auch ge- leſen, was über die Schubert in den Zeitungen ge— ſtanden hatte. In ſolch eine Sache aber in Beziehung gebracht zu werden, iſt äußerſt unangenehm.

„Was ſoll ich denn mit der Ermordeten zu tun gehabt haben?“ fragte er haftig.

Müller mußte lächeln. „Mit der Ermordeten haben Sie nichts zu tun gehabt,“ ſagte er, „wenigſtens nimmt das niemand an, aber mit der lebendigen Frau Schubert haben Sie damals einen Handel abgeſchloſſen. Um über dieſen mit Ihnen zu reden, bin ich hier.“

Friebel ſah Müller ängſtlich an und fragte: „Wer ſind Sie denn?“

„Sie haben damals auch einen roten Merkur mit— genommen,“ fuhr Müller, die Frage nicht beachtend, fort.

„Nun, den hab' ich auch gut bezahlt.“

„Alſo mitbekommen,“ ſtellte Müller ſeine Außerung richtig. „Wieviel haben Sie denn dafür bezahlt?“

„Das ſteht in meinem Geheimbuch.“

„Sie werden ſo freundlich ſein, es mir zu zeigen.“

„Herr wie kommen Sie dazu?“ ſtotterte Friebel.

„Sie haben natürlich Ihren Vorteil im Auge ge— habt,“ fiel Müller ein. „Das iſt ſelbſtverſtändlich, und das wird Fhnen niemand verübeln. Schlecht

14 Der rote Merkur. e

wäre Ihr Handel nur dann, wenn Sie, die Unkenntnis der Frau benützend, ihr etwa nur ein paar Heller für die Marke gegeben hätten, die heute einen ſo enormen Wert hat. Ich will alſo wiſſen —“ |

„Vas für ein Recht haben Sie, mich jo auszufragen?“

Müller ſah den Mann kalt an. „Regen Sie ſich nicht

auf,“ ſagte er ſcharf. „Wenn Sie mir und zwar nicht ſofort Ihr Geheimbuch zeigen, dann wird die Behörde es Ihnen abnehmen und die bezüglichen Eintragungen mit den Notizen vergleichen, welche die Schubert ſich damals über den Ertrag des Markenverkaufes ge— macht hat.“ Deer alte Detektiv brachte die letztere Behauptung, obwohl fie nicht ganz der Wahrheit entſprach, mit großer Sicherheit vor. Zugleich wies er dem Manne ſeine Legitimation vor.

Friebel war wohl nie ein Held geweſen, er wußte nichts mehr zu entgegnen, warf ſeinem Beſucher nur einen ſcheuen Blick zu und ging dann, Müller mit einer Gebärde zum Mitkommen einladend, in das neben dem Laden befindliche Zimmer.

Dort rückte er einen Stuhl an den Tiſch heran, öffnete einen hohen Schrank mit vielen Schubladen, entnahm dem Mittelfache ein Geſchäftsbuch und ein umfangreiches Kuvert und einer der Laden eine kleine Holzkaſſette.

Das alles legte er ſeufzend vor Müller hin.

Dieſer griff ſofort nach der Kaſſette, und ſchon im nächſten Augenblick hielt er eine Zeitungsſchleife in der Hand. Sie war unachtſam zuſammengeklebt worden. Ein Stückchen der Zeitung hing noch an ihr. Auf dieſer Schleife war eine Adreſſe gedruckt, fie war mit ihrem Inhalt alſo dereinſt einem Abon— nenten zugeſchickt worden. Es ſtand darauf: Seiner

Do Kriminalroman von A. Groner. 15 3

Hochwohlgeboren Herrn Hans v. Eck auf Pachern, Steiermark. |

Müller las das ganz flüchtig. Dann blieben feine Augen lang auf der Zeitungsmarke haften, an dieſer Marke, die wegen ihrer Seltenheit ein kleines Ver— mögen wert geworden war. Und ſeine Augen allein genügten ihm nicht einmal. Er zog eine Lupe hervor und ſtudierte mit ihrer Hilfe die feinen Linien des kleinen Bildchens, eines Merkurkopfes.

Müllers Augen glänzten, und ſeine Wangen röteten ſich. Geradezu liebevoll ſtrich er über das vergilbte Papier hin, auf welchem der rote Merkur aufgeklebt war, und dabei las er noch einmal die Adreſſe. Nun legte er den Schatz wieder in die Kaſſette und ſchob dieſe mit einem Seufzer von ſich.

Es tat ihm offenbar ſehr leid, ſich von der Marke trennen zu müſſen. =

Er deutete auf das große, ſackartige Kuvert, das Friebel auch vor ihn hingelegt hatte: „Was iſt da drinnen?“

„Die Briefmarken, die ich der Frau Schubert abkaufte. Ich hab' fie noch nicht einmal von den Am- ſchlägen abgelöſt.“

Friebel ſchüttelte den Inhalt auf die Tiſchplatte. Es waren faſt lauter gleichartige Umſchläge von dickem, gelblichweißem Papier, die in der linken oberen Ecke eine Freiherrnkrone und darunter die Buchſtaben 9. v. E. als Monogramm in erhabener Preſſung trugen.

Die meiſten dieſer Uinſchläge wieſen den Stempel der Poſtſtation auf, zu welcher das Gut Pachern ge- hörte. Drei der Briefe waren in Nizza aufgegeben worden.

„Die ſind nicht viel wert,“ bemerkte Müller. „Da ſind mir die alten öſterreichiſchen ſchon lieber.“

16 Ser rote Merkur. 2

„Die habe ich auch eigentlich nur aus Verſehen mitgenommen,“ entgegnete Friebel.

Müller nahm das Buch zur Hand und blickte ihn dabei ſcharf an. „Bin neugierig,“ ſagte er dabei, „was Sie, natürlich auch nur aus Verſehen, der Schubert gegeben haben.“

In des Händlers Wangen ſchoß das Blut. Er krümmte ſich ordentlich, während der alte Detektiv in dem Geheimbuche das betreffende Datum ſuchte.

Er hatte es bald gefunden, ſprang empor und ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch. „Ah das iſt ſtark! Das iſt der Gipfel des unverſchämteſten Wuchers! Fünf Kronen geben Sie für die ganze Geſchichte hier. And Sie wiſſen, daß der rote Merkur allein ſeine fünf- tauſend Kronen wert iſt!“

„Ich hab' ja den roten Merkur noch. Weiß ich denn, ob ich ihn jemals verkaufen werde?“ verſuchte der ganz verwirrte Händler ſich herauszuwinden.

Ein Blick Müllers ließ ihn verſtummen. „Reden Sie keinen Unſinn. Setzen Sie ſich und ſchreiben Sie mir das Bekenntnis dieſes wunderſchönen Handels nieder. Aber ganz klar, ganz deutlich.“

And Friebel ſchrieb. Er brauchte ſehr lange dazu, denn ſeine habgierige Seele zitterte nicht weniger dabei wie feine Hand.

Müller zählte inzwiſchen die vor ihm liegenden Amſchläge. Es waren achtunddreißig. Siebenund- zwanzig der Briefe, die einſt darin geweſen, hatte Hans v. Eck geſchrieben. Müller wunderte ſich darüber. Die Schubert war doch nur die Dienerin dieſes ſteieri— ſchen Edelmanns geweſen!

Jetzt ſtand Friebel auf und reichte Müller das Geſchriebene.

Der las es aufmerkſam durch und nickte dann.

2 Kriminalroman von A. Groner. 17

„Das genügt,“ ſagte er. „Und jetzt überlegen Sie ſich's, wie Sie an der Erbin gutmachen wollen, was Sie an deren Tante verbrochen haben.“

„Ich kann aber doch den Merkur nicht heute noch verkaufen!“ ſtotterte Friebel.

Müller dachte eine Weile nach, dann ſagte er: „Ich kenne den Sekretär einer Durchlaucht, die das für unſeren Fall nötige Geld hat. Wenn alles gut geht, können Sie den roten Merkur heute abend ſchon verkauft haben. Halten Sie ſich bereit. Ich werde Ihnen telephonieren. Und merken Sie ſich's, ich werde durch den Sekretär erfahren, wieviel Sie für die Marke erhalten haben. Sch weiß auch, wieviel Gewinn Sie rechtlicherweiſe nehmen dürfen, werde alſo bis auf den Heller wiſſen, wie viel Geld Sie an Fräulein Lindner, die bei mir wohnt, zurückzu- erſtatten haben. Sie verſtehen mich doch! Ich werde nur dann Ihre Handlungsweiſe nicht zur Anzeige bringen, wenn Sie ſie, ſobald es Ihnen möglich iſt, wieder gutmachen. Sollte es mit dem Fürſten nichts ſein, dann werde ich Ihnen einen anderen Sammler nennen, der ſich die Erwerbung ſolcher Seltenheiten gönnen kann. So, jetzt gehe ich. Hoffentlich kommen wir nicht ernſtlich zuſammen!“

„Wohin ſchicke ich dem Fräulein, was ihr zu— kommt?“ erkundigte ſich faſt weinend der Händler.

„Ja ſo!“ meinte Müller, ſchrieb ſeine Adreſſe auf, und dann ging er.

Er begab ſich nach dem erſten Bezirk; und es ging ihm, wie es vor einigen Tagen Otto Falk gegangen war: er ſtieß ein paarmal mit ihm Begegnenden zuſammen. War Otto wegen ſeines Unglücks blind geweſen, ſo wurde Müller von ſeiner Leidenſchaft für Marken geblendet auf ſeinem ganzen Weg hatte er nichts

1910. IX. 2

18 Der rote Merkur. 2

anderes als den roten Merkur vor den Augen. Übri- gens war fein Weg nicht umſonſt. Gegen zwei Uhr nachmittags wurde Friebel ſchon gerufen, und um acht Uhr abends Müller war noch gar nicht heimgekommen erſchien der wackere Martenbänd- ler, um Fräulein Anna Lindner viertauſend Kronen zu übergeben, deren Empfang ſie ihm beſtätigen mußte.

Anna war über das viele Geld ganz verwirrt und erwartete mit Ungeduld Müllers Heimkehr.

Erſt gegen zehn Uhr kam der alte Detektiv. Er brachte ein mit Papier umhülltes Paket mit. Merk- würdigerweiſe waren ſeine Hände mit Erde und Ruß beſchmutzt, und in ſeinem kurzen, gekrauſten Bart hing ein kleines Moosbüſchel.

Die beiden Frauen ſchauten ihn verwundert an, während er ſichtlich vergnügt ſeinen Winterrock auszog und dabei auf das Paket ſchaute, das er auf den Tiſch gelegt hatte.

„Aber Sie haben ja das Paket ganz zerriſſen!“ rief die Wirtſchafterin.

„Das hat ein Nagel getan, nicht ich, liebe Frau Petz!“ verbeſſerte Müller gut gelaunt. „Geben Sie mir einmal den braunen Hausrock heraus, während- deſſen gehe ich, um mich zu waſchen.“

Er wollte ſchon in fein Schlafzimmer gehen, da fiel ihm Annas Angelegenheit ein. Er ſchaute das Mädchen an und ſagte dann: „Ich brauche wohl nicht erſt zu fragen, ob die Geſchichte mit dem roten Merkur geordnet iſt. Ich ſehe es Ihnen an, daß ſie zu Ihrer Zufriedenheit ausfiel.“

„Denken Sie, viertaufend Kronen hat er mir ge- bracht dieſer Friebel!“ jubelte Anna.

Müller ſah fie lächelnd an, dann wurde der Aus-

IN 2 Kriminalroman von A. Groner. 19

druck ſeiner Züge plötzlich ernſt und geſpannt, und er ſagte eigentümlich ſcharf: „Nun, auch mir hat dieſer rote Merkur einen Erfolg gebracht. Ich hoffe nämlich, daß ich durch ihn auf die richtige Spur gekommen bin.“

Dann ging Müller in ſein Schlafzimmer.

Als er wieder zurückkehrte, waren ſeine Hände und ſein Geſicht ſauber, und er trug ſeinen braunen Hausrock.

Anna hatte ſich mit einer Näherei, die ſie heute allerdings noch nicht viel vorwärts gebracht hatte, an den Tiſch geſetzt.

„Gehn S', Anna, legen S' jetzt Ihre Arbeit weg,“ ſagte Müller, ſich ebenfalls ſetzend. „Schauen S' lieber einmal her, was ich da mitgebracht hab'.“

Das Mädchen tat, wie er geſagt, und ſah neugierig zu, als er das Zeitungsblatt, welches die äußere Hülle des Pakets bildete, mit einer gewiſſen Feierlichkeit ein wenig lockerte.

„Jetzt aufgepaßt!“ ſagte er vergnügt und ſchlug die Zeitung nun ganz auseinander,

Da ſtieß Anna einen lauten Schrei aus, fuhr vom Stuhl empor und ſtarrte auf das nieder, was Müller heimgebracht hatte.

Vierzehntes Kapitel.

Der alte Detektiv hatte, nachdem er den Sekretär für den roten Merkur intereſſiert, ein Gaſthaus be- treten, um ein zweites Frühſtück zu nehmen. Er nahm ſogar ein ſehr ausgiebiges ein, denn er war ſchon jetzt davon überzeugt, daß er heute zu feinem Mittags- mahl nicht kommen werde.

Während des Eſſens war er ſehr nachdenklich. Aber es war jetzt nicht mehr der rote Merkur, der ſein Denken in Anſpruch nahm. Vor einer Stunde war

20 Der rote Merkur.

er mit ſich ſelbſt im Kampfe geweſen, ob er ſich dieſe große Seltenheit nicht ſelbſt kaufen ſolle, denn die Mittel dazu hätte er ja gehabt, und außerdem war er, der ganz allein in der Welt ftand, niemandem Rechen- ſchaft über die Verwendung ſeines Geldes ſchuldig. Da begegnete er einem Krüppel. Es war eine wahre Jammergeſtalt, und es war nicht daran zu zweifeln, daß des armen Menſchen Taſche ebenſo leer war wie ſein Magen. Der lenkte den braven Müller von ſeinen Gedanken ab. Er griff in ſeine Börſe, ging dem Mann, der ſchon an ihm vorbeigehumpelt war, nach und ſteckte ihm verſtohlen zwei Kronen in die Hand.

Der arme Menſch war zuerſt ganz verblüfft und wollte ſich dann ſehr erfreut bedanken, aber Müller raunte ihm eindringlich zu: „Machen S', daß Sie weiterkommen! Sehen S' denn nicht, daß dort ein Wachmann ſteht?“

Der Mann ſchaute ſich verſtohlen um und hum pelte dann gehorſam weiter, froh, daß der Wach- mann ihm den Rücken zuwandte, den Vorgang nicht geſehen und ihn alſo nicht aufſchreiben konnte.

Müllers Kampf um den Werkur war endgültig ausgekämpft. Es gab ja ſo viele arme Leute!

Er verweilte etwa eine Stunde in dem Lokal, dann ging er nach dem fünften Bezirk, nach dem Haus, in dem die Schubert gewohnt hatte.

Den Schlüſſel zu ihrer Wohnung hatte er, ſeit er den Fall übernommen, immer bei ſich.

Er war jetzt ſo allein, wie man allein ſein muß, wenn man über etwas Beſtimmtes ſo recht ungeſtört nachdenken will.

Als er gekommen war, hatten ein paar Kinder im Hofe geſpielt. Jetzt war auch das Geräuſch, das dieſe gemacht, verſtummt. Da kam Müller das Verlangen,

0 Kriminalroman von A. Groner. 21

noch einmal den Garten zu durchſuchen. Die Leute im Hauſe waren jetzt ſicherlich beim Eſſen, da blieb er alſo auch draußen im Garten ungeſtört. Und heute ſchien die Sonne, war es überall ſo hell, vielleicht entdeckte er etwas, das ihm letzthin bei dem mit Schnee- gewölk bedeckten Himmel entgangen war.

Müller verſchloß alſo die Wohnung und begab ſich in den Garten.

Gegen den Hof hin war dieſer mit einem einfachen Eiſengitter abgeſchloſſen. Zu deſſen Tür führten zwei Stufen hinauf. Sie waren noch mit dem Schnee bedeckt, der letzthin gefallen war, und es war niemand ſeither in dem Garten geweſen. Die Schneeſchicht vor und hinter ſeiner Tür war ganz glatt.

Müller betrat den kleinen Garten, der an zwei Seiten von einer mäßig hohen Planke und in ſeinem weſtlichen Winkel von fenſter- und türloſen, ſtockhohen Mauern abgeſchloſſen war.

Es befand ſich in ihm eine jener kleinen, halboffenen Holzhütten, die man mit dem merkwürdigen Namen „Luſthaus“ belegt hat.

Das Luſthaus dieſes beſcheidenen Gartens hatte einerſeits einen Teil der erwähnten Mauer, anderſeits einen Teil der Holzplanke zum Hintergrunde. Es ſtanden etliche Stühle und ein Tiſch darin. Von einer ſchon recht alten Waldrebe war es dicht umrankt. Im Sommer mußte es in dem Häuschen ganz dunkel und kühl ſein.

Nun, kühl war es heute auch darin, aber dunkel nicht, denn die Sonne ſchien hell und fand leicht ihren Weg durch das dürr gewordene Laub.

Müller ſetzte ſich und überſchaute den Garten. Er hatte ein Knie über das andere geſchlagen und die verſchränkten Hände darum geſchlungen. Das war die

22 Der rote Merkur. 6

Stellung, die er gern einnahm, wenn er ſich ungeniert fühlte und längere Zeit auszuruhen gedachte.

Aber diesmal ſollte er nicht lange in dieſer ſeiner Lieblingsſtellung bleiben.

Im Garten gewahrte er nichts, das ſeine Auf— merkſamkeit erregte. Was da draußen vor ihm lag, war alles mit Schnee bedeckt. Gerade nur in dem Winkel, in welchem das Häuschen ſtand, hatte die Sonne geſtern und heute den Schnee zum Schmelzen gebracht, da lag das blendende Licht hell auf dem Kies des Gartengrundes. Müller ſah eine Stecknadel auf- blitzen, die noch nicht ganz verroſtet war, und ſah die Schatten vom Winde bewegter Ranken in einer ge- wiſſen Regelmäßigkeit über dieſen hellen Boden wan- dern, und dazu hörte er das leiſe Rauſchen der Klematisranken, die ſich an der Planke rieben.

Da gewahrten feine guterzogenen Augen etwas, das in feinem guterzogenen Hirn beſtimmte Gedanken erregte. Sie gewahrten ganz deutlich den Schatten einer alten, ſchon bleiſtiftdicken, abgeriſſenen Ranke, die irgendwo eingeklemmt ſein mußte, denn ſie hatte nicht viel Bewegungsfreiheit. Wie ein dünner Finger bewegte ſie ſich hin und her, der lockt und winkt.

Müllers Augen ſuchten die Ranke, welche dieſen Schatten warf, und als er ſie gefunden hatte, bog er ſie zu ſich herunter.

„Ah!“ ſagte er und ließ ſie wieder emporſchnellen.

Was Müller zu ſeinem Ausruf bewog, war die Wahrnehmung, daß die Ranke an ihrer Bruchſtelle ganz friſch ausſah. Er ſtellte einen der Stühle knapp an die Planke und ſchaute hinüber, und dann rief er noch einmal: „Ah!“

Angeſtrengt ſah er auf das Bündel ganz ineinan- der verflochtener Klematisranken, welches jenſeits der

2 Kriminalroman von A. Groner. 23

Planke niederhing und deſſen Enden auf einem großen Kohlenhaufen lagen, deren es da drüben eine Menge gab.

Müller hatte einen Bauplatz vor ſich, den ein Holzhändler zur Unterbringung feiner Vorräte gemietet hatte. :

Da gab es hochaufgeſchichtete Partien von Brenn- holz und ganz anſehnliche Berge von Koks und ver- ſchiedener Arten von Kohlen. Zener Kohlenhügel, auf welchen die Enden der Klematisranken gefallen waren, unterſchied ſich in etwas von den anderen, regelmäßig geformten. Seine ehemals auch regel- mäßige Form zeigte ganz beſonders auf ihrem einſt ſcharfen Grat eine etwa meterbreite Einſenkung, die ſich auf der Außenſeite des Hügels bis zu ſeinem Grunde hinabzog.

„Da alſo, mit Hilfe der zähen Ranken, iſt er hinüber- geſprungen,“ dachte Müller und ſprang auch hin- über. Auch er hatte in etliche der noch reichlich vor- handenen Ranken gegriffen und war ſo ganz leicht hinübergekommen, und zwar ganz genau an derſelben Stelle, an welcher die ehemalige Form des Kohlen- hügels ſchon von einem darauf Geſprungenen zerſtört worden war.

Wieder gab ein Teil der Kohle nach und glitt mit Müller bis auf den Grund hinab.

Müller war nicht zu Fall gekommen. Er ſchaute ſich jetzt genauer um und überlegte. „Warum iſt der Mann nicht durch das Haustor entwichen? Hat er zu wenig Geduld gehabt, um deſſen Freiwerden abzu- warten? Oder hat ihn das Grauen vor ſeiner Tat am Warten gehindert? Zenfeits dieſes Platzes gibt es nur wieder Bauplätze, da war ein Entkommen wohl ſicherer. Aber da mußte er zweimal eine Planke

24 Der rote Merkur, 1

paſſieren. Und dieſer Platz iſt gut verwahrt. Da iſt an den drei äußeren Seiten die Planke mit dreifachem Stacheldraht unüberſteigbar gemacht. Und der Staͤchel- draht iſt nirgends entfernt. Wie hat der Kerl da hin- überkommen können? War vielleicht damals das Tor offen? Gegen halb ſieben iſt die Tat geſchehen. Da hat man vielleicht noch hier gearbeitet. Aber da war ja wieder die Gefahr des Erwiſchtwerdens. Halt was iſt das?“

Müller unterbrach ſeine Erwägungen. Dicht am Kohlenhaufen, den er heruntergerutſcht war, befand ſich auch eine Art Hütte, ein kaum zwei Meter breiter und nicht viel höherer Holzverſchlag, auf dem ein ſchon windſchief gewordenes Dach ſaß. Das Holz dieſes Ver- ſchlages war ſchon faſt ſchwarz und da und dort mit ſchmutziggrünem Moos und gelblichen Flechten bedeckt.

Aber nicht auf dieſen maleriſchen Anſiedelungen hafteten Müllers Augen jetzt wie gebannt. Nicht ihret- wegen tat er die paar Schritte auf das Häuschen zu.

Eine Schnur hatte es ihm angetan, eine aus weißem und roſa Garn gedrehte Schnur, die da luſtig im Winde baumelte und deren aufgelöſte Enden wieder für ſich ihr Spiel trieben. Daß dieſe Enden ſich nicht noch weiter auflöſen konnten, dafür war durch einen dicken Knoten geſorgt worden, der in die Schnur geknüpft worden war und der jetzt wie toll im Winde hin und her hüpfte.

Müller griff nach der Tür der Hütte. Sie war unverſchloſſen. Die Hütte war der Aufbewahrungsort für eine Menge Schaufeln und anderer Werkzeuge, die, wie ihr Ausſehen bewies, ſchon lange nicht benützt worden waren. Da, wo das Dach der Hütte begann, zeigte ſich eine kleine Vertiefung, und aus dieſer hing etwa ſpannlang die Schnur nieder.

BD

Kriminalroman von A. Groner. 25

Müller griff ohne Mühe bis weit hinein in den Raum, in den man, auf dem Boden ſtehend, nicht ſchauen konnte. Jetzt fühlte er etwas Weiches unter ſeinen Fingern. Er faßte es an und zog es hervor.

Es klirrte, und dieſes Klirren kam aus einem halb- armlangen Sack von Hirſchleder, in deſſen Zug die Schnur eingezogen war, deren eines Ende das Vor- handenſein des Sackes verraten hatte.

Müller legte ihn auf den Boden und ſchwang ſich dann zu der kleinen Dachniſche hinauf. Sie enthielt nichts mehr, als was ſich naturgemäß vorfinden mußte, viel Staub und etliche Spinngewebe. Und auch in dem unteren Teil des Verſchlages entdeckte Müller nichts, das mit dem Schubertſchen Fall in Verbindung gebracht werden konnte.

Nachdem er den ganzen Platz auf das genaueſte durchſucht hatte, öffnete er den Lederſack. Er fand in ihm, worüber er ſich gar nicht wunderte, denn er hatte es erwartet, die geraubten Eßbeſtecke der Schubert. Er ließ den Sack in den Garten hinübergleiten und kletterte ihm nach. Bis ſpät abends blieb er in der Wohnung der Ermordeten.

Als er ſie verließ, war er höchlich befriedigt. Den Lederſack hatte er in eine Zeitung eingeſchlagen. Er wollte ihn aufs Gericht bringen, empfand jedoch, daß es für ihn an der Zeit ſei, etwas Warmes in den Leib zu bekommen.

Der lange Aufenthalt in der ungeheizten Wohnung hatte ihn recht durchkältet. Er nahm alſo ſeinen Fund mit nach Hauſe.

„Leider iſt nur das Eßzeug darin,“ ſagte Müller zu der immer noch wie erſtarrt daſtehenden Anna, „ich hatte nämlich gehofft, daß der Schurke alles übrige auch in den Sack geſteckt habe, aber das Geld und ſicher

20 Der rote Merkur. 20

auch noch anderes, für ihn viel Wertvolleres hat er mitgenommen.“

„Was denn noch?“ fragte Anna mit fliegendem Atem.

„Briefe.“

„Briefe?“

„Ich habe Urſache, es anzunehmen. Aber jetzt will ich mir's erſt ſchmecken laſſen. Bitte, liebe Anna, läuten Sie der Frau Petz.“

Wenige Minuten ſpäter ſaß er bei feinem Abend- eſſen. Er ſo gemütsruhig, als habe er alle ſeine Gedanken bei den Speiſen, die Frau Petz aufgetragen hatte.

Es war faſt zehn Uhr geworden, als Müller ſich feine Zigarre anzünden konnte. Dann ſagte er zu Anna: „Sie müſſen heute noch ein bißchen bei mir bleiben.“

„Gerne.“ |

„And müſſen mir nachdenken helfen. Es handelt ſich hier nämlich ganz beſtimmt nicht um einen Raub- mord.“

„Aber der Täter hat doch auch geraubt! Sie haben doch eben ſelber die geraubten Beſtecke gefunden!“

„Die er zurückgelaſſen hat, an einem Ort, von dem er annahm, daß ſie dort nicht ſogleich gefunden werden würden.“

„Und jetzt ſchon liegen fie da! Der Menſch hat ſie alſo doch ſchlecht verſteckt.“

Müller verneinte und ſchilderte Anna, wo er den Sack gefunden, und was deſſen Verſteck ſonſt noch ver- raten hatte.

„Alſo hat er doch eine Dummheit gemacht!“

„Da ſieht man, daß Sie noch nie einen umgebracht haben,“ erwiderte Müller lachend. „In ſolcher Lage überſieht man halt faſt immer Kleinigkeiten.“

D Kriminalroman von A. Groner. 27

„Und die verraten einen dann.“

„Und die verraten einen dann!“

„Ob es nicht ein Kohlenarbeiter geweſen iſt?“

„Daran habe ich von jenem Moment an gedacht, als ich den Sack unter den Fingern fühlte. Aber ſpäter bin ich von dieſem Gedanken wieder abgekommen.“

„Es iſt Ihnen wohl eingefallen, daß es ein eleganter Herr in einem hellen Winterrock war?“

„Darauf gebe ich nicht viel.“

„Nicht? Es haben ihn doch die zwei Frauen geſehen!“

„Meine liebe Anna, wenn Sie wüßten, wie wenig ſolche Zeugenausſagen zuweilen wert find, und was für eine große Rolle anderſeits der Zufall im Leben ſpielt,

würden Sie ſich auf ſo etwas nicht berufen.“ Weshalb ließen Sie alſo den Gedanken an einen Kohlenarbeiter fallen?“

„Aus einem triftigen Grunde.“

„Der Täter konnte aber doch nicht über den Stachel- draht hinwegflüchten, und zum Haustor iſt er nach Ihrer Meinung auch nicht hinaus.“

„Er hat beides nicht nötig gehabt. Das Tor des Holzplatzes hat zu jener Zeit offen geſtanden.“

„Wie können Sie das wiſſen?“

„Der Pächter des Platzes hat es mir gejagt.“

„Ah, der Herr Kreß, der ſein Geſchäft in unſerer Gaſſe hat?“

„Derſelbe. Der Mörder Ihrer Tante iſt alſo dort hinausgegangen.“

„And hat ihr Geld mitgenommen.“

„Auch mitgenommen, möchte ich ſagen.“

„Auch?“

„Frau Schubert hat ihre Wertpapiere es wird ſich wohl um ſolche handeln vermutlich mit wichtigen Briefen zuſammen aufgehoben gehabt.“

23 Der rote Merkur. en

„Mit was für Briefen? Was für wichtige Briefe kann ſie denn gehabt haben?“

„Ihre Tante war, ſoweit ich ſie kenne, eine in moraliſcher Beziehung tadelloſe Frau.“

„Das war ſie ſicherlich.“

„Var ſie es immer?“

„Aber Herr Müller! Wie kommen Sie denn da zu einem Zweifel?“

„Ich zweifle ja gar nicht in Wirklichkeit daran, daß dieſe Frau ihr ganzes Leben lang ehrbar geweſen iſt. Auch damals auf dem Gute Pachern.“

„Sie zweifeln ſchon wieder!“

„Nein, Anna mein Wort darauf! Zch denke nur Gutes von der Toten. Sch bin fo feſt wie Sie ſelbſt davon überzeugt, daß Frau Schubert niemals in einem anderen Verhältnis zu ihrem damaligen Dienſt- geber, dem Herrn v. Eck, geſtanden hat als in dem Ver- hältnis einer braven Dienerin zu ihrem guten Herrn. Deswegen eben iſt mir etwas aufgefallen.“

„Wann?“

„Heute vormittag bei Friebel.“

„Aber —“

„Ich habe bei dieſem zuerſt an weiter nichts als an den roten Merkur gedacht. Friebel hat aber auch die Marken, die Ihre Tante ihm ſamt den Umſchlägen gab, vor mir ausgeleert. Während er dann ſchrieb, habe ich, nur um die Zeit hinzubringen, dieſe Umſchläge angeſehen. Es waren ihrer achtunddreißig, alle tragen die Adreſſe Ihrer Tante, und ſiebenundzwanzig davon merken Sie gut auf ſiebenundzwanzig davon tragen eine Krone und die Buchſtaben H. v. E. Das hat mich nachdenklich gemacht. Warum hat Herr v. Eck ſo lebhaft mit ſeiner ehemaligen Dienerin korreſpondiert? Es pflegen ſolche Herren ſonſt doch

2 Kriminalroman von A. Groner. 29

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nicht mit ehemaligen Dienſtboten in einem fo lange dauernden Briefwechſel zu ſtehen. Der letzte der Am- ſchläge trägt im Poſtſtempel die Jahreszahl 1900. Die beiden haben einander alſo faſt bis zum Tode des Herrn v. Eck geſchrieben.“

„Im Zanuar 1901 iſt Herr v. Eck geſtorben,“ warf Anna ein. „Ich war erſt kurz bei der Tante und weiß es noch wie heute. Gerade am Neujahrstag iſt ein Telegramm gekommen. Am 2. Januar iſt die Tante abgereiſt, und am 6. Januar, am Dreikönigstag, iſt Herr v. Eck begraben worden.“

„So ſo,“ ſagte Müller gedankenvoll und fuhr dann fort: „Können Sie ſich denn gar nicht vorſtellen, was die miteinander gehabt haben?“

„Nichts, gar nichts weiß ich. Die Tante hat mich nie in ihr früheres Leben eingeweiht. Es kann aber ſchon ein Geheimnis darin geweſen fein. Nur hat fie es in ſich verſchloſſen, wie ſie ja überhaupt auch ihre kleinſten Geheimniſſe immer ſorgfältig für ſich be- halten hat.“

Müller erhob ſich. „Sit das zweifellos die Hand- ſchrift der Toten?“ fragte er und legte ein Briefblatt vor Anna hin.

Es befand ſich darauf nur ein Datum, eine Über- ſchrift und der zwei Zeilen lange Beginn eines Briefes. Es ſtand da: „Wien, am 19. Oktober 1907. Hochver- ehrte gnädige Frau Gräfin. Es drängt mich, bevor es zu ſpät dazu iſt, noch einmal von der peinlichen Sache —“

An dieſer Stelle hatte die Feder geſpritzt, das Briefpapier war alſo unbrauchbar geworden.

Anna nickte. „Ja, das hat die Tante geſchrieben,“ ſagte ſie. „Dieſer Brief hätte zweifellos der Gräfin Vivaldi zukommen ſollen.“

30 Der rote Merkur. n

„Es iſt alſo wahrſcheinlich, daß Frau Schubert einen anderen Brief an die Gräfin abſchickte.“

Jetzt ſtand auch Anna auf. „Und was hat das mit dem Verbrechen zu tun?“ fragte fie geſpannt.

Müller zuckte die Achſeln. „Vielleicht nichts,“ ſagte er gleichmütig, „vielleicht auch ſehr viel. Aber jetzt wollen wir ſchlafen gehen.“ Er reichte ſeinem Schützling die Hand, beſann ſich aber wieder und ſagte dringlich: „Nachdenken, mein Kind, fleißig nachdenken! Vielleicht kommt doch etwas in Ihrem Gedächtnis zum Vorſchein, was mir dienen kann. Gute Nacht! ch muß morgen wieder zeitig heraus.“

Richtig ſaß er am nächſten Morgen ſchon um ſieben Uhr am Frühſtückstiſch. Je eine Nummer ſämtlicher in Wien erſcheinenden Abendblätter lag vor ihm. Er hatte der Frau Petz den Auftrag gegeben, ihm die Zeitungen zu beſorgen, denn er hatte an alle dieſe Blätter eine Anzeige aufgegeben und wollte ſich davon überzeugen, daß ſie, wie er angegeben hatte, auch richtig heute ſchon erſchienen ſei. Es war der Fall. In allen Zeitungen ſtand die Anzeige: „Jüngerer, eleganter Herr in hellem Überrod geſucht. Iſt vielleicht zugereiſt. Hatte am Abend des 30. November vermutlich Kohlen- ſpuren an ſich. Auskünfte über ihn erbittet man unter 3. M. an die Expedition.“

Müller pflegte ſich ſonſt ſtets erſt um halb acht Uhr zum Frühſtück zu ſetzen. Er wunderte ſich alſo nicht, als Anna ins Zimmer trat.

„Sie ſind heute noch da? Das iſt recht,“ rief er ihr entgegen.

„Ich werde halt heute eine Viertelſtunde ſpäter kommen,“ meinte Anna, die ſchon zum Ausgehen fertig war, „ich habe es nicht verſäumen wollen —“

„Vas wollten Sie nicht verſäumen?“

2 Kriminalroman von A. Groner. | 31

„Noch mit Ihnen zu reden.“

„Was gibt es denn?“

„Mir iſt etwas eingefallen.“

Müller legte das Eierlöffelchen wieder hin, das er ſoeben zur Hand genommen, und deutete auf den Stuhl neben ſich.

„Nun?“ ſagte er.

Anna ſetzte ſich. „Ich habe faſt nicht geſchlafen in dieſer Nacht. Immer habe ich grübeln müſſen, und da iſt mir eingefallen, daß die Tante einmal, wie ſie ſo ſchwer krank war, eine ſeltſame Rede geführt hat. Es iſt gerade der Doktor weggegangen geweſen, und ich hatte mich wieder zu ihr geſetzt. Da hat fie mich ängjt- lich angeſchaut und hat gefragt, ob der Doktor viel- leicht geſagt habe, daß ihr Krankſein ſchlecht ausgehen könnte, und da habe ich ſie getröſtet, und zum Schluß habe ich geſagt, was mir wirklich von Herzen gekommen iſt, daß fie gewiß noch lang leben werde, ſchon meinet- wegen würde ich darum beten, und der liebe Gott würde es mir ja nicht antun, daß ich ganz allein auf der Welt bleiben müſſe. Damals habe ich nämlich meinen Otto noch nicht gekannt,“ erklärte Anna ſchmerzlich lächelnd. „Da hat mich die Tante geſtreichelt und hat geſagt: „Ich weiß es, Kind, daß du mich lieb- haſt, und daß du um mein Leben beteſt, freilich, wenn dein Gebet erhört wird, wird das jemand ſehr gegen den Strich gehen.“ War das nicht eine ſeltſame Rede? Schaut das nicht aus, als ob ſie einen Feind gehabt hätte? Mir iſt die ganze Geſchichte entfallen ge- weſen, und es iſt gerade, als ob Sie, Herr Wüller, ſie heraufbeſchworen hätten.“

„Was jemand ſehr gegen den Strich gehen wird,“ wiederholte Müller und verſank in Nachdenken, in ein ſo tiefes Nachdenken, daß er Ort und Zeit darüber vergaß.

| 32 Der rote Merkur. e

Er ſaß mehrere Minuten ganz regungslos da, dann erhob er den Kopf und ſah Anna, die ſich auch nicht geregt hatte, noch vor ſich ſitzen. „So, Kind, jetzt gehen Sie nur,“ ſagte er, ihr die Hand reichend.

Als ſie draußen war, nahm er den Löffel wieder zur Hand und ſeine inzwiſchen kalt gewordenen Eier.

Dann ſetzte er ein ziemlich langes Telegramm auf und verließ das Haus.

Das Telegramm ging nach Graz. Es war an einen ehemaligen Kollegen Müllers, an einen gewiſſen Mitter- mayer gerichtet.

Den Tag brachte Müller auf den Wiener Bahn— höfen zu, wo er danach forſchte, ob nicht ein Herr mit einem hellen Überrod und etwaigen Kohlenſpuren abgereiſt ſei.

Er hatte mit dieſer Nachforſchung gar keinen Er- folg. Er wunderte ſich auch nicht darüber.

Fünfzehntes Kapitel.

Am Morgen des achten Tages nach dem Morde ſtand Müller vor einem Hotel des vierten Bezirkes. Es war ein ſolches dritten oder vierten Ranges, das erſt unlängſt eröffnet worden war, und das dem Süd- bahnhof ziemlich nahe lag.

Ein Zimmerkellner war es, der unter den in der Anzeige angegebenen Buchſtaben „F. M.“ geſchrieben hatte, der irgend etwas öntereſſantes gewittert und vermutlich gemeint hatte, daß J. M. eine Dame ſei, denn er hatte in einer recht galanten Art geſchrieben und kam ſichtlich aus der Faſſung, als er, vom Portier herbeigeklingelt, ſich einem ältlichen Herrn gegenüberſah, der ihm ſeinen eigenen Brief unter die Naſe hielt, womit die Vorſtellung auch ſchon beendet war. Denn

2 Kriminalroman von A. Groner. 33

gleich darauf zeigte ihm Herr Müller ſeine Legitimation, und erſt als er dieſe wieder in feine Rocktaſche ſchob, fing er zu reden an.

„Führen Sie mich jetzt in einen Raum, in dem wir ungeſtört reden konnen,“ ſagte er zu dem jungen Menſchen.

„Da wird's am beſten ſein, Sie kommen zu mir herein,“ meinte der Portier. „Jetzt kommt ſicher kein Menſch, der uns ſtören könnte.“

Der Mann trat in ſeine Loge zurück und machte eine einladende Gebärde.

„Ich weiß nämlich,“ fuhr er fort, „warum Sie da find, denn ich hab' ſogleich den Brief vom Emerich er- kannt. Ich war ja dabei, wie er geſchrieben wor- den iſt.“

Emerich war der Zimmerkellner, der Verfaſſer der ziemlich unorthographiſchen, aber um ſo ſchwung⸗ volleren Epiſtel, die Müller hierher gerufen hatte.

„Alſo von der Polizei wird der Herr geſucht?“ ſagte der Kellner betreten, während Müller ſich ſetzte.

Der alte Detektiv nickte. Er mußte über den Kellner lächeln, der ſicher eine ganz andere Wendung der An- gelegenheit erwartet hatte.

„Und ich ſoll alſo ſagen, was ich über ihn weiß?“

„Selbſtverſtändlich ſollen Sie das ſagen. Des- wegen bin ich ja hier. Alſo fangen Sie an. Wann iſt der Herr, den ai meinen, bier ins Haus ge- kommen?“

„Am 30. e ſo gegen halb ſechs Uhr.“

„Sie haben ihm den Meldezettel ſogleich vor- gelegt?“

„Sofort. Er hat noch nicht einmal feine Taſche und ſeinen Schirm abgelegt gehabt. Wir haben nämlich erſt unlängſt Schwierigkeiten gehabt mit —“

1910. IX. 3

34 | Der rote Merkur, 2

„Schon gut. Das intereſſiert mich nicht. Hat er ſich eingeſchrieben?“

„Freilich, aber da hat's ſchon gefehlt.“

„Wieſo?“ |

„Er hat erſt nachdenken müſſen, dann erſt hat er geſchrieben.“

„Wollen Sie damit ſagen, Sie hätten den Eindruck erhalten, daß er nicht ſeinen wirklichen Namen hin- geſchrieben hat?“

„Ja, das will ich damit ſagen.“

„Was iſt weiter geſchehen?“

„Der Herr iſt gleich wieder ausgegangen. Wie er weg war, habe ich mir feine Taſche angeſchaut. Natür- lich war ſie verſchloſſen.“

„Vie hat ſie ausgeſehen?“

„Eine feine, ziemlich kleine Reiſetaſche war es aus braunem Leder, ohne Überzug. Ein Silberſchild⸗ chen hat ſie gehabt, und darauf iſt ein Monogramm geweſen.“

„Welche Buchſtaben?“

„Ja, das hab' ich in der Schnelligkeit nicht heraus- gebracht. Es waren ſo verzwickte neumodiſche Buch- ſtaben, ganz ineinander verſchlungen waren ſie auch noch.“

„Waren Sie ſo eilig? Sie ſcheinen doch nicht ſo arg viel zu tun zu haben.“

„Ich bin halt abgerufen worden. Und gar ſo ſehr intereſſiert hat mich die Sache ja ſchließlich auch nicht. Immerhin meine ich, daß kein, W in dem Monogramm vorgekommen iſt.“

„Warum hätte gerade ein „W“ darin fein ſollen?“

„Weil der Herr ſich als Wenzel Bogdan aus Prag eingeſchrieben hat.“

„Aha! Nun und was weiter?“

2 Kriminalroman von A. Groner. 35

„Gegen ein Viertel auf neun Uhr ift der Herr wieder zurückgekommen,“ nahm jetzt der Portier das Wort, „hat, ohne zu fragen, was das Zimmer koſtet, ein Fünfkronenſtück auf dieſen Tiſch gelegt und hat mich erſucht, ich ſoll ihm ſeinen Rock abbürſten, er wäre an einem Mann angeſtreift, der einen Sack Kohlen in ein Haus getragen habe. So habe ich ihm alſo den Rock abgebürſtet.“

„Es war ein heller Überrod?“

„Ein ziemlich heller, drapefarbener war's. Einen Samtkragen hat er auch gehabt.“

„Wo waren denn die Flecken?“

„Auf der ganzen linken Seite.“

„Auch unten?“

„Ja, auch unten.“

„Haben Sie ſich dabei nichts gedacht?“

„Was hätte ich mir denn denken ſollen?“

„Daß die Kohlenträger die Säcke doch auf der Schulter tragen.“

„Das iſt wahr. Der Herr hat mich alſo angelogen. Auf welche Art hat er ſich denn ſo ſchwarz gemacht?“

„Das gehört nicht hierher. Wie hat denn der Herr ausgeſehen? Können Sie ihn beſchreiben?“

„Ein recht hübſcher Mann war's.“

„Ein feiner Mann?“

„Mein lieber Herr, das könnt' ich wirklich nicht ſagen.“

„Und Sie können es auch nicht ſagen?“ wandte Müller ſich an den Zimmerkellner.

Auch dieſer zuckte die Schultern. „Bei uns wohnen meiſtens Geſchäftsreiſende,“ ſagte er, „die ſchauen auch manchmal recht fein aus und ſind ſchließlich doch keine feinen Herren. Übrigens habe ich ja dieſen Frem- den kaum drei Minuten vor mir gehabt. Wie er

36 Der rote Merkur. 2

wiedergekommen ift, hab' ich ihn überhaupt nicht ge- ſehen.“

„Da hat der Hausdiener ſeine Taſche herunterholen müſſen, während ich mit dieſer Bürſte da ſeinen Rock geſäubert habe,“ vollendete der Portier den Bericht.

„Iſt Ihnen dabei nichts an ihm aufgefallen? War er nicht aufgeregt?“

„Sehr aufgeregt kann er nicht geweſen ſein,“ meinte der Portier, „ſonſt wäre es mir wohl aufgefallen. Ich hab' nur bemerkt, daß er recht ungeduldig war. Aber das ſind viele Reiſende. Bei mir hat er ſich übrigens auch nicht länger als höchſtens fünf Minuten auf- gehalten, dann iſt er zur Straßenbahn gegangen.“

„Das haben Sie noch geſehen?“

„Ja. Ich hab' ihm nachgeſchaut.“

„Haben Sie ihn einſteigen ſehen?“

„Ja. Er iſt der Stadt zu gefahren.“

„Der Stadt zu alſo. Schön. Und nun noch einige Fragen! Denken Sie beide jetzt ſcharf nach! Die Farbe ſeiner Augen und ſeiner Haare würde mich intereſſieren.“

„Mir ſcheint, braune Haare hat er gehabt,“ ſagte Emerich.

„Varen ſie nicht ſchwarz?“ meinte der Portier.

„Alſo jedenfalls nicht blond?“ fragte Müller.

„Nein, blond auf keinen Fall,“ ſagten die zwei wie aus einem Munde.

„Seine Figur?“

„Groß.“

„Höchſtens mittelgroß.“

Müller mußte lachen. „Noch jung?“ examinierte er weiter.

„Vielleicht Ende zwanzig.“

„Mitte Dreißig, mein' ich.“

Wieder lachte der Detektiv. „Trug er einen Bart?“

oO Kriminalroman von A. Groner. 37

„Einen Schnurrbart.“

„Ich glaub' auch.“

„Und was für eine Uhrkette?“

Die zwei ſchauten einander an.

„Wiſſen Sie es?“ fragte Emerich den Portier.

Der ſchüttelte den Kopf. „Ich glaub', er hat den Rock zugeknöpft gehabt,“ ſagte er nach einer Weile.

„Iſt das alles, was Sie mir über den Mann ſagen können?“

„Alles,“ ſagte der Zimmerkellner.

„Ich weiß auch nichts mehr,“ erklärte der Portier.

Müller erhob ſich, dankte für die Auskunft und ging, zwei ziemlich enttäuſchte Geſichter zurücklaſſend.

Er wendete ſich zur nächſten Halteſtelle der Straßen- bahn und fuhr dann der Stadt zu. Er wußte jetzt, daß jener Fremde am 30. November gegen halb ſechs Ahr in das Hotel kam, das er ſofort wieder verließ, ferner daß der Mann gegen viertel neun Uhr wieder- kam und nur etwa fünf Minuten blieb, daß er alſo zweieinhalb bis zweidreiviertel Stunden abweſend ge- weſen war. Ferner wußte Müller, daß von jenem Hotel das Haus der Schubert zu Fuß in etwa einer halben Stunde zu erreichen war, daß alſo dem Be- treffenden, falls er ihr Mörder war, anderthalb bis eindreiviertel Stunden zur Ausführung der Tat blieben.

Otto Falk hatte angegeben, daß er zehn Minuten nach ſechs Uhr von der Schubert weggegangen ſei, und erſt gegen halb neun Uhr hatte Anna beim Heim- kommen das Verbrechen entdeckt. Und der Holzhändler hatte angegeben, daß damals das Tor zu ſeinem Lager- platz bis acht Uhr offen geſtanden hatte.

Das alles ſtimmte bis aufs Tüpfelchen zuſammen.

Es war kaum mehr an dem Zuſammenhang zu zweifeln, jedenfalls war nicht mehr daran zu zweifeln,

38 Der rote Merkur. 2

daß es einen jüngeren, eleganten Herrn gab, der zur betreffenden Zeit ſich in der Nähe des Tatortes auf- hielt, einen Herrn mit einem hellen Überrod, in welchem ſich Flecken von Kohlen befanden.

Müller bat im ſtillen der Schuſtersfrau und der Hausmeiſterin ſeinen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ausſagen ab und kam ſehr angeregt heim. Dort fand er die Drahtantwort feines Kollegen Mittermayer in Graz.

Als er ſie geleſen hatte, brummte er: „Alſo das iſt nicht möglich. Na, auch gut. So wird man die Sache halt anders anpacken müſſen.“

Der Inhalt der Depeſche aber war folgender: „In das Haus L. zu kommen, iſt in ſolcher Haft wenig- ſtens unmöglich. Gründe leicht begreiflich nach Leſung nachfolgenden Briefes.“

Sechzehntes Kapitel.

Die Umgebung von Bruck an der Mur iſt nicht gerade großartig, aber ſie iſt lieblich, und die dunklen Wälder, die rings die Höhen bedecken, geben der Gegend einen Einſchlag von Ernſt, der ihr recht gut ſteht.

Etwa eine Gehſtunde von Bruck liegt das Dorf St. Florian. Es liegt auch von Kapfenberg, der Bruck zunächſtgelegenen Station der Südbahn, etwa eine Gehſtunde fern. St. Florian duckt ſich zu Füßen eines ziemlich hohen, ſteil abfallenden Berges und läßt ſich ſozuſagen außerdem noch behüten von dem uralten, ſchönen Bau, der, ein wenig höher gelegen als das Dorf, auf dieſes niederſchaut.

Dieſer altersgraue Bau mit den derben Ecktürmen und den ebenſo derben Wirtſchaftsgebäuden, die ihn umgeben, iſt das Gut Pachern. Die Landſtraße führt

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daran vorüber, und unterhalb der weiten, ſanft ab- fallenden Wieſen und Felder, in deren Mitte es ſteht, fließt ein Wildbach, der weiter unten eine Mühle treibt, die auch ſchon viele hundert Jahre alt iſt und einſt zum Gut Pachern gehört hat.

Das Schloß ſelbſt grenzt an einen ſchönen, großen, ſich bis zum Bach hinunterziehenden Garten. Zum Dorfe hat man vom Schloß aus faſt zwanzig Minuten zu gehen.

Pachern iſt kein Prachtbau, hat aber dennoch einige architektoniſche Schönheiten, ſeinen von wohlgeformten Säulen getragenen offenen Gang, in welchem die Zimmer des erſten und einzigen Stockwerkes münden, und feine zwei Ecktürme, welche achteckige Räume um- ſchließen, deren Fenſter eine herrliche Fernſicht ver- mitteln. Auch ſchöne Kreuz- und Rippengewölbe gibt es in Pachern, und die kleine Schloßkapelle beſitzt einen Flügelaltar, deſſen Schnitzarbeit von der Hand eines unbekannten, aber jedenfalls großen Künſtlers her- rührt.

Pacherns größter Reiz jedoch liegt in der Natur, von der es umgeben iſt. Auch jetzt, in körnigen Schnee gebettet, von einem lichtblauen Himmel überwölbt, in deſſen unendlichen Tiefen es ſilbrig ſchimmert, bietet dieſe ſtille Sebirgslandſchaft ein wunderſchönes Bild.

Einer aber freut ſich der Winterpracht nicht. Es iſt das noch dazu einer, der dazu hinausgezogen iſt, dieſe Pracht zu genießen.

Es iſt ein Schiläufer. Er ſitzt auf einem an der Straße liegenden Felsſtück. Die Schneeſchuhe, die Lenkſtange und ſein Ruckſack liegen neben ihm. Er ſelber iſt ſoeben dabei, ſeine linke Hand zu unterſuchen.

Einmal ſchaut er flüchtig auf. Ein Rabe iſt an ihm vorbeigeſtrichen. Am Bache unten hackt ein Fiſcher

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das Eis auf. Sein Angelzeug liegt neben ihm. Sonſt iſt nichts Lebendiges ringsum.

Doch da regt ſich in der Ferne etwas. Auf der Straße kommt ein Reiter daher. Ganz langſam reitet er, wohl mehr feinem Fuchshengſt als ſich ſelber zuliebe. Nach einer guten Weile erſt kommt er an dem Schi- läufer vorbei.

Der unterſucht noch einmal die Gelenke ſeiner Hand, dann ſteht er ein wenig mühſam auf, wirft ſich den Ruckſack um, hängt die Schneeſchuhe über die Schulter und geht auf das Dorf zu, das ſchon ſichtbar iſt.

Das Schloß liegt noch etwa hundert Schritte vor ihm. Da kommt hinter ihm ein kleiner Bube daher. Der Reiter reitet gerade neben ihm.

„Du, Kleiner,“ ruft der Reiter, „geh nur in die Küche. Sie ſollen dir was Gutes geben. Sag ihnen auch, der gnädige Herr käme ſogleich heim.“

Da ſetzt ſich das Büblein eilig in Trab und läuft in das Schloß hinauf.

Das liegt jetzt ſchon dicht vor dem verunglückten Schneeſchuhläufer, neben dem der Reiter herreitet.

Der Schiläufer weicht ihm ein bißchen unbehilflich aus, bleibt dann ſtehen, wiſcht ſich das Geſicht ab, klemmt die Lippen ein und ſtützt ſich dann ſchwer auf ſeinen Lenkſtock.

Der Reiter hält an. „Haben Sie ſich verletzt?“ fragt er.

„Geſtürzt bin ich, und mir ſcheint, ich habe mir die linke Hand verſtaucht.“

„Das iſt fatal. Aber Sie gehen auch etwas müh- ſam.“

„Stimmt,“ gibt der andere mit einem Lächeln zu. „Das hat aber mit meinen Schiern nichts zu tun. Es hat mich nur plötzlich ein Hexenſchuß gepackt.“

D Kriminalroman von A. Groner. 41

„Auch ſchlimm!“ erwidert der junge Reiter, ſpringt vom Pferd und ſteht ſchon neben dem anderen. „Ruhen Sie ein wenig bei mir aus. Vielleicht wird Ihnen beſſer.“

„Wie käme ich dazu?“

„Genau fo, wie ich dazu käme, wenn mir bei Ihrem Hauſe ſo etwas paſſierte.“

„Da müßten Sie nach Brandenburg del .

„Ich hab' es ſchon erkannt, daß Sie da oben zu Hauſe ſind.“

„Spreche ich noch ſo ſtark Dialekt?“

„Kaum wahrnehmbar aber doch.“ |

„Und ich bin ſchon feit Jahren fo ſelten daheim.“

„Sie reiſen viel?“

„Ja und denken Sie, zumeiſt meiner Sportlieb- habereien wegen au!“

„Gehen wir langſamer. Vollen Sie meinen Arm nehmen? So! getzt wird es beſſer fein. Matthias!“

Dieſen Namen rief der junge Mann zum Bach hinunter.

Daraufhin kam der Fiſcher herauf. „Was wünſchen der gnädige Herr?“ fragte er.

„Den Ruckſack und die Schneeſchuhe dieſes Herrn tragen Sie ins Haus. Frau Huber ſoll das grüne Turmzimmer heizen laſſen.“

Der Mann ging eilig davon, um den Auftrag aus- zuführen.

Es war entſchieden Bewegtheit in der Stimme des Fremden, als er, dem liebenswürdigen Schloßherrn ernſt in die Augen ſchauend, ſagte: „Ich bin mehr als nur verwundert über Ihr ſo gütiges Entgegenkommen. Geſtatten Sie mir, mich Ihnen vorzuſtellen v. Schlei- nitz, Gutsbeſitzer.“

„Eck v. Pachern,“ ſagte der andere, den Hut lüftend.

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„Es freut mich, einen Gaſt zu bekommen. Die Winter ſind ein wenig eintönig hierzulande. Sie ſehen, meine Einladung geſchah aus reinem Egoismus.“

„Das habe ich natürlich ſofort angenommen,“ ſagte Schleinitz, lächelnd den Scherz aufnehmend, und ließ ſich nun ohne weiteres ins Schloß und in einen großen, hallenartigen Raum führen, zu dem man von der Garten- ſeite her über eine niedrige Freitreppe gelangte.

Schleinitz ließ ſich mit einer gewiſſen Vorſicht in einen Seſſel nieder, den der junge Hausherr ihm vor den rieſigen Ofen ſchob. „Da haben Sie es aber ſchön!“ ſagte er. „Es muß überhaupt in dem präch- tigen Bau behaglich zu leben ſein.“

„Zurzeit nicht beſonders,“ entgegnete Eck etwas melancholiſch, „und ich weiß auch nicht, ob das jemals anders werden wird.“

„Sie ſind Junggeſelle?“ erkundigte ſich der Gaſt.

Eck bejahte. „Ich lebe ſchon verſchiedene Jahre wie ein Mönch hier. Zch habe faſt keinen Verkehr als den mit meinen Oienſtleuten, und die vergnügten Stunden, die einem dieſe bereiten, die kennt man ja. Übrigens bin ich ſeit einem halben Jahr Bräutigam.“

„Da gratuliere ich. Da wird's ja bald anders werden.“

„Es iſt mir auch zu gratulieren,“ rief Eck, und ſein ſchönes Geſicht erhellte ſich für einen Augenblick. Dann freilich zog die Wolke des Schwermutes wieder dar- über hin.

Um dieſen plötzlichen Stimmungswechſel zu be- mänteln, benützte Eck eine Bewegung ſeines Gaſtes. „Bitte,“ ſagte er, „wollen Sie einmal das Bein aus- ſtrecken?“

„Dante, es iſt ſchon gut jo. Aber Sie werden jetzt wiſſen wollen, wie ich alter Brandenburger in Ihr eigentlich weltfern gelegenes Tal komme.“

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„Wenn Sie es mir ſagen wollen, wird es mich inter- eſſieren.“

„Erſtens bin ich ein Freund alter Burgen und Schlöſſer. Und da ich in Laibach einen Bekannten be- ſuche, habe ich auf meinem Weg ich war nämlich ein paar Wochen auf dem Semmering mir ange- ſchaut, was eben zu ſehen war, und habe dabei auch vielfach meine Schier benützt. Mein Gepäck habe ich vorausgeſandt. Es iſt mir übrigens ſehr ange- nehm, daß Sie keine Damen im Hauſe haben, denn in meiner Touriſtentracht könnte ich mich ihnen ja kaum zeigen.“

„Das hat bei uns nichts zu ſagen.“

„Nun, ich hoffe, Sie nur ein paar Stunden be- läſtigen zu müſſen.“

„Werden Sie heute ſchon in Laibach erwartet?“

„Das nicht. Man kennt dort meine Ankunftszeit noch nicht.“

„Nun alſo. Da ruhen Sie ſich vorerſt ein paar Tage hier aus. Man kann doch ſeinen Bekannten nicht mit einem Hexenſchuß ins Haus fallen.“

„Hierherein bin ich jedenfalls damit gefallen, und hier bin ich ſogar ganz fremd.“

„Sie werden ſich bei mir bald wie daheim fühlen, denn Sie werden bemerken, daß ich mir meine volle Freiheit wahre. Ich werde mich nur ſehr wenig um Sie kümmern.“

„Alſo wollen Sie mich tatſächlich über Nacht be- halten? Wohl täte es mir ſchon.“

„Ich werde Sie einfach nicht fort laſſen, ſolange Sie nicht wieder ganz wohl ſind, denn meine Braut, die in Graz lebt, und die ich ſonſt jeden zweiten Tag ſehe, macht einen Beſuch in Klagenfurt.“

„Da können Sie mich alſo zur Geſellſchaft brauchen!

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Nun gut ich bleibe. Aber, beſonders luftig bin ich nicht darauf mache ich Sie aufmerkſam!“

„Gerade jetzt könnte ich einen Luſtigmacher gut brauchen,“ entgegnete Eck, ſeltſam lächelnd. „Schade alſo, daß Sie nicht von dieſer Art ſind!“

Schleinitz ſtrich ſich über den ſchmerzenden Rücken. „Daran iſt eben das Alter ſchuld,“ meinte er, „das Alter, das mich noch immer nicht recht vor Torheit ſchützt. Ich ſollte wirklich damit aufhören, Sport zu treiben, aber ich habe eben damit nie aufgehört, und von lieben Gewohnheiten läßt man nicht ſo leicht. Vas haben Sie denn dort ſtehen? Den ſchlanken Krug meine ich. Das iſt wohl bosniſche Arbeit?“

„Ja und es iſt ein ſchönes Stück. Ich hab' es mir im alten Han in Sarajewo ſelbſt ausgeſucht.“

„Ah Sie waren in Bosnien? Wahrſcheinlich als Offizier?“

„Ja. Aber meiſtens in ganz entlegenen Berg— neſtern. Wir hatten oft nichts als Schaffleiſch zu eſſen. Aber es war doch ſchön dort. Nie mehr werde ich ſo ganz frei wieder ſein wie dort!“ |

„Sie lieben die ſchrankenloſe Freiheit?“

„Ich weiß nicht, woher ich es habe, denn hier und wo ich immer lebte, habe ich doch eigentlich nichts, als das reinſte Philiſtertum um mich gehabt.“

„Vielleicht war einer Ihrer Vorfahren ein Raub- ritter,“ ſcherzte Schleinitz.

Aber er hatte kein Glück mit dieſem Scherz. Sein Gaſtgeber ſah plötzlich recht ernſt aus.

Schleinitz war jedoch ein Weltmann. Er ſchien die kleine Verſtimmung nicht zu bemerken, redete von etwas anderem, und ſo kamen die beiden Herren ſchnell wieder zu Dingen, die jedem von ihnen genehm waren.

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Dann wurde gemeldet, daß es im grünen Turm- zimmer ſchon warm ſei.

„Es iſt nämlich noch gar nicht recht kalt dort ge- weſen,“ erklärte Eck. „Geſtern noch hatte ich Gäſte. Meine Braut und ihre Tante waren hier. Die junge Dame huldigt nämlich dem Rodeln, und ich habe ihr eine faſt fünf Kilometer lange Bahn von beſter Be— ſchaffenheit herſtellen können.“

„Das iſt ja eine ideale Bahn!“

„Nahezu. Sind Sie auch Rodler?“

„Nein das nicht. Und Sie?“

„Gewiß. Aber geſtern kam es doch zu keiner Fahrt.“

„Weshalb nicht?“

„Es iſt plötzlich ein derartiger Sturm in unſer Tal hereingebrochen, daß wir einfach nicht ins Freie gehen konnten.“

„Aber früher haben Sie doch ſchon gerodelt?“

„Es war noch kein Wetter dazu,“ ſagte Eck.

Er ſagte es erſt nach einer kleinen Pauſe, denn er hatte ſich, von Schleinitz abgewendet, damit beſchäftigt, den Handſchuh aufzuheben, den er eben von der Hand gezogen hatte, und der ihm entfallen war.

„Bei uns auf dem Semmering war gerade das richtige Wetter dazu.“

Schleinitz erhob ſich vorſichtig und ging dem Stuben- mädchen nach, das, um ihm den Weg zu weiſen, an der Tür ſtehen geblieben war.

„Um ein Uhr iſt Speiſeſtunde,“ bemerkte Eck, hinter ihm hergehend. Seine Stimme klang ſchon wieder freundlich.

Eine Stunde verſtrich ſchnell, und bei Tiſch gab es ein ſehr angeregtes Geſpräch. Beſonders der herein- geſchneite Gaſt hatte viel zu erzählen. Er war weit herumgekommen in der Welt, und Ofterreich kannte er

46 Der rote Merkur. n

in faſt allen feinen Teilen. Auch Bosnien und ſogar den Garniſonsort, in welchem Eck jene köſtliche Freiheit genoſſen, von welcher er vorhin geſchwärmt hatte, und deſſen Name erſt jetzt genannt worden war, kannte er. Für Schleinitz hatte die Raſſenverſchiedenheit der An- gehörigen des öſterreichiſchen Kaiſerſtaates einen ſo großen Reiz, wie er erklärte, daß er zumeiſt deshalb dieſes Land bereiſte, welches ſchon feiner Boden- beſchaffenheit halber jo intereſſant war. Und wie geijt- reich wußte er die Eindrücke zu ſchildern, die er er- halten hatte!

Nur vergaß er dabei zu eſſen. Und als Ecks immer wiederkehrende Aufforderungen kaum einen Erfolg hatten, mußte der Gaſt zugeben, daß es ihm in letzter Zeit überhaupt an Eßluſt mangle.

Den Nachmittag verbrachte der junge Gutsherr auswärts.

Liſi, das Stubenmädchen, welches dem Gaſt den Kaffee in ſein Zimmer brachte, war recht redſelig, vielleicht deshalb, weil ſie ſo ſelten Gelegenheit hatte, mit jemand anderem zu ſprechen als mit der ein- ſilbigen Wirtſchafterin und dem Küchenmädchen, das ein einfältiges Ding war. Zudem munterte ſie der freundliche Gaſt zum Reden auf, indem er ſo recht gemütlich allerlei Fragen an ſie ſtellte, wie lange ſie ſchon hier diene, und ob ſie angenehme Dienſtgenoſſen habe.

„Fad iſt's halt hier,“ meinte ſie, „namentlich wenn der gnädige Herr wegfährt. Da hört man dann über- haupt kaum einen Laut im ganzen Schloß.“

Ob denn Herr v. Eck viel reiſe, erkundigte ſich der Gaſt und erfuhr, daß jener jeden zweiten Tag zu ſeiner Braut nach Graz fahre, und daß er kürzlich auch ſonſt zweimal verreiſt geweſen ſei einmal nicht gar lange,

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einmal aber ein paar Tage. Da hatte er etwas in Trieſt zu tun gehabt. N

„Aber nicht nur wegen des Holzverkaufes iſt er hin- gefahren,“ ſagte das Mädchen.

Sie redete überhaupt in einigermaßen gereiztem Tone, wenn fie von ihrem Gebieter ſprach, und Schlei- nitz, offenbar ein Menſchenkenner, glaubte ſchon zu wiſſen, weshalb ihre Seele da jedesmal aus dem Gleichgewicht kam.

Er hatte bei Tiſch einen heißen Blick bemerkt, den die hübſche Perſon verſtohlen auf ihren Herrn warf, und anderſeits hatte er wahrgenommen, daß dieſer Liſi mit vollkommener Gleichgültigkeit behandelte.

„Es kann Ihnen doch vollſtändig gleich fein, wes- halb Ihr Herr dahin oder dorthin reift,“ meinte Schlei- nitz, Liſi lächelnd und mit ſichtlichem Wohlgefallen be- trachtend, was das Mädchen noch gezierter machte, als es ohnehin ſchon war.

„Mir kann es freilich gleich ſein,“ entgegnete ſie in vielſagender Weiſe, „ob aber auch ſeiner Braut? Die Baroneſſe Simonetta hat viel Temperament. Ob die ſo ruhig zuſchauen wird über dieſe heimlichen Fahrten nach Trieſt?“

„Ihr Herr reiſt doch gewiß nicht heimlich,“ warf der Gaſt ein. „Mir ſcheint, Sie find eine kleine, roman- tiſche Perſon, deren Phantaſie von dieſen mittelalter- lichen Mauern zu ſehr angeregt wird.“

„Da irren ſich der gnädige Herr aber ſehr,“ fiel ihm das Mädchen in die Rede. „Nicht heimlich ſoll er reiſen? Iſt es etwa keine Heimlichkeit, wenn einer ſagt, er geht nach Graz, und derweil ſchleicht er ſich nach Kapfenberg und fährt nach der entgegengeſetzten Seite?“

„Mein ſchönes Kind, ereifern Sie ſich doch nicht ſo

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ſehr!“ mahnte der Gaſt. „Warum find Sie denn über- haupt fo erzürnt gegen Ihren Herrn?“ |

„Veil er mich heute früh wieder vor allen berunter- geputzt hat,“ brach das Mädchen los. „Und noch dazu wegen nichts und wieder nichts. ZIch habe auch ſofort gekündigt. Ich brauche mich keine Schnüfflerin heißen zu laſſen.“

„Schnüfflerin! Das iſt freilich ein ſtarker Aus- druck!“

„Nicht wahr? Und was hab' ich denn getan? Seinen Schreibtiſch hab' ich abgeſtaubt, und er war noch dazu dabei. Am Fenſter hat er geftanden und hat feine Uhr aufgezogen. Da frag' ich ihn, ob ich die Gold- ſchmiedadreſſe, die auf dem Tiſch gelegen iſt, weg- werfen kann. Da hätten Sie ihn ſehen ſollen! Wie ein Wilder iſt er auf mich zugeſtürzt und hat mir die Karte aus der Hand geriſſen. Ich bin hinausgelaufen, er aber mir nach, und da iſt das Geſchimpf losgegangen. Und er war doch bisher ein jo ruhiger Herr!“ ſagte die Leidenſchaftliche, plötzlich aufſchluchzend. „Aber in letzter Zeit iſt er wie ausgewechſelt. Und ich hab' ihm doch von ſeinem Umberto nichts heruntergebiſſen!“

„Von was für einem Umberto?“ fragte Schleinitz.

„Na der Name iſt halt auf der Karte von dem Goldſchmied geſtanden.“

„Ah ſo!“ machte Schleinitz und ſagte dann: „Sie, liebes Kind, mir ſcheint, es tut Ihnen ſchon leid, daß Sie gekündigt haben.“

Der Herr hatte das ſehr wohlwollend geſagt. Des Mädchens Lippen fingen zu zucken an.

Aber Liſi mochte ſtolz und trotzig ſein. Sie wurde ſchnell wieder ruhig und rief: „O ich gehe ich gehe ſchon! Wenn die junge Frau da fein wird, könnt' ich es doch nicht mehr aushalten, denn —“

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Liſi lachte hyſteriſch auf, wiſchte ſich die Tränen ab und lief hinaus.

Schleinitz ſah ihr lächelnd nach. „Armes Ding!“ murmelte er. „Es wäre ja ein Wunder, wenn du dich nicht in ihn verliebt hätteſt! Er iſt wohl ſo ziemlich der ſchönſte Mann, den ich je geſehen habe.“

Nach einer Weile holte Liſi das Kaffeegeſchirr. Schleinitz hatte wieder ſehr wenig Appetit gehabt.

Nun, es war kein Wunder, daß ihn in dieſem Hauſe jeder Biſſen würgte, denn Vornehmheit und Herzlich- keit hatten ihm das Tor geöffnet, und er war im Namen der Gerechtigkeit hierher gekommen, um zu ergründen, ob der Herr dieſes Hauſes ein Mörder ſei!

Herr v. Schleinitz, der brandenburgiſche Gutsbeſitzer, war Joſeph Müller, der alte Detektiv.

Er hatte einen unerwartet raſchen Erfolg zu ver- zeichnen. Schon der erſte Blick auf Eck, der, vom Pferde ſpringend, auf ihn zutrat, hatte ihm geſagt, daß er den vor ſich habe, der der letzte geweſen, der in der Schubert brechende Augen geſehen. Ecks Rock war nicht geſchloſſen, ſeine Weſte und die Uhrkette waren ſichtbar geweſen. Dieſe Uhrkette ſtellte ein etwa zenti- meterbreites Band dar, darin kurze, feine, wie Frage- zeichen gewundene Formen und winzige Kügelchen ſich befanden. Die hübſche Kette war aus Gold. Es war eine kurze Kette, die man Chatelaine nennt, und an ihr baumelte ein Anhängſel. Es hatte die Form eines Vierblattes. Es beſtand ebenfalls aus tiefgelbem, mattem Golde, und auf einem der vier Blätter lag ein Brillant als Tautropfen.

Bis zu dieſer, Müller gar nicht mehr überraſchenden Entdeckung war alles genau ſo verlaufen, wie er es ſich ſchon bei ſeiner Abfahrt von Wien vorgeſtellt hatte.

Er war in Geſellſchaft eines Buches gereiſt, für

1910. IX. 4

50 Der rote Merkur.

deſſen Inhalt er vierundzwanzig Stunden vorher noch auffallend wenig Intereſſe gehabt hatte, den er aber jetzt während der Fahrt faſt auswendig lernte, um bei einem etwaigen Geſpräch ſich keine Blöße in bezug auf die Technik des Schilaufens zu geben. Seine Fahrt währte übrigens nicht lange. Er ſtieg mit ſeiner faſt leeren Reiſetaſche ſchon in Mürzzufchlag aus und begab ſich dort in ein Touriſtenausſtattungsgeſchäft, das er im Sportanzug eines Schiläufers verließ, um mit dem nächſten, ſüdwärts dampfenden Zug weiter zu fahren. Seine Reiſetaſche, die feine gewöhnliche Kleidung ent- hielt, hatte er nach Bruck aufgegeben. Am nächſten Vor- mittag ſimulierte er, nachdem er von einem ſicheren Verſteck aus Eds Wegritt von Pachern beobachtet hatte, zu rechter Zeit einen Unfall und führte die erſte Begegnung mit dem jungen Schloßherrn herbei.

Hätte es ſich nicht ſo gefügt, ſo wäre Müller eben auf irgend eine andere Weiſe nach Pachern und mit Alfons v. Eck zuſammengekommen. Das alles hatte ihm nicht die geringſte Sorge gemacht, das gehörte zu ſeinem Beruf, zu dieſem oft ſo ſchwierigen Beruf, der Männer mit ſcharfen Sinnen und geſchultem Denken erfordert.

Nicht aber erfordert er Männer mit warmen Herzen und mit einem Bildungsgrad, der ſie befähigt, alles Menſchliche zu verſtehen. Und weil Müller ſolch ein Mann war, fing jetzt, da alles wie am Schnürchen ging, da eigentlich nur noch zuzugreifen war, die Schwierig- keit für ihn an.

Denn der, den er verfolgte, dem er mit kaltem Blute nachgeſpürt hatte, der war ihm gütig entgegengelom- men, wie einen Bruder hatte der ihn behandelt.

Za, jetzt fingen für Müller erſt die Schwierigkeiten ſeines Berufes an, und am liebſten hätte er Pachern wieder fluchtartig verlaſſen.

D Kriminalroman von A. Groner. 51

Siebzehntes Kapitel.

Den Abend brachte Schleinitz-Müller im Arbeits- zimmer des Schloßherrn zu. Das war eines der Turmgelaſſe und befand ſich über dem Gemach, das Eck ſeinem Gaſt eingeräumt hatte.

Dieſer zeigte ſo großes Intereſſe an dem alten Bau, daß es wiederum Eck Freude machte, ihn darin umber- zuführen.

Die Ecks hatten auch ihre Begräbnisſtätte in ihrem Stammhauſe. Die Kapelle, die ſich im Erdgeſchoß befand, zeigte Eck ſeinem Gaſt zuerſt, und da war eine Bemerkung gefallen, die Eck wie für ſich ſelbſt gemacht, die aber ſeinen Gaſt verſtohlen hatte aufſchauen laſſen. Es gab da verſchiedene Totenſchilde und Gruftſteine, und in einer Niſche ſtand ein wunderſchön gearbeiteter Sarkophag aus weißem Marmor. Er ſtellte ein antikes Ruhelager vor, und in Lebensgröße lag die Geſtalt einer ſchlummernden, zarten Frau darauf. Ein ſüßer Duft, der von dorther kam, hatte Ecks Gaſt zuerſt die Blicke nach dieſer Richtung wenden laſſen. Auf der Bruſt der Schlummernden lagen weiße Roſen.

„Das iſt ja herrlich!“ ſagte Schleinitz, ſich dem Grabmal zuwendend. „Wer hat hier ſolche Ideen?“

„Das Grabmal wurde nach Vaters Angaben ſo geſtaltet,“ erklärte Eck. „Er hat feine Frau abgöttiſch geliebt.“

Warum ſagte der junge Mann nicht „meine Mutter“?

„Ich meinte die Blumen.“

„Die Blumen lege natürlich ich hierher übrigens erſt ſeit ein paar Tagen,“ ſetzte Herr v. Eck ſonderbar lächelnd hinzu. „Hätte ich dieſes Grabmal immer ſo behandelt und freilich anderes hätte ich wieder nicht tun dürfen ich wäre heute ein glücklicher Menſch.“

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Das hatte Eck wie nur zu ſich ſelbſt geſagt, dann war er einem Träumer gleich aus der Kapelle gegangen.

And jetzt, eine Stunde ſpäter, ſaß er in feinem ele- ganten, traulichen Arbeitszimmer als liebenswürdiger Hausherr ſeinem Gaſte gegenüber und erzählte dieſem äußerſt angeregt ein Jagdabenteuer, das er in der Herzegowina gehabt.

Dieſer hörte ihm nicht minder angeregt zu und dachte dabei: „In einem ſo lieben Raum kann doch nur ein lieber Menſch wohnen. Wenn ich nicht genau wüßte, daß mein Hirn geſund iſt, müßte ich beinahe annehmen, daß eine wüſte Täuſchung mich umfängt.“

Zur größeren Bequemlichkeit ſeines Gaſtes hatte der fürſorgliche Eck in dem Zimmer, in welchem fie ſich befanden, decken laſſen. Gegen ſieben Uhr kam Liſi mit dem CTiſchzeug herein.

„Legen Sie drei Gedecke auf,“ ſagte Eck über ſeine Achſel weg zu dem Mädchen.

Liſi antwortete darauf nicht.

„Haben Sie gehört?“ fragte ihr Herr ſcharf.

„Ja, gnädiger Herr. Und ich ſoll fragen, ob auch Rotwein zu Tiſch kommt oder nur weißer.“

„Mailberger und Refosco.“

Sehr ſchroff klang das. Ecks Gaſt ſah, wie der braven Liſi die Tränen in die Augen ſchoſſen, und dann, wie froh ſie plötzlich wieder lächelte. |

Ihr Herr hatte nämlich, vermutlich um feine Schroff- heit wieder gutzumachen, ſie in geradezu lieber Weiſe um Waſſer gebeten.

Wie da das Mädchen flog, und wie ihre Hand zitterte, als ſie ihm das Glas, das auf einem ſilbernen Tellerchen ſtand, hinhielt! |

Er nahm einen Schluck, ſchaute zu ihr auf und ſagte: „Heute früh war ich ja ganz überflüſſigerweiſe

D Kriminalroman von A. Groner. 33

heftig. Falls Sie nicht ſogleich einen anderen Dienſt finden na, kurzum, ich habe Ihre Kündigung nicht ernſt genommen.“

Liſi wurde blaß und rot, öffnete den Mund, ſchloß ihn wieder und ſagte endlich ſtockend: „Ich ich gehe doch lieber, gnädiger Herr. Es es iſt beſſer ſo.“

Eck redete nichts mehr zu dem Mädchen. Er zuckte nur die Achſeln und wandte ſich wieder ſeinem Gaſte zu. „Nun, da haben Sie es,“ ſagte Eck, als ſie wieder draußen war. „So find dieſe Frauenzimmer! Emp- findlich über die Maßen, und die N tragen ſie höher als unſereiner.“

„Ich finde auch

„Nicht wahr?“ 5 ihn der junge Mann leb- haft.

„Daß es beſſer iſt, wenn das Mädchen geht.“

„Ah ſo? Und warum finden Sie das?“

„Haben Sie denn nicht bemerkt, daß das arme Ding in Sie verliebt iſt?“

„Nein, das habe ich noch nicht bemerkt. Ich habe überhaupt das Mädchen wenig beachtet. Nicht einmal früher, als ich meine Braut noch nicht kannte. Alſo das iſt's? Na, da werde ich ſie nicht aufhalten.“

„Sie ſind ja förmlich entrüſtet. Liſi iſt doch ein ſchmuckes Mädchen —“

„Ach, Herr v. Schleinitz, mit der Verliebtheit bin ich fertig, ſeit ich liebe. Nur iſt es merkwürdig —“

„Was denn?“

„Daß ich ſeit einiger Zeit fo trüb geſtimmt bin,“ ſagte Eck nachdenklich.

Müller horchte auf. Das ging ja vortrefflich. Jetzt würde er bald hören, was er hören wollte.

In dieſem Augenblick aber wurde der gemeldet, für den das dritte Gedeck aufgelegt worden war. Es war

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Cds Förſter, ein ſchon recht alter, gemütlicher Weid- mann.

Das Geſpräch drehte ſich nun meiſt um Jagd; und Forſtangelegenheiten. Es wurde auch erwähnt, daß die neuangelegte Rodelbahn in einem ſehr guten Zu- ſtande ſei, wovon der Förfter ſich an dieſem Nach- mittag erſt überzeugt hatte.

„Wann werden denn die Herrſchaften kommen?“ erkundigte er ſich.

„Am elften Dezember, alſo am Dienstag.“

„Und heute iſt der achte. Da werde ich alſo am Montag den Weg zur Rodelbahn kehren laſſen müſſen?“

„Das hat bis Dienstag vormittag Zeit. Meine Braut ſchrieb mir, daß Doktor Malten am Morgen noch nicht abkommen könne. Die Geſellſchaft wird alſo erſt um ein Uhr dreißig in Bruck anlangen.“

„Alſo am Dienstag!“ N

„Die zwei Schlitten und der Break werden aus- reichen.“

„So viele kommen? Und der Herr Doktor Malten auch? Oas iſt ein gar lieber Herr! Oer kuriert nicht nur die Kranken, der unterſtützt ſie auch. Das weiß ich durch unſeren Heger. Der hat einmal im Grazer Spital gelegen, zu der Zeit, als Doktor Malten noch Aſſiſtenzarzt dort war.“

„Ja, er iſt ein guter Menſch,“ beſtätigte Eck nach- denklich und ſetzte nach einer Weile hinzu: „Und ein Mann von feinſtem Ehrbegriff.“

„Die Frau Gräfin wird auch kommen?“

Eck lachte. „Natürlich!“ fagte er heiter. „Die jungen Damen können doch ohne Gardedame nicht zu einem Zunggefellen kommen! Übrigens Sie ſchwärmen ja für die Gräfin.“

„Tu' ich auch! Die Gräfin iſt ein Engel!“

2 Kriminalroman von A. Groner. 55

„Sie haben ganz recht,“ meinte Eck weich.

Der Förſter war mit ſeinen Gedanken ſchon wieder anderswo. Er ſagte: „Aber das Reiſig ſchicke ich ſchon Montag.“

„Gewiß! Wir haben ja ſchon angefangen, den Ein- gang vom Schloß zu ſchmücken.“

„Die Liſi iſt doch ein ſpaßiges Mädel!“

„Wie kommen Sie denn wieder auf die Liſi?“

„Wie ich vorhin gekommen bin, haben der Kutſcher und der Stallburſche gerade das „Willkommen“ probiert. Es nimmt ſich wirklich hübſch aus. Die Buchſtaben aus Schneeroſen leuchten ordentlich heraus aus dem dunklen Tannengrün.“

„Iſt das nicht ein bißchen zu früh fertig geworden?“ fragte Eck. „Werden die Schneeroſen nicht welk ſein bis Dienstag?“

„O nein, gnädiger Herr, die halten acht Tage aus.“

„Alſo was iſt's mit der Liſi?“

„Na alſo die zwei ſtellen das Rieſenſchild auf, und die Liſi ſchaut ihnen zu, da ſagt der Kutſcher: „Das gilt doch eigentlich nur unſerer künftigen gnädigen Frau.“ Da fängt das Mädel plötzlich zu heulen an und läuft davon.“

Schleinitz lächelte, Eck ſah recht ärgerlich aus.

Der Förſter fing glücklicherweiſe jetzt vom Armen haus zu reden an, und obwohl Eck abwinkte, kam es doch zutage, daß er für die Ortsarmen eine namhafte Summe geſpendet hatte.

„Ich weiß ja, daß der gnädige Herr es nicht gern hat, wenn man von ſeinem guten Herzen redet,“ wendete ſich der Förſter zu Schleinitz, „und eigentlich brauchte man darüber auch kein Wort zu verlieren. Wenn einer nur acht Tage bei uns in St. Florian iſt, weiß er ſchon, daß jeder unſeren gnädigen Herrn gern hat.“

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„Jetzt hören Sie aber einmal auf!“ mahnte Eck verdroſſen.

„Die Kinder laufen ihm auf Schritt und Tritt nach,“ redete der Alte weiter. „Ich hab' aber auch mein Leben lang noch keinen anderen jüngeren Mann ge— kannt, der ein ſolches Herz für arme Kinder gehabt hätte, wie's unſer gnädiger Herr hat.“

„Alſo gut! Sch hab' halt einmal Intereſſe für arme, elternloſe Kinder. Da kann man nichts machen. Jetzt aber hab' ich auch Hunger und da kommt ja das Eſſen. Herr v. Schleinitz, ſoll ich Ihnen beim Auf- ſtehen helfen?“ |

„Ich danke. Es geht ſchon wieder ganz gut. Ich fühle faſt keine Schmerzen mehr.“

„Das freut mich. Ah Sie, meine Liebe, ſind ſelbſt zu uns heraufgeſtiegen? Warum trägt denn nicht die Liſi auf?“ |

„Sie iſt ja ganz verheult, das dumme Ding,“ erklärte die Wirtſchafterin. „Ich weiß gar nicht, was ſie hat.“

Man und rauchte dann und plauderte, und es wurde ein recht gemütlicher Abend.

Es war ſchon zehn Uhr vorüber, als der Förſter ging, und dann auch die beiden Herren einander gute Nacht ſagten.

Der Gaſt des Hauſes ſchlief nicht übermäßig gut. Zu viele Gedanken ſind der Nachtruhe nicht förderlich.

Am anderen Morgen beim Frühſtück erklärte er, daß er ſich wohl genug fühle, um den beabjichtigten Beſuch in Laibach machen zu können.

„Wie lange werden Sie dort bleiben?“ erkundigte ſich Eck.

„Gar nicht lang und wenn Sie es mir geſtatten, hole ich meinen Ruckſack und meine Schier auf der Rückfahrt hier ab.“

0 Kriminalroman von A. Groner. 57

„Ich hätte Sie ſo gern Dienstag hier gehabt. Da wird es doch ein bißchen feſtlich in meiner alten Klauſe ausſehen.“

„Nun, das könnte ich ſchon einrichten.“

„Das wäre nett! Alſo abgemacht! Dienstag ſind Sie wieder hier, und dann kann ich hoffentlich noch für eine Weile auf Sie rechnen.“

„Das wird ſich finden.“

Eck reichte ſeinem Gaſte die Hand und wunderte ſich, daß dieſer gar ſo zögernd die ſeinige hineinlegte.

Kurz nach ein Uhr mittags verläßt ein ſüdwärts fahrender Schnellzug die Station Bruck. Mit dieſem Zug fuhr Schleinitz Müller ab. Sein Ziel war übrigens nicht Laibach, ſondern Trieſt.

Auch Eck war vor ein paar Tagen in Trieſt geweſen, und Liſi hatte dann auf ſeinem Schreibtiſch die Karte eines Goldſchmiedes geſehen, deſſen Rufname Umberto war. Und an Alfons v. Ecks Uhrkette hing wieder ein Kleeblatt, genau ſolch ein Kleeblatt, wie Müller eines in ſeiner Brieftaſche bei ſich trug. :

Es lag alſo klar auf der Hand, daß der unfelige Mann in Trieſt geweſen war, um dort, wo er vielleicht das ihm abhanden gekommene Anhängſel gekauft hatte, ſich genau wieder ein ſolches zu verſchaffen oder ſich eines nach genauen Angaben anfertigen zu laſſen.

Müller würde alſo in Trieſt kaum etwas Neues er- fahren, jedenfalls nichts, das an der ſchauerlichen Tat- ſache, daß Eck die alte Frau Schubert getötet hatte, etwas ändern konnte. Er fuhr auch gar nicht dahin in der Erwartung, etwas Wichtiges zu erfahren, ſon- dern nur, um den ſchrecklichen Augenblick der Ver- haftung noch eine Weile hinauszuſchieben. |

Er kam erſt ſpät abends in Trieſt an. Natürlich waren alle Geſchäfte geſchloſſen. Er ſuchte alſo ſofort

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das Hotel Balkan auf, in welchem er in Trieſt ſtets zu wohnen pflegte.

Der nächſte Tag war ein abſcheulicher Tag. Die Stadt lag wie ausgeſtorben. Eine wütende Bora, vom Karſt herkommend, peitſchte dickes Gewölk vor ſich her, das bald eiſige Regenſchauer, bald ſchweren, klumpigen Schnee über die Stadt ſchüttete.

Wer nicht hinaus mußte, der blieb heute ſicher daheim.

Das war Müller eben recht, denn ſo konnte er hoffen, den geſuchten Goldſchmied ſicher aufzufinden.

Während er den ſonſt etwa viertelſtündigen Weg zum Cafe Specchi machte, den zurückzulegen er heute eine dreimal fo lange Zeit brauchte, hatte er Gelegen- heit, die Gewalt der Bora gründlich kennen zu lernen. So oft er an eine auf das Meer zuführende Straße kam, bedurfte er ſeiner ganzen Kraft, um nicht um- geworfen zu werden. Er fühlte ſich wie gerettet, als er endlich, durchfroren und ermüdet von dieſem langen

»Kampf mit dem Orkan, in einem behaglichen Winkel des beliebten Lokales ſaß.

And da erwartete ihn eine Überraſchung.

Das Wiener Tagblatt, das ein Aufwärter, den Deutſchen in ihm erkennend, ſogleich vor ihn hinlegte, brachte eine den Fall Schubert betreffende Notiz.

Es war da zu leſen, daß der Nichte der Ermordeten am 4. Dezember abends von unbekannter Hand ſechs- tauſend Kronen in Banknoten zugeſchickt worden ſeien. Das Geld war in Steinbrück aufgegeben worden, und es ſei nicht ein einziges Begleitwort beigegeben ge- weſen. Fräulein Lindner habe dies der Behörde ge- meldet und das Geld ſowohl als auch den Umſchlag der Sendung daſelbſt deponiert. Die Adreſſe war mit Maſchinenſchrift geſchrieben.

tl Kriminalroman von A. Groner. 59

Natürlich zweifelte Müller keinen Augenblick daran, daß Eck auf dieſe Weiſe den unfreiwilligen Raub gut- gemacht hatte. Er frühſtückte raſch, dann ließ er ſich das Adreßbuch geben. Er fand in jenem Teil des Buches, in welchem die Gewerbe zuſammengeſtellt ſind, ſehr bald zwei Männer unter den Goldſchmieden her- aus, deren Rufname Umberto war. Der eine von ihnen wohnte in der Via della Cattedrale, der andere ſo ziemlich am öſtlichſten Ende der Stadt.

Müller notierte ſich beide Adreſſen und ſtürzte ſich abermals in den Kampf mit der Bora.

Zuerſt begab er ſich in die Via della Cattedrale. Da hörte er, daß Umberto Vanin, der Goldſchmied, den er ſuchte, nicht daheim ſei. Der Arme lag wegen eines Beinbruches ſeit drei Wochen im Krankenhaus. Seine Wohnung war eine ſo beſcheidene, daß nicht anzunehmen war, ihr Inhaber habe viele Goldwaren auf Lager. Müller erkundigte ſich dennoch danach, ob Herr Vanin nicht Gehilfen beſitze, die in ſeiner Abweſenheit Aufträge entgegennähmen. Doch es wurde ihm geſagt, daß Vanin allein ſein Geſchäft verſehe.

Müller ging alſo wieder. Vergeblich ſchaute er nach einem Mietwagen aus. Die wenigen Leute, denen er begegnete, drückten ſich gleich ihm an die Häuſer und mußten immer wieder nach einem Halt ſuchen, um nicht umgeriſſen zu werden.

Schlimmer wurde es noch, als Müller auf die Riva dei Pescatori hinaus mußte. Seraja, der zweite der Trieſter Goldſchmiede, welche den Rufnamen Um- berto führten, wohnte in einem der letzten Häuſer dieſer Straße, die am Hafen liegt.

Da waren, wie ſtets bei Boraſtürmen, Ketten ge- ſpannt, an denen ſich die Leute forthalfen. Auch Müller

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mußte dieſes Hilfsmittel gebrauchen, um zu Serajas Haus gelangen zu können.

And wieder hatte er kein Glück. Seraja war ver- reiſt. Seine Heimkunft wurde indeſſen für heute abend erwartet.

Müller verbrachte einen recht wenig angenehmen Tag und war froh, als es endlich dunkel wurde. Zu der ihm bezeichneten Stunde fand er ſich pünktlich bei dem Goldſchmied ein.

Seraja war ſoeben heimgekommen. Müller wies ihm das in der Hand der Schubert gefundene Vier- blatt vor.

„O, iſt es gebrochen? So ſchnell? Wie hat das nur fein können?“ fragte der lebhafte Italiener. Er be- diente fich ſeiner Mutterſprache, denn Müller hatte ihn italieniſch angeſprochen.

Der Mann nahm das Vierblatt in die Hand, und kaum hatte er es beſichtigt, da rief er ſchon: „Das iſt ja gar nicht das Stück, das ich letzthin ſo eilig herſtellen mußte. Es hat ja einen glatten Stiel.“

„Wann haben Sie kürzlich ein ähnliches herſtellen müſſen?“ leitete der alte Detektiv ſeine Nachforſchun- gen ein.

„Am 2. Dezember abends iſt ein Herr zu mir gekommen, um nach ſolch einem Vierblatt zu fragen. Ich habe den Herrn ſogleich wiedererkannt.“

„Wiſſen Sie ſeinen Namen?“

„Nein.“ |

„Woher willen Sie, daß gerade dieſes Kleeblatt bei Ihnen gekauft wurde?“ fragte Müller.

Seraja holte eine Lupe und legte fie und das Rlee- blatt vor ſeinen Beſucher hin. „Sehen Sie genau hin. Ihre Augen ſind vielleicht nicht ſo ſcharf wie die meinen, Sie werden aber doch mein Zeichen auf dem

0 Kriminalroman von A. Groner. 61

Reſt des Stieles finden. Ein winziges S iſt's, ich bringe

es unauffällig an jedem Stück an, das aus meinem Atelier hervorgeht.“

| Der Mann war überaus lebhaft, aber die letzten

Worte hatte er ſehr langſam geſprochen, und er ſah

ſeinen Beſucher plötzlich recht mißtrauiſch an.

„Wer find Sie eigentlich?“ fragte er dann.

Müller zeigte ihm ſeine Legitimation. „Sie ſehen, daß ich nachzuforſchen berechtigt bin.“

„Vas hat aber dieſes Kleeblatt —“

„Beide Kleeblätter!“

„Alſo was haben beide Kleeblätter mit Ihren Fragen zu tun?“ ö

„Leſen Sie Wiener Zeitungen?“

„Nein.“

„Haben die Trieſter Blätter nichts von der Er- mordung einer Frau gebracht, bei der ein Vierblatt gefunden wurde?“

„Ich habe nichts geleſen.“

„Dieſes Vierblatt wurde gefunden.“

„Himmel und ich bin alſo in dieſen Fall ver- wickelt?“

Müller lächelte über des nervöſen Mannes Auf- regung. „Sie brauchen nichts zu fürchten. Wit der Beantwortung einiger Fragen iſt die Sache für Sie abgetan.“

„Na, dann fragen Sie.“

„Alſo am 2. Dezember, ſpät abends, kam ein Ihnen ſchon bekannter Herr hierher?“

„Bekannt war mir der Herr, weil er im letzten Sommer war es dieſes Kleeblatt hier bei mir ge- kauft hat.“

„Und Sie haben ihn wiedererkannt?“

„Er iſt ein auffallend ſchöner Menſch. Er kam heute

62 Der rote Merkur. e

vor acht Tagen und verlangte wieder ſolch ein Klee- blatt. Ich konnte mich noch gut entſinnen, was ich ihm verkauft hatte, auch hatte er mir den Preis ge- nannt zweihundertfünfzig Kronen. Es iſt nicht teuer. Der Diamant iſt ungewöhnlich feurig. Er ſagte, daß er ſein Vierblatt verloren habe und ein genau ſolches wieder haben wolle. Ich hätte es ihm gleich ſagen können, daß ich genau dasſelbe Muſter derzeit nicht auf Lager habe, aber ich ſagte nichts, ich wollte doch ein Geſchäft machen und nahm an, daß der Herr auch ein anderes kaufen werde. Allein er ließ ſich auf nichts ein.“

„War er aufgeregt?“

„Als er kam, war er's nicht. Aber er ärgerte ſich offenbar, als er ſah, daß ich ſeinen Wunſch nicht ganz befriedigen konnte. Ich fragte, ob ich nicht zu anderen Juwelieren ſchicken ſolle, vielleicht könne ich ihm ein genau ſolches Kleeblatt verſchaffen, aber das wollte er nicht. Ich ſelbſt mußte eines anfertigen. Dienstag abend konnte ich es ihm abliefern.“

„Hat er es ſich ſelbſt geholt?“

Ja.“

„Var er inzwiſchen wiederholt bei Ihnen?“

„Nein.“

„Alſo hat er keine große Ungeduld verraten?“

„Nein. Als ich ihn bei der Übergabe des Vier— blattes wiederſah, merkte ich ihm keine Ungeduld an. Jetzt wundere ich mich darüber,“ fügte Seraja hinzu, „denn er hat natürlich wieder genau ſolch ein Klee— blatt haben müſſen, damit man auf das Fehlen des anderen nicht aufmerkſam werde.“

„Sehr richtig!“ ſagte Müller, erhob ſich, dankte dem Goldſchmied für die gegebene Auskunft und ging.

Der Sturm hatte ſich inzwiſchen etwas gelegt. Man konnte ohne Gefahr ſeines Weges gehen.

D Kriminalroman von A. Groner. 63

Bis nach Servola ging er in der Dunkelheit jpa- zieren und kehrte erſt um, als ſeine Uhr ihm ſagte, daß es bald Zeit zur Abreiſe ſei. Um halb zwölf Uhr ging ein Perſonenzug nach Norden ab.

Mit dieſem fuhr Müller.

Perſonenzüge waren ſonſt nicht fein Fall. Diesmal hatte er jedoch einen Grund, gerade dieſen Perſonen- zug zu benützen, denn mit demſelben Zug würde morgen auch die Rodelgeſellſchaft in Bruck ankommen.

Müller wußte alſo, daß er von Graz aus mit den Herrſchaften fahren werde.

Simonettas Photographie, die auf Eds Schreib- tiſch ſtand, hatte Müller ſich gut angeſehen. Er würde die junge Dame alſo ſofort erkennen.

Noch mehr intereſſierte ihn eigentlich ihre Tante, die ja auch bei der Geſellſchaft ſein würde, die Dame, an welche die Schubert am jüngſt vergangenen 19. Ok- tober geſchrieben hatte: „Es drängt mich, bevor es zu ſpät dazu iſt, noch einmal von der peinlichen Sache —“. Das hatte ja Müller bewogen, nach Graz fahren und ſich der Gräfin Vivaldi nähern zu wollen. Sein Kollege hatte ihm aber telegraphiert, daß man ſo ſchnell nicht zu ihr gelangen könne, und hatte in ſeinem gleich- zeitig mit dem Telegramm abgeſandten Brief berichtet, daß es überhaupt ziemlich ſchwierig ſei, einen Weg in dieſes hochvornehme Haus zu finden.

Daraufhin war Müller zuerſt nach Pachern ge- gangen.

Die vielen Briefe, welche von dort aus an die Schubert abgeſandt worden waren, deuteten ja auf ein Geheimnis hin, das den verſtorbenen Herrn dieſes Gutes mit ſeiner einſtigen Dienerin verband.

Und von einer „peinlichen Sache“ ſchrieb die Schu- bert an die Gräfin: bevor es „zu ſpät“ zu irgend etwas

64 Der rote Merkur. 2

ſei. Wozu zu ſpät? Vielleicht um die Baroneſſe freizumachen von einer Verbindung, die ſie ſpäter bereuen mußte? Warum hatte die Schubert ſterben müſſen? Hatte ſie damals wirklich der Gräfin gefchrie- ben? Und was? Und wen hatte ſie damit geſchädigt? Den vielleicht, der ihr das Leben genommen? Warum war der zu ihr gekommen? Wohl kaum mit der Abſicht zu morden, denn er hatte ja keine Waffe bei ſich. Hätte er ſonſt das Tiſchmeſſer benützt? Und um ſich zu be- reichern, war der Betreffende auch nicht zu der alten Frau gekommen. Die ſilbernen Beſtecke hatte er ja nur zum Schein mitgenommen. Und ihre Wertpapiere? Maren die nicht etwa bei den Briefen, deren Umſchläge in Friebels Händen ſich befanden? In ſolcher Ver— faſſung ſortiert man nicht lange. Das Geld war ja nun auch bereits in anderer Form wieder zurückgekom- men. Es handelte ſich alſo hier nicht um einen Raub- mord, auch nicht um einen Diebſtahl aus Habſucht! Könnte die Gräfin Vivaldi vielleicht ausſagen, was eigentlich das Band zwiſchen Hans v. Eck und der Schubert war? Hätte ſie ſagen können, wie die Schu- bert und Alfons v. Eck zueinander ſtanden?

Müller hatte alſo allen Grund, ſehr begierig zu ſein, die Gräfin kennen zu lernen. Deshalb fuhr er mit dieſem Perſonenzug, und deshalb fuhr er diesmal ſogar erſter Klaſſe.

Achtzehntes Kapitel.

Bisher hatte der alte Detektiv zumeiſt ein Gefühl großer Befriedigung gehabt, wenn er einem Verbrecher dicht an die Ferſen rückte, und wenn es ſo weit war, hatte es ihn zumeiſt gar ſehr gedrängt, den Schlußakt des Dramas herbeizuführen.

¹ Kriminalroman von A. Groner. 65

Heute fühlte er nichts von einem ſolchen Drange in ſich. Heute hätte er lieber dieſen Schlußakt noch weit hinausgeſchoben.

Der Zug aber rollte weiter und immer weiter und brachte ihn ſeinem Ziel unaufhaltſam näher.

Müller fand wenig Schlaf, ſo bedrängten ihn die Gedanken.

„Ruhig alſo war Eck geweſen, gar nicht ungeduldig, trotzdem er zwei volle Tage auf das für ihn ſo wichtige Kleeblatt warten mußte!“ dachte Müller wieder und wieder.

And er ſah Eck vor ſich als den liebenswürdigen, zuweilen ſogar heiteren Wirt, der er ihm geweſen war, der ihn, den ihm Fremden, ohne weiteres in ſein Haus geladen und ihm ſo viele Aufmerkſamkeiten erwieſen. Im Verlaufe ſeiner Anweſenheit in Pachern hatte Eck nicht einen Augenblick verraten, daß feine Seele über- mäßig ſchwer bedrückt ſei. Ein wenig verſtimmt, zer- ſtreut und hie und da melancholiſch, das war Eck geweſen, aber wer iſt das nicht zuweilen? Und wie be- liebt, wie hochgeachtet er war, das hatten des Förſters Reden genügend erwieſen.

Müller konnte nicht fertig werden mit all dieſen Gedanken, die ſich ihm aufdrängten, mit all den Fra- gen, die er ſich, ohne eine Antwort zu finden, ſelber ſtellte.

Der Zug war nur ſchwach beſetzt. Zwiſchen Trieſt und Laibach befand ſich Müller überhaupt allein in ſeinem Abteil. Von da ab fuhr ein Oberſt mit ihm bis Marburg. Als dieſer ausgeſtiegen war, redete Müller mit dem Schaffner, und daraufhin blieb er bis Graz wieder allein.

Von dort an befand er ſich aber in großer Geſell— ſchaft. Es drängten ſich da mindeſtens vierzehn Per—

1910. IX. 5

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ſonen, die offenbar alle den beiten Kreiſen angehörten, mit ihren Schlitten in die wenigen Abteile erſter Klaſſe. Es war, als ſei ein Bienenſchwarm hereingeflogen. Unter den Eingeſtiegenen befand ſich nur eine einzige ältere Dame, alle anderen waren noch in den Jah- ren, in denen der Übermut ſo leicht obenauf kommt. Zwei Diener, die zu der Rodlergeſellſchaft gehörten, wurden in einem Wagen dritter Klaſſe untergebracht.

Es war kein Zufall, daß Gräfin Vivaldi Müller gegenüber zu ſitzen kam. Er hatte dies durch den Schaffner bewerkſtelligen laſſen.

Noch intereſſanter wäre ihm Simonettas Nähe ge- weſen, aber dieſe junge Dame hatte ſich, der Anweiſung des Schaffners entgegen, in das Nachbarabteil geſetzt.

Die Fahrt von Graz nach Bruck dauert etwa eine Stunde. Sie verging allen wie im Fluge, den jungen Leuten, weil fie lebhaft plauderten, Müller, weil er dieſem Plaudern aufmerkſam zuhörte und fein Gegen- über ſtudierte. Einmal war er während der Fahrt in den Korridor hinausgetreten. Er hatte ſehen wollen, zu wem Simonetta ſich geſellt hatte.

Sie redete ſichtlich erregt mit einem in den Dreißi- gern ſtehenden ftattlihen Herrn. Der Mann gefiel Müller, gefiel ihm weit beſſer als die übrigen jüngeren Herren.

Auch Simonetta mußte ſeine Geſellſchaft der jämt- licher anderen hier Anweſenden vorziehen, ſonſt hätte ſie ſich gewiß nicht nur mit ihm allein befaßt. ö

Als Müller ſich wieder auf ſeinen Platz begab, kam er an zwei der jungen Damen vorbei, die, im Korridor ſtehend, die Köpfe zuſammenſteckten. Gerade als er vorbeiging, ſagte die eine: „Was nur Simonetta hat? Sie iſt wie umgewandelt. Vorhin war ſie dem Weinen nahe, und jetzt iſt ſie die Bergnügteſte von uns allen!“

2 Kriminalroman von A. Groner. 67

„Ach, laß ſie,“ antwortete die andere junge Dame. „Sie und Malten werden halt wieder einmal mitein- ander ſtreiten. Die müſſen ja immer beieinander hocken!“

„Alſo dieſer Herr iſt der Doktor Malten,“ dachte Müller, als er ſich auf ſeinem Platz niederließ.

Simonetta und Malten waren in der Tat nicht zu- fällig zuſammengekommen. Die Baroneſſe hatte ihn ſofort an ihre Seite gewinkt, als ſie eingeſtiegen war, und Malten war dem Befehl durchaus nicht ungern gefolgt. Er war ſeiner ja ganz ſicher, weshalb hätte er ſich alſo das Vergnügen verſagen ſollen, mit der heimlich Geliebten zu plaudern?

Sie redeten denn auch ganz in der gewohnten luſtigen Weiſe miteinander und waren bald in einen ihrer Wortkämpfe verwickelt, die ſeitens des tempera- mentvollen Mädchens nicht immer ſtachellos blieben, bei denen aber den Doktor ſeine Ruhe und ſein Humor nie verließen. |

„Ich würde an Ihrer Stelle gewiſſe Patienten gar nicht behandeln,“ ſagte fie eben ſehr beſtimmt.

Er lachte zuerſt, dann wurde er aber raſch ernſt. „Sie denken dabei an meine Armenpraxis,“ entgegnete er mit einer gewiſſen Schärfe. „Aber gerade die Armen brauchen mich am notwendigſten.“

Simonetta ſchaute ihn einigermaßen erſchrocken an. „Ich fürchte, Doktor, Sie halten mich für vollkommen herzlos, weil ich ein paarmal ſo dummes Zeug redete. Aber Sie irren ſich diesmal. Ich dachte an ganz andere Patienten.“

„Zum Beiſpiel?“

„Zum Beiſpiel an Frau v. Turzky und an die Elmau. Diefe zwei —“

„Nun? Was iſt mit ihnen?“

68 Der rote Merkur. n

„Die eine ſchminkt ſich, und die andere iſt eine Theaterprinzeſſin,“ fuhr es Simonetta heraus.

„Iſt das für un ein Grund, die Damen nicht zu behandeln?“

„Es iſt doch keine von ihnen wirklich krank!“

„Wie genau Sie das wiſſen!“

„Sie wollen ſich nur intereſſant machen.“

„Mit Stockſchnupfen die eine und die andere mit Magenkrämpfen! Es iſt richtig, Baroneſſe, das macht unbeſchreiblich intereſſant!“

„Jedenfalls braucht man deswegen keinen Arzt. Unjere ſelige Theres hat dafür genug Mittel ge- habt.“

„Ich weiß zwar, daß alte Frauen uns Arzten oft Konkurrenz machen und daß

„Daß junge Frauen ſich oft intereſſanten Arzten anvertrauen.“

„Geht das auf mich?“

„Doktor, Sie ſind wieder einmal unausſtehlich.“

„Das iſt bloß Ihre Meinung, Baroneſſe.“

„Die Turzky und die Elmau meinen es freilich nicht.“

„Laſſen Sie doch dieſe beiden in Ruhe! Frau v. Turzky tut ganz recht daran, ſich zu ſchminken, ſie leugnet es ja auch gar nicht, denn —“

„Denn?“

„Sie geſteht ſelbſt ganz ungeniert ein, daß ſie einen recht un vorteilhaften Teint beſitzt.“

„Sie ſagt das ſelbſt?“

„Gewiß. Die Frau iſt ſehr geſcheit.“

„Freilich iſt ſie ſehr geſcheit! Sie ſpekuliert doch auf Sie!“

„Auf mich?“

„Die Baronin Pleſſen hat es erſt geſtern der Tante

1 Kriminalroman von A. Groner. 69

geſagt. Und daß die Elmau e tut, weiß ſchon die ganze Stadt.“

„Nur ich weiß nichts davon. Und ich kann Ihnen ſagen, Baroneſſe, daß die beiden Damen nach dieſer Richtung hin mit keinem Gedanken an mich denken. Das muß ich doch wohl am beiten wiſſen.“

„Sie ſind nur zu vornehm, es zuzugeben.“

„Ein Geck müßte ich ſein, wenn ich dieſen Gerüchten nicht energiſch entgegentreten würde. Ubrigens wird man ja bald ſolchen Unſinn nicht mehr reden können.“

„Warum nicht?“

„Weil ich vom erſten Mai an nicht mehr in Graz ſein werde.“

„Was ſagen Sie? rief die Baroneſſe, und ihr Ge— ſicht wurde bleich, ihre Lippen zitterten.

Malten erhob ſich langſam. Ihm iſt das Blut zu Kopfe geſtiegen, ſeine Augen leuchten.

Aber nur wenige Sekunden war er ſo ganz überraſcht, ſo ganz hingeriſſen von der Erkenntnis des ungeahnten. Raſch meiſterte er ſich. An das Fenſter tretend, ſchaute er eine Weile angelegentlich auf das glitzernde Land hinaus, und alsdann begann er, noch immer von Si— monetta halb abgewendet, zu reden.

„Ich habe erfahren, daß man zur Leitung eines ſtaatlichen Sanatoriums in Salzburg einen Oirektor ſucht, und da mir eine derartige Stellung ſehr zuſagt, habe ich mich um ſie beworben.“

Verſtohlen richtete er jetzt einen Blick nach Simo— netta hin. Fetzt war ihre Bläſſe plötzlich verſchwunden, mächtig war jetzt auch ihr das Blut ins Geſicht geſtiegen, Leid und Scham raubten ihr offenbar beinahe die Faſſung.

Ein bitteres Empfinden wallte in ihm auf. Hat ſie es nicht früher gewußt, daß er ihr ſo viel iſt, daß

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Todesſchrecken über ſie kommt, weil er von ihr geht? Iſt fie fo oberflächlich, daß fie nicht weiß, wie es in den Tiefen ihrer Seele ausſieht, oder ſo abhängig von ihren Spekulationen, daß ſie trotzdem Ecks Braut wurde? |

Einen Augenblick lang haßte er Simonetta beinahe, dann aber erkannte er, daß er ſie nur zu bemitleiden brauchte.

And ſo redete er weiter, damit ſie Zeit gewinne, ſich zu faſſen. Er hat ſich ja in der Gewalt, dieſer Mann von fo feſtem Willen und von jo feinem Emp- finden.

Es klang ſchließlich ganz ch was er über ſeine Zukunftspläne äußerte.

Die Baroneſſe hatte ſich inzwiſchen gefaßt. Aber fie wußte es ſicher, daß Malten die Urſache ihres Er- ſchreckens durchſchaute, daß auch er ſie liebte, wie ſie ihn. Wie ſeine Augen leuchteten! Wie ihm das Blut in das Geſicht ſchoß! Das würde fie nie vergeſſen.

Sie erhebt trotzig den Kopf und ſagt heftig: „Malten, Sie werden dieſe Stelle nicht annehmen! Sie ſind hier doch auch nötig! Und Fhre Mutter befindet ſich hier ſo wohl!“

„Woher wiſſen Sie das?“ fragt der Doktor, ihr lächelnd in die Augen ſchauend.

Da flammt ihr hübſches Geſicht wieder, und ſie ſenkt den Blick und wiſcht voll Verlegenheit von ihrer neben ihr liegenden Pelzjacke irgend etwas weg, das gar nicht zu ſehen war.

„Das hat mir recht wohl getan,“ ſagt er ſcheinbar ohne irgend einen Zuſammenhang, aber Simonetta weiß genau, was er meint. „Namentlich die Widmung, die Sie Ihrem überreichen Geſchenke mitgaben. Za, jene Frauen, die viel arbeiten müſſen, die ſich nichts

2 Kriminalroman von A. Groner. 71

gönnen, und die ſich nicht ſchonen können, die bedürfen ſehr der Unterſtützung. Daß Sie ſolchen Frauen Gutes tun das, Baroneſſe, freut mich innig.“

„Sie ſelbſt haben mir doch erſt die Augen geöffnet!“

„Das tut nichts zur Sache.“

„O doch. Wenn ich je einmal etwas Richtiges tat, waren Sie der geiſtige Urheber davon. Sie ſehen, ich brauche ſolch einen Führer.“

„Ihr Gatte wird Ihnen ein ſolcher ſein. Er iſt ein ſelten guter Menſch, ſo ziemlich der vornehmſt denkende Mann den ich kenne. Sie werden nicht nur ſehr glüd- lich, Sie werden auch ſehr gut in dieſer Ehe werden.“

„Ich bin alſo noch nicht gut?“ fragte Simonetta ſcheu aufblickend.

„Doch,“ antwortete Malten freundlich. „Sie find ſchon gut, aber eine Steigerung dieſer Eigenſchaft iſt immerhin noch möglich.“

Simonetta preßte die Lippen aufeinander. „Sie geben alſo jene Idee nicht auf?“ fragte ſie nach einer Weile ganz leiſe.

Malten antwortete ernſt: „Jetzt ganz gewiß nicht mehr.“

Eine von Simonettas Freundinnen kam an dem Abteil vorüber. Er rief ſie herein und plauderte ſo heiter mit ihr, als ob nicht eben ſo Ernſtes hier vor- gegangen ſei.

„Vas iſt denn mit Simonetta, Doktor? Hat ſie ſich wieder mit Ihnen gezankt?“ fragte die junge Dame, auf die Baroneſſe weiſend, die auffallend wenig an dem Geplauder teilgenommen hatte.

Malten ſchüttelte den Kopf. „O nein,“ gnädiges Fräulein,“ ſagte er, „die Baroneſſe und ich ſind die beſten Freunde und ſtimmen gerade heute in allem Wichtigen durchaus überein. Es iſt doch ſo, Baroneſſe?“

72 Der rote Merkur. D

„Ja Herr Doktor es ift ſo. ZIch bin mit allem einverſtanden.“ .

Simonetta hielt ihm die Hand hin, und er küßte dieſe Hand, die leiſe zitterte.

Die Freundin der Baroneſſe wunderte ſich ein wenig über die Feierlichkeit des Doktors. Glücklicherweiſe entging es ihr, daß Simonettas Augen plötzlich in Tränen ſtanden, und daß der Doktor auffallend blaß war, als er auf den Korridor hinaustrat.

Die junge Dame hatte keine Ahnung davon, daß hier ſoeben zwei einen wehevollen Abſchied gefeiert haben.

Einer der jungen Herren der Geſellſchaft, der neben Müller ſaß, ſagte: „Wiſſen Sie es ſchon, Gräfin, daß Doktor Malten uns verlaſſen wird?“

Gräfin Vivaldi ſah ihn erſchrocken an. „Was ſagen Sie da? Ich hoffe, ich habe Sie nicht richtig ver— ſtanden.“

„Doch, Gräfin, Sie verſtanden ganz richtig. Schon Ihr Erſchrecken beweiſt es. Ich habe die wirklich nicht angenehme Neuigkeit heute bei meiner Baſe Turzky erfahren. Sie iſt über Maltens Entſchluß auch völlig außer ſich.“

„Wenn ich richtig hörte, ſo ſpricht man hier von mir,“ ſagte Malten nähertretend. .

Die Gräfin ſah zu ihm auf. „Lieber Doktor,“ fing ſie an, „da gehen Gerüchte über Sie, die mir gar nicht recht ſind. Es iſt doch hoffentlich nicht wahr, daß Sie Graz verlaſſen wollen?“

„Handelt es ſich darum? Nun, Gräfin, das iſt kein Gerücht, das iſt Tatſache.“ ö

„Alſo wirklich? Was haben wir Ihnen denn getan?“

„Verwöhnt haben wir ihn,“ warf eine junge Frau, die luſtige Gattin eines hohen Juſtizbeamten, ein.

s| Kriminalroman von A. Groner. 73

„Und da der Doktor Zuckerwerk nicht liebt, dreht er uns einfach den Rüden.“

„Aber mein Herz bleibt hier, Gnädigſte,“ ſcherzte Malten. „Im übrigen haben Sie recht. Es iſt mir hier zu gut gegangen, und das vertrage ich fernerhin nicht.“

„Scherzen Sie nicht, Malten. Sagen Sie es uns ernſthaft, warum Sie gehen,“ bat die Gräfin. „Sie haben ſich das ja ſicherlich wohl überlegt, und ſomit haben Sie einen triftigen Grund dafür.“

„Den habe ich.“

Warum brach bei dieſen Worten ein Blitz aus feinen Augen? Warum lächelte er ſo froh? Oder war das Täuſchung?

Maltens Geſicht war ſchon wieder ruhig, und ge- laſſen erklärte er, daß er ſchon lange nach einer der- artigen Anſtellung trachtete, ſich um eine ſolche be- worben und ſie erhalten habe.

„Wo werden Sie alſo künftig leben?

„In Salzburg.“

„Na, wenigſtens auch in einem ſchönen Ort,“ meinte eine reizende kleine Blondine. Sie war nicht mehr ganz jung und hatte ſchon drei Verlobungen hinter ſich. „Was ſagt denn aber Fräulein Elmau dazu?“

„Sie hat heute vormittag die Nachricht mit großer Faſſung entgegengenommen,“ erwiderte der Doktor. „Sie bedauert nur eines dabei.“

„Nun?“

„Daß ich nicht ihr Trauzeuge ſein kann.“

„Ah ſie heiratet?“

„Und zwar wirklich einen anderen, Gnädige! Und da erſt im Juni ihre Hochzeit ftattfinden wird, ich aber ſchon am erſten Mai —“

„So bald ſchon?“ fällt die Gräfin ihm in die Rede.

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„Da werden Sie alſo auch nicht bei Simonettas Trauung ſein, denn die iſt für den 10. Mai angeſetzt.“

„Nein, bei dieſer Hochzeit kann ich auch nicht ſein,“ erwidert Malten, und wenigſtens Müller meint ſo ſeine Stimme klingt wirklich belegt. „Aber da ſind wir ja ſchon am Ziele. Meine Damen, beeilen Sie ſich! Gräfin, erlauben Sie?“

Malten war ſo beſchäftigt, ſich nützlich zu machen, daß er es gar nicht wahrnahm, daß Simonetta ſchon ausgeſtiegen war.

Müller beeilte ſich ebenfalls nicht. Er beobachtete, im Korridor ſtehend, wie Simonetta dem auf dem Bahnſteig ſtehenden Eck entgegeneilte und ihm beide Hände entgegenſtreckte.

Als letzter der Rodlergefellfchaft verließ Doktor Mal- ten den Wagen, und erſt nach ihm ſtieg Müller aus. Er hielt ſich ſo lange abſeits, bis Eck mit ſeinen Gäſten die Station verlaſſen hatte. Erſt als die Schlitten und der Break weggefahren waren, betrat Müller den Platz, der ſich hinter dem Brucker Stationsgebäude befindet.

Er ſchaute Eck nach, der zu Pferd war und neben dem erften Schlitten herritt, in dem nebſt zwei anderen Damen Gräfin Vivaldi und feine Braut ſaßen.

(Fortſetzung folgt.)

Ein Wiederfinden. Erzählung von Walter Kabel.

Mit Bildern von oo A. Wald. Nachdruck verboten.) rch die ſüdweſtafrikaniſche Steppe zieht im ) brennendſten Sonnenglaſt ein einſamer Rei- ter dahin, vorbei an mannshohen, endloſen Dornenfeldern, deren ausgedörrtes, fahles Gelb ſich in der Ferne mit der Farbe des unergründ- lichen Sandes vermiſcht, vorbei an den bleichenden Knochen von Tieren und grinſenden Menſchenſchädeln, vorbei an halbverhungerten Schakalen, die in ihm eine baldige leichte Beute wittern.

Mit geſchloſſenen Augen hängt der Offizier auf dem abgetriebenen Braunen, der mit ſeinen kraftloſen Hufen eine breite Spur hinter ſich läßt. Immer tiefer ſinkt dem Reiter der grüne, zerfetzte Schlapphut in das bleiche, von einem wirren blonden Vollbart umrahmte Geſicht. Der todesmatte Mann merkt es nicht. Er merkt es nicht, daß die Schulterwunde wieder zu bluten beginnt, daß von dem kunſtloſen Verbande das Blut den Armel entlang ſickert und in langſamen Tropfen auf den dürren Boden fällt.

Längſt hat Horſt Dittmers jene Gleichgültigkeit ge- packt, die ſchließlich nur einen Wunſch kennt: Ruhe zu finden in ſchnellem Tode und damit das Ende aller Qual. Aber noch ſtolpert das elende Roß weiter, viel- leicht vorwärtsgetrieben von jenem feinen Znſtinkt,

76 Ein Wiederfinden. 2

mit dem es die Nähe eines Waſſerlochs auf Meilen wittert.

So geht es weiter, immer weiter in die grenzenloſe, ſtille Wüſte hinein. Und bei jedem Schritt des Tieres ſchwankt der Körper des todwunden Mannes im Sattel vorwärts und rückwärts vorwärts und rückwärts, gleichmäßig wie ein Uhrpendel, und ebenſo gleichmäßig tropft alle fünf Meter ein großer Blutstropfen neben die breite Spur der Pferdehufe in den gelben Sand.

Schon nähert ſich die in milchige Dunſtſchleier ge- hüllte Sonne dem Horizont, und ein erſter kühler Luft- zug läßt die Dornenbüſche ihre verdorrten Zweige mit kniſterndem Geräuſch aneinanderreiben. Aber der dem Tode Geweihte fühlt nicht einmal mehr dieſen be— lebenden Hauch des nahenden Abends. Das Bewußt—

ſein für das Verzweifelte ſeiner Lage iſt ihm völlig verloren gegangen. Im Halbſchlaf, während der. Fieber- froſt immer häufiger ſeine Zähne leiſe klappernd zu— ſammenſchlägt, eilen in toller Abwechſlung die Er- innerungen wie Viſionen vor ſeinem geiſtigen Auge vorüber, Erinnerungen, die mit der früheſten Jugend begannen, mit jener erſten Fahrt in der Poſtkutſche, auf der er ſtaunenden Auges als Kind zuerſt die Fremde geſchaut hat. Und all die Einzelheiten dieſer Reiſe huſchen mit greifbarer Deutlichkeit durch fein Gedächt— nis, wachgerufen jetzt durch das wiegende Schütteln auf dem Rücken des kraftloſen Pferdes, dieſes Schütteln, das ſo ſehr an die Stöße des alten Poſtwagens auf der ſandigen Landſtraße von einſt gemahnte.

Andere Bilder kommen, immer neue folgen. Und ſo fliegt nochmals ſein Leben vor ihm dahin wie eine Reihe ihn ſeltſam erregender Bühnenſzenen, in denen er mit ſeinem krankhaft überreizten Hirn jedes Geſicht und deſſen wechſelnden Ausdruck ſo deutlich ſieht, jedes

2 Erzählung von Walter Kabel. 77

geſprochene Wort in ſeiner beſonderen Tonfärbung hört und ſelbſt mithandelt im Kreiſe dieſer Spukgeſtalten.

Dann iſt's plötzlich, als ob der halb beſinnungsloſe Reiter ſich mit einer letzten Kraftanſtrengung aufraffen will, als ob ein neuer Gedanke ihn die blutunterlaufenen

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Augen aufreißen und mit irrem, verſtändnisloſem Blick die Umgebung muſtern läßt.

Doch dieſe Anſpannung dauert nur Sekunden. Schon ſinken die Lider wieder über die Augen herab, wieder fällt der matte Körper in ſich zuſammen.

Aber die Gedanken eilen jetzt raſtlos den einmal eingeſchlagenen Weg vorwärts, jene Strecke ſeines Lebenspfades, an deren Anfang wie ein Wegweijer

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ein Name ſteht, ein Name, der ſoeben durch feine Erinnerung zuckte wie ein flammender, einen beftimm- ten Oaſeinsabſchnitt erhellender Blitz und ihn für Augen- blicke wachgerufen hatte aus dieſem ſtumpfen, un- bewußten Vorſichhinträumen.

Weiter ſtolpert das müde Roß. Wieder ſchwankt der Reiter im Sattel kraftlos hin und her wie ein Uhr- pendel. Aber in ſeinen Ohren klingen die weichen Laute dieſes Namens wie ein ſehnſüchtiges Raunen fort, und feine Lippen, verdorrt und riſſig von Sonnen- brand und Durft, formen immer aufs neue zwei Worte: Ellen Bieler Ellen Bieler.

Jetzt tritt in das von Krankheit und Strapazen entftellte Geſicht des Mannes ein Ausdruck erhöhter Qual. Sein vifionäres Schauen iſt angelangt bei jenem Abend, als er zum erſten Male in ſeinem Leben jene wilde Verzweiflung fühlte, die nur die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit und ihrer heiß bereuten, aber nicht mehr abzuwendenden Folgen hervorrufen kann bei jenem Abend, der für Horſt Dittmers der letzte in dem trauten, von Glückſeligkeit einſt durchwehten Ge- mache bei Ellen Bieler war, der letzte, bevor dieſe das Herz zermarternde Reue ihn in das Grauen dieſes furchtbaren Feldzuges, hinein in die öden Strecken der afrikaniſchen Kolonie trieb.

* * *

Kaum zwei Wochen war es her, daß der junge, von den Frauen ſo ſehr verwöhnte Privatdozent Doktor Dittmers um die anſcheinend ſo kühle, unnahbare Witwe des reichen Fabrikbeſitzers Bieler geworben. Aber Horſt Dittmers gegenüber vergaß Frau Ellen all ihre Vor- ſätze, vergaß, daß ſie bisher in der ſtändigen Furcht gelebt hatte, nur ihres Geldes wegen begehrt zu wer-

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den. Liebe auf den erſten Blick war's, jene Liebe, die vom erſten Moment das feinſte Verſtändnis für jede Seelenregung, jede Neigung des anderen zeigt, jene tiefe, beglückende Leidenſchaft, die in den Augenblicken ihrer höchſten Entfaltung ſtill und wunſchlos iſt und nur das Herz vor Jubel bis zum Zerſpringen weitet. Zwei Wochen ſtillen Werbens, dann lagen ſie ſich eines Tages in den Armen zwei, die das Glück geſucht und nun gefunden hatten und es ſich bewahren wollten.

Wollten! 8

Denn das Unheil, das dieſer Liebe ein trauriges Ende bereiten follte, begann bereits feine tüͤckiſche Wühl- arbeit, nachdem fie kaum die erſten, ſcheuen Küſſe aus- getauſcht hatten. Und dieſes Unheil beſchwor eine Lüge herauf, eine Lüge, die Horſt Dittmers nur ausſprach, um die Geliebte zu ſchonen, eine Unwahrheit, zu der ihn nur ein falſches Feingefühl und eine überzarte Rückſichtnahme verleitete.

Frau Ellen machte ſich vorſichtig aus ſeinen Armen los, ſchaute ihm ſelig in das verklärte Geſicht. „Horſt ich kann's ja noch gar nicht faſſen, daß du jetzt mein biſt, mein für immer, du, dem alle Frauenherzen zu— fliegen, mein mein!“

And während fie noch ſo aneinandergeſchmiegt da— ſtanden, flog es plötzlich wie ein dunkler Schatten über Frau Ellens ſchönes Geſicht. Ihre Blicke nahmen einen prüfenden, forſchenden Ausdruck an. „Nicht wahr, Horit, die Welt lügt doch, wenn fie jagt, daß die Verbera dir einſt nahe geſtanden hat?“ Mit der ganzen Angſt der jungen Liebe, des jungen Beſitzes fügte ſie leiſe hinzu: „Oder haſt du ſie geliebt, Horſt, liebſt du ſie vielleicht noch, hat ſie noch irgendwelches Anrecht an dich? Antworte mir, ſag mir die Wahrheit, Horſt! ich kann's ja nicht glauben, denn ich würde vor Zorn

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und Scham vergehen, wenn ich dieſe Operndiva mit dir zuſammen noch in derfelben Stadt weiß.“

Dieſer Angſtſchrei eines leidenſchaftlich liebenden Frauenherzens raubte dem Manne die ruhige Über- legung, die Fähigkeit, die Folgen ſeiner Antwort klar zu überſehen. Sollte er denn wirklich dieſe Stunde durch ein Geſtändnis ſtören, ſollte er dieſe ſchönen Augen mit Tränen füllen, dieſer reinen Frauenſeele die Ruhe nehmen? Wozu der Geliebten dieſen Schmerz antun, da er doch wußte, daß ſeine Neigung für die Sängerin längſt verflogen war wie ein kurzer Rauſch, daß er frei ſein würde, ganz frei, ſobald er es nur wollte. |

Da hatte er ihr den zuckenden Mund mit Küſſen verſchloſſen, hatte ſie feſt in ſeine Arme genommen und ihr beruhigend zugeflüſtert: „Ich bin dein, Ellen, nur dein! Mit niemandem brauchſt du zu teilen. Wen ſollte ich dir wohl auch vorziehen, du meine Königin wen? Es lebt ja kein Weib, das dir gleicht!“

Und vertrauensvoll hatte fie dann zu ihm aufgeblickt, unter Tränen gelächelt. „Ich danke dir für dieſe Worte, Horſt. Zetzt erſt bin ich ganz glücklich.“

Horſt Dittmers war es wie ein körperlicher Schmerz bei dieſen gläubigen Worten durch das Herz gezuckt. Schon begann die Reue. Und erſt nach Tagen hatte er ein immer wiederkehrendes unſicheres Gefühl, ein ihn ſchwer belaſtendes Schuldbewußtſein der Geliebten gegenüber einigermaßen überwunden.

Von einer Veröffentlichung der Verlobung wollte Frau Ellen vorläufig noch nichts wiſſen.

„Laß mir doch das heimliche Glück noch eine Weile. Du biſt ja mein, und ich ganz, ganz dein. Wenn erſt die Menſchen kommen mit ihren leeren Glückwunſch— phraſen und neugierigen Blicken, dann nehmen ſie uns

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den feinſten Blütenſtaub von dieſer roſenroten Selig- keit.“

So war Frau Ellens junge Witwenſchaft durch einen Frühlingsrauſch abgelöſt worden, wie ihn kein Dichter heißer, berückender ſchildern kann. Die Wochen gingen dahin. Die Welt hatte ſich längſt daran ge- wöhnt, die reizende Frau in ſteter Begleitung des hoch- gewachſenen Mannes zu ſehen. Jeden Tag erwartete dieſelbe Welt die Entſcheidung, die einzig mögliche Löſung dieſes vertrauten Verkehrs. Aber vergebens überflogen neidiſche Augen täglich die Reihe der An- zeigen in den Zeitungen, vergeblich ſuchten gute Freunde Horſt Dittmers zu einer klärenden Außerung zu ver— anlaſſen.

Und dann kam das nie Geahnte, faſt Unglaubliche.

Eines Tages war Horſt Dittmers aus der Stadt verſchwunden, abgereiſt ohne Abſchiedsbeſuche, ohne auch nur einen einzigen in das Geheimnis dieſer offen- baren Flucht einzuweihen. Nur langſam ſickerte die Wahrheit durch. Der junge Gelehrte, der als Referve- offizier einem der Garderegimenter angehörte, hatte ſich als Freiwilliger zur Teilnahme an dem Herero— feldzuge gemeldet und es durch ſeine Verbindungen im Kolonialamt möglich gemacht, ſchon mit dem nächſten Truppentransportdampfer Europa verlaſſen zu können.

Die weiteren Kombinationen ſchienen nicht ſchwer. Jedermann glaubte eben, daß der ſchöne Dittmers ſich bei Frau Ellen trotz all ſeiner Bemühungen einen Korb geholt habe. Niemand ahnte die Wahrheit, er— fuhr den wahren Sachverhalt.

Frau Ellen verließ kurz nach der Abreiſe ihres ſcheinbar abgewieſenen Freiers gleichfalls die alte Aniverſitätsſtadt und wurde erſt zwei Monate ſpäter in einem Badeort an der Riviera von Bekannten wie—

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der entdeckt. Und dieſe Bekannten, die unzart genug waren, den Namen des verſchwundenen Freiers vor der ſehr leidend ausſehenden jungen Frau zu erwähnen, mußten es zu ihrer Verwunderung erleben, daß Ellen Bieler plötzlich faſſungslos zu ſchluchzen begann und, ihr tränenüberſtrömtes Geſicht hinter dem Taſchentuche verbergend, davonſtürzte.

Der wahre Sachverhalt aber war jener letzte Abend, den Horſt Dittmers mit aller Deutlichkeit nochmals durchlebte, während er, von Fieberſchauern geſchüttelt, auf todmattem Pferde die afrikaniſche Steppe durch—

irrte. * *

*

Ein Abend in dem mit traulicher Eleganz aus- geſtatteten Wohnzimmer bei Ellen Bieler. Draußen rieſelt ein gleichmäßiger Regen gegen die Fenſter, im Kamin ſingt und flüſtert der Herbſtwind. Und das Feuer im Kamin fällt mit rötlichem Schein auf zwei Menſchen, die in bequemen Seſſeln nebeneinander ſitzen in inniger Ausſprache.

Jetzt, wo keine Scheu ihr mehr die Zunge bindet, beichtet Frau Ellen dem Geliebten endlich das ganze Elend ihrer erſten Ehe.

„So bin ich ſtets belogen und betrogen worden, betrogen mit einer Rückſichtsloſigkeit, die nicht einmal das Gerede der Leute fürchtete. Unſagbar habe ich darunter gelitten, nicht weil ich jenen Mann liebte, ſondern weil ich mich durch all die mitleidigen Blicke und verſteckten Troſtworte wie durch Peitſchenhiebe getroffen fühlte. Und darum, verſprich mir, Horſt, gelobe es mir hier in! die Hand: erbaue du mir ein ganzes, vollkommenes Glück, du, den ich allein liebe, belüge mich nie, nie, auch nicht aus ſogenannter Rüd-

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ſichtnahme. Ich haſſe die feige Unwahrheit, die das Vertrauen zwiſchen Liebenden untergräbt. Horſt, ich flehe dich an, ſonſt —“

Da war plötzlich wieder in Horſt Dittmers die Er- kenntnis ſeiner Schuld rieſengroß erſtanden wie ein drohendes Schreckgeſpenſt. Alle die reuigen Gedanken, alle die Befürchtungen drängten ſich wieder in ſeiner Seele zuſammen und machten ihn ſtumm, ließen ihn mit nachdenklich gefurchter Stirn ſchweigend vor ſich hinſtarren. Und dann kam es über ihn, dieſes heiße Verlangen, ſeine Schuld einzugeſtehen, ſich das Herz endlich freizumachen von dieſer Unruhe, die ihm noch immer die trauteſten Stunden ſtörte.

Der Wunſch, nicht weiter bedrückt durch eine Lüge neben ihr herzugehen, trieb den ſelbſtbewußten, ſtarken Mann zu einem Geſtändnis. Beſſer, daß fie die Wahr- heit jetzt durch ihn erfuhr als durch andere, die ihr dann ſpäter vielleicht mit giftigen Zungen die Tatſachen in gehäſſiger Übertreibung ſchilderten, die lieben Mit- menſchen, die ſo gern in ein friedliches Heim häßliche Saat hineintragen.

So nahm er denn ihre Hände zwiſchen die ſeinen und ſprach zu ihr, erſt ſtockend und zögernd, dann ſchneller, überzeugter. Er ſprach von jener flüchtigen Neigung, von ſeinen Beziehungen zu Liane Verbera, mit der er aber ſofort nach ſeiner Verlobung in einer letzten ernſten Unterredung für immer gebrochen habe.

Aber der Fluß ſeiner Rede ſtockte. Ellen hatte ihm ihre Hände entzogen, war aufgeſtanden und vor ihn hingetreten. Das Licht der elektriſchen Glühbirne zeich- nete in ihr erblaßtes Geſicht ſcharfe Kontraſte, nahm ihm alle Weichheit, ließ ihre Lippen in zornigem Weh zucken und beben, daß es ihnen ſchwer fiel, jene, gerade jene Worte zu formen.

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„Nein, Horſt, ich kann dir nicht verzeihen, kann das nicht vergeſſen, das nicht nie, nie!“ ſagt ſie langſam mit mühfam bewahrter Ruhe. Sie denkt ja nur daran, daß er nochmals in der Wohnung jenes Weibes ge- weſen iſt, während ſie ihn ſchon ganz zu beſitzen glaubte, jenes Weibes, das ſie haßt wie ſonſt nichts auf der Welt.

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In verzehrender Eiferſucht ſchreit ſie hinaus: „Geh verlaß mich! Nie kann ich dir wieder glauben, nie wieder Vertrauen zu dir faſſen, zu dir, der es fertig brachte, mich in der ernſten, weihevollen Stunde, in der wir uns fanden, zu belügen! Geh, hab Erbarmen und geh! Laß mich allein allein für immer, und nimm die Überzeugung mit dir, daß Ellen Bieler auch

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hierin ein ganzer Menſch bleiben, nie ihren Sinn ändern wird!“

Vergeblich iſt ſein beſchwörendes Flehen. Und ihm, der ſonſt ſo leicht mit klingenden Sätzen jeder Gefühlsregung Ausdruck geben kann, fehlen heute die ernſten Worte, um ſeiner Verzweiflung den Stempel wahrſten Empfindens aufzudrücken. Dieſem drohenden Verluſt gegenüber erſcheint ihm heute jedes Wort nur traurige, nichtsſagende Phraſe.

And ſie, die durch ſeine ſchwache Verteidigung in ihrer ſchnell gefaßten Meinung über das Unaufrichtige in ſeinem Charakter nur noch beſtärkt wird, hebt jetzt den Arm und weiſt zur Tür. „Gehen Sie, verlaſſen Sie mich ſofort!“ Ihre Stimme klingt ſchneidend, grauſam.

Und doch niemand ſieht in ihr Herz, das ſich in wildem Schmerze aufbäumt, das fie mit aller Energie niederzwingen muß, um ſich nicht zu verraten.

Da erhebt ſich ſeine zuſammengeſunkene Geſtalt langſam aus dem Seſſel. „Leben Sie wohl, gnädige Frau.“ Kaum vernehmlich wehen die Worte zu ihr herüber.

Noch eine Verbeugung, dann geht er zur Tür, ſchlägt den Vorhang zur Seite und dann wendet er ſich nochmals zurück. Ein Stöhnen dringt durch die Stille des Zimmers, ein Laut, der die Nerven der Frau erzittern macht.

Und jetzt findet er endlich Worte, ſchlichte Worte, doch nur Worte, die nichts mehr ändern können. „Ellen, ich habe gefehlt. Warum ich's tat du weißt es. And der Sünder hat freiwillig ſeine Schuld bekannt,

ehrlich, ohne Beſchönigung, hab' dich um Vergebung angefleht. Du biſt hart geblieben. Weil ich ehrlich war, mein Gewiſſen entlaſten wollte, bricht mein Glück

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jetzt zuſammen. Aber, Ellen, auch für dich wird viel- leicht einſt die Stunde kommen, da du einſiehſt, daß du die Größe dieſer Beichte mit anderem hätteſt be- antworten können, mit dem Mute zum Verzeihen und Vergeſſen. Leb wohl, Ellen. Ich habe nur dich geliebt, nur dich. Hab Dank für alles. Ich werde deinen Lebensweg nicht mehr kreuzen.“

Der Vorhang ſinkt zurück, ſchnelle Schritte, eine Tür fällt dumpf ins Schloß.

* * K*

Auf der durch die Unmenge von Transport- und Krankenwagen breit ausgefahrenen Etappenſtraße, die von Okahandja gen Norden führt, ſchlängelt ſich ſchwer— fällig ein endloſer Zug Ochſenwagen dahin. Soeben iſt der die Bedeckungsmannſchaften kommandierende Offizier an den Oberſtabsarzt herangeritten, der, wohl- verſorgt mit Zeltmaterial, Betten und allen nötigen Medikamenten, das bei Hamakari ſüdlich der Water— berge gelegene Typhuslazarett übernehmen und er- weitern ſoll.

„Gut, wenn Sie den näheren Weg genau kennen, Herr Leutnant. Laſſen Sie alſo abſchwenken,“ meint der Oberſtabsarzt und wendet ſich dann, nachdem der Offizier in kurzem Trabe hinter der nächſten Weg- biegung verſchwunden iſt, zu zwei in graue Leinen— kleider gehüllte Krankenpflegerinnen, die auf einer großen Holzkiſte in einem der Wagen ſitzen.

„Wir verlaſſen jetzt die eigentliche Etappenſtraße, meine Damen, und werden über die Waſſerſtelle Otje- kongo unſer Ziel zu erreichen ſuchen. Leutnant v. Made- roth hofft dadurch einen ganzen Reiſetag zu ſparen. Sie werden nun dieſe Sandbüchſe auch einmal außer- halb der ſogenannten Wege kennen lernen. Ich fürchte

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nur, das Bild wird jenſeits dieſer die Straße ſo ſchön eintönig einrahmenden Dornenfelder nicht viel anders werden eben auch nur Sand, Dorngeſtrüpp, blei- chende Knochen und die liebe Sonne, die es heute

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wieder einmal allzu gut mit uns meint. Ja, ſehen Sie, meine Damen, Ihr Teint wird bei dieſer Glut wirklich kaum viel beſſer werden.“ |

Der Oberſtabsarzt zwintert den beiden vergnügt zu und ſteckt ſich dann wieder ſeine geliebte Zigarre an, die ihn ebenſowenig jemals verläßt wie dieſer trockene,

88 Ein Wiederfinden. u —.. a en De men ne ne wohltuende Humor, mit dem er feine Umgebung über die Unannehmlichkeiten und Strapazen dieſer Schneden- fahrt hinwegzuhelfen weiß.

Frau Hauptmann Seidler, deren Gatte zurzeit im Süden der Kolonie gegen die Hottentotten kämpft, und die, nur um in der Nähe ihres Gemahls ſein zu können, freiwillig das ſchwere Amt einer Kranken- pflegerin übernommen hat, geht in ebenſo leichtem Plauderton auf die Unterhaltung ein.

Ihre Nachbarin dagegen bleibt ſtumm und ſchaut weiter verträumt vor ſich hin. Nur wenn der Militär- arzt, der neben ſeiner unverwüſtlich guten Laune ein ebenſo mitfühlendes Herz ſein eigen nennt, das Wort direkt an ſie richtet, gibt ſie einſilbige, faſt abwehrende Antwort. Und dann blickt der freundliche Herr ſie immer ſo ſeltſam prüfend an.

Zwei Wochen kennt Oberſtabsarzt Müller nun ſchon dieſe eigenartige Frau, die ſeiner Kolonne in Windhuk zugeteilt wurde. Aber vergeblich hat er bisher das Geheimnis zu lüften geſucht, das ihre Perſon umgibt. Immer wieder zerbricht Müller ſich darüber den Kopf, aus welchen Gründen die anſcheinend ſehr vermögende junge Witwe auf die abenteuerliche Idee gekommen ſein mag, ihr ruhiges, bequemes Daſein drüben in Europa gegen die Wechſelfälle dieſes aufreibenden Feldzuges und die Gefahren der typhus- und ruhr- verſeuchten Lazarette einzutauſchen. Daß Frau Ellen Bieler nicht aus Überfättigung durch das geſellſchaft— liche Leben in der Heimat oder aus Hang zu extra— vaganten Erlebniſſen Krankenpflegerin geworden iſt, hat er als guter Menſchenkenner längſt herausgemerkt, und daß ſie gerade im heißeſten Norden der Kolonie verwendet werden wollte, dürfte auch wohl ſeine be— ſonderen Urſachen haben. Aber über dieſes Ahnen iſt

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er noch nicht hinausgekommen. Mit ängftliher Scheu weicht Frau Ellen allen Fragen, ſo vorſichtig und zart ſie auch geſtellt ſein mögen, aus. Still tut ſie ihre Pflicht, übernimmt auf den Lagerplätzen bereitwilligſt jede Arbeit, kocht und pflegt unermüdlich die Ver- wundeten, die man unterwegs auf den Etappen— ſtationen aufgeleſen hat. Doch ihre traurigen Augen und ein weher Zug um den feingezeichneten Mund ſprechen nur zu deutlich von einem großen, unüber- windlichen Herzensweh.

Der Wagenzug ſchleicht knarrend und ächzend weiter über die troſtloſe Steppe dahin. Bei den erſten An- zeichen der nahenden Nacht find Oberſtabsarzt Müller und Leutnant v. Mackeroth vorausgeritten, um eine geeignete Stelle zum Lagern auszuſuchen, eine jener tief in ein Dornenfeld einſchneidenden Buchten, die den Vorteil bieten, daß nur ihre nach der Ebene hin offene Seite durch Poſten bewacht zu werden braucht.

Aber die beiden Offiziere ſind heute wenig vom Glück begünſtigt. Schon eine Stunde folgen fie ver- geblich dem Rande des ſtachelſtarrenden Buſches. In- zwiſchen iſt mit der in den ſüdlichen Breiten eigentüm- lichen Schnelle der Tag in eine dämmerige, fternen- und mondlichtdurchflutete Nacht übergegangen. Wie Silberglanz liegt es jetzt über der ſchweigenden Wüſte.

Plötzlich zügelt der Leutnant ſein Pferd und weiſt mit der Hand vor ſich auf den Boden. Eine breite Spur iſt dort deutlich zu erkennen, Tritte müder, ſchleppender Pferdehufe.

Die beiden Offiziere tauſchen nur einen Blick und ſetzen dann wie auf Verabredung ihre Tiere in Trab. Wohl eine Viertelſtunde geht es auf den in den Sand gezogenen Rillen entlang. Aber beim Umreiten einer neuen Biegung des hohen Dornengebüſches reißen

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ſie dann mit einem Male in jähem Erſchrecken ihre Pferde zurück.

Keine fünf Schritte vor ihnen liegt ein menſchlicher Körper, die Arme weit von ſich ſtreckend wie im letzten Todeskampf, und daneben ſteht mit tief herabhängen- dem Kopf ein abgetriebener, geſattelter Brauner.

Müller kniet ſchon neben dem Lebloſen, reißt ihm die Uniform auf und legt ihm lauſchend das Ohr auf die Bruſt.“)

Sekundenlang horcht er angeſtrengt.

„Nur bewußtlos,“ meint er dann erleichtert auf— atmend und erhebt ſich wieder.

Inzwiſchen hat der Leutnant vorſichtig einen be— ſchriebenen Zettel vom Boden aufgenommen. Auf dem Zettel aber ſteht mit zitterigen Buchſtaben zu— oberſt: „Patrouille von Leutnant Dittmers von zer— ſprengten Hereros überfallen, alles bis auf mich nieder- gemacht. Hereros ziehen ſich in gerader Linie nach Oſten zurück.“

Noch viel mehr aber ſteht auf dem zerknitterten Zettel. Mackeroth traut ſeinen Augen kaum, als er die folgenden Bleiſtiftzeilen überfliegt. Dann reicht er das Blatt dem Oberſtabsarzt hin, indem er topfichüttelnd ſagt: „Ich glaube, wir haben hier ſoeben entdeckt, wes- wegen unſere Frau Ellen Bieler nach Südweſt ge- kommen iſt. Dieſer letzte Gruß iſt an ſie adreſſiert da, ſehen Sie die Überſchrift.“

Vortlos lieſt der Oberſtabsarzt die offenbar im halben Fieberdelirium mühſam niedergeſchriebenen Sätze. Und ihr Inhalt packt den abgehärteten, ſtarken Mann ſeltſam ans Herz.

„Sie haben recht, Mackeroth,“ meint er ſinnend.

*) Siehe das Titelbild.

ta | Erzählung von Walter Kabel. 91

And dann ſetzt er hinzu in einem rührend ſchlichten Ton, indem er ſo ſeinen innerſten Gedanken Ausdruck gibt: „Ja, ja, Mackeroth, hier in dieſem verteufelten Afrika lernt man wirklich noch an eine Vorſehung glauben!“ * * *

Die ſchweren Ochſenwagen der Sanitätskolonne find zum Kreiſe zuſammengeſchoben. Lohende, kniſternde Feuer, die die harten Dornenzweige gierig verzehren, brennen in dieſem Kreiſe, und ihr zuckender, rötlicher Schein gleitet wie ſtreichelnd über die in graue Mäntel gehüllten Männer hin, die in flüſternder Unterhaltung um die wärmende Flamme ſitzen. So heiß die Tage ſind, ſo kalt ſind die Nächte. Seltſam ſtill iſt's im Lager. Nicht einmal an den Feuern der ſchwarzen Ochjen- treiber, die ſich ſtets abſeits von den weißen Soldaten halten müſſen, hört man jene gewohnten, kreiſchenden Negergeſänge wie ſonſt, nicht das ſchnatternde Schwatzen und gellende Lachen dieſer ſtets ſorgloſen Naturkinder. Sie alle wiſſen, daß dort in dem braunen, ſchnell her- gerichteten Zelt ein todwunder Mann liegt, ſie alle ſind Zeugen des erſchütternden Wiederſehens geweſen, das Ellen Bieler hier in der afrikaniſchen Steppe mit dem Geliebten feiern mußte.

Die rauhen, durch den blutigen Krieg abgeſtumpften Männer haben mit weiten, erbarmenden Augen ge— ſchaut, wie die bleiche, ſchöne Frau ſich wortlos über den Körper des noch immer Bewußtloſen geworfen hat mit einem Schrei, den die Seelenqual langer Monate endlich auslöſte und der dann überging in ein wimmerndes Weinen.

Im Zelte brennt zu Häupten des niedrigen Feld- bettes, auf dem der Verwundete ruht, eine Petroleum-

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lampe. Ihr Schein fällt auf das unbewegliche Geficht Horſt Dittmers’ und die ſtarren, verzweifelten Züge Ellens, die dicht neben dem Lager ſitzt und mit angſt— vollen Augen jeden Atemzug des Kranken überwacht. In ihrer Rechten hält ſie jenes Blatt Papier, das der

Leutnant neben dem Lebloſen aufgenommen hat. Un- zähligemal hat ſie ſie ſchon überleſen, dieſe Zeilen, die mit zitternden Fingern geſchrieben find der Scheide- gruß eines Sterbenden an ſie. Und aus den mühſam hingemalten Buchſtaben wächſt ihr etwas wie ein großer, ſtiller Vorwurf entgegen. Wie muß dieſer Mann fie geliebt haben nein, wie muß er ſie noch immer lieben! Welch ungeheures Sehnen nach dem verlorenen Glück muß ihn ſtets und ſtändig begleitet haben, daß

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er mit fieberumnebeltem Geiſte dieſe wehen, ergreifen- den Worte fand! Und fie ſelbſt? Fit fie nicht doch klein geweſen dieſer unendlichen Liebe gegenüber? Wäre es nicht trotz allem, was er ihr angetan, ihre Pflicht ge- weſen, zu verzeihen, den Mut zum Vergeſſen und Vergeben zu finden? | Und weiter ſinnt und grübelt die einſame Frau. Sie denkt an jenen letzten Abend, als er von ihr ging, an feine beſchwörenden Worte, feine ehrliche Beichte, durch die er fein Gewiſſen zu befreien und fie ſelbſt zu verſöhnen hoffte.

Doch was hilft das alles jetzt?! Ihre Reue, ihre Einſicht find zu ſpät gekommen, zu ſpät ihr in ſchneller Eingebung gefaßter Entſchluß, ihn ſich zurückzuerobern durch dieſe Fahrt in das unwirtliche Land, ein Ent- ſchluß, der trotz der geringen Ausſicht auf Erfolg doch ihre Gedanken in ruhigere Bahnen führte und ihr ebenſo willkommene Ablenkung brachte durch die Vorberei- tungen zur Reiſe und die neuen Eindrücke unter der afrikaniſchen Sonne. ö

Und nach all den Monaten der Trennung dann heute dieſes Wiederfinden! Einen dem Tode Ver— fallenen hat ſie heute in ihre Arme genommen und das heißgeliebte, mit grauer Staubſchicht bedeckte Ge- ſicht geküßt in raſendem Schmerz.

Der Oberſtabsarzt hat dabeigeſtanden und ſie dann ſachte beiſeite geleitet. „Beruhigen Sie ſich doch, wir werden ihn ſchon wieder zuſammenflicken. Der Schuß in die Schulter hat ja nichts weiter zu bedeuten. Nur dieſe übergroße Erſchöpfung hm, ja Aber nur Mut, kleines Frauchen Mut!“

So hat er ihr zugeſprochen. Aber ſie merkte es doch heraus, daß es ſchlecht ſtand mit Horſt Dittmers, ſehr ſchlecht. Und eine innere Stimme, die ſie ver—

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geblich durch gläubige, hoffende Gedanken zu beihwich- tigen ſuchte, ſagte ihr auch, daß dieſe einſt vor Liebes- glück ſtrahlenden Augen ſich nicht mehr öffnen würden.

Am Mitternacht war der Stabsarzt zum letzten Male bei dem Kranken geweſen, der noch immer ohne Beſinnung, bewegungslos und kaum hörbar atmend dalag. Müller hatte die Temperatur gemeſſen, hatte das Herz behorcht und war dann wieder gegangen, nachdem er ihr mit mitleidigem Händedruck zugeflüſtert hatte: „Eines, liebe Frau Bieler, kann uns niemand rauben das iſt die Hoffnung. Vielleicht geſchieht das Wunder, das dieſen ſiechen Körper allein noch retten kann.“

Dann war ſie wieder allein mit dem Sterbenden. Aber keine Träne, kein Stöhnen befreit mehr ihre ſchmerzzerriſſene Bruſt. Vor dem niedrigen Feldbett hat fie ſich auf die Kniee geworfen und ihr Geſicht in die weichen Decken gewühlt. Sie betet. Und ihre vor wahnwitziger Angſt ſich überſtürzenden Gedanken flehen den Schöpfer an, daß er ihr doch dies Leben laſſen ſolle. Unzählige Gelübde, wie nur eine ſolche Stunde ſie eingibt, kommen über ihre bebenden Lippen, ſuchen des Schickſals Willen anders zu lenken.

* * *

So geht die Nacht vorüber. Der Morgen kommt mit bleigrauer Dämmerung, die durch die Spalten des Türvorhanges ſich hineinſchleicht in das ſtille Zelt, in dem neben der reuevollſten Verzweiflung noch immer das Hoffen wohnt. Noch immer liegt das junge Weib neben dem Lager des Kranken, hält feine Hände um- klammert und ſchaut mit brennenden Blicken in das regungsloſe, verfallene Antlitz.

Draußen im Lager werden die erſten Geräuſche

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des anbrechenden Tages hörbar, das Klirren der Waffen, unterdrückte Stimmen und das dumpfe Brüllen der Ochſen.

Im Zelt wird es lichter. Und da, da iſt's, als ob der Kranke ſich leiſe regt, den Körper ſtreckt.

Horſt Dittmers ſucht den gefunden, nicht von dem Verbande eingeſchnürten Arm zu bewegen. Schnell gibt ſie ſeine Hände frei. Und dieſes Nachlaſſen des Druckes um ſeine Finger bringt ihn völlig zur Be— ſinnung. Er ſchlägt die Augen auf, die erſt ruhelos, ſtaunend über die Umgebung hineilen und ſich dann feſtſaugen mit einem Ausdruck unendlichen Entzüdens in Frau Ellens nie vergeſſenen Zügen. Aber die Augen ſchließen ſich wieder. Und über des eben Erwachten Geſicht huſcht ein Ausdruck qualvoller Enttäuſchung. Seine Lippen zittern, und kaum vernehmbar flüſtert er: „Ein Traum nur ein Traum!“ Und dann ein tiefes, verzweifeltes Stöhnen.

Frau Ellen begreift. Wie ſoll er auch ahnen, daß das eben geſchaute Bild Wirklichkeit iſt? Er muß ja annehmen, daß nur der traumbefangene Geiſt auf ſeinen phantaſtiſchen Pfaden ihm dieſes Glück vorgetäuſcht hat.

Mit unendlicher Vorſicht beugt ſie ſich weit über ihn, drückt leiſe ihre weichen Lippen auf die ſeinen: „Horſt, ich bin's deine Ellen. Bewege dich nicht, du ſollſt ja geſund werden, geſund für mich, die nie wieder von dir geht nie, nie wieder!“

Er will ſich aufrichten, fragen. Aber ſanft drückt ſie ihn in die Decken zurück, ſtreichelt beruhigend ſeine Wangen und nennt nur bisweilen ſeinen Namen mit alter Innigkeit.

So ſchläft er wieder ein. And feine tiefen, regel- mäßigen Atemzüge ſagen ihr, daß es der Schlaf der Geneſung iſt.

96 Ein Wiederfinden. u

Dann lieſt ſie mit einem ſonnigen Lächeln friſch erwachten Lebensmutes nochmals jene ergreifenden Zeilen: „Ellen, ich rufe nach Dir, aber Du kommſt nicht. Die Sonne brennt auf mein fieberndes Hirn. Ich ſehe die Luft über der Steppe flimmern. Und da hinten ziehen zwei Schakale vorbei und wittern herüber. Sie riechen mein Blut. Und mein Blut tropft in den Sand, bildet einen See, in dem ſich die Sonne widerſpiegelt. Die Sonne, Ellen! Weißt Du noch, einſt nannte ich Dich meine Sonne, mein Leben, mein alles! Ellen, komm komm, damit ich Dich anflehen kann, damit Du mir vergibſt!

Die rote Scheibe verſank fo glühend hinter den Bergen, und nur die feurige Nöte umflammt noch die Spitzen der Dornenbüſche. Ich habe lange bewußtlos gelegen. Zetzt erweckt mich die Kälte. Sie kriecht mir zum Herzen und ſchüttelt mich. Aber meine Augen ſind klar, und wenn ich ſie ſchließe, ſehe ich Dich, Ellen, meine Ellen. Das Schreiben fällt mir ſo ſchwer. Meine Wunde blutet nicht. Aber die Schakale ſitzen da drüben und ſtarren mich an. Ich werde ſterben, ſterben hier allein, verlaſſen für mein Vaterland, für Dich, Ellen. Die Röte am Horizont iſt erloſchen, die Nacht naht. Ich bin ſo matt zum Sterben.

Nacht um mich her. Aber da oben, Ellen, blitzen die Lämpchen am Himmel. Ich habe ſo lange gebeten. Jetzt kommſt Du endlich endlich! Sch ſehe Dich durch die Nacht ſchreiten. Oh, wie ich Dich liebe, Ellen, wie ich Dir danke, daß Du mich gehört haſt! Du kommſt immer näher, immer näher, meine Göttin, und Du lächelſt fo lieb, fo lieb wie einſt Du, Du mein Glück |

And jetzt, in Dein Ohr flüſtre ich's nahe, ganz nahe: Ich habe nur Dich geliebt, nur Dich! Und jetzt

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küſſe mich, küſſe mich, dann werden wir zurückkehren in das traute Gemach, in dem der Frühlingsſturm uns im Kamin Märchen erzählte, glücklich werden wir wie- der ſein, ganz glücklich —“

Schwere Tropfen fallen auf das Blatt, Tränen des Glücks, die Frau Ellen nicht länger zurückdrängt. Und dann ſtreichelt ſie leiſe, leiſe des Schlafenden Hand.

„Ja, Horſt, ich habe gelernt, daß die wahre Liebe ſtärker iſt als alles in der Welt.“ |

Sie ſpricht's flüſternd zu ihm, als ob er fie höre. Und im Schlaf gleitet jetzt auch über ſeine Züge ein ſeliges Lächeln.

1910, IX, 7

Königskinder.

Von R. Zollinger.

Mit 14 Fildern. Nachdruck verboten.)

E⸗ gibt ein berühmtes und durch zahlreiche Repro- duktionen in weiten Kreiſen bekannt gewordenes Bild von Fortuny, betitelt „Die Erziehung eines Prin— zen“. Mit ergötzlichem Sarkasmus, aber ohne weſent— liche Übertreibung ſtellt es einen noch im zarteſten Kindesalter befindlichen Thronerben dar, den die hohen Würdenträger des Hofes, Generale, Staatsmänner und Gelehrte, in alleruntertänigſter Ehrfurcht umſchmei— cheln und anhimmeln.

Höfiſche Szenen dieſer mehr oder weniger lächer- lichen Art mögen ſich auch heute noch hie und da ab— ſpielen, im großen und ganzen aber ſind doch auch für die Erziehung von Königskindern während des letzten Jahrhunderts allgemach vernünftigere Grundſätze zur Geltung gelangt. Die Tage des unumſchränkten Ab- ſolutismus ſind für die meiſten modernen Großſtaaten vorüber und mit ihnen die ſchönen alten Zeiten der kritikloſen Abgötterei mit allem, was dem Herrſcherhauſe durch die Bande des Blutes verknüpft iſt. Auch ein Kaiſer oder König muß ſich Liebe und Verehrung ſeines Volkes heutzutage erſt verdienen, und auf unerjchütter- licher Grundlage ruhen heute wohl nur noch jene Monarchien, deren Repräſentanten ſich durch Tüchtig— keit, Pflichttreue und Lauterkeit des Charakters ihres hohen Amtes würdig erwieſen haben.

e Von N. Zollinger. 99

Erzog man Prinzen und Prinzeſſinnen früher vor allem zum Bewußtſein ihres Gottesgnadentums und zu demgefährlichen Glauben, daß ſie von allen anderen Sterblichen ſchon durch ihre Geburt himmelweit ver— ſchieden ſeien, ſo muß man in ihrem eigenen Intereſſe heute darauf be— dacht ſein, ſie zur Erkenntnis ihrer ernſten Pflichten . und zu warmer,

vorurteilsloſer Menſchenliebe zu erziehen. Arbeits-

freudige und warmherzige Men- ſchen mit klarem, weitem Blick für alle Verhältniſſe des Lebens können eben nimmermehr aus Kindern her- vorgehen, deren erſte Jugend durch ſtarre höfiſche Eti— kette, durch künſtlich großgezogenen Dünkel und durch ängſtliche Abwehr jeder Berührung mit anderen Ge— ſellſchaftsklaſſen eingeengt und ihrer ſchönſten Entwick- lungsmöglichkeiten beraubt war.

Die aͤlteren Kinder des deutſchen Kronprinzenpaares.

100 Königskinder. Oo

Ein treffliches Beiſpiel für vernünftige Prinzen- erziehung haben ſchon ſeit Generationen die Hohen-

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Großfuͤrſt Alexej, der ruſſiſche Thronfolger.

zollern gegeben, und wenn man ſo vielen Herrſchern aus dieſem Hauſe als vornehmſte Tugend eine bis zur Selbſtverleugnung geübte Pflichttreue nachrühmen darf, ſo danken ſie dieſen ſchönſten Mannesruhm ſicherlich

101

Von R. Zollinger.

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102 Königskinder. u

Söhne gleich den Kindern gewöhnlicher Sterblicher auf das Gymnaſium ſchickte, und wenn auch ſein Nachfolger auf dem Kaiſerthron dies Beiſpiel nicht nachgeahmt hat, ſo hat doch auch er Sorge getra—

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Prinz Humbert, Kronprinz von Italien.

gen, daß ſeine Nachkommen durch eine zweckmäßige Erziehung auf Kadettenſchulen und Univerſitäten ge— rade in ihrem eindrucksfähigſten Alter vor einſeiti— ger höfiſcher Beeinfluſſung nach Möglichkeit bewahrt blieben. |

Dieſelben löblichen Grundſätze beſeelen den Kron— prinzen, und wenn von allen Erzeugniſſen der Anſichts— karteninduſtrie wohl keine in allen deutſchen Gauen ſo reißenden Abſatz finden wie die reizenden Aufnahmen der in ſorgen- und etiketteloſer Kinderfröhlichkeit auf— wachſenden kronprinzlichen Söhne, ſo offenbart ſich darin nur die natürliche, rein menſchliche Zuneigung zu einem liebenswürdigen jungen Paare, das un- beſchadet alles kaiſerlichen Glanzes in feinem privaten

a Von R. Zollinger. 103

und häuslichen Leben durchaus nichts Erhabeneres fein will als andere Menſchenkinder.

Möge die Reihe unſerer Prinzenbilder darum mit der Wiedergabe einer dieſer allerliebften Aufnahmen eröffnet ſein, die die beiden älteſten kronprinzlichen Söhne, den am 4. Juli 1906 geborenen Prinzen Wil— helm und ſeinen Bruder Louis Ferdinand darſtellt, der am 9. November 1907 das Licht der Welt erblickte. Inzwiſchen iſt die Ehe des Kaiſerſohnes bekanntlich mit einem dritten Sprößling, dem am 30. September 1909 geborenen Prinzen Hubertus, geſegnet worden.

Eine eigenartige Zufallsfügung wollte, daß der

Prinzeſſin Giovanna, die juͤngſte Tochter des italieniſchen Koͤnigspaares.

heißerſehnte männliche Nachkomme in der ruſſiſchen Kaiſerfamilie ſehr lange auf ſich warten ließ. Die Zarin hatte ſchon vier Töchtern, den Großfürſtinnen Olga, Tatjana, Maria und Anaſtaſia, das Leben geſchenkt,

104 Königskinder. u

als am 30. Juli 1904 endlich auch ein Knäblein zur Welt kam, das auf den Namen Alexej getauft wurde, und das ſich, wie unſere Abbildung zeigt, ſeither körperlich vortrefflich entwickelt hat. Auch dem jungen Cäſarewitſch werden vernünftigerweiſe die Freuden der Kindheit ſo

Die drei aͤlteſten Kinder des Prinzen von Wales.

wenig als möglich beſchnitten. Leute, die es wiſſen können, erzählen, daß der fünfjährige Alexej ein mun-_ terer und gut veranlagter, aber auch etwas eigenwilliger Knabe iſt, der ſeine älteren Schweſtern nach allen Regeln zu tyranniſieren verſteht. Mit außerordent- licher Liebe hängt er an ſeinem Vater und nächſt ihm

u Von R. Zollinger. 105

an dem rieſenhaften Seemann Stephan, der durch die Gunſt des kleinen Großfürſten vom einfachen Ma- troſen zum Offizier der kaiſerlichen Jacht „Standard“ avanciert iſt. Seit ſeinem zweiten Lebensjahre iſt Alexej von dieſem treuherzigen Rieſen faft unzertrenn-

Prinz Johann, der juͤngſte Sohn des Prinzen von Wales.

lich, und weder Vorſtellungen noch Befehle haben bis heute etwas daran ändern können, daß in den Morgen- und Abendgebeten des Knaben der ſeemänniſche Spiel- gefährte und Geſchichtenerzähler vor Eltern und Ge- ſchwiſtern den Vorrang behauptet. Eine andere un- ausrottbare Gewohnheit des künftigen Ruſſenkaiſers iſt es, ſeine Gebete mit einem kräftigen „Hurra!“ zu be- ſchließen, ſeitdem er gehört hat, daß bei Paraden und Beſichtigungen ſein Vater von den Truppen mit dieſem

105 Königskinder. 2

Zuruf begrüßt wird. Wahrſcheinlich denkt er, daß dem himmliſchen Herrſcher recht ſein muß, was dem irdiſchen billig iſt, und es iſt der erzieheriſchen Einwirkung bisher nicht gelungen, ihn von dieſer Überzeugung abzubringen. Sehr empfänglich iſt ſein jugendliches Gemüt für kleine Geſchenke, die ja bekanntlich auch unter Erwachſenen geeignet ſein ſollen, die Freundſchaft zu erhalten.

Namentlich eine mit allem erdenklichen Zubehör ausgeſtattete Miniatureiſenbahn, die ihm vom Prä— ſidenten Fallières verehrt wurde, hat es ihm in hohem Maße angetan. Das franzöſiſche Staatsoberhaupt heißt bei ihm ſeither nur noch der „Eiſenbahnmann“, und da zärtliche Eltern bekanntlich ſehr geneigt ſind, die Zuneigungen oder Abneigungen ihrer Lieblinge auf ſich wirken zu laſſen, hat dieſe Spielzeugeiſenbahn vielleicht mehr zur Kräftigung und Neubelebung der franto- ruſſiſchen Allianz beigetragen wie alle ſtaatsmänniſchen Verhandlungen.

Ein treulich nachgebildetes Exemplar der beſagten wunderkräftigen Eiſenbahn man ſchätzt ihren Wert auf ungefähr zweimalhunderttauſend Mark wurde im Namen des Cäſarewitſch übrigens dem gleichfalls noch im Kindesalter ſtehenden Kaiſer Pu-Vi von China vor kurzem durch eine Spezialgeſandtſchaft als Ge— ſchenk übermittelt und ſelbſtverſtändlich durch eine entſprechende Gegengabe in Geſtalt der koſtbarſten chineſiſchen Spielſachen vergolten.

Auch von den Kindern des italieniſchen Königs- paares ſagt man, daß ſie bei den Beſuchen fremder Fürſtlichkeiten ſehr eifrig nach dem „Mitbringfel“ zu fragen pflegen, und daß ſie, unbekümmert um alle politiſchen Konſtellationen, den Freundſchaftswert der gelegentlich im Quirinal erſcheinenden Staatsober- häupter lediglich nach dem Maße abſchätzen, in welchem

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Von R. Zollinger. 107

dieſe Ge- ſchenke ihrem

Geſchmack und ihrenEr- wartungen entſprechen. Von der natürlichen Munterkeit

und kindli⸗

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benswürdig- keit der ita- lieniſchen Königskinder weiß man in Rom eine Unmenge

der niedlichh P

ſten Geſchich- ten zu er— zählen, die um ſo mehr Glauben verdienen, als ſich die Prinzeſſin— nen Jolanda Margherita (geboren am 1. Zuni 1901), Mafalda (ge- boren am 19. Novem-

Koͤnig Alfons von Spanien mit ſeinem zweiten Soͤhnchen Don Jaime.

108 Königskinder. 2

1902) und Giovanna (geboren am 13. November 1907) ebenſo wie der am 15. September 1904 geborene Rron- prinz Humbert der liebevollſten Erziehung und perjön- lichen Fürſorge von ſeiten ihrer Eltern zu erfreuen haben. Sowohl der König wie feine ſchöne Gemahlin find alle- zeit der Mahnung eingedenk: „Geh fleißig um mit deinen Kindern!“ und es hat ihre Beliebtheit beim Volke gewaltig erhöht, daß man ſie an allen möglichen Orten gleich ſchlichten Bürgersleuten mit ihrem nied- lichen jungen Nachwuchs plaudern, lachen und ſpielen ſieht.

Der künftige König von Großbritannien, der Prinz von Wales, läßt ſeine Kinder Eduard Albert, Albert, Viktoria und den jetzt im fünften Lebensjahre ſtehenden Prinzen Johann öffentlich ſeltener ſehen; ſie haben darum bis jetzt auch weniger Gelegenheit gehabt, das Intereſſe des engliſchen Publikums für ſich zu gewinnen.

Um ſo bereitwilliger pflegt König Alfons von Spanien die weiteſten Kreiſe zu Zeugen ſeines jungen Familienglückes zu machen. Ihm find bekanntlich, nach- dem am 10. Mai 1907 der Thronerbe Alfonſo geboren war, ſchon zwei weitere Nachkömmlinge geſchenkt wor- den, am 23. Juli 1908 ein Söhnchen, das auf den Namen Jaime, und am 22. Juni 1909 eine Tochter, die auf den Namen Beatriz getauft wurde. Während der ältere Infant ganz das Geſicht und die Art ſeiner hübſchen, ſtattlichen Mutter geerbt hat, iſt „Don Jaime“ von einer geradezu frappanten Ahnlichkeit mit ſeinem durch äußere Schönheit bekanntlich nicht im Ubermaß ausgezeichneten Papa. Die Naſe, das Kinn und die berühmte habsburgiſche Oberlippe bilden eine getreue Wiederholung des charakteriſtiſchen väterlichen Antlitzes, und beſonders erfreulich für den kleinen Prinzen iſt es, daß daneben auch das liebenswürdige Temperament

2 Von R. Zollinger. 109

und die unver- wüſtliche Luftig- keit feines Va- ters auf ihn über⸗ gegangen ſind. Wie die meiſten Perſonen ſeiner Umgebung den König niemals anders als lachend geſehen haben, ſo hat ſich auch der jugendliche b f gaime durch ſeine Koͤnigin Wilhelmina von Holland mit Fröhli chkeit alle ihrem Toͤchterchen Juliana.

Herzen gewonnen, obwohl ſelbſt die hartgeſottenſten höfiſchen Schmeichler ſich ſchwerlich zu der verwegenen Behauptung auf- raffen dürften, daß er ein be— ſonders ſchönes Kind ſei.

In friſcher Er- innerung noch iſt der ſchier unge- meſſene Zubel, der die Nieder- lande durchhallte, als Hollands all- beliebte Königin Wilhelmina nach achtjähriger kin derloſer Ehe am

Prinz Leopold und Prinz Karl, die 30. April: 1909 Soͤhne des Koͤnigs von Belgien.

110 Königskinder. 2

einem Töchterchen das Leben ſchenkte und damit, menſchlicher Vorausſicht nach, den Beſtand der Dy—

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Kronprinzeſſin Margarete von Schweden mit ihren Söhnen Guſtav Adolf und Sigvard.

naſtie ſicherte. Die kleine Juliana iſt der Stolz und die Hoffnung aller Holländer, und wenn je die Kindheit eines Königsſproſſen von der Liebe eines ganzen Volkes

D | Von R. Zollinger. 111

umhegt und begleitet wurde, ſo wird das bei dieſem Prinzeßchen der Fall ſein, das man natürlich zu einer ebenſo friſchen und lieblichen Jungfrau heranblühen

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Prinz Nikolaus, der zweite Sohn des rumaͤniſchen Kronprinzenpaares.

zu ſehen hofft, wie es ehedem ihre ſo früh mit der Königskrone geſchmückte Mutter geweſen.

Im Nachbarlande Belgien, wo man ſich während der letzten Jahrzehnte der Loyalität nach und nach in ebenſo begreiflichem als für die Dynaſtie bedenklichem Maße entwöhnt hatte, iſt mit der Thronbeſteigung des Königs Albert augenſcheinlich ein neuer und beſſerer

112 Königskinder. 2

Geiſt eingezogen. Von galanten Abenteuern und ſon— ſtigen Seitenſprüngen des eben zur Regierung gelangten Monarchen wird man ſich vorausſichtlich um ſo weniger zu erzählen haben, als jedermann im Lande weiß, in wie glücklicher Ehe er ſeit dem Fahre 1900 mit einer Tochter des jüngſt verſtorbenen prinzlichen Augenarztes,

Prinzeſſin Olga und Prinzeſſin Eliſabeth, die Enkelinnen des Königs von Griechenland.

Herzogs Karl Theodor in Bayern, lebt. Dieſer Ver— bindung ſind bis heute die beiden auf unſerem Bilde dargeſtellten Söhne Leopold (geboren am 5. November 1901) und Karl (geboren am 10. Oktober 1905), ſowie das am 4. Auguſt 1906 geborene Töchterchen Marie entſproſſen. |

Auch die Thronfolge im Haufe Bernadotte, das den ſchwediſchen Königsthron innehat, iſt durch blühenden Nachwuchs hinlänglich geſichert. Die junge Kron— prinzeſſin Margarete iſt bereits glückliche Mutter zweier

25 Von R. Zollinger. 113

Knaben, des am 22. April 1906 geborenen Prinzen Guſtav Adolf und des Prinzen Sigvard, dem am 7. Juni 1907 in Schloß Drottningholm zum erſten Male das Licht dieſer Welt leuchtete.

Dem König Karol von Rumänien und ſeiner Ge— mahlin, der menſchenfreundlichen Dichterin Carmen Sylva, iſt nur ein kurzes Elternglück beſchieden geweſen. Sie find kinder- los, und der Be- ſtand der Dyna- ſtie wurde da— durch geſichert, daß der König den zweiten Sohn jei- nes älteſten Bru- ders, den Prinzen Ferdinand, zum Thronfolger pro- klamierte. Wenn der rumäniſche Kronprinz natur- gemäß bislang nicht viel von ſich reden machen konnte, ſo iſt ſeine ungewöhnlich ſchöne Gattin durch ihre in unermeßlicher Zahl verbreiteten Bildniſſe um ſo bekannter geworden. Der Liebreiz ihrer zarten und doch königlichen Erſchei— nung iſt auch ihren fünf Kindern zuteil geworden, von denen wir das vierte, den als zweiten Sohn des Kronprinzenpaares am 5. Auguſt 1905 geborenen Prin- zen Nikolaus, im Bilde vorführen. Die von ſeiner Mutter aufgenommene Photographie des hübſchen Jungen wirkt um fo drolliger, als der Dargeſtellte ſich nichts davon träumen ließ, daß er zu ewigem Gedädt- nis auf der verräteriſchen Platte feſtgehalten wurde,

1910. IX. 8

Prinz Teſſama von Abeſſinien.

114 Königskinder. 2

während er vermeintlich in aller Stille und Heimlidh- keit damit beſchäftigt war, eine Säule des Palaſtes durch farbige Bemalung künſtleriſch zu „verſchönen“.

Am wenigſten beneidenswert unter allen europäi- ſchen Königskindern ſind augenblicklich vielleicht die kleinen Prinzen und Prinzeſſinnen des griechiſchen Hofes, denn das Volk der Hellenen iſt wieder einmal unruhig geworden, und die Opnaſtie ſteht zurzeit auf recht ſchwankem Grunde. Glücklicherweiſe ahnen die beiden kleinen Mädel auf unſerer Photographie noch nichts von den Wirrniſſen und Gefahren, die fie um- geben. Es ſind die Prinzeſſinnen Olga (geboren am 29. Mai 1903) und Elifabeth (geboren am 11. Mai 1904), Töchter des Prinzen Nikolaus, dritten Sohnes König Georgs.

Den Beſchluß unſerer Bilderreihe macht ein exoti— ſches Fürſtenkind, der kleine Prinz Teſſama von Abeſſinien, der ſich vielleicht auf eine ſtolzere Ahnen— reihe berufen kann als alle ſeine jungen Standes— genoſſen in Europa. Denn ſein Großvater, der Negus Negeſti, der König der Könige, leitet ſeine Abſtammung ja von keinen geringeren Stammeltern als dem König Salomo und der Königin von Saba her. Der Nach— weis mag nicht ganz lückenlos zu führen ſein. Aber ſollte dasſelbe nicht auch von mancher ahnenſtolzen Dpnaftie unſeres Kontinents geſagt werden können?

Das blaue Herz. Eine heitere Geſchichte von Alwin Römer.

(Nachdruck verboten.) 1.

ber Mutter, fangen wir denn immer noch

A nicht an?“ fragte äußerſt mißvergnügt und

offenbar mehr von Mittagsbunger als Soh—

n Nesliebe erfüllt, Konrad Kruſe feine nun

ſchon langſam im Scheitelſilber ſchimmernde, aber im-

mer noch ſtattliche, gütig lächelnde Mutter, die Frau

Zuſtizrat Hedwig Kruſe, die am Erkerfenſter des

Speiſezimmers ſaß, ſich gleichmütig und heiter gebend,

obgleich eine leiſe innere Unruhe und Verdrießlichkeit ihr längſt im Kopfe rumorte.

„Nein, mein Junge,“ entgegnete ſie gelaſſen. „Es hat daher auch gar keinen Zweck, daß du mit deiner Gabel die Haltbarkeit unſerer Tellerränder noch weiter- hin erprobſt. Oder iſt es dir mehr um muſikaliſche Wirkung zu tun? Jedenfalls betrag dich nicht wie ein ausgehungerter Kannibale und ſteh vom Tiſch auf! Die Jugend hat nirgends beſſer Gelegenheit, ihrer Er- ziehung ein bißchen Ehre zu machen als bei den Mahl- zeiten!“

Konrad legte errötend die Gabel nieder und ſtand auf. „Ich bin ſchon ganz ſchief vor Hunger,“ konnte er ſich aber doch nicht enthalten, anklagend zu be- merken. |

„Dann geh an dein Reck im Garten und turn dich wieder gerade!“ riet ihm Frau Hedwig.

116 Das blaue Herz. 2

„Eſſen wir immer noch nicht, einzigſtes Mamachen?“ klang nun auch aus dem Nebenzimmer eine Mädchen- ſtimme, und ein reizvoller Blondkopf mit graziöſer Wellenfriſur und tiefbraunen, ſprühenden Augen dar- unter wurde hinter dem Vorhang ſichtbar. Es war die Alteſte von Juſtizrats, die achtzehnjährige Helene, die vor kurzem aus einer Lauſanner Penſion Affen- drehbank nannte der Juſtizrat das ebenſo koſtſpielige wie zimperliche Inſtitut in das Elternhaus zurück- gekehrt war.

„Nicht, bevor Papa kommt oder Nachricht ſchickt,“ erhielt ſie als Beſcheid.

Da kam ſie mit ein paar huſchenden Schritten näher, umhalſte die Mutter und flüſterte an ihrem Ohr: „Es iſt nicht meinetwegen, Mamachen. Tilla aber iſt ſehr übellaunig. Sie meint, wenn ihr Papa je ſo rückſichts⸗ los geweſen wäre, hätte ihre Mutter andere Saiten aufgezogen als du.“

Frau Kruſe ſeufzte leicht und hielt ihr Kind lieb- koſend feſt. „Tilla verſteht das nicht. Sie iſt zu ſehr verwöhnt worden. Und ihr Vater ſtand ein bißchen ſehr unter dem Pantoffel. Bei uns iſt das umgekehrt, wie du weißt. Gott ſei Dank umgekehrt! Im übrigen zeugt es nicht von übermäßig viel Takt, in einem Hauſe, deſſen Gaſtfreundſchaft man genießt, derartig Kritik zu üben. Aber Tilla iſt eben im Zuſchnitt verdorben. Man hat ihr ſo lange vorgeredet, daß ſie Anſprüche machen darf, weil ſie reich iſt, bis ſie na, ſagen wir die richtige Schätzung ſo gut wie eingebüßt hat, die ein junges Mädchen nun einmal für den Reiz der Beſcheidenheit beſitzen muß.“

Nach dieſer pädagogiſchen Belehrung gab ſie ihrem nachdenklich gewordenen Kinde einen Kuß auf die Stirn und dann einen auf den Mund.

2 Von Alwin Römer. 117

„Sie iſt überhaupt kein Vorbild für dich, Lenchen,“ fuhr fie dann fort. „Aber fie iſt doch ein recht bedauerns- wertes Geſchöpf trotz ihres Reichtums. Vater und Mutter in demſelben Jahre zu verlieren, bleibt ein harter Schlag, jo glänzend fie ſich auch das Leben ge- ſtalten kann. Und darum ſei lieb zu ihr, wenn dir auch nicht alles gefällt, was fie ſagt und treibt, Und wenn du kannſt, verhindere es nach Kräften, daß ſie mit den jungen Herren allzuviel flirtet. Du haſt ja freilich nach dieſer Richtung hin wohl noch keinerlei Erfahrungen, worauf ich nicht wenig ſtolz bin. Oder durftet ihr im Inſtitut etwa —?“

„Wo denkſt du hin, Mama!“ unterbrach ſie Helene errötend. |

„Na, ja doch, ich weiß ja, Liebling! Alſo lenke fie ab von ſolchen Torheiten. Es paßt weder in ihr Trauer- jahr, das ſie in den Garderobefragen ja ſo peinlich ſtreng berückſichtigt, noch iſt es ehrlich. Denn ſie denkt gar nicht daran, ſich hier zu binden. Aber das Koket- tieren iſt ihr gewiſſermaßen Bedürfnis. Sie muß wohl ſchon früh Gelegenheit gehabt haben, ſich darin zu üben. Danke Gott, Kind, daß du vor dergleichen frühreifen Torheiten behütet worden biſt. Da kommt übrigens Papa endlich. Schnell, gib das Gongzeichen und laß Marianne die Suppe auftragen. Unſer Junge ſteht dicht vor dem Verhungern. Nicht, Konrad?“

„Na, viel fehlt wenigſtens nicht!“ erklärte der Quartaner gnädig und reckte die Arme im Vorgefühl des Sturmangriffs auf den Sonntagsbraten.

Ein paar Minuten ſpäter ſaßen fie alle eifrig löffelnd um den Familientiſch.

„Verzeih, daß ich dich habe warten laſſen müſſen, Hedwig,“ ſagte der Juſtizrat, der gegen feine Gewohn- heit ſchweigſam und ernſt ſeinen Platz eingenommen

118 Das blaue Herz. 1

hatte. „Aber wenn die Leute ſich in die Haare fahren und es ſind alte Freunde von einem, ſo muß man zu ſchlichten ſuchen, ehe der Riß weiter und weiter wird.“

„Ver find denn die Unfriedlichen?“ fragte Frau Hedwig überraſcht.

„Konſul Dobenſchütz und der Lammwirt.“

„Der gutmütige alte Ziegler? Ja, was iſt denn da vorgefallen?“

„Ach, ein Streit um den Rotſpon, den der Konſul für das ‚Lamm‘ als Tiſchwein geliefert hat. Er ſoll gefälſcht ſein. Wenigſtens behauptet das Ziegler, der es natürlich nicht aus ſich hat. Denn von Bordeaur- weinen verſteht er noch viel weniger als von Rhein- und Moſelweinen. Seine Zunge iſt nur auf Bier geeicht. Aber da iſt ſo ein junger Dachs, von der Zuckerfabrik draußen, Chemiker oder was der Kerl iſt, den Doktor— titel hat er auch, der hat's dem Lammwirt eingeredet. Er hätte eine Probe gemacht damit, die er jeden Tag wiederholen könne, es ſei Heidelbeerſaft dazwiſchen. Daraufhin hat Ziegler den Konſul angebohrt. Aber der hat ihn ausgelacht. Das ſei Unſinn. Den Wein bekomme er von einer ſtreng reellen Bordoleſer Firma, die nur echte Marken liefere, und fein alter Keller- meiſter, auf den er ſich ſeit dreißig Jahren verlaſſe, ziehe ihn eigenhändig auf Flaſchen. Da ſei nichts Un- rechtes drin, und er ſolle ſich nichts aufbinden laſſen von ſo einem neunmalklugen Retortenſchnüffler.“

„Ich glaube ihm das,“ ſagte Frau Hedwig mit Nachdruck. „Dobenſchütz iſt geradezu peinlich in ge— ſchäftlichen Dingen. Zede beanſtandete Flaſche tauſcht er ohne Weigerung um und —“

„Ganz meine Meinung!“ unterbrach fie der Zuſtiz— rat. „Und Ziegler hätte wahrhaftig die Sache auf ſich

2 Von Alwin Römer. 119

beruhen laſſen können, da ihm der Konſul für den noch vorhandenen Reſt etwas anderes als Erſatz zur Verfügung geſtellt hat. Aber wie das ſo kommt: irgendwer muß dieſem Chemiker, Karſtenſen heißt das Karnickel, des Konſuls abfällige Worte hinterbracht haben. Kurz und gut, heute beim Frühſchoppen im ‚Lamm‘ fängt der Krakeel glücklich wieder an. Karſten- ſen ſtellt den Konſul zur Rede, Ziegler miſcht ſich hinein, der Streit geht hin und her, der Konſul wird hitzig, der Chemiker verbittet ſich alle Anzüglichkeiten und erhärtet feine Behauptungen durch eine Kreide- probe, die jener wieder als Unſinn bezeichnet. Ziegler verlangt einen Teil des bezahlten Kaufpreiſes zurück, den Oobenſchütz verweigert, weil das ja wie ein Zu— geſtändnis ausſehen würde. Und das Ende vom Liede war trotz meiner Begütigungen und Einigungsverſuche ein offener Bruch, der natürlich ein paar N nach ſich ziehen wird.“

„Und darüber ſind Sie ſo grimmig? Lieber Herr Juſtizrat, dabei können Sie doch nur profitieren!“ klang hier Fräulein Tilla Uppenkamps ſilberhelle Stimme auf, die ſich ſamt ihrem heiter lächelnden Geſichtchen voll pikanteſten Reizes in einem jonder- baren Gegenſatz zu ihrem, tiefſte Trauer markierenden Koſtüm befand. „Von Prozeſſen leben Sie doch!“

„Sie ſtammen aus einer praktiſchen Familie, liebes Kind das ſpürt man,“ bemerkte trocken der Zuſtizrat. „Aber ganz abgeſehen davon, daß mir Ihr ſogenannter „Profit“ in einem Falle wie dem vorliegenden ganz und gar keine Freude macht, ich komme dabei in die häßliche Lage, die Intereſſen des einen meiner alten Freunde gegen die des anderen vertreten zu müſſen.“

„Könnteſt du nicht beide een . Frau Hedwig.

120 Das blaue Herz. u

„Zwanzig Jahre lang hab' ich ſämtliche Prozeſſe des Hauſes Dobenſchütz geführt und auch wegen der verlorenen darunter nie ein heftiges Wort vom Konſul vernommen, wohl aber ein paarmal für glücklich be- endete ein ſehr nobles Extrahonorar erhalten. Wie kann ich nun in dieſer albernen Geſchichte den Alten im Stich laſſen? Ich muß ihm zur Seite ſtehen, ſo unbehaglich mir es auch fein wird. O dieſer Gift- miſcher mit feinem Übereifer! Aber ich bitte mir aus, daß er die Quittung erhält, ſobald er die Oreiſtigkeit haben ſollte, hier Beſuch zu machen.“

„Vir werden ihn ſelbſtverſtändlich nicht empfangen, wenn er ein ſo hämiſcher Charakter iſt,“ ſtimmte Frau Hedwig, überzeugt von der bodenloſen Verworfen— heit dieſes Menſchen, ein, während Fräulein Tilla ein wenig ſpöttiſch die Achſeln zuckte, was indes nur Konrad bemerkte, der für Tilla ſeine erſte männliche Neigung hegte und ſich heimlich ſofort auf ihre Seite ſchlug.

„Für eure Geduldprobe habe ich übrigens auch noch eine kleine Entſchädigung,“ nahm der Zuſtizrat, ſich ſeinem Arger entwindend, mit einem vielſagenden Lächeln das Wort. „Anfang Mai begeht die hieſige „‚Geſellſchaft der Freunde“ ihr fünfzigjähriges Stif- tungsfeſt durch eine große Feier: Konzert, Theater- aufführungen, zum Abſchluß Ball. Ich weiß nicht, wie unſer Gaſt ſich dabei verhalten will. Wenn es Ihnen noch nicht nach ſolchen Dingen ums Herz iſt, Kind, fo können Sie ja in jenen Tagen den beab- ſichtigten Beſuch bei Ihrer Tante in Buchgrund machen. Für uns habe ich zugeſagt, denn ich halte es für eine recht paſſende Gelegenheit, Helene in die Geſellſchaft einzuführen.“

Frau Hedwig nickte zuſtimmend. Lenchen ſtrahlte

n Von Alwin Römer. 121

vor Freude, Konrad machte fein gleichgültigſtes Ge- ſicht: er mußte ja doch zu Haufe bleiben.

Tilla Uppentamp aber ſagte nach kurzem Zögern: „Da mein Trauerjahr Anfang Mai zu Ende geht, brauche ich mich vielleicht nicht auszuſchließen.“

„Ich meine das auch. Eine harmloſe Fröhlichkeit

in vernünftigen Grenzen dürfen Sie ſich ruhig gönnen, Tilla. Trauer nach dem Kalender iſt überhaupt eine ſonderbare Sache.“ |

„Es iſt aber eine geſellſchaftliche Einrichtung, die man reſpektieren muß,“ entgegnete Tilla etwas vor- ſchnell und fügte, den Mißklang dieſer Äußerung ſelber ſpürend, ausdrucksvoll hinzu: „Zumal, wenn ſie den eigenen Bedürfniſſen wirklich entſpricht.“

„Da haben Sie recht, Tilla,“ ſagte Frau Hedwig vermittelnd und ging dann ſofort zu einer anderen Frage über, die ihr zunächſt die wichtigſte erſchien. „Was bewilligſt du denn für die Toilettenfrage, lieber Eberhard?“

„Ich denke, wir beſprechen das nachher, Frauchen. Du kennſt ja meine Grundſätze in dieſer Beziehung: hübſch und gefällig, aber einfach und ohne Prunk.“

Tilla rümpfte heimlich das Näschen. Ihre An— ſichten waren da durchaus moderner Art. Aber das Haustöchterchen fand des Vaters Meinung ganz felbit- verſtändlich und hing geſpannt an den Lippen der Mutter, ob dieſe trotz des aufſchiebenden Winkes nicht doch noch ein paar Andeutungen zu dem Thema ver lauten laſſen würde.

Und richtig, Mama Kruſe, die wie alle Mütter ſich von Garderobefragen für außerordentliche Gelegen— heiten nicht ſo leicht zu trennen vermochte, bohrte noch einmal an: „Was meinſt du, wenn ich den Reſt weißer Pongeeſeide nähme, den ich ſo billig bekommen habe

122. Das blaue Herz. 8

bei Lippmann & Grahl? Ich glaube, es würde gerade reichen für Helene. Ärmel braucht fie ja nicht und —“

„Ohne Armel?“ fuhr Helene, plötzlich blutrot ge— worden, von ihrem Stuhle auf. „Nein, Mutter, aus- geſchnitten gehe ich nicht!“

„Sehr vernünftig!“ lobte ſie der Vater, und ein warmer gütiger Blick ſeiner klugen grauen Augen glitt über ihr geſenkt gehaltenes blondes Haupt.

Hätte er fühlen können, wie heftig ihr bei dieſem Lob das junge Herzchen klopfte und wie ein feuchter Schimmer der Beſchämung in ihre eben noch fo glüd- ſtrahlenden Augen trat, es würde ihn befremdlich genug angemutet haben. Denn ach, es war ein ganz anderer Grund, der ſie bewogen hatte, gegen die ärmelloſe Tracht ſo heiß aufzubegehren. Im Grunde ihres Herzens hatte ſie gegen die ihr ganz kleidſam und lieblich ſcheinende Mode auch eines entſprechenden Halsausſchnittes gar nichts einzuwenden, wenn nicht ein ſchweres Bedenken bei der Sache geweſen wäre.

„Liebe Helene,“ ließ ſich die Mutter begütigend vernehmen, „es war nur in der Ordnung, daß man euch im önſtitut in Lauſanne auch in der Kleidung ein bißchen ſtreng gehalten hat. Wenn du aber unter dem Schutze deiner Eltern in unſeren Bekanntenkreiſen ein Feſt mitfeierſt, ſo erſcheint mir dein Widerſpruch einer übertriebenen Laune zu entſpringen. Glaube mir nur, ich werde ſchon Sorge dafür tragen, daß du dich in keiner Weiſe zu ſchämen brauchſt. Oder bin ich dir je zu wenig zurückhaltend in meiner Toilette erſchienen, lieber Eberhard?“

„Oh, nicht doch!“ murmelte der Juſtizrat ein wenig betroffen und ſchüttelte lächelnd das Haupt. „Helene wird ſich deinen Anordnungen ja auch fügen’ nicht wahr, freie Schweizerin?“

2 Von Alwin Römer. 123

„Ach Gott, Papa!“ ſeufzte das Töchterchen.

„Sie muß es ſogar, lieber Mann!“ bemerkte mit einer leiſen Verſtimmung im Ton die Hausfrau. „Armel bekomme ich aus dem Reſt auf keinen Fall mehr heraus. Du müßteſt alſo ſonſt irgend einen anderen Stoff bewilligen.“

Das gab den Ausſchlag für ihn, der ein konſequenter Sparer war. „Fällt mir nicht im Traume ein!“ lachte er gefühllos und ſchwenkte ohne weiteres ab. „Sind denn deine Arme fo dünn, Mädel, daß du dich fürchteſt, ſie ſehen zu laſſen?“

Konrad ſtellte durch ein ſofortiges Befühlen, das entſchieden nicht ohne blaufleckige Spuren vor ſich ging, das Gegenteil feſt. „Richtige Schlackwürſte hat ſie!“ konſtatierte er und ließ ſich durch die Schläge, die er von der Schweſter dafür auf die vorwitzigen Hände erhielt, nicht beirren.

„Ich denke auch, ſie wird ſehr niedlich ausſehen in dem Kleid, wie ich es mir vorſtelle. Gleich morgen früh ſchicke ich zur Schneiderin, damit ich ſie rechtzeitig ins Haus bekomme. Denn auch für mich und Tilla muß doch geſorgt werden.“

„Meinetwegen nicht!“ wehrte Fräulein Tilla Uppentamp etwas gedehnt ab. „Wir haben uns bei ſolchen Veranlaſſungen immer von Schleſinger in Berlin etwas zur Auswahl ſenden laſſen. Ich bitte alſo, ſich um mich nicht zu bemühen.“

„Ganz, wie Sie denken, Kind,“ meinte Frau Hed- wig kühl. Es war wirklich nicht leicht, mit dieſer ver- wöhnten jungen Dame fertig zu werden. Aber ihr Vater hatte es als einen letzten Freundſchaftsdienſt von Eberhard Kruſe verlangt, daß er ihr bis zur Groß— jährigkeit in ſeinem Hauſe Aufnahme gewähre. Und der Juſtizrat hatte fein Wort darauf gegeben. Das

124 Das blaue Herz. 2

mußte gehalten werden, ſo oft die Harmonie des Hauſes durch den ſelbſtherrlichen ea auch geſtört wurde.

Der Juſtizrat hatte währenddeſſen ſchon ein paar- mal ſeine Zigarrentaſche zur Hand genommen, und die Hausfrau fand in der Beobachtung dieſer ungeduldigen Strategie ſchnell ihren guten Humor wieder.

„Geſegnete Mahlzeit!“ wünſchte ſie und erhob ſich, um dem Gatten entgegenzugehen und den gewohn— heitsmäßigen, aber in ſeiner verhaltenen Zärtlichkeit immer noch anmutenden Kuß von ihm zu empfangen.

Konrad bewaffnete ſich mit der Streichholzſchachtel und nahm die Spitze des ſchwerduftenden Krautes als Gegenleiſtung in Empfang. Er war ein Sammel— ſportler auf den verſchiedenſten Gebieten.

Tilla Uppenkamp zog ſich auf ihr Zimmer zurüc, um Schleſinger in Berlin ihre Wünſche mitzuteilen, und Helene ging mit ihr, da ſie nach Tiſche zu leſen pflegte. „Haft du wirklich Angſt, dich ausgeſchnitten ſehen zu laſſen, Lenchen?“ fragte unterwegs ein bißchen gönnerhaft die Altere, die ihrem einundzwanzigſten Geburtstag nicht mehr allzu fern war.

„ga,“ entgegnete dieſe. Einen Augenblick lang überlegte ſie, ob ſie ſich Tilla nicht anvertrauen könne. Es wäre ſo gut geweſen, den Rat einer anderen zu hören in der abſcheulichen Klemme, aus der ſie keinen Ausweg wußte. Aber das verzogene, ihre kindliche Scheu vor den Eltern ſpöttiſch belächelnde Mädchen würde ihre Not nicht verſtehen. Und ſo blieben ihre Lippen geſchloſſen.

„Aber das iſt doch einfach närriſch, Lena! Das gehört doch dazu, wenn man Eroberungen machen will. Und das möchteſt du doch. Oder etwa nicht?“

u | Von Alwin Römer. 125

„An dem Plural liegt mir eigentlich nichts,“ be- kannte die Jüngere in reizvoller Strenge.

Da lachte Tilla. „Schäfchen!“ ſagte ſie, um dann ſofort auf ein anderes Thema überzuſpringen, das ihr zweifellos noch intereſſanter war. „Weißt du, daß ich dieſen Doktor Karſtenſen, auf den dein geſtrenger s ſo fuchswild iſt, wahrſcheinlich kenne?“

„Den Chemiker von der Zuckerfabrik?“

„Ganz richtig.“

„Warum haſt du Papa das denn nicht geſagt?“

Tilla hob läſſig die ſchönen Schultern. „Erſtens, weil ich ja nicht gewiß weiß, ob es derſelbe Doktor Karſtenſen iſt, der mir damals in Hallenheim die Cour ſchnitt, und was hätte es außerdem für einen Zweck? Dein Papa kann ihn nicht ausſtehen. Es wäre alſo vergeblich geweſen, ſich heute für ihn ins Zeug zu legen. Ein andermal werde ich das ſchon beſorgen. Erſt aber muß ich wiſſen, ob ich mich nicht täuſche, und was an der Geſchichte mit dem Rotwein Wahres iſt.“

„Wenn Papa fagt —“

„Dein Papa iſt Partei.“

„Ich dächte doch, er hätte n über den Parteien geſtanden.“ |

„Herzchen, das find Anſichten. Warte doch ab, wir werden's ja erfahren.“ |

„Der Doktor wird doch aber gar nicht angenommen, wenn er wirklich kommen ſollte!“

„Vir können ihm ja zufällig einmal in den Weg laufen. Ich habe ſogar, unter uns geſagt, ſtark die Abſicht, das recht bald zu tun.“

„O Gott, Tilla!“ Und ein ſcheuer Blick ſtreifte die ſo viel anders denkende ältere Gefährtin.

„So etwas macht oft vielen Spaß, kleine Unſchuld. Oder tuſt du nur ſo?“ entgegnete Tilla und rät-

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ſelte mit ihren Augen in dem Geſicht der Jüngeren umher. .

Und im Angedenken an ihre Koſtümnot, die fie ja in der Tat zu einem ſündhaften Verſteckſpiel verleitet hatte, wurde das Lenchen unter dieſen forſchenden Blicken blutrot.

„Na, ſiehſt du, Liebchen ich wußte es ja!“ rief Tilla und ſchlug ihr kameradſchaftlich auf die Achſel, um dann mit einem ſpöttiſchen Auflachen hinter ihrer Zimmertür zu verſchwinden.

2:

In ihrem Stübchen angelangt, das ein durchweg in Weiß gehaltenes Schmuckkäſtchen war, obgleich alle Einrichtungsgegenſtände ein höchſt ſchlichtes Gepräge aufwieſen, riegelte Lena vorſichtig die Tür hinter ſich ab, warf einen Blick aus dem Fenſter in den Garten hinaus und ſtreifte dann mit einem kummervollen Seufzer den linken Ärmel ihrer Bluſe hoch.

Aber das Bündchen, das den Abſchluß am Hand— gelenk bildete, war nicht weit genug. Sie neſtelte daher kurz entſchloſſen die Haken am Halſe auf und ſtreifte das blaßroſa gefärbte Kleidungsſtück ab, um ſich ihren linken Oberarm ach, wie ſo oft ſchon zu betrachten.

In ganz feinen blauen Punkten, einer dicht neben dem anderen, hob ſich von der zarten Haut, deren Ton an Quittenblüten erinnerte, die Zeichnung eines delft- blauen Herzens ab, das zwei Anfangsbuchſtaben: „R. L.“ ſymboliſch umſchloß.

Sie ſeufzte abermals, tiefer noch und bedrückter als vorher, als ihre Augen nun das verräteriſche Zeichen einer jammervoll verratenen Backfiſchliebe wieder er- blickten.

Mechaniſch rieben die ſchlanken Fingerchen ihrer

u Von Alwin Römer. 127

rechten Hand auf dem fo oft ſchon verwünſchten Er innerungsmale herum ohne jeden Erfolg natürlich wie noch immer in den drei Jahren, ſeit der leicht- fertige Seekadett, Herr Rudolf Ziegler, des Lamm- wirts Ziegler zweiter, ein wenig abenteuerluſtig an- gelegter Sohn, es ihr nach einer feurigen Beteuerung ſeiner unauslöſchlichen Liebe dort eintätowiert hatte. Das Blut flammte ihr in das friſche, ſüße Mädchen- geſicht, wenn ſie an dieſe dumme Kinderliebelei dachte, in die ſie unter einem ihr heute noch unerklärbar ſcheinenden, aus vieljähriger Kinderfreundſchaft ent- ſtandenen Drang und Zwang hineingeraten war. Rudolf Ziegler hatte ſo wundervoll erzählen können von fernen Ländern und ſeltſamen Erlebniſſen, in die ſein ſtolzer Seemannsberuf ihn geführt. Sturm und Wetter, Taifune und Tornados, gefährliche Sand- bänke und todverheißende Klippen hatte er geſchildert, und wie ihm bei all dem drohenden Unheil das tapfere Herz unverzagt in der von der Aquatorſonne gebräunten Heldenbruſt geſchlagen. Und als er an ihren brennen- den Augen, ihren halbgeöffneten, ſchier atemloſen Lippen gemerkt hatte, wie die Bewunderung in ihrem jungen Herzen für ſo viel kühne Männlichkeit höher und höher ſchwoll, war er wie ein richtiger Don Juan plötzlich ſentimental geworden. Das große Schweigen des endloſen Ozeans, die flimmernden Sternennächte, natürlich auch das ſo beliebte „Kreuz des Südens“ waren aufgetaucht, einſame Gefühle, Sehnſucht nach der Heimat, den deutſchen Wäldern und den deutſchen Auen hatten ſich ſtimmungsvoll darangereiht, und der tröſtliche Gedanke, daheim eine Seele zu wiſſen, die heimlich und verſchwiegen an den grübelnden See— fahrer da draußen denkt und ihm alle frommen Wünſche eines getreuen Herzens weiht, war als ein köſtlicher

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Talisman an dieſe feſſelnde Kette ſonſt ſchamhaft ver- hüllter Empfindungen gehängt worden.

Plötzlich hatte ſie zwei ſchöne, dicke, kriſtallhelle Tränen in den braunen Augen und einen brennenden Kuß auf ihren ſcheuen Kinderlippen gehabt, und der nichtsnutzige, langgewachſene Schlingel in der eigen- artigen und alle Backfiſche unfehlbar bezaubernden Kadettenuniform hatte ſie „ſeine Braut“ genannt und ihr einen ganz furchtbar klingenden Eid ewiger Treue geſchworen.

Na, und dann hatte er ſie eben tätowieren wollen.

Es ſei Seemannsbrauch, hatte er erklärt, ein ſchö— ner, geheiligter Gebrauch der Seeleute, den dieſe von den „Kindern der Prärie“, den Indianern, entlehnt hätten. Er binde feſter als jo ein dummer Verlobungs— ring, den man jederzeit in die Taſche ſtecken könne, und bleibe neugierigen Augen trotzdem verborgen. And als ſie ſich, doch ein wenig ängſtlich, gegen die „Punktation“ gewehrt hatte, weil ihr dieſe Art Nadelarbeit doch etwas ſehr empfindlich für den zu unterlegenden Stoff vorkommen wollte, hatte er mit verächtlicher Miene den Ärmel feiner blauen Zade hochgeſtreift und ihr das unauslöſchliche Verbindungs- zeichen auf dem eigenen Arm ſchon fix und fertig vor- gewieſen.

„Ja, du konnteſt aber doch gar nicht wiſſen, ob ich 00

„Ich fühlte, daß du mich liebteſt,⸗ war ſeine ſtolze Antwort geweſen. „Und da hab' ich mir dieſe Nacht, da ich doch nicht ſchlafen konnte, das Herz eingezeichnet.“

Natürlich hatte ſie nun nicht länger widerſtehen können. Nur allzu tief und auffällig war auf ihren Wunſch die Tätowierung nicht geworden, immerhin aber kräftig genug, daß man ſie nach drei Jahren noch

u Von Alwin Römer. 129

in unverwüſtlicher Friſche auf dem zarten Roſa ihrer ſamtweichen Haut leuchten ſehen konnte.

Das fatale blaue Herz hatte ſich länger gehalten als die Treue des flatterhaften künftigen Großadmirals, der zwar während feines Urlaubs noch manch be- zauberndes Strandidyll entworfen, in dem eine reiz- volle Villa am Kieler Hafen mit der ſehnſüchtig nach feinem Schiff auslugenden Lena darin den ſtimmungs- reichen Mittelpunkt gebildet, aber bald nach ſeiner Abreiſe hatte ſie zu ihrem niederſchmetternden Ent- ſetzen eines Tages die wortreiche Fehde zweier Schul- freundinnen mitanhören müſſen, die ſich um den längſt wieder auf den tüͤckiſchen Wellen ſchaukelnden Schwere- nöter geſtritten und im Verlauf des immer erregter werdenden Kampfes gegenſeitig die „unauslöſchliche“ Beſieglung ihres Herzensbündniſſes auf den haſtig ent- blößten linken Oberarmen vor Augen gebracht hatten.

Gleich in zwei Exemplaren hatte ſie das ſymboliſche blaue Herz erblicken müſſen mit den beiden Buchſtaben „R. L.“ darin. Denn die eine hatte Eliſabeth und die andere Luzie geheißen. Und es war ihr jäh und fchmerz- lich klar geworden, warum der Verräter damals auf „Lenchen“ beſtanden und ihren eigentlichen Namen „Helene“, der doch mit einem H begann, als „kalt und farblos“ abgewieſen hatte. Der Eliſabeth war es zweifellos ähnlich ergangen. Sie war ihm als „Lies- chen“ für ſeine nichtsnutzige Nadelarbeit natürlich paſſender geweſen.

Welch ein elender, haſſenswerter Betrüger war doch dieſer Rudolf! Ach, er hatte ſie manch bitteres Tränlein gekoſtet in den erſten Nächten, die dieſer tödlich beſchämenden Kataſtrophe gefolgt waren.

Aber ſo viel Kraft hatte fie doch zuſammenzuraffen vermocht, daß weder die beiden Mitbetrogenen noch

1910. IX. 9

150 Das blaue Herz. 2 irgend ein anderes menſchliches Weſen je auch nur eine Silbe von der ihr widerfahrenen Schmach er- fuhren.

Auf ein paar Anſichtspoſtkarten, die er mit Grüßen an ſie und die Eltern geſandt, war ſie ſelbſtverſtändlich ſtumm geblieben. Als er aber auf einen kurzen Veih- nachtsbeſuch wieder in der Stadt aufgetaucht und ihr dabei natürlich als der gekränkte und verratene Geliebte vorwurfsvoll in den Weg gelaufen war, hatte ſie ihn „Herr Ziegler“ und „Sie“ angeredet und ihn an „Eliſabeth“ und „Luzie“ verwieſen.

Das hatte ihm ſo die Rede verſchlagen, daß er mit einem ganz verblüfften Geſicht ſchleunigſt das Feld geräumt hatte, wahrſcheinlich von einem kräftigen innerlichen Fluch über die „Schwatzhaftigkeit der Weiber“ erfüllt.

Wie hatte ſie aufgeatmet, als ſie ihn, den Hoch- mütigen ſpielend, davonſchlendern ſah! Wie eine ſchwere Laſt war es ihr von der Seele gefallen, und ſie hatte die Mutter an jenem Abend fo heiß und ſtürmiſch um- halſt und geküßt wie ſeit vielen Monden nicht. Aber zu beichten hatte ſie ſich doch nicht getraut trotz manchen tapferen Anlaufs, den ihr bis in den Hals hinauf klopfendes kleines Herz nahm.

Dafür hatte fie ſich ſelbſt dann das Wort gegeben, ſich nie und nimmer wieder in eine ſolche Torheit verſtricken zu laſſen. Und das Wort hatte fie gehalten. Manch werbender Zünglingsblid hatte verſucht, ihre Sprödigkeit zu überwinden, manch ungewiſſe, nach einer kleinen Aufmunterung bangende Frage war in den Zwiſchenjahren an ihr Ohr gedrungen, allein ſie war ſich treu geblieben und hatte auch dem Treu- herzigſten und Brapften niemals auch nur den Schatten einer Vertraulichkeit gegönnt.

2 a Von Alwin Römer. 131

Und dabei war fie reifer und geſcheiter geworden und hätte wohl langſam auch zu lächeln gelernt über die blöde Backfiſcheſelei, in die ihr unerfahrenes, leicht- gläubiges und begeiſterungsſeliges Schulmãdelherz durch den flunkerfreudigen und eroberungsluſtigen Sugendgefährten damals geraten war, wenn nicht auf ihrem linken Arm wie ein geheimes Brand- mal der Schande das niederträchtig dauerhafte blaue Herz mit den beiden Buchſtaben „R. L.“ darin noch immer zu ſehen geweſen wäre.

In Lauſanne war es ihr nicht ſchwer geworden, es unberufenen Blicken zu verbergen. Die ernſte, beinahe klöſterlich ſtrenge Inſtitutstracht hatte das begünſtigt. Aber jetzt, da ſie wieder daheim war, bangte ſie wie ein ſchlecht verſteckter Sünder vor der jeden Augenblick möglichen Entdeckung.

Und nun kam gar dieſes alberne Jubiläumsfeſt der „Geſellſchaft der Freunde“! Und der widerwärtige Reſt Pongeeſeide von Lippmann & Grahl lauerte daneben wie ein heimtückiſcher Kobold, der ſich grinſend freute, das beſchämende Geheimnis endlich doch an den Tag bringen zu helfen.

Wahrhaftig, es war zum Weinen!

Und richtig, da waren ihr auch ſchon die Augen naß, und wie ſie jetzt, näher ans Fenſter tretend, das blaue Herz von neuem beſah, ſchien es ſich höhniſch verdoppelt und verdreifacht zu haben. Denn ein Un- heil, das man durch Tränen betrachtet, erſcheint immer viel ſchlimmer, als wenn man ihm mit klaren Augen und einem entſchloſſenen Herzen entgegenſieht.

Plötzlich überkam es ſie wie ein richtiger kleiner Ohnmachtsanfall. Es wurde ihr dunkel vor den Augen. Die bloßen Arme ſanken ihr kraftlos am Leibe nieder, und die Kniee begannen ihr zu ſchlottern.

132 Das blaue Herz. 2

Aus der ſtattlichen Lindenbaumkrone, ſchrägüber von ihrem Fenſter, hatte ſie ein Anruf getroffen.

„Lena Lena!“ war Konrads gedämpfte Stimme in mitleidiger Neugier herübergedrungen. „Worüber weinſt du denn? Und was haſt du denn da Blaues auf deinem Arme? Donnerſchlag, du biſt ja tätowiert!“

Es war, Gott ſei Dank, kaum halblaut aus ſei— nem Munde gekommen. Trotzdem hatte ſie, ſchnell ihre Schwäche überwindend, zu ihm hinübergewiſpert: „Schrei doch nicht fo entſetzlich, dummer Zunge!“

„Ach, das darf wohl keiner wiſſen?“ meinte er nichtswürdig. „Sieh doch an! Und dann noch ſchimpfen? Aber wart nur, jetzt geh' ich zur Mutter und erzähle ihr, weshalb du nicht in bloßen Armen auf das Feſt willſt! Die wird Augen machen!“

Sein Kombinationsvermögen hatte ſofort den Zu- ſammenhang ihrer Weigerung mit dem erſpähten blauen Mal auf ihrem Arme in Beziehungen ge— bracht.

„So iſt's recht! Geh ſchleunigſt klatſchen!“ forderte ihn die Schweſter ironiſch auf. „Und dann nimm nur auch gleich deine Tonpfeife mit, die du dir für Seifen- blaſen von Mama geſchnurrt haſt. Vielleicht riecht ſie, was für merkwürdige Seife du zu dieſem Spiel ver- wendeſt.“

Das knickte ihn ſichtlich. „Wieſo denn?“ fragte er unſicher.

„Ach, du denkſt wohl, ich merke nicht, wozu du Vaters Zigarrenabſchnitte ſammelſt? An den Frauen- verein lieferſt du ſie doch nicht ab!“

„So ſei doch nur ruhig!“ bettelte er. „Ich ſage ja auch nichts. Aber du mußt mich die Tätowierung genau beſehen laſſen. Darf ich jetzt gleich kommen?“

„Meinetwegen!“ ſeufzte fie. Es war doch eine

D Von Alwin Römer, 133

kleine Erleichterung, einen Mitwiſſer zu haben, der nichts verraten würde.

Hurtig kletterte der Schlingel aus der Lindenkrone, die ſein geheimes Rauchkabinett zu ſein ſchien, herunter und ſtand ein paar Minuten ſpäter vor Lenas Zimmer- tür, die ſich gleich nach ſeinem Klopfen mit zaghafter Vorſicht erſchloß.

„Das iſt ja ein Herz!“ flüſterte er bewundernd, nachdem ihm Lena den blauen Kummer ihrer Mädchen- jahre vor ſeine bewundernden Augen gehalten. „Du, das find' ich famos! Wer hat denn das gemacht?“

„Das das brauchſt du nicht zu wiſſen!“ wich ſie beklommen aus.

„Sag mir's doch!“ bettelte er.

Aber fie ſchüttelte verneinend den ſchönen blonden Kopf.

„Du haſt wohl einen Bräutigam in der Schweiz?“

„Darum nicht gar!“ fuhr fie auf.

„Warum tuſt du dann fo heimlich damit?“

„Ach Gott, Zunge, frag mich nicht fo gräßlich! Und verſprich mir heilig, Papa und Mama nichts zu ſagen davon!“

„Und wenn du anprobieren mußt?“

„Davor fürcht' ich mich ja gerade fo entſetzlich, Konrad! Wenn ich bloß ein Mittel wüßte —“

„Es wegzubringen?“ nahm er den angefangenen Satz auf. „Das gibt's nicht! Das mußt du behalten und wenn du hundert Jahre alt wirſt!“

Sie nickte bekümmert. „Ich fürchte es auch. Aber was fange ich nur an? Zch kann es doch Papa und Mama nicht ſehen laſſen! Ich müßte mich ja zu Tode ſchämen, wenn es an den Tag käme!“

„Alſo biſt du doch verlobt?“

„Dummer Zunge!“

134 Das blaue Herz. u

„Oder wenigſtens geweſen!“ ſagte er beſtimmt. And als ſie daraufhin ein jähes Erröten nicht ver- hindern konnte, ſtellte er mit der Überlegenheit eines erfahrenen Kriminaliſten feſt: „Na, ſiehſt du wohl, daß ich recht hatte! Mir kannſt du keinen Bären auf- binden. Kenne ich ihn denn?“

„Wen?“

„Stell dich doch nicht ſo an! Den, der dich täto- wiert hat.“

„Ja,“ bekannte ſie zögernd.

„Iſt es Wendſcheid?“

WVendſcheid war ein junger Referendar, der im Bureau des Zuſtizrates arbeitete und manchmal zum Eſſen eingeladen wurde.

„Was fällt dir ein!“ wehrte ſie erſchrocken ab. „Es iſt ja ſchon ſo lange her viel länger als du denkſt! ich war noch gar nicht in Penſion damals.“

„Dann iſt es Rolf Ziegler geweſen, der jetzt Fähn- rich zur See iſt,“ behauptete er ſofort.

Sie nickte ſtumm. Dann aber fragte fie doch er- ſtaunt: „Du meinſt Rudolf?“

Konrad jedoch ſchüttelte beſtimmt verneinend das kurzgeſchorene Knabenhaupt. „Er ſchreibt ſich jetzt Rolf,“ bemerkte er wichtig. „Ich hab' es ſelber ge- leſen auf einer Anſichtskarte, die ſein Vetter aus Spanien bekommen hat. Zch finde es auch viel netter. Es klingt zehnmal fo forſch als das lappige Rudolf,“

Er zog das „u“ in dem bekrittelten Namen abſicht- lich ſo lang, daß Helene davon an das Kuhgebrüll auf den Schweizer Almen erinnert wurde und ſich lachend die Ohren zuhielt.

„In ein paar Wochen kommt er wahrfcheinlich auf Ur- laub. Vielleicht auch ſchon früher. Der Stempel war zu verwiſcht auf der Marke,“ ſchwatzte der Zunge weiter.

1 Von Alwin Römer. 135

„Das iſt mir ſehr gleichgültig, Konrad.“

„Vertragt euch doch wieder!“ redete er ihr zu, da er eine verlockende Perſpektive darin zu erblicken ſchien, mit dem kühnen Seefahrer in recht nahe Be- ziehungen zu kommen.

„Red kein dummes Zeug, Junge!“ ſagte die Schweſter hart, und ein Zug heimlichen Haſſes lagerte ſich um ihre weichen Lippen, der dem Geſicht plötzlich etwas höchſt Charaktervolles gab. „Nicht das An- ſchauen iſt er mir noch wert, der Laffe!“

„Was hat er dir denn getan?“ erkundigte ſich das Brüderchen verwundert.

Aber Lena wurde einer weiteren Antwort vor- läufig überhoben, denn an der Tür ſchallte die Stimme der Mutter, die vergeblich den Drücker in Bewegung ſetzte, um zu öffnen.

Helene fuhr haſtig in die Armel der abgelegten Bluſe und bemühte ſich, ſie ſo eilig wie möglich zuzuneſteln, während Konrad auf einen Wink von ihr öffnete.

Das junge Mädchen ſpürte ihr Herz bis in den Hals hinauf pochen, als die Mutter in lächelnder Neu- gier fragte: „Warum hattet ihr euch denn eingeriegelt?“

Aber Konrad war anſcheinend liſtenreicher als der ſelige König von Ithaka, der alte Odyſſeus, obwohl er feiner vergötterten Mutter nur ungern ein X für ein U zu machen gewöhnt war. Doch hier galt es, das Vertrauen zu rechtfertigen, das ihm die Schweſter geſchenkt. Er durfte ſie um keinen Preis verraten, mußte ihr ſogar „mit Glanz“ aus der Klemme helfen.

„Lena hat mir die blauen Male gezeigt“ der Schweſter ſtand das Herz ſtill vor Schreck „die ich ihr vorhin in die Arme gekniffen habe,“ berichtete er gleichmütig und zuckte nicht einmal mit der Wimper dabei. „Aber ich ſage dir, es iſt faſt nichts mehr zu

156 Das blaue Herz. 0

ſehen davon. Mädchen find eben eine gräßlich zimper- liche Geſellſchaft! Nichts können ſie vertragen.“

„Du haſt auch Stellen, wo du ziemlich empfindlich biſt, lieber Konrad,“ entgegnete die Mutter ſcherzhaft, „ſonſt würdeſt du nicht ſolch einen Heidenlärm er- heben, wenn Papa einmal —“

„Ach, Mutti, verdirb mir doch meinen Sonntag nicht!“ unterbrach er ihre Anſpielung auf das väter- liche Erziehungsmittel.

„Na, ich ſchweige ja ſchon, junger Herr!“ lachte ſie.

Lena war inzwiſchen mit ihrer Toilette wieder in Ordnung gekommen, wagte aber kaum, wegen der ſoeben begangenen Verſchleierung, die Augen zur Mutter zu erheben.

„Marſch jetzt in den Garten, ihr Närrchen!“ ſagte die Mutter. „Die Stubenluft iſt euch beiden nicht gut, wenn ihr auch heute merkwürdigerweiſe beſonders friſch und rot ausſeht. Gewöhnlich ſeid ihr viel blaſſer.“

3.

Es war wenige Tage ſpäter, da telephonierte der Juſtizrat aus dem Gerichtsgebäude ziemlich aufgeregt nach feiner Wohnung: „Zeppelin kommt wahrſchein- lich in die Nähe mit ſeinem Luftſchiff. Macht, daß ihr hinauskommt auf den Ginſterberg. Von dort werdet ihr ihn jedenfalls am beſten beobachten können.“

Das wirkte wie ein Funke, der ins Pulverfaß fällt. Zwar war Konrad, der größte Enthuſiaſt des Hauſes, noch im Unterricht, aber Tilla und Helene waren nach dieſer Botſchaft in ihrer queckſilbernen Lebendigkeit für Frau Hedwig vollſtändig ausreichend, um nervös zu werden.

Selbſtverſtändlich ſollte ſie die dritte im Bunde ſein, und die Wallfahrt nach dem Ginſterberg ſofort

2 Von Alwin Römer. 137

angetreten werden. Aber ſie ſchüttelte lächelnd das ſilberig ſchimmernde Haupt.

„Ich ſteige in die Giebelkammer hinauf, wenn's ſo weit iſt,“ erklärte ſie. „Zeppelin in allen Ehren, aber gekocht muß dabei doch auch werden. Und unſerer Marianne, die eine ganze Mark damals für die Zep- pelinſpende geopfert hat, kann ich's nicht antun, ſie hier zu behalten, das nimmt ſie mir mehr übel, wie wenn ich ſie nicht zum Schützenfeſt laſſe.“

Lena zögerte einen Augenblick. Dann erbot ſie ſich mit einer reizvollen Selbſtüberwindung, anſtatt der Mutter in der Küche zu bleiben. Doch das wurde natürlich mit einem Dankeskuß abgelehnt.

Tilla trippelte währenddeſſen ſchon ungeduldig in der Stube herum. Ihr wäre es keinen Augenblick lang in den Sinn gekommen, ſich für eine Köchin zu opfern. Dieſe Kruſes waren wirklich manchmal ein bißchen komiſch.

Draußen auf den Straßen war inzwiſchen ein ganz fabelhaftes Treiben entſtanden. In großen Rudeln zogen die Bewohner der Stadt dem Tor zu, vor dem ſich die ſtattliche Anhöhe des Ginſterberges aus- breitete.

Die beiden jungen Mädchen gerieten in eine richtige kleine Völkerwanderung. Meiſter und Geſellen waren vom Werktiſch geeilt, ohne ſich Zeit zum Umkleiden gegönnt zu haben. In Schurzfell und Pantoffeln, zum Teil ſogar barhäuptig, trabten fie dahin, von Be- geiſterung durchzittert. Mütter mit ihrem Nachwuchs an der Hand liefen mit ihnen um die Wette. Dienſt- mädchen mit dem Marktkorb am Arme, bepackte Schuſter- jungen, Kindervolk, das noch nicht ſchulpflichtig war, alte Spitalfrauen und müde Greiſe an Krücken alles war unterwegs nach dem Ginſterberg, um das Wunder

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zu ſehen und wäre es auch nur ein fernes Strichlein droben unter den letzten weſtlichen Wolkenſtreifen.

Bald kamen auch die Schulklaſſen, die ſich unter Führung der Lehrer gleichfalls von dem Ereignis hatten hinauslocken laſſen. Wie blitzten die jungen Augen, wie lächelten die friſchen Geſichter erwartungs- voll! Es war eine einzige, alle Herzen gleich ſtark durchflutende Freude, nun endlich auch Zeuge von dem weltbewegenden Fortſchritt zu werden, von dem die Zeitungen berichteten, ein Gefühl voll lebendiger nationaler Kraft, das endlich einmal wieder imſtande geweſen war, alle Schranken ſozialer Abſonderung und politiſcher Feindſchaft zu durchbrechen und alle Geſellſchaftsſchichten in dem frohen Stolze zu ſammeln: ein Deutfcher iſt es, der das ſchier unerreichbar fchei- nende Ziel nunmehr erobert, das geheimnisvolle Problem, an deſſen Löſung Jahrtauſende gearbeitet haben, ſiegreich gelöſt hat!

Stramm im Schritt, gleich jungen Soldaten, zog das Gymnaſium durchs Tor.

Konrad verließ, als er Helene und Tilla ſah, ſofort die Marſchreihe und ſchloß ſich den beiden Mädchen an. „Profeſſor Oeicke, unſer Phyſiklehrer, führt uns. Der hat mir's erlaubt,“ verſicherte er auf eine beſorgte Frage Helenes. „Ich hab' ihn übrigens heute ge- fragt, ob es nicht doch ein Mittel gibt gegen —“

Helene wurde rot und ſah den Bruder verſtört an. Sie wollte nicht, daß Tilla erfuhr, was ihr das Herz bedrückte.

Konrad hielt denn auch einen Augenblick inne, ehe er feinen Satz zu Ende führte, denn Tilla Uppenkamp hatte nicht ohne wachſendes Intereſſe zugehört.

„Gegen was?“ forſchte ſie.

„Gegen Sommerſproſſen,“ ergänzte er kaltblütig.

2 Von Alwin Römer. 139

Helene bewunderte ihn dankbar, aber doch nicht ohne ein gewiſſes Grauen vor ſeiner unbedenklichen Schlagfertigkeit.

„Ach ſo!“ meinte Tilla achſelzuckend, denn ſie hatte mit dieſen Teintverunzierungen nichts zu ſchaffen und gönnte allen ihren Schweſtern, die ſich damit ſehen laſſen mußten, deren dauernden Beſitz.

Bald danach jedoch, als Tilla ſich angelegentlich mit der Durchmuſterung einer Gruppe junger Herren beſchäftigte, nahm Konrad ſein Schweſterlein auf die Seite und tuſchelte ihr zu: „Deide ſagt, er habe neu- lich irgendwo geleſen, daß Tätowierungen ſich jetzt entfernen ließen. Es ſcheine irgend ein Mittel zu geben. Er will einen Fachmann fragen, einen Chemiker —“

„Junge, du haſt doch nicht etwa geſagt, daß ich —“

„Na, für jo 'nen Schafskopf brauchſt du mich wahr- haftig nicht zu halten!“ bemerkte Konrad beleidigt. „Und jetzt mach, daß wir weiterkommen!“

Tilla hatte inzwiſchen alte Beziehungen oberfläch- licher Art wieder angeknüpft und ließ ihrer Schönheit von Referendaren, jungen Arzten und anderen in Frage kommenden Heiratskandidaten mit Genuß hul- digen. Es befriedigte ſie ungemein, daß trotz der Zeppelinbegeiſterung ſich der Schwarm in ihren Bann- kreis locken ließ. |

Helene hielt ſich, wenig erbaut von dem Gaukel- ſpiel ihrer Hausgenoſſin, abſeits. Aber es dauerte nicht allzulange, da flogen auch Fragen zu ihr hin, und wenn ſie nicht unartig ſein wollte, mußte ſie es ſich gefallen laſſen, mit in den Kreis einbezogen zu werden, der natürlich auch ihrer ſchlichten Anmut und Lieblich keit ſeine mehr oder weniger deutlichen Komplimente nicht verſagte.

Plötzlich ging eine allgemeine Bewegung durch die

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Gruppen. Irgend einer hatte es hervorgeſtoßen: „Da da drüben das iſt er! Hurra, Zeppelin!“

Wie eine von einem jähen Orkanſtoß erzeugte und vorwärts gepeitſchte Welle hatte der Ruf ſich fort- gepflanzt und brauſte nun über den Berghang fort bis hinunter zu den grünenden Feldern, hinein in die Stadt und deren Straßen, über die flachen Dächer hin, die dicht beſetzt waren, und über hochkronige Park- bäume und altes, zum Auslug wundervoll geeignetes Mauerwerk fort.

„Er kommt er kommt! Hurra Zeppelin!“ ſchallte es aus tauſend Fenſtern. Der Schuſterbub warf ſeine Reitſtiefel, von wilder Begeiſterung gepackt, hoch in die Lüfte. Die Gymnaſiaſten ließen ihre bunten Mützen emporfliegen, daß es ein paar Sekunden hinter- her ausſah, als regne es Pennälerdeckel. Ein wackerer Hufſchmied, der bei Weißenburg und Sedan mitge- kämpft hatte, fuhr ſich mit der rußigen Hand über die Augen, was nicht gerade zur Verſchönerung ſeiner ſchon etwas riſſig gewordenen Faſſade beitrug, und ſtimmte dann, um ſeine Rührung darin zu erwürgen, mit einem etwas holperigen Baß die „Wacht am Rhein“ an. Und unter dem Klang der tauſend und mehr Stimmen, die in das alte Kampf- und Trutz- lied des großen Krieges einfielen, zog das ſtolze Luft- ſchiff des genialen ſchwäbiſchen Grafen näher und näher. Erſt war es nur wie ein mageres Strichelchen im fernen Weſten zwiſchen leichtem Gewölk zu erblicken geweſen. Aber raſch war es näher gekommen und ge- wachſen. Man ſah jetzt deutlich die langgeſtreckte Zylinderform mit den Zuſpitzungen an beiden Enden, man unterſchied die Gondeln, und mit Feldſtechern bewaffnete Augen vermochten ſogar die Perſonen darin ſchon zu erkennen. Das Aluminiumgeſtänge

fi Von Alwin Römer. 141

blitzte in der Sonne auf, wenn das Fahrzeug einen ſeiner eleganten Bogen mit ſpielender Leichtigkeit in der Luft beſchrieb.

Immer geringer wurde die Entfernung. Nun ſtieg es auch aus feiner Atherhöhe in tiefere Regionen her- unter und neigte die Spitze zum Gruß gegen den Ginſterberg und die dahinterliegende Stadt. Scharfe Augen bemerkten, wie jemand in der vorderen Gondel eine weiße Mütze ſchwenkte, und ergriffene Stimmen verkündeten es: „Das iſt er! Er hat uns gegrüßt! Zeppelin hat uns gegrüßt! Hoch Zeppelin!“

Aber der kühne Luftſegler wollte weiter. Mit einer kurzen Schwenkung nahm er Abſchied von der andächtigen Menge und verfolgte ſeine urſprüngliche Bahn wieder.

Unter dem Mützen und Tücherſchwenken und den jauchzenden Abſchiedsrufen bildete ſich jetzt eine wahre Lawine von nachſtürmenden Menſchen.

Niemand achtete auf die Hinderniſſe des Bodens, niemand auf feinen Nachbar. Die Parole hieß: Vor- wärts! And die fixeſten der Buben gaben den Wett- lauf erſt auf, als der Wundervogel ſchon wieder wie ein leichter feiner Strich gegen Süden zu am Horizont verſchwand.

Unter den bei der Hetze zu Fall Gekommenen be- fand ſich auch Konrad, der eine ganze Weile im Heide- kraut liegen blieb und mit erhobenem Haupte dem Wolkenflüchtling ſehnſüchtig nachſchaute, bis er ſich von zwei ſtarken Armen plötzlich emporgehoben fühlte, und eine beſorgte Stimme ihn fragte: „Haft du dir weh getan, Kleiner?“

Die Bezeichnung „Kleiner“ war eigentlich rieſig nie- derdrückend, aber er hatte in dieſem hiſtoriſch wunder- vollen Lebensmoment nicht die geringſte Empfindlich-

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keit dafür. Schnell ſprang er auf beide Füße und ſagte lachend, während fein Blick den „Zeppelin“ nicht ver- ließ: „Keine Spur!“

„Iſt das dein ganzer Dank für die Hilfe, die dir der Herr Doktor geleiſtet hat, Kruſe?“ ſchallte darauf eine zweite Stimme laut.

Alle Wetter, das war doch Deicke, der Phyſik- profeſſor, der da in ſeiner ſpöttiſchen Art gefragt hatte? Richtig, fein Ohr hatte ihn nicht getäuſcht. Und mit rotem Kopf wandte er ſich jetzt ſofort herum und ſtotterte mit einer artigen Verbeugung gegen den Fremden, der ſich ſoeben um ihn bemüht hatte: „Ent- ſchuldigen Sie, Herr Doktor, vielen Dank auch, daß Sie ſo gut waren —“

„O, bitte, keine Urſache, es war gern geſchehen, junger Mann!“ ſagte der Helfer lachend und ſchlug ihm auf die Schulter.

Konrad fand das überaus nett. Überhaupt gefiel ihm die Erſcheinung des Mannes ausnehmend, er wußte ſelbſt nicht, warum. Waren es die fcharfen, klugen und zugleich ſo fröhlich lächelnden Augen oder die kameradſchaftliche Art, in der er ihn behandelt hatte? Auch der etwas fremdartig klingende Dialekt ſchlich ſich ihm leiſe ins Herz.

„den Herrn kannſt du übrigens wegen deiner Tätowierprobleme gleich ſelber fragen, Kruſe. Er iſt Chemiker,“ forderte ihn Profeſſor Oeicke ermunternd auf.

„Nun, was haſt du denn nach dieſer Richtung für Pläne?“ erkundigte ſich der andere. „Willſt du dich vielleicht zum Indianerhäuptling präparieren?“

„Nein,“ erklärte Konrad haſtig, denn er ſah Tilla mit Helene durch das Heidekraut daherkommen. „Ich wollte nur wiſſen, ob es ein Mittel gibt, Tätowierungen wieder fortzubringen?“

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„Ah, du haſt dich alſo ſchon bemalen laſſen? Na, zeig mal her! Sch will dir gleich ſagen, ob da was zu machen iſt oder nicht.“

Konrad ſchüttelte den Kopf und ſah beſorgt zu den näherkommenden Mädchen hinüber.

„Ich bin ja gar nicht tätowiert, Herr Doktor,“ flüſterte er beklommen. „Es iſt jemand anders, für den ich es wiſſen möchte. Sagen Sie mir nur das Mittel, damit ich

„Das iſt nicht ſo einfach, wie du dir das denkſt. Ich muß die Geſchichte erſt ſehen, ehe ich ſagen kann, ob's Zweck hat oder nicht. Um wen handelt es ſich denn?“

„O bitte, Herr Doktor,“ bat der Junge jetzt wiſpernd, denn die beiden Mädchen wurden ſoeben ſchon von Profeſſor Oeicke begrüßt, „reden Sie jetzt nicht weiter davon. Fräulein Uppenkamp braucht nichts davon zu erfahren.“

„Fräulein Appenkamp?“ fragte aufhorchend der Chemiker und wandte ſich intereſſiert um, wobei er ſogleich artig den Hut lüftete. „Woher kennſt du denn Fräulein Uppenkamp?“

„Sie wohnt doch bei uns.“

„Schau, da biſt du alſo ein Sohn vom Zuſtizrat Kruſe?“

Konrad nickte nur noch. Er brannte darauf, das Geſpräch vorläufig abzubrechen.

„So ſo,“ brummte der Doktor und ein eigen- tümliches Lächeln flog über ſein offenes männliches Geſicht. „Das iſt ja niedlich!“

„Darf ich die Herrſchaften bekannt machen?“ fragte mit etwas ſteifer Oberlehrerhöflichkeit der Phnfit- profeſſor. „Herr Doktor —“

„O, wir find uns durchaus nicht fremd, Herr Pro- feſſor,“ fiel ihm Tilla Uppentamp liebenswürdig ins

144 Das blaue Herz. 2

Wort und ſtreckte dem Chemiker vertraut die Rechte entgegen. „Es geht Ihnen gut, wie ich zu meinem freudigen Erſtaunen bemerke? Ihr Fuß ſcheint ſich ja vollkommen wieder beſonnen zu haben!“

„Nach einer gründlichen Kur in Wiesbaden hat er das Lahmen endgültig aufgegeben, gnädiges Fräu- lein,“ entgegnete er lächelnd. „Sie haben mich da- mals, wie es ſcheint, für einen unrettbaren Hinkefuß gehalten?“

„Na, ſchlimm genug ſah's aus!“

Deicke machte ein verwundertes Geſicht.

„Ihr Freund war vor zwei Wintern jo unvor- ſichtig, einen entgleiſenden Rodelſchlitten auf die richtige Bahn zurückzuſtoßen. Das hätte ihm beinahe den Fuß gekoſtet,“ erläuterte Tilla. „Es war eine große Dummheit!“ fügte fie mit ſchalkhaft drohendem Zeige- finger hinzu. „Habe ich recht oder nicht?“

„Es kommt alles auf die Auffaſſung an,“ erwiderte gelaſſen der Chemiker. „Venn Sie ſelbſt auf dem böſen Schlitten geſeſſen hätten und ſich vielleicht ein Bein hätten brechen können, würden Sie ſicherlich anders geurteilt haben.“

Tilla zog ein Mäulchen, was ihr ſehr gut zu Geſicht ſtand. „Wenn!“ ſagte ſie dann achſelzuckend.

Dieſer junge Herr, der einſtmals zu dem ſchmach-⸗ tenden Troß ihrer ernſthafteſten Verehrer gehört hatte, war anſcheinend nicht ganz mehr ſo bezaubert von ihrer ſieghaften Schönheit als ehemals. Daß fie ihn nach ſeinem Schmerzenslager, als er lahmend wieder vor ihre kritiſchen Augen getreten war, nicht gerade zum beſten behandelt hatte, ſchien ihrem glücklichen Gedächtnis entfallen zu ſein. Mit einer Frage nach den Zeppelinſchen Steuerkonſtruktionen wandte ſie ſich an den Profeſſor, der ihr auch ſogleich eine eingehende

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Klarlegung vermitteln wollte und, an ihrer Seite den Rückweg antretend, von allerlei Hebelwerk zu berichten anhob. Es langweilte ſie innerlich von Herzen; aber ſie ertrug es, um den Ungetreuen hinter ſich damit zu ſtrafen. |

Helene, die den Namen des Doktors noch immer nicht vernommen hatte, war alsbald mit einem Lächeln leiſer Verlegenheit auf ihn zugetreten. Sein prüfender Blick überflog mit einem aufleuchtenden Wohlgefallen die jugendliche Grazie ihrer Geſtalt und blieb eine Weile wie gebannt an dem feinlinigen, kinderreinen Antlitz hängen. Erſt als ſie die Augen zu den ſeinen aufſchlug, beherrſchte er feine aufwallende Empfin- dung und faßte, ſeine plötzliche Befangenheit dahinter verſteckend, Konrad vertraulich um die Schulter.

„Sie haben vorhin auch meinem Bruder geholfen. Sch ſah es von drüben, als Sie ihn aufrichteten. Laſſen Sie ſich herzlich Dank dafür ſagen, und glauben Sie, daß ich etwas anders —“

Sie zögerte, den angefangenen Satz zu vollenden. Es war ihr nicht ganz ſicher, ob ſie in der Beurteilung ſeines Schlittenabenteuers ihm gegenüber nicht zu warm wurde.

„Erwähnen Sie den luſtigen Zwiſchenfall lieber gar nicht, gnädiges Fräulein!“ ſetzte er ein. Es hatte ihm einen kleinen Stich gegeben, als er aus den Worten des ſchönen Kindes entnehmen mußte, daß fie Kon- rads Schweſter und folglich die Tochter des ihm nicht gerade wohlwollenden Zuſtizrats Kruſe ſei. „Ihr für Zeppelin entflammter Bruder wollte in der Lage ja nur ſeine Ehrerbietung vor dem Eroberer der Lüfte ausdrücken. Es war demnach mehr Störung als Hilfe, um die es ſich handelte. Iſt es nicht ſo, junger Freund?“

„Nein, ich war richtig hingefallen,“ bekannte Konrad

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nobel. „Aber ich wär' auch ganz allein wieder hoch- gekommen.“

„Sie ſehen, gnädiges Fräulein, wie überflüſſig meine Bemühungen geweſen ſind,“ ſcherzte er. „Hoffentlich habe ich in der anderen Sache mehr Glück bei dir, lieber Konrad!“

Er hatte den Zuſatz in drolliger Wichtigkeit und mit Rückſicht auf das voranwandelnde Paar im Flüfter- tone geſprochen.

Konrad ſah trotzdem ziemlich betreten drein und machte eine abwehrende Bewegung.

„Darf es deine Schweſter etwa auch nicht wiſſen?“ erkundigte ſich der Doktor, den Bedenklichen ſpielend.

„O doch!“ rief der Zunge, „Das heißt —“

„Über was flüftern Sie denn da, wenn man fragen darf?“ forſchte Helene ahnungslos und ſah die beiden erwartungsvoll an.

„Er hat mich um ein Mittel, Tätowierungen zu beſeitigen, gebeten,“ klärte der Doktor fie halblaut auf. „Aber er will es für jemand anders und ich muß dieſen Jemand leider erſt in Augenſchein nehmen, ehe ich irgend etwas dazu tun kann.“

Helene war blutrot geworden vor grauſamer Ver- legenheit, während Konrad einen ziemlich unglaub- würdigen Huſtenanfall bekam.

„Er muß mir das blaue Wunder alſo erſt einmal zur Begutachtung vorführen,“ fuhr der Doktor harm- los fort. Dann aber traf ſein Blick das flammend rote, von grenzenloſer Verwirrung überhauchte Antlitz jei- ner Wegnachbarin, und im gleichen Augenblick auch durchblitzte ihn der Gedanke: Sie ſelbſt iſt es, für die das Bürſchchen nach jenem Mittel fragte!

Nicht gerade überzeugend ſuchte er e ein- zulenken. e käme es auch auf einen Verſuch

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an, ohne daß ich Man müßte natürlich recht vor- ſichtig zu Werke gehen und —“

Er geriet ins Stottern und wurde ſelber rot.

Helene faßte ſich gewaltſam. „Wenn Sie wirklich ein Mittel beſitzen, das zu helfen imſtande iſt, ſo würden Sie mich ſehr glücklich machen, Herr Doktor. Zch ſelbſt bin es, für die Konrad gefragt hat. Sie haben es an meiner Verlegenheit vorhin wohl ſchon bemerkt.“

„O, mein gnädiges Fräulein, es lag mir fern, mich in ein Geheimnis zu drängen. Aber glauben Sie mir, ich werde es bewahren, als wäre es mein eigenes,“ verſicherte er warm.

„Ich zweifle nicht daran, Herr Doktor,“ dankte ſie ihm mit einem reizenden Lächeln, das ihn ſehr beglückte.

„Und es wird mir eine große Freude ſein, Ihnen zu helfen. Wenn ich nur wüßte —“ Er ſtockte einen Moment lang, ehe er ſeinem Bedenken Ausdruck gab. „Ihr Herr Vater iſt nämlich vorderhand nicht eben gut auf mich zu ſprechen. Ich kann alſo nicht zu Ihnen ins Haus kommen.“

„O, das möcht' ich auch nicht,“ unterbrach ſie ihn ängſtlich. „Meine Eltern dürfen es nie erfahren. Aber was haben Sie denn mit Papa gehabt? Sind Sie etwa der Doktor von der Zuckerfabrik, der den Streit um den Bordeauxwein im ‚Lamm‘ angefangen hat?“

„Ganz recht. Der bin ich Doktor Karſtenſen,“ beſtätigte mit einer komiſchen Wehmut in Blick und Stimme der Chemiker.

„Mein Gott, dann iſt's ſchlimm,“ ftammelte Lena betreten, denn ſie dachte an den Grimm ihres Vaters gegen dieſen Herrn da, und daß er außer ſich geraten würde, wenn er erführe, wie ſchnell ſich ſeine eigenen

148 Das blaue Herz. D

ung

Kinder mit ihm angefreundet hatten, wenn auch ohne feinen Namen gekannt zu haben.

„Nun wollen Sie natürlich gar nichts mehr von mir wiſſen?“ ſagte der Doktor, ihren Gedankengang ahnend.

„Doch, das Mittel müſſen Sie uns ſagen,“ miſchte ſich ebenſo treuherzig wie energiſch Konrad ein.

„Aber Konrad!“ rief Helene erſchrocken über die Dreiſtigkeit des entſchieden auf das Praktiſche ge- richteten Zungen. ö

Doktor Karſtenſen lachte vergnügt. „Na, ſelbſt⸗ verſtändlich, kluger Anwalt,“ ſagte er launig. „Wenn deine liebe Schweſter nur ein bißchen Vertrauen zu mir hat, werden wir ſchon einen Weg finden, ihr zu helfen. Ich bin für fie zu jeder Zeit und Stunde zu haben.“

Helene atmete auf. Und doch war ihr ſo beklommen zumute wie lange nicht. War es ein Anrecht, dem fie da zuſteuerte? War es keines? Ach Gott, wenn die blinde, blöde Angſt vor der ſchrecklichen Beichte nur nicht geweſen wäre! „Was mögen Sie von mir denken, Herr Doktor!“ murmelte ſie zaghaft.

„Nichts, was Sie kränken könnte, gnädiges Fräu- lein!“ beteuerte er ernſthaft. „Aber nun beſtimmen Sie ſelbſt: wollen Sie einen Verſuch machen, ohne mir die Stelle zu zeigen? Sie riskieren dabei nichts als einen kleinen Hautausſchlag, wenn das Mittel nicht helfen ſollte. Und ich gebe Ihnen dann ein anderes.“

„Wenn es mir wirklich nützen ſoll, muß ich in acht Tagen davon befreit fein,“ erklärte fie, ſich energiſch zuſammenraffend.

„Dann allerdings! Beſtimmen Sie, wo ich Sie treffen kann vielleicht im Hauſe einer Freundin oder —“

1 Von Alwin Römer. 149

„Es darf kein Menſch auch nur eine Ahnung davon haben!“

„So bleibt nur eines, und ich bitte im voraus um Verzeihung, wenn der Vorſchlag Sie verletzen ſollte: Sie kommen mit Ihrem Bruder zuſammen in mein Laboratorium. An der Parkmauer hinten bei der Zuckerfabrik iſt eine ſelten benützte Seitenpforte, durch die Sie unbemerkt hereingelangen können. Sie brauchen nur die Zeit zu beſtimmen, und ich ſtehe auf Poſten wie ein Potsdamer Grenadier, der den Kaiſer er- wartet. Iſt es Ihnen recht?“ |

Er hatte es im Tone ſanften Zuredens geſprochen, und doch hatte durch ſeine Stimme eine herb verhaltene heimliche Freude dabei gebebt. Denn das ſüße Ge- ſchöpf an ſeiner Seite weckte allerlei Träume in ihm. Sie war ſo ganz anders als die Mehrzahl ihrer Ge— ſchlechtsgenoſſinnen. Ein Hauch reizender Mädchen- friſche lag über ihrem Weſen, und der Widerſpruch, in den ihre Wahrheitsliebe mit der Scheu vor den vielleicht ein wenig zu ſtreng urteilenden Eltern ge- raten war, bewies ihm nur, daß ſie nichts weniger als oberflächlich ſei.

Ob fie ihm vertrauen, feinen etwas kühnen Vor- ſchlag annehmen würde? Er brannte darauf, ihre Entſcheidung zu vernehmen, und wagte doch nicht, feinen Worten von vorhin noch irgend etwas hinzu- zufügen.

„Wann biſt du frei heute nachmittag, Konrad?“ fragte ſie da endlich nach langem bekümmerten Sinnen.

„Um vier!“ erklärte Konrad unternehmungsluſtig.

„So erwarten Sie uns denn um fünf, Herr Doktor,“ beſchied ſie Karſtenſen mit einem ſchönen offenen Blick ihrer großen braunen Augen, aus denen ſo viel holde Kindlichkeit ſtrahlte.

150 Das blaue Herz. 2

Er griff nach ihrer herabhängenden Rechten und drückte fie herzhaft, wie man fie einem guten Kame- raden in einem Augenblick überwallender Freude drückt. „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Fräu- lein Kruſe,“ ſagte er bewegt.

4.

Konſul Dobenſchütz kam mit einer offenſichtlichen Freude und Genugtuung die Kellertreppe herab, die in die mächtigen Lagerräume der alten, bewährten Weinfirma führte. Zn feiner Rechten glänzte ein weißer Bogen Papier durch das Halbdunkel des langen, von rieſigen Fäſſern und ſchnurgerade aufgeſtapelten Flaſchenregimentern flankierten Ganges, der ſich nach der Endwand hin zu verengern ſchien wie eine ſchöne alte Lindenallee in einem verlaſſenen Schloßparke.

„Dannehl Dannehl!“ rief er den leeren Gang hinunter, über den die Faßkoloſſe ſeltſam geformte Schatten warfen. Seine Hand ſchwenkte den weißen Bogen wie eine Siegesfahne.

„Der Vater zieht drüben Moſel ab, Herr Konſul,“ ſagte, aus einem Seitengange kommend, ein ver- wachſenes Bürſchchen mit einem alten, faltigen Ge- ſicht, aus dem die grauen Augen wie ein paar Schein werfer zu funkeln ſchienen.

„So hol ihn her, Adolf!“

„Wie der Herr Konſul befehlen,“ erklärte der Ver- wachſene unterwürfig und ſprang in wahren Heu- ſchreckenſätzen davon, immer über die Faßſchatten fort, als ſchüttle ſeinen kleinen mageren Körper eine geheime Furcht vor den hölzernen Rieſen und dem, was von ihnen ausging. |

Bald danach ſchlurfte Dannehl, der ſich mit feiner

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ſchönen rubinroten Berufsnaſe den Weg ſelber zu er- hellen ſchien, den Gang herauf.

„Der Herr Konſul bemühen ſich ſelbſt?“ rief er voll treuherziger Freude. „Das iſt ja ſeit hundert Jahren nicht dageweſen!“

Das alte brave Inventar durfte ſich eine ſolche ſcherzhafte Übertreibung ſchon erlauben.

„Ja, Dannehl. Sch wollte Ihnen die gute Bot- ſchaft perſönlich überbringen. Das Berliner Gut— achten iſt ſoeben eingetroffen. Der von der Gerichts- behörde in allen derartigen Fällen zugezogene Che— miker hat unſeren Chäteau Beaupuy unterſucht. Das Reſultat iſt ſelbſtverſtändlich glänzend: vornehmer, reiner Naturwein ohne jede Spur von Beimiſchungen! Der Kerl wird Augen machen, wenn wir beim Termin damit herausrücken was?“

„Mehr brauchen wir nicht, Herr Konſul. Das ſchlägt den Klugſchnacker einfach zu Boden. Und alle Leute müſſen's ſehen, daß es keinen Schwindel gibt bei uns,“ entgegnete der Alte, in deſſen leiſe ver- ſchwommenen Auglein manchmal ein Blick aufblitzte, der von einer guten und augenblicklich ſehr mobilen Beobachtungsgabe zeugte. „Wie wär's, wenn wir das Gutachten gleich morgen im ‚Anzeiger‘ losließen? Ich glaube, der Lammwirt käme ſofort und bäte um gut Wetter. Und der alberne Termin brauchte gar nicht erſt abgehalten zu werden.“

„Nichts da, Dannehl. Ihr gutes Herz geht da wieder einmal mit Ihnen durch. Den Termin müſſen wir haben. Das gehört dazu. Und die Koſten gönn' ich dem alten Eſel, dem Ziegler, auch, die Blamage nicht zu vergeſſen, die der neunmalkluge Stänker, der Karſtenſen, dabei einheimſt.“

„Ich fürchte nur —“ begann Dannehl wieder,

152 Das blaue Herz. 2

ſtockte aber ſofort und wandte ſich mit einem kritiſchen Seufzer ab.

„Was fürchten Sie, Dannehl?“

„Ach Gott, das wird dem Herrn Konſul recht gleich- gültig ſein.“

„Unſinn! Heraus mit der Sprache! Was fürchten Sie, Dannehl?“

„Ich fürchte, daß mich der Richter nach den Vor- ſtrafen fragt und mich vor meinen eigenen Bengels blamiert.“

„Vorſtrafen? Nanu?“

„Ja, ich bin auch einmal jung geweſen, Herr Konſul. Und ein bißchen wild erſt recht. Zumal wenn ich mich an eine hübſche Dirne gemacht hatte und ein anderer wollte mir da ins Gehege. Da hat's ein paarmal mordsmäßige Senge geſetzt. Denn in ſolchen Sachen verſtand ich wenig Spaß. Na, und da hab' ich mir den Himmel doch dreimal durch die ſchwediſchen Gardinen anſchauen dürfen, einmal in Mainz und zweimal in Würzburg, wo mir die Studenten mein Mädel abhalftern wollten. Das weiß aber meine Frau nicht einmal und nun ſollen's gar die Lümmel, die Buben, erfahren!“

„Hm ==

„Darum mein’ ich: wenn wir's verhindern könnten, für mich wär's ein Segen. Solange das Gutachten nicht da war, hab' ich das Maul darüber gehalten. Erſt kommt immer die Firma, und ich hernach noch lange nicht. Aber jetzt, wo's ſo hell und klar iſt wie die Maiſonne —“

Dobenſchütz kratzte ſich hinter den Ohren. „Werde mal mit dem Zuſtizrat reden, Dannehl,“ bemerkte er endlich. „Ich hoffe, der wird den Vorſitzenden ſchon veranlaſſen, die alten Geſchichten nicht aufzurühren.

1 | Von Alwin Römer. 153

Habe übrigens gar nicht vermutet, daß Sie mal ſo 'n toller Burſch geweſen ſind, alter Freund.“

Er ſchlug ihm lachend auf die Schulter, dabei von der eigenen bunten Jugend gegrüßt, die zwar nichts mit ſchwediſchen Gardinen, wohl aber mit manchem ausgleichenden Sümmlein als Abfindung und Schmer- zensgeld ihre liebe Not gehabt hatte.

Dannehl zuckte die Achſeln. Über ſein biederes Geſicht glitt ein Ausdruck deutlichen Verdruſſes. „Und der Anwalt des Lammwirts und des anderen?“ meinte er beharrlich. „Die können ebenſogut danach fragen.“

„Allerdings wohl. Aber —“

„Ich bin dann ſo gut wie fertig hier, Herr Konſul.“

„Ach, dummes Zeug, Alter! Aber gut, ich will's mit Kruſe überlegen. Vielleicht machen wir's doch mit der Zeitung und begnügen uns mit der Be- ſchämung, die der verbohrte Kerl, der Ziegler, davon hat.“

„Das würde mich herzlich freuen, Herr Konſul,“ rief der Kellermeiſter und machte ſein treuherzigſtes Geſicht dazu. „Vielen Dank auch!“

Als Dobenſchütz den Keller endlich verlaſſen hatte, tauchte Adolf, der verwachſene Alteſte des beküm- merten Küfers, wieder auf.

„Wir kommen mit einem blauen Auge davon, Vater!“ kicherte er hämiſch. „Der Doktor Karſtenſen hat mehr Glück wie Verſtand! Oder meinſt du doch, daß Wilhelm ihn ſich kaufen ſoll?“

„Wenn kein Termin ſtattfindet, können wir ihn ruhig laufen laſſen. Dann kann er uns ja nichts mehr ſchaden. Außerdem, du Plänemacher, hätte uns das doch ſauer aufſtoßen können, wenn Wilhelm erwiſcht „worden wäre.“

„Gar nicht, Vater. Vas iſt dabei, wenn ein braver

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Sohn den Kerl vertobakt, der feinen alten Vater zum Schwindler und Panſcher ſtempeln will? Hihihi!“

„Schafskopf, ſchrei nicht ſo! Sei froh, wenn alles glatt abläuft! Wenn's nach mir gegangen wäre, hätten wir gerade dieſen Beaupuy ungeſchoren ge- laſſen. Es war genug mit dem Margaux. Aber du kannſt den Hals ja nie voll kriegen!“

„Dem Kloſtermüller lag aber gerade an Beaupuy,“ ziſchelte der Verwachſene mit einem böſen Blick. „Und hundert Mark ſind doch kein Pappenſtiel!“

„Der Gauner hat viel größeren Profit dabei als wir!“ murrte der Alte. „Vorläufig ſoll er mir übrigens vom Leibe bleiben. Noll das Faß Heidelbeerwein hinter zu den leeren Fäſſern.“

„And der Aßmannshäuſer, der heute nachmit- tag .

„Laß mich in Ruhe! Der faule Kram muß für eine Weile aufhören!“

„Du biſt komiſch, Vater. Morgen abend holt der Kloſtermüller den Reſt Rauentaler mit den aus- rangierten Oxhoftfäſſern zuſammen. Zch habe ſchon alles an die Hintertreppe geſchafft. Warum ſoll er nicht gleich zwanzig Flaſchen Aßmannshäuſer mit- marſchieren laſſen?“

„Weil ich nicht will!“ ſchrie ihn der Alte wütend an.

„Nun fängſt du ſelber an, Hallo zu machen.“

„Weil du frech wirft, Burſche!“ knurrte der Keller- meiſter, die Stimme wieder dämpfend. „Du haſt mich überhaupt in die ganze elende Schwindelgeſchichte hineingeritten! Früher —“

„Früher haſt du bloß mit Waſſer gepanſcht und den Uberſchuß durch die eigene Kehle gejagt,“ unter- brach ihn der andere. „Jetzt haben wir wenigſtens einen reellen Vorteil von deiner Kunſt.“

um

U Von Alwin Römer. | 155

„Bengel, ich ſchlage dir das Maul kurz und klein!“ knirſchte ingrimmig der Alte.

„Beſorg das lieber dem klugen Doktor Karſtenſen,“ ziſchte der Knirps zurück, der unwillkürlich hinter eines der Rieſenfäſſer geſchlüpft war. „Wenn du's nicht willſt mit dem Aßmannshäuſer auch gut!“

„Nein, diesmal nicht!“ entſchied Dannehl. „Es muß erſt wieder alles ruhig werden. And ich will zu- frieden ſein, wenn ſich die Geſchichte glatt erledigt.“

„Ich hatte auch noch einen anderen Plan,“ fing Adolf, der wieder hervorgekommen war, von neuem an. „Wilhelm hätt's gar nicht zu fein brauchen. Zieg— lers Rudolf, der eingebildete Laffe, iſt wieder da. Wie ein angeputzter Affe läuft er herum. Den hätte ich ſcharf gemacht mit Weibergeſchichten. Er war mal in eine verſchoſſen, die Karſtenſen ſich wohl angeln möchte, obgleich er da die Finger davon laſſen ſollte. Ich habe ſo meine Beobachtungen gemacht und möcht's dem Zuſtizrat am liebſten ſtecken. Aber —“

„Will dieſer Lumpenkerl, der Karſtenſen, etwa die kleine Lena?“

„Ja, das will er!“ ziſchelte der Krüppel leiden- ſchaftlich und krampfte die geſpreizten Finger ſeiner Rechten gegen die flache Bruſt. „And paß auf, wenn der Termin im Sande verläuft —“

„Was du dir denkſt, Zunge! Dem gibt fie der Juſtizrat ganz gewiß nicht,“ beruhigte ihn der Alte, der ſofort wußte, daß ſein unglücklicher Alteſter wieder einmal von einer brennenden Neigung gepackt worden war und die ſchlimmen Qualen zweckloſer Eiferſucht litt, ein bitteres Spiel ſeiner liebehungrigen Phantaſie, das ſich alljährlich ein paarmal an ewig wechſelnden Objekten zu wiederholen pflegte.

156 Das blaue Herz. D

Der Zuftizrat war von den friedfertigen Abſichten feines vieljährigen Klienten und Freundes überaus angenehm berührt. An der Hand der Berliner Analyſe ſchien es ihm ſelbſtverſtändlich, nicht nur den Lamm—- wirt von der Erfolgloſigkeit ſeiner Entſchädigungsklage zu überzeugen, ſondern auch durch dieſen den un- klugen Chemiker zu einer angemeſſenen Erklärung zu veranlaſſen, wodurch er die Baſis gewann, noch vor dem Termine einen Vergleich zwiſchen den ſtreitenden Parteien herbeizuführen und die alten Freunde zu verſöhnen.

Er machte ſich alſo auf, um mit Ziegler, dem Lamm- wirt, ein ernſtes Wort zu reden.

Aber ſo leicht war die Sache durchaus nicht, wie er ſie ſich vorgeſtellt hatte.

„Doktor Karſtenſen holt auch ein Gutachten aus Berlin ein,“ brummte der Lammwirt widerſpenſtig. „Vollen doch erſt ſehen, wie das ausfällt! Du kannt mir das nicht verdenken, lieber Eberhard! Es läßt ſich eben kein Menſch gern blamieren!“

„Schön, warten wir euer Gutachten alſo auch noch ab,“ gab Kruſe nach. „Aber ſei ſo gut und laß es mich wiſſen, wenn es eingetroffen iſt.“

„Es muß in dieſen Tagen kommen.“

„Jedenfalls doch vor dem Termin?“

„Natürlich. Es ſind ja noch ein paar Tage hin.“

In der Tür erſchien, augenſcheinlich zu einem Renommierbummel gerüſtet, der Marinefähnrich. „Ich hab' hier, glaub' ich, meine Handſchuhe liegen laſſen, Vater,“ ſagte er affektiert. Die neue Würde war ihm etwas heftig in den krauſen Kopf geſtiegen. „Ah, ſieh da, der Herr Juſtizrat!“ ſetzte er hinzu. „Zit das Leben noch friſch?⸗ |

„Nicht ganz fo friſch mehr als Ihres, junger See—

1 N Von Alwin Römer. 157

fahrer,“ meinte Kruſe. „Warum laſſen Sie ſich übrigens nicht einmal ſehen bei uns?“

„Ja, wenn man ſich vierteilen könnte, Herr Zuftiz- rat!“ beſchied ihn ſelbſtgefällig der ſchöne Rudolf. „Man kann ſich ja nicht retten vor Einladungen in dem alten Neſte! Aber wenn Sie geſtatten, begleite ich Sie auf der Stelle, um den Damen guten Tag zu ſagen. Oder gehen Sie jetzt nicht heim?“

„Doch, lieber Rudolf. Kommen Sie nur mit!“

Das war dem Fähnrich willkommen. Wenn der Alte ihn ſelbſt einführte, durfte Lena ihn nicht allzu unfreundlich behandeln, und er lernte bei dieſer Ge— legenheit endlich Fräulein Tilla Appenkamp kennen, die er bisher nur von weitem geſehen und angeſchwärmt hatte. Die reiche Erbin wäre ihm ein ernſthaftes Er- oberungsziel, aufs innigſte zu wünſchen, geweſen. Und der Anfang dazu konnte auf dieſe Weiſe ebenſo unauffällig wie ſicher vor ſich gehen.

Frau Hedwig empfing ihn denn auch mit aller Liebenswürdigkeit, ließ ſich unbefangen von ſeinen Reifen erzählen und lud ihn zum Kaffee ein. Lena hatte an ihm vorübergeſehen, als er ihr die Hand ge- boten. Aber Tilla entfaltete ſofort ihre ganze Fertig- keit im Flirt. Uniformen hatten immer etwas An- reizendes für ſie, wenn auch Kavallerieleutnante bei ihr im Kurs viel höher ſtanden als die ſimple Marine.

Natürlich fiel ihr die herbe Einſilbigkeit der Tochter des Hauſes alsbald auf, und fie benützte eine gute Gelegenheit, ſie zu fragen, weshalb ſie ſo abſtoßend gegen den Beſucher ſei.

Lena wich ihr aus. Da nahm ſie ſich den Fähnrich ſelbſt vor, als ſie mit ihm allein in einer Fenſterniſche ſtand und dem Anzünden der Gaslaternen draußen

zuſah.

158 Das blaue Herz. 0

„Haben Sie es auch gemerkt?“ fragte dieſer halb- laut zurück und überlegte, was er ſagen durfte, um ſich ſeine Chancen bei dem Goldfiſch nicht zu ver— derben. „Wenn Sie mich nicht verraten wollen,“ ſetzte er flüſternd hinzu, „will ich gern Farbe bekennen.“

„Wie werd' ich denn!“ beteuerte Tilla, ganz Ohr für die Aufklärung, die nun kommen mußte.

„Nun denn,“ begann er zögernd, „Fräulein Lena hat ein ſchlechtes Gewiſſen!“

1%

„Wir waren vor Jahren einmal ein Herz und eine Seele. Gott, wenn man fo draußen auf dem endlofen Meere herumſegelt, wärmt's einem die Bruſt, daheim etwas Liebes zu wiſſen. Aber Mädchentreu' und Weizenſpreu! Sie ſollen ſich aber nicht beleidigt fühlen dadurch. Ich kenne Sie ja zu wenig und traue gerade Ihnen nach dieſer Richtung hin nichts Schlimmes zu. Lena indeſſen hat mich ſeit Fahr und Tag, was man ſo ſagt, zum alten Eiſen geworfen. Vielleicht hat ihr da unten in der Schweiz irgend ein Hansnarr das Köpfchen verdreht. Was weiß ich? Aber es iſt ſchade um fie und —“

„Soll ich einmal mit ihr reden?“ erbot ſich Tilla in einer Aufwallung billigen Edelmutes.

Er ſchüttelte das Haupt ſchmerzlich. „Zu ſpät!“ flüſterte er abwehrend. „Für uns beide zu ſpät! Sch habe nichts mehr für ſie übrig, ſeit ſeit ich eine andere geſehen! And fie ſelbſt läßt ſich ja jetzt von einem Chemiker die Cour ſchneiden, wie mir erzählt worden iſt, einem faden Kerl, der auch meinen Vater in Angelegenheiten gebracht und in eine Klage gegen ſeinen alten Freund Dobenſchütz gehetzt hat. Aber, bitte, reinen Mund halten. Der Krach wird fchon. noch einmal kommen.“

Oo

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In Tillas mißgünſtiger Seele reckte ſich die Eifer ſucht. Wie ſtill und ehrbar hatte ſich Lena Kruſe ihr gegenüber immer gegeben, und welche Verſchlagen- heit wohnte in dem unſchuldig blickenden, dummen Ding!

Nun, fie wollte es ihr ſchon eintränken! An dem grünen Fähnrich lag ihr nicht eben viel, aber daß ſie es im Handumdrehen verſtanden hatte, ſich Harro Karſtenſen einzufangen, der ihr gegenüber ſo kühl und zurückhaltend geworden war, ärgerte ſie über die Maßen.

„Woher wiſſen Sie denn das mit dem Chemiker?“ forſchte ſie.

„Ein Kamerad von der Schulbank her hat es mir erzählt. Ich kann noch nichts weiter ſagen. Aber morgen denke ich mich ſelbſt davon zu überzeugen.“

„Wie werden Sie denn das anfangen, Herr Ziegler? Die Sache intereſſiert mich ein wenig.“

„Kommen Sie mit, wenn Sie ſich meinem Schutze anvertrauen wollen,“ lockte er.

„Ich glaube, das kann man wagen.“

„Dann alſo morgen nachmittag im Cäcilienpark. Ich werde an der Schwanenbrücke auf Sie warten. Gegen fünf müſſen Sie dort ſein. Wählen Sie aber den Weg durch die Beethovenſtraße, alſo vom Ginſter- berg her, damit ſie nichts merkt.“

„Das ſoll gerne geſchehen,“ verſicherte Tilla, ver- gnügt, zu einem ſo famoſen Abenteuer zu kommen. Es war doch eine kleine Abwechſlung in dem Einerlei dieſer öden Philiſterſtadt. Und wie tief würde ſich die hochmütige Tugendſtandarte, dieſe Lena, demütigen müfſen, wenn ſie ihr plötzlich, mitten in ihrem Stell- dichein, ſpöttiſch lächelnd gegenübertrat!

Im Zimmer zündete man jetzt die Gaskrone an,

160 Das blaue Herz. | en —— 1b —.-— . —⁰öö und das Mädchen meldete den Beſuch der Schneiderin, die auf Anfang der kommenden Woche für eine Reihe von Tagen verpflichtet worden war.

„Sie wird doch nicht etwa abbeſtellen wollen?“ rief Frau Hedwig nervös, während Lena wie immer, wenn Doris Wernicke in Sicht war, von einer zitternden Unruhe überfallen wurde, denn das blaue Herz war ja trotz der vorſichtigen Bemühungen Harro Karſtenſens leider noch immer nicht ganz verſchwunden.

Rudolf Ziegler benützte die Gelegenheit, ſich zu empfehlen, juſt als die Modiſtin über die Schwelle trat, die triumphierend verkündete, daß ſie durch eine plötzliche Reiſe der Frau Major v. Orla in der an- genehmen Lage ſei, ſchon übermorgen ihre Tätigkeit im Kruſeſchen Hauſe beginnen zu können.

Bleich wie eine Kalkwand und völlig geiſtesabweſend ſah Lena ſich den flotten Fähnrich verneigen. Sie brachte vor Herzklopfen nicht einmal das kleinſte Ab- ſchiedswörtchen über die Lippen.

5.

Der Juſtizrat wurde vom „Lamm“ aus an das Telephon gebeten. Er benützte die nächſte Verhand- lungspauſe im Amtsgericht, wo er heute einen an- geſtrengten Tag in hartköpfigen Bauernſtreitigkeiten hatte, um ſich mit dem alten Ziegler zu unterhalten.

„Hier Juſtizrat Kruſe! Wer dort?“ begann er.

„Hier Ziegler „Junges Lamm“!“

„Alter Streithammel wäre richtiger!“ dachte Kruſe mit einem ſpöttiſchen Lächeln. „Na, was gibt's?“ rief er. „Aber bitte recht kurz. Ich muß ſofort wieder in den Sitzungsraum.“

„Unſer Gutachten aus Berlin iſt eingetroffen. Doktor Karſtenſen hat es mir eben telephoniert.“

a Von Alwin Römer. 161

„Na, nun ſchließen wir alſo Frieden? sch werde gleich das Nötige veranlaſſen wegen des Termins morgen.“

„Das iſt's ja gerade, weshalb ich dich angeklingelt habe, lieber Juſtizrat. Es geht nicht!“

„Was geht nicht?“

„Daß du den Termin abbeſtellſt.“

„Ja, warum denn nicht?“

„Das Gutachten iſt ganz auf unſerer Seite. Da werd' ich doch nicht jo dumm fein und —“

„Laß dich nicht auslachen! Das iſt beſtellte Arbeit! Dieſer Karſtenſen ſollte ſich ſchämen!“

„Ich glaube das nicht. Ein gerichtlich ſo viel in Anſpruch genommener Chemiker wie Profeſſor Eiſold wird ſich doch hüten —“

„Eiſold?“

„Jawohl.“

„Da ſoll doch den ganzen faulen Analyſenkram der Henker holen! Eiſold hat unſer Gutachten ja auch ge— ſchrieben!“

„Nicht möglich!“

„Doch doch!“

„Na, da ſoll doch —“

„Irgend etwas kann da unmöglich ſtimmen. Kannſt du mir das Gutachten nachher ins Haus ſchicken?“

„Ich weiß nicht. Doktor Karſtenſen hat, glaub' ich

„Du meinſt, er hat keine Luſt?“

„Er wohl ſchon. Aber unſer Rechtsanwalt, der Doktor Kaßmann, hat ſich ausbedungen —“

„Ach, Anfinn! Dem werd' ich hier gleich aufs Dach ſteigen. Und zu Karſtenſen gehe ich dann ſelbſt. Treffe ich ihn nachmittags in der Fabrik oder in ſeiner Wohnung?“

1910. IX. 11

162 Das blaue Herz. 2

„Bis ſechs iſt er in der Fabrik, ſoviel ich weiß.“

„Gut. Später ſehen wir uns.“

Ein Gerichtsdiener kam, ihn abzurufen.

Als er am Nachmittag ſeine Sprechſtunde hinter ſich hatte und ſich früher als ſonſt zum Ausgang rüſtete, fragte ihn Frau Hedwig, weshalb er es heute ſo eilig habe. Sie pflegte um dieſe Zeit mitunter ein Plauder- ſtündchen mit ihm zu halten.

„Ich muß zu dieſem Karſtenſen,“ brummte er. „Fataler Weg! Aber ich bin es Dobenſchütz ſchuldig. Die Mädel könnten mich übrigens begleiten und im Cäcilienpark ſo lange umherſpazieren, bis ich mit ihm geſprochen habe.“

„Lena iſt mit Konrad ausgegangen,“ gab Frau Hedwig Auskunft. „Aber Tilla geht vielleicht mit dir.“

Indes erwies ſich, daß auch Tilla dem ſchönen Nach- mittag Geſchmack abgewonnen und das Haus ver- laſſen hatte.

Der Juſtizrat runzelte die Stirn. „Warum gehen die Mädel nicht wenigſtens zuſammen?“ fragte er ſcharf. |

Seine Gattin zuckte die Achſeln. Es hatte keinen Zweck, über Tillas Eigenmächtigkeiten Klage zu führen. Das gab nur unerfreuliche Auseinanderſetzungen.

„Ich glaube, dieſes unvernünftige Frauenzimmer hat wieder einmal mit irgend einem angebandelt, um ihrer Langeweile Zucker zu geben. Gnade ihr Gott, wenn ich dahinterkomme!“ grollte er.

„Du wirſt ſie nicht mehr ändern, Eberhard. Das Jahr iſt ja auch bald um,“ beruhigte ihn Frau Hedwig. „Vielleicht ſitzt ſie auch nur in irgend einer Konditorei und futtert Schlagſahne.“

„Glaub' ich nicht,“ brummte der Eheherr und ging.

2 Von Alwin Römer. 165

Und es ſchien, als ob er wieder einmal recht be- halten ſollte.

In der Zuckerfabrik brachte ihm der Portier auf ſeine Anfrage, ob er Herrn Doktor Karſtenſen noch träfe, den ihm nicht ganz echt erſcheinenden Beſcheid, daß der Doktor augenblicklich nicht in der Fabrik ſei. Vielleicht frage er in einer halben Stunde noch ein- mal vor.

Kruſe war wütend. Offenbar hatte dieſer Gift- rührer die Abſicht, den geplanten Vergleich zu ver- hindern. Trotzdem wollte er den Verſuch, mit ihm zu ſprechen, wiederholen. Er ging deshalb um die Stadt- ſeite der Fabrik herum und wandte ſich in den Cäcilien- park, um während der halben Stunde dort Erholung zu ſuchen.

Eine ſchlankgewachſene Dame in Trauerkleidung fiel ihm auf, als er bei einem Durchblick die Schwanen- brücke zu Geſicht bekam. War das nicht Tilla Uppen- kamp? Und als er, Deckung hinter einer rieſigen Buche nehmend, den Beobachter ſpielte, währte es nicht lange und er ſah von der Gegenſeite her eine Marineuniform auftauchen. Das konnte kein anderer als der junge Ziegler ſein, deſſen abenteuerluſtiges Weſen an ſeiner Schutzbefohlenen ohne Zweifel rieſiges Wohlgefallen fand.

Er überlegte kurz, ob er den beiden zunächſt ihr Vergnügen laſſen ſolle, entſchied ſich aber für ein harmloſes Dazwiſchentreten.

Noch ehe ſie ganz zueinander gelangt waren, ſchritt er auf einem für fie beide ſichtbaren Seitenwege mög- lichſt unbefangen auf ſie zu.

Es entging ſeinen ſcharf beobachtenden Augen nicht, wie ſie bei ſeinem Anblick für einen Moment ſchreckhaft verlegen wurden. Aber er tat, als merke er es nicht.

164 Das blaue Herz. 2

„Na, Tilla, ſchnappen Sie auch ein bißchen friſche Luft?“ fragte er freundlich. „Das iſt geſcheit bei dem ſchönen Wetter!“

„Ich hatte ſo Kopfſchmerz!“ log ſie ſchnell gefaßt. „And da dacht' ich —“

„Sie könnten ihn ſich weglaufen? O ja, manchmal gelingt das. Aber warum nehmen Sie nicht eine Tablette Zitrophen, wie's Ihnen der Arzt doch ver- ſchrieben hat?“ |

„Die hab' ich verbraucht.“

„Im fo ſprechen wir doch nachher in der Apo- theke vor und laſſen uns ein Schächtelchen friſche geben. Haben Sie nicht Luſt, ein Stückchen mit mir zu gehen, liebe Tilla?“

„Ja, warum denn nicht?“ lachte ſie, innerlich erboſt über dieſen Störenfried, der fie um das ganze Vergnü— gen dieſes Nachmittags brachte.

Rudolf Ziegler war inzwiſchen zu den beiden heran- getreten, nachdem er ſchon vorher militäriſch gegrüßt hatte.

„Schöne Seelen finden ſich zu Waſſer und zu Lande,“ ſcherzte er, den Unbefangenen markierend.

„Aber zu Vaſſer doch wohl etwas ſeltener, Herr Großadmiral!“ neckte der Juſtizrat und blinzelte ihn vergnügt an.

„O ja, da kann man manchmal lange warten, eh' man ſich wiederſieht,“ beſtätigte er, Tilla verſtohlen einen bedauernden Blick widmend.

„Kommen Sie auch mit in die Stadt zurück?“ er- kundigte ſich Kruſe.

„Ich möchte noch ein Stündchen laufen, um wieder friſch zu werden. Wir hatten einen ausgedehnten Frühſchoppen heute.“

„Bei Vatern im „Lamm““

m Von Alwin Römer. 165

„Im Gegenteil bei der anderen Partei.“

„Verſtehe ich nicht. Bei welcher anderen Par— tei?“

„Nun, bei der Fhrigen, Herr Zuftizrat.“

Kruſe ſchüttelte verſtändnislos das Haupt.

„Ich war in des Konſuls Dobenſchütz Kellereien,“ erklärte darauf der offenbar noch ein wenig animierte Seeheld. „Wilhelm Dannehl iſt ein alter Schul— kamerad von mir. Der hatte mich neulich ſchon einmal eingeladen. Was gehen mich auch ſchließlich die Strei- tereien an, die der Konſul mit meinem Alten hat! So 'n Kellerfrühſchoppen iſt immer meine Wonne geweſen. Und außerdem ſitzt mein Alter entſchieden im Unrecht. Dieſer Fatzke, der Chemiker von der Zuckerfabrik, will ſich nur wichtig machen und 'ne Rolle ſpielen. Ob er andere Leute dabei kränkt oder ſchädigt, iſt ihm einerlei. Man ſollte ſich wirklich vor ihm in acht nehmen und ihm die Finger gelegentlich mal klopfen Sie auch, Herr Juſtizrat, Sie auch!“

„Wenn's mal paßt, will ich das gern beſorgen, lieber Rudolf!“ verſprach Kruſe nicht ohne Humor. Das großſprecheriſche Überlegenheitsgefühl des jungen Ziegler, das von einem halbverwehten Schwips noch immer leiſe aufgeſtachelt zu werden ſchien, amüſierte ihn königlich. Er gab ihm die Hand und ſagte: „Auf Wiederſehen alſo!“

Dann ſchlugen Kruſe und Tilla den Weg nach der Stadt ein.

Als ſie aus Rudolfs Hörweite waren, räuſperte ſich der Juſtizrat und knurrte dann verdrießlich: „Wozu begehen Sie ſolche Torheiten, Tilla? Der grüne Zunge kann Sie doch unmöglich begeiſtern! Und wenn Sie ſelbſt ſich auch über das Urteil der Leute hinwegſetzen, weil Sie über kurz oder lang ja die Stadt verlaſſen,

166 Das blaue Herz. 2

ſo ſollten Sie doch an uns denken und dergleichen unterlaſſen!“

„Vielleicht habe ich gerade an Sie gedacht,“ be- merkte Tilla, ein bißchen die Rätſelvolle ſpielend. Sie kam ſich plötzlich ungeheuer edelmütig vor, da es ſich im Grunde genommen ja um die verbotenen Wege der Tochter dieſes alten Moralpredigers handelte, während fie, anjtatt ſich zu verteidigen und dem Vater reinen Wein einzuſchenken, ſich gewiſſermaßen opferte, indem ſie ſich von ihm ſogar aus dem gefährlichen Park führen ließ. Großmütiger konnte ſie wahrhaftig nicht handeln! Der Gedanke tat ihr ſo wohl, daß fie die Senſation, Lena von ihrem Vater im Park über- raſchen zu laſſen, dafür aufgab, obgleich auch dieſe Ausſicht einen ganz fabelhaften Reiz auf ihr ereignis- lüſternes Gemüt ausübte,

Der Juſtizrat war von ihrer Antwort wenig erbaut. Er witterte nichts Bedenkliches dahinter, ſondern hielt fie für einen ihrer ſophiſtiſchen Seitenſprünge, mit, denen ſie von ihr unliebſamen Erörterungen fortzu— kommen verſtand. „Verſteh' ich nicht,“ brummte er. „Mir genügt auch die Tatſache, daß ich Sie mit dieſem Leichtkittel, dem Ziegler, hier getroffen habe. Warum ſchließen Sie ſich nicht an Lena an, wenn Sie ſpazieren gehen wollen? Ein Mädchen, das ein bißchen was auf ſich hält, darf nicht —“

„Herr Juſtizrat!“ keuchte Tilla voll zorniger Glut.

„Ach was, ich nehme da kein Blatt vor den Mund. Was zu viel iſt, iſt zu viel!“

„Sie wiſſen ja gar nicht, zu welchem Zwecke ich in den Cäcilienpark gegangen bin!“ rief ſie erregt.

„Na, Geſangbuchlieder wolltet ihr wohl kaum mit- einander repetieren!“ ſpottete er.

„Aber ich ſchwöre Ihnen, Herr Juſtizrat —“ hub

2 Von Alwin Römer. 167

fie an, halb und halb ſchon willens, ſich Lenas Ge- heimnis entreißen zu laſſen, um dadurch volle Genug- tuung zu erlangen.

Da griff er plötzlich nach ihrem Handgelenk. „Still!“ raunte er. „Was iſt da los? Hören Sie nicht? Ein Vortwechſel, in den der edle Fähnrich da geraten iſt! Kein Wunder übrigens bei dem Zuſtand!“

Auch Tilla horchte auf. Ihr Herz klopfte ſeltſam bang und doch erwartungsvoll.

„Hilfe Hilfe!“ ſchrie eine angſterfüllte Knaben- ſtimme, während drohende Männerworte dazwiſchen tönten.

„Das klang doch wie Konrad!“ ſtieß der Zuſtizrat betroffen hervor, und mit langen Schritten eilte er der Gegend zu, aus der der Lärm herüberſchallte.

„Herr Zuſtizrat, bleiben Sie ich bitte Sie in- ſtändigſt!“ rief Tilla hinter ihm her. Und doch lebte eine wilde Freude in ihr an der Szene, die ſich jetzt abſpielen mußte. Denn eine ſichere Ahnung ſagte ihr, daß der Fähnrich mit dem Chemiker zuſammen- geraten ſei.

Ohne weiteres Beſinnen lief fie dem Juſtizrat nach.

„Ja, Rudolf, ſind Sie denn des Teufels?“ keuchte Kruſe, der dieſen mit einem ſorgfältig gekleideten Spaziergänger ringen ſah, deſſen Zylinderhut ſoeben in weitem Bogen über den Weg rollte.

Aber Rudolf ließ ſich vorderhand nicht ſtören. Dieſen Angriff hatte ihm Adolf Dannehl, der ver- ſchlagene Krüppel, beim Frühſchoppen zu einer Art Pflicht gemacht.

„Mein Gott der Vater!“ rief entſetzt Konrad, der neben einer ganz verzweifelten jungen Dame mit weit aufgeriſſenen Augen ſtand.

Und der Juſtizrat erkannte verblüfft feine Tochter

168 Das blaue Herz. 2

Lena. Var das ein Zufall oder nicht? Er grübelte nicht lange darüber nach, ſondern packte den Fähnrich mit einem rauhen Griff an den Schultern und riß ihn zurück.

Da erſt ſah er, daß er den Doktor Karſtenſen be- freit hatte.

„Verzeihung, Herr Juſtizrat!“ ſtammelte dieſer. „Ich weiß nicht m

„Hören Sie, Rudolf, das iſt doch geradezu unerhört! Ich gebe mir Mühe, Frieden zu ſtiften und alte Freunde vor einem gerichtlichen Streit zu bewahren. Machen Sie, daß Sie heimkommen und ſchlafen Sie Ihren Rauſch aus!“ wetterte der Juſtizrat den Fähnrich an.

„Herr Juſtizrat, Sie wiſſen nicht —“ begehrte dieſer auf.

„Ich will auch gar nichts wiſſen, ſolange Sie ſich ſo unverantwortlich betragen!“ ſchnitt ihm Kruſe ſcharf das Wort ab.

„„So laſſen Sie ſich's nur von Fräulein Uppen- kamp ſagen. Die weiß ſo gut Beſcheid wie m I“ ſchrie der Fähnrich wütend.

Tilla war inzwiſchen herangekommen. Aber ſo nehmen Sie doch Vernunft an, Herr Ziegler!“ bat ſie mit einem ſcheuen Blick auf Lena.

„Ich bin durchaus vernünftig. Aber ich laſſe die Ehre einer Dame

„Ehre einer Dame?“ fragte Kruſe und warf einen forſchenden Blick auf ſeine ganz entgeiſtert daſtehende Tochter.

„Ich verbiete Ihnen dieſe ebenſo unſinnigen wie häßlichen Anzüglichkeiten, Herr!“ ſchallte da ſcharf Doktor Karſtenſens klare Stimme auf.

„Verzeihen Sie, Herr Doktor,“ ſagte Kruſe heiſer, „waren dieſe Anzüglichkeiten Ihrer Auffaſſung nach auf meine Tochter gemünzt?“

D Bon Alwin Römer. 169

„Ja!“ erklärte Karſtenſen nach kurzem Zögern.

„Dann haben Sie wohl die Güte, mir darüber eine ausreichende Erklärung zu geben. Lena, du gehſt mit Tilla und Konrad voraus! Rudolf, Sie warten hier auf mich. Wir gehen nachher zuſammen heim!“ ordnete der Juſtizrat mit äußerlicher Ruhe die Situation, fo ſtark auch Enttäuſchung und Zorn in ihm wühlten.

„Wenn Ihr Fräulein Tochter mich ermächtigt —“

„O, bitte, ſagen Sie Papa alles, Herr Doktor!“ bat Lena mit leiſem Schluchzen. „Und wer mich in dieſe Sache durch ſeine Falſchheit hineingetrieben hat, das das kann Herr Rudolf Ziegler dann ja aus eigenem Wiſſen hinzufügen!“

Die letzten Worte löſten eine eigenartige Wirkung in den drei Männerköpfen aus. Kruſe merkte verdutzt, daß Karſtenſen hier eine Art Helfer für fein Kind ge- ſpielt hatte in welcher Angelegenheit war ihm natürlich noch höchſt dunkel, aber um eine Liebelei mit Karſtenſen handelte es ſich, Gott ſei Dank, wohl nicht! |

Rudolf, der Fähnrich, dagegen ſpürte leiſe Be— klemmungen. Er hatte plötzlich Viſionen von blauen Herzen, die vor ihm herumtanzten und ſich ironiſch verbeugten und förmliche Fratzen dazu ſchnitten.

Am wohlſten fühlte ſich Karſtenſen durch den deut- lichen Hinweis auf den jungen Ziegler berührt. Alſo der war es geweſen! Wie lange mußte das her ſein! Dabei war dieſer Rudolf eigentlich heute noch ein junger Windbeutel, den man nicht ernſt zu nehmen brauchte. Und wie bekümmert hatte er ſchon manch- mal an der Herkunft dieſes ominöſen blauen Herzens mit den fatalen Buchſtaben darin herumgegrübelt! Welcher Schurke hatte ſich ſo in das Vertrauen dieſes holden Kindes geſtohlen, daß fie ihm dergleichen er-

170 Das blaue Herz. 2

lauben konnte? So hatte er ſich immer wieder ge- fragt.

Aber die Frage hatte ſich nicht über ſeine Lippen getraut, wenn er beſchäftigt geweſen war, die Spuren davon nach und nach zu vertilgen.

Dabei hatte ihm jedes ihrer Worte, jeder Atemzug, jeder unſchuldig verwirrte Blick, jedes zaghaft danf- bare Lächeln gejagt, daß dieſes dumme Herz ja bloß eine törichte Kinderei geweſen ſei und nur die große rätſelhafte Scheu junger Mädchen vor den Eltern die närriſche, jedenfalls ganz überflüſſige Angſt in ihr ge- weckt habe, die fieberhaft danach verlangte, die blauen Punkte endlich zu beſeitigen.

„Wenn ich recht verſtanden habe, jo ſtammt das blaue Herz alſo von Ihren kunſtgeübten Händen, Herr Fähnrich?“ fragte er mit einem leiſen Lächeln.

„Welches blaue Herz?“ miſchte ſich ungeduldig der Juſtizrat ein, der den in der Dämmerung verfchwinden- den Mädchen nachſah.

Darauf erzählte Doktor Karſtenſen ruhig und ſchlicht, mit einem ganz leiſen, wohltätigen Unterton von Humor, was Lena Kruſe all die Tage zu ihm her- geführt hatte.

„Alſo eine Tätowierung?“ ſagte erleichtert Kruſe. „Und die haben Sie ihr beigebracht, junger Seeheld? Wann iſt denn das geweſen?“

„Es iſt ſchon drei Jahre her, Herr Zuſtizrat,“ ent- rang es ſich Rudolfs Lippen. Die Ritterrolle, die er ſich für dieſe Stunde eigentlich zugelegt hatte, war in eine bedenklich komiſche Färbung geraten.

„Alſo damals?“ murmelte der Juſtizrat. „Und das Kunſtſtück iſt Ihnen gelungen, Herr Doktor?“

„Bis auf wenige, kaum merkliche Pünktchen.“

„Dafür danke ich Ihnen aufrichtig! And auch

2 Von Alwin Römer. 171

dieſer Seeheld hier wird Sie kaum wegen mutwilliger Zerſtörung ſeines Kunſtwerks vor Gericht ſchleppen wollen. Oder haben Sie dergleichen Abſichten, Rudolf?“

„Ach, Herr Zuſtizrat, wenn ich gewußt hätte! Überhaupt, dieſer Dannehl, der elende Hetzer! Na, ich werd's ihm ſchon beſorgen! Herr Doktor Rariten- ſen, ich bin vorhin —“

„Schwamm drüber, Herr Ziegler die Sache iſt erledigt!“ ſchnitt Karſtenſen ihm liebenswürdig das Wort ab.

„Ich danke Ihnen!“ erklärte Rudolf ehrlich.

Kruſe dachte währenddeſſen an Lena, ſein Kind, und welche Wege er wählen müſſe, um alles zu ihrem Beſten zu ordnen und ihr unbedingtes Vertrauen zurückzugewinnen. Die letzten Worte der beiden jedoch lenkten ihn davon ab.

„Wie friedfertig Sie mitunter fein können, ver- ehrter Herr Doktor!“ wandte er ſich an Karſtenſen. „Warum find Sie zu anderen Zeiten nur fo bals- ſtarrig?“

„Bin ich gar nicht, Herr Zuſtizrat! Nur wo ich einem dreiſten Schwindel in meinem Fache auf die Spur komme, kenne ich keinen Spaß. Und wie Sie aus dem Gutachten des Profeſſors Eiſold in Berlin erkennen werden, iſt der von mir ſeinerzeit angezweifelte Rotwein wirklich ein minderwertiger Verſchnitt mit Heidelbeerſaft.“

„Nun, derſelbe Eiſold hat auf unſere eingeſandte Probe hin das Gegenteil feſtgeſtellt. Darf ich Ihr Gutachten einmal einſehen?“ N

„Bitte!“ entgegnete Karſtenſen und holte es aus der Bruſttaſche. „Da von beiden Seiten Irrtümer in der Auswahl der eingeſandten Proben wohl ausge-

172 Das blaue Herz. 2

ſchloſſen erſcheinen, bleibt kaum etwas anderes als die Annahme übrig, daß Konſul Dobenſchütz von einem ſeiner eigenen Leute betrogen wird.“

„Da könnten Sie recht haben, Herr Doktor!“ meinte nachdenklich der Juſtizrat.

„Dann ſind's die Dannehls!“ rief der Fähnrich. „Ich habe ſchon manchmal gemerkt, daß da nicht alles ſtimmt. Und darum ſollte ich durchaus auch heute nachmittag vorgehen! So eine Bagage!“

Er war ſchwer zu beruhigen. Aber ſeine Angaben, die er vor Dobenſchütz wiederholte, führten dazu, daß beſchloſſen wurde, den verdächtigen Kellermeiſter noch

am gleichen Abend ins Gebet zu nehmen. | Vom Zuftizrat, Karſtenſen und dem Fähnrich be- gleitet, ging der Konſul, ſeinen biederen Kellermeiſter am Orte ſeiner Tätigkeit aufzuſuchen.

Die Kellertür war verſchloſſen. Aber ein flüchtiger Lichtſchimmer, wie von einer flimmernden Laterne geworfen, huſchte plötzlich durch die vergitterten Schei- ben unweit der Tür. |

Schon wollte Rudolf Ziegler, der ſich wieder in ſeiner Würde zu fühlen begann, durch ein kräftiges Pochen den Eingang erzwingen, da bedeutete ihn Dobenſchütz leiſe, davon abzuſehen.

„Wir haben noch eine Hintertür nach dem Garten zu, die allerdings ſelten benützt wird,“ flüſterte er.

Möglichſt geräuſchlos begaben fie ſich um das mächtige Hofgebäude herum zu dem kleinen vernach- läſſigten Krautgarten.

Richtig die Tür ſtand gegen alle Regel offen, und aus der Tiefe her klangen gedämpfte Stimmen und Schritte.

„Warten wir ab, meine Herren!“ tuſchelte Doben⸗ ſchütz, der eigentlich ſehr niedergeſchlagen war.

0 Von Alwin Römer. 173

Da löſte ſich aus dem Schatten des dunkeln, eijen- beſchlagenen Türflügels eine Geſtalt und rief die Kellertreppe hinunter: „Vater Vater, der Herr Konſul möchte dir noch was ſagen!“

„So ein Fuchs!“ ſchimpfte Dobenſchütz, der ſofort wußte, daß Adolf hier Wache geſtanden hatte, um irgend einen lichtſcheuen Handel vor Entdeckung zu behüten.

Im gleichen Augenblicke erſcholl aus der Tiefe her ein jäher Aufſchrei, untermiſcht mit Poltern und Scherbenklirren.

„Vorſicht beim Hinabſteigen!“ mahnte der Konſul.

„Ich habe eine Taſchenlaterne,“ bemerkte der Chemiker und ließ ein elektriſches Glühlicht aufblitzen.

Raſch ſtiegen fie unter feinem Strahlenſchein hinab.

Da lag am Fuße der Treppe eine ſtöhnende Geſtalt, noch ein paar langhalſige volle Flaſchen im Arme, während etliche andere in Scherben um ihn her ver- ſtreut waren und ihren Inhalt über die Stufen und Bodenflieſen ausgegoſſen hatten.

Karſtenſen leuchtete ihm ins Geſicht. Es war der Kloſtermüller.

„Was treiben Sie hier, Hankel?“ fragte ftirn- runzelnd der Konſul.

„Ich ich hole die ausrangierten Fäſſer ab, die ich neulich gekauft habe, Herr Konſul!“ ſtotterte der Mann, den Adolf Dannehl beim alarmierenden Hinab- ſtürzen über den Haufen gerannt hatte.

„Ja, ſind denn das Fäſſer?“ erkundigte ſich ironiſch der Konſul, auf die verräteriſchen Rheinweinflaſchen deutend.

Der Kellermeiſter kam inzwiſchen den Gang herauf— gehaſtet. Er wollte doch wenigſtens verſuchen, die böſe Überrafhung noch abzuwenden. „Der Kloſtermüller

174 Das blaue Herz. Q

wollte mir helfen, die Flaſchen nach vorn zu bringen, Herr Konſul. Sie find vom Bahnhofwirt beitellt,“ erklärte er, freilich nicht ſehr überzeugend.

„Durch die Hintertür, Dannehl, die überhaupt nicht benützt werden ſoll?“ fragte ſarkaſtiſch der Konſul. „Menſch, wenn Sie mir jetzt nicht ſofort die volle Wahrheit über Ihre ſämtlichen ſeit Jahr und Tag begangenen Unredlichkeiten fagen, ſo kommen Sie noch heute abend hinter Schloß und Riegel! Stehen Sie endlich auf, Hankel! Sie kommen mit nach vorn ins Kontor. Es geht in einem Aufwaſchen! Und den Halunken, den Adolf, den Sie ſich ja ſchön abgerichtet zu haben ſcheinen, will ich auch ſehen! Aber ſofort! Die Schlüſſel nehm' ich an mich.“

„O Gott, Herr Konſul, Gnade Gnade! Ih will ja mit nichts hinter dem Berge halten. Zzch bin ein Lump. Ein großer! Aber der Bengel hat viel mehr Schuld als ich!“ jammerte der Kellermeiſter.

„Glauben Sie's ihm nicht, Herr Konſul!“ kreiſchte, plötzlich zum Vorſchein kommend, der Krüppel da- zwiſchen. „Ich bin nur ein gehorſamer Sohn geweſen nichts weiter! Sch habe gar nicht gewußt, daß Vater —“

„Schweig oder ich bring’ dich um!“ ſchrie Dannehl außer ſich.

Aber Karſtenſen fiel ihm in den Arm und führte ihn die Treppe hinauf.

Im Kontor legte das Kleeblatt eine umfaſſende Beichte ab. Der Kloſtermüller erklärte ſich bereit, vollen Schadenerſatz zu leiſten und für die Armen ein übriges zu tun. Die Familie Dannehl verſchwand ſchon am nächſten Tage ſpurlos aus der Stadt. Von einer gerichtlichen Verfolgung hatte Konſul Doben- ſchütz unter dieſer Bedingung abgeſehen.

2 Von Alwin Römer. 175

Die alten Freunde verſöhnten ſich daraufhin bei einer neutralen Flaſche Foſephshöfer. Der Termin brauchte nicht mehr ſtattzufinden.

Auf dem Heimwege ſchritt Karſtenſen an des Juſtizrats Seite.

„Sie haben noch Licht oben bei mir?“ ſagte ver- wundert der Juſtizrat. „Und es iſt über Mitternacht hinaus!“

„Ich glaube, Fräulein Lena hat endlich wohl den Mut gefunden, ihrer Mutter zu beichten,“ meinte mit einem ſinnenden Lächeln der Doktor.

„Hoffentlich!“ ſeufzte der Vater. „Ach, was machen Kinder doch für Sorgen, ſelbſt die beſten verſchonen uns nicht damit!“

Karſtenſen las in der Seele des bekümmerten alten Herrn. „Es war ja erklärlich, daß fie gerade bei dieſer Kinderei nicht den Mut finden konnte,“ fing er an. „Sonſt vergöttert fie Sie einfach Sie und Ihre Frau Gemahlin. Überhaupt ſolch liebes, ſüßes Geſchöpf gibt's ja nicht wieder! Und ich möchte nur das eine nicht, daß fie glaubt, ich hätte aus Mit- leid oder aus dem Drang der ſo wunderlich ver— ſchobenen Verhältniſſe heraus aber wenn Sie mir Ihr Haus überhaupt erſchließen wollen, Herr Zuſtizrat, und nach gütiger Prüfung an mir nichts auszuſetzen finden dann möchte ich mir wohl langſam und in Treuen Lenas Herz erobern.“

„Sie werden uns willkommen ſein, Herr Doktor!“ ſagte der Juſtizrat bewegt und drückte ihm die Hand.

Droben flog ihm in heißer Beſchämung ſein Kind entgegen, die wirklich mit Frau Hedwig eine lange, erſchöpfende Zwieſprache gepflogen hatte.

„Närriſches Mädel!“ murmelte er, ihren blonden

176 Das blaue Herz. 1

Scheitel zärtlich ſtreichelnd. „Was machſt du für Dummheiten!“

„Ach, Papa, das ſchreckliche blaue Herz iſt ja nun fort!“

Tilla Uppenkamp reiſte am nächſten Tage zu ihrer Tante nach Buchgrund. Ihr Vormund war ihr nicht Kavalier genug in der Beurteilung ihrer Abſichten bei dem Spaziergang im Cäcilienpark geweſen. Und Karſtenſen blieb gegen ſie ſehr kühl, als er Beſuch machte.

Mit heimlichem Bedauern ſah Konrad ſeine erſte Liebe ſcheiden. Aber da die Sache ſonſt recht glimpf- lich für ihn ausging, und Karſtenſen alsbald feine be- geiſterte Neigung gewann, vergaß er ſie raſch.

Sie rächte ſich an Kruſes übrigens nicht ohne Humor. Zur Verlobung ſandte ſie „ihrer lieben Freundin Lena“ ein koſtbares Herz, aus blauen Türkiſen gebildet und von einer Reihe kleiner Diamanten eingefaßt, nebſt einem goldenen Kettchen dazu.

Und es war bei den glücklichen Kruſes niemand, der dieſe kleine Anſpielung nicht ſehr luſtig gefunden hätte.

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Die Waldenſerdörfer in Württemberg.

Von Arnold Kurtz.

Mit 5 Bildern. Nachdruck verboten.)

Deutschland hat im Laufe der Zeit wiederholt von der Einwanderung franzöſiſcher Emigranten ent- ſchiedenen Gewinn gehabt. Das hat vor allem von den Hugenotten zu gelten, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Fahre 1685 durch König Ludwig XIV. aus Frankreich vertrieben wurden und auf deutſchem Boden gaſtliche Aufnahme fanden. Noch heute in hoher Blüte ſtehende önduſtrien ſind in Frankfurt am Main, in Hanau, Erlangen, Magdeburg, Berlin und anderen deutſchen Städten durch ſolchen Zuzug aus Frankreich gegründet wor— den. Einen guten Zuſchuß bäuerlicher Regſam— keit hat ziemlich um die gleiche Zeit das damals ſchon in ſeiner Landwirtſchaft beträchtlich entwickelte Schwabenland durch einige tauſend Waldenſer er— halten, die auch infolge der Aufhebung jenes Edikts landflüchtig geworden waren und in der Schweiz und Schwaben einen Erſatz für die Heimat ſuchten.

Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts war Petrus Waldus, ein angeſehener Handelsherr in Lyon, zum Gründer einer religiöſen Genoſſenſchaft geworden, die namentlich bei den ſchlichten Hirten der Alpen-

1910. IX. 12

178 Die Waldenferdörfer in Württemberg. u

täler Savoyens und Piemonts treue Anhänger fand. Die Bewegung griff in Frankreich und Stalien weiter um ſich, ſtieß aber auch bald auf Widerſtand, ob- gleich die Gemeinden ein ſtilles, für ſich abgefon- dertes Leben führten. So traf denn auch die Wal- denſer Südfrankreichs Acht und Verfolgung, und als viele von ihnen in Savoyen Schutz fanden, forderte dies den Unwillen des Königs von Frank— reich heraus. Herzog Viktor Amadeus II. von Sa— voyen trat dagegen dem Bündnis gegen Frankreich bei, worauf im Fahre 1688 Truppen aus Frank- reich und Italien ins Land zogen, zu deren Auf- gaben es gehörte, den Widerjtand der Waldenſer für immer zu brechen. Über dreitaufend wehrhafte Männer kamen auf deren Seite in dieſem Vernichtungskriege ums Leben, an zehntauſend Waldenſer wurden in die Gefängniſſe geworfen. Beſonders ſchwer wurden die alten Waldenſertäler Val Martino, Val Angrona und Val Lucerna heimgeſucht.

Viele der Verfolgten hatten aber auch Rettung durch die Flucht in die Schweiz gefunden: Doch war dort ihres Bleibens nicht lange. Die Flüchtlinge mußten weiterziehen nach Baden und Württem- berg, wo ſie ſich endlich anſiedeln durften.

Als ſich nach dem Frieden von Vigevano den Savoyer Flüchtlingen die Alpenheimat wieder öffnete, kehrten viele der Anſiedler dorthin zurück. Doch der Herzog von Savoyen opferte nach wenigen Jahren dem Frieden mit Frankreich die ſchwer heimgeſuchten Leute noch einmal. Sie mußten wieder in die Ver— bannung, und im Herbſt 1698 bat ein Teil der Flüch— tigen an den Pforten des Herzogtums Württem— berg abermals um Einlaß, den ihnen der jugendliche Landesherr Eberhard Ludwig auch gewährte.

D Don Arnold. Rurk. | 179

Württemberg hatte bekanntlich in der Zeit des Savoyerkriegs unter den Einfällen der Franzoſen unter Melac und Monclar ſchwer gelitten; bei dem Einfall im Fahre 1695 waren mehr als vierzig Ort- ſchaften zerſtört worden. In den entvölkerten Gegen- den zwiſchen Neckar und Nagold, Maulbronn und Hirſau wurden nun ganz planmäßig die Waldenſer

Serres.

angeſiedelt, teils in gebrandſchatzten alten Dörfern, teils in Barackenlagern, aus denen ſich neue Dörfer entwickelten, die zum Teil von den Koloniſten Namen in ihrer Sprache erhielten.

Nach dem wohlerwogenen Rolonifationspfan Des Maulbronner Vogtes Greber traten im Laufe der gahre die Waldenſergemeinden Corres, Lucerne, Neuhengſtett, Nordhauſen, Palmbach, Perouſe, Pinache, Schönenberg, Serres, Groß; und Kleinvillars ins Leben. Die Koloniſten von Neuhengſtett, Nordhauſen,

180 Die Waldenferdörfer in Württemberg. 2

Palmbach waren aus der Schweiz zunächſt ins Heſſiſche gewandert und zogen erſt nach längerem Aufenthalt von dort aus Platzmangel und aus anderen Gründen nach Württemberg. Palmbach wurde 1809 badiſch, ebenſo die von Waldenſern und Südfranzoſen beſiedelte Kolonie bei dem Städtchen Gochsheim, damals der württembergiſchen Seitenlinie, und zwar dem Herzog Auguſt von Württemberg-Neuſtadt, gehörig.

Von dieſen Ortſchaften liegt die Mehrzahl ziemlich außerhalb des heutigen Verkehrs. Am bekannteſten iſt Neuhengſtett, das eine Viertelſtunde von Altheng- ſtett, einer Station der Eiſenbahnſtrecke Stuttgart-Calw, auf waldumkränzter Höhe zwiſchen den Tälern der Würm und der Nagold liegt. Althengſtett iſt ein viel— beſuchter Stützpunkt für Touren in die herrlichen Ab— hänge des Schwarzwalds hinter Teinach, Hirſau, Liebenzell, nach Wildbad, Neuenbürg, Herrenberg.

In den geradlinigen Straßen des Dorfes fällt jedem Fremden ſofort der fremdländiſche Typus der Be— wohner auf. Sein Erſtaunen wächſt beim Klange der fremdartigen Laute, die aus ihrer Unterhaltung an fein Ohr dringen. Scharfgeſchnittene bräunliche Ge— ſichter mit tiefſchwarzen Haaren und forſchenden dunklen Augen haben Männer und Frauen. Wer des Franzöſiſchen mächtig iſt, meint hie und da ein franzd- ſiſches Wort zu hören, und doch iſt das Ganze wiederum nicht Franzöſiſch. Gern geben die Leute auf Befragen dem Fremden die Auskunft, daß er in einer der zwölf württembergiſchen Waldenſerkolonien weile, in der ſich die alte romaniſche Sprache, die in den ſavopiſchen Alpentälern daheim iſt, noch erhalten habe. Es iſt ein ausdrudarmer ſüdfranzöſiſcher Dialekt, unter den ita- lieniſche Worte gemiſcht find und auf den ſich natür- lich hier auch der Einfluß des Deutfchen geltend ge-

1 Von Arnold Kurtz. 181

macht hat. Die Leute tragen ſich ſauber, und auch der Ort macht einen ſehr ſauberen Eindruck, was übrigens in Württemberg ſelbſt in entlegenen Landbezirken die Regel iſt.

Um die Zwölfzahl der Kolonien voll zu machen, muß man die kleine induſtrielle Kolonie in Dürrmenz hinzurechnen, die teilweiſe von Dauphinaten aus der

Großvillars.

Alpengegend von Briangon in Südfrankreich beſiedelt wurde.

Die Anſiedlung vollzog ſich, wie dies neuerdings A. Rößger feſtgeſtellt hat, unter vielen Schwierig- keiten. Die Einwanderer rückten in der Regel viel zahlreicher an, als ſie ſich gemeldet hatten, ſo daß binnen kurzer Friſt in allen Kolonien Platzmangel ein- trat. Die erſte Unterbringung war faſt immer ſehr primitiver Art. Wo in den verwüſteten Ortſchaften noch bewohnbare Häuſer ſtanden, wurden ſie natürlich

182 Die Waldenferdörfer in Württemberg. u

benützt. Vor dem Bau der neuen Anſiedlungen legte man die Leute den Bauern in den nächſten Dörfern ins Quartier, oder man errichtete für ſie Baracken, wie ſich denn noch heute in mehreren der Ortſchaften der Flurname „d'arreira la barakka“ (hinter den Baracken) findet.

In Pinache ließen ſich die Anſiedler zunächſt in den dort vorhandenen leeren Schanzwerken häuslich nieder. Nur allmählich kam es zum Ausbau von neuen Häuſern in der landesüblichen Form mit den Giebeln gegen die Straße. Noch in dem Zeitraum von 1720 bis 1722 hatte die größere Anzahl der Familien kein feſtes Haus. In derſelben Zeit war es nur un- gefähr einem Drittel der ja meiſt ganz mittelloſen Fremden gelungen, in einigermaßen erträgliche Ver— hältniſſe zu kommen. Der Grundbeſitz, der von der Regierung zu vier Fünfteln hergeſchenkt und nach der Kopfzahl verteilt worden war, hatte ſich in den zwanzig Fahren fo ſehr verſchoben, daß zum Beiſpiel in Pinache die größere Hälfte aller Familien kaum ein Drittel des geſamten Grund und Bodens beſaß.

Neben den ganz veränderten Lebensbedingungen, Klima und fo weiter erſchwerte noch anderes den An- ſiedlern das Dafein. Das Fehlen von Großvieh, teil- weiſe durch Weidemangel verſchuldet, machte die Düngung des Ackers unmöglich; das anfangs nur mit der Hacke und deshalb nicht tief genug umgebrochene Land trug nicht in erhoffter Weiſe, und das wenige, was er trug, wurde gerade in den allererſten Jahren durch Hagelſchläge völlig vernichtet. Dazu kam im erſten Jahrzehnt der ſpaniſche Erbfolgekrieg, der wieder- holt freundliche und feindliche Heere, beides ſchlimme Gäſte, in die koloniſierten Gegenden führte. 1704, 1707 und 1710 erfolgten erhebliche Rückwanderungen

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184 Die Waldenferdörfer in Württemberg. u

in die Heimat und Auswanderungen nach Norden. 1720 und 1721 zog ein Viertel aller damals noch im Lande wohnenden Familien teils nach Heſſen, teils nach Preußen. Eine Anzahl von ihnen kam nach Jahren enttäuſcht wieder nach Württemberg zurück, ärmer als zuvor. Von 1721 bis 1807 fehlen über die württem- bergiſchen Waldenſer beſondere Nachrichten völlig.

Die Regierung achtete die den Gemeinden ver— liehenen Vorrechte ſo redlich, daß dieſe mit ihrer in der Synode gipfelnden kirchlichen Selbſtregierung einen förmlichen Staat im Staate darſtellten. Und da ſie ji) ebenſowenig um die innere Selbſtverwaltung der nach außen friedlichen Kolonien kümmerte, waren die kleinen Republiken, in denen es öfter zu lang- anhaltenden Zwiſtigkeiten und Parteiungen kam, bald in vollſtändigen Verfall geraten. Selten verſtanden es die Geiſtlichen, den rechten Standpunkt über den Parteien zu finden. Sie waren faſt immer Führer einer der ſtreitenden Parteien.

Als Prediger konnte früher jeder auftreten, ſelbſt Frauen; nach der Kirchenverfaſſung von 1859 müſſen ſie aber ſtudiert haben und werden von den Gemeinden gewählt und von der Synode beſtätigt. Dieſe, aus Geiſtlichen und Laien zuſammengeſetzt, verſammelt ſich alle fünf Jahre abwechſelnd in einem der drei oben— genannten Alpentäler des jetzigen Piemont und iſt die oberſte geſetzgebende Behörde der ganzen Waldenſer— gemeinſchaft.

Die Waldenſer, denen die alten religiöſen Schriften in der Mutterſprache verloren gegangen waren, be— nützten franzöſiſche Bibelüberſetzungen und Umſchrei— bungen des Inhalts der Pſalmen; auch wurde in den ſchmuckloſen Kirchen franzöſiſch gepredigt. Da die Rolo- niſten ihrer Nachbarn wegen ſich auch etwas Deutſch

a Von Arnold Rurk. 185

anzueignen hatten, ſo blieb in der Schule wenig Zeit, für weitere Kenntniſſe Sorge zu tragen. Aber auch die Kenntnis der drei Sprachen blieb. ſehr mangel- haft. Als im Jahre 1805 der Hofrat Mylius im Auf- trag der württembergiſchen Regierung die Gemeinde- verhältniſſe unterſuchte, ſtellte er in einer derſelben nach dem Anhören einer Predigt feſt, daß keiner der

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Pinache. Andächtigen imſtande war, das in reinem Franzöſiſch Gehörte wiederzugeben.

König Friedrich ſtellte dieſe Zuſtände ab, und als in den zwanziger Fahren die Gemeinden auch kirchlich mit der Landeskirche vereinigt wurden, machte die Bildung der neuen Generation raſche Fortſchritte. Heute ſtehen die Waldenſer ihren deutſchen Nachbarn in keinem Stücke nach und überragen fie in einer ge- wiſſen Fähigkeit zu energiſchem raſchen Handeln und ſcharfer Beobachtung.

Ein Irrtum aber ift es, wenn man ihnen nach— rühmt, ſie hätten auf die Landwirtſchaft in Schwaben

186 Die Waldenferdörfer in Württemberg. 2

einen beſonderen Einfluß ausgeübt. Als die Flücht- linge aus den ſavoyiſchen Alpentälern den Boden Schwabens betraten, ſtand hier die Landwirtſchaft bereits auf einer weit höheren Stufe als in deren Heimat. Vom Kloſter Maulbronn aus war dieſe Kultur vielfach gehoben worden. Unter Herzog Ludwig, der ſich von den Tübinger Humaniſten Vergils Bücher vom Landbau erläutern ließ, erfolgten weitere Fortſchritte. Vielleicht führten die Koloniſten damals vereinzelt etwas Seidenbau ein. Daß ſie die Luzerne eingeführt haben ſollen, beruht wohl nur auf dem Namen Lucerne, den eines der Dörfer erhielt, was aber gewiß nach dem ſavoyiſchen Alpental gleichen Namens geſchah.

Auf die Eigentümlichkeiten ihres heimatlichen Dia— lekts können wir hier nicht eingehen; fie find neuer— dings von dem Württemberger Sprachforſcher Doktor Karl Haag eingehend unterſucht worden. Charakte- riſtiſch für unſere Waldenſer iſt, daß nur wenige von ihnen ſich dem Handwerk zuwandten. Schon im erſten Jahrzehnt fanden deutſche Handwerker, Schmiede, Wagner, Schuſter, Schneider, Aufnahme in den Ge— meinden.

Von der fremdartigen Tracht und Sitte, welche die Waldenſer aus ihren ſüdlichen Alpentälern mit- brachten, hat ſich faſt nichts mehr bis in unſere Tage erhalten. Doch iſt es rechtzeitig zu Aufzeichnungen gekommen, denen ich die folgenden Einzelheiten ent- nehme. Die Männer trugen im Winter dunkle Kleider aus Tuch, im Sommer einen Anzug aus Leinwand, deſſen Hoſen nur bis an die Kniee reichten. Die Frauen trugen über dem Hemd, an eine Art Leibchen genäht, um die Hüften einen dicken Wulſt oder Bauſch, an welchem dann der leinene Unter- und der tuchene Obertock feinen Halt fand. Die Röde waren ſehr kurz.

o Von Arnold Kurtz. 187

Die Schuhe hatten hohe Abſätze, und die Strümpfe ſtellten ei- gentlich eine Art Ho- fen vor, ſo lang wa- ren ſie. Ein kleines Floretthäubchen, das bei den Frauen von ſchwarzer, bei den Mädchen von heller Farbe war, bedeckte die zu einem Knoten aufgeſteckten Haare. Beim Kirchgang zur Hochzeit trug die Braut eine große weiße, mit Blumen beſtickte Lei- nenhaube. Kränze hatten die ledigen Ge- vatterinnen im Haar.

Den Eheichliegun- gen ging früher ein feierliches Verlöbnis voraus. Am Hoch- zeitsmorgen zog die Braut mit ledigen Brautführern von Haus zu Haus. Bei

dem ſogenannten Brautbettel wurden der Braut Lebens- mittel, Leinwand und ER - kleinere Geſchenke überreicht. = Auf en einfachen Hochzeitsfeſt wurde flott getanzt.

Schönenberg. '

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188 Die Waldenferdörfer in Württemberg. 2

Von den alten Gebräuchen bei Taufe und Be- gräbnis iſt nichts Genaues überliefert. Damit der Tote nicht ſpuken ſollte, wurde in der Wohnung alles Waſſer ausgeſchüttet, und aller Hausrat etwas von ſeinem Platz gerückt. Das Grab wurde von den Ver— wandten hergeſtellt; meiſt hatte auch jedes Familien- geſchlecht ſeine beſondere Stätte im Friedhof. Heute haben die württembergiſchen Waldenſer ihr Volkstum ſelbſt in den Orten völlig abgelegt, in welchen ſich, wie in Neuhengſtett, Pinache, Serres, die alte Heimat- ſprache noch erhalten hat. Das Volkslied iſt faſt ganz verſchwunden; nur einige Kinderlieder leben noch fort. Auch ſind noch alte Sprichwörter im Gebrauch, und manches derſelben äußert einen witzigen Humor. Ein

Beiſpiel dafür iſt das folgende: „A l’aso de partio setscho lu banas“ „Dem Eſel, der mehreren gehört, verdorrt der Schwanz“, weil eben jeder dem anderen das Füttern überläßt. Ein neckiſcher Kinderreim lautet:

„Margarito, Margarot!

La tschatanja bülyun trop.

Tir' arreire lu düpin

La sum bru per lu matin.“ (Margarete, Margarete, die Kaſtanien kochen über; zieh den Topf zurück, es iſt genug für dieſen Morgen.)

Unter den „Kaſtanien“ werden heute die Kartoffeln verſtanden.

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Senor Hacindp. Ein Phantaſieſtück von M. v. Loga.

oO 0 (Nachdruck verboten.)

Der Teufel ſaß am Höllenfeuer, ſah in die auf- und niederzuckenden Flammen und gähnte, daß ihm die Kinnbacken weh taten.

„Großmutter,“ ſagte er zu ſeiner Ahne, die, mit Behagen eine kurze Pfeife rauchend, auf ihrem Sofa, einem ausgeſtopften Krokodil, lag, „Großmutter, ich muß einmal ausſpannen, muß Abwechſlung haben, ſonſt werde ich nervös. Seit Jahren hocke ich in meiner heißen Bude hier und ſchüre das Feuer, in dem die Verdammten brennen ewig die gleiche Geſchichte. Das wird ſchließlich langweilig. Es zieht mich mächtig zur Erde hinauf. Willſt du während meiner Abweſenheit hier nach dem Rechten ſehen?“

Die Alte erhob ſich von ihrem Lager, ſchob ihre ſchiefſitzende, verſtaubte Haube gerade und verſicherte mit würdevollem Ernſt: „Den Gefallen tue ich dir gern. Die Hölle ſoll ihren Meiſter nicht vermiſſen. Was aber willſt du auf Erden?“

„Was ich dort will? Za, ſiehſt du, mir fiel da eben ein, daß ich noch nie wie ſoll ich mich nur aus- drücken? von ganzer Seele geliebt worden bin. Dieſes mir unbekannte, rätſelhafte Gefühl, von dem die irdiſchen Dichter ſo begeiſtert ſingen, will ich in einer Menſchenbruſt zu erwecken ſuchen.“

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190 Senor Hacindo. 2

Die Alte brach in ein lautes Gelächter aus. „Biſt du verrückt geworden, Zunge? Wer wird ſich wohl in dich verlieben?“ |

„Wer? Nun, ein hübſches junges Mädchen. Mit Liſt und Schmeichelei bringe ich es ſchon dahin. Vernimm meinen Plan: Ich denke nach Deutſchland zu gehen. Eine Deutjche ſieht in dem Geliebten den Inbegriff aller Tugenden, ein Glorienſchein umgibt dann in ihren Augen ſogar den ärgſten Sünder. Sicher- lich finde auch ich unter den Töchtern der Germanen ein Gänschen, das ſelbſt in mir den reinen Engel er- blickt.“ Er lachte höhniſch. „Doch wir haben nun genug geſchwatzt. Ich muß Toilette machen.“

In großer Eile kleidete der Teufel ſich mit Hilfe der Großmutter an und ſchmunzelte vergnügt, als er fein Außeres vor dem Spiegel einer Prüfung unter- warf. Der elegante helle Sommeranzug, die braunen Lederſchuhe, der ſpiegelblanke Zylinder ſtanden ihm in der Tat nicht übel.

„Jetzt biſt du wahrhaftig ein verteufelt hübſcher Kerl!“ rief die Alte und ſchlug bewundernd ihre knochigen Hände zuſammen.

„Ganz meine Meinung!“ pflichtete der Enkel ge- ſchmeichelt bei, nahm mit eleganter Verbeugung Ab- ſchied von feiner Ahne und machte ſich auf den Weg.

Im Nu befand er ſich im Berliner Tiergarten. Helles Frühlingslaub ſchmückte die Bäume, Sonnen- ſtrahlen fluteten darüber hin, erfriſchender Duft junger Blätter erfüllte die Luft.

„Hier atmet man leichter wie in meiner Hölle,“ ſagte der Satan, ſchlenderte zum Brandenburger Tor und von da die Linden hinauf, 2

Neugierig ſah er ſich um. Faſt fünfzig Jahre lang hatte er ſeine Angelegenheiten von dienſtbaren Geiſtern

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in der Reſidenz verrichten laſſen, war nicht ſelbſt her- gekommen. In der Zeit hatte vieles ſich verändert, ſogar die Menſchen erſchienen ihm anders als früher. Die Frauen ſahen ſelbſtbewußter und energiſcher aus, hübſch aber waren ſie geblieben.

Zwei allerliebſte Backfiſche gingen an ihm vorüber. Sie ſprachen von einem Lenbachporträt, das ſie eben geſehen hatten, und achteten nicht auf den e der ſie unverſchämt anſtarrte.

Am wohlgerundeten Arm ein Körbchen tragend, kam eiligſt eine ſchmucke Köchin angerannt.

„Schönes Kind, können Sie mir ſagen, wo ich eine gute Konditorei finde?“ fragte der Satan, auf ſie zu- tretend.

„3 gewiß.“ Sie blieb ſtehen. „Gehen Sie man noch ein Stückchen weiter, da werden Sie die Rranzler- ſche Konditorei finden.“

„Ich möchte Ihnen etwas Konfekt ſchenken. Be— gleiten Sie mich, bitte,“ ſagte der Höllenfürſt, ſtrich ſeinen ſchwarzen Knebelbart und ſah ſie lächelnd an.

„Danke beſtens, das könnte mir den Magen ver- derben,“ lachte die derbe Maid. „Und einen tollen Krach würde es geben, wenn mein Chriſtian vom zweiten Garderegiment uns beiſammen ſähe.“

Sie lief davon. Ihr Korb verſetzte im Vorbei— gehen dem freundlichen Herrn einen derben Stoß, den nicht gerade der Zufall herbeiführte.

„Abgeblitzt!“ ſagte der Teufel. „Wie ſonderbar, daß ich keinen Eindruck mache. Ich bin jetzt doch ein feſcher Zunge mit feinem, fremdländiſchem Geſicht, das eigentlich jedem Weibe gefallen müßte.“

Er ging zu Kranzler, ſetzte ſich an ein Fenſter und ſah, während er Schlagſahne und Tokayer trank, die auf und ab flutende bunte Menge vorüberwandern.

192 Senor Hacindo. 2

Am Nebentiſch hatten zwei klug und intereſſant ausſehende junge Damen, die ſich lebhaft unterhielten, Platz genommen.

„Der Lebensüberdruß, den man ſchon im alten Rom kannte, iſt völlig geſchwunden, ſeit ich meinen Beruf habe,“ ſagte die eine mit leuchtenden Augen. „Und welch Hochgefühl, als ich den Eltern telegra— phieren konnte: Examen beſtanden. Paula, Dr. phil.“

„Langeweile und Lebensmüdigkeit kenne ich eben— falls nicht mehr, ſeit ich ſtudiere,“ erklärte die zweite. „Aber ſieh mal“ ihre Stimme wurde leiſer „da drüben das Gigerl erregt mein mediziniſches Intereſſe. Sein braungelber Teint deutet auf ernſte Leberfrant- heit. Der müßte ſo ſchnell als möglich nach Karlsbad.“

Fräulein Doktor faßte den Satan ſcharf ins Auge. „Du irrſt,“ entſchied fie, „er iſt kerngeſund. Ic halte ihn für ein exotiſches Gewächs.“

„Zum Henker mit den ſtudierten Frauenzimmern! Die ſind mir gründlich zuwider!“ murmelte der Teufel, ging zur Kaſſe, bezahlte und verließ die Konditorei.

Er bog in die Friedrichſtraße ein. Sein Verlangen nach einer Menſchenſeele, die ihn liebte, wurde in dem Gewühl immer ſtärker; wie mit Geierkrallen faßte und quälte ſie ſein Hirn.

Am Schaufenſter eines Zuwelierladens ſtand ein bildhübſches Mädchen und ſtarrte wie geblendet auf die ausliegenden Schmuckſachen. Sie hatte kaſtanien- braune Haare, blaue Schelmenaugen und einen wunder- vollen Wuchs.

Die gefiel Satan am beſten von allen, die er bisher geſehen.

„Sie bewundern wohl die ſchönen Diamanten?“ fragte er und lüftete ſeinen Zylinder.

Die ſchelmiſchen Augen ſahen verwundert zu ihm

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auf, eine leichte Röte huſchte über der Schönen Geſicht. „Sie ſind in der Tat entzückend! Glücklich, wer dieſe Steine tragen wird!“ entgegnete ſie. |

„Geſtatten Sie mir, einen Schmuck zu Fhren kleinen Füßen niederlegen zu dürfen?“

„O nicht doch ſo koſtbare Dinge paſſen nicht für mich. Und von einem Fremden könnte ich auch kein Geſchenk annehmen.“

„Ich bin Senor Hacindo Victorino aus Argentinien,“ ſtellte ſich der Teufel lächelnd vor. „Meilenweite Länderſtrecken ſind dort mein, zu Tauſenden graſt mein Vieh auf üppiger Weide, und die jährlichen Ein- künfte für den Fleiſchextrakt beſtehen aus einigen Tonnen Goldes. In Berlin gedenke ich mich mindeſtens einer zu entledigen.“

„Ei, ei, Senor Hacindo, wie kann man nur fo verſchwenderiſch fein!“ Ihre roten Lippen lachten ſpöttiſch. „Aber ich muß nach Haufe. Mutter wird nach ihrer faulen Ilſe, die fo viel Zeit vor den Schau- fenſtern vertrödelt, ſicher ſchon unruhig ausſchauen.“

Sie ging weiter, und der Senor aus Argentinien ſchloß ſich ihr an. Er redete ſo ſanft und lieb auf ſie ein, daß Ilſe bald Vertrauen zu ihm faßte und ihm ihre Lebensgeſchichte erzählte. Die war nicht lang. Vor zwei Jahren war ihr Vater, der Förſter Ehren— traut, geſtorben, ſeit der Zeit lebte ſie mit der Mutter, die eine kleine Penſion bezog, in Berlin. Da Alſe eine geübte Stickerin war, ihre Mutter Papierblumen für den Verkauf anfertigte, hatten ſie nicht über Not zu klagen. „Ich wäre mit meinem Geſchick ganz zu— frieden,“ ſchloß das Mädchen ihren Bericht, „wenn ſich bei mir im Sommer nicht eine große Sehnſucht nach der Natur, nach dem Walde, in dem ich aufwuchs, ein- ſtellen würde. Wie mir, mag den Zugvögeln zumute

1910. IX. 13

184 Senor Hacindo. Oo

fein, die es im Herbſt nach dem ſonnigen Süden treibt.“

Der Senior zuckte lächelnd die Schultern. „Ihr Wunſch ginge mit einer Handvoll Gold zu erfüllen. Grüne Matten, blaue Seen, ſchattige Wälder, hohe Berge und das Meer, das rauſchende, wogende Meer alles, alles könnten Sie dafür ſehen.“

Das Mädchen antwortete nicht, aber ihre Augen nahmen eine träumeriſche Weichheit an.

Sie waren inzwiſchen durch die Leipziger; und Potsdamerſtraße gegangen.

Am Botaniſchen Garten blieb FIlſe ſtehen. „Sie dürfen mich nicht weiter begleiten, mein Herr. Was würde Mutter ſagen, wenn ſie uns zuſammen er— blickte!“

„Wann ſehen wir uns wieder?“ fragte er mit bittender Stimme.

Se ſchlug die Augen nieder und zögerte. „Um ſechs Uhr abends bin ich allein,“ ſagte fie dann. „Mutter beſorgt um dieſe Zeit ihre Einkäufe für den nächſten Tag. Wir wohnen Grunewaldſtraße 150, im Hinter- hauſe, drei Treppen links.“

Sie nickte ihm einen Abſchiedsgruß zu und eilte davon. 2 Eine quälende Unruhe kam über das Mädchen. Die Frage, ob ſie recht getan habe, drückte ſie. Sie ſtürmte die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, als ob ſie gejagt werde.

Oben angelangt, blieb ſie an der Türe zur rechten Hand ſtehen. Eine Viſitenkarte war daran befeſtigt, auf der ſtand: Ernſt Bürger, Buchhalter.

Ihre Hand fuhr über die Karte, als ob ſie die Schrift auslöſchen wollte. „Wir find fertig mitein- ander, Ernſt Bürger!“ flüſterte ſie. „Aber ärgern wird

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es dich doch, wenn ich eine Sefiora werde, Diamanten trage und mit Goldſtücken um mich werfe.“

Sie zog den Drücker zu ihrer Wohnung aus der Kleidertaſche, ſchloß die Tür zur Linken auf und ver- ſchwand in ihrem Heim.

Als Senior Hacindo am nächſten Tage erſchien, war Ilſe beſtrickend liebenswürdig; ſie wollte den ſchlechten, falſchen Ernſt Bürger vergeſſen, der ſo feſt in ihrem Herzen ſaß. Sa, der junge Buchhalter war falſch und ſchlecht. Täglich war er ein Stündchen zu Ehrentrauts herübergekommen, hatte Zlje Blumen gebracht, ihr Wolle und Seide wickeln helfen und ſchien ohne ſie nicht leben zu können. Da plötzlich verſchwand er ſpurlos. Ohne Abſchied zu nehmen, war er abgereiſt und war nun ſchon mehrere Tage fort; niemand wußte, wohin er war, nicht einmal Frau Reimer, bei der er wohnte. Zedenfalls war der hinterliſtige Menſch in ſeiner Heimat, in Oſtpreußen, da mußte eine alte Liebe von ihm ſein, vielleicht verlobte er ſich mit der. Nun, mochte er immerhin. Ilſe ſollte es gleichgültig ſein. Sie hatte ja einen anderen Verehrer, einen viel intereſſanteren und reicheren.

Was mochte wohl in dem Päckchen ſein, das der Senor auf den Tiſch legte? Ilſe ſah neugierig zu, wie er es aus der Papierhülle wickelte.

Ein elegantes Pappkäſtchen mit dem Bilde einer grauen Katze, die ihre rote Zunge herausſtreckte, kam zum Vorſchein.

„Die Damen in Argentinien lieben Schokolade, Sie werden ſie alſo wohl auch gern haben,“ ſagte der Argentinier und öffnete das Käſtchen.

„Katzenzungen! Welch reizende Uberraſchung!“ rief das Mädchen. „Augenblicklich fehlt mir aber jede

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Spur von Appetit. Doch was liegt da zwiſchen der Schokolade?“

Sie zog einen Ring mit koſtbarem Rubin hervor.

„Wenn Sie ihn tragen wollten, wäre ich über— glücklich!“ erklärte der Beſucher.

Der Stein ſchimmerte wie Blut und Feuer, aber Ilſe vermochte ſich nicht darüber zu freuen; ohne ein Wort des Dankes legte fie ihn in die Schachtel zurück.

Der GSenor erzählte von den Reifen, die fie zu— ſammen machen wollten, von den koſtbaren Toiletten, die Ilſe tragen ſollte, von der Bewunderung, die ihre Schönheit erregen würde.

Ilſe verſicherte, fie freue ſich ſehr auf die große, weite Welt, die ſo ſchön, ſo wunderſchön ſein müſſe.

„Ich erfülle jeden Ihrer Wünſche,“ beteuerte Senor Hacindo, „aber lieb müſſen Sie mich haben ein wenig lieb.“

Das Mädchen lachte. „Nur ein klein wenig? Nein, Senor, dafür bin ich nicht. Entweder von ganzer Seele oder gar nicht.“

„Nun, dann von ganzer Seele!“ ſtimmte der Argentinier feurig bei und zog ihre Hand an ſeine Lippen. Seine Augen flammten und leuchteten wie Phosphor.

Erſchreckt zog Ilſe die Hand zurück und bat ihren Verehrer, jetzt lieber zu gehen, weil ihre Mutter jeden Augenblick zurückkommen müſſe.

Als er fort war, wuſch ſie ihre Hände, bis ſie ganz rot waren; ſie fühlte ſeinen Kuß noch immer darauf brennen.

Ain nächſten Tage klingelte es ſo laut und lange, daß Ilſe erſchreckt zur Tür ſtürzte. Was fiel nur dem Argentinier ein, Sturm zu läuten, das ſchickte ſich doch nicht!

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Als ſie die Tür geöffnet, prallte ſie zurück. Vor ihr ſtand, mit einer Roſe in der Hand, Ernſt Bürger; ſeine guten, treuen Augen ſahen ſie zärtlich an.

„Sie ſehen ja ganz blaß aus, Fräulein Ilſe! Waren Sie krank?“ fragte er. „Ich hatte fern von Ihnen das Gefühl, als ob hier ein Unglück geſchehen ſein müßte.“

„O, nicht doch! Es iſt alles wie ſonſt.“ Ein helles Rot überflog ihr Geſicht.

„Gottlob, daß ich irrte.“

Sie gingen hinein. Ihr war, als ob mit der duftenden Blüte, die er ihr reichte, der Frühling ins Zimmer zöge.

„Ich fand leider nicht Zeit, Abſchied von Ihnen zu nehmen, liebes Fräulein Zlje,“ ſagte der junge Mann. „Eine ODepeſche rief mich zum Sterbebett meines Onkels.“

Jetzt erſt bemerkte Ilſe, daß Ernſt einen Trauerflor auf dem Ärmel trug.

„Sie haben Fhren Onkel verloren?“ fragte fie.

„Er ſtarb bald nach meiner Ankunft, nachdem ich ihm verſprochen, ſein Geſchäft weiterzuführen. Der Verſtorbene hat mir ſein Hab und Gut vermacht. Ich bin jetzt Beſitzer einer Kolonialwarenhandlung in Königsberg, eines Hauſes und eines hübſchen Gartens mit Fliederlaube, mit vielen Roſen und Veilchen.“

„Und nun wollen Sie uns lebewohl Sagen?“ ſtammelte das Mädchen.

„O, nicht doch! Sch wollte fragen, ob Sie fich entſchließen könnten, Frau Bürger zu werden? Ilſe, Sie müſſen ja längſt wiſſen, daß Sie mein Beſtes und Liebſtes auf Erden ſind! Haben Sie mich denn nicht auch ein wenig lieb?“

„Von ganzem Herzen!“ jubelte Ilſe und ſank in feine weitgeöffneten Arme. „Wie glücklich bin ich!“ jauchzte ſie.

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„Aber das oſtpreußiſche Klima wird dir vielleicht nicht behagen, Liebſte.“

„Mit dir ginge ich ſogar nach Grönland!“ beteuerte die junge Braut energiſch.

„Wie war es nur möglich, daß ich an dem lieben Menſchen zweifeln konnte!“ dachte fie, als ihr Bräu— tigam fort war. „Welch ein Glück, daß er mit dem Argentinier nicht zuſammentraf. Dem muß ich ſogleich den Laufpaß geben. Mag er in Argentinien ſeinen Fleiſchextrakt weiterbrauen!“

Wieder ertönte die Klingel. Es war der Argentinier.

Er hatte ein fürſtliches Geſchenk mitgebracht: ein rotes Samtkäſtchen, in dem ein Diamantſchmuck lag Broſche, Armband und Kollier. Die Steine flimmerten und blitzten in märchenhafter Pracht.

„Meine Zlje wird wie eine Prinzeſſin ausſehen mit dem Schmuck,“ ſagte er und wollte wieder des Mäd- chens Hand küſſen.

Ilſe wich zurück. „Die Ihre bin ich nicht, kann ich überhaupt nicht werden!“ rief fie, „Gehen Sie, Senior, nehmen Sie Ihre Geſchenke mit, und kehren Sie nie, nie mehr hierher zurück!“

Sie holte die Schachtel mit der Schokolade und dem Ringe herbei und ſchob fie nebſt dem Schmuck- käſtchen dem Argentinier zu.

„Ich meinte doch, Sie hätten mich ein wenig lieb,“ ſagte Senor Hacindo, während ſein Geſicht ſich vor Wut verzerrte. „Sie wollten doch mit mir in die Welt hinaus. Weshalb ſtoßen Sie mich nun von ſich?“

„Weil Sie mich nicht lieben.“

„Vas brachte Sie zu dieſer Anſicht?“

„O, das fühlt man hier!“ äAlſe legte die Hand aufs Herz. „Sehen Sie, dieſe Blume, die mir der Geliebte brachte“ fie wies auf die auf dem Ciſch

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liegende Roſe „hat für mich mehr Wert als alle Ihre koſtbaren Geſchenke.“ |

Er ging ohne Abſchied davon. Zetzt wußte er, weshalb er nie, in alle Ewigkeit nicht, eine Menjchen- ſeele finden würde, die ihn liebte.

Wütend fuhr der Teufel zur Hölle.

In Satans Abweſenheit vergnügte man ſich da ſo gut als möglich.

Die Großmutter gab einen Kaffeeklatſch. Sie hatte ſich dazu drei Seelen aus dem Feuer geholt: die Franzöſin Madame Masque, eine rothaarige Schön— heit mit geſchminkten Wangen, die Deutſche Frau Lügenſchmied, eine wohlbeleibte Matrone mit Doppel- kinn und falſchen Augen, und die Polin Panna Tru— cizna, eine kleine Perſon mit verbiſſenen Geſichtszügen.

Die vier Damen ſaßen auf dreibeinigen Stühlen, deren Füße in Pferdehufen endeten. Vor ihnen, auf einem mit Schlangenhaut bezogenen Tiſch, ſtand eine dampfende Kaffeekanne und vier gefüllte Taſſen.

Die Polin erzählte eben mit quäkender Stimme von den Giftmorden, die ſie auf Erden vollführt, und des Teufels Ahne lauſchte neugierig dem inter- eſſanten Bericht.

Da kam Satan mit großem Getöſe angefahren.

Madame Masque und Frau Lügenſchmied flüch- teten in raſender Eile. Die lebhaft erzählende Polin aber und die ihr geſpannt zuhörende Großmutter erblickten den Höllenfürſten erſt, als er dicht vor ihnen ſtand.

Schnell erhob ſich die entſetzte Panna und rannte in großen Sprüngen zum Söllenfeuer zurück.

Der Satan ergriff die Kaffeekanne und warf ſie in weitem Bogen ihr nach.

Dann wandte er ſich zu ſeiner Ahne, die ſtarr vor

200 Senor Hacindo. 2

Schreck ſitzen geblieben war. „Großmutter,“ ſchrie er, „auf die Weiber iſt kein Verlaß, weder auf Erden noch in der Hölle! Das Feuer iſt im Ausgehen, und du ſiehſt es nicht einmal.“

Wütend riß er den Zylinder vom Kopf, drückte ihn mit den Krallen wie ein Stück Pappe zuſammen, ſchleuderte ihn in die Flammen und warf den eleganten Gigerlanzug mitſamt den braunen Schuhen hinterher.

Darauf ſchleppte er einen rieſigen Blaſebalg herzu und fachte damit den Brand an.

Knatternd, praſſelnd, in zuckenden gelben Lichtern und mächtigen roten Feuergarben ſtieg die Glut zur Höhe.

Seitdem iſt der Teufel nie wieder auf Liebes- abenteuer ausgegangen.

Aus den Tagen der Saurier.

Von Th. Seelmann.

1 Mit 5 Bildern. Nachdruck verboten.)

(Ki dämmerige Helle breitet ſich über die Erde. Schwere, ſchwarze Wolken hängen unbeweglich von dem grauweißen Himmel herab, der nur am Horizont etwas lichter erſcheint. Im Oſten rötet ſich der Himmel, immer dunkler und dunkler wird das Rot und wächſt zu einer blutroten Spindel heran, die ſich hoch emporreckt und die feuchte, ſchwüle Luft mit einem roſigen Schimmer erfüllt. Allmählich geht das Rot in der Mitte der Spindel in ein feuriges Gelb über, das greller und greller wird, und endlich teilt ſich der funkelnde Dunſtſchleier, und ſtrahlend taucht aus ihm der Sonnenball hervor.

So vollzog ſich der Sonnenaufgang vor Willionen von Fahren in jener Erdperiode, welche als Zura- und Kreidezeit bezeichnet wird, in jenem Abſchnitt des Erdmittelalters, als ein Wechſel der Jahreszeiten un— bekannt war und vom Nordpol bis zum Südpol ein feuchtwarmes, tropiſches Klima herrſchte, in jener Entwicklungsperiode des Tierreichs, in welcher die Reptilien in den Sauriern den Lindwürmern, Flug— drachen und Meerdrachen eine Vielgeſtaltigkeit und Ausbreitung erfuhren, die ſie zu unumſchränkten Herren des Landes, der Luft und des WVaſſers machten.

Jetzt, wo ſich die Strahlen der Sonne über die Erdoberfläche ergießen, enthüllt ſich auch die Land—

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ſchaft mit einem Schlag unſeren Blicken. Es iſt ein ſeltſames Bild, das ſich uns darbietet. Ein dichtes, wirres Grün deckt das flache Gelände, aber wie ver— ſchieden iſt es von unſerem heutigen Wald! Rieſige Farne von der Höhe der Palmen ſteigen auf und breiten ihre gewaltigen Wedel zu buſchigen Fächern aus. Da— neben ſchießen baumartige Schachtelhalme empor, deren hohler Schaft an den Knoten mit Wirteln ſchmaler Blätter umringt iſt. Sie werden durchſetzt von den maſſigen Beſtänden der Schuppenbäume und Siegelbäume. Nur in der Höhe gabeln ſich die Schuppen- bäume zu einigen ſpärlichen Aſten, die von grasförmigen Blättern umhüllt ſind, während die Siegelbäume mit ihrer Aſtloſigkeit und ihrem borſtigen Laub mächtigen Zylinderreinigern gleichen. An anderen Stellen über— wiegen die Sagopalmen. Auch ſie ſind aſtlos und tragen nur an der Spitze des walzenförmigen Stammes Wedel von gefiederten, lederartigen Blättern. Zu ihnen geſellen ſich ſchlanke Nadelhölzer mit großen, eiförmigen Zapfen, Vorfahren der jetzt in Südamerika heimiſchen Araukarien. Allenthalben aber ziehen ſich zwiſchen dieſen eintönigen Dickichten Lachen, Sümpfe und ausgedehnte Seen hin, in denen Schilf, Binſen und Waſſerroſen üppig wuchern. |

Mit dem Aufgang der Sonne erwacht auch das Tierleben. Aus einem moraſtigen See reckt ſich ein biegſamer, ſchlangenähnlicher Hals von 6 Meter Länge empor. Aber dieſer Hals, an dem ein verhält- nismäßig winziger Kopf ſitzt, gehört keiner Schlange an, ſondern geht in einen plumpen Rieſenleib über, deſſen Rückgrat mit ſtarken Vorſprüngen beſetzt iſt. Das Tier weidet die Waſſerpflanzen ab. Nun erhebt es ſich aus dem Schlammpfuhl und ſchreitet ſchwer— fällig dem Ufer zu. Nicht weniger als 25 Meter

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mißt der Leib in die Länge. Daran ſetzt ſich der ungefähr 10 Meter lange Schwanz. Gebt, wo das Tier auf ſeinen vier maſſigen Beinen ſteht, deſſen Zehen mit ſcharfen Krallen be— waffnet ſind, mißt es bis zum Kopf 20 Meter, ſo daß es bis zum Dach eines vierſtöckigen Haujes hin— aufreichen würde. Allein der Unter— ſchenkel mit dem Fuß übertrifft an Höhe einen erwachſenen Mann. Nach einer Schätzung muß das Gewicht des Ungeheuers gegen 20,000 Kilogramm betragen haben. Dieſer Koloß iſt ein Landſaurier, der Diplodocus.

Man hat die Überreſte des Di- plodocus vor einiger Zeit in Nord- amerika und kürzlich auch in Oſt- afrika aufgefunden. Auf dem Lande kann er ſich nur müh— ſam fortgeſchleppt 4 haben. Seine Be- , wegungen würden aber noch viel un- behilflicher gewe- ſen ſein, wenn ſein Gewicht nicht da- durch vermindert worden wäre, daß Unterſchenkel und Fuß des Diplodocus. ſeine Knochen wie bei den Vögeln hohl waren. Der kleine Kopf mit der geringen Hirnmaſſe weiſt darauf hin, daß ſeine geiſtige Begabung nur auf ſehr niedriger Stufe ge- ſtanden hat. Allerdings war das Rückenmark, wie

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aus den Wirbeln hervorgeht, namentlich in der hinteren Hälfte ungewöhnlich ſtark ausgebildet. Es iſt daher möglich, daß dieſes einen Teil der geiſtigen Funktionen übernommen hat. Der Diplodocus war, wie überhaupt die Mehrzahl der landbewohnenden Lindwürmer, ein Pflanzenfreſſer.

Wie der Diplodocus, ſo gehen jetzt auch die anderen Saurier der Nahrungsſuche nach. Faſt ebenſo rieſig und ihm ganz ähnlich, nur etwas ſchlanker gebaut, iſt der Brontoſaurus. Auch er zieht ſchwerfällig dem Walde zu, um dort zu äſen. Allmählich findet ſich hier eine wimmelnde Schar von Sauriern aller Arten zu— ſammen. Welche Fülle von erſtaunlichen, abſchrecken- den Tiergeſtalten drängt ſich durch das Dickicht! Die meiſten ſind von unförmigem, gewaltigem Umfang. Da iſt der Stegoſaurus, der einem RNieſenmolch gleicht. Er hat eine Länge von 10 Meter. Der kleine, ſpitze Kopf ſitzt faſt ohne Hals an dem dicken Leib, der mit runden Knochenplatten gepanzert iſt. Über das Rüd- grat läuft ein Kamm von gebogenen, großen Horn— zacken, und der Schwanz iſt mit langen, ſcharfen Stacheln bewehrt. Neben ihm tummelt ſich der Tri— ceratops, der äußerlich an das Nashorn erinnert, doch iſt er mehr als doppelt ſo groß wie dieſes. Schon ſein Kopf, den hinten ein Knochenkragen umſchließt, iſt 2 Meter lang. Über einem jeden Auge ſteht ein furchtbares Horn, und ein drittes, kleineres erhebt ſich über der Naſe.

Springend wie ein Känguruh, hüpft auf den beiden Hinterbeinen der Thespeſius heran. Bei der Fort— bewegung ſtützt er ſich auf den dicken, langen Schwanz. Die Vorderbeine ſind nur ganz kurz und faſt ver— kümmert. Die breitgedrückte Schnauze aber ähnelt einem Entenſchnabel. Mit ihnen treffen noch viele

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andere ähnliche Rieſenſaurier zuſammen. Aber auch an kleineren Formen fehlt es nicht. So zeigt ſich mitten unter den Koloſſen der zierliche Manoſaurus, der auf ſeinen Hinterbeinchen langſam und poſſierlich einherſchreitet.

Von dem Abreißen der Blätter und dem Abbrechen

Der Thespeſius.

der Zweige, die die freſſenden Tiere von den Bäumen herunterholen, rauſcht und praſſelt es im Wald. Die Ungeheuer verlangen zu ihrer Ernährung auch un- geheure Mengen von Nahrungsſtoffen. Man hat be— rechnet, daß der Diplodocus täglich 8 Zentner Futter zu ſich nehmen mußte. Wo ſich daher eine größere

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206 Aus den Tagen der Saurier. 2

Saurierherde zum Aſen verſammelt, da wird der Wald geradezu verwüſtet. Dieſer übermäßige Nahrungs- bedarf treibt die Tiere an, ſich den ganzen Tag über faſt ausſchließlich dem Nahrungserwerb zu widmen, ein Umſtand, der zweifellos dazu beigetragen hat, daß

Der Ceratoſaurus beim Mahl.

ihre geiſtigen Anlagen keine fortſchreitende Ausbildung erfuhren. |

Die friedliche Beſchäftigung der Nahrungsauf— nahme wird aber plötzlich geſtört. Aus einem ſeitlichen Wäldchen brechen zwei neue Saurier hervor, der Loe— laps und der Ceratoſaurus. Sie ſind die Raubtiere jener Zeit, denn ſie leben nicht von Pflanzen, ſondern ſind Fleiſchfreſſer. Der Loelaps hat eine Länge von

A Von Th. Seelmann. 207

etwa 8 Meter, fein Rückgrat gleicht durch die Horn— zacken einer Säge, und über der Naſe ragt ein kleines, aber kräftiges Horn auf. Der zweite Raubſaurier, der Ceratoſaurus, hat mit ihm die größte Ahnlichkeit. Nur trägt er auf der Stirn noch ein paar mächtige Horn— wülſte. Beide Tiere ſind mit einem furchtbaren Gebiß ausgeſtattet. Auf den Hinterbeinen hüpfend und ſich zugleich mit dem ſtarken Schwanz fortſchnellend, ſtürmen ſie in wilder Blutgier auf die äſende Saurier— ſchar zu. |

Der Loelaps greift zuerſt einen Diplodocus an. Wohl ſetzt ſich der plumpe Rieſe zur Wehr und ſchlägt

Der Pterodaktylus.

mit dem Vorderbein nach dem Räuber, aber im nächſten Augenblick hat ihn dieſer beim Hals gepackt und zermalmt ihn mit einem einzigen Biß.

Doch jetzt werden auch die übrigen noch weidenden Tiere rege. Nicht umſonſt iſt der Triceratops mit drei

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Hörnern bewaffnet, und nicht umſonſt beſitzt der Stego— ſaurus feinen mächtigen Rückenkamm und feinen ſtachel- beſetzten Schwanz. Sie ſtürzen ſich auf den Loelaps, dem der Ceratoſaurus zu Hilfe eilt. Und nun beginnt ein grauſiger Kampf. Der Triceratops und der Stego— ſaurus ſuchen ihren Gegnern von unten her den Leib aufzureißen, während dieſe in ſie ihr furchtbares Gebiß einſchlagen; Ströme von Blut fließen, die Fleiſchfetzen hängen an den Leibern herab, die Knochen brechen krachend, und ſchließlich ſtürzen der Triceratops und der Stegoſaurus mit dumpfem Gedröhn zu Boden. Der Kampf iſt entſchieden, und haſtig machen ſich der Loelaps und Ceratoſaurus über die zuckenden Fleiſch- maſſen her, um ihren Hunger zu ſtillen.

Nur wenige Reſte find übrig geblieben, als fie ihr Mahl beendet haben und zu neuen Kämpfen davon- eilen. Aber kaum ſind ſie entſchwunden, da ertönt in der Luft ein rauhes Gekrächz. Rieſige Flugdrachen, ebenfalls Saurier, deren Flügel 8 Meter meſſen, kommen herangezogen und laſſen ſich auf den Über— reiten nieder. Der Pterodaktylus, der Pteroſaurus und das Pteronodon find ſolche Flugdrachen, die der Ge— ſtalt nach den Fledermäuſen ähnelten und in ihrer Lebensweiſe den heutigen Aasgeiern glichen. Krei— ſchend und beißend ſtreiten fie ſich um die Überbleibfel.

Und wie das Land und die Luft, ſo wird auch das Meer von den Sauriern beherrſcht. In Scharen tummelt ſich in ihm der delphinartige Ichthyoſaurus, der den Fiſchen nachſtellt und Muſcheln und anderes Meergetier verſchlingt. Die Kiefer des langen, ſchmalen Schädels ſind mit einer großen Menge kegelförmiger Zähne beſetzt, die Augen ſind von breiten Knochen— ringen umgeben, die Haut iſt glatt und ſchlüpfrig, vier Floſſen dienen zur Fortbewegung im Waſſer, und auch

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IX.

1910.

210 Aus den Tagen der Saurier. 0

der lange, dünne Schwanz endigt in eine mächtige Ruderfloſſe. |

Bedeutend größer iſt der Pleſioſaurus. Dieſer Meerdrache erreicht eine Länge von 20 Meter. Er erinnert an den jetzigen Seelöwen. Doch ſitzt auf dem gedrungenen Körper ein dünner Hals von 10 Me— ter Länge, und der Kopf iſt ähnlich demjenigen der Schlangen. Noch größer als der Pleſioſaurus wird der Moſaſaurus. Er mißt bis zu 30 Meter. Gewandt ſchlängelt er ſich durch die Flut. Er iſt es, der un— willkürlich die Vorſtellung der ſagenhaften Seeſchlange wachruft. Trifft mit ihm zufällig der gefräßige Loelaps zuſammen, fo verſucht er wohl auch auf dieſes Meer- ungetüm einen plötzlichen Angriff.

Krokodilähnlich iſt endlich der Teleoſaurus. Er iſt nicht mit Floſſen, ſondern mit kurzen, ſtämmigen Beinen verſehen, ſo daß er auf das Land kriechen kann. Rüden und Bauch find mit reihenweiſe gelegten Platten gepanzert.

Viele Zahrtaufende hindurch waren die Saurier die alleinigen Gebieter der Erde. Dann aber tauchte ein neues Geſchlecht auf, die Säugetiere. Im Ver- hältnis zu den maſſigen Sauriern waren ſie kleine und faſt ſchwächliche Geſchöpfe, aber fie beſaßen dafür die höhere Intelligenz. Und ihr unterlag die Rieſenſippe der Saurier langſam, aber unweigerlich.

Mannigfaltiges.

(Nachdruck verboten.)

Der Prophet Müller. Diefer heute gänzlich unbekannte Mann war vor hundert Fahren eine weitberühmte Perſönlich— keit. Die Königin Luiſe von Preußen hielt große Stücke auf Müller, und König Friedrich Wilhelm III. klopfte ihm einmal auf die Schulter und ſagte: „Müller, Er iſt ein braver Mann, und wir wollen hoffen, daß alles ſo kommt, wie es Ihm offenbart worden iſt.“

Johann Adam Müller, geboren in dem Dorfe Meckesheim bei Heidelberg als Kind geringer Bauersleute, hatte in der Neujahrsnacht von 1804 auf 1805 zum erſten Male ein „Geſicht“, das er ſelbſt folgendermaßen erzählt: „Ich ſchlief feſt, da weckte mich eine Geſtalt in langem weißen Kleide; ich griff nach ihr und ſprang aus dem Bette, worauf ſie ſtillſtand und laut und deutlich zu mir ſagte: ‚Dies Jahr entſteht ein Krieg zwiſchen Frankreich und Öfterreih, und wenn letzteres nicht Frieden macht, ſo wird es alles verlieren!“ Hierauf blitzte es am Himmel, und die Geſtalt verſchwand. Ich ging nach dem Fenſter, durch das der Blitz leuchtete, da ſah ich deutlich am Himmel Artillerie von Frankreich gegen Sſterreich fahren, welcher Zug über eine Stunde währte. Pferde, Soldaten, Kanonen und Pulverwagen alles war deutlich zu erkennen.“

Einige Zeit darauf zeigte ſich ihm jene Geſtalt zum zweiten Male und verkündete ihm den kommenden Krieg zwiſchen Frank- reich und Preußen. Das dritte Traumbild ſah er im Jahre 1807 Anfang Januar. Diesmal erſchien ihm ein bejahrter Mann in lichter Geſtalt und befahl ihm, eilends zum Kaiſer von Rußland und zum Könige von Preußen zu gehen. Müller, der nicht wußte, was er bei den Herrſchern tun ſollte, ſagte dies der Erſcheinung. Diefe erwiderte, er werde zu rechter Zeit die rechten Worte finden, worauf ſie verſchwand. Müller ging wieder zu Bett.

212 Mannigfaltiges. u

Da erſchien ihm der nämliche Mann wieder mit noch zwei un- deutlichen Geſtalten zu den Seiten, die aber bald verſchwanden. Der Alte trug das Alte Teſtament unter dem Arm, ſchlug es auf, heftete ſeinen durchdringenden Blick auf Müller und ſprach: „Geh zum Kaiſer von Rußland und zum Könige von Preußen und ſage ihnen, fie ſollten tun, wie in dem Propheten geſaia Kapitel 58 bis 64 ſteht. Frankreich muß verteilt werden, Preußen aber will ich ſo groß machen, wie es noch niemals geweſen iſt.“

Hierauf ward Müller im Traume durch viele Städte geführt, und der Alte ſagte ihm alles, was ihm auf der Reife begegnen

werde. Lebhaft ſah ſich der Träumer in Stettin und dann zu

Königsberg in Preußen in einem großen Haus mit einem ſehr ſchönen Garten, wo ihm alles ſo bekannt vorkam, als ſei er ſchon lange Zeit dageweſen; von da geleitete ihn fein Führer nach Memel, und von Memel kam er wieder zurück an den Rhein. Dann erwachte er. |

Müller fchrieb feine Erſcheinungen nieder, konnte ſich aber nicht entſchließen, von Frau und Kindern fortzugehen, und er beſchloß, alles gehen zu laſſen, wie es wolle.

In der ſiebenten Nacht erſchien ihm der Alte wieder und rief ihm zu, wenn er nicht gehe, ſo ſolle alles Blut über ihn kommen.

Der Träumer, auf den Tod erſchrocken, gelobte nun Gehorſam, auch ſeine Frau drängte ihn, zu gehen. Müller ſtellte dann Frau und Kinder unter die Obhut eines Nachbarn und trat, nur ein Stück Brot und vierundzwanzig Kreuzer in der Taſche, ſeine weite Reiſe an.

Müller erzählt ſelbſt: „Ein Stück von meiner Heimat ent— fernt, ſah ich mich noch einmal nach dieſer um, aber da packte es mich bei meinen Schultern und drehte mich nach dem Wege hin um. Wo ich hinkam, begegnete mir alles ſo, wie es mir im Traume vorgekommen war; wo ich um ein Nachtlager bat, erhielt ich es unentgeltlich nebſt Koſt, und in der Nacht kam mir immer wieder zu Geſicht, wohin ich am nächſten Tage ſollte. So gelangte ich bis nach Prenzlau in der Uckermark, wo die Franzoſen ſtanden und ich um meinen Paß befragt wurde; da ich keinen hatte, jo wurde ich zum Kommandanten gebracht.

D Mannigfaltiges. 213

Der Mann, der mich dahin führte, bedauerte mich, denn es fei ſchlimm mit den Päſſen. Ich betrachtete ihn genauer und fand, daß er auf ein Haar der mir im Traume erſchienenen Geſtalt glich. Nun war ich außer Sorgen. Der Franzoſengeneral fragte mich, wo ich her ſei und wo ich hin wolle, worauf ich ſagte, ich wolle nach Stettin. Da hieß mich der General zum Teufel gehen und ſehen, wie ich nach Stettin käme. Darüber wunderte ſich mein Führer ſehr und meinte, ich müſſe große Gnade bei Gott haben, weil ich jo gut hier weggekommen wäre. Ich reiſte weiter, aber an der Oder wurde ich überall zurückgewieſen. Da kam ich zu einem Pfarrer, dem teilte ich den Zweck meiner Reiſe mit, und er half mir hinüber. Zu Stolp im Pommerland arretierten mich die Preußen als Spion, ich wurde nach Pillau transportiert und hatte dabei viel auszuſtehen. In Pillau ward ich verhört und zu Schiff nach Königsberg gebracht, wohin mein Protokoll vorausgeſchickt worden war. In Königs- berg kam ich in das Haus mit dem Garten, das ich im Traume geſehen, und das ich ſofort wiedererkannte; General Rüchel bewohnte es. Bei dieſem waren viele Generale, auch General Blücher, die mich umringten. Da ich dieſes Haus und den Garten in meinem Protokoll genau beſchrieben hatte, fo er- ſtaunten ſie alle, und ich ward wieder verhört. Noch denſelben Abend wurde ich der Königin von Preußen vorgeſtellt, die mich liebreich aufnahm und unter ihren Schutz ſtellte. General Rüchel befahl, mir in feinem Haufe Koſt und Logis und täglich einen Gulden zu geben. Die Königin ſtellte mich dem Könige vor, der von Heiligenbeil kam. Er hatte bereits mein Protokoll geleſen. Ich offenbarte ihm, daß Frankreich geteilt werden müſſe, daß die Franzoſen im Norden zugrunde gehen, und Preußen würde groß werden wie nie zuvor. Der König, der von meiner Rede ganz angegriffen war, ſagte, daß er ja keinen Krieg mehr fortſetzen, und dies alſo auch nicht eintreffen könne, worauf ich ihm ſagte, er möge machen, was er wolle, es würde doch geſchehen, was ich ihm geſagt.“

Dieſe erſte Unterredung Müllers mit dem König von Preußen fiel in die Zeit nach der Schlacht von Jena und Auerſtädt, in die Zeit, da die Fahnen der ſiegestrunkenen Franzoſen an

214 Mannigfaltiges. 2

den Ufern der Weichſel flatterten. Am 8. Februar 1807 wurde die erfolgloſe Schlacht bei Eylau geſchlagen, das preußiſche Königspaar flüchtete von Königsberg nach Memel, und Müller, der am Königshofe ſo freundlich aufgenommene Prophet, machte dieſe traurige Reiſe mit. Er blieb beinahe ein Jahr in Memel, und während dieſer Zeit ließen ſich die vornehmſten Perſonen und Würdenträger von dem Propheten im Bauern- kittel den Verlauf der Zukunft deuten. Nach dem Friedens- ſchluß begleitete Müller den General Knobloch nach Königsberg, denn der ruſſiſche Großfürſt war eigens dorthin gekommen, um den ſüddeutſchen Seher zu ſehen und zu hören. Vor ihm kramte Müller alle feine Geſichte aus, die ein Sekretär ſäuberlich zu Papier brachte. Dieſes Protokoll ward nach Petersburg geſchickt, und Müller ſollte die Antwort abwarten. Aber ein dringender Brief ſeiner Frau und auch eigenes Heimweh zogen ihn mit unwiderſtehlicher Gewalt heimwärts. Er zeigte den Brief von ſeiner Frau der Königin Luiſe, und dieſe riet nun ſelbſt zu ſeiner Heimkehr, ſie erwirkte ihm auch einen ſreien Poſtpaß bis Heidelberg, wo er nach ſo langer Abweſenheit glücklich eintraf und von Frau und Kindern mit Jubel begrüßt wurde. Die Bauern, die früher für ihn nur Spott gehabt hatten, ſtaunten ihn jetzt an wie ein Wundertier. Müller aber ſchätzte den maßloſen Reſpekt, den man ihm jetzt auf Schritt und Tritt entgegenbrachte, ebenſo richtig ein wie die frühere Gering- ſchätzung, die man ihm aus ſeinen „Geſichten“ entgegengebracht hatte. Er griff wieder zum Pflug und zur Senſe und erfüllte in ſtrammer Arbeit ſeinen Lebensberuf.

Die Königin Luiſe ſah er nicht wieder, wohl aber den König und zwar zu Heidelberg im Jahre 1814. Das Volk war zu— ſammengeſtrömt, um den einziehenden Monarchen zu ſehen. In einer der vorderſten Reihen ſtand der alte Hofprophet, den der König ſofort bemerkte und wiedererkannte. Der Monarch umarmte den ſchlichten Bauersmann auf offener Straße vor dem „Badiſchen Hof“, ſeinem Abſteigequartier. Der König lud ihn in ſeine Gemächer ein, wo eine lange Unterhaltung ſtattfand. Müller ſagt darüber in ſeinen Aufzeichnungen: „Der König von Preußen unterhielt ſich lange mit mir, und

2 Mannigfaltiges. 215 ZZ ‚m als ich ihn daran erinnerte, daß nun alles eintreffe, was ich ihm damals in Königsberg geſagt hätte, und ihn bat, alles zu tun, was Gott befehle, da verſprach er mir in die Hand hinein, daß er alles beginnen wolle. Ich ſchrieb ihm dann noch mehrmals nach Wien und nach Frankreich und warnte ihn aus meinen gehabten Erſcheinungen, die er gnädig aufnahm. Ich weisſagte ihm, daß über Frankreich geſchehen müſſe, was ich ihm ge- ſagt habe.“ Der eigenartige Prophet ſtarb hochbetagt im Fahre 1857. C. T Neue Erfindungen. I. Kombinierter Rüden- und Aufwaſchtiſch. Bei beſchränkten Raumverhält- niſſen iſt es oft nicht möglich, außer dem Küchentiſch noch einen Aufwaſchtiſch in der Küche unterzubringen. Dieſem Übeljtand

wird durch den von den Vereinigten Eſchebachſchen Werken in Dresden hergeſtellten kombinierten Küchen- und Auf— waſchtiſch (D. R. G. M.) abgeholfen. Der Aufwaſchtiſch iſt bei dieſer Neuheit mit dem Küchentiſch dergeſtalt vereinigt, daß er, falls er nicht im Gebrauch iſt, auch keinen eigenen Plas beansprucht. Dies wird dadurch erreicht, daß die beiden Aufwaſchbecken in einem Rahmen hängen, der hervor- gezogen wird, wenn der Küchentiſch als Aufwaſchtiſch ge-

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braucht werden ſoll, wobei die ſeitlichen Stützen ſich ſelbſt— tätig feſtſtellen. Der Rahmen, in dem die Aufwaſchbecken hängen, iſt aus Eiſen haltbar hergeſtellt, ſo daß ein Feſtklemmen derſelben durch Aufquellen, wie es bei Holzrahmen vorkom- men würde, ausgeſchloſſen iſt. Die praktiſche Neuheit wird bei unſeren Hausfrauen eine gute Aufnahme finden, da ſchon ein Blick auf die umſtehend abgedruckte Zlluftration genügt, um die außerordentlichen Vorteile eines ſolchen kombinierten Kuchen- und Aufwaſchtiſches erkennen zu laſſen.

II. Verſchließbares Likörſervice „Tan— talus“. Die Aufbewahrung von Likören, Deſſertweinen und ſo weiter kann nicht immer in verſchloſſenen Schränken geſchehen, da die hierzu beſtimmten Gläſer und Flaſchen meiſt

aus Kriſtallglas angefertigt ſind und mit dem Tablett bezie- hungsweiſe Ständer oder Halter meiſt auch eine Zierde für das Büffet abgeben ſollen. Sind die Fla- ſchen gefüllt, ſo iſt auch die Ver- führung außer- ordentlich groß, davon etwas zu koſten, nicht nur daß naſchendes

Dienſtperſonal

daran nippt, es trinkt auch die Hausfrau oder der Hausherr öfters daraus, als es notwendig iſt die Gelegenheit macht Diebe, und ſchließlich ſind ſämtliche Flaſchen geleert, ehe man ſich's verſieht. Für alle, die derartige gute Liköre zu Hauſe zu führen pflegen, hat

2 Mannigfaltiges. 217

die Firma Stöckig & Co. in Oresden-A. 16 ein Likörſervice geſchaffen, das unſtreitig ein Bedürfnis iſt, und den vortreff— lich paſſenden Namen „Tantalus“ führt. Dieſes Service wird für drei oder für mehr oder auch für weniger Flaſchen geliefert, glattes Silber iſt mit feingeſchliffenem Kriſtallglas zu einem harmoniſchen Ganzen verbunden, es gibt keine Gelegenheit zum Nippen, denn die ſinnreiche Einrichtung, mittels der man das Herausnehmen und Öffnen der Flaſchen verhindern kann, läßt den, der nicht im Beſitz des Schlüſſels iſt, wahrhafte „Tan- talusqualen“ empfinden. f

„Und!“ Eine ſonderbare Theaterwette machte einſt der bekannte Altwiener Bühnendichter Caſtelli mit dem damaligen Schauſpieler des Nationaltheaters Heurteur, der als Helden- darſteller über ein Pathos verfügte, das ihn zum erklärten Liebling des Publikums machte.

Im Zwiſchenakt eines Ritterſchauſpiels kam Caſtelli einſt in die Garderobe und gratulierte Heurteur zu dem rieſigen Beifall, den er wieder einmal eingeerntet hatte. |

„Ach was,“ erwiderte dieſer gemütlich, „das kommt nur auf mich ganz allein an, wo und wann ich beklatſcht fein will! An welcher Stelle, ja bei welchem Wort ich loslege, muß ein- fach alles klatſchen.“ |

Caſtelli ſchüttelte zweifelnd feinen Kopf.

„Sie wollen mir nicht glauben? Wetten wir alſo zehn Flaſchen Champagner! Sie ſelber dürfen mir fogar eine be- liebige Stelle in meiner heutigen Rolle bezeichnen, wo ich beklatſcht werden ſoll!“ |

Caſtelli nahm die ausgeſchriebene Rolle, blätterte darin umher und wies ſchließlich auf ein einziges kleines Wort, das innerhalb einer längeren Rede ſich befand, auf das Wört- lein „und“. |

„Es gilt!“ rief Heurteur lächelnd. „Sie werden ſehen: ich bin es, der gewinnt!“

Als er ſpäter wieder auf die Bühne trat und die betref- fende Stelle herankam, ſprach er dieſelbe mit immer heftiger ſich ſteigerndem Pathos, bis endlich das kritiſche Wörtlein ſich nahte.

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Nachdem er dieſes „und“ mit großer Wucht und Heftigkeit als Höhepunkt ſeiner Rede förmlich hinausgeſchleudert hatte, ſchien plötzlich vor Erregung ihm die Stimme zu verſagen. Raſender Beifallſturm lohnte dieſes pathetiſche Kunſtſtück. Caſtelli hatte ſeine Wette verloren! K. R.

Etwas von der Körperfülle. Die KRörperfülle, die auch bei uns als das Zeichen einer behäbigen, durch keine Sorgen geſtörten Exiſtenz gilt, die jedoch bei einer allzu üppigen Entwicklung von den glücklichen Beſitzern gerade nicht mit freundlichen Augen angeſehen wird, ſteht bei ver- ſchiedenen halbwilden Völkern in ganz entſchiedenem Anſehen und wird als ein beneidenswertes Gut erſtrebt, in deſſen Beſitz ſich namentlich die Ariſtokratie dieſer Völker befindet.

So gilt vielfach in Polyneſien die Fettleibigkeit als ein Abzeichen und Privilegium der Häuptlinge und ihrer Familien, welche dieſe Eigenſchaft im Gegenſatze zu dem ſich nicht gerade durch Körperfülle auszeichnenden gemeinen Volke oft in bedeutendem Grade beſitzen; nur in Samoa ſcheint die Korpulenz ſich allgemeiner durch das Volk zu er— ſtrecken. Den höchſten Grad erreicht fie aber bei den Häupt- lingsgeſchlechtern auf Hawai, deren Fleiſchmaſſe ganz koloſſale Dimenfionen annehmen ſoll, und wo ſie gleichfalls als die größte Schönheit für das weibliche Geſchlecht gilt, weshalb nach der erſten Jugend, namentlich bei den Frauen der Vor— nehmen, das Starkwerden häufig bis ins Ungeheuerliche ge— fördert wird. ö

Auch auf Tahiti findet ſich dieſe Neigung bei den Vor— nehmen, wenn auch nicht in dem Grade wie auf Hawai; bei den Tonganern und nanientlich den Markeſanern nimmt ſie bei weitem beſcheidenere Dimenſionen an und findet ſich gleichfalls nicht ſo allgemein in den höheren Ständen. Da— gegen ſind auf den Gilbertsinſeln die Häuptlinge wieder ſehr ſtark, und auf der Loyalitätsgruppe verleiht die Korpulenz ganz bedeutendes Anſehen, ſo daß einem beſonders ſtattlichen Miſſionar feine Korpulenz mindeſtens die gleiche Verehrung zuzieht als fein heiliges Amt. Auf Viti fehlt die Anlage und Neigung zum Fettwerden gänzlich.

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In Indien bewundert man gleichfalls die Korpulenz als Zeichen einer guten Lebensſtellung und begegnet ihr mit Reſpekt und Verehrung; als ſehr erwünſchten Körperzuſtand befördert man ſie vielfach durch Trinken von Ghi, zieht ſich aber anderſeits dadurch leicht Leberleiden zu. Beſonders in Sindh wird bei den höheren Klaſſen viel auf Dicke der Würde und Schönheit halber geachtet, ſo daß dieſe vornehme Kor- pulenz dort ſogar in das Sprichwort übergegangen iſt; über- ſchreitet man dagegen die Grenze dieſes Landſtriches und nähert ſich mehr der Berggegend, ſo findet man bald einen Wechſel dieſes Geſchmackes, die in Sindh fo erwünſchte Kor- pulenz gilt hier, bei den Männern wenigſtens, als unfein. Auch hier iſt jedoch für die Schönheit der Frau eine gewiſſe Korpu— lenz Erfordernis, und bereits ein Geſetz des Manu ſchreibt vor, bei der Wahl des Eheweibes darauf zu achten, daß der Gang graziös wie der eines jungen Elefanten ſei, wozu doch wohl jedenfalls eine tüchtige Körperfülle erforderlich iſt.

Ganz im Gegenſatze zu dieſem indiſchen Geſchmack ſteht der chineſiſche, welcher bei der Frau eine zarte Geſtalt fordert.

Die klaſſiſche Gegend für Wohlbeleibtheit der Souveräne iſt die ſüdliche Hälfte Afrikas. Die Ovampo wählen daher zu Regenten nur ſolche Perſonen, welche Anlage zum Fett- werden zeigen, und erreichen, da nachher der König ſich förm- lich mäſten läßt, durch dieſe Zuchtwahl Exemplare wie den Herrſcher, welchen Galton traf, und welcher im Freien ſchlafen mußte, weil er wegen ſeiner Fülle nicht mehr in die Hütte kriechen konnte.

Bei den Matabele gilt Fettſein, ebenſo wie in den Land— ſtrichen ſüdlich vom Kongo, überhaupt als Privilegium des Königs, und das Fettwerden eines Untertans wird demgemäß als ein ſchweres Verbrechen betrachtet; den Wagogo ſcheint der Wohlbeleibtheit ſogar etwas Göttlihes einzuwohnen, ſo daß ſie ſtark beleibten Perſonen göttliche Ehren erweiſen ſollen. Im Königreich Karagwe gilt ebenſo wie in Unyoro und anderen afrikaniſchen Staaten die Wohlbeleibtheit als zum Begriff der Schönheit gehörig; ſchon von früheſter Jugend an werden daher die Mädchen einer förmlichen Mäſtung mit

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Milchbrei unterworfen, und von dieſem wird ihnen täglich eine Gallone oft unter Prügeln eingezwängt.

Zum Schluß mag noch bemerkt ſein, daß bei den Galliern für die männliche Jugend das Dickwerden verboten, und die Überſchreitung eines gewiſſen Gürtelmaßes mit Strafe be- droht war. Di. C.

Belohnte Redlichkeit. Vor mehreren Fahren ſtarb in Brüfſel ein reicher alter Herr, der faſt fein ganzes Vermögen einer jungen Fabrikarbeiterin vermacht hatte.

Der Verſtorbene war nämlich ein ſonderbarer Kauz, der es ſich, wie einſt Diogenes, zur Aufgabe gemacht hatte, „Men- ſchen zu ſuchen“. Um die Rechtſchaffenheit feiner Mitmenſchen auf die Probe zu ſtellen, machte er oft die ſeltſamſten Verſuche, die freilich meiſt ungünſtig ausfielen und ihn in ſeiner ſchlechten Meinung von den Menſchen beſtärkten.

Zuletzt fuhr er längere Zeit hindurch täglich in einem Omnibus dieſelbe Strecke und ſetzte ſich ſtets auf den Platz neben dem Schaffner. Er vermittelte bereitwillig das Hin- und Hergeben des Geldes; jedesmal aber, wenn der Schaffner Kleingeld herauszahlte, überreichte der alte Herr dem betreffen- den Fahrgaſte die Summe, fügte aber unbemerkt und ſehr ge— ſchickt immer ein Geldſtück aus ſeiner Taſche hinzu, wie wenn der Schaffner ſich geirrt und zu viel herausgegeben hätte. Dann beobachtete er ſeine Leute ſcharf. Die meiſten zählten ruhig das Geld nach, merkten den Irrtum, zählten oft noch einmal und ſteckten dann ſchmunzelnd den kleinen Gewinn ein. Der Alte wiederholte ſein Kunſtſtück oft, aber unter den vielen war nicht einer, der mit dem Schaffner Mitleid hatte und ihm das zuviel erhaltene Geld zurückgab.

Eines Tages rief aber ein junges Mädchen ſofort haſtig: „Schaffner, Sie haben mir einen halben Franken zu viel ge- geben,“ und gab ihm das Geld zurück. Das Geſicht des alten Herrn hellte ſich auf und wurde ordentlich verklärt. Er ging dem Mädchen nach, verſchaffte ſich ihre Adreſſe und zog Erkundigungen über ſie ein, die jedenfalls günſtig ausgefallen ſein mußten, denn der halbe Franken ihrer Ehrlichkeit erwarb dem jungen Mäd- chen eine Erbſchaft von einer halben Million. O. v. B.

u Mannigfaltiges. 221

Die Vogelkatzen. In den großen Kanarienvögelzüͤch- tereien in Andreasberg im Harz hält man ſogenannte „Vogelkatzen“. Da in den Flughecken durch die Vögel

viel Futter verſchüttet wird, ſo ſtellen ſich hier bald Mäuſe ein, die die Neſter mit den Eiern und nackten Zungen plün- dern. Der Fang dieſer Eindringlinge nun liegt den Vogel-

8 > .

Eine Lieblingsſtellung der Wachtel.

katzen ob, die ſich niemals an den Vögeln vergreifen. Man gewöhnt den Katzen die Angriffe auf Vögel dadurch ab, daß man ſie jung in Säcke bindet und aus dieſen nur den Kopf herausſehen läßt. Dann hält man den Katzen einen Vogel

222 Mannigfaltiges. 2

vor, der bei der geringſten Bewegung der Katze mit dem Schnabel nach ihrer Naſe pickt. Auf dieſe Weiſe wird den Katzen von klein auf Furcht vor den Vögeln eingeflößt und ihnen ſo die Luſt zu Angriffen auf die gefiederten Sänger genommen. Immerhin bleibt die Gewöhnung der Katzen an die Vögel erſtaunlich.

Erſtaunlicher noch aber iſt die freundſchaftliche Zuſammen— gewöhnung von Katze und Vogel, wie ſie aus Bethlehem, einer Stadt in Pennſylvanien, berichtet wird. Es handelt ſich hier um ein wahrhaft inniges Freundſchaftsverhältnis zwi— ſchen einer Katze und einer Wachtel. Der Vogel, der einem Herrn Schippang gehört, flog eines Tages aus ſeinem Käfig und verkroch ſich unter dem Herd, wo das Kätzchen lag. Von dieſem Augenblick an datiert die Freundſchaft. Die Wachtel kann ſich jetzt ungeniert der Katze auf den Rücken und ſogar auf den Kopf ſetzen und darauf nach Belieben verweilen. Die Zuneigung der Katze zu der Wachtel zeigte ſich unter anderem auch dadurch, daß, als dieſe einige Tage entflogen war, die Katze ſichtlich betrübt im Hauſe umherſchlich.

Bemerkenswert iſt noch die Geſchmadsänderung, die bei dem Vogel ſeit Anknüpfung des Freundſchaftsverhältniſſes eingetreten iſt. Früher wurde er mit Hirſe, Weizen und Roggen gefüttert. Das Kätzchen erhielt Leckerbiſſen vom Tiſch, Kuchen und andere Süßigkeiten. Jetzt teilt die Wachtel durchaus ihre Nahrung, und namentlich iſt ſie auf Zucker und Fruchtgelee erpicht. Th. S.

Der grobe Käſtner. Der berühmte Mathematiker Abra- ham Gotthelf Käſtner (1719-1800) wurde von einem Herrn, welcher lange zu ihm geſprochen hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, gefragt: „Ich falle Ihnen wohl mit meinen Reden läſtig, Herr Profeſſor?“

„Nicht im geringſten,“ erwiderte der Gefragte, „fahren Sie nur fort, Sie merken es wohl ſchon lange, daß ich nicht zuhöre.“

Ba'd nach feiner Berufung nach Göttingen wurde die wert— volle Mineralienſammlung der dortigen Univerſität nicht ohne Verſchulden des Bibliothekars in erheblicher Weiſe beſtohlen.

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Beſtürzt eilte der Bibliothekar zu Käſtner, erzählte ihm fein Mißgeſchick und fragte: „Was in aller Welt fange ich nur mit dem leeren Futteral zu der Silberſtufe an, das die Spitz— buben mir zurückgelaſſen haben?“ |

„Das iſt ſehr einfach,“ erwiderte Käſtner, „da fteden Sie die Naſe hinein, welche Sie von der Regierung erhalten werden.“

In Leipzig fragte er einmal einen jungen Baron, welcher, ohne jegliche Beſchäftigung, das Vermögen, das ſeine Eltern ihm hinterlaſſen hatten, durchbrachte: „Verzeihung, Herr Baron, womit beſchäftigen Sie ſich eigentlich?“

Da warf ſich der jugendliche Müßiggänger ſtolz in die Bruſt und entgegnete: „Ich privatiſiere.“

„Das tut mein Pudel auch,“ erwiderte Käſtner und wandte ihm den Rücken. A. Sch.

Ein Miniſter, der ſein eigenes Todesurteil unterzeichnete, war Kardinal La Balue, der zur Zeit der Regierung Ludwigs XI. von Frankreich lebte. Ludwig XI., ein ebenſo herrſchſüchtiger wie tückiſcher und feiger Charakter, hatte erfahren, daß La Balue, ein ſonſt äußerſt befähigter Staatsmann, die meiſten der ihm vorgelegten Schriftſtücke unterzeichnete, ohne ſie vorher auf ihren Inhalt zu prüfen. Dieſe Oberflächlichkeit benützte der hinterliſtige und grauſame Monarch dazu, um den des Verrats beſchuldigten La Balue, auf deſſen Beliebtheit er längſt eifer— ſüchtig war, zu ſtürzen. Er veranlaßte den Sekretär des Mini- ſters, ſeinem Herrn unter einer Menge gleichgültiger Erlaſſe auch ein Schriftſtück vorzulegen, in dem La Balue fein Ein- verſtändnis mit den Feinden des Königs eingeſtand, und das mit einem Satze endete, der folgendermaßen lautete: „Hiernach erkenne ich ſelbſt an, daß ich ein ſchändlicher Verräter bin und als ſolcher die über mich verhängte Todesſtrafe nur als gerechte Sühne anſehen kann.“

Dieſes Schreiben unterzeichnete der ahnungsloſe Minifter wie ſo viele andere ungeleſen, und er wäre wohl auch ſicher geköpft worden, wenn König Ludwig XI. nicht einen Volks- aufſtand gefürchtet hätte. Auf Anraten ſeines Barbiers, den er zu ſeinem Vertrauten erwählt hatte, um ſich von den Großen ſeines Reiches unabhängig zu machen, verhängte

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der König aber über den verhaßten Kardinal eine andere Strafe, die ganz ſeinem grauſamen Charakter entſprach. Er ließ einen großen, eiſernen Käfig bauen und dieſen in den Gärten ſeines Palaſtes aufſtellen. Dieſer Käfig diente dann elf Jahre lang, von 1472 bis zum Tode Ludwigs im gahre 1483, dem unglücklichen La Balue zum Gefängnis. Beim Regierungsantritt Ludwigs XII. wurde der Kardinal freigelaſſen. W. K.

Dauerblütige Sommerblumen. Dem Gartenfreund, der nicht über allzuviel Platz in ſeinem Garten zu ver— fügen hat, wird daran liegen, daß ſeine Blumenbeete mit Blumen beſetzt ſind, die eine lange Blütendauer haben, und daher wird er immer am beſten tun, zu den ſogenannten Sommerblumen von einjähriger Dauer zu greifen, dabei aber nur ſolche Sorten zu wählen, welche ein langes Blühen verſprechen.

Bei der Frage, ob man Sommerblumen ſelbſt heranziehen oder die Pflanzen beim Gärtner kaufen ſoll, iſt letzteres in allen Fällen vorzuziehen. Die im freien Lande angeſäten Blumen entwickeln ſich immer weit ſpäter als die, welche der Gärtner auf ſeinen Miſtbeeten herangezogen hat. Ausſaaten an Ort und Stelle ſind aber überhaupt nicht zu empfehlen, weil ſie ſpäterhin das Ausziehen und Verdünnen nötig machen, wodurch die Regelmäßigkeit der Anlage des Beetes notwendigerweiſe leiden muß.

Beim Auspflanzen iſt zu beachten, daß die Beete zuvor gut gedüngt und gelockert werden. Das Setzen der Pflanzen ſoll nicht bei zu heißem Wetter erfolgen, ſondern bei bedecktem Himmel oder Regenwetter. Sonſt find die ſpäten Nachmit- tagſtunden dazu zu wählen, und nach dem Setzen iſt haupt- ſächlich an heißen Tagen des Abends ausgiebig zu ſpritzen oder zu überbrauſen, damit die Pflanzen nicht verwelken. Jede Pflanze muß außerdem ſofort gründlich angegoſſen werden.

Ferner empfiehlt es ſich, mehrere Pflanzen zuſammen zu ſetzen, damit keine Nachpflanzung ſtattzufinden braucht. Nach ſtarken Regengüſſen und vielem Gießen iſt der verkruſtete

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Boden, folange dies möglich iſt, tüchtig aufzulockern. Nach dem Anwachſen iſt ab und zu ein Dungguß zu verabreichen, der ungemein zum Gedeihen der Gewächſe beiträgt. Am beſten tut man, Geflügeldünger, Hornſpäne oder Blumendünger in einem Faſſe mit Waſſer zu verrühren und davon Dung- güſſe auf die Beete zu bringen. Vo es notwendig iſt, beſonders bei Pflanzen mit langen Stengeln, verſäume es der Garten- freund nicht, Stäbchen anzubringen, damit ſie der Wind nicht umlegen oder abbrechen kann.

Sommergewächſe eignen ſich ſowohl zur Beſetzung der Beete mit einer einzigen Art, als auch gemiſcht gepflanzt, oder die Farben können in Reihen abwechſelnd geordnet, und die Beete mit einer recht lebhaften Hauptfarbe eingefaßt werden. Die gemiſchte Pflanzung iſt da am Platze, wo man zum Bei- ſpiel über breitere Beete verfügt, die vielfach mit hochſtämmigen Roſen, Fuchſienbäumen und Dahlien beſetzt werden. Die hohen Pflanzen werden abwechſelnd in die Mitte geſtellt, dann folgen die anderen, von denen die niedrigſten die Einfaſſung abgeben. Auch als Einzelpflanzen im Rafen, auf kleinen Beeten angebracht, ſind einige Arten ſehr wirkungsvoll. Ebenſo können vor Gehölzgruppen unregelmäßige Beete paſſend bepflanzt angebracht werden. Auch als Zwiſchenpflanzung bei Rafen- gruppen laſſen ſich niedere Sommergewächſe recht gut ver- wenden. |

In neuerer Zeit find zur geſchmackvollen Verwendung im Garten befonders die einjährigen Schlingpflanzen, das heißt ſchnellwüchſige Sommergewächſe mit rankenden oder windenden Stengeln, die als Stütze eines Spaliers, eines Drahtgitters, einer Pyramide bedürfen, in Aufnahme ge- kommen. Niedrigbleibende Schlingpflanzen, zum Beiſpiel die wohlriechende Wicke oder die rankende Kapuzinerkreſſe oder die bunte Trichterwinde, begnügen ſich mit einigen in den Boden eingeſteckten Reiſigzweigen oder mit Bind— fäden, welche zwiſchen zwei Pfählen befeſtigt ſind oder von der Pfahlſpitze zur Erde geleitet werden. In größeren Gärten gewährt ein zu dieſem Zwecke errichtetes Lauben- oder Verandengerüſt, welches mit ſtarkwüchſigen en

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gewächſen bekleidet wird, einen eigenartigen, anziehenden Anblick.

Wie jedes Bild erſt durch den Rahmen einen abgeſchloſſenen Eindruck gewinnt, ſo iſt darauf zu achten, daß das Beet die paſſende Einfaſſung durch niedrige Blumen erhält, deren Blüte von längerer Dauer iſt. In erſter Linie ift hier die bekannte blaue Lobelie anzupflanzen, ein zierliches Blümchen mit faſt unzähligen Blütchen, die bis zum eintretenden Froſt an den Zweigen ſitzen. Daneben kommt die hängende Silene in Be- tracht, ein Nelkengewächs von langer Blütendauer, das immer wieder neue Blumen entwickelt und ſich oft an Ort und Stelle für das nächſte Jahr ausſät.

Sehr zierliche Einfaſſungsblumen ſind die Nemophilen. Man kann den Samen an Ort und Stelle ausſäen. Die Blüm- chen prangen in den bunteſten Farben, blau, weiß, braun, getupft, gerändert und gezeichnet. Sehr beliebte Einfafjungs- blumen find die Mittagsblumen mit fleiſchigblätterigem Ge— zweig, vom Volke häufig „Eiskraut“ genannt. Bei Teppich- beeten kann man als Einfaſſung auch den bekannten Sauer- klee verwenden. Legt man dabei auf buntes Ausſehen der Blätter Wert, fo iſt das gelbblätterige Pyrethrum zu emp- fehlen. Man verhütet das Aufſchießen der Blütenſtengel durch öfteres Kürzen.

Sehr reich geſtaltet ſich das Material dauerblütiger Sommer- blumen, wenn man Pflanzen mittlerer Höhe verwenden will. Hier hat ſchon ſeit Jahrhunderten eine beſtimmte Pflanzen- klaſſe ſich in unſeren Blumengärten Geltung verſchafft. Es ſind dies die altgewohnten Levkoien, Aſtern, Ritterſporn, Reſeden, Balfaminen, Verbenen, Kapuzinerkreſſe, Nelken, Petunien, Malven, Strohblumen und Sommerchryſanthemen.

Levkoien find in erſter Linie zu berückſichtigen, da fie bis in den Herbſt hinein blühen, wenn man dafür ſorgt, daß ſie nicht zu feucht ſtehen, weil bei übergroßer Feuchtigkeit Wurzel- krankheiten eintreten. Aſtern und Nelken haben eine verhält- nismäßig kurze Blütendauer, wirken aber immer ſehr vor- teilhaft, beſonders ſeitdem in der neueren Zeit eine große Menge Neuzüchtungen herangebildet ſind. Die Reſeda wird

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am beiten nicht in Gruppen ausgepflanzt, ſondern unter Stauden, Roſen oder als Einfaffung.

Ganz prächtig find die neuen Arten der groß; und ge— fülltblühenden Petunien, die man ſehr wohl auch in Töpfe pflangen und auf Balkonfenſter und Verandenbrüſtungen ſtellen kann. Neben den älteren Sommerblumen haben ſich auch neuere Sorten einen Platz erobert. Da ſind zuerſt die flammendroten Salvien mit langen Blumenähren, als Ein- faſſungsblumen für höhere Beete ſehr empfehlenswert, ferner die Schaublumen unferer Gärtner, die riſpentragenden Hahnen- kämme, die freilich gut gedüngten lockeren Boden verlangen, die ſchlichten, aber ſehr dankbaren Godetien in den mannig- faltigſten Farben, die ſchwarz-rot-gelben Gaillardien und die herrlichen, nachtkerzenartigen Clarkien, Tornien und Eſcholtzien mit ihren ſattgelben, weithin leuchtenden Mohnblumen wahrlich eine große Auswahl, die uns den unermüdlichen Fleiß der deutſchen Kunſtgärtnerei ſo recht vor Augen führt. ö

Zuletzt ſeien noch die Sommerblumen von hohem Wuchſe erwähnt, die bei größerem Raum Verwendung finden können. Hier haben wir neuerdings eine Sonnenblumenart zu ver- zeichnen, die niedriger iſt als die bekannte höchſte Art, es iſt Helianthum cucumerifolium. Die große Staude iſt überall von kleinen Sonnenblumen bedeckt und wirkt ungemein be- korativ. Daneben haben wir jetzt prächtige Tabakſtauden mit bunten Blüten, den ſtattlichen Rieſenhanf, die Wunderblume, den Amarant, den buntblätterigen Mais, die Mariendiſtel und die anderen wirkungsvollen Diftelblumen und zuletzt die prachtvolle Kochie, die heute in keinem Ziergarten fehlt, ein Gewächs mit dünnen Blättern, die ſich haarartig um den Stamm legen und einen überraſchend ſchönen Schmuck für den ganzen Garten bilden. R. Reichhardt.

Gute Lehre. Ein im ſiebzehnten Jahrhundert herrſchen— der Kaiſer von Japan hatte in ſeinem Palaſte zwanzig beſonders koſtbare Porzellanvaſen aufgeſtellt, die er um ihres Kunſt— wertes willen hütete wie ſeinen Augapfel. Da wollte es eines Tages das Mißgeſchick, daß ein unvorſichtiger Diener eine der

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Vaſen zerbrach. Der zornige Kaiſer verurteilte den Unglüdlichen zum Tode.

Da meldete ſich im Palaſt ein alter Prieſter mit dem Vor- geben, er könne das zerbrochene koſtbare Gefäß wiederherſtellen. Er wurde vom Kaiſer ſelbſt in das Vaſenzimmer geführt, und ehe noch der erſtaunte Herrſcher ihn daran zu hindern vermochte, nahm der Alte feinen Stock, auf den er ſich bis dahin geftüßt, und fegte mit einem kräftigen Hiebe die übrigen Vaſen zu Boden, fo daß fie in tauſend Stücke ſprangen.

„Unſeliger, was haſt du getan?“ ſchrie ihn der Kaiſer an, der vor Zorn und Schrecken außer ſich war.

„Ich habe nur getan, was ich für meine Pflicht hielt,“ erwiderte kaltblütig der Greis. „Siehe, einem deiner Untertanen koſtet nun ſchon eines dieſer Gefäße das Leben; ſo wollte ich verhindern, daß um dieſes zerbrechlichen Gutes willen noch mehr Menſchen ſterben müſſen. Begnüg dich mit meinem Leben.“

Der Kaiſer kam zur Beſinnung und verzieh ſowohl dem, ungeſchickten Diener wie dem tapferen Alten. O. v. B.

Ein antikes Feſtmahl in der Rokokozeit. Die Galan- terie, die zierliche Oberflächlichkeit jener Tage der unbeſtrittenen gerrſchaft des Rokoko ſchildern uns vortrefflich die „Erinne- rungen“ der Frau Vigée Lebrun, einer hochbegabten Porträt- malerin, deren Talent ihr Eingang in die Kreiſe der höheren Geſellſchaft jener Zeit verſchaffte. Die Künſtlerin ſchwärmt für den feinen Ton jener Tage, der für die Geſelligkeit das ſei, was für den Wein die Blume. Reizend ſeien vorzugsweiſe die kleinen Feſtlichkeiten geweſen, bei denen zwölf, höchſtens fünfzehn miteinander gut bekannte Damen und Herren ſich zuſammenfanden. Gewöhnlich ſei man erſt um neun Uhr abends zuſammengekommen, habe die Politik verbannt, ſich nur über Literatur und Stadtneuigkeiten unterhalten, ſich neue Verſe vortragen laſſen oder Scharaden aufgeführt. Das Eſſen ſpielte nur eine nebenſächliche Rolle, während man hin und wieder auch tanzte. Frau Vigée Lebrun berichtet uns zum Beiſpiel über ein „antikes Souper“, das ſie arrangierte, nachdem ſie wenige Stunden vorher in Barthélemys „Reiſen

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des jungen Anacharſis“ das intereſſante Kapitel von der Koch- kunſt der alten Hellenen geleſen hatte.

Die eingeladenen Männlein und Fräulein wurden zunächſt kunſtgerecht von dem modernen Puder gereinigt und dann, fo gut es gehen wollte, in Hellenen und Helleninnen umge- wandelt. Der geiſtreiche Poet Lebrun ging mit Wonne auf die Abſichten der Dame ein und wurde darum zur Belohnung mittels eines umgeworfenen Scharlachmantels und eines Lorbeerkranzes zu dem antiken Odendichter Pindar umge- ſchaffen ein Name, der auch ſpäter zu ſeiner Freude ihm in der Literatur blieb.

Marquis de Lubieres, ein talentvoller Sänger, wurde mit einer vergoldeten Lyra ausſtaffiert und dirigierte dann ſpäter den Chor von Gluck „Gottheit und Paphos und Knidos“, eine Hymne auf die Liebesgöttin, der zu Ehren die nach an— tiker Weiſe um die Tafel gelagerten Gäſte begeiſtert ihre Stimme erſchallen ließen.

Die Malerin ſelbſt, eine ſtattliche Erſcheinung, imponierte der Geſellſchaft nicht wenig in ihrer weißen Tunika, mit Roſen im Haar. Ihre anmutige Tochter, die ſpätere Komteſſe Neg- nault, machte die Runde im Saal mit antiken Henkelkrügen, um den Gäjten fleißig die Becher mit altem Zyperwein zu füllen. Lebrun rezitierte vortrefflich einige von ihm über— tragene Oden Anakreons, des Sängers der Liebe und des Weins, und die ganze Geſellſchaft ſchwamm in einem Meer von Wonne.

Di.eſes griechiſche Feſtmahl wurde nun aber fo oft nach- geahmt, da andere Damen die Erfinderin noch zu übertreffen trachteten, daß es bald ſeinen Reiz verlor. A. Sch.

Der Moltkefelſen auf dem Donnersberg. In der durch ſeine ſo köſtlichen Wein ſpendenden Rebenhügel berühmten bayriſchen Pfalz erhebt ſich, reich bewaldet, in ſchöner Wölbung bei Kirchheimbolanden als Wahrzeichen des Landes der Donners- berg. Er iſt nur 689 Meter hoch, aber weithin ſichtbar. Der Berg, aus Porphyr beſtehend, war in germaniſcher Vorzeit ein heiliger Berg und, wie ſein Name verrät, dem Donar geweiht. Von fünf Schluchten getrennt, ziehen ſich die von

220 Mannigfaltiges. Oo —— Dm—ãnä—Vũ ũ —— a alten Buchen- und Eichenwäldern bedeckten Hänge des ſarg— förmigen Berges zu der breiten Kuppe empor, die 30 Hektar Weideland umfaßt. Die noch 2 Meter hoch aufgetürmten Steine einer alten Ringmauer erinnern an die vorgeſchicht— liche Zeit.

Beſondere Aufmerkſamkeit erregt der ſogenannte Königs-

Der Moltkefelſen auf dem Donnersberg.

ſtuhl, ein Fels von etwa 5 Meter Höhe und 15 bis 16 Meter Breite, auf dem die fränkiſchen Könige zuweilen Recht geſprochen und auch die Grafen des Wormsgaues Gericht gehalten haben ſollen. Eine noch ſchönere und weitere Ausſicht in die weite fruchtbare Rheinpfalz als von hier hat man von der Stelle, wo ſich am Bergesrand zwei Felsgruppen gegenüberliegen, die jetzt durch einen kühnen eiſernen Bogen verbunden ſind, auf deſſen Mitte der deutſche Neichsadler gen Frankreich blickt, während an den Stützen des Bogens rechts und links die Erz— ſtatuen von Bismarck und Moltke ſtehen. Man nennt dieſes

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Denkmal den Moltkefelſen. An den mächtigen Felswänden ſind die Gedenktage des Krieges 187071 eingegraben. 3. P. Kampf zwiſchen Löwe und Pferd. Unter König Wil- helm III. von England erbat ſich ein Menageriebeſitzer die Erlaubnis, eines ſeiner Pferde, das kein Menſch zu bändigen vermochte, mit einem ſeiner größten Löwen zuſammenbringen zu dürfen. Der Monarch gab ſeine Zuſtimmung, kam ſelbſt zu der ungemein beſuchten Vorſtellung, und das Pferd ward auf den umgitterten Kampfplatz geführt. Gleich darauf öffnete man die Tür des Löwenkäfigs, und der Löwe ſchritt langſam und majeſtätiſch hervor und erhob, als er das Pferd erblickte, ein gewaltiges Gebrüll. Das Pferd ſtutzte, ſpitzte die Ohren, ſeine Mähne hob ſich, ſeine Augen funkelten. Sofort zog es ſich in einen Winkel zurück, ſtellte ſich mit den Hinterfüßen gegen den Löwen, ſah ſich aber ſtändig nach ihm um und er- wartete ſeinen Angriff. Der Löwe hielt ſich länger als eine Minute ganz ſtill, als ob er ſich einen Angriffsplan ausſinne, dann ſprang er plötzlich auf das Pferd los, das ihm einen hef— tigen Hufſchlag gegen die Bruſt verſetzte. Der Löwe tau- melte zurück, brüllte zornig auf, ſchien aber nicht geneigt zu ſein, ſeinen Angriff zu wiederholen. Als er ſich jedoch erholt und wie das erſte Mal vorbereitet hatte, wagte er einen zweiten Angriff. Das Pferd war in derſelben Stellung geblieben und hatte ſorgſam jede Bewegung des Löwen beobachtet. Dieſer ſprang jetzt mit ſeiner ganzen Kraft und Wucht auf das Pferd los, erhielt aber einen ſolchen Hufſchlag gegen den Unterkiefer, daß dieſer zerbrach. Der Kampf war beendet, der Löwe ſchlich in ſein Behältnis zurück und brüllte kläglich. Das Pferd mußte man ſchließlich erſchießen, da es von nun an auch keinen Menſchen mehr an ſich herankommen ließ. C. T. Ein Schmugglerſtreich. Einem eigentümlichen Schmuggel ſind vor kurzem die ägyptiſchen Zollbehörden in Alexandrien auf die Spur gekommen. Schon über ein Fahr lief ein fran- zöſiſches Schiff zwiſchen Marſeille und Alexandrien, das mit anderen Gütern ſtets auch eine Ladung von mit Kartoffeln gefüllten Säcken mit ſich führte. Unter Aufſicht der Zoll-

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beamten begann das Schiff auch diesmal feine Ladung zu löſchen. Ganz unten im Schiffsraum lagen die Kartoffelſäcke. Oer aufſichthabende Zolloffizier war ſchon dabei, dem Kapitän ſeine Papiere auszuhändigen, als durch die Unvorſichtigkeit eines Hafenarbeiters einer der Kartoffelſäcke riß und nun ſeinen Inhalt auf den Kai verſtreute. Arbeiter und Matroſen ſprangen hinzu, um die Kartoffeln wieder in den raſch ge- flickten Sack hineinzuſchütten, was ſchnell beſorgt war. Nur einige der Früchte blieben unbeachtet liegen. Wie groß war das Erſtaunen der Anweſenden, als die angeblichen Kartoffeln zu ſchmelzen begannen und einen kleinen See brauner Flüſſig- keit bildeten. Als man ſie einer Unterſuchung unterzog, ſtellte es ſich heraus, daß die Kartoffeln täuſchend ähnlich aus Wachs hergeſtellt waren, daß ihr Inneres hohl und mit dem in Agypten fo begehrten, aber auch fo hoch verſteuerten Haſchiſch gefüllt war. Es handelte ſich um eine Quantität von etwa zweitauſend Pfund Haſchiſch, die auf dieſe Weiſe den ägyptiſchen Zoll- behörden in die Hände fiel. O. v. B.

Von der Bürſte und den Bürftenbindern. In einer Ge- ſchichte der Schwarzwaldinduſtrie heißt es: „Die erſte wirk- liche Bürſte wurde durch den Müllerburſchen Leodegar, einen Sohn des Todtnauer Müllers Thoma zu Mülhauſen i. E., angefertigt, um das Zuſammenwiſchen des Mehles zu erleich- tern. Die anderen Müller machten ſich dieſe Erfindung zunutze und ließen ſich von Leodegar Bürſten herſtellen. Dieſe waren ſehr einfach. Sie beſtanden aus einem Holz, in deſſen Löchern Schweinsborſten mit Keilen befeſtigt waren.“ Als der Er- finder infolge eines Sturzes vom Pferde ſein Gewerbe auf— geben mußte, kehrte er nach Todtnau zurück und verdiente ſich ſeit 1770 durch Bürſtenfabrikation ſein Brot. Sein erſter größerer Auftrag beſtand in fünfzig Pferdebürſten für das öſterreichiſche Regiment Benda in Freiburg. Später trat der Sohn Leodegars, Chriſtian Thoma, in das Geſchäft ein. Beide entſandten einen Hauſierer und ließen die Hölzer zu den Bürſten in den Fahren 1781 bis 1787 durch Balthaſar Brender herſtellen.

Man kann indeſſen ſelbſtverſtändlich der Bürſte, dieſem

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unentbehrlichen Hausgerät, ein weit höheres Alter zuweiſen, als jene Lokalgeſchichte ihr zugeſteht. Im vierzehnten und fünf- zehnten Jahrhundert hatten die Bürſten freilich meiſtens die Geſtalt großer Borſtenpinſel und wurden auch bereits beim Glätten der Haare benützt. 1559 erſchien in Frankfurt ein Buch mit dem Titel: „Allgemeiner Schawplatz, Markt und Zuſammenkunft aller Profeſſionen, Künſten, Geſchäften und Handwerker und fo weiter.“ Darin find auch die Bürſten- binder genannt, und auch Pater Abraham a Santa Clara gibt uns einige Auslaſſungen über die Bürſtenbinder und ihr Hand- werk, indem er wörtlich ſagt: „Unter allen Tieren wird keins ſo wild und unſauber gehalten wie die Sau, gleichwohl ſynd die Bürſtenbinder ſo verſtändige Leut, daß ſie die Bürſten von dieſem unſaubren Tiere nehmen, wormit man manchmal alles ſäubern kann und kann fürwahr weder Haus noch Haus- . rat ſauber ſyn, wo man der Bürſtenbinder Arbeit nicht braucht. Aber willkommen ihr ſaubern Bürſtenbinder. Ihr tut andere ſäubern und bleibt ſelbſt unſauber, das Sprichwort iſt ſchon drei Meilen weit hinter Babylon bekannt: Er ſeufft wie ein Bürſtenbinder. Ihr macht keine Arbeit lieber als die Randel- bürſten, eure Arbeit nimmt den Staub weg, aber bei euch ſtaubt das Maul nimmermehr, dann es allezeit von Wein oder Bier iſt; darum kein Wunder, daß eure Arbeit fo lie- derlich.“ ' Seitdem die Schwarzwälder Bürſteninduſtrie aufkam, trat ſie mit Erfolg in den Wettbewerb ein. Ihr Abſatzgebiet war hauptſächlich die Schweiz und Frankreich. Aber auch nach England, Holland, Rußland, ſelbſt nach Amerika brachten die Schwarzwälder ihre Waren. Später ließ die Regierung in der Herſtellung von Pinſeln und Bürſten Unterricht erteilen. Die Bürſten wurden hergeſtellt aus gekämmten, geſottenen und gefärbten Borſten oder aus dem ſogenannten Bürften- moos, das im öſtlichen Schwarzwald gewonnen wurde. Letz teres wurde ſpäter durch das Produkt der Piaſſavapalme er- ſetzt. Nach Trinkles Angaben wurden im Fahre 1871 im Schwarz- wald allein Bürſten im Werte von 900,000 Mark angefertigt und umgeſetzt. D. C.

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Der Unverſtand des Sohnes und die Weisheit des Vaters. Eine orientaliſche Sage erzählt folgendes: Ein reicher Mann hatte einen einzigen Sohn. Als der Vater auf dem Totenbette lag, rief er den Sohn zu ſich und ſagte: „Schau einmal in das Nebenzimmer, mein Sohn. Dort ſiehſt du alle die Schätze, die ich mir in einem langen, arbeitſamen Leben erworben habe. Wenn du fleißig und mäßig biſt, kannſt du nicht nur ſelbſt davon leben, ſondern fie auch deinen Nachkommen hinterlaſſen. Sie werden ſich ſtändig vermehren. Vergeudeſt du ſie aber, ſo daß du in Not und Elend gerätſt, ſo wiſſe, daß ich dort drinnen einen Nagel in die Wand geſchlagen habe. Hänge dich lieber an ihm auf, als daß du umhergehſt und bettelſt!“

Bald darauf ſtarb der Vater. Der Sohn arbeitete nicht, ſondern verjubelte das Geld und hatte im Laufe weniger Jahre das ganze Vermögen verpraßt. Als er ſchließlich nichts mehr beſaß, fielen ihm die Worte des Vaters ein: „Ja, der Vater hatte recht,“ ſagte er. „Wenn ich jetzt, wo ich den Vert des Geldes kennen gelernt habe, dieſelbe Summe beſäße, die er mir hinterließ, würde ich danach ſtreben, das Ererbte zu ver— mehren, ſtatt es zu vergeuden. Aber was geſchehen iſt, läßt ſich nicht ändern. Habe ich den erſten Wunſch meines Vaters nicht erfüllt, ſo werde ich alſo ſeinen zweiten erfüllen und mich an der Stelle aufhängen, die er mir angewieſen hat, damit ihm in ſeinem Grabe die Schmach erſpart bleibt, daß ich als Bettler durch die Welt ziehe.“

Er nahm einen Strick und befeſtigte ihn an dem Nagel. Aber ſiehe, der Nagel gab nach, lockerte ſich und fiel heraus. In der Wand öffnete ſich aber eine Spalte, und Gold, reines glänzendes Gold rollte ihm entgegen.

Drinnen hatte der Vater die Hälfte feines Vermögens ver- borgen. Er hatte richtig gerechnet. Erſt jetzt verſtand der Sohn den Wert des Geldes zu ſchätzen. B. M.

Ein beſtrafter Geſandter. Don Pedro Toletano, unter König Heinrich IV. von Frankreich ſpaniſcher Geſandter in Paris, erzählte im Geheimen Kabinettsrate des Königs von Spanien, König Heinrich leide infolge ſeines übermäßigen Trinkens fo ſtark an Podagra, daß er ſich nur noch ſehr ſchwer⸗

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fällig bewegen könne. Dies wurde Heinrich hinterbracht, der ſich den Verleumder wohl merkte.

Eines Tages ließ er dem Spanier ſagen, er ſolle am folgen- den Morgen um ſechs Uhr zu ihm kommen, da verſchiedene höchſt dringende Sachen verhandelt werden müßten. Der Geſandte erſchien und fand den König im großen Audienz- ſaale ſeiner wartend. Alsbald begann die Unterredung, welche ſich auf eine große Zahl von Dingen bezog. Hierbei ging der König fortwährend im Saale auf und ab. Fünf Stunden dauerte die Unterredung und das Herumwandeln bereits, aber der König war immer noch nicht fertig. Der Spanier konnte ſich faſt nicht mehr auf den Füßen halten, er verſuchte wiederholt, die Unterredung abzubrechen, doch der König fing immer von neuem an. Zuletzt wurde der Geſandte vor Angſt und Wattigkeit ganz bleich, kalter Schweiß ſtand auf feiner Stirn, und er zitterte ſo ſehr, daß der König, welcher nach wie vor flott herumſpazierte, die Audienz abbrach.

Um zwei Uhr erſchien aber ſchon wieder ein Adjutant bei Don Pedro, welcher ihm eröffnete, der König erwarte ihn wieder zur Audienz. Doch der Geſandte hatte ſich bereits zu Bett begeben, hatte keinen Biſſen Speiſe angerührt und ließ den König bitten, ihm die Audienz für heute zu erlaſſen, denn er ſei ganz krank von der Anſtrengung vom Vormittage.

Da lachte der König und ſagte: „Wenn Don Pedro wieder nach Spanien kommt, wird er mein Zeuge ſein, daß das Podagra mich nicht fo ſehr beläftigt, als er beliebt hat zu be- richten.“ O. v. B.

Ein Apatſchenhalsband. Im Altertum war es bei den Völkern des Orients eine häufig geübte Sitte, den gefallenen Feinden einen Körperteil, wie die Hand, abzuſchneiden, um mit dieſen Trophäen nach der Rückkehr aus der Schlacht vor den Volksgenoſſen zu prunken. Den Türken wurde ſogar noch im letzten türkiſch-ruſſiſchen Krieg der Vorwurf gemacht, daß ſie den ſchwerverwundeten und gefallenen Ruſſen die Naſen abſchnitten.

Eine ähnliche Verſtümmlung war bis in die jüngſte Ver— gangenheit hinein bei den Apatſchen, einem Indianerſtamm,

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üblich, der in den Gebirgstälern des Colorado und Rio Grande del Norte anſäſſig war, und von hier aus immer von neuem Überfälle auf die Farmen der vordringenden Weißen unter— nahm. Wer Widerſtand leiſtete, wurde niedergemetzelt. Mehr aber kam es den Apatſchen bei dieſen Raubzügen darauf an, Gefangene zu machen, um dann ſpäter von deren Angehörigen

Ein Halsband aus Fingern und Ohren.

ein hohes Löſegeld herauszupreſſen. Führten die darüber ein- geleiteten Verhandlungen zu keinem Ziel, ſo wurde den Ge— fangenen ein Finger oder ein Ohr abgeſchnitten als Zeichen, daß nun die Geduld der indianiſchen Krieger erſchöpft ſei, und mit dieſen der indianiſche Unterhändler nochmals zu den Weißen geſandt. Gewöhnlich hatte eine ſolche Mahnung den Erfolg, daß nun ſofort das verlangte Löſegeld ausgezahlt wurde.

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Die abgeſchnittenen Finger und Ohren brachte der Anter— händler zum Häuptling zurück, der ſie auf eine Schnur reihte und dann dieſen eigenartigen Schmuck als Halsband trug. Nur mit großer Mühe iſt es der nordamerikaniſchen Regierung Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ge- lungen, die Apatſchen in einer Stärke von rund 6500 Köpfen auf den Reſervationen von New Mexiko und Arizona anzu- ſiedeln. Th. S.

Die wirkſamſten Hausmittel zur Blutſtillung. Das erſte und dringendſte Verlangen eines jeden, der ſich eine Wunde zugezogen hat, iſt natürlich die Stillung der Blutung. Deshalb ſagt ſchon Chriſtophorus Wirſung in ſeinem Arzneibuche vom Jahre 1588: „Es trage ſich nun das Verwunden zu, wie es wolle, aus Hauen, Stichen, Geſchoſſen, Gefallen, ſo iſt erſtlich vonnöten, das Blut zu ſtillen.“ Anzählig find daher die Mittel, welche zu dieſem Zwecke von jeher verwandt wurden.

In älteren Zeiten waren namentlich die oft keineswegs unſchädlichen Salben gebräuchlich. So leſen wir ſchon bei Homer, daß dem Ares lindernder Balſam auf die Wunde gelegt wurde.

„Schnell wie die weiße Milch von Feigenlabe gerinnet, Alſo ſchloß ſich die Wunde ſofort dem tobenden Ares.“

Venn nun im täglichen Leben, draußen oder in der Häus- lichkeit, eine Verwundung vorkommt, fo ſollten folgende Hin- weiſe Beachtung finden. Zuſammenziehung der verletzten Blutgefäße und eine Gerinnung des austretenden Blutes bewirken verſchiedene verdünnte Säuren und Alaun. Das letztere iſt namentlich bei Barbieren beliebt. Sind ſie beim Raſieren ungeſchickt geweſen, fo wird auf die kleine Schnitt— wunde ein wenig Alaun getupft, was die Blutung augenblick— lich ſtillt.

Eine andere Klaſſe von Mitteln bilden mit Bein Blute eine teigige, klebrige, kittartige Maſſe und trocknen dann zu einem Schorfe ein. Dazu gehören Stärkemehl, Kreide, Gips und vor allem Kolophonium, welches ſich ſtets gut bewährt. Man ſlreut dieſe Stoffe am zweckmäßigſten dick auf ein Watte- bäuſchchen und bindet ſie auf der blutenden Stelle feſt.

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Ahnlich wirken poröſe Körper, welche das Blut in ſich aufſaugen, an ihrer Oberfläche trocknen und mit der Wunde verkleben. Derartige Mittel ſind loſe Scharpie, welche aber von ganz ſauberer Leinwand ſein muß, und Watte. Auch der Feuerſchwamm oder trockenes Löſchpapier kann im Notfalle von Nutzen ſein. Dieſe Mittel müſſen einige Zeitlang mit Druck auf der Wunde feſtgehalten werden.

Ebenfalls blutſtillend wirken kalte Einflüſſe. Die Kälte beſchleunigt einerſeits die Blutgerinnung und reizt anderſeits die Gefäße zur Zuſammenziehung. In der Häuslichkeit iſt es daher das Einfachſte und Beſte, eine Wunde ſogleich unter die Waſſerleitung zu halten und längere Zeit hindurch einen energiſchen kalten Waſſerſtrahl darüber rieſeln zu laſſen. Dadurch wird die Wunde gut gereinigt, die Gefäße ziehen ſich zuſammen, und das Blut ſteht meiſt ſehr bald. Nachher muß man natürlich noch einen kleinen Schußperband auflegen. In noch ſtärkerem Maße kann man die in dieſer Beziehung günſtige Wirkung der Kälte ausnützen, wenn man ſich zur Winterszeit im Freien eine Verwundung zugezogen hat. Man legt dann Eisſtückchen auf die Wunde oder bedeckt ſie mit dem in einen Schneebeutel verwandelten reinen Taſchentuche. Freilich iſt Vorſicht nötig, da gar zu lange Einwirkung der Kälte auch Nachteile bringen kann.

Bei ſchwereren Verwundungen, beſonders bei Verletzungen der großen Gefäße, läßt aber die Stillungskraft aller dieſer Mittel im Stiche. Und gerade hier iſt ſchnelle Hilfe um fo notwendiger, weil bis zur Ankunft des Arztes oft ſchon eine Verblutung eingetreten iſt. Deshalb werden in vielen Samariter, Sanitäts-, Krieger- und ähnlichen Vereinen Verbandkurſe abgehalten, in denen die Mitglieder auch die Kompreſſion großer Gefäße zum Zwecke der Blutſtillung erlernen. Wenn bei einer ſolchen ſchweren Verletzung kein derartiger Sachverſtändiger zur Stelle iſt, ſo wende man als ein ſehr gutes und augenblicklich wirkſames Hilfsmittel den Fingerdruck an. Er wird ſo ausgeführt, daß man das blutende Gefäß durch ſtarken Fingerdruck gegen ſeine Unterlage, womöglich gegen den Knochen, verſchließt, oder daß man es zwiſchen den Fingern zuſammenpreßt. Die letztere

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Art iſt nur möglich bei Lappenwunden, bei Wunden der Lippen, Wangen, Ohren. Der Fingerdruck muß natürlich ununter- brochen ausgeübt werden, bis der Arzt kommt. Bei Verletzung der Arme oder Beine müffen dieſe hoch gelagert werden. Durch ſchnelle, energiſche Ausübung dieſer Maßnahmen kann man verhängnisvolle Blutverluſte verhüten und ſogar Menſchenleben retten. Dr. Th.

Ein kleiner großer und ein großer kleiner Mann. Lord Roberts, der bekannte engliſche Heerführer, befand ſich einmal in einem Londoner Klub mit mehreren Fremden zu- ſammen, die dort erſt eingeführt wurden. Einer unter ihnen war ein auffallend hochgewachſener Mann, der ſich als Witz- bold aufſpielte und es mehrfach erreichte, die Anweſenden auf Koſten des einen oder des anderen von ihnen zum Lachen zu bringen. Das verſuchte er auch, als er dem berühmten General vorgeſtellt wurde, der ſich, da er von ziemlich dürftigem Wuchs, gegen ihn ausnahm wie ein Zwerg gegen einen Rieſen. Indem er cine Hand ſchattend an die Augen legte, die andere aber zu einem Teleſkop rundete, wie wenn er das winzige Männchen nur unter Zuhilfenahme künſtlicher Mittel erblicken könne, ſagte er mit weithin ſchallender Stimme: „Gehört habe ich ſchon oft von Ihnen, Sir, aber ſehen kann ich Sie noch nicht!“

Gleichmütig gab ihm Lord Roberts zum unbeſchreiblichen Vergnügen ſeiner Freunde die Erwiderung: „Mit Ihnen iſt mir's umgekehrt ergangen. Sehen kann ich Sie gut, aber gehört habe ich noch nie etwas von Ihnen.“

Der Reifrock iſt durchaus nicht, wie man zumeiſt in erſt um die Witte des achtzehnten Jahrhunderts entſtanden. Schon weit früher hat dieſe Modetorheit das Aufſehen der Mitwelt erregt, wenigſtens findet ſich in einer Chronik des Magiſters Chriſtophorus Rotbart aus dem Jahre 1620 folgende Stelle, in welcher der Schreiber ſeiner gerechten Entrüſtung über die unkleidſame Mode mit beredten Worten Luft macht. Er ſchreibt da unter der Überſchrift: „Eifen oder Bügel um den Leib“ folgendes: „Darunter gehöret auch dieſe abſchewliche Leichtfertigkeit, mit den großen dicken Eiſen oder Bügel, fo die

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vom Adel und andere umb den Leib tragen, daß die Kleider darüber hangen, als wann ein Wein- oder Bierfaß darunter bedeckt werde. Ja, ich weiß es eigentlich, daß Jungfrauen vom Adel rechte Mannskleider darunter verborgen gehabt, und wenn es denn auff den Abend kommpt, ſo werffen ſie den weiten Umbgang mit ſeinem dicken Eiſen hinweg und hüpfen, tantzen und ſpringen gleich den Männern und Geſellen daher. Das laſſe mir eine Zucht von adeligen Perſonen ſeyn, ein ander mag es loben, ich weiß es nicht zu entſchuldigen.“ O. L.

Der geizigſte Volksſtamm. An beiden Ufern der Wjätka wohnt das Volk der Wotjäken, ein Teil der ebenſo intereſſanten als buntſcheckigen Aralvölker. Die Wotjäken gehören zu jener Menſchenklaſſe, deren Haupteigenſchaft die bekannte Wurzel alles Übels ift der Geiz. Der Wotjäke würde ſich kalten Blutes vor Geiz ſelber auffreſſen, wenn das nur ginge.

Ein ſolcher Wotjäke erſcheint eines Tages beim Arzt der nächſten Stadt. „Väterchen,“ fagte er, „ich habe erfahren, daß du Augen machſt. Hier iſt meine blinde Frau. Sie könnte noch arbeiten, wenn ſie Augen hätte. Kannſt du ihr welche machen?“

Der Arzt unterſuchte die Kranke und findet, daß eine leichte Operation genügt, das Übel zu beſeitigen. Er erklärte ihm, fie wieder ſehend machen zu können.

„Schön, was koſtet denn bei dir das Augenmachen?“ fragte der Wotjäke.

„Kannſt du mir zehn Rubel geben?“ erwiderte der Arzt.

„Nein, Väterchen, das iſt zu viel, nimm ſechs Rubel!“

„Gut, ich will mich mit ſechs Rubel begnügen.“

„Und machſt du für ſechs Rubel beide Augen?“

„Beide verſteht ſich!“

„Gut,“ erklärt da triumphierend der Wotzjäke, „hier haft du drei Rubel, Väterchen, mache ihr nur ein Auge, ſie hat an einem Auge auch genug!“ O. Th. St.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, in Oſterreich⸗Ungarn verantwortlich Dr. Ernſt Perles in Wien.

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